PHYStCS LIBRARY
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^-«^^7^1
DIE
MECHANISCHE
WÄRMETHEORIE.
ERSTER BAND.
Holzstiche
aus dem xylographischen Atelier
von Friedrich V i e w e g und Sohn
in Braunschweig.
Papier
aus der meclianischen Papier-Fabrik
der Gebrüder V i e av e g z n W e n d li a u s e n
bei Braunschweig.
DIE
MECHANISCHE
WÄRMETHEORIE
VON
ßfCLAUSIüS.
DRITTE
UMGEARBEITETE UND VERVOLLSTÄNDIGTE AUFLAGE.
ERSTER BAND.
Entwickelung der Theorie, soweit sie sich aus den beiden Hauptsätzen
ableiten lässt, nebst Anwendungen.
MIT IN DEN TEXT EINGEDRÜCKTEN HOLZSTICHEN.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
18 87.
^1111
zw
a
VORREDE.
Uer Inhalt dieses Buches ist ursprünghch in einzelnen
Abhandlungen erschienen, welche ich während einer
langen Reihe von Jahren, vorzugsweise in Poggen-
dorff's Annalen, publicirt habe, und welche dann, nach-
dem sich herausgestellt hatte, dass sie bei dem all-
mälig in weiten Kreisen rege gewordenen Interesse
für die mechanische Wärmetheorie nicht Allen, welche
sie zu lesen wünschten, zugänglich waren, in einer
Sammlung vereinigt noch einmal gedruckt wurden.
Als später eine neue Auflage des so entstandenen
Buches nothwendig wurde, benutzte ich diese Grelegen-
heit dazu, ihm eine andere Form zu geben. Die mecha-
nische Wärmetheorie bildet in ihrer jetzigen Entwicke-
lung schon ein für sich bestehendes, ausgedehntes
Lehrobject. Es ist aber nicht leicht, aus getrennten,
zu verschiedenen Zeiten veröffentlichten Abhandlungen,
welche zwar ihrem Inhalte, aber nicht ihrer Form nach
zusammenhängen, einen solchen G-egenstand zu studiren,
und wenn ich auch zur Erleichterung des Verständ-
nisses und zur Vervollständigung die Abhandlungen an
VI Vorrede.
vielen Stellen mit Anmerkungen und Zusätzen versehen
hatte, so war damit diesem Uebelstande doch nur theil-
weise abgeholfen. Ich fand es daher zweckmässig, den
Inhalt der Abhandlungen so umzuarbeiten, dass er ein
in zusammenhängender Weise sich entwickelndes Granzes
bilde, und dass daher das Werk die Form eines Lehr-
buches annehme.
Ich sah mich dazu um so mehr veranlasst, als ich
seit langer Zeit an einem Polytechnicum und mehreren
Universitäten die mechanische Wärmetheorie vorge-
tragen und dadurch reichliche Gelegenheit gehabt
hatte, zu prüfen, welche Anordnung des Stoffes und
welche Form der Darstellung am geeignetsten wäre,
die durch neue Anschauungen und Rechnungsweisen
etwas schwierige Theorie dem Verständnisse leicht zu-
gänglich zu machen.
Bei der aus diesem Grrunde vorgenommenen Um-
gestaltung konnte ich auch manche Untersuchungen
anderer Autoren mit aufnehmen und dadurch der Aus-
einandersetzung des Gegenstandes eine grössere Voll-
ständigkeit und Abrundung geben, wobei ich natürlich
nicht unterlassen habe, diese Autoren jedesmal nam-
haft zu machen. Auch der Inhalt einiger in der
Zwischenzeit von mir selbst veröffentlichter Abhand-
lungen sollte dabei Berücksichtigung finden.
Von dieser zweiten Auflage sind bisher erst zwei
Bände erschienen, indem die Bearbeitung des dritten, den
Abschluss bildenden Bandes mich zu neuen, über mein
Erwarten ausgedehnten Untersuchungen führte, und
zugleich andere wissenschaftliche Arbeiten die wenige
Vorrede. VII
mir neben den amtlichen Geschäften frei bleibende Zeit
zu sehr in Anspruch nahmen. Dadurch ist es gekom-
men, dass der Anfang der dritten Auflage des- Werkes
vor der Vollendung der zweiten nothwendig geworden
ist, und dass daher das Erscheinen des letzten Bandes
gleichzeitig beiden Auflagen zur Vervollständigung die-
nen muss.
Der vorliegende erste Band der dritten Auflage
weicht von dem der zweiten Auflag-e nicht erheblich
ab. Die in diesem Bande behandelten Grundlagen und
ersten Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie
haben allmälig eine so feste und durch vielfachen Ge-
brauch eingebürgerte Gestalt angenommen, dass keine
Veranlassung zu wesentlichen Aenderungen vorlag, son-
dern nur verhältnissmässig geringe, zur Vermehrung
der Vollständigkeit und Klarheit bestimmte Abände-
rungen erforderlich schienen.
Bonn, im September 1887.
R. Clausius.
IN HALT.
Matliematisclie Einleitung.
Seite
Ueber die mechanische Arbeit und die Energie und über die
Behandlung nicht integrabler Differentialgleichungen . 1
§. 1. Begriff und Maass der meclianischen Arbeit 1
§. 2. Mathematische Bestimmung der Arbeit bei veräuderliclier Kraft-
componente 3
§. 3. Integration des Differentials der Arbeit 4
§. 4. Geometrische Bedeutung der vorstehenden Resultate und Bemer-
kung über die Differentialcoefficienten . 8
§. 5. Ausdehnung des Vorigen auf drei Dimensionen 11
§. 6. Das Ergal 12
§. 7. Erweiterung des Vorigen 15
§. 8. Beziehung zwischen Arbeit und lebendiger Kraft 18
§. 9. Die Energie 20
AId schnitt I.
Erster Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie oder Satz
von der Aequivalenz von Wärme und Arbeit 22
§. 1. Ausgangspunkt der Theorie 22
§. 2. Positiver und negativer Sinn der mechanischen Arbeit 23
§. 3. Ausdruck des ersten Hauptsatzes 24
§. 4. Verhältnisszahl zwischen Wärme und Arbeit 25
§. 5. Mechanische Einheit der Wärme 27
§. 6. Aufstellung der ersten Hauptgleichuug 28
§. 7. Verschiedenes Verhalten der Grössen J, W und H 29
§. 8. Die Energie des Körpers 33
§. 9. Gleichungen für endliche Zustandsäuderungen und Kreisprocesse 34
§. 10. Gesammtwärme , latente und specifische Wärme 35
§. 11. Ausdruck der äusseren Arbeit für einen besonderen Fall .... 38
X Inhalt.
Absclinitt II.
Seite
Behandlung der vollkommenen Gase 42
§. 1. Gasförmiger Aggregatzustand 42
§. 2. Nebenannahme in Bezug auf gasförmige Körper * 45
§. 3. Formen, welche die den ersten Hauptsatz ausdrückende Gleichung
für vollkommene Gase annimmt 47
§. 4. Folgerung in Bezug auf die beiden specifischen Wärmen und
Umformung der vorigen Gleichungen 49
§. 5, Verhältniss der beiden specifischen "Wärmen und Anwendung
desselben zur Berechnung des mechanischen Aequivalentes der
Wärme 52
§. 6. Verschiedene auf die specifischen Wärmen der Gase bezügliche
Formeln 56
§. 7. Numerische Berechnung der specifischen Wärme bei constantem
Volumen 59
§. 8. Integration der Differentialgleichungen, welche den ersten Haupt-
satz für Gase ausdrücken 63
§. 9. Bestimmung der äusseren Arbeit bei Volumenänderungen eines
Gases 66
Absclinitt III.
Zweiter Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie 72
§. 1. Betrachtung eines Kreisprocesses von specieller Art 72
§. 2. Resultat des Kreisprocesses 74
§. 3. Kreisprocess eines aus Flüssigkeit und Dampf bestehenden Körpers 76
§.4. Garnot's Ansicht über die in einem Kreisprocesse geleistete
Arbeit 79
§. 5. Ein neuer Grundsatz in Bezug auf die Wärme . 81
§. 6. Beweis, dass das Verhältniss zwischen der in Arbeit verwandelten
Wärme und der übergegangenen Wärme von der Natur des
vermittelnden Stofi'es unabhängig ist . 82
§. 7. Bestimmung der Function 'P {T-^, T^) 85
§. 8. ComiDlicirtere Kreisprocesse 87
§. 9. Kreisprocesse, bei denen Wärmeaufnahme und Temperaturände-
rung gleichzeitig stattfinden . 90
Abschnitt lY.
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes oder Satz von der
Aequivalenz der Verwandlungen 95
§. 1. Zwei verschiedene Arten von Verwandlungen 95
§. 2. Ein Kreisprocess von besonderer Form 97
Inhalt. XI
Seite
§. 3. Aequivalente Verwandlungeu 100
§. 4. Aequivalenzwertlic der Verwaudlungcn 101
§. 5. Gesammtwerth aller in einem Kreisprocesse vorkommenden Ver-
wandlungen 105
§. 6. Beweis, dass in einem umkehrbaren Kreisprocesse der Gesammt-
werth aller Verwandlungen gleich Null sein muss 107
§. 7. Die Temperaturen der vorkommenden Wärmemengen 110
§. 8. Die TemperaturfunctioBL r 112
Aböclmitt V.
Umformungen der beiden Hauptgleichungen 114
§. 1. Einführung von Veränderlichen, welche den Zustand des Körpers
bestimmen 114
§. 2. Elimination der Grössen U und S aus den beiden Haupt-
gleichungen 116
§. 3. Anwendung der Temperatur als eine der unabhängigen Ver-
änderlichen 119
§. 4. Specialisii'ung der äusseren Kräfte 120
§. 5. Zusammenstellung einiger häufig vorkommender Formen der
Differentialgleichungen 122
§. 6. Gleichungen für einen Körper, welcher eine theilweise Aende-
rung seines Aggregatzustandes erleidet 123
§. 7. Die Clapeyron'sche Gleichung und die Carnot'sche Function 125
Aljscliiiitt VI,
Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf gesättigte
Dämpfe . 129
§.: 1. Hauptgleichungen für gesättigte Dämpfe 129
§. 2. ^Specifische Wärme des gesättigten Dampfes 138
§. 3. Numerische Bestimmung von h für Wasserdampf 136
§. 4. Numerische Bestimmung von h für andere Dämpfe 139
§. 5. Experimentelle Prüfung der specifischen Wärme des gesättigten
Damj)fes 143
§. 6. Das specifische Volumen des gesättigten Dampfes 146
§. 7. Abweichung des gesättigten Wasserdampfes vom Mariotte'-
schen und Gay-Lussac'schen Gesetze 147
8. 8. Differentialcoefficienten von ^^— 152
§. 9. Formel zur Bestimmung des specifischen Volumens des gesät-
tigten Wasserdampfes, und Vergleichung derselben mit der
Erfahrung 155
§. 10. Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme aus
dem Verhalten des gesättigten Dampfes 160
XII Inhalt.
Seite
§. 11. Vollständige Differentialgleichung von Q für einen aus Flüssig-
keit und Dampf bestehenden Körper 161
§. 12. Veränderung des dampfförmigen Theiles der Masse .;.... 163
§. 13. Beziehung zwischen Volumen und Temperatur 165
§. 14. Bestimmung der Arbeit als Function der Tem^Deratur 166
Absclinitt VII.
Sehmelzproeess und Verdampfung fester Körper 168
§. 1. Hauptgleichungen für den Sehmelzproeess 168
§. 2. Beziehung zwischen Druck und Schmelztemperatur 172
§. 3. Experimentelle Bestätigung des vorstehenden Resultates .... 173
§. 4. Experimentelle Untersuchung mit Substanzen , die sich beim
Schmelzen ausdehnen 175
§. 5. Abhängigkeit der Werkwärme des Schmelzens von der Schmelz-
temperatur 177
§. 6. Uebergang aus dem festen in den luftförmigen Zustand .... 178
Absclmitt VIII.
Behandlung homogener Körper 181
§. 1. Zustandsänderungen ohne Veränderung des Aggregatzustandes 181
§, 2. Genauere Bezeichnung der Differentialcoefficienten ...... 182
§. 3. Beziehungen zwischen den Differentialcoefficienten von Druck,
Volumen und Temperatur 183
§. 4. Vollständige Differentialgleichungen für Q 185
§. 5. Specifische Wärme bei constantem Volumen und bei constantem
Drucke - 187
§. 6. Specifische Wärmen unter anderen Umständen 191
§. 7. Isentroj)ische Aenderungen eines Körpers 194
§. 8. Specielle Form der Hauptgleichungen für einen gedehnten Stab 196
§. 9. Temperaturäuderung bei der Verlängerung des Stabes .... 198
§. 10. Weitere Folgerungen aus den obigen Gleichungen 200
Abschnitt IX.
Bestimmung der Energie und Entropie 203
§. 1. Allgemeine Gleichungen 203
§. 2. Differentialgleichungen für den Fall, wo nur umkehrbare Ver-
änderungen vorkommen, und der Zustand des Körpers durch
zwei unabhängige Veränderliche bestimmt wird 205
§. 3. Einführung der Temperatur als eine der unabhängigen Veränder-
lichen 208
§. 4. Specialisirung der Differentialgleichungen durch Annahme eines
gleichmässigen Oberflächendruckes als einzige äussere Kraft . 210
Inhalt. XIII
Seite
§. 5. Anwendung der vorigen Gleichungen auf homogene Körper und
speciell auf vollkommene Gase 212
§. 6. Anwendung der Gleichungen auf einen Körper, welcher sich in
zwei verschiedenen Aggregatzuständen befindet 214
§. 7. Verhalten der Grössen Dxy und /Ixy 217
Absclinitt X.
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sind 220
§. 1. Vervollständigung der mathematischen Ausdrücke des zweiten
Hauptsatzes 220
§. 2. Grösse der uncompensirten Verwandlung 222
§. 3. Ausdehnung eines Gases ohne äussere Arbeit 223
§. 4. Ausdehnung eines Gases mit unvollständiger Arbeit 226
§. 5. Versuchsmethode von Thomson und Joule 228
§. 6. Ableitung der auf den Fall bezüglichen Gleichungen 230
§. 7. Ergebnisse der Versuche und daraus abgeleitete Elasticitäts-
gleichung- der Gase 233
§. 8. Verhalten des Dampfes bei der Ausdehnung unter verschiede-
nen Umständen 237
Absclmitt XI.
Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die Dampf-
maschine 245
§. 1. Nothweudigkeit einer neuen Behandlung der Dampfmaschine . 245
§. 2. Gang der Dampfmaschine 246
§. 3. Vereinfachende Bedingungen ....-• 248
§. 4. Bestimmung der während eines Hubes gethanen Arbeit .... 250
§. 5. Specielle Formen des vorigen Ausdruckes 252
§. 6. Unvollkommenheiten in der Ausführung der Dampfmaschinen . 252
§. 7. Pambour's Formeln für die Beziehung zwischen Volumen und
Druck 254
§. 8. Bestimmung der Arbeit während eines Hubes nach Pambour 256
§. 9. Arbeit für die Gewichtseinheit Dampf nach Pambour .... 259
§. 10. Veränderung des Damj)fes beim Einströmen aus dem Kessel in
den Cylinder 260
§.11. Abweichung der gewonnenen Resultate von den Pambour'-
schen Annahmen 263
§. 12. Bestimmung der Arbeit während eines Hubes unter Berück-
sichtigung der erwähnten Unvollkommenheiten 265
§. 13. Dampfdruck im Cylinder während der verschiedenen Stadien des
Ganges und darauf bezügliche Vereinfachungen der Gleichungen 267
§. 14. Einführung gewisser Volumina statt der entsprechenden Tem-
peraturen 269
XIY Inhalt.
Seite
§. 15. Arbeit für die Gewiditseinheit Dampf 271
§. 16. Behandlung der Gleichungen 272
§. 17. Berechnung des Differentialcoefficienten -r^ =. g und des Pro-
ductes T. g . 273
§. 18. Einführung anderer Druck- und Wärmemaasse 276
§. 19. Bestimmung der Temperaturen T, im^l T^ . 277
§. 20. Bestimmung der Grössen c und r 279
§. 21. Specielle Form der Gleicliungen (32) für eine Maschine ohne
Expansion 281
§. 22. Angenommene numerische Werthe . ' 282
§. 23. Kleinstmöglicher Werth von V und dazugehörige Arbeit . . . 283
§. 24. Berechnung der Arbeit für andere Werthe von V 284
§. 25. Arbeit einer Maschine mit Expansion für einen bestimmten
Werth von F 286
§. 26. Zusammenstellung verschiedener Fälle in Bezug auf den Gang
der Maschine 288
§. 27. Zurückführung der Arbeit auf eine von der Wärmequelle ge-
lieferte Wärmeeinheit , . . 290
§. 28. Berücksichtigung der Keibung 291
§. 29. Allgemeine Betrachtung der Vorgänge in thermodynamischen
Maschinen und Zurückführung derselben auf Kreisprocesse . 293
§. 30. Gleichungen für die durch einen beliebigen Kreisprocess ge-
leistete Arbeit 296
§. 31. Anwendung der vorigen Gleichungen auf den Grenzfall, in
welchem der in der Dampfmaschine stattfindende Kreisprocess
umkehrbar ist 298
§. 32. Andere Form des letzten Ausdruckes 300
§. 33. Berücksichtigung der Temperatur der Wärmequelle 302
§. 34. Beispiel von der Anwendung des Subtractionsverfahrens . . . 306
Tabelle, enthaltend die für den Wasserdampf geltenden Werthe des
Druckes p, seines Differentialcoefficienten -j- ^=. g und des
Productes T . g in Millimetern Quecksilber ausgedrückt . . . 309
Absclmitt XII.
Die Concentration von Wärme- und Liehtstralilen und die
Grenzen ihrer Wirkung 315
§. 1. Gegenstand der Untersuchung 315
I. Grund, weshalb die bisherige Bestimmung der
gegenseitigen Zustrahlung zweier Flächen für
den vorliegenden Fall nicht ausreicht 317
§. 2. Beschränkung der Betrachtung auf vollkommen schwarze Körper
und auf homogene und unpolarisirte Wärmestrahlen 317
§. 3. Kirchhoff'sche Formel für die gegenseitige Zustrahlung zweier
Flächenelemente 318
luhalt. XV
Seite
§. 4. Unbestimmtheit der Formel für den Fall der Strahlenconcen-
tration 321
IL Bestimmung zusammengehöriger Punkte und zu-
sammengehöriger Flächenelemente in drei von
den Strahlen durchschnittenen Ebenen 322
§. 5. Gleichungen zwischen den Coordinaten der Punkte , in welchen
ein Strahl drei gegebene Ebenen schneidet 322
§. 6. Verhältnisse zwischen zusammengehörigen Flächenelementen . 32G
§. 7. Verschiedene aus sechs Grössen gebildete Brüche zur Darstellung
derselben Verhältnisse 330
III. B estimmung der gegenseitigen Zustrahlung
für den Fall, dass keine Concentration der
Strahlen stattfindet 331
§. 8. Grösse des zu dsc gehörenden Flächenelementes 'rfst bei beson-
derer Lage der Ebene b 331
§. 9. Ausdrücke der Wärmemengen, welche die Elemente dsa und
dse einander zustrahlen 333
§. 10. Abhängigkeit der Ausstrahlung von dem umgebenden Medium 335
IV. Bestimmung der gegenseitigen Zustrahlung
zweier Flächenelemente für den Fall, dass das
eine Flächenelement das ojitische Bild des an-
deren ist 338
§. 11. Verhalten der Grössen B, D, F und E 338
§. 12. Anwendung der Grössen A und C zur Bestimmung der Grösseu-
verhältnisse der Flächenelemente 340
§.13. Verhältniss der Wärmemengen, welche die Elemente dsa und
dsc einander zustrahlen 341
V. Beziehung zwischen der Vergrösserung und dem
Verhältnisse der beiden Kegelöffnuugeu eines
Elementarstrahlenbüschels 343
§. 14. Aufstellung der betreffenden Proportionen 343
VI. Allgemeine Bestimmung der gegenseitigen Zu-
strahlung zwischen Flächen, in denen beliebige
Concentrationen vorkommen können 346
§. 15. Allgemeiner Begriff der Strahlenconcentration 346
§. 16. Gegenseitige Zustrahlung eines Flächenelemeutes und einer
endlichen Fläche durch ein Element einer Zwischenfläche . . 348
§.17. Gegenseitige Zustrahlung. ganzer Flächen. •. 351
§. 18. Berücksichtigung verschiedener Nebenumstände 352
§. 19. Zusammenstellung der Resultate 354
Aljscliiiitt XIII.
Discussionen über die vorstehend entwickelte Form der meeha-
nlschen Wärmetheorie und ihre Begründung 355
§. 1. Verschiedene Ansichten über die Beziehung zwischen Wärme
und mechanischer Arbeit 355
XVI Inhalt.
Seite
Abhandlungen von Thomson und mir 356
Abhandlung von Rankine und spätere Abhandlung von
Thomson 358
Verschiedene Veranlassungen zu Einwendungen . 361
Zeuner's erste Behandlung des Gegenstandes 363
Zeuner's spätere Behandlung des Gegenstandes 365
Rankine's Behandlung des Gegenstandes 367
Einwand von Hirn ' . . 371
Einwand von Tait 377
Einwand von F. Kohlrausch ; 379
Anderer Einwand von Tait 383
Ansichten über die entsprechenden Temperaturen der Dämpfe
und das Molecularvolumen 386
§. 13. Ueber das Bekanntwerden der Schriften Robert Mayer's . . 394
§.
2.
§.
3.
§■
4.
§•
5.
§.
6.
§.
7.
§•
8.
§•
9.
§•
10.
§■
11.
§•
12.
MATHEMATISCHE EINLEITUNG.
Ueber die mechanische Arbeit und die Energie und über
die Behandlung nicht integrabler Differential-
gleichungen.
§. 1. Begriff und Maass der mechanischen Arbeit,
Jede Kraft sucht den Körper, auf welchen sie wirkt, in Be-
wegung zu setzen; sie kann aber daran durch andere, ihr ent-
gegenwirkende Kräfte verhindert werden, so dass ein Gleichgewicht
stattfindet und der Körper in Ruhe bleibt. In diesem Falle
leistet die Kraft keine Arbeit. Sobald aber der Körper sich
unter ihrem Einfluss bewegt, findet eine Arbeitsleistung statt.
Um für die Bestimmung der Arbeit einen möglichst einfachen
Fall zu haben, möge zunächst statt eines ausgedehnten Körpers
ein blosser materieller Punkt angenommen werden, auf welchen
die Kraft wirkt. Wenn dieser Punkt, welchen wir ^ nennen
wollen, sich in derselben Richtung bewegt, in welcher die Kraft
ihn zu bewegen sucht, so drückt das Product aus Weg und Kraft
die mechanische Arbeit aus, welche die Kraft bei der Bewegung
leistet. Wenn dagegen die Bewegungsrichtung des Punktes eine
beliebige ist, welche von der Kraftrichtung verschieden sein kann,
so stellt das Product aus dem Wege und der in die Richtung des
Weges fällenden Comjponente der Kraft die von der Kraft geleistete
Arbeit dar.
Die in dieser Definition vorkommende Kraftcomponente kann
positiv oder negativ sein, je nachdem sie in der betreff'enden
Clausius, mechan. Wäruietheorie. I. i
2 Mathematische Einleitung.
Geraden, in welcher die Bewegung stattfindet, nach derselben
Seite fällt, nach welcher die Bewegung geht, oder nach der ent-
gegengesetzten Seite. Im ersteren Falle wird auch die Arbeit
als positiv und im letzteren als negativ angesehen. Will man
diesen Unterschied lieber durch das Verbum ausdrücken, was bei
manchen Auseinandersetzungen bequem ist, so kann man, nach
einem bei einer früheren Grelegenheit von mir gemachten Vor-
schlage, sagen, im ersteren Falle leiste oder thue die Kraft eine
Arbeit, im letzteren Falle erleide sie eine Arbeit.
Aus dem Vorigen ist ersichtlich, dass die Grösse der Arbeit
durch Zahlen dargestellt wird, deren Einheit diejenige Arbeit ist,
welche eine Kraft von der Stärke Eins auf dem Wege Eins leistet.
Um nun hieraus ein leicht anwendbares Maass zu erhalten, müs-
sen wir eine für das Verständniss und die Messung bequeme Kraft
als Normalkraft anwenden. Als solche pflegt man die Schwer-
kraft zu wählen.
Die Schwere wirkt auf ein gegebenes Gewicht als eine ab-
wärts gerichtete Kraft, welche bei nicht zu langen Strecken als
constant anzusehen ist. Wollen wir nun durch irgend eine uns
zu Gebote stehende Kraft das Gewicht in die Höhe heben, so
haben wir dabei die Schwerkraft zu überwinden, und diese bildet
daher das Maass für die Kraft, welche wir beim langsamen Heben
anzuwenden haben.
Demgemäss bezeichnet man als Arbeitseinheit diejenige Arbeit,
welche geleistet werden muss, um eine Gewichtseinheit um eine
Längeneinheit zu heben. Welche Gewichtseinheit und welche
Längeneinheit man dabei in Anwendung bringen will, ist natür-
lich gleichgültig ; indessen pflegt man in der praktischen Mechanik
das Kilogramm als Gewichtseinheit und das Meter als Längen-
einheit zu wählen, und dann die Arbeitseinheit mit dem Worte
Kilogrammeter zu bezeichnen.
Hieraus ist zunächst ersichtlich, dass zur Hebung von a Kilo-
gramm auf die Höhe von b Meter eine Arbeit von ab Kilogram-
meter nöthig ist, und auch andere Arbeitsgrössen , bei welchen
die Schwerkraft nicht direct ins Spiel kommt, kann man durch
Vergieichung der angewandten Kraft mit der Schwerkraft in
Kilogrammetern ausdrücken.
Mechanische Arbeit und dai'anf bezügliche Gleichungen.
§. 2. Mathematische Bestimmung der Arbeit bei ver-
änderlicher Kraftcomponente.
In den vorigen Erklärungen der Arbeit wurde stillschweigend
angenommen, dass die wirksame Kraftcomponente auf der ganzen
Länge des betrachteten Weges einen bestimmten Werth habe. In
der Wirklichkeit ist dieses aber bei einem Wege von endlicher
Länge der Regel nach nicht der Fall. Einerseits braucht die
Kraft an verschiedenen Stellen des Raumes nicht gleich zu sein,
und andererseits würde, wenn die Kraft auch in dem ganzen be-
trachteten Räume an Grösse und Richtung gleich wäre, bei einem
Wege, der nicht geradlinig, sondern gekrümmt ist, wegen dieses
letzteren Grundes die in die Richtung des Weges fallende Compo-
nente der Kraft veränderlich sein. Demnach lässt sich das Ver-
fahren, die Arbeit durch ein einfaches Product auszudrücken,
nur für ein unendlich kleines Wegstück, oder ein Wegelement
anwenden.
Sei ds ein Wegelement und S die in -die Richtung desselben
fallende Componente der auf den Punkt ]j wirkenden Kraft, so
erhalten wir zur Bestimmung der bei der unendlich kleinen Be-
wegung gethanen Arbeit, welche durch d W bezeichnet werden
möge, die Gleichung:
(1) dW=Sds.
Bezeichnen wir die ganze auf den Punkt wirkende Kraft mit
P, und den Winkel, welchen die Richtung dieser Kraft an der
Stelle, wo sich das Wegelement befindet, mit der Bewegungs-
richtung bildet, mit gj, so ist:
S = P cos q),
und demnach können wir schreiben:
(2) dW=Pcos(pds.
Für die Rechnung ist es bequem, nach Einführung eines
rechtwinkeligen Coordinatensystems die Projectionen des W^eg-
elementes auf die Coordinatenrichtungen und die in die Coordinaten-
richtungen fallenden Componenten der Kraft in Anwendung zu
bringen.
Der Einfachheit wegen, und um Gelegenheit zu gewissen für
das Nachfolgende nöthigen Betrachtungen zu finden, wollen -^iv
1*
4 Mathematische Einleitung.
vorläufig annehmen, die Bewegung, um welche es sich handelt,
finde in einer Ebene statt, indem sowohl die ursprüngliche Be-
wegungsrichtung, als auch die Kraftrichtungen in dieser Ebene
gelegen seien. Dann wollen wir auch ein in dieser Ebene gelege-
nes rechtwinkeliges Coordinatensystem einführen, und die Coordi-
naten des beweglichen Punktes ^ zu einer gewissen Zeit mit x
und ij bezeichnen. Wenn dann der Punkt von dieser Lage aus
sich in der Ebene um ein unendlich kleines Stück ds bewegt,
so sind die Projectionen dieser Bewegung dx und dy^ und sie
werden als positiv oder negativ gerechnet, je nachdem die Coordi-
naten durch die kleine Bewegung zu- oder abnehmen. Ferner
mögen die in die Coordinatenrichtungen fallenden Componenten
der Kraft P mit X und Y bezeichnet werden.
Wenn nun die Kraft P mit den Coordinatenrichtungen Win-
kel bildet, deren Cosinus a und & sind, so hat man:
X=aT; Y=bP.
Wenn ferner das Wegelement ds mit den Coordinatenrichtungen
Winkel bildet, deren Cosinus a und ß sind, so hat man:
dx = c/.ds; dy ^ ßds.
Durch Multiplication dieser Gleichungen zu je zweien und Addi-
tion der Producte erhält man:
Xdx + Ydy = (aa -{- b ß) Pds.
Nun ist aber aus der analjiiischen Geometrie bekannt, dass die
in Klammern stehende Summe den Cosinus des Winkels zwischen
der Kraftrichtung und der Richtung des Wegelementes darstellt,
also:
aa -\- hß = cosq).
Wir erhalten somit:
Xdx -\- Ydy = cos cp . Pds,
und demnach unter Berücksichtigung der Gleichung (2):
(3) dW= Xdx-{- Ydy.
Um nun aus dieser für eine unendlich kleine Bewegung gel-
tenden Gleichung die bei einer endlichen Bewegung geleistete
Arbeit abzuleiten, müssen wir die Gleichung integriren.
§. 3. Integration des Differentials der Arbeit.
Bei der Integration einer Difierentialgleichung von der unter
(3) gegebenen Form, in welcher, unter der Voraussetzung, dass die
Mechanische Arbeit und darauf bezügliche Gleichungen. 5
Kraft zwar an verschiedenen Stellen des Raumes verschieden, im
Uebrigen aber unveränderlich ist, X und Y Functionen von x
und y sind, und welche daher auch so geschrieben werden kann:
(3 a) dW=cp(x,y)dx-\-t (x, y) dy,
kommt ein Unterschied zur Sprache, welcher nicht bloss für den
vorliegenden Fall, sondern auch für die später vorkommenden
Gleichungen der mechanischen Wärmetheorie von grosser Wichtig-
keit ist, und wir wollen ihn daher hier gleich etwas vollständiger
besprechen, um später einfach auf diese Besprechung verweisen
zu können.
Je nach der Beschaffenheit der Functionen, mit welchen die
Differentiale dx und dy multiplicirt sind, zerfallen die Differen-
tialgleichungen der obigen Form in zwei Classen, welche sowohl
in Bezug auf die Behandlung, die sie erfordern, als auch in Be-
zug auf das Resultat, zu dem sie führen , wesentlich verschieden
sind. Zur ersten Classe gehören die Fälle, wo die Functionen
folgende Bedingungsgleichung erfüllen :
(4) dX^dY
^^ dy dx'
und die zweite Classe umfasst alle Fälle, wo die Functionen diese
Bedingungsgleichung nicht erfüllen.
Wenn die Bedingungsgleichung (4) erfüllt ist, so ist der Aus-
druck, welcher die rechte Seite der gegebenen Differentialglei-
chung (3) resp. (3a) bildet, integrabel, d. h. er ist das voll-
ständige Differential einer Function von x und y, in welcher
diese beiden Veränderlichen als von einander unabhängig be-
trachtet werden können, und man erhält daher durch Integration
eine Gleichung von der Form :
(5) W = F(x, y) + Const.
Ist die Bedingungsgleichung (4) nicht erfüllt, so ist die rechte
Seite der gegebenen Differentialgleichung nicht integrabel, und
daraus folgt, dass W sich nicht durch eine Function von x und y
darstellen lässt, so lange diese beiden Veränderlichen als von ein-
ander unabhängig betrachtet werden. Denn in der That, wenn man
setzen wollte:
W=F{x,y\
so würde man erhalten:
X = ^ = '^F(.x,y)
dx dx
Y = ^W ^dF{x,y)
dy dy '
6 Mathematische Einleitung.
und daraus würde folgen:
dy dxdy
dT _d-^F{x,y)
dx dydx
Da nun für eine Function von zwei von einander unabhängigen
Veränderlichen der Satz gilt, dass, wenn man sie nach beiden
Veränderlichen differentiirt , die Ordnung der Differentiationen
gleichgültig ist, und man daher setzen kann:
d^F(x,y) ^d^F(x,y)
dxdy dydx '
so würde man aus den beiden vorigen Gleichungen wieder zur
Gleichung (4) gelangen, von welcher wir in unserem gegenwärti-
gen Falle angenommen haben, dass sie nicht erfüllt sei.
In einem solchen Falle ist also die Integration in der Weise,
dass die Grössen x und y dabei ihre Eigenschaft als von ein-
ander unabhängige Veränderliche beibehalten, nicht möglich.
Wenn man dagegen zwischen diesen beiden Grössen irgend eine
bestimmte Relation annimmt, in Folge deren die eine sich als
Function der anderen darstellen lässt, so wird dadurch die In-
tegration der gegebenen Differentialgleichung ausführbar. Setzen
wir nämlich :
(6) f(x,y) = 0,
worin / eine beliebige Function andeutet, so können wir- mittelst
dieser Gleichung eine der Veränderlichen durch die andere aus-
drücken und dann die so ausgedrückte Veränderliche nebst ihrem
Differentiale aus der Differentialgleichung (3 a) eliminiren. Die
allgemeine Form, in welcher die Gleichung (6) gegeben ist, um-
fasst natürlich auch den speciellen Fall, wo eine der Veränder-
lichen für sich allein als constant angenommen wird, in welchem
Falle das Differential dieser Veränderlichen dadurch, dass es
Null wird, ohne Weiteres aus der Differentialgleichung fortfällt,
und die Veränderliche selbst einfach durch die betreffende Con-
stante zu ersetzen ist. Nehmen wir nun z. B. an, es sei die
Veränderliche y nebst ihrem Differentiale mit Hülfe der Gleichung
(6) aus der Differentialgleichung (3 a) eliminirt, und die letztere
dadurch in folgende einfachere Gestalt gebracht:
dW ■= 0{x)dx^
Mechanische Arbeit und darauf bezi'igliche Gleichungen. 7
SO lässt sich die so veränderte Differentialgleichung offenbar
integriren, und giebt eine Gleichung von der Form:
(7) W = F{x) + Const.
Demnach sind die beiden Gleichungen (6) und (!) zusammen
als eine Auflösung der gegebenen Differentialgleichung zu be-
trachten. Da die in (6) vorkommende Function f{x^ y) eine be-
liebige ist, und für jede veränderte Form dieser Function auch
die in (7) vorkommende Function F{x) im Allgemeinen eine
andere wird, so sieht man, dass es unendlich viele Auflösungen
dieser Art giebt.
In Bezug auf die Form der Gleichung (7) ist noch zu l)e-
merken, dass dieselbe verschiedene Abänderungen zulässt. Hätte
man mittelst der Gleichung (6) x durch y ausgedrückt, und dann
die Veränderliche x nebst ihrem Differentiale aus der gegebenen
Differentialgleichung eliminirt, so wäre deren Gestalt geworden:
dW= 0i(y)dy,
und man hätte daraus durch Integration eine Gleichung von der
Form:
(7 a) W = F^(y) + Const.
erhalten. Zu eben dieser Gleichung kann man auch dadurch
gelangen, dass man in der durch das zuerst angedeutete Verfah-
ren gewonnenen Gleichung (7) nachträglich mit Hülfe der Glei-
chung (6) für die Veränderliche x die Veränderliche y einführt.
Auch könnte man, statt x vollständig aus (7) zu eliminiren, eine
theilweise Elimination von x vornehmen. Wenn nämlich die Func-
tion F(x) die Veränderliche x mehrmals in verschiedenen Ver-
bindungen enthält (was man, selbst wenn es in der ursprünglichen
Form der Function nicht der Fall sein sollte, leicht durch eine
abgeänderte Schreibweise bewirken kann, indem man für x z, B,
j-n + 1\
schreiben kann: (1 — a) x -\- ax oder — ~ ), so kann man an
gewissen Stellen y für x einführen, und an anderen x stehen
lassen. Dadurch nimmt die Gleichung folgende Form an:
(7 b) W= F^ {x, y) + Const.,
welche Form die allgemeinere ist, und die beiden anderen als
specielle Fälle umfasst.
Es versteht sich aber von selbst, dass diese drei Gleichun-
gen (7), (7a) und (7 b), deren jede nur mit der Gleichung (G)
8 Mathematische Einleitung.
zusammen gültig ist, nicht verschiedene Auflösungen, sondern
nur verschiedene Ausdrücke einer und derselben Auflösung bilden.
Man kann, um die Integration der Differentialgleichung (3)
zu ermöglichen, statt der Gleichung (6) auch eine Gleichung von
weniger einfacher Form annehmen, welche ausser den beiden
Veränderlichen x und y noch W enthält, und selbst auch eine
Differentialgleichung sein kann ; indessen für unsere Zwecke ge-
nügt die einfachere Form, und indem wir uns auf diese beschrän-
ken, wollen wir die Kesultate der Betrachtungen dieses Para-
graphen noch einmal kurz zusammenfassen.
Wenn die unter (4) gegebene Bedingungsgleicliung der un-
mittelbaren Integrabilität erfüllt ist, so erhält man ohne Weiteres
als Integral eine Gleichung von der Form:
(A) W= F(x,y)-]- Const
Wenn dagegen jene Bedingungsgleichung nicht erfüllt ist^ so muss
man erst eine Melation zwischen den Veränderlichen annehmen,
um die Integration ausführen zu Icönnen, und erhält daher ein
System von ßivei Gleichungen folgender Art :
^^ 1 T^=F(a;,^)-f Const.,
worin die Form der Function F, ausser von der Differentialglei-
chung, auch von der Form der willkürlich angenommenen Func-
tion f abhängig ist.
§. 4. Geometrische Bedeutung der vorstehenden Resul-
tate und Bemerkung über die Differentialcoefficienten.
Der wesentliche Unterschied der auf die beiden Fälle bezüg-
lichen Resultate wird besonders durch eine geometrische Betrach-
tung anschaulich, wobei wir der Einfachheit wegen die in (A)
vorkommende Function F(x,y) als eine solche voraussetzen wol-
len, die für jeden Punkt der Ebene nur einen Werth hat.
Es möge angenommen werden, es sei für die Bewegung
unseres Punktes p der Anfangs- und Endpunkt im Voraus ge-
geben und durch die Coordinaten Xo,yo und Xiyi bestimmt. Dann
können wir im ersteren Falle die Arbeit, welche bei dieser Be-
wegung von der wirksamen Kraft gethan wird, sofort angeben,
Mechanische Arbeit und darauf bezügliche Gleichungen. 9
ohne dass wir dazu den Verlauf der Bewegung selbst zu kennen
brauchen. Diese Arbeit wird nämlich gemäss (A) ausgedrückt
durch die Differenz:
F(xuyi) — F(xo,yo)-
Während also der bewegliche Punkt auf sehr verschiedenen
Wegen von der einen Stelle zur anderen gelangen kann, ist die
Grösse der Arbeit, welche die Kraft dabei thut, davon ganz un-
abhängig, und ist vollständig bestimmt, sobald der Anfangs- und
Endpunkt der Bewegung gegeben sind.
Anders im zweiten Falle. In dem auf diesen Fall bezüg-
lichen Systeme von zwei Gleichungen (B) ist die erste Gleichung
als die Gleichung einer Curve zu betrachten, und man kann daher
das eben Gesagte geometrisch folgendermaassen aussprechen: die
Arbeit, welche die wirksame Kraft bei der Bewegung des Punktes
p thut, lässt sich in diesem Falle erst dann bestimmen, wenn der
ganze Verlauf der Curve, auf welcher der Punkt sich bewegt,
bekannt ist. Wenn der Anfangs- und Endpunkt der Bewegung
im Voraus gegeben sind, so muss jene erste Gleichung so gewählt
werden, dass die ihr entsprechende Curve durch diese beiden
Punkte geht; dabei sind aber noch unendlich viele Gestalten der
Curve möglich, für welche man, trotz ihrer gleichen Grenzpunkte,
unendlich viele verschiedene Arbeitsgrössen erhält.
Nimmt man speciell an, der Punkt p solle eine geschlossene
Curve beschreiben, so dass der Endpunkt seiner Bewegung mit
dem Anfangspunkte zusammenfalle, und somit die Coordinaten
Xi,yi dieselben Werthe haben, wie ^0 5?/o? so ist für diese Bewe-
gung im ersten Falle die Arbeit gleich Null; im zweiten Falle
dagegen braucht sie nicht gleich Null zu sein, sondern kann
irgend einen positiven oder negativen Werth haben.
Durch den hier behandelten Fall wird es auch recht klar,
wie eine Grösse, welche sich nicht durch eine Function von x
und y (so lange diese letzteren als von einander unabhängige
Veränderliche betrachtet werden) darstellen lässt, doch partielle
Differentialcoefficienten nach x und y haben kann, die durch be-
stimmte Functionen dieser Veränderlichen ausgedrückt werden.
Wenn nämlich angenommen wird, dass x um dx wachse, wäh-
rend y unverändert bleibe, so ist damit der Weg, auf welchem
die betreffende unendlich kleine Bewegung stattfindet, festgestellt
und demgemäss die auf diesem Wege gethane Arbeit vollkommen
10 Mathematische Einleitung.
bestimmt. Bezeichnet man diese Arbeit, wie es den Definitionen
der Differentialrechnung entspricht, durch
dW
dx
so ist der hierin vorkommende partielle Differentialcoefficient
dW
— — eine vollkommen bestimmte Grösse. Ebenso verhält es sich
in dem Falle, wo y um dy wächst, während x unverändert bleibt,
und wo die Arbeit durch
dy *^
dW
dargestellt wird, mit dem partiellen Differentialcoefficienten — —
Da nun die in diesen beiden Fällen geleisteten unendlich klei-
nen Arbeitsgrössen sich auch durch die Producte Xdx und Ydy
darstellen lassen, so erhält man dadurch die Gleichungen:
dW
(8)
dx
._dW
-dy'
deren Gültigkeit ganz unabhängig davon ist, ob W eine solche
Grösse ist, die sich allgemein durch eine Function von x und y
darstellen lässt, oder eine solche Grösse, die sich erst dann be-
stimmen lässt, wenn der Weg, welchen der Punkt beschreibt, be-
kannt ist.
Infolge dessen kann man die Bedingungsgleichung (4), deren
Erfüllung oder Nichterfüllung den besprochenen Unterschied in
der Behandlung der Differentialgleichung und in den Resultaten
zur Folge hat, auch so schreiben:
^ ^ dy \dxj dx \dyj'
oder man kann sagen : der in Bezug auf die Grösse W zur Sprache
gekommene Unterschied hängt davon ab, ob die Differenz
_d_ /dW\ d_ /dW\
d y \dx ) dx\dyj
Null ist, oder einen angebbaren Werth hat.
Mechanische Arbeit und darauf bezügliche Gleichungen. 11
§. 5. Ausdehnung des Vorigen auf drei Dimensionen.
Wenn der betrachtete Punkt p in seiner Bewegung nicht
auf eine Ebene beschränkt ist, sondern sich frei im Räume be-
wegen kann, so erhält man für das Arbeitselement einen Aus-
druck, welcher dem in (3) gegebenen sehr ähnlich ist. Seien a,
b, c die Cosinus der Winkel, welche die auf den Punkt wirkende
Kraft P mit den drei Richtungen eines rechtwinkeligen Coordinaten-
systems bildet, so werden die Componenten X, Y, Z dieser Kraft
bestimmt durch die Gleichungen:
X=aF; Y=iP- Z=cP.
Seien ferner a, ß, y die Cosinus der Winkel, welche das Weg-
element ds mit den Coordinatenrichtungen bildet, so werden die
drei Projectionen dx, dy und d^i des Wegelementes auf die
Coordinatenaxen bestimmt durch die Gleichungen:
dx = ads\ dy = ßds; dz = yds.
Daraus folgt :
Xdx 4- Ydy -f- Zdz = (acc -\- hß -\- cy)Pds.
Nun ist aber, wenn (p den Winkel zwischen P und ds bedeutet:
aa -{- bß ~\- cy = coscp,
und somit kommt:
Xdx -f- Ydy -\- Zds = coscp .Pds.
Aus der Verbindung dieser Gleichung mit (2) ergiebt sich:
(10) dW= Xdx^ Ydy ^ Zd0.
Dieses ist die Differentialgleichung zur Bestimmung der Arbeit.
Die hierin vorkommenden Grössen X, Y, Z sind ganz beliebige
Functionen der Coordinaten x,y,2; denn, welches auch die Werthe
dieser drei Componenten an verschiedenen Stellen des Raumes
sein mögen, immer lässt sich daraus eine Kraft P zusammensetzen.
Bei der Behandlung dieser Gleichung sind zunächst folgende
drei Bedingungsgleichungen zu betrachten:
an ^ = iJ. ^"_M. 8j?_8X
^ ^ dy~dx' dz~dy' dx~ds'
und es kommt darauf an, ob die Functionen X, F, Z diesen drei
Bedingungsgleichungen genügen oder nicht.
Wenn die drei Bedingungsgleichungen erfüllt sind, so ist der
Ausdruck an der rechten Seite von (10) das vollständige Diffe-
12 Mathematische Eiuleitung.
rential einer Function von x^ ?/, ^, worin diese drei Veränderlichen
als von einander unabhängig betrachtet werden können. Man
kann daher die Integration ohne Weiteres ausführen, und erhält
dadurch eine Gleichung von der Form:
(12) W= F{x, y, z) + Const.
Denken wir uns nun, dass der bewegliche Punkt p sich von irgend
einem gegebenen Anfangspunkte Xq^ yo, ^o bis zu einem gegebe-
nen Endpunkte Xi, «/i, ^i bewegen soll, so wird die dabei von der
Kraft gethane Arbeit dargestellt durch die Differenz:
F{x^,yi,3i) — F{xo,yQ,So).
Die Arbeit ist also, wenn wir wieder F(x,y,^) als eine solche
Function voraussetzen, die für jeden Punkt des Kaumes nur
Einen Werth hat, durch den Anfangs- und Endpunkt der Bewe-
gung vollständig bestimmt, und daraus folgt, dass, wenn der be-
wegliche Punkt sich auf verschiedenen Wegen von dem ersten
dieser beiden Punkte zum zweiten bewegt, die dabei von der
Kraft gethane Arbeit immer dieselbe ist.
Wenn die drei Bedingungsgleichungen (11) nicht erfüllt sind,
so lässt sich die Integration in der vorigen Allgemeinheit nicht
ausführen. Sobald aber der Weg, auf dem die Bewegung statt-
findet, bekannt ist, so wird dadurch die Integration möglich.
Wenn in diesem Falle zwei Punkte als Anfangs- und Endpunkt
der Bewegung gegeben sind, und man sich zwischen diesen Punk-
ten verschiedene Curven gezogen denkt, in welchen der Punkt jp
sich bewegen soll, so erhält man für jeden dieser Wege einen
bestimmten Werth der Arbeit, aber die den verschiedenen Wegen
entsprechenden Arbeits werthe brauchen nicht, wie im vorigen Falle,
unter einander gleich zu sein, sondern sind im Allgemeinen ver-
schieden.
§. 6. Das Ergal.
In solchen Fällen, wo die Arbeit sich einfach durch eine
Function der Coordinaten darstellen lässt, spielt diese Function
bei den Rechnungen eine wichtige Rolle. Hamilton hat ihr
daher einen besonderen Namen, force function , gegeben , welcher
im Deutschen als Kraftfundion oder Kräftefundion gebräuchlich
geworden ist, und welcher sich auch auf den allgemeineren Fall
anwenden lässt, wo statt Eines beweglichen Punktes eine beliebige
Anzahl solcher Punkte gegeben und die Bedingung erfüllt ist,
Mechanische Arbeit und daraiaf bezügliche Gleichungen. 13
dass die Arbeit nur von den Lagen der Punkte abhängt. Bei der
neueren, erweiterten Auffassung der Bedeutung der durch diese
Function dargestellten Grösse hat es sich als zweckmässig her-
ausgestellt, lieber für den negativen Werth der Function, oder,
anders gesagt, für diejenige Grösse, deren Abnahme die geleistete
Arbeit darstellt, einen besonderen Namen einzuführen, und Ran-
kine hat dafür den Namen ]^otentielle Energie vorgeschlagen.
Dieser Name drückt zwar die Bedeutung der Grösse sehr trefiend
aus, ist aber etwas lang, und ich habe mir daher erlaubt, den
Namen Ergal für dieselbe in Vorschlag zu bringen.
Unter den Fällen, in welchen die auf einen Punkt wirkende
Kraft ein Ergal hat, ist besonders der hervorzuheben, -wo die
Kraft von Anziehungen oder Abstossungen herrührt, welche der
bewegliche Punkt von festen Punkten erleidet, und deren Stärke
nur von der Entfernung abhängt, oder, mit anderen Worten, wo
die Kraft sich in Centralkräfte zerlegen lässt.
Nehmen wir zunächst nur Einen festen Punkt n mit den
Coordinaten |, -j^, ^ als wirksam an, und bezeichnen seine Ent-
fernung von dem beweglichen Punkte j) mit p, so dass zu setzen ist
(13) Q = V(^-^)2-f (^-^)2-f (g_^2),
und stellen wir die Kraft, welche tc auf ^ ausübt, durch q^' {q)
dar, wobei ein positiver Werth der Function Anziehung und ein
negativer Abstossung bedeuten soll, so erhalten wir für die
Componenten der Kraft die Ausdrücke:
^=9^'(?)^; Y=9^'(?)^^ Z=cp'{^)^-^-
{j (j y
Da ferner aus (13) folgt:
dg I — X
dx Q '
so kommt:
und entsprechend für die beiden anderen Coordinatenrichtungen.
Führen wir nun die Function (p {q) ein mit der Bedeutung:
(14) Cp(Q)=J(p'{Q)dQ,
so lässt sich die vorige Gleichung so schreiben:
dq)(Q) d Q 8 9 (4>)
(15) X = -
dQ d X dx
14 Mathematische Einleitung.
und ebenso erhalten wir:
(15a) r=_»4.W; 2=-^-
Hieraus folgt weiter:
Da nun in dem unter (13) gegebenen Ausdrucke von q nur die
Grössen x^y^s veränderlich sind, und daher auch (p (9) als eine
Function dieser drei Grössen zu betrachten ist, so bildet die in
der eckigen Klammer stehende Summe ein vollständiges Diffe-
rential, und wir können somit schreiben:
(16) Xdx + Ydy -|- Zds = — d(p{Q).
Das Arbeitselement wird also durch das negative Differential von
qp {q) dargestellt , woraus folgt , dass (p (q) für diesen Fall das
Ergal ist.
Es möge nun weiter statt Eines festen Punktes eine beliebige
Anzahl von festen Punkten 7t, tCi^ 7t^ . . . gegeben sein, welche sich
vom Punkte p in den Entfernungen Qi Qi, Q^.-- befinden, und auf
ihn mit Kräften wirken, die durch (p'{q), 95/ (^i), 9?2'(^2)"' «^^'i'-
gestellt werden. Dann bilden wir aus diesen Functionen durch
Integration, wie es in Gleichung (14) angedeutet ist, die Functio-
nen q)(Q), (pi(Qi), 952(92)'.., mit Hülfe deren wir, entsprechend
der Gleichung (15), setzen können:
■^_ _ 8y(g) _ 8 (pi (91) _ d 9^2 (Q2)
dx dx dx
=-—^ [9'((>) + <Pi{Qi) -j- 9^2 (^2) H J,
oder unter Anwendung des Summenzeichens:
(17) ^=-e^S9>(9),
und ebenso für die anderen Coordinatenrichtungen :
Daraus folgt dann weiter:
(18) Xdx^ Ydy -^ Zd^ = — d^(p(Q),
und die Summe ^ qp (p) ist somit das Ergal.
Meclianisolie Arbeit und tlaranf beziigliclie Gleichungen. 15
§. 7. Erweiterung des Vorigen.
Im Vorigen wurde nur ein einzelner beweglicher Punkt be-
trachtet; wir wollen nun aber die Betrachtung dahin erweitern,
dass wir ein System von beliebig vielen beweglichen Punkten an-
nehmen, welche theils von Aussen her Kräfte erleiden, theils
unter einander Kräfte ausüben.
Wenn dieses ganze System von Punkten eine unendlich kleine
Bewegung macht, so wird von den auf einen einzelnen Punkt
wirkenden Kräften, die wir uns in Eine Kraft zusammengesetzt
denken können, eine Arbeit geleistet, welche durch den Ausdruck
Xdx-{- Ydy + Zds
dargestellt wird, woraus folgt, dass die von allen in dem Systeme
wirkenden Kräften geleistete Gesammtarbeit durch einen Ausdruck
von der Form
'^{Xdx-{- Ydy-^Zdz)
dargestellt wird, worin die Summe sich auf alle beweglichen
Punkte bezieht. Auch dieser complicirtere Ausdruck kann unter
Umständen die entsprechende Eigenschaft haben, wie jener ein-
fachere, dass er das vollständige Differential einer Function der
Coordinaten aller beweglichen Punkte ist, in welchem Falle wir
den negativen Werth dieser Function das Ergal des ganzen Systems
nennen. Daraus folgt dann weiter, dass bei einer endlichen Be-
wegung die Gesammtarbeit einfach gleich der Differenz zwischen
dem Anfangs- und Endwerthe des Ergais ist, und daher (unter
der Voraussetzung, dass die betreffende Function, welche das
Ergal darstellt, für jede Lage der Punkte nur einen Werth hat),
durch die Anfangs- und Endlage der Punkte vollständig bestimmt
ist, ohne dass man die Wege, auf welchen sie aus der einen
Lage in die andere gelangt sind, zu kennen braucht.
Dieser Fall, welcher begreiflicherweise eine grosse Erleichte-
rung für die Bestimmung der Arbeit darbietet, tritt z. B. ein,
wenn alle in dem Systeme wirkenden Kräfte Centralkräfte sind,
welche die beweglichen Punkte entweder von festen Punkten er-
leiden oder unter einander ausüben.
Was die von festen Punkten ausgehenden Centralkräfte an-
betrifi't, so haben wir für einen einzelnen beweglichen Punkt den
Beweis schon geführt, und dieser Beweis ist auch für die Bewe-
16 Mathematische Einleitung.
gung des ganzen Systemes von Punkten ausreichend, da die bei
der Bewegung mehrerer Punkte geleistete Arbeit einfach gleich
der Summe der Arbeitsgrössen ist, welche bei den Bewegungen
der einzelnen Punkte geleistet werden. Demnach können wir
den auf die Wirkung der festen Punkte bezüglichen Theil des
Ergais ebenso, wie früher, durch ^^<p (q) darstellen, wenn wir nur
dem Summenzeichen die erweiterte Bedeutung beilegen, dass es
nicht bloss so viele Glieder umfasst, als feste Punkte vorhanden
sind, sondern so viele Glieder, als es Combinationen aus je einem
festen und einem beweglichen Punkte giebt.
Was ferner die Kräfte anbetrifft, welche die beweglichen
Punkte unter einander ausüben, so wollen wir zunächst nur zwei
Punkte p und pi mit den Coordinaten x, y, z und a?i, y^^ Zi be-
trachten. Indem wir den Abstand der beiden Punkte r nennen,
haben wir zu setzen:
(19) r = V(^i - xy + (2/1 — yy + (^1 - 0)\
und die Kraft, welche die Punkte auf einander ausüben, wollen
wir durch /'(r) bezeichnen, wobei wieder ein positiver Werth An-
ziehung und ein negativer Werth Abstossung bedeuten soll. Dann
sind die Componenten der Kraft, welche der Punkt p durch
diese gegenseitige Wirkung erleidet:
/'W^; /W^; /'W^^,
und die Componenten der entgegengesetzten Kraft, welche der
Punkt px erleidet:
/W;^; /'W'^; firf-^-
Da nun nach (19) zu setzen ist:
8r X]^ — X ^ dr x — Xi
dx r ^ d Xi r '
so kann man die beiden in die i%;-Richtung fallenden Kraftcompo-
nenten auch so schreiben:
und wenn man die Function /(r) mit der Bedeutung:
(20) f{r)=ff{r)dr
einführt, so gehen die vorigen Ausdrücke über in:
Meclianiaclie Arbeit und darauf bezügliche Gleichungen. 17
8/(^). 8/(0
Ebenso erhält man für die ?/- Richtung die Componenten :
df(r), df(r)
dy ' d'iji '
und für die ^-Richtung die Componenten:
8/(r). 8/(r)
8^ ' 8-^1
Wenn wir nun von der Arbeit, welche bei der unendlich
kleinen Bewegung der beiden Punkte gethan wird, nur den Theil
bestimmen wollen, welcher sich auf die beiden aus ihrer gegen-
seitigen Einwirkung entstehenden entgegengesetzten Kräfte be-
zieht, so wird dieser durch folgenden Ausdruck dargestellt:
Da nun r nur von den sechs Grössen x^ y, 0, Xi^ 2/1 > ^1 abhängt,
und daher auch f{r) als Function dieser sechs Grössen anzusehen
ist, so ist die in der eckigen Klammer stehende Summe ein voll-
ständiges Differential, und die zu bestimmende, auf die gegen-
seitige Einwirkung der beiden Punkte bezügliche Arbeit wird da-
her einfach durch
- df{r)
dargestellt.
In derselben Weise lässt sich für jedes Paar von zwei Punk-
ten die auf ihre gegenseitige Einwirkung bezügliche Arbeit aus-
drücken, und die Gesammtarbeit aller Kräfte, welche die Punkte
unter einander ausüben, hat daher folgende algebraische Summe:
-df{r) - df,{r,) - df,{r,) •
als Ausdruck, wofür man schreiben kann:
-ä[f{r) -f-/i(rO+/2(^2) + ]
oder unter Anwendung des Summenzeichens:
- ^S/w,
worin die Summe so viele Glieder umfassen soll, wie Combina-
tionen der beweglichen Punkte zu je zweien vorkommen. Diese
Summe ^/(»") ist daher der auf die gegenseitigen Einwirkungen
aller beweglichen Punkte bezügliche Theil des Ergais.
Clausius, mechau. Wärmetheorie. I. O
18 Mathematische Einleitung.
Fassen wir nun endlich beide Arten von Kräften zusammen,
so erhalten wir für die gesammte Arbeit, welche bei der unend-
lich kleinen Bewegung des Systemes von Punkten geleistet wird,
die Gleichung:
(21) ^{Xdx -h Ydy H- Zd^) = - d^q>{Q) - d^f(r)
woraus folgt, dass die Grösse
das Ergal sämmtlicher in dem System wirkender Kräfte ist.
Die der vorstehenden Entwickelung zu Grunde liegende An-
nahme, dass nur Centralkräfte wirken, bildet freilich unter allen
mathematisch möglichen Annahmen über die Kräfte nur einen
sehr speciellen Fall, aber dieser Fall ist insofern von besonderer
Wichtigkeit, als wahrscheinlich alle in der Natur vorkommenden
von der Bewegung unabhängigen Kräfte sich in Centralkräfte
zerlegen lassen.
§. 8. Beziehung zwischen Arbeit und lebendiger Kraft.
Im Vorigen wurden nur die Kräfte, welche auf die Punkte
wirken, und die Lagenänderungen der Punkte betrachtet; die
Massen der Punkte aber und ihre Geschwindigkeiten blieben un-
berücksichtigt. Wir wollen nun auch diese in Betracht ziehen.
Für einen frei beweglichen Punkt von der Masse m gelten
bekanntlich folgende Bewegungsgleichungen:
Indem wir diese Gleichungen der Reihe nach mit -^-dt, -r^dt
dt dt
ds
und -j-,dt multipliciren und dann addiren, erhalten wir :
Die linke Seite dieser Gleichung lässt sich umformen in:
2 Tt [\Tt) + U) + {äi) Y*'
Mechanische Arbeit und darauf bezügliche Gleicliungen. 19
oder, wenn die Geschwindigkeit des Punktes mit v bezeichnet
wird, in:
und die Gleichung lautet somit:
dt.
Ist statt Eines einzelnen frei beweglichen Punktes ein gan-
zes System von frei beweglichen Punkten gegeben, so gilt die-
selbe Gleichung für jeden Punkt, und wir können durch Summa-
tion sofort folgende Gleichung bilden:
Die Grösse ^^ —v'^ ist die ganze lebendige Kraft des Syste-
mes von Punkten. Führen wir für diese ein vereinfachtes Zeichen
ein, indem wir setzen:
(26) ^=Sf-^
so lautet die Gleichung:
(27) ,T=2:(^|f+^^+2|f>*-
Der Ausdruck an der rechten Seite der Gleichung bedeutet
die während der Zeit dt gethane Arbeit.
Durch Integration dieser Gleichung von irgend einer Anfangs-
zeit to bis zur Zeit t erhalten wir, wenn wir unter Tq die leben-
dige Kraft zur Zeit ^o verstehen:
t
(28) T - r. =/2(^ If + ^il + ^W*-
Die Bedeutung dieser Gleichung lässt sich in folgendem Satze
aussprechen: Die während irgend einer Zeit in dem Systeme statt-
findende Zunahme der lebendigen Kraft ist gleich der während der-
selben Zeit von den wirksamen Kräften gethanen Arbeit. Dabei
gilt natürlich eine Abnahme der lebendigen Kraft als negative
Zunahme.
Bei der Ableitung dieses Satzes wurde angenommen, dass alle
Punkte frei beweglich seien. Es kann aber auch vorkommen,
dass die Punkte in Bezug auf ihre Bewegungen gewissen Be-
2*
20 Matliematisclie Einleitung.
schränkungen unterworfen sind. Die Punkte können unter ein-
ander irgendwie in Verbindung stehen, so dass durch die Bewe-
gung Eines Punktes auch die Bewegungen anderer Punkte theil-
weise mit bestimmt werden, oder es können Beschränkungen von
Aussen her gegeben sein, wie z, B., wenn einer der Punkte ge-
zwungen ist, in einer gegebenen festen Fläche oder in einer festen
Curve zu bleiben, wodurch dann natürlich auch diejenigen Punkte,
welche etwa mit ihm in Verbindung stehen, in ihrer Bewegung
beschränkt werden.
Wenn diese beschränkenden Bedingungen sich durch Gleichun-
gen ausdrücken lassen, welche nur die Coordinaten der Punkte
enthalten, so lässt sich durch Betrachtungen, auf die wir hier
nicht näher eingehen wollen, nachweisen, dass die Widerstands-
kräfte, welche in diesen Bedingungen implicite enthalten sind, bei
der Bewegung der Punkte keine Arbeit leisten, woraus folgt, dass
der obige Satz, welcher die Beziehung zwischen der lebendigen
Kraft und der Arbeit ausdrückt, bei der beschränkten Bewegung
ebenso gilt, wie bei der freien.
Man pflegt diesen Satz den Satz von der Aequivdlenz von
lebendiger Kraft und Arbeit zu nennen,
§.9. Die Energie.
In der Gleichung (28) ist die in der Zeit von ^o ^^^ t gethane
Arbeit durch folgendes Integral ausgedrückt:
Hierin ist die Zeit t als einzige unabhängige Veränderliche be-
trachtet, und die Coordinaten der Punkte und die Kraftcompo-
nenten sind als Functionen der Zeit angesehen. Wenn diese
Functionen bekannt sind, wozu erforderlich ist, dass man den
ganzen Verlauf der Bewegungen aller Punkte kennt, so ist die
Integration immer ausführbar, und die Arbeit lässt sich somit
ebenfalls als Function der Zeit bestimmen.
Es giebt aber, wie wir oben gesehen haben, auch solche
Fälle, wo es nicht nöthig ist, alle Grössen durch Eine Veränder-
liche auszudrücken, sondern die Integration auch ausführbar ist,
wenn der Differentialausdruck in der Form
^(Xdx -f- Ydy + Zdz)
Mechanische Arbeit und darauf bezügliche Gleichungen. 21
geschrieben wird, und darin die Coordinaten als unabhängige Ver-
änderliche betrachtet werden. Dazu muss der vorstehende Aus-
druck das vollständige Differential einer Function der Coordinaten
sein, oder, mit anderen Worten, die in dem Systeme wirkenden
Kräfte müssen ein Ergal haben. Wir wollen das Ergal, welches
der negative Werth jener Function ist, jetzt mit einem einfachen
Buchstaben bezeichnen. Dazu wählt man in der Mechanik gewöhn-
lich den Buchstaben C7; da es aber in der mechanischen Wärme-
theorie Brauch geworden ist, diesen Buchstaben für eine andere
Grösse, von der gleich weiter unten die Rede sein wird, anzuwen-
den, so wollen wir das Ergal mit J bezeichnen. Dann ist zu setzen :
(29) ^{Xdx-\- Ycly + Zcl^) = — dj,
und daher, wenn Jq den Werth des Ergais zur Zeit U, darstellt:
t
(30) f^iXdx -f Ydij -f Zd2) = Jo - J,
to
wodurch ausgedrückt wird, dass die Arbeit gleich der Abnahme
des Ergais ist.
Setzen wir die Differenz Jq — J für das in der Gleichung
(28) befindliche Integral ein, so kommt:
T — Tq = Jq — J,
oder umgeschrieben:
(31) ^ T+J^=To-f-Jo.
Hieraus ergiebt sich folgender Satz; die Summe aus lebendiger
Kraft und Ergal bleibt während der Bewegung constant.
Die Summe aus lebendiger Kraft und Ergal, welche wir mit
einem einfachen Buchstaben bezeichnen wollen, indem wir setzen:
(32) U=T^J,
wird die Energie des Systemes genannt, so dass wir den Satz
auch kürzer so aussprechen können: die Energie bleibt während
der Bewegung constant.
Dieser Satz, welcher in neuerer Zeit eine viel allgemeinere
Anwendung gefunden hat als früher, und gegenwärtig eine der
wichtigsten Grundlagen der ganzen mathematischen Physik bil-
det, ist bekannt unter dem Namen des Satzes von der Erhaltung
der Energie.
ABSCHNITT I.
Erster Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie
0 d e 1"
Satz von der Aequivalenz von Wärme und Arbeit.
§. 1. Ausgangspunkt der Theorie.
Nachdem in früherer Zeit fast allgemein die Ansicht gegolten
hatte, dass die Wärme ein besonderer Stoff sei, welcher in den
Körpern in grösserer oder geringerer Menge vorhanden sei, und
dadurch ihre höhere oder tiefere Temperatur bedinge, und welcher
auch von den Körpern ausgesandt werde, und dann den leeren
Eaum und auch solche Räume, welche ponderable Masse enthalten,
mit ungeheurer Geschwindigkeit durchfliege, und so die strahlende
Wärme bilde, hat sich in neuerer Zeit die Ansicht Bahn gebrochen,
dass die Wärme eine Bewegung sei. Dabei wird die in den Körpern
befindliche Wärme, welche die Temperatur derselben bedingt, als
eine Bewegung der ponderablen Atome betrachtet, an welcher auch
der im Körper befindliche Aether theilnehmen kann, und die
strahlende Wärme wird als eine schwingende Bewegung des Aethers
angesehen.
Auf eine Auseinandersetzung der Thatsachen, Versuche und
Schlussweisen, durch welche man zu dieser veränderten Ansicht
geführt wurde, will ich hier nicht eingehen, weil dabei manches
zur Sprache kommen müsste, was besser erst im Verlaufe des
Buches an den geeigneten Stellen besprochen wird. Ich glaube,
die Uebereinstimmung der aus der neuen Theorie abgeleiteten
Resultate mit der Erfahrung wird am besten dazu dienen können,
die Grundlagen der Theorie als richtig zu bestätigen.
Erster Hauptsatz. 23
Wir wollen also bei unserer Entwickelung von der Annahme
ausgehen, dass die Wärme in einer Bewegung der kleinsten Körper-
und Aethertheilchen bestehe, und dass die Quantität der Wärme
das Maass der lebendigen Kraft dieser Bewegung sei. Dabei wollen
wir über die Art der Bewegung gar keine besondere Voraussetzung
machen, sondern nur den Satz von der Aequivalenz von lebendiger
Kraft und Arbeit, welcher für jede Art von Bewegung gilt, auf die
Wärme anwenden und den dadurch entstehenden Satz als ersten
Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie hinstellen.
§. 2. Positiver und negativer Sinn der mechanischen
Arbeit.
Im §, 1 der Einleitung wurde bei der Bewegung eines Punktes
die mechanische Arbeit definirt als das Product aus dem Wege und
der in die Richtung des Weges fallenden Componente der auf den
PunM wirkenden Kraft. Danach wird die Arbeit positiv, wenn die
Kraftcomponente in der Geraden, in welcher der Weg liegt, nach
derselben Seite fällt, wie der Weg, und negativ, wenn sie nach der
entgegengesetzten Seite fällt. Bei dieser Bestimmung des positiven
Sinnes der mechanischen Arbeit lautet der Satz von der Aequi-
valenz von lebendiger Kraft und Arbeit: die Zunahme der lebendigen
Kraft ist gleich der geleisteten Arbeit, oder gleich der Zunahme der
Arbeit.
Man kann die Sache aber auch von einem anderen Gesichts-
punkte aus betrachten.
Wenn ein materieller Punkt eine Bewegung angenommen hat,
so kann er diese, wegen seines Beharrungsvermögens, auch dann fort-
setzen, wenn die auf ihn wirkende Kraft eine der Bewegung entgegen-
gesetzte Richtung hat, wobei freilich seine Geschwindigkeit und
somit auch seine lebendige Kraft allmälig abnimmt. Ein unter dem
Einflüsse der Schwere stehender materieller Punkt z. B., wenn er
einen Stoss nach Oben erhalten hat, kann sich der Schwere entgegen
bewegen, wobei die durch den Stoss erhaltene Geschwindigkeit all-
mälig geringer wird. In einem solchen Falle ist die Arbeit, wenn
sie als eine von der Kraft gethane Arbeit betrachtet wird, negativ.
Man kann aber auch die Arbeit in der Weise betrachten, dass man
in solchen Fällen, wo durch die vorhandene Bewegung, vermittelst
des Beharrungsvermögens, eine Kraft überwunden wird, die Arbeit
24 Abschnitt I.
als positiv rechnet, dagegen in solchen Fällen, wo der Punkt der
Kraft nachgiebt nnd sich im Sinne der Kraft bewegt, die Arbeit
als negativ rechnet. Unter Anwendung einer im §.1 der Einleitung
angeführten Ausdrucksweise, bei welcher der auf die beiden
entgegengesetzten Richtungen der Kraftcomponente bezügliche
Unterschied durch das Verbum ausgedrückt wird, lässt sich das
Vorige noch einfacher so aussprechen: man kann festsetzen, dass
nicht die von einer Kraft gethane, sondern die von einer Kraft
erlittene Arbeit als positiv gerechnet tverden soll.
Bei dieser Bestimmungsweise der Arbeit lautet der Satz von der
Aequivalenz von lebendiger Kraft und Arbeit folgendermaassen :
die Abnahme der lebendigen Kraft ist gleich Zunahme der Arbeit
oder: die Summe aus lebendiger Kraft und Arbeit ist constant.
Diese letzte Form des Satzes ist für das Folgende sehr bequem.
Bei solchen Kräften, welche ein Ergal haben, wurde in §. 6
der Einleitung die Bedeutung dieser Grösse so definirt, dass gesagt
werden konnte : die Arbeit ist gleich der Abnahme des Ergais. Unter
Anwendung der vorher besprochenen Bestimmungsweise der Arbeit
muss statt dessen gesagt werden: die Arbeit ist gleich der Zu-
nahme des Ergais, und es kann daher, wenn die im Ergal vor-
kommende additive Constante in geeigneter Weise bestimmt wird,
das Ergal einfach als Ausdruck der Arbeit betrachtet werden.
§. 3. Ausdruck des ersten Hauptsatzes.
Nachdem wir den positiven Sinn der Arbeit in der vorstehen-
den Weise festgesetzt haben, können wir den aus dem Satze von
der Aequivalenz von lebendiger Kraft und Arbeit abzuleitenden
ersten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, welcher der
Sats von der Aequivalenz von Wärme und Arbeit genannt wird,
folgendermaassen aussprechen :
In allen Fällen, wo durch Wärme Arbeit entsteht, wird eine
der erzeugten Arbeit proportionale Wärmemenge verbraucht, und
umgekehrt kann durch Verbrauch einer ebenso grossen Arbeit die-
selbe Wärmemenge erzeugt iverden.
Wenn Wärme verbraucht wird und dafür Arbeit entsteht, so
kann man sagen , die Wärme habe sich in Arbeit verwandelt , und
umgekehrt, wenn Arbeit verbraucht wird, und dafür Wärme ent-
steht, kann man sagen, es habe sich Arbeit in Wärme verwandelt.
Erster Hauptsatz. 25
Unter Anwendung dieser Ausdrucksweise nimmt der vorige Satz
folgende Form an:
Es lässt sich Arbeit in Wärme und umgeJceJiH Wärme in
Arbeit verwandeln, wobei stets die Grösse der einen der der anderen
proportional ist.
Dieser Satz ist durch manche schon früher bekannte Er-
scheinungen und in neuerer Zeit durch so viele und verschieden-
artige Versuche bestätigt, dass man ihn, auch abgesehen von dem
Umstände, dass er einen speciellen Fall jenes mechanischen Satzes
bildet, als einen aus Erfahrungen und Beobachtungen abgeleiteten
Satz annehmen kann.
§. 4. Verhältnisszahl zwischen Wärme und Arbeit.
Während der mechanische Satz aussagt, dass die Veränderung
der lebendigen Kraft und die ihr entsprechende Arbeit unter ein-
ander gleich seien, ist in dem Satze, welcher die Beziehung zwischen
Wärme und Arbeit ausdrückt, nur von Proportionalität die Rede.
Das hat seinen Grund darin, dass die Wärme nicht nach demselben
Maasse gemessen wird, wie die Arbeit. Die Arbeit wird nach der
früher angeführten mechanischen Einheit, dem Kilogrammeter,
gemessen; für die Wärme dagegen wird eine nur nach der Bequem-
lichkeit der Messung gewählte Einheit angewandt, nämlich die-
jenige Wärmemenge, tvelche erforderlich ist, um 1 Tcg Wasser von 0^
auf 1^ C. SU erwärmen.
Hiernach kann natürlich zwischen Wärme und Arbeit nur
Proportionalität stattfinden, und die Verhältnisszahl muss besonders
bestimmt werden.
Wenn diese Verhältnisszahl so gewählt wird, dass sie die Arbeit
angiebt, welche einer Wärmeeinheit entspricht, so nennt man sie
das m,echanische Aequivalent der Wärme; wird sie dagegen so ge-
wählt, dass sie die Wärmemenge angiebt, welche einer Arbeitsein-
heit entspricht, so nennt man sie das calorische Aeqiiivaleut der
Arbeit. Wir wollen das mechanische Aequivalent der Wärme
mit E, und demgemäss das calorische Aequivalent der Arbeit mit
i bezeichnen.
Die Bestimmung der Verhältnisszahl ist auf verschiedene Weisen
ausgeführt. Theils hat man sie durch Schlüsse aus schon vor-
26 Abschuitt I.
handenen Daten abzuleiten gesucht, was zuerst von Mayer nach
richtigen Principien in einer weiter unten zu erwähnenden Weise
geschehen ist, wobei freilich wegen der Unvollkommenheit der da-
mals vorhandenen Data das Resultat etwas ungenau wurde, theils
hat man sie durch besonders für diesen Zweck angestellte Experi-
mente zu bestimmen gesucht. Vorzugsweise ist dem ausgezeichneten
englischen Physiker Joule das Verdienst zuzuschreiben, mit gröss-
ter Umsicht und Sorgfalt dieses Verhältniss festgestellt zu haben.
Einige seiner Versuche, sowie auch spätere von Anderen aus-
geführte Bestimmungen werden besser erst nach den betreffenden
theoretischen Entwickelungen Platz finden, und ich will mich hier
darauf beschränken, diejenigen der Joule'schen Versuche anzu-
führen, welche am leichtesten verständlich und deren Eesultate
zugleich am zuverlässigsten sind.
Joule hat nämlich die Wärme, welche durch Reibung erzeugt
wird, unter verschiedenen Umständen gemessen und mit der zur
Hervorbringung der Reibung verwandten Arbeit, welche er durch
herabsinkende Gewichte geschehen liess, verglichen. Diese Ver-
suche sind ihrer Wichtigkeit wegen schon sehr häufig in ver-
schiedenen Lehrbüchern beschrieben und neuerlich sind auch die
Abhandlungen von Joule gesammelt in deutscher Uebersetzung
von Spengel erschienen. Es wird daher nicht nöthig sein, auch
hier eine Beschreibung der Versuche zu geben, sondern es wird
genügen, die Resultate anzuführen, was am besten nach der im
Jahre 1850 in den Phil. Trans, veröffentlichten Abhandlung ge-
schehen kann.
In einer ersten, sehr ausgedehnten Versuchsreihe wurde
Wasser mit Hülfe eines gedrehten Schaufelapparates in einem
Gefässe gerührt, welches so eingerichtet war, dass nicht die ganze
Wassermasse in gleichmässige Rotation kommen konnte, sondern
dass das Wasser, nachdem es in Bewegung gesetzt war, immer
wieder durch feststehende Schirme in seiner Bewegung gehemmt
wurde, wodurch vielfache Wirbel entstehen mussten, welche
eine bedeutende Reibung verursachten. Das in englischen Maassen
ausgedrückte Resultat ist, dass zur Hervorbringung der Wärme-
menge, welche ein englisches Pfund Wasser um einen Grad
Fahrenheit erwärmen kann, eine Arbeit von 772,695 engl. Fuss-
pfund gehört.
In zwei anderen Versuchsreihen wurde in ähnlicher Weise
Quecksilber gerührt, und das Resultat war 774,083 Fusspfund.
Erster Hauptsatz. 27
Endlich wurden in zwei Versuchsreihen Gusseisenstücke an
einander gerieben, welche sich unter Quecksilber befanden und an
dieses die erzeugte Wärme abgaben. Das Resultat war 774,987
Fusspfund.
Unter allen seinen Resultaten betrachtete Joule das beim
Wasser gefundene als das genaueste, und, indem er es wegen des
Tones, der beim Rühren erzeugt wurde, noch ein Wenig reduciren
zu dürfen glaubt, giebt er schliesslich
772 Fusspfund
als den wahrscheinlichsten Werth an.
Rechnet man diese Zahl in die entsprechende auf französische
Maasse bezügliche Zahl um, so erhält man das Resultat, dass zur
Erzeugung der Wärmemenge, welche ein Kilogramm Wasser um
einen Grad Celsius erwärmen Jcann, eine Arbeit von 423,55 Kilo-
grammeter gehört.
Diese Zahl scheint unter den bisher bestimmten das meiste
Vertrauen zu verdienen, und wir wollen sie daher im Folgenden
für das mechanische Aequivalent der Wärme anwenden, und dem-
gemäss setzen:
(1) E = 423,55.
Bei den meisten Rechnungen wird es unbedenklich erscheinen,
statt der mit Decimalstellen versehenen Zahl die runde Zahl 424
anzuwenden.
§. 5. Mechanische Einheit der Wärme.
Seit der Satz von der Aequivalenz von Wärme und Arbeit
aufgestellt ist, in Folge dessen diese beiden sich gegenseitig er-
setzen können, kommt man oft in die Lage, Grössen bilden zu
müssen, welche Wärme und Arbeit als Summanden enthalten. Da
nun aber Wärme und Arbeit nach verschiedenen Maassen gemessen
werden, so kann man in einem solchen Falle nicht einfach sagen,
die Grösse sei die Summe der Wärme und der Arbeit, sondern
man muss entweder sagen : die Summe der Wärme und des Wärme-
werthes der Arbeit, oder: die Summe der Arbeit und des Arbeits-
iverthes der Wärme.
Wegen dieser Unbequemlichkeit hat Rankine vorgeschlagen,
für die Wärme eine andere Einheit einzuführen, nämlich diejenige
Wärmemenge, welche der Arbeitseinheit entspricht, auch als
28 Absclinitt I.
Wärmeeinheit zu wählen. Man kann diese Wärmeeinheit einfach
die mechanische nennen.
Der allgemeinen Einführung der mechanischen Wärmeeinheit
wird wohl der Umstand hinderlich sein, dass die bisher gebräuch-
liche Wärmeeinheit eine Grösse ist, welche mit den gewöhnlichen
calorimetrischen Methoden, die meistens auf der Erwärmung von
Wasser beruhen, innig zusammenhängt, so dass dabei nur geringe,
auf sehr zuverlässige Messungen gestützte Reductionen nöthig sind,
während die mechanische Wärmeeinheit ausserdem, dass sie die-
selben Reductionen verlangt, noch das mechanische Aequivalent
der Wärme als bekannt voraussetzt, eine Voraussetzung, die nur
näherungsweise erfüllt ist. Indessen bei den theoretischen Ent-
wickelungen der mechanischen Wärmetheorie, bei denen die Be-
ziehung zwischen Arbeit und Wärme besonders oft vorkommt,
gewährt das Verfahren, die Wärme in mechanischen Einheiten
auszudrücken, so wesentliche Vereinfachungen, dass ich geglaubt
habe, die Bedenken, welche ich früher gegen dieses Verfahren
hatte, bei der gegenwärtigen mehr zusammenhängenden Darstellung
dieser Theorie fallen lassen zu dürfen. Es soll daher im Folgenden,
wo das Gregentheil nicht ausdrücklich gesagt wird, immer voraus-
gesetzt werden, dass die Wärme nach mechanischen Einheiten ge-
messen sei.
Bei dieser Art der Messung nimmt der oben ausgesprochene
erste Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie eine noch be-
stimmtere Form an, indem er nicht bloss aussagt, dass die Wärme
und die ihr entsprechende Arbeit proportional, sondern dass sie
gleich seien.
Will man später eine nach mechanischen Einheiten gemessene
Wärmemenge wieder in gewöhnlichen Wärmeeinheiten ausdrücken,
so braucht man dazu die auf die ersteren Einheiten bezügliche
Zahl nur durch das mechanische Aequivalent der Wärme, also
durch JE, zu dividiren.
§. 6. Aufstellung der ersten Hauptgleichung.
Es sei irgend ein Körper gegeben und sein Zustand in Bezug auf
Temperatur, Volumen etc. als bekannt vorausgesetzt. Wenn diesem
Körper eine unendlich kleine Wärmemenge d Q mitgetheilt wird, so
fragt es sich, welche Wirkung sie ausübt, und was aus ihr wird.
Erster Hauptsatz. 29
Sie kann einestheils dazu dienen, die im Körper wirklich vor-
handene Wärme zu vermehren, anderentheils kann sie, wenn der
Körper in Folge der Wärmeaufnahme eine Zustandsänderung
erleidet, welche mit der Ueberwindung von Kräften verbunden ist,
zu der dabei geschehenden Arbeit verbraucht werden. Wenn wir
die im Körper vorhandene Wärme oder, wie wir kürzer sagen
wollen , den Wärmeinhalt des Körpers mit H und die unendlich
kleine Zunahme dieser Grösse mit dH bezeichnen, und für die
unendlich kleine Arbeit das Zeichen dL wählen, so können wir
folgende Gleichung bilden:
(I.) dQ = dH^dL.
Die Kräfte, um welche es sich bei der Arbeitsleistung handelt,
lassen sich" in zwei Classen theilen, erstens diejenigen, welche die
Atome des Körpers unter einander ausüben, und welche daher in
der Natur des Körpers selbst begründet sind, und zweitens die,
welche von fremden Einflüssen, unter denen der Körper steht, her-
rühren. Nach diesen beiden Classen von Kräften, welche zu über-
winden sind, habe ich die von der Wärme geleistete Arbeit in die
innere und äussere Arbeit getheilt. Bezeichnen wir diese beiden
Arbeitsgrössen mit dJ und dW^ so ist zu setzen:
(2) dL = dJ-\-dW,
und die vorige Gleichung geht dadurch über in:
(IL) d\Q = dH^dJ-\-dW.
§. 7. Verschiedenes Verhalten der Grössen J, W und H.
Die innere und äussere Arbeit stehen unter wesentlich ver-
schiedenen Gesetzen.
Was zunächst die innere Arbeit anbetrifft, so ist leicht zu
übersehen, dass, wenn ein Körper, von irgend einem Anfangszu-
stande ausgehend, eine Reihe von Veränderungen durchmacht, und
schliesslich wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt,
dann die dabei vorkommenden inneren Arbeitsgrössen sich gerade
gegenseitig aufheben müssen. Bliebe nämlich noch eine gewisse
positive oder negative innere Arbeit übrig, so müsste durch diese
eine entgegengesetzte äussere Arbeit oder eine Aenderung der vor-
handenen Wärmequantität bewirkt sein, und da man denselben
Process beliebig oft wiederholen könnte, so würde man dadurch
30 Abschnitt I.
je nach dem Vorzeichen im einen Falle fortwährend Arbeit oder
Wärme aus Nichts schaffen, und im anderen Falle fortwährend
Arbeit oder Wärme verlieren, ohne ein Aequivalent dafür zu er-
halten, was wohl beides allgemein als unmöglich anerkannt wer-
den wird. Wenn somit bei jeder Rückkehr des Körpers in seinen
Anfangszustand die innere Arbeit Null wird, so folgt daraus weiter,
dass bei einer beliebigen Zustandsänderung des Körpers die innere
Arbeit durch den Anfangs- und Endzustand vollkommen bestimmt
ist, ohne dass man die Art und Weise, wie er aus dem einen in
den anderen gelangte, zu kennen braucht. Denkt man sich näm-
lich, dass der Körper in verschiedenen Weisen aus dem einen in
den anderen Zustand gebracht und immer in einer und derselben
Weise wieder in den ersten Zustand zurückgebracht . werde , so
müssen bei den in verschiedenen Weisen vor sich gehenden ersten
Aenderungen innere Arbeiten geleistet werden, welche sich alle
mit einer und derselben bei der Rückänderung geleisteten inneren
Arbeit aufheben, was nur möglich ist, wenn sie unter einander
gleich sind.
Wir müssen demnach annehmen, dass die inneren Kräfte ein
Ergdl haben, welches eine Grösse ist, die durch den gerade statt-
findenden Zustand des Körpers vollständig bestimmt wird, ohne
dass man zu wissen braucht, wie er in diesen Zustand gelangt ist.
Dann wdrd die innere Arbeit durch die Zunahme des Ergais,
welches wir mit J bezeichnen wollen, dargestellt, und für eine
unendlich kleine Veränderung des Körpers bildet das Differential
des Ergais dJ den Ausdruck der inneren Arbeit, was mit der in
(2) und (II.) angewandten Bezeichnung übereinstimmt.
Betrachten wir nun die äussere Arbeit, so finden wir bei
dieser ein ganz anderes Verhalten, als bei der inneren. Sie kann,
wenn der Anfangs- und Endzustand des Körpers gegeben sind,
doch noch sehr verschieden ausfallen.
Um dieses an einigen Beispielen zu zeigen, wählen wir als
Körper zunächst ein Gas, dessen Zustand durch seine Temperatur
t und sein Volumen v bestimmt wird, und bezeichnen die Anfangs-
werthe dieser Grössen mit ti.Vi und ihre Endwerthe mit t^iV^^
wobei wir voraussetzen wollen, dass t^^ti und v^^Vy. Wenn
nun die Aenderung in der Weise vor sich geht, dass das Gas bei
der Temperatur ti sich von dem Volumen v^ bis v^ ausdehnt und
dann bei dem Volumen v^ von der Temperatur ti bis t^ erwärmt
wird, so besteht die äussere Arbeit darin, dass bei der Ausdehnung
Erster Hauptsatj^. 31
derjenige äussere Druck überwunden wird, welcher der Tempe-
ratur ti entsj)richt. Wenn dagegen die Aenderung in der Weise
geschieht, dass das Gas zuerst bei dem Volumen Vy von der Tem-
peratur ti bis ^2 erwärmt wird, und dann bei der Temperatur ^2
sich von dem Volumen Vi bis V2 ausdehnt, so besteht die äussere
Arbeit darin, dass bei der Ausdehnung derjenige Druck über-
wunden wird, welcher der Temperatur #2 entspricht. Da der letz-
tere Druck grösser ist, als der erstere, so wird im zweiten Falle
eine grössere äussere Arbeit geleistet, als im ersten. Nimmt man
endlich an, dass Ausdehnung und Erwärmung irgend wie in Ab-
sätzen wechseln oder auch nach irgend einem Gesetze gleichzeitig
stattfinden, so erhält man immer andere Druckkräfte und somit
eine unendliche Mannigfaltigkeit von Arbeitsgrössen bei demselben
Anfangs- und Endzustande.
Ein anderes einfaches Beispiel ist folgendes. Es sei eine
Quantität einer Flüssigkeit von der Temperatur t^ gegeben, welche
in gesättigten Dampf von der höheren Temperatur ^2 verwandelt
werden soll. Diese Umänderung kann so geschehen, dass man die
Flüssigkeit zuerst als solche bis ^2 erwärmt und dann bei dieser
Temperatur verdampfen lässt, oder so, dass man die Flüssigkeit
bei der Temperatur ^1 verdampfen lässt, und dann den Dampf bis
t.2 erwärmt, und zugleich so zusammendrückt, dass er auch bei
der Temperatur #2 gesättigt ist, oder endlich so, dass man die
Verdampfung bei irgend welchen mittleren Temperaturen statt-
finden lässt. Die äussere Arbeit, welche sich wieder auf die
Ueberwindung des äusseren Druckes bei der Volumenänderung
bezieht, hat in allen diesen Fällen verschiedene Werthe.
Der vorstehend nur beispielsweise für zwei bestimmte Körper
besprochene Unterschied in der Art der Veränderung lässt sich
allgemein dadurch ausdrücken, dass man sagt: der Körper kann
auf verschiedenen Wegen aus dem einen Zustande in den anderen
übergehen.
Ausser diesem Unterschiede kann noch ein anderer vor-
kommen.
Wenn ein Körper bei einer Zustandsänderung einen äusseren
Widerstand überwindet, so kann dieser entweder so gross sein,
dass die volle Kraft des Körpers nur gerade zu seiner Ueberwindung
ausreicht, oder er kann kleiner sein. Als Beispiel wollen wir wieder
eine Quantität eines Gases betrachten, welches bei gegebener
Temperatur und gegebenem Volumen eine gewisse Expausivkraft
32 Abschnitt I.
besitzt. Wenn dieses Gas sich ausdelint, so muss der äussere
Gegendruck, den es dabei zu überwinden hat, zwar, um überwunden
zu werden, geringer sein, als die Expansivkraft des Gases, aber die
Differenz zwischen beiden kann beliebig klein sein, und als Grenz-
fall können wir annehmen, dass beide gleich seien. Es können
aber auch solche Fälle vorkommen, wo jene Differenz eine end-
liche, mehr oder weniger beträchtliche Grösse ist. Wenn z. B.
das Gefäss, in welchem das Gas sich zu Anfang mit einer ge-
wissen Expansivkraft befindet, plötzlich mit einem Raum, in wel-
chem ein geringerer Druck herrscht, oder mit einem ganz leeren
Gefässe in Verbindung gesetzt wird, so überwindet das Gas bei
seiner Ausdehnung eine geringere äussere Gegenkraft, als es über-
winden könnte, oder auch gar keine äussere Gegenkraft, und leistet
daher eine geringere äussere Arbeit, als es leisten könnte, oder
auch gar keine äussere Arbeit.
Im ersteren Falle, wo Druck und Gegendruck in jedem Augen-
blicke gleich sind, kann das Gas durch denselben Druck, den es
bei der Ausdehnung überwunden hat, auch wieder zusammen-
gedrückt werden. Wenn aber der überwundene Druck kleiner
war, als die Expansivkraft, so kann das Gas durch diesen Druck
nicht wieder zusammengedrückt werden. Man kann daher den
Unterschied so aussprechen: im ersteren Falle findet die Aus-
dehnung in unikeJirharer Weise statt, und im letzteren in nicht
umkehrbarer Weise.
Diese Art des Ausdruckes können wir auch auf andere Fälle,
wo unter Ueberwindung irgend welcher Widerstände Zustands-
änderungen vorkommen, anwenden, und können den zuletzt
besprochenen, die äussere Arbeit beeinflussenden Unterschied
allgemein folgendermaassen aussprechen. Bei einer bestimmten
Zustandsänderung Jcann die äussere Arbeit verschieden ausfallen,
je nachdem die Zustandsänderung in umkehrbarer oder in nicht
umkehrbarer Weise stattfindet.
Neben den beiden auf die Arbeit bezüglichen Differentialen
dJxmd d TT kommt an der rechten Seite der Gleichung (IL) noch
ein drittes Differential vor, nämlich das Differential der im Körper
wirklich vorhandenen Wärme oder seines Wärmeinhaltes if. Diese
Grösse H hat offenbar auch die in Bezug auf J besprochene
Eigenschaft, dass sie schon bestimmt ist, sobald der Zustand des
Körpers gegeben ist, ohne dass man die Art, wie er in denselben
gelangt ist, zu kennen braucht.
Erster Hauptsatz. 33
§. 8. Die Energie des Körpers.
Da die im Körper wirklich vorhandene Wärme und die innere
Arbeit sich in der letztgenannten für die Behandlung sehr wichtigen
Beziehung unter einander gleich verhalten, und da wir ferner,
wegen unserer Unbekanntschaft mit den inneren Kräften der
Körper, gewöhnlich nicht die einzelnen Werthe dieser beiden
Grössen, sondern nur ihre Summe kennen, so habe ich schon in
meiner ersten, 1850 erschienenen, auf die Wärme bezüglichen Ab-
handlung i) diese beiden Grössen unter Ein Zeichen zusammen-
gefasst. Dasselbe wollen wir auch hier thun, indem wir setzen:
(3) U=H-^J,
wodurch die Gleichung (II.) übergeht in:
(III.) dQ = dU-{-dW.
Die bei jener Gelegenheit von mir in die Wärmelehre ein-
geführte Function U ist seitdem auch von anderen Autoren, welche
über die mechanische Wärmetheorie geschrieben haben, adoptirt,
und da die Definition, welche ich von ihr gegeben hatte 2), dass
sie, wenn man von irgend einem Anfangszustande ausgeht, die hin-
zugekommene wirklich vorhandene Wärme und die zu innerer Arbeit
verbrauchte Wärme umfasse, etwas lang ist, so sind von ver-
schiedenen Seiten Vorschläge für kürzere Benennungen gemacht.
Thomson hat die Function in seiner Abhandlung von 1851 3)
the mecJianical energy of a hody in a given State genannt, und
Kirchhoff 4) hat für sie den Namen WirTcmigsfunction angewandt.
Ferner hat Zeuner in seiner 1860 erschienenen Schrift „Grund-
züge der mechanischen Wärmetheorie" die mit dem calorischen
Aequivalente der Arbeit multiplicirte Grösse U die innere Wärme
des Körpers genannt.
In Bezug auf den letzten Namen habe ich schon im Jahre
1864 gelegentlich bemerkt s), dass er mir der Bedeutung der Grösse
U nicht ganz zu entsprechen scheint, da nur ein Theil dieser Grösse
wirklich im Körper vorhandene Wärme darstellt, während der übrige
1) Pogg. Ann. Bd. 79, S. 368 und Abhandlungensammlung, erste Ab-
handlung.
2) An den anderen Orten S. 385 und S. 33.
8) Transact. of the Boy. Soc. of Edinburgh, Vol. XX, p. 475.
4 Pogg. Ann. Bd. 103, S. 177.
ö) Meine Abhandlungensammlung Bd. I, S. 281.
Clausius, median. Wärmetheorie. I. 9
34 AlDscliDitt I.
Theil sich auf Wärme bezieht, welche zu innerer Arbeit verbraucht
ist, und folglich nicht mehr als Wärme existirt. In der 1866 er-
schienenen zweiten Auflage seines Buches hat Zeuner dann die
Aenderung vorgenommen, dass er die Grösse U die innere Arbeit des,
Körpers genannt hat. Ich muss aber gestehen, dass ich diesem
Namen ebenso wenig zustimmen kann, wie dem ersteren, indem er
mir nach der anderen Seite hin zu beschränkt zu sein scheint.
Von den beiden anderen Namen scheint mir besonders das
von Thomson gebrauchte Wort energysehv passend zu sein, indem
die Grösse, um die es sich hier handelt, ganz derjenigen entspricht,
welche in der Mechanik mit diesem Worte bezeichnet wird. Ich
habe mich daher dieser Benennungsweise angeschlossen, und werde
auch im Folgenden die Grösse U die Energie des Körpers nennen.
In Bezug auf die vollständige Bestimmung des Ergais und der
das Ergal enthaltenden Energie ist übrigens noch eine besondere
Bemerkung zu machen. Da das Ergal die Arbeit darstellt, welche
die inneren Kräfte leisten mussten, während der Körper aus einem
als Ausgangspunkt gewählten Anfangszustande in seinen gegen-
wärtigen Zustand überging, so erhält man für den gegenwärtigen
Zustand nur dann einen vollständig bestimmten Werth des Er-
gais, wenn jener Anfangszustand im Voraus und ein für alle Mal
festgesetzt ist. Ist das Letztere nicht geschehen, so muss man
sich zu der Function, welche das Ergal darstellt, noch eine will-
kürliche Constante hinzugefügt denken, welche sich auf den
Anfangszustand bezieht. Dabei versteht es sich von selbst, dass
es nicht immer nöthig ist, die Constante wirklich hinzuschreiben,
sondern dass man sie sich in der Function, so lange diese durch
ein allgemeines Symbol bezeichnet wird, mit einbegriffen denken
kann. Ebenso muss man sich auch in dem Zeichen, welches die
Energie darstellt, eine solche noch unbestimmte Constante mit
einbegriffen denken.
§. 9. Gleichungen für endliche Zustandsänderungen
und Kreisprocesse.
Denken wir uns die Gleichung (III.), welche sich auf eine
unendlich kleine Veränderung bezieht, für irgend eine endliche
Veränderung, oder auch für eine Reihe von auf einander folgenden
endlichen Veränderungen integrirt, so lässt sich das Integral des
Erster Hauptsatz. 35
einen Gliedes sofort angeben. Die Energie IJ ist nämlich, wie
oben gesagt, nur von dem gerade stattfindenden Zustande des
Körpers, und nicht von der Art, wie er in denselben gelangt ist,
abhängig. Daraus folgt, dass, wenn man den Anfangs- und End-
werth von U mit U-i und üg bezeichnet, man setzen kann:
/'
Demnach lässt sich die durch Integration von (III.) entstehende
Gleichung so schreiben:
(4) JdQ=V,-ü,^JdW,
oder, wenn wir die beiden in dieser Gleichung noch vorkommenden
Integrale f d Q und f d W^ welche die während der Veränderung
oder der Reihe von Veränderungen im Ganzen mitgetheilte Wärme
und geleistete äussere Arbeit bedeuten, mit Q und W bezeichnen :
(4a) Q=U,— U^^W.
Als speciellen Fall wollen wir annehmen, der Körper erleide
eine solche Reihe von Veränderungen, durch die er schliesslich
wieder in seinen Anfangszustand zurückkommt. Eine solche Reihe
von Veränderungen habe ich einen Kreisprocess genannt. Da in
diesem Falle der Endzustand des Körpers derselbe ist, wie der
Anfangszustand, so ist auch der Endwerth U^ der Energie gleich
dem Anfangswerthe tTi, und die Differenz U2 — Ui ist somit gleich
Null. Demnach gehen die Gleichungen (4) und (4 a) für einen
Kreisprocess über in folgende:
(5) J'dq = JdW,
(5 a) Q = W.
Bei einem Kreisprocesse ist also die dem Körper im Ganzen mit-
getheilte Wärme (d. h. die algebraische Summe aller einzelnen im
Verlaufe des Kreisprocesses mitgetheilten Wärmemengen, welche
theils positiv, theils negativ sein können) einfach gleich der im
Ganzen geleisteten äusseren Arbeit.
§. 10. Gesammtwärme, latente und specifische Wärme.
Früher, als man die Wärme noch für einen Stoff hielt, und an-
nahm, dieser Stoff könne in zwei verschiedenen Zuständen vor-
kommen , welche man mit den Worten frei und latent bezeichnete,
hatte man einen Begriff eingeführt, welchen man in den Rechnungen
36 Absclinitt I.
vielfach anwandte und die Gesammtwärme des Körpers nannte.
Darunter verstand man diejenige Wärmemenge, welche ein Körper
hat aufnehmen müssen, um aus einem gegebenen Anfangszustande
in seinen gegenwärtigen Zustand zu gelangen, und welche nun,
theils als freie, theils als latente Wärme, in ihm vorhanden sei.
Man meinte dabei, diese Wärmemenge sei, wenn der Anfangszustand
des Körpers als bekannt vorausgesetzt wird, durch seinen gegen-
wärtigen Zustand vollständig bestimmt, ohne dass die Art, wie
er in diesen Zustand gelangt ist, dabei in Betracht komme.
Nachdem wir nun aber in Gleichung (4 a) für die Wärmemenge
Q, welche der Körper beim Uebergange aus dem Anfangszustande
in den Endzustand aufgenommen hat, einen Ausdruck gewonnen
haben, welcher die äussere Arbeit W enthält, müssen wir schliessen,
dass von dieser Wärmemenge dasselbe gilt, wie von der äusseren
Arbeit, nämlich dass sie nicht bloss vom. Anfangs- und Endzustande
des Körpers, sondern auch von der Art, wie er aus dem einen in
den anderen gelangt ist, abhängt. Der Begriff der Gesammtwärme
als einer nur vom gegenwärtigen Zustande des Körpers abhängigen
Grösse ist also nach der neueren Wärmetheorie nicht mehr zulässig.
Das Verschwinden von Wärme bei gewissen Zustandsänderun-
gen der Körper, z. B. beim Schmelzen und Verdampfen, erklärte
man früher, wie schon oben angedeutet wurde, daraus, dass diese
Wärme in einen besonderen Zustand übergehe , in welchem sie
durch unser Gefühl und das Thermometer nicht wahrnehmbar sei,
und in welchem man sie daher latent nannte. Diese Erklärungs-
weise habe ich ebenfalls bestritten, und habe die Behauptung auf-
gestellt, alle in einem Körper vorhandene Wärme sei fühlbar und
durch das Thermometer erkennbar; die bei jenen Zustandsände-
rungen der Körper verschwundene Wärme existire gar nicht mehr
als Wärme, sondern sei ^u Arbeit verbraucht, und die bei den ent-
gegengesetzten Zustandsänderungen (z, B. Gefrieren und Dampf-
niederschlag) wieder zum Vorschein kommende Wärme trete nicht
aus einer Verborgenheit hervor, sondern sei durch Arbeit neu er-
zeugt. Demgemäss habe ich vorgeschlagen, statt des Ausdruckes
latente Wärme unter Anwendung des Wortes Werh, welches mit
Arbeit im Wesentlichen gleichbedeutend ist, den Ausdruck Werlc-
wärme zu gebrauchen i).
^) Durch den vorgeschlagenen Namen Werkwärme ist natürlich nicht
ausgeschlossen, dass man in den Fällen, in welchen die Werkwärme be-
sonders häufig zur Sprache kommt, nämlich bei der Verdampfung und
Erster Hauptsatz. 37
Die Arbeit (oder das Werk), zu welcher die Wärme verbraucht
wird, und durch welche bei der entgegengesetzten Veränderung
Wärme erzeugt wird, kann von doppelter Art sein, nämlich innere
und äussere Arbeit. Wenn z. B. eine Flüssigkeit verdampft, so
muss dabei die Anziehung der Molecüle überwunden werden, und
zugleich muss, da der Dampf einen grösseren Raum einnimmt, als
die Flüssigkeit, der äussere Gegendruck überwunden werden.
Diesen beiden Theilen der Arbeit (oder des Werkes) entsprechend
kann man auch die gesammte Werkwärme in zwei Theile zerlegen,
welche man die innere Werktvärme und die äussere Werhwärme
nennen kann.
Diejenige Wärme, welche man einem Körper mittheilen muss,
wenn man ihn ohne Aenderung seines Aggregatzustandes er-
wärmen will, betrachtete man früher gewöhnlich ganz als freie
Wärme oder, besser gesagt, als im Körper wirMicJi vorhanden
bleibende Wärme; indessen fällt auch von dieser Wärme ein
grosser Theil in dieselbe Kategorie, wie die, welche man früher
latente Wärme nannte, und für welche ich den Namen Werh-
wärme vorgeschlagen habe. Mit der Erwärmung eines Körpers
ist nämlich der Regel nach auch eine Aenderung in der An-
ordnung seiner Molecüle verbunden, welche Aenderung gewöhn-
lich eine äusserlich wahrnehmbare Volumenveränderung des Kör-
pers zur Folge hat, aber auch selbst in solchen Fällen, wo der
Körper sein Volumen nicht ändert, stattfinden kann. Diese An-
ordnungsänderung erfordert eine gewisse Arbeit, welche theils
innere, theils äussere sein kann, und zu dieser Arbeit (oder diesem
Werke) wiederum wird Wärme verbraucht. Die dem Körper zu-
geführte Wärme dient also nur zum Theile zur Vermehrung der
in ihm wirklich vorhandenen Wärme, und der übrige Theil dient
als Werkwärme.
Aus diesem Verhalten habe ich z. B. die auffällig grosse
specifische Wärme des flüssigen Wassers, welche viel grösser ist,
als die des Eises und des Wasserdampfes, zu erklären gesucht i),
indem ich angenommen habe, dass von der Wärmemenge, welche
beim Schmelzen, nach Belieben, sofern es der Bequemlichkeit wegen zweck-
mässig erscheint, eine Zusammenziehung in dem Ausdrucke machen kann,
und z. B. statt WerJacärme der Verdampfung ^ so wie ich es in meinen
Abhandlungen gethan habe, kurz Verdampfungsioärtne , und statt WerJc-
wärnie des Sclimelzens kurz Schmelzioärme sagen kann.
^) Pogg. Ann. Bd. 79, S. 375 und Abhandlungensammlung Bd. I, S. 23.
38 Abschnitt I.
das Wasser bei seiner Erwärmung von Aussen empfängt, ein grosser
Theil zur Verringerung der Cohäsion verbraucht wird, und somit
als Werkwärme dient.
Nach dem Vorstehenden wird es nöthig, neben den ver-
schiedenen specifischen Wärmen, welche angeben, wie viel Wärme
man einem Körper bei den verschiedenen Arten der Erwärmung
mittheilen muss (wie z. B. die specifische Wärme eines festen
oder flüssigen Körpers unter gewöhnlichem atmosphärischem Drucke
und die specifische Wärme eines Gases bei constantem Volumen
oder bei constantem Drucke), noch eine andere Grösse zu be-
trachten, welche angiebt, um ivieviel die in einer Gewichtseinheit
eines Stoffes tvirUich vorhandene Wärme bei der Envärmung um
einen Grad zunimmt. Diese Grösse wollen wir die wahre Wärme-
capacität des Körpers nennen.
Es würde sogar zweckmässig sein, das Wort Wärmecapacität,
auch wenn nicht wahre hinzugefügt wird, nur auf die wirklich
im Körper vorhandene Wärme zu beziehen, dagegen für die
Wärmemenge, welche ihm zur Erwärmung unter irgend welchen
gegebenen Umständen im Ganzen mitgetheilt werden muss, und
welche auch Werkwärme in sich begreift, immer den Ausdruck
specifische Wärme anzuwenden. Da man indessen bis jetzt das
Wort Wärmecapacität als gleichbedeutend mit dem Ausdrucke
specifische Wärme zu gebrauchen pflegt, so ist, um ihm jene ver-
einfachte Bedeutung zu geben, noch die Hinzufügung des Bei-
wortes ivahre nöthig.
§. 11. Ausdruck der äusseren Arbeit für einen
besonderen Fall.
In der Gleichung (III.) ist die äussere Arbeit allgemein durch
dW bezeichnet. Dabei ist über die Art der äusseren Kräfte,
welche auf den Körper wirken, und auf welche sich die äussere
Arbeit bezieht, gar keine besondere Annahme gemacht.
Es ist aber zweckmässig, einen Fall speciell zu betrachten,
welcher besonders oft vorkommt, und zu einem sehr einfachen Aus-
drucke der äusseren Arbeit führt, nämlich den, wo die einzige äussere
Kraft, welche auf den Körper wirkt, oder wenigstens die einzige,
welche bei der Bestimmung der Arbeit Berücksichtigung verdient,
ein auf die Oberfläche des Körpers wirkender Druck ist, und wo
Erster Hauptsatz. 39
dieser Druck (wie es bei flüssigen und luftförmigen Körpern, wenn
keine anderen fremden Kräfte mitwirken, immer stattfindet, und
bei festen Körpern wenigstens stattfinden kann) an allen Punkten
der Oberfläche gleich stark, und überall normal gegen die Ober-
fläche gerichtet ist. In diesem Falle braucht man zur Bestimmung
der äusseren Arbeit nicht die Gestaltveränderungen des Körpers
und seine Ausdehnung nach einzelnen verschiedenen Kichtungen,
sondern nur seine Volumenveränderung im Ganzen zu betrachten.
Als ein anschauliches Beispiel möge zunächst angenommen
werden, der in Fig. 1 angedeutete, durch einen leicht beweglichen
Stempel P abgeschlossene Cylinder enthalte einen
ausdehnsamen Stoff, z. B. eine Quantität eines Gases,
welcher unter einem Drucke stehe, der für die
Flächeneinheit durch p bezeichnet werden soll. Der
Qiierschnitt des Cylinders und demgemäss auch die
Fläche des Stempels werde mit a bezeichnet. Dann
wird der Druck, welcher auf dem Stempel lastet,
und welcher bei der Hebung des Stempels über-
wunden werden muss, durch das Product pa dar-
gestellt. Wenn nun der Stempel sich zuerst in
solcher Höhe befindet, dass seine untere Fläche um
die Strecke h vom Boden des Cylinders entfernt ist, und dann um
die unendlich kleine Strecke dh gehoben wird, so bestimmt sich
die dabei geleistete äussere Arbeit durch die Gleichung:
dW = padJi.
Nun ist aber, wenn v das Volumen des eingeschlossenen Stoffes
bedeutet, zu setzen:
V = ah,
und somit:
dv = adh,
wodurch die obige Gleichung übergeht in:
(6) d W = pdv.
Dieselbe einfache Form nimmt das Differential der äusseren
Arbeit auch für eine beliebige Gestalt des Körpers und eine
beliebige Art der Ausdehnung an, wie man leicht durch folgende
Betrachtung erkennen wird.
In Fig. 2 (a. f. S.) stelle die voll ausgezogene Linie die
Oberfläche des Körpers in seinem ursprünglichen Zustande, und
die punktirte Linie seine Oberfläche nach einer unendlich kleinen
Veränderung seiner Gestalt und seines Volumens dar. Von
40 Absclinitt I.
der ersteren Oberfläche betrachten wir ein Element dco beim
Punkte A. Eine auf diesem Flächenelemente errichtete Normale
schneide die zweite Fläche in einer Entfernung dn von der
ersten, wobei dn als positiv gerechnet wird, wenn die betreffende
Stelle der zweiten Oberfläche ausserhalb des von der ersten
Oberfläche eingeschlossenen Raumes liegt, und als negativ, wenn
sie innerhalb liegt. Denkt man sich nun auf dem ganzen Umfange
Yig. 2. cl^s Flächenelementes den unend-
_.^^-^^-----^,_ ^ lieh viele Normalen bis zur zwei-
^;>^^^^^^^^ A^^^ ten Fläche errichtet, so wird da-
/^ >, durch ein unendlich kleiner, an-
(i ]\ genähert prismatischer Raum
\ / abgegrenzt, welcher das Element
'^>tr--__^ ^^^^...^^::^ da als Grundfläche und dn als
~"" — "" Höhe hat, und dessen Volumen
daher durch dasProduct dcodn dargestellt wird. Dieses unendlich
kleine Volumen bildet den dem Flächenelemente dco entsprechen-
den Theil der Volumenzunahme des Körpers. Wenn wir den
Ausdruck dcodn über die ganze Oberfläche integriren, erhalten
wir die ganze Volumenzunahme des Körpers, also die Grösse dv,
und wir können somit, indem wir die Integration über die Ober-
fläche durch ein mit dem Index ra versehenes Integralzeichen
andeuten, schreiben:
(7) dv = r
dnd(o.
Bezeichnen wir ferner, wie oben, den Druck auf die Flächen-
einheit der Oberfläche mit p, so ist der Druck auf das Flächen-
element da gleich. p da. Demgemäss wird der Theil der äusseren
Arbeit, welcher diesem Flächenelemente entspricht, und darin be-
steht, dass das Element unter dem Einflüsse der äusseren Kraft
pda um das Stück dn senkrecht verschoben wird, durch das
Product pdadn ausgedrückt. Durch Integration dieses Aus-
druckes über die ganze Oberfläche erhält man die ganze äussere
Arbeit, nämlich:
dW = I pdnda.
(O
Da p für die ganze Oberfläche gleich ist, so kann es aus dem
Integralzeichen herausgenommen werden, so dass die Gleichung
lautet:
Erster Hauptsatz. . 41
dW = p I dnädj^
und unter Anwendung von (7) übergeht in:
dW = pdv,
welches dieselbe Gleichung ist, die schon unter (6) gegeben wurde.
In Folge dieser Gleichung können wir der Gleichung (III.) für
den Fall, wo als äussere Kraft nur ein gleichmässiger und normaler
Oberflächendruck wirkt, folgende Gestalt geben:
(IV.) dQ = dü^pdv.
Diese Gleichung, welche den gebräuchlichsten mathematischen
Ausdruck des ersten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie
bildet, wollen wir nun zunächst auf eine Körperclasse anwenden,
welche sich durch die Einfachheit der Gesetze, unter denen sie
steht, auszeichnet, und für welche daher auch die Gleichung eine
besonders einfache Form annimmt, so dass die Rechnungen, zu
denen sie Veranlassung giebt, sich leicht ausführen lassen.
ABSCHNITT IL
Behandlung der vollkommenen Gase.
§. 1. Gasförmiger Aggregatzustand.
Unter den Gesetzen, welche den gasförmigen Aggregatzustand
charakterisiren , sind besonders das Mariotte'sche und das Gay-
Lussac'sche Gesetz hervorzuheben, welche sich gemeinsam durch
Eine Gleichung ausdrücken lassen. Es möge eine Gewichtseinheit
eines Gases gegeben sein, welche bei der Temperatur des Gefrier-
punktes unter irgend einem als Normaldruck angenommenen Drucke
^0 (z. B. dem Drucke einer Atmosphäre) das Volumen Vq einnehme.
Wenn dann bei der Temperatur t (nach Celsius-Graden gemessen)
der Druck mit p und das Volumen mit v bezeichnet wird, so soll
nach diesen Gesetzen die Gleichung:
(1) pV = PqV(^ (1 4- cct)
gelten, worin die Grösse w, welche man den Ausdehnungscoeffi-
cienten zu nennen pflegt, obwohl sie sich nicht bloss auf die
Volumenänderung, sondern auch auf die Druckänderung bezieht,
für alle Gase einen und denselben Werth haben soll.
Zwar hat in neuerer Zeit Regnault durch sehr sorgfältige
Versuche nachgewiesen, dass diese Gesetze nicht in aller Strenge
richtig sind, doch sind die Abweichungen für die von ihrem Con-
densationspunkte weit entfernten Gase sehr gering, und werden
nur bei solchen Gasen bedeutender, die der Condensation nahe
sind. Daraus ist zu schliessen, dass auch bei jedem einzelnen
Gase die Genauigkeit, mit der es jenen Gesetzen folgt, von seiner
Entfernung vom Condensationspunkte abhängt. Man kann sich
Behandlung der vollkonimeuen Gase. 43
daher, während die Genauigkeit für manche Gase schon im ge-
wöhnlichen Zustande so gross ist, dass man sie bei den meisten
Untersuchungen als vollkommen betrachten kann, für jedes Gas
einen Grenzzustand denken, in dem die Genauigkeit wirklich voll-
kommen wird, und diesen ideellen Zustand wollen wir im Fol-
genden als erreicht annehmen und solche Gase, bei denen er
vorausgesetzt wird, kurz voUlwmmene Gase nennen.
Da nun aber die Grösse a bei den wirklich vorhandenen Gasen
nach Regnault's Bestimmungen nicht ganz gleich ist, und auch
bei einem und demselben Gase unter verschiedenen Umständen
etwas verschiedene Werthe hat, so fragt es sich, welchen Werth
man dieser Grösse bei den vollkommenen Gasen, bei denen der-
artige Unterschiede nicht mehr vorkommen können, zuschreiben
muss.
Jedenfalls müssen wir uns dabei an die Zahlen halten, welche
für die vom Condensationspunkte am weitesten entfernten Gase
gefunden sind. Bei der Untersuchungsweise, welche sich auf die
Druckzunahme bei constantem Volumen bezog, hat Regnault für
verschiedene permanente Gase folgende Zahlen gefunden:
Atmosphärische Luft . . . 0,003665
Wasserstoff 0,003667
Stickstoff 0,003668
Kohlenoxyd 0,003667.
Diese Zahlen zeigen so unbedeutende Differenzen, dass bei einer
Auswahl unter ihnen wenig darauf ankommt , für welche man sich
entscheidet; da aber mit der atmosphärischen Luft von Regnault
die meisten Versuche angestellt sind, und auch Magnus durch
seine Versuche zu einem ganz übereinstimmenden Resultate gelangt
ist, so scheint es mir am angemessensten, die Zahl 0,003665 zu
wählen.
Nun hat aber Regnault bei der anderen Untersuchungsweise,
wobei der Druck constant blieb, und die Volumenzunahme beobachtet
wurde, einen etwas anderen Werth von w für die atmosphärische
Luft gefunden, nämlich 0,003670. Ferner hat er beobachtet, dass
verdünnte Luft einen etwas kleineren und verdichtete Luft einen
etwas grösseren Ausdehnungscoefficienten hat, als Luft von gewöhn-
licher Dichtigkeit.
Dieser letztere Umstand hat einige Physiker zu dem Schlüsse
veranlasst, man müsse, weil die verdünnte Luft dem vollkommenen
Gaszustande näher sei, als Luft von gewöhnlicher Dichtigkeit, für
44 Abschnitt II.
die vollkommenen Gase einen kleineren Werth als 0,003665 an-
nehmen. Hiergegen ist aber einzuwenden, dass Regnault für
Wasserstoff jene Abhängigkeit des Ausdehnungscoefficienten von
der Dichtigkeit nicht beobachtet, sondern bei der einfachen und
dreifachen Dichtigkeit fast genau denselben Werth erhalten hat,
und dass er überhaupt gefunden hat, dass Wasserstoff sich in seinen
Abweichungen vom Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen
Gesetze ganz anders und meistens sogar gerade entgegengesetzt
verhält, wie atmosphärische Luft. Unter diesen Umständen scheint
mir der obige aus dem Verhalten der atmosphärischen Luft ge-
zogene Schluss etwas gewagt zu sein, denn man wird es gewiss als
wahrscheinlich zugeben, dass der Wasserstoff dem vollkommenen
Gaszustande mindestens eben so nahe ist, wie atmosphärische Luft,
und demgemäss muss man bei den auf diesen Zustand bezüglichen
Schlüssen das Verhalten des Wasserstoffs ebenso gut berück-
sichtigen, wie dasjenige der atmosphärischen Luft.
Ich glaube daher, dass es für so lange, als nicht durch neue
Beobachtungsdata zuverlässigere Anhaltspunkte für weitere Schlüsse
gewonnen sind, am zweckmässigsten ist, sich an die Zahl zu halten,
welche unter dem Drucke von einer Atmosphäre für atmosphärische
Luft und Wasserstoff sehr nahe übereinstimmend gefunden ist, und
zu setzen:
(2) a = 0,003665 = ~
Wenn man den Bruch — durch a bezeichnet, so kann man
a
der Gleichung (1) auch folgende Form geben:
(3) p^ = Po^^a~^t).
CO
Setzt man noch zur Abkürzung:
(4) B = ^^,
a
(5) T=a^t,
so kommt:
(6) pv = RT.
Hierbei ist B eine Constante, welche von der Natur des Gases ab-
hängt und seinem specifischen Gewichte umgekehrt proportional ist.
T bedeutet die Temperatur, wenn sie nicht vom Gefrierpunkte aus,
sondern von einem um a Grade tiefer liegenden Nullpunkte aus ge-
Behandlung der vollkommenen Gase. 45
zählt wird. Diese von — a an gezählte Temperatur wollen wir die ah-
sölute Temperatur nennen, indem wir uns vorbehalten, diesen Namen
an einer anderen Stelle näher zu motiviren. Unter Voraussetzung
des in (2) angenommenen Werthes von « erhalten wir:
(7)
a = - = 273
T= 273 4- t.
§. 2. Nebenannahme in Bezug auf gasförmige Körper.
Gay-Lussac hat den Versuch gemacht, dass er ein mit Luft
gefülltes Gefäss mit einem gleich grossen luftleeren in Verbindung
setzte, so dass die eine Hälfte der Luft in dieses überströmte.
Indem er dann die Temperatur der beiden Hälften maass und mit
der ursprünglichen Temperatur der Luft verglich, fand er, dass
die übergeströmte Luft sich erwärmt und die zurückgebliebene
Luft sich um ebenso viel abgekühlt hatte, so dass die mittlere
Temperatur der ganzen Luftmasse nach der Ausdehnung dieselbe
war, wie vor der Ausdehnung. Es hatte also bei dieser Art von
Ausdehnung, bei welcher keine äussere Arbeit geleistet wurde, auch
kein Wärmeverlust stattgefunden. Zu demselben Ergebnisse ist
auch Joule 1) und später Regnault^) gekommen, welche ähnliche
Versuche mit grosser Sorgfalt ausgeführt haben.
* Man kann den entsprechenden Satz auch unabhängig von
jenen speciellen Experimenten durch gewisse in meiner ersten
Abhandlung enthaltene Schlüsse aus den sonst schon bekannten
Eigenschaften der Gase ableiten, wobei man zugleich den Grad
seiner Genauigkeit erkennen kann.
Die Gase zeigen nämlich in ihrem Verhalten, besonders in der
durch das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz aus-
gedrückten Beziehung zwischen Volumen, Druck und Temperatur,
eine so grosse Regelmässigkeit, dass man dadurch zu der Vor-
stellung geleitet wird, dass die gegenseitige Anziehung der Mole-
cüle, welche im Inneren der festen und tropfbar flüssigen Körper
wirkt, bei den Gasen schon aufgehoben sei, so dass die Wärme,
während sie bei jenen, um eine Ausdehnung zu bewirken, nicht
1) Phil. Mag. Ser. III, Vol. 26 und Joule, das mechanische Aequi-
valent der Wärme, übersetzt von Spengel, S. 65.
2) Comptes rendus t. 36, p. 680.
46 Abschnitt II.
bloss den äusseren Druck, sondern auch die inneren Anziehungen
überwinden muss, es bei den Gasen nur noch mit dem äusseren
Drucke zu thun habe. Ist dieses der Fall, so kann, wenn ein Gas
sich bei constanter Temperatur ausdehnt, dabei nur so viel Wärme
verbraucht werden, wie zu der äusseren Arbeit nöthig ist. Ferner
lässt sich auch nicht annehmen, dass die in dem Gase wirklich
vorhandene Wärmemenge, nachdem es sich bei constanter Tempe-
ratur ausgedehnt hat, grösser sei, als vorher. Giebt man auch
dieses zu, so erhält man folgenden Satz: ein permanentes Gas
verschlucM, wenn es sich bei constanter Temperatur ausdehnt, nur
so viel Wärme, wie zu der äusseren Arbeit, die es dabei leistet, ver-
braucht ivird.
Natürlich darf man aber diesem Satze keine strengere Gültig-
keit zuschreiben, als den Sätzen, aus welchen er abgeleitet ist,
sondern muss vielmehr annehmen, dass er für jedes Gas in eben
dem Grade genau ist, in welchem das Mariotte'sche und Gay-
Lussac'sche Gesetz auf dasselbe Anwendung findet. Nur für die
vollkommenen Gase darf man ihn als streng richtig ansehen.
In diesem Sinne habe ich den Satz in Anwendung gebracht,
und habe ihn als eine Nebenannahme mit den beiden Hauptsätzen
der mechanischen Wärmetheorie in Verbindung gesetzt und zu
weiteren Schlüssen benutzt.
Später hat W. Thomson, welcher mit einem der von mir
gezogenen Schlüsse anfangs nicht übereinstimmte, im Vereine mit
J, P. Joule es unternommen, die Richtigkeit des Satzes experimen-
tell zu prüfen i), und sie haben dazu mit vieler Sorgfalt eine Reihe
zweckmässig ersonnener Versuche angestellt, welche ihrer Wichtig-
keit wegen weiter unten noch näher besprochen werden sollen. Da-
bei hat sich nicht nur der Satz im Allgemeinen, sondern auch die
von mir über den Grad seiner Genauigkeit hinzugefügte Bemerkung
durchaus bestätigt. Für die von ihnen untersuchten sehr schwer
condensirbaren Gase, atmosphärische Luft und Wasserstoff, haben
sie den Satz so nahe richtig gefunden, dass die Abweichungen in
den meisten Rechnungen vernachlässigt werden können, während
sie bei dem zur Untersuchung ausgewählten leichter condensirbaren
Gase, der Kohlensäure, ganz so, wie es nach dem sonstigen Ver-
halten dieses Gases zu erwarten war, etwas grössere Abweichungen
beobachtet haben.
1) Phil. Transaet. of the Boy. Soc. of London for 1853, 1854 and 1862.
Beliandlung der vollkommenen Gase. 47
Hiernach wird man jetzt um so weniger Bedenken tragen, den
Satz für die wirklich bestehenden Gase als so nahe richtig, wie
das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz, und für die
vollkommenen Gase als streng richtig in Anwendung zu bringen.
§. 3. Formen, welche die den ersten Hauptsatz aus-
drückende Gleichung für vollkommene Gase annimmt.
Wir kehren nun zur Gleichung (IV.), nämlich:
d Q = du -\- pdv^
zurück , um sie auf ein vollkommenes Gas anzuwenden , wozu wir
uns wieder, wie weiter oben, eine Gewichtseinheit desselben gegeben
denken.
Der Zustand des Gases ist vollständig bestimmt, wenn seine
Temperatur und sein Volumen gegeben ist, und ebenso lässt er
sich durch Temperatur und Druck und durch Druck und Volumen
bestimmen. Wir wollen zunächst die beiden erstgenannten Grössen,
Temperatur und Volumen, zur Bestimmung des Zustandes des
Gases auswählen , und demgemäss T und v als die unabhängigen
Veränderlichen betrachten, von denen alle anderen auf den Zustand
des Gases bezüglichen Grössen abhängen. Indem wir dann auch
die Energie U des Gases als Function dieser beiden Veränderlichen
ansehen, können wir schreiben:
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
(8) dQ = y^dTJr(^^^p)äv.
Diese Gleichung, welche in der vorstehenden Form nicht bloss für
ein Gas, sondern für jeden Körper, dessen Zustand durch Tempe-
ratur und Volumen bestimmt wird, gültig ist, lässt sich für gas-
förmige Körper, wegen der besonderen Eigenschaften dieser
letzteren, noch wesentlich vereinfachen.
Die Wärmemenge, welche das Gas aufnehmen muss, wenn
es sich bei constanter Temperatur um dv ausdehnt, ist allgemein
durch ^^^^ zu bezeichnen. Da diese Wärmemenge nach der im
vorigen Paragraphen besprochenen Nebenannahme gleich der bei
der Ausdehnung geleisteten äusseren Arbeit ist, welche durch
pdv dargestellt wird, so erhalten wir die Gleichung:
48 Abschnitt II
dQ
woraus folgt:
^ dv = pdv,
ov
dv
Nun ist aber andererseits, gemäss der Gleichung (8), zu setzen:
d_Q_dJJ.
dv ~~ dv "^^'
und aus der Vereinigung beider Gleichungen ergiebt sich:
(9) 1^=0.
^ dv
Hieraus ist zu schliessen, dass die Energie U bei einem voll-
kommenen Gase vom Volumen unabhängig ist, und somit nur
eine Function der Temperatur sein kann.
O TT
Indem wir nun in der Gleichung (8) -— gleich Null setzen,
und für -jr-™ das Zeichen 0« einführen, geht sie über in:
(10) dQ = C^dT-j-pdv.
Aus der Form dieser Gleichung ersieht man sofort, dass C^ die
specifische Wärme des Gases bei constantem Volumen bedeutet, in-
dem CvdT die Wärmemenge ausdrückt, welche dem Gase bei der
Erwärmung um dT mitgetheilt werden muss, wenn dv gleich
Null ist. Da diese specifische Wärme gleich ^-=^, also gleich dem
nach der Temperatur genommenen Differentialcoefficienten einer
Temperaturfunction ist, so kann auch sie nur eine Function der
Temperatur sein.
In der Gleichung (10) kommen alle drei Grössen T, v und p
vor. Es ist aber leicht, mit Hülfe der Gleichung (6) eine derselben
zu eliminiren, und indem wir dieses der Reihe nach mit allen dreien
ausführen, erhalten wir drei verschiedene Formen der Gleichung.
Durch Elimination p geht sie über in:
(11) dQ= CvdT-\-—dv.
Um ferner v zu eliminiren, setzen wir:
_ BT
^ ~ p '
woraus folgt :
Beliandlung der vollkoiniiienfii Gase. 49
dv =^ —clT s-"i'-
p p^
Indem wir diesen Ausdruck von dv in (10) einsetzen und dann
die beiden Glieder, welche cZ T enthalten , zusammenziehen, be-
kommen wir:
(12) dQ = (a + B)dT — ^dp.
Um endlich T zu eliminiren, setzen wir gemäss (6):
^Ij' ^ ^tZjJ -j- pdv
H
wodurch (10) übergeht in:
(13) dQ = ^vdp -i- ^^ + ^pdv.
§. 4. Folgerung in Bezug auf die beiden specifischen
Wärmen und Umformung der vorigen Gleichungen.
Ebenso, wie aus der Gleichung (10) ersichtlich ist, dass die
darin als Factor von dT stehende Grösse Cv die speciüsche
Wärme bei constantem Volumen bedeutet, ist auch aus der Glei-
chung (12) ersichtlich, dass der in ihr vorkommende Factor von
d T, nämlich C^ -\- R^ die specifische Wärme hei constantem Drucke
darstellt. Wir können daher, wenn wir die letztere specifische
Wärme mit Cp bezeichnen, setzen:
(14) Cp = a + E,
welche Gleichung die Beziehung zwischen den beiden specifischen
Wärmen angiebt.
Da i? eineConstante ist, und C„, wie wir oben gesehen haben,
nur eine Function der Temperatur sein kann, so folgt aus dieser
Gleichung, dass auch Cp nur eine Function der Temperatur sein
kann.
Als ich zuerst in der oben erläuterten Weise aus der mecha-
nischen Wärmetheorie den Schluss zog, dass die beiden specifischen
Wärmen eines permanenten Gases von seiner Dichtigkeit, oder,
was auf dasselbe hinauskommt, von dem Drucke, unter dem es
steht, unabhängig sein müssen, und nur von der Temperatur ab-
hängen können, und noch die Bemerkung hinzufügte, dass sie
wahrscheinlich sogar constant seien, gerieth ich dadurch mit den
damals herrschenden Ansichten in Widerspruch. Zu jener Zeit
Clausius, meehan. Wävmetheorie. I. a
50 Abschnitt II.
galt es, in Folge der Versuche von Suermann und von de la
Roche und Berard, als feststehend, dass die specifische Wärme
der Gase vom Drucke abhängig sei, und der Umstand, dass die
neue Theorie zu einem anderen Resultate führte, erregte Miss-
trauen gegen dieselbe, und wurde u. A. von Holtzmann zu ihrer
Bekämpfung benutzt.
Einige Jahre später aber erfolgte die erste Publication der
schönen Untersuchungen von Regnault über die specifische Wärme
der Gasei), bei welchen auch der Einfluss des Druckes und der
Temperatur auf die specifische Wärme einer speciellen Prüfung
unterworfen ist. Regnault hat die atmosphärische Luft zwischen
1 und 1 2 Atmosphären und den Wasserstoff zwischen 1 und 9
Atmosphären Druck untersucht, hat aber keinen Unterschied in
der specifischen Wärme finden können. Die Temperatur hat er
in der Weise geändert, dass er die Untersuchungen zwischen — 30"
und -j- 100, zwischen 0" und 100" und zwischen 0^ und 200" an-
gestellt hat, und auch hierbei hat er die specifische Wärme immer
gleich gefunden 2). Das Resultat seiner Untersuchungen kann also
dahin ausgedrückt werden, dass innerhalb der Grenzen von Druck
und Temperatur, bis zu welchen seine Beobachtungen reichten,
die specifische Wärme der permanenten Gase sich constant zeigte.
Diese directen experimentellen Untersuchungen haben sich
freilich nur auf die specifische Wärme bei constantem Drucke
bezogen; man wird aber wohl kaum ein Bedenken tragen, dasselbe
Resultat nun auch für die andere specifische Wärme, welche sich
nach Gleichung (14) von jener nur durch die Constante B, unter-
scheidet, als richtig anzunehmen.' Demgemäss wollen wir im
Folgenden, wenigstens für die vollkommenen Gase, die beiden
specifischen Wärmen als constant behandeln.
Mit Hülfe der Gleichung (14) kann man die drei unter (11),
(12) und (13) gegebenen Gleichungen, welche den ersten Haupt-
1) Comptes rendus, T. XXXVI, 1853; später vollständig veröffentlicht
im zweiten Baude seiner Relation des experiences.
2) Die auf S. 108 des zweiten Bandes der Bei. des exp. für atmo-
sphäi'ische Luft angeführten, auf gewöhnliche Wärmeeinheiten bezüglichen
Zahlen sind :
zwischen — SO» und -f 10« 0,23771
„ 00 „ -}- 1000 0,23741
„ 00 „ 4- 2000 0,23751,
welche als gleich betrachtet werden können.
Behandlung der vollkommenen Gase.
51
satz der mechanischen Wärmetheorie für Gase ausdrücken, auch
so umgestalten, dass sie, statt der specifischen Wärme bei con-
stantem Volumen, diejenige bei constantem Drucke enthalten, was
vielleicht geeigneter erscheinen kann, weil die letztere, als die
durch directe Beobachtungen bestimmte, häufiger angeführt zu
werden pflegt, als die erstere. Dann lauten die Gleichungen :
(15)
Ti T
.dQ= CpdT
n
Ob —
BT
P
dp
dQ =
B
— vdp -| — :^ pdv.
Endlich kann man auch beide specifische Wärmen in die Glei-
chungen einführen und dafür die Grösse B eliminiren, wodurch
die Gleichungen in Bezug auf p und v symmetrischer werden,
nämlich :
dQ = C^dT-\- (C^ — Cv) -dv
(16)
dQ = C^dT-\-{C^ - Cp) -dp
dQ
Op
Or)
71 j^vdp + -^ — ^-^ pdv
In den obigen Gleichungen sind die specifischen Wärmen in
mechanischen Einheiten ausgedrückt. Will man sie in gewöhn-
lichen Wärmeeinheiten ausdrücken, so braucht man jene Werthe
nur durch das mechanische Aequivalent der Wärme zu dividiren.
Bezeichnet man also die in gewöhnlichen Wärmeeinheiten aus-
gedrückten specifischen Wärmen mit c„ und c^j, so hat man zu
setzen:
(17)
(-"iJ -n 1
^' ^^ — E'
Unter Anwendung dieser Zeichen geht die Gleichung (14), nach-
dem man alle Glieder durch E dividirt hat, über in:
(18)
.B
52 Abschnitt II.
§. 5. Verhältniss der beiden specifischen Wärmen und
Anwendung desselben zur Berechnung des mechanischen
Aequivalentes der Wärme.
Wenn durch irgend ein Gas, z. B. durch die atmosphärische
Luft, ein System von Schallwellen sich fortpflanzt, so wird das
Gas dabei abwechselnd verdichtet und verdünnt, und die Ge-
schwindigkeit, mit welcher der Schall sich fortpflanzt, hängt, wie
schon Newton nachgewiesen hat, davon ab, wie bei diesen Dich-
tigkeitsänderungen der Druck sich ändert. Für sehr kleine Dich-
tigkeits- und Druckänderungen dient als Ausdruck der zwischen
ihnen stattfindenden Beziehung der Dififerentialcoefficient des
Druckes nach der Dichtigkeit, also, wenn die Dichtigkeit, d. h. das
Gewicht der Volumeneinheit, mit q bezeichnet wird, der Diff'eren-
tialcoefficient y^- Unter Anwendung desselben erhalten wir für
die Schallgeschwindigkeit, welche wir mit u bezeichnen wollen,
folgende Gleichung:
(19), . '• = V^^.
worin g die Beschleunigung der Schwere bedeutet.
Um nun den Werth des Differentialcoefficienten -j^ zu be-
dQ
stimmen , "wandte Newton das Mar iotte' sehe Gesetz an, nach
welchem Druck und Dichtigkeit einander proportional sind. Er
setzte also:
l- = Const.,
Q
woraus man (
iurch Differentiation erhält
Qdp—pdg
Q'^ -"^
und somit:
(20)
dp p
d(i ()'
wodurch (19)
übergeht
in:
(21) ^ = V^ f •
Behandlung der vollkommenen Gase. 53
Die mit Hülfe dieser Formel berechnete Schallgeschwindigkeit
stimmt aber mit der Erfahrung nicht überein, und der Grund
dieser Differenz wurde, nachdem man sehr lange vergeblich danach
gesucht hatte, endlich von Laplace aufgefunden.
Das Mariotte'sche Gesetz gilt nämlich nur, wenn die Dich-
tigkeitsänderung bei constanter Temperatur vor sich geht. Dieses
ist aber bei den Schallschwingungen nicht der Fall, sondern bei
jeder Verdichtung findet gleichzeitig Erwärmung und bei jeder Ver-
dünnung Abkühlung statt. Demgemäss muss bei der Verdichtung
der Druck stärker zunehmen, und bei der Verdünnung der Druck
stärker abnehmen, als es nach dem MarioHe'schen Gesetze sein
sollte. Es fragt sich nun, wie unter diesen Umständen der Werth
des Differentialcoefficienten -^ bestimmt werden kann.
Da die Verdichtungen und Verdünnungen sehr schnell wech-
seln, so kann während einer so kurzen Zeit zwischen den ver-
dichteten und verdünnten Theilen des Gases nur ein sehr geringer
Wärmeaustausch stattfinden. Vernachlässigt man diesen, so hat
man es mit einer Dichtigkeitsänderung zu thun, bei welcher
die betreffende Gasmenge keine Wärme von Aussen empfängt oder
nach Aussen abgiebt, und man hat also, wenn man die Differen-
tialgleichungen des vorigen Paragraphen auf diesen Fall anwenden
will , 6^ ^ = 0 zu setzen. Thun wir dieses z. B. in der letzten der
Gleichungen (16), so lautet sie:
-ö — ^—rT '"^P + r — r P^'" "= ^'
oder nach Forthebung des gemeinsamen Nenners:
Cvvdp -{- Cppdv = 0.
Da nun das auf die Gewichtseinheit bezügliche Volumen v der
reciproke Werth der Dichtigkeit ist, so können wir setzen:
V = — , und daher dv ■= ^,
wodurch die Gleichung übergeht in:
dp „ pdQ
Q Q
und hieraus ergiebt sich:
(22) 1^=^^'-
^ ^ dg Cv Q
Dieser Werth des Differentialcoefficienten unterscheidet sich
von dem aus dem Mariotte'schen Gesetze abgeleiteten, unter (20)
^ ~^ — P — ^Ti — '
54 Abschnitt II.
gegebenen dadurch, dass das Verliältniss der beiden specifischen
Wärmen in ihm als Factor vorkommt. Dieses Verhältniss wollen wir
durch einen einfachen Buchstaben bezeichnen, indem wir setzen:
(23) ^ = ?f,
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
(24) iP=lcl.
Indem wir diesen Werth des Differentialcoefficienten in die Gleichung
(19) einsetzen, erhalten wir statt (21): .
(25) u = yjcg^^.
Mittelst dieser Gleichung kann man, wenn Je bekannt ist, die
Schallgeschwindigkeit u berechnen. Wenn dagegen die Schall-
geschwindigkeit durch Beobachtung bekannt ist, so kann man die
Gleichung zur Berechnung von h anwenden, indem man sie um-
formt in:
(26) 7. = ^.
Für die atmosphärische Luft ist die Schallgeschwindigkeit
mehrfach mit grosser Sorgfalt von verschiedenen Physikern be-
stimmt, deren Resultate unter einander nahe übereinstimmen.
Nach den Versuchen von Bravais und Martins i) beträgt die
Schallgeschwindigkeit bei der Temperatur des Gefrierpunktes
332,4 m. Diesen Werth wollen wir in die Gleichung (26) ein-
setzen. Ferner haben wir darin für g den bekannten Werth
9,809 m zu setzen. Bei der Bestimmung des Bruches — können
wir den Druck jj beliebig wählen , müssen aber dann für die Dich-
tigkeit Q den Werth setzen, welcher dem gewählten Drucke ent-
spricht. Wir wollen p als den Druck einer Atmosphäre annehmen.
Dieser Druck muss in der Formel durch ein auf einer Flächen-
einheit lastendes Gewicht dargestellt werden. Da dieses Gewicht
gleich demjenigen eines Quecksilberprismas ist, welches 1 Quadrat-
meter Grundfläche und 760 mm Höhe und folglich 760 Cubik-
decimeter Rauminhalt hat, und da nach Regnault das specifische
1) Ann. de Chim. S. III, t. 13, p. 5, und Pogg. Ann. Bd. 66, S. 351.
Behandlung der vollkommenen Gase. 55
Gewicht des Quecksilbers bei OP, verglichen mit Wasser von 4^',
gleich 13,596 ist, so erhalten wir:
p = 1 Atm. = 760 . 13,596 = 10333.
Unter q endlich haben wir das Gewicht eines Cubikmeter Luft
unter dem angenommenen Drucke von einer Atmosphäre und bei
der Temperatur 0" zu verstehen , welches nach Regnault
1,2932 kg beträgt. Durch Einsetzung dieser Werthe in die
Gleichung (26) erhalten wir:
(332,4)^. 1,2932
9,809 . 10333 '
Nachdem diese Grösse h für die atmosphärische Luft bestimmt
ist, können wir die Gleichung (18) dazu benutzen, die Grösse Ti",
d. h. das mechanische Äequivalent der Wärme^ zu berechnen, wie
es zuerst von Mayer geschehen ist. Aus (18) folgt nämlich:
R
E =
Cy
C
und wenn man hierin für den Bruch — , welcher derselbe ist wie
Cy
c
y^, wieder den Buchstaben li anwendet, und demgemäss Cy durch
-Y- ersetzt, so kommt:
K
(27) E ^^
(Je — 1) Cp
Hierin setzen wir für k den oben gefundenen Werth 1,410,
und für Cp nach Regnault den Werth 0,2375. Es bleibt also nur
noch die Grösse R = -^-^—^ zu bestimmen. Dabei nehmen wir Dq
a
wieder als den Druck einer Atmosphäre an, welcher dem Obigen
nach durch die Zahl 10333 auszudrücken ist, und haben dann
unter Vo das nach Cubikmeter gemessene Volumen von 1 kg Luft
unter dem genannten Drucke und bei der Temperatur 0« zu ver-
stehen, welches nach Regnault 0,7733 beträgt. Die Grösse a
endlich haben wir schon früher zu 273 angenommen. Demnach
wird R für atmosphärische Luft bestimmt durch die Gleichung :
10333 . 0,7733 _
^ 273 - ^^'^^-
Durch Einsetzung dieser Werthe von /<;, c^ und R in die Gleichung
(27) erhalten wir:
56 Abschnitt II.
1,410.29,27 _ .g.o
^ - 0,410 . 0,2375 - ^^^'^-
Diese Zahl stimmt mit der von Joule durch Reibung des
Wassers gefundenen Zahl 423,55 fast genau überein. Man muss
sogar sagen, dass die üebereinstimmung grösser ist, als man nach
dem Grade der Zuverlässigkeit der zur Rechnung angewandten
Data erwarten durfte, so dass auch der Zufall -etwas dabei mit-
gewirkt haben muss. Immerhin aber bildet diese üebereinstimmung
eine augenfällige Bestätigung der für die Gase aufgestellten
Gleichungen.
§. 6. Verschiedene auf die specifischen Wärmen der
Gase bezügliche Formeln.
Nimmt man in der Gleichung (18) die Grösse E als bekannt
an, so kann man die Gleichung dazu anwenden, aus der durch Be-
obachtung bestimmten specifischen Wärme bei constantem Drucke
diejenige bei constantem Volumen zu berechnen. Diese Anwen-
dung ist von besonderer Wichtigkeit, weil das Verfahren, das Ver-
hältniss der beiden specifischen Wärmen aus der Schallgeschwin-
digkeit abzuleiten, nur für wenige Gase ausführbar ist, indem die
Schallgeschwindigkeit nur für eine geringe Anzahl von Gasen durch
Beobachtung bestimmt ist. Für alle anderen Gase liefert die
Gleichung (18) das einzige bis jetzt vorhandene Mittel, die specifische
Wärme bei constantem Volumen aus derjenigen bei constantem
Drucke zu berechnen.
Dabei ist nun freilich zu bemerken, dass die Gleichung (18)
nur für vollkommene Gase streng richtig ist; indessen liefert sie
für die anderen Gase wenigstens angenäherte Resultate. Auch
ist der Umstand in Betracht zu ziehen, dass die Beobachtung der
specifischen Wärme eines Gases bei constantem Drucke um so
schwieriger und demgemäss die betreffende Beobachtungszahl um
so weniger zuverlässig ist, je weniger permanent das Gas ist,
und je mehr es daher in seinem Verhalten von den Gesetzen
eines vollkommenen Gases abweicht; und man kann daher, da
man von der Rechnung keine grössere Genauigkeit zu verlangen
braucht, als die Beobachtungszahlen möglicher Weise besitzen,
die angewandte Rechnungsweise als für den Zweck vollkommen
genügend betrachten.
BehaudluQg der vollkommenen Gase. 57
Wir schreiben die Gleichung zunächst in der Form:
(28) Cy = Cp — ^^
Für E wenden wir hierin den Werth 423,55 an. Die Grösse R
ist bestimmt durch die Gleichung (4), nämlich:
a
welche sich auf die Temperatur des Gefrierpunktes bezieht. Sollte
aber ein Gas sich bei dieser Temperatur nicht gut beobachten
lassen, was bei vielen Dämpfen der Fall ist, so kann man auch,
in Folge von (6), schreiben:
(29) B='^,
worin p, v und T irgend drei zusammengehörige Werthe von
Druck, Volumen und absoluter Temperatur sind.
Diese Grösse B ist, wie früher schon gelegentlich erwähnt
wurde, von der Natur des Gases nur insofern abhängig, als sie
dem specifischen Gewichte desselben umgekehrt proportional ist.
Bezeichnen wir nämlich das Volumen einer Gewichtseinheit atmo-
sphärischer Luft bei der Temperatur T und unter dem Drucke |9
mit v\ und den auf atmosphärische Luft bezüglichen Werth von
R mit JR', so ist:
Vereinigen wir diese Gleichung mit der vorigen, so erhalten wir:
R = R' -r
V
Der Bruch — ist aber, wie leicht zu sehen, der reciproke Werth
des specifischen Gewichtes des betreffenden Gases, verglichen mit
atmosphärischer Luft. Bezeichnen wir dieses specifische Gewicht
mit d^ so geht die letzte Gleichung über in:
(30) ie = f.
Durch Einsetzung dieses Werthes von R in (28) erhält man:
(31) Cv = Cp — "^77*
Der hierin mit R' bezeichnete, auf die atmosphärische Luft
bezügliche Werth der Grösse R ist schon in §. 5 berechnet, und
zu 29,27 gefunden. Daraus ergiebt sich weiter:
58 Abschnitt II.
tL — '^^^'^"^ — 0 0691
wodurch die zur Bestimmung der specifischen Wärme bei con-
stantem Volumen dienende Gleichung folgende sehr einfache Form
annimmt :
— _ Q'Q^^^
\o2i) Cv — ^p ^1 '
Wenn wir diese Gleichung zunächst auf die atmosphärische
Luft, für welche ^ = 1 zu setzen ist, anwenden, und dabei die
auf die Luft bezüglichen Zeichen der specifischen Wärmen zur
Unterscheidung mit Accenten versehen, so kommt:
(33) c'y = c'p — 0,0691,
und, wenn wir hierin für c'p nach Regnault die Zahl 0,2375
setzen, so erhalten wir das Resultat:
(34) c; = 0,2375 — 0,0691 = 0,1684.
Für die anderen Gase wollen wir der Gleichung noch fol-
gende Form geben:
.o.^ Cpd - 0,0691
(35) Cy = -^ ^ ,
welche, wie wir später sehen werden, bei der Anwendung der von
Regnault für die specifische Wärme bei constantem Drucke ge-
gebenen Werthe besonders bequem ist.
Die mit Cp und c^ bezeichneten specifischen Wärmen beziehen
sich auf eine Gewichtseinheit des Gases, und haben als Einheit die
gewöhnliche Wärmeeinheit, nämlich die Wärmemenge, welche eine
Gewichtseinheit Wasser zur Erwärmung von O** bis l** bedarf. Man
kann also sagen: das Gas ist in Bezug auf die Wärme, welche es
entweder bei constantem Drucke oder bei constantem Volumen
zur Erwärmung bedarf, dem Gewichte nach mit Wasser verglichen.
Es ist aber bei Gasen gebräuchlicher, sie dem Volumen nach
mit Luft 0u vergleichen, d. h. die specifische Wärme so zu bestim-
men, dass man die Wärmemenge, welche das Gas zur Erwärmung
um einen Grad bedarf, vergleicht mit der Wärmemenge, welche
ein gleiches Volumen Luft, bei gleicher Temperatur und unter
gleichem Drucke genommen, zu derselben Erwärmung bedarf.
Diese Art der Vergleichung wendet man bei beiden specifischen
Wärmen an, indem man bei der einen annimmt, dass sowohl das
betrachtete Gas, als auch die atmosphärische Luft bei constantem
Drucke erwärmt wird, und bei der anderen annimmt, dass beide
Behandlung der vollkommenen Gase. 59
bei coüstantem Volumen erwärmt werden. Die so bestimmten
specifischen Wärmen mögen durch yp und y^. bezeichnet werden.
Da wir das Volumen, welches eine Gemchtseinheit des Gases
bei gegebener Temperatur und unter gegebenem Drucke einnimmt,
mit V bezeichnen, so wird die Wärmemenge, welche eine Volumen-
einheit des Gases bei constantem Dnicke zur Erwärmung um einen
Grad bedarf, durch -^ dargestellt, und für die atmosphärische Luft
V
wird die entsprechende Grösse durch -j- dargestellt. Durch Divi-
sion dieser beiden Grössen entsteht yjj, und es ist somit zu setzen:
(36) yp=^^ i =^ ^ = ^4d.
V Cp Cp V Cp
Ebenso erhält man:
(37) n. = '^f?.
In der ersten dieser beiden Gleichungen bringen wir nun für
Cp den von Regnault gefundenen Werth 0,2375 in Anwendung,
so dass sie lautet:
In der zweiten setzen wir für c[. gemäss (34) den Werth 0.1684.
und für c\. den in (35) gegebenen Ausdruck, wodurch entsteht:
(39) y, =
Cpd — 0,0691
0.1684
§. 7. Numerische Berechnung der specifischen Wärme
bei constantem Volumen.
Die im vorigen Paragraphen entwickelten Formeln habe ich
angewandt, um aus den Werthen, welche Regnault durch seine
Beobachtungen bei einer grossen Anzahl von Gasen und Dämpfen
für die specilische Wärme bei constantem Drucke gefunden hat,
die entsprechenden Werthe der specifischen Wärme bei constantem
Volumen zu berechnen.
Dabei habe ich auch eine der beiden von Regnault selbst
gegebenen Zahlenreihen etwas umgerechnet Regnault hat
nämlich die specifische Wärme bei constantem Drucke in zwei ver-
schiedenen Weisen ausgedrückt, und die betrefienden Zahlen in
zwei Reihen zusammengestellt, welche er ^en poids'^ und „en vohime'^
überschrieben hat. Die erste Reihe enthält die Werthe, welche
60 Abschnitt II.
entstehen, wenn man die Gase in Bezug auf die zu ihrer Erwär-
mung nöthigen Wärmemengen dem Gewichte nach mit Wasser
vergleicht, also die Werthe der oben mit c^ bezeichneten Grösse.
Die Zahlen der zweiten Reihe sind aus denen der ersten einfach
durch Multiplication mit den zugehörigen specifischen Gewichten
abgeleitet, es sind also die Werthe des Productes Cpd.
Diese letzteren Zahlen waren freilich die, welche sich aus den
beobachteten Werthen von c^ am leichtesten berechnen Hessen,
aber ihre Bedeutung ist ziemlich complicirt. Als Einheit der
Wärmemenge dient bei ihnen die gewöhnliche Wärmeeinheit, wäh-
rend das Volumen, auf welches sie sich beziehen, dasjenige ist,
welches eine Gewichtseinheit atmosphärischer Luft einnimmt, wenn
sie sich bei derselben Temperatur und unter demselben Drucke
befindet, wie das betrachtete Gas. Diese Weitläufigkeit des wört-
lichen Ausdruckes macht die Zahlen für die Auffassung und An-
wendung unbequem; auch ist diese Art, die specifische Wärme der
Gase auszudrücken, so viel ich weiss, vor Regnault von Niemand
angewandt. Wenn man die Gase dem Volumen nach betrachtete,
so pflegte man dieses sonst immer in der Weise zu thun, dass man
die Wärmemenge, welche ein gegebenes Volumen eines Gases zur
Erwärmung bedarf, mit der Wärmemenge verglich, welche ein
gleiches Volumen atmosphärischer Luft unter gleichen Umständen
zur gleichen Erwärmung bedarf, was wir oben kurz so ausgedrückt
haben , dass die Gase dem Volumen nach mit Luft verglichen wer-
den. Die dadurch gewonnenen Zahlen zeichnen sich durch ihre Ein-
fachheit aus, und lassen die bei den specifischen Wärmen der Gase
bestehenden Gesetzmässigkeiten besonders deutlich hervortreten.
Es wird daher, wie ich glaube, gerechtfertigt erscheinen, dass
ich aus den von Regnault unter der Ueberschrift „ew volume^^
gegebenen Werthen des Productes c^d die Werthe der oben be-
sprochenen Grösse y^ berechnet habe, wozu nach (38) nur nöthig
war, die Werthe von c^d durch 0,2375 zu dividiren.
Ferner habe ich die Werthe der Grössen c^ und y„ berechnet,
was nach den Gleichungen (35) und (39) sehr einfach dadurch
geschehen konnte, dass von den Werthen des Productes Cpd die
Zahl 0,0691 abgezogen und die Differenz entweder durch d oder
durch 0,1684 dividirt wurde.
Die so berechneten Zahlen habe ich in der nachstehenden
Tabelle zusammengestellt, in welcher die einzelnen Columnen
folgende Bedeutungen haben.
Behanfllnng der vollkommennn Oase. 61
Columne I. Die Namen der Gase.
Columne IL Die chemische Zusammensetzung, und zwar in
der Weise ausgedrückt, dass daraus unmittelbar die bei der Ver-
bindung eingetretene Volumenverminderung zu ersehen ist. Es
sind nämlich jedesmal diejenigen Volumina der einfachen Gase
angegeben, welche sich verbinden müssen, um zwei Volumina des
zusammengesetzten Gases zu geben. Dabei ist für Kohlengas das
hypothetische Volumen vorausgesetzt, welches man annehmen muss,
um sagen zu können: ein Volumen Kohlengas verbindet sich mit
einem Volumen Sauerstoff zu Kohlenoxydgas und mit zwei Volumen
Sauerstoff zu Kohlensäure. Wenn hiernach in der Tabelle z. B.
Alkohol bezeichnet ist: CgHeO, so soll das heissen: 2 Vol. hypo-
thetisches Kohlengas, 6 Vol. Wasserstoff und 1 Vol. Sauerstoff
geben 2 Vol. Alkoholdampf, Bei Schwefelgas ist zur Bestimmung
des Volumens dasjenige specifische Gewicht als maassgebend be-
trachtet, welches Sainte-Claire Deville und Troost bei sehr
hohen Temperaturen gefunden haben, nämlich 2,23. Bei den fünf
letzten Verbindungen der Tabelle, welche Kiesel, Phosphor, Arsen,
Titan und Zinn enthalten, sind für diese einfachen Stoffe ihre ge-
wöhnlichen chemischen Zeichen, ohne Rücksicht auf ihre Volumina
im gasförmigen Zustande, hingeschrieben, weil die Gasvolumina
dieser Stoffe theils noch unbekannt, theils mit gewissen noch nicht
hinlänglich aufgeklärten Unregelmässigkeiten behaftet sind.
Columne III. Die JDichtigkeit der Gase, und zwar die von
Regnault angeführten Zahlen.
Columne IV. Die specifische Wärme hei constantem DnicJce
dem Geivichte nach verglichen mit Wasser, oder, was dasselbe ist,
bezogen auf eine Gewichtseinheit der Gase und ausgedrückt in
gewöhnlichen Wärmeeinheiten. Dieses sind die Zahlen, welche
Regnault unter der Rubrik „en poids'-^ gegeben hat.
Columne V. Die specifische Wärme hei constantem DrucJce dem
Volumen nach verglichen mit Lufl, dadurch berechnet, dass die
von Regnault unter der Rubrik „en volume^^ gegebenen Zahlen
durch 0,2375 dividirt sind.
Columne VI. Die specifische Wärme hei constantem Volumen
dem Geivichte nach verglichen mit Wasser, nach Gleichung (35)
berechnet.
Columne VII. Die specifische Wärme hei constantem Volumen
dem Volumen nach verglichen mit Luft, nach Gleichung (39) be-
rechnet.
62
Abschnitt II.
Namen der Gase
Chemi-
sche Zu-
sammen-
setzunsc
III.
Dich-
tigkeit
IV. I V.
Specif. Wärme bei
constantem Drucke
dem Ge-
wichte
nach ver-
glichen
mit Was-
ser
dem Vo-
lumen
nach ver-
glichen
mit Luft
VI. I VII.
Specif. Wärme bei
constantem Volumen
dem Ge-
wichte
nach ver-
glichen
mit Was-
ser
dem Vo-
lumen
nach ver-
glichen
mit Luft
Atmosphärische Luft . .
Sauerstofi"
Stickstoff
Wasserstoff
Chlor
Brora
Stickstoffoxyd
Kohlenoxyd
Chlorwasserstoff . . . .
Kohlensäure
Stickstofioxydul . , . .
Wasserdampf
Schweflige Säure . . . .
Schwefelwasserstoff . .
Schwefelkohlenstoff . .
Grubengas
Chloroform
Oelbildendes Gas . . .
Ammoniak
Benzin
Terpentinöl
Holzgeist
Alkohol
Aether
Schwefeläthyl
Chloräthyl
Bromäthyl
Holländische Flüssigkeit
Aceton
Essigäther
Kieselchlorür
Phosphorchlorür . . . ,
Arsenchlorür
Titanchlorid
Zinnchlorid
O2
H2
CI2
Bl"2
NO
CO
HCl
CO2
N2O
H2O
SO2
HgS
CH4
CHCI3
C2H4
NH3
CeHg
C10H16
CH,0
CäHfiO
C4H10O
C^HjoS
C2H5CI
CaHgBr
C2H4CI2
CgHeO
C4 Hg Og
SiClg
PC13
AsGIg
TiCl^
SnCl4
1
1,1056
0,9713
0,0692
2,4502
5,4772
1,0384
0,9673
1,2596
1,5290
1,5241
0,6219
2,2113
1,1747
2,6258
0,5527
4,1244
0,9672
0,5894
2,6942
4,6978
1,1055
1,5890
2,5573
3,1101
2,2269
3,7058
3,4174
2,0036
3,0400
5,8833
4,7464
6,2667
6,6402
8,9654
0,2375
0,21751
0,24380
3,40900
0,12099
0,05552
0,2317
0,2450
0,1852
0,2169
0,2262
0,4805
0,1544
0,2432
0,1569
0,5929
0,1567
0,4040
0,5084
0,3754
0,5061
0,4580
0,4534
0,4797
0,4008
0,2738
0,1896
0,2293
0,4125
0,4008
0,1322
0,1347
0,1122
0,1290
0,0939
1
1,013
0,997
0,993
1,248
1,280
1,013
0,998
0,982
1,39
1,45
1,26
1,44
1,20
1,74
1,38
2,72
1,75
1,26
4,26
10,01
2,13
3,03
5,16
5,25
2,57
2,96
3,30
3,48
5,13
3,27
2,69
2,96
3,61
3,54
0,1684
0,1551
0,1727
2,411
0,0928
0,0429
0,1652
0,1736
0,1304
0,172
0,181
0,370
0,123
0,184
0,131
0,468
0,140
0,359
0,391
0,350
0,491
0,395
0,410
0,453
0,379
0,243
0,171
0,209
0,378
0,378
0,120
0,120
0,101
0,119
0,086
1
1,018
0,996
0,990
1,350
1,395
1,018
0,997
0,975
1,55
1,64
1,36
1,62
1,29
2,04
1,54
3,43
2,06
1,37
5,60
13,71
2,60
3,87
6,87
6,99
3,21
3,76
4,24
4,50
6,82
4,21
3,39,
3,77
4,67
4,59
Beliandliiug der vollkommenen Gase. 63
§. 8. Integration der Differentialgleichungen, welche
den ersten Hauptsatz für Gase ausdrücken.
Die in den §§. 3 und 4 aufgestellten Difi'erentialgleichnngen,
welche in verschiedenen Formen den ersten Hauptsatz der mecha-
nischen Wärmetheorie für Gase ausdrücken, sind, wie man an jeder
einzelnen leicht erkennen kann, nicht unmittelbar integrabel, und
sie müssen daher so behandelt werden, wie es in §. 3 der Einleitung
auseinandergesetzt ist.
Die Integration lässt sich nämlich ausführen, sobald die in
der betreffenden Gleichung vorkommenden Veränderlichen einer
Bedingung unterworfen werden, wodurch der Weg der Veränderung
bestimmt wird. Wir wollen in dieser Weise hier nur zwei sehr
einfache Beispiele behandeln, deren Resultate für die weiteren
Untersuchungen von Wichtigkeit sind.
1) Das Gas soll bei constantem Drucke sein Volumen ändern,
und die dazu nöthige Wärmemenge soll bestimmt werden.
Für diesen Fall wählen wir aus den obigen Gleichungen eine
solche aus, welche p und v als unabhängige Veränderliche ent-
hält, z. B. die letzte der Gleichungen (15), nämlich:
d Q = ^ p — vdp -| — ^pdv.
Da nun der Druck p constant sein soll, so setzen wir p = p^ und
dp = 0, wodurch die Gleichung übergeht in:
dQ = ^pidv,
und diese giebt durch Integration, wenn wir den Anfangswerth
von V mit Vi bezeichnen:
(40) Q=%Pi(v-vO.
2) Das Gas soll bei constanter Temperatur sein Volumen
ändern, und die dazu nöthige Wärmemenge soll bestimmt werden.
Für diesen Fall wählen wir eine Gleichung, welche T und v
als unabhängige Veränderliche enthält, z. B. die Gleichung (11),
nämlich :
dQ= CvdT4-—dv.
64 Abschnitt II.
Da T constant sein soll, so setzen wir T = Ti^ und (ZT = 0,
wodurch entsteht:
dQ = BT, — .
Durch Integration dieser Gleichung erhalten wir:
(41) Q = BTJog^^,
worin unter log der natürliche Logarithmus verstanden wird. Hier-
aus folgt zunächst der Satz: ive^m ein Gas ohne Temperatur-
änderung sein Volumen so ändert^ dass die auf einander folgenden
Volumina eine geometrische Reihe hilden, so bilden die von ihm
aufgenommenen oder abgegebenen Wärmemengen eine arithmetische
Reihe.
Wenn man ferner für R den Bruch ^i, ^ setzt, so kommt:
(42) Q=p,vJog ^'
Fasst man diese Gleichung in dem Sinne auf, dass man sie nicht
gerade auf eine Gewichtseinheit des Gases bezieht, sondern auf
eine solche Menge desselben, welche unter dem Drucke p, ein ge-
gebenes Volumen v, einnimmt, und dann dieses Volumen bei con-
stanter Temperatur bis v ändert, so enthält die Gleichung nichts,
was sich auf die besondere Natur des Gases bezieht. Die auf-
genommene Wärmemenge ist also von der Natur des Gases unab-
hängig. Auch von der Temperatur hängt sie nicht ab, sondern nur
vom Drucke, indem sie dem anfänglichen Druche proportional ist.
Eine andere Anwendung der in den §§. 3 und 4 aufgestellten
Differentialgleichungen besteht darin, dass über die dem Gase
während seiner Zustandsänderung mitzutheilende Wärme eine
Annahme gemacht und dann untersucht wird, welchen Verlauf
unter diesen Umständen die Zustandsänderung nehmen muss.
Die einfachste und zugleich wichtigste Annahme dieser Art
ist die, dass dem Gase während der Veränderung gar 'keine Wärme
mitgetheilt oder entzogen wird. Man kann sich dazu vorstellen, das
Gas befinde sich in einer für Wärme undurchdringlichen Hülle,
oder die Veränderung gehe so schnell vor sich, dass in der kurzen
Zeit keine merkliche Wärmemenge zu- oder abströmen könne.
Dieser Annahme entsprechend haben wir d Q = 0 zu setzen,
was wir in den drei unter (16) gegebenen Gleichungen thun wollen.
Behandlung der vollkommenen Gase. 05
Die erste dieser Gleichungen lautet dann:
C^dT^ (Cj, — C) ~dv = 0.
Diese Gleichung wollen wir durch T und Cy dividiren, und dann
C
den Bruch -^^ wie oben, mit /.; bezeichnen, wodurch sie über-
geht in:
Hieraus ergiebt sich durch Integration:
log T ^ (k — l)logv = Const.,
oder:
Tv^-^ = Const.
Bezeichnen wir die Anfangswerthe von T und v mit Tj und Vi und
eliminiren dann die unbestimmte Constante, so kommt:
Wendet man diese Gleichung z. B. auf atmosphärische Luft
an, und setzt dabei Ä= 1,410, so kann man leicht die Temperatur-
änderung, welche irgend einer Volumenänderung entspricht, be-
rechnen. Nimmt man z. B. an, es sei bei der Temperatur des
Gefrierpunktes unter einem beliebigen Drucke eine Quantität Luft
genommen, und sei in einer für Wärme undurchdringlichen Hülle
oder sehr schnell auf die Hälfte ihres Volumens zusammengedrückt,
so hat man T, = 273 und — = 2 zu setzen, und es kommt also:
V
2^3 = 2o.«o = 1,329,
woraus folgt:
T= 273 . 1,329 = 363,
oder, wenn t die vom Gefrierpunkte an gezählte Temperatur be-
deutet :
t = T — 213 = 900.
Wenn man dieselbe Rechnung für die Zusammendrückungen
auf Y4 und Yio (ies ursprünglichen Volumens ausführt, so erhält
man die Resultate, welche mit dem vorigen vereint in der nach-
stehenden kleinen Tabelle zusammengestellt sind:
Clausius, median. Wärmetheorie. I. k
66
Abschnitt II.
V
^1
V2
V4
Vio
T
273
1,329
1,765
2,570
T
363
482
702
t
900
2090
4290
p
Setzt man in der mveiten der Gleichungen (16) dQ = 0^ so
kommt :
Cj,dT-{- (0„ — C^) - dp = 0.
Diese Gleichung ist von derselben Form, wie die vorher behandelte,
nur dass p an die Stelle von v getreten ist und die Grössen C^ und
Cp vertauscht sind. Man muss also in ganz entsprechender Weise
erhalten: _
Z
woraus folgt:
(l)-(0'-
Die letde der Gleichungen (16) endlich geht, wenn dQ = 0
gesetzt wird, in die schon im §. 5 angewandte Gleichung
-^ — ^^—rrväp -\- jn — ^—TTpdv =: 0
Über, welche sich umformen lässt in:
p V
und durch Integration giebt:
(45) £ = (2iY.
Py \VJ
§. 9. Bestimmung der äusseren Arbeit bei Volumen-
änderungen eines Gases.
Eine Grösse, welche bei der Ausdehnung der Gase noch
speciell beachtet zu werden verdient, ist die dabei geleistete äussere
Arbeit, deren Element durch die Gleichung (6) des vorigen Ab-
schnittes bestimmt wird, nämlich:
dW ^= pdv.
Belifindluno; der vollkominenen Gase.
67
Fiff. 3„
Diese Arbeit lässt sich in sehr anschaulicher Weise graphisch
darstellen. Wir führen dazu ein rechtwinkeliges Coordinatensystem
ein, dessen Abscisse das Volumen v und dessen Ordinate den
Druck p bedeutet. Denkt man sich nun, dass p durch irgend eine
Function von v ausgedrückt sei, nämlich:
P =fM:
so ist diese Gleichung die Gleichung einer Curve, deren Ordinaten
die zu den verschiedenen Werthen von v gehörigen Werthe von p
darstellen, und welche wir kurz die Druckcurve nennen wollen.
In Fig. 3 möge rs diese Curve
sein, so dass, wenn oe das in einem
gewissen Momente stattfindende
Volumen v bedeutet, dann die in
e errichtete Ordinate ef den
gleichzeitig stattfindenden Druck
p darstellt. Bedeutet ferner die
als unendlich klein angenommene
Strecke eg ein Volumenelement
dv^ und wird in g ebenfalls die
Ordinate gh errichtet, so entsteht
dadurch ein unendlich schmales Paralleltrai^ez eflig, dessen
Flächeninhalt die bei der unendlich kleinen Ausdehnung geleistete
äussere Arbeit darstellt, und von dem Producte pdv nur um ein
unendlich Kleines zweiter Ordnung, welches vernachlässigt werden
kann, abweicht. Dasselbe gilt von jeder anderen unendlich kleinen
Ausdehnung , und man sieht daraus , dass bei einer endlichen Aus-
dehnung, von dem durch die Abscisse oa repräsentirten Volumen
v^ bis zu dem durch oc repräsentirten Volumen Vg» die äussere
Arbeit, für welche die Gleichung
0\. a --'e
(46)
W
= I pdv
gilt, durch den Flächeninhalt des Vierecks ah de dargestellt wird,
welches durch das Abscissenstück ac, die beiden Ordinaten ab
und cd und das Curvenstück hd begrenzt wird.
Um nun die in der vorstehenden Gleichung angedeutete Inte-
gration wirklich ausführen zu können, muss die Function von y,
durch welche der Druck p bestimmt wird, bekannt sein. In dieser
Beziehung wollen wir die oben schon betrachteten Fälle als Bei-
spiele wählen.
Abschnitt II."
Wir nehmen zunächst an, der Bruch p sei constant. Dann ist
die Druckcurve eine der Abscissenaxe parallele Gerade, und das
Viereck aide ist somit ein Rechteck (Fig. 4), dessen Flächeninhalt
Fiff. 4. Fig. 5.
gleich dem Producte aus den Strecken ae und ah ist, und dem
entsprechend erhält man aus (46), wenn der constante Druck mit
Pi bezeichnet wird:
(47) W — i\ {v^ — V,).
Die zweite Annahme möge sein, dass hei der Ausdehnung des
Gases die Temperatur constant hleihe. Dann gilt für die Beziehung
zwischen Druck und Volumen das Mariotte'sche Gesetz, welches
durch die Gleichung
pv = Const.
ausgedrückt wird. Aus der Form dieser Gleichung sieht man, dass
die Druckcurve für diesen Fall eine gleichseitige Hyperbel (Fig. 5)
ist, welche die Coordinatenaxen zu Asymptoten hat. Eine Druck-
curve solcher Art, welche der speciellen Bedingung, dass die Tem-
peratur constant sei, entspricht, pflegt man eine isotJiermische
Curve zu nennen.
Zur Ausführung der Integration wenden wir, gemäss der
vorigen Gleichung, in welcher wir noch die Constante durch das
Product piVj_ ersetzen, für p den Werth ^^-^ an, und erhalten
dann aus (46):
(48)
W
'"2
r dv , V.2
Man sieht, dass dieser Werth von W mit dem unter (42) für Q
gegebenen übereinstimmt, was darin seinen Grund hat, dass das
Behandluno; der vollkommenen Gase.
69
Gas während einer bei constanter Temperatur stattfindenden Aus-
dehnung nur so viel Wärme aufnimmt, wie zu äusserer Arbeit
verbraucht wird.
Die Gleichung (48j hat Joule bei einer seiner Bestimmungen
des mechanischen Aequivalentes der Wärme angewandt. Er
pumpte nämlich in einen festen Recipienten atmosphärische Luft
bis zur zehnfachen oder zwanzigfachen Verdichtung ein. Dabei
befand sich der Recipient und die Pumpe unter Wasser, so dass
alle Wärme, welche beim Pumpen erzeugt wurde, in dem Wasser
gemessen werden konnte. Der dabei angewandte Apparat ist in
Fig. 6 abgebildet, in welcher B der Recipient und C die Pumpe
Fig. 6.
ist. Das Gefäss G diente, wie man leicht sieht, zum Austrocknen
der Luft und das mit dem Spiralrohr versehene Gefäss W dazu,
der Luft vor ihrem Eintritte in die Pumpe eine genau bekannte
Temperatur zu geben. Von der im Calorimeter gemessenen Wärme-
menge zog Joule den Theil ab, welcher nur durch die Reibung
70
Abschnitt II.
der Pumpe erzeugt war, und welchen er dadurch bestimmte, dass
er die Pumpe eine ebenso lange Zeit unter demselben mittleren
Druck, aber ohne Zutritt von äusserer Luft bewegte, und die dadurch
entstehende Wärme beobachtete. Den nach Abzug derselben bleiben-
den Rest betrachtete er als die durch die Compression der Luft er-
zeugte Wärme, und diese verglich er mit der nach der Gleichung (48)
berechneten, zur Compression verbrauchten Arbeit, Daraus ergab
sich als Mittel von zwei Versuchsreihen der Werth 444 Kilogram-
meter für das mechanische Aequivalent der Wärme.
Dieser Werth stimmt freilich mit dem durch Reibung des
Wassers gefundenen Werthe 424 nicht ganz überein, was seinen
Grund wohl in den grösseren Fehlerquellen bei den mit der Luft
angestellten Versuchen hat. Immerhin war aber zu jener Zeit, wo
der Satz, dass die zur Erzeugung einer gewissen Wärmemenge
nöthige Arbeit unter allen Umständen gleich ist, noch nicht fest-
stand, die Uebereinstimmung der auf ganz verschiedene Weisen
gefundenen Werthe gross genug, um zur Bestätigung des Satzes
mit beizutragen.
Die dritte Annahme zur Bestimmung der Arbeit möge sein,
dass das Gas in einer für Wärme undurchdringlichen Hülle sein
Volumen ändere, oder, was auf dasselbe hinauskommt, dass die
Volumenänderung so schnell vor sich gehe, dass während der Zeit
Tiein merhliches Zu- oder Abströmen von Wärme stattfinden Mnne.
In diesem Falle wird die Beziehung zwischen Druck und
Volumen durch die unter (45) gegebene Gleichung
ausgedrückt. Die dieser Gleichung entsprechende Druckcurve
=(^y
Fig. 7.
(Fig. 7) fällt steiler ab, als die in
Fig. 5 dargestellte. Rankine hat
die specielle Art von Druckcurven,
welche der Ausdehnung in einer
für Wärme undurchdringlichen
Hülle entspricht (von dLccßciivsLv,
hindurchgehen), adiabatische
Curven genannt. Gibs dagegen
hat vorgeschlagen (Trans, of the
Connecticut Acad. Vol. II, p, 309),
sie isentropische Curven zu nennen,
weil bei dieser Ausdehnung die
Behaudkiiijj; der vollkomnieLien Gase.
71
Entropie, eine Grösse, von der weiter unten die Rede sein wird,
constant bleibt. Dieser Benennungsweise will ich mich anschliessen,
weil es sehr zweckmässig und auch allgemein üblich ist, derartige
Curven nach derjenigen Grösse zu benennen, welche bei dem be-
treffenden Vorgange constant bleibt.
Um in diesem Falle die Integration auszuführen, setzen wir
gemäss der vorigen Gleichung:
, 1
P=PlV,'^ -5-,
wodurch (46) übergeht in:
^2
W = /;■ y/ / ^- = f^ V ( -- — -
V2'
Ip
oder, anders geschrieben:
(49)
W =
IhVi
- (-T
ABSCHNITT IIL
Zweiter Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie.
§. 1. Betrachtung eines Kreisprocesses von specieller
Art.
Um den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie
ableiten und beweisen zu können, wollen wir davon ausgehen,
einen Kreisprocess von specieller Art in seinen einzelnen Theilen
zu verfolgen und in der oben angegebenen Weise graphisch dar-
zustellen.
Zu dem letzteren Zwecke wollen wir annehmen, der Zustand
des veränderlichen Körpers sei durch sein Volumen v und seinen
Druck p bestimmt, und wollen, wie oben, ein rechtwinkeliges Coor-
dinatensystem in der Ebene einführen, von welchem die Abscisse
das Volumen und die Ordinate den Druck bedeutet. Dann ent-
spricht jeder Punkt der Ebene einem gewissen Zustande des
Körpers, in welchem sein Volumen und sein Druck dieselben
Werthe haben, wie die Abscisse und die Ordinate des Punktes.
Ferner wird jede Veränderung des Körpers durch eine Linie dar-
gestellt, deren Anfangs- und Endpunkt den Anfangs- und End-
zustand bestimmen, und deren Verlauf angiebt, in welcher Weise
sich der Druck mit dem Volumen ändert.
Es sei nun in Fig. 8 der Anfangszustand des Körpers, von
welchem der Kreisprocess beginnt, durch den Punkt a angegeben,
indem die Abscisse oe = Vi das Anfangsvolumen und die Ordinate
ea = pi den Anfangsdruck bedeute. Durch diese beiden Grössen
ist zugleich auch die Anfangstemperatur bestimmt, welche wir
Ti nennen wollen.
Zweiter Hauptsatz. 73
Nun soll der Körper sich zuerst ausdehnen, während seine
Temperatur constant J\ bleibt. Da er sich bei der Ausdehnung,
wenn ihm dabei keine Wärme mitgetheilt würde, abkühlen müsste,
so nehmen wir an, er sei mit einem als Wärmereservoir dienen-
den Körper Ki in Verbindung gesetzt, welcher die Temperatur
Ti hat, und diese während des Processes nicht merklich ändert.
Von diesem Körper soll der veränderliche Körper während der
Ausdehnung so viel Wärme erhalten, dass auch er dieselbe Tem-
peratur Ti beibehält.
Die Curve, welche bei dieser Ausdehnung den Druck darstellt,
ist ein Stück einer isothermiscJien Curve. Um bei der graphischen
Darstellung dieser und den anderen noch vorkommenden Curven
bestimmte Gestalten geben zu können, wollen wir, ohne die Be-
Fig. 8. trachtung selbst auf einen be-
stimmten Körper zu beschränken,
doch die Figur so zeichnen, wie
sie sich für ein vollkommenes
Gas gestaltet. Dann ist die iso-
thermische Curve, wie schon oben
erwähnt, eine gleichseitige Hyper-
bel, und wenn die Ausdehnung
vom Volumen oe = Vi bis zum
Volumen of = Vi geschieht, so erhalten wir von dieser gleich-
seitigen Hyperbel das Stück ah.
Nachdem das Volumen Vi erreicht ist, denken wir uns den
Körper Ki fortgenommen, und lassen nun den veränderlichen
Körper für sich allein seine Ausdehnung fortsetzen, ohne dass
ihm Wärme mitgetheilt wird. Dann sinkt seine Temperatur und
wir erhalten als Druckcurve eine isentro^nsche Curve, welche stei-
ler abfällt, als die isothermische Curve. Diese Ausdehnung möge
bis zum Volumen og =: V^ vor sich gehen, wobei wir das Curven-
stück J) c erhalten. Die dabei erreichte niedrigere Temperatur
möge T.2 heissen.
Von nun an soll der Körper wieder zusammengedrückt wer-
den, um ihn wieder in sein ursprüngliches Volumen zu bringen.
Zunächst möge eine Zusammendrückung bei der constant en Tem-
peratur T., stattfinden, wozu wir uns den veränderlichen Körper
mit einem als W^ärmereservoir dienenden Körper K2 von der
Temperatur To in Verbindung gesetzt denken, an welchen er
während der Zusammendrückung so viel Wärme abgiebt, dass
74
Abschnitt III.
er die Temperatur T^ beibehält. Die dieser Zusammendrückung
entsprechende Druckcurve ist wieder eine isothermische Curve
und speciell für ein vollkommenes Gas eine andere gleichseitige
Hyperbel, von welcher wir bei der Volumenabnahme bis oJi = v-2
das Stück cd erhalten.
Die letzte Zusammendrückung endlich, welche den veränder-
lichen Körper wieder in sein anfängliches Volumen bringt, soll
ohne den Körper K.2 stattfinden, so dass also die Temperatur
steigt, wobei dann der Druck nach einer isentropischen Curve
wächst. Wir wollen nun annehmen, das Volumen oli = v^, bis
zu welchem die erste Zusammendrückung geschah, sei so gewählt,
dass die von diesem Volumen beginnende und bis zum Volumen
oe = Vi fortschreitende Zusammendrückung gerade ausreiche,
um die Temperatur wieder von T.^ auf T^ zu erhöhen. Wenn
dann zugleich mit dem anfänglichen Volumen auch die anfäng-
liche Temperatur erreicht wird, muss auch der Druck wieder den
anfänglichen Werth annehmen, und die letzte Druckcurve muss
daher gerade den Punkt a treffen. Indem somit der Körper zu
seinem durch a angedeuteten ursprünglichen Zustande wieder
zurückgekehrt ist, ist der Kreisprocess vollendet.
§. 2. Resultat des Kreisprocesses.
Bei den beiden im Kreisprocesse vorkommenden Ausdehnun-
gen des veränderlichen Körpers muss der äussere Druck über-
Fig. 9.
wunden werden, und es wird da-
her äussere Arbeit geleistet, und
bei den Zusammendrückungen
wird umgekehrt äussere Arbeit
verbraucht. Diese Arbeitsgrössen
sind unmittelbar aus der hier
wieder abgedruckten Figur er-
sichtlich. Die bei der Ausdeh-
nung ab geleistete Arbeit wird
durch das Viereck eabf darge-
stellt, und ebenso die bei der Ausdehnung bc geleistete durch
das Viereck fbcg. Ferner wird die bei der Zusammendrückung
cd verbrauchte Arbeit durch das Viereck gcdh und die bei der
Zusammendrückung t^a verbrauchte Arbeit durch das Viereck hdae
Zweiter Hauptsatz. 75
dargestellt. Die letzten beiden Arbeitsgrössen sind wegen der
bei den Zusammendrückungen herrschenden niedrigeren Tempe-
ratur und des dadurch bedingten geringeren Druckes kleiner, als
die beiden ersten, und wenn wir sie von diesen abziehen, so
bleibt ein Ueberschuss an geleisteter äusserer Arbeit, welcher
durch das Viereck ah cd dargestellt wird, und welchen wir mit
W bezeichnen wollen.
Dieser gewonnenen äusseren Arbeit muss, gemäss der Glei-
chung (5 a) des ersten Abschnittes, eine Menge Q von verbrauchter
Wärme entsprechen, welche ihr an Werth gleich ist. Der ver-
änderliche Körper erhielt aber während der ersten, durch ah
dargestellten Ausdehnung, welche in Verbindung mit dem Körper
Kl stattfand, von diesem eine gewisse Wärmemenge, welche wir
Qi nennen wollen, und während der ersten, durch cd darge-
stellten Zusammendrückung, welche in Verbindung mit dem Kör-
per K^ stattfand, gab er an diesen eine gewisse Wärmemenge
ab, welche Q.j heissen möge. Während der zweiten Ausdehnung
h c und der zweiten Zusammendrückung d a wurde dem veränder-
lichen Körper weder Wärme mitgetheilt noch entzogen. Da nun
während des ganzen Kreisprocesses eine gewisse Wärmemenge Q
zu Arbeit verbraucht ist , so muss die Wärmemenge Qi , welche
der veränderliche Körper empfangen hat, grösser sein, als die
Wärmemenge Q.2^ welche er wieder abgegeben hat, so dass die
Differenz Qy — Qo gleich Q ist.
Demgemäss können wir setzen:
(1) _ Qi=Q,+ Q.
und können somit in der Wärmemenge Q^^ welche der veränder-
liche Körper von dem Körper Ki erhalten hat, zwei Theile unter-
scheiden, deren einer Q in Arbeit verwandelt ist, während der
andere Q.2 als Wärme an den Körper K^ wieder abgegeben ist.
Da in allen übrigen Beziehungen zu Ende des Kreisprocesses
vdeder der ursprüngliche Zustand hergestellt ist, und folglich
jede Veränderung, welche in einem Theile des Kreisprocesses
stattgefunden hat, durch eine entgegengesetzte in einem anderen
Theile des Kreisprocesses eingetretene Veränderung wieder auf-
gehoben ist, so können wir das Resultat des Kreisprocesses
schliesslich so aussprechen. Die eine aus dem Körper K^ stam-
mende Wärmemenge Q ist in Arbeit verwandelt^ und die andere
Wärmemenge Q2 ist aus dem Körper Ki in den Jcälteren Körper
K2 ühergegangen.
76 Abschnitt III.
Wir können den ganzen vorher beschriebenen Kreisprocess
auch in umgekehrter Weise vor sich gehen lassen. Indem wir
wieder von dem durch den Punkt a angedeuteten Zustande aus-
gehen, bei welchem der veränderliche Körper das Volumen Vy
und die Temperatur Tj hat, denken wir uns, dass er zuerst ohne
Mittheilung von Wärme sich bis zum Volumen v-2 ausdehne, und
somit die Curve ad beschreibe, wobei seine Temperatur von T^
bis T.2 sinke; dass er sodann in Verbindung mit dem Körper K^
und daher bei der constanten Temperatur T^ sich von v.2 bis Y.^
ausdehne und die Curve de beschreibe, wobei er von dem Kör-
per K^ Wärme empfange; dass er darauf ohne Entziehung von
Wärme von V^ bis Fi zusammengedrückt werde und die Curve
ch beschreibe, wobei seine Temperatur von T^ bis T^ steige, und
dass er endlich in Verbindung mit dem Körper K^ bei der con-
stanten Temperatur T^ und unter Abgabe von Wärme an Ki
von dem Volumen Fi bis zum Anfangsvolumen Vi zusammen-
gedrückt werde und die Curve h a beschreibe.
Bei diesem umgekehrten Processe sind die durch die Vier-
ecke eadli und hdcg dargestellten Arbeitsgrössen geleistete oder
positive und die durch die Vierecke gchf und fhae dargestellten
Arbeitsgrössen verbrauchte oder negative. Die verbrauchten sind
also grösser wie die geleisteten, und somit ist der durch das
Viereck ah cd dargestellte Rest in diesem Falle verbrauchte kvh^ii.
Ferner hat der veränderliche Körper von dem Körper K^ die
Wärmemenge Q^ empfangen und an den Körper Ki die Wärme-
menge Qi = Q2 -\- Q abgegeben. Von den beiden Theilen, aus
denen Q^ besteht, entspricht der eine Q der verbrauchten Arbeit
und ist durch dieselbe entstanden , während der andere ^2 von
dem Körper K<2 zum Körper K^ übertragen ist. Wir können so-
mit das Resultat des umgekehrten Kreisprocesses folgen dermaassen
zusammenfassen. Die Wärmemenge Q ist durch Arbeit entstanden
und an den Körper Kx abgegeben, und die Wärmemenge Q2 ist aus
dem kälteren Körper K^ in den ivärmeren Körper Ki übergegangen.
§. 3. Kreisprocess eines aus Flüssigkeit und Dampf
bestehenden Körpers.
Da wir in den vorigen Paragraphen, obwohl wir bei der Be-
sprechung des Kreisprocesses keine beschränkende Annahme über
die Natur des veränderlichen Körpers machten, doch die graphische
Zweiter Hanpisatz.
77
l
Darstellung des Processes so ausgeführt haben, wie sie einem
vollkommenen Gase entspricht, so wird es vielleicht zweckmässig
sein, für einen Körper von anderer Art den Kreisprocess noch
einmal zu betrachten, um zu sehen, wie seine äussere Gestaltung
sich mit der Natur des Körpers ändern kann. Wir wollen näm-
lich einen solchen Körper zur Betrachtung auswählen, welcher
nicht in allen seinen Theilen einen und denselben Aggregat-
zustand hat, sondern zum Theil flüssig, zum Theil dampfförmig
im Maximum der Dichtigkeit ist.
Es sei also in einem ausdehnsamen Gefässe eine Flüssigkeit
enthalten, welche aber nur einen Theil des Raumes ausfülle und
den übrigen Theil für den Dampf freilasse, der die Dichte hat,
Fio-. 10. welche der stattfindenden Tempe-
ratur Ti als Maximum entspricht.
Das Gesammtvolumen beider sei
in Fig. 10 durch die Abscisse oe
und der Druck des Dampfes durch
die Ordinate e a dargestellt. Nun
gebe das Gefäss dem Drucke nach,
und erweitere sich, während Flüs-
sigkeit und Dampf mit einem
Körper Ki von der constanten Temperatur Ti in Berührung
seien. So wie der Raum grösser wird, verdampft mehr Flüssig-
keit, aber die dabei verbrauchte Wärme wird immer wieder vom
Körper Ki ersetzt, so dass die Temperatur und mit ihr auch der
Druck des Dampfes ungeändert bleiben. Die auf diese Ausdeh-
nung bezügliche isothermische Curve ist also eine der Abscissen-
axe parallele Gerade. Wenn auf diese Weise das Gesammtvolu-
men von oe bis of angewachsen ist, so ist dabei eine äussere
Arbeit erzeugt, die durch das Rechteck eahf dargestellt wird. —
Jetzt nehme man den Körper Ki fort, und lasse das Gefäss sich
noch mehr erweitern, während weder Wärme hinein noch heraus
kann. Dabei wird theils der vorhandene Dampf sich ausdehnen,
theils neuer entstehen, und demzufolge wird die Temperatur sin-
ken und somit auch der Druck abnehmen. Dieses setze man fort,
bis die Temperatur aus Ti in Tj übergegangen ist, wobei das
Volumen og erreicht werde. Wird die während dieser Ausdeh-
nung stattfindende Druckabnahme durch die Curve &c, welche
eine isentropische Curve ist, dargestellt, so ist die dabei erzeugte
äussere Arbeit := fbcg.
78 Abschnitt 111.
Nun drücke man das Gefäss zusammen, um die Flüssigkeit
mit dem Dampfe wieder auf ihr ursprüngliches Gesammtvolumen
oe zurückzubringen; und zwar geschehe diese Zusammendrückung
zum Theil in Berührung mit dem Körper K2 von der Tempera-
tur Tg, auf den alle bei der Cohdensation des Dampfes entstehende
Wärme übergehe , so dass die Temperatur constant = T^ bleibe,
zum Theil ohne diesen Körper, so dass die Temperatur steige,
und man richte es so ein, dass die erste Zusammendrückung nur
so weit (bis oh) fortgesetzt werde, dass der dann noch bleibende
Raum he gerade hinreiche, um die Temperatur wieder von T^ bis
Tx zu erhöhen. Während der ersten Volumenverringerung bleibt
der Druck unveränderlich = gc, und die dabei verbrauchte
äussere Arbeit ist gleich dem Rechtecke gcdh. Während der
letzten Volumenverringerung nimmt der Druck zu und werde dar-
gestellt durch die isentropische Curve da^ welche gerade im
Punkte a enden muss, da der ursprünglichen Temperatur T^ auch
wieder der ursprÜDgliche Druck ea entsprechen muss. Die zu-
letzt verbrauchte äussere Arbeit ist = hdae.
Am Schlüsse der Operation sind Flüssigkeit und Dampf wie-
der in ihrem ursprünglichen Zustande und der Kreisprocess ist
somit vollendet. Der Ueberschuss der positiven über die nega-
tive äussere Arbeit, also die während des Kreisprocesses im Gan-
zen gewonnene äussere Arbeit W wird wieder durch das Viereck
ah cd dargestellt. Dieser Arbeit muss der Verbrauch einer ihr
gleichen Wärmemenge Q entsprechen, und wenn wir daher die
während der Ausdehnung mitgetheilte Wärme wieder mit Q^ und
die während der Zusammendrückung entzogene Wärme mit Q-j
bezeichnen, so ist Q^ gleich Q^ -\- Q zu setzen und das End-
resultat des Kreisprocesses besteht daher auch hier darin, dass
die Wärmemenge Q in Arbeit verwandelt, und die Wärmemenge
Q2 aus dem wärmeren Körper Ki in den kälteren Körper K^
übergegangen ist.
Auch dieser Kreisprocess kann umgekehrt ausgeführt werden,
wobei dann die Wärmemenge Q durch Arbeit erzeugt und an
den Körper Ki abgegeben, und die Wärmemenge Q2 vom kälteren
Körper K^ zum wärmeren Körper K^ übertragen wird.
Ebenso kann man mit verschiedenen anderen veränderlichen
Körpern Kreisprocesse dieser Art, die graphisch durch zwei iso-
thermische und zwei isentropische Curven dargestellt werden, aus-
führen, wobei zwar die Form der Curven von der Natur des ver-
i
Zweiter Hauptsatz. 79
änderlichen Körpers abhängt, aber das Resultat des Processes
immer in gleicher Weise darin besteht, dass Eine Wärmemenge
in Arbeit verwandelt oder durch Arbeit erzeugt wird, und eine
andere Wärmemenge aus einem wärmeren in einen kälteren Kör-
per, oder umgekehrt, übergeht.
Es lässt sich nun die Frage stellen, oh die in Arbeit venvan-
delte oder durch Arbeit erzeugte Wärmemenge zu derjenigen Wärme-
menge, loelche aus dem wärmeren in den kälteren Körper oder um-
gehehrt übergeht, in einem allgemein gültigen Verhältnisse steht,
oder ob das zivischen ihnen obwaltende Verhältniss je nach der
Natur des veränderlichen Körpers, welcher den Vorgang vermittelt,
verschieden ist.
§. 4. Carnot's Ansicht über die in einem Kreisprocesse
geleistete Arbeit.
S. Carnot, welcher zuerst darauf aufmerksam geworden war,
dass bei der Hervorbringung von mechanischer Arbeit Wärme aus
einem wärmeren in einen kälteren Körper übergeht, und dass um-
gekehrt durch Verbrauch von mechanischer Arbeit Wärme aus
einem kälteren in einen wärmeren Körper geschaßt werden kann,
und welcher auch den vorher beschriebenen einfachen Kreisprocess
ersonnen hat (der dann von Clapeyron zuerst graphisch darge-
stellt ist), hat sich von dem ursächlichen Zusammenhange jener
Vorgänge eine eigenthümliche Ansicht gebildet i).
Zu seinerzeit war noch allgemein jene schon oben besprochene
Vorstellung verbreitet, dass die Wärme ein besonderer Stoff sei,
welcher in einem Körper in grösserer oder geringerer Quantität
vorhanden sein könne, und dadurch die Verschiedenheiten der
Temperatur bedinge. Dieser Vorstellung gemäss war man der
Meinung, dass die Wärme wohl die Art ihrer Vertheilung ändern
könne, indem sie aus einem Körper in einen anderen übergehe,
und dass sie ferner in verschiedenen Zuständen existiren könne,
die man mit den Worten „latent" und „frei" bezeichnete; dass
aber die Quantität der im Ganzen vorhandenen Wärme sich
weder vermehren noch vermindern lasse, da ein Stoff nicht neu
erzeugt und nicht vernichtet werden könne.
Dieser Meinung war auch Carnot und er betrachtete es da-
her als selbstverständlich , dass die Wärmemengen , welche der
1) Reflexions sur la puissance motrtce du feu. Paris 1824.
80 Abschuitt III.
veränderliche Körper während emes Kreisprocesses von Aussen
aufnimmt und nach Aussen abgiebt, unter einander gleich seien,
so dass sie sich gegenseitig aufheben. Er spricht dieses sehr
bestimmt auf S. 37 seines Buches aus, wo er sagt: „Nous suppose-
rons que les quantites de chaleur absorbees et degagees
dans ses diverses transformations sont exactement compensees.
Ce fait n'a jamais ete revoque en doute; il a ete d'abord admis
Sans reflexion et verifie ensuite dans beaucoup de cas par les
experiences, du calorimetre. Le nier, ce serait renverser toute
la theorie de la chaleur, ä laquelle il sert de base."
Da hiernach die Quantität der vorhandenen Wärme nach
dem Kreisprocesse dieselbe sein sollte, wie vor demselben, und da
doch ein Gewinn an Arbeit vorlag, so suchte Carnot diesen
letzteren aus dem Herabsinken der Wärme von einer höheren zu
einer tieferen Temperatur zu erklären. Er verglich diesen ab-
steigenden Wärmeübergang, welcher besonders bei der Dampf-
maschine augenfällig ist, wo das Feuer Wärme an den Dampf-
kessel abgiebt und das Kühlwasser des Condensators umgekehrt
Wärme empfängt, mit dem Herabsinken des Wassers von einer
höheren zu einer tieferen Stelle, wodurch eine Maschine in Be-
wegung gesetzt und somit Arbeit geleistet werden kann. Dem-
gemäss wendet er auf S. 28 seines Buches, nachdem er den Aus-
druck „la chute d'eau" gebraucht hat, in entsprechender Weise
für das Herabsinken der Wärme von einer höheren zu einer tiefe-
ren Temperatur den Ausdruck „la chute du calorique" an.
Von dieser Betrachtung ausgehend, stellte er den Satz auf,
dass die Grösse der geleisteten Arbeit zu dem gleichzeitig statt-
findenden Wärmeübergange, d. h. zu der Quantität der übergehen-
den Wärme und den Temperaturen der Körper, zwischen denen
sie übergeht, in einer gewissen allgemein gültigen Beziehung stehen
müsse, welche von der Natur desjenigen Stoffes, durch welchen
die Arbeitsleistung und der Wärmeübergang vermittelt wird, un-
abhängig sei. Sein Beweis für die Nothwendigkeit einer solchen
bestimmten Beziehung stützt sich auf den Grundsatz, dass es un-
möglich sei, bewegende Kraft aus Nichts bu schaffen^ oder mit
anderen Worten, dass ein Perpetuum -Mobile unmöglich sei.
Diese Betrachtungsweise stimmt aber mit unseren jetzigen
Anschauungen nicht überein, indem wir vielmehr annehmen, dass
zur Hervorbringung von Arbeit eine entsprechende Menge Wärme
verbraucht werde, und dass demnach die während des Kreispro-
Zweiter Hauptsatz. 81
cesses nach Aussen abgegebene Wärmemenge geringer sei, als
die von Aussen aufgenommene. Wenn nun aber zur Hervorbrin-
gung von Arbeit Wärme verbraucht wird, so kann natürlich, mag
neben dem Verbrauche von Wärme noch gleichzeitig ein Uebcr-
gang einer anderen Wärmemenge von einem wärmeren zu einem
kälteren Körper stattfinden, oder nicht, doch keinesfalls davon
die Rede sein, dass die Arbeit aus Nichts entstanden sei. Dem-
nach bedurfte nicht nur der Satz, welchen Gar not ausgesprochen
hatte, einer Aenderung, sondern es musste auch für den Beweis
eine andere Basis gesucht werden, als diejenige, aufweiche Car-
not den seinigen gegründet hatte.
§. 5. Ein neuer Grundsatz in Bezug auf die Wärme.
Verschiedene Betrachtungen über das Verhalten und die Natur
der Wärme hatten mich zu der Ueberzeugung geführt, dass das
bei der Wärmeleitung und der gewöhnlichen Wärmestrahlung
hervortretende Bestreben der Wärme von wärmeren zu kälteren
Körpern überzugehen, und dadurch die bestehenden Temperatur-
differenzen auszugleichen, so innig mit ihrem ganzen Wesen ver-
knüpft sei, dass es sich unter allen Umständen geltend machen
müsse. Ich stellte daher folgenden Satz als Grundsatz auf:
Die Wärme kann nicht von selbst aus einem kälteren in
einen tvärmeren Körper übergehen.
Die hierin vorkommenden Worte „von selbst", welche der
Kürze wegen angewandt sind, bedürfen, um vollkommen verständ-
lich zu sein, noch einer Erläuterung, welche ich in meinen Abhand-
lungen an verschiedenen Orten gegeben habe. Zunächst soll darin
ausgedrückt sein, dass durch Leitung und Strahlung die Wärme
sich nie in dem wärmeren Körper auf Kosten des kälteren noch
mehr anhäufen kann. Dabei soll dasjenige, was in dieser Beziehung
über die Strahlung schon früher bekannt war, auch auf solche
Fälle ausgedehnt werden, wo durch Brechung oder Reflexion die
Richtung der Strahlen irgend wie geändert, und dadurch eine
Concentration derselben bewirkt wird. Ferner soll der Satz sich
auch auf solche Processe beziehen, die aus mehreren verschiedenen
Vorgängen zusammengesetzt sind, wie z. B. Kreisprocesse der oben
beschriebenen Art. Durch einen solchen Process kann allerdings
(wie wir es bei der umgekehrten Ausführung des obigen Kreis-
Clausiiis, median. Wäriuethcorie. I, R
82 Abschnitt III.
processes gesehen haben), Wärme aus einem kälteren iTi einen
wärmeren Körper übertragen werden; unser Satz soll aber aus-
drücken , dass dann gleichzeitig mit diesem Wärmeübergange aus
dem kälteren in den wärmeren Körper entweder ein entgegen-
gesetzter Wärmeübergang aus einem wärmeren in einen kälteren
Körper stattfinden oder irgend eine sonstige Veränderung eintreten
muss, welche die Eigenthümlichkeit hat, dass sie nicht rückgängig
werden kann, ohne ihrerseits, sei es unmittelbar oder mittelbar,
einen solchen entgegengesetzten Wärmeübergang zu veranlassen.
Dieser gleichzeitig stattfindende entgegengesetzte Wärmeübergang
oder die sonstige Veränderung, welche einen entgegengesetzten
Wärmeübergang zur Folge hat, ist dann als Compensation jenes
Wärmeüberganges von dem kälteren zum wärmeren Körper zu
betrachten, und unter Anwendung dieses Begriffes kann man die
Worte „von selbst" durch die Worte „ohne Compensation" er-
setzen, und den obigen Satz so aussprechen:
Ein Wärmeübergang atis einem kälteren in einen wärmeren
Körper kann nicJit ohne Compensation stattfinden.
Dieser von mir als Grundsatz hingestellte Satz hat viele An-
fechtungen erfahren, und ich habe ihn daher zu wiederholten Malen
vertheidigen müssen, wobei ich immer nachweisen konnte, dass
die Einwände nur dadurch veranlasst waren, dass die Erscheinun-
gen, in welchen man einen uncompensirten Wärmeübergang aus
einem kälteren in einen wärmeren Körper zu finden geglaubt hatte,
unrichtig aufgefasst waren. Es würde aber an dieser Stelle den
Gang unserer Betrachtungen zu sehr unterbrechen, wenn ich die
Einwände und ihre Widerlegungen hier mittheilen wollte. Ich
will daher bei den hier folgenden Auseinandersetzungen den Satz,
welcher gegenwärtig, wie ich glaube, von den meisten Physikern
als richtig anerkannt wird, einfach als einen Grundsatz in An-
wendung bringen, so wie ich es in meinen Abhandlungen gethan
habe, und behalte mir vor, weiter unten auf die über ihn geführ-
ten Discussionen noch etwas näher einzugehen.
§. 6. Beweis, dass das Verhältniss zwischen der in Arbeit
verwandelten Wärme und der übergegangenen Wärme
von der Natur des vermittelnden Stoffes unabhängig ist.
Unter Annahme des vorstehenden Grundsatzes lässt sich be-
weisen, dass zwischen der Wärmemenge Q, welche in einem Kreis-
Zweiter Hauptsatjc. 83
processe der oben beschriebenen Art in Arbeit verwandelt (oder
bei der umgekehrten Ausführung des Processes durch Arbeit er-
zeugt) wird, und der Wärmemenge Q.^^ welche aus einem wärmeren
in einen kälteren Körper (oder umgekehrt) übergeht, ein Verhält-
niss besteht, welches von der Natur des veränderlichen Körpers,
der die Verwandlung und den Uebergang vermittelt, unabhängig
ist, dass also, wenn unter Anwendung derselben Wärmereservoire
Ä^i und Ki mit verschiedenen veränderlichen Körpern Krcisprocesse
ausgeführt werden, dann das Verhältniss —^ bei allen gleich ist.
Denkt man sich die Krcisprocesse ihrer Grösse nach immer
so eingerichtet, dass die Wärmemenge Q, welche in Arbeit ver-
wandelt wird, einen bestimmten Werth hat, so handelt es sich nur
noch um die Grösse der übergegangenen Wärmemenge ^21 und
der Satz, welcher bewiesen werden soll, lautet dann: wenn bei
Anwendung zweier verschiedener veränderlicher Körper die in Arbeit
verwandelte Wärmemenge Q gleich ist, so muss auch die über-
gegangene Wärmemenge Q.2 gleich sein.
Angenommen, es gebe zwei Körper G und C" (z. B, das oben
betrachtete Gas und die aus Flüssigkeit und Dampf bestehende
Masse), für welche, bei gleichem Werthe von Q^ die übergegan-
genen Wärmemengen verschiedene Werthe haben, die mit ^2 und
^2 bezeichnet werden mögen, und von denen Q'^ grösser als Q^
sei, so können wir in folgender Weise verfahren. Zuerst lassen
wir den Körper C den Kreisprocess in dem Sinne durchmachen,
dass die Wärmemenge Q in Arbeit verwandelt und die Wärme-
menge Q.2 von ^1 nach K2 übergeführt wird. Darauf lassen wir
den Körper C den Kreisprocess im umgekehrten Sinne durch-
machen, wobei die Wärmemenge Q durch Arbeit erzeugt und die
W^ärmemenge Q'^ von K^ nach K^ übergeführt wird.
Die beiden hierbei vorkommenden Verwandlungen aus Wärme
in Arbeit und aus Arbeit in Wärme heben sich gegenseitig auf,
denn, nachdem im ersten Krcisprocesse die Wärmemenge Q^ welche
aus dem Körper K^ stammt, in Arbeit verwandelt ist, kann man
sich denken, dass eben diese Arbeit im zweiten Krcisprocesse wie-
der verbraucht wurde , um die Wärmemenge Q zu erzeugen , die
dann wieder an den Körper Ki abgegeben ist. Auch im Uebrigen
befindet sich zu Ende der beiden Operationen Alles wieder im ur-
sprünglichen Zustande, mit Ausnahme Einer Veränderung, die
übrig geblieben ist. Da nämlich die von K<2 zu Ki übergegangene
6*
84 Abschnitt III.
Wärmemenge Q'^ der Annahme nach grösser ist, als die von K^ zu
Zg übergegangene Wärmemenge ^2, so heben sich diese beiden
Wärmeübergänge nicht vollständig auf, sondern es ist schliesslich
die durch die Differenz Q^— Q.2 dargestellte Wärmemenge von K2
zu Kl übergegangen. Wir gelangen also zu dem Resultate, dass
ein Wärmeübergang aus einem kälteren in einen wärmeren Körper
ohne eine sonstige, als Conipensation dienende Veränderung statt-
gefunden habe. Da dies dem Grundsatze widerspricht, so muss
die Annahme, dass Q'^ grösser als Q^ sei, unrichtig sein.
Würden wir die andere Annahme machen, dass Q'^ kleiner
als ^2 sei, so könnten wir uns denken, dass der Körper C den
Kreisprocess im ersten Sinne und der Körper C im umgekehrten
Sinne durchmache. Dann würden wir zu dem Resultate gelangen,
dass die Wärmemenge Q^ — Q'2 ohne Conipensation vom kälteren
Körper K2 zum wärmeren Körper Ki übergegangen sei, was aber-
mals dem Grundsatze widerspräche.
Wenn demnach Q'2 weder grösser noch kleiner als Q2 sein
kann, so müssen beide gleich sein, womit der obige Satz be-
wiesen ist.
Wir wollen nun dem auf diese Weise gewonnenen Resultate
noch eine für die folgenden Entwickelungen möglichst bequeme
mathematische Form geben. Da der Bruch -^ von der Natur des
veränderlichen Körpers unabhängig ist, so kann er nur noch von
den Temperaturen der beiden als Wärmereservoire dienenden Kör-
per Kl und K2 abhängen. Dasselbe gilt natürlich auch von der
Summe 1 -[- ^1 ^i^f^i da wir ferner schreiben können:
V2 'z-2 V2
so können wir den letzten Bruch, welcher das Verhältniss zwischen
der aufgenommenen und der abgegebenen Wärme dargestellt, zur
weiteren Betrachtung auswählen, und das gewonnene Resultat da-
hin ausdrücken, dass der Bruch jr- nur von den Temperaturen
Ti und T2 abhängen Tcann. Demgemäss bilden wir die Gleichung:
(2) |^=0(r„T,),
worin ^{Ti.T^) eine Function der beiden Temperaturen bedeuten
soll, welche von der Natur des veränderlichen Körpers unabhängig ist.
Zweiter Hauptsatz.
85
§. 7. Bestimmung der Function 0{T^,T,).
Der Umstand, dass die in der Gleichung (2) vorkommende
Function der beiden Temperaturen von der Natur des veränder-
lichen Körpers unabhängig ist, giebt uns ein Mittel an die Hand,
diese Function zu bestimmen, denn sobald für irgend einen Kör-
per die Form der Function gefunden ist, kann diese Form als die
allgemein gültige betrachtet werden.
Unter den verschiedenen Körperclassen eignen sich nun ganz
besonders die vollkommenen Gase zu einer solchen Bestimmung,
weil deren Gesetze am genauesten bekannt sind. Wir wollen da-
her einen mit einem vollkommenen Gase ausgeführten Kreisprocess
betrachten, wie er schon in der zu §. 1 gehörigen Fig. 8, welche
hier noch einmal Platz finden möge, graphisch dargestellt ist, in-
dem damals bei der Construction der Figur beispielsweise ein voll-
kommenes Gas als veränderlicher Körper angenommen wurde.
Fig. 11. Die in diesem Kreisi^rocesse vor-
kommenden Wärmemengen ^1 und
^25 welche das Gas bei der Aus-
dehnung ah (Fig. 11) aufnimmt
und bei der Zusammendrückung
cd abgiebt, wollen wir berechnen
und unter einander vergleichen.
Dazu müssen wir unsere Auf-
mft-ksamkeit zunächst auf die
durch die Abscissen oe, oh, o/ und og dargestellten und mit Vj,
^2, Fl und Fa bezeichneten Volumina richten, um die zwischen
ihnen bestehende Beziehung abzuleiten.
Die durch oe und oli dargestellten Volumina Vy und v^ bil-
den die Grenzen derjenigen Volumeuänderung, auf welche die
isentropische Curve ad sich bezieht, und welche man nach Be-
lieben als Ausdehnung oder als Zusammendrückung geschehen
lassen kann. Eine solche Volumenänderung, bei welcher das
Gas keine Wärme empfängt oder abgiebt, haben w' schon in
§. 8 des vorigen Abschnittes behandelt, und haben folgende dort
unter (43) gegebene Gleichung gefunden:
T
Absclinitt III.
und wenn wir für unseren gegenwärtigen Fall die Endtemperatur
und das Endvolumen mit T^ und v^ bezeichnen, so erhalten wir:
(3) ^ — V
ii yv-i
Ganz ebenso erhalten wir bei Betrachtung der durch die isen-
tropische Curve hc dargestellten Volumenänderung:
Aus der Vereinigung dieser beiden Gleichungen ergiebt sich:
n _^
oder umgeschrieben:
(5) ^ = h.
Vi V.2
Nun wenden wir uns zu der durch die isothermische Curve
ab dargestellten Volumenänderung, welche bei der constanten
Temperatur Ti zwischen den Grenzen v^ und Fj vor sich geht.
Die bei einer solchen Volumenänderung aufgenommene oder ab-
gegebene Wärmemenge haben wir auch schon im §. 8 des vorigen
Abschnittes bestimmt, und gemäss der dort unter (41) gegebenen
Gleichung können wir für unseren gegenwärtigen Fall setzen:
(6) Q^=BTilog^'
Ebenso haben wir für die durch die isothermische Curve de dar-
gestellte Volumenänderung, welche bei der Temperatur T2 zwi-
schen den Grenzen v^ und V^ stattfindet, zu setzen:
(7) Q, = RT,log^-
Wenn wir diese beiden Gleichungen durch einander dividiren,
und dabei die Gleichung (5) berücksichtigen, so erhalten wir das
gesuchte Verhältniss zwischen ^1 und Q^^ nämlich:
Hierdurch ist die in (2) vorkommende Function der beiden
Temperaturen bestimmt, indem wir, um jene Gleichung mit der
vorstehenden in Uebereinstimmung zu bringen, setzen müssen:
(9) ^(ri,T,) = §-
Zweiter Hauptsatz. 87
Die nun an die Stelle von (2) tretende bestimmtere Glei-
chung (8), welche sich auch in der Form
(10) |[ - % = ^
schreiben lässt, wollen wir äusserlich noch etwas umändern, in-
dem wir die in dem Kreisprocesse vorkommenden Wärmemengen,
welche bisher als absolute Grössen behandelt wurden, und bei
denen der Unterschied, dass die eine aufgenommene und die an-
dere abgegebene Wärme ist, in Worten ausgedrückt wurde, da-
durch von einander unterscheiden,- dass wir sie als positive und
negative Grössen behandeln. Es ist nämlich für die Rechnung
bequemer, immer nur von aufgenommener Wärme zu sprechen,
und abgegebene Wärmemengen als aufgenommene negative Wärme-
mengen zu betrachten. Wenn wir demgemäss sagen, der ver-
änderliche Körper habe während des Kreisprocesses die Wärme-
mengen Qi^ und Q.2 aufgenommen, so müssen wir unter Qo eine
negative Grösse verstehen, nämlich die Grösse, welche bisher
durch — ^2 dargestellt wurde. Dadurch geht die Gleichung (10)
über in:
(11) f + t- = ^-
§. 8. Complicirtere Kreisprocesse.
Bisher haben wir uns auf solche Kreisprocesse beschränkt,
in denen die Aufnahme von positiven und negativen Wärme-
mengen nur bei Bwei Temperaturen stattfindet. Derartige Kreis-
processe wollen wir von jetzt an kurz einfache Kreisprocesse nen-
nen. Wir müssen nun aber auch solche Kreisprocesse betrachten,
in denen die Aufnahme von positiven und negativen Wärmemengen
bei mehr als zwei Temperaturen stattfindet.
Zunächst möge ein Kreisprocess mit drei Aufnahmetempera-
turen betrachtet werden, welcher umstehend graphisch dargestellt
ist durch die Figur abcdefa^ die, wie die früheren, aus lauter
isothermischen und isentropischen Curven besteht. Diese Curven
sind wieder beispielsweise in der Gestalt gezeichnet, welche sie
bei einem vollkommenen Gase haben, was aber nicht wesentlich
ist. Die Curve ab bedeutet eine Ausdehnung bei der constanten
Temperatur T^, bc eine Ausdehnung ohne Wärmeaufnahme, bei
Abschnitt III.
welcher die Temperatur von Ti bis T^ sinkt, cd eine Ausdehnung
bei der constanten Temperatur T^^ de eine Ausdehnung ohne
Wärmeaufnahme, bei welcher die Temperatur von T^ bis T-^ sinkt,
ef eine Zusammendrückung bei der constanten Temperatur Tg
und endlich fa eine Zusammendrückung ohne Wärmeabgabe, bei
welcher die Temperatur von T3 bis 2\ steigt, und durch welche
der veränderliche Körper wieder in sein anfängliches Volumen
zurückkommt. Bei den Ausdehnungen ah und cd nimmt der
Körper die positiven Wärmemengen Qy und Q.2 und bei der Zu-
sammendrückung ef die negative Wärmemenge Q.^ auf. Es han-
„. -„ delt sich nun darum,
Flg. 12. '
zwischen diesen drei
Wärmemengen eineBe-
ziehung zu finden;
Dazu denken wir
uns in der Figur die
isentropische Curve h c
fortgesetzt , wie es
durch das punktirte
Stück cg angedeutet ist.
Dadurch zerfällt der
ganze Kreisprocess in
zwei einfache Kreis-
processe ahgfa und
cdegc. Beim ersten
geht der Körper von dem Zustande a aus und kommt in den-
selben wieder zurück. Beim zweiten denken wir uns einen eben
solchen Körper, welcher von dem Zustande c ausgeht, und zu
demselben wieder zurückkehrt. Die negative Wärmemenge ^3,
welche bei der Zusammendrückung ef aufgenommen wird, denken
wir uns in zwei Theile ^3 und g'g zerlegt, von denen der erste
bei der Zusammendrückung gf und der zweite bei der Zusammen-
drückung eg aufgenommen wird. Dann können wir die beiden
Gleichungen bilden, welche gemäss (11) für die beiden einfachen
Kreisprocesse gelten, nämlich für den Process ahgfa:
_ %
und für den Process cdegc:
^ 1
0,
i; ^ T, ^-
Zweiter Hauptsatz.
Durch Addition dieser Gleichungen erhält man
= 0,
89
Ql I Q-2 1 ^3 + 'h _
0.
^1 _l
oder, da q^ -\- q'^ gleich Q.^ ist:
Ql I V2
Ebenso können wir einen Kreisprocess mit vier Aufnahme-
temperaturen behandeln, wie er durch die folgende Figur abcclef(jha
Fig. 13.
(12)
1 V2 I Qa
"^ T, "^ T,
dargestellt ist, welche wieder aus lauter isothermischen und isen-
tropischen Curven besteht. Die Ausdehnungen ah und cd und
die Zusammendrückungen ef und gh sollen bei den Tempera-
turen I\, T2, T3 und Ti stattfinden und dabei sollen die Wärme-
mengen ^1, ^2, Qi und Qi aufgenommen werden, von denen die
beiden ersten positiv und die beiden letzten negativ sind.
Wir denken uns die isentropische Curve bc durch das punk-
tirte Stück c i und die isentropische Curve fg durch das punktirte
Stück gTv fortgesetzt. Dadurch zerfällt der ganze Kreisprocess
in drei einfache Kreisprocesse ahgha, Icbifk und cdeic, welche
wir u.ns mit drei ganz gleichen Körpern ausgeführt denken. Die
bei der Ausdehnung ab aufgenommene Wärmemenge Q^ denken
wir uns in in zwei Theile qi und q[ zerlegt, welche den Ausdeh-
nungen alc und Jcb entsprechen, und die bei der Zusammen-
90 Abschnitt III.
drückung ef aufgenommene negative Wärmemenge ^3 denken
wir uns gleichfalls in zwei Theile q^ und g'g zerlegt, welche den
Zusammendrückungen if und ei entsprechen. Dann können wir
für die drei einfachen Kreisprocesse folgende Gleichungen bilden.
Für aTcgha:
für 'k'bif'k:
und für cdeic:
0,
^ ^ Ml
Ti ' T3
-2 -t3
Durch Addition dieser Gleichungen erhalten wir:
gl + g'l 1^1 gH + g3 1^ — 0
oder:
(13) |- + :|4-|f + |f = o.
Ebenso kann man jeden anderen Kreisprocess, welcher sich
durch eine nur aus isothermischen und isentropischen Curven
bestehende Figur darstellen lässt, aber eine beliebige Anzahl von
Aufnahmetemperaturen hat, behandeln, wobei man immer eine
Gleichung von der obigen Form erhält, nämlich:
t+lf + |- + t + "*'• = ^'
oder unter Anwendung des Summenzeichens:
(14) 2t = ^'
§. 9. Kreisprocesse, bei denen Wärmeaufnahme und
Temperaturänderung gleichzeitig stattfinden.
Wir müssen nun endlich noch versuchen, auch solche Kreis-
processe, welche durch Figuren dargestellt werden, die nicht bloss
isothermische und isentropische Curven enthalten, sondern ganz
beliebig gestaltet sind, in ähnlicher Weise zu behandeln.
Dazu gelangen wir durch folgende Betrachtung. Der Punkt a
in Fig. 14 (a. f. S.) deute irgend einen Zustand des veränder-
Zweiter Hauptsatz.
91
liehen Körpers an, ^yq sei der Verlauf der durch a gehenden
isothermischen Curve und rs der Verlauf der durch a gehenden
isentropischen Curve. Wenn nun der Körper eine Veränderung
erleidet, welche durch eine anders verlaufende Druckcurve, z. B.
Fig. U.
durch hc oder de dargestellt wird, und bei welcher gleichzeitig
Wärmeaufnahme und Temperaturänderuug statttindet, so können
wir uns eine solche Veränderung ersetzt denken durch eine grosse
Anzahl auf einander folgender Veränderungen, bei denen immer
Fig. 15.
abwechselnd Temj)eraturänderung ohne Wärmeaufnahme und
Wärmeaufnahme ohne Temperaturänderung stattfindet.
Diese Reihe von aufeinander folgenden Veränderungen wird
durch eine gebrochene Linie dargestellt, welche aus Stücken von
isothermischen und isentropischen Curven besteht, so wie es in
Fig. 15 längs bc und längs de gezeichnet ist. Die gebrochene
92
Absclmitt III.
Linie bleibt der stetig verlaufenden um so näher, je kleiner diie
Stücke sind, aus denen sie besteht, und wenn diese unendlich
klein sind, so bleibt sie ihr unendlich nahe. In diesem Falle
kann es in Bezug auf die aufgenommenen Wärmemengen und
ihre Temperaturen nur einen unendlich kleinen Unterschied
machen, wenn man die Veränderung, welche durch die stetig
verlaufende Linie dargestellt wird, ersetzt durch die unendliche
Anzahl von abwechselnd verschiedenartigen Veränderungen, welche
durch die gebrochene Linie dargestellt wird.
Nun möge ein ganzer Kreisprocess zur Betrachtung gegeben
sein, bei welchem die Wärmeaufnahme gleichzeitig mit Tempe-
raturänderungen stattfinden, und welcher graphisch durch Curven
Fig. 16.
von beliebiger Art oder auch nur durch eine einzige stetig ver-
laufende und in sich geschlossene Curve dargestellt wird, wie in
Fig. 16.
Dann denke man sich die umschlossene Fläche, welche die
äussere Arbeit darstellt, durch isentropische Curven, wie sie in
der Figur punktirt gezeichnet sind, in unendlich schmale Streifen
getheilt. Diese Curven denke man sich oben und unten durch
unendlich kleine Stücke von isothermischen Curven verbunden,
welche die gegebene Curve durchschneiden, so dass man längs der
ganzen gegebenen Curve eine gebrochene Linie erhält, die ihr
überall unendlich nahe liegt. Den durch diese gebrochene Linie
dargestellten Kreisprocess kann man dem Obigen nach an die
Stelle des durch die stetig verlaufende Linie dargestellten setzen,
ohne dass dadurch eine bemerkenswerthe Aenderung in den auf-
Zweiter Hauptsatz. 9.3
genommenen Wärmemengen und ihren Temperaturen entsteht.
Ferner kann man den durch die gebrochene Linie dargestellten
Kreisprocess wiederum ersetzen durch die unendlich vielen ein-
fachen Kreisprocesse, welche durch die unendlich schmalen Vier-
ecke dargestellt werden, deren jedes aus zwei neben einander
liegenden isentropischen Curven und zwei unendlich kleinen
Stücken von isothermischen Gurven besteht.
Bildet man nun für jeden dieser letztgenannten Kreisprocesse
eine Gleiclmng von der Form (11), bei der die beiden Wärme-
mengen unendlich klein sind, und daher als Differentiale von Q
bezeichnet werden können, und addirt dann alle diese Gleichun-
gen, so erhält man eine Gleichung von derselben Form, wie (14),
nur dass an die Stelle des Summenzeichens ein Integralzeichen
tritt, nämlich:
(V.) /^=o.
Diese Gleichung, welche ich zuerst im Jahre 18.54 veröffent-
licht habe i) , bildet einen sehr bequemen Ausdruck des zweiten
Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie, soweit er sich auf
umkehrbare Kreisprocesse bezieht. Ihre Bedeutung lässt sich
folgenderma.assen in Worten ausdrücken. Wenn hei einem um-
kehrbaren Kreisprocesse jedes von dem veränderlichen Körper
aufgenommene (positive oder negative) Wärmeelement durch die
absolute Aufnahmetemperatur dividirt, und der so entstandene
Differentialausdruck für den ganzen Verlauf des Kreisprocesses
integrirt wird^ so hat das Integral den Werth Null 2).
1) Pogg. Ann. Bd. 93, S. 500.
2) Von einigen neueren Schriftstellern wird die Gleichung (V) die
Carnot'sche Gleichung genannt. Man kann aber mit Sicherheit anneh-
men , dass diese Schriftsteller das C a r n o t ' sehe Werk (Reflexions sur la
puissauce motrice du feu, Paris 1824) nicht kennen, denn aus diesem Werke
ergiebt sich, dass Gar not diese Gleichung nicht aufgestellt hat, und nach
seinen Ansichten über die Wärme auch gar nicht hat aufstellen können.
Da er nämlich die Wärme für einen Stoff hielt, dessen einmal bestehende
Menge sich weder vermehren noch vermindern lässt, so musste er, wie er
es auch in der oben (S. 80) citii'ten Stelle bestimmt ausgesprochen hat, an-
nehmen, dass die während eines Kreisprocesses von dem veränderlichen
Körper abgegebenen Wärmemengen zusammen eben so gross seien, wie die
aufgenommenen. Er konnte daher für einen Kreisprocess nur die Gleichung
fclQ = 0
94 Abschnitt III.
Wenn das auf beliebige nach einander stattfindende Ver-
änderungen eines Körpers bezügliche Integral
rdQ
J T
jedes Mal gleich Null wird, so oft der Körper wieder in seinen
Anfangszustand zurückkehrt, welches auch die dazwischen durch-
laufenen Zustände sein mögen, so muss der unter dem Integral-
zeichen stehende Ausdruck
dQ
T
cfas vollständige Differential einer Grösse sein, welche nur von
dem augenblicklichen Zustande des Körpers, und nicht von dem
Wege, auf welchem der Körper in diesen Zustand gelangt ist,
abhängt. Bezeichnen wir diese Grösse mit S^ so können wir
setzen :
oder:
(VI.) dQ = TdS,
welche Gleichung einen anderen für viele Untersuchungen be-
quemen Ausdruck des zweiten Hauptsatzes der mechanischen
Wärmetheorie bildet.
aufstellen , welche mit der Gleichung (V) unvereinbar ist. Die älteren
Schriftsteller, welche der Zeit Carnot's noch nicht so fern standen und
mit seinen Ansichten vertrauter waren , haben dieses auch allgemein aner-
kannt. V erdet z. B. , der für einen der kenntnissreichsten und urtheils-
fähigsten Schriftsteller auf diesem Gebiete gehalten wird, und als Franzose
gewiss weit davon entfernt war, Carnot's Verdienste schmälern zu wol-
len, spricht sich in seiner Theorie mecanique de la chaleur, T. I, p. 187
über die Gleichung (V) folgendermaassen aus: „L'equation
/^ = o
est l'expression la plus generale du principe de Carnot dans le cas oü
le. cycle est reversible. On pourrait l'appeler, ä juste raison, l'equation de
Clausius, puisque M. Clausius l'a deduite du principe de Carnot par
des considerations qui n'etaient rien moins qu'evidentes".
ABSCHNITT IV.
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes
oder
Satz von der Aequivalenz der Verwandlung-en.
§. 1. Zwei verschiedene Arten von Verwandlungen.
Im vorigen Abschnitte haben wir gesehen, dass bei einem ein-
fachen Kreisprocesse zwei auf die Wärme bezügliche Veränderungen
eintreten, dass nämlich eine Wärmemenge in Arbeit verwandelt
(oder durch Arbeit erzeugt) wird und eine andere Wärmemenge
aus einem wärmeren in einen kälteren Körper (oder umgekehrt)
übergeht. Wir haben dann weiter gefunden, dass zwischen der in
Arbeit verwandelten (oder durch Arbeit erzeugten) Wärmemenge
und der übergehenden Wärmemenge ein bestimmtes Verhältniss
bestehen muss, welches von der Natur des veränderlichen Körpers
unabhängig ist, und daher nur von den Temperaturen der beiden
als Wärmereservoire dienenden Körper abhängen kann.
Für die eine jener beiden Veränderungen haben wir schon
früher den Ausdruck Verivandhing eingeführt, indem wir, wenn
Wärme verbraucht wird und dafür Arbeit entsteht, oder umgekehrt
Arbeit verbraucht wird und dafür Wärme entsteht, sagten, es habe
sich Wärme in Arbeit oder Arbeit in Wärme verwandelt. Wir
können nun auch die zweite Veränderung, welche darin besteht,
dass Wärme aus einem Körper in einen anderen, der entweder
wärmer oder kälter ist, übergeht, als eine Verivandluug hezeichnen.
indem wir sagen, es verwandle sich dabei Wärme von einer Tem-
peratur in Wärme von einer anderen Temperatur.
96 Abschnitt IV.
Bei dieser Auffassung der Sache können wir das Resultat eines
einfachen Kreisprocesses dahin aussprechen, dass swei Verwand-
lungen eingetreten sind, eine Verwandlung aus Wärme in Arbeit
{oder umgehehrt) und eine Verwandlung aus Wärme von höherer
Temperatur in Wärme von niederer Temperatur (oder umgehehrt),
und die Beziehung zwischen diesen beiden Verwandlungen ist
es dann, welche durch den zweiten Hauptsatz ausgedrückt wer-
den soll.
Was nun zuerst die Verwandlung aus Wärme von einer Tem-
peratur in Wärme von einer anderen Temperatur anbetrifft, so ist
es im Voraus klar, dass dabei die beiden Temperaturen, zwischen
denen die Verwandlung vor sich geht, in Betracht kommen müssen.
Es entsteht nun aber die weitere Frage, ob bei der Verwandlung
aus Wärme in Arbeit oder aus Arbeit in Wärme die Temperatur
der betreffenden Wärmemenge auch eine wesentliche Rolle spielt,
oder ob bei dieser Verwandlung die Temperatur gleichgültig ist.
Wenn wir die Beantwortung dieser Frage aus der Betrachtung
des oben beschriebenen einfachen Kreisprocesses ableiten wollen,
so finden wir, dass er für diesen Zweck zu beschränkt ist. Da
nämlich in ihm nur zwei als Wärmereservoire dienende Körper
vorkommen, so ist stillschweigend vorausgesetzt, dass die in Arbeit
verwandelte Wärme aus einem derselben beiden Körper stamme
(oder die durch Arbeit erzeugte Wärme von einem derselben beiden
Körper aufgenommen werde), zwischen denen auch der Wärme-
übergang stattfindet. Dadurch ist über die Temperatur der in
Arbeit verwandelten (oder durch Arbeit erzeugten) Wärme im Vor-
aus die bestimmte Annahme gemacht, dass sie mit einer der beiden
beim Wärmeübergange vorkommenden Temperaturen überein-
stimme, und diese Beschränkung verhindert es, zu erkennen, welchen
Einfluss es auf die Beziehung zwischen den beiden Verwandlungen
hat, wenn die erstgenannte Temperatur sich ändert, während die
beiden letztgenannten Temperaturen ungeändert bleiben.
Man würde nun zwar die im vorigen Abschnitte auch schon
beschriebenen complicirten Kreisprocesse und die aus ihnen ab-
geleiteten Gleichungen benutzen können, um diesen Einfluss zu
bestimmen; ich glaube aber, dass es der Klarheit und Uebersicht-
lichkeit wegen zweckmässiger ist, einen für diese Bestimmung
besonders geeigneten Kreisprocess zu betrachten, und mit dessen
Hülfe den zweiten Hauptsatz in seiner veränderten Form noch
einmal abzuleiten.
Veväiulerte Form deK zweiten Hauptsatzes.
97
§. 2. Ein Kreisprocess von besonderer Form.
Es sei wiederum ein veränderlicher Körper gegeben, dessen
Zustand durch sein Volumen und den Druck, unter welchem er
steht, vollkommen bestimmt ist, so dass wir seine Veränderungen
in der oben beschriebenen Weise graphisch darstellen können.
Dabei wollen wir die Figur wieder beispielsweise in der Form
construiren, welche sie für ein vollkommenes Gas annimmt, ohne
aber bei der Betrachtung selbst eine beschränkende Annahme über
die Natur des Körpers zu machen.
Der Körper sei zunächst in dem durch den Punkt a (Fig. 17)
angedeuteten Zustande gegeben, in welchem sein Volumen durch
Fig. 17.
die Abscisse oh und der Druck durch die Ordinate lia dargestellt
wird. Die durch diese beiden Grössen bestimmte Temperatur sei
T. Nun mögen mit dem Körper nach einander folgende Ver-
änderungen vorgenommen werden.
1. Man bringt den Körper von der Temperatur T auf eine
andere Temperatur Ti, die beispielsweise niedriger als T sein mag,
und zwar dadurch, dass man ihn in einer für Wärme undurch-
dringlichen Hülle, so dass er weder Wärme aufnehmen noch ab-
geben kann, sich ausdehnen lässt. Die Abnahme des Druckes,
welche durch die gleichzeitige Volumenzunahme und Temperatur-
abnahme bedingt wird, sei durch die isentropische Curve ah
dargestellt, so dass, wenn die Temperatur des Körpers bis Ti
gesunken ist, sein Volumen und sein Druck in oi und ih über-
gegangen sind.
Clausiu s, mech. Wäimetheoiie. I. 7
98 Abschnitt IV.
2. Man setzt den veränderlichen Körper mit einem Körper Ki
von der Temperatur T^ in Verbindung, und lässt ihn dann sich
noch weiter ausdehnen, wobei ihm alle durch die Ausdehnung
verschwindende Wärme von dem Körper Ki wieder ersetzt wird.
Von dem letzteren sei angenommen, dass seine Temperatur wegen
seiner Grösse oder aus irgend einem anderen Grunde durch diese
Wärmeabgabe nicht merklich erniedrigt wird, und daher als con-
stant zu betrachten ist. Dann behält auch der veränderliche
Körper wäbrend der Ausdehnung diese constante Temperatur,
und die Druckabnahme wird daher durch eine isothermische
Curve bc dargestellt. Die hierbei vonÄi abgegebene Wärmemenge
heisse Qi.
3. Man trennt den veränderlichen Körper von dem Körper jSTi,
und lässt ihn ohne dass er Wärme aufnehmen oder abgeben kann,
sich noch weiter ausdehnen, bis seine Temperatur von T^ auf T^
gesunken ist. Die hierbei stattfindende Druckabnahme sei durch
die isentropische Curve cd dargestellt,
4. Man setzt den veränderlichen Körper mit einem Körper K2
von der constanten Temperatur T2 in Verbindung und drückt ihn
dann zusammen, wobei er alle in ihm entstehende Wärme dem
Körper ^2 mittheilt. Diese Zusammendrückung setzt man so lange
fort, bis K2 dieselbe Wärmemenge Qi empfangen hat, welche vor-
her von Kl abgegeben wurde. Der Druck nimmt hierbei nach der
isothermischen Curve de zu.
5. Man trennt den veränderlichen Körper von dem Körper K2,
und drückt ihn, ohne dass er Wärme aufnehmen oder abgeben
kann, noch so lange zusammen, bis seine Temperatur von Tg auf
den ursprünglichen Werth T gestiegen ist, wobei der Druck nach
der isentropischen Curve ef zunimmt. Das Volumen on, in welches
der Körper auf diese Weise gebracht wird, ist kleiner als sein
ursprüngliches Volumen oh, denn, da bei der Zusammendrückung <^e
der zu überwindende Druck und demgemäss die aufzuwendende
äussere Arbeit geringer waren, als die entsprechenden Grössen bei
der Ausdehnung &c, so musste dafür, wenn doch dieselbe Wärme-
menge ^1 entstehen sollte, die Zusammendrückung weiter fortgesetzt
werden, als nöthig gewesen wäre, wenn die Zusammendrückungen
nur die Ausdehnungen hätten aufheben sollen.
6. Man bringt den veränderlichen Körper mit einem Körper Ä"
von der constanten Temperatur T in Verbindung und lässt ihn
sich bis zu seinem ursprünglichen Volumen oh ausdehnen, indem
Veränderte Form des zweiten Hau[)tsatzes. 99
ihm K die dabei verschwindende Wärme ersetzt. Die dazu nüthige
Wärmemenge heisse Q. Wenn der Körper mit der Temperatur T
das Volumen oh erreicht, so muss auch der Druck wieder der
ursprüngliche sein, und die isothermische Curve, welche die letzte
Druckabnahme darstellt, muss daher gerade den Punkt a treffen.
Diese sechs Veränderungen bilden zusammen einen Krcis-
process, da der veränderliche Körper sich am Schlüsse derselben
genau wieder in seinem Anfangszustande befindet. Von den drei
Körpern K, Ki und K2, welche bei dem ganzen Vorgange nur in
sofern in Betracht kommen, als sie als Wärmequellen oder Wärme-
reservoire dienen, haben die beiden ersten die Wärmemengen Q
und Qi verloren, und der letzte die Wärmemenge ^1 empfangen,
was man so aussprechen kann, dass ^1 aus Ki in K^ übergegangen
und Q verschwunden ist. Die letztere Wärmemenge muss nach
dem, was bei dem ersten Hauptsatze gesagt ist, in äussere Arbeit
verwandelt sein. Der Gewinn an äusserer Arbeit, welcher während
des Kreisprocesses dadurch entstanden ist, dass der Druck bei
der Ausdehnung grösser, als bei der Zusammendrückung, und
daher die positive Arbeit grösser als die negative war, wird, wie
man leicht übersieht, durch den Flächeninhalt der geschlossenen
Figur abcdef dargestellt. Nennen wir diese Arbeit "FT, so muss
nach Gleichung (5 a) des ersten Abschnittes Q =z W sein.
Man sieht leicht, dass der hier beschriebene Kreisprocess den
am Anfange des Abschnittes III. zur Betrachtung angewandten und
in Fig. 8 dargestellten Kreisprocess als speciellen Fall umfasst.
Wenn man nämlich in Bezug auf die Temperatur T des Körpers
K die specielle Annahme macht, dass sie gleich der Temperatur
Ti des Körpers Ä^i sei, so kann man den Körper K ganz fortlassen,
und statt seiner den Körper Ki anwenden, und erhält dann das
Resultat, dass von der Wärme, welche der Körper Ki abgegeben
hat, ein Theil in Arbeit verwandelt, und der andere Theil zum
Körper K2 übertragen ist, wie es bei jenem früher angewandten
Kreisprocesse war.
Der ganze hier beschriebene Kreisprocess lässt sich auch in
umgekehrter Weise ausführen, indem man zuerst in Verbindung
mit dem Körper K statt der vorher geschehenen Ausdehnung fa
jetzt die Zusammendrückung af bewirkt, und ebenso, immer unter
denselben Umständen, unter denen vorher die entgegengesetzten
Veränderungen geschahen, jetzt nach einander die Ausdehnungen
fe und ed und die Zusammendrückungen de, ch und ba geschehen
100 Abschnitt IV.
lässt. Hierbei werden offenbar von den Körpern K und K^
die Wärmemengen Q und Qi aufgenommen und von K^ wird die
Wärmemenge Q^ abgegeben. Zugleich ist jetzt die negative Arbeit
grösser als die positive, so dass der Flächeninhalt der geschlossenen
Figur jetzt verbrauchte Arbeit darstellt. Das Resultat des um-
gekehrten Processes ist also, dass die Wärmemenge Qi^ von K^
nach Kl übergeführt, und die Wärmemenge Q durch Arbeit er-
zeugt und an den Körper K abgegeben ist.
§. 3. Aequivalente Verwandlungen.
Um die gegenseitige Abhängigkeit der beiden gleichzeitig ein-
tretenden Verwandlungen kennen zu lernen, wollen wir zuerst an-
nehmen, dass die Temperaturen der drei Wärmereservoire dieselben
bleiben, aber die Kreisprocesse, durch welche die Verwandlungen
bewirkt werden, verschieden seien, indem entweder verschiedene
veränderliche Körper ähnlichen Veränderungen unterworfen wer-
den, oder auch Kreisprocesse von beliebiger anderer Natur statt-
linden, welche nur der Bedingung genügen müssen, dass die drei
Körper K, K^ und K^ die einzigen sind, welche Wärme empfangen
oder abgeben, und ausserdem von den beiden letzten der eine so
viel empfängt, als der andere abgiebt. Diese verschiedenen Pro-
cesse können entweder umkehrbar sein, wie der vorher betrachtete,
oder nicht, und darnach ändert sich auch das für die Verwand-
lungen geltende Gesetz. Indessen lässt sich die Aenderung, welche
das Gesetz für die nicht umkehrbaren Processe erleidet, leicht
nachträglich hinzufügen, und wir wollen uns daher vorläufig auf
die Betrachtung der umJiehrbaren Kreisprocesse beschränken.
Für diese lässt sich aus dem im. vorigen Abschnitte aufgestellten
Grundsatze beweisen, dass die von Kx nach K^ übertragene Wärme-
menge Qi zu der in Arbeit verwandelten Q bei ihnen allen in einem
und demselben Verhältnisse stehen muss. Angenommen nämlich,
es gäbe zwei solche Processe, bei denen, wenn Q in beiden gleich
genommen wird, Q^ verschieden wäre, so könnte man nach einander
den einen, bei welchem Qy kleiner wäre, direct, und den anderen
umgekehrt ausführen. Dann würde die Wärmemenge Q^ welche
durch den ersten Process in Arbeit verwandelt wäre, durch den
zweiten wieder in Wärme verwandelt und an den Körper K zurück-
gegeben werden, und auch im Uebrigen würde sich am Schlüsse
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes. 101
Alles wieder in dem ursprünglichen Zustande befinden, nur dass
mehr Wärme von K,^ nach Ki als in umgekehrter Richtung über-
geführt wäre. Es hätte also im Ganzen ein Wärmeübergang von dem
kälteren Körper K^ nach dem wärmeren Ki stattgefunden, der durch
nichts compensirt wäre. Da dieses unserem Grundsatze widerspricht,
so muss die obige Annahme unrichtig sein, und Q muss zu Q^ in
einem immer gleichen Verhältnisse stehen.
Von den beiden in einem solchen umkehrbaren Kreisprocesse
vorkommenden Verwandlungen, kann jede die andere, wenn diese
im entgegengesetzten Sinne genommen wird, ersetzen, so dass,
wenn eine Verwandlung der einen Art stattgefunden hat, diese
wieder rückgängig werden, und dafür eine Verwandlung der an-
deren Art eintreten kann, ohne dass dazu irgend eine sonstige
bleibende Veränderung nöthig ist. Sei z. B. auf irgend eine Weise
die Wärmemenge Q aus Arbeit entstanden und von dem Körper
K aufgenommen, so kann man sie durch den oben beschriebenen
Kreisprocess dem Körper K wieder entziehen, und in Arbeit zurück
verwandeln, aber es geht dafür die Wärmemenge Q^ von dem
Körper K^ za K.2 über. Sei ferner die Wärmemenge Qi vorher
von Kl zu K2 übergegangen, so kann man diese durch die um-
gekehrte Ausführung des obigen Kreisprocesses wieder nach Ki
zurückschaffen, indem man dafür die Wärmemenge Q von der
Temperatur des Körpers K aus Arbeit entstehen lässt.
Man sieht also, dass diese beiden Verwandlungsarten als
Vorgänge von gleicher Natur zu betrachten sind, und zwei solche
Verwandlungen, die sich in der erwähnten Weise gegenseitig er-
setzen können, wollen wir äquivalent nennen.
§. 4. Aequivalenzwerthe der Verwandlungen.
Es kommt nun darauf an, das Gesetz zu finden, nach welchem
man die Verwandlungen als mathematische Grössen darstellen
muss, damit sich die Aequivalenz zweier Verwandlungen aus der
Gleichheit ihrer Werthe ergiebt. Der so bestimmte mathematische
Werth einer Verwandlung möge ihr Äeciuivalenmverth heissen.
Was zunächst den Sinn anbetrifft, in welchem jede Verwand-
lungsart als positiv zu rechnen ist, so kann man diesen bei der
einen willkürlich wählen, bei der anderen aber ist er dadurch
gleich mit bestimmt, indem man offenbar eine solche Verwand-
102 Abschnitt IV.
limg als positiv annehmen muss, welche einer positiven Verwand-
lung der anderen Art äquivalent ist. Wir wollen im Folgenden
die Verwandlung aus Arheit in Wärme, und demgemäss den TJeber-
gang von Wärme von höherer bu niederer Temperatur als positive
Ver%vandlungen rechnen. Man wird später sehen, wodurch diese
Wahl des positiven und negativen Sinnes sich vor der entgegen-
gesetzten empfiehlt.
In Bezug auf die Grösse der Aequivalenzwerthe ist zunächst
klar, dass der Werth einer Verwandlung aus Arbeit in Wärme
der Menge der entstandenen Wärme proportional sein muss, und
ausserdem nur noch von ihrer Temperatur abhängen kann. Man
kann also den Aequivalenzwerth der Entstehung der Wärmemenge
Q von der Temperatur T aus Arbeit ganz allgemein durch den
Ausdruck
QJ{T)
darstellen, worin f{T) eine für alle Fälle gleiche Temperatur-
function ist. Wenn in dieser Formel Q negativ wird, so wird
dadurch ausgedrückt, dass die Wärmemenge Q nicht aus Arbeit
in Wärme sondern aus Wärme in Arbeit verwandelt ist.
Ebenso muss der Werth des Ueberganges der Wärmemenge
Q von der Temperatur 2\ zur Temperatur T.2 der übergehenden
Wärmemenge proportional sein, und kann ausserdem nur noch von
den beiden Temperaturen abhängen. Wir können ihn also all-
gemein durch den Ausdruck
darstellen , worin F(Ti, T^) ebenfalls eine für alle Fälle gleiche
Function der beiden Temperaturen ist, welche wir zwar noch nicht
näher kennen, von der aber soviel im Voraus klar ist, dass sie
durch Verwechslung der beiden Temperaturen ihr Vorzeichen um-
kehren muss, ohne ihren numerischen Werth zu ändern, so dass
man setzen kann:
(1) F(T,,T,) = -F(T,,T,).
Um diese beiden Ausdrücke mit einander in Beziehung zu
bringen, haben wir die Bedingung, dass in jedem umkehrbaren
Kreisprocesse der oben angegebenen Art die beiden darin vor-
kommenden Verwandlungen gleich gross, aber von entgegen-
gesetzten Vorzeichen sein müssen, so dass ihre algebraische Summe
Null ist. Wählen wir also zunächst den Process, welcher oben
vollständig beschrieben ist, so wurde dabei die Wärmemenge Q
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes. 103
von der Temperatur T in Arbeit verwandelt, was als Aequivalenz-
werth — Q .f(T) gieht, und die Wärmemenge Qi von der Tem-
peratur Ti zu T2 übergeführt, was als Aequivalenzwerth Qi . F{1\^ T^)
giebt, und es muss also die Gleichung
(2) - QJ{T)-^ Qi-F(T,,T,) = 0
gelten.
Denken wir uns nun einen eben solchen Process umgekehrt
ausgeführt, und zwar in der Weise, dass die Körper K^ und K2
und die zwischen ihnen übergehende Wärmemenge Qi dieselben
bleiben wie vorher, aber statt des Körpers JT von der Temperatur T
ein anderer Körper K' von der Temperatur T' angewandt wird,
und nennen wir die in diesem Falle durch Arbeit erzeugte Wärme-
menge Q\ so haben wir, entsprechend der vorigen, die Gleichung:
(3) Q' .f(T')^ Q,.F(T„T,)^0.
Durch Addition dieser beiden Gleichungen unter Berücksichtigung
von (1) ergiebt sich:
(4) - Q.f(T)-Jr Q' .f{T') = 0.
Sieht man nun, was natürlich gestattet ist, diese beiden nach
einander ausgeführten- Kreisprocesse zusammen als Einen Kreis-
process an, so kommen in diesem die beiden Wärmeübergänge
zwischen K^ und K^ nicht mehr in Betracht, da sie sich gerade
gegenseitig aufgehoben haben, und es bleiben also nur die Ver-
wandlung der von Ä" abgegebenen Wärmemenge Q in Arbeit, und
die Entstehung der von K' aufgenommenen Wärmemenge Q' aus
Arbeit übrig. Diese beiden Verwandlungen von gleicher Art kön-
nen aber auch so zerlegt und zusammengesetzt werden, dass sie
wieder als zwei Verwandlungen von verschiedener Art erscheinen.
Hält man nämlich einfach an der Thatsache fest, dass der eine
Körper K die Wärmemenge Q verloren und der andere K' die
Menge Q' empfangen hat, so kann man den Theil, welcher in
beiden Mengen gemeinsam vorkommt, ohne Weiteres als von K zu
K' übergeführt betrachten, und braucht nur für den übrigen Theil,
um welchen die eine Menge grösser ist, als die andere, die Ver-
wandlung aus Wärme in Arbeit (oder umgekehrt) als solche zu
berücksichtigen. Sei z. B. die Temperatur T höher als T', so hat
der auf diese Weise angenommene Wärmeübergang die Richtung
vom wärmeren zum kälteren Körper, und ist somit positiv. Dem-
nach muss die andere Verwandlung negativ, also eine Verwand-
lung aus Wärme in Arbeit sein, woraus folgt, dass die von K ab-
104 Absclinitt IV.
gegebene Wärmemenge Q grösser als die von K' empfangene Q'
ist. Zerlegen wir nun Q in die beiden Theile
Q' und Q — Q',
so ist der erstere die von K zu K' übergeführte , und der letztere
die in Arbeit verwandelte Wärmemenge.
Bei dieser Auffassungsweise erscheint der Doppelprocess als
ein Process von derselben Art, wie die beiden Processe, aus denen
er besteht, denn der Umstand, dass die in Arbeit verwandelte
Wärme nicht von einem dritten Körper, sondern von einem der-
jenigen beiden Körper herstammt, zwischen denen der Wärme-
übergang stattfindet, macht keinen wesentlichen Unterschied, da
die Temperatur der in Arbeit verwandelten Wärme beliebig ist,
und daher auch denselben Werth haben kann, wie die Temperatur
eines jener beiden Körper, in welchem Falle der dritte Körper
überflüssig ist. Es muss daher für die beiden Wärmemengen Q'
und Q — Q' eine Gleichung von derselben Form gelten wie (2),
n f\ Tn 1 1 p n *
-(Q- Q') JiT) + Q' • F{T, T') = 0.
Eliminirt man hieraus vermittelst (4) die Grösse ^, und hebt dann
die Grösse Q' fort, so erhält man die Gleichung
(5) FiT,T')=f(r)-f(T),
durch welche, da die Temperaturen T und T willkürlich sind, die
für die zweite Verwandlungsart geltende Function von zwei Tem-
peraturen ganz allgemein auf die für die erste Art geltende Func-
tion von Einer Temperatur zurückgeführt ist.
Für die letztere Function wollen wir zur Abkürzung ein ein-
facheres Zeichen einführen. Dabei ist es aber aus einem Grunde,
der später ersichtlich werden wird, zweckmässig, nicht die Func-
tion selbst, sondern ihren reciproken Werth durch das neue Zeichen
darzustellen. Wir wollen daher setzen:
(6) r=^oder/(T) = i,
so dass nun r die unbekannte Temperaturfunction ist, welche in
den Aequivalenzwerthen vorkommt. Wenn von dieser Function
besondere Werthe auszudrücken sind , welche den Temperaturen
Ti, T3 etc. oder T\T" etc. entsprechen, so soll dieses einfach da-
durch geschehen , dass die Indices oder Accente an t selbst gesetzt
werden, also Ti,t2etc. oder T',r" etc. Dann lautet die Gleichung (5):
F(T,r) = -, — --
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes. 105
Hiernach lässt sich der zweite Hauptsatz der mechanischen
Wärmetheorie, welchen man, wie ich glaube, in dieser Form
passend den SaU von der Aequivalenz der Verwcmdluwjen nennen
kann, folgendermaassen aussprechen.
Nennt man zivei Verwandlungen, welche sich, ohne da^ii eine
sonstige bleibende Veränderung m erfordern, gegenseitig ersetzen
können, äquivalent, so hat die Entstehung der Wärmemenge Q von
der Temperatur T aus Arbeit den Aequivdlenzwerth
Q
und der Uebergang der Wärmemenge Q von der Temperatur T^ zur
Temperatur T^ den Aequivalenzwerth
^(}.-t)'
worin t eine von der Art des Proccsses, durch welchen die Verwand-
lung geschieht, unabhängige Temperaturfunction ist.
§. 5. Gesammtwerth aller in einem Kreisprocesse vor-
kommenden Verwandlungen.
Schreibt man den letzten im vorigen Paragraphen angeführten
Ausdruck in der Form
so sieht man, dass der Uebergang der Wärmemenge Q von der
Temperatur Tj zur Temperatur Tg denselben Aequivalenzwerth
hat, wie eine doppelte Verwandlung der ersten Art, nämlich die
Verwandlung der Menge Q aus Wärme von der Temperatur T^ in
Arbeit und aus Arbeit in Wärme von der Temperatur To. Eine
Erörterung der Frage, in wieweit diese äussere Uebereinstimmung
in dem Wesen der Vorgänge selbst begründet ist, würde hier noch
nicht am Orte sein; jedenfalls aber kann man bei der mathemati-
schen Bestimmung des Aequivalenzwerthes jeden Wärmeübergang,
gleichgültig wie er geschehen ist, als eine solche Combination
von zwei entgegengesetzten Verwandlungen der ersten Art be-
trachten.
Durch diese Regel wird es leicht, für jeden noch so compli-
cirten Kreisprocess , in welchem beliebig viele Verwandlungen der
106 Abschnitt IV.
beiden Arten vorkommen, den mathematisclien Ausdruck abzu-
leiten, welcher den Gesammtwerth aller dieser Verwandlungen
darstellt. Hiernach braucht man nämlich bei einer Wärmemenge,
welche ein Wärmereservoir abgiebt, nicht erst zu untersuchen,
welcher Theil davon in Arbeit verwandelt wird, und wo der übrige
Theil hingeht, sondern kann statt dessen bei allen in dem Kreis-
processe vorkommenden W^ärmereservoiren jede abgegebene Wärme-
menge im Ganzen als in Arbeit verwandelt, und jede aufgenommene
als aus Arbeit entstandene in Rechnung bringen. Nehmen wir also
an, dass als Wärmereservoire die Körper Ki^ K^^ K^ etc. mit den
Temperaturen Tj, T2, T3 etc. vorkommen, und nennen wir die
Wärmemengen, welche sie während des Kreisprocesses abgegeben
haben, Qi, Q^, Q^ etc., wobei wir jetzt aufgenommene Wärmemengen
als abgegebene negative Wärmemengen rechnen wollen 1), so wird
der Gesammtwerth aller Verwandlungen, welcher mit N bezeichnet
werden möge, folgendermaassen dargestellt:
N = -^ -9l _9l_ etc.,
Ti Tq ^3
oder unter Anwendung eines Summenzeichens:
(7) N = -^
^Q
Hierbei ist vorausgesetzt, dass die Temperaturen der Körper
Ki.K^^K^ etc. constant, oder wenigstens so nahe constant seien,
dass ihre Aenderungen vernachlässigt werden können. Wenn aber
einer der Körper entweder durch die Abgabe der Wärmemenge Q
selbst, oder aus irgend einem anderen Grunde seine Temperatur
während des Processes so bedeutend ändert, dass diese Aenderung
Berücksichtigung erfordert, so muss man für jedes abgegebene
Wärmeelement d Q die Temperatur anwenden, welche der Körper
bei seiner Abgabe gerade hat, wodurch natürlich eine Integra-
tion nöthig wird. Nehmen wir der Allgemeinheit wegen an, dass
dieser Umstand bei allen Körpern stattfinde, so erhält die vorige
Gleichung folgende Gestalt:
1) Diese WaU des positiven und negativen Sinnes der Wärmemengen
stimmt mit der im vorigen Abschnitte getroffenen überein , wo wir eine
von dem veränderlichen Körper aufgenommene Wärmemenge als positiv
und eine von ihm abgegebene als negativ rechneten, denn eine von einem
Wärmereservoir abgegebene Wärmemenge ist von dem veränderlichen
Körper aufgenommen und umgekehrt.
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes. 107
(S) ^ = -/^<
worin das Integral auf alle von den verschiedenen Körpern ab-
gegebenen Wärmemengen zu beziehen ist.
§, 6. Beweis, dass in einem umkehrbaren Kreisprocesse
der Gesammtwerth aller Verwandlungen gleich Null
sein muss.
Wenn der in Rede stehende Kreisprocess umhehrbar ist, so
lässt sich, wie complicirt er auch sei, beweisen, dass die in ihm
vorkommenden Verwandlungen sich gegenseitig gerade aufheben
müssen, so dass ihre algebraische Stimme gleich Nidl ist.
Angenommen nämlich, es sei dieses nicht der Fall, sondern
die algebraische Summe der Verwandlungen habe einen von Null
verschiedenen Werth, dann denke man sich folgende» Verfahren
angewandt. Man theile alle vorkommenden Verwandlungen in zwei
Theile, von denen der erste die algebraische Summe Null hat, und
der zweite nur aus Verwandlungen von gleichen Vorzeichen be-
steht. Die Verwandlungen des ersten Theiles denke man sich in
lauter Paare von je zwei gleich grossen aber den Vorzeichen nach
entgegengesetzten Verwandlungen zerlegt. Wenn alle vorhandenen
Wärmereservoire constante Temperaturen haben, so dass in dem
Kreisprocesse nur eine endliche Anzahl von bestimmten Tempe-
raturen vorkommt, so ist auch die Anzahl der Paare, die man zu
bilden hat, eine endliche; sollten aber die Temperaturen der
Wärmereservoire sich stetig ändern, so dass unendlich viele ver-
schiedene Temperaturen vorkommen, und daher die abgegebenen
und aufgenommenen Wärmemengen in Elemente zerlegt werden
müssen, so wird die Anzahl der Paare, die man zu bilden hat,
unendlich gross. Das macht indessen dem Principe nach keinen
Unterschied. Die beiden Verwandlungen jedes Paares lassen sich
nun durch einen oder zwei Kreisprocesse von der in §. 2 be-
schriebenen Form rückgängig machen.
Seien nämlich erstens die beiden gegebenen Verwandlungen
von verschiedener Art, sei z. B. die Wärmemenge Q von der Tem-
peratur T in Arbeit verwandelt, und die Wärmemenge ^^ aus
einem Körper K^ von der Temperatur T^ in einen Körper K^ von
der Temperatur Tg übertragen (wobei wir unter Q und Q^ die
108 Abschnitt IV.
absoluten Werthe der Wärmemengen verstehen wollen), und sei
angenommen, dass die Grössen der beiden Wärmemengen unter
einander in der Beziehung stehen, dass man folgende der Gleichung
(2) entsprechende Gleichung habe:
-l+^i-i)=«-
Dann denke man sich den oben beschriebenen Kreisprocess in um-
gekehrter Weise ausgeführt, wodurch die Wärmemenge Q von der
Temperatur T aus Arbeit entsteht , und eine andere Wärmemenge
aus dem Körper K^ in den Körper Ki übertragen wird. Diese
letztere Wärmemenge muss dann gerade gleich der in der vorigen
Gleichung stehenden Wärmemenge Qi sein, und die gegebenen
Verwandlungen sind somit rückgängig gemacht.
Sei ferner eine Verwandlung aus Arbeit in Wärme und eine
aus Wärme in Arbeit gegeben, sei z. B. die Wärmemenge Q von
der Temperatur T durch Arbeit erzeugt, und die Wärmemenge Q
von der Temperatur T' in Arbeit verwandelt, und stehen diese
beiden in der Beziehung zu einander, dass man habe:
«-^ = 0.
r t'
Dann denke man sich zuerst den oben beschriebenen Kreisprocess
ausgeführt, wodurch die Wärmemenge Q von der Temperatur T in
Arbeit verwandelt, und eine andere Wärmemenge Qi aus einem
Körper Ki in einen anderen Körper K2 übertragen wird. Darauf
denke man sich einen zweiten Kreisprocess in umgekehrter Weise
ausgeführt, in welchem die zuletzt genannte Wärmemenge ^1 wie-
der von jS'2 nach Ki zurücktransportirt werde, und ausserdem eine
Wärmemenge von der Temperatur T' aus Arbeit entstehe. Diese
Verwandlung aus Arbeit in Wärme muss dann, abgesehen vom
Vorzeichen, der vorigen Verwandlung aus Wärme in Arbeit äqui-
valent sein, da sie beide einem und demselben Wärmeübergange
äquivalent sind. Die aus Arbeit entstandene Wärmemenge von
der Temperatur T' muss daher eben so gross sein, wie die in der
vorigen Gleichung stehende Wärmemenge Q', und die gegebenen
Verwandlungen sind somit rückgängig gemacht.
Seien endlich zwei Wärmeübergänge gegeben, sei z. B. die
Wärmemenge ^1 aus einem Körper Ki von der Temperatur Ti in
einen Körper K2 von der Temperatur T^ und die Wärmemenge
Q'i aus einem Körper K'2 von der Temperatur T'2 in einen Körper
Verändei-te Form des zweiten Hauptsatzes. 109
K'i von der Temperatur T[ übergegangen, und stehen diese zu
einander in der Beziehung, dass man habe:
Dann denke man sich zwei Kreisprocesse ausgeführt, in deren
einem die Wärmemenge Qi von K2 nach Ki übertragen, und da-
bei die Wärmemenge Q von der Temperatur T durch Arbeit erzeugt
werde, während im zweiten dieselbe Wärmemenge Q wieder in
Arbeit verwandelt, und dabei eine andere Wärmemenge von K'i
nach K'2 übertragen werde. Diese andere Wärmemenge muss dann
gerade gleich der gegebenen Wärmemenge Q'i sein, und die beiden
gegebenen Wärmeübergänge sind somit rückgängig gemacht.
Wenn durch Operationen dieser Art alle Verwandlungen des
ersten Theiles rückgängig gemacht sind, so bleiben nur die den
Vorzeichen nach übereinstimmenden Verwandlungen des zweiten
Theiles ohne irgend eine sonstige Veränderung übrig.
Wären nun diese Verwandlungen negativ, so könnten sie nur
Verwandlungen aus Wärme in Arbeit und Wärmeübergänge von
niederer zu höherer Temperatur sein, und von diesen Hessen sich
noch die Verwandlungen der ersteren Art durch Verwandlungen
der letzteren Art ersetzen. Wenn nämlich eine Wärmemenge Q
von der Temperatur T in Arbeit verwandelt ist, so braucht man
nur den in §. 2 beschriebenen Kreisprocess in umgekehrter Weise
auszuführen, wobei die Wärmemenge Q von der Temperatur T
durch Arbeit erzeugt, und zugleich eine andere Wärmemenge Qi
aus einem Körper K2 von der Temperatur T2 in einen Körper Ki
von der höheren Temperatur Ti übertragen wird. Dadurch wird
die gegebene Verwandlung aus Wärme in Arbeit rückgängig
gemacht und durch den Wärmeübergang von K^ nach Ki ersetzt.
Nach Anwendung dieses Verfahrens würden schliesslich nur Wärme-
übergänge von niederer zu höherer Temperatur übrig bleiben, die
durch nichts compensirt wären. Da dieses unserem Grundsatze
widerspricht, so muss die Voraussetzung, dass die Verwandlungen
des zweiten Theiles negativ seien, unrichtig sein.
Wären ferner jene Verwandlungen positiv, so würde nun die
Bedingung, dass der in Rede stehende Kreisprocess unikehrhar sein
soll, in Betracht zu ziehen sein. Dächte man sich nämlich den
ganzen Kreisprocess umgekehrt ausgeführt, so würden dabei alle
in ihm vorkommenden Verwandlungen das entgegengesetzte Vor-
zeichen annehmen, und jene Verwandlungen des zweiten Theiles
110 Abschnitt IV.
würden somit negativ werden. Dadurch würde man abermals zu
dem obigen mit unserem Grundsatze unvereinbaren Falle gelangen.
Da hiernach die Verwandlungen des zweiten Theiles weder
positiv noch negativ sein können, so können sie überhaupt nicht
existiren, und der erste Theil, dessen algebraische Summe Null
ist, umfasst somit alle in dem Kreisprocesse vorkommenden Ver-
wandlungen, Demnach können wir in der Gleichung (8) N = 0
setzen, und erhalten dadurch als analytischen Ausdruck des zweiten
Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie für umkehrbare
Kreisprocesse die Gleichung:
(VII.) f^ = 0.
§. 7. Die Temperaturen der vorkommenden Wärme-
mengen und die Entropie.
Bei der vorstehenden Ableitung der Gleichung (VII.) wurden
die Temperaturen der in Betracht kommenden Wärmemengen nach
den Wärmereservoiren bestimmt, aus welchen sie herstammen, oder
in welche sie übergehen. Betrachtet man nun aber einen umkehr-
baren Kreisprocess, welcher darin besteht, dass ein Körper eine
Keihe von Zustandsänderungen durchmacht, und zuletzt wieder in
seinen Anfangszustand zurückkehrt, so muss dieser veränderliche
Körper, wenn er mit einem Wärmereservoir zur Aufnahme oder
Abgabe von Wärme in Verbindung gesetzt wird, dieselbe Tem-
peratur haben, wie das Wärmereservoir, weil nur in diesem
Falle die Wärme eben so gut von dem Wärmereservoir zu dem
veränderlichen Körper, wie in umgekehrter Richtung übergehen
kann, was für die ümkehrbarkeit des Kreisprocesses erforder-
lich ist. Absolut kann diese Bedingung zwar nicht erfüllt sein,
da bei ganz gleicher Temperatur überhaupt kein Wärmeübergang
eintreten würde, aber man kann sie wenigstens als so nahe erfüllt
annehmen, dass die kleinen noch vorhandenen Temperaturdiffe-
renzen in der Rechnung zu vernachlässigen sind.
In diesem Falle ist es natürlich einerlei, ob man die Tempe-
ratur einer übergehenden Wärmemenge derTemperatur des Wärme-
reservoirs oder der augenblicklichen Temperatur des veränderlichen
Körpers gleichsetzen will, da beide unter einander übereinstimmen.
Hat man aber einmal die letztere Wahl getroffen, und festgesetzt.
/
Veränderte Form des zweiten Hauptsatzes. 111
dass bei der Bildung der Gleichung (VII.) für jedes Wärmeelement
d Q diejenige Temperatur in Rechnung gebracht werden soll,
welche der veränderliche Körper bei seiner Aufnahme gerade hat,
so kann man nun den Wärmereservoiren auch beliebige andere
Temperaturen zuschreiben, ohne dass dadurch der Ausdruck
d Q
— — irgend eine Aenderung erleidet. Bei dieser Bedeutung
der vorkommenden Temperaturen kann man also die Gleichung
(VII.) als gültig betrachten, ohne sich darum zu bekümmern, wo
die von dem veränderlichen Körper aufgenommene Wärme her-
kommt oder die von ihm abgegebene Wärme hingeht, wenn der
Process nur im üebrigen umkehrbar ist.
Der unter dem Integralzeiclien stehende Ausdruck — -^ wenn
er in dem eben angegebenen Sinne verstanden wird , ist das Diffe-
rential einer auf den Zustand des Körpers bezüglichen Grösse,
und zwar einer Grösse, welche vollkommen bestimmt ist, sobald
der augenblickliche Zustand bekannt ist, ohne dass man den Weg,
auf welchem der Körper in denselben gelangt ist, zu kennen
braucht, denn nur in diesem Falle kann das Integral jedesmal
gleich Null werden, so oft der Körper nach beliebigen Veränderungen
wider in seinen Anfangszustand zurückkommt. Ich habe bei
einer anderen Gelegenheit i) , nach Einführung einer gewissen Er-
weiterung des Satzes von der Aequivalenz der Verwandlungen, den
Vorschlag gemacht, diese Grösse nach dem griechischen Worte
TQOTtri, Verwandlung, die Entropie des Körpers zu nennen. Die
vollständige Erklärung dieses Namens und der Nachweis, dass er
die Bedeutung der betreffenden Grösse richtig ausdrückt, kann
freilich erst an einer späteren Stelle gegeben werden, nachdem
die eben erwähnte Erweiterung besprochen ist, indessen wollen
wir der Bequemlichkeit wegen diesen Namen schon jetzt anwenden.
Bezeichnen wir die Entropie des Körpers mit /S, so können
wir setzen:
oder umgeschrieben:
(VIII.) dQ = tdS.
1) Pogg. Ann. Bd. 125, S. 390.
112 Abschnitt IV.
§. 8. Die Temperaturfunction r.
Um die Temperaturfunction r zu bestimmen, wenden wir das-
selbe Verfahren an, welches wir im vorigen Abschnitte, §. 7, an-
gewandt haben, um die Function ^{Ty^T^) zu bestimmen. Da
nämlich die Function r von der Natur des beim Kreisprocesse an-
gewandten veränderlichen Körpers unabhängig ist, so kommt es
nur darauf an, bei einem mit irgend einem Körper ausgeführten
Kreisprocesse ihre Form zu bestimmen. Wir wählen dazu als ver-
änderlichen Körper wieder ein vollkommenes Gas und denken uns
mit demselben, wie in jenem Paragraphen, einen einfachen Kreis-
process ausgeführt, in welchem das Gas nur bei Einer Temperatur,
welche wir T nennen wollen, Wärme aufnimmt, und bei einer
anderen Temperatur, welche I\ heissen möge, Wärme abgiebt.
Die beiden Wärmemengen, welche in diesem Falle aufgenommen
und abgegeben werden, und deren absolute Werthe mit Q und ^i
bezeichnet werden mögen, stehen, gemäss der Gleichung (8) des
vorigen Abschnittes, in folgendem Verhältnisse zu einander:
(9) 3.-1.
Nun erhalten wir aber andererseits, wenn wir die Gleichung (VII.)
auf diesen einfachen Kreisprocess anwenden, indem wir dabei die
Abgabe der Wärmemenge ^^ als Aufnahme der negativen Wärme-
menge — Qi in Rechnung bringen, die Gleichung:
woraus
folgt:
r
'^1
^1 ~~
0,
(10)
Q
r
Aus der Vereinigung
der
Gleichungen
(9)
und
(10) ergiebt
sich
oder:
t
T
(11)
t =
Betrachten wir nun T als eine beliebige und Ti als eine gegebene
Temperatur, so können wir die vorige Gleichung so schreiben;
(12) T =r r . Const.,
Veränderte Form des zweiten PTauptsatzefl. 113
und die Temperatur function x ist somit bis auf einen constanten
Factor bestimmt.
Welchen Werth wir dem constanten Factor zuschreiben wollen,
ist gleichgültig, da er sich aus der Gleichung (VII. j fortheben
lässt und somit auf die mit dieser Gleichung angestellten Rech-
nungen ohne Einfiuss ist. Wir wollen daher den bequemsten
Werth, nämlich die Einheit, wählen, wodurch die vorige Gleichung
übergeht in:
T= T.
Demnach ist die Temperaturfunction r nichts weiter, als die ab-
solute Temperatur selbst.
Da die hier ausgeführte Bestimmung der Function r sich auf
die für Gase abgeleiteten Gleichungen stützt, so bildet die bei der
Behandlung der Gase gemachte Nebenannahme, dass ein voll-
kommenes Gas, wenn es sich bei constanter Temperatur ausdehnt,
nur so viel Wärme verschluckt, wie zu der dabei gethanen äusseren
Arbeit verbraucht wird, eine der Grundlagen, auf welchen diese
Bestimmung beruht. Sollte Jemand wegen dieses Grundes Be-
denken tragen, diese Bestimmung als vollständig zuverlässig an-
zuerkennen, so könnte er in den Gleichungen (VII.) und (VIII.)
t als Zeichen einer noch unbestimmten Temperaturfunction bei-
behalten, und die Gleichungen in dieser Form anwenden. Ein
solches Bedenken würde aber meiner ilnsicht nach nicht gerecht-
fertigt sein, und ich werde daher im Folgenden immer T an die
Stelle von r setzen. Dadurch gehen die Gleichungen (VII.) und
(VIII.) in diejenigen über, welche schon im vorigen Abschnitte
unter (V.) und (VI.) gegeben wurden, nämlich:
ß
^ =0
dQ= TdS.
Gl aus ins, niechau. Wärmetheoiie. I.
ABSCHNITT V.
Umformungen der beiden Hauptgleichungen.
§. 1. Einführung von Veränderlichen, welche den Zustand
des Körpers bestimmen.
In den bisherigen allgemeinen Betrachtungen sind wir dahin
gelangt, die beiden Hauptsätze der mechanischen Wärmetheorie
durch zwei sehr einfache, unter (HI.) und (VI.) gegebene Glei-
chungen auszudrücken, nämlich:
(III.) dQ = dU+ dW,
(VI.) dQ=TdS.
Wir wollen nun mit diesen Gleichungen einige Umformungen vor-
nehmen, durch welche sie für weitere Rechnungen bequem werden.
Beide Gleichungen beziehen sich auf eine unendlich kleine
Zustandsänderung eines Körpers, und zwar ist bei der letzteren
Gleichung vorausgesetzt , dass die Zustandsänderung in umkehr-
barer Weise vor sich gehe. Für die Gültigkeit der ersteren Glei-
chung ist diese Voraussetzung zwar nicht nothwendig, wir wollen
sie aber auch bei ihr machen und in den hier folgenden Rech-
nungen ebenso, wie bisher, annehmen, dass wir es nur mit wm-
Tcehrharen Veränderungen zu thun haben.
Den Zustand des betrachteten Körpers denken wir uns durch
irgend welche Grössen bestimmt, und zwar wollen wir für jetzt
annehmen, dass ^ivei Grössen dazu ausreichen. Fälle, welche
besonders oft vorkommen, sind die, wo der Zustand des Körpers
U7iifovimingen der boiilßii HMU]jt^leicliiiii^fm. 115
durch seine Temperatur und sein Volumen, oder durch seine Tem-
peratur und den Druck, unter welchem er steht, oder endlich
durch sein Volumen und den Druck bestimmt ist. Wir wf)llen
uns aber nicht gleich an besondere Grössen binden, sondern wollen
zunächst annehmen, der Zustand des Körpers sei durch zwei be-
liebige Grössen, welche x und y heissen mögen, l)estimmt, und
diese Grössen wollen wir in den Rechnungen als die unabhängigen
Veränderlichen betrachten. Natürlich steht es uns dann bei
specielleren Anwendungen immer frei, unter einer dieser Ver-
änderlichen oder unter beiden eine oder zwei der vorher genannten
Grössen, Temperatur, Volumen und Druck, zu verstehen.
"Wenn die Grössen x und y den Zustand des Körpers be-
stimmen, so können wir in den obigen Gleichungen die Energie TJ
und die Entropie S als Functionen dieser Veränderlichen behandeln.
Ebenso ist die Temperatur T, sofern sie nicht selbst eine der
Veränderlichen bildet, als Function der beiden Veränderlichen
anzusehen. Die Grössen W und Q dagegen lassen sich, wie schon
früher erwähnt, nicht so einfach bestimmen, sondern müssen in
anderer Weise behandelt werden.
Die Ditferentialcoefficienten dieser Grössen, welche wir folgen-
dermaassen bezeichnen wollen:
(1)
(2)
sind bestimmte Functionen von x und y. Wenn nämlich fest-
gesetzt wird, dass die Veränderliche x in x -\- dx übergehen soll,
während y unverändert bleibt, und dass diese Zustandsänderung
des Körpers in umkehrbarer Weise geschehen soll, so handelt es
sich um einen vollkommen bestimmten Vorgang, und es muss
daher auch die dabei gethane äussere Arbeit eine bestimmte sein,
d W
woraus weiter folgt, dass der Bruch - — ebenfalls einen bestimmten
dx
Werth haben muss. Ebenso verhält es sich, wenn festgesetzt wird,
dass y in y -\- dy übergehen soll, während x constant bleibt.
Wenn hiernach die Differentialcoefficienten der äusseren Arbeit
W bestimmte Functionen von x und y sind , so muss zufolge der
Gleichung (III.) auch von den Differentialcoefficienten der vom
Körper aufgenommenen Wärme Q dasselbe gelten, dass auch sie
bestimmte Functionen von x und y sind.
dW
dx
dW
dy
lf = -^-
dy -'^'
116 Abschnitt V.
Bilden wir nun aber für d W und d Q ihre Ausdrücke in doo
und dy, indem wir unter Vernachlässigung der Glieder, welche in
Bezug auf dx und dy von höherer Ordnung sind, schreiben:
(3) d W = mdx -\- ndy
(4) dQ = Mdx ^ Ndy,
so erhalten wir dadurch zwei vollständige Differentialgleichungen,
welche sich nicht integriren lassen, so lange die Veränderlichen x
und y von einander unabhängig sind, indem die Grössen m, n und
M, N der Bedingungsgleichung der Integrabilität, nämlich :
dm_dn 8^ _ dN_
'dy~dx ^®^^" dy ~ dx'
nicht genügen. Die Grössen TT und Q gehören also zu denjenigen,
welche in der mathematischen Einleitung besprochen wurden, deren
Eigenthümlichkeit darin besteht, dass zwar ihre Differentialcoef-
ficienten bestimmte Functionen der beiden unabhängigen Veränder-
lichen sind, dass sie selbst aber nicht durch solche Functionen
dargestellt werden können, sondern sich erst dann bestimmen
lassen, wenn noch eine weitere Beziehung zwischen den Veränder-
lichen gegeben und dadurch der Weg der Veränderungen vor-
geschrieben ist.
§. 2. Elimination der Grössen U und S aus den beiden
Hauptgleichungen.
Kehren wir nun zur Gleichung (III.) zurück und setzen darin
für d W und d Q die Ausdrücke (3) und (4) , und zerlegen ebenso
d U in seine beiden auf dx und dy bezüglichen Theile, so lautet
die Gleichung:
Mdx + Ndy = (^1^ -{-m^dx -^ (j^ + n^ dy.
Da diese Gleichung für alle beliebigen Werthe von dx und dy
gültig sein muss, so zerfällt sie in folgende zwei:
M = %^-i-m
dx
N= [- n.
dy '
Differentiiren wir die erste dieser Gleichungen nach y und die
zweite nach x, so erhalten wir:
Umformungen der beiden Hauptgleichuugen. 117
dM _ d^ü_ , dm
dy dxdy dy
dN _ d^U , dn_
dx dydx dx
Nun ist auf U der für jede Function von zwei unabhängigen Ver-
änderlichen geltende Satz anzuwenden, dass, wenn man sie nach
den beiden Veränderlichen difi'erentiirt , die Ordnung der Diffe-
rentiationen gleichgültig ist, so dass man setzen kann :
d'^TJ _ d'^ü
dxdy dydx
Wenn man unter Berücksichtigung dieser letzten Gleichung die
zweite der beiden vorigen Gleichungen von der ersten abzieht, so
kommt:
C5) ' ^ dN _d m d n
dy dx dy dx
In ähnlicher Weise wollen wir nun auch die Gleichung (VI.)
behandeln. Setzen wir in derselben für d Q und d S die voll-
ständigen Differentialausdrücke, so lautet sie:
Mdx + Ndy=T (II dx-\-^^ dyy
oder, wenn wir noch mit T dividiren:
^ ^ i N _, dS ^ , dS -,
-dx^j^dy = — dxi-^dy.
Diese Gleichung lässt sich ebenso, wie die oben betrachtete, in
zwei Gleichungen zerlegen, nämlich:
M_ d^
T dx
N_dS_
T - dy'
Indem wir die erste dieser Gleichungen nach y und die zweite
nach X differentiiren, erhalten wir:
dy dy
d'S
T-2
j,dN ^dT
dx ■' dx
dxdy
02Ä
T' dydx
118 Absclmitt V.
Da nun für die zweiten DifFerentialcoefficienten von S dasselbe
gilt, was oben über diejenigen von ü gesagt wurde, nämlich dass
zu setzen ist:
dxdy dydx''
so erhält man durch Subtraction der beiden Gleichungen von ein-
ander :
T^-M^ T—-N —
dy dy dx dx
oder umgeschrieben:
Den beiden so erhaltenen Gleichungen (5) und (6) wollen wir
noch eine etwas andere äussere Gestalt geben. Um nicht zu viele
verschiedene Buchstaben in den Formeln zu haben, wollen wir
für M und iV", welche als abgekürzte Zeichen für die DifTerential-
coefficienten — ^ und ^r^ eingeführt sind, künftig wieder die Diffe-
ox dy
rentialcoefficienten selbst schreiben. Betrachten wir ferner die
in (5) an der rechten Seite stehende Differenz, welche, wenn wir
d W
auch für in und n wieder die Differentialcoefficienten -tt — und
ox
-r — schreiben, lautet:
dy
d_ /dW\ d_ rdW\
dy \dx ) dx \dy )'
so ist die durch diese Differenz dargestellte Grösse eine Function
von X und t/, die gewöhnlich als bekannt anzunehmen ist, indem
die von aussen auf den Körper wirkenden Kräfte der directen
Beobachtung zugänglich sind, und daraus dann weiter die äussere
Arbeit bestimmt werden kann. Wir wollen diese Differenz, welche
im Folgenden sehr häutig vorkommen wird, die auf xy beßügliche
Arbeitsdifferens nennen, und dafür ein besonderes Zeichen ein-
führen, indem wir setzen:
(7) B.,^l(m-l(^\
^ dy \dx ) dx \dy J
Durch diese Aenderungen in der Bezeichnung gehen die Glei-
chungen (5) und (6) über in:
Umformungen der beiden Hauptgleichungen. 1 19
^ ^ ?)y \dxj dx \öy / ■'
Diese beiden Gleichungen bilden die auf umkehrbare Ver-
änderungen bezüglichen analytischen Ausdrücke der beiden Haujot-
sätze für den Fall, wo der Zustand des Körpers durch zwei
beliebige Veränderliche bestimmt ist.. Aus diesen Gleichungen
ergiebt sich sofort noch eine dritte, welche insofern einfacher ist,
als sie nur die Differentialcoefficienten erster Ordnung von Q
enthält, nämlich:
^^ dij ' dx dx ' du — ^^"^•
§. 3. Anwendung der Temperatur als eine der unab-
hängigen Veränderlichen.
Besonders einfach werden die drei vorstehenden Gleichungen,
wenn man als eine der unabhängigen Veränderlichen die Tem-
peratur des Körpers wählt. Wir wollen zu dem Zwecke ij = T
setzen, so dass nun die noch unbestimmt gelassene Grösse x und
die Temperatur T die beiden unabhängigen Veränderlichen sind.
Wenn y =: T ist, so folgt daraus ohne Weiteres, dass
1^ = 1
dy
ist. Was ferner den Differentialcoefficienten - — anbetrifft, so ist
dx
bei der Bildung desselben vorausgesetzt, dass, während x in
X -\- dx übergeht, die andere Veränderliche, welche bisher y hiess,
constant bleibe. Da nun gegenwärtig T selbst die andere Ver-
änderliche ist, welche in dem Differentialcoefficienten als constant
vorausgesetzt wird, so folgt daraus, dass man zu setzen hat:
1^ = 0.
dx
Bilden wir ferner die auf xT bezügliche Arbeitsdifferenz, so
lautet diese:
n1^ ^ _ d /dW\ d /dW-^
dTXdxJ dx\dT
120 Abschnitt V.
und unter Anwendung dieser Werthe gehen die Gleichungen (8),
(9) und (10) über in:
^^^^ dT\dx) dxXdT)~ 1
T dx
(14) IS- = TB^T-
^ -^ ex
Wenn man das in (14) gegebene Product TB^t statt des
Differentialcoefficienten ^r-^ in die Gleichung (12) einsetzt, und es,
dx
wie dort vorgeschrieben ist, nach T differentiirt , so erhält man
noch folgende einfache Gleichung:
(15) ^f||\^T^^-
dx VöTj dT
§. 4, Specialisirung der äusseren Kräfte.
Bisher haben wir über die äusseren Kräfte, denen der Körper
unterworfen ist, und aufweiche sich die bei Zustandsänderungen
gethane äussere Arbeit bezieht, keine besonderen Annahmen ge-
macht. Wir wollen nun einen Fall näher betrachten, welcher vor-
zugsweise häufig vorkommt, nämlich den, wo die einzige vorhandene
äussere Kraft, oder wenigstens die einzige, welche bedeutend genug
ist, um bei den Rechnungen Berücksichtigung zu verdienen, ein
auf die Oberfläche des Körpers wirkender Druck ist, welcher an
allen Punkten gleich stark und überall normal gegen die Ober-
fläche gerichtet ist.
In diesem Falle wird nur bei Volumenänderungen des Körpers
äussere Arbeit gethan. Nennen wir den auf die Flächeneinheit
bezogenen Druck |j, so ist die äussere Arbeit, welche gethan wird,
wenn das Volumen v um dv zunimmt:
(16) dW = pdv.
Denken wir uns nun, dass der Zustand des Körpers durch
zwei beliebige Veränderliche x und y bestimmt sei, so sind der
Druck p und das Volumen v als Functionen von x und y zu be-
trachten. Wir können also die vorige Gleichung in folgender
Form schreiben:
Umformungen der beiden Hauptgleichungen. 121
dW = p (tt— dx -\- t— dy\
woraus folgt:
[dW dv
(17)
dx dx
d W _ dv_
aW dW
Setzen wir diese Werthe von -^r — und -7:^ — in den in (7) gegebenen
dx cy
Ausdruck von D^^y ein, und führen die darin angedeuteten zwei-
ten Differentiationen aus, und berücksichtigen zugleich, dass
dxdy dydx
sein muss, so erhalten wir:
^ ^ "^'^ dy dx dx dy
Diesen Werth von D^y haben wir auf die Gleichungen (8) und
(10) anzuwenden.
Sind X und' T die beiden unabhängigen Veränderlichen, so
erhält man, ganz der vorigen Gleichung entsprechend:
welchen Werth man auf die Gleichungen (12), (14) und (15) an-
zuwenden hat.
Die einfachsten Formen niihmt der in (18) gegebene Aus-
druck an, wenn man entweder das Volumen oder den Druck als
eine der unabhängigen Veränderlichen, oder wenn man Volumen
und Druck als die beiden unabhängigen Veränderlichen wählt.
Für diese Fälle geht nämlich die Gleichung (18), wie sich leicht
ersehen lässt, über in:
(20) ^^y = ^y
(21) n.y =
dv
dy
(22) D.p = 1.
Will man endlich in den Fällen, wo entweder das Volumen
oder der Druck als eine unabhängige Veränderliche gewählt ist,
die Temperatur als andere unabhängige Veränderliche wählen, so
braucht man nur in den Gleichungen (20) und (21) T an die Stelle
von y zu setzen, also:
122
(23)
(24)
Abschnitt V.
dp
dT
DpT = —
dv
FT
§. 5. Zusammenstellung einiger häufig vorkommender
Formen der Differentialgleichungen.
Unter den vorher genannten Umständen, wo die einzige vor-
handene fremde Kraft ein gleichmässiger und normaler Oberflächen-
druck ist, pflegt man als unabhängige Veränderliche, welche den
Zustand des Körpers bestimmen sollen, am häufigsten die im
vorigen Paragraphen zuletzt genannten Grössen zu wählen, näm-
lich Volumen und Temperatur, oder Druck und Temperatur, oder
endlich Volumen und Druck. Die für diese drei Fälle geltenden
Systeme von Differentialgleichungen will ich, obwohl sie sich leicht
aus den obigen allgemeineren Systemen ableiten lassen, doch ihrer
häufigen Anwendung wegen hier in übersichtlicher Weise zu-
sammenstellen. Das erste System ist dasjenige, welches ich in
meinen Abhandlungen bei Betrachtung specieller Fälle meistens
angewandt habe.
Wenn v und T als unabhängige Veränderliche gewählt sind :
(25)
(26)
d
dT
m-
d
dv
im-
dp
dl
d
dT
m-
d
dv
m-
1
T '
dQ
dv
dQ __
dv
-- T
dp
dT
d
dv
m-
T
d^p
dT^
T als unabhängig
ye Veränderliche g
9
dT
(H)-
d
dp
m-
—
dv
dT
d
dT
m-
d
dp
m-
1
T'
dQ
dp
dQ _
dp
- —
dv
dT
\dp VoTj
d^-v
dT'
Umformungen der beiden Hauptgleichungen. 123
Wenn v und p als unabhängige Veränderliche gewählt sind:
(27)
dp \dv/ dv \dpj
_d_ /dQ\ d__ /d_Q\ ^ 2_ (dT_ ^ _'^ oQ
dp \dv) dv \dp) T \dp ' dv dv ' dp
dp dv dv dp
§. 6. Gleichungen für einen Körper, welclier eine tlieil-
weise Aenderung seines Aggregatzustandes erleidet.
Ein Fall, welcher noch eine eigenthümliche Vereinfachung
zulässt, und welcher wegen seiner häufigen Anwendungen von
besonderem Interesse ist, ist der, wo mit den Zustandsänderungen
des betrachteten Körpers eine theiliveise Aenderung des Aygreyat-
zustandes verbunden ist.
Wir wollen annehmen, es sei ein Körper gegeben, von dem
sich ein Theil in einem und der übrige Theil in einem anderen
Aggregatzustande befinde. Als Beispiel kann man sich denken,
ein Theil des Körpers befinde sich im flüssigen und der übrige
Theil im dampfiormigen Zustande, und zwar mit derjenigen Dich-
tigkeit, welche der Dampf in Berührung mit der Flüssigkeit an-
nimmt; indessen gelten die aufzustellenden Gleichungen auch,
wenn ein Theil des Körpers sich im festen und der andere im
flüssigen, oder ein Theil im festen und der andere im dampfförmigen
Zustande befindet. Wir wollen daher der grösseren Allgemeinheit
wegen die beiden Aggregatzustände, um die es sich handeln soll,
nicht näher bestimmen, sondern sie nur den ersten und den
zweiten Aggregatzustand nennen.
Es sei also in einem Gefässe von gegebenem Volumen eine
gewisse Menge des Stoffes eingeschlossen, und ein Theil desselben
habe den ersten und der andere Theil den zweiten Aggregat-
zustand. Wenn die specifischen Volumina, welche der Stoff bei
einer gegebenen Temperatur in den beiden Aggregatzuständen
hat, ungleich sind, so können in einem gegebenen Räume die bei-
den in verschiedenen Aggregatzuständen befindlichen Theile nicht
beliebige, sondern nur ganz bestimmte Grössen haben. Wenn
nämlich der Theil, welcher sich in dem Aggregatzustande von
grösserem specifischem Volumen befindet, an Grösse zunimmt, so
124 Abschnitt V.
wächst damit zugleich der Druck, den der eingeschlossene Stoff
auf die Umhüllungswände ausübt, und den er daher auch um-
gekehrt von den Urahüllungswänden erleidet, und es wird zuletzt
ein Punkt erreicht, wo der Druck so gross ist, dass er den weiteren
Uebergang in diesen Aggregatzustand verhindert. Wenn dieser
Punkt erreicht ist, so können, so lange die Temperatur der
Masse und ihr Volumen, d. h. der Rauminhalt des Gefässes, con-
stant bleiben, die Grössen der in den beiden Aggregatzuständen
befindlichen Theile sich nicht weiter ändern. Nimmt dann aber,
während die Temperatur constant bleibt, der Rauminhalt des
Gefässes zu, so kann der Theil, welcher sich in dem Aggregat-
zustande mit grösserem specifischem Volumen befindet, noch weiter
auf Kosten des anderen wachsen, bis abermals derselbe Druck,
wie vorher, erreicht und dadurch der weitere Uebergang ver-
hindert ist.
Hieraus ergiebt sich die Eigenthümlichkeit, welche diesen
Fall von anderen unterscheidet. Wählen wir nämlich die Tempe-
ratur und das Volumen der Masse als die beiden unabhängigen
Veränderlichen, durch welche ihr Zustand bestimmt wird, so ist
der Druck nicht eine Function dieser beiden Veränderlichen,
sondern eine Function der Temperatur allein. Ebenso verhält es
sich, wenn wir statt des Volumens eine andere Grösse, welche
sich gleichfalls unabhängig von der Temperatur ändern kann und
mit der Temperatur zusammen den ganzen Zustand des Körpers
bestimmt, als zweite unabhängige Veränderliche wählen. Auch
von dieser kann der Druck nicht abhängen. Die beiden Grössen
Temperatur und Druck zusammen können in diesem Falle nicht
als die beiden Veränderlichen, welche zur Bestimmung des Körper-
zustandes dienen sollen, gewählt werden.
Wir wollen nun neben der Temperatur T irgend eine noch
unbestimmt gelassene Grösse x als zweite unabhängige Veränder-
liche zur Bestimmung des Körperzustandes wählen. Betrachten
wir dann den in (19) gegebenen Ausdruck der auf icT bezüglichen
Arbeitsdifierenz, nämlich:
^ dp dv dp dv
so ist hierin dem Vorigen nach -^ = 0 zu setzen und der Diffe-
dx
rentialcoefficient von p nach t ist mit aufrechten d zu schreiben,
und wir erhalten also :
Umformungen dei- beiden Planpigleicluingen. 125
(28) ^^^'"-di^'d?:
Hierdurch gehen die drei Gleichungen (12), (13j und (14) über in:
^ ■ dT\dxJ dx\dT) ~ clT' dx
no) 1- (19.\ _ A. (^A\ _ 1 ^
^^ dT\dx) dx\dT)~T'dx
d_Q_rpdp_ dv_
^ ^ dx ~ (IT ' dx'
§. 7. Die Clapeyron'sche Gleichung und die Carnot'sche
Function.
Im Anschlüsse an die in diesem Abschnitte enthaltenen Um-
formungen der Hauptgleichungen möge hier noch diejenige
Gleichung, welche Clapeyroni) aus der Carnot'schen Theorie
als Hauptgleichung abgeleitet hat, angeführt werden, um zu sehen,
in welcher Beziehung sie zu den von uns entwickelten Gleichungen
steht. Da aber die Clapeyron'sche Gleichung eine unbestimmte
Temperaturfunction enthält, welche man die Carnot'sche Func-
tion zu nennen pflegt, so wird es zweckmässig sein, auch unseren
Gleichungen, so weit sie hierbei in Betracht kommen, vorher die
Form zu geben, in welcher man sie erhält, wenn man die im vorigen
Abschnitte eingeführte Temperaturfunction t nicht, gemäss der
nachträglichen Bestimmung, gleich der absoluten Temperatur T
setzt, sondern als eine noch unbestimmte Temperaturfunction
beibehält. Dadurch wird sich dann die Gelegenheit bieten,
die Beziehung zwischen unserer Temperaturfunction r und der
Carnot'schen Function festzustellen.
Wenn man, jener Verallgemeinerung wegen, statt der Gleichung
dQ= TdS
die weniger bestimmte, im vorigen Abschnitte unter (VHI.) gegebene
Gleichung
dQ = tdS
anwendet, und aus ihr ebenso, wie es in §. 2 geschehen ist, S
eliminirt, so erhält man, statt der Gleichung (9), die folgende:
1) Journal de VEcole. polyfechm'quc T. XIV. {1834) u. Pogg. Ann. Bd. 59.
123 AbRclinitt V.
(32) » (I«) - ^ (I«) = i («I . I« - |i . 1«),
^ ^ ?)ij \dxj dx \dyj r \dy ox dx oyj
Verbindet man diese den zweiten Hauptsatz ausdrückende Gleichung
mit der den ersten Hauptsatz ausdrückenden Gleichung (8), so
erhält man folgende Gleichung, welche eine Verallgemeinerung der
Gleichung (10) ist:
dz d Q dt d Q
dy dx dx dy
Nimmt man nun an, dass als äussere Kraft nur ein gleichmässiger
und normaler Oberfiächendruck wirke, so kann man für D^y den
in (18) gegebenen Ausdruck anwenden, und die Gleichung geht
dadurch über in :
. . dt dQ dt dQ /dp dv dp dv\
dy dx dx dy \dy dx dx dy)
Wählt man ferner als unabhängige Veränderliche v und iJ , indem
man setzt: x =z v und y = p^ so kommt:
(35) ll . ?_^ _ ^ .?_?=: 7.
dp dv dv dp
Da nun r nur eine Function von T ist, so kann man setzen :
d^_dT_ dT_ .dT^_dt_ dT^
dv ~ clT ' dv ^^*^ dp ~ (IT ' dp '
Wenn man diese Werthe von ;- — und ;;-- in die vorige Gleichung
dv dp ° °
dv
einführt, und dann durch -^-p^ dividirt, so erhält man, statt der
dT
letzten der Gleichungen (27), folgende Gleichung:
(-36) d^ d_Q_dT_ d_Q^j^
^ ^ dp' dv dv 'dp dz '
dT
Hierin ist vorausgesetzt, dass die Wärme nach mechanischem
Maasse gemessen sei. Will man gewöhnliches Wärmemaass einführen,
so hat man den Ausdruck an der rechten Seite der Gleichung durch
das mechanische Aequivalent der Wärme zu dividiren, und erhält:
dT dQ dT dQ z
(37)
dp dv dv dp jp dt
dT
Mit dieser Gleichung stimmt die Clapeyron'sche der Form
nach überein, indem sie lautet i):
1) Pogg. Ann. Bd. 59, S. 574.
Umfornuiugrn flev liwdwi Hfuiptglcicliiingi'n. 127
r38) ^ . ^ _ ^ . ^ ^ r;
^ ^ dp dv dv dp ^'
worin C eine unljestimmte Temperaturfunction ist, nämlich die
schon erwähnte Car not' sehe Function.
Setzt man die in den beiden vorigen Gleichungen an der
rechten Seite stehenden Ausdrücke unter einander gleich, so erhält
man die Beziehung zwischen C und r, nämlich:
(39) C=—^=- ^,
dT clT
Wenn man, gemäss der von uns ausgeführten Bestimmung an-
nimmt -, dass X nichts weiter, als die absolute Temperatur T ist, so
nimmt auch G eine einfache Form an, nämlich:
(40) C=|.
Da die Gleichung (33) aus der Verbindung zweier Gleichungen
hervorgegangen ist, welche den ersten und zweiten Hauptsatz aus-
drücken, so ergiebt sich daraus, dass auch die Glapeyron'sche
Gleichung nicht als ein Ausdruck des zweiten Hauptsatzes in der
von uns angenommenen Form anzusehen ist, sondern als Ausdruck
eines Satzes, welcher sich aus der Verbindung des ersten und
zweiten Hauptsatzes ableiten lässt.
Was nun weiter die Art anbetrifft, wie Clapeyron seine Diffe-
rentialgleichung behandelt hat, so ist diese von unserer Behand-
lungsart sehr verschieden. Er ging nämlich, wie Car not, von der
Annahme aus, dass die Wärmemenge, welche man einem Körper
mittheilen muss, während er aus einem Zustande in einen anderen
übergeht, durch seinen Anfangs- und Endzustand vollkommen
bestimmt sei, ohne dass man zu wissen brauche, in welcher Weise
und auf welchem Wege der Uebergang stattgefunden hat. Dem-
gemäss betrachtete er Q als eine Function von p und v und leitete
für diese durch Integration seiner Differentialgleichung folgenden
Ausdruck ab:
(41) Q=^F{T)- Ccp{xj,v),
worin F{T) eine willkürliche P\mction der Temperatur ist, und
(piPiV) eine Function von p und v bedeutet, welche der folgenden
einfacheren Differentialgleichung genügt:
(42) ^ . ^ _ ^ . ^ = 1.
dv dp dp dv
128 Abschnitt V.
Um auch diese Gleichung zu integriren, muss man für den
betrachteten Körper die Temperatur T als Function von ^ und v
ausdrücken können. Nimmt man an, der betrachtete Körper sei
ein vollkommenes Gas, so hat man:
(43) T=S1,
und demgemäss:
8T _ £ ^ ^ _ 1
dv ~ E dp ~~ R'
Dadurch geht die Gleichung (42) über in:
(M) ^lf-«|f = ^'
und hieraus erhält man durch Integration:
(p(p,v) = Rlogp -f ^(pv),
worin '^(pv) eine willkürliche Function des Productes ^ i; ist. Für
diese kann man gemäss (43) auch eine willkürliche Function der
Temperatur setzen, so dass die Gleichung lautet:
(45) cp(p,v) = Rlogp ^ ^(T).
Führt man diesen Ausdruck von q) (p,v) in (41) ein, und setzt
dann noch
F(T) — CW(T) = RB,
worin JB wiederum eine willkürliche Function der Temperatur
bedeutet, so kommt:
(46) Q = R(jB — Clogp).
Dieses ist die Gleichung, welche Clapeyron für Gase abgeleitet hat.
Nach unserer Auffassung der Grösse Q müssen wir sowohl
den in (41) enthaltenen allgemeinen, als auch den in (46) ent-
haltenen speciellen Clapeyron 'sehen Ausdruck von Q als un-
zulässig ansehen, indem nach dieser Auffassung die Grösse Q
sich überhaupt nicht als eine Function der den Zustand des
Körpers bestimmenden Veränderlichen darstellen lässt, so lange
diese Veränderlichen als von einander unabhängig betrachtet
werden.
ABSCHNITT YI.
Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf
gesättigte Dämpfe.
§. 1. Hauptgleichungen für gesättigte Dämpfe.
Unter den Gleichungen des vorigen Abschnittes mögen zu-
nächst die in §. 6 angeführten, welche sich auf eine theilweise
Aenderung des Aggregatzustandes beziehen, zur Anwendung
gebracht werden, weil der dort erwähnte Umstand, dass der
Druck nur eine Function der Temperatur ist, eine besondere
Erleichterung der Behandlung gewährt. Wir wollen zunächst
den Uebergang aus dem flüssigen in den dampfförmigen Zustand
betrachten.
In einem ausdehnsamen Gefässe sei von irgend einem Stoffe
die Gewichtsmenge M enthalten , und von dieser befinde sich der
Theil m im Zustande von Dampf, und zwar, wie es sich bei der
Berührung mit der Flüssigkeit von selbst versteht, von Dampf im
Maximum der Dichtigkeit, und der übrige Theil M — m sei flüssig.
Wenn die Temperatur T der Masse gegeben ist, so ist damit der
Zustand des dampfförmigen Theiles und ebenso der Zustand des
flüssigen Theiles bestimmt. Wenn nun auch noch in gegeben ist
und dadurch die Grössen jener beiden Theile bestimmt sind, so
kennt man den Zustand der ganzen Masse. Wir wollen daher T
und m als die unabhängigen Veränderlichen wählen , und somit
Clausius, juechan. Wärmetheorie. I. q
130 Abschnitt VI.
in den Gleichungen (29), (30) und (31) des vorigen Abschnittes m
an die Stelle von x setzen. Dadurch gehen diese Gleichungen
über in:
^^ dT\dmJ dm\dTj ~ dT' dm
d fdQ\ d fdQ\ _\ dQ
T ' dm
^^^ dT\d m) d m \d TJ
(^\ ^Q ^ rp äp dv
^^ dm dT dm'
Es möge nun das specifische Volumen (d. h. das Volumen der
Gewichtseinheit) des gesättigten Dampfes mit s, und das specifische
Volumen der Flüssigkeit mit 6 bezeichnet werden. Beide Grössen
beziehen sich auf die Temperatur T und auf den dieser Temperatur
entsprechenden Druck, und sind ebenso, wie der Druck, als
Functionen der Temperatur allein zu betrachten. Bezeichnen wir
ferner das Volumen, welches die Masse im Ganzen einnimmt, mit v,
so ist zu setzen:
V = ms -\- (M — m)6
=zm{s ^ 6) -\- Mö.
Hierin wollen wir noch für die Differenz s — 6 ein vereinfachtes
Zeichen einführen, indem wir setzen:
(4) u = s — ö,
dann kommt:
(5) V = 7)1 u -\- Mö,
woraus folgt:
(6) - — = u.
^ ^ dm
Die Wärmemenge, welche der Masse zugeführt werden muss,
wenn eine Gewichtseinheit derselben bei der Temperatur T und
unter dem entsprechenden Drucke aus dem flüssigen in den
dampfförmigen Aggregatzustand übergehen soll, und welche wir
kurz die Verdampfungswärme nennen, möge mit q bezeichnet
werden, dann ist:
(7) 1^--=..
^ dm
Ferner wollen wir die specifische Wärme des Stoffes im
flüssigen und dampfförmigen Aggregatzustande in die Gleichungen
einführen. Die specifische Wärme, um welche es sich hier handelt,
ist aber nicht die bei constantem Volumen, noch auch die bei
Behancllung der gesättigten Dumpfe. 131
constantem Drucke, sondern bezieht sich auf den Fall, wo mit der
Temperatur der Druck in der Weise wächst, wie das Maximum der
Spannkraft des gesättigten Dampfes.
Auf die specifische Wärme der Flüssigkeit hat dieses Wachsen
des Druckes einen sehr geringen Einfluss, da die Flüssigkeiten
sich durch Druckzunahmen von solchen Grössen, wie sie liierbei
vorkommen, nur sehr wenig zusammendrücken lassen. Es wird
später bei den auf die verschiedenen specifischen Wärmen bezüg-
lichen Untersuchungen davon die Rede sein, wie man diesen Ein-
fluss bestimmen kann, und ich will mich daher für jetzt damit
begnügen, nur Eine Zahl als Beispiel anzuführen. Für Wasser bei
100^ beträgt die Differenz zwischen der hier in Betracht kommen-
den specifischen Wärme und der specifischen Wärme bei constantem
Drucke nur der letzteren, eine Differenz, welche unbedenk-
oyOü
lieh vernachlässigt werden kann. Wir können daher die hier in
Betracht kommende specifische Wärme der Flüssigkeit, welche wir
mit C bezeichnen wollen , wenn sie auch der Bedeutung nach von
der specifischen Wärme bei constantem Drucke verschieden ist,
doch für unsere Rechnungen als mit ihr gleich betrachten.
Anders ist es bei dem Dampfe, Die hier in Betracht kom-
mende specifische Wärme soll sich dem Obigen nach auf diejenige
Wärmemenge beziehen, welche gesättigter Dampf zur Erwärmung
bedarf, wenn er zugleich so stark zusammengedrückt wird, dass
er sich bei der erhöhten Temperatur wieder im gesättigten Zu-
stande befindet. Da diese Zusammendrückung sehr erheblich ist,
so ist auch diese Art von specifischer Wärme von allen bisher
betrachteten sehr verschieden. Wir wollen sie die specifische
Wärme des gesättigten Dampfes nennen und mit H bezeichnen.
Nach Einführung der beiden Zeichen C und H kann man die
Wärmemenge, welche nöthig ist, um die Dampfmenge m und
die Flüssigkeitsmenge M — m um d T zu erwärmen , sofort hin-
schreiben, nämlich:
mHdT-{-{M— m) CdT,
woraus folgt:
1^. = niH^{M- m) C\
oder anders geordnet:
(8) ^ = m{H- C)^Ma
132 Abschnitt VI.
Aus den Gleichungen (7) und (8) folgt weiter:
^^^ dT\dm) clT
Durch Einsetzung der in den Gleichungen (6), (7), (9) und
(10) gegebenen Werthe in die Gleichungen (1), (2) und (3) er-
hält man:
(U) ||+0-H=.|f
(12) I^^C-H=^
(13) Q = Tu^-
Dieses sind die auf die Dampf bildung bezüglichen Hauptgleichungen
der mechanischen Wärmetheorie. Die Gleichung (11) ist eine
Folge des ersten Hauptsatzes, (12) eine Folge des zweiten
Hauptsatzes und (13) ergiebt sich aus der Vereinigung beider
Hauptsätze.
Will man die Wärmemengen nicht nach mechanischem Maasse,
sondern nach gewöhnlichem Wärmemaasse messen, so braucht man
nur alle Glieder der vorigen Gleichungen durch das mechanische
Aequivalent der Wärme zu dividiren. Für diesen Fall wollen wir
die beiden specifischen Wärmen und die Verdampfungswärme durch
neue Zeichen darstellen, indem wir setzen:
C -. H Q
(U) c = ^; /^ = ^; r = ^.
Dann lauten die Gleichungen:
(16) lL^c-k = L
(17) r = ^.^^
^^'^ E dT
Behandlung der gesättigten Dämpfe. 133
§. 2. Specifische Wärme des gesättigten Dampfes.
Da die vorstehenden Gleichungen (15), (16) und (17), von
denen jedoch nur zwei unabhängig sind, durch die mechanische
Wärmetheorie neu gewonnen sind, so kann man sie dazu benutzen,
zwei Grössen, deren eine früher ganz unbekannt und die andere
nur unvollkommen bekannt war, näher zu bestimmen, nämlich die
Grösse h und die in u enthaltene Grösse s.
Indem wir uns zuerst zur Betrachtung der Grösse 7i, der
specifiscJien Wärme des gesättigten Dampfes, wenden, wird es
vielleicht zweckmässig sein, zunächst Einiges von den früher über
diese Grösse ausgesprochenen Ansichten mitzutheilen.
Die Grösse h ist besonders für die Dampfmaschinentheorie
sehr wichtig und in der That ist der Erste, welcher über sie eine
bestimmte Ansicht ausgesprochen hat, der berühmte Verbesserer
der Dampfmaschinen, James Watt, gewesen.
Dieser ging natürlich bei seinen Betrachtungen von denjenigen
Ansichten aus, welche auf der älteren Wärmetheorie beruhen. Da-
hin gehört besonders die schon im Abschnitt I. erwähnte Ansicht,
dass die sogenannte Gesammtwärme (d. h. die von einem Körper
während des Ueberganges aus einem gegebenen Anfangszustande
in seinen gegenwärtigen Zustand im Ganzen aufgenommene Wärme-
menge) nur von dem gegenwärtigen Zustande, und nicht von der
Art, wie der Körper in denselben gelangt ist, abhänge, und dass
sie daher als eine Function derjenigen Veränderlichen, von welchen
der Zustand des Körpers abhängt, dargestellt werden könne. Ge-
mäss dieser Ansicht würden wir in unserem Falle , wo der Zustand
des aus Flüssigkeit und Dampf bestehenden Körpers durch die
Grössen T und m bestimmt wird, die betreffende Wärmenge,
für welche wir, unserer bisherigen Bezeichnung entsprechend, den
Buchstaben ^wählen, als eine Function von Tund;M zu betrachten
und in Folge dessen zu setzen haben:
A (IR\ _ 1_ fi9\ - 0
8 T\dmJ d m \d Tj
Führt man hierin für die beiden Differentialcoefficienten zweiter
Ordnung die in (9) und (10) gegebenen Wertlie ein, so kommt:
oder nach Division aller Glieder durch E:
134
Abschnitt VI.
dr
clT
+
C —
■ Ä = 0,
woraus
man
zur
Bestimmung
von
7^ erhalten würde
(18)
h
—
dr
dT
^c.
Diese Gleichung war es in der That, welche man, wenn auch nicht
gerade in derselben Form, früher benutzt hat, um 1i zu bestimmen.
Um aus dieser Gleichung h berechnen zu können, musste man
den Differentialcoefficienten y^^, also die Aenderung der Ver-
dampfungswärme mit der Temperatur, kennen.
Watt hatte über die Verdampfungswärme des Wassers bei
verschiedenen Temperaturen Messungen angestellt, und war dabei
zu einem Resultate gelangt, welches sich in einem sehr einfachen
Satze aussprechen liess, den man da& Watfsche Gesetz zu nennen
pflegte. Dieser Satz lautete in seiner kürzesten Form: die Summe
der freien und latenten Wärme ist constant, und sollte aussagen,
dass die Summe der beiden Wärmemengen , welche man einer
Gewichtseinheit Wasser mittheilen muss, um sie vom Gefrierpunkte
bis zur Temperatur t zu erwärmen und dann bei dieser Tempe-
ratur in Dampf zu verwandeln, von der Temperatur t unabhängig
sei. Die zur Erwärmung des Wassers nöthige Wärmemenge wird
durch das Integral
cdt
0
dargestellt, und der obige Satz führt daher zu der Gleichung:
(19) r 4- fcdt =
Const.
Wenn man diese Gleichung nach t differentiirt und dann statt
dr dr
des Differentialcoefficienten -jr den gleichbedeutenden -jTr setzt,
so kommt:
(20) §i+^ = 0-
Vereinigt man diese Gleichung mit (18), so erhält man:
(21) h = 0.
Behandlung der gesättigten Dämpfe. 135
Dieses Resultat hat man lange für richtig gehalten , und hat es in
folgendem Satze ausgesprochen: Wenn Dampf vom Maximum der
DichtigJceit in einer für Wärme widurcMrinylichen Hülle sein
Volumen ändert., so bleibt er dabei immer im Maximum der DicJi-
S^iäter hat Regnault die Aenderung der Verdampfungs-
wärme mit der Temperatur zum Gegenstande neuer und sehr
sorgfältiger Untersuchungen gemacht i), und hat dabei gefunden,
dass das Watt 'sehe Gesetz, nach welchem die Summe der freien
und latenten Wärme constant sein soll, der Wirklichkeit nicht
entspricht, sondern dass diese Summe einen mit steigender Tem-
peratur wachsenden Werth hat. Das Resultat seiner Unter-
suchungen wird durch folgende Gleichung ausgedrückt:
f
(22) r + fcdt = G06,5 -f 0,305 f.
0
dr
Differentiirt man diese Gleichung nach t und ersetzt dann wieder -j-
durch ^-=i, so erhält man:
dl
(23) WT^^"^ ^^^^'''^
Durch Verbindung dieser Gleichung mit (18) erhält man:
(24) h = 0,305.
Dieses war der Werth von li, welchen man nach der Ver-
öffentlichung der Regnault' sehen Versuche glaubte statt des
Werthes Null annehmen und in die Damj)fmaschinentheorie ein-
führen zu müssen. Man kam also zu der Ansicht, dass gesättigter
Dampf bei der Zusammendrückuug, wenn er sich dabei so er-
wärmen soll, dass er immer gerade die Temperatur hat, für welche
die Dichtigkeit das Maximum ist, Wärme von Aussen aufnehmen
müsse, und dass er umgekehrt bei der Ausdehnung, um sich gerade
in der richtigen Weise abzukühlen, Wärme nach Aussen abgeben
müsse. Daraus musste man weiter scliliessen, dass in einer für
Wärme undurchdringlichen Hülle bei der Zusammendrückung des
gesättigten Dampfes ein theilweiser Niederschlag erfolge, während
bei der Ausdehnung der Dampf nicht im Maximum der Dichtigkeit
1) Relation des experienccs t. I, zugleich Mein, de l'Acad. t- XXL
184:7.
136 Absclmitt VI.
bleibe, indem seine Temperatur nicht so stark sinke, wie dazu
erforderlich sein würde.
Nach diesen Mittheilungen über die früher in Bezug auf h
gezogenen Schlüsse, wollen wir nun sehen, was sich aus unseren
Gleichungen schliessen lässt. Die Grösse h kommt in den beiden
Gleichungen (15) und (16) vor; die erstere derselben enthält aber
ausser h noch die Grösse u, welche nicht ohne Weiteres als genügend
bekannt angesehen werden darf, und sie ist daher zur Bestimmung
von h weniger geeignet, als die letztere, welche ausser h nur solche
Grössen enthält, die beim Wasser und bei einer Anzahl anderer
Flüssigkeiten durch die Versuche von Regnault sehr genau
bestimmt sind. Aus dieser Gleichung ergiebt sich durch blosse
Umstellung der Glieder:
(25) h = -^-\- c —^,
und wir haben somit durch die mechanische Wärmetheorie zur
Bestimmung von Ji eine neue Gleichung gewonnen, welche sich
von der früher angenommenen Gleichung (18) durch das negative
Glied — -=, dessen Werth sehr beträchtlich ist, unterscheidet.
§. 3. Numerische Bestimmung von h für Wasserdampf.
Wenn wir die Gleichung (25) zunächst auf Wasser anwenden,
so haben wir nach Regnault für die Summe der beiden ersten
Glieder an der rechten Seite die Zahl 0,305 zu setzen. Um das
letzte Glied zu bestimmen, müssen wir r als Function der Tempe-
ratur kennen. Nach Gleichung (22) haben wir zu setzen:
t
(26) r = 606,5 + 0,305^ — fcdt
0
Die specifische Wärme c des Wassers bestimmt Regnault durch
folgende Formel:
(27) c = 1 + 0,00004^ -f 0,0000009^2^
durch deren Anwendung die vorige Gleichung übergeht in:
(28) r = 606,5 — 0,695^ — 0,00002^2 _ 0,0000003^3.
Wenn man diesen Ausdruck von r in (25) einsetzt, und dabei auch
BehandluDg der gesättigten Dämpfe.
137
noch T durch 273 -|- t ersetzt, so erhält man für Wasserdampf
die Gleichung:
, , , „ 606,5 — 0,695^ — 0,00002^2 _ 0,0000003^3
(29) h — 0,305 273 -{- t
Der unter (28) gegebene Ausdruck von r ist durch seine Länge
unbequem, und ich glaube, dass die Versuche über die Verdampfungs-
wärme bei verschiedenen Temperaturen, so werthvoU sie auch
sind, doch nicht einen solchen Grad von Genauigkeit besitzen,
dass eine so lange Formel zu ihrer Darstellung erforderlich wäre.
Ich liabe daher in meiner Abhandlung über die Dampfmaschinen-
theorie vorgeschlagen, statt jener Formel folgende anzuwenden:
(30) r = 607 — 0,708 f.
Die Art, wie die beiden Constanten dieser Formel bestimmt sind,
soll später bei Besprechung der Dampfmaschinen näher mitgetheilt
werden. Hier möge nur, um zu zeigen, dass die Abweichung beider
Formeln von einander so gering ist, dass man ohne Bedenken
die eine für die andere setzen kann, eine Zusammenstellung einiger
Zahlenwerthe folgen:
t
00
500
lOQO
1500
2000
r nach Gleichung (28)
r nach Gleichung (30)
606,5
607,0
571,6
571,6
536,5
536,2
500,7
500,8
464,3
465,4
Durch Einsetzung des in (30) gegebenen Ausdruckes von r
in die Gleichung (25) erhält man, statt (29), die Gleichung:
A-0305 607-0,708^
II _ u,30ö 273 + i '
welche sich auch in folgende noch einfachere Form bringen lässt:
800,3
(31)
h = 1,013 —
273 -j- t
Ein Blick auf die Gleichungen (29) und (31) lässt sofort er-
kennen, dass für Temperaturen, welche nicht sehr hoch sind, h
eine negative Grösse ist, und für einige bestimmte Temperaturen
ergeben sich aus (29) folgende Werthe, welche mit den aus (31)
berechneten Werthen sehr nahe übereinstimmen:
138
Abschnitt VI.
. t
00
500
lOüO
1500
2000
h
— 1,916
— 1,465
— 1,133
— 0,879
— 0,676
Der umstand, dass die specifische Wärme des gesättigten
Wasserdarapfes negative und zwar so grosse negative Werthe hat,
bildet eine wichtige Eigenschaft desselben. Man kann sich von
der Ursache dieses eigenthümlichen Verhaltens in folgender Weise
Rechenschaft geben. W^enn der Dampf zusammengedrückt wird,
so wird durch die dabei verbrauchte Arbeit Wärme erzeugt, und
diese Wärme ist mehr als ausreichend, um den Dampf um so viel
zu erwärmen, dass er die Temperatur annimmt, zu welcher die
neue Dichtigkeit als Maximum gehört. Man muss ihm daher, wenn
er sich gerade nur in der Weise erwärmen soll, dass er gesättigt
bleibt, einen Theil der erzeugten Wärme entziehen. In entsprechen-
der Weise wird bei der Ausdehnung des Dampfes mehr Wärme zu
Arbeit verbraucht, als nöthig ist, um den Dampf um so viel ab-
zukühlen, dass er gerade in dem Zustande als gesättigter Dampf
bleibt. Man muss ihm also, wenn dieses Letztere stattfinden soll,
bei der Ausdehnung Wärme mittheilen.
Sollte der ursprünglich gesättigte Dampf sich in einer für
Wärme undurchdringlichen Hülle befinden, so würde er bei der
Zusammendrückung überhitzt werden, und bei der Ausdehnung
sich theilweise niederschlagen.
Der Schluss, dass die specifische Wärme des gesättigten
Wasserdampfes negativ sei, wurde unabhängig und gleichzeitig von
Rankine und miri) gezogen. Rankine hat aber von den beiden
Gleichungen (15) und (16), welche h enthalten, nur die erstere
(freilich in etwas anderer Form) entwickelt. Die letztere konnte
er nicht entwickeln, weil ihm der dazu nöthige zweite Hauptsatz
fehlte. Da in der ersteren Gleichung neben h noch das in der
Grösse u enthaltene specifische Volumen des gesättigten Dampfes
vorkommt, so wandte Rankine, um dieses zu bestimmen, das
Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz auf den gesättigten
^) Rankine's Abhandlung ist im Februar 1850 in der Edinburger
Royal Society vorgetragen und dann in den Transactions dieser Gesellschaft
Vol. XX, p. 147 gedruckt. Meine Abhandlung ist im Februar 1850 in der
Berliner Akademie vorgetragen und dann in Poggendorff's Annalen Bd. 79,
S. 368 und 500 gedruckt.
Behandlung der gesättigten Dämpfe. 139
Dampf an, was, wie wir später sehen werden, ungenau ist. Die
genauere Bestimmung von h konnte nur durch die zuerst von mir
abgeleitete Gleichung (16) stattfinden.
§. 4, Numerische Bestimmung von h für andere Dämpfe.
Zur Zeit der ersten Aufstellung der Gleichung (2.5) hatte
Regnault seine bekannten werthvoUen Messungen zur Bestimmung
der specifischen Wärme und der Verdämpfungswärme als Func-
tionen der Temperatur nur beim Wasser ausgeführt i) , und es
konnte daher auch die Grösse h nur für Wasser numerisch be-
rechnet werden. Später hat Regnault seine Messungen auch auf
andere Flüssigkeiten ausgedehnt 2), und es ist nun möglich, auch
für diese Flüssigkeiten jene Gleichung zur numerischen Berechnung
von li anzuwenden. Man erhält auf diese Weise folgende Resultate:
Schwefelkohlenstoff: CSg.
Nach Regnault ist zu setzen:
t
cdt = 0,23523^ + 0,0000815^2
0
t ■
r -\- fcdt^ 90,00 + 0,1460U — 0,0004123 i^
0
woraus folgt:
c = 0,23523 + 0,0001630^
r = 90,00 — 0,08922 1 — 0,0004938 P.
Durch Einsetzung dieser Werthe geht die Gleichung (25) über in:
/. = 0,14601 - 0,0008246* - 90,00 - 0.08922^- 0,0004938*^.
27o — |- t
Hieraus ergeben sich für 1% unter anderen folgende Werthe:
T.
f
t
00
1000
h
— 0,1837
— 0,1406
1) Relation des experiences t. I. Paris 1847.
2) Ebendas. t. II. Paris 1862.
140 Abschnitt VI.
Die specifische Wärme des gesättigten Dampfes ist also auch
beim SchwefelkohlenstojS" negativ, hat aber kleinere Werthe, als
beim Wasser,
Aether: C4H10O.
Nach Regnault ist zu setzen:
t
Ccdt = 0,52900^ -f 0,00029587 P
0
t
r + redt = 94,00 + 0,45000^ — 0,00055556 ^^
0
woraus folgt:
c = 0,52900 -f 0,00059174 i
*• = 94,00 — 0,07900 i — 0,0008514^2.
Dadurch geht (25) über in:
/. = o,«ooo - cooiiiiu - M,oo - °-°^«°f - o.oooHSi^'-,
Z7o -f- t
und hieraus ergeben sich folgende Werthe:
t
00
1000
h
0,1057
0,1309
Beim Aether hat also die specifische Wärme des gesättigten
Dampfes, wenigstens bei den gewöhnlich vorkommenden Tempe-
raturen, positive Werthe.
Chloroform: CHCI3.
Nach Regnault ist zu setzen:
t
Ccdt = 0,23235^ -f 0,00005072^2
0
t
r -|- fcdt = 67,00 -{-0,lS16t,
0
woraus folgt:
c == 0,23235 -f 0,00010144 i
r = 67,00 — 0,09485 1 — 0,00005072 t^
Behandlung der gesättigten Dämpfe.
Dadurch geht (25) über in:
67,00 — 0,00485^ — 0,00005072 ^^
li — 0,ld75 273 + i '
und hieraus ergeben sich folgende Werthe:
141
t
00
1000
h
— 0,1079
— 0,0153
Chlorkohlenstoff: CCI4.
Nach Regnault ist zu setzen:
t
Ccdt = 0,19798^ -f 0,0000906^2
0
r + redt = 52,00 -f 0,14625^ — 0,000172 i^
0
woraus folgt:
c = 0,19798 -f 0,0001 812 #
r = 52,00 — 0,05173^ — 0,0002626^2.
Dadurch geht (25) über in:
h = 0,14626 - 0,000344* - 52.00 - 0,05173 >- 0,0002626 1^^
273 -\- t
und hieraus ergeben sich folgende Werthe:
t
00
1000
h
— 0,0442
— 0,0066
Aceton: CaHgO.
Nach Regnault ist zu setzen:
t
f cdt = 0,50643 f -f 0,0003965^2
0
t
r -f- Ccdt = 140,5 -|- 0,36644 # — 0'
000516 #2
woraus folgt:
142 ^ Abschnitt VI.
c = 0,50643 + 0,0007930 i
r = 140,5 — 0,13999^ — 0,0009125^2.
Dadurch geht (25) über in:
k = 0,36644 _ 0,001032« - 140,5 - 0.1399» - 0,0009125«^
27o — |— t
und hieraus ergeben sich folgende Werthe:
t
00
1000
h
— 0,1482
— 0,0515
Ausser den vorstehenden Flüssigkeiten hat Regnault noch
Alkohol, Benzin und Terpentinöl in der Weise untersucht, dass er
t
die Grösse r -f- f cdt bestimmt hat. Beim Alkohol und Terpen-
0
tinöl giebt er aber keine empirische Formel zur Darstellung dieser
Grösse an, weil die Versuchsresultate zu viele Unregelmässigkeiten
t
zeigten, und beim Benzin hat er die Grösse / cdt nicht als Func-
0
tion der Temperatur bestimftit, sondern nur einen Mittelwerth der
specifischen Wärme für ein beschränktes Temperatur-Intervall auf-
gesucht. Für diese Flüssigkeiten würde daher die numerische
Berechnung von h mit grösseren Unsicherheiten behaftet sein, als
bei den oben angeführten Flüssigkeiten, weshalb wir von ihrer
Ausführung hier absehen wollen.
In allen vorstehenden speciellen Formeln für h zeigt sich, dass
diese Grösse mit steigender Temperatur wächst. In dem einzigen
Falle, wo sie bei gewöhnlichen Temperaturen positiv ist, beim
Aether, nimmt ihr absoluter Werth mit steigender Temperatur zu.
In den anderen Fällen, wo sie negativ ist, nimmt ihr absoluter
Werth mit steigender Temperatur ab. Sie nähert sich in diesen
Fällen also der Null, und zwar meistens in solcher Weise, dass
man annehmen darf, dass sie bei einer gewissen höheren Tempe-
ratur den Werth Null erreichen und bei noch weiterem Wachsen
der Temperatur positiv werden wird. Zur Bestimmung der Tem-
peratur, für welche h r= o wird, hat man gemäss (25) zu setzen:
(32) ^j^c-^ = 0,
Behandlung der gesättigten Dämpfe. 143
und diese Gleichung hat man, nachdem darin, wie es oben geschehen
ist, c und r durch Functionen der Temperaturen ersetzt sind, nach
t aufzulösen.
Die empirischen Formeln von Regnault, nach welchen wir
c und r als Functionen von t bestimmt haben, dürfen aber natür-
lich nicht zu weit über die Temperaturgrenzen hinaus angewandt
werden, innerhalb deren Regnault seine Versuche angestellt hat.
Dadurch wird die Bestimmung der Temperatur, für welche h = 0
wird, in manchen Fällen unmöglich, wie z. B. beim Wasser, wo
man aus den Gleichungen, welche man erhält, wenn man in (29)
und (31) h = 0 setzt, eine Temperatur von etwa 500'' erhalten
würde, während doch die Gleichungen nur bis etwas über 200°
anwendbar sind. Bei anderen Flüssigkeiten dagegen liegt die
Temperatur, für welche die Formel von h den Werth Null an-
nimmt, und über welche hinaus sie positive Werthe hat, noch
innerhalb der Grenzen, für welche man die Formel anwenden darf.
So berechnet Cazin^) diese Temperatur für Chloroform zu 123,48''
und für Chlorkohlenstoff zu 128,9".
§. 5. Experimentelle Prüfung der specifischen Wärme
des gesättigten Dampfes.
Nachdem die Theorie zu dem Resultate geführt hatte, dass
die specifische Wärme des gesättigten Wasserdampfes negativ sei,
und dass daher gesättigter Wasserdampf in einer für Wärme un-
durchdringlichen Hülle sich bei der Ausdehnung theilweise nieder-
schlagen müsse, ist dieses Resultat von Hirn einer experimentellen
Prüfung unterworfen 2). Ein cylinderförmiges Gefäss von Metall
war an seinen beiden Enden mit parallelen Spiegelglasplatten ver-
sehen, so dass man hindurchsehen konnte. Nachdem dieser Cylin-
der mit Wasserdampf von hohem Drucke gefüllt war, w^elcher voll-
kommen durchsichtig war, öfihete man plötzlich einen Hahn, so
dass ein Theil des Dampfes in die Atmosphäre ausströmte und der
zurückbleibende Dampf sich somit ausdehnte. Dabei sah man
einen dicken Nebel im Inneren des Cylinders entstehen, wodurch
der theilweise Niederschlag des Dampfes erwiesen war.
Als später der zweite Band der Belation des experiences von
Regnault erschienen war, worin die oben erwähnten, auf andere
1) Annales de Chimie et de Physique, 4. serie, t. XIV.
2) Bulletin 133 de la Societe industrielle de Mulhouse, p. 137.
144 Abschnitt VI.
Flüssigkeiten bezüglichen Data enthalten waren, mittelst deren
man h auch für diese Flüssigkeiten berechnen konnte, und als
sich dabei herausgestellt hatte, dass li für Aetherdampf positiv sein
muss, stellte Hirn auch mit diesem Dampfe Versuche an, welche
er folgendermaassen beschreibt i). „An den Hals einer festen
Flasche von Krystall brachte ich eine Pumpe an, deren Capacität
angenähert gleich der der Flasche war, und welche unten mit
einem Hahn versehen war. Nachdem etwas Aether in die Flasche
gegossen war, tauchte man sie bis zum Halse in Wasser von un-
gefähr 50", und öffnete den Hahn, bis man annehmen konnte, dass
die Luft vollkommen ausgetrieben sei. Dann schloss man den
Hahn, und tauchte die Pumpe ebenfalls mit der Flasche in das
warme Wasser. Sofort wurde der Stempel durch den Aether-
dampf ganz hinauf getrieben. Indem man dann plötzlich den
Apparat aus dem Wasser nahm, stiess man den Stempel schnell
hinunter. In diesem Augenblicke, aber auch nur während eines
Augenblickes, füllte sich die Flasche mit einem sehr sichtbaren
Nebel." Hiermit war also erwiesen, dass der Aetherdampf sich
umgekehrt verhält, wie der Wasserdampf, dass er nämlich, statt
bei der Ausdehnung, vielmehr bei der Zusammendrückung sich
theilweise niederschlägt, wie es dem entgegengesetzten Vorzeichen
von h entspricht.
Zur Controle dieses Versuches machte Hirn noch einen ganz
eben solchen Versuch mit Schwefelkohlenstoff. Da zeigte sich,
dass beim Hinunterstossen des Stempels die Flasche vollkommen
durchsichtig blieb. Dieses stimait wieder mit der Theorie über-
ein, indem beim Schwefelkohlenstoff, wie beim Wasser, h negativ
ist, und somit bei der Zusammendrückung des Dampfes nicht ein
Niederschlag, sondern umgekehrt eine Ueberhitzung eintreten muss.
- Einige Jahre später hat Cazin, unterstüzt von der Associa-
tion scientifique, ähnliche und in einigen Beziehungen noch er-
weiterte Versuche mit grosser Sorgfalt und vielem Geschicke
angestellt 2).
Er wandte ebenfalls ein cylindrisches Metallgefäss an, welches
an seinen Enden mit Glasplatten zum Durchsehen versehen war.
Dasselbe befand sich in einem Oelbade, um ihm eine bestimmte
für den Versuch geeignete Temperatur geben zu können.
1) Cosmos, 10. April 1863.
2) Annales de CJiimie et de Physique, 4, Serie, t. XIV.
I
Behamllung der gesättigten Dämpfe. 145
Bei einer ersten Versuchsreihe wurde nur Ausdehnung des
Dampfes beabsichtigt, und es war daher die Einrichtung getroffen,
dass man, wenn das cylindrische Gefäss mit Dampf gefüllt war,
einen Hahn öffnen konnte, durch den dann ein Theil des Dampfes
entweder in die Atmosphäre austrat, oder in ein Luftreservoir
strömte, dessen Druck man um eine beliebige Diiferenz kleiner als
den Druck des Dampfes machen konnte. Bei einer zweiten Ver-
suchsreihe war mit dem cylindrischen Gefässe eine Pumpe in Ver-
bindung gebracht, welche sich in dem gleichen Oelbade befand
und deren Kolben durch einen besonderen Mechanismus schnell
aufwärts oder abwärts getrieben werden konnte, so dass das Vo-
lumen des Dampfes vergrössert oder verkleinert wurde.
Durch die Versuche mit diesen Apparaten wurden zunächst
die von Hirn beim Wasserdampf und Aetherdampf gefundenen
Resultate bestätigt, und zwar geschah die Prüfung mit dem letzten
Apparate jedesmal in doppelter Weise, durch Verdünnung und
Verdichtung. Der Wasserdampf zeigte bei der Verdünnung Nebel-
bildnug , während er bei der Verdichtung klar durchsichtig blieb.
Der Aetherdampf dagegen zeigte bei der Verdichtung Nebelbildung,
während er bei der Verdünnung klar durchsichtig blieb.
Ausserdem stellte Cazin noch specielle Versuche mit Cbloro-
formdampf an. Wie schon oben erwähnt, wird beim Chloroform-
dampf die Grösse /t, welche bei niederen Temperaturen negativ
ist, bei einer Temperatur von massiger Höhe, welche Cazin zu
123,48" berechet hat, Null, und bei noch höheren Temperaturen
positiv. Dieser Dampf muss also bei niederen Temperaturen sich
bei der Ausdehnung theilweise condensiren, und bei höheren
Temperaturen, jeuseit jener Uebergangstemperatur, sich bei der
Zusammendrückung theilweise condensiren.
Mit dem ersten Apparate, welcher nur Ausdehnung gestattete,
beobachtete Cazin bis zur Temperatur von 123" Nebelbildung bei
der Ausdehnung. Bei Temperaturen über 145" fand die Nebel-
bildung nicht mehr statt. Zwischen 123" und 14.5" war das Ver-
halten je nach der Grösse der Ausdehnung etwas verschieden. Bei
kleiner Ausdehnung fand keine Nebelbildung statt; bei grosser
Ausdehnung dagegen trat zu Ende der Ausdehnung etwas Nebel-
bildung ein. Dieses Letztere erklärt sich sehr einfach daraus, dass
die grosse Ausdehnung auch eine Temperaturerniedrigung von
entsprechender Grösse zur Folge hatte, und dadurch der Dampf
zu denjenigen Temperaturen gelangte, bei welchen Ausdehnung
Clausiiis, mecban. Wärmetheorie. I. iq
146 Abschnitt VI.
mit Niederschlag verbunden ist. Das Resultat stimmte also ganz
mit der Theorie überein.
Mit dem zweiten Apparate zeigte der Chloroformdampf bis
130^ bei der Ausdehnung Nebelbildung, während er bei der Zu-
sammendrückung klar durchsichtig blieb. Ueber 136" zeigte er
bei der Zusammendrückung Nebelbildung, während er bei der Aus-
dehnung klar durchsichtig blieb. Hierdurch ist die Theorie noch
vollständiger als durch die Versuche mit dem ersten Apparate
bestätigt. Auf den Umstand, dass die Temperatur, bei welcher
das Verhalten des Dampfes sich umkehrt, bei diesen Versuchen
zwischen 130° und 136« zu liegen schien, während die Theorie
123,48° giebt, darf man kein zu grosses Gewicht legen. Einerseits
sind diese Versuche zu einer genauen Bestimmung dieser Tempe-
ratur nicht geeignet, weil bei ihnen immer endliche Volumen-
änderungen von beträchtlicher Grösse vorkommen, während die
theoretische Zahl sich auf unendlich kleine Volumenänderungen
bezieht. Andererseits sagt Cazin selbst, dass sein Chloroform
nicht chemisch rein war, und zu gegebenen Dampfspannungen
höherer Temperaturen bedurfte, als die, welche Regnault gefun-
den hat. Man kann also unter Berücksichtigung dieser Umstände
die Bestätigung der Theorie durch das Experiment als ganz ge-
nügend betrachten.
§. 6. Das specifische Volumen des gesättigten Dampfes.
Wir wollen nun die zweite der beiden Grössen, welche zu
Anfang des §. 2 genannt wurden, nämlich die Grösse s, das
specifische Volumen des gesättigten Dampfes, betrachten.
Man wandte früher zur Berechnung des Volumens, welches
ein Dampf bei verschiedenen Temperaturen und unter verschiede-
nem Drucke einnimmt, das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche
Gesetz an, und machte dabei keinen Unterschied, ob sich der
Dampf im gesättigten oder im überhitzten Zustande befindet. Es
wurden freilich von manchen Seiten Zweifel darüber ausgesprochen,
ob die Dämpfe wirklich bis zum Sättigungspunkte jenen Gesetzen
folgen; da aber die experimentelle Bestimmung des Volumens
gesättigter Dämpfe zu grosse Schwierigkeiten darbot, und eine
theoretische Bestimmung aus Mangel an sicheren Anhaltspunkten
nicht möglich war, so blieb man dabei, jene Gesetze auch auf
Behandlung der gesättigten Dämpfe. 147
gesättigte Dämpfe anzuwenden, um dadurch wenigstens eine un-
gefähre Bestimmung ihres Volumens ausführen zu können.
Unsere neu gewonnenen, am Ende des §. 1 angeführten Glei-
chungen gewähren uns nun aber ein Mittel zu einer theoretisch
strengen und mit zuverlässigen Daten ausführbaren Berechnung
des Volumens gesättigter Dämpfe. In diesen Gleichungen kommt
nämlich die Grösse u vor, welche gleich der Differenz s — 0 ist,
worin 6 das specifische Volumen der Flüssigkeit bedeutet. Dieses
letztere ist der Regel nach gegen s sehr klein und kann daher bei
vielen Rechnungen ganz vernachlässigt werden ; ausserdem aber
ist es als bekannt anzusehen, so dass auch seine Berücksichtigung
keine Schwierigkeit hat.
Die letzte jener Gleichungen, nämlich die Gleichung (17)
lautet, wenn wir darin u durch s — ö ersetzen:
r33) r(s-(?) dp
Indem wir diese Gleichung nach s auflösen, erhalten wir:
(^■'> ^ = 31 + "-
dT
Mittelst dieser Gleichung kann man für alle Stoffe, für welche die
Dampfspannung p und die Verdampfungs wärme r als Functionen
der Temperatur bekannt sind, auch das specifische Volumen s des
gesättigten Dampfes für jede Temperatur berechnen.
§. 7. Abweichung des gesättigten Wasserdampfes vom
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze.
Wir wollen die vorstehenden Gleichungen zunächst dazu
anwenden, zu untersuchen, ob der gesättigte Wasserdampf dem
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze folgt, oder ob
und in wie weit er davon abweicht.
Wenn der gesättigte Dampf jenen Gesetzen folgte, so müsste
die nachstehende Gleichung gelten:
^ = Const.,
oder auch, indem man T durch a -\- t ersetzt, und die Gleichung
et
mit dem constanten Factor -^ multiplicirt :
10*
148 Abschnitt VI.
Aus der Gleichung (33) lässt sich aber, nachdem auch in ihr T
durch a -\- t ersetzt ist, folgende Gleichung ableiten:
(3o) ^ p{s - 6) —J-: = — ^-— T- •
^ ' -^ p dt
Da nun die Differenz s — 6 sehr wenig von s verschieden ist, so
ist die linke Seite dieser Gleichung sehr nahe gleich der linken
Seite der vorigen Gleichung, und man braucht also, um zu unter-
suchen, wie der gesättigte Dampf sich zum Mariotte'schen und
Gay-Lussac'schen Gesetze verhält, nur zu prüfen, oh der an der
rechten Seite der letzten Gleichung stehende ÄusdrucJc constant ist,
oder sich mit der Temperatur ändert. Eine solche Prüfung eines
Ausdruckes, ob seine auf einander folgenden Werthe unter einander
gleich sind, oder ob und in welcher Weise sie von der Gleichheit
abweichen, ist besonders einfach und anschaulich, und die unter
(35) gegebene Form der Gleichung ist daher für unseren gegen-
wärtigen Zweck sehr geeignet.
Ich habe die Werthe des Ausdruckes für eine Reihe von Tem-
peraturen von 0" bis über 200° berechnet, indem ich dabei für r
und p die von Regnault gegebenen Zahlen angewandt habe.
Was zunächst die Verdampfungswärme r anbetrifft, so habe
ich von der schon unter (28) angeführten Formel
r = 606,5 — 0,695 i — 0,00002^2 _ 0,0000003^3
Gebrauch gemacht , wofür man ohne wesentliche Aenderung der
Resultate auch die unter (30) gegebene vereinfachte Formel
benutzen könnte.
Was ferner den Druck p anbetrifft , so wandte ich bei meinen
Rechnungen zuerst diejenigen Zahlen an, welche Regnault in
seiner bekannten grossen Tabelle zusammengestellt hat, in welcher
von — 320 i^is _|_ 230*' die Spannungen des Wasserdampfes von
Grad zu Grad angegeben sind. Ich fand aber dabei eigenthüm-
liche Abweichungen vom regelmässigen Verlaufe der Zahlen, welche
in gewissen Temperaturintervallen einen anderen Charakter hatten,
als in anderen Intervallen, und ich erkannte bald, dass der Grund
dieser Abweichungen darin lag, dass Regnault seine Zahlen
mittelst empirischer Formeln berechnet hat, und dass er in ver-
schiedenen Temperaturintervallen verschiedene Formeln angewandt
Behandlung der gesättigten Dämpfe.
149
hat. Demnacli schien es mir zweckmässiger, mich bei meiner
Untersuchung von dem Einflüsse der empirischen Formeln ganz
frei zu machen, und mich an diejenigen Zahlen zu halten, welche
das Ergebniss der Beobachtungen in möglichster Reinheit dar-
stellen, weil diese zur Vergleichung mit theoretischen Resultaten
besonders geeignet sind.
Regnault hat, um aus seinen zahlreichen Beobachtungen
die wahrscheinlichsten Werthe zu erhalten, eine graphische Dar-
stellung zu Hülfe genommen, indem er Curven construirt hat, deren
Abscissen die Temperatur, und deren Ordinaten den Druck p
bedeuten, und welche in verschiedenen Absätzen von — SS" bis
-f- 230« gehen. Von 100"^ bis 230^ hat er auch noch eine Curve
gezeichnet, deren Ordinaten nicht ^j selbst, sondern den Logarith-
mus von p bedeuten. Aus dieser Darstellung haben sich folgende
Werthe ergeben, welche als das unmittelbarste Resultat seiner
Beobachtungen zu betrachten sind, und aus welchen auch die-
jenigen Werthe, die zur Berechnung seiner empirischen Formeln
gedient haben, entnommen sind:
t in Cent. -Gr.
des Luft-
t in Cent.-Gr.
des Luft-
2) in Millimetern
2) in
nach der
nach der
thermometers.
Millimetern.
tliermometers.
Curve der
Zahlen.
Curve der Lo-
garithmen 1).
— 200
0,91
1100
1073,7
1073,3
— 10
2,08
120
1489,0
1490,7
0
4,60
130
2029,0
2030,5
10
9,16
140
2713,0
2711,5
20
17,39
150
3572,0
3578,5
30
31,55
160
4647,0
4651,6
40
54,91
170
5960,0
5956,7
50
91,98
180
7545,0
7537,0
60
148,79
190
9428,0
9425,4
70
233,09
200
11660,0
11679,0
80
354,64
210
14308,0
14325,0
90
525,45
220
17390,0
17390,0
100
760,00
230
20915,0
20927,0
1) Es sind in dieser Columne statt der durch die Curve unmittelbar
gegebenen und von Regnault angeführten Logarithmen die dazu ge-
hörigen Zahlen mitgetheilt, um sie besser mit den Werthen der vorher-
gehenden Columne vergleichen zu können.
150 Abschnitt VI.
Um nun mit diesen Daten die beabsichtigte Rechnung auszu-
führen, habe ich zuerst nach der vorstehenden Tabelle die Werthe
von— • -^ für die Temperaturen 5°, lÖ^ 25*' etc. bestimmt, und
p dt
zwar auf folgende Weise. Da die Grösse — • -^ mit wachsender
° p dt
Temperatur nur langsam abnimmt, habe ich die Abnahme in jedem
Intervall von 10 Graden, also von 0° bis 10% von 10^ bis 20» etc.
als gleichförmig betrachtet, so dass ich den z. B. für 25" geltenden
Werth als das Mittel aus allen zwischen 20" und 30" vorkommen-
den Werthen ansehen konnte. Dann konnte ich mich, da ~
p dt
= Ji ist, folgender Formel bedienen:
(i
dp\ logp-io — logp^o
dt) 10
25"
oder auch:
(36)
e
dp\ Logp^, — Logp^,
dt) 10 . M
25"
worin Log das Zeichen der Briggs'schen Logarithmen und M der
Modulus dieses Systems ist. Mit Hülfe dieser Werthe von — • —
-^ p dt
und der durch die oben angeführte Gleichung gegebenen Werthe
vonr, so wie endlich des Werthes 273 von a, sind die Werthe, welche
die Formel auf der rechten Seite von (35) und somit auch der
1 a
Ausdruck -pp(s — ö) für die Temperaturen 5", 15", 25" etc.
annimmt, berechnet und finden sich in der zweiten Columne der
nachstehenden Tabelle angeführt. Bei den Temperaturen über
100" sind die beiden oben für p mitgetheilten Zahlenreihen einzeln
benutzt, und die dadurch gefundenen doppelten Resultate neben
einander gestellt. Die Bedeutung der dritten und vierten Columne
wird gleich weiter unten noch näher bezeichnet werden.
Beliandluiig der gesättigten Dämpfe.
151
1.
^ P (*■ — 0)
a
rt+ t
4.
t iu Cent.-Gr.
9
3.
nach der Glei-
chung (38).
des Luft-
thermometers.
nach den Beobach-
tungswerthen.
Differenzen.
50
30,93
30,46
— 0,47
15
30,60
30,38
— 0,22
25
30,40
30,30
— 0,10
35
30,23
30,20
— 0,03
45
30,10
30,10
0,00
55
29,98
30,00
+ 0,02
65
29,88
29,88
0,00
75
• 29,76
29,76
0,00
85
29,65
29,63
— 0,02
95
29,49
29,48
- 0,01
105
29,47 29,50
29,33
— 0,14 — 0,17
115
29,16 29,02
29,17
-1- 0,01 -f 0,15
125
28,89 28,93
28,99
+ 0,10 -1- 0,06
135
28,88 29,01
28,80
— 0,08 — 0,21
145
28,65 28,40
28,60
— 0,05 + 0,20
155
28,16 28,25
28,38
4- 0,22 4- 0,13
165
28,02 28,19
28,14
-f 0,12 — 0,05
175
27,84 27,90
27,89
+ 0,05 — 0,01
185
27,76 27,67
27,62
— 0,14 — 0,05
195
27,45 27,20
27,33
— 0,12 +- 0,13
205
26,89 26,94
27,02
+ 0,13 + 0,08
215
26,56 26,79
26,68
+ 0,12 — 0,11
225
26,64 26,50
26,32
— 0,32 — 0,18
Man sieht in dieser Tabelle sogleich, dass -r^pis — 0)
a 4- t
nicht, wie es sein müsste, wenn das Mariotte'sche und Gay-
Lussac'sche Gesetz gültig wäre, constant ist, sondern mit der
Temperatur entschieden abnimmt. Zwischen oö'- und 95^ zeigt
sich diese Abnalmie sehr regelmässig. Unter 35*^ findet die
Abnahme weniger regelmässig statt, was sich einfach daraus
erklärt, dass hier der Druck p und sein Differentialcoefficient
152 Abschnitt VI.
-^y sehr klein sind, und dass daher geringe Ungenauigkeiten in
U/V
ihrer Bestimmung, die ganz in die Grenzen der Beobachtungsfehler
fallen, doch verhältnissmässig bedeutend werden können, lieber
100** hinaus nehmen die Werthe dieses Ausdrucks ebenfalls nicht
so regelmässig ab, wie zwischen 35° und 95% doch zeigen sie
wenigstens im Allgemeinen einen entsprechenden Gang, und be-
sonders, wenn man eine graphische Darstellung ausführt, findet
man, dass die Curve, welche innerhalb jenes Intervalls fast genau
die Punkte verbindet, welche durch die in der Tabelle enthaltenen
Zahlen bestimmt werden, sich auch darüber hinaus bis 230° ganz
natürlich so fortsetzen lässt, dass diese Punkte gleichmässig auf
beiden Seiten vertheilt liegen.
Der Gang dieser Curve kann in der ganzen Ausdehnung der
Tabelle ziemlich genau durch eine Gleichung von der Form
1 a
(37) -^ p(s — 6) ~ — -— = m — ne^^
ausgedrückt werden, worin e die Basis der natürlichen Logarith-
men bedeutet, und wi, n und li Constante sind. Wenn die letzteren
aus den Werthen, welche die Curve für 45*^, 125<^ und 205" giebt,
bestimmt werden, so kommt:
(37 a) m = 31,549; n = 1,0486; l = 0,007138,
und wenn man zur Bequemlichkeit noch Briggs'sche Logarithmen
einführt, so erhält man:
(38) Log [31,549 — \,p{s — 6) — tt;] = ^,0206 -f- 0,003100 t
Nach dieser Gleichung sind die in der dritten Columne enthaltenen
Zahlen berechnet, und in der vierten sind die Differenzen hin-
zugefügt, welche diese Zahlen mit den in der zweiten befindlichen
bilden.
1) s
8. 8. Diffentialcoefficienten von - —
pso
Aus dem Vorstehenden lässt sich nun leicht eine Formel ab-
leiten, aus welcher man noch bestimmter erkennen kann, in welcher
Weise das Verhalten des Dampfes vom Mariotte'schen und Gay-
L US sac' sehen Gesetze abweicht. Unter Annahme dieser Gesetze
Behandlong der gesättigten Dämpfe.
153
würde man, wenn ps^ den bei 0' geltenden Werth von ps bedeutet,
setzen können:
ps >i. — f.
and würde also für den Dififerentialcoefficienten ^-r {^—\ eine
dt \ps,/
constante Grösse, nämlich den bekannten Ausdehnungscoefficienten
— = 0,003665 erhalten. Statt dessen ergiebt sich ans (37), wenn
- 6 einfach s setzt, die Gleichnng:
ps m — M . ^^ a — f
ps^ ~
m
m
man darin für s
(39)
nnd daraas folgt:
(40) fA—) = -
dt \pS(f/ a m — n
Der Differentialcoefficient ist also nicht eine Constante, sondern
eine mit wachsender Temperatnr abnehmende Function, welche,
nachdem man für im, n nnd h die in (37a) mitgetheüten Zahlen
eingesetzt hat, anter anderen folgende Berthe annimmt:
n [1 -L- Ar r« -!- Ol «**
f.
d /ps\
dtXpsJ
t.
dt \psj
f.
d /ps\
dt XpsJ
(fi
OJOOßm
70»
ofioam
1400 i
0,«X»24t
10
i'K-y.'Sd-i
80
0,00300
150
OjOfmi
20
-.'■.■:';-:^
90
OflOS^
160
Ofifmj
30
'.. y. :_;
100
0,00285
170
0,002(ß
40
ÖAJJ325
110
0,00276
180
0J»137
50
0,00819
120
0,00266
190
0,00168
60
0,003U
130
0,00256
200
0,00149
Man sieht hieraus, dass die Abweichungen vom Mariotte'-
schen and Gay-Lnssac 'sehen Gesetze bei niedrigen Temperataren
nur gering sind, bei höheren aber, z. B. bei 100'- and darüber hin-
aas, nicht mehr Temachlässigt werden dürfen.
Es kann vielleicht aaf den ersten Blick auffallend erscheinen,
dass die srefandenen Werthe von -j- (^—\ Heiner smA. alsO.O'^oGSS.
dt \psj
154 Abschnitt VI.
während man doch weiss, dass bei denjenigen Gasen, welche
beträchtlich vom Mariotte' sehen und Gay-Lussac' sehen
Gesetze abweichen, wie die Kohlensäure und die schweflige Säure,
der Ausdehnungscoefficient nicht Meiner^ sondern grösser ist, als
jene Zahl. Man darf jedoch den vorher berechneten Differential-
coefficienten nicht ganz gleichstellen mit dem Ausdehnungscoeffi-
cienten im wörüiclien Sinne, welcher sich auf die Vermehrung des
Volumens bei constantem Drucke bezieht, auch nicht mit der Zahl,
welche man erhält, wenn man bei der Erwärmung das Volumen
constant lässt, und dann die Zunahme der Expansivkraft beob-
achtet, sondern es handelt sich hier um einen dritten besonderen
Fall des allgemeinen Differentialcoefficienten -yi ( -^l, nämlich
dt Vi^So/
um den, wo zugleich mit der Erwärmung der Druck in so starkem
Verhältnisse wächst, wie es beim Wasserdampfe geschieht, wenn
dieser im Maximum seiner Dichte bleibt; und diesen Fall müssen
wir auch bei der Kohlensäure betrachten, wenn wir eine Vergleichung
anstellen wollen.
Der Wasserdampf hat bei etwa 108'' eine Spannkraft von 1 m
und bei 1291/2" eine solche von 2 m. Wir wollen daher unter-
suchen, wie sich die Kohlensäure verhält, wenn sie sich auch um
211/2^ erwärmt, und dabei der Druck von Im bis 2m vermehrt
wird. Nach Regnault 1) ist der Ausdehnungscoefficient der Kohlen-
säure bei constantem Drucke, wenn dieser 760 mm beträgt, 0,003710,
und wenn er 2520mm beträgt, 0,003846. Für einen Druck von
1500mm (dem Mittel zwischen Im und 2m) erhält man daraus,
wenn man die Zunahme des Ausdehnungscoefficienten als propor-
tional der Druckzunahme betrachtet, den Werth 0,003767. Würde
also die Kohlensäure unter diesem mittleren Drucke von 0" bis
1) V
2IV2*' erwärmt, so würde dabei die Grösse - — von 1 zu
1 -f 0,003767 X 21,5 = 1,08099 anwachsen. — Ferner ist aus
anderen Versuchen von Regnault 2) bekannt, dass, wenn Kohlen-
säure, welche sich bei einer Temperatur von nahe 0^ unter dem
Drucke von Im befunden hat, mit einem Drucke von 1,98292m
belastet wird, dabei die Grösse ^^v im Verhältnisse von 1 : 0,99146
abnimmt, woraus sich bei einer Druckvermehrung von 1 m zu 2 m
1) Belation des exxm'iences, t. I, Mein. I.
2) Ebendas. t. I, Mem. VI.
Beliaudlung der gesättigten Dämpfe. 155
eine Abnahme im Verhältnisse von 1 : 0,99131 ergiebt. — Wenn
nun beides gleichzeitig stattfindet, die Temperaturerhöhung von 0'^
bis 2IV2'' und die Druckzunahme von Im zu 2m, so muss dabei die
Grösse ^ sehr nahe von 1 zu 1,08099 X 0,99131 = 1,071596
anwachsen, und daraus erhält man als mittleren Werth des Dif-
ferentialcoefticienten 4-; f - — )
d t \p vj
0,071596
= 0,00333.
21,5
Man sieht also, dass man für den Fall, auf den es hier anlcommt,
schon bei der Kohlensäure einen Werth erhält, der kleiner als
0,003665 ist, und es kann daher jenes Resultat beim Dampfe im
Maximum seiner Dichte um so weniger befremden.
Wollte man dagegen den eigentlichen Ausdehnungscoefficien-
ten des Dampfes bestimmen, also die Zahl, welche angiebt, um
wie viel ein Dampfquantum sich ausdehnt, wenn es bei einer be-
stimmten Temperatur im Maximum seiner Dichte genommen, und
dann, getrennt von W^asser, unter constantem Drucke erwärmt
wird, so würde man gewiss einen Werth erhalten, der grösser und
vielleicht heträcMIicli grösser wäre, als 0,003665.
§. 9. Formel zur Bestimmung des specifischen Volumens
des gesättigten Wasserdampfes, und Vergleichung
derselben mit der Erfahrung.
Aus der Gleichung (37) und ebenso aus der Gleichung (34)
lassen sich die relativen Werthe von s — 0 und daher auch mit
grosser Annäherung von s für verschiedene Temperaturen be-
rechnen, ohne dass man das mechanische Aequivalent der Wärme
E zu kennen braucht. Will man aber aus diesen Gleichungen die
absoluten Werthe von s berechnen , so muss entweder E bekannt
sein, oder man muss suchen, mit Hülfe eines anderen Datums E
zu eliminiren.
Zu der Zeit, als ich zuerst diese Rechnungen ausführte, waren
für E von Joule mehrere aus verschiedenen Versuchsarten ab-
geleitete Werthe angegeben, welche ziemlich weit von einander ab-
wichen, und Joule hatte sich noch nicht darüber ausgesprochen,
welchen dieser Werthe er für den wahrscheinlichsten hielt, Weareu
156 Abschnitt VI.
dieser Unsicherheit schien es mir zweckmässig, zur Bestimmung
der absoluten Werthe von s einen anderen Anhaltspunkt zu suchen,
und ich glaube, dass das von mir gewählte Verfahren auch jetzt
noch genügendes Interesse besitzt, um es hier mittheilen zu dürfen.
Man drückt bekanntlich das specifische Gewicht der Gase und
Dämpfe gewöhnlich in der Weise aus, dass man das Gewicht einer
Volumeneinheit des Gases oder Dampfes mit dem Gewichte einer
Volumeneinheit atmosphärischer Luft unter demselben Drucke
und bei derselben Temperatur vergleicht. Ebenso kann man das
specifische Volumen in der Weise ausdrücken, dass man das Volumen
einer Gewichtseinheit des Gases oder Dampfes mit dem Volumen
einer Gewichtseinheit atmosphärischer Luft unter demselben Drucke
und bei derselben Temperatur vergleicht. Wenden wir dieses
Letztere auf den gesättigten Dampf an, für welchen wir das
Volumen einer Gewichtseinheit mit s bezeichnet haben, und be-
zeichnen wir ferner das Volumen einer Gewichtseinheit atnio-
sphärischer Luft unter demselben Drucke und bei derselben Tem-
peratur mit v\ so wird die in Rede stehende Grösse durch den
ß
Bruch -7 dargestellt.
V
Für s ergiebt sich aus (37), wenn wir darin 6 vernachlässigen
der Ausdruck:
(41) s = — ^ — ■ — ^ (m — ne^'^).
ap ^
Für T)' können wir nach dem Mariotte'schen und Gay-Lussac'-
schen Gesetze die Gleichung:
i>
bilden. Durch Division dieser beiden Gleichungen durch einander
erhalten wir:
(42) -r = TiT- (w* — n&^).
Bilden wir dieselbe Gleichung für irgend eine specielle Temperatur,
welche wir mit ^0 bezeichnen wollen, und bezeichnen auch den
betreffenden Werth des Bruches —r mit ( -r ) , so kommt:
v' \v'/o
\y /o ii «
Lidem wir mit Hülfe dieser Gleichung aus der vorigen den con-
E
stauten Factor ^^7- eliminiren, erhalten wir:
li a
(43) 4 = (4)
Behandlung clei* gesättigten Dämpfe. 157
Es fragt sich nun, ob man für irgend eine Temperatur t(, die
Grösse (— ) oder ihren reciproken Werth ( — )q, welcher das
specifische Gewicht des Dampfes hei der Temperatur t(, bedeutet,
mit genügender 'Sicherheit bestimmen kann.
Die gewöhnlich für die specifischen Gewichte der Dämpfe
angeführten Werthe sind nicht an gesättigten, sondern an stark
überhitzten Dämpfen beobachtet. Sie stimmen, wie man weiss,
ziemlich gut mit den theoretischen Werthen überein, welche man
aus dem bekannten Gesetze über die Beziehung zwischen dem
Volumen eines zusammengesetzten Gases und den Volumen seiner
gasförmigen Bestandtheile ableiten kann. So hat z, B. Gay-
Lussac für das specifische Gewicht des Wasserdampfes experi-
mentell den Werth 0,6235 gefunden, und der theoretische Werth,
welchen man erhält, wenn man annimmt, dass zwei Maass Wasser-
stoff und ein Maass Sauerstoff bei ihrer Verbindung zwei Maass
Wasserdampf geben, ist:
2 X 0,06926 + 1,10563 ^ ^ ^^2
Diesen Werth des specifischen Gewichtes darf man aber auf
den gesättigten Wasserdampf nicht allgemein anwenden, indem sich
aus der Tabelle des vorigen Paragraphen, welche die Werthe von
-j- (- — ) enthält, zu grosse Abweichungen vom Mar iotte' sehen
cl t \p Sq /
und Gay-Lussac'schen Gesetze ergeben. Nun zeigt aber anderer-
seits jene Tabelle, dass die Abweichungen um so geringer werden,
je niedriger die Temperatur w^rd, und man wird daher nur noch
einen unbedeutenden Fehler begehen, wenn man annimmt, dass
der gesättigte Wasserdampf bei der Temperatur des Gefrierpunktes
dem Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze schon hin-
länglich folge, um für diese Temperatur das specifische Gewicht
gleich 0,622 setzen zu dürfen. Streng genommen müsste man
noch weiter gehen, und die Temperatur, für welche das specifische
Gewicht des gesättigten Wasserdampfes den theoretischen Werth
annimmt, noch tiefer, als den Gefrierpunkt, setzen. Da es aber
bedenklich sein würde, die Gleichung (37), welche nur eine empi-
rische Formel enthält, für so tiefe Temperaturen noch in Anwen-
dung zu bringen, so wollen wir uns mit jener Annahme begnügen.
158
Absclinitt VI.
Indem wir also für f^ den Werth 0 anwenden, und zugleich
setzen :
(7)
= 0,622, und daher:
s/o W
geht die Gleichung (43) über in:
s m — ne''
0,622'
^"^^^ 'v' 0,622 {m — ny
aus welcher Gleichung man unter Anwendung der in (37 a) ge-
s
gebenen Werthe von m, n und ä; die Grösse — ; und somit auch
die Grösse s für jede Temperatur berechnen kann.
Man kann der vorstehenden Gleichung noch eine für die
Rechnung bequemere Form geben, indem man setzt:
(45)
^ = M- Na\
und den Constanten M, N und k folgende aus den Werthen von
w, n und Je berechnete Werthe giebt:
(45a) Jf= 1,6630; i\^= 0,05527; «=1,007164.
Um von dem Verhalten dieser Formel eine Anschauung zu
s
geben, sind in der folgenden Tabelle einige Werthe von — und
v'
auch von dem reciproken Werthe — , welchen wir kürzer durch
den schon früher für das specifische Gewicht angewandten Buch-
staben d bezeichnen wollen, zusammengestellt.
t
00
50"
1000
1500
2000
s
1,608
1,585
1,550
1,502
1,433
d
0,622
0,631
0,645
0,666
0,698
Das Resultat, dass der gesättigte Wasserdampf von dem
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze, welche man bis
dahin allgemein auf ihn angewandt hatte, so weit abweiche, wie es
in den obigen Formeln und Tabellen ausgedrückt ist, fand, wie
schon an einer anderen Stelle gelegentlich erwähnt wurde, anfangs
energischen Widerspruch, selbst von sehr competenter Seite.
Gegenwärtig wird es aber, wie ich glaube, ziemlich allgemein als
richtig anerkannt.
Behandlung der gesättigten Dämpfe.
159
Auch eine experimentelle Bestätigung hat es erfahren durch
die im Jahre 1860 veröfFentlichten Untersuchungen von Fair-
bairn und Tate^), deren Beobachtungsresultate in der nach-
stehenden Tabelle einerseits mit den früher angenommenen Zahlen,
bei welchen für alle Temperaturen das specifische Gewicht 0,622
vorausgesetzt ist, und andererseits mit den aus der Gleichung (45)
hervorgehenden Zahlen verglichen sind.
Volumen eines Kilogramm gesättigten
Temperatur
in
Wasserdampfes in Cubikmetern
Centesimal-
früher ange-
nach der
nach den
Gracleu.
nommene
Gleichung
Beobach-
Wertlie.
(45).
tungen.
58,210
8,38
8,23
8,27
68,52
5,41
5,29
5,33
70,76
4,94
4,83
4,91
.7,18
3,84
3,74
3,72
77,49
3,79
3,69
3,71
79,40
3,52
3,43
3,43
83,50
3,02
2,94
3,05
86,83
2,68
2,60
2,62
92,66
2,18
2,11
2,15
117,17
0,991
0,947
0,941
118,23
0,961
0,917
0,906
118,46
0,954
0,911
0,891
124,17
0,809
0,769
0,758
128,41
0,718
0,681
0,648
130,67
0,674
0,639
0,634
131,78
0,654
0,619
0,604
■ 134,87
0,602
0,569
0,583
137,46
0,562
0,530
0,514
139,21
0,537
0,505
0,496
141,81
0,502
0,472
0,457
142,36
0,495
0,465
0,448
144,74
0,466
0,437
0,432
1) Proc. of tu Boyal Soc. 1860 und Phil Mcuj. Ser. 4, Vol. XXI.
160 Abschnitt VI.
Man sieht aus dieser Tabelle, dass die beobachteten Werthe
viel besser mit den aus meiner Gleichung berechneten, als mit den
früher angenommenen Werthen stimmen, und dass die Differenzen,
welche zwischen den Beobachtungswerthen und den Werthen
meiner Formel noch vorkommen, sogar meistens in dem Sinne
stattfinden, dass die Beobachtungswerthe von den früher angenom-
menen Werthen noch weiter abweichen, als die Werthe meiner
Formel.
§. 10. Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der
Wärme aus dem Verhalten des gesättigten Dampfes.
Nachdem wir die absoluten Werthe von s bestimmt haben,
ohne das mechanische Aequivalent der Wärme als bekannt vor-
auszusetzen, können wir nun umgekehrt, unter Anwendung dieser
Werthe, die Gleichung (17) dazu benutzen, das mechanische Aequi-
valent der Wärme zu bestimmen, indem wir dieser Gleichung
folgende Form geben :
(46) . £= — ^(s_6).
Der in dieser Gleichung als Factor von s — 6 stehende Bruch
lässt sich nach den von Regnault festgestellten Zahlen für ver-
schiedene Temperaturen berechnen. Will man ihn z, B. für 100"
berechnen, so hat man nach Eegnault für -^, wenn der Druck
in Millimetern Quecksilber dargestellt wird, denWerth 27,20. Um
diese Zahl auf das hier anzuwendende Druckmaass, nämlich Kilo-
gramme auf ein Quadratmeter, zu reduciren, muss man sie mit
dem Gewichte einer bei der Temperatur 0" genommenen Queck-
silbersäule von ein Quadratmeter Grundfläche und ein Millimeter
Höhe, also mit dem Gewichte eines Cubikdecimeter Quecksilber
von O'' multipliciren. Da dieses Gewicht nach Regnault in
Kilogrammen 13,596 beträgt, so erhält man die Zahl 369,8. Ferner
hat man a -\- t und r für 100" gleich 373 und 536,5 zu setzen.
Daraus ergiebt sich:
Behandlung der gesättigten Dämpfe. 161
^"^ '^ ^ Ji _ 373 X 369,8 _ ^^^
r ~ 536,5 —^5/,
und somit geht (46) über in :
(47) E = 257 (s - ö).
Es kommt nun darauf an, die Grösse s — 6 oder, da o be-
kannt ist, die Grösse s für Wasserdampf von 100" zu )>estimmen-
Das früher übliche Verfahren, dasselbe specifische Gewicht, welches
man für überhitzten Dampf experimentell gefunden oder theoretisch
aus der Zusammensetzung des Wassers abgeleitet hatte, auch auf den
gesättigten Dampf anzuwenden, führte zu dem Ergebnisse, dass ein
Kilogramm Wasserdampf bei 100" einen Raum von 1,696 Cubikmeter
einnehme. Dieser Werth muss aber dem Obigen nach beträcht-
lich zu gross sein, und muss daher auch einen zu grossen Werth
des mechanischen Aequivalentes der Wärme geben. Nimmt man
dagegen dasjenige specifische Gewicht, welches sich aus der Glei-
chung (45) berechnen lässt, und welches für 100" gleich 0,645 ist,
als angenähert richtig an, so erhält man für s den Werth 1,638.
Unter Anwendung dieses Werthes von s geht die Gleichung
(47) über in :
(48) E = 421.
Man erhält also auf diese Weise für das mechanische Aequivalent
der Wärme einen Werth, welcher mit dem von Joule durch
Reibung des Wassers gefundenen und dem in Abschnitt II. aus
dem Verhalten der Gase abgeleiteten Werthe, die beide nahe
gleich 424 sind, in ganz befriedigender Weise übereinstimmt. Diese
Uebereinstimmung kann als eine Bestätigung unserer über die
Dichtigkeit des gesättigten Dampfes angestellten Betrachtungen
dienen.
§. 11. Vollständige Differentialgleichung von Q für einen
aus Flüssigkeit und Dampf bestehenden Körper.
Im §. 1 dieses Abschnittes hatten wir für einen aus Flüssig-
keit und Dampf bestehenden Körper die beiden ersten Diflferential-
coefficienten von (^ durch folgende, dort unter (7) und (8) gegebene
Gleichungen bestimmt:
Clans ins, mochan. Wärmetheorie. I. ii
(51) dQ = d(mQ) -f (" - '-^ + M&j dT,
162 Abschnitt VI.
om
l^ = m{H-C) + Ma
Hieraus lässt sich sofort die vollständige Differentialgleichung erster
Ordnung von Q bilden, nämlich:
(49) dQ = Qdm + \m(H - C) -|- Mc\ dT.
Nun ist, gemäss der Gleichung (12), zu setzen:
TT _ p _ dQ Q
^ ^ — dT T'
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
(50) dQ=Q dm + [in (|| _ j) + ilf (^] rf T,
welche Gleichung man, da q nur eine Function von T und folglich
y^ d T gleich d q ist, auch so schreiben kann :
(5i:
oder noch kürzer:
(52) dQ = Td ("^^ -f MCd T.
Diese Gleichungen sind, so lange die beiden Grössen, deren
Differentiale an der rechten Seite vorkommen, von einander unab-
hängig sind, und somit der Weg der Veränderungen unbestimmt
gelassen ist, nicht integrabel. Sie werden aber integrabel, sobald
auf irgend eine Weise der Weg der Veränderungen bestimmt wird.
Man kann daher mit ihnen ganz ähnliche Rechnungen anstellen,
wie die, welche in Abschnitt II. für Gase ausgeführt wurden.
Wir wollen beispielsweise einen Fall behandeln, welcher einer-
seits an sich von Wichtigkeit ist, und andererseits dadurch
an Interesse gewinnt, dass er in der Dampfmaschinentheorie
eine wesentliche Rolle spielt. Wir wollen nämlich annehmen,
die aus Flüssigkeit und Dampf bestehende Masse ändere ihr
Volumen, ohne dass ihr dabei Wärme mitgetheilt oder entzogen
tverde. Bei dieser Volumenänderung erleidet auch die Temperatur
und die Grösse des dampfförmigen Theiles eine Aenderung, und
zugleich wird eine positive oder negative äussere Arbeit gethan.
Es sollen nun unter diesen Umständen die Grösse des dampf-
förmigen Theiles m , das Volumen v und die äussere Arbeit W als
Functionen der Temperatur bestimmt iverden.
Bt'haiidhiiig dar gesättigten Dämjif'e. 163
§. 12. Veränderung des dampfförmigen T heilos der
Masse.
Da die in dem Gefässc befindliche Masse keine Wanne
empfangen oder abgehen soll , so haben wir d Q ^ 0 zu setzen.
Indem wir dieses in der Gleichung (52) thun, erhalten wir:
(53) Td 0^\ -f MCd T = 0.
Denken wir uns beide Glieder dieser Gleichung durch E dividirt,
so gehen dadurch die Grössen q und (7, welche sich auf mechanisches
Wärmemaass beziehen, in die Grössen r und c über, welche sich
auf geiüöhnlichcs Wärmemaass beziehen. Dividiren wir zugleich
noch die beiden Glieder durch T, so lautet die Gleichung:
(53 a) d(~^^Mc'^ = 0.
Das erste Glied dieser Gleichung, welches ein einfaches Diffe-
rential ist, lässt sich natürlich sofort integriren, und auch im
letzten Gliede ist, da c nur von der Temperatur T abhängt, die
Integration immer ausführbar. Wenn wir diese Integration vor-
läufig nur andeuten, und die auf den Anfangszustand bezüglichen
Werthe aller vorkommenden Grössen zur Unterscheidung mit dem
Index 1 versehen, so lautet die entstehende Gleichung:
oder anders geordnet:
(54) 'IL^'^-Mfe'^-
Zur wirklichen Ausführung der angedeuteten Integration kann
man für c die von Regnault aufgestellten empirischen Formeln
anwenden. Beim Wasser lautet die schon unter (27) angeführte
Regnault 'sehe Formel:
c = 1 -|- 0,00004 # -f 0,0000009^2.
Da sich hiernach c mit der Temperatur sehr wenig ändert, so
wollen wir in den hier folgenden auf Wasser bezüglichen Rech-
nungen c als constant betrachten, was auf die Genauigkeit der
11*
164
Absclinitt VI.
Resultate nur einen unerheblichen Einfluss haben kann. Dadurch
geht (54) über in:
(55) -Y = -f^ — ^^ % Y'
woraus weiter folgt:
(56) m = ^(^^-Mclo!,^y
Wenn wir hierin für r den Ausdruck setzen, welcher unter (28)
und in vereinfachter Form unter (30) gegeben ist, so ist m als
Function der Temperatur bestimmt.
Um von dem Verhalten dieser Function eine ungefähre
Anschauung zu geben , habe ich einige für einen besonderen Fall
berechnete Werthe in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Es
ist nämlich angenommen, das Gefäss enthalte zu Anfang kein
tropfbar flüssiges Wasser, sondern sei gerade mit Wasserdampf
vom Maximum der Dichte angefüllt, so dass also in der vorigen
Gleichung mi = M zu setzen ist, und es finde nun eine Aus-
dehnung des Gefässes statt. Wenn das Gefäss zusammengedrückt
werden sollte, so dürfte man die Annahme, dass zu Anfang kein
flüssiges Wasser vorhanden sei, nicht machen, weil dann der
Dampf nicht im Maximum der Dichte bleiben, sondern durch die
bei der Zusammendrückung erzeugte Wärme überhitzt vy^erden
würde. Bei der Ausdehnung dagegen bleibt der Dampf nicht nur
im Maximum der Dichte, sondern es schlägt sich sogar ein Theil
desselben nieder, und die dadurch entstehende Verminderung von
m ist es eben, um welche es sich in der Tabelle handelt. Die
anfängliche Temperatur ist zu 150° C. angenommen, und es sind
für die Zeitpunkte, wo die Temperatur durch die Ausdehnung auf
125", 100^ etc. gesunken ist, die entsprechenden Werthe von ^
angegeben. Die vom Gefrierpunkte ab gezählte Temperatur ist,
wie schon früher, zum Unterschiede von der durch T dargestellten
absoluten Temperatur, mit t bezeichnet.
t
1500
1250
1000
750
500
250
m
M
1
0,956
0,911
0,866
0,821
0,776
Beliandliiiig der gesättigten Dämpfe. IGl
§. 13. Beziehung zwischen Volumen und Temperatur.
Um die zwischen dem Volumen v und der Temperatur statt-
findende Beziehung auszudrücken, hat man zunächst die Gleichung
(5), nämlich:
V = mu -\- 31 ö.
Die hierin vorkommende Grösse ö, welche das Volumen einer Ge-
wichtseinheit Flüssigkeit bedeutet, ist als Function der Temperatur
bekannt, und dasselbe gilt natürlich auch von dem Producte 3I(j.
Es kommt also nur noch darauf an, das Product mu zu bestimmen.
Dazu braucht man nur in der Gleichung (55) für /• den in (17)
gegebenen Ausdruck zu substituiren, wodurch mau erhält:
. mu dp m^ ri . T
^'^^ -WdT = -Tr- ^^'^'^t;^
und somit:
(.58) ,nu = ^(^^-3IeJo,^)-
(IT
Der hierin vorkommende Difierentialcoefficient -j4p ist als bekannt
anzusehen, wenn p selbst als Function der Temperatur bekannt
ist, und somit ist durch diese Gleichung das Product m u bestimmt,
und aus ihm erhält man durch Addition von J/ö die gesuchte
Grösse v.
In der folgenden Tabelle ist wieder eine Reihe von Werthen
des Bruches — zusammengestellt, welche sich für denselben Fall,
Vi
auf den sich die vorige Tabelle bezieht, aus dieser Gleichung er-
geben. Ausserdem sind zur Vergleichung noch diejenigen Werthe
von — hinzugefügt, welche man erhalten würde, wenn die beiden
bisher in der Dampfmaschinentheorie gewöhnlich gemachten An-
nahmen richtig wären, nämlich 1. dass der Dampf bei der Aus-
dehnung, ohne sich theilweise niederzuschlagen, gerade im Maximum
der Dichte bleibe, und 2. dass er dem Mariotte'schen und Gay-
L US sac' sehen Gesetze folge; nach welchen Annahmen
Vj_ p Ti
sein würde.
166
Abschnitt "VI.
t
1500
1250
1000
750
500
250
V
1
1,88
3,90
9,23
25,7
88,7
P ' T,
1
1,93
4,16
10,21
29,7
107,1
§. 14. Bestimmung der Arbeit als Function der
Temperatur.
Es bleibt endlich noch die bei der Volumenänderung gethane
Arbeit zu bestimmen. Dazu haben wir allgemein die Gleichung:
(59)
W
V
= I pdv.
Nun ist nach Gleichung (5), wenn wir darin die überhaupt nur
kleine und dabei sehr wenig veränderliche Grösse ö als constant
betrachten :
dv = d (mu),
also
pdv = pd (mt(,),
wofür man auch schreiben kann :
(60)
dp
p d V = d (m up) — m u ~^ d T.
et JL
Hierin könnte man für mu ^ den aus Gleichung (57) her-
vorgehenden Ausdruck setzen, und dann die Integration ausführen.
Indessen erhält man das Resultat gleich in einer etwas bequemeren
Form durch folgende Substitution. Nach (13) ist:
mul^dT='^dT,
dT T
und in Folge von (53) kann man setzen :
d (mq) -{- MCdT,
"^dT
und somit der vorigen Gleichung folgende Gestalt geben:
mu L^dT=:d (m q) -j- MCd T.
Dadurch geht (60) über in:
BehaiiiUuntr '1er gesättigten Dämpfe.
167
(Gl) pdi) = d (mup) — (1 (mq) — MCdT
= — d [m (Q - »p)] — MCdT,
und durch Integration dieser Gleichung erhält man:
(62) W = nii (pi — n^ih) — m (g - up) -\- MC (T, — T).
Setzt man hierin noch, gemäss (14), für q und C die Producte Er
und _Ec, und fasst dann die Glieder, welche E als Factor enthalten,
zusammen, so kommt :
(63) W= mup — miuah + E [ni.ri — mr-\-3Ic (T, — T)],
woraus sich, da die Grössen mr und mu schon durch die vorigen
Gleichungen bekannt sind. W berechnen lässt.
Auch diese Rechnung habe ich für den obigen speciellen Fall
W
ausgeführt, wobei sich für -^ , d. h. für die von der Gewichtseinheit
bei der Ausdehnung gethane Arbeit, die in der Tabelle angefiihrten
Werthe ergeben haben. Als Gewichtseinheit ist ein Kilogi'amm
und als Arbeitseinheit ein Kilogramm -Meter gewählt. Für E ist
der von Joule gefundene Werth 423.55 angewandt.
Zur Yergleichung mit den Zahlen der Tabelle will ich noch
anführen, dass man für diejenige Arbeit, welche während der Ver-
dampfung selbst dadurch gethan wird, dass der sich bildende
Dampf den äusseren Gegendruck überwindet, in dem Falle, wo
1 Kilogr. \Yasser bei der Temperatur 150*"' und unter dem ent-
sprechenden Drucke verdampft, den Werth 18 700 erhält.
t 150» ' 1250 1000 750
500
250
w
M
0
11300
23 200
35 900
49 300
03 700
ABSCHNITT YII.
Scilmelzprocess und Verdampfung fester Körper.
§. 1. Hauptgleichungen für den Sclimelzprocess.
Während man bei der Verdampfung denEinfluss des äusseren
Druckes längst kannte und in allen Untersuchungen berücksich-
tigte, hatte man bei der Schmelzung diesen Einfluss früher nicht
beachtet, weil er sich hier viel weniger bemerklich macht. Indessen
lässt schon eine oberflächliche Betrachtung erkennen, dass, wenn
beim Schmelzen das Volumen des Körpers sich ändert, der äussere
Druck einen Einfluss auf den Vorgang haben muss. Nimmt das
Volumen des Körpers beim Schmelzen zu, so wird durch eine Ver-
mehrung des Druckes das Schmelzen erschwert, und man kann
daher schliessen, dass bei grösserem Drucke eine höhere Tempe-
ratur zum Schmelzen erforderlich ist, als bei geringerem Drucke.
Nimmt dagegen das Volumen beim Schmelzen ab, so wird durch
Vermehrung des Druckes das Schmelzen erleichtert, und die zum
Schmelzen erforderliche Temperatur wird daher um so niedriger
sein, je grösser der Druck ist.
Um nun aber den Zusammenhang zwischen Druck und Schmelz-
temperatur und die etwaigen sonstigen mit der Druckänderung
zusammenhängenden Aenderungen näher bestimmen zu können,
müssen wir die Gleichungen aufstellen, welche aus den beiden
Hauptsätzen der mechanischen Wärmetheorie für den Schmelz-
process hervorgehen.
SchmelzprxHJess und "VerdanipfiiDg fester Körper. 169
Dazu verfabreu wir ebenso, wie bei der Verdampfung. Wir
denken uns in einem ausdebnsamen Gefasse eine Menge J/ eines
Stoffes enthalten, welcher sieh zum Theil im testen, zum Theil im
flüssigen Zustande befinde. Der flüssige Theil habe die Grösse in
und demgemäss der feste Theil die Grösse M — m. Beide zu-
sammen sollen den Rauminhalt des Gefässes vollständig ausfüllen,
so dass dieser Rauminhalt zugleich das Volumen v des Körpers ist.
Wenn dieses Volumen v und die Temperatur T des Körpers
gegeben sind, so ist damit auch die Grösse m bestimmt. Um
dieses nachzuweisen , wollen wir zunächst die Voraussetzung
machen, dass beim Schmelzen das Volumen des Körpers sich ver-
grössere. Der Körper sei in einem Zustande gegeben, in welchem
die Temperatur T gerade die dem stattfindenden Dracke ent-
sprechende Schmelztemperatur ist. Wenn die in diesem Zustande
vorhandene Grösse des flüssigen Theiles auf Kosten des festen
wüchse, so würde dui'ch das damit verbundene Ausdehnungs-
bestreben der Druck des Körpers gegen die Getlisswände und dem-
gemäss auch der Gegendruck dieser Wände zunehmen. Durch diesen
vermehrten Druck würde die Schmelztemperatur steigen, und da dann
die vorhandene Temperatur tiefer wäre, als die Schmelztemperatur,
so müsste wieder ein Gefrieren des flüssigen Theiles beginnen.
Wenn umgekehrt der feste Theil auf Kosten des flüssigen wüchse, so
würde der Druck abnehmen und demgemäss die Schmelztemperatur
sinken, und da alsdann die vorhandene Temperatur höher wäre, als
die Schmelztemperatur, so müsste wieder ein Schmelzen des festen
Theiles beginnen. Machen wir die entgegengesetzte Voraussetzung,
dass beim Schmelzen das Volumen des Körpers sich verkleinere,
so wüi'den wir bei der Zunahme des festen Theiles eine Druck-
vermehrung und dadurch wieder ein theilweises Schmelzen und bei
der Zunahme des flüssigen Theiles eine Diiickverminderung und
dadui'ch wieder ein theilweises Gefrieren erhalten. Es ergiebt
sich also unter beiden Voraussetzungen das Resultat, dass nur die
ursprünglich vorhandenen Grössen des flüssigen und festen Theiles.
welche denjenigen Druck bedingen, zu welchem eine Schmelz-
temperatui- gehört, die der gegebenen Temperatur gleich ist. für
die Dauer bestehen können.
Ebenso, wie dem Vorigen nach durch die Temperatur und das
Volumen die Grösse m mit bestimmt wii'd. wird auch diu'ch die
lemperatiu- und die Grösse m das Volumen mit bestimmt, und
wir können T und /h als diejenigen Veränderlichen wählen, welche
170 Abschnitt VII.
zur Bestimmung des Zustandes des Körpers dienen sollen. Dabei
ist dann jj als eine Function von T allein anzusehen. Es kommen
also auch hier wieder die Gleichungen zur Anwendung, welche im
vorigen Abschnitte unter (1), (2) und (3) angeführt sind, nämlich:
8 /dQ\ d_ /dQ\ _ dp dv
dT\d m) d m KdTj ~ dT ' d^i
dQ
T G m
d T \d nij d m \d TJ T
dm dT ' d m '
Bezeichnen wir nun das specifische Volumen (das Volumen
der Gewichtseinheit) für den flüssigen Zustand des Körpers, wie
früher, mit ö, und das specifische Volumen für den festen Zustand
mit T, so gilt für das Gesammtvolumen v des Körpers die Gleichung :
V = mö -|- (M — m) r,
oder :
(1) V = m (ö — r) -|- üfr,
woraus folgt:
(2) 1^ = « - -
^ dm
Bezeichnen wir ferner die Schmelzwärme für die Gewichts-
einheit mit p', so ist zu setzen:
(3) Iß = e'.
^ ^ dm.
Um den anderen Differentialcoefficienten von Q^ nämlich
— ^, auszudrücken, müssen wir für die specifische Wärme des
0 1
Körpers im flüssigen und festen Zustande Zeichen einführen. Da-
bei ist aber auch hier wieder dieselbe Bemerkung zu machen, wie
bei der Verdampfung, dass es sich nicht um die specifische Wärme
bei constantem Drucke handelt, sondern um die specifische Wärme
für den Fall, wo mit der Temperatur der Druck sich in der Weise
ändert, wie es geschehen niuss, wenn die Temperatur immer die
zu dem Drucke gehörige Schmelztemperatur sein soll. Bei der
Verdampfung, wo die vorkommenden Druckänderungen der Kegel
nach nicht sehr gross sind, konnten wir bei der sj)ecifischen Wärme
des flüssigen Körpers den Einfluss der Druckänderung vernach-
lässigen, und die in der Formel vorkommende specifische Wärme des
SclnnHlz|)roc()HS und Verdampfnnj^ fester Körpei'. 171
flüssigen Körpers mit der specifischen Wärme bei constantem Drucke
als gleichbedeutend betrachten. In unserem gegenwärtigen Falle
aber kommen bei geringen Temperaturänderungen so grosso Druck-
änderungen vor, dass ihr Einfluss auf die specifische Wärme nicht
vernachlässigt werden darf. Wir wollen dalier die specifische
Wärme des flüssigen Körpers, welche wir in den auf die Verdampfung
bezüglichen Formeln mit G bezeichneten, unter den jetzigen Um-
ständen mit 6" bezeichnen. Die specifische Wärme des festen
Körpers unter den jetzigen Umständen möge mit K' bezeichnet
werden. Unter Anwendung dieser Zeichen können wir setzen:
oder auch:
(4) H = m {C - K') + MK'.
Aus den Gleichungen (3) und (4) folgt:
~[d /dQ\ dg' '
(5) . , _
^ ^ dT\dmJ cir
und durch Einsetzung dieser Werthe und des in (3) gegebenen
Werthes von —^ sowie des in (2) geffebenen Werthes von - — in
die obigen Diff"erentialgleichungen erhalten wir:
(8) ^ -I- K' ~ C' = l
(9) 9'=T(ö-r)||.
In diesen Gleichungen ist vorausgesetzt, dass die Wärme nach
mechanischem Maasse gemessen sei. Für den Fall, wo die Wärme
nach gewöhnlichem Maasse gemessen wird, mögen statt der Zei-
chen C\ K' und q' die Zeichen c', // und / angewandt werden,
deren Bedeutung durch folgende Gleichungen bestimmt ist:
(10) »■ = §'; i' = §; / = |.
Dann gehen die obigen Gleichungen über in:
172 Abschnitt VII.
(12) ^^. . .. . r
T
(13) /=.^>_-^),^.
Dieses sind die gesuchten Gleichungen, von denen die erste
dem ersten Hauptsatze und die zweite dem zweiten Hauptsatze
entspricht, während die dritte aus der Vereinigung beider Haupt-
sätze hervorgegangen ist.
§. 2. Beziehung zwischen Druck und Schmelztemperatur.
Die vorstehenden Gleichungen, von denen nur zwei unabhängig
sind, lassen sich zur Bestimmung zweier bisher unbekannter
Grössen anwenden.
Wir wollen zuerst von der letzten Gleichung Gebrauch machen,
um die Abhängigkeit der Schmelztemperatur vom Drucke zu be-
stimmen. Dazu geben wir ihr folgende Gestalt:
ru^ dT _T{6-x)
^ ^ dp ^ Er' '
Durch diese Gleichung bestätigt sich zunächst die schon oben
gemachte Bemerkung, dass, wenn der Körper sich beim Schmelzen
ausdehnt, der Schmelzpunkt mit wachsendem Drucke steigt, und
wenn der Körper sich beim Schmelzen zusammenzieht, der Schmelz-
punkt mit wachsendem Drucke sinkt, denn je nachdem ö grösser
oder kleiner ist, als r, ist die Differenz ö — % und demgemäss auch
dT
der Differentialcoefficient -^ positiv oder negativ. Mit Hülfe dieser
dT
Gleichung lässt sich aber auch der numerische Werth von -^ —
berechnen.
Wir wollen diese Rechnung für Wasser ausführen. Das
Volumen eines Kilogramm Wasser, in Cubikmetern ausgedrückt,
ist bei 40 C. gleich 0,001. Beim Gefrierpunkte ist es ein Wenig
grösser, aber der Unterschied ist so gering, dass wir ihn für unsere
Rechnung vernachlässigen und daher die Zahl 0,001 als Werth von
ö anwenden können. Die Grösse t, das Volumen eines Kilogramm
Eis, in Cubikmetern ausgedrückt, ist 0,001087. Die Schmelzwärme
Schmelzprocess und Verilanipfiuig fester Körper. 173
r' des Wassers ist nach Person 79. Ferner ist T beim Gefrier-
punkte 273 und für E wenden wir den Werth 424 an. Dadurch
erhalten wir:
dT _ 273 X 0,000087
Ip ~ 424 X 79
Will man den Druck nicht in mechanischen Einheiten (Kilogramme
auf ein Quadratmeter), sondern in Atmosphären angeben, so liat
dT
man den vorher bestimmten Werth von ^— noch mit 10 333 zu
dp
multipliciren, also :
dT _ _ 273 X 0,000087 X 10 333
Tp '~' 424 X 79
Daraus ergiebt sich:
d T
^ = — 0,00733 ,
dp
d. h. durch die Druckzunahme um eine Atmosphäre wird der
Schmelzpunkt um 0,00733 Grad C. erniedrigt.
§. 3. Experimentelle Bestätigung des vorstehenden
Resultates.
Der Schluss, dass der Schmelzpunkt des Eises durch ver-
mehrten Druck erniedrigt werde, und die erste Berechnung dieser
Erniedrigung stammt von James Thomson her, welcher aus der
Carnot'schen Theorie eine Gleichung ableitete, die von der Glei-
chung (14) nur dadurch verschieden war, dass sie rechts an der
T .
Stelle von -^ eine noch unbestimmte Temperaturfunction ent-
hielt, deren auf den Frostpunkt bezüglicher Werth aus Reg-
nault's Angaben über die Verdampfungswärme und die Spannung
des Wasserdampfes bestimmt war. Der Bruder des vorher ge-
nannten Forsche^^der berühmte Physiker William Thomson,
unterwarf dann das theoretisch gewonnene Resultat einer sehr
genauen experimentellen Prüfung i).
Um die Temperaturunterschiede feinmessen zu können, Hess- er
sich ein mit Schwefeläther gefülltes Thermometer anfertigen, dessen
Gefäss 31/2 Zoll Länge und ^/^ Zoll Durchmesser hatte, und dessen
1) Phil. Mag. Ser. III, Vol. 37, p. 123 und Pogg. Ann. Bd. 81, S. 163.
174 Absclmitt VII.
Röhre 6Y2 Zoll lang war. 51/2 Zoll davon waren in 220 gleiche
Theile getheilt und 212 dieser Theile umfassten ein Temperatur-
intervall von 30 Fahr., so dass jeder Theil nahe gleich — Grad
Fahr. war. Dieses Thermometer wurde hermetisch in eine etwas
weitere Glasröhre eingeschlossen, um es vor der Wirkung des
äusseren Druckes zu schützen, und wurde mit dieser Umhüllung
in eine Oersted'sche Presse gesetzt, welche mit Wasser und
klaren Eisstücken gefüllt war, und zur Druckmessung ein gewöhn-
liches Luftmanometer enthielt.
Nachdem das Thermometer einen festen Stand angenommen
hatte, welcher dem Schmelzpunkte des Eises unter atmosphärischem
Drucke entsprach, wurde durch Niederschrauben des Stempels der
Presse der Druck vermehrt, und sofort sah man das Thermometer
sinken, indem die aus Wasser und Eis bestehende Masse die zu
dem grösseren Drucke gehörende tiefere Schmelztemperatur an-
nahm. Beim Nachlassen des Druckes ging das Thermometer wie-
der auf den ursprünglichen Stand zurück. Die nachstehende Tabelle
enthält die für zwei Druckkräfte beobachteten Temperaturerniedri-
gungen und daneben sind diejenigen Temperaturerniedrigungen
angeführt, welche sich für dieselben Druckkräfte berechnen lassen,
wenn man den im vorigen Paragraphen gefundenen Werth von
clT
-^— , der sich zunächst auf Druckkräfte in der Nähe von 1 Atm.
dp
bezieht, auch auf grössere Druckkräfte anwendet.
Druck-
Temperaturerniedrigung
vermehrung
beobachtet
berechnet
8,1 Atm.
16,8 „
0,0590 C.
0,129 „
0,0590 c.
0,123 „
Man sieht, dass zwischen den beobachteten und den berechneten
Zahlen eine fast vollkommene Uebereinstimmung stattfindet, und
somit auch dieses Resultat der Theorie in ausgezeichneter Weise
bestätigt ist.
Später hat Mousson^) einen sehr interessanten Versuch an-
gestellt, indem er Eis, welches fortwährend auf einer Temperatur
ij Pogg. Ann. Bd. 105, S. 161.
Schmelzprocess niul Vi'vdampfiing fester Körper. 175
von — 18^ bis — 20^ erhalten wurde, durch Anwendung eines
ungeheuren Druckes zum Schmelzen brachte. Den angewandten
Druck giebt er nach einer ungefähren Schätzung zu etwa 13 000 Atm.
an, wobei aber zu bemerken ist, dass möglicher Weise die Schmel-
zung schon bei einem viel geringeren Drucke eingetreten ist, in-
dem sich bei der von ihm getroffenen Einrichtung nur erkennen
Hess, dass überhaupt eine Schmelzung des Eises während des
Versuches stattgefunden hatte, aber nicht, zu welcher Zeit sie
eingetreten war.
§. 4. Experimentelle Untersuchung mit Substanzen, die
sich beim Schmelzen ausdehnen.
Mit solchen Substanzen, die sich beim Schmelzen ausdehnen,
und bei denen daher die Schmelztemperatur mit wachsendem
Drucke steigen muss, hat zuerst Bunsen eine experimentelle
Untersuchung angestellt i) , und zwar mit Wallrath und Paraffin.
Durch eine sinnreiche Einrichtung erhielt er in höchst einfacher
Weise eine sehr grosse und sofort messbare Druckvermehrung und
konnte dieselbe Substanz unter gewöhnlichem atmosphärischem
Drucke und unter dem vermehrten Drucke neben einander beob-
achten.
Er zog ein sehr dickwandiges Glasrohr von einem Fuss Länge
und einer Weite von Strohhalmdicke am einen Ende zu einer
feinen 15 bis 20 Zoll langen und am anderen Ende zu einer etwas
weiteren nur 17-2 Zoll langen Haarröhre aus. Die letztere, welche
sich bei der Anwendung des Apparates unten befinden sollte, wurde
so umgebogen, dass sie, dem unteren Theile der Glasröhre parallel,
aufwärts stand. Diese kurze umgebogene Haarröhre wurde nun
mit der zu untersuchenden Substanz und das weitere Glasrohr mit
Quecksilber gefüllt, während die lange Haarröhre mit Luft gefüllt
blieb. Beide Haarröhren wurden an ihren Enden zugeschmolzen.
Wenn nun der Apparat erwärmt wurde, so stieg das Quecksilber,
indem es sich ausdehnte, in der längeren Haarröhre empor und
drückte die hier befindliche Luft zusammen. Durch den Gegen-
druck der Luft wurde zunächst das Quecksilber und dann weiter
die in der kurzen Haarröhre befindliche Substanz gedrückt, und
1) Pogg. Adu. Bd. 81, S. 562.
176
Abschnitt VIT.
die Stärke dieses Druckes, welche sich auf über hundert Atmo-
sphären steigern Hess, konnte an der Grösse des noch vorhandenen
Luftvolumens gemessen werden.
Ein solcher Apparat wurde an einem Brette dicht neben einem
anderen Apparate befestigt, welcher dieselbe Einrichtung hatte, nur
dass die obere, mit Luft gefüllte Capillarröhre nicht zugeschmolzen
war, so dass die Zusammendrückung der Luft und die damit ver-
bundene Druckvermehrung in ihm nicht stattfand. Beide Apparate
zusammen wurden nun in Wasser getaucht, dessen Temperatur etwas
über dem Schmelzpunkte der zu untersuchenden Substanz lag-
Dabei konnte man, wenn das untere, mit der Substanz gefüllte
Röhrchen sich schon ganz unter Wasser befand, durch noch
weiteres Einsenken einen immer grösseren Theil des Quecksilbers
mit erwärmen und so den Druck in dem oben geschlossenen Apparate
immer mehr steigern. Unter diesen Umständen Hess Bunsen die
in beiden Apparaten befindliche Substanz vielfach schmelzen, und
bei der Abkühlung des Wassers wieder erstarren, und beobachtete
die Temperatur, bei der das Letztere stattfand. Dabei zeigte sich,
dass in dem Apparate, in welchem der Druck vermehrt war, das
Erstarren immer bei höherer Temperatur eintrat, als in dem
anderen Apparate, und zwar ergaben sich folgende Zahlen.
Beim Wallrath:
Beim Paraffin:
■ Druck
Erstarrungs-
punkt
1 Atm.
47,70 c.
29 „
48,3 „
96 „
49,7 „ .
141 „
50,5 „
156 „
50,9 „
Druck
1 Atm.
85 „
100 „
Erstarrungs-
punkt
46,30 C.
48,9 „
49,9 „
Später hat Hopkins 1) Versuche mit Wallrath, Wachs, Schwefel
und Stearin angestellt, bei denen der Druck durch einen mit Ge-
wichten beschwerten Hebel hervorgebracht und bis über 800 Atm.
getrieben wurde. Auch diese Versuche ergaben bei allen jenen
Substanzen Erhöhung der Schmelztemperatur mit wachsendem
Drucke. Die einzelnen bei verschiedenen Druckkräften von Hop-
kins beobachteten Temperaturen zeigen aber noch erhebliche
^) Report of tlie Brit. Assoc. 1854, 2, p. 57.
Sclimelzprocf'ss und Verdampfnno- fester Körper. 177
Unregelmässigkeiten. Beim Wachs, bei welchem die Temperatur mit
wachsendem Drucke am regelmässigsten stieg, hatte eine Druck-
zunahme von 808 Atm. eine Erhöhung des Schmelzpunktes um
151/2" C. zur Folge.
Aus der theoretischen Formel die Erhöhung des Schmelz-
punktes numerisch zu berechnen, ist bei den von Bunsen und
Hopkins untersuchten Stoffen für jetzt nicht gut ausführbar, weil
die zu dieser Rechnung nöthigen Data noch nicht genau genug
bekannt sind.
§. 5. Abhängigkeit der Werkwärme des Schmelzens von
der Schmelztemperatur.
Nachdem wir die Gleichung (13) dazu angewandt haben, die
Abhängigkeit der Schmelztemperatur vom Drucke zu bestimmen,
wollen wir nun die Gleichung (12) in Anwendung bringen, welche
sich in folgender Gestalt schreiben lässt:
(15) M'^'-'^' + i-
Diese Gleichung zeigt, dass, wenn durch Druckänderung die
Temperatur des Schmelzens geändert wird, dabei auch die zum
Schmelzen erforderliche Wärmemenge r' sich ändert, und kann
dazu dienen, die Grösse dieser Aenderung zu bestimmen. Die in
ihr vorkommenden Zeichen c' und k' bedeuten die specifische Wärme
des Stoffes im flüssigen und festen Zustande, aber, wie schon
gesagt, nicht die specifische Wärme bei constantem Drucke, sondern
die specifische Wärme für den Fall, wo der Druck sich mit der
Temperatur in der Weise ändert, wie es die Gleichung (13) angiebt.
Wie man diese Art von specifischer Wärme bestimmen kann,
soll im nächsten Abschnitte besprochen werden, und es mögen hier
nur beispielsweise die für Wasser geltenden Zahlenwertlie angeführt
werden. Die specifische Wärme bei constantem Drucke, nämlich
diejenige specifische Wärme, welche einfach unter dem atmosphä-
rischen Drucke gemessen ist, hat in der Nähe von 0'' für flüssiges
Wasser den Werth 1 und für Eis nach Person i) denWerth 0,48.
Die specifische Wärme für den hier in Betracht kommenden Fall
dagegen hat für flüssiges Wasser und Eis die Werthe
c' = 0,945 und Ä;' = 0,631.
1) Comptes renäus T. XXX, p. 536.
Claus ins, median. Wärmetheorie. I. 22
178 Abschnitt VII.
Nimmt man ferner für r' nach Person den Werth 79 an, so
erhält man:
^ = 0,945-0,631+ —
= 0,314 4- 0,289
= 0,603.
Bekanntlich kann der Gefrierpunkt des Wassers auch dadurch
erniedrigt werden , dass man es vor jeder Erschütterung bewahrt.
Diese Temperaturerniedrigung bezieht sich aber nur auf den An-
fang des Gefrierens, denn sobald das Gefrieren begonnen hat, ge-
friert gleich ein so grosser Theil des vorhandenen Wassers, dass
die ganze Wassermasse dadurch wieder auf 0« erwärmt wird, und
bei dieser Temperatur gefriert dann der übrige Theil. Es wird
daher nicht nöthig sein , auch die mit dieser Art von Temperatur-
erniedrigung verbundene Aenderung der Grösse r\ welche einfach
durch die Differenz der specifischen Wärmen des flüssigen Wassers
und des Eises bei constantem Drucke bedingt wird, hier näher zu
besprechen.
§. 6. Uebergang aus dem festen in den luftförmigen
Zustand.
Wir haben bisher die Uebergänge aus dem flüssigen in den
luftförmigen und aus dem festen in den flüssigen Zustand be-
trachtet; es kann aber auch geschehen, dass ein Stoff direct aus
dem festen in den luftförmigen Zustand übergeht. Für diesen
Fall gelten drei Gleichungen von derselben Form, wie die, welche
im vorigen Abschnitte unter (15) bis (17) und in diesem Abschnitte
unter (11) bis (13) gegeben sind, nur dass die auf die verschiedenen
Aggregatzustände bezüglichen specifischen Wärmen und specifischen
Volumina und die Werkwärme des üeberganges aus dem einen
Zustande in den anderen in der dem gegenwärtigen Falle ent-
sprechenden Weise gewählt werden müssen.
Der Umstand, dass die Werkwärme des üeberganges aus dem
festen in den luftförmigen Zustand grösser ist, als diejenige des
üeberganges aus dem flüssigen in den luftförmigen Zustand, führt
sofort zu einem Schlüsse, den schon Kirchhoff gezogen hati).
1) Pogg. Ann. Bd. 103, S. 206.
Schmolzprocess und Verdampfung fester Körper. 179
Betrachtet man nämlich einen Stoff' gerade bei seinem Schmelz-
punkte, so kann sich bei dieser Temperatur Dampf vom flüssigen
und vom festen Körper entwickeln. Bei Temperaturen über dem
Schmelzpunkte hat man es nur mit solchem Dampfe zu thun , der
sich vom flüssigen Körper entwickelt, und bei Temperaturen unter
dem Schmelzpunkte hat man es (abgesehen von dem am Schlüsse
des vorigen Paragraphen besprochenen speciellen Falle, wo eine
sehr ruhig gehaltene Flüssigkeit trotz der schon erreichten tieferen
Temperatur noch flüssig geblieben ist) nur mit solchem Dampfe
zu thun, der sich vom festen Körper entwickelt.
Wenn man nun für diese beiden Fälle, also für Temperaturen
über und unter dem Schmelzpunkte, den Dampfdruck j' als Func-
tion der Temperatur darstellt, und die Curve construirt, welche
die Temperatur als Abscisse und den Druck als Ordinate hat, so
fragt es sich, wie die den beiden Fällen entsprechenden Curven-
stücke sich bei der gemeinsamen Grenztemperatur, nämlich der
Schmelztemperatur, zu einander verhalten. Was zunächst den
Werth von p selbst anbetrifft, so können wir es als erfahrungs-
mässig feststehend betrachten, dass er für beide Fälle gleich ist,
dass also die beiden Curvenstücke bei der Schmelztemperatur in
Einem Punkte zusammentreffen. In Bezug auf den Differential-
coefficienten -^ aber lehrt die letzte der oben erwähnten drei
dT
Gleichungen, dass er für die beiden Fälle verschiedene Werthe hat,
so dass an der Stelle, wo die beiden Curvenstücke zusammentreffen,
ihre Tangenten verschiedene Richtungen haben.
Die Gleichung (17) des vorigen Abschnittes, welche sich auf
den Uebergang aus dem flüssigen in den luftförmigen Zustand be-
zieht, lässt sich so schreiben:
^^^^ df=T(s-ay
Soll nun die entsprechende Gleichung für den Uebergang aus
dem festen in den luftförmigen Zustand gebildet werden, so möge
dabei an der linken Seite der Druck des sich vom festen Körper
entwickelnden Dampfes zum Unterschiede durch P bezeichnet wer-
den. An der rechten Seite ist zunächst an die Stelle von ö, dem
specifischen Volumen des flüssigen Stoffes, das specifische Volumen
des festen Stoffes zu setzen, welches wir mit r bezeichnet haben,
wodurch aber, da diese beiden specifischen Volumina sehr wenig
von einander abweichen und ausserdem beide gegen s, das spe-
12*
180 Absclmitt VII.
cifisclie Volumen des luftförmigen Stoffes, sehr klein sind, nur
ein sehr geringer Unterschied im Werthe der Formel entsteht.
Von grösserer Bedeutung dagegen ist es, dass an die Stelle von r,
der Werkwärme des Ueberganges aus dem flüssigen in den luft-
förmigen Zustand, die Werkwärme des Ueberganges aus dem festen
in den luftförmigen Zustand treten muss. Diese ist gleich der
Summe aus r und der durch r' bezeichneten Werkwärme des
Schmelzens. Die Gleichung lautet daher für den in Rede stehen-
den Fall:
dP _E{r-^r')
^ ^ clT ~ T(s — r) '
Verbindet man diese Gleichung mit (16) und vernachlässigt dabei
den kleinen Unterschied zwischen ö und t, so ergiebt sich:
dP dp _ Er'
^^ dT~ dT~~ T{s — 6)
Wendet man diese Gleichung speciell auf Wasser an, so ist
zu setzen:
T = 273; r' = 79; s = 205; ö = 0,001,
und es kommt daher, indem man noch für E den bekannten Werth
424 setzt:
dP dp _ 424X79 _
dT c^T ~ 273 X 205 ~ '
Will man den Druck nicht in Kilogrammen auf ein Quadrat-
meter, sondern in Millimetern Quecksilber ausdrücken, so hat man,
gemäss der in §. 10 des vorigen Abschnittes gemachten Bemer-
kung, die obige Zahl durch 13,596 zu dividiren, und man erhält
daher, wenn man in diesem Falle für p und P die griechischen
Buchstaben tt und 27 anwendet:
^-^-0044
dT dT~^'^^^'
Zur Vergleichung möge noch hinzugefügt werden, dass der Dif-
djt
ferentialcoefficient y^ nach den Dampfspannungen, welche Reg-
nault bei den Temperaturen zunächst über 0» beobachtet hat,
bei 00 den Werth 0,33 hat.
ABSCHNITT VIII.
Behandlung" homogener Körper.
§. 1. Zustandsänderungen ohne Veränderung des
Aggregatzustandes,
Wir kehren nun zu den im Abschnitt V. aufgestellten all-
gemeinen Gleichungen zurück, und wollen sie auf solche Fälle
anwenden, wo ein Körper Aenderungen erleidet, die nicht mit
Aenderungen des Aggregatzustandes verbunden sind, und wo sich
stets alle Theile des Körpers in gleichem Zustande befinden.
Diese Zustandsänderungen wollen wir uns dadurch veranlasst
denken, dass die Temperatur und die auf den Körper wirkenden
äusseren Kräfte sich ändern. Infolge dessen ändert sich dann
auch die Anordnung der Theilchen des Körpers, was sich äusser-
lich durch Volumen- und Gestaltänderung kund geben kann.
Der einfachste Fall in Bezug auf die äusseren Kräfte ist der,
wo nur ein gleichmässiger , normaler Obertiächendruck auf den
Körper wirkt, und daher bei der Bestimmung der äusseren Arbeit
auf die Gestaltänderung des Körpers keine Rücksicht genommen
zu werden braucht, sondern nur die Volumenänderung in Betracht
zu ziehen ist. In diesem Falle kann man den Zustand des Körpers
als bestimmt ansehen, wenn von den drei Grössen Temperatur^
Drucli und Volumen^ welche wir, wie früher, durch T^ p und v
bezeichnen wollen, irgend zwei gegeben sind. Je nachdem man v
und T oder p und T oder endlich v und p als die beiden Grössen
auswählt, welche zur Bestimmung des Zustandes des Körpers dienen
sollen, erhält man eines der drei Systeme von Gleichungen, welche
in Abschnitt V. unter (25), (26) und (27) aufgestellt wurden, und
von diesen Gleichungen wollen wir nun Gebrauch machen, um die
182 Abschnitt Vni.
verschiedenen specifischen Wärmen und andere auf Temperatur-,
Druck- und Volumenänderungen bezügliche Grössen zu bestimmen.
§, 2. Genauere Bezeichnung der Differentialcoeffi-
cienten.
Wenn man die oben genannten Gleichungen des Abschnittes V.
auf eine Gewichtseinheit eines Stoffes bezieht, so bedeutet der
Differentialcoefficient ~, in den Gleichungen (25) die specifische
Wärme bei constantem Volumen und in den Gleichungen (26) die
specifische Wärme bei constantem Drucke. Ebenso hat der
Differentialcoefficient -^ in den Gleichungen (25) und (27) und
der Differentialcoefficient -^ in den Gleichungen (26) und (27)
verschiedene Bedeutungen. Aehnliche Unbestimmtheiten in der
Bedeutung der Differentialcoefficienten kommen in allen solchen
Fällen vor, wo die Natur des Gegenstandes es mit sich bringt,
dass die als unabhängige Veränderliche dienenden Grössen zuwfeilen
gewechselt werden. Hat man irgend zwei Grössen als unabhängige
Veränderliche ausgewählt, so versteht es sich von selbst, dass bei
der Differentiation nach der einen die andere als constant anzu-
sehen ist. Wenn man nun aber, während man die erste unab-
hängige Veränderliche beibehält, als zweite unabhängige Veränder-
liche nach einander verschiedene Grössen wählt, so erhält man
natürlich ebenso viele verschiedene Bedeutungen für den nach der
ersten Veränderlichen genommenen Differentialcoefficienten.
Wegen dieser Unbestimmtheit habe ich für derartige Fälle in
meiner Abhandlung „über verschiedene für die Anwendung be-
queme Formen der Hauptgleichungen der mechanischen Wärme-
theorie" 1) eine , so viel ich weiss , vorher nicht üblich gewesene
Bezeichnung angewandt, indem ich die Grösse, welche bei der
Differentiation als constant angesehen wurde, als Index zum Diffe-
rentialcoefficienten hinzugefügt habe. Dieses that ich damals in
der Form, dass ich den Diöerentialcoefficienten in Klammern
1) Viertel] ahrsschrift der Züricher naturforsch enden Gesellschaft 18G5
und Pogg. Ann. Bd. 125, S. 353.
Behandlung homogener Körper. 183
schloss, und neben diese den Index schrieb, den ich, weil an dieser
Stelle auch andere Indices vorkommen können, zur Unterscheidung
noch mit einem über ihn gesetzten waagerechten Striche versah.
Die beiden oben erwähnten Differcntialcoefficienten , welche die
specifische Wärme bei constantem Volumen und bei constantem
Drucke bedeuten, sahen demnach so aus:
m\ und (i^) ■
Diese Schreibweise wurde bald von verschiedenen Autoren
adoptirt, nur dass man gewöhnlich der Bequemlichkeit wegen den
waagerechten Strich f brtliess. Später i) habe ich , unter Bei-
behaltung dessen, was an meiner Schreibweise wesentlich ist, die
Form derselben noch vereinfacht, indem ich den Index neben das
d im Zähler des Differcntialcoefficienten setzte. Dadurch wurden die
Klammern unnöthig und auch der waagerechte Strich konnte fort-
bleiben, weil an dieser Stelle kein anderer Index angebracht zu
werden pflegt, und ein Unterscheidungsmerkmal daher nicht er-
forderlich ist. Hiernach gestalteten sich die beiden obigen Diffe-
rcntialcoefficienten so :
"'V Q „„,1 "'pQ
dT dT'
In dieser Form wollen wir jene Schreibweise im Folgenden an-
wenden, indem wir nur noch, wie es in dieser Auflage bei allen
partiellen Differcntialcoefficienten geschehen ist, die aufrechten d
durch runde d ersetzen, so dass jene beiden auf Q bezüglichen
Differentialcoefficienten die Form
h3. „nrl h3.
dT dT
erhalten, und entsprechend die Differentialcoefficienten anderer
Grössen,
§. 3. Beziehungen zwischen den Differentialcoefficienten
von Druck, Volumen und Temperatur.
Wenn der Zustand eines Körpers durch je zwei der Grössen
Temperatur , Volumen und Druck bestimmt ist, so kann man jede
1) Ueber den Satz vom mittleren Ergal und seine Anwendung auf die
Molecularbeweguugen der Gase. Sitzungsberichte der Niederrhein. Ges.
für Natur und Heilkunde 1874, S. 183 und Pogg. Ann. Ergänzungsband ^T;I.
S. 215.
184 • Absclinitt VIII.
dieser drei Grössen als eine Fujiction der beiden anderen ansehen,
und daher folgende sechs Differentialcoefficienten bilden:
dvP '^tP , dpV divdpT dyT
Jt' 'dv' TT' ^'-^v' 'dp"
Bei diesen Differentialcoefficienten könnte man die Indices, welche
angeben, welche Grösse bei jeder Differentiation als constant vor-
ausgesetzt ist, fortlassen, wenn man ein- für allemal festsetzte,
dass von den drei Grössen T, v und p diejenige, welche in dem
Differentialcoefficienten nicht vorkommt, als constant zu betrachten
ist. Indessen der Uebersichtlichkeit wegen und weil in Folgen-
dem auch Differentialcoefficienten zwischen denselben Grössen vor-
kommen werden, bei denen die als constant vorausgesetzte Grösse
eine andere ist, als hier, wollen wir die Indices mitschreiben.
Es erleichtert nun die mit diesen sechs Differentialcoefficien-
ten anzustellenden Rechnungen, wenn man die zwischen ihnen
stattfindenden BeziehuHgen im Voraus feststellt.
Zuerst ist klar, dass unter den sechs Differentialcoefficienten
dreimal je zwei vorkommen, welche einander reciprok sind. Neh-
men wir z. B. die Grösse v als constant an, so hängen die beiden
anderen Grössen T und jj so unter einander zusammen, dass jede
von ihnen einfach als Function der anderen anzusehen ist. Ebenso
stehen, wenn p als constant angenommen wird, T und v, und
wenn T als constant angenommen wird, v und p in dieser ein-
fachen Beziehung zu einander. Man hat also zu setzen:
/,x _1__ 8t^2^. _J_ V^. _J_ 5^
^ ^ d^~ dT' dj^ ~ dT' dTP~ dp'
dp dv d V
Um ferner die Beziehung zwischen den drei Paaren von
Differentialcoefficienten zu erhalten, wollen wir beispielsweise ])
als Function von T und v betrachten. Dann lautet die vollständige
Differentialgleichung für p) :
^ oT ^ dv
Wenn wir nun diese Gleichung auf den Fall auAvenden wollen , wo
p) constant ist, so haben wir in ihr zu setzen:
dp = 0 und dv = ^dT,
wodurch sie übergeht in:
O-^^dl^ -^.^r^dl.
Behandlung homogener Körper. 185
Wenn man hieraus d T fortliebt, und dann noch mit ^J, dividirt,
oder mit ^^ multiplicirt, so erhält man:
dp
^ ^ dv ' dT' dp~
Mit Hülfe dieser in der ersten der oben citirten Abhandlungen
von mir aufgestellten Gleichung und der drei unter (1) angeführten
Gleichungen kann man jeden der sechs Difi'crentialcoefficienten
durch ein Product oder einen Bruch aus zwei anderen Üifferen-
tialcoefiicienten darstellen.
§. 4. Vollständige Differentialgleichungen für Q.
Kehren wir nun zur Betrachtung der Wärmeaufnahme und
Wärmeabgabe des gegebenen Körpers zurück, und bezeichnen die
specifische Wärme bei constantem Volumen mit Cv und die spe-
cifische Wärme bei constantem Druck mit (7p, so haben wir, wenn
wir das Gewicht des Körpers als eine Gewichtseinheit annehmen,
zu setzen:
dT'~ "' dT~ '"
Ferner kommen in Abschnitt V. unter (25) und (26) Gleichungen
vor, welche bei unserer jetzigen Bezeichnungsweise so zu schreiben
sind :
8r Q _ rp V|>. 8t Q __ _ 77 8pV
dv 8T' dp '~ dT'
Hiernach kann man folgende vollständige Differentialgleichungen
bilden :
(3) dQ= C,dT-{- T^dv.
(4) dQ= C,dT- T^dp.
Aus diesen beiden Gleichungen ergiebt sich leicht auch eine dritte
vollständige Differentialgleichung für (), welche sich auf v und p
als unabhängige Veränderliche bezieht, wenn man die erste
Gleichung mit Cp und die zweite mit ü^ multiplicirt, dann beide
von einander abzieht, und die dadurch entstehende Gleichung
durch Cp — Cy dividirt, nämlich:
180 ATosclinitt VIII.
(5) dQ = -^-^-^^(^C,^dv-^C,f^d2^-
Diese drei vollständigen Differentialgleicliungen entsprechen
ganz den in Abschnitt IL für vollkommene Gase aufgestellten, nur
dass die letzteren durch Anwendung des Mariotte'schen und
Gay-Lussac' sehen Gesetzes vereinfacht sind. Aus der diese
Gesetze ausdrückenden Gleichung
pv — BT
ergiebt sich nämlich:
dvP B dpV B
dT ^7' dT ~ J)'
Wenn man diese Werthe der Differentialcoefficienten in die obigen
Gleichungen einsetzt und ausserdem in der letzten für T den
Ausdruck ^ substituirt, so erhält man:
, dQ= C,dT-\- — dv
dQ= CpdT — — dp
C C
dQ=j-, — ^^-^ pdv -j-j^—^-jr vdp,
welche Gleichungen in Abschnitt IL unter (11), (15) und (16)
gegeben sind.
Die drei vollständigen Differentialgleichungen (3), (4) und (5)
sind, wie wir es bei den speciell für Gase geltenden Gleichungen
schon gesehen haben, nicht unmittelbar integrabel. Für die
Gleichungen (3) und (4) ergiebt sich dieses sofort aus schon früher
aufgestellten Gleichungen. Die im Abschnitt V, in den Systemen
(25) und (26) zu unterst stehenden Gleichungen lauten nämlich
unter Anwendung der Zeichen Cy und Cp und der für die Diffe-
rentialcoefficienten jetzt angenommenen Schreibweise:
(6)
dv ~. dT^
dp eT2'
während die Bedingungsgleichungen, welche erfüllt sein müssten,
wenn (3) und (4) integrabel sein sollten, lauten:
Behandlung homogener Körper. 187
dv ~ dT''~^ dT
dTOp _ _ rp 8> _ öp^
dp ~ 8T2 oT'
Aehnlicli, nur etwas weitläufiger, ist der Nachweis zu führen, dass
die Gleichung (5) nicht integrabel ist, was sich übrigens dem
Vorigen nach auch von selbst versteht, da sie aus den Gleichungen
(3) und (4) abgeleitet ist.
Die drei Gleichungen gehören also zu denjenigen vollstcändigen
Diöerentialgleichungen , welche in der Einleitung besprochen sind,
und welche sich erst dann integriren lassen, wenn zwischen den
Veränderlichen noch eine andere Relation gegeben und dadurch
der Weg der Veränderungen vorgeschrieben ist.
§. 5. Specifische Wärme bei constantem Volumen und
bei constantem Drucke.
Wenn man in der Gleichung (4) statt des allgemeinen
Öl)
Differentials dp den Ausdruck -^^ d T setzt, so bezieht sie sich auf
den speciellen Fall, wo der Körper bei constantem Volumen seine
Temperatur um d T ändert. Dividirt man dann noch die Gleichung
durch dT, so erhält man an der linken Seite den Differential-
coefficienten 0^5 welchen wir, da er die specifische Wärme bei
constantem Volumen bedeutet, mit C« bezeichnet haben, und es
entsteht daher folgende die Beziehung zwischen Cy und Cp aus-
drückende Gleichung:
l'j ^v — Ijp — 1 g^ • y^-
Wenn man den aus dieser Gleichung hervorgehenden Werth
der Differenz Cp — C^ in die Gleichung (5) einsetzt, so nimmt
dieselbe folgende noch einfachere Form an:
(8) . äQ=.C,^f^doJrCj-^dp.
Will man mit Hülfe der Gleichung (7) die specifische Wärme
bei constantem Volumen aus derjenigen bei constantem Drucke
188 Absclinitt VIII.
unter Anwendung der vorhandenen Data bestimmen, so ist es
zweckmässig, noch eine kleine Aenderung mit der Grleichung vor-
zunehmen. Der in ihr vorkommende Difierentialcoefficient ^^
6 1
stellt die Ausdehnung des Körpers durch Temperaturerhöhung
dar, und ist der Regel nach als bekannt anzunehmen; der andere
'Ö 7)
Differentialcoefficient -^^ dagegen pflegt bei festen und tropfbar
flüssigen Körpern nicht unmittelbar durch Beobachtung bekannt
zu sein. Man kann aber nach (2) setzen:
dpV
d^p _ _ dT
dp
und in diesem Bruche ist der im Zähler stehende Differential-
coefficient wieder der vorher besprochene, und der im Nenner
stehende Differentialcoefficient stellt, wenn er mit dem negativen
Vorzeichen genommen wird, die Volumenverringerung durch
Druckvermehrung oder die Zusammendrückbarkeit dar, welche
man bei einer Anzahl von Flüssigkeiten direct gemessen hat, und
bei festen Körpern aus dem Elasticitätscoefficienten näherungs-
weise berechnen kann. Durch Einführung dieses Bruches geht
die Gleichung (7) über in :
(7a) C,= C„ + T^.
dp
Sollen die specitischen Wärmen nicht in mechanischem Maasse,
sondern in gewöhnlichem Wärmemaasse ausgedrückt werden, und
bezeichnet man sie in diesem Falle mit Cy und c^,, so geht die vorige
Gleichung über in :
(7 b) Cy = Cjy -j-
E drv
dp
' Bei der Anwendung dieser Gleichung zu numerischen. Rech-
nungen ist noch zu beachten, dass man in den Differentialcoeffi-
cienten als Voluraeneinheit den Cubus derjenigen Längeneinheit,
welche bei der Bestimmung der Grösse E angewandt ist, und als
Behnndlnng hnniogener Körper. 189
Druckeinheit den Druck, welchen eine über eine Flächeneinlicit
verbreitete Gewichtseinheit ausübt, anwenden muss. Auf diese
Einheiten hat man daher den Ausdehnungscoefficienten und den
Zusammendrückungscoefficienten, wenn sie sich, wie es gewöhnlich
der Fall ist, auf andere Einheiten beziehen, zu reduciren.
Da der Differentialcoefficient -^ immer negativ ist, so folgt
dp
daraus, dass die specifische Wärme bei constantem Volumen
immer kleiner sein muss als diejenige bei constantem Drucke. Der
9 V
andere Differentialcoefficient ;^^ ist im Allgemeinen eine positive
Grösse, Beim Wasser ist er bei der Temperatur des Maximums
der Dichte gleich Null, und demnach sind bei dieser Temperatur
die beiden specifischen Wärmen gleich. Bei allen anderen Tempe-
raturen, sowohl unter als über der Temperatur des Maximums der
Dichte, ist die specifische Wärme bei constantem Volumen kleiner
als die bei constantem Drucke, denn, wenn auch der Diiferential-
coefficient ^^ unter dieser Temperatur einen negativen Werth hat,
so hat das doch auf den Werth der Formel keinen Eintiuss, weil
dieser Difi'erentialcoefficient in ihr quadratisch vorkommt.
Um ein Beispiel von der Anwendung der Gleichung (7 b) zu er-
halten, wollen wir das Wasser bei einigen bestimmten Temperaturen
betrachten, und die Differenz zwischen den beiden specifischen
Wärmen berechnen.
Nach den Beobachtungen von Kopp, deren Resultate in dem
Lehrbuche der phys. und theor. Chemie S. 204 in einigen Zahlen-
reihen zusammengestellt sind, hat man für Wasser, wenn sein
Volumen bei 4'' als Einheit genommen wird, folgende Ausdehnungs-
coefficienten :
bei 00 — 0,000061
„ 250 + 0,00025
„ 500 _|_ 0,00045.
Nach den Beobachtungen von Grassi i) hat man für dieZusammen-
drückbarkeit des Wassers folgende Zahlen, welche die durch eine
Druckzunahme um eine Atmosphäre verursachte Volumenvermin-
1) Ann. de chim, et de phys. 3. sei: t. XXXI, ji. 437, und Kröuig's
Journ. für Physik des Auslandes Bd. II, S. 129.
190 Abschnitt VIII.
derung als Bruchtheil des beim ursprünglichen Drucke stattfinden-
den Volumens angeben:
bei 0» 0,000050
„ 250 0,000046
„ 500 0,000044.
Wir wollen nun beispielsweise für die Temperatur von 25o die
Rechnung durchführen.
Als Längeneinheit wählen wir das Meter und als Gewichts-
einheit das Kilogramm. Dann haben wir als Volumeneinheit ein
Cubikmeter anzunehmen, und da ein Kilogramm Wasser bei 4o den
Raum von 0,001 Cubikmeter einnimmt, so müssen wir, um ~, zu
erhalten, den oben angeführten Ausdehnungscoefficienten mit 0,001
multipliciren, also:
§^ r= 0,00000025 = 25 . 10-«.
0 1
Bei der Zusammendrückbarkeit ist dem Vorigen nach das Volumen,
welches das Wasser bei der betreffenden Temperatur und beim
ursprünglichen Drucke (den wir als den gewöhnlichen Druck einer
Atmosphäre voraussetzen können) einnahm, als Einheit genommen.
Dieses Volumen ist bei 25o gleich 0,001003 Cubikmeter. Ferner
ist eine Atmosphäre Druck als Druckeinheit genommen, während
wir den Druck eines Kilogramm auf ein Quadratmeter als Druck-
einheit nehmen müssen, wonach eine Atmosphäre Druck durch
10333 dargestellt wird. Demgemäss haben wir zu setzen:
drv _ 0,000046 . 0,001003 _ ^
dp ~ 1Ö333 ~ 4o . 10 .
Ausserdem haben wir bei 25o zu setzen: T= 273 -f- 25 = 298,
und für E wollen wir nach Joule 424 annehmen. Diese Zahlen-
werthe in die Gleichung (7 b) eingesetzt, giebt:
298 252.10-" _--^_
'^^ - ^^ = 424 • 45 . 10-^3 = 0,0098.
In derselben Weise ergeben sich aus den obigen Werthen des
Ausdehnungscoefficienten und der Zusammendrückbarkeit bei Qo
und 500 folgende Zahlen:
bei 00 Cp — c^ = 0,0005
„ 500 Cp — c^ = 0,0358.
Behandlung homogener Körper. 191
Wenden wir nun für Cp^ die specifische Wärme bei constantem
Drucke, die von Regnault experimentell gefundenen Werthe an,
so erhalten wir für die beiden specifischen Wärmen folgende Paare
von Zahlen:
bei 00 \^P=^
c^ = 0,9995
250 JCp = 1,001G
{c^ = 0,9918
500 Pi^ = 1'0042
( c^ = 0,9684
§. 6. Specifische Wärme unter anderen Umständen.
In gleicher Weise, wie wir im vorigen Paragraphen die speci-
fische Wärme bei constantem Volumen bestimmt haben, können
wir auch die irgend welchen anderen Umständen entsprechende
specifische Wärme bestimmen, indem wir ihre Beziehung zur
specifischen Wärme bei constantem Drucke aus der Gleichung (4)
ableiten.
Wenn nämlich die Umstände, unter welchen die Erwärmung
stattfinden soll, gegeben sind, so sind die beiden Differentiale clT
und dp nicht mehr von einander unabhängig, sondern das eine ist
durch das andere mitbestimmt, und wir können daher für dp das
Product ~p d T schreiben, worin der Diöerentialcoefficient -pp eine
bestimmte Function derjenigen Veränderlichen ist, von welchen
der Zustand des Körpers abhängt. Wenn man dieses Product in
(4) an die Stelle von dp setzt, dann die Gleichung durch dT
dividirt, und den dadurch an der linken Seite entstehenden Bruch
d Q
-y-^, welcher die specifische Wärme unter den gegebenen Um-
ständen ausdrückt, mit C bezeichnet, so kommt:
(9) ^=^^^-^It-II-
Will man die specifischen Wärmen nicht in mechanischen Ein-
heiten, sondern in gewöhnlichen Wärmeeinheiten ausdrücken und
für diesen Fall wieder das kleine c statt des grossen zur Bezeich-
nung anwenden, so geht die vorige Gleichung über in:
192 Abschnitt VIII.
.Q . . T dpV dp
lyaj ^ — ^''~ E' dT' dT'
Diese Gleichung wollen wir beispielsweise dazu benutzen, die-
jenigen specifiscben Wärmen zu bestimmen, welche in den beiden
vorigen Abschnitten in den Rechnungen vorkamen, nämlich 1) die
specifische Wärme des flüssigen Wassers, wenn es mit Dampf vom
Maximum der Spannkraft in Berührung ist, und 2) die specifische
Wärme des Wassers und des Eises für den Fall, wo der Druck
sich mit der Temperatur so ändert, dass die dem Drucke ent-
sprechende Schmelztemperatur immer gleich der gerade statt-
findenden Temperatur ist.
Im ersten Falle haben wir dem Differentialcoefficienten -^
dT
einfach den Werth zu geben, welcher der Spannungsreihe des
Wasserdampfes entspricht. Für die Temperatur 100" wird dieser
Werth, wenn als Druckeinheit ein Kilogramm auf ein Quadrat-
meter gilt, durch die Zahl 370 dargestellt. Was den anderen
Differentialcoefficienten -^ anbetrifft, so ist nach den Versuchen
von Kopp der Ausdehnungscoefficient des Wassers bei lOO**, wenn
man das Volumen des Wassers bei 4^' als Einheit nimmt, 0,00080.
8 v
Diese Zahl hat man, um den Werth von ;r^ für den Fall zu er-
6 1
halten, wo ein Cubikmeter als Volumeneinheit und ein Kilogramm
als Gewichtseinheit gilt, mit 0,001 zu multipliciren , wodurch ent-
steht 0,00000080. Endlich ist noch die absolute Temperatur T für
1000 gleich 373 und E^ wie gewöhnlich, gleich 424 zu setzen.
Dadurch geht (9a) über in:
(^P — t^aX 0,00000080 X 370
373
424
= Cp — 0,00026.
Nehmen wir nun für die specifische Wärme des Wassers bei
constantem Drucke bei 100** den aus der Regnault' sehen empiri-
schen Formel hervorgehenden Werth an, so erhalten wir für die
beiden zu vergleichenden specifiscben Wärmen folgende zusammen-
gehörige Zahlen:
Cp = 1,013
c = 1,01274.
Behandlung homogener Körper. 193
Wir sehen hieraus, class diese beiden Grössen so nahe gleich sind,
dass es keinen Nutzen gehabt haben würde, die zwischen ihnen
bestehende Differenz in unseren auf die gesättigten Dämpfe bezüg-
lichen Rechnungen zu berücksichtigen.
Bei den Betrachtungen über den Einfiuss des Druckes auf das
Gefrieren der Flüssigkeiten verhält es sich insofern anders, als eine
bedeutende Aenderung des Druckes den Gefrierpunkt nur sehr
wenig ändert, und daher der Differentialcoefficient y^ für diesen
Fall einen sehr grossen Werth hat. Nimmt man beim Wasser ge-
mäss der im vorigen Abschnitte ausgeführten Rechnung an, dass
für eine Druckzunahme um eine Atmosphäre der Gefrierpunkt um
0,007330 C. sinkt, so hat man zu setzen:
dp_ _ _ 10333
dT~ ~ 0,00733 '
und die Gleichung (9 a) geht daher, wenn wir noch für T die
für den Gefrierpunkt geltende Zahl 273 und für E die Zahl 424
einsetzen, über in :
_ I 273 10 333 dpV
^ — ^^ + 424 ■ 0,00733 " dT
= c^ + 908000 1^.
Um diese Gleichung zunächst auf flüssiges Wasser anzuwen-
den, nehmen wir nach Kopp den Ausdehnungscoefficienten des
Wassers bei 0» zu — 0,000061 an, in Folge dessen wir, unter An-
wendung des Kilogramm als Gewichtseinheit und des Cubikmeter
als Raumeinheit, zu setzen haben:
^ = — 0,000000061,
0 1
und demnach aus der vorigen Gleichung erhalten:
c = Cj, — 0,055.
Da nun Cp = l ist, so kommt:
c = 0,945.
Um ferner die obige Gleichung auf Eis anzuwenden , nehmen
wir nach den Versuchen von Schumacher, Pohrt und Moritz
den linearen Ausdehnungscoefficienten des Eises zu 0,000051 an,
woraus sich der cubische Ausdehnungscoefficient zu 0,000153 er-
giebt. Diese Zahl haben wir, um sie auf die erforderlichen Maass-
einheiten zu reduciren, mit 0,001087, dem in Cubikmetern ge-
Clausius, mechau. Wärmetheorie. I. ig
194 Abschnitt VIII.
messenen Volumen eines Kilogramm Eis, zu multipliciren, wodurch
wir erhalten:
§*^ = 0,000000166.
Ol
Durch Einsetzung dieses Werthes geht die obige Gleichung über in :
cz= Cp-{- 0,151.
Da nun nach Person i) Cp = 0,48 zu setzen ist, so kommt:
c = 0,631.
Die Werthe 0,945 und 0,631 sind es, die im vorigen Abschnitte
bei der Rechnung, durch welche die Abhängigkeit der Werkwärme
des Schmelzens von der Schmelztemperatur bestimmt wurde, in
Anwendung kamen.
§. 7. Isentropische Aenderungen eines Körpers.
Anstatt die Art der Zustandsänderung eines Körpers durch
eine solche Bedingungsgleichung zu bestimmen, die eine oder
mehrere der Grössen T, v und p enthält, wollen wir jetzt die Be-
dingung stellen, dass dem Körper während seiner Veränderung
keine Wärme mitgetheilt oder entzogen werde, was durch die
Gleichung
dQ = Q
ausgedrückt wird. Da in Folge dieser Gleichung auch gesetzt
werden kann:
woraus folgt, dass die Entropie S des Körpers unverändert bleibt,
so wollen wir diese Art von Zustandsänderungen, wie schon früher
die darauf bezüglichen Druckcurven, isentropische nennen, und die
bei ihrer Behandlung gebildeten Difierentialcoefficienten durch den
Index S charakterisiren.
Indem wir in der Gleichung (3) dQ gleich Null setzen, er-
halten wir:
0= C,dT-^ T^dv.
1) Comptes rendus t. XXX, p. 526.
Behandlung homogener Körjier. 195
Dividiren wir diese Gleichung durch dv^ so ist der dadurch cnt-
dT
stehende Differentialcoefficient -=— ein solcher, der sich auf eine
dv
isentropischc Aendcrung bezieht, und es entsteht daher die
Gleichung:
^^ dv ~~ C^' dT'
Ebenso folgt aus der Gleichung (4j:
(11)
dsT _ T dj,v
dp Cp d T
Die Gleichung (5), statt deren man auch (8) anwenden kann, giebt
zunächst:
0= C/^ dv + a 1^ dp,
und hieraus folgt:
dpV
dp Cp dvp'
dT
welche Gleichung sich mit Hülfe von (1) und (2) in folgende
umwandeln lässt:
, dsv _ C^ drv
^ ■' dp ~ Cp' dp'
Wenn man hierin für C^ den in (7a) gegebenen Werth setzt, so
kommt :
^ ■' dp ~ dp ~^ Cp KdTj '
Schreibt man statt (12), indem man die reciproken Werthe
bildet:
.... dsp _ C^ drp
^ ^ dv ~ a, ' dv '
so kann man diese Gleichung in entsprechender Weise, wie (12),
umformen und erhält dadurch :
dsp _ drp T /d,py
^^^^ dv ~ dv a \dT,
Diese hier bestimmten, auf constante Entropie bezüglichen
Dififerentialcoefficienten zwischen Volumen und Druck hat man bei
der Berechnung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles in
13*
196 Abschuitt VIII.
Gasen und Flüssigkeiten anzuwenden, was für die vollkommenen
Gase schon in Abschnitt IL des Näheren besprochen ist.
§. 8. Specielle Form der Hauptgleichungen für einen
gedehnten Stab.
Um nun, nachdem wir bisher als äussere Kraft immer einen
gleichmässigen Oberfiächendruck vorausgesetzt haben, auch von
einer anderen äusseren Kraft ein Beispiel zu geben, wollen wir
einen elastischen Stab (oder Faden) betrachten, welcher seiner
Länge nach durch eine spannende Kraft, z. B. durch ein angehäng-
tes Gewicht, gedehnt vdrd, während nach den Seitenrichtungen
keine Kraft auf ihn wirkt. Statt einer den Stab in der Längen-
richtung dehnenden Kraft kann auch eine ihn in der Längen-
richtung zusammendrückende Kraft stattfinden, sofern der Stab
dadurch nicht gebogen wird. Eine solche zusammendrückende Kraft
behandeln wir in den Formeln einfach als negative spannende
Kraft. Die Bedingung, dass nach den Seitenrichtungen keine Kraft
auf den Stab wirke , würde eigentlich nur dann vollständig erfüllt
werden, wenn der Stab dem Luftdrucke entzogen und also in einen
luftleeren Raum gebracht würde; wenn indessen die spannende
Kraft, welche nach der Längenrichtung auf die Querschnittsfläche
des Stabes wirkt, gegen den auf eine ebenso grosse Fläche wirken-
den Luftdruck sehr gross ist, so kann man den letzteren dagegen
vernachlässigen.
Die spannende Kraft möge mit P und die Länge, welche der
Stab unter ihrem Einflüsse und bei der Temperatur T hat, mit l
bezeichnet werden. Die Länge des Stabes und überhaupt sein
ganzer Zustand ist unter den gegebenen Umständen durch die
Grössen P und T bestimmt, und wir können diese daher als un-
abhängige Veränderliche wählen.
Wenn nun durch eine unendlich kleine Aenderung der
spannenden Kraft, oder der Temperatur, oder auch beider, die
Länge l sich um dl vermehrt, so wird dabei von der spannenden
Kraft P die Arbeit Pdl gethan. Da wir aber in unseren Formeln
nicht die von einer Kraft gethane^ sondern die von ihr erlittene
Arbeit als positiv rechnen, so lautet die zur Bestimmung der
äusseren Arbeit dienende Gleichung: '
(16) dW=~-Pdl
Behandlung homogener Körper. 197
Betrachten wir l als Function von P und T, so können wir diese
Gleichung so schreiben:
woraus weiter folgt:
dW___ p_8|^
dP ~ dP
dW _ _ p^
dT ~ dT'
Indem wir die erste dieser Gleichungen nach T und die zweite
nach P diiferentiiren, erhalten wir:
dT\dP) dPdT
'dW\ dl ^ dH
d /dW\ _
dP\dT)~
dT dTdP
Subtrahiren wir die letztere dieser Gleichungen von der ersteren
und setzen für die dadurch an der linken Seite entstehende Diffe-
renz das früher eingeführte Zeichen Dn ein, so kommt:
(17) ^'-=|t-
Diesen Werth von Dpt wenden wir auf die Gleichungen (12),
(13), (14) und (15) des Abschnittes V. an, nachdem wir in den-
selben P an die Stelle von x gesetzt haben, dann erhalten wir die
auf unseren Fall bezügliche Form der Hauptgleichungen , nämlich
^ -^ dT\dPj dP\dTj~~ dT'
d_ {dQ\ _ J_ (d_Q\ _l dQ
dPVdTj T'dP'
(-) Ä (H) -
(20) '4-^1^'
^^^^ dP [dTj ~ ^ Jt^
198 Abschnitt VIU.
§. 9. Temperaturänderung bei der Verlängerung des
Stabes.
Die Gleichung (20) lässt sofort durch ihre Form eine eigen-
thümliche Beziehung zwischen zwei Vorgängen erkennen, nämlich
zwischen der durch Temperaturänderung bewirkten Längenände-
rung und der durch Längenänderung bewirkten Temperaturände-
rung. Wenn nämlich, wie es der Regel nach der Fall ist, der Stab
bei constant bleibender Spannung durch Erwärmung länger wird,
und somit ^-™ positiv ist, so ist der Gleichung nach auch ^-^
positiv, woraus folgt, dass der Stab, wenn er durch Vermehrung
der spannenden Kraft verlängert wird, dabei Wärme von Aussen
empfangen muss, um seine Temperatur unverändert beizubehalten,
und dass er sich daher, falls ihm keine Wärme zugeführt wird, bei
der Verlängerung abkühlt. Wenn dagegen, was ausnahmsweise
vorkommen kann, die Erwärmung bei constanter Spannung eine
O 7
Verkürzung zur Folge hat, und somit ^-™ negativ ist, so ist der
Gleichung nach auch ^-^ negativ. In diesem Falle muss der Stab
also bei der durch vermehrte Spannung bewirkten Verlängerung
Wärme nach Aussen abgeben, um eine constante Temperatur zu
behalten, und wenn keine Wärmeabgabe stattfindet, muss er sich
bei der Verlängerung erwärmen.
Die Grösse der betreffenden Temperaturänderung, welche ein-
tritt, wenn die spannende Kraft sich ändert, ohne dass dem Stabe
Wärme mitgetheilt oder entzogen wird, ergiebt sich leicht, wenn
man in ähnlicher Weise, wie es früher bei Körpern, die unter einem
gleichmässigen Oberflächendruck stehen, geschehen ist, die voll-
ständige Differentialgleichung erster Ordnung für Q bildet. Der
Differentialcoefficient -^~ ist durch die Gleichung (20) bestimmt,
in welcher wir statt ^-^ jetzt vollständiger ^^ schreiben wollen.
Um den anderen Differentialcoefficienten ^^- in einer für unseren
Ol
Zweck bequemen Weise ausdrücken zu können, möge diejenige
Behandlung homogener Körper. 199
specifische Wärme des Stabes, welche sich auf constante Spannung
bezieht, mit Cp, und das Gewicht des Stabes mit M bezeichnet
werden. Dann ist:
und die vollständige Differentialgleichung lautet daher:
(22) dQ = MCpd T-^ T^dP.
Macht man nun die Voraussetzung, dass dem Stabe keine
Wärme mitgetheilt oder entzogen werde , so hat man d Q = 0 zu
setzen, und erhält:
0 = 3ICpdT-^ T^dP.
öl
Wenn man diese Gleichung durch dP dividirt, so stellt der Bruch
dT
■^-^ denjenigen Differentialcoefficienten von T nach P dar, bei
dessen Bildung die Entropie als constant vorausgesetzt ist, und er
ist daher vollständiger -^p- zu schreiben. Man erhält auf diese
Weise die Gleichung:
(c)o\ ^sT T_ dpi
^ -^ dP ~ MCp ' dT'
Diese Gleichung ist, wenn auch nicht gerade in derselben
Form, zuerst von W. Thomson entwickelt, und ihre Richtigkeit
ist durch Versuche von Joule i) bestätigt. Besonders auffällig
zeigte sich die Uebereinstimmung der Beobachtungsresultate mit
der Theorie in einer beim Kautschuk vorkommenden Erscheinung,
welche schon früher von Gough wahrgenommen war, und dann
von Joule ebenfalls beobachtet und durch genauere Messungen
festgestellt wurde. So lange der Kautschuk entweder gar nicht,
oder nur durch eine geringe spannende Kraft gedehnt ist, verhält
er sich in Bezug auf die durch Temperaturänderung bewirkte
Längenänderung, wie die anderen Körper, nämlich dass er sich
bei der Erwärmung verlängert, und bei der Abkühlung verkürzt.
Wenn er aber durch eine grössere Kraft gedehnt ist, so zeigt er
das umgekehrte Verhalten, dass er sich bei der Erwärmung ver-
kürzt und bei der Abkühlung verlängert. Der Differentialcoeffi-
^) Phil. Transact. for tJie year 1859.
200 Abscliuitt VIII.
7) 7
cient -^ ist also im ersten Falle positiv und im zweiten Falle
dl
negativ. Dementsprechend zeigt er die Eigenschaft, dass er, so
lange die Dehnung noch gering ist, durch Zunahme der Dehnung
sich abkühlt, dagegen bei starker Dehnung durch Zunahme der
Dehnung sich erwärmt, ganz so wie es die Gleichung (23) ver-
langt, nach welcher der Differentialcoefficient -^p- immer das ent-
gegengesetzte Vorzeichen haben muss, wie -^^ •
§. 10. Weitere Folgerungen aus den obigen Gleichungen.
Man kann die vollständige Differentialgleichung (22) auch so
umformen, dass T und l oder l und P als unabhängige Ver-
änderliche in ihr vorkommen.
Dazu naöge zunächst die Beziehung vorausgeschickt werden,
in welcher die Differentialcoefficienten zwischen den Grössen T, Z
und P unter einander stehen, und welche durch eine Gleichung
von derselben Form, wie (2), ausgedrückt wird, nämlich:
/n .N ^tP dpi diT
^ ^ dl ' dT' dP ~
Um nun die vollständige Differentialgleichung zu bilden,
welche T und l als unabhängige Veränderliche enthält, betrachten
wir P als Function von T und Z und schreiben demgemäss (22) in
der Form:
oder
dQ = (mCp +T^^.^-^dT+T^^-^-^ dl.
Das im letzten Gliede stehende Product aus zwei Differential-
coefficienten kann man gemäss (24) durch einen einzelnen Diffe-
rentialcoefficienten ersetzen, und erhält dadurch:
(25) .dQ = (^MCrJrT^-^j^yiT-T^jldl
Will man für die specifische Wärme bei constanter Länge ein
besonderes Zeichen Ci einführen, so hat man den in Klammer
Behandlung homogener Körper. 201
stehenden Factor von dT gleich MCi zu setzen, woraus sich
ergiebt :
(26) Gl— Cp-I- -^ g^ g^,
oder nach einer mit Hülfe von (24) vorgenommenen Umformung:
dP
Die Gleichung (25) nimmt dann folgende vereinfachte Form an:
(28) clQ^MCiclT- T^dl.
Um die vollständige Differentialgleichung zu bilden, welche l
und P als unabhängige Veränderliche enthält, betrachten wir T
als Function von l und P, wodurch die Gleichung (22) sich so
gestaltet :
dQ = 31 Cr (^ ^^ + 11 <^P) -i-T^f^dP
= MCp ^dl^ (mCp II + T I^) dP
Wenn man hierin den Factor von dP folgendermaassen umändert:
dfi = Jlf Cp %^ « + (mCp + T M . II) II rfP,
SO kann man den in Klammer stehenden Ausdruck nach (26) durch
MCi ersetzen, und erhält somit:
(29) dQ -^MCp^^dlJr MCi || dP.
Die Gleichungen (28) und (29) wollen wir wieder auf den
speciellen Fall anwenden, wo dem Stabe von Aussen keine Wärme
mitgetheilt oder entzogen wird , und somit d Q = 0 zu. setzen ist.
Dann giebt die erstere:
/oßN '^sT T diP
^ ^ dl ~ MCi' dT'
und die letztere giebt zunächst:
diT
äsl__Ci_ dP_
dP~ Cp' dpT'
dl
wofür in Folge von (24) geschrieben werden kann:
202 Abschnitt VIII.
^ ^ dP~ Cp' dP'
Setzt man hierin nocli für Ci seinen Werth aus (27), so kommt :
.... dsl_dTl T_ /dply
^ ■' dP~ dP MCp KcTJ '
O 7
Die durch den hier bestimmten Differentialcoefficienten -^
0 P
ausgedrückte Beziehung zwischen Länge und spannender Kraft ist
es, welche man bei der Berechnung der Schallgeschwindigkeit in
einem elastischen Stabe in Anwendung zu bringen hat, an Stelle
der gewöhnlich angewandten durch den Differentialcoefficienten
O 7
^p ausgedrückten Beziehung, welche durch den Elasticitätscoeffi-
cienten bestimmt wird, ebenso, wie man bei der Berechnung der
Schallgeschwindigkeit in luftförmigen und flüssigen Körpern die
durch den Differentialcoefficienten ^r- ausgedrückte Beziehung
dp
zwischen Volumen und Druck, statt der durch den Differential-
coefficienten- -^ ausgedrückten Beziehung, in Anwendung zu
bringen hat.
Dabei ist noch zu bemerken, dass bei der Betrachtung der
Schallfortpfianzung , wo es sich nicht um grosse Werthe der Span-
nung P handelt, in der Gleichung (32), welche zur Bestimmung
7) 7
des Differentialcoefficienten ^r^ dient, an die Stelle der durch Cp
0 Jr
bezeichneten specifischen Wärme bei constanter Spannung ohne
Bedenken die in gewöhnlicher Weise unter dem Drucke der Atmo-
sphäre gemessene specifische Wärme bei constantem Drucke gesetzt
werden kann.
ABSCHNITT IX.
Bestimmung der Energie und Entropie.
§. 1. Allgemeine Gleichungen.
In den früheren Abschnitten ist vielfach von der Energie und
der Entropie eines Körpers die Rede gewesen, als von zwei für die
Wärmelehi'e wichtigen Grössen, welche durch den gerade statt-
findenden Zustand des Körpers bestimmt sind, ohne dass man die
Art, wie der Körper in diesen Zustand gelangt ist, zu kennen
braucht. Wenn diese Grössen für einen Körper bekannt sind, so
lassen sich mit Hülfe derselben viele Rechnungen, welche sich auf
die Zustandsänderungen des Körpers und die dabei in Betracht
kommenden Wärmemengen beziehen, in sehr einfacher Weise aus-
führen. Die Eine der beiden Grössen, die Energie, ist schon mehr-
fach, besonders von Kirchhoff^). zum Gegenstande werthvoller
Untersuchungen gemacht, und es ist dabei auch die Art ihrer
Bestimmung näher besprochen. Wir wollen hier die Energie und
Entropie gemeinsam behandeln, und die Gleichungen, welche zu
ihrer Bestimmung dienen, zusammenstellen.
Im ersten und chitten Abschnitte sind folgende Gleichungen
als Hauptgleichungen aufgestellt, welche dort mit (III.j und (VI.)
bezeichnet "VMirden:
^) Ueber einen Satz der mechanisclien "Wärmetlieorie und einige An-
wenduuo-en desselben. Pos-o-, Ann. Bd. 103. S. 177.
204 Absclinitt IX.
(III.) dQ=:dü-{-dW,
(VI.) dQ=TdS.
Hierin bedeuten ü und S die Energie und Entropie des Körpers,
und d U und dS die Veränderungen , welche dieselben bei einer
unendlicli kleinen Zustandsänderung des Körpers erleiden. dQ ist
die Wärmemenge, welche der Körper bei der Zustandsänderung
aufnimmt, d W die dabei geleistete äussere Arbeit und T die abso-
lute Temperatur, bei welcher die Aenderung geschieht. Die
erstere dieser beiden Gleichungen ist auf jede, in beliebiger Weise
vor sich gehende unendlich kleine Zustandsänderung anwendbar,
die letztere dagegen darf nur auf solche Zustandsänderungen
angewandt werden, die in umkehrbarer Weise stattfinden. Diese
beiden Gleichungen schreiben wir nun in der Form:
(1) dU=dQ - dW,
(2) dS='^,
um aus ihnen durch Integration die Grössen ü und ^S* zu be-
stimmen.
Dabei ist zunächst ein Punkt zu erwähnen, der in Bezug auf
die Energie schon in §. 8 des ersten Abschnittes besprochen wurde.
Man kann nämlich nicht die ganze Energie eines Körpers be-
stimmen , sondern nur den Zuwachs , welchen die Energie erfahren
hat, während der Körper aus irgend einem als Anfangszustand
gewählten Zustande in seinen gegenwärtigen Zustand übergegangen
ist, und dasselbe gilt auch von der Entropie.
Um nun die Gleichung (1) in Anwendung zu bringen, denken
wir uns, dass der Körper aus dem gegebenen Anfangszustande, in
welchem wir die Energie mit üo bezeichnen , auf irgend einem für
unsere Betrachtung bequemen Wege und in irgend einer (umkehr-
baren oder nicht umkehrbaren) Weise in seinen gegenwärtigen
Zustand gebracht werde, und für den Verlauf dieser Zustands-
änderung denken wir uns die Integration ausgeführt. Das Integral
von d ü stellt sich einfach durch die Differenz U — üo clar. Die
Integrale von d Q und d W, d. h. die ganze Wärmemenge , welche
der Körper während der Zustandsänderung aufgenommen, und die
ganze äussere Arbeit, welche er dabei geleistet hat, wollen wir mit
Q und W bezeichnen. Dann erhalten wir die Gleichung:
(3) U=Uo-{- Q- W.
Hieraus folgt, dass, wenn wir für irgend eine Art des Ueberganges
aus einem gegebenen Anfangszustande des Körpers in seinen gegen-
Bestimmung der Energie und Entropie. 205
wärtigen Zustand die dabei aufgenommene Wärme und geleistete
äussere Arbeit bestimmen können, wir dadurch auch die Energie
des Körpers bis auf eine auf den Anfangszustand bezügliche Con-
stante kennen lernen.
Um ferner die Gleichung (2) anzuwenden, denken wir uns,
dass der Körper aus dem gegebenen Anfangszustande, in welchem
wir die Entropie mit So bezeichnen, wiederum auf einem beliebig
gewählten Wege, aber in umkehrbarer Weise, in seinen gegen-
wärtigen Zustand gebracht werde, und für diese Zustandsänderung
denken wir uns die Gleichung integrirt. Das Integral von dS
stellt sich wieder durch die Differenz S — Sc dar, und, indem wir
das andere Integral nur andeuten, erhalten wir die Gleichung:
(4) S=S,+pl^.
Hieraus folgt, dass, wenn wir für einen in umkehrbarer Weise
aber auf beliebigem Wege geschehenen Uebergang des Körpers
aus einem gegebenen Anfangszustande in seinen gegenwärtigen
Zustand das Integral / ^ bestimmen können, wir dadurch den
Werth der Entropie bis auf eine auf den Anfangszustand bezüg-
liche Constante erhalten.
§. 2. Differentialgleichungen für den Fall, wo nur um-
kehrbare Veränderungen Yorkommen. und der Zustand
des Körx^ers durch zwei unabhängige Veränderliche
bestimmt wird.
Wenn wir die Gleichungen (III. ) und (VI.) beide auf eine und
dieselbe, in umkehrbarer Weise vor sich gehende unendlich kleine
Zustandsänderung eines Körpers anwenden, so ist das Wärme-
element dQ in beiden Gleichungen dasselbe, und wir können es
daher aus den Gleichungen eliminiren, wodurch wir erhalten:
(5) TdS = dr -\-dW.
Nun wollen wir annehmen, der Zustand des Körpers sei durch
irgend zwei Veränderliche bestimmt, welche wir, wie in Abschnitt V.,
vorläufig allgemein mit x und y bezeichnen, indem wir uns vor-
behalten, später bestimmte Grössen, wie z. B, Temperatur, Volumen
206 Absclinitt IX.
und Druck dafür einzusetzen. Wenn der Zustand des Körpers
durch die Veränderlichen a? und y bestimmt wird, so müssen sich
alle Grössen, welche durch den augenblicklich stattfindenden Zu-
stand des Körpers bestimmt sind, ohne dass man die Art, wie der
Körper in diesen Zustand gelangt ist, zu kennen braucht, durch
Functionen dieser Veränderlichen darstellen lassen, in denen die
Veränderlichen als von einander unabhängig betrachtet werden
können. Demnach sind auch die Entropie S und die Energie ü
als Functionen der unabhängigen Veränderlichen x und y anzu-
sehen. Die äussere Arbeit W dagegen verhält sich in dieser Be-
ziehung, wie schon mehrfach besprochen wurde, wesentlich anders.
Die Differentialcoefficienten von W können zwar, sofern es sich
nur um umkehrbare Veränderungen handelt, als bestimmte Func-
tionen von X und y betrachtet werden, W selbst aber lässt sich
nicht durch eine solche Function darstellen, sondern kann erst
dann bestimmt werden, wenn nicht nur der Anfangs- und End-
zustand des Körpers, sondern auch der Weg, auf welchem der
Körper aus dem einen in den anderen gelangte, gegeben ist.
Wenn man nun in der Gleichung (5) setzt:
dS = — — dx -4- ^r — dy
ox ' dy ^
d U = — — dx -\ — - — dy
dx ' a^/
dW = -7^- dx 4- ^r— dy, .
dx dy "^
so geht sie über in:
rpdS. , ^dS , /du , dW\ . , /dU , dW\-,
T ^dx -\- T—- dy = [- \- ——] dx 4- (- \- —-]dy.
dx ^ dy " \dx ' dx J ' \dy ' dy J '^
Da diese Gleichung für beliebige Werthe der Differentiale dx und
dy richtig sein muss, also unter anderen auch für die Fälle, wo
das eine oder das andere der Differentiale gleich Null gesetzt wird,
so zerfällt sie sofort in folgende zwei Gleichungen:
(6)
y 'dS ^ dV dW
dx dx '^ dx
rp^S ^ du dW
dy dy ^ dy'
Aus diesen Gleichungen kann man durch zweite Differentiation
eine der Grössen S oder TJ eliminiren.
Bestimmung der Enei-gie und Entropie. 207
Wir wollen zuerst die Grösse U eliminiren, weil die dadurch
entstehende Gleichung die einfachere ist.
Wir differentiiren dazu die erste der Gleichungen (6) nach y
und die zweite nach x. Dabei wollen wir die Differentialcoefficienten
zweiter Ordnung von S und U ganz so, wie gewöhnlich, schreiben.
d W dW
Die Differentialcoefficienten von — — und — — dagegen wollen wir,
dx oy
wie es schon in Abschnitt V. geschehen ist, um äusserlich anzu-
deuten, dass es nicht Differentialcoefficienten zweiter Ordnung
c /dW\
einer Function von x und y sind, so schreiben: —- {— — ) und
c y \ V X /
;r— ( — — ) • Endlich ist noch zu beachten , dass die in den Glei-
dx \cy J
chungen vorkommende Grösse T, nämlich die absolute Temperatur
des Körpers, von welcher wir in dieser Entwickelung annehmen,
dass sie in allen Theilen des Körpers gleich sei, ebenfalls als
Function von x und y anzusehen ist. Wir erhalten also :
dy \dx )
' ex \ cy J
Wenn wir die zweite dieser Gleichungen von der ersten abziehen,
und dabei bedenken, dass
und
dT
dy
dS c'-S
dx ' dxdy
_ d^ü
dxcy
dT
dx
dS rj. o-'S
dy ' cydx
_ c-^ü
cycx
dxdy dydx dxdy dydx
ist, so erhalten wir:
ar _ 8Ä _ 8T 8Ä _ _8_ rdW\ d_ rdW\
dy dx dx dy dy \dx J ex \dy )
Die hierin an der rechten Seite stehende Differenz haben wir
in Abschnitt V. die mif xy hesügliclie Arbeit sdi ff er enz genannt
und mit JD^y bezeichnet, so dass zu setzen ist:
(7) 2). =^(^JL\_1.(^^\.
^^ dy \dxj cx\dyj
Hierdurch geht die vorige Gleichung über in:
/Q. dT dS dT cS ^
dy dx cx cy ^
Dieses ist die aus der Gleichung (5) hervorgehende, zur Bestimmung
von S dienende Differentialgleichung.
208 Abschnitt IX.
Um ferner aus den beiden Gleichungen (6) die Grösse S zu
eliminiren, schreiben wir sie in folgender Form:
d_S _ ]_ dU }_ dW
dx~ T ' dx^ T ' dx
dy — T ' dy '^ T ' dy '
Von diesen Gleichungen differentiiren wir wieder die erste nach y
und die zweite nach x^ wodurch kommt:
d^S 1 d^U 1 dT dU , d /l 8Tf^
1
dT
^2
dy
1
dT
7^2
' dx
"*" dy \T ' dx)
dxdy T dxdy T^ dy dx
d^S 1 82^7 l dT dU , d /l^ dW\
^ dx y.
dydx T dydx T'^ dx dy ' dx \T dy J
Subtrahirt man die zweite dieser Gleichungen von der ersten und
bringt in der dadurch entstehenden Gleichung die Glieder, welche
U enthalten, auf die linke Seite, und multiplicirt dann noch die
ganze Gleichung mit T^, so kommt:
dy ' dx dx' dy ~ \dy \T ' dx ) dx \T ' dy)\'
Für die hierin an der rechten Seite stehende Grösse wollen
wir ebenfalls ein besonderes Zeichen einführen, indem wir setzen :
wobei zu bemerken ist, dass zwischen Dxy und /:Jxy folgende Be-
ziehung stattfindet:
,,„, . ^^ dT dW , dT dW
Nach Einführung dieses Zeichens lautet die obige Gleichung:
dT^ dXl _d_T_ dJl
dy dx dx dy
Dieses ist die aus der Gleichung (5) hervorgehende, zur Be-
stimmung von JJ dienende Differentialgleichung.
.,,x VJ- V U VJ. u u .
§. 3. Einführung der Temperatur als eine der unab-
hängigen Veränderlichen,
Die vorstehenden Gleichungen nehmen eine besonders einfache
Gestalt an, wenn man darin als eine der unabhängigen Veränder-
lichen die Temperatur T wählt. Setzt man T = y^ %o folgt daraus :
Bestimmung der Energie und Entropie.
209
dT
dp
und — -
dx
0.
Man erhält daher aus (10) folgende, die Beziehung zwischen D^ t
und ^x T ausdrückende Gleichung :
dW
(12) ^,T=TD,T-^.
und die Gleichungen (8) und (11) gehen über in:
(13)
dx
dU
dx
D
X T
^.
Hierdurch sind die auf x bezüglichen Differentialcoefficienten
der beiden Functionen S und U bestimmt. Für die auf T bezüg-
lichen Differentialcoefficienten wollen wir die Ausdrücke beibehalten,
welche sich unter der Voraussetzung, dass der Zustand des Körpers
durch die Veränderlichen T und x bestimmt wird, unmittelbar aus
den Gleichungen (2) und (1) ergeben, nämlich:
M _ 1 M
öT ~ T ' dT
du _ dQ dW
dT ~ dT dT'
Durch Anwendung der Gleichungen (13) und (14)
folgende vollständige Differentialgleichungen bilden:
1 8^
(14)
kann man
(15)
dS =
T d~T ^^-^ ~^ Da: Tax
dU= (II - 1^) r?r-f ^^Tclx.
Da die Grössen S und U sich durch Functionen von T und x
darstellen lassen müssen, in welchen die beiden Veränderlichen T
und X als von einander unabhängig angesehen werden können, so
muss für die beiden vorstehenden Gleichungen die bekannte Be-
dingungsgleichung der Integrabilität gelten. Für die erste Gleichung
lautet diese:
dxKT'dTj er '
oder anders geschrieben:
i (H) = -
d rdQ\ _ rr dJD.T
dT '
Clausius, mechau. Wärmetlieorie. I.
14
X T
210 Abschnitt IX.
welches die Gleichung (15) des Ahschnittes V. ist. Für die zweite
Gleichung lautet die Bedingungsgleichung:
^ ^ dx \dT) dx VöT ) d'j
welche Gleichung leicht auf die vorige zurückgeführt werden kann.
Nach (12) ist nämlich:
y, _ TD ^^
^x T -L Ux T Z *
cx
Differentiirt man diese Gleichung nach T, so kommt:
d /Jx T
__ rp^DxT , j. d /dW\
dT
Bedenkt man nun, dass:
_ _a_ /dW\ d_ /dW\
so geht die vorige Gleichung über in :
d^xT _ rp dPxT _ _d_ /dW\
dT ~ dT dx \dTj'
Durch Einsetzung dieses Werthes von -^-wr in die Gleichung (17)
gelangt man wieder zu der Gleichung (16).
Demgemäss kann man die Gleichungen (15) zur Integration
anwenden und dadurch für die Grössen S und U Ausdrücke
gewinnen, deren jeder nur noch eine unbestimmt bleibende Con-
stante enthält. Diese Constanten lassen sich auch noch be-
stimmen, wenn für irgend einen möglichen Zustand des Körpers,
welchen man bei der Integration als Anfangszustand wählen
kann, die Werthe von S und U bekannt sind.
§. 4 Specialisirung der Differentialgleichungen durch
Annahme eines gleichmässigen Oberflächendruckes als
einzige äussere Kraft.
Wird als äussere Kraft nur ein gleichmässiger und normaler
Oberflächendruck angenommen, so dass zu setzen ist:
dW = pdv,
und daher :
Bestimmung der Energie und Entropie. 211
cW dv 3 dW dv
^— = p TT- und ^T— = p 7— ,
dx ex cy ey
so nehmen die Ausdrücke von D^y und ^^y besondere Formen an,
von denen die für Z).r,/ geltende schon im Abschnitt V. angeführt
wurde. Man erhält zunächst:
^ c / cv\ d ( dv\
^^^-dljY-x)-Tx^'üj)
'^'' '^'^'\üi\l'Tx)~~d~x \T ' üj)\ '
In der letzteren dieser Gleichungen wollen wir zur Abkürzung
setzen:
(18) ^ = f ,
wodurch sie übergeht in:
Führt mau nun in diesen Gleichungen die Differentiation der Pro-
■,,.,,.,--. d'^v d^v . ,
ULH^l.1^ £11
lO , LIU
dxcy cydx
man:
(19J
j^ dp dv dp dv
•LJxy ^ ,-x --> ' o )
dy ex ex dy
(20)
rj.^ fdn dv dn dv\
'~~ \dy ex dx dy)
Wird als
eine der unabhängigen Veränderlichen die Tempe^
ratur T
gewählt, während die andere x bleibt, so lauten die Aus-
drücke :
(21;
j. dp dv dp dv
^^~ÖT dx dx dT'
(22J
/cTC d v dn d v\
^^T= J-- i ^, a ^ ;. T ) '
oder auch, wenn man für 7t wieder seinen Werth 4^ setzt:
, rp /dp ev dp dv\ cv
Hierdurch gestalten sich die Gleichungen (15) folgender-
maassen :
14*
212
Abschuitt IX.
(23) c/Ä_^-g^rfi + (^g^-g^ a^ öt)'^^^
(24) dP = (^^ _p ^j rfT+ P (^^ . _ _ _ . _jdx.
oder anders geschrieben :
(24a) c?Cr= [^^^p -^j .^T-f I^T (^_ . _ - _ . — j
^^1 7
Wird nun weiter als zweite bis jetzt unbestimmt gelassene
Veränderliche das Volumen v gewählt, und somit x = v gesetzt,
so hat man:
- = 1 und gy = 0,
und die vorigen Gleichungen gehen dadurch über in:
1 ^Q ^rp i dp
(25)
dv
dS— ^-^^^^ ^T
dü=y^dT^{Tl^-l)dv.
Wird als zweite unabhängige Veränderliche neben T der Druck p
gewählt, und somit x ■= p gesetzt, so ist :
^ = 1 und ^
dx - dT
0,
und es kommt somit:
(26)
^^=(ll-^ll)^^-(^ll+^li)^^-
§. 5. Anwendung der vorigen Gleichungen auf homogene
Körper und speciell auf vollkommene Gase.
Bei homogenen Körpern, auf welche als äussere Kraft nur
ein gleichmässiger und normaler Oberflächendruck wirkt, pflegt
man, wie es am Schlüsse des vorigen Paragraphen geschehen ist,
zwei der Grössen T, v und j9 als unabhängige Veränderliche zu
wählen, und der Differentialcoefficient -^ nimmt die schon mehr-
0 1
Bestimmung der Energie und Entropie. 213
fach erwähnte einfache Bedeutung an. Wenn nämlich T und v
die unabhängigen Veränderlichen sind, so bedeutet ^,. falls das
6 1
Gewicht des Körpers eine Gewichtseinheit ist, die specifische Wärme
bei constantem Volumen, und wenn T und p die unabhängigen
? 0
Veränderlichen sind, so bedeutet ^rm füi" denselben Fall die
6 1
specifische Wärme bei constantem Drucke. Die Gleichungen (25)
und (26) gehen daher über in:
(27)
dU= C,dT^{T^ -i^dv
\dS=^dT-^dp
(28) l -L o± c, ^
dU= (C, -pl^^dT-(^T^ + p'^) dp.
Wollen wir diese Gleichungen auf ein vollkommenes Gas an-
wenden, so kommt die bekannte Gleichung:
pv — RT
zur Geltung. Aus dieser folgt, wenn T und v als unabhängige
Veränderliche gewählt werden:
dp _B
dT~ v'
und die Gleichungen (27) gehen daher über in:
(29) Us = C,''-^ + B^-^
[dJJ = C^dT.
Da in diesem Falle Cv als constant zu betrachten ist, so lassen
sich diese Gleichungen sofort integriren und geben, wenn die auf
den Anfangszustand bezüglichen Grössen zur Unterscheidung mit
dem Index 0 versehen werden :
(30)" JS=S, +CJ.,| + B%i
Wählt man T und p als unabhängige Veränderliche, so hat man
zu setzen:
214 Absclinitt IX.
dv__R d 5i! _ _ Ä^.
dT~ p ^^ dp~ i)2 •
Demnach gehen die Gleichungen (28) über in:
(31) \ "^ T p
[dü= (Cp - R)dT,
woraus sich durch Integration ergiebt:
Is ^-= S, -f Cplog ^ - RJog ^
(32) ] 0 ^ P J r^^ J ^^
[ü=Uo + (C,-B)(I-T,).
Die Integration der allgemeineren Gleichungen (27) und (28)
lässt sich natürlich erst dann ausführen, wenn in (27) p und C^
als Functionen von T und v und in (28) v und Cj, als Functionen
von T und ^j bekannt sind.
§. 6. Anwendung der Gleichungen auf einen Körper,
welcher sich in zwei verschiedenen Aggregätzuständen
befindet.
Als weiteren speciellen Fall wollen wir noch den zur Betrach-
tung auswählen , auf welchen sich die Abschnitte VI. und VII. be-
ziehen, nämlich den Fall, wo der betrachtete Körper sich theils in
einem, theils in einem anderen Aggregatzustande befindet, und wo
die Aenderung, welche der Körper bei constanter Temperatur er-
leiden kann, darin besteht, dass die Grössen der in den beiden
Aggregatzuständen befindlichen Theile sich ändern, womit eine
Veränderung des Volumens, aber keine Veränderung des Druckes
verbunden ist. Da in diesem Falle der Druck p nur von der
Temperatur abhängt, so haben wir in den Gleichungen (23) und
(24a) zu setzen:
1^ = 0,
dx
wodurch jene Gleichungen in folgende übergehen:
(33)
dS=j.^dT+^.-dx
^Q ^ ^^\ ^rr ^ (rr du? .A e^ ^^
dx
'^-{u-^u)'^+{^li-^)
Bestimmung der Energie und Entropie. 215.
Bezeichnen wir nun, wie es in den Abschnitten VI. und VII.
geschehen ist, das Gewicht der ganzen Masse mit M und das
Gewicht des Theiles, welcher sich im zweiten Aggregatzustande
befindet, mit m, und nehmen m statt x als zweite unabhängige
Veränderliche, so gilt die in Abschnitt VI. unter f6) gegebene
Gleichung:
dv
dm '
wofür wir nach Gleichung (12) desselben Abschnittes auch setzen
können :
dv Q
dm rp dp
JT
Dadurch gehen die vorigen Gleichungen über in:
(34)
dS = j,-^dTJr^dm,
V (IT/
Für die Integration dieser Gleichungen diene als Ausgangs-
punkt derjenige Zustand, wo die ganze Masse 31 sich im ersten
Aggregatzustande befindet, die Temperatur Tn hat und unter dem-
jenigen Drucke steht, welcher dieser Temperatur entspricht. Den
Uebergang von diesem Zustande zu dem gegenwärtigen, wo die
Temperatur T ist , und wo von der Masse M der Tlieil m sich im
zweiten und der Theil M — m im ersten Aggregatzustande befindet,
denke man sich auf folgendem Wege bewirkt. Zuerst werde die
Masse, während sie immer ganz im ersten Aggregatzustande bleibt,
von der Temperatur T,) bis zur Temperatur T erwärmt, und der
Druck ändere sich dabei in der Weise, dass er immer der gerade
stattfindenden Temperatur entspreche. Dann gehe bei der Tem-
peratur T der Theil m der Masse aus dem ersten in den zweiten
Aggregatzustand über. Für diese beiden nach einander statt-
findenden Veränderungen möge die Integration ausgeführt werden.
Während der ersten Veränderung ist dm = 0, und es ist also
nur das erste Glied an der rechten Seite der vorigen Gleichungen
ZU integriren. Darin hat ^-^ den Wertli ilf C, wenn C die speci-
fische Wärme des Körpers im ersten Aggregatzustande bedeutet,
216 Abschnitt IX.
und zwar die specifische Wärme für den Fall, wo bei der Erwär-
mung der Druck sich in der oben erwähnten Weise ändert. Von
dieser specifischen Wärme ist schon mehrfach die Rede gewesen
und nach den im §. 6 des vorigen Abschnittes ausgeführten Be-
stimmungen kann sie für den Fall, wo der erste Aggregatzustand
der feste oder flüssige und der zweite der luftförmige ist, in nume-
rischen Rechnungen ohne Bedenken der specifischen Wärme bei
constantem Drucke gleich gesetzt werden. Nur bei sehr hohen
Temperaturen, bei denen das Wachsen der Dampfspannung mit
der Temperatur sehr schnell stattfindet, kann der Unterschied
zwischen der specifischen Wärme C und der specifischen Wärme
bei constantem Drucke so erheblich werden , dass er berücksichtigt
werden muss. Ferner hat während der ersten Veränderung das
mit V bezeichnete Volumen den Werth 3l6, worin ö das specifische
Volumen des Stoffes im ersten Aggregatzustande bedeutet. Wäh-
rend der zweiten Veränderung ist dT = 0, und es ist daher nur
das zweite Glied an der rechten Seite der obigen Gleichungen zu
integriren. Diese Integration lässt sich in beiden Gleichungen so-
fort ausführen, da die Factoren, mit denen das Differential dm
multiplicirt ist, von m unabhängig sind, und daher nur dm selbst
integrirt zu werden braucht, wodurch m entsteht. Es kommt
somit :
(35)
T ^
^ mg
ü=U. + Mf(c-pl^)dT-^mJl--^
Setzt man in diesen Gleichungen m = o oder m = M, so
erhält man die Entropie und Energie für die beiden Fälle, wo die
Masse sich entweder ganz im ersten oder ganz im zweiten Aggregat-
zustande befindet, und dabei die Temperatur T hat, und unter dem
dieser Temperatur entsprechenden Drucke steht. Ist z. B. der
erste Aggregatzustand der flüssige und der zweite der luftförmige,
so beziehen sich die Ausdrücke, wenn in ihnen m = o gesetzt
wird, auf Flüssigkeit von der Temperatur T und unter einem
Drucke, welcher gleich dem Maximum der Spannkraft des Dampfes
für diese Temperatur ist, und wenn m = M gesetzt wird, auf
gesättigten Dampf von der Temperatur T.
Bestimmung der Energie und Entropie. 217
§. 7. Verhalten der Grössen Dxy und ^i^,
xy
Zum Schlüsse dieses Abschnittes wird es zweckmässig sein,
die Aufmerksamkeit noch auf die Grössen JDxy und zl^y zu lenken,
welche gemäss den Gleichungen (7) und (9) folgende Bedeutungen
haben :
^^ ~ dy\dx ) dx\dy)
'~ \jdy\T dxj dx\T dy)\
Diese beiden Grössen sind Functionen von x und y. Wählt man
zur Bestimmung des Zustandes des Körpers statt der Veränder-
lichen X und y irgend zwei andere Veränderliche, welche ^ und rj
heissen mögen, und bildet mit diesen die entsprechenden Grössen
D^^ und z/f^, nämlich:
(36)
' _ _a_ fdW\ d_ (dW\
so sind diese Grössen natürlich Functionen von | und j^, ebenso
wie die vorigen Grössen Functionen von x und y. Vergleicht man
nun aber einen dieser beiden letzten Ausdrücke, z. B. denjenigen
von Dir, mit dem Ausdrucke der entsprechenden Grösse D^y, so
findet man, dass sie nicht bloss zwei auf verschiedene Veränder-
liche bezogene Ausdrücke einer und derselben Grösse sind, sondern
dass sie wirklich verschiedene Grössen darstellen. Aus diesem
Grunde habe ich Dxy nicht kurzweg die ArbeitsdifFerenz , sondern
die auf xy bezügliche ArbeitsdifFerenz genannt, wodurch sie sofort
von D^r,i nämlich von der auf |7j bezüglichen Arbeitsdifferenz,
unterschieden wird. Ebenso verhält es sich mit ^xy und z/^,„
welche gleichfalls als zwei verschiedene Grössen anzusehen sind.
Die Beziehung, welche zwischen den Grössen D^y und D^r,
besteht, findet man folgendermaassen. Die Differentialcoefficienten,
welche in dem in (36) gegebenen Ausdrucke von D^r, vorkommen,
können in der Weise abgeleitet werden, dass man zuerst die
Differentialcoefficienten nach den Veränderlichen x und y bildet,
und dann jede dieser beiden Veränderlichen als eine Function von
I und ?^ behandelt. Auf diese Art erhält mau:
218
Abschnitt IX.
dW
dt"
dW dx dW dy
dx ' dl ' dy dl
dW
dr]
dW dx dW dy
dx dr] ' dy dr]
Von diesen beiden Ausdrücken soll der erste nach r] und der zweite
nach I dififerentiirt werden; wodurch man unter Anwendung des-
selben Verfahrens erhält:
' d /dW\ dx-dx d /dW\ dx
dx \dx) dl drj ' dy \dx) dl
dy
d rj
d
drj
/dW\
\dl) = '
dW d'^x . d /dW\ dx dy
~^ dx didrj ' dx\dy ) ' dr] dl
, d /dW\ dy dy . dW dHj
V '^V \dv) Ol dr] ' dy dl'dr]
d /dW\ dx dx d /dW\ dx
dx \dx) dl dr] ' dy \ dx ) dr]
dy
dl
d
dl
fdW\
\dr])-\
dW d'^x , d /dW\ dx dy
"■ dx dldr] ' dx\dy) dl dr]
d /dW\ dy dy , dW dHj
\'^ dy \dy) dl dr] ' dy dldr]
Wenn man die zweite dieser Gleichungen von der ersten abzieht,
so heben sich an der rechten Seite die meisten Glieder auf, und
es bleiben nur vier Glieder übrig, welche sich in der folgenden
Weise in ein Product aus zwei zweigliedrigen Ausdrücken zu-
sammenziehen lassen:
_d_ /dW\ d_ /dW\ _ /d^ djj_ _ dx dy\ [
dr]\dl) dl\dr])~\dl' dr] ~ drj' dlJl
d_ /dW
dx \ dy
Der in dieser Gleichung an der linken Seite stehende Ausdruck
ist Z)f^, und der an der rechten Seite in der eckigen Klammer
d_
dy
dW\
dx)
stehende Ausdruck ist D,
(37) A. =
Man erhält also schliesslich:
dy dx dy^
'xy
'dx
,8| drj dr] dl
Auf gleiche Art findet man auch:
. /dx dy dx dy'
^^ ~\dl' d^~ d^'dj/ -"
Wenn man nur Eine der Veränderlichen durch eine neue er-
setzt, wenn man z. B. die Veränderliche x beibehält, während man
(37 aj
D.
^.
Bestimmung der Energie und Entrofjie. 219
statt y die neue Veränderliche ri einführt, so hat man in den bei-
den vorigen Gleichungen x = ^^ und somit -j^ = 1 und y- = 0
zu setzen, wodurch sie übergehen in:
(38) Do:r> = ^ Do; y und ZJ^^, — ^ ^xy
^ D und ^ - ^^
Will man zwar die ursprünglichen Veränderlichen beibehalten,
aber- ihre Reihenfolge ändern, so nehmen dadurch die in Rede
stehenden Grössen, wie man sofort aus dem blossen Anblicke der
Ausdrücke (7) und (9) erkennt, das entgegengesetzte Vorzeichen
an, also:
(39) Dya; = — Bxy und Jy^c = — ^xy
ABSCHNITT X.
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sind.
§. 1. Vervollständigung der mathematischen Ausdrücke
des zweiten Hauptsatzes.
Bei dem Beweise des zweiten Hauptsatzes und den sich daran
knüpfenden Betrachtungen wurde bisher immer angenommen, dass
alle vorkommenden Veränderungen in umkehrbarer Weise vor sich
gingen. Wir müssen nun noch untersuchen, inwiefern die Resultate
sich ändern, wenn diese Voraussetzung aufgegeben wird, und auch
solche Vorgänge, die niclit umjcehrbar sind, in den Kreis der
Betrachtungen gezogen werden.
Solche Vorgänge kommen, wenn sie auch ihrem Wesen nach
unter einander verwandt sind, doch in sehr verschiedenen Formen
vor. Ein Fall der Art wurde schon im ersten Abschnitte ange-
führt, nämlich der, wo die Kraft, mit welcher ein Körper seinen
Zustand ändert, z. B. die Kraft, mit der ein Gas sich ausdehnt,
niclit einen ihr gleichen Widerstand findet, und daher nicht die
ganze Arbeit leistet, welche sie bei der Zustandsänderung leisten
könnte. Ferner gehört dahin die Wärmeerzeugung durch Reibung
und Luftwiderstand und die Wärmeerzeugung durch einen galva-
nischen Strom bei der Ueberwindung des Leitungswiderstandes.
Endlich sind die unmittelbaren Wärmeübergänge von warmen zu
kalten Körpern, welche durch Leitung oder Strahlung stattfinden,
dahin zu rechnen.
Wir wollen nun zu den Betrachtungen zurückkehren, durch
welche im vierten Abschnitte bewiesen wurde, dass in einem um-
Vorgänge, welclio nicht uiiik(;livbar sind. 221
kehrl^aren Kreisproccsse die Summo aller Verwandlungen gleich
Null sein müsse. Für Eine Verwandlungsart, nämlich den Wärme-
übergang zwischen Körpern von verschiedenen Temperaturen,
wurde es als ein auf dem Wesen der Wärme beruhender Grund-
satz angenommen, dass der Uebergang von niederer zu höherer
Temperatur, welcher eine negative Verwandlung repräsentirt, nicht
ohne Compensation stattfinden könne. Darauf gestützt wurde der
Beweis geführt, dass die Summe aller in einem Kreisproccsse vor-
kommenden Verwandlungen nicht negativ sein könne, weil jede
übrig bleibende negative Verwandlung auf einen Wärmeübergang
von niederer zu höherer Temperatur zurückgeführt werden könnte.
Endlich wurde hinzugefügt, die Summe der Verwandlungen könne
auch nicht positiv sein, weil man sonst den Kreisprocess nur um-
gekehrt auszuführen brauchte, um sie negativ zu machen.
Der erste Theil des Beweises, aus welchem hervorgeht, dass
die Summe aller in einem Kreisproccsse vorkommenden Verwand-
lungen nicht negativ sein kann, bleibt unverändert auch dann
gültig, wenn nicht-umkehrbare Veränderungen in dem betrachteten
Kreisproccsse vorkommen. Der hinzugefügte Schluss aber, durch
welchen die Unmöglichkeit einer positiven Summe bewiesen wurde,
kann selbstverständlich auf einen solchen Kreisprocess, der sich
nicht umgekehrt ausführen lässt, nicht angewandt werden. Viel-
mehr ergiebt sich aus unmittelbarer Betrachtung der Sache sofort,
dass die positiven Verwandlungen sehr wohl im Ueberschusse vor-
handen sein können, da bei manchen Vorgängen, wie bei der Wärme-
erzeugung durch Reibung und dem durch Leitung stattfindenden
Wärmeübergange von einem warmen zu einem kalten Körper nur
eine positive Verwandlung ohne sonstige Veränderung vorkommt.
Statt des früher ausgesprochenen Satzes, dass die Summe aller
Verwandlungen Null sein müsse, hat man also, wenn nicht-umkehr-
bare Veränderungen mit einbegrifi'en werden, folgenden Satz aus-
zusprechen:
Die algebraische Summe aller in einem Kreisp>~ocesse vor-
kommenden Venvandlungen kann nur positiv oder als
Grenzfcäl Null sein.
Wir wollen eine solche Verwandlung, welche am Schlüsse
eines Kreisprocesses ohne eine andere entgegengesetzte übrig bleibt,
eine uncompensirte Verwandlung nennen, und können dann den
vorigen Satz noch kürzer so aussprechen :
Uncompensirte Venvandlungen können nur positiv sein.
222 Abschnitt X.
Um den mathematischen Ausdruck dieses erweiterten Satzes
zu erhalten, brauchen wir uns nur zu erinnern, dass die Summe
aller in einem Kreisprocesse vorkommenden Verwandlungen durch
-—- dargestellt wird. Wir haben also, um den allgemeinen
Satz auszudrücken, statt der früher unter (V.) gegebenen Gleichung
zu setzen:
/
(IX.) /^ ^ 0,
und die früher unter (VI.) gegebene Gleichung geht dann über in :
(X.) dQ^TdS.
§. 2. Grösse der uncompensirten Verwandlung.
Die Grösse der uncompensirten Verwandlung ergiebt sich in
manchen Fällen unmittelbar aus den im vierten Abschnitte ent-
haltenen Bestimmungen der Aequivalenzwerthe der Verwandlungen.
Wenn z. B. durch einen Process wie die Reibung eine Wärme-
menge Q erzeugt ist, und diese sich schliesslich in einem Körper
von der Temperatur T befindet, so hat die dabei eingetretene
uncompensirte Verwandlung den Werth:
T'
Wenn ferner eine Wärmemenge Q durch Leitung aus einem Körper
von der Temperatur T^ in einen Körper von der Temperatur T^
übergegangen ist, so ist die uncompensirte Verwandlung:
«(i-i)
Hat irgend ein Körper einen nicht umkehrbaren Kreisprocess
durchgemacht, so haben wir zur Bestimmung der dabei eingetrete-
nen uncompensirten Verwandlung, welche mit N bezeichnet werden
möge, nach den Auseinandersetzungen des Abschnittes (IV,) die
Gleichung :
Da aber ein Kreisprocess aus vielen einzelnen Zustandsände-
rungen eines gegebenen Körpers ' gebildet sein kann, von denen
einige in umkehrbarer Weise , andere in nicht umkehrbarer Weise
Vorgänge, welclie nicht umkelirbar Kind. 223
geschehen sind, so ist es in manchen Fällen von Interesse, zu wissen,
wieviel jede einzelne der letzteren zur Entstehung der ganzen
Summe von uncompensirten Verwandlungen beigetragen hat. Dazu
denke man sich nach der Zustandsänderung, welche man in dieser
Weise untersuchen will, den veränderlichen Körper durch irgend
ein umkehrbares Verfahren in den vorigen Zustand zurückgeführt.
Dadurch erhält man einen kleineren Kreisprocess, auf welchen sich
die Gleichung (1) ebenso gut anwenden lässt, wie auf den ganzen.
Kennt man also die Wärmemengen, welche der Körper während
desselben aufgenommen hat, und die dazu gehörigen Temperaturen,
so giebt das negative Integral — / -^ die in ihm entstandene un-
compensirte Verwandlung. Da nun die Zurückführung , welche in
umkehrbarer Weise stattgefunden hat, zur Vermehrung derselben
nichts beigetragen haben kann, so stellt jener Ausdruck die ge-
suchte, durch die gegebene Zustandsänderung veranlasste uncom-
pensirte Verwandlung dar.
Hat man auf diese Weise alle die Theile des ganzen Kreis-
processes, welche nicht umkehrbar sind, untersucht, und dabei die
Werthe Ny , N^ etc. gefunden , welche alle einzeln positiv sein
müssen, so giebt ihre Summe die auf den ganzen Kreisprocess
bezügliche Grösse iV, ohne dass man die Theile, von welchen man
weiss, dass sie umkehrbar sind, mit in die Untersuchung zu ziehen
braucht.
§. 3. Ausdehnung eines Gases ohne äussere Arbeit.
Es wird vielleicht zweckmässig sein, die im vorigen Para-
graphen erwähnten Zustandsänderungen der Körper, welche in
nicht umkehrbarer Weise vor sich gehen, indem die zu über-
windenden Widerstände geringer sind, als die wirkenden Kräfte,
nun etwas näher zu betrachten, um die dabei stattfindende
Wärmeaufnahme zu bestimmen. Da es aber sehr viele und in
sehr mannichf altiger Weise verschiedene Zustandsänderungen der
Art giebt, so müssen wir uns hier darauf beschränken, einige
Fälle, die entweder ihrer Einfachheit wegen besonders anschaulich
sind, oder aus anderen Gründen ein specielles Interesse darbieten,
als Beispiele zu behandeln.
224 ^ Abschnitt X.
Die allgemeine Gleichung zur Bestimmung der Wärmemenge,
welche ein Körper aufnimmt, während er irgend eine in umkehr-
barer oder nicht umkehrbarer Weise vor sich gehende Zustands-
änderung erleidet, ist:
(2) Q=^U,-Ü,-^W,
wenn TJ^ und U^ die Energie im Anfangs- und Endzustande und
W die während der Veränderung geleistete äussere Arbeit be-
deutet.
Zur Bestimmung der Energie gelten die im vorigen Abschnitte
aufgestellten Gleichungen. Wirkt als äussere Kraft nur ein gleich-
massiger und normaler Oberflächendruck, und ist der Zustand des
Körpers durch seine Temperatur und sein Volumen bestimmt, so
kann man die dort unter (27) gegebene Gleichung:
dv
(3) dU= C,MT^{t^- i^
anwenden, und hat sie für den auf irgend einem Wege in umkehr-
barer Weise stattfindenden Uebergang aus dem Anfaugszustande
in den Endzustand zu integriren. Ist in diesen beiden Zuständen
die Temperatur gleich, wie wir es in den zunächst folgenden Bei-
spielen voraussetzen wollen, so kann die Integration bei constanter
Temperatur geschehen, und giebt, wenn das Anfangs- und End-
volumen mit Vi und v^^ bezeichnet werden :
Vi
wodurch die Gleichung (2) in folgende übergeht:
(5) Q= J'(^Tl^-p\dv+W.
Als erster und einfachster Fall, möge nun der behandelt
werden, wo ein Gas sich ohne äussere Arbeit ausdehnt. Man denke
sich dazu eine Quantität des Gases in einem Gefässe befindlich
und nehme an, dass dieses Gefäss mit einem leeren Gefässe in
Verbindung gesetzt werde, so dass ein Theil des Gases überströmen
könne, ohne dabei einen äusseren Widerstand zu überwinden. Die
Wärmemenge, welche das Gas in diesem Falle aufnehmen muss,
um seine Temperatur unverändert zu behalten, bestimmt sich durch
die vorige Gleichung, wenn darin TT = 0 gesetzt wird, also durch
die Gleichung:
Vorgänge, welche nicht nmkehvbar sind.
(6J
Q=- ^
TT
in dv.
Macht man die specielle Voraussetzung, dass das Gas ein voll-
kommenes sei, und daher der Gleichung
BT
genüge, so erhält man:
pv
dp
dT
und daher:
dp
B
T ^= T— =
B
V '
pv
B
B
dT
wodurch (6) übergeht in:
(7) ^ = 0.
Exioerimentell ist die Ausdehnung ohne äussere Arbeit, wie
schon früher erwähnt, von Gaj-Lussac, Joule und Regnault
untersucht. Joule hat seine auf die Ausdehnung der Luft bezüg-
lichen Versuche an die schon in Abschnitt IL beschriebenen Ver-
suche, durch welche er die bei der Zusammendrückung der Luft
erzeugte Wärme bestimmte, angeschlossen. Der in Fig. 6 (S. 69)
abgebildete Recipient B wurde, nachdem er mit verdichteter Luft
von 22 Atm. Druck gefüllt war. so wie es in Fig. 18 angedeutet
Fio-. 18. ist . mit einem leeren Recipienten
B' in Verbindung gesetzt, so dass
nur noch die Hähne die Commu-
nication zwischen ihnen abschlös-
sen. Beide Recipienten wurden
zusammen in ein Wassercalori-
meter gesetzt, un-d dann die Hähne
geöffnet, worauf die Luft durch
theilweises Ueberströmen in den
Recipienten B' sich bis ungefähr
zum doppelten Volumen ausdehnte. Dabei zeigte das Calorimeter
keinen Wärmeverlust, und die Ausdehnung der Luft hatte also, so
weit es sich in diesem Apparate messen liess, ohne Verbrauch von
Wärme stattgefunden.
Das eben ausgesprochene Resultat, dass bei der Ausdehnung
keine Wärme verbraucht sei, gilt jedoch nur für den Process im
Ganzen, aber nicht für die einzelnen Theile desselben. Im ersten
Clausius, mechan. Wärmetheorie. I.
15
226
Abschnitt X.
Fig. 19.
Recipienten , wo die Ausdehnung der Luft stattfindet, und die
Strömungsbewegung entsteht, wird Wärme verbraucht, im zweiten
Recipienten dagegen, wo die Strömungsbewegung wieder aufhört,
und die zuerst eingeströmte Luft von der nachfolgenden zu-
sammengedrückt wird, und ebenso an den Stellen, wo beim Strömen
Reibungswiderstände zu überwinden sind, wird Wärme erzeugt.
Da aber die Wärmeerzeugung und der Wärmeverbrauch einander
gleich sind, so heben sie sich
gegenseitig auf, und man kann
daher, sofern man nur das Ge-
sammtresultat des ganzen Vor-
ganges im Auge hat, sagen, es
habe kein Wärmeverbrauch statt-
gefunden.
Um die einzelnen Theile des
Vorganges besonders beobachten
zu können, hat Joule seinen
Versuch noch in der Weise abgeändert, dass er die beiden Reci-
pienten und das Hahnstück in drei verschiedene Caloriraeter setzte,
wie es in Fig. 19 angedeutet ist. Da zeigte das Calorimeter, in
welchem der Recipient, aus dem die Luft ausströmte, sich befand,
Wärmeverlust, und die beiden anderen Calorimeter zeigten Wärme-
gewinn. Der ganze Wärmegewinn war dem Wärmeverluste so
nahe gleich, dass Joule glaubt, die noch vorhandene Differenz
aus den Fehlerquellen des Versuches erklären zu können.
§. 4. Ausdehnung eines Gases mit unvollständiger
Arbeit.
Wenn bei der Ausdehnung eines Gases zwar ein Gegendruck
zu überwinden ist, dieser aber der Expansivkraft des Gases an
Grösse nicht gleichkommt, so wird eine Arbeit geleistet, welche
kleiner ist als die, welche das Gas bei der Ausdehnung leisten
könnte. Dieses ist z. B. der Fall, wenn ein Gas aus einem Gefässe,
in welchem es einen höheren, als den atmosphärischen Druck hat,
in die Atmosphäre ausströmt.
Auch in diesem Falle ist der Vorgang ein sehr complicirter.
Es findet nicht bloss die für die Ausdehnung nöthige Arbeit und
der ihr entsprechende Wärmeverbrauch statt, sondern auch zur
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sind. 227
Hervorbringuiig der Ausströmungsgeschwindigkeit Avird Wärme
verbraucht und bei der nachherigen Abnahme dieser Geschuindig-
keit wieder Wärme erzeugt. Ebenso ^särd zur Ueberwindung des
Reibungswiderstandes Wärme verbraucht und durch die Reibung
selbst Wärme erzeugt. Wollte man alle diese einzelnen Theile des
Vorganges näher bestimmen, so wüi'de das grosse Schwierigkeiten
machen. Wenn es sich aber nur darum handelt, die Wärmemenge
zu bestimmen, welche man im Ganzen von Aussen her zuführen
muss, damit die Temperatur des Gases constant bleibe, so ist die
Sache einfacher. Dann kann mau die Theile des Vorganges, deren
Wirkungen sich gegenseitig aufheben, ausser Acht lassen, und
braucht nur das Anfangs- und Endvolumen des Gases und die-
jenige Arbeit, welche nicht wieder in Wärme verwandelt -^-ird, zu
berücksichtigen. Dabei ist die innere Arbeit dieselbe, wie bei
jeder anderen bei derselbien Temjjeratur zwischen demselben An-
fangs- und Endvolumen stattfindenden Ausdehnung des Gases, und
die äussere Arbeit wird einfach durch das Product aus der Volumen-
zunahme und dem atmosphärischen Drucke dargestellt.
Um nun die gesuchte Wärmemenge zu erhalten, gehen wir
wieder von der Gleichung (5) aus, und setzen darin für W den
Ausdruck der in unserem jetzigen Falle geleisteten äusseren Arbeit,
nämlich, wenn p^ den atmosphärischen Druck bedeutet, das Pro-
duct ^^2 (1-2 — t\), wodurch die Gleichung übergeht in:
Vi
(8) Q =f[T ^ - i^ dv + i>, (V, - CO.
Wenn das Gas ein vollkommenes wäre, so würde das an der
rechten Seite stehende Integral, wie schon im vorigen Paragraphen
erwähnt wurde, gleich Null werden, und die vorstehende Gleichung
daher in folgende einfachere übergehen:
(9) Q=J?2 (v,- t-i),
welche ausdrückt, dass in diesem Falle die zugeführte Wärme nur
der zur ueberwindung des äusseren Luftdruckes nöthigeu Arbeit
entspräche.
Will man die Wärme nicht nach mechanischen Einheiten,
sondern nach gewöhnlichen Wärmeeinheiten messen, so hat man
die Ausdrücke an der rechten Seite von (8J und (9) durch
das mechanische Aequivalent der Wärme zu diridii'en, und erhält
dann:
15*
228
Abschnitt X.
(8 a)
(9 a)
Q
Vi
dp
dT
Pi
T ^ —p^dv^^iv.
— Vi),
Q = ^ (., - V,).
Fig. 20.
Joule hat auch diese Art von Ausdehnung experimentell
untersucht. Nachdem er, wie in den früher erwähnten Versuchen,
Luft in einem Recipienten bis zu hohem Drucke comprimirt
hatte, Hess er sie unter atmosphärischem Gegendrucke ausströmen.
Um dabei die ausströmende Luft wieder auf die ursprüngliche
Temperatur zu bringen, Hess er sie nach dem Austritte aus dem
Recipienten noch durch ein langes Schlangenrohr strömen, welches
sich, wie es in Fig. 20 angedeutet ist, mit dem Recipienten zu-
sammen in einem Wassercalori-
meter befand. Dann blieb für die
Luft nur die kleine Temperatur-
erniedrigung übrig, welche sie
mit der ganzen Wassermasse des
Calorimeters gemein hatte. Aus
der Abkühlung des Calorimeters
ergab sich die an die Luft während
ihrer Ausdehnung abgegebene
Wärmemenge. Indem Joule auf
diese Wärmemenge die Gleichung
(9a) anwandte, konnte er auch
die Ergebnisse dieser Versuche dazu benutzen, das mechanische
Aequivalent der Wärme zu berechnen. Er erhielt dabei aus drei
Versuchsreihen Zahlen, deren Mittelwerth 438 (nach englischen
Maassen 798) ist, ein Werth, welcher mit dem durch Compression
der Luft gefundenen Werthe 444 nahe übereinstimmt, und auch
von dem durch Reibung von Wasser gefundenen Werthe 424 nicht
weiter abweicht, als aus den bei diesen Versuchen vorkommenden
Fehlerquellen erklärlich ist.
§. .5. Versuchsmethode von Thomson und Joule.
Die vorstehend erwähnten Versuche von Joule, bei denen eine
in einem Recipienten enthaltene Luftmenge sich durch theilweises
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sind.
220
Ueberströmen in einen anderen Recipienten, oder durch Ausströ-
men in die Atmosphäre ausdehnte, haben gezeigt, dass die Schlüsse,
welche man unter der Voraussetzung, dass die Luft ein voll-
kommenes Gas sei, ziehen kann, angenähert mit der Erfahrung
übereinstimmen. Will man aber untersuchen, bis zu welchem
Grade der Annäherung das Verhalten der Luft oder eines anderen
Gases den Gesetzen der vollkommenen Gase entspricht, und unter
welchen Gesetzen die etwa noch vorkommenden Abweichungen ste-
hen, so ist dazu jene Versuchsweise nicht genau genug, indem die
Masse des betrachteten Gases im Verhältnisse zur Masse des Wassers
und der Gefässe, welche an der Wärmeveränderung theilnehmen,
zu gering ist, und daher die vorkommenden Fehlerquellen einen
zu grossen Einfluss auf das Resultat gewinnen.
^^^' ^^' Zu diesen feineren Versuchen ist von Thomson
ein sehr zweckmässiges Verfahren ersonnen,
welches dann von ihm und Joule in eben so
sorgfältiger als geschickter Weise zur Ausführung
gebracht isit.
Man denke sich ein Rohr, durch welches ein
continuirlicher Gasstrom getrieben wird, in wel-
chem aber an einer Stelle durch Einfügung eines
porösen Pfropfes der Durchgang des Gases so
erschwert ist, dass selbst dann, wenn zwischen
dem vor und hinter dem Pfropfe herrschenden
Drucke ein beträchtlicher Unterschied obwaltet,
doch nur eine massige, für den Versuch geeignete Menge des
Gases während der Zeiteinheit hindurchströmen kann. Thomson
und Joule wandten als porösen Pfropf eine Quantität Baum-
wolle oder Seidenabfall an, welche, wie es in Fig. 21 angedeutet
ist, zwischen zwei durchlöcherten Platten AB und CD zu-
sammengepresst war. Betrachtet man nun vor und hinter dem
Pfropf in solcher Entfernung, wo die Ungleichheiten der Bewe-
gung, welche sich in der Nähe des Pfropfes zeigen können, nicht
mehr merkbar sind, sondern nur ein gleichmässiges Strömen des
Gases stattfindet, zwei Querschnitte EF und GH, so geht der
ganze Ausdehnungsprocess , welcher der Differenz des Druckes
vor und hinter dem Pfropfe entspricht, in dem kleinen zwischen den
beiden Querschnitten gelegenen Räume vor sich. Es kann daher,
wenn der Gasstrom längere Zeit gleichmässig stattfindet, ein
stationärer Zustand eintreten, in welchem alle festen Theile des
230 Abschnitt X.
Apparates ihre Temperatur unverändert beibehalten, und somit
weder Wärme aufnehmen noch abgeben. Wenn dann noch, wie
es in den Versuchen von Thomson und Joule der Fall war, durch
Umhüllung des betreffenden Raumes mit schlechten Wärmeleitern
dafür gesorgt ist, dass keine merkliche Wärmemenge von Aussen
her zugeleitet oder nach Aussen hin abgeleitet wird, so muss das
Gas allein die bei dem Vorgange etwa verbrauchte oder erzeugte
Wärme hergeben oder aufnehmen, und es kann daher, selbst wenn
die betreffende Wärmemenge nur klein ist, eine deutlich erkennbare
und gut messbare Temperaturdifferenz entstehen.
§. 6. Ableitung der auf den Fall bezüglichen
Gleichungen.
Zur theoretischen Bestimmung der Temperaturdifferenz wollen
wir zunächst die allgemeinere Gleichung bilden, mittelst deren die
Wärmemenge bestimmt wird, welche dem Gase mitgetheilt werden
müsste, damit die Temperatur im zweiten Querschnitte irgend einen
verlangten Werth annähme. Daraus wird sich dann leichtergeben,
welche Temperatur entsteht, wenn die mitgetheilte Wärme Null ist.
Die einzelnen Theile des in Rede stehenden Vorganges sind
wieder theils mit Wärmeverbrauch, theils mit Wärmeerzeugung
verbunden. Zur Ueberwindung des Reibungswiderstandes beim
Durchdringen des porösen Pfropfes wird Wärme verbraucht, durch
die Reibung selbst aber eben so viel Wärme erzeugt. Zu der an
gewissen Stellen eintretenden Vermehrung der Strömungsgeschwin-
digkeit wird Wärme verbraucht, bei der an anderen Stellen wieder
eintretenden Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit dagegen
Wärme erzeugt. Bei der Bestimmung der Wärmemenge, welche
dem Gase im Ganzen mitgetheilt werden muss, bleiben aber die
sich gegenseitig compensirenden Theile des Vorganges ausser Be-
tracht, indem es genügt, diejenige Arbeit, welche als geleistete oder
verbrauchte äussere Arbeit übrig bleibt, und ebenso die wirklich
bleibende Aenderung der lebendigen Kraft der Strömungsgeschwin-
digkeit zu kennen. Dazu brauchen wir nur die Arbeit, welche
beim Eintritt des Gases in unseren Raum, also im Querschnitt EF^
und beim Austritt des Gases, also im Querschnitt GH^ geleistet
wird , und die in diesen Querschnitten stattfindenden Strömungs-
geschwindigkeiten zu berücksichtigen.
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sinrl. 231
Was zunächst die Strömungsgeschwindigkeiten anbetrifft, so
würde man die Differenz ihrer lebendigen Kräfte leicht in Rech-
nung bringen können. Wenn aber nur so geringe Strömungs-
geschwindigkeiten in jenen Querschnitten vorkommen, wie bei den
Versuchen von Thomson und Joule, so kann man ihre lebendigen
Kräfte ganz vernachlässigen. Es bleibt dann also nur die in den
beiden Querschnitten gethane Arbeit zu bestimmen.
Die absoluten Werthe dieser Arbeitsgrössen erhält man
folgendermaassen. Wenn der im Querschnitte EF herrschende
Druck mit j^^ bezeichnet wird , und wenn das Gas in diesem Quer-
schnitte eine solche Dichtigkeit hat, dass eine Gewichtseinheit des
Gases bei dieser Dichtigkeit das Volumen v^ einnimmt, so ist die
Arbeit, welche geleistet wird, während eine Gewichtseinheit des
Gases durch den Querschnitt strömt, gleich dem Producte PiV^.
Ebenso erhält man für den Querschnitt GH^ wenn der hier herr-
schende Druck mit p^ und das specifische Volumen des Gases mit
V2 bezeichnet wird, die Arbeit p^^v^. Diese beiden Arbeitsgrössen
sind aber mit verschiedenen Vorzeichen in Rechnung zu bringen.
Im Querschnitt GH, wo das Gas aus dem betreffenden Räume aus-
strömt, wird der äussere Druck überwunden, in welchem Falle wir
die geleistete Arbeit als eine positive betrachten; im Querschnitt
EF dagegen, wo das Gas einströmt und sich also im Sinne des
äusseren Druckes bewegt, haben wir die Arbeit als negativ zu
rechnen. Die im Ganzen geleistete äussere Arbeit wird also durch
die Differenz
dargestellt.
Um nun weiter die Wärmemenge zu bestimmen, welche eine
Gewichtseinheit des Gases aufnehmen muss, während sie den Raum
zwischen den beiden Querschnitten durchströmt, wenn das Gas im
ersten Querschnitt, wo der Druck j^^ herrscht, die Temperatur Ti
hat, und im zweiten, wo der Druck p^ herrscht, die Temperatur To
haben soll, müssen wir die Gleichung anwenden, welche für den
Fall gilt, wo eine Gewichtseinheit des Gases aus dem durch die
Grössen pi und Ti bestimmten Zustande in den durch die Grössen
P2 und T^ bestimmten Zustand übergeht und dabei die äussere
Arbeit ^2 % — i*i '^1 leistet. Wir gehen dazu zu der Gleichung (2)
z^urück, in welcher wir das die äussere Arbeit darstellende Zeichen
W durch die vorstehende Differenz ersetzen, wodurcli sie über-
geht in :
232 Abschnitt X.
(10) ^ = ZTa — C7, -f- P-2'^i — Pi^v
Hierin brauchen wir nur noch die Differenz U2 — Ui zu be-
stimmen, wozu wir wieder eine der im vorigen Abschnitte auf-
gestellten Differentialgleichungen von U anwenden können. Im
vorliegenden Falle ist es zweckmässig, diejenige Differential-
gleichung auszuwählen, in welcher T und p als unabhängige Ver-
änderlichevorkommen, nämlich die unter (28) gegebene Gleichung:
welcher wir dadurch, dass wir setzen :
= P
= d(pv) — väp,
folgende Form geben können :
(11) dU= C^dT - (t ^ - v\ dp - d(pv).
Diese Gleichung muss von den Anfangswerthen Ti,pi bis zu den
Endwerthen Tg , p.2 integrirt werden. Die Integration der beiden
ersten Glieder an der rechten Seite wollen wir nur andeuten, die
Integration des letzten Gliedes aber können wir sofort ausführen,
und erhalten dadurch:
P ^ (^T + p — dp =pdv
(12) U,- U,=
CpdT — (t ^ — v\ dp\ — p^v-i -f piVy.
Bei der Einsetzung dieses Werthes von C/g — Ui in die
Gleichung (10) heben sich mehrere Glieder auf, und es entsteht
folgende Gleichung:
(13) Q =f[c,dT- (t ll - .) dp .
Der hierin unter dem Integralzeichen stehende Ausdruck ist das
Differential einer Function von T und jj, da Cp der in Abschnitt VIII.
unter (6) gegebenen Gleichung
dp ~ " dT^
genügt, und somit ist die Wärmemenge Q durch die Anfangs- und
Endwerthe von T und p vollständig bestimmt.
Wird nun die den Versuchen von Thomson und Joule ent-
sprechende Bedingung gestellt, dass ^ = 0 sei, so ist die Differenz
zwischen der Anfangs- und Endtemperatur nicht mehr von der
Vorgänge, welche nicht unikehrVjar sind. 233
Differenz zwischen dem Anfangs- und Enddruck unabhängig,
sondern aus der einen lässt sich die andere bestimmen. Denken
wir uns diese beiden Differenzen unendlich klein, so können wir
statt der Gleichung (13) die Differentialgleichung
anwenden, und indem wir hierin dQ = 0 setzen, erhalten wir die
Gleichung , welche die Beziehung zwischen d T und di) ausdrückt,
und sich so schreiben lässt:
^ ^ dp C, V dT
Wenn das Gas ein vollkommenes wäre, und somit der Gleichung
pv = BT
genügte, so würde man haben:
dv B V
dT ~J ~T'
und dadurch würde aus der vorigen Gleichung werden:
dp>
In diesem Falle würde also eine unendlich kleine Druckdifferenz
keine Temperaturdifferenz veranlassen, und dasselbe würde dann
auch von einer endlichen Druckdifferenz gelten. Es müsste also
vor und hinter dem porösen Pfropfe eine und dieselbe Temperatur
stattfinden. Beobachtet man dagegen das Vorhandensein einer
Temperaturdiff'erenz, so folgt daraus, dass das Gas dem Mario tte'-
schen und Gay-Lussac'schen Gesetze nicht genügt, und aus den
Werthen der unter verschiedenen Umständen eintretenden Tem-
peraturdiffereuzen kann man bestimmte Schlüsse über die Art der
Abweichung von jenen Gesetzen ziehen.
§. 7. Ergebnisse der Versuche und daraus abgeleitete
Elasticitätsgleichung der Gase.
Bei den von Thomson und Joule im Jahre 1854 ausgeführten
Versuchen i) stellte sich in der That heraus, dass die Temperaturen
1) Phil Transact. for 1S54, p. 321.
234 Absclinitt X.
vor und hinter dem Pfropfe nicht ganz gleich waren, sondern
einen kleinen Unterschied zeigten, welcher dem angewandten
Druckunterschiede proportional war. Bei der atmosphärischen
Luft fanden sie bei einer anfänglichen Temperatur von etwa
15" Abkühlungen, welche sich, wenn der Druck in Atmosphären
gemessen wurde, durch die Gleichung
T,-T,=. 0,260 (p, - p,)
darstellen liess. Bei der Kohlensäure fanden sie etwas grössere
Abkühlungen, welche bei einer Anfangstemperatur von etwa 19o
der Gleichung
T,-T, = 1,150 {p, - p,)
genügten. Die diesen beiden Gleichungen entsprechenden Diffe-
rentialgleichungen lauten:
(15) g = 0,.26«„d 0=1,15.
In einer späteren, im Jahre 1862 veröffentlichten Unter-
suchung!) haben Thomson und Joule ihr Augenmerk noch be-
sonders darauf gerichtet, wie die Abkühlung sich ändert, wenn die
anfängliche Temperatur anders gewählt wird. Sie Hessen daher
das Gas , bevor es den porösen Pfropf erreichte , durch eine lange
Röhre strömen, welche von Wasser umgeben war, dessen Tempe-
ratur beliebig bis zum Siedepunkte gesteigert werden konnte.
Dabei ergab sich, dass die Abkühlung bei hohen Temperaturen
geringer ist, als bei niederen Temperaturen, und zwar fanden sie
dieselbe umgekehrt proportional dem Quadrate der absoluten
Temperatur. Sie gelangten für atmosphärische Luft und Kohlen-
säure zu nachstehenden vervollständigten Formeln, in welchen a
die absolute Temperatur des Gefrierpunktes bedeutet, und als
Druckeinheit das Gewicht einer Quecksilbersäule von 100 englischen
Zoll Höhe gewählt ist:
^ = 0,92 (^^j und ^ = 4,64 {^) •
Führt man in diese Formeln wieder eine Atmosphäre als Druck-
einheit ein, so lauten sie:
(10) g - 0,8 (|)\naf= 1,30(0.
1) PJiü. Transact. for 1862, p. 579.
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sind. 235
Beim Wasserstoff haben Thomson und Joule in ihrer späteren
Untersuchung statt der Abkühlung eine geringe Erwärmung beob-
achtet, indessen haben sie für dieses Gas keine bestimmte Formel
aus den Beobachtungswerthen abgeleitet, weil diese dazu nicht
genau genug waren.
Wenn man in den beiden unter (16) gegebenen Formeln von
dT
^— für den Zahlenfactor ein allgemeines Zeichen A setzt, so fallen
d])
sie in Eine Formel zusammen, nämlich:
(") S - ^ ©'
und wenn man diese in die Gleichung (14) einsetzt, so erhält man:
Diese Gleichung ist nach Thomson und Joule für die wirklich
vorhandenen Gase an die Stelle der auf vollkommene Gase bezüg-
lichen Gleichung
zu setzen, um die bei constantem Drucke stattfindende Beziehung
zwischen Volumen- und Temperaturänderung auszudrücken.
Wenn die Grösse Cp als constant angenommen wird, so kann
man die Gleichung (18) sofort integriren. Nun ist freilich nur für
vollkommene Gase erwiesen, dass die specifische Wärme Cp vom
Drucke unabhängig ist, und ebenso können wir die in Folge der
Regnault' sehen experimentellen Bestimmungen hinzugefügt^
Annahme, dass Cp auch von der Temperatur unabhängig sei, streng
genommen , nur auf vollkommene Gase beziehen. Wenn aber ein
Gas nur wenig vom vollkommenen Gaszustande abweicht, so wird
auch Cp nur wenig von einem constanten Werthe abweichen, und
beide Abweichungen können als Grössen derselben Ordnung an-
gesehen werden. Da ferner in der Gleichung (18) das ganze Glied,
welches Cp enthält, nur eine kleine Grösse von eben jener Ordnung
ist, so können durch die Veränderlichkeit von C^ in der Gleichung
nur Aenderungen entstehen, welche kleine Grössen von höherer
Ordnung sind, und diese mögen im Folgenden vernachlässigt wer-
den, indem Cp als constant gelte. Dann erhalten wir, nachdem
(IT .
wir die Gleichung mit -^ multiplicirt haben, durch Integration:
236 Abschnitt X.
^ _ 1 J r — -^ P
oder umgeschrieben :
(19) v = PT-^AC,(^^^
worin P die Integrationsconstante bedeutet, welche im vorliegen-
den Falle als Function des Druckes p anzusehen ist.
Nach dem Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze
würde sein:
(20) v = — T,
p
und es ist daher zweckmässig, der Function P die Form
P = ^+^
P
zu geben, worin 7t wiederum eine Function von jj bedeutet, welche
aber nur sehr klein sein kann. Dadurch geht die Gleichung (19)
über in:
(21) v = B^^Jr^T-^AC,(^y.
Diese Gleichung vereinfachen Thomson und Joule noch
durch folgende Betrachtung. Die Art, wie der Druck und das
Volumen eines Gases von einander abhängen, weicht um so weniger
vom Mariotte'schen Gesetze ab, je höher die Temperatur ist.
Diejenigen Glieder der vorstehenden Gleichung, welche diese Ab-
weichung ausdrücken, müssen also mit wachsender Temperatur
immer kleiner werden. Das letzte Glied erfüllt nun in der That
diese Bedingung, das vorletzte Glied tcT erfüllt sie aber nicht.
Demnach darf dieses Glied in der Gleichung nicht vorkommen, und
man hat daher jt ^= 0 zu setzen, wodurch man erhält:
(22) , = j2|_|^C^(|y.
Dieses ist die Gleichung, welche nach Thomson und Joule bei
den wirklich vorhandenen Gasen an die Stelle der für vollkommene
Gase geltenden Gleichung (20) treten muss.
Eine ganz ähnliche Gleichung hatte schon früher Rankinei)
aufgestellt, um die von Regnault gefundenen Abweichungen der
1) S. Phil Transact. for 1854, p. 356'.
Vorgänge, welche nicht umkehrbar sind. 237
Kohlensäure vom Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze
darzustellen. Diese Gleichung lässt sich in ihrer einfachsten Form
so schreiben:
(23) pv = RT — ^,
worin a ebenso, wie Pi, eine Constante ist. Dividirt man diese
Gleichung durch j)^ setzt darauf im letzten Gliede, welches sehi- klein
ist, für das Product p v das ihm sehr nahe gleiche Product i? T. und
führt dann endlich für den constanten Bruch -^ den Buchstaben ß
ein, so erhält mau:
welche Gleichung von derselben Form ist. wie (22).
]) 1-
§. 8. Verhalten des Dampfes bei der Ausdehnung unter
verschiedenen Umständen.
Als ein ferneres Beispiel für die Unterschiede, welche bei der
Ausdehnung stattfinden können, möge das Verhalten des gesättigten
Dampfes betrachtet werden. "Wir wollen nämlich die beiden Be-
dingungen stellen, dass der Dampf entweder bei seiner Ausdehnung
einen seiner ganzen Expansivkraft entsprechenden "Widerstand zu
überwinden hat. oder dass er in die Atmosphäre ausströmt, wobei
ihm nur der atmosi^härische Druck entgegensteht; und bei der
letzten Bedingung machen wir noch den Unterschied, dass ent-
weder der Dampf in dem Gefässe. aus welchem er ausströmt,
getrennt von Flüssigkeit, nur sich selbst überlassen ist, oder dass
sich in dem Gefässe auch Flüssigkeit befindet, welche den ent-
weichenden Dampf immer wieder durch neuen ersetzt. In allen
drei Fällen wollen wir die Wärmemenge bestimmen, u'elche dem
Dampfe tcälirend der Ansdelinung miigetlmlt oder entzogen werden
muss, damit er immer gerade Dann?/ vom Maximum der Diclüiglceit
bleibe.
Es sei also erstens eine Gewichtseinheit gesättigten Dampfes
ohne Flüssigkeit in einem Gefässe gegeben, und dieser Dampf
dehne sich nun aus, indem er z. B. einen Stempel zurückschiebe.
Er soll dabei gegen den Stempel die ganze Expansivkraft, welche
238 Abschnitt X.
er in jedem Stadium seiner Ausdehnung noch besitzt, entwickeln,
wozu nur nöthig ist, dass der Stempel so langsam zurückweicht,
dass der ihm folgende Dampf seine Expansivkraft stets mit dem
im übrigen Gefässe befindlichen vollständig ausgleichen kann. Die
Wärmemenge Q, welche diesem Dampfe mitgetheilt werden muss,
wenn er sich so weit ausdehnt, dass seine Temperatur dabei von
einem gegebenen Anfangswerthe Tj bis zu einem Werthe Tg sinkt,
wird einfach durch die Gleichung:
(24) Q=rjidT
^1
bestimmt, worin h die in Abschnitt VI. eingeführte Grösse ist,
welche wir die specifische Wärme des gesättigten Dampfes genannt
haben. Wenn, wie es bei den meisten Dämpfen der Fall ist, h
einen negativen Werth hat, so stellt das vorige Integral, in welchem
die obere Grenze kleiner ist, als die untere, eine positive Grösse dar.
Beim Wasser gilt für h die in jenem Abschnitte unter (31)
angeführte Formel:
Unter Anwendung dieser Formel kann man für jede zwei Tempe-
raturen Ti und T2 den Werth von Q leicht berechnen. Sei z. B.
angenommen, der Dampf habe anfangs eine Spannkraft von 5 oder
10 Atmosphären, und dehne sich dann ans, bis seine Spannkraft
auf Eine Atmosphäre herabgesunken sei, so muss man nach Reg-
nault's Bestimmungen T^ resp. = a -\- 152,2 oder = a -\- 180,3
und T2 = a -\- 100 setzen, und erhält dadurch die Werthe:
Q resp. = 52,1 oder = 74,9 Wärmeeinheiten.
Als ziveiten Fall nehmen wir an, es sei wiederum eine Gewichts-
einheit gesättigten Dampfes ohne Flüssigkeit bei einer über dem
Siedepunkte der betreffenden Flüssigkeit liegenden Temperatur Tj
in einem Gefässe eingeschlossen, und es werde nun in dem Gefässe
eine Oeffnung gemacht, so dass er in die Atmosphäre ausströmen
könne. Wir verfolgen ihn dabei jenseit der Oeffnung bis zu einer
Entfernung, wo seine Spannkraft nur noch gleich dem Drucke der
Atmosphäre ist. Um die Ausbreitung des Dampfstromes regel-
mässiger zu machen, sei das Gefäss an der Ausströmungsöffnung
mit einem allmählich erweiterten Halse P QKM, Fig. 22, versehen,
was aber kein nothwendiges Erforderniss für die Gültigkeit der
Vorgänge, welche nicht umkehrVjar sind.
239
Fig. 22.
nachstehenden Gleichungen ist, sondern nur zur Erleichterung der
Anschauung dienen soll. In diesem Halse sei KLM eine Fläche,
in welcher der Dampf nur noch eine dem Drucke der Atmosphäre
gleiche Spannkraft besitzt, und seine Strömungsgeschwindigkeit
schon so gering ist, dass man die lebendige Kraft derselben ver-
nachlässigen kann. Ferner wollen wir noch annehmen, dass die
durch die Reibung des Dampfes am Rande der Oeff'nung und an
der Wand des Halses erzeugte "Wärme nicht abgeleitet werde,
sondern dem Dampfe wieder zu Gute komme.
Um dann die Wärmemenge zu bestimmen, welche dem Dampfe
während der Ausdehnung mitgetheilt werden muss, um ihn gerade
im gesättigten Zustande zu erhalten,
wenden wir wieder die unter (2j an-
geführte allgemeine Gleichung an,
welche, wenn die Wärmemenge in die-
sem Falle mit Q' bezeichnet wird,
lautet :
(25) Q'=U,-Ü,^ W,
worin TJi die Energie im Anfangs-
zustande des Dampfes im Gefässe und
U^ die Energie im Endzustande des
Dampfes in der Fläche KL 31 bedeutet,
und W die bei der Ueberwindung des
atmosphärischen Druckes geleistete
äussere Arbeit darstellt.
Die Energie einer Gewichtseinheit
gesättigten Dampfes bei der Tempe-
ratur T ergiebt sich aus der im vorigen Abschnitte unter (35)
angeführten Gleichung für U, wenn wir darin tn = M = 1
setzen, nämlich:
ü
Wenn wir hierin für T zuerst den Aüfangswerth T^ und zugleich
für jp, —jp und q die zu dieser Temperatur gehörigen Werthe
setzen, welche letzteren wir damit bezeichnen wollen, dass \dv die
allgemeinen Symbole mit dem Index 1 versehen, und wenn wir
darauf ebenso mit dem Eudwerthe jT, der Temperatur verfahren,
240
Abschnitt X.
und dann die so gewonnenen beiden Gleichungen von einander
abziehen, so erhalten wir:
(26)
lJ,-ü,Jf{c-ppfäT +
P2
Ih
— Qi
1 —
dp
IT
Ih
MH),
dehnung
Die äussere Arbeit, welche darin besteht, dass bei der Aus-
von dem Volumen .§i bis zum Volumen s« der atmo-
sphärische Druck p.2 überwunden wird, bestimmt sich durch die
Gleichung :
W = p.2 {S.2 — Sy).
Dem hierin befindlichen Ausdrucke wollen wir noch eine andere
Form geben. Wir bezeichnen, wie in Abschnitt VI., die Differenz
s — ö, worin ö das specifische Volumen der Flüssigkeit bedeutet,
mit u und setzen daher: s = %i -)- 6, Dadurch erhalten wir:
W = p.2 {U2 — Ml) + P2 (Ö2 — Öl).
Hierin führen wir ferner für u den Ausdruck ein, welcher sich aus
der Gleichung (13) des Abschnittes VI. ergiebt, wodurch wir
erhalten :
(27) W
Ih
9-2
Qi
"^(M). ''iliX
+ Ih (Ö2 — öl).
Indem wir die in (26) und (27) gegebenen Werthe von t/2 — Ui
und W in (25) einsetzen, gelangen wir zu der Gleichung:
(28) ö'=./(c-,||).T+,,-,i+-^^^^(,i-p.)
+ Ih (Ö2 — öl).
Hierin ist die Wärme in mechanischem Maasse ausgedrückt, um
sie in gewöhnlichem Wärmemaasse auszudrücken, haben wir die
rechte Seite durch E zu divicliren, wobei wir, wie früher, setzen
wollen :
C_ ^
E~ ^' E
r.
Zugleich wollen wir, da ö eine kleine Grösse ist und sich sehr
Vorgänge, welelie nicht umkelirbar sind. 241
wenig ändert, die Grössen -jjp und ög — «'i vernachlässigen. Dann
erhalten wir:
(29) g _ J\,iT + ., - n + — %Y (^' - *'^) •
welche Gleichung zur numerischen Berechnung von Q' geeignet
ist, da in ihr nur Grössen vorkommen, welche für eine beträcht-
liche Anzahl von Flüssigkeiten experimentell bestimmt sind.
Für Wasser ist nach Regnault:
c + 1^ = 0,305,
und somit:
T
' cdT^r^ — r, = — 0,305 (T, - T,),
/'
und auch die im letzten Gliede der Gleichung (29) vorkommenden
Grössen sind hinlänglich bekannt, so dass die ganze Rechnung
leicht ausgeführt werden kann. Nimmt man z. B. den anfänglichen
Druck wieder zu 5 oder 10 Atmosphären an, so kommt:
Q' resp. = 19,5 oder = 17,0 Wärmeeinh.
Da Q' eine positive Grösse ist, so folgt, dass auch in diesem
Falle dem Dampfe Wärme nicht entzogen, sondern mitgetheüt
werden muss, wenn sich nicht ein Theil desselben niederschlagen
soll, was dann nicht bloss an der Ausströmungsöffhung, sondern
eben so gut auch im Innern des Gefässes geschehen würde. Die
Quantität dieses niedergeschlagenen Dampfes würde aber geringer
sein, als im ersten Falle, weil Q' geringer ist als Q.
Es kann vielleicht auffallen, dass die vorstehenden Gleichungen
für den anfänglichen Druck von 5 Atmosphären eine grössere
Wärmemenge angeben, als für den von 10 Atmosphären. Das
kommt aber daher, dass bei 5 Atmosphären Druck das Volumen
des Dampfes schon so gering ist, und bei einer Druckvermehrung
bis zu 10 Atmosphären nur noch um einen so kleinen Raum
abnimmt, dass die dadurch bedingte Vermehrung der Arbeit beim
Ausströmen überwogen wird von dem Ueberschusse der freien
Wärme des 180,3'^ warmen Dampfes über die des 152,2" warmen.
Wir wenden uns nun endlich zu dem dritten im Eingange
dieses Paragraphen erwähnten Falle, wo ausser dem Dampfe auch
Clausius, nieehan. Wärmetheorie. I.
IG
242
Abschnitt X.
Fiff. 23.
Flüssigkeit in dem Gefässe enthalten ist. Das Gefäss Ä B CD^
Fig. 23 , sei bis EF mit Flüssigkeit und von da ab mit Dampf
gefüllt. P Q sei die Ausströmungsöffnimg , und diese sei , wie
schon im vorigen Falle angenommen wurde, mit einem erweiterten
Halse P Q KM versehen , um die Ausbreitung des Dampfstromes
regelmässiger zu machen. Die Flüssigkeit werde durch irgend
eine Wärmequelle constant auf der Temperatur T^ erhalten, so
dass sie fortwährend den ausströmenden Dampf durch neu
entwickelten ersetze, und der ganze Ausströmungszustand statio-
när sei.
Der zuletzt erwähnte Umstand bildet einen wesentlichen
Unterschied dieses Falles von dem vorigen. Der Druck, welchen
der neu entstehende Dampf auf den schon vorhandenen ausübt,
thut während des Ausströmens eine
Arbeit, welche als negative äussere
Arbeit mit in Rechnung gebracht wer-
den muss.
Es stelle GHJ eine Fläche dar,
in welcher der hindurchgehende Dampf-
noch durchweg die Expansivkraft p^^
die Temperatur T^ und das specifische
Volumen Sx hat, welche im Inneren
des Gefässes stattfinden, und mit wel-
chen auch der neue Dampf sich ent-
wickelt. KLM dagegen stelle eine
Fläche dar, in welcher der hindurch-
gehende Dampf schon durchweg die
dem atmosphärischen Drucke gleiche
Expansivkraft 1^2 bat. Die Strömungs-
geschwindigkeit nehmen wir in den beiden Flächen als so klein
an, dass ihre lebendige Kraft vernachlässigt werden kann. Auf
dem Wege von der einen Fläche zur anderen soll dem Dampfe
fortwährend so viel Wärme mitgetheilt oder entzogen werden,
wie nöthig ist, damit er vollständig dampfförmig und gerade ge-
sättigt bleibe, und also in der Fläche KLM die dem Drucke pa
entsprechende Temperatur T^ (nämlich die Siedetemperatur der
Flüssigkeit) und das dazu gehörige specifische Volumen S2 habe.
Es fragt sich nun, wie gross die zu diesem Zwecke erforderliche
Wärmemenge Q" für die Gewichtseinheit des ausströmenden
Dampfes ist.
Vorgänge, welche niolit umkehrbar Hiiicl. 243
Zur Bestimmung derselben können wir so verfahren, wie im
vorigen Falle, nur dass wir für die äussere Arbeit einen anderen
Werth zu setzen haben. Dieser Werth ist die Differenz zwischen
der Arbeit, welche in der Fläche G IIJ geschieht, durch welche
unter dem Drucke 2h ^^^ Dampfvolumen s^ strömt, und der,
welche in der Fläche KLM geschieht, durch welche unter dem
Drucke po ^^^ Dampfvolumen Sa strömt. Er wird also durch die
Gleichung
W rrr- 2h S-2 - Pv Sl
bestimmt. Setzen wir hierin wieder:
S = M 4- ö = — ^=-n \- ö,
' rpäp
clT
so kommt:
Bilden wir nun für Q" wieder eine Gleichung von der Form (2.5)
und setzen darin für t/2 — Ui den unter (26) gegebenen Ausdruck
und für W den eben gefundenen Ausdruck, so heben sich die
Hauptglieder des letzteren gegen entsprechende im ersteren vor-
kommende Glieder auf, und es bleibt:
Tg
(31) Q" ^f(c-p II) äT-^ Q, - Q, -^p,ö, -2HÖ,.
Aendern wir diese Gleichung noch in der Weise um, dass sie sich
nicht auf mechanisches, sondern auf gewöhnliches Wärmemaass
bezieht, und vernachlässigen dabei die Glieder, welche ö enthalten,
so gelangen wir zu der einfachen Gleichung:
Tu
(32) Q" = rcdT-{'r, — r,.
Ti
Für Wasser nimmt diese Gleichung folgende Gestalt an:
Q" = — 0,305 (Ti — T2),
und wenn man hieraus wieder die Zahlenwerthe von Q' für einen
anfänglichen Druck von 5 oder 10 Atmosphären berechnet, so
erhält man:
Q' resp. r= — 15,9 oder = — 24,5 Wärmeeinh.
16*
244 Absclinitt X.
Aus dem Umstände, dass die Werthe von <^' negativ sind,
folgt, dass in diesem Falle dem Dampfe nicht Wärme mitgetlieilt,
sondern entzogen werden muss. Wenn diese Wärmeentziehung bis
zu der betrachteten Stelle nicht hinlänglich stattfindet, so ist der
Dampf dort wärmer als 100» und somit überhitzt. Dieser zuletzt
erwähnte Schluss findet eine Bestätigung in der Erfahrung, dass
man die Hand ohne Gefahr in einen aus der Sicherheitsklappe
eines Hochdruck -Kessels hervorkommenden Dampfstrom stecken
kann, woraus folgt, dass dieser Dampfstrom kein tropfbar flüs-
siges Wasser mit sich führt.
Anfangs hat es einige Schwierigkeit gemacht, diese Erfahrung
mit der Theorie in Einklang zu bringen. Da nämlich die mecha-
nische Wärmetheorie ergeben hatte, dass gesättigter Dampf, wenn
er sich ohne Wärmezufuhr und unter Ueberwindung eines seiner
ganzen Expansivkraft entsprechenden Gegendruckes ausdehnt,
sich theilweise niederschlagen muss, glaubte man auch bei dem
aus der Sicherheitsklappe ausströmenden Dampfe einen solchen
Niederschlag erwarten zu müssen. Dabei hatte man aber über-
sehen, dass der letztere Vorgang sich vom ersteren durch zwei
Umstände unterscheidet, erstens durch die geringere Grösse der
positiven Arbeit, welche nur in der Ueberwindung des atmosphä-
rischen Druckes besteht, und zweitens durch das Vorhandensein
der in der Fläche OIIJ stattfindenden negativen Arbeit.
ABSCHNITT XL
Anwendung der meclianisclien Wärnietheorie auf die
Dampfmaschine.
§. 1. Nothwencligkeit einer neuen Behandlung der
Dampfmaschine.
Da die veränderten Ansichten über das Wesen und das Ver-
halten der Wärme, welche unter dem Namen der „mechanischen
Wärmetheorie" zusammengefasst werden, in der bekannten That-
sache, dass sich die Wärme zur Hevorbringung von mechanischer
Arbeit anwenden lässt, ihre erste Anregung gefunden haben, so
durfte man im Voraus erwarten, dass die so entstandene Theorie
auch umgekehrt wieder dazu beitragen müsse, diese Anwendung
der Wärme in ein helleres Licht zu stellen. Besonders mussten
die durch sie gewonnenen allgemeineren Gesichtspunkte es möglich
machen, ein sicheres Urtheil über die einzelnen zu dieser Anwen-
dung dienenden Maschinen zu fällen, ob sie schon vollkommen
ihren Zweck erfüllen, oder ob und inwiefern sie noch der Vervoll-
kommnung fähig sind.
Zu diesen für alle thermodynamischen Maschinen geltenden
Gründen kommen für die wichtigste unter ihnen, die Dampf-
maschine, noch einige besondere Gründe hinzu, welche dazu auf-
fordern, sie einer erneuerten, von der mechanischen Wärmetheorie
geleiteten Untersuchung zu unterwerfen. Es haben sich nämlich
gerade für den Dampf im Maximum der Dichte aus dieser Theorie
einige wesentliche Abweichungen von den früher als richtig an-
genommeneu oder wenigstens in den Rechnungen angewandten
Gesetzen ergeben.
246 Abschnitt XI.
Icli brauche in dieser Beziehung nur an zwei in Abschnitt VI.
abgeleitete Resultate zu erinnern.
Während in den meisten früheren Schriften über die Dampf-
maschinentheorie , unter anderen in dem vortrefflichen Werke von
de Pambour, der Watt'sche Satz zu Grunde gelegt ist, dass
gesättigter Dampf, welcher sich in einer für Wärme undurchdring-
lichen Hülle befindet, bei Volumenänderungen immer gerade Dampf
vom Maximum der Dichte bleibe, und in einigen späteren (nach
Veröffentlichung der Regnault' sehen Versuche über die Ver-
dampfungswärme des Wassers bei verschiedenen Temperaturen
erschienenen) Schriften sogar die Annahme gemacht ist, dass der
Dampf bei der Zusammendrückung sich theilweise niederschlage
und bei der Ausdehnung sich weniger abkühle, als der Dichtig-
keitsabnahme entspreche, und daher in den überhitzten Zustand
übergehe, ist in Abschnitt VI. nachgewiesen, dass der Dampf ein
von der ersten Annahme abweichendes und der zweiten Annahme
sogar gerade entgegengesetztes Verhalten zeigen muss, dass er
nämlich bei der Zusammendrückung überhitzt werden und bei der
Ausdehnung sich theilweise niederschlagen muss.
Während ferner in jenen Schriften zur Bestimmung des
Volumens einer Gewichtseinheit gesättigten Dampfes bei ver-
schiedenen Temperaturen in Ermangelung genauerer Kenntnisse
die Annahme gemacht wurde, dass der Dampf selbst im Maximum
der Dichte noch dem Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen
Gesetze folge, ist in Abschnitt VI. gezeigt, dass er von diesen
Gesetzen beträchtlich abweicht.
Diese beiden Umstände sind natürlich von wesentlichem Ein-
flüsse auf die Dampfmenge, welche während jedes Hubes aus dem
Kessel in den Cylinder strömt, und auf das Verhalten dieses
Dampfes während der Expansion, und man sieht leicht, dass schon
sie allein es nöthig machen, die Arbeit, welche eine gegebene
Dampfmenge in der Maschine leistet, in anderer Weise, als bisher,
zu berechnen.
§.2, Gang der Dampfmaschine.
Um die Reihe von Vorgängen, welche zum Gange einer Dampf-
maschine mit Condensator gehören, in übersichtlicher Weise
Dampfmascliiuentheorie.
247
darzustellen, und recht augenfällig zu zeigen, dass sie einen
Kreisprocess bilden, welcher sich in gleicher Weise fortwährend
wiederholt, habe ich die nebenstehende schematischc Fig. 24
entworfen. A stellt den Dampfkessel vor, dessen Inhalt durch die
Wärmequelle auf der constanten Temperatur Ti erhalten wird.
Aus diesem tritt ein Theil des Dampfes in den Cylinder B, und
treibt den Stempel ein gewisses Stück in die Höhe. Dann wird
der Cylinder vom Dampfkessel abgeschlossen, und der in ihm
enthaltene Dampf treibt den Stempel durch Expansion noch
höher. Darauf wird der Cylinder mit dem Räume C in Ver-
bindung gesetzt, welcher den Condensator vorstellen soll. Von
diesem soll angenommen werden, dass er nicht durch eingespritztes
Wasser, sondern durch Abkühlung von aussen kalt erhalten werde,
^. ^, was keinen wesentlichen
Flg. 24.
Unterschied in den Resul-
taten hervorbringt, aber
die Betrachtung verein-
facht. Die constante Tem-
peratur des Condeusators
möge Tq heissen. Während
der Verbindung des Cy-
linder s mit dem Conden-
sator geht der Stempel
den ganzen vorher durch-
laufenen Weg wieder zu-
rück, und dadurch wird
aller Dampf, welcher nicht
gleich von selbst in den
Condensator strömte, in
diesen hineingetrieben, und schlägt sich hier nieder. Es kommt
nun noch, um den Cyclus von Operationen zu vollenden, darauf
an, die durch den Dampfniederschlag entstandene Flüssigkeit in
den Kessel zurückzuschaffen. Dazu dient die kleine Pumpe 1>,
deren Gang so regulirt wird, dass sie beim Aufgange des Stempels
gerade so viel Flüssigkeit aus dem Condensator aufsaugt, wie
durch den oben erwähnten Dampfniederschlag in ihn hinein-
gekommen ist, und diese Flüssigkeitsmenge wird dann beim Nieder-
gange des Stempels in den Kessel zurückgepresst. Wenn sie
sich hier wieder bis zur Temperatur Ti erwärmt hat, so befinde
sich Alles wieder im Anfangszustande, und dieselbe Reihe von
248 Abschnitt XI.
Vorgängen kann von Neuem beginnen. Wir haben es also hier
mit einem vollständigen Kreisprocesse zu thun.
Bei den gewöhnlichen Dampfmaschinen tritt der Dampf nicht
bloss von Einer, sondern abwechselnd von beiden Seiten in den
Cylinder. Dadurch entsteht aber nur der Unterschied, dass wäh-
rend eines Auf- und Niederganges des Stempels statt Eines Kreis-
processes deren zwei stattfinden, und es genügt auch in diesem
Falle, für Einen derselben die Arbeit zu bestimmen, um daraus
die während irgend einer Zeit im Ganzen gethane Arbeit ableiten
zu können.
Eine Dampfmaschine ohne Condensator kann man sich, wenn
man nur annimmt, dass sie mit Wasser von 100» gespeist werde,
durch eine Maschine mit einem Condensator, dessen Temperatur
lOO** ist, ersetzt denken.
§. 3. Vereinfachende Bedingungen.
Zur Ausführung der beabsichtigten Bestimmung wollen wir,
wie es auch sonst zu geschehen püegt, den Cylinder als eine für
Wärme undurchdringliche Hülle betrachten, indem wir den wäh-
rend eines Hubes stattfindenden Wärmeaustausch zwischen den
Cylinderwänden und dem Dampfe vernachlässigen, lieber den
Grad der Genauigkeit dieser Annahme haben in neuerer Zeit
lebhafte Erörterungen stattgefunden. Hirn und Hallaue r
haben Versuche mit Dampfmaschinen angestellt, und aus den
Ergebnissen derselben geschlossen, dass der während eines Hubes
stattfindende Wärmeaustausch zwischen den Cylinderwänden und
dem Dampfe zu bedeutend sei, um vernachlässigt werden zu dürfen.
Die Art wie sie ihre Schlussfolgerung gezogen haben, giebt aber,
wie Zeuner in zwei eingehenden Abhandlungen i) gezeigt hat,
zu so ernsten Bedenken Veranlassung, dass man dem von ihnen
abgeleiteten Resultate unmöglich Vertrauen schenken kann. Dazu
kommt, dass, selbst wenn man zugeben wollte, dass der Wärme-
austausch grösser sei, als nach der kurzen Zeitdauer eines Hubes
zu vermuthen ist, doch eine genaue und allgemein gültige Berück-
sichtigung desselben fiir jetzt nicht ausführbar sein würde, da
1) Civilingenieur Bd. XXVII, Heft 6 und Bd. XXVIII, Heft 5.
Dampfmaschinentheovie. 249
der Vorgang, wegen der schnellen Temperaturwechscl des Dampfes,
zu complicirt und bei verschiedenen Maschinen zu verschieden-
artig ist, indem besonders der Unterschied, ob der Cylinder einen
Dampfmantel hat oder nicht, von erheblichem Einflüsse sein muss.
Unter diesen Umständen wird es jedenfalls von Interesse sein,
sich zunächst klar zu machen, zu welchen Ergebnissen man ge-
langt, wenn man jenen Wärmeaustausch vernachlässigt. Erst,
wenn genauere Kenntnisse über ihn vorliegen werden, wird es
Zeit sein zu entscheiden, ob und in welcher Weise er berück-
sichtigt werden muss.
Die im Cylinder befindliche Masse kann immer nur aus Dampf
im Maximum der Dichte mit etwas beigemischter Flüssigkeit be-
stehen. Es ist nämlich aus den Entwickelungen des Abschnittes VI.
ersichtlich, dass der Dampf bei der nach dem Abschlüsse vom
Kessel im Cylinder stattfindenden Ausdehnung, wenn ihm dabei
von aussen keine Wärme zugeführt wird, nicht in den überhitzten
Zustand übergehen kann, sondern sich vielmehr zum Theil nieder-
schlagen muss, und bei anderen weiter unten zu erwähnenden
Vorgängen, welche allerdings eine geringe Ueberhitzung zur Folge
haben könnten, wird sie dadurch verhindert, dass der Dampf beim
Einströmen immer etwas tropfbare Flüssigkeit mit in den Cylinder
reisst, und mit dieser in Berührung bleibt.
Die Menge dieser dem Dampfe beigemischten Flüssigkeit ist
nicht bedeutend, und da sie grösstentheils in feinen Tröpfchen
durch den Dampf verbreitet ist, und daher schnell an den Tem-
peraturänderungen, welche der Dampf während der Ausdehnung
erleidet, theilnehmen kann, so wird man keine erhebliche Un-
genauigkeit begehen, wenn man in der Rechnung für jeden
bestimmten Zeitpunkt die Temperatur der ganzen im Cylinder
befindlichen Masse als gleich betrachtet.
Ferner wollen wir, um die Formeln nicht von vorn herein zu
complicirt zu machen, zunächst die ganze Arbeit bestimmen, welche
von dem Dampfdrucke gethan wird, ohne darauf Rücksicht zu
nehmen, wieviel von dieser Arbeit wirklich nutzbar wird, und
wieviel dagegen in der Maschine selbst zur Ueberwindung der
Reibungen, und zur Bewegung der Pumpen, welche ausser der in
der Figur angedeuteten zum Betriebe der Maschine noch nöthig
sind, wieder verbraucht wird. Dieser Theil der Arbeit lässt sich
auch nachträglich noch bestimmen und in Abzug bringen, wie
weiter unten gezeigt werden soll.
250 Abschnitt XI.
In Bezug auf die Reibung des Stempels im Cylinder ist übri-
gens zu bemerken, dass die zu ihrer Ueberwindung verbrauchte
Arbeit nicht ganz als verloren zu betrachten ist. Durch diese
Reibung wird nämlich Wärme erzeugt, und dadurch wird das
Innere des Cylinders wärmer erhalten, als es sonst sein würde,
und somit die Kraft des Dampfes vermehrt.
Endlich wollen wir, da es zweckmässig ist, zunächst die Wir-
kungen einer möglichst vollkommenen Maschine kennen zu lernen,
bevor der Einfluss der einzelnen in der Wirklichkeit vorkommen-
den Unvollkommenheiten untersucht wird, bei dieser vorläufigen
Betrachtung noch zwei Voraussetzungen hinzufügen, welche weiter-
hin wieder aufgegeben werden sollen. Nämlich erstens, dass der
Zuleitungscanal vom Dampfkessel zum Cylinder und der Ablei-
tungscanal vom Cylinder zum Condensator so weit seien, oder der
Gang der Dampfmaschine so langsam sei, dass der Druck im
Cylinder während seiner Verbindung mit dem Kessel gleich dem
im Kessel selbst stattfindenden Drucke, und ebenso während
seiner Verbindung mit dem Condensator gleich dem in diesem
stattfindenden Drucke zu setzen sei, und sioeUens, dass kein schäd-
licher Raum vorhanden sei.
§. 4. Bestimmung der während eines Hubes gethanen
Arbeit.
Unter den vorher genannten Umständen lassen sich die wäh-
rend eines einem Hube entsprechenden Kreisprocesses gethanen
Arbeitsgrössen mit Hülfe der in Abschnitt VI. gewonnenen Resultate
ohne weitere Rechnung hinschreiben, und geben als Summe einen
einfachen Ausdruck.
Die ganze bei einem Aufgange des Stempels aus dem Kessel
in den Cylinder tretende Masse heisse Ji", und davon sei der
Theil nii dampfförmig und der Theil M — m^ tropfbar flüssig.
Der Raum, welchen diese Masse einnimmt, ist, wenn % den zu I\
gehörigen Werth von u bedeutet, ö dagegen als constant behandelt
und daher ohne Index gelassen wird, gleich der Summe:
w^t^i -|- Mö.
Der Stempel wird also so weit gehoben, dass dieser Raum unter
ihm frei wird, und da dieses unter der Wirkung des zu Ti gehörigen
DainpfmaHcliiiientlieorie . 251
Druckes py geschieht, so ist die während dieses ersten Vorganges
gethane Arbeit, welche Wi heisse :
(1) Wi = iHyUipi -[- Möpi.
Die nun folgende Expansion werde so weit fortgesetzt, bis die
Temperatur der im Cylinder eingeschlossenen Masse von dem
Werthe Ti bis zu einem zweiten gegebenen Werthe T2 herab-
gesunken ist. Die hierbei gethane Arbeit, welche W2 heisse, ergiebt
sich unmittelbar aus der Gleichung (62) des Abschnittes VI., wenn
darin als Endtemperatur Tg genommen, und aucli für die anderen
in der Gleichung vorkommenden Grössen die entsprechenden
Werthe gesetzt werden, nämlich :
(2) W, = m,(Q, - nah) - ^u,(q, - u,p,) + MC(T, - T,).
Bei der hierauf beginnenden Herabdrückung des Stempels
wird die Masse, welche zu Ende der Ausdehnung den Raum
einnahm, aus dem Cylinder in den Condensator getrieben, wobei
der constante Gegendruck p^ zu überwinden ist. Die dabei von
diesem Drucke gethane negative Arbeit ist:
(3) Tf 3 = — m^u-iP^ — Möp^.
Während nun der Stempel der kleinen Pumpe so weit in
die Höhe geht, dass unter ihm der Raum Mö frei wird, wirkt
der im Condensator stattfindende Druck p^ fördernd, und thut
die Arbeit:
(4) W, = M<5p,.
Beim Heruntergange dieses Stempels endlich muss der im
Kessel stattfindende Druck pi überwunden werden, und thut daher
die negative Arbeit:
(5) ' W, = -M6p,.
Durch Addition dieser fünf Grössen erhält man für die ganze
während des Kreisprocesses von dem Dampfdrucke, oder, wie man
auch sagen kann, von der Wärme gethane Arbeit, welche W
heisse, den Ausdruck:
(6) W = m,Q, — m^Q-i + MC(T^ - T.^) + m^ihilh - Ih).
Aus dieser Gleichung muss noch die Grösse m-i eliminirt wer-
den. Diese Grösse kommt, wenn man für lu den aus Gleichung (13)
Abschnitt VI. hervorgehenden Werth
252 Abschnitt XI.
setzt, nur in der Verbindung m.2 p2 vor, und für dieses Product
giebt die Gleichung (55) jenes Abschnittes, wenn man darin q
und C statt r und c einführt, den Ausdruck:
m.2 g.2 = nii Qi y — MCT^log y'
Durch Einsetzung dieses Ausdruckes erhält man eine Gleichung,
in welcher auf der rechten Seite nur noch bekannte Grössen vor-
kommen, denn die Massen M und Wi und die Temperaturen Ti,
T2 und Tq werden als unmittelbar gegeben angenommen, und die
Grössen q, ]) und -j^ werden als Functionen der Temperatur als
bekannt vorausgesetzt.
§. 5. Specielle Formen des vorigen Ausdruckes.
Wenn man in der Gleichung (6) T2 == Ti setzt, so erhält
man die Arbeit für den Fall, dass die Maschine ohne Expansion
arbeitet, nämlich:
(7j W = ni,u,(2h — Po>
Will man dagegen die Annahme machen, dass die Expansion
so weit getrieben werde, bis der Dampf sich durch die Ausdehnung
von der Temperatur des Kessels bis zu der des Condensators
abgekühlt habe, was freilich vollständig nicht ausführbar ist, aber
doch den Grenzfall bildet, dem man sich so weit wie möglich
nähern muss, so braucht man nur JIj =^ Tq zu setzen, wodurch
man erhält:
(8) W = m, 9x - Wo Qo + MC(T, — T,).
Wenn man hieraus noch nio Qq mittelst der vorher angeführten
Gleichung, in welcher auch Tg = T^ zu setzen ist, eliminirt, so
kommt :
(9) W = m, Q, ^'~^' + MC {t, - To-\-T, log ^) •
§. 6. Unvollkommenheiten in der Ausführung der
Dampfmaschinen.
Bei allen wirklich ausgeführten Dampfmaschinen bleibt die
Expansion weit hinter dem im vorigen Paragraphen zuletzt be-
Danipfmascliiiientlieorie. 253
sprochenen Maximum zurück. Nimmt man z. B. die Temperatur
des Kessels zu 150" und die des Condensators zu 50" an, so müsste
die Expansion, um die Temperatur des Dampfes im Cylinder bis
zur Condensatortemperatur zu erniedrigen, gemäss der in Ab-
schnitt VI. §. 13 gegebenen Tabelle bis zum 26-fachen des ursprüng-
lichen Volumens fortschreiten. In der Wirklichkeit lässt man sie
aber, wegen mancher bei grosser Expansion eintretender Uebel-
stände, gewöhnlich nur bis zum 3- oder 4 -fachen und höchstens
bis zum 10-fachen Volumen gehen, was bei einer Anfangstempe-
ratur von 150", nach der erwähnten Tabelle, einer Temperatur-
erniedrigung bis etwa 100" und höchstens bis 75", statt bis 50",
entspricht.
Ausser dieser Unvollkommenheit, welche in den obigen Rech-
nungen schon mit berücksichtigt und in der Gleichung (6) mit
einbegriffen ist, leidet die Dampfmaschine noch an anderen Un-
vollkommenheiten, von denen zwei oben ausdrücklich von der
Betrachtung ausgeschlossen wurden, nämlich erstens die, dass der
Drude des Dampfes im Cylinder loährend seiner Verbindung mit
dem Kessel geringer als im Kessel^ und u'ährend seiner Verhindung
mit dem Condensator grösser als im Condensator ist, und zweitens
das Vorhandensein des schädlichen Raumes.
Wir müssen daher die früheren Betrachtungen jetzt in der
Weise erweitern, dass auch diese Unvoilkommenheiten mit berück-
sichtigt werden.
Der Einfiuss, welchen die Verschiedenheiten des Druckes im
Kessel und im Cylinder auf die Arbeit ausübt, ist bisher wohl am
vollständigsten in dem Werke von de Pambour .^Theorie des
Machines ä Vapeur''^ behandelt, und es sei mir gestattet, bevor
ich selbst auf diesen Gegenstand eingehe, das Wesentlichste jener
Behandlungsweise , nur mit etwas anderer Bezeichnung und unter
Fortlassung der Grössen, welche sich auf die Reibung beziehen,
hier voraufzuschicken, um leichter nachweisen zu können,, inwie-
fern sie den neueren Kenntnissen über die Wärme nicht mehr
entspricht, und zugleich die neue Behandlungsweise, welche meiner
Meinung nach an ihre Stelle treten muss, daran anzuknüpfen.
254 Abschnitt XI,
§. 7. Pambour's Formeln für die Beziehung zwischen
Volumen und Druck.
Die Grundlage der Pambour'schen Theorie bilden die bei-
den schon eingangs erwähnten Gesetze, welche zur Zeit der Auf-
stellung der Theorie ziemlich allgemein auf den Wasserdampf
angewandt wurden.
Erstens das Watt'sche Gesetz, dass die Summe der latenten
und freien Wärme constant sei. Aus diesem Gesetze zog man,
wie schon gesagt, den Schluss, dass, wenn ein Quantum Wasser-
dampf im Maximum der Dichte in einer für Wärme undurch-
dringlichen Hülle eingeschlossen sei, und der Rauminhalt dieser
Hülle vergrössert oder verkleinert werde, dabei der Dampf weder
überhitzt werde, noch sich theilweise niederschlage, sondern
gerade im Maximum der Dichte bleibe; und dieses sollte statt-
finden, ganz unabhängig davon, in welcher Weise die Volumen-
änderung geschehe, ob der Dampf dabei einen seiner Expansivkraft
entsprechenden Druck zu überwinden habe, oder nicht. Dasselbe
Verhalten des Dampfes setzte Pambour im Cylinder der Dampf-
maschine voraus, indem er auch von den Wassertheilchen, welche
in diesem Falle dem Dampfe beigemengt sind, nicht annahm,
dass sie einen merklichen ändernden Einfluss ausüben könnten.
Zweitens wandte Pambour, um den Zusammenhang, welcher
für Dampf im Maximum der Dichte zwischen Volumen und Tem-
peratur oder Volumen und Druck besteht, näher angeben zu
können, das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz auf
den Dampf an. Daraus erhält man, wenn man das Volumen eines
Kilogramm Dampf bei lOO" im Maximum der Dichte nach Gay-
Lussac zu 1,696 Cubikmeter annimmt, und bedenkt, dass der
dabei stattfindende Druck von einer Atmosphäre 10 333 Kilogramm
auf ein Quadratmeter beträgt, und man für irgend eine andere
Temperatur t das Volumen und den Druck unter Zugrundelegung
derselben Einheiten mit v und p bezeichnet, die Gleichung:
,,r,. ,.0. 10 333 273 -^ t
^^^^ "^^-^^^- -l^- 273 + 100-
Hierin braucht man nur noch für p die aus der Spannungsreihe
bekannten Werthe zu setzen, um für jede Temperatur das unter
jenen Voraussetzungen richtige Volumen berechnen zu können.
Dainpfmaschinentheorie. 255
Da nun aber in den Formeln für die Arbeit der Dampfmaschine
das Integral / pdv eine Hauptrolle spielt, so war es, um dieses
auf bequeme "Weise berechnen zu können, nothwendig, eine mög-
lichst einfache Fonnel zwischen v und j; allein zu haben.
Die Gleichungen, welche man erhalten würde, wenn man
mittelst einer der gebräuchlichen empirischen Formeln von p die
Temperatur t aus der vorigen Gleichung eliniiniren wollte, würden
zu complicirt ausfallen, und Pambour zog es daher vor, eine
besondere empirische Formel für diesen Zweck zu bilden, welcher
er nach dem Vorgange von Navier folgende allgemeine Ge-
stalt gab :
(") ■ '■ = rfli'
worin B Tuid h Constante sind. Diese Constanten suchte er nun so
zu bestimmen, dass die aus dieser Formel berechneten Volumina
möglichst genau mit den aus der vorigen Formel berechneten
übereinstimmten. Da dieses aber für alle bei den Dampfmaschinen
vorkommenden Druckgrössen nicht mit hinlänglicher Genauigkeit
möglich ist, so berechnete er zwei verschiedene Formeln, für
Maschinen mit und oline Condensator.
Die erstere lautet:
m ^ 20 000
und schliesst sich der obigen Formel (10) am besten zwischen
- 3 und 31/2 Atmosphären an, ist aber auch noch in einem etwas
weiteren Intervall, etwa zwischen ^ 0 und 5 Atmosphären an-
wendbar.
Die zweite, für Maschinen ohne Condensator bestimmte, da-
gegen lautet:
Sie ist z"^"ischen 2 und 5 Atmosphären am genauesten, und das
ganze Intervall ihrer Anwendbarkeit reicht etwa von 1^ 3 bis 10
Atmosphären.
256 Abschnitt XI.
§. 8. Bestimmung der Arbeit während eines Hubes nach
Pambour.
Die von den Dimensionen der Dampfmaschine abhängigen
Grössen, welche bei der Bestimmung der Arbeit in Betracht kom-
men, sollen hier, etwas abweichend von Pambour, folgender-
maassen bezeichnet werden. Der ganze Raum, welcher während
eines Hubes im Cylinder für den Dampf frei wird, mit Einschluss
des schädlichen Raumes, heisse v' . Der schädliche Raum soll von
dem ganzen Räume den Bruchtheil £ bilden, so dass also der
schädliche Raum durch &v' und der von der Stempelfläche be-
schriebene Raum durch (1 — s)v' dargestellt wird. Ferner sei
der Theil des ganzen Raumes, welcher bis zum Momente des Ab-
schlusses des Cylinders vom Dampfkessel für den Dampf frei
geworden ist, ebenfalls mit Einschluss des schädlichen Raumes, mit
ev' bezeichnet. Demnach wird der von der Stempelfläche während
des Dampfzutrittes beschriebene Raum durch (e — &)v' und der
während der Expansion beschriebene Raum durch (1 — e)v' aus-
gedrückt.
Um nun zunächst die während des Dampf Zutrittes gethane
Arbeit zu bestimmen, muss der während dieser Zeit im Cylinder
wirksame Druck bekannt sein. Dieser ist jedenfalls kleiner, als
der Druck im Kessel, weil sonst kein Strömen des Dampfes statt-
finden würde; wie gross aber diese Differenz ist, lässt sich nicht
allgemein angeben, da sie nicht nur von der Einrichtung der
Maschine abhängt, sondern auch davon, wie weit der Maschinist
die im Dampfzuleitungsrohre befindliche Klappe geööhet hat, und
mit welcher Geschwindigkeit sich die Maschine bewegt. Durch
Aenderung dieser Umstände kann jene Differenz innerhalb weiter
Grenzen variiren. Auch braucht der Druck im Cylinder nicht
während der ganzen Zeit des Zuströmens constant zu sein, weil
sowohl die Stempelgeschwindigkeit, als auch die von dem Ventil
oder dem Schieber frei gelassene Zuströmungsöffnung veränder-
lich ist.
In Bezug auf den letzteren Umstand nimmt Pambour an,
dass der mittlere Druck, welcher bei der Bestimmung der Arbeit
in Rechnung zu bringen ist, mit hinlänglicher Genauigkeit gleich
demjenigen Drucke gesetzt werden könne, welcher zu Ende des
Dampfmrtschineatheorie. 257
Einstrümens im Momente des Abschlusses vom Kessel im Cylin-
der stattfindet. Obwohl ich es nicht für zweckmässig halte, eine
solche Annahme, welche nur für die numerische Berechnung in
Ermangelung sichrerer Data zu Hülfe genommen ist, gleich in
die allgemeinen Formeln mit einzuführen, so muss ich doch
hier bei der Auseinandersetzung seiner Theorie seinem Verfahren
folgen.
Den im Momente des Abschlusses im Cylinder stattfindenden
Druck bestimmt Pambour mittelst der von ihm festgestellten
Beziehung zwischen Volumen und Druck, indem er dabei voraus-
setzt, dass die während der Zeiteinheit und somit auch die wäh-
rend eines Hubes aus dem Kessel in den Cylinder tretende Dampf-
menge durch besondere Beobachtungen bekannt ist. Wir wollen
dem Früheren entsprechend die ganze während eines Hubes in
den Cylinder tretende Masse mit M, und den dampfförmigen Theil
derselben mit in bezeichnen. Da diese Masse, von welcher
Pambour nur den dampfförmigen Theil berücksichtigt, im
Momente des Abschlusses den Raum ev' ausfüllt, so hat man,
wenn man den in diesem Momente stattfindenden Druck mit p.,
bezeichnet, nach Gleichung (11):
(12) «»' = ,-^,
woraus folgt:
(12 a) _^2 = -' ö.
^ -^ ^ ev
Multiplicirt man diese Grösse mit dem bis zu demselben
Momente von der Stempelfläche beschriebenen Räume (e — £)v\
so erhält man für den ersten Theil der Arbeit den Ausdruck:
(13) W, == m B ■ "—^ — y' (e — f) h.
Das Gesetz, nach welchem sich der Druck während der nun
folgenden Expansion ändert, ergiebt sich ebenfalls aus der Glei-
chung (11). Sei das veränderliche Volumen in irgend einem
Momente mit v und der dazugehörige Druck mit p bezeichnet,
so hat man:
ni . B -,
p — h.
V
Diesen Ausdruck muss man in das Integral pdv einsetzen, und
C lausi US , mecliau. Wärraetheorie. I. yj
258 Abschnitt XL
dann die Integration von v ^^ ev' bis v ^ v' ausführen, wodurch
man als zweiten Theil der Arbeit erhält:
(14) W2 =^ niB .log- — v' (1 — e) h.
Um die hei dem Rückgange des Stempels von dem Gegen-
drucke gethane negative Arbeit zu bestimmen, muss der Gegen-
druck selbst bekannt sein. Wir wollen, ohne für jetzt darauf
einzugehen, wie sich dieser Gegendruck zu dem im Condensator
stattfindenden Drucke verhält, den mittleren Gegendruck mit p^^
bezeichnen, so dass die von ihm gethane Arbeit durch
(15) W, = ~v' (1 - £)l>o
dargestellt wird.
Endlich bleibt noch die Arbeit übrig, welche dazu verwandt
werden muss, um die Flüssigkeitsmenge M wieder in den Kessel
zurückzupressen. Pambour hat diese Arbeit nicht besonders
berücksichtigt, sondern hat sie in die Reibung der Maschine mit
eingeschlossen. Da ich sie indessen in meine Formeln, um den
Cyclus der Operationen vollständig zu haben, mit aufgenommen
habe, so will ich sie zur leichteren Vergleichung auch hier hinzu-
fügen. Wie sich aus den bei dem früher betrachteten Beispiele
aufgestellten Gleichungen (4) und (5) ergiebt, wird diese Arbeit,
wenn j^i den Druck im Kessel und p^ den im Condensator be-
deutet, im Ganzen durch
(IG) W, = -M6{p,-i,,) ,
dargestellt. Für unseren jetzigen Fall, wo wir unter ^Jq nicht den
Druck im Condensator selbst, sondern in dem mit dem Conden-
sator in Verbindung stehenden Theile des Cylinders verstehen, ist
dieser Ausdruck freilich nicht ganz genau; da aber wegen der
Kleinheit der Grösse ö der ganze Ausdruck einen so geringen
Werth hat, dass er kaum Berücksichtigung verdient, so können
wir eine im Verhältnisse zu dem schon kleinen Werthe wiederum
kleine Ungenauigkeit um so mehr vernachlässigen, und wollen da-
her den Ausdruck in derselben Form auch hier beibehalten.
Durch Addition dieser vier einzelnen Arbeitsgrössen erhält man
die ganze während des Kreisprocesses gethane Arbeit, nämlich:
(17) W'==^mB(^-^-^log-^-v\\-^){h^p,)--M6ip,~-p,).
Dampfmaschiuentheorie. 259
§. 9. Arbeit für die Gewichtseinheit Dampf nach
Pambour.
Will man die Arbeit endlich noch, statt auf einen einzelnen
Hub, während dessen die Dampfmenge nb wirksam ist, lieber auf
die Gewichtseinheit Dampf beziehen , so braucht man den vorigen
Wertli nur durch m zu dividiren. Wir wollen dabei den Bruch
M
— , welcher das Verhältniss der ganzen in den Cylinder tretenden
Masse zu dem dampfförmigen Theile derselben darstellt, und so-
v'
mit etwas grösser als 1 ist, mit L ferner den Bruch — , d.h. den
^ Dt
Raum, welcher der Gewichtseinheit Dampf im Cylinder im Ganzen
W
geboten wird, mit V. und den Bruch — , oder die der Gewichts-
° m
einheit Dampf entsprechende Arbeit, mit W bezeichnen. Dann
kommt:
(18) yV=:^B(^^-\-log^^~ V(l-e)(h+2^,)~lö(p,~p,).
In dieser Gleichung kommt nur ein Glied vor, welches von
dem Volumen Fabhängt, und zwar enthält es Fals Factor. Da
dieses Glied negativ ist, so folgt daraus, dass die Arbeit, welche
man mittelst einer Gewichtseinheit Dampf erhalten kann, unter
sonst gleichen Umständen am grössten ist, wenn das Volumen,
welches dem Dampfe im Cylinder geboten wird, möglichst klein
ist. Deirkleinste Werth des Volumens, welchem man sich, wenn
man ihn auch nie ganz erreicht, doch mehr und mehr nähern
kann, ist derjenige, welchen man findet, wenn man annimmt, dass
die Maschine so langsam gehe, oder der Zuströmungscanal so
weit sei, dass im Cylinder derselbe Druck p^^ stattfinde, wie im
Kessel. Dieser Fall giebt also das Maximum der Arbeit, Ist bei
gleichem Dampfzustrome die Ganggeschwindigkeit grösser, oder
bei gleicher Ganggeschwindigkeit der Dampfzustrom geringer, so
erhält man in beiden Fällen mittelst derselben Dampfmenge eine
kleinere Arbeit.
17 =
260 Abschnitt XL
§. 10. Veränderung des Dampfes beim Einströmen aus
dem Kessel in den Cylinder.
Bevor wir von liier aus dazu übergehen, nach der mechani-
schen Wärmetheorie dieselbe Reihe von Vorgängen in ihrem
Zusammenhange zu betrachten, wird es zweckmässig sein, einen
derselben, welcher noch einer speciellen Untersuchung bedarf, vor-
her einzeln zu behandehi, um die darauf bezüglichen Resultate im
Voraus festzustellen, nämlich das Einströmen des Dampfes in den
schädlichen Baimt und in den Cylinder, ivenn er hier einen ge-
ringeren Druch £u über winden hat, als den, mit tvelchem er aus
dem Kessel getriehen tuird.
Der aus dem Kessel kommende Dampf tritt zuerst in den
schädlichen Raum, comprimirt hier den vom vorigen Hube noch
vorhandenen Dampf von geringer Dichte, und füllt den dadurch
frei werdenden Raum aus , und wirkt dann drückend gegen den
Stempel, welcher, der Annahme nach, wegen verhältnissmässig
geringer Belastung so schnell zurückweicht, dass der Dampf nicht
schnell genug folgen kann, um im Cylinder dieselbe Dichte zu
erreichen, wie im Kessel.
Unter solchen Umständen müsste, wenn aus dem Kessel ge-
rade nur gesättigter Dampf austräte , dieser im Cylinder überhitzt
werden, indem die lebendige Kraft der Einströmungsbewegung
sich hier in Wärme verwandelt; da aber der Dampf etwas fein
vertheiltes Wasser mit sich führt, so wird von diesem ein Theil
durch die überschüssige Wärme verdampfen, und dadurch der
übrige Dampf im gesättigten Zustande erhalten werden.
Wir müssen uns nun die Aufgabe stellen: ivenn erstens der
Anfangszustand der ganzen in Betracht liommenden Masse, soivohl
der schon vorher im schädlichen Baume befindlichen, als auch der
aus dem Kessel neu hinzukommenden, ferner die Grösse der Arbeit,
ivelche toährend des Einströmens von dem auf den Stempel ivirJcen-
den BruclxC getlian tvird, und endlich der Druch, ivelcher im
Momente des Abschlusses vom Kessel im Cylinder stattfindet, ge-
geben sind, dann zu bestimmen, wieviel von der im Cylinder be-
findlichen Masse in diesem Momente dampfförmig ist.
Dampfmaschinentheorie. 2G1
Die vor dem Einströmen im schädlichen Räume befindliche
Masse, von welcher der Allgemeinheit wegen angenommen werden
soll, dass sie thoils flüssig, theils dampfförmig sei, heisse /u. und
der davon dampfförmige Theil ftg. Der Druck dieses Dampfes und
die dazugehörige absolute Temperatur mögen vorläufig mit p.^ und
To bezeichnet Averden, ohne dass damit gesagt sein soll, dass dieses
genau dieselben Werthe seien, welche auch für den Condensator
gelten. Der Druck und die Temperatur im Kessel sollen wie
früher p^ und T^ , die aus dem Kessel in den Cylinder strömende
Masse M und der davon dampfförmige Theil nii heissen. Der
während des Einströmens auf den Stempel ausgeübte Druck
braucht, wie schon erwähnt, nicht constant zu sein. Wir wollen
denjenigen Druck den mittleren nennen und mit i)\ bezeichnen,
mit welchem der von der Stempelfläche während der Zeit des Ein-
strömens beschriebene Raum multiplicirt werden muss, um die-
selbe Arbeit zu erhalten, welche von dem veränderlichen Drucke
gethan wird. Der im Momente des Abschlusses im Cylinder wirk-
lich stattfindende Druck und die dazugehörige Temperatur seien
durch p-i und To und endlich die Grösse, um deren Bestimmung
es sich handelt, nämlich der von der ganzen jetzt im Cylinder
vorhandenen Masse M -\- ^ dampfförmige Theil durch nii dar-
gestellt.
Zur Bestimmung dieser Grösse denken wir uns die Masse
31 -\- /[t auf irgend einem Wege in ihren Anfangszustand zurück-
geführt, z. B. folgendermaassen.
Der dampfförmige Theil m^ wird im Cylinder durch Herab-
drücken des Stempels condensirt, wobei vorausgesetzt wird, dass
der Stempel auch in den schädlichen Raum eindringen könne.
Zugleich wird der Masse in irgend einer Weise fortwährend soviel
Wärme entzogen, dass ihre Temperatur constant T.2 bleibt.
Dann wird von der ganzen flüssigen Masse der Theil M in
den Kessel zurückgepresst, wo er wieder die ursprüngliche Tem-
peratur Ti annimmt. Dadurch ist im Kessel derselbe Zustand
wie vor dem Einströmen wieder hergestellt, indem am Schlüsse
der Operation im Kessel durchweg die anfängliche Temperatur
herrscht und dabei ebenso viel flüssiges Wasser und ebenso viel
Dampf, wie zu Anfange, vorhanden ist. Ob die einzelnen Molecüle,
welche dem flüssigen und dem dampfförmigen Theile angehören,
jetzt gerade dieselben sind, wie zu Anfange, ist für unsere Be-
trachtung gleichgültig, da wir z"wdschen den einzelnen Mole-
262 Abschnitt XI.
cülen keinen Unterschied machen, und daher nicht fragen, ivelcJie
Molecüle, sondern nur ivie viele Molecüle den beiden Theilen
angehören i).
Die nicht in den Kessel zurückgepresste Masse fi wird zuerst
im flüssigen Zustande von T2 bis Tq abgekühlt, und bei dieser
Temperatur verwandelt sich der Theil fto in Dampf, wobei der
Stempel so weit zurückweicht, dass dieser Dampf wieder seinen
ursprünglichen Raum einnehmen kann.
Hiermit hat die Masse M -\- ^ einen vollständigen Kreis-
process durchgemacht, auf welchen wir nun den Satz anwenden
können, dass die Summe aller während eines Kreisprocesses von
der Masse aufgenommenen Wärmemengen der ganzen dabei ge-
thanen äusseren Arbeit gleich sein muss.
Es sind nach einander folgende Wärmemengen aufgenommen:
1) Im Kessel, wo die Masse M von der Temperatur T^ bis
Ti erwärmt und bei der letzteren Temperatur der Theil m-i in
Dampf verwandelt werden musste:
2) Bei der Condensation des Theiles m^ bei der Tempe-
ratur T2 :
— m-i Q2-
3) Bei der Abkühlung des Theiles jx von Tg bis T^:
4) Bei der Verdampfung des Theiles fto bei der Tempe-
ratur Tq:
Die im Ganzen aufgenommene Wärmemenge, welche Q heisse,
ist also :
(19) Q = m., Q,-nH Q2 + MC{T, - T^ + i^o Q^-^ C{T, - T,).
1) Wollte man, dass am Schlüsse wieder genau dieselben Molecüle dem
dampfförmigen Theile angehören, wie zu Anfang, so brauchte man nur
anzunehmen, dass das in den Kessel zurückgepresste Wasser nicht nur
seiner Menge nach , sondern auch seinen Molecülen nach , genau dasselbe
sei, wie das, welches vorher aus dem Kessel heraustrat, und dass ferner
von diesem Wasser, nachdem es die Temperatur T-^ angenommen hat, die
früher dampfförmige Menge m-^ wieder verdampfe, und dafür eine eben so
grosse Menge des vorhandenen Dampfes sich niederschlage, wobei natür-
lich der ganzen im Kessel befindlichen Masse keine Wärme mitgetheilt
oder entzogen zu werden brauchte, weil die zur Verdampfung verbrauchte
und die durch den Dampfuiederschlag erzeugte Wärme sich compensiren
würden.
Dampfmaschinentheoi'ie. 263
Die Arbeitsgrössen ergeben sich folgendermaassen :
1) Um den von der Stempelfläche während des Einströmen s
beschriebenen Raum zu bestimmen, weiss man, dass der ganze zu
Ende dieser Zeit von der Masse M -\- ^ eingenommene Kaum
Wg U2 -\- (M -{- ^) 6
ist. Hiervon muss der schädliche Raum abgezogen werden. Da
dieser zu Anfange bei der Temperatur To von der Masse ^ aus-
gefüllt wurde, wovon der Theil /ito dampfförmig war, so lässt er
sich durch
darstellen. Zieht man diese Grösse von der vorigen al), und
multiplicirt den Rest mit dem mittleren Drucke p'i^ so erhält man
als erste Arbeit:
(W2% -j- Mö — (i'oUo)2J'i-'
2) Die Arbeit bei der Condensation der Masse ^2 ist:
— nhU2P-2.
3) Beim Zurückpressen der Masse M in den Kessel :
— Möpi.
4) Bei der Verdampfung des Theiles fto:
Durch Addition dieser vier Grössen erhält man für die ganze
Arbeit W den Ausdruck:
(20) W= nHu,(p\ - p,) ~ M6(p, - p\) - ^i.u, (p\ - p,).
Bildet man nun die Gleichung
setzt darin für Q und W die obigen Werthe ein, und bringt die
mit m^ behafteten Glieder auf Eine Seite zusammen, so kommt:
(21) m, ^Q, + u, (p'i — P2)]^mi Qi + MC(T, — T,) + ^, q,
- iiC{T, - To) -f i^,Mp\ - lh)-^M6{p^ -p\).
Mittelst dieser Gleichung kann man aus den als bekannt voraus-
gesetzten Grössen die Grösse ?% berechnen.
§. 11. Abweichung der gewonnenen Resultate von den
Pambour'schen Annahmen.
In solchen Fällen, wo der mittlere Druck p\ beträchtlich
grösser ist, als der Enddruck p.2^ z. B. wenn man annimmt, dass
während des grösseren Theiles der Einströmungszeit im Cyliuder
264 Abschnitt XI.
nahe derselbe Druck stattgefunden habe, wie im Kessel, und erst
zuletzt durch Ausdehnung des schon im Cylinder befindlichen
Dampfes der Druck auf den geringeren Werth jjj herabgesunken
sei, kann es vorkommen, dass man für mg einen Werth findet, der
kleiner als lUi -|- (Xq ist, dass also ein Theil des ursprünglich vor-
handenen Dampfes sich niedergeschlagen hat. Ist dagegen 2^'i nur
wenig grösser oder gar kleiner als JO2 , so findet man für Wg einen
Werth, der grösser als mi -[- ^0 ist. Dieses letztere ist bei der
Dampfmaschine als Regel zu betrachten, und gilt insbesondere
auch für den von Pambour angenommenen speciellen Fall, dass
P'i = P-2 ist.
Wir sind somit auch hier, wie schon in Abschnitt VI. zu einem
Resultate gelangt, welches von den Pambour' sehen Ansichten
wesentlich abweicht. Während dieser für die beiden verschiedenen
Arten der Ausdehnung, welche in der Dampfmaschine nach ein-
ander vorkommen, ein und dasselbe Gesetz annimmt, nach welchem
der ursprünglich vorhandene Dampf sich weder vermehren noch
vermindern, sondern immer nur gerade im Maximum der Dichte
bleiben soll, haben wir für die beiden Ausdehnungen zwei ver-
schiedene Gleichungen gefunden, welche ein entgegengesetztes
Verhalten erkennen lassen. Bei der ersten Ausdehnung, während
des Einströmens, muss nach der eben gefundenen Gleichung (21)
noch neuer Dampf entstehen, und bei der weiteren Ausdehnung,
nach dem Abschlüsse vom Kessel, wobei der Dampf die volle seiner
Expansivkraft entsprechende Arbeit thut, muss nach der in Ab-
schnitt VI. entwickelten Gleichung (56) ein Theil des vorhandenen
Dampfes sich niederschlagen.
Da diese beiden entgegengesetzten Wirkungen der Dampf-
vermehrung und Dampfverminderung, welche auch auf die Grösse
der von der Maschine geleisteten Arbeit einen entgegengesetzten
Einfluss ausüben müssen, zum Theil einander aufheben, so kann
dadurch unter Umständen angenähert dasselbe Endresultat ent-
stehen, wie nach der einfacheren Pambour 'sehen Annahme, Des-
halb darf man jedoch nicht darauf verzichten, die einmal gefundene
Verschiedenheit auch zu berücksichtigen, besonders wenn es sich
darum handelt, zu bestimmen, in welcher Weise eine Aenderung
in der Einrichtung oder im Gange der Dampfmaschine auf die
Grösse ihrer Arbeit einwirkt.
Dampfmaschinentlieorie. 205
§. 12. Bestimmung der Arbeit während eines Hubes
unter Berücksichtigung der erwähnten Unvoll-
kommenheiten.
Wir können uns nun wieder zu dem vollständigen beim Gange
der Dampfmaschine stattfindenden Kreisprocesse wenden, und die
einzelnen Theile desselben in ähnlicher Weise, wie früher, nach
einander betrachten.
Aus dem Dampfkessel, in welchem der Druck pi angenommen
wird, strömt die Masse Min den Cylinder, und zwar der Theil nii
dampfförmig, und der übrige Theil tropfbar flüssig. Der während
dieser Zeit im Cylinder wirksame mittlere Druck werde, wie oben,
mit p'] und der Enddruck mit p2 bezeichnet.
Nun dehnt sich der Dampf aus , bis sein Druck von iJo ^is zu
einem gegebenen Werthe p., , und demgemäss seine Temperatur
von T2 bis T3 gesunken ist.
Darauf wird der Cylinder mit dem Condensator, in welchem
der Druck pa stattfindet , in Verbindung gesetzt , und der Stempel
macMjgäie ganze eben vollendete Bewegung wieder zurück. Der
Gegemruck, welchen er dabei erfährt, ist bei etwas schneller Be-
wegung grösser als p^ , und wir wollen daher zum Unterschiede
von diesem W^erthe den mittleren Gegendruck mit p'o bezeichnen.
Der zu Ende der Stempelbewegung im schädlichen Räume
bleibende Dampf, welcher für den nächsten Hub in Betracht
kommt, steht unter einem Drucke, welcher ebenfalls weder gleich
^0 noch gleich p'(, zu sein braucht, und daher mit p"(, bezeichnet
werde. Er kann grösser oder kleiner als p'q sein, je nacliclem der
Abschluss von dem Condensator etwas vor oder nach dem Ende
der Stempelbewegung eintritt, indem der Dampf im ersteren Falle
noch etwas weiter comprimirt wird, im letzteren Falle dagegen
Zeit hat, sich durch theilweises Ausströmen in den Condensator
noch etwas weiter auszudehnen.
Endlich muss die Masse M noch aus dem Condensator in den
Kessel zurückgeschaö't werden, wobei, wie früher, der Druck p^
befördernd wirkt, und der Druck p^ überwunden werden muss.
Die bei- diesen Vorgängen gethanen Arbeitsgrössen werden
durch ganz ähnliche Ausdrücke dargestellt, wie in dem früher
betrachteten einfacheren Falle, nur dass die Indices der Buchstaben
266 Abschnitt XL
in leicht ersichtlicher Weise geändert, und die auf den schädlichen
Raum bezüglichen Grössen hinzugefügt werden müssen. Man er-
hält dadurch folgende Gleichungen.
Für die Zeit des Einströmens nach §. 10, wobei nur noch
m"o statt U(, geschrieben werden muss:
(22) Wi = (m^Uo, -^ Mö — ^0 M"o)iA-
Für die Expansion von dem Drucke p2 bis zum Drucke ^3 nach
Abschnitt VI. Gleichung (62), wenn darin M -{- ^ an die Stelle
von M gesetzt wird :
(23) W', = m.ii.^p-^ — m^it^Pi -j- m-iQ--, — in'>,Q->
+ (Jf+,u)6'(T, - ^3).
Für den Rückgang des Stempels, wobei der von der Stempelääche
durchlaufene Raum gleich dem ganzen von der Masse Jf -|- ^
unter dem Drucke p^ eingenommenen Räume weniger dem durch
^(iU"() -j- ftö dargestellten schädlichen Räume ist:
(24) W, = — (m,u, 4- 3Iö — ^0 u",)p\.
Für die Zurückschaffung der Masse M in den Kessel : *
(25) ■ W, = -M6(p, - p,).
Die ganze Arbeit ist demnach:
(26) W =-- m, Q, - m, q, ^ (M ^ ^i) C(T, — T,) %
-f m.2 W2 (p\ — P2) + nh ih (ih — P'o)
— Mö (pi — p\ -t- p\ — Po) — ^0 u"(i (]p\ — p'o).
Die hierin vorkommenden Massen m.2 und m.^ ergeben sich
aus der Gleichung (21) und aus der in Abschnitt VI. unter (.55)
gegebenen Gleichung, wobei man nur in der ersteren an die Stelle
von pa den Werth p''^ setzen, und in entsprechender Weise die
Grössen To, ro und Mo ändern, und in der letzteren an die Stelle
von M die Summe M -\- ^ einführen und zugleich r und c durch
Q und C ersetzen muss. Ich will indessen die durch diese Glei-
chungen mögliche Elimination der beiden Grössen m^ und m^ hier
nicht vollständig ausführen, sondern nur für eine derselben m^
ihren Werth einsetzen, weil es für die Rechnung zweckmässiger
ist, die so erhaltene Gleichung mit den beiden vorher genannten
zusammen zu betrachten. Das zur Bestimmimg- der Arbeit der
Dampfmaschine dienende System von Gleichungen lautet also in
seiner allgemeinsten Form:
(27)
DampfmaschinentheorJe. 267
4- 11, p"„ - Jt C(T, - T"o) + ^n, u, (p, - P'u)
4- |Uo w"„ (27'o — i/'d) - Mg (v'u — 7>o)
m..i [q., -[- u.,(p'i — p-i)] — J)h (»i + MCH\ — 1\)
.-1- fio(>"o - ^C{T, - T'\;) + ^,,n"oO/, - j/'o)
§. 13. Dampfdruck im Cylinder während der verschie-
denen Stadien des Ganges und darauf bezügliche Ver-
einfachungen der Gleichungen.
Um nun die Gleichungen (27) zu einer numerischen Rechnung
anwenden zu können, ist es zunächst nöthig, die Grössen p\^ p'u
und y'o näher zu bestimmen.
Ueber die Art, wie sich der Druck im Cylinder während des
Einströmens ändert, lässt sich kein allgemein gültiges Gesetz auf-
stellen, weil die Oeffnung und Schliessung des Zuströmungscanales
bei verschiedenen Maschinen in zu verschiedenen Weisen geschieht.
Demnach lässt sich auch für das Verhältniss zwischen dem mittle-
ren Drucke p\ und dem Enddrucke p.2^ bei ganz strenger Auf-
fassung des letzteren, nicht ein bestimmter, ein- für allemal
geltender Werth angeben. Dagegen wird dieses möglich, wenn
man mit der Bedeutung von p,^ eine geringe Aeuderung vornimmt.
Der Abschluss des Cylinders vom Kessel kann natürlich nicht
momentan geschehen, sondern die dazu nöthige Bewegung des
Ventiles oder Schiebers erfordert je nach den verschiedenen
Steuerungseinrichtungen eine grössere oder kleinere Zeit, während
welcher der im Cylinder befindliche Dampf sich etwas ausdehnt,
weil wegen der Verengung der Oeffnung weniger neuer Dampf
zuströmen kann, als der Stempelgeschwindigkeit entspricht. Man
kann daher im Allgemeinen annehmen, dass zu Ende dieser Zeit
der Druck schon etwas kleiner ist, als der mit p\ bezeichnete
mittlere Druck.
Wenn man sich aber nicht daran bindet, gerade das Ende
der zum Schliessen nöthigen Zeit als den Moment des Abschlusses
in Rechnung zu bringen, sondern sich in der Feststellung dieses
Momentes einige Freiheit verstattet, so kann man dadurch auch
für p-i andere Werthe erhalten. Man kann sich dann den Zeit-
268 Abschnitt XI.
punkt so gewählt denken, dass, wenn bis dahin schon die ganze
Masse ilf eingeströmt wäre, dann in diesem Augenblicke ein Druck
stattfinden würde, welcher dem bis zu diesem Augenblicke gerech-
neten mittleren Drucke gerade gleich wäre. Indem man den auf
diese Weise näher bestimmten momentanen Abschluss an die
Stelle des in der Wirklichkeit stattfindenden allmäligen Abschlusses
setzt, begeht man in Bezug auf die daraus berechnete Arbeit nur
einen unbedeutenden Fehler. Man kann sich daher mit dieser
Modification der Pambour' sehen Annahme anschliessen , dass
^\ = p.2 sei, wobei es dann aber noch für jeden einzelnen Fall
einer besonderen Betrachtung vorbehalten bleibt, unter Berück-
sichtigung der obwaltenden Umstände den Zeitpunkt des Ab-
schlusses richtig zu bestimmen.
Was ferner den beim Rückgange des Stempels stattfindenden
Gegendruck i/« betrifit, so ist die Differenz p'o — po unter sonst
gleichen Umständen offenbar um so kleiner, je kleiner po ist. Sie
wird daher bei Maschinen mit Condensator kleiner sein, als bei
Maschinen ohne Condensator, bei denen po gleich einer Atmosphäre
ist. Bei den wichtigsten Maschinen ohne Condensator, den Loco-
motiven, kommt gewöhnlich noch ein besonderer Umstand hinzu,
welcher dazu beiträgt, die Differenz zu vergrössern, nämlich der,
dass man dem Dampfe nicht einen möglichst kurzen und weiten
Canal zum Abfluss in die Atmosphäre darbietet, sondern ihn in
den Schornstein leitet und dort durch ein etwas verengtes Blas-
rohr ausströmen lässt, um auf diese Weise einen künstlichen Luft-
zug zu erzeugen.
In diesem Falle ist eine genaue Bestimmung der Differenz für
die Zuverlässigkeit des Resultates von Bedeutung. Man muss da-
bei auch berücksichtigen, dass die Differenz bei einer und der-
selben Maschine nicht constant, sondern von der Ganggeschwin-
digkeit abhängig ist, und muss das Gesetz, nach welchem diese
Abhängigkeit stattfindet, feststellen. Auf diese Betrachtungen und
die Untersuchungen, welche über diesen Gegenstand schon an-
gestellt sind, will ich aber hier nicht eingehen, weil sie nichts
mit der hier beabsichtigten Anwendung der mechanischen Wärme-
theorie zu thun haben.
Bei Maschinen, in denen jene Anwendung des aus dem Cylin-
der austretenden Dampfes nicht vorkommt, und besonders bei
den Maschinen mit Condensator ist p'o so wenig von p>o verschie-
den, und kann sich daher auch mit der Ganggeschwindigkeit nur
Dampfmaachinentheorie.
269
SO wenig ändern, dass es für die meisten Untersuchungen genügt,
einen mittleren Werth für p'^ anzunehmen.
Da ferner die Grösse p^ in den Gleichungen (27j nur in
einem mit dem Factor 6 behafteten Glicde vorkommt, und daher
auf den Werth der Arbeit einen sehr geringen Einfiuss hat, so
kann man ohne Bedenken auch für j^o den Werth setzen , welcher
für p'o der wahrscheinlichste ist.
Der im schädlichen Räume stattfindende Druck p"(^ hängt,
wie schon erwähnt, davon ab, ob der Abschluss vom Condensator
vor oder nach dem Ende der Stempelbewegung eintritt, und kann
dadurch sehr verschieden ausfallen. Aber auch dieser Druck und
die davon abhängigen Grössen kommen in den Gleichungen (27)
nur in solchen Gliedern vor, welche mit kleinen Factoren behaftet
sind, nämlich mit ^ und ;»o, so dass man von einer genauen Be-
stimmung dieses Druckes absehen, und sich mit einer ungefähren
Schätzung begnügen kann. In solchen Fällen, wo nicht besondere
Umstände dafür sprechen, dass p"o bedeutend von jj'n abweicht,
kann man diesen Unterschied, ebenso wie den zwischen p^ und
p)'o vernachlässigen, und den Werth, welcher den mittleren Gegen-
druck im Cylinder mit der grössten Wahrscheinlichkeit darstellt,
als gemeinsamen Werth für alle drei Grössen annehmen. Dieser
Werth möge dann einfach mit p^ bezeichnet werden.
Durch Einführung dieser Vereinfacliungen gehen die Glei-
chungen (27) über in:
(W = m, Q, - m,Q, -\-MC{T, - T,)
+ f'o Po — fi G{T.^ — To) -f 1lh % (j)3 — J9o)
= niy Q, -i- MC{T, — T,) -f f/o Pü — ft C {T., - T,)
4- ^oWo (^^2 — ih) -j- Mö(p^ — p.;^
(28)
»h Q2
J-Z J^2 -'-3
]. 14. Einführung gewisser Volumina statt der ent-
sprechen den T emp era tu r e n.
In diesen Gleichungen ist vorausgesetzt, dass ausser den
Massen il/jjiJijfi und ^O) von denen die beiden ersten durch directe
Beobachtung bekannt sein müssen, und die beiden letzten aus der
Grösse des schädlichen Raumes angenähert bestimmt werden
270 ATaschnitt XI.
können , auch noch die vier Druckkräfte pi, p~2^ p^ und p^ , oder,
was dasselbe ist, die vier Temperaturen Ti, T2, T-^ und Tq gegeben
seien. Diese Bedingung ist aber in den in der Praxis vorkommen-
den Fällen nur theilweise erfüllt, und man muss daher andere
Data für die Rechnung zu Hülfe nehmen.
Von jenen vier Druckkräften sind nur zwei als bekannt voraus-
zusetzen, nämlich j}jL und |Jo5 deren erstere durch das Kesselmano-
meter unmittelbar angegeben wird, und letztere aus der Angabe
des Condensatormanometers wenigstens angenähert geschlossen
werden kann. Die beiden anderen p.2 und jl».. sind nicht gegeben,
aber dafür kennt man die Dimensionen des Cy linders, und weiss,
bei welcher Stellung des Stempels der Abschluss vom Kessel er-
folgt. Daraus kann man die Volumina, welche der Dampf im
Cylinder im Momente des Abschlusses und zu Ende der Expansion
einnimmt, ableiten, und diese beiden Volumina können daher als
Data an die Stelle der Druckkräfte ^2 und p-^ treten.
Es kommt nun darauf an, die Gleichungen in solche Form zu
bringen, dass man mittelst dieser Data die Rechnung ausführen
kann.
Es sei wieder, wie bei der Auseinandersetzung der Pambour'-
schen Theorie, der ganze Raum, welcher während eines Hubes im
Cylinder frei wird, nait Einschluss des schädlichen Raumes, mit y',
der bis zum Abschluss vom Kessel frei werdende Raum mit ev'
und der schädliche Raum mit s v' bezeichnet. Dann hat man nach
dem, was früher gesagt ist, die Gleichungen:
m^ U2 -\- {M -^ ^) 6 = ev'
'^s W3 + (-34" -\- ^)6 = v'
f/o Wo -\- ^6 = BV'.
Die Grössen ft und ö sind beide so klein, dass man ihr Product
ohne Weiteres vernachlässigen kann, wodurch kommt:
'm-2 u-2 ■= ev' — Mö
m^u-^ z= v' — Mö
ev'
^0 =
Mo
Ferner ist nach Abschnitt VI. Gleichung (13), wenn wir für
den darin enthaltenen Difierentialcoefficienten -r^, welcher im Fol-
genden so oft vorkommen wird, dass eine einfachere Bezeichnung
zweckmässig ist, den Buchstaben g einführen :
Q =: Tag.
(29)
Daiupfmascliinentheorie. 271
Hiernach kann man in den obigen Glcichungssystemen die
Grössen q.^ und q-^ durch u.2 und w^ ersetzen. Dann kommen die
Massen m2 und in.^ nur noch in denProducten m^th und «^3% vor,
und für diese kann man die in den beiden ersten der Gleichungen
(29) gegebenen Werthe einsetzen.
Ebenso kann man mittelst der letzten dieser Gleichungen zu-
nächst die Masse ^(^ eliminiren, und was die andere Masse fi an-
betrifft, so kann diese zwar etwas grösser als f*,) sein, da aber die
Glieder, welche ft als Factor enthalten, überhaupt sehr unbedeutend
sind, so kann man unbedenklich auch für ^ denselben Werth ein-
setzen, welcher für [Iq gefunden ist, d. h. man kann jene der All-
gemeinheit wegen gemachte Annahme, dass die ursprünglich im
schädlichen Räume befindliche Masse theils flüssig, theils dampf-
förmig war, für die numerische Rechnung fällen lassen, und jene
Masse als ganz dampfförmig voraussetzen.
Die eben angedeuteten Substitutionen können sowohl in den
allgemeineren Gleichungen (27) als auch in den vereinfachten
Gleichungen (28) geschehen. Da indessen die Ausführung gar
keine Schwierigkeit hat, so wollen wir uns hier auf die letzteren
beschränken, um die Gleichungen sofort in einer für die numeri-
sche Berechnung geeigneten Form zu erhalten.
Sie lauten nach dieser Aenderung folgendermaassen :
fW' = nHQ,-{-^C(T, - T,)-(v'-3Iö){T,g, -jh+lh)
Po - C(T, - T,)
(30)
+ 8V'
(ev' - Mö) T^g., = m^ q^ -f MC{Ti - T.)
(v' - M6)g, ^ (ev' - Mö)g, + (m + — ) Clog
§. 15. Arbeit für die Gewichtseinheit Dampf.
Um diese Gleichungen, welche die Arbeit eines Hubes oder
der Dampfmenge n^ bestimmen, endlich noch auf die Gewichts-
einheit Dampf zu beziehen, ist dasselbe Verfahren anzuwenden,
mittelst dessen früher die Gleichung (17) in (18) verwandelt
wurde. Wir dividiren nämlich die drei Gleichungen durch mi
und setzen dann:
(31)
272 Abschnitt XI.
E-_=l,^^r und -^ = TF.
jw, Ml nii^
Dadurch gehen die Gleichungen über in:
(W= Q, + l C{T, - T,) — (F - lö){T,g, - p, + po)
'^ Wo
_^ sv(^'~ ^^^^' ~ ^"^ + i>. - i^o) 4- ^ö(i>i -iJ2)
\ Uq J
(F - 7,ö)(/3- =- (eF - U)ij, -^ (^Z -f y (7% ^ .
§. 16. Behandlung der Gleichungen.
Die Anwendung dieser Gleichungen zur Berechnung der
Arbeit kann in folgender Weise geschehen. Aus der als bekannt
vorausgesetzten Verdampfungsstärke und aus der Ganggeschwin-
digkeit, welche die Maschine dabei annimmt, bestimmt man das
Volumen F, welches auf eine Gewichtseinheit Dampf kommt. Mit
Hülfe dieses Werthes berechnet man zunächst aus der zweiten
Gleichung die Temperatur Tg, sodann aus der dritten die Tempe-
ratur Ts , und diese endlich wendet man in der ersten Gleichung
zur Bestimmung der Arbeit an.
Dabei stösst man aber noch auf eine eigenthümliche Schwie-
rigkeit. Um aus den beiden letzten Gleichungen die Tempera-
turen % und Tg zu berechnen, müssten dieselben eigentlich nach
den Temperaturen aufgelöst werden. Sie enthalten aber diese
Temperaturen nicht nur explicite, sondern auch implicite, indem
p und g Functionen der Temperatur sind. Wollte man zur Eli-
mination dieser Grössen eine der gebräuchlichen empirischen
Formeln, welche den Dampfdruck als Function der Temperatur
darstellen, für p, und ihren Differentialcoefficienten für g ein-
setzen, so würden die Gleichungen für die weitere Behandlung zu
complicirt werden. Man könnte sich nun vielleicht in ähnlicher
Weise, wie Pambour, dadurch helfen, dass man neue empirische
Formeln aufstellte, welche für den vorliegenden Zweck bequemer,
und wenn auch nicht für alle Temperaturen, so doch innerhalb
gewisser Intervalle hinlänglich genau wären. Auf solche Ver-
Dampfmaschinentheorie. 273
suche will ich jedoch hier nicht eingehen, sondern statt dessen
auf ein anderes Verfahren aufmerksam maclien, hei welchem die
Rechnung zwar etwas weitläufig, aber in ihren einzelnen Theilen
leicht ausführbar ist.
§. 17. Berechnung des Differentialcoefficienten -jj = fj
und des Productes T . (j.
Wenn die Spannungsreihe des Dampfes für irgend eine Flüs-
sigkeit mit hinlänglicher Genauigkeit bekannt ist, so kann mau
daraus auch die Werthe der Grössen g und T . g für verschiedene
Temperaturen berechnen, und ebenso, wie es mit den Werthen von
p zu geschehen pflegt, in Tabellen vereinigen.
Für den Wasserdampf, welcher bis jetzt bei den Dampfmaschi-
nen fast allein angewandt wird, habe ich eine solche Rechnung
mit Hülfe der Regnault'schen Spannungsreihe für die Tempe-
raturen von 0" bis 200" ausgeführt.
Ich hätte dabei eigentlich die Formeln, welche Regnault zur
Berechnung der einzelnen Werthe von p unter und über 100"
benutzt hat, nach t differentiiren , und mittelst der dadurch er-
haltenen neuen Formeln g berechnen müssen. Da aber jene For-
meln doch nicht so vollkommen ihrem Zwecke entsprechen, dass
mir diese mühsame Arbeit lohnend schien, und die Aufstellung
und Berechnung einer anderen geeigneteren Formel noch weit-
läufiger gewesen wäre so habe ich mich damit begnügt, die schon
für den Druck berechneten Zahlen auch zu einer angenäherten
Bestimmung des Differentialcoefficienten des Druckes zu benutzen.
Sei z. B. der Druck für die Temperaturen 146" und 148" mit pn^
und 1^148 bezeichnet, so habe ich angenommen, dass die Grösse
2
den für die mittlere Temperatur 147" geltenden Werth des Diffe-
rentialcoefficienten hinlänglich genau darstelle.
Dabei habe ich über 100" die von Regnault selbst ange-
führten Zahlen benutzt i). In Bezug auf die Werthe unter 100"
hat in neuerer Zeit Moritz 2) darauf aufmerksam gemacht, dass
1) Mem. de VÄcacl des Sciences T. XXI, p. 625.
2) Bulletin de la Classe physico - mathematique de VAcad. de St. Pc-
tershourg, T. XIII, p. 41.
Claiisius, median. Wärmetheorie. I. Ig
274 Abschnitt XI.
die Formel, welche Regnault zwischen 0^ und 100"^ angewandt
hat, dadurch, dass er sich zur Berechnung der Constanten sieben-
stelliger Logarithmen bedient hat, etwas ungenau geworden ist,
besonders in der Nähe von lOO". Moritz hat daher jene Con-
stanten unter Zugrundelegung derselben Beobachtungswerthe mit
zehnstelligen Logarithmen berechnet, und die aus dieser verbesserten
Formel abgeleiteten Werthe von ^, soweit sie von den Regnault' -
sehen abweichen, was erst über 40^ eintritt, mitgetheilt. Diese
Werthe habe ich benutzt i).
d p
1) Da der Diffei'entialcoefficient -p- in Kechnuna^en, welche sich auf
dt
den Dampf beziehen, sehr oft vorkommt, so ist es von Interesse, zu wissen,
in wie weit die von mir angewandte bequeme Bestimmungsweise desselben
zuverlässig ist, und ich will daher hier einige Zahlen zur Vergleichung
zusammenstellen.
Regnault hat zur Berechnung der in seiner Tabelle enthaltenen
Werthe der Dampfspannungen für die Temperaturen über 100'' folgende
Formel angewandt:
Loff p =1 a — b a^ ■ — c ß^,
worin unter Log der Briggs'sche Logarithmus verstanden ist, ferner x
die von — 200 au gerechnete Temperatur bedeutet, so dass x ^^ t -\- 20
ist, und endlich die fünf Constanten folgende Werthe haben:
a = 6,2640348
Log b := 0,1397743 -
Log c = 0,6924351
Log cc = 9,994049292 — 10
Log ß — 9,998343862 — 10.
Wenn man aus dieser Formel für p eine Gleichung für —- ableitet, so er-
hält man :
p dt I r 1
worin « und ß dieselben Werthe haben, wie vorher, und A und B zwei
neue Constante von folgenden Werthen sind :
Log A — 8,5197602 — 10
Log B — 8,6028403 — 10.
Berechnet man aus dieser Gleichung den im Texte beispielsweise erwähn-
ten, auf die Temperatur 147« bezüglichen Werth des Differentialcoefficienten
-^ , so erhält man:
dt
Für jene angenäherte Bestimmungsweise hat man nach der Regnault'-
solien Tabelle die Spannungen :
Diunpfiniischinenthfoi'ie. 275
Nachdem die Grösse (j für die einzelnen Temperaturgrade
berechnet ist, hat auch die Berechnung des Productes T . (j keine
Schwierigkeit mehr, da T durch die einfache (lleichung
T=2Td + t
bestimmt ist.
Die so gefundenen Werthe von (j und T . (j habe ich in einer
am Ende dieser Abhandlung mitgetheilten Tabelle zusammen-
Ph8 = 3392,98
p,,, = 8212,74
und daraus ergiebt sich :
^48 — Pur, _ 130,24 _
90,12.
Man sieht, dass dieser angenäherte Werth mit dem aus der einigen Glei-
chung berechneten genaueren Werthe so nahe übereinstimmt, dass man
ihn in den bei Dampfmaschinen vorkommenden Rechnungen unbedenklich
anwenden kann.
Was die Temperaturen zwischen 0*^ und 100*^ anbetrifft, so lautet die
Formel, welche Regnault in diesem Intervalle zur Berechnung der
Dampfspannungen angewandt hat:
Log p =z a -\- bai — c ß*.
Die Constanten haben nach der verbesserten' Berechnung von Moritz
folgende Werthe :
a = 4,7393707
Log h — 8,1319907112 — 10
Log c = 0,6117407675
Log a — 0,006864937152
Log ß = 9,996725536856 — 10.
Aus dieser Formel lässt sich für -~- wieder eine Gleichung von der Form
ableiten, worin die Werthe der Constanten a und ß die eben angeführten
sind, und A und B folgende Werthe haben:
Log A = 6,6930586 — 10
Log B = 8,8513123 — 10.
Berechnet man aus dieser Gleichung z. B. den der Temperatur 70'' ent-
sprechenden Werth von -^r , so findet mau :
dt
Durch die augenäherte Bestimmungsweise erhält man :
Pni - Pe9 ^ 243,380 - 223,154 ^ ^^^^^^
also wiederum eine Zahl , welche mit der aus der genaueren Gleichung-
berechneten ganz befriedigend übereinstimmt.
18*
276 Abschnitt XI.
gestellt. Der Vollständigkeit wegen habe ich auch die dazu-
gehörigen Werthe von p hinzugefügt, und zwar von 0» bis 40«
und über 100» die von Regnault, von 40» bis 100° die von
Moritz berechneten. Bei jeder dieser drei Zahlenreihen sind die
Differenzen je zweier aufeinander folgender Zahlen mit angeführt,
so dass man aus dieser Tabelle für jede gegebene Temperatur
die Werthe jener drei Grössen, und umgekehrt für jeden gegebenen
Werth einer jener drei Grössen die entsprechende Temperatur
finden kann.
§. 18. Einführung anderer Druck- und Wärmemaasse.
In Bezug auf die Art der Anwendung der Werthe jener
Tabelle ist noch eine Bemerkung zu machen. In den Gleichungen
(31) ist vorausgesetzt, dass der Druck p und sein Differential-
coefficient g in Kilogrammen auf ein Quadratmeter ausgedrückt
seien; in der Tabelle dagegen ist dieselbe Druckeinheit beibehalten,
auf welche die Regnault'sche Spannungsreihe sich bezieht, näm-
lich Millimeter Quecksilber. Um nun in den folgenden Formeln
unter p und g die in dieser letzteren Einheit ausgedrückten Werthe
des Druckes und seines Differentialcoefficienten verstehen zu
dürfen, müssen wir die Aenderung mit den Gleichungen (31) vor-
nehmen, dass wir p und g mit der das speciiische Gewicht des
Quecksilbers darstellenden Zahl 13,596, welche nach §. 10 des
Abschnittes VI. die Verhältnisszahl zwischen den beiden Druckein-
heiten ist, multipliciren. Bezeichnen wir diese Zahl der Kürze
wegen mit Tc, so haben wir p und g überall, wo sie in jenen Glei-
chungen vorkommen, durch die Producte hp und kg zu ersetzen.
Zugleich wollen wir statt der Grössen C und 9, welche die
specifische Wärme und die Verdampfungswärme nach mechani-
schem Maasse darstellen, die Grössen c und r einführen, welche
sich auf gewöhnliches Wärmemaass beziehen, indem wir statt C
und Q die Producte Ec und Er setzen.
Wenn wir dann noch die Gleichungen durch Je dividiren, um
die Constanten E und h möglichst zusammen zu bringen, so gehen
W
sie in folgende über, aus denen sich der Bruch -y und somit auch
die Arbeit W selbst berechnen lässt:
Dampfinaschinontheorie. 277
(32) j(fF- ?ö)T,.9, = I [n + /c(21 - T,)]
+ f T' [j [ i>, —p,j + ?<5 (i), - p,)
(V - 16) g, -= (eV - 16) fj, + (m il^) ^ % ^.
Der hierin vielfach vorkommende Bruch — hat den Werth:
(33) ^ - i^M^ - 31 1525
^^^^ k - 13,596 ~" '^^'^^^•^•
§. 19. Bestimmung der Temperaturen Tg und T..
Die zweite der Gleichungen (32) lässt sich in folgender Form
schreiben :
(34) T,g, =^ C -^ a{t, - t,) - h(p, - p,),
worin die Grössen C, a und h von ^2 unabhängig sind, nämlich:
.^ 1 r^n , „/^ ro-c(Ti — Tq) , \-|
(34a)
_. K' + f)
/j =
fc eV—l6
bV - l6
eV — l6
Von den drei auf der rechten Seite von (34) stehenden Glie-
dern ist das erste bei Weitem überwiegend, und dadurch wird es
möglich, das Product T^g.2 und damit zugleich auch die Tempe-
ratur ^2 durch successive Näherung zu bestimmen.
Um den ersten Näherungswerth des Productes, welcher T' g'
heissen möge, zu erhalten, setze man auf der rechten Seite t^ an
die Stelle von ti und entsprechend pi statt j;.,, dann kommt:
(35) ' T'g'=C.
Die zu diesem Werthe des Productes gehörige Temperatur t'
schlage man in der Tabelle auf. Um nun den zweiten Näherungs-
278 Absclinitt XI.
werth des Productes zu bekommen, setze man den eben gefun-
denen Werth t' und den entsprechenden Werth p' des Druckes auf
der rechten Seite von (34) für ^3 und p.21 wodurch man unter
Berücksichtigung der vorigen Gleichung erhält:
(35 a) T" g" = T cj -Y a{iy — Ü) — h{py— p').
Die zu diesem Werthe des Productes gehörige Temperatur t" er-
giebt sich, wie vorher, aus der Tabelle. Stellt diese die gesuchte
Temperatur t.2 noch nicht genau genug dar, so wiederhole man
dasselbe Verfahren. Man setze auf der rechten Seite von (34) f
und jj" an die Stelle von (-2 und p.2., wodurch man unter Berück-
sichtigung der beiden vorigen Gleichungen erhält:
(35 b) T" g'" = T" g" -f a(t' - t") — h(p'— p"),
und den neuen Temperaturwerth t'" in der Tabelle finden kann.
In dieser Weise könnte man beliebig lange fortfahren, aber
schon der dritte Näherun gswerth weicht nur noch etwa um Yioo
Grad, und der vierte um weniger als Viooo Grad von dem wahren
Werthe der Temperatur t^ ab.
Ganz ähnlich ist die Behandlung der dritten der Gleichungen
(32). Dividirt man diese durch V — ?(5, und führt der leichteren
Rechnung wegen statt der durch das Zeichen log angedeuteten
natürlichen Logarithmen Briggs 'sehe Logarithmen ein, welche
durch das Zeichen Log angedeutet Werden mögen, wobei man nur
den Modulus M dieses Systems als Divisor hinzufügen muss, so
nimmt die Gleichung die Form
(36) g, = C+ aLog-^
an, worin C und a folgende von T^ unabhängige Werthe haben:
(36 a)
^ eV — l6
G = -^ ^ • //2
V — l6
,■ I I -i-
E
(' + ^)
k M(V—Jö)
In der Gleichung (36) ist wieder auf der rechten Seite das
erste Glied überwiegend, so dass man das Verfahren der succes-
siven Näherung anwenden kann. Man setze zunächst T^ an die
Stelle von T3, dann erhält man als ersten Näherungswerth von g,,:
(37) g' = (7,
und kann die dazu gehörige Temperatur t' in der Tabelle finden,
ÜiiiiiiifiiiaschiiH-ntliooric. 279
und daraus leicht die absolute Temperatur T l)ilden. Diese setze
man nun in (30) für T-, ein, dann kommt:
(37 a) fi" =. (/ ^aLoy ^,,
woraus sich T" ergieht. Ebenso erhält man weiter:
(37 b) ff = (j" -^aLog^,,
woraus sich T" ergiebt, u. s. f. Auch hier genügen wenige solcher
Rechnungen, um einen Werth zu erhalten, welcher mit grosser
Annäherung als Werth von T-^ gelten kann.
§. 20. Bestimmung der Grössen c und r.
Es bleibt nun, um zur numerischen Anwendung der Glei-
chungen (32) schreiten zu können, nur noch die Bestimmung der
Grössen c und r übrig.
Die Grösse c, d. h. die specifische Wärme der Flüssigkeit, ist
in der bisherigen Entwickelung als constant behandelt. Das ist
freilich nicht ganz richtig, da die specifische Wärme mit wach-
sender Temperatur etwas zunimmt. Wenn man aber den Werth,
welcher etwa für die Mitte des Intervalles, welches die in der
Untersuchung vorkommenden Temperaturen umfasst, richtig ist, als
gemeinsamen Werth auswählt, so können die Abweichungen nicht
bedeutend werden. Bei den durch Wasserdampf getriebenen
Dampfmaschinen kann als solche mittlere Temperatur etwa 100^
gelten, welche bei einer gewöhnlichen Hochdruckmaschine mit
Condensator ungefähr gleich weit von der Kessel- und Conden-
satortemperatur entfernt ist. Wir wollen also beim Wasser den
Werth anwenden, welcher nach Regnault die specifische Wärme
bei 100'' darstellt, indem wir setzen:
(38) c = 1,0130.
Zur Bestimmung der Grösse r gehen wir von der Gleichung
aus, welche Piegnault für die ganze Wärmemenge, welche dazu
nöthig ist, um eine Gewichtseinheit Wasser von 0^ bis zur Tem-.
peratur t zu erwärmen und bei dieser Temperatur in Dampf zu
verwandeln, aufgestellt hat, nämlich:
l = 606,5 -f- 0,305 . t
280 Abschnitt XI.
Setzt man hierin für A die der vorigen Definition entsprechende
t
Summe / cdt -j- ^', so kommt:
r = 606,5 -f- 0,305 . t — fcät.
In dem Integrale muss man, um genau die Wertlie von r zu
erhalten, welche Eegnault augiebti), für c die von Kegnault
näher bestimmte Temperaturfunction anwenden. Ich glaube aber,
dass es für den vorliegenden Zweck genügt, wenn wir auch hier-
bei für c die vorher angeführte Constante in Anwendung bringen.
Dadurch erhalten wir:
t
cdt = 1,013 . t,
!'-
und können nun die beiden von t abhängigen GHeder der vorigen
Gleichung in Eines zusammenziehen, welches — 0,708 . t lautet.
Zugleich müssen wir nun auch das constante Glied der Glei-
chung etwas ändern, und wir wollen es so bestimmen, dass der-
jenige Beobachtungswerth von r, welcher wahrscheinlich unter
allen der genaueste ist, auch durch die Formel richtig dargestellt
wird. Bei 100^ hat Regnault für die Grösse A als Mittel aus
38 Beobachtungszahlen den Werth 636,67 gefunden. Ziehen wir
hiervon die Wärmemenge ab, welche zur Erwärmung der Gewichts-
einheit Wasser von 0° bis 100^ erforderlich ist, und welche nach
Regnault 100,5 Wärmeeinheiten beträgt, so bleibt, wenn wir uns
mit Einer Decimale begnügen,
/•loo = 536,2 2).
Unter Anwendung dieses Werthes erhält man für r die Formel:
(39) r = 607 — 0,708 . i.
Diese Formel wurde schon in Abschnitt VI. §. 3 vorläufig an-
geführt, und es ist dort eine kleine Tabelle gegeben, aus welcher
die grosse Uebereinstimmung zwischen den aus dieser Formel be-
rechneten und den von Regnault in seiner Tabelle angeführten
Werthen von r ersichtlich ist.
1) Relation des experiences t. I., p. 748.
2) Eegnault selbst führt in seiner Tabelle nicht genau die obige Zahl,
sondern 536,5 an; das liegt aber nur daran, dass er für i. bei lOO*^ in der
Rechnung statt des vorher erwähnten Werthes 636,67 in runder Zahl 637
gesetzt hat.
IXampifiiuiseliiiieiitlieorie. 281
§. 21. Specielle Form der Gleichungen (32) für eine
Maschine ohne Expansion.
Um die heiden rerschiedenen Arten der Ausdehnung, auf
welche sich die heiden letzten der Gleichungen (32) beziehen, in
ihren Wildungen unterscheiden zu können ^ scheint es mir zweck-
mässig, zunächst eine solche Dampfmaschine zu betrachten, in
welcher nur Ejne derselben Torkomml Wir wollen daher mit
einer Maschine begnmen, welche ohne Expansic» arbeitet.
In diesem Falle ist för die Grösse ?, wdche das Yerhältniss
der Yolumina tot und nach der Expansion bezeichnet, der Werth
1 und zugleich T^, = T^ za setzen, wodurch die Gleichungen (32)
eine ein&chere Gestalt annehmen.
Die letzte dieser Gleichungen wird identisch und fällt also
fort In der zweiten geht die unke Seite in (F — ?d) T^gf über,
während die rechte S^te ungeändert bleibt. Die erste endlich
nimmt zunädist folgende Form an:
^ = f ['■i - ^^21 - ^.)] - (y-i^)(T,^,-p,-^p,)
— ^^T 7^ "■
W^m man hierin för (V — l6) T^g^ doi an der rechten Seite der
zweiten Gleichung stehenden Ausdruck einsetzt, so heben sich aUe
Glider, welche -^ als Factor enthalten und zwei Glieder, wekne
Z6 als Factor enthalten, gegenseitig auf. und die übrig bleibenden
Glieder lassen äch in zwrä Producte zusammen&ssen. Die beiden
Gleichungen lauten dann:
iW
^ = ra £>«>, lA,) IöCä ä)
(V —16} T.,u = ^ \r, -1- le(Ti — T^)
-Ä>
(40)
Die erste dieser beiden XJleichungen ist genau dieselbe, welche
man auch nach der Pambour'schen Theorie erhält, wenn man
in (IS) e = 1 setzt, und mittelst der Gleichung (12) (nachdem
282 Abschnitt XI.
v'
darin e = \ und — =^ V gesetzt ist), statt der Grösse B das
m
Volumen V einführt. Der Unterschied liegt also nur in der
zweiten Gleichung, welche an die Stelle der von Pambour an-
genommenen einfachen Beziehung zwischen Volumen und Druck
getreten ist.
§. 22. Angenommene numerische Werthe.
Die in diesen Gleichungen vorkommende Grösse £, welche
den schädlichen Raum als Bruchtheil des ganzen für den Dampf
frei werdenden Raumes darstellt, sei zu 0,05 angenommen. Die
Menge der tropfbaren Flüssigkeit, welche der Dampf beim Ein-
tritt in den Cylinder mit sich führt, ist bei verschiedenen Ma-
schienen verschieden. Pambour sagt, dass sie bei Locomotiven
durchschnittlich 0,25, bei stehenden Dampfmaschinen aber viel
weniger, vielleicht 0,05 der ganzen in den Cylinder tretenden Masse
trage. Wir wollen für unser Beispiel die letztere Angabe be-
nutzen, wonach das Verhältniss der ganzen in den Cylinder treten-
den Masse zu dem dampfförmigen Theile derselben 1 : 0,95 ist.
Ferner sei der Druck im Kessel zu 5 Atmosphären angenommen,
wozu die Temperatur 152,22^ gehört, und vorausgesetzt, dass die
Maschine keinen Condensator, oder, was dasselbe ist, einen Con-
densator mit dem Drucke von 1 Atmosphäre habe. Der mittlere
Gegendruck im Cylinder ist dann grösser als 1 Atmosphäre. Bei
Locomotiven kann dieser Unterschied, wie oben erwähnt, durch
einen besonderen Umstand beträchtlich werden, bei stehenden
Dampfmaschinen dagegen ist er geringer. Pambour hat in
seinen numerischen Rechnungen für stehende Maschinen ohne
Condensator diesen Unterschied ganz vernachlässigt, und da es
sich hier nur um ein Beispiel zur Vergleichung der neuen Formeln
mit den Pambour' sehen handelt, so wollen wir uns auch hierin
ihm anschliessen, und j>o = 1 Atmosphäre setzen.
Es kommen also in den Gleichungen (40) für dieses Beispiel
folgende Werthe zur Anwendung:
Dampfmasclünentheorie. 283
s ^ 0,05
? = -L — 1,053
(41) 0,90
p, = 8800
Ih = 7G0.
Nehmen wir hierzu noch die ein- für allemal feststehenden Werthe:
/.• = 13,596
ö = 0,001.
so bleiben in der ersten der Gleichungen (40) ausser der gesuchten
Grösse W nur noch die Grössen V und x>2 unbestimmt.
§, 23. Kleinstmöglicher Werth von V und dazugehörige
Arbeit.
Wir müssen nun zuerst untersuchen, welches der Jdeinst-
mögliche Werth von V ist.
Dieser Werth entspricht dem Falle, wo im Cylinder derselbe
Druck, wie im Kessel stattfindet, und wir brauchen daher nur in
der letzten der Gleichungen (40) 2h ^^ die Stelle von 2)2 zu setzen.
Dadurch kommt:
Er,
(42)
j. +?ö.^i<yi
^1 ,^1 — M 77 ■ + ih —Ih
Um hierbei gleich von dem Einflüsse des schädlichen Raumes
ein Beispiel zu geben, habe ich von diesem Ausdrucke zwei Werthe
berechnet, den, welcher entstehen würde, w^enn kein schädlicher
Raum vorhanden, und also f = 0 wäre, und den, welcher unter
der von uns gemachten Voraussetzung, dass s = 0,05 ist, ent-
stehen muss. Diese beiden Werthe sind für 1 Kilogramm aus dem
Kessel tretenden Dampfes als Bruchtheil eines Cubikmeter aus-
gedrückt :
0,3637 und 0.3690.
Dass der letzte dieser Werthe grösser ist, als der erste, kommt
daher, dass erstens der Dampf in den schädlichen Raum mit grosser
Geschwindigkeit eindringt, die lebendige Kraft dieser Bewegung
sich dann in Wärme verwandelt, und diese wiederum einen Theil
der mitgerissenen Flüssigkeit verdampfen lässt, und dass zweitens
284 Abschnitt XI.
der schon vor dem Einströmen im schädlichen Kaume befindliche
Dampf ebenfalls dazu beiträgt, die ganze nachher vorhandene
Dampfmenge zu vermehren.
Setzt man die beiden für V gefundenen Werthe in die erste
der Gleichungen (40) ein, wobei wieder s das eine Mal = 0 und
das andere Mal = 0,05 gesetzt wird, so erhält man als ent-
sprechende Arbeitsgrössen in Kilogramm-Meter ausgedrückt:
14 990 und 14450.
Nach der P am bour 'sehen Theorie macht es in Bezug auf das
Volumen keinen Unterschied, ob ein Theil desselben schädlicher
Raum ist, oder nicht, es wird in beiden Fällen durch dieselbe
Gleichung (Hb) bestimmt, wenn man darin für p den besonderen
Werth |Ji setzt. Dadurch erhält man:
0,3883.
Dass dieser Werth grösser ist, als der vorher für dieselbe Dampf-
menge gefundene 0,3637, erklärt sich daraus, dass man überhaupt
bisher das Volumen des Dampfes im Maximum der Dichte für
grösser gehalten hat, als es der mechanischen Wilrmetheorie nach
sein kann, und diese frühere Ansicht auch in der Gleichung (Hb)
ihren Ausdruck findet.
Bestimmt man mittelst dieses Volumens die Arbeit aus der
Pambour' sehen Gleichung unter den beiden Voraussetzungen,
dass £ == 0 oder = 0,05 sei, so kommt:
16 000 und 15 200.
Diese Arbeitsgrössen sind, wie es auch als unmittelbare Folge des
grösseren Volumens vorauszusehen war, beide grösser, als die vor-
her gefundenen, aber nicht in gleichem Verhältnisse, indem der
durch den schädlichen Raum veranlasste Arbeitsverlust nach den
von uns entwickelten Gleichungen geringer ist, als er nach der
Pambour 'sehen Theorie sein müsste.
§. 24. Berechnung der Arbeit für andere Werthe von F.
Bei einer Maschine der hier betrachteten Art, welche Pam-
bour in ihrer Wirksamkeit untersuchte, verhielt sich die Geschwin-
digkeit, welche die Maschine wirklich annahm, zu derjenigen,
welche sich für dieselbe Verdampfungsstärke und denselben Druck
im Kessel aus seiner Theorie als Minimum der Geschwindigkeit
Dampfmaschinentlieorie. 285
berechnen Hess, bei einem Versuche wie 1,275 : 1 und bei einem
anderen, unter geringerer Behistung, wie 1,70 : 1. Diesen Ge-
schwindigkeiten würden für unseren Fall die Volumina 0,495 und
0,660 entsi^rechen. Wir wollen nun als ein Beispiel zur Bestim-
mung der Arbeit eine Geschwindigkeit wählen, wel(;he zwischen
diesen beiden liegt, indem wir in runder Zahl setzen :
F=0,6.
Es kommt nun zunächst darauf an, für diesen Werth von V
die Temperatur t-i zu finden. Dazu dient die Gleichung (34),
welche folgende specielle Form annimmt:
(43) T,[/, = 26 577 + 56,42 . (t, - t,) - 0,0483 . (p, - p.^.
Führt man mittelst dieser Gleichung die in §.19 beschriebene
successive Bestimmung von ^2 ^us, so erhält man der Reihe nach
folgende Näherungswerthe :
t' = 133,010
t" = 134,43
r = 134,32
t"" = 134,33.
Noch weitere Näherungswerthe würden sich nur noch in höheren
Decimalen unterscheiden, und wir haben also, sofern wir uns mit
zwei Decimalen begnügen wollen, die letzte Zahl als den wahren
Werth von t.2 zu betrachten. Der dazu gehörige Druck ist:
P2 = 2308,30.
Wendet man diese Werthe von V und p.2 zugleich mit den
übrigen in §. 22 näher festgestellten Werthen auf die erste der
Gleichungen (40) an, so erhält man:
W = 11960.
Die Pambour'sche Gleichung (18) giebt für dasselbe Volumen
0,6 die Arbeit:
W= 12 520.
Um die Abhängigkeit der Arbeit vom Volumen , und zugleich
den Unterschied, welcher in dieser Beziehung zwischen Pam-
bour's und meiner Theorie herrscht, noch deutlicher erkennen zu
lassen, habe ich dieselbe Rechnung, wie für das Volumen 0,6 auch
für eine Reihe anderer in gleichen Abständen wachsender Volumina
ausgeführt. Die Resultate sind in nachstehender Tabelle zusam-
mengefasst. Die erste horizontale Zahlenreihe, welche durch einen
Strich von den anderen getrennt ist, enthält die für eine Maschine
286
Abschnitt XI.
ohne schädlichen Kaum gefundenen Werthe. Im üebrigen ist die
Einrichtung der Tabelle leicht ersichtlich.
nacli Pambour
V
h
W
^
V
W
0,3637
152,220
14 990
0,3883
16 000
0,8690
152,22
14 450
0,3883
15 200
0,4
149,12
14100
0,4
15 050
0,5
140,83
13 020
0,5
13 780
0,6
134,33
11960
0,6
12 520
0,7
129,03
10 910
0,7
11250
0,8
124,55
9 880
0,8
9 980
0,9
120,72
8 860
0,9
8 710
1
117,36
7 840
1
7 440
Man sieht, dass die nach der Pambour' sehen Theorie
berechneten Arbeitsgrössen mit wachsendem Volumen schneller
abnehmen, als die nach unseren Gleichungen berechneten, so dass
sie, während sie anfangs beträchtlich grösser sind, als diese, ihnen
allmälig näher kommen, und zuletzt sogar kleiner werden. Dieses
erklärt sich daraus, dass nach der Pambour' sehen Theorie bei
der während des Einströmens stattfindenden Ausdehnung immer
nur dieselbe Masse dampfförmig bleibt, welche es schon anfangs
war; nach der unserigen dagegen ein Theil der im flüssigen
Zustande mitgerissenen Masse noch nachträglich verdampft, und
zwar um so mehr, je grösser die Ausdehnung ist.
§. 25. Arbeit einer Maschine mit Expansion für einen
bestimmten Werth von V.
Wir wollen nun in ähnlicher Weise eine Maschine betrachten,
welche mü Expansion arbeitet, und zwar wollen wir dazu eine
Maschine mit Condensator wählen.
In Bezug auf die Grösse der Expansion wollen wir annehmen,
dass der Abschluss vom Kessel erfolge, wenn der Stempel 1/3 seines
Dampfmaschinentlieorie. 287
Weges zurückgelegt bat. Dann haben wir zur Bestimmung von <i
die Gleicbung:
e - £ = Va (1 - 0,
und daraus ergiebt sich, wenn wir für £ den Wcrtli 0,05 bei-
behalten :
e = ^- ^ 0,3666 . . .
o
Der Druck im Kessel sei, wie vorher, zu 5 Atmosphären an-
genommen. Der Druck im Condensator kann bei guter Einrichtung
unter Vio Atmosphäre erhalten werden. Da er aber nicht immer
so klein ist, und ausserdem der Gegendruck im Cylinder den im
Condensator stattfindenden Druck noch etwas übertrifft, so wollen
wir für den mittleren Gegendruck jj^ in runder Zahl 1/5 Atmo-
sphäre oder 152mm annehmen, wozu die Temperatur fu =:^ 60,46"
gehört. Behalten wir endlich für l den vorher angenommenen
Werth bei, so sind die in diesem Beispiele zur Anwendung kom-
menden Grössen folgende :
e = 0,36667
£ = 0,05
(44) j Z = 1,053
^1 = 3800
(iJo = 152.
Es braucht nun , um die Arbeit berechnen zu können , nur
noch der Werth von Y gegeben zu werden. Um bei der Wahl
desselben einen Anhalt zu haben, müssen wir zuerst den kleinst-
möglichen Werth von F kennen. Dieser ergiebt sich, ganz wie bei
den Maschinen ohne Expansion, dadurch, dass man in der zweiten
der Gleichungen (32) ^^ an die Stelle von j;.2 setzt, und ebenso die
übrigen mit pg zusammenhängenden Grössen ändert. Man findet
auf diese Weise für unseren Fall den Werth:
1,010.
Hiervon ausgehend wollen wir als erstes Beispiel annehmen, die
wirkliche Ganggeschwindigkeit der Maschine übertreffe die kleinst-
mögliche etwa im Verhältnisse von 3:2, indem wir in runder
Zahl
Y= 1,5
setzen, und für diese Geschwindigkeit wollen wir die Arbeit be-
stimmen.
Zunächst müssen durch Einsetzung dieses Werthes von V in
die beiden letzten der Gleichungen (32) die beiden Temperaturen
288 Abschnitt XI.
^2 und #3 bestimmt werden. Die Bestimmung von fj ist schon bei
der Maschine ohne Condensator etwas näher besprochen, und da
sich der vorliegende P'all von jenem nur dadurch' unterscheidet,
dass die Grösse e, welche dort gleich 1 gesetzt war, hier einen
anderen Werth hat, so will ich darauf nicht noch einmal eingehen,
sondern nur das Endresultat anführen. Man findet nämlich:
ti = 137,430.
Diese zur Bestimmung von ^3 dienende Gleichung (36) nimmt
für diesen Fall folgende Gestalt an:
(45) ^3 = 26,604+ 51,515 Xor/^.
Hieraus erhält man nach einander folgende Näherungswerthe :
t' = 99,240
t" = 101,93
t'" =101,74
t"" = 101,76.
Den letzten dieser Werthe, von welchem die späteren nur noch in
höheren Decimalei:i abweichen würden, betrachten wir als den
richtigen Werth von U, und wenden ihn zusammen mit den be-
kannten Werthen von ti und ^o auf die erste der Gleichungen (32)
an. Dadurch kommt:
PT = 31 080.
Berechnet man unter Voraussetzung desselben Werthes von
V die Arbeit nach der Pambour'schen Gleichung (18), wobei
man aber die Werthe von JB und h nicht, wie bei der Maschine
ohne Condensator, aus der Gleichung (IIb), sondern aus der für
Maschinen mit Condensator bestimmten Gleichung (Ha) entnehmen
muss, so findet man:
W = 32 640.
§. 26. Zusammenstellung verschiedener Fälle in Bezug
auf den Gang der Maschine.
In derselben Weise, wie es für das Volumen 1,5 hier an-
gedeutet ist, habe ich auch für die Volumina 1,2, 1,8 und 2,1 die
Arbeit berechnet. Ausserdem habe ich, um den Einfluss, welchen
die verschiedenen Unvollkommenheiten der Maschine auf die Grösse
Dampfmaschinentheorie. 289
der Arbeit ausüben, an einem Beispiele übersichtlich zusammen-
stellen zu können, noch folgende Fälle hinzugefügt.
1) Den Fall einer Maschine, welche keinen schädlichen Raum
hat, und bei welcher ausserdem der Druck im Cylinder während
des Einströmens gleich dem im Kessel ist, und die Expansion so
weit getrieben wird, bis der Druck von seinem ursprünglichen
Werthe p^ bis p^ abgenommen hat. Dieses ist, wenn wir nur noch
annehmen, dass po genau den Druck im Condensator darstelle, der
Fall, auf welchen sich die Gleichung (9) bezieht, und welcher für
eine gegebene Wärmemenge, wenn auch die Temperaturen der
Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe als gegeben betrachtet wer-
den, die grösstmögliche Arbeit liefert.
2) Den Fall einer Maschine, bei welcher wieder kein schäd-
licher Raum vorkommt, und der Druck im Cylinder gleich dem
im Kessel ist, aber die Expansion nicht wie vorher vollständig,
sondern nur im Verhältnisse von e : 1 stattfindet. Dieses ist der
Fall, auf welchen sich die Gleichung (6) bezieht, nur dass dort,
um die Grösse der Expansion zu bestimmen, die durch die Expan-
sion bewirkte Temperaturänderung des Dampfes als bekannt vor-
ausgesetzt wurde, während hier die Expansion dem Volumen nach
bestimmt ist, und die Temperaturänderung daraus erst berechnet
werden muss.
3) Den Fall einer Maschine mit schädlichem Räume und un-
vollständiger Expansion, bei welcher von den vorigen günstigen
Bedingungen nur noch die besteht, dass der Dampf im Cylinder
während des Einströmens denselben Druck ausübt, wie im Kessel,
so dass alo das Volumen den kleinstmöglichen Werth hat.
An diesen Fall schliessen sich endlich die schon erwähnten
an, in welchen auch die letzte günstige Bedingung fortgefallen ist,
indem das Volumen statt des kleinstmöglichen Werthes andere
gegebene Werthe hat.
Alle diese Fälle sind zur Vergleichung auch nach der Pam-
bour' sehen Theorie berechnet, mit Ausnahme des ersten, für
welchen die Gleichungen (IIa) und (IIb) nicht ausreichen, indem
selbst diejenige unter ihnen, welche für geringeren Druck be-
stimmt ist, doch nur bis zu V2 oder höchstens ^'3 Atmosphäre
abwärts angewandt werden darf, während hier der Druck bis zu
V5 Atmosphäre abnehmen soll.
Die für diesen ersten Fall aus unseren Gleichungen hervor-
gehenden Zahlen sind folgende:
Clausius, mecban. Wärmetheorie. I. IQ
290
Abschnitt XI.
Volumen vor
der Expansion
Volumen nach
der Expansion
W
0,3637
6,345
50 460
Für alle übrigen Fälle sind die Resultate in der nachstehen-
den Tabelle zusammengefasst, wobei wieder die auf die Maschine
ohne schädlichen Raum bezüglichen Zahlen von den anderen durch
einen Strich getrennt sind. Für das Volumen sind nur die nach
der Expansion gültigen Zahlen angeführt, weil die Werthe vor der
Expansion sich daraus von selbst ergeben, indem sie in allen
Fällen in dem Verhältnisse von e : 1 oder von 0,36667 : 1 kleiner
sind.
h
^3
W
nach Pambour
V
V
W
0,992
152,220
113,710
34 310
1,032
36 650
1,610
152,220
113,680
32 430
1,032
34 090
1,2
145,63
108,38
31870
1,2
33 570
1,5
137,43
101,76
31080
1,5
32 640
1,8
131,02
96,55
30 280
1,8
31710
2,1
125,79
92,30
29 490
2,1
30 780
27. Zurückführung der Arbeit auf eine von der Wärme-
quelle gelieferte Wärmeeinheit.
Die in dieser Tabelle angeführten Arbeitsgrössen , ebenso wie
diejenigen der früheren Tabelle für die Maschine ohne Conden-
sator, beziehen sich auf ein Kilogramm aus dem Kessel tretenden
Dampfes. Man kann aber hiernach die Arbeit auch leicht auf
eine von der Wärmequelle gelieferte Wärmeeinheit beziehen, wenn
man bedenkt, dass für jedes Kilogramm Dampf so viel Wärme
geliefert werden muss, wie nöthig ist, um die Masse l, welche etwas
grösser als 1 Kilogramm ist, von ihrer Anfangstemperatur, mit
Dampfmascliinentlieorie. 291
welcher sie in den Kessel tritt, bis zu der im Kessel selbst herr-
schenden Temperatur zu erwärmen, und bei dieser letzteren ein
Kilogramm in Dampf zu verwandeln, welche Wärmemenge sich
aus den bisherigen Daten berechnen lässt.
§. 28. Berücksichtigung der Reibung.
Zum Schluss dieser numerischen Bestimmungen muss ich noch
einige Worte über die Beihung hinzufügen, wobei ich mich aber
darauf beschränken will, mein Verfahren, dass ich die Reibung
in den bisher entwickelten Gleichungen ganz unberücksichtigt
gelassen habe, zu rechtfertigen, indem ich zeige, dass man die Rei-
bung, anstatt sie, wie es Pambour gethan hat, gleich in die
ersten allgemeinen Ausdrücke der Arbeit mit einzuflechten, nach
denselben Principien auch nachträglich in Rechnung bringen kann,
was übrigens in gleicher Weise auch von anderen Autoren ge-
schehen ist.
Die Kräfte, welche die Maschine bei ihrem Gange zu über-
winden hat, lassen sich folgendermaassen unterscheiden. 1) Der
Widerstand, welcher ihr von aussen entgegengestellt wird, und
dessen Ueberwindung die von ihr verlangte nütslidie Arbeit bildet.
Pambour nennt diesen Widerstand die Belastung {cliarge) der
Maschine. 2) Die Widerstände, welche in der Maschine selbst
ihren Grund haben, so dass die zu ihrer Ueberwindung verbrauchte
Arbeit nicht äusserlich nutzbar wird. Diese letzteren Widerstände
fassen wir alle unter dem Namen der Beihung zusammen, obwohl
ausser der Reibung im engeren Sinne auch noch andere Kräfte
unter ihnen vorkommen, besonders die Widerstände der zur
Dampfmaschine gehörigen Pumpen, mit Ausnahme derjenigen,
welche den Kessel speist, und welche im Früheren schon mit
betrachtet ist.
Beide Arten von Widerständen bringt Pambour als Kräfte,
welche sich der Bewegung des Stempels widersetzen, in Rechnung,
und um sie mit den Druckkräften des an beiden Seiten des Stem-
pels befindlichen Dampfes bequem vereinigen zu können, wählt er
auch die Bezeichnung ähnlich, wie es beim Dampfdrucke ge-
schieht, nämlich so, dass das Zeichen nicht die ganze Kraft, son-
dern den auf eine Flächeneinheit des Stempels kommenden Theil
19*
292 Absclinitt XL
derselben bedeutet. In diesem Sinne stelle der Buchstabe B die
Belastung dar.
Bei der Reibung muss noch ein weiterer Unterschied gemacht
werden. Die Reibung ist nämlich nicht eine Grösse, die für jede
Maschine einen constanten Werth hat, sondern wächst mit der Be-
lastung. Pambour zerlegt sie daher in zwei Theile, den, welcher
schon vorhanden ist, wenn die Maschine ohne Belastung geht, und
den, welcher erst durch die Belastung hinzukommt. Von letzterem
nimmt er an, dass er der Belastung proportional sei. Demgemäss
drückt er die Reibung, auf die Flächeneinheit bezogen, durch
aus, worin / und 8 Grössen sind, die zwar von der Einrichtung
und den Dimensionen der Maschine abhängen, aber für eine be-
stimmte Maschine nach Pambour als constant zu betrachten
sind.
Wir können nun die Arbeit der Maschine statt, wie bisher, auf
die treibende Kraft des Dampfes, auch auf diese 'widerstehenden
Kräfte beziehen, denn die von diesen gethane negative Arbeit muss
gleich der von jener gethanen positiven sein, weil sonst eine Be-
schleunigung oder Verzögerung des Ganges eintreten würde , was
der gemachten Voraussetzung, nach welcher der Gang gleichmässig
sein soll, widerspricht. Die Stempelfiäche beschreibt, während eine
Gewichtseinheit Dampf in den Cylinder tritt, den Raum (1 — e) F,
und man erhält daher für die Arbeit W den Ausdruck:
TF=(1 -£) F[(1 + Ö)E+/].
Der nutzbare Theil dieser Arbeit dagegen, welcher zum Unter-
schiede von der ganzen Arbeit mit ( W) bezeichnet werden möge,
wird durch den Ausdruck:
(TF) = (1 — £) V .B
dargestellt. Eliminirt man aus dieser Gleichung vermittelst der
vorigen die Grösse jR, so kommt:
Mit Hülfe dieser Gleichung kann man, da die Grösse V als bekannt
vorauszusetzen ist, aus der ganzen Arbeit W die nützliche Arbeit
( W) ableiten, sobald die Grössen / und 8 gegeben sind.
Auf die Art, wie Pambour die letzteren bestimmt, will ich
hier nicht eingehen, da diese Bestimmung noch auf zu unsicheren
Grundlagen beruht, und die Reibung überhaupt dem eigentlichen
Gegenstande dieses Abschnittes fremd ist.
Dampfmaschiiientheorie. 293
§. 29. Allgemeine Betrachtung der Vorgänge in thermo-
dynamisclien Maschinen und Zurückführung derselben
auf Kreisprocesse.
Nachdem wir im Vorigen die Dampfmaschine in der Weise
behandelt haben, dass wir alle in ihr stattfindenden Vorgänge ver-
folgt, die dabei geleisteten positiven oder negativen Arbeitsgrössen
einzeln bestimmt und diese dann zu einer algebraischen Summe
vereinigt haben, wollen wir nun die thermodynamischen Maschinen
von allgemeineren Gesichtspunkten aus betrachten.
Der Ausdruck, dass die Wärme eine Maschine treibt, ist natür-
lich nicht auf die Wärme unmittelbar zu beziehen , sondern ist so
zu verstehen, dass irgend ein in der Maschine vorhandener Stoff
in Folge der Veränderungen, welche er durch die Wärme erleidet,
die JMaschinentheile in Bewegung setzt. Wir wollen diesen Stoff
den die Wirkung der Wärme vermittelnden Stoff nennen.
Wenn nun eine fortwährend wirkende Maschine in gleich-
massigem Gange ist, so finden alle dabei vorkommenden Verän-
derungen periodisch statt, so dass derselbe Zustand, in welchem
sich zu einer gewissen Zeit die Maschine mit allen ihren einzelnen
Theilen befindet, in gleichen Intervallen regelmässig wiederkehrt.
Demnach muss auch der die Wirkung der Wärme vermittelnde
Stoff' in solchen regelmässig wiederkehrenden Momenten in gleicher
Menge in der Maschine vorhanden sein, und sich in gleichem Zu-
stande befinden. Diese Bedingung kann auf zwei verschiedene
Arten erfüllt werden.
Erstens kann ein und dasselbe ursprünglich in der Maschine
befindliche Quantum dieses Stoffes immer in ihr bleiben, wobei
dann die Zustandsänderungen , welche dieser Stoff während des
Ganges erleidet, so stattfinden müssen, dass er mit dem Ende
jeder Periode wieder in seinen Anfangszustand zurückkehrt, und
dann denselben Cyclus von Veränderungen von Neuem beginnt.
Zweitens kann die Maschine jedesmal den Stoff, welcher wäh-
rend einer Periode zur Hervorbringuug der Wirkung gedient hat,
nach aussen abgeben, und dafür ebenso viel Stoff von derselben
Art von aussen wieder aufnehmen.
Dieses letztere Verfahren ist bei den in der Praxis angewandten
Maschinen das gewöhnlichere. Es findet z. B. bei den calorischen
294 Abschnitt XI..
Luftiriaschmen, wie sie bis jetzt construirt sind, Anwendung, indem
nacli jedem Hube die Luft, welche im Treibcylinder den Stempel
bewegt hat, in die Atmosphäre ausgetrieben, und dafür vom Speise-
cylinder eine gleiche Quantität Luft aus der Atmosphäre geschöpft
wird. Ebenso bei den Dampfmaschinen ohne Condensator, bei
welchen auch der Dampf aus dem Cylinder in die Atmosphäre
tritt, und dafür aus einem Reservoir neues Wasser in den Kessel
gepumpt wird.
Ferner findet es wenigstens eine theilweise Anwendung auch
bei den Dampfmaschinen mit Condensator von gewöhnlicher Ein-
richtung. Bei diesen wird das aus dem Dampfe niedergeschlagene
Wasser zwar zum Theil in den Kessel zurückgepumpt, aber nicht
alles, weil es mit dem Kühlwasser gemischt ist, und von diesem
daher auch ein Theil in den Kessel kommt. Der nicht wieder
angewandte Theil des niedergeschlagenen Wassers muss mit dem
übrigen Theile des Kühlwassers zusammen fortgeschaöt werden.
Das erstere Verfahren hat bisher nur bei wenigen Maschinen
Anwendung gefunden, unter anderen bei solchen Dampfmaschinen,
welche durch zwei verschiedene Dämpfe, z. B. Wasser- und Aether-
dampf, getrieben werden i). In diesen wird der Wasserdampf nur
durch die Berührung mit Metallröhren, welche inwendig mit
flüssigem Aether gefüllt sind, niedergeschlagen, und dann voll-
ständig wieder in den Kessel zurückgepumpt. Ebenso wird der
Aetherdampf in Metallröhren, die nur auswendig von kaltem Wasser
umspült sind, niedergeschlagen, und dann in den ersten Raum, der
zur Verdampfung des Aethers dient, zurückgepumpt. Es braucht
daher, um den gleichmässigen Gang zu erhalten, nur so viel Wasser
und Aether neu zugeführt zu werden, wie etwa wegen Unvoll-
kommenheit der Construction durch die Fugen entweicht.
In einer Maschine dieser Art, in welcher dieselbe Masse immer
wieder von Neuem angewandt wird, müssen, wie oben gesagt, die
verschiedenen Veränderungen, welche die Masse während einer
Periode erleidet, einen in sich geschlossenen Cyclus oder nach der
Bezeichnung, welche ich in meinen Abhandlungen gewählt habe,
einen Kreisprocess bilden.
Solche Maschinen dagegen, bei denen ein periodisches Auf-
nehmen und Wiederausscheiden von Massen stattfindet, sind die-
ser Bedingung nicht nothwendig unterworfen. Dessen ungeachtet
1) Annales des Mines T. IV. (1853), p. 203 u. 281.
Bampfmascliinentheorie. 296
können auch sie dieselbe erfüllen, indem sie die Massen in dem-
selben Zustande wieder ausscheiden, in welchem sie sie aufgenom-
men haben. Dieses ist der Fall bei den Dampfmaschinen mit
Condensator, bei denen das Wasser im flüssigen Zustande und mit
derselben Temperatur, mit der es aus dem Condensator in den
Kessel getreten war, später aus dem Condensator fortgeschafft
wird. Das Kühlwasser, welches kalt in den Condensator ein- und
warm wieder austritt, kommt dabei nicht in Betracht, weil es nicht
zu dem die Wirkung der Wärme vermittelnden Stoffe gehört, son-
dern als eine negative Wärmequelle dient.
Bei anderen Maschinen ist der Zustand beim Austritte von
demjenigen beim Eintritte verschieden. Die calorischen Luft-
maschinen z. B., selbst wenn sie mit einem Regenerator versehen
sind, treiben die Luft mit einer Temperatur, die höher ist, als die
Eintrittstemperatur, in die Atmosphäre zurück, und die Dampf-
maschin en ohne Condensator nehmen das Wasser tropfbar flüssig auf?
und lassen es dampfförmig wieder ausströmen. In diesen Fällen
findet zwar kein vollständiger Kreisprocess statt, indessen kann man
sich immer zu der wirklich vorhandenen Maschine noch eine zweite
hinzudenken, welche die Masse aus der ersten Maschine aufnimmt,
sie auf irgend eine Weise in den Anfangszustand zurückbringt,
und dann erst entweichen lässt. Beide Maschinen zusammen kön-
nen dann als Eine Maschine betrachtet werden, welche wieder der
obigen Bedingung genügt. In manchen Fällen kann diese Ver-
vollständigung geschehen, ohne dass dadurch eine grössere Com-
plication für die Untersuchungen eintritt. So kann man sich z. B.
eine Dampfmaschine ohne Condensator, wenn man nur annimmt,
dass sie mit Wasser von lOOo gespeist werde, ohne Weiteres durch
eine Maschine mit einem Condensator, dessen Temperatur 100"^ ist,
ersetzt denken.
Demnach kann man unter der Voraussetzung, dass die Ma-
schinen, welche jene Bedingung nicht schon von selbst erfüllen,
in dieser Weise für die Betrachtung vervollständigt seien, auf alle
thermodynamischen Maschinen die für die Kreisprocesse geltenden
Sätze anwenden, und dadurch gelangt man zu einigen Schlüssen,
welche von der besonderen Natur der in den einzelnen Maschinen
stattfindenden Vorgänge ganz unabhängig sind.
296 Abschnitt XI.
§. 30. Gleichungen für die durch einen beliebigen Kreis-
process geleistete Arbeit.
Für jeden Kreisprocess gelten den früheren Entwickelungen
gemäss, als analytische Ausdrücke der beiden Hauptsätze, nachdem
der letztere so erweitert ist, dass er auch die nicht umkehrbaren
Veränderungen umfasst, folgende zwei Gleichungen:
W=: Q
(47)
1 T ~~ '
worin N die während des Kreisprocesses eingetretene uncompen-
sirte Verwandlung bedeutet, welche nur positiv sein kann und bei
umkehrbaren Kreisprocessen den Grenzwerth Null hat.
Wenden wir diese Gleichungen auf denjenigen Kreisprocess
an, welcher in der thermodynamischen Maschine während einer
Periode stattfindet, so sieht man zunächst, dass, wenn die ganze
Wärmemenge, welche der die Wirkung der Wärme vermittelnde
Stoff während dieser Zeit aufgenommen hat, gegeben ist, dann
durch die erste Gleichung unmittelbar auch die Arbeit bestimmt
ist, ohne dass die Natur der Vorgänge selbst, aus denen der
Kreisprocess besteht, bekannt zu sein braucht.
In ähnlicher Allgemeinheit kann man durch die Verbindung
beider Gleichungen die Arbeit auch noch aus anderen Daten
bestimmen.
Wir wollen annehmen, es seien die Wärmemengen, welche
der veränderliche Körper nach einander empfängt, sowie die Tem-
peraturen, welche er bei der Aufnahme einer jeden hat, gegeben,
und nur Eine Temperatur T(, sei übrig, bei welcher dem Körper
noch eine Wärmemenge mitgetheilt, oder, wenn sie negativ ist,
entzogen wird, deren Grösse nicht im Voraus bekannt ist. Die
Summe aller bekannten Wärmemengen heisse Qi , und die unbe-
kannte Wärmemenge Qo,
Dann zerlege man das in der zweiten Gleichung vorkommende
Integral in zwei Theile, von denen der eine sich nur über die be-
kannte Wärmemenge Q^ und der andere über die unbekannte ^o
erstreckt. Im letzten Theile lässt sich, da in ihm T einen con-
stanten Werth Tq hat, die Integration sogleich ausführen, und
ffiebt den Ausdruck:
Danipfiiiascliiiiyntboorie. 297
Dadurch geht die zweite Gleichung über in;
%
JA J^ ±1 AT
P
woraus folgt:
Q
Vo — — -M) • / ~y
T N
Ferner hat man nach der ersten Gleichung, da für unseren Fall
Q= Qi+ Q, ist:
Suhstituirt man in dieser Gleichung für Q^^ den eben gefundenen
Werth, so kommt:
VI
(48) W=Q,-1\. f^~ T,
N,
Vi
welche Gleichung sich , wenn man Qi durch dQ ersetzt , auch
0
so schreiben lässt:
(48a) '^=f^ ~T^' '^^- ^«^-
0
Wird insbesondere angenommen, dass der ganze Kreisprocess
umkehrbar sei, so ist dem Obigen nach iV = 0, und dadurch
gehen die vorigen Gleichungen über in :
Qi
"d_Q
T
(49) W=: Qy-n-ß
Qi
(49 a) W=f^~^UQ.
0
Diese Ausdrücke unterscheiden sich von dem vorigen nur durch
das Glied — Tg N. Da nun JV" nur positiv sein kann, so kann dieses
Glied nur negativ sein, und man sieht daraus, was sich auch durch
unmittelbare Betrachtung leicht ergiebt, dass man unter den oben
in Bezug auf die Wärmemittheilung festgestellten Bedingungen
die grösstmögliche Arbeit erhält, wenn der ganze Kreisprocess
298 Absclmitt XI.
umkehrbar ist, und class durch jeden Umstand, welcher bewirkt,
dass einer der in dem Kreisprocesse stattfindenden Vorgänge nicht
umkehrbar ist, die Grösse der Arbeit abnimmt.
Die Gleichung (48) resp. (48 a) führt hiernach zu dem ge-
suchten Werthe der Arbeit auf einem Wege, welcher dem gewöhn-
lichen gerade entgegengesetzt ist, indem man nicht, wie sonst,
die während der verschiedenen Vorgänge gethanen Arbeitsgrössen
einzeln bestimmt und dann addirt, sondern von dem Maximum der
Arbeit ausgeht, und die durch die einzelnen Unvollkommenheiten
des Processes entstandenen Arbeitsverluste davon abzieht. Man
kann dieses Verfahren das SuhtradionsverfaJiren nennen.
Macht man in Bezug auf die Mittheilung der Wärme die be-
schränkende Bedingung, dass auch die ganze Wärmemenge Qi dem
Körper bei einer bestimmten Temperatur Ti mitgetheilt werde, so
lässt sich der diese Wärmemenge umfassende Theil des Integrals
ebenfalls ohne Weiteres ausführen, und giebt:
wodurch die Gleichungen (48) und (49) folgende Formen annehmen:
(50) W-^ Q, ^'~J'—T,N
(51) W == Q,
^1
§. 31. Anwendung der vorigenGleichungen auf denGrenz-
fall, in welchem der in der Dampfmaschine stattfindende
Kreisprocess umkehrbar ist.
Unter den weiter oben betrachteten Fällen in Bezug auf den
Gang der Dampfmaschine kommt auch ein Grenzfall vor, den man
zwar in der Wirklichkeit nicht erreichen kann, dem man sich aber
so weit, wie möglich, zu nähern sucht, nämlich der Fall, wo kein
schädlicher Raum vorhanden ist, wo ferner im Cylinder derselbe
Druck herrscht wie im Kessel resp. im Condensator, und wo end-
lich die Expansion so weit geht, dass sich der Dampf dadurch von
der Kesseltemperatur bis zur Condensatortemperatur abkühlt.
In diesem Falle ist der Kreisprocess in allen seinen Theilen
umhehrhar. Man kann sich nämlich denken, dass im Condensator
Dampfmaschinentheorie. 299
bei der Temperatur T^ die Verdampfung stattfinde, und die Masse Jf,
wovon der Theil m^ dampfförmig und der Theil M — m^ tropfbar
flüssig sei, in den Cylinder trete, und den Stempel in die Höhe
treibe, dass dann beim Niedergange des Stempels der Dampf zu-
erst soweit comprimirt werde, bis seine Temperatur auf T^ ge-
stiegen sei, und darauf in den Kessel gepresst werde, und dass
endlich mittelst der kleinen Pumpe die Masse M wieder als tropf-
bare Flüssigkeit aus dem Kessel in den Condensator geschafft
werde, und sich bis zur Anfangstemperatur !{, abkühle. Hierbei
durchläuft der Stoff dieselben Zustände, wie früher, nur in um-
gekehrter Reihenfolge. Die Wärmemittheilungen oder Wärmeent-
ziehungen finden in entgegengesetztem Sinne, aber in derselben
Grösse und bei denselben Temperaturen der Masse statt, und alle
Arbeitsgrössen haben entgegengesetzte Vorzeichen, aber dieselben
numerischen Werthe.
Daraus folgt, dass in diesem Falle in dem Kreisprocesse keine
uncompensirte Verwandlung vorkommt. Man hat daher in der
Gleichung (48) iV= 0 zu setzen, und bekommt dadurch die schon
unter (49) angeführte Gleichung, in welcher nur noch, zur besseren
üebereinstimmung mit dem Früheren, W statt Wzu schreiben ist:
§1
Ü
Hierin bedeutet Q^ für unseren Fall die der Masse M im Dampf-
kessel mitgetheilte Wärme, durch welche M als Flüssigkeit von Tq
bis Tj erwärmt und dann der Theil mi in Dampf verwandelt wird,
und es ist daher:
Q, r= m,Q, -f MC{T, - T,).
Bei der Bestimmung des Integrales / -^ müssen die beiden
0
einzelnen in ^^ enthaltenen Wärmemengen m^Q]^ undi)/C(I\ — TJ
besonders betrachtet werden. Die Mittheilung der ersteren Wärme-
menge findet bei constanter Temperatur Ti statt, und der auf
diese Wärmemenge bezügliche Theil des Integrales lautet daher
einfach :
Die Mittheilung der letzteren Wärmemenge dagegen findet bei
verschiedenen Temperaturen statt, und wir können das Wärme-
300 Abschnitt XI.
element dQ in der Form MCdT schreiben, dann erhalten wir
für den auf diese Wärmemenge bezüglichen Theil des Integrals:
T,
Durch Einsetzung dieser Werthe geht der vorige Ausdruck
von W in den folgenden über:
W = m,Q, -^MG{T, - To) - To (^ + MC log |)
= ^"1^1 ^^^^ + MC (t, - To -h To %|^),
und dieses ist in der That der in Gleichung (9) enthaltene Aus-
druck, welchen wir in §. 4 und 5 durch die successive Bestimmung
der einzelnen während des Kreisprocesses gethanen Arbeitsgrössen
gefunden haben.
§. 32. Andere Form des letzten Ausdruckes.
Es wurde im vorigen Paragraphen erwähnt, dass die beiden
nach Gleichung (51) in Q^ enthaltenen Wärmemengen m^Qi und
MC{Ti — To) bei der Berechnung der Arbeit verschieden be-
handelt werden müssen, weil die eine dem die Wirkung der Wärme
vermittelnden Stoffe bei einer bestimmten Temperatur Ti und die
andere bei allmälig von T« bis Ti steigender Temperatur mit-
getheilt wird. Demgemäss kommen diese beiden Wärmemengen
auch in dem Ausdrucke der Arbeit in verschiedener Weise vor,
was noch deutlicher ersichtlich wird, wenn wir die letzte Gleichung
in folgender Form schreiben:
(52) W'==m,9,.^l^-fiJfC(T,-To).(l+^r^%|)-
Hierin ist die Wärmemenge nii Qi mit dem in Gleichung (51) vor-
kommenden Factor
die andere Wärmemenge MC{T^ — T,) mit dem Factor
Dampfmaschinentheorie. 301
multiplicirt. Um diese beiden Factoren bequemer mit einander
vergleichen zu können, wollen wir den letzteren etwas umgestalten ,
Führen wir nämlich für den ersteren Factor einen einfachen
Buchstaben ein, indem wir setzen:
(53) ^ = ^i^,
so ist;
T, - 1\
und wir erhalten daher :
1 + .r^ log ^^l + ^-^lO!j(l- Z)
T, - T, ^' T,
= 1
s
(t + 2 + T + ''^■)
Ä'3
Dadurch geht die Gleichung (52) oder (9) über in:
(54) TF' = m,9,.^ + ilfC(Ti-To).^(j^ + 2^ + o + ''^'-)"
Der Werth der in Klammern geschlossenen unendlichen Reihe,
welche den Factor der Wärmemenge 3IC(Ti — Tq) von dem der
Wärmemenge ni^Qi unterscheidet, variirt, wie man sich leicht
überzeugt, während s von 0 bis 1 wächst, zwischen 1/2 und 1,
Da nun bei allen vorkommenden Dampfmascliinen von den
beiden Bestandtheilen der mitgetheilten Wärmemenge ^1 der
erstere m^Qi beträchtlich grösser ist, als der letztere JiC(Ti — To),
so zeigt diese Gleichung recht augenfällig, dass die Arbeit W
etwas, aber nicht viel kleiner ist, als das Product (^i^S oder,
wenn für z wieder sein Werth gesetzt wird, als das Product
Qi
T,-T,
Um eine etwas genauere Vorstellung von der durch die Glei-
chung (52) bestimmten Grösse W zu geben, habe ich sie für
einige als Beispiele gewählte Fälle berechnet. Die Temperatur fo
des Condensators ist zu 50" C. festgesetzt, und für den Kessel
sind die Temperaturen 110^, 150^ und 180^0. angenommen, von
302
Abschnitt XI.
denen die beiden ersten ungefähr der Niederdruckmaschine und
der gewölmliclien Hochdruckmaschine entsprechen, und die letzte
etwa als Grenze der bis jetzt in der Praxis bei den Dampfmaschi-
nen angewandten Temperaturen zu betrachten ist. Für diese
Fälle sind die Werthe von W aus der in (52) gegebenen Formel
berechnet. Zugleich sind die entsprechenden Werthe von ^i,
nämlich von der Wärmemenge, welche der Wassermenge M mit-
getheilt werden muss, um sie von tg bis ti zu erwärmen und bei
der letzteren Temperatur den Theil m^ ^= 0,95 M in Dampf zu
verwandeln, berechnet und mit Hülfe derselben ist dann der Bruch
W
-TT- gebildet. Die Werthe dieses Bruches finden sich in der
Vi
untersten Reihe der nachstehenden Tabelle, während in der dar-
überstehenden Reihe zur Vergleichung die Werthe des Bruches
—^—ni — - angeführt sind.
■^1
h
1100
1500
1800
Tr - T,
0,157
0,236
0,287
W
^1
0,149
0,217
0,258
§. 33. Berücksichtigung der Temperatur der Wärme-
quelle.
Da, wie in §. 31 gezeigt wurde, unter den gemachten Voraus-
setzungen der beim Gange der Maschine periodisch durchlaufene
Kreisprocess in allen seinen Theilen umkehrbar ist, und da ein
umliehrharer Kreisprocess das Maximum der erreichbaren Arbeit
liefert, so können wir folgenden Satz aussprechen:
Wenn die Temperaturen, hei tvelchen der die Wirkung der
Wärme vermittelnde Stoff die von der Wärmequelle gelieferte Wärme
aufnimmt, oder Wärme nach aussen abgieht, als im Voraus gegeben
betrachtet iverden, dann ist die Dampfmaschine unter den bei der
Ableitung der Gleichung (9) resp. (52) gemachten Voraussetzungen,
eine vollkommene Maschine, indem sie für eine bestimmte ihr mit-
Dampfmaschineutheorie. 303
getheilte Wärmemenge eine so grosse Arbeit liefert, wie nach der
mechanischen Wärmetheorie bei denselben Temperaturen der
Wärmemittheilung und Wärmeentziehung überhaupt möglich ist.
Anders verhält es sich aber, ivenn man auch jene Temperatu-
ren nicht als im Voraus gegeben, sondern als ein veränderliches
Element betrachtet, welches hei der Beurtheilung der Maschine mit
herüclcsichtigt iverden muss.
Darin, dass die Flüssigkeit während ihrer Erwärmung und
Verdampfung viel niedrigere Temperaturen, als das Feuer, hat,
und also die Wärme, welche ihr mitgetheilt wird, dabei von
höheren zu niederen Temperaturen übergehen muss, liegt eine in
iV" nicht mit einbegriffene uncompensirte Verwandlung, welche in
Bezug auf die Nutzbarmachung der Wärme einen grossen Verlust
zur Folge hat. Das Feuer, welches aus heissen Gasen besteht,
kann seinen Wärmeüberschuss natürlich nur so abgeben, dass die
Gase bei der Abgabe der verschiedenen Wärmeelemente ver-
schiedene, allmälig sinkende Temperaturen haben. Denken wir
uns nun, die in dieser Weise gelieferte Wärme solle durch eine
Maschine, welche sie empfängt, und nur bei einer bestimmten
Temperatur Tq Wärme wieder abgiebt, zur Hervorbringung von
Arbeit angewandt werden, so müsste, wenn dieses in möglichst
vollkommener Weise geschehen sollte, der in der Maschine be-
findliche die Wirkung der Wärme vermittelnde Stoff bei der Auf-
nahme jedes Wärmeelementes dieselbe Temperatur haben, wie die
Gase, von welchen er das Wärmeelement empfängt.
In diesem Falle könnte man in der oben unter (49 a) auf-
gestellten, zur Berechnung der Arbeit dienenden Gleichung
W=J^-^dQ
0
unter T, statt der Temperatur des die Wirkung der Wärme ver-
mittelnden Stoffes, die Temperatur der die Wärme liefernden
Gase verstehen. Wenn man dann die Integration für diejenige
Wärmemenge ausführt, welche eine gegebene Menge der Gase
abgeben muss, um sich von ihrer x^nfangstemperatur bis zur
Temperatur Tq abzukühlen, und welche hier mit Q^ bezeichnet
ist, so erhält man die grösste Arbeit, welche sich aus dieser in
den Gasen enthaltenen _ Wärme mittelst einer ^Maschine , deren
Wärmeabgabe bei der Temperatur Tq stattfindet, möglicherweise
gewinnen lässt.
304 Abschnitt XI.
Zur Behandlung des Integrals wollen wir d Q durch einen
das Differential d T enthaltenden Ausdruck darstellen. Bezeichnen
wir nämlich die Wärmemenge, welche die Gase abgeben müssen,
um sich von T bis T — dT abzukühlen , mit Kd T, worin K
vorläufig als ein von T abhängiger Factor angesehen werden
kann, so haben wir zu setzen:
dQ = Kd T,
wodurch die obige Gleichung, wenn wir die Anfangstemperatur
der Gase mit T«, und zugleich den betreffenden Werth von W,
weil er das Maximum der Arbeit darstellt, mit W^ax bezeichnen,
übergeht in:
^«
(55) W,na. =f K ^~j^^' d T.
Hierin muss noch, um die Integration ausführen zu können, die
Grösse K bestimmt werden. Betrachten wir, um wenigstens eine
ungefähre Vorstellung von der durch das Integral dargestellten
Grösse zu gewinnen, die Gase, aus denen das Feuer besteht, als
vollkommene Gase, und nehmen an, dass dieselben während ihrer
Abkühlung bis zur Temperatur Tq keine weitere Veränderung,
als die einfache Temperaturerniedrigung bei constantem Drucke,
erleiden, so können wir K als constant ansehen, und seinen
Werth folgendermaassen ableiten. Die ganze Wärmemenge Q^
wird bestimmt durch die Gleichung:
KdT
und diese geht, wenn K constant ist, über in:
Q,=K{Ta- To),
woraus folgt:
(56) K =■ yf, yjT-
J-a — -f-O
Durch Einsetzung dieses Werthes von K in die Gleichung (55)
erhält man:
^«
(57) Wmax = y^ _' y^ I f~^ dT,
To
woraus sich durch Ausführung der Integration ergiebt:
Dampfmascliinenthem-ie. 305
(58) Wn,^,,. = Q, {l - — ^ lo;j '^y
Nehmen wir nun beispielsweise an, die Gase, aus denen das
Feuer besteht, haben zu Anfange die Ternjoeratur von 2000^0.,
und die Endtemperatur Tq sei, wie in den früheren Beispielen,
500C., wozu als absolute Temperaturen die Werthe 2273 und
323 gehören, so erhalten wir durch Ausführung der numerischen
Rechnung :
W,nax. — Qi . 0,677.
Vergleicht man den hierin vorkommenden Zahlenfactor 0,677
mit den Zahlen, welche in der am Schlüsse des vorigen Para-
graphen befindlichen Tabelle in der untersten Reihe stehen, so
erkennt man, in welchem Verhältnisse die Leistungen der Dampf-
maschinen, selbst, wenn diese so vervollkommnet würden, dass
der in ihnen stattfindende Vorgang ein umJiehrharer Kreisprocess
wäre, geringer sein würden, als das Maximum der Leistung,
welche aus der vom Feuer gelieferten Wärme durch Maschinen,
deren Wärmeabgabe bei 50'' C. stattfände, gewonnen werden
könnte.
Aus den in jener Tabelle stehenden Zahlen, so wie auch aus
der Gesammtheit der vorausgehenden mathematischen Betrach-
tungen ergiebt sich, dass die auf die Wärmeeinheit bezogene
Arbeit, welche eine Maschine leisten kann, um so grösser ist, je
grösser das Intervall zwischen der Temperatur der Wärmeauf-
nahme und der Temperatur der Wärmeabgabe ist, und es ist
somit leicht zu erkennen, was schon S. Carnot, und nach ihm
viele andere Autoren ausgesprochen haben, dass man, imi die
durch Wärme getriebenen Maschinen vortheilhafter einzurichten,
hauptsächlich darauf bedacht sein muss, dieses Temperaturintervall
zu erweitern.
So ist z. B. von den calorischen Luftmaschinen nur dann zu
erwarten, dass sie einen wesentlichen Vortheil vor den Dampf-
maschinen erlangen, wenn es gelingt, sie bei bedeutend höheren
Temperaturen arbeiten zu lassen, als die Dampfmascliinen, bei
welchen die Gefahr der Explosion die Anwendung zu hoher Tem-
peraturen verbietet. Derselbe Vortheil lässt sich aber auch mit
überhitztem Dampfe erreichen, denn sobald der Dampf von der
Flüssigkeit getrennt ist, kann man ihn ebenso gefahrlos noch
weiter erhitzen, wie ein permanentes Gas. Maschinen, welche den
Dampf in diesem Zustande anwenden, können manche Vortheile
Clausius, median. Wärmethcorie. I. OQ
306 Absclinitt XI.
der Dampfmaschinen mit denen der Luftmaschinen vereinigen,
und es ist daher von ihnen wohl eher ein praktischer Erfolg zu
erwarten, als von den Luftmaschinen.
Bei den oben erwähnten Maschinen, in welchen ausser dem
Wasser noch eine zweite flüchtigere Substanz angewandt wird, ist
das Intervall T^ — T^ dadurch erweitert, dass Tq erniedrigt ist.
Man hat auch schon daran gedacht, auf dieselbe Weise das Inter-
vall auch nach der oberen Seite hin zu erweitern, indem man noch
eine dritte Flüssigkeit hinzufügte, welche weniger flüchtig wäre,
als das Wasser. Dann würde also das Feuer unmittelbar die am
wenigsten flüchtige der drei Substanzen verdampfen, diese durch
ihren Niederschlag die zweite, und diese die dritte. Dem Principe
nach ist nicht daran zu zweifeln, dass diese Verbindung vortheil-
haft sein würde; wie gross aber die praktischen Schwierigkeiten
sein würden, welche sich der Ausführung entgegen stellen, lässt
sich natürlich im Voraus nicht übersehen.
§. 34. Beispiel von der Anwendung des Subtractions-
verfahrens.
Ausser der im vorigen Paragraphen besprochenen UnvoU-
kommenheit, welche nur darauf beruht, dass das in der Maschine
zur Anwendung kommende Temperaturintevall zu beschränkt ist,
kommen bei den Dampfmaschinen noch manche andere Unvoll-
kommenheiten vor, welche bewirken, dass die in der Maschine
stattfindenden Vorgänge keinen umlielirbaren Kreisprocess bilden.
Weiter oben wurde gezeigt, wie man bei solchen Maschinen die
Arbeit dadurch bestimmen kann, dass man alle jene Vorgänge
einzeln verfolgt und die dabei gefundenen Arbeitsgrössen addirt.
Es möge nun zum Schlüsse noch gezeigt werden, wie man die
Arbeit auch nach dem in §. 30 erwähnten Subtradionsy erfahr en
bestimmen kann. Um aber bei dieser Betrachtung, welche nur
ein Beispiel von der Ausführung dieses Verfahrens geben soll,
nicht zu weitläufig zu werden, wollen wir uns darauf beschränken,
zwei solche Unvollkommenheiten zu berücksichtigen, nämlich das
Vorhandensein des schädlichen Raumes und den Unterschied
zwischen dem Dampfdrucke im Cylinder während des Einströmens
und dem im Kessel herrschenden Drucke. Dagegen wollen wir die
Expansion als vollständig voraussetzen, so dass die mit Tg be-
DampfmascliincnUieorie. 307
zeiclmete Endtemperatur der Expansion gleich der Condensator-
temperatur T^ ist, und auch die Temperaturen T\ und T",, wollen
wir gleich T^ setzen.
Das anzuwendende Verfahren beruht auf der Gleichung (48j,
welche, wenn wir die Arbeit jetzt mit W bezeichnen, lautet:
^1
W = Q, - Top^ - T, . N.
0
Hierin stellen die beiden ersten an der rechten Seite stehenden
Glieder
Qi
Vi ^0 / ~iTr
0
das Maximum der Arbeit dar, welches dem Falle entspricht, wo
der Kreisprocess umkehrbar ist, und das Product TqN stellt den
Arbeitsverlust dar, welcher von den Un Vollkommenheiten herrührt,
die die Nichtumkehrbarkeit des Kreisprocesses bewirken.
Für jenes Maximum der Arbeit haben wir den auf die Dampf-
maschine bezüglichen Ausdruck schon in §.31 abgeleitet, nämlich:
m.Q, + MC(T, ~ To) - To (^^ + 3ICIoo -|).
Es braucht also nur noch die Grösse iV, die im Kreisprocesse ein-
tretende uncompensirte Verwandlung, bestimmt zu werden.
Diese uncompensirte Verwandlung entsteht beim Einströmen
des Dampfes in den schädlichen Kaum und den Cy linder, und die
Data zu ihrer Bestimmung sind schon in §. 10 gegeben, wo wir
durch die Annahme, dass die eingeströmte Masse sofort wieder in
den Kessel zurückgepresst und auch im Uebrigen Alles in um-
kehrbarer Weise wieder in den Anfangszustand gebracht werde,
zu einem besonderen Kreisprocess gelangten, für welchen wir alle
der veränderlichen Masse mitgetheilten Wärmemengen bestimmten
und auf welchen wir jetzt die Gleichung:
N
anwenden können.
Jene mitgetheilten, theils positiven, theils negativen Wärme-
mengen sind:
"hPn — "% P2u«o ?oi MC{T] — T-,) und — ^ G (T.j — Tq).
20-
308 Abschnitt XI.
Die drei ersten werden bei den constanten Temperaturen Ti, T^ .
und To mitgetheilt, und die betreffenden Theile des Integrales
lauten :
IT' T, '''''' To ■
Die beiden letzten werden bei Temperaturen, die sich zwischen T^
und 1\ und zwischen jTj und Tq stetig ändern, mitgetheilt und die
betreffenden Theile des Integrales lauten:
T T-y
MClocj y^ und — ^ C log TiT ■
Wenn man die Summe dieser Grössen an die Stelle des Integrales
setzt, so geht die vorige Gleichung über in:
(59) N=-~'^ + '^- MGUg^^ - ^
-{- [iClog yj^-
Indem man diesen Ausdruck von N mit Tq multiplicirt und
das Product von dem obigen Ausdrucke des Maximums der Arbeit
abzieht, erhält man für W die Gleichung:
(60) W = i%px -^m,Q,-i-MC(T, — T,)
- (M+ fi) CTolog ^ H- fio^o.
Um diesen Ausdruck von W mit dem durch die Gleichungen
(28) bestimmten zu vergleichen, setze man den aus der letzten
dieser Gleichungen sich ergebenden Werth von m^ q^ in die erste
ein, und setze dann noch Tj = Tq. Mit dem dadurch entstehenden
Ausdrucke stimmt der in (60) gegebene vollständig überein.
Auf dieselbe Weise kann man auch den durch die unvollstän-
dige Expansion entstandenen Arbeitsverlust in Abzug bringen,
indem man die beim Ueberströmen des Dampfes aus dem Cylinder
in den Condensator entstehende uncompensirte Verwandlung be-
rechnet, und diese in JV mit einbegreift. Durch diese Rechnung,
welche wir hier nicht wirklich ausführen wollen, gelangt man ganz
zu dem in (28) gegebenen Ausdrucke der Arbeit.
Dampfraaschivientheorie.
309
Tabelle, enthaltend die für den Wasserdampf geltenden
Werthe des Druckes p, seines Differentialcoefficicnten
^ = f/ und des Productes T.g in Millimetern Qucck-
dt
Silber ausgedrückt.
t in Cent.
V
J
(J
J
T. (j
J
Graden
1
0"
4,600
0,340
0,329
0,022
90
0
1
4,940
0,351
96
2
5,302
0,362
0,385
0,373
0,022
0,024
103
7
7
3
5,687
0,410
0,397
0,026
110
7
4
6,097
0,437
0,423
0,027
117
8
5
6,534
0,464
0,450
0,029
125
9
6
6,998
0,494
0,479
0,030
134
9
7
7,492
0,525
0,509
0,032
143
9
8
8,017
0,557
0,541
0,033
152
10
9
8,574
0,591
0,574
0,035
162
10
10
9,165
0,627
0,609
0,037
172
11
11
9,792
0,665
0,646
0,039
183
12
12
10,457
0,705
0,685
0,040
195
12
13
11,162
0,746
0,725
0,043
207
13
14
11,908
0,791
0,768
0,046
220
14
15
12,699
0,837
0,814
0,047
234
15
16
13,536
0,885
0,861
0,049
249
15
17
14,421
0,936
0,910
0,052
264
16
18
15,357
0,962
280
0,989
0,055
17
19
16,346
1,045
1,017
0,057
297
18
20
17,391
1,104
1,074
0,060
315
18
21
18,495
1,164
1,134
0,062
333
20
22
19,659
1,229
1,196
0,066
353
21
23
20,888
1,296
1,262
0,069
374
21
24
22,184
1,366
1,331
0,071
395
23
25
23,550
1,438
1,402
0,075
418
24
26
24,988
1,517
1,477
0,079
442
25
27
26,505
1,596
1,556
0,082
467
26
28
28,101
1,638
493
310
Abschnitt XI.
t in Cent.
Graden
T .g
28
28,101
29
29,782
30
31,548
31
33,406
32
35,359
33
37,411
34
39,565
35
41,827
36
44,201
37
46,691
38
49,302
39
52,039
40
54,906
41
57,909
42
61,054
43
64,345
44
67,789
45
71,390
46
75,156
47
79,091
48
83,203
49
87,497
50
91,980
51
96,659
52
101,541
53
106,633
54
111,942
55
117,475
56
123,241
57
129,247
58
135,501
59
142,011
60
148,786
61
155,834
62
163,164
63
170,785
1,681
1,766
1,858
1,953
2,052
2,154
2,262
2,374
2,490
2,611
2,737
2,867
3,003
3,145
3,291
3,444
3,601
3,766
3,935
4,112
4,294
4,483
4,679
4,882
5,092
5,309
5,533
5,766
6,006
6,254
6,510
6,775
7,048
7,330
7,621
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311
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169
170
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235,730
239,570
243,455
2,685
2,725
2,765
2,795
2,830
2,880
2,920
2,935
2,980
3,025
3,060
3,090
3,140
3,170
3,205
8,255
3,280
3,320
3,370
3,400
3,445
3,480
3,515
3,550
3,595
3,645
3,675
3,715
3,750
3,795
3,840
3,885
61182
62508
63856
65228
66618
68030
69470
70934
72410
73912
75441
76991
78561
80160
81779
83421
85091
86779
88493
90236
91999
93791
95605
97442
99303
101192
103111
105052
107018
109009
111029
113077
115154
1326
1348
1372
1390
1412
1440
1464
1476
1502
1529
1550
1570
1599
1619
1642
1670
1688
1714
1743
1763
1792
1814
1837
1561
1889
1919
1941
1966
1991
2020
2048
2077
ABSCHNITT XII.
Die Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen und
die Grenzen ihrer Wirkung.
§. 1. Gegenstand der Untersuchung.
Der von mir zum Beweise des zweiten Hauptsatzes aufgestellte
Grundsatz, dass die Wärme nicht von selbst (oder ohne Compen-
sation) aus einem kälteren in einen ivärmeren Körper ühergelien
kann, entspricht in einigen besonders einfachen Fällen des Wärme-
austausches der alltäglichen Erfahrung. Dahin gehört erstens die
Wärmeleitung, welche immer in dem Sinne vor sich geht, dass die
Wärme vom wärmeren Körper oder Körpertheile zum kälteren
Körper oder Körpertheile strömt. Was ferner die in gewöhnlicher
Weise stattfindende Wärmestrahlung anbetrifft, so ist es freilich
bekannt, dass nicht nur der warme Körper dem kalten, sondern
auch umgekehrt der kalte Körper dem warmen Wärme zustrahlt,
aber das Gesammtresultat dieses gleichzeitig stattfindenden doppel-
ten Wärmeaustausches besteht, wie man als erfahrungsmässig fest-
stehend ansehen kann, immer darin, dass der kältere Körper auf
Kosten des wärmeren einen Zuwachs an Wärme erfährt.
Es können aber bei der Strahlung besondere Umstände statt-
finden, welche bewirken, dass die Strahlen nicht geradlinig fort-
schreiten, sondern ihre Richtungen ändern, und diese Richtungs-
änderung kann in der Weise geschehen, dass die sämmtlichen
Strahlen eines ganzen Strahlenbündels von endlichem Querschnitte
in Einem Punkte zusammentreffen, und hier ihre Wirkung ver-
316 Abschnitt XII.
einigen. Man kann dieses bekanntlich durch Anwendung eines
Brennspiegels oder Brennglases künstlich erreichen, und kann
selbst mehrere Brennspiegel oder Brenngläser so aufstellen, dass
mehrere von verschiedenen Wärmequellen herstammende Strahlen-
bündel in Einem Punkte zusammentreffen.
Für Fälle dieser Art existirt keine Erfahrung, welche beweist,
dass es unmöglich ist, in dem Concentrationspunkte eine höhere
Temperatur zu erhalten, als die Körper, von welchen die Strahlen
herstammen, besitzen. Es ist sogar von Rankine bei einer Be-
sprechung der Folgerungen, zu welchen man durch die Anwen-
dung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie
auf das Universum gelangt, ein eigenthümlicher Schluss gezogen i),
welcher ganz auf der Ansicht beruht, dass die Wärmestrahlen durch
Reflexion in solcher Weise concentrirt werden können, dass in dem
dadurch entstehenden Brennpunkte ein Körper zu einer höheren
Temperatur erhitzt werden könne, als die Körper haben, welche
die Strahlen aussenden.
Wenn diese Ansicht richtig wäre, somüsste der oben erwähnte
Grundsatz falsch sein, und^der mit Hülfe desselben geführte Be-
weis des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärnietheorie
wäre somit zu verwerfen.
Da ich wünschte, den Grundsatz gegen jeden Zweifel dieser
Art zu sichern, und da die Concentration der Wärmestrahlen, mit
welcher auch diejenige der Lichtstrahlen in unmittelbarem Zu-
sammenhange steht, ein Gegenstand ist, welcher, auch abgesehen
von jener speciellen Frage, in vieler Beziehung Interesse darbietet,
so habe ich die Gesetze, denen die Strahlenconcentration unter-
worfen ist , und den Einfluss , welchen sie auf den unter den Kör-
pern stattfindenden Strahlenaustausch haben kann, einer näheren
mathematischen Untersuchung unterworfen, deren schon früher ^j
von mir veröffentlichte Resultate ich im Folgenden mitthei-
len will.
1) On the Eecoucentration of the Mechanical Energy of the Universe,
Phil. Mag. Ser. IV., Vol. IV., p. 358.
2) Pogg. Ann. Bd. CXXI, S. 1.
Concentratiou von "Wärme- und Lichtstrahlen. 317
I. Grund, weshalb die bisherige Bestimmung der gegenseitigen
Zustrahlung zweier Flächen für den vorliegenden Fall nicht
ausreicht.
§. 2. Beschränkung der Betrachtung auf vollkommen
schwarze Körper und auf homogene und unpolarisirte
Wärmestrahlen.
Wenn zwei Körper sich in einem für Wärmestrahlen durch-
dringlichen Mittel befinden, so senden sie einander durch Strah-
lung Wärme zu. Von den Strahlen, welche auf einen Körper
fallen, wird im Allgemeinen ein Theil ahsorbirt, während ein
anderer theils reflectirt, theils durchgelassen wird, und es ist be-
kannt, dass das Absorptionsvermögen mit dem Emissionsvermögen
in einem einfachen Zusammenhange steht. Da es sich für uns
jetzt nicht darum handelt, die Unterschiede und die Gesetzmässig-
keiten, welche in dieser Beziehung stattfinden, zu untersuchen, so
wollen wir einen einfachen Fall annehmen, nämlich den, wo die
betrachteten Körper von der Art sind, dass sie alle Strahlen,
welche auf sie fallen, sofort an der Oberfläche, oder in einer
so dünnen Schicht, dass man die Dicke vernachlässigen kann,
vollständig absorbiren. Solche Körper hat Kirchhoff in seiner
bekannten ausgezeichneten Abhandlung über das Verhältniss
zwischen Emission und Absorption ^) volTkommen schwarze Körper
genannt.
Körper dieser Art haben auch das grösstmögliche Emissions-
vermögen, und es war früher schon als sicher angenommen, dass
die Stärke ihrer Emission nur von ihrer Temperatur abhänge, so
dass alle vollkommen schwarzen Körper bei gleicher Temperatur
von gleich grossen Stücken ihrer Oberflächen gleich viel Wärme
ausstrahlen. Da nun die Strahlen, welche ein Körper aussendet,
nicht gleichartig, sondern der Farbe nach verschieden sind, so
muss man die Emission in Bezug auf die verschiedenen Farben
besonders betrachten, und Kirch hoff hat den obigen Satz dahin
erweitert, dass vollkommen schwarze Körper von gleicher Tem-
peratur nicht nur im Allgemeinen, sondern auch von jeder Strahlen-
1) Pogg. Auu. Bd. CIX, S. 275.
318 Abschnitt XII.
gattung im Besonderen, gleich viel aussenden. Da auch diese
auf die Farbe der Strahlen bezüglichen Unterschiede bei unserer
Untersuchung nicht in Betracht kommen sollen, so wollen wir
im Folgenden immer voraussetzen, dass wir es nur mit einer
bestimmten Strahlengattung, oder, genauer ausgedrückt, mit
Strahlen, deren Wellenlängen nur innerhalb eines unendlich
kleinen Intervalls variiren, zu thun haben. Da dasjenige, was
von dieser Strahlengattung gilt, in entsprechender Weise auch
von jeder anderen Strahlengattung gelten muss, so lassen sich
die Resultate, welche für homogene Wärme gefunden sind, ohne
Schwierigkeit auch auf solche Wärme ausdehnen, die- verschiedene
Strahlengattungen gemischt enthält.
Ebenso wollen wir, um unnöthige Complicationen zu ver-
meiden, von Polarisationserscheinungen absehen und annehmen, dass
wir es nur mit unpolarisirten Strahlen zu thun haben. In welcher
Weise bei derartigen Betrachtungen die Polarisation zu berück-
sichtigen ist, ist von Helmholtz und Kirchhoff auseinander-
gesetzt.
§. 3. Kirchhoff'sche Formel für die gegenseitige Zu-
strahlung zweier Flächenelemente.
Seien nun irgend zwei Flächen Si und Sg als Oberflächen voll-
kommen schwarzer Körper von gleicher Temperatur gegeben, und
auf ihnen die Elemente dsi und ds2 zur Betrachtung ausgewählt,
um die Wärmemengen, welche dieselben sich gegenseitig durch
Strahlung zusenden, zu bestimmen und unter einander zu ver-
gleichen. Wenn das Mittel, welches die Körper umgiebt und den
Zwischenraum zwischen ihnen ausfüllt, gleichförmig ist, so dass
die Strahlen sich einfach geradlinig von der einen Fläche zur
anderen fortpflanzen, so ist leicht zu sehen, dass die Wärmemenge,
welche das Element dsi nach ds^ sendet, ebenso gross sein muss,
wie die, welche ds^ nach c^s^ sendet. Ist dagegen das Mittel,
welches die Körper umgiebt, nicht gleichförmig, sondern finden
Verschiedenheiten statt, welche Brechungen und Reflexionen der
Strahlen veranlassen , so ist der Vorgang weniger einfach , und es
bedarf einer eingehenderen Betrachtung, um sich davon zu über-
zeugen, ob auch in diesem Falle jene vollkommene Reciprocität
stattfindet.
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 319
Diese Betrachtung ist in sehr eleganter Weise von Kirch-
hoff ausgeführt, und ich will sein Resultat, so weit es sich auf
den Fall bezieht, wo die Strahlen auf ihrem Wege von dem einen
Elemente zum anderen keine Schwächung erleiden, wo also die
vorkommenden Brechungen und Keflexionen ohne Verlust geschehen
und die Fortpflanzung ohne Absorption stattfindet, hier kurz
anführen. Dabei werde ich mir nur in der Bezeichnung und in
der Wahl der Coordinatensysteme zur besseren Uebereinstimmung
mit dem Folgenden einige Aenderungen erlauben.
Wenn zwei Punkte gegeben sind, so kann von den unendlich
vielen Strahlen, welche der eine Punkt aussendet i), im Allgemeinen
nur einer nach dem anderen Punkte gelangen, oder, falls durch
Brechungen oder Reflexionen bewirkt wird, dass mehrere Strahlen
in dem anderen Punkte zusammentreffen, so ist es doch im All-
gemeinen nur eine beschränkte Anzahl von getrennten Strahlen,
deren jeden man besonders betrachten kann. Der Weg eines
solchen von dem einen Punkte zum anderen gelangenden Strahles
ist dadurch bestimmt , dass die Zeit , welche der Strahl auf diesem
Wege gebraucht, verglichen mit den Zeiten, welche er auf allen
anderen nahe liegenden Wegen zwischen denselben beiden Punkten
gebrauchen würde, ein Minimum ist. Dieses Minimum der Zeit
ist, wenn man in solchen Fällen, wo mehrere getrennte Strahlen
vorkommen, einen einzelnen zur Betrachtung ausgewählt hat, durch
die Lage der* beiden Punkte bestimmt, und wir wollen es, wie
Kirchhoff, mit T bezeichnen.
1) Die Ausdrucksweise, dass ein Punkt unendlich viele Strahlen aus-
sende, könnte vielleicht im streng mathematischen Sinne als ungenau be-
zeichnet werden, da die Aussendung von Wärme oder Licht nur von einer
Fläche und nicht von einem mathematischen Punkte geschehen kann. Es
würde darnach genauer sein, die Aussendung von Wärme oder Licht, statt
auf den betrachteten Punkt selbst, vielmehr auf ein bei ihm befindliches
Flächenelement zu beziehen. Da indessen schon der Begrijff eines Strahles
nur eine mathematische Abstraction ist, so kann man, ohne Furcht vor
Missverständnissen, die Vorstellung beibehalten, dass von jedem Punkte
einer Fläche iinendlich viele Strahlen ausgehen. AVenn es sich darum han-
delt, die Wärme oder das Licht, welche eine Fläche ausstrahlt, der Quan-
tität nach zu bestimmen, so versteht es sich von selbst, dass dabei die
Grösse der Fläche mit in Betracht kommt, und dass, wenn man die Fläche
in Elemente zerlegt, diese Elemente nicht Punkte, sondern unendlich kleine
Flächen sind, deren Grösse in derjenigen Formel, welche die von einem
Flächenelemente ausgestrahlte Wärme- oder Lichtmenge datsteilen soll, als
Factor vorkommen muss.
320 Absclinitt XII.
Indem wir nun zu den beiden Flächenelementen dsi und ds^
zurückkehren, wollen wir uns in einem Punkte jedes Elementes
eine Tangentialebene an die betreffende Fläche gelegt denken,
und die Elemente dsi und ds.2 als Elemente dieser Ebenen be-
trachten. In jeder dieser Ebenen führen wir ein beliebiges recht-
winkliges Coordinatensystem ein , welches in der einen Xi^iji^ und
in der anderen x^iy-i heissei). Nehmen wir nun in jeder Ebene
einen Punkt, so ist die Zeit T, welche der Strahl gebraucht, um vom
einen Punkte zum anderen zu gelangen, wie oben gesagt, durch
die Lage der beiden Punkte bestimmt, und sie ist somit als eine
Function der vier Coordinaten der beiden Punkte zu betrachten.
Dieses vorausgesetzt gilt für die Wärmemenge, welche das
Element dsx dem Elemente ds^^ während der Zeiteinheit zusendet,
nach Kirchhoff folgender Ausdruck 2):
g / 32^ ^iT d'^T 92 T
— ) ds\ds^.
% \dxi'bX2 dijidy-i dxi'öy2 dy^dx^
worin n die bekannte Zahl ist, welche das Verhältniss der Kreis-
peripherie zum Durchmesser ausdrückt, und ey die Stärke der
Emission der Fläche Si an der Stelle, wo das Element ds^ liegt,
bedeutet, in der Weise, dass eidsi die ganze Wärmemenge dar-
stellt, welche das Element dsi während der Zeiteinheit ausstrahlt.
Um die Wärmemenge auszudrücken, welche umgekehrt das
Element ds^ dem Elemente dsi zusendet, braucht man in dem
vorigen Ausdrucke nur an die Stelle von e^ die Grösse e^-, die
Stärke der Emission der Fläche S2, zu setzen. Alles Uebrige bleibt
ungeändert, weil es in Bezug auf beide Elemente symmetrisch ist,
denn die Zeit T, welche ein Strahl braucht, um den Weg zwischen
zwei Punkten der beiden Elemente zu durchlaufen, ist dieselbe,
mag der Strahl sich in der einen oder in der entgegengesetzten
Richtung bewegen. Nimmt man nun an, dass die Flächen, unter
der Voraussetzung gleicher Temperatur, gleich viel Wärme aus-
strahlen, dass also e^ = e-2 ist, so ist hiernach die Wärmemenge,
welche das Element ds^ nach ds^ sendet, ebenso gross, wie die,
welche ds^ nach dsi sendet.
1) Kirclihoff hat zwei Ebenen, welche auf den in der Nähe der
Elemente stattfindenden Strahlenrichtungen senkrecht sind, angenommen,
und in diese Ebenen hat er die Coordinateusysteme gelegt , und zugleich
die Flächenelemente auf diese Ebenen projicirt.
a) Pogg. Ann. Bd. CIX, S. 286.
floncentration von Wämie- unrl Liclifstralilen. 321
§. 4. Unbestimmtlioit der P'ormel für den Fall der
S t r a li 1 e n c 0 n c e n t r at i 0 n.
Es wurde vorher gesagt, zwischen zwei gegebenen Runkten
sei im Allgemeinen nur Ein Strahl oder eine beschränkte Anzahl
getrennter Strahlen möglich. In besonderen Fällen aber kann es
vorkommen, dass unendlich viele Strahlen, welche von dem einen
Punkte ausgehen und entweder einen in einer Fläche liegenden
Winkel, oder auch einen ganzen körperlichen Winkel oder einen
Kegelraum ausfüllen, sich in dem anderen Punkte wieder ver-
einigen. Dasselbe gilt natürlich von den Lichtstrahlen ebenso,
wie von den Wärmestrahlen, und man pflegt in der Optik einen
solchen Punkt, wo sämmtliche Strahlen, die ein gegebener Punkt
innerhalb eines gewissen Kegelraumes aussendet, sich wieder ver-
einigen, das Bild des gegebenen Punktes zu nennen, oder, da bei
umgekehrter Strahlenrichtung auch der erste Punkt das Bild des
zweiten ist, so nennt man beide Punkte zwei conjugirte Brenn-
imnTvte. Wenn das, was hier von zwei einzelnen Punkten gesagt
ist, von den sämmtlichen Punkten zweier Flächen gilt, so dass
jeder Punkt der einen Fläche der conjugirte Brennpunkt eines
Punktes der anderen Fläche ist, so nennt man die eine Fläche
das optische Bild der anderen.
Es fragt sich nun, wie zwischen den Elementen zweier solcher
Flächen der Strahlenaustausch stattfindet, ob da auch die obige
Reciprocität besteht, dass bei gleicher Temperatur jedes Element
der einen Fläche einem Elemente der anderen gerade so \\e\
Wärme zusendet, als es von jenem zurück erhält, und dass daher
ein Körper den anderen nicht zu einer höheren Temperatur, als
seiner eigenen, erwärmen kann, oder ob in solchen Fällen durch
die Concentration der Strahlen die Möglichkeit gegeben ist, dass
ein Körper einen anderen zu einer höheren Temperatur erwärmen
kann, als er selbst hat.
x\uf diesen Fall ist der Kirchhoff' sehe Ausdruck nicht
direct anwendbar. Ist nämlich die Fläche So ein optisches Bild der
Fläche .§1, so vereinigen sich alle Strahlen, welche ein in der Fläche ^i
gelegener Punkt ^Ji innerhalb eines gewissen Kegelraumes aussendet,
in einem bestimmten Punkte ^^2 der Fläche §2 5 '^^^^ '"^^^ anderen
umliegenden Punkte der Fläche s-i erhalten von jenem Punkte ^j^
Clausiiis, mccliaii, Wärmethoorie. I. 21
322
Abschnitt XII.
keine Strahlen. Es sind also, wenn die Coordinaten Xi, y^ des
Punktes i>i gegeben sind, die Coordinaten x^. iji des Punktes p.^
nicht mehr willkürlich, sondern sie sind gleich mit bestimmt; und
ebenso, wenn die Coordinaten x^-, y^ gegeben sind, so sind die
Coordinaten Xi , yi gleich mit bestimmt. Ein Differentialcoefficient
von def Form ;r — - — , worin bei der Differentiation nach X] die
CXi OX-i ■
Coordinate .»i als veränderlich betrachtet wird, während die zweite
Coordinate yi desselben Punktes und die beiden Coordinaten x^
und 2/2 des anderen Punktes als constant vorausgesetzt werden,
und ebenso bei der Differentiation nach x^ die Coordinate x^ als
veränderlich gilt, während «/g, Xi und y^ constant sind, kann dem-
nach keine reelle Grösse von endlichem Werthe sein.
Es muss daher für diesen Fall ein Ausdruck von etwas ande-
rer Form, als der Kirchhoff' sehe, abgeleitet werden, und zu
diesem Zwecke mögen zunächst einige Betrachtungen ähnlicher
Art, wie die, welche Kirchhoff zu seinem Ausdrucke geführt
haben, folgen.
Fis-. 25.
II. Bestimmung zusammengehöriger Punkte und zusammen-
gehöriger Flächenelemente in drei von den Strahlen durch-
schnittenen Ebenen.
§. 5. Gleichungen zwischen den Coordinaten der Punkte,
in welchen ein Strahl drei gegebene Ebenen schneidet.
Es seien drei Ebenen a, &, c gegeben, von denen h zwischen
a und c liege (Fig. 25). In jeder derselben führe man ein recht-
winkliges Coordinatensystem ein, welche
mit Xa-, ya'i Xtj^ y^ und iCc, Vc bezeichnet
seien. Wenn nun in der Ebene a ein
Punkt pa, und in der Ebene & ein Punkt
Pb gegeben ist, und man betrachtet den.
Strahl, welcher von dem einen zum an-
deren geht, so hat man zur Bestimmung
des Weges, welchen dieser Strahl nimmt,
die Bedingung, dass die Zeit, welche der
Strahl auf diesem Wege braucht, unter
den Zeiten, welche er auf allen anderen
nahe liegenden Wegen gebrauchen würde.
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 323
ein Minimum ist. Dieses Minimum der Zeit, welches als P'unction
der Coordinaten der Punkte pa und 2)i, , also als Function der vier
Grössen Xa-, yai^hit/b zu betrachten ist, heisse Tai,. Ebenso sei Tac
die Zeit des Strahles zwischen zwei Punkten jia und p,. in den
Ebenen a und c, und Tj,,, die Zeit des Strahles zwischen zwei
Punkten jJi und pc in den Ebenen b und c. T^^ist als Function der
vier Grössen Xa, y«, Xc, ijc, und T,,^ als Function der vier Grössen
Xh-, Vi, ^c, Vc anzusehen.
Da nun ein Strahl, welcher durch zwei Ebenen geht, im All-
gemeinen auch die dritte Ebene schneidet, so haben wir für jeden
Strahl drei Durchschnittspunkte, welche in solcher Beziehung zu
einander stehen, dass durch zwei derselben im Allgemeinen der
dritte bestimmt ist. Die Gleichungen, welche zu dieser Be-
stimmung dienen können, lassen sich nach der obigen Bedingung
leicht aufstellen.
Wir wollen zunächst annehmen, die Punkte j;« und^^c (Fig. 25)
in den Ebenen a und c seien im Voraus gegeben, dagegen der
Punkt, wo der Strahl die Zwischenebene h schneidet, und welchen
wir zum Unterschiede von anderen in der Ebene h gelegenen
Punkten mit p\ bezeichnen wollen, sei noch unbekannt. Dann
wählen wir in dieser Ebene einen beliebigen Punkt py und betrach-
ten zwei Strahlen, die wir Hülfsstrahlen nennen wollen, deren
einer von pa nach _/;&, und der andere von pj, nach pc geht. In der
Fig. 25 sind die Hülfsstrahlen punktirt gezeichnet, während der
Hauptstrahl, um den es sich eigentlich handelt, welcher direct von
Pa nach _^;c geht, voll ausgezogen ist^). Nennen wir, dem Vorigen
entsprechend, die Zeiten der beiden Hülfsstrahlen Tah und T,,^, und
bilden die Summe Tai, -\- jT&ci so ist der Werth dieser Summe von
der Lage des gewählten Punktes |J/, abhängig, und die Summe ist
daher, sofern die Punkte Pa und p,, als gegeben vorausgesetzt wer-
den, als eine Function der Coordinaten xy^ t/j, des Punktes j^;, zu
betrachten. Unter allen Werthen, welche diese Summe annehmen
^) In der Figur sind die Wege der Strahlen etwas gekrümmt gezeichnet.
Dadurch soll nur angedeutet werden, dass der Weg, ^Y eichen ein Strahl
zwischen zwei gegebenen Punkten zurücklegt, nicht einfach die zwischen
den beiden Punkten gezogene gerade Linie zu sein braucht, sondern dass
durch Brechungen oder Reflexionen ein anderer Weg entstehen kann, wel-
cher entweder eine aus mehreren Geraden bestehende gebrochene Linie ist,
oder auch, wenn das Mittel, in welchem der Strahl sich fortpflanzt, sich
nicht plötzlich, sondern allmälig ändert, eine gekrümmte Linie sein kann.
21*
324 Abschnitt XII.
kann, wenn man dem Punkte p^ verschiedene Lagen in der Nähe
des Punktes p'j, giebt, muss nun derjenige, welchen man erhält,
wenn msna. p^ mit p'j, zusammenfallen lässt, und dadurch bewirkt,
dass die beiden Hülfsstrahlen Theile des direct von pa nach pc ge-
henden Strahles werden, ein Minimum sein. Demnach erhält man
zur Bestimmung der Coordinaten dieses Punktes p'j, folgende zwei
Bedingungsgleichungen :
.-,-. S (Tal -\- Tic) ^. d (Tal 4- Tic)
^ ^ oxi ~ ' dyi ~~ '
Da die Grössen Tai und Tic ausser den Coordinaten Xi^yi des
vorher als unbekannt betrachteten Punktes auch die Coordinaten
Xai IIa und Xc^ ijc dcr vorher als gegeben vorausgesetzten Punkte
enthalten, so kann man die beiden vorigen Gleichungen, nachdem
sie einmal aufgestellt sind, einfach als zwei Gleichungen zwischen
den sechs Coordinaten der drei Punkte, in welchen die drei Ebenen
von einem Strahle getroffen werden, ansehen. Diese Gleichungen
lassen sich daher nicht bloss dazu anwenden, die Coordinaten des
in der Mittelebene gelegenen Punktes aus den Coordinaten der
beiden anderen Punkte zu bestimmen, sondern können allgemein
dazu dienen, irgend zAvei der sechs Coordinaten aus den vier
übrigen zu bestimmen.
Nun wollen wir ferner annehmen, die beiden Punkte pa und
pi (Fig. 26), wo der Strahl die beiden Ebenen a und & schneidet,
seien im Voraus gegeben, dagegen der
Punkt, wo er die Ebene c trifft, und wel-
chen wir zum Unterschiede von anderen
in der Ebene c gelegenen Punkten wieder
mit p'c bezeichnen wollen , sei noch unbe-
kannt. Dann wählen wir in der Ebene
c einen beliebigen Punkt j)^ und betrach-
ten zwei Hülfsstrahlen, deren einer von
Pa nach pc^ und der andere von pi nach
Pc geht. In der Fig. 26 sind sie wieder
punktirt gezeichnet, während der Haupt-
strahl voll ausgezogen ist. Nennen wir
die Zeiten der beiden Hülfsstrahlen Tac
und Tbc, und bilden die Differenz T^c — Isc, so ist derWerth die-
ser Differenz abhängig von der Lage des in der Ebene c gewählten
Punktes p^. Unter den verschiedenen Werthen, welche man erhält.
Concetitvatinn von Wäi'me- und Lichtsti'alilen. 325
wenn man dem Punkte p^ verschiedene Lagen in der Nähe des
Punktes p'c giebt, muss nun derjenige, welchen man erhält, wenn
man pc mit p\, zusammenfallen lässt, ein Maximum sein.
In diesem Falle schneidet nämlich der von pa nach 2>c gehende
Strahl die Ebene h in dem gegebenen Punkte |;&, und er besteht
daher aus den beiden Strahlen , welche von pa nach pj, und von pi,
nach pc gehen. Demnach kann man setzen:
und daraus ergiebt sich für die fragliche Differenz in diesem
speciellen Falle die Gleichung:
Tac Tjif: = Tah.
Fällt dagegen der Punkt p^. nicht mit p'^ zusammen, dann fällt
auch der von pa nach pc gehende Strahl nicht mit den beiden
Strahlen, welche von pa nach p^ und von p^, nach pr gehen, zusam-
men, und da der directe Strahl zwischen p^ und p,. die kürzeste
Zeit braucht, so muss sein:
-^ f( c "^ -L a h '~\~ -J-hc-i
und demnach hat man für die fragliche Differenz im Allgemeinen
die Beziehung:
-'-ac -Lhc *^ -J-at).
Die Differenz Tac — Tj,r ist somit im Allgemeinen kleiner, als in
jenem speciellen Falle, wo der Punkt p^. in der Fortsetzung des
von Pa nach pi gehenden Strahles liegt, und jener specielle Wertli
der} Differenz bildet somit ein Maximum i). Daraus ergeben sich
wieder zwei Bedingungsgleichungen, welche lauten:
dXc ^ ' dljc " '
Nimmt man endlich an, die Punkte pb und pc in den Ebenen
b und c seien im Voraus gegeben, und dagegen der Punkt, wo der
Strahl die Ebene a trifft, noch unbekannt, so erhält man aus einer
Betrachtung, welche ganz der vorigen entspricht, und welche ich
1) lu der Abhandlung von Kirch hoff S. 285 steht von der dort
Detrachteten Grösse, welche im Wesentlichen der hier zuletzt betrachteten
Differenz entspricht, nur mit dem Unterschiede, dass sie sich auf vier Ebe-
nen statt auf drei bezieht, sie müsse ein Minimum sein. Es kann sein,
dass diese Angabe nur auf einem Druckfehler beruht, und ohnehin würde
eine Verwechselung zwischen Maximum und Minimum an jener Stelle ohne
weitere Bedeutung sein , weil der Satz , welcher in den darauf folgenden
Rechnungen benutzt wird, dass die Differentialcoefficienten gleich Null sein
müssen, für das Maximum und das Minimum gemeinsam gilt.
326
Abschnitt XII.
daher nicht weiter ausführen will, die beiden Bedingungsglei-
chungen :
(3)
ß (Tac — Tah)
0;
d (Tac — Tah)
0.
dXa dya
Auf diese Weise sind wir zu drei Paar Gleichungen gelangt,
von denen jedes Paar dazu dienen kann, die gegenseitige Bezie-
hung der drei Punkte, in welchen ein Strahl die drei Ebenen a, &, c
schneidet, auszudrücken, so dass, wenn zwei der Punkte gegeben
sind , der dritte gefunden werden kann , oder noch allgemeiner,
wenn von den sechs Coordinaten der drei Punkte vier gegeben
sind, die beiden anderen sich bestimmen lassen.
§. 6. Verhältniss zwischen zusammengehörigen Flächen
elementen.
Wir wollen nun folgenden Fall betrachten. In einer der drei
Ebenen, z. B. in a, sei ein Punkt pa gegeben, und in einer zweiten,
z. B. in ö, ein Flächenelement , welches wir dsi nennen wollen.
Wenn nun von pa aus Strahlen nach den verschiedenen Punkten
des Elementes f^.Sft gehen, und man denkt sich dieselben fortgesetzt,
bis sie die dritte Ebene c schneiden, so treffen alle diese Strahlen
die Ebene c im Allgemeinen auch in einem unendlich kleinen
Flächenelemente, welches wir fZsc nennen wollen (s. Fig. 27). Es
soll nun das Verhältniss zwischen den Flächen elementen dsi, und
dSc bestimmt werden.
In diesem Falle sind von den sechs Coordinaten, welche bei
jedem Strahle in Betracht kommen (den Coordinaten der drei
Punkte, in welchen der Strahl die drei
Ebenen schneidet), zwei, nämlich Xa und
^„, im Voraus gegeben. Wenn dann für
die Coordinaten Xj, und ijj, irgend welche
Werthe angenommen werden, so sind
dadurch im Allgemeinen die Coordinaten
Xc und ijc gleich mit bestimmt. Man kann
also in diesem Falle jede der Coordinaten
Xc und yc als eine Function der beiden
Coordinaten xi und y^ betrachten. Giebt
man nun dem Flächenelemente dsi in der
Ebene &, dessen Gestalt willkürlich ist,
Fig. 27.
Concentration von Wärme- und Liclitstvalilen. 327
die Gestalt eines Rechteckes dxjj dy^,^ und sucht zu jedem Punkte
seines Umfanges den entsprechenden Punkt in der Ebene r;, so
erhält man hier ein unendlich kleines Parallelogramm, welches
das entsprechende Flächenelement dSc bildet.
Die Grösse dieses Parallelogrammes bestimmt sich folgender-
maassen. Die Länge derjenigen Seite des Parallelogrammes, welche
der Seite dxj, des Rechteckes in der Ebene h entspricht, heisse A,
und die Winkel, welche diese Seite mit den Coordinatenaxen der
Xc und ?/,. bildet, seien mit (kx^) und (If/c) bezeichnet. Dann ist:
Xcos(kxc) ^= ^— ^ dxi; lcos{lijc) = ~- dxy.
Ebenso hat man, wenn man die andere Seite des Parallelogrammes
mit (i und ihre Winkel mit den Coordinatenaxen mit (^Xc) und
{^Ijc) bezeichnet, zu setzen:
ex r) 11
acosf^Xe) = ,--^ dph] ^cos(iiyc) = ~-^ dy,,.
Wird ferner der Winkel zwischen den Seiten A und //. mit (A|Lt)
bezeichnet, so kann man schreiben:
cos{l^) = cos(lXc)cos(^Xc) -\- cos(lyc)cos(iiyc)
' /d^ dxc_ 1 8j/c ^ 8 yÄ dxj,dyi
~ \öXt, ö^ö 'öxh dyj /t/i
Um nun den mit dSc bezeichneten Flächeninhalt des Parallelo-
grammes zu bestimmen, schreiben wir zunächst:
j dSc = liisin{k^)
= A^]/l — co,s2(Ai[t)
= ]/A>2 _ cos^{X^) . A2|Ia2
und hierin substituiren wir für cosß^) den eben gegebenen Aus-
druck und für A2 und fi2 che aus den obigen Gleichungen hervor-
ffehenden Ausdrücke:
--[(ty+(fi)>-
Dann heben sich unter dem Wurzelzeichen mehrere Glieder fort,
und die übrigen bilden ein Quadrat, nämlich:
7 \ ßxo. dyc dXc 8 VAS ni
Y \dxi, dyj, diji, dxj
_W/Ö£c . ^ _ ^ ^ ^Yds 2
~V \dxj, dyj, dyj> oxj ^^"
328 Abschnitt XII.
und es lässt sich somit die angedeutete Quadratwurzel sofort aus-
ziehen. Dabei ist aber noch zu bemerken, dass die in Klammer
stehende Differenz positiv oder negativ sein kann, und da wir nur
die positive Wurzel in Anwendung zu bringen haben, so wollen
wir dieses dadurch andeuten, dass wir vor die Differenz die Buch-
staben V. n. (valor numericus) setzen. Dann können wir schreiben:
(4) ds, = V. n. — ^ . -^ — — -" • -^ dsj,.
\öXh dyj, öyr, öxj)/
Um die Abhängigkeit der Coordinaten Xc und y^ von den Coor-
dinaten xi und yi zu bestimmen, müssen wir eines der drei Paare
von Gleichungen in §. 5 anwenden. Wir wollen dazu zuerst die
Gleichungen (1) wählen. Wenn man diese beiden Gleichungen
nach Xi und nach y^ differentiirt, indem man bedenkt, dass jede
der mit T bezeichneten Grössen von den drei Paaren von Coor-
dinaten Xaiya'i sCb^yi,; Xc^pc zwci Paare enthält, welche durch die
Indices angedeutet sind, und wenn man bei der Differentiation Xc
und yc als Functionen von Xi und y^ behandelt, während man Xa
und ya als constant voraussetzt, so erhält man folgende vier
Gleichungen :
(dHTa, + n;) d'^T.e _ dx^ d-^n.
(dx-b)^ 'öXb'dXc dxi
d-^(Tay^ n,) d-^Tbc dx.
(5) {
dxidyh dXbdXc dyi,
dxidy^ ' dyy'öXc dxi
d^{Tal, + Tyc) , d^Tic dxc ,
dxhdyc
d'-T,,
cxidyc
d'T,,
dyijdyc
d-^n.
dy,
dxb
= 0
dyc
dyi"
= 0
ÖXi,
=r 0
dyc
dy.
= 0
(dyi,y^ dyj,dxc dyy ' dy^dyc
Wenn wir mit Hülfe dieser Gleichungen die vier Differential-
d X ■ "ö X ■ d II ■ d II ■
coefficienten — -^, —-^, 7~, ■—- bestimmen, und die gefundenen
dxj> dyh dxi dyi
Werthe in die Gleichung (4) einsetzen, so erhalten wir die ge-
suchte Beziehung zwischen den Flächenelementen dSh und dsc. Um
das Resultat, welches sich auf diese Weise ergiebt, kürzer schreiben
zu können, wollen wir folgende Zeichen einführen:
(6) ^ = V. n (^^^ . ^'^'- _ ^'^^"- . ^1^]
'\dxbdXc dyj^dyc dx^dy^ dybdXcJ
(1) I]=vu /^!lZk±^) dHTab-^nc) _ \dHTa,^T,c)Y]
^ ^ ■ ■ l (dx^y^ ' (dy^y L dxvdy^ J J"
Coiicentration von Wärme- und Liclitsiralilen.
329
Dann kann man die gesuchte Beziehung in folgender Gleichung
schreiben :
Nehmen wir nun in entsprechender Weise an, es sei in der
Fiff. 28.
Ebene c (Fig. 28) ein l>estimmter Punkt
Pc gegeben, und suchen in der Ebene a
das Flächen element fZ.s«, welches dem in
der Ebene h gegebenen Elemente d h ent-
spricht, so können wir das Resultat aus
dem vorigen einfach dadurch ableiten,
dass wir überall die Indices a und c ver-
tauschen. Führen wir zur Abkürzung
noch das Zeichen C ein mit der Bedeu-
tung:
(9) C-.
so kommt:
(10)
V. n.
d'^Tai d-n\a
d-^Tai
d^Ta
dxadxj, dpadyi, dXadyj, dijadxy,
dSa
dsj,
E
C'
Nehmen wir endlich an, es sei in der Ebene b ein bestimmter
Fio'. 29. ■ Punkt pt, gegeben (Fig. 29), und wählen
in der Ebene a irgend ein Flächenelement
dSa und denken uns, von den verschie-
denen Punkten dieses Elementes gehen
Strahlen durch den Punkt phi welche wir
uns bis zur Ebene c fortgesetzt denken;
und suchen wir nun die Grösse des Flächen-
elementes dSci iii welchem diese sämmt-
lichen Strahlen die Ebene c treffen, so
finden wir unter Anwendung der vorher
eingeführten Zeichen :
dsc C
dSa A
Man sieht hieraus, dass die beiden in diesem Falle zusammen-
gehörigen Flächenelemente sich zu einander gerade so verhalten,
wie die beiden Flächenelemente, welche man erhält, wenn in der
Ebene h ein bestimmtes Element ds^ gegeben ist, und man dazu
erst in der Ebene a und darauf in der Ebene c einen Punkt als
(11)
330 Abschnitt XII.
Ausgangspunkt der Strahlen annimmt, und dann jedesmal in der
dritten Ebene das dem Elemente d Sh entsprechende Flächenelement
bestimmt.
§, 7. Verschiedene aus sechs Grössen gebildete Brüche
zur Darstellung derselben Verhältnisse.
Bei den Rechnungen des vorigen Paragraphen ist unter den
drei Paaren von Gleichungen des §, 5, welche dazu benutzt wer-
den können, nur das erste angewandt. Man kann nun aber in
derselben Weise die Rechnungen auch mit den beiden anderen
Paaren (2) und (3) ausführen. Durch jedes Paar von Gleichungen
gelangt man zu drei Grössen der Art, wie die vorher mit A, C und
E bezeichneten, Vv^elche dazu dienen können, die Verhältnisse der
Flächenelemente auszudrücken. Unter den neun Grössen, welche
man auf diese Weise im Ganzen erhält, kommen aber dreimal je
zwei vor, welche unter einander gleich sind, wodurch sich die An-
zahl der Grössen auf sechs reducirt. Die Ausdrücke dieser sechs
Grössen will ich hier der Vollständigkeit wegen zusammenstellen,
obwohl drei davon schon früher mitgetheilt sind.
(I.)
^,^v. n.
i? = v. n.
82 T,/ 02 T,, d'^Ty, d'^Ti
d^Tac d'Tac d-^Taa d^^ Ta
oxj
,dXadXc dijadpc dXadijc dyadx,
'\dxadxi dvadvi dxadyi öyadxj
D
dXi dyadyi dXadyi, oya
""''•''•1 (dXa)^ ' {dyaP L dXadya J/
• • 1 (dx.y ' {dy,y L dx.dyy \i
' • l {dx^y ' {dycT- L dxodyc J j
Mit Hülfe dieser sechs Grössen kann man jedes Verhältniss
zweier Flächenelemente durch drei verschiedene Brüche darstellen,
wie es die folgende tabellarische Zusammenstellung zeigt.
(IL)
ConcentTation von Wärmf- und LiclitsiiNililcn. 331
dHj, A F ^' n
df^a "" E ~" A~ ('
dSa^_A_F_B
ds, ~" C ~ L'~~ I)'
Wie man leicht sieht, beziehen sich die drei Horizontalreihen auf
die drei Fälle, wo entweder in der Ebene a, oder in c, oder in h
ein bestimmter Punkt angenommen ist, durch den die Strahlen
gehen müssen. Von den drei Verticalreihen der Brüche, welche
die Verhältnisse der Flächenelemente darstellen, ist die erste aus
den Gleichungen (1), die zweite aus den Gleichungen (2), und die
dritte aus den Gleichungen (3) des §. 5 abgeleitet.
Da die drei Brüche, welche ein bestimmtes Verhältniss zweier
Flächenelemente darstellen, unter einander gleich sein müssen, so
erhält man zwischen den sechs Grössen, aus welchen die Brüche
gebildet sind, folgende Gleichungen:
(12) B =— ; L =^; F^ — -
(13) A^ -^-^ EF\ B'^ = FD- C^ =DF.
Mit diesen sechs Grössen sind nun die weiteren Rechnungen
anzustellen, und da jedes Verhältniss je zweier Flächenelemente
durch drei verschiedene Brüche dargestellt ist, so hat man unter
diesen die Wahl, und kann in jedem speciellen Falle den Bruch
anwenden, welcher für diesen Fall der geeignetste ist.
III. Bestimmung der gegenseitigen Zustrahlung für den Fall,
dass keine Concentration der Strahlen stattfindet.
§. 8. Grösse des zu dsc gehörenden Flächenelementes in
einer Ebene von besonderer Lage.
Wir wollen zunächst denselben Fall betrachten, auf welchen
der Kirch hoff sehe Ausdruck sich bezieht, indem wir zu bestim-
men suchen, wieviel Wärme zwei Flächenelemente sich gegenseitig
zusenden, unter der Voraussetzung, dass jeder Punkt des einen
Elementes von jedem Punkte des anderen einen Strahl und auch
532
Abschnitt XII.
Fio-. 30.
nur Einen Strahl, oder höchstens eine beschränkte Anzahl von
einzelnen Strahlen, die man gesondert betrachten kann, erhält.
Seien zwei Elemente dsa und dSc in den Ebenen a und c
(Fig. 30) gegeben, .so wollen wir zuerst die Wärme bestimmen,
welche das Element ds^ dem Elemente dSc zusendet.
Dazu denken wir uns die Mittelebene h parallel der Ebene
a gelegt in einem Abstände p, welchen wir als so klein voraus-
setzen, dass bei jedem von dSa nach dSc
gehenden Strahle der Theil, welcher zwi-
schen den Ebenen a und h liegt, als ge-
radlinig, und das Mittel, welches er auf
dieser Strecke durchläuft, als homogen
anzusehen ist. Nehmen wir nun in dem
Elemente dSa irgend einen Punkt, und be-
trachten das Strahlenbüschel, welches von
diesem Punkte aus nach dem Elemente
dSc geht, so schneidet dieses die Ebene
h in einem Elemente dsj,^ dessen Grösse
durch einen der drei in der obersten Ho-
rizontalreihe von (II.) stehenden Brüche
ausgedrückt werden kann. Wir wollen den letzten Bruch wählen,
und erhalten dadurch die Gleichung:
(14)
7 _-S 7
asi) — -p ciSc
Die hierin vorkommende Grösse C lässt sich nun in diesem Falle
wegen der eigenthümlichen Lage der Ebene h in eine besonders
einfache Form bringen.
Es sei, wie es auch von Kirchhoff geschehen ist, das Coor-
dinatensystem in h so gewählt, dass es dem Coordinatensysteme
in der parallelen Ebene a vollkommen correspondirt. Nämlich
die Anfangspunkte beider Coordinatensysteme sollen in einer auf
beiden Ebenen senkrechten Geraden liegen, und die Coordinaten
des einen Systemes sollen den entsprechenden des anderen Syste-
mes parallel sein. Dann ist der Abstand r zwischen zwei in den
beiden Ebenen liegenden Punkten mit den Coordinaten x^-, ija und
Xi^ ijj, bestimmt durch die Gleichung:
(15) r = Vp2 _|_ (,,^ _ ,,.J2 _|_ (y^ _ y^y^
Denken wir uns nun einen Strahl von dem einen dieser Punkte
nach dem anderen gehend, so wird die Länge seines Weges, da
Concentration von "Wärme- und Lichtstralilen. 333
die Fortpflanzung zwischen beiden Ebenen als geradlinig voraus-
gesetzt wird, einfach durch den Abstand r der beiden Punkte dar-
gestellt, und wenn wir die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in der
Ncähe der Ebene a, welche sich der Voraussetzung nach auf der
Strecke bis zur Ebene h nicht merklich ändert, mit y„ bezeichnen,
so ist die Zeit, welche der Strahl auf dieser Strecke gebraucht,
bestimmt durch die Gleichung:
r
Tal = — •
Deragemäss lässt sich der Ausdruck von C so schreiben :
_ 1 / &V o2-r c'^r c-r \
" ^" "■ ^2 \dXadXb ' djuWr, 'dXadijT, c ijadxj
Setzt man hierin für r seinen Werth aus (15j, so kommt:
(16) ü= — --^-
Hierdurch geht die Gleichung (14) über in:
1-4
(17) dsr> = y„2 — BilSc-
Bezeichnen wir noch den Winkel, welchen das betrachtete, von
einem Punkte des Elementes dsa ausgehende unendlich schmale
Strahlenbüschel mit der auf dem Elemente errichteten Normale
bildet, mit -9', so ist
cos ^ = — ,
r
und man kann daher der vorigen Gleichung auch folgende Form
geben :
(18) ds.^^Bds,.
§. 9. Ausdrücke der Wärmemengen, welche die Elemente
dSa und dSe einander zustrahlen.
Nachdem die Grösse des Flächenelementes dsi bestimmt ist,
lässt sich auch die Wärmemenge, welche das Element dSa dem
Elemente dSc zusendet, leicht ausdrücken.
Von jedem Punkte des Elementes dSa geht nämlich nach dSc
ein unendlich schmales Strahlenbüschel, und die Keg/elöflnuugen
der von den verschiedenen Punkten ausgehenden Büschel sind als
334 Abschnitt XII.
gleich anzusehen. Die Grösse der Kegelöffnung eines solchen
Strahlenbüschels wird bestimmt durch die Grösse und Lage jenes
Flächenelementes ds^}, in welchem der Kegel die Ebene h schnei-
det. Um diese Kegelöffnung geometrisch auszudrücken, denken
wir uns um den betreffenden Punkt, von dem die Strahlen aus-
gehen, mit dem Radius q eine Kugelfiäche geschlagen, innerhalb
deren wir die Fortpflanzung der Strahlen als geradlinig betrach-
ten. Nennen wir dann das Flächenelement, in welchem diese Kugel-
fläche von dem Strahlenkegel geschnitten wird, rfö, so stellt der
Bruch — - die Oeffnung des Kegels dar. Da nun das Flächen-
Clement ds^ von der Spitze des Kegels um die Strecke r entfernt
ist, und die auf dsb errichtete Normale, welche mit der vorher
erwähnten, auf dSa errichteten parallel ist, mit dem unendlich
schmalen Strahlenkegel den Winkel Q' bildet, so hat man die
Gleichung :
dd cosQ- . dsi
Wenn man hierin für dsi den in (18) gegebenen Ausdruck setzt,
so kommt:
(20) ^ = ^ Bäs..
Es kommt nun darauf an, zu bestimmen, wie gross derjenige
Theil der von dem Elemente dSa ausgesandten Wärme ist, welcher
dieser unendlich schmalen Kegelöffnung entspricht, oder, mit
anderen Worten, wie viel Wärme das Element dSa durch jenes
auf der Kugelfläche bestimmte Element d6 sendet. Diese Wärme-
menge ist erstens proportional der Grösse des ausstrahlenden
Elementes dSa, ferner proportional der Grösse der Kegelöffnung,
also dem Bruche — - , und endlich, nach dem bekannten Ausstrah-
lungsgesetze , proportional dem Cosinus des Winkels 0", welchen
der unendlich schmale Strahlenkegel mit der Normale bildet. Man
kann sie also ausdrücken durch das Product:
Q"
worin £ ein von der Temperatur des Flächenelementes abhängiger
Factor ist.» Zur Bestimmung dieses Factors haben wir die Be-
dingung, dass die Wärmemenge, welche das Element dSa im Ganzen
Concentration vou Wärme- und Lichtstrahlen. 335
ausstrahlt, also der ganzen über der Ebene a befindlichen Ilall)-
kiigel zustrahlt, gleich dem l'roducte e„c/.Sa sein muss, worin e« die
Stärke der Emission der Ebene a an der Stelle, wo das Element
dSa liegt, bedeutet. Man erhält also die Gleichung:
-— / C0Sd'd6 = Ca,
worin die Integration über die Halbkugel auszudehnen ist, und
daraus folgt:
en z= Ca:
Wenn man den hierdurch bestimmten Wertli von £ in den obigen
Ausdruck einsetzt, so erhält man für die Wärmemenge, Avelche das
Element dSa durch d6 sendet, die Formel:
— COSd' — - dSa.
In diese Formel hat man nun für den Bruch — - den olien gc-
wonnenen und in Gleichung (20) angegebenen Werth zu setzen,
um den gesuchten Ausdruck der Wärmemenge^ welche das Element
dSa dem Elemente dsc zusendet, zu erhalten, nämlich:
eaVa^ — dSadSc.
7t
Sucht man in ganz derselben Weise die Wärmemenge^ ivelche
umgeJcehrt das Element dSc dem Elemente dSa zusendet, und be-
zeichnet dabei die Stärke der Emission der Ebene c an der Stelle,
wo das Element dSc liegt, mit eci und die Fortpflanzungsge-
schwindigkeit der Strahlen in der Nähe des Elementes mit Vc, so
findet man:
7?
CeVc^ — dSadSc.
7C
§. 10. Abhängigkeit der Ausstrahlung von dem
umgebenden Medium.
Diese im vorigen Paragraphen gewonnenen Ausdrücke sind
im Uebrigen gleich dem in §. 3 mitgetheilten Kirchhoff 'sehen
Ausdrucke, nur darin unterscheiden sie sich von demselben, dass
sie noch das Quadrat der Fortpflanzungsgeschwindigkeit als Factor
enthalten, welches in Kirchhoff 's Ausdrucke nicht vorkommt,
indem Kirchhoff au der betrefienden Stelle nur von der Fort-
336 Abschnitt XII.
Pflanzungsgeschwindigkeit im leeren Baume spricht, und diese als
Einheit nimmt. Da nun aher die Körper, deren gegenseitige Zu-
strahlung man betrachtet, sich möglicher Weise in verschiedenen
Mitteln befinden können, in denen die Fortpflanzungsgeschwindig-
keiten'verschieden sind, so ist für solche Fälle dieser Factor nicht
unwesentlich, und sein Vorkommen führt sofort zu einem eigen-
thümlichen, theoretisch interessanten Schlüsse.
Wie in §. 2 erwähnt wurde, nahm man bisher an, dass bei
vollkommen schwarzen Körpern die Stärke der Emission nur von
der Temperatur abhänge, so dass also zwei solche Körper bei
gleicher Temperatur von gleichen Stücken ihrer Oberflächen gleich
viel Wärme ausstrahlen. Da nun aber in den beiden obigen
Ausdrücken für die gegenseitige Zustrahlung zweier Elemente
ein Factor vorkommt, der von der Natur des Mittels abhängt,
so ist dadurch die Nothwendigkeit , das Mittel zu berücksich-
tigen, und zugleich die Möglichkeit, seinen Einfluss zu bestimmen,
gegeben.
Wenn man aus jenen beiden Ausdrücken ein Verhältniss bildet,
und dann denjenigen Factor, welcher in beiden Gliedern gemeinsam
vorkommt, nämlich — clSadSc^ forthebt, so ergiebt sich, dass die
Wärmemenge, welche das Element dSa dem Elemente dSc zusendet,
sich zu derjenigen, welche das Element dSc dem Elemente ds^ zu-
sendet, verhält wie
Wollte man nun annehmen, dass bei gleicher Temperatur die Aus-
strahlung unbedingt gleich sei, auch wenn die den beiden Elemen-
ten angrenzenden Mittel verschieden sind, so müsste man für
gleiche Temperatur €■„, = ßc setzen, und es würden dann die
W^ärmemengen, welche sich beide Elemente gegenseitig zustrahlen,
nicht gleich sein, sondern sich wie v„2 ; ^^i verhalten. Daraus würde
folgen, dass zwei Körper, welche sich in verschiedenen Mitteln
befinden, z. B. der eine in Wasser und der andere in Luft, durch
gegenseitige Zustrahlung nicht ihre Temperaturen auszugleichen
suchen, sondern dass der eine den anderen durch Zustrahlung zu
einer höheren Temperatur erwärmen könnte, als er selbst hat.
Gesteht man dagegen jenen von mir als Grundsatz hingestellten
Satz, dass die Wärme nicht von selbst aus einem kälteren in einen
wärmeren Körper übergehen kann, ganz allgemein als richtig zu,
so muss man die gegenseitige Zustrahlung zweier vollkommen
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 337
schwarzer Flächenelemente von gleicher Temperatur als gleich
betrachten, und somit setzen:
(21) e„'y«2 = e,v,^
Daraus folgt die Proportion:
(22) ea : e,. = v^^ : Va\
oder auch, da das Verhältniss der Fortpflanzungsgeschwindigkeiten
gleich dem umgekehrten Verhältnisse der Brechungscoefficienten
der beiden Mittel ist, welche wir mit tia und Uc bezeichnen wollen,
die Proportion:
(23) Ca : Cc = w„2 : ri^^.
Hiernach ist also die Ausstrahlung volllcommen schwarzer Körper
hei gleicher Temperatur in verschiedenen Mitteln verschieden, und
verhält sich umgehehrt, ivie die Quadrate der Fortpßansimgsge-
schiüindigJceiten in den Mitteln, oder direct toie die Quadrate ihrer
Brechungscoefficienten. Die Ausstrahlung in Wasser muss sich
somit zu der in Luft angenähert wie (Vs)^ '• 1 verhalten.
Berücksichtigt man den Umstand, dass in der von einem voll-
kommen schwarzen Körper ausgestrahlten Wärme Strahlen von
sehr verschiedenen Farben vorkommen, und giebt man als richtig
zu, dass die Gleichheit der gegenseitigen Zustrahlung nicht bloss
für die Wärme im Ganzen, sondern auch für jede Farbe im Ein-
zelnen gelten muss, so erhält man für jede Farbe eine Proportion
der Art, wie (22) und (23), worin aber das an der rechten Seite
stehende Verhältniss, welchem das Verhältniss der Ausstrahlungen
gleich gesetzt ist, etwas verschiedene Werthe hat.
Will man endlich statt der vollkommen schwarzen Körper
auch Körper von anderer Natur betrachten, bei denen nicht voll-
kommene, sondern nur th eilweise Absorption der auffallenden
Wärmestrahlen, stattfindet, so muss man statt der Emission einen
Bruch , welcher die Emission als Zähler und den Absorptionscoef-
ficienten als Nenner hat, in die Formeln einführen, und erhält
dann für diesen Bruch entsprechende Beziehungen, wie vorher für
die Emission allein. Auf diese Verallgemeinerung des Resultates,
bei welcher auch der Einfluss der Strahlenrichtung auf die Emission
und Absorption zur Sprache kommen würde, brauche ich hier
nicht einzugehen, weil sie sich bei angemessener Betrachtung des
Gegenstandes von selbst ergiebt.
Clausius, mechau. Wärmetlieorie. I. 22
338
Absclinitt XII.
IV. Bestimmung der gegenseitigen Zustrahlung zweier Flächen-
elemente für den Fall, dass das eine Fläehenelement das
optische Bild des anderen ist.
§. 11. Verhalten der Grössen J5, D, F und E.
Wir wollen nun zu dem Falle übergehen, wo die bisher
gemachte Voraussetzung, dass die Ebenen a und c, soweit sie in
Betracht kommen, ihre Strahlen in der Weise austauschen, dass
von jedem Punkte der einen nach jedem Punkte der anderen ein
Strahl, und auch nur Ein Strahl, oder höchstens eine beschränkte
Anzahl von einzelnen Strahlen gelange, nicht erfüllt ist. Die
Strahlen, welche von den Punkten der einen Ebene divergirend
ausgehen, können durch Brechungen oder Reflexionen conver-
girend werden, und in der anderen Ebene wieder zusammentreflen,
so dass es für einen in der Ebene a zur Betrachtung ausgewählten
Punkt fa in der Ebene c einen oder mehrere Punkte oder Linien
giebt, in welchen sich unendlich viele vom Punkte pa kommende
Strahlen schneiden, während andere Stellen der Ebene c gar keine
Strahlen von jenem Punkte erhalten. Natürlich findet in einem
solchen Falle auch mit den Strahlen, welche von der Ebene c aus-
gehend nach der Ebene a gelangen, das Entsprechende statt, da
die zwischen den beiden Ebenen hin- und zurückgehenden Strahlen
gleiche Wege beschreiben.
Unter den unendlich vielen verschiedenen Fällen dieser Art
wollen wir, der grösseren Anschaulichkeit wegen, zunächst den
extremen Fall behandeln, wo alle Strahlen,
welche der Punkt pa der Ebene a inner-
halb eines gewissen endlichen Kegelraumes
aussendet, in einem einzelnen Punkte jpc
der Ebene c wieder zusammentreffen, wie
es in Fig. 31 angedeutet ist. Dieser Fall
tritt z. B. ein, wenn die Pächtungsänderung
der Strahlen durch eine Linse oder einen
sphärischen Spiegel, oder auch durch
irgend ein System von centrirten Linsen
oder Spiegeln bewirkt ist, und wenn man
von der dabei stattfindenden sphärischen
Fig. 31.
Concentratioü von Wärme- und Liclifcstralil<!u. 33'J
und chromatischen Aberration absieht, wobei zu bemerken ist, dass
die chromatische Aberration hier ohnehin nicht zu berücksichtigen
ist, da wir uns von vorn herein auf die Betrachtung homogener
Strahlen beschränkt haben. Zwei in der angegebenen Weise zu-
sammengehörige Punkte, welche den Ausgangs- und den Vereini-
gungspunkt der Strahlen bilden, werden, wie schon oben erwähnt,
conjugirte BrennpunJcte genannt.
In einem solchen Falle sind für jeden der betreffenden Strah-
len durch die Coordinaten a?«, ya des Ausgangspunktes pa auch
die Coordinaten Xci ijc des Punktes pc-, wo der Strahl die Ebene c
trifft, gleich mit bestimmt. Die übrigen in der Nähe von p^ liegen-
den Punkte der Ebene c erhalten vom Punkte pa keine Strahlen,
weil es nach ihnen hin keinen Weg giebt, der die Eigenschaft
kätte, dass die Zeit, welche der Strahl auf diesem Wege gebraucht,
verglichen mit der Zeit, welche er auf jedem anderen nahe liegen-
den Wege gebrauchen würde, im mathematischen Sinne ein Mini-
mum ist. Demnach kann auch die Grösse Tae-, welche dieses Mini-
mum der Zeit darstellt, für keinen der um pc gelegenen Punkte,
sondern nur für den Punkt pc selbst einen reellen Werth haben..
Die Difierentialcoefficienten von Tac-, in denen die Coordinaten Xa^
ya als constant, und gleichzeitig eine der Coordinaten x^., y^ als
veränderlich, oder umgekehrt Xc,yc als constant, und zugleich eine
der Coordinaten Xa, ya als veränderlich vorausgesetzt werden,
können somit keine endlichen reellen Grössen sein. Daraus er-
giebt sich, dass von den sechs durch die Gleichungen (I.) be-
stimmten Grössen Ä^ B^ C, I), E, F die drei J5, JD, F, welche
Differentialcoefficienten von Tae enthalten, in unserem gegen-
wärtigen Falle nicht anwendbar sind.
Die drei anderen Grössen A^ G, E dagegen enthalten nur
Difierentialcoefficienten der Grössen Tah und Ti^- Wenn wir nun
annehmen, die Ebene h sei so gewählt, dass zwischen ihr und den
beiden Ebenen a und c, soweit wir die Ebenen betrachten, der
Strahlenaustausch in der früher vorausgesetzten Weise stattfinde,
dass von jedem Punkte der Ebene h nach jedem Punkte der Ebenen
a und c ein Strahl und auch nur Ein Strahl, oder höchstens eine
beschränkte Anzahl von einzelnen Strahlen geht, so haben die
Grössen Tah und Tic und ihre Differentialcoefficienten für alle in
Betracht kommenden Punkte reelle und nicht unendlich grosse
Werthe. Die Grössen A^ C und E sind daher im gegenwärtigen
Falle ebenso gut, wie in dem früher betrachteten, anwendbar.
340 Atisclinitt XII.
Eine dieser Grössen, nämlich E^ nimmt in diesem Falle einen
speciellen Werth an, der sich sofort ableiten lässt. Für die drei
Punkte, in welchen ein Strahl die drei Ebenen a, &, c schneidet,
müssen die beiden unter (1) gegebenen Gleichungen gelten:
8 (Tg, + n,) _ ^. 8 (Tg, H- T,c) _ ^
Da nun in unserem gegenwärtigen Falle durch die Lage der beiden
Punkte pa und pc in den Ebenen a und c die Lage des Punktes,
wo der Strahl die Ebene h schneidet, nicht bestimmt ist, sondern
die Ebene h in allen Punkten eines gewissen endlichen Flächen-
raumes geschnitten werden kann, so müssen die beiden vorigen
Gleichungen für alle diese Punkte gültig sein, woraus folgt, dass
man durch Differentiation dieser Gleichungen nach Xjj und y^ eben-
falls wieder gültige Gleichungen erhalten muss, also:
Wendet man diese Gleichungen auf diejenige der Gleichungen (I.)
an, durch welche E bestimmt wird, so kommt:
(25) E =0.
Die beiden anderen Grössen Ä und C haben im Allgemeinen
endliche Werthe, welche je nach Umständen verschieden sind, und
diese müssen nun zu den folgenden Bestimmungen angewandt
werden.
§. 12. Anwendung der Grössen A und C zur Bestimmung
des Verhältnisses zwischen den Flächenelementen.
Es sei angenommen, das Element dSa der Ebene a habe ein
optisches Bild, welches in die Ebene c fällt, und welches wir dSc
nennen wollen, so dass also jeder Punkt des Elementes dSa einen
Punkt des Elementes dsc zum conjugirten Brennpunkte hat, und
umgekehrt. Es soll nun untersucht werden, ob die Wärmemengen,
welche diese Flächenelemente, wenn sie als Elemente der Ober-
flächen zweier vollkommen schwarzer Körper von gleicher Tempe-
ratur betrachtet werden, sich gegenseitig zusenden, gleich sind.
Um zunächst das zu dem gegebenen Elemente dSa gehörige
Bild dSc seiner Lage und Grösse nach zu bestimmen, nehmen wir
in der Zwischenebene b irgend einen Punkt ^& an, und denken uns
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 341
von sämmtlichen Punkten des Elementes dSa Strahlen durch die-
sen Punkt ph gehend. Jeder dieser Strahlen trifft die Ebene c in
dem conjugirten Brennpunkte desjenigen Punktes, von welchem er
ausgegangen ist, und somit ist das Flächenelement, in welchem
dieses Strahlenbüschel die Ebene c schneidet, gerade das mit dsc
bezeichnete optische Bild des Elementes dSa. Wir können daher,
um das Bild dSc seiner Grösse nach im Verhältniss zu dSa aus-
zudrücken, einen der drei in der untersten Horizontalreihe von
(II.) angeführten Brüche anwenden, welche das Verhältniss der-
jenigen beiden Flächenelemente darstellen, in welchen ein durch
einen Punkt pi, der Zwischenebene b gehendes unendlich schmales
Strahlenbüschel die beiden Ebenen a und c schneidet; und zwar
ist von den drei dort stehenden Brüchen in diesem Falle nur der
erste brauchbar, weil die beiden anderen unbestimmt sind. Wir
haben also die Gleichung:
Diese Gleichung ist auch in optischer Beziehung von Interesse,
indem sie die allgemeinste Gleichung zur Bestimmung des Grössen-
verhältnisses zwischen einem Gegenstande und seinem optischen
Bilde ist, wobei zu bemerken ist, dass die Zwischenebene &, auf
welche sich die Grössen Ä und C beziehen, beliebig ist, und daher
in jedem einzelnen Falle so gewählt werden kann, wie es für die
Rechnung am bequemsten ist.
§. 13. Verhältniss zwischen den Wärmemengen, welche
die Elemente dSn und. dSc einander zustrahlen.
Nachdem das Flächenelement dSe, welches zu dSa als Bild
gehört, bestimmt ist, nehmen wir in der Ebene h statt eines Punktes
ein Flächenelement dsi,, und betrachten die Strahlen, welche die
beiden Elemente dSa und dSc durch dieses Element dsy senden.
Alle Strahlen, welche von einem Punkte des Elementes dSa aus-
gehend, durch das Element dSh gehen, vereinigen sich wieder in
einem Punkte des Elementes dSe, und somit treffen alle Strahlen,
welche das Element dSa durch dsj, sendet, gerade das Element dSc,
und umgekehrt die Strahlen, welche dSe durch dSh sendet, treffen
sämmtlich das Element dSa- Die beiden Wärmemengen, welche
342 Absclinitt XII.
die Elemente dSa und dSc dem Elemente ds^ zusenden, sind somit
auch die Wärmemengen, welche die Elemente dSa und dSc durch
das Zwischen element dsi, hindurch einander gegenseitig zusenden.
Diese Wärmemengen lassen sich nun dem Früheren nach ohne
Weiteres angeben.
Es gilt nämlich für die Wärmemenge, welche das Element dsa
dem Elemente dsb zusendet, derselbe Ausdruck, welcher in §. 9
für diejenige Wärmemenge entwickelt wurde, welche das Element
dSa dem Elemente dSe zusendet, wenn man darin nur für dSc setzt
dsj,, und für die Grösse B die Grösse C einführt. Der Ausdruck
lautet also:
C
eaVa^ — dSadSi,.
71
Ebenso gilt für die Wärmemenge, welche das Element dSc dem
Elemente c?s& zusendet, derselbe Ausdruck, welcher dort für die
Wärmemenge angegeben wurde, welche das Element dSc dem
Elemente ds„ zusendet, wenn man darin für dSa setzt dsi, und
für die Grösse B die Grösse A einführt, also:
^e^c^ — dscdsi.
7t
Bedenkt man nun, dass nach Gleichung (26) ist:
L/ Cl S(i — Jji Cl Sc 5
SO sieht man, dass die beiden gefundenen Ausdrücke sich unter
einander verhalten wie eaVa^ : ecVc^.
Ganz dasselbe Resultat finden wir, wenn wir in der Zwischen-
ebene h irgend ein anderes Flächenelement ds^ nehmen, und die
Wärmemengen betrachten, welche sich die beiden Elemente dSa
und dSe durch dieses Element gegenseitig zusenden. Immer stehen
die beiden Wärmemengen zu einander in dem Verhältnisse
GaVa^-ecVc^. Da nun die Wärmemengen, welche sich die Elemente
dSa und dSc im Ganzen zusenden, aus denjenigen, welche sie sich
durch die einzelnen Elemente der Zwischenebene hindurch zu-
senden, zusammengesetzt sind, so muss auch für sie dasselbe
Verhältniss gelten, und wir finden somit als Endresultat, dass die
Wärmemengen, welche die Flächenelemente dSa und dSe sich im
Ganzen gegenseitig zusenden, sich verhalten wie
Dieses ist dasselbe Verhältniss, welches in den §§. 8 und 9
für den Fall gefunden wurde, wo keine Concentration von Strahlen
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 343
stattfindet. Es ergiebt sich also, dass die Concentration der Strah-
len, wie sehr sie auch die absolute Grösse der Wärmemengen,
welche zwei Flächenelemente durch Strahlung mit einander aus-
tauschen, verändert, doch das Verhältniss derselben ungeändert
lässt.
In §. 10 ist gezeigt, dass, wenn bei der gewöhnlichen, ohne
Concentration stattfindenden Zustrahlung der Satz gelten soll,
dass dadurch nicht Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren
Körper übergeführt werden kann, dann die Ausstrahlung in ver-
schiedenen Medien verschieden sein muss, und zwar in der Weise,
dass man für vollkommen schwarze Körper von gleicher Tempe-
ratur hat:
Ist diese Gleichung erfüllt, so sind auch in unserem gegenwärtigen
Falle, wo von den Flächenelementen d s« und d Sc das eine das Bild
des anderen ist, die Wärmemengen, welche sie sich gegenseitig
zusenden, unter einander gleich, und es kann daher, trotz der
Concentration der Strahlen, das eine Element das andere nicht
zu einer höheren Temperatur erwärmen, als es selbst hat.
V. Beziehung zwischen der Vergrösserung und dem Verhält-
nisse der beiden Kegelöflfnungen eines Elementarstrahlen-
büschels.
§. 14. Aufstellung der betreffenden Proportionen.
Als ein Nebenresultat der vorstehenden Betrachtung möchte
ich hier gelegentlich eine Proportion entwickeln, welche mir von
allgemeinem Interesse zu sein scheint, indem sie eine eigen thüm-
liche Verschiedenheit in dem Verhalten der Strahlenbüschel beim
Gegenstande und beim Bilde angiebt, welche stets in bestimmter
Weise stattfinden muss, wenn Gegenstand und Bild verschiedene
Grössen haben.
Wenn wir ein unendlich schmales Strahlenbüschel betrachten,
welches von einem Punkte des Elementes dsa ausgehend durch
das Element dsi der Zwischenebene geht, und sich dann wieder
in einem Punkte des Elementes dSc vereinigt, so können wir die
Grösse der Divergenz, welche die Strahlen an ihrem Ausgangs-
344 Abschnitt XII.
punkte haben, vergleichen mit der Grösse der Convergenz, welche
dieselben Strahlen an ihrem Vereinigungspunkte haben. Diese
Divergenz und Convergenz, wofür wir auch mit gemeinsamem Aus-
drucke sagen können : die Oeffnungen der unendlich schmalen Kegel.,
welche das Strahlenbüschel am Ausgangs- und Vereinigungspunkte
bildet, ergeben sich unmittelbar durch dasselbe Verfahren, welches
wir in §. 9 angewandt haben.
Wir denken uns um jeden der Punkte eine Kugelfläche mit
so kleinem Eadius beschrieben, dass wir die Strahlen bis zur
Kugelfläche als geradlinig ansehen können, und betrachten dann
das Flächenelement, in welchem das Strahlenbüschel die Kugelfläche
schneidet. Sei dieses Flächenelement mit dö bezeichnet, und
heisse der Radius der Kugel p, so wird die Oeffnung des un-
endlich schmalen Kegels, welcher die Strahlen, soweit sie als
geradlinig zu betrachten sind, einschliesst, durch den Bruch —
Q
dargestellt.
Diesen Bruch haben wir in §. 9 für einen ähnlichen Fall durch
die Gleichung (20) bestimmt, und in dem dort gegebenen Aus-
drucke brauchen wir nur die Buchstaben etwas zu ändern, um die
für unseren gegenwärtigen Fall passenden Ausdrücke zu erhalten.
Um die Kegelööhung an dem in der Ebene a liegenden Ausgangs-
punkte der Strahlen auszudrücken, hat man in dem dortigen Aus-
drucke statt des Elementes dSc das Element c^s?,, und statt der
Grösse B die Grösse C zu setzen. Ausserdem wollen wir das
Zeichen -9-, welches den Winkel zwischen dem Elementarstrahlen-
büschel und der auf dem Flächenelemente dSa errichteten Normale
bedeutet, um bestimmter anzudeuten, dass es sich um den an der
Ebene a liegenden Winkel handelt, in %'a umändern, und aus dem-
selben Grunde auch den Bruch — , welcher die gesuchte Kegel-
Q
Öffnung darstellt, mit dem Index a versehen. Dann kommt :
(27) {^) = ^ Cäs,.
Um die andere entsprechende Gleichung zu erhalten, welche die
Kegelöffnung an dem in der Ebene c liegenden Vereinigungspunkte
bestimmt, braucht man in der vorigen nur überall, wo der Index a
steht, den Index c zu setzen, und ausserdem die Grösse C mit A
zu vertauschen, also:
Coucentration von Wärme- und Liclitstralilen. 345
(28) ('^) =^Ad.,..
Aus diesen beiden Gleichungen ergiebt sich die Proportion:
ros d'a /d 6\ cos d-f. /d 6'^
und wenn man hierauf die Gleichung (26) anwendet, so kommt:
Führt man für die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten die Brechungs-
coefficienten der Mittel ein, so lautet die Proportion:
(30) Ha^cos^a [-pj ■ nc^' COS &c [-j) = ds^ : ds„.
Das Verhältniss, welches in diesen Proportionen an der rechten
Seite steht, ist das Grössenverhältniss zwischen einem Flächen-
elemente des Bildes und dem entsprechenden Flächenelemente des
Gegenstandes, also kurz die Flächenvergrösserung, und man erhält
also durch diese Proportionen eine einfache Beziehung zwischen
der Vergrösserung und dem Verhältnisse der Kegelöffinungen eines
Elementarstrahlenbüschels. Dabei ist es, wie man leicht sieht, für
die Gültigkeit der Proportionen nicht gerade nöthig, dass die
Strahlen schliesslich convergirend sind, und sich in einem Punkte
wirklich schneiden, sondern sie können auch divergirend sein, so
dass ihre nach rückwärts gezogenen geradlinigen Verlängerungen
sich in einem Punkte schneiden, und das entstehende Bild ein in
der Optik sogenanntes vhiuelles ist.
Nimmt man als speciellen Fall an, das Mittel am Ausgangs-
und am Vereinigungspunkte sei gleich, wie es z. B. stattfindet,
wenn die Strahlen von einem in der Luft befindlichen Gegenstande
ausgehen, und, nachdem sie irgend welche Brechungen oder
Reflexionen erlitten haben, ein Bild geben, welches sich in der
Luft befindet, oder in der Luft gedacht wird, so ist Va =Vc und
Ua = Uc ZU setzen, und es kommt:
COS&a (— T ) '• COS&c ( — T ) = ^^c : dSa-
VpVa \Q'Jc
Fügt man ferner noch als Bedingung hinzu, dass das Elementar-
strahlenbüschel mit beiden Flächenelementen gleiche "Winkel bilde,
z. B. auf beiden senkrecht stehe, so heben sich auch die beiden
Cosinus fort, und es kommt:
346 Abschnitt XII
^d ö\ /ä 6
Q'/a \Q\
In diesem Falle stehen also die Kegelöffiiungen des Elementar-
strahlenbüschels am Gegenstande und am Bilde einfach im um-
gekehrten Verhältnisse, wie die Grössen der einander entsprechen-
den Flächenelemente von Gegenstand und Bild.
In der ebenso inhaltreichen als klaren Auseinandersetzung
der Gesetze der Brechung in Systemen kugeliger Flächen, welche
Helmholtz in seiner „Physiologischen Optik" i) gegeben hat, um
daran die Betrachtung derjenigen Brechungen zu knüpfen, welche
im Auge vorkommen, findet sich auf Seite 50, und erweitert auf
Seite 54 eine Gleichung, welche die Beziehung zwischen der Bild-
grösse und der Convergenz der Strahlen für den Fall ausdrückt,
wo die Ptichtungsänderung der Strahlen durch Brechung oder auch
durch Reflexion in centrirten Kugelflächen bewirkt wird, und wo
die Strahlen auf den betreffenden Ebenen, welche Gegenstand und
Bild enthalten, angenähert senkrecht stehen. In der Allgemein-
heit, wie in den Proportionen (29) und (30) ist die Beziehung, so
viel ich weiss, noch nirgends angegeben.
VI. Allgemeine Bestimmung der gegenseitigen Zustrahlung
zwischen Flächen, in denen beliebige Concentrationen vor-
kommen können.
§. 15. Allgemeiner Begriff der Strahlenconcentration.
Es muss nun die Betrachtung dahin verallgemeinert werden,
dass sie nicht bloss den extremen Fall, wo alle von einem Punkte
der Ebene a innerhalb eines gewissen endlichen Kegelraumes aus-
gehenden Strahlen wieder in einem Punkte der Ebene c zusammen-
treffen, so dass dort ein conjugirter Brennpunkt entsteht, sondern
jeden beliebigen Fall der Strahlenconcentration umfasst.
Um den Begriff der Concentration näher festzustellen, sei
folgende Definition eingeführt. Wenn von irgend einem Punkte ^)„
Strahlen ausgehen und auf die Ebene c fallen, und diese Strahlen
haben in der Nähe dieser Ebene solche Richtungen, dass an einer
Allgemeine Encyklopädie der Physik, herausgegeben von G. Karsten.
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 347
Stelle der Ebene die Dichtigkeit der auffallenden Strahlen gegen
die mittlere Dichtigkeit unendlich gross ist, so wollen wir sagen,
es finde an dieser Stelle Concentration der von pa ausgehenden
Strahlen statt.
Nach dieser Definition können wir den Fall der Strahlencon-
centration leicht mathematisch kenntlich machen. Wir nehmen
zwischen dem Punkte pa und der Ebene c irgend eine Zwischen-
ebene' &, welche so gelegen ist, dass in dieser keine Concentration
der von pa ausgehenden Strahlen stattfindet, und dass auch die
Ebenen h und c, soweit sie hierbei in Betracht kommen, zu ein-
ander in solcher Beziehung stehen, dass die von den Punkten der
einen ausgehenden Strahlenbüschel in der anderen keine Concen-
tration erleiden. Dann denken wir uns ein von p>a ausgehendes
unendlich schmales Strahlenbüschel, welches die Ebenen b und c
schneidet, und vergleichen die Grössen der Flächenelemente clsi
und dSc, in denen der Durchschnitt stattfindet. Wenn dann das
Element dSc im Verhältnisse zu ds^ verschwindend klein ist, so
dass nian setzen kann:
so ist das ein Zeichen, dass in der Ebene c Strahlenconcentration
in dem oben angegebenen Sinne stattfindet.
Gehen wir nun zu den in §. 7 gegebenen Gleichungen (11.)
zurück, so sind die in der ersten Horizontalreihe stehenden Glei-
chungen auf unseren gegenwärtigen Fall bezüglich, und unter den
drei dort befindlichen Brüchen, welche das Verhältniss der Flächen-
elemente darstellen, ist wiederum der erste in unserem Falle an-
wendbar, weil nach der gemachten Annahme über die Lage der
Zwischenebene die Grössen Ä und E sich in gewöhnlicher Weise
bestimmen lassen. Wir haben also die Gleichung:
dsc _ E
dsh A
Soll dieser das Verhältniss der beiden Flächenelemente ausdrückende
Bruch Null werden,, so muss es dadurch geschehen, dass der
Zähler i' Null wird, denn der Nenner A kann nach der gemachten
Annahme über die Lage der Ebene h nicht unendlich gross wer-
den.. Wir haben also als mathematisches Criterium zur Ent-
scheidung, ob, die vom Punkte pa ausgehenden Strahlen an der
betrefienden Stelle der Ebene c eine Concentration erleiden oder
nicht, die Bedingungsgleichung:
348 Abschnitt XII.
(32) E=0,
welche im Falle der Concentration erfüllt sein muss.
Nehmen wir nun umgekehrt an, es sei in der Ebene c ein
Punkt pc gegeben, und es soll entschieden werden, ob die von
diesem ausgehenden Strahlen an irgend einer Stelle, der Ebene a
eine Concentration erleiden, so haben wir in ganz entsprechender
Weise die Bedingung:
dSg __
und da wir nach (II.) setzen können:
dSa E
dsl~ C'
so erhalten wir wieder dieselbe Bedingungsgleichung:
In der That ist auch leicht zu sehen, dass in dem Falle, wo die
von einem Punkte der Ebene a ausgehenden Strahlen in einem
Punkte der Ebene c eine Concentration erleiden, auch umgekehrt
die von diesem letzteren Punkte ausgehenden Strahlen in dem
ersteren eine Concentration erleiden müssen.
Da wir in den Gleichungen (12) und (13) die Beziehungen
ausgedrückt haben, welche zwischen den sechs Grössen Ä, B, 6\
D^ E, F stattfinden, so können wir diese Gleichungen anwenden,
um zu erkennen, was in einem solchen Falle, wo ^ = 0 wird,
während Ä und C von Null verschiedene endliche Werthe haben,
aus den drei Grössen B, D und F wird. Nach jenen Gleichungen
hat man: y
(33) B = ^; D = ?l; F=§.
Daraus ergiebt sich, dass alle drei Grössen für den gegenwärtigen
Fall unendlich gross werden.
§. 16. Gegenseitige Zustrahlung eines Flächenelementes
und einer endlichen Fläche durch ein Element einer
Zwischenfläche.
Wir wollen nun das Verhältniss der Wärmemengen, welche
zwei Flächen durch Strahlung mit einander austauschen, in solcher
Weise zu bestimmen suchen, dass das Ptesultat, unabhängig davon,
Coneentratiou von Wärme- uud Liclitstrahlen. 349
ob eine Concentration von Strahlen stattiindet, oder nicht, in allen
Fällen gültig sein muss.
Der grösseren Allgemeinheit wegen seien statt der bisher be-
trachteten Ebenen a und c, zwei beliebige Flächen gegeben, welche
Sa und Sc heissen mögen. Zwischen ihnen nehmen wir irgend eine
dritte Pläche Si an, welche nur die Bedingung zu erfüllen braucht,
dass die Strahlen, welche von Sa nach s^ oder umgekehrt gehen,
in Sh keine Concentration erleiden. Nun sei in s« irgend ein
Element clsa gewählt, und in Sj, ein Element clsj^, welches so
liegt, dass die von dSa durch dsi gehenden Strahlen auf ihrer
Fortsetzung die Fläche Sc treffen. Dann wollen wir zunächst be-
stimmen: wie viel Wärme das Element dSa durch das Element ds^
hindurch der Fläche Sc zusendet^ und wie viel Wärme es durch
eben jenes Element der Zivischenfläche hindurch von der Fläche
Sc zurücTi erhält.
Um die zuerst genannte Wärmemenge zu erhalten, brauchen
wir nur zu bestimmen, wieviel Wärme das Element dSa dem Ele-
mente dsi zusendet, denn nach der gemachten Annahme über die
Lage des Elementes dsh muss alle diese Wärme, nachdem sie das
Element ds-b passirt hat, die Fläche .Sc treffen. Diese Wärmemenge
lässt sich mit Hülfe der früher entwickelten Formeln sofort aus-
drücken. Wir denken uns in einem Punkte des Elementes dSa
eine Tangentialebene an die Fläche §„ gelegt, und ebenso in einem
Punkte des Elementes dsy eine Tangentialebene an s&, und be-
trachten die gegebenen Flächenelemente als Elemente dieser Ebenen.
Wenn wir dann in diesen Tangentialebenen dieCoordinatensysteme.
Xaiija nnd Xi,yT) einführen, und die durch die dritte der Gleichungen
(I.) bestimmte Grösse C bilden, so wird die gesuchte Wärmemenge,
welche das Element dSa nach dem Elemente (?s&, und durch dieses
hindurch nach Sc sendet, dargestellt durch den Ausdruck:
C
CaVa'^ — dSadSh-
%
Was nun die Wärmemenge betrifft, welche das Element dSa
durch dsT, hindurch von der Fläche Se erhält, so findet in Bezug
auf die Punkte der Fläche Sc^ von welchen diese Strahlen ausgehen,
im Allgemeinen nicht jenes einfache Verhalten statt, wie in jenem
speciellen Falle, wo das Element dSa ein in die Fläche Sc fallendes
optisches Bild dSc hat, und daher selbst ebenfalls das optische
Bild des Elementes dSc ist. Wählen wir in dem Zwischenelemente
dsji einen bestimmten Punkt 2)6, und denken uns von allen Punkten
350 Absclinitt XII.
des Elementes dSa Strahlen durch diesen Punkt gehend, so er-
halten wir ein unendlich schmales Strahlenbüschel, welches die
Fläche So in einem gewissen Flächenelemente schneidet. Dieses
Flächenelement ist es, welches dem Elemente dSa durch den ge-
wählten Punkt j)ö hindurch Strahlen zusendet. Wählen wir nun
aber in dem Zwischenelemente dsj, einen anderen Punkt .als
Kreuzungspunkt des Strahlenbüschels , so erhalten wir in der
Fläche Sc ein etwas anders liegendes Element, Die Strahlen, welche
das Element dSa von der Fläche Sc durch verschiedene Punkte des
Zwischenelementes erhält, stammen also nicht alle von einem und
demselben Elemente der Fläche Sc her.
Da nun aber die Grösse des Zwischenelementes d s& willkürlich
ist, so hindert uns nichts, dieses Element so klein zu nehmen,
dass es ein unendlich Kleines von höherer Ordnung ist, als das
gegebene Element dSa- Wenn in diesem Falle der Kreuzungs-
punkt des Strahlenbüschels innerhalb des Elementes dsi, seine
Lage ändert, so kann dadurch das Element der Fläche Sc, welches
dem Elemente dSa entspricht, seine Lage nur so wenig ändern,
dass die Unterschiede im Vergleiche mit den Dimensionen des
Elementes unendlich klein sind, und daher vernachlässigt werden
dürfen. Man kann somit in diesem Falle das Element dSc, welches
man erhält, wenn man einen beliebigen Punkt pi des Elementes
dsi auswählt, und zum Kreuzungspunkte des von dSa ausgehen-
den Strahlenbüschels macht, als denjenigen Theil der Fläche Sp
betrachten, welcher durch ds^, hindurch mit dem Elemente dSa
Strahlen austauscht.
Die Grösse dieses Elementes dSc können wir dem Früheren
nach leicht ausdrücken. Wir denken uns, wie vorher, in dem
Punkte pj, eine Tangentialebene an die Fläche Ss, und ebenso in
einem Punkte des Elementes dSa und in einem Punkte des Ele-
mentes dSc Tangentialebenen an die Flächen Sa und Sc gelegt, und
betrachten die beiden letzteren Flächenelemente als Elemente der
Tangentialebenen. Führen wir dann in den drei Tangentialebenen
Coordinatensysteme ein, und bilden die durch die erste und dritte
der Gleichungen (L) bestimmten Grössen Ä und C, so können wir
nach (IL) schreiben:
tt Sc —j d Sa'
Die Wärmemenge, welche dieses Element dSc dem Elemente
dsj) zusendet, und welche wir, wie gesagt, als diejenige ansehen
Concentration von Wärme- und Lichtstrahlen. 351
können, die das Element dSa durch clsh hindurch von der Fläche
Sc erhält, wird dargestellt durch :
Ä
und wenn wir hierin für dSc den in der vorigen Gleichung gege-
benen Werth setzen, so kommt:
o C' 7 7
ßcVc- — dSadSi.
7t
Vergleicht man diesen Ausdruck mit dem oben gefundenen,
welcher die Wärmemenge darstellt, die das Element dSa durch
dsi, hindurch der Fläche Sc zusendet, so sieht man, dass sich 1)eide
unter einander verhalten wie 6«^«^ : ec^c^. Nimmt man nun an,
dass Sa und s^ die Oberflächen zweier vollkommen schwarzer Kör-
per von gleicher Temperatur seien, und macht für solche Flächen,
wie es sich schon bei der ohne Concentration stattfindenden Wärme-
strahlung als nothwendig herausstellte, die Annahme, dass die
beiden Producte ^„^«2 yxndi e^Vc^ gleich sind, so sind auch die durch
die beiden Ausdrücke dargestellten Wärmemengen gleich.
§. 17. Gegenseitige Zustrahlung ganzer Flächen.
Wählt man in der Zwischenfläche Sj statt des vorher be-
trachteten Elementes ein anderes, auch als unendlich klein von
höherer Ordnung vorausgesetztes Element, so hat dasjenige Ele-
ment der Fläche s^^ welches durch dieses Element der Zwischen-
fläche hindurch mit dem Elemente dsa Strahlen austauscht, eine
andere Lage, als im vorigen Falle, aber wiederum sind die beiden
ausgetauschten Wärmemengen unter einander gleich; und ebenso
verhält es sich mit allen anderen Elementen der Zwischenfläche.
Um die Wärmemenge zu erhalten, welche das Element dSa
der Fläche Sc nicht nur durch ein einzelnes Element der Zwischen-
fläche, sondern im Ganzen zusendet, und ebenso die Wärmemenge,
welche es im Ganzen von Sc zurückerhält, muss man die beiden
gefundenen Ausdrücke in Bezug auf die Fläche s-b integriren , und
das Integral auf den Theil dieser Fläche ausdehnen , welcher von
den Strahlen, die von dem Elemente fZs« nach der Fläche s^ und
umgekehrt gehen, getroffen wird. Dabei versteht es sich von
selbst, dass, wenn für jedes Flächenelement dsy^ die beiden Diffe-
352 Absclinitt XII.
rentialausdrücke gleich sind, dann auch die Integrale gleich sein
müssen.
Will man endlich die Wärmemengen haben, welche die ganze
Fläche Sa mit der Fläche Sc austauscht, so muss man die beiden
Ausdrücke auch in Bezug auf die Fläche s« integriren, wodurch
wiederum die Gleichheit, welche für die einzelnen Elemente dsa
besteht, nicht gestört werden kann.
Der weiter oben für speciellere Fälle gefundene Satz, dass
zwei vollkommen schwarze Körper von gleicher Temperatur, so-
fern die Gleichung e^^a^ = ßcVc^ für sie gilt, gleich viel Wärme
mit einander austauschen, ergiebt sich somit auch als Resultat
einer Betrachtung , welche ganz davon unabhängig ist , ob die von
Sa ausgehenden Strahlen in s^ , und umgekehrt die von Se ausgehen-
den Strahlen in s« eine Concentration erleiden, oder nicht, indem
nur die Bedingung gestellt wurde, dass die von s« und Sc ausgehen-
den Strahlen in der Zwischenfläche s^ keine Concentration erleiden,
eine Bedingung, welche sich immer erfüllen lässt, da man die
Zwischenfläche beliebig wählen kann.
Aus diesem Resultate folgt natürlich auch weiter, dass, wenn
ein gegebener schwarzer Körper nicht bloss mit Einem, sondern
mit beliebig vielen anderen schwarzen Körpern von gleicher Tem-
peratur in Wechselwirkung steht, er von allen zusammen gerade
so viel Wärme erhält, als er ihnen zusendet.
§. 18. Berücksichtigung verschiedener Nebenumstände.
Alle vorstehenden Entwickelungen wurden unter der Voraus-
setzung gemacht, dass die vorkommenden Brechungen und Re-
flexionen ohne Verlust geschehen, und keine Absorption stattfinde.
Man kann sich aber leicht davon überzeugen, dass das gewonnene
Resultat sich nicht ändert, wenn man diese Bedingung fallen
lässt. Betrachtet man nämlich die verschiedenen Vorgänge, durch
welche ein Strahl auf dem Wege von einem Körper zu einem
anderen geschwächt werden kann, sei es dadurch, dass an einer
Stelle, wo der Strahl die Grenzfläche zweier Mittel trifft, ein Theil
unter Brechung in das angrenzende Mittel eindringt und der
andere reflectirt wird, so dass man es, mag man den einen oder
den anderen Theil als die Fortsetzung des ursprünglichen Strahles
betrachten, in beiden Fällen mit einem geschwächten Strahle zu
Concenti'ation von Wärme- und Liclitstralilen. 353
thun hat, oder sei es dadurch, dass der Strahl heim Durchdringen
eines Mittels theilweise al)sorbirt wird, so gilt in jedem dieser Fälle
das Gesetz, dass bei zwei Strahlen, welche sich auf demselben Wege
hinwärts und rückwärts fortpflanzen, die Schwächung in gleichem
Verhältnisse stattfindet. Die Wärmemengen, welche zwei Körper
sich gegenseitig zusenden, werden daher durch solche Vorgänge
stets beide in gleicher Weise geschwächt, so dass, Avenn sie ohne
die Schwächung gleich gewesen wären, sie auch nach der Schwächung
gleich sind.
Mit den vorher erwähnten Vorgängen hängt auch ein anderer
Umstand zusammen, nämlich der, dass ein Körper aus einer und
derselben Richtung Strahlen erhalten kann, welche von verschie-
denen Körpern herstammen. Unser Körper, welcher Ä heisse,
kann z, B, aus einem Punkte, welcher an der Grenzfläche zweier
Mittel liegt, zwei der Richtung nach zusammenfallende, aber doch
von zwei verschiedenen Körpern, JB und C, herstammende Strah-
len erhalten, von welchen der eine aus dem angrenzenden Mittel
kommt, und in jenem Punkte gebrochen ist, und der andere schon
vorher in demselben Mittel war, und in jenem Punkte reflectirt
ist. In diesem Falle sind aber beide Strahlen durch die Brechung
und die Reflexion in der Weise geschwächt, dass, wenn sie vorher
beide gleich stark waren , nachher ihre Summe ebenso stark ist,
wie vorher jeder einzelne. Denkt man sich dann von unserem
Körper Ä in umgekehrter Richtung einen ebenso starken Strahl
ausgehend, so wird dieser in demselben Punkte in zwei Theile
getheilt, von denen der eine in das angrenzende Mittel eindringt,
und dann weiter nach dem Körper B geht, und der andere reflec-
tirt wird, und nach dem Körper C geht. Die beiden Theile, welche
in dieser Weise von Ä nach JB und C gelangen, sind ebenso gross,
wie die Strahlentheile, welche A von B und C erhält. Der Körper
Ä steht also mit jedem der beiden Körper B und C in jener
Wechselbeziehung, dass er, unter Voraussetzung gleicher Tempe-
raturen, gleich viel Wärme mit ihm austauscht. Dasselbe muss
wegen der Gleichheit der Wirkungen, welche zwei auf irgend einem
Wege hin- und zurückgehende Strahlen erleiden, in allen anderen
noch so complicirten Fällen stattfinden.
Wenn man ferner statt der vollkommen schwarzen Körper
auch solche betrachtet, welche die auf sie fallenden Strahlen nur
theilweise absorbiren, oder wenn man statt der homogenen Wärme
solche Wärme betrachtet, welche Wellensysteme von verschiedenen
Clausius, mechan. Wännetlieorie. I. 2H
354 Absclinitt XII.
Wellenlängen gemischt enthält, oder endlich, wenn man, anstatt
alle Strahlen als impolarisirte anzusehen, auch die Polarisations-
erscheinungen berücksichtigt, so kommen in allen diesen Fällen
immer nur solche Umstände zur Sprache, welche in gleicher Weise
für die vom Körper ausgesandte Wärme gelten, wie für die, welche
er von anderen Körpern empfängt.
Es ist nicht nöthig, auf alle diese Umstände hier näher ein-
zugehen, denn diese Umstände finden auch bei der gewöhnlichen,
ohne Concentration vor sich gehenden Strahlung statt , und der
Zweck der vorliegenden Abhandlung bestand nur darin, die Wir-
kungen zu betrachten, welche durch die Concentration der Strahlen
möglicher Weise entstehen können.
§. 19. Zusammenstellung der Resultate.
Die Hauptresultate der angestellten Betrachtungen können
kurz folgendermaassen ausgesprochen werden.
1) Um die Wirkungen der gewöhnlichen, ohne Concentration
stattfindenden Wärmestrahlung mit dem Grundsatze, dass die Wärme
nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper
übergehen kann, in Einklang zu bringen, ist es nothwendig anzu-
nehmen, dass die Stärke der Emission eines Körpers nicht nur von
seiner eigenen Beschaffenheit und seiner Temperatur, sondern auch
von der Natur des umgebenden Mittels abhängt, und zwar in der
Weise, dass die Emissionsstärken in verschiedenen Mitteln im
umgekehrten Verhältnisse stehen mit den Quadraten der Fort-
pflanzungsgeschwindigkeiten der Strahlen in den Mitteln, oder im
directen Verhältnisse mit den Quadraten derBrechungscoefficienten
der Mittel.
2) Wenn diese Annahme über den Einfluss des umgebenden
Mittels auf die Emission richtig ist, so ist jener Grundsatz nicht
nur bei der ohne Concentration stattfindenden Wärmestrahlung
erfüllt, sondern er muss auch gültig bleiben, wenn die Strahlen
durch Brechungen oder Reflexionen in beliebiger Weise concen-
trirt werden, denn die Concentration kann zwar die absolute Grösse
der Wärmemengen, welche zwei Körper einander durch Strahlung
mittheilen, nicht aber das Verhältniss dieser Wärmemengen ändern.
ABSCHNITT XIIT.
Discussionen über die vorstehend entwickelte Form der
meclianischen Wärmetheorie und ihre Begründung.
§. 1. Verschiedene Ansichten über die Beziehung
zwischen "Wärme und meclianischer Arbeit.
Die Entwickelung der mechanischen Wärmetheorie ist nicht
ohne vielfache und lebliafte Discussionen vor sich gegangen,
welche auch sonst bei der Geltendmachung neuer Ideen zur Klar-
stellung und zur Vertheidigung gegen Einwände nothwendig zu
sein pflegen. Einige dieser Discussionen haben im Laufe der
Zeit ihre Bedeutung verloren, indem sie sich auf Fragen bezogen,
die gegenwärtig kaum noch zu Zweifeln Anlass geben. Andere
dagegen scheinen mir, theils in historischer, theils in theoretischer
Beziehung, auch jetzt noch von hinlänglichem Interesse zu sein,
um eine zusammenfassende Besprechung zu rechtfertigen, welche
den Gegenstand dieses letzten Abschnittes bilden soll.
Wie schon in Abschnitt III. erwähnt wurde, ist der erste be-
deutsame Versuch, die Arbeitsleistung der Wärme auf ein allge-
meines Princip zurückzuführen, von S. Gar not gemacht, welcher,
von der Voraussetzung ausgehend, dass die Quantität der vor-
handenen Wärme unveränderlich sei, annahm, das Herabsinken
von Wärme von einer höheren zu einer tieferen Temperatur bringe
in ähnlicher Weise mechanische Arbeit hervor, wie das Herab-
sinken von Wasser von einer höher gelegenen zu einer tiefer
gelegenen Stelle.
23*
356 Abschnitt XIII.
Neben dieser Auffassung maclite sich allmälig die Ansicht
geltend, dass die Wärme eine Bewegung sei und dass zur Hervor-
bringung von Arbeit Wärme verbraucht werde. Diese Ansicht
war seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts schon hin und wieder
von einzelnen Autoren, wie Rumford, Davy und Seguin, ge-
äussert i); aber erst in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts
wurde das dieser Ansicht entsprechende Gesetz der Aequivalenz
von Wärme und Arbeit von Mayer und Joule bestimmt ausge-
sprochen und von Letzterem durch mannigfaltige und ausgezeich-
nete experimentelle Untersuchungen als richtig nachgewiesen. Bald
darauf wurde auch das verallgemeinerte Princip von der Erhaltung
der Energie von Mayer 2) und in besonders klarer und umfassen-
der Weise von Helmholtz^) aufgestellt und auf verschied'ene
Naturkräfte angewandt.
Hiermit war für die Wärmelehre der Anknüpfungspunkt neuer
Untersuchungen gegeben; aber die Durchführung derselben bot
natürlich bei einer schon so weit ausgebildeten Theorie, welche
mit allen Zweigen der Naturwissenschaft verwachsen war und das
ganze physikalische Denken beeinflusste, grosse Schwierigkeiten
dar. Auch war die Anerkennung, welche die Car not' sehe Be-
handlung der mechanischen W^irkungen der Wärme, besonders
nachdem sie von Clapeyron in eine elegante analytische Form
gebracht war, sich erworben hatte, für die Annahme der neuen
Ansicht ungünstig. Man glaubte sich nämlich in die Alternative
versetzt, entweder die Carnot'sche Theorie beizubehalten, und
die neuere Ansicht, nach welcher zur Erzeugung von Arbeit Wärme
verbraucht werden muss, zu verwerfen, oder umgekehrt sich zu
der neueren Ansicht zu bekennen und die Carnot'sche Theorie
zu verwerfen.
§. 2. Abhandlungen von Thomson und mir.
Sehr bestimmt spricht sich über den damaligen Stand der
Sache der berühmte englische Physiker W. Thomson aus in
1) In einem 1837 publicirten Aufatze von Molir wird die Wärme an
einigen Stellen eine Bewegung, an anderen eine Kraft genannt.
2) Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoff-
wechsel; Heilbronn 1845.
3) Ueber die Erhaltung der Kraft; Berlin 1847.
Disciissionen über die mechanische Wäi-metheorie. 357
einer interessanten Abhandlung, welche er im Jahre 1849, als die
meisten der oben erwähnten Untersuchungen von Joule schon er-
schienen und ihm bekannt waren, unter dem Titel ,^An Account of
Carnofs TJieory of thc Motive Poiver of Heat; ivith Numerical
Besults deduced from liegnault's Experiments on Steam'-'- publi-
cirte 1). In dieser Abhandlung stellt er sich noch ganz auf den Stand-
punkt von Carnot, dass die Wärme Arbeit leisten könne, ohne
dass die Quantität der vorhandenen Wärme sich ändere. Er führt
zwar eine Schwierigkeit an, welche dieser Ansicht entgegensteht,
und sagt dann (S. 545): „Es möchte scheinen, dass die Schwierigkeit
ganz vermieden werden würde, wenn man Carnot's Fundamental-
Axiom verliesse, eine Ansicht, welche von Herrn Joule stark urgirt
wird." Er fügt jedoch hinzu: „Wenn wir dieses aber thun, so
stossen wir auf unzählige andere Schwierigkeiten, welche, ohne
fernere experimentelle Untersuchung und einen vollständigen Neu-
bau der Wärmetheorie von Grund auf, unüberwindlich sind. Es
ist in der That das Experiment, auf welches wir ausschauen müssen,
entweder für eine Bestätigung des Carnot' sehen Axioms und eine
Erklärung der Schwierigkeit, die wir betrachtet haben, oder für
eine ganz neue Grundlage der Wärmetheorie."
Zur Zeit des Erscheinens dieser Abhandlung schrieb ich meine
erste Abhandlung über die mechanische Wärmetheorie, welche im
Februar 1850 in der Berliner Akademie vorgetragen und im März-
und Aprilheft von Poggendorff's Annalen gedruckt wurde. In
dieser Abhandlung habe ich versucht, jenen Neubau zu beginnen,
ohne fernere Experimente abzuwarten, und ich glaube darin die
von Thomson erwähnten Schwierigkeiten soweit überwunden zu
haben, dass für alle weiteren Untersuchungen dieser Art der Weg
geebnet war.
Ich zeigte darin, in welcher Weise die Eundamentalbegriffe
und die ganze mathematische Behandlung der Wärme abgeändert
werden mussten, wenn man den Satz von der Aequivalenz von
Wärme und Arbeit annahm, und wies ferner nach, dass man auch
die Gar not' sehe Theorie nicht ganz zu verwerfen brauchte, son-
dern einen von dem Carnot'schen nur wenig abweichenden, aber
auf andere Art begründeten Satz annehmen konnte, welcher sich
mit. dem Satze von der Aequivalenz von Wärme und Arbeit ver-
einigen Hess, um mit ihm zusammen die Grundlage der neuen
1) Travsact. of tlie Eoyal Soc. of Edinh. Vol. XVI, p. 541.
358 Abschnitt XIII.
Theorie zu bilden. Diese Theorie entwickelte ich dann speciell
für vollkommene Gase und gesättigte Dämpfe und erhielt dadurch
eine Reihe von Gleichungen, welche in derselben Form jetzt
allgemein angewandt werden und oben im zweiten und sechsten
Abschnitte mitgetheilt sind.
§. 3. Abhandlungen von Rankine und spätere Abhand-
lung von Thomson.
In demselben Monate (Februar 1850), in welchem meine Ab-
handlung in der Berliner Akademie vorgetragen wurde, wurde auch
in der Edinburger Eoyal Society eine sehr werthvolle Abhandlung
von Rankine vorgetragen, welche dann in den Transactions dieser
Gesellschaft veröffentlicht isti).
Rankine stellt darin die Hypothese auf, dass die Wärme in
einer wirbelnden Bewegung der Molecüle bestehe, und leitet dar-
aus in sehr geschickter Weise eine Reihe von Sätzen über das Ver-
halten der Wärme ab, welche mit den von mir aus dem ersten
Hauptsatze abgeleiteten übereinstimmen.
Der ^iveite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie ist in
dieser Abhandlung von Rankine noch nicht behandelt, sondern
erst in einer anderen Abhandlung, welche ein Jahr später (April
1851) in der Edinburger Royal Society vorgetragen wurde 2). Er
sagt darin selbst 3), er habe zuerst gegen die Richtigkeit der Schluss-
weise, durch welche ich diesen Satz aufrecht erhalten habe, Zweifel
gehegt, sei dann aber durch W. Thomson, dem er seine Zweifel
mitgetheilt habe, veranlasst, den Gegenstand näher zu untersuchen.
Dabei habe er gefunden, dass dieser Satz nicht als ein unabhän-
giges Princip in der Wärmetheorie zu behandeln sei, sondern dass
er als eine Folge aus denjenigen Gleichungen abgeleitet werden
könne, welche in der ersten Section seiner früheren Abhandlung
gegeben seien. Er theilt dann den neuen Beweis des Satzes mit,
welcher aber, wie weiter unten noch gezeigt werden soll, für ge-
wisse und gerade sehr wichtige Fälle mit seinen eigenen an anderen
Stellen ausgesprochenen Ansichten im Widerspruche steht.
1) Bd. XX, S. 147. Sie ist 1854 mit einigen Abänderungen noch einmal
abgedruckt im Phil Mag. Ser. IV, Vol. VII, p. 1, 111 u. 172.
2) Eclinl. Trans. XX, p. 205; Phil. Mag. S. IV, Vol. VII, p. 249.
3) Phil. Mag. Vol. VII, p. 250.
Discnssioneii übei' die mechanische Wärrnetlieorie. 359
Rankine hat die Abhandlung von 1851 seiner früheren Ab-
handlung wegen der Verwandtschaft des Inhaltes in der Weise
angefügt, dass er sie als fünfte Section derselben bezeichnet hat.
Dadurch ist bei einigen Autoren der Irrthum entstanden, als ob
diese neue Abhandlung schon ein Theil jener früheren Abhandlung
gewesen wäre und demnach Rankine gleichzeitig mit mir einen
Beweis des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie
gegeben hätte. Aus dem Vorstehenden ist aber ersichtlich, dass
sein Beweis (abgesehen davon, in wie weit er genügend ist), erst
ein Jahr nach dem meinigen gegeben ist.
Ebenfalls im Jahre 1851 (im März) wurde auch von W.Thom-
son eine zweite Abhandlung über die Wärmetheorie der Edinburger
Roijal Society vorgelegt i). In dieser Abhandlung verlässt er seinen
früheren Standpunkt in Bezug auf die Carnot'sche Theorie, und
schliesst sich meiner Auffassung des zweiten Hauptsatzes der
mechanischen Wärmetheorie an. Er hat dabei die Betrachtungen
erweitert. Während ich mich bei der mathematischen Behand-
lung des Gegenstandes auf die Betrachtung der Gase, der Dämpfe
und des Verdampfungsprocesses beschränkte, und nur hinzufügte,
man werde leicht sehen, wie sich entsprechende Anwendungen auch
auf andere Fälle machen lassen, hat Thomson eine Reihe all-
gemeinerer, vom Aggregatzustande der Körper unabhängiger
Gleichungen entwickelt, und ist erst dann zu specielleren An-
wendungen übergegangen.
In einem Punkte aber bleibt auch diese spätere Abhandlung
hinter der meinigen zurück. Thomson hält nämlich auch hier
noch für gesättigten Dampf am Mariotte' sehen und Gay-
Lu SS ac 'sehen Gesetze fest, indem er eine in meinen Entwicke-
lungen vorkommende Hypothese 2), mit Hülfe deren ich unter
anderen gewisse Schlüsse über das Verhalten der Dämpfe ge-
zogen hatte, beanstandet. Er sagt darüber s): „Ich kann nicht
einsehen, dass irgend eine Hypothese der Art, wie die von
Clausius bei seinen Untersuchungen über diesen Gegenstand
zu Grunde gelegte, welche, wie er zeigt, zu Bestimmungen der
1) Ediiib. Trans. Vol. XX, p. 261; wieder abgedruckt im Phil. Mag.
Ser. IV, Vol. IV, p. 8, 105 und 16S. Deutsch in Krönig 's Journ. für
Physik des Auslandes Bd. III, S. 233.
2) Nämlich die in Abschnitt II, §. 2 besprochene Nebenannahme.
3) Edmb. Trans. Vol. XX, j). 277; Phü. Mag. Vol. IV, p- lU; und
Krönig's Joimial Bd. III, S. 260.
360 Absclinitt XIII.
Dichtigkeiten des gesättigten Dampfes bei verschiedenen Tem-
peraturen führt, die enorme Abweichungen von den Gas-Gesetzen
der Veränderung mit Temperatur und Druck ergeben, wahr-
scheinlicher ist, oder wahrscheinlich der Richtigkeit näher kommt,
als dass die Dichtigkeit des gesättigten Dampfes diesen Gesetzen
folgt, wie es gewöhnlich von ihr angenommen wird. Im gegen-
wärtigen Zustande der Wissenschaft würde es vielleicht unrichtig
sein, zu sagen, dass eine Hypothese wahrscheinlicher sei, als die
andere."
Erst mehrere Jahre später, nachdem er sich durch gemeinsam
mit Joule angestellte Versuche davon überzeugt hatte, dass die
von mir angenommene Hypothese in den von mir selbst schon
bezeichneten. Grenzen richtig ist, hat auch er zur Bestimmung der
Dichtigkeiten des gesättigten Dampfes dasselbe Verfahren, wie ich,
angewandt ij.
Rankine und Thomson haben die im Vorigen angegebene
Stellung, welche unsere ersten Arbeiten über die mechanische
Wärmetheorie zu einander einnahmen, so viel ich weiss, immer
auf das Bereitwilligste anerkannt. Thomson sagt in seiner Ab-
handlung 2): „Die ganze Theorie der bewegenden Kraft der Wärme
gründet sich auf die beiden folgenden Sätze , welche beziehentlich
von Joule und von Carnot und Clausius herstammen", Dem-
gemäss führt er darauf den zweiten Hauptsatz der mechanischen
Wärmetheorie unter der Bezeichnung „Prop. II. (Carnot and
Clausius)" an. Nachdem er sodann einen von ihm selbst gefun-
denen Beweis dieses Satzes mitgetheilt hat, fährt er fort 3): „Es
ist nicht mit dem Wunsche eine Priorität zu reclamiren, dass ich
diese Auseinandersetzungen mache, da das Verdienst, den Satz
zuerst auf richtige Principien gegründet zu haben, vollständig
Clausius gebührt, welcher seinen Beweis desselben im Monat
Mai des vorigen Jahres im zweiten Theil seines Aufsatzes über
die bewegende Kraft der Wärme publicirte,"
In der im Jahre 1871 erschienenen ersten Auflage des schönen
Werkes von Maxwell „TJieory of Heaf-^ war in den historischen
Bemerkungen der Sachverhalt anders dargestellt, als es vorstehend
1) PMl Trans. 1854, ii. 321.
2) Edinh. Trans. Vol. XX, p. 364; PMl Mag. Vol. IV, p. 11; Krö-
nig's Journal III, S. 238.
3) Au den obis-en Orten S. 266. 14 und 242.
Discussionen über die mechanische Wärmetheorie. 361
geschehen ist. Nachdem ich aher in einer Reclamation ij auf die
Unrichtigkeit dieser Darstellung aufmerksam gemacht hatte, hat
Maxwell in der bald darauf erschienenen zweiten Auflage seines
Werkes alle von mir angefochtenen Stellen in dem von mir an-
gedeuteten Sinne geändert. Es ist daher nicht daran zu zweifeln,
dass die in der ersten Darstellung enthaltenen Irrthümer nur
auf unvollkommener Kenntniss der ausserenglischen Literatur be-
ruhten, die bei einem so unausgesetzt durch eigene Schöpfungen
in Anspruch genommenen Forscher leicht erklärlich ist.
§. 4. Verschiedene Veranlassungen zu Einwendungen.
Die ersten Einwendungen . welche die mechanische Wärme-
theorie erfuhr, und welche zum Theil die Form von heftigen
Angriffen annahmen, waren dadurch veranlasst, dass die Wärme-
menge Q, welche ein Körper aufnehmen musste, während er aus
einem gegebenen Anfangszustande in seinen gegenwärtigen Zu-
stand überging, nach der neuen Theorie eine Grösse von anderer,
Art ist, als man früher angenommen hatte. Früher wurde es
als selbstverständlich angenommen, dass diese Wärmemenge Q
durch den gegenwärtigen Zustand des Körpers vollkommen be-
stimmt sei, so dass man sie einfach als Function derjenigen
Veränderlichen betrachten könne, welche den Zustand des Körpers
bestimmen. Nach der neuen Theorie dagegen sind, falls die
Veränderungen als umkehrbar vorausgesetzt werden, die nach
jenen Veränderlichen genommenen Differentialcoefficienten von Q
allerdings Functionen jener Veränderlichen, Q selbst aber lässt
sich nicht durch eine solche Function darstellen, sondern kann
erst bestimmt werden, wenn ausser dem gegenwärtigen Zustande,
des Körpers auch der Weg, auf welchem er in denselben ge-
langte, bekannt ist. Das Letztere findet seinen mathematischen
Ausdruck darin, dass die vollständigen Differentialgleichungen,
welche sich für Q aufstellen lassen, nicht integrabel sind.
Da solche Differentialgleichungen, obwohl ihre Behandlung
schon längst von Monge festgestellt war, bis dahin in der Phy-
sik und Mechanik nicht angewandt waren, so fanden die in der
mechanischen Wärmetheorie mit ihnen angestellten Rechnungen
nicht überall das richtige Verständniss und wurden von manchen
1) Pogg. Ann. Bd. 145, S. 132.
362 Abschnitt XIII.
Vertretern jener Fächer für falsch gehalten. So erschien z. B. in
Dingler's Polytechnischem Journal (Bd. 148) eine Abhandlung von
De eher, in welcher die betreffenden Rechnungen geradezu als
Misshandlung der Analysis, Pfuscherei und Unsinn bezeichnet
wurden. Einwendungen dieser Art Hessen sich natürlich leicht
widerlegen; um jedoch für die Zukunft solchen Missverständ-
nissen vorzubeugen, habe ich es für zweckmässig gehalten, meinen
Auseinandersetzungen über die mechanische Wärmetheorie die
am Anfange dieses Bandes befindliche mathematische Einleitung
hinzuzufügen.
Andere Einwendungen, wie sie z. B, von Holtzmanni)
erhoben wurden, beruhten darauf, dass gewisse aus der neuen
Theorie hervorgegangene Folgerungen mit den Ergebnissen älterer
Experimentaluntersuchungen nicht übereinstimmten. So hielt
man es z. B. nach Versuchen von Suermann und von De la
Roche und Berard für feststehend, dass die specifische Wärme
eines Gases um so geringer sei, je mehr das Gas verdichtet sei.
Die mechanische Wärmetheorie dagegen ergab für vollkommene
Gase die Schlussfolgerung, dass ihre specifische Wärme von dem
Grade ihrer Verdichtung unabhängig sein müsse. Dieser Wider-
spruch zwischen Theorie und Erfahrung wurde einige Zeit später
durch die Veröffentlichung der Regnault' sehen Versuche über
die specifische Wärme der Gase 2) gehoben, indem durch dieselben
der aus der mechanischen Wärmetheorie gezogene Schluss voll-
ständig bestätigt wurde.
Grössere und andauerndere Schwierigkeiten hat die Annahme
des neuen Beweises des zweiten Hauptsatzes der mechanischen
Wärmetheorie gefunden. Der von Carnot für die ursprüngliche
Form des Satzes gegebene Beweis, welcher auf der Unmöglichkeit
der Erzeugung von Arbeit aus Nichts beruhte, konnte auf die
veränderte Form des Satzes keine Anwendung finden, weil bei
dieser vorausgesetzt wird, dass mit jeder Hervorbringung von
Arbeit ein Verbrauch von Wärme verbunden ist, so dass in keinem
Falle die Rede davon sein kann, dass die Arbeit aus Nichts ent-
standen sei. Ich habe daher für den veränderten Satz auch
einen anderen Beweis gegeben, welcher sich auf folgenden von
mir aufgestellten Grundsatz stützt.
1) Pogg. Ann. Bd. 82, S. 445.
2) Comftes rendus T. XXXVI, 1853; später vollständig veröffentlicht
im zweiten Baude seiner Melation des experiences.
Discussionen über die mechanische Wärmetheorie. 363
Die Wärme kann nicht von selbst (oder ohne Compensation)
aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen.
Dieser Grundsatz hat bei manchen Autoren eine von meinen An-
sichten abweichende Auffassung gefunden; die Abweichungen
gehen aber nach verschiedenen, zum Theil einander entgegen-
gesetzten Richtungen. Während man ihn einerseits als so selbst-
verständlich betrachtete, dass man es für unnöthig hielt, ihn als
besonderen Grundsatz auszusprechen, zog man andererseits seine
Richtigkeit in Zweifel.
Da auch jetzt noch Meinungsdifi'erenzen in dieser Beziehung
bestehen, wird es zweckmässig sein, die bisher hierüber geführten
Discussionen etwas näher zu besprechen, indem die weitere Be-
handlung des Gegenstandes durch die Kenntniss dessen, was
darüber schon geschrieben ist, erleichtert wird.
§. 5. Zeuner's erste Behandlung des Gegenstandes.
Die am Schlüsse des vorigen Paragraphen zuerst erwähnte
Auflassung findet sich in der von Zeuner im Jahre 1860 heraus-
gegebenen sehr verdienstlichen Schrift „Grundzüge der mecha-
nischen Wärmetheorie".
Zeuner theilt in dieser Schrift meinen Beweis des zweiten
Hauptsatzes im Wesentlichen in der Form mit, in welcher Reech
ihn wiedergegeben hat i). In einem Punkte aber weicht seine Dar-
stellung von jener ab. Reech nämlich führt den Satz, dass die
Wärme nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren
Körper übergehen kann, ausdrücklich als einen von mir aufge-
stellten Grundsatz an, und basirt darauf den Beweis. Zeuner
dagegen erwähnt diesen Satz gar nicht, sondern zeigt nur, dass,
wenn für irgend 2wei Körper der zweite Hauptsatz der mechani-
schen Wärmetheorie nicht gültig wäre, man durch zwei mit diesen
beiden Körpern in entgegengesetzter Weise ausgeführte Kreis-
processe ohne eine sonstige Veränderung Wärme aus einem kälte-
ren in einen wärmeren Körper übertragen könnte, und fährt dann
fort 2) : „Da wir beide Processe beliebig oft wiederholen können, in-
^) Mecapitulation tres - succincte des r edier dies algehriqiies faites sur
la theorie des effects mecaniques de la dialcnr par differents auteurs :
Journ. de Liouvüle IL ser. t I, p. 58.
^) S. 24 seines Buches.
364 Abschnitt XIII.
dem wir in der bezeichneten Weise die beiden Körper abwechselnd
anwenden, so würde daraus hervorgehen, dass wir mit Nichts,
ohne Aufwand von Arbeit oder Wärme, fortwährend Wärme von
einem Körper von niederer zu einem Körper von höherer Tempe-
ratur überführen könnten; was eine Ungereimtheit wäre."
Dass die Unmöglichkeit, ohne eine sonstige Veränderung
Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren Körper überzufüh-
ren, so ohne Weiteres evident sei, wie es hier in der kurzen Be-
merkung: „was eine Ungereimtheit wäre", angedeutet ist, werden,
wie ich glaube, wenige Leser zugeben. Bei der Wärmeleitung
und der unter gewöhnlichen Umständen stattfindenden Wärme-
strahlung kann man allerdings sagen, dass diese Unmöglichkeit
durch die alltägliche Erfahrung feststehe. Aber schon bei der
Wärmestrahlung kann die Frage entstehen, ob es nicht vielleicht
durch künstliche Concentration der Wärmestrahlen mit Hülfe von
Brennspiegeln oder Brenngläsern möglich wäre , eine höhere Tem-
peratur zu erzeugen, als die Körper haben, welche die Strahlen
aussenden, und dadurch zu bewirken, dass die Wärme in einen
wärmeren Körper übergehe. Ich habe es daher für nöthig ge-
halten, diesen Gegenstand in einem besonderen Aufsatze zu be-
handeln, dessen Inhalt im vorigen Abschnitte mitgetheilt ist. Noch
coraplicirter wird die Sache in solchen Fällen, wo Wärme in Arbeit
und Arbeit in Wärme verwandelt wird, sei es durch Wirkungen der
Art wie die der Reibung, des Luftwiderstandes und des elektrischen
Leitungswiderstandes, sei es dadurch, dass ein oder mehrere Körper
solche Zustandsänderungen erleiden, die mit theils positiver, theils
negativer, innerer und äusserer Arbeit verbunden sind, und bei
denen daher Wärme verbraucht oder erzeugt wird, welche Wärme
die veränderlichen Körper anderen Körpern von verschiedenen
Temperaturen entziehen und mittheilen können.
Wenn man für alle solche Fälle, wie complicirt die Vorgänge
auch immer sein mögen, behauptet, dass ohne eine andere blei-
bende Veränderung, welche als eine Compensation anzusehen ist,
niemals Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren Körper
übertragen werden kann, so glaube ich, dass man diesen Satz
nicht als einen ganz von selbst verständlichen behandeln darf,
sondern ihn vielmehr als einen neu aufgestellten Grundsatz, von
dessen Annahme oder Nichtannahme die Gültigkeit des Beweises
abhängt, anführen muss.
Discussionen über die mechanisclie Wärmetheorie. 365
§. 6. Zeuncr's spätere Behandlung des Gegenstandes.
Nachdem ich gegen jene von Zeuner angewandte Ausdrucks-
weise den im vorigen Paragraphen mitgctheilten Einwand in einem
im Jahre 1863 publicirten Aufsatze erhoben hatte, hat er in der
im Jahre 1866 erschienenen zweiten Auflage seines Buches zur
Begründung des zweiten Hauptsatzes einen anderen Weg einge-
sehlagen.
Indem er den Zustand eines Körpers als durch den Druck p
und das Volumen v bestimmt annimmt, bildet er für die Wärme-
menge d Q^ welche der Körper während einer unendlich kleinen
Veränderung aufnimmt, die Differentialgleichung:
(1) dQ = Ä{Xdp 4- Ydv),
worin X und Y Functionen von p und v darstellen , und Ä das
calorische Aequivalent der Arbeitseinheit bedeutet, welche Diffe-
rentialgleichung bekanntlich, so lange p und v als von einander
unabhängige Veränderliche betrachtet werden, nicht integrabel
ist. Dann fährt er auf Seite 41 fort:
„Es sei nun aber S eine neue Function von p und v^ deren
Form zwar bis jetzt ebenso wenig bekannt sein mag, wie die der
Functionen X und Y, der wir aber eine Bedeutung beilegen
wollen, die sogleich aus den weiteren Betrachtungen hervorgehen
wird. Multiplicirt und dividirt man die rechte Seite vorstehender
Gleichung mit S, so ergiebt sich:
(2) dQ = ÄS^^dpi-^dvY
Man kann nun offenbar S so wählen, dass der Ausdruck in der
Klammer ein vollständiges Differential wird, mit anderen Worten,
es soll der Werth -^ der integrirende Factor oder wie sich auch
sagen lässt, es soll S der integrirende Divisor des Ausdruckes in
der Klammer der Gleichung (2) sein."
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass in der aus (3) ab-
geleiteten Gleichung:
(3) -A = 4 y äp + ^ d„_
die ganze rechte Seite ein vollständiges Differential ist, und dass
somit für einen Kreisprocess die Gleichung
366 Abschnitt XIII.
(4) /^ = 0
S
gelten rauss. Auf diese Weise gelangt Zeuner zu einer Gleichung,
welche der im vierten Abschnitte unter (VII,) angeführten Glei-
chung
''clQ
ß
= 0
X
ähnlich ist.
Die Aehnlichkeit ist aber nur eine äusserliche. Das Wesent-
liche der letzteren Gleichung besteht nämlicli darin, dass die Grösse
X eine Function der Tem])eratur allein ist, und dass ferner diese
Temperaturfunction von der Natur des hetracMeten Körpers unab-
hängig , also für alle Körper gleich ist. Die Grösse S dagegen ist
von Zeuner als eine Function der &eic?en Veränderlichen |9 und v,
von welchen der Zustand des Körpers abhängt, eingeführt, und da
ferner die in der Gleichung (2) vorkommenden Functionen X und
Y für verschiedene Körper verschieden sind, so muss man vor-
läufig auch von der Grösse S annehmen , dass sie für verschiedene
Körper verschieden sein Mnne. So lange dieses von der Grösse S
gilt, ist durch die Gleichung (5) für den Beweis des zweiten Haupt-
satzes der mechanischen Wärmetheorie noch gar nichts gewonnen,
denn dass es überhaupt einen integrirenden Factor, den man mit
-^ bezeichnen kann, geben muss, mittelst dessen der in der Glei-
chung (2) in Klammer stehende Ausdruck zu einem vollständigen
Differential gemacht werden kann, ist ganz selbstverständlich.
Demnach ist bei der Zeuner 'sehen Beweisführung das ganze
Gewicht darauf zu legen , wie er nun weiter zu dem Schlüsse ge-
langt, dass S eine blosse Temperaturfunction und zivar eine für
alle Körper gleiche Temperaturfunction sein muss^ welche er dann
als das wahre Maass der Temperatur bezeichnen kann.
Er lässt dazu einen Körper verschiedene Veränderungen er-
leiden, welche so stattfinden, dass der Körper, während S einen
Constanten Werth hat, Wärme aufnimmt, und während S einen
anderen constanten Werth hat, Wärme abgiebt, und welche zusam-
men einen mit Arbeitsgewinn oder Arbeitsverbrauch verbundenen
Kreisprocess bilden. Diesen Vorgang vergleicht er mit dem Senken
oder Heben eines Gewichtes von einem Niveau zu einem anderen
und der damit verbundenen mechanischen Arbeit, und sagt dann
auf S. 68: „Der weitere Vergleich führt zu dem interessanten
Discussionen über die meclianisclic VVärmetheorie. 367
Resultate, dass wir die Function ;8' als eine Läwje^ als eine Hohe
auffassen können, und dass der Ausdruck
Q_
ÄS
als ein Gewicht angeschen werden kann; ich werde daher auch in
der Folge den vorstehenden Werth das Wärmegeioicht nennen."
Da hier für eine Grösse, welche S enthält, ein Name einge-
führt wird, in welchem nichts vorkommt, was sich auf die Natur
des betrachteten Körpers bezieht, so scheint dabei stillschweigend
die durch die frühere Definition in keiner Weise begründete Vor-
aussetzung gemacht zu sein, dass S eine von der Natur des be-
trachteten Körpers unabhängige Grösse sei.
Zeuner führt dann jenen Vergleich zwischen den auf die
Schwerkraft und den auf die Wärme bezüglichen Vorgängen noch
weiter aus, und überträgt einige für die Schwerkraft geltende Sätze
auf die Wärme, indem er dabei, wie vorher angegeben, 8 als Höhe
und -~ als Gewicht auffasst. Nachdem er dann endlich noch ge-
sagt hat, dass die auf solche Weise erhaltenen Sätze sich bestätigen,
wenn man unter S die Temperatur versteht, fährt er auf Seite 74
fort: „Wir sind daher berechtigt, den weiteren Untersuchungen
die Hypothese zu Grunde zu legen, dass die Function S das ivalire
Temperattmiiaass darstellt. "
Es ergiebt sich hieraus, dass in den Betrachtungen, welche
Zeuner in der zweiten Auflage seines Buches zur Begründung des
zweiten Hauptsatzes anstellt, als wesentliche Grundlage nur die
Analogie zwischen der Arbeitsleistung durch die Schwerkraft und
durch die Wärme dient, und im Uebrigen dasjenige, was bewiesen
werden müsste, theils stillschweigend vorausgesetzt, theils aus-
drücklich als Hypothese angenommen wird.
§. 7. Rankine's Behandlung des Gegenstandes.
Ich wende mich nun zu den Autoren, welche der Ansicht
waren, dass mein Grundsatz nicht hinlänglich zuverlässig, oder
selbst, dass er unrichtig sei.
Ich muss in dieser Beziehung zunächst die schon oben ange-
deutete Behandlungsart, welche Rankine geglaubt hat an die
Stelle der meinigen setzen zu müssen, etwas näher besprechen.
368 Abschnitt XIII.
Rankine imtersclieidet , wie auch ich es gethan habe, in der
Wärme, welche man einem Körper mittheilen muss, um seine
Temperatur zu erhöhen, zwei verschiedene Theile, nämlich den
Theil, welcher zur Vermehrung der im Körper wirklich vorhande-
nen Wärme dient, und den Theil, welcher zu Arbeit verbraucht
wird. Der letztere Theil umfasst die zu innerer und zu äusserer
Arbeit verbrauchte Wärme zusammen.
Für die zu Arbeit verbrauchte Wärme wendet Rankine einen
mathematischen Ausdruck an, welchen er in der ersten Section
seiner Abhandlung aus der Hypothese der Molecularwirbel ab-
geleitet hat. Auf diese Ableitungsweise brauche ich hier nicht näher
einzugehen, da schon der Umstand, dass sie auf einer eigenthüm-
lichen Hypothese über die Beschaffenheit der Molecüle und über
die Art ihrer Bewegungen beruht, hinreichend erkennen lässt, dass
man es dabei mit complicirten Betrachtungen zu thun haben muss,
welche manchen Zweifeln über den Grad ihrer Zuverlässigkeit
Raum bieten. Ich habe mich in meinen Abhandlungen bei der
Entwickelung der Gleichungen der mechanischen Wärmetheorie
nicht auf specielle Ansichten über die Molecularconstitution der
Körper, sondern nur auf gewisse allgemeine Grundsätze gestützt,
und demgemäss würde ich, selbst wenn der eben genannte Um-
stand der einzige wäre, welchen man gegen Rankine's Beweis
anführen könnte, doch glauben, meine Behandlungsart des Gegen-
standes als die geeignetere festhalten zu müssen. Aber die Bestim-
mung des anderen Theiles der dem Körper mitzutheilenden Wärme,
nämlich des Theiles, welcher zur Vermehrung der im Körper wirk-
lich vorhandenen Wärme dient, ist bei ihm noch viel unsicherer.
In seinem Beweise stellt er freilich die Vermehrung der im
Körper vorhandenen Wärmemenge, wenn die Temperatur t des-
selben sich um dt ändert, mag das Volumen des Körpers sich
dabei gleichzeitig auch ändern, oder nicht, einfach durch das
Product tdt dar, und behandelt die hierin vorkommende Grösse f,
welche er die wahre specifische Wärme (tlie real specific heat)
nennt, als eine vom Volumen unabhängige G-rösse. Nach einem
ausreichenden Grunde für dieses Verfahren sucht man aber in
seiner Abhandlung vergebens; vielmehr kommen Angaben vor,
welche damit geradezu im Widerspruche stehen.
In der Einleitung zu seiner Abhandlung stellt er in Glei-
chung (XIII.) einen Ausdruck für die wahre specifische Wärme !
auf, welcher einen mit h bezeichneten Factor enthält, und von
Discussionen über die mechanische Wärmetheorie. 369
diesem sagt eri): The coefficient h (loliich enters into the value of
specific heat) heing the ratio of the vis viva of the entire motion
imprcssed on the atomic atmospheres hy the uction of their nuclei,
to the vis viva of a peculiar Mnd of motion, may he conjectured to
have a specific value for each suhstance depending in a manner yet
unhnoivn on some circumstance in the Constitution of its atoms.
ÄUhough it varies in some cases for thesame suhstance in the solid,
liquid and gaseo%is states, there is no experimental evidence that it
varies for the same suhstance in the same condition. Hiernach ist
also Rankine der Ansicht, dass die wahre specifische Wärme einer
und derselben Substanz in verschiedenen Aggregatzuständen ver-
schieden sein könne; und auch dafür, dass sie in demselben
Aggregatzustande als unveränderlich anzunehmen sei, führt er als
Grund nur an, dass kein experimenteller Beweis für das Gegen-
theil vorliege.
In einer späteren Schrift von Rankine „Ä Manual of the
Steam Engine and other Prime Movers, London and Glasgow 1859^^
findet sich auf Seite 307 über diesen Gegenstand ein noch be-
stimmterer Ausspruch, worin es heisst: a ehange of real specific
heat, sometimes considerahle , often accompanies the ehange hetween
any two of those conditions (nämlich der drei Aggregatzustände).
Wie grosse Unterschiede Rankine bei der wahren specifischen
Wärme einer und derselben Substanz in verschiedenen Aggregat-
zuständen für möglich hält, geht daraus hervor, dass er (auf
derselben Seite) sagt, beim flüssigen Wasser sei die durch Beobach-
tung bestimmte specifische Wärme, welche er die scheinbare speci-
fische Wärme nennt, nahe gleich der wahren specifischen Wärme.
Da nun Rankine sehr wohl weiss, dass die beobachtete specifische
Wärme des flüssigen Wassers doppelt so gross ist, als die des
Eises, und mehr als doppelt so gross, als die des Dampfes, und da
die wahre specifische Wärme des Eises und des Dampfes jedenfalls
nur kleiner und nicht grösser sein kann, als die beobachtete, so
folgt daraus, dass Rankine annehmen muss, die wahre specifische
Wärme des flüssigen Wassers übertreffe diejenige des Eises und
des Dampfes um das Doppelte oder mehr.
Stellt man sich nun die Frage, wie nach dieser Auffassung
bei einem Körper, dessen Temperatur t um dt, und dessen Volu-
men V um dv wächst, die dabei stattfindende Zunahme der im
1) Phil. Mag. 8er. IV, Vol. VII, p. 10.
Clausius, median. Wärmetheorie. I. 24
370 Abschnitt XIII.
Körper wirklich vorhandenen Wärmemenge ausgedrückt werden
müsste, so ergiebt sich Folgendes.
Für den Fall, dass der Körper bei der Volmnenänderung keine
Aenderung des Aggregatzustandes erleidet, würde man die Zu-
nahme der vorhandenen Wärmemenge zwar, wie Rankine es
gethan hat, durch ein einfaches Product von der Form Idt dar-
stellen können, aber man müsste den Factor ! für verschiedene
Aggregatzustände verschiedene Werthe zuschreiben.
In solchen Fällen aber, wo der Körper bei der Volumenände-
rung auch seinen Aggregatzustand ändert (also z. B. in dem oft
betrachteten Falle , wo eine Quantität eines Stoifes theils im
ilüssigen, theils im darnj^fförmigen Zustande gegeben ist, und wo bei
der Volumeuänderung sich die Grösse dieser beiden Theile ändert,
indem entweder von der Flüssigkeit noch ein Theil verdampft,
oder von dem Dampfe sich ein Theil niederschlägt), würde man
die mit einer gleichzeitigen Temperatur- und Volumenänderung
verbundene Zunahme der vorhandenen Wärmemenge nicht mehr
durch ein einfaches Product Idt darstellen können, sondern müsste
dazu einen Ausdruck von der Form
Idt -\- tidv
anwenden. Wenn nämlich die wahre specifische Wärme eines
Stofies in verschiedenen Aggregatzuständen verschieden wäre, so
müsste man mit Nothwendigkeit schliessen, dass auch die in ihm
vorhandene Wärmemenge von seinem Aggregatzustande abhänge,
so dass gleiche Quantitäten des Stoffes im festen, flüssigen und
luftförmigen Zustande verschiedene Mengen von Wärme enthalten.
Es müsste somit in einem Falle, wo ohne Temperaturänderung
ein Theil des Stoffes seinen Aggregatzustand ändert, auch die in
dem Stoffe im Ganzen vorhandene Wärmemenge sich ändern.
Hieraus folgt, dass Rankine die Art, wie er die Zunahme
der vorhandenen Wärmemenge ausdrückt, und den Ausdruck in
seinem Beweise behandelt, nach seinen eigenen sonstigen Aussprü-
chen nur für solche Fälle als zulässig betrachten darf, wo keine
Aenderungen des Aggregatzustandes vorkommen, und dass er da-
her seinem Beweise auch nur für diese Fälle Gültigkeit zuschreiben
kann. Für alle Fälle, wo Aenderungen des Aggregatzustandes vor-
kommen, bliebe der Satz also unbewiesen; und doch sind diese
Fälle von besonderer Wichtigkeit, indem gerade sie es sind, auf
welche man den Satz bisher am meisten angewandt hat.
Diseussionen über flie mechanische Wärmetheorie. 371
Ja man muss noch weiter gehen und sagen, dass hierdurch
der Beweis auch für solche Fälle, wo keine Aendcrungen des
Aggregatzustandes vorkommen, alle Zuverlässigkeit verliert. Wenn
Rankine annimmt, dass die wahre specifische Wärme in ver-
schiedenen Aggregatzuständen verschieden sein kann, so sieht
man gar nicht ein, aus welchem Grunde man sie in demselben
Aggregatzustande als unveränderlich ansehen muss. j\Ian weiss,
dass bei festen und flüssigen Körpern, auch ohne Aenderung des
Aggregatzustandes, Aenderuugen in den Cohäsionsverhältnissen
eintreten können, und dass bei gasförmigen Körpern ausser den
grossen Volumenverschiedenheiten auch der Unterschied vor-
kommt, dass sie, je nachdem sie mehr oder weniger weit von ihrem
Condensationspunkte entfernt sind, mehr oder weniger genau dem
Mariotte' sehen und Gay-Lussac' sehen Gesetze folgen. Wes-
halb soll man nun, wenn Aenderungen des Aggregatzustandes
einen Einfluss auf die wahre specifische Wärme haben können,
nicht jenen Veränderungen ebenso gut einen, wenn auch geringe-
ren, Einfluss der Art zuschreiben dürfen? Die Voraussetzung,
dass die wahre specifische Wärme in demselben Aggregatzustande
unveränderlich sei, ist also bei Rankine nicht nur unbegründet
gelassen, sondern sie würde, wenn die sonstigen von ihm gemachten
Annahmen richtig wären, sogar im hohen Grade unwahrschein-
lich sein.
Rankine hat den vorstehend mitgetheilten Bemerkungen über
seinen Beweis, welche schon in einem im Jahre 1863 von mir ver-
öflentlichten Aufsatze i) vorkamen, nicht widersprochen, und hat
vielmehr in einem darauf bezüglichen späteren Artikel -) seine
früher mehrfach ausgesprochene Ansicht, dass die wahre specifische
Wärme eines Körpers in verschiedenen Aggregatzuständeu ver-
schieden sein könne, wodurch die Gültigkeit seines Beweises auf
solche Fälle beschränkt wird, in denen keine Aenderung des Aggre-
gatzustandes vorkommt, ausdrücklich aufrecht erhalten.
§. 8. Einwand von Hirn.
Einen noch bestimmteren Einwand gegen meinen Grundsatz,
dass die Wärme nicht von selbst aus einem kälteren in einen
1) Pogg. Ann. Bd. 120, S. 426.
2j Phil. Mcifj. So: IV., Vol. XXX., p. 410.
24*
372 Abschnitt XIII.
wärmeren Körper übergehen kann, hat Hirn in seinem 1862 er-
schienenen Werke ,,Exposition analytique et experimentale de la
theorie mecanique de la clicdeur'-'' und in zwei daran sich an-
schliessenden Artikeln im Cosmos^) erhoben, indem er eine eigen-
thümliche Operation beschrieben hat, welche ein auf den ersten
Blick allerdings überraschendes Resultat giebt. Auf eine Erwide-
rung von meiner Seite "^) hat er dann seinen Einwand dahin er-
läutert 3) , dass er dadurch nur auf einen scheinharen Widerspruch
habe aufmerksam machen wollen, während er im Wesentlichen mit
mir übereinstimme , und in demselben Sinne hat er sich dann auch
in der zweiten und dritten Auöage seines schätzbaren W^erkes aus-
gesprochen.
Dessenungeachtet glaube ich den Einwand und meine Wider,
legung desselben hier mittheilen zu dürfen, weil die in ihm aus-
gedrückte Auffassung des Gegenstandes in der That eine nahe-
liegende ist, w^elche sich leicht auch anderweitig geltend machen
könnte. Ein unter solchen Umständen erhobener Einwand hat
seine volle wissenschaftliche Berechtigung, und wenn er in so klarer
und präciser Weise gemacht wird, wie es im vorliegenden Falle
von Hirn durch Anführung jener sinnreich erdachten Operation
geschehen ist, so kann das für die Wissenschaft nur nützlich sein,
denn dadurch, dass der scheinbar vorhandene Widerspruch be-
stimmt und augenfällig dargelegt wird, wird die Auseinandersetzung
des Gegenstandes sehr erleichtert, und es kann auf die Art der
Yortheil erreicht werden, dass eine Schwierigkeit, die sonst viel-
leicht noch zu manchen Missverständnissen Veranlassung geben,
und wiederholte längere Discussionen nöthig machen würde, mit
einem Male und für immer beseitigt wird. Ich bin daher, indem
ich den Gegenstand noch einmal zur Sprache bringe, weit davon
entfernt, Herrn Hirn aus seinem Einwände einen Vorwurf machen
zu wollen, sondern glaube vielmehr, dass er dadurch seine son-
stigen Verdienste um die mechanische Wärmetheorie noch ver-
mehrt hat.
Die erwähnte Operation, an welche Hirn seine Betrachtungen
geknüpft hat, ist folgende.
Es seien zwei Cylinder von gleichem Querschnitte, Ä und B
in der nebenstehenden Fig. 32, gegeben, welche unten durch eine
1) Tome XXII. (premier semestre 1863), p. 283 und 413.
2) A. a. 0. p. 560.
3) A. a. 0. p. 734.
Discussionen über die mechanische Wärmetheorie.
373
verhältnissmässig enge Röhre in Verbindung stehen, und in welchen
luftdicht schliessende Stempel beweglich sind. Die Stempelstangen
sollen mit Zähnen versehen sein, welche von beiden Seiten in die
Zähne eines zwischen ihnen befindlichen Zahnrades eingreifen,
so dass, wenn der eine Stempel hinunter geht, der andere um
eben so viel heraufgehen muss. Der unter den Stempeln befind-
liche Raum in den beiden Cylindern, mit Einschluss der Ver-
bindungsröhre, muss also bei der Bewegung der Stempel unver-
änderlich bleiben, indem mit einer Abnahme des Raumes in dem
Fig. 32.
einen Cylinder eine eben so grosse Zunahme
im andern verbunden ist.
Wir denken uns zuerst den Stempel in
B ganz unten befindlich, und daher den in
A möglichst weit oben, und nehmen an,
der Cylinder A sei mit einem vollkommenen
Gase von beliebiger Dichtigkeit angefüllt,
dessen Temperatur ^o heissen möge. Nun
soll der Stempel in A sich allmälig abwärts,
und demgemäss der in B sich aufwärts be-
wegen, so dass das Gas nach und nach aus
dem Cylinder A in den Cylinder B getrieben
wird. Die Verbindungsröhre, durch welche
das Gas strömen muss, soll dabei constant
auf einer Temperatur t^ erhalten werden, die
höher ist als ^o, so dass jedes Gasquantum,
welches die Röhre durchströmt, dabei auf
die Temperatur ty erwärmt wird, und mit dieser Temperatur in
den Cylinder B tritt. Die Wände der beiden Cylinder dagegen
sollen für Wä,rme undurchdringlich sein, so dass das Gas inner-
halb der Cylinder weder Wärme erhalten noch abgeben kann,
sondern nur beim Durchströmen der Verbindungsröhre Wärme von
Aussen zugeführt erhält. Um in Bezug auf die Temperaturen ein
bestimmtes Beispiel zu haben, wollen wir annehmen, die Anfangs-
temperatur des Gases im Cylinder A sei diejenige des Gefrier-
punktes 0% und die Temperatur der Verbindungsröhre sei lOO**,
indem die Röhre z. B. vom Dampfe kochenden Wassers umspült werde.
Es lässt sich nun ohne Schwierigkeit übersehen, was das Re-
sultat dieser Operation sein wird.
Die erste kleine Quantität Gas, welche die Verbindungsröhre
passirt, erwärmt sich dabei von 0^ auf 100'^, und dehnt sich zu-
374 Absclinitt XIII.
gleich um so viel aus, wie es dieser Erwärmung entspricht, näm-
lich um angenähert i^'Va??, ihres ursprünglichen Yolumens. Da-
durch wird das noch im Cylinder Ä befindliche Gas etwas zusammen-
gedrückt und der in beiden Cylindern stattfindende Druck etwas
erhöht. Die folgende kleine Quantität Gas, welche durch die
Röhre strömt, dehnt sich ebenfalls aus, und drückt dadurch
das in beiden Cylindern befindliche Gas zusammen. Ebenso trägt
jede folgende überströmende Gasmenge durch ihre Ausdehnung
dazu bei, nicht nur das noch in Ä befindliche Gas noch weiter
zusammenzudrücken, sondern auch das schon in B befindliche,
welches sich vorher ausgedehnt hatte, wieder mehr und mehr zu-
sammenzudrücken, so dass seine Dichtigkeit sich allmälig wieder
der ursprünglichen nähert. Die Zusammendrückung bewirkt in
beiden Cylindern eine Erwärmung des Gases, und da die Gas-
quantitäten, welche nach und nach in den Cylinder B treten, bei
ihrem Eintritte alle die Temperatur 100° haben, so müssen sie
nachträglich Temperaturen über 100° annehmen, und zwar muss
dieser Temperaturüberschuss um so grösser sein, je mehr die be-
treffende Quantität nachträglich wieder zusammengedrückt wird.
Betrachtet man daher den Zustand am Schlüsse der Opera-
tion, nachdem alles Gas aus Ä nach B getrieben ist, so muss das
in der obersten Schicht dicht unter dem Stempel befindliche Gas,
welches zuerst übergetreten ist, und daher die grösste nachträg-
liche Zusammendrückung erlitten hat, am wärmsten sein. Die
folgenden Schichten sind der Reihe nach weniger warm bis zur
untersten, welche gerade die Temperatur 100"^ besitzt, die sie beim
Ueberströmen angenommen hat. Es ist für unsern vorliegenden
Zweck nicht nöthig, die Temperaturen der verschiedenen Schichten
einzeln zu kennen, sondern' es genügt, die Mitteltemperatur zu
kennen, welche zugleich diejenige Temperatur ist, die entstehen
würde, wenn die in den verschiedenen Schichten herrschenden
Temperaturen sich durch Leitung oder Vermischung der Gas-
quantitäten zu einer gemeinsamen Temperatur ausglichen. Diese
Mitteltemperatur beträgt etwa 120°.
In einem der später im Cosmos erschienenen Artikel hat
Hirn diese Operation noch dahin vervollständigt, dass er annimmt,
das Gas in B werde nach seiner Erwärmung mit Quecksilber von
0° in Berührung gebracht, und dadurch wieder bis 0° abgekühlt;
dann werde es unter denselben Umständen, unter denen es von A
nach B gelangt war, von B nach A zurückgetrieben und dabei in
Discussionen über die mechanische Wärmetheorie. 375
gleicher Weise erwärmt; dort werde es wieder durch (Quecksilber
abgekühlt; darauf abermals von A nach B getrieben u. s, f., so
dass man einen periodischen Vorgang erhalte, bei dem das Gas
immer wieder in seinen Anfangszustand zurückkehre, und alle von
der Wärmequelle abgegebene Wärme schliesslich in das zur Ab-
kühlung benutzte Quecksilber übergehe. Indessen wollen wir auf
diese Erweiterung des Verfahrens hier nicht eingehen, sondern uns
auf diö Betrachtung der vorlier beschriebenen einfachen Operation
beschränken, durch welche das Gas von 0'^ auf eine Mittel-
temperatur von 120^ erwärmt wird, indem diese Operation schon
das Wesentliche, worauf der Einwand von Hirn sich stützt, enthält.
Bei dieser Operation ist äusserlich weder Arbeit gewonnen
noch verloren, denn da der Druck in den beiden Cylindern immer
gleich ist, so werden beide Stempel in jedem Momente mit gleicher
Kraft nach oben gedrückt, und diese Kräfte heben sich an dem
Zahnrade, in welches die Zähne der Stempelstangen eingreifen,
auf, so dass, abgesehen von der Reibung, die geringste Kraft ge-
nügt, um die Drehung des Zahnrades im einen oder anderen Sinne
zu veranlassen, und dadurch einen Stempel hinunter und den
anderen herauf zu treiben. Der Ueberschuss der Wärme in dem
Gase kann also nicht durch äussere Arbeit erzeugt sein.
Der Vorgang ist, wie man leicht sieht, folgender. Indem
eine gegen die ganze vorhandene Gasmenge als sehr klein vor-
ausgesetzte Quantität des Gases sich in der Röhre erwärmt, und
sich dabei ausdehnt, muss sie von der Wärmequelle soviel Wärme
erhalten, wie zur Erwärmung unter constantem Drucke nothwendig
ist. Von dieser Wärmemenge dient ein Theil zur Vermehrung
der wirklich im Gase vorhandenen Wärme, und ein anderer Theil
wird zu der Ausdehnungsarbeit verbraucht. Da aber die Ausdeh-
nung des in der Röhre befindlichen Gases eine Zusammendrückung
des in den Cylindern befindlichen zur Folge hat, so muss hier
eben so viel Wärme erzeugt werden, als dort verbraucht wird.
Jener zweite Theil der von der Wärmequelle abgegebenen Wärme,
welcher sich in der Röhre in Arbeit umgesetzt hatte, kommt somit
in den Cylindern wieder als Wärme zum Vorschein, und dient
dazu, das noch in A befindliche Gas über seine Anfangstemperatur
0" zu erwärmen, und das schon in B befindliche Gas, welches beim
Eintritte die Temperatur 100" hatte, über diese Temperatur zu er-
wärmen, und dadurch den oben erwähnten Temperaturüberschuss
hervorzubringen.
376 Abschnitt XIII.
Demnach kann man, ohne auf die Zwischenvorgänge Rück-
sicht zu nehmen, sagen, class die ganze Wärmemenge, welche das
Gas zu Ende der Operation mehr enthält, als zu Anfang-, aus der
an der Verbindungsröhre angebrachten Wärmequelle stammt. Da-
durch erhält man das eigen thümliche Resultat, dass durch einen
Körper von 100°, nämlich durch den die Röhre umspülenden
Wasserdampf, das eingeschlossene Gas auf über 100", und zwar,
sofern wir nur die Mitteltemperatur ins Auge fassen, auf 120" er-
wärmt ist. Hierin soll nun ein Widerspruch mit dem Grundsatze,
dass die Wärme nicht von selbst aus einem kälteren in einen
wärmeren Körper übergehen kann, liegen, indem die von dem
Dampfe an das Gas abgegebene Wärme aus einem Körper von
100° in einen Körper von 120" übergegangen sei.
Dabei ist aber ein Umstand unbeachtet gelassen. Wenn das
Gas schon zu Anfang eine Temperatur von 100" oder darüber ge-
habt hätte, und es dann durch den Dampf, welcher nur die Tem-
peratur von 100" besitzt, zu einer noch höheren Temperatur er-
wärmt wäre, so läge darin allerdings ein Widerspruch gegen meinen
Grundsatz. So verhält sich die Sache aber nicht. Damit das Gas
zu Ende der Operation wärmer als 100" sei, muss es nothwendig
zu Anfang kälter als 100" sein, und in unserem Beispiele, wo es
am Schlüsse die Temperatur 120" hat, hatte es zu Anfang die
Temperatur 0". Die Wärme, welche der Dampf dem Gase mit-
getheilt hat, hat also einestheils dazu gedient, des Gas von 0" bis
100" zu erwärmen, und anderntheils dazu, es von 100" auf 120"
zu bringen.
Da es sich nun in meinem Grundsatze um die Temperaturen
handelt, welche die Körper, zwischen denen der Wärmeübergang
stattfindet, in dem Momente haben, wo sie die Wärme abgeben
oder aufnehmen , und nicht um die , welche sie nachträglich be-
sitzen, so muss man den bei dieser Operation stattfindenden Wärme-
übergang folgendermaassen auffassen. Der eine Theil der vom
Dampfe abgegebenen Wärme ist in das Gas übergegangen, so lange
seine Temperatur noch unter 100" war, ist also aus dem Dampfe
in einen kälteren Körper übergegangen; und nur der andere Theil
der Wärme, welcher dazu gedient hat, das Gas von 100" an noch
weiter zu erwärmen, ist aus dem Dampfe in einen wärmeren Körper
übergegangen.
Vergleicht man dieses mit jenem Grundsatze, nach welchem,
wenn ohne eine Verwandlung von Arbeit in Wärme oder eine Ver-
Dincussionen über die nipchanisohe Wärnietheoi-ie. 377
ändernng in der Molecularanordnung eines Körpers, Wärme aus
einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen soll, dann
notliwendig in derselben Operation aucli Wärme aus einem wärme-
ren in einen kälteren Körper übergehen muss, so sieht man leicht,
dass vollständige Uebereinstimmung herrscht. Das Eigenthüm-
liche in der von Hirn ersonnenen Operation besteht nur darin,
dass in ihr nicht zwei verschiedene Körper vorkommen, von denen
der eine kälter und der andere wärmer ist , als die Wärmequelle,
sondern dass ein und derselbe Körper, nämlich das Gas, in einem
Theile der Operation die Rolle des kälteren, und im anderen Theile
der Operation die Rolle des wärmeren Körpers spielt. Hierin
liegt aber keine Abweichung von meinem Satze, sondern es ist
nur ein specieller Fall von den vielen möglichen Fällen.
Auch Dupre hat ähnliche Einwände gegen meinen Grundsatz
erhoben, wie Hirn, auf welche ich hier aber nicht näher eingehen
will, da sie nichts wesentlich neues enthalten.
§. 9. Einwand von Tait.
Herr Tait hat gegen meinen Grundsatz, dass die Wärme
nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper
übergehen kann, zwei aus thermoelektrischen Erscheinungen ent-
nommene Einwände erhoben i) , von denen der eine nur in dem
zufällig gewählten Beispiele an die Elektricität geknüpft, in seinem
wesentlichen Inhalte aber von allgemeinerer Natur ist, und daher
schon hier besprochen werden kann, obwohl die Elektricität in
diesem Bande noch nicht behandelt ist.
Tait führt nämlich, um die Unrichtigkeit des Grundsatzes
zu beweisen, die Thatsache an, dass eine Thermosäule, bei welcher
zur Erwärmung und Abkühlung der Löthstellen siedendes Wasser
und Eis angewandt wird, einen feinen Draht bis zum Glühen er-
hitzen kann.
Da in diesem Falle ein Theil der von dem siedenden Wasser
an die warmen Löthstellen abgegebenen Wärme in dem glühen-
den Drahte wieder als Wärme zum Vorschein kommt, so ist
dadurch allerdings ein Wärmeübergang aus einem kälteren in
einen wärmeren Körper gegeben. Um aber zu entscheiden, ob
1) Pogg. Ann. Bd. 145, S. 49G und Phü. Mag. Ser. IV, Vol. 43.
378 Äbsclmitt XIII.
dieses Ergebniss mit meinem Grundsätze im Widerspruche steht,
muss die Frage gestellt werden, oh der Wärmeübergang von seihst
geschieht, oder mit einer anderen, gleichzeitig stattfindenden und
als Compensation dienenden Veränderung verbunden ist.
Betrachten wir nun unter diesem Gesichtspunkte die Thermo-
säule, so wissen wir, dass, während die warmen Löthstellen von
dem zu ihrer Erwärmung dienenden siedenden Wasser Wärme
empfangen, die kalten Löthstellen an das zu ihrer Abkühlung
dienende Eis umgekehrt Wärme abgeben, und dass somit ein
Wärmeübergang aus dem siedenden Wasser in das Eis, also aus
einem wärmeren in einen kälteren Körper stattfindet. Dieser
absteigende Wärmeübergang ist es, welcher die Compensation
des von Tait erwähnten aufsteigenden W^ärmeüberganges aus
dem siedenden Wasser in den glühenden Draht bildet. Er ist
ein nothwendiger Bestandtheil des ganzen in Betracht kommen-
den Vorganges, denn ohne ihn könnte der elektrische Strom,
welcher den aufsteigenden Wärmeübergang zur Folge, hat, gar
nicht entstehen. Man darf also nicht sagen, der aufsteigende
Wärmeübergang finde von seihst statt, und damit ist die Unhalt-
ba,rkeit des von Tait erhobenen Einwandes erwiesen.
Die vorstehende Betrachtung lässt sich übrigens auch auf
einen anderen analogen Fall übertragen, welcher vielleicht ge-
eignet ist, die Sache noch anschaulicher zu machen.
Ich habe in meiner im Jahre 1853 erschienenen Abhandlung
über thermoelektrische Erscheinungen i) gezeigt, dass man ein
thermoelektrisches Element (und ebenso natürlich auch eine
Thermosäule), mit einer Dampfmaschine vergleichen kann, indem
die erwärmte Löthstelle dem Kessel und die abgekühlte Löthstelle
dem Condensator entspricht. Bei der Dampfmaschine nimmt das
W^asser im Kessel eine gewisse Wärmemenge auf, und im Con-
densator giebt es einen Theil dieser Wärme wieder ab, während
der übrige Theil, wenn wir von den durch die Unvollkommen-
heiten der Maschine bedingten Verlusten absehen, in Arbeit ver-
wandelt wird. Nehmen wir nun an, die so gewonnene Arbeit
werde ganz oder theilweise dazu verwandt Keibungswiderstände
zu überwinden, so würde sie sich dabei wieder in Wärme ver-
wandeln, und als solche in den sich reibenden Körpern zum
Vorschein kommen. Wenn nun diese Körper eine höhere Tem-
1) Poffff. Ann. Bd. 90, S. 513.
Discussionen über die mecbanisclie Wänuetheorie. 379
peratur hätten, als der Dampfkessel, so würde auch in diesem
Falle ein Theil der bei der Temperatur des Dampfkessels von
dem Wasser aufgenommenen Wärme in Körper von höherer
Temperatur übergehen. Ich glaube aber, dass in diesem Falle
Niemand daran denken würde, den Wärmeübergang aus dem
Kessel in die sich reibenden Körper als einen für sich bestehen-
den aufsteigenden Wärmeübergang hinzustellen, ohne den gleich-
zeitig stattfindenden absteigenden Wärmeübergang aus dem Kessel
in den Condensator, welcher die Compensation bildet, mit in
Betracht zu ziehen.
§. 10. Einwand von F. Kohlrausch,
In einem interessanten Aufsatze über die Thermoelektricität
Wärme- und Elektricitätsleitung von F. Kohlrauschi) ist ein
Einwand gegen die von mir aufgestellte Theorie der thermoelektri-
schen Ströme erhoben, welcher sich auf einen in der mechani-
schen Wärmetheorie scheinbar hervortretenden Widerspruch stützt,
und daher einer näheren Beleuchtung bedarf. Da die Stelle,
welche den Einwand enthält, nur kurz ist, so wird es am besten
sein, sie hier wörtlich anzuführen.
Nachdem Kohlrausch gesagt hat, die mechanische Wärme-
theorie nehme bei der Bestimmung der von der Wärme geleiste-
ten Arbeit auf die durch Leitung ausgeglichene Wärme keine
Rücksicht, und wer dieses Verfahren unter allen Umständen als
erlaubt ansehe, werde daraus gegen seine Hypothese, dass ein
Wärmestrom Arbeit leisten könne, einen erheblichen Einwand ab-
leiten, fährt er fort:
„Nun liegt aber im Gebiete der Elektricität ein anderer Fall
vor, der nach meiner Ansicht mit den Grundsätzen der mechani-
schen Wärmetheorie, oder mit anderen Worten, mit dem Clau-
sius' sehen Satze, dass die Wärme nicht von selbst aus niederer
zu höherer Temperatur übergeht, nicht anders in Uebereinstim-
mung gebracht werden kann, als wenn man der Wärmeleituug
eine wesentliche Rolle bei dem Vorgang zuschreibt. In seiner
Polemik gegen Clausius hatte Tait den genannten Grundsatz
als unrichtig hingestellt, weil man mittelst einer Thermosäule von
1) Göttinger Nachrichten Febr. 1874 und Pogg. Ann. Bd. 156, S. 601.
380 Abschnitt XIII.
geringer Temperatur einen Draht zum Glühen bringen könne.
Clausius widerlegt diesen Einwand leicht, indem ja die Tempe-
raturerhöhung der in dem Drahte entwickelten Wärme nach P ei-
tler begleitet ist von einem Uebergang einer anderen Wärme-
menge von der warmen zur kalten Löthstelle der Thermosäule
(Pogg. Ann. Bd. CXLVI, S. 310). Bei dieser Widerlegung wird
indessen offenbar vorausgesetzt, was ja auch in Wirklichkeit immer
zutrifft, dass die in dem erhitzten Drahte entwickelte Temperatur
eine Grenze hat. Könnte man diese Temperatur beliebig steigern,
so würde durch den Uebergang einer endlichen Wärmemenge in
der Thermosäule zu einer um eine endliche Grösse niedrigeren
Temperatur eine andere endliche Wärmemenge zu beliebig hoher
Temperatur erhoben werden können."
Der im letzten Satze erwähnte Umstand, dass der Erhebung
einer endlichen Wärmemenge zu beliebig hoher Temperatur als
Compensation nur das Herabsinken einer ebenfalls endlichen
Wärmemenge um eine endliche Temperaturdifferenz gegenüber-
steht, ist es, an welchem Kohlrausch Anstoss nimmt, und welcher
ihn veranlasst hat, meine Theorie der thermoelektrischen Ströme
durch eine andere zu ersetzen.
Bevor wir auf die theoretische Betrachtung dieses Umstandes
eingehen, möge darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch
er nicht bloss bei der Thermosäule, sondern eben so gut auch
bei anderen thermodynamischen Maschinen vorkommen kann.
Wählen wir wieder das im vorigen Paragraphen betrachtete Bei-
spiel einer Dampfmaschine, deren Arbeit ganz oder theilweise
zur Ueberwindung von Keibungswiderständen verwandt wird, so
können wir den sich reibenden Körpern eine Temperatur zu-
schreiben, die um eine beliebige Grösse höher ist, als die Kessel-
temperatur, und gelangen dadurch wieder zu dem Ergebnisse,
dass einem absteigenden Wärmeübergange, bei welchem nur eine
bestimmte endliche Temperaturdifferenz (nämlich die Differenz
zwischen der Kessel- und Condensatortemperatur) vorkommt, ein
aufsteigender Wärmeübergang gegenübersteht, bei dem die Tem-
peraturdifferenz beliebig gross ist.
Um nun die theoretische Betrachtung an mathematische Aus-
drücke knüpfen zu können, wollen wir die niedrigste vorkommende
Temperatur, nämlich diejenige der kalten Löthstellen oder des
Condensators, mit Tq, die nächst höhere Temperatur, nämlich die
der warmen Löthstellen oder des Dampfkessels, mit Ti, und
Discussionen über die mechanische Wännetheorie« ^"-
endlich die höchste Temperatur, nämlich die des glühenden
Drahtes oder der sich reibenden Körper, mit T.^ bezeichnen.
Ferner sei Q ■ die Wärmemenge , welche von der Temperatur Ti
zur Temperatur Tq übergeht, und q die Wärmemenge, welche
von der Temperatur Ti zur Temperatur To üljergeht. Dann ist
der Aequivalenzwerth des absteigenden Wärmeüberganges:
T T
und der Aequivalenzwerth des aufsteigenden Wärmeüberganges;
<1
\T, Tj
Dieser letztere Ausdruck stellt eine negative Grösse dar,
deren absoluter Werth mit wachsender Temperatur Tg zunimmt.
Die Zunahme desselben findet aber nicht etwa in der Weise statt,
dass er bei unbegrenztem Wachsen der Temperatur To ebenfalls
bis ins Unbegrenzte zunähme, sondern nur so, dass er sich mehr
und mehr dem Grenzwerthe ^ nähert, welcher kleiner ist, als
der Aequivalenzwerth des absteigenden Wärmeüberganges, oder
höchstens ihm gleich werden kann. Demnach kann der Fall,
dass der absteigende Wärmeübergang nicht ausreichend wäre,
um den aufsteigenden Wärmeübergang zu compensiren, gar nicht
eintreten.
Die Grösse -^, welcher der seiner absoluten Grösse nach
betrachtete Aequivalenzwerth des aufsteigenden Wärmeüberganges
sich mit wachsendem Tg nähert, ist zugleich die absolute Grösse
des Aequivalenzwerthes der Verwandlung der Wärmemenge q
von der Temperatur T^ in Arbeit. Dieses Verhalten der Formeln
stimmt ganz mit dem Umstände überein, dass eine in Arbeit
verwandelte Wärmemenge sich nachher wieder in Wärme von
beliebig hoher Temperatur verwandeln kann.
Wenn aber hier von beliebig hoher Temperatur die Rede
ist, so darf darunter doch nicht eine im streng mathematischen
Sinne unendlich liolie Temperatur verstanden werden, sondern es
ist in dieser Beziehung durch die Natur der Sache selbst eine
gewisse Grenze gegeben.
Um dieses zu erkennen und von der Art der Grössen, um
welche es sich dabei handelt, einen ungefähren Begriff zu be-
kommen, wollen wir uns denken, die von der Dampfmascliine
382 Abschnitt XIII.
geleistete Arbeit werde zimaclist dazu angewandt, einen Körper
von gegebener Masse, z. B. eine Masseneinheit, in Bewegung zu
setzen, und diese Massenbewegung sei es nun, welche in Wärme
verwandelt werden solle. Dann haben wir es nur noch mit der
Verwandlung einer Art von Bewegung in eine andere Art von
Bewegung zu thun, wodurch der Schluss über die Höhe der er-
reichbaren Temperatur erleichtert wird.
Wenn zwei Körper, deren jeder sich als Ganzes bewegt, in
Wechselwirkung treten, so wird im Allgemeinen der Körper,
welcher die grösste lebendige Kraft besitzt, dem anderen einen
Theil seiner lebendigen Kraft mittheilen. Wenden wir dieses auf
den Fall an, wo eine sich als Ganzes bewegende Masseneinheit
die kleinsten Theilchen eines Körpers, z. B. die Molecüle eines
Gases, welche vermöge der Wärme in fortschreitender Bewegung
begriffen sind, in schnellere Bewegung versetzen und dadurch
Wärme erzeugen soll, so können wir sagen, dass die höchste
dadurch erreichbare Temperatur diejenige sein würde, bei welcher
ein einzelnes Molecül durch seine fortschreitende Bewegung eine
ebenso grosse lebendige Kraft hätte, wie die ganze bewegte
Masseneinheit. Hierdurch gelangen wir zu einem ganz ausser-
ordentlich grossen aber nicht gerade zu einem unendlich grossen
Werthe, ähnlich wie die Masse eines Molecüls gegen eine Massen-
einheit ganz ausserordentlich klein, aber nicht gerade unendlich
klein ist.
Natürlich soll diese Betrachtung nicht dazu dienen, uns einen
bestimmten ein für allemal geltenden Werth als Grenze der er-
reichbaren Temperaturen zu geben, da ja mit der Grösse der
Arbeit auch die lebendige Kraft der Massenbewegung, welche an
ihre Stelle gesetzt werden kann, verschieden ist, aber sie giebt
wenigstens eine Vorstellung von der Ordnung der betreffenden
Grössen.
Kehren wir nun von dieser allgemeinen Betrachtung zu dem
von Kohlrausch erhobenen Einwände zurück, so können wir
ihrErgebniss folgendermaassen zusammenfassen. Es ist allerdings
richtig, dass mittelst der Thermosäule durch den Uebergang einer
endlichen Wärmemenge zu einer um eine endliche Grösse niedri-
geren Temperatur eine andere endliche Wärmemenge, wenn auch
nicht zu beliebig hoher, so doch zu jeder sonst erreichbaren
Temperatur erhoben werden kann, und es lässt sich sogar hin-
zufügen, dass auch andere thermodynamische Maschinen uns
Discussionen über die mechanisclie Wärmotheorie. 383
dieselbe Möglichkeit darbieten. Aber in dieser Möglichkeit liegt
eben so wenig etwas Widersinniges , wie darin , dass durch den
Uebergang einer endlichen Wärmemenge zu einer um eine end-
liche Grösse niedrigeren Temperatur eine andere endliche Wärme-
menge in Arbeit verwandelt werden kann.
§'. 11. Anderer Einwand von Tait.
In einem später, als die in §. 9 citirte Notiz, erschienenen
Buche von Tait „Ledurcs ou sonie recent advances in Physical
Science, second cdition, London 1876^^ wrd auf p. 119 ein neuer
Gegengrund gegen meinen Satz geltend gemacht, welchen ich mir
erlauben will, ebenfalls hier zu besprechen.
Hr. Tait führt eine von Maxwell angestellte Betrachtung
an, welche sich darauf bezieht, wie man es sich etwa als möglich
vorstellen könne, dass Wärme ohne einen gleichzeitigen Verbrauch
von Arbeit aus einem kälteren in einen wärmeren Körper über-
gehen könne. Maxwell geht von der kinetischen Gastheorie aus,
in welcher angenommen wird, dass in einer Gasmasse selbst dann,
wenn keine Strömungen in ihr stattfinden und ihre Temperatur
durchweg gleich ist, die Molecüle ungleiche Geschwindigkeiten
haben, und seine Betrachtung besteht in Folgendem: Er setzt
den Fall, dass solche imaginäre Wesen, welche Thomson vorläufig
Dämonen nennt — kleine Geschöpfe ohne Beharrungsvermögen,
von ausserordentlicher Sinnenschärfe und Intelligenz und wun-
derbarer Beweglichkeit — (such imaginary heings, ivlioni Sir
W. Thomson provisionally calls demons — small creatiires witli-
out inertia, of extremelij acute senses and inteUigence, and mar-
vellous agility —) die Partikelchen eines Gases überwachten, wel-
ches sich in einem Gefässe befände , worin eine Scheidewand wäre,
die sehr viele, ebenfalls von Beharrungsvermögen freie Klappen
hätte, nnd dass diese Dämonen die Klappen in geeigneten Momen-
ten öffneten und schlössen, und zwar so, dass sie die schnelleren
Partikelchen aus der ersten Abtheilung des Gefässes in die zweite
und eine ebenso grosse Anzahl langsamerer Partikelchen aus der
zweiten Abtheilung in die erste üessen. Wenn dieser Fall statt-
fände, so würde natürlich das Gas in der zweiten Abtheilung
allmälig immer wärmer und das in der ersten immer kälter
384
Abschnitt XIII.
Werden, und somit Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren
Körper übergehen.
Maxwell hat diesen von ihm ersonnenen imaginären Vorgang
nur dazu benutzt i), die Verschiedenheit der Rechnungsmethode,
welche bei der Behandlung des zweiten Hauptsatzes der mechani-
schen Wärmetheorie anzuwenden ist, und welche er die statistische
Methode nennt, von der eigentlich dynamischen Rechnungsmethode
zu veranschaulichen. Hr. Tait dagegen glaubt diesen Vorgang
einfach als Gegenbeweis gegen meinen Satz geltend machen zu
dürfen, indem er sagt, dieser Vorgang, für sich allein, sei absolut
verhängnissvoll für meine Schlussweise (lühicJi, cdone, is ahsolutely
fatal to Clausius' reasoningj.
Dieses kann ich in keiner Weise zugeben. Wenn die Wärme
als eine Molecularbewegung betrachtet wird, so ist dabei zu be-
denken, dass die Molecüle so kleine Körpertheilchen sind, dass es
für uns unmöglich ist, sie einzeln wahrzunehmen. Wir können
daher nicht auf einzelne Molecüle für sich allein wirken , oder die
Wirkungen einzelner Molecüle für sich allein erhalten, sondern
haben es bei jeder Wirkung, welche wir auf einen Körper aus-
üben oder von ihm erhalten , gleichzeitig mit einer ungeheuer
grossen Menge von Molecülen zu thun, welche sich nach allen mög-
lichen Richtungen und mit allen überhaupt bei den Molecülen
vorkommenden Geschwindigkeiten bewegen, und sich an der Wir-
kung in der Weise gleichmässig betheiligen, dass nur zufällige
Verschiedenheiten vorkommen, die den allgemeinen Gesetzen der
Wahrscheinlichkeit unterworfen sind. Dieser Umstand bildet ge-
rade die charakteristische Eigenthümlichkeit derjenigen Bewegung,
welche wir Wärme nennen, und auf ihm beruhen die Gesetze,
welche das Verhalten der ¥/ärme von dem anderer Bewegungen
unterscheiden.
Wenn nun Dämonen eingreifen, und diese charakteristische
Eigenthümlichkeit zerstören, indem sie unter den Molecülen einen
Unterschied machen, und Molecüle von gewissen Geschwindigkei-
ten den Durchgang durch eine Scheidewand gestatten, Molecülen
von anderen Geschwindigkeiten dagegen den Durchgang verweh-
ren, so darf man das, was unter diesen Umständen geschieht, nicht
mehr als eine Wirkung der Wärme ansehen und erwarten, dass
es mit den für die Wirkungen der Wärme geltenden Gesetzen
1) Theonj of Heat, London 1871, p. 30S.
Discussionen über die mechanische "Wärmetheorie. 385
Übereinstimmt, Alle diese G^esetze, mit Einschluss des von mir
aufgestellten Grundsatzes, sollen nur ausdrücken, was unter na-
türlichen Umständen und allein dem Wesen der Wärme selbst
entsprechend geschieht.
Nachdem ich die vorstehend mitgetheilten Gegenbemerkungen
gegen den Tait' sehen Einwand in Wied. Annalen veröfi'entlicht
hatte, hat Herr Tait in einer neueren Schrift i) seinen Einwand
durch den Ausspruch wenigstens theilweise aufrecht zu erhalten ge-
sucht, dass das, was Dämonen im grossen Maassstabe thun können,
in der Wirklichkeit ohne Hülfe von Dämonen, wenn auch in einem
sehr kleinen Maassstabe, in jeder Gasmasse vor sich gehe (tliat
ivhat demons could do on a large sccde, really goes on tvithout tlie
help of demons [thougli in a very small scalej in every mass of
gas).
Hiermit ist, wenn ich es recht verstehe, Folgendes gemeint.
Wenn zwei Gasmassen A und B unter einander in Berührung
sind, so fliegen fortwährend Molecüle von A nach B und umge-
kehrt von B nach A. Haben die beiden Gasmassen gleiche Tem-
peraturen, so haben auch die von A nach B fliegenden Molecüle
durchschnittlich dieselbe lebendige Kraft, wie die von B nach A
fliegenden. Da aber die Geschwindigkeiten der einzelnen Molecüle
verschieden sind , so können in einzelnen Momenten Abweichungen
von dem durchschnittlichen Verhalten stattfinden, und es kann z. B.
vorkommen, dass in einem gewissen Momente zufällig unter den
von A nach B fliegenden Molecülen diejenigen mit grösseren Ge-
schwindigkeiten und unter den von 5 nach^ fliegenden diejenigen
mit kleineren Geschwindigkeiten vorwiegen. Dadurch steigt dann
für einen Augenblick die Temperatur in B und sinkt die Tempe-
ratur in A, und es geht also momentan etwas Wärme aus der da-
durch kälter werdenden Gasmasse in die wärmer werdende über.
Dieses soll nach Herrn Tait mit meinem Grundsatze im Wider-
spruche stehen.
Hiergegen brauche ich wieder nur zu sagen, dass es sich im
zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie und ebenso
in meinem Grundsatze gar nicht darum handelt, was in einzelnen
Momenten zufällig bald in einem, bald im entgegengesetzten Sinne
geschehen kann, sondern darum, was durchschnittlich nach den
1) Sketch of Thermodynaniics , second edition , Edinburgh 1S77, in der
Vorrede, S. XVIII.
Clausius, median, Wärmetheorie. I. 95
386 Abschnitt XIII.
Kegeln der Wahrscliemliclikeit gescMeht. Der Ueberschuss von
lebendiger Kraft, welcher durch eine in einem gewissen Momente
stattfindende zufällige Abweichung vom durchschnittlichen Verhal-
ten vom kälteren zum wärmeren Gase übergehen kann, ist im Ver-
gleiche zu den für uns messbaren Wärmemengen eine Grösse von
derselben Ordnung, wie die Masse eines einzelnen Molecüls im
Vergleiche zu den unserer directen Wahrnehmung zugänglichen
Massen. Grössen dieser Ordnung werden aber bei den Betrach-
tungen, welche sich auf den zweiten Hauptsatz der mechanischen
Wärmetheorie beziehen, vernachlässigt.
§. 12. Ansichten über die entsprechenden Tempera-
turen der Dämpfe und das Molecularvolumen.
Die entsprechenden Temperaturen der Dämpfe und das Mo-
lecularvolumen sind in diesem Bande noch nicht behandelt, sondern
werden erst im dritten Bande zur Behandlung kommen; da sie
aber in neuerer Zeit eine sehr lebhafte Besprechung gefunden
haben, welche eine baldige Beantwortung wünschenswerth machen,
so scheint es mir zweckmässig, schon hier einiges darüber zu
sagen.
Ueber die entsprechenden Temperaturen der Dämpfe, d. h.
diejenigen Temperaturen, bei welchen die gesättigten Dämpfe
verschiedener Flüssigkeiten gleiche Spannungen haben, sind nach
einander verschiedenartige Ansichten ausgesprochen. Dalton
hat das Gesetz aufgestellt, dass für irgend zwei Flüssigkeiten
alle Differenzen mischen entsprechenden Temperaturen gleich seien.
Dieses Gesetz stimmt bei solchen Flüssigkeiten, deren Siedepunkte
nahe bei einander liegen, ziemlich gut mit der Erfahrung über-
ein, bei solchen aber, deren Siedepunkte weit von einander
entfernt sind, treten grosse Abweichungen ein. Diese stellten
sich bei den von Avogadro angestellten Beobachtungen der
Dampfspannungen des Quecksilb ers i) sehr bestimmt heraus, und
traten eben so deutlich in den Untersuchungen von Faraday
über die Condensation der Gase 2) hervor. Faraday sprach
1) Im Auszuge Ann. de chim. et de pJiys. XLIX, p. 369 und Pogg.
Ann. Bd. XXVII, S. 60; vollständig Mem. de VAead. de Turin, Vol. XXXVI.
2) Fhü. Trans, of the Boijcü Soc. of London for 1845, p. 155 und Pogg.
Ann. Bd. 72 a, S. 193.
Discussionen über die meclianiscli« Wärinetheorie. 387
sich in den Zusatzbemerkungen zu seiner Abhandlung, nachdem
er die Anwendung des Dalton 'sehen Gesetzes auf die Gase zu-
rückgewiesen hatte, folgondcrmaassen aus: „Sofern die Beob-
achtung der folgenden Substanzen nämlich: Wasser, schweflige
Säure, Cyan, Ammoniak, Arsenikwasserstoff, Schwefelwasserstoff,
Chlorwasserstoffsäure, Kohlensäure, Ölbildendes Gas etc. einen
Schluss auf ein allgemeines Gesetz rechtfertigen, möchte es
scheinen, als ob, je flüchtiger ein Körper sei, desto schneller
die Kraft seines Dampfes bei weiterer Zunahme der Wärme
wachse, wenn man bei allen von einem gegebenen Punkte des
Druckes anfängt;" und weiterhin: „Es scheint somit aller Grund
zu sein, zu erwarten, dass die Zunahme der Elasticität sich
direct, wie die Flüchtigkeit der Substanz verhalte." Dasselbe,
worauf Faraday in diesen Worten hinweist, wird einige Jahre
später (1849) von Groshans noch einmal und zwar in der
Form einer bestimmten Gleichung ausgedrückt i). Indem er
Wasser, dessen Siedetemperatur 100" ist, mit einer Flüssigkeit,
deren Siedetemperatur E heissen soll, vergleicht, und irgend zwei
andere entsprechende Temperaturen dieser beiden Flüssigkeiten
mit t und T bezeichnet, stellt er folgende in seinem Aufsatze
mit der Nummer (3) versehene Gleichung auf:
1 + c^ _l + cT •
^^ 1 + c . 100 ~ 1 + cE'
worin c den Ausdehnungscoefficienten der Gase bedeutet.
In einem Aufsatze, welchen ich selbst im Jahre 1851 über
denselben Gegenstand veröffentlicht habe -) , habe ich den Sinn
dieser Gleichung folgendermaassen in Worten ausgedrückt. Wenn
man alle Temperaturen von — 273^ C. ah (d. h. von derjenigen
Temperatur ab, welche durch den umgekehrten Werth des Aus-
dehnungscoefficienten der Luft bestimmt wird) mlilt^ so sind für
irgend stoei Flüssigkeiten alle entspreclienden Temperaturen pro-
portional.
Ich habe dieses Gesetz dort als ein angenähertes bezeichnet,
welches der Erfahrung unzweifelhaft besser entspreche, als das
Dal ton' sehe. Da aber, wie ich hinzufügte, der von Groshans
gegebene Beweis Manches zu wünschen übrig lässt, so habe ich
1) Pogg. Ann. Bd. 78, S. 112.
2) Ueber den theoretischen Zusammenhang zweier emj)irisch aufgestell-
ter Gesetze über die Spannung und die latente Wärme verschiedener
Dämpfe. Pogg. Ann. Bd. 82, S. 274 und Abhandluugensammluug I, S. 119.
25*
388 Absclinitt XIII.
es für zweckmässig gehalten, dieses Gesetz mit einem anderen
auf Dämpfe bezüglichen Gesetze, welches man empirisch als
näherungsweise richtig gefunden hat, zu vergleichen, um zu sehen,
ob sie sich gegenseitig bestätigen, oder nicht, nämlich mit dem
Gesetze, dass die latente Wärme einer Volumeneinheit des heim
SiedepunUe entivickelten Dampfes hei allen Flüssigkeiten gleich sei.
Es hat sich dabei herausgestellt, dass die beiden Gesetze so unter
einander zusammenhängen, dass, wenn das eine streng richtig
wäre, es auch das andere sein müsste, und dass die in der Wirk-
lichkeit bei dem einen vorkommenden Ungenauigkeiten sich in
entsprechender Weise auch beim anderen zeigen müssen.
Viel später, als die vorstehend erwähnten Aufsätze, ist eine
Schrift von E. Dühring erschienen i) , in welcher der Verfasser
einige Sätze mittheilt, die er neue Grundgesetze nennt. Eins
derselben, welches die ensprechenden Temperaturen der Dämpfe
betrifft, und welches Herr Dühring als von seinem Sohne auf-
gefunden bezeichnet, wird auf S. 73 folgendermaassen ausge-
sprochen: Von den Siedepunkten heliehiger Suhstansen, wie sie
für irgend einen für alle gemeinsamen Druck als Ausgangspunkte
gegehen sein mögen., sind his su den Siedepunkten für irgend einen
anderen gemeinsamen Druck die Temperaturahstände sich gleicli-
hleihende Vielfache von einander.
Vergleicht man eine zur Betrachtung ausgewählte Flüssigkeit
mit dem Wasser und bezeichnet beim atmosphärischen Drucke,
bei welchem das Wasser die Siedetemperatur 100° hat, die Siede-
temperatur jener Flüssigkeit mit i?, und nennt man ferner bei
irgend einem anderen gemeinsamen Drucke die Siedetemperaturen
des Wassers und jener Flüssigkeit t und T, so kann man den
angeführten Satz durch folgende Gleichung ausdrücken:
^2^ ^-^^ = ^'
worin q eine Constante ist, welche Dühring den specifischen
Factor der betreffenden Flüssigkeit nennt.
Stellt man diese Gleichung mit der oben unter (1) mitge-
theilten Groshans' sehen Gleichung zusammen, so überzeugt man
sich leicht, dass sie in derselben als nothwendige Folge enthalten
ist. Die Groshans'sche Gleichung lässt sich nämlich durch
eine einfache Umformung in folgende Gestalt bringen:
1) Neue Grundgesetze zur rationellen Physik und Chemie. Leipzig 1878.
(la)
Discussionen über die mechanisclie Wärmetheorie. 389
T— E _ l-^cE
i — 100 1 -f c . 100
Hierin ist der an der linken Seite stehende Bruch derselbe, wie
der in der Düh ring' sehen Gleichung befindliche, und an der
rechten Seite steht hier ebenso, wie dort, eine für jede Flüssig-
keit constante Grösse.
Der Unterschied zwischen beiden Gleichungen besteht nur
darin, dass die Constante in der Groshans' sehen Gleichung
einen durch den Siedepunkt bestimmten, und zwar der absoluten
Temperatur des Siedepunktes proportionalen Wertli hat, wäli-
rend sie in der Dühr in g' sehen Gleichung unbestimmt gelas-
sen ist.
Was nun den Erfolg dieser Aenderung anbetrifft, so ist es
selbstverständlich, dass man die Uebereinstimmung der Gleichung
mit der Erfahrung bis auf einen gewissen Grad verbessern kann,
wenn man der Constante nicht im Voraus eine zu ihrer Be-
stimmung dienende Bedeutung giebt, sondern sich vorbehält, sie
nachträglich aus geeignet erscheinenden empirischen Daten zu
bestimmen. Aber eine wirklich ausreichende Uebereinstimmung
kann man auch dadurch nicht erzielen, und ausserdem ist zu
bemerken, dass die Gleichung durch die grössere Unbestimmtheit
an theoretischer Bedeutsamkeit verliert, und mehr den Charakter
einer rein empirischen Gleichung annimmt.
Dass nämlich die Groshans'sche Art, die Constante zu be-
stimmen, in der That eine gewisse theoretische Berechtigung hat,
ergiebt sich aus der grossen Anzahl von Flüssigkeiten, für welche
sie der Erfahrung angenähert entspricht. Auch Herr Düh ring
hat sich dieser Wahrnehmung nicht verschliessen können , wie
aus folgender, auf S. 87 befindlicher Stelle seines Buches her-
vorgeht: „Die specifischen Factoren stehen bei einer Anzahl von
Stoffen im Verhältniss der sogenannten absoluten Temperaturen ent-
sprechender, d. h. zu gleichen Spannungen gehöriger Siedepunkte.
Solche Stoffe sind Quecksilber, Schwefel, Chlorwasserstoff, Brom-
wasserstoff', Jodwasserstoff, Stickoxydul, Chloroform, Silicium-
chlorid, Chlorkohlenstoff, Benzol und noch einige andere, die sich
vermehren würden, sobald nur die erforderlichen Beobachtungen
zur Verfügung ständen."
Wendet man das hier über die specifischen Factoren gesagte
auf die Dühring'sche Gleichung an, so wird sie, soweit sie sich
auf die genannten und die als noch dazugehörig angedeuteten
390 Absclinitt XlII.
Stoffe bezieht, mit der Groshans' sehen Gleichung vollkommen
übereinstimmend.
Unter diesen Umständen konnte es nur Erstaunen erregen,
als Herr Dühring den von seinem Sohne ausgesprochenen Satz,
ohne Erwähnung der Groshans' sehen Gleichung, als ein neues
Grundgesetz publicirte, und als er bald darauf sogar eine Reihe
von anderen Autoren anklagte, sich das so erworbene Verdienst
seines Sohnes angeeignet zu haben. Zu diesen Autoren rechnete
er auch mich, obwohl die auf Grund der van der Wa als' sehen
Gleichung von mir aufgestellte Formel, welche ihn dazu veran-
lasste, gar nicht einmal mit jenem Satze übereinstimmt, sondern
vielmehr, falls sie als richtig anerkannt wird, ganz besonders dazu
geeignet ist, die Ungenauigkeit desselben erkennen zu lassen.
Da das von Herrn Dühring über die Groshans'sche
Gleichung beobachtete Stillschweigen sich nur durch die Annahme,
dass er sie nicht gekannt habe, erklären Hess, so konnte man
Anfangs glauben, er würde, wenn er sie kennen lernte, sein Ur-
theil über den Stand der Sache und sein Verhalten gegen die
Autoren, welche von demselben besser, als er, unterrichtet ge-
wesen waren, ändern. Das hat sich aber nicht bewährt. Ich
habe in einem 1881 veröffentlichten Aufsatze i) gelegentlich die
Groshans'sche Gleichung erwähnt. Das hat aber nur dazu
gedient, mir die heftigsten Angriffe der Herren Dühring, Vater
und Sohn, in ihrer neuesten Schrift 2) zuzuziehen, worin sie sich
zugleich in geringschätzigen Aeusserungen über die Groshans'-
sche Gleichung gegenseitig überbieten.
Herr Dühring Sohn sagt auf S. 34: „Unser Professor hat
nämlich in seiner letzten Abhandlung eine historische Notiz über
die seinen Aufstellungen vorangegangenen Versuche zu einem
Siedegesetz liefern wollen und hat in der betreffenden Anmerkung
den D alt on' sehen ursprünglichen Ansatz zu einem Siedegesetz,
sowie eine Kleinigkeit in derselben Richtung von einem hollän-
dischen Gelehrten, Herrn Groshans erwähnt."
Hiermit genau übereinstimmend sagt Herr Dühring Vater
auf S. 138: „Gewissenhaft citirte er die Vorgänger, den Dalton'-
schen Ansatz und, was er sonst schon ganz bei Seite geworfen
1) Wied. Ann. Bd. 14, S. 696.
2) Neue Grundgesetze zur rationellen Physik, und Chemie. Zweite Folge.
Leipzig 1886.
*
Discussionen über die mechanische Wärmetheorie. 391
hatte, einen kleinen Beitrag in derselben Richtung von einem
Herrn Groshans, der ihn vor länger als einem Menschenalter
geliefert hatte." Die hierin vorkommenden Worte „was er sonst
schon ganz bei Seite geworfen hatte", welche nur dadurch ver-
anlasst sind, dass ich im ersten Bande der zweiten Auflage mei-
ner mechanischen Wärmetheorie über diese Sache nicht gesprochen
habe, verlieren allen Sinn durch den Umstand, dass der letzte
Band der zweiten Auflage noch nicht erschienen ist, und Herr
Dühring nicht wissen kann, was er enthalten wird.
Auf S. 139 spricht er weiter von dem „Stückchen speciellen
und beschränkten Sinnes ...... in welchem der Groshans'-
sche Beitrag seit Dalton eine Kleinigkeit zu bedeuten haben
konnte"; und auf S. 140 vergleicht er die eigene Leistung mit
der Groshans'schen in folgender Weise. „Wie die Dalton'-
schen Specialfälle, so erhält auch das Groshans' sehe falsch
ausgedehnte Apergü, wenn ihm im Lichte unseres Gesetzes ein
richtiger Sinn gegeben wird, die Bedeutung als eine sich noch
unklare Bewegung um ein Schrittchen in derjenigen Richtung,
in welcher wir mit einem Male zur umfassenden Wahrheit ge-
langten. Quantitativ lässt sich das aber nicht zutreffend ver-
gleichen. Es ist nicht sowohl ein Procent, was Herr Groshans
vorausgehabt hätte, während wir gleich mit dem ganzen Hundert
gekommen wären, sondern der Unterschied ist vornehmlich ein
qualitativer. Unser Gesetz ist nämlich eine Allgemeinheit für
sich mit eigenen Bedingungen und hat selber erst bemessen
lassen, wie die Groshans' sehe falsche Vorstellung als ganz
speci eller Gruppensachverhalt richtig zu deuten sei."
Auf Aeusserungen solcher Art näher einzugehen halte ich
für überflüssig. Die dargelegten Thatsachen sprechen für sich
selbst, und an ihnen lässt sich durch geringschätzige Bemerkun-
gen nichts ändern.
Noch auffälliger zeigt sich die Art, wie Herr Dühring Alles,
was seit Decennien gearbeitet ist, vernachlässigt, in dem zweiten
der Sätze, welche er als neue Grundgesetze veröffentlicht hat.
Schon in meinem 1857 publicirten ersten Aufsatze über die
kinetische Gastheorie habe ich, nachdem ich von der Erklärung
des Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetzes ge-
sprochen hatte, in §. 5 1) die Abweichungen, welche die Gase
1) Pogg. Ann. Bd. 100, S. 358 und Abhandlungensammlung 11, S. 235.
392 Abschnitt XHI.
von diesen Gesetzen zeigen, daraus erklärt, dass diese Gesetze
nur dann genau richtig sein könnten, wenn drei Bedingungen
erfüllt wären, deren erste lautete: „der Raum, welchen die Mo-
lecüle des Gases wirklich ausfüllen, muss gegen den ganzen
Raum, welchen das Gas einnimmt, verschwindend klein sein";
und deren andere beide sich auf die Stosszeit und die zwischen
denMolecülen wirkenden Kräfte beziehen. Nach Anführung dieser
Bedingungen habe ich hinzugefügt: „Wenn diese Bedingungen nicht
erfüllt sind, so treten nach verschiedenen Richtungen hin Ab-
weichungen von den einfachen Gesetzen der Gase ein, welche
um so bedeutender werden, je weniger der Molecularzustand des
Gases diesen Bedingungen entspricht."
Dasselbe, worauf ich zu jener Zeit, wo es sich noch um die
Feststellung der Grundlagen der kinetischen Gastheorie handelte,
nur in allgemeinen Ausdrücken hingewiesen habe, hat später in
den Untersuchungen verschiedener Forscher bestimmte mathe-
matische Formen angenommen. Ich kann mich hier darauf be-
schränken, eine Gleichung anzuführen, welche Hirn im Jahre
1865 aufgestellt hafi). Bei der Besprechung des Mariotte'schen
Gesetzes sagt er, dasselbe müsse, um genau zu werden, zwei
Aenderungen erfahren, von denen die eine die inneren Kräfte
und die andere das Volumen betreffe. An der Stelle, wo nur
von der letzteren Aenderuug die Rede ist, führt er aus, dass
man nicht das ganze Volumen, welches das Gas scheinbar ein-
nimmt, sondern nur den veränderlichen Theil desselben in Rech-
nung bringen müsse, und sagt dann: II est hien evident que
nous devrons ecrire:
/y jp-N
(3) Pi = Po [y _ qr)
en place de:
Vo
Pi=Po -f^-
Hierin bedeutet, wie leicht ersichtlich, 2h und pi den Anfangs-
und Enddruck, Vq und Vi das Anfangs- und Endvolumen, und
die Grösse ^P" definirt er als la sonime des volumes des atomes.
Dem entsprechend nennt er auch die Differenz V — W völume
interatomique.
1) Tlieorie mecanique de la chaleur, 11^ ed., T. 1, p. 193; wieder ab-
gedruckt nie ed. 1876, T. II, p. 206.
Discussionen über die mecliani«clie Wärmetheorie. 393
Dreizehn Jahre nachdem dieses gedruckt war, veröffentlichte
Herr Dühringi) als angeblich neu entdecktes Grundgesetz
folgenden Satz: „Der Veränderung des auf ein Gas ivirhenden
Druckes entspricht eine umgekehrt ]i)roj)orUonale Veränderung des
mvischen den Molccülen hefindliclien Baumes.'-'' Um diesen Satz
durch eine Gleichung auszudrücken, bezeichnete er den Anfangs-
und Enddruck mit %)' und |), sowie das Anfangs- und Endvolumen
des Gases mit v' und v, und stellte den von den Molecülen ein-
genommenen Raum durch x dar, und unter Anwendung dieser
Zeichen bildete er (auf S. 50) folgende Gleichung:
^ ^ p' V — X
Man sieht auf den ersten Blick, dass dieses genau die unter
(3) mitgetheilte Hirn 'sehe Gleichung ist.
Dabei ist noch zu bemerken, dass Hirn dieser Gleichung
nur die Bedeutung einer vorläufigen Gleichung giebt, welche
zeigen soll, wie die Mariotte'sche Gleichung sich durch Berück-
sichtigung des Volumens der Molecüle ändert, und dass er gleich
darauf auch die weitere Aenderung hinzufügt, zu welcher er
durch Berücksichtigung der zwischen den Molecülen wirkenden
Kräfte gelangt ist.
Auch ist, wie schon gesagt, Hirn nicht der einzige Autor,
welcher derartige Betrachtungen angestellt hat. Vielmehr war
zu der Zeit, wo Herr Dühring sein Buch veröffentlichte, die
Berücksichtigung des Volumens der Molecüle bei der Behandlung
des gasförmigen Zustandes schon ein vielbesprochener Gegenstand.
Von alledem war aber in der Darstellung des Herrn Düh-
ring keine Rede, Er erwähnte im Anfange des betreffenden
Capitels, S. 36, nur kurz, dass Daniel Bernoulli im Jahre
1738 einen unvollständig durchgeführten Versuch der Berück-
sichtigung des Volumens der Molecüle gemacht habe, und sagte
dann sofort von sich selbst, er habe „denselben Kernpunkt, den
Bernoulli theilweise streifte, imi ihn dann gänzlich aufzugeben,
vollständig und als eine grundgesetzliche Nothwendigkeit auf-
gefunden." Dass Verdienste, welche er in solcher Weise für sich
in Anspruch nimmt, von den Physikern nicht anerkannt werden,
dafür weiss er keinen anderen Grund zu finden, als die Missgunst
und Selbstsucht der Coteriegelehrten,
1) Neue Grundgesetze etc., S. 49.
394 Abschnitt XIII.
§. 13. Ueber das Bekanntwerden der Schriften
Robert Mayer's.
Zwei Jahre nach dem Erscheinen der im vorigen Paragraphen
beleuchteten Schrift hat Herr E. Dühring eine andere Schrift
„Robert Mayer, der Galilei des neunzehnten Jahrhunderts"
herausgegeben, in welcher er die bedauernswerthe Thatsache, dass
Mayer's Schriften, mit Ausnahme des ersten, in Wöhler-
Liebig's Annalen erschienenen Aufsatzes, so lange Zeit un-
bekannt geblieben sind, in höchst befremdlicher Weise bespricht.
Anstatt die verschiedenen für das Bekanntwerden der Schriften
ungünstigen Umstände, unter denen ihre Veröffentlichung statt-
fand, in Betracht zu ziehen, sucht er die Erklärung jener That-
sache in der absichtlichen Ignorirung und Unterdrückung
Mayer's von Seiten der Fachgelehrten oder, wie er sie nennt,
der Handwerksgelehrten, welche dadurch das Gewicht ihrer eigenen
Verdienste hätten vergrössern wollen.
Diesen Vorwurf macht er auch mir, und da er durch falsche
Angaben die richtige Beurtheilung der Sache unmöglich macht,
bin ich es meiner Ehre schuldig, darauf zu antworten.
Zum ibesseren Verständnisse muss ich zunächst über die
Stellung meiner Arbeiten zu denen Mayer's und über den
Vorgang, auf welchen der Angriff sich bezieht, einiges voraus-
schicken.
Als ich meine erste auf die "Wärme bezügliche, im Jahre
1850 veröffentlichte Abhandlung i) schrieb, kannte ich von Rob.
Mayer den im Jahre 1842 in den Wöhler-Liebig'schen Annalen
erschienenen Aufsatz und von Joule die im Philosophical
Magazine veröffentlichten Aufsätze. Beide habe ich in meiner
Abhandlung erwähnt, und von Mayer habe ich (S. 370) ge-
sagt, dass er in seinem Aufsatze das mechanische Aequivalent
der Wärme schon vor Holtzmann in derselben Weise, wie dieser,
bestimmt habe, welche Bestimmungsweise dann weiterhin (S. 521),
wieder unter Nennung von Mayer's Namen, von mir besprochen
ist. Ich habe somit den von mir angeführten und meinen wei-
teren Entwickelungen zu Grunde gelegten Satz von der Aequi-
1) Pogg. Ann. LXXIX, S. 368 und 500.
Disciissionen über die mechanische Wännetheorie. 395
Valenz von Wärme und Arbeit nicht etwa als einen von mir ent-
deckten, sondern als einen schon vor mir bekannten Satz hin-
gestellt. Einige Jahre später (1856) habe ich sogar, als Hoppe
in einem auf denselben Gegenstand bezüglichen Aufsatze i) diesen
Satz als ein von mir aufgestelltes Princip bezeichnet hatte, in
meiner Erwiderung 2) ausdrücklich erklärt , dass dieses Verdienst
nicht mir gebühre, sondern dass der Satz schon vor meinen Unter-
suchungen aufgestellt und selbst experimentell bestätigt sei.
Ebenso habe ich auch von dem, was sonst in den Mayer'-
schen Schriften enthalten ist, nie etwas für mich in Anspruch
genommen, wozu auch gar keine Veranlassung vorlag, da meine
Arbeiten, soweit sie sich überhaupt an die Mayer' sehen an-
knüpfen, ein ganz anderes Gebiet verfolgen, als diese, nämlich
die mathematische Entwickelung der Folgerungen, welche sich
aus jenem Satze und aus dem von mir modificirten Carnot'-
schen Satze ziehen lassen. Daraus ist ersichtlich, dass ich in
keiner Weise mit Mayer concurrire und daher in den Pi-ioritäts-
fragen, welche in Bezug auf seine Arbeiten erhoben sind, ganz
unparteiisch dastehe.
Was nun den Vorgang anbetrifft, aufweichen sich Dühring's
Angriff bezieht, so ist es folgender.
Im Jahre 1862 schrieb mir Tyndall, er wünsche sich sämmt-
liche Schriften May er 's zu verschaffen, und fragte mich, svie
er dazu gelangen könne. In meiner Antwort sagte ich, dass
ausser dem damals schon mehrfach besprochenen Aufsatze in
Liebig's Annalen noch einige Schriften als , besondere Bro-
schüren erschienen seien, die mir aber selbst unbekannt geblieben
seien. Ich wolle versuchen, ihm die Schriften zu verschaffen,
glaube aber nicht, dass er sehr Erhebliches darin finden werde.
Dabei versteht es sich von selbst, dass dieser letzte Aus-
spruch sich nicht auf den ersten in Liebig's Annalen erschienenen
Aufsatz bezog, denn aus diesem hatte ich das Hauptresultat,
nämlich die darin zum ersten Male ausgeführte Bestimmung des
mechanischen Aequivalentes der Wärme selbst schon lange vor-
her an Stellen citirt, wo die Aequivalenz von Wärme und Arbeit
als Hauptgrundlage der ganzen neuern Wärmetheorie besprochen
und daher ihre Wichtigkeit gewiss vollständig anerkannt war.
1) Pogg. Auu. XCVII, S. 30.
2) Pogg. Ann. XCYIII, S. 173.
396 Abschnitt XIII.
Auch konnte ich nach diesem Citat unmöglich davon sprechen,
was ich glaube, dass in diesem Aufsatze zu finden sei, da ich
ja wusste, was darin stand. Ferner war dieser Aufsatz, welcher
in einem sehr verbreiteten, auch in englischen Bibliotheken vor-
handenen Journal erschienen war, Tyndall ebenso zugänglich,
wie mir, und sein Inhalt konnte ihm um so weniger unbekannt
sein, als er schon Gegenstand eines Prioritätsstreites zwischen
Mayer und Joule in den Comptes rendus und im Philosophical
Magazine gewesen war. Ich hatte also gar nicht nöthig, ihn von
dem Inhalte dieses Aufsatzes in Kenntniss zu setzen. Es han-
delte sich vielmehr nur darum, was in den Schriften, welche
wir nicht kannten, und deren Besorgung ich übernommen hatte,
ausserdem noch zu erwarten war. Da ich nun aus diesen Schriften
nie ein Eesultat angeführt gefunden hatte, und sie überhaupt
fast ganz unbekannt geblieben waren, so konnte ich nicht ver-
muthen, dass sie sehr Erhebliches enthielten. Dazu kam noch,
dass Mayer der ersten und wichtigsten dieser Schriften den
ihrem Inhalte sehr unvollständig entsprechenden Titel „Die or-
ganische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoff-
wechsel" gegeben hat, sodass man, selbst wenn man den Titel
zu Gesicht bekam, gar nicht auf den Gedanken kommen konnte,
dahinter allgemeine Auseinandersetzungen über die Grundprin-
cipien der Mechanik und Physik zu suchen.
Ich schrieb darauf nach Heilbronn an den Buchhändler,
welcher mir als der wahrscheinliche Verleger der May er' sehen
Schriften bezeichnet war, und als ich sie von diesem erhalten
hatte, las ich sie vor der Absendung selbst. Dabei erkannte ich
sofort, dass ich mich in Bezug auf ihren Inhalt geirrt hatte,
und ich nahm daher , schon als ich die erste^ gleich nach ihrer
Durchlesung an Tyndall sandte, meinen frühern Ausspruch
ausdrücklich zurück, und schrieb ihm, ich sei erstaunt über die
Menge der darin enthaltenen schönen und richtigen Gedanken.
Zugleich fügte ich eine Uebersicht dessen, was ich darin für
besonders wichtig hielt, hinzu.
Tyndall hatte damals gerade, bei Gelegenheit der Londoner
Industrie-Ausstellung, einen Vortrag vor wissenschaftlichen Nota-
bilitäten aus allen Ländern zu halten, und in diesem setzte er
mit seinem bekannten Rednertalente die in May er 's Schriften
enthaltenen neuen Ideen auseinander, und als er dadurch das
höchste Interesse für die Sache erregt hatte, fügte er hinzu.
Discussionen über die mechaniache Wärmetheorie. 397
unter wie schwierigen Umständen dieses von einem nicht den
wissenschaftlichen Kreisen angehörigen Manne ohne wissenschaft-
liche Anregung und Ermuthigung geschaffen war.
Durch diesen Vortrag, welcher mehrfach gedruckt i) und
viel besprochen wurde, war der Bann, unter welchem Mayer
durch die geringe Beachtung seiner Arbeiten gestanden hatte,
gebrochen. Die Arbeiten wurden nicht nur gelesen, sondern es
entstanden auch lebhafte Discussionen über ihre Stellung zu den
Arbeiten Joule's, wodurch die Aufmerksamkeit noch mehr auf
sie gelenkt wurde.
Als Mayer einige Jahre später eine neue Auflage seiner
Schriften herausgab, veröffentlichte ich eine Recension derselben
im Literarischen Centralblatt (1868), in welcher ich ihre Wich-
tigkeit hervorhob und zugleich den oben erwähnten Vortrag,
durch welchen Tyndall ihnen zur Anerkennung verhelfen hatte,
besprach, wodurch ich die Arbeiten auch in denjenigen deut-
schen Kreisen, welche nicht gerade naturwissenschaftliche Jour-
nale zu lesen pflegen, bekannter zu machen suchte.
Aus dem Vorstehenden wird man zur Genüge ersehen haben,
dass ich weder irgend eine Veranlassung hatte, das Nichtbekannt-
werden der May er' sehen Schriften zu wünschen, noch auch
irgend etwas dazu gethan habe, sondern dass ich vielmehr das in
seinem ersten Aufsatze enthaltene Hauptergebniss seiner Unter-
suchungen schon sehr früh angeführt und gewürdigt, und später,
nachdem mir die übrigen Schriften bekannt geworden waren,
auch zu deren Verbreitung mit beizutragen gesucht habe.
Ich wende mich nun zu der Du bring 'sehen Darstellung
der Sache.
Nachdem Herr Dühring erzählt hat, dass auf einen im
Mai 1849 von Mayer in der Augsburger Allgemeinen Zeitung
veröffentlichten Artikel ein Gegenartikel von einem Tübinger
Privatdocenten erschienen sei, welcher ohne eigenes Verständniss
von der Sache Mayer in hochmüthigem Tone als Ignoranten
abgefertigt und das Publikum vor seinen Unklarheiten gewarnt
habe, und dass ferner, als Mayer sich gegen diesen ungerecht-
fertigten und in jeder Beziehung unpassenden Angriff" habe ver-
theidigen wollen, die Redaction ihm ihre Spalten verschlossen
1) „On Force.'-'' Proc. of the Royal Institution, June 6, 1862; Phil.
Mag. Ser. 4, Vol. 24, jp. 57; Heat consiclered as a mode of Motion, hy
John Tyndall, London 1863, p. 435.
398' Abschnitt XIH.
habe, knüpft er daran die Frage, warum sich damals die Männer
der Wissenschaft nicht May er 's angenommen und ihn vertheidigt
hätten. Als solche, die dieses hätten thun sollen, nennt er zu-
erst Li eh ig und Helmholtz, und erwähnt dann auch mich
mit den Worten: „auch Herr Clausius sprosste damals schon
ein wenig auf, " und sagt von mir , ich habe „noch dreizehn Jahre
später dem Professor Tyndall in London geschrieben, dass der-
selbe, nach dem ersten Aufsatze Mayer' s zu urtheilen, in dessen
Schriften nichts Rechtes finden werde." Darauf fährt er fort:
„Wenn Herr Clausius 1862 noch für gut fand, in der Mayer'-
schen Entdeckung nichts Erhebliches finden zu wollen, während
er selbst an nichts als an mechanischer Wärmetheorie wieder-
käute, so mag man ermessen, wie sich die Ignorirung und Unter-
drückung May er' s durch Handwerksgelehrte solchen Schlages
aus der edlen Paarung von bösem Willen und eitler Beschränkt-
heit zusammensetzte. Den May er' sehen Aufsatz gelesen haben,
ein Matador der Wärmetheorie sein wollen und dennoch in jenem
Aufsatze nichts finden können, — das heisst handgreiflich bei
Eigenschaften attrapirt sein, deren Besitz den wissenschaftlichen
Hals brechen muss."
Was zunächst die Frage anbetrifft, weshalb ich mich Mayer' s
nicht angenommen habe, so muss ich erwähnen, dass ich damals
noch gar nicht Docent an einer Universität war und noch nichts
über die Wärme publicirt hatte, und dass ich daher, wenn auch
meine Studien schon auf die Wärmetheorie gerichtet waren, doch
nicht alle darüber stattfindenden Discussionen verfolgte. In der
That habe ich von dem in der Augsburger Allgemeinen Zeitung
erschienenen Artikel damals nichts erfahren, sondern habe erst
lange nachher aus einer der Schriften Dühring's davon Kennt-
niss erhalten.
Was nun aber die weiteren auf mich bezüglichen Aeusse-
rungen betrifft, so hat Herr Dühring meinen x^usspruch un-
richtig wiedergegeben. Abgesehen davon , dass er die Worte
„nichts sehr Erhebliches" (very important) durch „nichts Rechtes"
ersetzt, hat er die von mir gar nicht geschriebenen Worte „nach
dem ersten Aufsatze Mayer's zu urtheilen" hinzugefügt, welche
dem Ausspruche einen ganz andern Sinn geben, als er bei mir
hatte. In demselben Sinne sagt er dann noch bestimmter weiter,
ich habe „in der May er 'sehen Entdeckung" (nämlich in der
Entdeckung des mechanischen Aequivalentes der Wärme) nichts
Discussionen über die mechanische 'Wärmetheorie. 399
Erhebliches finden wollen, und ich habe „in jenem Aufsatz"
nichts finden können. Von jenem ersten, in Liebig's Annalen
erschienenen Aufsatze, welcher die Entdeckung des mechani-
schen Aequivalentes der Wärme enthält, ist aber in meinem
Ausspruche gar nicht die Rede und konnte es auch nicht
sein, wie aus den oben angeführten Gründen und ganz beson-
ders aus meiner eigenen Erwähnung des Aufsatzes klar ersicht-
lich ist.
Da ich mir nicht denken konnte, dass Herr Dühring mir
absichtlich etwas Falsches untergeschoben habe, sprach ich in
meiner ersten Erwiderung die auch durch eine andere Stelle
seines Buches scheinbar bestätigte Yermuthung aus, dass er von
dieser Erwähnung nichts gewusst habe. Dem widerspricht er
aber in seiner neuesten Schrift i) mit den Worten: ..Dies kannte
ich; ich hatte so etwas nie bestritten; im Gegentheil, ich hatte
stets solche Winkelcitate , die an letzter Stelle neben Anderen
das Verdienst des Mitaufgeführten nur verkleinern, gerügt und
mit unter die Verschüttungsproceduren gerechnet."
Nach diesem Ausspruche handelt es sich nur noch um die
Form oder die Stellung, in welcher ich Mayer neben anderen
Autoren erwähnt habe. Hierauf näher einzugehen halte ich um
so weniger für nöthig, als ich bei meinen Erwähnungen gar nicht
die Absicht hatte, eine abwägende historische Darstellung zu
geben, sondern nur den damaligen Stand unseres Wissens über
den Gegenstand zu kennzeichnen. Eins aber ergiebt sich auch
aus diesem Ausspruche, dass nämlich, selbst wenn die Behauptung,
dass ich Mayer nicht genug hervorgehoben hätte, richtig wäre,
daraus nicht mir, sondern nur den neben ihm erwähnten Autoren
ein Vortheil hätte erwachsen können.
Wenn somit der Umstand, dass ich in einer Sache, in der
ich persönlich ganz unbetheiligt war, einem Citat eine andere
Form oder Stellung gegeben habe, als Herr Dühring angemessen
findet, ihm genügt hat, um mir bösen Willen, eitle Beschränktheit
und solche Eigenschaften, die mir den T\-issenschaftlichen Hals
brechen müssen, zuzuschreiben, so kann man sich daraus eine
Vorstellung davon bilden, wie das Thatsächliche beschaffen ist,
auf welches er seine Vorwürfe gründet.
^) Neue Gruudgesetze zur rationellen Physik und Chemie, zweite Folge,
S. 137.
400 Abschnitt Xni.
Weiterhin (auf S. 94 seiner Schrift) kommt Herr Dühring
noch einmal, und zwar specieller auf die Correspondenz, welche
Tyndall mit mir und gleichzeitig auch mit Helmholtz geführt
hat, zurück und stellt die Sache in ganz eigen thümlicher Weise dar.
Zuerst sagt er: „Herr Tyndall hatte hiermit (nämlich mit
seinem Vortrage) ein wenig an die Glocke geschlagen, obwohl
er von zwei deutschen professoralen Adressen, an die er sich
damals um Näheres über Mayer und seine Schriften gewendet
hatte, mit abmahnenden Urtheilen regalirt worden war." Nun
sagt aber Tyndall kein Wort davon, dass Helmholtz ihm
ein abmahnendes Urtheil geschickt habe, und von mir führt er
aus meinem zweiten Briefe die Stelle „I am astonished at the
multitude of beautiful and correct thoughts which they contain"
wörtlich an und fährt dann fort: „and he goes on to point out
various important subjects, in the treatment of which Mayer
had anticipated other eminent writers." Dieses nennt Herr
Dühring ein abmahnendes Urtheil.
Sodann sagt er weiter von Tyndall: „In seinem damaligen
Vortrag hat er die Namen dieser ehrenwerthen Adressen noch
verschwiegen und die Adressen selbst bloss gekennzeichnet. Es
waren die Herren Clausius und Helmholtz." Wenn hier
angedeutet wird, dass die Nichtnennung unserer Namen, die ganz
natürlich war, da es sich ja nur um eine Privatcorrespondenz
handelte, aus Schonung für uns geschehen sei, so hat dieses
schon an sich, der ganzen Sachlage nach, gar keinen Sinn, und
ausserdem unterlässt Herr Dühring es, hinzuzufügen, dass ich
selbst, bei Besprechung des zwischen Tyndall und Tait über
Mayer ausgebrochenen Streites i), die beiden von Tyndall
erwähnten Briefe zuerst als von mir herrührend bezeichnet habe,
woraus gewiss hervorgeht, dass ich das Bekanntwerden meines
Namens nicht zu scheuen hatte.
Eudhch fährt Herr Dühring mit specieller Beziehung auf
mich fort: „Ersterer musste ihm schliesslich doch die Mayer'-
schen Broschüren schicken und konnte sich nicht anders aus der
Klemme herauswinden, als dass er klein beigab und so that, als
wenn er die Broschüren erst jetzt eingesehen hätte. Mit dem
Aufsatz in den Lieb ig' sehen Annalen hatte er sich aber schon
zugleich verrathen und biossgestellt; denn er hatte von vorn-
1) Die mechanische Wärmetheorie. 2. Aufl., Bd. II, S. 325.
Discusfilonon über die mechanische "Wärmetheorie. 401
herein Herrn Tyndall weismachen wollen, es wäre nichts für
die Wissenschaft Erhebliches darin zu finden. Solchen edeln
deutschen Landsmannschaftlichkeiten gegenüber nimmt sich Herrn
Tyndall's Bemühung wirklich gut aus . . ."
Die hierin vorkommende Stelle, ich hätte mich zugleich
verrathen, dass ich den Aufsatz in den Liebig' sehen Annalen
schon gekannt hätte, ist es, welche mir früher als ein Beweis
dafür erschienen war, dass Herr Du bring von meiner schon
lange vorher geschehenen Erwähnung dieses Aufsatzes nichts ge-
wusst habe, denn durch diese stand es ja fest, dass ich ihn
gekannt hatte, und es konnte also davon, dass ich mich in dieser
Beziehung noch erst verrathen hätte, gar nicht die Rede sein.
Nachdem Herr Dühring aber neuerdings erklärt hat, meine Er-
wähnung sei ihm bekannt gewesen, kann ich nur sagen, dass
ich die Stelle nicht verstehe. Auch über die abermals wieder-
kehrende Behauptung, ich habe von diesem Aufsatze gesagt, dass
er nichts Erhebliches enthalte, brauche ich nicht weiter zu
sprechen. Was ich aber hervorheben muss, ist, dass er dadurch,
dass er sagt, ich habe so gethan, als wenn ich die Broschüren
erst jetzt eingesehen hätte, mich der Lüge zeiht.
Eine solche Anschuldigung spricht man sonst nur aus, wenn
man gleich ganz bestimmte und untrügliche Beweisgründe hinzu-
fügen kann. Herr Dühring führt aber gar keinen Beweisgrund
an, und ausserdem ist auch, da ich nichts von dem, was in den
Broschüren steht, für mich in Anspruch genommen und in ganz
anderer Richtung, als Mayer, gearbeitet habe, gar kein Grund
abzusehen, weshalb ich, wenn mir die Broschüren bekannt ge-
wesen wären, dieses hätte ableugnen sollen. Die Anschuldigung
ist mir daher völlig unbegreiflich. Ueberhaupt ist in der ganzen
Darstellung der Sache alles Thatsächliche so bis zur Unkennt-
lichkeit entstellt, und dabei eine Sprache geführt, die in der
Wissenschaft so unerhört ist, dass ich beim Lesen derselben fast
zu träumen glaubte.
Da mir von Herrn Dühring der Vorwurf gemacht ist, unedel
und mit bösem Willen gegen Mayer gehandelt zu haben, so
glaube ich dem gegenüber mittheilen zu müssen, wie Mayer
selbst darüber dachte. Als Tyndall seinen Vortrag gehalten
hatte, setzte ich Mayer davon in Kenntniss, wobei ich zugleich
meiner eigenen Werthschätzung seiner Arbeiten Ausdruck gab
und ihm eine damals eben erschienene Abhandlung von mir
^ C 1 a u s i u s , mechan. Wärmetlieorie. I. 9g
402 Absclinitt XIII,
zusandte. Darauf habe ich von ihm ein Dankschreiben erhalten.
Unter anderen Umständen würde ich nie daran gedacht haben,
dieses Schreiben zu publiciren, indem zu meiner sonstigen Ab-
neigung, Privatschreiben vor die Oeffentlichkeit zu bringen, in
diesem Falle noch der Gedanke kommen musste, dass man mir
wegen des in dem Schreiben enthaltenen Lobes seine Veröffent-
lichung als Ruhmredigkeit auslegen könnte. Jetzt aber, nachdem
mir ein so schwerer Vorwurf gemacht ist, der, wenn er begründet
wäre, ein um so schlechteres Licht auf mich werfen müsste, je
mehr Mayer so schon durch die Verhältnisse, in denen er sich
befand, zu leiden hatte, sehe ich mich genöthigt, alle derartigen
Rücksichten fallen zu lassen, und auch von diesem Documente
zu meiner Vertheidigung Gebrauch zu machen. Der Brief lautet
folgendermaassen.
Hochverehrtester Herr Professor!
Kaum weiss ich Worte zu finden, um Ihnen meinen Dank
für Ihr mich so sehr ehrendes Schreiben vom 1,5 d, M, auszu-
drücken, wiewohl ich mit Beschämung gestehen muss, dass ich
mir wohl bewusst bin, wie meine schwachen Leistungen ein solches
Lob und von einem solchen Munde gespendet entfernt nicht
verdienen, Ihnen, sehr verehrter Herr, gebührt vor Allen das
Verdienst, durch Ihre höchst gediegenen Arbeiten die mechanische
Wärmetheorie auf analytischem Wege begründet zu haben — ein
Verdienst, das soviel mir bekannt unbestritten überall anerkannt
ist. Solchen Leistungen gegenüber kann meinen Schriftchen
offenbar nur ein historisches Interesse noch zukommen. Auch
für die gütige Zusendung Ihrer Abhandlung über die Aequivalenz
der Verwandlungen sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank;
ich habe dieselbe mit grossem Interesse zu studiren angefangen
und finde, dass Sie hier mit bekannter Meisterhand, mit grosser
Klarheit und ausserordentlichem Scharfsinn eine Welt von Ge-
danken erschlossen haben, —
Wenn Sie Ihrem verehrten Freunde, Herrn Professor Tyn-
dall wieder schreiben, so sind Sie wohl so gütig, demselben
zugleich meinen respectvollsten Dank für die mir von seiner
Seite zu Theil gewordene so wichtige und ehrenvolle Anerken-
nung auszudrücken. Wahrhaft beglücken würde es mich, wenn
Discussionen über die mechanisclie WHi-metheorie. 403
ich einmal auf irgend eine Weise in den Stand gesetzt werden
sollte, meine Dankesgefühle auch durch die That zu beweisen.
Genehmigen Sie etc.
Dr. J. R. Mayer.
Heilbronn,
24 Juni 1862.
Ich brauche wohl kaum zu bemerken, dass man dem, was
Mayer hier über seine und meine Verdienste um die Begründung
der mechanischen Wärmetheorie sagt, kein zu grosses Gewicht
beilegen darf, indem man dabei seine Bescheidenheit und Höf-
lichkeit in Anschlag bringen muss. Worauf es mir ankommt, ist
nur, dass in diesem Briefe ausgedrückt ist, wie er unsere persön-
liche Beziehung zueinander aufiasste. Er hat mich später in
Zürich besucht, und auch anderwärts sind wir zusammengetroffen,
und immer hat zwischen uns nur ein freundschaftliches Verhältniss
bestanden. Hiernach möge man beurth eilen, was davon zu halten
ist, wenn jetzt, nach May er 's Tode, in Bezug auf denselben
Vorgang, welcher den obigen Brief veranlasst hat, von einem
Schriftsteller, der damals und noch lange nachher Mayer ganz
fern stand, ohne jeden Beweisgrund Anschuldigungen der oben
besprochenen Art gegen mich erhoben werden.
DIE
MECHANISCHE
WARMETHEORIE
VON
R. CLAUSIUS.
ZWEITE
umgearbeitete und vervollständigte Auflage des unter dem Titel
„Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie -
erschienenen Buches.
ZWEITER BAND.
Anwendung der der mechanisclien "Wärmetheorie zu Grunde
liegenden Principifen auf die Electricität.
BRAÜNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
18 7 9.
ANKÜNDIGUNG.
"Während die erste Auflage dieses Werkes eine Sammlung von
einzelnen früher veröffentlichten Abhandlungen war, welche in ihrer
ursprünglichen Form wieder abgedruckt und zur Erläuterung und
Vervollständigung nur mit Anmerkungen und Zusätzen versehen
waren, hat bei der zweiten Auflage eine vollständige Umarbeitung
stattgefunden, durch welche der Inhalt jener Abhandlungen systema-
tisch vereinigt und in die Form eines Lehrbuches gebracht ist. Die
z<weite Auflage kann daher in Bezug auf die Darstellungsweise als
ein neues Werk bezeichnet werden.
Der vorliegende zweite Band enthält die Anwendung der der
mechanischen Wärmetheorie zu Grunde liegenden Principien auf die
Electricität , welche Abtheilung durch das Hinzukommen mehrerer
'•*■■
Vervollständigungen und ausgedehnter neuer Untersuchungen sehr
erweitert ist und eine in sich zusammenhängende mechanische Behand-
lung der Electricität bildet.
V
DIE
MECHANISCHE
WARMETHEORIE
VON
R CLAUSIUS.
ZWEITE
umgearbeitete und vervollständigte Auflage des unter dem Titel
„Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie"
erschienenen Buches.
ZWEITER BAND.
Anwendung der der mechanisclien Wärmetheorie zu Grunde
liegenden Principien auf die Electricität.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
18 7 9.
DIE
MECHANISCHE
BEHAT^DLÜI^a
ELECTRICITÄT
VON
R. CLAUSIUS.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
18 7 9.
V 0 R E E D E.
Die durcli die erneute Auflage meines Buches über
die meclianisclie Wärmetheorie veranlasste Ueberarbei-
tung meiner früheren electrischen Untersuchungen hat
mich zu neuen Untersuchungen geführt, welche eine
wesenthche Vervollständigung der früheren bilden, und
daher neben diesen mit aufgenommen werden mussten.
Besonders ist in dieser Beziehung die Behandlung der
electrodynamischen Erscheinungen zu erwähnen, welche
in der ersten Auflage fehlte, in der gegenwärtigen aber
einen beträchtlichen Raum einnimmt. Dadurch ist der
auf die Electricität bezügliche Theil des Werkes so
angewachsen, dass es zweckmässig erschien, aus ihm
einen besonderen Band zu bilden, und die noch übri-
gen Theile der mechanischen Wärmetheorie für einen
dritten Band vorzubehalten.
Zugleich sind die so vervollständigten Entwicke-
lungen nicht mehr bloss als eine Anwendung der mecha-
nischen Wärmetheorie auf die electrischen Erscheinun-
VI Vorrede.
gen, sondern als eine zum Theil von der Wärmelelire
unabhängige meclianisclie Beliandlung der Electricität
zu betrachten. Aus diesem Grrunde habe ich geglaubt,
dem Titel, welcher sie als zweiten Band der mechani-
schen Wärmetheorie bezeichnet, noch einen anderen
Titel hinzufügen zu dürfen, welcher sie als mechanische
Behandlung der Electricität bezeichnet, um dadurch
anzudeuten, dass dieser Band auch als ein von den an-
deren Bänden der mechanischen Wärmetheorie unab-
hängiges, für sich bestehendes Werk gelten kann.
Bonn, im November 1878.
K. Clausius.
Il^^HALT.
Abschnitt I.
Seite
Einleitung in die matheniatische Behandlung der Electrieität . 1
§. 1. Die Potentialfunction 1
§. 2. Annahme zweier Electricitäten und Ausdruck ihrer Kräfte . . 2
§. 3. Ausdruck der Potentialfunction 4
§. 4. Bestimmung der Kraftcomponenten mit Hülfe der Potential-
function 5
§. 5. Das Potentialniveau 6
§. 6. Differentialausdruck zweiter Ordnung, welcher die Vertheilung
des wirksamen Agens im Räume bestimmt 7
§. 7, Gleichgewichtszustand der Electrieität 8
§. 8. Differentialausdruck, welcher die Vertheilung des wirksamen Agens
auf einer Fläche bestimmt 10
§. 9. Anordnung der Electrieität auf einer Kugel und auf einem EUip-
soid 12
§. 10. Anordnung der Electrieität auf einer elliptischen Platte .... 16
§. 11. Der Green' sehe Satz 18
§. 12. Bestimmung des von einer Fläche eingeschlossenen Agens ... 21
§. 13. Das Green-Dirichlet'sche Princip und die Green'sche Func-
tion 22
§. 14. Bestimmung der Potentialfunction eines durch eine Fläche ab-
gegrenzten Agens aus den in der Fläche stattfindenden Werthen 24
§. 15. Flächenbelegung, welche einer in der Fläche gegebenen Potential-
function entspricht 28
§. 16. Bestimmung der Potentialfunction und der Flächendichtigkeit bei
electrischen leitenden Körpern aus der Green' sehen Function 30
§. 17. Wirkung einer leitenden Schaale und eines leitenden Schirmes . 31
§. 18. Ein allgemeiner Satz in Bezug auf Influenzwirkungen 33
VIII Inhalt.
Abschnitt II.
Seite
Gleiehungen für Leidener Flasehen 39
§. 1. Betrachtung zweier einander sehr nahe gegenüberliegender
Oberflächenpuncte von leitenden Körpern 39
§. 2. Anwendung der Gleichungen auf den Condensator, die Frank-
lin'sehe Tafel und die Leidener Flasche 43
§. 3. Vervollständigungen, welche in den vorigen Gleichungen noch
nöthig sind 46
§. 4. Behandlung einfacher specieller Fälle 48
§. 5. Allgemeine Gleichungen für zwei beliebige Körper 52
§. 6. Bestimmung des Coefficienten a für Leidener Flaschen .... 55
§. 7. Bedeutung der Coefficienten « und ß für Leidener Flaschen . . 58
§. 8. Bequeme Form der Gleichungen 59
Absclinitt III.
Behandlung dieleetriseher Medien 62
§. 1. Verhalten der isolirenden Zwischenschicht 62
§. 2. Mögliche Annahmen über die innere Polarisation der Isolatoren 64
§. 3. Auswahl einer Hypothese zur mathematischen Behandlung ... 66
§. 4. Ableitung der Poisson'schen Fundamentalgleichungen .... 67
§. 5. Veränderte Formen der gewonnenen Gleichung 76
§. 6. Anwendung der gewonnenen Gleichungen auf Franklin 'sehe
Tafeln und Leidener Flaschen 80
§. 7. Vollständige Gleichungen für die beiden Belegungen einer Lei-
dener Flasche 89
§. 8. Behandlung der Dielectrica von Helmholtz und Maxwell . . 91
Absclmitt lY.
Das mechanische Aequivalent einer eleetrisehen Entladung . . 98
§. 1. Gesammtwirkung einer Entladung 98
§. 2. Potential einer geladenen Leidener Flasche oder Batterie ... 99
§. 3. Abnahme des Potentials bei der Entladung und Rückstand . . 102
§. 4. Untersuchung des Falles, wo die Potentialniveaux der beiden
Belegungen gleich sind, während noch eine innere Polarität
besteht 104
§. 5. Arbeit der eleetrisehen Kräfte während der Entladung und nach
derselben 108
§. 6. Wirkungen der Entladung 110
§. 7. Vergleichung unter Annahme verschiedener Ladungen 117
Inhalt. IX
Seite
§. 8. Unvollständige Entladung 118
§. 9. Gleichungen für die Cascadenbatterie 122
§. 10. Cascadenbatterie aus zwei ungleichen Elementen 123
§. 11. Cascadenbatterie aus mehreren gleichen Elementen 127
Absclinitt V.
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem stationären eleetri-
schen Strome 131
§. 1. Eigenthümlichkeit des zu betrachtenden Falles 131
§. 2. Das Ohm 'sehe Gesetz und die Kirchhoff'sche Deutung des-
selben 132
§. 3. Anordnung der getrennten Electricität und electrischer Zustand
im Inneren des Leiters 134
§. 4. Bestimmung der im Leiter gethanen Arbeit 138
§. 5. Bestimmung der im Leiter erzeugten "Wärme 140
§. 6. Behandlung specieller Fälle 142
§. 7. Verhalten galvanisch erwärmter Drähte in verschiedenen Gasen 144
§. 8. Zunahme des Leitungs Widerstandes einfacher fester Metalle mit
der Temperatur 150
§. 9. Beziehung zwischen der chemischen Action , welche in einer
Volta'schen Säule stattfindet, und den durch den Strom her-
vorgebrachten Wirkungen 151
Absclmitt YI.
Eleetrieitätsleitung in Eleetrolyten 155
§. 1. Arbeitleistung und Wärmeerzeugiing in einem electrolytischen
Leiter 155
§. 2. Electrisches Verhalten der Theilmolecüle 157
§. 3. Bedingung, welche als erfüllt vorauszusetzen ist 159
§. 4. Schwierigkeit der Erklärung 161
§. 5. Veränderte Annahme über das moleculare Verhalten electro-
lytischer Flüssigkeiten 163
§. 6. Neue Erklärung der electrolytischen Leitung 164
§. 7. Uebereinstimmung der neuen Erklärung mit der Erfahrung
und Unterschied zwischen ihr und der Grotthuss'schen
Erklärung 166
§. 8. Eine frühere ähnliche Ansicht über moleculare Vorgänge . . . 167
§. 9. Metallische Leitung in Eleetrolyten 169
Inhalt.
Abschnitt YII.
Seite
Die thermoeleetriselien Ströme 170
§. 1. Electrischer Zustand an der Berührungsfläclie zweier Stoffe . . 170
§. 2. Grund der Potentialniveaudifferenz 171
§. 3. Untersclieidung der liier angenommenen Potentialniveaudiffe-
renz von einer anderen 177
§. 4. Stromstärke in einer aus zwei Stoffen bestellenden Thermokette 178
§. 5. Arbeitleistung und Wärmeerzeugung in der Thermokette . . 180
§. 6. Vorhandensein eines durch die Thermokette vermittelten Wärme-
überganges 183
§. 7. Anwendung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärme-
theorie 185
§. 8. Uebereinstimmungspuncte des obigen Resultates mit der Erfah-
rung 188
§. 9. Abweichungen des obigen Resultates von der Erfahrung und
ihre Erklärung 190
§. 10. Erweiterung der Theorie 193
§. 11. Verallgemeinerter Ausdruck der electromotorischen Kraft . . . 195
§. 12. Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung in der Thermokette . 199
Abschnitt YIII.
Ponderomotorisehe und. eleetromotorisehe Kräfte zwischen
linearen Strömen und. Leitern 204
§. 1. Die Ampere'schen Grundformeln 204
§. 2. Umformung der vorstehenden Gleichungen 207
§. 3. Zurückführung der drei Grössen A, B und C auf Eine Grösse 209
§. 4. Die magnetische Kraft und die magnetische Potentialfunction
eines geschlossenen Stromes 211
§. 5. Einführung magnetischer Flächen für den die Wirkung erlei-
denden Strom 215
§. 6. Das magnetische Potential zweier geschlossener Ströme auf ein-
ander 218
§. 7. Die Induction und das electrodynamische Potential zweier ge-
schlossener Ströme auf einander , . 224
Abschnitt IX.
Ableitung eines neuen eleotrodynanüsehen Grundgesetzes . . . 227
§. 1. Verallgemeinerung des electrischen Kraftgesetzes und Ansich-
ten über die strömende Electricität 227
Inhalt. XI
Seite
§. 2. Unvereinbarkeit des Weber'schen Grunrigesetzes mit der Vor-
stellung von nur Einer im festen Leiter beweglichen Elec-
tricität 229
§. 3. Betrachtung eines von Eiemann aufgestellten Kraftgesetzes
unter dem obigen Gesichtspuncte 232
§. 4. Zulässigkeit gewisser Vorbedingungen bei der Bestimmung der
Kräfte 235
§. 5. Ausdrücke der Kraftcomponenten für ein specielles Coordinaten-
system 237
§. 6. Ausdrücke der Kraftcomponenten für ein beliebiges Coordi-
natensystem . 242
§. 7. Bestimmung der in Xg vorkommenden Functionen 246
§. 8. Bestimmung der in X^ vorkommenden Functionen 249
§. 9. Bestimmung der in Xg vorkommenden Functionen 252
§. 10. Anwendung der Inductionsgesetze 258
§. 11. Zusammenfassung der bisher gewonnenen Resultate 265
§. 12. Anwendung des Princips von der Erhaltung der Energie . . . 267
§. 13. Das electrodynamische Potential 275
§. 14. Ableitung der Kraftcomponenten aus dem Potential 277
§. 15. Kraftgesetz für Stromelemente 280
Abschnitt X.
Anwendung des neuen eleetrodynamisclien Grundgesetzes auf
die zwisclien linearen Strömen und Leitern stattfin-
denden ponderomotorisehen und eleetromotorisehen
Kräfte 282
§. 1. Unterscheidende Eigenthümlichkeiten des neuen Grundgesetzes 282
§. 2. Anwendung des neuen Grundgesetzes auf die in bewegten
linearen Leitern strömenden Electricitäten 286
§. 3. Ponderomotorische Kraft zwischen zwei Stromelementen . . . 292
§. 4. Bestimmung der inducirten eleetromotorisehen Kraft 296
§. 5. Arbeit der ponderomotorisehen und eleetromotorisehen Kräfte 299
§. 6. Das electrodynamische Potential geschlossener Ströme auf ein-
ander 302
Absclinitt XL
Diseussionen über die meehaniselie Behandlung der "Wärme
und Eleetrieität 306
§. 1. Aus thermoelectrischen Erscheinungen entnommener Einwand
von Tait 306
§. 2. Einwand von F. Kohlrausch 309
§. 3. Anderer Einwand von Tait 314
§. 4. Einwand von Tolver Preston 317
XII Inhalt.
Seite
§. 5. Arbeitsverlust in niclit-umkelirbaren Kreisprocessen 319
§. 6. Tendenz des Buches „Sketch of Thermodynamics"- von Tait . 324
§. 7. Spätere Aeusserungen^von Tait und Aenderung seines Buclies 331
§. 8. Ansichten von W. Thomson und F. Kohlrausch über ther-
moelectrische Erscheinungen 334
§. 9. Einwände von Zöllner gegen die im Abschnitt IX. enthalte-
nen electrodynamischen Betrachtungen 338
§. 10. Einwände von W. Weber 344
§. 11. Untersuchung von Lorberg 350
Berichtigung.
Seite 61, Zeile 8 von unten ist statt (43) zu lesen: (44).
Bemerkung über die Bezeichnungsweise.
Es ist in diesem Bande für die partiellen Differentialcoefficienten die
von Jacobi eingeführte Bezeichnungsweise, in welcher die aufrechten d
durch runde Q ersetzt sind, in Anwendung gebracht, weil dadurch an eini-
gen Stellen die Auseinandersetzung an Klarheit gewann. Die dadurch ent-
standene kleine Abweichung von der Bezeichnungs weise des ersten Bandes
werden die Leser wohl kaum bemerken, da jeder Mathematiker daran ge-
wöhnt ist, beim Lesen verschiedener Abhandlungen bald die eine, bald
die andere Bezeichuungsweise angewandt zu sehen.
ABSCHNITT I.
Einleitung- in die mathematische Behandlung der
Electricität.
§. 1. Die Potentialfunction.
In den mathematischen Betrachtungen über Electricität han-
delt es sich zunächst darum, zu bestimmen, in welcher Weise
irgend eine Electricitätsmenge, welche man einem leitenden Kör-
per mittheilt, sich in oder auf demselben anordnet, sei es, dass der
Körper von allen anderen leitenden Körpern weit entfernt ist, so
dass keine fremden electrischen Kräfte auf ihn einwirken können,
sei es, dass er sich in der Nähe anderer leitender Körper befindet,
die entweder ebenfalls isolirt und mit gegebenen Electricitäts-
mengen versehen sein oder mit der Erde in Verbindung stehen
können. Diese Bestimmung, sowie die sonstigen auf das Verhalten
der Electricität bezüglichen Rechnungen werden sehr erleichtert
durch die Einführung einer gewissen Function , welche , nachdem
sie schon früher von verschiedenen Mathematikern, wie Laplace
und Poisson, angewandt war, i. J, 1828 von George Green un-
ter dem Namen Potentialfunction speciell behandelt i) , und etwas
später auch von Gauss zum Gegenstande sehr werthvoller mathe-
matischer Entwickelungen gemacht ist 2).
1) An Essay on the Application of matliematical Aualj'sis to the theo-
ries of Electricity aud Maguetism; by George Green. Nottingham 1828.
Wieder abgedruckt in Crelle's Journ. Bd. 44 und 47.
2) Allgemeine Lelirsätze in Beziehung auf die im verkehrten Verhältnisse
des Quadrats der Entfernung wirkenden Auziehungs- und Abstossungskräfte.
Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins im Jahre 1839.
Clausius, mech. AViirmetheorie. H. ]^
2 Absclmitt I.
Ich habe über diese Function, welche in der mathematischen
Physik von ausserordentlicher Wichtigkeit ist, eine Schrift ver-
öffentlicht, welche eben jetzt in dritter, an verschiedenen Stellen
vermehrter Auflage erschienen ist i). In dieser Schrift habe ich
die Haupteigenschaften der Function und einer aus ihr durch In-
tegration abgeleiteten Grösse, nämlich des Potentials, näher be-
sprochen. Ich kann mich daher hier darauf beschränken , einige
Sätze, welche zum Verständnisse dieser Einleitung und der folgen-
den Entwickelungen nöthig sind, kurz zu erwähnen, indem ich in
Bezug auf die Beweise der Sätze und ihre weiteren Ausführungen
auf jene Schrift verweisen kann.
Der Einfachheit wegen werde ich die Betrachtungen hier im-
mer speciell auf Electricität beziehen, obwohl, wie man leicht
sehen wird, das Gesagte sich mit geringen Modificationen auch auf
andere Agentien, die nach dem umgekehrten Quadrate der Ent-
fernung anziehend oder abstossend wirken, übertragen lässt.
§. 2. Annahme zweier Electricitäten und Ausdruck
ihrer Kräfte.
Die mathematischen Untersuchungen über Electrostatik pfle-
gen von der Hypothese auszugehen, dass es zwei verschiedene
Electricitäten gebe, deren Kräfte darin bestehen, dass zwei Mengen
von gleicher Electricität sich abstossen und zwei Mengen von
entgegengesetzten Electricitäten sich anziehen. Damit ist aber
nicht gesagt, dass die Resultate dieser Untersuchungen in solcher
Weise an die Hypothese geknüpft seien, dass sie mit derselben
stehen und fallen; vielmehr lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass
dieselben Resultate ihrem wesentlichen Inhalte nach auch dann gül-
tig bleiben müssen, wenn jene Hypothese durch irgend eine an-
dere ersetzt wird, welche ebenfalls geeignet ist, die experimentell
bekannten electrischen Kräfte zu erklären. Gerade aus diesem
Grunde haben die mathematischen Physiker kein Bedenken getra-
gen, sich dieser Hypothese zu bedienen, und die Untersuchung, ob
die Hypothese wirklich im wörtlichen Sinne als richtig zu betrach-
ten ist, der Zukunft zu überlassen.
1) Die Potentialfunction und das Potential, ein Beitrag zur mathemati-
schen Physik. Leipzig bei J. A. Barth.
Mathematische Einleitung. 3
ö*
Es mögen nun zwei Electricitätsmengen gegeben sein, die
durch q^ und g' bezeichnet werden sollen , in der Weise , dass diese
Grössen als mathematisch positiv oder negativ betrachtet werden,
je nachdem die Electricitätsmengen der einen oder anderen Art
angehören. Denken wir uns diese beiden Electricitätsmengen in
zwei Puncten concentrirt, so muss die Kraft, welche sie auf einan-
der ausüben, erstens proportional jeder der beiden Mengen, also
proportional dem aus den beiden Mengen gebildeten Producte sein,
und zweitens ist sie, wie experimentell hinlänglich festgestellt ist,
als umgekehrt proportional dem Quadrate der Entfernung anzu-
nehmen. Wir können also, wenn r die Entfernung der beiden
Puncto von einander bedeutet, die Kraft durch folgenden Aus-
druck darstellen:
£^'
" ^2 '
worin £ einen constanten Factor bedeutet, welcher von dem Maasse
abhängt, nach dem man die Electricitätsmengen messen will.
Wir wollen für unsere Betrachtungen folgendes Maass anneh-
men. Als Einheit der Electricität soll diejenige Menge gelten,
welche auf eine gleich grosse Menge in der Einheit der Entfernung
die Einheit der Kraft ausübt. In diesem Falle wird der constante
Factor seinem absoluten Werthe nach gleich Eins. Es bleibt aber
noch zu entscheiden, ob wir ihn gleich -j- 1 oder gleich — 1
setzen wollen. Dazu muss der Unterschied zwischen anziehender
und abstossender Kraft in Betracht gezogen werden, indem, wenn
die eine dieser Kräfte als positiv betrachtet wird , die andere als
negativ in Rechnung zu bringen ist. Wir wollen uns in dieser
Beziehung dahin entscheiden, eine Abstossung als positiv und eine
Anziehung als negativ zu rechnen, weil die Abstossung auf Ver-
grösserung und die Anziehung auf Verkleinerung von r hinwirkt.
Dann müssen wir bei der Betrachtung von Electricität, weil gleich-
artige Electricitätsmengen sich abstossen, den constanten Factor
positiv machen, und haben ihn also nach der obigen Feststellung
seines absoluten Werthes gleich -(- 1 zu setzen. Der Ausdruck
der Kraft, welchen die Mengen 5 und cf auf einander ausüben,
wird somit:
q£
y2
1*
4 Absclinitt I.
§. 3. Ausdruck der Potentialfunction.
Nun möge weiter angenommen werden, dass nicht bloss Eine
in einem Puncte concentrirte Electricitätsmenge g' auf die Menge
q wirke, sondern dass beliebig viele in verschiedenen Puncten con-
centrirte Electricitätsmengen g', q^', q<l etc. gegeben seien, welche
gemeinsam auf q wirken , oder auch , dass die die Wirkung aus-
übende Electricität , anstatt in einzelnen Puncten concentrirt zu
sein, über eine Linie, eine Fläche oder einen körperlichen Raum
stetig verbreitet sei. Um in diesem Falle die betreffende Kraft
nach Stärke und Richtung in möglichst einfacher Weise bestim-
men zu können, bilden wir zunächst eine Grösse, welche folgender-
maassen definirt werden möge.
Der Punct, wo sich die Electricitätsmenge q befindet, welche
die Wirkung erleidet, sei mit j) bezeichnet , und die Abstände die-
ses Punctes von den Puncten, wo die Electricitätsmengen g', g/,
q<l etc. concentrirt sind, mögen r, ri, r^ etc. heissen. Dann wird
die in Rede stehende Grösse, welche mit V bezeichnet zu werden
pflegt, durch folgende Gleichung bestimmt:
(1) F^i! 1 ^_J_^ + etc.
oder, wenn man die Summe durch ein Summenzeichen andeutet:
(2) y = x
r
Wenn die die Wirkung ausübende Electricität nicht in einzelnen
Puncten concentrirt, sondern über eine Linie, eine Fläche oder
einen körperlichen Raum stetig verbreitet ist, so denke man sich
dieselbe in Elemente dq' zerlegt, bezeichne mit r den Abstand
eines Elementes vom Puncte p und bilde dann statt der in der
vorigen Gleichung angedeuteten Summe das entsprechende Inte-
gral, nämlich :
dq'
(3) r=f^
Dieser letztere Ausdruck von V ist der allgemeinere, und schliesst
auch den vorigen in sich ein, denn man kann offenbar auch in dem
Falle, wo endliche Electricitätsmengen in einzelnen Puncten con-
centrirt sind, eine Integration ausführen.
Mathematische Einleitung. 5
Es versteht sich übrigens dem Obigen nach von selbst, class
man nicht nur für Electricität, sondern auch für jedes andere
nach dem umgekehrten Quadrate der Entfernung anziehend oder
abstossend wirkende Agens einen Ausdruck dieser Art bilden kann,
wobei man den in der allgemeinen Kraftformel vorkommenden
(]oefficienten £, dessen VVerth von der für das Agens gewählten
Maasseinheit abhängt, und den wir bei der Electricität durch 1
ersetzt haben, der Allgemeinheit wegen vorläufig beibehalten kann.
Die so bestimmte Grösse Fist es, welche Green die Poten-
tlalfunction genannt hat. Gauss hat später dieselbe Grösse ein-
fach Potential genannt; indessen ist diese Benennung mit einem
Uebelstande behaftet. Es giebt nämlich noch eine andere sehr
wichtige Grösse, von der weiter unten die Rede sein wird, welche
man das Potential einer Menge auf eine andere oder, nach Umstän-
den, das Potential einer Menge auf sich seihst nennt. Man würde
also bei der Annahme der Gauss'schen Benennungsweise für zwei
Begriffe, die zwar verwandt, aber nicht gleich sind, dasselbe Wort
Potential gebrauchen. Aus diesem Grunde habe ich in meinen auf
Electricität bezüglichen Abhandlungen und in der oben citirten
Schrift für die durch die Gleichung (3) defiuirte Grösse wieder
den von Green vorgeschlagenen Namen Potcntialfunction gewählt,
und den Namen Potential nur für jene andere, aus der Potcntial-
function durch Integration abgeleitete Grösse angewandt.
§. 4. Bestimmung der Kraftcomponenten mit Hülfe
der Potcntialfunction.
Mit Hülfe der im vorigen Paragraphen besprochenen Function
bestimmt sich nun die in irgend einem Puncte ^j wirkende Kraft
folgendermaassen.
Wir wollen zunächst annehmen, die im Puncte j> gedachte
Electricitätsmenge, welche die Wirkung erleidet, und welche oben
mit q bezeichnet wurde, sei eine positive Electricitätseinlieit. Die
auf diese Electricitätseinlieit ausgeübte Kraft denken wir uns in
drei in die Richtungen dreier rechtwinkhger Coordinaten fallende
Componenten zerlegt, welche mit X, Y^ ^bezeichnet werden mö-
gen. Wenn wir dann V (die Potentialfunction der die Wirkung
ausübenden Electricität an dem betreffenden Puncte) als Function
der Coordinaten x^ y, s des Punctes betrachten, so haben wir;
6 x^bschnitt I.
(^^ ^--^'^ ^=-W' ^=~d7-
Eben so einfach, wie die Kraftcomponenten nach den drei
Coordinatenrichtungen , lässt sich auch die Kraftcomponente nach
irgend einer beliebigen anderen Richtung ausdrücken. Denken
wir uns durch den Punkt p eine beliebige Linie gezogen , und be-
zeichnen den auf dieser Linie gemessenen Abstand des Punctes
p von irgend einem anderen als Anfangspunct gewählten Puncte
der Linie mit s , und dem entsprechend die unendlich kleine Zu-
nahme, welche F erleidet, wenn der betrachtete Punct j) sich auf
. dV
dieser Linie um das Wegelement ds fortbewegt, mit ^r— äs, so
wird die in die Richtung dieser Linie fallende Kraftcomponente,
welche S heissen möge, bestimmt durch die Gleichung:
(^) ^ — l^-
Sollte sich im Puncte p nicht gerade eine Electricitätsem/ie/^,
sondern eine beliebige andere Electricitätsmenge befinden, welche
die Wirkung erleidet, und welche, wie früher, mit q bezeichnet
werden möge , in der Weise , dass q sowohl eine positive als auch
eine negative Grösse darstellen kann, so lauten die Ausdrücke der
Kraftcomponenten, welche diese Electricitätsmenge nach den Coor-
dinatenrichtungen X, y, s und nach der beliebigen Richtung s er-
leidet :
dV dV dV , dV
— q ■^— , — q ^-, — g -^ und — q ^— -
dx ciy -^ dz OS
Wenn man in der eben angegebenen Weise die in die drei
Coordinatenrichtungen fallenden Kraftcomponenten ausgedrückt
hat, so kann man daraus natürlich auch die ganze Kraft nach
Grösse und Richtung leicht bestimmen.
§. 5. Das Potentialniveau.
Bildet man eine Gleichung von der Form
worin A eine Constante bedeutet, so ist dieses die Gleichung einer
Fläche, welche die Eigenschaft hat, dass für jeden in ihr liegen-
den Punct die Kraft, welche eine dort gedachte Electricitäts-
Mathematische Einleitung. 7
menge erleiden würde, auf der Fläche senkrecht ist. Die Fläche
hat also in Bezug auf die hier betrachtete electrische Kraft die-
selbe Bedeutung, wie die Oberfläche einer ruhenden Flüssigkeit in
Bezug auf die Schwerkraft, und man nennt daher eine solche
Fläche eine Niveauflächc.
Nimmt man für die Potentialfunction einen anderen constan-
ten Werth an, indem man z, B. setzt:
so wird dadurch eine andere Niveaufiäche bestimmt, und auf diese
Weise kann man unendlich viele Niveauflächen erhalten. Wir
wollen demgemäss den Werth, welchen die Potentialfunction in
irgend einem Puncte des Raumes hat, und durch welchen die
durch diesen Punct gehende Niveaufläche bestimmt wird, kurz das
Potentialniveau dieses Punctes nennen.
Bei der Electricität (und ebenso bei jedem anderen Agens,
welches theils anziehende, theils abstossende Kräfte ausübt) können
die Potentiahiiveaux sowohl positiv als auch negativ sein, und die
Räume , in denen das Eine und das Andere • stattfindet , werden
durch eine Niveaufiäche mit dem Potentialniveau Null von ein-
ander getrennt.
Denken wir uns nun in irgend einem Puncte des Raumes
eine positive Electricitätseinheit concentrirt, und betrachten die
Kraft, welche auf diese wirkt, in der Weise, dass wir für jede von
dem Puncte ausgehende Richtung die in dieselbe fallende Kraft-
componente bestimmen, so lässt sich allgemein Folgendes sagen.
Nach den Richtungen, nach welchen das Potentialniveau abnimmt,
ist die Kraftcomponente positiv, und nach den Richtungen, nach
welchen das Potentialniveau zunimmt, ist die Kraftcomponente
negativ, und dem absoluten Werthe nach ist die Kraftcomponente
um so grösser, je schneller in der betrachteten Richtung das Po-
tentialniveau sich ändert, da dem Obigen nach die Kraftcompo-
nente durch den betreffenden negativ genommenen Differential-
coefficienten des Potentialniveaus dargestellt wird.
§. 6. Differentialausdruck zweiter Ordnung, welcher die
Vertheilung des wirksamen Agens im Räume bestimmt.
Ausser der Eigenschaft, die Kraftcomponenten auf eine so
einfache Art darzustellen , hat die Potentialfunction noch eine an-
dere sehr wichtige Eigenschaft , welche hier zunächst für ein be-
8 Abschnitt I.
liebiges nach dem umgekehrten Quadrate der Entfernung anzie-
hend oder abstossend wirkendes Agens ausgesprochen , und dann
sofort speciell auf Electricität angewandt werden soll.
Wenn der Punct p in einem Eaume gelegen ist , in welchem
sich von dem Agens, dessen Potentialfunction durch V dargestellt
wird, nichts befindet, so gilt die Gleichung:
Wenn dagegen der Punct jp sich in einem Räume befindet, wel-
cher von dem wirksamen Agens oder von einem Theile desselben
stetig erfüllt ist, so nimmt die Gleichung eine andere Gestalt an.
Wir wollen die Dichtigkeit des Agens an der betreffenden Stelle
des Raumes mit Je bezeichnen (so dass die in einem Raumelemente
dr befindliche Menge des Agens durch kdr dargestellt wird), dann
gilt die Gleichung:
d^V , d^V ,827 ^ ,
^ ^ 8a;2 ' 8^2 I g^.2
Diese letztere Gleichung ist die allgemeinere und umfasst
die vorige , denn , wenn der Punct p sich ausserhalb des von dem
wirksamen Agens erfüllten Raumes befindet, so ist dort ^ = 0,
und dadurch geht die Gleichung (7) in (6) über. Aus der Glei-
chung (7) ergiebt sich, dass man vermöge der Potentialfunction
nicht nur die Kräfte, welche das wirksame Agens ausübt, sondern
auch die Vertheilung des Agens selbst bestimmen kann.
Da der vorstehende Differentialausdruck sehr häufig vor-
kommt, so hat man für ihn das einfache Zeichen z/ V eingeführt.
Danach lauten die beiden vorigen Gleichungen :
(6a) z/F=0
(7 a) ^V= — inek
Setzt man für den Coefficienten £ den Werth 1, welchen wir
bei der Electricität, gemäss der für dieselbe gewählten Maass-
einheit, in Anwendung gebracht haben, so geht die Gleichung (7 a)
über in
(8) yir= — 4:7lk.
§. 7. Gleichgewichtszustand der Electricität,
Es möge nun, wie es im Anfange dieser Einleitung gesagt
wurde, angenommen werden, es sei irgend ein aus einem leiten-
Mathematische Einleitung. 9
den Stoffe bestehender, aber von Nichtleitern umgebener Körper
gegeben, und demselben sei eine beliebige Electricitätsmenge mit-
getheilt, die sich entweder für sich allein, oder unter dem Ein-
flüsse fremder, auf anderen Körpern befindlicher Electricitäts-
mengen in das Gleichgewicht zu setzen habe. Es fragt sich dann,
wie man die für dieses Gleichgewicht zu erfüllende Bedingung am
einfachsten mathematisch ausdrücken kann, und wo sich dabei die
getrennt vorhandene Electricität befinden muss. Dabei mag be-
merkt werden, dass man voraussetzt, im unelectrischen Zustande
enthalte ein Körper in jedem seiner Elemente gleiche Mengen
positiver und negativer Electricität, während im electrischen Zu-
stande in oder an dem Körper Stellen vorkommen, wo ein üeber-
schuss an positiver oder negativer Electricität vorhanden sei. Einen
solchen irgendwo vorhandenen Ueberschuss an positiver oder nega-
tiver Electricität wollen wir, wie es vorher geschehen ist, getrennte
Electricität nennen.
In einem leitenden Körper kann Bewegung der Electricität
stattfinden; in dieser Beziehung sind aber verschiedene Annah-
men möglich. Man kann sich entweder denken, dass beide Electri-
citäten beweglich seien , oder dass nur Eine , welche dann als die
positive gelten soll, beweglich und die andere fest an die ponde-
rablen Atome gebunden sei. Für die Electrostatik macht es kei-
nen wesentlichen Unterschied, welche dieser beiden Annahmen
man macht, für die Electrodynamik aber entsteht daraus eine Ver-
schiedenheit von Belang, und dort werden wir daher speciell dar-
über zu sprechen haben.
Wenn nun in dem leitenden Körper Gleichgewicht sein soll,
so müssen im Innern desselben an jeder Stelle die von den ver-
schiedenen Theilen der vorhandenen Electricität ausgeübten Kräfte
sich gegenseitig aufheben, so dass ihre Resultante Null ist, denn
wenn an irgend einer. Stelle eine Resultante von angebbarem
Werthe bestände, so würde sich die hier vorhandene positive
Electricität in der Richtung der Resultante und die negative
Electricität, falls auch sie beweglich ist, in der entgegengesetzten
Richtung bewegen, was der gemachten Voraussetzung, dass Gleich-
gewicht stattfinden soll, widerspräche. In der Bedingung, dass die
Resultante Null sein muss, ist zugleich mit einbegrifi'en, dass, wenn
man sich die Resultante in drei nach den Coordinatenrichtungen
gehende Componenten zerlegt denkt, auch diese Componenten
10 Abschnitt L
einzeln Null sein müssen. Es müssen also überall im Innern des
leitenden Körpers folgende drei Gleichungen gelten:
IZ^o- ^-0- ^-0
und hieraus ergiebt sich als Gleichgewichtsbedingung, dass die
Potentialfundion V innerhalb des leitenden Körpers einen constan-
ten Werth haben muss.
Dem eben Gesagten nach lassen sich auch die folgenden drei
Gleichungen bilden:
und wenn man diese auf die Gleichung (8) anwendet, so findet
man, dass im Innern des leitenden Körpers überall
k = 0
sein muss. Man gelangt also auf diese Weise zu dem wichtigen
Schlüsse, dass im Gleichgewichtszustande sich in dem Körper, so-
weit er leitend ist, nirgends getrennte Electricität befinden kann,
sondern dass nur an der Oberfläche, wo der leitende Körper von
Nichtleitern begrenzt ist, getrennte Electricität angehäuft sein
kann.
Man muss sich also an der Oberfläche eine sehr dünne Schicht
mit der getrennten Electricität erfüllt denken. Eine genaue Be-
stimmung der Dicke dieser Schicht würde sich ohne näheres Ein-
gehen auf das Wesen der Electricität und auf die Natur der lei-
tenden nnd nichtleitenden Medien, an deren Trennungsfläche die
Electricität angehäuft ist, nicht wohl ausführen lassen. Man pflegt
sich daher mit dem Resultate, dass die Dicke sehr gering sein
muss, zu begnügen, und bei den meisten Betrachtungen sieht man
von der Dicke der Schicht ganz ab, und betrachtet einfach die
Electricität als auf einer Fläche befindlich.
§. 8. Differentialausdruck, welcher die Vertheilung des
.wirksamen Agens auf einer Fläche bestimmt.
Da man es in der Electricitätslehre , wie eben erwähnt wurde,
mit einem Falle zu thun hat, wo man, wenigstens bei mathemati-
schen Untersuchungen, anzunehmen pflegt, dass das wirksame
MatliGmatisohe Einleitung. 1 1
Agens (nämlich die getrennte Electricität) nicht einen körper-
lichen Raum ausfüllt, sondern sich auf einer Fläche l)efindet, so
muss hier noch ein auf diesen Fall bezüglicher wichtiger Satz an-
geführt werden.
Durch einen Punct einer solchen Fläche, welche das Agens
enthält, sei eine senkrecht gegen die Fläche gerichtete Gerade ge-
zogen, und auf dieser Geraden denke man sich den Punkt ^, auf
welchen die Potentialfunction sich bezieht, beweglich. Der Ab-
stand des Punctes p von der Fläche, welcher an der einen Seite
der Fläche als positiv und an der anderen Seite als negativ zu be-
trachten ist, sei mit n bezeichnet. Wenn wir nun den auf diese
dV .
Gerade bezüglichen Difierentialcoefficienten - — bilden, dessen ne-
on
gativer Werth die in die Normalrichtung fallende Componente
der Kraft darstellt, so hat derselbe an den beiden Seiten der
Fläche verschiedene Werthe, indem er beim Hindurchgehen des
Punctes durch die Fläche eine sprungweise Aenderung seines
Werthes erleidet, deren Grösse von der an der betreffenden Stelle
der Oberfläche stattfindenden Dichtigkeit abhängt. Sei die Flächen-
dichtigkeit an dieser Stelle mit h bezeichnet (so dass ein dort be-
findliches Flächenelement da die Menge hda des Agens enthält),
und seien ferner die beiden Werthe, welche der Differentialcoefti-
dV
cient -TT— annimmt, wenn der Punct w an der positiven und an
der negativen Seite bis dicht an die Fläche heranrückt, mit
T—] und (tt-) bezeichnet, so gilt die Gleichung:
Wendet man diese Gleichung speciell auf Electricität an, so
ist wieder, wie bisher, £ = 1 zu setzen, und es kommt:
(10) m -m =-4.;,.
Wenn die betrachtete Fläche die Grenzfläche eines leitenden Kör-
pers bildet, so weiss man, dass im Inneren eines leitenden Kör-
pers bis dicht an die Oberfläche die Potentialfunction V constaut
12 Abschnitt I.
ist. Demnach hat man, wenn die Normale nach Aussen positiv
und nach Innen negativ gerechnet wird,
und die vorige Gleichung geht daher über in:
(U) (|Z)^=_4...
Hierdurch ist die Beziehung zwischen der dicht an der Oberfläche
eines leitenden Körpers wirkenden Normalkraft und der daselbst
stattfindenden electrischen Dichtigkeit gegeben/
§. 9. Anordnung der Electricität auf einer Kugel
und auf einem Ellipsoid.
Wir wollen nun für einzelne Fälle betrachten, in welcher
Weise die Electricität sich auf der Oberfläche eines leitenden Kör-
pers anordnet.
Die Bedingung, aus welcher diese Anordnung zu bestimmen
ist, ist immer die, dass die Potentialfunction der gesammten Elec-
tricität in jedem leitenden Körper constant sein muss, woraus
dann folgt, dass die Resultante der electrischen Kräfte Null ist.
Als einfachsten Fall wollen wir annehmen, es sei ein leiten-
der Körper von der Gestalt einer Kugel gegeben, diesem sei eine
gewisse Electricitätsmenge Q, die positiv oder negativ sein kann,
mitgetheilt, und ausser dieser Electricitätsmenge seien in der
Nähe keine getrennten Electricitäten vorhanden, welche auf die-
selbe einwirken könnten.
In diesem Falle kann man sofort daraus, dass die Kugel nach
allen Seiten symmetrisch ist, schliessen, dass die Electricität sich
gleicliförmig über die Oberüäche verbreiten muss. Da nun die
Grösse der Oberfläche , wenn a den Radius der Kugel bedeutet,
durch 4,7ta^ dargestellt wird, so erhalten wir für die mit h be-
zeichnete Flächendichtigkeit der Electricität die Gleichung:
(12). ^^=T-^-
Ein zweiter etwas allgemeinerer Fall, welcher den vorigen
als sj)eciellen Fall in sich schliesst, und welcher ebenfalls zu einem
sehr einfachen Resultate führt , ist der , wenn der leitende Körper
Mathematische Einleitung. 13
ö*
die Gestalt eines ElUpsoids hat. Für diesen Fall hat Poisson
zur Bestimmung der electrischen Dichtigkeit an den verschiede-
nen Puncten der Oberfläche folgende Regel gegeben, deren Rich-
tigkeit sich leicht nachweisen lässt.
Man denke sich um das gegebene Ellipsoid ein zweites ähn-
liches und concentrisches Ellipsoid mit gleichgerichteten Axen be-
schrieben, welches seiner Grösse nach nur sehr wenig von dem
gegebenen verschieden sei, so dass zwischen beiden Ellipsoidflächen
eine sehr dünne Schicht eingeschlossen sei, und diese Schicht
denke man sich gleichförmig mit Electricität ausgefüllt. Die un-
ter diesen Umständen über irgend einem Oberflächenelemente be-
findliche Electricitätsmenge ist gleich derjenigen, welche im Gleich-
gewichtszustande auf dem Oberfiächenelemente vorhanden sein
muss.
Aus dieser Regel lässt sich der mathematische Ausdruck der
Flächendichtigkeit an verschiedenen Stellen leicht ableiten. Be-
trachten wir irgend ein Element dco der Oberfläche des gegebe-
nen EUipsoids , und nennen die Dicke der Schicht an dieser Stelle
y, so ist yd CO der unendlich keine Theil der Schicht, welcher sich
über diesem Oberfiächenelemente befindet. Ferner wollen wir die
Raumdichtigkeit, welche man erhält, wenn man sich die Schicht
gleichförmig von der gegebenen Electricitätsmenge erfüllt denkt,
mit Je bezeichnen. Dann befindet sich über dem Flächenelemente
da die Electricitätsmenge Tiydo. Nun wird aber andererseits,
wenn wir mit h die Flächendichtigkeit der Electricität an der be-
treffenden Stelle bezeichnen, die auf dem Flächenelemente d co be-
findliche Electricitätsmenge durch hda dargestellt. Aus der Ver-
gleichung dieser beiden Ausdrücke folgt, dass man zu setzen hat:
h = hy.
Seien nun a, &, c die Halbaxen des gegebenen EUipsoids, und
a {\ -\- 8\h {l -\- 8)^ c {l -\- 8)^ worin 8 eine sehr kleine Grösse
ist, die Halbaxen des construirt gedachten concentrischen EUip-
soids. Wenn man dann nach dem betrachteten Puncte der Ober-
fläche vom Mittelpuncte aus einen Leitstrahl zieht, dessen Länge
u heissen möge, und diesen Leitstrahl bis zur concentrischen
Ellipsoidfiäche fortgesetzt denkt, so wird seine Länge bis zum
Durchschnitte mit dieser zweiten Fläche durch u (1 -{- 8) dar-
gestellt. Das zwischen beiden Flächen liegende Stück des Leit-
strahles hat also die Länge 8 . u. Multiplicirt man diese Grösse
14 Abschnitt I.
mit dem Cosinus des Winkels, welchen der Leitstrahl mit der an
der betreffenden Stelle auf der Oberfläche errichteten Normale
bildet, so erhält man die dort stattfindende Dicke der Schicht.
Es kommt also, wenn man diesen Winkel mit (p bezeichnet:
y ^= d . ucos cp.
Dieses in die vorige Gleichung eingesetzt, giebt:
(13) h = Jid . ucos(p.
Hier kann man zunächst das Product 1^8 bestimmen. Das
Volumen des gegebenen Ellipsoids \s,i ^Ttahc, Entsprechend ist
das Volumen des construirt gedachten concentrischen Ellipsoids
^Ttahc (1 -f- d)3, wofür man, da 8 als sehr klein vorausgesetzt
ist, schreiben kann : ^nahc (1 -j- 3 d). Zieht man nun das erste
Volumen vom zweiten ab, so erhält man das Volumen der zwi-
schen beiden Flächen befindlichen Schicht, nämlich:
4: nahe . 8.
Da nun die Raumdichtigkeit innerhalb dieser Schicht mit h be-
zeichnet ist, so kann man, wenn die gegebene, unserem Ellipsoid
mitgetheilte Electricitätsmenge Q heisst, schreiben:
Q = 4nah c . 8 .%
und daraus folgt:
^iTcahc
Dieses in den in (13) gegebenen Ausdruck von h eingesetzt, giebt:
(14) ^ = -A — ^-T-ucosq).
^ -^ 4: 7t ab c ^
Es bleibt nun nur noch das Product u cos (p auszudrücken.
Seien x^ y, z die Coordinaten des betrachteten Oberflächenpunctes,
wo man die Dichtigkeit bestimmen will, so werden die Cosinus
der Winkel, welche der Leitstrahl mit den Coordinatenaxen bil-
det, ausgedrückt durch
X y z
M ' M ' u
Ferner werden die Cosinus der Winkel, welche die Normale mit
den Coordinatenaxen bildet, ausgedrückt durch:
X y z
02 02" 62"
c*
Mathematische Einleitung. 15
Hieraus folgt, dass man für den Cosinus des Winkels g?, den der
Leitstrahl mit der Normale bildet, folgenden Ausdruck erhält:
coscp =
02 ' t^ ^ C^"
K «4 I §4 ^ c*
Der Zähler dieses Bruches hat einen sehr einfachen Werth. Es
gilt nämlich für einen Punct der Oberfläche eines Ellipsoids mit
den Halbaxen a, ö, c bekanntlich die Gleichung:
<t1 nil f,1
(15) f5 + |. + ^='-
Setzen wir diesen Werth ein und raultipliciren ausserdem die
Gleichung mit m, so kommt:
1
u cos (p ■=■
\/^ 4_ l! j_ f!
Durch Anwendung dieses Werthes auf die Gleichung (14) erhal-
ten wir den gesuchten mathematischen Ausdruck der Flächen-
dichtigkeit Ä, nämlich:
(16) h =
Aus diesem Ausdrucke kann man noch mit Hülfe der Glei-
chung (15) eine der Coordinaten eliminiren. Man kann z. B. nach
(15) setzen:
f!. _ 1 _ ^ _ l!
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
Q 1
(17) h =
An ab \ / ^2
1/'+^^'- +
b^
16 Abschnitt I.
§. 10. Anordnung der Electricität auf einer ellipti-
schen Platte.
Aus dem vorigen Resultate lässt sich als specieller Fall noch
ein Resultat ableiten, welches von besonderem Interesse ist.
Man betrachtet oft den Fall, wo der leitende Körper, dem
man Electricität mittheilt, die Form einer dünnen Platte hat, wo-
bei man als Grenzfall auch die Platte als unendlich dünn anneh-
men kann. Es fragt sich dann, wie sich auf einer solchen Platte
die Electricität vertheilt. Für Platten von elHptischer Gestalt
kann man nun die Vertheilung der Electricität dem Vorigen nach
ohne Weiteres hinschreiben, wenn man eine elliptische Platte als
ein sehr flaches Ellipsoid ansieht.
Sei die Halbaxe c als diejenige angenommen, welche sehr
klein geworden ist, so wollen wir die Gleichung (17) in folgender
Form schreiben:
Q 1
(18) h
4. 71 ah '\/ . _ x^ _ f_
«2 62
+-(S+i:)
Hierin ist von den beiden unter dem Wurzelzeichen stehenden
Grössen
-7.2 nß / /V.2
1 _ ^ _ |Lund c2/^
«2 Ö2 Va^
+ ©
im Allgemeinen die letztere gegen die erstere als sehr klein anzu-
sehen, und nur in der Nähe des Randes, wo die erstere sich dem
Werthe Null nähert, gewinnt dadurch die letztere an Bedeutung.
Nimmt man die Platte als unendlich dünn an, so dass die
mit dem Factor c? behaftete Grösse als ganz verschwindend zu be-
trachten sei, so hat man zu setzen:
(19) h= ^ ^
4.7t ah 1 / X''' if
~ «2 ~ "p
V-
Ist die Platte kreisförmig, so muss man h =^ a setzen. Zu-
gleich kann man dann, wenn r den Abstand des betrachteten
Punctes vom Mittelpuncte bedeutet, schreiben: x^ -\- y^ ^=: r2, wo-
durch die Gleichungen (18) und (19) übergehen in:
MathematiHche Einleitung. 17
(20) /
Q 1
(21) h
V
Q 1
a' ■ a*
4 TT «2
V
fl'
Diese letzteren Gleichungen lassen die Zunahme der Dichtig-
keit der Electricität von der Mitte nach dem Rande zu besonders
(Jeutlich erkennen. Man sieht dass sie zuerst langsam und dann
immer schneller wächst, je näher man dem Rande kommt. Bei
einer unendlich dünnen Platte würde am Rande selbst, also für
r = a, die Dichtigkeit unendlich gross sein. Daraus folgt aber
nicht, dass die auf der Platte befindliche Electricität in so über-
wiegender Menge am Rande angehäuft sein würde, dass man da-
gegen die auf den mittleren Partien der Platte befindliche Menge
vernachlässigen dürfte.
Um hierüber ein bestimmtes Urtheil zu gewinnen , wollen wir
uns die ganze Kreisfläche durch einen mit dem Radius J, der klei-
ner als a ist, geschlagenen concentrischen Kreis in zwei Theile
getheilt denken, in die innere Kreisfläche mit dem Radius b und
in die zwischen ihrer Peripherie und dem Rande der Platte gele-
gene ringförmige Fläche , und wollen die auf beiden Theilen be-
findlichen Electricitätsmengen bestimmen. Dieselben mögen durch
II und S bezeichnet werden, wobei die beiden einander unendlich
nahe gegenüberliegenden parallelen Grenzflächen der Platte ge-
meinsam betrachtet, und die auf ihnen befindlichen Electricitäts-
mengen zusammengefasst sein sollen. Dann haben wir zu setzen :
27T b
(22)
0 0 K a'^
2n
s
0 b Y «2
Setzen wir z. B. 6 = | a, so ist:
und setzen wir b = \j a, so ist:
ClaUBius, mech. Wärmetheorie. II.
18
Absclinitt I.
Es sind auch experimentelle Untersuchungen über die Zu-
nahme der Dichtigkeit auf einer mit Electricität geladenen me-
tallenen Kreisplatte von Coulomb angestellt, deren Resultate
Biot in seinem Traue de Phi/sique, T. 11^ p. 211 (deutsche Bear-
beitung von Fechner, Bd. II, S. 191), mittheilt. Diese mögen
hier ebenfalls Platz finden und mit den Werthen , welche sich für
den Fall , dass die Platte unendlich dünn gewesen wäre , aus der
obigen Formel ergeben würden, verglichen werden. Dabei ist zu
bemerken, dass bei einer unendlich dünnen Platte eine schnellere
Zunahme der Dichtigkeit von der Mitte nach dem Rande hin statt-
finden müsste, als bei einer Platte von endlicher Dicke, dass die-
ser Unterschied besonders in der Nähe des Randes beträchtlich
wird, und dass am Rande selbst keine >Vergleichung mehr mög-
lich ist, indem die unendlich dünne Platte dort eine unendlich
grosse Dichtigkeit haben würde, während bei einer Platte von
endlicher Dicke ein bestimmter endlicher Werth entstehen muss,
der bei solcher Dicke, wie sie eine gewöhnliche Condensatorplatte
hat, und wie sie wahrscheinlich (obwohl keine Angabe darüber
vorliegt) auch die Coulomb 'sehe Platte gehabt hat, nicht einmal
sehr gross sein kann. Unter Berücksichtigung dieser Umstände
wird man die Uebereinstimmung zwischen den beobachteten und
den berechneten Werthen genügend finden. Der Radius der Platte
war 5".
Abstand
vom Rande der
Platte
Beobachtete
Dichtigkeit
Berechnete
Dichtigkeit
5"
1
1
4"
1-001
1-020
3"
1-005
1-090
2"
1-17
1250
1"
1-52
1-667
0-5"
2-07
2-294
0
-
2-90
00
§.11. Der Green'sche Satz.
Bevor wir nun dazu übergehen, das Verhalten electrischer
Körper unter dem Einflüsse anderer in der Nähe befindHcher und
Matliematische Einleitung. 19
somit infiuenzirend wirkender Körper zu betrachten, wird es zweck-
mässig sein, einige allgemeine Sätze über die Potentialfunction
vorauszuschicken, von denen diejenigen, welche in meinem Buche
über die Potentialfunction behandelt sind, hier nur kurz angeführt
zu werden brauchen.
Zunächst ist ein von Green aufgestellter geometrischer Satz,
welcher in der Potentialtheorie vielfältige Anwendung findet, zu
erwähnen.
Es seien JJ und V zwei Functionen der Raumcoordinaten,
von denen wir vorläufig voraussetzen wollen, dass innerhalb eines
zur Betrachtung gegebenen Raumes die Functionen selbst und
ihre ersten und zweiten A1)leitungen nirgends unendlich gross
werden. Ferner werde zur Abkürzung ein Summenzeichen einge-
führt, welches auch im Folgenden vielfach Anwendung finden
wird. Wenn nämlich eine Summe von drei Gliedern vorkommt,
welche sich auf die drei Coordinatenrichtungen beziehen, im Uebri-
gen aber ganz gleich sind, so soll nur das auf die rr-Richtung be-
zügliche Glied wirklich hingeschrieben und davor das Summen-
zeichen gesetzt werden, wie aus Folgendem zu ersehen ist:
^ dx dx dx dx '' dy dy ~^ dz dz
Dann gelten nach Green folgende Gleichungen:
Hierin soll dx ein Raumelement sein, und die Integrale nach r
sollen sich über den ganzen gegebenen Raum erstrecken. Ferner
soll da ein Element der Oberfläche des Raumes sein und in den
o TT o TT"
Differentialcoefficienten -7-— und -;r — soll n die auf der Oberfläche
on on
errichtete, nach Innen zu als positiv gerechnete Normale bedeu-
ten. Die Integrale nach a sollen sich über die ganze Oberfläche''
des gegebenen Raumes erstrecken.
Diese drei Gleichungen bilden den Ausdruck desGreen'schen
Satzes.
2*
20 Abschnitt I.
Die Gleichungen können noch nach einer gewissen Richtung
hin erweitert werden. Wir wollen nämlich die Bedingung, dass
die Functionen U und V und ihre ersten und zweiten Ableitun-
gen in dem ganzen Räume nirgends unendlich gross werden, fal-
len lassen, und statt dessen annehmen, dass die Functionen Glie-
der enthalten können, welche die Form der Potentialfunction eines
in dem Räume befindlichen Agens haben, welches nicht stetig durch
den Raum verbreitet zu sein braucht, sondern auch auf Flächen,
auf Linien oder in Puncten angehäuft sein kann. Es seien also
für ZJ und F folgende Formen angenommen:
(26)
dq
^ = "+/-,
Hierin sollen u und v Functionen bedeuten, welche die obige Be-
dingung erfüllen, dass sie und ihre ersten und zweiten Differential-
coefficienten in dem ganzen Räume endlich bleiben. Unter d q und
dq sollen die Elemente von Agentien verstanden sein, welche man
sich in dem Räume befindlich und beliebig darin angeordnet den-
ken kann, und für welche die Maasseinheiten so gewählt werden
sollen, wie es bei der Electricität geschehen ist, so dass £ = 1 zu
setzen ist. Endlich soll r den Abstand eines solchen Elementes
von dem Puncto (^, «/, s) darstellen. Wenn nun z. B. in einem
Puncto p' eine endliche Menge q oder q eines Agens befindlich ist,
so lautet der betreffende Theil des einen oder anderen Integrals
— oder — , und diese Brüche und ihre Differentialcoefficienten wer-
den bei unendlicher Annäherung an den Punct p' unendlich gross.
Dasselbe findet statt, wenn sich eine endliche Menge des Agens
auf einer Linie befindet, während in dem Falle, wo sich eine end-
liche Menge des Agens auf einer Fläche befindet, zwar nicht für
das Integral selbst und seine Differentialcoefficienten erster Ord-
nung, wohl aber für seine Diö'erentialcoefficienten zweiter Ord-
nung unendliche Werthe entstehen. Nur wenn das Agens mit end-
licher Raumdichtigkeit durch den Raum verbreitet ist, bleibt das
Integral mit seinen Diö'erentialcoefficienten erster und zweiter Ord-
nung überall endlich, und in diesem Falle ist es daher gleichgül-
tig, ob man das Integral in u resp. in v mit einbegreifen oder be-
sonders hinschreiben will.
Mathematisclie Einleitung. 21
Für diese unter (26) gegebenen allgemeineren Formen der
Functionen U und V lauten die den Green' sehen Satz aus-
drückenden Gleichungen folgendermaassen :
(28) /SS'^-^-Z^-ff "" -fv^ucU + i.fvd,
(29) Cu^dco + f Uzlodt — 4jr / Udq
= fv^^dco -f fvziudt - 47t fvdq.
§. 12. Bestimmung des von einer Fläche einge-
schlossenen Agens.
Um eine erste sehr einfache Anwendung des Green'schen
Satzes zu machen , wollen wir für U den constanten Werth 1 an-
nehmen. Daraus ergiebt sich für die Differentialcoeflicienten von
U und somit für die ganze linke Seite der Gleichung (27) der
Werth 0 und die Gleichung geht über in :
/ -^— da 4- / ^vdv — 4:71 I dq = 0.
Ferner wollen wir unter V die Potentialfunction eines Agens ver-
stehen, welches sich theils innerhalb, theils ausserhalb der ge-
schlossenen Fläche befinden und beliebig vertheilt sein kann. In-
dem wir dann für V die unter (26) gegebene allgemeine Form
^=^ + /^
anwenden, wollen wir uns die Potentialfunction des äusseren Agens
durch y und die des inneren Agens durch / — ^ dargestellt denken.
Dann ist für den ganzen von der Fläche eingeschlossenen Raum
z/ü = 0, und die obige Gleichung vereinfacht sich somit in:
/ -^ — da — 4;r f dq = 0.
22 Absclinitt I.
Das zweite hierin vorkommende Integral ist nichts weiter, als die
ganze Menge des von der Fläche eingeschlossenen Agens, und wir
erhalten somit, indem wir diese Menge mit Q bezeichnen:
(30) J — da>^i7tQ
oder :
(30a) Q = J- ILL day.
Sollte die Fläche selbst mit einer endlichen Menge Agens be-
dV
legt sein, so würde - — an der Innen- und Aussenseite der Fläche
on
verschiedene Werthe haben, und je nachdem man den inneren
oder äusseren Werth in dem Integrale anwendete, würde man die
Menge des Agens ohne oder mit Zurechnung der auf der Fläche
befindlichen Menge erhalten.
§. 13. Das Green-Dirichlet'sche Princip und die
Green'sche Function.
Die weiteren Anwendungen des Green'schen Satzes werden
besonders fruchtbar, wenn man ihn mit einem gewissen anderen
Satze in Verbindung bringt. Dieser ist in der für den betreffen-
den Zweck geeigneten Form ebenfalls zuerst von Green ausge-
sprochen , aber nicht streng mathematisch bewiesen , sondern nur
auf Gründe, welche man vom physicalischen Gesichtspuncte aus
als sicher zu betrachten pflegt, zurückgeführt. Dirichlet hat
ihm später eine allgemeinere Form gegeben, und ihn streng mathe-
matisch bewiesen. In dieser Form, in welcher man ihn das Di-
richlet'sche Princip zu nennen pflegt, lautet er: Es giebt
für einen beliebigen begrenzten Raum immer eine und
nur Eine Function u von x, ^, ^, die selbst und deren Dif-
ferentialcoefficienten erster Ordnung stetig sind, die
innerhalb jenes ganzen Raumes die Gleichung z^m = 0
erfüllt, und die endlich in jedem Puncte der Ober-
fläche einen vorgeschriebenen Werth hat.
Den Beweis dieses Satzes will ich hier nicht aufnehmen, son-
dern verweise in dieser Beziehung auf mein oben citirtes Buch
über die Potentialfunction. Hier wird es genügen, die von Green
für den beschränkteren Satz angeführten Gründe mitzutheilen.
Matheinatisclie Einleitung. 23
Green stellt nicht die allgemeine Bedingung, dass die Func-
tion u an der OberHäclie einen für jeden Punct beliebig vorge-
schriebenen Wertli habe, sondern giebt den Werth, den sie haben
soll, bestimmt an. Sei nämlich innerhalb des gegebenen Raumes
irgend ein Punct p' ausgewählt, und der Abstand des betrachteten
Punctes der Oberfläche von diesem Puncte mit r bezeichnet, so soll
u an dem Oberfiächen-Puncte den Wertli haben, so dass die
1 . . y '
Summe u -A gleich Null ist.
Den Beweis von der eindeutigen Existenz dieser Function u
führt Green so. Man betrachte die Oberfläche des gegebenen
Raumes als eine für Electricität leitende Fläche, welche durch
einen unendlich dünnen Draht mit der Erde in Verbindung stehe.
Ferner denke man sich im Puncte p' eine Einheit positiver Elec-
tricität concentrirt. Diese wird durch Influenz bewirken, dass po-
sitive Electricität von der Fläche in die Erde abströmt und die
Fläche eine so angeordnete negativ electrische Ladung erhält, dass
die gesammte Potentialfunction auf allen Theilen der Fläche den
in der Erde stattfindenden Werth Null hat. Die gesammte Poten-
tialfunction besteht aber erstens aus der Potentialfunction der in
p' concentrirten Electricitätseinheit, nämlich — , und zweitens aus
der Potentialfunction der auf der Fläche durch Influenz angesam-
melten Electricität. Nennen wir also die letztere Potentialfunction
M, so ist auf allen Theilen der Fläche die Gleichung
, 1
u -\ = 0
erfüllt, und ebenso genügt diese mit u bezeichnete Potentialfunc-
tion in dem ganzen gegebenen Räume der in Bezug auf die Stetig-
keit gestellten Bedingung und der Gleichung /lu = 0. Nimmt
man es nun als selbstverständlich an, dass es, wenn in irgend
einem Puncte p' eine Electricitätseinheit concentrirt ist, immer
eine und nur Eine Vertheilung von Electricität auf der Fläche
giebt, welche der für das Gleichgewicht nöthigen Bedingung, dass
die gesammte Potentialfunction auf der Fläche überall gleich Null
ist, entspricht, so ist damit die eindeutige Existenz der Function
u bewiesen, und ihr zugleich dadurch, dass sie die Potential-
function der unter den genannten Umständen auf der Fläche an-
gesammelten Electricität sein soll, eine bestimmte physicalische
Bedeutung gegeben.
24 Abschnitt I.
Auch für einen nicht in dem von der Fläche eingeschlossenen
Räume, sondern in dem die Fläche umgebenden Räume gelegenen
Punct ^' stellt Green die entsprechenden Betrachtungen an, dass
er sich in j)' eine positive Electricitätseinheit concentrirt denkt,
welche die als leitend und mit der Erde verbunden angenommene
Fläche negativ electrisch macht, und dass er dann die Potential-
function der auf der Fläche befindlichen negativen Electricität als
die] Function u ansieht. Diese Function erfüllt dann wieder die
Bedingung, dass sie an allen Puncten der Fläche gleich ist,
und hat ausserdem die Eigenschaft, dass in unendlicher Entfer-
nung R vom Anfangspuncte der Coordinaten u und ^^ unendlich
kleine Grössen von den Ordnungen -yr^ und -j^r werden, was für
solche Betrachtungen, bei denen man, um einen allseitig begrenz-
ten Raum zu haben, zu der gegebenen Fläche noch eine unend-
lich grosse Kugelfläche als zweite Grenzfläche hinzunimmt, wesent-
lich ist.
Die in dieser Weise für den inneren oder äusseren Raum be-
stimmte Function u pflegt man die Green'sche Function zu
nennen.
§, 14. Bestimmung der Potentialfunction eines durch
eine Fläche abgegrenzten Agens aus den in der
Fläche stattfindenden Werthen.
Wir wollen nun annehmen, es sei eine geschlossene Fläche
gegeben, welche einen ein Agens enthaltenden Raum von einem
leeren Räume abgrenze, indem entweder der äussere Raum das
Agens enthalte und der innere leer sei, oder umgekehrt der innere
Raum das Agens enthalte und der äussere leer sei. Auf der Fläche
selbst kann sich in beiden Fällen ebenfalls eine endliche Menge
des Agens befinden. Es handelt sich nun darum , zu untersuchen,
ob die Potentialfunction, wenn sie an der Grenzfläche bekannt ist,
sich auch in dem ganzen leeren Räume bestimmen lässt.
Zunächst möge der innere Raum als der leere betrachtet wer-
den. Indem wir auf diesen die Green'sche Gleichung (29) an-
wenden, wollen wir unter V die zu bestimmende Potentialfunction
verstehen. Da diese Function und ihre ersten und zweiten Ablei-
Mathematische Einleitung. 25
tungen in dem von Agens freien inneren Räume überall endlich
bleiben müssen, so kann man in dem unter (26) gegebenen allge-
meinen Ausdrucke von F, nämlich v -f- / — , das Integral mit
dc[ fortlassen und v mit V als gleichbedeutend betrachten. Was
ferner die Function V anbetrifft, so wollen wir, nachdem wir irgend
einen in dem Räume gelegenen Punct p' mit den Coordinaten
x\ y\ z' ausgewählt haben, unter r den Abstand des Punctes
(ic, «/, z) von diesem Puncte und unter u die Cr r e e n ' sehe Func-
tion verstehen, und dann setzen:
Aus der Vergleichung dieses Ausdruckes mit dem unter (26) gege-
benen allgemeinen Ausdrucke u -\- l — ergiebt sich, dass in dem
letzteren d(\ als das Element einer im Puncte j/ concentrirten
Einheit des Agens anzusehen ist, woraus folgt, dass das in der
Green' sehen Gleichung vorkommende Integral ./ Vd q in diesem
Falle nichts anderes ist , als der im Puncte p' stattfindende Wertli
von F, welchen wir mit V bezeichnen wollen. Die Green' sehe
Gleichung (29) nimmt also folgende Form an:
VzJudT — 4nV'.
Da nun das Agens, von welchem V die Potentialfunction ist,
sich nur im äusseren Räume oder auf der Oberfläche, und das
Agens, von welchem u die Potentialfunction ist, sich nur auf der
Oberfläche befindet, so ist für den ganzen inneren Raum
z/ F = 0 und ^u = 0.
Ferner muss an der Oberfläche die für die Green'sche Function
geltende Bedingungsgleichung
w H — = 0
r
erfüllt sein. Die obige Gleichung vereinfacht sich also in
2ß Abschnitt I.
/
/(»+7)
woraus sich ergiebt
on
a- ■ '
(31) ^" = ^J fIa:;,^^».
Bedenkt man nun, dass u eine, wenn auch nicht bekannte, so
doch vollkommen bestimmte Function ist, so folgt aus diesei" Glei-
chung, dass, wenn die Potentialfunction V an der Oberfläche be-
kannt ist, dadurch auch ihr Werth an jedem beliebigen Puncte p'
im Innern des von der Fläche eingeschlossenen Raumes bestimmt
ist, ohne dass dazu die Art der Vertheilung des Agens gegeben zu
sein braucht. Zur wirklichen Berechnung von V bedarf es erst
noch der Ableitung der dem speciellen Falle entsprechenden Form
von u.
Es möge nun zweitens der äussere Raum als der leere be-
trachtet werden, in welchem die Potentialfunction des von der
Fläche eingeschlossenen Agens bestimmt werden soll. Damit die-
ser Raum allseitig begrenzt sei, denken wir uns um den Anfangs-
punct der Coordinaten mit einem unendlich grossen Radius B eine
Kugelfläche geschlagen, so dass der zu betrachtende Raum zwi-
schen der gegebenen geschlossenen Fläche und der unendlich
grossen Kugelfläche liegt.
In diesem Räume wählen wir wieder irgend einen Punct p'
aus, und können dann, ganz wie vorher die Gleichung (31) ablei-
ten, worin aber für diesen Fall das Flächenintegral, wenigstens
vorläufig, nicht bloss auf die gegebene Fläche, sondern auch auf
die unendlich grosse Kugelfläche zu beziehen ist.
Was zunächst den auf die gegebene Fläche bezüglichen Theil
des Integrals betrifft, so sind darüber noch einige Bemerkungen
zu machen. In dem unter dem Integralzeichen stehenden Diffe-
rentialcoefficienten
8 (» + j)
dn
muss, den früheren Festsetzungen gemäss , die Normale nach der
Seite des betrachteten Raumes zu als positiv gerechnet werden.
Während sie also im vorigen Falle nach Innen als positiv gerech-
Mathematische EinleitimGr. 27
»•
net werden miisste, muss sie im jetzigen Falle nach Aussen als
positiv gerechnet werden. Da ferner dieser Differentialcoefficient
an beiden Seiten der Fläche verschiedene Werthe hat, so muss
darauf geachtet werden, dass immer der Werth anzuwenden ist,
welcher an der Seite des betrachteten Raumes gilt. Während also
im vorigen Falle der an der Innenseite geltende Werth angewandt
werden musste, muss im jetzigen Falle der an der Aussenseite gel-
tende Werth angewandt werden.
Was ferner den auf die unendlich grosse Kugelfläche bezüg-
lichen Theil des Integrals betrifft, so lässt sich dieser sehr ein-
fach abmachen. Gegen den unendlich grossen Radius der Kugel-
fläche sind alle endlichen Entfernungen zu vernachlässigen, und
man kann daher an der Kugelfläche für — und V die Werthe in
r
Anwendung bringen, welche man erhalten würde, Avenn der Punct
p' und das ganze von der gegebenen Fläche eingeschlossene Agens,
dessen Menge wir mit Q bezeichnen wollen , sich im Mittelpuncte
der Kugelfläche befände, nämlich :
l = lundF=^
r R B '
und für die Differentialcoefiicienten nach n kann man, da die nach
Innen gehende Normale die entgegengesetzte Richtung des Ra-
dius hat, setzen:
8w __ du , r 1
Endlich kann man das Flächenelement da der Kugelfläche durch
das Product W^dö ersetzen, worin d6 das Element des körper-
lichen Winkels bedeutet. Dadurch erhält man für den auf die
Kugelfläche bezüglichen Theil des Integrals die Gleichung :
/
du
Da nun nach dem, was in §. 13 über u gesagt wurde, ^^-^ eine un-
endlich kleine Grösse von der Ordnung -^^ ist, so ist das Product
28 Absclinitt I.
B ^r-^ noch eine unendlich kleine Grösse von der Ordnung ^, und
0 M -tt
der ganze auf die Kugelfläche bezügliche Theil des Integrals ist
somit unendlich klein und kann vernachlässigt werden. Man
braucht also in der Gleichung (31), mag man sie auf den inneren
oder äusseren Raum anwenden, das Integral nur über die gege-
bene Fläche auszudehnen.
Unter Zusammenfassung der vorstehenden Ergebnisse können
wir folgenden, für beide Fälle geltenden Satz aussprechen: Durch
die Werthe, welche die Potentialfunction in der ge-
gebenen Fläche hat, sind auch die Werthe, welche
sie in dem ganzen resp. inneren oder äusseren leeren
Räume hat, vollständig bestimmt.
Befindet sich das Agens nur auf der Fläche selbst, so gilt der
Satz für den inneren und äusseren Raum gleichzeitig, und man
kann ihn dann so aussprechen: Wenn für ein über eine ge-
schlossene Fläche verbreitetes Agens die Potential-
function in der Fläche selbst gegeben ist, so ist sie
dadurch auch in dem ganzen inneren und äusseren
Räume bestimmt.
Endlich möge noch bemerkt werden, dass die Sätze, welche
hier für eine einzelne geschlossene Fläche ausgesprochen sind, sich
in leicht ersichtlicher Weise auch auf mehrere geschlossene Flä-
chen ausdehnen lassen.
§. 15. Flächenbelegung, welche einer in der Fläche
gegebenen Potentialfunction entspricht.
Aus dem im vorigen Paragraphen abgeleiteten Satze ergiebt
sich sofort auch der folgende Satz: Für eine geschlossene
Fläche giebt es stets eine und auch nur Eine Verthei-
lung von Agens auf der Fläche selbst, deren Poten-
tialfunction in jedem Puncte der Fläche einen vor-
geschriebenen Werth hat.
Wenn nämlich für eine Flächenbelegung der Werth der Po-
tentialfunction in allen Puncten der Fläche gegeben ist, so ist
damit nach dem vorigen Paragraphen auch die Potentialfunction
im ganzen inneren und äusseren Räume bestimmt, und mit der
Potentialfunction sind es auch ihre Differentialcoefficienten. Den-
Mathematische Einleitung. 29
ken wir uns nun an irgend einem Puncte der Oberfläche eine Nor-
male errichtet, welche nach der einen Seite als positiv und nach
der anderen als negativ gerechnet wird, so gilt gemäss (9) in §. 8,
wenn darin £ = 1 gesetzt wird, folgende Gleichung:
dnj + 0
önJ-oV
worin h die auf den betreffenden Punct bezügliche Flächendichtig-
keit derjenigen Flächenbelegung bedeutet, von welcher F die Po-
tentialfunction ist. Folglich ist die Flächendichtigkeit für jeden
Punct der Fläche vollkommen bestimmt, und damit ist der obige
Satz bewiesen.
Hieraus lässt sich sofort noch ein weiterer Schluss ziehen.
Wenn eine geschlossene Fläche einen mit Agens erfüllten Raum
von einem leeren abgrenzt, indem entweder der äussere Raum das
Agens enthält und der innere leer ist, oder der innere das Agens
enthält und der äussere leer ist, so ist, wie wir im vorigen Para-
graphen gesehen haben, durch die Werthe, welche die Potential-
function des Agens an der Grenzfläche hat, auch die Potential-
function in dem ganzen leeren Räume bestimmt. Da nun stets eine
und nur Eine Flächenbelegung möglich ist, deren Potentialfunction
an der Fläche selbst irgend welche vorgeschriebene Werthe hat,
so muss auch eine und nur Eine Flächenbelegung möglich sein,
deren Potentialfunction an der Fläche die der Potentialfunction
des gegebenen Agens zukommenden Werthe hat, und somit auch
in dem ganzen leeren Räume mit der Potentialfunction des gege-
benen Agens übereinstimmt.
Demnach lässt sich folgender, oft zur Vereinfachung anwend-
barer Satz aussprechen: Wenn in einem Räume, welcher
durch eine geschlossene Fläche von dem übrigen
Räume abgegrenzt ist, sich ein Agens in beliebiger
Vertheilung befindet, welches zum Theil auch auf
der Fläche selbst gelagert sein kann, so giebt es stets
eine und nur Eine Flächenbelegung, welche in dem
ganzen übrigen Räume dieselbe Potentialfunction
hat, wie das gegebene Agens.
30 Abschnitt I.
§. 16. Bestimmung der Potentialfunction und der
Flächendichtigkeit bei electrischen leitenden Körpern
aus der Green'schen Function.
An die vorigen Sclilüsse mögen noch einige weitere ange-
knüpft werden, welche sich speciell auf Electricität beziehen.
Es sei ein für Electricität leitender Körper A gegeben, wel-
cher mit Electricität geladen sei , und es soll die Potentialfunction
im äusseren Räume bestimmt werden. Dazu haben wir allgemein
die Gleichung (31), nämlich:
47tJ
d
(«+!)
F = -f- I V—^^ -^ dcj.
on
Nun ist aber im Innern und somit auch an der ganzen Oberfläche
eines leitenden Körpers die Potentialfunction constant und kann
daher aus dem Integralzeichen herausgenommen werden. Wir er-
halten also, indem wir den constanten Werth, welchen wir das
Potentialniveau des Körpers Ä nennen wollen, mit F« be-
zeichnen :
Hieraus ergiebt sich, dass für jedes Potentialniveau des Körpers
die Potentialfunction in dem ganzen äusseren Piaume aus der
Function u bestimmt werden kann.
Wenn die Potentialfunction in dem ganzen äusseren Räume
bestimmt ist, so ist es auch der in der Nähe der Fläche geltende
dV
Werth von - — , und mit Hülfe dieses wiederum kann man, nach
on
Gleichung (11), die Flächendichtigkeit h ausdrücken, so dass also
auch die Art, wie die dem Körper mitgetheilte Electricität sich
über seine Oberfläche verbreitet, aus der Function u bestimmt
werden kann.
Sind statt Eines Körpers Ä deren mehrere A, B^ C etc. ge-
geben, so erhält man ganz entsprechend:
Mathematische Einleitung. 31
+ T^ —^-7 ^r7«,+ etc.,
47r^y (In '
worin dcoa, doi,, äcOc etc. Obertiächenelemente der Körper A, B.
Cetc. bedeuten und die einzelnen Integrale sich auf die Oberflächen
der einzelnen Körper beziehen. Die Function u ist in diesem Falle
natürlich so zu bestimmen, dass alle gegebenen Körper gleichzeitig
berücksichtigt werden. Man denke sich nämlich alle diese Körper
durch unendlich dünne Drähte mit der Erde verbunden, und
nehme im Puncte y eine positive Electricitätseinheit an, welche
auf allen Körpern durch Influenz eine Ladung mit negativer Elec-
tricität verursacht, dann ist die Potentialfunction dieser gesamm-
ten negativen Electricität die Function u.
§. 17. Wirkung einer leitenden Schaale und eines
leitenden Schirmes.
Es sei ein von einer inneren und einer äusseren Oberfläche
begränzter schaalenförmiger Körper aus einem die Electricität lei-
tenden Stoffe gegeben. Dann können wir drei Räume unterschei-
den, den inneren Hohlraum, den äusseren umgebenden Raum und
den von dem Körper selbst erfüllten Raum.
Der innere Hohlraum möge nun irgend welche mit Electrici-
tät geladene Körper einschliessen , und es soll untersucht werden,,
welchen electrischen Zustand diese in der Schaale hervorrufen,
und wie sie nach Aussen wirken.
Wir betrachten zunächst die innere Oberfläche der Schaale.
Unendlich nahe an derselben, aber noch in dem Hohlräume, den-
dV .
ken wir uns den Differentialcoefficienten - — gebildet, wobei die
cn
Normale nach dem Hohlräume zu als positiv gerechnet werden
möge. In Bezug auf diesen Differentialcoefficienten gilt folgende,
in §. 12 unter (30) gegebene Gleichung:
worin das Integral sich auf die den Hohlraum begrenzende Fläche.
ß
32 Abschnitt I.
also auf die innere Oberfläche unserer Scliaale bezieht , und Q die
gesammte von der Fläche eingeschlossene Electricitätsmenge, also
die Electricitätsmenge, mit welcher die in dem Hohlräume befind-
lichen electrischen Körper geladen sind , bedeutet. Ferner ist der
dV
hier betrachtete Differentialcoefficient - — derselbe, welcher in 8. 8
mit (- — ) bezeichnet ist, und für welchen die dort unter (11)
\dnJ+o ^ ^
gegebene Gleichung
Ol = — 4:7ch
gilt, worin h die Flächendichtigkeit der Electricität bedeutet. Durch
Einsetzung des hier rechts stehenden Werthes in die vorige Glei-
chung erhält man:
(34) fhd(o = — Q,
d. h. auf der inneren Oberfläche der Schaale befindet
sich eine Electricitätsmenge, welche der auf den
eingeschlossenen electrischen Körpern befindlichen
gleich und entgegengesetzt ist.
Bei diesem Resultate ist es ganz gleichgültig , ob die Schaale
mit der Erde in Verbindung steht und dadurch auf dem Potential-
niveau Null erhalten ist, oder ob sie isolirt und auf irgend ein an-
deres Potentialniveau gebracht ist. Dieses hat nur Einfluss auf
die Electricitätsmenge, welche sich auf der äusseren Oberfläche
lagert.
Wir wollen nun die Potentialfun ction in dem die Schaale
umgebenden äusseren Räume betrachten. Für irgend einen Punct
p' dieses Raumes gilt, wenn wir das Potentialniveau der Schaale
mit Va bezeichnen, die im vorigen Paragraphen unter (32) gege-
bene Gleichung:
F' = /i / -\ ^rf».
°tn^ dn
Hieraus ergiebt sich, dass die äussere Potentialfunction vollkom-
men bestimmt ist, sobald das Potentialniveau der Schaale gegeben
ist, ohne dass über die Art, wie die in dem Hohlräume befind-
lichen Körper gestaltet, angeordnet und mit Electricität geladen
sind, etwas bekannt zu sein braucht.
Mathematisclae Einleitung. 33
Wenn die Schaale mit der P^rde in leitender Verbindung steht,
so ist Va = 0, und dann ist auch für jeden Punct p' des äusseren
Raumes V = 0. Daraus ergiebt sich, dass die in dem Hohlraum
befindlichen electrischen Körper nach Aussen hin gar keine Wir-
kung ausüben. Ihre Wirkung ist durch die entgegengesetzte Elec-
tricität, welche durch Influenz an der inneren Oberfläche der
Schaale angesammelt ist, vollständig aufgehoben.
Wir wollen uns nun, statt der die electrischen Körper ganz
umgebenden Schaale, eine verhältnissmässig grosse aus einem lei-
tenden Stoffe bestehende Platte denken, welche vor die electri-
schen Körper gestellt sei, und jeuseit deren die Potentialfunction
bestimmt werden solle. Ohne auf eine specielle Betrachtung die-
ses Falles einzugehen, kann man soviel ohne Weiteres übersehen,
dass die Platte, wenn sie hinlänglich gross ist, eine ähnliche, wenn
auch nicht so vollständige Wirkuug ausüben muss, wie die Schaale
und dass also die Potentialfunction jenseit der Platte fast nur von
dem Potentialniveau der Platte abhängen kann. Steht die Platte
mit der Erde in leitender Verbindung, so muss die Potentialfunc-
tion jenseit der Platte sehr nahe den constanten Werth Null ha-
ben, indem die auf der Platte durch Influenz angesammelte ent-
gegengesetzte Electricität die Wirkung der electrischen Körper
fast vollständig compensirt. Eine in dieser Weise wirkende Platte
pflegt man einen electrischen Schirm zu nennen.
§. 18. Ein allgemeiner Satz in Bezug auf Influenz-
wirkungen.
Zum Schluss dieser allgemeinen Betrachtungen möge noch
ein vor Kurzem von mir in Wiedemann's Annaleni) mitgetheüter
Satz angeführt werden , welcher sich auf die gegenseitige Influenz
beliebig vieler leitender Körper bezieht, und mehrere, von ver-
schiedenen Autoren aufgestellte Pieciprocitätssätze als specielle
Fälle in sich enthält.
Es sei irgend eine Anzahl leitender Körper Ci , C2,
C3 etc. gegeben, welche influenzirend auf einander
wirken. Diese sollen in zwei verschiedenen Weisen
geladen werden. Bei der ersten Ladung seien die auf
den einzelnen Körpern befindlichen Electricitäts-
mengen: q^^ ^.^, ^3 etc.
1) Bd. 1, S. 493.
Clausius, mech. Wärmetbeorie. H
34 Absclinitt I.
und die dadurch entstehenden Potentialniveaux der
Körper:
Fl, n, F3 etc.,
und bei der zweiten Ladung seien die Electricitäts-
mengen und Potentialniveaux:
Dl, CI2, O3 etc.
2Si, 3S2, % etc.
Dann gilt folgende Gleichung:
(35) Fl Dl -{-V,€i,^ V, Q3 + etc. = f8, Q, + Ä^^ ^2 + SSs $3 + etc.
oder kürzer geschrieben:
(35a) EV€i = 2:^Q.
Zum Beweise dieser Gleichung denken wir uns um einen in
der Nähe der Körper gelegenen Punct eine unendlich grosse Kugel-
fiäcbe geschlagen, und wenden auf den zwischen den Körpern und
der Kugeliiäche liegenden unendlichen Raum die dritte Green'sche
Gleichung an, indem wir unter den beiden darin vorkommenden
Functionen, welche wir mit F und 35 bezeichnen wollen, die der
ersten und zweiten Ladung entsprechende Potentialfunction ver-
stehen. Da diese beiden Potentialfunctionen mit ihren ersten und
zweiten Ableitungen in dem betrachteten Räume überall endlich
bleiben, so können wir die Green'sche Gleichung in der unter
(25) gegebenen Form schreiben, nämlich:
Da ferner in dem betrachteten Räume keine Electricität vorhan-
den sein soll, so gelten in demselben überall die Gleichungen:
z/F= 0 und ^35 = 0,
wodurch die vorige Gleichung sich reducirt auf:
(36) fv^dco = f^^da).
J cn J dn
In dieser Gleichung haben sich die Integrale über die Ober-
flächen aller gegebenen Körper und über die unendlich grosse
Kugelüäche zu erstrecken. Die auf die letztere Fläche bezüglichen
Theile der Integrale sind aber aus den Gründen, welche für einen
ähnlichen Fall schon in §. 14 besprochen wurden, unendlich klein
und können daher vernachlässigt werden, so dass die Integratio-
Mathematisclie Einleitung. 35
nen nur auf die Oberflächen der gegebenen Körper ausgedehnt zu
werden brauchen.
Auf der Oberfläche jedes Körpers ist die Potentialfunction
constant, und kann daher für den Theil des Integrals, welcher sich
auf ihn bezieht, aus dem Integralzeichen genommen werden. Dem-
nach können wir die vorige Gleichung so schreiben:
'^'/ll ''"' + ^'P^ ''"' + ^'/If '''"' + ^t"-
fdV PdV rdV
= * J -^ ^^"^ + ^V d^ '^"^ + ^V d^ ^''^ + '^'•'
worin cZoi, dco^, da-, etc. Oberflächenelemente der Körper 6\,
O2, C3 etc. sein und die verschiedenen Integrale sich auf die Ober-
flächen der einzelnen Körper beziehen sollen.
Nun ist, wie im vorigen Paragraphen, an allen Oberflächen,
gemäss der Gleichung (11), zu setzen:
7^ — = — 4:7ch und - — = — 4 na,
on an
worin li und !^ die Flächendichtigkeiten bei den beiden Ladungen
bedeuten sollen. Es kommt also:
Viffjdcoi^ -\- V<if'^dG}^ -f V^ff)dG)3 -\-. etc.
= SSi y /^ c? cöi -|- 9S2 y ^ «^^ ^2 -\- '^■i J h d ('^ä -\- etc.
Die hierin noch vorkommenden Integrale sind aber nichts weiter,
als die auf den einzelnen Körpern befindlichen Electricitätsmen-
gen, und wir erhalten somit die zu beweisende Gleichung
FiDi-f- F^Q^-f F3Q3+ etc. = ^, Q,^^, Q^-^-^z Q^^ etc.
Diese Gleichung lässt sich unter gewissen, oft stattfindenden
Umständen noch sehr vereinfachen. Betrachten wir die Glieder,
welche sich auf irgend einen der gegebenen Körper, der C^ heisse,
beziehen, nämlich die beiden Producte
FOe-und %Qi,
so werden diese in zwei Fällen Null, so dass sie aus der Gleichung
fortgelassen werden können. Wenn der Körper mit der Erde in
leitender Verbindung steht, so bleibt sein Potentialniveau bei jeder
Ladung des Systemes Null, und wir haben also für diesen Fall zu
setzen :
K- = % = 0,
wodurch die obigen Producte verschwinden. Wenn ferner der Kör-
3*
36 Abschnitt 1.
per isolirt und ursprünglich unelectrisch ist, und bei der Ladung
keine Electricität von Aussen erhält, sondern nur durch Influenz
eine ungleiche Vertheilung seiner eigenen Electricität erleidet, so
wird seine Oberfläche theils positiv, theils negativ electrisch, in
der Weise, dass die ganze auf der Oberfläche befindliche Electri-
citätsmenge Null bleibt. Wir haben dann also zu setzen:
Q, = Q, =: 0,
wodurch wiederum die obigen Producte verschwinden. Demge-
mäss kann folgende Kegel aufgestellt werden. Solche Körper, die
bei beiden Ladungen mit der Erde in leitender Verbindung ste-
hen, oder die isolirt und ursprünglich unelectrisch sind, und bei
den Ladungen keine Electricität empfangen, können bei der Auf-
stellung der Gleichung (3.5) ganz unberücksichtigt bleiben.
Es möge nun als specieller Fall angenommen werden, dass
bei allen gegebenen Körpern, mit Ausnahme von Ci und C.2 , einer
der beiden genannten Umstände stattfinde. Dann reducirt sich
die Gleichung auf:
(37) Fl Ol + F2Q2 = SSi Q, + ^, Q,.
Wenn wir diese Gleichung noch weiter dadurch vereinfachen, dass
wir auch über das Verhalten der Körper Ci und O2 noch beson-
dere Annahmen machen , so gelangen wir zu den oben erwähnten
ßeciprocitätssätzen.
Zunächst wollen wir uns denken, bei der ersten Ladung werde
Ol bis zum Potentialniveau K geladen , während O2 mit der Erde
in leitender Verbindung stehe und durch Influenz aus der Erde
die Electricitätsmenge Q2 erhalte; bei der zweiten Ladung werde
C2 bis zum Potentialniveau K geladen, während 6\ mit der Erde
in leitender Verbindung stehe, und durch Influenz die Electricitäts-
menge Qi erhalte. Dann haben wir zu setzen:
F2 = S5i = 0; Fi=3S2 = ^,
wodurch (37) übergeht in :
oder:
(38) Ol = Q2.
Also die Electricitätsmenge, welche bei der Ladung von Ci bis zu
einem gewissen Potentialniveau durch Influenz auf Cg angesam-
melt wird, und diejenige, welche bei der Ladung von C^ bis zu
Mathematische Einleitung. 37
demselben Potentialniveau durch Influenz auf Ci angesammelt wird,
sind unter einander gleich.
Ferner wollen wir beide Körper als isolirt und ursprüng-
lich unelectrisch voraussetzen, und annehmen, bei der ersten La-
dung erhalte nur der Körper Cj die Electricitätsmenge /i", durch
deren Influenz in C2 das Potentialniveau V2 entstehe, und bei der
zweiten Ladung erhalte nur der Körper C2 die Electricitätsmenge
jEJ, durch deren Influenz in Ci das Potentialniveau 23i entstehe.
In diesem Falle haben wir zu setzen:
^, =:Q, = 0; Q,=.ri., = E,
wodurch (37) übergeht in:
oder:
(39) r, = ^,.
Also das Potentialniveau, welches bei der Ladung von Ci mit einer
gewissen Electricitätsmenge durch Influenz in C2 entsteht, und
dasjenige, welches bei der Ladung von C.2 mit derselben Electri-
citätsmenge durch Influenz in Ci entsteht, sind unter einander
gleich.
Denken wir uns noch specieller die beiden Körper auf Puncte
reducirt, setzen ferner E ==^1 und nehmen endlich von den übrigen
ausser d und C^ noch vorhandenen leitenden Körpern an, dass sie
mit der Erde in leitender Verbindung stehen, so erhalten wir als
speciellen Fall der vorigen Gleichung die entsprechende Gleichung
für die Green 'sehe Function. Bezeichnen wir nämlich die
Green' sehe Function für die beiden Fälle, wo sich die Electri-
citätseinheit im ersten oder zweiten Puncte befindet, mit u und u,
und ferner den Abstand irgend eines Punctes x, ^, z vom ersten
und zweiten Puncte mit r und r, so haben wir zu setzen:
und dadurch geht die vorige Gleichung über in
,1 ,1
Nun sind aber r.i und ti unter einander gleich, indem r.2 den Ab-
stand des zweiten Punctes vom ersten und ti den Abstand des er-
sten Punctes vom zweiten bedeutet, und somit reducirt sich die
Gleichung auf
38 Abschnitt I.
(40) % = Uli
d. h. wenn man von zwei gegebenen Puncten das eine Mal im ersten
die Electricitätseinheit annimmt und ina zweiten die Green'sche
Function betrachtet, und das andere Mal im zweiten die Electri-
citätseinheit annimmt und im ersten die Green'sche Function
betrachtet, so erhält man gleiche Werthe.
Ausser den hier beispielsweise aus der Gleichung (35) gezo-
genen Schlüssen, welche zwei sehr einfache specielle Fälle betref-
fen, lassen sich natürlich noch viele andere ähnliche Schlüsse aus
derselben ziehen.
ABSCHNITT IL
Gleichungen für Leidener Flaschen.
§. 1. Betrachtung zweier einander sehr nahe gegenüber-
liegender Oberflächenpuncte von leitenden Körpern.
Nach den vorstehenden allgemeinen Betrachtungen wenden
wir uns nun zur speciellen Betrachtung einer für die Electricitäts-
lehre sehr wichtigen Gruppe von Apparaten, nämlich des Conden-
sators, der Franklin 'sehen Tafel und der Leidener Flasche.
Dabei wollen wir die bei diesen Apparaten vorkommende isoli-
rende Zwischenschicht vorläufig einfach als einen vollkommenen
Isolator ansehen, welcher bei der Ladung des Apparates keine
innere Veränderung erleidet, indem wir uns die Betrachtung der
im Inneren von Isolatoren vorkommenden electrischen Verände-
rungen und ihres nach Aussen hin ausgeübten Einflusses für den
nächsten Abschnitt vorbehalten.
Zunächst mögen statt eines der genannten Apparate nur
irgend zwei leitende Körper d und Cj gegeben sein, deren Ober-
flächen sich an einer Stelle sehr nahe gegenüberliegen. Die Ober-
flächen sollen an dieser Stelle einander parallel sein, so dass die
auf der einen errichtete Normale auch auf der anderen normal ist.
Die Länge des zwischen den beiden Oberflächen Kegenden Stückes
der gemeinsamen Normale, also den Abstand der Flächen, wollen
wir mit c bezeichnen und als sehr klein voraussetzen.
Es möge nun die Potentialfunction im Körper Ci den Werth
Fl und im Körper C2 den Werth F^ haben, während sie zwischen
beiden Körpern veränderlich ist, und hier einfach mit F bezeich-
40 Abschnitt II.
net werde. Um sie hier für einen beliebigen Punct auszudrücken,
wählen wir den an der Oberfläche des Körpers C^ gegebenen Punct
zum Anfangspuncte eines rechtwinkligen Coordinatensystemes, des-
sen ^-Axe die in dem Puncte errichtete Normale (und zwar nach
Aussen hin als positiv gerechnet), und dessen x- und ^-Axe irgend
zwei in der Tangentialebene gelegene auf einander senkrechte
Gerade seien. Da der zum Anfangspuncte gewählte Punct noch
zum Körper Cx gehört, so hat die Potentialfunction in ihm den
Werth Fl. Gehen wir aber von ihm aus in der Kichtung der
^-Axe vorwärts, so ändert sich die Potentialfunction, und nach
dem Tailor' sehen Lehrsatze können wir für einen um die Strecke
z vom Körper G^ entfernten Punct schreiben:
worin der an die Differentialcoefficienten gesetzte Index 1 andeu-
ten soll, dass es sich um die dicht am Körper G^ geltenden Werthe
der Differentialcoefficienten handelt. Wenden wir diese Gleichung
auf den Punct an, wo die ^-Axe den anderen Körper G^ trifft, so
ist in diesem Puncte ^ = c, und die Potentialfunction hat hier
den Werth F2, woraus folgt, dass zu setzen ist:
Die ersten beiden hierin an der rechten Seite stehenden Diffe-
rentialcoefficienten kann man auf Einen reduciren , wenn man die
für den ganzen zwischen den beiden Körpern liegenden Raum gel-
tende Gleichung
in Anwendung bringt.
Man denke sich, dass man von dem in der Oberfläche des
Körpers Ci liegenden Anfangspuncte der Coordinaten aus in der
a;^- Ebene nach einem anderen ausserhalb des Körpers oder in
dessen Oberfläche gelegenen unendlich nahen Puncte fortschreite,
dessen Coordinaten dx und dz sein mögen. Die dadurch entste-
hende kleine Aenderung der Potentialfunction F wird durch fol-
gende Gleichung bestimmt:
,^^ dV. , dV , , d^V dx^ . d^V ^ ^ . d^V dz^
dy = -^—ax-j-^-dz-{- ^-r-^^ h ^-^ dxdz -[- ^-^--7^
ox ^ dz ' dx^ 2 ' dxdz ' oz^ 2
-\- etc.,
Gleichungen für Leidener Flaschen. 41
worin der Index 1 an den Differentialcoefficienten der Bequem-
lichkeit wegen fortgelassen ist. Nimmt man nun bestimmter an,
dieser andere Punct sei, wie der Anfangspunct der Coordinatcri,
in der Oberfläche des Körpers C\ gelegen, so hat die Potential-
function hier ebenfalls den Werth Vi und das an der linken Seite
stehende Differential d V ist somit gleich Null zu setzen. Zughjich
lässt sich für diesen Fall aus der Gestalt der Curve, in welcher die
ic^- Ebene die Oberfläche des Körpers schneidet, die Beziehung
zwischen den Differentialen dx und d^ ableiten. Da die cc-Axo
die in dem betreffenden Puncte an die Curve gelegte Tangente ist,
so erhalten wir, wenn wir den Krümmungsradius der Curve in die-
sem Puncte mit Bi bezeichnen, die Gleichung:
d^ = ip p dx^ -\- etc.,
worin das obere oder untere Zeichen zu wählen ist, jenachdem
die Curve, von der Seite der positiven 2, d. h. von der Aussenseite
des Körpers betrachtet, convex oder concav ist. Setzen wir diesen
Werth von ds; in die vorige Gleichung ein, und setzen zugleich die
linke Seite gleich Null, so kommt:
0 = ^^- dx -j- -^ { ^^ + ü- • ^— «^ + etc.
dx ' 2 \dx^ ' El dz] '
Da diese Gleichung für beliebige Werthe von dx richtig sein muss,
so folgt, dass die Coefficienten der verschiedeneu Potenzen von dx
einzeln gleich Null sein müssen, woraus sich ergiebt:
8F_ 82^_ _1_ 8F_
dx ~ ' 8a;2 '^ El dz ""
Die zweite dieser Gleichungen wollen wir in folgender J'orm
schreiben :
^ ^ 8^2 —^ El dz
Ebenso erhält man für die 2/0- Ebene, wenn die Curve, in wel-
cher diese Ebene die Oberfläche schneidet, den Krümmungsradius
Ell hat:
92 F \ dV
^ ' diß - E'i dz
Diese Werthe von :r — - und — — - in die Gleichuns; (2) eiusrc-
dx'^ dy'^ o V ; t?
setzt, giebt:
42 Abschnitt II.
,- B, - R\) ds "^0^3 "~"
oder:
^M 82F_ /_ 1 _ 1 \ aF
^^^ ö^-V + X + l^yeJ'
92 F
Indem man diesen Werth von ^r— r, welcher sich auf den au der
Oberfläche des Körpers Ci liegenden Anfangspunct der Coordina-
/82 F\
ten bezieht, in die Gleichung (1) für {■k—^) einsetzt, erhält man:
-}- etc.
Hierin kann nun noch für ( - — ) ein anderer Ausdruck ge-
setzt werden. Nach Gleichung (11) des vorigen Abschnittes ist
nämlich, wenn liy die Flächendichtigkeit der Electricität an dem
betreffenden Puncte der Oberfläche des Körpers 6\ bedeutet, zu
setzen :
(— -) = — 4;r/ii,
wodurch die Gleichung übergeht in:
V,=^V,- Mhc [i + |-(+ ;^ T ^J\ + ('^) T-^^+etc.
-R'i/J ' Vö^Vi 1-2.3
In dieser Gleichung wollen wir nun die Glieder von dritter und
höherer Ordnung in Bezug auf c vernachlässigen, und die Glei-
chung in folgender Form schreiben:
(7) Fl - Fa = 4:7rh,c
1 + I (+ BT + i?r)}
Nachdem wir dieses Resultat für den Körper Ci gewonnen
haben , wollen wir uns denken , es werde ganz dieselbe Entwicke-
lung noch einmal gemacht, nur mit dem Unterschiede, dass wir
von der Oberfläche des Körpers C2 ausgehen, und in der Normale
bis zur Oberfläche des Körpers Ci fortschreiten. Die dadurch ent-
stehende Gleichung können wir sofort aus der vorigen ableiten,
wenn wir die Differenz Fi — V^ mit Fg — Fi vertauschen , fer-
ner für hl das Zeichen J)^ einführen , welches die electrische Dich-
tigkeit an dem betreffenden Puncte der Oberfläche des Körpers
O2 bedeuten soll, und ebenso für Ri und R\ die Zeichen R2 und
(9)
Gleichungen für Leidener Flaschen. 43
B'^ setzen, welche die Krümmungsradien der zweiten Fläche dar-
stellen sollen. Es kommt also:
(8) F,_F, = 4.Ä,.[l+|(Ti + ^)].
Die Gleichungen (7) und (8) können unter entsprechender
Vernachlässigung der Glieder höherer Ordnungen auch in folgende
Form gebracht werden:
Hieraus ergiebt sich für die electrische Dichtigkeit an jedem der
beiden einander gegenüberliegenden Puncte das eigenthümliche
Resultat, dass sie, soweit sie durch das erste und bedeutendste
Glied der Formel ausgedrückt wird, nur von der zwischen beiden
Körpern stattfindenden Potentialniveaudiiferenz und von ihrem Ab-
stände abhängt, und für beide Körper gleich und entgegengesetzt
ist. Das zweite Glied ist für beide Körper verschieden, hängt aber
bei gegebener Potentialniveaudifferenz für jeden Körper nur von
seinen eigenen Krümmungsradien ab. Sollten die Oberflächen an
den betreffenden Stellen so gestaltet sein, dass man hätte:
- + -V = — + A-,
so würden auch die zweiten Glieder beider Formeln gleich und
entgegengesetzt sein , und der Unterschied zwischen }^ und — lii
könnte dann nur noch durch Glieder von höheren Ordnungen aus-
gedrückt sein.
§. 2. Anwendung der Gleichungen auf den Condensator,
die Franklin'sche Tafel und die Leidener Flasche.
Die vorstehenden Gleichungen können wir nun sofort auf die
beiden Platten eines Condensators und die beiden Belegungen
einer Franklin'schen Tafel anwenden, und da bei diesen die ein-
ander gegenüberliegenden Flächen der beiden Platten oder Bele-
gungen in ihrer ganzen Ausdehnung parallel sind, so gelten die
Gleichungen nicht bloss für ein bestimmtes Paar von gegenüber-
liegenden Puncten, sondern für die ganzen Flächen. Nur die Stel-
44 Absclmitt II.
len , welche so nahe am Rande liegen , dass die Entfernimg vom
Rande eine Grösse von derselben Ordnung wie c ist, sind auszu-
nehmen, weil hier die höheren Differentialcoefficienten so gross
werden, dass die in den Gleichungen fortgelassenen Glieder nicht
mehr vernachlässigt werden dürfen.
Was ferner die Leidener Flaschen anbetrifft, so pflegen bei
diesen die einander gegenüberliegenden Flächen der beiden Be-
legungen, d. h. die Grenzflächen des Glases, zwar angenähert aber
nicht genau parallel zu sein, und dadurch tritt eine Abweichung
ein. Wenn man nämlich in einem Puncte der einen Fläche eine
Normale errichtet und von demselben Puncte aus auch auf die
andere Fläche eine Normale fällt, so fallen diese beiden Normalen
nicht genau zusammen, und die auf ihnen gemessenen Abstände
der beiden Flächen sind daher nicht genau gleich. Der zwischen
ihnen stattfindende Längenunterschied kann indessen bei kleinen
Abweichungen vom Parallelismus nur sehr unbedeutend sein.
Setzen wir voraus , die Abweichung vom Parallelismus , also der
Winkel zwischen den beiden Normalen, sei nur eine Grösse von
derselben Ordnung wie c (wobei wir uns c nach einer den Dimen-
sionen der Belegungen entsprechenden Längeneinheit gemessen
denken) , so lässt sich leicht ersehen , dass der Unterschied zwi-
schen den auf den beiden Normalen gemessenen Abständen so ge-
ring sein muss, dass man, nachdem der eine mit c bezeichnet ist,
den anderen durch einen Ausdruck von der Form c -)- mc^ dar-
stellen kann. Der Unterschied ist also eine Grösse von dritter
Ordnung in Bezug auf c, und kann somit in unseren Gleichungen,
die nur bis zur zweiten Ordnung richtig sein sollen, vernachlässigt
werden. Demnach können wir unter der gemachten Voraussetzung
die Gleichungen des vorigen Paragraphen auch auf Leidener Fla-
schen anwenden.
Betrachten wir nun die Gleichungen (9), so treten in densel-
ben für die in Rede stehenden Apparate noch gewisse Verein-
fachungen in Bezug auf das Glied ein , welches die Krümmungs-
radien enthält. Bei dem Condensator und der Franklin 'sehen
Tafel sind die Flächen eben, also die Krümmungsradien unendlich
gross, und dadurch wird das Glied Null. Bei der Leidener Flasche
haben die Krümmungsradien zwar endliche Werthe, aber es fin-
det zwischen ihnen eine gewisse Beziehung statt, weil die Flächen
parallel oder wenigstens nahe parallel sind. Bei parallelen Flä-
chen sind die Längen der zusammengehörigen Krümmungsradien
Gleicliune:en für Leidener Flaschen. 45
'b
nur um den Aljstancl c von einander verscliieden , und wenn die
Flächen zwar nicht ganz parallel sind, aber nur um eine Grösse
von der Ordnung c vom Parallelismus abweichen, so können auch
in diesem Falle die Längen der Krümmungsradien nur um eine
Grösse von der Ordnung c von einander verschieden sein. Da nun
das Glied, welches die Krümmungsradien enthält, das höchste in
den Gleichungen noch berücksichtigte ist, so kann in ihm ein
Unterschied, welcher im Verhältnisse zu seiner Grösse wieder nur
von der Ordnung c ist, vernachlässigt werden. Dem Vorzeichen
nach aber sind die Krümmungsradien beider Flächen entgegen-
gesetzt, denn die Curven, in welchen eine Normalebene die beiden
Flächen schneidet, verhalten sich insofern entgegengesetzt, als die
eine nach Aussen convex und die andere concav ist. Wir können
also, wenn wir die Krümmungsradien der ersten Fläche, unter
Fortlassung des Index, mit E und R' bezeichnen, die der zweiten
durch — B und — PJ darstellen. Die Gleichungen (9) gehen da-
her über in:
(10)
/, = ''. - ''^
ho =
4:JtC
und hieraus ergiebt sich weiter:
(11) /,^==_;,^ |^l_^c(+l.q:i-^j.
Eine noch grössere Uebereinstimmung , als zwischen den
Grössen ^ und — 7^l, findet zwischen zwei anderen damit zu-
sammenhängenden Grössen statt. Wir wollen auf der ersten Fläche
ein Element d coi betrachten. Am Umfange desselben wollen wir
uns unendlich viele Normalen auf der Fläche errichtet denken, die
auf der zweiten Fläche ein Element abgrenzen, welches wir als das
entsprechende ansehen und mit dG)2 bezeichnen wollen. Die auf
diesen beiden Elementen befindlichen Electricitätsmengen sind
hidcoi und h^da^. Nun ergiebt sich aber aus einfachen geometri-
schen Betrachtungen, dass die beiden Flächenelemente, unter Ver-
nachlässigung von Gliedern höherer Ordnungen , in folgender Be-
ziehung zu einander stehen:
(12) da>,r^dco,\v-^c{±^±^y\^.
46 Abschnitt IL
Wenn man nun die Gleichungen (11) und (12) mit einander mul-
tijjlicirt., so verschwindet das mit dem Factor c behaftete Glied, und
wenn man das mit dem Factor c^ behaftete Glied fortlässt, so
kommt :
(13) Ji^ida^, = — liydoii
d. h. die Electricitätsm engen, welche sich auf zwei entsprechenden
Flächenelementen befinden, sind, abgesehen vom Vorzeichen, ein-
ander so nahe gleich, dass die Abweichung im Verhältnisse zum
ganzen Werthe nur eine Grösse von der Ordnung c^ ist.
Dasselbe, was hier von zwei entsprechenden Flächenelementen
gesagt ist, muss natürlich auch von endlichen Flächenstücken gel-
ten, welche so begrenzt sind, dass die an der einen Grenzlinie auf
der Fläche errichteten Normalen sämmtlich die andere Grenzlinie
treffen. Auch auf diesen endlichen Flächenstücken müssen die
Electricitätsmengen einander so nahe gleich sein, dass die Abwei-
chung im Verhältnisse zur ganzen Menge nur von zweiter Ord-
nung in Bezug auf c ist.
§. 3. Vervollständigungen, welche in den vorigen Glei-
chungen noch nöthig sind.
Die im vorigen Paragraphen mitgetheilten Gleichungen hat
Green für den Condensator, die Franklin 'sehe Tafel und die
Leidener Flasche abgeleitet, und sie bilden die Grundlage der auf
diese Apparate bezüglichen Theorie. Bei näherer Betrachtung
findet man aber, dass sie noch nicht alles enthalten, was bei die-
sen Apparaten zu berücksichtigen ist.
Wir wollen im Folgenden der Kürze wegen immer von der
Leidener Flasche sprechen, weil das, was von dieser gilt, auch auf
die Franklin'sche Tafel und den Condensator Anwendung findet,
und sogar, wenn man bei den letzteren die beiden Metallplatten
als eben, parallel, gleich und einander genau senkrecht gegenüber-
stehend voraussetzt, noch einfacher wird.
Es handelt sich bei der mathematischen Betrachtung dieser
Apparate vorzugsweise darum, wenn die Potentialniveaux der bei-
den Belegungen (d. h. die auf den Belegungen stattfindenden Werthe
der Potentialfunction) gegeben sind , dann die auf ihnen befind-
lichen Electricitätsmengen zu bestimmen, oder, allgemeiner ausge-
drückt, die Gleichungen, welche zwischen den beiden Potential-
Grieicilungen für Leidener Flaschen. 47
niveaux und den beiden Electricitätsmengen stattfinden, aufzu-
stellen.
Die Green' sehen Gleichungen (10) geben uns die electri-
schen Dichtigkeiten hi und h^ auf den beiden einander zugewand-
ten Flächen der Belegungen, und wenn man unter Anwendung
dieser Werthe die Producte hidcoy und h^do^ bildet, worin rfw,
und dci.2 Elemente der beiden Flächen bedeuten, und dann die
Differentialausdrücke über endliche Flächenstücke integrirt, so er-
hält man die auf diesen Flächenstücken befindlichen Electricitäts-
mengen. Nun ist aber zu bemerken, dass die Gleichungen (lOj
doch nicht ganz allgemein gültig sind. Zunächst ist aus der Art
der Ableitung dieser Gleichungen klar, dass sie, weil in ihnen Glie-
der höherer Ordnungen in Bezug auf c vernachlässigt wurden, nur
dann anwendbar sind , wenn der Abstand der Flächen an der be-
trachteten Stelle gegen die Dimensionen der Belegungen klein ist.
Im vorliegenden Falle kommt aber noch ein anderer Umstand in
Betracht. Die Belegungen einer Leidener Flasche sind dünne
Metallblätter, die von scharfen Rändern begrenzt sind. An einem
solchen Rande tritt nun in Bezug auf die Electricität ein eigen-
thümliches Verhalten ein, indem sich bei gleichem Werthe der
Potentialfunction am Rande die Electricität viel stärker anhäuft, als
an den vom Rande entfernten Flächentheilen. Man darf daher die
Gleichungen nur auf diejenigen Partien der einander zugewandten
Flächen der Belegungen anwenden, welche von den Rändern der
Belegungen so weit entfernt sind, dass man die Entfernung vom
Rande gegen den Abstand der Belegungen von einander, oder, me
wir bei Leidener Flaschen etwas kürzer sagen können, gegen die
Glasdicke als gross betrachten kann. Auf diesen Partien ist, sofern
die Glasdicke als constant vorausgesetzt wird, auch die electrische
Dichtigkeit als sehr nahe constant zu betrachten. In der Nähe
der Ränder aber hat die electrische Dichtigkeit andere, und zwar
grössere Werthe.
Man sieht hieraus, dass die Integrale, welche man erhält,
wenn man für \ und h<i einfach die Werthe (10) anwendet, und
damit die Integrationen über die ganzen Flächen der Belegungen
ausführt, mit einer üngenauigkeit behaftet sein müssen, deren
Grösse von der Grösse, Gestalt und Lage der Ränder abhängt.
Ausserdem ist noch zu bemerken, dass man bei den Integrationen
über die Flächen der Belegungen stillschweigend vorauszusetzen
pflegt, dass beide Belegungen genau gleich weit reichen, so dass
48 Abschnitt 11.
ihre Ränder sich senkrecht gegenüberstehen. In der Wirklichkeit
aber ist dieses nicht immer genau erfüllt, und es kann auch die-
ser Umstand einen, wenn auch in der Regel nur geringen Einiluss
auf das Resultat haben.
Eine andere wesentliche Vernachlässigung besteht darin, dass
Green nur diejenigen Electricitätsmengen betrachtet, welche sich
auf den einander zugewandten Flächen der beiden Belegungen be-
finden, auf die Electricitätsmengen dagegen , welche sich auf den
von einander abgewandten Flächen befinden , keine Rücksicht
nimmt. Diese letzteren Electricitätsmengen sind zwar bei der ge-
wöhnlichen Art der Ladung viel kleiner, als die ersteren, indessen
sind sie doch bei manchen Betraclitungen von Bedeutung, weil
vorzugsweise sie es sind , welche die Verschiedenheit der auf den
beiden Belegungen befindlichen Electricitätsmengen verursachen.
Man muss demnach zu den aus den Green' sehen Gleichungen
sich ergebenden Grössen noch ergänzende, auf die erwähnten Um-
stände bezügliche Grössen hinzufügen , Avenn man die auf den Be-
legungen befindlichen Electricitätsmengen genau darstellen will.
§. 4. Behandlung einfacher specieller Fälle.
Um die Anschauung zu erleichtern, wollen wir, bevor wir zur
Aufstellung allgemeiner Gleichungen für beliebig gestaltete Lei-
dener Flaschen schreiten, einige specielle Formen, welche sich be-
sonders leicht behandeln lassen, zur Betrachtung auswählen.
Als erste Form wählen wir eine solche, die zwar in der Wirk-
lichkeit nicht vorkommen kann, die aber doch, wenn man sie sich
als existirend denkt, im Wesentlichen unter denselben Gesetzen
stehen muss, wie die gewöhnlichen Flaschen, und zu sehr ein-
fachen Resultaten führt. Als Glasgefäss soll nämlich eine ganä
geschlossene HoMkugel von überall gleicher Glasdicke dienen
und diese soll auf ihrer ganzen inneren und äusseren Fläche mit
Stanniol belegt sein. Auf der inneren Belegung befinde sich die
auf irgend eine Weise dorthin gelangte Electricitätsmenge M und
auf der äusseren Belegung die Electricitätsmenge N. Es fragt
sich, welche Werthe dann die Potentialfunction auf den beiden
Belegungen hat.
Jede der beiden Belegungen hat zwei kugelförmige Grenz-
flächen, welche wir die innere und äussere Grenzfläche nennen
Gleichungen für Leidener Flaschen. 49
wollen, und da im Inneren eines leitenden Körpers keine getrennte
Electricität vorhanden sein kann, so können die El ectricitätsm en-
gen 31 und N nur auf diesen Grenzflächen gelagert sein. Wir
wollen die einzelnen auf den vier Hächen befindlichen Electricitäts-
mengen, von der innersten an, der Reihe nach mit Mi^, Mi^ Ni
und iVg bezeichnen, so dass zu setzen ist:
(14) Mi-\-M, = M; N,-\-N, = N.
Von diesen vier Electricitätsmengen ist sofort ersichtlich, dass sie,
sofern nicht noch fremde electrische Kräfte mitwirken, gleich-
massig über die betreffenden Flächen verbreitet sein müssen, und
man kann also für jede derselben die Gleichungen anwenden,
welche für eine gleichmässig über eine Kugelfläche verbreitete
Electricitätsmenge gelten, und welche hier nur kurz angeführt
werden sollen i).
In dem von einer gleichmässig mit Electricität belegten Kugel-
Üäche eingeschlossenen Hohlräume ist die Potentialfunction con-
stant und es gilt, wenn der Radius der Kugelfläche mit r, die
Flächendichtigkeit der Electricität mit Ji und die innere Potential-
function mit Vi bezeichnet wird, die Gleichung :
(15) Vi = 4:7thr.
Da nun der Flächeninhalt der Kugelüäche durch 4:7t r- dargestellt
wird, so drückt das Product 4:7tr^h die ganze auf der Kugelfläche
befindliche Electricitätsmenge aus, und wir können daher, wenn
wir diese Electricitätsmenge mit Q bezeichnen, schreiben:
(15 a) Vi=-^-
r -
Ausserhalb der Kugelfläche ist die Potentialfunction, welche hier
mit Ve bezeichnet werden möge, veränderlich, und zwar ist, wenn
l den Abstand des betrachteten Punctes vom Mittelpuncte bedeu-
tet, zu setzen:
(16) ' Ve = 4.7C]l ^-^ = -^-
Diese Gleichungen wenden wir nun auf die oben genannten
vier Kugelflächen an. Um ihre Radien ausdrücken zu können, be-
zeichnen wir den Radius der inneren Grenzfläche der Glaskugel
mit a, die Dicke des Glases mit c und die Dicken der beiden Be-
^) Siehe mein Buch über die Potentialfunctiou S. 26.
Ol aus ins, mech. Wärmetheorie. 11. 4
50 Absclinitt II.
legungen mit ß und y, dann sind die Radien der einzelnen Flä-
chen von der innersten an: a — ß, a, a -{- c und a -}- c -{- y.
Betrachten wir nun irgend einen Punct innerhalb der inneren
Belegung, dessen Abstand vom Mittelpuncte l heissen möge, so
liegt dieser Punct in Bezug auf die innere Grenzfläche der inne-
ren Belegung im äusseren Baume und in Bezug auf die drei ande-
ren Kugelflächen im inneren Räume. Wir haben daher für die
Electricitätsmenge Jfi die Gleichung (16) und für die Electricitäts-
mengen M^, N^ und N2 die Gleichung (15 a), unter Einsetzung
der betrefi'enden Radien für r, anzuwenden. Bezeichnen wir also
die ganze Potentialfunction in der inneren Belegung mit F, so
kommt :
l "^ a '^ a -\- c ^ a -\- c -^ y
Betrachten wir ferner einen Punct innerhalb der äusseren Bele-
gung, dessen Abstand vom Mittelpuncte wieder l heissen möge, so
liegt dieser Punct in Bezug auf die äussere Grenzfläche der äusse-
ren Belegung im inneren Räume und in Bezug auf die drei ande-
ren Kugelflächen im äusseren Räume. Wir haben daher für die
Electricitätsmenge N^ die Gleichung (15 a) und für die drei Men-
gen Ml, M2 und Ni die Gleichung (16) anzuwenden, wodurch wir,
wenn wir die Potentialfunction in der äusseren Belegung mit G
bezeichnen, erhalten:
(18) e = ^ + ^^ + ^+ ^^
l ' l ' l ^ a -\- c -{- y
Innerhalb jeder Belegung muss die Potentialfunction constant,
also von l unabhängig sein. Das ist für F nur dadurch möglich,
dass
(19) Jfi = 0,
woraus, gemäss (14), weiter folgt:
(20) M2 = M.
Soll ferner G von l unabhängig sein, so muss sein :
Ml + M, + Ni = 0,
woraus, unter Berücksichtigung der beiden vorigen Gleichungen,
folgt:
(21) Ni = -M,
und mit Hülfe dieser Gleichung erhält man aus (14):
(22) N, = M^K
Gleichungen für Leidener Flaschen.
51
Durch Einsetzung dieser vier Werthe in die Gleichungen (17j
und (18) gehen diese über in:
Jf + N
(23)
F==
a(a -f- c)
M-{-
« + c + y
Löst man diese Gleichungen nach M und N auf, so erhält man :
(24)
^^ a(a -f c) ^
^) + (« + c + y) G^.
Bezeichnet man den Flächeninhalt der inneren Grenzfläche der
Glaskugel mit s, so ist s = 4:7ca^, und man kann daher die vori-
gen Gleichungen so schreiben:
s
(25)
M
4:JtC
(i + |)(f_e)
i\
= 4^0 + 7)^^-^) + ^^^ + ^ + >^)^-
F.
Steht die äussere Belegung mit der Erde in leitender Verbin-
dung, so ist zu setzen: (r = 0. Dadurch wird N z= — M und
zwischen M und F erhält man die einfache Gleichung :
(26) M=-^ (l ^ -
Ein anderer specieller Fall, welcher verhältnissmässig leicht
zu behandeln ist, ist der einer Franklin'schen Tafel mit kreis-
förmigen Belegungen. Diesen habe ich in einer im Jahre 1852 ver-
öffentlichten Abhandlung i) einer näheren Betrachtung unterwor-
fen, von deren Resultaten hier einige mitgetheilt werden mögen.
Wenn a den Radius der kreisförmigen Belegungen und c ihren gegen-
seitigen Abstand bedeutet, so lauten die betreffenden Gleichungen :
(27)
2c
an
MA- N= — (F-f G).
1) Pogg. Ann. Bd. 86, S. 161.
2) In neuester Zeit ist eine schöne Abhandlung „zur Theorie des Con-
densators" von Kirchhoff erschienen (Monatsberichte der Berliner Aca-
4*
52 Abschnitt II.
Indem wir diese Gleichungen zu einander addiren und von ein-
ander subtrahiren, und zugleich für den Flächeninhalt einer der
Belegungen, also für die Grösse jra^^ das Zeichen s einführen, er-
halten wir:
(28)
M =
Ebenso kann man auch F und G durch M und N oder überhaupt
irgend zwei der vier Grössen M, N, JP, G durch die beiden ande-
ren ausdrücken.
Für den Fall, dass eine der Belegungen, welche wir als die
zweite annehmen wollen, mit der Erde in leitender Verbindung
steht, und demgemäss G den Werth Null hat, braucht man von
den drei übrigen Grössen M, N und F nur Eine zu kennen , um
die beiden anderen zu bestimmen. So erhält man z. B. :
(29)
§. 5. Allgemeine Gleichungen für zwei beliebige
Körper.
Um die betreffenden Ausdrücke für die beiden Belegungen
einer beliebig gestalteten Leidener Flasche bilden zu können, wol-
len wir zunächst die Sache noch allgemeiner betrachten, und statt
cier Belegungen irgend zwei leitende Körper Ä und B als gegeben
demie, März 1877), in welcher für denselben Fall folgende Gleichung ge-
geben ist:
worin e die Basis der natürlichen Logarithmen bedeutet. Diese Gleichung
stimmt, wie man sieht, der Form nach mit der meinigen überein, und auch
der constante Factor — - ist von der Zahl 17'68, welche ich durch eine
Reihenentwickelung als Näherungswerth berechnet habe, nur wenig ver-
schieden.
Grleichungen für Leidener Flaschen. 53
annehmen, in deren Nähe sich noch beliebige andere leitende Kör-
per befinden dürfen, von denen wir aber voraussetzen wollen, dass
sie entweder mit der Erde in leitender Verbindung stehen , oder,
falls sie isolirt sind, keine Electricität mitgetheilt erhalten. Für
diese Körper Ä und JB wollen wir gewisse allgemeine Gleichungen
ableiten , welche sich auf ihre gegenseitige Influenz beziehen , und
welche wir dann auf die beiden Belegungen der Leidener Flasche
anwenden können.
Zunächst möge der Körper Ä mit der Erde in leitende Ver-
bindung gesetzt und B isolirt werden, und unter diesen Umstän-
den lade man B bis zum Potentialniveau — K mit Electricität.
Auf dem Körper Ä , dessen Potentialniveau wegen seiner Verbin-
dung mit der Erde Null bleiben muss , wird dann durch Influenz
eine gewisse Electricitätsmenge angesammelt, welche jedenfalls der
Grösse jK" proportional ist, und welche wir daher jetzt mit aK be-
zeichnen wollen. Die gleichzeitig auf B befindliche Electricitäts-
menge, welche auch der Grösse K proportional und von entgegen-
gesetztem Vorzeichen sein muss, wollen wir durch — hK darstel-
len. Die in diesen beiden Ausdrücken vorkommenden Factoren a
und h sind zwei positive Constante, welche von der Grösse und
Gestalt der Körper A und B und von ihrer Lage zu einander und
zu den übrigen im Bereiche der Influenz befindlichen leitenden
Körpern abhängen.
Nachdem diese Ladung geschehen ist, denke man sich die
leitende Verbindung zwischen dem Körper A und der Erde unter-
brochen, so dass nun beide Körper A und B isolirt sind. Unter
diesen Umständen theile man beiden Körpern soviel gleichartige
Electricität mit, dass sich auf beiden das Potentialniveau um den
Betrag K' ändere. Die dazu nöthigen Electricitätsmengen sind
dieselben, wie die, welche man anwenden müsste; wenn die beiden
isolirten Körper anfangs unelectrisch wären, und man sie dann
auf das gleiche Potentialniveau K' bringen wollte. Da diese Elec-
tricitätsmengen dem Potentialniveau K' proportional sein müssen,
so wollen wir sie mit aK' und ßK' bezeichnen, worin a und ß
wieder zwei positive von der Grösse, Gestalt und Lage der Körper
abhängige Constante sind.
Die durch diese beiden auf einander folgenden Operationen
entstandenen Zustände der beiden Körper lassen sich folgender»
maassen ausdrücken:
54 Absclinitt IL
Potentialniveau : K'
\ Electricitätsmenge : aK -\- aK'
„.. j. { Potentialniveau: — K -\- K'
1 Electricitätsmenge: — bK -\- ßK'
Nehmen wir nun als speciellen Fall an, es sei:
- K-^K' = 0
und somit:
K' = K,
so sind die Zustände , welche die Körper nach den beiden Opera-
tionen haben , dieselben , wie die , welche sie angenommen haben
würden, wenn einfach der Körper JB mit der Erde in leitende Ver-
bindung gesetzt und dadurch auf dem Potentialniveau Null erhal-
ten wäre, während man den Körper Ä isolirt und bis zum Poten-
tialniveau K mit Electricität geladen hätte. Die unter diesen Um-
ständen auf B durch Influenz angesammelte Electricitätsmenge
muss nach Gleichung (38) des vorigen Abschnittes, welche sich
auf zwei Ladungen bis zum Potentialniveau Ä" bezieht, der mit aK
bezeichneten Electricitätsmenge, welche der Körper Ä aufnimmt,
wenn er mit der Erde verbunden ist, während B bis zum Poten-
tialniveau — K geladen wird, gleich und entgegengesetzt sein.
Wir können also , wenn wir in dem Ausdrucke der auf B befind-
lichen Electricitätsmenge die Grösse K' durch K ersetzen, fol-
gende Gleichung bilden:
-bK-{- ßK = - aK,
woraus folgt:
b = a^ ß.
Hierdurch ist eine der vier oben eingeführten Constanten be-
stimmt, und wir können nun wieder zu dem allgemeineren Falle,
wo K' nicht gleich K zu sein braucht , zurückkehren, und in den
Ausdrücken, welche die Zustände der beiden Körper darstellen, für
b den gefundenen Werth einsetzen. Dadurch erhalten wir :
Potentialniveau: K'
[ Electricitätsmenge : aK -{- aK'
j^.. T3 I Potentialniveau: — K -{- K
orper | Electricitätsmenge: — aK -{- ß{—K-\-K').
Das in diesen Ausdrücken enthaltene Ergebniss der vorste-
henden Betrachtung wollen wir nun noch in etwas bequemere
Form bringen. Anstatt die auf die beiden einzelnen Operationen
Gleichungen für Leidener Flaschen. 55
bezüglichen Potentialniveaux in den Formeln zu behalten, wollen
wir die schliesslich stattfindenden Potentialniveaux der beiden Kör-
per durch einfache Buchstaben darstellen. Das schhesshche Po-
tentialniveau des Körpers Ä möge mit JP, und dasjenige des Kör-
pers B mit G bezeichnet werden. Dann haben wir zu setzen:
K' = F
- K -\- K' = G
und somit:
K =F — G.
Ferner wollen wir die schliesslich auf den beiden Körpern befind-
lichen Electricitätsmengen mit M und N bezeichnen. Dann kön-
nen wir dem Vorigen nach folgende zwei Gleichungen bilden, welche
für jede zwei unter gegenseitiger Influenz stehende leitende Kör-
per gelten, wenn alle anderen im Bereiche der Influenz befind-
lichen leitenden Körper mit der Erde in leitender Verbindung ste-
hen, oder, falls sie isolirt sind, keine Electricität raitgetheilt er-
halten :
{M=a{F - G) + aF
^ ^ [N = a(G — F)-{- ßG.
§. &. Bestimmung des Coefficienten a für Leidener
Flaschen.
Wenn wir diese Gleichungen auf die beiden Belegungen einer
Leidener Flasche anwenden , so können wir die Grössen a , a und
ß näher bestimmen. Wir wollen dabei die innere Belegung der
Flasche als den Körper Ä und die äussere Belegung als den Kör-
per B betrachten.
Zunächst möge angenommen werden , dass die äussere Bele-
gung bis zum Potentialniveau G geladen sei, während die innere
Belegung mit der Erde in Verbindung stehe. Die unter diesen
Umständen auf der inneren Belegung befindliche Electricitätsmenge
kann man durch die erste der Gleichungen (30) ausdrücken, wenn
man darin F = 0 setzt, also :
(31) M=-aG.
Ausserdem kann man in diesem Falle die Electricitätsmenge M
auch durch directe Betrachtungen bis a\if einen gewissen Grad
von Genauigkeit bestimmen.
56 Abschnitt II.
Da sich, nämlich auf der inneren Belegung, welche mit der
Erde leitend verbunden ist, nur so viel Electricität befindet, wie
durch die Anziehung derjenigen Electricität, mit welcher die
äussere Belegung geladen ist, festgehalten wird, so kann man
schliessen , dass die auf der inneren Belegung befindliche Electri-
cität ganz auf der der äusseren Belegung zugewandten Fläche der
inneren Belegung gelagert ist. Zur Bestimmung der Dichtigkeit
der Electricität auf dieser Fläche kann man die erste der Glei-
chungen (10) anwenden, wenn man darin V^ = G und Fi = 0
setzt. Diese Gleichung lautet dann :
Es sei nun d o ein Element der nach Aussen gewandten Fläche
der inneren Belegung oder, wie man kürzer zu sagen pflegt, ein
Flächenelement der inneren Belegung, indem man die nach Aussen
gewandte Fläche und die nach Innen gewandte Fläche einer
und derselben Belegung als gleich gross betrachtet. Mit diesem
Flächenelemente multiplicire man die vorige Gleichung an beiden
Seiten und integrire die dadurch entstehenden Differentialaus-
drücke über die ganze Fläche der inneren Belegung, wodurch fol-
gende Gleichung entsteht:
(32) /;„.. = - ii [f^ + i/(± ^ ± ^) ä.].
Von den an der rechten Seite dieser Gleichung in der ecki-
gen Klammer stehenden Integralen kann man das erste für den
Fall, dass die Glasdicke c constant jst, sofort ausführen. Sei näm-
lich mit s die Fläche der inneren Belegung bezeichnet, so ist:
(33) /^ = i..
Sollte die Glasdicke c nicht constant sein, so wollen wir einen
mittleren Werth c^ einführen, welcher durch folgende Gleichung
bestimmt sein soll:
(34) fi^^l..
Durch Einsetzung dieses Bruches für das betreffende Integral geht
die Gleichung (32) über in:
oder anders geschrieben:
Grleichungen für Leidener Flaschen. 57
(36) f^d. = _ G jA_ [, + 2^J-{+ ^ + J_) ^„].
Dieses so ausgedrückte Integral / h^ d co ist nun zwar nicht
vollkommen identisch mit der ganzen unter den genannten Um-
ständen auf der inneren Belegung befindlichen Electricitätsmengc
Jf, sondern weicht ein Wenig von derselben ab, weil in der Nähe
des Randes die electrische Dichtigkeit grösser ist, als der obige
Ausdruck von h^ angiebt. Die Abweichung kann aber nach dem,
was in §. 3 gesagt ist, nur eine solche Grösse sein, die, wenn man
sie als Bruchtheil des ganzen Integralwerthes ausdrückt, mit ab-
nehmender Glasdicke in der Weise abnimmt, dass sie mit unend-
lich klein werdender Glasdicke (vorausgesetzt dass das Glas ohne
Beeinträchtigung seines Isolationsvermögens unendlich dünn ge-
macht werden könnte) ebenfalls unendlich klein wird. Da nun
in der eckigen Klammer der vorigen Gleichung sich schon ein Glied
befindet, welches mit dem Factor c.,n behaftet ist, und daher die
Eigenschaft hat, mit der Glasdicke zugleich abzunehmen und un-
endlich klein zu werden, so können wir die vorgenannte Abwei-
chung mit diesem Gliede zusammenfassen, und wir wollen die da-
durch entstehende Grösse, welche innerhalb der Klammer zu 1
addirt werden muss, mit 8 bezeichnen. Dann können wir schreiben :
(ä«> ^=-^4^.(1 + *)-
Da nun nach Gleichung (31) für M der Ausdruck — aG ge-
setzt werden kann, so geht die vorige Gleichung über in :
— aG=-G -r^— (1 4- ö)
und wenn wir hieraus noch die Grösse — G fortheben , so erhal-
ten wir die Gleichung:
(37) „=_i-(i + a).
Hierdurch ist der Coefficient a soweit bestimmt, dass nur noch die
im Verhältnisse zu 1 kleine Grösse 8 unbestimmt gelassen ist.
58 Abschnitt II.
§. 7. Bedeutung der Coefficienten a und ß für
Leidener Flaschen.
Wir wenden uns nun zu den beiden Coefficienten a und /3, um
zu sehen, in wie weit sich diese bestimmen lassen.
Gemäss dem, was oben über diese beiden Coefficienten gesagt
ist, können wir sie für eine Leidener Flasche folgendermaassen
definiren: Wenn 'beide Belegungen der Flasche so geladen werden
sollen, dass die Potentialfundion auf ihnen den gemeinsamen Werth
1 hat, so sind die dazu nöthigen JElectricitätsmengen a und ß.
Denken wir uns, nachdem diese Ladung beider Belegungen
zu einem gemeinsamen Potentialniveau stattgefunden hat, zwischen
beiden Belegungen eine leitende Verbindung hergestellt, z. B. mit-
telst eines durch die isolirende Schicht hindurchgehenden sehr
dünnen Drahtes, so wird dadurch in der Vertheilung der Electri-
cität und im Potentialniveau keine Aenderung veranlasst werden.
Denken wir uns ferner, dass die Metallplatten, welche die Bele-
gungen bilden, einander mehr und mehr genähert werden, so dass
sie endhch zur Berührung kommen, und zusammen als eine ein-
fache Metallplatte von der Form einer der Belegungen zu betrach-
ten sind,, so wird auch dadurch das gemeinsame Potentialniveau
sich nur um eine Grösse ändern können, welche im Verhältnisse
c
zum ursprünglichen Werthe 1 von der Ordnung , — ist, d. h. von
V s
der Ordnung des Verhältnisses, in welchem der Abstand der Plat-
ten von einander zu ihren Dimensionen steht. Sollte das Poten-
tialniveau bei der Annäherung bis zur Berührung ungeändert
gleich 1 erhalten werden, so würde dazu eine kleine Aenderung
der gesammten Electricitätsmenge a -\- ß erforderlich sein, welche
Aenderung aber im Verhältnisse zum ursprünglichen Werthe eben-
c
falls nur von der Ordnung , — sein würde. Da nun aber die
Grösse cc -]- ß selbst schon gegen die Grösse a klein ist, indem
ihr Ausdruck nicht, wie derjenige von a, den Abstand c im Nen-
ner hat, so wollen wir eine Aenderung, die im Verhältnisse zum
c
ganzen Werthe von a -\- ß von der Ordnung , — ist, vernach-
y s
lässigen, und uns mit dem folgenden angenäherten Satze begnügen:
DenM man sich , dass nur Eine der beiden Belegungen vorhanden
Grleichungen für Leidener Flaschen. 59
vcäre^ so ist cc -\- ß angenähert gleich der Electricitätsmenge^ welche
man dieser einen Belegung mittheilen müsste, um sie bis zum Po-
tentialniveau 1 zu laden.
Hierdurch ist die Summe der beiden Coefficienten a und /3,
wenn auch nicht wirkhch bestimmt, so doch auf einen einfache-
ren Fall zurückgeführt, aus dem man selbst dann, wenn man die
weitere Rechnung nicht ausführt, schon eine Vorstellung von der
Art der Grösse, um die es sich handelt, gewinnen kann.
Was nun noch das Verhältniss der beiden einzelnen Coeffi-
cienten a und ß zu einander anbetrifit, so hängt dieses vorzugs-
weise davon ab , wie die Belegungen gekrümmt sind. Sind beide
Belegungen eben, wie bei einer Franklin'schen Tafel, und neh-
men wir dazu noch an, dass sie vollkommen gleich gross sind, und
dass die beiden Ränder sich überall senkrecht gegenüberstehen,
so sind die beiden Coefficienten a und ß unter einander gleich.
Für den noch specielleren Fall, dass die Belegungen kreisförmig
sind, haben oc und /3, wie man aus (28) ersieht, den gemeinsamen
a
Werth — , worin a den Radius des Kreises bedeutet. Sind die Be-
71
legungen so gekrümmt, dass die eine die andere ganz umschliesst,
so ist der auf die innere Belegung bezügliche Coefficient a gleich
Null, und der auf die äussere Belegung bezügliche Coefficient ß
hat den ganzen Werth , welcher vorher für die Summe beider be-
stimmt wurde. Für die in §. 4 behandelte Kugeltiasche hat |!3, wie
man aus den Gleichungen (25) ersieht, den Werth a -f- c -|- y,
worin a den Radius der inneren Grenzfläche der Glaskugel , c die
Dicke des Glases und y die Dicke der äusseren Belegung bedeu-
tet. Wenn endhch, wie es bei gewöhnlichen Leidener Flaschen der
Fall ist, eine Belegung die andere zwar theilweise, aber nicht voll-
ständig umschliesst, so ist aus der Vergleichung mit den beiden
vorigen Fällen leicht ersichtlich, dass der auf die innere Belegung
bezügliche Coefficient a kleiner sein muss, als der auf die äussere
Belegung bezügliche Coefficient ß.
§. 8. Bequeme Form der Gleichungen.
Wir kehren nun zu den Gleichungen (30) zurück. Für den
Coefficienten a setzen wir den in (37) gegebenen Ausdruck, worin
wir aber statt c,„ einfach c schreiben wollen, indem wir im Fol-
60
Abschnitt II.
genden unter c die durch Gleichung (34) bestimmte mittlere Glas-
dicke verstehen. Die beiden anderen Coefficienten a und ß behal-
ten wir unverändert bei. Dann lauten die für eine geladene Lei-
dener Flasche geltenden Gleichungen :
(38)
31= -^-(1 -j-ö)(F
4:710 ^ I ^ ^
G)-^aF
(39)
^=4^^^+^^^^-^^ + ^^'
Zur Abkürzung wollen wir noch setzen :
4:7CC
1 + 8'
woraus sich ergiebt, dass die neu eingeführte Grösse x vorzugs-
weise von der Glasdicke abhängt, und angenähert gleich 4:7rc ist.
Dadurch nehmen die Gleichungen folgende etwas einfachere Ge-
stalt an:
^ M = - {F — G) ^ aF
(40)
N = ^{G-F)^ßG.
Bei der Anwendung der Leidener Flaschen ist der gewöhn-
lichste Fall der, wo die äussere Belegung mit der Erde in leiten-
der Verbindung steht. In diesem Falle ist G = 0 zu setzen, und
die Gleichungen gehen dadurch über in :
(41)
^^=(7 + ^)^
N =
F.
Da es in dem zuletzt genannten Falle bequem ist , wenn man
die auf der inneren Belegung befindliche Electricitätsmenge M
mit dem auf derselben Belegung stattfindenden Werthe F der
Potentialfunction in möglichst einfacher Weise vergleichen kann,
so wollen wir neben dem griechischen Buchstaben x noch den la-
teinischen Buchstaben h einführen, dessen Bedeutung durch fol-
gende Gleichung bestimmt wird:
Gleichungen für Leidener Flaschen.
61
(42)
woraus folgt:
(43) l =
s s .
r = ¥ + "'
4:7tC
1 + u
1 + Ö +
47tc
Dadurch gehen die allgemeinen Gleichungen (40j über in:
(44)
M=~{F - G) + aG
fc
N
= (j - ^') {G-F) + ßG,
und die speciellen Gleichungen (41) , welche sich auf den Fall be-
ziehen, wo die äussere Belegung mit der Erde in leitender Ver-
bindung steht, gehen über in:
(45)
M=j^F
N
-ii
a]F.
Mit Hüh'e der unter (40) und in veränderter Form unter (43)
angeführten Gleichungen kann man, wenn von den vier Grössen
Jf, N^ F und G irgend zwei gegeben sind, die beiden anderen
bestimmen. Ebenso kann man in dem speciellen Falle, wo die
äussere Belegung mit der Erde in leitender Verbindung steht, mit
Hülfe der unter (41) und in veränderter Form unter (45) ange-
führten Gleichungen aus jeder der drei Grössen M, N und F die
beiden anderen berechnen.
ABSCHNITT III.
Behandlung dieleetrischer Medien.
§. 1, Verhalten der isolirenden Zwischenschicht.
Im vorigen Abschnitte ist die Zwischenschicht, welche die bei-
den Platten eines Condensators oder die beiden Belegungen einer
Franklin' sehen Tafel oder Leidener Flasche von einander
trennt, einfach als vollkommener Isolator betrachtet, dessen elec-
trischer Zustand sich durch die Einwirkung der auf den Platten
oder Belegungen befindlichen Electricität nicht ändert, und der
daher auch keine electrische Gegenwirkung ausüben kann. So ein-
fach ist die Sache aber in der Wirklichkeit nicht. Schon Faraday
und nach ihm Wern. Siemens haben beobachtet, dass das elec-
trische Verhalten eines Condensators bei gleichem Abstände der
Platten noch wesentlich, von der Natur des zwischen den Platten
befindlichen Isolators abhängt. Faraday hat sich daraus sogar
die Ansicht gebildet , dass die mit Electricität geladenen Platten
überhaupt nicht direct aus der Entfernung auf einander wirken,
sondern dass die Wirkung nur durch Vermittelung des dazwischen
befindlichen Stoffes stattfinden könne, und er hat einen solchen
Stoff, welcher, ohne die Electricität zu leiten, die von der Electri-
cität in die Entfernung ausgeübte Wirkung vermittelt, ein Diele c-
tricum genannt. Diesen Namen kann man auch dann beibehal-
ten, wenn man sich der Faraday 'sehen Ansicht nicht ganz an-
schliesst, sondern annimmt, dass zwar eine directe Wirkung der
Electricität in die Entfernung stattfinde , dass diese Wirkung aber
durch den dazwischen befindlichen Stoff' modificirt werde.
In neuerer Zeit haben Boltzmanni), Wüllner^) u. A. die
Kenntniss des Verhaltens der isolirenden Stoffe zur Electricität
1) Sitzungsberichte der "Wiener Academie 1873 und 1874.
2) Wiedemann's Ann. Bd. 1, S. 247 (1877).
Behandlung dielectrischer Medien. 63
durch ausgezeichnete experimentelle Untersuchungen gefördert,
und es kann nach den Resultaten dieser Untersuchungen kein
Zweifel darüber bestehen, dass die Wirkung der Electricität
durch verschiedene isolirende Stoffe hindurch mit sehr verschiede-
ner Stärke stattfindet.
Mit der Zustandsänderung , welche das bei einer Leidener
Flasche als isolirende Zwischenschicht angewandte Glas unter dem
Einflüsse der auf den Belegungen befindlichen Electricitäten erlei-
det, und wodurch es umgekehrt auch wieder auf diese Electricitä-
ten wirkt, hängt auch der Rückstand zusammen, welchen man nach
der Entladung einer Leidener Flasche beobachtet, und diese Rück-
stau dbildung, über welche besonders von R. Kohlrausch werth-
voUe messende Untersuchungen angestellt sind i), hat schon mehr-
fach zur Besprechung des Verhaltens der isolirenden Stoffe Ver-
anlassung gegeben.
Alle Untersuchungen über dieses Verhalten werden erheblich
dadurch erschwert, dass das Glas und die sonst zur Isolation an-
gewandten Stoffe keine vollkommenen Isolatoren sind. Manche
Glassorten leiten so stark, dass sie dadurch zur Verwendung für
Leidener Flaschen ganz unbrauchbar werden , indem die Electri-
cität von den Belegungen so schnell in das Glas eindringt und
sich dort ausgleicht, dass die Ladung sich in kurzer Zeit fast
vollständig verliert. Andere Glassorten leiten zwar viel weniger,
aber ganz frei von Leitung sind auch sie nicht. Diese, wenn auch
schwache Leitung und das dadurch ermöglichte Eindringen von
Electricität in den betreffenden Stoff hat Wirkungen zur Folge,
welche mit jenen anderen, dem Stoffe als Dielectricum eigen thüm-
lichen Wirkungen gleichzeitig stattfinden, und natürlich die davon
abhängigen Erscheinungen complicirter machen, so dass es sehr
schwer ist, zu unterscheiden, in wie weit die Erscheinungen von
der einen oder von der anderen Wirkung verursacht werden.
In der That sind dadurch auch sehr verschiedene Urtheile
über die betreffenden Erscheinungen veranlasst. Die Rückstand-
bildung haben manche Autoren ganz aus dem Eindringen der
Electricität in das Glas erklären wollen; besonders von Bezold,
welcher werthvoUe Untersuchungen über die Abnahme der dispo-
niblen Ladung bei Leidener Flaschen und Franklin 'sehen Ta-
1) Pogg. Ann., Bd. 91.
64 Absclmitt III.
fein angestellt hat i). Ich glaube aber nicht , class es möglich ist,
aus diesem Umstände die Rückstandbildung genügend zu erklä-
ren, wenn man nicht etwa, wie es Riemann gethan hat 2), eine
besondere zwischen dem Glase und der Electricität stattfindende
Kraft zu Hülfe nehmen will. Riemann macht in dieser Bezie-
hung die Annahme, dass die ponderablen Körper „nicht dem
electrisch Werden oder der Annahme von Spannungselectricität,
sondern dem electrisch Sein oder dem Enthalten von Spannungs-
electricität widerstreben." Eine solche Annahme scheint mir aber
zu fremdartig, um mich ihr anschliessen zu können.
Wir wollen daher im Folgenden das unvollkommene Isola-
tionsvermögen als einen Nebenumstand betrachten, welcher gleich-
zeitig mit den eigentlichen dielectrischen Wirkungen stattfinden
kann, um dessen Bestimmung es sich aber gegenwärtig nicht han-
delt. Wir wollen also von den auf diesem Umstände beruhen-
den Verlusten von Electricität ganz absehen, und nur die dielec-
trischen Wirkungen der Isolatoren ins Auge fassen.
§. 2. Mögliche Annahmen über die innere Polarisa-
tion der Isolatoren.
Um die dielectrischen Wirkungen der Isolatoren und speciell
der zwischen den beiden Belegungen befindlichen Zwischenschicht
zu erklären, scheint es nöthig, anzunehmen, dass durch die Kräfte,
welche die auf den Belegungen befindlichen Electricitäten auf das
Innere der Zwischenschicht ausüben, in dieser ein polarer Zustand
hervorgerufen wird, der dann wieder auf die Belegungen zurück-
wirken kann. Die Entstehung dieser Polarität kann man sich aber
noch in verschiedenen Weisen vorstellen.
Erstens kann man sich denken, dass das Glas, während es im
Ganzen ein Nichtleiter sei, doch kleine Körperchen enthalte, welche
etwas leitend seien. In diesen Körperchen trete durch Influenz
eine Scheidung der Electricitäten ein, wodurch die Körperchen
nach der Seite der positiv geladenen Belegung negativ electrisch,
und nach der Seite der negativ geladenen Belegung positiv elec-
trisch werden. Bei der Bestimmung des electrischen Zustandes,
1) Pogg. Ann., Bd. H4, 125 und 137.
2) Amtlicher Bericlit über die 31. deutsche Naturforscherversammlung
im Jahre 1854 und nachgelassene Werke, S. 48 und 345.
Behandlung dielectrischer Medien. 65
welchen ein solches leitendes Körpertheilchen annehmen würde,
muss man natürlich nicht bloss die unmittelbare Wirkung der auf
den Belegungen befindlichen Electricität in Betracht ziehen, son-
dern auch die Wirkung, welche die übrigen, gleichfalls electrisch
polar gewordenen Körpertheilchen auf das betrachtete Körper-
theilchen ausüben.
Zweitens kann man sich vorstellen, die betreffenden Körper-
theilchen seien schon im natürhchen Zustande des Glases , bevor
es noch von Aussen her eine electrische Einwirkung erleidet, elec-
trisch polar, aber die Lagerung der Theilchen sei ganz unregel-
mässig, so dass die positiven und negativen Pole in gleicher Weise
nach allen Seiten gerichtet seien, und daher eine gemeinsame Wir-
kung der Theilchen in einem bestimmten Sinne unmöglich sei.
Wenn aber das Glas irgend einer electrischen Kraft unterworfen
werde, so werden dadurch die Theilchen einigermaassen gerichtet,
so dass die positiven Pole vorwiegend nach der einen und die
negativen Pole nach der anderen Seite gekehrt seien, wodurch na-
türlich eine gemeinsame Wirkung ermöglicht wird. Diese gleich-
massige Richtung der Theilchen trete um so vollständiger und all-
gemeiner ein, je stärker die einwirkende electrische Kraft sei.
lieber die Kräfte, welche bei dem zuletzt erwähnten Vor-
gange, nämlich bei der Richtung der vorher unregelmässig gela-
gerten electrisch polaren Theilchen ins Spiel kommen, kann man
wiederum zwei verschiedene Annahmen machen. Man kann anneh-
men, dass die Theilchen durch die Cohäsion in solcher Weise in
ihrer ursprünglichen Lage festgehalten werden, dass durch eine
Drehung eines Theilchens eine elastische Gegenkraft entstehe,
welche das Theilchen wieder in seine ursprüngliche Lage zurück-
zubringen suche, und dass diese Gegenkraft, wie andere elastische
Kräfte, mit der Grösse der Drehung wachse. Oder man kann an-
nehmen, der Widerstand, den die Cohäsion der Drehung der Theil-
chen entgegensetzt, sei nur ein passiver Widerstand von der Art
einer starken Reibung, so dass daraus keine Kraft hervorgehe,
welche die Theilchen wieder in ihre frühere Lage zurückzubringen
suche. In diesem Falle würde die einzige Kraft, welche dieses zu
bewirken suchte, aus der gegenseitigen electrischen Einwirkung
der gerichteten electrisch polaren Theilchen entstehen.
Ausser diesen Annahmen ist noch eine andere möglich, welche
Maxwell gemacht und zu sehr interessanten Schlüssen angewandt
hat, und von welcher weiter unten noch die Rede sein soll.
Clausius, m?ch. Wärmetheorie. IL k
66 Abschnitt III.
§. 3. Auswahl einer Hypothese zur mathematischen
Behandlung.
Zu einer ganz sicheren Theorie dessen, was im Inneren der
Zwischenschicht unter dem Einflüsse der von Aussen wirkenden
electrischen Kräfte vor sich geht, scheinen mir die bisher vorhan-
denen Beobachtungsdata noch nicht den nöthigen Grad von Voll-
ständigkeit und Zuverlässigkeit zu besitzen. Indessen habe ich es
bei der Bearbeitung der ersten Auflage dieses Buches für nützlich
gehalten, unter Voraussetzung einer gewissen Hypothese eine
Rechnung anzustellen, um über die äusseren Wirkungen einer sol-
chen Polarität eine Vorstellung zu gewinnen. Dazu habe ich die Hy-
pothese gewählt, dass sich im Inneren der Zwischenschicht Körper-
chen befinden, welche etwas leitend sind, welche aber von einan-
der durch nichtleitende Zwischenräume getrennt werden, so dass
die Electricität sich nur innerhalb der einzelnen Körperchen be-
wegen, nicht aber vom einen zum anderen übergehen kann.
Wenn man bei der anderen oben erwähnten Hypothese, dass die
Körpertheilchen schon im Voraus electrisch polar sind, und durch
die auf sie wirkende Kraft nur gerichtet werden, die Nebenannahme
macht, dass bei der Ablenkung der Theilchen aus ihren ursprüng-
lichen unregelmässigen Lagen eine elastische Gegenkraft entstehe,
welche der Ablenkung proportional sei, und ferner annimmt, dass
selbst bei den stärksten vorkommenden Kräften die entstehenden
Ablenkungen im Verhältniss zu denen, welche stattfinden müssten,
wenn die Theilchen ganz gleichmässig gerichtet werden sollten,
immer nur sehr klein bleiben, so kann man die Ergebnisse der
ersten Hypothese auch für die zweite Hypothese als gültig ansehen.
Wenn man dagegen bei dieser zweiten Hypothese annehmen wollte,
dass der Widerstand, welchen die Cohäsion der Drehung der Theil-
chen darbietet, nur von der Art einer starken Reibung sei, so dass
aus ihm keine zurückdrehende Kraft erwachsen könne, und dass
demnach die einzige Kraft, welche die Theilchen wieder in die un-
regelmässigen Lagen zu bringen suche, diejenige sei, welche durch
die gegenseitige electrische Einwirkung der electrisch polaren
Theilchen bedingt ist, so müsste man die mathematische Behand-
lung in etwas anderer Weise ausführen.
Die vorher genannte, von mir zur mathematischen Behand-
lung ausgewählte Hypothese ist dieselbe, wie die, welche Poisson
Behandlung dielectrischer Medien. 67
und Green für die mathematische Behandlung des Magnetismus
ausgewählt haben, und wir können daher, wenn wir alles, was
dort von nord- und südmagnetischem Fluidum gesagt ist, auf
positive und negative Electricität anwenden, die von jenen Mathe-
matikern schon entwickelten Fundamentalgleichungen auch für
unsere Bestimmungen benutzen. Aus diesem Grunde wird es
zweckmässig sein, das Wesentlichste jener Entwickelungen hier
erst kurz mitzutheilen. •
§. 4. Ableitung der Poisson'schen Fundamental-
gleichungen.
Wenn die im Inneren des Dielectricums als vorhanden ange-
nommenen und als sehr klein vorausgesetzten leitenden Körper-
chen durch Influenz electrisch geworden und somit an ihrer Ober-
fläche mit einer theils positiven , theils negativen electrischen
Schicht bedeckt sind, so kann man die äussere Potentialfunction
eines solchen Körperchens folgendermaassen bestimmen.
Im Inneren des Körperchens sei ein Punct p mit den Coordi-
naten a?, y, 0 angenommen , z. B. der Schwerpunct des von dem
Körperchen eingenommenen Raumes , und die Coordinaten eines
Oberflächenpunctes seien dann mit x-\-^, y-j-rj, 0-\-t, bezeich-
net. Betrachten wir dann einen ausserhalb des Körperchens lie-
genden Punct p' mit den Coordinaten x', y\ z' und bezeichnen sei-
nen Abstand vom Puncto ^ mit r und seinen Abstand von jenem
Oberflächenpuncte mit ri, so können wir unter Vernachlässigung
der Glieder höherer Ordnungen setzen:
Sei nun bei jenem Oberflächenpuncte ein Flächenelement don ge-
nommen und die darauf befindliche Electricitätsmenge mit lida
bezeichnet, und sei für die Potentialfunction des Körperchens der
Buchstabe u gewählt und ihr Werth im Puncto ^' mit w' bezeich-
net, so ist zu setzen :
, riidco
worm die Integration über die ganze Oberfläche des kleinen Kör-
5*
68 Abschnitt III.
perchens auszuführen ist. Substituiren wir hierin für — den obi-
gen Ausdruck, so kommt:
1 r r r
u' = — hda A- -7^ — / ^hda 4- - — / vlidG)
r J ^ dx J ^ dy J '
»i
+ ^f^^
da.
Das erste hierin an der rechten Seite stehende Integral ist Null,
weil die durch Inüuenz über die Oberfläche des Körperchens ver-
theilte Electricität in der Weise aus positiven und negatiA''en Men-
gen bestehen muss, dass die Summe denWerth Null hat. Für die
drei anderen Integrale, welche die electrischen Momente des
Körperchens darstellen, mögen besondere Zeichen eingeführt wer-
den, nämlich:
(1) a = I ^hda; h = 1 rihdo] c = f t^d(D,
dann geht die vorige Gleichung über in:
ai »i ai
/y^ /y> /V*
(2) u' = -^— a + ^— h -\- ^— c.
^ ■' dx ^ dy ds
Denken wir uns nun an der Stelle, wo das betrachtete Kör-
perchen sich befindet, ein Raumelement dt des Dielectricums ge-
nommen, so können wir dessen Potentialfunction folgendermaassen
ausdrücken. Die Anzahl der in dt enthaltenen leitenden Körper-
chen werde durch JV^r dargestellt. Wenn diese Körperchen in
Bezug auf Grösse, Gestalt und Orientirung ihrer Hauptdimensio-
nen unter einander verscliieden sind, und daher die Grössen a, h
und c bei ihnen ungleiche Werthe haben , so sollen unter ax , &i
und Ci die Mittelwerthe verstanden werden. Dann ist die Poten-
tialfunction des Raumelementes:
si gl si \
■ ox ^ dy ' ds /
und wenn man zur Vereinfachung setzt :
(3) a = Nau ß = Nb^; r = Nc
so kommt:
Behandlung dielectrischer Medien. 69
. 1
^ 1
^ 1
9-
d-
ö-
r
'dx
a
+
r
dy
ß +
r
(It.
Diesen Ausdruck hat man über den vom Dielectricum eingenom-
menen Kaum zu integriren, um die Potentialfunction des ganzen,
im polaren Zustande befindlichen Dielectricums zu erhalten. Zur
Bezeichnung dieser Potentialfunction möge der Buchstabe U ge-
wählt und ihr Werth beim Puncte p' mit den Coordinaten x\ y\ z'
mit JJ' bezeichnet werden, dann lautet die betreffende Gleichung :
Es kommt nun weiter darauf an, die Grössen w, /3, y zu be-
stimmen, wozu wir zunächst die Grössen a, &, c, welche die electri-
schen Momente eines einzelnen Körperchens darstellen, betrachten
müssen. Da diese Momente von der Kraft, unter der das Körper-
chen steht, hervorgerufen werden, so müssen sie zu den Compo-
nenten dieser Kraft, welche wir mit X, Y, Z bezeichnen wollen,
in bestimmter Beziehung stehen. Da diese Beziehung von der
Grösse, Gestalt und Orientirung des Körperchens abhängt, so
braucht sie nicht ganz einfach zu sein, indessen ist so viel leicht
zu erkennen, dass, wenn die Kraftcomponenten alle drei in glei-
chem Verhältnisse wachsen würden, dann auch die Grössen «, 6, c
in demselben Verhältnisse wachsen müssten, woraus folgt, dass
jede dieser drei Grössen eine homogene Function ersten Grades
von X, Y, Z sein muss, und dass somit für die erste derselben
folgende Gleichung gebildet werden kann:
worin die Coefficienten e, /, (/ von der Kraft unabhängig sind.
Hieraus kann man, gemäss den Gleichungen (3), sofort auch fol-
gende Gleichung bilden:
worin e^, /i, f/i, die auf die verschiedenen nahe bei einander liegen-
den Körperchen bezüglichen Mittelwerthe von e, /, g bedeuten.
Nun muss man aber für einen isotropen Stoff' annehmen, dass
die Körperchen, wenn sie nicht selbst schon eine nach allen Kich-
tungen gleiche Form, also die Kugelform, haben, so verschieden
orientirt sind, dass für jedes Körperchen jede Richtung gleich
70 Absclmitt III.
wahrscheinlich ist. Daraus folgt , dass die auf die a;-E,ichtung be-
züglichen Momente, welche eine nach der ^-Richtung wirkende
Kraft in den verschiedenen Körpern hervorrufen kann, den Mittel-
werth Null haben muss, da positive und negative Momente gleich
wahrscheinlich sind, und es ist daher zu setzen :/i = 0. Dasselbe
gilt von einer nach der ^-Richtung wirkenden Kraft , woraus folgt
gi = 0. Es bleibt also in der vorigen Gleichung in der Klam-
mer nur das erste Glied übrig, und wenn wir noch für das
Product Nei das einfachere Zeichen r] einführen, so lautet die
Gleichung :
(5) a = riX.
In ganz entsprechender Weise ist für einen isotropen Stoff auch
zu setzen:
(5a) ß = r}Y', Y = nZ.
Was nun die Kraft anbetrifft, durch welche die Körperchen
electrisch polar gemacht werden, und deren Componenten wir mit
X, Y, Z bezeichnet haben, so wird diese zum Theil von solcher
Electricität, die nicht zum Dielectricum gehört, und sich irgendwo
befinden kann, zum Theil vom Dielectricum selbst ausgeübt.
Die Componenten des ersten Theiles der Kraft lassen sich,
wenn V die Potentialfunction der nicht zum Dielectricum gehören-
den Electricität bedeutet, einfach durch
_dV _dV _dV
darstellen.
Um ferner die Componenten des zweiten Theiles der Kraft,
also die Componenten der von dem umgebenden Dielectricum selbst
auf das Körperchen ausgeübten Kraft auszudrücken, müssen wir
unser Augenmerk wieder auf die oben betrachtete Potentialfunc-
tion des Dielectricums richten. Da es sich hierbei um denjenigen
Werth handelt, welchen die Potentialfunction im Puncte (x^ y, z)
hat, so wollen wir in der Gleichung (4), welche die Potentialfunc-
tion des Dielectricums im Puncte (x\ y\ z') bestimmt, die accen-
tuirten und unaccentuirten Coordinaten unter einander vertau-
schen, indem wir dem Raumelemente dx die Coordinaten x\ y\ ^'
zuschreiben und die Coordinaten des Punctes, für welchen die
Potentialfunction bestimmt wird, mit ^, ?/, s bezeichnen. Dem ent-
sprechend müssen wir dann auch für die Potentialfunction das
Zeichen JJ statt U und für die an der rechten Seite stehenden
Behandlung dielectrischer Medien. 71
Coefficienten, welche zum Raumelemente dt gehören, die Zeichen
«', /3', y' statt cc, /3, y anwenden. Die Gleichung lautet dann:
f/ei ai al
/ V^ «' + ^ /^' + -^
^y \ar ' ay ' a^'
(") ^=J Vez «' + 87 "' + 87 ^V ''^-
lieber die Art, wie aus dieser Potentialfunction die betreffen-
den Kraftcomponenten abzuleiten sind, ist aber noch eine beson-
dere Bemerkung zu machen. Man darf dieselben nicht einfach
durch
__dü _dU _dü
dx^ dy '' dz
darstellen. Wenn nämlich von der Kraft die Rede ist, welche ein
leitendes Körperchen erleidet, und durch welche eine ungleiche
Vertheilung seiner Electricität verursacht wird, so ist darin die
von der Electricität des Körperchens selbst ausgeübte Kraft nicht
mit einbegriffen. Man muss daher auch von der Potentialfunction
des Dielectricums den Theil, welcher von der Electricität des be-
trachteten Körperchens herrührt, in Abzug bringen. Da der obige
Ausdruck von U ein Integral nach dem Räume ist , so können wir
folgende Betrachtung anstellen. Der Raum, welchen das Dielec-
tricum einnimmt, wird von den leitenden Körperchen, unserer Vor-
aussetzung nach , nur theilweise ausgefüllt , und der übrige Theil
besteht aus nichtleitenden Zwischenräumen. Aber man kann sich
den ganzen Raum in kleine Räume zerlegt denken, deren jeder
ein leitendes Körperchen enthält und als derjenige Theil des gan-
zen Raumes gelten kann, welcher diesem Körperchen entspricht.
Stellt man sich nun vor , das Körperchen , für welches die Kraft
bestimmt werden soll, sei fortgenommen, so bildet der ihm ent-
sprechende kleine Raum einen Hohlraum in dem Dielectricum und
die in diesem Hohlräume herrschende Kraft ist die zu bestim-
mende Kraft. Um die Componenten dieser Kraft auszudrücken
müssen wir für die Potentialfunction, statt des in (6) gegebenen
Integrals, ein Integral anwenden, welches den kleinen Hohlraum
nicht mit umfasst.
Was die Gestalt des Hohlraumes anbetrifft, so kann man sich
denken, dass in den den verschiedenen leitenden Körperchen ent-
sprechenden Räumen zufällige Verschiedenheiten, sei es in Bezug
auf die Gestalt selbst, sei es in Bezug auf die Orientirung ihrer
Hauptdimensionen vorkommen. Verschiedenheiten dieser Art wür-
72 Absclinitt III.
den für unseren Hohlraum auch Unterschiede der Kraft zur Folge
haben. Von solchen zufälligen Unterschieden müssen wir aber bei
unserer Bestimmung, welche sich auf die durchschnittlich
wirkende Kraft bezieht, absehen, was am einfachsten dadurch ge-
schehen kann, dass wir den Hohlraum als kugelförmig annehmen.
Wir denken uns also in dem Dielectricum einen kleinen kugel-
förmigen Raum abgegrenzt, und bilden die Potentialfunction des
ausserhalb dieses Raumes befindlichen Dielectricums für irgend
einen innerhalb des Raumes liegenden Punct (x, y, z\ Indem wir,
wie bisher, die Potentialfunction des ganzen Dielectricums JJ nen-
nen, wollen wir die Potentialfunction des ausserhalb der kleinen
Kugel befindlichen Dielectricums mit C/j bezeichnen. Dann wer-
den die Componenten der in Rede stehenden Kraft dargestellt
durch :
3.r ' 8^ ' 'dz
Um nun die Beziehung zwischen Vi und TJ angeben zu können,
wollen wir noch für die Potentialfunction des in der kleinen Kugel
befindlichen Dielectricums , zu deren Bestimmung wir das in (6)
angedeutete Integral über den kleinen kugelförmigen Raum aus-
zuführen haben, das Zeichen C/q anwenden. Dann können" wir
setzen :
(7) U,= U-V,,
und es kommt nun nur noch darauf an, die zur Bestimmung von
TJa nöthige Rechnung wirklich auszuführen.
Wenn das in (6) angedeutete Integral sich nur auf den als
sehr klein vorausgesetzten kugelförmigen Raum erstrecken soll, so
können wir dabei die Grössen «', /3', y' als constant betrachten
und ihnen die bei dem ebenfalls innerhalb der Kugel gelegenen
Punct (^, ^, s) stattiindenden Werthe zuschreiben, welche wir mit
a, /3, y bezeichnen. In Folge dessen können wir diese Grössen aus
dem Integralzeichen herausnehmen und die Gleichung so schreiben :
AI Ai fil
Nun ist aber, gemäss der Gleichung
zu setzen :
Behandlung dielectrischer Medien. 73
al ai
und wenn dieser Werth in das erste Integral eingeführt ist, so
kann man die Differentiation nach x (welche Grösse von der Lage
des Elementes d% unabhängig ist), auch ausserhalb des Integral-
zeichens andeuten, und somit setzen:
/^ r _ d rät
Entsprechende Gleichungen gelten für die beiden anderen Coordi-
natenrichtungen, und dadurch geht die Gleichung (8) über in:
,^, TT ^ r^"^ a ^ rät d Cdt
(9) ^"-^^-TxJt-^j^Jt-^tJt-
Das hierin noch vorkommende Integral lässt sich leicht aus-
führen und kann sogar als bekannt vorausgesetzt werden, indem
es nichts weiter ist, als die Potentialfunction einer homogenen Ku-
gel mit der Dichtigkeit 1 für einen innerhalb der Kugel gelegenen
Punct, Bezeichnen wir die Coordinaten des Mittelpunctes der Ku-
gel mit j, \), i und ihren Kadius mit r, so erhalten wir i) :
f^ = 27t {x^ - 1 \_{x - ly -\-iy- t^y + (^ - ä)2]}.
Hieraus folgt weiter:
d rät 4c7t , . S rät 4:7C , .
dz
und die Gleichung (9) geht daher über in:
(10) V, = ^[a (x-i) + ß (y-t)) -I- r (^-S)],
und durch Einsetzung dieses Werthes in (7) erhält man:
(11) U,= U-^[a(x-x) + ß(y-^)-\-y(,-i)].
Da in diesem Ausdrucke der Radius r nicht vorkommt, so folgt
/dr 4:7t . .
^) Siehe mein Buch über die Potentialfunction §. 12, Gleichung (34),
worin Ä durch r ersetzt und a = 0 gesetzt werden muss.
74
Abschnitt III.
daraus, dass es zur Bestimmung von Ui nicht nöthig ist, die Grösse
des Raumes, welcher einem einzelnen leitenden Körperchen ent-
spricht, zu kennen.
Durch Differentiation der vorigen Gleichung erhalten wir:
(12)
Kehren wir nun zu den Gleichungen zurück, welche die Com-
ponenten der ganzen auf das leitende Körperchen wirkenden Kraft
bestimmen, nämlich:
dx dx' dy dy' dz dz'
und setzen wir hierin für den letzten Differentialcoefficienten jedes
Ausdruckes den in (12) gegebenen Werth, so kommt:
\dUr _
dx
dU 4:7t
~ dx 3 ^
düi
dy
dU 4:7t
- dy 3 ^
dU,
dz ~
du 4:7t
~ dz 3 ^
(13)
d(V±JI) 47t
dy '3
^__d(V^Ü) 47t
^ — dz ^ 3 ^'
Diese Ausdrücke der Kraftcomponenten haben wir auf die
Gleichungen (5) und (5 a) anzuwenden. Die Gleichung (5) geht
dadurch über in:
= n [j
woraus folgt:
(14)
8(7+ V) , 4;r
dx "^ 3 "
d(V^Ü)
47t
dx
Hierin wollen wir noch ein vereinfachendes Zeichen einführen,
indem wir setzen:
(15)
E =
47C
Behandlung dielectrischer Medien. 75
Bilden wir dann zugleich auch die entsprechenden Gleichungen
für die beiden anderen Coordinatenrichtungen, so erhalten wir:
(16)
\
cc = — E
ß = — E
y = — E
8(F4- U)
dy
0(F+ U)
Nachdem wir so die Grössen «, jS, y bestimmt haben, können
wir ihre Werthe in die Gleichung (4) einsetzen und erhalten da-
durch :
m^ TV- I pv8(F+£ri^7 8(F+^^7
(17) ü -- I E\ ^ ^ + :^^ -^
+ dz 'dzJ'*'^'
Wenden wir hierin zur Abkürzung das in Abschnitt L, §. 11 ein-
geführte Summenzeichen an, so können wir schreiben:
1
w^-J l
v^-fa.E^'^\+''^'^
(17a) u = - , u.^ ^^ g^ gj
Dieses ist die zur Bestimmung der Potentialfunction U des Dielec-
tricums dienende Gleichung, wie sie aus den Pols son' sehen und
den damit übereinstimmenden Green'schen Untersuchungen über
Magnetismus hervorgeht.
Was die hierin vorkommende Grösse E anbetrifft, so kann ihr
Werth, je nach der Natur des Dielectricums , zwischen 0 und oo
variiren. Der Werth 0 gilt für Stoffe, die durch und durch nicht-
leitend sind, und daher durch Influenz keine electrische Polarität
annehmen können, und der Werth oo für solche, die durch und
durch leitend sind. Bei solchen Stoffen, die, wie wir für ein Dielec-
tricum angenommen haben, zum Theil aus leitenden Körperchen,
zum Theil aus nichtleitenden Zwischenräumen bestehen, lässt sich,
wenigstens für den Fall, wo die Körperchen als kugelförmig vor-
ausgesetzt werden, eine bestimmte Beziehung zwischen den mit ^
und E bezeichneten Grössen und dem von den leitenden Körper-
chen erfüllten Kaume ableiten. Wird nämlich dieser Raum als
76 Abschnitt III
Bruchtheil des ganzen von dem Dielectricum eingenommenen
Raumes mit g bezeichnet, so gilt für ri die Gleichung :
(18) , = ^^,
und daraus ergiebt sich nach (15) für E die Gleichung :
^9
(19) E
4.7t{\-g)
§. 5. Veränderte Formen der gewonnenen
Gleichung.
Man kann die im vorigen Paragraphen gewonnene Gleichung
(17) in verschiedenen Weisen umformen.
Betrachtet man von den in der Klammer stehenden Gliedern
zunächst nur das erste, so kann man setzen:
(20) E'-^z±^%m'Ji±m\i^u'jy±m).
^ -^ ex ox cx\r ox J rox\ ox J
Dieser Ausdruck muss mit dt multiplicirt und über den ganzen
vom Dielectricum eingenommenen Raum integrirt werden. Ersetzt
man dabei dt durch dx dy dz^ so lässt sich beim ersten an der
rechten Seite stehenden Gliede die Integration nach x ausführen,
nämlich :
worin die Indices 1 und 2 andeuten sollen, dass von dem in der
Klammer stehenden Ausdrucke die Werthe zu nehmen sind, welche
an den Stellen stattfinden, wo eine der x-kKQ parallele Gerade,
deren andere Coordinaten y und s sind, die Oberfläche des Dielec-
tricums schneidet. Sollte diese Gerade die Oberfläche mehr als
zweimal schneiden, was dann jedenfalls eine gerade Anzahl von
Malen stattfinden müsste, so wären an der rechten Seite dem ent-
sprechend mehr Glieder zu setzen.
Es möge nun an der durch den Index 1 angedeuteten Stelle
das Flächenelement, welches ein längs jener Geraden gedachtes
Behandlung dielectrischer Medien. 77
unendlich schmales Prisma mit dem Querschnitte dy dz aus der
Oberfläche des Dielectricums ausschneidet, mit dai bezeichnet
werden, dann hat man:
dy dz = cos l ö!a>i,
worin A den Winkel der auf d «i nach Innen zu errichteten Nor-
male mit der a;-Axe bedeutet. Nun kann man aber, wenn man
die Normale mit n^ bezeichnet, schreiben:
, dx
cos A = z — 1
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
dy dz = -x — dcoi.
Für die durch den Index 2 angedeutete Stelle, an welcher die
positive ic- Richtung von der Fläche aus nicht nach Innen, son-
dern nach Aussen geht, lautet die entsprechende Gleichung:
dydz = — 7=: — dcDo.
Durch Einsetzung dieser Werthe geht die Gleichung (21) über in:
worin an der rechten Seite die Integration über die ganze Ober-
fläche des Dielectricums auszuführen ist.
Kehren wir nun zur Gleichung (20) zurück, welche mit dr
zu multipliciren und dann zu integriren ist, so erhalten wir daraus
durch Einsetzung des vorstehenden Werthes die folgende Glei-
chung :
ox ox J r dx on
Eben solche Gleichungen gelten für die y- und ^-Richtung.
Wenn man von diesen drei Gleichungen die Summe bildet, und in
der dadurch entstehenden Gleichung die Vorzeichen umkehrt, so
ist die linke Seite gemäss (17) gleich U'. An der rechten Seite
können wir unter dem ersten Integralzeichen setzen:
/
78 Abschnitt III.
a(F+ U) dx , d{V-{- U) dy , e(F4- IJ) dl ^ d(V-\- U)
dx dn dy dn~^ ds dn dn '
und unter dem zweiten Integralzeiclien können wir die betref-
fende Summe durch Anwendung des Summenzeichens andeuten,
und erhalten dadurch:
Aus dieser Gleichung ergiebt sich, dass man die Potential-
function des Dielectricums betrachten kann als die Potential-
function einer Electricitätsmenge , die sich theils auf der Ober-
fläche des Dielectricums befindet, theils durch den von dem Dielec-
tricum erfüllten Raum stetig verbreitet ist, und welche dort die
Oberflächendichtigkeit
^ — 8^r~'-
hier die Raumdichtigkeit
hat.
Da sich nun andererseits für die in jener Weise angeordnete
Electricität, von welcher ü als die Potentialfunction zu betrachten
ist, die Oberflächendichtigkeit durch
8 /^8(F+ uy
dx j
43r L\8»*/ + o \8w/_oJ
und die Raumdichtigkeit durch
4o7t
darstellen lässt, so erhält man die Gleichungen:
(-) ©.,-©-«= — ^^^^
Wenn das Dielectricum homogen und somit E constant ist, so
vereinfacht sich die letzte Gleichung in:
(25) ^ü=-4.7tE'^?liL±JD.:=:-.4jcE^(V-i- U),
welcher Gleichung man auch folgende Form geben kann:
Behandlung dielectrischer Medien. 79
Wenn ferner noch vorausgesetzt wird, dass die nicht zum
Dielectricum gehörende Electricität , von welcher V die Potential-
function ist, sich ganz ausserhalb des Dielectricums befinde, so ist
im Dielectricum überall z/ F = 0 und somit auch ^ ü = 0. Un-
ter diesen Voraussetzungen nimmt die Gleichung (22) folgende
einfache Form an:
(26) V' = Eß'-iI±^do,.
^ J r cn
Eine andere Umformung der Gleichung (17) kann dadurch
bewirkt werden, dass man setzt:
dx dx cxL ^ ^ ' dxJ ' dx\ ox
Wenn man mit dieser Gleichung ebenso verfährt, wie oben mit
der Gleichung (20), so erhält man:
oder anders geschrieben:
(27) ü' =
f<
+ 1 ('^+^2wff<^^'
Hierin lässt sich das Integral
/
E(V-}- U) J ^ dt
sofort näher bestimmen. Wenn der Punct (x\ y\ ^), von welchem
aus der Abstand r gemessen wird, und für welchen der Werth
von TJ mit U bezeichnet ist, sich ausserhalb des Dielectricums be-
findet, so ist ^ — == 0, und dadurch wird auch das Integral Null.
Wenn dagegen jener Punct sich innerhalb des Dielectricums be-
findet, so ist
/
EiV^ U^^-dt^-^ inE'{V' + ü')
80 Abschnitt III.
worin E' {V -\- U') den Werth von ^(7+ V) am Puncte {x\y',z')
bedeuten soll i). Demnach lautet die Gleichung (27) für einen
ausserhalb des Dielectricums liegenden Punct:
(28) ü'= I E(r+0)-^da,
'S
f
-1 ^1
r dE
und für einen innerhalb des Dielectricums liegenden Punct:
(28a) ü' = -inE'(r+ü')+ I E(V+U)-^dm
f
dr.
Wenn das Dielectricum homogen und somit E constant ist, so
erhält man für einen ausserhalb desselben liegenden Punct:
r^Ej (V+ü)'-^
(29) U' = Ej (V-\- TJ)^dco
und für einen innerhalb desselben liegenden Punct:
(29a) U = -~4.7tEiV'-i-U')-^E / (V -{- U) -^ dio
§.6. Anwendung der gewonnenen Gleichungen aufFrank-
lin'sche Tafeln und Leidener Flaschen.
Die Gleichung (29) habe ich in meinem 1867 veröffentlichten
Artikel 2) angewandt, um die Beziehung zwischen den auf den Be-
legungen einer Franklin' sehen Tafel oder Leidener Flasche
befindlichen Electricitätsmengen und der dadurch entstehenden
1) Siehe mein Buch: „Die Potentialfunction und das Potential" §.41,
Gleichung (149).
2) Meine Abhandlungensammlung Bd. II, Zusatz zu Abhandlung X.
Behandlung dielectrischer Medien. 81
Potentialniveaudifferenz zu bestimmen, und ich will diese Rech-
nungen hier ebenfalls mittheilen.
Der Einfachheit wegen möge zunächst eine Fr an kl in 'sehe
Tafel mit kreisförmigen Belegungen angenommen werden.
Die planparallele Glasplatte, welche die beiden Belegungen von
einander trennt, ist der zu betrachtende Körper; wir brauchen
aber nicht die ganze Glasplatte zu betrachten , sondern können
die Betrachtung auf das kreisförmige Stück derselben, welches ge-
rade zwischen den Belegungen liegt, beschränken, indem der über
die Belegungen hinausragende Theil, welcher den freien Rand bil-
det, durch die Ladung der Belegungen jedenfalls nur eine sehr
geringe Aenderung seines inneren Zustandes erleiden, und daher
auch nur sehr wenig dazu beitragen kann, den Werth der Poten-
tialfun ction ü zu ändern. Der Körper, über dessen Oberfläche
die Integration ausgeführt werden muss , ist also ein sehr flacher
Cylinder mit kreisförmigen Grundflächen.
Den Punct p\ für welchen der mit TJ' bezeichnete Werth von
U zunächst bestimmt werden soll, wollen wir folgendermaassen
wählen. Auf der einen Kreisfläche , auf welcher die Belegung A
sich befindet, denken wir uns im Mittelpuncte eine nach Aussen
gehende Normale errichtet. In dieser Normale soll p' liegen, und
zwar so nahe an der Kreisfläche , dass der Abstand von derselben
gegen die Dimensionen der Platte als verschwindend klein anzu-
sehen ist. Wir wollen den so bestimmten Punct jp' kurz die Mitte
der Belegung A nennen.
Um nun die in der Gleichung (29) vorgeschriebene , auf die
Oberfläche des flachen Glascylinders bezügliche Integration aus-
zuführen, können wir die Oberfläche in drei Theile theilen, 1) die
Kreisfläche, welche mit der Belegung A bedeckt ist, 2) die gegen-
überliegende Kreisfläche, welche mit der Belegung B bedeckt ist,
3) die Cylinderfläche, welche die Umfange der beiden Kreisflächen
verbindet.
Für die beiden Kreisflächen ist die Integration sehr leicht
ausführbar, weil auf jeder der Belegungen die durch die Summe
V -\~ TJ dargestellte gesammte Potentialfunction einen constanten
Werth haben muss.
Um für die erste, mit der Belegung A bedeckte Kreisfläche
die Rechnung anzustellen , wollen wir uns vorläufig den Punct p'
nicht in unmittelbarer Nähe der Fläche denken, sondern wollen
annehmen, er liege in der im Mittelpuncte nach Aussen hin errich-
Clausius, mech. Wärinetheorie. 11. f-
82 AbscTinitt III.
teten Normale um eine beliebige Strecke Z von der Fläche ent-
fernt. Nun denken wir uns an irgend einem anderen Puncte der
Kreisfläche, welcher um die Strecke q vom Mittelpuncte entfernt
ist, auf der Fläche eine in das Glas hineingehende Normale von
der Länge n errichtet. Wenn dann r die Entfernung des End-
punctes dieser Normale vom Puncte p' bedeutet, so hat man:
Hieraus ergiebt sich:
r / l -\- n
Setzt man hierin, wie es sein muss, wenn der Differentialcoefficient
sich auf die Oberfläche des Glases beziehen soll, w = 0, so kommt:
Bezeichnen wir nun noch den constanten Werth, welchen die
Summe Y -\- JJ auf dieser Kreisfläche hat, mit K, und nennen
den Radius des Kreises a, so ist der auf diese Kreisfläche bezüg-
liche Theil des Integrales, welcher von dem ganzen Integrale da-
durch unterschieden werden soll, dass das unter dem Integral-
zeichen stehende Flächenelement da mit dem Index 1 versehen
wird :
a
/d (-) r iQdQ
0
= -27ck(i — ,, ^ —
• \ V «2 _^ Z2/
Nehmen wir nun endlich dem Obigen entsprechend an, der Punct
p', welchen wir uns vorläufig in einer behebigen Entfernung l von
der Fläche gelegen dachten, liege so nahe an der Fläche, dass l
gegen die Dimensionen der Platte als verschwindend klein anzu-
sehen sei, so geht die vorige Gleichung über in:
/
8|i
(30) . / (V+U) -^ dm, =-2^K.
Behandluno: dielectrischer Medien. 83
"■ö
Wir wollen nun in entsprechender Weise den Theil des Inte-
grales, welcher sich auf die gegenüberliegende mit der Belegung
B bedeckte Kreisfläche bezieht, bilden, wobei wir den Punct p' von
vornherein als dicht an der ersten Kreisfläche liegend annehmen
wollen. Denken wir uns in einem Puncte der zweiten Kreisfläche,
welcher von ihrem Mittelpuncte um die Strecke q entfernt ist, auf
der Fläche eine Normale von der Länge n in das Glas hinein er-
richtet, so erhalten wir, wenn r die Entfernung des P^ndpunctes
der Normale vom Puncte p' bedeutet, und der Abstand der beiden
Kreisflächen von einander mit c bezeichnet wird, die Gleichung:
r = ]/ 92 _|_ (c _ ^^)2^
woraus folgt:
(7)
d
c — n
dn [p2 -f- (c — ^)2]%'
oder, wenn wir in diesem Ausdrucke , um ihn auf die Kreisfläche
selbst zu beziehen, n = 0 setzen:
d
(7)
dn (92 -^ c2)%
Der constante Werth, welchen die Summe V -\- ü" auf dieser
Kreisfläche hat, sei mit Ki bezeichnet, dann erhält man für den
zweiten Theil des Integrales, welcher dadurch von dem ganzen
Integrale unterschieden werden soll, dass d a mit dem Index 2 ver-
sehen wird, den Ausdruck:
0
V l/a2_^c2y'
c
Denkt man sich diesen Ausdruck nach Potenzen von — entwickelt
a
und vernachlässigt die Glieder von höherer als erster Ordnung, so
kommt :
;3i) J (y+v)^
d cjo = 2 7t K. (1 — —
84 Abschnitt III.
Nun muss endlich noch die Cyhnderfiäche , welche die Kreis-
umfänge verbindet, betrachtet werden. An irgend einer Stelle
dieser Cylinderfläche, welche vom Umfange des ersten Kreises um
die Strecke z entfernt ist, denke man sich eine nach innen ge-
hende Normale von der Länge n errichtet, dann ist die Entfernung
r des Endpunctes dieser Normale von unserem Puncte j)' bestimmt
durch die Gleichuna;:
r = y {a — w)2 -j- ^2^
und daraus folgt:
3(1
r
dn ' [{a — ny -|- ^2]%
oder, wenn wir hierin wieder n = 0 setzen:
1
dn (a2 + 0^yk
Der Werth der Summe F -)- Ü7 ist auf der Cylinderfläche
nicht überall gleich, sondern ändert sich in der vom einen Kreis-
umfange zum anderen gehenden Richtung. Wenn der Abstand c
der beiden Kreise gegen ihren Radius a klein ist, so kann man
mit grosser Annäherung annehmen, dass der Werth der Summe
V -{- U sich , wenn man in einer die beiden Kreisumfänge verbin-
denden Seite des Cylinders fortschreitet, gleichmässig ändert, und
man kann daher für einen Punct, welcher von dem ersten Kreis-
umfange um die Strecke s entfernt ist, setzen:
F+ Ü=K + ^'~-^ 0.
c
Demnach erhält man für den auf die Cylinderfläche bezüglichen
Theil des Integrales, in welchem da mit dem Index 3 versehen
werden soll:
(^+^-^ä<o, = 2^aJ (^-f^^l—^,).
(«2 + ^2)3,,
2 7ta
Vä^
c' L
c , ,-^ ^^, V a' A- c
K^^{K,-K)
V^^
Denkt man sich diesen Ausdruck wieder nach Potenzen von — ent-
a
Behandlung dielectrischer Medien. 85
wickelt, und vernachlässigt die Glieder von höherer als erster Ord-
nung, so kommt:
d ( - )
(7)
(32) / (V^U) -^ da>, = ^{K+K,) ^
Vereinigen wir nun die drei unter (30), (31) und (32) gegebe-
nen Theile des Integrales, so erhalten wir :
J (F+£^)-^^«=-2^/i:+2^Zi(l-0 + ;r(ir+^O^,
oder anders geordnet:
. /1\
2.(x,-ü:)(i-i£).
Diesen Werth des Integrales haben wir auf die Gleichung (29)
anzuwenden, wodurch entsteht:
(34) U' = 27cE{K,-K)(\-\^y
Hierin wollen wir noch die Bezeichnung ein Wenig ändern. Da
wir von jetzt an die Potentialfunctionen Fund CTnur in den Mit-
ten der beiden Belegungen zu betrachten haben, so wollen wir die
Werthe, welche die Potentialfunctionen in der Mitte der Belegung
A haben, einfach mit V und C/", und die Werthe, welche sie in der
Mitte der Belegung B haben, mit Fi und JJi bezeichnen. Dann
ist zu setzen:
K = V -\- V
und zugleich ist , da der Punct p' sich in der Mitte der Belegung
A befinden soll, zu setzen:
U' =U.
Dadurch geht die Gleichung (34) über in:
(35) ü=27tE(V,+ U,- V- U)(l -l{)'
Um die entsprechende Gleichung für den Fall, wo der Punct
p' sich in der Mitte der Belegung B befindet, zu bilden, braucht
man in der vorigen Gleichung nur die Buchstaben mit und ohne
Index zu vertauschen, also :
86 - Abschnitt III.
(36) ü, = 27tE(V-i- U- Fl- U0(l -^1)-
Subtraliirt man diese beiden Gleichungen von einander, so
kommt :
U- U, = -4:7tE(V+ U- Fl- C/-i)(l-i^),
und hieraus ergiebt sich die gesuchte zur Bestimmung der Poten-
tiahiiveaudifferenz U—Ui dienende Gleichung, welche, unter Ver-
nachlässigung der höheren Gheder, in folgender Form geschrie-
ben werden kann:
(37) u-u. = - ^^ (i - 5(rT45^ ■ ^)(^'- ^'>
Von dieser Gleichung wollen wir im Folgenden Gebrauch machen.
Zu dem Zwecke ist noch eine Bemerkung nöthig. Die in die-
ser Gleichung vorkommende Differenz F — Fi hat bei einer ge-
ladenen Franklin'schen Tafel nicht ganz genau denselben Werth,
welchen man in dem Falle erhalten würde, wenn die beiden Bele-
gungen mit eben so grossen Electricitätsmengen geladen wären,
aber das Glas keinen polaren Zustand angenommen hätte. Durch
diesen Zustand des Glases wird nämlich bewirkt, dass die Electri-
cität auf den Belegungen eine etwas andere Anordnung annimmt,
als die, welche sie ohne denselben annehmen würde. Der Unter-
schied in der Anordnung der Electricität kann aber nur ein sehr
geringer sein.
Die Electricität auf den Belegungen würde sich nämlich schon
in dem Falle , wenn das Glas nur einfach als Isolator wirkte, so
nahe gleichmässig über die ganzen Flächen verbreiten, dass, mit
Ausnahme der Stellen in unmittelbarer Nähe des Randes, die an
irgend einer Stelle stattfindende Dichtigkeit von der mittleren
Dichtigkeit nur um eine Grösse abweichen würde, die im Verhält-
niss zur ganzen Dichtigkeit von der Ordnung — wäre. Da nun
der im Glase eintretende polare Zustand nur bewirken kann, dass
die Electricität auf den Belegungen sich noch gleichmässiger ver-
breitet , als es ohne diesen Zustand geschehen würde , so können
die dadurch eintretenden Aenderungen in der Dichtigkeit jeden-
c
falls auch nur Grössen von der Ordnung — sein. Die durch diese
a
kleinen Aenderungen der Electricitätsvertheilung bewirkte Aende-
rung der Potentialniveaudifferenz F — Fi kann natürlich auch
Behandlung dielectrischer Medien. 87
nur eine Grösse sein, welche im Verhältniss zu ihrem ganzen Werthe
von derselben Ordnung, also von der Ordnung — ist.
In den vorstehenden Rechnungen haben wir bei den Reihen-
entwickelungen nach — die Glieder erster Ordnung noch berück-
a
sichtigt, dagegen die Glieder von höheren Ordnungen vernach-
lässigt. Wenn wir uns aber mit einem geringeren Grade von Ge-
nauigkeit begnügen, und auch die Glieder erster Ordnung ver-
nachlässigen wollen , so können wir den in der so vereinfachten
Gleichung vorkommenden Werth von V — Vi ohne Weiteres als
gleichbedeutend betrachten mit demjenigen Werthe, welchen mau
bei denselben Electricitätsmengen ohne den polaren Zustand des
Glases erhalten würde.
Von der so vereinfachten Gleichung lässt sich ferner sagen,
dass sie nicht bloss für Franklin 'sehe Tafeln mit kreisförmigen
Belegungen, sondern auch für Franklin 'sehe Tafeln mit anders
gestalteten Belegungen und auch für Leidener Flaschen gilt. Es
zeigt sich nämlich in den vorstehenden Rechnungen, dass die auf
den Umfang bezüglichen Glieder, welche allein von der angenom-
c
menen Kreisgestalt abhängen, von der Ordnung — sind, und all-
gemein kann man sagen, dass die von der Gestalt der Belegungen
c
abhängigen Glieder von der Ordnung , — sind, wenn s der Flä-
V s
cheninhalt der Belegungen ist. Was ferner die von der Krüm-
mung der Flächen abhängigen Glieder anbetrifft, so können diese,
wenn die Krümmungen nicht so stark sind, dass die Krümmungs-
radien gegen ]/ s klein sind, auch nur von der Ordnung sein.
y s
Es ergiebt sich hieraus, dass man durch Vernachlässigung der
Glieder von der Ordnung , — eine Gleichung erhält, welche von
y s
der Gestalt und Krümmung der Belegungen unabhängig ist.
In der so vereinfachten Form lautet die Gleichung (37) :
(38) ü-U.^-^^^iV-V,).
An diese Gleichung können wir sofort auch diejenige an-
schliessen, welche die ganze wirklich stattfindende Potentialniveau-
88 Abschnitt III.
clifferenz der beiden Belegungen ausdrückt. Die gesammte Poten-
tialfunction aller getrennten Electricitätsmengen (sowohl der auf
den Belegungen, als auch der auf den polaren Glastheilchen be-
findlichen) ist innerhalb der einen Belegung V -\- U und inner-
halb der anderen Belegung Vi -|- Ui und die zwischen den Bele-
gungen im Ganzen stattfindende Potentialniveaudifferenz ist somit
V -\- U — Vi — üi. Diese Grösse erhalten wir , wenn wir an
beiden Seiten der vorigen Gleichung V — Vi hinzuaddiren. Da-
durch kommt:
(39) V+ U-Vi-Ui = YT^^ ^^ ~ ^'^'
Diese Gleichung sagt aus, dass die Potentialniveaudifierenz, welche
bei der Ladung einer Franklin'schen Tafel oder Leidener Flasche
mit gewissen Electricitätsmengen wirklich eintritt, im Verhältnisse
von - — i — 7—^:;: 1 kleiner ist, als dieienige Potentialniveaudifferenz,
1 -f 4:7tE 5 J b 5
welche bei Anwendung derselben Electricitätsmengen eintreten
würde, wenn das Glas keinen polaren Zustand annähme, sondern
einfach als Isolator wirkte.
Die beiden vorigen Gleichungen kann man noch in der Weise
abändern, dass man an der rechten Seite statt der Grösse V — Vi
eine der betreffenden Electricitätsmengen einführt. Die auf den
beiden Belegungen befindlichen Electricitätsmengen können bei
dem jetzt von uns als genügend betrachteten Grade von Genauig-
keit als den absoluten Werthen nach unter einander gleich ange-
sehen und daher durch Q und — Q bezeichnet werden. Zur Be-
stimmung der Grösse Q dient folgende Gleichung, welche der er-
sten der unter (38) im vorigen Abschnitt stehenden Gleichungen
entspricht, wenn man darin d gegen 1 vernachlässigt und das
Glied, welches nicht c im Nenner hat, fortlässt :
Mit Hülfe dieser Gleichung lassen sich die beiden vorigen um-
formen in:
(41) J7_p^ = ___.____^
(42) F+P-F,-C/. = i^.^^e.
Behandlung dielectrischer Medien. 89
§. 7. Vollständige Gleichungen für die beiden Belegun-
gen einer Leidener Flasche.
Nachdem im vorigen Paragraphen die Beziehung zwischen
der Potentialniveaudifferenz V -{- U — Vi — Ui und den auf den
Belegungen befindlichen Electricitätsmengen so weit bestimmt ist,
dass die zwischen den absoluten Werthen dieser beiden Electrici-
tätsmengen bestehende kleine Differenz vernachlässigt ist, können
wir auch die vollständigen Ausdrücke der Electricitätsmengen bil-
den, worin dann freilich einige Constante unbestimmt bleiben, ganz
den Ausdrücken entsprechend, welche am Schlüsse des vorigen Ab-
schnittes für den Fall aufgestellt wurden, wo die die Belegungen
trennende Zwischenschicht nur als einfacher Isolator angenom-
men ist.
Bezeichnen wir wieder, wie es dort geschah, die Werthe der
gesammten Potentialfunction auf der inneren und äusseren Bele-
gung mit F und G^ indem wir setzen :
(43) F+ C/ = J' und Fl -f f/i = (?,
und bezeichnen wir ferner die auf den beiden Belegungen befind-
lichen Electricitätsmengen mit M und iV, so müssen zwischen den
Grössen F^ (r, Jf und JV jedenfalls die im vorigen Abschnitte un-
ter (30) angeführten Gleichungen
j M=a (F - G) ^aF
^^^^ \N = a{G-F)-^ßG
bestehen. Diese Gleichungen gelten nämlich für jede zwei lei-
tende Körper, in deren Nähe sich noch beliebige andere leitende
Körper befinden dürfen, welche entweder mit der Erde in leiten-
der Verbindung stehen, oder, falls sie isolirt sind, keine Electrici-
tät mitgetheilt erhalten. Die letztere Bedingung, keine Electrici-
tät mitgetheilt zu erhalten, ist nun für die im Inneren des Glases
befindlichen leitenden Körpertheilchen erfüllt, und das Vorhanden-
sein dieser Körpertheilchen kann daher die Gültigkeit der Glei-
chungen nicht aufheben.
Was nun die in den Gleichungen vorkommenden Constanten
anbetrifft, so wurde die Grösse a für eine Leidener Flasche , zwi-
schen deren Belegungen sich nur ein einfacher Isolator befindet,
im vorigen Abschnitte durch folgenden Ausdruck dargestellt:
90 Abschnitt III.
a = j^ (1 + d),
worin d eine Grösse ist, deren Werth nicht für alle Flaschen
gleich, aber jedenfalls immer gegen die Einheit klein ist. Diesen
Ausdruck müssen wir nun für den Fall, wo sich zwischen den Be-
legungen ein Dielectricum befindet, etwas abändern, und zwar
müssen wir, wie sich ohne Weiteres aus der im vorigen Paragra-
s
4:7t C
phen gegebenen Gleichung (42) ersehen lässt, die Grösse
durch (1 -\~ 4:7t E) ersetzen, während man 8 einfach als eine
4jrc ^ ' ^
unbestimmte, aber gegen die Einheit kleine Grösse beibehalten
kann. Der Ausdruck von a nimmt also die nachstehende Form an :
(45) a = ^{l + 47tE)(lJrd).
Demnach erhalten wir für eine Leidener Flasche statt der im vori-
gen Abschnitte unter (38) gegebenen Gleichungen die folgenden:
(46)
^^ = 4^ (^ + '^^^'^ ^^ + d) (F - (?) + aF
N = j^(^+ ^^E) (l^ö)(a-F)-j-ß G.
Ueber die Bedeutung der Constanten a und ß gilt hier das-
selbe, was in §. 7 des vorigen Abschnittes gesagt ist. Sie stellen
nämlich die Electricitätsmengen dar, welche man den beiden Be-
legungen der Flasche mittheilen müsste, wenn man sie beide
bis zu dem gemeinsamen Potentialnrveau 1 laden
wollte.
Um die vorstehenden Gleichungen für die Anwendung beque-
mer zu machen, wollen wir wieder, wie in §. 8 des vorigen Ab-
schnittes , ein vereinfachtes Zeichen einführen. Wir wollen näm-
lich setzen:
. _ 4.7tC
^^^^ '''~ (1 +47tE){l-^8)'
dann lauten die Gleichungen ebenso, wie die dort unter (40) an-
geführten, nämlich:
(48)
M=~{F - G)-f- aF
N = ^{G - F) + ßG.
Behandlung clielectrischer Medien.
91
Ferner wollen wir auch liier für die Belianflliing des speciel-
len, aber besonders oft vorkommenden Falles, wo die äussere Be-
legung mit der Erde in leitender Verbindung steht , und somit
G = 0 ist, neben dem griechischen Buchstaben % noch den lateini-
schen Buchstaben Je einführen, dessen Bedeutung durch die Glei-
chung
(«) 1 = 7 + "
bestimmt wird, woraus sich ergiebt:
(50) Jc=
Atcc
l + «7 (l-|-47rÄ)(l+ö0 4-«^
Dadurch nehmen die Gleichungen (48) wieder die im vorigen Ab-
schnitte und (44) gegebene Form an, nämlich:
(51)
G)-{- aG
und gehen für den vorher erwähnten Fall, wo Cr = 0 ist, über in :
N
(52)
M=±F
N
")
Man sieht also, dass die Gleichungen, welche die Beziehun-
gen zwischen den Grössen F, (r, 31 und N ausdrücken , für eine
Leidener Flasche, bei der sich ein Dielectricum zwischen den Be-
legungen befindet, dieselben Formen haben, wie für eine solche
Leidener Flasche, bei der sich ein einfacher Isolator zwischen den
Belegungen befindet, und dass der Unterschied nur in den ver-
schiedenen Werthen der in den Gleichungen vorkommenden Con-
stanten liegt.
8. Behandlung der Dielectrica von Helmholtz und
Maxwell.
Obwohl für unsere im folgenden Abschnitte zu gebenden An-
wendungen die vorstehenden Entwickelungen schon ausreichend
sind, so wird es doch nicht ohne Interesse sein, wenn ich im i^n-
92 Abschnitt III.
Schlüsse an dieselben auch die von Helmholtz und Maxwell ge-
gebenen Erweiterungen der auf Dielectrica bezüglichen Gleichun-
gen mittheile.
Helmholtz in seiner bekannten schönen Abhandlung über
die Bewegung der Electricität in ruhenden Leitern i) hat auf die
Dielectrica ebenfalls die Behandlungsweise angewandt, durch
welche Poisson das Verhalten magnetischer Körper unter dem
Einflüsse magnetischer Kräfte abzuleiten gesucht hat,
Maxwell hat eine ganz neue, nicht bloss auf das Verhalten
dielectrischer Körper, sondern auf das ganze Wesen der Electri-
cität bezügliche Ansicht aufgestellt , deren Hauptpuncte er schon
in einer 1865 erschienenen Abhandlung 2) mitgetheilt und deren
vollständige Entwickelung er dann in seinem 1873 erschienenen
wichtigen Werke „Ä Treatise of Eleciricity and Magnetism^^ gege-
ben hat.
Maxwell betrachtet die Electricität als ein incompressibles
Fluidum, welches allen Raum erfüllt. Denkt man sich nun einen
Körper mit einer ihm noch besonders mitgetheilten Electricitäts-
menge geladen, so wird dadurch die Electricität des umgebenden
Mediums nach Aussen geschoben, so dass in jedem Raumtheile
doch nur eben so viel Electricität vorhanden ist, wie vorher, als
der Körper noch unelectrisch war. Aber durch die Verschiebung
der Electricität des Mediums ist eine elastische Gegenkraft ent-
standen , welche die verschobenen Electricitätstheilchen wieder in
ihre ursprünglichen Lagen zurückzubringen sucht. Aus dieser
electrischen Elasticität des Mediums erklärt Maxwell die Kräfte,
welche electrische Körper auf einander ausüben. Die verschiede-
nen dielectrischen Medien unterscheiden sich nun nach Maxwell
dadurch von einander, dass ihre electrischen Elasticitäts-
coefficienten verschieden sind.
Trotz dieser Verschiedenheit der Grundvorstellung sind doch
die Gleichungen, zu welchen Maxwell gelangt, ganz überein-
stimmend mit den sonst gebräuchlichen, und dieses gilt auch spe-
ciell von den auf Dielectrica bezüglichen Gleichungen ; nur muss
man den in den Gleichungen vorkommenden Grössen die der
Maxwell'schen Vorstellung entsprechenden Bedeutungen bei-
legen.
1) Borchardt's Journal. Bd. 72, 1870.
2) Philosojahical Transactions for 1865 p. 459.
Behandlung dielectrischer Medien. 93
"ö
Eine Hauptgrösse, welche er nach Faraday the Specific In-
ductive Capacity of the dielectric medium nennt und mit K bezeich-
net, definirt er als das Verhältniss der Capacitat eines Ansamm-
lers, welcher als isolirende Zwischenschicht das betreffende Dielec-
tricum hat, zu der Capacitat eines Ansammlers von derselben
Form und Grösse, welcher aber als isolirende Zwischenschicht Luft
hat. Hierbei nimmt Maxwell an, dass die Dichtigkeit der Luft
auf die Capacitat des Ansammlers keinen merklichen Einfiuss
habe. Will man diese Annahme, welche nur angenähert richtig
ist, nicht machen, sondern die kleinen Unterschiede, welche durch
verschiedene Dichtigkeiten der Luft veranlasst werden können,
auch noch berücksichtigen, so thut man besser, sich in dem zur
Vergleichung gewählten Ansammler den Zwischenraum nicht mit
Luft gefüllt, sondern von aller ponderablen Masse frei und somit
nur mit Aether gefüllt zu denken. Diese Grösse K steht zu sei-
nem electrischen Elasticitätscoefficienten , welcher mit p bezeich-
net werden möge, in folgender Beziehung:
p
Um die Beziehung dieser Grösse K zu der im vorigen Para-
graphen angewandten Grösse E abzuleiten, brauchen wir nur die
Resultate der dort angestellten Rechnungen mit der von Maxwell
gegebenen Definition zu vergleichen. Für eine Franklin'sche
Tafel oder Leidener Flasche haben wir gemäss (40) und (42) zu
setzen :
Hierin stellt V — Fi die Potentialniveaudifferenz dar, welche zwi-
schen den mit den Electricitätsmengen Q und — Q geladenen Be-
legungen stattfinden würde, wenn die Zwischenschicht keinen pon-
derablen Stoff enthielte , und F -|- TJ — Fi — C/i die Potential-
niveaudifferenz, welche unter Mitwirkung des in der Zwischen-
schicht enthaltenen ponderablen Stoffes entsteht. Die vor den
Klammern stehenden Factoren bedeuten also die den beiden Fäl-
len entsprechenden Capacitäten des Ansammlers , und indem wir
das Verhältniss dieser Factoren gleich K setzen, erhalten wir :
(53) K=l-\- 4.nE.
94 Abschnitt III.
Setzen wir hierin noch für E den unter gewissen Voraussetzungen
abzuleitenden, in §. 4 unter (19) gegebenen Ausdruck, so kommt:
(54) K = \±^.
Man kann bei der Aufstellung der auf dielectrische Medien
bezüglichen Gleichungen auch den von ponderabler Masse freien
und nur Aether enthaltenden Raum als ein Dielectricum behan-
deln, für welchen die Max well' sehe specifische inductive Capa-
cität K den speciellen Werth 1 hat, und die Grössen E und g den
speciellen Werth 0 haben.
Für den Fall, wo mehrere aneinander grenzende Dielectrica
verschiedener Art gegeben sind, lassen sich die Gleichungen eben-
falls aus den vorigen ableiten , und es mögen die Formen , welche
Helmholtz und Maxwell den Gleichungen für diesen allgemei-
neren Fall gegeben haben, hier auch noch mitgetheilt werden.
Es seien zunächst zwei an einander grenzende dielectrische
Media gegeben, für welche E die Werthe ^i und ^2 ii^be, und
welche beide unter dem Einflüsse von gegebenen Electricitäten
und zugleich unter ihrem gegenseitigen Einflüsse electrisch polar
geworden sind, und es handle sich darum, unter diesen Umstän-
den die Potentialfunctionen TJi und ü^ der beiden Media zu be-
stimmen. Dazu können wir die Gleichung (22) anwenden, müssen
aber dabei den Umstand berücksichtigen, dass auf jedes der Me-
dien ausser den gegebenen Electricitäten, deren Potentialfunction
V ist, auch noch das andere Medium einwirkt. Wir haben also
bei Behandlung des ersten Mediums V -\- U2 und bei Behandlung
des zweiten Mediums V-\- Ui an die Stelle von V zu setzen. Dem-
nach erhalten wir die beiden Gleichungen :
J r dui ' J r ^^-^dxy dx )
J r dn^ ^ ' J r^^dx\ dx ) '
worin sich die Integrale nach a^ und x^ auf die Oberfläche und
das Volumen des ersten Mediums und die Integrale nach 02 und
7^2 auf die Oberfläche und das Volumen des zweiten Mediums be-
ziehen. Wenn wir diese Gleichungen addiren, und dabei die Po-
tentialfunction beider Medien zusammen, also die Summe C/j -}- TJ^
mit f7 bezeichnen, erhalten wir:
Behandlung dielectrischer Medien. 95
In Bezug auf die Volumenintegrale folgt aus dieser Gleichung
nichts Anderes, als was sich schon aus der in §. 5 gegebenen, auf
ein einzelnes Medium bezüglichen Gleichung (22) ergiebt. Man
kann nämlich die beiden Integrale, welche dvi und dz^ enthalten,
und welche sich auf die von den beiden Medien erfüllten Räume
erstrecken sollen, in das Eine Integral
J r ■^
dx \ dx
zusammenfassen, welches sich auf den ganzen von beiden Medien
zusammen erfüllten Raum erstrecken soll, und worin E für beide
Medien gilt, indem es in dem einen gleich E^ und in dem anderen
gleich E2 ist. Aus dieser Form des Integrals folgt dann, dass die
in §, 5 unter (24) gegebene Gleichung sich auch auf zwei Medien,
und, wie gleich hinzugefügt werden kann, auf beliebig viele Me-
dien beziehen lässt. In dieser verallgemeinerten Bedeutung möge
die Gleichung hier noch einmal angeführt werden:
In Bezug auf die in (55) vorkommenden Oberflächenintegrale
tritt für die Trennungsfläche der beiden Medien ein bisher noch
nicht besprochenes Verhalten ein. Da diese Fläche nämlich Ober-
fläche beider Medien ist, so beziehen sich auf sie beide Oberflächen-
integrale. Wollen wir also für diese Fläche die Gleichung bilden,
welche der in §. 5 gegebenen Gleichung (23) entspricht, so haben
wir dabei an der rechten Seite zwei Glieder zu setzen, nämlich:
Hierin kann man die Form der linken Seite noch etwas mehr der-
jenigen der rechten Seite anpassen. Die Zeichen Wi und n^ bedeu-
ten nämlich die auf einem und demselben Flächenelemente nach
beiden Medien hin errichteten Normalen. Betrachten wir nun die
nach dem ersten Medium hin gehende Normalrichtung als die po-
sitive, so können wir schreiben:
96 Absclinitt III.
dU\ _ dlT^ /dU\ _ dU
dnj+o öwi' \dn/—o dfii''
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
(57) |^ + |£ = -4.(£,»(I+iQ + ^,»-i^tiQ
Diese Gleichung ist zunächst nur für die Trennungsfläche
zweier Dielectrica abgeleitet. Man kann ihr aber auch eine allge-
meinere Bedeutung geben. Man kann nämlich, wie schon oben
gesagt, auch den von ponderabler Masse freien und nur Aether
enthaltenden Kaum als ein Dielectricum behandeln , in welchem
E den Werth Null hat. Ferner kann man einen die Electricität
leitenden Körper als ein Dielectricum behandeln, in welchem E
unendlich gross ist. Auf diese Weise kann man die vorige Glei-
chung auf alle vorkommenden Grenzflächen anwenden.
Die Gleichungen (56) und (57) drücken Beziehungen der
Grösse U zu der Summe V -\- U aus. Man kann aus ihnen aber
, auch leicht Gleichungen gewinnen, welche Beziehungen der Grösse
V zu der Summe V -\- U ausdrücken.
In der Gleichung (56) möge zu dem Zwecke an der linken
Seite z/ F addirt und subtrahirt werden, wodurch entsteht:
8 /„8(F+i7)-
_^r+^(F+P) = -4-S^(^ 8.
welche Gleichung sich folgendermaassen umformen lässt;
dx \ dx
wofür man einfacher schreiben kann:
,s) .. = 2^[a + --)^-^^^}
Führen wir hierin noch für 1 -\- 4:nE das Max well' sehe Zei-
chen K ein, so kommt :
Behandlung dielectrischer Medien. 97
In der Gleichung (57) addiren und subtrahiren wir an der
cV dV
linken Seite 1- - — und verfahren dann ähnlich, wie vorher,
wodurch wir erhalten:
(59) IZ + £L = E,^^l+Il + K,^^L+Jä.
C»X Clio CUi ' Oh,
In diese Gleichungen können wir noch die Grössen einführen,
welche ausdrücken, welche Dichtigkeit diejenige Electricität, von
welcher V die Potentialfunction ist, an den betreffenden Stellen
hat. Bezeichnen wir, wie früher die Raumdichtigkeit mit Ä* und
die Flächendichtigkeit auf der betrachteten Grenzfläche mit /?, so
ist zu setzen :
z/F= — 4t7cl
dV , dV /dV\ /dV\ , ,
dni CHo \8??/-Lo \Cn/-o
und dadurch gehen die vorigen Gleichungen über in:
(61) K, Hljt^^l + K, Hl+^ + 4 .;„ = 0.
Dieses sind die von Helmhol tz und Maxwell aufgestellten
Gleichungen. Maxwell schreibt darin statt V -\- U einfach F,
indem er die ganze Function, deren negative Difierentialcoefficien-
ten die Componenten der in dem Dielectricum wirkenden electri-
schen Gesammtkraft darstellen, mit V bezeichnet.
Clausius, mech. Wännetheorie. II.
ABSCHNITT IV.
Das mechanische Aequivalent einer electrischen
Entladung.
§. 1, Gesammtwirkiing einer Entladung.
Nachdem in den vorigen Absclmitten von den unter verschie-
denen Umständen stattfindenden electrischen Ladungen und von
dem darauf bezüglichen Verhalten der Potentialfunction die Rede
gewesen ist, müssen wir nun die Entladung und die durch sie
entstehenden Wirkungen betrachten, wobei wir unter electri-
scher Entladung jede Aenderung in der Anordnung der Elec-
tricität verstehen, durch welche der electrische Zustand der ver-
schiedenen Theile eines Systemes von leitenden Körpern, zu denen
auch die Erde gehören kann, sich ganz oder theilweise ausgleicht.
Während der in der Anordnung der Electricität stattfinden-
den Aenderung und der damit verbundenen Bewegung der Elec-
tricitätstheilchen wird von den electrischen Kräften Arbeit gelei-
stet. Diese von Kräften, welche dem Quadrate der Entfernung
umgekehrt proportional sind, geleistete Arbeit lässt sich- auf sehr
einfache Art bestimmen i). Sie ist von der Art, wie die Bewegun-
gen der Electricitätstheilchen stattfinden, ganz unabhängig und
hängt nur von den Anfangs- und Endlagen derselben ab, und zwar
wird sie dargestellt durch die bei der Entladung eingetretene Ab-
1) Siehe darüber mein Buch „Die Potentialfunction und das Potential",
dritte Auflp,ge, §. 65.
Mech. Aequivalent einer Entladung. 99
nähme des Potentials der gesammten Electricität auf
sich selbst.
Durch diese von den electrischen Kräften gethane Arbeit kön-
nen nun zunächst gewisse Wirkungen hervorgebracht werden, bei
welchen andere Kräfte zu überwinden sind , und von denen einige
der gewöhnlichsten folgende sind. Es springen an einer oder meh-
reren Stellen electrische Funken über, wobei eine Luftschicht oder
ein anderer nichtleitender Körper von der Electricität durchbro-
chen wird. — Wenn der electrische Strom an einer Stelle durch
einen sehr dünnen Draht geht, so erleidet dieser mechanische Ver-
änderungen, welche von kleinen, kaum merkbaren Einknickungen
bis zum vollständigen Zerstäuben variiren können. — Wenn der
Strom durch electrolytische Körper geht, so treten chemische Zer-
setzungen ein. — In Körpern, welche sich in der Nähe der durch-
strömten Leiter befinden, können Inductionsströme oder magne-
tische Wirkungen hervorgerufen werden — etc.
Zu diesen verschiedenen Wirkungen wird ein Theil der gan-
zen von den electrischen Kräften geleisteten Arbeit verbraucht.
Der übrige Theil der Arbeit verwandelt sich in den Leitern in
Wärme.
Wenn wir die Wärme nach mechanischem Maasse, d. h. nach
der ihr entsprechenden mechanischen Arbeit messeti, und auch die
anderen vorher genannten Wirkungen durch die zu ihnen ver-
brauchten Arbeitsgrössen ausdrücken, so können wir sie sämmt-
lich in eine algebraische Summe vereinigen und diese kurz die
Summe aller durch die electrische Entladung hervorgebrachten
Wirkungen nennen. In Bezug auf diese gilt dann dem Obigen
nach folgender einfacher Satz, welchen wir als Hauptsatz den
nachstehenden Betrachtungen zu Grunde legen :
Die Summe aller durch eine electrische Entladung
hervorgebrachten Wirkungen ist gleich der da-
bei eingetretenen Abnahme des Potentials der ge-
sammten Electricität auf sich selbst.
§. 2. Potential einer geladenen Leidener Flasche
oder Batterie.
Indem wir nun als Beispiel eines Körpersystemes, welches mit
Electricität geladen und wieder entladen werden kann, die Leide-
ner Flasche wählen, handelt es sich darum, bei einer geladenen
7*
100 Absclinitt IV.
Leidener Flasche das Potential der gesammten Electricität auf
sich selbst zu bestimmen, wobei unter der gesammten Electricität
nicht bloss die auf den beiden Belegungen befindlichen Electrici-
tätsmengen zu verstehen sind, sondern auch die sämmtlichen klei-
nen Electricitätsmengen , welche sich im Inneren des Glases auf
den electrisch polaren Partikelchen befinden.
Seien dq und dcl irgend zwei Electricitätselemente und r ihr
gegenseitiger Abstand, so wird das Potential der gesammten Elec-
tricität auf sich selbst, welches wir mit W bezeichnen wollen,
durch folgende Gleichung bestimmt:
(1) w^ijj'-ifi-,
worin die beiden angedeuteten Integrationen über alle gegebenen,
theils positiven, theils negativen Electricitätsmengen auszuführen
sind. Da nun andererseits, wenn die Potentialfunction aller gege-
benen Electricitätsmengen an dem Puncto (a;, «/, 0), wo das Ele-
ment d(i sich befindet, mit F bezeichnet wird, die Gleichung
(2) y=f'4
gilt, so können wir die vorige Gleichung auch so schreiben:
(3) W = \Jvdci.
In unserem gegenwärtigen Falle ist es aber zweckmässig, die-
ser letzteren Gleichung noch eine etwas andere Form zu geben,
nämlich die Potentialfunction der Electricitätsmengen, welche sich
auf den Belegungen der Flasche befinden von der Potentialfunction
derjenigen Electricitätsmengen, welche sich im Inneren des Gla-
ses auf den polaren Partikel chen befinden, zu trennen, und beide
durch besondere Zeichen darzustellen. Die erstere möge mit V
und die letztere mit U bezeichnet werden, so dass die Potential-
function aller in Betracht kommenden Electricitäten durch die
Summe V -\- ü dargestellt wird. Dann nimmt die vorige Glei-
chung folgende Gestalt an:
(4) W=\f{V-\-U)dq,
worin die Integration über alle auf den Belegungen und auf den
polaren Glaspartikelchen befindlichen Electricitätsmengen auszu-
führen ist.
Mech, Ae(iuivtilent einer Entladung. 101
Was zunächst die auf den polaren Glaspartikelchcn Tjefind-
liclien Electricitätsmengen anbetrifft, so lässt sich für diese die
Integration sehr kurz abmachen. Wenn ein leitendes Glastheil-
chen durch Influenz bis zum Gleichgewichtszustande electrisch po-
lar geworden ist, so ist das Potentialniveau in ihm constant. Da
ferner die auf ihm befindlichen getrennten Electricitäten aus glei-
chen Mengen positiver und negativer Electricität bestehen , so ist
der Theil des Integrales, welcher sich auf diese beiden Electricitäts-
mengen bezieht, Null. Dasselbe gilt von' allen leitenden Glastheil-
chen in gleicher Weise, und man kann daher den ganzen Theil
des Integrales, welcher sich auf die auf den leitenden Glastheil-
chen befindlichen getrennten Electricitäten bezieht, ohne Weiteres
gleich Null setzen.
Was ferner die auf den Belegungen befindlichen Electricitäts-
mengen anbetrifft, so findet auch bei ihnen eine Vereinfachung
statt, indem auf jeder Belegung das Potentialniveau constant ist.
Wir wollen, wie in §. 7 des vorigen Abschnittes, den Werth des
Potentialniveaus auf der inneren Belegung mit F und auf der
äusseren Belegung mit O bezeichnen. Nennen wir dann noch, wie
dort, die auf der inneren Belegung befindliche Electricitätsmenge
Jf und die auf der äusseren Belegung befindliche iV", so geht die
Gleichung (4) über in:
(5) W=\FM-\-\aN.
Substituirt man hierin für M und N die in den Gleichungen
(48) oder (.51) des vorigen Abschnittes gegebenen Werthe, so er-
hält man W durch F und G ausgedrückt. Ebenso kann man W
durch 31 und N oder durch irgend zwei der vier Grössen jP, G^
M und N ausdrücken.
Setzt man voraus, dass die äussere Belegung der Flasche mit
der Erde in leitender Verbindung stehe, so hat mau G = 0 zu
setzen. Dadurch vereinfacht sich (5) in :
(6) W=\FM.
Hieraus kann man, mit Hülfe der im vorigen Abschnitte unter (52)
gegebenen Gleichung
(7) ^=1-^'
entweder M oder F eliminiren und erhält dadurch :
102 Abschnitt VI.
1
2l
(8) ^=k^F'
(9) ^'=TT'
Wenn statt einer einzelnen Flasclie eine Batterie von n glei-
chen Flaschen gegeben ist, so kann man die auf diese bezüglichen
Gleichungen leicht aus den vorigen ableiten. Wenn man, nach-
dem die wFlaschen einzeln gleich stark geladen sind, alle inneren
und alle äusseren Belegungen unter sich verbindet, so wird da-
durch (sofern man von dem kleinen Einflüsse der auf den Verbin-
dungsstücken befindUchen Electricität absieht) keine Aenderung
in den Werthen der Potentialfunction auf den Belegungen eintre-
ten. Die Electricitätsmengen dagegen , welche sich auf der inne-
ren und äusseren Belegung der ganzen Batterie befinden, sind na-
türlich wmal so gross , als die auf den Belegungen einer einzelnen
Flasche befindlichen. Dieses letztere kann man in der unter (7)
•gegebenen Gleichung, welche sich auf den Fall bezieht, wo die
äussere Belegung mit der Erde in leitender Verbindung steht, ein-
fach dadurch ausdrücken, dass man die mit s bezeichnete Fläche
der inneren Belegung Einer Flasche durch die Gesammtfläche der
inneren Belegung der ganzen Batterie, welche S heissen möge, er-
setzt und somit schreibt:
(10) ' M = ^F.
Wenn man mit Hülfe dieser Gleichung aus der Gleichung (6)
M oder F eliminirt, so erhält man :
(11) w=^SF'
(12) ^=|--^-
§. 3. Abnahme des Potentials bei der Entladung
und Rückstand.
Betrachten wir hiernach das Potential einer geladenen Leide-
ner Flasche oder Batterie als bekannt , so lässt sich daraus auch
leicht die bei der Entladung stattfindende Abnahme des Potentials
Mech. Aequivalent einer Entladung. 103
bestimmen. Wird die Batterie vollständig entladen, so dass der
Endwertli des Potentials gleich Null ist, so ist die AJjnahme des
Potentials einfach gleich W. Findet aher nur eine theilweise Ent-
ladung statt, so dass nach der Entladung noch ein Potential W
bestellt, so hat man die Differenz W — W' zu bilden.
Bewirkt man bei einer Batterie, deren äussere Belegung mit
der Erde in leitender Verbindung steht, die Entladung dadurch,
dass man die äussere Belegung mit der inneren in leitende Ver-
bindung setzt und diese Verbindung längere Zeit bestehen lässt,
so findet eine vollständige Entladung statt. Wenn man dagegen
die Verbindung nur momentan herstellt und dann sofort wieder
aufhebt, so findet bekanntlich die Entladung nicht ganz vollstän-
dig statt, sondern es bleibt noch ein Rückstand, welcher nach
einiger Zeit eine zweite schwächere Entladung ermöglicht, bei der
wiederum ein Rückstand von geringerer Grösse bleibt, der dann
eine dritte Entladung geben kann, u. s. f.
Die Entstehung des Rückstandes ist wohl unzweifelhaft dar-
aus zu erklären, dass das Glas seinen electrisch polaren Zustand,
welchen es unter dem Einflüsse der auf den Belegungen befind-
lichen Electricitätsmengen angenommen hat, im Momente der Ent-
ladung nicht gleich vollständig verliert, sondern dass einTheil die-
ser inneren Polarität zunächst noch fortbesteht, und dass dadurch
ein Tlieil der Electricität auf den Belegungen zurückgehalten wird.
Diese unmittelbar nach der Entladung noch vorhandene innere
Polarität verliert sich dann in einiger Zeit soweit, dass nur noch
eine Polarität von solcher Stärke übrig bleibt, wie sie den jetzt
noch auf den Belegungen befindlichen Electricitätsmengen ent-
spricht, und von diesen aufrecht erhalten werden kann. Diese ge-
ringere Polarität ist natürlich, wenn zwischen den Belegungen wie-
der eine leitende Verbindung hergestellt wird, nicht ausreichend,
die auf den Belegungen befindlichen Electricitäten festzuhalten,
und es tritt daher von Neuem eine Entladung ein, bei der dann
abermals ein Theil der zuletzt vorhandenen Polarität bestehen
bleibt und daher ein gewisser viel kleinerer Rest von Electricität
auf den Belegungen festgehalten wird, u. s. f.
Woher es kommt, dass die innere Polarität zum Theil wäh-
rend der Entladung selbst, also gleichzeitig mit der Kraft,
welche sie erzeugt hat, in fast unmessljar kurzer Zeit verschwin-
det, zum Theil dagegen sich erst nachträglich allmälig verliert,
ist noch nicht festgestellt. Boltzmann hat die nachträglich ein-
104 Abschnitt IV.
tretende Veränderung des inneren electrischen Zustandes mit der
elastischen Nachwirkung verglichen i), welche Vergleichung
viel für sich hat, wenn auch der eigentliche Grund der Erschei-
nung dabei noch in verschiedenen Weisen gedeutet werden kann.
Um über den Zustand der Batterie unmittelbar nach der Ent-
ladung und die darauf bezüglichen Grössen ein bestimmteres Ur-
theil zu gewinnen, wird es zweckmässig sein, noch einige beson-
dere Betrachtungen anzustellen.
§. 4. Untersuchung des Falles, wo die Potential-
niveaux der beiden Belegungen gleich sind,
während noch eine innere Polarität besteht.
Wenn die Belegungen einer Batterie für eine sehr kurze Zeit
unter einander leitend verbunden werden, so strömt so viel Elec-
tricität von der einen zur anderen, dass sie beide gleiches Poten-
tialniveau haben, welches wir unter Vernachlässigung einer klei-
nen, möglicher Weise bestehenden Abweichung einfach gleich Null
setzen können. Es fragt sich nun, wie viel Electricität bei dieser
Ausgleichung der Potentialniveaux noch auf den Belegungen blei-
ben muss, wenn die innere Polarität des Glases zum Theil noch
fortbesteht.
Bezeichnen wir die Potentialniveaux, welche die Belegungen nur
wegen der noch bestehenden inneren Polarität des Glases haben
würden, mit u und % , so müssen die Electricitätsmengen so gross
sein, dass sie für sich allein die Belegungen zu den Potentialniveaux
— u und — Ui bringen würden. Zur Bestimmung der dazu nöthi-
gen Electricitätsmengen können wir die Gleichungen (38) des Ab-
schnittes II. anwenden , in welchen wir dann F und G durch — u
und — Ui und ausserdem, wenn wir nicht bloss Eine Flasche, son-
dern eine Batterie von beliebig vielen Flaschen betrachten, s durch
S zu ersetzen haben. Vernachlässigen wir auch hier verhältniss-
mässig kleine Abweichungen und lassen daher die Grösse 8 und
die mit den Coefficienten « und ß behafteten Glieder fort, so er-
halten wir für beide Belegungen gleiche und entgegengesetzte
Electricitätsmengen, welche mit m und — m bezeichnet werden
können, wobei m durch folgende Gleichung bestimmt wird:
1) Sitzungsberichte der Wiener Academie, Bd. 68, Juli 1873.
Mech. Aequivalent einer Entlaflung. 105
(13) , m = 7-^— (uy — u).
^ ■ 4-7CC
Um nun ferner zur Bestimmung des auf diesen Zustand der
Batterie bezüglichen Potentials unsere früheren auf den Gleich-
gewichtszustand bezüglichen Gleichungen anwenden zu können,
wollen wir neben der Grösse m noch die Grösse (i einführen mit
der Bedeutung, dass ^ und — ^ diejenigen Electricitätsmengen
sind, welche sich auf den beiden Belegungen befinden müssten,
um die vorher besprochene innere Polarität, welche unmittelbar
nach der Entladung noch vorhanden ist, hervorzurufen und auf-
recht zu erhalten. Diese Grösse fx steht dann zu der Differenz
11, — Ui in derselben Beziehung, welche in der Gleichung (41) des
vorigen Abschnittes zwischen Q und U — üi ausgedrückt ist, und
wir können daher schreiben:
Wenn auf den beiden Belegungen der Batterie nach der Ent-
ladung, statt der Electricitätsmengen m und — 5», die Electrici-
tätsmengen ft und — fi befindlich wären , so hätten wir einen
Gleichgewichtszustand von derselben Art, wie der, auf welchen die
Gleichungen (46) des vorigen Abschnittes sich beziehen. Nennen
wir die ganzen Potentialniveaux, welche unter diesen Umständen
auf den Belegungen stattfinden würden , / und g , so erhalten wir
gemäss jenen Gleichungen, unter Vernachlässigung der Grösse 8
und der mit den Coefficien a und ß behafteten Glieder :
(15) ft = ^(l+4;r£;)(/-i/),
und wenn wir hierin für ^ den in (14) gegebenen Ausdruck setzen,
so ergiebt sich:
Das Potential der gesamniten Electricität auf sich selbst, welches
unter diesen Umständen bestehen würde, und welches mit ß be-
zeichnet werden möge, ergiebt sich aus der Gleichung (5), wenn
man darin F und G durch / und g und M und N durch ^u und
— (i ersetzt, nämlich :
(17) il^l^(f^g-).
106 Abschnitt lY.
Setzt man hierin für ft und/ — g die in (14) und (16) gegebenen
Ausdrücke, so kommt:
Um von diesem Potential zu dem von uns gesuchten zu ge-
langen , wollen wir uns die Grösse ju. in die Theile ^ — m und m
getheilt denken , und dann die sämmtlichen vorher betrachteten
Electricitäten , deren Potential ß ist, in zwei Systeme zerlegen.
Das erste System S^ soll nur aus den beiden Electricitätsmengen
^ — m und — (^ — m) bestehen. Das zweite System 8' dagegen
soll die Mengen m und — yn und ausserdem alle auf den polaren
Glastheilchen befindlichen Electricitätsmengen (also gerade diejeni-
gen Electricitätsmengen, welche unmittelbar nach der Entladung
vorhanden sind), umfassen. Dann zerfällt das Potential 5i in fol-
gende drei Bestandtheile :
1. das Potential des Systemes S^ auf sich selbst, welches Wi
heissen möge ;
2. das Potential des Systemes S' auf sich selbst, welches W
heissen möge;
3. das Potential des Systemes Si auf das System S\ welches
Wi heissen möge.
Hiernach kann man setzen:
ii = ITi + 1>F' -f IFi'.
Das letzte an der rechten Seite stehende Potential Wx lässt
sich sofort seinem Werthe nach angeben. Wir erhalten es näm-
lich, wenn wir jedes zu dem einen Systeme gehörige Electricitäts-
element mit der auf den betreffenden Punct bezüglichen Potential-
function des anderen Systemes multipliciren , und dann die Inte-
gration ausführen. Nun befinden sich alle zum ersten Systeme
gehörenden Electricitätselemente auf den Belegungen, und die
Potentialfunction des zweiten ' Systemes ist auf den Belegungen
gerade Null, folglich muss auch die Integration den Werth Null
geben, und wir erhalten :
TFi' = 0.
Hierdurch geht die vorige Gleichung über in:
ß = IFi + W\
welche Gleichung wir in folgender Form schreiben wollen:
(19) Tf ' = ß _ W^.
Mech, Aequivalent einer Entladung. 107
Von den beiden hierin an der rechten Seite stehenden Grössen
ist die erste Sl durch die Gleichung (18j bestimmt. Um die an-
dere Grösse Wi zu bestimmen, ist zu bemerken, dass die Electri-
citätsmengen ^ — m und — (ji — m), wenn sie für sich allein vor-
handen wären, auf den Belegungen die Potentialnivcaux / und </
hervorbringen würden, da alle übrigen Electricitätsmengen auf den
Belegungen die Potentialnivcaux Null geben. Daraus folgt:
W, = i (f. - m) (f - g).
Hierin kann man nach (13) und (14) setzen:
S Ux — u
' 4jrc 4:7tE
und für/ — g kann man den in (16) gegebenen Werth anwenden,
wodurch man erhält:
S (Ux — w^
Durch Anwendung dieser Werthe geht (19) über in:
^^^^ ^ — Stic 4.7tE '
wofür man auch gemäss (13) schreiben kann:
Durch diese Gleichungen ist das gesuchte, unmittelbar nach der
Entladung stattfindende Potential der gesammten Electricität auf
sich selbst bestimmt.
Wenn nach der Entladung eine gewisse Zeit verflossen ist,
und die innere Polarität bis zu dem Reste abgenommen hat, wel-
cher durch die auf den Belegungen befindlichen Electricitätsmen-
gen m und — m aufrecht erhalten werden kann, so ist wieder ein
Gleichgewichtszustand von der Art, wie der , auf welchen die Glei-
chungen von (5) bis (12) sich beziehen, erreicht. Das diesem Zu-
stande entsprechende Potential der gesammten Electricität auf
sich selbst, welches W" heissen möge, erhält man, wenn man in
der Gleichung (12) einfach m an die Stelle von M setzt, wobei
man wieder für den Grad von Genauigkeit, welcher beim Rück-
4: 7t C
stände ausreichend ist, Je durch - — j — - — - ersetzen kann:
' 1 -|- 4:7tE
108 Abschnitt IV.
(23) W" =
Substituirt man hierin
(24) W
1 + 47tE ' S
Substituirt man hierin für m seinen Werth aus (13), so kommt:
S(Ui — m)^
8 7tC {l ^ iTtE)'
§. 5. Arbeit der electrischen Kräfte während der Ent-
ladung und nach derselben.
Nachdem in den vorigen Paragraphen das Potential der ge-
sammten Electricität auf sich selbst für die verschiedenen in Be-
tracht kommenden Zustände bestimmt ist, lässt sich auch die Ar-
beit, welche die electrischen Kräfte während der Entladung und
nach derselben leisten, leicht ausdrücken.
Wir wollen uns die Entladung zuerst dadurch bewirkt den-
ken , dass ein von der äusseren Belegung ausgehender Leiter mit
seinem anderen Ende einer mit der inneren Belegung in leitender
Verbindung stehenden Stelle genähert und für eine ganz kurze
Zeit damit in Berührung gebracht wird. Dann haben wir vor der
Entladung den Zustand , bei welchem das Potential gleich W ist,
und unmittelbar nach der Entladung den Zustand, bei welchem
das Potential gleich W ist. Während der Entladung wird also
die Arbeit
W- W
geleistet.
Wenn nach der Entladung einige Zeit verstrichen ist, so ist
der Zustand eingetreten, bei welchem das Potential gleich W" ist,
und es wird also nach der Entladung bis zum Eintreten dieses Zu-
standes noch die Arbeit
W' — W"
von den electrischen Kräften geleistet.
Lässt man jetzt abermals eine Entladung eintreten, so erhält
man dieselben beiden Vorgänge im verkleinerten Maassstabe u. s. f.
Um die Arbeitsgrössen in ihrer Beziehung zum ganzen ur-
sprünglich bestehenden Potential W näher angeben zu können,
muss man wissen, wie sich W und W" zu W verhalten, und dazu
wiederum muss bekannt sein, wie sich die Differenz % — u zur
Differenz F — G verhält. Ein Grenzwerth für % — u^ welcher
Mech. Aequivalent einer Entladung. 109
sicherlich nicht überschritten werden kann, ergiel)t sich sofort
daraus, dass die Polarität des Glases nach der Entladung nicht
grösser sein kann, als sie während der Ladung war. Bezeichnen
wir daher, wie im vorigen Abschnitte, die Potentialniveaux, welche
die während der Ladung bestehende Polarität des Glases für sich
allein auf den Belegungen hervorbringen würde, mit U und Z7i,
so kann ti^ — ii keinesfalls grösser als Ui — U sein. Wieviel klei-
ner es ist, lässt sich nicht genau a,ngeben. Soviel aber kann als
unzweifelhaft angenommen werden, dass bei einer bestimmten'
Flasche oder Batterie mit wachsendem Ui — U auch Mi — u
wächst, und da es bei den auf den Rückstand bezüglichen Grössen,
welche überhaupt nicht bedeutend sind , auf äusserste Genauigkeit
nicht ankommt, so wird es erlaubt sein, die Differenzen u^ — ti
und Ui — U als einander proportional zu betrachten, und dem-
gemäss zu setzen:
(25) tfi — u = p(Ui — U),
worin p einen von der Natur der die Batterie bildenden Flaschen
abhängigen Coefficienten bedeutet, dessen Werth zwischen 0 und
1 liegen muss. Was nun die Differenz Ui — ü anbetrifft, so lässt
sich aus der Gleichung (39) des vorigen Abschnittes zunächst die
folgende ableiten:
Ui - ü=4.jtE(V -^ U- Vi - C/":),
und wenn man hierin für V -{-- U und Vi -\- Ui die später ein-
geführten Zeichen F und G setzt, so kommt:
(26) Ui— ü = i7tE(F — G),
wodurch die Gleichung (25) übergeht in:
(27) u, — u=pAnE{F — G).
Aus dieser Gleichung kann man mit Hülfe der im vorigen Ab-
schnitt unter (46) und in diesem Abschnitt unter (13) gegebenen
Gleichungen auch noch die folgende ableiten:
Kehren wir nun zu den für die Potentiale W und W" auf-
gestellten Gleichungen (22) und (23) zurück und setzen darin für
m den vorstehenden Ausdruck, so kommt:
(30) W"^2.ci,'^4^^^.^.
^ ^ (1 + 4:71 Ef S
110 Abschnitt IV.
Das in diesen beiden Gleichungen vorkommende Product 2nc kön-
nen wir noch durch -^ ersetzen, da wir auch bisher bei der Be-
handlung der auf den Rückstand bezüglichen Grössen, welche an
sich nur klein sind, den zwischen h und 4jrc bestehenden Unter-
schied vernachlässigt haben.
Diese Ausdrücke von W und W" können nun bei der Be-
stimmung der Arbeit angewandt werden , wobei W mittelst der in
§. 2 entwickelten Gleichungen zu bestimmen ist Zur speciellen
Ausführung der Rechnung wollen wir den Fall wählen, wo die
äussere Belegung der Batterie mit der Erde in leitender Verbin-
dung steht, und wo für W die Gleichung (12) gilt. Dann erhal-
ten wir:
•Im Vorstehenden war vorausgesetzt, dass die Entladung in
der Weise stattfinde, dass die Enden des Schliessungsbogens nur
für eine sehr kurze Zeit mit einander in Berührung gebracht wer-
den. Wird dagegen die mit der Erde leitend verbundene äussere
Belegung dauernd mit der inneren in leitende Verbindung gesetzt,
so tritt eine vollständige Entladung ein. Indessen findet auch in
diesem Falle der Umstand statt, dass nicht die ganze Entladung
gleich im Momente der Verbindung vollendet ist, sondern dass ein
Theil derselben erst nachträglich im Verlaufe einiger Zeit vor sich
geht. Man kann daher auch in der Arbeit, welche im Ganzen
durch W dargestellt wird, zwei Theile unterscheiden, den Theil
W — W, welcher sofort beim Eintritt der Verbindung geleistet
wird, und den Theil W\ welcher während des Bestehens der Ver-
bindung erst allmälig folgt.
§. 6. Wirkungen der Entladung.
Wenn wir nun die von der Entladung hervorgebrachten Wir-
kungen betrachten, so können diese, wie schon oben in §. 1 er-
wähnt, von sehr verschiedener Art sein. Zu den dort angeführten
Wirkungen ist, streng genommen, noch eine schon vor der eigent-
lichen Entladung stattfindende hinzuzufügen. Während nämlich
Mech. Aequivalent einer Entladung. 111
das Ende des von der äusseren Belegung ausgehenden Hchliessungs-
bogens sich der mit der inneren Belegung leitend verbundenen
Stelle nähert, findet schon eine kleine Mitwirkung der Electricität
statt, indem die Enden des Schliessungsl)Ogens vermöge der auf
ihnen befindlichen Electricität einander anziehen, und dadurch die
Annäherung erleichtern. Diese Wirkung ist aber in unserem Falle,
wo der grösste Theil der Electricität auf den Belegungen gebunden
ist, und daher zu jener Anziehung nicht beitragen kann, jedenfalls
so gering, dass wir sie ohne Bedenken vernachlässigen können.
Ferner wollen wir zur Vereinfachung die Erregung von In-
ductionsströmen oder Magnetismus ausserhalb des betrachteten
Körpersystemes und alle bleibenden Veränderungen mechani-
scher, chemischer oder magnetischer Natur innerhalb desselben
für jetzt von der Untersuchung ausschliessen und annehmen, dass
die Arbeit, welche an den Stellen verwandt wird, wo der
Schliessungsbogen unterbrochen ist, und wo ein Funke
überspringen muss, und die in dem ganzen Systeme
erzeugte Wärme die einzigen vorkommenden Wirkungen seien.
Dann muss dem Hauptsatze nach die Summe dieser beiden
gleich der Abnahme des Potentials sein.
Dieses theoretische Ergebniss möge nun mit der Erfahrung
verglichen werden. Dazu bietet besonders die von Riess mit der
grössten Sorgfalt, Umsicht und Consequenz durchgeführte Reihe
von Untersuchungen ein ebenso reichhaltiges, als zuverlässiges
Material dar, und die Vergleichung desselben mit der Theorie wird
noch dadurch sehr erleichtert, dass Riess selbst aus den von ihm
beobachteten Thatsachen ganz bestimmt formulirte Gesetze abge-
leitet hat.
Wird zunächst angenommen, dass bei einer Reihe von Ver-
suchen die Stärke der Entladung, d. h. die Abnahme des
Potentials, dieselbe bleibe, aber der Schliessungsbogen
geändert werde, so muss dabei die Summe der beiden
Wirkungen constant sein.
Was die Wärmeerzeuguiig anbetrifft, so besitzen wir über
deren Abhängigkeit vom Schliessungsbogen folgende zwei wich-
tige Sätze von Riess i).
1. Die durch eine und dieselbe Entladung in zwei
verschiedenen im Schliessungsbogen befindlichen conti -
^) Pogg. Anu. Bd. 43 uud 45.
112 Abschnitt IV.
nuirliclien Drahtstücken erzeugten Wärmemengen ver-
halten sich wie ihre reducirten Längen, wenn man unter
reducirte Länge die Grösse — - x versteht, worin l die wirk-
liehe Länge, q der Radius und x eine vom Stoffe des Drahtes
abhängige Grösse ist, welche Riess die Verzögerungskraft nennt,
und welche der Leitungsfähigkeit umgekehrt proportional ist.
2. Wenn man unter sonst unveränderten Umständen
den Schliessungsbogen dadurch verlängert, dass man
einen Draht von der reducirten Länge l einschaltet,
so wird dadurch die Erwärmung eines anderen im
Schliessungsbogen befindlichen Drahtes vermindert,
und zwar nahe im Verhältnisse von 1 -|- &Z : 1, worin &
eine durch den Versuch zu bestimmende Constante ist.
Beide Sätze lassen sich in folgende Gleichung zusammen-
fassen 1) :
(33) « = TT^^'
worin V die reducirte Länge des betrachteten Drahtstückes und
C die darin erzeugte Wärmemenge ist, während h und l die vor-
her erwähnte Bedeutung haben, und A eine von der Stärke der
Entladung abhängige Grösse darstellt, welche für unseren gegen-
wärtigen Fall, wo wir es nur mit gleichen Entladungen zu thun
haben, constant ist.
Diese Gleichung enthält eine Bestätigung des vorher gezoge-
nen Schlusses. Der eingeschaltete Draht l wird natürlich durch
die Entladung ebenfalls erwärmt und zwar wird nach der vorigen
Gleichung die Wärmemenge ^^ A in ihm erzeugt. Dafür
X — — 0 V
mu^s, wenn die Gesammtsumme der Wirkungen constant bleiben
soll , eine Verminderung "der übrigen Wirkungen eintreten , und
diese wird in der That durch den zweiten Riess' sehen Satz und
durch die Gleichung nachgewiesen. Mit dieser allgemeinen Ueber-
einstimmung müssen wir uns für jetzt begnügen. Eine genaue
quantitative Untersuchung, ob die Abnahme aller übrigen Wirkun-
gen zusammen wirklich gerade gleich jener durch , , , A aus-
1) Pogg. Ann. Bd. 45, S. 23.
Mech. Aeqnivalent einer Entladung. 11^
gedrückten Wärmemenge ist, scheint mir his jetzt ohne neue Beob-
achtungsdata nicht ausführbar zu sein.
Vorsselman de Heer hat freilich aus j ener Gleichung (33)
einen allgemeinen Satz abgeleitet, den man vielleicht auf den er-
sten Blick für eine vollständige Bestätigung unseres Schlusses hal-
ten könnte. Es soll nämlich die Gesammtwärme, welche durch
eine electrische Entladung in dem ganzen Schliessungs-
bogen erregt wird, von der Natur des Schliessungs-
bogens unabhängig sein i). Dieser Satz wird auch von Helm-
hol tz in der That als mit der Theorie übereinstimmend ange-
führt 2); indessen scheint er mir dazu doch nicht geeignet zu sein,
indem er mehrere Ungenauigkeiten enthält.
Erstens beschränkt Vorsselman de Heer die Betrachtung
ausdrücklich auf „den die beiden Belege der Batterie verbinden-
den Bogen" 3). Die Wärmeerzeugung erstreckt sich aber auch auf
die übrigen Körper des Systemes, und zwar wird ein Theil inner-
halb der Batterie selbst erzeugt, und ein anderer, für den Fall,
dass die Batterie und der Schliessungsbogen nicht isolirt, sondern
mit der Erde verbunden sind, innerhalb des Ableitungszweiges
und der Erde. Der letztere Theil wird im Allgemeinen unbedeu-
tend sein, da nur der Ueberschuss der einen oder anderen Electri-
cität nach der Erde strömt, und dieser gegen die ganze Electri-
citätsmenge gering ist, und dasselbe lässt sich unter der Bedin-
gung, dass der Schliessungsbogen eine beträchtliche reducirte
Länge hat, vielleicht auch von dem ersten Theile annehmen. Bei
sehr kurzem Schliessungsbogen dagegen würde eine solche An-
nahme unzulässig sein, und jedenfalls müssen wir diesen Theil bis
j-etzt als unbekannt bezeichnen.
Ferner hat er die Stellen, wo der Schliessungsbogen unter-
brochen ist und wo ein Funke überspringt, nicht berücksichtigt.
An diesen Stellen findet eine äusserliche mechanische Wirkung
statt, welche man erst als verbrauchte Arbeit von der Gesammt-
wirkung abziehen muss, um den Theil zu erhalten, welcher wirk-
lich innerhalb des betrachteten Körpersystems in Wärme verwan-
delt wird.
Was die Grösse dieses Arbeitsverbrauches und seinen Ein-
äuss auf die Wärmeentwickelung anbetrifft, so kann ich in dieser
1) Pogg. Aun. Bd. 48, S. 298. — 2) Ueber die Erhaltung der Kraft.
S. 44. — 3) Pogg. Auu. Bd. 48, S. 297.
Clausius, mech. Wärmetheorie. II, Q
114
Absclmitt lY.
Beziehung zunächst wieder eine Bestätigung der Theorie durch
das Experiment anführen. Es ist nämlich im Voraus klar, dass
der Arbeitsverbrauch von dem Widerstände, welchen die nicht-
leitende Schicht der Durchbrechung entgegensetzt, abhängt, und
dass er daher bedeutender sein wird, wenn die Enden des
Schliessungsbogens durch einen nichtleitenden festen Körper
getrennt sind, als wenn sich bloss Luft zwischen ihnen befindet.
Daraus folgt, dass im ersteren Falle ein an einer anderen Stelle
des Schliessungsbogens befindliches electrisches Luftthermometer
weniger erwärmt werden muss, als im letzteren, und so hat es sich
auch bei einer von R i e s s ausgeführten Versuchsreihe i) in der
That ergeben.
An der Unterbrechungsstelle standen sich entweder zwei
kleine Scheiben, oder zwei Kugeln, oder zwei Spitzen gegenüber,
jedesmal in einer Entfernung von 0,2 Linien. Zwischen diesen
waren nach einander die in der ersten Columne der nachstehenden
Tabelle genannten Körper eingeschaltet, und dabei wurden unter
sonst gleichen Umständen in dem Luftthermometer die in den fol-
genden Columnen angeführten Erwärmungen beobachtet. Wo
Pt i e s s mehrere Zahlen giebt , habe ich die Mittelzahl genommen.
Erwärmungen im Lufttbermometer,
je nachdem der Funke
Eingesclialtete Körper.
zwischen den
Scheiben
zwischen den
Kugeln
zwischen den
Spitzen
übersprang.
Liuftschiclit .... ... . .
15-9
15-4
15-1
ein Kartenblatt
11-7
12-0
11-6
zwei Kartenblätter mit zwischen-
gelegtem Stanniol .......
9-7
9-3
—
zwei Kartenblätter
8-0
8-8
10-4
Glimmerblatt
6-8
4-7
4-8
1) Pogg. Ann. Bd. 43, S. 82.
Mech. Aeqnivalont einer Entladung. 115
In dieser Tabelle tritt der Einfluss der Festigkeit des einge-
schalteten Körpers, welcher vom Funken durchbrochen werden
muss , sehr deutlich hervor. Nur der Fall , wo zwei Kartenblätter
mit zwischengelegtem Stanniol angewandt wurden, könnte auf den
ersten Blick eine Ausnahme zu bilden scheinen , indem diese drei
Körper eine geringere Wirkung ausübten als die beiden Karten-
blätter allein. Hiernach muss man annehmen, dass durch das
Stanniolblatt, obwohl es mit durchbrochen wurde, doch der Ar-
beitsverbrauch nicht vermehrt, sondern vermindert wurde, was
einen Widersinn zu enthalten scheint. Ich glaube indessen, dass
man diese Annahme nicht als widersinnig zu betrachten braucht,
denn es kommt bei dem Arbeitsverbrauch nicht bloss darauf an,
welche Körper durchbrochen werden, sondern auch, wie sie
durchbrochen werden, und die Art der Durchbrechung wird durch
den zwischen den Kartenblättern eingeschalteten leitenden Körper
jedenfalls geändert. Aus der grossen Verschiedenheit der übrigen
in der Tabelle befindlichen Zahlen ersieht man, wie bedeutend die
durch den Funken verbrauchte Arbeit unter erschwerenden Um-
ständen werden kann. Ein genaues Maass dieser Arbeit möchte
sich jedoch hieraus noch nicht ableiten lassen, und ein solches
besitzen wir meiner Ansicht nach bis jetzt überhaupt noch nicht,
selbst für den einfachsten und wichtigsten Fall, wo der Funke
nur durch Luft überspringt.
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man vielleicht glauben,
diese Arbeit müsse bei gleicher Dichtigkeit der Luft ein-
fach der Dicke der durchbrochenen Luftschicht propor-
tional sein. Wenn man jedoch bei unverändertem Abstände der
Körper, zwischen denen der Funke überspringen muss, die Ladung
der Batterie oder die Beschaffenheit des Schliessungsbogens ändert,
so treten in der Natur der Funken so grosse, schon äusserlich an
der verschiedenen Stärke des Lichtes und Knalles erkennbare Unter-
schiede ein, dass man diese Funken in Bezug auf die von ihnen
verbrauchte Arbeit unmöglich als gleich betrachten kann.
Ferner könnte man vielleicht aus einigen von Riess mitge-
theilten Beobachtungen i) den Schluss ziehen wollen, die von
einem durch die Luft überspringenden Funken ver-
brauchte Arbeit sei überhaupt so gering, dass man sie
vernachlässiffen könne. Riess hat nämlich mit den vorher
^) Pog'g. Ann. Bd. 43, S. 78.
116 Absclinitt IV.
erwähnten kleinen Scheiben und Kugeln die Versuche auch so an-
gestellt, dass er sie zuerst in Berührung und dann in verschiedene
Entfernungen brachte, so dass die Electricität im ersteren Falle
ohne und in den letzteren Fällen mit Funken überging, und für
jeden dieser Fälle hat er die in dem Schliessungsbogen unter sonst
gleichen Umständen erregte Wärme beobachtet. Dabei zeigte sich
diese Wärme bei der Entfernung im Allgemeinen nur wenig ge-
ringer, als bei der Berührung, und in einzelnen Fällen sogar etwas
grösser. Ich glaube indessen, dass diese Beobachtungen zu dem
obigen Schlüsse noch nicht berechtigen.
Wir müssen nämlich ausser demjenigen Funken, welcher
durch die Entfernung der Scheiben oder Kugeln willkürlich her-
vorgerufen wurde, auch jene anderen betrachten, welche an sich
schon mit dem Entladungsverfahren verbunden waren. Riess be-
wirkte die Entladungen, um sie so regelmässig wie möglich zu
machen, durch einen eigens dazu construirten Apparat i), welcher
so eingerichtet war, dass jedesmal zwei Funken übersprangen.
Nun ergiebt sich aus anderen Versuchen von Riess 2), dass durch
eine im Schliessungsbogen angebrachte Unterbrechung die Schlag-
weite an einer anderen Stelle vermindert wird, und folglich müs-
sen auch im vorliegenden Falle zugleich mit der Hervorbringung
des einen neuen Funkens zwischen den Scheiben oder Kugeln die
beiden anderen Funken im Entladungsapparate verkürzt sein,
woraus man auf eine theilweise Compensation des Arbeitsverbrau-
ches schliessen kann. In manchen Fällen waren die beiden letzte-
ren Funken sogar ganz verschwunden , indem „die Entladung erst
bei der Berührung der Kugeln des Entladungsapparates eintrat" ^).
Es war also Ein Funke neu hinzugekommen, und dafür waren
zwei früher vorhandene Funken fortgefallen, was eine Verminde-
rung des Arbeitsverbrauches, und dem entsprechend eine Vermeh-
rung der Wärmeerzeugung erwarten lässt; und in der That waren
es gerade diese Fälle, in denen Riess eine erhöhte Wärme
im Schliessungsbogen beobachtete. Man sieht also, dass es zur
Erklärung dieser Erscheinungen nicht nothwendig ist, die An-
nahme zu machen , dass die Grösse des Arbeitsverbrauches bei
einem Funken sehr klein sei, und überhaupt scheinen mir die Ver-
suche noch keinen sicheren Schluss über diese Grösse zu gestatten.
1) Pogg. Ann. Bd. 40, S. 339. — 2) Pogg. Ann. Bd. 53, S. 11.
s) Pogg. Ann. Bd. 43, S. 79.
Mech. Aequivalent einer Entladung. 117
Wenn es somit wegen der in der Gesammtwirkung vorkommen-
den unbekannten Grössen unmöglich ist, eine quantitativ ge-
naue Uebereinstimmung der Gleichung (33) mit dem Hauptsätze
nachzuweisen, so könnte man vielleicht umgekehrt versuchen,
durch die Annahme beider, und ihre Verbindung mit einander,
jene unbekannten Grössen, oder wenigstens die Summe derselben
zu bestimmen, und dazu scheint die Form der von Eiess aufge-
stellten Gleichung (33) allerdings einzuladen. Dabei muss man
aber bedenken, dass man dieser Gleichung selbst, als einer empiri-
schen Gleichung, keine absolute Genauigkeit zuschreiben darf, wie
es auch die von Riess angeführten Zahlen zeigen. Er hat näm-
lich in zwei Versuchsreihen in den Schliessungsbogen Drähte von
verschiedener Länge und Dicke eingeschaltet, wodurch sich in dem
'Ausdrucke auf der rechten Seite der Gleichung (33) nur die im
Nenner befindliche Grösse l änderte, und hat dann jedesmal aus
der beobachteten Erwärmung die Constante h bestimmt. Die so ge-
fundenen Werthe weichen in der ersten Reihe zwischen 0,01358 und
0,01101 und in der zweiten zwischen 0,00000926 und 0,000008401)
von einander ab, und wenn diese Differenzen bei der grossen Ver-
schiedenheit der eingeschalteten Drähte und bei der Schwierigkeit
der Versuche auch nicht als bedeutend gelten können, so schei-
nen sie doch deshalb einige Beachtung zu verdienen, weil sich in
ihnen eine gewisse Regelmässigkeit zeigt. In beiden Reihen wer-
den nämlich mit wachsender reducirter Länge l des Drahtes die
entsprechenden Werthe von b im Allgemeinen kleiner.
§. 7. Vergleichung unter Annahme verschiedener
Ladungen.
Wir wenden uns nun zu dem zweiten Vergleichsj)uncte zwi-
schen der Theorie und der Erfahrung, nämlich zu dem Falle,
wo der Schliessungsbogen derselbe bleibt, aber die
Grösse der Batterie und der darauf angehäuften Elec-
tricitätsmenge geändert wird.
Auch hier tritt uns der eben besprochene Uebelstand wieder
entgegen. Da wir nämlich einen Theil der Entladungswirkungen
1) Pogg. Ann. Bd. 43, S. 68 und 73. Der grosse Unterschied zwischen
den Zahlen der ersten und zweiten Reihe beruht auf einer verschiedeneu
Wahl der Einheiten.
118 Abschnitt IV.
nicht kennen, so können wir auch nicht angeben, wie derselbe sich
mit der Grösse der Batterie und der Electricitätsmenge ändert, und
können daher aus der an Einer Stelle des Schliessungsbogens beob-
achteten Wirkung noch nicht mit Sicherheit auf die Gesammt-
wirkung schhessen. Nur in Bezug auf die in den continuirlichen
Theilen des Schliessungsbogens erzeugte Wärme können wir als
sicher voraussetzen, dass jede in Einem Theile beobachtete Ver-
änderung auch in den übrigen Theilen proportional stattfindet.
Wenn nun aber der Schliessungsbogen eine grosse reducirte
Länge hat, so darf man wohl annehmen, dass der grösste Theil
der Gesammtwirkung zu seiner Erwärmung verwendet wird , und
in diesem Falle werden also , wenn die übrigen Wirkungen auch
von jener Proportionalität abweichen sollten, die dadurch ent-
stehenden Diöerenzen verhältnissmässig gering sein, so dass man*
ohne bedeutende Ungenauigkeit die an irgend einer Stelle beob-
achteten Erwärmungen den entsprechenden Gesammtwirkungen
proportional setzen kann.
Nun lässt sich aber die Gesammtwirkung einer vollständigen
Entladung nach Gleichung (12) durch den Ausdruck
—^ Const.
darstellen, und dieses ist gerade der Ausdruck, welchen Riess
für die Erwärmung im Schliessungsbogen experimentell gefunden
hat, indem die Gleichung (33) vollständig lautet i):
(33a) c=^.f,
worin a eine Constante ist 2).
§. 8. Unvollständige Entladung.
Die bisher betrachteten Fälle bezogen sich auf die vollstän-
dige Entladung. Wir wollen nun den Fall der unvollständigen
Entladung betrachten.
1) Pogg. Ann. Bd. 45, S. 23.
2) Diese Uebereinstimmung zwischen Theorie und Erfahrung wird auch
schon von Helmholtz augeführt (seine Schrift S. 43), doch ist mir die
Entwicklung seiner Formel nicht ganz verständlich, indem er darin eine
Grösse einführt, welche er Ableitungsgrösse nennt, und von welcher er
sagt, dass sie der Fläche der Batteriebelegung proportional sei, ohne jedoch
ihre Bedeutung oder den Grund dieser Proportionalität näher anzugeben.
Mech. Aequivalent einer Entladung. 119
Auch in dieser Beziehung besitzen wir messende Versuche
vonRiessi), welcher eine geladene Batterie dadurch theilweise
entlud, dass er ihre beiden Belegungen mit den entsprechenden
Belegungen einer anderen ungeladenen Batterie in Verbindung
setzte, so dass die vorher auf der einen Batterie angehäuften Elec-
tricitäten sich nun über beide verbreiteten. Er änderte die Ver-
suche dadurch ab, dass er beide Batterien von verschiedener
Flaschenzahl nahm, und beobachtete jedesmal die Erwärmung in
einem oder in beiden Verbindungsbogen. Die Flaschen jeder
Batterie waren natürlich unter sich gleich, al)er leider waren nicht
auch die Flaschen der einen gleich denen der anderen. Als Re-
sultat giebt er an, dass die nachfolgende „Formel sich allen beob-
achteten Erwärmungen an einer constanten Stelle sowohl des in-
neren als des äusseren Schliessungsbogens vollkommen angeschlos-
sen" 2) habe:
^^^^ ^^7^1 A — '
wobei ich nur zur leichteren Vergleichung mit meinen sonstigen
Formeln die Buchstaben etwas anders gewählt habe, als Riess,
Es bedeutet nämlich C die beobachtete Wärme, M die angewandte
Electricitätsmenge, s den Flächenraum der inneren Belegung einer
Flasche der ersten Batterie und n die Anzahl dieser Flaschen,
s' und n' dieselben Grössen für die andere Batterie, und endlich
a eine Constante, welche für den inneren Schliessungsbogen etwas
grösser genommen werden musste, als für den äusseren, was sich
daraus erklären lässt , dass sich auf der inneren Belegung etwas
mehr Electricität befand, als auf der äusseren.
Wir wollen nun diese Erwärmung mit der Zunahme des Po-
tentials vergleichen.
Aus der Gleichung (12) ergiebt sich für das Potential der
ersten Batterie vor der Entladung, wenn man die Electricitäts-
menge mit M bezeichnet , und für den ganzen Flächenraum S sei-
nen Werth ns setzt, der Ausdruck:
(35) w=\-^-
^ ' 2 ns
Um nun zu bestimmen, wie sich die ganze Electricitätsmenge M.
1) Pogg. Ann. Bd. 80, S. 214. — 2) A. a. 0. S. 217.
120
Abschnitt IV.
bei der Entladung über beide Batterien vertheilt, kennt man die
Bedingung, dass auf den verbundenen Belegungen die Potential-
functionen gleich sein müssen. Seien nach der Entladung Fi und
Fl die Potentialfunctionen auf den inneren Belegungen , und Mi
und Ml die gesuchten, auf ihnen befindlichen Electricitätsmengen,
so hat man nach (10):
ns
Fl = k
F.'=Jc'^.
n 8
worin Tc' dieselbe Grösse für die Flaschen der zweiten Batterie ist,
wie Je für die der ersten. Setzt man diese beiden Ausdrücke ein-
ander gleich, und bedenkt, dass:
Ml
■\- M{ = M
sein muss, so erhält man:
ns
Ml
T
ns . n's'
l ~^ Je'
(36)
\ /
n's'
MI
Je'
ns . n's'
Je ~^ Ji'
M.
Hieraus ergiebt sich weiter, wenn Wi das Gesammtpotential bei-
der Batterien nach der Entladung ist:
(37)
Wi = \{MiFi-^M{F^)
\M'
ns
+
Je ' Je'
und somit erhält man als Abnahme des Potentials:
(38)
W- Wi =
2 Je'
s
ns
1 Je"^ s'
Die Grösse — ^ • — ist für die ganze Versuchsreihe constant, und
^ Je s
man kann also schreiben:
Mech. Aequivalent einer Entladung. 121
Ä . M^
(39) W— Wi =
/.; s'
ns
Vergleicht man diesen Ausdruck mit dem von Riess für die
Erwärmung gegebenen (34), so zeigt sich, dass man, um beide ein-
ander proportional zu machen, nur anzunehmen l)raucht, dass in
den Flaschen beider Batterien, obwohl sie nicht gleich waren,
doch die Grössen fc und Je' nahe denselben Werth hatten, und
diese Annahme wird noch insbesondere dadurch gerechtfertigt,
dass Riess weiterhin i) anführt, er habe durch directe Messungen
gefunden, dass bei der Verbindung die Electricität sich über
beide Batterien nach dem Verhältnisse der Oberflächen vertheilte,
was nach den Gleichungen (36) nur dann der Fall sein konnte,
wenn 7c = k' war 2).
Riess änderte die Versuche auch dadurch ab, dass er den
Schliessungsbogen verlängerte, und beobachtete die dabei statt-
findende Abnahme der Wärme an einer bestimmten Stelle. Die
Resultate dieser Beobachtungen stimmen im Allgemeinen mit den
schon oben besprochenen überein, und wir wollen sie daher hier
übergehen und ebenso einige andere in demselben Aufsatze noch
angeführte Versuche.
1) A. a. 0. S. 220.
2) Da die Grössen k und 7c' dem Obigen nach von den Glasdicken
beider Batterien abhängen, so schien es mir von Interesse zu sein, diese
Dicken kennen zu lernen, und ich habe daher, während der Aufsatz, in
welchem ich diese Entwickelungen gemacht hatte, schon in Pogg. Ann.
gedruckt wurde, noch Hrn. Riess ersucht, eine Messung derselben anzu-
stellen, worauf er so gut gewesen ist, mir folgende Mittheilung zu
machen. In den kleinen Flaschen (denen der zweiten Batterie) variirt die
Glasdicke bedeutend und ist im Mittel lYa pariser Linien. Die grossen
Flaschen (die der ersten Batterie) hat er nicht selbst messen können, da
sie oben geschlossen sind, und er hat dafür zwei überzählige Flaschen
derselben Art, die zur Vorsicht mit den im Gebrauch befindlichen zu
gleicher Zeit angefertigt worden sind, gemessen; das Glas ist in diesen
nahe gleich und IV3 Linien dick. Da eine absolute Gleichheit der Glas-
dicken unter den von Hrn. Riess augeführten Umständen nicht zu erwarten
war, und auch durch die angenommene Gleichheit der Grössen Je und k'
nicht nothwendig bedingt ist, indem die letzteren ausser von der Glas-
dicke auch von der Natur des Glases und in einem gewissen , obwohl nur
untergeordneten Grade von der Gestalt und Grösse der Flaschen abhängen,
so glaube ich, dass man die Uebereinstimmung der Zahlen 1'/, und l^/g
als genügend betrachten kann.
122 Abschnitt IV.
§. 9. Gleichunge.n für die Cascadenbatterie.
Es möge nun nocli die Franklin 'sehe sogenannte Cascaden-
batterie oder Flaschensäule betrachtet werden. Sie besteht
bekanntlich aus einer Anzahl einzelner Flaschen oder ganzer Bat-
terien, welche isolirt und dann so unter einander verbunden sind,
dass die äussere Belegung der ersten mit der inneren der zweiten,
die äussere der zweiten mit der inneren der dritten u. s. f. in lei-
tendem Zusammenhange stehen. Nur die innere Belegung der er-
sten und die äussere der letzten Batterie sind frei, und diese wer-
den bei der Ladung wie die innere und äussere Belegung einer
einzelnen Batterie behandelt.
Nachdem diese Ladung stattgefunden bat, mögen die Electri-
citätsmengen , welche sich auf den beiden Belegungen der einzel-
nen Batterien befinden , und die entsprechenden Potentialniveaux
der Reihe nach mit
Mi,Ni-, M^,N,; M,,N^ etc.
^^^^ ' F„ G,; F,, a,; ^3, G-^ etc.
bezeichnet werden. Da nun, wenn der inneren Belegung der er-
sten Batterie von einem Conductor positive Electricität zugeführt
wird, die äussere Belegung dieser Batterie ihre negative Electri-
cität nur von der inneren der zweiten erhalten kann, und diese
dadurch positiv geladen wird, so hat man:
und da ferner zwei Körper, welche leitend mit einander verbunden
sind, gleiche Potentialniveaux haben müssen, so hat man für die-
selben beiden Belegungen:
Gl = F2,
und zwei eben solche Gleichungen gelten für jedes andere Paar
verbundener Belegungen , so dass folgende Reihe von Gleichungen
gegeben ist:
an f^i--=-^2; N, = - M,; N, = - M, etc.
^ ^ \ Gi = F,; G, = F,; G, = F, etc.
Ausserdem stehen für jede Batterie die Grössen Ji", iV", F und
G in. solcher Beziehung zu einander, dass durch je zwei derselben
die beiden anderen bestimmt sind. Man kann nämlich gemäss
Mech. Aequivalent einer Entladung. 123
den Gleichungen (51) des vorigen Abschnittes für eine aus n glei-
chen Flaschen bestehende Batterie setzen:
(42)
3f=n j {F — G)-^ nc/M
N = n(j — a\ {G — F) + n ß G.
Mittelst der Gleichungssysteme (41) und (42) kann man, so-
bald zwei der Grössen (40) gegeben sind, die übrigen bestimmen,
und daraus dann weiter auch das Potential der gesammten Elec-
tricität auf sich selbst berechnen.
Zur Vergleichung der Theorie mit der Erfahrung Ijesitzen
wir messende Versuche von Dove^) und Riess'-^). Die von ihnen
angestellten Versuche bestehen bei beiden aus zwei verschiedenen
Reihen. Bei der ersten war die Flaschenzahl in allen verbunde-
nen Batterien gleich, aber die Anzahl der angewandten Batterien
wurde geändert; bei der zweiten dagegen blieb die Anzahl der
angewandten Batterien dieselbe, nämlich immer nur zwei, aber
in jeder dieser Batterien wurde die Flaschenzahl geändert.
§. 10. Cascadenbatterie aus zwei ungleichen
Elementen.
Wir wollen zunächst die zweite der genannten Versuchsreihen
betrachten und mit der Theorie vergleichen.
Die Anordnung der Versuche war so getroffen, dass beide als
Elemente der Cascadenbatterie dienende Batterien isolirt, und die
innere Belegung der ersten mit dem Conductor der Electrisir-
maschine, die äussere der zweiten mit einer L an e' sehen Maass-
flasche verbunden waren. Demnach war durch die Anzahl der
Funken der Maassflasche die Electricitätsmenge der zweiten äusse-
ren Belegung gegeben, und zugleich kann man das Potentialniveau
dieser Belegung nach dem Ueberspringen jedes Funkens der Maass-
flasche gleich Null setzen, wobei nur die Potentialfunction des jedes-
mal in der Maassflasche bleibenden Rückstandes vernachlässigt ist.
Es sind also, wie oben gefordert wurde, zwei von den Grössen
(40) bekannt, und um aus diesen die übrigen abzuleiten, kann
1) Pogg. Ann. Bd. 72, S. 406. — 2) Pogg. Auu. Bd. 80, S. 349.
124 Abschnitt IV.
man von der zweiten äusseren Belegung nach einander zur zwei-
ten inneren, zur ersten äusseren und endhch zur ersten inneren
fortschreiten. Man erhält auf diese Weise, wenn man die durch
die Maassflasche gemessene Electricitätsmenge mit — Q und die
Flaschenzahlen der beiden Batterien mit n^ und Wa bezeichnet, und
alle Flaschen als gleich voraussetzt, unter Vernachlässigung von
Gliedern höherer Ordnungen in Bezug auf h , folgende Reihe von
Gleichungen :
N, = - Q
V ' sj n^s ^
^1 = - (l + « I) <?
l ' Wi + W3 L *^2J s\ \ni ' 71 J s ^
M,= {l+[2a + (a + ß)"S^t}Q.
Bildet man nun zur Bestimmung des Potentials der ganzen
zusammengesetzten Batterie die Gleichung:
und setzt darin die vorstehenden Ausdrücke ein, so erhält man :
Will man sich mit einem geringeren Grade von Genauigkeit be-
gnügen, und eine Grösse, welche im Verhältnisse zum Ganzen von
der Ordnung li ist, vernachlässigen, so kann man schreiben:
(43a) T»'=(i_ + J_)|L«^
Da nach der Entladung das Potential Null ist , so ist W die
bei der Entladung stattfindende Abnahme des Potentials, und
wenn wir wieder, wie früher, annehmen, dass unter sonst glei-
chen Umständen die Erwärmung an einer einzelnen Stelle des
Mech. Aequivalent einer Entladung. 125
Schliessungsbogens der Gesammtwirkung proportional sei, so kön-
nen wir schreiben:
(44) C=^(l + l)|,
worin C die erzeugte Wärme und A eine Constante ist.
Vergleichen wir diese Formel mit den Beohachtungsresulta-
ten , so finden wir zunächst die Proportionalität der erzeugten
Wärme mit dem Quadrate der angewandten Electricitätsmenge
auch hier, wie in allen anderen Fällen, bestätigt. Was aber die
Abhängigkeit der Wärme von den Flaschenzahlen ny und 11.2 l)e-
trifft, so giebt Dove dafür eine andere Formel. Bezeichnen wir
nämlich die ganzen Flächenräume der Belegungen der beiden Bat-
terien, also UyS und n-jS^ mit Sx und ^2, so geht (44) über in:
und statt dessen giebt Dove die Formel:
Die von ihm mitgetheilten Versuchsresultate schliessen sich auch
sehr gut seiner Formel an, dagegen stimmen die späteren Ver-
suche von Riess besser mit der meinigen, wie die nachstehenden
Tabellen zeigen.
Es wurde nämlich von beiden Beobachtern 2) ein Mal n^ con-
stant gelassen und iii so geändert, dass nach einander
ni = Yio , = 2 W.2 , = 3 «2 und = 4 n^
war; ein anderes Mal wurde n^ constant gelassen und n-i so geän-
dert, dass nach einander
n^ = ni , =: 2 Ml , = 3 Wj und = 4 Wi
war. Um die Resultate besser vergleichen zu können, habe ich in
beiden Fällen die Erwärmung, welche bei dem ersten Versuche,
wo «1 = n.2 war, beobachtet wurde, als Einheit genommen, und
darauf die übrigen Erwärmungen reducirt. Bei Riess, welcher
jedesmal zwei Beobachtungswerthe anführt, habe ich die Mittel-
zahlen genommen.
1) Pogg. Ann. Bd. 72, S. 419.
2) Pogg. Ann. Bd. 72, S. 417 und Bd. 80, S. 356.
126
Abschnitt IV.
(I.) Hl vei'äuderlicli, n^ constant.
Erwärmungen
l^l
berechnet
beobachtet
nach Dove's
Formel.
nach
Formel (45).
von
Dove.
von
Riess.
n^
1
1
1
1
2^2
0-71
0-75
0-72
0-76
3 «2
0-58
0-G7
0-59
0-69
4ot2
0-50
0-63
0-51
0-66
(II.) «2 veränderlich, % constant.
Erwärmungen
Wä
berechnet
beobachtet
nach Dove's
Formel.
nach
Formel (45).
von
Dove.
von
Riess.
«1
1
1
1
1
2wi
0-71
0-75
0-71
0-78
3«!
0-58
0-67
0-60
0-72
4%
0-50
0-G3
0-50
0-G8
Man sieht, dass in der ersten Tabelle zwischen den Zahlen
der dritten und fünften Colmnne eine genügende Uebereinstim-
mimg stattfindet. In der zweiten Tabelle sind die Differenzen
allerdings etwas bedeutender, wenn man aber bedenkt, wie schwie-
rig es sein würde, die in der theoretischen Formel vorausgesetzten
Bedingungen, besonders die der vollkommenen Isolation, genau zu
erfüllen , und dass auch selbst für diesen Fall die Formel nur als
eine angenähert richtige aufgestellt ist, so wird man auch diese
Differenzen nicht für die Theorie bedenklich finden, und dabei
muss noch bemerkt werden, dass alle Zahlen der fünften Co-
Mech. Aequivalent einet- Entladung. 127
lumne grösser sind, als die Ergebnisse meiner P'ormel , während
sie, um sich der Dove' sehen Formel zu nähern, kleiner sein
müssten.
§. 11. Cascadenbatterie aus mehreren gleichen
Elementen.
Wir wenden uns nun zu der anderen oben erwähnten Reihe
von Versuchen, bei welcher die zur Cascadenbatterie verbundenen
Elemente (einzelne Flaschen oder aus einigen Flaschen bestehende
Batterien), unter einander gleich waren, ihre Anzahl aber ver-
schieden genommen wurde. Dove und Riess wandten drei oder
vier gleiche Flaschen oder Batterien als Elemente an , welche bei
der Ladung immer alle zu einer Cascadenbatterie vereinigt waren,
während die Entladung entweder an der ersten allein, oder an den
beiden ersten zusammen, oder an den drei ersten zusammen etc.
vorgenommen wurde. Bei jeder Entladung wurde die Erwärmung
im Schliessungsbogen beobachtet.
Um für eine aus beliebig vielen gleichen Elementen bestehende
Cascadenbatterie die Potentialniveaux aller einzelnen Belegungen
und die auf ihnen befindlichen Electricitätsmengen zu bestimmen,
wenn zwei dieser Grössen gegeben sind, können wir wieder die
Gleichungssysteme (41) und (42) anwenden. Wir wollen uns aber
jetzt bei dieser Bestimmung mit dem geringeren Grade von Ge-
nauigkeit begnügen, welchen man erhält, wenn man bei jeder der
Grössen nur das erste Glied berücksichtigt. Dann sind die Elec-
tricitätsmengen auf allen Belegungen den absoluten Werthen nach
als gleich zu betrachten, und sie lassen sich daher, wenn wir die
auf der letzten äusseren Belegung befindliche Electricitätsmenge
wieder mit — Q bezeichnen, von dieser anfangend der Reihe nach
durch — Qi ~{- Qi — Q-, -\- Q etc. darstellen. Für die Potential-
niveaux erhalten wir, wenn das Potentialniveau der letzten äusse-
ren Belegung gleich Null ist, von diesem anfangend der Reihe
nach folgende Werthe:
0, K -^ , «' "q ) ^ "' "o 5 ^ '^ ~Q 1 <-" "' "o" etc.
Was nun das Potential der gesammten Electricität aui sich
selbst für eine Cascadenbatterie von irgend einer Anzahl von Ele-
128 Absclmitt IV.
menten anbetrifft, so ist zu bemerken, dass bei dem Grade von
Genauigkeit, mit welchem wir uns begnügt haben, die Potentiale
der einzelnen als Elemente angewandten Flaschen oder Batterien
alle unter einander gleich sind, indem jedes durch — • -§- dar-
gestellt wird. Wendet man also bloss Ein Element, oder eine
Verbindung von zwei, drei etc. Elementen an, so erhält man als
Potentiale die Werthe:
-i2 7. /-»2
^ ^ 2 ^ ^ 3 ^ ^ etc
Diese im Verhältnisse der ganzen Zahlen 1,2,3 etc. fort-
schreitenden Werthe sind es, welche bei den von Dove und Riess
nach einander vorgenommenen Entladungen die von den electri-
schen Kräften geleisteten Arbeitsgrössen darstellen, und mit ihnen
müssen daher die beobachteten Erwärmungen verglichen werden.
Dabei darf man aber in dieser Versuchsreihe nicht eine so
nahe Uebereinstimmung erwarten, wie in der vorher besprochenen,
indem bei diesen Versuchen einige Uebelstände hervortreten, welche
zwar auch bei den anderen nicht ganz fehlten, aber doch dort
nicht so einfiussreich sein konnten, als hier. Darunter ist beson-
ders der hervorzuheben, dass durch jede bei der Entladung neu
hinzugenommene Batterie auch der Schliessungsbogen verlängert
wird. In der vorher betrachteten Versuchsreihe wurden nämlich
bei der Vermehrung der Flaschen einer Batterie die neuen Fla-
schen neben den schon vorhandenen eingeschaltet, und wenn da-
her auch durch sie und ihre Verbindungsdrähte das unter der Ein-
wirkung der electrischen Entladung stehende Körpersystem ver-
grössert wurde, so war diese Vergrösserung doch nicht als eine für
sich bestehende Verlängerung des Schliessungsbogens zu rech-
nen, und ich habe deshalb diesen Umstand vorher unberücksichtigt
gelassen, ebenso wie den ähnlichen früher bei der Vermehrung der
Flaschen einer einzelnen Batterie. Bei der jetzt betrachteten Ver-
suchsreihe dagegen ist jede neu hinzugenommene Batterie hinter
den anderen eingeschaltet, so dass der zu ihr führende Zwischen-
draht und ihre beiden Belegungen selbständige Theile des
Schliessungsbogens bilden.
Hieraus folgt, dass die Annahme, welche wir früher bei gleich-
bleibendem Schliessungsbogen gemacht haben, dass die Wärme-
erregung an einer einzelnen Stelle der Gesammtwirkung propor-
Mech. Aequivalent einer Entladung. 129
tional sei, auf den Fall, wo die letztere durch Vermehrung der
Elemente einer Cascadenbatterie vergrössert wird, nicht als gleich
nahe richtig angewandt werden darf, sondern dass in diesem Falle
das Verhältniss der beobachteten Wärmeerregungen ein etwas ge-
ringeres sein muss. Da sich nun aus den obigen Gleichungen die
Gesammtwirkung oder die Abnahme des Potentials der Anzahl der
zusammen entladenen Elemente proportional ergiebt, so muss man
von einem in dem Schliessungsbogen befindlichen electrischen
Thermometer bei stufenweiser Vermehrung der Elemente Anzei-
gen erwarten, die etwas hinter den auf einander folgenden ganzen
Zahlen zurückbleiben.
In den von Dove^) mitgetheilten Versuchen tritt dieser Un-
terschied zwar nicht hervor, indem er bei vier Batterien für die
Erwärmungen gerade die Zahlen 1, 2, 3 und 4 anführt. Die Ver-
suche von Riess2) dagegen zeigen sogar eine ziemlich bedeu-
tende Abweichung, indem bei vier Flaschen die Zahlen, statt von
1 bis 4, immer nur von 1 bis etwa 3, und bei drei Batterien, statt
von 1 bis 3, nur von 1 bis 2,5 wachsen. Ein bestimmtes Gesetz
lässt sich über diese Zahlenreihe natürlich nicht aufstellen, indem
dieselbe sehr von der Beschaffenheit der angewandten Batterien
und der Zwischenverbindungen abhängen muss.
Die Richtigkeit der im Vorigen gemachten Annahme , dass
jede Verbindung je zweier Elemente als ein selbständiger Theil
des Schliessungsbogens zu betrachten sei, ergiebt sich übrigens
noch insbesondere daraus, dass nach den Beobachtungen beider
Physiker die Erwärmung in diesen Zwischendirähten nahe ebenso
stattfindet, wie im Hauptschliessungsbogen , und dass durch die
Einschaltung eines schlechten Leiters in eine der Zwischenverbin-
dungen die Erwärmung irgend einer Stelle des Hauptbogens nahe
ebenso vermindert wird, als wenn jener Leiter in den Hauptbogen
selbst eingeschaltet wäre.
Diesen letzteren Umstand muss man wohl berücksichtigen,
wenn man sich von der bei der Vermehrung der Elemente einer
Cascadenbatterie stattfindenden Zunahme der im Ganzen erzeug-
ten "Wärme Rechenschaft geben will. Hat man z. B. eine Cascaden-
batterie von vier Elementen, so kommen in dieser vier getrennte
Theile des Schliessungsbogens vor, der Hauptbogen, welcher die
erste innere Belegung mit der letzten äusseren verbindet, und die
1) Pogg. Auu. Bd. 72, S. 408. — '^) Pogg. Auü. Bd. 80, S. 351.
Clausius, mech. Wärmetheorie. IT, g
130 Abschnitt lY.
drei Zwischenstücke, welche je eine äussere Belegung mit der
nächsten inneren Belegung verbinden. Da man nun in jedem die-
ser yier Verbindungsbogen ein electrisches Luftthermometer ein-
schalten kann, und darin jedesmal eine Wärmemenge erhält, die
sich der vierfachen von derjenigen, welche ein einzelnes Element
hervorbringen würde, wenigstens nähert, so könnte man vielleicht,
wie es in der That geschehen ist, den Schluss ziehen, dass man
bei gleichzeitiger Einschaltung von electrischen Luftthermometern
in allen vier Verbindungsbogen angenähert die sechszehnfache
Wärmemenge erhalten würde. Dabei ist aber zu bedenken, dass
wenn nur Ein Luftthermometer, dessen Draht eine bedeutende
reducirte Länge hat, eingeschaltet ist, fast die ganze Wirkung der
Entladung sich in ihm concentrirt; wenn aber vier Luftthermome-
ter eingeschaltet sind , die Wirkung sich über alle vier verbreiten
und daher in jedem einzelnen entsprechend geringer werden muss.
Die gesammte Wärmeerzeugung kann nicht grösser sein, als die
bei der Entladung eingetretene Abnahme des Potentials, und diese
ist dem Obigen nach bei einer Batterie von vier Elementen nicht
sechzehnmal, sondern viermal so gross als bei einem einzelnen Ele-
mente.
Fassen wir nun das Ergebniss aller bisher untersuchten Fälle
zusammen, so sind die meisten derselben allerdings zu complicirt,
um eine ganz strenge Vergleichung mit der Theorie zuzulassen;
so weit aber die Vergleichung möglich war, ist sie immer zu Gun-
sten des Hauptsatzes ausgefallen, und mir ist auch sonst keine
experimentell feststehende Thatsache bekannt, welche gegen die-
sen Satz spräche. Ich glaube daher, dass man denselben, sofern
er dessen neben seiner theoretischen Begründung überhaupt noch
bedarf, auch durch die Erfahrung als bestätigt ansehen kann.
ABSCHNITT Y.
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem stationären
electrischen Strome.
§. 1. Eigentliümlichkeit des zu betrachtenden
Falles.
Im vorigen Abschnitte wurden die Wirkungen der Electri-
citätsbewegung in einem Falle betrachtet, welcher in einer gewis-
sen Beziehung besonders einfach ist. Es wurde nämlich voraus-
gesetzt, dass sowohl der Anfangs- als auch der Endzustand
der Electricität ein Ruhezustand sei. Für diesen Fall brauchte
man den Verlauf der Bewegung , durch welche die Electricität aus
dem einen Zustande in den anderen übergeht, gar nicht zu be-
trachten, sondern es genügte, das Potential der gesammten Elec-
tricität auf- sich selbst für jeden der beiden Ruhezustände zu ken-
nen, indem die während des Ueberganges von den electrischen
Kräften geleistete Arbeit einfach durch die Differenz dieser beiden
Potentiale dargestellt wird. Jetzt wollen wir dagegen die Elec-
tricität in der Bewegung selbst betrachten, wollen dabei aber an-
dere vereinfachende Annahmen machen. Wir wollen die Bewe-
gung als eine stationäre voraussetzen, worunter wir eine solche
verstehen, bei der der Bewegungszustand des betrachteten Sy-
stemes im Verlaufe der Zeit immer derselbe bleibt, oder wenig-
stens nur solche Aenderungen erleidet, deren Zeitdauer gegen die
bei der Beobachtung in Betracht kommenden Zeiten so klein ist,
dass man es bei der Beobachtung nur mit einem mittleren Bewe-
gungszustande zu thun hat, welcher unveränderlich ist. Eine
9*
132 Abschnitt V.
solche stationäre Bewegung findet bei einem galvanischen und
thermoelectrischen Strome statt , und mit Strömen dieser Art wol-
len wir uns jetzt beschäftigen. Dabei wollen wir noch eine Be-
schränkung einführen. Wir wollen nämlich nicht gleich den gan-
zen Stromkreis mit Einschluss der Stellen, wo die electromotori-
schen Kräfte wirken, und mit den diese Kräfte erzeugenden Vor-
gängen betrachten, sondern wollen die Betrachtung auf ein sol-
ches Leiterstück beschränken, in welchem keine electromotorische
Kraft ihren Sitz hat, und welches durch den Strom keinerlei che-
mische oder mechanische Veränderungen erleidet. Auch wollen
wir voraussetzen, dass keinerlei inducirende Wirkungen zwischen
dem betrachteten Leiter und anderen Leitern oder Magneten
stattfinden.
In diesem Falle ist die einzige Wirkung, welche der electrische
Strom hervorbringt, eine Erwärmung des Leiters. Die Gesetze die-
ser Wärmeerzeugung sind für den einfachsten Fall, wo der Leiter
ein Draht ist, empirisch von Joule i), Lenz 2) und Becquerel^)
ermittelt, welche gefunden haben, dass die während der Zeiteinheit
in einem Drahte erzeugte Wärme proportional seinem Leitungs-
widerstande und dem Quadrate der Stromintensität ist. Es han-
delt sich nun darum, die in dem Leiter von den electrischen Kräf-
ten gethane Arbeit und die in Folge dessen erzeugte Wärme vom
allgemeinen theoretischen Gesichtspuncte aus zu betrachten und
mit den im vorigen Abschnitte betrachteten Wirkungen in Zu-
sammenhang zu bringen.
§. 2. Das Ohm'sche Gesetz und die Kirchhoff'sche
Deutung desselben.
Das Ohm'sche Gesetz, soweit es sich auf die Vorgänge inner-
halb eines homogenen Leiters bezieht, lässt sich ganz allgemein
in folgender Weise aussprechen. Sei da irgend ein Flächen-
element innerhalb des Leiters, N die Normale darauf und ida
die Electricitätsmenge , welche während der Zeiteinheit hindurch-
strömt, worin i positiv oder negativ zu nehmen ist, je nachdem
1) Phil. Mag. S. 3, V. 19, p. 264 und Ser. 4, V. 3, p. 486.
2) Pogg. Ann. Bd. 61, S. 44.
3) Ann. de chim. et de phys. S. 3, T. 9, p. 21.
imd der negative Differential-Coefficient — -^i^^^ stellt offenbar die
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 133
die Electricität von der in Bezug auf N negativen Seite nach der
positiven oder umgekehrt strömt, so gilt die Gleichung:
(1) ^ = - Je g^,
worin k das Leitungsvermögen des Körpers bedeutet, und V eine
Function ist, welche, sobald der stationäre Zustand des Stromes
eingetreten ist, nur von den Raumcoordinaten abhängt.
Es muss nämlich, in jedem Puncte des durchströmten Leiters
eine Kraft wirken, welche die Electricität trotz des Widerstandes,
den sie fortwährend zu überwinden hat, doch in Bewegung erhält,
dV
dN
in die Richtung der Normale N fallende Componente dieser Kraft
dar. Im Uebrigen aber war die plij^sikalische Bedeutung der
Function V früher zweifelhaft. Ohm nennt nämlich die durch
diese Function dargestellte Grösse die electroskopische Kraft,
und definirt sie als die Dichtigkeit der Electricität an dem be-
treffenden Puncte des Leiters i). Gegen diese Ansicht hat aber
Kirchhoff 2) mit Recht eingewandt, dass sie mit einem bekannten
electrostatischen Satze geradezu im Widerspruche stehe. Nach ihr
müsste nämlich die Electricität in einem Leiter in Ruhe bleiben,
wenn sie durch den ganzen Rauminhalt desselben mit gleicher
Dichtigkeit verbreitet wäre, während es doch hinlänglich bekannt
ist, dass die getrennte (d. h. nicht mit einer gleichen Menge
entgegengesetzter Electricität verbundene) Electricität' eines Kör-
pers, von welcher allein hier die Rede sein kann, da nur sie eine
Kraft ausübt, im Zustande der Ruhe nur über die Oberfläche
des Körpers verbreitet ist.
Dieser Einwand könnte vielleicht Misstrauen gegen die
theoretische Zulässigkeit des Ohm 'sehen Gesetzes überhaupt ein-
flössen, doch hat Kirchhoff selbst sogleich gezeigt, dass das Ge-
setz auch mit den Grundsätzen der Electrostatik sehr wohl in
Einklang zu bringen ist, und welche Bedeutung man zu dem
Zwecke der Function V beilegen muss. _
1) Die galvauisclie Kette, mathematiscli bearbeitet vou Dr. G. S. Ohm,
S. 95 und an anderen Stellen.
2) Pogg. Ann. Bd. 78, S. 506.
134 Abschnitt V.
dV
Wie schon gesagt, stellt — ^-^ die in die Richtung von N
fallende Componente der in dem betrachteten Puncte auf eine dort
gedachte Electricitätseinheit wirkende Kraft dar, und ebenso wer-
den natürlich auch die in die Richtungen der drei Coordinaten-
axen fallenden Componenten durch — ;::—, — yr— und — ^-- dar-
dx oy dz
gestellt. Das deutet darauf hin , dass die Kraft von Anziehungen
und Abstossungen herrührt, welche von festen Puncten ausgehen,
und von denen jede ihrer Stärke nach nur von der Entfernung
und nicht von der sonstigen Lage des wirksamen Punctes abhängt,
wobei freilich das Gesetz dieser Abhängigkeit noch willkürlich
bleibt. Aber auch dieses letztere lässt sich aus anderen Gründen
schliessen, indem solche Anziehungen und Abstossungen in unse-
rem Falle offenbar nur von der Electricität selbst ausgeübt wer-
den können, und für deren Anziehungen und Abstossungen das
Gesetz des umgekehrten Quadrates der Entfernung gilt.
Daraus folgt, dass die Function V einfach als die Potential-
function der gesammten getrennten Electricität zu be-
trachten ist 1).
Hierdurch ist der oben erwähnte Widerspruch gehoben, denn
bei dieser Bedeutung der Function V ist die Gleichung V = const,,
welche in Folge von (1) ausdrückt, dass kein Strom stattfinde,
dieselbe, welche auch aus der Electrostatik als Bedingungsgleichung
für den Gleichgewichtszustand bekannt ist.
§. 3. Anordnung der getrennten Electricität und electri-
scher Zustand im Inneren des Leiters.
Aus der vorstehend angegebenen Bedeutung von V lässt sich,
wie Kirchhoff gezeigt hat, leicht bestimmen, wo sich während
eines stationären Stromes die getrennte Electricität befindet. Soll
nämlich der Strom stationär sein, so muss die in jedem Raum-
elemente enthaltene Electricitätsmenge constant, und also die wäh-
1) Icla habe daher für diese Function, welche Ohm und Kirchhoff
mit u bezeichnen, von vornherein den Buchstaben F gewählt, weil ich
diesen in meinen sonstigen Untersuchungen für die Potentialfunction ge-
braucht habe,
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 135
rend irgend einer Zeit einströmende Electricitätsmenge gleich der
ausströmenden sein. Betrachten wir nun ein heim Puncte {x^ ?/, z)
liegendes Element dxdyds!, so ist nach Gleichung (1) die wäh-
rend der Zeiteinheit durch die erste der beiden Flächen dy dz in
das Element einströmende Menge
= — Jidydz^,
und die durch die gegenüberliegende Fläche ausströmende Menge
= -ldydz[^~^ — dxy
also der Ueberschuss der ersteren über die letztere
= lidxdydz ■^-^•
Ebenso erhält man für das Flächenpaar dx dz den Ueberschuss:
Iv dx dy dz ;r— r-,
und für das Flächenpaar dxdy:
Ti dx dy dz tt-t*
•^ dz^
Die Summe dieser drei Ausdrücke giebt den Ueberschuss der gan-
zen in das Element einströmenden Electricitätsmenge über die
ausströmende , und da dieser Ueberschuss Null sein muss , so er-
hält man :
82 1^ g2y g2T7'
^ ^ dx'i^ dy^ ^ dz^
Aus dieser Gleichung folgt nun aber nach einem bekannten Satze
über die Potentialfunction , dass der Punct (x^ y^ z) sich ausser-
halb derjenigen Electricitätsmengen, von welchen Fdie Potential-
function ist, befinden muss, und da dasselbe von allen Puncten des
Leiters gilt, so folgt weiter, dass die getrennte Electricität sich
überhaupt nicht innerhalb des Leiters befinden kann, und sie kann
daher während eines stationären Stromes , ebenso wie im Gleich-
gewichtszustande, nur an der Oberfläche angehäuft sein.
Den Umstand, dass die im Inneren des Leiters strömende
Electricität keine Anziehung oder Abstossung ausübt, muss man
je nach der Hypothese, dass es zwei Electricitäten oder nur eine
Electricität gebe, verschieden deuten. Bei der ersten Hypothese
muss man annehmen, dass sich in jedem Raumelemente innerhalb
136 Abschnitt V.
des Leiters stets gleich viel von beiden Electricitäten befinde. Bei
der anderen Hypothese, bei welcher vorausgesetzt wird, dass ein
Kaumelement eines Körpers, wenn es eine gewisse normale Quan-
tität von Electricität enthalte, auf ein fremdes Electricitätsth eil-
chen keine Wirkung ausübe, indem die Abstossung der Electrici-
tät durch irgend eine andere Kraft compensirt werde, und dass
erst dann eine wirksame Abstossung oder Anziehung eintrete,
wenn das Raumelement zu viel oder zu wenig Electricität enthalte,
muss man annehmen, dass sich während eines stationären Stromes
in jedem Kaumelemente innerhalb des Leiters fortwährend die
normale Electricitätsmenge befinde.
Bei der ersten Hypothese, dass es zwei Electricitäten gebe,
kann man aber in Bezug auf ihr Verhalten noch verschiedene An-
nahmen machen. Wenn man beide Electricitäten als gleich be-
weglich betrachtet, so muss man schliessen, dass sie sich beide
mit gleichen Geschwindigkeiten nach "entgegengesetzten Seiten be-
wegen. Man kann aber auch, wie es von C. Neumann geschehen
ist, die Annahme machen, dass nur Eine der beiden Electricitäten,
etwa die positive , in der Weise beweglich sei , dass sie im festen
Leiter strömen könne , und dass die negative Electricität fest an
die ponderablen Atome gebunden sei. Diese Annahme stimmt in
Bezug darauf, dass der galvanische Strom nur aus einer einfachen
Bewegung, nämlich der Bewegung der positiven Electricität be-
steht, mit jener anderen Hypothese , dass es nur Eine Electricität
gebe, überein; sie ist aber im Uebrigen für die mathematische Be-
handlung bequemer, indem die von der ruhenden festen Electrici-
tät ausgeübten Kräfte sich in bestimmter und einfacher Weise
ausdrücken lassen.
Wir wollen im Folgenden immer nur Eine Electricität als
strömend annehmen. Die Gültigkeit der in diesem Abschnitte vor-
kommenden Schlüsse ist aber von dieser Annahme ganz unab-
hängig. Um alle hier vorkommenden Betrachtungen der anderen
Annahme, dass beide Electricitäten gleich beweglich seien, anzu-
passen, braucht man immer nur statt Eines Stromes, welcher wäh-
rend der Zeiteinheit durch eine gegebene Fläche die Electricitäts-
menge Q nach Einer Kichtung führt, zwei Ströme, M'-elche die
Electricitätsmengen i Q und — IQ nach entgegengesetzten Kich-
tungen führen, zu substituiren, und dann dieselben Schlüsse, welche
sich hier auf den einen Strom beziehen , auf beide Ströme einzeln
anzuwenden.
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 137
Ferner muss noch ein anderer Umstand hier zur Sprache ge-
bracht werden. Es sind im Vorigen bei Besprechung der Kraft,
welche die bewegte Electricität erleidet, nur die gewöhnlich be-
trachteten Kräfte berücksichtigt, welche die Electricitätsth eilchen
unabhängig von ihrer Bewegung auf einander ausüben. Nun üben
aber bewegte Electricitätstheilchen auch solche Kräfte auf einan-
der aus, die nur durch ihre Bewegung entstehen, und welche wir
kurz electro dynamische Kräfte nennen wollen. Es fragt sich
nun, ob ein in dem Leiter sich bewegendes Electricitätstheilchen
von allen übrigen bewegten Electricitätstheilchen, welche den gan-
zen geschlossenen Strom bilden, eine electrodynamische Kraft er-
leidet, welche durch ihr Hinzukommen zu der bisher besproche-
nen Kraft die oben erwähnten Gesetze modificirt.
In dieser Beziehung will ich zunächst als Kesultat einer in
einem späteren Abschnitte folgenden Untersuchung vorläufig an-
führen, dass die electrodynamische Kraft, welche ein bewegtes
Electricitätstheilchen von einem ruhenden und constanten ge-
schlossenen Strome erleidet, nur eine auf der Bewegungsrichtung
senkrechte Kichtung haben kann, und dass sie also bei der Bewe-
gung keine Arbeit leisten kann. Demnach können wir bei der hier
beabsichtigten Bestimmung der Arbeit und der damit zusammen-
hängenden Wärmeerzeugung von der electrodynamischen Kraft
ganz absehen.
Bei der Frage aber, wo sich die getrennte Electricität befin-
det, und wie sie angeordnet ist, kommt allerdings die electrodyna-
mische Kraft mit in Betracht. Man kann sich nämlich, wenn eine
solche Kraft besteht, vorstellen, dass ausser derjenigen getrennten
Electricität, von welcher V die Potentialfunction ist, noch andere
getrennte Electricität vorhanden sei, deren Kraft der electrodyna-
mischen Kraft das Gleichgewicht halte. Die nähere Erörterung
dieses Gegenstandes würde hier, wo von der electrodynamischen
Kraft noch nicht die Rede gewesen ist, nicht am Orte sein, und
ich will mich daher hier darauf beschränken , durch eine gewisse
Unterscheidung in der Benennungsweise anzudeuten, dass dieser
Erörterung durch das hier Gesagte nicht vorgegriffen werden soll.
Ich will nämlich V nicht einfach die Potentialfunction der ge-
trennten Electricität, sondern die Potentialfunction der treiben-
den getrennten Electricität nennen , wodurch ausgedrückt
werden soll, dass ausser dieser getrennten Electricität noch an-
dere vorhanden sein kann, welche nicht treibend wirkt, indem die
138 Absclmitt Y.
in die Eichtung der Bahn fallende Componente der von ihr aus-
geübten Kraft Null ist.
§. 4. Bestimmung der im Leiter gethanen Arbeit,
Wir gehen jetzt zur Bestimmung der Arbeit über, welche die
innerhalb des Leiters wirksame Kraft bei der Bewegung der Elec-
tricität thut.
Es sei dazu irgend ein Electricitätselement dq^ während es
sich auf dem Wege s fortbewegt, betrachtet. Die in die Richtung
der Bahn fallende Componente der auf eine Electricitätseinheit
dV
wirkenden Kraft wird für jeden Punct der Bahn durch — — , und
daher die Componente der auf das Element dq wirkenden Kraft
dV
durch — dq--;r- dargestellt. Dabei ist zu bemerken, dass das
■^ CS
Electricitätselement sich nach der Richtung bewegt, nach welcher
die Kraft wirkt, und dass daher die in die Richtung der Bahn fal-
lende Componente der Kraft zugleich die ganze Kraft ist. Denken
wir uns nun die Bahn des Electricitätselementes dq gegeben, so
können Wir V einfach als Function der Bahnlänge s betrachten,
dV dV
und können daher statt 7— auch ^5- schreiben, und demgemäss
ds ds
dV
die obige Kraft durch — dq-^- darstellen. Die bei der Bewe-
gung um das Bahnelement ds von der Kraft gethane Arbeit ist
daher
= -äq-^^ds,
und somit die auf der Strecke von Sq bis Si gethane Arbeit
dV
— ds = (Fo — Fl) dq,
So
worin Fo und Fi die zu So und Sj gehörigen Werthe von F be-
zeichnen.
Man sieht hieraus zunächst, dass diese Arbeit durch die am
Anfangs- und Endpuncte der Bahnstrecke stattfindenden Werthe
der Potentialfunction vollständig bestimmt ist, ohne dass man den
Weg zwischen diesen beiden Puncten zu kennen braucht. Ferner ist
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 139
das Product V.dq das Potential der treibenden getrennten Elec-
tricität auf das Element dq, so dass der vorige Ausdruck die auf
dem Wege von So bis Si eingetretene Abnahme dieses Potentials
darstellt, und da derselbe Ausdruck ebenso für jedes andere Electri-
citätselement gilt, und sich daher auch auf eine endliche Electri-
citätsmenge ausdehnen lässt, so erhält man folgenden Satz:
Die bei einer bestimmten Bewegung einer Electri-
citätsmenge von der im Leiter wirksamen Kraft
gethane Arbeit ist gleich der bei der Bewegung
eingetretenen Abnahme des Potentials dieser Elec-
tricitätsmenge und der treibenden getrenntenElec-
tricität auf einander.
Wir haben uns bei dieser Entwickelung die Bewegung der
Electricität so vorgestellt, als ob eine bestimmte Electricitäts-
menge den ganzen betrachteten Weg durchlaufe;" es kann aber
sein, dass die Bewegung der Electricität einen ganz anderen Cha-
rakter hat. Setzt man z. B. voraus, dass jedes Massenmolecül mit
einer gewissen Menge von Electricität versehen sei, und denkt sich
eine Anzahl solcher Molecüle 1, 2, 3, 4 etc. in einer Reihe hinter
einander liegend, so kann die Electricitätsbewegung in der Weise
stattfinden, dass eine kleine Quantität von 1 nach 2 geht, eine
eben so grosse, aber andere Quantität von 2 nach 3, wieder eine
eben so grosse aber andere von 3 nach 4 u. s. f. Für die Gültig-
keit des vorigen Satzes ist es aber ganz gleichgültig, welche die-
ser beiden Arten von Bewegung man annimmt, denn der Satz for-
dert nur, dass alle Theile des ganzen Weges von einer gleich
grossen, aber nicht, dass sie von derselben Electricitätsmenge
durchlaufen werden.
Nach diesem Satze ist es nun auch leicht, die Arbeit zu be-
stimmen, welche in einem beliebigen Stücke eines von einem sta-
tionären Strome durchfiossenen Leiters während der Zeiteinheit
gethan wird.
Sei nämlich eine geschlossene Fläche gegeben, welche einen
Theil des von dem Leiter erfüllten Raumes abgrenzt, so braucht
man nur für jedes während der Zeiteinheit durch diesen abge-
grenzten Raum hindurchströmende Electricitätstheilchen die Ab-
nahme des Potentials zu bestimmen, oder, was dasselbe ist, es mit
den am Eintritts- und Austrittspuncte stattfindenden Werthen der
Potentialfunction zu multipliciren , und beide Producte von ein-
ander abzuziehen. Die Summe aller dieser Differenzen, welche die
140 Abschnitt V.
gesuchte Arbeitsgrösse giebt, lässt sich, bequem auf folgende Weise
darstellen. Sei d to ein Element der Oberfläche des abgegrenzten
Eaumes, und ido) die während der Zeiteinheit durch dasselbe hin-
durchströmende Electricitätsmenge , welche positiv oder negativ
genommen wird, je nachdem sie in den Raum hinein- oder aus
ihm herausströmt, und bezeichne W die innerhalb des Kaumes ge-
thane Arbeit, so ist:
(I.) W = fvid(o,
worin das Integral über die ganze Oberfläche genommen werden
muss. Setzt man hierin nach (1):
wobei die Normale N nach Innen als positiv zu rechnen ist, so
kann man diese Gleichung auch so schreiben:
(la.) W=-hf
§. 5. Bestimmung der im Leiter erzeugten Wärme.
An diese Gleichungen schliessen sich unmittelbar diejenigen
an, welche die innerhalb des abgegrenzten Raumes erzeugte
Wärme bestimmen.
Es muss nämlich die in demselben gethane Arbeit von einer
ebenso grossen Zunahme an lebendiger Kraft begleitet sein. Die
gethane Arbeit wird für unseren Fall durch die Gleichung (I.)
oder (la.) vollständig dargestellt, da wir alle sonstigen Wirkun-
gen, bei welchen eine Arbeit vorkommt, wie z. B. die Electrolyse,
ausgeschlossen haben. Bei der lebendigen Kraft müssen wir, streng
genommen, nicht nur die ponderable Masse des Leiters, sondern
auch die Electricität berücksichtigen. Die Electricitätstheilchen
können nämlich auf ihrem Wege durch den Raum beschleunigt
oder verzögert werden, da mit der Bedingung des stationären Zu-
standes zwar ausgesprochen ist, dass die Geschwindigkeit an jeder
Stelle des Leiters unveränderlich, aber nicht, dass sie an den ver-
schiedenen Stellen gleich sei. Geht z. B. der Strom durch einen
Leiter mit sehr verschiedenen Querschnitten, so kann sich die
Electricität an den engeren Stellen schneller bewegen als an den
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 141
weiteren, ähnlich wie das Wasser eines Flusses an Stellen, wo das
Flussbett beengt ist, schneller fiiesst als an anderen.
Es würde sich also darum handeln , zu entscheiden , ob man
der Electricität Beharrungsvermögen und daher der bewegten
Electricität lebendige Kraft zuzuschreiben und wie man diese zu
bestimmen hat. In dieser Beziehung ist nun zu bemerken , dass
schon bei der Aufstellung des Ohm'schen Gesetzes stillscliwei-
gend eine Annahme hierüber gemacht ist. Wenn nämlich die un-
ter (1) gegebene Gleichung
richtig ist, so hängt die an einem bestimmten Puncte stattfindende
Geschwindigkeit der Electricität nach Grösse und Pachtung nur
von der an diesem Puncte wirksamen Kraft ab, und es muss da-
her das Beharrungsvermögen der Electricität entweder Null, oder
doch so klein sein, dass die Kraft, welche nöthig ist, um solche
Geschwindigkeitsänderungen, wie sie im Leiter vorkommen, zu be-
wirken, gegen die Kraft, welche zur Ueberwindung des Leitungs-
widerstandes nöthig ist, vernachlässigt werden kann. Demnach
können wir auch bei der hier beabsichtigten Bestimmung von einer
Berücksichtigung der lebendigen Kraft der Electricität absehen.
Wir haben also nur die lebendige Kraft der ponderablen
Masse des Leiters zu betrachten, und da der Voraussetzung nach
keine äusserlich wahrnehmbare Bewegung derselben hervorge-
bracht ist, so bleibt nur die Vermehrung oder Verminderung der
Wärmemenge übrig. Man kann dieses kurz so aussprechen: die
ganze Arbeit ist zur Ueberwindung des Leitungswiderstandes ver-
wandt, und diese wiederum hat in ähnlicher Weise, wie die Ueber-
windung einer Reibung, die Entstehung einer der Arbeit äquiva-
lenten Wärmemenge zur Folge.
Denken wir uns nun die Wärme nach mechanischem Maasse
gemessen, so ist die erzeugte Wärmemenge einfach gleich der von
den electrischen Kräften gethanen Arbeit, und die für TT gegebe-
nen Formeln gelten also auch für die erzeugte Wärmemenge. Den-
ken wir uns dagegen die Wärme nach gewöhnlichem Maasse ge-
messen und nennen die der W^ärmeeinheit entsprechende Arbeit
oder das mechanische Aequivalent der Wärme E, so haben wir,
wenn wir die während der Zeiteinheit in dem abgegrenzten Räume
erzeugte Wärmemenge mit H bezeichnen, zu setzen :
142 Absclinitt V.
und somit nach (I.) und (la.):
(IL) H= ~f Vida
(IIa.) H=-^frl^ä..
§. 6. Behandlung specieller Fälle.
Die in den Gleichungen (I.), (la.), (IL) und (IIa.) enthaltenen
Integrale lassen in den in der Praxis vorkommenden Fällen ge-
wöhnlich grosse Vereinfachungen zu.
Ist die Fläche, welche den betrachteten Raum abgrenzt, zum
Theil zugleich die Oberfläche des Leiters, und vernachlässigen
wir die geringe Electricitätsmenge , welche der Leiter während
des Stromes an die umgebende Luft abgiebt, gegen die ganze ihn
durchströmende Electricitätsmenge, so brauchen wir diesen Theil
der Fläche bei der Integration gar nicht zu berücksichtigen. Bil-
det z. B., wie es gewöhnlich der Fall ist, der Leiter einen lang-
gestreckten Körper, welcher seiner Länge nach von der Electricität
durchströmt wird, und betrachten wir von ihm ein zwischen zwei
Querschnitten liegendes Stück, so brauchen wir die Integration
nur für die Flächen dieser beiden Querschnitte auszuführen.
Hat ferner der Leiter an der Stelle, wo sich der eine Quer-
schnitt befindet, eine angenähert prismatische oder cylindrische
Gestalt, so dass man annehmen kann, dass die Electricitätstheil-
chen sich hier alle unter einander und mit der Axe parallel be-
wegen , so muss auch die treibende Kraft hier diese Richtung ha-
ben. Legt man daher ein rechtwinkliges Coordinatensystem so,
dass die Coordinatenaxe der x mit der Axe des Leiters parallel
dV dV
ist, so stellt — — - die ganze treibende Kraft dar, und - — und
ox oy
dV .
— sind Null. Daraus folgt, dass wenn der Querschnitt gegen die
Axe senkrecht genommen ist, innerhalb desselben F constant sein
muss, und man kann also schreiben:
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 143
/ Vi dco = VI ida.
Hierin stellt das Integral / idco, positiv oder negativ genommen,
je nachdem dieser Querschnitt in Bezug auf die Richtung des
Stromes der erste oder zweite ist, die ganze während der Zeit-
einheit durch den Querschnitt strömende Electricitätsmenge dar,
welche man gewöhnlich die Intensität des Stromes nennt, und
welche wir daher mit J bezeichnen wollen, wodurch der vorige
Ausdruck in
±V.J
übergeht. Nehmen wir nun an, dass bei dem anderen Querschnitte
dieselben Bedingungen erfüllt seien, und bezeichnen die im ersten
und zweiten Querschnitte geltenden Werthe von V resp. mit Vo
und Fl, so ist die innerhalb des ganzen Stückes gethane Arbeit:
(3) W=(V,-V,),J,
und die erzeugte Wärme:
(4) H=^iVo-V,).J.
Nun ist aber nach dem Ohm' sehen Gesetze:
(5) J= ^ ,
worin l den Leitungswiderstand des zwischen den beiden Quer-
schnitten liegenden Stückes bedeutet, und dadurch gehen die bei-
den vorigen Gleichungen über in:
(6) W=l.J^
(7) H=^l.J\
Die letztere dieser Gleichungen enthält die beiden Eingangs er-
wähnten von Joule gefundenen, und von Lenz und Becquerel
bestätigten Gesetze.
Nachdem ich diese Gleichung (7), in welcher E das mecha-
nische Aequivalent der Wärme bedeutet, in einer inPoggendorff's
Annaleni) veröffentlichten Abhandlung so, wie es vorstehend mit-
getheilt ist, nur aus dem Ohm 'sehen Gesetze abgeleitet hatte 2),
1) Bd. 87, S. 164.
^) In einer von W. Thomson ausgeführten Untersuchung' dieses Gegen-
standes (Phil. Mag. Ser. 4, Vol. 2, p. 551) waren ausser dem Ohm' sehen
144 Abschnitt V.
hat von Quintus-Icilius dieselbe zu einer numerischen Bestim-
mung von E angewandt i). Durch eine Reihe sorgfältiger Messun-
gen ist er zu dem Werthe 399-7 oder rund 400 Kilogrammeter ge-
langt, welcher in Anbetracht der grossen Schwierigkeit der dabei
auszuführenden Beobachtungen hinlänglich genau mit dem von
Joule durch Reibung des Wassers bestimmten Werthe 424 über-
einstimmt.
§. 7. Verhalten galvanisch erwärmter Drähte in ver-
schiedenen Gasen.
Grove hat im Jahre 1845 2) die Beobachtung gemacht, dass,
wenn man einen Draht durch einen galvanischen Strom zurWeiss-
gluth gebracht hat und darauf ein Gefäss mit Wasserstoff darüber
stülpt, dann sein Licht so plötzlich erlischt, wie es mit der Flamme
einer Kerze geschehen sein würde. In einer späteren Arbeit ^) ist
er auf diesen Gegenstand noch specieller eingegangen , wobei be-
sonders der folgende Versuch von Wichtigkeit ist. Er schaltete in
den Schliessungsbogen einer Volta' sehen' Batterie zwei ganz
gleiche Stücke Platindraht ein, welche schraubenförmig gewunden
in zwei kleine Glasröhren eingeschlossen waren, deren eine Sauer-
stoff, die andere Wasserstoff enthielt, und legte die so vorgerichte-
ten Röhren in zwei gleiche , mit gleichen Quantitäten Wasser ver-
sehene Gefässe, welche als Calorimeter dienten. W^urde nun die
Verbindung mit der Batterie hergestellt, so dass beide Drähte von
demselben Strome durchflössen wurden, so gerieth der in Sauer-
stoff befindliche Draht in Weissgluth, während der in Wasserstoff
befindliche nicht sichtbar glühte. Zugleich stieg durch die von
den Drähten abgegebene Wärme die Temperatur in den Calori-
metern in verschiedenem Grade , nämlich in dem die Wasserstoff-
röhre umgebenden von 60^ F. bis 70" und in dem die Sauerstoff-
röhre umgebenden von 60<* bis 8P.
In ähnlicher Weise verglich Grove auch andere Gase mit
dem Wasserstoff und fand dabei unter anderen folgende Zahlen,
Gesetze auch nocli die Gesetze der electromagnetischen Induction in An-
wendung gebracht.
1) Pogg. Ann. Bd. 101, S. 69. — 2) phil. Mag. Ser. 3, Vol. 27, p. 445.
8) Phil. Mag. Ser. 3, Vol. 35, p. 114 und Pogg. Ann. Bd. 78, S. 366.
Ai'lieit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 145
welche ich zur leichteren Uebersicht dadurch reducirt habe, dass
ich immer die in demselben Versuche beim Wasserstoff' beobach-
tete Wärmemenge als Einheit genommen habe.
Gase, in denen der
Draht sich befand.
Stick-
stoff.
Sauer-
stoff
Kollleu-
säure.
Oelbilden-
des Gas.
Wasser-
stoff.
Abgegebene Wärme-
menge
2-26
2-10
1-90
1-57
1
Bei der üebersetzung eines Aufsatzes, welcher die erste oben
erwähnte Beobachtung enthält, hat Poggendorff in einer An-
merkung die Ansicht ausgesprochen i), dass das Erkalten eines gal-
vanisch glühenden Drahtes in verschiedenen Gasen wohl mutatis
mutandis nach denselben Gesetzen geschehe, welche Dulong und
Petit für das Erkalten eines auf gewöhnliche Weise erhitzten Kör-
pers aufgestellt haben, und nach welchen ebenfalls das Wasser-
stoffgas das stärkste Abkühlungsvermögen besitzt. Als aber der
spätere Versuch mit den beiden Calorimetern von Grove ver-
öffentlicht war, trat J. Müller gegen die Poggendorff sehe An-
sicht auf, indem er sagtet): „Dieser Versuch beweist entschieden,
dass das schwächere Glühen des Drahtes in Wasserstoff" bei voll-
kommen gleicher Stromstärke nicht etwa darin zu suchen ist, dass
das Wasserstoffgas dem Drahte seine Wärme schneller entzieht,
sonst müsste ja gerade das Wasser sich schneller erwärmen, wel-
ches die Wasserstoöröhre umgiebt. Alles deutet darauf hin, dass
in dem Drahte, wenn er vom Wasserstoff" umgeben ist, wirklich
eine geringere Wärmeproduction stattfindet." Nach einigen wei-
teren Betrachtungen schloss er seine Auseinandersetzung mit dem
Ausspruche: „Nach meinem Dafürhalten steht die Erscheinung
noch ganz isolirt und völlig unerklärt da."
Diese Bemerkungen von Müller gaben mir Veranlassung zu
einer erweiterten Betrachtung des Gegenstandes s), wobei ich neben
dem von Poggendorff erwähnten Unterschiede des Abkühluugs-
vermögens verschiedener Gase, noch die Abhängigkeit des Lei-
1) Pogg. Ann. Bd. 71, S. 197.
2) Bericht über die neuesten Fortschritte der Phj^sik. Braunschweig
1849, S. 397.
3) Pogg. Ann. Bd. 87, S. 501.
Clausius, mech. Wärmetheorie. IJ.
10
146 Abschnitt V.
tungswiderstandes von der Temperatur und die Abhängigkeit der
Wärmeerzeugung vom Leitungs wider stände berücksichtigte.
Die von mir gegebene Erklärung lässt sich kurz so ausspre-
chen. Wenn zwei Gase, als welche wir beispielsweise atmosphä-
rische Luft und Wasserstoff annehmen wollen, in der Weise ver-
schieden wirken, dass der Wasserstoff einem heissen Körper seine
Wärme schneller entzieht, als die Luft, so würde der Platindraht,
selbst bei gleicher Wärmeerzeugung im Wasserstoff weniger warm
werden, als in der Luft. Nun ist aber der Leitungswiderstand im
kälteren Drahte geringer, als im wärmeren, und daher wird bei
gleicher Stromstärke im kälteren Drahte weniger Wärme erzeugt.
Daraus ergiebt sich für den im Wasserstoff befindlichen Draht eine
noch niedrigere Temperatur, als die, welche man bei gleicher
Wärmeerzeugung erhalten würde. Auf diese Weise ist also gleich-
zeitig einerseits die viel niedrigere Temperatur und andererseits
die geringere Wärmeerzeugung und Wärmeabgabe an das Calori-
meter erklärt.
Um auch eine ungefähre numerische Vergleichung machen
zu können, hat man die Rechnungen in folgender Weise anzu-
stellen.
Die Wärmemenge S", welche durch einen galvanischen Strom
während der Zeiteinheit in dem Drahte erzeugt wird, lässt sich
durch die unter (7) gegebene Gleichung
hl
darstellen. Der hierin vorkommende Leitungswiderstand l be-
stimmt sich als Function der Temperatur durch die Gleichung
worin l^ den Leitungswiderstand beim Gefrierpuncte und t die
vom Gefrierpuncte an gerechnete Temperatur in C- Graden dar-
stellt, während Iz eine Constante bedeutet, welche wir für Platin
nach Arndtsen gleich 0"00327 setzen können i). Demnach geht
die für H geltende Gleichung über in
(8) H=^l,J'{l-^U\
1) In meinem oben citirten Aufsatze von 1852 habe ich für k den
Werth 0-0023 angewandt, welcher damals nach den Versuchen von Lenz
der wahrscheinlichste war; jetzt aber glaube ich den später von Arndt-
sen gefundenen Werth vorziehen zu müssen.
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 147
Was nun die Wärmemenge R' anbetriö"t, welche der Draht
theils durch Strahlung, theils durch Berührung mit dem umge-
benden Gase während der Zeiteinheit verliert und an das Calori-
meter abgiebt, so haben wir bei deren Bestimmung die von Du-
long und Petit gegebene Gleichung in Anwendung zu bringen.
Diese Gleichung halte ich zwar, wenn man sie als eine für alle
Temperaturen gültige betrachten wollte , für durchaus fehlerhaft ;
aber in dem Temperaturintervall, innerhalb dessen die Versuche
von Dulong und Petit angestellt sind, nämlich von 0^ bis 300"^,
wird man sie wohl als angenähert richtig ansehen dürfen. Die
Gleichung ist für einen an der Oberfläche aus Silber bestehenden
Körper aufgestellt, wir wollen aber annehmen, dass sie sich auch
auf Platin anwenden lasse. Machen wir ferner noch der Einfach-
heit wegen die Voraussetzung, dass die Temperatur des Calori-
meters constant gleich 0" gewesen sei (wie es der Fall gewesen
sein würde, wenn Grove statt der Wasser calorimeter Eiscalorime-
ter angewandt hätte), so können wir die Dulong-Petit'sche
Gleichung in folgender Form schreiben:
(9) H' = B {a' —l^pt%
worin B eine von der Form und Grösse des angewandten Körpers
(also in unserem Falle des Platindrahtes) abhängige Constante ist.
Innerhalb der Klammer bezieht sich die Differenz a" — 1 auf den
Wärmeverlust durch Strahlung, und die darin vorkommende Grösse
a hat den Werth 1-0077. Das Glied 'pf bezieht sich a;uf die
Wärmeabgabe an das umgebende Gas. Darin hat h ein- für alle-
mal den Werth 1-233, während p von der Natur des umgebenden
Gases abhängt, und für die von Dulong und Petit untersuchten
Gase unter dem Drucke von einer Atmosphäre folgende Werthe hat :
P
In Kohlen-
säure.
0-0220
In atm.
Luft.
0-022';
In Ölbild.
Gase.
0-0305
In Wasser-
stoff.
0-0784
Wenn nun in Bezug auf die Temperatur des Drahtes ein sta-
tionärer Zustand eingetreten ist, wie es bei den Grove'schen Ver-
suchen der Fall war, so muss die Gleichung
H- H' = 0
gelten, und diese nimmt durch Einsetzung der für // und E' in
10*
148 Abschnitt V.
(8) und (9) gegebenen Ausdrücke, wenn man dabei zugleich für
7 T2
den Bruch -^^^7 zur Abkürzung das Zeichen G einführt, folgende
Form an: •
(10) G{1 + U) - a' + 1 — i>i^ = 0.
Aus dieser Gleichung lassen sich die Temperaturen, welche
der Draht bei einer bestimmten Stromstärke in den verschiede-
nen Gasen annimmt, berechnen, wenn man bei unverändertem
Werthe der Grösse C für p die verschiedenen in der Tabelle an-
geführten Werthe anwendet. Die von der Stromstärke abhängige
Grösse C muss dabei aber einen solchen Werth haben , dass keine
der Temperaturen höher wird, als SOO», weil sonst die Gleichung
(9) und demnach auch die Gleichung (10) ihre Anwendbarkeit ver-
lieren würde.
Ich habe eine solche Rechnung für atmosphärische Luft und
Wasserstoff ausgeführt, indem ich angenommen habe, die Strom-
stärke sei so gewählt, dass der Draht in atmosphärischer Luft
gerade die Temperatur
t^ := 300»
annehme, und dann die Temperatur t^^ welche er bei derselben
Stromstärke in Wasserstoff annehmen muss, berechnet habe. Um
zunächst den der gewählten Stromstärke entsprechenden Werth
von G zu bestimmen, hat man in (10) für t den Werth 300 und
für |) den in atmosphärischer Luft geltenden Werth 0-0227 zu setzen.
Die so entstehende Gleichung giebt für G den Werth 17-52. Führt
man nun diesen Werth von G in die Gleichung (10) ein, und wen-
det jetzt für^ den in Wasserstoff geltenden Werth 0-0784 an, so
kann man aus der Gleichung die Temperatur t^-, welche der Draht
bei derselben Stromstärke in Wasserstoff annimmt, berechnen, und
erhält :
U = 97'\
Man sieht also, dass der Draht in Wasserstoff' in der That eine
viel niedrigere Temperatur annehmen muss, als in atmosphäri-
scher Luft.
Nachdem die Temperaturen t^ und t^ bestimmt sind, kann
man auch das Verhältniss der Wärmemengen Hi und H^, welche
in dem Drahte während der Zeiteinheit erzeugt und an das Calori-
meter abgegeben werden, leicht berechnen. Man braucht dazu
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 149
nur in der Gleichung (8) für t nach einander 300 und 97 zu
setzen, wodurch man erhält:
Hl : H^=-- 1-981 : 1-817 = 1-5 : 1.
Also auch in dieser Beziehung stimmt das Resultat der Rechnung
mit der Grove'schen Beobachtung überein, indem die durch den
Strom erzeugte und an das Calorimeter abgegebene Wärmemenge
für den in Wasserstoff' befindlichen Draht geringer gefunden wird,
als für den in atmosphärischer Luft befindlichen.
Eine genaue Vergleichung der Zahlen ist allerdings nicht
möglich, weil wir unsere Rechnung wegen der beschränkten Gül-
tigkeit der empirischen Formeln auf viel engere Temperatur-
grenzen beschränken mussten, als in Grove's Versuchen vorge-
kommen sind , wo der in Luft befindliche Draht weissglühend ge-
worden ist. Da indessen für die engeren Temperaturgrenzen die
Erklärung so unzweifelhaft der Erfahrung entspricht, so wird man
keinen Anstand nehmen, sie auch für weitere Temperaturgrenzen
als richtig anzuerkennen. Wenn man dieses thut, so kann man
nun umgekehrt die Grove'schen Beobachtungen dazu anwenden,
zu prüfen, ob die von Dulong und Petit aufgestellte Formel
auch für solche Temperaturen, die bis zur Weissglühhitze gehen,
noch als zulässig anzusehen ist. Auf diese Betrachtungen will ich
hier nicht eingehen, sondern verweise in dieser Beziehung auf mei-
nen oben citirten Aufsatz.
Schliesslich will ich noch bemerken, dass jedes andere Mittel,
durch welches die Wärmeabgabe des Drahtes geändert wird, im
Wesentlichen dieselben Erscheinungen zur Folge haben muss, wie
die Anwendung verschiedener Gase. Ein sehr einfaches Mittel der
Art besteht darin, die Grösse der Oberfläche des Drahtes zu än-
dern. Nimmt man z. B. zwei Drähte von gleichem Stoffe, gleicher
Länge und gleichem Querschnitte, welche sich nur dadurch von
einander unterscheiden, dass der eine cylindrisch und der andere
plattgewalzt ist, so besitzt der letztere eine grössere Oberfläche
und demgemäss eine schnellere Wärmeabgabe, als der erstere.
Zwei solche Drähte werden sich in einem und demselben Gase
ganz ähnlich verhalten, wie zwei gleiche Drähte in verschiedenen
Gasen, indem der platte Draht weniger erhitzt und in ihm weni-
ger Wärme erzeugt wird.
150 Abschnitt Y.
§. 8. Zunahme des Leitungswiderstandes einfacher
fester Metalle mit der Temperatur.
Der electrische Leitungswiderstand der Metalle ändert sich
bekanntlich mit der Temperatur. Bei Legirungen aus zwei oder
mehreren Metallen ist diese Aenderung sehr verschieden; bei den
einfachen festen Metallen dagegen ist die verhältnissmässige Zu-
nahme des Leitungswiderstandes mit der Temperatur angenähert
gleich. Diese letztere Uebereinstimmung tritt besonders deutlich
in der im Jahre 1858 veröffentlichten werthvoUen Untersuchung
von Arndt s en 1) hervor, welcher am Schlüsse seines Aufsatzes
darauf hinweist, ohne jedoch die Grösse dieser auf das electrische
Verhalten der Metalle ausgeübten Wärmewirkung mit der anderer
"Wärme Wirkungen in Beziehung zu bringen.
Als ich jenen Hinweis las, stieg mir der Gedanke auf, dass,
wenn die verhältnissmässige Zunahme des Leitungswiderstandes
von der Natur des Stoffes unabhängig und nur von der Tempe-
raturzunahme abhängig sei, sie nothwendig zur absoluten Tem-
peratur in einer einfachen Beziehung stehen müsse. Dieses fand
ich dann bei einer Vergleichung der Zahlen in der That bestätigt.
Die absolute Temperatur wächst bekanntlich , wenn man die vom
Gefrierpuncte an in C- Graden gezählte Temperatur mit t be-
zeichnet, im Verhältnisse der Summe 1-)- 0-003665 .t. Ganz ähn-
lich verhält sich auch die Zunahme des Leitungswiderstandes der
einfachen festen Metalle mit der Temperatur. Bei fünf Metallen
(Platin, Aluminium, Silber, Kupfer und Blei) konnte Arndtsen
die Zunahme des Leitungswiderstandes durch eine in Bezug auf
die Temperatur lineare Formel darstellen, und nur beim Eisen
musste er ein quadratisches Glied hinzufügen, welches aber inner-
halb der bei seinen Versuchen eingehaltenen Temperaturgrenzen
im Verhältniss zum linearen Gliede unbedeutend ist. Die Coeffi-
cienten von t liegen bei allen sechs Metallen (wenn wir bei jedem
den bei 0° stattfindenden Leitungswiderstand zur Einheit nehmen)
zwischen 0'00327 und 0-00413 und ihr Mittelwerth ist 0-00366.
Auch die schon ein Jahr früher von Matthiessen mit Kalium
und Natrium angestellten Versuche 2) hatten Zunahmen des Lei-
1) Pogg. Ann. Bd. 104, S. 1. — 2) Pogg. Ann. Bd. 100, S. 178.
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 151
tungswiderstandes gegeben, welche zwischen denselben Grenzen
liegen.
Dieses veranlasste mich in einer in Pogg. Ahn. veröffentlich-
ten kurzen Notiz i) darauf aufmerksam zu machen , dass die Ab-
hängigkeit des Leitungswiderstandes der festen einfachen Metalle
von der Temperatur sich mit einer gewissen Annäherung durch
den einfachen Satz ausdrücken lasse, dass der Leitungswider-
stand der absoluten Temperatur proportional sei. Wenn
dieser Satz auch nur angenähert richtig ist (wie es ja auch die
meisten anderen physicalischen Sätze nur sind), so schien er mir
doch geeignet zu sein, als Anknüpfungspunct für weitere Betrach-
tungen über den electrischen Leitungswiderstand zu dienen und
insofern einiges Interesse darzubieten.
§. 9. Beziehung zwischen der chemischen Action, welche
in einer Volta'schen Säule stattfindet, und den durch
den Strom hervorgebrachten Wirkungen.
Es ist in den in diesem Abschnitte vorgekommenen Betrach-
tungen über die während eines stationären Stromes geleistete Ar-
beit und erzeugte Wärme nur von homogenen Leitern die Rede
gewesen und dabei angenommen, dass der in ihnen stattfindende
Strom keine Wirkung nach Aussen hin ausübe und von Aussen
her erleide. Es wird aber vielleicht nicht unzweckmässig sein, zum
Schlüsse noch einen Blick auf die galvanische Kette im Ganzen zu
werfen, um zu sehen, wie die chemischen Kräfte, welche den Strom
hervorrufen, bei der Betrachtung der Aequivalenz von Wärme
und Arbeit in Rechnung zu bringen sind, und wie es sich verhält,
wenn der Strom ausserhalb des Leiters eine Arbeit leistet und
dabei die entsprechende Rückwirkung erfährt.
Wenn ein electrischer Strom durch eine Volta'sche Säule
hervorgebracht wird, so findet in dieser eine chemische Action
statt, welche nicht unmittelbar die Wärme entwickelt, die sie ent-
wickeln könnte, wenn sie unter anderen Umständen stattfände.
Diejenige bei dieser Action von den molecularen Kräften gethane
Arbeit, welche, anstatt unmittelbar Wärme zu erzeugen, den elec-
trischen Strom hervorruft, möge kurz die verbrauchte Arbeit
1) Bd. 104, S. 650.
152 Abschnitt Y.
genannt werden. Der Strom seinerseits, indem er den Leitungs-
widerstand überwindet, erzeugt in den Leitern Wärme. Sofern
der Strom keine äusseren Wirkungen hervorbringt, ist diese er- .
zeugte Wärme der verbrauchten Arbeit äquivalent.
Wenn dagegen der Strom eine äussere Wirkung hervorzubrin-
gen, z. B. eine electromagnetische Maschine zu treiben hat, so
nimmt die Stärke des Stromes ab, und damit wird zugleich einer-
seits die chemische Action und der mit ihr verbundene Arbeits-
verbrauch, und andererseits die bei der Ueberwindung des Lei-
tungswiderstandes stattfindende Wärmeerzeugung geringer. Es
fragt sich nun, in welcher Beziehung jetzt diese beiden Grössen
zu einander stehen, ob wiederum die erzeugte Wärme der ver-
brauchten Arbeit äquivalent ist, oder ob sich unter Anwendung
der in der Electricitätslehre geltenden Gesetze ein Ueberschuss an
verbrauchter Arbeit in der Säule nachweisen lässt, welcher als
Aequivalent der äusserlich hervorgebrachten Wirkungen zu be-
trachten ist.
Diese Frage lässt sich sehr kurz so beantworten. Wenn die
Intensität des Stromes, während er äusserlich eine Arbeit thut,
abnimmt, so nimmt dabei die chemische Action im einfachen Ver-
hältnisse und die erzeugte Wärme im quadratischen Verhältnisse
ab. Folglich muss die erzeugte Wärme kleiner als die verbrauchte
Arbeit werden. Es bleibt somit von der in der Säule verbrauch-
ten Arbeit ein Ueberschuss , welcher das Aequivalent der äusser-
lich gethanen Arbeit ist.
Die Sache wird noch klarer durch einige einfache Formeln.
Sei a die Menge des Zinks, welche in einem galvanischen Ele-
mente durch einen Strom von der Einheit der Intensität während
der Einheit der Zeit aufgelöst wird. Wenn dann Z die Menge des
Zinks bezeichnet, welche in einer Säule von n Elementen durch
einen Strom von der Intensität I während der Zeiteinheit aufge-
löst wird, so haben wir die Gleichung :
(11) Z=anl.
Die übrigen chemischen Actionen, welche die Auflösung des
Zinks begleiten, sind in den verschiedenen galvanischen Elemen-
ten verschieden, und ebenso verhält es sich folglich auch mit der
in den Elementen verbrauchten Arbeit. Sei e die verbrauchte Ar-
beit für die Gewichtseinheit Zink, eine Arbeitsgrösse, welche je
nach den Elementen ungleich und z. B. in einem Grove'schen
Arbeit und Wärmeerzeugung bei einem Strome. 1 53
Elemente grösser als in einem DanieH'sclien Elemente ist. Sei
ferner W die Arbeit, welche in der ganzen Säule während der
Zeiteinheit verbraucht wird , wenn der Strom die Intensität I hat.
Dann hat man die Gleichung :
(12) W= eZ= aenl.
Die Wärmemenge //, welche durch denselben Strom bei Ueber-
windung des Leitungswiderstandes erzeugt wird, wird dem Obigen
nach bestimmt durch die Gleichung:
(13) H=^U\
worin l den ganzen Leitungswiderstand der Schliessung und E
das mechanische Aequivalent der Wärme bedeutet, vorausgesetzt
dass die Stromintensität und der Leitungswiderstand nach mecha-
nischen Maassen gemessen wird.
Wenn eine Schliessung, welche eine galvanische Säule enthält,
sich unter solchen Umständen befindet, wo sie keine äusserliche
Wirkung ausübt oder erleidet, so nimmt der Strom von selbst die-
jenige Intensität an, welche nothwendig ist, damit die erzeugte
Wärme der verbrauchten Arbeit äquivalent werde. Wenn also Wi
und Hl die speciellen Werthe von W und H sind , welche diesem
Falle entsprechen, so hat man:
04) ^i=E ^^'
welche Gleichung dazu dient, die Intensität Jj des Stromes, wel-
cher unter diesen Umständen entsteht, zu bestimmen. Unter An-
wendung der Gleichungen (12) und (13) geht diese Gleichung
nämlich über in:
1 1
a e n Ii .
(15)
1 7 72 1
woraus folgt:
(16)
j aen
h — 7
Die in dieser Gleichung vorkommende Grösse aen ist diejenige,
welche man gewöhnlich die electromotorische Kraft der Säule
nennt.
Wir wollen nun annehmen, der Strom vollbringe äusserlich
eine Arbeit, und dadurch sei seine Intensität um die Grösse i ver-
mindert. Der Einfachheit wegen wollen wir noch annehmen, dass
diese Verminderung constant sei, denn wenn sie veränderlich wäre,
154 Abschnitt V.
so miissten wir statt einer Zeiteinheit nur ein Element der Zeit
betrachten. Die gegenwärtige Intensität des Stromes ist also:
J= Ji - i.
Indem man diesen Werth in die Gleichungen (12) und (13)
einführt, erhält man :
(17) W=aen{I^ — i)
(18) H=^m,-iy
= l[lI,(I,-i)-U(I,-i)].
Substituirt man in der letzten Gleichung für J^ einmal seinen
Werth aus (16), so kann man schreiben:
H = -p [aen(Ii — i) — li(Ii — ^)]
und folglich auch, gemäss der Gleichung (17):
(19) H=^[W-li(I,-i)].
Aus dieser Gleichung ersieht man, dass die erzeugte Wärme
zu klein ist, um der verbrauchten Arbeit äquivalent zu sein. Der
Rest dieser letzteren, nämlich die Grösse
Hill - i)
stellt denjenigen Verbrauch dar, welcher der äusserlich
gewonnenen Arbeit entspricht.
Ebenso findet man, dass in dem Falle, wo durch einen äusse-
ren Einfiuss die Intensität des Stromes vermehrt wird, die erzeugte
Wärme die in der Säule verbrauchte Arbeit übertrifft. Man braucht
für diesen Fall nur die Grösse i mit dem Pluszeichen einzuführen,
wodurch man an der Stelle von (19) erhält:
(20) H=^[W-\-li{:i,-{-i)\.
Wenn die Schliessung, in welcher der Strom i inducirt wird,
keine eigene Stromquelle enthält, so muss man TF = 0 und 7i = 0
setzen, wodurch die Gleichungen (19) und (20) übergehen in:
welches für einen inducirten Strom dieselbe Gleichung ist, wie (13)
für einen beliebigen Strom.
ABSCHNITT VI.
Electricitätsleitung" in Electrolyten.
§. 1. Arbeitleistung und Wärmeerzeugung in einem
electrolytischen Leiter.
Im vorigen Abschnitte haben wir die Wirkungen eines gal-
vanischen Stromes innerhalb eines Leiters erster Classe (d. h. eines
solchen, welcher ohne Electrolyse leitet) betrachtet, ohne dabei
auf die Art der Entstehung des Stromes Rücksicht zu nehmen.
Es hat sich dort ergeben, dass die Gesetze, nach welchen die
Wärmeerzeugung in diesen Leitern stattfindet, eine unmittelbare
Folge des Ohm 'sehen Gesetzes und des Satzes von der Aequiva-
lenz von Wärme und Arbeit sind. In ähnlicher Weise kann man
auch bei einem Leiter zweiter Classe, welcher durch Electrolyse
leitet, wenn man ihn ganz für sich, ohne Rücksicht auf die übri-
gen Theile der Kette betrachtet, einige theils streng begründete,
theils wenigstens wahrscheinliche Folgerungen ziehen , welche mir
von Interesse zu sein scheinen, und welche ich hier so, wie ich sie
in einer in Pogg. Ann. i) veröffentlichten Abhandlung entwickelt
habe, mittheilen will.
Was zunächst die Gesetze der Arbeitleistung anbetrifft, so
lassen sich, wenn man das Ohm' sehe Gesetz auch bei den Leitern
zweiter Classe als richtig anerkennt, die im vorigen Abschnitte
gezogenen Schlüsse in unveränderter Weise auch auf diesen Fall
1) Bd. 101, S. 338.
156 Abschnitt VI.
ausdehnen. Um den Strom trotz des Leitungswiderstandes auf-
recht zu erhalten, muss an jeder Stelle des Leiters eine Kraft thä-
tig sein , welche positiv electrische Theilchen nach einer und ne-
gativ electrische Theilchen nach der entgegengesetzten Richtung
zu treiben sucht. Diese Kraft wird ausgeübt von getrennter Elec-
tricität, welche sich, wie Kirchhoff bewiesen hat, nur an der
Oberfläche des Leiters oder an der Grenzfläche zweier verschiede-
ner Leiter befinden kann, während man von dem Inneren eines
homogenen Leiters annehmen muss, dass dort positiv und negativ
electrische Theilchen so gleichmässig gemischt sind, dass man
jeden messbaren Raum als unelectrisch betrachten darf. Die von
jener treibenden Kraft geleistete Arbeit lässt sich durch dieselben
Formeln ausdrücken, welche im vorigen Abschnitte entwickelt sind.
Wenn man nun die durch den Strom erzeugte Wärme be-
stimmen will, so könnte es auf den ersten Blick vielleicht schei-
nen, als ob in dieser Beziehung zwischen den Leitern erster und
zweiter Classe eine Verschiedenheit obwalten müsse. In den Lei-
tern erster Classe bleiben die Massenmolecüle unverändert in
ihrer Lage, und nur die Electricität bewegt sich; bei den Leitern
zweiter Classe dagegen werden die Bestandtheile der Massen-
molecüle mit in die Bewegung gezogen, und es finden Zerlegun-
gen und Wiederzusammensetzungen statt, bei denen ohne Zweifel
die Molecularkräfte , mit welchen die Bestandtheile auf einander
wirken, eine bedeutende Thätigkeit entwickeln. Bei näherer Be-
trachtung überzeugt man sich jedoch leicht, dass bei der Bestim-
mung der erzeugten Wärme die von den Molecularkräften getha-
nen Arbeitsgrössen , so bedeutend sie auch im Einzelnen sein mö-
gen, doch nicht berücksichtigt zu werden brauchen, weil sie sich
gegenseitig vollständig aufheben.
Wenn man, während der Leiter von einem stationären Strome
durchflössen wird, ein zur Betrachtung ausgewähltes, von einer ge-
schlossenen Fläche umgrenztes Stück desselben zu Anfang und
zu Ende einer Zeiteinheit untersucht, so findet man, dass sein Zu-
stand während dieser Zeit keine wesentliche Veränderung erlitten
hat. Es haben sich zwar die electro-positiven Bestandtheile vie-
ler Molecüle von electro-negativen, mit welchen sie bisher verbun-
den waren, getrennt, aber dafür haben sie sich mit anderen ganz
gleichen wieder verbunden, und die Arbeit, welche die Molecular-
kräfte bei einer solchen Verbindung thun , ist unzweifelhaft eben
so gross, wie die, welche sie bei der Trennung erleiden (oder
Electricitätsleitung in l^^lectrolyten. 157
negativ tlmn). Ebenso sind für alle Massentlicilc, welche an der
einen Seite aus dem Räume ausgetreten sind, eben so viele solche
an der anderen Seite eingetreten, so dass die ganze in dem Räume
befindliche Masse zu Ende der Zeit dieselbe Dichtigkeit, dieselbe
Zusammensetzung und dieselbe Anordnung der Molecüle hat, wie
zu Anfang. Man kann daher, ohne die Arbeitsgrössen , welche bei
den einzelnen Vorgängen von den Molecularkräften gethan sind,
zu kennen, mit Sicherheit den Schluss ziehen, dass die algebraische
Summe dieser Arbeitsgrössen Null ist. Es bleibt also nur die Ar-
beit übrig, welche die treibende electrische Kraft bei der Ueber-
windung des Leitungswiderstandes gethan hat, und welche sich,
da sie keine bleibende Veränderung in dem Leiter hervorgebracht
hat, in lebendige Kraft, und da keine andere lebendige Kraft vor-
kommt, in Wärme verwandelt haben muss.
§. 2. Electrisches Verhalten der Theilmolecüle.
Wir wollen nun auf die Art, wie man sich die Electricitäts-
leitung innerhalb eines Electrolyten vorstellen muss., etwas spe-
cieller eingehen.
Die Molecüle des Electrolyten werden durch den Strom in
zwei Bestandtheile zerlegt, welche entweder einfache Atome oder
selbst auch schon aus mehreren Atomen zusammengesetzte Mole-
cüle sein können, wie z. B, im Kupfervitriol der eine Bestandtheil
Cu einfach und der andere SO^ zusammengesetzt ist. Ich werde
diese Bestandtheile, mögen sie nun aus einem oder aus mehreren
Atomen bestehen, die Theilmolecüle nennen, und ein ganzes
Molecül des Electrolyten, \yo es zur Unterscheidung nöthig ist, ein
G e s am m tm 0 1 e c ü 1.
Aus der Art, wie die Zersetzung des Ekctrolyten mit der
Electricitätsleitung zusammenhängt, muss man schliessen, dass die
beiden Theilmolecüle in ihrer Verbindung zu einem Gesammt-
molecül entgegengesetzte electrische Zustände haben, welche auch
nach ihrer Trennung fortbestehen. Unter der Voraussetzung, dass
es zwei Electricitäten gebe, muss man also annehmen, dass das
eine Theilmolecül einen Ueberschuss an positiver, das andere einen
eben so grossen Ueberschuss an negativer Electricität habe; unter
der Voraussetzung von nur Einer Electricität dagegen muss man
158 Absclinitt YI.
annehmen, dass das eine Theilmoleciil mehr und das andere weni-
ger Electricität besitze, als zum neutralen Zustande nöthig ist.
Dass zwei Molecüle von verschiedener Natur bei ihrer Be-
rührung solche entgegengesetzten electrischen Zustände annehmen
können, ist sehr wohl denkbar. Eben so liegt keine Schwierig-
keit darin, sich diese Zustände auch nach der Trennung als fort-
bestehend zu denken, so lange man nur annimmt, dass nirgends
innerhalb des Leiters eine grössere Anzahl positiver Theilmolecüle
allein oder negativer Theilmolecüle allein angehäuft sei, sondern
dass beide Arten von Theilmolecülen überall so gleichmässig ver-
breitet seien, dass sich in jedem messbaren Räume gleich viel
Molecüle beider Arten befinden. In diesem Falle kann nämlich
aus den Kräften, welche die an einem Theilmolecül haftende Elec-
tricitätsmenge von den Electricitätsmengen der umgebenden Theil-
molecüle erleidet, wegen der entgegengesetzten Wirkungen der
positiven und negativen Theilmolecüle, keine starke Resultante
entstehen, welche jene erster e Electricitätsmenge nach einer be-
stimmten Richtung zu treiben und dadurch von seinem Molecül,
wenn dieses an der Bewegung verhindert wäre, zu trennen suchte.
Wäre dagegen in einem Räume eine grosse Anzahl von Mo-
lecülen befindlich, welche alle mit gleicher Electricität geladen
wären, so würde die Electricitätsmenge irgend eines zur Betrach-
tung ausgewählten Molecüls von den Electricitätsmengen aller
anderen abgestossen werden, und diese Kräfte würden, wenn sich
das betrachtete Molecül nicht gerade in der Mitte der Masse be-
fände, durch ihre Vereinigung eine beträchtliche in der Richtung
von innen nach aussen wirkende Kraft bilden können. Da auch
die an den anderen Molecülen haftenden Electricitätsmengen ganz
ähnlichen Wirkungen unterworfen wären, indem jede durch die
Gesammtwirkung aller übrigen nach aussen gedrängt würde, so
würde in dem electrischen Zustande der ganzen Masse eine Span-
nung obwalten, welche sich nur dann unverändert erhalten könnte,
wenn die Masse absolut nichtleitend wäre. Im anderen Falle
würde die freie Electricität aller Molecüle, je nach der Güte der
Leitung mehr oder weniger schnell nach aussen strömen, zunächst
an die Oberfläche der Masse, und von da, wenn die Masse nicht
vollkommen isolirt wäre, in die weiteren Umgebungen.
Electricitätsleitung in Electrolyten. 159
§, 3. Bedingung, welche als erfüllt voraus-
zusetzen ist.
Betrachten wir ferner den Vorgang der Zersetzung selbst,
wie er in der Flüssigkeit, welche als Electrolyt dient, oder den
Electrolyten aufgelöst enthält, stattfindet , so darf zunächst so viel
als feststehend betrachtet werden, dass nicht die an der einen
Electrode frei werdenden Theilmolecüle sich durch die Flüssig-
keit bis zur anderen Electrode fortbewegen, sondern dass in der
ganzen zwischen den beiden Electroden befindlichen Flüssigkeits-
masse überall Zersetzungen und neue Verbindungen geschehen,
so dass die positiven Theilmolecüle, welche während der Zeit-
einheit an der Kathode ankommen, zwar der Anzahl nach mit
denen übereinstimmen, welche von der Anode ausgehen, aber nicht
dieselben sind, und ebenso in Bezug auf die negativen Theil-
molecüle, welche an der Anode ankommen.
Die Art, wie die in den verschiedenen Flüssigkeitsschichten
stattfindenden Zersetzungen unter einander zusammenhängen, be-
darf aber noch einer näheren Feststellung, und namentlich muss
eine Ansicht, welche ziemlich nahe zu liegen scheint, welche aber
entschieden unrichtig ist, von vornherein ausgeschlossen werden.
Man könnte sich nämlich möglicherweise vorstellen, dass die
Zersetzung von der einen Electrode, z. B. von der Anode, aus-
ginge, dass die negativen Theilmolecüle der zersetzten Gesammt-
molecüle hier festgehalten würden, die positiven dagegen zur
nächsten Flüssigkeitsschicht gingen und dort eine neue Zersetzung
bewirkten, indem sie sich mit den negativen Theilmolecülen die-
ser Schicht verbänden, und die positiven frei machten , dass diese
letzteren dann weiter zur folgenden Schicht gingen, und hier aber-
mals dieselbe Wirkung ausübten u. s. f. Hiernach würde die Zer-
setzung einer Schicht die Ursache für die Zersetzung der folgen-
den Schicht sein, und die Wirkung der in dem Ijeiter vorhande-
nen treibenden Kraft würde sich darauf beschränken, erstens die
frei gewordenen positiven Theilmolecüle der vorigen Schicht nach
der folgenden zu bewegen, und zweitens dadurch, dass sie die
positiven Theilmolecüle dieser Schicht ebenfalls vorwärts drängt,
die Zersetzung zu erleichtern.
Die Unrichtigkeit dieser Vorstellungsweise ergiebt sich aber
sogleich daraus, dass nach ihr innerhalb der Flüssigkeit während
160 Abschnitt VI.
des Stromes stets ein Ueberschuss von positiven Theilinolecülen,
und somit auch von positiver Electricität vorhanden sein müsste,
was, wie schon erwähnt, nach den Gesetzen über die Vertheilung
der getrennten Electricität für einen stationären Strom eben so
unzulässig ist, wie für den Gleichgewichtszustand. In derselben
Weise würde man, wenn man die vorher beschriebene Art der
Fortpflanzung der Zersetzungen in umgekehrter Richtung von der
Kathode zur Anode annehmen wollte, einen Ueberschuss von nega-
tiven Theilmolecülen innerhalb der Flüssigkeit erhalten, welcher
natürlich gleichfalls unstatthaft ist.
Als Grundbedingung für alle weiteren Betrachtungen müssen
wir an dem Satze festhalten, dass sich innerhalb jedes mess-
baren Raumes der Flüssigkeit gleich viel positive und
negative Theilmolecüle befinden, mögen diese nun alle je
zwei zu Gesaromtmolecülen verbunden sein, oder mögen einige im
unverbundenen Zustande zwischen den Gesammtmolecülen zer-
streut sein.
Hieraus folgt, dass in einer electrolytischen Flüssigkeit, welche
sich in ihrem natürlichen Zustande befindet, indem keine Art von
Theilmolecülen in ihr überwiegt, unter dem blossen Einflüsse der-
jenigen Kraft, welche dazu dient, den Leitungswiderstand zu über-
winden, solche abwechselnde Zersetzungen und Wiederverbindun-
gen der Molecüle, wie sie zur Electricitätsleitung nöthig sind, statt-
finden können i).
Die Erklärung dieser Thatsache bietet eine eigenthümliche
Schwierigkeit dar, welche, wie es mir scheint, nur dadurch geho-
ben werden kann, dass man ein durchaus anderes Verhalten der
Flüssigkeiten annimmt, als es bisher gebräuchlich war. Ich will
versuchen, dieses in den nächsten Paragraphen auseinander zu
setzen.
^) Um einen Fall zu haben, wo gar keine Electroclen vorkommen, kann
man folgende Annahme machen. Es sei aus einem electrolytischen Leiter
ein in sich geschlossener Ring gebildet. In der Nähe dieses leitenden
Ringes werde ein kreisförmiger electrischer Strom oder ein Magnet
bewegt, z. B. angenähert oder entfernt. Dadurch wird in dem Ringe ein
Inductionsstrom erzeugt, und man hat somit in dem Electrolyten einen
electrischen Strom, welcher nicht von einer Electrode zu einer anderen,
sondern im Kreise durch einen überall gleichartigen Ring geht und durch
eine electromotorische Kraft hervorgerufen ist, die nicht bloss an einzelnen
Stellen des Ringes, sondern in allen seinen Theilen wirkt.
Electricitätsleitung in Electrolyten. 161
§. 4. Schwierigkeit der Erklärung.
Es sei eine Flüssigkeit gegeben, welche entweder ganz oder
zum Theil aus electrolytischen Molecülen besteht, und wir wollen
zunächst einmal annehmen, diese Molecüle hätten sich im natür-
lichen Zustande der Flüssigkeit in irgend einer bestimmten Anord-
nung gelagert, in welcher sie, so lange keine fremde Kraft auf sie
einwirkt, verharrten, indem die einzelnen Molecüle zwar vielleicht
um ihre Gleichgewichtslagen oscilliren, aber nicht ganz aus den-
selben heraustreten könnten; ferner sei, wie man es bei jeder der-
artigen Anordnung voraussetzen muss , die Anziehung zwischen
zwei Theilmolecülen , welche zu einem Gesammtmolecül verbunden
sind, und daher einander sehr nahe sind, grösser, als die Anzie-
hung zwischen dem positiven Theilmolecül eines Gesammtmolecüls
und dem negativen eines anderen. Wenn nun innerhalb dieser
Masse eine electrische Kraft wirkt, welche die positiv electrischen
Theilmolecüle nach einer und die .negativ electrischen nach der
entgegengesetzten Richtung zu treiben sucht, so fragt es sich, wel-
chen Einfluss diese auf das Verhalten der Molecüle ausüben muss.
Die erste Wirkung würde offenbar, sofern die Molecüle als
drehbar vorausgesetzt werden, darin bestehen, alle Molecüle in
gleicher Weise zu richten, indem die beiden entgegengesetzt elec-
trischen Bestandtheile jedes Gesammtmolecüls sich nach den Sei-
ten drehen würden, wohin sie durch die wirksame Kraft getrieben
werden.
Ferner würde die Kraft die zu einem Gesammtmolecül ver-
einigten Theilmolecüle zu trennen und nach entgegengesetzten
Richtungen zu bewegen suchen, und wenn diese Bewegung ein-
träte, so würde dadurch das positive Theilmolecül des einen Ge-
sammtmolecüls mit dem negativen des folgenden zusammenkom-
men und sich mit ihm verbinden. Nun muss aber, um die einmal
verbundenen Theilmolecüle zu trennen, die Anziehung, welche sie
auf einander ausüben , überwunden werden , wozu eine Kraft von
bestimmter Stärke nöthig ist, und dadurch wird man zu dem
Schlüsse geführt, dass, so lange die in dem Leiter wirksame
Kraft diese Stärke nicht besitzt, gar keine Zersetzung
der Molecüle stattfinden könne, dass dagegen, wenn die
Kraft bis zu dieser Stärke angewachsen ist, sehr viele
Clausius, mech. Wärmetheorie. IL W
162 Abschnitt VI.
Moleciile mit einem Male zersetzt werden müssen, indem
sie alle unter dem Einflüsse derselben Kraft stehen und
fast gleiche Lage zu einander haben. In Bezug auf den
electrischen Strom kann man diesen Schluss , wenn man voraus-
setzt, dass der Leiter nur durch Electrolyse leiten könne, so aus-
drücken: So lange die im Leiter wirksame treibende
Kraft unter einer gewissen Grenze ist, bewirkt sie gar
keinen Strom, wenn sie aber diese Grenze erreicht hat,
so entsteht plötzlich ein sehr starker Strom.
Dieser Schluss widerspricht aber der Erfahrung vollkommen.
Schon die geringste Kraft i) bewirkt einen durch abwechselnde
Zersetzungen und Wiederverbindungen geleiteten Strom, und die
Intensität dieses Stromes wächst nach dem Ohm' sehen Gesetze
der Kraft proportional.
Demnach muss die obige Annahme, dass die Theilmolecüle
eines Electrolyten in fester Weise zu Gesammtmolecülen verbun-
den sind, und diese eine bestimmte regelmässige Anordnung ha-
ben, unrichtig sein. Man kann dieses Resultat noch allgemeiner
folgendermaassen aussprechen. Jede Annahme, welche darauf
hinauskommt, dass der natürliche Zustand einer electrolytischen
Flüssigkeit ein Gleichgewichtszustand ist, in welchem jedes posi-
tive Theilmolecül mit einem negativen fest verbunden ist, und
dass ferner, um die Flüssigkeit aus diesem Gleichgewichtszustande
in einen anderen, welcher sich vom vorigen nur dadurch unter-
scheidet, dass eine Anzahl positiver Theilmolecüle mit anderen
negativen, als vorher, verbunden ist, überzuführen, eine Kraft von
bestimmter Stärke auf diejenigen Molecüle, welche diese Verände-
rung erleiden sollen, wirken muss, — jede solche Annahme steht
im Widerspruche mit dem Ohm 'sehen Gesetze.
Ich glaube daher, dass die folgende Annahme, bei welcher
dieser Widerspruch gehoben ist, und welche, wie es mir scheint.
. • .. 1) Ich muss hierbei noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass hier,
wie in diesem ganzen Abschnitte , nicht von den Kräften die Rede ist,
welche au den Electrodeu wirken, wo die Zersetzungsproducte ausgeschie-
,den werden und die Polarisation überwunden werden muss, sondern ledig-
lich vpu der Kraft, welche innerhalb des Electrolyten selbst wirkt, wo je-
des Theilmolecül, welches von dem bisher mit ihm verbundenen Theil-
molecül getrennt wird, sich sogleich wieder mit einem anderen Theilmolecül
derselben Art verbindet, so dass die Masse im Wesentlichen uugeändert
bleibt, und nur der Leitungswiderstand zu überwinden ist.
Electricitätsleitung in Electrolyten. Iß3
auch mit den sonst bekannten Thatsachen vereinbar ist, einige
Beachtung verdient.
§. 5. Veränderte Annahme über das moleculare Ver-
halten electroly tischer Flüssigkeiten.
In meiner Abhandlung „über die Art der Bewegung, welche
wir Wärme nennen" i), habe ich die Ansicht ausgesprochen, dass
in Flüssigkeiten die Molecüle nicht bestimmte Gleichgewichtslagen
haben , um welche sie nur oscilliren , sondern dass ihre Bewegun-
gen so lebhaft sind, dass sie dadurch in ganz veränderte und im-
mer neue Lagen zu einander kommen, und sich unregelmässig
durch einander bewegen.
Unter Zugrundelegung dieser Ansicht wollen wir uns in der
electrolytischen Flüssigkeit zunächst einmal ein einzelnes Theil-
molecül, z. B. ein electro-positives, befindlich denken, von welchem
wir voraussetzen wollen , dass sein electrischer Zustand noch ganz
derselbe sei, wie in dem Momente, wo es aus einem Gesammt-
molecül ausgeschieden wurde. Ich glaube nun, dass, indem dieses
Theilmolecül sich zwischen den Gesammtmolecülen umherbewegt,
unter den vielen Lagen, die es annehmen kann, auch zuweilen
solche vorkommen, in welchen es das negative Theilmolecül irgend
eines Gesammtmolecüls mit stärkerer Kraft anzieht, als die, mit
welcher die beiden zu dem Gesammtmolecül gehörigen Theilmole-
cüle, deinen Lage zu einander auch nicht ganz unveränderlich ist,
sich in diesem Augenblicke gegenseitig anziehen. Sobald es in
eine solche Lage getreten ist, verbindet es sich mit diesem nega-
tiven Theilmolecül, und das bisher mit demselben verbundene posi-
tive Theilmolecül wird dadurch frei. Dieses bewegt sich nun eben-
falls allein umher und zerlegt nach einiger Zeit ein anderes Ge-
sammtmolecül auf dieselbe Art u. s. f., und alle diese Bewegungen
und Zersetzungen geschehen eben so unregelmässig, wie die Wärme-
bewegungen, durch welche sie veranlasst werden.
Betrachten wir ferner das Verhalten der Gesammtmolecüle
unter einander, so glaube ich, dass es auch hier zuweilen geschieht,
dass das positive Theilmolecül eines Gesammtmolecüls zu dem
negativen eines anderen in eine günstigere Lage kommt, als jedes
1) Pogg. Auu. Bd. 100, S. 353.
11*
164 Abschnitt VI.
dieser beiden Theilmolecüle im Augenblicke gerade zu dem ande-
ren Theilmolecül seines eigenen Gesammtmolecüls hat. Dann
werden sich jene beiden bisher fremden Theihnolecüle zu einem
Gesammtmolecül verbinden, und die beiden dadurch frei werden-
den Theilmolecüle (das negative des ersten und das positive des
zweiten Gesammtmolecüls) werden sich entweder ebenfalls unter
einander verbinden, oder wenn die Wärmebewegung sie daran
verhindern sollte, so werden sie sich unter die übrigen Gesammt-
molecüle mischen , und dort ähnliche Zersetzungen hervorbringen,
wie sie vorher von einem einzelnen Theilmolecül beschrieben
wurden.
Wie häufig in einer Flüssigkeit solche gegenseitige Zerlegun-
gen vorkommen, wird erstens von der Natur der Flüssigkeit ab-
hängen, ob die Theile der einzelnen Gesammtmolecüle mehr oder
weniger innig zusammenhängen, und zweitens von der Lebhaftig-
keit der Molecularbewegung, d. h. von der Temperatur.
§.6. Neue Erklärung der electrolytischen Leitung.
Wenn nun in einer Flüssigkeit, deren Molecüle sich schon
von selbst in einer solchen Bewegung befinden , wobei sie ihre
Theilmolecüle in unregelmässiger Weise austauschen, eine elec-
trische Kraft wirkt, welche alle positiven Theilmolecüle nach einer
und alle negativen nach der entgegengesetzten Richtung zu trei-
ben sucht, so lässt sich leicht einsehen, welcher Unterschied da-
durch in der Art der Molecularbewegung eintreten muss.
Ein freies Theilmolecül wird dann nicht mehr ganz den un-
regelmässig wechselnden Richtungen, nach welchen es durch die
Wärmebewegungen getrieben wird, folgen, sondern es wird die
Richtung seiner Bewegung im Sinne der wirksamen Kraft ändern,
so dass unter den Richtungen der freien positiven Theilmolecüle,
obwohl sie noch sehr unregelmässig sind, doch eine gewisse Rich-
tung vorherrscht, und ebenso die negativen Theilmolecüle sich
vorherrschend nach der entgegengesetzten Richtung bewegen.
Ausserdem werden bei der Einwirkung eines Theilmolecüls auf ein
Gesammtmolecül und bei der Einwirkung zweier Gesammtmolecüle
auf einander solche Zerlegungen, bei welchen die Theilmolecüle in
ihren Bewegungen zugleich der electrischen Kraft folgen können,
erleichtert werden und daher häufiger stattfinden, als ohne die
Electricitätsleitnng in Electrolyten. 165
Kraft, indem auch in Fällen, wo die Lage der Molecüle noch nicht
günstig genug ist, dass die Zerlegung von selbst eintreten könnte,
die Mitwirkung der electrischen Kraft ihr Eintreten veranlassen
kann. Umgekehrt solche Zerlegungen, bei denen die Theilmole-
cüle sich der electrischen Kraft entgegen bewegen müssten, wer-
den durch diese Kraft erschwert und dadurch seltener gemacht
werden.
Betrachtet man im Inneren dieser Flüssigkeit, während die
electrische Kraft wirkt, ein kleines auf der Richtung der Kraft
senkrechtes Flächenstück, so gehen durch dieses während
der Zeiteinheit mehr positive Theilmolecüle in posi-
tiver als in negativer Richtung hindurch, und mehr
negative Theilmolecüle in negativer als in positiver
Richtung. Da nun für jede Art von Theilmolecülen zwei in ent-
gegengesetzter Richtung stattfindende Durchgänge sich gegensei-
tig in ihrer Wirkung aufheben , und nur der für die eine Rich-
tung bleibende Ueberschuss von Durchgängen in Betracht kommt,
so kann man das Vorige auch einfacher so ausdrücken: es geht
eine gewisse Anzahl positiver Theilmolecüle in posi-
tiver und eine Anzahl negativer Theilmolecüle in
negativer Richtung durch das Flächenstück. Die Grösse
dieser beiden Zahlen braucht nicht gleich zu sein , weil sie ausser
von der treibenden Kraft, welche für beide Arten von Theilmole-
cülen gleich ist, auch noclf von dem Grade der Beweglichkeit ab-
hängt, welcher bei verschiedenartigen Theilmolecülen aus mehre-
ren Gründen verschieden sein kann.
Diese entgegengesetzte Bewegung der beiden Arten von Theil-
molecülen bildet den galvanischen Strom innerhalb der Flüssig-
keit. Um die Stärke des Stromes zu bestimmen, ist es nicht nöthig,
die Anzahl der in positiver Richtung durch das Flächenstück ge-
henden positiven Theilmolecüle und die Anzahl der in negativer
Richtung hindurchgehenden negativen Theilmolecüle einzeln zu
kennen, sondern es genügt, wenn man die Summe beider Zahlen
kennt. Mag man nämlich von der Vorstellung ausgehen, dass es
zwei Electricitäten gebe, und dass ein negativ electrisches Theil-
molecül mit einer gewissen Quantität freier negativer Electricität
begabt sei, oder von der Vorstellung, dass es nur eine Electricität
gebe, und dass ein negativ electrisches Theilmolecül weniger Elec-
tricität besitze, als für den neutralen Zustand nöthig ist, in bei-
den Fällen muss man annehmen , dass es zur Vermehrung eines
166 Absclinitt VI.
galvanischen Stromes gleich viel beiträgt, ob ein positiv- electri-
sches Theilmolecül sich nach der Richtung des Stromes, oder ob
ein eben so stark negativ-electrisches Theilmolecül sich nach der
entgegengesetzten Richtung bewegt. Wenn wir also für den Fall,
dass die Molecularbewegung der Art wäre, dass nur für die posi-
tiven Theilmolecüle ein Ueberschuss der Bewegung nach einer
Richtung stattfände , und dass während der Zeiteinheit n positive
Theilmolecüle in positiver Richtung durch das Flächenstück gin-
gen, die dadtirch bedingte Stromstärke mit C.n bezeichnen, so
müssen wir dem entsprechend bei einer Bewegung, bei welcher
gleichzeitig n positive Theilmolecüle in der positiven und n' nega-
tive Theilmolecüle in der negativen Richtung hindurchgehen, die
Stromstärke mit C (n -\- n') bezeichnen.
7. Uebereinstimmung der neuen Erklärung mit der
Erfahrung und Unterschie(
Grotthuss'schen Erklärung.
Erfahrung und Unterschied zwischen ihr und der
Bei dieser Auffassung des Zustandes der Flüssigkeiten fällt
die oben erwähnte Schwierigkeit fort. Man sieht leicht, dass der
Einfluss, welchen die electrische Kraft auf die schon von selbst
stattfindenden, aber noch unregelmässigen Zersetzungen und Be-
wegungen der Molecüle übt, nicht erst beginnt, wenn die Kraft
eine gewisse Stärke erreicht hat, sondern dass schon die geringste
Kraft in der vorher angegebenen Weise ändernd auf dieselben
einwirken, und dass die Grösse dieser Wirkung mit der Stärke
der Kraft wachsen muss. Der ganze Vorgang stimmt also mit dem
Ohm' sehen Gesetze sehr gut überein.
Weshalb das electrische Leitungsvermögen, welches von der
Leichtigkeit, mit welcher die Zerlegungen der Molecüle und die
Bewegungen der Theilmolecüle innerhalb der Flüssigkeit gesche-
hen, abhängt, bei verschiedenen Flüssigkeiten so verschieden ist,
weshalb z. B. bei den Molecülen des Schwefelsäurehydrats die
Zerlegungen so sehr viel leichter stattfinden, als bei den Wasser-
molecülen, und woher der bedeutende Einfluss kommt, welchen die
Verdünnung der Schwefelsäure auf die Güte der Leitung ausübt,
ist freilich bisher nicht hinlänglich erklärt, indessen sehe ich darin
auch nichts, was als Widerspruch gegen die vorstehende Theorie
geltend gemacht werden könnte.
Electricitätsleituijg in Electrolyten. 167
Der Umstand dagegen , dass bei Leitern zweiter Classe das
Leitungsvermögen mit wachsender Temperatur zunimmt, erklärt
sich aus dieser Theorie in sehr ungezwungener Weise , indem die
grössere Lebhaftigkeit der inneren Bewegung offenbar dazu bei-
tragen muss, die gegenseitigen Zerlegungen der Molecüle zu er-
leichtern.
Vergleichen wir die ältere Grotthuss'sche Theorie mit der
hier entwickelten, so liegt der Unterschied hauptsächlich darin,
dass in jener angenommen wird, die Bewegung werde erst durch
die electrische Kraft hervorgerufen, und finde nur nach zwei be-
stimmten Richtungen statt, indem die Zersetzungen regelmässig
von Molecül zu Molecül fortschreiten, während nach dieser die
schon vorhandenen Bewegungen nur geändert werden, und auch
das nicht so , dass sie vollkommen regelmässig werden , sondern
nur so, dass in der noch immer grossen Mannichfaltigkeit von Be-
wegungen die beiden bestimmten Richtungen vorherrschen.
§. 8. Eine frühere ähnliche Ansicht über moleculare
Vorgänge.
Nachdem ich im Jahre 1857 die vorstehende Ansicht über das
Verhalten electrolytischer Flüssigkeiten niedergeschrieben hatte,
erfuhr ich in der Unterhaltung mit einem Chemiker, dass eine ähn-
liche Ansicht über das Verhalten zusammengesetzter flüssiger und
luftförmiger Körper schon von Williamson in einer Abhandlung
. über die Theorie der Aetherbildung i) ausgesprochen ist. Es
heisst in dieser Abhandlung unter anderen 2): „Wir werden auf
diese Weise zu der Annahme geführt, dass in einem Aggregat von
Molecülen jeder Verbindung ein fortwährender Austausch zwi-
schen den in ihr enthaltenen Elementen vor sich geht. Angenom-
men z. B. , ein Gefäss mit Salzsäure würde durch eine grosse Zahl
von Molecülen von der Zusammensetzung Cl H ausgefüllt , so
würde uns die Betrachtung, zu der wir gelangt sind, zu der An-
nahme führen, dass jedes Atom Wasserstoff nicht in ruhiger Ge-
geneinanderlagerung neben dem Atom Chlor bleibe , mit dem es
^) Annaleu der Chemie und Pharmacie Bd. 77, S. 37. Gelesen vor der
British Association zu Edinburg.
2) A. a. 0. S. 46.
168 Abschnitt VI. .
zuerst verbunden war, sondern dass ein fortwährender Wechsel
des Platzes mit anderen Wasserstoffatomen stattfindet."
Hiernach scheint William son sogar eine bei weitem grössere
Wandelbarkeit in der Gruppirung der Theilmolecüle anzunehmen,
als zur Erklärung der Electricitätsleitung nöthig ist. Er spricht
von einem fortwährenden Wechsel eines Wasserstoffatoms mit an-
deren Wasserstoffatomen, während es zur Erklärung der Electri-
citätsleitung genügt, wenn bei den Zusammenstössen der Gesammt-
molecüle hin und wieder und vielleicht verhältnissmässig selten
ein Austausch der Theilmolecüle stattfindet.
Williamson führt zur Bestätigung seiner Ansicht das Ver-
halten an, welches stattfindet, wenn in einer Flüssigkeit zwei Ver-
bindungen mit verschiedenen electro -positiven und verschiedenen
electro-negativen Bestandtheilen gelöst sind, dass dann die beiden
ursprünglichen Verbindungen nicht einfach bestehen bleiben, oder
eine andere Anordnung der Art entsteht, bei welcher ein electro-
positiver Bestandtheil ausschliesslich mit Einem der beiden electro-
negativen Bestandtheile verbunden ist, und umgekehrt, sondern
dass alle vier möglichen Combinationen sich in einem gewissen
Verhältnisse bilden, woher es kommt, dass, wenn irgend eine der
vier Verbindungen unlöslich ist, diese sich ausscheidet. Auch ich
glaube, dass dieses Verhalten sich sehr natürlich daraus erklärt,
dass die Verbindungen je zweier Theilmolecüle nicht fest, sondern
wandelbar sind, und dass ein positives Theilmolecül nicht bloss
ein positives Theilmolecül derselben Art, sondern auch ein solches
von anderer Art verdrängen kann, und ich habe dieses Verhalten
bei der Aufstellung der oben entwickelten Theorie gleich mit im
Auge gehabt. Indessen halte ich es auch hierbei nicht für nöthig,
dass alle Molecüle in fortwährendem Wechsel begriffen sind, son-
dern es scheint mir zu genügen , wenn sie sich hin und wieder ge-
genseitig austauschen, denn wenn die Anzahl der Austausche auch
im Verhältniss zur Anzahl der Stösse gering ist, so kann sie doch
an sich betrachtet noch sehr gross sein, und daher in kurzer Zeit
eine bedeutende Aenderung in der ursprünglichen Verbindungsart
hervorbringen.
Da ich zu dem Schlüsse über die im Inneren einer Flüssig-
keit stattfindenden Austausche der Theilmolecüle ganz unabhän-
gig und auf einem durchaus anderen Wege wie Williamson ge-
langt bin , so habe ich , auch nachdem ich die Abhandlung dessel-
ben kennen gelernt habe , doch noch geglaubt , meine Betrachtun-
Electricitätsleitung in Electrolyten. 169
gen unverändert mittheilen zu dürfen, indem es dadureh am besten
ersichtlich sein wird, in wie fern diese beiden Betrachtungsweisen
einander gegenseitig zur Bestätigung dienen.
§. 9. Metallische Leitung in Electrolyten.
Es ist in neuerer Zeit mehrfach die Frage erörtert, ob in
Leitern zweiter Classe neben der Leitung durch Electrolyse auch
noch eine Electricitätsleitung der Art, wie in Leitern erster Classe
stattfinde.
Vom theoretischen Gesichtspuncte aus scheint mir der An-
nahme, dass beide Arten von Leitung in demselben Körper gleich-
zeitig stattfinden können, nichts entgegen zu stehen. Die Bestim-
mung aber, wie sich in einzelnen Fällen die beiden verschiedenen
Leitungen ihrer Grösse nach zu einander verhalten, wird bei dem
Mangel an genau festgestellten Thatsachen, welche als Grundlage
für theoretische Schlüsse dienen könnten, für jetzt wohl ganz der
experimentellen Untersuchung überlassen bleiben müssen.
Für diejenigen Körper, welche bis jetzt in dieser Beziehung
untersucht sind, und welche ihrer vielfachen Anwendung wegen
die wichtigsten sind, hat sich gezeigt, dass die Leitung ohne Elec-
trolyse, wenn sie überhaupt existirt, jedenfalls sehr gering ist,
und es wird daher nicht nöthig sein, auf diese Art von Leitung,
welche übrigens theoretisch nichts wesentlich Neues darbieten
würde, hier näher einzugehen.
ABSCHNITT YII.
Die thermoelectrischen Ströme.
* •
§. 1. Electrischer Zustand an der Berührungsfläche
zweier Stoffe.
Während die beiden vorigen Abschnitte nur die in einem
homogenen Leiter während eines stationären electrischen Stromes
stattfindenden Vorgänge behandelten, soll nun eine Verbindung
mehrerer ohne Electrolyse leitender Stoffe betrachtet werden,
welche, wenn sie eine in sich geschlossene Leitung bilden und die
Verbindungsstellen der Stoöe auf verschiedenen Temperaturen
erhalten werden, einen thermoelectrischen Strom geben.
Man nimmt gewöhnlich als Sitz der electromotorischen Kräfte,
welche den thermoelectrischen Strom hervorbringen, die eben er-
wähnten Verbindungsstellen verschiedener Stoße an, während man
innerhalb eines einzelnen Stoffes, auch wenn seine Theile verschie-
dene Temperaturen haben, keine electromotorischen Kräfte vor-
aussetzt. Wir wollen diese Annahme, welche die einfachste ist,
zunächst auch machen, und untersuchen zu welchen Folgerungen
sie führt. Die Vergleichung dieser Folgerungen mit der Erfah-
rung wird dann von selbst herausstellen, ob jene einfache An-
nahme zur Erklärung aller beobachteten Thatsachen genügt, oder
ob und in welcher Weise sie noch modificirt werden muss.
Für die Berührungsfläche zweier Stoffe machen wir die An-
nahme, dass dort eine Spannungsdifferenz zwischen den Stoffen
eintrete , indem die Electricität sich ungleich unter ihnen theile.
Hiernach muss man für den Zustand des Gleichgewichtes anneh-
Die thermoelectrischen Ströme. 171
men, class die Potentialfunction zwar innerhalb eines jeden einzel-
nen Stofies constant sei, aber in zwei sich berührenden Stoffen
verschiedene Werthe habe i), und für den während eines continuir-
lichen Stromes stattfindenden Zustand, dass die Potentialfunction
sich innerhalb jedes einzelnen Stoffes nur allmälig, an der Berüh-
rungsfiäche zweier Stoffe aber plötzlich ändere. Wir können somit,
wenn wir die Potentialfunction innerhalb zweier Leiter, welche a
und h heissen mögen, zur Unterscheidung mit F„ und Vi, bezeich-
nen, für je zwei Puncte, welche sich zu beiden Seiten der Berüh-
rungsfläche sehr nahe gegenüberliegen, die Gleichung
(1) n - F« = ^„.,
bilden, worin E„i, eine von der Beschaffenheit der sich berühren-
den Stoffe abhängige Grösse ist, welche wir diePotentialniveau-
differenz der beiden Stoffe nennen wollen.
Man darf diese plötzliche Aenderung der Potentialfunction
natürlich nicht im streng mathematischen Sinne als einen Sprung
betrachten, welcher in einer mathematischen Fläche stattfindet,
sondern nur als eine sehr schnelle Aenderung in der Nähe dieser
Fläche. Zur Erklärung derselben muss man, wie schon mehrfach,
und besonders bestimmt von Helmholtz '-) ausgesprochen ist, zwei
zu beiden Seiten der Berührungsfläche sich gegenüberliegende
entgegengesetzt electrische Schichten annehmen, also eine ähn-
liche Anordnung , wie bei einer geladenen Leidener Flasche oder
Franklin 'scheu Tafel. Wir wollen den die beiden electrischen
Schichten und ihren Zwischenraum umfassenden Raum , welcher
im Ganzen nur eine sehr dünne Schicht bildet, die U e bergan gs-
schicht der beiden Stoffe nennen.
§. 2. Grund der Potentialniveaudiffereuz.
Es entstellt nun aber die Frage, was es für eine Kraft ist,
welche diese beiden Schichten , die doch durch keinen nichtleiten-
^) In electi'ostatischeu Uutersncliuugen legt mau gewöliulich den Satz
zu Gruude , dass in einem ganzen Systeme unter sich verbundener Leiter
im Zustande des Gleichgewichtes die Potentialfunction überall denselben
Werth habe ; dadurch sollen aber die durch Verschiedenheit der Stoffe be-
dingten Unterschiede nicht bestritten werden, sondern sie sind nur ihrer
Kleinheit wegen vernachlässigt, da man es in der Electrostatik gewöhnlich
mit viel grösseren Unterschieden zu thun hat.
2) Pogg. Ann. Bd. 89.
172 Abschnitt VII.
den Körper von einander getrennt sind, hindert, sich in ihrem
electrischen Zustande auszugleichen , und welche sogar , wenn die
Electricität einen anderen Weg zur Ausgleichung hat, in demsel-
ben Maasse, wie dadurch die Differenz an der Berührungsfläche
geringer werden würde, immer neue Electricität von der negati-
ven nach der positiven Seite hinübertreibt, und so einen fortwäh-
renden electrischen Strom möglich macht.
Helmholtz spricht sich darüber in seiner Schrift „über die
Erhaltung der Kraft" S, 47 folgendermaassen aus: „Es lassen
sich nämlich offenbar alle Erscheinungen in Leitern erster Classe
(d. h. solchen, in denen die Leitung der Electricität ohne Electro-
lyse stattfindet) herleiten aus der Annahme, dass die verschiede-
nen chemischen Stoffe verschiedene Anziehungskräfte haben gegen
die beiden Electricitäten und dass diese Anziehungskräfte nur in
unmessbar kleinen Entfernungen wirken, während die Electricitä-
ten auf einander es auch in grösseren tliun. Die Contactkraft
würde danach in der Differenz der Anziehungskräfte bestehen,
welche die der Berührungsstelle zunächst liegenden Metalltheil-
chen auf die Electricitäten dieser Stelle ausüben, und das electri-
sche Gleichgewicht eintreten, wenn ein electrisches Theilchen, wel-
ches von dem einen zum anderen übergeht, nichts mehr an leben-
diger Kraft verliert oder gewinnt."
Mit dieser Erklärung stimmen meines Wissens auch die An-
sichten der meisten anderen Physiker überein, wenn die darüber
vorhandenen Aussprüche auch minder klar und bestimmt sind ; des-
sen ungeachtet glaube ich ihr wenigstens theilweise widersprechen
zu müssen. Ob überhaupt eine Potentialniveaudifferenz in der
hier angegebenen Weise bloss durch die verschiedenen Anziehungs-
kräfte verschiedener chemischer Stoffe gegen die Electricität her-
vorgebracht wird , mag vorläufig dahingestellt bleiben , dass sich
aber hieraus, wie behauptet wird, alle Erscheinungen in Leitern
erster Classe herleiten lassen, muss ich bestreiten. Zur Erklärung
der thermoelectrischen Ströme, und der von Peltier entdeckten,
durch einen electrischen Strom verursachten Wärme- und Kälte-
erregung an der Berührungsstelle zweier Stoffe reicht diese An-
nahme nicht hin, sondern dazu ist eine andere Annahme nothwen-
dig, nämlich die, dass die Wärme selbst bei der Bildung und
Erhaltung der Potentialniveaudifferenz an der Berüh-
rungsstelle wirksam ist, indem die Molecularbewegung,
welche wir Wärme nennen, dieElectricität von dem einen
Die thermoelectrischen Ströme. 173
Stoffe zum anderen zu treiben strebt, und nur durch die
entgegenwirkende Kraft der beiden dadurch gebildeten
electrischen Schichten, wenn diese eine gewisse Dich-
tigkeit erreicht haben, daran verhindert werden kann.
Um dieses zuerst aus den thermoelectrischen Strömen nach-
zuweisen, denken wir uns irgend eine aus zwei Stoffen, als welche
wir der Regel nach Metalle annehmen können, gebildete Kette ge-
geben. Wenn sich die ganze Kette in gleicher Temperatur befindet,
so sind natürlich die Potentialniveaudifferenzen an den beiden
Berührungsstellen gleich gross , und die Potentialfunction kann
daher in jedem Metalle für sich einen constanten Werth haljen,
wie es dem Gleichgewichtszustande entspricht. Werden nun aber
die beiden Berührungsstellen in verschiedene Temperaturen ge-
bracht, so entstellt ein Strom, und daraus muss man schliessen,
dass in Bezug auf die Vertheilung der Electricität eigenthümliche
Bedingungen eingetreten sind, die sich durch keinen Gleichge-
wichtszustand erfüllen lassen.
Solche Bedingungen lassen sich aus der Annahme, dass die Po-
tentialniveaudifferenzen nur durch die verschiedenen Anziehungs-
kräfte chemisch verschiedener Stoffe gegen die Electricität her-
vorgebracht werden, nicht herleiten. Zunächst ist es überhaupt
sehr unwahrscheinlich, dass solche Anziehungskräfte sich mit der
Temperatur ändern sollten, und wenn dieses nicht der Fall wäre,
so würde die Wärmevertheilung auf die Electricitätsvertheilung
gar keinen Einfluss haben. Aber wenn man auch diesen Einwand
fallen lässt, und die Abhängigkeit der Anziehungskräfte von der
Temperatur als möglich zugiebt, so ist damit doch zur Erklärung
einer fortwährenden Bewegung der Electricität noch gar nichts
gewonnen, denn alsdann würde einfach jeder Theil der Kette so
viel Electricität zu sich heranziehen, wie seiner augenblicklichen
Anziehungskraft entspräche, und würde diese, so lange die Tem-
peraturverhältnisse der Kette dieselben blieben, festhalten. Man
kann denselben Schluss auch in folgender Weise aussprechen.
Wenn ein Stoff" bei verschiedenen Temperaturen verschiedene An-
ziehungskräfte gegen die Electricität besässe, so würden sich ver-
schieden warme Theile desselben Stoffes in dieser Beziehung eben
so zu einander verhalten, wie verschiedene Stoffe bei gleicher Tem-
peratur, so dass auch zwischen ihnen Potentialniveau differenzen
entstehen müssten, und zwar in der Weise, dass eine Temperatur-
verschiedenheit in den Th eilen einer thermoelectrischen Kette ge-
174 Absclmitt VII.
rade so wirken würde, wie eine vermehrte Stoffverschieden-
heit bei gleicher Temperatur, welche wohl einen veränder-
ten electrischen Gleichgewichtszustand, aber nie einen dauernden
electrischen Strom zur Folge haben kann.
Anders verhält es sich, wenn man annimmt, dass die Wärme
selbst bei der Bildung der Potentialniveaudifi'erenzen an den Be-
rührungsstellen wirksam sei. Diese Annahme macht es nicht nur
möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, dass die Grösse der
Differenzen von den dort stattfindenden Temperaturen abhänge,
und giebt dabei doch durchaus keine Veranlassung zu dem
Schlüsse, dass auch zwischen den verschieden warmen Theilen
eines und desselben Stoffes entsprechende Potentialniveaudifferen-
zen entstehen müssen. Man erhält also bei dieser Annahme in der
That den eigenthümlichen Fall, dass einerseits die Verschiedenheit
der Potentialniveaudifferenzen an den beiden Berührungsstellen
es nothwendig macht, dass die Potentialfunction in den verschie-
denen Theilen der einzelnen Stoffe verschiedene Werthe be-
sitzt, und dass sich andererseits innerhalb jedes einzelnen Stoffes
der electrische Zustand so auszugleichen sucht, dass die Poten-
tialfunction in allen seinen Theilen denselben Werth hat. Diese
beiden Bedingungen lassen sich durch einen Gleichgewichtszustand
nicht gleichzeitig erfüllen, sondern erfordern einen continuirlichen -
Strom, ganz so, wie es der wirklichen Beobachtung entspricht.
Wir wenden uns nun zu der zweiten der oben erwähnten Er-
scheinungen, zu der von P eitler entdeckten, an der Berührungs-
üäche zweier Stoffe durch einen electrischen Strom verursachten
Wärme- oder Kälteerregung. Von dieser Wirkung gilt natürlich
dasselbe, was oben von der Veränderung der Potentialfunction ge-
sagt ist, dass sie nicht auf eine mathematische Fläche beschränkt
sein kann, sondern über den körperlichen Raum derjenigen Schicht
vertheilt sein muss, welche wir oben mit dem Namen Ueber-
gangsschicht bezeichnet haben. Zur Erklärung der in dieser
Schicht stattfindenden Erzeugung oder Vernichtung von Wärme
ist es erforderlich, eine entprechende, von irgend einer
Kraft getliane positive oder negative Arbeit nachzu-
weisen.
Um zu sehen, wie die beiden einander gegenüberstehenden
Annahmen sich in Bezug auf dieses Erforderniss verhalten , wollen
wir zunächst wieder von der von Helmholtz ausgesprochenen
Annahme ausgehen. Nach dieser wirken auf ein in diesem Räume
Die thermoelectrischen Ströme. 175
befindliches Electricitätstheilchen /cwei verschiedene Kräfte, er-
stens eine rein electrische Kraft, indem das Theilchen zwischen
den beiden electrischen Schichten von der einen angezogen und
von der anderen abgestossen wird, und zweitens eine Molecular-
kraft, indem das Theilchen von den auf beiden Seiten befind-
lichen verschiedenartigen Molecülen verschieden stark angezogen
wird. Wenn sich der Gleichgewichtszustand hergestellt hat, so
wirken sich diese beiden Kräfte mit gleicher Stärke entgegen, so
dass beim Uebergange des Theilchens eine eben so grosse Arbeit
von der einen erlitten, wie von der anderen gethan werden würde,
und daher, wie es auch Helmholtz ausspricht, weder ein Ge-
winn noch ein Verlust an lebendiger Kraft eintreten könnte. Wäh-
rend eines Stromes dagegen ist die electrische Kraft ein wenig
grösser oder kleiner, als die Molecularkraft , so dass das Electri-
citätstheilchen jener oder dieser folgen muss. Man kann dieses
Verhältniss am einfachsten dadurch darstellen, dass man die wäh-
rend des Gleichgewichts wirksamen einander gleichen Kräfte auch
jetzt ganz unverändert beibehält, ausserdem aber noch eine kleine
electrische Kraft als dritte hinzufügt, welche nach der einen oder
anderen Seite gerichtet ist, und gerade nur dazu hinreicht, den
Leitungswiderstand innerhalb der Uebergangsschicht zu überwin-
den, und so die Electricität in Bewegung zu erhalten. Diese Kraft
ist ganz dieselbe, welche bei gleicher Stromstärke auch in jeder
mit einem gleichen Leitungswiderstande versehenen Schicht eines
homogenen Leiters vorhanden sein muss, und somit können auch
die von ihr gethane Arbeit und erzeugte Wärme keine anderen
sein, als die, welche in einer solchen homogenen Schicht vorkom-
men, und welche bei der Kleinheit des Leitungswiderstandes einer
so dünnen Schicht hier vernachlässigt werden können. Die an der
Berührungsstelle stattfindende eigenthümliche Erscheinung,
welche von P eitler beobachtet ist, bleibt bei dieser Annahme also
unerklärt.
Wir wollen nun in gleicher Weise von der anderen Annahme
ausgehen, nach der es die Wärme ist, welche innerhalb der Ueber-
gangsschicht die Electricität von der einen nach der anderen Seite
zu treiben strebt, und dadurch der electrischen Kraft entgegen-
wirkt. Während des Gleichgewichtszustandes wird dieses Streben
von der electrischen Kraft gerade compensirt; während eines
Stromes dagegen ist die letztere , wie vorher erwähnt , etwas ver-
grössert oder verkleinert und dadurch wird der Uebergang der
176 Abschnitt VII.
Electricität in der einen oder anderen Richtung veranlasst. Dabei
thut oder erleidet die electrische Kraft eine gewisse Arbeit, und
diese kann nicht durch eine entgegengesetzte Arbeit einer ande-
ren Kraft aufgehoben werden, da unserer Annahme nach keine
zweite Kraft vorhanden ist, sondern die Wirkungen, welche Helm-
holtz einer solchen zuschreiben zu müssen glaubte, durch die
Wärme, also durch eine Bewegung, hervorgebracht werden.
Demnach muss jene ganze Arbeit eine äquivalente Vermehrung
oder Verminderung der lebendigen Kraft zur Folge haben, und
daraus erhalten wir, da lebendige Kraft hier nur in der Form von
Wärme vorkommt, die von Peltier beobachtete Wärme- oder
Kälteerregung.
Ich glaube den ganzen Zustand in der Uebergangsschicht am
besten mit dem vergleichen zu können, wenn ein in einer aus-
dehnsamen Hülle befindliches Quantum Gas durch einen äusseren
Druck zusammengehalten wird, während die Wärmebewegung sei-
ner Molecüle es auszudehnen sucht. Wird die äussere Kraft, welche
vorher dem Ausdehnungsbestreben der Wärme gerade das Gleich-
gewicht hielt, ein Wenig vergrössert oder verkleinert, so drückt
sie das Gas weiter zusammen oder lässt es sich weiter ausdehnen;
dabei thut oder erleidet sie eine gewisse Arbeit, und zugleich
wird in dem Gase eine äquivalente Menge Wärme erzeugt oder
vernichtet.
Will man in Bezug auf die Arbeit diejenige Ausdrucks weise
anwenden, welche in der mechanischen Wärmetheorie gebräuch-
lich ist, dass man die durch die Wärme bewirkte üeberwindung
einer Kraft als gewonnene Arbeit und die von der Kraft selbst
gethane Arbeit als verbrauchte Arbeit bezeichnet, so kann man
sagen: wenn die Electricität sich unter dem Einflüsse der Wärme
in dem der electrischen Kraft entgegengesetzten Sinne bewegt, so
wird Arbeit gewonnen und dafür eine entsprechende Menge Wärme
verbraucht. Findet dagegen die Bewegung der Electricität im
Sinne der electrischen Kraft statt, so wird Arbeit verbraucht und
dafür Wärme gewonnen, gerade so wie bei der Ausdehnung eines
Gases und der dabei stattfindenden üeberwindung des Gegen-
druckes Arbeit gewonnen und Wärme verbraucht, und bei der Zu-
sammendrückung des Gases Arbeit verbraucht und Wärme ge-
wonnen wird.
Die thermoelectrischen Ströme. 177
§. 3. Unterscheidung der hier angenommenen Potential-
niveaudifferenz von einer anderen.
Es hat sich also ergeben, dass wenn man an der Berührungs-
stelle zweier Stoffe eine durch die Wärme verursachte Potential-
niveaudifferenz annimmt, dann die durch den Strom je nach sei-
ner Richtung erregte Wärme oder Kälte eine nothwendige Folge
davon ist. Demgemäss können wir nun auch umgekehrt die letz-
tere Erscheinung als einen Beweis für das Vorhandensein, und zu-
gleich als ein Maass jener Potentialniveaudifferenz l^etrachten.
Hiermit scheint aber eine andere Thatsache im Widerspruche zu
stehen. Da nämlich die Wärme- oder Kälteerregung am stärksten
beim Wismuth und Antimon stattfindet, so muss man schliessen,
dass zwischen diesen beiden Metallen auch die Potentialniveau-
differenz am grössten ist; electroskopische Versuche dagegen zei-
gen zwischen anderen Metallen, wie z, B. Kupfer und Zink, viel
grössere Differenzen, als zwischen Wismuth und Antimon. Dieser
Widerspruch lässt sich auf zwei verschiedene Weisen erklären.
Erstens kann man annehmen, dass ausser der durch die Wärme
verursachten Potentialniveaudifferenz gleichzeitig noch eine an-
dere bestehe, welche in der von Helmholtz angegebenen Weise
nur durch die verschiedenen Molecularanziehungen hervorgebracht
werde , und dass diese , wenn sie auch auf die thermoelectrischen
Erscheinungen keinen Einfiuss übe, doch bei den electroskopi-
schen Erscheinungen zur vollen Geltung komme, und sich dabei
sogar meistens als die grössere von beiden erweise. Zweitens kann
man annehmen, dass die bei electroskopischen Versuchen beob-
achtete Differenz nicht durch die unmittelbare Berührung der bei-
den untersuchten Stoffe, z. B. des Kupfers und Zinks, entstehe,
und überhaupt gar nicht zur Zahl derjenigen Erscheinungen ge-
höre, welche bei der Berührung von nur Leitern erster Classe
eintreten, sondern zur Zahl derer, welche durch die Mitwirkung
von Leitern zweiter Classe (d. h. von solchen, die die Electricität
durch Electrolyse leiten) veranlasst werden. Man kann in dieser
Beziehung anführen, dass bei einem electroskopischen Versuche,
selbst wenn die untersuchten Metalle mit keinem fremden Körper,
wie z. B. mit der Hand, sondern nur unter sich in Berührung ge-
bracht werden, dadurch doch die Mitwirkung fremder Stoffe nicht
Clausius, mech. Wärmetheorie. IT. j^2
178 Abschnitt VII.
ganz ausgeschlossen werden könne, denn die Metalle selbst seien
an ihrer Oberfläche von einer Schicht comprimirter Gase und viel-
leicht auch condensirter Dämpfe bedeckt, welche bei nicht zusam-
mengelötheten , sondern nur zusammengedrückten Metallstücken
den wirklich metallischen Contact verhindere, und durch ihr Da-
zwischentreten die electroskopischen Erscheinungen M'^esentlich
modificire.
Welche von diesen beiden Erklärungsarten vorzuziehen ist,
soll hier nicht erörtert werden, da es für die Untersuchung der
thermoelectrischen Ströme und ihrer Wirkungen gleichgültig ist.
Für diese genügt es, wenn die durch die Wärme verursachte
Potentialniveaudifferenz dem obigen Schlüsse gemäss als existirend
anerkannt wird, denn nur mit ihr haben wir es hier zu thun, und
wenn daher im Folgenden kurz von der Potentialniveaudifferenz
die Rede ist, so soll damit immer nur diese eine gemeint sein,
ganz abgesehen davon, ob daneben noch eine andere besteht,
oder nicht.
§. 4. Stromstärke in einer aus zwei Stoffen bestehen-
den Thermokette.
Wir wollen nun die Thermokette im Ganzen betrachten, und
dazu zunächst eine solche wählen, die nur aus zwei leitenden
Stoßen besteht. Dabei wollen wir die Voraussetzung machen, dass
die Thermokette keinerlei inducirende Wirkungen nach Aussen
hin ausübe oder von Aussen her erleide, sondern einfach sich selbst
überlassen sei.
Die beiden der Einfachheit wegen als linear vorausgesetzten
Leiter mögen a und b und ihre Verbindungsstellen p' und p"
heissen, und die dort herrschenden absoluten Temperaturen mit
T und T" bezeichnet werden. Für den Strom und ebenso für
die electromotorische Kraft nehmen wir eine bestimmte Richtung
als die positive an, und zwar wollen wir dazu die Richtung
p'ap"hp' wählen. Die Potentialfunction im Leiter a bezeichnen
wir mit Va und ihre Grenzwerthe an den Puncten p' und p" mit
Va und V'J, und ebenso bezeichnen wir im Leiter b die Potential-
function allgemein mit F«, und ihre Grenzwerthe mit V^ und V'b.
Die an den Verbindungsstellen stattfindenden Potentialniveau-
differenzen , beide im Sinne des positiven Stromes genommen , mö-
Die thermoelectri sehen Ströme. 179
gen für 'p" mit hXl,, und für |)' mit E\,, bezeichnet werden; dann
haben wir zu setzen:
.2^ / ^'U = VI' - Vi!
^ ^ [Ei,= V'a - VI.
Um nun die durch diese Potentialniveaudifferenzen ver-
ursachte Stromstärke zu bestimmen, liilden wir zunächst, indem
wir die Leitungswiderstände in den beiden Leitern a und b mit
la und 7ö bezeichnen, folgende zwei Gleichungen:
V V"
Stromstärke in a =
Stromstärke in /; =
la
v[: - v.
k
Beide Stromstärken müssen unter einander gleich sein, und
wir wollen ihren gemeinsamen Werth, welchen wir einfach die
Stromstärke der Thermokette nennen , mit J bezeichnen. Indem
wir nun die vorigen Brüche beide gleich J setzen und die so ent-
stehenden Gleichungen mit l,, und Zj multipliciren, erhalten wir:
ji, = v'a - r:
Jl, = Fi' _ Vi.
Durch Addition dieser beiden' Gleichungen kommt:
J(J, -I- l,) r=V'a- V'a + V'l - VI
Führen wdr hierin gemäss (2) die Zeichen E'ah und E'^a ein, und
bezeichnen zugleich die Summe !„ -\- h-, welche den ganzen Lei-
tungswiderstand der Kette bedeutet, mit L, so kommt:
JL = E'ai -j- E'ia
oder auch:
(3) J= j^
Aus dieser Gleichung folgt nach dem Ohm 'sehen Gesetze,
dass die im Zähler des Bruches stehende Summe der beiden Po-
tentialniveaudifferenzen die ganze electromotorische Kraft der
Thermokette ist. Bezeichnen wir diese mit F, so haben wir zu
setzen :
(4) F=E':^,JrEL.
12*
180 Absclinitt VII.
§. 5. Arbeitsleistung und Wärmeerzeugung in der
Thermokette.
Da jedes Theilchen der in der Kette strömenden Electricität
nach einander an Stellen von verscliiedenem Potentialniveau kommt,
so wird dabei von den electrischen Kräften Arbeit geleistet, welche
an einigen Stellen positiv, an anderen negativ ist.
Betrachten wir zuerst eine Uebergangsschicht, z. B. die bei
j>", so gelangt jedes Electricitätstheilchen clq, indem es sich durch
die Schicht bewegt, vom Potentialniveau F'j zum Potentialniveau
V'b. Die dabei von der electrischen Kraft gethane Arbeit, welche
durch die Abnahme des Potentials der getrennt vorhandenen
Electricität auf das Theilchen clq dargestellt wird, ist gleich
(V'a — Vt)dq oder — E'^j, dq. Wenn wir dieses auf alle wäh-
rend der Zeiteinheit durch die Schicht strömende Electricität,
deren Menge gleich J ist , anwenden , so erhalten wir für die Ar-
beit, welche während der Zeiteinheit in dieser Uebergangsschicht
von der electrischen Kraft gethan wird, den Ausdruck — E'^i J.
Ebenso erhalten wir für die in der Uebergangsschicht bei p' ge-
thane Arbeit den Ausdruck — E^^ J. Setzen wir in diese Aus-
drücke für J seinen Werth aus (3) ein, so erhalten wir:
(5)
Arbeit in der Uebergangsschicht bei ^9" = — E'^^ ^«^-f^a«
L
Arbeit in der Uebergangsschicht bei p' = — E',a ^^'^ + ^^" .
-Li
Diese Arbeitsgrössen sind negativ oder positiv, je nachdem die die
Schicht durchströmende Electricität von niedrigerem zu höherem
oder von höherem zu niedrigerem Potentialniveau gelangt.
Fasst man beide Ausdrücke zusammen, so erhält man :
(6) Arbeit in beiden Uebergangsschichten = — ^. <^b -r ^la) ,
Dieser Ausdruck ist jedenfalls negativ und der Durchgang der
Electricität durch beide Uebergangsschichten zusammen findet also
gegen die electrischen Kräfte statt, was daraus zu erklären ist,
dass die electrischen Kräfte durch die Wirkung der Wärme über-
wunden werden.
Die therm oelectrischen Ströme. 181
Betrachten wir nun weiter die homogenen Leiter a und J, so
wird in diesen von den electrischen Kräften beim Strömen der
Electricität diejenige Arbeit geleistet, welche zur Ueberwindung
des Leitungswiderstandes nöthig ist. Diese Arbeit ist, gemäss der
in Abschnitt V. unter (6) gegebenen Gleichung, im Leiter a gleich
la J^ und im Leiter h gleich ?6 J"^. Für beide Leiter zusammen er-
halten wir also, wenn wir wieder die Summe ?„ -j- 1,^ mit L be-
zeichnen, den Ausdruck LJ^, und wenn wir hierin für J seinen
Werth aus (3) setzen, so kommt:
(7) Arbeit in den Leitern = (^«6 + E[a)\
Da dieser Ausdruck dem in (6) gegebenen Ausdrucke der in
den beiden Uebergangsschichten zusammen gethanen Arbeit gleich
und entgegengesetzt ist, so folgt daraus, dass die Summe aller in
der Thermokette von den electrischen Kräften gethanen Arbeits-
grössen gleich Null ist. Dieses ist auch von vornherein selbstver-
ständlich. Wenn nämlich die electrischen Kräfte während einer
gegebenen Zeit innerhalb der Thermokette im Ganzen eine Arbeit
thun oder erleiden sollten, so könnte dieses nur durch eine ver-
änderte Anordnung der Electricität geschehen, und jede solche
Aenderung ist durch die Annahme, dass der Strom stationär sei,
ausgeschlossen.
Mit der vorher besprochenen in den verschiedenen Theilen
der Kette von den electrischen Kräften gethanen, theils positiven,
theils negativen Arbeit hängt nun auch Erzeugung und Verbrauch
von Wärme zusammen. In den Uebergangsschichten wird, je nach-
dem die Bewegung der Electricität im Sinne der electrischen Kraft
oder ihr entgegen geschieht, Wärme erzeugt oder verbraucht. In
beiden Uebergangsschichten zusammen findet Verbrauch von
W^ärme statt, weil dem Obigen nach die Summe der in ihnen ge-
thanen Arbeitsgrössen negativ ist. In den homogenen Leitern, wo
die electrischen Kräfte den Leitungswiderstand zu überwinden ha-
ben, findet Erzeugung von Wärme statt. Was die Mengen der er-
zeugten und verbrauchten Wärme anbetrifft, so sind sie unter der
von uns gemachten Voraussetzung, dass die Thermokette, ohne
Wirkungen nach Aussen hin auszuüben oder von Aussen her zu
erleiden, nur sich selbst überlassen ist, und dass in ihr neben den
Wärnieveränderungen keine weiteren Veränderungen mechanischer
oder chemischer Natur vorkommen, den oben bestimmten Arbeits-
182 Abschnitt VII,
grossen äquivalent. Wenn wir uns die Wärme nach mechani-
schem Maasse gemessen denken, so werden die Wärmemengen
einfach durch dieselben Ausdrücke dargestellt, wie die betreffen-
den Arbeitsgrössen, und es wird daher nicht nöthig sein, länger
dabei zu verweilen. Es möge nur noch angeführt werden, dass die
algebraische Summe aller in der Thermokette erzeugten Wärme-
mengen (wobei verbrauchte Wärmemengen negativ gerechnet wer-
den), ebenso wie die Summe aller von den electrischen Kräften
gethanen Arbeitsgrössen, gleich Null ist.
Wir können diejenigen Theile der Thermokette, in welchen
die Wärme selbst thätig ist, indem sie entweder die Electricität
nach einer bestimmten Richtung treibt, oder der vorhandenen Be-
wegung widerstrebt, also in unserem bisher betrachteten einfachen
Falle die beiden Uebergangsschichten bei ^3' und j?", mit jeder voll-
kommenen durch Wärme getriebenen Maschine vergleichen. Wie
durch die Maschine z. B. ein Gewicht gehoben, also der Schwer-
kraft entgegen bewegt werden kann, wobei die Schwerkraft eine
Arbeit erleidet, so wird hier die Electricität zu einer Bewegung
gezwungen , welche der electrischen Kraft entgegengerichtet ist,
und bei der diese daher eine Arbeit erleidet. Wie man ferner
dort das gehobene Gewicht nachher wieder sinken und somit der
Schwerkraft folgen lassen kann , wobei diese eine Arbeit tliut , die
der vorher erlittenen genau gleich ist, und welche man zur Her-
vorbringung verschiedener Wirkungen benutzen kann, so strömt
auch hier die Electricität wieder zurück , indem sie innerhalb der
homogenen Leiter der electrischen Kraft folgt, und die von dieser
dabei gethane Arbeit kann ebenfalls zu verschiedenen Wirkungen
benutzt werden, da man ja aus den electrischen Strömen eine
mechanische Triebkraft gewinnen kann. Wenn wir, um die Ueber-
einstimmung noch vollständiger zu machen, auch die beschrän-
kende Voraussetzung, welche wir über die Wirkungen des Stromes
im Vorigen gemacht haben , in entsprechender Weise bei der Ma-
schine machen wollen , so müssen wir annehmen , dass die ganze
Arbeit der Maschine nur zur Ueberwindung von Reibung benutzt
werde. In diesem Falle wird durch die Reibung gerade so viel
Wärme erzeugt, wie in der Maschine selbst verbraucht wird , und
betrachten wir daher, um ein mit der ganzen Thermokette ver-
gleichbares System zu erhalten, die sich reibenden Körper als mit
der Maschine zusammengehörig, so findet in diesem Systeme eben-
falls weder ein Gewinn noch ein Verlust an Wärme statt.
Die thermoelectrischen Ströme. 183
§. 6. Vorhandensein eines durch die Thermokette
vermittelten Wärmeüberganges.
Indem wir vorher die Theile der Thermokette, in welchen die
Wärme selbst thätig ist, also die beiden Uebergangsschichten, mit
einer thermodynamischen Maschine verglichen, richteten wir unser
Augenmerk nur auf den Verbrauch oder die Erzeugung von Wärme.
Nun findet aber in einer thermodynamischen Maschine, ausser der
Veränderung der Quantität der im Ganzen vorhandenen Wärme,
auch ein Uebergang von Wärme von einem warmen zu
einem kalten Körper statt, welcher durch den zweiten Haupt-
satz der mechanischen Wärmetheorie näher bestimmt wird, und
wir müssen daher die Thermokette auch von diesem Gesichts-
puncte aus betrachten.
Zunächst wollen wir uns die allgemeinere Frage stellen , ob
sich in der Thermokette überhaupt ein Wärmeübergang von einem
warmen zu einem kalten Körper nachweisen lässt. Wir betrach-
ten dabei wieder, wie bisher, die aus nur zwei homogenen Stoffen
bestehende Kette, bei welcher die Wärme nur in den beiden Ueber-
gangsschichten thätig ist. Oben wurde gezeigt, dass der Aus-
druck für die in beiden Schichten zusammen erzeugte Wärme nega-
tiv ist; daraus darf man aber nicht denselben Schluss für jede
Schicht einzeln ziehen, sondern man kann vielmehr, wenigstens
für geringe Temperaturintervalle, im Voraus als ßegel annehmen,
dass die beiden einzelnen Ausdrücke von entgegengesetzten Vor-
zeichen sind. Bei gleichen Temperaturen sind nämlich die Poten-
tialniveaudifferenzen an beiden Berührungsstellen gleich und ent-
gegengesetzt; wenn sich nun die Temperatur der einen Stelle än-
dert, so ändert sich auch ihre Potentialniveaudifferenz, da diese
Aenderung aber stetig vor sich geht, so kann sie wenigstens nicht
gleich anfänglich eine Umkehrung des Vorzeichens bewirken, und
so lange dieses nicht geschieht, behalten die Potentialniveaudiffe-
renzen, und mit ihnen natürlich auch die entsprechenden Arbeits-
grössen und Wärmemengen entgegengesetzte Vorzeichen. Dieses
Verhalten wollen wir daher auch in der von uns betrachteten
Thermokette voraussetzen, indem wir die bei grossen Temperatur-
unterschieden zuweilen vorkommenden Abweichungen , von denen
später die Kede sein wird, für jetzt unberücksichtigt lassen. Da
184 Abschnitt VII.
der Zustand der ganzen Kette der Annahme nacli stationär sein
soll, und somit die an den beiden Berührungsstellen stattfindenden
Temperaturen T' und T" constant sein müssen, so denken wir uns
dieses dadurch bewirkt, dass die beiden Berührungsstellen mit zwei
Körpern in Verbindung gesetzt sind, welche bleibend auf den Tem-
peraturen T' und T" erhalten werden, und von denen der eine
seiner Berührungsstelle die verbrauchte Wärme wieder ersetzt, der
andere der seinigen die erzeugte Wärme entzieht. Dadurch er-
fährt der eine Körper einen Verlust, der andere einen Gewinn an
Wärme, und wir erhalten somit wirklich einen durch die Thermo-
kette vermittelten Uebergang von Wärme von einem Körper zu
einem anderen.
Es fragt sich nun noch, ob dieser Uebergang auch der Be-
dingung genüge, dass er vom warmen zum kalten Körper, und
nicht etwa in umgekehrter Richtung geschieht. Betrachten wir
in dieser Beziehung die beiden Stofie, deren thermoelectrische
Wirkungen am meisten experimentell untersucht sind, und bei
denen die Entscheidung daher am sichersten ist, nämlich Wismuth
und Antimon, so ergiebt sich in der That das erstere, denn bei
einer aus diesen Stoffen zusammengesetzten Kette geht der Strom
an der warmen Berührungsstelle vom Wismuth zum Antimon, und
an der kalten vom Antimon zum Wismuth, und andererseits weiss
man, dass ein durch die Berührungsstellen gehender Strom bei der
ersteren Richtung Abkühlung hervorbringt, also Wärme verbraucht,
und bei der letzteren Wärme erzeugt. Demnach erfährt, wie es
sein muss, der wärmere Körper den Verlust und der kältere den
Gewinn an Wärme, und in ähnlicher Weise stellt sich die Ueber-
einstimmung auch bei den anderen bis jetzt untersuchten Stoffen
heraus. Man sieht leicht, wie durch dieses Resultat die oben
durchgeführte Analogie zwischen der Thermokette und einer durch
die Wärme getriebenen Maschine noch vervollständigt wird, denn
offenbar entspricht die warm gehaltene Berührungsstelle dem
geheizten Theile der Maschine, und die kalt gehaltene dem
Condensator der Dampfmaschine oder dem Theile, wo die kalte
Luft comprimirt wird, in der durch warme Luft getriebenen Ma-
schine.
Die thermoelectrischen Ströme. 185
§. 7. Anwendung des zweiten Hauptsatzes der
mechanischen Wärmetheorie.
Nachdem so das Vorhandensein des Wärmeüberganges nach-
gewiesen ist, wollen wir den zweiten Hauptsatz der mechanischen
Wärmetheorie auf ihn anwenden. Eine sehr einfache Form dieses
Satzes erhält man, wenn man die Temperaturen der beiden Kör-
per, welche die Wärmezu- und -abfuhr bewirken, als unendlich
wenig von einander verschieden annimmt. Wir wollen die bei jy"
stattfindende, bisher mit T" bezeichnete Temperatur, welche wir
als die höhere voraussetzen, jetzt einfach mit T bezeichnen, und
die bei ^' stattfindende, bisher mit T' bezeichnete Temperatur
gleich T — dT setzen. Dann gilt für den vollständigen Process,
bei welchem eine gewisse Wärmemenge in Arbeit verwandelt oder,
wie man auch sagen kann, zu Arbeit verbraucht wird, und eine
andere Wärmemenge von dem wärmeren zu dem kälteren Körper
übergeht, die Gleichung:
, . die verbrauchte Wärme äT
die übergegangene Wärme T
Um nun die an der linken Seite dieser Gleichung im Zähler
und Nenner stehenden Wärmemengen zu bestimmen, müssen wir
die auf die beiden Uebergangsschichten bezüglichen Gleichungen
(5) anwenden, welche zunächst für die dort gethanen Arbeits-
grössen aufgestellt sind, aber auch für die dort erzeugten Wärme-
mengen gelten, und in welche wir nur für die die Potentialniveau-
differenzen darstellenden Zeichen die auf unseren Fall bezüglichen
Werthe einzusetzen haben. Die bei |)" stattfindende Potential-
niveaudifferenz wollen wir jetzt einfach mit E bezeichnen, so dass
zu setzen ist :
Was die bei j/ stattfindende Potentialniveaudifferenz E^^ anbe-
trifit, so ist erstens zu bemerken, dass sie wegen der umgekehrten
Reihenfolge der Stoffe a und h das entgegengesetzte Vorzeichen
hat, und zweitens ist ihr absoluter Werth um so viel vom vorigen
verschieden anzunehmen, wie es der um d T niedrigeren Tempera-
tur entspricht. Es ist also zu setzen:
186 Abschnitt VII.
äE
^'- = -{^-¥t^^)
Bei p" erzeugte Wärme = — y- --^
Ju Cf/ J.
Bei p erzeugte Warme = y- yy al — y [tTt)
Aus der Vereinigung beider Gleichungen folgt:
Eab -T Ella = -TTji "-^•
Setzen wir diese "Werthe in die Gleichungen (5) ein, so kommt
(9)
und hieraus folgt weiter:
1 / rl Ji^\ 2
(10) Bei y und j9" erzeugte Wärme = ^ (tt) ^^-^^•
Da der letzte Ausdruck negativ ist, so ergiebt sich daraus,
wie schon oben besprochen wurde, für beide Uebergangsschichten
zusammen ein Wärme verbrauch, und der absolute Werth des
Ausdruckes stellt die Menge der verbrauchten Wärme dar, also
die Grösse, welche in dem in der Gleichung (8) vorkommenden
Bruche den Zähler bildet.
Was ferner die im Nenner stehende übergegangene Wärme-
menge anbetrifft, so ist als solche die bei p' erzeugte Wärme-
menge anzusehen, welche durch die zweite der Gleichungen (9)
bestimmt wird, wobei noch zu bemerken ist, dass wir in dem be-
trefienden Ausdrucke das in Bezug auf dT quadratische Glied
gegen das lineare vernachlässigen können. Die Gleichung (8) geht
also über in:
L \dT) __ d£
EdE - T'
welche Gleichung sich vereinfacht in:
dE _ dT
und aus welcher sich durch Integration ergiebt:
(12) E=8T,
worin s eine von der Natur der sich berührenden Stoffe abhän-
gige Constante bedeutet.
Die thermoelectrischen Ströme. 187
Wir sind somit in Bezug auf die Art, wie die zAvischen zwei
verschiedenen Stoffen stattfindende Potentialniveaudifferenz sich
mit der Temperatur ändert, zu dem einfachen Gesetze gelangt,
dass die Potentialniveaudifferenz der absoluten Tem-
peratur proportional ist. Dabei ist aber wohl zu beachten,
dass die das Gesetz ausdrückende Gleichung (12) in der einfachen
Form, dass £ constant ist, nur so weit als gültig angesehen wer-
den darf, wie die unserer bisherigen Entwickelung zu Grunde lie-
gende Voraussetzung, dass innerhalb der einzelnen Stoffe keine
electromotorischen Kräfte auftreten, erfüllt ist.
Wenden wir jenen für E gewonnenen Ausdruck auf eine
Thermokette an, deren Verbindungsstellen p' und p" beliebige
Temperaturen T' und T" haben, so haben wir zu setzen :
Eiba = ^ba J- ^^^ ^ab J- ■
Dadurch geht die für die ganze electromotorische Kraft der Thermo-
kette geltende Gleichung (4) über in:
(13) F=B,,iT" - T').
Wir wollen uns nun statt der aus zwei Stoffen bestehenden
Thermokette eine solche gegeben denken, welche aus einer beliebi-
gen Anzahl n von leitenden Stoffen besteht, die «, &, c.h heissen
mögen. Die Verbindungsstellen wollen wir, vom Anfangspuncte
des Leiters a beginnend, mit p\ p", p'" p^"'> bezeichnen, so
dass p" die Verbindungsstelle zwischen a und &, p'" die Verbin-
dungsstelle zwischen h und c und zuletzt p' die Verbindungsstelle
zwischen h und a ist. Die an diesen Verbindungsstellen stattfin-
denden Potentialniveaudifferenzen mögen E'ab, E'l[ E^« heissen.
Dann haben wir zur Bestimmung der electromotorischen Kraft der
Thermokette, entsprechend der Gleichung (4), zu setzen:
(14) F==K'6 + £"cH V EU-
Bezeichnen wir ferner die in den Ausdrücken der Potentialniveau-
differenzen vorkommenden constanten Factoi-en der Reihe nach
mit Sab-, Sbc----£ha wud nennen die Temperaturen der Verbin-
dungsstellen, von derjenigen, welche den Anfangspunct des Leiters
a bildet, beginnend, T', T", T'" T^"\ so geht die vorige Glei-
chung über in:
(15) F=8,b T" ^Sbc T"' + -^ BnaT'.
188 Abschnitt VII.
§. 8. Uebereinstimmungspuncte des obigen Resultates
mit der Erfahrung.
Vergleicht man das in der Gleichung (12) ausgedrückte Re-
sultat der obigen Entwickelungen mit der Erfahrung, so findet
man in mehrfacher Beziehung eine unzweifelhafte Ueberein-
stimmung.
Der erste zu besprechende<Punct bezieht sich nur darauf, dass
der in (12) gegebene Ausdruck einem allgemeinen Erfordernisse
entspricht. Wenn in einer aus beliebig vielen Stoffen a, &, c 1%
bestehenden Thermokette alle Verbindungsstellen eine und die-
selbe Temperatur T haben, so entsteht kein Strom und die elec-
tromotorische Kraft der Kette muss somit Null sein. Man hat
also für diesen Fall, gemäss (14), zu setzen:
und dieser Gleichung müssen die Potentialniveaudifferenzen für
jeden beliebigen Werth der gemeinsamen Temperatur T ge-
nügen. Setzt man nun für die Potentialniveaudifferenzen ihre Aus-
drücke nach (12), indem man bei allen dieselbe Temperatur T in
Anv^endung bringt, so geht die vorige Gleichung über in:
und aus der Form dieser Gleichung ersieht man sofort, dass, wenn
die Constanten solche Werthe haben, dass die Gleichung für Eine
Temperatur erfüllt ist, sie auch für alle Temperaturen erfüllt ist.
Wir wollen nun einige specielle Folgerungen, welche sich aus
(12) ergeben, mit der Erfahrung vergleichen
1. Nach (12) nehmen die Potentialniveaudifferenzen
bei wachsender Temperatur zu und nicht ab. Um die
Richtigkeit dieses Schlusses zu prüfen, müssen wir uns erinnern,
dass der Strom immer die Richtung wählt, in welcher die Summe
der Potentialniveaudiöerenzen positiv ist, also für den Fall, wo nur
zwei Differenzen vorkommen, die Richtung, in welcher die grössere
von ihnen positiv ist. Es braucht also zum Beweise, dass die Po-
tentialniveaudifi'erenz an der wärmeren Berührungsstelle die
grössere ist, nur gezeigt zu werden, dass sie in Bezug auf die
Stromrichtung die positive ist, und dieses ist schon oben ge-
schehen, indem aus der Erfahrung nachgewiesen ist, dass an der
Die thermoelectrischen Ströme. 189
wärmeren Berührungsstelle ein Verbrauch von Wärme statt-
findet, was einer negativen Arbeit und somit einer im Sinne des
Stromes stattfindenden Zunahme des Potentialniveaus entspricht.
2. Nach (12) sind die Acnderungen jeder Potential-
niveaudifferenz den entsprechenden Temperaturände-
rungen proportional. Hiernach muss,wie aus (13) zu ersehen ist,
bei jeder aus zwei homogenen Stoffen zusammengesetzten Tliermo-
kette die electromotorische Kraft i) dem an beiden Berühruiigs-
stellen angewandten Temperaturunterschiede proportional sein,
und dieses kann in der That für nicht zu grosse Temperaturunter-
schiede im Allgemeinen als Regel bezeichnet werden.
3. Nach (12) müssen diejenigen Potentialniveaudiffe-
renzen, deren Zunahme mit der Temperatur am gröss-
ten ist, auch ihren ganzen Werthen nach die grössten
sein. Betrachten wir nämlich irgend zwei Combinationen von je
zwei Stoffen, etwa a, h und c, d^ so haben wir zu setzen:
woraus folgt
ßaö = Sab Tund E,,^ = E,d T,
dEab 1 dEcd
= £nh und —TT^ = Ecd
dT ~~ "" dT
und aus diesen Gleichungen ergiebt sich die Proportion:
dEai, dEcd
dT ■ dT
' — ^al: '• Ecd-
Auch dieser Schluss bestätigt sich, indem diejenigen Stoffcombi-
nationen, welche bei einem bestimmten Temperaturunterschiede
die stärksten Ströme geben, wie z. B. die von VVismuth und Anti-
mon, sich auch dadurch auszeichnen, dass ein durch ihre Berüh-
rungsstelle gehender Strom dort am meisten Wärme erzeugt oder
vernichtet , wobei die erstere Eigenschaft auf einen grossen Werth
des Differentialcoefficienten ^— , und die letztere auf einen grossen
dt
Werth der Function E selbst schliessen lässt.
1) Man darf hier statt der electromotorischen Kraft nicht ohne Weite-
res die Stromstärke setzen, weil die letztere auch vom Leitungswiderstande
abhängt, welcher sich mit der Temperatur ändert.
190 Absclinitt VII.
§. 9. Abweichungen des obigen Resultates von der
Erfahrung und ihre Erklärung.
Die vorstehend erwähnten Bestätigungen lassen wohl keinen
Zweifel daran bestehen, dass der in der Gleichung (12) gegebene
Ausdruck nicht bloss, wie eine empirische Formel innerhalb ge-
wisser Grenzen eine äusserliche, vielleicht zufällige Aehnlichkeit
mit dem Verhalten der Potentialniveaudifferenzen zeigt, sondern
dass er in der Natur der Sache selbst begründet ist. Dessen un-
geachtet stellt er allein die Erscheinungen noch nicht genau dar,
vielmehr findet man bei näherer Untersuchung derselben, beson-
ders in den Fällen, wo hohe Temperaturen vorkommen, erhebliche
Abweichungen, welche zeigen, dass bei der Hervorbringung dieser
Erscheinungen noch Nebenumstände mitwirken müssen, die bei
der Ableitung des Ausdruckes nicht berücksichtigt sind. Am deut-
lichsten tritt dieses bei einer aus Eisen und Kupfer bestehenden
Thermokette hervor, welche bekanntlich bei allmälig fortschreiten-
der Erwärmung der einen Berührungsstelle statt beständiger Zu-
nahme des Stromes von einer gewissen Temperatur an eine Ab-
nahme, und bei der Glühhitze sogar eine Umkehrung des Stro-
mes zeigt.
Diese Abweichungen lassen darauf schliessen, dass die unse-
rer obigen Entwickelung zu Grunde gelegte Voraussetzung, dass
die in einer Thermokette vorkommenden electromotorischen Kräfte
nur an den Verbindungsstellen verschiedener Stoffe ihren Sitz ha-
ben, während im Inneren eines einzelnen Stoffes, auch wenn seine
Theile verschiedene Temperaturen haben, keine electromotori-
schen Kräfte vorkommen, ungenau sein muss. Wollte man z. B.
bei der Eisen-Kupferkette die Entstehung des Stromes nur aus den
beiden an den Berührungsstellen stattfindenden Potentialniveau-
differenzen erklären, so müsste man schliessen, dass bei der Tem-
peratur, bei welcher die Umkehrung des Stromes eintritt, die Po-
tentialniveaudifferenz an der warmen Berührungsstelle gerade wie-
der gleich der an der kalten geworden wäre, und sich so auf dem
Durchgangspuncte aus einem grösseren in einen kleineren, oder
aus einem kleineren in einen grösseren Werth befände. Bei die-
ser Aenderung ihres Werthes würde natürlich ihr Vorzeichen zu-
nächst ungeändert bleiben, und es müssten sich daher bei der
Die thermoelectrischen Ströme. 191
Umkehrung des Stromes auch seine thermischen Wirkungen an
den beiden Berührungsstellcn in die entgegengesetzten verwan-
deln, so dass, wenn vorher Wärme von einem warmen zu einem
kalten Körper überging, nun der umgekehrte üebergang einträte,
was dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie
direct widerspricht. Man ist also zu der Annahme genöthigt, dass
auch im Inneren der beiden verbundenen Metalle, oder eines der-
selben, Potentialniveaudifferenzen entstanden seien, welche als elec-
tromotorische Kräfte zur Hervorbringung des Stromes mitwirken,
und hat zugleich durch die Bedingung, dass der zweite Hauptsatz
der mechanischen Wärmetheorie immer erfüllt bleiben muss, ein
Mittel über das Verhältniss, in welchem diese verschiedenen Diffe-
renzen zu einander stehen müssen, wenigstens Einiges zu schliessen.
Damit ist aber nicht gesagt, dass jede Temperaturver-
schiedenheit schon als solche nothwendig von einer Po-
tentialniveaudifferenz begleitet sein müsse, sondern ich
glaube, dass es zur Erklärung jener Abweichungen, so weit sie bis
jetzt beobachtet sind, hinreicht, wenn man die im Inneren eines
Metalles entstehende Potentialniveaudifferenz nur als eine secun-
däre Wirkung der Temperaturverschiedenheit betrachtet, welche
dann eintritt, wenn durch die Temperaturänderung des
einen Theiles eine Aenderung seines Molecularzustan-
des veranlasst ist, so dass der veränderte und der unveränderte
Theil desselben Metalles sich wie verschiedene Metalle zu einander
verhalten. Dasselbe gilt natürlich auch, wenn beide Theile ihren
Molecularzustand geändert haben, aber die Aenderungen nicht
gleich sind.
Dass dergleichen Aenderungen in bedeutendem Maasse statt-
finden, lässt sich in manchen Fällen mit ziemlicher Sicherheit
nachweisen, und es möge als ein Beispiel der Art hier der Stahl
betrachtet werden, bei welchem die Wirkungen der Wärme beson-
ders auffällig sind. Harter und weicher Stahl stehen sich in den be-
deutendsten Eigenschaften, wie Härte, Elasticität und Sprödigkeit,
so fern, wie zwei ganz verschiedene Metalle, und es ist bekannt,
dass bei ihrer Berührung auch eine electrische Potentialniveau-
differenz entsteht, indem sich aus ihnen eine wirksame Thermo-
kette, und durch mehrfache Wiederholung eine ziemlich kräftige
Thermosäule bilden lässt. Da der ganze zwischen hartem und wei-
chem Stahl bestehende Unterschied seine Ursache nur in der
grösseren oder geringeren Geschwindigkeit der Abkühlung hat.
192 Abschnitt VII.
so muss man annehmen, dass die bei höherer Temperatur stattfin-
dende Art der Verbindung des Eisens mit der Kohle, und der
damit zusammenhängende Molecularzustand der ganzen Masse sich
bei der Abkühlung zu ändern sucht, dass diese Aenderung aber
einiger Zeit bedarf, und daher durch die Schnelligkeit der Abküh-
lung ganz oder theilweise verhindert werden kann, während sie
bei langsamer Abkühlung wirklich eintritt. In Uebereinstimmung
hiermit kann man aus der Verschiedenheit, welche man zwischen
langsam und schnell gekühltem Stahle beobachtet, auf eine entspre-
chende Verschiedenheit zwischen langsam gekühltem und heissem
Stahle schliessen, und denselben Schluss hat auch Seebeck aus
seinen thermoelectrischen Versuchen gezogen i).
Für das häufige Vorkommen und den electrischen Einfluss
solcher Verschiedenheiten des Molecularzustandes sprechen ferner
alle thermoelectrischen Ströme , welche man bei Anwendung eines
einzigen Metalles erhält, wenn man einzelne Stellen desselben er-
wärmt. Besonders stark sind diese bei solchen Metallen, die ein
deutlich ausgeprägtes krystallinisches Gefüge zeigen. So beobach-
tete Seebeck 2) z. B. bei einem im Ganzen gegossenen Ringe aus
Antimon, dass er sich gerade so verhielt, als ob er aus zwei ver-
schiedenen Metallen bestände, deren Grenzen sich genau feststel-
len Hessen. Als später der Ring zerbrochen wurde, fand sich, dass
der eine Theil sternförmig krystallisirt war, während der andere
ein feinkörniges Gefüge besass, und eine weitere Untersuchung
des Gegenstandes ergab als Ursache dieses Unterschiedes die ver-
schiedene Erkaltungsgeschwindigkeit der beiden Theile. Für dehn-
bare Metalle ist in neuerer Zeit Magnus durch sorgfältige expe-
rimentelle Untersuchungen s) ebenfalls zu dem Resultate gelangt,
dass die in einem einzigen Metalle entstehenden Ströme ihren
Grund in dem verschiedenen Zustande seiner Theile, besonders
in der verschiedenen Härte haben. Da demnach durch verschie-
dene Behandlung in den Theilen eines Metalles bleibend ein sol-
cher Unterschied des Zustandes entstehen kann, dass sie sich in
Bezug auf die Bildung von thermoelectrischen Strömen wie ver-
1) Uebex' die magnetisclie Polarisation der Metalle und Erze durch
Temperatur -Differenz, von Dr. T. J. Seebeck, Denkschr. der Berliner
Akad. für 1822 u. 1823, und Pogg. Ann. Bd. 6, §. 47.
2) A. a. 0. §. 46.
3) Denkschriften der Berliner Akad. für 1851, und Pogg. Ann. Bd. 83,
S. 469.
Die thermoelectrischen Ströme. 193
schiedene Metalle verhalten, so ist es wohl keine unwahrschein-
liche Annahme, dass auch durch Temperaturverschiedenheit vor-
ühergeliend ein solcher Unterschied hervorgerufen werden könne.
Wenn nun in einer Thermokette dieser Fall eintritt, dass ein
Theil des einen Metalles seinen Molecularzustand ändert, so ent-
steht dabei erstens, wie erwähnt, zwischen diesem veränderten und
dem unveränderten Theile desselben Metalles eine vorher nicht
vorhandene Potentialniveaudifi'erenz , und zweitens erleidet an der
Stelle, wo der veränderte Theil ein anderes Metall berührt, die
dort schon vorhandene Potentialniveaudifferenz eine Aenderung,
welche in der Gleichung (12) nicht mit ausgedrückt ist, und daher
noch besonders in Rechnung gebracht werden muss, und beide
Umstände vereinigen sich in ihrer Wirkung auf den Strom. Um
in solchen Fällen mit dem zweiten Hauptsatze der mechanischen
Wärmetheorie im Einklänge zu bleiben, braucht man sich nur die
durch die Wärme in der Thermokette hervorgebrachten electri-
schen Wirkungen in zwei Theile zerlegt zu denken, nämlich in die
unmittelbaren und die durch Aenderungen des Molecularzustan-
des vermittelten, und dann die letzteren so zu behandeln, als ob
sie durch wirkliche Stoffveränderungen veranlasst wären, für die
ersteren dagegen die Gleichung (12) ungeändert beizubehalten und
diese nach jeder Aenderung des Molecularzustandes auf die verän-
derte Kette gerade so anzuwenden, wie vorher auf die unverän-
derte. Ob die Aenderung des Molecularzustandes bei einer be-
stimmten Temperatur sprungweise eintritt, oder ob ein allmäliger
Uebergang aus dem einen Zustande in den anderen stattfindet,
macht hierbei keinen wesentlichen Unterschied, denn im letzteren
Falle kann man statt Einer endlichen Differenz eine unendliche
Reihe von unendlich kleinen Differenzen annehmen.
§. 10. Erweiterung der Theorie.
Nachdem ich die vorstehend mitgetheilte Theorie der thermo-
electrischen Ströme in einer zuerst im Jahre 1853 erschienenen
und später wieder abgedruckten Abhandlung auseinandergesetzt
hatte, und am Schlüsse derselben von den noch vorkommenden
Abweichungen der Resultate von der Erfahrung die im vorigen
Paragraphen enthaltene Erklärung gegeben und zugleich angedeu-
tet hatte, wie die Entwickelungen zu erweitern sein würden, um
Clausius, mech. Wärme tlieorie. IL 13
194 Abschnitt VlI.
die vollständige Uebereinstimmung mit der Erfahrung herzustel-
len, hat Hr. Budde in einer im Jahre 1874 veröffentlichten schö-
nen Abhandlung i) den Gegenstand wieder aufgenommen und jene
Erweiterung der Entwickelunge n ausgeführt. Von dieser Behand-
lung will ich das Wesentlichste in etwas veränderter Form hier
hinzufügen, indem ich in Bezug auf die mehr ins Einzelne gehende
Durchführung auf die Abhandlung selbst verweise.
Die im vorigen Paragraphen besprochenen Verschiedenheiten
des Molecularzustandes oder der Structur, welche in einem che-
misch gleichartigen Stoffe vorkommen und dann bewirken können,
däss zwei Theile dieses Stoffes sich in thermoelectrischer Beziehung
wie zwei verschiedene Stoffe zu einander verhalten, können in dop-
pelter Weise von der Temperatur abhängen.
Es giebt Fälle, wo durch eine Aenderung der Temperatur
auch eine Aenderung der Structur des Stoffes hervorgerufen wird,
wo aber die Temperatur und die Structur doch nicht in so be-
stimmtem Zusammenhange unter einander stehen, dass der Stoff
bei der Rückkehr zur ursprünglichen Temperatur auch nothwen-
dig seine ursprüngliche Structur wieder annehmen müsste. So ist
es z, B. bekannt, dass Körper, welche in verschiedener Weise kry-
stallisiren können, zuweilen bei der Temperaturerhöhung eine
Aenderung des crystallinischen Gefüges erleiden, ohne dass bei
nachheriger Abkühlung das erste crystallinische Gefüge sich wie-
der herstellt. Ebenso weiss man, dass Stahl, wenn er erwärmt und
nachher wieder zur ursprünglichen Temperatur abgekühlt wird,
dadurch eine bedeutende Aenderung der Härte erleiden kann. Bei
Stoffen dieser Art würde es schwer sein, ihr Verhalten in der
Thermokette durch allgemeingültige Gleichungen darzustellen, und
es möge hier nur gesagt werden, dass man für jeden Theil eines
solchen Stoffes die seiner augenblicklich stattfindenden Structur
entsprechenden thermoelectrischen Eigenschaften in Rechnung zu
bringen hat.
Es kommen aber auch Stoffe vor, besonders Metalle, welche
mit der Temperatur ihre Structur in der Weise ändern, dass bei
derselben Temperatur auch immer wieder, wenigstens angenähert,
dieselbe Structur eintritt. Nimmt man dieses Wiedereintreten der-
selben Structur als wirklich genau an, so kann man bei einem sol-
chen Stoffe die von der Structur abhängigen Grössen als Functio-
1) Pogg. Ann. Bd. 153, S. 343.
Die thermoelectrischen Ströme. 195
nen der Temperatur betrachten, was bei der Behandlung seines
thermoelectrischen Verhaltens von Wichtigkeit ist. Auf Stoffe die-
ser Art beziehen sich die von Budde ausgeführten Entwickelungen.
§. 11. Verallgemeinerter Ausdruck der electro-
motorischen Kraft. ^
In §. 7 wurde die an der Berührungsstelle zweier Stoffe statt-
findende Potentialniveaudifferenz E durch die unter (12) gegebene
Gleichung
E= eT
bestimmt, worin £ als eine von der Natur der sich berührenden
Stoffe abhängige Constante angesehen wurde. Wenn nun die Stoffe
mit der Temperatur ihre Structur ändern, so braucht die Grösse £
nicht constant zu sein, sondern ist als Function der Temperatur
zu betrachten. Wenn ferner verschiedene Theile eines und dessel-
ben Stoffes verschieden warm sind, und dadurch in ihrer Structur
Verschiedenheiten eingetreten sind, so können auch zwischen ihnen
Potentialniveaudifferenzen obwalten.
Um die Potentialniveaudifferenz zwischen irgend zwei Stoffen
oder irgend zwei Theilen eines Stoffes in einer für das Folgende
bequemen Form darstellen zu können, wollen wir zunächst alle
Stoffe mit einem Stoffe vergleichen, von dem wir annehmen, dass
er eine durchweg gleichmässige und auch bei Temperaturände-
rungen unveränderliche Structur habe, so dass zwischen verschie-
den warmen Theilen dieses Stoffes keine electrischen Potential-
niveaudifferenzen bestehen. Ob ein so unveränderlicher Stoff wirk-
lich existirt, ist für die Gültigkeit des Folgenden ohne Bedeutung,
da er nur dazu dienen soll, für die Bestimmung aller Potential-
niveaux einen gemeinsamen Ausgangspunct zu gewinnen , dessen
Lage die auf Thermoketten bezüglichen Gleichungen, in welchen es
sich nur um die Differenzen der vorkommenden Potentialniveaux
handelt, nicht beeinüusst. Wir wollen diesen hypothetischen Ver-
gleichsstoff mit r- bezeichnen. Betrachten wir nun irgend einen
anderen Stoff' a, so denken wir uns diesen mit r in Berührung ge-
bracht und bilden für die an der Berührungsstelle bei der Tem-
peratur T entstehende Potentialniveaudifferenz Era gemäss (12)
die Gleichung:
(16) E,,, = £,„ T.
13*
196 Absclmitt VII.
Ganz entsprechend haben wir dann auch für einen anderen Stoff
h die Gleichung:
(16 a) E^^ = Srb T
zu bilden, und aus diesen beiden Gleichungen ergiebt sich weiter:
(17) Eab = Erb Era = T (s^b — ^ ra)-
Da man nun andererseits gemäss (12) setzen kann:
Eab = ^ab T^
SO folgt:
(18} £a6 =^ ^rb ^rai
wodurch die Temperaturfunction £„&, welche von der Natur der
beiden Stoffe a und & abhängt, auf zwei Temperaturfunctionen,
von denen jede nur von der Natur eines dieser beiden Stoffe ab-
hängt, zurückgeführt ist. Um auch noch für die Bezeichnung die
Vereinfachung zu gewinnen, dass wir den auf den Vergleichsstoff
bezüglichen Buchstaben r nicht immer mitzuschreiben brauchen,
wollen wir unter Einführung des neuen Buchstabens t] setzen:
(19) Sra = ^a liud S rb = l^ö,
SO dass wir die vorige Gleichung schreiben können :
(20) Sab = Vjb — Va-
Hierdurch geht dann auch (17) über in:
(21) E„, = Tif},-ri„).
Wir wollen nun eine aus zwei linearen Leitern a und b be-
stehende Thermokette betrachten, deren Verbindungsstellen die
Temperaturen T' und T" haben.
Es möge zunächst für den Leiter a, dessen Temperatur sich
vom Anfangspuncte bis zum Endpuncte von T' bis T" ändert, be-
stimmt werden, wie sich die bei geöffneter Kette an seinen ver-
schiedenen Puncten stattfindenden Potentialniveaux unter einander
verhalten. Wenn an zwei unendlich wenig von einander entfern-
ten Puncten des Leiters die Temperaturen T und T -\- dT statt-
finden, so unterscheiden sich die beiden betreffenden Werthe von
fj a um -jyp d T von einander, und die entsprechende Differenz der
an den beiden Puncten stattfindenden Potentialniveaux ist:
(22) ^dT ^T^dT.
Die thermoelectrischen Ströme. 197
Daraus folgt, wenn wir den Anfangs- und Endwcrth von F« mit
Va und Va bezeichnen:
(33) V:' - V:,=fT'^dT.
2"
Wenn die Kette geschlossen ist, und daher ein continuirlicher
electrischer Strom durch den Leiter a geht, so findeii natürlich
andere Potentialniveaux auf ihm statt, als bei geöfiheter Kette.
Für die Bestimmung der electromotorischen Kräfte sind aber die
bei geöffneter Kette stattfindenden Potentialniveaudiff'erenzen
maassgebend. Zwischen zwei Stellen , deren Temperaturen T und
T -\- (?Tsind, wirkt eine electromotorische Kraft, welche durch
d Va dVa
-j^ d T oder durch T -j~ ^ ^ dargestellt wird, und demnach gilt
für die Summe aller innerhalb des Leiters a wirkenden electro-
motorischen Kräfte der in (23) gegebene Ausdruck:
/
/TT <^'^a n rn
Aus der Form dieses Ausdruckes sieht man sofort, dass sein Werth
nur von der Anfangs- und Endtemperatur des Leiters und nicht
von der Art, wie die Zwischentemperaturen über ihn vertheilt sind,
abhängt.
Li entsprechender Weise wird für den Leiter &, der an sei-
nem Anfangspuucte die Temperatur T" und am Eudpuncte die
Temperatur T' hat, die Summe der in ihm wirkenden electromo-
torischen Kräfte durch den Ausdruck
J dT
dT
dargestellt.
Betrachten wir nun die ganze Thermokette, so wirken in die-
ser, ausser den eben bestimmten, noch die an den Verbindungs-
stellen j)' und p" stattfindenden electromotorischen Kräfte. Be-
zeichnen wir die Werthe, welche die Grössen i^ia und rii bei den
Temperaturen T' und T" haben, mit t^^, t]'^ und tj", //j, so sind
die an den Verbindungsstellen wirkenden electromotorischen Kräfte
T" W - n"a) und T' in'a - n'ö).
198 Abschnitt VIL
Aus der Zusammenfassung der vier vorstehenden Ausdrücke
erhalten wir für die ganze electromotorische Kraft F der Kette
die Gleichung:
(24) F = fT^ dTJr T" W - n'i) -^ f T ^ dT
l' T"
Hierin kann man unter Ausführung der theilweisen Integration
setzen :
f T^dT=T" ri'i- r r}', - friadT
t' t'
t' t'
f T^dT = T' n'b- T" n'l- f n^dT.
Dann heben sich die meisten Glieder auf und es bleibt:
T" t'
(25) F=- fyiadT- fyi.dT
T'
oder anders geschrieben:
2"
(25a) F== f(fj, - r}a)dT= fsa.dl.
t' t'
Macht man in dieser Gleichung die specielle Annahme, dass
Sah constant sei, so geht sie in die unter (13) gegebene Gleichung
^ = Saö (T" - T')
über. Betrachtet man dagegen £„& als eine noch zu bestimmende
Temperaturfunction, so kann man durch geeignete Wahl der Form
dieser Function die von dem gewöhnlichen Verhalten abweichen-
den Beobachtungen, welche man bei manchen Ketten in Bezug auf
die Abhängigkeit der electromotorischen Kraft von den Tempera-
turen der Löthstellen gemacht hat, aus dieser Gleichung sehr gut
erklären.
Die Gleichungen (24) und (25) lassen sich leicht auch in der
Weise erweitern, dass sie für eine aus beliebig vielen Stoffen be-
stehende Thermokette gelten. Seien n Leiter a, h^ c .... h als Be-
standtheile der Thermokette gegeben, und seien die Temperaturen
Die thermoelectrischen Ströme. 199
ihrer Verbindungsstellen vom Anfangspuncte des Leiters a an der
Reihe nach mit T\ T'\ T'" T^"' bezeichnet, so lauten die er-
weiterten Gleichungen :
(26) F^Jt'^ clT^ T" {n'l - V^) + J t'^ dT
2<l y"
T'
■ + T'" in"' - riT) -\---- + fT'h^dT-^T' (n'a- »?'.)
(27) F=- J r},dT- f fjödT- - f 'l'^
... clT.
t" y{nl
§. 12. Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung in der
Thermokette.
Nachdem die in der Thermokette vorkommenden electromo-
torischen Kräfte ausgedrückt sind, kann auch das in ihren ver-
schiedenen Theilen stattfindende Verschwinden oder Entstehen
von Wärme leicht bestimmt werden.
Es sind dabei, wie schon früher in §. 5 auseinandergesetzt
ist, zwei Vorgänge in Betracht zu ziehen. Derjenige, bei welchem
die Wärme selbst thätig ist, indem sie electromotorische Kräfte
hervorbringt, die an manchen Stellen im Sinne des Stromes, an an-
deren Stellen im entgegengesetzten Sinne stattfinden, wodurch
dann Verbrauch oder Erzeugung von Wärme bedingt ist, und der-
jenige, welcher nur in der TJeberwindung des Leitungswiderstan-
des besteht, wobei ebenso, wie bei der Ueberwindung einer Rei-
bung, Wärme erzeugt wird. In dem früher betrachteten einfachen
Falle, wo die electromotorischen Kräfte nur an den Berührungs-
flächen verschiedener Stofi"e ihren Sitz haben, waren beide Vor-
gänge räumlich getrennt. Wenn aber auch innerhalb der einzel-
nen Stoffe electromotorische Kräfte vorkommen, so finden hier
beide Vorgänge in demselben Räume neben einander statt. Dessen-
ungeachtet kann man sie für die Betrachtung von einander
trennen.
Sie unterscheiden sich nämlich wesentlich dadurch, dass der
eine durch Umkehrung des Stromes ebenfalls eine Umkehrung er-
200 Abschnitt VII.
leidet, indem Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung sich gegen-
seitig vertauschen, während der andere bei Umkehrung des Stro-
mes ungeändert bleibt, indem bei ihm immer nur Wärmeerzeugung
stattfindet. Dadurch wird es möglich, in jedem Stücke einer Thermo-
kette die durch die beiden Vorgänge erzeugten Wärmemengen
(wobei verbrauchte Wärmemengen als erzeugte negative Wärme-
mengen gerechnet werden) durch Beobachtung einzeln zu bestim-
men. Nachdem man für den durch die thermoelectromotorischen
Kräfte hervorgebrachten Strom die ganze in dem betrachteten
Stücke erzeugte Wärme beobachtet hat, lasse man die Kette von
einem durch fremde electromotorische Kräfte hervorgebrachten
eben so starken entgegengesetzten Strom durchfliessen und beob-
achte dabei wieder die ganze in dem Stücke erzeugte Wärme-
menge. Wenn man dann die beiden Wärmemengen addirt und
von der Summe die Hälfte nimmt, so stellt diese die durch den
thermoelectrischen Strom bei der Ueberwindung des Leitungs-
widerstandes erzeugte Wärmemenge dar. Wenn man dagegen die
durch den zweiten Strom in dem Stücke erzeugte Wärme von der
durch den ersten Strom erzeugten abzieht, und von der Differenz
die Hälfte nimmt, so stellt diese diejenige durch den thermoelectri-
schen Strom erzeugte Wärmemenge dar, welche der selbstthätigen
Wirkung der Wärme entspricht.
Auch mathematisch lassen sich beide Wärmemengen für lineare
Leiter leicht ausdrücken. Diejenige in irgend einem Stücke eines
Leiters erzeugte Wärmemenge, welche der selbstthätigen Wirkung
der Wärme entspricht, also mit der Hervorbringung von electro-
motorischen Kräften zusammenhängt, wird dargestellt durch das
negative Product aus der in dem Leiterstücke wirkenden electro-
motorischen Kraft und der Stromstärke. Die bei der Ueberwin-
dung des Leitungswiderstandes erzeugte Wärmemenge dagegen
wird dargestellt durch das Product aus dem Leitungswiderstande
des betrachteten Stückes und dem Quadrate der Stromstärke.
Betrachten wir nun zunächst die Thermokette im Ganzen und
nennen ihre gesammte electromotorische Kraft F^ ihren gesamm-
ten Leitungswiderstand L und die in ihr stattfindende Stromstärke
J", so ist die ganze durch den ersten Vorgang in der Kette er-
zeugte Wärmemenge:
- FJ
Die thermoelectrischen Ströme. 201
und die durch den zweiten Vorgang in ihr erzeugte Wärme-
menge :
LJ\
Setzen wir hierin:
F
so gehen die beiden Ausdrücke über in :
f- und -j- ■
Sie sind also den Vorzeichen nach entgegengesetzt (indem bei dem
einen Vorgange Wärme verbraucht und bei dem anderen Vor-
gange Wärme erzeugt wird), und den absoluten Werthen nach
gleich, so dass ihre algebraische Summe Null ist, wie es nach dem
ersten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie sein muss.
Um nun weiter zu sehen , ob auch der zweite Hauptsatz der
mechanischen Wärmetheorie erfüllt ist, haben wir unser Augen-
merk nur auf die Wärmemengen zu richten, welche durch den
ersten Vorgang, bei welchem die Wärme selbst thätig ist, erzeugt
werden. Dividiren wir die in den verschiedenen Theilen der Thermo-
kette durch diesen Vorgang erzeugten Wärmemengen durch die
absoluten Temperaturen der betrefienden Theile und bilden aus
den so entstehenden Quotienten die Summe, so muss diese nach
dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie gleich
Null sein.
Wir wählen zunächst den Leiter a zur Betrachtung und neh-
men von demselben ein unendlich kleines Stück , dessen Anfangs-
punct die Temperatur T und dessen Endpunct die Temperatur
T -{- dT hat. Die innerhalb dieses Stückes wirkende electromo-
torische Kraft ist T ~~ ä T, und daher die in ihm während der
(l' 7]
Zeiteinheit erzeugte Wärmemenge — JT -j^ d T. Dieses mit T
et _/.
dividirt giebt : — J -^ d T. Denken wir uns solche Ausdrücke
für alle Elemente des Leiters a, welcher an seinem Anfangspuncte
die Temperatur T' und an seinem Endpuncte die Temperatur T"
hat, gebildet und nehmen die Summe aller dieser Ausdrücke, welche
in diesem Falle em Integral wird, so erhalten wir:
202 Abschnitt VII.
t"
t'
Ebenso erhalten wir für die folgenden Leiter &, e h der Reihe
nach die Ausdrücke :
Jiil -n'l') J(rif -n'n)'
Wir haben nun weiter die Verbindungsstellen der verschiede-
nen Leiter zu betrachten. Die an der Verbindungsstelle der Lei-
ter a und h stattfindende electromotorische Kraft ist T" (rj'l — rja)
und daher die dort erzeugte Wärmemenge JT" (rj'a — rj'b)-, woraus
wir durch Division mit T" erhalten :
J {i'a - ri'l).
Ebenso erhalten wir für die anderen Verbindungsstellen der Reihe
nach die Ausdrücke :
Jiv'l' -n'c) Jiin-yfal ■
Bilden wir nun aus sämmtlichen für die ti Leiter und die
w Verbindungsstellen geltenden Ausdrücken die Summe, so heben
sich darin alle Glieder auf und es entsteht der Werth Null. Somit
ist auch der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie er-
füllt, und es wird sich daher vom Standpuncte dieser Theorie aus
nichts gegen die aufgestellten Gleichungen einwenden lassen.
Budde hat sie auch noch einer experimentellen Prüfung unter-
worfen, indem er dazu einen speciellen Fall ausgewählt hat, wel-
cher sich auf die Eisenkupferkette bezieht. Wie schon erwähnt,
nimmt bei dieser, wenn man die Temperatur der warmen Löth-
stelle fortwährend steigert, die electromotorische Kraft nicht fort-
während zu, sondern erreicht ein Maximum und nimmt von da an
wieder ab. Betrachtet man nun speciell die Temperatur, bei wel-
cher die electromotorische Kraft ihr Maximum hat, so findet bei
dieser eine characteristische Eigenthümlichkeit statt. Differentiirt
man nämlich die Gleichung (25a) nach T", so kommt:
dF _
dT"~ ""'
worin s'a,, den der Temperatur T" entsprechenden Werth von s^b
bedeuten soll. Hieraus folgt nach der Gleichung Ea^ = s^b 1,
wenn man den der Temperatur T" entsprechenden Werth von Eab
mit E'ab bezeichnet:
Die thermoelectrisclien Ströme. 203
Für den Wertli der Temperatur T", für welchen F ein Maximum
(IF
ist, muss nun der Differentialcoefficient -jr^ gleich Null sein, und
daraus ergiebt sich auch für die Potentialniveaudiöerenz E'/j der
Werth Null, Wenn hiernach an der Löthstelle von Eisen und
Kupfer bei dieser Temperatur keine Potentialniveaudifferenz vor-
handen ist, so kann auch die Peltier'sche Erscheinung (der Ver-
brauch oder die Erzeugung von Wärme beim Durchgange eines
Stromes) bei dieser Temperatur dort nicht stattfinden. Dieses Pie-
sultat der Theorie hat Budde experimentell geprüft und, soweit
die Versuchsschwierigkeiten eine Entscheidung zuliessen, bestätigt
gefunden.
Schliesslich möge noch bemerkt werden, dass über den eigent-
lichen Grund der Entstehung der electromotorischen Kraft einer
Thermokette von W. Thomson und F. Kohlrausch Ansichten
aufgestellt sind, welche von meiner Erklärung abweichen. Diese
Ansichten werden im letzten Abschnitte dieses Bandes näher be-
sprochen werden.-
ABSCHNITT YIII.
Ponderomotorische und electromotorische Kräfte
zwischen linearen Strömen und Leitern.
§. 1. Die Ampere'sclien Grundformeln.
Ampere hat bekanntlich die Entwickelung seiner Theorie
der ponderomotorischen Kräfte damit begonnen, eine Formel für
die gegenseitige Einwirkung zweier Stromelemente abzuleiten. Da-
bei ist er von gewissen experimentell festgestellten Thatsachen
ausgegangen, hat aber noch die Annahme hinzugefügt, dass die
von zwei Stromelementen auf einander ausgeübten Kräfte nur in
einer gegenseitigen Anziehung oder Abstossung beste-
hen können.
Der auf diese Weise abgeleiteten Formel hat er verschiedene
Gestalten gegeben, von denen, je nach den Rechnungen, welche
man mit ihr ausführen will, bald die eine, bald die andere beque-
mer ist. Eine der einfachsten ist folgende. Seien äs und ds' die
beiden Stromelemente, i und i' die Stromintensitäten, r der Ab-
stand der Elemente von einander und (ss') der Winkel zwischen
ihren Richtungen, dann ist die Kraft, welche die Elemente auf
einander ausüben, nach Ampere, eine Anziehung von der Stärke:
r
T . ., n n ,\ COS(SS') ,
htr ds ds' \ — \ — - -f- r
r2 I dsds'^
worin h eine positive Constante bedeutet. Ein negativer Werth
dieser Formel stellt natürlich eine Abstossung dar, indem diese
als negative Anziehung aufgefasst werden kann.
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 205
Will man hieraus die Kraft ableiten, welche das Stromelement
ds von einem endlichen Strome s' erleidet, so muss man die in be-
stimmte Richtungen fallenden Componcnten der Kraft betrachten,
und für diese kann man dann die Integration ausführen. Es möge
dazu ein rechtwinkliges Coordinatensystem eingeführt werden, in
welchem die beiden Stromelementc die Coordinaten x^ y^ z und
x', y\ s' haben. Die in die Richtungen dieser Coordinaten fallen-
den Componenten der Kraft, welche das Element ds von dem Ele-
mente ds' erleidet, seien mit ^dsds\ rjdsds'^ t,dsds' bezeichnet;
dann ergiebt sich aus der obigen Anziehungsformel die Gleichung:
^ = ^"' \r~^ ^^^ ^^^'^ + ^''' ~ ^^ d^hj
oder anders geschrieben :
[gl d--^l
und ebenso für die beiden anderen Coordinatenrichtungen :
(la)
' = hü' L^ cos iss') + (y' - y) ^J
P 7 ^' ll
Bezeichnen wir nun die drei Componenten der Kraft, welche
das Stromelement ds von einem endlichen Strome s' erleidet, mit
Ä'^s, Hds, Zds, so gilt für ^ die Gleichung:
S= f^ds\
Für die hierin angedeutete Integration ist es zweclanässig, den un-
ter (1) gegebenen Ausdruck von | in folgenden gleichbedeutenden
umzuformen:
id — d — ^ , „
^— cos (ss') r— ^T + ^,
dx ^ -^ ds CS ' ds
tI(^'
Hierin lässt sich das letzte Glied sofort nach s' integriren und
giebt einfach die Differenz der Werthe, welche der in der eckigen
Klammer stehende Ausdruck für die beiden Grenzwerthe von s'.
206
Abschnitt VIII.
die s'o und s'i heissen mögen , annimmt , und welche wir dadurch
bezeichnen wollen, dass wir 0 und 1 als Indices neben den Aus-
druck setzen. Wir erhalten so die Gleichung:
(3)
S = Mi' J
r , ,. r dx
-^— cos {ss') K— ^-
ox ^ ' OS ds
J
äs'
+
L (-'--) fei- ^'-^^yoi-
8 s Ji L^"~ '^^ 0s -JQ'
Nehmen wir nun an, der Strom s' sei ein geschlossener,
so beziehen sich die Grenzwerthe s'o und s'i der Stromcurve auf
einen und denselben Pmict des Raumes, und die beiden Werthe,
deren Differenz in der vorigen Gleichung vorkommt, sind somit
unter einander gleich und heben sich gegenseitig auf. Es bleibt
also nur das Glied übrig, welches das noch unausgeführte Integral
enthält. Dasselbe, was hier über die Grösse lEl gesagt ist, gilt na-
türlich auch von den Grössen H und Z, und man erhält daher zur
Bestimmung der drei Componenten der von einem geschlossenen
Strome auf ein Stromelement ausgeübten Kraft die Gleichungen :
(4)
^ i-dx
cos (ss') —
^ 1
r dx
"äs" ds'
H = Jcii' I I -r-^ cos (s s')
Z = liii' I I ^:r^ cos (ss')
jj ds'
r dy' \ , ,
- ^\ ds'
s ds J
^T ds'
-d7 WA ^''^
d-
r
"d7 ds
Was nun den Grad der Zuverlässigkeit der vorstehenden For-
meln anbetrifft, so muss man sagen, dass die Formeln, welche sich
auf die von einem Stromelemente auf ein anderes ausgeübte Kraft
beziehen, mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet sind. Die
bei ihrer Ableitung gemachte Voraussetzung, dass die Kraft nur
eine Anziehung oder Abstossung sein könne, also in die Richtung
der Verbindungslinie der beiden Elemente fallen müsse, ist, wie
H. Grassmann schon im Jahre 1845 in einer schönen Abhandlung i)
1) Pogg. Ann, Bd. 64, S. 1.
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 207
hervorgehoben hat, durch nichts gerechtfertigt. Bei zweiPuncten
kann man für diejenigen Kräfte, welche sie unabhängig von ihren
etwaigen Bewegungen auf einander ausüben, allerdings im Voraus
annehmen , dass sie nur die Richtung der Verbindungslinie haben
können, da es für zwei Puncte, wenn man von ihren Bewegungen
absieht, keine andere ausgezeichnete Richtung giebt. Bei zwei
Stromelementen dagegen sind die Richtungen der Stromelemente
ebenfalls ausgezeichnete Richtungen, und es ist gar nicht abzu-
sehen, weshalb die Kraftrichtungen von den Richtungen der Strom-
elemente unabhängig sein müssen.
Demgemäss darf man die Richtigkeit der Gleichungen (1) und
(la), welche die von einem einzelnen Stromelemente auf ein ande-
res Stromelement ausgeübte Kraft bestimmen, nicht als bewiesen
betrachten. Dasselbe gilt von der Gleichung (3), welche sich auf
die von einem ungeschlossenen Strome auf ein Stromelement aus-
geübte Kraft bezieht. Die Gleichungen (4) dagegen, welche die
von einem geschlossenen Strome auf ein Stromelement aus-
geübte Kraft bestimmen, sind der experimentellen Prüfung zugäng-
lich und können als durch die Erfahrung hinlänglich bestätigt an-
gesehen werden, um sie als sicher anzunehmen. Diese wollen wir
daher den nächstfolgenden Entwickelungen zu Grunde legen.
§. 2. Umformung der vorstehenden Gleichungen.
Man kann den Gleichungen (4) noch andere, für die weiteren
T
Anwendungen bequeme Formen geben. Für cos (ss') und — — gel-
ten folgende Ausdrücke:
. ,. dx dx' 1^ dy dy' ^^ ds ds'
cos {SS) - — ^ -Y- — — -!- — _
d — o — ^ 8— o 8— o
r r ox j. r oy j^ r dB
ds dx ds '^ dy ds '^ ds ds
Setzt man diese Ausdrücke in die Gleichungen (4) ein, so heben
sich in jeder derselben unter dem Integralzeichen zwei Gheder
auf, und die anderen Glieder lassen sich folgendermaassen zu-
sammenfassen :
208
Absclmitt VIII.
(5)
^ 1 .f\ ^y \ \ ^'^y' r 8a;'
LdsoJ \dxds cy ds
r r/al^ , gl, ,
..,8^/1 r 02 r oy
■* Ld~sJ \dyWs'~dJWs'
T. • ■/^•'^ I ( ^ ^^' *" ^^'
^ /(^s
~ds<J \d^d7~dxds'
, dx \ [ r c)y' r dx' ) n , \
~dsJ \dxd?~dvds'/ J
J \dnds'
'2/
r dy'
H=li
- - ''^^ ^sJ \dyds' d0ds'
Von den sechs hierin vorkommenden Integralen sind dreimal
je zwei unter sich gleich, so dass nur drei verschiedene Integrale
übrig bleiben. Zur Abkürzung wollen wir nach Ampere für diese
Integrale, nachdem sie mit Jci' multiplicirt sind, vereinfachte Zei-
chen einführen, indem wir setzen:
(6)
B =
C
^ \dx ds
r oy
d
dz ds'
]_
f dz'
'dxd^
r dx'
dy 8s'
ds'
ds'
ds'.
Da nun, gemäss der Gleichung
r = ]/ (x — x')^ -j- (y
zu setzen ist:
y'y + (^ - ^r
8-
y — y.
8l
r
z — z'
dx T'' dy r^ dz r""
so kann man die vorigen Gleichungen auch so schreiben:
y
(6 a)
f% 8s
J \ r^ 6s r'^ ds J
-z'dj/_
ds'
X — x' dz'
^3 gs'
z — z' dx'
r3 8 s'
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 209
Durch Einführung dieser Zeichen nehmen die Gleichungen (5)
folgende einfache Formen an:
(7)
\ ds ds/
H=i(Al^- C
\ ds
\ ds ds/
§. 3. Zurückführung der drei Grössen Ä, B und C auf
Eine Grösse.
Die drei Grössen A^ B und C lassen sich unter der von uns
gemachten Voraussetzung, dass der Strom s' geschlossen sei, auf
eine einzige Grösse zurückführen , von welcher sie die negativ ge-
nommenen partiellen DifFerentialcoefficienten nach x^ y und z sind.
Zu dieser Grösse gelangt man am leichtesten durch Anwendung
einer aus der analytischen Geometrie bekannten Transformations-
gleichung, die ich hier nicht beweisen, sondern nur anführen will.
Es sei irgend eine von einer geschlossenen Curve umgrenzte
Fläche gegeben. Das Element der Curve möge ds und das Ele-
ment der Fläche da heissen. Von der auf dem Flächenelemente
da errichteten Normale, welche nach der einen Seite als positiv
und nach der anderen als negativ zu rechnen ist, soll ein Element
mit dn bezeichnet werden. Die Seite der Normale, nach welcher
wir d n als positiv rechnen, soll mit der auf die geschlossene Curve
bezüglichen Umlaufsrichtung, nach welcher wir ds als positiv rech-
nen, so zusammenhängen, dass ein in der Curve im positiven Sinne
stattfindender Umlauf, von der positiven Seite der Normale aus
betrachtet, als positive Drehung erscheint, d. h. so, wie in der
a? 2/ -Ebene, wenn man sie von der positiven ^- Seite aus betrach-
tet, eine von der positiven x-Axe nach der positiven y-kxe hin
gehende Drehung erscheint. Zur vollständigeren Fixirung der
Ideen möge auch noch über den positiven Sinn der Coordinaten-
axen eine Annahme gemacht werden, und zwar wollen wir die
Wahl so treffen, dass die erwähnte in der xy -Ebene von der posi-
tiven x-kxe nach der positiven y-Axe hin gehende Drehung von
der positiven ^- Seite aus als Linksdrehung erscheint, die der
Clausius, mech. Wärmetheorie. II. i^
210 Abschnitt YIII.
Drehung des Zeigers der Uhr entgegengesetzt ist. Es mögen nun
weiter L , M und N drei Functionen von x^ y^ s darstellen , dann
gilt folgende Gleichung:
~~Jl\dy ds)dn'^\d^ dx)dn'^\dx dyJdnV '
worin das erste Integral über die ganze geschlossene Curve und
das zweite Integral über die von der Curve begrenzte Fläche aus-
zudehnen ist.
Diese Gleichung wollen wir nun zur Transformation der un-
ter (6a) vorkommenden Integrale anwenden, indem wir uns durch
die Stromcurve s' irgend eine Fläche gelegt denken. Da die auf
den Strom s' bezüglichen Grössen in (6 a) durch accentuirte Buch-
staben bezeichnet sind, und es zweckmässig ist, dasselbe auch mit
den Grössen zu thun, welche sich auf die durch s' gelegte Fläche
beziehen, so wollen wir uns alle in der Gleichung (8) vorkommen-
den Buchstaben accentuirt denken. Um die so abgeänderte Glei-
chung zunächst auf die erste der Gleichungen (6 a) anzuwenden,
setzen wir:
i' = 0; JM' = 1^; JV' = - ^^',
wodurch (8) übergeht in:
^^^ J \ r^ ds' r^ ds'J '^^
Ä_ A (y - y'\ _ ^ f^- ^'w ^ I _L {y-y'\ M.
dy' \ r3 J ds'\ r3 J}dn'~^dx'\ r^ J dn'
' ox \ r^ / dn]
Die rechte Seite dieser Gleichung lautet nach Ausführung der an-
gedeuteten Differentiationen:
n/ (x - x'y _ J_\ ö^ , 3 {X - X') (y - y') dy[_
3 C^ - ^ <f - ^') ^1 aa,;
wofür man auch schreiben kann:
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 211
-!•
d^
r dx'
d^
7 +
r dy'
T +
r dz
dxdx' dn' ' dxdtj' dn' ^ dx 'dz' dn'
;r—, } doj'
oder endlich:
dl r
dxJ dn'
TT- 1 -TT-T dCi)'.
dx'>J dn
Entsprechende Ausdrücke erhcält man, wenn man die Glei-
chung (8) auf die beiden letzten der Gleichungen (6 a) anwendet.
Setzt man diese Ausdrücke für die in (6 a) enthaltenen Integrale
ein, so kommt:
(10)'
A =
W
B = — W
dx
d_
dy
C =
ki'f
ds
*/ dn
dn
«/ (in
Hiernach ist hi' j ^—f dco' die am Anfange dieses Paragraphen
erwähnte Grösse, deren negativ genommene partielle Differential-
coefficienten die Grössen A^ B und C darstellen.
§. 4. Die magnetische Kraft und die magnetische Poten-
tialfunction eines geschlossenen Stromes.
Nachdem wir bisher nur die mathematischen Ausdrücke für
die Grössen A^ B und C abgeleitet haben, wollen wir nun eine
gewisse Vorstellung damit verbinden, welche für physicalische Be-
trachtungen sehr bequem ist.
Wir wollen uns denken , J., B und C seien die Componenten
einer von dem geschlossenen Strome s' am Puncte {x^ ?/, z) aus-
geübten Kraft, und da zu einer Kraft auch etwas gehört, worauf
sie ausgeübt wird, wollen wir uns vorstellen, die Kraft werde auf
eine im Puncte {x^ «/, 0) befindliche Einheit eines Agens ausgeübt,
14*
212 Absclinitt VIII.
welches wir Magnetismus nennen wollen, wobei wir aber unter die-
sem Namen vorläufig nur etwas zur Bequemlichkeit unserer Be-
trachtungen angenommenes verstehen , was gar keine reelle Exi-
stenz zu haben braucht. Nach Einführung dieses Agens können
wir die Kraft, von der Ä^ B ..und G die Componenten sind, die
magnetische Kraft des geschlossenen Stromes s' nennen.
Ferner giebt der Umstand, dass in dem in den Gleichungen
(10) vorkommenden Ausdrucke, dessen negative Differentialcoeffi-
cienten die Kraftcomponenten J., B und C darstellen,' die zu inte-
grirende Grösse der nach n' genommene Difi'erentiälcoefficient von
— ist, Veranlassung, auch den die Kraft ausübenden geschlossenen
r
Strom durch ein eigenthümliches , nur für die mathematische Be-
trachtung bestimmtes Gebilde zu ersetzen.
Wir wollen uns denken, von dem Agens, welches wir Magne-
tismus genannt haben, gebe es ebenso, wie von der Electricität,
zwei verschiedene Arten, welche sich so verhalten, dass zwei Men-
gen einer und derselben Art sich abstossen, und zwei Mengen der
beiden verschiedenen Arten sich anziehen. Diese beiden Arten
von Magnetismus können, in Uebereinstimmung mit der bei der
Electricität angewandten Benennungsweise, positiver und negati-
ver Magnetismus, oder auch, gemäss dem aus anderen Gründen
entstandenen Sprachgebrauche, Nord- uud Süd-Magnetismus ge-
nannt werden. Von der Kraft, mit welcher zwei Mengen sich ab-
stossen oder anziehen, nehmen wir an, dass sie dem Quadrate der
Entfernung umgekehrt proportional sei, und was die Grösse der
Kraft anbetrifft, so wollen wir annehmen, die Kraft, mit welcher
zwei Einheiten von positivem Magnetismus sich in der Einheit der
Entfernung abstossen, sei gleich h.
Nun kehren wir zu der im vorigen Paragraphen betrachteten,
durch die geschlossene Stromcurve gelegten Fläche zurück , und
denken uns, neben derselben, an der Seite , nach welcher die Nor-
male als positiv gerechnet wird, noch eine zweite parallele Fläche
gelegt, welche nur um den unendlich kleinen Abstand £ von ihr
entfernt sei. Die erste Fläche denken wir uns mit negativem und
die zweite mit positivem Magnetismus belegt, und zwar in folgen-
der Weise. Auf der ersten sei die Flächendichtigkeit des Magne-
i'
tismus constant gleich , so dass sich auf einem Flächen-
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 213
elemente da)' die Menge dco' befinde. Betrachten wir nun
■■''.■' s
daä diesem Elemente senkrecht gegenüberliegende Element der
zweiten Fläche , so soll" sich auf diesem eine ebenso grosse Menge
von positivem Magnetismus befinden, und dasselbe soll für jede
zwei andere sich senkrecht gegenüberliegende Flächenelcmente
der Fall sein, so dasts die zweite Fläche eben so viel positiven
Magnetismus enthält, wie die erste negativen Magnetismus.
Wir wollen nun zunächst nur die beiden unendlich kleinen
MagnetismusmQngen betrachten, welche sich auf dem Flächen-
elemente düi)' und d.em ihm senkrecht gegenüberliegenden Ele-
i'
mente der anderen Fläche befinden, also die Mengen dca'
.■'.'... £
■i'
und -I — ■ dd)'. Von' diesen beiden Mengen wollen wir die Poten-
tialfunction im Pui^cte (a?, t/, ,0) bilden. Der Abstand des Elemen-
tes 4.«' vom PunctQ (a;,.y,, ^) werde, gemäss unserer früheren Be-
zeicliftungsweise, durch r dargestellt, und der Abstand des gegen-
überli9genden Elementes yon demselben Puncte heisse rx- Dann
ist die Potentialfunctipn der beiden Magnetismusmengen :
— da -f- . da'
■ r £ Ti 6
oder :
1 1\ hi' , ,
) — da .
Ji , r / £
Nun kann man aber, da d,as zweite Element vom ersten in der
w'- Richtung um s entfernt ist, setzen:
' ' Ty 'r '' dn' '•;
wodurch der vorige Ausdruck übergeht in :-
,, JW ^—7 da'.
>• ■ • ■ on
Wenn man diesen Ausdruck über die ganze erste Fläche in-
tegrirt, also den Ausdruck
J dn'
lii' I -TT-T äa'
dn
214 Abschnitt VIII.
bildet, so stellt dieser die Potentialfunction der ganzen auf den
beiden Flächen befindlichen Magnetismusmengen im Puncte (x, «/, ^)
dar. Hieraus folgt weiter, dass die Componenten der Kraft, welche
diese beiden Magnetismusmengen auf eine im Puncte (a?, y, s) ge-
dachte Magnetismuseinheit ausüben, durch
rsj g Tai
•<J dn difJ dn'
/r
dn'
9 J Y
oz<J on
dargestellt werden.
Dieses sind dieselben Ausdrücke, welche in (10) für die Com-
ponenten Ä^ B, C derjenigen Kraft gegeben wurden, welche der
geschlossene Strom s' auf jene Magnetismuseinheit ausübt. Dem-
nach können die beiden magnetischen Flächen und der Strom sich
in Bezug auf die von ihnen ausgeübte magnetische Kraft gegen-
seitig ersetzen, und die vorher für die beiden magnetischen Flä-
chen bestimmte Potentialfunction kann daher auch auf den Strom
bezogen werden, und wir wollen sie die magnetische Poten-
tialfunction des geschlossenen Stromes nennen.
Da diese Potentialfunction vielfach angewandt werden kann,
so ist es zweckmässig, ein einfaches Zeichen dafür einzuführen,
und wir wollen setzen:
(11) P = 7a' / ^ da)'.
iJ on
Dann können wir die Gleichungen (10) kürzer so schreiben:
(12) 4 = -"^;iJ=-":;a=-|^.
dx dy dz
Setzt man diese Werthe von A , B und C in die Gleichungen
(7) ein, so kommt:
' ^öP d£ _dPdy
ßy ds dz 8s.
(13)
"" * \dz ds dx ds)
. ~* \dx ds dy ds)'
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 215
Es ist somit die Bestimmung der von einem geschlossenen Strome
auf ein Stromelement ausgeübten Kraft auf die magnetische Poten-
tialfunction des Stromes zurückgeführt.
§. 5. Einführung magnetischer Flächen für den die
Wirkung erleidenden Strom.
Es möge nun angenommen werden , dass auch der die Wir-
kung erleidende Strom s geschlossen sei, und dass es sich darum
handele, zu bestimmen, welche Gesaramtwirkung die auf alle seine
Elemente wirkenden ponderomotorischen Kräfte auf den ganzen
Strom ausüben, wenn der Leiter als starr vorausgesetzt wird.
Diese Gesammtwirkung kann in zwei auf den ganzen Strom
bezügliche Wirkungen zerlegt werden, deren eine irgend einen mit
dem Leiter fest verbundenen Punct, als welchen wir den Anfangs-
punct der Coordinaten wählen können, zu verschieben sucht, wäh-
rend die andere eine Drehung um diesen Punct hervorzubringen
sucht, und es kommt daher darauf an, die drei in die Coordinaten-
richtungen fallenden Componenten der Verschiebungskraft und
die Drehungsmomente um die drei Coordinatenaxen zu bestimmen.
Die in die ä;- Richtung fallende Componente der Verschie-
bungskraft ist I iBlds, und gemäss (13) haben wir:
(14) j ^äs = ^J[-^^^-^/^ds.
Um das in dieser Gleichung an der rechten Seite stehende Linien-
integral in ein Flächenintegral verwandeln zu können, denken wir
es uns zunächst in der Form
/(
OS OS ^ OS/
geschrieben, indem wir den hierin vorkommenden Buchstaben L,
M und N folgende Bedeutungen beilegen :
' 8^ dy
und auf dieses Integral wenden wir die unter (8) gegebene Trans-
formationsgleichung an. Dadurch erhalten wir:
r^ _ • rU^^P _i 8^P\ dx_ _ a^P dy_ _ d^P d£l
o/ '^ V lW d^ydn dxdy dn dxd^ dn\ '
und dieser Gleichung können wir folgende Form geben :
216 Abschnitt VIII.
mPdx d^P dij ■ dW 8^\1 .
\dx^dn dxdy dn~'~ dxdzdnj]
Die hierin vorkommende Grösse P ist die im vorigen Paragraphen
besprochene Potentialfunction der Magnetismusmengen, welche
sich auf der vom Strome s' begrenzten und der ihr unendlich
nahen parallelen Fläche befinden. Denken wir uns nun die vom
Strome s begrenzte Fläche, deren Element clco in der vorigen Glei-
chung vorkommt, so gelegt, dass sie jene erstgenannten beiden
Flächen nicht schneidet , was immer möglich ist , wenn die Strom-
curven s und s' nicht in einander verschlungen sind, so gilt für alle
in dem Integrale vorkommenden Elächenelemente d a die Gleichung :
Ferner kann man schreiben:
d^dx d^p dy_ , a^p ■d^_ d_ /dP\
dx^ßn dxdy dn dxd s dn dn \dxj
Demnach geht die Gleichung (15) über in:
Entsprechende Gleichungen gelten natürlich auch für die beiden
anderen Coordinatenrichtungeh.
Was nun ferner die Drehuhgsmotaente anbetrifft, so wird das-
jenige um die ic-Axe durch 1 {yZ— kE)ds dargestellt, und nach
(13) gilt die Gleichung:
(dP dx dP dsV] ,
■ ■ . ~ ^ \d^ ds~J^ ds)\ '^''
¥m hierin wieder das an der rechten Seite stehende Linienintegral
in ein Flächenintegral verwandeln zu können, schreiben wir auch
dieses Integral in der Form: . ,
/(^l? + ^lf + ^lf)^^'
indern wir jetzt den Buchstaben L^ Jf und N folgende Bedeutun-
gen beilegen: . .;
CO.
Kräfte zwiacheii linearen Strömen und Leitern. 217
V dy ^ d0/ *^ dx öx
Wenn wir dann die Transformationsgleichung (8) anwenden, und
die dadurch entstehende Gleichung in ähnlicher Weise, wie die
obige, umgestalten, so erhalten wir:
(18) /(, Z - . //) ,U = . fl (. If - /äj) ''
Entsprechende Gleichungen gelten auch für die Drehungsmomente
um die beiden anderen Coordinatenaxen.
Dieselben Ausdrücke, welche in den Gleichungen (IG) und
(18) für die ;z; - Componente der Verschiebungskraft und für das
Drehungsmoment um die x-kxQ gegeben sind, erhält man, wenn
man, ganz so, wie es im vorigen Paragraphen für den Strom s' ge-
schehen ist, nun auch für den Strom s zwei magnetische Flächen
einführt.
Man denke sich dazu neben der durch den Strom s gelegten
Fläche, deren Element äco ist, noch eine zweite, nur um den un-
endlich kleinen Abstand s von ihr entfernte parallele Fläche , und
nehme an, dass die erste mit negativem und die zweite mit positi-
vem Magnetismus bedeckt sei. Auf einem Elemente f?co der er-
sten Fläche soll sich die Magnetismusmenge doa und auf dem
ihm gegenüberliegenden Elemente der zweiten Fläche eine dem
absoluten Werthe nach eben so grosse positive Magnetismusmenge
befinden. Die auf c?a» befindliche Menge dca erleidet eine
Kraft, deren in die ^-Eichtung fallende Componente den Ausdruck
i dP -j
— y: — acO
E OX
hat, und deren Drehungsmoment um die ^-Axe durch den Aus-
druck
9P dP\
H
dargestellt wird. Die auf dem gegenüberliegenden Flächenelemente
befindliche Magnetismusmenge — (?«, welche von der ersteren in
der w-Kichtung um £ entfernt ist, erleidet eine Kraft, für deren
in die a?- Richtung fallende Componente und auf die ^-Axe be-
zügliches Drehungsmoment folgende Ausdrücke gelten:
218 Absclinitt YIII.
6 idx ' dn \dx/ J '
i [ dP dP , d / dP dP\ 1 ,
- 7 L^ 07 - " 87 + 8^ V ö^ ~ ' "¥)'] ^"
Für beide Flächenelemente zusammen wird also die ;:c-Compo-
nente der Kraft durch
dn \oxJ
und das Drehungsmoment um die x-kx.Q, durcii
d / dP dP'
. d / dP dP\ ,
dn \ dij "^ dsj
dargestellt. Durch Integration dieser beiden Ausdrücke erhält
man genau die oben unter (16) und (18) gegebenen Ausdrücke,
und es folgt daraus, dass man den geschlossenen Strom s in Be-
zug auf die ponderomotorische Kraft , welche er erleidet, ganz so,
wie den Strom s' in Bezug auf die Kraft, welche er ausübt , durch
ein magnetisches Flächenpaar ersetzen kann.
§. 6. Das magnetische Potential zweier geschlossener
Ströme auf einander.
Die Gesammtwirkung, welche das den Strom s repräsentirende
magnetische Flächenpaar von dem den Strom s' repräsentirenden
magnetischen Flächenpaare erleidet, lässt sich am bequemsten da-
durch bestimmen, dass man zuerst das Potential des einen magne-
tischen Flächenpaares auf das andere bildet, und dann die Aende-
rung untersucht, welche dieses Potential erleidet, wenn das den
Strom s repräsentirende Flächenpaar irgend eine unendlich kleine
Bewegung macht.
Dieses Potential lässt sich sehr leicht aus der schon bestimm-
ten Potentialfunction P des den Strom s' repräsentirenden Flä-
chenpaares ableiten. Das Potential dieses Flächenpaares auf
die zu dem anderen Flächenpaare gehörige negativ magnetische
Fläche ist:
/
P- dca
s
und das Potential auf die positiv magnetische Fläche ;
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 219
/(
Daraus ergiebt sich für das Potential auf beide Flächen zusam-
men, welches Q heissen möge, die Gleichung:
'9P
(19) Q = if
dco.
on
Setzen wir hierin für P seinen unter (11) gegeljcnen Werth ein,
so kommt:
oder anders geschrieben:
r 8 r®7
= hii' \ da ;—-] —-j
'J owJ on
äben:
= 'ki^' i i o ;, /
*J O nnon
(20) Q = lii' I I -——-: dada'.
Diese Grösse, welche ihrer Entwickelung nach zunächst das
Potential der beiden magnetischen Flächenpaare auf einander be-
deutet, kann, da die Flächenpaare durch ihre gegenseitigen Wirkun-
gen die gegenseitigen Wirkungen der beiden geschlossenen Ströme
vertreten können, auch das magnetische Potential der bei-
den geschlossenen Ströme auf einander genannt werden.
Man kann diesem Potential auch noch andere Formen geben,
in welchen die beiden Integrationen sich direct auf die beiden
Stromcurven beziehen.
Wir gehen dazu von folgendem Ausdrucke aus :
//
r \os OS ' 8s 9s ds ds /
und wenden auf ihn zweimal die Transformationsgleichung (8) an,
um die beiden Linienintegrale in Flächenintegrale zu verwandeln.
Zuerst schreiben wir ihn in der Form :
fr],' ffl ^ dx 1 dy' dp Idl dj\
J J \r ds''ds ~^ r 9s' "95 "^ r 9s''9sy "
und erhalten daraus gemäss (8):
!"I[
r ds' rdiy\dx ^_{ rdx' rds'jdj/
dy ds' ds ds'/ dn \ds ds' dxds'ydn
. r dy' r du. .^^ . j
+ \9i97'~9^^>'~''^''-
9^ j9£ I
9 s' / 9 w J '
220
Absclinitt YIII.^
Diesem Ausdrucke geben wir nun folgende Form :
J^'^j
T dy r dz \dx''.
dz dn ' dy dn/ ds'
.d
r ds
dx dn
8-«
r ox
ds dn
djf
+,
d' d'
r dx
ds'
r dy idz'
•-dy dn dx dny ds' -
und wenden hierauf abermals die Transformationsgleicüung (8) im,
wodurch wir erhalten:
j'^'j
r dx
-\dydy' dn
1
r dy
Ö3
r ds
82
r dx \dx'
-f
+
82
dxdy'dn
1
r dy
82
dxdß' dn
1
r ds
82
r dx
dsds'dnJ dn'
82 i
rdy \dy'
dsds' dn
1
82
f ds
dyds'dn
r dx
dydx'dn dxdx' dn/ dn'
r dy . r ds \ds
da'
<dxdx'dn dsdx'dn dsdy'dn . dydy'dn/ dn'-i
Dieser Ausdruck lässt sich nun sehr vereinfachen.
Wir wollen zunächst unsere Aufmerksamkeit nur auf den
8 x'
Factor von -^—j richten, welchen wir , nachdem wir noch das Glied
dn
1
dx
einmal mit positivem und einnial ipiit negativem Vor-
8^8;z^' dn
zeichen hinzugefügt haben, so schreiben können:
8^1
r
dxdx'
T +
8>i
r
dydy
82
7 +
dsds'
dx
dn'
82
r dx
+
8»i
r
dy
82 1
r ds
-dxdx' dn
Nun ist zu bemerken, dass in der Grösse
'' 8-::t7 8^' dn^
die Coordinaten a?, ?/, s,
dxdy' dn
1_
x', y', s' nur in der Verbindung x — x', y — y' und s — s' vor-
kommen, und dass man daher jeden Differentialcoefficienten nach
einer der accentuirten Grössen durch den Differentialcoefficienten
nach der entsprechenden unaccentuirten Grösse, und umgekehrt,
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 221
ersetzen kann, wenn man zugleich das Vorzeichen umkehrt, dass
man also z. B, schreiben kann:
g2 _ g2 _ g2 _ ö'i _
und
■ 'dx'dx' c)x'^ dxdy' dx'dy
Demnach kann man dem vorigen Ausdrucke folgende Form geben;
82i g2l 82l\ /e^-^ d''-. C^'-o
**_]_*" _i_ V \ox I r ox ^_ 1^ f^V j. r Ol:
.8.^2 ' a?/-' ' 0Ä'V8n \dxrdxdn ' dx'dydn ' 0^'8;?8w/
Von den beiden Gliedern, dieses Ausdruckes ist das erste Null und
das zweite lässt sich so schreiben:
dl r ox . r cy j^ r o
dx' \dx dn ~^ dy 8w ' ds dn
und dann zusammenziehen in
dx' \ dn
. ■ öl/' dß'
Ebenso lassen sich die FactOren von ■;—-; und ;r— r in die entspre-
on dn
chenden einfachen Formen
8 1 r \ , dl r
dy' \dn/ dz' \dn
bringen, und das ganze obige Doppelintegral nimmt daher fol-
gende Gestalt an:
-J '^''J vh
r ) ^^' j_ ^ ( ** ) '^y'
dx' \dn/ dn' dy' \dn / dn'
^ d r r )dz' .^ ,
^1
welche sich noch weiter vereinfacht in
4/ J dndn'
dndn
oder anders geschrieben:
222 Abschnitt VIII.
I!
»4
y dcodcü'.
dndn'
Demnach erhalten wir als Resultat der vorgenommenen Trans-
formationen die Gleichung:
r Cd^-
J J r\dsds dsds dsdsj «^ <J dndn
Wenn wir diese Gleichung auf (20) anwenden, so kommt:
^ ^ '^ J J r \ds ds' ' 9s 9s ' 9s 9s7
Nun ist aber ferner, wenn man den Winkel zwischen den Strom-
elementen ds und ^s' mit (ss') bezeichnet, zu setzen:
, ,. dx dx' . dy dy' .dz dz'
cos {SS) — ^s ^ -r ^s ^> -r Ysdl
und aus der Gleichung
r^ — {x — x'f ^ {y — y'Y + (^ — ^'T
ergiebt sich:
9s9s' ~ ~ V9s 9s' "^ 9s 9s' "^ 9s 9s'y
und man kann daher die Gleichung (21) auch in folgende Formen
bringen :
(21a) Q = ~ Ui' f f^-^^-^ dsds'
(21b) Q^.Mi'fß'^dsds'.
Setzt man in der letzten Gleichung:
1 9^ (r^) _ 2_ 9r 9r d^r
7 9s 9s' "~ 7 9s 9? "^ 9s9s"
und bedenkt, dass das Integral des letzten Gliedes für geschlos-
sene Ströme Null wird, so erhält man:
(22) Q=^Ui' f f -^~ds ds'.
J J r ds ds'
Bezeichnet man ferner die Winkel zwischen der in dem Sinne von
ds' nach ds hin positiv gerechneten Richtung von r und den Rich-
tungen von ds und ds' mit (rs) und (rs'\ so ist
dT df
cos (rs) = 7^ und cos (rs') = — ttii
^ -^ 9s 9s
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 223
und demgemäss kann man der Gleichung (22) nocli folgende
Form geben :
/on \ /i 1 • I r r^^ös (rs) . cos (rs') , , ,
(22a) Q := — hit' I I i — '- ^^ — '- dsds.
Die unter (21), (21a), (21b), (22) und (22a) gegebenen Aus-
drücke sind es, welche F. Neumann für das magnetische Potential
zweier geschlossener Ströme auf einander aufgestellt hat.
Da es für das Folgende zweckmässig ist, in dem Ausdrucke
des Potentials den Factor, welcher von den Stromintensitäten un-
abhängig ist, und ausser von der Grösse k nur noch von der Con-
figuration der beiden Leiter abhängt, kurz bezeichnen zu können,
wollen wir dafür das Zeichen iv einführen, indem wir setzen:
(23) ii) = hf f^^^-p^ ds eis'.
Dann können wir die zur Bestimmung des magnetischen Poten-
tials dienende Gleichung sehr einfach so schreiben:
(24) Q = — ii'iv.
Denkt man sich nun, dass der Strom s unter dem Einflüsse
der ponderomotorischen Kräfte, welche seine Elemente von dem
Strome s' erleiden, irgend eine Bewegung mache, so wird dabei
von den ponderomotorischen Kräften eine Arbeit gethan, welche
sich durch die Abnahme des magnetischen Potentials darstellen
lässt. Dasselbe gilt auch für den umgekehrten Fall, wo der Strom
s' sich unter dem Einflüsse der von dem Strome s auf seine Ele-
mente ausgeübten ponderomotorischen Kräfte bewegt, und ebenso
für den allgemeineren Fall, wo beide Ströme sich unter dem Ein-
flüsse der gegenseitig auf einander ausgeübten ponderomotorischen
Kräfte bewegen. Hierbei ist unter Abnahme des Potentials aber
nur diejenige Abnahme verstanden, welche durch die Lagenände-
rungen der Leiter verursacht wird, und nicht diejenige, welche
möglicherweise gleichzeitig durch Aenderung der Stromintensitä-
ten stattfinden kann. Bezeichnen wir also die von den pondero-
motorischen Kräften gethane Arbeit mit Ap und den während eines
Zeitelementes dt stattfindenden Zuwachs dieser Arbeit mit dÄp^ so
dürfen wir nicht allgemein setzen:
dAp = — dQ^
sondern haben folgende Gleichung zu bilden:
(25) dAp = ii' div.
224 Absclinitt YITI.
§. 7. Die Induction und das electrodynamische Potential
zweier geschlossener Ströme auf einander.
Die Induction ist bekanntlich von F. Neumann sehr vollstän-
dig behandelt i) ; wir wollen uns hier aber auf die Besprechung
des Falles beschränken, wo beide I^eiter geschlossen sind, weil das
für diesen Fall von Neumann aufgestellte Gesetz als unzweifel-
haft richtig betrachtet werden kann.
Wir denken uns also zwei geschlossene Leiter s und s' gege-
ben, und nehmen an, dass in s' ein Strom von der Stärke i' statt-
finde. Wenn nun die beiden Leiter, welche wir der Einfachheit
wegen als starr voraussetzen wollen, sich irgendwie bewegen und
zugleich die Stromstärke i' sich ändert, so fragt es sich, welche
electromotorische Kraft dabei in s inducirt wird. Darüber gilt
nach Neumann folgendes Gesetz: Die im Leiter s inducirte
electromotorische Kraft ist gleich dem nach der Zeit ge-
nommenen Differentialcoefficienten des magnetischen
Potentials des im Leiter s' stattfindenden Stromes i' auf
einen im Leiter s gedachten Strom von einer gewissen
Constanten Stärke, welche vorläufig c heissen möge.
Die hierin vorkommende, vorläufig unbestimmt gelassene Con-
stante c wird die Inductionsconstante genannt.
Das magnetische Potential der Ströme i' und c auf einander
wird nach Gleichung (24) durch — ci' w dargestellt. Demnach
lässt sich, wenn die in s inducirte electromotorische Kraft mit E
bezeichnet wird, folgende Gleichung bilden:
(26) E^-c^^.
Findet in dem Leiter s, für welchen vorher nur ein gedachter
Strom von gegebener Stärke c in Betracht kam , auch ein wirk-
licher Strom von irgend einer Stärke i statt, die mit der Zeit ver-
änderlich sein kann, so wird auch in dem Leiter s' eine electro-
motorische Kraft inducirt, welche mit E' bezeichnet werden möge,
und für welche folgende, der vorigen entsprechende Gleichung gilt:
d{iw)
(27) E' =
dt
1) Abhandlungen der Berliner Academie 1845 und 1847.
Kräfte zwischen linearen Strömen und Leitern. 225
Nachdem die inducirte electromotorische Kraft bestimmt ist,
kann auch die von dieser Kraft während des Zcitelcmentes ät ge-
thane Arbeit leicht ausgedrückt werden. Man braucht dazu nur
die inducirte electromotorische Kraft mit der Intensität des in dem
betreffenden Leiter stattfindenden Stromes und mit dem Zeit-
elemente zu multipliciren, also für den Leiter s das Product Eidt
und für den Leiter s' das Product E' i' dt zu bilden, in welche
Producte man dann für E und E' ihre Werthe einsetzen kann.
Man erhält daher, wenn man die in beiden Leitern zusammen von
den electromotorischen Kräften während der Zeit dt gethane Ar-
beit mit dAe bezeichnet, die Gleichung:
TA . d(i'iv) -., ., d(itv) -,,
dAe = — tc \, dt — t'c \. dt
dt dt
oder einfacher geschrieben:
(28) dAe = — c [id(i' iv) + i'd(iw)].
Dem hier in der eckigen Klammer stehenden Ausdrucke kann
man auch eine solche Form geben, dass eines seiner Glieder ein
vollständiges Differential ist, nämlich:
(29) dAe,== — c [d(ii' tv) -\- ii' div].
Diese von den electromotorischen Kräften gethane Arbeit
möge nun noch mit der oben in (25) bestimmten , von den j)onde-
romotorischen Kräften gethanen Arbeit in eine Summe vereinigt
werden. Wir wollen dabei für die Gesammtarbeit das einfache
Zeichen A einführen, so dass wir setzen können :
dAp -\- dAe = dA^
dann kommt:
dA = ii' diu — c[d(ii' tv) -\- ii' dtv],
oder anders geordnet:
(30) dA = ~ cd(ii'u)) + (1 — c) ii'dtv.
Nehmen wir nun an, dass für electrische Ströme und die von
ihnen gethane Arbeit das Princip von der Erhaltung der Energie
gelte , so muss sich die von den ponderomotorischen und electro-
motorischen Kräften zusammen während des Zeitelementes ge-
thane Arbeit durch das Differential irgend einer Grösse darstellen
lassen, welche nur von dem augenblicklichen Zustande der Ströme,
also von ihren Lagen und Intensitäten abhängt. Wir wollen, in
Uebereinstimmung mit dem in der Electrostatik und beim Magne-
tismus angewandten Verfahren, diejenige Grösse, deren negatives
Clausius, mech. Wärmetheorie. IL 15
226 Abschnitt VIII.
Differential die Arbeit darstellt, zur besonderen Benennung und
Bezeichnung auswählen. Diese Grösse möge das electrodyna-
mische Potential der beiden Ströme auf einander genannt und
durch das Zeichen W dargestellt werden, so dass zu setzen ist :
(31) dÄ = — dW.
Halten wir diese Gleichung mit der Gleichung (30) zusammen, so
sehen wir, dass an der rechten Seite der letzteren das zweite Glied,
nämlich (1 — c) ii' dw, welches kein vollständiges Differential ist,
verschwinden muss, woraus folgt, dass die Inductionsconstante c
in unseren Gleichungen, in welchen zur Messung der Strominten-
sitäten das mechanische Maass angewandt ist, den Werth 1 ha-
ben muss. Das dann an der rechten Seite von (30) allein übrig
bleibende erste Glied muss mit — dW übereinstimmen, und wir
erhalten daher zur Bestimmung des electrodynamischen Potentials
der beiden Ströme auf einander die Gleichung :
(32) W=ii'tv.
Das electrodynamische Potential der beiden Ströme auf einander
ist also dem oben mit Q bezeichneten und durch die Gleichung (24)
bestimmten magnetischen Potential der beiden Ströme aufein-
ander dem absoluten Werthe nach gleich, aber dem Vorzeichen
nach entgegengesetzt.
ABSCHNITT IX.
Ableitung" eines neuen electrodynamischen
Grundgesetzes.
§. 1. Verallgemeinerung des electrischen Ki^aftgesetzes
und Ansichten über die strömende Electricität.
Die im vorigen Abschnitte besprochenen ponderomotorischen
und electromotorischen Kräfte sind von der Bewegung der Elec-
tricität abhängig, und man muss daher schliessen, dass bewegte
Electricitätstheilchen anders auf einander wirken, als ruhende. Es
entsteht nun die Frage, ob sich für die Kräfte, welche zwei be-
wegte Electricitätstheilchen auf einander ausüben, ein allgemeines
Gesetz aufstellen lässt, welches alle electrostatischen und electro-
dynamischen Wirkungen erklärt, und keiner bekannten Erschei-
nung widerspricht.
Der erste, welcher die electrischen Wirkungen von diesem all-
gemeinen Gesichtspuncte aus betrachtet hat, ist W. Weber ge-
wesen, welcher bekanntlich für die Kräfte, welche zwei bewegte
Electricitätstheilchen auf einander ausüben, ein Grundgesetz auf-
gestellt hat, welches zur Erklärung aller electrischen Wirkungen
ausreichen soll. Seien nämlich e und e' die beiden in Puucten
concentrirt gedachten Electricitätstheilchen, und r ihr gegenseiti-
ger Abstand zur Zeit t, so bestehen die von den Theilchen auf ein-
ander ausgeübte Kräfte nach W^eber in einer gegenseitigen Ab-
stossung von der Stärke
15**
228 Abschnitt IX.
^ Fl — — f—Y 4- — ^1
7^ L c2 \dt) "^ c2 ^ ^J'
worin c eine Constante bedeutet.
Bei der Ableitung dieser Formel ist Weber von der Vor-
stellung ausgegangen, dass bei einem galvanischen Strome in je-
dem Leiterelemente gleiche Mengen positiver und negativer Elec-
tricität sich mit gleichen Geschwindigkeiten nach entgegengesetz-
ten Seiten bewegen. Diese Vorstellung ist eine so complicirte,
dass schon viele Physiker daran Anstoss genommen haben. So
lange nicht zwingende Gründe für die Annahme einer solchen
Doppelbewegung vorliegen, darf man die einfachere Vorstellung,
dass ein Strom aus der Bewegung nur Eines Fluidums bestehe,
nicht aufgeben, sondern muss versuchen, aus ihr die Wirkungen
des galvanischen Stromes zu erklären.
Der letztgenannten , schon lange und oft zum Ausdruck ge-
langten Vorstellung hat neuerdings besonders Carl Neumann
eine bestimmtere Form gegeben i), indem er dabei sagt, dass
seine Ueberlegungen vollständig mit denen übereinstimmen, welche
Riemann schon im Jahre 1854 in der einunddreissigsten Natur-
forscherversammlung ausgesprochen habe. Neumann nimmt
nämlich an, ein metallischer Leiter enthalte zwar in jedem Raum-
theilchen positive und negative Electricität , aber nur die er-
stere sei in der Weise beweglich, dass sie im Leiter strömen
könne, während die letztere unlöslich mit den ponderablen Ato-
men verbunden sei.
Ueber den Punct , ob es überhaupt nöthig ist , neben der be-
weglichen positiven Electricität noch eine an den ponderablen Ato-
men haftende negative Electricität anzunehmen, oder ob sich die
dieser Electricität zugeschriebenen Kräfte auch auf andere Weise
erklären lassen, können vielleicht noch verschiedene Ansichten gel-
tend gemacht werden. Indessen bei der mathematischen Behand-
lung der Sache kann man, da die Kräfte so stattfinden, wie sie
von solcher den Atomen anhaftenden negativen Electricität aus-
geübt werden würden, jedenfalls die letztere als vorhanden vor-
aussetzen, ohne dadurch schon eine feste Entscheidung über ihre
wirkliche Existenz zu treffen. In diesem Sinne werde ich jene Vor-
1) Berichte der k. sächsisctieu Gesellscliaft der Wiss. Math.-phys. Classe,
1871, S. 394 und 417.
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 229
stellungsweise so, wie sie von Neumann formulirt ist, den nach-
stehenden Betrachtungen zu Grunde legen.
§. 2. Unvereinbarkeit des Weber'schen Grundgesetzes
mit der Vorstellung von nur Einer im festen Leiter
beweglichen Electricität.
Es möge nun zunächst die Frage gestellt werden, ob das
Weber'sche Grundgesetz mit jener Ansicht, dass nur Eine Elec-
tricität im festen Leiter strömen könne , vereinbar ist. Dazu wol-
len wir als Kriterium den Erfahrungssatz wählen, dass ein in
einem ruhenden Leiter stattfindender geschlossener und
constanter galvanischer Strom auf ruhende Electricität
keine bewegende Kraft ausübt, und wollen untersuchen, ob
das Weber'sche Grundgesetz auch dann noch zu diesem Satze
führt, wenn man nur Eine der beiden Electricitäten als beweglich
betrachtet.
Im Puncte r, ^, ^ denken wir uns irgend eine Electricitäts-
menge, z.B. eine Einheit positiver Electricität, und im Puncte
x\ y\ ^' ein Element ds' eines galvanischen Stromes befindlich.
Die im letzteren sich bewegende positive Electricität heisse h' ds'.
Diese übt nach Weber auf die ruhende Electricitätseinheit eine
Abstossung aus, welche durch
h' ds' r. 1 /^r\2 , 2 d";
Fl — i (^hX^ -X- — ^1
dargestellt wird, wobei natürlich ein negativer Werth des Aus-
druckes Anziehung bedeutet. Hierin können wir im vorliegenden
Falle, wo die Grösse r sich nur durch die Bewegung der im Leiter-
elemente ds' befindlichen Electricität ändert, setzen:
dr dr ds'
dt ~ ds'Ht'
^ _ aV /dsy . dr_ dW
' dt^ ~ ds'^ \dt) '^ds'lF'
und in dieser letzteren Formel haben wir, wenn wir den Leiter
des Stromes als durchweg gleich voraussetzen, so dass h' in allen
seinen Theilen einen und denselben Werth hat, für einen constan-
230 Abschnitt IX.
ten Strom -j-^ = 0 zu setzen. Dadurch geht der Ausdruck für
die Abstossung über in:
h'ds'i, , 1 r /dry , ^ d^rl /ds'y\
Nimmt man nun zunächst mit Weber an, dass in dem Leiter-
elemente ds' auch eine eben so grosse Menge negativer Electri-
cität sich mit gleicher Geschwindigkeit nach entgegengesetzter
Richtung bewege, so muss man, um die Abstossung, welche diese
auf die ruhende Electricitätseinheit ausüben würde, zu erhalten,
dem vorigen Ausdrucke im Ganzen das negative Vorzeichen geben,
ds'
und ausserdem das Vorzeichen des Differentialcoefficienten -7- um-
dt
kehren. Da aber dieser Differentialcoefficient nur quadratisch vor-
kommt, so bringt die Umkehrung seines Vorzeichens keine Aende-
rung in dem Ausdrucke hervor. Die von der negativen Electricität
ausgeübte Kraft würde also der von der positiven ausgeübten
gleich und entgegengesetzt sein, so dass beide sich aufheben , und
das Stromelement gar keine Kraft auf die ruhende Electricitäts-
einheit ausüben würde. Es ergiebt sich also, dass das Weber'sche
Grundgesetz, wenn es mit der Weber'schen Vorstellung von der
doppelten Electricitätsbewegung in Verbindung gebracht wird, mit
dem obigen Erfahrungssatze übereinstimmt, indem nicht nur für
einen geschlossenen Strom, sondern auch für jedes einzelne Ele-
ment desselben die Kraft Null wird.
Nun wollen wir aber die andere Annahme machen, dass die
in dem Leiterelemente befindliche negative Electricität nicht
ströme, sondern fest mit den ponderablen Atomen verbunden sei.
Dann wird die Kraft, welche diese auf die ruhende Electricitäts-
einheit ausübt, durch die aus der Electrostatik bekannte einfache
h' ds'
Formel — — -— dargestellt. Demnach heben sich in diesem Falle
die beiden Kräfte nicht vollständig auf, sondern es bleibt eine
durch die Formel
h' ds' r /dr\'^ , ^ d^ r'
2r
[- m+
dargestellte Abstossung übrig
ds[V
dt
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 231
Die in die rc-Richtung fallende Componente dieser Kraft er-
hält man durch Multiplication mit , und es ergiebt sich da-
her, wenn man diese Componente mit -^^ ds' bezeichnet, folgende
Qj S
Gleichung :
,,, ddc , , /*' /ds'y X — x' \ /dry , ^, oVi , ,
^1^ ^ ^^ = ^ \Tt) —^ \r \W + '' äi^J '^''
Diese Gleichung muss nach s' über den ganzen geschlossenen
Strom integrirt werden, um die Grösse 3f, nämlich die in die ;r-Rich-
tung fallende Componente der Kraft, welche der ganze Strom auf
die ruhende Electricitätseinheit ausübt, zu erhalten.
Dazu wollen wir mit dem auf der rechten Seite stehenden
Ausdrucke noch einige Umformungen vornehmen. Man kann
setzen :
= 2
""^;^[-(l?y+2r|^]
r"/2 ?)x
Dadurch geht die Gleichung (1) über in:
Jt) dx ds"-
Hierin kann man weiter setzen:
(2)
dl , , 8h'
ds = ^-
ds c^
ds'.
dVr d^Vr
dx ds'^
= -(■
ds' \
wodurch (2) übergeht in:
^ /8Vr dVr
ds' \ dx ds'
dVr dVr
dx ds'
dVr d^Vr
ds' ds'dx
]^d_ [fdVr
2 dx
r/dVr
[\ds'
(3) ^,ds'
[M-
dVr\m
m
ds'.
c^ \dtj \ds'\ dx ds' ) 2 dx W ds
Wenn man diese Gleichimg über einen geschlossenen Strom
integrirt, so giebt das erste innerhalb der Klammer befindliche
Glied, welches ein Differentialcoefficient nach s' ist, den Wertli
Null. Das zweite Glied , welches ein Differentialcoefficient nach x
ist, kann, da die Veränderliche x von der Veränderlichen s' unab-
hängig ist, unter dem Differentiationszeichen integrirt werden,
und es kommt:
4/i' /dsy d_ r/öVr
dt J dxj \ ds'
(4)
1 =
ds'.
232 Abschnitt IX.
Ganz entsprechende Ausdrücke ergeben sich auch für die in die
y- und ^-Kichtung fallenden Componenten der Kraft.
Man sieht sofort, dass das hierin vorkommende Integral nicht
Null ist, und dass auch seine Differentialcoefficienten nach x^ y
und 3 im Allgemeinen nicht Null sein werden. Demnach müsste
ein in einem ruhenden Leiter stattfindender geschlossener und
constanter Strom auf ruhende Electricität eine Kraft ausüben, und
zwar eine Kraft, welche ein Ergal hätte, da ihre in die Coordi-
natenrichtungen fallenden Componenten, der obigen Gleichung
nach, durch die negativen Differentialcoefficienten einer von den
Coordinaten der betreffenden ruhenden Electricitätseinheit abhän-
genden Grösse dargestellt würden. Der galvanische Strom müsste
also, ähnlich wie ein mit einem Ueberschuss von positiver oder
negativer Electricität geladener Körper, in jedem in seiner Nähe
befindlichen leitenden Körper eine veränderte Vertheilung der
Electricität hervorrufen i). Auch für einen Magneten würde man,
wenn man den Magnetismus durch moleculare electrische Ströme
erklärt, ähnliche Wirkungen auf die ihn umgebenden leitenden
Körper erhalten.
Solche Wirkungen sind aber, trotz der vielen Gelegenheit, die
man dazu gehabt haben würde, nie beobachtet worden, und man
wird daher den obigen Satz, welcher ausdrückt, dass sie nicht statt-
finden, gewiss allgemein als feststehenden Erfahrungssatz anerken-
nen, woraus dann, da das in der Gleichung (4) ausgedrückte Re-
sultat diesem Satze widerspricht, der Schluss folgt, dass das We-
ber'sche Grundgesetz mit der Ansicht, dass bei einem in
einem festen Leiter stattfindenden galvanischen Strome
nur die positive Electricit-ät sich bewegt, unvereinbar ist,
§.3, Betrachtung eines von Riemann aufgestellten Kraft-
gesetzes unter dem obigen Gesichspuncte.
In neuester Zeit, nachdem ich meine erste Mittheilung über
das von mir aufgestellte Grundgesetz schon veröffentlicht hatte,
1) Derselbe Schluss ist aucli schon i. J. 1873 von Riecke gezogen
(Gott. Nachr. 5. Juli 1873), was mir, als ich dieses schrieb, unbekannt
war, worauf ich aber, noch während es in Borchardt's Journal gedruckt
wurde, durch den damals eben ei-schienenen neuesten Aufsatz von Ei ecke
(Gott. Nachr. 28. Juni 1876), in welchem jener ältere citirt war, aufmerk-
gam gemacht wurde.
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 233
ist ein Werk erschienen i), in welcliem ein anderes, von Riemann
in seinen Vorlesungen mitgetheiltes electrodynainisclies Kraftgesetz
angeführt wird, und es wird daher zweckmässig sein, im An-
schlüsse an das Vorige auch dieses Gesetz unter demselhen Ge-
sichtspuncte zu betrachten, d. h. zu untersuchen, ob es mit der
Ansicht von nur Einer im festen Leiter beweglichen Electricität
vereinbar ist.
Seien, wie oben, e und e' zwei in Puncten concentrirt gedachte
Electricitätstheilchen , x^ y^ z und x\ y\ s' ihre rechtwinkligen
Coordinaten zur Zeit ^, so gilt für die in die a;-Ilichtung fallende
Componente der Kraft, welche e von e' erleidet, nach Riemann
(S. 327) folgende Gleichung:
2 /dx dx'''
d
ee' dr , ee' \ r \dt dt
^^^ ^ r2 dx "^ c2 dt
e^]^^\fdx_dxy /dy _^'Y i /^_^yi
'^ ~c^7^dx\\dt dt) '^[ßt 'dt) ^\dt dt)]'
und entsprechende Gleichungen sind für die beiden anderen Coor-
dinatenrichtungen zu bilden.
Diese Gleichung wollen wir nun wieder dazu anwenden, die
Kraft zu bestimmen, welche ein geschlossener galvanischer Strom
auf eine ruhende Electricitätseinheit ausübt. Wir setzen daher :
^ ^ dx dy dz
dt dt dt
Ferner ersetzen wir, um zunächst die Kraft zu bestimmen, welche
von der im Leiterelemente ds' sich bewegenden positiven Electri-
cität ausgeübt wird, e' durch das Product 1%' ds'. Dann geht der
vorige Ausdruck über in:
, /2^ dx'\
1 dr 1 \Jlit)
h'ds'
r^ dx c dt
'^ c'' r'^dx\\dt) '^Xdt) ~^\dt)\\
Hierin kann das letzte Glied dadurch vereinfacht werden, dass die
/ds'\^
in der eckigen Klammer stehende Summe durch ( -j— ) ersetzt
^) Schwere, Electricität und Magnetismus. Nach den Vorlesungen von
Bernhard Riemann bearbeitet von Karl Hattendorff, Hannover 1876.
234 Absclinitt IX.
wird, und das zweite Glied möge so umgeändert werden, dass x'
und f als Functionen von s' und die Grösse s' als Function von t
behandelt und dabei, weil der Strom constant ist, -j-^ = 0 gesetzt
Ci t
wird. Dann kommt:
2_ d^\
Lr2 dx c2 ds' \cU) "^ c2 r2 ^^ \cit) _
Gehen wir nun zunächst wieder von der Voraussetzung aus,
dass in dem Leiterelemente ds' eine gleich grosse Menge negati-
ver Electricität mit gleicher Geschwindigkeit nach entgegengesetz-
ter Richtung ströme, so haben wir, um die ^-Componente der von
dieser Electricitätsmenge auf die ruhende Electricitätseinheit aus-
geübten Kraft darzustellen, denselben Ausdruck, wie vorher, nur
mit entgegengesetztem Vorzeichen zu bilden. Beide Kräfte heben
sich somit auf, und es ist daher unter der Voraussetzung zweier in
gleicher Weise im Leiter beweglicher Electricitäten auch das Rie-
m ann'sche Kraftgesetz mit unserem Erfahrungssatze im Einklänge.
Machen wir dagegen die Voraussetzung, dass die im Leiter-
elemente ds' befindliche negative Electricität in Ruhe sei, so ha-
ben wir die ^-Componente der von ihr auf die ruhende Electrici-
tätseinheit ausgeübten Kraft durch
r^ ox
darzustellen, und wir erhalten daher, wenn wir die a^-Componente
der Kraft, mit welcher das Stromelement ds' auf die ruhende Elec-
tricitätseinheit wirkt, wieder mit -^, ds' bezeichnen, die Gleichung:
d'^ , h'
^^^ di' '^' = ^
r df~ — ^ 1
/dsy __ \r ds') I 1 ^
\dt) L ds' ^ r2 dxA
ds'.
Denken wir uns diese Gleichung über einen geschlossenen Strom
integrirt, so giebt das erste Glied Null, und es kommt :
c^ \dt / J r^ dx
oder anders geschrieben:
^^ c2 \dt) dxj r '
Neues electrodynamisches Grrundgesetz. 235
Entsprechende Gleichungen erhält man natürlich auch für die in
die beiden anderen Coordinatenrichtungen fallenden Kraftcompo-
nenten.
Das hierin vorkommende Integral ist nicht Null und auch
seine Differentialcoefficienten sind es im Allgemeinen nicht. Wir
erhalten also auch aus dem Riemann' sehen Gesetze dasselbe Re-
sultat, wie aus dem Web er' sehen, dass ein geschlossener galvani-
scher Strom, und ebenso auch ein Magnet, auf jeden in seiner
Nähe befindlichen leitenden Körper eine der electrostatischen In-
fluenz ähnliche Wirkung ausüben müsste. Da dieses unserem Er-
fahrungssatze widerspricht, so können wir auch von dem Rie-
mann'schen Gesetze sagen, dass es mit der Vorstellung von
nur Einer im festen Leiter beweglichen Electricität
nicht vereinbar ist.
§. 4. Zulässigkeit gewisser Vorbedingungen bei der
Bestimmung der Kräfte.
Wenn wir nun versuchen wollen, ein anderes Grundgesetz auf-
zufinden, welches von dem vorstehend erwähnten Widerspruche
mit der Erfahrung frei ist, so müssen wir uns zunächst darüber
klar werden, ob und in wie weit es zulässig ist, in Bezug auf die
Richtung und Grösse der Kräfte gewisse Vorbedingungen zu stellen.
Weber hat es als selbstverständlich betrachtet, dass die
Kräfte, welche zwei in Puncten concentrirt gedachte Electricitäts-
theilchen auf einander ausüben, nur in gegenseitigen Anziehungen
oder Abstossungen bestehen können, dass sie also gleich und ent-
gegengesetzt sein und ihrer Richtung nach in die Verbindungs-
linie der beiden Puncte fallen müssen. In dieser Beziehung muss
ich aber auf das zurückkommen, was schon in S. 1 des vorigen
Abschnittes über die von zwei Stromelementen auf einander aus-
geübten Kräfte gesagt wurde.
Wenn Newton die Kräfte, welche zwei materielle Puncte un-
abhängig von ihrer etwaigen Bewegung auf einander ausüben,
ohne weiteres als eine gegenseitige Anziehung betrachtet, und wenn
man ebenso von den Kräften, welche zwei ruhende Electricitäts-
th eilchen aufeinander ausüben, ohne weiteres annimmt, dass sie
nur in gegenseitiger Anziehung oder Abstossung bestehen können,
so ist das vollkommen berechtigt, denn zwei ruhenden Puncten
236 Abschnitt IX.
kann man gar keine Kraft zuschreiben , welche von der Verbin-
dungsHnie seithch abwiche, da kein Umstand vorhanden ist, durch
welchen Eine seitliche Richtung vor den übrigen ausgezeichnet
wäre. Bei derjenigen Kraft dagegen, welche zwei Electricitäts-
theilchen wegen ihrer Bewegungen auf einander ausüben, verhält
es sich ganz anders. In diesem Falle giebt es in der That ausser
der Verbindungslinie der Theilchen noch andere ausgezeichnete
Richtungen, nämlich die beiden Bewegungsrichtungen der Theil-
chen, und es ist selir wohl denkbar, dass diese einen Einfluss auf
die Kraftrichtungen haben. Hätte Newton ein Gesetz für solche
Kräfte, die durch die Bewegungen der Puncte verursacht werden,
aufzustellen gehabt, so würde er bei der Vorsicht, mit welcher er
ungerechtfertigte Hypothesen vermied, wohl nicht im Voraus an-
genommen haben, dass diese Kräfte eine bestimmte von den Be-
wegungsrichtungen der Puncte unabhängige Richtung haben
müssten.
Ich kann daher die in dieser Beziehung stattfindende Ein-
fachheit des Web er' sehen Kraftgesetzes nicht als einen Vorzug
desselben anerkennen, da es eine Einfachheit ist, die nicht der Na-
tur der Sache entspricht, sondern durch eine der Sache fremde
Voraussetzung willkürlich hineingebracht ist,
Riemann hat sich auch in der That bei der Aufstellung sei-
nes Kraftgesetzes an die Bedingung, dass die Kraftrichtungen in
die Verbindungslinie der beiden Puncte fallen müssen, nicht ge-
bunden. Dagegen hat er an der anderen Bedingung, dass die bei-
den von den Puncten auf einander ausgeübten Kräfte gleich und
entgegengesetzt sein müssen , noch festgehalten. Dadurch hat er
erreicht, dass die beiden Kräfte, wenn man sie sich an einen ge-
meinsamen Angriffspunct verlegt denkt, als Resultante Null ge-
ben, was mit dem Verhalten der sonst gewöhnlich betrachteten
Kräfte, die von der Bewegung unabhängig sind, übereinstimmt.
Ich glaube aber, dass damit nicht viel gewonnen ist, denn, wenn
die beiden Kräfte auch nicht eine nach einer bestimmten Rich-
tung gehende Resultante geben, so geben sie doch ein Drehungs-
moment, worin eine wesentliche Abweichung von dem Verhalten
der von der Bewegung unabhängigen Kräfte liegt. Wenn nun
aber einmal in Einer Beziehung eine solche wesentliche Abwei-
chung als möglich zugegeben ist, so liegt meiner Ansicht nach auch
kein Grund mehr vor, in einer anderen Beziehung die entspre-
chende Abweichung für unmöglich zu erklären.
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 237
Wir wollen daher im Folgenden über die Riclitung und Grösse
der Kräfte, welche zwei bewegte Electricitätstheilchen auf einander
ausüben, im Voraus gar keine Annahme machen, sondern nur ver-
suchen, durch eine auf der Grundlage von Erfahrungssiitzen aus-
zuführende Entwickelung zur Bestimmung der Kräfte zu gelangen.
§. .5. Ausdrücke der Kraftcomponenten für ein specielles
Coordinatensystem.
Gemäss der Annahme, dass die Kraft von der gegenseitigen
Lage der Theilchen und von ihren durch die Geschwindigkeits-
componenten und Beschleunigungscomponenten bestimmten Be-
wegungszuständen abhänge, bilden wir für jede der drei in die
Coordinatenrichtungen fallenden Componenten der Kraft einen
allgemeinen Ausdruck, welcher von den relativen Coordinaten des
einen Theilchens zum anderen, und von den nach der Zeit genom-
menen Difterentialcoefficienten erster und zweiter Ordnung der
Coordinaten beider Theilchen abhängt. In diesen Ausdruck neh-
men wir vorläufig alle möglichen Glieder bis zur zweiten Ordnung
auf, wobei unter Gliedern zweiter Ordnung alle Glieder von sol-
chen Formen verstanden werden, wie sie durch zweimalige Difle-
rentiation nach t entstehen können, die also entweder einen DifFe-
rentialcoefficienten zweiter Ordnung oder zwei Differentialcoeffi-
cienten erster Ordnung als Factoren haben.
Es möge nun zunächst ein rechtwinkliges Coordinatensystem
von specieller Lage eingeführt werden. Die eine Coordinatenaxe
soll nämlich durch die beiden Puncte gehen, in welchen die bei-
den Electricitätstheilchen sich zur Zeit t gerade befinden, und zwar
möge die Richtung von e' nach e als die positive angenommen
^werden. Die auf dieser Axe gemessenen Coordinaten der beiden
Theilchen mögen l und V sein. Die beiden anderen Coordinaten-
axen können irgend welche auf der ersten und unter einander
senkrechte Richtungen haben. Wenn dann die auf diesen Axen
gemessenen Coordinaten der beiden Theilchen allgemein mit ni, n
und rn\ n' bezeichnet werden, so ist zur Zeit t zu setzen:
m = M = m' = n' = 0.
Demnach sind auch die auf diese beiden Richtungen bezüglichen
relativen Coordinaten m — m' und n — n' zur Zeit t gleich Null,
238 Abschnitt IX.
und nur die auf die erste Richtung bezüghche relative Coordinate
l — V hat einen angebbaren Werth, welcher gleich der Entfernung
der beiden Theilchen von einander ist und daher , der obigen Be-
zeichnungsweise entsprechend, durch r dargestellt werden kann.
Daraus folgt, dass bei Anwendung dieses Coordinatensystems die
Functionen der relativen Coordinaten, welche in den Ausdrücken
der Kraftcomponenten vorkommen, nur Functionen von r sein kön-
nen. Auch in anderer Beziehung bietet dieses Coordinatensystem
noch Gelegenheit zu Vereinfachungen dar, indem aus dem Verhal-
ten der in den Gliedern vorkommenden Differentialcoefficienten
unmittelbar ersichtlich ist, dass gewisse Glieder auf die betreffende
Kraftcomponente keinen Einfiuss haben können, und gewisse Paare
von Gliedern einen gleichen Einfluss haben müssen.
Als erste zu untersuchende Kraftcomponente wählen wir die
in die Z-Richtung fallende aus. Indem wir diese mit Lee' bezeich-
nen, bilden wir den die Grösse L bestimmenden Ausdruck.
Dieser Ausdruck muss zunächst ein Glied enthalten, welches
von den Bewegungen der Theilchen unabhängig ist, und die elec-
trostatische Kraft darstellt. Dieses Glied ist vollkommen bekannt
und lautet
Von den anderen Gliedern betrachten wir zuerst diejenigen,
welche nur Differentialcoefficienten der Coordinaten des Theil-
chens e enthalten.
Die Glieder, welche nur Einen Differentialcoefficienten erster
Ordnung enthalten, lauten allgemein:
. dl , dm .,, dn
Tf W dt'
worin A, A und Ä' Functionen von r bedeuten; aber in Bezug
auf die beiden letzten lässt sich sofort ein Schluss der oben ange-
deuteten Art ziehen. Das Glied Ä -r- ändert nämlich mit -^r—
dt dt
sein Vorzeichen. Nun verhält sich aber für einen in der ^-Axe
liegenden Punct die negative Seite der ir^-Richtung ebenso zur
Z-Richtung, wie die positive Seite, und es ist daher in unserem
Falle, wo beide Puncte in der Z-Axe liegen, kein Grund abzu-
sehen, weshalb eine Bewegung nach der einen Seite eine andere
Kraft in der Z- Richtung zur Folge haben sollte, als eine Bewegung
nach der anderen Seite. Demnach muss dieses Glied aus dem Aus-
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 239
drucke verschwinden, d. li. es muss A' = 0 sein. Ebenso kann
man auch schliessen, dass A" = 0 sein muss. Es bleibt also von
77
den obigen drei Gliedern nur A jj übrig.
Passelbe gilt von den drei Gliedern
. (PI ., d^m .n d'^n
' d¥' ' dF' ' dW
von denen die beiden letzten ebenfalls verschwinden müssen, so
dass nur das erste übrig bleibt.
Was endlich die Glieder anbetrifft, welche zwei gleiche oder
verschiedene Differentialcoefficienten erster Ordnung als Factoren
haben, in welchen also eines der folgenden Quadrate und Producte
vorkommt :
/dl\^ /dniY /dn\^ dl dm dl dn dm dn
\di) ' \dr) ' \dt) ' dt It' dtlt' dt ~dt'
so lässt sich auf die Glieder mit den zuletzt erwähnten Producten
dasselbe anwenden, was vorher gesagt wurde. Diese Producte
(1/ W'i d ^%
ändern nämlich ihr Vorzeichen mit -^— und -rr. während doch
dt dt
sowohl bei der m-Richtung als auch bei der w-Richtung die nega-
tive Seite sich zu den beiden anderen Axen gerade so verhält, wie
die positive Seite. Glieder mit diesen Producten können also in
dem Ausdrucke nicht vorkommen. Da ferner die m- und w-Rich-
tung sich zur Z-Axe geometrisch gleich verhalten, so müssen die
Quadrate {-tt\ und \-^\ gleiche Coefficienten haben. Die be-
treffenden Glieder bilden also eine Summe von der Form:
^K^y+-'[(ty+(^)i
Dieser Summe wollen wir folgende etwas abgeänderte Gestalt
geben :
worin A^ an die Stelle der Differenz Ä^ — A-^ gesetzt ist. Nun
ist aber, wenn v die Geschwindigkeit des Theilchens e bedeutet:
240 Abschnitt IX.
und die vorige Summe lässt sich daher einfacher so schreiben:
Fassen wir nun alle Glieder, welche nur Differentialcoefficien-
ten der Coordinaten des Theilchens e enthalten, zusammen und
bezeichnen die Summe dieser Glieder mit Xi, so kommt:
(8) i, = 4« + ^,^_i^ + 4,(|y + ^3...
Ganz entsprechend können wir, wenn wir die Summe der Glie-
der, welche nur Differentialcoefficienten der Coordinaten des Theil-
chens e' enthalten, mit L.^ bezeichnen, schreiben:
(9) i, = ^.|: + ^,g + ^.(|y + 4,,..
Nun bleiben noch die Glieder zu betrachten , welche ein Pro-
duct aus DifFerentialcoefficienten der Coordinaten beider Theilchen,
also eines der folgenden Producte enthalten:
dl dl' dm dm' dn dn'
dt~dt' 'dt ~dr' It'dt'
dl dm' dl dm dl dn' dl dn dm dn' dm' dn
diW' dt W diW dt dt' It ~dt' ~dt~dt'
Bei den sechs letzten Producten kann man wieder aus dem
TT . 1 1 • •. dm dm' dn dn' -i -tr • ^ •• i
Umstände, dass sie mit -^r--, —rr-, -rr-i -rr ihr Vorzeichen andern,
dt dt dt dt
ganz in der obigen Weise schliessen, dass Glieder mit diesen Pro-
ducten in dem Ausdrucke der Kraftcomponente nicht vorkommen
können. Auf das zweite und dritte Product aber ist dieser Schluss
nicht anwendbar, obwohl die Aenderung des Vorzeichens auch bei
ihnen vorkommt. Wenn nämlich der Differentialcoefficient -^t- sein
dt
Vorzeichen ändert, also das Theilchen e seine in der m-ßichtung
stattfindende Bewegung umkehrt, so verhält sich die jetzige Bewe-
gung zwar zur ^-Richtung ebenso, wie die frühere, aber zu der
durch -^— ausgedrückten nach der ^>z -Richtung gehenden Bewe-
gung des Theilchens e' verhält sie sich anders. Wenn sie früher
mit ihr nach gleicher Seite ging, so geht sie jetzt nach entgegen-
gesetzter Seite, und umgekehrt. Die Coefficienten dieser beiden
Producte brauchen also nicht Null zu werden, aber sie müssen
Neues electrodynamisches Grrundgesetz. 241
unter einander gleich sein, weil die m- und w- Richtung sich zur
Z-Axe geometrisch gleich verhalten.
Es ergiebt sich also, indem wir die Summe der Glieder, welche
Differentialcoefficienten der Coordinaten beider Theilchen enthal-
ten, mit L^ bezeichnen, folgende Gleichung :
./ dl dl' 1^ . /dm dm' _, dn dn'
■' ^ 'TtUi^ ' \dt W^ dt W
Diese Gleichung wollen wir in ähnlicher Weise, wie es weiter oben
mit einem anderen Ausdrucke geschehen ist, umgestalten. Wir
schreiben zunächst:
dl dl' . . /dl dl' . dm dm' . dn dn'\
^'' "~ ^' dt dt ^ ^' \dt dt '^ dt dt '^ dt dt)'
worin A^ an die Stelle der Differenz Ai — A^ gesetzt ist. Nun ist
aber, wenn £ den Winkel zwischen den Bewegungsrichtungen der
beiden Theilchen e und e' bedeutet:
dl dl 1^ dm dm! dn dn' ,
dt'dt'^~dt~dt^'dt~dt~~'"'^ ^^^ ^'
und die vorige Gleichung lässt sich daher so schreiben:
(10) L-i = As -^^j-^-\^ Agvv' cos s.
Nachdem wir vorstehend die einzelnen Gruppen der in L ent-
haltenen Glieder näher bestimmt haben, erhalten wir aus ihnen
die ganze Grösse L durch Bildung folgender Gleichung:
(11) L=l-f X, + L,-fL3.
In ganz entsprechender Weise können wir nun auch die in
die m- und w- Richtung fallenden Kraftcomponenten, welche mit
Mee' und Nee' bezeichnet werden mögen, behandeln; es wird
aber nicht nöthig sein, auch diese Behandlung hier vollständig
durchzuführen, sondern es wird genügen, die zur Bestimmung von
M und N dienenden Systeme von Gleichungen einfach hinzuschrei-
ben. Es sind die folgenden:
dm , ^ ä^m , ^ dl dm
(12)
T,^ -„ dm' . ^ d^m' , ^^ dl' dm'
^^^^^-^-dT + ^'IW-^^-^-dt -IT'
^, -p dl dm' ^^ ^ dl' dm
^^^' = -^'TtW^-^'dtW
M = My H- M, + Mz-
Clausius, mech. Wärmetlieorie. II. Iß
242
Abschnitt IX.
(13)
„ -ry dn . -r, d^n . -ry dl dn
^'^'^It'^^'-dW + ^'TtTV
_ dn' 1 T? d^^' I T? ^l dn'
^' = -^'~dt^-^'d¥"^-^'lii~dt-
-.j T> dl dn' I j^ dl dn
^' - ■^'TtHt'^-^'Tt'di'
6. Ausdrücke der Kraftcomponenten für ein
beliebiges Coordinatensystem.
Nachdem für ein specielles Coordinatensystem die drei Kraft-
componenten ausgedrückt sind, können wir daraus auch leicht die
Kraftcomponenten für ein beliebiges Coordinatensystem ableiten.
Es sei irgend ein rechtwinkliges Coordinatensystem eingeführt,
in welchem die beiden Electricitätstheilchen die Coordinaten x^ y, z
und x!^ y\ s' haben. Die in diese Coordinatenrichtungen fallenden
Componenten der Kraft, welche e von e' erleidet, mögen durch
Xee', Yee' und Zee' dargestellt werden, dann handelt es sich
darum, die Grössen X, Y und Z auszudrücken.
Um X auszudrücken, bezeichnen wir die Winkel, welche die
ic-Richtung mit den früher angenommenen Coordinatenrichtungen,
nämlich der Z-, m- und w-Richtung bildet, mit (Ix)^ {mx) und {nx).
Dann ist zu setzen:
(14)
X =:: L cos (Ix) -f- M COS (mx) -\- N cos (nx).
Man kann aber auch die einzelnen Bestandtheile von X durch die
entsprechenden Bestandtheile von i, M und N ausdrücken. Be-
zeichnet man die Summe derjenigen in X vorkommenden Glieder,
welche nur Differentialcoefficienten der Coordinaten von e enthal-
ten, mit Xi , die Summe der Glieder, welche nur Differentialcoeffi-
cienten der Coordinaten von e' enthalten, mit X2, und die Summe
der Glieder, welche Producte aus Differentialcoefficienten der Coor-
dinaten beider Theilchen enthalten, mit X3, so gilt für Xi die
Gleichung :
(15) Xi = Li cos (Ix) -f- Ml cos (mx) -(- Ni cos (nx),
und eben solche Gleichungen gelten für X2 und X3.
Neues eleetrodynamisches Grundgesetz. 243
Setzt man nun in die vorige Gleichung für Li, 31^ und iVj
die unter (8), (12) und (13) gegebenen Wertlie ein, und berück-
sichtigt bei der Addition der drei Glieder die Gleichungen:
(16)
dl .^ . , dm . . . dn , . dx
Tt ''' ^^'^ + irr ''' ^^'^^^ + -dT ''' ^^^^ = TV
d^l /7 X 1 d^m , . , d'^n . , d,'^x
^2 COS {Ix) + j^ cos (mx) + j^ cos (nx) = ■^,
so kommt:
(17)
__ c?^ ^ d'x ^ dl^dx V dl
^' = ^dt^^''d¥ + ^'dtdt^[^'^~-^^dt
+ (Ä, - ^i) 1^ + (-4. - Sd Q^) + A v^\ cos (Ix).
X
Hierin substituiren wir für cos (Ix) seinen Werth , und
. 1 . .
zwar multipliciren wir mit — die einzelnen innerhalb der eckigen
Klammer stehenden Glieder, während wir x — x' als gemeinsamen
Factor ausserhalb der Klammer stehen lassen.
Ferner wollen wir für die Differentialcoefficienten von l die-
jenigen von r einführen. Es ist schon oben gesagt, dass der Ab-
stand r der Theilchen e und e' von einander zur Zeit t einfach
durch die Differenz l — l' dargestellt wird, weil zu dieser Zeit die
Coordinaten m, n^ m' und n' gleich Null sind. Will man aber die
Grögse r differentiiren , so muss man dazu den allgemeinen Aus-
druck
r = ]/ (l — l'y -^ (m — my + (n — ny
anwenden, und erst nach vollzogener Difierentiation darf man
m — • m' = n — %' = 0 setzen. Für die Differentiation ist noch
zu bemerken, dass sich die Coordinaten ?, m, n nur durch die Be-
wegung des Theilchens e und die Coordinaten Z', »*', n' nur durch
die Bewegung des Theilchens e' ändern, während r sich durch die
Bewegung beider Theilchen ändert. Die den beiden einzelnen Be-
wegungen entsprechenden Aenderungen von r kann man dadurch
von einander unterscheiden, dass man r als Function der von den
beiden Theilchen beschriebenen Bahnlängen s und s', und diese
Bahnlängen ihrerseits als Functionen von t betrachtet. Dann kann
man die Differentiationen, welche sich nur auf die Bewegung des
Theilchens e beziehen, so ausführen:
16*
, dm
n')
an
]
dl , , ,, dm , , ,. dnV
244 Abschnitt IX
drds 1 r.7 ,^ dl . .
In diesen Gleichungen kann nun
m — m' = n — n' = 0 und l — V =z r
gesetzt werden, und zugleich kann man setzen:
'ds\^
dt
Aus den dadurch entstehenden Gleichungen ergeben sich für die
Differentialcoefficienten von l folgende Ausdrücke:
dl dr ds
dt ~ dsdt'
72,
(18)
(19)
dH
df
-[
82r , j^
_ n /^Y dr d^s
,dt) '^ dsd¥
r\ \c
Diese Ausdrücke haben wir in (17) einzusetzen, wobei wir der
Gleichförmigkeit wegen auch v^ durch ( -^ j ersetzen wollen. Für
die dann in der eckigen Klammer stehenden Functionen von r, mit
welchen die Dififerentialcoefficienten multiplicirt sind , wollen wir
zur Abkürzung die einfachen Zeichen C, Ci, Cg und Cg einführen.
Dann lautet die Gleichung :
^' = -^ '^ ~^ -^^ ^ '^ ^' dSlt dt
(20)
dt
dt'
x').
Ganz ebenso erhält man;
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 245
^'-^'IT'^-^'dW-^^'d^'dtdt
^^ ^^ 8s' dt'j '.■^-■^>
Was nun noch die dritte zu bestimmende Grösse X3 anbe-
trifft, so hat man, um sie auszudrücken, in die Gleichung
X3 = Zj cos (Ix) -\- Jfg cos (mx) -\- iVs cos (wa:;)
für i.j, ilfg und JV^^ die unter (10), (12) und (13) gegebenen Werthe
einzusetzen. Wenn man dann bei der Addition der drei Glieder
wieder die erste der Gleichungen (16) berücksichtigt, so kommt:
^'"^^-^'Tt-dt^-^'TtlÜ
+ I (J.8 — B,—B^) ^ ^ 4- ^9 v v' cos £ I cos {Ix),
welche Gleichung sich dem Obigen entsprechend auch so schrei-
ben lässt:
(22)
-^ T> ^f dx' ds . -n dr dx ds'
^ ~~ ' d~s Wdt '^ ' dJ' M It
r dr dr , ^ \ , ,^ ds ds'
dt dt
(^' ä^ ß? + ^' ^^^ ') ^^ ~ ^'^
Nachdem die drei Grössen Xi, X^ und X^ ausgedrückt sind,
kann man die ganze Grösse X aus der Gleichung
(23) X = ^^ + X, + X, + X,
erhalten.
Ebenso kann man natürlich auch die Grössen Y und Z dar-
stellen, wozu man in den vorstehenden Gleichungen nur die spe-
ciell auf die ^-Axe bezüglichen Grössen durch die entsprechenden,
auf die y-kxe oder auf die ^-Axe bezüglichen Grössen zu ersetzen
hat, während man alles auf r bezügliche unverändert beibehält.
Es kommt nun darauf an, die in den Gleichungen (20), (21)
und (22) vorkommenden, bisher unbestimmt gelassenen Functio-
nen von r zu bestimmen.
246 Abschnitt IX.
§. 7. Bestimmung der in X2 vorkommenden
Functionen.
Um zunächst die in Xg vorkommenden Functionen theilweise
zu bestimmen, möge von dem Satze Gebrauch gemacht werden,
welcher schon in den Paragraphen 2 und 3 angewandt wurde, näm-
lich dass ein in einem ruhenden Leiter stattfindender
geschlossener und constanter galvanischerStrom auf
ruTiende Electricität keine bewegende Kraft ausübt.
Zur Vermeidung von Missverständnissen wird es zweckmässig
sein, diesem Satze noch einige Erläuterungen beizufügen.
Wenn irgendwo Electricität von Einer Art, also z. B. positive
Electricität angehäuft ist, so übt diese auf jeden in ihrer Nähe
befindlichen leitenden Körper eine electrostatische Inüuenzwirkung
aus und erleidet demgemäss auch die Gegenwirkung der durch
Influenz auf dem Leiter angehäuften Electricität. Diese Art von
Wechselwirkung findet natürlich auch zwischen dem Leiter des
galvanischen Stromes und jener als vorhanden angenommenen
ruhenden Electricitätsmenge statt. Sie ist aber von dem in dem
Leiter stattfindenden Strome ganz unabhängig und braucht daher
hier nicht in Betracht gezogen zu werden.
Ferner befindet sich auf der Oberfläche eines Leiters, wäh-
rend er von einem Strome durchflössen wird , eine gewisse Menge
getrennter Electricität, von welcher die auf die strömende Electri-
cität wirkende, zur Ueberwindung des Leitungswiderstandes nöthige
treibende Kraft herrührt. Diese Electricität kann ebenfalls auf die
als vorhanden angenommene ruhende Electricitätsmenge eine Kraft
ausüben; aber auch von dieser Kraft können wir hier absehen, da
sie mit der von uns zu betrachtenden Kraft, welche die strömende
Electricität wegen ihrer Bewegung ausübt, in keinem Zusammen-
hange steht, und nicht nur für die theoretische Betrachtung, son-
dern auch für die Beobachtung davon getrennt werden kann. Man
kann nämlich dem Leiter des galvanischen Stromes eine solche
Form geben, dass die Theile, welche am meisten positiv electrisch
sind, denen, welche am meisten negativ electrisch sind, sehr nahe
liegen, z. B. die Form einer Spirale, welche aus zwei Lagen von
Windungen besteht, die so gewickelt sind, dass die Windungen
der zweiten Lage nach derselben Seite zurückgehen, von welcher
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 247
die der ersten ausgingen. Dann hebt sich die von jener getrenn-
ten Electricität ausgeübte Kraft zum grössten Theile auf, während
die von der strömenden Electricität ausgeübte Kraft bestehen
bleibt. Ferner ist zu bemerken, dass bei einem Magneten, dessen
Molecularströme, in Bezug auf die von ihnen ausgeübte Kraft, der-
selben Betrachtung, wie geschlossene galvanische Ströme, unter-
worfen werden können, jene getrennte Electricität, welche beim
galvanischen Strome auf die strömende Electricität treibend wirkt,
überhaupt nicht vorhanden ist.
Demnach können wir von jenen Nebenwirkungen ganz absehen,
und uns auf die vom Strome selbst ausgeübten Wirkungen be-
schränken.
Wir denken uns also, wie in §.2, im Puncte x, y, z eine
ruhende positive Electricitätseinheit , und im Puncte x\ y\ z' ein
Stromelement ds' befindlich, welches letztere aus der sich bewe-
genden positiven Electricitätsmenge li' ds' und aus der ruhenden
negativen Electricitätsmenge — h' ds' besteht. Diese beiden Elec-
tricitätsmengen üben auf die ruhende Electricitätseinheit Kräfte
aus, deren in die ;r-Richtung fallende Componenten sind:
h'ds' (^^ + X,) und - h'ds' -
Die Summe dieser beiden ist die a;-Componente der von dem Strom-
elemente auf die Electricitätseinheit ausgeübten Kraft, welche
Componente, wie früher, mit ^ ds' bezeichnet werden möge. Wir
erhalten also die Gleichung:
^,ds' = h'ds'X,.
■ds
Hierin haben wir für X^ den unter (21) gegebenen Ausdruck zu
setzen. Dabei wollen wir statt
-r- und -TTö-
dt dv
die gleichbedeutenden Formeln
d^d^ <Px[ /dsy . d^ d^
ds' dt ds'^\dt) ^ ds' df
anwenden und wegen der Voraussetzung, dass der Strom constant
d^s'
sei, -^ = 0 setzen. Dann lautet die Gleichung:
248
Abschnitt IX.
jlf ..=.'.. {[^3 :j^ + c. (.-.') |j]|:
(24)
t^s'2
+ (a|J^+Ce
es' £?s'
er\2
8?.
-f Cr ) (ic — a;')
Dieser Ausdruck muss, jenem Satze nach, bei der Integration
über einen behebigen geschlossenen Strom Null geben. Wenn
aber das Integral des ganzen Ausdruckes, unabhängig von der
Stromintensität, Null sein soll, so müssen die Integrale der beiden
mit -j- und ( -j- j multiplicirten Glieder einzeln Null sein. Die in
den beiden eckigen Klammern stehenden Ausdrücke müssen dem-
nach vollständige Differentialcoefficienten nach s' sein, ohne dass
dazu zwischen r und x' irgend eine specielle Relation angenom-
men zu werden braucht.
Wenn der erste Ausdruck ein Differentialcoefficient nach .s'
sein soll, so kann er, wie man sofort aus seiner Form ersieht, nur
gleich
- w? [^' (^
x')]
sein, und dazu ist erforderlich, dass die Gleichung
(25) ^* = -'#
erfüllt ist.
Ebenso ist beim zweiten Ausdrucke , wenn man die Glieder,
welche Differentialcoefficienten zweiter Ordnung enthalten, ins
Auge fasst, sofort ersichtlich, dass er nur mit folgendem Differen-
tialcoefficienten übereinstimmen kann:
8 r dx' ^T~\
wozu erforderlich ist, dass die Gleichungen
l 6V = 0
(26)
Csi
erfüllt sind.
Neues electrodynamisches Glrundgesetz. 249
Auf diese Weise sind die in der Gleichung (21) vorkommen-
den sieben unbestimmten Functionen auf drei zurückgeführt, und
jene Gleichung lässt sich nun so schreiben:
(27)
X, = -
d [B-i (x — x')] ds'
ds'
dt
ds\^
+ [^* !>' + «^ (- - -') I?]
dt^
§. 8. Bestimmung der in Xi vorkommenden
Functionen.
Bei der Behandlung der Grösse Xi können wir einen dem
vorigen ähnlichen Erfahrungssatz anwenden, nämlich den folgen-
den: eine ruhende Electricitätsmenge übt auf einen
in einem ruhenden Leiter stattfindenden geschlosse-
nen und Constanten galvanischen Strom keine Kraft
aus.
Für diesen Satz gelten dieselben Erläuterungen, welche dem
im vorigen Paragraphen angewandten hinzugefügt sind.
Um diesen Satz anzuwenden , denken wir uns im Puncte x\
i/', / eine ruhende Electricitätseinheit und im Puncte ^, ^, ^ ein
Stromelement ds, welches die bewegte Electricitätsmenge hds
und die ruhende Electricitätsmenge — hds enthält. Die a;-Com-
ponenten der Kräfte, welche diese beiden von der ruhenden Elec-
tricitätseinheit erleiden, sind:
hds
+ -^i)
und — hds
Demnach wird die a; - Componente der Kraft, welche das Strom-
element von der Electricitätseinheit erleidet, durch das Product
hdsXi dargestellt, worin für Xi der unter (20) gegebene Aus-
druck zu setzen ist. Wenn wir dkbei wieder für -4r und ^-nr die
dt dtr
Formeln
dx ds , d^x /dsY
ds dt ds^
/dsy . da
\dt) "*" ^
dx d^ s
s di^
250 Absclmitt IX.
dt'
setzen, so lautet der Ausdruck:
anwenden, und zugleich, weil der Strom constant sein soll, ^^
Hieraus können wir nun zunächst ganz entsprechende Schlüsse
ziehen , wie im vorigen Paragraphen. Wenn nämlich die Electri-
citätseinheit auf den ganzen Strom keine nach der a^-Richtung ge-
hende Kraft ausüben soll, so muss das auf den ganzen Strom aus-
gedehnte Integral des Ausdruckes Null sein, und daraus erhält
man, entsprechend den Gleichungen (25) und (26), die Gleichungen:
dB
(28)
dr
73 (iJji 1^^ ^ dCi ^
Ausserdem können aber im vorliegenden Falle noch weitere
Schlüsse gezogen werden. Der Satz sagt nämlich nicht nur aus,
dass die Electricitätseinheit den Strom nach keiner Richtung zu
bewegen sucht, sondern auch, dass sie ihn um keine Axe zu drehen
sucht, und daraus ergeben sich ebenfalls gewisse Gleichungen.
Da die Wahl der Axe beliebig ist, so wollen wir die durch
den Punct x\ y', s' gehende, der ^-Axe parallele Gerade als Axe
wählen, und für sie das Drehungsmoment bestimmen. Der obige
Ausdruck für die x - Componente der Kraft , welche das Strom-
element ds von der ruhenden Electricitätseinheit erleidet, lässt
sich in Folge der Gleichungen (28) in nachstehende Form bringen:
Jids TT-,
ds
worin P eine durch folgende Gleichung bestimmte Grösse ist :
(29) P = B (. _ .0 If + [b. ^ + C, (. - .■) 1^] (^) ■
Ebenso gilt für die ^/-Componente jener Kraft der Ausdruck:
hds ^,
ds
worin Q durch folgende Gleichung bestimmt wird:
Neues electrodynaminches Grundgesetz. 251
(30) e = B (,-,') If + [b. I + C,(,j- ,f) I] (% >
fZsy
Hieraus ergiebt sich für das Drehungsmoment dieser Kraft der
Ausdruck :
h
[(- - /) If - (!/ - ^/) 'i\ 'i'
Wenn nun die ruhende Electricitätseinheit einen geschlosse-
nen Strom nicht zu drehen sucht, so muss das Integral dieses Aus-
druckes für jeden geschlossenen Strom Null sein. Der Ausdruck
lässt sich auch so schreiben:
und da hierin das erste Glied ein Differential ist, welches jeden-
falls bei der Integration Null giebt, so muss auch das zweite Glied
Null geben. Dieses nimmt aber, wenn für P und Q die in (29)
und (30) gegebenen Werthe gesetzt werden, folgende Form an:
und man sieht sofort, dass dieser Ausdruck kein vollständiges Diffe-
rential ist, und nur dann für jeden geschlossenen Strom das Inte-
gral Null geben kann, wenn er selbst durch den in der zweiten
eckigen Klammer stehenden Factor Null wird. Damit aber dieser
Factor, unabhängig von der Stromstärke, Null werde, muss sein:
(31) ^ = 0 und C\ = 0.
Verbindet man diese neuen Gleichungen mit den unter (28) gege-
benen, so gehen die letzteren über in:
(32) 0=0; ^2 = ^; C, = 0- C, = 0.
Dadurch sind die sieben in dem Ausdrucke von Xi vorkom-
menden unbestimmten Functionen auf Eine reducirt, und die Glei-
chung (20) geht über in :
(33) X.=A/£,^Uf£y+£/'-<'=^
ds \ ' dsj \dt) ' ' ds df
252 Abschnitt IX.
§. 9. Bestimmung der in X3 vorkommenden
Functionen.
um nun die in X3 vorkommenden Functionen zu bestimmen,
wollen wir die gegenseitige Einwirkung zweier in ruhenden Leitern
stattfindenden Ströme betrachten.
In den Puncten x., y, s und x\ y\ s,' seien zwei Stromelemente
ds und £^s', welche die bewegten Electricitätsmengen /^6?s und
Ä' ds' und die ruhenden Electricitätsmengen — Ji ds und — Ä' ds'
enthalten. Um nun die Kraft zu bestimmen, welche das Strom-
element d$ von dem Stromelemente ds' erleidet, müssen wir die
vier Kräfte betrachten, welche die Menge ]ids von den beiden
Mengen li' ds' und — }^ d^ und die Menge — lids von den beiden
Mengen y ds' und — 1^ ds' erleidet. Die in die a;-Kichtung fallen-
den Componenten dieser vier Kräfte sind:
li^dsd^ i^^ + Xi + X2 + X3),
— hh'dsds'(- — f- Xi j,
- hh' ds ds' (^-^ + XX
hh' dsds'
r
Durch Addition derselben erhalten wir für die ic-Componente der
Kraft, welche das Stromelement ds von dem Stromelemente ds'
erleidet, einfach das Product
hh' ds ds' X3,
worin wir für X3 den in (22) gegebenen Ausdruck anzuwenden
haben.
Dem letzteren wollen wir aber erst noch eine für die Integra-
tion geeignetere Gestalt geben. Die darin vorkommende Grösse
cos E können wir durch einen Differentialcoefficienten ersetzen.
Aus der Gleichung
r^ = (x — x'y + (y — y'Y- + (^ — ^'Y
ßrhält man nämlich durch zweimalige Differentiation:
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 253
d^(r'^) „ /dx dx' , di) dy' , dz dz'\
^ ^ 8sW ~ ~ \ds d^' '^ 't^ t^' ^ lü d^ r
und da der rechts in Klammern stehende Ausdruck nichts anderes
ist, als cos £, so kommt :
1 8-'(y2)
(35) C08 £ =
2 Bs Ös'
Wenn wir diesen Ausdruck für cos s einsetzen und zugleich statt
y7 /VI ^t' (tOC eis
-Y- und —7 , wie in den vorigen Paragraphen, die Producte — — =-
et V eil (i S (i-v
und -r-7 ^-T anwenden, so lautet die Gleichung (22) :
ds dt
,^ ds ds' \ j^ dr dx' . ^ dr dx
(36) ^■^ = Ttdt[^'rsd7^-^'d7Ts
Hieraus soll nun noch das Product Cg — ^—, fortgeschafft werden.
Dazu möge eine Function E von r eingeführt werden, welche
zu Cg in folgender Beziehung steht:
E = I rdr 1 — ^ dr,
woraus folgt:
1 dE rCs 1 j d n dE\ ^
7— = / — dr und r ^- ( ^— ) = Cs .
r ar J r dr \r dr/
Differentiiren wir diese Function E nach s und s', so können wir
den Differentialcoefficienten folgende Formen geben
dE _ dE dr _ J^ dE djr'-)
ds dr ds 2r dr ds
d^E _ ]_dE 82 (r 2) , 1 ^ /J_ ^\ dr_ d (r"^)
dsds' 2r dr dsds' ' 2 dr \r dr J es' ds
~" 2r dr dsds' "^ '' ds ds"
und wir erhalten daher :
8r er l_dE 82 (^2) _82£
'^ ?^s 8.q' '>,r r7r 't)s?)a' "^ ri
Setzt man diesen Werth von Og :r- --: in die Gleichung (36) ein,
8s 8s o V / ?
und wendet dabei für
254 Abschnitt IX.
1/1 dE
das vereinfachte Zeichen Ej^ an, so kommt:
„ ds ds' V-r. dr dx' _, -p 'öv dx
^^^^ ^'-Ttdtr'd'sdV'^-^'d^d^
Ferner kann gesetzt werden:
82JS , ,, 82r^(^_a;')l , 8^6^^ 'dE dx
-,{x- x!) = \^^, '- +
dsds' 3s 8s' 8s c^s' 8s' (is '
und wenn man dabei noch zur Vereinfachung die Zeichen E2 und
E3 mit den Bedeutungen
£, = 5. + f und £, = B,-f
einführt, so geht die Gleichung (37) über in:
/oQN Y _^sds' j d^ (r'O 8r (?ä;' 8r (^a;
8^[£;(a; — ^')]]
"^ 8s8s' j
Den so umgestalteten Ausdruck von X3 multipliciren wir mit
hh' ds ds\ um die rr-Componente der Kraft zu erhalten, welche
das Stromelement ds von dem Stromelemente ds' erleidet.
Führt man dann, um die a;-Componente der Kraft, welche das
Stromelement ds von dem ganzen als geschlossen vorausgesetzten
Strome s' erleidet, zu erhalten, die Integration nach s' aus, so tre-
ten dabei einige Vereinfachungen ein. Das letzte Glied des vori-
gen Ausdruckes ist nämlich ein Diflferentialcoefficient nach s', und
im vorletzten Gliede ist der Factor -j- von s' unabhängig, so dass
er bei der Integration als constant behandelt werden kann , und
der andere Factor Eo — -. ist wiederum ein Differentialcoefficient
"* 8s'
nach s'. Beide Glieder geben also bei der Integration über einen
geschlossenen Strom den Werth Null, und es bleibt:
(39) hh'dsfx^ds'
-j ,, ds ds' , n^ . ,^ 82(r2) , „ 8r dx^-\ ^ ,
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 255
Wenn man diesen Ausdruck auch noch nach s integrirt, so
erhält man die Kraft, mit welcher der Strom s' den ganzen Strom
s nach der aj-Richtung zu verschieben sucht. Diese Integration
bringt für den Fall, dass auch der Strom s geschlossen ist, wiederum
ein Glied zum Verschwinden. In dem Gliede Eo 7: — 7-7 ist näm-
^ ds ds'
lieh der Factor -^-j von s unabhängig und der andere Factor
E2 ■;— ist ein Differentialcoefficient nach s und giebt somit bei der
OS
Integration Null. Es kommt also:
(40) kh'ffx, äs ds' = hh' ^ %ffE, (. _ .') |ife^ ds ds'.
Dieses Resultat können wir mit einem vollkommen feststehen-
den Ergebnisse der Ampere'schen Theorie vergleichen, indem
diese Theorie , soweit sie sich auf die von geschlossenen Strömen
auf einander ausgeübten Kräfte bezieht, als durchaus zuverlässig
anzusehen ist. Nun wird nach dieser Theorie die Kraft, mit wel-
cher ein geschlossener Strom s' einen anderen geschlossenen Strom
s nach der a?-Richtung zu bewegen sucht, durch den Ausdruck
Icii' I I — cos s ds ds'
dargestellt, worin i und i' die beiden Stromintensitäten sind, und
h eine Constante bedeutet. Diesen Ausdruck kann man, wenn man
i und i' durch h j- und h' -7- und cos £, gemäss Gleichung (35),
durch — — ^ \ , ersetzt, in folgende Gestalt bringen:
2 öS OS
,,,ds ds' r r Tc , ,. an»--) , 7 ,
dt dtj J 2r-' OS es
und wenn man ihn dann mit dem in (40) gegebenen Ausdrucke
vergleicht, so sieht man, dass zu setzen ist:
(") ^' = 27i-
Um auch noch die andere in (39) vorkommende, mit Eo be-
zeichnete Function zu bestimmen, wenden wir den ebenfalls that-
sächUch feststehenden Satz an, dass ein in einem ruhenden
256 Abschnitt IX.
Leiter stattfindender geschlossener und constanter gal-
vanischer Strom einen anderen in einem ruhenden Lei-
ter stattfindenden geschlossenen galvanischen Strom in
seiner Intensität nicht zu ändern sucht.
Der in (39) gegehene Ausdruck, welcher nach Einsetzung des
eben gefundenen Werthes von Ei lautet:
dt dt J L 2r2 dsds ' ds ds \
bedeutet seiner Entwickelung nach die aj-Componente derjenigen
Kraft, welche der geschlossene Strom s' auf das Stromelement ds^
also auf die beiden in dem Leiterelemente ds befindlichen Electri-
citätsmengen hds und — hds ausübt. Nun ist aber die negative
Electricitätsmenge — hds in Ruhe, und auf ruhende Electricität
kann nach dem in §. 6 angewandten Satze der geschlossene gal-
vanische Strom keine Kraft ausüben. Demnach lässt sich der
obige Ausdruck auch in dem Sinne auffassen, dass er die x-Govix-
ponente derjenigen Kraft bedeutet, welche der geschlossene
Strom s' auf die in dem Leiterelemente ds befindliche
positive Electricitätsmenge lids ausübt.
Um auch die in die Richtung des Elementes ds fallende und
somit auf Stromverstärkung hinwirkende Componente dieser Kraft
bequem darstellen zu können, wollen wir dem Ausdrucke noch
eine etwas veränderte Gestalt geben. Aus der Gleichung
r^ = (x — x'Y -f («/ — y'y + (^ — s'y
folgt nämlich:
{ d (r2)
(42)
_ 2{x — x'),
ox ^ ^
02 (r^) _ _ 2 ^'
'dxos' ds'
Wenn man mittelst dieser Gleichungen x — x' und -^-j- aus ienem
^ ds' "^
dr 1 9(r2)
Ausdrucke eliminirt, und zugleich ;:— in der Form - — ^-^ schreibt,
ds 2r ds
so geht er über in:
, ^^j^, äsdi^^ rn djr^ dHr^ _E,d(j^ 5Hr!)l ^,..
* dt dt J [_r^ dx dsds' r ds dxds']
Will man nun statt der in die willkürlich gewählte a;-Rich-
tung fallenden Componente der Kraft die in die Richtung des Ele-
Neues electrodynamisches (Irundgesetz. 257
mentes ds fallende Componente haben, so braucht man nur die
Difl'erentialcoefficienten nach x durch entsprechende Differential-
coefficienten nach s zu ersetzen, wodurch man erhält:
1 hh' 'll ^ Je f l ?i!l) ?1^ _ E^djr^ dHrm ..
'"'\U dt V Ir' ds dsds' r ds dsds'j^
oder anders geschrieben:
'"" dt dt "^V V rjds' l
'^''^v,,>
ds
Dieser Ausdruck stellt die in einem einzelnen Elemente ds
im Sinne der Stromverstärkung wirkende Kraft dar. Soll nun die
Intensität des Stromes ungeändert bleiben, so muss das über den
ganzen geschlossenen Strom s ausgedehnte Integral dieses Aus-
druckes Null sein. Das in dem Ausdrucke schon vorkommende
über den Strom s' zu nehmende Integral
J \r^ r J OS l CS j
mit welchem das Element ds multiplicirt ist, muss also entweder
die Form eines Differentialcoefficienten nach s haben, oder Null
sein. Da nun das erstere durch keine Form der Function E., zu
bewirken ist, so muss man E^ so bestimmen, dass das Integral Null
wird, was erfordert, dass man setzt:
^ _ ^ _
worin c irgend eine Constante bedeutet, indem nur dadurch der
unter dem Integralzeichen stehende Ausdruck ein Differential und
somit das Integral selbst für jeden geschlossenen Strom Null wer-
den kann.
Aus dieser Gleichung folgt:
E^ = — — er.
Da nun aber das hierin vorkommende Glied — er in dem Aus-
drucke von X3 ein Glied geben würde, welches mit wachsendem
Abstände r grösser würde, und ein solches Glied in dem Ausdrucke
der Kraftcomponente nicht vorkommen kann, so muss die Con-
stante c gleich Null gesetzt werden, und man erhält somit zur Be-
stimmung von E.2 die Gleichung:
(43) ^2 = ^-
Clausius, mech. Wärmetheorie. II. iy
258 Absclmitt IX.
Es sind also von den vier in dem unter (38) gegebenen Aus-
drucke von X3 vorkommenden unbestimmten Functionen von r
zwei bestimmt, und durch Einsetzung ihrer Werthe geht die Glei-
chung (38) über in:
^ _\'k{x — x')'d'^ (r2) ,^8^^i7^ 8r^
(44) A3 — I -^^ g^^ -+- ^2 gg ^g, -t- ^3 gg, ^g
?)'^\E{x — x')\\ äs ds'
d^yE{x-x')\\
"^ dsds' ]
dt dt
§. 10. Anwendung der Inductionsgesetze.
Während wir bisher nur constante Ströme in ruhenden Lei-
tern betrachtet haben, wollen wir jetzt von der Beschränkung,
dass die Ströme constant seien, absehen und ferner noch die An-
nahme machen, dass der Leiter s sich bewege. Der Einfachheit
wegen wollen wir aber voraussetzen, dieser Leiter ändere seine
Gestalt nicht, und bewege sich nur mit sich selbst parallel, so dass
alle seine Elemente während des Zeitelementes dt ein gleich grosses
Wegelement d6 nach gleicher Kichtung zurücklegen.
Dann hat jedes in dem Leiter s befindliche positive Electri-
citätstheilchen gleichzeitig zwei Bewegungen, die, mit welcher es
ds
sich im Leiter bewegt, und deren Geschwindigkeit -y ist, und die,
mit welcher der Leiter sich bewegt, und deren Geschwindigkeit
— ist. Demnach müssen die auf die Bewegung dieses Electri-
dt
citätstheilchens bezüglichen Differentialcoefficienten nach t jetzt
anders ausgedrückt werden als früher. Statt eines Ausdruckes
von der Form
dV ds
ds dt'
worin V irgend eine von der Lage des Electricitätstheilchens ab-
hängige Grösse bedeutet, muss jetzt gesetzt werden:
dUdsd_Ud6
'ds dt '^ d6 dt'
und statt eines Ausdruckes von der Form
ds\ ds) \dt) ~^ ds dt^'
Neues electrodynamisches Grrundgesetz. 259
worin V noch irgend eine zweite von der Lage des Electricitäts-
theilchens abhängige Grösse bedeutet, muss jetzt gesetzt werden:
ds\ds)\(Uj ^ Löö V dsJ^dsV c
dU
ds da
dt dt
V
dV-
döjxdtj
ds df
dö df
Wollen wir nun die a;-Componente der Kraft bestimmen,
welche die in ds befindliche positive Electricitätsmenge lids von
der in ds befindlichen positiven Electricitätsmenge h' ds' erleidet,
so haben wir für dieselbe, wie früher, den allgemeinen Ausdruck
hh' dsds
' {^T^ + ^^ + ^2 + X3)
zu bilden, darin aber jetzt für Xx , X-j und X3 diejenigen Aus-
drücke zu setzen, welche aus (33), (27) und (44) durch die vor-
stehend angedeuteten Aenderungen hervorgehen, nämlich:
'ds\-^
^dt.
(45)
^^=U'^'^
' dx
^ ds
d /j^ dx\l ds d6
ds \ ' döjj dt It
+
9(t
JB,
\dt)
dx d
(46)
X,
06
d [B; (x — x')] ds'
+ ^i ^ ^ + ^i b
dx d^ö
ds dt
da dt^
ds'
dt
+ 8l[^'
dx'
ds'
7 -f C5 (rr — x')
drl /d^>
ds'j \dt^
(47)
Xo.
(hix
ds
\j^CUx-x')^]
ds
dr^ (Ps[
dt""
r
x') d'^(r-) . Je dr dx' , dr dx
2^3 dsds' ' r^ 8s ^7 "^ '^ ds' ds
+
d''[E(x
dsds'
x')]\ ds ds'
dt 'dt
H-
i 2r3 döds' "^ r2 dö ds' "^ ^ ds' dö
+
d'-[E(x
x'y\] da ds'
dt dt
döds'
Wollen wir ferner die a: - Componente der Kraft bestimmen,
welche die in ds befindliche positive Electricitätsmenge li ds von
17*
260 Abschnitt IX.
der in ds' befindlichen negativen Electricitätsmenge — Ji' ds' er-
leidet, so brauchen wir in den vorigen Ausdrücken nur h' ds' durch
— h' ds' zu ersetzen und ferner, weil die in ds' befindliche nega-
. ds'
tive Electricität in Ruhe ist, — = 0 zu setzen. Dadurch wird
X2 = 0 und X3 = 0, während Xi ungeändert bleibt. Demnach
reducirt sich der Ausdruck dieser Kraftcomponente auf
- hh' ds ds' {^-^ -f X^ ■
Daraus ergiebt sich für die ;r-Componente der Kraft, welche
die in ds befindliche positive Electricitätsmenge hds von dem
Stromelemente ds'^ also, von den beiden Electricitätsmengen h' ds'
und — h' ds zusammen, erleidet, der Ausdruck:
hh'dsds' (X, -f X3).
Integrirt man diesen Ausdruck nach s', so erhält man die
a:-Componente der Kraft, welche die in ^s befindliche positive Elec-
tricitätsmenge hds von dem ganzen Strome s' erleidet, und es gilt
also, wenn man diese Kraftcomponente mit dihds bezeichnet, die
Gleichung
(48) ae = h'f(X, -f X3) ds',
worin man für X2 und X3 die unter (46) und (47) gegebenen Aus-
drücke zu setzen hat. Bei der Ausführung der Integration geben
alle in jenen Ausdrücken vorkommenden Glieder, welche die Form
von Differentialcoefficienten nach s' haben. Null, und können daher
fortgelassen werden, so dass man erhält:
* = ^' ^7[^' S' + ^' (^ - -'> Ij] ''
, ^ -,, ds ds' rrx — x' 82(^2) 1 dr dx'l , ,
j_lj, ädds[ fVx — x' 8^ (r^) I 2_ ^ ^1 ^ /
'^TtlÜj\r2^d6d^^^dödI'\'^^
Diese Gleichung kann man noch mittelst der schon im vorigen
Paragraphen angewandten Gleichungen:
, dr , dx' , d^(r^)
X ~ x' ^=2 r ■—- und -— = — i ' ,
ex ds -^ oxos
umformen in:
l^eues electrodynamisches Grundgesetz. 261
(50)
ae = i A'
oxds ' ox öS J
-^"^ dt Tt
^ , d6 ds
'-I
r d^ (»-2)
dx dsds'
1
r 0' (r^) r
Jx döds' "' "äö
r 92 (y2j
ÖS 9ä;8s
1
\\ds
82 (r2j
8a;os'J
ds'.
Um aus diesem auf die rr- Richtung bezüglichen Ausdrucke
den entsprechenden auf die Richtung des Elementes ds bezüglichen
Ausdruck abzuleiten , brauchen wir wieder nur die Diiferential-
coefficienten nach x durch solche nach s zu ersetzen. Dann heben
die unter dem zweiten Integralzeichen stehenden beiden Glieder
sich gegenseitig auf, und wir erhalten , wenn wir die in die Rich-
tung des Elementes ds fallende Componente der Kraft, welche die
Electricitätsmeuge hds von dem Strome s' erleidet, mit <Bhds be-
zeichnen, die Gleichung:
f @ _ 1 7/ ^'s' r\ B ^"^'"^ 4- C ^' ^ ^'"A d,'
(51)
I 17,7/ f^<5 ^^S
-^ -'''''' dt dt
■-I
7)1
r 82 (r2)
gl
r 82 (r2)
8s 8ö8s' ' 80 8s8s'
ds'.
Das Product (Bds ist dasjenige, was man die in dem Leiter -
demente ds inducirte electromotorische Kraft nennt,
und demnach stellt das Integral ( <B ds die in dem ganzen Leiter
s inducirte electromotorische Kraft dar.
Die Integration nach s bringt wieder ein Glied zum Ver-
schwinden. Betrachten wir nämlich das DoppeKntegral
IJ
ds döds
so ist zu bemerken, dass die Grösse
82 (r2)
dx dx' , dy dij' , d.z ds'
' ~r ;^rt /7o' ~r
0.
8ö8s' " V8ö ds' ' 8ö ds' ' 80 ds'
welche wir auch durch — 2 cos (ös') bezeichnen können, wenn
{6s') den Winkel zwischen dem von ds zurückgelegten Bahn-
elemente d6 und dem Stromelemente ds' bedeutet, von s unab-
262 Abschnitt IX.
hängig ist, weil der ganze Leiter s sich mit sich selbst parallel be-
wegt, und somit alle seine Elemente eine und dieselbe Bahnrich-
tung haben. Man kann also das obige Integral so schreiben:
1
fds' ?^M f
d
-^— äs.
ds
Hierin lässt sich die Integration nachs sofort ausführen, und giebt
für einen geschlossenen Strom Null.
Betrachten wir ferner das andere Doppelintegral
1
//
^- ^^^r-,- ds ds ,
dö ds CS
so können wir hierin, da der Differentialcoefficient ^ \ ,, welcher
dsds
nach (35) gleich — 2cos s ist , sich bei der Bewegung des Leiters
s nicht ändert, und somit von 6 unabhängig ist, setzen:
1
j' ~ öö" L r 8s8s'J'
8ö 8s8s'
und da ferner die Grösse ö, nach welcher hier diff'erentiirt werden
soll, von den Grössen s und s', nach welchen der ganze Ausdruck
integrirt werden soll, unabhängig ist, so können wir die Differen-
tiation nach 6 auch ausserhalb der Integralzeichen andeuten, und
demnach statt des obigen Doppelintegrals schreiben:
d_ r ri 82 (r2)
d<jj J r 'dsds'
dsds'.
Wir erhalten daher zur Bestimmung der im Leiter s inducir-
ten electromotorischen Kraft die Gleichung:
(52)
/
© ds
= \h'
dt' J J [ ^' 8787 + ^' ds ds' J '^''^'
, .,, ds' d<5 d r r\ 82(r2) ^ ^ ,
lKh'^r--j-^— - ^ \ / dsds.
2 dt dt döj J r dsds'
Auf diese Gleichung wollen wir nun den Satz anwenden,
dass, wenn entweder der Leiter s in einer bestimmten
Lage in der Nähe des Leiters s' verharrt, aber im letzte-
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 263
ren die Stromstärke von Null bis zu einem gegebenen
Werthe wächst, oder die Stromstärke in s' unveränder-
lich diesen Werth hat, aber s sich aus unendlicher Ent-
fernung bis zu jener Lage heranbewegt, in beiden Fällen
eine gleich grosse Inductionswirkung in s stattfindet.
Um die während irgend einer Zeit stattfindende Inductions-
wirkung zu bestimmen, haben wir den Ausdruck, welcher die in-
ducirte electromotorische Kraft darstellt, mit dt zu multipliciren
und dann über die betreffende Zeit zu integriren. Im ersten der
beiden vorher genannten Fälle ist nun — = 0, so dass das zweite
Glied des in (.52) gegebenen Ausdruckes verschwindet, und im er-
sten Gliede ist das Doppelintegral von der Zeit unabhängig und
nur der als Factor vor demselben stehende Differentialcoefficient
d^s' . ds'
-772" ist nach t zu integriren und giebt -=-• Die in diesem Falle
stattfindende Inductionswirkung ist daher:
dtj J [_ dsds ds ds J
2
Im zweiten Falle ist -j-j = 0, so dass das erste Glied des Aus-
druckes verschwindet, und das zweite Glied lässt sich sofort nach
t integriren, und giebt:
ds' r ri d^(r'-)
^kh''--^ f f-P~^dsds'.
^ dtJ J r dsds
Diese beiden Grössen müssen, jenem Satze nach, unter ein-
ander gleich sein, ihre Differenz muss also den Werth Null haben,
und man erhält daher die Gleichung:
^''^ J J[{7 + ^^)did7-^-^d-si^\'^'^'=''
Das zweite in der eckigen Klammer stehende Glied können
wir noch so umändern :
^_drd (r^)
OS ids J J dsdsj
ds ds'
und da von den beiden hier au.f der rechten Seite stehenden Glie-
dern das erste bei der Integration über einen geschlosseneu Strom
s NuU wird, so geht die vorige Gleichung über in:
264
Abschnitt IX.
" <^^> IAt + ^* +1"^ '^'■] Sil? '' '' = 0-
Wenn diese Gleicliung für jede zwei geschlossene Ströme er-
füllt sein soll, so muss der vor dem Differentialcoefficienten zwei-
ter Ordnung als Factor stehende Ausdruck constant sein, und wir
können also, wenn a eine Constante bedeutet, setzen:
(55)
7+^* +
Cr; dr = a.
Fassen wir nun das Integral mit der Constanten a in ein Zeichen
zusammen, indem wir setzen:
a
= I C., dr — a,
so erhalten wir;
(56)
^^ = - ^ + (^\
^ da
Hierdurch sind wieder zwei der unbestimmten Functionen,
welche in dem Ausdrucke von X^ noch vorkommen, auf Eine zu-
rückgeführt, und die unter (27) gegebene zur Bestimmung von X^
dienende Gleichung geht jetzt über in:
_ d {B^ (x - x')] dl
ds' dt
X, = -
drl d^
dt""
oder anders geschrieben:
j^ d [B-i (x — x')] ds'
' ~ 8? dt
X')]]
(57)
d_
ds'
r ds'
ds'
d^Gix-x')]] d^s'
dt)
ds'
dt'
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 265
§. 11. Zusammenfassung der bisher gewonnenen
Resultate.
Nachdem durch die in den Paragraphen 7. bis 10. angestellten
Betrachtungen die Ausdrücke von Xi, X2 und X3 die unter f33j,
(57) und (44) gegebenen vereinfachten Formen gewonnen haben,
wollen wir sie in die Gleichung (23), nämlich
Z = ^^-f X, + Z, + Z3
einsetzen. Dadurch erhalten wir zur Bestimmung der aj-Compo-
nente der Kraft, die ein Electricitätstheilchen , welches während
der Zeit dt den Weg ds zurücklegt, von einem anderen, welches
während derselben Zeit den Weg ds' zurücklegt, erleidet, die
Gleichung :
X =
X — «' 8 ( -^ dx\(ds\ 1 -p dxd^s d[jB^(x — x')] ds'
:(^4-f)(l)+^^
ds\ dsj\dtj ds dt^ ds' dt
"•"ös' 1 r ds' "^ ds' J \dt)
j_ !_• 1 ^' I d[G(x — x'J]] dh'
r ds' ds' J dt
. \Jc(x — x') d^(r^) , li dr dx'
"^ 1 2/3 dsds' ' r2 äs ^
, „ dr dx , d^[E(x — x')]] ds ds'
ds' ds ' dsds' j dt dt
Hierin lassen sich einige Vereinfachungen machen. Bedenkt
man, dass x' nur von s', dagegen r von s und s' abhängt, so sieht
man, dass man schreiben kann:
d /Ti dx'\ /ds'\^ Ji dx' d^s' j^ h dr dx' ds ds'
~ ds'\7 17) \di) " 7 ds' ~dW ^ r^ ds Js' dt ~di
d / 1 dx'^
dt \r dt
wodurch sich drei der oben vorkommenden Glieder in eines zu-
sammenziehen. Ferner kann man aus denselben Gründen schreiben;
d / j. dx\ /dsY I 73 dx d^s
d~s \ ' lü) \ßi) '^^TsW
d /t3 dx\ dBi dr dx ds ds'
~di\^ Jt) dr ds' JsdtlÜ'
(58)
266 Abschnitt IX.
Setzt man sodann zur Abkürzung:
^ dr dB^ dr _ dF
^ ds' dr ds'~~ ds'
und führt noch für Bi und — ^3 die einfacheren Zeichen H und
J ein , so nimmt die zur Bestimmung von X dienende Gleichung
folgende Form an:
_ X — x' d [J(x — x')] ds^ . d''[G{x — x')] /cUy
rs "^ ds' dt ^ ds'^ \dt)
"1 ds' dt^^dt\dt)~dt\rdt)
. \l{x — x') d^ (r^) dFdx , d^[E(x — x')]] ds d^
"^ i~~27ä dsds'^ds' d^'^ dsds' ] dt dt'
Bei der Ableitung dieser Gleichung sind neben der Annahme,
dass nur Eine Electricität im festen Leiter strömen könne, nur
solche Sätze zur Anwendung gebracht, welche sich auf die gegen-
seitige Einwirkung geschlossener Ströme beziehen, und da diese
Sätze als vollkommen sicher zu betrachten sind, so darf behauptet
werden, dass der in dieser Gleichung gegebene Ausdruck von X
unter der Voraussetzung von nur Einer im festen Leiter beweg-
lichen Electricität der einzig mögliche ist.
Dabei ist noch zu bemerken, dass die Zulässigkeit dieses Aus-
druckes nicht auf den Fall, wo nur Eine Electricität als strömend
vorausgesetzt wird, beschränkt ist, sondern dass er auch dann zu-
lässig bleibt, wenn man annimmt, der galvanische Strom bestehe
aus zwei nach entgegengesetzten Richtungen gehenden Strömen
von positiver und negativer Electricität, wobei es gleichgültig ist,
ob man diese beiden Ströme ihrer Stärke nach als gleich oder ver-
schieden annimmt.
Wenn man zu den im ' Obigen angewandten Sätzen noch die
Bedingung hinzufügen wollte, dass die Abhängigkeit der Kraft von
der Entfernung nach einem einheitlichen Gesetze stattfinden müsse,
so würde man aus der blossen Vergleichung der Glieder, welche
noch unbestimmte Functionen von r enthalten, mit denen, in wel-
chen die Functionen schon bestimmt sind, noch weitere Schlüsse
über die Form der Functionen ziehen können, und zwar würde
man durch diese Betrachtungen zu dem Ergebnisse gelangen, dass
die Functionen E, F, G und H sämmtlich die Form — . const. ha-
r
ben müssten, so dass also statt jener unbestimmten Functionen
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 267
nur noch unbestimmte Constante in dem Ausdrucke von X blei-
ben würden. Indessen wollen wir uns Schlüsse dieser Art für jetzt
nicht erlauben, sondern statt dessen noch einen allgemeinen Satz
in Anwendung bringen.
§. 12. Anwendung des Princips von der Erhaltung
der Energie.
Wir wollen nun die Annahme machen, dass die Kräfte, welche
zwei bewegte Electricitätstheilchen auf einander ausüben, für sich
allein dem Princip von der Erhaltung der Energie genügen, wozu
erforderlich ist, dass die Arbeit, welche diese Kräfte bei der Be-
wegung der Theilchen während des Zeitelementes dt thun, durch
das Differential einer von den augenblicklichen Lagen und Bewe-
gungszuständen der Theilchen abhängigen Grösse dargestellt wird.
Um die Arbeit bestimmen zu können, denken wir uns nelien
dem unter (58) gegebenen Ausdrucke von X die entsijrechenden
Ausdrücke von Y und Z gebildet, und ebenso denken wir uns die
Grössen X\ Y' und Z\ welche sich auf die Kraft beziehen, die
das Theilchen e' von dem Theilchen e erleidet, in entsprechender
Weise ausgedrückt, wozu nur die accentuirten und unaccentuirten
Buchstaben gegen einander vertauscht zu werden brauchen. Un-
ter Anwendung dieser Ausdrücke bilden wir die Grösse
ee'
\ dt ' dt dt ' dt ' dt dt J
Diese Grösse muss, wenn das Princip von der Erhaltung der
Energie erfüllt sein soll, das vollständige Differential, oder, anders
gesagt, die in der Klammer stehende Summe von sechs Producten
muss der nach t genommene Differentialcoefficient eines aus den
Coordinaten und Geschwindigkeitscomponenten der beiden Theil-
chen gebildeten Ausdruckes sein.
Da der unter (.58) gegebene Ausdruck von X etwas lang ist,
so wollen wir seine Glieder einzeln oder in kleinen Gruppen nach
einander betrachten, um zu sehen, wie bei ihnen die Summe der
sechs Producte sich gestaltet.
Das erste Glied ist
oder
»1
r
268 Abschnitt IX.
und die Summe der sechs Producte lautet daher
i r dx ^ r dy , r ds . r dx'
\dx dt '^ dy dt^ dz dt^ dx' dt
r
^dy'
dy'
dt
+
r
dz'
dz'
dt
und lässt sich zusammenziehen in:
, 1
—
d-
r
dt
Das
zweite
GHed ist:
d [J{x -
-x')]
ds'
ds'
dt
Um dieses mit dem Difierentialcoefficienten j- zu niultipliciren,
zerlegen wir den letzteren in das Product -^ -j- und multiplici-
et S Ctv
ren mit dem Factor -=- , welcher von s' unabhängig ist, unter dem
0/ s
Differentiationszeichen, also :
dx~
ds ds'
ds' dt dt
Bildet man hierzu die entsprechenden Producte für die y- und
^-Axe und addirt zunächst nur diese drei Producte, indem man
dabei die Gleichung
{x — x') -r- ^ (y — y') -r -\- (z — z') -j- = r :^
-^ ds ^^ "^ ds ds ds
berücksichtigt, so erhält man:
dr
a [h. - .') f]
\ dsj ds ds'
dJ' dt li'
Ebenso geben die drei anderen Producte:
0r'
\ ds'J ds ds'
ds dt dt
Diese beiden Ausdrücke sind unter einander gleich, indem sich,
wenn man das Zeichen K mit der Bedeutung
(59) K=f.
Jr dr
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 269
einführt, der als erster Factor stehende Differentialcoefficient in
o3 TT
beiden durch ^ ^ , darstellen lässt, und die Summe der sechs
OS OS
Producte nimmt daher folgende Form an:
d^K ds ds[
dsds' dt dt
Das dritte und vierte Glied von (58), nämlich
d^[G(x — x')] fds'y , d[a(x — x')]d's'
m +
ds'^ \dtj ' ds' dt^'
kann man ganz ähnlich behandeln. Durch Addition der drei er-
sten Producte erhält man:
d^ Igt ^1 d Igt ^1
L ds] ds {ds\' L ds] ds d^
ds'^ dt \dt) ^ ds' dt dt""'
wofür man, wenn man das Zeichen B mit der Bedeutung
(60) R=fGrdr
einführt, schreiben kann:
d^R ds /ds'V , d^R ds d^s'
m+
dsds'^ dt \dtj ' dsds' dt dt^ '
und ebenso geben die drei anderen Producte:
d'^R /dsy ds^ . d^R ds^ d^
ds'^ds' \dt) dt ~^ dsds' dt dt""'
Die Summe aller sechs Producte ist also:
/ d^R cls^ d^R ds\dsd^. d^R /dsd^ cW d^\
\dsds'^ dt "•" ds^ds' dt) dt dt ' 8s es' \dt dt^ "^ dt dty'
was sich zunächst zusammenziehen lässt in:
d / d''R\ ds ds' . d'-R d {ds ds'
/dU{\ dsds[
\dsds') dt dt "*"
dt \dsds'J dt dt ' dsds' dt \dt dt
und dann weiter in:
dt \dsds' dt dt
Das fünfte Glied
d /jj-dx
dt V dt
270 Absclinitt IX.
giebt, wenn man zuerst die angedeutete Differentiation ausführt,
Q rjr*
und dann mit -j- multiplicirt :
dK /dx\^ . jj dx d^x
1t \dt) '^ cÜ JP'
was sich auch in folgender Form schreiben lässt:
r /^Yl , dH /dxy
l \dt) J + ^ "^ \dt) '
-y d
^dt
In gleicher Weise erhält man als anderes, auch auf die x-Axe be-
zügliches, aber das accentuirte x enthaltendes Product:
^ dt L \dt) \ "^ 2 -dt\dt)'
Bildet man nun die entsprechenden Producte für die y- und ^-Axe,
so kann man die Summe aller sechs Producte zusammenziehen in:
2 dt \ \\dt) "^ \dt) W "^ ^ dt \\dt) ^\dt)\'
Das sechste Glied
T d /l dx'
dt \r dt
giebt durch Ausführung der angedeuteten Differentiation und
durch Multiplication mit -r- :
et z
d-
r dx dx' -j 1 dx d^x'
dt dt dt r dt dt^
In gleicher Weise erhält man wieder als anderes auch auf die
x-kxe bezügliches Product, in welchem aber das accentuirte und
das unaccentuirte x gegen einander vertauscht sind:
, r dx dx' , 1 dx' d^x
dt dt dt r dt dt^
Die Summe dieser beiden Producte kann man in folgender Form
schreiben :
d-
-, d /l dx dx'\ , r dx dx'
dt\r dt dt) dt dt dt
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 271
Bildet man nun die entsprechenden Producte für die y- und ;5;-Axe
und berücksichtigt dabei die Gleichung
dx dx' _. dy dy' ,_ dz dz' ^ ?>'^{r'^) ds ds'
It dt ^ dt dt ^ dt dt ~ ~ ^ dsds' dt ~dt'
so erhält man als Summe aller sechs Producte:
d^
l d (l 82 (y2) eis ds'\ .1 r d^r^ ds ds'
2 dt \r dsds' dt dtj ' 2 dt dsds' dt dt
Das siebente Glied
K.x — x') 82 (r 2) ds ds^
2r3 8s 8s' dt dt'
oder, anders geschrieben,
gl
_ k r 82 (r2) ds ds[
~ J'dx'dsdVTt dt
giebt als Summe der sechs Producte:
d^
_ 7^ r 82 (r2) ds ds^
2 dt dsds' dt dt'
Dieser Ausdruck hebt sich gegen einen Theil des beim sechsten
Gliede erhaltenen Ausdruckes auf, so dass man für das sechste
und siebente Glied zusammen als Summe der sechs Producte ein-
fach erhält:
l d {l 82 (r2) ds ds''
2 dt \r dsds' dt dt
Das achte GHed
dF dx ds ds'
ds' ds dt dt
giebt als Summe der sechs Producte, wie man leicht sieht:
d_F /dsY ^ i_ M" ^ f^'^^
ds' \dt) dt "^ ^s dt \dt
Das neunte und letzte Glied
d^[E(x — x')] ds ds^
dsds' dt dt
schreiben wir zunächst in der Form :
d VdE '\ _j_ r ^-^l ^^ ^^'
g7 [g^ (^ - ^) + ^ ^J ^ -^,
272 Absclmitt IX.
welche wir auch noch so umändern können:
d r dE dr dr j^ dxl ds ds'
ds' L dr ds dx dsj dt dt
Zugleich setzen wir für -rr- das Product -^ — 7- und multipliciren
dt ds dt
cioß
mit -r- unter dem DifFerentiationszeichen. Wenn wir dann die ent-
ds
sprechenden Producte für die y- und ;2-Axe bilden, und die Summe
dieser drei Producte nehmen, so erhalten wir:
ds' L dr \dsj ^ J \dtj dt'
und somit als Summe aller sechs Producte:
ds'
r äE /d^y . 1 fdsy ds[ . d_r ^f^y,p]^/ds\^
~' V Tr \ds) "^ J \dt) dt'^ds V dr \ds') '^ \dt\dt)'
Vereinigen wir nun alle bei den einzelnen Gliedern von (58)
als Summe der sechs Producte gewonnenen Ausdrücke, so erhalten
wir folgende Gesammtsumme :
d^
r d'^K ds ds' , d / d^B ds ds'
' — jü~ + ^
dt dsds' dt dt ' dt \dsds' dt dt
'^2dt\r dsd7 dt dt) "^ ds' \dt) dt "^ ds dt \dt)
_8_r dE/dr\^ l,/ds\^d^ d_V ^ / ^^ y , ^1 ^ /^ Y
'^ds'V drKds)'^ \\dt) dt ^ dsV dr \d s' ) '^ \dt\dt)'
welche Gesammtsumme wir auch, unter Zusammenfassung der
Glieder, welche Differentialcoefficienten nach^ sind, und etwas ver-
änderter Anordnung der übrigen Glieder, so schreiben können:
j ( 1 . (l d^jr^) ■ d^Bylsds' 1 rj\fäs\^ /^A'll
dt\ r'^\2rdsds''^dsds')dt dt '^^^ [\dt) '^\dt) Jj
d^K ds_d^ dJI /dsV' , 1 ^ fdsy
"^ dsds' dt dt ' 2 ds \dt) "^ " ds' \dt)
+Ä[4f(i^r+^+^+^^]^:(i^)
Neues electrodyniiinisches Grrundgesetz. 273
Dieser ganze Ausdruck muss, Avcnn das Priiicip von der Er-
haltung der Energie für die Kräfte, welche die beiden Electricitäts-
theilchen auf einander ausüben , erfüllt sein soll , ein Differential-
coefficient nach t sein. Da nun der erste Theil des Ausdruckes
schon äusserlich als Differentialcoeffient nach t liezeichnet ist, so
haben wir unser Augenmerk nur auf den übrigen , aus fünf Glie-
dern bestehenden Theil zu richten. Diese Glieder sind alle in Be-
zug auf die Difi'erentialcoefficienten erster Ordnung -^ und -^
dt dt
von höherem als erstem Grade, während die Diöereutialcoefficien-
ten zweiter Ordnung ^— - und -^^7^ in ihnen nicht als Factoren vor-
dP dt''
kommen. Daraus folgt, dass weder ein einzelnes der Glieder noch
irgend eine Gruppe derselben ein Differentialcoefficient nach t sein
kann. Demnach muss die Summe dieser fünf Glieder Null sein,
ds ds'
und das wiederum kann für beliebige Werthe von -j- und -j- nur
dann der Fall sein, wenn alle fünf Glieder einzeln Null sind,
erhalten also folgende fünf Bedingungsgleichungen:
Wir
(61)
dsds
dH
ds
dH
ds'
d_
ds
d_
ds
-, = 0,.
= 0,
= 0,
dE
^K^0+^+-+i-] =
r dE/drV'
V dr \ds')
^E^F-l\H
]
0.
Die erste dieser Gleichungen, welche sich auch so schreiben
lässt :
dK d^r
dUl drd^_
dr'^ dsds' '
dr dsds'
kann für beliebige Bahnen der Electricitätsth eil eben nur dann er-
füllt sein, wenn
dr
woraus nach (.59) weiter folgt:
(62) J=0.
Cialis ins, mcch. Wärmcthoorie. II. Jg
274
Absclinitt IX.
Die beiden folgenden der Gleichungen
(61),
nämlich
ds
= 0 und g^,=
0,
geben zunächst:
H = const
Da aber der in (58) gegebene Ausdruck von X das Glied S -^
enthält, welches, wenn If einen angebbaren constanten Werth hätte,
einen von der gegenseitigen Entfernung der Electricitätstheilchen
unabhängigen Bestandtheil der Kraft darstellen würde, und ein
solcher nicht vorkommen kann, so muss sein:
(63) H=0.
Die beiden letzten der Gleichungen (61) lauten, wenn man
H = 0 setzt und die angedeuteten Differentiationen ausführt :
V drj /dry 8^: _i 2 ^ ?I 8^r , d(E -}- F) ^_q
dr \dsj ds' ' dr ds dsds' "^ dr ds' '
d f ^\
V dr) dr /dry , ^ ^ ^ B^r d(E -^r F) dr _ q
dr ds \ds'/ dr ds' dsds' dr ds ' •
welche Gleichungen nur dann für beliebige Bahnen der Electricitäts-
theilchen erfüllt sein können, wenn man hat:
(64) -— = 0 und -— = 0,
^ dr dr
wodurch E und F genügend bestimmt sind, da nur die Differential-
coefficienten dieser Grössen in (58) vorkommen.
Nach diesen Bestimmungen nimmt der Ausdruck der von den
gegenseitigen Kräften der beiden Electricitätstheilchen während
des Zeitelementes dt geleisteten Arbeit folgende einfache Gestalt an :
^^ dt[ r ~^ \2r dsds' "^ dsds') dt dt\ '
und die Gleichung (58) geht über in:
(65)
^^/dRx — ^'\ /dRx — x'\
-^ X — x' . \dr r J /ds'y , \dr r )d^s'
~~r3 ' d7~^ \dt) ^ ds' Ht^
h
d /l dx'\ h(x — x') 82 (r2) ds ds'
\r dt)'^
dt \r dtj ' 2/3 dsds' dt dt'
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 275
welche Gleichung sich noch einfacher so schreiben lässt:
(66) { 8^ V "^ 2 dsds' dt dt) dt \r dt)
d_ Vd^ fdsy , dB d^l
~^ dxlds'^ \dt) "^ ds' dtU'
§. 13. Das electrodynamische Potential.
Nach dem vorher angeführten Ergebnisse unserer Betrach-
tungen wird die Arbeit, welche die von zwei bewegten Electricitäts-
theilchen auf einander ausgeübten Kräfte während des Zeit-
elementes dt leisten, dargestellt durch das Differential des folgen-
den Ausdruckes:
^^ [r \2r dsds' '^ dsds') dt dtj'
Nun wird bekanntlich bei der Betrachtung der electrostatischen
Kräfte diejenige Grösse, deren negatives Differential die Arbeit
darstellt, das Potential der beiden Electricitätsth eilchen auf
einander genannt, und dem entsprechend kann man auch den vor-
stehenden, nur durch Fortlassung des äusseren Minuszeichens
abgeänderten Ausdruck als Potential im erweiterten Sinne be-
zeichnen. Dabei kann man auch die beiden Theile, welche sich
auf die electrostatischen und auf die von der Bewegung abhängigen
oder electrodynamischen Kräfte beziehen, einzeln betrachten und
danach das electrostatische und das electrodynamische
Potential von einander unterscheiden. Bezeichnen wir das erstere
mit U und das letztere mit F, so ist dem Vorigen nach zu setzen :
(67) U^i^,
, /h 8H»'') , S'-ß \ ds ds'
Der hier gegebene Ausdruck des electrodynamischen Potentials
ist bei der Annahme von nur Einer im festen Leiter beweglichen
Electricität der einzig mögliche.
Die in ihm noch vorkommende, mit B bezeichnete unbe-
stimmte Function von r lässt sich aus den Wirkungen geschlossener
18*
276 Abschnitt IX.
Ströme überhaupt nicht bestimmen, und man ist daher, wenn man
auch sie noch bestimmen will, für jetzt auf Wahrscheinlichkeits-
gründe angewiesen.
Macht man die schon am Ende des §.10 erwähnte Annahme,
dass die Abhängigkeit der Kraft von der Entfernung nach einem
einheitlichen Gesetze stattfinden müsse, so gelangt man zu dem
Schlüsse, dass
(69) R = \r
zu setzen ist, worin Zq eine Constante bedeutet. Dadurch geht
(68) über in :
(70) r=-ee'am + h «"■^''^<^^'
2r dsds' ' ' dsds'J dt dt
Sucht man ferner noch durch Bestimmung der Constanten hy
diesen Ausdruck möglichst einfach zu machen, so findet man
zunächst, dass zwei Werthe sich in dieser Beziehung besonders
auszeichnen, nämlich y^i = 0 und Ici = — Tc, welche geben:
ee' dHr^) dsds'
^'^ ^ ^ ^2r dsds' dt dt'
. ^. TT -. ee' dr dr ds ds'
^^^-^ ^ -~~^ Trsd^'dilt'
Diese beiden Formeln sind äusserlich nahe gleich einfach; benutzt
man sie aber zu Rechnungen, indem man aus ihnen die Kraft-
componenten zu bestimmen sucht, so findet man, dass für diese
aus der ersteren Formel viel einfachere Ausdrücke entstehen, als
aus der letzteren, und man wird also, wenn man dasjenige Kraft-
gesetz erhalten will, welches, während es allen bis jetzt bekannten
Erscheinungen entspricht, zugleich möglichst einfach ist, Jci = 0
oder, was auf dasselbe hinauskommt, jR = 0 zu setzen haben.
Da der Ausdruck des electrodynamischen Potentials kürzer
und übersichtlicher ist, als diejenigen der Kraftcomponenten , so
ist er ganz besonders dazu geeignet, die verschiedenen bis jetzt
aufgestellten electrodynamischen Grundgesetze (mit Ausnahme des
Gauss' sehen, welches dem Princip von der Erhaltung der Energie
nicht genügt) unter einander zu vergleichen, und es möge hier
eine Zusammenstellung der Art Platz finden. Die zur Bestimmung
des electrodynamischen Potentials dienende Gleichung ist
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 277
1) nach Weber i):
2) nach Kiemann 2):
V =
1_ ee' ^
(.2 Y
\dt dt J ~^ \dt dt) ~^ \dt ~ Tlt) y
3) nach den von mir ausgeführten Entwickelungen
a) in allgemeinster Form:
T^ , /h d'(r^) . d^R\ ds ds'
,2r dsds' ' dsds'J dt dt'
h) in vereinfachter Form:
-r. , fh dHr'-) . , dH \ ds ds'
,2r dsds' ' ' dsds'J dt dt '
c) in einfachster und daher wahrscheinlichster Form:
Y_ _.e^ 9^ jr^) ds cU
~ 2r dsds' dt dt'
Dem letzten Ausdrucke kann man auch folgende Gestalt geben:
, , ^ , ee' /dx dx' . dy dy' _, dz dz'
^ ^ T\dt dt^dtJi'^dtlt
oder, wenn man mit v und v' die Geschwindigkeiten der beiden
Electricitätstheilchen und mit s den Winkel zwischen ihren Bewe-
gungsrichtungen bezeichnet:
(74) V = 1 — vv' cose.
r ■
§. 14. Ableitung der Kraftcomponenten aus dem
Potential.
Um nun aus dem electrostatischen und electrodynamischen
Potential wiederum die Kraftcomponenten abzuleiten, hat man
Gleichungen anzuwenden, in denen das electrodynamische Potential
in derselben Weise vorkommt, wie in den auf allgemeine Coordi-
naten bezüglichen mechanischen Grundgleichungen von Lagrange
1) Po gg. Ann. Jubelband S. 212.
2) Schwere, Electricität und Magnetismus, nach den Vorlesungen von
Bernh. Riemann bearbeitet von Hattendorjff, Hannover 1876, S. 326.
278
Absclmitt IX.
die lebendige Kraft. Für die in die ii;-Ric]itung fallende Compo-
nente der Kraft, welche das Theilclien e erleidet, lautet die
Gleicliung:
d{V- U) _ d_ /8F'
dx dt { „ dx
VTt
(75)
Xee'
Hierin hat man für ü und V die unter (67) und (68) gege-
benen Ausdrücke einzusetzen. Aus dem ersteren erhält man
einfach :
(76)
du
dx
ee
r
'dx'
Den letzteren, welcher bei der Differentiation als Function der
sechs Coordinaten und der sechs Geschwindigkeitscomponenten zu
behandeln ist, wollen wir so umformen, dass die Geschwindigkeits-
componenten explicite in ihm vorkommen. Der Bequemlichkeit
wegen wollen wir dabei V in zwei Theile zerlegen, indem wir
setzen:
(77) F=Fi-t-F2,
worin Vi und V2 folgende Bedeutungen haben:
Y _ _ ^ g^ (r^) dsds^
^ ~~ 2r dsds' dt dt
Icee' /dx dx' j_ dy dy' |^ dz dz'\
^ ~r \di dt ^ dt dt '^ dt ~dt)'
r,=
ee
d^B ds ds'
— ee <
dsds' dt dt
d'-B_ dxdx^_. d^R dx dy' , d^R dx ds'^
1 äJ 11 r
dxdx' dt dt
d^B dydx^.
dxdy' dt dt
d^B dydy'
1 +
dydx' dt dt ' dydy' dt dt
d^B dzdx' , d'^B dz dy'
^+ \
+
dxds'- dt dt
d^B dy dz'
dydz' dt dt
d^B dz dz'
dzdx' dt dt ' dzd^j' dt dt
Dann erhalten wir für den ersten Theil:
f rH^ ^+ \ T^r) 'Av' ^ +
dzdz' dt dt
Neues electrodynamisclies Grundgesetz. 279
(78)
dV,
r /dx dx'
dy dl/ . d^ ds'''
dx dx \dt dt ^ dt dt ^ dt dt J
„ dx
^dt
liee' dx'
~7~ dt'
d
r d^(r^) ds ds^
dx ds ds' dt dt '
(79)
d_
dt
_ dx
^di
= liee'
d /l dx'
dt
\r dtr
und für den zweiten Theil erhalten wir
8F2 . d f d^B ds ds'
(80)
dx
dV,
^Tt
— ee
dx \dsds' dt dt
-'(;
82E dx' , d^B dj/ j_ d^B ds'
dxdx' dt ' dxdy' dt ' dxdz' dt
_ _ , d_ /dB dx' . dB dij' . dB ds'
~ ^^ dx \dx' dt ' dij' dt "^ ds' dt,
ee
d /dB ds'
d_
dt
dr^\
^ dx ]
^JtJ
= — ee
dx \ds' dt
A
dt
Vd_ /dB ds\'
[dx \ds' dtjy
was sich auch so schreiben lässt;
dt { ^ dx
^Tt
dv^x _ _ / _8_ r_^ /^ ^\
dx
r_rf /dB ds\]
[dt\ds' dtj\
oder endlich:
dt i „ dx
^dt
(81)
dx L
d r d^B ds ds^
dsds' dt dt
d^ /dsy-
ds'^ \dt.
dB d's'l
+ ds' dt'}
Setzt man nun die unter (76), (78), (79), (80) und (81) gege-
benen Ausdrücke in die Gleichung (75) ein, nachdem man in der
letzteren V durch Vi -\- V^ ersetzt hat, so erhält man :
280 Abschnitt TX.
Y — — ^ Fl -^ - ^^ (^^) ^ ^1 _ 7.. A (L ^M\
8^ L "^ 2 dsds' dt dtj dt \r dt)
. d_ Vd^ /dsy , dB d^l
"+" dx Las' 2 \dt) "^ ds' dt'^y
welches die oben unter (66) gegebene Gleicbung ist.
Die Recbnung vereinfaclit sich offenbar sehr, wenn man für
B den Werth Null annimmt, welcher in §. 13 als der wahrschein-
lichste bezeichnet wurde. Dann erhält man:
d-
dx\ '^2 dsds' dt dt) dt\r dt)
(82)
al
rr -j /dxdx' .dydy' .d^dsi'\l , c? /l dx'\
~~dxl\ßtlt'^Tt7iI^Mdt)\~di\r dt)
d-
In dieser Form habe ich die Gleichung, welche zur Bestimmung
der in eine Coordinatenrichtung fallenden Kraftcomponente dient,
und sich natürlich für die beiden anderen Coordinatenrichtungen
auf entsprechende Art bilden lässt, zuerst in einer Mittheilung
vom Februar 1876 aufgestellt.
§. 15. Kraftgesetz für Stromelemente.
Will man die Ä;-Componente der Kraft bestimmen, welche ein
Stromelement ds von einem Stromelemente ds' erleidet, so hat
man die unter (66) gegebene Gleichung auf folgende vier Combi-
nationen von je zwei Electricitätsmengen anzuwenden: lids und
h' ds', hds und — h' ds', — hds und h' ds'i — li ds und — li' ds',
indem man dabei hds und li' ds' als bewegt, dagegen — hds und
— li' ds' als ruhend betrachtet. Von den dadurch erhaltenen vier
Ausdrücken hat man die algebraische Summe zu nehmen. Man
gelangt dadurch für die gesuchte Kraftcomponente zu dem
Ausdrucke :
7)1. 7)1-
jj, . , ,j ( 1 % 8'(r2) r dx'\ ds ds'
IUI asas i^y--,-^ g^^ --dJ d^)Ttdt
Neues electrodynamisches Grundgesetz. 281
oder anders geschrieben:
1
^ 1
y
^-
d —
r
r
dx'
cos s -
—
—
dx
ds
ds'-
hh' ds ds' h \ -t~- cos s — ^ ^^ I -n ti'
\ dx ds ds / dt dt
Bezeichnet man die Stromintensität, d. h. die während der
Zeiteinheit durch einen Querschnitt fliessende Electricitätsmenge,
für die beiden Ströme mit i und ^', indem man sicli dabei die
Electricitätsmenge nach demselben mechanischen Maasse gemessen
denkt, welches in allen obigen Gleichungen angewandt ist, so kann
ds ds'
man i und i' an die Stelle der Producte Ji -^ und h' -=- setzen,
dt dt
und erhält dann für die ^-Componente der Kraft, welche das
Stromelement ds von dem Stromelemente ds' erleidet, den
Ausdruck:
kii' ds ds' \ -7^ — cos s ^-r
\ox CS ds
In diesem Ausdrucke kommt die unbestimmte Function R
nicht vor, sondern sie hat sich bei der Bildung der oben erwähnten
Summe fortgehoben. Wir haben also für die in eine gegebene
Richtung fallende Componente der Kraft, welche ein Stromelement
von einem andern erleidet, einen vollkommen bestimmten Ausdruck
gewonnen, von dem wir sagen dürfen, dass er der einzige ist,
welcher sich mit den beiden Annahmen, dass nur Eine Electricität
im festen Leiter beweglich sei, und dass die gegenseitigen Ein-
wirkungen zweier Electricitätstheilchen für sich allein dem Princip
von der Erhaltung der Energie genügen, vereinigen lässt.
Einen hiermit vollständig übereinstimmenden Ausdruck für
die von einem Stromelemente auf ein anderes ausgeübte Kraft
hat H. Grassmann schon im Jahre 1845 (Poggendorff's Annalen
Bd. 64, S. 1) aus sehr sinnreichen Betrachtungen ganz anderer
Art abgeleitet, worin eine erfreuliche Bestätigung unserer oben
ausgeführten Entwickelungen liegt.
ABSCHNITT X.
Anwendung des neuen' electrodynamischen Grundge-
setzes auf die zwischen linearen Strömen und Lei-
tern stattfindende ponderomotorischen und electro-
motorischen Kräfte.
§. 1. Unterscheidende Eigenthlimlichkeiten des
neuen Grundgesetzes.
Im vorigen Abschnitte ist für die gegenseitige Einwirkung
zweier bewegter Electricitätsth'eilchen ein neues Grundgesetz abge-
leitet, welches sich von den früher aufgestellten sehr wesentlich
unterscheidet. Dieser Unterschied ist in §. 13 des vorigen Ab-
schnittes schon einmal dadurch ersichtlich gemacht, dass die den
verschiedenen Gesetzen entsprechenden Formeln des electrodyna-
mischen Potentials zusammengestellt sind; es wird aber nicht
unzweckmässig sein, diese Vergleichung hier noch einmal unter
einem besonderen Gesichtspuncte vorzunehmen.
Wenn zwei Puncte sich bewegen, so kann man bekanntlich
ausser den absoluten Bewegungen der beiden einzelnen Puncte
auch die relative Bewegung beider Puncte zusammen betrachten.
Unter der Bezeichnung relativer Bewegung werden aber noch
zwei wesentlich von einander verschiedene Begriffe verstanden.
Seien x, y, ^ und x', y'., s,' die rechtwinkligen Coordinaten der
, ., -r, . , dx dij dz T dx' dl/ dz' ,.
beiden Puncte, so dass -tt' -ti--> t- und -77-1 -rf-' -it die
dt dt dt dt dt dt
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 283
Geschwindigkeits-Componenten der beiden absoluten Bewegungen
darstellen, dann sind
dx dx' dy dy' dsi ds'
dt df dt dt'' dt dt
die Geschwindigkeits-Componenten der relativen Bewegung im
gewöhnlichen Sinne des Wortes. Ausserdem wird aber von manchen
Autoren, insbesondere von W. Weber, die relative Bewegung
auch so aufgefasst, dass darunter nur die Zu- oder Abnahme der
gegenseitigen Entfernung der beiden Puncte verstanden, und dass
daher, wenn r ihre Entfernung zur Zeit t bedeutet, die relative
dy
Geschwindigkeit durch -7- dargestellt wird. Um diese letztere
relative Geschwindigkeit durch die Componenten der absoluten
Geschwindigkeiten auszudrücken, hat man die Gleichung
r = V (x ~ xy -f (y — ijy + (^ — z'y
nach t zu differentiiren, wodurch man erhält:
Die drei von Weber, Riemann und mir für das electrody-
namische Potential zweier bewegter Electricitätstheilchen auf
einander aufgestellten Formeln unterscheiden sich nun wesentlich
dadurch von einander, dass die eine oder die andere Art von
relativer Geschwindigkeit oder die absoluten Geschwindigkeiten
in ihnen vorkommen.
In der Weber' sehen Formel kommt die relative Geschwindig-
keit der letzten Art vor, indem die Formel lautet:
(2) v^-- — {-
^ ^ ^ c^ T \dt
dr
dt
die Formel über in:
Setzt man hierin für -^ den obigen Ausdruck ein, so geht
/o \ Tr 1 ß^T/- ,./dx dx'\ . . ,^/dy dii'\
+ (^-'Krt-%
284 Abschnitt X.
In der Riemann'sclien Formel kommt die relative Ge-
schwindigkeit der ersten Art vor, indem sie lautet:
(3) F=-i-
'/dx __ dx\^ \(dy__ dyy
\dt dt) '^ \dt dt)
i_ /ds dß'
^dt dt,.
In meiner Formel endlich kommen die Componenten der abso-
luten Geschwindigkeiten vor, indem sie lautet:
, „ , ee' /dx dx' _, dy dy' , dz dz'
^^ r \Tt It ^ Tt ~dt ^ dt ~di
Eine Vergleichung . der drei Formeln (2 a) , (3) und (4) lässt
sofort erkennen, dass für die absoluten Geschwindigkeiten die
letzte Formel bedeutend einfacher ist, als die beiden ersten, indem
sie sowohl in Bezug auf -^-? -^ und -^f-i als auch in Bezug
° dt dt dt
auf -TT-' -TT- und ^ homogen vom ersten Grade ist, während
dt dt dt
die beiden ersten Formeln die einzelnen Geschwindigkeits-Compo-
nenten auch quadratisch enthalten. Dieser Umstand trägt sehr
wesentlich zur Vereinfachung aller mit dem Potential anzustellenden
Rechnungen bei, und mit ihm hängt auch der Vorzug zusammen,
auf welchen ich das Hauptgewicht legen muss, nämlich dass das
durch meine Formel ausgedrückte Kraftgesetz allgemeiner zulässig
ist, als die beiden anderen.
Die von Weber und Riemann aufgestellten Kraftgesetze
stehen, wie zu Anfang des vorigen Abschnittes nachgewiesen ist,
nur dann mit der Erfahrung im Einklänge, wenn man die specielle
Voraussetzung macht, dass ein galvanischer Strom aus zwei
gleichen und entgegengesetzten Strömen von positiver und nega-
tiver Electricität bestehe. Anders das von mir aufgestellte Gesetz.
Bei der im vorigen Abschnitte ausgeführten Ableitung desselben
habe ich zwar der Einfachheit wegen auch eine specielle Voraus-
setzung über die Art der Electricitätsbewegung in festen Leitern
gemacht, nämlich die, dass nur die positive Electricität ströme,
während die negative Electricität fest an den ponderablen Atomen
hafte. Es wurde aber schon dort in §.11 darauf hingewiesen,
dass die Zulässigkeit des gewonnenen Ausdruckes nicht auf den
Fall, wo nur Eine Electricität als strömend vorausgesetzt wird,
beschränkt ist, sondern dass er auch dann zulässig bleibt, wenn
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 285
man annimmt, der galvanische Strom bestelle aus zwei nach ent-
gegengesetzten Richtungen gehenden Strömen von positiver und
negativer Electricität , wobei es gleichgültig ist, ob man diese
beiden Ströme ihrer Stärke nach als gleich oder als verschieden
annimmt. In der That kann man sich auch leicht davon über-
zeugen, dass alle Erfahrungssätze, welche im vorigen Abschnitte
der Entwickelung zu Grunde gelegt wurden, auch dann erfüllt
bleiben, wenn man den gewonnenen Kraftausdruck auf eine
Combination von zwei entgegengesetzten Strömen von positiver
und negativer Electricität, deren Intensitäten beliebig sind, an-
wendet.
Diese grössere Allgemeinheit der Zulässigkeit meiner Formel
ist sehr wichtig. Wenn man sich nämlich auch , wie ich es thue,
der von C. Neumann gemachten Voraussetzung anschliesst, dass
die negative Electricität fest an den ponderablen Atomen hafte, so
ist damit doch nur für diejenigen Leiter, welche die Electricität
ohne Mitbewegimg der Atome leiten, das Strömen der negativen
Electricität ausgeschlossen. Bei den electrolytischen Leitern
dagegen, bei denen die Electricitätsleitung durch Bewegung der
positiv und negativ electrischen Molecültheile vermittelt wird,
muss man für die entgegengesetzt electrischen Molecültheile auch
entgegengesetzt gerichtete Bewegungen annehmen, die aber wegen
der verschiedenen Beweglichkeit der verschiedenen Molecültheile
nicht mit gleicher Geschwindigkeit stattzufinden brauchen. Daraus
folgt, dass ein Kraftgesetz, dessen Zulässigkeit an eine ganz be-
stimmte Voraussetzung über die Bewegung der negativen Electri-
cität geknüpft ist (sei es die, dass die negative Electricität sich
eben so schnell bewege, wie die positive, oder die, dass sie sich
gar nicht bewege), nicht auf alle galvanischen Ströme in metalli-
schen und electrolytischen Leitern angewandt werden darf, sondern
dass dieses nur mit einem Kraftgesetze geschehen darf, dessen
Zulässigkeit davon, ob und wie schnell die negative Electricität
sich bewegt, unabhängig ist.
Wir wollen daher in den folgenden allgemeinen Entwicke-
lungen nicht nur für die positive, sondern auch für die negative
Electricität eine Strömungsbewegung in Rechnung bringen, wollen
aber das Verhältniss der Geschwindigkeiten der beiden Electrici-
täten unbestimmt lassen, indem wir zwei verschiedene Zeichen
für die beiden Geschwindigkeiten einführen, denen wir nachträglich
beliebige Werthe geben können. Dann können wir für jeden
286 Abschnitt X.
electrolytischen Leiter das Verhältniss der beiden Geschwindig-
keiten so annehmen, wie es der Natur des Leiters entspricht, und
für metaUische Leiter können wir, gemäss der Neumann'schen
Vorstellung, die Geschwindigkeit der negativen Electricität gleich
Null setzen. Ja man könnte auch, wenn man sich der Web er' sehen
Vorstellung anscbUessen wollte, für die metallischen Leiter die
Geschwindigkeit der negativen Electricität gleich der der positiven
setzen. Die auf diese Weise abgeleiteten Gleichungen haben also
den Vorzug, dass sie den verschiedenen Arten von Leitern und
den verschiedenen Vorstellungsweisen über die Electricitäts-
bewegung gleich gut angepasst werden können.
§. 2. Anwendung des neuen Grundgesetzes auf die in
bewegten linearen Leitern strömenden
Electricitäten,
Es möge nun das neue Grundgesetz dazu angewandt werden,
die zwischen zwei linearen Strömen stattfindenden ponderomotori-
schen Kräfte und die von einem linearen Strome auf einen linearen
Leiter ausgeübten Inductionswirkungen zu bestimmen.
Nach diesem Gesetze gilt, wenn Xee' die :r-Componente der
Kraft darstellt, welche ein zur Zeit t im Puncte a?, y^ ß befindliches
bewegtes Electricitätstheilchen e von einem anderen um die
Strecke r von ihm entfernten, im Puncte x\ y\ z' befindlichen
bewegten Electricitätstheilchen e' erleidet, folgende Gleichung:
gl
_ r V fdx ds^ dy dy^ _, dl d0\\
(t)j JL- - ^- 1^1 — /c ^^^^ ^^ -^ dt dt ^ dt dtj]
d /l dx'
dt \r dt
Um diese Gleichung und ebenso auch die weiter unten
folgenden, aus ihr abgeleiteten Gleichungen bequemer schreiben
zu können, wollen wir ein Summenzeichen von eigenthümlicher
Bedeutung einführen. Wenn nämlich eine Summe aus drei
Gliedern besteht, welche sich auf die drei Coordinatenrichtungen
beziehen, im Uebrigen aber unter einander gleich sind, so wollen
wir nur das auf die a?-Richtung bezügliche Glied wirklich hin-
schreiben und das Vorhandensein der beiden anderen durch das
Anwendung des neuen Grrundgesetzes. 287
Summenzeichen andeuten, wie aus nachstehender Gleichung zu
ersehen ist:
2jdi dt ~^ dt dt ^ dt dt "' dt dt '
Dadurch geht die vorige Gleichung über in :
^ ^ / ^ ^^dx dx'\ T d {l dx'\
Diese Gleichung wollen wir nun auf die in zwei linearen
Leitern strömenden Electricitäten anwenden. Es mögen also zwei
von galvanischen Strömen durchiiossene Leiter s und s' gegeben
sein, welche sich bewegen können und deren Stromintensitäten
veränderlich sein können. Li einem Leiterelemente ds denken
wir uns gleiche Mengen von positiver und negativer Electricität
enthalten, welche wir mit hds und —lids bezeichnen wollen.
Die positive Electricität habe die Strömungsgeschwindigkeit c nach
der Seite, nach welcher wir die Bogenlänge s als wachsend be-
trachten, und die negative Electricität habe eine nach der ent-
gegengesetzten Seite gehende Strömungsgeschwindigkeit, welche
wir mit — c^ bezeichnen wollen. Ebenso bezeichnen wir die in
einem Leiterelemente ds' enthaltenen Electricitätsmengen mit
h'ds' und — h'ds' und ihre Strömungsgeschwindigkeiten mit c' und
- Ci'- . -,
Richten wir nun zunächst unsere Aufmerksamkeit auf irgend
zwei in den beiden Leitern sich bewegende Electricitätstheilchen,
welche sich zur Zeit t in den Puncten x, y, s und x\ y', z' und im
gegenseitigen Abstände r befinden, so hat jedes dieser Electricitäts-
theilchen ausser seiner Bewegung im Leiter, welche wir kui'z die
Strömungsbewegung nennen und deren Geschwindigkeit wir,
wie oben bei der positiven Electricität, beim einen mit c und beim
anderen mit c' bezeichnen wollen, noch dadurch eine weitere
Bewegung, dass der Leiter selbst sich bewegt. Um die Antheile,
welche die beiden Bewegungen an der Yeränderung der Coordinaten
und des Abstandes haben, von einander unterscheiden zu können,
wollen wir folgende Bezeichnungsweise einführen.
Die Coordinaten eines in einem der Leiter festen Punctes
betrachten wir einfach als Fimctionen der Zeit f, die Coordinaten
des im Leiter s strömenden Electricitätstheilchens dagegen denken
wir uns als Functionen von t und s dargestellt, und betrachten
288 Absclinitt X.
dabei s selbst wieder als Function von t Demnacli ist für die
Coordinate x des Electricitätstheilcliens der vollständige Differen-
tialcoel'ficient nach t so zu schreiben:
dt "^ dt '^ d^ dt'
oder, wenn wir für den die Strömungsgeschwindigkeit darstellen-
den Differentialcoefficienten ^ das oben eingeführte Zeichen c an-
dt
wenden:
dx dx , dx
Ebenso gilt für das im Leiter s' mit der Geschwindigkeit c' strömende
Theilchen die Gleichung:
dx' _dx' , dx'
^^^ dt-m'^'^ds''
Entsprechende Gleichungen sind natürlich auch für die beiden
anderen Coordinatenrichtungen zu bilden.
Der Abstand r der beiden Electricitätstheilchen von einander
hängt wegen der Bewegung der beiden Leiter unmittelbar von f,
und wegen der Bewegung der Electricitätstheilchen in den Leitern
von s und s' und dadurch mittelbar von t ab. Der vollständige
Differentialcoefficient von - nacli t lautet daher:
r
(8) -W^^ + '^ + ^'w-
Wegen der in der Gleichung (.5 a) vorkommenden zweiten
Differentiation nach t müssen wir unser Augenmerk auch noch
auf das Verhalten der Geschwindigkeiten c und c' richten. Bei
einem galvanischen Strome kann die Geschwindigkeit der strö-
menden Electricitäten sich an jeder Stelle des Leiters mit der
Zeit ändern, weil die Intensität des Stromes veränderlich sein
kann, und ausserdem können, falls der Leiter in Bezug auf Quer-
schnitt und Stoff nicht überall gleich ist, die Geschwindigkeiten
an verschiedenen Stellen des Leiters verschieden sein. Wenn wir
nun dem entsprechend bei unserem zur Betrachtung ausgewählten,
im Leiter s sich bewegenden Electricitätstheilchen die Strömungs-
geschwindigkeit c als Function von t und s behandeln, so haben
wir zu setzen:
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 289
. . de de , de
und ebenso für das im Leiter s' sich bewegende Electricitäts-
theilchen :
(1°) ^ §-% + <^^-
Nach diesen Vorbemerkungen über die Behandlung der in
Betracht kommenden Grössen wollen wir die Kraft bestimmen,
welche ein Stromelement ds' auf eine in einem Puncte
concentrirt gedachte Electricitätseinheit ausüben
würde, wenn diese mit der Geschwindigkeit c im Leiter
s strömte.
Zunächst möge die Kraft bestimmt werden, welche die in dem
Elemente enthaltene positive Electricitätsmenge h'ds', die mit
der Geschwindigkeit c' strömt, auf jene Electricitätseinheit ausüben
würde. Die ^-Componente dieser Kraft wird durch das Product
h'ds'X dargestellt, in welchem für X der unter (5a) gegebene
Ausdruck zu setzen ist, wodurch kommt:
gl
dx \ '^-^ dt dt/ dt \r dt J
Hierin müssen wir das letzte Glied etwas näher betrachten.
1 ß/OC
Die Grösse - -r— ? welche durch Einsetzung des in (7) gegebenen
ßjOß
Ausdruckes von -^-r die Form:
dt
1 C^A. _4_ ' ?^\
r\dt'^^ ds')
erhält, ist als Function von #, s und s' anzusehen, und demgemäss
ist die angedeutete vollständige Differentiation nach t so auszu-
führen :
dt \r dt)~ dt \T dt) "^ ^ 8s \r dt) "^ ^ 9s' \r Jf)'
Diese Gleichung möge mit h' multiplicirt und dann das letzte
Glied in folgender Weise umgeformt werden :
ds'\r dt)~ ds'\ r dt) rdt ds'
Zugleich möge bei der im vorletzten Gliede angedeuteten Differen-
Clausius, mech. Wärmetheorie. 11. jn
290 Absclmitt X.
tiation berücksichtigt werden, dass nur r von s abhängig ist.
Dann kommt:
- gl
...^ 1, f^ /l dx'\ -,, d /l dx'\ , ,, r dx'
(11) '' Tt{TTt) = ^' ^t[vTt) + ^'T^dt
'^ ds' \ r dt) r dt ds'
dOi'c')
Der hierin vorkommende Differentialcoefficient \ , lässt sich
OS
durch einen anderen ersetzen. Das Leiterelement ds' ist von
zwei Querschnitten des Leiters begrenzt, welche sich an den durch
die Bogenlängen s' und s' + ds' bestimmten Stellen befinden.
Durch den ersten Querschnitt strömt während der Zeit dt die
Menge h' c' dt von positiver Electricität in das Element hinein.
Durch den zweiten Querschnitt strömt die Menge
dQi'c')
(^,',>^^^ds')dt
aus dem Elemente heraus. Die während der Zeit dt stattfindende
Zunahme der in dem Elemente enthaltenen positiven Electricitäts-
menge ist also:
ds
Eben diese Zunahme wird aber andererseits durch:
TTT ds' dt
et
dargestellt, und man erhält somit die Gleichung:
dih'c') _ dh'
(12)
ds' dt '
und dadurch geht die Gleichung (11) über in:
.1
d (l_ d^\ _-., d_(\^ d^\ , _v_d^.d_ /^ d^\
^ dt \r dt)~ dt \r dt)'^ "^ ds dt '^ ds'\ r dt)
1 dx' dh'
'^ r dt dt'
Hierin lässt sich an der rechten Seite das erste und letzte Glied
in eines zusammenziehen, so dass die Gleichung lautet:
Anwendung des neuen Clrundgesetzes.
291
ei
^, , , d /l dx'\ d /h! dx'\ _. -., r dx' _. Ö fh' c' dx'\
^^"-^ ^ Tt\V Jt)- dt \^ It)^ '' "^1)^11 '^'^'\T Tt)'
Durch Einsetzung dieses Werthes in das letzte Glied des
obigen Ausdruckes der Kraftcomponente geht derselbe über in :
'=S
dx dx'\ 7 ^ / ö A' ^^'
'dt'dt)~ ^ \Jt \7 dt
d-
,, r dx' , 8 A'c' dx^
Hierin müssen wir nun endlich noch für -^- und ^— ihre unter
dt dt
(6) und (7) gegebenen Werthe einsetzen, wodurch wir folgenden
Ausdruck für die Ä;-Componente der von der positiven Electricitäts-
menge y ds' ausgeübten Kraft erhalten :
ai
_,w^[i-.2(| + ^|f)
- ^^^ ' äl
t
■r dt f 8s
0+
+ -
ai
r
r ds
{n''^^k'c'
d_x[
ds'
')
Will man ferner die a;-Componente derjenigen Kraft aus-
drücken, welche die in dem Elemente ds' enthaltene negative
Electricitätsmenge — h' ds' auf die im Leiter s gedachte Electri-
citätseinheit ausüben würde, so hat man dazu im vorigen Aus-
drucke nur h' und c' durch — 7^' und — c[ zu ersetzen, wodurch
man erhält:
— Ä;c?s'|_
Ä'9£'
r dt
yjx^ d_^
r ds'
., 0>4- \ „, T^r.' ) 'T'
8i
r
d_ /Ji/_c[ d_x^ _
~T" ä7 V r dt
ds
h' c[^ d_x'
r ds
D
19-
292 Absclinitt X.
Durch Addition dieser beiden Ausdrücke erhalten wir die
ic-Componente der zu bestimmenden Kraft, welche das Strom-
element ds' auf die im Leiter s gedachte, mit der Geschwindigkeit
c strömende Electricitätseinheit ausüben würde. Bei der Aus-
führung der Addition möge berücksichtigt werden, dass die Summe
y c' 4- h' c[ die Stromintensität in s' bedeutet, welche wir mit *'
bezeichnen und in allen Theilen des Leiters als gleich annehmen
wollen. Wenn wir dann noch unter Einführung eines neuen
Zeichens dieselbe a;-Componente durch ids' darstellen, so erhalten
wir die Gleichung:
r ?^1 d-
7 •,^-v-«/8^i '^oc\dx' d fi'dx'\ ., rdx'
~* ds'\r dt^ r ds[
Entsprechend lauten natürlich auch die zur Bestimmung der y-
und 0-Componente derselben Kraft dienenden Gleichungen.
§. 3. Ponderomotorische Kraft zwischen zwei
Stromelementen.
Aus der im vorigen Paragraphen bestimmten Kraft, welche
die im Leiter s gedachte Electricitätseinheit von dem Strom-
elemente ds' erleiden würde, können wir nun leicht auch die
Kräfte ableiten, welche die in einem Leiterelemente ds wirklich,
enthaltenen beiden Electricitätsmengen hds und —hds von dem
Stromelemente ds' erleiden.
Um die a;-Componente der Kraft zu erhalten, welche die
positive Electricitätsmenge hds, deren Geschwindigkeit c ist,
erleidet, brauchen wir nur den obigen Ausdruck von i mit hdsds'
zu multipliciren , und diese Componente wird somit dargestellt
durch :
Tchdsds
V dx 2^\dt^^ ds) ds' dt \r ds')
., % 8^' ., d_ (l^ 8^' , c' — c\ 0^\
" ^* 8s 8s' * 8s' \rdt'^ r ds')-'
Anwendunof des neuen Grrundoresetzes.
293
Um ferner die x-Componente der Kraft zu erhalten, welche die
negative Electricitätsmenge — hds erleidet, brauchen wir in dem
vorigen Ausdrucke nur h und c durch — h und — Ci zu ersetzen,
wodurch wir erhalten:
— kJidsds
r ^-
2(
dx
dt
Ci
dx
ds
d_x^
ds'
d_
dt
dj_
ds'
•. !j1 ?^ _ •/ _S_ /J_ 9^' I c' - c'i d_x[\
+ ^^* ds ds' * ds'\r dt ^ r ds' )-\'
Die Summe dieser beiden Ausdrücke bedeutet die a:-Compo-
nente der ponderomotorischen Kraft, welche das Strom -
Clement ds von dem Stromelement ds' erleidet. In dieser
Summe heben sich alle Glieder, welche nicht c oder Ci als Factor
haben, gegenseitig auf, und es bleibt:
1^
r
■ dx ^=^ ds ds' ds ds' ,
Hierin kann man noch das Product h (c + cj, welches die Strom-
intensität in s bedeutet, durch das Zeichen i ersetzen. Indem
wir den Ausdruck dann, unserer früheren Bezeichnung gemäss,
gleich ^dsds' setzen, erhalten wir die zur Bestimmung von |
dienende Gleichung, zu welcher wir auch die entsprechenden zur
Bestimmung von iq und t, dienenden bilden wollen, nämlich:
JiJidsds' (c -f- Ci)i'
^^ dx dx'
r dx
15)
I = Mi'
Mi'
r
dx
fd'-
d~
>^ dx dx' r dx'
1
.
e = Mi'
r -sr^ dx dx'
^dy ^ ds ds'
ei
r
dj[_
ds'
Sdx dx'
ds e?
r dz
Diese Gleichungen kann man noch dadurch umgestalten dass
man für die in ihnen vorkommende Summe andere gleichbedeu-
tende Ausdrücke substituirt. Aus der Gleichung:
r2 = (^ - x!y + (2/ - y'y -\-{z- z'y-
ergiebt sich:
294 Abschnitt X.
dsW ~ ~ \ds ds' "^ ds ds' ~i ds ds'J ~~ ^ ds ds''
Bezeichnet man ferner, wie oben, den Winkel zwischen den Rich-
tungen der beiden Stromelemente ds und ds' mit (ss'), so ist:
cos (ss) = V ^ 5-7-
Infolge dieser beiden Gleichungen kann man der ersten der Glei-
chungen (15) folgende Formen geben:
/ ol ol
, .., 1 r 82(^2) ^ r dx'
(16) | = _7,..'^-_^ + __
/^ 1 .1
I 7 ^ 7 e.r'
(17) | = 7,^i'V-g|-^os(ss')-^gfr
und in gleicher Weise lassen sich natürlich auch die beiden letzten
der Gleichungen (15) umgestalten.
In Bezug auf diese hier gewonnenen, und auch schon im
letzten Paragraphen des vorigen Abschnittes aus einer weniger
allgemeinen Betrachtung abgeleiteten Ausdrücke für die Compo-
nenten der ponderomotorischen Kraft, welche das Stromelement
ds von dem Stromelemente ds' erleidet, ist zunächst zu bemerken,
dass sie davon, ob der galvanische Strom aus der Bewegung nur
Einer Electricität oder aus der Bewegung beider Electricitäten
besteht, ferner davon, ob die Stromelemente in Ruhe oder in
Bewegung sind, und ob die Stromintensitäten in ihnen constant
oder veränderlich sind, nicht beeinflusst werden.
Ihrer Richtung nach unterscheidet sich die durch diese
Ausdrücke bestimmte Kraft von derjenigen, welche Ampere ange-
nommen hat, wesentlich dadurch, dass sie nicht in die Verbindungs-
linie der beiden Stromelemente fällt.
Die durch den Mittelpunct von ds gehende Gerade, in welcher
die Kraft wirkt, lässt sich leicht geometrisch bestimmen. Nach
der Form der obigen Ausdrücke, welche aus je zwei Gliedern
bestehen, zerfällt die Kraft in zwei Componenten, von denen die
erste eine Anziehung von der Stärke:
T .., 1 j I cos iss')
Kit dsds ^ — -
ist, und die zweite die Richtung des Elementes ds' und die Stärke:
Anwendung dos neuen Grundgesetzes. 295
«7 18,.
— liii' dsds' -TT — oder liii' ds ds' — 7—
OS r^ ÖS
hat. Daraus folgt, class jene Gerade, in welcher die Kraft wirkt,
in der durch r und ds' gelegten Ebene liegen muss. In dieser
Ebene bestimmt sich ihre Richtung weiter dadurch, dass sie auf
dem Elemente ds senkrecht sein muss. Die in die Richtung des
Elementes ds fallende Componente der Kraft wird nämlich dar-
gestellt durch:
dsds'U^^ + ^p + ip),
\ ds ' ds ' ösj
und wenn man hierin für |, rj, t, die unter (15) gegebenen Aus-
drücke einsetzt, und dabei die Gleichung:
9 — o S— ^ 9— Q S —
r ox ^^ r dy _. r dz r
dx ds dy ds dz ds ds
berücksichtigt, so hebt sich Alles auf und der Ausdruck wird
Null, woraus folgt, dass die Kraft nur auf dem Elemente senkrech t
sein kann.
Ein anderer wesentlicher Punct, in welchem die aus dem neuen
Grundgesetze abgeleitete Kraft von der Ampere' sehen abweicht,
ist folgender. Wenn die beiden Stromelemente so gerichtet sind,
dass sie mit ihrer Verbindungslinie zusammenfallen, so würden sie
nach der Ampere'schen Formel eine Abstossung oder Anziehung
auf einander ausüben, je nachdem die Ströme im gleichen oder ent-
gegengesetzten Sinne stattfinden. Nach den obigen Formeln dage-
gen ist für diesen Fall die Kraft gleich Null. Ich glaube nicht, dass
irgend eine erfahrungsmässig feststehende Thatsache dem letzteren
Resultate widerspricht. Man betrachtet zwar gewöhnlich die Bewe-
gung, welche ein auf zwei mit Quecksilber gefüllte parallele Rinnen
gesetzter metallischer Schwimmer beim Durchgange eines galvani-
schen Stromes annimmt, als einen Beweis für die Richtigkeit des
aus der Ampere'schen Formel abgeleiteten Ergebnisses; ein
solcher Schluss scheint mir aber nicht gerechtfertigt zu sein, da
diese Bewegung sich auch auf andere Weise erklären lässt, näm-
lich aus der Wirkung, welche die Electricität beim Uebergange
aus dem Quecksilber in den festen Leiter und aus dem festen
Leiter wieder in das Quecksilber auf die ponderablen Atome
ausübt, und welche auch in zusammenhängenden Leitern bei der
296 Abschnitt X.
Ueberwindung des Leitimgswiderstandes stattfindet, aber hier
keine sichtbare Bewegung, sondern nur Wärme hervorbringen
kann.
Zur weiteren Vergleichung unserer oben bestimmten Kraft
mit der von Ampere angenommenen kann besonders die in Ab-
schnitt VIII. unter (2) gegebene, aus der Ampere'schen Formel
abgeleitete Gleichung dienen, nämlich :
* \dx ^ ^ ds ds' ^ ds' L> ^ Ss J
Diese Gleichung unterscheidet sich von der unter (17) gegebenen
nur durch das letzte Glied. Da dieses Glied ein Differentialcoeffi-
cient nach s' ist, so giebt es bei der Integration über einen ge-
schlossenen Strom s' oder auch über ein beliebiges System von
geschlossenen Strömen den Werth Null. Daraus folgt, dass in
allen Fällen, wo es sich um die von geschlossenen Strömen (zu
denen auch Magnete zu rechnen sind), ausgeübten ponderomoto-
rischen Kräfte handelt, die aus der Ampere'schen Formel abge-
leiteten Resultate mit den aus dem neuen Grundgesetze sich erge-
benden übereinstimmen.
§. 4. Bestimmung der inducirten electromotorischen
Kraft.
Wir kehren nun zurück zu der Gleichung (14), nämlich:
\ -f _Ji^ {^ _, dx\dx[ d_ /i/_ dx\
\J dx ^\dt~^ ^ ds) ds' dt \r ds'J
., d /l dx' .c' — c{ dx'
* ^77 Ir "^ ~r
ds' \r dt ^ r ds'JJ
Die durch diese Gleichung bestimmte Grösse g ist dadurch definirt,
dass das Product ids' die a;-Componente der Kraft darstellt, welche
eine im Leiter s gedachte, mit der Geschwindigkeit c strömende
Electricitätseinheit von dem Stromelemente ds' erleiden würde.
Bezeichnet man die y- und ^-Componente derselben Kraft mit
li)ds' und ids't so sind die Grössen t) und g natürlich durch ganz
entsprechende Gleichungen zu bestimmen. Bezeichnet man ferner
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 297
die in der Richtung des Leiters s fallende Componente derselben
Kraft mit ^ds\ so gilt für § die Gleichung:
Diese Grösse, welche dem Folgenden nach von c unabhängig
ist, steht nun mit einer anderen, um deren Bestimmung es sich
im Folgenden handelt, in unmittelbarer Beziehung. Das Product
%äsds' stellt nämlich dasjenige dar, was man die von dem
Stromelemente ds' in dem Leiterelemente ds inducirte
electromotorische Kraft nennt. Bezeichnet man also die von
einem endlichen Strome s' in einem endlichen Leiter s inducirte
electromotorische Kraft mit £", und demgemäss die von dem
Stromelemente ds' in dem Leiterelemente ds inducirte electromo-
torische Kraft mit ^ ^ . dsds\ so hat man zu setzen:
dsds
§ =
dsds'
Dadurch geht die vorige Gleichung über in :
^ osds 8s ds ds
Wenn man hierin für % den oben angeführten Ausdruck und
für ^ und 5 die entsprechenden Ausdrücke einsetzt, so heben sich
die mit dem Factor c behafteten Glieder gegenseitig auf, und die
übrigen geben :
d'^E
dsds'
V d-
— f^\J ^g 2j ^t ^s' 2j gs dt \r ds')
.,8/1 '^ dx dx' . c' — c'i -sr^ dx dx'\
~" * ds' \r -^ ds dt '^ r ^ ds ds')
Hierin kann man setzen:
1
., r -s-^ dx dx' .,8/1 '^ dx dx'\ i' ^^ d-x dx'
* "äi^ele? — * d^\7 ^di e?/ ~ 7 -^ dtds el'
und dann weiter:
r^8^8s8s' ^dsdt\r ds')~ dtXr -^
dx dx'
ds 8?
298 Abschnitt X.
wodurch die obige Gleichung übergeht in:
^ ^ dsds'~ l dt\r ^ ds as7 + * ds\r ^ dt ds' )
~ * ds'\r^dldt^ r ^ ds ds')\ '
Dieser Gleichung kann man noch etwas andere Formen geben.
Wenn d6 und dö' die unendlich kleinen Bahnen sind, welche die
Leiterelemente ds und ds' während der Zeit dt zurücklegen, so
kann man setzen:
dx dx d6 _. dx' dx' dö'
dt ~ d6 ~dt dt ~ d0' Jt'
oder unter Einführung der Zeichen:
noch kürzer:
dö T , dö'
y = ^ und y = ^,
dx dx ^ dx' , dx'
dt dö dt dö
Dadurch geht (19) über in:
/'9o^ ^'^ — z r_ _?- /^i! x^ ^ ^^ -1- ■' A fi^'^ ?^\
^ ^ dsds' ~ [ dt\r -^ ds ds') "^ ' ds\r ^dö ds')
~ * d^ \r -^^ dö'^ r ^ 8s d7)\ '
Bezeichnet man nun wieder, wie früher, den Winkel zwischen den
Richtungen der beiden Leiterelemente ds und ds' mit (ss'), und
ferner den Winkel zwischen den Richtungen des Leiterelementes
ds und des Bahnelementes dö' mit (so'), sowie den zwischen den
Richtungen von dö und ds' mit (ös'), so kann man die obigen
Summen durch die Cosinus dieser Winkel ersetzen, und erhält:
/on ^'^ _ 7. r ^ (i^cosiss^ , ., d (y cos {ös')\
^^^^ d^' -''\rdt V r ) + ' d~s \ r )
., d fy' cosjsö') (c' — cQ cos (ss')\]
~' d^\ r + r )]'
Aus dieser unter (19), (20) und (21) in verschiedenen Formen
gegebenen Differentialgleichung kann man durch Litegration die
inducirte electromotorische Kraft für jedes Stück des inducirenden
Stromes und jedes Stück des inducirten Leiters berechnen.
Ist der inducirende Strom s' geschlossen, so giebt das letzte
Glied bei der Integration nach s' den Werth Null, und man erhält:
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 299
(02) 1^ = - ;4 fl^^iS^ ,,,- + w 8 fy ^»^ "-'-n ,u'.
^ '' ds dt J r dsj r
Diese Gleichung stimmt mit den von Fr. Neumann aufgestellten
Inductionsgesetzen überein.
Ist der inducirte Leiter s geschlossen, so gieht bei der Inte-
gration nach s das zweite Glied den Werth Null, und es kommt:
/oox 9^ 78 ri' cos(ss') ,
ds'J \ r ' r /
Sind endlich s und s' beide geschlossen, so fallen bei der
doppelten Integration nach s und s' die beiden letzten Glieder
fort, und man erhält daher für die von einem geschlossenen
Strome s' in einem geschlossenen Leiter s inducirte electromotori-
sche Kraft die einfache Gleichung:
(24) E=-Tc ^Jp-^2lJi£l 4s äs',
worin man zur Andeutung der Differentiation nach t statt des
runden 8 auch das aufrechte d anwenden kann, da der zu differen-
tiirende Ausdruck nur noch von t abhängt.
Ganz in derselben Weise, wie wir vorher die vom Strome s'
im Leiter s inducirte electromotorische Kraft bestimmt haben,
können wir natürlich auch die vom Strome s im Leiter s' inducirte
electromotorische Kraft bestimmen. Bezeichnen wir diese mit E
und demgemäss die von einem Stromelemente ds in einem Leiter-
d'^E'
elemente ds' inducirte electromotorische Kraft mit ^ _ , ds ds\ so
dsds
ist zu setzen:
. 8 fy cos (ös') I (c — Ci) cos (ss')
ds \ r
(c — Ci) cos (s s )V\
§. 5. Arbeit der ponderomotorischen und electro-
motorischen Kräfte.
Nachdem für zwei von electrischen Strömen durchflossene
Leiter elemente ds und ds' die auf einander ausgeübten pondero-
300 Absclmitt X.
motorischen Kräfte und die gegenseitig in einander inducirten
electromotorisclien Kräfte bestimmt sind, lässt sich auch die von
diesen Kräften gethane Arbeit leicht angeben.
Die Componenten derjenigen ponderomotorischen Kraft,
welche äs von ds' erleidet, wurden durch die Producte i,dsds\
rjdsds' und t,dsds' dargestellt und die darin vorkommenden
Grössen |, -ij, g durch die Gleichungen (15) bestimmt, und wenn
man in entsprechender Weise die Componenten der ponderomoto-
rischen Kraft, welche ds' von ds erleidet, durch ^' dsds\ rj'dsds'
und l' dsds' darstellt, so kann man zur Bestimmung von |', ri\ i,'
dieselben Gleichungen anwenden, nachdem man in ihnen die
accentuirten und unaccentuirten Buchstaben gegen einander ver-
tauscht hat.
Will man nun die Arbeit bestimmen, welche diese Kräfte bei
der Bewegung der Elemente während der Zeit dt leisten, so hat
man folgenden Ausdruck zu bilden:
dy ^ ^dz ^ ^,dx' , ,dy' ^ ^, ^£'^
dt.
1 i;i. /j.örc 1 dy . ^dz , ^,dx' . ,dy' . ,,
Substituirt man hierin für |, rj, ^, |', -jj', ^' ihre Werthe, so erhält
man:
,, , , - I Ty^dxdx' r^sr^dxdx' r-^dxdx'
ktt ^^^s (^i\-^ 2uYs d¥ ~ Ts ^Yt dl' ~dl'^d~s dt
Hierin kann man weiter setzen:
dt^dsds' ~"dt\r^dsds') r^di~"'
r -^ dx dx' 8/1 ^ dxdx'\ 1 ^ d^x dx'
Ys^dids'~dl\r^dt ds' ) "" 7 ^ dsdt ä?
gl
r s-^dxdx' d /l -^dxdx'^^ 1 ^o^ d^x'
ds'-^dsU~ds'\x-^'ds 'dt) ~ r ^ äs ds'dt '
wodurch entsteht:
Mi' ds ds'dt [A ri V - -^ - 1 T- T - -"l
KU asas at y^^ y^ 2j gs ^s'J ds \r ^ dt ds'J
d /l 1^ dx dx'\l
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 301
und wenn man hiermit dieselben Umformungen vornimmt, wie mit
(19), so erhält man für die auf die Zeit dt bezügliche Ar-
beitder zwischen zwei Stromelementen wirkenden ponde-
romotorischen Kräfte den Ausdruck:
Um die Arbeit, welche von der in einem Leiter inducirten
electromotorischen Kraft während der Zeit dt geleistet wird, aus-
zudrücken, haben wir die electromotorische Kraft mit der im
Leiter stattfindenden Stromintensität und dem Zeitelemente zu
multipliciren. Wenden wir dieses auf die beiden electromotorischen
Kräfte an, welche die Elemente ds und ds' gegenseitig in einander
induciren, so kommt:
/ d^E d^E' \
dsds'dt [i^-^-j -\- i' ^-^j)-
Setzt man hierin die unter (21) und (25) gegebenen Ausdrücke
ein, so heben sich mehrere Glieder gegenseitig auf und es bleibt:
7 7 7 f 7^ f • ö /*' cos (ss')\ , ., d /i cos (ss')\
-Msds'dt}^z^i^ _L_Zj _|_ ,' _ (^ _ ^ .
_^ .., Vd_ /(c - c,) cos (ss')\ ^ d_ /(c' - c[) cos (ss')V\]
Hierin lassen sich die beiden ersten in der grossen Klammer
stehenden Glieder durch folgende ersetzen:
d ZU' cos {ss')\ j_ • •/ ö fcos (ss')\
dt\ r ; + ** di\ i )'
so dass man für die auf die Zeit dt bezügliche Arbeit
der von den Elementen ds und ds' in einander indu-
cirten electromotorischen Kräfte folgenden Ausdruck
erhält :
d /ii' cos {ss')\ , .., fö /cos {ss')\
,..,,« {|(lLi^) + ,,[A(^
r /
, _8_ /(c — Ci) cos {ss')\ , d_ /{c' — c[)cos {ss')V\\
■^0sV r )'^ds'\ r )\Y
Addirt man nun die beiden gefundenen Arbeitsgrössen, so er-
hält man für die auf die Zeit dt bezügliche Arbeit aller
zwischen den Elementen ds und ds' wirkenden Kräfte
den Ausdruck:
302 Abschnitt X.
\ot\^ r / \jos\ r ' r J
■ d /y' cos {so') {c' — c[)cos{ss')V\\
'^ds'\ r "^ r )\\'
Bei der Integration dieser Ausdrücke nach s und s' treten
für den Fall, dass es sich um geschlossene Leiter und Ströme han-
delt, dieselben Vereinfachungen ein, welche schon in den vorigen
Paragraphen bei anderen Ausdrücken zur Sprache gekommen sind,
indem die Glieder, welche die Form von Differentialcoefficienten
nach s und s' haben, bei der betreffenden Integration, wenn der
Leiter geschlossen ist, den Werth Null geben. Sind s und s' beide
geschlossen, so bleiben nur die Integrale der Glieder übrig, welche
Differentialcoefficienten nach t enthalten. Führt man dann noch
zur Abkürzung das Zeichen w ein mit der Bedeutung:
(26) li) = hff^-^^-^ ds äs'
und bezeichnet die auf die Zeit dt bezügliche Arbeit der pondero-
motorischen Kräfte mit dAp^ die der electromotorischen Kräfte
mit dAe und die aller Kräfte einfach mit dA^ so lauten die Glei-
chungen :
(27) dAp = ii' dw
(28) dAe = — d(ii' w) — ii' dw
(29) dA = — d(ii'w),
welche Gleichungen mit den in den beiden letzten Paragraphen
des Abschnittes VIII. gegebenen übereinstimmen.
§. 6. Das electrodynamische Potential geschlossener
Ströme auf einander.
Bei der Aufstellung des neuen Grundgesetzes habe ich eine
Grösse gebildet, welche ich das electrodynamische Potential
zweier bewegter Electricitätstheilchen e und e' auf einander ge-
nannt und durch folgenden Ausdruck dargestellt habe :
, ee' /dx dx' j^ dy dy' ^^ dß dz'
~V \dt Jt ^ dt dt '^ dt dt
welchen man abgekürzt so schreiben kann:
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 303
, ee' -s^ dx dx'
Von dieser Grösse habe ich nachgewiesen, dass ihr negatives
Differential die Arbeit darstellt, die während der Zeit dt von
den Kräften, welche die Theilchen auf einander ausüben, gelei-
stet wird.
Da nun bei geschlossenen Strömen dieselben Electricitäts-
mengen, welche einmal in ihnen sind, auch in ihnen bleiben, so
kann man unter Anwendung des vorigen Ausdruckes auch das
electrodynamische Potential geschlossener Ströme auf
einander bilden, und dieses Potential muss ebenfalls jener Be-
dingung genügen , dass die von allen Kräften , welche die Ströme
auf einander ausüben, während der Zeit dt geleistete Arbeit durch
das negative Differential des Potentials dargestellt wird.
Um das Potential auszudrücken, betrachten wir zunächst zwei
Elemente, ds und ds\ der beiden Ströme. In diesen sind die Elec-
tricitätsmengen lids^ — hds^ h'ds' und — /*'(?s' enthalten. Die
Geschwindigkeiten dieser Electricitätsmengen sind in §. 2 näher
bestimmt und die in die ic-Richtung fallenden Componenten der-
selben werden dargestellt:
"ür die Menge
hds
durch
dx . dx
6t ^"^ ds
j: 75 55
— hds
55
dx dx
dt ""' ds
V V n
h'ds'
55
dx' . , dx'
dt "+" "^ ds'
n n ;?
— h'ds'
55
dx' , dx'
dt "^^ ds'
und entsprechende Ausdrücke gelten für die in die anderen Coor-
dinatenrichtungen fallenden Geschwindigkeitscomponenten. Indem
wir nun die vier Combinationen von je einer m ds und einer in
ds' enthaltenen Electricitätsmenge bilden, können wir für jede
dieser Combinationen das electrodynamische Potential der beiden
Mengen auf einander ausdrücken. Diese Potentiale werden dar-
gestellt
304 Absclinitt X.
„.. , , 7, T , 1 1 -, hh'dsds' sr^/dx , dx\/dx' , ,dx'\
für hdsu. h' ds anrch h >.[7rr-\-c ;^][ ttt-t C ^-j)
r ^^^\dt ' ds/\dt ds'J
, T 7/ 7 / Thh'dsds' ^srry/dx , dx\fdx' ,dx\
-Ms /i'^s' .hh'dsds'^/dx dxWdx' dx'
,7 7,7, -.hh'dsds' ^sr^/dx dx\fdx' ,dx'
Die Summe dieser vier Ausdrücke, welche das Potential der
beiden in dem einen Stromelemente enthaltenen Electricitäts-
mengen auf die beiden im anderen Stromelemente enthaltenen
darstellt, ist einfach:
, hh'dsds' , , . . , , fv -"v^ dx dx'
* —r (" + '^') (<^ + ''■) S 8? 8T
oder auch , wenn man die Producte h (c -j- Ci) und 7i' (c' -\- c[%
welche die Stromintensitäten bedeuten, durch i und »', und die
angedeutete Summe durch cos (ss) ersetzt:
-, .., cos (ss') 7 7 ,
kii' ^^ — - dsds,
r
Durch Integration dieses Ausdruckes über die beiden geschlos-
senen Stromcurven erhalten wir das Potential der beiden Ströme
auf einander. Indem wir dieses mit TT bezeichnen, gelangen wir
zu der Gleichung:
(30) W = Mi'ff^-^^^ dsds',
welche sich unter Anwendung des durch (26) definirten Zeichens
w noch kürzer so schreiben lässt:
(31) W=ii'w.
In Abschnitt VIIL, §. 6. wurde eine von Fr. Neumann einge-
führte Grösse erwähnt, welche wir das magnetische Potential
der Ströme auf einander nannten und mit Q bezeichneten, und
welche durch folgenden Ausdruck dargestellt wird:
T . ., r f'cos {ss') -, j ,
— Kii' I / — ^^ — - dsds'
oder unter Anwendung des Zeichens w durch:
— ii' w.
Anwendung des neuen Grundgesetzes. 305
Aus der Vergleichung dieses Ausdruckes mit dem für W gefunde-
nen ergiebt sich, dass das von uns aus dem Grundgesetze abge-
leitete electrodynamische Potential geschlossener Ströme auf
einander dem von Neumann eingeführten Potential dem absolu-
ten Werthe nach gleich, dem Vorzeichen nach aber entgegen-
gesetzt ist.
Betrachten wir nun endlich die am Schlüsse der vorigen
Paragraphen gegebenen Ausdrücke der während der Zeit dt ge-
thanen Arbeit, so sehen wir, dass die Arbeit aller von geschlosse-
nen Strömen auf einander ausgeübten Kräfte in der That durch
das negative Differential ihres electrodynamischen Potentials dar-
gestellt wird. Der für die Arbeit der ponderomotorischen Kräfte
allein gewonnene Ausdruck ii' dw dagegen ist nur dann das nega-
tive Differential des magnetischen Potentials, wenn die Strom-
intensitäten constant sind, oder wenigstens ein constantes Pro-
duct haben.
Clausius, meoli. Wärmetlieorie. II. rt«
ABSCHNITT XL
Discussionen über die mechanische Behandlung' der
Wärme und Electricität.
§. 1. Aus thermoelectrischen Ersclieinungen entnomme-
ner Einwand von Tait.
Schon am Schlüsse des ersten Bandes dieses Werkes ist davon
die Rede gewesen, dass Hr. Tait sein Verfahren, meine Arbeiten
über die mechanische Wärmetheorie, trotz ihrer von ihm selbst
anerkannten Priorität, doch hinter den entsprechenden Arbeiten
englischer Autoren zurückzusetzen, durch die Behauptung moti-
virt hat, der von mir aufgestellte Grundsatz, dass die Wärme nicht
von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper über-
gehen kann, sei falsch. Auf eine Besprechung der zum Beweise
seiner Behauptung angeführten , auf thermoelectrische Ströme be-
züglichen Gründe konnte ich aber dort, wo von electrischen Er-
scheinungen noch nicht die Rede gewesen war, nicht eingehen,
und ich behielt mir dieselbe daher für den zweiten Band vor. Diese
Besprechung will ich nun hier folgen lassen, indem ich aus einer
von mir veröffentlichten Erwiderung i) das Wesentlichste mittheile.
Von den beiden von ihm zur Widerlegung des Satzes ange-
führten Erscheinungen will ich zunächst diejenige besprechen, von
welcher er sagt, dass sie einen ausgezeichneten Beweis für die
Unrichtigkeit des Grundsatzes liefere. Es ist nämlich die Erschei-
nung, dass eine thermoelectrische Batterie, bei welcher der Siede-
1) Pogg. Ann. Bd. 146, S. 308.
Discussionen über Wärme und Electricität. 307
und Gefrierpunct des Wassers als Temperaturen der Löthstellen
angewandt werden, im Stande ist, einen feinen Draht zum Glühen
zu bringen.
Um die völlige Grundlosigkeit dieses Einwandes nachzuwei-
sen, brauche ich nur an dasjenige zu erinnern, was ich schon im
Jahre 1853 in meiner Abhandlung über thermoelectrische Er-
scheinungen 1) auseinandergesetzt habe, und was man im siebenten
Abschnitte dieses Bandes wiedergegeben findet. Ich habe dort
gezeigt, dass ein thörmoelectrisches Element (und natürlich ebenso
eine thermoelectrische Batterie) sich mit einer Dampfmaschine
vergleichen lässt, indem die erwärmte Löthstelle dem Kessel und
die kalte Löthstelle dem Condensator entspricht. An der warmen
Löthstelle wird einem Wärmereservoir, dessen Temperatur wir ti
nennen wollen, Wärme entzogen, und an der kalten Löthstelle wird
an ein anderes Wärmereservoir, dessen Temperatur to heissen
möge , Wärme abgegeben. Die abgegebene Wärmemenge ist aber
etwas geringer, als die aufgenommene, und wir wollen daher die
abgegebene Wärmemenge für die Zeiteinheit mit Q und die auf-
genommene mit Q -\- q bezeichnen. Der eine Theil q der letzte-
ren Wärmemenge wird zu der für die Erzeugung des electrischen
Stromes nöthigen Arbeit verbraucht, und der andere Theil Q geht
aus einem Körper von der Temperatur ty in einen anderen von der
Temperatur ^o über.
Wenn man die Arbeit, welche von einer Dampfmaschine ge-
leistet wird, dazu verwendet, um Reibungswiderstände oder sonstige
passive Widerstände zu überwinden, so verwandelt sie sich dabei
wieder in Wärme und kann unter geeigneten Umständen eine Tem-
peratur erzeugen, die weit über der des Dampfkessels liegt. Ebenso
kann bei der thermoelectrischen Batterie die Arbeit, welche ge-
leistet werden musste, um die Electricität in Bewegung zu setzen,
sich bei der Ueberwindung von Leitungswiderständen wieder in
Wärme verwandeln, und kann auch hier unter geeigneten Umstän-
den eine Temperatur erzeugen, die viel höher ist, als diejenige
der erwärmten Löthstellen. Es kann z. B., wie Hr. Tait anführt,
wenn die erwärmten Löthstellen nur die Temperatur des sieden-
den Wassers haben, ein Draht bis zum Glühen erhitzt werden.
Bezeichnen wir die Temperatur, welche der Draht annimmt,
und welche dann beliebig lange constant erhalten werden kann.
1) Pogg. Auu. Bd. 90, S. 513. '
20^
308 Absclinitt XI.
mit #2, so können wir sagen: ein Theil derjenigen Wärmemenge
^, welche in der Batterie zu Arbeit verbraucht wird, kommt in
einem anderen Körper von der Temperatur t^ wieder als Wärme
zum Vorschein. Da nun jene zu Arbeit verbrauchte Wärme aus
einem Wärmereservoir von der Temperatur t^ herstammt, so er-
halten wir als ein Resultat des Processes den Uebergang einer
gewissen Wärmemenge aus einem Körper von der Temperatur ti
in einen Körper von der höheren Temperatur ^2-
Die Frage , um deren Entscheidung es sich handelt , ist nun
die, ob dieser Wärmeübergang von niederer zu höherer Tempera-
tur von selbst stattgefunden hat.
Unter der kurzen Bezeichnung von selbst verstehe ich, wie
ich es vielfach erläutert habe, ohne gleichzeitiges Eintreten
einer anderen als Compensation dienenden Veränderung.
Sofern wir es mit Kreisprocessen zu thun haben, giebt es zwei
Arten von Veränderungen, welche als Compensation dienen kön-
nen, nämlich erstens den Uebergang von Wärme aus einem wär-
meren in einen kälteren Körper , und zweitens den Verbrauch von
Arbeit oder, bestimmter ausgedrückt, die Verwandlung von Arbeit
in Wärme.
Betrachten wir nun unter diesem Gesichtspuncte unsere thermo-
electrische Batterie mit dem dünnen Leitungsdrahte, welcher zum
Glühen gebracht wird, so sehen wir, dass zwar die Wärmemenge 3
zum Theil von der Temperatur t^ zur höheren Temperatur t^ über-
geht , dass aber gleichzeitig die andere Wärmemenge Q von der
Temperatur tx zur niederen Temperatur to übergeht. Dieser letz-
tere Wärmeübergang bildet die Compensation des ersteren, und
wir dürfen daher nicht sagen, der erstere Wärmeübergang habe
von selbst stattgefunden.
Der hier besprochene Fall ist so einfach und klar, dass man
ihn als ein ganz geeignetes Beispiel zur Erläuterung und Bestäti-
gung meines Grundsatzes wählen könnte, und gerade diesen Fall
hat Hr. Tait zum Beweise seiner Unrichtigkeit ausgewählt.
Als anderen Fall , welcher meinem Grundsatze widersprechen
soll, führt Hr. Tait eine thermoelectrische Kette an, in welcher
die heisse Löthstelle eine Temperatur hat, die höher ist, als der
neutrale Punct. Es handelt sich also um eine solche thermo-
electrische Kette, bei welcher durch gesteigerte Erwärmung der
einen Löthstelle der Strom nicht fortwährend verstärkt wird, son-
dern wo der Strom von einer gewissen Temperatur an wieder ab-
Discussionen über Wärme und Electricität. 309
nimmt und bei noch weiterer Steigerung der Temperatur sogar
seine Richtung ändern kann.
Diese Erscheinung habe ich ebenfalls in meiner oben citirten
Abhandlung schon besprochen. Ich habe sie durch die Annahme
zu erklären gesucht, dass in einem der beiden Metalle, aus denen
eine solche Kette besteht (oder auch in allen beiden), durch die
Temperaturveränderung eine Aenderung des Molecularzustandes
veranlasst wird, welche bewirkt, dass der veränderte Theil des
Metalles sich zum unveränderten Theile in electrischer Beziehung
so verhält, wie zwei verschiedene Metalle. Sobald eine Aenderung
dieser Art eingetreten ist, wirken nicht nur an den Berührungs-
stellen verschiedener Metalle, sondern auch da, wo verschieden be-
schaffene Theile desselben Metalles sich berühren, electromoto-
rische Kräfte, Demnach wird nicht bloss an den Löthstelleu, son-
dern auch an anderen Stellen , welche sich im Inneren der einzel-
nen Metalle befinden, Wärme erzeugt oder verbraucht, und wir
müssen daher, um alle vorkommenden Wärmeübergänge zu be-
stimmen, nicht bloss die Temperaturen der Löthstellen, sondern
auch die Temperaturen jener anderen Stellen berücksichtigen.
Dadurch wird natürlich die Sache complicirter. Auch haben
wir von den erwähnten Veränderungen, obwohl ihr Vorhanden-
sein in einzelnen Fällen schon nachgewiesen ist, doch noch zu we-
nig specielle Kenntnisse, um alle in einer solchen Thermokette
stattfindenden Vorgänge ins Einzelne verfolgen zu können. In-
dessen wird man nicht in Abrede stellen, dass in der von mir ge-
machten Annahme wenigstens die Möglichkeit einer Erklärung
der betreffenden Erscheinungen liegt, und aus der am Ende des
siebenten Abschnittes mitgetheilten Entwickelung von Budde kann
man ersehen, wie sich diese Erklärung ganz in Uebereinstimmung
mit meinem Grundsatze durchführen lässt. Es kann also auch aus
diesen Erscheinungen kein Einwand gegen meinen Grundsatz ent-
nommen werden.
§. 2. Einwand von F, Kohlrausch.
In einem interessanten Aufsatze über Thermoelectricität,
Wärme- und Electricitätsleitung von F. Kohlrausch^) ist ein
Einwand gegen die von mir aufgestellte Theorie der thermoelectri-
1) Gröttinger Nachrichten Febr. 1874 und Pogg. Ann. Bd. 156, S. 601,
310 Abschnitt XL
sehen Ströme erhoben, welcher sich auf einen in der mechani-
schen Wärmetheorie scheinbar hervortretenden Widerspruch stützt,
und daher einer näheren Beleuchtung bedarf. Da die Stelle,
welche den Einwand enthält, nur kurz ist, so wird es am besten
sein, sie hier wörtlich anzuführen.
Nachdem Kohlrausch gesagt hat, die mechanische Wärme-
theorie nehme bei der Bestimmung der von der Wärme geleiste-
ten Arbeit auf die durch Leitung ausgeglichene Wärme keine
Rücksicht, und wer dieses Verfahren unter allen Umständen als
erlaubt ansehe, werde daraus gegen seine Hypothese, dass ein
Wärmestrom Arbeit leisten könne, einen erheblichen Einwand ab-
leiten, fährt er fort:
„Nun liegt aber im Gebiete der Electricität ein anderer Fall
vor, der nach meiner Ansicht mit den Grundsätzen der mechani-
schen Wärmetheorie, oder mit anderen Worten, mit dem Clau-
sius'schen Satze, dass die Wärme nicht von selbst aus niederer
zu höherer Temperatur übergeht, nicht anders in Uebereinstim-
mung gebracht werden kann, als wenn man der Wärmeleitung
eine wesentliche Bolle bei dem Vorgang zuschreibt. Li seiner
Polemik gegen Clausius hatte Tait den genannten Grundsatz
als unrichtig hingestellt, weil man mittelst einer Thermosäule von
geringer Temperatur einen Draht zum Glühen bringen könne.
Clausius widerlegt diesen Einwand leicht, indem ja die Tempe-
raturerhöhung der in dem Drahte entwickelten Wärme nach P ei-
tler begleitet ist von einem Uebergang einer anderen Wärme-
menge von der warmen zur kalten Löthstelle der Thermosäule
(Pogg. Ann. Bd. CXLVI, S. 310). Bei dieser Widerlegung wird
indessen offenbar vorausgesetzt, was ja auch in Wirklichkeit immer
zutrifft, dass die in dem erhitzten Drahte entwickelte Temperatur
eine Grenze hat. Könnte man diese Temperatur beliebig steigern,
so würde durch den Uebergang einer endlichen Wärmemenge in
der Thermosäule zu einer um eine endliche Grösse niedrigeren
Temperatur eine andere endliche Wärmemenge zu beliebig hoher
Temperatur erhoben werden können."
Die im letzten Satze erwähnte Erhebung einer endlichen
Wärmemenge zu beliebig hoher Temperatur ist es, in welcher
Kohlrausch einen in meiner Theorie liegenden Widerspruch er-
blickt, und durch welchen er bewogen wird, auch die Wärme-
leitung in den Kreis der Betrachtungen zu ziehen. Ich glaube
aber nachweisen zu können, dass bei einer, wenn auch bisher nicht
Discussionen über Wärme und Electricität. 311
bestimmt ausgesprochenen, so doch ganz im Geiste der mechani-
schen Wärmetheorie liegenden Auflassung der Sache dieser Wider-
spruch, auch ohne die Hinzuziehung der Wärmeleitung, ver-
schwindet.
Um die Natur des betreff"enden Vorganges, welchen Kohl-
rausch für die Thermosäule hervorgehoben hat, besser beurth ei-
len zu können, wird es zweckmässig sein, zu zeigen, dass er auch
bei anderen thermodynamischen Maschinen, z. B, bei der Dampf-
maschine, vorkommen kann. Bei dieser nimmt der die Wirkung
der Wärme vermittelnde Stofi' (das Wasser) im Kessel , dessen ab-
solute Temperatur Ji heissen möge, Wärme auf, und im Conden-
sator, dessen absolute Temperatur wir Tq nennen wollen , giebt er
wieder Wärme ab. Die abgegebene Wärmemenge ist aber gerin-
ger als die aufgenommene, und den Ueberschuss der letzteren kön-
nen wir, wenn wir von den durch die Unvollkommenheiten der
Maschinen bedingten Verlusten absehen, als in Arbeit verwandelt
betrachten. Bezeichnen wir also die während der Zeiteinheit im
Kessel aufgenommene Wärmemenge mit Q -\- qi und die im Con-
densator abgegebene mit Q, so ist q die in Arbeit verwandelte
Wärmemenge, während Q die von der Temperatur Ti zur Tempe-
ratur Tq übergehende Wärmemenge ist.
Wenn nun die von der Maschine geleistete Arbeit dazu ver-
wandt wird, einen Reibungswiderstand zu überwinden, so verwan-
delt sie sich dabei wieder in Wärme, und es kommt somit jene
Wärmemenge g, welche zu der Arbeit verbraucht wurde, in den
sich reibenden Körpern, deren absolute Temperatur T2 sein möge,
wieder als Wärme zum Vorschein. Man kann also sagen, diese
Wärmemenge sei von der Temperatur Ti , bei welcher sie von der
Maschine aufgenommen wurde, zur Temperatur T2 übergeführt.
Da nun die Temperatur T2 der sich reibenden Körper beliebig
hoch sein kann, so gelangen wir auch hier zu jenem Resultate
dass durch den Uebergang einer endlichen Wärmemenge (Q) zu
einer um eine endliche Grösse niedrigeren Temperatur (von Ti
zu To) eine andere endliche Wärmemenge (g) zu einer beliebig
hohen Temperatur (T,) erhoben werden kann.
Um nun zunächst zu sehen, in welcher Weise die Temperatur
T2 in den Gleichungen der mechanischen Wärmetheorie vorkommt, ■
haben wir den für den Aequivalenzwerth des Ueberganges der
Wärmemenge q von der Temperatur Ti zur Temperatur T2 gel-
tenden Ausdruck zu bilden, nämlich:
312 Abschnitt XL
Dieser Ausdruck stellt, wenn T2 >> Ti, eine negative Grösse
dar, deren absoluter Werth mit wachsender Temperatur T^ zu-
nimmt; aber diese Zunahme findet nicht etwa bis ins Unbegrenzte
statt, sondern der Ausdruck nähert sich bei fortwährendem Wach-
sen von T2 nur dem bestimmten endlichen Werthe
g_
welcher der Aequivalenzwerth der Verwandlung der Wärmemenge
q von der Temperatur T-^ in Arbeit ist. Dieses Verhalten der For-
meln ist ganz mit jenem Umstand in Uebereinstimmung , dass
eine einmal in Arbeit verwandelte Wärmemenge auch wieder in
Wärme von beliebig hoher Temperatur verwandelt werden kann.
Wenn nun aber hierbei von beliebig hoher Temperatur die
Rede ist, so darf darunter doch nicht eine im streng mathemati-
schen Sinne unendlich hohe Temperatur verstanden werden, son-
dern es ist in dieser Beziehung durch die Natur der Sache selbst,
ohne dass man die Wärmeleitung dabei zu Hülfe zu nehmen
braucht, eine gewisse Grenze gegeben.
Um dieses zu erkennen und von der Art der Grössen, um
welche es sich dabei handelt, einen ungefähren Begriff zu bekom-
men, wollen wir uns denken, die von der Maschine geleistete Ar-
beit werde zunächst dazu angewandt, einen Körper von gegebener
Masse, z. B. eine Masseneinheit, in Bewegung zu setzen, und diese
Massenbewegung sei es nun, welche in Wärme verwandelt werden
solle. Dann haben wir es nur noch mit der Verwandlung einer
Art von Bewegung in eine andere Art von Bewegung zu thun,
wodurch der Schluss über die Höhe der erreichbaren Temperatur
erleichtert wird.
Wenn man unter der absoluten Temperatur eines Körpers
die mittlere lebendige Kraft der einzelnen bei der als Wärme be-
zeichneten Bewegung sich selbständig bewegenden Körpertheil-
chen, nämlich der Atome, versteht, so kann man den Satz, dass
ein Körper einen anderen nicht zu einer höheren Temperatur, als
er selbst hat, erwärmen kann, so ausdrücken: Die Atome des
einen Körpers können den Atomen des anderen keine Bewegungen
mittheilen, deren lebendige Kräfte im Mittel, grösser sind, als ihre
eigenen. Wenden wir diesen Satz nun auch auf den Fall an, wo
Discussionen über Wärme und Electricität. 313
eine sich im Ganzen bewegende Masseneinheit die Atome eines
Körpers in schnellere Bewegung versetzen und dadurch Wärme
erzeugen soll, so können wir sagen, dass die höchste dadurch er-
reichbare Temperatur diejenige sein würde, bei welcher ein einzel-
nes Atom eine eben so grosse lebendige Kraft hätte, wie die ganze
bewegte Masseneinheit. Hierdurch gelangen wir zu einem ganz
ausserordentlich grossen aber nicht gerade zu einem unendlich
grossen Werthe, ähnlich wie die Masse eines Atoms gegen eine
Masseneinheit ganz ausserordentlich klein, aber nicht gerade un-
endlich klein ist.
Natürlich soll diese Betrachtung nicht dazu dienen, uns einen
bestimmten ein für allemal geltenden Werth als Grenze der er-
reichbaren Temperaturen zu geben, da ja mit der Grösse der Ar-
beit auch die lebendige Kraft der Massenbewegung, welche an
ihre Stelle gesetzt werden kann, verschieden ist, aber sie giebt
wenigstens eine Vorstellung von der Ordnung der betreffenden
Grössen.
In den Gleichungen der mechanischen Wärmetheorie ist die
hier besprochene Beschränkung in Bezug auf die erreichbaren Tem-
peraturen nicht ausgedrückt. In diesen Gleichungen kommen näm-
lich, wie wir es in den oben betrachteten Aequivalenzwerthen ge-
sehen haben, die reciproken Werthe der Temperaturen vor, und
dabei sind die reciproken Werthe jener hohen Grenztemperaturen
ihrer Kleinheit wegen vernachlässigt. Darin liegt nun freilich eine
Ungenauigkeit , indessen wird man bei der enormen Höhe jener
Grenztemperaturen gewiss zugestehen, dass dieses nur eine solche
Ungenauigkeit ist, wie sie fast jeder physikalischen Gleichung an-
haftet., indem es nur wenige physikalische Gleichungen giebt, die
in der Form, in welcher man sie bei den wirklich vorkommenden
Processen anwendet, auch in aller Strenge bis ins Unendliche an-
wendbar sind.
Ich habe mich übrigens schon lange, bevor ich die hier mit-
getheilten und zuerst in Pogg. Ann. Bd. 160 veröffentlichten Be-
merkungen zu dem Einwände von Kohlrausch schrieb, bei einer
anderen Gelegenheit in ähnlicher Weise ausgesprochen. In einer
im Jahre 1865 veröffentlichten Abhandlung i) ist bei Besprechung
^) lieber verschiedene für die Anwendung- bequeme Formen der Haupt-
gleicliungen der mechanisclien Wärmetheorie, Pogg. Ann. Bd. 125, S. 353,
und Abhandlungensammlung Bd. II, S. 1.
314 Absclinitt XI.
des von mir eingeführten Begriffes des Verwandlungswertlies der
Wärme davon die Rede, wie man den Verwandlungswerth einer
solchen Bewegung, die von einer grösseren ponderablen Masse im
Ganzen ausgeführt wird, zu bestimmen hat. Dieser Verwandlungs-
werth wird in den Formeln der mechanischen Wärmetheorie sei-
ner Kleinheit wegen vernachlässigt; ich habe aber nicht gesagt,
dass er Null sei, sondern habe mich folgendermaassen ausgespro-
chen!): „Wenn eine Masse, welche so gross ist, dass ein Atom
dagegen als verschwindend klein betrachtet werden kann, sich als
Ganzes bewegt, so ist der Verwandlungswerth dieser Bewegung
gegen ihre lebendige Kraft gleichermaassen als verschwindend
klein anzusehen." Hierin ist also nicht nur darauf hingewiesen,
dass die betreffende Grösse nicht im streng mathematischen Sinne
unendlich klein ist, sondern es ist auch die Ordnung ihrer Klein-
heit durch den damit in Zusammenhang gebrachten Vergleich
zwischen der Masse eines Atomes und der ganzen Masse, um deren
Bewegung es sich handelt, bestimmt festgestellt.
§. 3. Anderer Einwand von Tait.
In einem vor Kurzem erschienenen Buche des Hrn. Tait
„Lectures on some recent advances in Physical Science, second edi--
tion, London 1876'-'- wird auf p, 119 ein neuer Gegengrund gegen
meinen Satz geltend gemacht, welchen ich mir erlauben will, eben-
falls hier zu besprechen.
Hr. Tait führt eine von Maxwell angestellte Betrachtung
an, welche sich darauf bezieht, wie man es sich etwa als möglich
vorstellen könne, dass Wärme ohne einen gleichzeitigen Verbrauch
von Arbeit aus einem kälteren in einen wärmeren Körper über-
gehen könne. Maxwell geht von der kinetischen Gastheorie aus,
in welcher angenommen wird, dass in einer Gasmasse selbst dann,
wenn keine Strömungen in ihr stattfinden und ihre Temperatur
durchweg gleich ist, die Molecüle ungleiche Geschwindigkeiten
haben, und seine Betrachtung besteht nach Tait in Folgendem: Er
setzt den Fall, dass solche imaginäre Wesen, welche Thomson
vorläufig Dämonen nennt — kleine Geschöpfe ohne Beharrungs-
1) Pogg. Ann. Bd. 125, S, 399, und Abhandlungen Sammlung Bd, II,
S. 43,
Discussionen übei; AVärme und Electricdtät, 315
vermögen , von ausserorclentliclier Sinnenschärfe und Intelligenz
und wunderbarer Beweglichkeit — (such imaginary beings, whom
Sir W. Thomson provisionalhj calls demons — small creatures
ivithout inertia^ of extremely acute senses and inteUigenee, and mar-
veüous agüity — ) die Partikelchen eines Gases überwachten, wel-
ches sich in einem Gefässe befände, worin eine Scheidewand wäre,
die sehr viele, ebenfalls von Beharrungsvermögen freie Klappen
hätte, und dass diese Dämonen die Klappen in geeigneten Momen-
ten öfiheten und schlössen, und zwar so, dass sie die schnelleren
Partikelchen aus der ersten Abtheilung des Gefässes in die zweite
und eine ebenso grosse Anzahl langsamerer Partikelchen aus der
zweiten Abtheilung in die erste Hessen. Wenn dieser Fall statt-
fände, so würde natürlich das Gas in der zweiten Abtheilung all-
mählich immer wärmer und das in der ersten immer kälter wer-
den, und somit Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren Kör-
per übergehen.
Hr. Maxwell hat diesen von ihm ersonnenen imaginären
Vorgang nur dazu angewandt i), die Verschiedenheit der Rech-
nungsmethode, welche bei der Behandlung des zweiten Haupt-
satzes der mechanischen Wärmetheorie anzuwenden ist, und welche
er die statistische Methode nennt, von der eigentlich dynamischen
Methode zu veranschaulichen. Hr. Tait dagegen nimmt keinen
Anstand, diesen Vorgang einfach als Gegenbeweis gegen meinen
Satz geltend zu machen, indem er sagt, dieser Vorgang, für sich
allein, sei absolut verhängnissvoll für meine Schlussweise (tuhich^
ahne, is ahsolutely fatal to Clausius'' reasoning).
Dieses kann ich in keiner Weise zugeben. Wenn die Wärme
als eine Molecularbewegung betrachtet wird, so ist dabei zu be-
denken, dass die Molecüle so kleine Körpertheilchen sind, dass es
für uns unmöglich ist, sie einzeln wahrzunehmen. Wir können
daher nicht auf einzelne Molecüle für sich allein wirken, oder die
Wirkungen einzelner Molecüle für sich allein erhalten, sondern
haben es bei jeder Wirkung, welche wir auf einen Körper aus-
üben oder von ihm erhalten, gleichzeitig mit einer ungeheuer
grossen Menge von Molecülen zu thun, welche sich nach allen mög-
lichen Richtungen und mit allen überhaupt bei den Molecülen
vorkommenden Geschwindigkeiten bewegen, und sich an der Wir-
kung in der Weise gleichmässig betheiligen, dass nur zufällige
Theory of Heat, London 1S71, p. 308.
316 Absclinitt XI.
Verschiedenheiten vorkommen, die den allgemeinen Gesetzen der
Wahrscheinlichkeit unterworfen sind. Dieser Umstand bildet ge-
rade die charakteristische Eigenthümlichkeit derjenigen Bewegung,
welche wir Wärme nennen, und auf ihm beruhen die Gesetze,
welche das Verhalten der Wärme von dem anderer Bewegungen
unterscheiden.
Wenn nun Dämonen eingreifen, und diese charakteristische
Eigenthümlichkeit zerstören, indem sie unter den Molecülen einen
Unterschied machen, und Molecülen von gewissen Geschwindigkei-
ten den Durchgang durch eine Scheidewand gestatten, Molecülen
von anderen Geschwindigkeiten dagegen den Durchgang verweh-
ren, so darf man das, was unter diesen Umständen geschieht, nicht
mehr als eine Wirkung der Wärme ansehen und erwarten, dass
es mit den für die Wirkungen der Wärme geltenden Gesetzen
übereinstimmt.
Ich glaube daher meine Erwiderung auf den Einwand des
Hrn. Tait in die kurze Bemerkung zusammenfassen zu können,
dass mein Satz sich nicht darauf bezieht, was die Wärme mit Hülfe
von Dämonen thun kann, sondern darauf, was sie für sich allein
thun kann.
Nachdem ich die vorstehend mitgetheilten Gegenbemerkungen
gegen den Tait' sehen Einwand in Wied. Annalen veröffentlicht
hatte, hat Hr. Tait in einer neueren Schrift i) seinen Einwand
durch den Ausspruch wenigstens theilweise aufrecht zu erhalten ge-
sucht, dass das, was Dämonen im grossen Maassstabe thun können,
in der Wirklichkeit ohne Hülfe von Dämonen, wenn auch in einem
sehr kleinen Maassstabe, in jeder Gasmasse vor sich gehe, [that
wJiat demons couJd do on a large scaJe, really goes on without the help
of demons {though in a very smcäl scaJe) in every mass of gas].
Hiermit ist, wenn ich es recht verstehe. Folgendes gemeint.
Wenn zwei Gasmassen Ä und B in Berührung sind, so flie-
gen fortwährend Molecüle von Ä nach B und umgekehrt von B
nach Ä. Haben die beiden Gasmassen gleiche Temperaturen, so
haben auch die von Ä nach B fliegenden Molecüle durchschnitt-
lich dieselbe lebendige Kraft, wie die von B nach Ä fliegenden.
Da aber die Geschwindigkeiten der einzelnen Molecüle verschie-
den sind, so können in einzelnen Momenten Abweichungen von
1) Sketch of Thermodynamics, second edüton, Edinburgh 1877, in der
Vorrede S. XVIII.
Discussionen über Wärme und Electricität. 317
dem durchschnittlichen Verhalten stattfinden, und es kann z. B.
vorkommen, dass in einem gewissen Momente zufällig unter den
von Ä nach B fliegenden Molecülen diejenigen mit grösseren Ge-
schwindigkeiten und unter den von B nach Ä fliegenden diejeni-
gen mit kleineren Geschwindigkeiten vorwiegen. Dadurch steigt
für einen Augenblick die Temperatur in B und sinkt die Tempe-
ratur in Ä, und es geht also momentan etwas Wärme aus der da-
durch kälter werdenden Gasmasse in die wärmer werdende über.
Dieses soll nach Hrn. Tait mit meinem Grundsatze im Wider-
spruche stehen.
Hiergegen brauche ich wieder nur zu sagen, dass es sich im
zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie und ebenso
in meinem Grundsatze gar nicht darum handelt, was in einzelnen
Momenten zufällig bald in einem, bald im entgegengesetzten Sinne
geschehen kann, sondern darum, was durchschnittlich nach den
liegein der Wahrscheinlichkeit geschieht. Der Ueberschuss von
lebendiger Kraft, welcher durch eine in einem gewissen Momente
stattfindende zufällige Abweichung vom durchschnittlichen Verhal-
ten vom kälteren zum wärmeren Gase übergehen kann, ist im Ver-
gleiche zu den für uns messbaren Wärmemengen eine Grösse von
derselben Ordnung, wie die Masse eines einzelnen Molecüls im
Vergleiche zu den unserer directen Wahrnehmung zugänglichen
Massen. Grössen dieser Ordnung werden aber, wie schon im vori-
gen Paragraphen erwähnt wurde, bei den Betrachtungen, welche
sich auf den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie
beziehen, vernachlässigt.
§. 4. Einwand von Tolver Preston.
Hr. Tolver Preston hat in Nature, Vol. XXVIJ, p. 202
(Januar 1878) ein Verfahren angegeben, mittelst dessen man durch
Diffusion von Gasen mechanische Arbeit gewinnen kann. Die von
ihm angestellten Betrachtungen sind sehr sinnreich und in theore-
tischer Beziehung durch die Schlüsse, zu welchen sie Gelegenheit
geben, interessant. Nur in einem Puncte glaube ich eine abwei-
chende Ansicht äussern zu müssen. Hr. Preston meint nämlich,
dass das Resultat seines Verfahrens dem zweiten Hauptsatze der
mechanischen Wärmetheorie widerspreche, und hiermit kann ich
nicht übereinstimmen.
318 Absclmitt XI.
Das Wesentliche seines Verfahrens ist Folgendes. Er denkt
sich einen Cylinder, welcher durch einen beweglichen Stempel in
zwei Abtheilungen getheilt wird. Der Stempel soll aus einem po-
rösen Stoffe, wie etwa Pfeifenthon oder Graphit, bestehen. In den
beiden Abtheilungen des Cy linders sollen sich zwei yerschiedene
Gase befinden, z. B. Sauerstoff und Wasserstoff.
Wenn nun beide Gase anfangs gleichen Druck haben, so tritt
darin durch die Diffusion bald eine Aenderung ein. Der Wasser-
stoff dringt durch den porösen Stempel schneller hindurch, als
der Sauerstoff" und es nimmt daher die vorhandene Gasmenge an
der Wasserstoffseite ab und an der Sauerstoff seite zu. Dadurch
entsteht eine Druckverminderung an der Wasserstoffseite und eine
Druckvermehrung an der Sauerstoffseite, so dass der Stempel mit
einer gewissen Kraft in Bewegung gesetzt und eine mechanische
Arbeit geleistet werden kann, welche sich äusserlich nutzbar ma-
chen lässt. Zugleich wird bei der Bewegung des Stempels das
Gas an der Seite, wo es sich ausdehnt, kälter und an der Seite,
wo es zusammengedrückt wird, wärmer, und es geht somit Wärme
aus einem kälteren in einen wärmeren Körper über.
Diese beiden Umstände nun, dass in dem Processe ohne eine
ursprünglich vorhandene Temperaturdifferenz Arbeit aus Wärme
gewonnen wird, und dass dabei noch Wärme aus der kälteren Ab-
theilung in die wärmere übergeht, betrachtet Tolver Preston
als dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie wider-
sprechend.
Diesem Schlüsse kann ich nicht zustimmen. Wenn die Ver-
wandlung von Wärme in Arbeit und der Wärmeübergang aus dem
kälteren in den wärmeren Körper so stattfände, dass dabei der
veränderliche Stoff am Schlüsse der Operation sich wie-
der in seinem ursprünglichen Zustande befände, und
dass man es daher mit einem Kreisprocesse zu tliun
hätte, so würde darin allerdings ein Widerspruch mit dem zwei-
ten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie liegen. So ver-
hält sich die Sache aber nicht. Als veränderlichen Stoff haben
wir in dem Processe die beiden Gase. Diese sind am Anfange. un-
gemischt und am Schlüsse gemischt, und es ist also eine wesent-
liche Aenderung mit ihnen eingetreten, welche als Compensation
der Verwandlung aus Wärme in Arbeit, und des Wärmeüberganges
aus einem kälteren in einen wärmeren Körper betrachtet wer-
den kann.
Discussionen über Wärme und Electricität. 319
Da die Gase durch die Molecularbewegung, welche wir Wärme
nennen, sich zu mischen suchen, und zwar in der Weise, dass die
Mischung um so schneller erfolgt, je höher die Temperatur ist, so
haben wir es hier mit einer Wirkung der Wärme zu thun, welche
der Ausdehnung eines Gases durch die Wärme zu vergleichen ist.
Wir müssen daher, wenn wir hier schon einen von mir eingeführ-
ten Begriff, der erst im nächsten Bande näher besprochen werden
wird, in Anwendung bringen wollen, den gemischten Gasen eine
grössere Disgregation zuschreiben, als den ungemischten. Da
nun die Vermehrung der Disgregation eine positive Verwandlung
ist, so kann sie die Verwandlung aus Wärme in Arbeit und den
Uebergang von Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren
Körper, welche beide negative Verwandlungen sind, compensiren.
Man sieht also, dass der vorliegende Fall zwar gewisse Eigen-
thümlichkeiten hat, durch welche er sich äusserlich von anderen
Fällen unterscheidet, dass er aber in den wesentlichen Puncten,
um welche es sich in der mechanischen Wärmetheorie handelt,
ganz mit den gewöhnlich betrachteten Fällen übereinstimmt, und
nichts enthält, was mit dem zweiten Hauptsatze der mechanischen
Wärmetheorie im Widerspruche stände.
§. 5. Arbeitsverlust in nicht-umkehrbaren
Kreisprocessen.
In meiner Abhandlung über eine veränderte Form des zwei-
ten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie i) habe ich eine
Grösse eingeführt, welche ich die uncompensirte Verwandlung ge-
nannt und mit N bezeichnet habe , und zu deren Bestimmung , so
weit es sich um Kreisprocesse handelt, ich folgende Gleichung auf-
gestellt habe:
(1) N = -/^,
worin d Q ein Element der dem veränderhchen Körper während
des Kreisprocesses mitgetheilten Wärme bedeutet (wobei eine ent-
zogene Wärmemenge als eine mitgetheilte negative Wärmemenge ge-
1) Pogg. Ann. Bd. 93, 1854; Abhandlungensammlung Bd. I, Abhand-
lung IV; in der zweiten Auflage Abschnitt V.
320 Abschnitt XI.
rechnet wird), und T die absolute Temperatur des Körpers im Mo-
mente der Mittheilung ist. Wenn der Kreisprocess umkehrbar ist,
so hat man ^'' = 0 ; wenn dagegen in dem Kreisprocesse Verände-
rungen vorkommen , die nicht umkehrbar sind, so hat N einen an-
gebbaren Werth, welcher aber immer nur positiv sein kann.
Für den in einer thermodynamischen Maschine stattfindenden
Kreisprocess ist es nun am vortheilhaftesten , wenn nur umkehr-
bare Veränderungen in ihm vorkommen, indem jede in nicht um-
kehrbarer Weise vor sich gehende Veränderung einen Verlust von
Arbeit zur Folge hat. Auf diesen Umstand habe ich ein eigen-
thümliches Verfahren gegründet, die Arbeit einer thermodynami-
schen Maschine zu bestimmen. Wir wollen annehmen, für den
Kreisprocess, welcher in der thermodynamischen Maschine statt-
findet, seien sonst alle dem veränderlichen Körper mitgetheilten
Wärmemengen und die Teniperaturen, welche der Körper bei der
Mittheilung hat, gegeben, nur Eine Temperatur Tq (in der Dampf-
maschine etwa die Temperatur des Condensators) komme vor, bei
welcher der Körper noch eine positive oder negative Wärmemenge
aufnehme, deren Werth unbekannt sei. Wenn wir dann das Ar-
beitsmaximum, welches man unter diesen Umständen aus den ge-
gebenen Wärmemengen möglicherweise gewinnen könnte , mit
Wmax.i und die Arbeit, welche man wirklich gewinnt, mit W be-
zeichnen, so gilt folgende Gleichung, in welcher E das mechanische
Aequivalent der Wärme bedeutet i) :
(2) W=Wma..-JET,N.
Bei Anwendung dieser Gleichung wird die Arbeit der Ma-
schine nicht so bestimmt, dass man die in den verschiedenen nach
einander stattfindenden Vorgängen geleisteten Arbeitsgrössen ein-
zeln bestimmt und dann addirt, sondern so, dass man zuerst das
Arbeitsmaximum bestimmt, welches man erhalten würde, wenn alle
stattfindenden Vorgänge umkehrbar wären, und davon dann den
durch Unvollkommenheiten des Kreisprocesses entstehenden Ar-
^) Abhandlung über die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie
auf die Dampfmaschine, Pogg. Ann. Bd. 97, S. 452; Abhandlungensamm-
lung Bd. I, S. 166; zweite Auflage Bd. I, S. 298. Dabei ist zu bemerken,
dass an den beiden ersten Stellen statt des Zeichens JE der Bruch -r- an-
A
gewandt ist, und an der letzten Stelle die Wärme als nach mechanischem
Maasse gemessen angenommen und daher JK = 1 gesetzt ist.
Discussionen über Wärme und Electricität. 321
beitsverlust abzieht. Ich habe daher dieses Verfahren , die Arbeit
zu bestimmen, das Subtractionsverfahren genannt. Der Arbeits-
verlust ist:
(3) ET,N=-ET,f^
und die entsprechende Wärmemenge wird dargestellt durch
(4) T,N=-T,f^.
In dem von Tait veröffentlichten Buche ^^SJcetcJi of TJiermo-
dynamics^^ kommt nun eine äusserlich ähnliche, aber in unrichti-
ger Weise ausgeführte Entwickelung vor, deren Resultat einer
näheren Besprechung bedarf. Um Missverständnisse unmöghch zu
machen, will ich das Resultat wörtlich im englischen Texte mit-
theilen, wobei ich nur, der leichteren Vergleichung wegen, in der
Bezeichnung die kleine Aenderung machen will, dass ich für die
kleinen Buchstaben t und g, welche Tait zur Bezeichnung der
Temperatur und der Wärmemenge anwendet, die grossen Buch-
staben T und Q setze, und statt des Buchstaben J", welchen
Tait für das mechanische Aequivalent der Wärme anwendet,
den von uns dafür angewandten Buchstaben E setze. Tait
nennt die gewonnene mechanische Arbeit ,,the practicdl vaJue^^
und spricht das Resultat seiner kurzen Entwickelung so aus i) :
Hence in any cydical process whatever , if Qi he the whole heat
taken in^ and Qo tJiat given out^ the practical valiie is
E(Q, - Qo)-ET,f^-
Die Unrichtigkeit dieses Resultates lässt sich leicht aus dem
blossen Anblicke der Formel erkennen. Wie auch der Kreisprocess
beschaffen sein mag, ob umkehrbar oder nicht umkehrbar, immer
ist der Ueberschuss der aufgenommenen Wärme über die abge-
gebene Wärme die in Arbeit verwandelte Wärme. Die durch den
Kreisprocess gewonnene Arbeit wird also ein- für allemal durch
E (Qi — Qa) dargestellt. Der Tait' sehe Ausdruck kann somit
nur für umkehrbare Kreisprocesse , bei welchen das Integral
/ -^ gleich Null ist, und daher das letzte Glied des Ausdruckes
fortfällt, richtig sein; für nicht umkehrbare Kreisprocesse dagegen,
^) Sketch of Thermodynamics, erste Auflage S. 99, zweite Auflage S. 121.
Claixsius, mech. Wärmetheorie. II. 21
322 Abschnitt XI.
bei welchen das letzte Glied nicht Null ist, muss er unrichtige
Arbeitswerthe geben. Das Letztere wird durch einen besonderen
Umstand noch recht augenfällig. Das Integral / —^ kann näm-
lich, wenn es nicht Null ist, immer nur negative Werthe haben.
Daraus folgt, dass das letzte, äusserlich mit dem Minuszeichen ver-
sehene Glied des Tait 'sehen Ausdruckes positiv sein muss, und
dass somit der Tait' sehe Ausdruck für nicht - umkehrbare Kreis-
processe grössere Arbeitswerthe giebt, als für umkehrbare, was
mit den Principien der mechanischen Wärmetheorie unverein-
bar ist.
Hr. Tait selbst äussert sich freilich ganz anders über die
Sache, indem er fortfährt:
JVom;, if the cycle he reversible, the pracUcal value is
by the first Jatv ; so tJiat, in this particular case,
/f = o.
JBut in general this integral has afinite positive value, because
in non- reversible cycles the practical value of the heat is always
less than
E(Q^ — Qo).
Hier ist also in bestimmten Worten ausgesprochen, dass der
practisciie Werth der mitgetheilten Wärme, d. h. die gewonnene
Arbeit, nur für umkehrbare Kreisprocesse gleich E (Qi — Qo), für
nicht -umkehrbare dagegen von E(Qi — Qo) verschieden sei, was
mit dem ersten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie, wel-
cher für umkehrbare und nicht - umkehrbare Kreisprocesse in ganz
gleicher Weise gilt, im Widerspruche steht. Da nun Hr. Tait
weiss, dass nicht -umkehrbare Kreisprocesse für die Gewinnung
von Arbeit ungünstiger sind, als umkehrbare, so macht er ohne
Weiteres die Voraussetzung, dass für nicht - umkehrbare Kreis-
processe die Arbeit kleiner als E (Qi — ^o) sei, und daraus
—^ für nicht - umkehr-
bare Kreisprocesse positiv sei, was mit dem zweiten Hauptsatze
der mechanischen Wärmetheorie im Widerspruche steht.
Durch eine solche Reihe falscher Schlüsse, die bei einem her-
vorragenden Mathematiker, welcher selbst ein Buch über die
tJ'.
Discussionen über Wärme und Electricität. 323
mechanische Wärmetheorie geschrieben hat, fast unbegreiflich sind,
gelangt Hr. T a i t endlich zu dem Resultate, dass die in dem Kreis-
processe nutzlos verlorene Wärme durch
T
dargestellt werde, welcher Ausdruck, abgesehen von dem schon
erwähnten falschen Vorzeichen, mit dem unter (4) mitgetheilten
Ergebnisse meiner Entwickelung übereinstimmt. Hr. Tait nimmt
aber von meiner Entwickelung keine Notiz, sondern sagt: This is
Thomson' s expression for the amount of heat dissipated during
the cycle^ und fügt als Beleg für diese Behauptung folgendes Citat
hinzu: Phil. Mag. and Froc. M. S. E. 1852., „On a Universal Ten-
dency in Nature to Dissipation of Energy.''^
Nachdem ich in Pogg. Ann. i) und später im ersten Bande
dieses Werkes 2) darauf aufmerksam gemacht habe , dass sich in
dem citirten Aufsatze von Thomson weder der in Rede stehende,
noch ein ihm gleich bedeutender Ausdruck befindet, führt Hr. Tait
in der Vorrede zur zweiten Auflage seines Buches als den Aus-
druck, welchen er gemeint hat, folgenden an:
we J J
T
Dieser Ausdruck hat eine ganz andere Gestalt, wie der oben an-
geführte, und Hr. Tait durfte daher selbst dann, wenn er i)eide
Ausdrücke dem Sinne nach für gleich hielt , nicht einfach sagen :
this is Thomson'' s expression., sondern er musste die Gleichheit
erst nachweisen. In der Wirklichkeit aber sind beide Ausdrücke
auch dem Sinne nach sehr verschieden von einander.
In Thomson's Ausdruck bedeutet «7 das mechanische Aequi-
valent der Wärme und fi den reciproken Werth der Carnot'schen
Temperaturfunction, welche in diesem Ausdrucke noch als un-
bekannt angenommen ist. T stellt die Temperatur des Conden-
sators der Dampfmaschine dar, und kann also der in dem obigen
Ausdrucke vorkommenden Grösse Tq gleich gesetzt werden, wäh-
rend 8 die Temperatur des Dampfkessels darstellt. Hieraus ist
ersichtlich, dass in Thomson's Ausdruck nur zwei Temperaturen
vorkommen, während in dem obigen Ausdrucke zu den verschiede-
1) Bd. 145, S. 145. — 2) S. 387.
21*
324 Abschnitt XI.
nen Wärmeelementen unendlicli viele verschiedene Temperaturen
gehören können. Der Hauptunterschied aber liegt in der Bedeu-
tung der in Thomson's Ausdruck vorkommenden Grösse w im
Vergleiche mit der in dem obigen Ausdrucke vorkommenden
Grösse Q. Während d Q das Element der Wärme bedeutet, welche
der veränderliche Körper während des Kreisprocesses von Aussen
her empfängt, also bei der Dampfmaschine ein Element der theils
positiven theils negativen Wärmemengen, welche dem Wasser bei
seiner Verdampfung und bei dem dann wieder erfolgenden Nieder-
schlage von Aussen her zugeführt werden, und für welche vor-
zugsweise das den Kessel umspülende Feuer und das Kühlwasser
des Condensators als positive und negative Wärmequellen dienen,
definirt Thomson seine Grösse tv dadurch dass er sagt, -y w sei
eine Wärmemenge, welche auf Kosten einer Arbeits-
grösse-u; durch Reibung erzeugt werde, sei es Reibung
des Dampfes in den Röhren und Eintrittsöffnungen, sei
es Reibung irgend welcher bewegter fester oder flüs-
siger Körper in irgend welchen Theilen der Maschine
(a quantity of Jieat produced by the exjaendüure of a quantity w of
tvorh in friction^ tvhether of the steam in the pipes and entrance
ports^ or of any solids or fluids in motion in any pari of the enginej.
Man sieht hieraus, dass es sich in Thomson's Ausdruck um eine
ganz andere Wärmemenge handelt, als in jenem obigen Ausdrucke,
und "dass somit durchaus keine Berechtigung vorlag , beide Aus-
drücke als gleichbedeutend zu bezeichnen.
§. 6. Tendenz des Buches „Sketch of Thermodynamics'-^
von Tait.
In Bezug auf das von Tait veröffentlichte Buch „Sketch of
TJtermodynamics'-^^ aus welchem schon im vorigen Paragraphen
eine Stelle besprochen ist, hatte ich im Jahre 1872 in meinem Ar-
tikel „Zur Geschichte der mechanischen Wärmetheorie" i) und im
ersten Bande dieses Werkes S. 387 die Ueberzeugung ausgedrückt,
dass es seine Entstehung vorwiegend dem Bestreben verdanke, die
mechanische Wärmetheorie so viel, wie möglich, für die englische
•1) Pogg. Ann. Bd. 145, S. 132.
Discussionen über Wärme und Electricität. 325
Nation in Anspruch zu nehmen. Die Gründe auf welche diese
Ueberzeugung sich stützt, habe ich aber bisher nicht angegeben,
weil sie zum Theil in einer Privatcorrespondenz liegen, welche ich
nicht gern zur Sprache bringen wollte, wenn nicht Hr. Tait selbst
mich zu einer weiteren Besprechung der Sache aufforderte. Da
nun aber neuerdings Hr. Tait in den Vorreden zu zwei Werken i)
die Angelegenheit wieder aufgenommen und in der einen 2) den
Wunsch ausgedrückt hat, meine Gründe kennen zu lernen (I am,
indeed, curious to Jcnow ivhat these grounds can he), so bin ich zu
meiner eigenen Rechtfertigung genöthigt, näher auf die Sache
einzugehen. Ich muss dazu etwas zurückgreifen und einige Vor-
gänge erwähnen, welche schon vor dem ersten Erscheinen des
Buches über die Thermodynamik stattgefunden haben.
Die Arbeiten von Bob. Mayer waren bis zum Anfange der
sechziger Jahre sehr wenig bekannt. Nur die erste derselben , ein
kurzer Aufsatz, welcher noch gewisse Mängel der Auffassung ent-
hielt, war im Jahre 1842 in einer wissenschaftlichen Zeitschrift =')
erschienen und dadurch in weiteren Kreisen verbreitet; die ande-
ren dagegen waren als besondere Brochüren gedruckt und waren,
da zur Zeit ihres Erscheinens wenige Personen sich für den Gegen-
stand interessirten , in Vergessenheit gerathen. Auch ich kannte
zu jener Zeit nur die erste Arbeit, und daher kam es, dass ich, wie
Tyndall in dem gleich zu erwähnenden Vortrage mitgetheilt hat,
auf eine von ihm im Jahre 1862 an mich gerichtete Anfrage über
den Inhalt der Mayer'schen Schriften antwortete, ich glaube nicht,
dass er sehr erhebliches darin finden werde, wolle indessen ver-
suchen, sie ihm zu verschaffen. Als ich dann aber die Brochüren
von dem Buchhändler in Heilbronn erhalten hatte und sie, bevor ich
sie an Tyndall schickte, selber las, erkannte ich, dass ich mich
geirrt hatte, und dass Mayer vielmehr die Mängel, welche an-
fangs seinen mechanischen Vorstellungen noch angehaftet hatten,
und welche bei einem practischen Arzte, der zum ersten Älale über
einen mechanischen Gegenstand schrieb, sehr erklärlich waren,
durch weitere , eingehende Studien beseitigt Latte , und in diesen
1) Lectures on some Recent Advances in Science 2. edition, London
1876 und zweite Auflage des erwähnten Buches Sketch of Thermodi/na-
mics, London 1877.
2) Vorrede zu den Lectures S. IX.
3) Ann. d. Chem. u. Pharm, von Wo hl er und Lieb ig, Bd. 42, S. 239.
326 Absclmitt XI.
Schriften seine Ansichten mit Klarheit und Schärfe auseinander-
setzte, und einen Ideenreichthum entwickelte, welchen man be-
wundern musste , selbst wenn man nicht mit allem dort Gesagten
übereinstimmte. Ich nahm daher, als ich Tyndall die Schriften
zusandte, meinen früheren Ausspruch zurück und hob dasjenige,
was ich in den Schriften für besonders wichtig hielt, hervor.
Gerade damals hatte Tyndall bei Gelegenheit der im Jahre
1862 stattfindenden Londoner Industrieausstellung einen öffent-
lichen Vortrag in der Royal Institution vor einer grossen und ge-
wählten, aus verschiedenen Ländern zusammengekommenen Zu-
hörerschaft zu halten. Dazu wählte er als Gegenstand die May er '-
sehen Schriften und setzte die Hauptresultate derselben in seiner
bekannten ansprechenden Weise auseinander, und als er dadurch
das grösste Interesse erweckt hatte, und man natürlich gespannt
darauf war, zu erfahren, von wem das alles stamme, da nannte er
den Mann, welcher in einer kleinen deutschen Stadt, ohne wissen-
schaftliche Anregung und ohne Ermuthigung seine mit Genialität
erfassten Gedanken mit wunderbarer Kraft und Ausdauer ent-
wickelt habe.
Dieser Vortrag, welcher mehrfach gedruckt wurde i) und viel
besprochen ist, hat für Mayer in Bezug auf die Anerkennung sei-
ner Leistungen den Wendepunct gebildet 2). Mayer selbst sprach
sich darüber in einem an Tyndall gerichteten Briefe 3) folgender-
maassen aus. „2 hardly Tznow how to find words to express the
feelings ivhich move me at the present moment. On the 1 6th of last
June Prof. Clausius conveyed to me the joleasant intelligence of
your lecture at the Royal Institution. The hopes ivhich in stillness I
ventured to cherish ivere exceeded by the recognition which you there
accorded me, and I am still more deeply affected by the receipt of
your last communication to the Fhilosophical Magazine. Your
Mndness maJces all the deeper impression from the fact that for
many years I have been forced to habituate myself to a precisely
opposite mode of treatment.^^
1) „ Oll Force." Proc. of the Boyal Institution , June 6, 1862, Phil.
Mag. Ser. 4, Vol. 24, p. 57, Heat considered as a mode of Motion,
London 1863, p. 435.
2) Ich habe daher bei Gelegenheit einer von mir im Literarischen
Centralblatt für 1868 veröffentlichten Reoension der von Mayer später
herausgegebenen gesammelten Schriften schon einmal davon gesprochen,
3) Phil. Mag. Ser. 4, Vol. 26, p. 66.
Discussionen über Wärme und Electricität. 327
Während Tyndall sich durch die in diesem Vortrage geübte
historische Gerechtigkeit einerseits Dank und Anerkennung erwor-
ben hat, hat er sich andererseits dadurch, auch viele und heftige
Anfeindungen in England zugezogen, weil man dort bis dahin den
berühmten englischen Physiker Joule, welcher sich um die Fest-
stellung des Satzes von der Aequivalenz von Wärme und Arbeit und
um die Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme
unzweifelhafte und grosse Verdienste erworben hat, welcher den
Satz aber, obwohl unabhängig, so doch später, als Mayer, aus-
gesprochen hat, für den ersten und alleinigen Begründer des Satzes
gehalten hatte.
Bald nach dem Vortrage erschien in einer viel gelesenen,
nicht wissenschaftlichen englischen Zeitschrift „Good Words^^ ein
von Thomson und Tait überschriebener Artikel „Energy", dessen
eigentlicher Verfasser aber der Letztere war, wie aus einer später
von ihm gemachten Bemerkung i) hervorgeht. Hierin heisst esi
nachdem der erste Aufsatz von Mayer erwähnt ist: „ On the strength
of tliis puhlication an attempt has heen made to cJaim for Mayer
the credit of heing the first to estahlish in its generality the prin-
ciple of the Conservation of Energy. It is true that „La science
n'a pas de patrie", and it is highly creditahle to British philo-
sophers, that they have so liherally acted according to this maxim.
But it is not to he imagined that on this account there should he
no scientific patriotism, or that in our desire to do all justice to a
foreigner, we should depreciate or suppress the claims of our own
countrymen. And it especially startles us that the recent attenipts
to place Mayer in a position tvhich he never claimed, and ivhich
had long hefore taken hy another, should have found support ivithin
the very walls wherein Davy propounded his transcendent dis-
coveries."
Die hierin vorkommende Hervorhebung des wissenschaftlichen
Patriotismus und die Art, wie die Räume, in denen Davy seine
grossartigen Entdeckungen gemacht hat (nämlich die Räume der
Boyal Institution), erwähnt sind, um Tyndall's Handlungsweise
noch als besonders unpatriotisch erscheinen zu lassen, kennzeich-
net von vorn herein den Standpunct, von welchem aus Hr. Tait
die Geschichte der Wissenschaft behandelt.
ij PMl Mag. Ser. 4, Vol. 26, p. 144.
328 Abschnitt XI.
An diesen Artikel schloss sich eine lange Polemik zwischen
Tyndall und Tait an, welche sich durch drei Bände des Phil.
Mag. (Bd. 25, 26 und 28, 1863 und 1864) hinzog, aber bei der von
Tait selbst in jenen Worten ,,scientific patriotism'-^ so deutlich
ausgedrückten Tendenz zu keiner Einigung führen konnte, sondern
die Gegensätze nur verschärfte.
Hr. Tait sah sich daher veranlasst, der Sache grössere Dimen-
sionen zu geben, und veröffentlichte im Jahre 1864 in einer damals
in Schottland erscheinenden Zeitschrift ,,North British Beview'-^
zwei längere Artikel über die Geschichte der mechanischen Wärme-
theorie, welche sich nicht mehr bloss auf die Prioritätsfrage zwi-
schen Mayer und Joule beschränkten, sondern auch die weitere
Entwickelung der mechanischen Wärmetheorie behandelten.
Diese Artikel sollten , einige Jahre später einem grösseren
Publicum zugänglich gemacht werden, und es wurde daher aus
ihnen eine besondere Brochüre unter dem Titel „Historical Sltetch
of the Dynamical Theory of Heat'-'- gebildet, welche aber nicht
gleich der Oeffentlichkeit übergeben wurde , sondern von der nur
eine beschränkte Anzahl von Abdrücken gemacht wurde, wie es
scheint, um vor der Veröffentlichung einigen als competent gelten-
den Personen zur Beurtheilung vorgelegt zu werden.
Diese Brochüre wurde auch mir im Anfange des Jahres 1867
von Hrn. Tait mit folgendem Schreiben zugesandt. „Would you
hindly looJc over the little j)amphlet which accompanies this, and
which is not yet puhlished, so as to teil me ivhether in trying to
give Joule and Thomson the credit they deserve, and which some
of their countrymen appear indisposed to grant them , I have inad-
vertently done injustice to you. If such he the case , I shall he de-
lighted to make the necessary corrections before Publishing., as my
sole object is to be impartial.'-^
Hieraus sieht man, dass es sich in der Schrift vorzugsweise
darum handelte, die Verdienste von Joule und Thomson her-
vorzuheben. Was den Schlusssatz über die Unparteilichkeit an-
betrifft, so versteht es sich erstens von selbst, dass niemand seine
eigene Schrift als parteiisch bezeichnen wird. Ferner kann ich
aber auch hinzufügen, dass es gar nicht meine Absicht ist, die
Aufrichtigkeit dieses Ausspruches zu bestreiten, denn, wenn man
der Schrift die Tendenz zuschreibt, die Verdienste gewisser Perso-
nen hervorzuheben, und diese Tendenz selbst als eine übertriebene
bezeichnet, so liegt darin noch nicht die Behauptung, dass der Ver-
Discussionen über Wärme und Electricität. 329
fasser in wirklich bewusster Weise parteiisch gewesen sei, sondern
man kann gern zugeben, class er in dem guten Glauben gehandelt
habe, gerecht zu sein, und dass nur sein Urtheil durch den Patrio-
tismus und die Freundschaft zu den betreuenden Personen, und
vielleicht auch durch die in der voraufgegangenen Polemik ent-
standene Erregtheit getrübt gewesen sei.
Als ich nun die mir zugesandte Schrift las, fand ich sie in
einem wirklich überraschenden Grade einseitig, und erkannte deut-
lich, dass der Autor, welcher es unternommen hatte, eine Ge-
schichte der mechanischen Wärmetheorie zu schreiben, doch wenig
mehr, als die Abhandlungen der englischen Autoren, deren Ver-
dienste er hervorheben wollte, gelesen haben konnte.
Ich theilte ihm diese Wahrnehmung in meiner Antwort ganz
offen mit, wobei ich, infolge seiner Frage über meine Arbeiten,
verschiedene Einzelnheiten derselben näher besprach, und schrieb
dann wörtlich weiter: „Sie sind mir, hochgeehrter Herr, mit sehr
anerkennenswerther Freundlichkeit entgegengekommen, indem Sie
mir die Schrift vor ihrer Veröffentlichung zur Ansicht zugeschickt
haben, und ich habe geglaubt, es nicht bloss mir, sondern auch
Ihnen schuldig zu sein, Ihnen aufrichtig und ohne Rückhalt meine
Ansicht auszusprechen. Gestatten Sie mir noch zum Schlüsse,
Ihnen (ganz abgesehen von der Beurtheilung meiner eigenen Ar-
beiten) offen zu sagen^ dass meiner Ueberzeugung nach die Schrift
in ihrer jetzigen Form Ihrem eigenen so hoch stehenden wissen-
schaftlichen Rufe nur schaden kann. Jeder Leser sieht auf den
ersten Blick, dass dieses nicht eine unparteiische historische Dar-
stellung der Sache ist, wie man sie von einem Forscher Ihres Ran-
ges erwarten muss, sondern eine blosse Parteischrift, welche nur
zum Lobe einiger weniger Personen geschrieben ist. Ich selbst
schätze diese Personen sehr hoch, aber ich glaube doch, dass man
um ihretwillen nicht andere herabsetzen muss. In Ihrer Schrift
erkennt man, dass das Urtheil über alle die Personen, welche mit
jenen concurriren, nicht mehr frei und unbefangen geblieben,
sondern durch den vorgefassten Zweck getrübt und oft sehr un-
gerecht geworden ist."
Zugleich gab ich in dem Briefe folgende bestimmte Erklä-
rung ab. „Wenn Ihr Historical Sketch in seiner jetzigen Form
veröffentlicht werden sollte, so behalte ich mir vor, eine Entgeg-
nung darauf zu schreiben, und ich glaube , nicht bloss die hier er-
330 Abschnitt XI.
wähnten, sondern auch noch andere Fehler darin nachweisen zu
können."
Nach dieser Correspondenz dauerte es, obwohl der Satz des
Buches schon vollendet gewesen war, doch mehr als ein Jahr, bis
es erschien. Es war dann durch Zusätze bedeutend erweitert, so
dass es von 68 Seiten auf 128 Seiten angewachsen war, und von
diesen Zusätzen war ein nicht unbeträchtlicher Theil meinen Ar-
beiten gewidmet. In seinem Titel war jetzt das Wort „HistoricaV^
fortgelassen, und er lautete einfach „Sketch of Thermodynamics^^ ;
da aber. der ursprüngliche Satz des Buches benutzt war, und die
Ergänzungen nur eingefügt oder angehängt waren, so enthielten
die Ueberschriften der Capitel, mit Ausnahme des ganz neu ent-
standenen letzten, und die sämmtlichen Columnenüberschriften
der ersten 86 Seiten das Wort „UistoricaV^, was mit dem Titel, in
welchem dieses Wort fehlte, in eigenthümlicher Weise contrastirte
und ganz augenfällig zeigte, dass die urprüngliche Bestimmung
des Buches dem jetzigen Titel nicht entsprach.
Obwohl nun nach den vielen vorgenommenen Aenderungen
für mich keine Veranlassung mehr vorlag, mit einer Gregenschrift
aufzutreten, so konnte ich doch bei einer allgemeinen, auf alle
besprochenen Autoren bezüglichen Beurtheilung das Buch auch in
seiner neuen Form nicht als eine gerechte historische Darstellung
anerkennen. Die Tendenz, vorzugsweise die Verdienste englischer
Autoren hervorzuheben, kann keinem aufmerksamen Leser des
Buches entgehen, und wenn man dabei bedenkt, dass diejenigen
Bestandtheile des Buches, welche sich auf fremde Arbeiten be-
ziehen, meistens erst nachträglich auf besondere Anregung hinzu-
gefügt sind, während ursprünglich fast ausschliesslich über eng-
lische Arbeiten gesprochen war, und wenn man ferner die oben
erwähnten, der Publication vorausgegangenen Vorgänge mit be-
rücksichtigt, so wird man gewiss meinen Ausspruch gerechtfertigt
finden , dass das Buch seine Entstehung ganz unzweifelhaft vor-
wiegend dem Bestreben verdankt, die mechanische Wärmetheorie
so viel, wie möglich, für die englische Nation in Anspruch zu
nehmen.
Discussionen über Wärme und Electricität. 331
§. 7. Spätere Aeusserungen von Taitund Aenderung
seines Buches.
Der oben erwähnte im Jahre 1872 von mir gethane Ausspruch
über die Tendenz des Tait' sehen Buches hatte eine Polemik zur
Folge 1), welche trotz meiner Bemühung, sie auf wissenschaftlichem
Gebiete zu erhalten, einen so persönlichen Character annahm, dass
ich erklären musste, sie nicht weiter fortsetzen zu können. Ich
kann mir den Ton, welchen Hr. Tait darin anschlug, nur aus einer
grossen Heftigkeit seines Temperamentes erklären, die ihn, wenn
er sich für beleidigt hält, nicht dazu kommen lässt, die betreffen-
den Stellen mit Ruhe zu lesen und zu prüfen, sondern ihn treibt,
sofort nach dem ersten, bei flüchtiger Durchsicht entstandenen
Eindrucke in möglichst geharnischter Weise zu antworten. •
So führt er aus meinem Artikel die Ausdrücke „Absichtlich-
keit" und „sehr geschickt abgefasst" als besonders beleidigend an.
Nun kommt aber das Wort „Absichtlichkeit" in einer Stelle vor,
welche sich gar nicht auf ihn bezieht , und was den zweiten Aus-
druck anbetrifft, so lautet die Stelle, in welcher er vorkommt, fol-
gendermaassen : „Ich hatte gegen die Art, wie meine Arbeiten
darin (nämlich in dem Sketch of Thermoclynamics) neben denjeni-
gen von W. Thomson und Rank ine besprochen sind, manches
einzuwenden, aber aus Scheu vor persönlichen Erörterungen und
aus Hochachtung vor dem Verfasser und vor den beiden letzt-
genannten hervorragenden Gelehrten, deren Verdienste ich in kei-
ner Weise schmälern wollte, unterliess ich es, obwohl jenes sehr
geschickt abgefasste Buch nicht bloss in England grosse Verbrei-
tung fand, sondern auch ins Französische übersetzt wurde." Ich
glaube, keiner, der diesen Satz ruhig liest, wird in ihm etwas Be-
leidigendes finden.
Später muss Hr. Tait wohl selber gefunden haben, dass die
Worte „sehr geschickt abgefasst" keine Beleidigung enthalten,
denn in der Vorrede zu der im vorigen Jahre erschienenen zwei-
ten Auflage seines Buches (S. XVI) sieht er sich zu folgender Er-
klärung veranlasst. ,, Professor Claus ins adds tJiat my hooJc is
sehr geschickt abgefasst Read hy the light of the context this
1) Phil Mag. Ser. IV, Vol. 43 and 44.
332 Absclmitt XI.
can only mean that ü is sMTled special pleading}^ Hiernach ist
also nicht mehr der von mir gebrauchte Ausdruck selbst, sondern
dasjenige, was Hr. Tait ihm des Zusammenhanges wegen glaubt
unterlegen zu müssen, beleidigend. Ich muss mich aber bestimmt
dagegen verwahren, dass meinen Worten etwas anderes unter-
gelegt wird, als was sie wirklich enthalten. Ich bin gewohnt, mich
immer offen auszusprechen, und denke nie daran, etwas, was ich
nicht wirklich sagen will , doch andeutungsweise durchblicken zu
lassen. Jene Worte „sehr geschickt abgefasst" sind von mir ein-
fach als ein auf die gewandte , leicht fassliche Darstellungsweise
bezügliches Lob gebraucht, und weiter kann man auch aus dem
Zusammenhange nichts schliessen, da sie ofienbar dazu dienen sol-
len, die grosse Verbreitung des Buches in England und seine
üebersetzung ins Französische zu erklären.
Man wird mir zugeben, dass diese Art, einem Autor die Ab-
sicht der Beleidigung unterzuschieben , wo er sie gar nicht gehabt
hat, und dann sofort mit wirklichen Beleidigungen zu antworten,
die Discussion so unerquicklich machen kann, dass nur ein kurzes
Abbrechen derselben übrig bleibt. Ich will daher auch auf die
damaligen Auseinandersetzungen hier nicht weiter eingehen, son-
dern nur einige von Hrn. Tait neuerdings, nämlich in der zweiten
Auflage seines Buches Sketch of Thermodynamics, gethane Aeusse-
rungen und das darin gegen mich eingeschlagene Verfahren kurz
beleuchten.
Wie es scheint, will Hr. Tait die Verantwortlichkeit für seine
Darstellung der Gleschichte der mechanischen Wärmetheorie nicht
gern allein tragen, sondern wünscht sich dabei auf andere Autori-
täten zu stützen.
Zunächst sagt er auf S. XV der Vorrede: „and it ivill he seen
that Professor Clausius fancies himself to have received even
tvorse treatment from Clerh-Maxivell than from myself}'' Wenn
Hr. Tait sich hier auf die Autorität von Maxwell beruft, so
scheint er nicht zu wissen, dass meine Meinungsdifferenz mit
Hrn. Maxwell längst dadurch ausgeglichen ist, dass Hr. Max-
well die von mir angefochtenen Stellen der ersten Auflage seiner
Theory of Heat in der bald darauf erschienenen zweiten Auflage
in dem von mir angedeuteten Sinne geändert und auf diese Weise
meine Einwendungen als richtig anerkannt hat. Ich glaube hinzu-
fügen zu müssen, dass die loyale Bereitwilligkeit, mit welcher
Hr. Maxwell jene Stellen der ersten Auflage, sobald er auf ihre
Discussionen über Wärme und Electricität. 333
Unrichtigkeit aufmerksam gemacht war, sofort corrigirt hat, in mir
die Ueberzeugung hervorgerufen hat, dass auch bei ihrer ersten
Abfassung nicht eine Absichtlichkeit obgewaltet hat, sondern nur
eine unvollständige Kenntniss der ausserenglischen Literatur, über
welche man bei einem Forscher, dem die Wissenschaft so viele
und so durchgreifend wichtige eigene Schöpfungen verdankt, leicht
hinfortsehen wird.
Ferner erzählt Hr. Tait, wie schon in der Vorrede zu seinem
Buche „On some Becent Advances e^c", so auch wieder in der Vor-
rede zur zweiten Auflage seines Buches über die Thermodynamik
(S. XVI), dass er die auf meine Arbeiten bezüglichen Paragraphen,
welche er in der ersten Auflage des letzteren Buches dem ursprüng-
lichen Entwürfe hinzugefügt hat, gar nicht selbst verfasst hat, son-
dern sich von Rankine hat schreiben lassen, und knüpft daran
die Bemerkung, dass ein Theil meines Angriffes (wie er meine
Aeusserungen über sein Buch nennt) in Wirklichkeit gegen Ran-
kine's Aufstellungen gerichtet sei.
Das Geständniss, dass Hr. Tait zu der Zeit, wo er sich schon
berufen fühlte, eine Geschichte der mechanischen Wärmetheorie
zu schreiben, doch die Arbeiten, deren Werth er darin beurtheilte,
so wenig kannte, dass er zu einer etwas specielleren Auseinander-
setzung fremde Hülfe in Anspruch nehmen musste, hat mich etwas
in Erstaunen gesetzt. Die daran geknüpfte Bemerkung verstehe
ich aber nicht, da mein Urtheil über sein Buch sich nicht sowohl
auf die späteren Zusätze, als auf die ursprüngliche Anlage dessel-
ben bezieht, und die Zusätze vielmehr bewirkt haben, dass ich
meine Absicht, eine Entgegnung zu schreiben, aufgegeben habe.
Sollten aber wirklich in den von Rankine herrührenden Zusätzen
noch Differenzpuncte vorkommen, so wird Hr. Tait, wie ich denke,
für das, was er unter seinem Namen veröffentlicht hat, auch wohl
die Verantwortung übernehmen.
Ganz besonders auffällig ist mir aber ein Punct gewesen, näm-
lich dass Hr. Tait in der Vorrede zur zweiten Auflage seines Bu-
ches (S. XV) sagt, er habe selbst in der ersten Auflage einige für
mich günstige Stellen hinzugefügt, welche er in der zweiten Auf-
lage, als ununterstützt durch den Augenschein, wieder habe zu-
rückziehen müssen (tvhich I Jiave noiv been obliged to retract as
tmsujyported hy evidence). Ich war gespannt darauf, diese Stellen
kennen zu lernen. Ausser einigen Stellen, welche den von mir ein-
geführten Ausdruck Entropie enthielten, der in der ersten Auf-
334 Abschnitt XI.
läge excellent term und excellent word genannt und vielfach ange-
wandt war, in der zweiten Auflage aber beseitigt ist, handelt es
sich, soviel ich habe finden können, vorzugsweise um folgende
Stelle, welche in der ersten Auflage auf S. 29 steht. „But the
grand point of Clausius^ worJc is Ms proof that CarnoVs prin-
ciple of reversibility still Jiolds , iJiough on other grounds tJian ihose
from wMch Carnot deduced ist. This was a step of the utmost im-
portance to thermodynamics, and sufficient (had he done no more) to
entiile him to a foremost place in the history of the suhject^^ Diese
Stelle ist in der neuen Auflage fortgelassen.
Also im Jahre 1868, wo die hierbei in Betracht kommenden
Abhandlungen schon fast zwei Decennien alt waren, und die mei-
nigen nicht nur deutsch, sondern auch in englischer üebersetzung
vorgelegen hatten, wo Hr. Tait daher die reichlichste Gelegenheit
zu ihrer Prüfung und Vergleichung gehabt hatte, und bei seinem
speciellen Interesse für die Geschichte der mechanischen Wärme-
theorie über diesen ihre ersten Grundlagen betreffenden Punct
längst im Klaren sein musste, hatte er es für recht gehalten, die-
sen Satz zu schreiben, und im Jahre 1877, wo zu den wissenschaft-
lichen Documenten nichts Neues hinzugekommen ist, wo aber
unser persönliches Verhältniss sich geändert hat, hält er es für
angemessen, ihn wieder zurückzuziehen, ohne zur Erklärung etwas
anderes zu sagen, als die paar Worte „as unsupported hy evidence^''.
Dieses Verfahren ist so characteristisch , dass ich meinerseits mich
jeden Commentars enthalte, und es den Lesern überlasse, selbst
zu beurtheilen, welches Vertrauen man hiernach zu der histori-
schen Unparteilichkeit des Autors haben kann.
§. 8. Ansichten von W. Thomson und F. Kohlrausch über
thermoelectrische Erscheinungen.
Ueber das Verhalten der Stoffe, und zwar speciell der Me-
talle, in thermoelectrischer Beziehung sind mehrere sehr werth-
voUe Arbeiten von W. Thomson veröffentlicht, welche theils theo-
retischer, theils experimenteller Natur sind. Eine erste kurze
Notiz war schon vor meiner im Jahre 1853 publicirten Abhand-
lung, deren Inhalt in Abschnitt VII. wiedergegeben ist, veröffent-
Discussionen über Wärme und Electricität, 335
licht 1). Die grösseren Abhandlungen dagegen , welche die Ent-
wickelung der Theorie und die Mittheilung ausgedehnter Versuchs-
reihen enthalten, erschienen etwas später, nämlich in den Jahren
1854 und 1856 2). Durch die experimentellen Untersuchungen ist
eine Reihe wichtiger, früher nur theilweise und unvollständig be-
kannter Thatsachen über das thermoelectrische Verhalten der
Metalle festgestellt und ins Einzelne verfolgt, und der grosse Werth
dieser Untersuchungen kann natürlich durch etwaige Meinungs-
verschiedenheiten über die Ursachen der betreffenden Erscheinun-
gen in keiner Weise beeinträchtigt werden. Was aber die theo-
retischen Betrachtungen anbetrifft, so muss ich gestehen , dass ich
mit einigen derselben nicht übereinstimmen kann.
Bei der Betrachtung der thermoelectrischen Erscheinungen
handelt es sich zunächst um die Entstehung des thermoelectri-
schen Stromes, und in dieser Beziehung kann man zweierlei unter-
scheiden, erstens den regulären Vorgang, welcher so stattfindet,
dass bei einer aus zwei Metallen oder sonstigen Leitern erster
Classe gebildeten Kette durch eine Temperaturdifferenz der beiden
Verbindungsstellen ein electrischer Strom veranlasst wird, dessen
Stärke mit der Grösse der Temperaturdifferenz gleichmässig wächst,
und zweitens die Abweichungen von diesem regulären Vorgange,
welche bei manchen Metallverbindungen, besonders bei der Eisen-
kupferkette vorkommen, und darin bestehen, dass der Strom mit
wachsender Temperaturdifferenz nicht immer zunimmt, sondern
von einer gewissen Höhe der einen Temperatur an wieder abnimmt
und bei sehr grosser Höhe sogar die entgegengesetzte Richtung
annehmen kann.
Zugleich ist mit der Entstehung des thermoelectrischen Stro-
mes die Erscheinung verbunden, dass ausser derjenigen Wärmer
erzeugung, welche in der ganzen Kette bei der Ueberwindung des
Leitungswiderstandes stattfindet und dem Quadrate der Strom-
stärke proportional ist, noch an gewissen Stellen ein Verschwinden
und an anderen ein Hervortreten von Wärme stattfindet, wobei die
betreffenden Wärmemengen der Stromstärke einfach proportional
sind. Wenn man es nur mit dem regulären Vorgange zu thun hat, so
^) Proc. of the Edinh. B. Soc, JDec. 1851 und Phil. Mag. Sei: IV,
Vol. III, 1852.
2) Transactions of the Edenb. B. Soc. for 1854 und Phil. Trans, for
1856. Fortgesetzt in Phil. Trans, for 1875.
336 - Abschnitt XI.
braucht man ein solches Verschwinden und Hervortreten -von
Wärme nur an den Verbindungsstellen verschiedener Stoffe an-
zunehmen, und es ist dann diejenige Erscheinung, welche man die
Peltier'sche zu nennen pflegt. Wenn dagegen auch die oben er-
wähnten Abweichungen vom regulären Vorgange vorkommen, so
muss man annehmen, dass auch im Innern der einzelnen Metalle
an verschiedenen Stellen dieses der Stromstärke proportionale Ver-
schwinden und Hervortreten von Wärme stattfindet.
Die Theorie von Thomson bezieht sich nun vorzugsweise auf
das zuletzt erwähnte Verschwinden und Hervortreten von Wärme
im Innern der einzelnen Metalle. Dieses sucht er auf eine eigen-
thümliche Wirkung der Electricität zurückzuführen, welche er
dadurch ausdrückt, dass er sagt, die Electricität führe beim
Strömen durch einen ungleich erwärmten Leiter Wärme
mit sich (carries lieat wiili ü). Speciell über Eisen und Kupfer
spricht er sich so ausi): Harzelectricität führt Wärme mit
sich in einem ungleich erwärmten Leiter von Eisen und
Glaselectricität führt Wärme mit sich in einem ungleich
erwärmten Leiter von Kupfer. Unter dem hierbei angewand-
ten Ausdrucke des Mitsichführens von Wärme in einem ungleich-
erwärmten Leiter soll etwas verstanden werden, was man, wie ich
glaube, ohne besondere Erklärung nicht leicht darunter verstehen
würde, nämlich dass in dem Falle, wo die Electricität von wärmeren
zu kälteren Stellen des Leiters strömt, Wärme in dem Leiter ent-
wickelt, und umgekehrt, wenn die Electricität von kalt zu warm
strömt, dem Leiter Wärme entzogen wird.
In Verbindung mit dieser Ansicht führt Thomson eine neue
Grösse ein, welche er die specifische Wärme der Electricität
nennt und folgendermaassen definirt 2) : Wenn in einem Metalle
ein Strom von der unendlich kleinen Intensität y von einer Stelle,
deren Temperatur t -\- dt ist, zu einer Stelle, deren Temperatur
t ist, geht, und er zwischen diesen beiden Stellen während der
Zeiteinheit die Wärmemenge yöüt entwickelt, so ist 6 die spe-
cifische Wärme der Electricität in diesem Metalle. Die so defi-
nirte specifische Wärme der Electricität hat nach Thomson in
verschiedenen Metallen verschiedene Werthe und selbst verschie-
dene Vorzeichen. Den oben angeführten Aussprüchen nach muss
1) Transactions of the Edinb. B. Soc. Vol. XXI, p. 143.
2) A. a. 0. S. 133.
Discussionen über Wärme und Electricität. 337
man beim Kupfer die specitische Wärme der (ilaselectricität als
positiv annehmen, und beim Eisen muss man die specifische Wärme
der Harze] ectricität als positiv, und demgeraäss die specifische
W^ärme der Glaselectricität als negativ annehmen.
Ich weiss nicht, ob diese Aussprüche und Definitionen nur
dazu dienen sollen, das Verhalten der verschiedenen Metalle in
Bezug auf das in ihnen während eines electrischen Stromes statt-
findende Verschwinden und Hervortreten von Wärme in bequemer
und einheitlicher Weise auszudrücken, oder ob sie eine wirkliche
Erklärung der Erscheinungen enthalten sollen. Im letzteren
Falle müsste ich sagen, dass ich nicht im Stande bin, eine mir
physikalisch annehmbar scheinende Vorstellung mit dieser Erklä-
rung zu verbinden.
Auch würde dann das an den Berührungsstellen verschiedener
Stoffe stattfindende Verschwinden und Hervortreten von Wärme,
also das Peltier'sche Phänomen, eine Erscheinung von ganz
anderer Art sein, als das Verschwinden und Hervortreten von
Wärme im Innern eines Metalles, und es würde dafür noch eine
besondere Erklärung nöthig sein.
Was endlich die Entstehung des thermoelectrischen Stromes
anbetrifi't, so hat Thomson von dieser meines Wissens überhaupt
keine Erklärung gegeben.
Eine in Bezug auf die verschiedenen in Betracht kommenden
Erscheinungen vollständigere Theorie ist in neuerer Zeit von
F. Kohlrausch aufgestellt i), welche ebenfalls eine neue Eigen-
schaft der Electricität und zugleich eine entsprechende neue
Eigenschaft der Wärme als Grundlage voraussetzt.
Kohlrausch nimmt nämlich an, dass mit einem W^ärme-
strome in bestimmtem, von der Natur des Leiters ab-
hängigem Maasse ein electrischer Strom verbunden sei,
und dass auch umgekehrt durch einen electrischen Strom
die W^ärme bewegt werde. Diese letztere von Kohlrausch
der Electricität zugeschriebene Eigenschaft, beim Strömen die
Wärme mit zu bewegen , ist aber anders zu verstehen , als die
von Thomson angenommene, welche er dadurch ausdrückt, dass
er sagt, die Electricität führe Wärme mit sich. Nach Thomson
soll die betreffende "Wirkung des Stromes auf die im Leiter vor-
1) Göttinger Nachrichten. Februar 1874 und Pogg. Ann. Bd. 156,
S. 601.
Clausius, mech. Wärmetheorie. H. 22
338 Absclmitt XI.
handene Wärme nur in einem ungleich erwärmten Leiter statt-
finden und zwar in entgegengesetzter Weise, je nachdem dieElectri-
cität von warm zu kalt oder von kalt zu warm strömt, indem im
einen Falle Wärme entwickelt, im anderen Falle Wärme absorbirt
wird. Die von Kohl rausch angenommene Wirkung dagegen soll
auch im gleichmässig erwärmten Leiter stattfinden, und ein Gegen-
satz der zuletzt erwähnten Art kommt bei ihr nicht vor.
Kohlrausch erklärt aus den von ihm angenommenen Eigen-
schaften der Wärme und der Electricität die Entstehung des
thermoelectrischen Stromes und das Verschwinden und Hervor-
treten von Wärme an den Verbindungsstellen verschiedener Metalle,
und zeigt ferner, wie man unter Zuhülfenahme einer besonderen
Hypothese auch das Verschwinden und Hervortreten von Wärme
im Innern eines einzelnen Metalles erklären kann. Dessenunge-
achtet kann ich ihr nicht zustimmen, weil sie für die einzelnen zu
erklärenden Erscheinungen eben so viele ganz neue Eigenschaften
der Wärme und Electricität annimmt, von denen die eine, dass
die Wärme bei dem durch Leitung stattfindenden Uebergange von
warmen zu kalten Stellen eine Arbeit leisten könne, den sonstigen
Annahmen der mechanischen Wärmetheorie widerspricht, während
meine Theorie sich nur an die auch sonst in der mechanischen
Wärmetheorie gemachten Annahmen über die Umstände, unter
welchen die Wärme Arbeit leisten kann, anschliesst.
Zugleich muss ich daran erinnern, dass ich den Einwand,
welchen Kohlrausch gegen meine Theorie gemacht hat, und um
dessentwillen er gemeint hat, sich gegen dieselbe erklären zu
müssen, schon im zweiten Paragraphen dieses Abschnittes wider-
legt habe. Ich habe daher keinen Grund, meine Theorie, welche
ebenfalls, wenn sie in der von mir gleich anfangs angedeuteten
und später von Budde zur Ausführung gebrachten Weise erweitert
wird, von allen beobachteten Erscheinungen Rechenschaft giebt, zu
verlassen.
§. 9. Einwände von Zöllner gegen die im Abschnitt IX.
enthaltenen electrodynamischen Betrachtungen.
Gegen die im Abschnitt IX. enthaltenen electrodynamischen
Betrachtungen, welche zur Aufstellung des neuen electrodynami-
schen Grundgesetzes geführt haben, sind von Zöllner verschiedene
Discussionen über Wärme und Electricität. 339
Einwände erhoben^), von welchen die wichtigsten hier besprochen
werden mögen.
Ich habe dort gezeigt, dass das Web er' sehe Grundgesetz,
wenn es mit der Annahme in Verbindung gebracht wird, dass im
galvanischen Strome nur Eine Electricität sich bewege, zu einer
von einem geschlossenen, ruhenden und constanten Strome auf
ruhende Electricität ausgeübten Kraft führe, welche in der Wirk-
lichkeit nicht beobachtet wird. Zöllner erkennt nun zwar die
betreffenden Gleichungen, welche dort abgeleitet sind, und welche
auch schon früher von Kiecke aufgestellt waren, als richtig an,
meint aber, die durch dieselben bestimmte Kraft sei so klein, dass
sie sich der Beobachtung entziehe.
Die rr-Componente dieser Kraft wird bestimmt durch die im
Abschnitt IX. unter (4) angeführte Gleichung, nämlich :
W /ds'V d r/d]/'
^- c' [dt ) d^J V^r) '^''-
Eine characteristische Eigenthümlichkeit der hier für 3£ gegebenen
d'S
Formel ist die, dass der Differentialcoefficient -y— , welcher die
Bewegungsgeschwindigkeit darstellt, nicht blos in der ersten Potenz,
sondern quadratisch in ihr als Factor vorkommt. Daraus folgt,
dass, wenn die Stromstärke, d. h. die durch das Product h' -j-
ausgedrückte während einer Zeiteinheit durch einen Querschnitt
fliessende Electricitätsmenge , gegeben ist, der Werth der Formel
noch wesentlich davon abhängt, wie man den Strom auffasst, ob
man der strömenden Electricitätsmenge einen sehr grossen und
ihrer Geschwindigkeit einen geringen Werth zuschreibt, oder ob
man die Electricitätsmenge als geringer und dafür die Geschwin-
digkeit als grösser annimmt.
Zöllner stützt seine Betrachtungen auf die bekannten Unter-
suchungen von B. Kohlrausch und Weber über die Zurückführung
der Stromintensitätsmessungen auf mechanisches Maass 2) , aus
welchen die Verf. unter andern den Schluss gezogen haben (S. 281),
dass in electrolytischen Leitern die Strömungsgeschwindigkeit so
klein sei, dass man bei gewissen Annahmen über die Stromstärke
und den Querschnitt des Leiters nur eine Fortbewegung um Y2 ^t^
1) Pogg. Ann. Bd. 160, S. 514 und Wied. Ann. Bd. 2, S. 604.
2) Abb. d. k. säclis. Ges. d. Wiss. III, S. 221.
22*
340 Abschnitt XL
in der Secuncle erhalte. Diesen Werth der Geschwindigkeit wendet
Zöllner an und gelangt dadurch für dl zu einem seiner Kleinheit
wegen der Beobachtung nicht mehr zugänglichen Werthe. Hier-
gegen sind aber sehr erhebliche Einwände zu machen.
Betrachten wir zunächst nur die electrolytischen Leiter, so
bezieht sich der obige Schluss von Weber und Kohlrausch aut
die mittlere Geschwindigkeit aller im Electrolyten ent-
haltenen Theilmolecüle, also auf diejenige Geschwindigkeit,
welche man erhalten würde, wenn man sich dächte, dass alle in
(;lem Electrolyten enthaltenen positiven und negativen Theilmolecüle
Sich in gleicher Weise nach den beiden entgegengesetzten Rich-
tungen bewegten. Macht man dagegen die, meiner Ansicht nach,
viel wahrscheinlichere Annahme, dass nur verhältnissmässig wenige
Theilmolecüle die betreifende Bewegung, durch welche die Electri-
cität übertragen wird, ausführen, und dass diese dafür um so
grössere Geschwindigkeiten haben, so erhält man dadurch für
unsere vom Quadrate der Geschwindigkeit abhängende Grösse 36
natürlich entsprechend grössere Werthe.
Betrachten wir ferner statt der Electrolyten metallische Leiter,
so tritt bei diesen der neue Umstand hinzu, dass nicht die Molecüle
selbst mit den ganzen an ihnen haftenden Electricitätsmengen sich
fortbewegen, sondern dass ein Uebergang von Electricität von
Molecül zu Molecül stattfindet. Dabei ist nun nicht wohl anzu-
nehmen, dass die ganze einem Molecüle angehörende Electricitäts-
menge dieses verlasse und zu dem nächsten Molecüle übergehe,
sondern es ist viel wahrscheinlicher, dass verhältnissmässig sehr
kleine Theile der ganzen Electricitätsmengen übergehen, wodurch
man dann zu sehr viel grösseren Geschwindigkeiten gelangt.
Wenn man daher auch, wie Weber und Kohlrausch ganz rich-
tig hervorheben, nicht daran denken darf, die ungeheure, nach Tau-
senden von Meilen zählende Geschwindigkeit, welche Wh eat st one
und andere Forscher für die Fortpflanzung der electrischen Wir-
kung gefunden haben, als die Bewegungsgeschwindigkeit der Elec-
tricität selbst zu betrachten, so darf man andererseits, meiner
Ueberzeugung nach, auch jenen kleinen Werth von 1/2 i^n^? welchen
Weber und Kohlrausch für eine gewisse mittlere Geschwindig-
keit berechnet haben, nicht auf die wirkliche Bewegungsgeschwin-
digkeit der Electricität anwenden, besonders wenn es sich um
metallische Leiter handelt. In diesen ist die Geschwindigkeit
Discussionen über Wärme und Electricität. 341
wahrscheinlich in sehr hohem Maasse grosser, wodurch dann die
Zöllner'sche Beweisführung vollkommen hinfällig wird.
Noch viel ungünstiger für die Zöllner'sche Beweisführung
gestaltet sich die Sache, wenn man statt der galvanischen Ströme
Magnete betrachtet. Bei diesen gelangt man zu einem Resultate,
welches dem Zolin er' sehen gerade entgegengesetzt ist.
Zunächst möge bemerkt werden, dass bei den Molecular-
strömen, aus welchen man nach Ampere den Magnetismus erklärt,
die von Weber angenommene Doppelströmung nocli unwahr-
scheinlicher ist, als bei galvanischen Strömen in festen Leitern.
Wenn man sich denkt, dass die positive Electricität sich um einen
negativ electrischen Kern wirbelartig herumbewege, so ist das eine
den sonst vorkommenden mechanischen Vorgängen ganz entspre-
chende Vorstellung, Dass aber zwei verschiedene Fluida sich um
denselben Mittelpunct fort und fort in entgegengesetzten Pach-
tungen bewegen sollten, scheint mir fast undenkbar.
Auch Weber selbst, welcher früher, um die moleculare Doppel-
strömung wenigstens als möglich erscheinen zu lassen, davon ge-
sprochen hatte, dass vielleicht das eine Fluidum eine engere Kreis-
bahn und das andere Fluidum eine weitere Kreisbahn um das
Molecül beschreibe, hat sich in neuerer Zeit von den Ampere'-
schen Molecularströmen eine andere Vorstellung gebildet, welche
mit der vorher erwähnten, den sonstigen mechanischen Vor-
gängen entsprechenden Vorstellung ganz übereinstimmt. Weber
nimmt nämlich an i), dass zu einem ponderablen Atom ein positives
und ein ebenso grosses negatives Electricitätstheilchen gehöre.
Bei der Betrachtung der Bewegung der beiden Electricitätstheilchen
um einander spricht er davon, dass das Verhältniss beider Theilchen
in Beziehung auf Theilnahme an der Bewegung von dem Verhält-
niss ihrer Massen abhänge, und dass man, wenn an einem Electri-
citätstheilchen ein ponderables Atom hafte, die Masse desselben
mit zu der des Electricitätstheilchens zu rechnen habe. Nachdem
er dann das positive Electricitätstheilchen mit -|- e und das nega-
tive mit — e bezeichnet hat, sagt er wörtlich weiter: „Nur an
diesem letztern hafte ein ponderables Atom, wodurch seine Masse
so vergrössert werde, dass die Masse des positiven Theilchens
dagegen als verschwindend betrachtet werden dürfe. Das Theil-
1) Electrodynamische Maassbestimmungen , insbesondere über das
Princip der Erhaltung der Energie. Leipzig 1871, S. 41.
342 Absclinitt XI.
chen — e wird dann als ruhend, und blos das Theilchen -|- e als
in Bewegung um das Theilchen — e herum befindlich betrachtet
werden können."
Bei dieser Vorstellung kommt die sonst von Weber ange-
nommene Doppelströmung nicht vor, sondern nur eine einfache
Herumbewegung der positiven Electricität um einen negativ elec-
trischen Kern, für welche Art von Bewegung aus dem Web er' sehen
Grundgesetze die oben angeführte Gleichung folgt. Wenn sich
nun weiter nachweisen lässt, dass die durch diese Gleichung be-
stimmte Kraft so gross ist, dass sie sich, wenn sie vorhanden wäre,
der Beobachtung nicht entziehen könnte, so muss man aus dem
Umstände, dass diese Kraft in der Wirklichkeit nicht beobachtet
wird, schliessen, dass das von Weber aufgestellte Grundgesetz bei
der von ihm selbst in den Molecularströmen angenommenen Be-
wegungsart zu einem Widerspruche mit der Erfahrung führt.
Nun ist zunächst zu bemerken, dass schon die gewöhnliche
electrodynamische Gesammtwirkung der Molecularströme eines
Magnetes so gross ist, dass, wenn man einen einigermaassen star-.
ken Magnet durch ein ihn äusserlich umgebendes Solenoid von
gleich grosser electrodynamischer Wirkung ersetzen wollte, man
in demselben einen sehr starken Strom oder sehr viele Windungen
anwenden müsste.
Zu diesem für den Magnet günstigen Umstände kommt
aber noch ein anderer hinzu, welcher dem Magnete in Bezug auf
die Kraft, welche er nach dem Weber'schen Grundgesetze auf
ruhende Electricität ausüben müsste, ein so grosses Uebergewicht
giebt, dass selbst die stärksten Ströme in Leitern von gewöhn-
lichen Dimensionen ganz dagegen zurücktreten.
Aus der schon oben angeführten, für die Kraftcomponente 36
geltenden Formel, nämlich
^--fr^y4/(«^y-
geht hervor-, dass die hier in Rede . stehende Kraft sich in einer
gewissen Beziehung ganz anders verhält, als die gewöhnlich be-
trachteten electrodynamischen Kräfte. Bestimmt man nämlich
für einen sehr kleinen geschlossenen Strom, den wir der Einfach-
heit wegen als kreisförmig annehmen wollen, die auf einen anderen
kleinen geschlossenen Strom oder auf einen Magnetpol ausgeübte
Kraft, also die gewöhnliche electrodynamische Kraft, so findet man
Discussionen über Wärme und Electricität. 343
sie dem Fläche ninlialte des Kreises proportional. Bestimmt
man aber nach, der obigen Formel die vom Kreisstrome auf eine
ruhende Electricitätseinheit ausgeübte Kraft, so findet man, dass
diese dem Umfange des Kreises jiroportional ist. Wie wesentlich
dieser Unterschied ist, ergiebt sich leicht aus folgender Betrachtung.
Construirt man innerhalb eines grossen Kreises sehr viele
kleine Kreise, welche so nahe neben einander liegen, dass sie den
Flächeninhalt des grossen Kreises zum grössten Theile ausfüllen,
und denkt sich einerseits den grossen Kreis und andererseits alle
kleinen Kreise von gleich starken und in gleichem Sinne herum-
gehenden Strömen umflossen, so kann man die von dem grossen
Kreisstrome ausgeübte Kraft mit der von allen kleinen Kreis-
strömen zusammen ausgeübten Kraft vergleichen. Thut man
dieses in Bezug auf die gewöhnliche electrodynamische Kraft, so
findet man, dass die Gesammtkraft aller kleinen Ströme geringer
ist, als die Kraft des einen grossen Stromes, wie es dem Umstände
entspricht, dass die von allen kleinen Strömen umflossenen Flächen
zusammen nicht so gross sind, als die von dem einen grossen
Strome umflossene Fläche. Stellt man die Vergleichung dagegen
in Bezug auf die Kraft an, welche der Formel nach auf ruhende
Electricität ausgeübt wird, so findet man, dass die Kraft der vielen
kleinen Ströme die des einen grossen Stromes bei Weitem über-
trifft, wie es dem Umstände entspricht, dass die Bahnlängeu der
kleinen Ströme zusammen viel grösser sind, als die Bahnläuge des
einen grossen Stromes. Dieses Ueberwiegen der Gesammtkraft
der kleinen Ströme über die Kraft des grossen Stromes ist um so
stärker, je .kleiner die ersteren sind, und je grösser demgemäss
ihre Anzahl ist.
Kehren wir nun zur Betrachtung eines Magnetes zurück und
denken uns um denselben ein Solenoid gebildet, welches so viele
Windungen und eine solche Stromstärke hat, dass es, soweit es
sich um die gewöhnliche electrodynamische Kraft handelt, ebenso
stark wirkt, wie der Magnet, also wie alle in dem Magnete ent-
haltenen Molecularströme zusammengenommen, so findet in Bezug
auf die der obigen Formel nach auf ruhende Electricität ausgeübte
Kraft diese Gleichheit nicht statt, sondern die Molecularströme
übertreffen das Solenoid in einem Verhältnisse, welches wegen der
alle Vorstellung übersteigenden Menge von Molecularströmen, die
in einem Magnete anzunehmen sind, ganz ungeheuer gross
sein muss.
344 Abschnitt XI.
Hieraus folgt, class selbst dann, wenn man in der Formel eine
so kleine Geschwindigkeit der Electricität , wie sie Zöllner
annimmt, in Rechnung bringen wollte, und dadurch für das Sole-
noid zu einer sehr kleinen Kraft gelangte, man doch für den
Magnet umgekehrt zu einer sehr grossen Kraft gelangen würde.
Der Umstand, dass eine solche Kraft weder bei permanenten
Magneten, noch auch bei Electromagneten , bei denen man den
Magnetismus plötzlich entstehen und vergehen lassen kann, wahr-
genommen wird, kann also als ein sicherer Beweis dafür angesehen
werden, dass das Weber'sche Gesetz mit der Annahme, dass in
den Molecularströmen eines Magnetes nur die positive Electricität
ströme, nicht vereinbar ist.
Während Zöllner in den erwähnten beiden Aufsätzen, aus
welchen hier nur die wichtigsten, rein sachlichen Auseinander-
setzungen hervorgehoben sind, mein Grundgesetz entschieden und
mit einer gewissen Heftigkeit bekämpft, kommt andererseits eine
Stelle vor, in welcher er zu zeigen sucht, dass mein Grundgesetz
eigentlich gar nicht neu sei, sondern im Wesentlichen mit dem
Web er' sehen übereinstimme, indem meine Potentialformel durch
einige „rationelle Vereinfachungen" auf die Weber'sche zurück-
geführt werden könne.
In dieser Beziehung brauche ich nur auf die im ersten Para-
graphen des vorigen Abschnittes (S. 283) enthaltene Zusammen-
stellung der von Weber, Riemann und mir aufgestellten Poten-
tialformeln zu verweisen. Ein blosser Blick auf die drei dort unter
(2 a), (3) und (4) gegebenen Formeln genügt, um zu erkennen,
dass sie wesentlich von einander verschieden sind, und dass die
Operationen, welche Zöllner rationelle Vereinfachungen
nennt, und durch welche er meine Formel auf die Weber'sche
zurückführt, vielmehr als vollständige principielle Umän-
derungen meiner Formel zu bezeichnen sind.
§. 10. Einwände von W. Weber.
In der in neuester Zeit erschienenen zweiten Abtheilung des
zweiten Bandes von Zöllner's wissenschaftlichen Abhandlungen
ist noch ein weiterer Einwand gegen mein electrodynamisches
Grundgesetz geltend gemacht. Zöllner sagt dabei, dass er die
betreffende Untersuchung der Güte Wilhelm Weber's ver-
Discussionen über Wärme und Electricität. 345
danke, mit dessen Einwilligung ihre Publication an dieser Stelle
stattfinde. Zugleich theilt Zöllner daljei mit, dass auch ein
Nachtrag, welchen er seiner früheren Abhandlung hinzugefügt
hatte, und welcher ebenfalls einen Einwand gegen mein Grund-
gesetz enthielt, von Weber herstamme.
Unter diesen Umständen muss den betreffenden Einwänden
ein ganz besonderes Gewicht beigelegt werden, und wir wollen sie
daher hier näher betrachten. Zunächst wollen wir unsere Auf-
merksamkeit auf den erwähnten Nachtrag zu der früheren Ab-
handlung richten.
Derselbe lautet wörtlich folgendermaassen :
„Glausius bezeichnet in seiner Potentialformel:
— - (1 -|- livv' cos s)
mit V und v' die absoluten Geschwindigkeiten der Theilchen e
und e' und mit s den Winkel ihrer Richtungen. Jene Geschwin-
digkeiten lassen sich zerlegen in zwei entgegengesetzt gleiche
u, welche den Winkel s = tu mit einander bilden, und in zwei
gleiche und gleichgerichtete iv, welche den Winkel s = o
mit einander bilden. Ist u = o^ so ist v = v' = iv und cos s =
ee'
-\- 1; folglich ist das Potential = — (1 -f- Jitv^)- Ist to = o, so
ist V = v' = u und cos s = — 1 ; folglich das Potential
ee'
= — (1 — hti'^)- Der erster e Fall findet statt bei zwei auf
der Erde in Paüie befindlichen Theilchen, die sich mit der Erde
im Weltenraume fortbewegen. Für solche Theilchen ist das Gesetz
der Electrostatik experimentell begründet worden, wonach
e ß'
ihr Potential = — ist, womit das Glausius' sehe Gesetz im
r
Widerspruch steht. Im letzteren Falle ist die relative Geschwin-
digkeit beider Theilchen = 2 u, und es ergiebt sich daraus das
Glausius 'sehe Gesetz in vollkommener Uebereinstimmung
mit dem Weber 'sehen, wenn die Glausius 'sehe Constante
4
Ä = — gesetzt wird. Nach Verbesserung des Glausius' sehen
Gesetzes, dem Grundgesetze der Electrostatik gemäss, wird
daher aus dem Glausius 'sehen Gesetze das Web er' sehe als
allgemeines Gesetz erhalten,"
346 Abschnitt XL
Auf die hierin entlialteneii Auseinandersetzungen ist zweierlei
zu entgegnen.
Erstens wird der Umstand erwähnt, dass zwei auf der Erde
in Ruhe befindliche Electricitätstheilchen sich mit der Erde im
Weltenraume fortbewegen und daher gleiche und gleichgerichtete
Geschwindigkeiten haben , deren Grösse Weber mit tv bezeichnet.
ee
Für diesen Fall giebt mein Gesetz die Potentialformel — ( 1 -|- Ictv^)-,
und Weber sagt nun, dieses stehe mit dem experimentell begrün-
deten Gesetze der Electrostatik im Widerspruche, nach welchem
das Potential gleich — sei.
r
Betrachtet man aber die Sache etwas näher, so sieht man
diesen scheinbaren Widerspruch mit der Erfahrung vollständig
verschwinden. Bezeichnet man nämlich die Coordinaten der beiden
in relativer Ruhe zur Erde befindlichen Electricitätstheilchen e und
e' in Bezug auf ein im Räume festes rechtwinkliges Coordinaten-
system mit x, «/, 0 und x\ y\ z'^ so erhält man aus meiner Poten-
ee'
tialformel — (1 -}- /^w^), in welcher man die Geschwindigkeit iv
des betreffenden Punctes der Erde für die experimentelle Unter-
suchung als geradlinig und constant ansehen kann, für die Com-
ponenten der Kraft, welche e von e' erleidet, folgende Ausdrücke :
al
al
8^
e^'g^d /«»^);
dy
— Iti)');
ee' / (l—Jctü^
ee
während man aus der electro statischen Potentialformel — die fol-
genden Ausdrücke erhalten würde :
^ 1
1
■ 1
8-
8-
8-
, r
, f
/ r
ee ^ — :
— ee — — ; -
— ee' ^r—
^x'
02/
ds
Die für die beiden Fälle geltenden Ausdrücke unterscheiden
sich also nur durch den constanten Factor 1 — 'kiv'^. Dieser con-
stante Factor hat auf die Formeln denselben EinÜuss, wie wenn
die Maasseinheit, nach welcher die Electricitätsmengen e und e'
gemessen werden, ein wenig geändert würde. Da wir nun aber
die Maasseinheit, nach welcher wir die Electricität messen, nur aus
der von ihr ausgeübten Kraft entnehmen, so können wir natürlich
Discussionen über Wärme und Electricität. 347
eine in constanter Weise stattfindende Aenderung der Kraft nicht
bemerken, wodurch jener Widerspruch fortfallt.
Zweitens sagt Weber, wenn man wegen jenes (vermeintlichen)
Widerspruches mit dem electrostatischen Gesetze meine Formel
dadurch abändere, dass man bei ihrer Bildung die gleichen und
gleichgerichteten Geschwindigkeiten iv unberücksichtigt lasse und
nur die gleichen und entgegengesetzten Geschwindigkeiten u in
ee'
Betracht ziehe, und ihr somit folgende Gestalt gebe: — (1 — Icti^)^
so stimme diese Formel mit seiner Potentialformel überein, und es
werde daher nach dieser Verbesserung aus meinem Gesetze das
seinige als allgemeines Gesetz erhalten. Dieses ist aber ein
Versehen, denn die Formel — ^ (1 — liu'^) ist nicht die Weber'sche,
sondern die Rie mann 'sehe Potentialformel, da die Grösse 1u nicht
gleich -j- ist, sondern die relative Geschwindigkeit im gewöhn-
liehen Sinne des Wortes darstellt.
Es kann natürlich keinem Zweifel unterliegen, dass dieses
Versehen nur durch eine zu flüchtige Behandlung des Gegenstandes
veranlasst ist, und in der That hat Weber selbst in seinem spä-
teren, von Zöllner in der zweiten Abtheilung des zweiten Bandes
seiner Abhandlungen veröffentlichten Aufsatze die Behandlung
vervollständigt. Er sagt zwar nicht, dass seine frühere Behaup-
tung, nach welcher die Formel — (1 — liu"^) mit seiner Potential-
formel übereinstimmen soll, unrichtig sei, aber er nimmt doch mit
der gleichen und entgegengesetzten Geschwindigkeit u noch die
weitere Zerlegung vor, welche nothwendig ist, um überhaupt die
in seiner Formel vorkommende Grösse j- zu erhalten. Er zerlegt
nämlich u in zwei Componenten, deren eine in die Richtung der
Verbindungslinie der beiden Theilchen fällt, und daher gleich
1 U/T
^ j- ist, während die andere auf der Verbindungslinie senkrecht
ist. Diese beiden Componenten mögen im Folgenden mit Ui und
U.2 bezeichnet werden.
Nach dieser Zerlegung stellt Weber nun eine andere Betrach-
tung an, aus welcher er einen neuen Einwand gegen meine Poten-
tialformel ableitet.
348 Absclmitt XL
Er bildet nämlich meine electrodynamisclie Potentialformel
sowohl für die ganzen Geschwindigkeiten v und v', als auch für
die einzelnen Componenten dieser Geschwindigkeiten, und ver-
gleicht dann die letzteren Ausdrücke mit dem ersten. Das auf
die ganzen Geschwindigkeiten bezügliche electrodynamisclie Poten-
tial V wird bestimmt durch die Gleichung:
V = h — vv' cos s.
r
Zerlegt man die Geschwindigkeiten in je zwei Componenten w und
u und bezeichnet die auf sie bezüglichen Potentiale mit W und
C/, so lauten die Gleichungen:
ly ly
Zerlegt man die Geschwindigkeiten in je drei Componenten iv, %
und % und bezeichnet die auf sie bezüglichen Potentiale mit W-,
üi und C/2, so lauten die Gleichungen:
y IT T
Weber sagt nun, man müsse erwarten, dass bei der ersten
Zerlegung die Summe W -\- ~ü und bei der zweiten Zerlegung die
Summe "FT-}- C^i + C/2 gleich V sei; dieses sei aber nicht der
Fall, denn die Grösse vv' cos s sei den algebraischen Summen
v^ — u^ und ^2 — ^,2 — ^2 nic]2t gleich, sondern werde durch
einen viel complicirteren Ausdruck dargestellt.
Wenn dieses wirklich richtig wäre, so würde dadurch in der
That meine Potentialformel unwahrscheinlich werden. Bei näherer
Betrachtung findet man aber, dass es nicht richtig ist, sondern
dass auch diese Weber' sehe Behauptung nur durch zu flüchtige
Behandlung des Gegenstandes veranlasst ist, indem sie auf einem
einfachen Rechenfehler beruht.
Von jenen beiden algebraischen Summen tv^ — u^ und
tü^ — Ui' — U2 brauchen wir nur die erste näher zu betrachten,
da die zweite mittelst der ganz selbstverständlichen Gleichung
Ui -\- U2 = u"^ auf die erste zurückgeführt werden kann. Es lässt
sich nun sehr leicht beweisen, dass (entgegen der Weber 'sehen Be-
hauptung), die Gleichung:
(5) vv' cos 8 ^= W'^ — 'U/'^
gültig ist,
Discussionen über Wärme und E]ectricität. 349
Dazu betrachten wir von ?;, v\ tu und u die in die Coordinaten-
richtungen lallenden Componenten. Die ic-Componenten der Ge-
(1 X (1 A
schwindigkeiten v und v' sind -j- und -^- Daraus folgt, dass
die a:;-Componenten der gleichen und gleichgerichteten Gescliwin-
1 /dx dx'\
digkeiten tv für beide Theilchen durch - ( -4- + — r— 1 und die
2 \ dt dt /
rr-Componenten der gleichen und entgegengesetzten Geschwindig-
keiten u für das erste und zweite Theilchen resp. durch
chende Ausdrücke sind für die beiden anderen Coordinatenrich-
tungen zu bilden. Demnach gelten für iv und u die Gleichungen:
2 1 V/dx dx'\^j^ /dy dy'\^_. /dz dz'\
* ~" 1 \Sßi ~ It) ^\dt~ 'dtj '^ \dt ~ Tt)
Durch Subtraction der zweiten dieser Gleichungen von der ersten
erhält man :
*^ ~"^ ~ W ~dt '^ dt W ~^ dt W
und der hierin an der rechten Seite stehende Ausdruck ist gleich
VI)' cos £, wodurch die Gleichung (5) bewiesen ist.
Statt dieser sehr einfachen Rechnung macht Weber eine
viel complicirtere, von der ich hier nur so viel anzuführen brauche,
wie nöthig ist, um den Ptechenfehler nachzuweisen. Indem er den
Winkel zwischen der tw-Richtung und der einen w-Richtung mit y
bezeichnet, bildet er die Gleichungen:
v^ = u^ -\- tv'^ — 2uw cos y
(6)
V'2 ^::^ ^^2 _|_ ^y2 _|_ 2 U tu COS y.
Indem er ferner die Winkel zwischen der ^y-Richtung und den v-
und v'-Richtungen mit a und ß bezeichnet, bildet er die Glei-
chungen :
V . ^' ■ ß
sm y ^ — sin a = — stn p,
u n
woraus folgt:
(7) u cos y = y «(2 — 'y2 gi^i^2 cc = y u- — v'- sin- ß.
350 Absclmitt XI.
Nun sagt Weber weiter, aus diesen Gleichungen resultiren die
folgenden :
(8)
v^ = u^ -\- w'^ cos 2 a (l -j^ 1/ ~^ — sm^ ^ )
^'2 ^ ^i2 j^ ^1,2 cos 2 ß fl ± W ~ — sin^ ß\
und die durch, diese Gleichungen bestimmten Werthe von v und v'
sind es, von welchen er meint, dass sie in meine Potentialformel
Ic — vv' cos £ einzusetzen seien, wodurch diese dann allerdings
eine sehr complicirte Form annehmen würde.
In der Wirklichkeit resultiren aber aus den Gleichungen (6)
und (7) gar nicht die Gleichungen (8), sondern vielmehr folgende
Gleichungen :
(9)
v'^ = u"^ -\- w^ ( cos 2 w +; 2 cos M ]/ ~ — süi^ a ]
v'^ = m2 _j_ ^f;2 fcos 2ß±2cos ß y~ — sin^ ß\
Aus diesen Gleichungen lässt sich, wenn man noch eine gewisse
zwischen den Geschwindigkeiten u und w und den Winkeln a und ß
bestehende Relation mit berücksichtigt, die Gleichung
V v' cos (a-\-ß) = lü^ — u^
ableiten, wobei zu bemerken ist, dass die Summe der Winkel a und
ß gleich dem von mir mit e bezeichneten Winkel ist. Man gelangt
also auch durch diese Entwickelung, wenn auch auf weitem Um-
wege, zu der von Weber bestrittenen Gleichung (.5), wodurch
sein Einwand fortfällt.
§. 11. Untersuchung von Lorberg.
In der zu Anfange des vorigen Paragraphen citirten zweiten
Abtheilung des zweiten Bandes von Zöllner 's wissenschaftlichen
Abhandlungen wird auch die im 84sten Bande von Borchard's
Journal veröffentlichte Abhandlung von Lorberg „über das
electrodynamische Grundgesetz" erwähnt und dabei gesagt, in
dieser Abhandlung werde die Unhaltbarkeit meines Gesetzes und
(unter selbstverständlichen Voraussetzungen) die Nothw endig-
Discussionen über Wärme und Electricität. 351
keit des Weber'schen Gesetzes nachgewiesen. Was von dieser
Behauptung zu halten ist, wird am besten aus einer näheren Be-
trachtung der von Lorberg gewonnenen Resultate klar werden.
Lorberg wendet in seiner Abhandlung zunächst das We-
ber'sche Grundgesetz und mein Grundgesetz auf einige specielle
Fälle an. Dabei stellen sich natürlich gewisse Unterschiede in
den sich ergebenden Kräften heraus, aber immer nur in solchen
Fällen, in denen eine Entscheidung über die Richtigkeit des einen
oder anderen der differirenden Ergebnisse durch irgend welche
bisher angestellte experimentelle Untersuchungen nicht möglich
ist. Es kann also gar keine Rede davon sein, dass dadurch die
Unhaltbarkeit meines Gesetzes nachgewiesen sei.
Ferner macht Lorberg eine ähnliche Entwickelung, wie ich
sie gemacht habe, indem er unter Zugrundelegung gewisser Vor-
aussetzungen die mathematische Form des Grundgesetzes ableitet.
Diese Voraussetzungen sind, soweit sie auf Erfahrungen beruhen,
im Wesentlichen dieselben, wie die von mir gemachten; aber eine
Voraussetzung ist noch hinzugefügt, welche meinen ausdrücklich
ausgesprochenen Ansichten widerspricht, nämlich die, dass die
electrodynamischen Kräfte :^wischen zwei bewegten Electricitäts-
theilchen nur von der relativen Bewegung der Electricitätstheil-
chen abhänge, und zwar von der relativen Bewegung im Weber'-
schen Sinne des Wortes, welche sich nur auf die gegenseitige An-
näherung oder Entfernung der Theilchen bezieht.
Ich habe von vorn herein bei meinen Entwickelungen gesagt,
dass sie sich dadurch von den früheren ähnlichen Entwickelungen
unterscheiden, dass in ihnen nicht nur die relative Bewegung son-
dern auch die absoluten Bewegungen der Theilchen berücksich-
tigt sind. Um zu zeigen, wie dieser Unterschied sich auch in den
Resultaten äussert, habe ich eine oben in Abschnitt X., §. 1 wieder-
gegebene Zusammenstellung der drei von Weber, Riemann und
mir aufgestellten Potentialformeln gemacht, und dabei hervorgeho-
ben, dass sie sich dadurch wesentlich von einander unterscheiden,
dass die Weber' sehe Potentialformel die relative Geschwindig-
keit im Weber'schen Sinne des Wortes, die Riemann'sche die
relative Geschwindigkeit im gewöhnlichen Sinne des Wortes und
die meinige die Componenten der absoluten Geschwindigkeiten
enthält. Wer also, wie Zöllner, die Voraussetzung, dass die
electrodynamischen Kräfte nur von der relativen Bewegung im
Weber'schen Sinne des Wortes abhängen können, als selbst-
352 Abschnitt XI.
verständlich betrachtet, der bedarf, um zwischen den drei For-
meln zu entscbeiden, nicht noch erst weiterer Untersuchungen,
sondern kann die Entscheidung unmittelbar aus den Formeln selbst
ablesen.
Die Lorberg'sche Untersuchung ist für die Klarstellung des
Gegenstandes insofern sehr werthvoll, als sie die Folgerungen,
welche sich aus gewissen Voraussetzungen ergeben, schärfer fest-
stellt, als es bisher geschehen war; aber im Widerspruche mit
meiner Untersuchung kann sie gar nicht stehen, weil sie eben
auf anderen Voraussetzungen beruht.
Um deutlich erkennen zu lassen, wie die Ergebnisse der bei-
den Untersuchungen sich zu einander verhalten, wird es am besten
sein, sie in möglichst ähnlichen Fassungen neben einander zu stel-
len. Das Ergebniss der Lorberg'schen Untersuchung lässt sich
so aussprechen. Wenn man von der Voraussetzung aus-
geht, dass nur die relative Bewegung im Weber'schen
Sinne des Wortes auf die electrodynamischen Kräfte
Einfluss haben könne, so gelangt man zu dem Schlüsse,
dass das Weber'sche Grundgesetz das einzig mög-
liche sei und dass in einem galvanischen Strome beide
Electricitäten mit entgegengesetzt gleicher Geschwin-
digkeit fliessen müssen. Das Ergebniss meiner Untersuchung
dagegen ist folgendes. Wenn man die Annahme, dass in den
galvanischen Strömen und den sonstigen electrischen
Strömen, für welche die electrodynamischenGesetze gel-
ten, beide Electricitäten mit entgegengesetzt gleicher
Geschwindigkeit fliessen, nicht machen will, so darf man
auch nicht annehmen, dass nur die relative Bewegung
(sei es im Weber'schen oder im gewöhnlichen Sinne des
Wortes), auf die electrodynamischen Kräfte Einfluss
habe, sondern muss auch den absoluten Bewegungen
einen Einfluss zuschreiben, und gelangt dann zu mei-
nem Grundgesetze als dem einzig möglichen.
DIE
MECHANISCHE
WÄRMETHEORIE
VON
E. CLAUSIUS.
ZWEITE
umgearbeitete und vervollständigte Auflage des unter dem Titel
über die mechanisclif
erschienenen Buches.
„Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie"
DRITTER BAND.
Entwickelung der besonderen Voi'stellungen von der Natur der
Wärme als einer Art der Bewegung.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dh MAX PLANCK, ü>d Dk CARL PULFRICH,
Professor an der Universität. Privstdocent an der tlnirersität
zu Berlin, zu Bonn.
BRAUNSCHWEIG,
DRÜCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
1889- 1891.
A N K Ü ^^ D I G U N G.
Der vorliegende dritte Band der „Meclianisclien Wärmetheorie
von R. Clausius", die kinetische Theorie der Gase ent-
haltend, bildet seiner Entstehung nach die zweite Auflage eines Tlieiles
■der früheren, im Jahre 1867 veröffentlichten Ahhandlungensammlung.
Nach dem im August 1888 erfolgten Tode des Verfassers haben die
Herren Professor Dr. Max Planck und Dr. Carl Pu 1fr ich die
Herausgabe des Wei'kes übernommen, auch ist demselben ein aus-
führliches Vorwort seitens der Herausgeber beigefügt worden. Wir
haben den dritten Band in zwei Lieferungen erscheinen lassen, deren
erste nur den kleineren Theil des Bandes umfasste, soweit derselbe
nämlich von des Verfassers Hand als druckfertiges Manuscript sich
vorfand. Im Uebrigen war ein zusammenhängender und vom Verfasser
schon mehrfach durchgearbeiteter Entwurf für das ganze Werk vor-
handen, dessen Wiedergabe den Inhalt der zweiten Lieferung bildet.
In einem Anhange sind ferner acht vom Verfasser in vei'schiedenen Zeit-
schriften veröffentlichte Aufsätze zusammengestellt, die inhaltlich der
kinetischen Gastheorie nahe verwandt sind. Von ihnen gehörten
bereits die beiden ersten der früheren Abhandlungensammlung an.
Braunschweig, im Februar 1891.
Friedrich Yiewea: und Sohn.
DIE
MECHANISCHE
WÄRMETHEORIE
VON
E. CLAUSIU8.
ZWEITE
Iständigte Auf!
Abliandlimffen über die mechaiiisclie Wärmetheorie"
umgearbeitete und vervollständigte Auflage des unter dem Titel
J5
erschienenen Buches
DRITTER BAND.
Entwickelung der besonderen Vorstellungen von der Natur der
Wärme als einer Art der Bewegung.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr MAX PLANCK, und Dk CARL PULERICH,
Vrofeasor an der ITiiivevsitiit Privatdoceiit an der rnivorsitilt
zu Berlin, zu Bonn.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VOK FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
1889-1891.
DIE KINETISCHE
THEORIE DER GASE
VON
E. CLAUS lUS.
HERAUSGEGEBEN
Dk MAX PLANCK, und Dr CAEL PULFRICH,
Professov an lier ünirersitiit Privatdocent an der Universität
zu Berlin, zn Bonn.
ZWEITE
umgearbeitete und vervollständigte Auflage des unter dem Titel
„Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie"
erschienenen Buches.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
1889 - 1891.
VORWORT.
Uer dritte Band der „Meclianischen Wärmetlieorie"
von R. Clausins, welcher, seiner Entstehung nach,
ebenso wie die beiden ersten Bände, die zweite Auflage
eines Theiles der früheren im Jahre 1867 veröffent-
Hchten Abhandlungensammlung bildet, im Uebrigen
aber nach dem eigenen Ausspruch des Verfassers als
ein neues, von den übrigen Theilen der Mechanischen
Wärmetheorie unabhängiges und für sich bestehendes
Werk zu bezeichnen ist, sollte nach des Verfassers
Zusage im Herbst 1888 druckfertig sein. Sein am
24. August desselben Jahres erfolgter Tod hat die
Vollendung des Werkes unmöglich gemacht, seine lang-
wierige Krankheit schon während des Sommers den
Fortschritt der Arbeit gestört. Trotz der in den letzten
Jahren seines Lebens immer mehr sich steio:ernden amt-
"O"
liehen ThätiQ-keit hat Clausius bis kurz vor seinem
'ö
Tode an dem Abschluss des Bandes mit Q-rossem Eifer
o
gearbeitet, indem er bis zuletzt das Grefühl der heran-
nahenden Krankheit mit der ihm eigenen Energie unter-
drückte. So ist es gekommen, dass nur etwa der
vierte Theil des dritten Bandes als druckfertiges Manu-
script im Nachlass sich vorfand; im Uebrigen war ein
VI Vorwort.
ausführlich gehaltener und mehrfach durchgearbeiteter
Entwurf für das ganze Werk vorhanden. Den Wünschen
der Familie entsprechend haben die beiden unterzeich-
neten Herausgeber des dritten Bandes, von denen der
letztere dem Verstorbenen als langjähriger Schüler und
Assistent nahe stand, es unternommen, nach sorgsamer
Sichtung des vorliegenden Materials eine möglichst
vollständige Wiedergabe des Werkes im Sinne des Ver-
fassers zu bewerkstelligen.
In erster Linie betrachteten wir es als unsere Auf-
gabe, den Originalentwurf möglichst getreu in dem
Zustande, wie er aus des Verfassers Hand hervorging,
der Fachwelt zu übermitteln, und daneben nur dafür
zu sorgen, dass der für das Verständniss nothwendige
Zusammenhang in allen Puncten hergestellt werde.
Dank der besonderen Ausführlichkeit, die der Verfasser
bekanntlich seiner Darstellung zu geben liebte, sowie
der Gewissenhaftigkeit, mit welcher er jede nachträglich
vorgenommene Aenderung in schien Aufzeichnungen
zu markiren und oft auch zu motiviren pflegte, war
uns die Durchführung unserer Arbeit in der Weise
möglich, dass wir, was den Inhalt der vorgetragenen
Theorien betrifft, keinen einzigen Satz in den Text
aufzunehmen brauchten, der nicht vom Verfasser selbst
niedergeschrieben wäre; wo der Gedankengang eine Er-
läuterung oder Ergänzung zweckmässig machte, konnte
das immer in einer Anmerkung geschehen. In for-
meller Beziehung zeigten sich allerdings eine Anzahl
von Aenderungen nothwendig, deren hauptsächlichste
wir an Ort und Stelle hervorgehoben haben. Vor
Allem erschien es wünschenswerth , für die in ver-
schiedenen Abschnitten wiederkehrenden Grössen ein-
Vorwort. VII
heitliche Bezeichnungen durchzuführen, was im Ent-
wurf zum Theil noch nicht geschehen ist; dabei achteten
wir namentlich darauf, dass nicht im Laufe der Be-
trachtungen für verschiedene Grössen das nämliche
Zeichen angewendet wird. Manchmal erwuchsen auch
daraus Schwierigkeiten, dass der Verfasser an ver-
schiedenen Stellen Aenderungen in der Anordnung oder
Bezeichnung nur durch eine Randbemerkung nach-
träglich angedeutet hat. In einfacheren Fällen haben
wir die vom Verfasser geäusserte Absicht ohne Weiteres
verwirklicht, manchmal, wo die Aenderungen zu weit
geführt hätten, sie nur erwähnt, immer aber dafür
gesorgt, dass die Stetigkeit der Entwickelung nicht
unterbrochen werde. Für die Zuverlässigkeit sämmt-
licher Formeln, Zahlenrechnungen und Citate betrachten
wir uns natürlich als verantwortlich.
Der ]N^atur der Sache nach wird das Werk in
seiner vorliegenden Gestalt auch formell immer noch
den Bindruck des Unvollendeten machen; denn es ist
sicher anzunehmen, dass der Verfasser bei der Durch-
arbeitung der einzelnen Abschnitte ausser manchen
sachlichen Ergänzungen die Einheit der Darstellung
und manchmal auch die Präcision des Ausdrucks noch
in einiger Hinsicht verbessert hätte (man vergleiche
z. B. die etwas ungenaue Definition der Grössen E, F, G,
Seite 124 f., die in den Rechnungen zuerst als unbe-
stimmte Integrale, später, von Seite 128 an, als be-
stimmte Integrale behandelt werden). Das schlagendste
Beispiel hierfür liefert der ausser dem druckfertigen
Manuscript des ersten Abschnittes noch vorhandene
Entwurf desselben; zugleich giebt er Zeugniss davon,
in welch' sorgsamer Weise der Verfasser noch im letzten
VIII Vorwort.
Augenblicke behufs Erhöhung der Klarheit und Voll-
ständigkeit die bessernde Hand anlegte. Doch glau-
ben wir nicht, dass an irgend einer Stelle ein Miss-
verständniss oder auch nur eine Unklarheit in Betroff
des Sinnes der vom Verfasser gebrauchten Grössen und
Ausdrücke möglich ist.
Unserer Auffassung entsprechend haben wir uns
einer sachlichen Ergänzung oder gar Kritik der in dem
Werke entwickelten Theorie vollständig enthalten. Es
versteht ^, sich von selbst, dass jede Untersuchung auf
einem Grebiete, welches einerseits von so viel Hypo-
thesen durchsetzt ist, andererseits der Analyse so enorme
Schwierigkeiten entgegenstellt, wie die kinetische Gas-
theorie, schon von vornherein Einwürfen und Bedenken
in ganz anderem Grade ausgesetzt ist, als etwa die
Bearbeitung der beiden Hauptsätze, welche den ersten
Band der „Mechanischen Wärmetheorie" des Verfassers
bildet. Wird man daher dem letztgenannten schon
mit gewissem Rechte den Rang eines Lehrbuches ein-
räumen können, so enthält der vorliegende Band im
eigentlichen Sinne die Resultate der persönlichen For-
schung, und unter diesem Gesichtspuncte allein ist das
nachgelassene Werk des Mannes zu beurtheilen, der die
Vollkraft seines Lebens für sein bahnbrechendes Wirken
auf dem Gebiete der Wärmetheorie eingesetzt hat. Aus
demselben Grunde haben wir auch die polemischen
Stellen ohne jeden sachlichen Commentar gelassen.
Der erste, zweite und vierte Abschnitt bieten im
Wesentlichen Neubearbeitungen der drei Abhandlungen
des Verfassers: „Ueber die Art der Bewegung, welche
wir Wärme nennen", Pogg. Ann. 100, S. 353, 1857;
„Ueber die mittlere Länge der Wege, welche bei der
Vorworf-r. IX
Molecularbewegung gasförmiger Körper von den ein-
zelnen Molecülen zurückgelegt werden" , Pogg. Ann.
105, S. 239, 1858, und „Ueber die Wärmeleitung gas-
förmiger Körper", Pogg. Ann. 115, S. 1, 1862. Völlig
neu erscheint der dritte Abschnitt, über die innere
Reibung der Gase. Leider zeigt sich gerade er am
wenigsten ausgeführt, wenn er auch inhaltlich voll-
ständig durchgearbeitet ist (vgl. die Anm. der Heraus-
geber am Schlüsse desselben). So finden sich in dem
Entwürfe zu diesem Abschnitt einige Ungereimtheiten,
unnöthige Wiederholungen und Verweisungen auf Stel-
len, die noch nicht abgehandelt sind. Dies erklärt
sich namentlich auch daraus, dass der Verfasser ur-
sprünglich die Absicht hatte, diesen Abschnitt ganz
an den Schluss zu stellen, wie sich aus Bemerkungen
und Citaten im Entwurf unzweideutig ergiebt. Auch
trägt der Entwurf zum vierten Abschnitt auf der
Innenseite des Umschlages noch den alten Titel
„Abschnitt III".
Ausser den oben genannten drei Abhandlungen
enthielt die frühere Abhandlungensammlung noch zwei
weitere Aufsätze: „Ueber die Natur des Ozon", Pogg.
Ann. 103, S. 644, 1858, und „Ueber den Unter-
schied zwischen activem und gewöhnlichem Sauerstoff",
Pogg. Ann. 121, S. 250, 1864. Für diese beiden Ab-
handlungen lag eine ISTeubearbeitung nicht vor, auch
fanden sich Aenderungen des Textes oder Hinweisungen
auf solche etwa später vorzunehmende weder im
Handexemplar noch im Entwurf der obigen vier Ab-
schnitte. Die Absicht des Verfassers lao," aber klar zu
Tage — man vergleiche nur die Bemerkung im Text,
X Vorwoi't.
Seite 24 oben — , die beiden, ihrem Inhalte nach mit
der kinetischen Gastheorie nahe verwandten Abhand-
hingen mit in den dritten Band herüberzunehmen.
Wir haben geglaubt, im Sinne des Verstorbenen und
im Interesse der Sache zu handeln, indem wir noch
einen Schritt weiter gingen und auch die späteren auf
den Gregenstand bezüglichen und in verschiedenen Zeit-
schriften veröffentlichten Arbeiten des Verfassers eben-
falls dem dritten Bande der Mechanischen Wärmetheorie
einverleibten. Wir haben bei der Aufnahme dieser Ab-
handlungen äusserlich nur insofern eine Trennung von
den früheren vier Abschnitten eintreten lassen, als wir
die sämmtlichen Abhandlungen einschliesslich der beiden
Arbeiten über Ozon in einem Anhange zusammen-
stellten, so dass der vorliegende dritte Band in seinem
zweiten Theile den Charakter der früheren Abhand-
lungensammlung trägt und gewissermaassen als deren
Fortsetzung zu betrachten ist. Die einzelnen Abhand-
lungen sind nach der Zeit ihrer Veröffentlichung anein-
ander gereiht. Den beiden Abhandlungen über das Ozon
schliesst sich zunächst eine kleinere dritte Abhandlung:
„Zur Geschichte des Ozon", Pogg. Ann. 136, S. 102,
1869, an. Die übrigen sind Abhandlung IV: „Ueber
das Verhalten der Kohlensäure in Bezug auf Druck,
Volumen und Temperatur", Wiedem. Ann. 9, S. 337,
1880; Abhandlung V: „Ueber einige neue Unter-
suchungen über die mittlere Weglänge der Gasmole-
cüle", Wiedem. Ann. 10, S. 92, 1880; Abhandlung VI:
„Ueber die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes
und der Volumina des Dampfes und der Flüssigkeit",
I.Aufsatz: Wiedem. Ann. 14, S. 279, 1881; 2. Aufsatz:
Wiedem. Ann. 14, S. 692, 1881; Abhandlung VII:
Vorwort. XI
„Ueber die Dimensionen und die gegenseitigen Ab-
stände der Molecüle, Antwort anf einen Brief des
Herrn Jules Bourdin", La Lumiere Electrique, Nr. 32,
p. 241, 1885, und endlich Abhandlung VIII: „Prüfung
der Einwände von Hirn gegen die kinetische Theorie
der Gase", Bulletin de l'x^cademie royale de Belgique,
3i^e s^He, t. XI, Nr. 3, 1886. Die letzte Abhandlung ist
bisher ebenso wenig wie die vorletzte in deutscher
Sprache erschienen. Die Arbeit gegen Hirn ist von
Seiten eines der beiden Herausgeber ins Deutsche zurück-
übersetzt, während für den Aufsatz über die Dimen-
sionen und Abstände der Molecüle noch das deutsche
Manuscript im Nachlass des Verfassers sich vorfand.
Berlin und Bonn, im November 1890.
Die Herausgeber:
Dr. Max Planck. Dr. Carl Piilfricli.
mHALTSYERZEICHNISS.
Absclmitt I.
Art der Bewegung, welche wir "Wärme nennen.
Seite
§. 1. Specielle, von den allgemeinen Schlüssen unabhängige Tor-
stellung von der Wärme 1
§. 2. Bewegungen, welche in gasförmigen Körpern angenommen werden 3
§. 3. Verhältniss zwischen den verschiedenen gleichzeitig stattfinden-
den Bewegungen 5
§. 4. Erklärung der Expansivkraft des Gases 6
§. 5. Gi'ünde, weshalb die Gase dem Mario tte' sehen und Gaj—
Lussac'schen Gesetze nicht genau folgen 9
§. 6. Verhalten der Molecüle in den drei Aggregatzuständen .... 11
§. 7. Erklärung des Verdampfungsprocesses 12
§. 8. Einfluss eiues über der Flüssigkeit befindlichen Gases auf die
VerdamiDfung 1-4
§. 9. Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung durch äussere Arbeit . 16
§. 10. Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung durch innere Arbeit . . 18
§.11. Volumenverhältnisse zusammengesetzter Gase 19
§. 12. Volumenverhältnisse einfacher Gase und allgemeines Gesetz . . 20
§. 13. Mathematische Bestimmung der Exj)ansivkraft 25
§. 14. Verhalten der Molecüle zu einer bewegten Wand 29
§. 15. Lebendige Kraft und Geschwindigkeit der fortschreitenden Be-
wegung der Molecüle 32
§. 16. Verhältniss zwischen der lebendigen Kraft der fortschreitenden
Bewegung der Molecüle und der Energie des Gases ... 35
§. 17. Gesetz in Bezug auf die Geschwindigkeiten der Molecüle ... 37
§. 18. Einige Folgerungen aus dem Maxwell'schen Gesehwindigkeits-
sesetze 41
XIV Inlialtsverzeiclmiss.
Abschnitt II.
lieber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle.
Seite
§. 1. Specielle Voraussetzungen über die von den Molecülen aus-
geübten Kräfte 46
§. 2. Vereinfachung der Betrachtungen 49
§. 3, Anzalil der Stösse und mittlere Weglänge eines .beweglichen
Punctes innerhalb eines Raumes, der beliebige, die Be-
wegung hindernde Flächen enthält 51
§. 4. Anzahl der Stösse und mittlere Weglänge eines beweglichen
Punctes innerhalb eines Raumes, der die Wirkungssphären
vieler Molecüle enthält 55
§. 5. Berücksichtigung des Molecularvolumens • 57
§. 6. Berücksichtigung des Umstandes, dass nicht bloss Ein Molecül
sich bewegt, sondern alle Molecüle in Bewegung sind . . 61
§. 7. Berücksichtigung der das Gas umgebenden Hülle 66
§. 8. Wirklich zurückgelegte Wege der einzelnen Molecüle 70
§. 9. Gesammtzahl der Stösse und damit zusammenhängende Grössen 73
§. 10. Mittlere relative Geschwindigkeit und mittlere Weglänge für
Molecüle von gegebener Geschwindigkeit und dadurch
bedingtes Geschwindigkeitsgesetz der ausgesandten Mole-
cüle 74
Abschnitt III.
Ueber die innere Reibung der Gase.
§. 1. Verschiedene auf die Reibung der Gase bezügliche Arbeiten . 84
§. 2. Feststellung des zu untersuchenden Falles 85
§. 3. Beweguugszüstand nach der kinetischen Gastheorie und ins-
besondere Verhalten der ausgesaudten Molecüle 86
§. 4. Eliminirung des Einflusses, welchen der Unterschied der Massen-
bewegung auf den Durchgang der Molecüle durch das Gas
ausübt "^0
§. 5. Positive Bewegungsgrösse der Massenbewegung, welche durch
die yz-'Ehene geht 93
§. 6. Ausdruck des Reibungscoefficienten 95
§. 7. Verhalten des vorstehenden Ausdrucks 97
§. 8. Bestimmung des in dem Ausdruck von i] vorkommenden Inte-
grals unter Anwendung des Maxwell'schen Geschwindig-
keitsgesetzes 99
S. 9. Weitere Umformungen des gewonnenen Ausdruckes 102
InhaltsverzeichnisR. XV
Abschnitt IV.
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper.
Seite
§. 1. Veranlassung der Untersuchung 105
I. Verhalten der in dem betrachteten Falle von einer
unendlich dünnen Schicht ausgesandten Mole-
cüle 107
§. 2. Feststellung des zu betrachtenden Falles 107
§. 3. Definition des durch Leitung entstehenden Wärmestromes . . 108
§. 4. Zwei Arten von Verschiedenheiten zwischen den Bewegungen
der Molecüle 109
§. 5. Allgemeiuer Charakter der durch den speciellen Fall bedingten
Verschiedenheiten 111
§. 6. Mathematische Formeln für die Bewegungen der ausgesandten
Molecüle 114
IL Bestimmung der durch eine Ebene gehenden
Masse, Bewegungsgrösse und lebendigen Kraft 118
§. 7. Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein von einer unendlich dünnen
Schicht in gegebener Richtung ausgesandtes Molecül eine
gegebene, auf der x-Axe senkrechte Ebene erreicht und
durchdringt 118
§. 8. Bestimmung der Masse, der positiven Bewegungsgrösse und
der lebendigen Kraft, welche durch die betreffende Ebene
gehen 122
§. 9. Weitere Behandlung der aufgestellten Gleichungen 125
§. 10. Bedingungen, welchen die Grössen E, F und G genügen müssen,
und daraus hervorgehende weitere Vereinfachung der
Ausdrücke 129
IIL Umgekehrte Betrachtung zur Bestimmung von jj
durch^ 131
Bewegungszustaud der in einer dünnen Schicht gleichzeitig
vorhandenen Molecüle 131
Ausdruck der Anzahl und positiven Bewegungsgrösse der wäh-
rend der Zeiteinheit in der Schicht zusammenstossenden
und nach den Stössen von ihr ausgesandten Molecüle . . 135
Ausführung der in den Gleichungen (31) und (32) vorkommen-
den Integrationen ■ . 140
Vergleichung des im vorigen Paragraphen gewonnenen Resul-
tates mit der in §. 6 gemachten Annahme, und daraus
hervorgehende Folgerungen 143
IV. Endresultate , . . . . 144
§. 15. Zustand des Gases 144
§. 16. Umgestaltung der Wärmeleitungsformel 145
§. 17. Schlüsse über die Wärmeleitung 147
§•
11.
§•
12.
§.
13,
§•
14.
XVI Inlialtsverzeiclmiss.
Seite
§. 18. Vergleichuug verschieclenei' zweiatomiger Gase 148
§. 19. Numerische Bereclinung des Leitungsvermögens 149
§. 20. Numerische Werthe von K 152
§. 21. Vergleichung des vorstehenden Werthes mit dem Leitungs-
vermögen eines Metalles 154
§. 22. Zusammenfassung der erhaltenen Resultate 155
Anhang.
Abhandlung I. Ueber die Natur des Ozon 157
Abhandlung IL Ueber den Unterschied zwischen activem und gewöhn-
lichem Sauerstoff 164
Abhandlung III. Zur Geschichte des Ozon 181
Abhandlung IV. Ueber das Verhalten der Kohlensäure in Bezug auf
Druck, Volumen und Temperatur 184
Abhandlung V. Ueber einige neue Untersuchungen über die mitt-
lere Weglänge der Gasmolecüle 204
Abhandlung VI. Ueber die theoretische Bestimmung des Dampf-
druckes und der Volumina des Dampfes und der Flüssigkeit.
I. Aufsatz 215
Dasselbe. IL Aufsatz 227
Abhandlung VII. Ueber die Dimensionen und die gegenseitigen Ab-
stände der Molecüle 241
Abhandlung VIII. Prüfung der Einwände von Hirn gegen die kine-
tische Theorie der Gase 248
ABSCHNITT I.
Art der Bewegung-, welche wir Wärme nennen,
§. 1. Specielle, Ton den allgemeinen Schlüssen
unabhängige Vorstellung von der \\"ärnie.
Im ersten Bande dieses Buches ist bei der Entwickelung der
mechanischen Wärmetheorie die Frage, was für eine Art von
Bewegung man zur Erklärung der Wärme annehmen müsse, un-
erörtert geblieben. Alle dort gezogenen Schlüsse beruhen auf
einigen allgemeinen Sätzen, die man als richtig anerkennen kann,
ohne eine bestimmte Annahme über die Natur der Wärme zu
machen. Auch wenn man den ersten Hauptsatz der mechanischen
Wärmetheorie, nämlich den Satz von der Aequivalenz von Wärme
und Arbeit, nicht als einen für die Wärme allein geltenden Satz,
sondern als Folgerung aus dem allgemeinen mechanischen Satze
von der Aequivalenz von lebendiger Kraft und Arbeit betrachtet,
indem man von der Voraussetzung ausgeht, dass die Wärme eine
Bewegung sei, braucht man sich nicht an eine bestimmte Art
von Bewegung zu binden, da jener mechanische Satz für alle
Bewegungen gilt. Ich habe daher bei allen bisher mitgetheilten
Schlussfolgerungen, um ihre Unabhängigkeit von speciellen Hypo-
thesen ausser Zweifel zu stellen, ein l)esonderes Gewicht darauf
gelegt, die Art der Bewegung, welche als Wärme wahrgenommen
wird, ganz unerwähnt zu lassen.
Meine Untersuchungen selbst waren aber nicht so frei von
dem Nebengedanken an eine Hypothese geblieben. Es ist ein
dem Geiste eingeborenes Bedürfniss, allgemeine Begriffe auch mit
speciellen Vorstellungen zu verknüpfen, und so hatte ich schon
im Beginn meiner auf die Wärme bezüglichen Arbeiten versucht,
Clausius, mechan. Wännetheorie, ni. -j
2 Abschnitt I.
mir von dem inneren Bewegungszustande eines warmen Körpers
Rechenschaft zu geben und hatte mir eine Vorstellung darüber
gebildet, die ich schon vor meiner ersten Publication über die
Wärme zu verschiedenen Untersuchungen und Rechnungen an-
gewandt hatte. Diese Vorstellung war von Allem, was ich bis
dahin über die Ansichten anderer Physiker erfahren hatte, so
verschieden, dass ich sie für vollständig neu hielt.
Später erfuhr ich von William Siemens, als ich ihm bei
einer gelegentlichen Unterhaltung einige Mittheilungen über meine
Vorstellung vom gasförmigen Zustande machte, dass auch Joule
eine derartige Idee ausgesprochen habe. Obwohl er mir über
die Einzelheiten des Joule' sehen Aufsatzes nichts Näheres sagen
konnte, und ich auch sonst keine Gelegenheit hatte, denselben
kennen zu lernen i), so ergab sich aus der Mittheilung doch, dass
meine Ansicht nicht so neu war, als ich geglaubt hatte, und ich
hielt es daher um so weniger für nöthig, mit ihrer Veröffent-
lichung besonders zu eilen.
Als aber i. J. 18.56 ein Aufsatz von Krönig unter dem Titel
„Grundzüge einer Theorie der Gase" erschien 2), in welcher ich
einen Theil meiner Ansichten wiederfand, so glaubte ich nun auch
den Theil meiner Ansichten, den ich in ihr nicht fand, oder der
mit ihrem Inhalte nicht übereinstimmte, veröffentlichen zu müssen,
was in einem 1857 in Pogg. Ann. (Bd. 100, S. 353) erschienenen
Aufsatze geschah, dessen Inhalt, vermehrt durch einige nachträg-
liche Hinzufügungen, den Gegenstand dieses Abschnittes bildet '■).
1) Joule hat seiueu Aufsatz i. ,J. 1848 in der Lit. and Phil. Soc. of
Manchester gelesen und dann in den Mem. dieser Gesellschaft (Vol. IX,
p. 107, 1851) veröffentlicht, welche in Deutschland wenig verbreitet sind.
Erst viel später, i. J. 1857, hat er ihn auf einen von mir ausgesprochenen
Wunsch noch einmal im Phil. Mag. (4tii Ser., Vol. XIV, p. 211) abdrucken
lassen.
_^, " 2) Zuerst als besondere, bei A. W. Hagen erschienene Schrift und
dann in Pogg. Ann., Bd. 99, S. .315.
3) Nachdem durch die neueren Publicationen die Aufmerksamkeit
weiterer Kreise auf diesen Gegenstand gelenkt war, hat man auch in älteren
Schriften Stellen, welche sich in ähnlichem Sinne aussprechen, aufgefunden
und ihnen ein erhöhtes Interesse zugewandt.
Joule selbst hatte schon Herapath als ihm vorangehend erwähnt.
Später hat P. du Bois-Eeymond darauf hingewiesen, dass schon Dan.
Bernoulli in seiner Hydrodynamica dieselbe Ansicht ausgesprochen und
bis zu einem gewissen Grade entwickelt hat. Einige Zeit darauf bin ich
auf ein von P r e v o s t herausgegebenes Buch aufmerksam gemacht (Deux
Art dei' Bewegung, welche wir Wärme nennen.
§. 2. Bewegungen, welche in gasförmigen Körpern
angenommen werden.
Die neue Gastheorie, welche den Namen der Vineiischen
erhalten hat, nimmt an, dass die Gasmolecüle nicht um bestimmte
Gleichgewichtslagen oscilliren, sondern sich in gerader Linie mit
Traites de Physique mecanique, puhlies par Pierre Prevost, Geneve
et Paris 1818), welches zwei Abhaudlungen enthält, eine von G. L. Le Sage,
welche Prevost nach dessen Tode herausgegeben hat, und eine von
Prevost selbst, in welcher die Ansichten von Le Sage weiter entwickelt
sind. In diesen Abhandlungen findet sich ebenfalls die Idee ausgesprochen
und behandelt, dass die Molecüle der Gase sich in fortschreitenden Bewe-
gungen befinden, und wenn auch in Bezug auf die Entstehung und Erhal-
tung dieser Bewegungen manches darin vorkommt, was von meinen An-
sichten sehr al)weicht, so ist doch die Art, wie die Expausivkraft des Gases
daraus erklärt wird, im Wesentlichen dieselbe.
Le Sage führt wiederum eine Reihe von Autoreu au, welche schon
vor ihm ähnliche Ideen gehabt haben, indem er auf S. 126 wörtlich sagt:
„Ou trouve des vestiges de cette opinion sur la nature de l'air. et meme
„de quelques autres fluides, dans divers auteurs qui m'out precede: Lucrece,
„livre II, vers 111 — 140. Gassendi, dans la premiere section de sa Physique,
„au milieu du 8e chapitre du 4e livre, et au commencement du 4e chapitre
„du 6e livre. Boyle dans ses Nouvelles Experiences physico - mecaniques
„sur la force elastique de l'air et sur ses eftets, ainsi que dans son Traite
„sur la fluidite et la durete. Parent, dans l'Histoire de l'Academie des
„Sciences de Paris, xjour 1708, ä la suite des Variations observees dans la
„regle de Mariotte sur la dilatation de l'air. Phoronomie de Hermau.
„livre II, chap. 6. Dan. Bernoulli, dans la 10? section de son Hydro-
„dynamique. Enfin Dan. et Jean Bernoulli, dans une des pieces qui out
„eu part au i^rix de l'Acad. des Sc. de Paris, eu 1746."
Ich brauche wohl kaum zu bemerken, dass ich, als ich meine Abhand-
lung schrieb, von diesen früher vorhandenen Erklärungsversuchen des gas-
förmigen Zustandes nichts gewusst habe; ich würde es sonst gewiss nicht
unterlassen haben, sie neben denjenigen von Krönig und Joule ebenfalls
zu erwähnen. Bei der grossen Anzahl von xlutoren , die nun schon in
dieser Beziehung citirt sind, und denen sich vielleicht noch andere anreihen
lassen werden , die sich aber , wie ich vermuthe , obwohl ich die älteren
nicht nachgelesen habe, zum Theil nur ziemlich unbestimmt geäussert
haben mögen, würde es wohl schwer sein, denjenigen mit Sicherheit anzu-
geben, dem die erste Aufstellung der Hypothese zuzuschreiben ist, und
es wird sich wohl nur feststellen lassen , wie viel die einzelneu Autoren
dazu beigetragen haben , die unbestimmte Idee zu einer annehmbaren
physikalischen Theorie zi; entwickeln.
1*
4 Abschnitt I.
constaiiter Geschwindigkeit fortbewegen, bis sie gegen andere
Gasmolecüle oder gegen eine für sie undurchdringliche Wand
stossen, und dann durch Abprallen neue Bewegungsrichtungen
annehmen, wobei aber die lebendige Kraft ihrer Bewegungen
durchschnittlich eben so gross bleibt, wie vor den Stössen.
Durch diese von den Molecülen auf jede ihrer Bewegung
Widerstand leistende Wand ausgeübten Stösse erklärt sich die
Expansivkraft des Gases, wie weiterhin noch näher besprochen
werden soll. Indessen liegt darin, dafs die fortschreitende Be-
wegung der Molecüle zur Erklärung der Expansivkraft ausreicht,
kein Beweis dafür, dass sie die einzig vorhandene Bewegung sei,
sondern es können gleiclizeitig mit ihr auch noch andere Be-
wegungen existiren, und es liegen sogar bestimmte Gründe vor,
solche anzunehmen.
Zunächst liegt es nahe, neben der fortschreitenden Bewegung
auch eine rotirende Bewegung der Molecüle anzunehmen, da bei
jedem Stosse zweier Körper gegen einander, wenn er nicht zu-
fällig central und gerade ist, ausser der fortschreitenden Be-
wegung auch eine rotirende entsteht.
Ferner glaube ich, dafs innerhalb der einzelnen, in fort-
schreitender Bewegung begriffenen Massen auch eine Vibration
stattfindet. Solche Vibrationen sind in verschiedener Weise
denkbar. Selbst wenn man sich auf die Betrachtung der ponde-
rablen Atome allein beschränkt, und diese als absolut starr an-
sieht, so bleibt es doch noch möglich, dass ein Molecül, welches
aus mehreren Atomen besteht, nicht ebenfalls eine absolut starre
Masse bildet, sondern dass in ihm die einzelnen Atome inner-
halb gewisser Grenzen beweglich sind, und daher gegen einander
schwingen können.
Zugleich will ich noch bemerken, dass dadurch, dass man
den ponderablen Atomen selbst eine Bewegung zuschreibt, nicht
ausgeschlossen ist, dafs jedes ponderable Atom noch mit einer
Quantität eines feineren Stoffes begabt, und dieser, ohne sich
von dem Atom zu trennen, doch in seiner Nähe beweglich sein
könne.
Durch eine am Schlüsse dieses Abschnittes mitgetheilte mathe-
matische Betrachtung lässt sich nachweisen, dass die lebendige
Kraft der fortschreitenden Bewegung zu gering ist, um allein die
ganze in dem Gase vorhandene Wärme darzustellen , so dass
man schon dadurch, ohne auf die sonstigen Wahrscheinlichkeits-
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 5
gründe einzugehen, genöthigt ist, noch eine oder mehrere andere
Bewegungen anzunehmen. Der Ueberschuss der gesammten
lebendigen Kraft über diejenige der fortschreitenden Bewegun-g
allein ist nach dieser Rechnung besonders bedeutend bei den
Gasen von complicirter chemischer Zusammensetzung, bei denen
eine grosse Anzahl von Atomen zu einem Molecül gehört.
§.3. Verhältniss zwischen den verschiedenen gleichzeitig
stattfindenden Bewegungen.
Die fortschreitende Bewegung der ganzen Molecüle und die
verschiedenen Bewegungen, welche die einzelnen Bestandtheile
der Molecüle noch ausserdem haben, und welche ich kurz die
Bewegungen der Bestandtheile nennen will, werden bei einem
seiner Natur und Beschaffenheit nach bestimmten Gase immer
in einem constanten Verhältnisse zu einander stehen.
Denkt man sich eine Anzahl von Molecülen, deren Bestand-
theile in lebhafter Bewegung sind, die aber keine fortschreitende
Bewegung haben, so wird diese von selbst entstehen, indem zwei
sich berührende Molecüle durch die Bewegung der Bestandtheile
von einander gestossen werden, wobei natürlich die Bewegung der
Bestandtheile einen entsprechenden Verlust an lebendiger Kraft
erleiden muss. Umgekehrt, wenn eine Anzahl in fortschreitender
Bewegung begriffener Molecüle in ihren Bestandtheilen keine Be-
wegung hätte, so würde diese bald durch die Stösse der Molecüle
gegen einander und gegen die festen Wände erzeugt werden. Erst
wenn alle Bewegungen, welche überhaupt entstehen können, ein
gewisses von der Beschaffenheit der Molecüle abhängiges Ver-
hältniss zu einander haben, werden sie sich gegenseitig nicht
weiter vermehren oder vermindern.
Damit ist nicht gemeint, dass bei jedem ehizelnen Molecüle
dieses bestimmte Verhältniss zwischen den verschiedenen Be-
wegungen eintrete und bei den weiteren Stössen unverändert
fortbestehe, sondern es handelt sich hier nur um die auf sehr
viele Molecüle hezüglichen Mitteliverthe und zwar um die Mittel-
werthe der lebendigen Kräfte der Bewegungen.
Wenn zwei Molecüle, deren Bestandtheile in Bewegung sind,
gegen einander stossen, so werden sie nicht nach den gewöhn-
lichen Elasticitätsgesetzen, wie zwei elastische Kugeln, von ein-
ander abprallen, sondern die Geschwindigkeiten und Richtungen,
6 Absclinitt I.
in welchen sie auseinander fliegen, werden ausser von der Be-
wegung, welche die ganzen Molecüle vor dem. Stosse hatten, noch
von der augenhlicklich stattfindenden Bewegung derjenigen Be-
standtheile, welche sich beim Stosse am nächsten kommen, ab-
hängen. Wenn aber die verschiedenen Bewegungen sich einmal
so ausgeglichen haben, dass die fortschreitende Bewegung durch
die Bewegungen der Bestandtheile durchschnittlich nicht ver-
mehrt oder vermindert wird, so kann man bei der Untersuchung
der Gesammtwirkung einer grossen Anzahl von Molecülen die
bei den einzelnen Stössen vorkommenden Unregelmässigkeiten
vernachlässigen, und annehmen, dass die Molecüle in Bezug auf
die fortschreitende Bewegung den gewöhnlichen Elasticitäts-
gesetzen folgen.
§. 4. Erklärung der Expansivkraft des Gases.
Um die Expansivkraft des Gases zu erklären, denken wir
uns eine Quantität desselben in einem festen Gefässe ein-
geschlossen, und betrachten einen kleinen Theil der inneren
Oberfläche der Gefässwand, Gegen dieses Flächenstück stossen
fortwährend Molecüle, deren Bewegungsrichtungen mit der auf
dem Flächenstücke nach aussen hin errichteten Normale Winkel
bilden, die kleiner sind als 90*^. Jedes dieser Molecüle verlässt
die Wand nach sehr kurzer Zeit wieder und fliegt nach dem
inneren Raum des Gefässes zurück. Wenn das Molecül sich
ganz wie eine elastische Kugel verhielte, die gegen eine feste
Wand stösst, so würde es beim Verlassen der Fläche dieselbe
Geschwindigkeit, wie beim Heranfliegen, und eine Bewegungs-
richtung haben, die mit der nach innen gerichteten Normale
denselben Winkel bildete, wie die Bewegungsrichtung des an-
kommenden Molecüls mit der nach aussen gerichteten Normale.
So regelmässig ist nun in der Wirklichkeit der Vorgang
nicht. Da das gegen die Wand fliegende Molecül aus Atomen
besteht, die ausser der Gesammtbewegung des Molecüls noch be-
sondere Bewegungen haben, und da ferner auch die Wand aus
Molecülen und Atomen besteht, die trotz der scheinbaren Ruhe
der Wand doch kleine Bewegungen machen, so haben wir es
bei einem Stosse nicht nur mit einer einfachen Wechselwirkung
des ganzen Molecüls und der festen Wand, sondern auch mit
der besonderen Wechselwirkung der vom Stosse zunächst be-
Art der Bewegung, welche wii- Wämie nennen. f
troffenen Bestandtheile zu thun. Je nach den Phasen, welche
die Bewegungen der Letzteren im Momente des Stosses haben,
können sie die durch den Stoss entstehende Bewegung des ganzen
Molecüls in verschiedenen Weisen beeinflussen.
Dieses bezieht sich aber nur auf die einzelnen Stösse. lin
Allgemeinen kann man, unter der Voraussetzung, dass alle den
Umständen nach möglichen Bewegungen zu einander in dem
oben erwähnten bleibenden Verhältnisse stehen, annehmen, dass
die Molecüle nach dem Abprallen durchschnittlich dieselbe
lebendige Kraft haben, wie beim Heranfliegen, und dass unter
den abgeprallten Molecülen alle von der Wand fortgehenden
Richtungen ebenso vertreten sind, wie unter den heranfliegenden
Molecülen die nach der Wand hingehenden Richtungen. Wenn
dieses als feststehend betrachtet wird, so macht es bei der Be-
stimmung des Druckes keinen Unterschied mehr, wenn man statt
der nur durchschnittlichen Gleichheit eine bei jedem einzelnen
Stosse stattfindende Gleichheit annimmt, d. h. wenn man an-
nimmt, dass die Molecüle nach denselben Gesetzen abprallen,
wie elastische Kugeln von einer festen Wand.
Denken wir uns nun eine solche Kugel in irgend einer
Richtung gegen die Wand fliegend, so können wir uns ihre
fortschreitende Bewegung in zwei Componenten zerlegen, deren
eine parallel der Wand und die andere senkrecht zur Wand ist.
Die erstere wird durch den Stoss nicht geändert, die letztere
dagegen verwandelt sich in eine andere, welche ihr der absoluten
Grösse nach gleich, der Richtung nach aber entgegengesetzt ist.
Diese Umänderung kann man so auflassen, dass die Kugel durch
die von der Wand auf sie ausgeübte Kraft eine nach innen ge-
richtete normale Bewegungsgrösse erhält, welche doppelt so gross
ist, als ihre ursprünglich vorhandene, nach aussen gerichtete.
Die erste Hälfte derselben dient dazu, die nach aussen gerichtete
Bewegungsgrösse aufzuheben, und die zweite bleibt nach dem
Stosse bestehen. Die Wand empfängt dabei durch Reaction eine
nach aussen gerichtete normale Bewegungsgrösse, welche eben-
falls doppelt so gross ist, als diejenige, welche die Kugel ur-
sprünglich hatte 1).
1) Krönig hat bei seiner Bestimmung der Expansivkraft nur die ein-
fache Bewegungsgrösse der die Wand treffenden Molecüle in Rechnung
gebracht, und daher hat er auch die Expansivkraft nur halb so gross ge-
funden, als sie in Wirklichkeit ist.
8 Absclmitt I.
Derselbe Vorgang findet bei jedem Stosse eines Molecüls
statt. Dabei ist aber zu bemerken, dass die Wirkung jedes
einzelnen Stosses wegen der Kleinheit der Molecüle sehr gering,
und dafür die Anzahl der selbst die kleinsten unserer Beobach-
tung zugänglichen Flächenstückchen während der Zeiteinheit
treffenden Stösse sehr gross ist. Dadurch entsteht für unsere
Wahrnehmung der x\nschein, als ob die Wand die ihr mitgetheilte
Bewegungsgrösse nicht durch einzelne Stösse, sondern durch
eine stetig wirkende, von innen nach aussen gerichtete Kraft
erhielte. Diese Kraft ist es, welche wir die Expansivkraft des
Gases nennen. Sie muss durch eine andere, ihr entgegen wir-
kende Kraft aufgehoben werden, wenn die Wand durch sie nicht
in Bewegung gerathen soll.
Was die Grösse der Expansivkraft anbetrifft, so lässt sich
schon durch eine oberftächliche Betrachtung einigermaassen er-
kennen, von welchen Umständen sie abhängen und in welcher
Weise die Abhängigkeit stattfinden muss.
Wenn die Dichtigkeit des Gases zunimmt, und daher die in
der Raumeinheit vorhandene Anzahl der Molecüle sich vermehrt,
so muss sich dadurch auch die Anzahl der Stösse vermehren,
und zwar muss unter sonst gleichen Umständen die Anzahl der
Stösse in demselben Verhältniss wachsen, wie die Anzahl der in
der Raumeinheit vorhandenen Molecüle. Demnach muss der
Druck im Verhältnisse der Dichtigkeit zunehmen, was dem
Mariotte' sehen Gesetze entspricht.
Wenn ferner die allgemeine Bewegungsgeschwindigkeit der
Molecüle sich ändert, so tritt dadurch in Bezug auf die Stösse
eine doppelte Aenderung ein. Erstens wächst mit der Ge-
schwindigkeit die Anzahl der Stösse, und zwar, unter sonst
gleichen Umständen, in demselben Verhältnisse, wie die Ge-
schwindigkeit. Zweitens wächst die Stärlie der Stösse, und auch
dieses findet in demselben Verhältnisse statt, wie die Zunahme
der Geschwindigkeit. Demnach muss der durch die Gesammt-
wirkung der Stösse entstehende Druck Avie das Quadrat der
Geschwindigkeit wachsen. Nehmen wir nun an, dass die absolute
Temperatur das Maass der lebendigen Kraft der fortschreitenden
Bewegung der Molecüle bilde und somit dem Quadrate der Ge-
schwindigkeiten proportional sei, so erhalten wir aus dem vor-
stehenden Ergebnisse das Gay-Lussac'sche Gesetz.
Art dei- Bewegung, welche wir Wäraae nennen. 9
Um auch den numerischen Werth des Druckes aus der An-
zahl und Geschwindigkeit der Molecüle berechnen zu können,
muss eine mathematische Betrachtung angestellt werden, welche
an dieser Stelle den Gang der Auseinandersetzungen zu sehr
unterbrechen würde und daher erst am Schlüsse dieses Ab-
schnittes neben anderen mathematischen Entvvickelungen Platz
finden soll.
§, .5. Gründe, weshalb die Gase dem Mariotte'schen
und Gay-L ussac'schen Gesetze nicht genau folgen.
Das bisher Gesagte gilt nur von den schwer condensirbaren
Gasen, welche man früher permanente Gase nannte, und auch
von diesen nur angenähert. Der Grund der vorkommenden
kleinen Abweichungen lässt sich, wenigstens im Allgemeinen,
ohne Schwierigkeit einsehen.
Damit das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz
und die mit ihm in Verbindung stehenden Gesetze streng gültig
seien, muss das Gas in Bezug auf seinen Molecularzustand fol-
genden Bedingungen genügen:
1) Der Raum, welchen die Molecüle des Gases wirklich aus-
füllen, muss gegen den ganzen Raum, welchen das Gas einnimmt,
verschwindend klein sein.
2) Die Zeit eines Stosses, d. h. die Zeit, welche ein Molecül,
indem es gegen ein anderes Molecül oder eine feste Wand
stösst, bedarf, um seine Bewegung in der "Weise zu ändern, wie
es durch den Stoss geschieht, muss gegen die Zeit, welche
zwischen zwei Stössen vergeht, verschwindend klein sein.
3) Der Einiiuss der Molecularkräfte muss verschwindend
klein sein. Hierin liegt Zweierlei. Zunächst wird gefordert, dass
die Kraft, mit welcher die sämmtlichen Molecüle sich in ihren
mittleren Entfernungen noch gegenseitig anziehen, gegen die aus
der Bewegung entstehende Expansivkraft verschwindet. Nun be-
finden sich aber die Molecüle nicht immer in ihren mittleren
Entfernungen von einander, sondern bei der Bewegung kommt
oft ein Molecül in unmittelbare Nähe eines anderen oder einer
ebenfalls aus wirksamen ^lolecülen bestehenden festen Wand,
und in solchen Momenten treten natürlich die Molecularkräfte
in Thätigkeit. Die zweite Forderung besteht daher darin, dass
10 Abschnitt 1.
die Theile des von einem Moleciile beschriebenen Weges, auf
welchen diese Kräfte von Einfluss sind, indem sie die Bewegung
des Molecüls in Richtung oder Geschwindigkeit merklich ändern,
gegen die Theile des Weges, auf welchen die Kräfte als unwirk-
sam betrachtet werden können, verschwinden.
Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, so treten Ab-
weichungen von den einfachen Gesetzen der Gase ein, welche
nach verschiedenen Richtungen hingehen können, indem jene
Umstände theils Vergrösserung, theils Verkleinerung des Druckes
bewirken. Die Abweichungen werden um so bedeutender, je
weniger der Molecularzustand des Gases diesen Bedingungen
entspricht.
Als ich die im Jahre 1847 erschienenen i) berühmten Unter-
suchungen von Regnault über die Abweichungen der Gase von
dem Mariotte' sehen und Gay-Lussac'schen Gesetze kennen
lernte., versuchte ich mit Hülfe der eben angedeuteten Principien
aus der Art der Abweichungen, welche Regnault bei den ein-
zelnen Gasen gefunden hat, einige Schlüsse darüber zu ziehen,
welche Grössen man dem von den Molecülen erfüllten Räume,
der Stosszeit und der Molecularanziehung bei den von Regnault
untersuchten Gasen zuzuschreiben hätte. Indessen waren die
Resultate, welche sich aus den Regnault'schen Beobachtungen
allein ziehen Hessen, wegen der geringen Ausdehnung der bei
ihnen angewandten Druekvermehrung, zu unsicher, um mir damals
zur Veröffentlichung geeignet zu erscheinen. Später sind von
anderen Physikern Beobachtungen angestellt, bei denen die Zu-
sammendrückung der Gase "sehr viel weiter getrieben ist, und
diese bieten für derartige Schlüsse eine zuverlässigere Grundlage.
Es wird daher von diesem Gegenstande weiter unten noch einmal
eingehend die Rede sein.
Vorläufig wollen wir, wie bisher, wenn von einem Gase die
Rede ist, immer ein solches darunter verstehen, welches die
vorigen Bedingungen vollkommen erfüllt, und welches Regnault,
da alle wirklich vorhandenen Gase nur eine Annäherung an
diesen Zustand zeigen, ein ideelles Gas nennt, während es in
unseren Auseinandersetzungen gewöhnlich ein vollkommenes Gas
genannt ist.
1) Mem. de TAc. des Sc. T. XXI.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 11
§. 6. Verhalten der Molecüle in den drei Aggregat-
ziiständen,
Nach diesen Betrachtungen über den gasförmigen Zustand
bietet sich von selbst die Frage dar, wie sich der feste und
flüssige Zustand vom gasförmigen unterscheiden. Obwohl eine
in allen Einzelheiten genügende Definition dieser Zustände eine
viel vollständigere Kenntniss der einzelnen Molecüle erfordern
würde, als wir bis jetzt besitzen, so glaube ich doch, dass sich
einige Hauptunterschiede mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit an-
geben lassen.
Eine Bewegung der Molecüle findet in allen drei Zuständen
statt.
Im festen Zustande ist die Bewegung der Art, dass sich die
Molecüle um gewisse Gleichgewichtslagen bewegen, ohne diese,
so lange nicht fremde Kräfte auf sie einwirken, ganz zu ver-
lassen. Die Bewegung lässt sich also bei festen Körpern als
eine vibrirende bezeichnen, Indess kann sie doch noch von sehr
complicirter Art sein. Erstens können die Bestandtheile eines
Molecüls unter sich, und zweitens die ganzen Molecüle als
solche vibriren , und die letzteren Vibrationen können wieder in
Hin- und Herbewegungen des Schwerpunctes und in Drehungs-
schwingungen um den Schwerpunct bestehen. In solchen Fällen,
wo äussere Kräfte auf den Körper wirken, z. B. bei Erschütte-
rungen, können die Molecüle auch bleibend in andere Lagen
kommen.
Im flüssigen Zustande haben die Molecüle keine bestimmte
Gleichgewichtslage mehr. Sie können sich um ihren Schwer-
punct ganz herumdrehen und auch der Schwerpunct kann sich
ganz aus seiner Lage fortbewegen. Die auseinander treibende
Wirkung der Bewegung ist aber im Verhältniss zu der gegen-
seitigen Anziehung der Molecüle nicht stark genug, um die
Molecüle ganz von einander zu trennen. Es haftet zwar nicht
mehr ein Molecül an bestimmten Nachbarmolecülen , aber es
verlässt diese doch nicht von selbst, sondern nur unter Mit-
wirkung der Kräfte, welche es von anderen Molecülen erleidet,
zu denen es dann in dieselbe Lage kommt, wie zu seinen bis-
herigen Nachbarmolecülen. Es findet also in der Flüssigkeit
12 Abschnitt I,
eine schwingende, wälzende und fortschreitende Bewegung der
Molecüle statt, aher so, dass die Molecüle dadurch nicht aus-
einander getrieben werden, sondern sich auch ohne äusseren
Druck innerhalb eines gewissen Volumens halten.
Im gasförmigen Zustande endlich sind die Molecüle durch
die Bewegung ganz aus den Sphären ihrer gegenseitigen An-
ziehung herausgekommen, und fliegen nun nach den gewöhn-
lichen Bewegungsgesetzen geradlinig fort. Wenn zwei solcher
Molecüle in ihrer Bewegung zusammenstossen , so fliegen sie im
Allgemeinen mit derselben Heftigkeit wieder auseinander, mit
der sie zusammengeflogen sind , ' was um so leichter geschehen
kann, als ein Molecül von einem einzelnen anderen Molecül mit
viel geringerer Kraft angezogen wird, als von der ganzen Menge
von Molecülen, welche es im flüssigen oder festen Zustande in
seiner ^[ähe hat.
§. 7. Erklärung des Verdampfungsprocesses.
Von hervorragendem Interesse schien es mir bei der Ent-
wickelung der kinetischen Gastheorie zu sein, den Vorgang der
Verdampfung zu erklären, welcher von den Autoren, welche vor
mir diese Theorie behandelt haben, nicht in Betracht gezogen war.
Ich gelangte durch meine auf den Gegenstand bezüglichen
Erwägungen dahin, mir von dem Verdampfungsprocesse eine Vor-
stellung zu bilden, welche von den früher üblichen Erklärungen
derartiger Processe sehr verschieden war. Während man nämlich
früher die Erklärungen auf die Annahme solcher Kräfte zu gründen
pflegte, die in dem ganzen Körper stetig und gleichmässig wirken,
wurden in meiner Erklärung Bewegungen und mit ihnen zu-
sammenhängende Kräfte angenommen, die in unregelmässigster,
ganz dem Zufall unterworfener Weise von Molecül zu Molecül
und von Moment zu Moment grosse Veränderungen erleiden, und
nur den allgemeinen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit unterworfen
sind. Diese Erklärung, mit welcher auch meine bald darauf
gegebene Erklärung der elektrolytischen Leitung i) zusammenhing,
fand allmählich mehr und mehr Anerkennung, und das ihr zu
Grunde liegende Princip wurde später auch von verschiedenen
1) Pogg. Ann., Bd. 101, S. 338, 1857.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 13
Autoren auf die Dissociation und andere ähnliche Vorgänge über-
tragen '). Ich glaube, meine Erklärung hier einfach in ihrer ur-
sprünglichen P'orm folgen lassen zu dürfen.
Es ist im Vorigen gesagt, dass in Flüssigkeiten ein Molecül
bei seiner Bewegung in der Anziehungsspliäre seiner Nachbar-
molecüle bleibt, oder diese nur verlässt, um dafür zu anderen
Nachbarmolecülen in eine entsprechende Lage zu kommen. Dieses
gilt aber nur von dem Mittelwerthe der Bewegungen, und es ist,
da die Bewegungen ganz unregelmässig sind, anzunehmen, dass die
Geschwindigkeiten der einzelnen Molecüle von dem Mittelwerthe
nach beiden Seiten innerhalb weiter Grenzen abweichen.
Betrachten wir nun zunächst die Oberfläche einer Flüssig-
keit , so nehme ich an , dass in der Mannichfaltigkeit der Be-
wegungen hin und wieder der Fall eintritt, dass ein Molecül
durch ein günstiges Zusammentreffen der fortschreitenden, schwin-
genden und drehenden Bewegung mit solcher Heftigkeit von
seinen Nachbarmolecülen fortgeschleudert wird, dass es, bevor
es durch die zurückziehende Kraft derselben diese Geschwindig-
keit ganz verloren hat, schon aus ihrer Wirkungssphäre heraus
ist, und dann in dem über der Flüssigkeit befindlichen Räume
weiter fliegt.
Denken wir uns diesen Raum begrenzt und anfänglich leer,
so wird er sich mit den fortgeschleuderten Molecülen allmählich
mehr und mehr füllen. Diese Molecüle verhalten sich nun in
dem Räume ganz wie ein Gas, und stossen daher in ihrer Be-
wegung gegen die Wände. Eine dieser Wände wird aber von
der Flüssigkeit selbst gebildet, und diese wird, wenn ein Molecül
gegen sie stösst, dasselbe im Allgemeinen nicht wieder zurück-
treiben, sondern durch die Anziehung, welche die übrigen Mole-
cüle bei der Annäherung sogleich wieder ausüben, festhalten und
in sich aufnehmen. Der Gleichgewichtszustand wird also eintreten,
wenn so viel Molecüle in dem oberen Räume verbreitet sind,
dass durchschnittlich während einer Zeiteinheit eben so viele
Molecüle gegen die Flüssigkeitsoberfläche stossen und von dieser
festgehalten werden, als andere Molecüle von ihr ausgesandt
werden. Der eintretende Gleichgewichtszustand ist demnach nicht
ein Ruhezustand , in welchem die Verdampfung aufgehört hat,
^) Siehe insbesondere die interessante Abhandlung von Pfaundler,
„Beiträge zur chemischen Statik". Pogg. Ann., Bd. 131, S. 55, 1867.
14 Abschnitt I.
sondern ein Zustand, in welchem fortwährend Verdampfung und
Niederschlag stattfindet, die beide gleich stark sind, und sich
daher compensiren.
Die Dichtigkeit des Damj^fes, welche zu dieser Compensation
nöthig ist, hängt davon ab, wie viel Molecüle während der Zeit-
einheit von der Flüssigkeitsoberüäche ausgesandt werden, und
diese Anzahl wiederum ist offenbar von der Lebhaftigkeit der
Bewegung innerhalb der Flüssigkeit, d. h. von ihrer Temperatur,
abhängig.
Was vorher von dem Verhalten der Flüssigkeitsoberfläche
gegen den darüber befindlichen Dampf gesagt ist, gilt in ähnlicher
Weise auch von den übrigen Wänden, welche den mit Dampf
gefüllten Raum umgrenzen. Es schlägt sich zuerst etwas Dampf
an ihnen nieder, dieser ist dann selbst wieder der Verdampfung
unterworfen, und es muss auch hier zuletzt der Zustand ein-
treten, in welchem Verdampfung und Niederschlag einander
gleich sind. Die Menge des auf der Oberfläche condensirten
Dampfes, welche dazu nöthig ist, hängt ab von der Dichtigkeit
des Dampfes in dem umschlossenen Räume, von der Temperatur
des Dampfes und der Wand, und von der Kraft, mit welcher die
Darapfmolecüle von der Wand angezogen werden. Das Maximum,
welches in dieser Beziehung eintreten kann, besteht darin, dass
die Wand ganz von der niedergeschlagenen Flüssigkeit benetzt
wird, und nachdem dieses geschehen ist, verhält sich die Wand
gerade so, wie die Oberfläche der gleichen Flüssigkeit.
§.8. Einfluss eines über der Flüssigkeit befindlichen
Gases auf die Verdampfung.
Hieraus ergiebt sich auch für die Erscheinung, dass eine
andere über der Flüssigkeit befindliche Gasart die Verdampfung
an der Oberfläche nicht- verhindern, wohl aber bewirken kann,
dass das Sieden erst bei einer bestimmten Temperatur eintritt,
eine wirklich ausreichende Erklärung, während der früher bei
der Besprechung dieser Erscheinung gewöhnlich angeführte
D alt on' sehe Ausspruch, dass ein mit einer Gasart erfüllter
Raum sich für ein anderes Gas wie ein leerer Raum verhalte,
nicht eine Erklärung, sondern nur eine veränderte Darstellung
der Erscheinung giebt.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 15
Der Druck des Gases auf die Flüssigkeit besteht nur darin,
dass bald hier bald dort einzelne Gasmolecüle gegen die Flüssig-
keitsoberfläche stossen. Uebrigens aber ist der Raum über der
Flüssigkeit, da die Gasmolecüle selbst nur einen sehr kleinen
T.heil desselben wirklich ausfüllen, als leer und für die Molecüle
der Flüssigkeit frei durchdringlich zu betrachten. Im Allgemeinen
werden diese erst in verhältnissmässig weiten Entfernungen von
der Oberfläche gegen Gasmolecüle stossen, und sich dann zu
ihnen verhalten, wie die Molecüle irgend eines anderen beige-
mischten Gases. Man muss also schliessen, dass die Flüssigkeit
auch in den mit Gas erfüllten Raum ihre Molecüle aussendet,
und dass die Menge des dadurch dem Gase beigemischten Dampfes
auch in diesem Falle so lange wächst, bis durchschnittlich eben
so viele Dampfmolecüle gegen die Oberfläche stossen und von
ihr aufgenommen werden, als sie selbst aussendet, und die dazu
für die Raumeinheit erforderliche Anzahl von Dampfmolecülen
ist sehr nahe dieselbe, mag der Raum ausserdem noch ein Gas
enthalten oder nicht.
Einen anderen Einfiuss übt aber der Druck des Gases auf das
Innere der Flüssigkeit aus. Auch hier, oder an den Stellen, wo
die Flüssigkeitsmasse von einer Gefässwand begrenzt wird, kann
es vorkommen, dass die Molecüle sich mit solcher Kraft von
einander werfen, dass für den Augenblick der Zusammenhang
der Masse gelöst wird. Der dadurch entstehende kleine leere
Raum ist aber von allen Seiten von blassen umgeben, welche
den bewegten Molecülen keinen Durchgang verstatten, und er
wird sich daher nur dann zu einer Dampfblase vergrössern und
als solche erhalten können, wenn fortwährend von den inneren
Flüssigkeitswänden so viel Molecüle fortgeschleudert werden,
dass der dadurch entstehende innere Dampfdruck dem Drucke,
welcher von aussen wirkt und die entstandene Blase wieder
zusammenzudrücken sucht, das Gleichgewicht halten kann. Die
Expansivkraft des eingeschlossenen Dampfes muss demnach um
so grösser sein, je grösser der Druck ist, unter dem die Flüssig-
keit steht, und es erklärt sich daraus die Abhängigkeit der
Siedetemperatur vom Drucke,
Wenn das über der Flüssigkeit befindliche Gas selbst conden-
sirbar ist und eine Flüssigkeit bildet, welche sich mit der ge-
gebenen Flüssigkeit mischt, so werden natürlich dadurch, dass
das Bestreben dieser Stoffe, sich zu mischen, als eine neue Kraft
16 Abschnitt I.
hinzutritt, die Verhältnisse complicirter. Auf diese Erscheinungen
will ich aber hier nicht eingehen.
Aehnlich wie bei flüssigen lässt sich auch bei festen Kör-
pern die Möglichkeit einer Verdampfung einsehen ; indessen folgt
daraus nicht umgekehrt, dass an der Oberfläche aller Körper
eine Verdampfung stattfinden müsse. Es ist wohl denkbar, dass
die Molecüle eines Körpers so fest unter einander zusammen-
hängen, dass, so lange die Temperatur des Körpers eine gewisse
Grenze nicht überschreitet, selbst die günstigste Combination
der verschiedenen Molekularbewegungen nicht fähig ist, den Zu-
sammenhang zu lösen.
§. 9. Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung durch
äussere Arbeit.
Wenn ein Körper seinen Zustand in solcher Weise ändert,
dass dabei eine positive oder negative Arbeit stattfindet, so muss
eine entsprechende Wärmemenge verbraucht oder erzeugt wer-
den. Dieses lässt sich schon aus dem allgemeinen mechanischen
Satze von der Aequivalenz von lebendiger Kraft und Arbeit
schliessen, welcher hier, indem andere Bewegungen von der Be-
trachtung ausgeschlossen sind, auf die lebendige Kraft der
Molecularbewegungen , also auf die Wärme zu beziehen ist. Es
ist aber von Interesse, sich für die verschiedenen Arten von
Arbeit den Vorgang zu veranschaulichen.
Wir beginnen mit der äusseren Arbeit, und zwar betrachten
wir dieselbe zunächst bei einem vollkommenen Gase. Wenn das
Gas nach allen Seiten von festen Wänden begrenzt ist, so prallen
die gegen eine solche Wand fliegenden Molecüle im Allgemeinen
mit derselben Geschwindigkeit von ihr ab, mit der sie heran-
geflogen sind, so dass ihre lebendige Kraft keine Aenderung er-
leidet. Wenn aber eine der Wände sich nach Aussen oder nach
Innen bewegt, und das Volumen des Gases sich dadurch ver-
grössert oder verkleinert, so findet diese Un Veränderlichkeit der
lebendigen Kraft nicht mehr statt. Bewegt sich die Wand nach
Aussen, also im Sinne der heranfliegenden Molecüle, so haben
diese nach dem Anprallen im Allgemeinen eine geringere Ge-
schwindigkeit als vorher; bewegt die Wand sich dagegen nach
Innen, also den heranfliegenden Molecülen entgegen, so ist die
Art dei' Bewegung, welche Avir "Wärme nennen. 17
Geschwindigkeit der Letzteren beim Verlassen der Wand grösser
als beim Heranfliegen, Im ersteren Falle findet daher eine
Verminderung der lebendigen Kraft statt, welche als Wärrae-
verbrauch zu bezeichnen ist, und im letzteren Falle eine Ver-
mehrung der lebendigen Kraft, welche sich als Wärmeerzeugung
zu erkennen giebt.
Dass der Wärmeverbrauch und die Wärmeerzeugung, welche
auf diese Weise ihre Erklärung finden, auch ihrer Grösse nach
genau der geleisteten oder verbrauchten äusseren Arbeit ent-
sprechen, soll weiterhin noch nachgewiesen werden.
Wenn die Wand sich so langsam bewegt, dass der Druck
des Gases gegen die bewegte Wand ebenso gross ist, wie gegen
eine ruhende Wand, so kommt bei der Bestimmung der Arbeit
die Geschwindigkeit der Wand nicht in Betracht, sondern nur
der im Ganzen von ihr zurückgelegte Weg. Ist dagegen die
Geschwindigkeit der Wand so gross, dass dadurch eine merkliche
Verdichtung oder Verdünnung des Gases in der Nähe der Wand
eintritt, so muss man immer den während der Bewegung von
dem Gase wirklich ausgeübten Druck in Rechnung bringen.
Wenn zwischen zwei Gefässen, welche mit Gas von verschie-
dener Dichtigkeit gefüllt sind, oder von denen das eine anfangs
leer ist, ein Ueberströmen stattfindet, so wird dabei im Ganzen
genommen keine Arbeit gethan, und es kann daher auch keine
Aenderung der im Ganzen vorhandenen Wärmemenge eintreten.
Damit ist aber nicht gesagt, dass nicht in jedem der beiden
Gefässe für sich eine Aenderung der Wärmemenge stattfinden
könne, denn eine Gasmasse, deren Molecüle Bewegungen haben,
unter denen eine bestimmte Richtung vorwaltet, verhält sich zu
angrenzenden Gasmassen ähnlich wie eine bewegte Wand, und
wenn die bewegte Gasmasse gegen ruhende Wände stösst, so
kommt dabei ebenso viel, wie die der ganzen Masse gemeinsame
fortschreitende Bewegung an lebendiger Kraft verliert, als Wärme-
bewegung zum Vorschein.
Ebenso wie bei den Volumenänderungen gasförmiger Körper,
muss man auch in anderen Fällen die äussere Arbeit in Betracht
ziehen, z. B. die Arbeit, welche bei der Verdampfung einer Flüssig-
keit darauf verwandt wird, dass der Dampf sich bei seiner Ent-
stehung durch Zurückdrängen des äusseren Widerstandes Raum
schaöen muss. Bei festen und flüssigen Körpern, welche nur
geringe Volumenänderungen erleiden, ist meistens auch die äussere
Clausius, mechan. Wärmetheorie. III. 2
18 Abschnitt I.
Arbeit gering, indessen kommen auch hier Fälle vor, in welchen
ihr Einfluss erheblich wird.
§. 10. Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung durch
innere Arbeit.
In gleicher Weise, wie die äussere Arbeit, giebt auch die
innere Arbeit zu Wärmeverbrauch und Wärmeerzeugung Ver-
anlassung, welche zum Theil noch viel bedeutender sind, als die
durch die äussere Arbeit veranlassten.
Wenn die Molecüle eines Kör^Ders, oder auch die Bestand-
theile, aus denen die Molecüle noch zusammengesetzt sind, ihre
Lage zu einander ändern, so kann dieses entweder in dem Sinne
geschehen, in welchem die den Molecülen innewohnenden Kräfte
sie zu bewegen suchen, oder im entgegengesetzten Sinne. Im
ersteren Falle wird den Molecülen oder ihren Bestandtheilen
während des Ueberganges aus der einen Lage in die andere
von den Kräften eine gewisse Geschwindigkeit mitgetheilt, deren
lebendige Kraft sich sogleich in Wärme verwandelt; im letzteren
Falle ist es, sofern wir von fremden aussergewöhnlichen Kräften
für jetzt absehen, die Wärme, durch welche die Molecüle oder
ihre Bestandtheile sich in Richtungen bewegen, die den inneren
Kräften entgegengesetzt sind, und die Verzögerung, welche die
Molecüle dabei durch die entgegenwirkenden Kräfte erleiden,
kommt als Verminderung der Wärmebewegung zum Vorschein.
Wenn feste und flüssige Körper sich durch die Wirkung der
Wärme ausdehnen, so ist dabei, wie schon gesagt, die äussere
Arbeit der Regel nach gering, während die innere Arbeit einen
bedeutenden Werth annehmen kann. Bei gasförmigen Körpern
ist das Verhältniss dagegen umgekehrt. Bei diesen ist die gegen-
seitige Anziehung der Molecüle, wegen ihrer viel weiteren Ent-
fernung von einander, sehr gering, und es kann daher bei noch
weiterer Ausdehnung auch nur eine sehr geringe innere Arbeit
geleistet werden. Dieses ist um so mehr der Fall, je weiter das
Gas von seinem Condensationspuncte entfernt ist, und je mehr
sich daher ^ein Zustand dem vollkommenen Gaszustande genähert
hat, in welchem man die bei der Ausdehnung geleistete innere
Arbeit als Null betrachten kann.
Art der Bewegung, welche wir Wärme ueunen. 19
Beim Uebergang aus dem festen in den flüssigen Zustand
entfernen sich die Molecüle zwar nicht aus den Sphären ihrer
gegenseitigen Einwirkung, aber sie gehen der obigen Annalmie
nach aus einer bestimmten, den Molecularkräften angemessenen
Lage in andere unregelmässige Lagen über, wobei die Kräfte,
welche sie in jener Lage zu erhalten suchen, überwunden werden
müssen.
Bei der Verdampfung findet die vollständige Trennung ein-
zelner Molecüle von der übrigen Masse statt, was offenbar
wiederum die Ueberwindung entgegenwirkender Kräfte nöthig
macht.
Li noch weit höherem Grade, als bei den Aenderungen der
Aggregatzustände, findet Arbeitsverbrauch und Arbeitsleistung
bei der Entstehung chemischer Verbindungen und bei chemischen
Zersetzungen statt, und dementsprechend sind auch die bei der
Entstehung von Verbindungen erzeugten und bei Zersetzungen
verbrauchten Wärmemengen viel grösser, als die entsprechenden
V^ärmemengen bei Aenderungen der Aggregatzustände.
§.11. Volumenverhältnisse zusammengesetzter Gase.
Endlich möge noch eine Erscheinung zur Sprache gebracht
werden, deren Erklärung von besonderer Wichtigkeit ist, nämlich
die bei gasförmigen Körpern stattfindende Beziehung zwischen
(le)ii specifisclicn Gcwiclite und dem MolccnlargewicJite^ oder zwischen
dem Volumen und der Molcciüarzalü.
Li §. 4 wurde als Ergebniss der kinetischen Gastheorie an-
geführt, dass der Druck, welchen ein Gas auf die Flächeneinheit
seiner Umhüllung ausübt, einerseits der Anzahl der in der Volumen-
einheit enthaltenen Molecüle, und andererseits der lebendigen
Kraft der fortschreitenden Bewegung der einzelnen Molecüle
proportional sein muss. Es fragt sich nun, ob und in welcher
Weise dieser Satz zur Erklärung der oben genannten Beziehung
führen kann.
Wir wollen zunächst nur zusammengesetzte Gase unter ein-
ander vergleichen.
Als Beispiel für die Betrachtung mögen zwei Verbindungen
zwischen Sauerstoff und Stickstoff' gewählt werden, nämlich die
Verbindung von einem Volumen Sauerstoff und einem Volumen
2*
20 Abschnitt I.
Stickstoff ZU Stickstoffoxyd, und von einem Volumen Sauerstoff
mit zwei Volumen Stickstoff' zu Stickstoffoxydul, welche Verbin-
dungen bekanntlich gleichen Raum einnehmen. Macht man nun
die durch ihre Einfachheit wahrscheinlichste Voraussetzung, dass
die Atomzahlen in den Molecülen beider Verbindungen den
Volumenzahlen der zu den Verbindungen zusammengetretenen
einfachen Gase entsprechen, dass also ein Molecül Stickstoffbxyd
aus einem Atom Sauerstoff' und einem Atom Stickstoff', und ein
Molecül Stickstoffoxydul aus einem Atom Sauerstoff' und zwei
Atomen Stickstoff' besteht, so folgt, dass gleiche Räume beider
Verbindungen gleich viel Molecüle enthalten. Da nun auch der
Druck beider Gase gleich ist, so müssen wir aus dem oben er-
wähnten Satze der kinetischen Gastheorie schliessen, dass die
einzelnen Molecüle beider Gase, obwohl die einen aus zwei
Atomen und die anderen aus drei Atomen bestehen, gleiche
lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegung haben.
Zu demselben Schlüsse kommt man bei den meisten anderen
zusammengesetzten Gasen, und in den Fällen, welche sich dieser
Regel nicht fügen, scheint es mir nicht unmöglich, die Ab-
weichungen darauf zurückzuführen, dass entweder das betreffende
Gas bei der Bestimmung seines Volumens noch nicht weit genug
von seinem Condensationspuncte entfernt war, oder dass die
bisher gebräuchliche chemische Formel die Art, wie die Atome
zu Molecülen verbunden sind, nicht richtig darstellt.
§. 12. Volumenverhältnisse einfacher Gase und
allgemeines Gesetz.
Vergleicht man nun aber die zusammengesetzten Gase mit
den einfachen, aus denen sie entstanden sind, so stösst man auf
eine eigenthümliche Schwierigkeit. Auf den ersten Blick würde
man geneigt sein , anzunehmen , dass bei einfachen Gasen jedes
Atom seine Bewegungen für sich allein mache, oder mit anderen
Worten, dass die Molecüle der einfachen Gase aus je einem
Atome bestehen. Wenn man diese Annahme mit dem Satze, dass
gleiche Räume verschiedener Gase gleich viel Molecüle enthalten,
in Verbindung brächte, so würde man zu dem Schlüsse gelangen,
dass, wenn ein Volumen eines einfachen Gases sich mit einem
oder mehreren Volumen eines anderen einfachen Gases verbände,
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 21
die Verbindung wieder nur Ein Volumen einnehmen müsste,
während in der Wirklichkeit gewöhnlich die Verbindung zwei
Volumen einnimmt.
Indem ich nach einem Erklärungsgrunde für diese merk-
würdige Erscheinung, und überhaupt nach einem geraeinsamen
Gesetze für die Voluraenverhältnisse der Gase suchte, bin ich
endlich bei folgender Ansicht als der wahrscheinlichsten stehen
geblieben, welche ich dem wissenschaftlichen Publicum wenigstens
als eine Hypothese, die der weiteren Prüfung werth ist, glaube
vorlegen zu dürfen.
Ich nehme an, dass die Kraft, welche die Entstehung chemi-
scher Verbindungen verursacht, und welche wahrscheinlich in
einer Art von Polarität der Atome besteht, auch schon in den
einfachen Stoffen wirksam ist, und dass auch in diesen mehrere
Atome Bu einem Molecüle verbunden sind.
Der einfachste und daher wahrscheinlichste Fall einer solchen
Verbindung würde der sein, dass zwei Atome ein Molecül bilden,
und dieser Fall liefert die Erklärung jener Volumenverhältnisse,
welche vorher als von der Regel abweichend angeführt wurden.
Es mögen z. B. gleiche Volumen Sauerstoff und Stickstoff
gegeben sein. Bilden diese Gase eine Mischung, so ist darin eine
gewisse Anzahl von Molecülen enthalten, welche entweder aus
zwei Atomen Sauerstoff oder aus zwei Atomen Stickstoff bestehen.
Denkt man sich nun, dass die Mischung in eine chemische Ver-
bindung übergeht, so enthält diese eben so viele Molecüle, welche
nur anders zusammengesetzt sind, indem jedes aus einem Atom
Sauerstoff und einem Atom Stickstoff gebildet ist. Es ist also
kein Grund zu einer Volumenänderung vorhanden. Sind dagegen
ein Volumen Sauerstoff und zwei Volumen Stickstoff gegeben, so
besteht in der Mischung jedes Molecül aus zwei Atomen und in
der Verbindung jedes Molecül aus drei Atomen. Die Anzahl
der Molecüle hat also durch das Eintreten der chemischen Ver-
bindung im Verhältniss von 3 : 2 abgenommen, und in demselben
Verhältniss musste sich daher auch das Volumen verringern.
Es giebt bekanntlich einige einfache Stoffe, welche im gas-
förmigen Zustande nicht dasjenige Volumen einnehmen, welches
man nach ihrem Atomgewichte und nach dem Volumen ihrer
Verbindungen erwarten sollte, sondern ein anderes in den meisten
Fällen kleineres, welches zu jenem in einem einfachen Verhält-
nisse steht. Eine speciellere Betrachtung dieser Stoffe würde
22 Abschnitt I.
hier um so weniger an ihrem Orte sein, als zwei derselben,
Schwefel und Phosphor, auch in anderer Beziehung, durch die
Mannichfaltigkeit der Zustände, welche sie annehmen können, ein
so auffälliges Verhalten zeigen, dafs man wohl von der Chemie
noch besondere Aufschlüsse über diese Körper erwarten darf,
welche dann zugleich mit den anderen Unregelmässigkeiten viel-
leicht auch diejenigen des Dampfvolumens erklären. Indessen
möchte ich doch an einen Umstand erinnern, der möglicherweise
in einigen Fällen zur Erklärung beitragen kann, nämlich den,
dass die obige Annahme, dass die Molecüle der einfachen Stoffe
aus je zwei Atomen bestehen, zwar die einfachste, aber nicht die
einzig mögliche ist i).
Vergleicht man alle Fälle von einfachen und zusammenge-
setzten Gasen unter einander, so ist es nicht zu erwarten, dass
man überall sogleich eine vollkommene üebereinstimmung finde;
aber ich glaube, dass man bei der Unsicherheit, welche über
die innere Constitution mancher Körper, besonders solcher von
complicirter chemischer Zusammensetzung, noch herrscht, kein
zu grosses Gewicht auf einzelne Ausnahmefälle legen darf, und
ich halte es für wahrscheinlich, dass mit Hülfe der über die
Molecüle der einfachen Stoffe gemachten Hypothese sämmtliche
Volumenverhältnisse der Gase sich auf den Satz zurückführen
lassen, dass die einseinen Molecüle aller Gase in Besug auf ihre
fortscJireitende Bewegung gleiche lebendige Kraft haben.
Als meine Abhandlung über die Art der Bewegung, welche
wir Wärme nennen, aus welcher die vorstehende Erklärung wört-
lich entnommen ist, in Pogg, Ann. von 1857 erschienen war,
wurde zu einem in den Ann. de chim. et de phys. erschienenen
Auszuge dieser Abhandlung und zu der in den Archives des
Sciences phys. et nat. erschienenen Uebersetzung derselben an
dieser Stelle von den Herren V erdet und Marignac An-
merkungen hinzugefügt, worin erwähnt wird, dass auch Dumas,
Laurent und Gerhardt schon die Ansicht ausgesprochen haben,
dass die Molecüle der einfachen Gase aus mehreren Atomen be-
1) Beim Schwefel ist bekanntlich von Öte.-Claii'e Deville und Troost
im Jahre 1859 die Beobachtung gemacht, dass die Unregelmässigkeit seines
Dampfvolumens auf gewisse Temperaturgrenzen beschräukt ist und bei
sehr hohen Temperaturen nicht stattfindet, was sich dem Obigen nach aus
einem durch die Wärme bewirkten Zerfallen complicirterer Molecüle in
einfachere erklären lässt.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 23
stehen. Es war mir natürlich sehr angenehm, auf diesen mir
bis dahin unbekannten Umstand aufmerksam gemacht zu werden,
und die beiden oben genannten Herren sind dann auch so gütig
gewesen, mir die Stellen, wo sich Aeusserungen der Art befinden,
näher zu bezeichnen. Ich habe daraus ersehen, dass die be-
stimmtesten dahin gehenden Aussprüche sich bei Gerhardt
(im vierten Bande seiner organischen ChemieJ finden, welcher
aus ganz anderen, rein chemischen Gründen zu der Ansicht ge-
langt ist, dass man freien Wasserstoff als Wasserstoff hydrür (H,I1)
und freies Chlor als Chlorchloriir (Gl, Gl) betrachten müsse
(§§. 2451 und 2457 jenes W^erkes). Ein solches Zusammentreffen
der aus verschiedenen Betrachtungen hervorgegangenen Ptesultate
ist um so erfreulicher, je schwieriger und dunkler der betreffende
Gegenstand noch ist.
Ueber die Zusammensetzung der Sauerstotfmolecüle spricht
sich Gerhardt weniger bestimmt aus. Die Stelle, welche am
speciellsten darauf eingeht, befindet sich im §. 2452. Nachdem
hier gesagt ist, der Process, wenn Schwefelkalium sich beim
Rösten in schwefelsaures Kali verwandelt, sei als eine doppelte
Zersetzung zwischen Sauerstoff und Schwefelkalium zu betrachten,
heisst es weiter: „La molecule de l'oxygene libre etant composee
de plusieurs atomes (de deux au moins), il se forme, par double
decomposition de l'acide sulfurique anhydre et de l'oxyde de
potassium; mais ces deux produits demeurent unis, et peuvent
ulterieurement etre separes, comme dans le cas de la liqueur
des Hollandais:
SK2 + 03G = SO^^-f lOO
restent combines."
In dieser chemischen Gleichung soll offenbar die Formel
0^0 das vorher erwähnte, aus mehreren Atomen bestehende
Molecül des freien Sauerstoffs darstellen. An einer anderen
Stelle (in §. 2457), wo der Sauerstoff nur ganz kurz neben
anderen Stoffen erwähnt ist, kommt für den freien Sauerstoff
die Formel 00 vor, ohne dass für die Verschiedenheit dieser
Formel von der kurz vorher aufgestellten ein Grund ausgeführt
wird. Es scheint hiernach, als ob Gerhardt über die Constitu-
tion der Molecule des freien Sauerstoffes zweifelhaft gewesen sei.
Auch bei den anderen betreffenden Autoren finde ich über die
Anzahl der Atome, welche in einem Sauerstoff'molecüle enthalten
24 Absclinitt I.
sein sollen, keine bestimmten Angaben. In meiner Theorie da-
gegen ist für die Molecüle des gewöhnlichen Sauerstoffs bestimmt
angenommen, dass sie aus je ztoei Atomen bestehen, worauf ich
um so mehr Gewicht legen muss, als diese Annahme den Aus-
gangspunkt meiner weiter unten folgenden Erklärung des Ozon
bildet.
Noch unbestimmter, als die Angaben der oben erwähnten
Autoren, sind die Aeusserungen , welche sich in einigen älteren
Abhandlungen von Avogadro^) befinden, welche zur Zeit jener
Erörterungen so sehr in Vergessenheit gerathen waren, dass in
dem 1863 erschienenen Biographischen Handwörterbuch von
Poggendorff nicht einmal der Name Avogadro vorkommt,
und welche erst, nachdem die Volumenverhältnisse der Gase von
anderen Gesichtspuncten aus beleuchtet waren, wieder beachtet
wurden. In diesen Abhandlungen ist auch schon davon die
Rede, dass die Molecüle der einfachen Gase zerlegbar seien,
aber die Anzahl ihrer trennbaren Theile ist dort meistens un-
bestimmt gelassen, und wo beispielsweise eine Zahl genannt wird,
ist es gewöhnlich die Zahl vier^ was damit zusammenhängt, dass
damals in einer von Ampere veröffentlichten Abhandlung über
die Krystallisation die Ansicht ausgesprochen war, das Molecül
eines einfachen Stoffes bestehe im Allgemeinen aus vier Partikeln
einfachster Art, welche die Eckpuncte eines regulären Tetraeders
einnehmen.
Was die Volumenverhältnisse der bei gleicher Temperatur
und unter gleichem Drucke genommenen Gase im Allgemeinen
anbetrifft, so hat Avogadro sie durch den Satz ausgedrückt,
dass in gleichen Volumen verschiedener Gase gleich viele Molecüle
enthalten sind^ während ich den Satz ausgesprochen habe, dass
die Molecüle verschiedener Gase gleiche lebendige Kraft der fort-
schreitenden Bewegung haben. Beide Sätze führen zu denselben
Volumenzahlen, unterscheiden sich aber dadurch von einander,
dass der Avogadro'sche Satz die Beziehung zwischen Volumen
und Molecülzahl einfach als Thatsache hinstellt, während der
meinige auch den mechanischen Grund dieser Beziehung er-
kennen lässt.
1) Journal de physique par de Laraetherie, Juli 1811 und Februar 1814,
und Memorie della R. Accademia delle scienze di Torino T. XXVI, 1821,
p. 1 und 440.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 25
§. 13. Mathematische Bestimmung der P]xpansivkraft.
In §. 4 wurde von der P]xpansivkraft der Gase eine Er-
klärung gegeben, bei der es sich nur darum handelte, die Ent-
stehung derselben und ihre Abhängigkeit von den Umständen,
unter denen die Gase sich befinden, anschaulich zu machen.
Es muss nun aber auch noch der mathematische Ausdruck für
die Grösse der Expansivkraft abgeleitet werden.
Dabei wollen wir, wie es dort geschehen und motivirt ist,
annehmen, dass das Abprallen der Moleciile von einer festen
Wand nach denselben Gesetzen, wie das Abprallen elastischer
Kugeln, stattfinde.
Ferner wollen wir voraussetzen, dass wir es mit einem voll-
hommenen Gase zu thun haben, dass also 1) die Moleciile hin-
länglich klein seien, um ihr Volumen gegen das von dem Gase
im Ganzen eingenommene Volumen vernachlässigen zu können,
und 2) die Moleciile nur in unmittelbarer Nähe Kräfte auf ein-
ander ausüben. Die Erfüllung dieser letzteren Bedingung hat
zugleich die Erfüllung der dritten in §. 5 angeführten Bedingung
zur Folge, dass die Zeit eines Stosses gegen die Zeit der Be-
wegung zwischen zwei Stössen verschwindend klein sei. Unter
diesen Voraussetzungen können wir uns die Moleciile durch
elastische Massenpuncte ersetzt denken.
Endlich wollen wir noch eine vereinfachende Annahme in
Bezug auf die Geschwindigkeiten der Molecüle machen. In der
Wirklichkeit finden zwischen den Geschwindigkeiten der einzel-
nen Molecüle sehr grosse, mit jedem Stosse wechselnde Ver-
schiedenheiten statt. Bei der Betrachtung aber können wir allen
Molecülen eine gewisse mittlere Geschwindigkeit zuschreiben.
Diese muss aber, wie aus der nachfolgenden, den Druck dar-
stellenden Formel ersichtlich sein wird, nicht so gewählt werden,
dass sie das arithmetische Mittel aus allen einzelnen Geschwindig-
keiten ist, sondern so, dass ihr Quadrat das arithmetische
Mittel aus den Quadraten aller einzelnen Geschwindigkeiten ist,
oder, mit anderen Worten, dass man aus ihr für die lebendige
Kraft aller Molecüle denselben W^erth erhält, wie aus den wirk-
lich stattfindenden Geschwindigkeiten,
Um nun den Druck, welchen das Gas auf die umhüllende
Wand ausübt, zu bestimmen, wollen wir uns eine Flächeneinheit
26 , Abschnitt I.
der Wand als eben vorstellen, und dann unsere Aufmerksamkeit
auf eine an diese Flächeneinheit grenzende, unendlich dünne
Schicht des Gasvolumens richten, deren überall gleiche Dicke
mit dx bezeichnet werden möge.
Das Volumen dieser Schicht wird, da ihre Grundfläche gleich
einer Flächeneinheit ist, ebenfalls einfach durch dx dargestellt,
und daraus folgt, dass die Anzahl der gleichzeitig in der Schicht
vorhandenen Molecüle gleich Ndx ist, wenn N die Anzahl der
in der Volumeneinheit des Gases befindlichen Molecüle bedeutet.
Diese Ndx Molecüle bewegen sich nach allen möglichen Rich-
tungen, so dass jede Richtung ebenso wahrscheinlich ist, wie
die übrigen. Demnach verhält sich die Anzahl derjenigen Mole-
cüle, deren Bewegungsrichtungen mit der auf der Wandfläche
nach aussen hin errichteten Normale Winkel bilden, die zwischen
-O- und %• -\- d% liegen, zu der ganzen Anzahl aller in der Schicht
vorhandenen Molecüle, wie die dem Winkelintervall von ■O- bis
\f -\- dd" entsprechende Kugelzone zur ganzen Kugeloberfläche,
also wie 2 7t sin d-dd-'An. Wir erhalten also , wenn wir die be-
treffende Anzahl mit P bezeichnen, die Gleichung:
P = i Ndx = ^Nsmd'dd-dx.
4:7t 2
Der hierin vorkommende Winkel ^ kann jeden Wertli zwi-
schen 0 und 7t haben, und zwar ist er kleiner oder grösser als
7t
TT, je nachdem das betreffende Molecül sich zur Wand hin oder
von der Wand fort bewegt. Da aber bei der von uns beabsich-
tigten Bestimmung nur solche Molecüle, die zur Wand hin gehen,
in Betracht kommen, so haben wir es dabei nur mit Werthen
unter — zu thun.
Der Weg, den ein unter dem Winkel 0" die Schicht durch-
fliegendes Molecül in der Schicht zurückzulegen hat, um bis zur
Wand zu gelangen, ist gleich ^- Bezeichnen wir ferner die
^ ° COSd-
Geschwindigkeit des Molecüls mit u^ und die Zeit, welche es
zum Durchfliegen der Schicht gebraucht, mit r, so erhalten wir
zur Bestimmung der letzteren Grösse die Gleichung:
dx
X =
u . cos &
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 27
Wenn nun von solchen Molecülen, deren jedes die Zeit r
zum Durchfliegen der Schicht gebraucht, stets die Anzahl P in
der Schicht vorhanden ist, so lässt sich daraus leicht auch ab-
leiten, eine wie grosse Anzahl solcher Molecüle während der
Zeiteinheit die Schicht durchfliegt und somit die Wand trifft,
welche Anzahl mit Q bezeichnet werden möge. Wenn r =: 1
wäre, so würde Q = P sein; wenn aber r einen von 1 ver-
schiedenen Werth hat, so muss sich Q zu F verhalten, wie
1 zu r, und es ist daher zur Bestimmung von Q die Gleichung
zu bilden. Setzen wir hierin für P und r die oben gegebenen
Werthe ein, so kommt:
oder vereinfacht;
^ 1 TVT • o. 7 Q. 7 11 cos d'
Q = — IS stn %■ d xt d X —^ ,
Q = ~ Nucos^ sin^dd:
Jedem dieser Molecüle wird durch die Kraft, welche es
während der Stosszeit von der Wand erleidet, die zur Wand
senkrechte Componente seiner Geschwindigkeit, deren Grösse
ucosd- ist, entzogen, und dann eine ebenso grosse Geschwindig-
keitscomponente nach der entgegengesetzten Seite wieder mit-
getheilt, oder, was auf dasselbe hinauskommt, es wird ihm die
Geschwindigkeit 2 u cos d- nach der negativen Normalrichtung
mitgetheilt.
Wenn die Masse m des Molecüls mit in Betracht gezogen
wird, so kann man das Vorige auch dahin ausdrücken, dass dem
Molecül während des Stosses die Beweguugsgrösse 2 ni u cos 9
nach der negativen Normalrichtung mitgetheilt wird. Da nun
aber die zwischen der Wand und dem Molecül während des
Stosses ausgeübten Kräfte Avechselseitige sind, die mit gleicher
Stärke nach entgegengesetzten Richtungen wirken, so kann man
auch umgekehrt sagen, dass die Wand durch den Stoss die Be-
wegimg sgrösse 2 m a cos 9^ nach der positiven Normair icMimg erhält.
Indem man dieses Resultat auf die ganze Anzahl Q von
Stössen ausdehnt, gelangt man für die von ihnen zusammen auf
28 Abschnitt I.
die Wand übertragene positive Bewegungsgrösse zu dem Aus-
drucke:
Q.2mucos9;
welcher durch Anwendung des obigen Werthes von Q übergeht in:
-^ Nu cos ^ sin d- cid' .2 m u cos ^ = N m u"^ cos^ -0- sin %• dd'.
Dieser Ausdruck bezieht sich nur auf diejenigen Molecüle,
deren Bewegungsrichtungen mit der Normale Winkel bilden,
welche zwischen %• und % -\- d%^ liegen. Um aus ihm die ganze
Bewegungsgrösse abzuleiten, welche alle in beliebigen Richtungen
gegen die Flächeneinheit der Wand fliegenden Molecüle ihr wäh-
rend der Zeiteinheit mittheilen, muss man ihn nach % von 0 bis
— integriren, und da diese Bewegungsgrösse den von dem Gase
auf die Wand ausgeübten Druck darstellt, so erhält man zur
Bestimmung des Druckes, welcher mit j9 bezeichnet werden möge,
die Gleichung:
7t
T
j) = iVm M^ / cos'^ -O- sin % ä -0-,
b
oder nach Ausführung der Integration:
., . Nm u'^
(1) ^ = -"3
Anstatt uns, wie es im Vorigen geschehen ist, eine Flächen-
einheit der Wand als eben vorzustellen, und dann den auf diese
Flächeneinheit ausgeübten Druck zu bestimmen, können wir
natürlich auch die Gestalt der Wand unbestimmt lassen, und
dann unsere Betrachtung auf ein Flächenelement den derselben
beschränken. Bezeichnen wir den auf dieses ausgeübten Druck
mit p .dco, so erhalten wir für p denselben Ausdruck, wie vorher.
Der Umstand, dass in diesem Ausdrucke die Geschwindigkeit
quadratisch als Factor vorkommt, ist es, um dessentwillen die
für alle Molecüle angenommene gemeinsame Geschwindigkeit u
aus den in der Wirklichkeit stattfindenden verschiedenen Ge-
schwindigkeiten in der Weise abgeleitet werden muss, wie es im
Anfang dieses Paragraphen festgesetzt wurde.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 29
§. 14. Verhalten der Molecüle zu einer bewegten Wand.
Bei den vorstehenden Betrachtungen wurde vorausgesetzt,
dass die Wand, gegen welche die Molecüle stossen, in Ruhe sei.
In diesem Falle leistet der von den Molecülen auf die Wand
ausgeübte Druck keine Arbeit. Da ferner in diesem Falle die
Molecüle im Allgemeinen mit derselben Geschwindigkeit von der
Wand zurückgeworfen werden, mit der sie heranfliegen, so er-
leidet die lebendige Kraft der Molecüle durch die Stösse keine
Aenderung.
Nun wollen wir annehmen, die Wand sei in Bewegung, und
zwar wollen wir, da eine der Wandfläche parallele Bewegung
an den bisherigen Resultaten nichts ändern würde, dem zur Be-
trachtung ausgewählten, als sehr klein vorausgesetzten Flächen-
stücke eine Bewegung zuschreiben, welche der auf dem Flächen-
stücke errichteten Normale parallel ist. Die Geschwindigkeit
dieser Bewegung möge mit iv bezeichnet und als positiv oder
negativ gerechnet werden, je nachdem das Wandstück sich von
Innen nach Aussen, oder von Aussen nach Innen bewegt.
Gegen dieses Wandstück denken wir uns ein Molecül flie-
gend, welches die Geschwindigkeit u habe, und dessen Bewegungs-
richtung mit der nach Aussen gehenden Normale den Winkel
•O- bilde. Es soll nun bestimmt werden, welche Aenderung die
Bewegung dieses Molecüls durch den Stoss erleidet, wobei, wie
im Obigen, vorausgesetzt werden soll, dass der Stoss in solcher
Weise vor sich gehe, wie bei einer gegen die Wand fliegenden
elastischen Kugel.
Um die gegenseitige Einwirkung zwischen der Wand und
dem Molecül zu bestimmen, zerlegen wir die Geschwindigkeit
des Molecüls in die beiden Componenten parallel und senkrecht
zur Wand, welche durch ushiQ' und ucos^ dargestellt werden.
Die erstere ändert sich durch den Stoss nicht; die letztere da-
gegen erleidet folgende Aenderungen. Zuerst drückt sich das
Molecül so lange gegen die Wand, bis die senkrechte Compo-
nente seiner Geschwindigkeit durch die von der Wand ausgeübte
Gegenkraft zum Werthe w herabgebracht, also um die Grösse
u cos 1^ — IV vermindert ist, und dann wird dem Molecül während
seiner Trennung von der Wand noch einmal die normale Ge-
30 Abschnitt I.
schwindigkeitscomponente — (u cos ^ — iv) mitgetheilt. Im Ganzen
empfängt das Molecül also durch den Stoss die normale Ge-
schwindigkeitscomponente — 2(ucosQ' — tu\ und man erhält daher
für die normale Geschwindigkeitscomponente, welche es nach dem
Stosse besitzt, folgenden Ausdruck:
UCOSd' — 2 (U cos &• — tv) = — tlCOSQ' -\- 2 IV.
Hieraus lässt sich nun leicht die lebendige Kraft, welche
das Molecül nach dem Stosse besitzt, bestimmen. Dieselbe ist
nämlich :
— [(u sin »y -f (— u cos ^ 4- 2 ivy]
oder zusammengezogen:
w
— (m2 — 4 tv u cosQ' -\- 4: iv^).
Li
Der Stoss hat also bewirkt, dass die lebendige Kraft des
Molecüls, welche ursprünglich — w^ ^ar, um die Grösse
— Imw {u COS ^ — w)
zugenommen hat. Bei der Beurtheilung dieser Formel ist zu
beachten, dass die Differenz ucosd' — tv nur positiv sein kann,
weil Molecüle, bei denen die senkrechte Geschwindigkeitscompo-
nente UCOS& kleiner als iv ist, das betreffende Flächenstück
überhaupt nicht treffen können. Demnach ist der Werth der
Formel negativ oder positiv, je nachdem iv positiv oder negativ
ist, d. h. wenn die Wand sich nach Aussen bewegt, findet eine
Abnahme, und wenn die Wand sich nach Innen bewegt, eine Zu-
nahme der lebendigen Kraft der gegen sie stossenden Molecüle
statt.
Es möge nun weiter die Arheü bestimmt werden, welche
der von dem Molecül während des Stosses auf die Wand aus-
geübte Druck leistet.
Wie schon oben gesagt wurde, wird dem Molecül während
des Stosses die Geschwindigkeitscomponente 2 {u cos 0 — iv) nach
der negativen Normalrichtung mitgetheilt. Die dieser Ge-
schwindigkeit entsprechende Bewegungsgrösse ist 2'm(ucos^ — iv).
Wenn nun das Molecül durch die zwischen ihm und der Wand
stattfindende Wechselwirkung diese Bewegungsgrösse nach der
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 31
negativen Normalrichtung erhält, so erhält die Wand gleichzeitig
dieselbe Bewegungsgrösse nach der positiven Normalrichtung.
Der diese Bewegungsgrösse hervorbringende Druck, welchen das
Molecül während des Stosses auf die Wand ausübt, ist sehr ver-
änderlich, indem er zuerst von Null bis zu einem Maximumwerthe
zunimmt und dann wieder bis Null abnimmt. Man kann aber den
Mittelwerth dieses Druckes während der betreffenden Zeit er-
halten, wenn man die im Ganzen von ihm hervorgebrachte Be-
wegungsgrösse durch die Zeit dividirt. Bezeichnen wir daher die
sehr kurze Zeit von dem Beginn der gegenseitigen Einwirkung
zwischen Molecül und Wand bis zu ihrem Ende, welche wir die
Stösszeit nennen, mit r, so ist der während der Stosszeit von
dem Molecül auf die Wand ausgeübte mittlere Bruch gleich
— (u cos Q- — tv).
T ^
Dieser mittlere Druck muss zur Bestimmung der Arbeit mit
dem von der Wand während der Zeit r zurückgelegten Wege
tVT multiplicirt werden. Wir erhalten also für die gesuchte
Arbeit den Ausdruck :
— (u cos & — w) w T =^ 2 m w (u cos d- — «•)•
Aus der Vergleichung dieses Ausdruckes mit dem für die
Zunahme der lebendigen Kraft des Molecüls gefundenen Aus-
drucke ergiebt sich, dass beide dem absoluten Werthe nach
gleich, aber dem Vorzeichen nach entgegengesetzt sind, wie es
nach dem Satze von der Aequivalenz von lebendiger Kraft und
Arbeit auch sein muss.
Dasselbe, was hier für einen einzelnen Stoss festgesetzt ist, gilt
auch für alle Stösse, welche das betrachtete Wandstück während
der Zeiteinheit erleidet. Wir können daher, wenn wir die auf
alle Stösse bezüglichen Grössen aus den auf einen Stoss bezüg-
lichen durch Vorsetzung des Summenzeichens ableiten, die während
der Zeiteinheit an dem Wandstücke geleistete Arbeit und die
gleichzeitig eingetretene Veränderung der lebendigen Kraft der
gegen das Wandstück geflogenen Molecüle durch folgende Aus-
drücke darstellen, in welchen der Factor ^r, weil er für alle
Stösse gleich ist, ausserhalb der Summenzeichen gesetzt ist:
iv^^2m(ucos 1^ — if) und — iv^_^2 ni (u cosQ- — ic).
32 Abschnitt I.
Die in diesen Ausdrücken vorkommende Summe bedeutet
die während der Zeiteinheit dem Wandstücke mitgetheilte Be-
wegungsgrösse , welche gleichbedeutend mit dem auf das Wand-
stück ausgeübten Drucke ist. Bezeichnen wir also den auf die
Flächeneinheit bezüglichen Druck mit j3 und die Grösse des
Wandstückes mit «, so können wir setzen:
^1 2 m (ti cos ■9" — ir) = p a,
wodurch die vorigen Ausdrücke übergehen in:
2cp a und — tv2) cc.
Wenn die Geschwindigkeit tv der Wand gegen die Ge-
schwindigkeit u der Molecüle sehr klein ist, so ist der Druck,
welchen die bewegte Wand von den Molecülen erleidet, mit
demjenigen, welchen die ruhende Wand erleiden würde, als
gleich anzusehen. Wenn dagegen die Geschwindigkeit iv einen
gegen w in Betracht kommenden Werth hat, so muss auch die
durch die Bewegung der Wand bedingte Aenderung des Druckes
berücksichtigt werden, welche im negativen oder positiven Sinne
stattfindet, je nachdem ^ü positiv oder negativ ist, d. h. je nachdem
das Wandstück sich nach Aussen oder nach Innen bewegt.
Unter allen Umständen aber bleibt bei richtiger Bestimmung
des wirklich stattfindenden Druckes der Satz bestehen, dass die
geleistete Arbeit gleich der Abnahme der lebendigen Kraft der
Molecüle ist
§. 15. Lebendige Kraft und Geschwindigkeit der fort-
schreitenden Bewegung der Molecüle.
Wir kehren nun wieder zu dem Beharrungszustande des
Gases zurück und richten unser Augenmerk auf die lebendige
Kraft der fortschreitenden Bewegung aller in ihm vorhandenen
Molecüle.
Unter (1) wurde zur Bestimmung des Druckes p folgende
Gleichung gegeben :
P = ö V
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 33
worin N die Anzahl der in der liaumeiidioit enthaltenen Mole-
cüle bedeutet. Schreibt man diese Gleich un^i; in der Form :
(2) ^^- = 2 2''
SO stellt die linke Seite die lebendige Kraft der fortschreitenden
Bewegung der in der Raumeinheit enthaltenen Molecüle dar.
Will man statt der Gasmenge, welche eine Raumeinheit er-
füllt, eine beliebig gegebene Gasmenge, welche das Volumen v
einnimmt, betrachten, und bezeichnet man die Anzahl der Mole-
cüle dieser Gasmenge mit w, so ist
V
wodurch die Gleichung (1) übergeht in:
welche sich auch schreiben lässt:
(4) -T" = 2^'^'
worin die linke Seite wieder die lebendige Kraft der fortschreiten-
den Bewegung der Molecüle der gegebenen Gasmenge bedeutet.
Da nun nach dem Mari otte' sehen und Gay -Lussac' sehen
Gesetze, wenn die absolute Temperatur mit T bezeichnet wird,
ist, worin |)o den Druck einer Atmosphäre, T^ die Temperatur
des Gefrierpunctes und Vq das dazu gehörige Volumen der ge-
gebenen Gasmenge bedeuten soll , so kann man auch schreiben :
n m ti^ _ 3 PoVo rp
(5)
2 1\
Es ergiebt sich hieraus, was auch schon weiter oben au-
geführt wurde, dass die lebendige Kraß der forisclireitenden Be-
tvegwig der Molecüle der absoluten Temperatur des Gases pro-
portional ist
Die vorstehenden Gleichungen lassen sich weiter dazu an-
wenden, die Grösse u zu bestimmen, welche dadurch dehnirt ist,
dass das Quadrat von u das arithmetische Mittel der Geschwindig-
Clausius, meoliau. Wärmetheoiie, III, o
34 Abschnitt I.
keitsquadrate aller Molecüle ist. Durch Auflösung der letzten
Gleichung nach n^ erhält man:
nm Iq
Das Product non stellt die Masse der gegebenen Gasraenge
dar, welche man aus dem Gewichte derselben mittelst Division
durch die Schwerkraft g erhält, also, wenn q das Gewicht bezeichnet,
Q.
nm = —,
y
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
Es möge hierin als Längeneinheit das Meter und als Ge-
wichtseinheit das Kilogramm gewählt werden. Da nun nach
Regnault ein Kilogramm Luft unter einer Atmosphäre Druck
und beim Gefrierpuncte den Raum von 0,7733 Cubikmeter ein-
nimmt, so bestimmt sich, wenn q das specifische Gewicht des
Gases bedeutet, das Volumen Vq durch die Gleichung:
0,7733
wodurch die vorige Gleichung übergeht in:
,,2 ^^ 0,7733 T.
Erwägen wir ferner, dass jJqi <ler Druck einer Atmosphäre,
10333 Kilogramm auf ein Quadratmeter beträgt, und setzen zu-
gleich für y seinen Werth 9,80896 und für T« den Werth 273,
so kommt:
T
u^ = 3 . 9,80896 . 10333 . 0,7733 ^r=—-
2, 1 6 Q
und somit :
(6) u = 485»»)/.
273. p
Bezeichnen wir den speciellen Werth von u^ welcher dem
Gefrierpuncte entspricht, mit **(,, so erhalten wir für diesen die
vereinfachte Gleichung:
(7)
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 35
485™
und aus dieser ergeben sich unter andern folgende Werthe von Wq
für Sauerstoff 461'"
„ Stickstoff 492 »"
„ Wasserstoff' .... 1844»».
§. 16. Verhältniss zwischen der lebendigen Kraft der
fortschreitenden Bewegung der Molecüle und der
Energie des Gases.
Es ist schon weiter oben davon die Rede gewesen, dass die
fortschreitende Bewegung der Molecüle nicht die einzige im Gase
vorkommende Bewegung ist, sondern dass daneben auch rotirende
Bewegungen der Molecüle und bei zusammengesetzten Molecülen
auch Schwingungen der Bestandtheile jedes Molecüls gegen ein-
ander vorkommen müssen. Die lebendige Kraft aller dieser Be-
wegungen nebst der mit der Temperaturzunahme möglicher
Weise verbundenen inneren Arbeit bildet die Energie des Gases.
Es fragt sich nun, in welchem Verhältniss der durch die leben-
dige Kraft der fortschreitenden Bewegung dargestellte Theil der
Energie zur ganzen Energie steht.
Wenn wir das Gas als ein vollkommenes Ijetrachten und
demgemäss die Bedingung, dass es während einer Ausdehnung
bei constanter Temperatur nur so viel Wärme verschluckt, wie
zu der dabei geleisteten äusseren Arbeit verbraucht wird, als
hinlänglich genau erfüllt ansehen, so haben wir, gemäss der im
ersten Bande dieses Buches Abschnitt II, §. 3 befindlichen Ent-
wickelung, die Energie U als eine Function der Temperatur
allein zu l)etrachten. Die einer Temperaturzunahme um d T
entsprechende Energiezunahme ist dann gleich der Wärmemenge,
welche das Gas aufnimmt, wenn es sich bei constantem Volumen
und somit ohne Leistung äusserer Arbeit um d T erwärmt.
Daraus erhalten wir, wenn wir die gegebene Gasmenge als eine
Gewichtseinheit voraussetzen, die Gleichung:
dU= C, d T,
worin Cv die specifische Wärme bei constantem Volumen be-
deutet.
3*
36 Abschnitt I.
Ferner haben wir, wenn wir die lebendige Kraft der fort-
schreitenden Bewegung der Molecüle mit K bezeichnen, nach
Gleichung (5) zu setzen:
„ 3 j>o ^0 /TJ
woraus folgt:
1 -to
Dividirt man diese Differentialgleichung durch die vorher auf-
gestellte, so erhält man:
dK^ _ 3 po^o
Dieser Gleichung kann man noch eine für die numerische
Rechnung bequemere Form geben. Der Bruch ,^, " , für welchen
wir meistens das einheitliche Zeichen U angewandt haben , ist
nach Abschnitt II, §.4 des ersten Bandes gleich der Differenz
Cp — Cv-, worin C^ die specifische Wärme bei constantem Drucke
bedeutet. Demgemäss lässt sich die Gleichung so schreiben:
c
Der Bruch -^ hat bei denjenigen Gasen, deren Molecüle aus
zwei Atomen bestehen, und deren Zustand nicht zu weit vom
vollkommenen Gaszustande abweicht, einen gemeinsamen Werth,
der angenähert gleich 1,410 ist. Unter Anwendung dieses Werthes
erhält man:
TU = ^'^^^-
Bei solchen Gasen, deren Molecüle aus mehr als zwei Atomen
C
bestehen, ist der Bruch y^ kleiner als 1,410, und nähert sich um
so mehr dem Werthe 1, je grösser die Anzahl der in einem
Molecül enthaltenen Atome ist. Dem entsprechend ist auch der
Werth des Bruches -r^^ um so kleiner, ie grösser die Atomzahl
du ' j &
des Molecüls ist.
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 37
§. 17. Gesetz in Bezug auf die Geschwindigkeiten der
Molecüle,
Es ist im Obigen schon mehrfach davon die Rede gewesen,
dass nicht alle Molecüle gleiche Geschwindigkeiten haben, son-
dern dass eine grosse Mannichfaltigkeit in Bezug auf die Ge-
schwindigkeiten stattfindet. Daraus folgt aber nicht, dass die
vorkommenden Geschwindigkeiten in ihrer Beziehung zu einander
ganz unbestimmt seien, sondern man muss annehmen, dass bei
einer sehr grossen Anzahl von Molecülen sich unter gleichen
Umständen ein im Grossen und Ganzen gleicher Zustand her-
stellen wird, bei dem die Anzahl derjenigen Molecüle, deren Ge-
schwindigkeiten zwischen gegebenen Grenzen liegen, sich mittelst
einer durch diese Grenzen bestimmten Grösse darstellen lässt.
Indem wir die einzelnen Geschwindigkeiten mit u bezeichnen,
und den Abstand der Grenzen von einander als unendlich klein
annehmen , können wir der zur Bestimmung des Bewegungs-
zustandes dienenden Festsetzung folgende Form geben: Die An-
zahl der Molecüle^ deren GescliwindigTieiten zwisdien den Grenzen
u und u -\- d u liegen^ ivird als Bruchtheü der ganzen vorliandenen
Anzahl durch das Product
f{ii) d u
dargestellt
Die Form der hierin vorkommenden Function /(?<) ist es,
welche das für die Molecüle geltende Gescliwindigl'eitsgesefz be-
stimmt, und es fragt sich daher, in wie weit sich diese Function
bestimmen lässt, und zu welcher Form man dabei gelangt.
Dieser Gegenstand ist vorzugsweise von Maxwell in seiner
bekannten ausgezeichneten Abhandlung von 1860 behandelt i),
und das von ihm aufgestellte Gesetz nebst einigen Anwendungen
desselben mögen hier kurz besprochen werden.
Er geht von der Voraussetzung aus, dass die Geschwindig-
keitscomponenten nach irgend drei auf einander senkrechten
Richtungen von einander ganz unabhängig seien und giebt als
Ausdruck der Wahrscheinlichkeit, dass bei irgend einem zur Be-
trachtung ausgewählten Molecül die x-Componente der augen-
1) Phil. Mag. 4tb Ser., Vol. XIX, p. 19 und Vol. XX, p. 21.
38 Absclinitt I.
blicklich stattfindenden Geschwindigkeit zwischen den Werthen
X und X A^ dx liege, die Formel:
Ae '^ dx^
worin e die Basis der natürlichen Logarithmen bedeutet, während
A und a zwei andere Constanten darstellen. Die Constante a
bestimmt die Lebhaftigkeit der Bewegung und muss daher in der
Formel bleiben. Die Constante A dagegen lässt sich durch
Rechnung bestimmen. Da nämlich die Grösse der ^-Componente
der Geschwindigkeit zwischen — co und -|- oo liegen muss, so
muss der vorige Ausdruck, wenn man ihn von — oo bis -|- od
integrirt, den Werth 1 geben. Nun ist aber;
Ae " dx = AaVn,
und man hat also, damit dieser Werth gleich 1 werde, zu setzen :
A =
f
wodurch die obige Formel übergeht in:
1 «2-7
e ax.
Ebenso erhält man für die Wahrscheinlichkeit, dass die
^-Componente der Geschwindigkeit zwischen den Werthen y und
y -\^ dy liege, die Formel:
e " dy,
ayTC
und für die Wahrscheinlichkeit, dass die ^-Componente zwischen
^ und 0 -\- ds liege:
1 --
=" ß Cv (^«
7t
Aus diesen für die einzelnen Coordinatenrichtungen auf-
gestellten Formeln ergiebt sich weiter, wie gross die Wahr-
scheinlichkeit ist, dass gleichzeitig die a; - Componente der Ge-
schwindigkeit zwischen x und x -\- dx^ die y-Componente zwischen
y und y -\- dy und die s - Componente zwischen z und z ~[- d s
liege. Diese Wahrscheinlichkeit wird nämlich durch das Product
der drei vorigen dargestellt, und ist somit:
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 39
— - — rr- e " äxdiidz.
Da die Summe a;^ -f ^2 _|_ ^2 gleich dem Quadrat der ganzen
Geschwindigkeit n des Molecüls ist, so kann man den vorigen
Ausdruck auch so schreiben:
1 -S
Denkt man sich die Geschwindigkeitscomponenten ä;, i/, ^
graphisch durch die Coordinaten des angewandten rechtwinkeligen
Coordinatensystems dargestellt, so bildet das Product dxdydz
ein Raumelement, und u ist die Länge des vom Anfangspuncte
der Coordinaten nach demselben gezogenen Leitstrahles. Der
vorstehende Ausdruck bestimmt dann die Wahrscheinlichkeit,
welche dafür gilt, dass der Leitstrahl, welcher die Geschwindig-
keit eines beliebig ausgewählten Molecüls nach Grösse und Rich-
tung darstellt, gerade in jenem Raumelement endige.
Dieselbe Bedeutung des Ausdruckes bleibt bestehen, wenn
man das Raumelement durch Polarcoordinaten darstellt. Dazu
wollen wir den Winkel, den der Leitstrahl ii mit der ^-Axe
bildet, mit O-, und den Winkel, den die durch die ^^-Axe und
den Leitstrahl gehende Ebene mit der ^^- Ebene bildet, mit g)
bezeichnen. Dann erhalten wir als Ausdruck eines Raumelementes
das Product:
11^ sind' d%- d(p du,
wodurch der Wahrscheinlichkeitsausdruck übergeht in:
1
«3 Jt^/i
ii"^ e «2 sin d' dd- dq) d u.
Dieser Ausdruck möge nach (p von 0 bis 2 ;r und nach d-
von 0 bis n integrirt werden, wodurch entsteht:
4 _!^
a^-Vn
Der so erhaltene Ausdruck stellt die WalirsclieinJiclilieit dar,
welche dafür besteht, dass die Geschwindig'keit des zur Betrachtung
ausgeiüählten Ilölecüls zwischen u und u -\- du liege. Er ist
40 Abschnitt I.
also gleiclibedeuteud mit f(it)du^ woraus folgt, dass nach Max-
weU's Ansicht zu setzen ist:
(lOj /(•») = -^ W^ß-S.
Diese Gleichung drückt das viel besprochene Maxwell'sche
GescJiiüindiglceüsgeset^ der Molecüle aus.
Von vielen Seiten, und zwar zum Theil von hervorragenden
Physikern, wird dieses Gesetz so behandelt, als ob es absolut
richtig sein müsse. Dem kann ich aber nicht ganz zustimmen.
Die Ableitung des Gesetzes beruht, wie schon oben gesagt,
auf der Voraussetzung, dass die nach drei auf einander senk-
rechten Coordinatenrichtungen genommenen Geschwindigkeits-
componenten von einander unabhängig seien, und den Ausgangs-
punct der Ableitung hat die Betrachtung des Verhaltens harter
elastischer Kugeln gebildet, bei denen jene Voraussetzung erfüllt
ist. Dem gegenüber glaube ich geltend machen zu dürfen, dass
ich schon in meinen ersten Abhandlungen über die kinetische
Gastheorie, welche einige Jahre vor der Maxwell' sehen Ab-
handlung erschienen sind, darauf hingewiesen habe, dass das
Verhalten der Molecüle zu einander demjenigen harter elastischer
Kugeln zwar ähnlich, aber nicht ganz gleich ist.
Wenn man den Molecülen ausser den Bewegungen ihrer
Schwerpuncte auch noch besondere Bewegungen ihrer Bestand-
theile zuschreibt, und annimmt, dass diese so schnell stattfinden,
dass beim Zusammenstosse zweier Molecüle verschiedene Bestand-
theile beider Molecüle in Wechselwirkung treten, so wird man
zugeben müssen, dass die Geschwindigkeiten der Schwerpuncte
beider Molecüle nach dem Stosse nicht bloss von den Geschwindig-
keiten der Schwerpuncte vor dem Stosse abhängen, sondern dass
auch die Bewegung der Bestandtheile einen Einfiuss darauf haben
muss, und zwar wird man diesen Einfiuss als einen ausgleichenden
anzusehen haben, welcher bewirkt, dass solche Geschwindigkeiten,
die sehr weit vom Mittelwerthe abweichen, weniger oft vorkommen,
als sie ohne diesen Einfiuss vorkommen würden.
Dabei werden auch die Geschwindigkeiten der Bestandtheile
Aenderungen erleiden. Wenn zwei Molecüle mit sehr grosser
relativer Geschwindigkeit zusammenfliegen, so wird ein Theil der
lebendigen Kraft dieser Molecularbewegung auf die Bestandtheile
übergehen, so dass diese in lebhaftere gegenseitige Bewegungen
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 41
gerathen, während die relative Geschwindigkeit der Molecüle beim
Auseiuaiiderfliegeii geringer sein wird, als beim Zusammentiiegen.
Wenn umgekehrt zwei Molecüle mit sehr kleiner relativer Ge-
schwindigkeit zusammentiiegen, so wird auf Kosten der Bewegung
der Bestandtheile die relative Geschwindigkeit der Molecüle ver-
grössert werden.
Daraus folgt, dass bei Molecülen, bei denen die Bewegung
der Bestandtheile einen erheblichen Bruchtheil der Gesammt-
bewegung bildet, das Gesetz der relativen Geschwindigkeiten der
Molecülpaare nicht ganz dasselbe sein kann, wie bei harten
elastischen Kugeln, bei denen jene ausgleichende Wirkung nicht
vorkommt. Zugleich ist es selbstverständlich, dass, 'wenn die
relativen Geschwindigkeiten der Molecülpaare eine Aenderung
erleiden, auch die absoluten Geschwindigkeiten der einzelneu
Molecüle geändert werden, und somit nicht genau dem Max-
well'sehen Gesetze folgen können.
Das Maxwell'sche Gesetz ist also nicht als ein solches zu
betrachten, welches der Wirklichkeit unter allen Umständen genau
entspricht. Dessen ungeachtet hat es einen grossen Werth, in-
dem es wenigstens für einen speciellen Fall das sehr complicirte
Verhalten vieler frei bewegter Körper zu einander klar und be-
stimmt darstellt, und für andere Fälle ein, wenn auch nicht ge-
naues, so doch ungefähres Bild davon giebt. Es ist daher zweck-
mässig, sich mit dem Gesetze und seinen Folgen näher bekannt
zu machen.
§. 18. Einige Folgerungen aus dem MaxwelFschen Ge-
schwindigkeitsgesetze.
Das im vorigen Paragraphen mitgetheilte Maxwell'sche
Gesetz lässt sich, wenn es auf eine sehr grosse Anzahl N von
Molecülen bezogen wird, auch so aussprechen: miter N 3Ioh-
cülen ist die Anzahl derjenigen^ deren Gescliwindiglceiten zwisehen
II und u -\- du liegen, gleich
7^ u^ e au.
«3 yo
Hiernach kann man leicht den ]\Iittelwerth irgend einer Po-
tenz von u bestimmen. Man braucht nämlich, um den Büttel-
42 Abschnitt I.
werth der *^ten Potenz von u zu erhalten, nur den vorstehenden
Ausdruck mit w** zu multipiiciren, ihn dann von u = 0 bis u = cc
zu integriren und endlich das Integral durch N zu dividiren.
Da der Factor N bei der Integration unverändert stehen bleibt
und bei der Division sich forthebt, so kann man ihn auch von
vornherein fortlassen, und erhält daher, wenn man den gesuchten
Mittelwerth nach der von mir eingeführten Bezeichnungsweise
durch ti'» darstellt, die Gleichung:
(11) ■ W' = -^- ru''+^ e~^' du.
a'^ y n J
0
Hieraus ergiebt sich unter andern:
(12)
-2 3 2
u = —=,a] 1^2 = — «2.
— 4 — 15
u'^ = —p= «3; u^ = —- a*.
VTt 4
Maxwell hat auch die relativen Geschwindigkeiten der
durch beliebige Combination je zweier Molecüle gebildeten Mole-
cülpaare in entsprechender Weise behandelt, und hat für die-
selben ein Gesetz aufgestellt, welches sich von dem für die ab-
soluten Geschwindigkeiten der einzelnen Molecüle aufgestellten
nur dadurch unterscheidet, dass die Constante cc durch 1/2 a er-
setzt ist. Das Gesetz lautet nämlich folgendermaassen : Wenn
irgend zwei Molecüle lOÜTkürlicli herausgegriffen tverden, so ivird
die Wahrscheinlichkeit, dass ihre relative Geschtvindigkeit zwischen
den Werthen r und r -j- dr liege, dargestellt durch die Formel:
1/2 - —
«3 y^
In dieser Formel braucht man nur dem constanten Factor
4
die Gestalt , ,_ ,„ ,- zu geben, um sich zu überzeugen, dass
(\/2 af y-si
sie in der That bis auf die Umänderung der Constante «in V2 a
mit der für ii gegebenen Formel übereinstimmt.
Aus derselben lassen sich die Mittelwerthe der verschiede-
nen Potenzen von r gerade so ableiten, wie aus der anderen
Formel die Mittelwerthe der verschiedenen Potenzen von u, und
man erhält dadurch unter andern:
(13)
Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 43
r = ,- «; r^ = da-;
- 8V2 , - ^^ ^
r' = ■ ,- ci''\ r* = 15 «^
Schliesslich möge noch eine von Maxwell in Prop, VIII
seiner Abhandlung gegebene Formel besprochen werden. Wählt
man ein Molecül, dessen Geschwindigkeit u ist, zur Betrachtung
aus, so haben die übrigen Molecüle zu demselben verschiedene
relative Geschwindigkeiten, und man kann sich die Frage stellen,
welchem Gesetze diese relativen Geschwindigkeiten folgen. Dieses
Gesetz hat Maxwell folgendermaassen festgestellt: Die Wahr-
scheinlichkeit^ dass bei einem tvillMirlich herausgegriffenen Molecül
die relative Geschwindigkeit zu dem gegehenen Molecül mit der
Geschwindigkeit u zivischen den Werthen r und r -]- dr liege^
wird dargestellt durch die Formel:
—-7- — (e "' — e "' \ dr.
a^Tt u\ )
Um aus dieser Formel den Mittelwerth der relativen Ge-
schwindigkeiten aller anderen Molecüle zu dem gegebenen Molecül
mit der Geschwindigkeit m, welcher Mittelwerth mit r„ bezeichnet
werden möge, abzuleiten, hat man sie mit r zu multipliciren,
und dann von r ■= 0 bis / = 00 zu integriren. Dadurch er-
hält man:
(14) 7,,= -^ f r'(e "' -e "M rZr.
0
Die hierin angedeutete Integration kann für die beiden Glie-
der einzeln ausgeführt werden.
Bei der Behandlung des ersten Gliedes möge die Veränder-
liche z mit der Bedeutung
r — u,
z —
a
eingeführt werden, wodurch entsteht
r^ e " dr = ci («^ ^2 -|- 2 oc u z -\- h'^) e-^^ d z.
Da nun bei der Integration den für r vorgeschriebenen Gren-
zen 0 und 00 für z die Grenzen — — und x> entsprechen, so
kommt :
44 Abschnitt I.
(r — m)2
/ r^ e "' dr ^= a 1 (a^ ^^ -]- 2auz -{- 11^)6^"^ dg.
Berücksichtigt man hierin noch, class man setzen kann:
^-^e-^' dz = — ~ d(2e-'') + ^ e-''d0,
so gelangt man zunächst durch theilweise Ausführung der Inte-
gration zu der Gleichung:
r'-e "' dr = i^ oi^ue ""' -^ a (^ oc'- -\- tA j e-'^ d 2:
0 u
u
Hierin kann man ferner setzen:
e-'''dg-= I e-'^dg-\- / p-'^ ds
0
0
wodurch die Gleichung übergeht in:
00 {r-iCf
(15) r r^
«27 1 , «2
e dr = — cc^ u e
2
+ « (1 «2 + w^) ( y^ e-^^(^^ + ^V7t
Durch ganz entsprechende Behandlung des zweiten unter
dem Integralzeichen der Gleichung (14) stehenden Gliedes gelangt
man zu der Gleichung:
„00 _ (r + u)^ _ m2
ai 1 a2
r^e dr = — — oc'^tie
(16) /
U
1 ,-
Avt der Bewegung, welche wir Wärme nennen. 45
Die beiden in (15) und (10) an der rechten Seite stellenden
Werthe hat man in (14) einzusetzen, um den gesuchten VVerth
von >•„ zu erhalten, nämlich:
y Tc u Mit j
ABSCHNITT IL
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle.
§, 1. Specielle Voraussetzungen über die von den
Molecülen ausgeübten Kräfte.
Es ist im vorigen Abschnitte die Ansicht ausgesprochen, dass
die Molecüle der gasförmigen Körper sich in einem derartigen
Bewegungszustande befinden, dass jedes Molecül sich als Ganzes
so lange geradlinig bewegt, bis es gegen ein anderes Molecül
oder eine feste Wand stösst und nach dem Abprallen eine neue
geradlinige Bewegung nach anderer Richtung beginnt. Es ent-
steht nun die Frage, wie gross durchschnittlich die Wege sind,
welche das Molecül von einem Abprallen bis zum folgenden
zurücklegt.
Um die Behandlung dieser Frage zu erleichtern, wird es
zweckmässig sein, zunächst einige Bemerkungen darüber voraus-
zuschicken, wie man sich die Molecularkräfte möglicherweise vor-
stellen kann. Diese Bemerkungen sind aber nicht als ein wesent-
licher Bestandtheil der weiterhin folgenden Entwickelung zu
betrachten, sondern sollen nur dazu dienen, die Ideen zu fixiren.
Wenn wir von den Kräften der chemischen Verwandtschaft
absehen und nur solche Molecüle betrachten, die chemisch gegen
einander indifferent sind, so glaube ich, dass man noch zwei
Kräfte unterscheiden muss, dass nämlich bei der Annäherung
zweier Molecüle zuerst eine Anziehungskraft wirkt, welche schon
in einiger Entfernung anfängt merkbar zu werden, und mit Ab-
nahme der Entfernung wächst; dass dann aber, wenn die Molecüle
in unmittelbare Nähe zu einander gelangt sind, eine Kraft ein-
üeber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 47
tritt, welche sie wieder auseinander zu treiben sucht. Wie man
sich die letztere denken will, oh so, wie bei festen elastischen
Körpern, die erst, wenn sie in wirklicher Berührung sind und
mit einer gewissen Kraft zusammengedrückt wurden, sich mit
derselben Kraft wieder auseinander treiben, oder so, dass sie
schon vor der wirklichen Berührung der Molecüle eintritt, ist
für die hier beabsichtigte Betrachtung gleichgültig. Ebenso kann
der Ursprung dieser Kräfte, ob man sie beide den ponderablen
Massentheilchen selbst, oder eine von ihnen einem feineren Stoffe,
mit dem die ponderablen Massentheilchen begabt sein können,
zuschreiben will, hier unerörtert bleiben.
Denken wir uns nun zwei Molecüle , die sich in solchen
Richtungen bewegen, dass sie, wenn sie diese Richtungen unver-
ändert beibehielten, nicht aufeinander stossen, sondern in einiger
Entfernung aneinander vorbeigehen würden, so können verschie-
dene Fälle eintreten. Ist die Entfernung sehr klein, so kommen
die Molecüle, welche durch die schon aus einiger Entfernung
wirkende Anziehungskraft noch mehr zu einander gezogen werden,
sich so nahe, dass die abstossende Kraft wirksam wird und ein
Abprallen der Molecüle stattfindet. Ist die Entfernung etwas
grösser, so erleiden die Bahnen der Molecüle nur durch die An-
ziehungskraft eine gewisse Richtungsänderung, ohne dass die
Abstossungskraft dabei in Wirksamkeit treten kann. Endlich
bei noch grösseren Entfernungen ist der Einfiuss der Molecüle
auf einander ganz zu vernachlässigen.
Wie gross die Entfernungen sein müssen, damit das eine
oder das andere eintritt, würde sich, selbst wenn man über die
Molecularkräfte genaue Kenntniss hätte, nicht allgemein be-
stimmen lassen, indem dabei auch die Geschwindigkeit der Mole-
cüle und die gegenseitige Neigung ihrer Bahnen in Betracht
kommen, indessen würde man doch mittlere Werthe dieser Ent-
fernungen angeben können. Wir wollen daher annehmen, es sei
als ein solcher Mittelwerth die Entfernung ö gegeben, welche
die Grenze zwischen dem ersten und zweiten Fall bildet, und
deren Bedeutung wir noch etwas bestimmter folgendermaassen
feststellen wollen. Wenn die Schwerpuncte zweier Molecüle solche
Bewegungsrichtungen haben, dass sie, wenn sie sich in diesen
Richtungen geradlinig fortbewegten, in einer Entfernung an ein-
ander vorbeigehen würden, die grösser als ö ist, so ändern die
Molecüle nur durch die gegenseitige Anziehung die Richtungen
48 Abschnitt 11.
ihrer Bahnen etwas, ohne dass eine auseinandertreibende Kraft
zwischen ihnen eintritt; ist dagegen jene Entfernung kleiner als
ö, so tritt auch die letztere Kraft in Thätigkeit und es findet
ein Abprallen der Molecüle statt.
Wenn wir nun unter Zuscmimenstoss zweier Molecüle nur
den letzteren Fall verstehen, und dagegen die Richtungsände-
rungen, welche bei grösseren Entfernungen durch die Anziehung
verursacht werden, ausser Acht lassen, so können wir für unsere
hier beabsichtigten Betrachtungen eine um den Schwerpunct des
Molecüls als Centrum mit dem Radius 6 beschriebene Kugel als
die Wirliungssjihäre des Molecüls bezeichnen.
Ich will noch einmal hervorheben, dass die hierbei gemachten
speciellen Annahmen über die Natur der Molecularkräfte nicht
als eine nothwendige Bedingung für die Gültigkeit der folgenden
Entwickelungen anzusehen sind, sondern dass sie nur dazu dienen
sollten, der Vorstellung einen gewissen Anhaltspunct zu geben,
und dadurch das Verstau dniss zu erleichtern. Wie man sich
auch die Kräfte, durch welche die Molecüle ihre Bewegungs-
richtungen gegenseitig ändern, denken mag, wenn man nur zu-
giebt, dass ihre Wirkungen nur bis in sehr kleine Entfernungen
merkbar sind, so wird man immer eine Entfernung als Grenz-
werth annehmen können, mit der Bestimmung, dass die Wirkungen
in grössere Entfernungen hinaus vernachlässigt und nur die
Wirkungen in kleineren Entfernungen berücksichtigt werden
sollen, und eine mit dieser Entfernung beschriebene Kugel kann
man dann als Wirkungssphäre bezeichnen.
Wenn man den Vorgang des Zusammenstosses und Abprallens
näher betrachtet, so sieht man leicht, dass er sich verschieden
verhalten muss, je nachdem die abstossende Kraft, welche das
Abprallen zur Folge hat, bei der gegenseitigen Annäherung der
Molecüle mehr oder weniger schnell wächst. Als Grenze nach
der einen Richtung hin kann man den Fall betrachten, wo die
Molecüle sich zu einander so verhalten, wie zwei sehr harte
elastische Kugeln, zwischen denen bei ihrer gegenseitigen An-
näherung so lange gar keine Kraft wirkt, bis ihre Oberflächen
sich berühren, dann aber plötzlich eine abstossende Kraft ein-
tritt, welche bei weiterer Annäherung so schnell wächst, dass
der Vorgang des Zusammenstosses und Abprallens auf eine un-
merklich kurze Bewegungsstrecke und eine unmerklich kurze
Zeit beschränkt ist.
Ueljer die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 49
§. 2, Vereinfachung der Betrachtiingon.
Obwohl nach der Schhissbemerkung des vorigen Paragraplien
der Fall, wo die Molecüle sich so zu einander verhalten, wie
harte, elastische Kugeln, unter den verschiedenen möglichen Fällen
nur einen Grenzfall bildet, so bietet er doch durch seine Ein-
fachheit für die Betrachtung so grosse Vorzüge dar, dass er am
geeignetsten ist, von dem ganzen Vorgange, welcher wegen der
Mannichfaltigkeit der vorkommenden Bewegungen sehr compli-
cirt ist, eine einigermaassen anschauliche Vorstellung zu gehen.
Es möge also angenommen werden, dass in einem gegebenen
Räume eine grosse Menge von elastischen Kugeln unregelmässig
durch einander fliegen und beim Zusammenstossen nach den
Elasticitätsgesetzen von einander abprallen. Von einer um-
schliessenden festen Wand können wir vorläufig absehen , wenn
wir uns denken, dass der Raum, innerhalb dessen wir den Vor-
gang betrachten, nur einen Theil eines grösseren von dem Gase
erfüllten Raumes bilde. Wählt man nun eine der Kugeln zur
speciellen Betrachtung aus, so handelt es sich darum, zu bestim-
men, wie weit sie durchschnittlich fliegen kann, bis sie eine der
anderen Kugeln trifft.
Wir wollen jedoch nicht ohne Weiteres zur Behandlung
dieser Frage schreiten, sondern statt ihrer zunächst eine etwas
einfachere stellen, welche mit ihr in solcher Verbindung steht,
dass man aus der Lösung der einen auf die der anderen schliessen
kann.
Wir wollen nämlich annehmen, dass nicht alle in dem Räume
befindlichen, als kugelförmig vorausgesetzten Molecüle in Bewe-
gung seien, sondern dass nur das eine sur BetracMung aus-
geiüählte sich beivege^ während alle anderen in festen Lagen be-
harren. Dann wird die bewegte Kugel bald hier bald dort gegen
eine der festen anstossen und von dieser in der Weise abprallen,
dass ihre Geschwindigkeit dieselbe bleibt und nur die Richtung
ihrer Bewegung sich ändert. Die Anzahl der Stösse, welche die
bewegte Kugel unter diesen Umständen erleidet,- ist nicht so
gross, wie die Anzahl derer, welche sie erleiden würde, wenn
auch die anderen Kugeln sich bewegten, aber im Uebrigen sind
die Vorgänge in beiden Fällen einander so ähnlich, dass man
Clausius, mechan. Wärmetheorie. III. 4
50 Abschnitt 11.
auch an einer gewissen Uebereinstimmung der auf sie bezüglichen
Gesetze nicht zweifehi kann.
Ausser dieser Vereinfachung möge noch eine andere ein-
geführt werden, welche nicht so wesentlich ist, sondern nur die
Form der Betrachtungsweise betrifft. Anstatt nämlich die Be-
wegung der ganzen Kugel zu betrachten, können wdr die Be-
trachtung auf die Bewegung ihres Mittel punctes heschränhen.
Da nun der Mittelpunct einer Kugel sich dem Mittelpuncte
einer anderen Kugel nur so weit nähern kann , bis ihr gegen-
seitiger Abstand gleich dem Durchmesser der Kugeln ist, so kann
man sich um jede der festen Kugeln eine zweite concentrische
Kugelfläche beschrieben denken, deren Radius gleich dem Durch-
messer der gegebenen festen Kugel ist, und die mit derjenigen
KugelHäche übereinstimmt, welche weiter oben als Wirkungs-
sphäre des gegebenen Molecüls bezeichnet wurde. Diese nur in
Gedanken um die festen Molecüle beschriebenen Kugelflächen
kann man dann als feste Flächen betrachten, welche den für die
Bewegung des Punctes freien Raum begrenzen, und von welchen
der Punct, wenn er sie trifit, nach den Gesetzen des elastischen
Stosses abprallt. Dann haben wir es also nur noch mit einem
zwischen festen Wänden umherfliegenden materiellen Puncto zu
thun, wodurch die Betrachtung sehr erleichtert wird.
Bei der Einfülirung der die festen Kugeln umgebenden Kugel-
flächen mit doppeltem Radius tritt aber ein eigenthümlicher Um-
stand ein, welcher der Erörterung bedarf. Wenn alle festen Kugeln
so weit von einander entfernt wären, dass die Abstände ihrer
Mittelpuncte grösser wären als das Vierfache ihres Radius, so
würden die mit dem doppelten Radius um sie beschriebenen
Kugelflächen alle ganz frei liegen, ohne sich gegenseitig zu
schneiden. Wenn aber zwei der festen Kugeln einander so nahe
liegen, dass der Abstand ihrer Mittelpuncte kleiner ist, als das
Vierfache ihres Radius, so werden die mit dem doppelten Radius
um sie beschriebenen Kugelflächen sich gegenseitig schneiden.
Dann liegt von jeder dieser Kugelflächen ein Theil innerhalb der
andern, und kann daher von dem bewegten Puncto nicht getroffen
werden.
Da nun in unserem Falle angenommen wird, dass die festen
Kugeln ganz willkürliche Lagen haben, die nur der einen Be-
dingung unterworfen sind, dass gleich grosse Räume von mess-
barer Grösse gleich viel Kugeln enthalten müssen, so ist anzu-
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 51
nehmen, class unter den vielen Paaren von je zwei Kugeln auch
solche vorkommen, bei denen der Al)stand der Mittelpuncte
kleiner ist, als das Vierfache ihres Radius, und dem gemäss wird
durch das erwähnte Ineinandergreifen der um die Kugeln be-
schriebenen concentrischen Kugelflächen die Gesammtgrösse der
Flächen, an denen der bewegte Punct abprallen kann, geringer
werden, als sie ohne diesen Umstand sein würde.
Diese Verringerung kann aber bei Gasen,. welche nur unter
massigem Drucke stehen, nur sehr klein sein. Sie ist eine Grösse
von derselben Ordnung, wie der von den Wirkungssphären der
Molecüle erfüllte Raum als Bruchtheil des ganzen von dem Gase
eingenommenen Raumes, und dieser wiederum ist eine Grösse
von derselben Ordnung, wie die Abweichung des Gases vom
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze. Wir können
daher in allen solchen Fällen, wo das betreffende Gas dem
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze noch genau
genug folgt, um seine Abweichung von diesen Gesetzen vernach-
lässigen zu können, auch jene Verringerung der dem bewegten
Puncto zugänglichen Fläche vernachlässigen. Wenn aber ein
Gas so stark zusammengedrückt ist, dass seine Abweichung vom
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze nicht mehr ver-
nachlässigt werden darf, so darf auch jene Flächenverringerung
nicht vernachlässigt werden.
In den zunächst folgenden Betrachtungen wollen wir an-
nehmen, dass von jener Flächenverringerung abgesehen werden
dürfe 1).
§. 3. Anzahl der Stösse und mittlere Weglänge eines
beweglichen Punctes innerhalb eines Raumes, der be-
liebige, die Bewegung hindernde Flächen enthält.
Es sei ein Raum gegeben, von welchem gewisse Theile durch
starre Oberflächen abgegrenzt sind. Diese in grosser Zahl vor-
handenen Oberflächen sollen nicht regelmässig in bestimmten
Abständen angeordnet sein, sondern ganz willkürliche Lagen
haben. In diesem Räume befinde sich ein beweglicher Punct an
^) Hiermit bricht die vom' Autor seihst besorgte Eeinscbrift des Manu-
scriptes ab. D. H.
4*
52 Abschnitt II.
einer beliebigen Stelle, so dass für alle gleich grossen Theile
des Raumes die Wahrscheinlichkeit, den Punct zu enthalten,
gleich gross sei. Dieser Punct mache eine unendlich kleine Be-
wegung nach irgend einer Richtung, so dass alle möglichen Rich-
tungen gleich wahrscheinlich seien. Wie gross ist unter diesen
Umständen die Walirsclieinliclikeit ^ dass der Punct hei seiner
unendlich Meinen JBeivegung die Oberfläche treffe?
Wir wollen zunächst ein einzelnes Element ds der Ober-
fläche betrachten, und fragen, wie gross die Wahrscheinlichkeit
ist, dass der Punct gerade dieses Element der Oberfläche treffe.
Wenn dl die unendlich kleine Strecke ist, um welche der
Punct sich bewegt, so denke man sich nun den Punct ruhend
und umgekehrt das Flächenelement d s nach der entgegengesetzten
Richtuiig um das Stück dl bewegt. Dadurch beschreibt das
Flächenelement einen unendlich kleinen prismatischen Raum, und
die Wahrscheinlichkeit, dass der Punct gerade in diesem Räume
liege, ist dieselbe, wie die Wahrscheinlichkeit, dass der Punct
bei seiner Bewegung das E'lächenelement ds treffe.
Für alle solche Fälle, wo die gedachte Bewegung des Flächen-
elementes von dem begrenzten Räume nach Aussen geht, so dass
der von dem Flächenelement beschriebene kleine Raum ausser-
halb des gegebenen Raumes liegt, ist die Wahrscheinlichkeit,
dass der Punct sich in diesem kleinen Räume befinde, gleich
Null. Für solche Fälle dagegen, wo die gedachte Bewegung des
Flächenelementes nach Innen geht, so dass der von ihm beschrie-
bene kleine Raum einen Theil des gegebenen Raumes bildet,
wird die Wahrscheinlichkeit, dass der Punct sich gerade in diesem
Theile des Raumes befinde, dargestellt durch einen Bruch, dessen
Zähler dieser Theil des Raumes und dessen Nenner der ganze
Raum ist.
Sei d- der Winkel, welchen die Bewegungsrichtung des Ele-
mentes mit der auf dem Elemente nach Innen zu errichteten
Normale bildet, so wird die Grösse des kleinen Raumes darge-
stellt durch den Ausdruck:
cos %• ds d 7,
welcher positiv oder negativ wird, je nachdem der kleine Raum
innerhalb oder ausserhalb des gegebenen Raumes liegt. Bezeich-
nen wir daher noch den ganzen für die Bewegung des Punctes
freien Raum mit TF, so können wir in Bezug, auf die zu bestim-
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 53
mencle Wahrschoiiiliclikeit sagen: für solche Ijewegungsriclitungon,
bei denen der vorstehende Ausdruck negativ wird, ist die Wahr-
scheinlichkeit gleich Null, und für solche ßewegungsrichtungen,
bei denen der Ausdruck positiv wird, ist die Wahrscheinlichkeit
gleich
cosQ' ds dl
W
Um nun die mittlere Wahrscheinlichkeit für alle möglichen
Bewegungsrichtungen zu berechnen, müssen wir noch das auf die
Winkel bezügliche Wahrscheinlichkeitsgesetz berücksichtigen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass der Winkel, den die Bewegungsrichtung
mit der Normale bildet, zwischen einem gegebenen Werthe d- und
dem unendlich wenig verschiedenen Werthe d- -j- dd- liege, wird
dargestellt durch das Verhältniss des Flächeninhaltes einer Kugel-
zone mit dem Polarwinkel d' und der Breite d d- zur ganzen Kugel-
fiäche, also durch den Bruch
2 7C sin & dd' sin d- dd'
4^r ~ 2
Mit diesem Bruche haben wir den vorigen Bruch zu multi-
pliciren, und dann für alle Werthe von -9-, für welche cos Q- positiv
ist, also von o bis ^ zu integriren. Die Wahrscheinlichkeit, dass
der Punct, wenn er sich nach beliebiger Richtung um die Strecke
dl bewegt, dabei das Flächen element ds treffe, wird also dar-
gestellt durch
^ = "2 2
^cos^dsdl sin^d^ dsdl P . ^ ^.^ dsdl
rcosd- ds dl sin d- dd- ds dl r
J W 2 ~ TWj
sin O" cos Q' d%'
4TF
Dieselbe Wahrscheinlichkeit, welche für Ein Flächenelement
gilt, gilt auch für jedes andere ebenso grosse Flächenelement.
Es ergiebt sich daher ohne Weiteres für irgend ein zur Betrach-
tung ausgewähltes endliches Stück s der Oberfläche, oder auch
für die ganze Oberfläche, welche wir mit S bezeichnen wollen,
folgender Satz: Wenn in einem von der Fläche S hegrenzien
Baume W ein Punct sich von heUehiger Stelle aus nach heliehiger
Bichtung um die unendlich Ideine Streclic dl heiccgt, so wird die
Wcdirscheinlichkeit, dass er dabei einen geioissen Theil s der Ober-
fläche treffe, dargestellt durch
54 Abscliuitt II.
und die WahrscheinJicMeü , dass er dabei überhaupt die Ober-
fläche treffe, dargestellt durch
S
4.W
dl
Wir wollen nun annelimen , der Punct bewege sich nicht
bloss um die unendlich kleine Strecke d Z, sondern habe eine
gewisse Geschwindigkeit ^t, mit welcher er sich fortbewege, bis
er die Oberfläche treffe und von dieser nach den Elasticitäts-
gesetzen abpralle, worauf er nach anderer Richtung mit dersel-
ben Geschwindigkeit seine Bewegung fortsetze. Dabei wollen wir
voraussetzen, dass die Kraft, welche die Oberfläche auf den Punct
ausübt, nur in unmittelbarer Nähe wirke, so dass die Aenderung
der Bewegungsrichtung beim Stosse in unmerklich kurzer Zeit
vor sich gehe, und demnach die Geschwindigkeit, trotz der wäh-
rend der Stosszeit stattfindenden Abweichung, als constant be-
trachtet werden dürfe.
Dann können wir im vorigen Satze das Wegelement d l durch
das Product udt ersetzen, und sagen: die Wahrscheinlichheit,
dass der Punct ivährend der unendlich Meinen Zeit d t die Ober-
fläche treffe, tvird dargestellt durch:
Su -.
Tw ■
Daraus ergiebt sich für die durchschnittlich während der
Zeiteinheit stattfindende Anzahl von Stössen, welche wir mit P'
bezeichnen wollen, die Gleichung:
(1) P' = ^^
und für die mittlere Weglänge V erhalten wir, indem wir u durch
P' dividiren, die Gleichung:
4TF
(2) V
S
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 55
§. 4. Anzahl der Stösse und mittlere Weglänge eines
beweglichen Punctes innerhalb eines Raumes, der die
Wirkangssphären vieler Molecüle enthält.
Wir wollen nun annehmen, die durch starre Oberflächen ab-
gegrenzten Theile des gegebenen Raumes seien die Wirkungs-
sphären sehr vieler in festen Lagen befindlichen Molecüle, von-
welchen der bewegliche Punct, wenn er sie trifit, abprallt.
Um die Oberfläche einer Wirkungssphäre zu bestimmen, be-
nutzen wir die im §. 1 dieses Abschnittes (S. 48) für den Radius
der Wirkungssphäre eingeführte Grösse ö (Durchmesser des als
Kugel gedachten Molecüls). Demnach ist die Oberfläche einer
Wirkungssphäre 4 7t ö-. Bezeichnen wir nun die Anzahl der in
dem gegebenen Räume vorhandenen Molecüle mit N^ so ist die
Anzahl der als festliegend angenommenen N — 1, und die ge-
sammte Oberfläche ihrer Wirkungssphären wird daher durch das
Product (N — 1) 4 7t ö- dargestellt, worin man wegen der enormen
Grösse der Zahl N unbedenklich die danebenstehende 1 vernach-
lässigen kann, so dass der Ausdruck die einfache Gestalt N 4:7t 6'^
annimmt.
Wie in §. 2 erwähnt wurde, ist nicht die gesammte Ober-
fläche der Wirkungssphären für den beweglichen Punct zugäng-
lich, sondern ein Theil derselben wird dadurch, dass die Wir-
kungssphären in einander greifen, für den Punct unzugänglich. Da
dieser Theil aber bei Gasen, die nur unter einem massigem Drucke
stehen, sehr klein ist, so möge er vorläufig vernachlässigt und
die gesammte Oberfläche aller Wirkungssphären als für den be-
weglichen Punct zugänglich in Rechnung gebracht werden. Dann
bildet das obige Product N4:7c6^ den Ausdruck der im vorigen
Paragraphen mit S bezeichneten Fläche. Ferner ist zu sagen,
dass, wenn man bei der Bestimmung der Fläche S einmal die
eben besprochene Vernachlässigung als zulässig zugestanden hat.
man auch bei der Bestimmung des für die Bewegung des Punctes
freien Raumes eine Grösse derselben Ordnung vernachlässigen
und statt des für die Bewegung des Punctes freien Raumes, wel-
cher im vorigen Paragraphen mit W bezeichnet wurde, einfach
den ganzen von dem Gase eingenommenen Raum. Avelcher T^
heissen möge, in Rechnung bringen darf. Demnach gehen die
Gleichungen (1) und (2) für den vorliegenden Fall über in:
56 Aljsclmitt IT.
, , -,„ N 4.71 6'^ Njtö-i
(3) P' = ^^- u = — ^^ u
(4)
V
JVtT Ö2
Die letzte Gleichung ist diejenige, welche ich in meiner ersten,
auf die mittlere Weglänge bezüglichen Abhandlung (Pogg. Ann.
Bd. 105, S. 239 bis 258, 1858) für den vorliegenden Fall ab-
geleitet habe, nur dass dort die Bezeichnung etwas anders ge-
wählt ist. Statt der Grössen V und N ist dort eine Länge in
die Formel eingeführt, welche zur Vergleichung mit anderen bei
der Betrachtung vorkommenden Längen sehr bequem ist. Es ist
nämlich der Abstand, welcher in dem Falle, dass die Molecüle
cubisch angeordnet wären, zwischen den Mittelpuncten zweier
einander zunächst liegenden Molecüle bestehen würde, der mitt-
lere Abstand der Nachbarmolecüle genannt und mit X bezeichnet.
Bei solcher Anordnung der Molecüle ist leicht zu erkennen, dass
die Anzahl N der vorhandenen Molecüle dadurch bestimmt wird,
wie oft der Cubus A3 in dem ganzen Räume V enthalten ist,
und dass man daher den Bruch ^^p durch V> ersetzen kann. Durch
N
diese Aenderung der Bezeichnung geht die Gleichung (4) über in:
in welcher Form sie sich in der oben erwähnten Abhandlung
findet, nur dass der früher mit q bezeichnete Radius der "Wir-
kungssphäre jetzt ö genannt ist i). —
In den obigen Auseinandersetzungen ist der Raum V nur
als ein zur Betrachtung ausgewählter Theil eines grösseren von
1) Die nun folgende Erörterung des Einflusses der UmhüUungsfläclie
findet sich ausführlicher im §. 7 (S. 66) angestellt. Auch geht aus Rand-
bemerkungen im Manuscript hervor, dass der Verfasser beabsichtigte, den
ganzen Schluss dieses Paragraphen erst zum Schlüsse des Abschnittes zu
bringen. Ausserdem sollte die Reihenfolge der folgenden drei Paragraphen
in der Weise stattfinden, dass nach Einführung der relativen Geschwindig-
keiten, wie in §. G, sich zuerst die Berücksichtigung des Molecularvolumens
anschliessen und später die der ümhüUungsfläche folgen sollte. Da indessen
eine solche Umänderung durch die Rücksicht auf den Zusammenhang nicht
direct geboten ist, so haben wir uns für die Beibehaltung der im Manuscript
befolgten Anordnung entschieden. D. H.
Ueber die mittlere Weglänge der Gasniolecüle. 57
dem Gase erfüllten Raumes angenommen. Sollte aLer der Kaum
V von einer festen Hülle eingesclilossen sein, so würde der be-
wegliche Punct auch an diese anstossen können und diese Fläche
müsste daher in die allgemeine mit S bezeichnete Fläche mit
einbegriffen werden. Bezeichnet man die Fläche der Hülle mit s,
so hat man zu setzen:
S = N 4.710-^ 4- s,
wodurch aus (1) und (2) statt der Gleichungen (3) und (4j die
folgenden entstehen :
V =
NA 7t 6-^ -^ s
Es möge aber hier gleich bemerkt werden , dass bei einem
Gase, welches nicht sehr verdünnt ist, z. B. einem unter dem
atmosphärischen Drucke stehenden, und bei einer Form des Ge-
fässes, bei welcher die Oberfläche gegen den Rauminhalt nicht
sehr gross ist, z. B. bei der Würfelform, die Oberfläche s des
Gefässes gegen die durch NA 7t 6^ dargestellte Gesammtoberfläche
der Wirkungssphären als sehr klein zu betrachten ist. Es wird
daher der Regel nach kaum nöthig sein, die Grösse s in die
Formel mit aufzunehmen. Nur wenn das Gas sehr verdünnt ist,
oder wenn die Gestalt des Gefässes eine solche ist, die bei ge-
gebenem Rauminhalte eine sehr grosse Oberfläche hat, kann die
Nothwendigkeit, die Grösse s zu berücksichtigen, schon bei massi-
gen Anforderungen an die Genauigkeit hervortreten.
§. 5. Berücksichtigung des Molecularvolumens.
Bei der vorigen Bestimmung der mittleren Weglänge des
beweglichen Punctes sind die Umstände, dass nicht der ganze
von dem Gase eingenommene Raum für die Bewegung des Punctes
frei, und nicht die ganze Oberfläche der Wirkungssphären dem
Puncte zugänglich sind, vernachlässigt. Wie schon oben gesagt,
ist hierdurch eine Ungenauigkeit entstanden, welche als Bruch-
theil der ganzen mittleren Weglänge eine Grösse von derselben
Ordnung ist, wie der von den Molecülen ausgefüllte Raum als
Bruchtheil des ganzen von dem Gase eingenommenen Raumes.
58 Abschnitt II.
Wir müssen nun versuchen, auch diese Umstände in Rechnung
zu bringen i), wobei wir uns aber darauf beschränken wollen,
dasjenige hinzukommende Glied zu bestimmen, welches in Bezug
auf das Molecularvolumen von der ersten Ordnung ist, während
wir die Glieder, welche von höherer Ordnung sind, unberück-
sichtigt lassen.
In Bezug auf den für die Bewegung des Punctes freien Raum
lässt sich die Berücksichtigung des Molecularvolumens leicht aus-
führen. Wir müssen nämlich einfach das Volumen der sämmt-
lichen Wirkungssphären von dem ganzen von dem Gase einge-
nommenen Räume abziehen, und somit statt W= F setzen:
( N^TtöÄ
(5) W= V - N ~ 716-^= V\l ^ .
Was die Verminderung der dem beweglichen Puncte zu-
gänglichen Oberflächen der Wirkungssphären anbetrifft, so lässt
sich diese folgendermaassen bestimmen. Wir betrachten irgend
eins der als festliegend angenommenen Molecüle. Da die Lage
dieses Molecüls ganz willkürlich ist, so kann es auch einem der
anderen festen Molecüle so nahe liegen, dass ein Theil der Ober-
fläche seiner Wirkungssphäre in die Wirkungssphäre des anderen
fällt, und dadurch für den beweglichen Punct unzugänglich wird.
Dieses tritt ein, sobald das betrachtete Molecül dem anderen so
nahe kommt, dass der Abstand ihrer Mittelpuncte kleiner ist als
der doppelte Radius der Wirkungssphäre, und da der Abstand
der Mittelpuncte nicht kleiner werden kann, als der einfache
Radius der Wirkungssphäre, so kann man sagen: das theilweise
Ineinandergreifen der Wirkungssphären findet statt, wenn der
Abstand der Mittelpuncte zwischen dem einfachen und dem dop-
pelten Radius der Wirkungssphäre liegt.
1) Der Umstand, dass nicht das ganze Volumen, welches das Gas ein-
nimmt, für die Bewegung eines Molecüls frei ist, wurde zuerst von van
der Waals (Over de continuiteit van den gas-en vloeistoftoestand, Leiden
1873. Deutsch von F. Roth, Die Continuität des gasförmigen und flüssi-
gen Zustaudes, Leipzig 1881) ziir Sprache gebracht; aber seine Art, diesen
Umstand in Rechnung zu bringen, stimmt nicht mit der meinigen überein,
und ausserdem hat er den anderen Umstand, dass ein Theil der Oberflächen
der Wirkungssphären der Molecüle durch die Wirkungssphären anderer
Molecüle überdeckt ist, dessen Einfluss von derselben Ordnung ist, nicht
mit in Rechnung gebracht.
lieber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 59
Sei nun r eine innerhalb dieses Intervalls liegende Länge,
so wollen wir uns denken, es seien um den Mittelpunct des an-
deren Molecüls zwei concentrische Kugelfiächen mit den Radien
r und r -|- (ir geschlagen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass
der Mittelpunct des betreffenden Molecüls innerhalb der zwischen
diesen beiden Kugelflächen befindlichen Schicht liegt, so gross,
wie der Rauminhalt der Schicht im Verhältniss zu dem ganzen
gegebenen Räume ist, und wird somit durch den Bruch ^^ —
ausgedrückt.
Bei dieser Lage des Mittelpunctes fällt von der Oberfläche
der betrachteten Wirkungssphäre eine Kugelkuppe in die andere
Wirkungssphäre, welche dadurch bestimmt ist, dass die Ebene
ihres Grenzkreises um — r vom Mittelpuncte der betrachteten
Wirkungssphäre entfernt ist. Die Höhe der Kugelkuppe ist also,
wenn wir den Radius der Wirkungssphäre wieder mit 6 bezeich-
nen, gleich ö — — r, woraus folgt, dass der Flächenraum der
Kugelkuppe gleich 2% 6 id — "^^) ist.
Durch Multiplication dieser Grösse mit der oben bestimmten
Wahrscheinlichkeit erhält man:
a/ l\4jrr2 8 7r2ö/^ 1 \^
2 7t 6 [6 — -^rj —^ dr = — ^^ i^ör^ — - r^j dr,
und wenn man diesen Ausdruck von r = ö bis r = 26 integrirt,
so erhält man den Flächentheil , welchen man von der Oberfläche
der betrachteten Wirkungssphäre wegen des Vorhandenseins der
anderen Wirkungssphäre in Abrechnung bringen muss. Da nun
aber neben der zur Betrachtung ausgewählten festen Wirkungs-
sphäre nicht bloss eine, sondern N — 2 feste Wirkungssphären
vorhanden sind, so muss man den so bestimmten Ausdruck noch
mit dem Factor N — 2 versehen, wofür man ebenso, wie weiter
oben für N — 1, unbedenklich einfach N setzen kann. Demnach
lautet der Ausdruck des Flächentheils, welchen man von der
Oberfläche der Wirkungssphäre abziehen muss, folgendermaassen :
20-
^^8 71^6 r / , 1 \ ,
F ,/ V 2
60 Abschnitt II.
woraus man durch Ausführung der Integration erhält:
Dieser Ausdruck niuss von 4: 7t 6^ abgezogen werden , um den
für den beweglichen Punct zugänglichen Theil der Oberfläche einer
Wirkungssphäre zu erhalten, welcher somit folgenden Ausdruck hat:
oder anders geschrieben:
Da nun derselbe Ausdruck für jede der festen Wirkungs-
flächen in Anwendung zu bringen ist, so erhalten wir zur Be-
stimmung der ganzen früher mit S bezeichneten, für den beweg-
lichen Punct zugänglichen Fläche die Gleichung:
(6) S = Ni^c^[^l-^^—.^j-
Wenden wir nun die in (5) und (G) gewonnenen Ausdrücke
von TF und S auf die Gleichungen (1) und (2) an, so erhal-
ten wir:
16 V
(7) P' = ) 4 r-
..fi-^:)
welche durch Ausführung der Division unter Vernachlässigung
N — 7l<5^
der Glieder, welche in Bezug auf ^ von höherer als erster
Ordnung sind, übergehen in:
(8)
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 61
(9) P- = i^'U + ^.^^U,
5
N
j^7t6-^'
16
5
N
V
4
Will man statt der Wirkungssphären die als kugelförmig
angenommenen Molecüle selbst betrachten, so braucht man nur
zu berücksichtigen, dass für diese Kugeln 6 nicht den Radius,
sondern den Durchmesser darstellt.
Dieselben Gleichungen, welche hier für einen zwischen den
festen Wirkungssphären beweglichen Punct aufgestellt sind, gel-
ten auch für ein zwisclien festen Molecülen bewegliches Molecül.
Nur muss man im Auge behalten, dass die Gleichungen, wie aus
ihrer Entwickelung selbstverständlich ist, auf sehr verdichtete
Gase nicht angewandt werden dürfen. Die Gleichungen (7) und
(8) dürfen nur so lange angewendet werden, als der von den
Molecülen ausgefüllte Raum als Bruchtheil des ganzen von dem
Gase eingenommenen Raumes gegen 1 vernachlässigt werden
kann, und die Gleichungen (9) und (10) nur so lange, als das
Quadrat jenes Bruches gegen 1 vernachlässigt werden kann.
§. 6. Berücksichtigung des Umstandes, dass nicht bloss
Ein Molecül sich bewegt, sondern alle Molecüle in Be-
wegung sind.
In den vorstehenden Betrachtungen wurde angenommen, es
sei nur ein Molecül in Bewegung, während alle anderen Molecüle
sich in festen Lagen befinden. Es muss nun untersucht werden,
welchen Unterschied es macht, wenn, wie es in der Wirklichkeit
der Fall ist, auch die anderen Molecüle sich bewegen, und zwar
durchschnittlich mit derselben Geschwindigkeit, wie das betrach-
tete Molecül.
In diesem Falle ist die Anzahl der Stösse, welche das be-
trachtete Molecül erleidet, grösser als in dem bisher betrachteten
Falle, und zwar in dem Verhältnisse, in welchem die mittlere
relative Geschwindigkeit des betrachteten Molecüls zu den be-
wegten Molecülen grösser ist, als seine relative Geschwindigkeit
62 Abschnitt 11.
ZU den ruhenden Molecülen oder, mit anderen Worten, als seine
absolute Geschwindigkeit. Die relative Geschwindigkeit zu einem
der bewegten Molecüle möge mit r, und der Mittelwerth der rela-
tiven Geschwindigkeit zu allen bewegten Molecülen mit r bezeichnet
werden, dann haben wir in den Ausdrücken von P' nur u durch
r" zu ersetzen, um die auf diesen Fall bezügliche Anzahl von
Stössen, welche mit P bezeichnet werden möge, zu erhalten. Es
kommt also, wenn wir uns mit der einfacheren unter (3) gegebe-
nen Gleichung begnügen:
(11) P=-^^r
und wenn wir die genauere, unter (9) gegebene Gleichung an-
wenden wollen:
(IIa) ^ = — r~
Um aus der Anzahl der Stösse, welche ein Molecül während
der Zeiteinheit erleidet, die mittlere Weglänge desselben zwischen
je zwei Stössen abzuleiten, beachte man, dass in unserer obigen
Untersuchung, in welcher die Geschwindigkeit ii des Molecüls als
constant vorausgesetzt wurde, diese ohne Weiteres die ganze
während der Zeiteinheit durchlaufene Strecke darstellte. Man
erhielt also durch Division derselben mit der Anzahl der Stösse,
oder was dasselbe ist, mit der Anzahl der einzelnen W^ege, aus
denen die ganze Strecke besteht, sofort die mittlere Länge der
einzelnen Wege. In dem jetzt betrachteten Falle aber, wo alle
Molecüle als beweglich angenommen werden, kann die Geschwin-
digkeit u nicht als constant angenommen werden, indem sie bei
jedem Zusammenstosse mit einem bewegten Molecül im Allge-
meinen eine Aenderung erleidet. Man kann aber die mittlere
Geschwindigkeit des Molecüls u bestimmen, welche wiederum die
ganze während der Zeiteinheit von dem Molecül durchlaufene
Strecke darstellt, und diese mittlere Geschwindigkeit muss also
durch die Anzahl der Stösse dividirt werden , um die mittlere
Weglänge zu erhalten. Bezeichnen wir die so bestimmte mittlere
Weglänge mit /, so erhalten wir, je nachdem wir den ersten oder
den zweiten der beiden vorstehenden Ausdrücke in Anwendung
bringen :
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. G3
(12)
oder
(12 a)
Ntcö
Was den hierin vorkommenden Factor — anbetrifft, so muss
r
man, nm denselben zu bestimmen, das Gesetz kennen, welches in
Bezug auf die verschiedenen gleichzeitig stattfindenden Geschwin-
digkeiten der verschiedenen Molecüle gilt, woraus sich dann auch
das Gesetz der gleichzeitig zwischen den verschiedenen Molecül-
paaren stattfindenden relativen Geschwindigkeiten ergiebt. Zu
der Zeit, als ich zuerst die mittlere Weglänge bestimmte, war
hierüber noch nichts festgestellt, und ich konnte daher keine
genaue Bestimmung jenes Bruches ausführen.
Um aber doch eine ungefähre Vorstellung von seinem Werthe
zu erhalten, machte ich die Annahme, dass alle Molecüle sich
mit gleicher Geschwindigkeit bewegten und nur die Richtungen
der Bewegungen verschieden seien. In diesem Falle lässt sich
die mittlere relative Geschwindigkeit sehr leicht auf folgende
Weise bestimmen.
Für zwei Molecüle, deren Bewegungsrichtungen den Winkel (p
unter einander bilden, würde, wenn die beiden absoluten Ge-
schwindigkeiten ?t und V wären, für die relative Geschwindigkeit
die Gleichung:
r = Vu- -\- v^ — 2 UV cos rp
gelten; wenn dagegen die absoluten Geschwindigkeiten der Mole-
cüle gleich sind, so erhalten wir, indem wir i^ = u setzen:
(13) r = u V2 Vi — cos cp.
Denken wir uns nun, die Richtung des einen Molecüls sei
gegeben, für das andere Molecül aber sei jede Richtung im Räume
gleich wahrscheinlich, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass der
Winkel zwischen den BcM^egungsrichtungen der beiden Molecüle
zwischen einem Werthe cp und dem unendlich wenig davon ver-
schiedenen Werthe (p -\- d cp liege, durch das Verhältniss zwischen
dem Flächeninhalt einer Kugelzone mit dem Polarwinkel cp und
der Breite d cp, und dem ganzen Flächeninhalt der Kugel, also
durch den Bruch
64 Abschnitt II.
2 n . sin (p .dtp sin cp d (p
4jr ~ 2
dargestellt, Multipliciren wir diese Wahrscheinlichkeit mit der
vorher bestimmten, zum Winkel (p gehörigen relativen Geschwin-
digkeit, und integriren dann nach cp von 0 bis jr, so erhalten
wir die mittlere relative Geschwindigkeit. Es gilt also die Gleichung:
fti V2 V^l
cos cp
sin cp .d cp
2
0
welche sich, wenn wir statt cos cp das einfache Zeichen v ein-
führen, so schreiben lässt:
+ 1
u
V2
(14) r = :^ r Vi - V dv,
woraus sich durch Ausführung der Integration ergiebt:
— 4
(15) r = - u.
o
Unter der Voraussetzung, dass die absoluten Geschwindig-
keiten aller Molecüle gleich wären, würde also der in dem Aus-
u 3
drucke von J vorkommende Bruch — den Werth — haben,
^ 4
Ein Jahr später veröffentlichte Maxwell das im §. 17 des
vorigen Abschnittes erwähnte, von ihm aufgestellte Gesetz der
bei den verschiedenen Molecülen gleichzeitig vorkommenden
Werthe der Geschwindigkeit u. Nach diesem Gesetze wird, wenn
N die ganze Anzahl der in der gegebenen Gasmenge vorhan-
denen Molecüle ist, die Anzahl derjenigen Molecüle, deren Ge-
schwindigkeit zwischen u und it -|- du liest, durch den Ausdruck
'b
4 JV n2
y= i^' e cc^^ du (vergl, S, 39)
dargestellt. Aus diesem auf die absolute Geschwindigkeit be-
züglichen Gesetze leitete Maxwell auch das Gesetz der bei den
verschiedenen Molecülpaaren gleichzeitig vorkommenden Werthe
der relativen Geschwindigkeit r ab. Die ganze Anzahl der vor-
handenen Molecülpaare ist — ^^ — ^, wofür man unbedenklich
]Sf2
-pr- setzen kann. Das Max well' sehe Gesetz sagt nun aus, dass
Ueber die mittlere Wegläiigf der Gasmolecüle. 65
die Anzahl derjenigen Molecülpaaro, deren relative Geschwindig-
keit zwischen f und r -\- dr liegt, dargestellt wird durch:
p= r2 e 2«i df (vergl. S. 42).
Aus dem für die einzelnen Geschwindigkeiten u aufgestellten
Gesetze kann man auch die mittlere Geschwindigkeit u durch
Rechnung ableiten. Dazu muss man die Anzahl der Molecüle,
deren Geschwindigkeit zwischen u und u -f- du liegt, mit u mul-
tipliciren , dann von u = 0 bis m = co integriren und den da-
durch gewonnenen Wertli durch die ganze Anzahl iV der Mole-
cüle dividiren. Man hat also zu setzen:
4J\^ . _ü!
(16) u = -^ u '^ '^^j- u'^ e u'^ du,
0
(18) r = ^ / r ■-—^^^= r"- e 2«^ dr,
woraus sich ergiebt:
(17) - »=12.
]/7C
Ebenso kann man aus dem auf die einzelnen Werthe von r
bezüglichen Gesetze die mittlere relative Geschwindigkeit 7 ab-
leiten, indem man setzt:
00
0
woraus sich ergiebt :
(19) r = ■— =-.
Aus diesen Werthen von u und r erlmlt man für den aus
ihnen gebildeten Bruch — statt des bei gleichen Geschw^ndig-
r
o 1
keiten geltenden Werthes — =0,75 den Werth ^= = 0,7071.
4 V2
Unter Anwendung dieses Werthes gehen die Gleichungen (12)
und (12 a) über in:
V
(20) l =
y 'z ly ■710''
(20 a) ^ — .-
Olausiua, mecban. Wärmetheorie. HI.
66 Abschnitt 11.
§. 7. Berücksichtigung der das Gas umgebenden
Hülle 1).
Bisher haben wir angenommen, die zur Betrachtung gegebene
Gasmenge sei ein Theil einer durch einen grösseren Raum ver-
breiteten Gasmenge. Wenn aber die gegebene Gasmenge in eine
feste Hülle eingeschlossen ist, so stossen die Molecüle auch gegen
die innere Fläche der Hülle, und es fragt sich, wie die Formeln
für die Anzahl der Stösse während der Zeiteinheit und für die
mittlere Weglänge sich ändern, wenn man diese Stösse mit be-
rücksichtigt.
Wir wollen uns zuerst wieder denken, dass nur Ein Molecül
beweglich und die übrigen alle fest seien, oder, was auf dasselbe
hinauskommt, dass ein Punct sich zwischen feststehenden Wir-
kungssphären bewegt, für welchen Fall wir für die durch P' be-
zeichnete Anzahl der Stösse des Punctes während der Zeiteinheit
unter (1) folgende Gleichung gegeben haben:
_ Su
worin Ä die ganze für den Punct zugängliche Fläche und W den
für die Bewegung freien Raum bedeutet. In dieser Gleichung
hatten wir in dem bisher betrachteten P'alle bei der Bestimmung
von S nur die Oberflächen der Wirkungssphären zu berücksich-
tigen; im vorliegenden Falle aber müssen wir noch die innere
Fläche der festen Hülle berücksichtigen. Für die Summe der
Oberflächen der Wirkungssphären, soweit sie für den beweglichen
Punct zugänglich sind, haben wir in Gleichung (6) folgenden
Ausdruck gegeben:
Hierzu muss nun die innere Grenzfläche der das Gas ein-
schliessenden Hülle hinzugefügt werden, welche s heissen möge;
dann erhalten wir für die . ganze dem beweglichen Puncte zu-
gängliche Fläche die Gleichung:
( 11 ^4^*^'^
(21) s = Ki^ö'^\i- ^ _^ n-s.
1) Vergl. hierzu S. 56. D. H.
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 67
Streng genommen müsste noch darauf Rücksiclit genommen
werden, dass von denjenigen festen Molecülen, welche der Hülle
sehr nahe liegen, ein Theil der Oberflächen der Wirkungssphären
über die Innenfläche der Hülle hinausgreift, und dadurch für
den beweglichen Punct unzugänglich wird. Die Grösse, welche
man wegen dieses Umstandes von dem vorigen Ausdruck abziehen
N ~ 7t 6'
müsste, würde aber von der Form as — '-^ sein, worin a einen
Zahlenfactor bedeutet. Da nun unter gewöhnlichen Umständen
der Flächeninhalt der Hülle viel kleiner ist, als die gesanimte
Oberfläche der Wirkungssphären, so ist die durch diesen Aus-
druck dargestellte Grösse viel kleiner, als die in der Gleichung (21)
vorkommende Grösse N4:7c6'^ ■—- ^ , welche oben als die
16 K
kleinste Grösse festgesetzt wurde, welche bei unserer Rechnung
noch Berücksichtigung finden soll. Wir können daher jene Grösse
vernachlässigen und die Gleichung (21) zur Bestimmung von S
beibehalten.
Was nun den für die Bewegung des Punctes freien Raum
TF anbetrifft, so ist derselbe durch Gleichung (.5) folgendermaassen
bestimmt:
N^ 7t6^^
W= V 1
V I
Der Raum ist in unserem gegenwärtigen Falle eigentlich noch
dadurch etwas verengt, dass eine an die Innenfläche der Hülle
sich anschliessende Schicht von der Dicke Y2 ^ in Abzug zu brin-
gen ist, weil der bewegliche Punct, welcher der Mittelpunct eines
Moleculs ist, nicht näher an die Hülle kommen kann, als der
Radius des Moleculs beträgt. Der Rauminhalt dieser Schicht ist
— s.ö, welche Grösse aus dem obigen Grunde viel kleiner ist.
als das kleinste in der vorigen Gleichung berücksichtigte Glied
4
JV" — 7C ö3, und daher vernachlässigt werden kann.
3
Wir können also die vorstehenden Ausdrücke von S und TF
beibehalten, und erhalten dadurch für die Anzahl der Stösse,
welche der Punct während der Zeiteinheit erleidet, die Gleichung:
68 Abschnitt II.
(22) P' = '— T ^ u,
V
und hieraus ergiebt sich für die mittlere Wegläuge ?', welche
u
durch den Bruch -^ dargestellt wird, die Gleichung:
P'
4F
(23) Z' =
JV4jrö2
Gehen wir nun von dem Falle, wo nur Ein Molecül sich
bewegt, und die übrigen fest sind, zu dem Falle über, wo alle
Molecüle sich bewegen, so müssen wir bei der Einführung der
relativen Geschwindigkeit in Betracht ziehen, dass ein bewegtes
Molecül zu der festen Hülle nicht dieselbe relative Geschwindig-
keit hat, wie zu den anderen Molecülen. Die mittlere relative
Geschwindigkeit zu der festen Hülle ist einfach gleich seiner
mittleren absoluten Geschwindigkeit, also gleich u. Wir müssen
also in der Gleichung (22), anstatt die beiden Glieder des Zählers
mit u zu multipliciren , das erste mit r und das zweite mit u
multipliciren, so dass wir für die in diesem Falle mit P bezeich-
nete Stosszahl folgende Gleichung erhalten:
(24) P =
jv^4^ö2l 1 _ i_ 1_ I r + sw
4 F , X
und hieraus ergiebt sich für die mittlere Weglänge:
Ueber die mittlere "Weglänge der Gasmolecüle. 69
47 1^1 -
(25) l = ■ —
Obwohl durcli die letzte Gleichung der Grad der Genauig-
keit gegen den meiner ersten für l aufgestellten Gleichung durch
Berücksichtigung des Molecularvolumens und der Umhüllungs-
fläche etwas erhöht ist, so glaube ich doch, dass man sich bei
den Anwendungen meistens mit jener ersten unter (12j gegebenen
Gleichung, nämlich
begnügen kann, da die Vorstellung, dass die Molecüle sich beim
Zusammenstosse wie harte, elastische Kugeln verhalten, doch eine
so wenig gesicherte ist, dass es wenig nützen kann, bei einer auf
solcher Grundlage beruhenden Rechnung die Genauigkeit bis auf
den äussersten Grad treiben zu wollen.
Wählen wir zur Betrachtung nicht eine gegebene Quantität
des Gases, welche je nach Umständen verschiedene Volumen ein-
nimmt, sondern richten unsere Aufmerksamkeit auf eine Volumen-
einheit des Gases, so stellt die Grösse N die Anzahl der Molecüle
in einer Volumeneinheit dar und ist daher bei einem und dem-
selben Gase seiner Dichtigkeit proportional. Für diesen Fall
nimmt die vorige Gleichung folgende Form an:
1 u
welche für die Anwendung sehr bequem ist.
1) „Tait's Bemerkung, dass anderer Mittelwertli von l zu nehmen ist,
zurückweisen", lautet eine Randbemerkung im Manuscript. Damit ist
jedenfalls die von Tait, Trans. Roy. Soc. Ediub. 33, part I, p. 74, 1S85
bis 1886, gegebene abweichende Definition gemeint, wonach man zur
Berechnung der mittleren Weglänge die einer bestimmten Geschwindig-
keit entsprechende mittlere Weglänge multiplicirt mit der Wahrschein-
lichkeit dieser Geschwindigkeit, und die so gebildeten Producte addirt.
Dann tritt an die Stelle des Maxwell' sehen Coefficienteu ^ö, — ^'~^'' ^^^
Zahl 0,677. D. H.
70 Abschnitt II.
§. 8. Wirklich zurückgelegte Wege der einzelnen
M 0 1 e c ü 1 e.
Nachdem im Vorigen die mittlere Weglänge der Molecüle
zwischen zwei Stössen festgestellt ist, kann noch die Frage auf-
geworfen werden, wie sich die wirklich vorkommenden Wege zu
der mittleren Weglänge verhalten.
Denken wir uns von irgend einem Puncte im Innern des
Gases ein Molecül ausgehend, so können wir die Wahrscheinlich-
keit, dass es die Entfernung s vom Ausgangspuncte erreicht,
ohne ein anderes Molecül zu treffen, als Function von s durch
W(s) bezeichnen. Die Bedeutung dieser Function kann man
auch so ausdrücken: Wenn von dem gewählten Ausgangspuncte
eine sehr grosse Anzahl Z von Molecülen ausginge, so würde die
Anzahl Z W{s) ungehindert über die Entfernung s hinausgehen,
während die Anzahl Z[l — W (s)] innerhalb der Strecke von
0 bis s von anderen Molecülen aufgefangen würde.
Es versteht sich hieraus von selbst, dass W (s) eine mit
wachsendem s abnehmende Function ist. Um diese Function
näher zu bestimmen, können wir folgende Betrachtung anstellen.
Wenn die Z . W(s) Molecüle, welche die Entfernung s über-
schritten haben, sich weiter bewegen, so werden von ihnen auf
der folgenden ebenso grossen Strecke wiederum so viele aufgefan-
gen, dass die Anzahl derjenigen, welche die Entfernung 2s über-
schreiten, im Verhältniss TF (.s) zu 1 kleiner ist, als die Anzahl
derjenigen, welche die Entfernung s überschritten haben, so dass
dieselbe durch Z . [ T^''(s)]2 dargestellt wird. Andererseits kann
man nach der Bedeutung der Function W{s) die Anzahl der-
jenigen, welche die Entfernung 2 s überschreiten, auch durch
Z.W (2 s) ausdrücken. Daraus folgt, dass die durch TT ange-
deutete Function folgender Gleichung genügen muss:
W{2s) = [W(s)]K
Dieselbe Betrachtung kann man auch für beliebige weitere
Strecken wiederholen, und erhält daraus die allgemeinere Bedin-
gungsgleichung
W{ns)= [W(s)]%
worin n einen beliebigen Zahlenwerth bedeutet. Hieraus und
aus der Bedingung, dass die Function für s = 0 den Werth 1
hat, folgt, dass sie folgende Form haben muss:
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 71
s
(27) W(s) = c~^,
worin c die Basis der natürlichen Logarithmen und c eine vor-
läufig willkürliche Constante darstellen soll.
Um die letztere zu bestimmen, wenden wir die Bedingung
an, dass die mittlere Weglänge der Molecüle bis zu ihrem Zusam-
menstosse mit einem anderen Molecül gleich l ist.
Die Zahl der Molecüle, deren Weglänge bis zum Zusammen-
stösse mit einem anderen Molecül zwischen s und s -\- ds liegt,
wird dargestellt durch die Differenz:
Z.W{s) - Z.W(s^ds)
oder durch
ds
Setzen wir hierin für W(s) die in (27) gegebene Function
ein, so lautet der Ausdruck:
1 _i
Z — e c ds.
c
Wenn wir diese Anzahl mit der betreffenden Weglänge .s
multipliciren , dann den Ausdruck von s = 0 bis s = oo inte-
griren, und endlich das gewonnene Integral durch die ganze An-
zahl Z der Molecüle dividiren, so erhalten wir die mittlere Weg-
länge und wir können also setzen:
l = -;= / Z — e~c ds = / -— e~'^ ds.
Z J c Je
0 0
woraus sich durch Ausführung der Integration ergiebt:
(28) Z = c.
Unter Anwendung dieses Resultats geht die Gleichung (27)
über in:
(29) W{s) = e~T.
Wenden wir. diesen Ausdruck von W (s) z. B. auf den
speciellen Fall an, wo s = 1 ist, so kommt
W{1) = e-i = 0,3679,
woraus folgt, dass von Z Fällen nur
0,3679 Z
72 Abschnitt II.
Fälle vorkommen, in welchen die wirkliche Weglänge gleich oder
grösser als die mittlere, während in den übrigen
0,6321 Z
Fällen die wirkliche Weglänge kleiner ist.
Fragt man ferner nach der Anzahl von Fällen, in welchen
der wirkliche Weg die zweifache, dreifache etc. Länge des mitt-
leren Weges erreicht oder übertrifft, so kann man dasselbe Ver-
fahren, wie vorher, anwenden. Nennt man die betreffenden
Wahrscheinlichkeiten W(2l) W (3 l) etc., so kommt :
W(2l) = e-^
W(dl) = e-^
etc.
Diese Zahlen nehmen offenbar sehr schnell ab, indem z. B.
e-io = 0,000045
ist, und man sieht daraus, dass, wenn auch einzelne Fälle vor-
kommen, in welchen ein Molecül einen beträchtlich längeren Weg
als den mittleren zurücklegt, diese Fälle doch verhältnissmässig
selten sind, und dass in der überwiegenden Mehrzahl von Fällen
die wirklichen Wege kleiner oder nur wenig grösser sind, als
der oben gefundene Mittelwerth.
Da nun ausserdem, wie in einem der folgenden Abschnitte
nachgewiesen werden solli), die mittlere Weglänge, wenn das
Gas, mit dem man es zu thun hat, nicht sehr verdünnt ist, eine
ausserordentlich kleine Grösse ist, so erkennt man, dass die
kinetische Gastheorie nicht zu dem Schlüsse führt, dass zwei an
einander grenzende Gasmassen sich schnell und stürmisch ver-
mischen müssen, sondern dass nur eine verhältnissmässig kleine
Anzahl von Molecülen schnell in grössere Entfernungen gelangen
kann, während die Hauptmassen sich nur allmählich an den
Grenzflächen mischen können. Es entspricht also hierin die kine-
tische Gastheorie ganz der Erfahrung, und auch die übrigen ihr
Anfangs gemachten Einwände, welche auf der Anschauung be-
ruhten, als ob die Molecüle weite Strecken ungehindert durch-
laufen, finden hierin ihre Erledigung.
1) Vergl. die Anm. d. H. am Schluss des dritten Abschnitts.
Ueber die mittlere WegläiiKe der Gasuiolecüle. 73
§. 9. Gesammtzahl der Stösse und damit zusammen-
hängende Grössen.
In den obigen Betrachtungen wurde die Anzahl der Stösse,
welche ein einzelnes Molecül während der Zeiteinheit erleidet,
mit P bezeichnet und in §. 6 durch folgende Gleichung (11 j be-
stimmt:
P = —y- r,
worin iV die in einem gegebenen Volumen V enthaltene Anzahl
der Molecüle bedeutet. Will man die Betrachtung auf eine
Volumeneinheit beziehen, so hat man N als die Anzahl der
Molecüle in der Volumeneinheit zu definiren und zugleich in der
Formel V = 1 zu setzen, wodurch sie übergeht in :
(30) F = N7t6^7.
Um hieraus die Anzahl der Stösse, welche unter allen in der
Volumeneinheit vorhandenen Molecülen während der Zeiteinheit
stattfinden, abzuleiten, muss man den Ausdruck mit der Anzahl
N mullipliciren und durch 2 dividiren. Das letztere deshalb,
weil an jedem Stösse zwei Molecüle betheiligt sind. Man erhält
also für die Gesammtzahl der Stösse den Ausdruck
-^ Tcö^r.
Die nach einem Stösse wieder auseinander fliegenden Mole-
cüle wollen wir die von dem Stösse ausgesandten Molecüle nen-
nen, und die von allen während einer Zeiteinheit in der Raum-
einheit stattfindenden Stössen auseinander fliegenden Molecüle
wollen wir kurz die während der Zeiteinheit ausgesandten Mole-
cüle nennen. Die Zabl derselben erhalten wir, wenn wir im
vorigen Ausdruck den Nenner 2 fortlassen, weil von jedem Stösse
zwei Molecüle ausgesandt werden. Bezeichnen wir also die An-
zahl der während der Zeiteinheit in der Raumeinheit ausgesaudten
Molecüle mit Jl, so gilt die Gleichung:
(31) 31= N'^7ta'-r.
Wollte man zur Bestimmung der hierin vorkommenden rela-
tiven Geschwindigkeit r die Annahme machen, die absoluten
7,4 ' Abschnitt II.
Geschwindigkeiten seien alle gleich, so würde die Gleichung nach
(15) übergehen in
(32) M= ^ N'^TiöKu.
6
Bestimmt man dagegen r aus der Annahme, dass die abso-
luten Geschwindigkeiten dem Maxwell' sehen Gesetze folgen,
so erhält man nach S. G5:
(33) M = y2m7t6Hi.
In §. 6 ist für die mittlere Weglänge die Gleichung (12)
gegeben, welche, wenn unter N die in der Raumeinheit enthal-
tene Anzahl von Molecülen verstanden wird, lautet:
Unter Anwendung dieser Gleichung kann man den zur Be-
stimmung von P und M dienenden Gleichungen (30) und (31)
folgende Form geben:
(35) -P = T
(36) M= N ^■
§. 10. Mittlere relative Geschwindigkeit und mittlere
Weglänge für Molecüle von gegebener Geschwindigkeit
und dadurch bedingtes Geschwindigkeitsgesetz der aus-
gesandten Molecüle.
Bei vielen theoretischen Betrachtungen ist es ausreichend,
das Geschwindigkeitsgesetz durch eine allgemeine Function an-
zudeuten, ohne dass man die specielle Form dieser Function an-
zugeben braucht.
Dazu möge zunächst für die Geschwindigkeit eine Bezeich-
nung eingeführt werden, welche gleich erkennen lässt, wie die
Geschwindigkeit eines zur Betrachtung ausgewählten einzelnen
Molecüls sich zur mittleren Geschwindigkeit verhält. Sei näm-
lich, wie bisher, u die Geschwindigkeit eines einzelnen Molecüls
und u die mittlere Geschwindigkeit aller Molecüle, so wollen wir
die Grösse 0 einführen mit der Bedeutung
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 75
(37) z = ^,
so dass wir an die Stelle von u das Product u z setzen können.
Um nun auszudrücken, wie die verschiedenen gleichzeitig statt-
findenden Geschwindigkeiten der einzelnen Molecüle sich um den
Mittelwerth vertheilen, wollen wir festsetzen, dass die Wahrschein-
lichkeit dafür, dass die Geschwindigkeit irgend eines zur Betrach-
tung ausgewählten Molecüls zwischen den Werthen w z und
w {z -j- d z) liegt, durch das Product
ii{z)ds
dargestellt wird; oder wie man dasselbe auch ausdrücken kann:
unter der sehr grossen Anzahl iV von Molecülen, welche in einer
Raumeinheit enthalten sind, sollen
iVt^ {z) d z
Molecüle vorkommen, deren Geschwindigkeiten zwischen uz und
u{z -|- dz) liegen. Die in diesen Formeln vorkommende Function
t/'(^), welche als Ausdruck des Geschwindigkeitsgesetzes dient ij,
kann vorläufig unbestimmt bleiben.
Nur zwei Bedingungen, welche die Function t/; erfüllen muss,
ergeben sich unmittelbar aus ihrer Definition. Da bei allen vor-
handenen Molecülen die Geschwindigkeit zwischen 0 und od liegen
muss, so folgt daraus, dass das Integral des Ausdruckes N il) (z) d z
die ganze vorhandene Anzahl N von Molecülen darstellen muss,
und es muss daher sein
00
(38) f'ip(z)dz=l.
0
Da ferner der Mittelwerth aller einzelnen durch itz dargestellten
Geschwindigkeiten gleich u sein muss, so muss das Integral des
Ausdruckes uzNi){z)dz gleich Nu sein, woraus folgt:
00
(39) I z^(z)dz = 1.
0
Nimmt man das im ersten Abschnitte S. 40 angeführte, von
Maxwell aufgestellte Geschwindigkeitsgesetz an, so hat man der
Function tp folgende Form zu geben:
^) und mit der auf S. 37 definirteu GescliAvludigkeitsfunction /(»)
durch die Beziehung \p{z)dz = f{ii)du zusammenhängt. D. H.
76 Abschnitt II.
(40) ip(2)d2 = -^ 3^e~^' d0,
die man erhält, indem man in dem Ausdruck
4 _!^
/ (u) d u = -^ u^e u^ • du
der Gleichung (10) des ersten Abschnittes die Geschwindigkeit u
ersetzt durch das Product
- 2a
(41) u = US = — F=- s.
Vit
Man kann sich leicht davon überzeugen, dass diese Formel
den beiden vorstehenden Bedingungsgleichungen genügt i).
Gehen wir nun von den absoluten Geschwindigkeiten der
Molecüle über zu der Betrachtung der relativen Gescbwindig-
keiten der Molecülpaare.
Bisher haben wir nur den mit r bezeichneten allgemeinen
Mittelwerth aller relativen Geschwindigkeiten für sämmtliche aus
den vorhandenen Molecülen zu bildenden Combinationen zu je
zweien betrachtet. Nun hat aber ein Moleciil, welches eine grössere
absolute Geschwindigkeit besitzt, im Allgemeinen auch eine
grössere relative Geschwindigkeit zu den übrigen Molecülen, als
ein Molecül, welches eine kleinere absolute Geschwindigkeit be-
sitzt, und man kann sich daher einen speciellen Mittelwerth der-
jenigen relativen Geschwindigkeit gebildet denken, die ein ein-
zelnes Molecül, dessen Geschwindigkeit u gegeben ist, zu allen
übrigen Molecülen hat. Für diesen speciellen Mittelwerth möge
zur Unterscheidung von dem allgemeinen Mittelwerthe r ein be-
sonderes Zeichen eingeführt werden. Dazu wollen wir die gege-
bene Geschwindigkeit u nach der in (37) eingeführten Bezeich-
^) Vorstehende Einleitung dieses Paragraphen findet sich im Entwurf
zum ersten Abschnitt, als Schluss des §. 17, ist aber vom Verfasser in die Rein-
schrift des Maauscripts nicht mit aufgenommen worden, da er offenbar die
Absicht hatte, die hier eingeführte Bezeichnungsweise wieder ganz fallen zu
lassen, und zwar aus dem Grunde , weil in der Theorie der Wärmeleitung
eine gleichmässige Geschwindigkeit aller Molecüle angenommen ist und die
Einführung der Variabein z daher entbehrlich wird. Die Durchführung dieses
Planes würde jedoch eine wesentliche Umgestaltung der folgenden Aus-
führungen bedingen, weshalb wir es vorziehen, dieselben ungeändert zu
lassen und die zum Verständniss nöthige Einleitung aus dem Entwurf zum
ersten Abschnitt vorauszuschicken. D. H,
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 77
nungsvveise durch das Product U2 darstellen, und dann für das
mit dieser Geschwindigkeit begabte Molecül den Mittelwerth seiner
relativen Geschwindigkeit zu allen übrigen Molecülen mit r^ be-
zeichnen.
Das Verhältniss zwischen diesem speciellen Mittelwerth Vz
und dem allgemeinen Mittelwerth r muss sich durch eine Function
von 0 darstellen lassen, und wir wollen daher setzen :
(42) r, = V(p (2).
Die Function q) (^) muss einer Bedingungsgleichung ent-
sprechen, welche sich unmittelbar aus ihrer Definition ergiebt. Da
nämlich zur Bestimmung des Mittelwerthes von r^ die Gleichung
00
r = I Tz i> (0) d 0
0
gilt, so erhält man, indem man für r^ das vorstehende Product
einsetzt, die Gleichung
00
/
q) (0) i\){z)d 2
0
Ausserdem lässt sich in Bezug auf die Function cp (z) schon aus
allgemeinen Betrachtungen einiges schliessen. Ihr Werth muss
mit wachsendem z zunehmen, weil mit wachsender absoluter
Geschwindigkeit des betrachteten Molecüls auch seine mittlere
relative Geschwindigkeit zu den übrigen Molecülen zunimmt. Es
kann aber zwischen (p {z) und z nicht eine einfache Proportio-
nalität bestehen. Wenn nämlich ^ = 0 wird, so kann (p {z) nicht
gleich Null werden, weil die relative Geschwindigkeit eines ruhen-
den Molecüls zu den übrigen Molecülen nicht Null sein kann, da
die letzteren in Bewegung sind. Die mittlere relative Geschwin-
digkeit eines ruhenden Molecüls zu allen anderen Molecülen ist
gleich der mittleren absoluten Geschw^indigkeit der letzteren.
Wenn z sehr gross wird, so muss die mittlere relative Geschwin-
digkeit Yz nahe gleich der absoluten Geschwindigkeit des betrach-
teten Molecüls , also gleich u z werden , so dass dann (p {z) sich
dem Werth — z nähern muss. Die genauere Bestimmung von (p {z)
r
kann nur stattfinden, wenn die das Geschwindigkeitsgesetz dar-
stellende Function i};(z) bekannt ist. Nimmt man das Max-
well'sehe Geschwindigkeitsgesetz an, so erhält man für (p (z)
folgende Gleichung:
78 Absclinitt II.
wie sich ergiebt, wenn man in Gleichung (42) für r den auf
S. 43 berechneten Werth, für r^ den auf S. 45, dort mit r^ be-
zeichneten Ausdruck einsetzt, und schliesslich für u wieder nach
Gleichung (41) s einführt.
Wenn die Grösse r^ als gegeben betrachtet wird, so kann
man leicht die dazu gehörige Anzahl der Stösse, ferner den
Mittelwerth der von einem Stosse zum anderen vergehenden
Zeit und die mittlere Weglänge bestimmen.
Nehmen wir vorläufig an, das betrachtete Molecül habe wäh-
rend einer Zeiteinheit fortwährend die als gegeben betrachtete
absolute Geschwindigkeit u ^= u^ und daher auch die als gegeben
betrachtete relative Geschwindigkeit r^, so würde dasselbe wäh-
rend der Zeiteinheit die Anzahl P^ von Stössen erleiden, welche
bestimmt wird durch die Gleichung (30)
(44) P, = Nn ö2 r„
worin N die Anzahl der Molecüle in der Volumeneinheit bedeutet i).
Daraus folgt für die mittlere Zeit, welche zwischen zwei
Stössen vergeht, und welche mit t^ bezeichnet werden möge:
1 1
(45) r.
P, Nnö^r,
Ferner folgt, dass die mittlere Weglähge /^ für ein Molecül,
welches fortwährend ein und dieselbe Geschwindigheit «^ hat,
bestimmt wird durch die Gleichung
(4b) /, = ^- =
P, NnG^r,
Setzen wir hierin für u^ das Product zu^ und für r^ den unter
(42) festgestellten Ausdruck, so kommt:
(46 a) l,^ '' _.-J^r=l
NTtö^r fp(^) fp(^)
1) Die folgenden Stellen sind im Entwurf vielfach geändert und durch-
corrigirt. "Wir geben dieselben unter möglichster Wahrung des Zusam-
meuhanffes, mit theilweiser Benutzung durchstrichener Sätze. D. H.
Ueber die mitUcre WegUlnge der Oasinoleciile. 79
Nach dem , was oben über die Function (p (z) gesagt ist,
übersiebt man leicbt, dass /^ in der Weise mit ä' zugleich wächst,
dass für ^ = 0 auch /^ den Werth 0 bat, und dass für sehr
gross werdende Wertbe von pj die Grösse l^ sieb dem Grenz-
werthe -^ ■ Ucäbert.
Da nun aber in der Wirklicldceit das Molecül nicht immer
eine und dieselbe Geschwindigkeit hat, sondern seine Geschwin-
digkeit sich von Stoss zu Stoss ändert, und dabei auch seine rela-
tive Geschwindigkeit zu den übrigen Molecülen sich in der oben
besprochenen Weise von Stoss zu Stoss ändert, so wollen wir
statt der Zeiteinheit eine unendlich kleine Zeit dt betrachten.
Für eine unendlich kleine Zeit kann man streng genommen nicht
von der Anzahl der Stösse sprechen, die das Molecül während
derselben erleidet, da zwischen zwei Stössen eine wenn auch
kleine, so doch endliche Zeit vergeht. Man muss vielmehr, wenn
man sich ganz genau ausdrücken will, statt der Anzahl der
Stösse eine andere Grösse einführen, nämlich die Walirscliein-
licMeit dafür, dass während der Zeit dt ein Stoss stattfindet.
Diese Wahrscheinlichkeit wird durch das ProduCt
> P,dt
dargestellt. Legt man aber mehr Gewicht auf eine bequeme und
gleichförmige, als auf eine dem Wortlaute nach durchaus strenge
Ausdrucksweise, so kann man unbedenklich im statistischen Sinne
sagen: wenn in der Zeiteinheit P^ Stösse stattfinden, so finden
in dem Zeitelement dt P^dt Stösse statt. Der Umstand, dass
der Werth des Productes nicht nur kleiner als Eins, sondern sogar
unendlich klein ist, hat auf die Anwendbarkeit dieses Ausdruckes
keinen wesentlichen Einfluss.
Will man nun für den wirklichen Vorgang, wo die Geschwin-
digkeit des betrachteten Molecüls und damit auch die Grösse
Pz sich von Stoss zu Stoss ändert, die Anzahl der Stösse wäh-
rend der Zeiteinheit bestimmen, so braucht man nur den Diffe-
rentialausdruck P^dt für die Zeiteinheit zu integriren und
erhält also, wenn man die während der Zeiteinheit wirklich statt-
findende Anzahl von Stössen mit P bezeichnet, die Gleichung:
1
(47) P= f P,dt.
80 Abschnitt II.
Setzt man hierin für P^ seinen in (44) gegebenen Ausdruck, so
kommt:
/ r,dt,
0
oder, da das hierin vorkommende Integral der Mittelwerth von
r ist:
P = NTtö^-r,
welche Gleichung mit der oben unter (30) gegebenen überein- .
stimmt.
Will man ferner für ein Molecül, welches seine Geschwin-
digkeit von Stoss zu Stoss ändert, die mittlere Weglänge l be-
stimmen, so darf man dazu nicht einfach das Product lg dt für
eine Zeiteinheit integriren. Unter der mittleren Weglänge ver-
stehen wir nämlich die Gesammtlänge aller während einer ge-
wissen Zeit, z. B. während einer Zeiteinheit, zurückgelegten Wege,
dividirt durch die Anzahl dieser Wege. Wenn nun während des
Zeiteleraents d t die Geschwindigkeit des Molecüls u^ ist, so ist
die Anzahl der während d t zurückgelegten Wege P^ d t und die
Länge eines Weges 1^^ und somit ist die von dem Molecül wäh-
rend dt durchlaufene Strecke l^F^dt. Dieser Ausdruck muss
für die Zeiteinheit integrirt werden, um die von dem Molecül
während der Zeiteinheit im Ganzen durchlaufene Strecke zu er-
halten. Zugleich stellt, wie schon gesagt, das Integral von F^dt
die Anzahl der Wege dar und wir erhalten somit zur Bestim-
mung von l die Gleichung:
fhFgdt
1 = '—,
7 Fgdt
0
Das hierin im Zähler stehende Integral nimmt durch Einführen
des unter (46) stehenden Ausdruckes von Z^ eine sehr einfache
Form an. Es ist nämlich:
und somit kommt
/ IgFg dt = I tig dt ^= u.
0 0
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 81
Ferner ist das im Nenner stehende Integral nacli (47) einfach
durch P zu ersetzen und es kommt daher
1=: ''
— 1
P NTtö^r
welches die früher unter (26) gegehene Gleichung ist.
Nach den vorstehenden Betrachtungen kann man nun dazu
übergehen, noch eine wichtige Bestimmung auszuführen.
Die Geschwindigkeiten der von den Stössen ausgesandten
Molecüle befolgen nicht dasselbe Gesetz, wie die gleichzeitig
stattfindenden Geschwindigkeiten der im Gase vorhandenen Mole-
cüle, sondern es sind unter den ersteren die grösseren Geschwin-
digkeiten stärker vertreten als unter den letzteren, weil die
schneller bewegten Molecüle häufiger zusammenstossen , als die
langsamer bewegten, und daher auch häufiger unter den von den
Stössen ausgesandten Molecülen vorkommen. Es muss nun unter-
sucht werden, wie die beiden Geschwindigkeitsgesetze unter ein-
ander zusammenhängen.
Die ganze Anzahl der während einer Zeiteinheit ausgesandten
Molecüle haben wir in §. 9 mit M bezeichnet und durch fol-
gende dort unter (31) und (36) gegebene Gleichungen bestimmt:
Indem wir nun wieder jede einzelne Geschwindigkeit u eines
dieser Molecüle nach (37) durch ein Product von der Form *( 0
bezeichnen, wollen wir festsetzen, dass diejenige Theilzahl von
ausgesandten Molecülen, bei denen die Grösse s zwischen den
Werthen 0 und 3 -\- dz liegt, durch das Product
MW{z)ds
bestimmt werde, so dass W {z) die Function ist, welche das Ge-
schwindigkeitsgesetz für die ausgesandten Molecüle darstellt. Es
handelt sich nun darum, die Beziehung zwischen den Functionen
^(0) und i\) {z) zu finden.
Dazu kann folgende Betrachtung dienen. Die Zeit, welche
ein ausgesandtes Molecül mit der Geschwindigkeit us durch-
schnittlich gebraucht, um wieder mit einem anderen Molecül
zUsammenzutreö'en , d. h. also die Zeit, während welcher die Ge-
schwindigkeit, mit der das Molecül ausgesandt ist, durchschnitt-
lich besteht, haben wir oben durch t, bezeichnet. Hieraus folgt,
Clausius, mecliau. Wärmetheorie. III. a
82 Abschnitt II.
dass die Anzahl der gleichseitig bestehenden^ zwischen U0 nnd
ü(0 -f- d s) liegenden Geschwindigkeiten durch das Product
MW(s)ds.t,
dargestellt wird. Nun wird aber andererseits die Anzahl der
Molecüle, deren gleichzeitig stattfindende Geschwindigkeit zwischen
US und u{0 -^ dd) liegt, durch die Formel S. 75
Ni\}{z)dB
dargestellt, und wir erhalten also die Gleichung:
MW{z)ds.tz= N^ {s) d s,
oder
(48) MW(s)d0= n"^ ds.
Setzen wir hierin für t^ seinen unter (45) gegebenen Werth,
so kommt:
(48a) MW{z)dz = NPi}{s)ds = mn6'^r,tp{z)ds.
Man kann auch für t^ den aus der Gleichung (46) hervor-
gehenden Werth ^ setzen, wodurch man erhält:
u z
(49) M W {z) dz = N'^-^^P (z) d z.
Die beiden vorstehenden Ausdrücke kann man auch so schreiben:
(49 a) MW(z)dz = N^Tiö^r ^ ilj(z)dz
r
(49b) MW(z)dz = Nj- ^z-tp(z)dz.
Da nun für M folgende Gleichungen gelten:
so erhält man zur Bestimmung von ^(z) die Gleichung:
(50) W.{z) = ^i>(z) = ~z^l^(z),
r ''z
oder wenn man unter Anwendung der Gleichungen (42) oder
(46 a) die Function g) (z) einführt, die Gleichung:
(51) . W(z) = ip(z)i^(z).
Ueber die mittlere Weglänge der Gasmolecüle. 83
Will man das Maxwell'scbe Geschwindigkeitsgesetz anwen-
den, so hat man für ijj (js) den oben unter (40j und für cp (z) den
unter (43) gegebenen Ausdruck zu setzen und erhält:
(52) >.w==^^u^l'■' + (, + i,.),-^'"/.-^".4
ABSCHNITT IIL
eber die innere Reibung der Gase.
§. 1. Verschiedene auf die Reibung der Gase bezüg-
liche Arbeiten.
Maxwell hat in seiner schon mehrfach citirten Abhandlung
vom Jahre 1860 auch die Reibung der Gase behandelt und hat
für den Reibungscoefficienten einen Ausdruck abgeleitet, welcher
dem Princip nach als richtig anzusehen ist, und demgemäss die
Gesetze, welchen die Gasreibung unterworfen ist, richtig dar-
stellt, aber eine gewisse, den numerischen Werth des Reibungs-
coefficienten beeinflussende Ungenauigkeit enthält. Es kommt
nämlich in der Rechnung einerseits die Geschwindigkeit, ande-
rei:seits die Weglänge der Molecüle in Betracht. Diese beiden
Grössen sind nicht von einander unabhängig, sondern hängen in
der Weise von einander ab, dass Molecüle, welche grössere Ge-
schwindigkeiten haben, im Allgemeinen auch längere Wege zurück-
legen. Diesen Unterschied hat Maxwell nicht berücksichtigt,
sondern hat die beiden Grössen so behandelt, als ob von jeder
einzelnen nur der Mittelwerth in Rechnung zu bringen sei. Da-
durch wird die Rechnung sehr erleichtert, aber die mathematische
Strenge etwas beeinträchtigt.
Nach Maxwell haben viele andere Autoren sich mit der
Gasreibung beschäftigt, unter denen ich nur Ose. Em. Meyer i)
und Tait2) hier anführen will, von denen der erstere seinen
1) 0. E. Meyer, Die kinetische Theorie der Gase. Breslau 1877. Vergl.
ferner Pogg. Ann. 135, 177, 1865.
2) Tait, Trans. Roy. Soc. Edinb. 33, part. I, p. 65, 1885 — 1886.
Uebei* die innere Reibung der Gase. 85
theoretischen Betrachtungen aucli sehr werthvolle experimentelle
Untersuchungen hinzugefügt hat, und der letztere die oben er-
wähnte, in der Maxwell' sehen Formel vorkommende Ungenauig-
keit einer speciellen Besprechung unterzogen hat.
Im Nachfolgenden möge zunächst eine kurze Entwickelung
der betreffenden Gleichung gegeben werden.
§. 2. Feststellung des zu untersuchenden Falles.
Es möge eine Gasmenge gegeben sein, welche neben den
unregelmässigen Molecularbewegungen auch eine Bewegung der
ganzen Masse besitzt, und zwar eine solche Bewegung, deren
Richtung in allen Theilen des Gases gleich, deren Geschwindig-
keit aber in verschiedenen Theilen des Gases verschieden ist.
In letzterer Beziehung wollen wir noch die vereinfachende Be-
dingung einführen, dass die Geschwindigkeit sich nur nach einer
bestimmten auf der Bewegungsrichtung senkrechten Richtung
ändert. Wir wollen die letztere Richtung als .r- Richtung und
die Bewegungsrichtung als </ -Richtung eines rechtwinkeligen Coor-
dinatensystems annehmen, dann können wir die in Bezug auf
die Geschwindigkeit gestellte Bedingung dadurch ausdrücken,
dass wir sagen, die Geschwindigkeit sei eine Function von x.
Wählen wir nun irgend eine auf der ic- Richtung senkrechte
Ebene zur Betrachtung aus, welche wir, da der Anfangspunct
der Coordinaten willkürlich ist, als die ?/-^- Ebene des Coordi-
natensystems annehmen wollen , und bezeichnen wir den Werth,
welchen die Geschwindigkeit v in dieser Ebene hat, mit v^, so
können wir für irgend eine andere der y-^-Ebene parallele Ebene,
deren Abscisse x ist, den Werth v in der bekannten Weise durch
Reihenentwickelung darstellen, nämlich:
, dv , cV^v x^ , .
^ dx ^ dx- 2
Da im Folgenden nur sehr kleine Werthe von x in Betracht
kommen werden, welche von der Ordnung der mittleren Weg-
länge der Molecüle sind, so können wir alle Glieder, welche in
Bezug auf x von höherer als erster Ordnung sind, vernachlässigen,
und demgemäss setzen:
, d V
' dx
86 Abschnitt III.
Um eine bestimmte Anschauung zu gewinnen, wollen wir
annehmen, dass -^ — positiv sei, Avas zulässig ist, weil wir die Seite,
tt CG
nach welcher wir x als positiv nehmen wollen, noch frei wählen
können.
Da nun die zu beiden Seiten der ^-^ -Ebene befindlichen
Gasmassen verschiedene Geschwindigkeiten haben, so üben sie
auf einander eine Kraft aus, welche dahin wirkt, die schneller
bewegte Masse in ihrer Bewegung zu verzögern und die lang-
samer bewegte Masse zu beschleunigen. Diese Kraft, welche die
innere Reibung des Gases genannt wird, ist es, um deren Be-
stimmung es sich im Folgenden handelt.
§. 3. Bewegungszustand nach der kinetischen Gastheorie
und insbesondere Verhalten der ausgesandten Molecüle.
Nach der kinetischen Gastheorie haben die Molecüle eines
scheinbar ruhenden Gases Molecularbewegungen , welche in un-
regelmässiger Weise stattfinden und nur den Wahrscheinlichkeits-
gesetzen unterworfen sind. Zu diesen nach allen Richtungen
gehenden Geschwindigkeiten kommt im gegenwärtigen Falle noch
die Geschwindigkeit v nach der positiven ;?/ -Richtung hinzu.
Wenn diese letztere Geschwindigkeit innerhalb des Gases
überall gleich wäre, so würde sie das Verhalten der Molecüle
zu einander gar nicht ändern. Insbesondere würde die Zahl der
in einer Raumeinheit während der Zeiteinheit ausgesandten i)
Molecüle, und das Verhalten dieser Molecüle in Bezug auf die
Geschwindigkeit der unregelmässigen Bewegungen in dem beweg-
ten Gase dasselbe sein, wie in einem ruhenden Gase. Dieses
Verhalten wollen wir durch folgende Angaben ausdrücken. Die
Gesammtzahl der in der Raumeinheit während der Zeiteinheit
ausgesandten Molecüle möge wie früher mit M bezeichnet wer-
den, und die Anzahl derjenigen unter ihnen, bei denen die Ge-
schwindigkeiten der unregelmässigen Bewegungen zwischen u
und u -\- du liegen, möge durch den Ausdruck:
MF{u)du^)
dargestellt werden.
1) Vergl. S. 73.
2) Der Ausdruck F(u)du ist identisch mit dem S. 81 aufgestellten
'/^(^■) d s. Die dort angestellte Untersuchung der Function '/' lässt sich daher
lieber die innere Reibung der Gase. 87
Nun müssen wir weiter betrachten, wie bei einem Gase, in
dem die Massenbewegung nicht überall gleich , sondern an ver-
schiedenen Stellen in der oben beschriebenen Weise verschieden
ist, die nach den Stössen ausgesandten Molecüle sich verhalten.
Wir wählen zur Betrachtung statt der Raumeinheit den Raum
einer unendlich dünnen Schicht zwischen zwei Ebenen, deren
Abscissen x und x -\- dx sind. Wenn wir von dieser Schicht
ein Stück nehmen, welches einer Flächeneinheit der Grenzfläche
entspricht, so ist der Rauminhalt dieses Stückes der Schicht ein-
fach dx^ und die von diesem Stücke der Schicht während
der Zeiteinheit ausgesandten Molecüle, deren Geschwindigkeiten
zwischen u und u -\^ du liegen, würden, wenn die Massen-
bewegung in allen Theilen des Gases gleich wäre, durch
3IF(u) du dx
dargestellt werden. Nun fragt es sich aber, wie dieser Ausdruck
sich dadurch ändert, dass die Massenbewegung nicht in allen
Theilen des Gases gleich ist.
Dazu müssen wir zunächst einige allgemeine Betrachtungen
über das Verhalten der Molecüle beim Zusammenstosse an-
stellen. Dieses Verhalten ist nicht vollständig dasselbe, wie das
Verhalten zusammenstossender elastischer Kugeln, indessen kann
man doch in vielen Beziehungen einen nützlichen Einblick in das
Verhalten der Molecüle gewinnen, wenn man von der Betrach-
tung elastischer Kugeln ausgeht. Die gegenseitige Einwirkung
zweier elastischer Kugeln beim Zusammenstosse ist in recht über-
sichtlicher Weise in der oben erwähnten Abhandlung von Max-
well zusammengestellt. Ich will hier nur einige Sätze, welche
auch sonst als hinlänglich bekannt zu betrachten sind, anführen.
Wenn zwei gleiche elastische Kugeln mit gleicher Geschwin-
digkeit in entgegengesetzter Richtung fliegen, und zwar so, dass
ihre Mittelpuncte sich in derselben Geraden bewegen, und die
Kugeln daher central zusammenstossen , so prallen sie in der
Weise von einander ab, dass jede Kugel mit gleicher Geschwin-
digkeit nach der Richtung zurückfliegt, aus der sie gekommen ist.
Bewegen sich die Kugeln aber vor dem Stosse zwar in entgegen-
gesetzter Richtung, aber so, dass die Wege ihrer Mittelpuncte
unmittelbar auf die Function i^ übertragen ; insbesondere geht dadurch die
Gleichung (48a), unter Berücksichtigung der Bemerkung S. Tf), über in:
MF{u) = NPf{u). D.H.
88 Absclmitt III.
nicht in derselben Geraden, sondern in zwei parallelen Geraden
liegen, und dass folglicli die Kugeln excentrisch zusammenstossen,
so prallen sie zwar wieder mit gleichen Geschwindigkeiten aus-
einander, und die Centra bewegen sich wieder nach entgegen-
gesetzten Seiten in zwei parallelen Geraden, aber die Richtung
dieser Geraden ist nicht dieselbe, wie die Richtung derjenigen
Geraden, in welchen sich die Centra vor dem Stosse bewegten.
Die neue Richtung hängt von der Lage ab, welche der Punct
des Zusammentreffens in den beiden Oberflächen hat, und da die
Kugeln in unendlich vielen verschiedenen Puncten ihrer Ober-
flächen zusammentreffen können, so findet auch in den Richtungen
des Auseinanderprallens eine unendliche Mannichfaltigkeit statt,
und es lässt sich leicht beweisen, dass jede mögliche BicMung im
Räume für die Beioegungen der Kugeln nach dem Stosse gleich
ivahrscheinlich ist.
Sei nun allgemein angenommen, die beiden gleichen Kugeln
bewegen sich vor dem Stosse 7nit heliehigen Geschivindigheiten
nach heliebigen Hichtungen. Dann zerlegen wir uns die Bewegung
jeder Kugel in zwei Componenten. Als erste Componente nehmen
wir die Bewegung des gemeinsamen Schwerpunctes beider Kugeln,
dann ist die zweite Componente die relative Bewegung der betref-
fenden Kugel gegen den gemeinsamen Schwerpunct. Die erstere
Bewegung ist für beide Kugeln gleich gross und gleich gerichtet,
die letztere für beide Kugeln gleich gross und entgegengesetzt.
Die erstere wird durch den Stoss nicht geändert ; die letztere da-
gegen wird gerade in derselben Weise geändert, als ob sie allein
vorhanden wäre und die gemeinsame Bewegung gar nicht statt-
fände. In Bezug auf sie gilt dasselbe, was vorher von dem Falle
gesagt wurde, wo zwei Kugeln sich in parallelen Geraden gegen
einander bewegen und durch den Stoss je nach dem Puncte des
Zusammentreffens verschiedene Richtungen annehmen können.
Hieraus sieht man, in wie weit bei unregelmässig zusammen-
stossenden Kugeln die Bewegungen nach den Stössen von denen
vor den Stössen abhängen, und in wie weit sie von ihnen unab-
hängig sind. Die JBeivegung jeder Kugel besteht aus zwei Com-
ponenten^ von denen die erste nach Grösse und Richtung durch
die Beivegungen vor dem Stosse vollständig bestimmt ist^ und die
zweite ebenfalls eine bestimmte Grösse hat , aber unendlich viele
verschiedene Riichtungen haben Tiann^ und zivar so^ dass jede Rich-
tung im Räume gleich ivahrscheinlich ist.
lieber die inaere Keibung dei' Gase. 89
Indem wir dieses Resultat auf die unter den Moleciilen statt-
findenden StÖRse anwenden, können wir annehmen, dass aucli
hier von den Bewegungen, welche zwei zusammenstossende Mole-
cüle vor dem Stosse haben, nur der den beiden Moleciilen ge-
meinsame Theil, nämlich die Bewegung des gemeinsamen Schwer-
punctes, nach Grösse und Richtung ungeändert bleibt, während
die zweite Componente der Bewegungen ihre Richtung in so
verschiedenen Weisen ändern kann, dass für sie jede Richtung im
Räume gleich wahrscheinlich ist.
Betrachten wir nun die ganze Menge der Molecüle, welche
während der Zeiteinheit in unserer unendlich dünnen Schicht
zusammenstossen , so sind diese theils von der positiven, theils
von der negativen Seite in die Schicht gelangt. Bei den von der
positiven Seite kommenden Moleciilen hat die Geschwindigkeit v
einen grösseren Werth als den, welcher der Lage der Schicht
entspricht, und bei den von der negativen Seite kommenden
Molecülen einen kleineren Werth. Bilden wir daher für alle in
der Schicht zusammenstossende Molecüle den Mittelwerth von t;,
so erhalten wir einen Werth, welcher dem der Lage der Schicht
entsprechenden Werthe so nahe gleich ist, dass der noch bleibende
Unterschied nur eine Grösse sein kann, welche in Bezug auf die
mittlere Weglänge von höherer Ordnung ist, als die bei den ein-
zelnen Molecülen vorkommenden Unterschiede, und daher ver-
nachlässigt werden kann.
Dasselbe, was von den zusammenstossenden Molecülen gilt,
gilt auch von den ausgesandten Molecülen, und wir können daher
den Bewegungszustand der von einem der Flächeneinheit ent-
sprechenden Stück der Schicht ausgesandten Molecüle in folgender
Weise mathematisch bestimmen. Die Anzahl derjenigen Mole-
cüle, bei welchen die nach allen Richtungen gehenden Mole-
cularbewegungen Geschwindigkeiten haben, die zwischen u und
u -\- du liegen, wird durch
MF(u)du dx
dargestellt. Zu diesen nach allen Richtungen gehenden Bewe-
gungen kommt noch eine nach der ^/-Richtung gehende Bewegung,
welche für alle betreffenden Molecüle eine gemeinsame Gesch-^^-in-
digkeit hat, nämlich die der Lage der Schicht entsprechende
Geschwindigkeit v.
90 Abschnitt III.
§. 4. Eliminirung des Einflusses, welchen der Unter-
schied der Massenbewegung auf den Durchgang der
Molecüle durch das Gas ausübt.
Nachdem der Bewegungszustand der von einer unendlich
dünnen Schicht ausgesandten Molecüle festgestellt ist, handelt es
sich weiter darum, zu bestimmen, wie viele von diesen Molecülen
bis zur 2/^- Ebene gelangen, ohne vorher von anderen Molecülen
aufgefangen zu werden.
Wir beschränken uns zunächst auf die Betrachtung solcher
Molecüle, deren Moleculargesch windigkeiten , abgesehen von der
Massenbewegung, zwischen u und u -{- du liegen, und deren
Anzahl
MF(u)dudx
ist. Da diese Molecüle sich nach allen möglichen Richtungen
bewegen, wollen wir von ihnen wieder nur einen unendlich kleinen
Bruchtheil betrachten, welcher bestimmt vorgeschriebene Rich-
tungen hat. Um die Bewegungsrichtung eines Molecüls angeben
zu können, führen wir die Winkel 9' und q) ein. d" soll den
Winkel mit der ;r- Richtung bedeuten; da aber die ^Z^- Ebene
von der Schicht, welche die Molecüle aussendet, nach der nega-
tiven Seite liegt, so wollen wir unter & den Winkel zwischen
der Bewegungsrichtung des Molecüls und der negativen a?- Rich-
tung verstehen. Ferner wollen wir eine Ebene durch die ^-Rich-
tung und die Bewegungsrichtung des Molecüls, und eine andere
Ebene durch die ic- Richtung und die ^-Richtung legen und den
Winkel zwischen diesen beiden Ebenen mit cp bezeichnen. Durch
diese beiden Winkel ist die Bewegungsrichtung des Molecüls
bestimmt, und der zur Betrachtung ausgewählte Bruchtheil der
ganzen Molecülzahl soll dadurch bestimmt sein, dass diese Winkel
Werthe haben , die zwischen d- und d- -\- dO' und zwischen cp und
cp -\- d(p liegen.
Die Anzahl der Molecüle, bei denen die Winkel zwischen
diesen Grenzen liegen, verhält sich zur ganzen Anzahl, bei denen
die Winkel beliebig sind , wie sin 0' d^ dcp zu 4 ^. Demnach
wird die Anzahl der Molecüle, welche von der unendlich dünnen
Schicht ausgesandt werden, und bei denen die Moleculargeschwin-
digkeiten zwischen u und u -{- dii liegen, und bei denen zugleich
»
Ueber die innere Reibung der Gase. 91
die Winkel zwisclien den vorher angegebenen Grenzen liegen,
durch folgende Formel dargestellt:
sin& dxt dm
MF(u)dudx -•
^ ^ 4:7t
Um nun zu bestimmen, wie viele von diesen Molecülen zur
Ebene y s; gelangen, ohne von anderen .Molecülen aufgefangen
zu werden, wollen wir einen anderen Ausdruck, als den in Ab-
schnitt II, S. 71 entwickelten in Anwendung bringen, indem wir
statt der Länge des zu durchlaufenden Weges die zur Durch-
laufung desselben nöthige Zeitdauer in Betracht ziehen. Bezeich-
nen wir für unsere Molecüle, welche die Eigengeschwindigkeit u
haben, die mittlere relative Geschwindigkeit zu den anderen
Molecülen mit r„ i), so werden wir die Wahrscheinlichkeit dafür,
dass ein bestimmtes von ihnen während einer Zeit t^ nicht auf-
gefangen wird, für den Fall, dass r„ von der Zeit unabhängig
wäre, durch den Ausdruck e~^*^ darstellen können 2), worin P,
die Zahl der Stösse in der Zeiteinheit, nach der Gleichung (44)
des vorigen Abschnittes folgende Bedeutung hat:
(1) P = N7t6^ru.
Wenn aber r« und somit auch P von der Zeit abhängig ist, so
müssen wir statt des vorigen Ausdruckes den folgenden bilden:
h
-fpdt
e 0 .
Falls keine Massenbewegung vorhanden wäre, sondern nur
die Molecularbewegungen beständen, würde ru einen von der
Bewegungszeit unabhängigen Werth haben, und wir würden daher
denjenigen Theil der oben besprochenen ausgesandten Molecüle,
welcher wirklich an der ^^ -Ebene anlangt, und sie durchschreitet,
durch
sind-dd-dw p,
MF (u) du dx e--P^
darstellen.
^) Der hier gebrauchte Iudex « ist ganz gleichbedeutend mit dem im
vorigen Abschnitt gebrauchten Index z. D. H.
2) Dieser Ausdruck ergiebt sich, wenn man in die Gleichung (29) des
vorigen Abschnittes für s, den durchlaufenen Weg, seinen Werth u t^, und
für die Weglänge l aus der Gleichung (46) den Werth -p einsetzt. D. H.
92 ■ Abschnitt III.
In unserem gegenwärtigen Falle aber kommt zu der Mole-
cularbewegung noch die Massenbewegung. Da diese nach der
^-Richtung geht, so hat sie auf die ^-Componente der Geschwin-
digkeit des betrachteten Molecüls keinen Einfluss, und die Zeit,
welche das Molecül gebraucht, um von der unendlich dünnen
Schicht bis zu der um die Strecke x von ihr entfernten ^(0 -Ebene
zu gelangen, wird daher durch das Hinzukommen der Massen-
bewegung nicht geändert, sondern behält den mit ti bezeichneten
Werth. Anders verhält es sich jedoch mit der mittleren rela-
tiven Geschwindigkeit. Wenn die Massenbewegung in allen Theilen
des Gases gleich wäre, so würde sie auf die mittlere relative
Geschwindigkeit eines Molecüls zu den übrigen Molecülen keinen
Einfluss haben. Da nun aber der Annahme nach die Geschwin-
digkeit der Massenbewegung mit wachsendem x zunimmt, so hat
das betrachtete Molecül, welches von der unendlich dünnen Schicht
mit der Abscisse x ausgeht, eine etwas grössere Massenbewegung,
als in dem Zwischenräume zwischen der Schicht und der j/^ -Ebene
herrscht. Dieser Unterschied muss in Betracht gezogen werden.
Der grösste Werth, welchen dieser Unterschied erreicht, findet
bei der 11 ^- Ebene statt, und hier ist er gleich -5— x. Da die
■^ ^ dx
hierbei in Betracht kommenden Werthe von x nur sehr klein,
nämlich von der Ordnung der mittleren Weglänge sind, so ist
auch der in Rechnung zu ziehende Unterschied der Massenbewegung
immer nur so klein, dass wir bei einer Reihenentwickelung nach
Potenzen dieser Grössen nur die erste Potenz zu berücksichtigen
brauchen und die höheren Potenzen vernachlässigen können.
Betrachten wir nun, was dieser zu der Molecularbewegung
hinzukommende Unterschied der Massenbewegung für einen Ein-
fluss auf den zu behandelnden Ausdruck hat^ so besteht derselbe
darin, dass wegen dieses Unterschiedes die mittlere relative Ge-
schwindigkeit des betrachteten Molecüls zu den anderen Mole-
cülen an den verschiedenen Stellen des von dem Molecül durch-
laufenen Raumes verschieden ist, und dass somit r^ als eine
Function der Zeit zu behandeln ist. 'Wir haben also zur Dar-
stellung der Anzahl von Molecülen, welche bis zur 1/^- Ebene
gelangen, folgenden Ausdruck zu bilden :
u
i\ri:^ r \ 7 j sind-dd-dcp ~-i^'"'
MF (u) du dx e ^
^ 4:71
üeber die innere Reibung der Gase. 93
Wollte man das hier im Exponenten vorkommende Integral
für jeden einzelnen Werth der Grösse m, d- und q) mathematisch
genau bestimmen, so würde das grosse Weitläufigkeiten machen;
indessen kann man durch eine einfache geometrische Betrachtung
zu einem Ergebnisse gelangen, welches zu einer grossen Verein-
fachung führt. Da nämlich die Massenbewegung die Richtung
der y-kxe hat, so hängt der Einfluss, welchen der Unterschied
der Massenbewegung auf die Grösse >•„ und damit auf den ganzen
in Betracht kommenden Ausdruck hat, von dem Winkel (p ab.
Für zwei Werthe von ^, deren Cosinuse entgegengesetzte Vor-
zeichen und gleiche absolute Werthe haben, findet auch jener
Einfluss im Allgemeinen in entgegengesetztem Sinne statt, und
ist, absolut genommen, so nahe gleich, dass die etwa vorhandene
Abweichung nur eine Grösse von höherer als erster Ordnung in
Bezug auf den wirksamen Unterschied der Massenbewegung ist.
Daraus folgt weiter, dass, wenn man den vorstehenden Aus-
druck nach (p von 0 bis 2 :;r integrirt, in diesem Integral die in
entgegengesetztem Sinne wirkenden Einflüsse des Unterschiedes
der Massenbewegung sich soweit aufheben, dass die Gesammt-
wirkung dieser Einflüsse ebenfalls eine Grösse von höherer als
erster Ordnung in Bezug auf den Unterschied der Massenbewegung
und daher auch in Bezug auf die mittlere Weglänge ist.
Da wir nun festgesetzt haben, dass Grössen von solcher
Kleinheit in unseren Rechnungen vernachlässigt werden sollen,
so können wir bei der Integration nach g? der Grösse r,, den-
jenigen Constanten Werth beilegen, welcher gelten würde, wenn
die Massenbewegung in allen Theilen des Gases gleich wäre.
Dann erhalten wir durch diese Integration folgenden Ausdruck:
-^ MF {u)dudx sin & cid- e-^K
§. 5. Positive Bewegungsgrösse der Massenbewegung,
welche durch die </^-Ebene geht.
Bei der weiteren Behandlung des Gegenstandes wollen wir
den Gang der Betrachtung etwas ändern.
Zunächst möge statt der Zeit ^^ die Grösse x eingeführt wer-
den. Unter ti wird diejenige Zeit verstanden, welche ein Mole-
cül', dessen Molecularbewegung die Geschwindigkeit u und eine
94 Abschnitt III.
Richtung hat, die mit der negativen a:;- Richtung den Winkel Q-
bildet, gebraucht, um von seiner Ausgangsschicht bis zur i/^-Ebene
zu gelangen. Zur Bestimmung dieser Zeit müssen wir die in die
negative rr- Richtung fallende Componente der Geschwindigkeit
des Molecüls kennen. Auf diese Componente hat, wie schon oben
gesagt, die Massenbewegung, welche nach der ^/-I^ichtung geht,
keinen Einfluss, sondern sie bestimmt sich einfach aus der Mole-
cularbewegung und wird durch das Product ucosd' dargestellt.
Da nun die unendlich dünne Schicht, von welcher das Molecül
ausgeht, um die Strecke x von der ^5^ -Ebene entfernt ist, so er-
halten wir für die Zeit t^ die Gleichung:
(2) ^1= ""
U.COSd'
Demnach können wir die Anzahl der den Differentialen dx,
du unA dd- entsprechenden Molecüle, welche, ohne von anderen
Molecülen aufgefangen zu werden, bis zur ^^ -Ebene gelangen
und dieselbe durchschreiten, durch folgenden Ausdruck darstellen:
-^ MF(u) dudx sin & dd- e « '°'^^.
Wir haben aber im Folgenden nicht nur die Anzahl dieser
Molecüle zu betrachten, sondern die positive Bewegungsgrösse
ihrer Massenbewegung. Die Geschwindigkeit der Massenbewegung
ist in der Schicht, von welcher die Molecüle ausgehen, um -r- x
dx
grösser als in der ^^- Ebene, und demgemäss führt jedes dieser
Molecüle beim Durchgange durch die i/^- Ebene einen üeber-
schuss von positiver Bewegungsgrösse mit sich, welcher, wenn m
die Masse des Molecüls bedeutet, durch das Product
dv
m -rj— X
dx
dargestellt wird, und überträgt dieselbe von der an der positiven
Seite der Ebene befindlichen Gasmasse zu der an der negativen
Seite befindlichen. Der ganze der vorstehenden Molecülzahl ent-
sprechende positive Bewegungsüberschuss, welcher von der posi-
tiven zur negativen Seite übertragen wird, ist daher
-17 Px
— Mtn -j— F(u) dudx sin %• d^ x.e~^' ""' ^ .
2 dx ^ -^
lieber die innere Reibung der Gase. 95
Um diesen Ausdruck dahin zu erweitern, dass er sich nicht
mehr auf die Differentiale dx^ du und dO'^ sondern auf sämmt-
liche vorkommende Werthe von x, u und d- bezieht, müssen wir
ihn nach x von 0 bis co, nach u ebenfalls von 0 bis c», und nach
■9" von 0 bis — integriren.
Durch die Integration nach x geht der Ausdruck über in :
— Bim -r— F (u) d u sin ^ dO- — ^r. — ,
Z dx i:^
und sodann durch die Integration nach -9' in:
1 __ dv u^ F(u) du
— Mm -j ^
6 dx P^
Die Integration nach u wollen wir vorläufig nur andeuten, indem
wir setzen:
00
1 Ti^ ä'V r u'^F(ii)du
-TT Mm ' ^
dv^ r
dx J
6 dx J F^
0
§. 6. Ausdruck des Reibungscoefficienten.
Einen ganz entsprechenden Ausdruck, wie den am Schluss
des vorigen Paragraphen stehenden, erhält man auch für die
Molecüle, welche von der negativen zur positiven Seite durch die
2/^- Ebene gehen. Man sieht nämlich leicht, dass man alle vor-
stehenden Betrachtungen auch auf diesen Fall anwenden kann,
wenn man die a?- Richtung nach der entgegengesetzten Seite als
positiv annimmt, wodurch sich nur das Vorzeichen von -j— ändert.
dx
Man erhält also für diese Molecüle den Ausdruck:
1 TiT- dv r i^'^F{:u)du
0
Zieht man den letzten Ausdruck von dem vorhergehenden
ab , so erhält man für die Differenz , welche wir mit H bezeich-
nen wollen, folgenden Werth:
96 Abschnitt 111.
Diese Grösse stellt den während der Zeiteinheit durch eine
Flächeneinheit der y^ -Ebene stattfindenden Austausch von ße-
wegungsgrösse nach der 2/ -Richtung dar, indem sie angiebt, um
wie viel die an der positiven Seite liegende Gasmasse mehr Be-
wegungsgrösse nach der anderen Seite hin abgiebt, als sie von
dort zurück empfängt.
Diese Bewegungsgrösse ist zugleich das Maass der Kraft,
welche die an der einen Seite der ys -Ebene liegende Gasmasse
auf die an der anderen Seite liegende nach der ^-Richtung ausübt,
und welche als innere Reibung bezeichnet wird. Da diese Reibung
cl V
dem Difierentialcoefficienten der Geschwindigkeit -^ proportional
ist, so können wir die Gleichung
rÄ\ TT ^^
bilden, worin iq die Grösse ist, welche man den Reibung scoeffi-
cienten nennt. Setzen wir den so gegebenen Werth von H in
die vorige Gleichung ein, so erhalten wir zur Bestimmung von rj
die Gleichung:
/Kx 1 71^ ru^F{%i)du
(5) ri=-Mm J p/ •
0
Diesem Ausdruck von iq können wir noch eine andere Form
geben. Zwischen den Functionen F{u) und /(m)i welche die Ge-
schwindigkeitsgesetze für die ausgesandten Molecüle und die
gleichzeitig bestehenden Bewegungen darstellen, gilt folgende
(S. 86 und 87, Anm. d. H., abgeleitete) Gleichung:
M F (w) du = NPf (u) d u.
Hierdurch lässt sich die vorige Gleichung umformen in:
CO
1 r u^
(6) ^ ^ J -^"^ J 77/(«)^^w-
0
Hierin wollen wir noch für P seinen in (1) gegebenen Werth
Njt 62 r^ setzen, wodurch die Gleichung übergeht in :
Ueber die innere Beibunff der Gase. 97
§. 7. Verhalten des vorstehenden Ausdrucks.
Aus dem Umstände, dass in diesem Ausdrucke die Grösse N
nicht vorkommt, ergiebt sich ein merkwürdiges Resultat, welches
schon Maxwell bei seinen ersten theoretischen Betrachtungen
der inneren Reibung gefunden hat, dass nämlich die Grösse des
Reibungscoefficienten von der Dichtigkeit des Gases unabhängig
ist. Man kann dieses daraus erklären, dass bei verdünnten Gasen
die mittlere Weglänge der Molecüle grösser ist, wodurch die
gegenseitige Einwirkung der zu beiden Seiten einer gedachten
Ebene liegenden Gasmassen vermehrt wird, und dass diese Ver-
mehrung die durch die geringere Anzahl der vorhandenen Mole-
cüle veranlasste Verminderung der Einwirkung aufhebt. Dabei
ist aber zu bemerken, dass dieser Satz nicht bis zu jeder beliebi-
gen Verdünnung des Gases angewandt werden darf, wodurch
man zu dem widersinnigen Resultate kommen würde, dass auch
im leeren Räume eine ebenso grosse Reibung stattfinde, als in
einem mit Gas gefüllten Räume. Dass eine so weitgehende An-
wendung des Satzes unzulässig ist, ergiebt sich daraus, dass bei
den obigen Entwickelungen, aus denen der Satz hervorgegangen
ist, vorausgesetzt wurde, dass die mittlere Weglänge der Molecüle
so klein sei, dass man höhere Potenzen derselben gegen die erste
Potenz vernachlässigen könne. Wenn nun bei der Verdünnung
des Gases die mittlere Weglänge grösser wird, so gelangt man
schliesslich zu solchen Werthen derselben, bei denen die Ver-
nachlässigung der höheren Potenzen nicht mehr zulässig ist, und
für einen solchen Grad der Verdünnung dürfen auch die ent-
wickelten Formeln nicht mehr angewandt werden.
Man kann dem Ausdrucke von rj noch eine andere Form
geben, in welcher statt der durch die Beschaffenheit der Molecüle
bestimmten Grösse — - eine andere von der Natur des Gases
71 6'
abhängige Grösse vorkommt, nämlich die im vorigen Abschnitte
behandelte mittlere Weglänge der Molecüle. Dazu multipliciren
und dividiren wir den vorstehenden Ausdruck durch N — i), so
u
dass wir erhalten :
1) Vergl. Gleichung (26) des zweiten Abschnittes.
Clausius, mecban. Wärmetheorie. III.
98 Absclmitt III.
1 Nm r / w2 , ,
(8) n = -ö -^--^ / ;^/0'')^^'-
u 0
Nun bedeutet 2Vw die in der Raumeinheit des Gases enthaltene
Masse, also die Dichte des Gases, welche mit d' bezeichnet wer-
den möge, und Nnö^ — ist der reciproke Werth der mittleren
u
Weglänge, welchen wir mit l bezeichnet haben, und es kommt
also:
00
1 T f* U^
(9) 71 = -81-^ —f(u)du.
0
Dieser Ausdruck erinnert an den von Maxwell für r/ auf-
gestellten Ausdruck. Die Max well' sehe Gleichung lautet näm-
lich (PhiL Mag. [4] 19, p. 31, 1860):
rj = — diu..
Die Abweichung dieser Gleichung von der vorstehenden erklärt
sich auf folgende Weise. Das Integral
/
1 1J
0
. ■ - it^
bedeutet den Mittelwerth des Bruches — , also die Grösse, welche
r„.
nach unserer Bezeichnungsweise so zu schreiben ist: ( — ]. Max-
\ru)
well aber hat das Versehen gemacht, dass er diesen Bruch über-
haupt nicht in solcher Weise bildet, dass darin u und r^ als ver-
änderliche Grössen angesehen werden, so dass von dem Bruche
nachträglich erst der Mittelwerth genommen werden muss , son-
dern er hat von vornherein nur mit dem Mittelwerth der Grössen
u und Tu operirt und aus diesen hat er den Bruch
r
gebildet. Setzen wir diesen Bruch in die Gleichung (9) an die
Stelle des Integrals ein, so erhalten wir:
Ueber die innere Reihung der Gase. 99
1 , r {uY 1 ,-
o u r ^
welches die MaxwelTsclie Gleichung ist.
§. 8. Bestimmung des in dem Ausdruck von rj vorkom-
menden Integrals unter Anwendung des Maxwell'schen
Geschwindigkeitsgesetzes.
Was nun den richtigen Werth jenes Integrals anbetrifft, so
kann derselbe natürlich nur dann bestimmt werden, wenn die
Function /(w), welche das Geschwindigkeitsgesetz der Molecular-
bewegungen darstellt, bekannt ist.
Um eine Vorstellung von den aus solchen Rechnungen her-
vorgehenden Resultaten zu erhalten, wollen wir das von Max-
well aufgestellte Geschwindigkeitsgesetz in Anwendung bringen,
nach welchem, wie in Gleichung (10) des ersten Abschnittes, zu
setzen ist:
1 «2
(10) f(u) = —-=u^^e-ü^
Der diesem Gesetze entsprechende Werth von Tu lässt sich aus
einer von Maxwell schon entwickelten Formel ableiten, die wir
im ersten Abschnitt besprochen haben. Dort erhielten wir als
Gleichung (17):
u
a
(11) ^«=i7=^ H — d=— / '~' '^''
0
Setzen wir nun in das in Rede stehende, in dem Ausdrucke von
y] vorkommende Integral für f{u) und r„ die unter (10) und (11)
gegebenen Ausdrücke ein, so kommt:
(12)/|^/(w)rZ
M-^ e "'^ d u
aue "'' -j- (2 «2 _|_ c^sj / Q-z^ d ^
0
Führt man hierin noch das Zeichen co ein mit der Bedeutung
u
ö = — ,
100 Abschnitt III.
SO geht die Gleichung über in:
(13) f ^f{u)du = 4.a
0
Gj e~
+ (2cö2+ 1) r e"'" dz
0 ö
Zur Berechnung des in diesem Ausdrucke vorkommenden
Integrals und anderer damit verwandter Integrale hat Tait^)
seine oben citirte Abhandlung mit. sehr werthvollen numerischen
Tabellen versehen, aus welchen sich ergiebt, dass das vorstehende
Integral den Zahlenwerth 0,2095 hat, woraus sich ergiebt:
00
(14) f —f{u)du = 0,S3Sa:
0
Die hierin vorkommende Grösse a bestimmt die Lebhaftig-
keit der Molecularbewegungen und kann durch verschiedene von
den Geschwindigkeiten u abhängige Mittelwerthe ersetzt werden.
Wir wollen dazu zunächst das arithmetische Mittel aller
gleichzeitig vorhandenen Werthe von m, also die von uns durch m
bezeichnete Grösse wählen. Nach Maxwell ist, wie in Glei-
chung (12) des ersten Abschnittes:
2w
u = -=,
V7C
und somit: _
a = y^ü = 0,8862 ü.
Dieses in die obige Gleichung eingesetzt, giebt:
u^ —
— f{u)du =--■ 0,7427 m.
f
r,.
T
Was ferner den in Gleichung (8) vorkommenden Bruch -^ an-
u
betrifft, so giebt das Maxwell'sche Geschwindigkeitsgesetz für
diesen den Werth V22), woraus sich ergiebt:
/* «2 _
— f(u)du = 1,0504 w.
1) Tait, 1. c, p. 95.
2) Vergl. S. 65. I). H.
Ueber die iunere ReiVjung der Gase. 101
Durch Einsetzung dieser beiden Werthe in die Gleichung (8)
und (9) erhält man:
(15) ri = 0,2476 ^ ü
(16) 7} -= 0,3601 diu.
Man kann aber statt des arithmetischen Mittels aller gleich-
zeitig stattfindenden Werthe von u auch einen anderen Werth
wählen, welcher, wenn er an die Stelle der verschiedenen Werthe
von u gesetzt wird, irgend eine besonders wichtige Wirkung des
Gases richtig darstellt. Eine solche Wirkung ist die von dem
Gase ausgeübte Expansivkraft, und diese wird nicht durch das
arithmetische Mittel aus den Geschwindigkeiten, sondern durch
das arithmetische Mittel aus den Quadraten der Geschwindig-
keiten dargestellt. Man muss also, wenn man die verschiedenen
Geschwindigkeiten durch eine einzelne Grösse ersetzen will,
welche dieselbe Expansivkraft giebt, dazu die Grösse Vu'^ wählen.
Nun ist nach Maxwell, gemäss der Gleichung (12) des
ersten Abschnittes:
3
und somit:
V^
3
Mit Hülfe dieses Werthes erhält man aus (14):
00
r —/(w)c?M = 0,6842 V^,
0
00
^ f ~f (w) d u = 0,9676 Vü^.
Durch Einsetzen dieser Werthe gehen die obigen zur Be-
stimmung von 7} dienenden Gleichungen (8) und (9) über in:
(17) « = 0,2281 -^ V^
(18) rj = 0,3225 d? V^.
102 Abschnitt III.
§.9. Weitere Umformungen des gewonnenen Ausdruckes.
In Abschnitt I. ist folgende unter (3), S. 33 gegebene Glei-
chung abgeleitet:
n m u'^
worin v das von einer beliebigen Menge des Gases eingenommene
Volumen und n die Anzahl der Molecüle derselben bedeutet;
hieraus ergiebt sich, wenn iV, wie früher, die Anzahl der Mole-
cüle in der Volumeneinheit darstellt:
Nm u'^
und somit:
w2 = 3 -J^ = 3 I-.
Nm d
Durch Anwendung dieser Ausdrücke gehen die Gleichungen (17)
und (18) über in:
VT ~
(19) , ^ 0,395 ^1/A ,
(20) . ri = 0,559 l VJö.
Für den Fall, dass das betreffende Gas dem vollkommenen
Gaszustande hinlänglich nahe ist, um das Mariott e 'sehe und
Gay-Lussac'sche Gesetz anwenden zu können, kann man setzen:
fO-l\ J^ Po_ jI_
^ ^ N-- N, To '
worin jJq und Tq einen willkürlich gewählten Druck und eine
willkürlich gewählte Temperatur, und iVg die Anzahl der unter
diesem Drucke und bei dieser Temperatur in der Volumeneinheit
enthaltenen Molecüle bedeuten. Wenn das betreffende Gas bei
der Temperatur des Gefrierpunctes unter dem Drucke einer Atmo-
sphäre bestehen kann, so kann man diesen Druck und diese
Temperatur unter p^ und To verstehen. Durch Anwendung der
Gleichung (21) geht (19) über in:
(22) ^=^0,395 )/^^ 1/ IT
Diese Gleichung kann man auch so schreiben:
Ueber die innere Reibung der Gase.
103
,- 0,395 V2l^ ^^'^W/l.
-XT . ' (^
]S\ TT Ö-' —
hierin iS^,, m durch ö„, iV;, jr 02 1/2 durch — .
, wo-
bei Öq die Dichtiglceit des Gases, £ die mittlere Weglänge der
Gasmolecüle unter dem Drucke p<^ und bei der Temperatur 1\
bedeutet, so kommt:
(23) n = 0,5588 £ V|a7 Vl^-
Hierin möge noch für die Dichtigkeit Öq das Product dö q
eingeführt werden, worin Öq die Dichtigkeit der atmosphärischen
Luft unter dem Drucke ^0 und bei der Temperatur To darstellen,
und Q das specifische Gewicht des Gases im Vergleich zur atmo-
sphärischen Luft bedeuten soll. Dadurch erhalten wir:
(24) n = 0,5588 £ Vi^ Vq V^-
Die hierin vorkommende Wurzel Vjjq ^'0 lässt sich leicht nume-
risch berechnen. ^0 ist der Druck einer Atmosphäre, und da
dieser dem Gewichte von 1033,3 g auf ein Quadratcentimeter gleich
ist, so erhalten wir 1) :
jj^ = 1033,3 . g = 1033,3 . 980,9.
Ferner ist nach Regnault:
Ö'o = 0,0012932,
woraus sich era;iebt:
1) Der Verf. bedient sich hier des absoluten C. G. S.- Systems, während
er in den Rechnungen S. 34 als Längeneinheit das Meter, als Krafteinheit
das Kilogramm benutzte. Die dortigen Gleichungen lauten, auf das hiesige
absolute Maass übertraoen:
( 111
—
?,
i'o
=
773,3
'^'
Po
=
1033,3
. 980,896
« = 48 500 1 '' —
1 27
»2
=
■T
»2
=
'^'^ 77
^0?
3,3 T
T
273 Q
er See
nn(
235130,
ie.
.10*-
T
273
D.
H.
OQ
104 Abschnitt III.
Vpo ^0 = 1/1033,3.980,9.0,0012932
= 36,204
Durch Einsetzung dieses Werthes erhält man i) :
(25) t? = 20,23 eV^y^-
1) Mit dieser fundamentalen Gleichung schliesst der Entwurf des Ab-
schnittes über die Keibung der Gase. Ohne Zweifel hätte der Verfasser,
wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, diese Gleichung in ähnlicher Weise
nach verschiedenen Richtungen hin' besprochen, wie im nächsten Abschnitt
die Formel für die Wärmeleitung. Vor Allem würde hierher gehören die
Abhängigkeit der Reibung von der Temperatur und dem specifischen Ge-
wicht des Gases , ferner die Bemerkung , dass man in dieser Gleichung ein
erstes Mittel besitzt, um die Grösse der Weglänge e zu finden. Da hier-
nach e noch beträchtlich kleiner ist, als der Reibungscoefficient >] bei mitt-
leren Temperaturen , so folgt , dass £ , in Centimetern ausgedrückt , sehr
klein ist, — ein Ergebniss, von dem der Verfasser im Vorhergehenden, wie
auch im Folgenden wiederholt Gebrauch macht, unter Hinweis auf diese
von ihm noch durchzuarbeitende Stelle. D. H.
ABSCHNITT IV.
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper.
§. 1. Veranlassung der Untersuchung.
Nachdem ich in einer meiner Abhandlungen zu dem im
vorigen Abschnitt näher besprochenen Schluss i) gelangt war, dass
die einzelnen geradlinig zurückgelegten Wege, der Gasmoleeüle
nur als sehr klein anzusehen sind, waren damit diejenigen
gegen die kinetische Gastheorie erhobenen Einwände, welche sich
auf die thatsächlich feststehende langsame Diffusion der Gase
stützten, widerlegt; dagegen wurde bald ein anderer Einwand
erhoben, der das geringe Wärmeleitungsvermögen der Gase zum
Ausgangspuncte hatte.
Man sagte: wenn auch die Molecüle selbst sich nur kurze
Strecken bewegten, so müsste doch eine irgendwo im Gase statt-
findende grössere Bewegungsgeschwindigkeit dadurch, dass sie bei
jedem Zusammenstoss von einem Molecüle auf das andere über-
gehe, sich so schnell ausbreiten, dass locale Temperaturverschie-
denheiten in einer Gasmasse nicht möglich wären. Man führte
als Analogen die bekannte Erscheinung an, dass in einer Reihe
gleicher elastischer Kugeln eine Bewegung, welche man der
ersten mittheilt, sich durch Uebertragung von Kugel zu Kugel
schnell weithin fortpflanzen kann, während doch jede Kugel da-
bei nur einen sehr kleinen Weg durchläuft.
Diesen Vergleich und den darauf gestützten Schluss über die
schnelle Ausbreitung der Wärme in gasförmigen Körpern konnte
1) Vergl. die Anm. cl. H. am Sclihisse des di'itten Abschnittes.
106 Abschuitt IV.
ich nicht als richtig zugeben, weil bei der Unregelmässigkeit der
Bewegungen der Gasmolecüle ganz andere Erscheinungen ein-
treten müssen, als bei einer Reihe von Kugeln, welche in gerader
Linie geordnet sind, und sich Bewegungen mittheilen, die nur in
dieser geraden Linie stattfinden.
In anderer Weise war die Wärmeleitung von Maxwell in
der schon oben S. 37 citirten Abhandlung, in welcher er das
Gesetz der Moleculargeschwindigkeiten aufgestellt hat, betrachtet;
indessen war sie hier neben anderen auf die dynamische Theorie
der Gase bezüglichen Gegenständen nur kurz behandelt, und
gegen die Art der Behandlung glaubte ich bedeutende Einwen-
dungen erheben zu müssen i).
Unter diesen Umständen schien es mir zweckmässig, die
Wärmeleitung der Gase unter Zugrundelegung der in meinen
voraufgegangenen Abhandlungen verfochtenen Hypothese über die
Molecularbewegungen in gasförmigen Körpern einer näheren
mathematischen Betrachtung zu unterwerfen, und der wesent-
liche Inhalt der so entstandenen Abhandlung möge im Folgen-
den in etwas vereinfachter, und wie ich glaube, verbesserter
Form wiedergegeben werden. Dabei glaube ich darauf aufmerk-
sam machen zu dürfen, dass dieselben Principien, welche bei
dieser Untersuchung zur Sprache kommen werden, mit gewissen
Modificationen auch in vielen anderen Fällen Anwendung finden
können, wo es sich darum handelt, die inneren Vorgänge in einer
Gasmasse zu bestimmen, und dass insofern die nachfolgende Aus-
einandersetzung eine über die zunächst gestellte Aufgabe hin-
ausgehende allgemeinere Bedeutung beanspruchen darf.
1) Maxwell hat in einer späteren Abhandlung (Phil. Trans, for 1867,
Part. I, und Phil. Mag. Ser. 4, Vol. 35, p. 132, 1868) meine Einwendungen
gegen seine Entwickelung ausdrücklich als richtig anerkannt, wobei er zu-
gleich seine auf die Diffusion der Gase bezügliche Entwickelung zurück-
nimmt. Er sagt nämlich wörtlich : „I also gave a theory of diffusion of
gases, which I now know to be erroneous and there were several errors in
my theory of the conduction of heat in gases which M. Clausius has
pointet out in an elaborate memoir on that subject."
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. Iü7
I. Verhalten der in dem betrachteten Falle von einer
unendlich dünnen Schicht ausgesandten Molecüle.
§. 2. Feststellung des zu betrachtenden Falles.
Wir denken uns eine Gasmenge zwischen zwei unendlich
grossen einander parallelen ebenen Wänden, von denen jede
auf einer constanten Temperatur erhalten wird. Wenn die Tem-
peratur der einen Wand höher ist, als die der anderen, so wird
vermittelst des Gases eine Wärmeleitung von der einen Wand
zur anderen stattfinden, indem fortwährend Wärme von der wär-
meren Wand in das Gas übergeht, dann innerhalb desselben von
Schicht zu Schicht fortgepflanzt und endlich vom Gase wieder an
die kältere Wand abgegeben wird. Da wir hier nur diejenige
Wärmebewegung betrachten wollen, welche durch Leitung statt-
findet, und nicht die, welche durch Strömungen veranlasst werden
kann, die im Gase dadurch entstehen, dass die wärmeren Theile
des Gases specifisch leichter sind, als die kälteren, und daher
jene nach oben und diese nach unten zu strömen suchen, so wol-
len wir von der Wirkung der Schwere ganz absehen, was ange-
nähert dem Falle entspricht, wo die beiden begrenzenden Wände
horizontal sind, und die wärmere oben ist, weil in diesem Falle
ebenfalls keine Strömungen entstehen.
Wenn die beiden Wände längere Zeit auf constanter Tempe-
ratur erhalten werden, so tritt zuletzt in dem Gase ein stationärer
Zustand ein, bei dem die Temperatur an jeder Stelle unveränder-
lich, aber an verschiedenen Stellen verschieden ist, und zwar
in der Weise, dass in jeder den begrenzenden Wänden parallelen
Ebene die Temperatur überall gleich ist, dagegen in der Kichtung
von der wärmeren Wand zur kälteren die Temperatur nach einem
bestimmten Gesetze stetig abnimmt. Zugleich findet dann durch
das Gas hindurch ein Wärmestrom von bestimmter unveränder-
licher Stärke statt.
Diesen stationären Zustand des Gases wollen wir nun betrach-
ten und den dabei stattfindenden Wärmestrom, welcher durch die
Wärmeleitung des Gases verursacht wird, zu bestimmen suchen.
108 Abschnitt IV.
§.3. Definition des durch Leitung entstehenden Wärme-
stromes.
Es möge zwischen den beiden Wänden eine auf ihnen senk-
recht stehende Gerade gezogen und diese als Abscissenaxe ge-
nommen werden, dann ist die Temperatur innerhalb des Gases
eine Function der Abscisse x^ und wenn wir, um gleich eine be-
stimmte Anschauung zu gewinnen, voraussetzen, dass die erste
Wand, wo die Abscisse ihren kleinsten Werth hat, die wärmere
sei, so nimmt die Temperatur innerhalb des Gases mit wachsen-
dem X ab. Die Dichtigkeit des Gases verhält sich umgekehrt,
indem für den Gleichgewichtszustand die Dichtigkeit um so grösser
sein muss, je niedriger die Temperatur ist; sie ist also eine
Function von x^ welche mit wachsendem x zunimmt.
Wir setzen nun voraus, dass die Gasmolecüle nach allen
Richtungen unregelmässig durch einander fliegen, und dabei bald
hier bald dort zusammenstossen und von einander abprallen; und
dass ferner die Bewegungsgeschwindigkeit um so grösser ist, je
höher die Temperatur ist. Denken wir uns nun durch den mit
Gas gefüllten Raum eine den begrenzenden Wänden parallele
Ebene gelegt, so gehen durch diese während der Zeiteinheit eine
grosse Anzahl von Molecülen von der negativen zur positiven
Seite , und umgekehrt. Die Molecüle , welche von der negativen
zur positiven Seite gehen, haben im Allgemeinen eine grössere
Geschwindigkeit als die, welche von der positiven zur negativen
Seite gehen, weil an der negativen Seite der Ebene unserer An-
nahme nach die Temperatur höher und somit die Bewegungs-
geschwindigkeit der Molecüle grösser ist, als an der positiven.
Die gesammte lebendige Kraft, welche während der Zeiteinheit
im positiven Sinne durch die Ebene geht, ist demnach grösser
als die, welche im negativen Sinne hindurchgeht, und wir behal-
ten daher, wenn wir gleiche Mengen, welche im entgegengesetzten
Sinne hindurchgehen, sich gegenseitig aufheben lassen, noch einen
gewissen Ueberschuss an lebendiger Kraft, der im positiven Sinne
hindurchgeht. Diese durch die Ebene gehende lebendige Kraft
bildet, indem wir lebendige Kraft und Wärme als gleichbedeutend
ansehen, den im vorigen Paragraphen erwähnten Wärmestrom,
Ueber die Wärmeleitung gasfijrmiger Körper. 109
welchen wir Wärmeleitimg nennen und im Folgenden zu betrach-
ten haben i).
§. 4. Zwei Arten von Verschiedenheiten zwischen den
Bewegungen der Molecüle.
Wir wollen damit beginnen, die Art der Bewegungen der
einzelnen Molecüle etwas näher zu betrachten.
Wir denken uns zwei auf der Axe senkrechte, einander un-
endlich nahe Ebenen gelegt, welche eine unendlich dünne Schicht
einschliessen. In dieser Schicht wird es, wie in allen anderen
Theilen des von dem Gase erfüllten Raumes, häufig vorkommen,
dass zwei Molecüle zusammenstossen und dann wieder ausein-
anderprallen. Diese Molecüle, welche, nachdem sie durch die Zu-
sammenstösse ihre früheren Bewegungen verloren haben, mit ver-
änderten Bewegungen wieder aus der Schicht heraustreten, wollen
wir, entsprechend der im zweiten Abschnitte 2) eingeführten Be-
zeichnungsweise, kurz die von der Schicht ausgesandten Molecüle
nennen, und deren Bewegungen wollen wir jetzt ins Auge fassen.
Diese Bewegungen sind unter einander sehr verschieden, und
zwar müssen wir unter den vorkommenden Verschiedenheiten
zwei von einander unabhängige Arten unterscheiden, welche durch
zwei von einander unabhängige Ursachen veranlasst werden und
daher getrennt betrachtet werden können. Die eine Art besteht
aus jenen unregelmässigen Verschiedenheiten, welche bei den
Molecularbewegungen, die wir Wärme nennen, immer herrschen,
und daher auch dann stattfinden würden, wenn das Gas überall
^) Es wird dem Obigen nach bei der Leitung nur diejenige Wärme be-
tracbtet, welche den Molecülen selbst innewohnt, und von einem Molecüle
zum anderen nur durch Zusammenstoss übertragen wird. Ausserdem theilen
sich die Molecüle noch dadurch Wärme mit, dass jedes Molecül AYärme
ausstrahlt, welche sich durch den Aether fortpflanzt und auf ihrem Wege
von den anderen Molecülen nach und nach theilweise absorbirt wird. Diese
Mittheilung kann man aber bei Stoffen von so geringer Ausstrahlung und
Absorption, wie die Gase sind, wohl kaum mit zur Leitung rechnen, da sie
bei den langen Wegen, welche die Wärmestrahlen durchlaufen können, ohne
absorbirt zu werden, einen wesentlich anderen Charakter hat. . Jedenfalls
wird es erlaubt sein, die eine Art von Wärmebevvegung für sich allein zu
betrachten, und wir wollen daher im Folgenden das Wort Wärmeleitung
stets in diesem Sinne gebrauchen.
2) Vergl. S. 73 und S. 86.
110 Abschnitt IV.
gleiche Temperatur und Dichte hätte. Diese wollen wir die bia-
fäUigen Verschiedenheiten nennen. Die Verschiedenheiten der
anderen Art entstehen dadurch, dass die Temperatur und Dichte
des Grases nicht überall gleich ist, und sind somit von den für
den betrachteten Fall gestellten Bedingungen abhängig. "Wir
können sie daher als die durcli den speciellen Fall bedingten
Verschiedenheiten bezeichnen.
Die zufälligen Verschiedenheiten kommen bei der Erklärung
der Wärmeleitung und der Aufstellung der allgemeinen auf die
Wärmeleitung bezüglichen Gesetze nicht in Betracht, sondern
üben nur eine nebensächliche, vorzugsweise bei den numerischen
Rechnungen zu beachtende Wirkung aus.
Bei diesen Rechnungen ist es nämlich nöthig, von gewissen
in den Formeln vorkommenden Grössen die Mittelwerthe zu ken-
nen. Was z. B. die Geschwindigkeit der Molecüle anbetrifft, so
muss nicht nur der Mittelwertli der einfachen Geschwindigkeiten,
sondern auch der Mittelwerth der Quadrate und der Mittelwerth
der dritten Potenzen der Geschwindigkeiten bekannt sein. Dabei
ist zu beachten, dass der Mittelwerth der Quadrate nicht gleich
dem Quadrate des Mittelwerthes der einfachen Geschwindigkeiten,
und der Mittelwerth der dritten Potenzen nicht gleich der dritten
Potenz des Mittelwerthes der einfachen Geschwindigkeiten ist,
sondern dass zwischen diesen Grössen Unterschiede bestehen, die
sich nur bestimmen lassen, wenn die Art, in welcher die zufälligen
Geschwindigkeiten stattfinden, bekannt ist. Ebenso verhält es
sich mit den relativen Geschwindigkeiten, den mittleren Weg-
längen und anderen in den Formeln vorkommenden Grössen.
Da nun, wie in den vorigen Abschnitten erwähnt wurde, von
Maxwell ein Gesetz für die zufälligen Geschwindigkeiten auf-
gestellt ist, so fragt es sich, ob und in welcher Weise man dieses
Gesetz bei den Rechnungen zur Geltung bringen kann.
Das eigentlich strenge Verfahren würde darin bestehen müssen,
dass man von vornherein die zufälligen Verschiedenheiten nach
dem Maxwell'schen Gesetze in die Formeln einführte, und alle
weiteren mathematischen Entwickelungen mit den in dieser Weise
vervollständigten Formeln zur Ausführung brächte. Dadurch
würden aber nicht nur die mathematischen Entwickelungen viel
weitläufiger werden, sondern sie würden auch sehr an Ueber-
sichtlichkeit verlieren, indem die zufälligen Verschiedenheiten,
welche mit der Wärmeleitung in gar keinem ursächlichen Zu-
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 111
sammenhange stehen, bei den mathematischen Entwickelungen
wegen der grösseren Schwierigkeit ihrer Behandlung mehr in den
Vordergrund treten würden , als die durch den speciellen Fall
bedingten Verschiedenheiten, welche für den Vorgang von viel
wesentlicherer Bedeutung sind.
Ein anderes weniger strenges Verfahren kann darin bestehen,
dass man bei den ersten mathematischen Entwickelungen von den
zufälligen Verschiedenheiten ganz absieht, und allen Molecülen,
welche sich nach einer gegebenen Richtung bewegen, eine gemein-
same Geschwindigkeit zuschreibt, und dass man erst bei den
später vorzunehmenden numerischen Rechnungen die Mittelwerthe
der in den Formeln vorkommenden Grössen möglichst sachgemäss,
unter Berücksichtigung des Maxwell'schen Geschwindigkeits-
gesetzes bestimmt.
Dieses Verfahren wollen wir anwenden, und über die zu
wählenden Mittelwerthe zum Schlüsse einiges sagen.
W^as ferner die durch den speciellen Fall bedingten Verschie-
denheiten anbetrifft, so beruht ihre Entstehung im vorliegenden
Falle darauf, dass von zwei Molecülen, welche in der Schicht zu-
sammentreffen, wenn sie von verschiedenen Seiten in die Schicht
eingetreten sind, im Allgemeinen das von der wärmeren Seite
kommende Molecül eine grössere Geschwindigkeit hat, als das
von der kälteren Seite kommende. Die Grösse dieses Unter-
schiedes hängt davon ab, wie weit die Stellen, wo die betreffen-
den Molecüle ihre Bewegungen begonnen haben, von der betrach-
teten Schicht entfernt sind, und da die Wege, welche die Mole-
cüle zwischen je zwei Zusammenstössen zurücklegen, im Allge-
meinen nur sehr klein sind, so kann auch dieser Unterschied
nur klein sein, in der W^eise, dass wir den Mittelwerth dieses
Unterschiedes als eine Grösse von derselben Ordnung, wie die
mittlere Weglänge der Molecüle betrachten können. Wir müssen
nun festzustellen suchen, welchen Eintiuss dieser vor den Stössen
stattfindende Unterschied auf die Bewegungen nach den Stössen
ausübt.
§. 5. Allgemeiner Charakter der durch den speciellen
Fall bedingten Verschiedenheiten.
Das Verhalten zweier Molecüle beim Zusammenstosse ist
nicht in allen Beziehungen dasselbe, wie das zweier elastischer
112 Abschnitt IV.
Kugeln, indessen kann man doch in vielen Beziehungen einen
nützlichen Einblick in das Verhalten der Molecüle gewinnen,
wenn man von der Betrachtung des Zusammenstosses zweier
elastischer Kugeln ausgeht i). Für diesen Fall gilt folgender
Satz :
Nach dem Stosse besteht die JBetvegung jeder Kugel aus zivei
Componenten^ von denen die erste nach. Grösse und Richtung durch
die Bewegungen vor dem Stosse vollständig bestimmt ist, und die
zweite ebenfalls eine bestimmte Grösse hat, aber unendlich viele
verschiedene Richtungen haben hann, und sivar so, dass jede Rich-
tung im Räume gleich ivahrscheinlich ist ^).
1) Nun lässt der Verfasser im Entwurf genau dieselben Ueberlegungen
folgen, wie im vorigen Abschnitte S. 87 bei der Betrachtung der inneren
Reibung, weshalb wir uns hier darauf beschränken, das Resultat derselben
noch einmal wiederzugeben , und im Uebrigen auf die genannte Stelle ver-
weisen. - D. H.
2) Aus diesem Resultate sieht man recht deutlich, wie sehr man von
der , Wirklichkeit abweicht, wenn man, wie es Jochmann und Hoppe
gethan haben, bei einer angenäherten Betrachtung nur den centralen Stoss
berücksichtigt, indem man dadurch statt der unendlich vielen verschiede-
nen Richtungen, welche nach dem Stosse stattfinden können, nur eine be-
stimmte Richtung erhält, welche für die Fortpflanzung der lebendigen
Kraft gerade besonders günstig ist.
Ich habe hier und in der oben nur abgekürzt wiedergegebeuen Ein-
leitung zu dieser Abhandlung die Ansicht ausgesprochen , der Schluss von
Jochmann und Hoppe, dass nach der neuen Gastheorie die Wärme sich
in einem Gase so schnell ausbreiten müsste, dass locale Temperaturdiffe-
renzen in ihm nicht möglich wären , sei dadurch veranlasst, dass sie den
wirklich stattfindenden Fall, wo die Molecüle sich unregelmässig nach allen
Richtungen bewegen, und demnach auch in den verschiedensten Weisen
zusammenstossen , durch den einfachen Fall ersetzt haben, wo nur Bewe-
gung nach bestimmter Richtung und nur gerader und centraler Zusammen-
stoss vorkommt. In einem bald nach dem Erscheinen meiner Abhandlung
veröffentlichten Aufsatze von Stefan: „Bemerkungen zur Theorie der
Gase" (Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Januar 1863, und Zeitschrift
für Math, und Phys., Bd. VII, S. 355) äussert sich der Verfasser im Anfange
in der Weise, als wolle er jene Ansicht widerlegen und zeigen, dass man
auch bei der Vorstellung regulärer Bewegungen (nämlich wenn man nur
Molecüle betrachtet, welche sich in bestimmter Richtung vorwärts und
rückwärts bewegen und so zusammenstossen, dass immer wieder Bewegungen
in dieser Richtung entstehen) zu meinem Resultate des geringen Wärme-
leitungsvermögens der Gase gelangen könne. Der weitere Verlauf seines
Aufsatzes weicht aber von dieser Ankündigung bedeutend ab.
Nach einigen Auseinandersetzungen , welche ich hier übergehen kann,
weil sie durch seine eigenen gleich folgenden Aussprüche erledigt werden,
lieber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 113
Betrachten wir nun die ganze Menge der Molecüle, welche
während einer Zeiteinheit in der in §. 4 besprochenen unendlich
dünnen Schicht zusammenstossen , so ist von den Bewegungen,
welche dieselben vor den Stössen haben, schon in §. 4 die Rede
gewesen. Es sind nämlich unter diesen Bewegungen alle mög-
lichen Richtungen vertreten, aber die Molecüle, welche von der
wärmeren Seite herkommen, haben im Allgemeinen etwas grössere
Geschwindigkeiten, als die von der kälteren Seite kommenden.
Da nach unserer Annahme die Temperatur mit wachsendem x ab-
nimmt, so ist die wärmere Seite die negative, d. h. die, wo x
kleinere Werthe hat als in der Schicht, und es haben also die
Molecüle, welche von der negativen zur positiven Seite gehen, im
Allgemeinen grössere Geschwindigkeiten als die, welche von der
positiven zur negativen Seite gehen, so dass, wenn man die Be-
wegungen aller zusammenstossenden Molecüle zusammensetzen
würde, man eine gewisse kleine Bewegungsgrösse nach der posi-
tiven ic- Richtung erhalten würde.
Diese gemeinsame Bewegungsgrösse bleibt nun durch die
Stösse ungeändert. Im Uebrigen findet aber eine vollständige
Aenderung der Bewegungsrichtungen statt, in dem Sinne, dass die
geht er etwas näher darauf ein, zu betrachten, wie sich unter der Voraus-
setzung regulärer Bewegungen ein Ueberschuss von lebendiger Kraft, wel-
cher in einer Schicht einer Gasmasse vorhanden w^äre, von Schicht zu
Schicht mittheilen müsste (wobei er sich die Schichten horizontal denkt,
und die oberste als die wärmste annimmt). " Diese Betrachtung schliesst er
mit den Worten : „Unter dieser Voraussetzung ist daher auch die Bildung
eines beharrenden Wärmestromes auf die Art, wie wir sie aus der Erfah-
rung kennen, nämlich mit gleichmässig von oben nach unten abnehmenden
TemiDcraturen, unmöglich." Darauf fährt er fort: „Ganz anders gestaltet
sich jedoch die Sache, wenn die Bewegungen der Molecüle unregelmässig
geschehen, wenn alle möglichen Bew^eguugsrichtungen vorkommen und, was
wesentlich ist, wenn diese Unregelmässigkeit der Bew^egungen darin ihren
Grund hat, dass die Zusammenstösse der Molecüle keine geraden , cen-
tralen sind." Mit Hülfe dieser unregelmässigen Bewegungen findet er dann
eine bessere Uebereinstimmuug mit der Erfahrung.
Stefan gelangt also schliesslich zu derselben Ansicht, wie ich, und
ich kann daher in dem Ergebnisse seines Aufsatzes nur eine Bestätigung
meiner auf diesen Punct bezüglichen Aussprüche finden.
(Anmerkung der Herausgeber zu dieser Notiz:
Der Entwurf lässt es zweifelhaft, ob diese Anmerkung aus der ersten
Auflage hier aufzunehmen ist oder nicht. Vielleicht beabsichtigte der Ver-
fasser , alle derartigen Erörterungen an den Schluss des Werkes als Dis-
cufsion anzufügen.)
Clausiiis, mechan. Wiirmetheoiie. III. g
114 Abschnitt IV.
Molecüle ohne Unterschied nach allen Richtungen gesandt wer-
den. Wenn daher auch vor den StÖssen eine ungleiche Betheili-
gung der verschiedenen Richtungen an der Bewegung stattfand,
indem für gewisse Richtungen die Anzahl der dahin gehenden
Molecüle oder ihre Geschwindigkeiten andere waren, als für an-
dere Richtungen, so muss man annehmen, dass dieses durch die
Stösse soweit ausgeglichen wird, dass ausser der Gesammthewe-
gung nach der positiven ^-Richtung kein Unterschied der Rich-
tungen ührig bleibt, sondern alle Richtungen in gleicher Weise
unter den neuen Bewegungen vertreten sind.
Hiernach ist es leicht, die Bewegungsart der ausgesandten
Molecüle zu bestimmen. Dazu gehen wir aus von dem einfachen
Falle, wo nach allen Richtungen gleich viel Molecüle gesandt
werden und die Geschwindigkeiten derselben alle gleich sind, in-
dem sie alle den gemeinsamen Werth ii haben. Dann denken
wir uns, dass jedem dieser Molecüle noch eine kleine, für alle
Molecüle gleiche Geschwindigkeitscomponente nach der positiven
;3:^ - Richtung mitgetheilt werde. Dadurch werden die Richtungen
und Geschwindigkeiten der Bewegungen etwas geändert, und man
erhält ein neues Bewegungssystem, in welchem nach verschiede-
nen Richtungen verschieden viel Molecüle gehen, und die Mole-
cüle je nach den Richtungen etwas verschiedene Geschwindig-
keiten haben. Die Abweichungen dieses Bewegungssystems von
dem als Ausgangspunct genommenen einfachen Bewegungssystem
stellen die durch den speciellen Fall bedingten Verschieden-
heiten dar.
Um gleichzeitig auch die zufälligen Verschiedenheiten dar-
zustellen, braucht man nur das für diese geltende Geschwindig-
keitsgesetz in derselben Weise in Anwendung zu bringen, wie es
oben besprochen ist.
§. 6. Mathematische Formeln für die Bewegungen der
ausgesandten Molecüle.
Es mögen nun unter Anwendung des vorstehend angedeuteten
Verfahrens die mathematischen Formeln für das veränderte Be-
wegungssystem abgeleitet werden.
In dem einfachen Bewegungssystem, von dem wir ausgehen,
ist die gemeinsame Geschwindigkeit aller Molecüle w. Die hinzu-
Ueber die Wärmeleilung gasförmiger Körper. 115
zufügende Gescliwindigkeitscomponente nach der positiven a;- Rich-
tung kann nach dem oben Gesagten nur eine sehr kleine Grösse
sein, von der Ordnung der mittleren Weglänge der Molecüle. Da
diese letztere von der Dichtigkeit des Gases abhängt, so ist sie
nicht an allen Puncten der von uns betrachteten Gasmasse gleich
gross, und es ist daher für das Folgende zweckmässig, statt dieser
veränderlichen Grösse eine solche einzuführen, die für jedes Gas
einen bestimmten Werth hat. Dazu nehmen wir für jedes Gas
einen gewissen Zustand als Normalzustand an, z. B, den, wenn
das Gas unter dem Drucke von einer Atmosphäre steht und
durchweg die Temperatur des Gefrierpunctes hat. Die für diesen
Zustand geltende mittlere Weglänge wollen wir die normale mitt-
lere Weglänge nennen und mit e bezeichnen. Dann können wir
die vorher erwähnte Gescliwindigkeitscomponente als eine Grösse
von der Ordnung £ ansehen und wollen sie demgemäss mit p s
bezeichnen.
Wir betrachten nun irgend ein Molecül, dessen Bewegungs-
richtung mit der x-Axe den Winkel u bilde. Da von dem Win-
kel, welchen die Bewegungsrichtung eines Molecüls mit der a;-Axe
bildet, im Folgenden gewöhnlich nur der Cosinus vorkommt, so
wollen wir diesen der Kürze wegen einfach den Cosinus des
Molecüls nennen und durch einen einzelnen Buchstaben bezeich-
nen, welcher im vorliegenden Falle k sei. Wenn nun dem Mole-
cül noch die Geschwindigkeitscomponente p s nach der positiven
a?- Richtung mitgetheilt wird, so wird dadurch seine GescliAvin-
digkeit und sein Cosinus geändert, und wir wollen die veränder-
ten Werthe, welche an die Stellen von u und A treten, mit U
und ft bezeichnen. Dann haben wir zur Bestimmung dieser beiden
Grössen zunächst die Gleichung:
(1) U}i = it }. -j- p s.
Da ferner die in die y- und ^-Richtung fallenden Compo-
nenten der Geschwindigkeiten des Molecüls ungeändert bleiben,
so erhalten wir, wenn wir die Cosinusse mit diesen Richtungen
vor der Veränderung mit A^ und Aj und nach der Yeiänderung
mit ^i und fi^ bezeichnen:
U ^i = ul-i, und U112 = UL2.
Wenn wir diese beiden Gleichungen und die vorher gegebene
Gleichung quadriren und addiren, so erhalten wir als zweite zur
Bestimmung von U und ft dienende Gleichung die folgende:
8*
116 Absclinitt IV.
(2) f/2 = tt2 _^ 2 2 Wi) f -f xßs"^. '
Setzt man in der letzten Gleichung für X u den aus der
ersten Gleichung hervorgehenden Werth U(i — p £, so kommt:
Löst man diese Gleichung nach ü auf, so erhält man zwei
Werthe, einen positiven und einen negativen, von denen man
selbstverständlich den positiven wählen muss, welcher lautet:
(3) ü — i)ii£ -f Vm2 — if-{l — 11^) £^.
Unter dem hierin vorkommenden Wurzelzeichen befindet sich
neben u^ nur ein Glied, welches in Bezug auf s von zweiter
Ordnung ist. Da nun s eine sehr kleine Grösse ist, so können
wir dieses Glied unbedenklich vernachlässigen, wodurch die Wur-
zel den Werth ti annimmt, und wir erhalten somit zur Bestim-
mung von ü die Gleichung:
(I) ü = u -\- p ^ £.
Die hierin vorkommenden Grössen u und p können in verschie-
denen Schichten verschiedene Werthe haben, und sind somit als
Functionen von x. anzusehen.
Was nun die Vertheilung der Molecüle unter die verschiede-
nen Bewegungsrichtungen anbetrifft, so sieht man leicht, dass,
wenn das ursprüngliche Bewegungssystem i) der Art war, dass
nach allen Richtungen gleich viele Molecüle gingen, dieses in
dem veränderten Bewegungssysteme nicht mehr der Fall seih
kann, sondern dass nach den Pachtungen, für welche ^ positiv
ist, mehr Molecüle gehen müssen, als nach denjenigen, für welche
fi negativ ist.
Um diese Veränderung ausdrücken zu können, gehen wir von
der Betrachtung jenes ursprünglichen Bewegungssystemes aus,
und bestimmen die Anzahl der Molecüle, deren Bewegungsrich-
tungen mit der x-Axe Winkel bilden, die zwischen zwei unendlich
wenig verschiedenen Werthen a und a -\- da liegen. Dazu den-
ken wir uns eine Kugelfläche mit dem Piadius 1 beschrieben, neh-:
men den Punct, wo dieselbe von einer vom Mittelpuncte aus nach
der positiven a? -Richtung gezogenen Geraden geschnitten wird,-
als Pol, und schlagen um diesen auf der Kugelfläche mit den
Bogenradien a und a -\- da, zwei Kreise, welche eine unendlich
1) Nämlich das Bewegungssystem, zu welchem die kleine nach der
positiven x - Richtung gehende Componeute noch nicht hinzugefügt ist.
Ueber die Wärmeleitung gaKförmiger Körper. 117
schmale Zone zwischen sicli einschlicssen. Dann wird die Anzal)l
der Molecülc, deren Bewegungsrichtungen mit der x-Kxq Winkel
zwischen a und (x -{- da bilden, als Bruchtheil der ganzen An-
zahl, welche nach allen möglichen llichtungen gehen, durch die-
selbe Zahl dargestellt, welche den Flächeninhalt der eben be-
schriebenen Kugelzone als Bruchtheil der ganzen Kugelfläche
darstellt, also durch
2 7t sin a da ^ ^ . ,
i oder i sm a da.
4:71 '^
Da nun sin a da = — dcosa = — röA ist, so kann man auch
sagen: die Anzahl der Molecüle, deren Cosinus zwischen k und
k -\- d l liegen, wird als Bruchtheil der ganzen Anzahl durch
}dk
dargestellt.
Um in dem veränderten Bewegungssysteme in entsprechender
Weise die Anzahl der Molecüle auszudrücken, deren Cosinus
zwischen (i und ^ -\- d^ liegen, müssen wir den vorigen Ausdruck
durch Hinzufügung eines Factors modificiren, welcher von ^ ab-
hängig ist. Nennen wir diesen Factor H, so lautet der neue
Ausdruck:
IHdfi.
Die Bestimmung des Factors H kann auf folgende Weise
geschehen. Da der Cosinus l durch Hinzufügung der Geschwin-
digkeitscomponente j; £ in ft, und entsprechend der Cosinus l-\-dl
in ^ -\- du verändert wird, so gilt für die Molecüle, deren Cosi-
nus nach der Veränderung zwischen ^ und ^ -^ d ^ liegen, die-
selbe Zahl, wie für die, deren Cosinus vor der Veränderung
zwischen k und k -\- dk lagen, und wir können daher setzen:
^ Hdfi = \d k,
woraus folgt:
(4) H=^-
^ ' d[i
Nun ist nach Gleichung (1):
. Uji _ p_£
u u '
und wir erhalten also, da tt, p und e von ^ unabhängig sind:
^ ^ u d^
118 Abschnitt IV.
Setzen wir hierin für ü den unter (I) gegebenen Werth, so
kommt :
„ 1 cl(tt^ -\- p ^0,2 s)
11 = j
u a^
oder nach Ausführung der Differentiation:
(II) H=1^2^^e.
Durch die beiden Gleichungen (1) und (II) sind die durch
den speciellen Fall bedingten Verschiedenheiten ausgedrückt.
II. Bestimmung der durch eine Ebene gehenden Masse,
Bewegungsgrösse und lebendigen Kraft.
§. 7. Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein von einer un-
endlich dünnen Schicht in gegebener Richtung ausge-
sandtes Molecül eine gegebene, auf der :r-Axe senk-
rechte Ebene erreicht und durchdringt.
Nachdem wir das Verhalten der von einer unendlich dünnen
Schicht ausgesandten Molecüle soweit wie nöthig festgestellt
haben, wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf ihre nach der Aus-
sendung stattfindenden Bewegungen richten, um zu sehen, wie viele
von diesen Molecülen ungehindert, d. h. ohne vorher mit einem
anderen Molecül zusammenzustossen, eine in der Nähe der Schicht
gedachte ihr parallele Ebene erreichen und durch sie hindurch-
gehen.
Die Zusammenstösse mit anderen Molecülen treten bei ver-
schieden ausgesandten Molecülen verschieden früh ein, aber im.
Allgemeinen werden die Wege, welche die Molecüle bis zum Ein-
treten eines Zusammenstosses durchlaufen, nur sehr kurz sein,
und wir wollen daher auch den Abstand der Ebene von der
Schicht als entsprechend klein annehmen.
Zunächst beschränken wir uns darauf, diejenigen von der
Schicht ausgesandten Molecüle zu betrachten, bei denen der
Cosinus des Winkels, den die Bewegungsrichtung mit der a?-Axe
bildet, zwischen den Werthen ft und ^ -\- d^ liegt.
Die Abscisse der zur Betrachtung ausgewählten Ebene sei x.
Die Abscissen der ausserhalb der Ebene liegenden Puncte wollen
Ueber die Wärineleitung gasförmiger Körper.
119
wir an der positiven Seite mit ä; -[- I? und an der negativen
Seite mit x — | bezeichnen, worin | eine stets positive Grösse
Fig. 1.
darstellt. Die Lage der
Schicht, welche die Mole-
cüle aussendet, wollen wir
dadurch bestimmen , dass
wir die zu ihren Grenz-
ebenen gehörenden Werthe
von ^ mit |' und |' -|- d^
bezeichnen. Dabei muss
noch angegeben werden, ob
die Schicht von der betrachteten Ebene aus nach der positiven
oder negativen Seite liegt, und in dieser Beziehung wollen wir
zunächst annehmen, sie liege nach der negativen Seite.
Wenn von einer solchen Schicht ein Molecül ausgeht, dessen
Bewegungsrichtung mit der Abscissenaxe einen Winkel bildet,
der kleiner ist als 90", so dass der mit /u- bezeichnete Cosinus
einen positiven Werth hat, so kann es möglicherweise die be-
trachtete Ebene erreichen, und die Länge des Weges, welchen es
P
dazu zurückzulegen hat, wird durch den Bruch ^- dargestellt.
Die Wahrscheinlichkeit aber, dass das Molecül wirklich, ohne vor-
her ein anderes Molecül zu trefien, bis zu der Ebene gelangt,
a
ist um so geringer, je länger die Strecke — ist.
Wenn das Gas überall gleiche Dichtigkeit und Temperatur
hätte, so dass die mittlere Weglänge der Molecüle für alle Theile
des Gases und für alle Bewegungsrichtungen einen gemeinsamen
Werth l hätte, so würde die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das
a
Molecül die Strecke — ungehindert durchlaufe und somit die be-
trachtete Ebene erreichte, nach Gleichung (29) des zweiten Ab-
schnittes durch den Ausdruck:
dargestellt werden.
In unserem gegenwärtigen Falle aber dürfen wir die mitt-
lere Weglänge nicht als constant betrachten , sondern müssen
eine doppelte Abhängigkeit in Betracht ziehen. Erstens ist die
Bewegung der Gasmolecüle nicht nach allen Richtungen gleich,
120 Abschnitt IV.
sondern nach gewissen Riclitungen bewegen sicli die Molecüle
in grösserer Anzahl und mit grösserer Geschwindigkeit, als nach
anderen Richtungen. Demgemäss hängt auch die mittlere Weg-
länge von der Bewegungsrichtung ab, und zwar von dem Winkel,
den die Bewegungsrichtung mit der x-Axe bildet, dessen Cosinus
wir mit jx. bezeichnet haben. Zweitens hat das Gas in unserem Falle
an verschiedenen Stellen verschiedene Dichtigkeit, und zwar in der
Weise, dass die Dichtigkeit eine Function der Abscisse ist. Dem-
gemäss muss auch die mittlere Weglänge von der Abscisse abhängen.
Vorläufig, so lange wir die Bewegungsrichtung des betrach-
teten Molecüls als gegeben voraussetzen, haben wir es nur mit
der zuletzt erwähnten Abhängigkeit von der Abscisse zu thun.
Um diesen Unterschied äusserlich erkennbar zu machen, wollen
wir die mittlere Weglänge, welche der Abscisse x entspricht,
d. h. durch die bei der Abscisse x stattfindende Dichtigkeit be-
stimmt wird, einfach durch Z, und die mittlere Weglänge, welche
der Abscisse x' — | entspricht, durch l^ bezeichnen.
Betrachten wir nun ein von der unendlich dünnen Schicht
ausgesandtes Molecül, so müssen wir unsere Aufmerksamkeit zu-
nächst auf ein unendlich kleines Stück des von ihm zurück-
gelegten Weges richten. Wir nehmen an, dass das Molecül schon
eine gewisse Strecke s durchlaufen habe, wodurch es von der
Abscisse x — ^' zur Abscisse x — | gelangt sei, und stellen uns
die Frage, wie gross die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass es
auch das darauf folgende Wegelement ds durchlaufe, ohne von
einem anderen Molecül aufgefangen zu werden. Diese Wahr-
scheinlichkeit lässt sich aus den in §. 8 des zweiten Abschnittes
ds
auseinandergesetzten Gründen durch die Formel e ^i' darstellen.
Um aber von hier aus zu der erweiterten Formel zu gelangen,
welche die Wahrscheinlichkeit dafür darstellt, dass das Molecül
die ganze Strecke von der Schicht bis zu der betrachteten Ebene
ungehindert durchlaufe, dürfen wir nicht einfach das Wegelement
ds durch den ganzen W^eg, den das Molecül bis zur Ebene zu-
rückzulegen hat, und welcher gleich — ist, ersetzen, sondern
ds t' ■
müssen den Differentialausdruck -^— von s = 0 bis s = — inte-
k ^
griren. Für dieses Integral wollen wir ein einheitliches Zeichen
einsetzen, indem wir schreiben:
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 121
(6) L = f
11-
ds
0
und können dann die gesuchte Wahrscheinlichkeit durch die
Formel
darstellen.
Wenn wir in der Gleichung (6) für d s seinen Werth
setzen, so geht sie über in:
, / ^ k
wofür wir auch schreiben können:
0
Um die Integration ausführen zu können, wollen wir die Grösse
It, welche sich auf die Abscisse x — ^ bezieht, ausgehend von
dem der Abscisse x entsprechenden Werthe l, in eine Reihe ent-
wickeln, nämlich:
?, = z _ |! I _^ 1 4^;|2 _ etc.
dx ^ ^ 2 dx^
Was die Grösse | anbetrifft, so ist dieselbe zwar, an und für
sich betrachtet, nicht auf kleine Werthe beschränkt, aber in
unserer Rechnung, welche sich auf Entfernungen bezieht, von
welchen aus Molecüle zur Ebene gelangen können, handelt es
sich nur um kleine Werthe von |, welche mit der mittleren Weg-
länge l von gleicher Ordnung sind, indem das Vorkommen grösserer
Werthe eine verschwindend kleine Wahrscheinlichkeit hat. Wir
können uns daher entsprechend dem im Obigen angewandten
Grade von Genauigkeit damit begnügen, von der vorstehenden
Reihe zwei Glieder zu berücksichtigen, und schreiben:
dx^
Demgemäss können wir auch schreiben:
1 _ 1 l cid
h ~ l '^ p dx ^'
122 Abschaitt IV.
woraus weiter folgt:
dl
-=/KT + lf^)<^^'
0
und nach Ausführung der Integration:
(^^ ^ = ^ + 2]rp^^"-
Diesen Werth von L haben wir in die Wahrscheinlichkeits-
formel e~^ einzusetzen, und wir erhalten:
\fil ^ 2ul2 dx^ J
e ,
oder anders geschrieben:
__^ 1_ dl_ j,2
lü 2uV^ dx *
e ' -e '
Wenn wir hierin noch die den zweiten Factor bildende Potenz
von e in eine Reihe entwickeln, und von derselben wieder nur
zwei Glieder berücksichtigen, so erhalten wir schliesslich folgen-
des Resultat: Die Wahrscheinlichheit dafür, dass ein von der
unendlich dünnen Schicht unter einem Winkel, dessen Cosinus ft
ist, ausgesandtes Molecül die betrachtete Ebene erreiche, ohne ein
anderes Molecül mt treffen, ivird dargestellt durch den ÄusdrucJc:
1 L_ i!l fc'2\ „ ,«i
2^P dx ^
§. 8, Bestimmung der Masse, der positiven Bewegungs-
grösse und der lebendigen Kraft, welche durch die be-
treffende Ebene gehen.
Nachdem für ein einzelnes von der unendlich dünnen Schicht
in der fi- Richtung ausgesandtes Molecül die Wahrscheinlich-
keit dafür, dass es die betrachtete Ebene erreiche, bestimmt ist,
können wir sofort auch angeben, wie viele von den Molecülen,
welche die Schicht unter Winkeln, deren Cosinus zwischen fi und
^ -^ d^ liegen, aussendet, zu der Ebene gelangen.
Dazu müssen wir zunächst die Anzahl der Molecüle, welche
von einem der Flächeneinheit entsprechenden Theile der unend-
lich dünnen Schicht ausgesandt werden, bezeichnen. Das Volu-
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 123
men des der Flächeneinheit entsprechenden Theiles einer Schicht
von der Dicke cl^' wird durch d ^' dargestellt. Die von einem
solchen Volumen während der Zeiteinheit ausgesandte Anzahl
von Molecülen wollen wir für den Fall, dass das Volumen sich
an einer Stelle hefindet, deren Abscisse x ist, mit Md^' bezeich-
nen. Da aber das Volumen sich an einer Stelle befindet, deren
Abscisse x — ^' ist, müssen wir an die Stelle von M den ver-
änderten Werth M ^ — k' setzen , so dass der Ausdruck für
dx
die ausgesandte Anzahl von Molecülen lautet:
dM
{M-'^,)ä,
Von dieser Anzahl von Molecülen haben wir in unserer
Rechnung nur den Theil in Betracht zu ziehen, bei welchem der
Cosinus innerhalb des unendlich kleinen Intervalls von ^ bis
(i -{- d(i liegt. Dieser Theil wird als Bruchtheil der ganzen An-
zahl durch — Ud {i dargestellt, worin H die durch Gleichung (II)
bestimmte Grösse ist, nämlich:
' n
In diesem Ausdrucke ist der zum zweiten Gliede gehörige
n ,
Factor — als Function der Abscisse zu betrachten, und wir müssten
daher eigentlich auch bei ihm den Unterschied zwischen den
Abscissen x und x — ^' berücksichtigen. Da aber dieser Factor
mit der sehr kleinen Grösse s multiplicirt ist, so würde die wegen
des Unterschiedes der Abscissen einzuführende Aenderung eine
kleine Grösse von höherer Ordnung werden, welche vernach-
lässigt werden kann. Wir können somit die Grösse H unver-
ändert zur Anwendung bringen.
Hierdurch erhalten wir für die Anzahl derjenigen Molecüle,
welche ein der Flächeneinheit entsprechendes Stück der unend-
lich dünnen Schicht in der Weise aussendet, dass ihre Cosinusse
zwischen fi und ^ -\- d ^ liegen, den Ausdruck:
Um nun weiter zu bestimmen, wie viele von diesen Molecülen
bis zu der Ebene mit der Abscisse x gelangen, müssen wir diesen
124 Abschnitt IV.
Ausdruck noch mit dem am Schlüsse des vorigen Paragraphen
gegebenen Wahrscheinlichkeitsausdrucke multipliciren , und wir
erhalten :
oder nach Multiplication der Klammern:
Wenn wir diesen Ausdruck mit der Masse m eines Molecüls
multipliciren, so stellt er die während einer Zeiteinheit von der
betreffenden Schicht in den betreffenden Richtungen durch die
Ebene gesandte Masse dar. Wir wollen diejenige Masse, welche
im Ganzen während der Zeiteinheit von der negativen zur posi-
tiven Seite durch unsere Ebene geht, mit E bezeichnen, dann
wird die Masse, welche von der bestimmten Schicht mit der
Dicke d |' in den Richtungen, welche dem Cosinusdifferential d ^
entsprechen, durch die Ebene gesandt wird, durch
dargestellt, und wir erhalten daher die Gleichung:
,^. d^E _ 1 / dM M dl
^ ^ dfd^ " 2" '''^ r ~ dx ^ ~ 2jrp dx '
An diese Gleichung können wir gleich noch zwei andere an-
schliesseu. Wenn ein Molecül von der Masse m in einer Rich-
tung, welche mit der :r-Axe einen Winkel bildet, dessen Cosinus
(i ist, mit der Geschwindigkeit U durch die Ebene geht, so ist
die positive Bewegungsgrösse dieses Molecüls, genommen in der
Richtung der a?-Axe, welche dabei ebenfalls durch die Ebene
geht, gleich m ü^. Ferner ist die lebendige Kraft der fort-
schreitenden Bewegung des Molecüls — ü^. Dieses ist aber nicht
die ganze lebendige Kraft des Molecüls, da ausser der fortschrei-
tenden Bewegung des ganzen Molecüls auch Bewegungen der
Bestandtheile des Molecüls gegen einander bestehen. Es ist aber
nach dem, was im ersten Abschnitte gesagt ist, anzunehmen, dass
die lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegung einen aliquoten
Theil der ganzen lebendigen Kraft des Molecüls bildet. Dem-
lieber die Wärmeleitung gasförmiger Korper. 125
gemäss kann man die letztere durch li — IP bezeichnen, worin Je
ein Factor (>> 1) ist, der für jede Gasart einen bestimmten Werth liat.
Bezeichnen wir nun die gesammte positive Bewegungsgrösse
und die gesammte lebendige Kraft, welche während der Zeit-
einheit mit den Molecülen von der negativen zur positiven Seite
durch die Ebene gehen, mit F und (r, so können wir die Diffe-
rentialcoefficienten dieser Grössen, welche den Differentialen d^'
und d^ entsprechen, sofort aus dem vorigen Ausdruck ableiten,
wenn wir nur die Grösse m einerseits durch m U^ und anderer-
seits durch h — U'^ ersetzen, wobei zu bemerken ist, dass U als
Function der Abscisse und des Cosinus ^ zu behandeln ist i).
Dadurch erhalten wir:
^ ■^ d^'d^ 2 ^ \ dx 2^P dx J
^ ^ d^d^ 4 \ dx 2^1^ dx
§. 9. Weitere Behandlung der aufgestellten Gleichungen.
Um aus den vorstehenden Gleichungen, welche sich nur auf
diejenigen Molecüle beziehen, welche von einer bestimmten un-
endlich dünnen Schicht und nach bestimmten Richtungen aus-
gesandt werden, diejenigen Gleichungen abzuleiten, welche die
ganze durch die Ebene gehende Masse, positive Bewegungsgrösse
und lebendige Kraft bestimmen, müssen wir sie nach |' und ^
integriren.
Die erste Integration ist von |' = 0 bis zu einem solchen
Werthe von |' auszuführen , für welchen der Factor e " ^ schon
so klein ist, dass die Grösse des Differentialausdruckes als ver-
schwindend zu betrachten ist. Dieses tritt, wegen der Kleinheit
der im Nenner befindlichen Grösse 7, schon bei sehr kleinen
^) D. li. es wird niclit einfach m TJfi und — U'^k, sondern m i U— -j-^'i']u,
resp. -^ \U'^ YT ^' ] ^"^ statt m eingesetzt, unter Yernachlässiguno: der
Grössen höherer Ordnunof. D. H.
126 Abschnitt IV.
Werthen von |' ein. Dessenungeachtet können wir sagen, wir
führen die Integration nach |' von ^' = Q bis |' = oo aus, weil
alle grösseren Werthe von ^' an dem Integralwerthe nichts än-
dern. Dadurch erhalten wir aus der Gleichung (9):
welche Gleichung man auch in folgender Form schreiben kann:
,.^, dE 1 TT T fj.^ d(Ml)\
Ebenso ergiebt sich aus den Gleichungen (10) und (11):
nA^ Ö^ 1 7 77 7 fmri2 d{MU'-l)\
(14) — = -lcmH^li^MU^-^-^^^^y
Um nun auch die Integration nach ft vornehmen zu können,
.müssen wir für die Grössen C/, Zf und Z, welche alle drei von ft
abhängen, ihre Ausdrücke setzen. Für JJ und H sind die Aus-
drücke in den Gleichungen (I) und (II) gegeben, nämlich:
U = u -\- 2> ^ £ ^^nd
fi = 1 + 2 ^ u £.
Die Grösse l ist im Allgemeinen noch nicht als Function
von /u bestimmt; die Form dieser Function lässt sich aber, so-
weit sie hier bekannt zu sein braucht, leicht aus allgemeinen
Betrachtungen ableiten. Dass die mittlere "Weglänge nach ver-
schiedenen Richtungen verschieden ist, hat seinen Grund nur
darin, dass sich die Molecüle nach verschiedenen Richtungen in
verschiedener Anzahl und mit verschiedener Geschwindigkeit be-
wegen. Da nun der bei der Anzahl und der Geschwindigkeit
vorkommende Unterschied sich dadurch ausdrücken lässt, dass
zu dem von der Richtung unabhängigen Werthe noch ein Glied
mit dem Factor ^is hinzugefügt wird, so können wir schliessen,
dass auch der bei der mittleren Weglänge vorkommende Unter-
schied sich durch Hinzufügung eines solchen Gliedes ausdrücken
lässt. Wir wollen von jetzt an den von ^ abhängigen Werth
der mittleren Weglänge mit Z„ bezeichnen, und unter dem ein-
fachen l den Mittelwerth für alle Richtungen verstehen. Dann
können wir setzen :
1
31
lieber die Wärmeleitung gasförmiger Köi'per. 127
(15) . l, = l(l^(j^s),
worin g eine von ^ unabhängige Grösse darstellt, welche ebenso,
wie die Grösse 1, nur noch von der Abscissc abhängt.
Diese Ausdrücke von f/, H und la haben wir in die Gleichun-
gen (12), (13) und (14) einzusetzen, wobei wir aber alle Glieder,
welche in Bezug auf l und s von höherer als zweiter Ordnung
werden, vernachlässigen können. Dadurch erhalten wir:
|f = i.„{...,. + [i..(.|. + .).-^).].^
Diese Ausdrücke wollen wir noch dadurch vereinfachen, dass
wir für die Grösse l und das Product Ml ihre Werthe einführen.
Die Grösse l bedeutet die mittlere Weglänge für den Fall,
wenn das Gas durchweg die Dichtigkeit hätte, welche bei der
Abscisse x stattfindet. Diese mittlere Weglänge lässt sich leicht
auf die normale mittlere Weglänge £ zurückführen. Nach Glei-
chung (26) des zweiten Abschnittes ist nämlich:
, 1 u
Wenden wir dieses auf den Normalzustand des Gases an, bei wel-
chem die Temperatur 0^ und der Druck einer Atmosphäre vor-
ausgesetzt ist, und bezeichnen die Anzahl der Molecüle, welche
sich in diesem Zustande in einer Volumeinheit befinden, mit iVo,
so erhalten wir:
1 u
^ ~ Na 71 6^ "^'
11
Da wir nun annehmen können, dass der Bruch — von der Tem-
r
peratur und Dichte des Gases unabhängig ist, so erhalten wir
aus diesen beiden Gleichungen:
(17) ! = §. s.
Was ferner die Grösse M anbetrifft, so gilt nach Gleichung (36)
des zweiten Abschnittes ') die Gleichung:
^) u wird hier durcli u ersetzt. D. H.
128
Abschnitt IV.
M == N
woraus folgt:
(18) , Ml = Nu.
Führt man diesen Werth für das in den Gleichungen (16)
mehrfach vorkommende Product Ml ein, und setzt für Z, welches
dann nur noch in Einem Gliede jeder Gleichung vorkommt, den
in (17) gegebenen Ausdruck, so gehen die Gleichungen über in:
(19)
(dE
d ^
dF
— mNUi^i + ^2^; -^ gu —
N^ dx J ^ \
JVo d{Nu'^
- — = — lern Nu^ w u + ( 4 « + (/ u — -r^T^ ^
Diese Gleichungen muss man endlich noch, um die Grössen
jE", F und G selbst zu erhalten, nach ^ zwischen den Grenzen
— 1 und -(- 1 integriren, wodurch man erhält:
(20)
E =
1
-m
N(2p-\-gti)
F =
— m Nu^
G =
1 j
— hm
b
Nu-^ (4 j9 -f
Nq d(Nu)l
N dx \
N, d(Nu'^}
N dx
Die drei hier für die Grössen E, F und G gegebenen Aus-
drücke sind in Bezug auf die kleine Grösse s von verschiedener
Ordnung, indem der zweite von der nullten Ordnung ist, während
der erste und letzte von der ersten Ordnung sind. Das erklärt
sich daraus, dass die Bewegungsgrösse sich in Bezug auf das
Vorzeichen anders verhält, wie die Masse und die lebendige
Kraft. Die Bewegungsgrösse eines Molecüls, welches in nega-
tiver Richtung durch die Ebene geht, ist nämlich an sich nega-
tiv, und da sie wegen des Durchganges in negativer Richtung
auch noch mit dem negativen Vorzeichen versehen werden muss,
so wird sie dadurch wieder positiv, so dass sich die positiven
und negativen Durchgänge in diesem Falle addiren, während sie
sich in den beiden anderen Fällen subtrahiren.
Ueber die Wärineleitung gasförmiger Körper. 129
§. 10. Bedingungen, welchen die Grössen E, F und G
genügen müssen, und daraus hervorgehende weitere
Vereinfachung der Ausdrücke,
In Bezug auf die Grössen £", F und G lassen sich aus der
Annalime, dass das Gas sich in einem stationären Zustande he-
finden soll, sofort folgende Sätze ableiten.
1) Die Gasmasse, welche durch die Ebene geht, muss Nnll
sein. Da nämlich die ganze voi'handene Gasmasse zwischen zwei
festen Wänden eingeschlossen ist, so müsste, wenn durch eine
Zwischenebene Gas in einer Iiichtung hindurchginge, die Dich-
tigkeit an der einen Seite der El)ene zunehmen und an der
anderen abnehmen, was der Voraussetzung widerspricht.
2) Die positive Beivegungsgrösse , ivelche ivährend der Zeit-
einheit durch unsere Ebene geht, muss von der Lage der Ebene
unabhängig, also in Bezug auf x constant sein. Denkt man sich
nämlich durch irgend zwei parallele Ebenen eine Schicht ab-
gegrenzt, so muss die Bewegungsgrösse, welche durch die eine
Ebene in die Schicht eintritt, gleich derjenigen sein, welche
durch die andere austritt, weil sonst die in der Schicht vorhan-
dene Bewegungsgrösse sich ändern müsste, was der Bedingung
des stationären Zustandes widerspricht,
3) Die lebendige Kraft, ivelche während der Zeiteinheit durch
die Ebene geht, muss in Bezug auf x constant sein, aus demsel-
ben Grunde, welcher für die positive Bewegungsgrösse angeführt
wurde.
Man kann also folgende drei Bedingungsgleichungen auf-
stellen :
(^ = 0
(21) rp = Const.
I G = Const.,
welche wir nun auf die für E, F und G gewonnenen Ausdrücke
anwenden wollen.
Die zweite dieser Gleichungen, nämlich F =^ Const.. hat eine
sehr einfache physikalische Bedeutung. Der nach Gleichung (20)
für F geltende Ausdruck ^jU, m N u- stellt nämlich nach der
Gleichung (1) in §. 13 des ersten Abschnittes den Druck des
Clan 3 ins, median. Wärmfitheoiie. III. g
130 Abschnitt IV.
Gases dar, und die Gleichung sagt daher aus, dass der Druck
innerhalb der hier betrachteten Gasmasse überall gleich sei, was
man auch ohne mathematische Entwickelung, aus einfacher Ueber-
legung schliessen könnte.
Die hieraus sich ergebende Gleichung:
JVm2 _ Const.
kann nun dazu angewandt werden, der ersten und letzten der
Gleichungen (20) eine etwas veränderte Gestalt zu geben. Man
kann nämlich, wie leicht zu ersehen ist, statt der beiden Pro-
ducte Nil und Nii\ deren Differentialcoefficienten nach x in der
ersten und letzten Gleichung vorkommen, schreiben:
JV^^2 _ und Nu^ . u.
u
Differentiirt man nun diese Ausdrücke nach x, indem man dabei
JVm2 als constant betrachtet, so erhält man:
d(Nu) ^r . 1 du du
dx ti^ dx dx
dx dx
wodurch die erste und letzte der Gleichungen (20) übergehen in:
1 ,. r^ , , -ZVn du'
(22)
,. r^ , , ^n du'
l n ^-r \' . , No du!
Wendet man hierauf weiter die erste der obigen Bedingungs-
gleichungen, nämlich £J = 0, an, so erhält man :
^ , , No du
(23) ip + S^« + if H = 0-
Diese Gleichung kann man dazu benutzen, die unbekannte Grösse
g aus der zweiten der beiden vorstehenden Gleichungen zu elimi-
niren, wodurch man erhält:
(24) 0 = jJcmNu'-[p-^^)s.
Wir können nun endlich noch die leMe der obigen Bedin-
gungen anwenden, nämlich dass G constant sein muss. Da wir
schon wissen, dass Nu'^ constant ist, so folgt aus dieser letzten
Bedingung, dass auch die in vorstehender Gleichung in Klammer
stehende Grösse constant sein muss. Wir können also schreiben:
lieber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 131
/TTT^ -^f ^**
und dadurch der vorigen, zur Bestimmung der gesuchten Grösse
G dienenden Gleichung folgende sehr einfache Gestalt gehen:
(IV) G = jkmNu^qe,
worin q eine Constante bedeutet.
III. Umgekehrte Betrachtung zur Bestimmung von
2) durch q.
§. 11. Bewegungszustand der in einer dünnen Schicht
gleichzeitig vorhandenen Molecüle.
Der im vorigen Paragraphen zuletzt gewonnene Ausdruck
von G enthält die neu eingeführte Grösse g, von der wir nach
unserer Entwickelung wissen, dass sie constant, d. h. von der
Abscisse ;r unabhängig sein muss, deren Werth wir aber noch
nicht kennen. Um diesen Werth zu bestimmen, wollen wir jetzt
eine Betrachtung anstellen, welche in gewissem Sinne der vorigen
entgegengesetzt ist. Während wir nämlich dort die Grösse p als
gegeben annahmen, und mit ihrer Hülfe Resultate ableiteten,
welche uns zur Einführung der Grösse q veranlassten, wollen
wir jetzt umgekehrt q als gegeben annehmen und daraus ^) zu
bestimmen suchen.
Wir gehen dazu zu den Gleichungen (19) zurück, welche
durch die im vorigen Paragraphen besprochenen Bedingungen,
denen die Grössen i?, F und G unterworfen sind, ebenfalls ein-
fachere Formen annehmen.
Durch die Bedingung, dass F und demgemäss das Product
Nu^ constant sein muss, gehen sie über in:
Nn du''
M-(2. + .«. + # 11) .'.]
dE 1 ^^
o [i 2
d F 1
—- = -mNii [n fA2 -f- (3 jj + f/ n) ^i"^ s]
SG^ 1 7 AT 0 r I /. I -^1 ^^"\ 0 1
132 Abschnitt IV.
Durch die andere Bedingung E = 0, aus welclier sich die
Gleichung (23) ergiebt, mit Hülfe deren sich g eliminiren lässt,
vereinfachen sich die Gleichungen in:
dE 1
— mNu^
0(1 2
d_F
d
dG 1 , ,. , r , o / N, du\ 1
d(i 4 L \ N dx) ^ J
Setzt man hierin noch an die Stelle der Differenz
iVo du
welche, wegen der Bedingung G = Const., eine Constante sein
muss, das für diese eingeführte Zeichen g, so nehmen die drei
Gleichungen folgende sehr einfache Gestalten an:
d (i 2 '
(25)
-; — = -r- 7n Nu u^(u -{- qas)
0(1 2 i V i j-i /
- — = — Je m Nu^ a (u 4- 2q as).
ö (i 4 i V I
Denken wir uns diese Gleichungen noch mit d(i multiplicirt,
dE dF
so stellen die durch sie bestimmten Grössen — — da, — — da
0(1 0(1
und — — d (i die Masse, die positive Bewegungsgrösse und die
0 (l
lebendige Kraft derjenigen Molecüle dar, welche während der
Zeiteinheit durch die Flächeneinheit einer bei der Abscisse x
senkrecht auf der x- kxo, gelegten Ebene in Richtungen, deren
Cosinus zwischen fi und (i -{- d(i liegen, hindurchgehen. Hieraus
lässt sich aber auch das Verhalten derjenigen Molecüle bestim-
men, welche sich in einer an derselben Stelle gedachten, auf der
x-Axe senTcr echten unendlich dünnen Schicht gleichseitig befinden.
Wir denken uns eine Schicht, deren eine Grenzebene die
Abscisse x, und die andere Grenzebene die Abscisse x -\- dx hat,
so dass deren Dicke somit dx ist. Ein durch diese Schicht in
einer Richtung, deren Cosinus (i ist, hindurchgehendes Molecül
Ueber die Wärmeleitun^ gasförmiger Körper. • 133
(a ^
legt in ihr den Weg — zurück, und befindet sich daher in der
Schicht während einer Zeit, welche man erhält, wenn man diesen
Weg durch die Geschwindigkeit des Molecüls dividirt.
Die Geschwindigkeiten der Molecüle, welche in einer bestimm-
ten Richtung durch die Ebene gehen, sind selbst bei unserer ver-
einfachten Betrachtung, in welcher wir von den zufälligen Ver-
schiedenheiten absehen, nicht als ganz gleich anzusehen, weil die
Molecüle aus verschiedenen Entfernungen kommen, und daher
von Stellen ausgehen, wo die Temperaturen etwas verschieden
sind. Der dadurch entstehende Unterschied kann aber nur eine
Grösse von der Ordnung £ sein und es ist für die von uns aus-
zuführende Bestimmung nicht nothwendig, diesen Unterschied in
Betracht zu ziehen, sondern wir können uns damit begnügen,
für jede Richtung den Mittelwerth der Geschwindigkeit einzu-
führen. Sofern wir von Gliedern, welche in Bezug auf £ von
höherer als erster Ordnung sind, absehen, können wir den Mittel-
werth der auf eine bestimmte Richtung bezüglichen Geschwin-
digkeit für die während der Zeiteinheit durch eine der Grenz-
ebenen gehenden Molecüle mid für die gleichzeitig in der Schicht
befindlichen Molecüle als gleich ansehen, und wollen denselben
mit F bezeichnen. Diese Grösse V ist bei gegebenem x eine
Function von (u-, ebenso wie die früher betrachtete Geschwindig-
keit ?7, welche sich auf die von einer Schicht ausgesandten Mole-
cüle bezog.
Unter Anwendung des Zeichens F für die Geschwindigkeit
erhalten wir für die Zeit, während welcher das Molecül sich in
der Schicht befindet, den Bruch — ^7- Hieraus lassen sich weiter
\x V
folgende Schlüsse ziehen, für welche wir, um sie bequemer aus-
drücken zu können, vorausschicken, dass sie sich auf TNIolecüle,
deren Cosinus zwischen ft und fi -\- d[i liegen, und auf eine
Flächeneinheit der Grenzebene und das entsprechende Stück der
unendlich dünnen Schicht beziehen. Dann lauten die Schlüsse :
1) Da die Masse, welche während der Zeiteinheit durch
dE
jede der beiden Grenzebenen geht, durch --— fZft dargestellt wird,
so ist die gleichzeitig in der Schicht befindliche Masse gleich
dx d E -,
—jr--K — a(i.
H V d^i
134 Abschnitt IV.
2) Da die positive Beweguugsgrösse der während der Zeit-
einheit durch die beiden Grenzebenen gehenden Molecüle durch
7) W
— d (i dargestellt wird, so ist die diesen Molecülen entsprechende,
gleichzeitig in der Schicht befindliche positive ßewegungsgrösse
, . , dx dF -,
gleich ^^ ^— d^.
^ K oft
Bedenkt man ferner, dass die positive Beweguugsgrösse einer
gegebenen Anzahl von Molecülen gleich dem Product aus ihrer
Masse und dem Mittelwerthe der a? - Componente ihrer Geschwin-
digkeit ist, so erhält man die Gleichung:
dx dE ^ „ dx dF -,
— j^ — - d^i ^ V = — ^ ^— du,
welche sich in folgende vereinfachte Eorm bringen lässt:
dF
l d ^
(26) F =
d ^
Setzt man hierin für — — und — — die in (25) gegebenen Aus-
d a d^ \ / ^ o
drücke, so erhält man zur Bestimmung von V die Gleichung :
(V) V = u^q^£.
Um ferner die Art, wie die sammtlichen gleichzeitig in der
Schicht befindlichen Molecüle sich unter die verschiedenen Rich-
tungen vertheilen, auszudrücken, bezeichnen wir die Anzahl der
Molecüle, deren Cosinus zwischen ^ und jx. -j- d ^i liegen, als
Bruchtheil aller vorhandenen Molecüle durch — Jd ^ i). Dann
können wir schreiben:
dx d E -.
(2 0 -^Jdfi =
7 r l dE .
dx / — T7 — — da
1) Die Grössen J und V entsprechen durchaus den in (II) und (I) ge-
gebenen Grössen H und U, die sich auf die „ausgesandten" Molecüle be-
ziehen. Beachtenswerth ist überhaupt der vollständig durchgeführte Dua-
lismus in den Bezeichnungen und Formeln zwischen den Grössen, die sich
einerseits auf die in einem Räume befindlichen, andererseits auf die von
demselben ausgesandten Molecüle beziehen. D. H,
Uebei* die Wärmeleituug gasförmiger Körper. 135
welche Gleichung, wenn man für - — und V ilirc Werthe aus
(25) und (V) setzt, übergeht in:
1 ^ + ¥ ^'
— Jd(i =
2 ' +1 d^
1+ -ft£
oder, wenn wir noch den Bruch nach f. entwickeln
1 + -^^f
' u
und dabei die Glieder höherer als erster Ordnung vernachlässigen:
Jd^
(l_l,.)r?^
2 - -" r- +1
—1
Das im Nenner stehende Integral hat, wie man sofort sieht,
den Werth 2, und demgemäss erhalten wir schliesslich folgende
zur Bestimmung von J dienende Gleichung:
(VI) ,7=l-|-^a.
§. 12. Ausdruck der Anzahl und positiven Bewegungs-
grösse der während der Zeiteinheit in der Schicht zu-
sammenstossenden und nach den Stössen von ihr aus-
gesandten Molecüle.
Nachdem der Bewegungszustand der Molecüle, welche sich
gleichzeitig in der bei der Abscisse x gedachten unendlich dün-
nen Schicht befinden, durch die Gleichungen (V) und (VI) be-
stimmt ist, lassen sich auch über die in der Schicht stattfinden-
den Zusammenstösse von Molecülen Schlüsse ziehen und es lässt
sich unter anderen die Anzahl und die positive Bewegungsgrösse
der Molecüle bestimmen, welche während der Zeiteinheit in einem
der Flächeneinheit entsprechenden Stücke der Schicht zusammen-
stossen, und nach den Stössen von ihr ausgesandt werden.
136 AbscliDitt IV.
Um die Bewegungsrichtung eines Molecüls in einer für das
Folgende bequemen Weise angeben zu können, -wollen wir uns
eine Kugelfläche mit dem Radius 1 geschlagen und in dieser
nach der Bewegungsrichtung des Molecüls einen Radius gezogen
denken. Da die Richtung dieses Radius durch den Punct, wo er
die Kugelfläche trifl"t, bestimmt ist, so können wir sagen, dass
jeder Punct der Kugelfläche eine Bewegungsrichtung darstellt.
Es mögen nun auf der Kugelfläche zwei beliebige Flächen -
demente div und div' gegeben sein, und diejenigen Molecüle,
deren Bewegungsrichtungen Puncte innerhalb dieser Elemente
treff'en, zur Betrachtung ausgewählt werden.
Der Winkel, welchen die den beiden Elementen entsprechen-
den Richtungen unter einander bilden, heisse qp, und die Ge-
schwindigkeiten, welche diesen beiden Richtungen entsprechen,
seien durch V und V dargestellt. Dann wird die relative Ge-
schwindigkeit R zweier Molecüle, welche sich nach diesen Rich-
tungen bewegen, durch folgende Gleichung bestimmt:
(28) R = Vf^-I- V^—2VV'cos(p.
Bezeichnen wir ferner die Cosinuse der Winkel, welche die den
beiden Elementen entsprechenden Richtungen mit der ;2;- Rich-
tung bilden, dem Bisherigen gemäss mit fx und fi', so gelten
nach (V) für V und V die Gleichungen:
V = u -\- q(i6
V -j= u -\- q (i' £.
Setzen wir diese Werthe für V und V ein, und führen zugleich
für cos q) das Zeichen v ein, so geht die vorige Gleichung über in :
R = y[u -^ q^i £)--]- (u -\- q ^' s)^ — 2(u -\- q^e) (u -\- q ^' s) r,
welche Gleichung durch Ausführung der Quadrirungen und der
Multiplication, unter Vernachlässigung der Glieder, welche in
Bezug auf s von höherer als erster Ordnung sind, übergeht in:
oder, wenn die Wurzel noch nach s entwickelt wird,
(29) i? = « [l + X (^ + „') , j y2(i-v).
Die Anzahl der in der Schicht befindliclien Molecüle, deren
durch Radien repräsentirte Bewegungsrichtungen die Kugelober-
Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 137
fläche innerhalb des Elementes div treffen, und welche n heissen
möge, wird bestimmt durch die Gleichung i):
(30) n = Ndx^J=:Ndx^(l - ^ u fV
^ An 4:71 \ M'/
und ebenso die Anzahl der in gleicher Weise zu dem Elemente
diu' gehörenden Molecüle, welche n' heissen möge, durch die
Gleichung:
(3üa) n' = Ndx '^ J' = Ndx ^ A — 1 it' s).
^ ^ 4 TT 4o7t \ u ^ J
Nachdem die beiden Molecülzahlen und die gegenseitige
relative Geschwindigkeit bestimmt sind, kann auch die Anzahl
der zwischen ihnen während der Zeiteinheit in der Schicht statt-
findenden Stösse nach den Gleichungen des zweiten Abschnittes
bestimmt werden.
Denken wir uns, dass in irgend einem Räume, den wir vor-
läufig durch V bezeichnen wollen, zwei Gruppen von Molecülen,
deren Anzahl n und n' sind, sich bewegen, so können wir nach
den Betrachtungen des §.6 des zweiten Abschnittes leicht an-
geben, wie viele Stösse während der Zeiteinheit zwischen je einem
Molecül der einen und einem Molecül der anderen Gruppe statt-
finden.
Die Anzahl der Stösse eines einzelnen Molecüls der Gruppe
n' gegen die Molecüle der Gruppe n wird nach Gleichung (11)
des zweiten Abschnittes durch
n n6^ -
r
V
dargestellt, und daraus folgt, dass die Anzahl der Stösse aller
Molecüle der Gruppe n' gegen die Molecüle der Gruppe n durch
n.n' 7i6^ —
. r
V
dargestellt wird, worin r die mittlere relative Geschwindigkeit
der Molecüle der einen Gruppe gegen die Molecüle der anderen
1) Denn von der Gesammtzahl Ndx der in der Schicht vorhandenen
Molecüle hat der Bruchtheil — Jd u eine Bewegungsrichtung, deren Cosi-
nus zwischen ,u und ,u -}- d ju liegt, und von dieser Zahl wiederum ist der
Bruchtheil ; — nach dem Element d w gerichtet. D. H.
2n .d ju ^
138 Abschnitt IV.
Gruppe bedeutet. Hierin haben wir nun für unseren Fall r
durch die in Gleichung (29) bestimmte Grösse jR, ferner n und
yi' durch die in (30) und (80 a) gegebenen Werthe, und endlich
V durch das Volumen eines der Flächeneinheit entsprechenden
Stückes unserer Schicht, also durch dx zu ersetzen, und wir
erhalten :
[^-^£,(i^^i'')^]V^(^-^)
oder zusammengezogen
V2
16
- NUlxö^ud tu d iv' \l — pr^ (u -f /x') «1 • Vi — V-
Um aus diesem Ausdrucke die Gesammtzahl der Stösse, welche
während der Zeiteinheit in der Schicht stattfinden , abzuleiten,
muss man ihn noch sowohl nach iv als auch nach lü' über die
ganze Kugelfläche integriren und von dem so entstehenden Doppel-
integral die Hälfte nehmen. Das letztere ist deshalb nöthig,
weil in dem Doppelintegral jede Combination von zwei Elemen-
ten dio dtv' zweimal vorkommt. Will man aber statt der An-
zahl der Stösse die Anzahl der zusammenstossenden Molecüle
bestimmen, so hat man nicht das halbe, sondern das ganze Doppel-
integral in Rechnung zu bringen, weil zu jedem Stösse zwei
Molecüle gehören. Die Anzahl der in der Schicht zusammen-
stossenden Molecüle ist zugleich die Anzahl der von der Schicht
aufigesandten Molecüle. Wir erhalten somit, wenn wir die Anzahl
der von einem der Flächeneinheit entsprechenden Stücke der
Schicht während der Zeiteinheit ausgesandten Molecüle mit Mdx
bezeichnen, folgende Gleichung:
(31) M = ^ iV^2 a-> u ff diu d lü' [l — 2l^ (f^ + f*') A • Vr=^.
Für jeden Stoss wird die Summe der in der Richtung der
x-Axe genommenen Bewegungsgrössen der beiden zusammen-
stossenden Molecüle durch m V )i -\- m V jtt' dargestellt, und diese
bleibt durch den Stoss ungeändert, so dass wir sie auch als die
Summe der Bewegungsgrössen der nach dem Stösse auseinander
fliegenden Molecüle betrachten können. Mit dieser Summe haben
wir also die obige auf die beiden Elemente d lo und d w' bezüg-
Uebei' die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 139
liehe Anzahl der Stösse zu multiplicircn und den dadurch erhal-
tenen Ausdruck haben wir wieder nach iv und lo' über die ganze
Kugelfläche zu integriren, und von dem so gebildeten Doppel-
integral die Hälfte zu nehmen, um die positive Bewegungsgrösse
aller ausgesandten Molecüle zu erhalten. Bezeichnen wir daher
die positive Bewegungsgrösse der während der Zeiteinheit von
einem der Flächeneinheit entsprechenden Stücke der Schicht aus-
gesandten Molecüle mit PF, so erhalten wir die Gleichung:
W =
V2
32 TT
N'^ö^muffcliüd'w' [l — ^ (^ -^ {^')
-Vi - V (V^^ F>').
Für die weitere Behandlung dieses Ausdruckes wollen wir
das Doppelintegral in zwei Doppelintegrale zerlegen, welche den
beiden Theilen des letzten Factors entsprechen, wodurch die
Gleichung übergeht in:
W= ^^N'-ö^muljydtodiv'h—^ ((i-^^')e]Vl —v .V^
■ 4- ff d lü d lo' Fl — 2™ {ii + fi') f] Vi — V V ^']-
In jedem der hierin vorkommenden Doppelintegrale sind die
beiden Integrationen nach lo und iv' über dieselbe Pläche aus-
zuführen, so dass eine Vertauschung von tv und w' an dem In-
tegral nichts ändert. Es kann daher für den Werth des Doppel-
integrals keinen Unterschied machen, ob in dem zu integrirenden
Ausdrucke der auf das Element div bezügliche Factor Fjx oder
der auf das Element d lu' bezügliche entsprechende Factor V ^'
vorkommt. Demnach können wir statt der Summe der beiden
Doppelintegrale zweimal das eine Doppelintegral setzen, wozu
wir das erstere wählen wollen. Dadurch entsteht folgende Gleichung:
W = j^ N^ ö2 m u ffd lü d w' \\ — -^^y-\-^)h y\-vV\i.
Hierin möge endlich für F noch aus (V) sein Werth iiA^ii\ih
gesetzt werden, wodurch die Gleichung übergeht in:
(32) IF = 4^ W^ ö2 m ic- ffd w d lo' Fl + ^ C" — "') A ß Vl—v,
^ 1 b TT JJ L 2 '« J
140 Abschnitt IV.
§. 13. Ausführung der in den Gleichungen (31) und (32)
vorkommenden Integrationen.
Um nun die in den Gleichungen (31) und (32) angedeuteten
zweifachen Integrationen über die Kugelfläche auszuführen, wollen
wir die Elemente dtv und dtv' durch Differentiale gewisser Win-
kel darstellen.
Zur Darstellung von diu wählen wir die vom Mittelpuncte
unserer Kugelfläche aus gezogene x-A.xe als Axe eines Polar-
coordinatensystems und bezeichnen den Winkel, den ein nach
dem Elemente gezogener Radius mit der Axe bildet, und dessen
Cosinus die Grösse ft ist, mit 9-, und den Winkel, den die durch
den Radius und die Axe gelegte Ebene mit irgend einer festen
durch die Axe gehenden Ebene bildet, mit ip. Dann haben wir
zu setzen:
d 10 = sin %■ d%' d i'.
Zur Darstellung von dtv' wählen wir den nach dem P^le-
mente div gezogenen Radius als Axe eines Polarcoordinaten-
systems und bezeichnen den W^inkel, den ein nach dem Elemente
d'w' gezogener Radius mit jenem nach div gezogenen bildet,
dessen Cosinus die Grösse v ist, mit cp, und den Winkel, den die
durch die beiden Radien gehende Ebene mit derjenigen Ebene
bildet, welche durch den nach diu gezogenen Radius und die
X - Axe geht, mit %. Dann haben wir zu setzen :
d tu' = sin (p d(p d%.
Mit Hülfe der Winkel -9-, (p und % können wir auch den
Cosinus des Winkels %■', welchen der nach diu' gezogene Radius
mit der a^-Axe bildet, nämlich den in unseren Formeln mit fi'
bezeichneten Cosinus, bestimmen, qo, '9' und 0-' bilden nämlich
die drei Seiten eines sphärischen Dreiecks, in welchem der Seite
%•' der Winkel % gegenüberliegt. Daraus folgt, dass man setzen
kann :
cos %•' = cos %■ cos(p -\- sin %• sin cp cos %.
Führen wir in diese drei Gleichungen unsere bisher ange-
wandte Bezeichnung ein, nämlich cos ö" = fi, cos %'' = ft', cos q) = v
und dem entsprechend sind' = Vi — jx^ sin 0-' = Vi — ^''\ so
lauten die drei vorstehenden Gleichungen:
Ueber die Wänneleitung gasförmiger Körper.
diu =^ — d^ dip
dtü' ^= — dv d%
141
Diese Werthe von dw^ dio' und (i' setzen wir nun in die
Gleichungen (31) und (82) ein, wodurch dieselben übergehen in:
-|- Vi — ^2 Vi — v^cos x] £ Vi — vä ^ dv d i/; dx
W
1671
— Vi — ft^ Vi — v^ cos X 1 f I f*- V l — V d ^ d V d x^ d x-
Fig. 2.
Hierin sind die Integrationen nach ^i und v zwischen — 1 und
-f- 1 und die Integrationen nach ip und x zwischen 0 und 2 n
auszuführen.
Die Integration nach ^ giebt einlach für die ganzen Aus-
drücke den Factor 2 n. Durch die Integration nach x werden
die Glieder, welche den Factor cos x enthalten, gleich Null und
die anderen Glieder erhalten den Factor 2 n. Dadurch verein-
fachen sich die Gleichungen in folgender Weise:
142 Abschnitt IV.
M=^N'^7T6'- u ff h _ ^ ^ (1 -f o;) fl yT^^ dfidv
W = y^ N'~7i 6'- in u'- ff L -f- -^ fi2 (1 _ y^ gl V/rZr;7c?j[i dv.
Integriren wir diese Gleichung nach fi von — 1 bis -|- 1,
so wird wieder in jeder Gleichung eins der beiden Glieder, aus
denen das Integral besteht, gleich Null, und es kommt:
M^^N^TtöHt I Vi — V dv
Pf = -y- N^nö'^imiqs / (1 — vf/idv.
Führen wir hierin endlich noch die Integration nach v von
— 1 bis -}- 1 aus, so gelangen wir zu den gesuchten Ausdrücken
von M und TF, nämlich:
(33) M= ^ N'^TCö'- u
4
(84) W = — N^^^ö^ m u q e.
15
Der Ausdruck von M ist von q unabhängig. Daraus folgt,
dass er unverändert gültig bleiben würde, wenn innerhalb des
Gases gar keine Temperatur- und Dichtigkeitsunterschiede vor-
kämen, sondern in der ganzen Gasmenge diejenige Temperatur
und Dichtigkeit stattfände, wie in der betrachteten Schicht bei
der Abscisse x. In der That stimmt dieser Ausdruck auch mit
demjenigen überein, welcher im zweiten Abschnitte unter der
Voraussetzung, dass alle absoluten Geschwindigkeiten gleich seien,
abgeleitet und dort unter (32) gegeben ist.
Betrachten wir nun die letzte Gleichung, und bringen in
ihr zur weiteren Vereinfachung die vorletzte Gleichung zur An-
wendung, so geht sie über in:
(VII) W=\ Mmqa.
0
Ueber die "Wärmeleitung gasförmiger Körper. 143
§. 14. Vergleichung des im vorigen Paragraphen ge-
wonnenen Resultates mit der in §. 6 gemachten An-
nahme, und daraus hervorgehende Folgerungen,
Nach dem Endresultate des vorigen Paragraphen ist die
positive Bewegungsgrösse der während der Zeiteinheit von einem
der Flächeneirdieit entsprechenden Stücke der Schicht von der
Dicke dx ausgesandten Molecüle gleich
— Mm q 8(1 sc.
5
Eben diese Grösse wird aber nach §. 6 unter Amvendung der
Grösse p durch
Min 21 s .äx
dargestellt i). Aus der Vergleichung dieser beiden Ausdrücke
ergiebt sich:
(VIII) JP = i 2-
o
Hierdurch ist die Grösse p, welche nach (I) den Bewegungs-
zustand der von einer dünnen Schicht ausgesandten Molecüle be-
stimmt, auf die Grösse q zurückgeführt, welche nach (V) den
Bewegungszustand der gleichzeitig in der dünnen Schicht vor-
handenen Molecüle bestimmt.
Kehren wir nun zur Gleichung (III) des §. 10 zurück, welche
lautet :
_ No du _
^ ~ W d^ ~ "^^
und setzen hierin für ^j den vorher gegebenen Werth, so erhal-
ten wir:
,-rv\ 6 No du
^^^■^ ^ - ~ 4 IT ^'
1) Denn jedes der Mdx ausgesandten Molecüle besitzt ausser der be-
liebig gerichteten Geschwindigkeit «, die hier nicht in Betracht kommt,
die Geschwindigkeit jj £ in der Kichtung der x-Axe. D. H.
144 Abschnitt IV.
IV. Endresultate!).
§. 15. Zustand des Gases.
Nachdem im Vorigen die nöthigen Coefficienten bestimmt
sind, können wir nun dazu schreiten, aus den aufgestellten
Gleichungen Schlüsse über den Zustand des Gases und die in
demselben stattfindende Wärmeleitung zu ziehen.
Wir haben in §. 10 gefunden, dass q eine constante Grösse
sein muss, und wir können daher, wenn wir für q seinen Werth
setzen, schreiben :
\ du ,.
^rp -^ — = üonst.
N dx
Ferner wissen wir aus demselben Paragraphen, dass
Nu'^ = Const.
ist, und durch Multiplication dieser beiden Gleichungen erhal-
ten wir:
(35) m2 ^ ^ Const.
Da nun die Grösse w^ der absoluten Temperatur T proportional
ist, so kann man setzen :
u = Const. YT,
und dadurch geht die vorige Gleichung über in:
(36) VT ^ =^ Const.
et oc
Durch Integration dieser Gleichung erhält man eine Gleichung
von der Form :
(37) T^ = Cx-\- (7i,
worin C und C^ Constante sind.
Die zwischen zwei Wänden von gegebenen Temperaturen ein-
geschlossene Gasmasse nimmt also nicht, wie man vielleicht auf
den ersten Blick vermuthen könnte, einen solchen Zustand an,
dass die Temperatur eine lineare Function der Abscisse bildet.
^) Dies ganze Capitel ist mit wenigen Abweichungen aus der ersten
Auflage der mechanischen Wärmetheorie in den Entwurf herübergenommen.
D. H.
Uebev die Wärmeleitung gasförmiger Körper. 145
sondern die Temperatiirveränderung von der einen Grenzfiilclie
zur anderen findet nach einem etwas complicirteren Gesetze statt,
3
indem die Potenz T^ durch eine lineare Function der Abscissc
dargestellt wird.
Wenn in der Gleichung (37) die Constanten Ü und C'i mit
Hülfe der beiden gegebenen Temperaturen der Grenzflächen be-
stimmt sind, so kann man für jeden anderen Punct des Gases
die Temperatur berechnen. Da ferner das Product aus Tempe-
ratur und Dichtigkeit innerhalb des Gases constant sein muss,
so kann man, wenn für Einen Punct die Dichtigkeit gegeben ist,
für alle übrigen Puncte die Dichtigkeit aus der Temperatur be-
rechnen, und es ist somit der Zustand des Gases in Bezug auf
Temperatur, Dichtigkeit und Druck vollständig bekannt.
§. 16. Umgestaltung der Wärmeleitungsformel.
Für die im Gase stattfindende Wärmeleitung G erhalten
wir durch Einsetzung des gefundenen Werthes von 5 in die
Gleichung (IV) folgende Gleichung:
(X) (- = _ A fc m N w2 ^ £i).
^ ^ 12 dx ^
^) Maxwell giebt für die lebendige Kraft, welclie vermöge der Mole-
cularbewegungen während der Zeiteinheit durch eine Flächeneinheit einer
auf der ic-Axe senkrechten Ebene in positiver Richtung hindurchgellt, fol-
genden Ausdruck (Phil. Mag. Vol. XX, p. 32) :
(A) G =-^^{LT,,nu^Nui),
worin l die mittlere Weglänge der Molecüle bei der Dichtigkeit , welche
das Gas an der betrachteten Stelle hat, bedeutet. Setzen wir für l nach
(17) seinen Werth:
so kommt:
d u
dx
Dieser Ausdruck ist von dem obigen nur dadurch verschieden , dass
1 5
-^ au der Stelle von — r
Maxwell zu der Gleichung (A) gelangt ist, so findet man, dass diese an-
genäherte Uebereinstimmung seines Resultates mit dem meinigen nur eine
scheinbare ist.
Clausius, raechan. Wärmetlieorie. III. jq
(t = — ^ — (-— lim N.yifi £] ^= V kinN(.u^
d d X \2 / 2
au der Stelle vou tt; steht. Verfolgt mau aber den Weg, auf welchem
146 Abschnitt IV.
Diese Gleichung wollen wir zum bequemeren Gebrauche noch
etwas umgestalten. Sei für den Normalzustand des Gases die
Geschwindigkeit der Molecüle mit Wq ^^^ die absolute Tempe-
ratur mit To bezeichnet, so hat man:
und daher:
Wenn E die Masse des Gases bedeutet, welche während einer Zeitein-
heit durch jene Flächeneinheit in positiver Richtung hindurchgeht, so hat
Maxwell folgende Gleichung aufgestellt (a. a. 0. S. 23):
(B) E = -^-^{mNul).
In dieser Gleichung hat er dann, um statt der hindurchgehenden Masse
die hindurchgehende lebendige Kraft zu erhalten, einfach an die Stelle der
Masse m eines Molecüls die lebendige Kraft — k m u^ eines Molecüls ge-
setzt, und dadurch hat er die Gleichung (A) gewonnen. Betrachten wir
nun die Gleichung (B) näher, und substituiren darin ebenfalls für l seinen
N
Werth -rrf- e, so kommt :
N
^ = - y ^ ("^■^°"^) = - y ''*^« c7^ ^-
Diese Gleichung sagt aus, dass, wenn die Temperatur des Gases sich in der
£C- Richtung ändert, so dass -; — einen angebbaren Werth hat, eine Fort-
dx
bewegung von Masse nach der a;- Richtung stattfinden muss, indem mehr
Molecüle in einer Richtung durch die Ebene gehen, als in der entgegen-
gesetzten. Sie steht also mit der Voraussetzung, welche wir machen müssen,
wenn wir von Wärmeleitung sprechen, im Widerspruche, denn unter Wärme-
leitung versteht man eine Fortbewegung der Wärme ohne Fortbewegung
der Masse.
Man muss demnach, abgesehen davon, ob die Gleichung (B) überhaupt
zulässig ist, nothwendig eins von beiden schliessen: entweder Maxwell
hat bei der Aufstellung seiner Gleichungen einen ganz anderen Zustand im
Auge gehabt, als den, welchen wir bei der Wärmeleitung voraussetzen,
nämlich einen solchen, bei dem die Gasmasse sich nach bestimmter Rich-
tung fortbewegt; in diesem Falle stellt seine Gleichung (A) nicht das dar,
was wir unter Wärmeleitung verstehen, und was durch meine Gleichung
(X) dargestellt wird , sondern eine mit Massenheivegung verbundene und
zum Theil durch dieselbe vermittelte Wärineheivegung ; oder Maxwell hat
wirklich jenen Zustand, bei dem Wärmebewegung ohne Massenbewegung
stattfindet, gemeint, dann ist die Gleichung (B) falsch, und die daraus ab-
geleitete Gleichung (A) ist nur dadurch angenähert richtig geworden, dass
zwei Fehler sich gegenseitig theilweise aufeehoben haben.
lieber die Wävmeleitung gasförmiger Körper. 147
(38) u = -^VY ■
und:
^ dx 2 \/t^ T ('^^
Dadurch geht die vorige Gleichung über in:
Nehmen wir als Temperatur des Normalzustandes den Gefrier-
punct an, so ist angenähert Tq = 273 und T = 273 -|- t, worin
t die vom Gefrierpuncte ab gezählte Temperatur bedeutet. Be-
zeichnen wir ferner, wie es gewöhnlich geschieht, den Ausdeh-
nungscoefficienten der permanenten Gase, nämlich ^r^z-r-, mit a, so
können wir schreiben:
^ ^ 24 273 ^ dx
Führen wir hierin endlich das Zeichen K ein mit der Bedeutung
^ ^ ~ 24 273 '
so lautet unsere Gleichung:
(XIII) G^^-^VTf^^.
§. 17. Schlüsse über die Wärmeleitung.
Der Factor K enthält nur solche Grössen, die sich auf den
Normalzustand des Gases beziehen, und er ist daher eine nur
von der Natur der betrachteten Gasart abhängige Constante.
Demnach lassen sich aus der Form der letzten Gleichung sofort
zwei allgemeine Schlüsse ziehen.
dt
Erstens: Für einen gegebenen Werth von -j- wäelist die
Wärmeleitung mit der Temperatur^ welche das Gas an der hc-
tracMeten Stelle hat, und zwar in demselben Verhältnisse, wie
die Schallgeschwindigkeit mit der Temperatur wächst, nämlich
proportional der Grösse yl -\- at.
10*
148 Abschnitt IV.
Zweitens: Die Wärmeleitung ist unabhängig von dem Druche,
unter dem das leitende Gas stellt. Dieses erklärt sich daraus,
dass bei einem durch grösseren Drack verdichteten Grase zwar
die Anzahl der Molecüle, welche die Wärme übertragen können,
grösser ist, dafür aber die Wege der einzelnen Molecüle klei-
ner sind.
Dieser letzte Satz könnte zu Ungereimtheiten führen, wenn
man annehmen wollte, dass er bis zu jeder beliebigen Verdich-
tung und Verdünnung des Gases gültig sei. Man muss aber be-
denken, dass die Anwendung des Satzes auf solche Zustände, die
sehr weit vom Mittelzustande abweichen, ihre selbstverständlichen
Grenzen hat, indem das Gas einerseits nicht soweit verdichtet
sein darf, dass dadurch zu starke Abweichungen von den Gesetzen
vollkommener Gase, welche der ganzen Entwickelung zu Grunde
liegen, eintreten, und andererseits nicht soweit verdünnt sein darf,
dass die mittlere Weglänge der Molecüle zu gross wird, um ihre
höheren Potenzen vernachlässigen zu können.
§. 18. Vergleichung verschiedener zweiatomiger Gase.
Wenn wir verschiedene Gase in Bezug auf ihre Leitungs-
fähigkeit unter einander vergleichen wollen, so tritt uns dadurch
eine Schwierigkeit entgegen, dass der in K vorkommende Factor
Je nicht bei allen Gasen einen und denselben Werth hat. Be-
schränken wir uns aber auf diejenigen Gase, deren Molecüle aus
je zwei Atomen bestehen, so kann man bei diesen den Werth
von h als gleich betrachten i), so dass er sich aus dem zwischen
K und K' gebildeten Verhältnisse forthebt. Unterscheiden wir
auch die übrigen auf die beiden Gase bezüglichen Grössen da-
durch von einander, dass wir die Zeichen der Grössen bei dem
einen Gase mit einem Accent versehen, und beim anderen ohne
Accent lassen, so erhalten wir für das Verhältniss folgende
Gleichung :
^ ^ K m Nq u'^ s '
Nun kann man, wenn q und q' die specifischen Gewichte
der Gase, bezogen auf Luft, bedeuten, mittelst derselben zwei
1) Vergl. S. 36.
Ueber die Wärmeleitiing gasfünnigor Küriier. 149
Gleichungen bilden. Erstens die nach der Bedeutung der speci-
fischen Gewichte selbstverständliche Gleichung:
m' N'o _ q'
in Nq p '
und zweitens die aus Gleichung (7) des ersten Abschnittes her-
vorgehende Gleichung i):
w^ 1 /_P
Durch Anwendung dieser beiden Gleichungen geht die Gleichung
(41) über in:
K' p' / P M £' 1 /'
\q') s - y q' ,'
K Q \q' / £ Q'
Mit Hülfe dieser Gleichung kann man das Verhältniss der
Wärmeleitungsfähigkeit verschiedener Gase berechnen, sobald das
Verhältniss der mittleren Weglängen s und a' bekannt ist. Auf
welche Weise die mittlere Weglänge der Molecüle bestimmt wer-
den kann, ist in dem vorigen Abschnitte besprochen worden 2).
Ich will hier noch anführen, dass man für Sauerstoff und Wasser-
stoff folgende in Millimetern ausgedrückte Werthe gefunden hat 3) :
0,0001059 und 0,0001855.
Da ferner die specifischen Gewichte dieser Gase sich verhalten
wie 16 : 1, so erhält man:
^_ 4.1855 _
K ~ 1059 '
Der Wasserstoff" hat sonach ein siebenmal grösseres Wärme-
leitungsvermögen als der Sauerstoff. Dieses Resultat stimmt auch
mit dem von verschiedenen Physikern experimentell festgestellten
Verhältnisse in genügender Weise überein.
§. 19. Numerische Berechnung des Leitungsvermögens.
Bei der numerischen Berechnung des Leitungsvermögens
muss der schon in §. 4 besprochene Umstand wieder zur Sprache
kommen. Wir haben nämlich in unseren vorstehenden Rech-
nungen auf die in den Bewegungen der Molecüle vorkommenden
^) Ueber die Zulässigkeit dieser Berechnung vergl. den nächsten Para-
graphen. D. H.
2) Siehe die Anm. d. H. am Schlüsse des vorigen Abschnittes.
3) Meyer, Theorie der Gase, S. 142.
150 Abschnitt IV.
zufälligen Verschiedenheiten keine Rücksicht genommen, sondern
für den Fall, wo in dem Gase keine Temperaturverschiedenheiten
vorkommen, allen Molecülen eine gemeinsame Geschwindigkeit u
zugeschrieben. Ebenso ist auch für die von den Molecülen
zwischen zwei Zusammenstössen zurückgelegten Wege nur ein auf
alle Molecüle bezüglicher Mittelwerth betrachtet, welcher für den
Normalzustand des Gases mit s bezeichnet ist, während doch die
schneller bewegten Molecüle im Allgemeinen längere Wege be-
schreiben, als die langsamer bewegten.
Die bei den Weglängen vorkommenden Verschiedenheiten
sind nicht so gross, als die bei den Geschwindigkeiten vorkom-
menden. Wenn wir nämlich für jede Geschwindigkeit die mitt-
lere Weglänge besonders bestimmen, so finden wir, dass für die
Geschwindigkeit Null auch die mittlere Weglänge den Werth
Null hat, dass dann bei zunehmender Geschwindigkeit zwar auch
die mittlere Weglänge zunimmt, aber in einem geringeren Ver-
hältnisse. Denkt man sich nämlich die Geschwindigkeit bis zu
einem unendlich grossen Werthe wachsend, so wächst dabei die
mittlere Weglänge nur bis zu einem bestimmten endlichen Werthe.
Wir wollen daher auf die Verschiedenheiten zwischen den mitt-
leren Weglängen der schneller bewegten und der langsamer
bewegten Molecüle, und den Einfluss, welchen eine Berücksich-
tigung derselben auf die Gestalt unserer Gleichungen gehabt
haben würde, hier nicht eingehen, und unter s einfach den
allgemeinen Mittelwerth aller Weglängen verstehen.
Von grösserer Bedeutung ist der für die Geschwindigkeiten
der Molecüle zu wählende Mittelwerth. In unserer unter (XII)
gegebenen P'ormel von K, welche unter Vernachlässigung der
zufälligen Verschiedenheiten, also unter der Voraussetzung, dass
in einer Gasmenge, welche durchweg gleiche Temperatur hätte,
die Bewegungsgeschwindigkeiten u aller Molecüle gleich wären,
entwickelt ist, kommt der Factor i4 vor i). Es fragt sich nun,
was unter diesem Factor zu verstehen ist, wenn die einzelnen
1) Hierzu tiat der Verfasser im Entwurf folgende Bemerkung geschrie-
ben: „Dieses u^ nicht erwähnen, sondern zurückgehen auf die Gleichung:
G = — Yö kinNoU^ -j — £ (X, S. 145) und u^ in Betracht ziehen. Das
■y— muss nämlich wegen der Gleichung q = T Iv 1~~ ^^^ besonders
behandelt werden," D. H.
Ueber die Wärnieleitung gasförmiger Körper. 151
Wertlie von t^o verschieden sind. Um die Unterscbicde, welche
in dieser Beziehung vorkommen können, klar zu üljerselien, wollen
wir, wie früher, das arithmetische Mittel einer Anzahl von Grössen
dadurch bezeichnen, dass wir über das Zeichen, welches die ein-
zelnen Grössen darstellt, einen wagcrechten Strich machen. Es
können dann z. B. folgende Grössen:
(uo)'^', «I; nf-th", {uo}'^-'] «Wo + (1 — «)(mo)-'
gebildet werden, deren Anzahl sich noch beliebig vermehren
lässt, und welche, wenn die einzelnen Werthe von Uq gleich wären,
alle den gemeinsamen Werth Uq haben. Sind aber die einzelnen
Werthe von u^j verschieden , so unterscheiden sich diese Grössen
von einander. Fragt man aber, welche von diesen oder den
sonst noch zu bildenden entsprechenden Grössen in unserem Falle
in Anwendung zu bringen ist, so stellen sich einer ganz strengen
Beantwortung dieser Frage grosse Schwierigkeiten entgegen, da
es sich nicht bloss um diejenigen zufälligen Verschiedenheiten
handelt, welche in einem Gase von durchweg gleicher Temperatur
vorkommen, sondern auch die Grösse jj, welche von den bei der
Wärmeleitung vorkommenden Temperaturunterschieden abhängt,
und die durch sie bestimmte Grösse q ebenfalls zufällige Ver-
schiedenheiten enthalten. Da nun der in (IX) gegebene Ausdruck
von q den Factor -j—^ enthält, welcher gemäss (39) durch den
et Ob
Ausdruck
1 ^0 clT
^ VTq. T dx
ersetzt ist, so ist der hierin vorkommende Factor w^ auch in
jener dritten Potenz ul enthalten, und es entsteht nun die Frage,
ob dieser Factor bei der Bildung des Mittelwerthes ebenso zu
behandeln ist, wie die beiden anderen in ul steckenden Factoren
Uq, oder eine besondere Behandlung erfordert.
Ferner ist zu bemerken , dass der in dem Ausdrucke von
jST vorkommende Factor äj, und ebenso der Factor £ sich numerisch
nur mit einiger Unsicherheit bestimmen lässt, und es daher nicht
nothwendig ist, bei der Bildung des Mittelwerthes von nl die
äusserste Genauigkeit zu erreichen.
Unter diesen Umständen habe ich in meiner Abhandlung
über die Wärmeleitung von einer speciellen Untersuchung über
den am besten zu wählenden Mittelwerth abgesehen und habe
152 Abschnitt IV.
mich damit begnügt, einen Mittelwerth anzuwenden, welcher sich
am leichtesten bestimmen lässt und auch sonst eine besonders
wichtige Rolle in den auf Gase bezüglichen Rechnungen spielt.
Der Mittelwerth der Quadrate der Geschwindigkeiten, also
die Grösse üf, hängt nämlich mit dem Drucke Pq des Gases durch
die folgende einfache Gleichung zusammen i):
3 p _ iVp m ul
"2 ^°~ 2 ■
Da ferner die rechte Seite dieser Gleichung die lebendige Kraft
der fortschreitenden Bewegung darstellt, so steht die Grösse ul
auch zu der im Gase enthaltenen Wärme in nächster Beziehung,
Ich bin daher von dieser Grösse ausgegangen und habe den aus
ihr hervorgehenden Mittelwerth von Mq, nämlich die Grösse V Uo,
bei der Berechnung von K für Uq in Anwendung gebracht.
§. 20. Numerische Werthe von K.
Bei der am Schlüsse des vorigen Paragraphen angegebenen
Bestimmung von Uq hat das Product — h Nq m ul eine einfache
Bedeutung. Es stellt nämlich die in einer Volumeneinheit des Gases
im Normalzustande enthaltene lebendige Kraft, oder die darin
enthaltene Wärmemenge dar. Diese Wärme wird, wenn y die
specifische Wärme einer Volumeneinheit des Gases bei constantem
Volumen ist, durch y Tq, oder, wenn als Normaltemperatur Tq der
Gefrierpunct genommen ist, angenähert durch y . 273 ausgedrückt,
und die Gleichung (XII) geht dadurch über in:
(42) K= — yu,B,
und zwar wird durch Anwendung dieser Formel, wenn y in ge-
wöhnlichen Wärmeeinheiten ausgedrückt ist, auch die Wärme-
leitung in gewöhnlichen Wärmeeinheiten ausgedrückt. Die Grösse
Uq ergiebt sich aus der früher schon von mir aufgestellten For-
mel für die Bewegungsgeschwindigkeit der Molecüle 2) folgender-
maassen :
(43) % = -y=-,
1) Vergl. Gleichung (2) des ersten Abschnittes.
2) Gleichung (7) des ersten Abschnittes.
lieber die Wärmelcitung gasförmiger Körper. 153
worin q das specifische üewiolit des betreffenden Gases, vergliclien
mit atmosphärischer Luft, bedeutet. Dadurch geht die vorige
Gleichung über in:
(XIV) K = 202,1 -^ 8.
Vq
Für die einfachen permanenten Gase, und für solche zusam-
mengesetzte Gase, welche bei der Verbindung keine Volumen-
verminderung erlitten haben, hat die specifische Wärme y den-
selben Werth, wie für die atmosphärische Luft, nämlich, wenn
als Volumeneinheit ein Cubikmeter genommen wird, welcher
1,2932 kg atmosphärischer Luft im Normalzustande enthält:
(44) y = 0,1686 . 1,2932 = 0,21803.
Durch Anwendung dieses Werthes erhält man für die genannten
Gase :
Hieraus ergeben sich für die drei einfachen permanenten Gase
und für die atmosphärische Luft, welche in Bezug auf die Wärme-
leitung wie ein einfaches Gas zu behandeln ist, folgende Werthe
von K:
für atmosphärische Luft . . . 44,06 . s
„ Sauerstoff 41,90 . s
„ Stickstoff 44,71 . e
„ Wasserstoff 167,49 . s.
Zur vollständigen numerischen Bestimmung dieser Werthe
müsste noch der Factor £ für jedes Gas bekannt sein. Eine un-
mittelbare theoretische Berechnung dieser Grösse nach den oben
auseinander gesetzten Principien ist deshalb nicht möglich, weil
dazu der Radius der Wirkungssphäre 6 bekannt sein müsste;
man muss daher zur Bestimmung von s andere Data anwenden^).
Maxwell hat aus Angaben über die Reibung bewegter Luft-
massen und über die Diffusion der Gase die mittlere Weglänge
der Molecüle berechnet, und hat in beiden Fällen Zahlen gefun-
den, die nicht weit von
mm ''"si- zo" °a« mmm "'=*'='•
^) Vergl. S. 149. Bei der Abfassung dieser Sätze hatte der Verf. den
dritten Abschnitt noch nicht geschrieben. (Siehe das Vorwort.) D. H.
154 Abscliuitt IV.
abweichen. Ohne mich hier über den Grad der Zuverlässigkeit
dieser Zahl auszusprechen, glaube ich doch, dass wir sie anwen-
den können, um einen ungefähren Begriff von der Art der Grössen,
um die es sich handelt, zu bekommen. Durch Einsetzung dieses
Werthes erhalten wir für atmosphärische Luft:
44 11
^^^^ ^ 16 000 000 "^ 4 000 000"
Diese Grösse bedeutet die Wärmemenge, in gewöhnlichen
Wärmeeinheiten ausgedrückt, welche während einer Secunde
durch eine Fläche von einem Quadratmeter gehen würde, wenn
dt
T— = — 1 wäre, d. h. wenn in der Nähe der betrachteten Stelle
dx
die Temperatur nach der Richtung der Abscissenaxe in der Weise
abnähme, dass, wenn dieselbe Abnahme auf einer grösseren Strecke
stattfände, auf der Länge von Im die Temperatur um l^'C. ab-
nehmen würde.
§. 21. Vergleichung des vorstehenden Werthes mit dem
Leitungsvermögen eines Metalles.
Um diese Wärmeleitung mit derjenigen der Metalle zu ver-
gleichen, können wir ein Beobachtungsresultat von Peel et an-
wenden. Dieser hat durch Beobachtung der Wärmemenge, welche
durch eine Bleiplatte ging, gefunden, dass, wenn eine grosse Blei-
masse in einen solchen Zustand versetzt würde, dass auf der
Strecke von Im die Temperatur um loC. abnähme, dann während
einer Stunde durch eine Fläche von einem Quadratmeter 14 Wärme-
einheiten gehen würden i). Um diese Zahl mit der für Luft gefun-
denen zu vergleichen, müssen wir die letztere, da sie sich auf eine
Secunde als Zeiteinheit bezieht, mit der Anzahl der Secunden,
welche in einer Stunde enthalten sind, multipliciren, wodurch wir
erhalten :
11.3600 _ 1
4 000 000 ~ TÖÖ'
Diese Rechnung führt also zu einer Wärmeleitung, welche
1400 mal kleiner ist, als die des Bleies 2),
1) Traite de la clialeur, t. I, p. 391.
2) Maxwell hat ein ganz anderes Resultat gefunden, nämlicli, dass
die Luft zehn Millionen mal schlechter leite als Kupfer. Das beruht aber
Ueber die Wärineleitimg q^asförmiger Körper. 155
Wenn der Grad der Genauigkeit dieser Zahl auch gering ist,
so dass sie nur als ein ungefährer Werth gelten kann, so wird
man doch soviel dadurch als erwiesen ansehen können, dass die
Wärmeleitung, welche man aus der dieser Ahhandluiig zu Grunde
liegenden Hypothese über die Molecularbewegungcn der Gase
theoretisch ableiten kann, viel geringer ist, als die der Metalle,
ein Resultat, welches ganz der Erfahrung entspricht. Der Ein-
wurf, diese Hypothese führe zu einer so schnellen Verbreitung
der Wärme, dass locale Temperaturverschiedenheiten in der Gas-
masse nicht möglich seien, ist also vollständig ungegründet. Ja
man kann hiernach sogar dieselbe Erscheinung, welche mit be-
sonderem Nachdrucke gegen die Hypothese geltend gemacht wurde,
als einen neuen Bestätigungsgrund für die Hypothese anführen.
§. 22. Zusammenfassung der erhaltenen Resultate i).
Fassen wir zum Schlüsse kurz die gewonnenen Resultate
zusammen, so können wir dieselben folgendermaassen aussprechen.
1) Die Gase leiten die Wärme bedeutend schlechter als die
Metalle. Eine ungefähre numerische Rechnung, bei welcher der
von Maxwell für die mittlere Weglänge der Molecüle berechnete
Werth angewandt ist, ergiebt für die atmosphärische Luft in der
Nähe des Gefrierpunctes ein Leituugsvermögen, welches 1400 mal
kleiner ist, als das des Bleies.
2) Die Wärmeleitung ist von der Temperatur des Gases ab-
hängig, und wächst mit der Temperatur in demselben Verhält-
nisse, wie die Schallgeschwindigkeit.
nur darauf, dass in seiner numerischen Eeclmung- zwei Versehen vorkom-
men. Erstens wendet er statt der von Peel et gegebenen Zahlen, welche
die Leitungsfähigkeit der Metalle in französischen Maassen angeben, Zahlen
an, die Rankine daraus für den Leitungswiderstand in englischen Maassen
berechnet hat (Manual of the Steam Engine, p. 259). Diese Zahlen sind
aber nicht ganz richtig, sondern sie müssen noch mit 0,4536, dem Ver-
hältniss von 1 engl. Pfd. zu 1kg, multiplicirt werden , um den P e c 1 e t -
sehen Zahlen zu entsprechen. Ferner hat Maxwell die Zahlen, welche
sich auf eine Stunde als Zeiteinheit beziehen, so angewandt, als ob sie sich
auf eine Secunde bezögen.
^) Dieser Schlussparagraph der ersten Auflage ist nicht in den Ent-
wurf aufgenommen. Vielleicht beabsichtigte der Verfasser ihn noch um-
zuarbeiten und zu erweitern. D. H.
156 Abschnitt IV.
3) Die Wärmeleitung ist von dem Drucke, unter welchem
das Gas steht, innerhalb gewisser Grenzen unabhängig.
4) Das Wärnieleitungsvermögen ist bei leichteren Gasen
grösser als bei schwereren, und muss daher insbesondere beim
Wasserstoff bedeutend grösser sein, als bei allen anderen Gasen.
ANHANG.
Abhandlung I.
(Abhandlung XVII. der früheren Sammlung.)
Ueber die Natur des Ozon.
Vorgetragen in der Züricher naturforschenden Gesellschaft am S.März 1858;
abgedruckt in Pogg. Ann. Aprilheft 1858, Bd. CHI, S. 644; Phil. Mag.
4*'' Ser. , Vol. XVI , p. 45 ; Archives des sciences phys. et nat. , Bibl. univ.
de Geneve, 2e s^rie, t. II, p. 150.
Im Januarhefte des Phil. Mag. i), S, 24 befindet sich ein Auf-
satz von Schönbein, in welchem der Entdecker des Ozon eine
neue Eigenschaft dieser merkwürdigen Modification des Sauer-
stoffs mittheilt. Während nämlich das Ozon auf die oxydirbaren
Substanzen und selbst auf edle Metalle eine starke oxydirende
Wirkung ausübt, hat Schönbein gefunden, dass Papierstreifen,
welche mit Bleisuperoxyd gefärbt sind, wenn man sie feucht in
stark ozonisirte Luft bringt, dort gebleicht werden, indem das
Bleisuperoxyd za Bleioxyd reducirt wird, wobei zugleich, wie
Schönbein anderweitig nachgewiesen hat, das Ozon zerstört,
d. h. in gewöhnlichen Sauerstoff übergeführt wird.
Diese Mittheilung hat mich in der Ansicht, welche ich schon
früher über die Natur des Ozon hatte, bestärkt, und ich glaube
daher, dieselbe jetzt als eine Hypothese veröffentlichen zu dürfen.
In meiner Abhandlung „über die Art der Bewegung, welche
wir Wärme nennen" 2), habe ich die Beziehungen, welche zwischen
1) 4tii Ser. Vol. XV.
2) Abhandlung XIV. der früheren Sammlung; vergl. oben Abschnitt I.
158 Anhang.
den Volumen der einfachen und zusammengesetzten Gase be-
stehen, durch die Annahme zu erklären gesucht, dass auch in
einfachen Gasen mehrere Atome zu einem Molecüle verbunden
sind, dass z. B, ein Sauerstoffmolecül aus zwei Atomen besteht.
Ich glaube nun, dass es unter besonderen Umständen geschehen
kann, dass von der grossen Anzahl von Molecülen, welche sich
in einem gewissen Quantum Sauerstoffgas befinden, ein kleiner
Theil in seine beiden Atome zerlegt wird, welche dann getrennt
unter den übrigen Molecülen umherfliegen. Diese vereinzelten
Sauerstoffatome ^ loelche sich in ihrem Verhalten gegen fremde Kör-
per natürlich von solchen Atomen^ die je zivei zu Molecülen ver-
bunden sind, unterscheiden müssen, sind meiner Ansicht nach das
Ozon 1).
Betrachten wir hiernach zunächst die wichtigsten Entstehungs-
weisen des Ozon.
Wenn in Sauerstoffgas oder atmosphärische Luft Electricität
ausströmt, oder wenn electrische Funken hindurchschlagen, so
bildet sich dadurch Ozon, wobei die Art der Electricität, ob sie
positiv oder negativ ist, keinen Unterschied macht. Diese Wir-
kung kann man wohl einfach der abstossenden Kraft der Elec-
tricität zuschreiben, indem die beiden Atome eines Molecüls,
wenn sie mit gleicher Electricität geladen sind, in derselben Weise
aus einander getrieben werden, wie man es an grösseren Körpern
beobachtet.
Wenn Sauerstoff unter geeigneten Umständen durch Electro-
lyse aus seinen Verbindungen ausgeschieden wird, so erhält man
ihn ozonisirt. Dieses erklärt sich daraus, dass im Momente der
Ausscheidung die Sauerstoffatome vereinzelt sind. Die meisten
verbinden sich sogleich an der Electrode je zwei zu Molecülen,
wobei vielleicht die Electrode selbst, wenn diese z, B, aus Platin
besteht, mit wirksam ist. Ein kleiner Theil der Atome aber bleibt
vereinzelt, und diese bilden das dem Sauerstoff beigemischte Ozon.
^) Ich. will hier gleich bemerken, dass es nur einen geringen, das eigent-
liche Wesen meiner Erklärung gar nicht berührenden Unterschied macht,
wenn man annimmt, dass die Atome, welche aus der Zerlegung der ge-
wöhnlichen Sauerstoffmolecüle entstehen , nicht ganz frei bleiben , sondern
sich mit noch unzerlegten Molecülen des umgebenden gewöhnlichen Sauer-
stojä's in loser Weise verbinden. Solche lose gebundenen Atome sind ebenso
geeignet, die weiter unten erwähnten Wirkungen hervorzubringen, wie freie
Atome. (1866.)
Uebev die Natur des Ozou. 159
Eine dritte Entstehungsart endlich findet statt, wenn atmo-
sphärische Luft in Berührung mit feuchtem Phosphor ist. Diesen
Process kann man sich vielleicht so denken. Indem der Phosphor
sich mit dem umgebenden Sauerstoff verbindet, muss eine An-
zahl der mit ihm in Berührung kommenden Sauerstoffmolecüle
in ihre zwei Atome zerlegt werden, und dabei kann es geschehen,
dass er sich nicht mit beiden verbindet, sondern dass das eine
durch die Wärmebewegung aus seiner Wirkungssphäre entfernt
wird, und dann vereinzelt bleibt. Es ist möglich, dass hierbei
noch ein besonderer Umstand, wirksam ist. Aus der Electrolyse
ist es bekannt, dass in der Verbindung verschiedenartiger Atome
zu einem Molecüle ein Theil des Molecüls positiv electrisch und
der andere negativ electrisch ist. Dieses findet vielleicht auch
bei der Verbindung zweier gleichartiger Atome, also z. B. zweier
Sauerstoöatome statt, indem auch von diesen das eine positiv und
das andere negativ electrisch wird i). Da nun bei der Oxydation
des Phosphor der Sauerstoff jedenfalls als negativer Bestandtheil
in die Verbindung tritt, so kann es sein, dass von den beiden
Sauerstofiatomen, welche aus einem Molecüle entstehen, vorzugs-
weise das negative von dem Phosphor festgehalten wird, und das
positive ungehindert, oder doch weniger gehindert fortfliegen kann.
Wenn dieses dann auch später im Verlaufe seiner Bewegungen
und seiner Berührungen mit anderen Gasmolecülen oder mit festen
Wänden seinen positiv electrischen Zustand verliert, und dadurch
zur Verbindung mit dem Phosphor geeigneter wird, so kann es
in diese doch nicht eher eintreten, als bis es wieder einmal durch
seine Bewegung in die Wirkungssphäre des Phosphor gelangt.
Bekanntlich finden bei der Ozonisirung durch Phosphor einige
auffällige Erscheinungen statt, z. B. dass verdünnter Sauerstoff
leichter ozonisirt wird, als dichterer, und Sauerstoff", der mit
Wasserstoff oder Stickstoff gemischt ist, leichter als reiner. Ich
glaube, dass sich auch für manche dieser Nebenerscheinungen
1) Ich glaube hiei' daran erinuei'n zu dürfen, dass zu der Zeit, als ich
dieses schrieb und veröffentlichte, in den Aufsätzen von Schöubein noch
nicht von zwei verschiedenen Arten activen Sauerstoffs , sondern nur vom
Ozon die Rede war. Erst in später erschienenen Aufsätzen sprach auch
Schönbein die Ansicht aus, dass gewöhnlicher Sauerstoff aus zwei in
verschiedenen Zuständen befindlichen Bestandtheilen bestehe, die er Ozon
0 0
und Antozon nannte und mit 0 und @ bezeichnete. (1SG6.)
160 Anhang.
wahrschemliclie oder wenigstens mögliche Erklärungsgründe an-
geben lassen, indessen will ich auf diese hier nicht eingehen.
Der vorher als möglich erwähnte Umstand, dass in der Ver-
bindung zweier Sauerstoffatome zu einem Molecüle die beiden
Atome entgegengesetzt electrische Zustände haben, kann auch
zur Erklärung einiger anderer Erscheinungen dienen. Dass das
in einer Sauerstoffmenge gebildete Ozon nicht nach kurzer Zeit
von selbst wieder verschwindet, indem die getrennten Atome sich
wieder zu Molecülen verbinden, hat seinen Grund vielleicht
darin, dass, nachdem die freien Atome ihren electrischen Zustand
verloren haben, damit auch ihr Bestreben, sich zu vereinigen,
geringer geworden ist; wie ja auch Sauerstoff, selbst wenn er
ozonisirt ist, mit Wasserstoff' gemischt sein kann, ohne sich mit
ihm zu verbinden i).
Wenn ozonisirter Sauerstoff erhitzt wird , so wird dadurch
das Ozon zerstört. Dieses lässt sich vielleicht daraus erklären,
dass die hohe Temperatur gerade so, wie sie die Verbindung von
Sauerstoff" mit Wasserstoff" und anderen oxydirbaren Substanzen
veranlassen kann, auch die Vereinigung der getrennten Säuerstoff-
atome veranlasst.
Durch Versuche von Becquerel und Fremy hat sich gezeigt,
dass eine gegebene Menge Sauerstoffgas sich durch electrische
Funken, wenn das Ozon mit dem Sauerstoff gemischt bleibt, nur
bis zu einem gewissen Grade ozonisiren lässt, während, wenn
das gebildete Ozon immer gleich beseitigt wird, z. B. durch
Oxydation von Silber, nach und nach die ganze Sauerstoffmenge
in Ozon verwandelt werden kann. Dieses deutet darauf hin,
dass, wenn schon zu viele einzelne Atome in dem Gase enthalten
sind, diese sich wieder unter einander verbinden, und es kann
sein, dass die electrischen Funken selbst die Fähigkeit haben,
unter veränderten Umständen auch die umgekehrte Wirkung zu
üben, nämlich die Vereinigung getrennter Atome zu befördern,
1) Wenn die Sauerstoffatome, welclie das Ozon bilden, sich mit anderen
gewöhnlichen Sauerstoffmolecülen in loser Weise verbunden haben, und
wenn sie in den so entstandenen complicirteren Molecülen als negativ-
electrische Bestandtheile enthalten sind, und sich daher sämmtlich in einem
und demselben electrischen Zustande befinden , so wird dadurch ihr ge-
ringes Bestreben, sich gegenseitig zu zweiatomigen Molecülen zu verbinden,
um so mehr erklärlich (1866).
lieber die Naluv des Ozon. 161
iilinlich wie sie die Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff
eiideiten können.
Betrachten wir nun einige Wirkungen des Ozon.
Die Hauptwirkung, nämlich die starke Oxydation, kann nacli
der gegebenen Erklärung vom Ozon als von selbst verständlich
angesehen werden, denn es ist klar, dass getrennte ij Sauerstoff-
atome in Verbindungen mit fremden Körj^ern leichter eintreten
können, als solche Atome, die schon unter sich zu je zweien ver-
bunden sind, und aus dieser Verbindung erst gelöst werden müssen,
um zur Verbindung mit anderen Stoffen geeignet zu Averden.
In dieser Beziehung ist das Ozon mit dem Sauerstoff" im
Status nascens zu vergleichen, nur dass bei dem letzteren noch
der electrische Zustand mit in Betracht kommt. Wenn nämlich
Sauerstoff' aus einer Verbindung, in welcher er electronegativ
war, ausgeschieden wird, so wird er in eine andere Verbindung,
in welcher er auch electronegativ sein muss, aus doppeltem
Grunde leicht eintreten, erstens weil die Atome noch vereinzelt
sind, und zweitens, weil sie schon den richtigen electrischen
Zustand haben. Es kann daher der Sauerstoff" im Status nascens
in manchen Fällen an Wirksamkeit das Ozon noch übertreff'en.
Eine mit der vorigen verwandte Wirkung ist die, dass eine
Platinplatte durch Eintauchen in ozonisirten Sauerstoff galvanisch
polarisirt wird. Bekanntlich werden die beiden Electroden,
welche zur galvanischen Wasserzersetzung dienen, dadurch in der
Weise polarisirt, dass sie für sich allein einen entgegengesetzten
Strom hervorzubringen vermögen. Man erklärt dieses daraus,
dass die eine Electrode mit einer Schicht von Wasserstoff-
gas und die andere mit einer Schicht von Sauerstoft'gas be-
legt ist. Hiermit stimmt es auch überein, dass eine Platin-
platte, welche in Wasserstoffgas getaucht wird, dadurch ebenfalls
positive Polarisation annimmt. Taucht man dagegen eine Platin-
platte in gewöhnliches Sauerstofi'gas , so tritt die entsprechende
Erscheinung, welche man vielleicht erwarten könnte, dass die
Platte hierdurch negativ polarisirt wird , nicht ein , und hierin
scheint ein Widerspruch gegen die erwähnte Erklärung zu liegen.
Indessen glaube ich, dass man sich von diesem Unterschiede
folgendermaassen Rechenschaft geben kann. Da ein W^asser-
molecül aus mvei Atomen W^asserstoff und einem Atome Sauerstoff'
1) Oder nur schwach an anderen Moleciilen haftende. (1866.)
Claiisiiis, meohau. Warmetheorie. III. jj
1G2 Aiiliang.
besteht, so können die Atome des Wasserstoö'gases, welche eben-
falls, wie die des Sauerstoffgases, je zwei zu Molecülen vereinigt
sind, in die Verbindung mit Sauerstoff eintreten, ohne ihre Ver-
einigung unter einander aufzugeben. Die Atome des Sauerstoff'-
gases dagegen sind, so lange sie unter einander zu Molecülen
vereinigt sind, zur Verbindung mit dem Wasserstoff nicht geeignet.
Daher kann der Sauerstoff" in seinem gewöhnlichen Zustande
keine galvanische Polarisation hervorbringen, erhält aber diese
Fähigkeit durch Ozonisation.
Neben der oxydirenden Wirkung kann das Ozon , wie
Schön bei n am Bleisuperoxyd nachgewiesen hat, auch die ent-
gegengesetzte Wirkung der Desoxydation üben , and das Ozon
selbst wird dabei in gewöhnlichen Sauerstoff' übergeführt. Da
das letztere in gleicher Weise bei der Berührung des Ozon mit
anderen Superoxyden stattfindet, so liegt die Vermuthung nahe,
dass auch die Desoxydation nicht auf das Bleisuperoxyd allein
beschränkt ist. Diese Wirkung lässt sich ohne Schwierigkeit
erklären. Denkt man sich nämlich ein Oxyd, welches seinen
Sauerstoff' oder einen Theil desselben leicht abgiebt, in Berührung
mit einem Gase, in welchem einzelne Sauerstoffatome sich be-
wegen, die sich mit zweiten Atomen zu verbinden suchen, so
werden diese, indem sie mit dem Oxyde in Berührung kommen,
ihm die nur schwach gebundenen Atome entziehen können, wo-
durch die doppelte Wirkung, die Reduction des Oxydes und das
Verschwinden des Ozon zugleich erklärt ist.
Das Verhalten des Ozon ist in mancher Beziehung dem der
Superoxyde ähnlich. Wasserstoff'superoxyd z. B. hat bekanntlich
eine starke oxydirende Wirkung, indem es sein zweites Sauerstoff-
atoni leicht abgiebt. Bringt man dagegen Wasserstoff'superoxyd
mit Oxyden edler Metalle oder mit gewissen metallischen Super-
oxyden zusammen, so findet eine gegenseitige Reduction statt.
Hierbei darf man wohl annehmen, dass die Sauerstoff'atome,
welche aus dem Wasserstoff'superoxyd ausscheiden, sich mit denen,
welche aus den metallischen Oxyden oder Superoxyden frei
werden, zu Molecülen vereinigen.
Es kann bei dieser Erscheinung die Frage entstehen, weshalb
die Atome des Ozon für sich allein, oder die in einem einzelnen
Oxyde oder Superoxyde enthaltenen und leicht trennbaren Sauer-
stoff'atome sich nicht ebenso leicht unter einander vereinigen
können, als die Atome zweier verschiedenartiger Stoffe sich gegen-
Ueber die Natur des Ozon. IG.T
seitig vereinigen, Dal)ei können aber mancherlei Nebenumstiinde
von Einfluss sein. Zunächst ist der Aggregatzustand zu berück-
sichtigen. In einem festen Metalloxyde oder -suj)eroxyde sind
die einzelnen Theile in unveränderlicher Lage zu einander, und
man kann daher annelftnen, dass die Sauerstoffatome nicht in
solche Berührung mit einander kommen , wie zur Vereinigung
nothwendig ist. Ein flüssiger Körper dagegen schmiegt sich an
den festen besser an, und seine Theilchen besitzen zugleich die
nöthige Beweglichkeit, und ebenso verhält es sich mit einem
luftförmigen Körper, der ausserdem an der Oberfläche des festen
Körpers noch eine Verdichtung erleidet. Ferner kann es sein, dass
der gleiche electrische Zustand, in welchem sich die Sauerstoff-
atome einer bestimmten Verbindung befinden, sie zur Vereinigung
unter einander weniger geneigt macht, als zur Vereinigung mit
dem unelectrischen Ozon, oder mit den Sauerstoffatomen einer
anderen Verbindung, deren electrischer Zustand möglicherweise
ein anderer sein kann. Auch das electrische Leitungsvermögen
der Stoffe kann in Betracht kommen, indem die zur Vereinigung
nothwendigen Aenderungen des electrischen Zustandes in Be-
rührung mit metallischen Körpern leichter geschehen können,
als im Lmeren schlecht leitender Körper. Vielleicht lassen sich
auch noch andere Gründe zur Beantwortung jener Frage bei-
bringen, indessen werden die angeführten schon genügen, um
wenigstens zu zeigen, wie viele Umstände hier zusammenwirken
können, und dass man daher nicht erwarten darf, eine einfache
Gesetzmässigkeit zu finden, welche für alle Fälle gültig bleibt.
(Bei der ersten Veröffentlichung dieser kleinen Abhandlung
hatte ich zum Schlüsse noch eine Bemerkung über Beobachtungen
der Dichtigkeit des Ozon, welche kurz vorher von Andrews und
Tait angestellt waren, hinzugefügt. Ich glaubte damals, das Er-
gebniss dieser Beobachtungen widerspreche meiner Erklärung des
Ozon; indessen habe ich später erkannt, dass dieser Widerspruch
nur scheinbar ist, indem er nicht die Hauptsache meiner Erklärung,
sondern nur den schon oben (S, 160, Anmerkung) erwähnten,
ganz untergeordneten Nebenpunct betrifft. Es wird hiervon in
der folgenden Abhandlung i) noch weiter die Ptede sein. 186G.)
1) Vergl. Abhandl. III, S. 181. D. H.
11*
Abhandlung II.
(Abhandlung XVIII. der früheren Sammlung.
Ueber den Unterscliied zwischen activem und
g-ewöhnlichem Sauerstoff.
Vorgetragen in der Züricher naturforschenden Gesellschaft am 19. October
1863; abgedruckt in der Vierteljalirssclirift dieser Gesellschaft Bd. VIII,
S.345; Pogg. Ann. Februarheft 1864, Bd. CXXI, S.250; Phil. Mag. 4th Ser.
Vol. XXVII, p. 261.
In emer im März 1858 mitgetheilten Abhandlung „über die
Natur des Ozon" i) habe ich von dieser Modification des Sauer-
stoffs eine Erklärung gegeben, welche mit meinen kurz vorher
veröffentlichten Ansichten über den inneren Zustand der Körper,
insbesondere der Gase, im Zusammenhange stand. Damals waren
unsere Kenntnisse vom activen Sauerstoff noch viel geringer als
jetzt. Der Gegensatz zwischen Ozon und Antozon war noch nicht
entdeckt. Man wusste nur, dass der Sauerstoff durch verschiedene
Processe in einen erregten Zustand gebracht werden kann, in
welchem er stärker oxydirend wirkt als gewöhnlicher Sauerstoff,
und diesen so veränderten Sauerstoff nannte man Ozon. Neben
der oxydirenden Wirkung war eben damals von Schönbein
zum ersten Male auch eine desoxydirende Wirkung beobachtet,
nämlich die Desoxydation von Bleisuperoxyd, und die Veröffent-
lichung dieser Beobachtung 2) war es, welche mir zur Mittheilung
meiner Ansichten über das Ozon Veranlassung gab.
1) Siehe Abhandlung L, S. 157.
2) Fhü. Mag. Januarheft 1858, S. 24.
Ueber eleu Uuterscliied zwisclieu activtjm und guwüliiiliclii'm ("»auerstuif. 165
Seitdem sind viele und wichtige experimentelle Unter-
sucliungen über den activen SauerstoU' gemacht. Schönbein
selbst hat seine Epoche machende Entdeckung des Ozon durch
den Nachweis des Unterschiedes zwischen Ozon und Antozon
vervollständigt. Unter den anderen Arbeiten muss ich vorzugs-
weise die höchst interessante Schrift von G. Meissner „Unter-
suchungen über den Sauerstoff" hervorheben, ferner die fort-
gesetzten Untersuchungen von Andrews und Tait^), und die
schönen von v. Babo^) und Soret^) angestellten Beobachtungen.
Die Resultate dieser neueren Untersuchungen halben den
Haupttheil meiner Erklärung in auffalliger Weise bestätigt; in
zwei Punkten aber, welche von nur untergeordneter Bedeutung
sind, stimmen sie nicht ganz mit derselben überein. Diese Ab-
weichungen können vielleicht bei manchen Lesern Bedenken
gegen die Richtigkeit meiner Erklärung erregen, da es nicht
immer leicht ist, das Wesentliche einer Erklärung vom Unwesent-
lichen zu unterscheiden, und diese Unterscheidung im vorliegen-
den Falle noch dadurch erschwert wird, dass ich selbst in meiner
ersten Darstellung auf einen unwesentlichen Punct ein grösseres
Gewicht gelegt habe, als nöthig war. Ich halte es daher für
zweckmässig, noch einmal auf den Gegenstand zurückzukommen,
um mich darüber auszusprechen, bis wie Aveit ich meine Erklärung
auch jetzt noch für richtig halte, und in welchen Puncten da-
gegen, meiner Ansicht nach, durch die neueren Untersuchungen
kleine Aenderungen nothwendig geworden sind.
In meiner Abhandlung „über die Art der Bewegung , welche
wir Wärme nennen" habe ich den Schluss gezogen, dass im
gewöhnlichen Sauerstoff die Atome nicht ganz vereinzelt, sondern
je zwei zu Molecülen verbunden sind, einen Schluss, welcher *uch
mit den von Gerhardt über die Constitution der Gasmolecüle
geäusserten Ansichten übereinstimmt, nur dass Gerhardt sich
gerade über den Sauerstoff weniger bestimmt ausgesprochen hat,
als ich, indem er nur sagt-^): „das freie Sauerstoffatom ist aus
mehreren (wenigstens zwei) Atomen zusammengesetzt." Auf
1) Phil. Trans, of the Boycd Soc. of London for 18G0, ^). 113.
2) Berielite der naturf. Gesellschaft zu Freiburg in Br. Bd. III, Heft I.
3) Comptes rendus, t. LVII, p. 601 (October 1SG3).
*) Gerhardt, Lehrbuch der organischen Chemie, in deutscher Ueher-
setzuug herausgegeben von Wagner, Bd. IV, S. 612 (französische Ausgabe
t. IV, p. 574).
166 Anhang.
diesem früher von mir gezogenen Schlüsse fussencl, gab ich von
dem in gewöhnlichem Sauerstoff enthaltenen activen Sauerstoff',
welchen man damals ohne Unterschied Ozon nannte, die Er-
klärung, dass er aus einzelnen^ also nicht paarweise zu Molecülen
verhundenen Atomen bestehe^ welche sich unter den gewöhnlichen
Molecülen zerstreut befinden.
Indem ich diese Erklärung mit den damals bekannten That-
sachen verglich, und dazu zunächst die wichtigsten Entstehungs-
weisen des Ozon betrachtete, fand ich Gelegenheit, auch auf den
Zustand der beiden in einem gewöhnlichen Sauerstoffmolecül
enthaltenen Atome näher einzugehen, und meine Ansicht darüber
zu äussern. Ich sagte nämlich, dass man sich den Process,
welcher stattfindet, wenn durch Berührung von atmosphärischer
Luft mit feuchtem Phosphor Ozon entsteht, vielleicht folgender-
maassen denken könnet): „Indem der Phosphor sich mit dem
umgebenden Sauerstoff" verbindet, muss eine Anzahl der mit ihm
in Berührung kommenden Sauerstoffmolecüle in ihre Atome zer-
legt werden, und dabei kann es geschehen, dass er sich nicht
mit beiden verbindet, sondern dass das eine durch die Wärme-
bewegung aus seiner Wirkungssphäre entfernt wird und dann
vereinzelt bleibt. Es ist möglich, dass hierbei noch ein besonderer
Umstand wirksam ist. Aus der Electrolyse ist es bekannt, dass
in der Verbindung verschiedenartiger Atome zu einem Molecüle
ein Theil des Molecüls positiv electrisch und der andere negativ
electrisch ist. Dieses findet vielleicht auch bei der Verbindung
zweier gleichartiger Atome, also z. B, zweier Sauerstoffatome, statt,
indem auch von diesen das eine positiv und das andere negativ
electrisch wird. Da nun bei der Oxydation des Phosphor der
Sauerstoff jedenfalls als negativer Bestandtheil in die Verbindung
tritt, so kann es sein, dass von den beiden Sauerstoffatomen,
welche aus einem Molecül entstehen , vorzugsweise das negative
von dem Phosphor festgehalten wird, und das positive ungehindert,
oder doch weniger gehindert, fortfliegen kann."
In diesen Sätzen, und wiederholt auch noch im weiteren
Verlaufe der Abhandlung, ist, soviel ich weiss, zum ersten Male
und zu einer Zeit, wo noch keine experimentellen Data vorlagen,
die dazu nöthigten, die Ansicht ausgesprochen, dass die beiden
in einem gewöhnlichen Sauerstoffmolecüle enthaltenen Atome
1) Oben S. 159.
Ueber den Uuterscliied zwischen activem und güwühulichem Sauerstoff. 107
entgegengesetzt elcctrisclie Zustände luiLcn. Diese Ansicht ist
clurcli die bald darauf gemachte Entdec^kung, dass es zwei Arten
von activem Sauerstoff' giebt, welche Schönbein durch die
Worte Ozon und Antozon unterschieden hat, und dass' diese
beiden sicli zu gewöhnlichem Sauerstoff verbinden können , in
merkwürdiger Weise bestätigt.
Was den Umstand anbetrifft, dass der active Sauerstoff" so-
wohl oxydirend als auch desoxydircnd wirken kaini, so gab ich
davon folgende Erklärung. Ungepaarte Atome können in Ver-
bindungen mit anderen Stoffen leichter eintreten, als solche, die
schon, unter sich zu je zweien verbunden sind, und aus dieser
Verbindung erst gelöst werden müssen, um zur Verbindung mit
andei'en Stoffen geeignet zu werden; jene werden daher stärker
oxydirend wirken als diese. Denkt man sich ferner ein Oxyd
resp. Superoxyd, welches seinen- Sauerstoff oder einen Thcil des-
selben leicht abgiebt, in Berührung mit einem Gase, in welchem
sich Sauerstoffatome befinden, die das Bestreben haben, sich mit
zweiten Atomen zu verbinden, so werden diese dem Oxyde die
schwach gebundenen Atome entziehen können , wodurch gleich-
zeitig das Oxyd reducirt und der active Sauerstoff in gewöhn-
lichen übergeführt wird.
In Bezug auf diese doppelte Wirkung der Oxydation und
Desoxydation verglich ich den activen Sauerstoff", wie er in ge-
wöhnlichem Sauerstoff' enthalten sein kann, mit demjenigen
Sauerstoff, welcher sich in gewissen Superoxyden oder in
Oxyden edler Metalle lose gebunden befindet, und indem ich
Wasserstoffsuperoxyd als Beispiel wählte, sagte ichi): „Wasser-
stoff'superoxyd z. B. hat bekanntlich eine starke oxydirende
Wirkung, indem es sein zweites Sauerstotfatom leicht abgiebt.
Bringt man dagegen Wasserstoffsuperoxyd mit Oxyden edler
Metalle oder mit gewissen metallischen Superoxyden zusammen, so
findet eine gegenseitige Reduction statt. Hierbei darf man wohl
annehmen, dass die Sauerstoff'atome, welche aus dem Wasserstoö"-
superoxyd ausscheiden, sich mit denen, welche aus den metalli-
schen Oxyden oder Superoxyden frei werden, zu Molecülen ver-
einigen."
Ich stellte dann die Frage auf, weshall) die in einem ein-
zelnen Oxyde oder Superoxyde enthaltenen und leicht trennbaren
1) Oben S. 162.
168 Auhang.
Sauerstoffatome sich nicht ebenso leicht unter sich vereinigen
können, wie die Sauerstoffatome einer Verbindung sich mit denen
eiuer anderen Verbindung vereinigen. Unter den Gründen,
welche ich zur Beantwortung als möglich bezeichnete, kommt
auch der vor , dass die Sauerstoffatome verschiedener Verbin-
dungen sich in verschiedenen electrischen Zuständen befinden
können und der electrische Unterschied die . Atome der einen
Verbindung zur Vereinigung mit den Atomen der anderen Ver-
bindung geneigter machen kann, als zur Vereinigung unter
sich selbst.
Ueber die gegenseitige Reduction zweier Superoxyde hat
Brodie in einer in den Londoner Philos. Transad. für 1850
veröffentlichten schönen Abhandlung, welche mir bei der Abfassung
meines Aufsatzes unbekannt war, eine Ansicht ausgesprochen,
welche in einem Puncto der von mir ausgesprochenen ähnlich ist,
in anderen Puncten aber wesentlich von ihr abweicht. Brodie
nimmt an, dass der Sauerstoff der beiden Verbindungen, welche
auf einander einwirken, verschiedene chemische Zustände habe.
Er sagt, der Sauerstoff sei in den Verbindungen diemicaUy polar,
und unterscheidet den positiv polaren und den negativ polaren
Zustand. Zwei Quantitäten Sauerstoff', welche sich in diesen
beiden Zuständen befinden, suchen sich unter einander chemisch
zu verbinden, ebenso wie Sauerstoff" und Wasserstoff sich ver-
binden können. Die Frage, worauf die chemische Verschieden-
heit der beiden Sauerstoffmengen beruht, und wie die Molecüle
beschaffen sind, entscheidet er nicht, sondern erklärt diese Frage
am Schlüsse seiner Abhandlung ausdrücklich für eine offene.
Seine Ansicht scheint sich indessen dahin zu neigen, dass die
Stoffe, welche in der Chemie als einfache betrachtet werden,
selbst noch wieder aus anderen zusammengesetzt sind, „that tliey
consist of yet other and furtlier elements" . Vom Sauerstoff' specidl
sagt er : „ On tliis view , the real fad lohich lay hid under these
pJienomena, miglit he the synthesis of the oxygen from the ultimate
and further Clements of tvhich the oxygen consisted."
Meine Erklärung dagegen führt -die Erscheinungen ganz be-
stimmt auf eine einfache Molecularconstitution zurück, indem sie
davon ausgeht, dass die Molecüle des gewöhnlichen Sauerstoffs
zweiatomig sind, und dass die Atome das Bestreben haben, sich,
wenn sie frei sind, wieder paarweise zu Molecülen zu vereinigen.
Wenn zwischen zwei Sauerstoffatomen ein electrischer Gegensatz
Ueber den Unterschied zwischen uctiveni und gewüluilicliem Sauerstoff. 1G9
bestellt, so wird dadurch ihre Vereinigung l^efordert; aber selbst
wenn dieser Gegensatz nicht besteht, so ist die Tendenz zur
Vereinigung doch vorhanden , und der electrische Gegensatz
bildet sich dann bei der Vereinigung von selbst. Auf diese Weise
erklärt es sich, dass die Sauerstoffatome einer Verbindung sich
zwar leichter mit den Sauerstoffatomen einer anderen Verbindung,
welche einen anderen electrischen Zustand haben , vereinigen,
dass aber unter geeigneten Umständen, z. B. bei erhöhter Tempe-
ratur, auch die Sauerstoffatome einer einzelnen Verbindung aus
dieser austreten und sich unter einander zu Molecülen vereinigen
können, und dass dadurch Sauerstoff von derselben Art entstellt,
wie wenn zwei in verschiedenen Verbindungen enthaltene Sauer-
stoftmengen zusammentreten. Brodie's Ansicht, nach der nur
solche Sauerstoffmengen, welche entgegengesetzte chemische
Polarität haben, sich unter einander zu verbinden suchen, lässt
diesen letzten Vorgang ganz unerklärt, und auch in den übrigen
Vorgängen bleibt eine grössere Unbestimmtheit, als bei meiner
Erklärung.
Nach dem bisher Gesagten kann ich dasjenige, was ich von
meiner in der früheren Abhandlung ausgesprochenen Ansicht
auch jetzt, nach den neueren P]ntdeckungen, noch glaube unver-
ändert festhalten zu dürfen, kurz in folgende zwei Sätze zu-
sammenfassen, von denen der eine dort von vornherein den
Hauptpunct meiner FJrklärung bildete, und der andere im Ver-
laufe der Auseinandersetzungen als ein wahrscheinlicher Satz
mit zu Hülfe genommen wurde: 1) GeivoJinlicJier Sauerstoff be-
steht aus gepaarten, activer Sauerstoff aus ungepaarten ÄtoDieu'^).
2) Die beiden Atome, tvelche ein Molecill gewolinliclien Sauerstoffs
bilden, befinden sich in entgegengesetzten electrischen Zuständoi.
Ich gehe nun dazu über, die beiden Puncto zu besprechen,
in welchen ich glaube, meine ursprünglich ausgesprochene Ansicht
ändern zu müssen.
Zu jener Zeit war, wie schon erwähnt, nichts davon bekannt,
dass es ausser dem Ozon noch eine zweite Art von activem
Sauerstoff gebe, und vom Ozon wusste man noch nicht, dass in
^) Unter gepaarten Atomen verstehe ich hier solche Atome, von denen
je sivei zu einem Molecüle verbunden sind, und unter ungepaarten Atomen
solche, die sich nicht in dieser bestimmten Verbindung zu je ziceien befinden
und die leichter, als so verbundene Atome, einzeln in Wirksamkeit treten
können. (1866.)
170 Anliaug.
seinem Verhalten zu dem in verschiedenen Verhindungen befind-
lichen Sauerstofie irgend ein Unterschied der Art stattfinde, wie
in dem Verhalten einer Electricität zu der gleichartigen oder zu
der entgegengesetzten Electricität. Ich glaubte es daher als
eine Thatsache betrachten zu müssen, dass ein solcher Unter-
schied nicht bestehe. Da nun einerseits nach meiner Ansicht
über den Zustand der gewöhnlichen Sauerstoffmolecüle voraus-
zusetzen war, dass die Atome eines Molecüls im Momente, wo sie
sich trennen, entgegengesetzt electrisch seien; da ich aber anderer-
seits es für eine durch Beobachtungen festgestellte Thatsache
hielt, dass der durch diese Trennung entstandene active Sauer-
stoff bei seinem weiteren Fortbestehen keine Eigenschaften be-
sitze, welche diesem electrischen Gegensatze entsprechen, so
machte ich die Annahme, dass der electro- positive oder electro-
negative Zustand, welchen die Atome im Momente der Trennung
haben, sich nachher verliere, und die Atome electrisch neutral
werden. Man wird aber zugestehen, dass diese Annahme nicht
durch die meiner Erklärung zu Grunde liegende Idee nothwendig
bedingt war, sondern dass es nur eine Nebenannahme ist, die
zu Hülfe genommen werden musste, um dem damals voraus-
gesetzten Sachverhalte zu genügen. Sie kann daher, soweit die
verbesserten Kenntnisse über den Sachverhalt es erfordern , auf-
gegeben und abgeändert werden, ohne dass die Grundidee meiner
Erklärung davon berührt wird.
Es kommen in der Chemie häufig Fälle vor, wo eine ge-
gegebene Quantität Sauerstoff sich vollständig mit einem anderen
Stoffe verbindet, und zwar so, dass alle Atome dieses Sauerstoffs
in der Verbindung in gleicher Weise enthalten sind, und daher
auch alle einen und denselben electrischen Zustand, in den meisten
Fällen den electro - negativen , haben müssen. Wenn nun der
obigen Annahme gemäss in dem Sauerstoff", bevor er die Ver-
bindung mit dem anderen Stoffe eingeht, die Hälfte der Atome
electro -positiv und die andere Hälfte electro-negativ ist, so muss
beim Entstehen der Verbindung die eine Hälfte der Atome ihren
electrischen Zustand ändern. Ebenso kommen umgekehrt Fälle
vor, wo Sauerstoff' aus einer Verbindung ausgeschieden wird, und
wo im Momente der Ausscheidung, wie man voraussetzen darf,
alle Atome gleichen electrischen Zustand haben, während nachher,
nachdem der frei gewordene Sauerstoff' in seinen gewöhnlichen
Zustand übergegangen ist, die Atome, der Annahme nach, zur
lieber den Unterschied zwischen activem und gewölmlichem Sauerstoff. 171
Hälfte positiv und zur Hälfte nei^ativ sind. Hiernach darf man die
elcctrische Verschiedenheit der Sauerstoffatome nicht so auffassen,
als ob es zwei Arten von Sauerstofiatomen gäbe, von denen die
einen ein- für allemal electro- positiv, und die anderen ein- für
allemal electro-negativ sind, sondern man muss die Möglichkeit des
Ueberganges aus dem einen Zustande in den andern zugestehen.
Darin liegt zugleich die Möglichkeit ausgesprochen, dass die
Atome, wenigstens momentan, sich auch in Zwischenzuständen
befinden, und unter andern auch unelectrisch sein können. Ob
aber die Uebergänge immer plötzlich stattfinden, oder ob die
Atome auch in jenen Zwischenzuständen für längere Zeit ver-
harren und von einem zum andern allmälig übergehen können,
ist damit noch nicht entschieden, sondern kann nur aus Beob-
achtungsdaten geschlossen werden.
Beim Ozon im engeren Sinne sprechen die von Schönbein in
neuerer Zeit beobachteten Thatsachen dafür, dass die activen Atome,
welche das Ozon bilden, electro-negativ sind, und diesen electri-
schen Zustand so lange, wie das Ozon als solches besteht, unveränder-
lich beibehalten. Wie sich das Antozon in Bezug auf die Bestän-
digkeit seines electrischen Zustaudes verhält, lässt sich aus den
bisher bekannten Thatsachen noch nicht mit Sich-erheit entnehmen.
Der zweite Punct, in welchem ich glaube meine ursprünglich
gegebene Erklärung etwas ändern zu müssen, hängt mit den
Volumenänderungen zusammen, welche der Sauerstoff dadurch
erleidet, dass ein Theil desselben aus dem gewöhnlichen in den
activen Zustand oder umgekehrt übergeht.
In der schon citirten Abhandlung „über die Art der Bewe-
gung, welche wir Wärme nennen", habe ich alle Volumenverhält-
nisse gasförmiger Körper auf den einen Satz zurückgeführt, „dass
bei gleicher Temperatur die einzelnen Molecüle aller Gase in
Bezug auf ihre fortschreitende Bewegung gleiche lebendige Kraft
haben" ^). Wenn dieser Satz richtig ist, so müssen von allen Gasen
bei gleicher Temperatur und unter gleichem Drucke in gleichen
Räumen gleich viele Molecüle sein. Betrachtet man nun eine
gewisse Menge gewöhnlichen Sauerstoffs, so sind darin meiner
Ansicht nach die Atome paarweise zu Molecülen verbunden. Wer-
den bei der Erregung dieses Sauerstoffs eine Anzahl von Mole-
cülen in ihre Atome zerlegt, so fragt es sich nun, wie sich diese
1) Oben S. 22.
172 Anhang.
einzelnen Atome verhalten, ob sie vereinzelt bleiben und für
sich allein ihre Bewegungen machen, so dass jedes dieser Atome
in dem Gase die Rolle eines Molecüls spielt, oder ob sie irgend
welche andere Verbindungen eingehen.
Ich habe bei meiner ersten Erklärung angenommen, dass die
getrennten Atome vereinzelt bleiben und Molecüle für sich bil-
den , so dass also im erregten Sauerstoff mehr Molecüle ent-
halten seien, als in derselben Quantität Sauerstoff im unerregten
Zustande, und daraus schloss ich, dass der Sauerstoff im erregten
Zustande ein grösseres Volumen einnehme, als im unerregten.
Es existirten damals freilich schon Versuche- über die Dichtig-
keit des Ozon von Andrews und Taiti), welche das jener An-
nahme widersprechende Resultat gegeben hatten, dass ozonhaltiger
Sauerstoff, wenn das Ozon in gewöhnlichen Sauerstoff verwandelt
wird, dabei an Volumen zunimmt; diese Versuche standen aber
damals noch so isolirt da, und schienen mir wegen ihrer Schwie-
rigkeit so viele mögliche Fehlerquellen zu enthalten, dass ich,
ohne die Geschicklichkeit und Sorgfalt jener Forscher in Zweifel
zu ziehen, doch glaubte, meinen Bedenken an der Zuverlässig-
keit des Resultats noch Raum geben und meine Annahme fest-
halten zu dürfen.-
Seitdem haben dieselben beiden Forscher ihre Untersuchung
des Gegenstandes fortgesetzt, und auch von Babo und Soret
haben Beobachtungen darüber angestellt. Durch diese Unter-
suchungen, bei deren Beschreibung die betreffenden Autoren
immer nur von Ozon und nicht von zwei Arten von activem
Sauerstoff sprechen, hat sich jenes früher gefundene Resultat,
dass ozonhaltiger Sauerstoff ein geringeres Volumen einnimmt,
als dieselbe Menge Sauerstoff, wenn sie sich durchweg im ge-
wöhnlichen Zustande befindet, vollkommen bestätigt, und als
specielles Ergebniss hat sich noch herausgestellt, dass die Diffe-
renz zwischen den beiden Volumen gerade so gross ist, als ob
der Theil des Sauerstoffs, welcher sich im Zustande von Ozon
befindet, gar nicht existirte.
Es fragt sich nun, ob und in welcher Weise meine Erklärung,
dass der active Sauerstoff sich vom gewöhnlichen dadurch unter-
scheidet, dass er aus ungepaarten Atomen besteht, mit dieser in
1) Proc of the R. Soc. of London, Vol. VIII, p. 498, und Pogg. Ann.
l CII, S. 625.
Ueber den UuterKcliied zwischen activem und gewöhnlichem Rauerstoff. 173
Bezug auf das Volumen gefundenen Thatsache in Einklang zu
bringen ist. Man muss es nach diesen Beobachtungen als aus-
gemaclit betrachten, dass die ungepaarten Atome, aus welchen
das Ozon besteht, nicht vereinzelt bleiben und Molecülc für sich
bilden, sondern sich irgendwie an die Molecüle des umgebenden
gewöhnlichen Sauerstoffs anschliessen , und mit ihnen zusammen
complicirtere Molecüle bilden. Um aber dabei doch das Wesent-
liche meiner Erklärung aufrecht zu erhalten, muss man über die
Constitution der so entstandenen complicirteren Molecüle be-
stimmte Annahmen machen.
Man muss nämlich zunächst annehmen, dass die complicir-
teren Molecüle nicht aus mehreren Atompaaren bestehen, wie
wenn mehrere gewöhnliche Sauerstoffmolecüle sich unter einander
verbunden hätten, sondern dass die Atome, welche den activen
Sauerstoff' bilden, als uyigepaarte Atome in den Molecülen enthal-
ten sind. Der einfachste Fall der Art ist der, wenn jedes der
complicirteren Molecüle aus einem Atompaare und einem damit
verbundenen activen Atome besteht; sollten aber mehrere active
Atome in ihm vorkommen, so müssten diese sich in solchen
Lagen befinden, dass sie keine unter sich verbundenen Paare
bilden, sondern als einzelne Atome an dem Molecüle haften, und
als solche auch von ihm ausgeschieden werden können. Ferner
muss man, um die starke oxydirende Wirkung des activen Sauer-
stoffs zu erklären, annehmen, dass es leichter ist, jene ungepaarten
Atome von den Molecülen zu trennen, als zwei zu einem Paare
verbundene Atome von einander zu scheiden, dass also im Ver-
hältnisse zu der Kraft, mit welcher zwei gepaarte Atome sich
gegenseitig festhalten, die ungepaarten Atome nur lose gebun-
den sind.
Hiernach besteht die zweite Aenderung, welche ich glaube
mit meiner Erklärung vornehmen zu müssen, einfach darin, dass
ich, anstatt die ungepaarten Atome als vollkommen frei zu be-
trachten, nur sage, sie können möglicher Weise enhveder frei oder
lose gebunden sein.
Der Fall, wo ein Atom an irgend ein Molecül lose gebunden
ist, ist von dem, wo es frei ist, in chemischer Beziehung sehr
wenig verschieden, und es hätte um so näher gelegen, ihn bei
meiner ersten Erklärung gleich mit ins Auge zu fassen, als ich
selbst schon den in reinem Sauerstoff' enthaltenen activen Sauer-
stoff- mit solchem Sauerstoff verglich, der in Superoxyden oder
174 Anliaug.
Oxyden edler Metalle lose gebunden vorkommt. Icli muss es
daher als eine Unachtsamkeit eingestehen, dass ich damals auf
den Punct, dass die Atome ganz frei seien, irgend ein Gewicht
legte, und aus diesem Grunde das Resultat der ersten Beobach-
tungen von Andrews und Tait für unwahrscheinlich hielt, und
dass ich nicht vielmehr von vornherein jene beiden Fälle als
gleich möglich bezeichnete. Wenn man die Alternative stellt,
dass die ungepaarten Atome frei oder lose gebunden sein kön-
nen, so umfasst die Erklärung nicht nur den in reinem Sauer-
stoffe enthaltenen activen Sauerstoff' und den, welcher in irgend
einer chemischen Verbindung in. solcher Weise enthalten ist, dass
er leicht in andere Verbindungen übertritt, und insofern activ
genannt werden kann, sondern auch den Sauerstoff" im Status
nascens.
Ich will nun noch einige Bemerkungen darüber machen, wie
man sich, meiner Ansicht nach, die in reinem Sauerstoffe befind-
lichen complicirteren Molecüle, welche die activen Atome ent-
halten, etwa constituirt denken kann. Dabei muss ich aber aus-
drücldich hervorheben, dass ich das, was hierüber zu sagen ist,
nicht als nothwendig mit zu meiner Erklärung gehörig betrachte,
sondern glaube, dass man die Erklärung, soweit sie im Vorigen
enthalten ist, annehmen kann, selbst wenn man über die Speciali-
täten der Molecularconstitution noch verschiedener Ansicht sein
sollte. Ich will daher, bevor ich zu diesen Bemerkungen über-
gehe, das Wesentliche meiner Erklärung in der den neueren
Entdeckungen angepassten Form noch einmal kurz zusammen-
fassen :
Die Molecüle des gewöhnlichen Sauerstoffs sind zweiatomig^
und enthalten je ein electro -positives und ein electro -negatives
Atom. Der active Sauerstoff besteht aus ungepaarten Atomen,
ivclche entivcder frei oder lose gebunden sein können, und je
nachdem diese Atome electro -negativ oder electro -positiv sind,
bilden sie Ozon oder Anioson.
Alle oben genannten Beobachter, welche gefunden haben,
dass ozonhaltiger Sauerstoff' ein kleineres Volumen einnimmt, als
gewöhnlicher, sind darüber einig, dass im ersteren complicirtere
Molecüle vorkommen müssen, als im letzteren. In der Tbat ist
dieses auch,. wie schon gesagt, als ein unmittelbares Ergebniss
jener Beobachtungen anzusehen, sofern man den Satz, dass das
Volumen eines Gases der Anzahl seiner Molecüle proportional
■Uebev den Unterschied zwischen activem und j;ew;")hn]ieliem RauerstnfiC. 175
ist, als feststehend betrachtet. Uolier die Art, wie man sich die
Zusammensetzung der Molecüle zu denken habe, sind sie al)er
verschiedener Ansicht.
Andrews und Tait knüpfen ihre Betrachtung an Versuche,
welche sie mit zusammengesetzten Gasen, besonders mit Stickstoff-
oxyd und Kohlenoxyd angestellt haben. Als sie innerhall) dieser
Gase dieselben electrischen Entladungen stattfinden Hessen, durc-li
welche sie die Erregung des Sauerstoffs bewirkt hatten, beob-
achteten sie ebenso, wie bei diesem, Volumverringerung, welche
sie daraus erklären, dass die Bestandtheile der betreffenden Gase
unter dem Einflüsse der Entladungen theilweise aus ihren bis-
herigen Verbindungen gelöst und in andere Verbindungen über-
geführt werden, welche ein geringeres Volumen einnehmen. Hier-
von ausgehend sprechen sie die Vermuthung aus, dass auch der
Sauerstoff nicht, wie man bis jetzt annimmt, ein einfacher, son-
dern ein chemisch zusammengesetzter Stoff sei, dessen Bestand-
theile sich- ebenfalls in verschiedener Weise unter einander
verbinden können. Diese Erklärungsweise, welche mit der Bro-
dle'sehen übereinstimmt, weicht von den sonst verbreiteten
Ansichten so sehr ab, dass man, wie ich glaube, nur dann auf
sie eingehen dürfte, wenn keine andere Erklärung möglich wäre.
Von Babo schliesst sich einer früher von WeltzienO aus-
gesprochenen Ansicht an, welche meiner Erklärung entgegen-
gesetzt ist, indem sie dahin geht, dass der gewöhnliche Sauer-
stoffe aus einfachen Atomen und das Ozon aus zweiatomigen
Molecülen bestehe, und er verspricht, seine Gründe dafür in einer
späteren Abliandlung zu entwickeln 2). Dieser Ansicht kann ich
in keiner Weise beipflichten, da schon die Vergleichung des
Volumens des Sauerstoffs mit den Volumen seiner Verbindungen
mich, ganz unabhängig vom Ozon, zu der Annahme geführt liatte,
dass der Sauerstoff aus zweiatomigen Molecülen bestehen müsse,
und ich ferner nicht einsehe, wie sich die Wirkungen des Ozon
1) Ann. der Chem. u. Pharm. Bd. CXV, S. 128.
2) Mit Bezug auf die Worte : „und er verspricht , seine Gründe dafür
in einer späteren Abhandlung zu entwickeln" sagt Hr. Weltzien in den
Ann. der Chem. und Pharm. Bd. CXXXVIII, S. 164, dieses sei ein Irrthum,
indem er kein solches Versprechen gegeben habe. Ich denke aber, dass
jeder, der meinen Satz mit einiger Aufmerksamkeit liest, erkennen \\-ird.
dass jene Worte sich gar nicht auf Herrn Weltzien, sondern auf Herrn
von Babo beziehen. (1866.)
176 Anhang.
und die gegenseitige Verbindung von Ozon und Antozon zu
gewöhnlichem^ Sauerstoff erklären sollen, wenn die Molecüle des
Sauerstoffs als einatomig vorausgesetzt werden. Ich muss natür-
lich, bevor ich weiter auf die Beurtheilung dieser Ansicht ein-
gehen kann, abwarten, welche Gründe von Babo für dieselbe
beibringen wird.
Soret spricht über die Art der Zusammensetzung der Mole-
cüle keine bestimmte Ansicht aus. Er erklärt es zuerst als ein
Ergebniss der Beobachtungen, dass das Ozon Molecüle von mehr
Atomen haben müsse, als der gewöhnliche Sauerstoff', und indem
er dann anführt, dass eine grosse Anzalil von Chemikern und
Physikern jetzt annehmen, dass beim gewöhnlichen Sauerstoffe
die Molecüle schon zweiatomig seien, sagt er, dass man dieser
Annahme gemäss den Molecülen des Ozon mehr als zwei Atome
zuschreiben müsse. Er erörtert dann zunächst als Beispiel den
einfachsten Fall, dass ein Molecül aus drei Atomen bestehe, und
fährt dann foi-t: „JZ est clair que rien dans les faits connus ne
prouve que Vosone resuUe du groupement de S atonies plutot que
de #, 5 etc.] pour determmer ce nonibre ü faudrait connaUre la
densite de ce corps.'-^ In einer Anmerkung sagt er, da nach den
Versuchen von Sainte-Claire Deville und Troost und von
Bin e au die Dichtigkeit des Schwefeldampfes in der Nähe des
Siedepunctes dreimal so gross sei, als bei sehr hohen Tempera-
turen, so existire vielleicht eine Analogie zwischen diesen beiden
Zuständen des Schwefels und den beiden allotropen Zuständen
des Sauerstoffs, in welchem Falle man beim Ozon eine solche
Molecularconstitution voraussetzen müsse, dass seine Dichtigkeit
dreimal so gross sei, als die des gewöhnlichen Sauerstoffs. Hier-
nach müssten also, wenn die gewöhnlichen Sauerstoffmolecüle
zweiatomig sind, beim Ozon die Molecüle sechsatomig sein.
Ich glaube nun, dass die oben angeführten, aus meiner Er-
klärung hervorgehenden Bedingungen, welche die in erregtem
Sauerstoffe befindlichen complicirteren Molecüle erfüllen müssen,
Anhaltspuncte geben, um, wenn auch nicht mit Sicherheit über
die Zusammensetzung dieser Molecüle zu entscheiden, so doch
über den Grad der "Wahrscheinlichkeit der verschiedenen mög-
lichen Zusammensetzungsweisen gewisse Schlüsse zu ziehen. Ich
will dabei zunächst das Ozon im engeren Sinne betrachten, wel-
ches durch sein chemisches und physikalisches Verhalten schliessen
lässt, dass es aus electro -negativen Atomen besteht. Da nun
Ueber den Unterschied zwischen activem und gewöhnlichem Sauerst,off 177
nach meiner Erklärung die activen Atome als ungepaarte Atome
in den betreffenden Molecülen enthalten sein müssen, und da
sie ferner im vorliegenden Falle gleiche electrische Zustände
haben müssen, so wird es aus diesen beiden Gründen viel wahr-
scheinlicher, dass in einem Molecüle nur Ein Ozoiiatom enthal-
ten ist, als dass mehrere solche in ihm vorkommen. Der von
Soret beispielsweise angeführte Fall, wo die complicirteren Mole-
cüle aus drei Atomen bestehen, scheint mir daher mit den Fäl-
len, wo sie aus vier, fünf etc. Atomen bestehen, nicht bloss gleich-
berechtigt zu sein, sondern sich vor ihnen durch eine bei Weitem
grössere Wahrscheinlichkeit auszuzeichnen. Was den anderen
von Soret speciell angeführten Fall betrifft, in welchem die
Molecüle aus sechs Atomen bestehen müssten, so kann ich diesen
von meinem Standpuncte aus nur als sehr unwahrscheinlich be-
trachten 1).
1) (Die nachfolgende Anmerkung ist, während diese Abhandlung in
Pogg. Ann. gedruckt wurde, noch als Nachtrag hinzugefügt.)
Als ich diese Abhandlung schrieb , kannte ich die Arbeit von Soret
nur aus der oben citirten, in den Comptes rendus der Pariser Academie
enthaltenen Note. Seitdem habe ich aus einer in den Archives des sciences
phys. et nat. (t. XVIII) und in den Verhandlungen des naturhist.-med. Ver-
eins zu Heidelberg (Bd. III) erschienenen vollständigeren Abhandlung [auch
in Pogg. Ann. Bd. CXXI abgedruckt] einige weitere Aufschlüsse über So-
ret's Ansichten erhalten, indem sich in dieser Abhandlung mehrere nicht
unwesentliche Ergänzungen befinden.
Die in den Compt. rend. stehende Anmerkung, in welcher davon die
Rede ist, dass, nach Analogie der beiden Modificationen des Schwefel-
dampfes, das Ozon möglicherweise eine dreimal so grosse Dichtigkeit haben
könne als gewöhnlicher Sauerstoff, kommt auch hier vor, aber mit folgen-
dem, dort nicht befindlichen Schlusssatze : „doch macht bis jetzt keine That-
sache, soviel ich weiss, diese Analogie wahrscheinlich." — In einer anderen
Anmerkung, welche in den Compt. rend. fehlt, wird über die vonWeltzien
aufgestellte Hypothese gesagt: „Diese Ansicht stimmt mit dem in dieser
Abhandlung erwähnten Versuche überein, aber sie scheint nicht zu erklären,
warum Ozon oxydirender ist als Sauerstoff." — Die in den Compt. rend.
nur kurz als Beispiel angeführte Molecularconstitution , bei welcher ein
Molecül aus drei Atomen besteht, ist hier etwas ausführlicher bespi'ochen,
und es sind dabei mehrere, meiner Ansicht nach sehr treffende Bemerkun-
gen gemacht.
Aus diesen in der Abhandlung vorkommenden Stellen glaube ich
schliessen zu dürfen, dass Soret auf die als Beispiel gewählte Molecular-
constitution ein grösseres Gewicht legt, als es nach jener abgekürzten Note
schien, und dass somit zwischen den Ansichten dieses geschickten und um
die Erforschung der Eigenschaften des Ozon besonders verdienten Phy-
Clausiiis, mechan. Wärmetheorie. III. JO
178 Anhang.
Wenn man annimmt, dass beim Ozon die activen Atome sich
mit den gewöhnlichen SauerstolFmolecülen zu neuen complicir-
teren Molecülen verbunden haben, so lässt sich daraus auch die
Beständigkeit des Ozons, wenn es bei niederer Temperatur auf-
bewahrt wird, und insbesondere die Beständigkeit des electro-
negativen Zustandes der activen Atome leichter erklären, als bei
der Annahme, dass die activen Atome vereinzelt bleiben. Wie
nämlich überhaupt in chemischen Verbindungen jedes Atom einen
gewissen electrischen Zustand hat, welcher nicht willkürlich und
veränderlich ist, sondern zu den Eigenthümlichkeiten der Ver-
bindung gehört, so kann man dieses auch von den zu einem
Molecüle vereinigten Sauerstoffatomen voraussetzen, und im vor-
liegenden Falle annehmen, dass die activen Atome als electro-
negative in den Molecülen enthalten seien, und diesen electrischen
Zustand so lange beibehalten müssen, wie sie sich in dieser Ver-
bindung befinden.
Dabei ist es nicht nothwendig, dass der ozonhaltige Sauer-
stofl" im Ganzen eine electroskopisch wahrnehmbare negativ-elec-
trische Spannung zeige. Man kann nämlich, wie man es ja auch
bei anderen chemisch zusammengesetzten Molecülen thut, anneh-
men, dass die electrischen Zustände der einzelnen Atome eines
Mblecüls in solchen Beziehungen zu einander stehen , dass das
Molecül im Ganzen unelectrisch ist, indem nämlich die Mengen
von freier positiver oder negativer Electricität, welche die einzel-
nen Atome eines Molecüls besitzen, als algebraische Summe ge-
rade Null geben.
Ich muss nun noch vom Antozon sprechen.
Meissner hat bei seinen Untersuchungen über den Sauer-
stoff Beobachtungen gemacht, aus welchen er schliesst, dass bei
der Erregung des Sauerstoffs durch electrische Induction neben
dem Ozon noch ein anderer Stoff entsteht, welcher eine höchst
sikers und den meinigen eine mir sehr erfreuliche Uebereinstimmung
herrscht. Auch Soret selbst spricht sich am Ende der Abhandlung über
die Beziehung zwischen seiner Annahme und meiner früher aufgestellten
Theorie dahin aus, dass zu meiner Hypothese, nach welcher das Ozon aus
einzelnen, nicht paarweise verbundenen Atomen besteht, die Annahme, dass
diese einzelnen Atome sich im Augenblicke, wo sie frei werden, gleich mit
den unzerlegten Sauerstoffmolecülen verbinden, hinzugefügt werden kann,
ohne dass meine Beweisführung dadurch erschüttert wird, und dass dann
meine Theorie mit der von ihm auseinandergesetzten übereinstimmt.
Ueber den UDterschied zAvisclien activem und gewühnlichem Sauerstoff. 179
merkwürdige Einwirkung auf den Wasserdarapf ausübt und da-
durch seine Existenz verräth. Durch weitere Verfolgung des
Gegenstandes glaubt er sich davon überzeugt zu haben , dass
dieser Stoff nichts anderes ist, als die von Schönbein mit dem
Worte Antozon bezeichnete Modification des Sauerstoffs.
Das Ergehniss, dass bei der Erregung des Sauerstoffs durch
electrische Induction gleichzeitig mit dem Ozon auch Antozon
gebildet wird, stimmt sehr gut mit meiner Annahme überein, dass
jedes Molecül des gewöhnlichen Sauerstoffs aus zwei entgegen-
gesetzt electrischen Atomen besteht, und ich möchte, gegenüber
der etwas veränderten Art, wie Meissner die Sache aufzufassen
scheint, dass nämlich die Atome erst durch die electrische Influenz
die entgegengesetzt electrischen Zustände annehmen, daran fest-
halten, dass der electrische Gegensatz zwischen den Atomen jedes
Molecüls schon im Voraus stattfindet, wenn derselbe auch durch
die Influenz möglicher Weise noch verstärkt werden kann. In
Bezug auf die Trennung der beiden Atome stimme ich Meissner
darin bei, dass sie sich am leichtesten daraus erklären lässt, dass
ein electrischer Körper auf die beiden Atome Kräfte ausübt,
welche der Richtung nach entgegengesetzt sind.
Au<ch bei anderen Erregungsarten des Sauerstoffs hat Meiss-
ner Beobachtungen gemacht, welche den vorher erwähnten ent-
sprechen, und ebenfalls auf die Bildung von Antozon schliessen
lassen. Es fragt sich nun, wie das Antozon, sofern es in reinem
Sauerstoffe vorkommt, sich darin verhält.
Nach den Beobachtungen von Meissner ist das Antozon,
selbst in trockenem und kaltem Sauerstoff, weniger beständig,
als das Ozon, indem es nicht, wie dieses, auf unbestimmte Zeit
fortbesteht, sondern nach und nach verschwindet, d. h. sich in
gewöhnlichen Sauerstoff verwandelt. Hieraus muss man wohl
schliessen, dass die electro-positiven Sauerstoffatome, falls sie sich
überhaupt mit den Molecülen des gewöhnlichen Sauerstoffs zu
complicirteren Molecülen verbinden, in dieser Verbindung noch
weniger festgehalten werden als die electro-negativen. Ueber die
Art der Molecularconstitution in antozonhaltigem Sauerstoffe eine
bestimmte Behauptung aufzustellen, welche mehr aussagte als
das, was sich aus meinen obigen Bedingungen ergiebt, die erfüllt
sein müssen, damit die betreflenden Atome als activer Sauerstott"
wirken können, würde mir bei den unvollkommenen Kenntnissen
12*
180 Anhang.
von den physikalischen Eigenschaften des antozonhaltigen Sauer-
stojä's für jetzt zu gewagt erscheinen.
Auch darüber, ob die Antozonatome in reinem Sauerstoffe
ihren electro -positiven Zustand ebenso unveränderlich beibehal-
ten, wie in chemischen Verbindungen mit anderen Stoffen, z. B.
in Wasserstoffsuperoxyd und Bariumsuperoxyd, oder ob und unter
welchen Umständen sie den electro -positiven Zustand verlieren
und sich dem unelectrischen nähern, kann, wie ich glaube, aus
den bis jetzt bekannten Thatsachen noch nicht mit Sicherheit
entschieden werden. Diese Frage wird wohl im Zusammenhange
mit der vorher erwähnten, ob die Atome des Antozon sich auch,
wie diejenigen des Ozon, mit den gewöhnlichen Sauerstoffmole-
cülen zu complicirteren Molecülen verbinden, zu behandeln sein.
Wenn sich in reinem Sauerstoffe gleichzeitig Ozon und Ant-
ozon befindet, so kann dadurch möglicher Weise eine eigenthüm-
liche Molecularconstitution entstehen, welche von denen, die statt-
finden, wenn nur Ozon oder nur Antozon vorkommt, verschieden ist.
Es ist nämlich denkbar, dass, wenn ein ursprünglich zweiatomiges
Molecül sich mit einem electro -negativen Atome verbunden hat,
es gerade dadurch geneigt wird, sich nun auch noch mit einem
electro -positiven Atome zu verbinden, und dass dadurch vier-
atomige Molecüle entstehen, in welchen nur zwei Atome An Paar
bilden. Die beiden anderen Atome können sich in solchen Lagen
befinden, dass sie unter sich nicht in directe Berührung kommen,
und daher keine Gelegenheit haben, sich zu einem Paare zu ver-
einigen. In diesem Falle würden die letzteren Atome den oben
für activen Sauerstoff gestellten Bedingungen genügen, dass jedes
wieder als einzelnes Atom von dem Molecüle getrennt werden
kann, und zwar mit einer Kraft, die geringer ist als die, welche
nöthig ist, um die Atome eines Paares von einander zu trennen.
Durch eine solche Anordnung der Atome liesse sich vielleicht
die von Meissner gemachte Beobachtung erklären, dass Ant-
ozon in trockenem Sauerstoff beständiger ist, wenn sich gleich-
zeitig auch Ozon im Sauerstoff befindet, als wenn das Ozon
nicht zugegen ist; welches Verhalten auf den ersten Blick dem
Satze, dass Ozon und Antozon sich unter einander zu gewöhn-
lichem Sauerstoö' zu verbinden suchen, zu widersprechen scheint.
Abhandlunof III.
Zur Geschichte des Ozon.
(Pogg. Ann. Bd. 136, S. 102 bis 105, 1869.)
Iin neuesten Hefte des Repertoriums für Experimentalphysik
von Ph. Carl (Bd. IV, S. 251) befindet sich ein Aufsatz mit dem
Titel „Geschichte des Ozons", welcher aus der Zeitschrift der
österreichischen Gesellschaft für Meteorologie entnommen ist,
und welcher ursprünglich aus dem englischen Journale: Tlie
InteUedual Ohserver stammt. Ein Punct dieses Aufsatzes nöthigt
mich zu einer kurzen Bemerkung.
Es wird dort die Erklärung des Ozon in folgender Weise
besprochen. Nachdem von den Versuchen von Andrews und
Tait die Rede gewesen ist, nach welchen Sauerstoff, der Ozon
enthält, dasselbe Volumen einnimmt, als ob das Ozon nicht vor-
handen wäre, und dabei gesagt ist, dass dieses Resultat seine
Entdecker in Erstaunen und Verlegenheit gesetzt habe, heisst es
weiter: „Bald indess ergoss sich neues Licht über dasselbe. Die
Experimente waren zu schlagend und dabei zu sorgfältig vor-
genommen worden, um lange unfruchtbar zu bleiben, und gerade
die Absurdität, welche sie in sich zu schliessen scheinen, brachten
den scharfsinnigen Geist Dr. Odling's auf eine einfache Lösung
des Problems."
Diese Lösung des Problems, welche dann angeführt, und
welche Odling's Ozon -Theorie genannt wird, besteht darin,
dass gewöhnliche Sauerstoffmolecüle zwei Atome enthalten, dass
dagegen beim Ozon die Molecüle aus drei Atomen bestehen, und
dass die oxydirende Kraft des Ozon von der Leichtigkeit her-
182 Anhang.
rührt, womit jedes dieser Molecüle sein drittes Sanerstoifatom
verliert.
In einem, schon im Jahre 1858 erschienenen Aufsatze „über
die Natur des Ozon" ^) habe ich eine Erklärung vom Ozon ge-
geben, welche den einige Zeit vorher von mir gezogenen Schluss,
dass die Molecüle des gewöhnlichen Sauerstoffs aus je zwei
Atomen bestehen müssen, zum Ausgangspuncte hatte. Diese Er-
klärung bestand darin, dass beim Ozon die Sauerstoffatome aus
jener Verbindung zu je zweien gelöst sind, und dass die starke
oxydirende Wirkung des Ozon darauf beruht, dass die aus ihrer
Verbindung zu je zweien gelösten Atome sich leichter mit an-
deren Stoffen vereinigen können, als solche Atome, die noch erst
aus jener Verbindung gelöst werden müssen, bevor sie in andere
Verbindungen eintreten können. Zugleich habe ich die gerade
damals zum ersten Male beobachtete desoxydirende Wirkung des
Ozon daraus erklärt, dass Atome, welche aus jener Verbindung
zu je zweien gelöst sind, sich wieder mit anderen Sauerstoff-
atomen zu zweiatomigen Molecülen zu verbinden streben.
Nur darin wich meine erste Erklärung von der jetzt adoptir-
ten Erklärungsweise ab, dass ich damals, wo die Volumbestimmun-
gen des Ozon noch nicht so zuverlässig und vollständig waren, wie
jetzt, glaubte, die aus der Verbindung zu je zweien gelösten
Atome blieben ganz frei, während man aus den neueren Volum-
bestimmungen von Andrews und Tait, sowie aus denen von
V. B a b o und von S o r e t schliessen muss , dass die Atome,
welche aus ihrer Verbindung zu je zweien gelöst sind, sich an
die Molecüle des umgebenden Sauerstoffs in loser Weise an-
schliessen, und mit ihnen zusammen dreiatomige Molecüle bil-
den. Solche lose gebundenen Atome können beinahe ebenso
wirken, wie freie Atome, und man wird daher zugeben, dass die
Annahme von dreiatomigen Molecülen, welche ihr drittes Atom
leicht abgeben , nicht als eine ganz neue Theorie zu betrachten
ist, sondern nur eine geringe Modification meiner ursprünglichen
Theorie bildet.
Was nun die Entstehung dieser Modification anbetrifft, so
habe ich selbst im Jahre 1863, sobald ich von den damals aus-
geführten schönen Untersuchungen von Sorot über das Volumen
1) Pogg. Ann. 103, 644 und Abhandlungen -Sammlung Kd. II, S. 327;
vergl. oben S. 157.
Zu r Geschichte des Ozon. 183
des Ozon die erste Kenntniss aus einer in den Comptes rendus
erschienenen Notiz erhielt, sofort diese Modification als nothwen-
dig hingestellt i). Als ich dann später durch die Güte des Herrn
Soret seine vollständige Abhandlung 2) erhielt, fand ich, dass
auch er schon die Möglichkeit von dreiatomigen Molecülen im
Ozon weitläufig besprochen hatte, wenn er sich auch über den
Grad ihrer Wahrscheinlichkeit gegenüber von anders zusammen-
gesetzten Molecülen noch etwas reservirt geäussert hatte. Soret
hatte dabei in der loyalsten Weise anerkannt, dass durch diese
neue Ansicht meine Theorie nicht umgestossen, sondern nur leicht
modificirt werde, indem der Schluss seiner Abhandlung wörtlich
lautet: „Zum Schlüsse will ich noch einige Worte über die
Theorie von Clausius sagen. Indem dieser von der Annahme
ausgeht, dass ein Sauerstoffmolecül aus zwei Atomen besteht,
erklärt er die Bildung des Ozons durch die Trennung dieser
Atome; auf diese Art würde das Ozon aus freien isolirten Atomen
gebildet. Wir haben gesehen, und Clausius hat es selbst gesagt,
dass dieser letztere Punct mit den von Andrews und Tait
entdeckten Phänomenen nicht übereinstimmt. Doch um die Hypo-
these von Clausius mit den Thatsachen in Uebereinstimmung
zu bringen, genügt es, hinzuzufügen, dass jene Atome im Augen-
blick, wo sie frei werden, sich gleich mit den unzersetzten Sauer-
stoffmolecülen verbinden. Die Beweisführung von Clausius
scheint dadurch nicht erschüttert zu werden, und seine Theorie
stimmt dann mit derjenigen, welche wir auseinandergesetzt haben."
Es ist mir unbekannt, wo und zu welcher Zeit die Abhand-
lung erschienen ist, in welcher auch Odling die Ansicht von
den dreiatomigen Molecülen ausgesprochen hat. Nur wenn die-
selbe vor den zuletzt erwähnten, im Jahre 1863 publicirten Ab-
handlungen von Soret und mir erschienen ist, kann darauf ein
Prioritätsanspruch gegründet werden, und auch in diesem Falle
kann sich dem Obigen nach die Priorität nur auf die Modification
meiner Theorie und nicht auf die ganze Theorie beziehen.
1) Vierteljahrsschrift der Züricher naturf. Gesellschaft für 1863. Pogg.
Ann. 121, 250; Abhandlungen -Sammlung Bd. II, S. 335; vergl. oben S. 164.
^) Archives des sciences phys. et nat. t. XVIII; Verhandlungen des
naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg, Bd. III; Pogg. Ann. 131, 268.
Abhandluns: lY.
Ueber das Verhalten der Kohlensäure in Bezug auf
Druck, Volumen und Temperatur.
(Vorgetragen auf der 52. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
am 19. Sept. 1879. Wiedemann's Ann. 9, 1880, S. 337 bis 357.)
Die Gase folgen bekanntlich in Bezug auf Druck, Volumen
und Temperatur mit einer gewissen Annäherung dem Mariotte'-
schen und dem Gay-Lussac'schen Gesetze, welche sich gemein-
sam durch folgende Gleichung ausdrücken lassen, worin p den
Druck, V das Volumen und T die absolute Temperatur darstellt,
und R eine von der Natur des Gases abhängige Constante ist:
(1) pv = BT.
Die Annäherung an diese Gesetze ist um so grösser, je weiter
das betreffende Gas von seinem Condensationspuncte entfernt ist.
Bei den Gasen, welche unter gewöhnlichen Umständen so weit
von ihrem Condensationspuncte entfernt sind, dass man bis vor
Kurzem ihre Condensation nicht hatte bewirken können , und
welche man daher permanente Gase nannte, ist die Annäherung
so gross, dass man lange Zeit geglaubt hat, sie folgten diesen
Gesetzen wirklich genau, bis zuerst Regnault durch seine be-
kannten ausgezeichneten Untersuchungen i) kleine Abweichungen
nachwies. Etwas später zeigte Natterer 2j, dass man bei An-
wendung sehr grosser Druckkräfte sehr bedeutende Abweichungen
1) Regnault, Mem. de l'Acad. des sciences 21, 1847.
2) Natterer, Wien. Ber. 5, S. 351, 1850; 6, S. 557, 1851 und 12,
S. 199, 1854.
Ueber das Verhalten der Kolilensäure etc. 185
vom Mariotte' seilen Gesetze erhält, und zwar waren die von
ihm beobachteten Abweichungen anderer Art, als die von Reg-
nault gefundenen. Während nämlich Regnault bei allen von
ihm untersuchten Gasen, mit Ausnahme des Wasserstoffs, gefun-
den hatte, dass der Druck langsamer zunimmt als die Dichtig-
keit, stellte sich bei den Versuchen von Natterer heraus,
dass bei sehr grossem Drucke die Sache sich umkehrt, und
der Druck schneller zunimmt, als die Dichtigkeit. Bei atmo-
sphärischer Luft, Stickstoff und Kohlen oxydgas erreichte der
Druck schon eine Grösse von etwa 3000 Atmosphären, als die
Dichtigkeit erst die 700- bis 800 fache der unter dem Drucke
von einer Atmosphäre stattfindenden Dichtigkeit geworden war.
Ueber die Gründe, auf welchen diese Abweichungen der
Gase vom Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze
beruhen, sprach ich mich in meiner 1857 veröffentlichten Ab-
handlung „Ueber die Art der Bewegung, welche wir Wärme nen-
nen", folgendermaassen aus^):
„Damit das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz
und die mit ihm in Verbindung stehenden Gesetze streng gültig
seien, muss das Gas in Bezug auf seinen Molecularzustand fol-
genden Bedingungen genügen:
1) Der Raum, welchen die Molecüle des Gases wirklich aus-
füllen, muss gegen den ganzen Raum, welchen das Gas einnimmt,
verschwindend klein sein.
2) Die Zeit eines Stosses, d. h. die Zeit, welche ein Molecül,
indem es gegen ein anderes Molecül oder gegen eine feste Wand
stösst, bedarf, um seine Bewegung in der Weise zu ändern, wie
es durch den Stoss geschieht, muss gegen die Zeit, welche zwischen
zwei Stössen vergeht, verschwindend klein sein.
3) Der Einfluss der Molecularkräfte muss verschwindend
klein sein. Hierin liegt zweierlei. Zunächst wird gefordert, dass
die Kraft, mit welcher die sämmtlichen Molecüle sich in ihren
mittleren Entfernungen noch gegenseitig anziehen, gegen die aus
der Bewegung entstehende Expansivkraft verschwindet. Nun be-
finden sich aber die Molecüle nicht immer in ihren mittleren
Entfernungen von einander, sondern bei der Bewegung kommt
oft ein Molecül in unmittelbare Nähe eines andern oder einer
1) Pogg. Ann. 100, S. 358, 1857, und Abhandluugensammlung 2, S. 235;
vergl, oben Abschnitt I, S. 9.
186 Anhang.
ebenfalls aus wirksamen Molecülen bestehenden festen Wand,
und in solchen Momenten treten natürlich die Molecularkräfte
in Thätigkeit. Die zweite Forderung besteht daher darin, dass
die Theile des von einem Molecüle beschriebenen Weges, auf
welchen diese Kräfte von Einfluss sind, indem sie die Bewegung
des Molecüls in Richtung und Geschwindigkeit merklich ändern,
gegen die Theile des Weges, auf welchen die Kräfte als unwirk-
sam betrachtet werden können, verschwinden.
Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, so treten nach
verschiedenen Richtungen hin Abweichungen von den einfachen
Gesetzen der Gase ein, welche um so bedeutender werden, je
weniger der Molecularzustand des Gases diesen Bedingungen ent-
spricht."
Die in dieser Stelle erwähnten, nach verschiedenen Rich-
tungen hin eintretenden Abweichungen müssen sich , sofern man
bei gegebener Temperatur und gegebenem Volumen den Druck
betrachtet, darin äussern, dass dieser entweder grösser oder
kleiner ist, als er, wenn man vom sehr verdünnten Zustande des
Gases ausgeht, nach dem Mariotte'schen und Gay-Lussac'-
schen Gesetze sein sollte. Der oben unter 1) angeführte, von
den Molecülen wirklich ausgefüllte Raum bedingt eine Vermeh-
rung des Druckes, indem durch ihn bei einem gegebenen Volumen
des Gases der für die Bewegung der Molecüle freie Raum ver-
kleinert und demgemäss die Anzahl der Stösse vergrössert wird.
Die unter 3) angeführten Molecularkräfte bewirken beim Vor-
herrschen der Anziehung eine Verminderung des Druckes. Der
unter 2) angeführte Umstand, nämlich die während eines Stosses
vergehende Zeit, hat eine complicirtere Wirkung, indem beim
Gegeneinanderfliegen zweier Molecüle zunächst eine Beschleuni-
gung und darauf erst die Verzögerung und Umkehrung der Be-
wegung eintritt. Man kann daher bei der auf die Gesammt-
wirkung gerichteten Betrachtung die Wirkung dieses Um Standes
theils der des ersten, theils der des letzten Umstandes an-
schliessen.
Von den beiden entgegengesetzten Wirkungen der Druck-
vermehrung und Druckverminderung kann je nach Umständen
die eine oder die andere überwiegen. Die oben angeführten Ver-
suche von Regnault und Natterer ergeben beim Wasserstoff
durchweg ein Ueberwiegen der Druckvermehrung, während sie
bei den anderen Gasen erkennen lassen, dass bei geringeren
Ueber das Verliallen der Kohlensäure etc. 187
Dichtigkeiten die Druckvermiiiclerung und hei grösseren Dich-
tigkeiten die Driickvermehrung üherwiegt.
Noch coraplicirter wird das Verhalten eines Stoffes, wenn er
bei der Verdichtung nicht immer gasförmig bleibt, sondern seinen
Aggregatzustand ändert, indem er flüssig wird.
Ueber den Zusammenhang dieses Vorganges mit den vorher
besprochenen Vorgängen sind in neuerer Zeit sehr schöne Ver-
suche von Andrews angestellt, indem er Kohlensäure bei ver-
schiedenen Temperaturen starken Verdichtungen unterwarf und
die dabei stattfindende Druckzunahme beobachtete i). Er fand
dabei, dass ein wesentlicher Unterschied im Verhalten der Kohlen-
säure stattfindet, je nachdem die Temperatur über oder unter
31" liegt. Ueber SP zeigen sich nur die oben erwähnten Ab-
weichungen vom Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Ge-
setze, unter 3P aber tritt bei einem gewissen Drucke die Con-
densation ein.
Andrews hat die von ihm beobachteten Beziehungen zwischen
Druck und Volumen durch Curven dargestellt, Avelche Druck
und Volumen als Abscissen und Ordinaten haben. Die auf Tem-
peraturen über 31" bezüglichen Curven zeigen einen stetigen
Verlauf; die auf Temperaturen unter 31" bezüglichen dagegen
sind gebrochen, indem bei abnehmendem Volumen anfänglich
der Druck wächst, von einem gewissen Volumen an aber, bei
welchem die Condensation beginnt, die folgende Volumenabnahme
ohne Druckzunahme stattfindet, und erst bei einem viel kleine-
ren Volumen, bei dem die ganze Masse flüssig ist, der Druck
wieder mit abnehmendem Volumen zu wachsen beginnt, welches
Wachsen dann sehr schnell geschieht. Der Theil der Curve,
welcher dem üondensationsvorgange entspricht, ist eine gerade
Linie, mit welcher die stetig gekrümmten Theile an beiden En-
den zusammentreffen. Eine kleine, an dem einen Ende der
Geraden von Andrews gezeichnete Krümmung scheint auf etwas
Luftbeimischung zu beruhen und kann daher hier unberücksich-
tigt bleiben.
Zwei Jahre später 2) hat James Thomson, dessen sinn-
reiche Betrachtungen schon so viel zur Erweiterung der mecha-
nischen und physikalischen Wissenschaft beigetragen haben, die
1) Andrews, Phil. Trans, for 1869, p. 575.
2) Proc. of Koy. Soc. of London, Nov. 1871.
188
Anhang.
Curven von Andrews dadurch ergänzt, dass er an den Stellen,
wo sich dort eine gerade Linie befindet, eine gekrümmte Linie
hinzugefügt hat, die sich an die beiden gekrümmten Theile der
von Andrews gegebenen Curve in stetiger Weise anschliesst und
einen allmählichen Uebergang aus dem gasförmigen in den flüssigen
Zustand darstellt, bei welchem stets die ganze Menge des Stoffes
sich in gleichem Zustande befindet, eine Art des Ueberganges,
welche theoretisch denkbar ist, aber in der Wirklichkeit deshalb
nicht vorkommen kann, weil sie Zwischenzustände enthält, in
denen kein stabiles, sondern nur ein labiles Gleichgewicht besteht.
In nachfolgender Abbildung ist die von Andrews gegebene
Figur mit den von J. Thomson hinzugefügten, punctirt gezeich-
Fig. 3.
90t
85
80
75
70
65
60
55
50
45
'■--l)-'''
neten Ergänzungscurven wiedergegeben. Nur ist ■ das äussere
Arrangement der Figur in einer zuerst von Maxwell in Anwen-
dung gebrachten Weise geändert. Andrews hat nämlich in
seiner Figur den Druck durch die Abscissen und das Volumen
durch die Ordinaten dargestellt. Nun ist es aber in der mecha-
nischen Wärmetheorie Brauch, das Volumen durch die Abscissen
und den Druck durch die Ordinaten darzustellen, und diesem
Brauche gemäss ist die Figur umgezeichnet.
In den zu den. Temperaturen 13,lo und 21,5o gehörenden
Curven sind ae und //c die oben erwähnten, dem Condensations-
Ueber das Verhalten der Kohlensäure etc. 189
vorgange entsprechenden geraden Linien, welclie J. Thomson
durch die punctirt gezeichneten gekrümmten Linien ahcde und
fghili ersetzt hat.
J. Thomson hat seinen Schluss über die Gestalt dieser
Linien nur aus der Gestalt der zu den höheren Temperaturen
gehörenden Curven von Andrews gezogen, indem er verfolgte,
wie diese letzteren sich bei der Annäherung an die Temperatur
von 310 allmälig ändern, und dann dieselbe Art der Aenderung
auch unter 31° fortsetzte. Auf eine Untersuchung der Gründe
für diese eigenthümliche Gestaltung der Druckcurven und auf
die Bildung eines ihnen entsprechenden mathematischen Aus-
druckes ist er nicht eingegangen.
Was diesen letzteren Punct, nämlich die mathematische Be-
handlung des Gegenstandes anbetrifi't, so sind theils vor, theils
nach der von Andrews ausgeführten experimentellen Unter-
suchung von verschiedenen Autoren Versuche gemacht, die Ab-
weichungen der Gase vom Mariotte' sehen und Gay-Lussac'-
schen Gesetze durch eine Gleichung auszudrücken.
Rankine 1) hat an Stelle von (1) eine Gleichung aufgestellt,
mit welcher auch eine von W. Thomson und Joule-) aus ihren
Versuchen über die bei der Ausdehnung von Gasen stattfindenden
Temperaturänderungen abgeleitete Gleichung sehr nahe über-
einstimmt, und welche sich in ihrer einfachsten Form so schreiben
lässt:
(2) j,^=RT-^,
worin c ebenso, wie B, eine Constante bedeutet.
Hirn 3) hat mit der Gleichung (1) eine Umbildung vorge-
nommen, bei welcher die beiden oben erwähnten Umstände,
welche vorzugsweise die Abweichung der Gase vom Mariott e'-
schen und Gay-Lussac' sehen Gesetze veranlassen, nämlich das
Volumen der Molecüle und ihre gegenseitige Anziehung durch
Einführung besonderer Grössen zur Geltung gebracht sind. Die
von ihm gebildete Gleichung, welche nicht nur auf Gase, sondern
auch auf Körper von anderen Aggregatzuständen anwendbar sein
soll, lautet:
1) Siehe Phil. Traus. for 1854, p. 336.
2) Thomson u. Joule, Phil. Trans. 1862, p. 579.
3) Hirn, Theorie mecanique de la chaleur, seconde edition 1865, 1,
p. 195; troisieme edition 3, p. 211, 1876.
190 Anhang.
(3) (pJ^r)iv — tp) = R T.
Hierin bedeutet t^ „la somme de volumes des atomes" und r
„la somme des actions internes", welche letztere Grösse er auch
„la pression interne" nennt. Bei der weiteren Behandlung dieser
Gleichung, durch welche Hirn die Grössen i^ und r zu bestim-
men sucht, macht er Sclilüsse, welche mir nicht gerechtfertigt zu
sein scheinen, und deren Resultat daher auch meiner Ansicht
nach der Wirklichkeit nicht entspricht.
Recknagel hat in einer 1871 erschienenen und 1872 noch
vervollständigten Abhandlung i) an Stelle von (1) eine Gleichung
gebildet, welche äusserlich mit der von Rankine aufgestellten
Gleichung übereinstimmt. Sie hat die Form:
(4) ^, = Et(i-^^
worin Jl eine Constante und Bt eine Temperaturfunction bedeutet.
Diese letztere hat Recknagel anders bestimmt als Rankine,
indem sie nach ihm der absoluten Temperatur direct und dem
dieser Temperatur entsprechenden Drucke des gesättigten Dampfes
des gegebenen Stoffes umgekehrt proportional sein soll.
J. D. van der Waals hat in einer nach der Veröffent-
lichung der oben citirten Versuche von Andrews erschienenen,
sehr interessanten Schrift 2) an Stelle von (1) eine Gleichung
gebildet, in welcher, wie bei Hirn, die beiden Umstände, der
von den Molecülen erfüllte Raum und die gegenseitige Anziehung
der Molecüle, berücksichtigt sind, und welche folgende Form hat:
(5) (^,j^^y^-j,) = RT,
oder nach ji? aufgelöst:
(5 a) p = E j- -,
worin B, a und h Constante sein sollen. Die Werthe dieser Con-
stanten hat van der Waals für Kohlensäure folgendermaassen
bestimmt 3), wobei als Einheit des Druckes eine Atmosphäre und
als Einheit des Volumens dasjenige Volumen angenommen ist.
1) Recknagel, Pogg. Ann., Ergbd. 5, S. 563 uud 145, S. 469, 1872.
2) Van der Waals, Over de continuiteit van den gas- en vloei-
stoftoestand , Leiden 1873, p. 56; (Deutsch von F. Roth, Die Contiuuität
des gasförmigen und flüssigen Zustandes, Leipzig 1881.)
3) Van der Waals, p. 76 seiner Schrift.
üeber das Verlialten der Kolilensäure eto. 1!)1
welches die Kohlensäure unter dem Drucke von einer Atmosphäre
beim Gefrierpuiicte einnimmt. Die in dem Werthc der ersten
Constanten als Nenner stehende Grösse 1\ stellt die dem Gefrier-
puncte entsprechende absolute Temperatur, also angenähert die
Zahl 273 dar.
1,0064G
(6)
n =
To
a = 0,00874,
b = 0,0023.
Diese Gleichung, welche ihrer Form nach ausserordentlich
einfach ist, giebt Druckcurven, welche den von Andrews con-
struirten und von J. Thomson vervollständigten Curven ihrer
Gestalt nach gut entsprechen, und den charakteristischen Unter-
schied zwischen den Gestalten, welche zu Temperaturen über
und unter 31*' gehören, ebenfalls zeigen.
Was aber die genauere numerische Uebereinstimmung der
aus dieser Gleichung berechneten Werthe von ]) mit den von
Andrews beobachteten Werthen anbetrifft, so hat schon van
der Waals selbst die Bemerkung gemacht, dass bei solchen
Volumen, die kleiner als 0,0046 sind, der Werth von b nicht
mehr als constant betrachtet werden dürfe, sondern mit abneh-
mendem Volumen verkleinert werden müsse. Welches aber die
Function des Volumens sei, durch die man b darzustellen habe,
sei ihm noch nicht geglückt, zu finden i).
Dazu kommen noch andere Abweichungen, die sich erst
später herausstellen konnten. Nach der Veröffentlichung der
Schrift von van der Waals hat nämlich das zur Vergleichung
mit den berechneten Werthen geeignete Beobachtungsmaterial
eine grosse und wichtige Bereicherung erfahren, indem Andrews
seine Untersuchungen fortgesetzt und im Jahre 1876 drei neue
Beobachtungsreihen für die Temperaturen 6,5'^, 64'^ und 100*^' ver-
öffentlicht hat 2), welche die früher veröffentlichten an Ausdeh-
nung weit übertreffen und auch wohl eine erhöhte Genauigkeit
besitzen. Bei der Vergleichung mit diesen Versuchen zeigt sich,
dass die von van der Waals aufgestellte Gleichung mit der
Erfahrung nicht übereinstimmt, und auch nicht durch eine Ver-
änderung der den Constanten beigelegten Werthe zur Ueberein-
^) Van der Waals, p. 78 und 52 seiner Sclirift.
2) Andrews, Phil. Trans, for 1876, p. 421.
192 Anhang.
Stimmung gebracht werden kann, sondern dass sie dazu einer
wesentlicheren Modification bedarf.
Der Hauptgrund dieser Abweichungen scheint mir folgender
zu sein. Van der Waals hat es als selbstverständlich ange-
nommen, dass die gegenseitige Anziehung der Molecüle von der
Temperatur unabhängig sei und also nur eine Function des
Volumens sein könne. Danach müsste, wenn eine Quantität des
Gases bei constantem Volumen erwärmt würde, die Molecular-
anziehung unverändert bleiben. Dieses würde allerdings richtig
sein, wenn die Bewegung der Gasmolecüle bei niedrigerer und
höherer Temperatur sich nur durch die verschiedene Grösse der
mittleren lebendigen Kraft der Bewegung unterschiede, im üebri-
gen aber in ganz gleicher Weise stattfände, indem die Wege
aller Molecüle und die Verhältnisse der Geschwindigkeiten in
den verschiedenen Stadien eines Weges dieselben bjieben. Auch
glaube ich, dass man eine solche Annahme über die Gleichartig-
keit der Bewegung in dem Falle machen darf, wo man nur den
idealen Zustand eines Gases betrachtet, welchen wir den voU-
Jcommenen Gaszustand nennen. Wenn es sich aber darum han-
delt, die Abweichungen eines Gases vom vollkommenen Gas-
zustande zu untersuchen, so scheint mir dabei diese Annahme
nicht mehr zulässig zu sein.
Ich will über die Art, wie die Bewegung beim Verlassen
des vollkommenen Gaszustandes sich ändert, hier keine be-
stimmte Theorie aufstellen, aber ich will mir wenigstens erlauben,
eine Art der Aenderung als eine mögliche anzuführen. Für den
vollkommenen Gaszustand ist anzunehmen, dass jede zwei Mole-
cüle, welche zusammenfliegen, sich nach dem Zusammenstosse
wieder trennen. Wenn das Gas dagegen zur Flüssigkeit conden-
sirt ist, so findet ein ganz anderes Verhalten statt, nämlich dass
die Molecüle im Allgemeinen durch ihre gegenseitige Anziehung
zusammengehalten werden und nur ausnahmsweise, bei besonders
günstigem Zusammentreffen der Bewegungsphasen, einzelne Mole-
cüle sich von der übrigen Masse trennen. Zwischen diesen beiden
extremen Zuständen kann man sich nun wohl einen Zwischen-
zustand von der Art denken, dass zwar der Begel nach die Mole-
cüle sich nach dem Zusammenstosse wieder trennen, dass es aber
doch zuweilen vorkommt, dass zwei Molecüle nach dem Zusam-
mentreffen sich nicht wieder trennen, sondern nur gegen ein-
ander oscilliren, während sie die fortschreitende Bewegung ge-
Ueber das Verhalten der Kolileiisiiiire etc. 193
raeinsam ausführen, bis etwa durcili die hei weiteren Zusammen-
stüssen eintretende Veränderung der Bewegung die Trennung
wieder veranlasst wird. Die Anzahl solcher zusammcnliaftenden
Molecülpaare würde dann um so grösser werden, je niedriger die
Temperatur und je geringer daher die mittlere lehendigo Kraft
der Bewegung würde, und es könnten hei weiterem Sinken der
Temperatur auch Fälle hinzukommen, wo nicht bloss zwei, son-
dern mehrere Molecüle zusammenhafteten und als Molecülgruppen
die fortschreitende Bewegung gemeinsam machten.
Wenn ein solches Verhalten einträte, so würde dadurch
die mittlere Stärke der gegenseitigen Anziehung der Molecüle
wachsen, indem die vereinigt bleibenden Molecüle sich natürlich
wegen der grösseren Nähe auch stärker anzögen, und demgemäss
dürfte man die Grösse^ ivelche in der Formel die gegenseitige An-
zieliung der Molecüle repräsentirt^ nicht als von der Temperatur
unabhängig betrachten , sondern müsste annehmen , dass sie mit
sinhender Temperatur grösser ivürde.
Ferner hat van der Waals aus theoretischen Betrachtungen
den auch schon von Anderen in ihren Formeln ausgedrückten
Schluss gezogen, dass die durch die gegenseitige Anziehung der
Molecüle bedingte Abnahme des Druckes dem Quadrate des
Volumens umgekehrt proportional sei. Diesen Schluss kann man
für grössere Volumina als angenähert richtig zugestehen, braucht
ihm aber keine allgemeine und strenge Gültigkeit zuzuschreiben,
sondern kann annehmen, dass auch von ihm eine Abweichung
stattfinde, die um so grösser werde, je mehr sich das Volumen
verkleinere.
Ich habe nun versucht, eine Formel für p zu bilden, welche
aus den früheren Formeln dasjenige beibehält, was mir in ihnen
richtig zu sein scheint, zugleich aber den oben erwähnten modi-
ficirenden Umständen Rechnung trägt, und bei möglichster Ein-
fachheit mit den älteren und neueren Beobachtungen von An-
drews, sowie auch mit den sonst vorhandenen Beobachtungen
genügend übereinstimmt. Es ist dieses wegen eines besonderen
Umstandes mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Die für p
zu bildende Formel hat nämlich, wie man schon aus den Glei-
chungen (2). (3), (4) und (5), wenn man sie nach p auflöst, er-
sehen kann, die Eigenthümlichkeit, dass sie die Differenz aus zwei
Grössen ist, welche beide viel grössere AVerthe haben können,
als p. Dadurch wird es bewirkt, dass Ungenauigkeiten, welche
Claitsius, mecliau. Wärnietheorie. III. jg
(8)
194 Anhang.
im Verhältnisse zu den beiden einzelnen Grössen nur klein sind,
doch in p im Verhältniss zu seinem Werthe bedeutende Ab-
weichungen von der Erfahrung hervorbringen können, und dass
daher die Bestimmung der einzelnen Grössen um so genauer
stattfinden muss.
Die Formel, welche ich gebildet habe, hat folgende Gestalt
T c
worin i?, c, a und ß Constante sind.
Diesen Constanten hat man für Kohlensäure, wenn man als
Druckeinheit eine Atmosphäre und als Volumeneinheit, wie vor-
her, dasjenige Volumen wählt, welches die Kohlensäure unter
dem Drucke von einer Atmosphäre und bei der Temperatur des
Gefrierpunctes einnimmt, folgende Werthe zu geben:
'iJ=i^«?= 0,003 088
c = 2,0035
a = 0,000 843
ß = 0,000 977.
Wählt man dagegen als Druckeinheit den Druck eines Kilogramm
auf ein Quadratmeter und als Volumeneinheit ein Cubikmeter,
indem man dabei voraussetzt, dass die betrachtete Menge Kohlen-
säure ein Kilogramm sei, so hat man den Constanten folgende
Werthe beizulegen:
(R = 19,273
c = 5533
a = 0,000 426
[ ß = 0,000 494.
Zur Prüfung der Uebereinstimmung dieser Formel mit der
Erfahrung habe ich die drei neueren ßeobachtungsreihen von
Andrews, welche sich auf die Temperaturen G,5°, 64" und 100"
beziehen, und drei der älteren Beobachtungsreihen, welche sich
auf die Temperaturen 13,P, 31,1" und 48,1" beziehen, zur Ver-
gleichung gewählt. Bei jeder dieser Reihen habe ich aus den darin
vorkommenden Volumen eine Anzahl, welche sich über das ganze
Beobachtungsintervall möglichst gleichmässig vertheilen, zur Be-
trachtung ausgewählt. Dabei ist aber noch zu bemerken, dass
(9)
Ueber das Verhalten der Kohlensäure etc.
195
Andrews die Volumen nicht so ausgedrückt hat, dass allen
Zahlen eine und dieselbe Einheit zu Grunde liegt, sondern dass
er bei jeder Temperatur dasjenige Volumen, welches die Kohlen-
säure hei dieser Temperatur unter dem Drucke von einer Atmo-
sphcäre einnimmt, als Einheit genommen hat. Das auf diese
Weise ausgedrückte Volumen hat er mit e bezeichnet. Um hier-
aus das von uns mit v bezeichnete Volumen, bei dem das heim
Gefrierpuiirtc unter dem Drucke von einer Atmosphäre von der
Kohlensäure eingenommene Volumen als Einheit zu Grunde liegt,
zu berechnen, müssen wir den Ausdehnungscoefficienten der Koh-
lensäure unter atmosphärischem Drucke kennen. Für diesen ist
der von Regnault gefundene Wertli 0,00371, welchen auch
Andrews in seinen Rechnungen benutzt hat, in Anwendung
gebracht.
Die so erhaltenen Werthe von v sind zugleich mit den be-
treffenden Temperaturen m die Formel eingesetzt, und aus dieser
dann die dazu gehörigen Werthe von j} berechnet. Diese Werthe
sind in den folgenden Tabellen mit p (her.) bezeichnet, und unter
ihnen stehen die entsprechenden beobachteten Werthe, welche
mit p (beob.) bezeichnet sind. Auch sind noch die mit z/ be-
zeichneten Differenzen zwisclien den beobachteten und den be-
rechneten Werthen von p) hinzugefügt. Bei jeder Reihe ist an-
gegeben, ob sie zu den älteren oder neueren Beobachtungsreihen
von Andrews gehört.
I. Temp. 6,5" (neuere Reihe).
1
1
1
16,13
2ü,62
45,80
V
0,06349
0,03458
0,02236
p (her.)
14,65
24,63
• 34,15
p (Ijeob.)
14,68
24,81
34,49
J
— 0,03
— 0,18
— 0,34
13'
196
Anhang.
II. Temp. 13,10 (ältere Reihe).
1
1
80,43
1
480,4
1
76,l(i
510,7
V
0,013 768
0,013 037
0,002 182 8
0,002 053 2
p (her.)
47,98
49,27
54,66
74,96
p (beob.)
47,50
48,76
54,56
90,43
J
+ 0,48
+ 0,51
+ 0,10
— 15,47
III. Temp. 31,10 (ältere Reihe).
1
1
1
174,4
1
1
80,55
124,4
311,1
405,5
V
0,013 847
0,008 966
0,006 395
0,003 585
0,002 751
p (ber.)
54,92
68,44
75,33
78,22
92,47
p (beob.)
54,79
67,60
73,83
75,40
85,19
J
+ 0,13
-f 0,84
+ 1,50
+ 2,82
+ 7,28
IV. Temp. 48,1" (ältere Reihe).
1
1
1
86,45
146,8
298,4
V
0,013 631
0,008 028
0,003 949
p (ber.)
62,05
84,42
112,6
p (beob.)
62,60
84,35
109,4
J
— 0,55
+ 0,07
+ 3,2
V. Temp. 640 (neuere Reihe).
1
1
1
1
1
24,18
46,34
83,44
185,5
446,4
V
0,05118
0,02670
0,01483
0,006 671
0,002 772
p (ber.)
22,41
39,95
63,99
107,06
202,30
p (beob.)
22,56
40,54
64,96
106,88
222,92
J
- 0,15
— 0,59
— 0,97
+ 0,18
— 20,62
Ueber das Verhalten dc^r Kohlensäure etc.
UJ7
VI. Temp. 100'^ (neuere Ucilie).
1
1
1
1
1
2(),0Ü
50,«]3
96,65
218,0
;-j79,:-5
V
0,05255
0,0270ö
0,014 lb5
0,006 289
0,()0;:{ 615
p (ber.)
24,05
45,30
78,69
146,29
280,09
j) (beob.)
24,85
45,99
80,25
145,44
223,57
J
— 0,20
— 0,69
— 1,56
4- 0,85
+ 6,52
Aus diesen Tabellen ist ersichtlich, dass zwischen den aus
der Formel berechneten und den beobachteten Werthen von p
im Allgemeinen eine genügende und zum Theil eine auffallend
gute Uebereinstimmung stattfindet. Indessen kommen bei den
grössten in den Versuchen erreichten Dichtigkeiten der Kohlen-
säure, welche das Vier- bis Fünfhundertfache der unter dem
Drucke von einer Atmosphäre stattfindenden Dichtigkeiten be-
tragen, doch erhebliche Differenzen vor. Diese veranlassten mich
anfangs, mit der Formel noch eine Aenderung vorzunehmen, in-
dem ich im zweiten Gliede noch eine Temperaturfunction als
Factor einführte, welche dazu dienen sollte, die Differenzen aus-
zugleichen. Dadurch verlor aber die Formel ihre bisherige Ein-
fachheit, und es entstand die Frage, ob jene Differenzen wirklich
von so grosser Bedeutung sind, um eine solche Aenderung der
Formel zu rechtfertigen. Diese Frage glaubte ich bei näherer
Betrachtung der Sache verneinen zu müssen.
Die Differenzen wechseln nämlich in ganz auffälliger Weise
ihr Vorzeichen. Bei 13, fo ist die grösste Differenz negativ, bei
31,10 positiv, bei 64» negativ und bei 100^ wieder positiv. Ein
so häufiger Zeichenwechsel spricht nicht dafür, dass der Grund
der Differenzen in der Formel liegt, sondern mehr dafür, dass er
in Beobachtungsfehlern zu suchen ist. Auch sind im vorliegen-
den Falle, selbst bei sorgfältigster Beobachtung, solche Fehler
sehr wohl denkbar. Das Volumen der stark verdichteten Kohlen-
säure wurde in Capillarröhren gemessen. Wenn es nun schon
so klein geworden war, dass es nur noch ein Vier- bis Fünf-
hundertstel seiner ursprünglichen Grösse betrug, so konnten bei
der Ablesung leicht Fehler vorkommen, welche zwar, absolut
genommen, sehr klein, aber verhältnissmässig doch gross genug
198 ADhang.
waren, um in der Formel für p^ welche bei kleinen Wertlien
von V ihren Werth sehr schnell mit ■?; ändert, Differenzen von
den in der Tabelle vorkommenden Grössen zu verursachen.
Auch das zur Bestimmung des Druckes dienende Luftmano-
meter bestand aus einer Capillarröhre , in welcher die Luft bei'
den grössten vorkommenden Drucken so kleine Volumina ein-
nahm, dass ein geringer Beobachtungsfehler einen sehr grossen
Einliuss auf den aus der Beobachtung abgeleiteten Druck aus-
üben musste.
Ferner ist zu bemerken, dass Andrews bei der Ableitung
des Druckes aus den Angaben des Luftmanometers von der Vor-
aussetzung ausgegangen ist, dass die Luft bis zu den grössten in
den Versuchen angewandten Drucken, welche bis über zwei-
hundert Atmosphären reichten, dem Mariotte' sehen Gesetze
folge. Dieses ist aber bekanntlich nicht der Fall, sondern es fin-
den bei solchen Drucken schon beträchtliche Abweichungen statt.
Ich versuchte anfangs, unter Zuhülfenahme der Beobachtungen
von Cailletet und Amagat über die Zusammendrückung des
Stickstoffs, die aus den Manometerangaben abgeleiteten Druck-
grössen zu corrigiren, fand aber, dass die Beobachtungsresultate
dieser beiden Forscher doch nicht in genügender Weise unter
einander übereinstimmen, um sie mit hinlänglicher Sicherheit zu
einer solchen Correction anwenden zu können. Ich habe daher
in der Tabelle einfach die von Andrews angeführten Werthe
von p wiedergegeben.
Endlich muss ich noch auf einen eigenthümlichen Unter-
schied aufmerksam machen, welcher sich in den zwischen den
berechneten und den beobachteten Werthen von p statttindenden
Differenzen zeigt. In den älteren Beobachtungsreihen sind näm-
lich die Differenzen fast alle positiv und in den neueren fast
alle negativ. Auch dieser Unterschied spricht dafür, dass die
Differenzen ihren Grund mehr in den die Versuche beeinflussen-,
den Umständen, als in der Formel haben.
Aus allen diesen Gründen muss man auf eine gewisse, den
grössten beobachteten Werthen von p noch anhaftende Unsicher-
heit schliessen, und demgemäss darf man an die Uebereinstim-
mung zwischen den berechneten und den beobachteten Werthen
keine zu strengen Anforderungen stellen. Ich habe daher von
der oben erwähnten, die Formel complicirter machenden Aende-
rung wieder Abstand genommen und bin auf ihre ursprüngliche
Uel)er das Verhaltx'u der Kolileusäiire etc. 199
und einfachste Gestalt zurückgekommen , welche mir nicht nur
in praktischer, sondern auch in theoretischer JJezic^hung den Vor-
zug zu verdienen scheint.
Die in der Formel vorkommenden Constanten hahe ich durch
ziemlich mühsame Kechnungen no bestimmt, dass die aus der
Formel sich ergebenden Werthe von jj sowohl mit den neueren,
als auch mit den älteren Beobachtungsresultaten von Andrews
möglichst gut übereinstimmen, und dass von den bei grossen
Dichtigkeiten der Kohlensäure bestehen bleibenden Differenzen
ungefähr ebensoviele positiv, wie negativ sind. Bei diesen Werthen
der Constanten findet auch mit den Beobachtungsresultaten von
Regnault, welche in Bezug auf die Verdichtung der Kohlen-
säure lange nicht so weit reichen, wie die von Andrews, eine
genügende üebereinstimmung statt. Ich glaube daher, dass diese
Werthe der Constanten dem gegenwärtig vorhandenen Beobach-
tungsmaterial, welches gerade bei der Kohlensäure vollständiger
ist, als bei irgend einem anderen Gase, mit hinlänglicher Genauig-
keit entsprechen.
Was die anderen Gase anbetrifft, so kann man meiner An-
sicht nach die allgemeine Gleichung (7) auch auf diese anwen-
den, muss aber natürlich die Constanten für jedes Gas besonders
bestimmen.
Im Anschluss an das Vorige muss noch eine Frage erörtert
werden, welche sich bei der Betrachtung der von Andrews ge-
zeichneten und von James Thomson vervollständigten Druck-
curven aufdrängt.
Wenn ein Gas, z. B. Kohlensäure, bei einer unter der kriti-
schen Temperatur liegenden Temperatur zusammengedrückt wird,
so beginnt bei einem gewissen Volumen die Condensation , und
es tritt damit ein Zustand ein, in welchem ein Theil des Stoffes
flüssig und der andere gasförmig ist. So lange dieser Zustand
bei der weiteren Volumenverminderung fortdauert, bleibt der
Druck constant und das entsprechende Stück der isothermischen
Druckcurve ist somit eine horizontale gerade Linie. Neben dieser
geraden Linie kann man sich, wie oben besprochen wurde, nach
James Thomson noch eine andere isothermische Druckcurve
denken, welche denjenigen Druck darstellt, der bei derselben
Volumenänderung stattfinden würde, wenn diese in der ^Veise
200 Anhaug.
vor sich ginge, dass stets die ganze Menge des Stoffes sich in
gleichem Zustande befände. Wenn diese letztere Art der Volu-
menänderung auch in der Wirklichkeit nicht stattfindet, weil die
in ihr vorkommenden Gleichgewichtszustände zum Theil labil
sind, so muss man sie doch als theoretisch möglich betrachten,
und in der That stellt die letztere Druckcurve den durch unsere
Formel bestimmten Druck dar.
Es fragt sich nun aber, in welcher Lage diese theoretische
Druckcurve und die dem wirklichen Vorgange entsjorechende
horizontale gerade Linie sich zu einander befinden.
James Thomson hat sich darüber nicht ausgesprochen,
sondern hat nur in der auf S. 188 wiedergegebenen Andrews'-
schen Figur zu den auf die Temperaturen 13,lo und 21, 5» be-
züglichen Druckcurven die dort punctirt gezeichneten Curven-
stücke hinzugefügt. Diese sollen wahrscheinlich nur dazu dienen,
eine ungefähre Vorstellung von der möglichen Gestalt und Lage
der Curvenstücke zu geben. Als wirklich richtig können sie in
dieser Form nicht gelten.
Maxwell geht in den ersten Aufiagen seines Buches „Theory
of Heat" p. 125 näher auf die Sache ein. Denkt man sich eine
der stetig verlaufenden theoretischen Druckcurven, z. B. die zu
der Temperatur 13,1" gehörige, gegeben und zeichnet die hori-
zontale Gerade in verschiedenen Höhen hinein, so erhält man
jedesmal zwei Puncte a und e als Endpuncte der Geraden. Die
Differenz zwischen den beiden Werthen, welche die Energie des
Stoffes in den diesen beiden Puncten entsprechenden Zuständen
hat, ist für die verschiedenen Lagen der Geraden verschieden
gross, und nun sagt Maxwell, diejenige Lage der Geraden, bei
der diese Differenz ein Maximum sei, sei die richtige. In der
vierten Auflage seines Buches aber ist diese Stelle geändert und
die Lage der horizontalen Geraden unbestimmt gelassen. Man
muss daher wohl annehmen, dass Maxwell seine frühere An-
sicht über diesen Punct später wieder aufgegeben hat.
Van der Waals sagt auf p. 121 seiner oben citirten Schrift:
„Es hat mir nicht glücken wollen, in einer der Eigenschaften
des gesättigten Dampfes ein Merkmal zu finden, durch welches
festgestellt werden könnte, wo die (gerade) Linie durch die Iso-
therme gezogen werden muss."
Hiernach darf wohl die Frage, welche Lage die den Druck
des gesättigten Dampfes angebende horizontale Gerade in der
Ueber das Verlialtt'ii der Kolileiisänre etc. 201
isothermisclien Druckcurve hat, als eine iio(;h odene angeselien
werden, und ich will mir erlauhcn, diejenige Beantwortung dieser
Frage, welche sich mir bei der i5etraclitung des Gegenstandes
dargeboten hat, hier mitzutheilen.
Wenn rnan die für die Temperatur von 13,1" von Andrews
gezeichnete und von J. Thomson vervollständigte Druckcurve
bctraclitet, so sieht man, dass sie von m bis a und weiterhin von
e bis n einfach, dagegen zwischen a und e doppelt ist. Zwischen
den beiden Zuständen des StoÖ'es, welche den Puncten a und e
entsprechen, und welche wir kurz die Zustände a und e nennen
wollen, giebt es also zwei Wege, auf welchen der Stoff aus dem
einen in den andern übergehen kann. Der Uebergang kann auf
jedem dieser Wege unter ganz gleichen Umständen sowohl in
der Richtung von a nach e, als auch in der Richtung von e
nach a stattfinden, und die betreuenden Veränderungen sind so-
mit beide als umkehrbar zu bezeichnen.
Denken wir uns nun, dass der Stoff auf dem durch die
Curve ahcäe dargestellten Wege von a nach c übergehe und
auf dem durch die Gerade ea dargestellten Wege wieder von
e nach a zurückkehre, so haben wir einen umkehrbaren Kreis-
process. Für die im Verlaufe desselben dem veränderlichen Stoffe
von aussen her mitgetheilten positiven oder negativen Wärme-
mengen, deren Element dQ heissen möge, muss daher die be-
kannte Gleichung:
/^ = o
gelten. Da nun im- gegenwärtigen Falle die Temperatur T con-
stant ist, indem die Linien, welche den Kreisprocess graphisch
darstellen, nur isothermische Linien für eine und dieselbe Tem-
peratur sind, so vereinfacht sich die Gleichung in:
J'dQ = 0.
Die dem Stoffe mitgetheilten, theils positiven, theils negativen
Wärmemengen heben sich also gegenseitig auf.
Daraus folgt weiter, dass auch die während des Kreispro-
cesses gethane, theils positive, theils negative äussere Arbeit sich
aufheben muss. Die zu den beiden Abschnitten des Kreisprocesses
gehörenden Ueberschüsse der positiven Arbeit über die negative
werden durch die in der Figur vorkommenden Flächenräume
dargestellt, und zwar stellt der über der Geraden liegende Flächen-
202
Anhang.
räum cclec einen positiven, und der unter der Geraden liegende
Flächenraum ahca einen negativen üeberscliuss dar. Diese
beiden Flächenräume müssen somit, um für die Gesammtarbeit
den Werth Null zu geben, unter einander gleich sein. . Hierdurch
ist, wenn die dem homogenen Zustande entsprechende theoretische
Druckcurve gegeben ist, auch die Lage der dem wirklichen Ver-
dampfungs- und Condensationsprocesse entsprechenden horizon-
talen geraden Linie bestimmt.
Man kann die vorstehende Bedingung folgendermaassen als
Satz aussprechen: J) er Druck des gesättigten Bampfes ist so gross,
dass die äussere Arbeit, ivelche hei der Verdampfung geleistet
tvird, gleich derjenigen ist, ivelche geleistet iverden tüürde, -wenn
der Stoff hei derselben Volumenmnahme homogen bliebe. Man kann
dieses auch noch etwas kürzer so fassen: Der Druck des ge-
sättigten Dampfes ist gleich dem mittleren Drude des homogen
bleibenden Stoffes bei einer der vollständigen Verdampfung ent-
sprechenden Volumensunahme.
Die von J. Thomson für die Temperatur von 13,1« zwischen
a und e gezeichnete Gurve entspricht dieser Bedingung nicht, in-
dem die Flächeninhalte der von ihr und der horizontalen Geraden
gebildeten Figuren ahca und cdec augenscheinlich ungleich sind.
Um nun zu sehen, wie die Sache sich gestaltet, wenn man zur
Bestimmung des Druckes die Gleichung (7) anwendet, habe ich
für so viele zwischen a und e liegende Werthe von v die ent-
sprechenden Werthe von p berechnet, dass daraus der Verlauf
der Curve zwischen a und e zu ersehen ist. Die dabei erhal-
tenen Werthe sind, nebst den oben in Tabelle II schon einmal
mitgetheilten Werthen von p, welche sich auf einige ausserhalb
des Intervalls ae liegenden Werthe von v beziehen, in der fol-
genden Tabelle zusammengestellt:
V
0,013 768
0,013 037
0,012
0,011
0,010
0,009
0,008
p
47,98
49,27 ■
51,12
52,87
54,50
55,84
56,63
0
0,007
0,006
0,005
0,001
0,00350
0,00325
0,00300
p
56,38
54,28
49,00
38,83
32,05
28,83
26,53
V
0,00285
0,00275
0,00250
0,002 182 8
0,002 053 2
p
26,11
^
56,52
31,52
54,f
56
7J
t,96
lieber das Vei'halten der Kolilensäure etc.
202
Unter Anwendung dieser Wertlie erhält man eine Curve von
der in folgender Figur gegebenen Gestalt. Diese Curve ent-
spricht der obigen Bedingung mit hinlänglicher Genauigkeit.
Fig. 4.
TO-
TO
65
a
•5
60
ST
o
g
<
55
50-
'■•■-,_
a
, / \
o
45-
40-
35
30-
9=;
i /
VoluDien
Abhandlung- V.
Ueber einige neue Untersucliung'en über die mittlere
Wegläng-e der Gasmolecüle.
(Wiedemann's Ann. 10, S. 92 bis 103, 1880.)
Es sind in neuerer Zeit von verschiedenen Autoren Unter-
suchungen über die mittlere Weglänge der Moiecüle gasförmiger
Körper angestellt, welche dazu geführt haben, dass mehrfache
Aeiiderungen an der früheren Bestimmung dieser Weglänge vor-
geschlagen sind, und ich glaube daher, dass eine zusammen-
fassende Besprechung dieser Aenderungsvorschläge nicht als un-
zweckmässig erscheinen wird.
1. Die erste Bestimmung der mittleren Weglänge der Gas-
molecüle habe ich in einem i. J. 1858 in Pogg. Ann. i) veröffent-
lichten Aufsatze ausgeführt. Ich ging dabei von der Betrach-
tung eines einfacheren Falles aus, indem ich zuerst nur ein
Molecül als bewegt und alle anderen als ruhend annahm. Für
diesen Fall erhielt ich für die mittlere Weglänge V des bewegten
Molecüls folgenden Ausdruck:
Hierin bedeutet X den Abstand, den zwei einander zunächst
liegende Moiecüle haben würden, wenn die Moiecüle cubisch an-
geordnet wären. Will man statt dieser Grösse X lieber die Grösse
n einführen, welche die Anzahl der Moiecüle in der Raumeinheit
angiebt, so lautet der Ausdruck:
1) Clausius, Pogg. Ann. 105, 239, 1858. Wieder abgedruckt in meiner
Abhandlungen -Sanimluug 2, 260; vergl. oben S. 46.
Ueber einige nefie Uutersuchungen etc. 205
Das Zeichen q stellt den Radius der Wirkungssphäre eines Mole-
cüls dar. Dabei ist unter Wirkungssphäre diejenige um den
Schwerpunct eines Molecüls beschriebene Kugel verstanden, l)is
zu deren Oberfläche der Schwerpunct eines andern Molecüls sich
ihm nähern kann, bevor ein Abprallen eintritt. Stellt man sicli,
wie es zuweilen der Anschaulichkeit wegen geschieht, die Mole-
cüle als harte elastische Kugeln vor, so tritt bei diesen das Ab-
prallen ein, wenn der Abstand ihrer Schwerpuncte gleich ihrem
Durchmesser ist, und für solche elastische Kugeln ist daher der
Radius q der Wirkungssphären doppelt so gross, als der Radius
der Kugeln selbst.
Nachdem ich so für den einfachen Fall, wo nur ein Molecül
sich bewegt, während die übrigen in Ruhe sind, die mittlere Weg-
länge ausgedrückt hatte, handelte es sich weiter darum, zu be-
stimmen, wie dieser Ausdruck geändert werden muss, wenn sich
alle Molecüle, und zwar mit durchschnittlich gleichen Geschwin-
digkeiten, bewegen. Die unter diesen Umständen nöthige Aen-
derung besteht darin, dass man den vorigen Ausdruck mit
dem Verhältnisse der mittleren absoluten Geschwindigkeit aller
Molecüle zur mittleren relativen Geschwindigkeit aller Molecül-
paare zu multipliciren hat. Bezeidmet man also die absolute
Geschwindigkeit eines Molecüls mit v und den Mittelwerth dieser
Grösse mit ü, und ferner die relative Geschwindigkeit zweier
Molecüle mit r und den Mittelwerth dieser Grösse für alle Com-
binationen aus je zwei Molecülen mit r, so erhält man für die
mittlere Weglänge, welche jetzt mit l bezeichnet werden möge,
den Ausdruck:
(3) i^_l_.l.
V
Um nun aber das hier eingeführte Verhältniss — numerisch
zu bestimmen, muss man die Art der Bewegung der Molecüle
näher kennen, d. h. man muss wissen, welches Gesetz in Bezug
auf die verschiedenen gleichzeitig stattfindenden Geschwindig-
keiten aller einzelnen Molecüle gilt. Zu der Zeit, wo ich meine
Untersuchung machte, war ein solches Gesetz noch nicht aufgefun-
den, und ich musste mich daher bei meiner Rechnung, bei der
206 Anhang. '
es sich, wie ich sagte, nur darum handelte, einen ungefähren
Begriff von der Grösse des Verhältnisses zu erhalten, mit einer
für diesen Zweck geeigneten Annahme begnügen. Als solche
wählte ich die, dass alle Molecüle nicht nur durchschnittlich,
sondern fortwährend gleiche Geschwindigkeiten haben, was frei-
lich in der Wirklichkeit nicht möglich ist, da die Geschwindig-
keiten sich bei jedem Stosse ändern, aber für eine angenäherte
Rechnung doch angenommen werden konnte. Unter Zagrunde-
legung dieser Annahme ergab sich für das Verhältniss der
Werth 4-
4
Ein Jahr später veröffentlichte Maxwell seine bekannte
schöne Abhandlung „Illustrations of the dynamical theory of
gases" 1) , in welcher er sein Gesetz über die Geschwindigkeiten
der einzelnen Gasmolecüle ableitete. In dieser Abhandlung be-
schäftigte er sich auch mit der mittleren VVeglänge der Molecüle
und gelangte, was die allgemeine Formel anbetrifft, zu demselben
Resultate, wie ich. Die numerische Berechnung des Verhältnisses
der beiden mittleren Gescliwindigkeiten konnte er aber anders
ausführen, wie ich, indem er ihr sein soeben abgeleitetes Ge-
schwindigkeitsgesetz zu Grunde legen konnte, aus welchem sich
für das gesuchte Verhältniss der Werth 1/ — ergiebt. Diese Ab-
3
änderung des von mir berechneten Werthes — ist offenbar nicht
so aufzufassen, als ob Maxwell einen von mir begangenen Fehler
berichtigt hätte, denn für den Fall, für welchen ich meinen
o
Werth — abgeleitet hatte, war er, wie ich noch besonders nach-
gewiesen habe 2), vollkommen richtig. Da dieser Fall aber nur
ein zur Aushülfe angenommener war, so stehe ich nicht an, den
aus dem Maxwell'schen Gesetze abgeleiteten Werth y -^ als
einen der Wirklichkeit mehr entsprechenden anzuerkennen. Unter
seiner Anwendung lautet der Ausdruck für l:
(4) l
'-VI-
2 n7t Q'
1) Maxwell, Phil. Mag. (4) 19, 19, 1859.
2) Ibid. 21, 434, 1860.
Ueber einige neue Untersucluingen etc. 207
2. Was nun die gegen den Ausdruck erhobenen Einwände
anbetrifft, so ist zunächst ein von Frowein in dem „Nieuw
Archief voor Wiskunde", Decl V, unter dem Titel „Eene bekende
formule van Clausius" veröffentlichter Aufsatz zu erwähnen.
Frowein bekämpft schon meine erste Entwickelung, welche
sich auf den Fall bezieht, wo nur ein Molecül sich bewegt, wäh-
rend die anderen in Ruhe sind, und aus welcher sich die unter
(1) mitgetheilte Formel ergeben hat. Er legt dabei aber meinen
Aussprüchen einen so unrichtigen Sinn unter, dass ich vermuthen
muss, dass er meine Abhandlung wegen der ihm fremden Sprache,
in welcher sie geschrieben ist, nicht überall richtig verstanden hat.
Ich habe gesagt, man solle sich den mit Molecülen erfüllten
Raum in dünne Schichten zerlegt denken, deren Dicke 8 so klein
sei, dass man höhere Potenzen derselben gegen die erste Potenz
vernachlässigen könne. Indem ich dann von den Molecülen
sprach, welche für jede dieser Schichten in Rechnung zu bringen
sind, habe ich das erste Mal ausdrücklich gesagt, dass es sich
dabei um diejenigen Molecüle handle, deren Centra sich in der
Schicht befinden. Weiterhin aber habe ich es nicht für nöthig
gehalten, dieses jedesmal zu wiederholen, sondern habe die be-
treffenden Molecüle kurz die in der Schicht befindlichen Molecüle
genannt. Anstatt nun dieses so zu verstehen, wie es dem Vor-
ausgegangenen entspricht, nämlich dass es sich nur um die Lage
der Centra handelt, fasst Hr. Frowein es wörtlich auf und er-
hebt dagegen den Einwand, eine unendlich dünne Schicht könne
nicht ganze Molecüle, sondern nur Theile von Molecülen ent-
halten.
Ferner habe ich die Anzahl der in einer Schicht von der
Dicke d befindlichen Molecüle mit der Anzahl der in einer Schicht
von der Dicke l befindlichen verglichen, und habe gesagt, aus
der letzteren Anzahl erhalte man die erstere durch Multiplication
mit — • Da ich nun in derselben Betrachtung auch davon ge-
öprochen habe, dass man sich alle in der Schicht von der Dicke
A befindlichen Molecüle so verlegt denken solle, dass ihre Centra
in einer Ebene liegen, so meint nun Hr. Frowein, jene Miilti-
plication mit — solle dazu dienen, einen auf eine Ebene bezüg-
liehen Ausdruck in einen auf einen Raum bezüglichen zu ver-
wandeln, wogegen er sich dann ausspricht. Man sieht also wohl,
208 Anhang.
dass es sich bei diesen beiden Einwänden nur um Missverständ-
nisse handelt.
Ausser diesen Einwänden macht Frow^ein aber noch einen
andern , welcher mehr sachlicher Art ist. Er sagt nämlich,
zwischen dem Falle, wo nur ein Molecül sich bewegt, während
die anderen in Ruhe sind, und dem, wo alle Molecüle sich be-
wegen, finde in Bezug auf die mittlere Weglänge gar kein Unter-
schied statt. Man habe also die auf den ersten Fall bezügliche
.3 .1 /T
mittlere Weglänge weder mit — , noch mit|/— zu multipliciren,
sondern ganz unverändert auch auf den letzteren Fall an7Aiwen-
den. Er giebt allerdings zu, dass die Anzahl der Stösse, welche
ein Molecül in der Zeiteinheit erleidet, unter bewegten Molecülen
grösser sei, als unter ruhenden, und zwar in demselben Verhält-
nisse, in welchem seine mittlere relative Geschwindigkeit zu den
bewegten Molecülen grösser sei, als seine mittlere absolute Ge-
schwindigkeit, sagt aber, bei der Ableitung der mittleren Weg-
länge aus der Anzahl der Stösse habe man ebenfalls die mittlere^
relative Geschwindigkeit statt der mittleren absoluten Geschwin-
digkeit in Rechnung zu bringen, und dadurch hebe sich jener
Unterschied wieder auf. Dieses ist ein Irrthum, denn es ist ohne
Weiteres ersichtlich, dass man, um die mittlere Weglänge eines
Molecüls zu erhalten, die ganze von ihm während der Zeiteinheit
durchlaufene Strecke durch die Anzahl der Wege, aus welchen
die Strecke besteht, zu dividiren hat. Jene Strecke wird aber
durch seine mittlere absolute Geschwindigkeit dargestellt, und
die Anzahl der Wege ist gleich der Anzahl der Stösse, welche
es während der Zeiteinheit erleidet. Somit ergiebt sich auch
dieser Einwand als ungerechtfertigt.
3. Von grösserer Bedeutung, als die vorstehenden Einwände,
ist eine Veränderung, welche Korteweg mit meiner Formel vor-
genommen hafi), weil das Irrthümliche in der von ihm gegebe-
nen Begründung schwerer herauszufinden ist. Eine Besprechung
dieser Veränderung scheint mir daher besonders nöthig zu sein.
Sie besteht in der Hinzufügung eines in meiner Formel
nicht vorkommenden Factors 2, also in der Verdoppelung des
von mir gegebenen Werthes der mittleren Weglänge, und die
1) Korteweg, Archives Neerlandaises des sciences exactes et natu-
relles 12, p. 241, 1877.
Uehev einige ueue Untersuclmngen etc. 209
Schlussweise, durch welche er zu diesem doppelten Werthe ge-
langt, ist folgende.
Er betrachtet zunächst alle sich durcheinander bewegenden
Molecüle in den Bewegungsstadien, in welchen sie sich in einem
gewissen Momente befinden, und bestimmt den Mittelwerth der
Wegstücke, welche sie von diesem Momente an bis zu ihren
nächsten Stössen zurücklegen. Dann sagt er weiter, vor jenem
von ihm zur Betrachtung ausgewählten Momente liaben die Mole-
cüle seit ihren letzten Stössen auch schon gewisse Wegstücke
durchlaufen, deren Mittelwerth ebenso gross sei, wie der von
ihm bestimmte Mittelwerth der nach jenem Momente durch-
laufenen Wegstücke, und demnach sei der Mittelwertli der gan-
zen von einem Stosse bis zum andern durchlaufenen Wege dop-
pelt so gross, als jener von ihm bestimmte Mittelwerth, und dieser
doppelte Werth sei somit als mittlere Weglänge anzunehmen.
Diese Schlussweise scheint auf den ersten Blick so einfach
und natürlich zu sein, dass man glauben könnte, ihr ohne Wei-
teres zustimmen zu müssen. Dessenungeachtet ist sie unrichtig.
Der Mittelwerth der Wegstücke, welche die Molecüle von einem
gewissen Momente an bis zu den nächsten Stössen durchlaufen,
ist nicht halb so gross, sondern ebenso gross, wie die Strecke,
welche wir mittlere Weglänge nennen, nämlich der Mittelwerth
aller im Gase vorkommenden, von einem Stosse zum andern
durchlaufenen Wege.
Ich habe mich über diesen Punct schon einmal in meiner
Abhandlung über die Wärmeleitung gasförmiger Körper aus-
gesprochen ^). Dort habe ich nämlich alle Molecüle betrachtet,
welche sich in einem gewissen Momente in einer unendlich dün-
nen Schicht befinden, und habe mir die Frage gestellt, wie gross
der Mittelwerth der Wegstücke sei, welche sie von diesem Mo-
mente an bis zu ihren nächsten Stössen durchlaufen müssen, und
ebenso, wie gross der Mittelwerth der Wegstücke sei, welche sie
vor diesem Momente seit ihren letzten Stössen durchlaufen haben.
Diese beiden unter sich gleichen Mittelwerthe , welche ich mit s
bezeichnete, stellten sich als ebenso gross heraus, wie die ganze,
früher von mir bestimmte mittlere Weglänge, welche ich dadurch
1) Clausius, Pogg. Ann. 115, 20, 1862, und Abhandlungen-Samm-
lung 2, 292, 1867. In die oben entwickelte Theorie hat der Verf. diese
BetracbtuDg nicht mehr aufgenommeu. D. H.
Clausius, median. Wärmetlieorie. 111. ^4:
210 Anhang.
erhalten hatte, dass ich, von einer grossen Anzahl von Stössen
ausgehend, die Wege der Molecüle bis zu ihren nächsten Stössen
betrachtete und von diesen den Mittelwerth nahm. Nachdem
ich auf diesen eigenthümlichen Umstand im Texte aufmerksam
gemacht hatte, fügte ich zur Erklärung desselben folgende An-
merkung hinzu.
„Es kann vielleicht auf den ersten Blick auffällig erscheinen,
dass man für die Wege von den letzten Zusammenstössen bis
zu einem gewissen Zeitpuucte, oder von diesem Zeitpuncte bis zu
den nächsten Zusammenstössen denselben Mittelwerth erhält, wie
für die während einer gewissen Zeit in dem Gase zurückgelegten
ganzen Wege von einem Zusammenstosse bis zum nächsten. Da-
bei muss man aber bedenken, dass der Mittelwerth aus allen
Wegen, welche während einer gewissen Zeit in dem Gase zwischen
je zwei Zusammenstössen zurückgelegt werden, nicht gleich-
bedeutend ist mit demjenigen Mittelwerthe , den man erhalten
würde, wenn man von allen Molecülen, welche sich in einem
gewissen Momente gleichzeitig in einer Schicht befinden, die Wege
von ihren letztvorangegangenen bis zu ihren nächstfolgenden
Zusammenstössen betrachten wollte. Im letzteren Falle sind näm-
lich die grossen Wege gegenüber den kleinen stärker vertreten,
als im ersteren, denn ein Molecül braucht zu einem grossen Wege
mehr Zeit, als zu einem kleinen, und es ist daher für einen
gewissen Moment mehr Wahrscheinlichkeit, dass es sich auf einem
grossen Wege befindet, als auf einem kleinen, während im ersteren
Falle alle im Gase vorkommenden Wege gleich zählen. Wenn
man die Rechnung ausführt, so findet man im letzteren Falle
einen doppelt so grossen Mittelwerth, als im ersteren. Von jenem
grösseren Mittelwerthe ist unser oben bestimmter Werth s die
Hälfte."
Hieraus erklärt es sich also, weshalb Korteweg bei seinem
Verfahren, bei dem er die Molecüle in einem gewissen Momente
betrachtete und die Wege von ihren letztvorangegangenen bis zu
ihren nächstfolgenden Stössen bestimmte, einen Werth erhalten
musste, welcher doppelt so gross ist, als die wirkliche mittlere
Weglänge.
4. Während die bisher besprochenen Meinungsdifferenzen
über die richtige Form des Ausdruckes der mittleren Weglänge
der Art waren, dass es sich dabei um verhältnissmässig bedeu-
tende Werthänderungen handelte, ist schliesslich noch eine Ab-
Ueber einige neue Untersuchungen etc. 211
änderung des Ausdruckes zu erwähnen, bei welcher es sicli nur
um einen verhältnissmässig sehr kleinen Unterschied des VVerthes
handelt, nämlich um einen solchen, der von der Ordnung der
Moleculardimensionen ist.
Ich habe, wie schon oben erwähnt, um die gegenseitige Ein-
wirkung der Molecüle in Rechnung bringen zu können, ohne
doch über ihre Gestalt und über die von ihnen ausgeübten Kräfte
specielle Hypothesen machen zu müssen, für jedes Molecül eine
gewisse Wirkungssphäre angenommen, welche ich als eine um
seinen Schwerpunct beschriebene Kugel definirte, bis zu deren
Oberfläche sich der Schwerpunct eines andern Molecüls ihm
nähern könne, bevor ein Abprallen eintrete. Nach dieser An-
nahme konnte ich in dem zuerst von mir behandelten Falle, wo
nur ein Molecül sich bewegt, während die anderen in Rühe sind,
das bewegte Molecül durch einen blossen Punct ersetzen, welcher
zwischen den Wirkungssphären der ruhenden Molecüle umherfliegt
und bald hier, bald dort an eine derselben austösst.
Um nun, wenn der Punct sich mit einer gewissen Bewegnngs-
richtung einer Wirkungssphäre nähert, zu bestimmen, ob er sie
trifft oder an ihr vorübergeht, dachte ich mir senkrecht zu der
Bewegungsrichtung des Punctes einen grössten Kreis durch die
Wirkungssphäre gelegt und sagte dann, wenn die Bahnlinie des
Punctes diese Kreisfläche schneidet, so findet Zusammentreffen,
im anderen Falle Vorübergehen statt.
Im Zusammenhange mit dieser Betrachtung habe ich auch
das Ende des Weges, welchen der Punct bis zum Zusammen treö'en
zu durchlaufen hat, der Einfachheit wegen so bestimmt, als ob
es in jener mittleren Kreisfläche läge. Da aber in der Wirklich-
keit der Punct sich nicht bis zur mittleren Kreisfläche, sondern
nur bis zur Oberfläche der Wirkungssphäre bewegen kann, so
ist durch diese Bestimmungsweise der Weg etwas zu lang ge-
rechnet. Der unter (1) und (2) mitgetheilte Ausdruck von V hat
also einen etwas zu grossen Werth, und dieselbe Ungenauigkeit
überträgt sich natürlich auch auf den aus (2) abgeleiteten Aus-
druck (3), welcher die mittlere Weglänge für den Fall darstellt,
wo nicht bloss ein Molecül sich bewegt, sondern alle Molecüle
in Bewegung sind. Da aber bei Gasen, die nicht sehr stark ver-
dichtet sind, die mittlere Weglänge gegen den Radius der Wir-
kungssphäre sehr gross ist, so ist die auf diese Weise entstan-
14*
212 Anhang.
dene Ungenaiiigkeit im Verhältniss zur ganzen mittleren Weg-
länge sehr klein.
Später sind verschiedene Versuche gemacht, diese kleine
Ungenauigkeit noch zu corrigiren und die wirkliche Lage der
,Stosspuncte in den Oberflächen der Wirkungssphären zu berück-
sichtigen. Die erste derartige Rechnung wurde von van der
Waals in seiner schönen Schrift: „Over de continuiteit van
den gas-en vloeistoftoestand" (Leiden 1673) ausgeführt. Ein Jahr
später habe ich selbst, ohne damals den Inhalt jener in hollän-
discher Sprache verfassten Schrift zu kennen, bei Gelegenheit
einer anderen Untersuchung i) eine erneute Bestimmung der mitt-
leren Weglänge der Molecüle vorgenommen, bei der jene Ver-
legung der Stosspuncte in die mittleren Kreisflächen nicht vor-
kommt. Ferner hat Korteweg in seiner schon oben citirten
Abhandlung 2), in welcher er den Factor 2 in die Formel ein-
geführt hat, gleichzeitig den hier in Rede stehenden Umstand
mit berücksichtigt, und endlich ist auch van der Waals noch
einmal auf den Gegenstand zurückgekommen ?>).
Die Resultate dieser verschiedenen Untersuchungen stimmen
unter einander nicht ganz überein, sondern es ist in ihnen noch
ein Differenzpunct geblieben. Ich glaube aber kaum, dass eine
Erörterung desselben für die Leser von erheblichem Interesse
sein würde, da selbst eine vollkommen genaue Berücksichtigung
des in Rede stehenden Umstandes die Sache noch nicht zum
Abschluss bringen würde. Ich habe nämlich bei weiterer Be-
trachtung des Gegenstandes gefunden, dass, wenn man einmal
so kleine Unterschiede, wie den durch die Lage des Stosspunctes
bedingten, in Rechnung ziehen will, man auch noch auf einen an-
deren die mittlere Weglänge beeinflussenden Umstand Rücksicht
nehmen muss.
Die vorher definirten Wirkungssphären der Molecüle sind
nämlich grösser als die Molecüle selbst. Denkt man sich z. B.
die Molecüle als harte elastische Kugeln, so haben bei diesen,
wie schon oben einmal erwähnt wurde, die Wirkungssphären
einen doppelt so grossen Radius und daher ein achtmal so grosses
1) Clausius, Sitzungsberichte der Niederrhein. Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde, 1874, und Pogg. Ann., Ergzbd. 7, 215, 1876.
2) Korteweg, Archives Neerlandaises des sciences exactes et naturel-
les, 12, 241, 1877.
3) Van der Waals, Archives Neerlandaises 12, 201, 1877.
lieber eiuige neue Untersucliungen etc. 213
Volumen, als die elastischen Kugeln. Daraus folgt, class, wenn
zwei Molecüle einander selir nahe liegen, ihre Wirkungssphären
sich zum Theil gegenseitig decken können. Dieser Umstand ist
bei der zur Ableitung der Gleichung (2) angestellten Betrachtung
des Falles, wo ein Punct sich zwischen den ruhenden Wirkungs-
sphären umherbewegt, nicht berücksichtigt, sondern es ist still-
schweigend angenommen, dass die Oberflächen aller Wirkungs-
sphären vollkommen frei seien, so dass sie in jedem ihrer Puncte
von dem bewegten Puncte getroffen werden können. Hierdurch
ist nun ebenfalls eine Ungenauigkeit in dem durcli die Glei-
chung (2) bestimmten Werthe von l' und demgemäss auch in
dem durch die Gleichung (.3) bestimmten Werthe von l ver-
anlasst, welche von derselben Ordnung ist, wie die vorher be-
sprochene, so dass eine Correction der einen ohne gleichzeitige
Correction der anderen gar nichts nützen kann.
Man könnte nun freilich durch eine erweiterte Ptechnung
auch die zweite Correction noch hinzufügen, und in der That
habe ich für mich eine solche Rechnung ausgeführt i). Ich muss
aber sagen, dass ich wenig Gewicht darauf lege. Es ist nämlich
zu beachten, dass die ganze Annahme von scharf abgegrenzten
Wirkungssphären nur eine angenäherte ist. Bei harten elasti-
schen Kugeln, welche beim Zusammentreffen plötzlich von ein-
ander abprallen, lässt sich allerdings der Vorgang durch Ein-
führung von Wirkungssphären von bestimmt augebbarer Grösse
genau darstellen. Die wirkliche gegenseitige Einwirkung der
Molecüle ist aber wahrscheinlich von dem Verhalten harter
elastischer Kugeln sehr verschieden und lässt sich durch die Ein-
führung von scharf begrenzten Wirkungssphären nur unvollkom-
men darstellen. Wenn hiernach schon in der Annahme, auf wel-
cher die Rechnung beruht, eine Ungenauigkeit liegt, so würde
es meiner Ansicht nach keinen Nutzen haben , wenn man die
Rechnung selbst bis zur äussersten Genauigkeit treiben wollte.
Es scheint mir vielmehr, so lange uns nähere Kenntnisse über
die Molecüle fehlen, am angemessensten, sich bei der Bestimmung
ihrer mittleren Weglänge mit einer Annäherung zu begnügen
und bei der ursprünglich von mir abgeleiteten Gleichung (3),
welche die einfachste Form hat, stehen zu bleiben, dabei aber
im Auge zu behalten, dass sie nicht vollkommen genau, sondern
1) Siehe S. 57 £f. D. H.
214 Anhang.
mit einer Ungenauigkeit von der Ordnung der Moleculardimen-
sionen behaftet ist. Diese Ungenauigkeit fällt dann in dieselbe
Kategorie, wie die Abweichung der Gase vom Mariotte'schen
und G ay -L US sac' sehen Gesetze und von den anderen für den
vollkommenen Gaszustand geltenden Gesetzen, welche trotzdem,
dass sie für die wirklichen Gase nicht ganz genau sind, doch
ihren Werth als angenäherte und durch ihre Einfachheit aus-
gezeichnete Gesetze behalten.
Bonn, Februar 1880.
Abhandlung VI.
Ueber die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes
und der Volumina des Dampfes und der Flüssigkeit.
I. Aufsatz.
(Wiedemann's Ann. 14, S. 279 bis 290, 1881.)
§. 1. Wenn man ein Gas bei constanter Temperatur mehr
und mehr zusammendrückt, so beginnt, wie man weiss, bei einem
gewissen Drucke die Condensation, welche sich ohne Druckzunahme
vollzieht, und erst, wenn sie beendet ist, bedarf es zu noch weiterer
Volumenverminderung einer Vermehrung des Druckes, welcher
dann in starkem Verhältnisse wachsen muss. Neben diesem wirk-
lichen Verlaufe der Sache hat bekanntlich J. Thomson einen
anderen Vorgang ersonnen, der zwar in der Wirklichkeit nicht
stattfinden kann, weil die in ihm vorkommenden Gleichgewichts-
zustände zum Theil labil sind, der aber theoretisch doch denk-
bar ist, nämlich eine Volumenänderung, bei der die ganze Masse
als fortwährend homogen vorausgesetzt wird, und der Druck sich
dem gemäss stetig ändert. Die Curve, welche für diesen letzteren
Vorgang die der Volumenänderung entsprechende Druckänderung
darstellt, kann man kurz die tJieoretiscJie Isotherme nennen. Die
ivirläiche Isotherme unterscheidet sich von ihr dadurch, dass auf
einer gewissen Strecke, welche bei der Zusammendrückung dem
Condensationsprocesse und umgekehrt bei der Ausdehnung dem
Verdampfungsprocesse entspricht, die gekrümmte Linie durch
eine der Abscissenaxe parallele gerade Linie ersetzt ist. Diese
Gerade muss, wie sich aus dem zweiten Hauptsatze der mecha-
nischen Wärmetheorie nachweisen lässt, so liegen, dass die bei
der Verdampfung gethane äussere Arbeit gleich derjenigen ist,
216 Aahang.
welche bei derselben Volumenzunalime gethan werden würde,
wenn der Druck sich nach der theoretischen Isotherme änderte i).
Diesen über die Lage der Geraden geltenden Satz kann man
nun anwenden, um aus der allgemeinen, für alle Volumina gel-
tenden theoretischen Druckformel denjenigen Druck abzuleiten,
welchen der gesättigte Dampf ausübt. Die erste hierüber veröffent-
lichte Untersuchung, welche mir bekannt geworden ist, findet sich
in einem interessanten Aufsatze von van der Waals^). Der
Verfasser hat zwar von der vollständigen Mittheilung seiner
Rechnungen und der aus ihnen hervorgegangenen Endgleichungen
Abstand genommen, weil die ersteren zu langwierig und die letz-
teren zu verwickelt und ausserdem nur für einen beschränkten
Theil der Curven gültig seien, hat aber eine Reihe daraus gezo-
gener wichtiger Folgerungen zusammengestellt. Eine andere eben-
falls sehr werthvolle Untersuchung über den Gegenstand ist in
neuester Zeit von Planck veröffentlicht 3) , worin sowohl die
allgemeinen Gleichungen als auch ihre specielle Anwendung auf
Kohlensäure mitgetheilt sind.
1) Als icli in meinem Aufsatze über das Verhalten der Kohlensäure
(Wied. Ann. 9, 337, 1880, ver.ofl. oben S. 202) die Lage der Geraden in der
oben angegebenen Weise bestimmte , betrachtete ich die betreffende Frage-
ais eine noch offene. Dabei hatte ich meine Kenntniss von Maxwell's An-
sichten aus der Quelle geschöpft, die als die maassgebendste betrachtet wer-
den musste, nämlich aus seinem Werke über die Wärmetheorie, und zwar
aus der letzten von ihm bearbeiteten, im Jahre 1875 erschienenen Auflage.
In die?er Auflage hat er eine in den früheren Auflagen ausgesprochene,
vom Obigen abweichende Ansicht fortgelassen, ohne jedoch eine andere
Ansicht an deren Stelle zu setzen, woraus ich natürlich schliessen musste,
dass er jene Ansicht als unrichtig erkannt, aber noch keine ihn mehr
befriedigende gewonnen habe. Nachträglich habe ich durch eine gütige
Mittheilung des Herrn van derWaals erfahren, dass Maxwell noch
an einem anderen Orte über die Sache gesprochen und dort eine mit dem
Obigen übereinstimmende Ansicht geäussert hat, nämlich in einem am
18. Februar 1875 in der Chemical Society gehaltenen Vortrage, welcher
dann in „Nature" vom 4. und 11. März 1875 abgedruckt ist. Weshalb Max-
well die dort geäusserte Ansicht in der in demselben Jahre erschienenen
neuen Auflage seines Werkes nicht erwähnt hat, ist mir unbekannt.
2) Van der Waals, Onderzoekingen omtrent de overeenstemmende
eigenschappen der normale verzadigden - damp - en vloeistoflijnen , Amster-
dam 1880; auch aufgenommen in die von Roth veröffentlichte Ueber-
setzung des Buches: Over de continuiteit van den gas-en vloeistoftoestand,
Leipzig 1881.
3) Planck, Wied. Ann. 13, 535, 1881.
lieber die theoretisdie Bestimmung des Dami)fdriicke8 etc, 217
Auch ich hatte mich schon, hevor ich diese Untersuchungen
kennen lernte, seit längerer Zeit mit demselben Gegenstande
beschäftigt, und der Abschluss meiner Untersuchung war nur
durch die Beschwerlichkeit der numerischen Rechnungen ver-
zögert, welche zur Vergleichung der theoretisclien Formeln mit
den Beobachtungsdaten nöthig waren. Nachdem nun aber jene
Untersuchungen von van der Waals und Planck veröffent-
licht sind, glaube ich auch mit der Veröffentlichung der meinigen
nicht länger zögern zu dürfen, und ich will mir erlauben, in
diesem Aufsatze zunächst die allgemeinen, von der Natur der
einzelnen Stoffe unabhängigen Formeln und eine darauf bezüg-
liche Zahlenreihe mitzutheilen , indem ich mir vorbehalte, die
Anwendungen auf bestimmte Stoffe in einem anderen Aufsatze
folgen zu lassen.
§. 2. Die Formel, welche ich in meinem Aufsatze über das
Verhalten der Kohlensäure zur Darstellung des Druckes als
Function von Volumen und Temperatur im Anschlüsse an frühere
von anderen Autoren aufgestellte Formeln gebildet habe, lautet:
T c
worin ^, v und T Druck, Volumen und absolute Temperatur,
und 2?, c, a und /3 Constante bedeuten. Diese Formel habe ich
zunächst für Kohlensäure durch Vergleichung mit den Beobach-
tungsresultaten von Andrews gebildet und habe nur als Ver-
muthung hinzugefügt, dass sie sich bei anderer Bestimmung der
Constanten, ohne sonstige Aenderung, auch auf die übrigen .Gase
anwenden lassen werde. Als ich nun aber den Versuch machte,
sie auf solche Stoffe, für welche ausgedehnte und zuverlässige
Reihen von Beobachtungsdaten vorliegen, insbesondere auf den
Wasserdampf anzuwenden, fand ich, dass zur Herstellung einer
genügenden Uebereinstimraung doch noch eine weitere Aenderung
mit der Formel vorgenommen werden muss, und zwar eine Aende-
rung, die ich früher, als ich mich nur mit der Kohlensäure be-
schäftigte, schon einmal im Auge hatte, von der ich damals aber
wegen der Unsicherheit derjenigen Beobachtungsdaten, auf welche
ich sie hätte gründen müssen, zurückgekommen war. Es muss
nämlich an die Stelle des im letzten Gliede vorkommenden Bruches
c/T eine allgemeinere Temperaturfunction mit mehr unbestimmten
Constanten gesetzt werden.
218 Anhang.
Da für die hier zunächst beabsichtigten allgemeinen Ent-
wickelungen die genauere Kenntniss der Temperaturfunction noch
nicht nöthig ist, so wollen wir uns vorläufig damit begnügen, sie
durch Einführung eines neuen Zeichens anzudeuten. Zur Bequem-
lichkeit der Rechnungen ist es aber zweckmässig, dieses neue
Zeichen nicht so zu wählen, dass es einfach an die Stelle des
Bruches c/T zu setzen ist, sondern so, dass es eine andere, diesen
Bruch enthaltende Grösse vertritt. Dazu wollen wir der G-lei-
chung (1) folgende Form geben:
p 1 c
'BT ~ V — a " BT'(v ^ /3)2'
und hierin möge der Bruch
durch — ~r^ — ~
BT'- 8^
ersetzt werden, worin d- die unbestimmt gelassene Temperatur-
function bedeuten soll, von der vorläufig nur soviel gesagt wer-
den möge, dass sie für T = 0 ebenfalls den Werth o, und für
die kritische Temperatur den Werth 1 hat. Durch diese Sub-
stitution geht die vorige Gleichung über in:
^ -^ BT V — a 8^(v + ßp'
Um diese Gleichung auf den Verdampfungsprocess anzu-
wenden, wollen wir den Druck des gesättigten Dampfes zur Unter-
scheidung mit P bezeichnen und für das Volumen des gesättigten
Dampfes und der unter demselben Drucke stehenden Flüssigkeit
die auch sonst von mir gebrauchten Zeichen s und 6 anwenden.
Da nun die Gleichung sowohl für die Flüssigkeit als auch für
den gesättigten Dampf gelten muss, so können wir aus ihr fol-
gende zwei Gleichungen bilden :
(4)
BT " 6 - a 8-^(0 + ßy
P _ 1 27(cc + ^)
BT s — a 8^(s -\- ßy
Um ferner auszudrücken, dass die bei der Verdampfung ge-
leistete äussere Arbeit gleich derjenigen sein muss, welche man bei
derselben Volumenzunahme erhalten würde, wenn der Druck sich
nach der theoretischen Isotherme und der ihr entsprechenden
Formel änderte, hat man zu setzen:
1 27 y
Ueber die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes etc. 219
.9
P(s — 6) = J' pdv,
(I
und wenn man hierin für p den durch die Gleichung (2) be-
stimmten Werth setzt, dann die Integration ausführt und die
so entstehende Gleichung noch mit RT dividirt, so kommt:
Der Bequemlichkeit wegen wollen wir noch folgende verein-
fachte Zeichen einführen:
(6) \" = 4t^ r = « + /5
\w := 6 — a\ W = s — a,
dann lauten die Gleichungen (3), (4) und (5):
(I) n=' ^'^
(III) n{W - lü) = iog — -^ (—. wn— Y
Diese drei Gleichungen sind es, welche man zur Rechnung
anzuwenden hat, indem sich aus ihnen die VVerthe von 77, ic
und W für jeden Werth von d- bestimmen lassen, was dann
weiter, wenn #• als Function von T bekannt ist, dazu führt, die
Werthe von 77, tv und W auch für jeden Werth von T zu be-
stimmen.
§. 3. Wollte man die Rechnung so ausführen, dass man die
drei Grössen 77, w und W direct als Functionen von d- aus-
zudrücken suchte, so würde man eine transscendente Gleichung
zu behandeln haben, welche sich in geschlossener Form nicht
auflösen lässt. Es ist daher, wie Planck ganz richtig sagt,
besser, zunächst alle vier Grössen 77, tv, W und %■ als Functionen
einer zweckmässig gewählten neuen Veränderlichen zu bestimmen.
Planck hat als solche neue Veränderliche eine Winkelgrösse qo
gewählt, welche er vorläufig noch mit einer anderen Grösse r
vereinigt und mit dieser zusammen durch folgende Gleichungen
definirt hat:
220 Anhang.
Ich habe dagegen in meinen Rechnungen einfach die in Glei-
chung (III) vorkommende Grösse log{Wjiü) als die neue Ver-
änderliche gewählt, welche ich mit A bezeichnet habe.
Bevor wir dieses Zeichen in die obigen Gleichungen ein-
führen, wollen wir dieselben noch etwas umgestalten. Aus (I)
und (II) folgt ohne Weiteres:
JL 27 y _ \ 27 y
ii; 8 -^ (w -V yf ~ W 8 ^ ( IF + yY
und hieraus ergiebt sich:
J^ ]_
27 y lü W
8^ 1 1
oder umgeformt:
(7)
■ {tv-{-yy^ (W-^yy
27 y _ (W^ y)Htü + 7)2
8^ Wiv(W-}- lü -^2y)
Wenn man diesen Werth von 27 y/8 d- in die Gleichung (I) ein-
setzt, so erhält man:
tv Wiv{W-^ lü -\- 2yy
welchen Ausdruck man umformen kann in :
^ f y^ \ '
Was endlich die Gleichung (III) anbetrifft, welche jetzt in
folgender Anordnung geschrieben werden möge:
7 "^ rrrijr ^ 1 27 y / 1 1 \
-^ w ^ -^ ^ 8 u- \w -\- y W -\- yj
so geht dieselbe, wenn man für 27 y/8 -9- und TT die unter (7)
und (8) gegebenen Werthe setzt und dann noch einige Reductionen
vornimmt, in folgende über:
^q^ l.n K - (W-w)(2Wio + yW-i-yiv)
ly; ^og ,^^ — Wiü(W^w ^2y)
Auf diese letzte Gleichung wollen wir nun die Gleichung:
(10) ^ = ^^^^
Üeber die tlieoretisclie Bestimrannf,^ des Bampfdruckos etc. 221
und die aus ihr sich ergebende Gleichung:
(11) W=we^
anwenden, wodurch wir erhalten:
e^[io{e^ + Ij + 2y]'
oder anders geschrieben:
(12) A = (i-0 2» + r(i + 0
Diese Gleichung lässt sich leicht nach iv auflösen und giebt:
1 — 2Ae-^ — e-2^
^1^) '' - ^ A-2 + (A4-2).-^-
und hieraus ergiebt sich gemäss (11) sofort weiter:
^1^) ^-^^ A-2 + (A + 2)e-^-
Um die Grösse 77 zu berechnen, kann man, wenn die Grössen
*(; und TT einmal berechnet sind, die Gleichung (8) anwenden.
Will man aber 11 als Function von A darstellen, so hat man in
(8) für tu und W die unter (13) und (14) gegebenen Ausdrücke
zu setzen und erhält dann nach einigen Reductionen:
e-^ [A - 2 + (A + 2) e-'] . [(1 - e-'y - l\e-^-]
^ ^ ~ r(l — e-^)(l — '2.lc-^ — e-2Aj2
Zur Bestimmung der letzten Grösse %^ ergiebt sich aus (7) :
27y T^^(;(TF+^f; + 2?.)
^^ 8 {W -YyYiw^yy
und wenn man hierin für w und T'F ihre Werthe aus (13) und
(14) einsetzt, so erhält man:
27 [A -2 + (A + 2)e-^](l - 2 Ae-^ - e-^^)^
'^ ^ 8 (1 — e-^)(A — 1 + e-ÖHl — e~^ — ^e-")'"
Durch die Gleichungen (13), (14), (15) und (17) ist erreicht,
was beabsichtigt wurde, nämlich die vier Grössen lü, TF, U und
%■ durch eine und dieselbe Grösse A auszudrücken.
§. 4. Will man die gefundenen Ausdrücke in Reihen ent-
wickeln, die nach Potenzen von A fortschreiten, so stösst man
auf ein eigenthümliches Verhalten. In fast allen Factoren, welche
in den Zählern und Nennern vorkommen, heben sich die von A
unabhängigen und die mit niederen Poteiizen von A behafteten
■222 Anhang.
Glieder auf, so dass alle Zähler und Nenner ziemlich hohe Potenzen
von A zu Factoren haben, die sich dann freilich in den Brüchen
aufheben. Die einzelnen, die Factoren darstellenden Reihen lauten
folgendermaassen :
Wendet man diese Ausdrücke auf die Gleichungen (13) und
(14) an und führt in diesen noch die angedeutete Division und
Multiplication aus, so erhält man:
(18) „ = ,(2-A + ^A^_3i5A=+^^A--3J^A.. + ..:)
(19)H^=,(2 + A + 5^A= + 3LA3 + 5^A.+ 3-i^A. + ...).
Man sieht hieraus, was sich auch anderweitig als nothwendig
nachweisen lässt, dass die Glieder mit geraden Potenzen von A
in beiden Ausdrücken gleich und die Glieder mit ungeraden
Potenzen gleich und den Vorzeichen nach entgegengesetzt sind.
Man kann daher zwei neue Grössen M und N einführen, welche
nur gerade Potenzen von l enthalten, nämlich:
(20)
^ = ''(> + o^' + ir^^-f
Tind dann setzen:
(21) IV = M — Nl, (22) W= M^ NL
Aus den beiden letzten Gleichungen folgt:
(23) W -{-lü = 2M, (24) Wiv = M^ — N'^ A^,
Uebei- die theovetische Bestimmung des Dampfdruckes etc. 223
woraus ersichtlich ist, dass die Summe und das Product aus den
beiden Grössen W und iv nur gerade Potenzen von X enthalten.
Da nun in den unter (8) und (16) gegebenen Ausdrücken von
77 und d' die Grössen W und iv nur in den Verbindungen zu
Summe und Product vorkommen, so folgt daraus, dass auch die
Grössen 77 und d" nur gerade Potenzen von A enthalten. Hier-
durch ist bedingt, dass in der Nähe der kritischen Temperatur,
wo l sich dem Werthe Null nähert, die Grössen 77 und & sich
wesentlich anders verhalten, als die Grössen W und iv, worauf
wir weiterhin noch zurückkommen werden.
§. 5. Die bisher entwickelten Gleichungen, welche die vier
Grössen tu^ PF, 77 und -O- als Functionen von A darstellen, be-
stimmen natürlich dadurch indirect auch den Zusammenhang, in
welchem jede der drei Grössen tc, W und 77 mit der Grösse d-
steht; aber diese indirecte, durch eine dritte Grösse vermittelte
Bestimmung genügt den Anforderungen nur unvollständig. Ge-
wöhnlich betrachtet man bei Untersuchungen über den Ver-
dampfungsprocess die Temperatur als das Gegebene und will aus
ihr unmittelbar den Dampfdruck und die Volumina des Dampfes
und der Flüssigkeit herleiten. In diesem Sinne müssen wir daher
unsere Bestimmungsart noch vervollständigen. Da in unseren
bisherigen Entwickelungen die Temperatur nicht explicite vor-
kommt, sondern nur die noch unbestimmt gelassene Temperatur-
function '9-, so ist vorläufig die Bestimmung an diese Temperatur-
function d- zu knüpfen, und wir müssen uns die Aufgabe stellen,
es so einzurichten, dass sich aus dem Werthe von -9- in möglichst
einfacher Weise die entsprechenden Werthe von w^ W und 77
ergeben. Das habe ich dadurch zu erreichen gesucht, dass ich
eine Tabelle berechnet habe, welche für die verschiedenen, um je
ein Hundertstel fortschreitenden Werthe von Q- die entsprechen-
den Werthe von A angiebt. Aus dieser Tabelle kann man A
durch Interpolation für jeden beliebigen Werth von d- leicht be-
stimmen, und wenn A bekannt ist, so kann man mit Hülfe der
obigen Formeln lo., W und 77 direct berechnen.
Zur Berechnung der Tabelle habe ich zunächst A durch eine
Reihe dargestellt, welche nach Potenzen einer von & abhängenden
Grösse fortschreitet. Dazu schien mir am geeignetsten folgende
Grösse:
(25) X = V'l — '9-,
224 Anliang*.
welche sich in gleicher Weise, wie A, bei Annäherung an die
kritische Temperatur dem Werthe Null nähert. Die betreffende
Reihe lautet:
(26) A = G ^ + 3,24 ^•' 4- 2,880 171 6 ^^ -f- 2,885 628 x-^ -\
Bevor von der Anwendung dieser Reihe zur Rechnung die
Rede ist, möge eine schon aus ihrer Form sich ergehende Fol-
gerung eingeschaltet werden, welche sich an die am Schlüsse des
vorigen Paragraphen gemachte Bemerkung anschliesst. Wie man
sieht, enthält die Reihe nur ungerade Potenzen von x^ und dar-
aus ergiebt sich sofort, dass diejenige Reihe, welche A^ darstellt,
nur gerade Potenzen von x enthalten kann. Da ferner, wie oben
besprochen, die Grösse TI bei der Entwickelung nach A nur
gerade Potenzen von A enthält, so kann sie dem Vorigen nach
bei der Entwickelung nach x nur gerade Potenzen von x ent-
halten, während die Reihen; welche die Grössen iv und W dar-
stellen, auch Glieder mit ungeraden Potenzen und darunter ein
Glied erster Ordnung enthalten. Nun ergeben sich aus (25) für
die Differentialcoefticienten von x und x^^ nach %• folgende Aus-
drücke :
^97^ ^ _ _ 1 IM _ _ 1
^^^ d^ - 2i/r^r^' cid- - ''
welche sich in ihrem Verhalten bei der Annäherung an die
kritische Temperatur, für welche -9- = 1 ist, dadurch wesentlich
von einander unterscheiden, dass der erstere unendlich gross
wird, während der letztere endlich bleibt. In eben dieser Weise
müssen sich nach dem vorher Gesagten auch die nach %• genom-
menen Differentialcoefficienten der Grösse lo und W von dem
Difierentialcoefficienten der Grösse 77 unterscheiden. Es möge hier
gleich hinzugefügt werden, dass dasselbe auch für die nach T
genommenen Differentialcoefficienten gilt, und es folgt daraus,
dass bei der Annäherung an die kritische Temperatur die Volu-
mina der Flüssigkeit und des Dampfes Aenderungen erleiden,
welche im Verhältniss zur Temperaturänderung unendlich gross
sind, während die Aenderung des Dampfdruckes im Verhältniss
zur Temperaturänderung endlich bleibt. Auf diesen eigenthüm-
lichen Unterschied hat schon van der Waals aufmerksam
gemacht.
Mit Hülfe der obigen Reihe habe ich A für diejenigen Werthe
von %- und x berechnet, für welche jene Gliederzahl ausreicht,
UebHV die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes etc. 225
um den gewünschten Grrad von Genauigkeit zu erzielen. P'ür
grössere Werthe von ,x, und somit kleinere Werthc von 'S-, ])\u
ich auf die Gleichung (17) zurückgegangen, aus welcher sich für
gegebene Werthe von /l die entsprechenden Werthe von d- be-
rechnen lassen, und welche unter Anwendung eines Näherungs-
verfahrens auch umgekehrt dazu dienen kann , für gegebene
Werthe von ■9' diß entsprechenden Werthe von A zu bestimmen.
Die in dieser Weise berechnete Tabelle, in welcher zur
Erleichterung der Interpolation auch die Differenzen zwischen
je zwei auf einander folgenden Zahlen hinzugefügt sind, folgt
nachstehend. Wenn man aus dieser Tabelle den zu einem ge-
gebenen Werthe von -9- gehörenden Werth von l entnommen hat,
so kann man mit dessen Hülfe, wie schon gesagt, die entsprechen-
den Werthe von t/;, W und 77 aus den obigen Gleichungen direct
berechnen. Auch hat es, nachdem die Tabelle für A einmal
berechnet ist, keine Schwierigkeit weiter, für tv, Wund TL Tabellen
von gleicher Art zu berechnen, welche für dieselbe Reihe von
Werthen von %■ die entsprechenden Werthe dieser Grössen an-
geben.
Clausius, mechan. Wärraetheorie. III. ji^
226
Anhang;-
0
0,05
0,10
0,11
0,12
0,13
0,14
0,15
0,16
0,17
0,18
0,19
0,20
0,21
0,22
0,23
0,24
0,25
0,26
0,27
0,28
0,29
0,30
0,31
0,32
0,33
0,34
0,35
0,36
0,37
0,38
0,39
CO
67,4947
33,7185
30,6469
28,0867
25,9197
24,0618
22,4511
21,0412
19,7968
18,6901
17,6995
16,8074
16,0000
15,2655
14,5944
13,9788
13,4119
12,8882
12,4028
11,9516
11,5309
11,1376
10,7691
10,4230
10,0971
9,7896
9,4989
9,2235
8,9621
8,7135
8.4767
3,0716
2,5602
2,1670
1,8579
1,6107
1,4099
1,2444
1,1067
0,9906
0,8921
'0,8074
0,7345
0,6711
0,6156
0,5669
0,5237
0,4854
0,4512
0,4207
0,3933
0,3685
0,3461
0,3259
0,3075
0,2907
0,2754
0,2614
0,2486
0,2368
»-
0,39
8,4767
0,40
8,2507
0,41
8,0348
0,42
7,8280
0,43
7,6296
0,44
7,4392
0,45
7,2561
0,46
7,0797
0,47
6,9096
0,48
6,7453
0,49
6,5864
0,50
6,4326
0,51
6,2834
0,52
6,1387
0,53
5,9980
0,54
5,8612
0,55
5,7278
0,56
5,5978
0,57
5,4709
0,58
5,3469
0,59
5,2256
0,60
5,1068
0,61
4,9904
0,62
4,8761
0,63
4,7639
0,64
4,6535
0,65
4,5448
0,66
4,4377
0,67
4,3321
0,68
4,2279
0,09
4,1248
0,70
4,0229
0,2260
0,2159
0,2068
0,1984
0,1904
0,1831
0,1764
0,1701
0,1643
0,1589
0,1538
0,1492
0,1447
0,1407
0,1368
0,1334
0,1300
0,1269
0,1240
0,1213
0,1188
0,1164
0,1143
0,1122
0,1104
0,1087
0,1071
0,1056
0,1042
0,1031
0,1019
0,70
4,0229
0,71
3,9220
0,72
3,8219
0,73
3,7225
0,74
3,6238
0,75
3,5255
0,76
3,4277
0,77
3,3301
0,78
3,2327
0,79
3,1353
0,80
3,0376
0,81
2,9393
0,82
2,8414
0,83
2,7424
0,84
2,6425
0,85
2,5416
0,86
2,4393
0,87
2,3354
0,88
2,2295
0,89
2,1212
0,90
2,00995
0,91
1,89517
0,92
1,77604
0,93
1,65147
0,94
1,52001
0,95
1,37956
0,96
1,22688
0,97
1,05653
0,98
0,85786
0,99
0,60327
1
0
0,1009
0,1001
0,0994
0,0987
0,0983
0,0978
0,0976
0,0974
0,0974
0,0977
0,0978
0,0984
0,0990
0,0999
0,1009
0,1023
0,1039
0,1059
0,1083
0,1112
0,11478
0,11913
0,12457
0,13146
0,14045
0,15268
0,17035
0,19867
0,25459
0,60327
Bonn, August 1881.
Ueber die tlienret.isclie Bestimmung des Dampfdruckes etc. 227
II. Aufsatz 1).
(Wiedpmann's Ann. 14, S. 692 bis 704, 1881.)
§. 1. In (1cm ersten auf den oben hezcichnetcn Gegenstand
bezüi^lichcn Aufsatze habe ich zur Bestimmung des Druckes eines
Gases als Function von Temperatur und Volumen folgende Glei-
chung gebildet, welche eine Verallgemeinerung der früher von
mir für Kohlensäure angewandten Gleichung ist:
... _^__i 27(oc + ^)
^^ RT~~v — cc 8d-(v^ß/
Hierin bedeutet p den Druck, v das Volumen und T die absolute
Tem]3eratur, nämlich die Summe 273 -\- t^ wenn t die vom ge-
wöhnlichen Nullpuncte an gezählte Temperatur darstellt. Fer-
ner ist R die in dem gewöhnlichen Ausdrucke des Mariotte'-
schen und Gay-Lussac' sehen Gesetzes schon vorkommende
Constante, und a und ß stellen zwei andere Constante dar, deren
Summe weiterhin mit y bezeichnet ist. ^ bedeutet eine Tempe-
raturfunction , welche für T = 0 den Werth 0 und für die
kritische Temperatur den Werth 1 hat, im Uebrigen aber vor-
läufig unbestimmt zu lassen ist.
Es versteht sich von selbst, dass wir dieser Gleichung auch
eine einfachere Form geben können, wenn wir die Temperatur-
function mit den in dem Gliede vorkommenden constanten Fac-
toren in Ein Zeichen vereinigen. Setzen wir nämlich:
(2) 0= 8* 8*
SO geht die Gleichung über in :
(3)
27 (w -|- /3) 27 y '
er i
P _ 1
BT V — a &{v -{- ßy
Die Beziehung zwischen der in dieser Gleichung vorkommen-
den Temperaturfunction 0 und der oben angewandten Tempe-
raturfunction # wird besonders klar, wenn man beachtet, dass
derjenige Werth, welchen @ für die kritische Temperatur an-
nimmt, und welcher mit 0c bezeichnet werden möge, dadurch zu
bestimmen ist, dass man in der Gleichung (2) für O- den Werth 1
setzt. Daraus ergiebt sich nämlich:
1) Siehe den ersten Aufsatz oben, S. 215.
15 =
228 Anhang.
W ®" = äf/
und infolge dessen kann man schreiben :
®
(5) * = §;•
Bei der Anwendung der Gleichung (1) auf den gesättigten
Dampf wurde der Druck des gesättigten Dampfes mit P und der
Bruch PjB, T mit TT bezeichnet. Die Volumina des gesättigten
Dampfes und der unter demselben Drucke stehenden Flüssigkeit
wurden nach der sonst üblichen Weise mit s und ö bezeichnet,
aber für die Differenzen s — w und 6 — a noch die vereinfachten
Zeichen W und iv eingeführt. Um die Grössen 77, W^ lü in ihrer
Abhängigkeit von -O' zu bestimmen , wurden zunächst alle vier
Grössen als Functionen der Grösse A = 7o^ ( Wliv) ausgedrückt,
und dann wurde zur Erleichterung der weiteren liechnungen eine
Tabelle hinzugefügt, aus welcher man für jeden Werth von -O-
den entsprechenden Werth von X entnehmen kann. Ich sagte
dabei, dass es nach der Berechnung der Tabelle für X keine
Schwierigkeit weiter habe, auch für 77, W und iv eine ähnliche
Tabelle zu berechnen, und diese erlaube ich mir nachstehend
mitzutheilen.
Vorher ist jedoch noch eine Bemerkung zu machen. Die
Werthe, welche die Grössen 77, W und lo bei der kritischen
Temperatur, bei der X ■= 0 ist, annehmen, und welche mit 7Tc,
Wc und lOc bezeichnet werden mögen, ergeben sich aus den oben
erwähnten , in §. 3 meines vorigen Aufsatzes enthaltenen Aus-
drücken, wenn man noch die in §. 4 enthaltenen Reihen berück-
sichtigt, folgendermaassen:
(6) -^^ = 8^' W, = 2y; iv, = 2y.
Ueber die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes etc.
229
&
11
W
?y
iT
j
j
j
^.
"o
^c
''^c
0,20
0,0000059
67
672780
355440
0,033707
1947
0,21
0,0000126
123
317340
156660
0,035714
1978
0,22
0,0000249
213
160680
74175'
0,037692
2008
0,23
0,0000462
352
86505
37365
0,039700
2(J40
0,24
0,0000814
553
49140
19877
0,041740
2072
0,25
0,0001367
834
29263
11097
0,043812
2106
0,26
0,0002201
1215
18166
6464
0,045918
2141
0,27
0,0003416
1715
11702
3912,3
0,048059
2176
0,28
0,0005131
2352
7789,7
2449,8
0,050235
2213
0,29
0,0007483
3144
5339,9
1581,6
0,052448
2253
0,30
0,0010627
4111
3758,3
1049,7
0,054701
2290
0,31
0,0014738
5264
2708,6
714,0
0,056991
2380
0,32
0,0020002
6619
1994,6
497,2
0,059321
2374
0,33
0,0026621
8187
1497,4
353,2
0,061695
2418
0,34
0,0034808
9972
1144,2
255,79
0,064113
2462
0,35
0,0044780
11983
888,41
188,44
0,066575
2508
0,36
0,0056763
14224
699,97
141,07
0,069083
2555
0,37
0,0070987
16693
558,90
107,17
0,071638
2607
0,38
0,0087680
19380
451,73
82,49
0,074245
2658
0,39
0,010706
2230
369,24
64,30
0,076903
2709
0,40
0,012936
2543
304,94
50,69
0,079612
2767
0,41
0,015479
2877
254,25
40,41
0,082379
2822
0,42
0,018356
3233
213,84
32,54
0,085201
2883
0,43
0,021589
• 3604
181,30
26,43
0,088084
2944
0,44
0,025193
3994
154,87
21,65
0,091028
3009
0,45
0,029187
4402
133,22
17,88
0,094037
3075
0,46
0,033589
4824
115,34
14,89
0,097112
3148
0,47
0,038413
5267
100,45
12,497
0,10026
321
0,48
0,043680
5718
87,953
10,532
0,10347
329
0,49
0,049398
6179
77,421
8,945
0,10676
337
0,50
0,055577
6655
68,476
7,640
0,11013
345
0,51
0,062232
7140
60,836
6,561
0,11358
354
0,52.
0,069372
7632
54,275
5,663.
0,11712
362
0,53
0,077004
8135
48,612
4,914
0,12074
371
0,54
0,085139
8644
43,698
4,284
0,12445
381
0,55
0,0;)3783
9157
39,414
3,750
0,12826
391
0,5G
0,10294
35,664
0,13217
230
Anhaug.
©
n
W
lü
j
j
j
^ " ®c
^c
"^c
^c
0,56
0,10294
967
35,664
3,295
0,13217
402
0,57
0,11261
1020
32,369
2,909
0,18619
412
0,58
0,12281
1D72
29,460
2,576
0,14031
425
0,59
0,13353
1125
26,884
2,289
0,14456
437
0,60
0,14478
1179
24,595
2,046
0,14893
447
0,61
0,15657
1230
22,549
5
1,829
0,15340
463
0,62
0,16887
1284
20,720
1,642
0,15803
476
0,63
0,18171
1337
19,078
1,478
0,16279
491
0,64
0,19508
1391
17,700
1,335
0,16770
507
0,65
0,20899
16,265
0,17277
. 0,66
0,22343
1444
1494
15,056
1,209
1,098
0,17801
524
540
0,67
0,23837
1548
13,958
998
0,18341
560
0,68
0,25385
1600
12,960
911
0,18901
578
0,69
0,26985
1652
12,049
832
0,19479
600
0,70
0,28637
1703
11,217
763
0,20079
623
0,71
0,30340
1754
10,454
7007
0,20702
645
0,72
0,32094
1806
9,7533
6447
0,21347
672
0,73
0,33900
1855
9,1086
5946
0,22019
698
- 0,74
0,35755
1906
8,5140
5494
0,22717
728
0,75
0,37661
1956
7,9646
5085
0,23445
759
0,76
0,39617
2004
7,4561
4717
0,24204
793
0,77
0,41621
2051
6,9844
4377
0,24997
830
0,78
0,43672
2100
6,5467
4078
0,25827
870
0,79
0,45772
2147
6,1389
3801
0,26697
915
0,80
0,47919
2196
5,7588
3554
0,27612
961
0,81
0,50115
2242
5,4034
3323
0,28573
1014
0,82
0,52357
2285
5,0711
3115
0,29587
1072
0,83
0,54642
2333
4,7596
2927
0,30659
1138
0,84
0,56975
2377
4,4669
2755
0,31797
1207
0,85
0,59352
2422
4,1914
2597
0,33004
1289
0,86
0,61774
2463
3,9317
2452
0,34293
1382
0,87
0,64237
2508
3,6865
2324
0,35675
1485
0,88
0,66745
2552
3,4541
2208
0,37160
1604
0,89
0,69297
2592
3,2333
2102
0,38764
1744
0,90
0,71889
2634
3,0231
2005
0,40508
1914
0,91
0,74523
2677
2,8226
1926
0,42422
2106
0,92
0,77200
2,6300
0,44528
Ueber die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes etc.
231
0
n
W
w
^' = ^-
j
j
j
©c
"c
Wo
"'c
0,92
0,77200
2713
2,6300
1850
0,44528
2360
0,93
0,79913
2755
2,4450
1793
0,46888
2664
0,94
0,82668
2793
2,2657
1751
0,49552
3066
0,95
0,85461
2833
2,0906
1730
0,52618
3607
0,9G
0,88294
2870
1,9176
1740
0,56225
4394
0,97
0,91164
2909
1,7436
1801
0,60619
5684
0,98
0,94073
2945
1,5635
2008
0,66303
8239
0,99
0,97018
2982
1,3627
3627
0,74542
25458
1
1
1
1
Diese drei Werthe kann man daher, ebenso wie den Werth
0c, als direct durch die Constante y bestimmt betrachten, und
demgemäss folgende Brüche bilden:
77
w^
w.
und
tv
Diese Brüche sind es, deren Werthe in vorstehender Tabelle
neben den dazu gehörigen, stufenweise steigenden Werthen des
mit %■ bezeichneten Bruches 0/0c angeführt sind.
§. 2. In der vorstehenden Tabelle ist eine für alle Stoffe
gleichmässig geltende Beziehung der Grössen 77, W und lo zu
einer noch unbestimmt gelassenen Temperaturfunction @ dar-
gestellt. Wie sich nun die Beziehung zwischen jenen Grössen
und der Temperatur seihst gestaltet, ob und in welchem Grade
auch sie für verschiedene Stoöe übereinstimmt i), das hängt von
1) Zwei ältere über diese Beziehung" aufgestellte Sätze habe ich schon
vor lauger Zeit besprochen (Pogg. Ann. 83, 273, 1851, und Abhandluugen-
sammlung 1, 119, 1864). Nennt mau nämlich die Temperaturen, welche bei
■verschiedeneu Flüssigkeiten zu gleichen Dampfspannungen gehören, ent-
sprechende Temperaturen, so sind nach D alten die Differenzen zicischen
entspreclienden Temperaturen gleich. Groshans dagegen hat eine Gleichung
aufgestellt (Pogg. Ann. 78, 112, 1849), welche unter der Voraussetzung,
dass die Temperaturen "von — 273" C. au. gezählt werden, aussagt, dass für
irgend zwei Flüssigkeiten alle entsprechenden Temperaturen proportional
seien. Von diesen beiden Sätzen weicht der zweite zwar nicht so weit von
der Erfahrung ab, wie der erste, aber doch immer noch zu weit, um ihm
die Bedeutung eines wirklichen physikalischen Gesetzes zugestehen zu
können.
232 Auliang.
dem Verhalten jener Temperaturfunction ab. Ich ging in meiner
Untersuchung ursprünglich von der Voraussetzung aus, dass man
die Temperaturfunction durch einen Ausdruck darstellen könne,
welcher nur Eine von der Natur des Stoffes abhängige Constante
enthalte, fand aber bei näherer Betrachtung, dass man in so
einfacher Weise doch nicht zu einer genügenden Uebereinstim-
mung mit der Erfahrung gelangen kann. Nach vielfachen Ver-
gleichungen ergab sich mir als geeignetste Form einer Gleichung
zur Bestimmung des von uns mit d- bezeichneten Bruches &/&c
die folgende:
. & a
(') Wo '^ T^ ~ '
worin «, h und w Constante sind, die für verschiedene Stoffe
verschiedene Werthe haben.
Es handelt sich nun darum, diese Constanten für einzelne
Stoffe zu bestimmen.
Was zunächst die Kohlensäure anbetrifft, so habe ich in der
für sie speciell aufgestellten Formel i) der Temperaturfunction &
eine sehr einfache Form gegeben , nämlich die , welche man aus
der Gleichung (7) erhält, wenn man in ihr 6 = 0 und n = 2
setzt, wodurch sie übergeht in:
&c ci
wofür man auch schreiben kann:
@ = T2 Const.
Indessen habe ich schon bei der Veröffentlichung jener Formel
hinzugefügt, dass ich versucht hätte, gewisse zwischen ihr und
den Beobachtungen von Andrews noch bestehende Differenzen
durch Anwendung einer complicirteren Temperaturfunction aus-
zugleichen, dass ich davon aber wegen der Unsicherheit der be-
treffenden Beobachtungsresultate wieder Abstand genommen hätte.
Dasselbe, was ich damals von den vorhandenen Beobachtungs-
resultaten sagte, gilt auch jetzt noch. Insbesondere ist zu be-
merken, dass die Andrews 'sehen Beobachtungen sich nur auf
Temperaturen über 0^ beziehen, während die Formel auch unter
00 bis zu dem bei — 57 o liegenden Gefrierpuncte der Kohlen-
säure gültig bleiben muss, und daher zur Bestimmung ihrer Con-
') Wiedemann's Ann. 9, 337, 1880; vergl. oben Abhaudl. IV, S. 184.
Ueber die tlieoretisclie Bestimmung des Dumpfdruckes etc. 233
stauten auch Ucobachtungswertlic von älinlichcm Temperatur-
umfaiige erford(3rt. Nun besitzen wir zwar eine von llognault
verüüentlichte Spannmigsreihe des gesättigten Kohlensäure-
dampfes i), welche sich, wenn auch nicht bis — 57", so doch bis
— 25"^ erstreckt, aber bei den Versuchen, mittelst deren Kegnault
diese Zahlen gefunden hat, scheinen erhebliche Fehlerquellen ob-
gewaltet zu haben. Die von Regnault für Temperaturen ül)cr
0*' angeführten Spannungen weichen von den von Andrews
beobachteten 2) beträchtlich ab , und ganz besonders auffällig ist
es, dass Regnault bis zu Temperaturen über 42« die Spannun-
gen des gesättigten Kohlensäuredampfes beobachtet haben will,
während es jetzt nach den Versuchen von Andrews feststeht,
dass es schon von SP an gar keinen gesättigten Kohlensäure-
dampf mehr giebt, weil keine Condensation mehr stattfindet.
Unter diesen Umständen halte ich es für gerathen, für
Kohlensäure vorläufig die oben erwähnte, von mir aufgestellte
Formel als eine angenähert richtige beizubehalten, und die ge-
nauere Bestimmung der Constanten erst dann vorzunehmen, wenn
auch für Temperaturen unter 0*^ bis zum Gefrierpuncte der
Kohlensäure zuverlässige Beobachtungsdata vorliegen.
§. 3. Ein Stoff, welcher zur Vergleichung der theoretisch
bestimmten Dampfspannungen mit den beobachteten besonders
geeignet ist, ist der Aether. Für diesen besitzen wir die von
Regnault bestimmte Spannungsreihe 3), welche von — 20*^ bis
120" reicht, und deren Zuverlässigkeit wohl nicht bezweifelt wer-
den darf, und eine Spannungsreihe von S ajotschewsky *),
welche von 100'^ bis zu der kritischen Temperatur 190'' reicht.
Von diesen beobachteten Spannungen habe ich drei zur Be-
stimmung der in (7) vorkommenden Constanten angewandt und
folgende Zahlen gefunden:
a = 2665; b = 0,76786; n ^ 1,19233.
Unter Anwendung dieser Zahlen kann man aus (7) für jeden
Werth von T den entsprechenden Werth von &/&c berechnen
und dann den dazugehörigen Werth des Bruches il/'/T,. aus der
Tabelle entnehmen. Aus diesem Bruche, welcher sich auch so
1) Regnault, Relation des exper. etc. 2, 625, 1SG2.
2) Andrews, Proc. of the Roy. Sog. 23, 516, 1875.
^) Regnault, Relation des expor. 2, 393.
*) Sajotschewsky, Beibl. 3, 741, 1S79.
234
Anhang.
schreiben lässt: PTc/PcT, ergiebt sich, da Pc und Tc bekannt
sind, sofort der Werth von P. Auf diese Weise habe ich für
eine in Absätzen von je 20 ^ fortschreitende Reihe von Tempe-
raturen die Spannungen berechnet und nachfolgend unter der
Bezeichnung Pber. zusammengestellt. Zur Vergleichung habe ich
unter Pbeob. die beobachteten Werthe hinzugefügt, und zwar unter
100*^ die von Regnault beobachteten, über 120" die von Sajo-
tschewsky beobachteten und für 100» und 120° die aus den
Angaben beider Beobachter genommenen Mittelwerthe.
*
— 200
00
200
400
600
80«
-Pber.
-I beob.
J
0,0881
0,0907
— 0,002G
0,2427
0,2426
-f 0,0001
0,572
0,569
+ 0,003
1,195
1,193
4- 0,002
2,265
2,270
— 0,005
3,978
3,977
-f 0,001
t
1000
1200
1400
1600
1800
1900
Pber.
6,557
10,27
15,41
22,33
31,41
36,90
-Pbeob.
6,549
10,28
15,42
22,34
31,90
36,90
J
4- 0,008
— 0,01
— 0,01
— 0,01
— 0,49
0
Man sieht, dass die Uebereinstimmung zwischen den berech-
neten und beobachteten Spannungen meistens eine fast vollkom-
mene ist. Nur bei ISO« kommt eine Differenz von unzulässiger
Grösse vor, welche im Vergleiche mit den übrigen Differenzen
sehr auffällig ist. Diese ist aber unzweifelhaft vorzugsweise durch
eine Ungenauigkeit des Beobachtungswerthes verursacht, was am
deutlichsten daraus hervorgeht, dass Sajotschewsky selbst mit-
telst einer aus den übrigen Beobachtungswerthen abgeleiteten
empirischen Formel die Spannung bei 180*^ zu 31,56 statt 31,90
bestimmt hat, wodurch sich die Differenz mit dem aus unserer
Tabelle abgeleiteten Werthe von 0,49 auf 0,15 reducirt.
Ebenso wie die Werthe von 11/11^ ergeben sich aus unserer
Tabelle auch die Werthe von W/Wc und tv/Wc-
Um aus diesen Brüchen die Werthe von W und w abzu-
leiten, muss man Wc und tVc und somit, gemäss (6), die Con-
Ueber die iLeoretisclie I'estininiuiig ik's< Dampfdruckes etc. 235
stallte y kennuii, zu deren Bestimmung wiederum die Constante jB
erforderlich ist. Die letztere erhält man auf folgende Weise.
Die Grösse H ist ihrer l)edeutung nach dem specifischen Ge-
wichte, welches die Stofte im vollkommenen Gaszustande hahen,
iimgekelirt proportional. Nun ist für atmosphärische Luft der
Werth von 11 bekannt i) , nämlich 29,27 , und daraus folgt für
Aetlier, wenn d das auf atmosphärische Luft bezogene specifische
Gewicht des Aetherdampfes im Zustande eines vollkommenen
Gases bedeutet:
29 27
(8) ^-\-
Es fragt sich nun, welches specifische Gewicht man dem
Aetherdampfe im vollkommenen Gaszustände zuzuschreiben hat.
Als solches kann man, wie ich glaube, dasjenige annehmen, wel-
ches man . erhält, wenn man nach der für Aetlier geltenden
chemischen Formel C4H10O voraussetzt, dass 1 Vol. Sauerstoff
und 10 VoL Wasserstoff mit der entsprechenden Menge Kohlen-
stoff 2 Vol. Aetherdampf geben, nämlich das specifische Gewicht
2,5604. Unter Anwendung dieser Zahl für d ergiebt sich aus der
vorigen Gleichung :
E = 11,4318.
Dieser Werth bezieht sich auf ein Kilogramm des betrachteten
Stoffes, also im vorliegenden Falle des Aethers, und es gilt in
ihm als Volum eneinheit ein Cuhihnder und als Druckeinheit der
DrucJv, ivelclien ein über die Fläche von einem Quadratmeter ver-
breitetes Gewicht von einem Kilogramm ausübt. Diese Einheiten
wollen wir auch bei der Bestimmung der anderen Constanten
und der Grössen s und <5 beibehalten.
Um y zu bestimmen, können war, gemäss (6j, setzen:
^^ ^' = 8777 = 8P;'
und hieraus ergiebt sich, wenn wir unter Anwendung der von
Sajotschewsky für die kritische Temperatur und den kritischen
Druck gefundenen Wertlie setzen: T, = 273 + 190 =^ 463 und
Pc = 36,9 . 10 333, und für ü den vorher bestimmten Werth an-
wenden :
y = 0,001 735 2.
^) Siehe Clausius, Meclianisclie Wärmctlieorie 1, 55.
236
Anhang.
Wenn man nun mit Hülfe des durch 2y dargestellten Werthes
von Wg und iVg aus den oben erwähnten Brüchen W/Wa und
iv/Wc die Grössen W und tu gewonnen hat, und von ihnen zu
den mit s und ö bezeichneten Volumen des dampfförmigen und
flüssigen Aethers gelangen will, so muss man dazu noch die Con-
stante a kennen, da s ^= W -\- a und 6 = iv -{- a ist. Zur
Bestimmung von a wendet man am besten irgend ein beobach-
tetes Flüssigkeitsvolumen an, von welchem man den für dieselbe
Temperatur berechneten Werth von tv abzuziehen hat. Für Oo
hat der flüssige Aetlier nach Kopp das specifische Gewicht
0,736 58, woraus man, wenn man noch berücksichtigt, dass das
Volumen 6 sich nicht auf den Druck von 1 Atm. , sondern auf
den Druck von 0,2426 Atm. bezieht, erhält ö = 0,001357 8.
Ebenso erhält man für 20" nach Kopp 6 = 0,0014001. Wenn
man mit Hülfe dieser Grössen a, bestimmt und aus beiden nahe
übereinstimmenden Werthen das Mittel nimmt, so findet man
a = 0,001 087 6.
Es möge hier gleich noch hinzugefügt werden, dass sich
nach der Bestimmung von y und a sofort auch der Werth von
ß ergiebt, da ß = y — a ist. Es kommt nämlich:
ß = 0,000 647 6.
Unter Anwendung der gefundenen Werthe der Constanten
können wir nun aus den Brüchen W/Wc und w/tVc die Grössen
s und 6 berechnen, und erhalten für die oben betrachtete Reihe
von Temperaturen folgende Werthe.
t
— 200
00
200
400
600
800
s
a
3,182
0,001318
1,238
0,001356
0,5562
0,001402
0,2793
0,001455
0,1524
0,001520
0,08883
0,001600
t
1000
1200
1400
1600
1800
1900
s
a
0,05417
0,001702
0,03408
0,001837
0,02175
0,002030
0,01373
0,002335
0,008016
0,002982
0,004558
0,004558
Ueber die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes otc. 237
Schliesslich möge hier noch die Form, welclio die allgomfine
Gleichung (3) nach der Bestimmung von 0 annimmt, hinzugefügt
werden. Gemäss (7) und (4) hat man zu setzen :
^ = ^{a T— -1) = ^^ {a T-" - h).
& @c ^ 8 ^
Hierfür kann man unter Einführung neuer Constnntcn kürzer
schreiben :
(10) ^ = AT—-B
und dadurch geht (3) über in
^^ BT v — a («^4-/3)2
Die für Aether geltenden Werthe der Constanten A und B er-
geben sich aus den oben für «, h und y angeführten Werthen
folgen dermaassen :
A = 15,G07; B = 0,0044968 i).
§. 4. Die Stoffe, bei denen man die Beobachtung der Dampf-
spannungen noch nicht bis zur kritischen Temperatur hat aus-
dehnen können, bieten für die Bestimmung der in der Gleichung (7)
vorkommenden Constanten a, h und n Schwierigkeiten dar, die
um so grösser sind, je weiter die höchste Beobachtungstemperatur
noch von der kritischen Temperatur entfernt ist. Ist nämlich
dieser Temperaturabstand sehr gross, so können Aenderungen
der Constanten, welche in dem Temperaturintervall, für "welches
Beobachtungen vorliegen, nur geringe Unterschiede der berech-
neten Dampfspannungen verursachen, doch für die berechnete
kritische Temperatur und den ihr entsprechenden Druck einen
beträchtlichen Unterschied zur Folge haben.
Zu diesen Stoffen gehört das Weisser. Ich habe versucht,
aus den Regnault' sehen Spannungsbeobachtungen, welche bis
etwas über 220'' reichen, die wahrscheinlichsten Werthe der Con-
stanten abzuleiten, und bin nach vielfachen Vergleichungen zu
folgenden Zahlen gelangt:
a = 5210; b = 0,85; n = 1,24.
1) Im Haadexemplar findet sich hierzu noch folgende Bemerkung des
Verfassers: Siehe über die Dichte des Aether- und Wasserdampfes Perot,
Ann. de Chim. Febr. 1888, T. XIII, p. 145 — 190.
238
Auliang.
Mit Hülfe dieser Zahlen und unter der Voraussetzung, dass
für die Temperatur von 100" die Dampfspannung eine Atmo-
sphäre beträgt, habe ich, wie beim Aether, für eine in Absätzen
von je 20° fortschreitende Reihe von Temperaturen die Dampf-
spannungen aus unserer Tabelle abgeleitet und die nachstehen-
den Werthe gefunden. Soweit die Beobachtungswerthe reichen,
habe ich auch sie zur Vergleichung hinzugefügt, und zwar habe
ich dazu diejenigen Werthe gewählt, welche Regnault direct
aus den von ihm constrairten Curven entnommen hat, und welche
er als das unmittelbarste Ergebniss seiner Beobachtungen be-
trachtet. Wo er zwei aus verschiedenen Curven erhaltene Werthe
anführt, habe ich deren Mittel genommen. Unter den beobach-
teten Spannungen stehen die Differenzen mit den berechneten
Spannungen. Ausserdem habe ich in dieser Tabelle auch gleich
die berechneten Werthe von s angeführt, von denen weiter unten
die Rede sein wird.
t
00
200
400
600
800
1000
Pber.
0,00574
0,02248
0,07183
0,1956
0,4665
1
1 beob.
0,00605
0,02288
0,07225
0,1958
0,4666
1
J
0,00031
0,00040
0,00042
0,0002
0,0001
0
S
216,6
59,30
19,81
7,725
3,422
1,677
t
1200
1400
1600
1800
2000
2200
Pber.
1,962
3,571
6,106
9,907
15,37
22,97
-Pbeob.
1,960
3,569
6,118
9,922
15,35
22,88
A
— 0,002
— 0,002
0,012
0,015
— 0,02
— 0,09
s
0,8927
0,5085
0,3060
0,1924
0,1253
0,08371
t
2400
2600
2800
3000
3200
332,320
Pbor.
S
33,23
0,05700
46,73
0,03912
64,15
0,02680
86,27
0,01796
113,9
0,01111
134,1
0,005892
Uebev die theoretische Bestimmung des Dampfdruckes etc. 230
Die Zusammenstellung der berechneten und beobachteten
Spannungen zeigt in dem ganzen Temperaturintcrvall von 0^^ bis
220^ eine sehr befriedigende Uebereinstimmung, und danach darf
man es wohl als wahrscheinlich annehmen, dass auch die für
die höheren Temperaturen berechneten Spann ungswerthe, sowie
die berechnete kritische Temperatur 332,32^' und der ihr ent-
sprechende Druck von 134 Atmosphären nicht zu weit von der
Wahrheit abweichen.
Was nun die übrigen in den Formeln vorkommenden Con-
stanten anbetrifft, so erhält man für Ji, gemäss der Gleichung (8),
wenn man darin für d den Werth 0,6221 setzt, welcher aus den
für die specifischen Gewichte von Wasserstoff und Sauerstoff von
Regnault gefundenen Werthen hervorgeht:
R = 47,05.
Daraus ergiebt sich weiter, gemäss (9), wenn man für T^
und Fe die oben gefundenen Werthe anwendet:
7 = 0,002 569.
Um w zu bestimmen, muss man von einem beobachteten Volu-
men des flüssigen Wassers den für dieselbe Temperatur berech-
neten Werth von lü abziehen. Nun zeigt aber das flüssige Wasser,
wenn man es von 0° an erwärmt, die bekannte eigenthümliche
Erscheinung, dass es sich anfangs zusammenzieht und erst über
40 ausdehnt, und dass auch dann noch, innerhalb eines beträcht-
lichen Temperaturintervalls, der Ausdehnungscoefficient viel ver-
änderlicher ist, als bei anderen Flüssigkeiten. Diese Erscheinung,
welche unzweifelhaft mit denjenigen Molecularkräften zusammen-
hängt, die beim Gefrieren des Wassers als Krystallisationskräfte
wirken, wird durch unsere zur Bestimmung von iv dienende
Gleichung nicht mit ausgedrückt, weil bei ihrer Aufstellung diese
Art von Kräften nicht mit berücksichtigt ist. Hierdurch ent-
steht nun für die Bestimmung von oc eine Unsicherheit, indem
man je nach der Temperatur, auf welche das zur Bestimmung
angewandte Wasservolumen sich bezieht, verschiedene Werthe
von « erhält. Wendet man das bei 20" beobachtete Wasser-
volumen an, so kommt:
« = 0,000 754,
und wenn man diese Zahl von der oben für y angeführten Zahl
abzieht, so erhält man:
ß = 0,001815.
240 Anhang.
Auf die berechneten Wertlie des Dampfvolumens s hat dje
in Bezug auf die Constante a stattfindende Unsicherheit nur einen
sehr geringen Einfluss, da die ganze Grösse von oc gegen das
Dampfvolumen bei allen Temperaturen, die der kritischen Tem-
peratur nicht zu nahe liegen, sehr klein ist. Die für die oben
betrachtete Reihe von Temperaturen berechneten Werthe von s
sind, wie schon erwähnt, der letzten Tabelle mit angefügt. Sie
stellen das Volumen eines Kilogramm Dampf in Cubikmetern dar.
Giebt man endlich noch der den Druck p bestimmenden
Gleichung die unter (11) angeführte Form:
p _ 1 _ AT-^ — B
so haben die hierin vorkommenden Constanten A und B für
Wasser folgende Werthe:
^ = 45,17; i>' = 0,00737.
Abhandlung VII.
Ueber die Dimensionen und die gegenseitig-en Abstände
der Molecüle.
Antwort auf einen Bi*ief des Herrn Jules Bourdin. (Nach dem deut-
schen Manuscript des in La Lumiere Electrique Nr. 32, p. 241 — 244, 1885
erschienenen Aufsatzes.)
Mein Herr und sehr geehrter College!
Sie haben mir die Ehre erwiesen, in Ihrem Namen und im
Namen einer Gruppe von Electrikern an mich einen Brief" zu
richten i), welcher sich auf einen von mir gehaltenen Vortrag
bezieht 2), und welchen ich mit dem grössten Interesse gelesen
habe. Die darin enthaltenen sinnreichen Betrachtungen umfassen
ein sehr weites Gebiet, und es würde daher in einer nothwen-
diger Weise kurz gehaltenen Antwort nicht möglich sein, sie
alle mit der wünschenswerthen Vollständigkeit zu besprechen.
Gestatten Sie mir daher, meine Antwort auf die Frage zu be-
schränken, auf welche Sie das Hauptgewicht zu legen scheinen,
nämlich auf die Frage, ob es nothwendig ist, ausser der pon-
derablen Masse noch einen anderen feineren Stoö' als existirend
anzunehmen.
Ich habe in meinem Vortrage gesagt, die sehr kleinen
Schwingungen, welche das Licht und die strahlende Wärme bil-
den, könnten nicht vermittelst der Luft oder sonst eines Gases
fortgepflanzt werden, indem die Gase, welche aus ponderablen
Atomen bestehen, eine zu grobe Massenvertheilung hätten. Die
1) La Lumiere Electrique du 30. Mai 1885, Nr. 22, p. 419.
2) Gemeint ist die bekannte Rectoratsrede „Ueber den Zusammenhang
zwischen den grossen Agentien der Natur". Bonn 1885. D. H.
Clausius, median. Wärmetheorie. III. ig
242 Anhang.
Richtigkeit dieses Ausspruches bestreiten Sie, indem Sie sagen:
„nous n'admettons pas l'accusation de grossierete et de manque
de siibtilite portee par Huygens contre la matiere ponderable,
nous la croyons capable de se preter d'elle-meme ä la propagation
des vibrations lumineuses, caloriques ou electriques, aussi faci-
lement et mieux meme, quand il s'agit de certains corps, qu'elle
ne se prete a la propagation sonore."
Um zwischen diesen beiden verschiedenen Ansichten ent-
scheiden zu können , niuss man Anhaltspuncte zur Beurtheilung
der Grösse der Atome und ihrer Entfernung von einander haben.
Sie sagen darüber: „Nul jusqu'ä present n'a ose mesurer ni un
atome ni une distance atomique." Wenn Sie das Wort „mesurer"
im ganz strengen Sinne als eine durch directe Beobachtung aus-
geführte Bestimmung, oder als eine vollkommen genaue und zu-
verlässige Bestimmung der betreffenden Grössen verstehen wollen,
so muss ich diesen Satz allerdings als richtig zugestehen. Aber
eine angenäherte Bestimmung jener Grössen lässt sich durch
Schlussfolgerungen verschiedener Art ausführen. Eine von Atha-
nase Dupre angewandte Bestimmungsweise wurde in Nr. 23
dieses Journals von Herrn Decharme^) zur Sprache gebracht.
Ich will mir hier erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf eine von
mehreren anderen Autoren angewandte Schlussweise zu lenken,
welche, wie es mir scheint, noch bestimmtere Resultate giebt.
Sie beruht auf der kinetischen Gastheorie. Diese Theorie
nimmt an, dass jedes Gasmolecül sich so lange geradlinig bewegt,
bis es mit einem anderen Molecül zusammentrifft, und dadurch
gezwungen wird, seine Bewegungsrichtung zu ändern. Die gegen-
seitige Einwirkung zweier zusammentreffender Molecüle ist sicher-
lich nicht so einfach, wie die gegenseitige Einwirkung zweier harter
elastischer Kugeln, welche zusammenstossen und von einander
abprallen; indessen für eine angenäherte Betrachtung kann man
wohl A^on der Vorstellung ausgehen, dass die Molecüle harte
elastische Kugeln wären, und kann sich dann die Aufgabe stellen,
aus den Eigenschaften der Gase die Grösse und gegenseitige
Entfernung dieser Kugeln zu bestimmen.
Ich habe in einer 1858 erschienenen Abhandlung 2) eine Be-
1) La Lumiere Electrique, T. XVI, Nr. 23, Sam. 6. juin 1885, p. 489. D.H.
2) Pogg. Ann. 105, 239 (und Theorie mecanique de chaleur, par
R. Clausius, traduite par F. Folie, t. II, p. 230). Die Kugel, welche dort
Uebev die Dimensionen und die gegenseitigen Abstände der Molecüle. 243
Ziehung zwischen dem Molecüldurchmesser und der mittleren
Länge der Wege, welche die Molecüle von einem Zusammenstosse
bis zum nächsten zurücklegen, aufgestellt, welche sich folgonder-
maassen ausdrücken lässt: Die mit 8 multijjUcirte mittlere Weg-
länfje verhält sich zum Durchmesser der Molecüle^ wie der von
dem Gase im Gänsen eingenommene Raum zu dem von den ßlole-
ciilen ivirMich erfiilUen Ilaume. Bei der Aufstellung dieses Satzes
ist angenommen, dass alle Molecüle gleiche Geschwindigkeiten
haben. Will man dagegen, wie es Maxwell später gethan liat,
die in der Wirklichkeit vorkommenden Unterschiede zwischen den
Geschwindigkeiten der verschiedenen Molecüle mit l)erücksich-
tigen, so muss man den Zahlenfactor 8 im Verhältniss von
1/2 : — vergrössern, wodurch er in 8,485 oder angenähert 8,5
o
übergeht.
Um diesen Satz mathematisch auszudrücken, wollen wir vor-
aussetzen, der von dem Gase im Ganzen eingenommene Raum
sei eine Raumeinheit. Bezeichnen wir dann den von den Mole-
cülen wirklich erfüllten Raum mit £, den Durchmesser eines
Molecüls mit d und die mittlere Weglänge mit ?, so drückt sich
der Satz durch folgende Gleichung aus:
8,5 . l _ 2.
ö ~ a'
woraus folgt:
(1) d = 8,6. I.E.
Mit Hülfe dieser Gleichung kann man d berechnen , wenn 7 und
s bekannt sind.
Was zunächst Z, die mittlere Weglänge der Molecüle, an-
betrifft, so lässt sich dieselbe sowohl aus der Schnelligkeit der
Diffusion zweier Gase, als auch aus der Reibung zweier Gas-
schichten, welche sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten be-
wegen, bestimmen, denn diese beiden Erscheinungen beruhen
darauf, dass die Molecüle aus der einen Schicht in die andere
hinüber fliegen, und bis zu einer gewissen Tiefe in dieselbe ein-
dringen. Auf diese Weise hat man für mehrere Gase die mitt-
leren Weglängen der Molecüle bestimmt, und die von verschie-
„sphere d'action" genannt wird, bat einen zweimal so grossen Radius iind
daher ein aclitmal so grosses Volumen, als die Kugel, welche hier als
Molecül betrachtet wird.
16*
244 Anliang.
denen Beobachtern ermittelten Werthe stimmen so gut unter
einander überein, dass man daraus schliessen darf, dass sie nicht
mehr weit von der Wahrheit abweichen.
Wir wollen als Beispiel zur Behandlung die Kohlensäure
wählen. In einem Aufsatze von A. von Obermayeri) finden
wir für Kohlensäure unter dem Drucke von einer Atmosphäre
und bei der Temperatur 0^ folgende Werthe von l angeführt,
welche aus Versuchen verschiedener Beobachter abgeleitet sind:
0,000049 mm; 0,000050 mm; 0,0000.56 mm.
0. E. Meyer, in seinem bekannten ausgezeichneten Werke „Die
kinetische Theorie der Gase" giebt auf S. 142 für Kohlensäure
unter dem Drucke von einer Atmosphäre und bei der Temperatur
20*^ folgenden Werth von Z an:
0,000068 mm,
woraus man durch Reduction auf die Temperatur 0° erhält:
0,000063 mm.
Als Mittelwerth aus den vier auf die Temperatur 0" bezüglichen
Werthen ergiebt sich:
(2) l = 0,0000545 mm.
Was ferner die Grösse f, nämlich den von den Molecülen
eines Gases wirklich erfüllten Raum anbetrifft, so findet man die
Anhaltspuncte zu ihrer Bestimmung ebenfalls in der kinetischen
Gastheorie. Aus dieser Theorie ergiebt sich nämlich, wie ich in
meiner ersten darauf bezüglichen Abhandlung 2) näher ausein-
ander gesetzt habe, dass die Abweichung der Gase vom Mariotte'-
schen und Gay-Lussac'schen Gesetze auf verschiedenen Grün-
den beruht, von denen einer der ist, dass der von den Molecülen
eines Gases ivirMicJi erfüllte Raum gegen den von dem Gase im
Ganzen eingenommenen Raum nicht verscliimndend Mein ist. Man
kann daher aus jenen Abweichungen auf die Grösse des von den
Molecülen erfüllten Raumes schliessen. Besonders zuverlässige
Data zu solchen Schlüssen ergeben sich aus den Versuchen,
welche Herr Andrews in neuerer Zeit über das Verhalten der
Gase bei sehr grossen Druckdifferenzen ausgeführt hat.
^) Repertorium für Experimeiital- Physik, herausgegeben von Ph. Carl,
Bd. XIIT, S. 157.
2) Pogg. Ann. 1857, 100, 359 (und Theorie mecanique de la chaleur,
]jar 11. Clausius, traduite par F. Folio, t. II, p. 191).
Uebev die Dimensionen und die gegenseitigen Abstände der Molecüle. 245
Um diejenigen Resultate, welche er für Kohlensäure gefun-
den hat, durch eine Formel darzustellen, habe ich folgende
Gleichung gebildet:
T
■ CK T(v + ßy
Hierin bedeutet p den Druck in Atmosphären , T die absolute
Temperatur und v das Volumen der Kohlensäure, wobei dasjenige
Volumen als Einheit gewählt ist, welches dieselbe Menge Kohlen-
säure unter dem Drucke von einer xVtmosphäre und bei 0'* ein-
nimmt. Die Buchstaben jR, c^ u und ß bezeichnen Constante,
welche folgende Werthe haben:
R = 0,003 688
c = 0,093 5
a = 0,000 843
ß = 0,000 977.
Eine dieser Constanten, nämlich «, steht zu der in Gleichung (\)
vorkommenden Grösse s in naher Beziehung. Sie stellt den
kleinsten Baum dar, in welchen die Gasmolecüle durch Zunahme
des Druckes möglicherweise zusammengedrängt werden können,
denn wenn man in obiger Gleichung t; = a setzt, so wird ^^ = cc .
Nun ist aber der Raum, welcher eine Anzahl von Kugeln ent-
halten kann, wenn sie sich bis zur Berührung einander genähert
haben, nur wenig grösser, als der Raum, welchen die Kugeln
wirklich ausfüllen. Das Verhältniss zwischen diesen beiden
Räumen ist etwas verschieden, je nach der Art der Lagerung
der Kugeln. Bei der engsten Lagerung ist es ungefähr gleich
dem Verhältniss 7 : 6. Wir können daher, wenn wir die engste
Lagerung annehmen, setzen:
6
6 = y a.
Führen Avir hierin für a den oben gegebenen Werth ein, so
erhalten wir:
£ = j- 0,000 843
oder
(3) s = 0,000 723.
Durch Einsetzung der in (2) und (3) gegebenen Werthe von
Z und £ geht die Gleichung (1) über in:
246 Anhang.
d = 8,5 . 0,000 723 . 0,000 054 5 mm,
woraus folgt:
(4) d = 0,000 000 335 mm,
oder anders geschrieben:
Nachdem, der Durchmesser eines Molecüls bestimmt ist, lässt
sich auch leicht die Anzahl der in einem Cubikmillimeter befind-
lichen Molecüle angeben. Sie ist nämlich gleich der Anzahl der
Kugeln, deren Gesammtvolumen gleich c ist, und wir können
daher, wenn wir die Anzahl mit N bezeichnen, die Gleichung
bilden:
Setzen wir hierin für a und Ö die unter (3) und (4) gegebenen
Werthe ein, so kommt:
(5) iV= 37.10''.
Dieselbe Zahl gilt auch für alle anderen Gase, da nach Avogadro
in gleichen Volumen aller Gase, bei gleicher Temperatur und
unter gleichem Drucke, gleich viel Molecüle enthalten sind.
Wenn die Anzahl der Molecüle in einer llaumeinheit be-
kannt ist, so kann man sich auch von dem mittleren gegenseitigen
Abstände zweier Nachbarmolecüle eine Vorstellung machen. Denkt
man sich nämlich die Molecüle cubisch angeordnet, d. h. denkt man
sich den Raum eines Cubikmillimeters in N kleine cubische
Räume zerlegt, und nimmt an , dass die Mittelpuncte der Mole-
cüle sich in den Eckpuncten dieser Guben befinden, so ist die
Seite eines solchen kleinen Cubus der gegenseitige Abstand der
Mittelpuncte zweier Nachbarmolecüle. Demnach gilt, wenn dieser
Abstand mit A bezeichnet wird, die Gleichung:
Setzt man hierin für N den obigen W^erth, so kommt:
(6) l = 0,000 003 mm.
Dieser Abstand ist allerdings sehr klein und entspricht einer
sehr feinen Massenvertheiluug; aber zur FortpÜanzung der Licht-
Ueber die Dimensioneu niul ilie gegenseitigen Abstände der Molecüle. 247
wellen durch den Weltenraum ist diese Massenvertheilung doch
noch viel zu groh.
Wenn man sich vorstellen wollte, der Stoff, welcher die Licht-
Avellen durch den Weltenraura fortpflanzt, wäre ein ponderahles
Gas, so müsste man diesem, um den geringen Widerstand, Avel-
chen die Weltkörper hei ihrer Bewegung finden, zu erklären,
eine ausserordentlich grosse Verdünnung zuschreiben. Eine Dich-
tigkeit, welche ein Milliontel von -derjenigen hetrügc, welche hei
0" und unter dem Drucke von einer Atmosphäre stattiindet, Aväre
jedenfalls noch sehr viel zu gross, und doch würde selbst bei
diesem noch lange nicht ausreichenden Grade der Verdünnung
der Abstand der Nachbarmolecüle schon eine mit der Fort-
pflanzung von Lichtwellen offenbar durchaus unvereinbare Grösse
erlangen. Er würde nämlich hundertmal so gross werden, als
die in Gleichung (6) bestimmte Länge, so dass man für dieses
verdünnte Gas zu setzen hätte:
l = 0,000 3 mm.
Dieser Abstand wäre schon beinahe gleich der Wellenlänge des
violetten Lichtes. Es ist aber ganz undenkbar, dass eine regel-
mässige Wellenbewegung sich in einem Medium fortpflanzen
sollte, in welchem die einander zunächst liegenden Theilchen um
eine Wellenlänge von einander entfernt wären.
Man ist daher, wenn man die Fortpflanzung der Lichtwellen
durch den Weltenraum erklären will, genöthigt, die Existenz eines
Stoffes anzunehmen, welcher eine viel feinere Massenvertheilung
hat, als die ponderablen Gase. Dieser Stoff" ist es, welchen man
bisher Aether nannte, und von welchem ich glaube, dass er nichts
anderes ist, als die Electricität.
K. Clausius.
Abhandluns: VIII.
Prüfung der Einwände von Hirn gegen die kinetische
Theorie der Gase.
(üebersetzung des in den Bulletins de l'Academie royale de Belgique
3me Serie t. XI, Nr. 3, 1886 veröffentlichten Aufsatzes des Verfassers Exa-
men des objections faites par M. Hirn ä_ la theorie cinetique
des g a z.)
In den beiden der königlich belgischen Akademie überreichten
Abhandlungen „Experimentelle Untersuchungen über die Bezie-
hung zwischen dem Widerstand der Luft und ihrer Tempera-
tur 1)" und „Experimentelle und analytische Untersuchungen über
die Gesetze des Ausflusses und des Stosses der Gase in ihrer
Abhängigkeit von der Temperatur 2)'^ beschreibt Hirn einerseits
mehrere Versuchsreihen, andererseits macht er deren Resultate
zur Grundlage theoretischer Betrachtungen, die ihn zu dem
Schlüsse führen , dass die kinetische Theorie der Gase der Er-
fahrung widerspricht.
Indem ich meinerseits der Akademie meine Ansicht über
diesen Gegenstand vorlege, die von der Hirn'schen wesentlich
abweicht, betone ich ausdrücklich, dass meine Kritik sich keines-
wegs auf die experimentelle Seite seiner Untersuchungen bezieht.
Die Versuche, die er beschreibt, sind wohl durchdacht; sie wur-
den mehrere Jahre hindurch mit bemerkenswerther Ausdauer
fortgesetzt, und ich zweifle nicht, dass auch die Sorgfalt und
die Geschicklichkeit in der Ausfübrung auf gleicher Höhe stan-
den, so dass die gewonnenen Resultate vollständiges Zutrauen
verdienen; ihr Werth gehört der Wissenschaft an und ist voU-
1) Memoires, t. XLIII (1881).
2) Ibid., t, XLIV (1834).
Prüfuug der Einwtinile vou Hirn etc. 249
ständig unabhängig von dem Urtheil, das man über die von
Hirn daraus gezogenen Folgerungen fällt.
Unter diesen Folgerungen ist namentlich diejenige, welche
sich auf den Stoss der Gase bezieht, in sehr präciser Weise aus-
gedrückt. Wir wollen uns mit ihr zuerst beschäftigen.
Hirn lässt aus einem mit Luft unter Druck gefüllten Gaso-
meter einen Luftstrom ausfliessen , und zwar aus einer Röhre,
die an ihrem Ende rechtwinklig nach unten gebogen ist und an
diesem Ende die Ausflussöffnung enthält. In einiger Entfernung
unter dieser Oeffnung befand sich, horizontal auf einer Wagschale
liegend, eine kreisförmige Platte, welche den Stoss des Luft-
stromes senkrecht auffing. Zur Ausgleichung des auf die Platte
ausgeübten Druckes belastete man die andere Wagschale mit
Gewichten, welche als Maass der Grösse des ausgeübten Druckes
dienten.
Diese Versuche wurden theils mit Luft von Zimmertemperatur
ausgeführt, theils auch mit Luft von höherer Temperatur, etwas
über 200". Man constatirte, dass der von dem Luftstrome auf die
Platte ausgeübte Druck allein abhängt von der während der Zeit-
einheit ausgeströmten Luftmenge und von der Ausflussgeschwin-
digkeit, nicht aber von ihrer Temperatur.
Hirn meint, dass dieses Residtat in Widerspruch steht mit
der kinetischen Theorie der Gase.
Die Gründe dieser Ansicht sind namentlich im §. 7 (S. 97)
seiner zweiten Abhandlung auseinander gesetzt. Man kann sich
aber bei der Durchsicht dieser Stelle seiner Arbeit überzeugen,
dass seine Deductionen wesentliche Fehler enthalten.
Bemerken wir zunächst, dass Hirn einen zu ausgedehnten
Gebrauch macht von gewissen vereinfachenden Hypothesen, welche
in speciellen Fällen angewendet werden können, um das Ver-
ständniss zu erleichtern. Nach der kinetischen Gastheorie sind
die Molecüle einer scheinbar in Ruhe befindlichen Gasmenge mit
schnellen und verschiedentlich wechselnden Bewegungen behaftet.
Sie bewegen sich in allen möglichen Richtungen, aber der Weg,
den sie zwischen zwei auf einander folgenden Stössen durchlaufen,
ist sehr kurz. Wenn das Gas die Dichtigkeit hat, welche dem
Druck einer Atmosphäre und der Temperatur des schmelzenden
Eises entspricht, ist der mittlere Betrag der Weglängen für alle
Gase, ausgenommen Wasserstoff, kleiner als ein zehnmilliontel
Millimeter. Ferner sind die Stösse zwischen zwei Molecülen im
250 Auhang.
Allgemeinen schief und excentrisch, so dass nach jedem Stosse
die Richtungen und die Geschwindigkeiten der beiden Molecüle
total geändert sind.
Diese complicirten Bewegungen ersetzt Hirn durch andere,
viel einfachere, indem er annimmt, dass die Molecüle sich allein
nach drei auf einander senkrechten Richtungen bewegen, dass sie
sich in ihren Bewegungen nicht gegenseitig stören, sondern dass
vielmehr jedes seine geradlinige Bewegung fortsetzt bis zum An-
prall an eine feste Wand. Derartige Hypothesen dürfen nur mit
Vorsicht angewendet werden; denn wenn sie in gewissen Fällen
exacte Resultate liefern, so führen sie ebensowohl unter anderen
Umständen in die Irre. Man wird in der Folge sehen, dass
sie in dem von Hirn betrachteten Falle zum Theil unzulässig
sind.
Wenn die Gasmasse, anstatt scheinbar zu ruhen, auszuströ-
men beginnt, so kommt zu der Molecularbewegung die Ausfluss-
bewegung hinzu, und diese muss für jedes Molecül mit seiner
augenblicklichen Molecularbewegung zusammengesetzt werden, um
die wirkliche Bewegung des Molecüls zu erhalten. In der Aus-
führung dieser Zusammensetzung für den Luftstrom, welcher aus
der Oeffnung üiesst und gegen die Platte prallt, begeht Hirn
einen wesentlichen Fehler, den schon Folie in seinem Referat
bemerkt hat.
In der That: Hirn nimmt an, dass für ein Drittel aller
Molecüle die Molecularbewegungen parallel und für die beiden
anderen Drittel senkrecht sind zur Richtung des Stromes; indem
er dann die Geschwindigkeit der Molecularbewegungen, die er
für alle Molecüle als gleich voraussetzt, mit Z7, und die Geschwin-
digkeit des Stromes mit F bezeichnet, bildet er für das Drittel
der Molecüle, dessen Molecularbewegung parallel der Richtung
des Stromes verläuft, die Summe TJ -\- V als Ausdruck der
totalen, aus beiden Bewegungen resultirenden Geschwindigkeit,
Das ist absolut unrichtig. Wenn wir uns für einen Augen-
blick der ersten Hypothese von Hirn bedienen, nach welcher
alle Molecularbewegungen nach drei auf einander senkrechten
Richtungen vor sich gehen, von denen eine, die wir mit x be-
zeichnen wollen, mit der Richtung des Stromes zusammenfällt,
dürfen wir dennoch nicht annehmen, dass alle der Richtung x
parallelen Molecularbewegungen in demselben Sinne wie der Strom
gerichtet sind; im Gegentheil ist klar, dass die eine Hälfte im
riiif'iiiig der I'',iinv;iii(l<' von Jliru etc. 251
positiven Sinne der Ivichtung x^ die andere Hälfte im negativen
Sinne fliegt.
Wollte man auch die zweite Hypothese von Hirn l)fnbehalten,
dass die jNIolecüle, ohne sich gegenseitig zu stören, sich in gerader
Linie bis zum Anprall an ein festes Hinderniss fortbewegen, so
müsste man, falls t/" >> F, den Molecülen, die im Sinne der nega-
tiven X gerichtet sind, gänzlich verschiedenartige Bedingungen
der Bewegung zuertheilen. In der Tliat würden diese Molecüle
dann gegen die Ausflussöffnung zurückfliegen und durch diese
wieder in den Behälter eindringen, anstatt daraus hervorzukom-
men. Man sieht daraus, dass die zweite Hypothese in dem vor-
liegenden Falle nicht zulässig ist.
Man darf vor Allem nicht aus dem Auge verlieren, dass die
Molecularbewegungen wechselnde Bewegungen sind; alsdann wird
man sich eine ganz andere Vorstellung machen von der Art, wie
sich die Molecüle bewegen, deren Molecularbewegungen parallel
der Axe der ,r-, d. h. der Austiussrichtung verlaufen.
Gesetzt, der Luftstrom wird von einer Ebene senkrecht zur
Richtung des Ausflusses geschnitten, so wird offenbar jedes ]\lolecül
diese Ebene nicht ein einziges Mal, sondern mehrere Male über-
schreiten, und zwar immer abwechselnd von der negativen Seite
zur positiven und von der positiven zur negativen. Die Zahl
dieser Uebergänge ist um so grösser, je grösser der Bruch -^ ist,
und wird immer durch eine ungerade Zahl dargestellt; denn die
Zahl der Uebergänge von der negativen Seite zur positiven ist
um 1 grösser, als die Zahl der Uebergänge von der positiven Seite
zur negativen. Nimmt man an, dass zwei entgegengesetzt ge-
richtete Uebergänge sich gegenseitig aufheben, so wird für jedes
Molecül ein Uebergang von der negativen Seite zur positiven
übrig bleiben, wie es der Ausflussbewegung des Gases entspricht.
Betrachten wir jetzt für einen gegebenen Augenblick die
Molecüle, deren Molecularbewegung parallel der Richtung des
Stromes erfolgt, iind welche ein Drittel sämmtlicher in dem
Strome vorkommenden Molecüle bilden. Die Hälfte dieses Drittels
wird ihre Molecularbewegungen in demselben Sinne wie der Strom
ausführen. Für diese Hälfte erhalten wir als Ausdruck der
totalen, aus beiden Bewegungen resultirenden Geschwindigkeit
die Summe TJ -\- V; die andere Hälfte des Drittels führt dem
Strome entgegengesetzte Molecularbewegungen aus, und wir müssen
252 Anhang.
die totale, aus beiden Bewegungen resultirende Geschwindigkeit
durch die Differenz — ü -\- V ausdrücken.
Man sieht, dass die Summe ü -\- V, durch welche Hirn die
totale Geschwindigkeit aller mit einer zur Stromesrichtung paral-
lelen Molecularbewegung behafteten Molecüle ausdrückt, keines-
wegs der Wirklichkeit entspricht. Dies ist der Hauptgrund der
Fehlschlüsse, die sich weiterhin in seiner Abhandlung vor-
finden.
Er berechnet zuerst für eine Volumeneinheit der ausströmen-
den Luft die lebendige Kraft der Bewegung senkrecht zur Platte,
indem er für ein Drittel der Molecüle die oben erwähnte Summe
U -\- F nimmt; für die anderen beiden Drittel, deren Molecular-
bewegungen senkrecht zur Richtung des Stromes und in Folge
dessen parallel der Platte verlaufen , führt er einfach für die
Geschwindigkeit der betrachteten Bewegung die Geschwindigkeit
des Stromes V in die Rechnung ein. Indem er die Dichtigkeit
der Luft, d. h. das Gewicht der Volumeneinheit, mit (5, und die
Beschleunigung der Schwere wie gewöhnlich mit g bezeichnet,
erhält er so für die lebendige Kraft den Ausdruck:
(1) l7(f^+>')'^ + f(i-i)^'.
der sich auf den folgenden reducirt:
Mit Hülfe dieses Ausdrucks bestimmt Hirn den Druck, wel-
chen die Luft auf die Platte ausübt. Der Querschnitt des Luft-
stromes an der Stelle, wo er die Maximalgeschwindigkeit V hat,
wird durch das Product ms bezeichnet, worin s die Fläche der
Ausflussöffnung und m den Coefficienten der Contraction bedeutet.
Indem er ferner annimmt, dass der Strom, wenn er gegen die
Platte stösst, sich in demselben Zustande wie an dieser Stelle
betindet, leitet er aus der lebendigen Kraft der Bewegung senk-
recht zur Platte den Druck auf die von ihm getroffene Fläche
m s in derselben Weise her, wie man in der kinetischen Gas-
theorie den Druck ruhender Luft berechnet. Er kommt auf fol-
genden Ausdruck:
d (m s)
{ju^ + jvr+r^y
Prüfung der Einwände von Jlirn et<;. 253
Die Luft, welche sich an der hinteren Fläche der Platte in
Ruhe befindet, üht dort einen Druck aus, welcher für eine Fläche
von derselben Grösse ausgedrückt wird durch:
3 (J
Dieser Druck muss von dem auf die vordere Fläche aus-
geübten abgezogen werden, um den Ueberschuss des von dem
Strome herrührenden Druckes zu erhalten, wie er direct beob-
achtet wird. Ist dieser letztere Druck p^ so erhält Hirn folgende
Gleichung:
(2) , = ^(|f7r+F.),
die er als das Resultat betrachtet, welches die kinetische Gas-
theorie, auf unseren Fall angewandt, liefert.
Diese Gleichung stimmt nicht überein mit dem Resultat
seiner Beobachtungen, dass der Druck unabhängig von der Tem-
peratur ist. Denn die Grösse U ist proportional der Quadrat-
wurzel der absoluten Temperatur. Daraus schliesst Hirn, dass
die kinetische Gastheorie der Erfahrung widerspricht und daher
unzulässig ist.
Man muss jedoch selien, was sich ergiebt, wenn man in den
Rechnungen von Hirn die Thatsache berücksichtigt, dass nur
die Hälfte der Molecüle, deren Molecularbewegungen parallel der
Richtung des Stromes sind, die Geschwindigkeit U ~{- V hat, und
dass die andere Hälfte mit der Geschwindigkeit — U -{- V
behaftet ist. Man erhält dann für die lebendige Kraft der Bewe-
gung senkrecht zur Platte an Stelle des oben unter (1) gegebenen
Ausdrucks den folgenden:
den man reduciren kann auf:
(3 a) i(lf7.+ r,).
den man reduciren kann auf:
Dieser Ausdruck unterscheidet sich von dem (1 a) durch die
2
Abwesenheit des Gliedes — U V in der Klammer.
o
Wendet man diesen Ausdruck zur Bestimmung des Druckes
in derselben Weise an, wie Hirn seinen Ausdruck (la), so er-
hält man an Stelle der Gleichung (2) die folgende:
.254 Anhang.
(4) i. = ^^^■F^
g
welche sich wiederum von (2) durch die Abwesenheit des mit
dem Factor U behafteten Gliedes unterscheidet. Da gerade dieses
Glied den Grund des Einwandes von Hirn gegen die kinetische
Gastheorie bildet, so folgt daraus, dass durch sein Verschwinden
dieser Einwand hinfällig wird.
Um die Zuverlässigkeit seiner Schlussfolgerung zu erhöhen,
hat Hirn seine Betrachtungen verallgemeinert. Anstatt der An-
nahme, dass ein Drittheil aller Molecularbewegungen parallel der
Richtung des Stromes erfolgen, hat er diese Voraussetzung nur
für einen unbestimmten Bruchtheil a der Molecularbewegungen
eingeführt; für diesen Bruchtheil führt er dann die Geschwindig-
keit TJ -\- V m die Rechnung ein. Diese Verallgemeinerung
konnte, abgesehen davon, dass sie durch nichts gerechtfertigt ist,
keineswegs dazu dienen, seinen Fehler zu berichtigen.
Wie klein er auch den Bruch cc voraussetzte, er durfte immer
nur für die Hälfte dieses Bruches die Geschwindigkeit TJ -\- V
einführen ; für die andere Hälfte musste er die Geschwindigkeit
— fJ -f- F einführen, was wiederum den Wegfall des mit dem
Factor U behafteten Gliedes in dem Ausdrucke von p zur Folge
gehabt hätte.
Vielleicht könnte man gegen die Art der von uns eben an-
gestellten Rechnung einen anderen Einwand erheben, der auf
den ersten Blick durch seine augenscheinliche Einfachheit einen
gewissen Eindruck macht und daher Beachtung verdient.
In dem Falle, dass Z7 >> F, ist die Differenz — ü -\- V
negativ und stellt eine Geschwindigkeit dar, die nicht gegen die
Platte hin, sondern von ihr fort gerichtet ist. Man könnte also
geltend machen, dass, wenn man bei der Bestimmung der leben-
digen Kraft der in einem Räume hervorgebrachten Bewegungen
in gleicher Weise den negativen wie den positiven Geschwindig-
keiten Rechnung tragen ■ müsse, es sich doch nicht ebenso ver-
halte bei der Bestimmung des auf die Platte ausgeübten Druckes;
denn ein Molecül mit negativer Geschwindigkeit kann die Platte
gar nicht treffen. Folglich müsste man von den beiden Geschwin-
digkeiten U -\- V und — ü -\- V nur die erstere berücksichtigen.
Diese Betrachtung würde einen schweren Fehler enthalten;
denn es wäre nicht genug Rücksicht genommen auf die Modi-
Prüfung der Eiiiwilndo; von IJini olc. 255
ficationeii, welche diircli den Umstand bedingt werden, dass der
Luftstroni die Platte trifft und an dieser Stelle seinen Bewegungs-
zustand ändert.
Um diese Erscheinung an einem der Rechnung bequem zu-
gänglichen Falle verfolgen zu können, wollen wir uns vorläufig
der Hypothese von Hirn bedienen, nach welcher der Luftstrom,
wenn er die Platte trifft, in demselben Zustande ist, wie kurz vor
derselben, und dass jedes Molecül, das in einer senkrechten
Richtung ankommt, mit der nämlichen Geschwindigkeit normal
zurückprallt. ,
Daraus Avürde in Wirklichkeit ein Zustand hervorgehen, der
in der Natur nicht möglich ist. Der cylindrische Raum mit dem
Querschnitt ms^ welcher den Luftstrom enthält, der zur Platte
gelangt und den wir den vorwärtsschreitenden Strom nennen
wollen , würde auch den Luftstrom enthalten , welcher sich in
Folge des Abprallens der Molecüle von der Platte entfernt, und
den wir den rückwärtsschreitenden Strotfi nennen wollen. Der
Raum wäre dann erfüllt mit Luft von doppelter Dichtigkeit und
würde 2wei einander entgegengesetzte Ströme enthalten, die sich
nach der Annahme nicht stören dürften. Obgleich ein derartiger
Zustand in Wirklichkeit unmöglich ist, kann man ihn sich doch als
vorhanden vorstellen und die Frage aufwerfen, welches in diesem
Falle der auf die Fläche ms der Platte ausgeübte Druck wäre.
Dieser Druck ist zwar verschieden von dem wirklichen Druck,
steht aber doch in einem einfachen Verhältniss zu diesem, so
dass man von dem einen auf den anderen schliessen kann. In
Wirklichkeit existirt kein rückwärtsschreitender Strom, sondern
die Luft fliesst von der Mitte der Platte nach allen möglichen
radialen Richtungen gegen die Ränder ab, wo sie dieselbe ver-
lässt. Bei der Ausbreitung durch die radiale Bewegung vermin-
dert sich die Geschwindigkeit der Luft mit der Entfernung vom
Centrum, so dass man bei Anwendung einer Platte mit Dimen-
sionen, wie die von Hirn benutzte, die Geschwindigkeit der Luft,
wenn sie die Platte verlässt, als sehr klein ansehen und in der
Rechnung vernachlässigen kann. Die durch den Widerstand der
Platte erzeugte Wirkung wird sich also darauf beschränken, die
ursprüngliche Bewegung des Stromes zu vernichten, während da-
gegen in dem idealen Falle dieser Widerstand ausserdem noch
eine gleiche Bewegung im umgekehrten Sinne hervorbringen wird,
wodurch die Wirkung verdoppelt wird. Ferner ist in dem idealen
256 Anhang.
Falle die Fläche ms in Berührung mit Luft von doppelter Dich-
tigkeit, so dass auch der von dem Ausfluss unabhängige Theil
des Druckes zweimal so gross ist wie in dem wirklich existiren-
den Falle der einfachen Dichtigkeit. Daraus ist zu schliessen,
dass der dem idealen Falle entsprechende Druck doppelt so gross
ist als der wirkliche Druck.
Nachdem wir uns nun so von der Bedeutung des idealen
Falles Rechenschaft gegeben haben, wollen wir ihn mathematisch
behandeln. Betrachten wir ein Molecül, dessen Molecularbewegun-
gen parallel sind der Richtung des Stromes, und welches durch
den vorwärtsschreitenden Luftstrom hinlänglich nahe an die Platte
herangeführt sei, um sie in Folge seiner Molecularbewegungen er-
reichen zu können. Es wird nicht nur Ein Mal an die Platte
stossen und zurückprallen, sondern nach dem Rückpralle und dem
Eintritt in den rückwärtsschreitenden Strom wird es abermals
gegen die Platte anprallen und dadurch wiederum in den vorwärts-
schreitenden Strom geworfen werden; hierauf wird es zum dritten
Male gegen die Platte anprallen, um in den rückwärtsschreiten-
den Strom zurückzukehren, und diese Vorgänge, jedesmal mit
einem Anprall verbunden, werden sich wiederholen, bis der rück-
wärtsschreitende Strom das Molecül so weit von der Platte fort-
geführt hat, dass es dieselbe durch seine Molecularbewegungen
nicht mehr erreichen kann. Die Anzahl der Stösse des Molecüls
gegen die Platte wird um so grösser sein, je grösser der Bruch
Y ist-
Die Grenzfläche der Platte spielt hier dieselbe Rolle wie die
senkrechte Ebene, die wir oben den Strom schneiden Hessen,
nur mit dem Unterschiede, dass die Molecüle, anstatt die Platte
zu überschreiten, von ihr abprallen. Man kann hier noch hinzu-
fügen, dass die Anzahl der Stösse durch eine ungerade Zahl dar-
gestellt wird, da die Stösse, die das Molecül aus dem vorwärts-
schreitenden in den rückwärtsschreitenden Strom versetzen, um
einen zahlreicher sein müssen, als die mit dem umgekehrten Er-
folg. Ausserdem ist zu bemerken, dass die ersteren Stösse mit
der Geschwindigkeit U -\- V erfolgen, während für die letzteren
die Geschwindigkeit U — V eintritt; diese letztere spielt als
positive Geschwindigkeit in dem rückwärtsschreitenden Strome
dieselbe Rolle, wie die Geschwindigkeit — U -\- F als negative
Geschwindigkeit in dem vorwärtsschreitenden Strome.
Prüfuiig der Einwände von Hirn etc. 257
Dieser Umstand, dass jedes Molecül mehrmals zum Anstoss
gegen die Platte kommt, ist Hirn entgangen, weil er angenom-
men hat, dass die Molecüle sich in gerader Linie bewegen, ohne
sich gegenseitig zu stören, bis sie eine feste Wand treffen, wor-
aus folgen würde, dass jedes Molecül nur Ein Mal die Platte
träfe, um sie sogleich zu verlassen. Unter diesen Umständen
konnte er nur der Geschwindigkeit f -j- F, die zur Zeit des
ersten Stosses besteht, einen Einfluss auf den Druck zuschreiben.
Bestimmen wir jetzt den durch die Stösse auf die Platte
ausgeübten Druck, indem wir der oben beschriebenen Erschei-
nung vollständig Rechnung tragen. Wir wollen zuerst die Stösse
betrachten, welche das Molecül aus dem vorwärtsschreiten-
den in den rückwärtsschreitenden Strom versetzen, und die
mit der Geschwindigkeit TJ -\~ V erfolgen. Die ganze an den
Stössen in diesem Räume betheiligte Masse, auf die Zeiteinheit
bezogen (die Masse der mehrmals anstossenden Molecüle ist
soviel Mal in Rechnung zu setzen, als sie Stösse dieser Art aus-
üben), beträgt den sechsten Theil der in einem Cylinder vom
Querschnitt ms und der Länge ü -\- F enthaltenen Masse, also
— — m s (U -[- F). Die Stösse vernichten die Geschwindigkeit
6 (/
ü -\- V dieser Masse und theilen sie ihr wieder im entgegen-
gesetzten Sinne mit, wodurch eine Kraft bedingt wird, doppelt
so gross wie die, welche zur Mittheilung der Geschwindigkeit
TJ -\- V erforderlich ist; sie wird dargestellt durch das doppelte
Product aus Masse und Geschwindigkeit, also durch
^ g
Dieses Product müssen wir als Ausdruck des durch die ge-
nannten Stösse auf die Platte ausgeübten Druckes betrachten.
Ebenso erhalten wir für die Stösse, Avelche mit der Geschwin-
digkeit ü — F erfolgen:
\-ms{u— vy.
Betrachten wir endlich die beiden anderen Drittel der Ge-
sammtzahl der Molecüle, deren Molecularbewegungon parallel
der Platte sind, so haben wdr für deren Stoss nur auf die Ge-
schwindigkeit F des Stromes Rücksicht zu nelnnen. Für ihren
Druck erhalten wir:
Clausius, mecban. Wärmetheorie. III- J7
258 Anhang.
- — ms V^.
3 g
Siimmirt man diese drei Ausdrücke, so ergiebt sich für den
gesämmten auf die Fläche m s ausgeübten Druck :
j ms ^:^(UJrn'-^jiU- Vy + j F^]
oder
9
Dieser für den idealen Fall berechnete Druck muss nach
dem Obigen doppelt so gross sein als der wirkliche Druck. Für
diesen letzteren erhalten wir also:
2i,„.s{iu^ + v'y
1 „„ (i c/. + ,.).
Davon müssen wir den Druck abziehen, der auf die hintere
Fläche m s der Platte ausgeübt und durch - — ms U^ dargestellt
S g
wird, um den allein durch den Strom hervorgebrachten Druck zu
erhalten. Wenn wir also diesen Druck wie früher mit p bezeich-
nen, erhalten wir die Gleichung:
d ,_
w = — m s I 'K
(/
die mit der oben unter (4) gegebenen übereinstimmt.
Die Verhältnisse sind in Wirklichkeit viel complicirter als
in dem idealen Falle, den wir zur Bestimmung des Druckes
herangezogen haben, bei dem man sich von den kleinsten Einzel-
heiten Rechenschaft geben kann. Der Luftstrom erleidet Ver-
änderungen, ehe er die Platte erreicht, er wird schon vor der-
selben aufgehalten, weil die in ihrer ursprünglichen BcAvegung
behinderte Luft nicht schnell genug nach den Seiten abfliessen
und der folgenden Luft Platz machen kann. Die ankommende
Luft muss sich also theilweise mit der noch vor der Platte be-
findlichen mischen, was nicht ohne zahlreiche Zusammenstösse
zwischen den Molecülen der beiden Luftmassen nach den ver-
schiedensten Richtungen geschehen kann.
Es handelt sich natürlich hier nicht mehr einfach um gerad-
linige und centrale Stösse, in welchen die gestossenen Molecüle
einfach ihre Bewegungen austauschen, sondern vielmehr um un-
Prüfung der Einwände von Hirn etc. 259
regelmässige Stösse, in denen die Richtungen und die Geschwin-
digkeiten der Bewegungen sich in sehr verschiedener Weise je
nach den Berührungspuncten zufällig ändern. Die Molecüle mit
negativer Bewegung nehmen ehensowohl wie die mit positiver
Bewegung Theil an diesen gegenseitigen Bewegungsänderungen,
die sich fortwährend zwischen allen Molecülen abspielen, so dass
die. einen wie die anderen in gleicher Weise den Zustand der
Luft beeinflussen, die sich vor der Platte befindet und auf sie
ihren Druck ausübt.
Ohne in die Einzelheiten der Gesammterscheinung eingehen
zu müssen, sieht man unmittelbar, dass es keineswegs erlaubt ist,
bei der Bestimmung des Druckes die im Luftstrome befindlichen
negativen Geschwindigkeiten zu vernachlässigen; wird jedoch
diese Erlaubniss nicht ertheilt, so wird den von Hirn auf Grund
seiner Gleichung (2) gegen die kinetische Gastheorie erhobenen
Einwänden der Boden entzogen.
Die Einwände, welche Hirn aus seinen Versuchen über den
Widerstand der Luft und über den Ausfluss der Gase herleitet,
sind ganz derselben Art, wie der eben von uns betrachtete Ein-
wand, der aus dem Stosse eines Luftstromes gegen eine Platte ab-
geleitet ist.
Bei dem Widerstände der Luft handelt es sich um einen dem
eben bc^sprochenen ganz analogen Fall. Jener bezog sich auf die
Wirkung bewegter Luft auf einen ruhenden Körper, hier handelt
es sich um die Wirkung ruhender Luft auf einen bewegten Kör-
per. Auch der Einwand von Hirn und die Ueberlegungen , die
ihn dazu veranlassen, sind in beiden Fällen dieselben. Hirn
fand in seinen Versuchen, dass der Widerstand der Luft nur von
der Dichtigkeit, nicht von der Temperatur abhängt. Dieses Re-
sultat scheint ihm mit der kinetischen Gastheoric in Widerspruch
zu stehen, doch ist er nur deshalb auf diesen Schluss gekommen,
weil er bei der theoretischen Ableitung des Luftwiderstandes aus
der kinetischen Gastheorie nur die gegen den Körjier hin gerich-
teten und nicht auch die in umgekehrtem Sinne gerichteten ^lole-
cularbewegungen berücksichtigt hat. Da die Ungenauigkeit dieses
Verfahrens genau in derselben Weise wie oben nachgewiesen
260 Anhang.
werden kann, so brauchen wir auf die vorhergehenden Erläute-
rungen nicht zurückzukommen.
Was den Äusfluss der Gase betriti't, so hat Hirn eine ge-
nügende Uebereinstimmung zwischen den Resultaten seiner Ver-
suche und den gewöhnlichen Formeln für die Ausflussgeschwin-
digkeit gefunden. Aber er ist der Ansicht, dass man nach der
kinetischen Theorie diese Formel nicht auf die Geschwindigkeif F,
sondern auf den Ausdruck V2a U V -j- V'^ anwenden muss, worin
ci wieder den Bruchtheil sämmtlicher Molecüle bezeichnet, dessen
Molecularbewegung dem Gasstrome parallel ist. In dem Mangel
an Uebereinstimmung zwischen diesem Ausdruck und der Formel
glaubt Hirn einen Einwand gegen die kinetische Theorie zu
finden.
Die Ableitung dieses Schlusses ist die nämliche, die er bei der
oben beschriebenen Verallgemeinerung seiner Rechnung zur Bestim-
mung des von dem Luftstrome auf die Platte ausgeübten Druckes
angewendet hat. Seine Beweisführung fusst darauf, dass er unter
den Bewegungen parallel zum Gasstrome nur die mit der Ge-
schwindigkeit U -\- V und nicht auch die ebenso zahlreichen
mit der Geschwindigkeit — U -\- V berücksichtigt. Unter Beach-
tung dieser letzteren würde das Glied 2a UV aus der Wurzel
verschwinden. Es handelt sich also wieder um den schon be-
schriebenen Fehler, zu dessen Widerlegung wir nur das oben
Gesagte zu wiederholen hätten.
Ich glaube noch einige Worte sagen zu müssen über eine
auf den Äusfluss der Gase bezügliche Behauptung, in welcher es
sich um Betrachtungen anderer Art handelt.
Bei den in der Abhandlung beschriebenen Versuchen über
den Äusfluss war die DruckdiÖerenz , die den Luftstrom hervor-
rief, immer klein im Verhältniss zu dem Drucke, welcher im In-
neren wie auch ausserhalb des Gefässes herrschte. Der äussere
Druck war im Allgemeinen der einer Atmosphäre, und der innere
überstieg ihn nur um 10 bis 27 mm Quecksilber; ebenso waren
die Ausflussgeschwindigkeiten der Luft geringer als 100 m.
Dagegen citirt Hirn in einer Anmerkung (S. 117) später
ausgeführte Versuche, in denen er behauptet, eine Geschwindig-
keit von 5700m erzielt zu haben, dadurch, dass er den äusse-
ren Druck bis auf 10mm Quecksilber erniedrigte, während der
innere ungefähr auf einer Atmosphäre blieb.
Prüfung der Einwände von Hirn etc. 261
Iii dem Zusatz zu seiner Abhandlung (S. 198) ergänzt Hirn
diese Mittheilung und fixirt die Ausflussgeschwindigkeit auf 4266 m.
Nach der kinetischen Theorie können die Molecularbewegungen
in Luft bei der gegebeneu Temperatur höchstens eine mittlere
Geschwindigkeit von ungefähr 500 m besitzen und sind in Folge
dessen unfähig, eine Geschwindigkeit von über 4000 m zu liefern.
Eb«nso glaubt Hirn, in diesem Versuch ein entscheidendes
Argument gefunden zu haben und beschliesst seine Auseinander-
setzung mit den Worten: „Diese Ueberlegung enthält einen
schlagenden Beweis gegen die kinetische Theorie, so wie sie bis-
her entwickelt worden ist."
Daraufhin muss man natürlich das lebhafteste Interesse
haben, zu erfahren, wie Hirn diese grosse Geschwindigkeit ge-
messen hat. Wenn man aber die Fortsetzung seiner Abhand-
lung liest, kann man sehen, dass er gar keine Geschwindigkeits-
messungen vorgenommen hat: er hat nur die in der Zeiteinheit
aus dem Gefäss ausgeschlossene Luftmenge gemessen und daraus
die Gesclnvindigkeit durch theoretische Schlüsse berechnet.
Die Versuche haben gezeigt, dass, wenn man den äusseren
Druck mehr und mehr verringert, während der innere unver-
änderlich auf 750 mm bleibt, die Austlussmenge nur bis zu dem
Augenblicke wächst, wo der äussere Druck bis auf 400mm er-
niedrigt ist. Bei weiterer Verminderung des äusseren Druckes
bleibt der Ausfluss nahezu constant.
Dieser Umstand, dass die Ausflussmenge mit abnehmendem
Drucke einem Maximum zustrebt, das sie nicht überschreiten
kann, stimmt sehr wohl mit der kinetischen Theorie überein. In
der That muss man nach ihr annehmen, dass, wenn der äussere
Druck = 0 ist, die Molecüle, welche in Folge ihrer Molecular-
bewegungen und des in der Nähe der Oeffnung gebildeten Stromes
an der Oeffnung ankommen, allein mit der. Geschwindigkeit her-
ausfliegen, welche sie gerade in dem ^^Augenblicke besitzen, wo
sie die Oeffnung erreichen.
Unter diesen Umständen wird eine gewisse Luftmenge, be-
stimmt durch die Dichtigkeit und die inneren Bewegungen, in
der Zeiteinheit die Oeffnung verlassen; diese ist es, welche das
Maximum bildet. Weiter ist es sehr wohl möglich, dass die Aus-
flussraenge nicht coutinuirlich in der nämlichen Weise mit der
Verminderung des äusseren Druckes wächst, sondern dass sie sich
im Gegentheil verhältnissmässig schnell dem Maximum nähert,
262 Anbang.
SO dass die fortgesetzte Abnahme des äusseren Druckes später
keine nennenswerthe Aenderuug dieser Menge mehr herbeiführt.
Was den Ausflussprocess selbst betriö't, so wird er verschieden
sein, je nachdem er durch einen sehr kleinen oder einen sehr
grossen äusseren Druck hervorgebracht wird. In dem ersteren
Falle wird sich nicht etwa ein nahezu cylindrischer Strom bilden,
in welchem die Luft schon nahe der Oefihung die nöthige Dich-
tigkeit hat, um die Differenz zwischen dem Drucke im Inneren
des Stromes und dem äusseren Drucke auszugleichen. Im Gegen-
theil wird in Folge der von den Molecülen am Ausgange der Oetf-
nung eingehaltenen verschiedenen Richtungen der Strom sich
schnell ausbreiten, und da die Molecüle zu kurze Zeit in der
Umgebung der Oeffnung verweilen , um schon an dieser Stelle
dem Drucke die Ausgleichung zu gestatten, so werden ihre gegen-
seitigen Abstände in der Nähe der Oefthung gänzlich verschieden
sein von denen, die bestehen würden, wenn jener Ausgleich sich
vollziehen könnte. Diese Abstände hängen fast allein von dem
Zustande der Luft im Inneren des Behälters und sehr wenig von
dem äusseren Drucke ab; daher kann die Dichtigkeit der aus-
strömenden Luft nahe der Oefihung ganz beträchtlich sein trotz
dem geringen äusseren Drucke. Hätte Hirn diese Umstände
berücksichtigt, so hätte er das Resultat seiner Versuche als eine
Bestätigung der kinetischen Gastheorie ansehen können. Statt
dessen stellt er ganz andere Betrachtungen an.
In dem Falle, dass der äussere Druck bedeutend ist, kann
man mit Hülfe bekannter Gesetze mittelst des Verhältnisses
zwischen dem inneren und dem äusseren Drucke die Dichtigkeit ö,
welche die ausströmende Luft bei der Ausgleichung des Druckes
in der Nähe der Oeffnung annimmt, in ihrer Abhängigkeit von
der Dichtigkeit Ö^ im Behälter bestimmen. Wenn ausserdem der
Querschnitt ms des Stromes und die in der Zeiteinheit aus-
geflossene Luftmenge als bekannt vorausgesetzt werden, kann man
hieraus die Geschwindigkeit V berechnen. Sei W^ das Volumen
der in der Zeiteinheit ausgeflossenen Luft, im Behälter gemessen,
so kann man ihr durch die Ausdehnung vergrössertes Volumen
durch — ^,— ausdrücken. Andererseits würde, wenn der Strom
0
constant bliebe, die während der Zeiteinheit ausströmende Luft
einen Cylinder vom Querschnitt -ms und der Höbe V bilden,
dessen Volumen m s V ist.
Prüfung der EinAvände von Hirn etc. 2G3
Man hat also durch Gleichsetzung dieser beiden Ausdrücke
für das Volumen:
ms y
w, d,
woraus folgt:
(5) F=2^».
^ ms 0
Diese Art der Berechnung, die allein für einen hohen äusseren
Druck zulässig ist, hat Hirn in gleicher Weise auf den Fall eines
inneren Druckes von 750 mm und eines äusseren von 10 mm an-
gewendet, obgleich hier die Art des Ausflusses gänzlich verschie-
den ist. Er behält für den Querschnitt des Stromes den für
einen hohen äusseren Druck aus der Contraction berechneten
Wertli ms bei, ferner berechnet er ebenso das Verhältniss der
Dichtigkeiten ^ mittelst derselben nur im Falle eines hohen äusse-
ren Druckes gültigen Formel, was im vorliegenden Falle unzu-
lässig ist, da diese Formel eine Ausgleichung des Druckes vor-
aussetzt. Da der aus dieser Formel abgeleitete Werth von ^
sehr klein ist und er in der Gleichung (5) benutzt ist, wird die
daraus abgeleitete Grösse V ausserordentlich gross, also etwa
4266 m. Wenn der äussere Druck = 0 wäre, würde diese Rech-
nung für V sogar einen unendlich grossen Werth ergeben. Jedoch
ist es klar, dass man den auf diese Weise berechneten Zahlen
nicht die geringste Bedeutung beilegen darf.
In den allgemeinen Betrachtungen , welche einen grossen
Theil seiner beiden Abhandlungen einnehmen, Avendet sich Hirn
lebhaft gegen die Neigung einzelner Autoren, die kinetische
Gastheorie, welche gewisse Kräfte auf Bewegungen zurückgeführt
hat^ derartig zu erweitern, dass überhaupt alle Kräfte in dersel-
ben Weise erklärt werden könnten. In dieser Beziehung befinde
ich mich mit Hirn vollständig in üebereinstimmung und be-
trachte mit ihm diese Neigung als eine Uebertreibung, die daher
rührt , dass man einem gewonnenen Resultat eine allzu hohe
Tragweite beilegt, und dabei die Grenzen seiner Gültigkeit aus
dem Auare verliert. Niemals habe ich in meinen Arbeiten über
264 Anhang.
die kinetische Gastlieorie die Meinung vertreten, dass alle Kräfte,
sich durch Bewegungen erklären lassen; vielmehr habe ich einen
Satz entwickelt, der das Gegentheil beweist, ich meine den Satz
vom Virial. Dieser Satz sagt aus, dass jede stationäre Bewegung,
um andauern zu können, gewisse Kräfte nötliig hat, die ihr
dynamisch das Gleichgewicht halten, und zwar drückt er die
Bedingung dieses dynamischen Gleichgewichts aus durch eine
Gleichung, deren eines Glied die lebendige Kraft der Bewegung
ist, während das andere ein Ausdruck ist, der gebildet wird von
den Coordinaten der bewegten Massen und den Componenten von
Kräften. Diese Gleichung lässt mit Sicherheit darauf schliessen,
dass ohne Anziehungskräfte ein stabiler Zustand in der Natur
gar nicht möglich wäre.
00311 ,C6
^, 3 5002 02002 3730
Clausius, R.
Die mechanische warmetheorie ...
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