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Full text of "Die mechanische wärmetheorie"

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PHYStCS  LIBRARY 


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DIE 


MECHANISCHE 

WÄRMETHEORIE. 


ERSTER    BAND. 


Holzstiche 

aus   dem   xylographischen   Atelier 

von   Friedrich    V  i  e  w  e  g   und    Sohn 

in  Braunschweig. 


Papier 

aus   der  meclianischen   Papier-Fabrik 

der   Gebrüder   V  i  e  av  e  g   z  n   W  e  n  d  li  a  u  s  e  n 

bei   Braunschweig. 


DIE 


MECHANISCHE 

WÄRMETHEORIE 


VON 


ßfCLAUSIüS. 


DRITTE 

UMGEARBEITETE    UND    VERVOLLSTÄNDIGTE    AUFLAGE. 


ERSTER    BAND. 

Entwickelung  der  Theorie,  soweit  sie  sich  aus  den  beiden  Hauptsätzen 
ableiten  lässt,   nebst  Anwendungen. 


MIT    IN    DEN    TEXT     EINGEDRÜCKTEN    HOLZSTICHEN. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK    UND   VERLAG   VON   FRIEDRICH   VIEWEG   UND   SOHN. 

18  87. 


^1111 


zw 

a 


VORREDE. 


Uer  Inhalt  dieses  Buches  ist  ursprünghch  in  einzelnen 
Abhandlungen  erschienen,  welche  ich  während  einer 
langen  Reihe  von  Jahren,  vorzugsweise  in  Poggen- 
dorff's  Annalen,  publicirt  habe,  und  welche  dann,  nach- 
dem sich  herausgestellt  hatte,  dass  sie  bei  dem  all- 
mälig  in  weiten  Kreisen  rege  gewordenen  Interesse 
für  die  mechanische  Wärmetheorie  nicht  Allen,  welche 
sie  zu  lesen  wünschten,  zugänglich  waren,  in  einer 
Sammlung  vereinigt  noch  einmal  gedruckt  wurden. 

Als  später  eine  neue  Auflage  des  so  entstandenen 
Buches  nothwendig  wurde,  benutzte  ich  diese  Grelegen- 
heit  dazu,  ihm  eine  andere  Form  zu  geben.  Die  mecha- 
nische Wärmetheorie  bildet  in  ihrer  jetzigen  Entwicke- 
lung  schon  ein  für  sich  bestehendes,  ausgedehntes 
Lehrobject.  Es  ist  aber  nicht  leicht,  aus  getrennten, 
zu  verschiedenen  Zeiten  veröffentlichten  Abhandlungen, 
welche  zwar  ihrem  Inhalte,  aber  nicht  ihrer  Form  nach 
zusammenhängen,  einen  solchen  G-egenstand  zu  studiren, 
und  wenn  ich  auch  zur  Erleichterung  des  Verständ- 
nisses und  zur  Vervollständigung  die  Abhandlungen  an 


VI  Vorrede. 

vielen  Stellen  mit  Anmerkungen  und  Zusätzen  versehen 
hatte,  so  war  damit  diesem  Uebelstande  doch  nur  theil- 
weise  abgeholfen.  Ich  fand  es  daher  zweckmässig,  den 
Inhalt  der  Abhandlungen  so  umzuarbeiten,  dass  er  ein 
in  zusammenhängender  Weise  sich  entwickelndes  Granzes 
bilde,  und  dass  daher  das  Werk  die  Form  eines  Lehr- 
buches annehme. 

Ich  sah  mich  dazu  um  so  mehr  veranlasst,  als  ich 
seit  langer  Zeit  an  einem  Polytechnicum  und  mehreren 
Universitäten  die  mechanische  Wärmetheorie  vorge- 
tragen und  dadurch  reichliche  Gelegenheit  gehabt 
hatte,  zu  prüfen,  welche  Anordnung  des  Stoffes  und 
welche  Form  der  Darstellung  am  geeignetsten  wäre, 
die  durch  neue  Anschauungen  und  Rechnungsweisen 
etwas  schwierige  Theorie  dem  Verständnisse  leicht  zu- 
gänglich zu  machen. 

Bei  der  aus  diesem  Grrunde  vorgenommenen  Um- 
gestaltung konnte  ich  auch  manche  Untersuchungen 
anderer  Autoren  mit  aufnehmen  und  dadurch  der  Aus- 
einandersetzung des  Gegenstandes  eine  grössere  Voll- 
ständigkeit und  Abrundung  geben,  wobei  ich  natürlich 
nicht  unterlassen  habe,  diese  Autoren  jedesmal  nam- 
haft zu  machen.  Auch  der  Inhalt  einiger  in  der 
Zwischenzeit  von  mir  selbst  veröffentlichter  Abhand- 
lungen sollte  dabei  Berücksichtigung  finden. 

Von  dieser  zweiten  Auflage  sind  bisher  erst  zwei 
Bände  erschienen,  indem  die  Bearbeitung  des  dritten,  den 
Abschluss  bildenden  Bandes  mich  zu  neuen,  über  mein 
Erwarten  ausgedehnten  Untersuchungen  führte,  und 
zugleich   andere   wissenschaftliche  Arbeiten    die   wenige 


Vorrede.  VII 

mir  neben  den  amtlichen  Geschäften  frei  bleibende  Zeit 
zu  sehr  in  Anspruch  nahmen.  Dadurch  ist  es  gekom- 
men, dass  der  Anfang  der  dritten  Auflage  des- Werkes 
vor  der  Vollendung  der  zweiten  nothwendig  geworden 
ist,  und  dass  daher  das  Erscheinen  des  letzten  Bandes 
gleichzeitig  beiden  Auflagen  zur  Vervollständigung  die- 
nen muss. 

Der  vorliegende  erste  Band  der  dritten  Auflage 
weicht  von  dem  der  zweiten  Auflag-e  nicht  erheblich 
ab.  Die  in  diesem  Bande  behandelten  Grundlagen  und 
ersten  Anwendungen  der  mechanischen  Wärmetheorie 
haben  allmälig  eine  so  feste  und  durch  vielfachen  Ge- 
brauch eingebürgerte  Gestalt  angenommen,  dass  keine 
Veranlassung  zu  wesentlichen  Aenderungen  vorlag,  son- 
dern nur  verhältnissmässig  geringe,  zur  Vermehrung 
der  Vollständigkeit  und  Klarheit  bestimmte  Abände- 
rungen erforderlich  schienen. 

Bonn,  im  September  1887. 

R.  Clausius. 


IN  HALT. 


Matliematisclie  Einleitung. 

Seite 

Ueber  die  mechanische  Arbeit  und  die  Energie  und  über  die 

Behandlung  nicht  integrabler  Differentialgleichungen  .  1 

§.  1.     Begriff  und  Maass  der  meclianischen  Arbeit 1 

§.  2.    Mathematische  Bestimmung  der  Arbeit  bei  veräuderliclier  Kraft- 

componente 3 

§.  3.    Integration  des  Differentials  der  Arbeit 4 

§.  4.     Geometrische  Bedeutung  der  vorstehenden  Resultate  und  Bemer- 
kung über  die  Differentialcoefficienten  . 8 

§.  5.     Ausdehnung  des  Vorigen  auf  drei  Dimensionen 11 

§.  6.    Das  Ergal 12 

§.  7.    Erweiterung  des  Vorigen 15 

§.  8.    Beziehung  zwischen  Arbeit  und  lebendiger  Kraft      18 

§.  9.    Die  Energie 20 

AId schnitt  I. 

Erster  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie   oder   Satz 

von   der  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit 22 

§.    1.     Ausgangspunkt  der  Theorie 22 

§.    2.    Positiver  und  negativer  Sinn  der  mechanischen  Arbeit 23 

§.    3.    Ausdruck  des  ersten  Hauptsatzes 24 

§.    4.     Verhältnisszahl  zwischen  Wärme  und  Arbeit 25 

§.    5.    Mechanische  Einheit  der  Wärme 27 

§.    6.    Aufstellung  der  ersten  Hauptgleichuug 28 

§.    7.    Verschiedenes  Verhalten  der  Grössen  J,  W  und  H 29 

§.   8.    Die  Energie  des  Körpers 33 

§.    9.     Gleichungen  für  endliche  Zustandsäuderungen  und  Kreisprocesse  34 

§.  10.     Gesammtwärme ,  latente  und  specifische  Wärme 35 

§.  11.    Ausdruck  der  äusseren  Arbeit  für  einen  besonderen  Fall  ....  38 


X  Inhalt. 


Absclinitt  II. 

Seite 

Behandlung  der  vollkommenen  Gase 42 

§.  1.     Gasförmiger  Aggregatzustand 42 

§.  2.     Nebenannahme  in  Bezug  auf  gasförmige  Körper  * 45 

§.  3.     Formen,  welche  die  den  ersten  Hauptsatz  ausdrückende  Gleichung 

für  vollkommene  Gase  annimmt 47 

§.  4.     Folgerung  in   Bezug   auf   die  beiden    specifischen  Wärmen    und 

Umformung  der  vorigen  Gleichungen 49 

§.  5,  Verhältniss  der  beiden  specifischen  "Wärmen  und  Anwendung 
desselben  zur  Berechnung  des  mechanischen  Aequivalentes  der 
Wärme 52 

§.  6.    Verschiedene  auf  die  specifischen  Wärmen  der  Gase  bezügliche 

Formeln 56 

§.  7.     Numerische  Berechnung  der  specifischen  Wärme  bei  constantem 

Volumen 59 

§.  8.  Integration  der  Differentialgleichungen,  welche  den  ersten  Haupt- 
satz für  Gase  ausdrücken 63 

§.  9.    Bestimmung  der   äusseren  Arbeit  bei  Volumenänderungen   eines 

Gases 66 

Absclinitt  III. 

Zweiter  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie 72 

§.  1.     Betrachtung  eines  Kreisprocesses  von  specieller  Art 72 

§.  2.    Resultat  des  Kreisprocesses 74 

§.  3.     Kreisprocess  eines  aus  Flüssigkeit  und  Dampf  bestehenden  Körpers  76 
§.4.     Garnot's  Ansicht   über    die   in    einem    Kreisprocesse    geleistete 

Arbeit 79 

§.  5.     Ein  neuer  Grundsatz  in  Bezug  auf  die  Wärme .  81 

§.  6.  Beweis,  dass  das  Verhältniss  zwischen  der  in  Arbeit  verwandelten 
Wärme   und   der   übergegangenen  Wärme  von  der  Natur  des 

vermittelnden  Stofi'es  unabhängig  ist  . 82 

§.  7.     Bestimmung  der  Function  'P  {T-^,  T^) 85 

§.  8.     ComiDlicirtere  Kreisprocesse 87 

§.  9.  Kreisprocesse,  bei  denen  Wärmeaufnahme  und  Temperaturände- 
rung gleichzeitig  stattfinden .  90 

Abschnitt  lY. 

Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes  oder  Satz  von  der 

Aequivalenz  der  Verwandlungen 95 

§.  1.     Zwei  verschiedene  Arten  von  Verwandlungen 95 

§.  2.    Ein  Kreisprocess  von  besonderer  Form 97 


Inhalt.  XI 

Seite 

§.  3.    Aequivalente  Verwandlungeu 100 

§.  4.    Aequivalenzwertlic  der  Verwaudlungcn 101 

§.  5.     Gesammtwerth  aller  in  einem  Kreisprocesse  vorkommenden  Ver- 
wandlungen   105 

§.  6.    Beweis,  dass  in  einem  umkehrbaren  Kreisprocesse  der  Gesammt- 
werth aller  Verwandlungen  gleich  Null  sein  muss 107 

§.  7.    Die  Temperaturen  der  vorkommenden  Wärmemengen 110 

§.  8.    Die  TemperaturfunctioBL  r 112 


Aböclmitt  V. 

Umformungen  der  beiden  Hauptgleichungen 114 

§.  1.    Einführung  von  Veränderlichen,  welche  den  Zustand  des  Körpers 

bestimmen 114 

§.  2.  Elimination  der  Grössen  U  und  S  aus  den  beiden  Haupt- 
gleichungen     116 

§.  3.  Anwendung  der  Temperatur  als  eine  der  unabhängigen  Ver- 
änderlichen     119 

§.  4.     Specialisii'ung  der  äusseren  Kräfte 120 

§.  5.    Zusammenstellung    einiger   häufig   vorkommender   Formen    der 

Differentialgleichungen 122 

§.  6.     Gleichungen  für  einen  Körper,  welcher  eine  theilweise  Aende- 

rung  seines  Aggregatzustandes  erleidet 123 

§.  7.    Die  Clapeyron'sche  Gleichung  und  die  Carnot'sche  Function    125 

Aljscliiiitt  VI, 

Anwendung   der   mechanischen   Wärmetheorie    auf   gesättigte 

Dämpfe .     129 

§.:    1.     Hauptgleichungen  für  gesättigte  Dämpfe 129 

§.    2.   ^Specifische  Wärme  des  gesättigten  Dampfes 138 

§.    3.    Numerische  Bestimmung  von  h  für  Wasserdampf 136 

§.    4.     Numerische  Bestimmung  von  h  für  andere  Dämpfe 139 

§.    5.    Experimentelle  Prüfung  der  specifischen  Wärme  des  gesättigten 

Damj)fes 143 

§.    6.     Das  specifische  Volumen  des  gesättigten  Dampfes 146 

§.   7.     Abweichung  des  gesättigten  Wasserdampfes  vom  Mariotte'- 

schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze 147 

8.    8.     Differentialcoefficienten  von  ^^— 152 

§.  9.  Formel  zur  Bestimmung  des  specifischen  Volumens  des  gesät- 
tigten Wasserdampfes,  und  Vergleichung  derselben  mit  der 
Erfahrung 155 

§.  10.    Bestimmung   des  mechanischen  Aequivalentes   der  Wärme   aus 

dem  Verhalten  des  gesättigten  Dampfes 160 


XII  Inhalt. 

Seite 
§.  11.    Vollständige  Differentialgleichung  von  Q  für  einen  aus  Flüssig- 
keit und  Dampf  bestehenden  Körper 161 

§.  12.    Veränderung  des  dampfförmigen  Theiles  der  Masse  .;....  163 

§.  13.     Beziehung  zwischen  Volumen  und  Temperatur 165 

§.  14.    Bestimmung  der  Arbeit  als  Function  der  Tem^Deratur 166 

Absclinitt  VII. 

Sehmelzproeess  und  Verdampfung  fester  Körper 168 

§.  1.     Hauptgleichungen  für  den  Sehmelzproeess 168 

§.  2.     Beziehung  zwischen  Druck  und  Schmelztemperatur 172 

§.  3.     Experimentelle  Bestätigung  des  vorstehenden  Resultates  ....  173 
§.  4.    Experimentelle   Untersuchung   mit    Substanzen ,    die    sich    beim 

Schmelzen  ausdehnen 175 

§.  5.  Abhängigkeit  der  Werkwärme  des  Schmelzens  von  der  Schmelz- 
temperatur    177 

§.  6.    Uebergang  aus  dem  festen  in  den  luftförmigen  Zustand    ....  178 

Absclmitt  VIII. 

Behandlung  homogener  Körper 181 

§.    1.     Zustandsänderungen   ohne  Veränderung   des  Aggregatzustandes  181 

§,    2.     Genauere  Bezeichnung  der  Differentialcoefficienten    ......  182 

§.    3.     Beziehungen  zwischen   den  Differentialcoefficienten  von  Druck, 

Volumen  und  Temperatur 183 

§.    4.     Vollständige  Differentialgleichungen  für  Q 185 

§.    5.     Specifische  Wärme  bei  constantem  Volumen  und  bei  constantem 

Drucke - 187 

§.    6.     Specifische  Wärmen  unter  anderen  Umständen 191 

§.    7.     Isentroj)ische  Aenderungen  eines  Körpers 194 

§.    8.     Specielle  Form  der  Hauptgleichungen  für  einen  gedehnten  Stab  196 

§.    9.     Temperaturäuderung  bei  der  Verlängerung  des  Stabes     ....  198 

§.  10.     Weitere  Folgerungen  aus  den  obigen  Gleichungen 200 

Abschnitt  IX. 

Bestimmung  der  Energie  und  Entropie 203 

§.  1.     Allgemeine  Gleichungen 203 

§.  2.  Differentialgleichungen  für  den  Fall,  wo  nur  umkehrbare  Ver- 
änderungen vorkommen,  und  der  Zustand  des  Körpers  durch 

zwei  unabhängige  Veränderliche  bestimmt  wird 205 

§.  3.  Einführung  der  Temperatur  als  eine  der  unabhängigen  Veränder- 
lichen    208 

§.  4.     Specialisirung  der  Differentialgleichungen  durch  Annahme  eines 

gleichmässigen  Oberflächendruckes  als  einzige  äussere  Kraft  .  210 


Inhalt.  XIII 

Seite 

§.  5.    Anwendung  der  vorigen  Gleichungen  auf  homogene  Körper  und 

speciell  auf  vollkommene  Gase 212 

§.  6.     Anwendung  der  Gleichungen  auf  einen  Körper,  welcher  sich  in 

zwei  verschiedenen  Aggregatzuständen  befindet 214 

§.  7.    Verhalten  der  Grössen  Dxy  und  /Ixy 217 

Absclinitt  X. 

Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sind 220 

§.  1.     Vervollständigung  der  mathematischen  Ausdrücke   des   zweiten 

Hauptsatzes 220 

§.  2.     Grösse  der  uncompensirten  Verwandlung 222 

§.  3.    Ausdehnung  eines  Gases  ohne  äussere  Arbeit 223 

§.  4.    Ausdehnung  eines  Gases  mit  unvollständiger  Arbeit 226 

§.  5.     Versuchsmethode  von  Thomson  und  Joule 228 

§.  6.     Ableitung  der  auf  den  Fall  bezüglichen  Gleichungen 230 

§.  7.    Ergebnisse    der   Versuche    und    daraus    abgeleitete    Elasticitäts- 

gleichung-  der  Gase 233 

§.  8.    Verhalten  des  Dampfes  bei  der  Ausdehnung  unter  verschiede- 
nen Umständen 237 


Absclmitt   XI. 

Anwendung  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  die  Dampf- 
maschine   245 

§.    1.     Nothweudigkeit  einer  neuen  Behandlung  der  Dampfmaschine  .  245 

§.    2.     Gang  der  Dampfmaschine 246 

§.    3.    Vereinfachende  Bedingungen  ....-• 248 

§.    4.     Bestimmung  der  während  eines  Hubes  gethanen  Arbeit  ....  250 

§.    5.     Specielle  Formen  des  vorigen  Ausdruckes 252 

§.    6.    Unvollkommenheiten  in  der  Ausführung  der  Dampfmaschinen  .  252 
§.    7.    Pambour's  Formeln  für  die  Beziehung  zwischen  Volumen  und 

Druck 254 

§.   8.     Bestimmung  der  Arbeit  während  eines  Hubes  nach   Pambour  256 

§.    9.    Arbeit  für  die  Gewichtseinheit  Dampf  nach  Pambour    ....  259 
§.  10.    Veränderung  des  Damj)fes  beim  Einströmen  aus  dem  Kessel  in 

den  Cylinder 260 

§.11.     Abweichung  der   gewonnenen   Resultate   von   den    Pambour'- 

schen  Annahmen 263 

§.  12.     Bestimmung   der  Arbeit  während   eines   Hubes    unter   Berück- 
sichtigung der  erwähnten  Unvollkommenheiten 265 

§.  13.    Dampfdruck  im  Cylinder  während  der  verschiedenen  Stadien  des 

Ganges  und  darauf  bezügliche  Vereinfachungen  der  Gleichungen  267 
§.  14.     Einführung  gewisser  Volumina  statt  der  entsprechenden  Tem- 
peraturen      269 


XIY  Inhalt. 

Seite 

§.  15.     Arbeit  für  die  Gewiditseinheit  Dampf 271 

§.  16.    Behandlung  der  Gleichungen 272 

§.  17.    Berechnung  des  Differentialcoefficienten  -r^  =.  g  und  des  Pro- 

ductes  T.  g .  273 

§.  18.    Einführung  anderer  Druck-  und  Wärmemaasse 276 

§.  19.     Bestimmung  der  Temperaturen  T,  im^l  T^  . 277 

§.  20.     Bestimmung  der  Grössen  c  und  r 279 

§.  21.     Specielle  Form  der  Gleicliungen  (32)  für  eine  Maschine   ohne 

Expansion 281 

§.  22.     Angenommene  numerische  Werthe  .  ' 282 

§.  23.     Kleinstmöglicher  Werth  von  V  und  dazugehörige  Arbeit  .    .    .  283 

§.  24.     Berechnung  der  Arbeit  für  andere  Werthe  von  V 284 

§.  25.     Arbeit  einer   Maschine  mit   Expansion   für    einen  bestimmten 

Werth  von  F 286 

§.  26.     Zusammenstellung  verschiedener  Fälle  in  Bezug  auf  den  Gang 

der  Maschine 288 

§.  27.     Zurückführung  der  Arbeit  auf  eine  von  der  Wärmequelle  ge- 
lieferte Wärmeeinheit ,    .    .  290 

§.  28.     Berücksichtigung  der  Keibung 291 

§.  29.     Allgemeine  Betrachtung  der  Vorgänge  in   thermodynamischen 

Maschinen  und  Zurückführung  derselben  auf  Kreisprocesse    .  293 
§.  30.     Gleichungen  für  die   durch   einen   beliebigen  Kreisprocess   ge- 
leistete Arbeit 296 

§.  31.     Anwendung    der   vorigen    Gleichungen    auf   den    Grenzfall,    in 
welchem  der  in  der  Dampfmaschine  stattfindende  Kreisprocess 

umkehrbar  ist 298 

§.  32.     Andere  Form  des  letzten  Ausdruckes 300 

§.  33.     Berücksichtigung  der  Temperatur  der  Wärmequelle 302 

§.  34.    Beispiel  von  der  Anwendung  des  Subtractionsverfahrens     .    .    .  306 
Tabelle,   enthaltend  die   für   den  Wasserdampf  geltenden  Werthe   des 

Druckes  p,    seines   Differentialcoefficienten  -j-  ^=.  g  und  des 

Productes  T .  g  in  Millimetern  Quecksilber  ausgedrückt    .    .    .    309 


Absclmitt  XII. 

Die    Concentration   von   Wärme-    und    Liehtstralilen   und   die 

Grenzen  ihrer  Wirkung 315 

§.  1.     Gegenstand  der  Untersuchung 315 

I.    Grund,   weshalb  die  bisherige   Bestimmung   der 
gegenseitigen  Zustrahlung  zweier  Flächen  für 

den  vorliegenden  Fall  nicht   ausreicht 317 

§.  2.    Beschränkung  der  Betrachtung  auf  vollkommen  schwarze  Körper 

und  auf  homogene  und  unpolarisirte  Wärmestrahlen 317 

§.  3.     Kirchhoff'sche  Formel  für  die  gegenseitige  Zustrahlung  zweier 

Flächenelemente 318 


luhalt.  XV 

Seite 
§.    4.     Unbestimmtheit  der  Formel  für  den  Fall   der  Strahlenconcen- 

tration 321 

IL  Bestimmung  zusammengehöriger  Punkte  und  zu- 
sammengehöriger   Flächenelemente    in    drei    von 

den   Strahlen   durchschnittenen  Ebenen 322 

§.    5.     Gleichungen  zwischen  den  Coordinaten  der  Punkte ,  in  welchen 

ein  Strahl  drei  gegebene  Ebenen  schneidet 322 

§.    6.     Verhältnisse  zwischen  zusammengehörigen  Flächenelementen    .    32G 
§.    7.     Verschiedene  aus  sechs  Grössen  gebildete  Brüche  zur  Darstellung 

derselben  Verhältnisse 330 

III.  B estimmung  der  gegenseitigen  Zustrahlung 
für  den  Fall,  dass  keine  Concentration  der 
Strahlen  stattfindet 331 

§.  8.  Grösse  des  zu  dsc  gehörenden  Flächenelementes 'rfst  bei  beson- 
derer Lage  der  Ebene  b 331 

§.    9.     Ausdrücke   der  Wärmemengen,   welche  die  Elemente  dsa  und 

dse  einander  zustrahlen 333 

§.  10.     Abhängigkeit  der  Ausstrahlung  von  dem  umgebenden  Medium    335 

IV.  Bestimmung  der  gegenseitigen  Zustrahlung 
zweier  Flächenelemente  für  den  Fall,  dass  das 
eine  Flächenelement  das  ojitische  Bild  des  an- 
deren ist 338 

§.  11.     Verhalten  der  Grössen  B,  D,  F  und  E 338 

§.  12.    Anwendung  der  Grössen  A  und  C  zur  Bestimmung  der  Grösseu- 

verhältnisse  der  Flächenelemente 340 

§.13.    Verhältniss  der  Wärmemengen,  welche  die  Elemente  dsa  und 

dsc  einander  zustrahlen 341 

V.  Beziehung  zwischen   der  Vergrösserung  und  dem 
Verhältnisse   der  beiden   Kegelöffnuugeu   eines 

Elementarstrahlenbüschels 343 

§.  14.     Aufstellung  der  betreffenden  Proportionen 343 

VI.  Allgemeine  Bestimmung  der  gegenseitigen  Zu- 
strahlung zwischen  Flächen,  in  denen  beliebige 

Concentrationen  vorkommen   können 346 

§.  15.    Allgemeiner  Begriff  der  Strahlenconcentration 346 

§.  16.     Gegenseitige    Zustrahlung    eines    Flächenelemeutes    und    einer 

endlichen  Fläche  durch  ein  Element  einer  Zwischenfläche   .    .    348 

§.17.     Gegenseitige  Zustrahlung. ganzer  Flächen.   •. 351 

§.  18.     Berücksichtigung  verschiedener  Nebenumstände 352 

§.  19.     Zusammenstellung  der  Resultate 354 

Aljscliiiitt  XIII. 

Discussionen  über  die  vorstehend  entwickelte  Form  der  meeha- 

nlschen  Wärmetheorie  und  ihre  Begründung 355 

§.  1.     Verschiedene   Ansichten   über   die    Beziehung    zwischen  Wärme 

und  mechanischer  Arbeit 355 


XVI  Inhalt. 

Seite 

Abhandlungen  von  Thomson  und  mir 356 

Abhandlung    von    Rankine    und    spätere     Abhandlung    von 

Thomson 358 

Verschiedene  Veranlassungen  zu  Einwendungen .  361 

Zeuner's   erste  Behandlung  des  Gegenstandes 363 

Zeuner's  spätere  Behandlung  des  Gegenstandes 365 

Rankine's  Behandlung  des  Gegenstandes 367 

Einwand  von  Hirn '  .    .  371 

Einwand  von  Tait 377 

Einwand  von  F.  Kohlrausch ; 379 

Anderer  Einwand  von  Tait 383 

Ansichten  über  die  entsprechenden  Temperaturen  der  Dämpfe 

und  das  Molecularvolumen 386 

§.  13.     Ueber  das  Bekanntwerden  der  Schriften  Robert  Mayer's    .    .  394 


§. 

2. 

§. 

3. 

§■ 

4. 

§• 

5. 

§. 

6. 

§. 

7. 

§• 

8. 

§• 

9. 

§• 

10. 

§■ 

11. 

§• 

12. 

MATHEMATISCHE  EINLEITUNG. 


Ueber  die  mechanische  Arbeit  und  die  Energie  und  über 
die  Behandlung  nicht  integrabler  Differential- 
gleichungen. 

§.  1.    Begriff  und  Maass  der  mechanischen  Arbeit, 

Jede  Kraft  sucht  den  Körper,  auf  welchen  sie  wirkt,  in  Be- 
wegung zu  setzen;  sie  kann  aber  daran  durch  andere,  ihr  ent- 
gegenwirkende Kräfte  verhindert  werden,  so  dass  ein  Gleichgewicht 
stattfindet  und  der  Körper  in  Ruhe  bleibt.  In  diesem  Falle 
leistet  die  Kraft  keine  Arbeit.  Sobald  aber  der  Körper  sich 
unter  ihrem  Einfluss  bewegt,  findet  eine  Arbeitsleistung  statt. 

Um  für  die  Bestimmung  der  Arbeit  einen  möglichst  einfachen 
Fall  zu  haben,  möge  zunächst  statt  eines  ausgedehnten  Körpers 
ein  blosser  materieller  Punkt  angenommen  werden,  auf  welchen 
die  Kraft  wirkt.  Wenn  dieser  Punkt,  welchen  wir  ^  nennen 
wollen,  sich  in  derselben  Richtung  bewegt,  in  welcher  die  Kraft 
ihn  zu  bewegen  sucht,  so  drückt  das  Product  aus  Weg  und  Kraft 
die  mechanische  Arbeit  aus,  welche  die  Kraft  bei  der  Bewegung 
leistet.  Wenn  dagegen  die  Bewegungsrichtung  des  Punktes  eine 
beliebige  ist,  welche  von  der  Kraftrichtung  verschieden  sein  kann, 
so  stellt  das  Product  aus  dem  Wege  und  der  in  die  Richtung  des 
Weges  fällenden  Comjponente  der  Kraft  die  von  der  Kraft  geleistete 
Arbeit  dar. 

Die  in  dieser  Definition  vorkommende  Kraftcomponente  kann 
positiv  oder  negativ   sein,  je   nachdem  sie   in  der  betreff'enden 

Clausius,  mechan.  Wäruietheorie.    I.  i 


2  Mathematische  Einleitung. 

Geraden,  in  welcher  die  Bewegung  stattfindet,  nach  derselben 
Seite  fällt,  nach  welcher  die  Bewegung  geht,  oder  nach  der  ent- 
gegengesetzten Seite.  Im  ersteren  Falle  wird  auch  die  Arbeit 
als  positiv  und  im  letzteren  als  negativ  angesehen.  Will  man 
diesen  Unterschied  lieber  durch  das  Verbum  ausdrücken,  was  bei 
manchen  Auseinandersetzungen  bequem  ist,  so  kann  man,  nach 
einem  bei  einer  früheren  Grelegenheit  von  mir  gemachten  Vor- 
schlage, sagen,  im  ersteren  Falle  leiste  oder  thue  die  Kraft  eine 
Arbeit,  im  letzteren  Falle  erleide  sie  eine  Arbeit. 

Aus  dem  Vorigen  ist  ersichtlich,  dass  die  Grösse  der  Arbeit 
durch  Zahlen  dargestellt  wird,  deren  Einheit  diejenige  Arbeit  ist, 
welche  eine  Kraft  von  der  Stärke  Eins  auf  dem  Wege  Eins  leistet. 
Um  nun  hieraus  ein  leicht  anwendbares  Maass  zu  erhalten,  müs- 
sen wir  eine  für  das  Verständniss  und  die  Messung  bequeme  Kraft 
als  Normalkraft  anwenden.  Als  solche  pflegt  man  die  Schwer- 
kraft zu  wählen. 

Die  Schwere  wirkt  auf  ein  gegebenes  Gewicht  als  eine  ab- 
wärts gerichtete  Kraft,  welche  bei  nicht  zu  langen  Strecken  als 
constant  anzusehen  ist.  Wollen  wir  nun  durch  irgend  eine  uns 
zu  Gebote  stehende  Kraft  das  Gewicht  in  die  Höhe  heben,  so 
haben  wir  dabei  die  Schwerkraft  zu  überwinden,  und  diese  bildet 
daher  das  Maass  für  die  Kraft,  welche  wir  beim  langsamen  Heben 
anzuwenden  haben. 

Demgemäss  bezeichnet  man  als  Arbeitseinheit  diejenige  Arbeit, 
welche  geleistet  werden  muss,  um  eine  Gewichtseinheit  um  eine 
Längeneinheit  zu  heben.  Welche  Gewichtseinheit  und  welche 
Längeneinheit  man  dabei  in  Anwendung  bringen  will,  ist  natür- 
lich gleichgültig ;  indessen  pflegt  man  in  der  praktischen  Mechanik 
das  Kilogramm  als  Gewichtseinheit  und  das  Meter  als  Längen- 
einheit zu  wählen,  und  dann  die  Arbeitseinheit  mit  dem  Worte 
Kilogrammeter  zu  bezeichnen. 

Hieraus  ist  zunächst  ersichtlich,  dass  zur  Hebung  von  a  Kilo- 
gramm auf  die  Höhe  von  b  Meter  eine  Arbeit  von  ab  Kilogram- 
meter nöthig  ist,  und  auch  andere  Arbeitsgrössen ,  bei  welchen 
die  Schwerkraft  nicht  direct  ins  Spiel  kommt,  kann  man  durch 
Vergieichung  der  angewandten  Kraft  mit  der  Schwerkraft  in 
Kilogrammetern  ausdrücken. 


Mechanische  Arbeit  und  dai'anf  bezügliche  Gleichungen. 


§.  2.    Mathematische  Bestimmung   der  Arbeit  bei  ver- 
änderlicher Kraftcomponente. 

In  den  vorigen  Erklärungen  der  Arbeit  wurde  stillschweigend 
angenommen,  dass  die  wirksame  Kraftcomponente  auf  der  ganzen 
Länge  des  betrachteten  Weges  einen  bestimmten  Werth  habe.  In 
der  Wirklichkeit  ist  dieses  aber  bei  einem  Wege  von  endlicher 
Länge  der  Regel  nach  nicht  der  Fall.  Einerseits  braucht  die 
Kraft  an  verschiedenen  Stellen  des  Raumes  nicht  gleich  zu  sein, 
und  andererseits  würde,  wenn  die  Kraft  auch  in  dem  ganzen  be- 
trachteten Räume  an  Grösse  und  Richtung  gleich  wäre,  bei  einem 
Wege,  der  nicht  geradlinig,  sondern  gekrümmt  ist,  wegen  dieses 
letzteren  Grundes  die  in  die  Richtung  des  Weges  fallende  Compo- 
nente  der  Kraft  veränderlich  sein.  Demnach  lässt  sich  das  Ver- 
fahren, die  Arbeit  durch  ein  einfaches  Product  auszudrücken, 
nur  für  ein  unendlich  kleines  Wegstück,  oder  ein  Wegelement 
anwenden. 

Sei  ds  ein  Wegelement  und  S  die  in  -die  Richtung  desselben 
fallende  Componente  der  auf  den  Punkt  ]j  wirkenden  Kraft,  so 
erhalten  wir  zur  Bestimmung  der  bei  der  unendlich  kleinen  Be- 
wegung gethanen  Arbeit,  welche  durch  d  W  bezeichnet  werden 
möge,  die  Gleichung: 

(1)  dW=Sds. 

Bezeichnen  wir  die  ganze  auf  den  Punkt  wirkende  Kraft  mit 
P,  und  den  Winkel,  welchen  die  Richtung  dieser  Kraft  an  der 
Stelle,  wo  sich  das  Wegelement  befindet,  mit  der  Bewegungs- 
richtung bildet,  mit  gj,  so  ist: 

S  =  P  cos  q), 
und  demnach  können  wir  schreiben: 

(2)  dW=Pcos(pds. 

Für  die  Rechnung  ist  es  bequem,  nach  Einführung  eines 
rechtwinkeligen  Coordinatensystems  die  Projectionen  des  W^eg- 
elementes  auf  die  Coordinatenrichtungen  und  die  in  die  Coordinaten- 
richtungen  fallenden  Componenten  der  Kraft  in  Anwendung  zu 
bringen. 

Der  Einfachheit  wegen,  und  um  Gelegenheit  zu  gewissen  für 
das  Nachfolgende  nöthigen  Betrachtungen  zu  finden,   wollen   -^iv 

1* 


4  Mathematische  Einleitung. 

vorläufig  annehmen,  die  Bewegung,  um  welche  es  sich  handelt, 
finde  in  einer  Ebene  statt,  indem  sowohl  die  ursprüngliche  Be- 
wegungsrichtung, als  auch  die  Kraftrichtungen  in  dieser  Ebene 
gelegen  seien.  Dann  wollen  wir  auch  ein  in  dieser  Ebene  gelege- 
nes rechtwinkeliges  Coordinatensystem  einführen,  und  die  Coordi- 
naten  des  beweglichen  Punktes  ^  zu  einer  gewissen  Zeit  mit  x 
und  ij  bezeichnen.  Wenn  dann  der  Punkt  von  dieser  Lage  aus 
sich  in  der  Ebene  um  ein  unendlich  kleines  Stück  ds  bewegt, 
so  sind  die  Projectionen  dieser  Bewegung  dx  und  dy^  und  sie 
werden  als  positiv  oder  negativ  gerechnet,  je  nachdem  die  Coordi- 
naten  durch  die  kleine  Bewegung  zu-  oder  abnehmen.  Ferner 
mögen  die  in  die  Coordinatenrichtungen  fallenden  Componenten 
der  Kraft  P  mit  X  und   Y  bezeichnet  werden. 

Wenn  nun  die  Kraft  P  mit  den  Coordinatenrichtungen  Win- 
kel bildet,  deren  Cosinus  a  und  &  sind,  so  hat  man: 

X=aT;     Y=bP. 
Wenn  ferner  das  Wegelement  ds  mit  den  Coordinatenrichtungen 
Winkel  bildet,  deren  Cosinus  a  und  ß  sind,  so  hat  man: 

dx  =  c/.ds;    dy  ^  ßds. 
Durch  Multiplication  dieser  Gleichungen  zu  je  zweien  und  Addi- 
tion der  Producte  erhält  man: 

Xdx  +  Ydy  =  (aa  -{- b ß)  Pds. 
Nun  ist  aber  aus  der  analjiiischen  Geometrie  bekannt,    dass  die 
in  Klammern  stehende  Summe  den  Cosinus  des  Winkels  zwischen 
der  Kraftrichtung  und  der  Richtung  des  Wegelementes  darstellt, 
also: 

aa  -\-  hß  =  cosq). 
Wir  erhalten  somit: 

Xdx  -\-  Ydy  =  cos  cp .  Pds, 
und  demnach  unter  Berücksichtigung  der  Gleichung  (2): 
(3)  dW=  Xdx-{-  Ydy. 

Um  nun  aus  dieser  für  eine  unendlich  kleine  Bewegung  gel- 
tenden Gleichung  die  bei  einer  endlichen  Bewegung  geleistete 
Arbeit  abzuleiten,  müssen  wir  die  Gleichung  integriren. 

§.  3.    Integration  des  Differentials  der  Arbeit. 

Bei  der  Integration  einer  Difierentialgleichung  von  der  unter 
(3)  gegebenen  Form,  in  welcher,  unter  der  Voraussetzung,  dass  die 


Mechanische  Arbeit  und  darauf  bezügliche  Gleichungen.  5 

Kraft  zwar  an  verschiedenen  Stellen  des  Raumes  verschieden,  im 
Uebrigen  aber  unveränderlich  ist,  X  und  Y  Functionen  von  x 
und  y  sind,  und  welche  daher  auch  so  geschrieben  werden  kann: 
(3  a)  dW=cp(x,y)dx-\-t  (x,  y)  dy, 

kommt  ein  Unterschied  zur  Sprache,  welcher  nicht  bloss  für  den 
vorliegenden  Fall,  sondern  auch  für  die  später  vorkommenden 
Gleichungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  von  grosser  Wichtig- 
keit ist,  und  wir  wollen  ihn  daher  hier  gleich  etwas  vollständiger 
besprechen,  um  später  einfach  auf  diese  Besprechung  verweisen 
zu  können. 

Je  nach  der  Beschaffenheit  der  Functionen,  mit  welchen  die 
Differentiale  dx  und  dy  multiplicirt  sind,  zerfallen  die  Differen- 
tialgleichungen der  obigen  Form  in  zwei  Classen,  welche  sowohl 
in  Bezug  auf  die  Behandlung,  die  sie  erfordern,  als  auch  in  Be- 
zug auf  das  Resultat,  zu  dem  sie  führen ,  wesentlich  verschieden 
sind.  Zur  ersten  Classe  gehören  die  Fälle,  wo  die  Functionen 
folgende  Bedingungsgleichung  erfüllen : 

(4)  dX^dY 
^^  dy         dx' 

und  die  zweite  Classe  umfasst  alle  Fälle,  wo  die  Functionen  diese 
Bedingungsgleichung  nicht  erfüllen. 

Wenn  die  Bedingungsgleichung  (4)  erfüllt  ist,  so  ist  der  Aus- 
druck, welcher  die  rechte  Seite  der  gegebenen  Differentialglei- 
chung (3)  resp.  (3a)  bildet,  integrabel,  d.  h.  er  ist  das  voll- 
ständige Differential  einer  Function  von  x  und  y,  in  welcher 
diese  beiden  Veränderlichen  als  von  einander  unabhängig  be- 
trachtet werden  können,  und  man  erhält  daher  durch  Integration 
eine  Gleichung  von  der  Form : 

(5)  W  =  F(x,  y)  +  Const. 

Ist  die  Bedingungsgleichung  (4)  nicht  erfüllt,  so  ist  die  rechte 
Seite  der  gegebenen  Differentialgleichung  nicht  integrabel,  und 
daraus  folgt,  dass  W  sich  nicht  durch  eine  Function  von  x  und  y 
darstellen  lässt,  so  lange  diese  beiden  Veränderlichen  als  von  ein- 
ander unabhängig  betrachtet  werden.  Denn  in  der  That,  wenn  man 
setzen  wollte: 

W=F{x,y\ 
so  würde  man  erhalten: 

X  =  ^  =  '^F(.x,y) 

dx  dx 

Y  =  ^W  ^dF{x,y) 
dy  dy      ' 


6  Mathematische  Einleitung. 

und  daraus  würde  folgen: 

dy  dxdy 

dT  _d-^F{x,y) 

dx  dydx 

Da  nun  für  eine  Function  von  zwei  von  einander  unabhängigen 
Veränderlichen  der  Satz  gilt,  dass,  wenn  man  sie  nach  beiden 
Veränderlichen  differentiirt ,  die  Ordnung  der  Differentiationen 
gleichgültig  ist,  und  man  daher  setzen  kann: 

d^F(x,y)  ^d^F(x,y) 
dxdy  dydx    ' 

so  würde  man  aus  den  beiden  vorigen  Gleichungen  wieder  zur 
Gleichung  (4)  gelangen,  von  welcher  wir  in  unserem  gegenwärti- 
gen Falle  angenommen  haben,  dass  sie  nicht  erfüllt  sei. 

In  einem  solchen  Falle  ist  also  die  Integration  in  der  Weise, 
dass  die  Grössen  x  und  y  dabei  ihre  Eigenschaft  als  von  ein- 
ander unabhängige  Veränderliche  beibehalten,  nicht  möglich. 
Wenn  man  dagegen  zwischen  diesen  beiden  Grössen  irgend  eine 
bestimmte  Relation  annimmt,  in  Folge  deren  die  eine  sich  als 
Function  der  anderen  darstellen  lässt,  so  wird  dadurch  die  In- 
tegration der  gegebenen  Differentialgleichung  ausführbar.  Setzen 
wir  nämlich : 

(6)  f(x,y)  =  0, 

worin  /  eine  beliebige  Function  andeutet,  so  können  wir-  mittelst 
dieser  Gleichung  eine  der  Veränderlichen  durch  die  andere  aus- 
drücken und  dann  die  so  ausgedrückte  Veränderliche  nebst  ihrem 
Differentiale  aus  der  Differentialgleichung  (3  a)  eliminiren.  Die 
allgemeine  Form,  in  welcher  die  Gleichung  (6)  gegeben  ist,  um- 
fasst  natürlich  auch  den  speciellen  Fall,  wo  eine  der  Veränder- 
lichen für  sich  allein  als  constant  angenommen  wird,  in  welchem 
Falle  das  Differential  dieser  Veränderlichen  dadurch,  dass  es 
Null  wird,  ohne  Weiteres  aus  der  Differentialgleichung  fortfällt, 
und  die  Veränderliche  selbst  einfach  durch  die  betreffende  Con- 
stante  zu  ersetzen  ist.  Nehmen  wir  nun  z.  B.  an,  es  sei  die 
Veränderliche  y  nebst  ihrem  Differentiale  mit  Hülfe  der  Gleichung 
(6)  aus  der  Differentialgleichung  (3  a)  eliminirt,  und  die  letztere 
dadurch  in  folgende  einfachere  Gestalt  gebracht: 

dW  ■=  0{x)dx^ 


Mechanische  Arbeit  und  darauf  bezi'igliche  Gleichungen.  7 

SO  lässt  sich  die  so  veränderte  Differentialgleichung  offenbar 
integriren,  und  giebt  eine  Gleichung  von  der  Form: 

(7)  W  =  F{x)  +  Const. 

Demnach  sind  die  beiden  Gleichungen  (6)  und  (!)  zusammen 
als  eine  Auflösung  der  gegebenen  Differentialgleichung  zu  be- 
trachten. Da  die  in  (6)  vorkommende  Function  f{x^  y)  eine  be- 
liebige ist,  und  für  jede  veränderte  Form  dieser  Function  auch 
die  in  (7)  vorkommende  Function  F{x)  im  Allgemeinen  eine 
andere  wird,  so  sieht  man,  dass  es  unendlich  viele  Auflösungen 
dieser  Art  giebt. 

In  Bezug  auf  die  Form  der  Gleichung  (7)  ist  noch  zu  l)e- 
merken,  dass  dieselbe  verschiedene  Abänderungen  zulässt.  Hätte 
man  mittelst  der  Gleichung  (6)  x  durch  y  ausgedrückt,  und  dann 
die  Veränderliche  x  nebst  ihrem  Differentiale  aus  der  gegebenen 
Differentialgleichung  eliminirt,   so  wäre  deren  Gestalt  geworden: 

dW=  0i(y)dy, 

und  man  hätte  daraus  durch  Integration  eine  Gleichung  von  der 

Form: 

(7  a)  W  =  F^(y)  +  Const. 

erhalten.  Zu  eben  dieser  Gleichung  kann  man  auch  dadurch 
gelangen,  dass  man  in  der  durch  das  zuerst  angedeutete  Verfah- 
ren gewonnenen  Gleichung  (7)  nachträglich  mit  Hülfe  der  Glei- 
chung (6)  für  die  Veränderliche  x  die  Veränderliche  y  einführt. 
Auch  könnte  man,  statt  x  vollständig  aus  (7)  zu  eliminiren,  eine 
theilweise  Elimination  von  x  vornehmen.  Wenn  nämlich  die  Func- 
tion F(x)  die  Veränderliche  x  mehrmals  in  verschiedenen  Ver- 
bindungen enthält  (was  man,  selbst  wenn  es  in  der  ursprünglichen 
Form  der  Function  nicht  der  Fall  sein  sollte,  leicht  durch  eine 
abgeänderte  Schreibweise  bewirken  kann,  indem  man  für  x  z,  B, 

j-n  + 1\ 

schreiben  kann:  (1  —  a)  x  -\-  ax  oder  — ~  ),  so  kann  man  an 

gewissen   Stellen  y  für  x  einführen,  und  an   anderen  x  stehen 

lassen.    Dadurch  nimmt  die  Gleichung  folgende  Form  an: 

(7  b)  W=  F^  {x,  y)  +  Const., 

welche  Form   die  allgemeinere  ist,  und  die  beiden   anderen  als 

specielle  Fälle  umfasst. 

Es  versteht  sich  aber  von  selbst,  dass  diese  drei  Gleichun- 
gen (7),  (7a)  und  (7  b),   deren  jede  nur   mit   der  Gleichung  (G) 


8  Mathematische  Einleitung. 

zusammen  gültig  ist,  nicht  verschiedene  Auflösungen,  sondern 
nur  verschiedene  Ausdrücke  einer  und  derselben  Auflösung  bilden. 

Man  kann,  um  die  Integration  der  Differentialgleichung  (3) 
zu  ermöglichen,  statt  der  Gleichung  (6)  auch  eine  Gleichung  von 
weniger  einfacher  Form  annehmen,  welche  ausser  den  beiden 
Veränderlichen  x  und  y  noch  W  enthält,  und  selbst  auch  eine 
Differentialgleichung  sein  kann ;  indessen  für  unsere  Zwecke  ge- 
nügt die  einfachere  Form,  und  indem  wir  uns  auf  diese  beschrän- 
ken, wollen  wir  die  Kesultate  der  Betrachtungen  dieses  Para- 
graphen noch  einmal  kurz  zusammenfassen. 

Wenn  die  unter  (4)  gegebene  Bedingungsgleicliung  der  un- 
mittelbaren Integrabilität  erfüllt  ist,  so  erhält  man  ohne  Weiteres 
als  Integral  eine  Gleichung  von  der  Form: 

(A)  W=  F(x,y)-]-  Const 

Wenn  dagegen  jene  Bedingungsgleichung  nicht  erfüllt  ist^  so  muss 
man  erst  eine  Melation  zwischen  den  Veränderlichen  annehmen, 
um  die  Integration  ausführen  zu  Icönnen,  und  erhält  daher  ein 
System  von  ßivei  Gleichungen  folgender  Art : 

^^  1  T^=F(a;,^)-f  Const., 

worin  die  Form  der  Function  F,  ausser  von  der  Differentialglei- 
chung, auch  von  der  Form  der  willkürlich  angenommenen  Func- 
tion f  abhängig  ist. 


§.  4.    Geometrische  Bedeutung   der  vorstehenden  Resul- 
tate und  Bemerkung  über   die  Differentialcoefficienten. 

Der  wesentliche  Unterschied  der  auf  die  beiden  Fälle  bezüg- 
lichen Resultate  wird  besonders  durch  eine  geometrische  Betrach- 
tung anschaulich,  wobei  wir  der  Einfachheit  wegen  die  in  (A) 
vorkommende  Function  F(x,y)  als  eine  solche  voraussetzen  wol- 
len, die  für  jeden  Punkt  der  Ebene  nur  einen  Werth  hat. 

Es  möge  angenommen  werden,  es  sei  für  die  Bewegung 
unseres  Punktes  p  der  Anfangs-  und  Endpunkt  im  Voraus  ge- 
geben und  durch  die  Coordinaten  Xo,yo  und  Xiyi  bestimmt.  Dann 
können  wir  im  ersteren  Falle  die  Arbeit,  welche  bei  dieser  Be- 
wegung von   der  wirksamen  Kraft  gethan   wird,   sofort  angeben, 


Mechanische  Arbeit  und  darauf  bezügliche  Gleichungen.  9 

ohne  dass  wir  dazu  den  Verlauf  der  Bewegung  selbst  zu  kennen 
brauchen.  Diese  Arbeit  wird  nämlich  gemäss  (A)  ausgedrückt 
durch  die  Differenz: 

F(xuyi)  —  F(xo,yo)- 

Während  also  der  bewegliche  Punkt  auf  sehr  verschiedenen 
Wegen  von  der  einen  Stelle  zur  anderen  gelangen  kann,  ist  die 
Grösse  der  Arbeit,  welche  die  Kraft  dabei  thut,  davon  ganz  un- 
abhängig, und  ist  vollständig  bestimmt,  sobald  der  Anfangs-  und 
Endpunkt  der  Bewegung  gegeben  sind. 

Anders  im  zweiten  Falle.  In  dem  auf  diesen  Fall  bezüg- 
lichen Systeme  von  zwei  Gleichungen  (B)  ist  die  erste  Gleichung 
als  die  Gleichung  einer  Curve  zu  betrachten,  und  man  kann  daher 
das  eben  Gesagte  geometrisch  folgendermaassen  aussprechen:  die 
Arbeit,  welche  die  wirksame  Kraft  bei  der  Bewegung  des  Punktes 
p  thut,  lässt  sich  in  diesem  Falle  erst  dann  bestimmen,  wenn  der 
ganze  Verlauf  der  Curve,  auf  welcher  der  Punkt  sich  bewegt, 
bekannt  ist.  Wenn  der  Anfangs-  und  Endpunkt  der  Bewegung 
im  Voraus  gegeben  sind,  so  muss  jene  erste  Gleichung  so  gewählt 
werden,  dass  die  ihr  entsprechende  Curve  durch  diese  beiden 
Punkte  geht;  dabei  sind  aber  noch  unendlich  viele  Gestalten  der 
Curve  möglich,  für  welche  man,  trotz  ihrer  gleichen  Grenzpunkte, 
unendlich  viele  verschiedene  Arbeitsgrössen  erhält. 

Nimmt  man  speciell  an,  der  Punkt  p  solle  eine  geschlossene 
Curve  beschreiben,  so  dass  der  Endpunkt  seiner  Bewegung  mit 
dem  Anfangspunkte  zusammenfalle,  und  somit  die  Coordinaten 
Xi,yi  dieselben  Werthe  haben,  wie  ^0  5?/o?  so  ist  für  diese  Bewe- 
gung im  ersten  Falle  die  Arbeit  gleich  Null;  im  zweiten  Falle 
dagegen  braucht  sie  nicht  gleich  Null  zu  sein,  sondern  kann 
irgend  einen  positiven  oder  negativen  Werth  haben. 

Durch  den  hier  behandelten  Fall  wird  es  auch  recht  klar, 
wie  eine  Grösse,  welche  sich  nicht  durch  eine  Function  von  x 
und  y  (so  lange  diese  letzteren  als  von  einander  unabhängige 
Veränderliche  betrachtet  werden)  darstellen  lässt,  doch  partielle 
Differentialcoefficienten  nach  x  und  y  haben  kann,  die  durch  be- 
stimmte Functionen  dieser  Veränderlichen  ausgedrückt  werden. 
Wenn  nämlich  angenommen  wird,  dass  x  um  dx  wachse,  wäh- 
rend y  unverändert  bleibe,  so  ist  damit  der  Weg,  auf  welchem 
die  betreffende  unendlich  kleine  Bewegung  stattfindet,  festgestellt 
und  demgemäss  die  auf  diesem  Wege  gethane  Arbeit  vollkommen 


10  Mathematische  Einleitung. 

bestimmt.  Bezeichnet  man  diese  Arbeit,  wie  es  den  Definitionen 
der  Differentialrechnung  entspricht,  durch 

dW 
dx 

so   ist   der    hierin    vorkommende    partielle    Differentialcoefficient 

dW 

— —  eine  vollkommen  bestimmte  Grösse.     Ebenso  verhält  es  sich 

in  dem  Falle,  wo  y  um  dy  wächst,  während  x  unverändert  bleibt, 
und  wo  die  Arbeit  durch 

dy     *^ 

dW 
dargestellt  wird,  mit  dem  partiellen  Differentialcoefficienten  — — 

Da  nun  die  in  diesen  beiden  Fällen  geleisteten  unendlich  klei- 
nen Arbeitsgrössen  sich  auch  durch  die  Producte  Xdx  und  Ydy 
darstellen  lassen,  so  erhält  man  dadurch  die  Gleichungen: 

dW 


(8) 


dx 


._dW 
-dy' 

deren  Gültigkeit  ganz  unabhängig  davon  ist,  ob  W  eine  solche 
Grösse  ist,  die  sich  allgemein  durch  eine  Function  von  x  und  y 
darstellen  lässt,  oder  eine  solche  Grösse,  die  sich  erst  dann  be- 
stimmen lässt,  wenn  der  Weg,  welchen  der  Punkt  beschreibt,  be- 
kannt ist. 

Infolge  dessen  kann  man  die  Bedingungsgleichung  (4),  deren 
Erfüllung  oder  Nichterfüllung  den  besprochenen  Unterschied  in 
der  Behandlung  der  Differentialgleichung  und  in  den  Resultaten 
zur  Folge  hat,  auch  so  schreiben: 

^  ^  dy \dxj       dx \dyj' 

oder  man  kann  sagen :  der  in  Bezug  auf  die  Grösse  W  zur  Sprache 

gekommene  Unterschied  hängt  davon  ab,  ob  die  Differenz 

_d_  /dW\ d_  /dW\ 

d  y  \dx )        dx\dyj 
Null  ist,  oder  einen  angebbaren  Werth  hat. 


Mechanische  Arbeit  und  darauf  bezügliche  Gleichungen.  11 


§.  5.    Ausdehnung  des  Vorigen  auf  drei  Dimensionen. 

Wenn  der  betrachtete  Punkt  p  in  seiner  Bewegung  nicht 
auf  eine  Ebene  beschränkt  ist,  sondern  sich  frei  im  Räume  be- 
wegen kann,  so  erhält  man  für  das  Arbeitselement  einen  Aus- 
druck, welcher  dem  in  (3)  gegebenen  sehr  ähnlich  ist.  Seien  a, 
b,  c  die  Cosinus  der  Winkel,  welche  die  auf  den  Punkt  wirkende 
Kraft  P  mit  den  drei  Richtungen  eines  rechtwinkeligen  Coordinaten- 
systems  bildet,  so  werden  die  Componenten  X,  Y,  Z  dieser  Kraft 
bestimmt  durch  die  Gleichungen: 

X=aF;     Y=iP-     Z=cP. 
Seien  ferner  a,  ß,   y  die  Cosinus  der  Winkel,   welche   das  Weg- 
element ds  mit  den  Coordinatenrichtungen  bildet,  so  werden  die 
drei  Projectionen  dx,    dy  und  d^i    des   Wegelementes    auf    die 
Coordinatenaxen  bestimmt  durch  die  Gleichungen: 

dx  =  ads\     dy  =  ßds;     dz  =  yds. 
Daraus  folgt : 

Xdx  4-  Ydy  -f-  Zdz  =  (acc  -\-  hß  -\-  cy)Pds. 
Nun  ist  aber,  wenn  (p  den  Winkel  zwischen  P  und  ds  bedeutet: 

aa  -{-  bß  ~\-  cy  =  coscp, 
und  somit  kommt: 

Xdx  -f-  Ydy  -\-  Zds  =  coscp  .Pds. 
Aus  der  Verbindung  dieser  Gleichung  mit  (2)  ergiebt  sich: 
(10)  dW=  Xdx^  Ydy  ^  Zd0. 

Dieses  ist  die  Differentialgleichung  zur  Bestimmung  der  Arbeit. 
Die  hierin  vorkommenden  Grössen  X,  Y,  Z  sind  ganz  beliebige 
Functionen  der  Coordinaten  x,y,2;  denn,  welches  auch  die  Werthe 
dieser  drei  Componenten  an  verschiedenen  Stellen  des  Raumes 
sein  mögen,  immer  lässt  sich  daraus  eine  Kraft  P  zusammensetzen. 
Bei  der  Behandlung  dieser  Gleichung  sind  zunächst  folgende 
drei  Bedingungsgleichungen  zu  betrachten: 

an  ^  =  iJ.  ^"_M.  8j?_8X 

^     ^  dy~dx'    dz~dy'    dx~ds' 

und  es  kommt  darauf  an,  ob  die  Functionen  X,  F,  Z  diesen  drei 

Bedingungsgleichungen  genügen  oder  nicht. 

Wenn  die  drei  Bedingungsgleichungen  erfüllt  sind,  so  ist  der 
Ausdruck   an  der  rechten  Seite   von  (10)   das  vollständige  Diffe- 


12  Mathematische  Eiuleitung. 

rential  einer  Function  von  x^  ?/,  ^,  worin  diese  drei  Veränderlichen 
als  von   einander   unabhängig  betrachtet  werden  können.     Man 
kann  daher  die  Integration  ohne  Weiteres  ausführen,  und  erhält 
dadurch  eine  Gleichung  von  der  Form: 
(12)  W=  F{x,  y,  z)  +  Const. 

Denken  wir  uns  nun,  dass  der  bewegliche  Punkt  p  sich  von  irgend 
einem  gegebenen  Anfangspunkte  Xq^  yo,  ^o  bis  zu  einem  gegebe- 
nen Endpunkte  Xi,  «/i,  ^i  bewegen  soll,  so  wird  die  dabei  von  der 
Kraft  gethane  Arbeit  dargestellt  durch  die  Differenz: 

F{x^,yi,3i)  —  F{xo,yQ,So). 
Die  Arbeit  ist  also,  wenn  wir  wieder  F(x,y,^)  als  eine  solche 
Function  voraussetzen,  die  für  jeden  Punkt  des  Kaumes  nur 
Einen  Werth  hat,  durch  den  Anfangs-  und  Endpunkt  der  Bewe- 
gung vollständig  bestimmt,  und  daraus  folgt,  dass,  wenn  der  be- 
wegliche Punkt  sich  auf  verschiedenen  Wegen  von  dem  ersten 
dieser  beiden  Punkte  zum  zweiten  bewegt,  die  dabei  von  der 
Kraft  gethane  Arbeit  immer  dieselbe  ist. 

Wenn  die  drei  Bedingungsgleichungen  (11)  nicht  erfüllt  sind, 
so  lässt  sich  die  Integration  in  der  vorigen  Allgemeinheit  nicht 
ausführen.  Sobald  aber  der  Weg,  auf  dem  die  Bewegung  statt- 
findet, bekannt  ist,  so  wird  dadurch  die  Integration  möglich. 
Wenn  in  diesem  Falle  zwei  Punkte  als  Anfangs-  und  Endpunkt 
der  Bewegung  gegeben  sind,  und  man  sich  zwischen  diesen  Punk- 
ten verschiedene  Curven  gezogen  denkt,  in  welchen  der  Punkt  jp 
sich  bewegen  soll,  so  erhält  man  für  jeden  dieser  Wege  einen 
bestimmten  Werth  der  Arbeit,  aber  die  den  verschiedenen  Wegen 
entsprechenden  Arbeits werthe  brauchen  nicht,  wie  im  vorigen  Falle, 
unter  einander  gleich  zu  sein,  sondern  sind  im  Allgemeinen  ver- 
schieden. 

§.  6.    Das  Ergal. 

In  solchen  Fällen,  wo  die  Arbeit  sich  einfach  durch  eine 
Function  der  Coordinaten  darstellen  lässt,  spielt  diese  Function 
bei  den  Rechnungen  eine  wichtige  Rolle.  Hamilton  hat  ihr 
daher  einen  besonderen  Namen,  force  function ,  gegeben ,  welcher 
im  Deutschen  als  Kraftfundion  oder  Kräftefundion  gebräuchlich 
geworden  ist,  und  welcher  sich  auch  auf  den  allgemeineren  Fall 
anwenden  lässt,  wo  statt  Eines  beweglichen  Punktes  eine  beliebige 
Anzahl  solcher  Punkte  gegeben   und  die  Bedingung  erfüllt  ist, 


Mechanische  Arbeit  und  daraiaf  bezügliche  Gleichungen.  13 

dass  die  Arbeit  nur  von  den  Lagen  der  Punkte  abhängt.  Bei  der 
neueren,  erweiterten  Auffassung  der  Bedeutung  der  durch  diese 
Function  dargestellten  Grösse  hat  es  sich  als  zweckmässig  her- 
ausgestellt, lieber  für  den  negativen  Werth  der  Function,  oder, 
anders  gesagt,  für  diejenige  Grösse,  deren  Abnahme  die  geleistete 
Arbeit  darstellt,  einen  besonderen  Namen  einzuführen,  und  Ran- 
kine hat  dafür  den  Namen  ]^otentielle  Energie  vorgeschlagen. 
Dieser  Name  drückt  zwar  die  Bedeutung  der  Grösse  sehr  trefiend 
aus,  ist  aber  etwas  lang,  und  ich  habe  mir  daher  erlaubt,  den 
Namen  Ergal  für  dieselbe  in  Vorschlag  zu  bringen. 

Unter  den  Fällen,  in  welchen  die  auf  einen  Punkt  wirkende 
Kraft  ein  Ergal  hat,  ist  besonders  der  hervorzuheben,  -wo  die 
Kraft  von  Anziehungen  oder  Abstossungen  herrührt,  welche  der 
bewegliche  Punkt  von  festen  Punkten  erleidet,  und  deren  Stärke 
nur  von  der  Entfernung  abhängt,  oder,  mit  anderen  Worten,  wo 
die  Kraft  sich  in  Centralkräfte  zerlegen  lässt. 

Nehmen  wir  zunächst  nur  Einen  festen  Punkt  n  mit  den 
Coordinaten  |,  -j^,  ^  als  wirksam  an,  und  bezeichnen  seine  Ent- 
fernung von  dem  beweglichen  Punkte  j)  mit  p,  so  dass  zu  setzen  ist 

(13)  Q  =  V(^-^)2-f  (^-^)2-f  (g_^2), 

und  stellen  wir  die  Kraft,  welche  tc  auf  ^  ausübt,  durch  q^' {q) 
dar,  wobei  ein  positiver  Werth  der  Function  Anziehung  und  ein 
negativer  Abstossung  bedeuten  soll,  so  erhalten  wir  für  die 
Componenten  der  Kraft  die  Ausdrücke: 

^=9^'(?)^;    Y=9^'(?)^^    Z=cp'{^)^-^- 

{j  (j  y 

Da  ferner  aus  (13)  folgt: 

dg  I  —  X 

dx  Q      ' 

so  kommt: 

und  entsprechend  für  die  beiden  anderen  Coordinatenrichtungen. 
Führen  wir  nun  die  Function  (p  {q)  ein  mit  der  Bedeutung: 

(14)  Cp(Q)=J(p'{Q)dQ, 

so  lässt  sich  die  vorige  Gleichung  so  schreiben: 

dq)(Q)  d  Q  8  9  (4>) 


(15)  X  =  - 


dQ     d  X  dx 


14  Mathematische  Einleitung. 

und  ebenso  erhalten  wir: 

(15a)  r=_»4.W;    2=-^- 

Hieraus  folgt  weiter: 

Da  nun  in  dem  unter  (13)  gegebenen  Ausdrucke  von  q  nur  die 
Grössen  x^y^s  veränderlich  sind,  und  daher  auch  (p  (9)  als  eine 
Function  dieser  drei  Grössen  zu  betrachten  ist,  so  bildet  die  in 
der  eckigen  Klammer  stehende  Summe  ein  vollständiges  Diffe- 
rential, und  wir  können  somit  schreiben: 

(16)  Xdx  +  Ydy  -|-  Zds  =  —  d(p{Q). 

Das  Arbeitselement  wird  also  durch  das  negative  Differential  von 
qp  {q)  dargestellt ,  woraus  folgt ,  dass  (p  (q)  für  diesen  Fall  das 
Ergal  ist. 

Es  möge  nun  weiter  statt  Eines  festen  Punktes  eine  beliebige 
Anzahl  von  festen  Punkten  7t,  tCi^  7t^ . . .  gegeben  sein,  welche  sich 
vom  Punkte  p  in  den  Entfernungen  Qi  Qi,  Q^.--  befinden,  und  auf 
ihn  mit  Kräften  wirken,  die  durch  (p'{q),  95/ (^i),  9?2'(^2)"'  «^^'i'- 
gestellt  werden.  Dann  bilden  wir  aus  diesen  Functionen  durch 
Integration,  wie  es  in  Gleichung  (14)  angedeutet  ist,  die  Functio- 
nen q)(Q),  (pi(Qi),  952(92)'..,  mit  Hülfe  deren  wir,  entsprechend 
der  Gleichung  (15),  setzen  können: 

■^_  _  8y(g)  _  8  (pi  (91)  _  d  9^2  (Q2) 

dx  dx  dx 

=-—^  [9'((>)  +  <Pi{Qi)  -j-  9^2  (^2)  H J, 

oder  unter  Anwendung  des  Summenzeichens: 

(17)  ^=-e^S9>(9), 

und  ebenso  für  die  anderen  Coordinatenrichtungen : 

Daraus  folgt  dann  weiter: 

(18)  Xdx^  Ydy -^  Zd^  =  — d^(p(Q), 

und  die  Summe  ^  qp  (p)  ist  somit  das  Ergal. 


Meclianisolie  Arbeit  und  tlaranf  beziigliclie  Gleichungen.  15 


§.  7.    Erweiterung  des  Vorigen. 

Im  Vorigen  wurde  nur  ein  einzelner  beweglicher  Punkt  be- 
trachtet; wir  wollen  nun  aber  die  Betrachtung  dahin  erweitern, 
dass  wir  ein  System  von  beliebig  vielen  beweglichen  Punkten  an- 
nehmen, welche  theils  von  Aussen  her  Kräfte  erleiden,  theils 
unter  einander  Kräfte  ausüben. 

Wenn  dieses  ganze  System  von  Punkten  eine  unendlich  kleine 
Bewegung  macht,  so  wird  von  den  auf  einen  einzelnen  Punkt 
wirkenden  Kräften,  die  wir  uns  in  Eine  Kraft  zusammengesetzt 
denken  können,  eine  Arbeit  geleistet,  welche  durch  den  Ausdruck 

Xdx-{-  Ydy  +  Zds 
dargestellt  wird,  woraus  folgt,  dass  die  von  allen  in  dem  Systeme 
wirkenden  Kräften  geleistete  Gesammtarbeit  durch  einen  Ausdruck 
von  der  Form 

'^{Xdx-{-  Ydy-^Zdz) 

dargestellt  wird,  worin  die  Summe  sich  auf  alle  beweglichen 
Punkte  bezieht.  Auch  dieser  complicirtere  Ausdruck  kann  unter 
Umständen  die  entsprechende  Eigenschaft  haben,  wie  jener  ein- 
fachere, dass  er  das  vollständige  Differential  einer  Function  der 
Coordinaten  aller  beweglichen  Punkte  ist,  in  welchem  Falle  wir 
den  negativen  Werth  dieser  Function  das  Ergal  des  ganzen  Systems 
nennen.  Daraus  folgt  dann  weiter,  dass  bei  einer  endlichen  Be- 
wegung die  Gesammtarbeit  einfach  gleich  der  Differenz  zwischen 
dem  Anfangs-  und  Endwerthe  des  Ergais  ist,  und  daher  (unter 
der  Voraussetzung,  dass  die  betreffende  Function,  welche  das 
Ergal  darstellt,  für  jede  Lage  der  Punkte  nur  einen  Werth  hat), 
durch  die  Anfangs-  und  Endlage  der  Punkte  vollständig  bestimmt 
ist,  ohne  dass  man  die  Wege,  auf  welchen  sie  aus  der  einen 
Lage  in  die  andere  gelangt  sind,  zu  kennen  braucht. 

Dieser  Fall,  welcher  begreiflicherweise  eine  grosse  Erleichte- 
rung für  die  Bestimmung  der  Arbeit  darbietet,  tritt  z.  B.  ein, 
wenn  alle  in  dem  Systeme  wirkenden  Kräfte  Centralkräfte  sind, 
welche  die  beweglichen  Punkte  entweder  von  festen  Punkten  er- 
leiden oder  unter  einander  ausüben. 

Was  die  von  festen  Punkten  ausgehenden  Centralkräfte  an- 
betrifi't,  so  haben  wir  für  einen  einzelnen  beweglichen  Punkt  den 
Beweis  schon  geführt,  und  dieser  Beweis  ist  auch  für  die  Bewe- 


16  Mathematische  Einleitung. 

gung  des  ganzen  Systemes  von  Punkten  ausreichend,  da  die  bei 
der  Bewegung  mehrerer  Punkte  geleistete  Arbeit  einfach  gleich 
der  Summe  der  Arbeitsgrössen  ist,  welche  bei  den  Bewegungen 
der  einzelnen  Punkte  geleistet  werden.  Demnach  können  wir 
den  auf  die  Wirkung  der  festen  Punkte  bezüglichen  Theil  des 

Ergais  ebenso,  wie  früher,  durch  ^^<p  (q)  darstellen,  wenn  wir  nur 

dem  Summenzeichen  die  erweiterte  Bedeutung  beilegen,  dass  es 
nicht  bloss  so  viele  Glieder  umfasst,  als  feste  Punkte  vorhanden 
sind,  sondern  so  viele  Glieder,  als  es  Combinationen  aus  je  einem 
festen  und  einem  beweglichen  Punkte  giebt. 

Was  ferner  die  Kräfte  anbetrifft,  welche  die  beweglichen 
Punkte  unter  einander  ausüben,  so  wollen  wir  zunächst  nur  zwei 
Punkte  p  und  pi  mit  den  Coordinaten  x,  y,  z  und  a?i,  y^^  Zi  be- 
trachten. Indem  wir  den  Abstand  der  beiden  Punkte  r  nennen, 
haben  wir  zu  setzen: 


(19)  r  =  V(^i  -  xy  +  (2/1  —  yy  +  (^1  -  0)\ 

und  die  Kraft,  welche  die  Punkte  auf  einander  ausüben,  wollen 
wir  durch /'(r)  bezeichnen,  wobei  wieder  ein  positiver  Werth  An- 
ziehung und  ein  negativer  Werth  Abstossung  bedeuten  soll.  Dann 
sind  die  Componenten  der  Kraft,  welche  der  Punkt  p  durch 
diese  gegenseitige  Wirkung  erleidet: 

/'W^;  /W^;  /'W^^, 

und  die  Componenten  der  entgegengesetzten  Kraft,  welche  der 
Punkt  px  erleidet: 

/W;^;   /'W'^;  firf-^- 

Da  nun  nach  (19)  zu  setzen  ist: 

8r  X]^  —  X ^     dr   x  —  Xi 

dx  r      ^    d  Xi  r      ' 

so  kann  man  die  beiden  in  die  i%;-Richtung  fallenden  Kraftcompo- 

nenten  auch  so  schreiben: 

und  wenn  man  die  Function /(r)  mit  der  Bedeutung: 

(20)  f{r)=ff{r)dr 
einführt,  so  gehen  die  vorigen  Ausdrücke  über  in: 


Meclianiaclie  Arbeit  und  darauf  bezügliche  Gleichungen.  17 

8/(^).         8/(0 

Ebenso  erhält  man  für  die  ?/- Richtung  die  Componenten : 

df(r),         df(r) 
dy    '  d'iji   ' 

und  für  die  ^-Richtung  die  Componenten: 

8/(r).        8/(r) 

8^    '  8-^1 

Wenn  wir  nun  von  der  Arbeit,  welche  bei  der  unendlich 
kleinen  Bewegung  der  beiden  Punkte  gethan  wird,  nur  den  Theil 
bestimmen  wollen,  welcher  sich  auf  die  beiden  aus  ihrer  gegen- 
seitigen Einwirkung  entstehenden  entgegengesetzten  Kräfte  be- 
zieht, so  wird  dieser  durch  folgenden  Ausdruck  dargestellt: 

Da  nun  r  nur  von  den  sechs  Grössen  x^  y,  0,  Xi^  2/1  >  ^1  abhängt, 
und  daher  auch  f{r)  als  Function  dieser  sechs  Grössen  anzusehen 
ist,  so  ist  die  in  der  eckigen  Klammer  stehende  Summe  ein  voll- 
ständiges Differential,  und  die  zu  bestimmende,  auf  die  gegen- 
seitige Einwirkung  der  beiden  Punkte  bezügliche  Arbeit  wird  da- 
her einfach  durch 

-  df{r) 
dargestellt. 

In  derselben  Weise  lässt  sich  für  jedes  Paar  von  zwei  Punk- 
ten die  auf  ihre  gegenseitige  Einwirkung  bezügliche  Arbeit  aus- 
drücken, und  die  Gesammtarbeit  aller  Kräfte,  welche  die  Punkte 
unter  einander  ausüben,  hat  daher  folgende  algebraische  Summe: 

-df{r)  -  df,{r,)  -  df,{r,) • 

als  Ausdruck,  wofür  man  schreiben  kann: 

-ä[f{r)  -f-/i(rO+/2(^2)  + ] 

oder  unter  Anwendung  des  Summenzeichens: 

-  ^S/w, 

worin  die  Summe  so  viele  Glieder  umfassen  soll,  wie  Combina- 
tionen  der  beweglichen  Punkte  zu  je  zweien  vorkommen.  Diese 
Summe  ^/(»")  ist  daher  der  auf  die  gegenseitigen  Einwirkungen 
aller  beweglichen  Punkte  bezügliche  Theil  des  Ergais. 

Clausius,   mechau.  Wärmetheorie.     I.  O 


18  Mathematische  Einleitung. 

Fassen  wir  nun  endlich  beide  Arten  von  Kräften  zusammen, 
so  erhalten  wir  für  die  gesammte  Arbeit,  welche  bei  der  unend- 
lich kleinen  Bewegung  des  Systemes  von  Punkten  geleistet  wird, 
die  Gleichung: 
(21)  ^{Xdx  -h  Ydy  H-  Zd^)  =  -  d^q>{Q)  -  d^f(r) 

woraus  folgt,  dass  die  Grösse 

das  Ergal  sämmtlicher  in  dem  System  wirkender  Kräfte  ist. 

Die  der  vorstehenden  Entwickelung  zu  Grunde  liegende  An- 
nahme, dass  nur  Centralkräfte  wirken,  bildet  freilich  unter  allen 
mathematisch  möglichen  Annahmen  über  die  Kräfte  nur  einen 
sehr  speciellen  Fall,  aber  dieser  Fall  ist  insofern  von  besonderer 
Wichtigkeit,  als  wahrscheinlich  alle  in  der  Natur  vorkommenden 
von  der  Bewegung  unabhängigen  Kräfte  sich  in  Centralkräfte 
zerlegen  lassen. 


§.  8.  Beziehung  zwischen  Arbeit  und  lebendiger  Kraft. 

Im  Vorigen  wurden  nur  die  Kräfte,  welche  auf  die  Punkte 
wirken,  und  die  Lagenänderungen  der  Punkte  betrachtet;  die 
Massen  der  Punkte  aber  und  ihre  Geschwindigkeiten  blieben  un- 
berücksichtigt.    Wir  wollen  nun  auch   diese  in  Betracht  ziehen. 

Für  einen  frei  beweglichen  Punkt  von  der  Masse  m  gelten 
bekanntlich  folgende  Bewegungsgleichungen: 

Indem  wir   diese  Gleichungen  der  Reihe  nach  mit  -^-dt,  -r^dt 

dt        dt 
ds 
und  -j-,dt  multipliciren  und  dann  addiren,  erhalten  wir : 

Die  linke  Seite  dieser  Gleichung  lässt  sich  umformen  in: 

2  Tt  [\Tt)  +  U)  +  {äi)  Y*' 


Mechanische  Arbeit  und  darauf  bezügliche  Gleicliungen.  19 

oder,    wenn   die   Geschwindigkeit  des  Punktes  mit   v   bezeichnet 
wird,  in: 

und  die  Gleichung  lautet  somit: 


dt. 


Ist  statt  Eines  einzelnen  frei  beweglichen  Punktes  ein  gan- 
zes System  von  frei  beweglichen  Punkten  gegeben,  so  gilt  die- 
selbe Gleichung  für  jeden  Punkt,  und  wir  können  durch  Summa- 
tion  sofort  folgende  Gleichung  bilden: 

Die  Grösse    ^^  —v'^  ist  die  ganze  lebendige  Kraft  des  Syste- 

mes  von  Punkten.    Führen  wir  für  diese  ein  vereinfachtes  Zeichen 
ein,  indem  wir  setzen: 

(26)  ^=Sf-^ 

so  lautet  die  Gleichung: 

(27)      ,T=2:(^|f+^^+2|f>*- 

Der  Ausdruck  an  der  rechten  Seite  der  Gleichung  bedeutet 
die  während  der  Zeit  dt  gethane  Arbeit. 

Durch  Integration  dieser  Gleichung  von  irgend  einer  Anfangs- 
zeit to  bis  zur  Zeit  t  erhalten  wir,  wenn  wir  unter  Tq  die  leben- 
dige Kraft  zur  Zeit  ^o  verstehen: 


t 


(28)       T  -  r.  =/2(^  If  +  ^il  +  ^W*- 

Die  Bedeutung  dieser  Gleichung  lässt  sich  in  folgendem  Satze 
aussprechen:  Die  während  irgend  einer  Zeit  in  dem  Systeme  statt- 
findende Zunahme  der  lebendigen  Kraft  ist  gleich  der  während  der- 
selben Zeit  von  den  wirksamen  Kräften  gethanen  Arbeit.  Dabei 
gilt  natürlich  eine  Abnahme  der  lebendigen  Kraft  als  negative 
Zunahme. 

Bei  der  Ableitung  dieses  Satzes  wurde  angenommen,  dass  alle 
Punkte  frei  beweglich  seien.  Es  kann  aber  auch  vorkommen, 
dass    die  Punkte    in  Bezug    auf  ihre  Bewegungen  gewissen   Be- 

2* 


20  Matliematisclie  Einleitung. 

schränkungen  unterworfen  sind.  Die  Punkte  können  unter  ein- 
ander irgendwie  in  Verbindung  stehen,  so  dass  durch  die  Bewe- 
gung Eines  Punktes  auch  die  Bewegungen  anderer  Punkte  theil- 
weise  mit  bestimmt  werden,  oder  es  können  Beschränkungen  von 
Aussen  her  gegeben  sein,  wie  z,  B.,  wenn  einer  der  Punkte  ge- 
zwungen ist,  in  einer  gegebenen  festen  Fläche  oder  in  einer  festen 
Curve  zu  bleiben,  wodurch  dann  natürlich  auch  diejenigen  Punkte, 
welche  etwa  mit  ihm  in  Verbindung  stehen,  in  ihrer  Bewegung 
beschränkt  werden. 

Wenn  diese  beschränkenden  Bedingungen  sich  durch  Gleichun- 
gen ausdrücken  lassen,  welche  nur  die  Coordinaten  der  Punkte 
enthalten,  so  lässt  sich  durch  Betrachtungen,  auf  die  wir  hier 
nicht  näher  eingehen  wollen,  nachweisen,  dass  die  Widerstands- 
kräfte, welche  in  diesen  Bedingungen  implicite  enthalten  sind,  bei 
der  Bewegung  der  Punkte  keine  Arbeit  leisten,  woraus  folgt,  dass 
der  obige  Satz,  welcher  die  Beziehung  zwischen  der  lebendigen 
Kraft  und  der  Arbeit  ausdrückt,  bei  der  beschränkten  Bewegung 
ebenso  gilt,  wie  bei  der  freien. 

Man  pflegt  diesen  Satz  den  Satz  von  der  Aequivdlenz  von 
lebendiger  Kraft  und  Arbeit  zu  nennen, 

§.9.    Die  Energie. 

In  der  Gleichung  (28)  ist  die  in  der  Zeit  von  ^o  ^^^  t  gethane 
Arbeit  durch  folgendes  Integral  ausgedrückt: 

Hierin  ist  die  Zeit  t  als  einzige  unabhängige  Veränderliche  be- 
trachtet, und  die  Coordinaten  der  Punkte  und  die  Kraftcompo- 
nenten  sind  als  Functionen  der  Zeit  angesehen.  Wenn  diese 
Functionen  bekannt  sind,  wozu  erforderlich  ist,  dass  man  den 
ganzen  Verlauf  der  Bewegungen  aller  Punkte  kennt,  so  ist  die 
Integration  immer  ausführbar,  und  die  Arbeit  lässt  sich  somit 
ebenfalls  als  Function  der  Zeit  bestimmen. 

Es  giebt  aber,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  auch  solche 
Fälle,  wo  es  nicht  nöthig  ist,  alle  Grössen  durch  Eine  Veränder- 
liche auszudrücken,  sondern  die  Integration  auch  ausführbar  ist, 
wenn  der  Differentialausdruck  in  der  Form 

^(Xdx  -f-  Ydy  +  Zdz) 


Mechanische  Arbeit  und  darauf  bezügliche  Gleichungen.  21 

geschrieben  wird,  und  darin  die  Coordinaten  als  unabhängige  Ver- 
änderliche betrachtet  werden.  Dazu  muss  der  vorstehende  Aus- 
druck das  vollständige  Differential  einer  Function  der  Coordinaten 
sein,  oder,  mit  anderen  Worten,  die  in  dem  Systeme  wirkenden 
Kräfte  müssen  ein  Ergal  haben.  Wir  wollen  das  Ergal,  welches 
der  negative  Werth  jener  Function  ist,  jetzt  mit  einem  einfachen 
Buchstaben  bezeichnen.  Dazu  wählt  man  in  der  Mechanik  gewöhn- 
lich den  Buchstaben  C7;  da  es  aber  in  der  mechanischen  Wärme- 
theorie Brauch  geworden  ist,  diesen  Buchstaben  für  eine  andere 
Grösse,  von  der  gleich  weiter  unten  die  Rede  sein  wird,  anzuwen- 
den, so  wollen  wir  das  Ergal  mit  J  bezeichnen.  Dann  ist  zu  setzen : 

(29)  ^{Xdx-\-  Ycly  +  Zcl^)  =  —  dj, 

und  daher,   wenn  Jq  den  Werth  des  Ergais  zur  Zeit  U,  darstellt: 

t 

(30)  f^iXdx  -f  Ydij  -f  Zd2)  =  Jo  -  J, 

to 

wodurch  ausgedrückt  wird,  dass  die  Arbeit  gleich  der  Abnahme 
des  Ergais  ist. 

Setzen  wir  die  Differenz  Jq  —  J  für  das  in  der  Gleichung 
(28)  befindliche  Integral  ein,  so  kommt: 

T  —  Tq  =  Jq  —  J, 
oder  umgeschrieben: 

(31)  ^  T+J^=To-f-Jo. 

Hieraus  ergiebt  sich  folgender  Satz;  die  Summe  aus  lebendiger 
Kraft  und  Ergal  bleibt  während  der  Bewegung  constant. 

Die  Summe  aus  lebendiger  Kraft  und  Ergal,  welche  wir  mit 
einem  einfachen  Buchstaben  bezeichnen  wollen,  indem  wir  setzen: 

(32)  U=T^J, 

wird  die  Energie  des  Systemes  genannt,  so  dass  wir  den  Satz 
auch  kürzer  so  aussprechen  können:  die  Energie  bleibt  während 
der  Bewegung  constant. 

Dieser  Satz,  welcher  in  neuerer  Zeit  eine  viel  allgemeinere 
Anwendung  gefunden  hat  als  früher,  und  gegenwärtig  eine  der 
wichtigsten  Grundlagen  der  ganzen  mathematischen  Physik  bil- 
det, ist  bekannt  unter  dem  Namen  des  Satzes  von  der  Erhaltung 
der  Energie. 


ABSCHNITT  I. 


Erster    Hauptsatz    der    mechanischen   Wärmetheorie 

0  d  e  1" 

Satz  von  der  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit. 

§.  1.     Ausgangspunkt  der  Theorie. 

Nachdem  in  früherer  Zeit  fast  allgemein  die  Ansicht  gegolten 
hatte,  dass  die  Wärme  ein  besonderer  Stoff  sei,  welcher  in  den 
Körpern  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  vorhanden  sei,  und 
dadurch  ihre  höhere  oder  tiefere  Temperatur  bedinge,  und  welcher 
auch  von  den  Körpern  ausgesandt  werde,  und  dann  den  leeren 
Eaum  und  auch  solche  Räume,  welche  ponderable  Masse  enthalten, 
mit  ungeheurer  Geschwindigkeit  durchfliege,  und  so  die  strahlende 
Wärme  bilde,  hat  sich  in  neuerer  Zeit  die  Ansicht  Bahn  gebrochen, 
dass  die  Wärme  eine  Bewegung  sei.  Dabei  wird  die  in  den  Körpern 
befindliche  Wärme,  welche  die  Temperatur  derselben  bedingt,  als 
eine  Bewegung  der  ponderablen  Atome  betrachtet,  an  welcher  auch 
der  im  Körper  befindliche  Aether  theilnehmen  kann,  und  die 
strahlende  Wärme  wird  als  eine  schwingende  Bewegung  des  Aethers 
angesehen. 

Auf  eine  Auseinandersetzung  der  Thatsachen,  Versuche  und 
Schlussweisen,  durch  welche  man  zu  dieser  veränderten  Ansicht 
geführt  wurde,  will  ich  hier  nicht  eingehen,  weil  dabei  manches 
zur  Sprache  kommen  müsste,  was  besser  erst  im  Verlaufe  des 
Buches  an  den  geeigneten  Stellen  besprochen  wird.  Ich  glaube, 
die  Uebereinstimmung  der  aus  der  neuen  Theorie  abgeleiteten 
Resultate  mit  der  Erfahrung  wird  am  besten  dazu  dienen  können, 
die  Grundlagen  der  Theorie  als  richtig  zu  bestätigen. 


Erster  Hauptsatz.  23 

Wir  wollen  also  bei  unserer  Entwickelung  von  der  Annahme 
ausgehen,  dass  die  Wärme  in  einer  Bewegung  der  kleinsten  Körper- 
und  Aethertheilchen  bestehe,  und  dass  die  Quantität  der  Wärme 
das  Maass  der  lebendigen  Kraft  dieser  Bewegung  sei.  Dabei  wollen 
wir  über  die  Art  der  Bewegung  gar  keine  besondere  Voraussetzung 
machen,  sondern  nur  den  Satz  von  der  Aequivalenz  von  lebendiger 
Kraft  und  Arbeit,  welcher  für  jede  Art  von  Bewegung  gilt,  auf  die 
Wärme  anwenden  und  den  dadurch  entstehenden  Satz  als  ersten 
Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie  hinstellen. 


§.  2.     Positiver    und    negativer   Sinn    der    mechanischen 

Arbeit. 

Im  §,  1  der  Einleitung  wurde  bei  der  Bewegung  eines  Punktes 
die  mechanische  Arbeit  definirt  als  das  Product  aus  dem  Wege  und 
der  in  die  Richtung  des  Weges  fallenden  Componente  der  auf  den 
PunM  wirkenden  Kraft.  Danach  wird  die  Arbeit  positiv,  wenn  die 
Kraftcomponente  in  der  Geraden,  in  welcher  der  Weg  liegt,  nach 
derselben  Seite  fällt,  wie  der  Weg,  und  negativ,  wenn  sie  nach  der 
entgegengesetzten  Seite  fällt.  Bei  dieser  Bestimmung  des  positiven 
Sinnes  der  mechanischen  Arbeit  lautet  der  Satz  von  der  Aequi- 
valenz von  lebendiger  Kraft  und  Arbeit:  die  Zunahme  der  lebendigen 
Kraft  ist  gleich  der  geleisteten  Arbeit,  oder  gleich  der  Zunahme  der 
Arbeit. 

Man  kann  die  Sache  aber  auch  von  einem  anderen  Gesichts- 
punkte aus  betrachten. 

Wenn  ein  materieller  Punkt  eine  Bewegung  angenommen  hat, 
so  kann  er  diese,  wegen  seines  Beharrungsvermögens,  auch  dann  fort- 
setzen, wenn  die  auf  ihn  wirkende  Kraft  eine  der  Bewegung  entgegen- 
gesetzte Richtung  hat,  wobei  freilich  seine  Geschwindigkeit  und 
somit  auch  seine  lebendige  Kraft  allmälig  abnimmt.  Ein  unter  dem 
Einflüsse  der  Schwere  stehender  materieller  Punkt  z.  B.,  wenn  er 
einen  Stoss  nach  Oben  erhalten  hat,  kann  sich  der  Schwere  entgegen 
bewegen,  wobei  die  durch  den  Stoss  erhaltene  Geschwindigkeit  all- 
mälig geringer  wird.  In  einem  solchen  Falle  ist  die  Arbeit,  wenn 
sie  als  eine  von  der  Kraft  gethane  Arbeit  betrachtet  wird,  negativ. 
Man  kann  aber  auch  die  Arbeit  in  der  Weise  betrachten,  dass  man 
in  solchen  Fällen,  wo  durch  die  vorhandene  Bewegung,  vermittelst 
des  Beharrungsvermögens,  eine  Kraft  überwunden  wird,  die  Arbeit 


24  Abschnitt  I. 

als  positiv  rechnet,  dagegen  in  solchen  Fällen,  wo  der  Punkt  der 
Kraft  nachgiebt  nnd  sich  im  Sinne  der  Kraft  bewegt,  die  Arbeit 
als  negativ  rechnet.  Unter  Anwendung  einer  im  §.1  der  Einleitung 
angeführten  Ausdrucksweise,  bei  welcher  der  auf  die  beiden 
entgegengesetzten  Richtungen  der  Kraftcomponente  bezügliche 
Unterschied  durch  das  Verbum  ausgedrückt  wird,  lässt  sich  das 
Vorige  noch  einfacher  so  aussprechen:  man  kann  festsetzen,  dass 
nicht  die  von  einer  Kraft  gethane,  sondern  die  von  einer  Kraft 
erlittene  Arbeit  als  positiv  gerechnet  tverden  soll. 

Bei  dieser  Bestimmungsweise  der  Arbeit  lautet  der  Satz  von  der 
Aequivalenz  von  lebendiger  Kraft  und  Arbeit  folgendermaassen : 
die  Abnahme  der  lebendigen  Kraft  ist  gleich  Zunahme  der  Arbeit 
oder:  die  Summe  aus  lebendiger  Kraft  und  Arbeit  ist  constant. 
Diese  letzte  Form  des  Satzes  ist  für  das  Folgende  sehr  bequem. 

Bei  solchen  Kräften,  welche  ein  Ergal  haben,  wurde  in  §.  6 
der  Einleitung  die  Bedeutung  dieser  Grösse  so  definirt,  dass  gesagt 
werden  konnte :  die  Arbeit  ist  gleich  der  Abnahme  des  Ergais.  Unter 
Anwendung  der  vorher  besprochenen  Bestimmungsweise  der  Arbeit 
muss  statt  dessen  gesagt  werden:  die  Arbeit  ist  gleich  der  Zu- 
nahme des  Ergais,  und  es  kann  daher,  wenn  die  im  Ergal  vor- 
kommende additive  Constante  in  geeigneter  Weise  bestimmt  wird, 
das  Ergal  einfach  als  Ausdruck  der  Arbeit  betrachtet  werden. 


§.  3.    Ausdruck  des  ersten  Hauptsatzes. 

Nachdem  wir  den  positiven  Sinn  der  Arbeit  in  der  vorstehen- 
den Weise  festgesetzt  haben,  können  wir  den  aus  dem  Satze  von 
der  Aequivalenz  von  lebendiger  Kraft  und  Arbeit  abzuleitenden 
ersten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie,  welcher  der 
Sats  von  der  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit  genannt  wird, 
folgendermaassen  aussprechen : 

In  allen  Fällen,  wo  durch  Wärme  Arbeit  entsteht,  wird  eine 
der  erzeugten  Arbeit  proportionale  Wärmemenge  verbraucht,  und 
umgekehrt  kann  durch  Verbrauch  einer  ebenso  grossen  Arbeit  die- 
selbe Wärmemenge  erzeugt  iverden. 

Wenn  Wärme  verbraucht  wird  und  dafür  Arbeit  entsteht,  so 
kann  man  sagen ,  die  Wärme  habe  sich  in  Arbeit  verwandelt ,  und 
umgekehrt,  wenn  Arbeit  verbraucht  wird,  und  dafür  Wärme  ent- 
steht, kann  man  sagen,  es  habe  sich  Arbeit  in  Wärme  verwandelt. 


Erster  Hauptsatz.  25 

Unter  Anwendung  dieser  Ausdrucksweise  nimmt  der  vorige  Satz 
folgende  Form  an: 

Es  lässt  sich  Arbeit  in  Wärme  und  umgeJceJiH  Wärme  in 
Arbeit  verwandeln,  wobei  stets  die  Grösse  der  einen  der  der  anderen 
proportional  ist. 

Dieser  Satz  ist  durch  manche  schon  früher  bekannte  Er- 
scheinungen und  in  neuerer  Zeit  durch  so  viele  und  verschieden- 
artige Versuche  bestätigt,  dass  man  ihn,  auch  abgesehen  von  dem 
Umstände,  dass  er  einen  speciellen  Fall  jenes  mechanischen  Satzes 
bildet,  als  einen  aus  Erfahrungen  und  Beobachtungen  abgeleiteten 
Satz  annehmen  kann. 


§.  4.     Verhältnisszahl  zwischen  Wärme  und  Arbeit. 

Während  der  mechanische  Satz  aussagt,  dass  die  Veränderung 
der  lebendigen  Kraft  und  die  ihr  entsprechende  Arbeit  unter  ein- 
ander gleich  seien,  ist  in  dem  Satze,  welcher  die  Beziehung  zwischen 
Wärme  und  Arbeit  ausdrückt,  nur  von  Proportionalität  die  Rede. 
Das  hat  seinen  Grund  darin,  dass  die  Wärme  nicht  nach  demselben 
Maasse  gemessen  wird,  wie  die  Arbeit.  Die  Arbeit  wird  nach  der 
früher  angeführten  mechanischen  Einheit,  dem  Kilogrammeter, 
gemessen;  für  die  Wärme  dagegen  wird  eine  nur  nach  der  Bequem- 
lichkeit der  Messung  gewählte  Einheit  angewandt,  nämlich  die- 
jenige Wärmemenge,  tvelche  erforderlich  ist,  um  1  Tcg  Wasser  von  0^ 
auf  1^  C.  SU  erwärmen. 

Hiernach  kann  natürlich  zwischen  Wärme  und  Arbeit  nur 
Proportionalität  stattfinden,  und  die  Verhältnisszahl  muss  besonders 
bestimmt  werden. 

Wenn  diese  Verhältnisszahl  so  gewählt  wird,  dass  sie  die  Arbeit 
angiebt,  welche  einer  Wärmeeinheit  entspricht,  so  nennt  man  sie 
das  m,echanische  Aequivalent  der  Wärme;  wird  sie  dagegen  so  ge- 
wählt, dass  sie  die  Wärmemenge  angiebt,  welche  einer  Arbeitsein- 
heit entspricht,  so  nennt  man  sie  das  calorische  Aeqiiivaleut  der 
Arbeit.  Wir  wollen  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme 
mit  E,  und  demgemäss  das  calorische  Aequivalent  der  Arbeit  mit 

i  bezeichnen. 

Die  Bestimmung  der  Verhältnisszahl  ist  auf  verschiedene  Weisen 
ausgeführt.    Theils  hat  man  sie   durch  Schlüsse  aus  schon  vor- 


26  Abschuitt  I. 

handenen  Daten  abzuleiten  gesucht,  was  zuerst  von  Mayer  nach 
richtigen  Principien  in  einer  weiter  unten  zu  erwähnenden  Weise 
geschehen  ist,  wobei  freilich  wegen  der  Unvollkommenheit  der  da- 
mals vorhandenen  Data  das  Resultat  etwas  ungenau  wurde,  theils 
hat  man  sie  durch  besonders  für  diesen  Zweck  angestellte  Experi- 
mente zu  bestimmen  gesucht.  Vorzugsweise  ist  dem  ausgezeichneten 
englischen  Physiker  Joule  das  Verdienst  zuzuschreiben,  mit  gröss- 
ter  Umsicht  und  Sorgfalt  dieses  Verhältniss  festgestellt  zu  haben. 
Einige  seiner  Versuche,  sowie  auch  spätere  von  Anderen  aus- 
geführte Bestimmungen  werden  besser  erst  nach  den  betreffenden 
theoretischen  Entwickelungen  Platz  finden,  und  ich  will  mich  hier 
darauf  beschränken,  diejenigen  der  Joule'schen  Versuche  anzu- 
führen, welche  am  leichtesten  verständlich  und  deren  Eesultate 
zugleich  am  zuverlässigsten  sind. 

Joule  hat  nämlich  die  Wärme,  welche  durch  Reibung  erzeugt 
wird,  unter  verschiedenen  Umständen  gemessen  und  mit  der  zur 
Hervorbringung  der  Reibung  verwandten  Arbeit,  welche  er  durch 
herabsinkende  Gewichte  geschehen  liess,  verglichen.  Diese  Ver- 
suche sind  ihrer  Wichtigkeit  wegen  schon  sehr  häufig  in  ver- 
schiedenen Lehrbüchern  beschrieben  und  neuerlich  sind  auch  die 
Abhandlungen  von  Joule  gesammelt  in  deutscher  Uebersetzung 
von  Spengel  erschienen.  Es  wird  daher  nicht  nöthig  sein,  auch 
hier  eine  Beschreibung  der  Versuche  zu  geben,  sondern  es  wird 
genügen,  die  Resultate  anzuführen,  was  am  besten  nach  der  im 
Jahre  1850  in  den  Phil.  Trans,  veröffentlichten  Abhandlung  ge- 
schehen kann. 

In  einer  ersten,  sehr  ausgedehnten  Versuchsreihe  wurde 
Wasser  mit  Hülfe  eines  gedrehten  Schaufelapparates  in  einem 
Gefässe  gerührt,  welches  so  eingerichtet  war,  dass  nicht  die  ganze 
Wassermasse  in  gleichmässige  Rotation  kommen  konnte,  sondern 
dass  das  Wasser,  nachdem  es  in  Bewegung  gesetzt  war,  immer 
wieder  durch  feststehende  Schirme  in  seiner  Bewegung  gehemmt 
wurde,  wodurch  vielfache  Wirbel  entstehen  mussten,  welche 
eine  bedeutende  Reibung  verursachten.  Das  in  englischen  Maassen 
ausgedrückte  Resultat  ist,  dass  zur  Hervorbringung  der  Wärme- 
menge, welche  ein  englisches  Pfund  Wasser  um  einen  Grad 
Fahrenheit  erwärmen  kann,  eine  Arbeit  von  772,695  engl.  Fuss- 
pfund  gehört. 

In  zwei  anderen  Versuchsreihen  wurde  in  ähnlicher  Weise 
Quecksilber  gerührt,  und  das  Resultat  war  774,083  Fusspfund. 


Erster  Hauptsatz.  27 

Endlich  wurden  in  zwei  Versuchsreihen  Gusseisenstücke  an 
einander  gerieben,  welche  sich  unter  Quecksilber  befanden  und  an 
dieses  die  erzeugte  Wärme  abgaben.  Das  Resultat  war  774,987 
Fusspfund. 

Unter  allen  seinen  Resultaten  betrachtete  Joule  das  beim 
Wasser  gefundene  als  das  genaueste,  und,  indem  er  es  wegen  des 
Tones,  der  beim  Rühren  erzeugt  wurde,  noch  ein  Wenig  reduciren 
zu  dürfen  glaubt,  giebt  er  schliesslich 

772  Fusspfund 
als  den  wahrscheinlichsten  Werth  an. 

Rechnet  man  diese  Zahl  in  die  entsprechende  auf  französische 
Maasse  bezügliche  Zahl  um,  so  erhält  man  das  Resultat,  dass  zur 
Erzeugung  der  Wärmemenge,  welche  ein  Kilogramm  Wasser  um 
einen  Grad  Celsius  erwärmen  Jcann,  eine  Arbeit  von  423,55  Kilo- 
grammeter gehört. 

Diese  Zahl  scheint  unter  den  bisher  bestimmten  das  meiste 
Vertrauen  zu  verdienen,  und  wir  wollen  sie  daher  im  Folgenden 
für  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  anwenden,  und  dem- 
gemäss  setzen: 

(1)  E  =  423,55. 

Bei  den  meisten  Rechnungen  wird  es  unbedenklich  erscheinen, 
statt  der  mit  Decimalstellen  versehenen  Zahl  die  runde  Zahl  424 
anzuwenden. 


§.  5.    Mechanische  Einheit  der  Wärme. 

Seit  der  Satz  von  der  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit 
aufgestellt  ist,  in  Folge  dessen  diese  beiden  sich  gegenseitig  er- 
setzen können,  kommt  man  oft  in  die  Lage,  Grössen  bilden  zu 
müssen,  welche  Wärme  und  Arbeit  als  Summanden  enthalten.  Da 
nun  aber  Wärme  und  Arbeit  nach  verschiedenen  Maassen  gemessen 
werden,  so  kann  man  in  einem  solchen  Falle  nicht  einfach  sagen, 
die  Grösse  sei  die  Summe  der  Wärme  und  der  Arbeit,  sondern 
man  muss  entweder  sagen :  die  Summe  der  Wärme  und  des  Wärme- 
werthes  der  Arbeit,  oder:  die  Summe  der  Arbeit  und  des  Arbeits- 
iverthes  der  Wärme. 

Wegen  dieser  Unbequemlichkeit  hat  Rankine  vorgeschlagen, 
für  die  Wärme  eine  andere  Einheit  einzuführen,  nämlich  diejenige 
Wärmemenge,    welche    der   Arbeitseinheit   entspricht,    auch   als 


28  Absclinitt  I. 

Wärmeeinheit  zu  wählen.  Man  kann  diese  Wärmeeinheit  einfach 
die  mechanische  nennen. 

Der  allgemeinen  Einführung  der  mechanischen  Wärmeeinheit 
wird  wohl  der  Umstand  hinderlich  sein,  dass  die  bisher  gebräuch- 
liche Wärmeeinheit  eine  Grösse  ist,  welche  mit  den  gewöhnlichen 
calorimetrischen  Methoden,  die  meistens  auf  der  Erwärmung  von 
Wasser  beruhen,  innig  zusammenhängt,  so  dass  dabei  nur  geringe, 
auf  sehr  zuverlässige  Messungen  gestützte  Reductionen  nöthig  sind, 
während  die  mechanische  Wärmeeinheit  ausserdem,  dass  sie  die- 
selben Reductionen  verlangt,  noch  das  mechanische  Aequivalent 
der  Wärme  als  bekannt  voraussetzt,  eine  Voraussetzung,  die  nur 
näherungsweise  erfüllt  ist.  Indessen  bei  den  theoretischen  Ent- 
wickelungen  der  mechanischen  Wärmetheorie,  bei  denen  die  Be- 
ziehung zwischen  Arbeit  und  Wärme  besonders  oft  vorkommt, 
gewährt  das  Verfahren,  die  Wärme  in  mechanischen  Einheiten 
auszudrücken,  so  wesentliche  Vereinfachungen,  dass  ich  geglaubt 
habe,  die  Bedenken,  welche  ich  früher  gegen  dieses  Verfahren 
hatte,  bei  der  gegenwärtigen  mehr  zusammenhängenden  Darstellung 
dieser  Theorie  fallen  lassen  zu  dürfen.  Es  soll  daher  im  Folgenden, 
wo  das  Gregentheil  nicht  ausdrücklich  gesagt  wird,  immer  voraus- 
gesetzt werden,  dass  die  Wärme  nach  mechanischen  Einheiten  ge- 
messen sei. 

Bei  dieser  Art  der  Messung  nimmt  der  oben  ausgesprochene 
erste  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie  eine  noch  be- 
stimmtere Form  an,  indem  er  nicht  bloss  aussagt,  dass  die  Wärme 
und  die  ihr  entsprechende  Arbeit  proportional,  sondern  dass  sie 
gleich  seien. 

Will  man  später  eine  nach  mechanischen  Einheiten  gemessene 
Wärmemenge  wieder  in  gewöhnlichen  Wärmeeinheiten  ausdrücken, 
so  braucht  man  dazu  die  auf  die  ersteren  Einheiten  bezügliche 
Zahl  nur  durch  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme,  also 
durch  JE,  zu  dividiren. 


§.  6.     Aufstellung  der  ersten  Hauptgleichung. 

Es  sei  irgend  ein  Körper  gegeben  und  sein  Zustand  in  Bezug  auf 
Temperatur,  Volumen  etc.  als  bekannt  vorausgesetzt.  Wenn  diesem 
Körper  eine  unendlich  kleine  Wärmemenge  d  Q  mitgetheilt  wird,  so 
fragt  es  sich,  welche  Wirkung  sie  ausübt,  und  was  aus  ihr  wird. 


Erster  Hauptsatz.  29 

Sie  kann  einestheils  dazu  dienen,  die  im  Körper  wirklich  vor- 
handene Wärme  zu  vermehren,  anderentheils  kann  sie,  wenn  der 
Körper  in  Folge  der  Wärmeaufnahme  eine  Zustandsänderung 
erleidet,  welche  mit  der  Ueberwindung  von  Kräften  verbunden  ist, 
zu  der  dabei  geschehenden  Arbeit  verbraucht  werden.  Wenn  wir 
die  im  Körper  vorhandene  Wärme  oder,  wie  wir  kürzer  sagen 
wollen ,  den  Wärmeinhalt  des  Körpers  mit  H  und  die  unendlich 
kleine  Zunahme  dieser  Grösse  mit  dH  bezeichnen,  und  für  die 
unendlich  kleine  Arbeit  das  Zeichen  dL  wählen,  so  können  wir 
folgende  Gleichung  bilden: 
(I.)  dQ  =  dH^dL. 

Die  Kräfte,  um  welche  es  sich  bei  der  Arbeitsleistung  handelt, 
lassen  sich"  in  zwei  Classen  theilen,  erstens  diejenigen,  welche  die 
Atome  des  Körpers  unter  einander  ausüben,  und  welche  daher  in 
der  Natur  des  Körpers  selbst  begründet  sind,  und  zweitens  die, 
welche  von  fremden  Einflüssen,  unter  denen  der  Körper  steht,  her- 
rühren. Nach  diesen  beiden  Classen  von  Kräften,  welche  zu  über- 
winden sind,  habe  ich  die  von  der  Wärme  geleistete  Arbeit  in  die 
innere  und  äussere  Arbeit  getheilt.  Bezeichnen  wir  diese  beiden 
Arbeitsgrössen  mit  dJ  und  dW^  so  ist  zu  setzen: 
(2)  dL  =  dJ-\-dW, 

und  die  vorige  Gleichung  geht  dadurch  über  in: 
(IL)  d\Q  =  dH^dJ-\-dW. 


§.  7.    Verschiedenes  Verhalten  der  Grössen  J,  W  und  H. 

Die  innere  und  äussere  Arbeit  stehen  unter  wesentlich  ver- 
schiedenen Gesetzen. 

Was  zunächst  die  innere  Arbeit  anbetrifft,  so  ist  leicht  zu 
übersehen,  dass,  wenn  ein  Körper,  von  irgend  einem  Anfangszu- 
stande ausgehend,  eine  Reihe  von  Veränderungen  durchmacht,  und 
schliesslich  wieder  in  seinen  ursprünglichen  Zustand  zurückkehrt, 
dann  die  dabei  vorkommenden  inneren  Arbeitsgrössen  sich  gerade 
gegenseitig  aufheben  müssen.  Bliebe  nämlich  noch  eine  gewisse 
positive  oder  negative  innere  Arbeit  übrig,  so  müsste  durch  diese 
eine  entgegengesetzte  äussere  Arbeit  oder  eine  Aenderung  der  vor- 
handenen Wärmequantität  bewirkt  sein,  und  da  man  denselben 
Process  beliebig  oft  wiederholen  könnte,   so  würde  man  dadurch 


30  Abschnitt  I. 

je  nach  dem  Vorzeichen  im  einen  Falle  fortwährend  Arbeit  oder 
Wärme  aus  Nichts  schaffen,  und  im  anderen  Falle  fortwährend 
Arbeit  oder  Wärme  verlieren,  ohne  ein  Aequivalent  dafür  zu  er- 
halten, was  wohl  beides  allgemein  als  unmöglich  anerkannt  wer- 
den wird.  Wenn  somit  bei  jeder  Rückkehr  des  Körpers  in  seinen 
Anfangszustand  die  innere  Arbeit  Null  wird,  so  folgt  daraus  weiter, 
dass  bei  einer  beliebigen  Zustandsänderung  des  Körpers  die  innere 
Arbeit  durch  den  Anfangs-  und  Endzustand  vollkommen  bestimmt 
ist,  ohne  dass  man  die  Art  und  Weise,  wie  er  aus  dem  einen  in 
den  anderen  gelangte,  zu  kennen  braucht.  Denkt  man  sich  näm- 
lich, dass  der  Körper  in  verschiedenen  Weisen  aus  dem  einen  in 
den  anderen  Zustand  gebracht  und  immer  in  einer  und  derselben 
Weise  wieder  in  den  ersten  Zustand  zurückgebracht .  werde ,  so 
müssen  bei  den  in  verschiedenen  Weisen  vor  sich  gehenden  ersten 
Aenderungen  innere  Arbeiten  geleistet  werden,  welche  sich  alle 
mit  einer  und  derselben  bei  der  Rückänderung  geleisteten  inneren 
Arbeit  aufheben,  was  nur  möglich  ist,  wenn  sie  unter  einander 
gleich  sind. 

Wir  müssen  demnach  annehmen,  dass  die  inneren  Kräfte  ein 
Ergdl  haben,  welches  eine  Grösse  ist,  die  durch  den  gerade  statt- 
findenden Zustand  des  Körpers  vollständig  bestimmt  wird,  ohne 
dass  man  zu  wissen  braucht,  wie  er  in  diesen  Zustand  gelangt  ist. 
Dann  wdrd  die  innere  Arbeit  durch  die  Zunahme  des  Ergais, 
welches  wir  mit  J  bezeichnen  wollen,  dargestellt,  und  für  eine 
unendlich  kleine  Veränderung  des  Körpers  bildet  das  Differential 
des  Ergais  dJ  den  Ausdruck  der  inneren  Arbeit,  was  mit  der  in 
(2)  und  (II.)  angewandten  Bezeichnung  übereinstimmt. 

Betrachten  wir  nun  die  äussere  Arbeit,  so  finden  wir  bei 
dieser  ein  ganz  anderes  Verhalten,  als  bei  der  inneren.  Sie  kann, 
wenn  der  Anfangs-  und  Endzustand  des  Körpers  gegeben  sind, 
doch  noch  sehr  verschieden  ausfallen. 

Um  dieses  an  einigen  Beispielen  zu  zeigen,  wählen  wir  als 
Körper  zunächst  ein  Gas,  dessen  Zustand  durch  seine  Temperatur 
t  und  sein  Volumen  v  bestimmt  wird,  und  bezeichnen  die  Anfangs- 
werthe  dieser  Grössen  mit  ti.Vi  und  ihre  Endwerthe  mit  t^iV^^ 
wobei  wir  voraussetzen  wollen,  dass  t^^ti  und  v^^Vy.  Wenn 
nun  die  Aenderung  in  der  Weise  vor  sich  geht,  dass  das  Gas  bei 
der  Temperatur  ti  sich  von  dem  Volumen  v^  bis  v^  ausdehnt  und 
dann  bei  dem  Volumen  v^  von  der  Temperatur  ti  bis  t^  erwärmt 
wird,  so  besteht  die  äussere  Arbeit  darin,  dass  bei  der  Ausdehnung 


Erster  Hauptsatj^.  31 

derjenige  äussere  Druck  überwunden  wird,  welcher  der  Tempe- 
ratur ti  entsj)richt.  Wenn  dagegen  die  Aenderung  in  der  Weise 
geschieht,  dass  das  Gas  zuerst  bei  dem  Volumen  Vy  von  der  Tem- 
peratur ti  bis  ^2  erwärmt  wird,  und  dann  bei  der  Temperatur  ^2 
sich  von  dem  Volumen  Vi  bis  V2  ausdehnt,  so  besteht  die  äussere 
Arbeit  darin,  dass  bei  der  Ausdehnung  derjenige  Druck  über- 
wunden wird,  welcher  der  Temperatur  #2  entspricht.  Da  der  letz- 
tere Druck  grösser  ist,  als  der  erstere,  so  wird  im  zweiten  Falle 
eine  grössere  äussere  Arbeit  geleistet,  als  im  ersten.  Nimmt  man 
endlich  an,  dass  Ausdehnung  und  Erwärmung  irgend  wie  in  Ab- 
sätzen wechseln  oder  auch  nach  irgend  einem  Gesetze  gleichzeitig 
stattfinden,  so  erhält  man  immer  andere  Druckkräfte  und  somit 
eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  von  Arbeitsgrössen  bei  demselben 
Anfangs-  und  Endzustande. 

Ein  anderes  einfaches  Beispiel  ist  folgendes.  Es  sei  eine 
Quantität  einer  Flüssigkeit  von  der  Temperatur  t^  gegeben,  welche 
in  gesättigten  Dampf  von  der  höheren  Temperatur  ^2  verwandelt 
werden  soll.  Diese  Umänderung  kann  so  geschehen,  dass  man  die 
Flüssigkeit  zuerst  als  solche  bis  ^2  erwärmt  und  dann  bei  dieser 
Temperatur  verdampfen  lässt,  oder  so,  dass  man  die  Flüssigkeit 
bei  der  Temperatur  ^1  verdampfen  lässt,  und  dann  den  Dampf  bis 
t.2  erwärmt,  und  zugleich  so  zusammendrückt,  dass  er  auch  bei 
der  Temperatur  #2  gesättigt  ist,  oder  endlich  so,  dass  man  die 
Verdampfung  bei  irgend  welchen  mittleren  Temperaturen  statt- 
finden lässt.  Die  äussere  Arbeit,  welche  sich  wieder  auf  die 
Ueberwindung  des  äusseren  Druckes  bei  der  Volumenänderung 
bezieht,  hat  in  allen  diesen  Fällen  verschiedene  Werthe. 

Der  vorstehend  nur  beispielsweise  für  zwei  bestimmte  Körper 
besprochene  Unterschied  in  der  Art  der  Veränderung  lässt  sich 
allgemein  dadurch  ausdrücken,  dass  man  sagt:  der  Körper  kann 
auf  verschiedenen  Wegen  aus  dem  einen  Zustande  in  den  anderen 
übergehen. 

Ausser  diesem  Unterschiede  kann  noch  ein  anderer  vor- 
kommen. 

Wenn  ein  Körper  bei  einer  Zustandsänderung  einen  äusseren 
Widerstand  überwindet,  so  kann  dieser  entweder  so  gross  sein, 
dass  die  volle  Kraft  des  Körpers  nur  gerade  zu  seiner  Ueberwindung 
ausreicht,  oder  er  kann  kleiner  sein.  Als  Beispiel  wollen  wir  wieder 
eine  Quantität  eines  Gases  betrachten,  welches  bei  gegebener 
Temperatur  und  gegebenem  Volumen  eine  gewisse  Expausivkraft 


32  Abschnitt  I. 

besitzt.  Wenn  dieses  Gas  sich  ausdelint,  so  muss  der  äussere 
Gegendruck,  den  es  dabei  zu  überwinden  hat,  zwar,  um  überwunden 
zu  werden,  geringer  sein,  als  die  Expansivkraft  des  Gases,  aber  die 
Differenz  zwischen  beiden  kann  beliebig  klein  sein,  und  als  Grenz- 
fall können  wir  annehmen,  dass  beide  gleich  seien.  Es  können 
aber  auch  solche  Fälle  vorkommen,  wo  jene  Differenz  eine  end- 
liche, mehr  oder  weniger  beträchtliche  Grösse  ist.  Wenn  z.  B. 
das  Gefäss,  in  welchem  das  Gas  sich  zu  Anfang  mit  einer  ge- 
wissen Expansivkraft  befindet,  plötzlich  mit  einem  Raum,  in  wel- 
chem ein  geringerer  Druck  herrscht,  oder  mit  einem  ganz  leeren 
Gefässe  in  Verbindung  gesetzt  wird,  so  überwindet  das  Gas  bei 
seiner  Ausdehnung  eine  geringere  äussere  Gegenkraft,  als  es  über- 
winden könnte,  oder  auch  gar  keine  äussere  Gegenkraft,  und  leistet 
daher  eine  geringere  äussere  Arbeit,  als  es  leisten  könnte,  oder 
auch  gar  keine  äussere  Arbeit. 

Im  ersteren  Falle,  wo  Druck  und  Gegendruck  in  jedem  Augen- 
blicke gleich  sind,  kann  das  Gas  durch  denselben  Druck,  den  es 
bei  der  Ausdehnung  überwunden  hat,  auch  wieder  zusammen- 
gedrückt werden.  Wenn  aber  der  überwundene  Druck  kleiner 
war,  als  die  Expansivkraft,  so  kann  das  Gas  durch  diesen  Druck 
nicht  wieder  zusammengedrückt  werden.  Man  kann  daher  den 
Unterschied  so  aussprechen:  im  ersteren  Falle  findet  die  Aus- 
dehnung in  unikeJirharer  Weise  statt,  und  im  letzteren  in  nicht 
umkehrbarer  Weise. 

Diese  Art  des  Ausdruckes  können  wir  auch  auf  andere  Fälle, 
wo  unter  Ueberwindung  irgend  welcher  Widerstände  Zustands- 
änderungen  vorkommen,  anwenden,  und  können  den  zuletzt 
besprochenen,  die  äussere  Arbeit  beeinflussenden  Unterschied 
allgemein  folgendermaassen  aussprechen.  Bei  einer  bestimmten 
Zustandsänderung  Jcann  die  äussere  Arbeit  verschieden  ausfallen, 
je  nachdem  die  Zustandsänderung  in  umkehrbarer  oder  in  nicht 
umkehrbarer  Weise  stattfindet. 

Neben  den  beiden  auf  die  Arbeit  bezüglichen  Differentialen 
dJxmd  d  TT  kommt  an  der  rechten  Seite  der  Gleichung  (IL)  noch 
ein  drittes  Differential  vor,  nämlich  das  Differential  der  im  Körper 
wirklich  vorhandenen  Wärme  oder  seines  Wärmeinhaltes  if.  Diese 
Grösse  H  hat  offenbar  auch  die  in  Bezug  auf  J  besprochene 
Eigenschaft,  dass  sie  schon  bestimmt  ist,  sobald  der  Zustand  des 
Körpers  gegeben  ist,  ohne  dass  man  die  Art,  wie  er  in  denselben 
gelangt  ist,  zu  kennen  braucht. 


Erster  Hauptsatz.  33 


§.  8.     Die  Energie  des  Körpers. 

Da  die  im  Körper  wirklich  vorhandene  Wärme  und  die  innere 
Arbeit  sich  in  der  letztgenannten  für  die  Behandlung  sehr  wichtigen 
Beziehung  unter  einander  gleich  verhalten,  und  da  wir  ferner, 
wegen  unserer  Unbekanntschaft  mit  den  inneren  Kräften  der 
Körper,  gewöhnlich  nicht  die  einzelnen  Werthe  dieser  beiden 
Grössen,  sondern  nur  ihre  Summe  kennen,  so  habe  ich  schon  in 
meiner  ersten,  1850  erschienenen,  auf  die  Wärme  bezüglichen  Ab- 
handlung i)  diese  beiden  Grössen  unter  Ein  Zeichen  zusammen- 
gefasst.  Dasselbe  wollen  wir  auch  hier  thun,  indem  wir  setzen: 
(3)  U=H-^J, 

wodurch  die  Gleichung  (II.)  übergeht  in: 
(III.)  dQ  =  dU-{-dW. 

Die  bei  jener  Gelegenheit  von  mir  in  die  Wärmelehre  ein- 
geführte Function  U  ist  seitdem  auch  von  anderen  Autoren,  welche 
über  die  mechanische  Wärmetheorie  geschrieben  haben,  adoptirt, 
und  da  die  Definition,  welche  ich  von  ihr  gegeben  hatte 2),  dass 
sie,  wenn  man  von  irgend  einem  Anfangszustande  ausgeht,  die  hin- 
zugekommene wirklich  vorhandene  Wärme  und  die  zu  innerer  Arbeit 
verbrauchte  Wärme  umfasse,  etwas  lang  ist,  so  sind  von  ver- 
schiedenen Seiten  Vorschläge  für  kürzere  Benennungen  gemacht. 

Thomson  hat  die  Function  in  seiner  Abhandlung  von  1851 3) 
the  mecJianical  energy  of  a  hody  in  a  given  State  genannt,  und 
Kirchhoff  4)  hat  für  sie  den  Namen  WirTcmigsfunction  angewandt. 
Ferner  hat  Zeuner  in  seiner  1860  erschienenen  Schrift  „Grund- 
züge der  mechanischen  Wärmetheorie"  die  mit  dem  calorischen 
Aequivalente  der  Arbeit  multiplicirte  Grösse  U  die  innere  Wärme 
des  Körpers  genannt. 

In  Bezug  auf  den  letzten  Namen  habe  ich  schon  im  Jahre 
1864  gelegentlich  bemerkt  s),  dass  er  mir  der  Bedeutung  der  Grösse 
U  nicht  ganz  zu  entsprechen  scheint,  da  nur  ein  Theil  dieser  Grösse 
wirklich  im  Körper  vorhandene  Wärme  darstellt,  während  der  übrige 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  79,   S.  368   und  Abhandlungensammlung,    erste  Ab- 
handlung. 

2)  An  den  anderen  Orten  S.  385  und  S.  33. 

8)  Transact.  of  the  Boy.  Soc.  of  Edinburgh,  Vol.  XX,  p.  475. 

4  Pogg.  Ann.  Bd.  103,  S.  177. 

ö)  Meine  Abhandlungensammlung  Bd.  I,  S.  281. 

Clausius,   median.  Wärmetheorie.     I.  9 


34  AlDscliDitt  I. 

Theil  sich  auf  Wärme  bezieht,  welche  zu  innerer  Arbeit  verbraucht 
ist,  und  folglich  nicht  mehr  als  Wärme  existirt.  In  der  1866  er- 
schienenen zweiten  Auflage  seines  Buches  hat  Zeuner  dann  die 
Aenderung  vorgenommen,  dass  er  die  Grösse  U  die  innere  Arbeit  des, 
Körpers  genannt  hat.  Ich  muss  aber  gestehen,  dass  ich  diesem 
Namen  ebenso  wenig  zustimmen  kann,  wie  dem  ersteren,  indem  er 
mir  nach  der  anderen  Seite  hin  zu  beschränkt  zu  sein  scheint. 

Von  den  beiden  anderen  Namen  scheint  mir  besonders  das 
von  Thomson  gebrauchte  Wort  energysehv  passend  zu  sein,  indem 
die  Grösse,  um  die  es  sich  hier  handelt,  ganz  derjenigen  entspricht, 
welche  in  der  Mechanik  mit  diesem  Worte  bezeichnet  wird.  Ich 
habe  mich  daher  dieser  Benennungsweise  angeschlossen,  und  werde 
auch  im  Folgenden  die  Grösse  U  die  Energie  des  Körpers  nennen. 

In  Bezug  auf  die  vollständige  Bestimmung  des  Ergais  und  der 
das  Ergal  enthaltenden  Energie  ist  übrigens  noch  eine  besondere 
Bemerkung  zu  machen.  Da  das  Ergal  die  Arbeit  darstellt,  welche 
die  inneren  Kräfte  leisten  mussten,  während  der  Körper  aus  einem 
als  Ausgangspunkt  gewählten  Anfangszustande  in  seinen  gegen- 
wärtigen Zustand  überging,  so  erhält  man  für  den  gegenwärtigen 
Zustand  nur  dann  einen  vollständig  bestimmten  Werth  des  Er- 
gais, wenn  jener  Anfangszustand  im  Voraus  und  ein  für  alle  Mal 
festgesetzt  ist.  Ist  das  Letztere  nicht  geschehen,  so  muss  man 
sich  zu  der  Function,  welche  das  Ergal  darstellt,  noch  eine  will- 
kürliche Constante  hinzugefügt  denken,  welche  sich  auf  den 
Anfangszustand  bezieht.  Dabei  versteht  es  sich  von  selbst,  dass 
es  nicht  immer  nöthig  ist,  die  Constante  wirklich  hinzuschreiben, 
sondern  dass  man  sie  sich  in  der  Function,  so  lange  diese  durch 
ein  allgemeines  Symbol  bezeichnet  wird,  mit  einbegriffen  denken 
kann.  Ebenso  muss  man  sich  auch  in  dem  Zeichen,  welches  die 
Energie  darstellt,  eine  solche  noch  unbestimmte  Constante  mit 
einbegriffen  denken. 


§.  9.     Gleichungen   für   endliche   Zustandsänderungen 
und  Kreisprocesse. 

Denken  wir  uns  die  Gleichung  (III.),  welche  sich  auf  eine 
unendlich  kleine  Veränderung  bezieht,  für  irgend  eine  endliche 
Veränderung,  oder  auch  für  eine  Reihe  von  auf  einander  folgenden 
endlichen  Veränderungen  integrirt,  so  lässt  sich  das  Integral  des 


Erster  Hauptsatz.  35 

einen  Gliedes  sofort  angeben.  Die  Energie  IJ  ist  nämlich,  wie 
oben  gesagt,  nur  von  dem  gerade  stattfindenden  Zustande  des 
Körpers,  und  nicht  von  der  Art,  wie  er  in  denselben  gelangt  ist, 
abhängig.  Daraus  folgt,  dass,  wenn  man  den  Anfangs-  und  End- 
werth  von   U  mit   U-i  und   üg  bezeichnet,  man  setzen  kann: 


/' 


Demnach  lässt  sich  die  durch  Integration  von  (III.)  entstehende 
Gleichung  so  schreiben: 

(4)  JdQ=V,-ü,^JdW, 

oder,  wenn  wir  die  beiden  in  dieser  Gleichung  noch  vorkommenden 
Integrale  f  d  Q  und  f  d  W^  welche  die  während  der  Veränderung 
oder  der  Reihe  von  Veränderungen  im  Ganzen  mitgetheilte  Wärme 
und  geleistete  äussere  Arbeit  bedeuten,  mit  Q  und  W  bezeichnen : 
(4a)  Q=U,—  U^^W. 

Als  speciellen  Fall  wollen  wir  annehmen,  der  Körper  erleide 
eine  solche  Reihe  von  Veränderungen,  durch  die  er  schliesslich 
wieder  in  seinen  Anfangszustand  zurückkommt.  Eine  solche  Reihe 
von  Veränderungen  habe  ich  einen  Kreisprocess  genannt.  Da  in 
diesem  Falle  der  Endzustand  des  Körpers  derselbe  ist,  wie  der 
Anfangszustand,  so  ist  auch  der  Endwerth  U^  der  Energie  gleich 
dem  Anfangswerthe  tTi,  und  die  Differenz  U2 —  Ui  ist  somit  gleich 
Null.  Demnach  gehen  die  Gleichungen  (4)  und  (4  a)  für  einen 
Kreisprocess  über  in  folgende: 

(5)  J'dq  =  JdW, 

(5  a)  Q  =  W. 

Bei  einem  Kreisprocesse  ist  also  die  dem  Körper  im  Ganzen  mit- 
getheilte Wärme  (d.  h.  die  algebraische  Summe  aller  einzelnen  im 
Verlaufe  des  Kreisprocesses  mitgetheilten  Wärmemengen,  welche 
theils  positiv,  theils  negativ  sein  können)  einfach  gleich  der  im 
Ganzen  geleisteten  äusseren  Arbeit. 

§.  10.     Gesammtwärme,    latente  und  specifische  Wärme. 

Früher,  als  man  die  Wärme  noch  für  einen  Stoff  hielt,  und  an- 
nahm, dieser  Stoff  könne  in  zwei  verschiedenen  Zuständen  vor- 
kommen ,  welche  man  mit  den  Worten  frei  und  latent  bezeichnete, 
hatte  man  einen  Begriff  eingeführt,  welchen  man  in  den  Rechnungen 


36  Absclinitt  I. 

vielfach  anwandte  und  die  Gesammtwärme  des  Körpers  nannte. 
Darunter  verstand  man  diejenige  Wärmemenge,  welche  ein  Körper 
hat  aufnehmen  müssen,  um  aus  einem  gegebenen  Anfangszustande 
in  seinen  gegenwärtigen  Zustand  zu  gelangen,  und  welche  nun, 
theils  als  freie,  theils  als  latente  Wärme,  in  ihm  vorhanden  sei. 
Man  meinte  dabei,  diese  Wärmemenge  sei,  wenn  der  Anfangszustand 
des  Körpers  als  bekannt  vorausgesetzt  wird,  durch  seinen  gegen- 
wärtigen Zustand  vollständig  bestimmt,  ohne  dass  die  Art,  wie 
er  in  diesen  Zustand  gelangt  ist,  dabei  in  Betracht  komme. 

Nachdem  wir  nun  aber  in  Gleichung  (4  a)  für  die  Wärmemenge 
Q,  welche  der  Körper  beim  Uebergange  aus  dem  Anfangszustande 
in  den  Endzustand  aufgenommen  hat,  einen  Ausdruck  gewonnen 
haben,  welcher  die  äussere  Arbeit  W  enthält,  müssen  wir  schliessen, 
dass  von  dieser  Wärmemenge  dasselbe  gilt,  wie  von  der  äusseren 
Arbeit,  nämlich  dass  sie  nicht  bloss  vom.  Anfangs-  und  Endzustande 
des  Körpers,  sondern  auch  von  der  Art,  wie  er  aus  dem  einen  in 
den  anderen  gelangt  ist,  abhängt.  Der  Begriff  der  Gesammtwärme 
als  einer  nur  vom  gegenwärtigen  Zustande  des  Körpers  abhängigen 
Grösse  ist  also  nach  der  neueren  Wärmetheorie  nicht  mehr  zulässig. 

Das  Verschwinden  von  Wärme  bei  gewissen  Zustandsänderun- 
gen  der  Körper,  z.  B.  beim  Schmelzen  und  Verdampfen,  erklärte 
man  früher,  wie  schon  oben  angedeutet  wurde,  daraus,  dass  diese 
Wärme  in  einen  besonderen  Zustand  übergehe ,  in  welchem  sie 
durch  unser  Gefühl  und  das  Thermometer  nicht  wahrnehmbar  sei, 
und  in  welchem  man  sie  daher  latent  nannte.  Diese  Erklärungs- 
weise habe  ich  ebenfalls  bestritten,  und  habe  die  Behauptung  auf- 
gestellt, alle  in  einem  Körper  vorhandene  Wärme  sei  fühlbar  und 
durch  das  Thermometer  erkennbar;  die  bei  jenen  Zustandsände- 
rungen  der  Körper  verschwundene  Wärme  existire  gar  nicht  mehr 
als  Wärme,  sondern  sei  ^u  Arbeit  verbraucht,  und  die  bei  den  ent- 
gegengesetzten Zustandsänderungen  (z,  B.  Gefrieren  und  Dampf- 
niederschlag) wieder  zum  Vorschein  kommende  Wärme  trete  nicht 
aus  einer  Verborgenheit  hervor,  sondern  sei  durch  Arbeit  neu  er- 
zeugt. Demgemäss  habe  ich  vorgeschlagen,  statt  des  Ausdruckes 
latente  Wärme  unter  Anwendung  des  Wortes  Werh,  welches  mit 
Arbeit  im  Wesentlichen  gleichbedeutend  ist,  den  Ausdruck  Werlc- 
wärme  zu  gebrauchen  i). 

^)  Durch  den  vorgeschlagenen  Namen  Werkwärme  ist  natürlich  nicht 
ausgeschlossen,  dass  man  in  den  Fällen,  in  welchen  die  Werkwärme  be- 
sonders  häufig   zur  Sprache    kommt,    nämlich   bei   der  Verdampfung   und 


Erster  Hauptsatz.  37 

Die  Arbeit  (oder  das  Werk),  zu  welcher  die  Wärme  verbraucht 
wird,  und  durch  welche  bei  der  entgegengesetzten  Veränderung 
Wärme  erzeugt  wird,  kann  von  doppelter  Art  sein,  nämlich  innere 
und  äussere  Arbeit.  Wenn  z.  B.  eine  Flüssigkeit  verdampft,  so 
muss  dabei  die  Anziehung  der  Molecüle  überwunden  werden,  und 
zugleich  muss,  da  der  Dampf  einen  grösseren  Raum  einnimmt,  als 
die  Flüssigkeit,  der  äussere  Gegendruck  überwunden  werden. 
Diesen  beiden  Theilen  der  Arbeit  (oder  des  Werkes)  entsprechend 
kann  man  auch  die  gesammte  Werkwärme  in  zwei  Theile  zerlegen, 
welche  man  die  innere  Werktvärme  und  die  äussere  Werhwärme 
nennen  kann. 

Diejenige  Wärme,  welche  man  einem  Körper  mittheilen  muss, 
wenn  man  ihn  ohne  Aenderung  seines  Aggregatzustandes  er- 
wärmen will,  betrachtete  man  früher  gewöhnlich  ganz  als  freie 
Wärme  oder,  besser  gesagt,  als  im  Körper  wirMicJi  vorhanden 
bleibende  Wärme;  indessen  fällt  auch  von  dieser  Wärme  ein 
grosser  Theil  in  dieselbe  Kategorie,  wie  die,  welche  man  früher 
latente  Wärme  nannte,  und  für  welche  ich  den  Namen  Werh- 
wärme vorgeschlagen  habe.  Mit  der  Erwärmung  eines  Körpers 
ist  nämlich  der  Regel  nach  auch  eine  Aenderung  in  der  An- 
ordnung seiner  Molecüle  verbunden,  welche  Aenderung  gewöhn- 
lich eine  äusserlich  wahrnehmbare  Volumenveränderung  des  Kör- 
pers zur  Folge  hat,  aber  auch  selbst  in  solchen  Fällen,  wo  der 
Körper  sein  Volumen  nicht  ändert,  stattfinden  kann.  Diese  An- 
ordnungsänderung erfordert  eine  gewisse  Arbeit,  welche  theils 
innere,  theils  äussere  sein  kann,  und  zu  dieser  Arbeit  (oder  diesem 
Werke)  wiederum  wird  Wärme  verbraucht.  Die  dem  Körper  zu- 
geführte Wärme  dient  also  nur  zum  Theile  zur  Vermehrung  der 
in  ihm  wirklich  vorhandenen  Wärme,  und  der  übrige  Theil  dient 
als  Werkwärme. 

Aus  diesem  Verhalten  habe  ich  z.  B.  die  auffällig  grosse 
specifische  Wärme  des  flüssigen  Wassers,  welche  viel  grösser  ist, 
als  die  des  Eises  und  des  Wasserdampfes,  zu  erklären  gesucht  i), 
indem  ich  angenommen  habe,  dass  von  der  Wärmemenge,  welche 


beim  Schmelzen,  nach  Belieben,  sofern  es  der  Bequemlichkeit  wegen  zweck- 
mässig erscheint,  eine  Zusammenziehung  in  dem  Ausdrucke  machen  kann, 
und  z.  B.  statt  WerJacärme  der  Verdampfung  ^  so  wie  ich  es  in  meinen 
Abhandlungen  gethan  habe,  kurz  Verdampfungsioärtne ,  und  statt  WerJc- 
wärnie  des  Sclimelzens  kurz  Schmelzioärme  sagen  kann. 

^)  Pogg.  Ann.  Bd.  79,  S.  375  und  Abhandlungensammlung  Bd.  I,  S.  23. 


38  Abschnitt  I. 

das  Wasser  bei  seiner  Erwärmung  von  Aussen  empfängt,  ein  grosser 
Theil  zur  Verringerung  der  Cohäsion  verbraucht  wird,  und  somit 
als  Werkwärme  dient. 

Nach  dem  Vorstehenden  wird  es  nöthig,  neben  den  ver- 
schiedenen specifischen  Wärmen,  welche  angeben,  wie  viel  Wärme 
man  einem  Körper  bei  den  verschiedenen  Arten  der  Erwärmung 
mittheilen  muss  (wie  z.  B.  die  specifische  Wärme  eines  festen 
oder  flüssigen  Körpers  unter  gewöhnlichem  atmosphärischem  Drucke 
und  die  specifische  Wärme  eines  Gases  bei  constantem  Volumen 
oder  bei  constantem  Drucke),  noch  eine  andere  Grösse  zu  be- 
trachten, welche  angiebt,  um  ivieviel  die  in  einer  Gewichtseinheit 
eines  Stoffes  tvirUich  vorhandene  Wärme  bei  der  Envärmung  um 
einen  Grad  zunimmt.  Diese  Grösse  wollen  wir  die  wahre  Wärme- 
capacität  des  Körpers  nennen. 

Es  würde  sogar  zweckmässig  sein,  das  Wort  Wärmecapacität, 
auch  wenn  nicht  wahre  hinzugefügt  wird,  nur  auf  die  wirklich 
im  Körper  vorhandene  Wärme  zu  beziehen,  dagegen  für  die 
Wärmemenge,  welche  ihm  zur  Erwärmung  unter  irgend  welchen 
gegebenen  Umständen  im  Ganzen  mitgetheilt  werden  muss,  und 
welche  auch  Werkwärme  in  sich  begreift,  immer  den  Ausdruck 
specifische  Wärme  anzuwenden.  Da  man  indessen  bis  jetzt  das 
Wort  Wärmecapacität  als  gleichbedeutend  mit  dem  Ausdrucke 
specifische  Wärme  zu  gebrauchen  pflegt,  so  ist,  um  ihm  jene  ver- 
einfachte Bedeutung  zu  geben,  noch  die  Hinzufügung  des  Bei- 
wortes ivahre  nöthig. 


§.  11.     Ausdruck  der  äusseren  Arbeit  für  einen 
besonderen  Fall. 

In  der  Gleichung  (III.)  ist  die  äussere  Arbeit  allgemein  durch 
dW  bezeichnet.  Dabei  ist  über  die  Art  der  äusseren  Kräfte, 
welche  auf  den  Körper  wirken,  und  auf  welche  sich  die  äussere 
Arbeit  bezieht,  gar  keine  besondere  Annahme  gemacht. 

Es  ist  aber  zweckmässig,  einen  Fall  speciell  zu  betrachten, 
welcher  besonders  oft  vorkommt,  und  zu  einem  sehr  einfachen  Aus- 
drucke der  äusseren  Arbeit  führt,  nämlich  den,  wo  die  einzige  äussere 
Kraft,  welche  auf  den  Körper  wirkt,  oder  wenigstens  die  einzige, 
welche  bei  der  Bestimmung  der  Arbeit  Berücksichtigung  verdient, 
ein  auf  die  Oberfläche  des  Körpers  wirkender  Druck  ist,  und  wo 


Erster  Hauptsatz.  39 

dieser  Druck  (wie  es  bei  flüssigen  und  luftförmigen  Körpern,  wenn 
keine  anderen  fremden  Kräfte  mitwirken,  immer  stattfindet,  und 
bei  festen  Körpern  wenigstens  stattfinden  kann)  an  allen  Punkten 
der  Oberfläche  gleich  stark,  und  überall  normal  gegen  die  Ober- 
fläche gerichtet  ist.  In  diesem  Falle  braucht  man  zur  Bestimmung 
der  äusseren  Arbeit  nicht  die  Gestaltveränderungen  des  Körpers 
und  seine  Ausdehnung  nach  einzelnen  verschiedenen  Kichtungen, 
sondern  nur  seine  Volumenveränderung  im  Ganzen  zu  betrachten. 
Als  ein  anschauliches  Beispiel  möge  zunächst  angenommen 
werden,  der  in  Fig.  1  angedeutete,  durch  einen  leicht  beweglichen 
Stempel  P  abgeschlossene  Cylinder  enthalte  einen 
ausdehnsamen  Stoff,  z.  B.  eine  Quantität  eines  Gases, 
welcher  unter  einem  Drucke  stehe,  der  für  die 
Flächeneinheit  durch  p  bezeichnet  werden  soll.  Der 
Qiierschnitt  des  Cylinders  und  demgemäss  auch  die 
Fläche  des  Stempels  werde  mit  a  bezeichnet.  Dann 
wird  der  Druck,  welcher  auf  dem  Stempel  lastet, 
und  welcher  bei  der  Hebung  des  Stempels  über- 
wunden werden  muss,  durch  das  Product  pa  dar- 
gestellt. Wenn  nun  der  Stempel  sich  zuerst  in 
solcher  Höhe  befindet,  dass  seine  untere  Fläche  um 
die  Strecke  h  vom  Boden  des  Cylinders  entfernt  ist,  und  dann  um 
die  unendlich  kleine  Strecke  dh  gehoben  wird,  so  bestimmt  sich 
die  dabei  geleistete  äussere  Arbeit  durch  die  Gleichung: 

dW  =  padJi. 
Nun  ist  aber,  wenn  v  das  Volumen   des  eingeschlossenen  Stoffes 
bedeutet,  zu  setzen: 

V  =  ah, 
und  somit: 

dv  =  adh, 
wodurch  die  obige  Gleichung  übergeht  in: 
(6)  d  W  =  pdv. 

Dieselbe  einfache  Form  nimmt  das  Differential  der  äusseren 
Arbeit  auch  für  eine  beliebige  Gestalt  des  Körpers  und  eine 
beliebige  Art  der  Ausdehnung  an,  wie  man  leicht  durch  folgende 
Betrachtung  erkennen  wird. 

In  Fig.  2  (a.  f.  S.)  stelle  die  voll  ausgezogene  Linie  die 
Oberfläche  des  Körpers  in  seinem  ursprünglichen  Zustande,  und 
die  punktirte  Linie  seine  Oberfläche  nach  einer  unendlich  kleinen 
Veränderung    seiner    Gestalt    und    seines   Volumens    dar.     Von 


40  Absclinitt  I. 

der   ersteren   Oberfläche  betrachten   wir   ein  Element   dco   beim 

Punkte  A.    Eine  auf  diesem  Flächenelemente  errichtete  Normale 

schneide   die   zweite  Fläche    in    einer    Entfernung   dn  von    der 

ersten,  wobei  dn  als  positiv  gerechnet  wird,  wenn  die  betreffende 

Stelle    der   zweiten    Oberfläche    ausserhalb    des   von   der   ersten 

Oberfläche  eingeschlossenen  Raumes  liegt,  und  als  negativ,  wenn 

sie  innerhalb  liegt.   Denkt  man  sich  nun  auf  dem  ganzen  Umfange 

Yig.  2.  cl^s  Flächenelementes  den  unend- 

_.^^-^^-----^,_  ^  lieh  viele  Normalen  bis  zur  zwei- 

^;>^^^^^^^^  A^^^         ten  Fläche  errichtet,  so  wird  da- 

/^  >,      durch  ein  unendlich  kleiner,  an- 

(i  ]\    genähert     prismatischer      Raum 

\  /     abgegrenzt,  welcher  das  Element 

'^>tr--__^       ^^^^...^^::^         da  als  Grundfläche  und  dn  als 

~"" — ""  Höhe  hat,  und   dessen  Volumen 

daher  durch  dasProduct  dcodn  dargestellt  wird.  Dieses  unendlich 
kleine  Volumen  bildet  den  dem  Flächenelemente  dco  entsprechen- 
den Theil  der  Volumenzunahme  des  Körpers.  Wenn  wir  den 
Ausdruck  dcodn  über  die  ganze  Oberfläche  integriren,  erhalten 
wir  die  ganze  Volumenzunahme  des  Körpers,  also  die  Grösse  dv, 
und  wir  können  somit,  indem  wir  die  Integration  über  die  Ober- 
fläche durch  ein  mit  dem  Index  ra  versehenes  Integralzeichen 
andeuten,  schreiben: 


(7)  dv  =   r 


dnd(o. 


Bezeichnen  wir  ferner,  wie  oben,  den  Druck  auf  die  Flächen- 
einheit der  Oberfläche  mit  p,  so  ist  der  Druck  auf  das  Flächen- 
element da  gleich. p da.  Demgemäss  wird  der  Theil  der  äusseren 
Arbeit,  welcher  diesem  Flächenelemente  entspricht,  und  darin  be- 
steht, dass  das  Element  unter  dem  Einflüsse  der  äusseren  Kraft 
pda  um  das  Stück  dn  senkrecht  verschoben  wird,  durch  das 
Product  pdadn  ausgedrückt.  Durch  Integration  dieses  Aus- 
druckes über  die  ganze  Oberfläche  erhält  man  die  ganze  äussere 
Arbeit,  nämlich: 

dW  =    I  pdnda. 

(O 

Da  p  für  die  ganze  Oberfläche  gleich  ist,  so  kann  es  aus  dem 
Integralzeichen  herausgenommen  werden,  so  dass  die  Gleichung 
lautet: 


Erster  Hauptsatz.  .         41 


dW  =  p    I  dnädj^ 


und  unter  Anwendung  von  (7)  übergeht  in: 

dW  =  pdv, 
welches  dieselbe  Gleichung  ist,  die  schon  unter  (6)  gegeben  wurde. 

In  Folge  dieser  Gleichung  können  wir  der  Gleichung  (III.)  für 
den  Fall,  wo  als  äussere  Kraft  nur  ein  gleichmässiger  und  normaler 
Oberflächendruck  wirkt,  folgende  Gestalt  geben: 
(IV.)  dQ  =  dü^pdv. 

Diese  Gleichung,  welche  den  gebräuchlichsten  mathematischen 
Ausdruck  des  ersten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie 
bildet,  wollen  wir  nun  zunächst  auf  eine  Körperclasse  anwenden, 
welche  sich  durch  die  Einfachheit  der  Gesetze,  unter  denen  sie 
steht,  auszeichnet,  und  für  welche  daher  auch  die  Gleichung  eine 
besonders  einfache  Form  annimmt,  so  dass  die  Rechnungen,  zu 
denen  sie  Veranlassung  giebt,  sich  leicht  ausführen  lassen. 


ABSCHNITT   IL 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase. 

§.  1.     Gasförmiger  Aggregatzustand. 

Unter  den  Gesetzen,  welche  den  gasförmigen  Aggregatzustand 
charakterisiren ,  sind  besonders  das  Mariotte'sche  und  das  Gay- 
Lussac'sche  Gesetz  hervorzuheben,  welche  sich  gemeinsam  durch 
Eine  Gleichung  ausdrücken  lassen.  Es  möge  eine  Gewichtseinheit 
eines  Gases  gegeben  sein,  welche  bei  der  Temperatur  des  Gefrier- 
punktes unter  irgend  einem  als  Normaldruck  angenommenen  Drucke 
^0  (z.  B.  dem  Drucke  einer  Atmosphäre)  das  Volumen  Vq  einnehme. 
Wenn  dann  bei  der  Temperatur  t  (nach  Celsius-Graden  gemessen) 
der  Druck  mit  p  und  das  Volumen  mit  v  bezeichnet  wird,  so  soll 
nach  diesen  Gesetzen  die  Gleichung: 

(1)  pV  =  PqV(^  (1  4-  cct) 

gelten,  worin  die  Grösse  w,  welche  man  den  Ausdehnungscoeffi- 
cienten  zu  nennen  pflegt,  obwohl  sie  sich  nicht  bloss  auf  die 
Volumenänderung,  sondern  auch  auf  die  Druckänderung  bezieht, 
für  alle  Gase  einen  und  denselben  Werth  haben  soll. 

Zwar  hat  in  neuerer  Zeit  Regnault  durch  sehr  sorgfältige 
Versuche  nachgewiesen,  dass  diese  Gesetze  nicht  in  aller  Strenge 
richtig  sind,  doch  sind  die  Abweichungen  für  die  von  ihrem  Con- 
densationspunkte  weit  entfernten  Gase  sehr  gering,  und  werden 
nur  bei  solchen  Gasen  bedeutender,  die  der  Condensation  nahe 
sind.  Daraus  ist  zu  schliessen,  dass  auch  bei  jedem  einzelnen 
Gase  die  Genauigkeit,  mit  der  es  jenen  Gesetzen  folgt,  von  seiner 
Entfernung  vom  Condensationspunkte   abhängt.     Man  kann   sich 


Behandlung  der  vollkonimeuen  Gase.  43 

daher,  während  die  Genauigkeit  für  manche  Gase  schon  im  ge- 
wöhnlichen Zustande  so  gross  ist,  dass  man  sie  bei  den  meisten 
Untersuchungen  als  vollkommen  betrachten  kann,  für  jedes  Gas 
einen  Grenzzustand  denken,  in  dem  die  Genauigkeit  wirklich  voll- 
kommen wird,  und  diesen  ideellen  Zustand  wollen  wir  im  Fol- 
genden als  erreicht  annehmen  und  solche  Gase,  bei  denen  er 
vorausgesetzt  wird,  kurz  voUlwmmene  Gase  nennen. 

Da  nun  aber  die  Grösse  a  bei  den  wirklich  vorhandenen  Gasen 
nach  Regnault's  Bestimmungen  nicht  ganz  gleich  ist,  und  auch 
bei  einem  und  demselben  Gase  unter  verschiedenen  Umständen 
etwas  verschiedene  Werthe  hat,  so  fragt  es  sich,  welchen  Werth 
man  dieser  Grösse  bei  den  vollkommenen  Gasen,  bei  denen  der- 
artige Unterschiede  nicht  mehr  vorkommen  können,  zuschreiben 
muss. 

Jedenfalls  müssen  wir  uns  dabei  an  die  Zahlen  halten,  welche 
für  die  vom  Condensationspunkte  am  weitesten  entfernten  Gase 
gefunden  sind.  Bei  der  Untersuchungsweise,  welche  sich  auf  die 
Druckzunahme  bei  constantem  Volumen  bezog,  hat  Regnault  für 
verschiedene  permanente  Gase  folgende  Zahlen  gefunden: 
Atmosphärische  Luft    .     .     .     0,003665 

Wasserstoff 0,003667 

Stickstoff 0,003668 

Kohlenoxyd 0,003667. 

Diese  Zahlen  zeigen  so  unbedeutende  Differenzen,  dass  bei  einer 
Auswahl  unter  ihnen  wenig  darauf  ankommt ,  für  welche  man  sich 
entscheidet;  da  aber  mit  der  atmosphärischen  Luft  von  Regnault 
die  meisten  Versuche  angestellt  sind,  und  auch  Magnus  durch 
seine  Versuche  zu  einem  ganz  übereinstimmenden  Resultate  gelangt 
ist,  so  scheint  es  mir  am  angemessensten,  die  Zahl  0,003665  zu 
wählen. 

Nun  hat  aber  Regnault  bei  der  anderen  Untersuchungsweise, 
wobei  der  Druck  constant  blieb,  und  die  Volumenzunahme  beobachtet 
wurde,  einen  etwas  anderen  Werth  von  w  für  die  atmosphärische 
Luft  gefunden,  nämlich  0,003670.  Ferner  hat  er  beobachtet,  dass 
verdünnte  Luft  einen  etwas  kleineren  und  verdichtete  Luft  einen 
etwas  grösseren  Ausdehnungscoefficienten  hat,  als  Luft  von  gewöhn- 
licher Dichtigkeit. 

Dieser  letztere  Umstand  hat  einige  Physiker  zu  dem  Schlüsse 
veranlasst,  man  müsse,  weil  die  verdünnte  Luft  dem  vollkommenen 
Gaszustande  näher  sei,  als  Luft  von  gewöhnlicher  Dichtigkeit,  für 


44  Abschnitt  II. 

die  vollkommenen  Gase  einen  kleineren  Werth  als  0,003665  an- 
nehmen. Hiergegen  ist  aber  einzuwenden,  dass  Regnault  für 
Wasserstoff  jene  Abhängigkeit  des  Ausdehnungscoefficienten  von 
der  Dichtigkeit  nicht  beobachtet,  sondern  bei  der  einfachen  und 
dreifachen  Dichtigkeit  fast  genau  denselben  Werth  erhalten  hat, 
und  dass  er  überhaupt  gefunden  hat,  dass  Wasserstoff  sich  in  seinen 
Abweichungen  vom  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen 
Gesetze  ganz  anders  und  meistens  sogar  gerade  entgegengesetzt 
verhält,  wie  atmosphärische  Luft.  Unter  diesen  Umständen  scheint 
mir  der  obige  aus  dem  Verhalten  der  atmosphärischen  Luft  ge- 
zogene Schluss  etwas  gewagt  zu  sein,  denn  man  wird  es  gewiss  als 
wahrscheinlich  zugeben,  dass  der  Wasserstoff  dem  vollkommenen 
Gaszustande  mindestens  eben  so  nahe  ist,  wie  atmosphärische  Luft, 
und  demgemäss  muss  man  bei  den  auf  diesen  Zustand  bezüglichen 
Schlüssen  das  Verhalten  des  Wasserstoffs  ebenso  gut  berück- 
sichtigen, wie  dasjenige  der  atmosphärischen  Luft. 

Ich  glaube  daher,  dass  es  für  so  lange,  als  nicht  durch  neue 
Beobachtungsdata  zuverlässigere  Anhaltspunkte  für  weitere  Schlüsse 
gewonnen  sind,  am  zweckmässigsten  ist,  sich  an  die  Zahl  zu  halten, 
welche  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  für  atmosphärische 
Luft  und  Wasserstoff  sehr  nahe  übereinstimmend  gefunden  ist,  und 
zu  setzen: 

(2)  a  =  0,003665  =  ~ 

Wenn  man  den  Bruch  —  durch  a  bezeichnet,  so  kann  man 
a 

der  Gleichung  (1)  auch  folgende  Form  geben: 

(3)  p^  =  Po^^a~^t). 

CO 

Setzt  man  noch  zur  Abkürzung: 

(4)  B  =  ^^, 

a 

(5)  T=a^t, 
so  kommt: 

(6)  pv  =  RT. 

Hierbei  ist  B  eine  Constante,  welche  von  der  Natur  des  Gases  ab- 
hängt und  seinem  specifischen  Gewichte  umgekehrt  proportional  ist. 
T  bedeutet  die  Temperatur,  wenn  sie  nicht  vom  Gefrierpunkte  aus, 
sondern  von  einem  um  a  Grade  tiefer  liegenden  Nullpunkte  aus  ge- 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase.  45 

zählt  wird.  Diese  von  — a  an  gezählte  Temperatur  wollen  wir  die  ah- 
sölute  Temperatur  nennen,  indem  wir  uns  vorbehalten,  diesen  Namen 
an  einer  anderen  Stelle  näher  zu  motiviren.  Unter  Voraussetzung 
des  in  (2)  angenommenen  Werthes  von  «  erhalten  wir: 


(7) 


a  =  -  =  273 

T=  273  4-  t. 


§.  2.    Nebenannahme    in  Bezug    auf  gasförmige   Körper. 

Gay-Lussac  hat  den  Versuch  gemacht,  dass  er  ein  mit  Luft 
gefülltes  Gefäss  mit  einem  gleich  grossen  luftleeren  in  Verbindung 
setzte,  so  dass  die  eine  Hälfte  der  Luft  in  dieses  überströmte. 
Indem  er  dann  die  Temperatur  der  beiden  Hälften  maass  und  mit 
der  ursprünglichen  Temperatur  der  Luft  verglich,  fand  er,  dass 
die  übergeströmte  Luft  sich  erwärmt  und  die  zurückgebliebene 
Luft  sich  um  ebenso  viel  abgekühlt  hatte,  so  dass  die  mittlere 
Temperatur  der  ganzen  Luftmasse  nach  der  Ausdehnung  dieselbe 
war,  wie  vor  der  Ausdehnung.  Es  hatte  also  bei  dieser  Art  von 
Ausdehnung,  bei  welcher  keine  äussere  Arbeit  geleistet  wurde,  auch 
kein  Wärmeverlust  stattgefunden.  Zu  demselben  Ergebnisse  ist 
auch  Joule  1)  und  später  Regnault^)  gekommen,  welche  ähnliche 
Versuche  mit  grosser  Sorgfalt  ausgeführt  haben. 
*  Man  kann  den  entsprechenden  Satz  auch  unabhängig  von 
jenen  speciellen  Experimenten  durch  gewisse  in  meiner  ersten 
Abhandlung  enthaltene  Schlüsse  aus  den  sonst  schon  bekannten 
Eigenschaften  der  Gase  ableiten,  wobei  man  zugleich  den  Grad 
seiner  Genauigkeit  erkennen  kann. 

Die  Gase  zeigen  nämlich  in  ihrem  Verhalten,  besonders  in  der 
durch  das  Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche  Gesetz  aus- 
gedrückten Beziehung  zwischen  Volumen,  Druck  und  Temperatur, 
eine  so  grosse  Regelmässigkeit,  dass  man  dadurch  zu  der  Vor- 
stellung geleitet  wird,  dass  die  gegenseitige  Anziehung  der  Mole- 
cüle,  welche  im  Inneren  der  festen  und  tropfbar  flüssigen  Körper 
wirkt,  bei  den  Gasen  schon  aufgehoben  sei,  so  dass  die  Wärme, 
während  sie  bei  jenen,  um  eine  Ausdehnung  zu  bewirken,  nicht 

1)  Phil.  Mag.  Ser.  III,  Vol.  26   und    Joule,    das  mechanische  Aequi- 
valent  der  Wärme,  übersetzt  von  Spengel,  S.  65. 

2)  Comptes  rendus  t.  36,  p.  680. 


46  Abschnitt  II. 

bloss  den  äusseren  Druck,  sondern  auch  die  inneren  Anziehungen 
überwinden  muss,  es  bei  den  Gasen  nur  noch  mit  dem  äusseren 
Drucke  zu  thun  habe.  Ist  dieses  der  Fall,  so  kann,  wenn  ein  Gas 
sich  bei  constanter  Temperatur  ausdehnt,  dabei  nur  so  viel  Wärme 
verbraucht  werden,  wie  zu  der  äusseren  Arbeit  nöthig  ist.  Ferner 
lässt  sich  auch  nicht  annehmen,  dass  die  in  dem  Gase  wirklich 
vorhandene  Wärmemenge,  nachdem  es  sich  bei  constanter  Tempe- 
ratur ausgedehnt  hat,  grösser  sei,  als  vorher.  Giebt  man  auch 
dieses  zu,  so  erhält  man  folgenden  Satz:  ein  permanentes  Gas 
verschlucM,  wenn  es  sich  bei  constanter  Temperatur  ausdehnt,  nur 
so  viel  Wärme,  wie  zu  der  äusseren  Arbeit,  die  es  dabei  leistet,  ver- 
braucht ivird. 

Natürlich  darf  man  aber  diesem  Satze  keine  strengere  Gültig- 
keit zuschreiben,  als  den  Sätzen,  aus  welchen  er  abgeleitet  ist, 
sondern  muss  vielmehr  annehmen,  dass  er  für  jedes  Gas  in  eben 
dem  Grade  genau  ist,  in  welchem  das  Mariotte'sche  und  Gay- 
Lussac'sche  Gesetz  auf  dasselbe  Anwendung  findet.  Nur  für  die 
vollkommenen  Gase  darf  man  ihn  als  streng  richtig  ansehen. 

In  diesem  Sinne  habe  ich  den  Satz  in  Anwendung  gebracht, 
und  habe  ihn  als  eine  Nebenannahme  mit  den  beiden  Hauptsätzen 
der  mechanischen  Wärmetheorie  in  Verbindung  gesetzt  und  zu 
weiteren  Schlüssen  benutzt. 

Später  hat  W.  Thomson,  welcher  mit  einem  der  von  mir 
gezogenen  Schlüsse  anfangs  nicht  übereinstimmte,  im  Vereine  mit 
J,  P.  Joule  es  unternommen,  die  Richtigkeit  des  Satzes  experimen- 
tell zu  prüfen  i),  und  sie  haben  dazu  mit  vieler  Sorgfalt  eine  Reihe 
zweckmässig  ersonnener  Versuche  angestellt,  welche  ihrer  Wichtig- 
keit wegen  weiter  unten  noch  näher  besprochen  werden  sollen.  Da- 
bei hat  sich  nicht  nur  der  Satz  im  Allgemeinen,  sondern  auch  die 
von  mir  über  den  Grad  seiner  Genauigkeit  hinzugefügte  Bemerkung 
durchaus  bestätigt.  Für  die  von  ihnen  untersuchten  sehr  schwer 
condensirbaren  Gase,  atmosphärische  Luft  und  Wasserstoff,  haben 
sie  den  Satz  so  nahe  richtig  gefunden,  dass  die  Abweichungen  in 
den  meisten  Rechnungen  vernachlässigt  werden  können,  während 
sie  bei  dem  zur  Untersuchung  ausgewählten  leichter  condensirbaren 
Gase,  der  Kohlensäure,  ganz  so,  wie  es  nach  dem  sonstigen  Ver- 
halten dieses  Gases  zu  erwarten  war,  etwas  grössere  Abweichungen 
beobachtet  haben. 


1)  Phil.  Transaet.  of  the  Boy.  Soc.  of  London  for  1853,  1854  and  1862. 


Beliandlung  der  vollkommenen  Gase.  47 

Hiernach  wird  man  jetzt  um  so  weniger  Bedenken  tragen,  den 
Satz  für  die  wirklich  bestehenden  Gase  als  so  nahe  richtig,  wie 
das  Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche  Gesetz,  und  für  die 
vollkommenen  Gase  als  streng  richtig  in  Anwendung  zu  bringen. 

§.  3.    Formen,    welche    die    den    ersten   Hauptsatz    aus- 
drückende Gleichung  für  vollkommene  Gase  annimmt. 

Wir  kehren  nun  zur  Gleichung  (IV.),  nämlich: 
d  Q  =  du  -\-  pdv^ 
zurück ,  um  sie  auf  ein  vollkommenes  Gas  anzuwenden ,  wozu  wir 
uns  wieder,  wie  weiter  oben,  eine  Gewichtseinheit  desselben  gegeben 
denken. 

Der  Zustand  des  Gases  ist  vollständig  bestimmt,  wenn  seine 
Temperatur  und  sein  Volumen  gegeben  ist,  und  ebenso  lässt  er 
sich  durch  Temperatur  und  Druck  und  durch  Druck  und  Volumen 
bestimmen.  Wir  wollen  zunächst  die  beiden  erstgenannten  Grössen, 
Temperatur  und  Volumen,  zur  Bestimmung  des  Zustandes  des 
Gases  auswählen ,  und  demgemäss  T  und  v  als  die  unabhängigen 
Veränderlichen  betrachten,  von  denen  alle  anderen  auf  den  Zustand 
des  Gases  bezüglichen  Grössen  abhängen.  Indem  wir  dann  auch 
die  Energie  U  des  Gases  als  Function  dieser  beiden  Veränderlichen 
ansehen,  können  wir  schreiben: 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

(8)  dQ  =  y^dTJr(^^^p)äv. 

Diese  Gleichung,  welche  in  der  vorstehenden  Form  nicht  bloss  für 
ein  Gas,  sondern  für  jeden  Körper,  dessen  Zustand  durch  Tempe- 
ratur und  Volumen  bestimmt  wird,  gültig  ist,  lässt  sich  für  gas- 
förmige Körper,  wegen  der  besonderen  Eigenschaften  dieser 
letzteren,  noch  wesentlich  vereinfachen. 

Die  Wärmemenge,  welche  das  Gas  aufnehmen  muss,  wenn 
es  sich  bei  constanter  Temperatur  um  dv  ausdehnt,  ist  allgemein 

durch  ^^^^  zu  bezeichnen.    Da  diese  Wärmemenge  nach  der  im 

vorigen  Paragraphen  besprochenen  Nebenannahme  gleich  der  bei 
der  Ausdehnung  geleisteten  äusseren  Arbeit  ist,  welche  durch 
pdv  dargestellt  wird,  so  erhalten  wir  die  Gleichung: 


48  Abschnitt  II 

dQ 

woraus  folgt: 


^     dv  =  pdv, 

ov 


dv 
Nun  ist  aber  andererseits,  gemäss  der  Gleichung  (8),  zu  setzen: 

d_Q_dJJ. 

dv  ~~  dv  "^^' 
und  aus  der  Vereinigung  beider  Gleichungen  ergiebt  sich: 

(9)  1^=0. 

^  dv 

Hieraus  ist  zu  schliessen,  dass  die  Energie  U  bei  einem  voll- 
kommenen Gase  vom  Volumen  unabhängig  ist,  und  somit  nur 
eine  Function  der  Temperatur  sein  kann. 

O    TT 

Indem  wir  nun  in  der  Gleichung  (8)  -—  gleich  Null  setzen, 

und  für  -jr-™  das  Zeichen  0«  einführen,  geht  sie  über  in: 

(10)  dQ  =  C^dT-j-pdv. 

Aus  der  Form  dieser  Gleichung  ersieht  man  sofort,  dass  C^  die 
specifische  Wärme  des  Gases  bei  constantem  Volumen  bedeutet,  in- 
dem CvdT  die  Wärmemenge  ausdrückt,  welche  dem  Gase  bei  der 
Erwärmung  um  dT  mitgetheilt  werden   muss,   wenn   dv  gleich 

Null  ist.    Da  diese  specifische  Wärme  gleich  ^-=^,  also  gleich  dem 

nach  der  Temperatur  genommenen  Differentialcoefficienten  einer 
Temperaturfunction  ist,  so  kann  auch  sie  nur  eine  Function  der 
Temperatur  sein. 

In  der  Gleichung  (10)  kommen  alle  drei  Grössen  T,  v  und  p 
vor.  Es  ist  aber  leicht,  mit  Hülfe  der  Gleichung  (6)  eine  derselben 
zu  eliminiren,  und  indem  wir  dieses  der  Reihe  nach  mit  allen  dreien 
ausführen,  erhalten  wir  drei  verschiedene  Formen  der  Gleichung. 

Durch  Elimination  p  geht  sie  über  in: 

(11)  dQ=  CvdT-\-—dv. 

Um  ferner  v  zu  eliminiren,  setzen  wir: 

_  BT 

^  ~    p  ' 
woraus  folgt : 


Beliandlung  der  vollkoiniiienfii  Gase.  49 

dv  =^  —clT s-"i'- 

p  p^ 

Indem  wir  diesen  Ausdruck  von  dv  in  (10)  einsetzen  und  dann 
die  beiden  Glieder,  welche  cZ T  enthalten ,  zusammenziehen,  be- 
kommen wir: 

(12)  dQ  =  (a  +  B)dT  —  ^dp. 

Um  endlich  T  zu  eliminiren,  setzen  wir  gemäss  (6): 
^Ij'  ^  ^tZjJ  -j-  pdv 
H 
wodurch  (10)  übergeht  in: 

(13)  dQ  =  ^vdp  -i-  ^^  +  ^pdv. 


§.  4.     Folgerung   in   Bezug   auf  die    beiden    specifischen 
Wärmen   und  Umformung  der   vorigen   Gleichungen. 

Ebenso,  wie  aus  der  Gleichung  (10)  ersichtlich  ist,  dass  die 
darin  als  Factor  von  dT  stehende  Grösse  Cv  die  speciüsche 
Wärme  bei  constantem  Volumen  bedeutet,  ist  auch  aus  der  Glei- 
chung (12)  ersichtlich,  dass  der  in  ihr  vorkommende  Factor  von 
d  T,  nämlich  C^  -\-  R^  die  specifische  Wärme  hei  constantem  Drucke 
darstellt.  Wir  können  daher,  wenn  wir  die  letztere  specifische 
Wärme  mit  Cp  bezeichnen,  setzen: 
(14)  Cp  =  a  +  E, 

welche  Gleichung  die  Beziehung  zwischen  den  beiden  specifischen 
Wärmen  angiebt. 

Da  i?  eineConstante  ist,  und  C„,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
nur  eine  Function  der  Temperatur  sein  kann,  so  folgt  aus  dieser 
Gleichung,  dass  auch  Cp  nur  eine  Function  der  Temperatur  sein 
kann. 

Als  ich  zuerst  in  der  oben  erläuterten  Weise  aus  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  den  Schluss  zog,  dass  die  beiden  specifischen 
Wärmen  eines  permanenten  Gases  von  seiner  Dichtigkeit,  oder, 
was  auf  dasselbe  hinauskommt,  von  dem  Drucke,  unter  dem  es 
steht,  unabhängig  sein  müssen,  und  nur  von  der  Temperatur  ab- 
hängen können,  und  noch  die  Bemerkung  hinzufügte,  dass  sie 
wahrscheinlich  sogar  constant  seien,  gerieth  ich  dadurch  mit  den 
damals  herrschenden  Ansichten   in  Widerspruch.     Zu  jener  Zeit 

Clausius,  meehan.  Wävmetheorie.     I.  a 


50  Abschnitt  II. 

galt  es,  in  Folge  der  Versuche  von  Suermann  und  von  de  la 
Roche  und  Berard,  als  feststehend,  dass  die  specifische  Wärme 
der  Gase  vom  Drucke  abhängig  sei,  und  der  Umstand,  dass  die 
neue  Theorie  zu  einem  anderen  Resultate  führte,  erregte  Miss- 
trauen gegen  dieselbe,  und  wurde  u.  A.  von  Holtzmann  zu  ihrer 
Bekämpfung  benutzt. 

Einige  Jahre  später  aber  erfolgte  die  erste  Publication  der 
schönen  Untersuchungen  von  Regnault  über  die  specifische  Wärme 
der  Gasei),  bei  welchen  auch  der  Einfluss  des  Druckes  und  der 
Temperatur  auf  die  specifische  Wärme  einer  speciellen  Prüfung 
unterworfen  ist.  Regnault  hat  die  atmosphärische  Luft  zwischen 
1  und  1 2  Atmosphären  und  den  Wasserstoff  zwischen  1  und  9 
Atmosphären  Druck  untersucht,  hat  aber  keinen  Unterschied  in 
der  specifischen  Wärme  finden  können.  Die  Temperatur  hat  er 
in  der  Weise  geändert,  dass  er  die  Untersuchungen  zwischen  —  30" 
und  -j-  100,  zwischen  0"  und  100"  und  zwischen  0^  und  200"  an- 
gestellt hat,  und  auch  hierbei  hat  er  die  specifische  Wärme  immer 
gleich  gefunden  2).  Das  Resultat  seiner  Untersuchungen  kann  also 
dahin  ausgedrückt  werden,  dass  innerhalb  der  Grenzen  von  Druck 
und  Temperatur,  bis  zu  welchen  seine  Beobachtungen  reichten, 
die  specifische  Wärme  der  permanenten  Gase  sich  constant  zeigte. 

Diese  directen  experimentellen  Untersuchungen  haben  sich 
freilich  nur  auf  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke 
bezogen;  man  wird  aber  wohl  kaum  ein  Bedenken  tragen,  dasselbe 
Resultat  nun  auch  für  die  andere  specifische  Wärme,  welche  sich 
nach  Gleichung  (14)  von  jener  nur  durch  die  Constante  B,  unter- 
scheidet, als  richtig  anzunehmen.'  Demgemäss  wollen  wir  im 
Folgenden,  wenigstens  für  die  vollkommenen  Gase,  die  beiden 
specifischen  Wärmen  als  constant  behandeln. 

Mit  Hülfe  der  Gleichung  (14)  kann  man  die  drei  unter  (11), 
(12)  und  (13)  gegebenen  Gleichungen,  welche  den  ersten  Haupt- 


1)  Comptes  rendus,  T.  XXXVI,  1853;  später  vollständig  veröffentlicht 
im  zweiten  Baude  seiner  Relation  des  experiences. 

2)  Die  auf  S.  108  des  zweiten  Bandes  der  Bei.  des  exp.  für  atmo- 
sphäi'ische  Luft  angeführten,  auf  gewöhnliche  Wärmeeinheiten  bezüglichen 
Zahlen  sind : 

zwischen  —  SO»  und  -f     10«        0,23771 
„  00     „     -}-  1000        0,23741 

„  00      „     4-  2000        0,23751, 

welche  als  gleich  betrachtet  werden  können. 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase. 


51 


satz  der  mechanischen  Wärmetheorie  für  Gase  ausdrücken,  auch 
so  umgestalten,  dass  sie,  statt  der  specifischen  Wärme  bei  con- 
stantem  Volumen,  diejenige  bei  constantem  Drucke  enthalten,  was 
vielleicht  geeigneter  erscheinen  kann,  weil  die  letztere,  als  die 
durch  directe  Beobachtungen  bestimmte,  häufiger  angeführt  zu 
werden  pflegt,  als  die  erstere.     Dann  lauten  die  Gleichungen : 


(15) 


Ti  T 


.dQ=  CpdT 
n    

Ob    — 


BT 

P 


dp 


dQ  = 


B 


—  vdp  -| — :^  pdv. 


Endlich  kann  man  auch  beide  specifische  Wärmen  in  die  Glei- 
chungen einführen  und  dafür  die  Grösse  B  eliminiren,  wodurch 
die  Gleichungen  in  Bezug  auf  p  und  v  symmetrischer  werden, 
nämlich : 

dQ  =  C^dT-\-  (C^  —  Cv)  -dv 


(16) 


dQ  =  C^dT-\-{C^  -  Cp)  -dp 


dQ 


Op 


Or) 


71 j^vdp  +  -^ — ^-^  pdv 


In  den  obigen  Gleichungen  sind  die  specifischen  Wärmen  in 
mechanischen  Einheiten  ausgedrückt.  Will  man  sie  in  gewöhn- 
lichen Wärmeeinheiten  ausdrücken,  so  braucht  man  jene  Werthe 
nur  durch  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  zu  dividiren. 
Bezeichnet  man  also  die  in  gewöhnlichen  Wärmeeinheiten  aus- 
gedrückten specifischen  Wärmen  mit  c„  und  c^j,  so  hat  man  zu 
setzen: 


(17) 


(-"iJ    -n  1 


^'      ^^  —  E' 

Unter  Anwendung  dieser  Zeichen  geht  die  Gleichung  (14),  nach- 
dem man  alle  Glieder  durch  E  dividirt  hat,  über  in: 


(18) 


.B 


52  Abschnitt  II. 


§.  5.     Verhältniss  der  beiden  specifischen  Wärmen  und 

Anwendung  desselben  zur  Berechnung  des  mechanischen 

Aequivalentes  der  Wärme. 

Wenn  durch  irgend  ein  Gas,  z.  B.  durch  die  atmosphärische 
Luft,  ein  System  von  Schallwellen  sich  fortpflanzt,  so  wird  das 
Gas  dabei  abwechselnd  verdichtet  und  verdünnt,  und  die  Ge- 
schwindigkeit, mit  welcher  der  Schall  sich  fortpflanzt,  hängt,  wie 
schon  Newton  nachgewiesen  hat,  davon  ab,  wie  bei  diesen  Dich- 
tigkeitsänderungen der  Druck  sich  ändert.  Für  sehr  kleine  Dich- 
tigkeits-  und  Druckänderungen  dient  als  Ausdruck  der  zwischen 
ihnen  stattfindenden  Beziehung  der  Dififerentialcoefficient  des 
Druckes  nach  der  Dichtigkeit,  also,  wenn  die  Dichtigkeit,  d.  h.  das 
Gewicht  der  Volumeneinheit,  mit  q  bezeichnet  wird,  der  Diff'eren- 

tialcoefficient  y^-     Unter  Anwendung  desselben  erhalten  wir  für 

die  Schallgeschwindigkeit,  welche   wir  mit  u  bezeichnen  wollen, 
folgende  Gleichung: 


(19),  .  '•  =  V^^. 

worin  g  die  Beschleunigung  der  Schwere  bedeutet. 

Um  nun   den  Werth   des  Differentialcoefficienten  -j^  zu  be- 

dQ 

stimmen , "wandte  Newton  das  Mar iotte' sehe  Gesetz  an,  nach 

welchem  Druck  und  Dichtigkeit  einander  proportional  sind.     Er 

setzte  also: 


l-  =  Const., 
Q 

woraus  man  ( 

iurch  Differentiation  erhält 

Qdp—pdg 

Q'^           -"^ 

und  somit: 

(20) 

dp        p 
d(i        ()' 

wodurch  (19) 

übergeht 

in: 

(21)  ^  =  V^  f  • 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase.  53 

Die  mit  Hülfe  dieser  Formel  berechnete  Schallgeschwindigkeit 
stimmt  aber  mit  der  Erfahrung  nicht  überein,  und  der  Grund 
dieser  Differenz  wurde,  nachdem  man  sehr  lange  vergeblich  danach 
gesucht  hatte,  endlich  von  Laplace  aufgefunden. 

Das  Mariotte'sche  Gesetz  gilt  nämlich  nur,  wenn  die  Dich- 
tigkeitsänderung bei  constanter  Temperatur  vor  sich  geht.  Dieses 
ist  aber  bei  den  Schallschwingungen  nicht  der  Fall,  sondern  bei 
jeder  Verdichtung  findet  gleichzeitig  Erwärmung  und  bei  jeder  Ver- 
dünnung Abkühlung  statt.  Demgemäss  muss  bei  der  Verdichtung 
der  Druck  stärker  zunehmen,  und  bei  der  Verdünnung  der  Druck 
stärker  abnehmen,  als  es  nach  dem  MarioHe'schen  Gesetze  sein 
sollte.     Es  fragt  sich  nun,  wie  unter  diesen  Umständen  der  Werth 

des  Differentialcoefficienten  -^  bestimmt  werden  kann. 

Da  die  Verdichtungen  und  Verdünnungen  sehr  schnell  wech- 
seln, so  kann  während  einer  so  kurzen  Zeit  zwischen  den  ver- 
dichteten und  verdünnten  Theilen  des  Gases  nur  ein  sehr  geringer 
Wärmeaustausch  stattfinden.  Vernachlässigt  man  diesen,  so  hat 
man  es  mit  einer  Dichtigkeitsänderung  zu  thun,  bei  welcher 
die  betreffende  Gasmenge  keine  Wärme  von  Aussen  empfängt  oder 
nach  Aussen  abgiebt,  und  man  hat  also,  wenn  man  die  Differen- 
tialgleichungen des  vorigen  Paragraphen  auf  diesen  Fall  anwenden 
will ,  6^  ^  =  0  zu  setzen.  Thun  wir  dieses  z.  B.  in  der  letzten  der 
Gleichungen  (16),  so  lautet  sie: 

-ö — ^—rT  '"^P  +  r  —  r  P^'"  "=  ^' 
oder  nach  Forthebung  des  gemeinsamen  Nenners: 

Cvvdp  -{-  Cppdv  =  0. 
Da  nun   das  auf  die  Gewichtseinheit  bezügliche  Volumen  v  der 
reciproke  Werth  der  Dichtigkeit  ist,  so  können  wir  setzen: 

V  =  — ,  und  daher  dv  ■= ^, 

wodurch  die  Gleichung  übergeht  in: 

dp         „    pdQ 

Q  Q 

und  hieraus  ergiebt  sich: 

(22)  1^=^^'- 

^     ^  dg         Cv  Q 

Dieser  Werth  des  Differentialcoefficienten   unterscheidet  sich 

von  dem  aus  dem  Mariotte'schen Gesetze  abgeleiteten,  unter  (20) 


^  ~^   —       P   — ^Ti —  ' 


54  Abschnitt  II. 

gegebenen  dadurch,  dass  das  Verliältniss  der  beiden  specifischen 
Wärmen  in  ihm  als  Factor  vorkommt.  Dieses  Verhältniss  wollen  wir 
durch  einen  einfachen  Buchstaben  bezeichnen,  indem  wir  setzen: 

(23)  ^  =  ?f, 
wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

(24)  iP=lcl. 

Indem  wir  diesen  Werth  des  Differentialcoefficienten  in  die  Gleichung 
(19)  einsetzen,  erhalten  wir  statt  (21):    . 

(25)  u  =  yjcg^^. 

Mittelst  dieser  Gleichung  kann  man,  wenn  Je  bekannt  ist,  die 
Schallgeschwindigkeit  u  berechnen.  Wenn  dagegen  die  Schall- 
geschwindigkeit durch  Beobachtung  bekannt  ist,  so  kann  man  die 
Gleichung  zur  Berechnung  von  h  anwenden,  indem  man  sie  um- 
formt in: 

(26)  7.  =  ^. 

Für  die  atmosphärische  Luft  ist  die  Schallgeschwindigkeit 
mehrfach  mit  grosser  Sorgfalt  von  verschiedenen  Physikern  be- 
stimmt, deren  Resultate  unter  einander  nahe  übereinstimmen. 
Nach  den  Versuchen  von  Bravais  und  Martins  i)  beträgt  die 
Schallgeschwindigkeit  bei  der  Temperatur  des  Gefrierpunktes 
332,4  m.  Diesen  Werth  wollen  wir  in  die  Gleichung  (26)  ein- 
setzen.    Ferner   haben   wir   darin   für  g   den   bekannten   Werth 

9,809  m  zu  setzen.     Bei   der  Bestimmung  des  Bruches  —  können 

wir  den  Druck  jj  beliebig  wählen ,  müssen  aber  dann  für  die  Dich- 
tigkeit Q  den  Werth  setzen,  welcher  dem  gewählten  Drucke  ent- 
spricht. Wir  wollen  p  als  den  Druck  einer  Atmosphäre  annehmen. 
Dieser  Druck  muss  in  der  Formel  durch  ein  auf  einer  Flächen- 
einheit lastendes  Gewicht  dargestellt  werden.  Da  dieses  Gewicht 
gleich  demjenigen  eines  Quecksilberprismas  ist,  welches  1  Quadrat- 
meter Grundfläche  und  760  mm  Höhe  und  folglich  760  Cubik- 
decimeter  Rauminhalt  hat,  und  da  nach  Regnault  das  specifische 


1)  Ann.  de  Chim.  S.  III,  t.  13,  p.  5,  und  Pogg.  Ann.  Bd.  66,  S.  351. 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase.  55 

Gewicht  des  Quecksilbers  bei  OP,   verglichen  mit  Wasser  von  4^', 
gleich  13,596  ist,  so  erhalten  wir: 

p  =  1  Atm.  =  760  .  13,596  =  10333. 
Unter  q  endlich  haben  wir  das  Gewicht  eines  Cubikmeter  Luft 
unter  dem  angenommenen  Drucke  von  einer  Atmosphäre  und  bei 
der  Temperatur  0"  zu  verstehen ,  welches  nach  Regnault 
1,2932  kg  beträgt.  Durch  Einsetzung  dieser  Werthe  in  die 
Gleichung  (26)  erhalten  wir: 

(332,4)^.  1,2932 
9,809  .  10333  ' 

Nachdem  diese  Grösse  h  für  die  atmosphärische  Luft  bestimmt 
ist,  können  wir  die  Gleichung  (18)  dazu  benutzen,  die  Grösse  Ti", 
d.  h.  das  mechanische  Äequivalent  der  Wärme^  zu  berechnen,  wie 
es  zuerst  von  Mayer  geschehen  ist.     Aus  (18)  folgt  nämlich: 

R 


E  = 


Cy 


C 

und  wenn  man  hierin  für  den  Bruch  — ,    welcher   derselbe    ist   wie 

Cy 

c 

y^,  wieder  den  Buchstaben  li  anwendet,  und  demgemäss  Cy  durch 
-Y-  ersetzt,  so  kommt: 

K 

(27)  E  ^^ 


(Je  —  1)  Cp 

Hierin   setzen  wir  für  k   den   oben  gefundenen  Werth  1,410, 
und  für  Cp  nach  Regnault  den  Werth  0,2375.    Es  bleibt  also  nur 

noch  die  Grösse  R  =  -^-^—^  zu  bestimmen.     Dabei  nehmen  wir  Dq 
a 

wieder  als  den  Druck  einer  Atmosphäre  an,  welcher  dem  Obigen 
nach  durch  die  Zahl  10333  auszudrücken  ist,  und  haben  dann 
unter  Vo  das  nach  Cubikmeter  gemessene  Volumen  von  1  kg  Luft 
unter  dem  genannten  Drucke  und  bei  der  Temperatur  0«  zu  ver- 
stehen, welches  nach  Regnault  0,7733  beträgt.  Die  Grösse  a 
endlich  haben  wir  schon  früher  zu  273  angenommen.  Demnach 
wird  R  für  atmosphärische  Luft  bestimmt  durch  die  Gleichung : 
10333  .  0,7733  _ 

^ 273 -  ^^'^^- 

Durch  Einsetzung  dieser  Werthe  von  /<;,  c^  und  R  in  die  Gleichung 
(27)  erhalten  wir: 


56  Abschnitt  II. 

1,410.29,27  _  .g.o 
^  -  0,410  .  0,2375  -  ^^^'^- 
Diese  Zahl  stimmt  mit  der  von  Joule  durch  Reibung  des 
Wassers  gefundenen  Zahl  423,55  fast  genau  überein.  Man  muss 
sogar  sagen,  dass  die  üebereinstimmung  grösser  ist,  als  man  nach 
dem  Grade  der  Zuverlässigkeit  der  zur  Rechnung  angewandten 
Data  erwarten  durfte,  so  dass  auch  der  Zufall  -etwas  dabei  mit- 
gewirkt haben  muss.  Immerhin  aber  bildet  diese  üebereinstimmung 
eine  augenfällige  Bestätigung  der  für  die  Gase  aufgestellten 
Gleichungen. 


§.  6.     Verschiedene  auf  die  specifischen  Wärmen  der 
Gase  bezügliche  Formeln. 

Nimmt  man  in  der  Gleichung  (18)  die  Grösse  E  als  bekannt 
an,  so  kann  man  die  Gleichung  dazu  anwenden,  aus  der  durch  Be- 
obachtung bestimmten  specifischen  Wärme  bei  constantem  Drucke 
diejenige  bei  constantem  Volumen  zu  berechnen.  Diese  Anwen- 
dung ist  von  besonderer  Wichtigkeit,  weil  das  Verfahren,  das  Ver- 
hältniss  der  beiden  specifischen  Wärmen  aus  der  Schallgeschwin- 
digkeit abzuleiten,  nur  für  wenige  Gase  ausführbar  ist,  indem  die 
Schallgeschwindigkeit  nur  für  eine  geringe  Anzahl  von  Gasen  durch 
Beobachtung  bestimmt  ist.  Für  alle  anderen  Gase  liefert  die 
Gleichung  (18)  das  einzige  bis  jetzt  vorhandene  Mittel,  die  specifische 
Wärme  bei  constantem  Volumen  aus  derjenigen  bei  constantem 
Drucke  zu  berechnen. 

Dabei  ist  nun  freilich  zu  bemerken,  dass  die  Gleichung  (18) 
nur  für  vollkommene  Gase  streng  richtig  ist;  indessen  liefert  sie 
für  die  anderen  Gase  wenigstens  angenäherte  Resultate.  Auch 
ist  der  Umstand  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  die  Beobachtung  der 
specifischen  Wärme  eines  Gases  bei  constantem  Drucke  um  so 
schwieriger  und  demgemäss  die  betreffende  Beobachtungszahl  um 
so  weniger  zuverlässig  ist,  je  weniger  permanent  das  Gas  ist, 
und  je  mehr  es  daher  in  seinem  Verhalten  von  den  Gesetzen 
eines  vollkommenen  Gases  abweicht;  und  man  kann  daher,  da 
man  von  der  Rechnung  keine  grössere  Genauigkeit  zu  verlangen 
braucht,  als  die  Beobachtungszahlen  möglicher  Weise  besitzen, 
die  angewandte  Rechnungsweise  als  für  den  Zweck  vollkommen 
genügend  betrachten. 


BehaudluQg  der  vollkommenen   Gase.  57 

Wir  schreiben  die  Gleichung  zunächst  in  der  Form: 

(28)  Cy  =  Cp  —  ^^ 

Für  E  wenden  wir  hierin  den  Werth  423,55  an.  Die  Grösse  R 
ist  bestimmt  durch  die  Gleichung  (4),  nämlich: 

a 
welche  sich  auf  die  Temperatur  des  Gefrierpunktes  bezieht.    Sollte 
aber  ein  Gas   sich  bei  dieser  Temperatur  nicht  gut  beobachten 
lassen,  was  bei  vielen  Dämpfen  der  Fall  ist,  so  kann  man  auch, 
in  Folge  von  (6),  schreiben: 

(29)  B='^, 

worin  p,  v  und  T  irgend  drei  zusammengehörige  Werthe  von 
Druck,  Volumen  und  absoluter  Temperatur  sind. 

Diese  Grösse  B  ist,  wie  früher  schon  gelegentlich  erwähnt 
wurde,  von  der  Natur  des  Gases  nur  insofern  abhängig,  als  sie 
dem  specifischen  Gewichte  desselben  umgekehrt  proportional  ist. 
Bezeichnen  wir  nämlich  das  Volumen  einer  Gewichtseinheit  atmo- 
sphärischer Luft  bei  der  Temperatur  T  und  unter  dem  Drucke  |9 
mit  v\  und  den  auf  atmosphärische  Luft  bezüglichen  Werth  von 
R  mit  JR',  so  ist: 

Vereinigen  wir  diese  Gleichung  mit  der  vorigen,  so  erhalten  wir: 
R  =  R'  -r 

V 

Der  Bruch  —  ist  aber,  wie  leicht  zu  sehen,  der  reciproke  Werth 

des  specifischen  Gewichtes  des  betreffenden  Gases,  verglichen  mit 
atmosphärischer  Luft.  Bezeichnen  wir  dieses  specifische  Gewicht 
mit  d^  so  geht  die  letzte  Gleichung  über  in: 

(30)  ie  =  f. 

Durch  Einsetzung  dieses  Werthes  von  R  in  (28)  erhält  man: 

(31)  Cv  =  Cp  —  "^77* 

Der  hierin  mit  R'  bezeichnete,  auf  die  atmosphärische  Luft 
bezügliche  Werth  der  Grösse  R  ist  schon  in  §.  5  berechnet,  und 
zu  29,27  gefunden.    Daraus  ergiebt  sich  weiter: 


58  Abschnitt  II. 

tL  —    '^^^'^"^   —  0  0691 

wodurch  die  zur  Bestimmung  der  specifischen  Wärme  bei  con- 
stantem  Volumen  dienende  Gleichung  folgende  sehr  einfache  Form 
annimmt : 

—     _  Q'Q^^^ 

\o2i)  Cv  —  ^p  ^1      ' 

Wenn  wir  diese  Gleichung  zunächst  auf  die  atmosphärische 
Luft,  für  welche  ^  =  1  zu  setzen  ist,  anwenden,  und  dabei  die 
auf  die  Luft  bezüglichen  Zeichen  der  specifischen  Wärmen  zur 
Unterscheidung  mit  Accenten  versehen,  so  kommt: 

(33)  c'y  =  c'p  —  0,0691, 

und,  wenn  wir  hierin  für  c'p  nach  Regnault  die  Zahl  0,2375 
setzen,  so  erhalten  wir  das  Resultat: 

(34)  c;  =  0,2375  —  0,0691  =  0,1684. 

Für  die  anderen  Gase  wollen  wir  der  Gleichung  noch  fol- 
gende Form  geben: 

.o.^  Cpd  -  0,0691 

(35)  Cy  =  -^ ^ , 

welche,  wie  wir  später  sehen  werden,  bei  der  Anwendung  der  von 
Regnault  für  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke  ge- 
gebenen Werthe  besonders  bequem  ist. 

Die  mit  Cp  und  c^  bezeichneten  specifischen  Wärmen  beziehen 
sich  auf  eine  Gewichtseinheit  des  Gases,  und  haben  als  Einheit  die 
gewöhnliche  Wärmeeinheit,  nämlich  die  Wärmemenge,  welche  eine 
Gewichtseinheit  Wasser  zur  Erwärmung  von  O**  bis  l**  bedarf.  Man 
kann  also  sagen:  das  Gas  ist  in  Bezug  auf  die  Wärme,  welche  es 
entweder  bei  constantem  Drucke  oder  bei  constantem  Volumen 
zur  Erwärmung  bedarf,  dem  Gewichte  nach  mit  Wasser  verglichen. 

Es  ist  aber  bei  Gasen  gebräuchlicher,  sie  dem  Volumen  nach 
mit  Luft  0u  vergleichen,  d.  h.  die  specifische  Wärme  so  zu  bestim- 
men, dass  man  die  Wärmemenge,  welche  das  Gas  zur  Erwärmung 
um  einen  Grad  bedarf,  vergleicht  mit  der  Wärmemenge,  welche 
ein  gleiches  Volumen  Luft,  bei  gleicher  Temperatur  und  unter 
gleichem  Drucke  genommen,  zu  derselben  Erwärmung  bedarf. 
Diese  Art  der  Vergleichung  wendet  man  bei  beiden  specifischen 
Wärmen  an,  indem  man  bei  der  einen  annimmt,  dass  sowohl  das 
betrachtete  Gas,  als  auch  die  atmosphärische  Luft  bei  constantem 
Drucke  erwärmt  wird,  und  bei  der  anderen  annimmt,  dass  beide 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase.  59 

bei    coüstantem  Volumen    erwärmt   werden.     Die    so   bestimmten 
specifischen  Wärmen  mögen  durch  yp  und  y^.  bezeichnet  werden. 

Da  wir  das  Volumen,  welches  eine  Gemchtseinheit  des  Gases 
bei  gegebener  Temperatur  und  unter  gegebenem  Drucke  einnimmt, 
mit  V  bezeichnen,  so  wird  die  Wärmemenge,  welche  eine  Volumen- 
einheit des  Gases  bei  constantem  Dnicke  zur  Erwärmung  um  einen 

Grad  bedarf,  durch  -^  dargestellt,  und  für  die  atmosphärische  Luft 


V 


wird  die  entsprechende  Grösse  durch  -j-  dargestellt.     Durch  Divi- 


sion dieser  beiden  Grössen  entsteht  yjj,  und  es  ist  somit  zu  setzen: 

(36)  yp=^^  i  =^  ^  =  ^4d. 

V    Cp  Cp     V  Cp 

Ebenso  erhält  man: 

(37)  n.  =  '^f?. 

In  der  ersten  dieser  beiden  Gleichungen  bringen  wir  nun  für 
Cp  den  von  Regnault  gefundenen  Werth  0,2375  in  Anwendung, 
so  dass  sie  lautet: 

In  der  zweiten  setzen  wir  für  c[.  gemäss  (34)  den  Werth  0.1684. 
und  für  c\.  den  in  (35)  gegebenen  Ausdruck,  wodurch  entsteht: 


(39)  y,  = 


Cpd  —  0,0691 
0.1684 


§.  7.     Numerische  Berechnung  der  specifischen  Wärme 
bei  constantem  Volumen. 

Die  im  vorigen  Paragraphen  entwickelten  Formeln  habe  ich 
angewandt,  um  aus  den  Werthen,  welche  Regnault  durch  seine 
Beobachtungen  bei  einer  grossen  Anzahl  von  Gasen  und  Dämpfen 
für  die  specilische  Wärme  bei  constantem  Drucke  gefunden  hat, 
die  entsprechenden  Werthe  der  specifischen  Wärme  bei  constantem 
Volumen  zu  berechnen. 

Dabei  habe  ich  auch  eine  der  beiden  von  Regnault  selbst 
gegebenen  Zahlenreihen  etwas  umgerechnet  Regnault  hat 
nämlich  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke  in  zwei  ver- 
schiedenen Weisen  ausgedrückt,  und  die  betrefienden  Zahlen  in 
zwei  Reihen  zusammengestellt,  welche  er  ^en  poids'^  und  „en  vohime'^ 
überschrieben   hat.     Die  erste  Reihe   enthält  die  Werthe,   welche 


60  Abschnitt  II. 

entstehen,  wenn  man  die  Gase  in  Bezug  auf  die  zu  ihrer  Erwär- 
mung nöthigen  Wärmemengen  dem  Gewichte  nach  mit  Wasser 
vergleicht,  also  die  Werthe  der  oben  mit  c^  bezeichneten  Grösse. 
Die  Zahlen  der  zweiten  Reihe  sind  aus  denen  der  ersten  einfach 
durch  Multiplication  mit  den  zugehörigen  specifischen  Gewichten 
abgeleitet,  es  sind  also  die  Werthe  des  Productes  Cpd. 

Diese  letzteren  Zahlen  waren  freilich  die,  welche  sich  aus  den 
beobachteten  Werthen  von  c^  am  leichtesten  berechnen  Hessen, 
aber  ihre  Bedeutung  ist  ziemlich  complicirt.  Als  Einheit  der 
Wärmemenge  dient  bei  ihnen  die  gewöhnliche  Wärmeeinheit,  wäh- 
rend das  Volumen,  auf  welches  sie  sich  beziehen,  dasjenige  ist, 
welches  eine  Gewichtseinheit  atmosphärischer  Luft  einnimmt,  wenn 
sie  sich  bei  derselben  Temperatur  und  unter  demselben  Drucke 
befindet,  wie  das  betrachtete  Gas.  Diese  Weitläufigkeit  des  wört- 
lichen Ausdruckes  macht  die  Zahlen  für  die  Auffassung  und  An- 
wendung unbequem;  auch  ist  diese  Art,  die  specifische  Wärme  der 
Gase  auszudrücken,  so  viel  ich  weiss,  vor  Regnault  von  Niemand 
angewandt.  Wenn  man  die  Gase  dem  Volumen  nach  betrachtete, 
so  pflegte  man  dieses  sonst  immer  in  der  Weise  zu  thun,  dass  man 
die  Wärmemenge,  welche  ein  gegebenes  Volumen  eines  Gases  zur 
Erwärmung  bedarf,  mit  der  Wärmemenge  verglich,  welche  ein 
gleiches  Volumen  atmosphärischer  Luft  unter  gleichen  Umständen 
zur  gleichen  Erwärmung  bedarf,  was  wir  oben  kurz  so  ausgedrückt 
haben ,  dass  die  Gase  dem  Volumen  nach  mit  Luft  verglichen  wer- 
den. Die  dadurch  gewonnenen  Zahlen  zeichnen  sich  durch  ihre  Ein- 
fachheit aus,  und  lassen  die  bei  den  specifischen  Wärmen  der  Gase 
bestehenden  Gesetzmässigkeiten  besonders  deutlich  hervortreten. 

Es  wird  daher,  wie  ich  glaube,  gerechtfertigt  erscheinen,  dass 
ich  aus  den  von  Regnault  unter  der  Ueberschrift  „ew  volume^^ 
gegebenen  Werthen  des  Productes  c^d  die  Werthe  der  oben  be- 
sprochenen Grösse  y^  berechnet  habe,  wozu  nach  (38)  nur  nöthig 
war,  die  Werthe  von  c^d  durch  0,2375  zu  dividiren. 

Ferner  habe  ich  die  Werthe  der  Grössen  c^  und  y„  berechnet, 
was  nach  den  Gleichungen  (35)  und  (39)  sehr  einfach  dadurch 
geschehen  konnte,  dass  von  den  Werthen  des  Productes  Cpd  die 
Zahl  0,0691  abgezogen  und  die  Differenz  entweder  durch  d  oder 
durch  0,1684  dividirt  wurde. 

Die  so  berechneten  Zahlen  habe  ich  in  der  nachstehenden 
Tabelle  zusammengestellt,  in  welcher  die  einzelnen  Columnen 
folgende  Bedeutungen  haben. 


Behanfllnng  der  vollkommennn  Oase.  61 

Columne  I.     Die  Namen  der  Gase. 

Columne  IL  Die  chemische  Zusammensetzung,  und  zwar  in 
der  Weise  ausgedrückt,  dass  daraus  unmittelbar  die  bei  der  Ver- 
bindung eingetretene  Volumenverminderung  zu  ersehen  ist.  Es 
sind  nämlich  jedesmal  diejenigen  Volumina  der  einfachen  Gase 
angegeben,  welche  sich  verbinden  müssen,  um  zwei  Volumina  des 
zusammengesetzten  Gases  zu  geben.  Dabei  ist  für  Kohlengas  das 
hypothetische  Volumen  vorausgesetzt,  welches  man  annehmen  muss, 
um  sagen  zu  können:  ein  Volumen  Kohlengas  verbindet  sich  mit 
einem  Volumen  Sauerstoff  zu  Kohlenoxydgas  und  mit  zwei  Volumen 
Sauerstoff  zu  Kohlensäure.  Wenn  hiernach  in  der  Tabelle  z.  B. 
Alkohol  bezeichnet  ist:  CgHeO,  so  soll  das  heissen:  2  Vol.  hypo- 
thetisches Kohlengas,  6  Vol.  Wasserstoff  und  1  Vol.  Sauerstoff 
geben  2  Vol.  Alkoholdampf,  Bei  Schwefelgas  ist  zur  Bestimmung 
des  Volumens  dasjenige  specifische  Gewicht  als  maassgebend  be- 
trachtet, welches  Sainte-Claire  Deville  und  Troost  bei  sehr 
hohen  Temperaturen  gefunden  haben,  nämlich  2,23.  Bei  den  fünf 
letzten  Verbindungen  der  Tabelle,  welche  Kiesel,  Phosphor,  Arsen, 
Titan  und  Zinn  enthalten,  sind  für  diese  einfachen  Stoffe  ihre  ge- 
wöhnlichen chemischen  Zeichen,  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Volumina 
im  gasförmigen  Zustande,  hingeschrieben,  weil  die  Gasvolumina 
dieser  Stoffe  theils  noch  unbekannt,  theils  mit  gewissen  noch  nicht 
hinlänglich  aufgeklärten  Unregelmässigkeiten  behaftet  sind. 

Columne  III.  Die  JDichtigkeit  der  Gase,  und  zwar  die  von 
Regnault  angeführten  Zahlen. 

Columne  IV.  Die  specifische  Wärme  hei  constantem  DnicJce 
dem  Geivichte  nach  verglichen  mit  Wasser,  oder,  was  dasselbe  ist, 
bezogen  auf  eine  Gewichtseinheit  der  Gase  und  ausgedrückt  in 
gewöhnlichen  Wärmeeinheiten.  Dieses  sind  die  Zahlen,  welche 
Regnault  unter  der  Rubrik  „en  poids'-^  gegeben  hat. 

Columne  V.  Die  specifische  Wärme  hei  constantem  DrucJce  dem 
Volumen  nach  verglichen  mit  Lufl,  dadurch  berechnet,  dass  die 
von  Regnault  unter  der  Rubrik  „en  volume^^  gegebenen  Zahlen 
durch  0,2375  dividirt  sind. 

Columne  VI.  Die  specifische  Wärme  hei  constantem  Volumen 
dem  Geivichte  nach  verglichen  mit  Wasser,  nach  Gleichung  (35) 
berechnet. 

Columne  VII.  Die  specifische  Wärme  hei  constantem  Volumen 
dem  Volumen  nach  verglichen  mit  Luft,  nach  Gleichung  (39)  be- 
rechnet. 


62 


Abschnitt  II. 


Namen  der  Gase 


Chemi- 
sche Zu- 
sammen- 

setzunsc 


III. 


Dich- 
tigkeit 


IV.       I       V. 
Specif.  Wärme  bei 
constantem  Drucke 


dem  Ge- 
wichte 

nach  ver- 
glichen 

mit  Was- 
ser 


dem  Vo- 
lumen 

nach  ver- 
glichen 

mit  Luft 


VI.       I      VII. 
Specif.   Wärme    bei 
constantem  Volumen 


dem  Ge- 
wichte 

nach  ver- 
glichen 

mit  Was- 
ser 


dem  Vo- 
lumen 

nach  ver- 
glichen 

mit  Luft 


Atmosphärische  Luft  .    . 

Sauerstofi" 

Stickstoff 

Wasserstoff 

Chlor 

Brora 

Stickstoffoxyd 

Kohlenoxyd 

Chlorwasserstoff  .    .    .    . 

Kohlensäure 

Stickstofioxydul    .    ,    .    . 

Wasserdampf 

Schweflige  Säure  .  .  .  . 
Schwefelwasserstoff  .  . 
Schwefelkohlenstoff     .    . 

Grubengas  

Chloroform 

Oelbildendes  Gas      .    .    . 

Ammoniak      

Benzin 

Terpentinöl 

Holzgeist 

Alkohol 

Aether 

Schwefeläthyl 

Chloräthyl 

Bromäthyl 

Holländische  Flüssigkeit 

Aceton 

Essigäther 

Kieselchlorür 

Phosphorchlorür  .    .    .    , 

Arsenchlorür 

Titanchlorid       

Zinnchlorid 


O2 

H2 

CI2 

Bl"2 

NO 
CO 
HCl 

CO2 
N2O 
H2O 
SO2 

HgS 

CH4 
CHCI3 
C2H4 
NH3 

CeHg 

C10H16 

CH,0 

CäHfiO 

C4H10O 

C^HjoS 

C2H5CI 

CaHgBr 

C2H4CI2 

CgHeO 

C4  Hg  Og 
SiClg 

PC13 

AsGIg 
TiCl^ 
SnCl4 


1 

1,1056 

0,9713 

0,0692 

2,4502 

5,4772 

1,0384 

0,9673 

1,2596 

1,5290 

1,5241 

0,6219 

2,2113 

1,1747 

2,6258 

0,5527 

4,1244 

0,9672 

0,5894 

2,6942 

4,6978 

1,1055 

1,5890 

2,5573 

3,1101 

2,2269 

3,7058 

3,4174 

2,0036 

3,0400 

5,8833 

4,7464 

6,2667 

6,6402 

8,9654 


0,2375 

0,21751 

0,24380 

3,40900 

0,12099 

0,05552 

0,2317 

0,2450 

0,1852 

0,2169 

0,2262 

0,4805 

0,1544 

0,2432 

0,1569 

0,5929 

0,1567 

0,4040 

0,5084 

0,3754 

0,5061 

0,4580 

0,4534 

0,4797 

0,4008 

0,2738 

0,1896 

0,2293 

0,4125 

0,4008 

0,1322 

0,1347 

0,1122 

0,1290 

0,0939 


1 

1,013 
0,997 
0,993 
1,248 
1,280 
1,013 
0,998 
0,982 
1,39 
1,45 
1,26 
1,44 
1,20 
1,74 
1,38 
2,72 
1,75 
1,26 
4,26 
10,01 
2,13 
3,03 
5,16 
5,25 
2,57 
2,96 
3,30 
3,48 
5,13 
3,27 
2,69 
2,96 
3,61 
3,54 


0,1684 

0,1551 

0,1727 

2,411 

0,0928 

0,0429 

0,1652 

0,1736 

0,1304 

0,172 

0,181 

0,370 

0,123 

0,184 

0,131 

0,468 

0,140 

0,359 

0,391 

0,350 

0,491 

0,395 

0,410 

0,453 

0,379 

0,243 

0,171 

0,209 

0,378 

0,378 

0,120 

0,120 

0,101 

0,119 

0,086 


1 

1,018 
0,996 
0,990 
1,350 
1,395 
1,018 
0,997 
0,975 
1,55 
1,64 
1,36 
1,62 
1,29 
2,04 
1,54 
3,43 
2,06 
1,37 
5,60 
13,71 
2,60 
3,87 
6,87 
6,99 
3,21 
3,76 
4,24 
4,50 
6,82 
4,21 
3,39, 
3,77 
4,67 
4,59 


Beliandliiug  der  vollkommenen  Gase.  63 


§.  8.     Integration    der    Differentialgleichungen,    welche 
den  ersten  Hauptsatz  für  Gase  ausdrücken. 

Die  in  den  §§.  3  und  4  aufgestellten  Difi'erentialgleichnngen, 
welche  in  verschiedenen  Formen  den  ersten  Hauptsatz  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  für  Gase  ausdrücken,  sind,  wie  man  an  jeder 
einzelnen  leicht  erkennen  kann,  nicht  unmittelbar  integrabel,  und 
sie  müssen  daher  so  behandelt  werden,  wie  es  in  §.  3  der  Einleitung 
auseinandergesetzt  ist. 

Die  Integration  lässt  sich  nämlich  ausführen,  sobald  die  in 
der  betreffenden  Gleichung  vorkommenden  Veränderlichen  einer 
Bedingung  unterworfen  werden,  wodurch  der  Weg  der  Veränderung 
bestimmt  wird.  Wir  wollen  in  dieser  Weise  hier  nur  zwei  sehr 
einfache  Beispiele  behandeln,  deren  Resultate  für  die  weiteren 
Untersuchungen  von  Wichtigkeit  sind. 

1)  Das  Gas  soll  bei  constantem  Drucke  sein  Volumen  ändern, 
und  die  dazu  nöthige  Wärmemenge  soll  bestimmt  werden. 

Für  diesen  Fall  wählen  wir  aus  den  obigen  Gleichungen  eine 
solche  aus,  welche  p  und  v  als  unabhängige  Veränderliche  ent- 
hält, z.  B.  die  letzte  der  Gleichungen  (15),  nämlich: 

d  Q  =     ^  p —  vdp  -| — ^pdv. 

Da  nun  der  Druck  p  constant  sein  soll,  so  setzen  wir  p  =  p^  und 
dp  =  0,  wodurch  die  Gleichung  übergeht  in: 

dQ  =  ^pidv, 

und  diese   giebt   durch  Integration,   wenn  wir  den  Anfangswerth 
von  V  mit  Vi  bezeichnen: 

(40)  Q=%Pi(v-vO. 

2)  Das  Gas  soll  bei  constanter  Temperatur  sein  Volumen 
ändern,  und  die  dazu  nöthige  Wärmemenge  soll  bestimmt  werden. 

Für  diesen  Fall  wählen  wir  eine  Gleichung,  welche  T  und  v 
als  unabhängige  Veränderliche  enthält,  z.  B.  die  Gleichung  (11), 
nämlich : 

dQ=  CvdT4-—dv. 


64  Abschnitt  II. 

Da  T  constant  sein  soll,  so  setzen  wir  T  =  Ti^  und  (ZT  =  0, 
wodurch  entsteht: 

dQ  =  BT,  — . 

Durch  Integration  dieser  Gleichung  erhalten  wir: 

(41)  Q  =  BTJog^^, 

worin  unter  log  der  natürliche  Logarithmus  verstanden  wird.  Hier- 
aus folgt  zunächst  der  Satz:  ive^m  ein  Gas  ohne  Temperatur- 
änderung sein  Volumen  so  ändert^  dass  die  auf  einander  folgenden 
Volumina  eine  geometrische  Reihe  hilden,  so  bilden  die  von  ihm 
aufgenommenen  oder  abgegebenen  Wärmemengen  eine  arithmetische 
Reihe. 

Wenn  man  ferner  für  R  den  Bruch  ^i,  ^  setzt,  so  kommt: 

(42)  Q=p,vJog  ^' 

Fasst  man  diese  Gleichung  in  dem  Sinne  auf,  dass  man  sie  nicht 
gerade  auf  eine  Gewichtseinheit  des  Gases  bezieht,  sondern  auf 
eine  solche  Menge  desselben,  welche  unter  dem  Drucke  p,  ein  ge- 
gebenes Volumen  v,  einnimmt,  und  dann  dieses  Volumen  bei  con- 
stanter  Temperatur  bis  v  ändert,  so  enthält  die  Gleichung  nichts, 
was  sich  auf  die  besondere  Natur  des  Gases  bezieht.  Die  auf- 
genommene Wärmemenge  ist  also  von  der  Natur  des  Gases  unab- 
hängig. Auch  von  der  Temperatur  hängt  sie  nicht  ab,  sondern  nur 
vom  Drucke,  indem  sie  dem  anfänglichen  Druche  proportional  ist. 

Eine  andere  Anwendung  der  in  den  §§.  3  und  4  aufgestellten 
Differentialgleichungen  besteht  darin,  dass  über  die  dem  Gase 
während  seiner  Zustandsänderung  mitzutheilende  Wärme  eine 
Annahme  gemacht  und  dann  untersucht  wird,  welchen  Verlauf 
unter  diesen  Umständen  die  Zustandsänderung  nehmen  muss. 

Die  einfachste  und  zugleich  wichtigste  Annahme  dieser  Art 
ist  die,  dass  dem  Gase  während  der  Veränderung  gar  'keine  Wärme 
mitgetheilt  oder  entzogen  wird.  Man  kann  sich  dazu  vorstellen,  das 
Gas  befinde  sich  in  einer  für  Wärme  undurchdringlichen  Hülle, 
oder  die  Veränderung  gehe  so  schnell  vor  sich,  dass  in  der  kurzen 
Zeit  keine  merkliche  Wärmemenge  zu-  oder  abströmen  könne. 

Dieser  Annahme  entsprechend  haben  wir  d  Q  =  0  zu  setzen, 
was  wir  in  den  drei  unter  (16)  gegebenen  Gleichungen  thun  wollen. 


Behandlung  der  vollkommenen  Gase.  05 

Die  erste  dieser  Gleichungen  lautet  dann: 
C^dT^  (Cj,  —  C)  ~dv  =  0. 

Diese  Gleichung  wollen  wir  durch  T  und  Cy  dividiren,  und  dann 

C 
den  Bruch  -^^  wie  oben,  mit  /.;  bezeichnen,    wodurch   sie  über- 

geht  in: 

Hieraus  ergiebt  sich  durch  Integration: 

log  T  ^  (k  —  l)logv  =  Const., 
oder: 

Tv^-^  =  Const. 
Bezeichnen  wir  die  Anfangswerthe  von  T  und  v  mit  Tj  und  Vi  und 
eliminiren  dann  die  unbestimmte  Constante,  so  kommt: 

Wendet  man  diese  Gleichung  z.  B.  auf  atmosphärische  Luft 
an,  und  setzt  dabei  Ä=  1,410,  so  kann  man  leicht  die  Temperatur- 
änderung, welche  irgend  einer  Volumenänderung  entspricht,  be- 
rechnen. Nimmt  man  z.  B.  an,  es  sei  bei  der  Temperatur  des 
Gefrierpunktes  unter  einem  beliebigen  Drucke  eine  Quantität  Luft 
genommen,  und  sei  in  einer  für  Wärme  undurchdringlichen  Hülle 
oder  sehr  schnell  auf  die  Hälfte  ihres  Volumens  zusammengedrückt, 

so  hat  man  T,  =  273  und  —  =  2  zu  setzen,  und  es  kommt  also: 

V 

2^3  =  2o.«o  =  1,329, 

woraus  folgt: 

T=  273  .  1,329  =  363, 
oder,  wenn  t  die  vom  Gefrierpunkte  an  gezählte  Temperatur  be- 
deutet : 

t  =  T  —  213  =  900. 

Wenn  man  dieselbe  Rechnung  für  die  Zusammendrückungen 
auf  Y4  und  Yio  (ies  ursprünglichen  Volumens  ausführt,  so  erhält 
man  die  Resultate,  welche  mit  dem  vorigen  vereint  in  der  nach- 
stehenden kleinen  Tabelle  zusammengestellt  sind: 

Clausius,  median.  Wärmetheorie.     I.  k 


66 


Abschnitt  II. 


V 

^1 

V2 

V4 

Vio 

T 
273 

1,329 

1,765 

2,570 

T 

363 

482 

702 

t 

900 

2090 

4290 

p 


Setzt  man  in  der  mveiten  der  Gleichungen  (16)  dQ  =  0^  so 
kommt : 

Cj,dT-{-  (0„  —  C^)  -  dp  =  0. 

Diese  Gleichung  ist  von  derselben  Form,  wie  die  vorher  behandelte, 
nur  dass  p  an  die  Stelle  von  v  getreten  ist  und  die  Grössen  C^  und 
Cp  vertauscht  sind.  Man  muss  also  in  ganz  entsprechender  Weise 
erhalten:  _ 

Z 

woraus  folgt: 

(l)-(0'- 

Die  letde  der  Gleichungen  (16)  endlich  geht,  wenn  dQ  =  0 
gesetzt  wird,  in  die  schon  im  §.  5  angewandte  Gleichung 

-^ — ^^—rrväp  -\-  jn — ^—TTpdv  =:  0 

Über,  welche  sich  umformen  lässt  in: 

p  V 

und  durch  Integration  giebt: 

(45)  £  =  (2iY. 

Py  \VJ 


§.  9.     Bestimmung  der  äusseren  Arbeit  bei   Volumen- 
änderungen  eines   Gases. 

Eine  Grösse,  welche  bei  der  Ausdehnung  der  Gase  noch 
speciell  beachtet  zu  werden  verdient,  ist  die  dabei  geleistete  äussere 
Arbeit,  deren  Element  durch  die  Gleichung  (6)  des  vorigen  Ab- 
schnittes bestimmt  wird,  nämlich: 

dW  ^=  pdv. 


Belifindluno;  der  vollkominenen  Gase. 


67 


Fiff.  3„ 


Diese  Arbeit  lässt  sich  in  sehr  anschaulicher  Weise  graphisch 
darstellen.  Wir  führen  dazu  ein  rechtwinkeliges  Coordinatensystem 
ein,  dessen  Abscisse  das  Volumen  v  und  dessen  Ordinate  den 
Druck  p  bedeutet.  Denkt  man  sich  nun,  dass  p  durch  irgend  eine 
Function  von  v  ausgedrückt  sei,  nämlich: 

P  =fM: 
so  ist  diese  Gleichung  die  Gleichung  einer  Curve,  deren  Ordinaten 
die  zu  den  verschiedenen  Werthen  von  v  gehörigen  Werthe  von  p 
darstellen,  und   welche  wir   kurz  die  Druckcurve  nennen  wollen. 

In  Fig.  3  möge  rs  diese  Curve 
sein,  so  dass,  wenn  oe  das  in  einem 
gewissen  Momente  stattfindende 
Volumen  v  bedeutet,  dann  die  in 
e  errichtete  Ordinate  ef  den 
gleichzeitig  stattfindenden  Druck 
p  darstellt.  Bedeutet  ferner  die 
als  unendlich  klein  angenommene 
Strecke  eg  ein  Volumenelement 
dv^  und  wird  in  g  ebenfalls  die 
Ordinate  gh  errichtet,  so  entsteht 
dadurch  ein  unendlich  schmales  Paralleltrai^ez  eflig,  dessen 
Flächeninhalt  die  bei  der  unendlich  kleinen  Ausdehnung  geleistete 
äussere  Arbeit  darstellt,  und  von  dem  Producte  pdv  nur  um  ein 
unendlich  Kleines  zweiter  Ordnung,  welches  vernachlässigt  werden 
kann,  abweicht.  Dasselbe  gilt  von  jeder  anderen  unendlich  kleinen 
Ausdehnung ,  und  man  sieht  daraus ,  dass  bei  einer  endlichen  Aus- 
dehnung, von  dem  durch  die  Abscisse  oa  repräsentirten  Volumen 
v^  bis  zu  dem  durch  oc  repräsentirten  Volumen  Vg»  die  äussere 
Arbeit,  für  welche  die  Gleichung 


0\. a --'e 


(46) 


W 


=    I  pdv 


gilt,  durch  den  Flächeninhalt  des  Vierecks  ah  de  dargestellt  wird, 
welches  durch  das  Abscissenstück  ac,  die  beiden  Ordinaten  ab 
und  cd  und  das  Curvenstück  hd  begrenzt  wird. 

Um  nun  die  in  der  vorstehenden  Gleichung  angedeutete  Inte- 
gration wirklich  ausführen  zu  können,  muss  die  Function  von  y, 
durch  welche  der  Druck  p  bestimmt  wird,  bekannt  sein.  In  dieser 
Beziehung  wollen  wir  die  oben  schon  betrachteten  Fälle  als  Bei- 
spiele wählen. 


Abschnitt  II." 


Wir  nehmen  zunächst  an,  der  Bruch  p  sei  constant.  Dann  ist 
die  Druckcurve  eine  der  Abscissenaxe  parallele  Gerade,  und  das 
Viereck  aide  ist  somit  ein  Rechteck  (Fig.  4),  dessen  Flächeninhalt 
Fiff.  4.  Fig.  5. 


gleich  dem  Producte  aus  den  Strecken  ae  und  ah  ist,   und  dem 
entsprechend  erhält  man  aus  (46),  wenn  der  constante  Druck  mit 
Pi  bezeichnet  wird: 
(47)  W  —  i\  {v^  —  V,). 

Die  zweite  Annahme  möge  sein,  dass  hei  der  Ausdehnung  des 
Gases  die  Temperatur  constant  hleihe.  Dann  gilt  für  die  Beziehung 
zwischen  Druck  und  Volumen  das  Mariotte'sche  Gesetz,  welches 
durch  die  Gleichung 

pv  =  Const. 
ausgedrückt  wird.  Aus  der  Form  dieser  Gleichung  sieht  man,  dass 
die  Druckcurve  für  diesen  Fall  eine  gleichseitige  Hyperbel  (Fig.  5) 
ist,  welche  die  Coordinatenaxen  zu  Asymptoten  hat.  Eine  Druck- 
curve solcher  Art,  welche  der  speciellen  Bedingung,  dass  die  Tem- 
peratur constant  sei,  entspricht,  pflegt  man  eine  isotJiermische 
Curve  zu  nennen. 

Zur  Ausführung  der  Integration  wenden  wir,  gemäss  der 
vorigen  Gleichung,  in  welcher  wir  noch  die  Constante  durch  das 

Product  piVj_   ersetzen,  für  p   den  Werth  ^^-^  an,  und  erhalten 

dann  aus  (46): 


(48) 


W 


'"2 

r  dv  ,      V.2 


Man  sieht,  dass  dieser  Werth  von   W  mit  dem  unter  (42)  für  Q 
gegebenen  übereinstimmt,  was  darin  seinen  Grund  hat,  dass  das 


Behandluno;  der  vollkommenen  Gase. 


69 


Gas  während  einer  bei  constanter  Temperatur  stattfindenden  Aus- 
dehnung nur  so  viel  Wärme  aufnimmt,  wie  zu  äusserer  Arbeit 
verbraucht  wird. 

Die  Gleichung  (48j  hat  Joule  bei  einer  seiner  Bestimmungen 
des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  angewandt.  Er 
pumpte  nämlich  in  einen  festen  Recipienten  atmosphärische  Luft 
bis  zur  zehnfachen  oder  zwanzigfachen  Verdichtung  ein.  Dabei 
befand  sich  der  Recipient  und  die  Pumpe  unter  Wasser,  so  dass 
alle  Wärme,  welche  beim  Pumpen  erzeugt  wurde,  in  dem  Wasser 
gemessen  werden  konnte.  Der  dabei  angewandte  Apparat  ist  in 
Fig.  6  abgebildet,   in  welcher  B  der  Recipient  und  C  die  Pumpe 

Fig.  6. 


ist.  Das  Gefäss  G  diente,  wie  man  leicht  sieht,  zum  Austrocknen 
der  Luft  und  das  mit  dem  Spiralrohr  versehene  Gefäss  W  dazu, 
der  Luft  vor  ihrem  Eintritte  in  die  Pumpe  eine  genau  bekannte 
Temperatur  zu  geben.  Von  der  im  Calorimeter  gemessenen  Wärme- 
menge zog  Joule  den  Theil  ab,  welcher  nur  durch  die  Reibung 


70 


Abschnitt  II. 


der  Pumpe  erzeugt  war,  und  welchen  er  dadurch  bestimmte,  dass 
er  die  Pumpe  eine  ebenso  lange  Zeit  unter  demselben  mittleren 
Druck,  aber  ohne  Zutritt  von  äusserer  Luft  bewegte,  und  die  dadurch 
entstehende  Wärme  beobachtete.  Den  nach  Abzug  derselben  bleiben- 
den Rest  betrachtete  er  als  die  durch  die  Compression  der  Luft  er- 
zeugte Wärme,  und  diese  verglich  er  mit  der  nach  der  Gleichung  (48) 
berechneten,  zur  Compression  verbrauchten  Arbeit,  Daraus  ergab 
sich  als  Mittel  von  zwei  Versuchsreihen  der  Werth  444  Kilogram- 
meter für  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme. 

Dieser  Werth  stimmt  freilich  mit  dem  durch  Reibung  des 
Wassers  gefundenen  Werthe  424  nicht  ganz  überein,  was  seinen 
Grund  wohl  in  den  grösseren  Fehlerquellen  bei  den  mit  der  Luft 
angestellten  Versuchen  hat.  Immerhin  war  aber  zu  jener  Zeit,  wo 
der  Satz,  dass  die  zur  Erzeugung  einer  gewissen  Wärmemenge 
nöthige  Arbeit  unter  allen  Umständen  gleich  ist,  noch  nicht  fest- 
stand, die  Uebereinstimmung  der  auf  ganz  verschiedene  Weisen 
gefundenen  Werthe  gross  genug,  um  zur  Bestätigung  des  Satzes 
mit  beizutragen. 

Die  dritte  Annahme  zur  Bestimmung  der  Arbeit  möge  sein, 
dass  das  Gas  in  einer  für  Wärme  undurchdringlichen  Hülle  sein 
Volumen  ändere,  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  dass  die 
Volumenänderung  so  schnell  vor  sich  gehe,  dass  während  der  Zeit 
Tiein  merhliches  Zu-  oder  Abströmen  von  Wärme  stattfinden  Mnne. 

In  diesem  Falle  wird  die  Beziehung  zwischen  Druck  und 
Volumen  durch  die  unter  (45)  gegebene  Gleichung 

ausgedrückt.      Die   dieser   Gleichung    entsprechende   Druckcurve 


=(^y 


Fig.  7. 


(Fig.  7)  fällt  steiler  ab,  als  die  in 
Fig. 5  dargestellte.  Rankine  hat 
die  specielle  Art  von  Druckcurven, 
welche  der  Ausdehnung  in  einer 
für  Wärme  undurchdringlichen 
Hülle  entspricht  (von  dLccßciivsLv, 

hindurchgehen),  adiabatische 
Curven  genannt.  Gibs  dagegen 
hat  vorgeschlagen  (Trans,  of  the 
Connecticut  Acad.  Vol.  II,  p,  309), 
sie  isentropische  Curven  zu  nennen, 
weil  bei   dieser  Ausdehnung   die 


Behaudkiiijj;  der  vollkomnieLien  Gase. 


71 


Entropie,  eine  Grösse,  von  der  weiter  unten  die  Rede  sein  wird, 
constant  bleibt.  Dieser  Benennungsweise  will  ich  mich  anschliessen, 
weil  es  sehr  zweckmässig  und  auch  allgemein  üblich  ist,  derartige 
Curven  nach  derjenigen  Grösse  zu  benennen,  welche  bei  dem  be- 
treffenden Vorgange  constant  bleibt. 

Um  in  diesem  Falle  die  Integration  auszuführen,   setzen  wir 
gemäss  der  vorigen  Gleichung: 

,    1 


P=PlV,'^  -5-, 


wodurch  (46)  übergeht  in: 


^2 

W  =  /;■  y/    /    ^-  =  f^   V  ( -- — - 


V2' 


Ip 


oder,  anders  geschrieben: 


(49) 


W  = 


IhVi 


-  (-T 


ABSCHNITT  IIL 


Zweiter  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

§.  1.    Betrachtung  eines  Kreisprocesses  von  specieller 

Art. 

Um  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie 
ableiten  und  beweisen  zu  können,  wollen  wir  davon  ausgehen, 
einen  Kreisprocess  von  specieller  Art  in  seinen  einzelnen  Theilen 
zu  verfolgen  und  in  der  oben  angegebenen  Weise  graphisch  dar- 
zustellen. 

Zu  dem  letzteren  Zwecke  wollen  wir  annehmen,  der  Zustand 
des  veränderlichen  Körpers  sei  durch  sein  Volumen  v  und  seinen 
Druck  p  bestimmt,  und  wollen,  wie  oben,  ein  rechtwinkeliges  Coor- 
dinatensystem  in  der  Ebene  einführen,  von  welchem  die  Abscisse 
das  Volumen  und  die  Ordinate  den  Druck  bedeutet.  Dann  ent- 
spricht jeder  Punkt  der  Ebene  einem  gewissen  Zustande  des 
Körpers,  in  welchem  sein  Volumen  und  sein  Druck  dieselben 
Werthe  haben,  wie  die  Abscisse  und  die  Ordinate  des  Punktes. 
Ferner  wird  jede  Veränderung  des  Körpers  durch  eine  Linie  dar- 
gestellt, deren  Anfangs-  und  Endpunkt  den  Anfangs-  und  End- 
zustand bestimmen,  und  deren  Verlauf  angiebt,  in  welcher  Weise 
sich  der  Druck  mit  dem  Volumen  ändert. 

Es  sei  nun  in  Fig.  8  der  Anfangszustand  des  Körpers,  von 
welchem  der  Kreisprocess  beginnt,  durch  den  Punkt  a  angegeben, 
indem  die  Abscisse  oe  =  Vi  das  Anfangsvolumen  und  die  Ordinate 
ea  =  pi  den  Anfangsdruck  bedeute.  Durch  diese  beiden  Grössen 
ist  zugleich  auch  die  Anfangstemperatur  bestimmt,  welche  wir 
Ti  nennen  wollen. 


Zweiter  Hauptsatz.  73 

Nun  soll  der  Körper  sich  zuerst  ausdehnen,  während  seine 
Temperatur  constant  J\  bleibt.  Da  er  sich  bei  der  Ausdehnung, 
wenn  ihm  dabei  keine  Wärme  mitgetheilt  würde,  abkühlen  müsste, 
so  nehmen  wir  an,  er  sei  mit  einem  als  Wärmereservoir  dienen- 
den Körper  Ki  in  Verbindung  gesetzt,  welcher  die  Temperatur 
Ti  hat,  und  diese  während  des  Processes  nicht  merklich  ändert. 
Von  diesem  Körper  soll  der  veränderliche  Körper  während  der 
Ausdehnung  so  viel  Wärme  erhalten,  dass  auch  er  dieselbe  Tem- 
peratur Ti  beibehält. 

Die  Curve,  welche  bei  dieser  Ausdehnung  den  Druck  darstellt, 
ist  ein  Stück  einer  isothermiscJien  Curve.    Um  bei  der  graphischen 
Darstellung  dieser  und  den  anderen  noch  vorkommenden  Curven 
bestimmte  Gestalten  geben  zu  können,  wollen  wir,  ohne  die  Be- 
Fig.  8.  trachtung    selbst    auf   einen   be- 

stimmten Körper  zu  beschränken, 
doch  die  Figur  so  zeichnen,  wie 
sie  sich  für  ein  vollkommenes 
Gas  gestaltet.  Dann  ist  die  iso- 
thermische Curve,  wie  schon  oben 
erwähnt,  eine  gleichseitige  Hyper- 
bel, und  wenn  die  Ausdehnung 
vom  Volumen  oe  =  Vi  bis  zum 
Volumen  of  =  Vi  geschieht,  so  erhalten  wir  von  dieser  gleich- 
seitigen Hyperbel  das  Stück  ah. 

Nachdem  das  Volumen  Vi  erreicht  ist,  denken  wir  uns  den 
Körper  Ki  fortgenommen,  und  lassen  nun  den  veränderlichen 
Körper  für  sich  allein  seine  Ausdehnung  fortsetzen,  ohne  dass 
ihm  Wärme  mitgetheilt  wird.  Dann  sinkt  seine  Temperatur  und 
wir  erhalten  als  Druckcurve  eine  isentro^nsche  Curve,  welche  stei- 
ler abfällt,  als  die  isothermische  Curve.  Diese  Ausdehnung  möge 
bis  zum  Volumen  og  =:  V^  vor  sich  gehen,  wobei  wir  das  Curven- 
stück  J)  c  erhalten.  Die  dabei  erreichte  niedrigere  Temperatur 
möge  T.2  heissen. 

Von  nun  an  soll  der  Körper  wieder  zusammengedrückt  wer- 
den, um  ihn  wieder  in  sein  ursprüngliches  Volumen  zu  bringen. 
Zunächst  möge  eine  Zusammendrückung  bei  der  constant en  Tem- 
peratur T.,  stattfinden,  wozu  wir  uns  den  veränderlichen  Körper 
mit  einem  als  W^ärmereservoir  dienenden  Körper  K2  von  der 
Temperatur  To  in  Verbindung  gesetzt  denken,  an  welchen  er 
während   der  Zusammendrückung   so  viel  Wärme   abgiebt,  dass 


74 


Abschnitt  III. 


er  die  Temperatur  T^  beibehält.  Die  dieser  Zusammendrückung 
entsprechende  Druckcurve  ist  wieder  eine  isothermische  Curve 
und  speciell  für  ein  vollkommenes  Gas  eine  andere  gleichseitige 
Hyperbel,  von  welcher  wir  bei  der  Volumenabnahme  bis  oJi  =  v-2 
das  Stück  cd  erhalten. 

Die  letzte  Zusammendrückung  endlich,  welche  den  veränder- 
lichen Körper  wieder  in  sein  anfängliches  Volumen  bringt,  soll 
ohne  den  Körper  K.2  stattfinden,  so  dass  also  die  Temperatur 
steigt,  wobei  dann  der  Druck  nach  einer  isentropischen  Curve 
wächst.  Wir  wollen  nun  annehmen,  das  Volumen  oli  =  v^,  bis 
zu  welchem  die  erste  Zusammendrückung  geschah,  sei  so  gewählt, 
dass  die  von  diesem  Volumen  beginnende  und  bis  zum  Volumen 
oe  =  Vi  fortschreitende  Zusammendrückung  gerade  ausreiche, 
um  die  Temperatur  wieder  von  T.^  auf  T^  zu  erhöhen.  Wenn 
dann  zugleich  mit  dem  anfänglichen  Volumen  auch  die  anfäng- 
liche Temperatur  erreicht  wird,  muss  auch  der  Druck  wieder  den 
anfänglichen  Werth  annehmen,  und  die  letzte  Druckcurve  muss 
daher  gerade  den  Punkt  a  treffen.  Indem  somit  der  Körper  zu 
seinem  durch  a  angedeuteten  ursprünglichen  Zustande  wieder 
zurückgekehrt  ist,  ist  der  Kreisprocess  vollendet. 


§.  2.    Resultat  des  Kreisprocesses. 

Bei  den  beiden  im  Kreisprocesse  vorkommenden  Ausdehnun- 
gen des  veränderlichen  Körpers  muss  der   äussere  Druck  über- 


Fig.  9. 


wunden  werden,  und  es  wird  da- 
her äussere  Arbeit  geleistet,  und 
bei  den  Zusammendrückungen 
wird  umgekehrt  äussere  Arbeit 
verbraucht.  Diese  Arbeitsgrössen 
sind  unmittelbar  aus  der  hier 
wieder  abgedruckten  Figur  er- 
sichtlich. Die  bei  der  Ausdeh- 
nung ab  geleistete  Arbeit  wird 
durch  das  Viereck  eabf  darge- 
stellt, und  ebenso  die  bei  der  Ausdehnung  bc  geleistete  durch 
das  Viereck  fbcg.  Ferner  wird  die  bei  der  Zusammendrückung 
cd  verbrauchte  Arbeit  durch  das  Viereck  gcdh  und  die  bei  der 
Zusammendrückung  t^a  verbrauchte  Arbeit  durch  das  Viereck  hdae 


Zweiter  Hauptsatz.  75 

dargestellt.  Die  letzten  beiden  Arbeitsgrössen  sind  wegen  der 
bei  den  Zusammendrückungen  herrschenden  niedrigeren  Tempe- 
ratur und  des  dadurch  bedingten  geringeren  Druckes  kleiner,  als 
die  beiden  ersten,  und  wenn  wir  sie  von  diesen  abziehen,  so 
bleibt  ein  Ueberschuss  an  geleisteter  äusserer  Arbeit,  welcher 
durch  das  Viereck  ah  cd  dargestellt  wird,  und  welchen  wir  mit 
W  bezeichnen  wollen. 

Dieser  gewonnenen  äusseren  Arbeit  muss,  gemäss  der  Glei- 
chung (5  a)  des  ersten  Abschnittes,  eine  Menge  Q  von  verbrauchter 
Wärme  entsprechen,  welche  ihr  an  Werth  gleich  ist.  Der  ver- 
änderliche Körper  erhielt  aber  während  der  ersten,  durch  ah 
dargestellten  Ausdehnung,  welche  in  Verbindung  mit  dem  Körper 
Kl  stattfand,  von  diesem  eine  gewisse  Wärmemenge,  welche  wir 
Qi  nennen  wollen,  und  während  der  ersten,  durch  cd  darge- 
stellten Zusammendrückung,  welche  in  Verbindung  mit  dem  Kör- 
per K^  stattfand,  gab  er  an  diesen  eine  gewisse  Wärmemenge 
ab,  welche  Q.j  heissen  möge.  Während  der  zweiten  Ausdehnung 
h  c  und  der  zweiten  Zusammendrückung  d  a  wurde  dem  veränder- 
lichen Körper  weder  Wärme  mitgetheilt  noch  entzogen.  Da  nun 
während  des  ganzen  Kreisprocesses  eine  gewisse  Wärmemenge  Q 
zu  Arbeit  verbraucht  ist ,  so  muss  die  Wärmemenge  Qi ,  welche 
der  veränderliche  Körper  empfangen  hat,  grösser  sein,  als  die 
Wärmemenge  Q.2^  welche  er  wieder  abgegeben  hat,  so  dass  die 
Differenz  Qy  —  Qo  gleich  Q  ist. 

Demgemäss  können  wir  setzen: 

(1)  _  Qi=Q,+  Q. 

und  können  somit  in  der  Wärmemenge  Q^^  welche  der  veränder- 
liche Körper  von  dem  Körper  Ki  erhalten  hat,  zwei  Theile  unter- 
scheiden, deren  einer  Q  in  Arbeit  verwandelt  ist,  während  der 
andere  Q.2  als  Wärme  an  den  Körper  K^  wieder  abgegeben  ist. 
Da  in  allen  übrigen  Beziehungen  zu  Ende  des  Kreisprocesses 
vdeder  der  ursprüngliche  Zustand  hergestellt  ist,  und  folglich 
jede  Veränderung,  welche  in  einem  Theile  des  Kreisprocesses 
stattgefunden  hat,  durch  eine  entgegengesetzte  in  einem  anderen 
Theile  des  Kreisprocesses  eingetretene  Veränderung  wieder  auf- 
gehoben ist,  so  können  wir  das  Resultat  des  Kreisprocesses 
schliesslich  so  aussprechen.  Die  eine  aus  dem  Körper  K^  stam- 
mende Wärmemenge  Q  ist  in  Arbeit  verwandelt^  und  die  andere 
Wärmemenge  Q2  ist  aus  dem  Körper  Ki  in  den  Jcälteren  Körper 
K2  ühergegangen. 


76  Abschnitt  III. 

Wir  können  den  ganzen  vorher  beschriebenen  Kreisprocess 
auch  in  umgekehrter  Weise  vor  sich  gehen  lassen.  Indem  wir 
wieder  von  dem  durch  den  Punkt  a  angedeuteten  Zustande  aus- 
gehen, bei  welchem  der  veränderliche  Körper  das  Volumen  Vy 
und  die  Temperatur  Tj  hat,  denken  wir  uns,  dass  er  zuerst  ohne 
Mittheilung  von  Wärme  sich  bis  zum  Volumen  v-2  ausdehne,  und 
somit  die  Curve  ad  beschreibe,  wobei  seine  Temperatur  von  T^ 
bis  T.2  sinke;  dass  er  sodann  in  Verbindung  mit  dem  Körper  K^ 
und  daher  bei  der  constanten  Temperatur  T^  sich  von  v.2  bis  Y.^ 
ausdehne  und  die  Curve  de  beschreibe,  wobei  er  von  dem  Kör- 
per K^  Wärme  empfange;  dass  er  darauf  ohne  Entziehung  von 
Wärme  von  V^  bis  Fi  zusammengedrückt  werde  und  die  Curve 
ch  beschreibe,  wobei  seine  Temperatur  von  T^  bis  T^  steige,  und 
dass  er  endlich  in  Verbindung  mit  dem  Körper  K^  bei  der  con- 
stanten Temperatur  T^  und  unter  Abgabe  von  Wärme  an  Ki 
von  dem  Volumen  Fi  bis  zum  Anfangsvolumen  Vi  zusammen- 
gedrückt werde  und  die  Curve  h  a  beschreibe. 

Bei  diesem  umgekehrten  Processe  sind  die  durch  die  Vier- 
ecke eadli  und  hdcg  dargestellten  Arbeitsgrössen  geleistete  oder 
positive  und  die  durch  die  Vierecke  gchf  und  fhae  dargestellten 
Arbeitsgrössen  verbrauchte  oder  negative.  Die  verbrauchten  sind 
also  grösser  wie  die  geleisteten,  und  somit  ist  der  durch  das 
Viereck  ah  cd  dargestellte  Rest  in  diesem  Falle  verbrauchte  kvh^ii. 

Ferner  hat  der  veränderliche  Körper  von  dem  Körper  K^  die 
Wärmemenge  Q^  empfangen  und  an  den  Körper  Ki  die  Wärme- 
menge Qi  =  Q2  -\-  Q  abgegeben.  Von  den  beiden  Theilen,  aus 
denen  Q^  besteht,  entspricht  der  eine  Q  der  verbrauchten  Arbeit 
und  ist  durch  dieselbe  entstanden ,  während  der  andere  ^2  von 
dem  Körper  K<2  zum  Körper  K^  übertragen  ist.  Wir  können  so- 
mit das  Resultat  des  umgekehrten  Kreisprocesses  folgen dermaassen 
zusammenfassen.  Die  Wärmemenge  Q  ist  durch  Arbeit  entstanden 
und  an  den  Körper  Kx  abgegeben,  und  die  Wärmemenge  Q2  ist  aus 
dem  kälteren  Körper  K^  in  den  ivärmeren  Körper  Ki  übergegangen. 

§.  3.   Kreisprocess   eines   aus   Flüssigkeit   und  Dampf 
bestehenden   Körpers. 

Da  wir  in  den  vorigen  Paragraphen,  obwohl  wir  bei  der  Be- 
sprechung des  Kreisprocesses  keine  beschränkende  Annahme  über 
die  Natur  des  veränderlichen  Körpers  machten,  doch  die  graphische 


Zweiter  Hanpisatz. 


77 


l 


Darstellung  des  Processes  so  ausgeführt  haben,  wie  sie  einem 
vollkommenen  Gase  entspricht,  so  wird  es  vielleicht  zweckmässig 
sein,  für  einen  Körper  von  anderer  Art  den  Kreisprocess  noch 
einmal  zu  betrachten,  um  zu  sehen,  wie  seine  äussere  Gestaltung 
sich  mit  der  Natur  des  Körpers  ändern  kann.  Wir  wollen  näm- 
lich einen  solchen  Körper  zur  Betrachtung  auswählen,  welcher 
nicht  in  allen  seinen  Theilen  einen  und  denselben  Aggregat- 
zustand hat,  sondern  zum  Theil  flüssig,  zum  Theil  dampfförmig 
im  Maximum  der  Dichtigkeit  ist. 

Es  sei  also   in  einem  ausdehnsamen  Gefässe  eine  Flüssigkeit 
enthalten,  welche  aber  nur  einen  Theil  des  Raumes  ausfülle  und 
den  übrigen  Theil   für  den  Dampf  freilasse,   der  die  Dichte   hat, 
Fio-.  10.  welche  der  stattfindenden  Tempe- 

ratur Ti  als  Maximum  entspricht. 
Das  Gesammtvolumen  beider  sei 
in  Fig.  10  durch  die  Abscisse  oe 
und  der  Druck  des  Dampfes  durch 
die  Ordinate  e  a  dargestellt.  Nun 
gebe  das  Gefäss  dem  Drucke  nach, 
und  erweitere  sich,  während  Flüs- 
sigkeit und  Dampf  mit  einem 
Körper  Ki  von  der  constanten  Temperatur  Ti  in  Berührung 
seien.  So  wie  der  Raum  grösser  wird,  verdampft  mehr  Flüssig- 
keit, aber  die  dabei  verbrauchte  Wärme  wird  immer  wieder  vom 
Körper  Ki  ersetzt,  so  dass  die  Temperatur  und  mit  ihr  auch  der 
Druck  des  Dampfes  ungeändert  bleiben.  Die  auf  diese  Ausdeh- 
nung bezügliche  isothermische  Curve  ist  also  eine  der  Abscissen- 
axe  parallele  Gerade.  Wenn  auf  diese  Weise  das  Gesammtvolu- 
men von  oe  bis  of  angewachsen  ist,  so  ist  dabei  eine  äussere 
Arbeit  erzeugt,  die  durch  das  Rechteck  eahf  dargestellt  wird. — 
Jetzt  nehme  man  den  Körper  Ki  fort,  und  lasse  das  Gefäss  sich 
noch  mehr  erweitern,  während  weder  Wärme  hinein  noch  heraus 
kann.  Dabei  wird  theils  der  vorhandene  Dampf  sich  ausdehnen, 
theils  neuer  entstehen,  und  demzufolge  wird  die  Temperatur  sin- 
ken und  somit  auch  der  Druck  abnehmen.  Dieses  setze  man  fort, 
bis  die  Temperatur  aus  Ti  in  Tj  übergegangen  ist,  wobei  das 
Volumen  og  erreicht  werde.  Wird  die  während  dieser  Ausdeh- 
nung stattfindende  Druckabnahme  durch  die  Curve  &c,  welche 
eine  isentropische  Curve  ist,  dargestellt,  so  ist  die  dabei  erzeugte 
äussere  Arbeit  :=  fbcg. 


78  Abschnitt  111. 

Nun  drücke  man  das  Gefäss  zusammen,  um  die  Flüssigkeit 
mit  dem  Dampfe  wieder  auf  ihr  ursprüngliches  Gesammtvolumen 
oe  zurückzubringen;  und  zwar  geschehe  diese  Zusammendrückung 
zum  Theil  in  Berührung  mit  dem  Körper  K2  von  der  Tempera- 
tur Tg,  auf  den  alle  bei  der  Cohdensation  des  Dampfes  entstehende 
Wärme  übergehe ,  so  dass  die  Temperatur  constant  =  T^  bleibe, 
zum  Theil  ohne  diesen  Körper,  so  dass  die  Temperatur  steige, 
und  man  richte  es  so  ein,  dass  die  erste  Zusammendrückung  nur 
so  weit  (bis  oh)  fortgesetzt  werde,  dass  der  dann  noch  bleibende 
Raum  he  gerade  hinreiche,  um  die  Temperatur  wieder  von  T^  bis 
Tx  zu  erhöhen.  Während  der  ersten  Volumenverringerung  bleibt 
der  Druck  unveränderlich  =  gc,  und  die  dabei  verbrauchte 
äussere  Arbeit  ist  gleich  dem  Rechtecke  gcdh.  Während  der 
letzten  Volumenverringerung  nimmt  der  Druck  zu  und  werde  dar- 
gestellt durch  die  isentropische  Curve  da^  welche  gerade  im 
Punkte  a  enden  muss,  da  der  ursprünglichen  Temperatur  T^  auch 
wieder  der  ursprÜDgliche  Druck  ea  entsprechen  muss.  Die  zu- 
letzt verbrauchte  äussere  Arbeit  ist  =  hdae. 

Am  Schlüsse  der  Operation  sind  Flüssigkeit  und  Dampf  wie- 
der in  ihrem  ursprünglichen  Zustande  und  der  Kreisprocess  ist 
somit  vollendet.  Der  Ueberschuss  der  positiven  über  die  nega- 
tive äussere  Arbeit,  also  die  während  des  Kreisprocesses  im  Gan- 
zen gewonnene  äussere  Arbeit  W  wird  wieder  durch  das  Viereck 
ah  cd  dargestellt.  Dieser  Arbeit  muss  der  Verbrauch  einer  ihr 
gleichen  Wärmemenge  Q  entsprechen,  und  wenn  wir  daher  die 
während  der  Ausdehnung  mitgetheilte  Wärme  wieder  mit  Q^  und 
die  während  der  Zusammendrückung  entzogene  Wärme  mit  Q-j 
bezeichnen,  so  ist  Q^  gleich  Q^  -\-  Q  zu  setzen  und  das  End- 
resultat des  Kreisprocesses  besteht  daher  auch  hier  darin,  dass 
die  Wärmemenge  Q  in  Arbeit  verwandelt,  und  die  Wärmemenge 
Q2  aus  dem  wärmeren  Körper  Ki  in  den  kälteren  Körper  K^ 
übergegangen  ist. 

Auch  dieser  Kreisprocess  kann  umgekehrt  ausgeführt  werden, 
wobei  dann  die  Wärmemenge  Q  durch  Arbeit  erzeugt  und  an 
den  Körper  Ki  abgegeben,  und  die  Wärmemenge  Q2  vom  kälteren 
Körper  K^  zum  wärmeren  Körper  K^  übertragen  wird. 

Ebenso  kann  man  mit  verschiedenen  anderen  veränderlichen 
Körpern  Kreisprocesse  dieser  Art,  die  graphisch  durch  zwei  iso- 
thermische und  zwei  isentropische  Curven  dargestellt  werden,  aus- 
führen, wobei  zwar  die  Form  der  Curven  von  der  Natur  des  ver- 


i 


Zweiter  Hauptsatz.  79 

änderlichen  Körpers  abhängt,  aber  das  Resultat  des  Processes 
immer  in  gleicher  Weise  darin  besteht,  dass  Eine  Wärmemenge 
in  Arbeit  verwandelt  oder  durch  Arbeit  erzeugt  wird,  und  eine 
andere  Wärmemenge  aus  einem  wärmeren  in  einen  kälteren  Kör- 
per, oder  umgekehrt,  übergeht. 

Es  lässt  sich  nun  die  Frage  stellen,  oh  die  in  Arbeit  venvan- 
delte  oder  durch  Arbeit  erzeugte  Wärmemenge  zu  derjenigen  Wärme- 
menge, loelche  aus  dem  wärmeren  in  den  kälteren  Körper  oder  um- 
gehehrt übergeht,  in  einem  allgemein  gültigen  Verhältnisse  steht, 
oder  ob  das  zivischen  ihnen  obwaltende  Verhältniss  je  nach  der 
Natur  des  veränderlichen  Körpers,  welcher  den  Vorgang  vermittelt, 
verschieden  ist. 

§.  4.    Carnot's   Ansicht  über   die  in    einem  Kreisprocesse 
geleistete  Arbeit. 

S.  Carnot,  welcher  zuerst  darauf  aufmerksam  geworden  war, 
dass  bei  der  Hervorbringung  von  mechanischer  Arbeit  Wärme  aus 
einem  wärmeren  in  einen  kälteren  Körper  übergeht,  und  dass  um- 
gekehrt durch  Verbrauch  von  mechanischer  Arbeit  Wärme  aus 
einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  geschaßt  werden  kann, 
und  welcher  auch  den  vorher  beschriebenen  einfachen  Kreisprocess 
ersonnen  hat  (der  dann  von  Clapeyron  zuerst  graphisch  darge- 
stellt ist),  hat  sich  von  dem  ursächlichen  Zusammenhange  jener 
Vorgänge  eine  eigenthümliche  Ansicht  gebildet  i). 

Zu  seinerzeit  war  noch  allgemein  jene  schon  oben  besprochene 
Vorstellung  verbreitet,  dass  die  Wärme  ein  besonderer  Stoff  sei, 
welcher  in  einem  Körper  in  grösserer  oder  geringerer  Quantität 
vorhanden  sein  könne,  und  dadurch  die  Verschiedenheiten  der 
Temperatur  bedinge.  Dieser  Vorstellung  gemäss  war  man  der 
Meinung,  dass  die  Wärme  wohl  die  Art  ihrer  Vertheilung  ändern 
könne,  indem  sie  aus  einem  Körper  in  einen  anderen  übergehe, 
und  dass  sie  ferner  in  verschiedenen  Zuständen  existiren  könne, 
die  man  mit  den  Worten  „latent"  und  „frei"  bezeichnete;  dass 
aber  die  Quantität  der  im  Ganzen  vorhandenen  Wärme  sich 
weder  vermehren  noch  vermindern  lasse,  da  ein  Stoff  nicht  neu 
erzeugt  und  nicht  vernichtet  werden  könne. 

Dieser  Meinung  war  auch  Carnot  und  er  betrachtete  es  da- 
her als  selbstverständlich ,   dass   die  Wärmemengen ,   welche   der 

1)  Reflexions  sur  la  puissance  motrtce  du  feu.    Paris  1824. 


80  Abschuitt  III. 

veränderliche  Körper  während  emes  Kreisprocesses  von  Aussen 
aufnimmt  und  nach  Aussen  abgiebt,  unter  einander  gleich  seien, 
so  dass  sie  sich  gegenseitig  aufheben.  Er  spricht  dieses  sehr 
bestimmt  auf  S.  37  seines  Buches  aus,  wo  er  sagt:   „Nous  suppose- 

rons que  les  quantites   de    chaleur  absorbees    et  degagees 

dans  ses  diverses  transformations  sont  exactement  compensees. 
Ce  fait  n'a  jamais  ete  revoque  en  doute;  il  a  ete  d'abord  admis 
Sans  reflexion  et  verifie  ensuite  dans  beaucoup  de  cas  par  les 
experiences,  du  calorimetre.  Le  nier,  ce  serait  renverser  toute 
la  theorie  de  la  chaleur,  ä  laquelle  il  sert  de  base." 

Da  hiernach  die  Quantität  der  vorhandenen  Wärme  nach 
dem  Kreisprocesse  dieselbe  sein  sollte,  wie  vor  demselben,  und  da 
doch  ein  Gewinn  an  Arbeit  vorlag,  so  suchte  Carnot  diesen 
letzteren  aus  dem  Herabsinken  der  Wärme  von  einer  höheren  zu 
einer  tieferen  Temperatur  zu  erklären.  Er  verglich  diesen  ab- 
steigenden Wärmeübergang,  welcher  besonders  bei  der  Dampf- 
maschine augenfällig  ist,  wo  das  Feuer  Wärme  an  den  Dampf- 
kessel abgiebt  und  das  Kühlwasser  des  Condensators  umgekehrt 
Wärme  empfängt,  mit  dem  Herabsinken  des  Wassers  von  einer 
höheren  zu  einer  tieferen  Stelle,  wodurch  eine  Maschine  in  Be- 
wegung gesetzt  und  somit  Arbeit  geleistet  werden  kann.  Dem- 
gemäss  wendet  er  auf  S.  28  seines  Buches,  nachdem  er  den  Aus- 
druck „la  chute  d'eau"  gebraucht  hat,  in  entsprechender  Weise 
für  das  Herabsinken  der  Wärme  von  einer  höheren  zu  einer  tiefe- 
ren Temperatur  den  Ausdruck  „la  chute  du  calorique"  an. 

Von  dieser  Betrachtung  ausgehend,  stellte  er  den  Satz  auf, 
dass  die  Grösse  der  geleisteten  Arbeit  zu  dem  gleichzeitig  statt- 
findenden Wärmeübergange,  d.  h.  zu  der  Quantität  der  übergehen- 
den Wärme  und  den  Temperaturen  der  Körper,  zwischen  denen 
sie  übergeht,  in  einer  gewissen  allgemein  gültigen  Beziehung  stehen 
müsse,  welche  von  der  Natur  desjenigen  Stoffes,  durch  welchen 
die  Arbeitsleistung  und  der  Wärmeübergang  vermittelt  wird,  un- 
abhängig sei.  Sein  Beweis  für  die  Nothwendigkeit  einer  solchen 
bestimmten  Beziehung  stützt  sich  auf  den  Grundsatz,  dass  es  un- 
möglich sei,  bewegende  Kraft  aus  Nichts  bu  schaffen^  oder  mit 
anderen  Worten,  dass  ein  Perpetuum -Mobile  unmöglich  sei. 

Diese  Betrachtungsweise  stimmt  aber  mit  unseren  jetzigen 
Anschauungen  nicht  überein,  indem  wir  vielmehr  annehmen,  dass 
zur  Hervorbringung  von  Arbeit  eine  entsprechende  Menge  Wärme 
verbraucht  werde,  und  dass  demnach  die  während  des  Kreispro- 


Zweiter  Hauptsatz.  81 

cesses  nach  Aussen  abgegebene  Wärmemenge  geringer  sei,  als 
die  von  Aussen  aufgenommene.  Wenn  nun  aber  zur  Hervorbrin- 
gung von  Arbeit  Wärme  verbraucht  wird,  so  kann  natürlich,  mag 
neben  dem  Verbrauche  von  Wärme  noch  gleichzeitig  ein  Uebcr- 
gang  einer  anderen  Wärmemenge  von  einem  wärmeren  zu  einem 
kälteren  Körper  stattfinden,  oder  nicht,  doch  keinesfalls  davon 
die  Rede  sein,  dass  die  Arbeit  aus  Nichts  entstanden  sei.  Dem- 
nach bedurfte  nicht  nur  der  Satz,  welchen  Gar  not  ausgesprochen 
hatte,  einer  Aenderung,  sondern  es  musste  auch  für  den  Beweis 
eine  andere  Basis  gesucht  werden,  als  diejenige,  aufweiche  Car- 
not  den  seinigen  gegründet  hatte. 


§.  5.    Ein  neuer  Grundsatz  in  Bezug  auf  die  Wärme. 

Verschiedene  Betrachtungen  über  das  Verhalten  und  die  Natur 
der  Wärme  hatten  mich  zu  der  Ueberzeugung  geführt,  dass  das 
bei  der  Wärmeleitung  und  der  gewöhnlichen  Wärmestrahlung 
hervortretende  Bestreben  der  Wärme  von  wärmeren  zu  kälteren 
Körpern  überzugehen,  und  dadurch  die  bestehenden  Temperatur- 
differenzen  auszugleichen,  so  innig  mit  ihrem  ganzen  Wesen  ver- 
knüpft sei,  dass  es  sich  unter  allen  Umständen  geltend  machen 
müsse.     Ich  stellte  daher  folgenden  Satz  als  Grundsatz  auf: 

Die   Wärme  kann  nicht  von  selbst  aus   einem  kälteren  in 
einen  tvärmeren  Körper  übergehen. 

Die  hierin  vorkommenden  Worte  „von  selbst",  welche  der 
Kürze  wegen  angewandt  sind,  bedürfen,  um  vollkommen  verständ- 
lich zu  sein,  noch  einer  Erläuterung,  welche  ich  in  meinen  Abhand- 
lungen an  verschiedenen  Orten  gegeben  habe.  Zunächst  soll  darin 
ausgedrückt  sein,  dass  durch  Leitung  und  Strahlung  die  Wärme 
sich  nie  in  dem  wärmeren  Körper  auf  Kosten  des  kälteren  noch 
mehr  anhäufen  kann.  Dabei  soll  dasjenige,  was  in  dieser  Beziehung 
über  die  Strahlung  schon  früher  bekannt  war,  auch  auf  solche 
Fälle  ausgedehnt  werden,  wo  durch  Brechung  oder  Reflexion  die 
Richtung  der  Strahlen  irgend  wie  geändert,  und  dadurch  eine 
Concentration  derselben  bewirkt  wird.  Ferner  soll  der  Satz  sich 
auch  auf  solche  Processe  beziehen,  die  aus  mehreren  verschiedenen 
Vorgängen  zusammengesetzt  sind,  wie  z.  B.  Kreisprocesse  der  oben 
beschriebenen  Art.  Durch  einen  solchen  Process  kann  allerdings 
(wie   wir  es  bei  der  umgekehrten  Ausführung    des  obigen  Kreis- 

Clausiiis,   median.  Wäriuethcorie.     I,  R 


82  Abschnitt  III. 

processes  gesehen  haben),  Wärme  aus  einem  kälteren  iTi  einen 
wärmeren  Körper  übertragen  werden;  unser  Satz  soll  aber  aus- 
drücken ,  dass  dann  gleichzeitig  mit  diesem  Wärmeübergange  aus 
dem  kälteren  in  den  wärmeren  Körper  entweder  ein  entgegen- 
gesetzter Wärmeübergang  aus  einem  wärmeren  in  einen  kälteren 
Körper  stattfinden  oder  irgend  eine  sonstige  Veränderung  eintreten 
muss,  welche  die  Eigenthümlichkeit  hat,  dass  sie  nicht  rückgängig 
werden  kann,  ohne  ihrerseits,  sei  es  unmittelbar  oder  mittelbar, 
einen  solchen  entgegengesetzten  Wärmeübergang  zu  veranlassen. 
Dieser  gleichzeitig  stattfindende  entgegengesetzte  Wärmeübergang 
oder  die  sonstige  Veränderung,  welche  einen  entgegengesetzten 
Wärmeübergang  zur  Folge  hat,  ist  dann  als  Compensation  jenes 
Wärmeüberganges  von  dem  kälteren  zum  wärmeren  Körper  zu 
betrachten,  und  unter  Anwendung  dieses  Begriffes  kann  man  die 
Worte  „von  selbst"  durch  die  Worte  „ohne  Compensation"  er- 
setzen, und  den  obigen  Satz  so  aussprechen: 

Ein  Wärmeübergang  atis  einem  kälteren  in  einen  wärmeren 
Körper  kann  nicJit  ohne  Compensation  stattfinden. 
Dieser  von  mir  als  Grundsatz  hingestellte  Satz  hat  viele  An- 
fechtungen erfahren,  und  ich  habe  ihn  daher  zu  wiederholten  Malen 
vertheidigen  müssen,  wobei  ich  immer  nachweisen  konnte,  dass 
die  Einwände  nur  dadurch  veranlasst  waren,  dass  die  Erscheinun- 
gen, in  welchen  man  einen  uncompensirten  Wärmeübergang  aus 
einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  zu  finden  geglaubt  hatte, 
unrichtig  aufgefasst  waren.  Es  würde  aber  an  dieser  Stelle  den 
Gang  unserer  Betrachtungen  zu  sehr  unterbrechen,  wenn  ich  die 
Einwände  und  ihre  Widerlegungen  hier  mittheilen  wollte.  Ich 
will  daher  bei  den  hier  folgenden  Auseinandersetzungen  den  Satz, 
welcher  gegenwärtig,  wie  ich  glaube,  von  den  meisten  Physikern 
als  richtig  anerkannt  wird,  einfach  als  einen  Grundsatz  in  An- 
wendung bringen,  so  wie  ich  es  in  meinen  Abhandlungen  gethan 
habe,  und  behalte  mir  vor,  weiter  unten  auf  die  über  ihn  geführ- 
ten Discussionen  noch  etwas  näher  einzugehen. 

§.  6.  Beweis,  dass  das  Verhältniss  zwischen  der  in  Arbeit 
verwandelten  Wärme  und  der  übergegangenen  Wärme 
von  der  Natur  des  vermittelnden  Stoffes  unabhängig  ist. 

Unter  Annahme  des  vorstehenden  Grundsatzes  lässt  sich  be- 
weisen, dass  zwischen  der  Wärmemenge  Q,  welche  in  einem  Kreis- 


Zweiter  Hauptsatjc.  83 

processe  der  oben  beschriebenen  Art  in  Arbeit  verwandelt  (oder 
bei  der  umgekehrten  Ausführung  des  Processes  durch  Arbeit  er- 
zeugt) wird,  und  der  Wärmemenge  Q.^^  welche  aus  einem  wärmeren 
in  einen  kälteren  Körper  (oder  umgekehrt)  übergeht,  ein  Verhält- 
niss  besteht,  welches  von  der  Natur  des  veränderlichen  Körpers, 
der  die  Verwandlung  und  den  Uebergang  vermittelt,  unabhängig 
ist,  dass  also,  wenn  unter  Anwendung  derselben  Wärmereservoire 
Ä^i  und  Ki  mit  verschiedenen  veränderlichen  Körpern  Krcisprocesse 

ausgeführt  werden,  dann  das  Verhältniss  —^  bei  allen  gleich  ist. 

Denkt  man  sich  die  Krcisprocesse  ihrer  Grösse  nach  immer 
so  eingerichtet,  dass  die  Wärmemenge  Q,  welche  in  Arbeit  ver- 
wandelt wird,  einen  bestimmten  Werth  hat,  so  handelt  es  sich  nur 
noch  um  die  Grösse  der  übergegangenen  Wärmemenge  ^21  und 
der  Satz,  welcher  bewiesen  werden  soll,  lautet  dann:  wenn  bei 
Anwendung  zweier  verschiedener  veränderlicher  Körper  die  in  Arbeit 
verwandelte  Wärmemenge  Q  gleich  ist,  so  muss  auch  die  über- 
gegangene Wärmemenge  Q.2  gleich  sein. 

Angenommen,  es  gebe  zwei  Körper  G  und  C"  (z.  B,  das  oben 
betrachtete  Gas  und  die  aus  Flüssigkeit  und  Dampf  bestehende 
Masse),  für  welche,  bei  gleichem  Werthe  von  Q^  die  übergegan- 
genen Wärmemengen  verschiedene  Werthe  haben,  die  mit  ^2  und 
^2  bezeichnet  werden  mögen,  und  von  denen  Q'^  grösser  als  Q^ 
sei,  so  können  wir  in  folgender  Weise  verfahren.  Zuerst  lassen 
wir  den  Körper  C  den  Kreisprocess  in  dem  Sinne  durchmachen, 
dass  die  Wärmemenge  Q  in  Arbeit  verwandelt  und  die  Wärme- 
menge Q.2  von  ^1  nach  K2  übergeführt  wird.  Darauf  lassen  wir 
den  Körper  C  den  Kreisprocess  im  umgekehrten  Sinne  durch- 
machen, wobei  die  Wärmemenge  Q  durch  Arbeit  erzeugt  und  die 
W^ärmemenge  Q'^  von  K^  nach  K^  übergeführt  wird. 

Die  beiden  hierbei  vorkommenden  Verwandlungen  aus  Wärme 
in  Arbeit  und  aus  Arbeit  in  Wärme  heben  sich  gegenseitig  auf, 
denn,  nachdem  im  ersten  Krcisprocesse  die  Wärmemenge  Q^  welche 
aus  dem  Körper  K^  stammt,  in  Arbeit  verwandelt  ist,  kann  man 
sich  denken,  dass  eben  diese  Arbeit  im  zweiten  Krcisprocesse  wie- 
der verbraucht  wurde ,  um  die  Wärmemenge  Q  zu  erzeugen ,  die 
dann  wieder  an  den  Körper  Ki  abgegeben  ist.  Auch  im  Uebrigen 
befindet  sich  zu  Ende  der  beiden  Operationen  Alles  wieder  im  ur- 
sprünglichen Zustande,  mit  Ausnahme  Einer  Veränderung,  die 
übrig  geblieben  ist.    Da  nämlich  die  von  K<2  zu  Ki  übergegangene 

6* 


84  Abschnitt  III. 

Wärmemenge  Q'^  der  Annahme  nach  grösser  ist,  als  die  von  K^  zu 
Zg  übergegangene  Wärmemenge  ^2,  so  heben  sich  diese  beiden 
Wärmeübergänge  nicht  vollständig  auf,  sondern  es  ist  schliesslich 
die  durch  die  Differenz  Q^—  Q.2  dargestellte  Wärmemenge  von  K2 
zu  Kl  übergegangen.  Wir  gelangen  also  zu  dem  Resultate,  dass 
ein  Wärmeübergang  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper 
ohne  eine  sonstige,  als  Conipensation  dienende  Veränderung  statt- 
gefunden habe.  Da  dies  dem  Grundsatze  widerspricht,  so  muss 
die  Annahme,  dass  Q'^  grösser  als  Q^  sei,  unrichtig  sein. 

Würden  wir  die  andere  Annahme  machen,  dass  Q'^  kleiner 
als  ^2  sei,  so  könnten  wir  uns  denken,  dass  der  Körper  C  den 
Kreisprocess  im  ersten  Sinne  und  der  Körper  C  im  umgekehrten 
Sinne  durchmache.  Dann  würden  wir  zu  dem  Resultate  gelangen, 
dass  die  Wärmemenge  Q^  —  Q'2  ohne  Conipensation  vom  kälteren 
Körper  K2  zum  wärmeren  Körper  Ki  übergegangen  sei,  was  aber- 
mals dem  Grundsatze  widerspräche. 

Wenn  demnach  Q'2  weder  grösser  noch  kleiner  als  Q2  sein 
kann,  so  müssen  beide  gleich  sein,  womit  der  obige  Satz  be- 
wiesen ist. 

Wir  wollen  nun  dem  auf  diese  Weise  gewonnenen  Resultate 
noch  eine  für  die  folgenden   Entwickelungen  möglichst  bequeme 

mathematische  Form  geben.     Da  der  Bruch  -^  von  der  Natur  des 

veränderlichen  Körpers  unabhängig  ist,  so  kann  er  nur  noch  von 
den  Temperaturen  der  beiden  als  Wärmereservoire  dienenden  Kör- 
per Kl  und  K2  abhängen.     Dasselbe  gilt  natürlich  auch  von  der 

Summe  1  -[-  ^1  ^i^f^i  da  wir  ferner  schreiben  können: 

V2  'z-2  V2 

so  können  wir  den  letzten  Bruch,  welcher  das  Verhältniss  zwischen 
der  aufgenommenen  und  der  abgegebenen  Wärme  dargestellt,  zur 
weiteren  Betrachtung  auswählen,  und  das  gewonnene  Resultat  da- 
hin ausdrücken,  dass  der  Bruch  jr-  nur  von  den  Temperaturen 
Ti  und  T2  abhängen  Tcann.    Demgemäss  bilden  wir  die  Gleichung: 

(2)  |^=0(r„T,), 

worin  ^{Ti.T^)  eine  Function  der  beiden  Temperaturen  bedeuten 
soll,  welche  von  der  Natur  des  veränderlichen  Körpers  unabhängig  ist. 


Zweiter  Hauptsatz. 


85 


§.  7.    Bestimmung  der  Function  0{T^,T,). 


Der  Umstand,  dass  die  in  der  Gleichung  (2)  vorkommende 
Function  der  beiden  Temperaturen  von  der  Natur  des  veränder- 
lichen Körpers  unabhängig  ist,  giebt  uns  ein  Mittel  an  die  Hand, 
diese  Function  zu  bestimmen,  denn  sobald  für  irgend  einen  Kör- 
per die  Form  der  Function  gefunden  ist,  kann  diese  Form  als  die 
allgemein  gültige  betrachtet  werden. 

Unter  den  verschiedenen  Körperclassen  eignen  sich  nun  ganz 
besonders  die  vollkommenen  Gase  zu  einer  solchen  Bestimmung, 
weil  deren  Gesetze  am  genauesten  bekannt  sind.  Wir  wollen  da- 
her einen  mit  einem  vollkommenen  Gase  ausgeführten  Kreisprocess 
betrachten,  wie  er  schon  in  der  zu  §.  1  gehörigen  Fig.  8,  welche 
hier  noch  einmal  Platz  finden  möge,  graphisch  dargestellt  ist,  in- 
dem damals  bei  der  Construction  der  Figur  beispielsweise  ein  voll- 
kommenes Gas  als  veränderlicher  Körper  angenommen  wurde. 
Fig.  11.  Die  in  diesem  Kreisi^rocesse  vor- 

kommenden Wärmemengen  ^1  und 
^25  welche  das  Gas  bei  der  Aus- 
dehnung ah  (Fig.  11)  aufnimmt 
und  bei  der  Zusammendrückung 
cd  abgiebt,  wollen  wir  berechnen 
und  unter  einander  vergleichen. 
Dazu  müssen  wir  unsere  Auf- 
mft-ksamkeit  zunächst  auf  die 
durch  die  Abscissen  oe,  oh,  o/  und  og  dargestellten  und  mit  Vj, 
^2,  Fl  und  Fa  bezeichneten  Volumina  richten,  um  die  zwischen 
ihnen  bestehende  Beziehung  abzuleiten. 

Die  durch  oe  und  oli  dargestellten  Volumina  Vy  und  v^  bil- 
den die  Grenzen  derjenigen  Volumeuänderung,  auf  welche  die 
isentropische  Curve  ad  sich  bezieht,  und  welche  man  nach  Be- 
lieben als  Ausdehnung  oder  als  Zusammendrückung  geschehen 
lassen  kann.  Eine  solche  Volumenänderung,  bei  welcher  das 
Gas  keine  Wärme  empfängt  oder  abgiebt,  haben  w'  schon  in 
§.  8  des  vorigen  Abschnittes  behandelt,  und  haben  folgende  dort 
unter  (43)  gegebene  Gleichung  gefunden: 

T 


Absclinitt  III. 


und  wenn  wir  für  unseren  gegenwärtigen  Fall  die  Endtemperatur 
und  das  Endvolumen  mit  T^  und  v^  bezeichnen,    so  erhalten  wir: 


(3)  ^  —  V 

ii        yv-i 

Ganz  ebenso  erhalten  wir  bei  Betrachtung  der  durch  die  isen- 
tropische  Curve  hc  dargestellten  Volumenänderung: 

Aus  der  Vereinigung  dieser  beiden  Gleichungen  ergiebt  sich: 

n  _^ 

oder  umgeschrieben: 

(5)  ^  =  h. 

Vi  V.2 

Nun  wenden  wir  uns  zu  der  durch  die  isothermische  Curve 
ab  dargestellten  Volumenänderung,  welche  bei  der  constanten 
Temperatur  Ti  zwischen  den  Grenzen  v^  und  Fj  vor  sich  geht. 
Die  bei  einer  solchen  Volumenänderung  aufgenommene  oder  ab- 
gegebene Wärmemenge  haben  wir  auch  schon  im  §.  8  des  vorigen 
Abschnittes  bestimmt,  und  gemäss  der  dort  unter  (41)  gegebenen 
Gleichung  können  wir  für  unseren  gegenwärtigen  Fall  setzen: 

(6)  Q^=BTilog^' 

Ebenso  haben  wir  für  die  durch  die  isothermische  Curve  de  dar- 
gestellte Volumenänderung,  welche  bei  der  Temperatur  T2  zwi- 
schen den  Grenzen  v^  und   V^  stattfindet,  zu  setzen: 

(7)  Q,  =  RT,log^- 

Wenn  wir  diese  beiden  Gleichungen  durch  einander  dividiren, 
und  dabei  die  Gleichung  (5)  berücksichtigen,  so  erhalten  wir  das 
gesuchte  Verhältniss  zwischen  ^1  und  Q^^  nämlich: 

Hierdurch  ist  die  in  (2)  vorkommende  Function  der  beiden 
Temperaturen  bestimmt,  indem  wir,  um  jene  Gleichung  mit  der 
vorstehenden  in  Uebereinstimmung  zu  bringen,  setzen  müssen: 

(9)  ^(ri,T,)  =  §- 


Zweiter  Hauptsatz.  87 

Die   nun   an   die   Stelle   von  (2)   tretende   bestimmtere  Glei- 
chung (8),  welche  sich  auch  in  der  Form 

(10)  |[  -  %  =  ^ 

schreiben  lässt,  wollen  wir  äusserlich  noch  etwas  umändern,  in- 
dem wir  die  in  dem  Kreisprocesse  vorkommenden  Wärmemengen, 
welche  bisher  als  absolute  Grössen  behandelt  wurden,  und  bei 
denen  der  Unterschied,  dass  die  eine  aufgenommene  und  die  an- 
dere abgegebene  Wärme  ist,  in  Worten  ausgedrückt  wurde,  da- 
durch von  einander  unterscheiden,-  dass  wir  sie  als  positive  und 
negative  Grössen  behandeln.  Es  ist  nämlich  für  die  Rechnung 
bequemer,  immer  nur  von  aufgenommener  Wärme  zu  sprechen, 
und  abgegebene  Wärmemengen  als  aufgenommene  negative  Wärme- 
mengen zu  betrachten.  Wenn  wir  demgemäss  sagen,  der  ver- 
änderliche Körper  habe  während  des  Kreisprocesses  die  Wärme- 
mengen Qi^  und  Q.2  aufgenommen,  so  müssen  wir  unter  Qo  eine 
negative  Grösse  verstehen,  nämlich  die  Grösse,  welche  bisher 
durch  —  ^2  dargestellt  wurde.  Dadurch  geht  die  Gleichung  (10) 
über  in: 

(11)  f +  t-  =  ^- 


§.  8.    Complicirtere   Kreisprocesse. 

Bisher  haben  wir  uns  auf  solche  Kreisprocesse  beschränkt, 
in  denen  die  Aufnahme  von  positiven  und  negativen  Wärme- 
mengen nur  bei  Bwei  Temperaturen  stattfindet.  Derartige  Kreis- 
processe wollen  wir  von  jetzt  an  kurz  einfache  Kreisprocesse  nen- 
nen. Wir  müssen  nun  aber  auch  solche  Kreisprocesse  betrachten, 
in  denen  die  Aufnahme  von  positiven  und  negativen  Wärmemengen 
bei  mehr  als  zwei  Temperaturen  stattfindet. 

Zunächst  möge  ein  Kreisprocess  mit  drei  Aufnahmetempera- 
turen betrachtet  werden,  welcher  umstehend  graphisch  dargestellt 
ist  durch  die  Figur  abcdefa^  die,  wie  die  früheren,  aus  lauter 
isothermischen  und  isentropischen  Curven  besteht.  Diese  Curven 
sind  wieder  beispielsweise  in  der  Gestalt  gezeichnet,  welche  sie 
bei  einem  vollkommenen  Gase  haben,  was  aber  nicht  wesentlich 
ist.  Die  Curve  ab  bedeutet  eine  Ausdehnung  bei  der  constanten 
Temperatur  T^,  bc  eine  Ausdehnung  ohne  Wärmeaufnahme,  bei 


Abschnitt  III. 


welcher  die  Temperatur  von  Ti  bis  T^  sinkt,  cd  eine  Ausdehnung 
bei  der  constanten  Temperatur  T^^  de  eine  Ausdehnung  ohne 
Wärmeaufnahme,  bei  welcher  die  Temperatur  von  T^  bis  T-^  sinkt, 
ef  eine  Zusammendrückung  bei  der  constanten  Temperatur  Tg 
und  endlich  fa  eine  Zusammendrückung  ohne  Wärmeabgabe,  bei 
welcher  die  Temperatur  von  T3  bis  2\  steigt,  und  durch  welche 
der  veränderliche  Körper  wieder  in  sein  anfängliches  Volumen 
zurückkommt.  Bei  den  Ausdehnungen  ah  und  cd  nimmt  der 
Körper  die  positiven  Wärmemengen  Qy  und  Q.2  und  bei  der  Zu- 
sammendrückung ef  die  negative  Wärmemenge  Q.^  auf.     Es  han- 

„.     -„  delt   sich  nun  darum, 

Flg.  12.  ' 

zwischen  diesen  drei 
Wärmemengen  eineBe- 
ziehung  zu  finden; 

Dazu  denken  wir 
uns  in  der  Figur  die 
isentropische  Curve  h  c 
fortgesetzt ,  wie  es 
durch  das  punktirte 
Stück  cg  angedeutet  ist. 
Dadurch  zerfällt  der 
ganze  Kreisprocess  in 
zwei  einfache  Kreis- 
processe  ahgfa  und 
cdegc.  Beim  ersten 
geht  der  Körper  von  dem  Zustande  a  aus  und  kommt  in  den- 
selben wieder  zurück.  Beim  zweiten  denken  wir  uns  einen  eben 
solchen  Körper,  welcher  von  dem  Zustande  c  ausgeht,  und  zu 
demselben  wieder  zurückkehrt.  Die  negative  Wärmemenge  ^3, 
welche  bei  der  Zusammendrückung  ef  aufgenommen  wird,  denken 
wir  uns  in  zwei  Theile  ^3  und  g'g  zerlegt,  von  denen  der  erste 
bei  der  Zusammendrückung  gf  und  der  zweite  bei  der  Zusammen- 
drückung eg  aufgenommen  wird.  Dann  können  wir  die  beiden 
Gleichungen  bilden,  welche  gemäss  (11)  für  die  beiden  einfachen 
Kreisprocesse  gelten,  nämlich  für  den  Process  ahgfa: 

_  % 

und  für  den  Process  cdegc: 


^    1 


0, 


i;  ^  T,      ^- 


Zweiter  Hauptsatz. 
Durch  Addition  dieser  Gleichungen  erhält  man 

=  0, 


89 


Ql       I       Q-2       1       ^3    +   'h   _ 


0. 


^1  _l 

oder,  da  q^  -\-  q'^  gleich  Q.^  ist: 
Ql    I    V2 

Ebenso  können   wir  einen  Kreisprocess  mit  vier  Aufnahme- 
temperaturen behandeln,  wie  er  durch  die  folgende  Figur  abcclef(jha 

Fig.  13. 


(12) 


1        V2        I        Qa 

"^  T,  "^  T, 


dargestellt  ist,  welche  wieder  aus  lauter  isothermischen  und  isen- 
tropischen  Curven  besteht.  Die  Ausdehnungen  ah  und  cd  und 
die  Zusammendrückungen  ef  und  gh  sollen  bei  den  Tempera- 
turen I\,  T2,  T3  und  Ti  stattfinden  und  dabei  sollen  die  Wärme- 
mengen ^1,  ^2,  Qi  und  Qi  aufgenommen  werden,  von  denen  die 
beiden  ersten  positiv  und  die  beiden  letzten  negativ  sind. 

Wir  denken  uns  die  isentropische  Curve  bc  durch  das  punk- 
tirte  Stück  c  i  und  die  isentropische  Curve  fg  durch  das  punktirte 
Stück  gTv  fortgesetzt.  Dadurch  zerfällt  der  ganze  Kreisprocess 
in  drei  einfache  Kreisprocesse  ahgha,  Icbifk  und  cdeic,  welche 
wir  u.ns  mit  drei  ganz  gleichen  Körpern  ausgeführt  denken.  Die 
bei  der  Ausdehnung  ab  aufgenommene  Wärmemenge  Q^  denken 
wir  uns  in  in  zwei  Theile  qi  und  q[  zerlegt,  welche  den  Ausdeh- 
nungen alc  und  Jcb   entsprechen,    und    die   bei   der   Zusammen- 


90  Abschnitt  III. 

drückung  ef  aufgenommene  negative  Wärmemenge  ^3  denken 
wir  uns  gleichfalls  in  zwei  Theile  q^  und  g'g  zerlegt,  welche  den 
Zusammendrückungen  if  und  ei  entsprechen.  Dann  können  wir 
für  die  drei  einfachen  Kreisprocesse  folgende  Gleichungen  bilden. 
Für  aTcgha: 


für  'k'bif'k: 
und  für  cdeic: 


0, 


^  ^  Ml 
Ti    '    T3 


-2  -t3 

Durch  Addition  dieser  Gleichungen  erhalten  wir: 

gl    +   g'l       1^1       gH    +   g3       1^   —   0 

oder: 

(13)  |-  +  :|4-|f  +  |f  =  o. 

Ebenso  kann  man  jeden  anderen  Kreisprocess,  welcher  sich 
durch  eine  nur  aus  isothermischen  und  isentropischen  Curven 
bestehende  Figur  darstellen  lässt,  aber  eine  beliebige  Anzahl  von 
Aufnahmetemperaturen  hat,  behandeln,  wobei  man  immer  eine 
Gleichung  von  der  obigen  Form  erhält,  nämlich: 

t+lf  +  |-  +  t  +  "*'•  =  ^' 
oder  unter  Anwendung  des  Summenzeichens: 

(14)  2t  =  ^' 


§.  9.    Kreisprocesse,  bei  denen  Wärmeaufnahme  und 
Temperaturänderung  gleichzeitig  stattfinden. 

Wir  müssen  nun  endlich  noch  versuchen,  auch  solche  Kreis- 
processe, welche  durch  Figuren  dargestellt  werden,  die  nicht  bloss 
isothermische  und  isentropische  Curven  enthalten,  sondern  ganz 
beliebig  gestaltet  sind,  in  ähnlicher  Weise  zu  behandeln. 

Dazu  gelangen  wir  durch  folgende  Betrachtung.  Der  Punkt  a 
in   Fig.  14  (a.  f.  S.)    deute  irgend   einen   Zustand   des   veränder- 


Zweiter  Hauptsatz. 


91 


liehen  Körpers  an,  ^yq  sei  der  Verlauf  der  durch  a  gehenden 
isothermischen  Curve  und  rs  der  Verlauf  der  durch  a  gehenden 
isentropischen  Curve.  Wenn  nun  der  Körper  eine  Veränderung 
erleidet,  welche  durch  eine  anders  verlaufende  Druckcurve,  z.  B. 

Fig.  U. 


durch  hc  oder  de  dargestellt  wird,  und  bei  welcher  gleichzeitig 
Wärmeaufnahme  und  Temperaturänderuug  statttindet,  so  können 
wir  uns  eine  solche  Veränderung  ersetzt  denken  durch  eine  grosse 
Anzahl  auf  einander  folgender  Veränderungen,  bei  denen  immer 

Fig.  15. 


abwechselnd    Temj)eraturänderung    ohne    Wärmeaufnahme    und 
Wärmeaufnahme  ohne  Temperaturänderung  stattfindet. 

Diese  Reihe  von  aufeinander  folgenden  Veränderungen  wird 
durch  eine  gebrochene  Linie  dargestellt,  welche  aus  Stücken  von 
isothermischen  und  isentropischen  Curven  besteht,  so  wie  es  in 
Fig.  15   längs  bc   und  längs  de  gezeichnet  ist.     Die   gebrochene 


92 


Absclmitt  III. 


Linie  bleibt  der  stetig  verlaufenden  um  so  näher,  je  kleiner  diie 
Stücke  sind,  aus  denen  sie  besteht,  und  wenn  diese  unendlich 
klein  sind,  so  bleibt  sie  ihr  unendlich  nahe.  In  diesem  Falle 
kann  es  in  Bezug  auf  die  aufgenommenen  Wärmemengen  und 
ihre  Temperaturen  nur  einen  unendlich  kleinen  Unterschied 
machen,  wenn  man  die  Veränderung,  welche  durch  die  stetig 
verlaufende  Linie  dargestellt  wird,  ersetzt  durch  die  unendliche 
Anzahl  von  abwechselnd  verschiedenartigen  Veränderungen,  welche 
durch  die  gebrochene  Linie  dargestellt  wird. 

Nun  möge  ein  ganzer  Kreisprocess  zur  Betrachtung  gegeben 
sein,  bei  welchem  die  Wärmeaufnahme  gleichzeitig  mit  Tempe- 
raturänderungen stattfinden,  und  welcher  graphisch  durch  Curven 

Fig.  16. 


von  beliebiger  Art  oder  auch  nur  durch  eine  einzige  stetig  ver- 
laufende und  in  sich  geschlossene  Curve  dargestellt  wird,  wie  in 
Fig.  16. 

Dann  denke  man  sich  die  umschlossene  Fläche,  welche  die 
äussere  Arbeit  darstellt,  durch  isentropische  Curven,  wie  sie  in 
der  Figur  punktirt  gezeichnet  sind,  in  unendlich  schmale  Streifen 
getheilt.  Diese  Curven  denke  man  sich  oben  und  unten  durch 
unendlich  kleine  Stücke  von  isothermischen  Curven  verbunden, 
welche  die  gegebene  Curve  durchschneiden,  so  dass  man  längs  der 
ganzen  gegebenen  Curve  eine  gebrochene  Linie  erhält,  die  ihr 
überall  unendlich  nahe  liegt.  Den  durch  diese  gebrochene  Linie 
dargestellten  Kreisprocess  kann  man  dem  Obigen  nach  an  die 
Stelle  des  durch  die  stetig  verlaufende  Linie  dargestellten  setzen, 
ohne  dass  dadurch  eine  bemerkenswerthe  Aenderung  in  den  auf- 


Zweiter  Hauptsatz.  9.3 

genommenen  Wärmemengen  und  ihren  Temperaturen  entsteht. 
Ferner  kann  man  den  durch  die  gebrochene  Linie  dargestellten 
Kreisprocess  wiederum  ersetzen  durch  die  unendlich  vielen  ein- 
fachen Kreisprocesse,  welche  durch  die  unendlich  schmalen  Vier- 
ecke dargestellt  werden,  deren  jedes  aus  zwei  neben  einander 
liegenden  isentropischen  Curven  und  zwei  unendlich  kleinen 
Stücken  von  isothermischen  Gurven  besteht. 

Bildet  man  nun  für  jeden  dieser  letztgenannten  Kreisprocesse 
eine  Gleiclmng  von  der  Form  (11),  bei  der  die  beiden  Wärme- 
mengen unendlich  klein  sind,  und  daher  als  Differentiale  von  Q 
bezeichnet  werden  können,  und  addirt  dann  alle  diese  Gleichun- 
gen, so  erhält  man  eine  Gleichung  von  derselben  Form,  wie  (14), 
nur  dass  an  die  Stelle  des  Summenzeichens  ein  Integralzeichen 
tritt,  nämlich: 

(V.)  /^=o. 

Diese  Gleichung,  welche  ich  zuerst  im  Jahre  18.54  veröffent- 
licht habe  i) ,  bildet  einen  sehr  bequemen  Ausdruck  des  zweiten 
Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie,  soweit  er  sich  auf 
umkehrbare  Kreisprocesse  bezieht.  Ihre  Bedeutung  lässt  sich 
folgenderma.assen  in  Worten  ausdrücken.  Wenn  hei  einem  um- 
kehrbaren Kreisprocesse  jedes  von  dem  veränderlichen  Körper 
aufgenommene  (positive  oder  negative)  Wärmeelement  durch  die 
absolute  Aufnahmetemperatur  dividirt,  und  der  so  entstandene 
Differentialausdruck  für  den  ganzen  Verlauf  des  Kreisprocesses 
integrirt  wird^  so  hat  das  Integral  den   Werth  Null  2). 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  93,  S.  500. 

2)  Von  einigen  neueren  Schriftstellern  wird  die  Gleichung  (V)  die 
Carnot'sche  Gleichung  genannt.  Man  kann  aber  mit  Sicherheit  anneh- 
men ,  dass  diese  Schriftsteller  das  C  a  r  n  o  t '  sehe  Werk  (Reflexions  sur  la 
puissauce  motrice  du  feu,  Paris  1824)  nicht  kennen,  denn  aus  diesem  Werke 
ergiebt  sich,  dass  Gar  not  diese  Gleichung  nicht  aufgestellt  hat,  und  nach 
seinen  Ansichten  über  die  Wärme  auch  gar  nicht  hat  aufstellen  können. 
Da  er  nämlich  die  Wärme  für  einen  Stoff  hielt,  dessen  einmal  bestehende 
Menge  sich  weder  vermehren  noch  vermindern  lässt,  so  musste  er,  wie  er 
es  auch  in  der  oben  (S.  80)  citii'ten  Stelle  bestimmt  ausgesprochen  hat,  an- 
nehmen, dass  die  während  eines  Kreisprocesses  von  dem  veränderlichen 
Körper  abgegebenen  Wärmemengen  zusammen  eben  so  gross  seien,  wie  die 
aufgenommenen.    Er  konnte  daher  für  einen  Kreisprocess  nur  die  Gleichung 


fclQ  =  0 


94  Abschnitt  III. 

Wenn  das  auf    beliebige   nach  einander   stattfindende   Ver- 
änderungen eines  Körpers  bezügliche  Integral 

rdQ 
J     T 

jedes  Mal  gleich  Null  wird,  so  oft  der  Körper  wieder  in  seinen 
Anfangszustand  zurückkehrt,  welches  auch  die  dazwischen  durch- 
laufenen Zustände  sein  mögen,  so  muss  der  unter  dem  Integral- 
zeichen stehende  Ausdruck 

dQ 
T 
cfas  vollständige  Differential  einer  Grösse  sein,  welche  nur  von 
dem  augenblicklichen  Zustande  des  Körpers,  und  nicht  von  dem 
Wege,  auf  welchem  der  Körper  in  diesen  Zustand  gelangt  ist, 
abhängt.  Bezeichnen  wir  diese  Grösse  mit  S^  so  können  wir 
setzen : 

oder: 

(VI.)  dQ  =  TdS, 

welche  Gleichung  einen  anderen  für  viele  Untersuchungen  be- 
quemen Ausdruck  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen 
Wärmetheorie  bildet. 


aufstellen ,  welche  mit  der  Gleichung  (V)  unvereinbar  ist.  Die  älteren 
Schriftsteller,  welche  der  Zeit  Carnot's  noch  nicht  so  fern  standen  und 
mit  seinen  Ansichten  vertrauter  waren ,  haben  dieses  auch  allgemein  aner- 
kannt. V erdet  z.  B. ,  der  für  einen  der  kenntnissreichsten  und  urtheils- 
fähigsten  Schriftsteller  auf  diesem  Gebiete  gehalten  wird,  und  als  Franzose 
gewiss  weit  davon  entfernt  war,  Carnot's  Verdienste  schmälern  zu  wol- 
len, spricht  sich  in    seiner  Theorie  mecanique  de  la  chaleur,  T.  I,   p.  187 

über    die    Gleichung    (V)    folgendermaassen    aus:     „L'equation 


/^  =  o 


est  l'expression  la  plus  generale  du  principe  de  Carnot  dans  le  cas  oü 
le.  cycle  est  reversible.  On  pourrait  l'appeler,  ä  juste  raison,  l'equation  de 
Clausius,  puisque  M.  Clausius  l'a  deduite  du  principe  de  Carnot  par 
des  considerations  qui  n'etaient  rien  moins  qu'evidentes". 


ABSCHNITT  IV. 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes 

oder 

Satz  von  der  Aequivalenz  der  Verwandlung-en. 

§.  1.    Zwei  verschiedene  Arten  von  Verwandlungen. 

Im  vorigen  Abschnitte  haben  wir  gesehen,  dass  bei  einem  ein- 
fachen Kreisprocesse  zwei  auf  die  Wärme  bezügliche  Veränderungen 
eintreten,  dass  nämlich  eine  Wärmemenge  in  Arbeit  verwandelt 
(oder  durch  Arbeit  erzeugt)  wird  und  eine  andere  Wärmemenge 
aus  einem  wärmeren  in  einen  kälteren  Körper  (oder  umgekehrt) 
übergeht.  Wir  haben  dann  weiter  gefunden,  dass  zwischen  der  in 
Arbeit  verwandelten  (oder  durch  Arbeit  erzeugten)  Wärmemenge 
und  der  übergehenden  Wärmemenge  ein  bestimmtes  Verhältniss 
bestehen  muss,  welches  von  der  Natur  des  veränderlichen  Körpers 
unabhängig  ist,  und  daher  nur  von  den  Temperaturen  der  beiden 
als  Wärmereservoire  dienenden  Körper  abhängen  kann. 

Für  die  eine  jener  beiden  Veränderungen  haben  wir  schon 
früher  den  Ausdruck  Verivandhing  eingeführt,  indem  wir,  wenn 
Wärme  verbraucht  wird  und  dafür  Arbeit  entsteht,  oder  umgekehrt 
Arbeit  verbraucht  wird  und  dafür  Wärme  entsteht,  sagten,  es  habe 
sich  Wärme  in  Arbeit  oder  Arbeit  in  Wärme  verwandelt.  Wir 
können  nun  auch  die  zweite  Veränderung,  welche  darin  besteht, 
dass  Wärme  aus  einem  Körper  in  einen  anderen,  der  entweder 
wärmer  oder  kälter  ist,  übergeht,  als  eine  Verivandluug  hezeichnen. 
indem  wir  sagen,  es  verwandle  sich  dabei  Wärme  von  einer  Tem- 
peratur in  Wärme  von  einer  anderen  Temperatur. 


96  Abschnitt  IV. 

Bei  dieser  Auffassung  der  Sache  können  wir  das  Resultat  eines 
einfachen  Kreisprocesses  dahin  aussprechen,  dass  swei  Verwand- 
lungen eingetreten  sind,  eine  Verwandlung  aus  Wärme  in  Arbeit 
{oder  umgehehrt)  und  eine  Verwandlung  aus  Wärme  von  höherer 
Temperatur  in  Wärme  von  niederer  Temperatur  (oder  umgehehrt), 
und  die  Beziehung  zwischen  diesen  beiden  Verwandlungen  ist 
es  dann,  welche  durch  den  zweiten  Hauptsatz  ausgedrückt  wer- 
den soll. 

Was  nun  zuerst  die  Verwandlung  aus  Wärme  von  einer  Tem- 
peratur in  Wärme  von  einer  anderen  Temperatur  anbetrifft,  so  ist 
es  im  Voraus  klar,  dass  dabei  die  beiden  Temperaturen,  zwischen 
denen  die  Verwandlung  vor  sich  geht,  in  Betracht  kommen  müssen. 
Es  entsteht  nun  aber  die  weitere  Frage,  ob  bei  der  Verwandlung 
aus  Wärme  in  Arbeit  oder  aus  Arbeit  in  Wärme  die  Temperatur 
der  betreffenden  Wärmemenge  auch  eine  wesentliche  Rolle  spielt, 
oder  ob  bei  dieser  Verwandlung  die  Temperatur  gleichgültig  ist. 

Wenn  wir  die  Beantwortung  dieser  Frage  aus  der  Betrachtung 
des  oben  beschriebenen  einfachen  Kreisprocesses  ableiten  wollen, 
so  finden  wir,  dass  er  für  diesen  Zweck  zu  beschränkt  ist.  Da 
nämlich  in  ihm  nur  zwei  als  Wärmereservoire  dienende  Körper 
vorkommen,  so  ist  stillschweigend  vorausgesetzt,  dass  die  in  Arbeit 
verwandelte  Wärme  aus  einem  derselben  beiden  Körper  stamme 
(oder  die  durch  Arbeit  erzeugte  Wärme  von  einem  derselben  beiden 
Körper  aufgenommen  werde),  zwischen  denen  auch  der  Wärme- 
übergang stattfindet.  Dadurch  ist  über  die  Temperatur  der  in 
Arbeit  verwandelten  (oder  durch  Arbeit  erzeugten)  Wärme  im  Vor- 
aus die  bestimmte  Annahme  gemacht,  dass  sie  mit  einer  der  beiden 
beim  Wärmeübergange  vorkommenden  Temperaturen  überein- 
stimme, und  diese  Beschränkung  verhindert  es,  zu  erkennen,  welchen 
Einfluss  es  auf  die  Beziehung  zwischen  den  beiden  Verwandlungen 
hat,  wenn  die  erstgenannte  Temperatur  sich  ändert,  während  die 
beiden  letztgenannten  Temperaturen  ungeändert  bleiben. 

Man  würde  nun  zwar  die  im  vorigen  Abschnitte  auch  schon 
beschriebenen  complicirten  Kreisprocesse  und  die  aus  ihnen  ab- 
geleiteten Gleichungen  benutzen  können,  um  diesen  Einfluss  zu 
bestimmen;  ich  glaube  aber,  dass  es  der  Klarheit  und  Uebersicht- 
lichkeit  wegen  zweckmässiger  ist,  einen  für  diese  Bestimmung 
besonders  geeigneten  Kreisprocess  zu  betrachten,  und  mit  dessen 
Hülfe  den  zweiten  Hauptsatz  in  seiner  veränderten  Form  noch 
einmal  abzuleiten. 


Veväiulerte  Form  deK  zweiten  Hauptsatzes. 


97 


§.  2.     Ein   Kreisprocess  von  besonderer  Form. 

Es  sei  wiederum  ein  veränderlicher  Körper  gegeben,  dessen 
Zustand  durch  sein  Volumen  und  den  Druck,  unter  welchem  er 
steht,  vollkommen  bestimmt  ist,  so  dass  wir  seine  Veränderungen 
in  der  oben  beschriebenen  Weise  graphisch  darstellen  können. 
Dabei  wollen  wir  die  Figur  wieder  beispielsweise  in  der  Form 
construiren,  welche  sie  für  ein  vollkommenes  Gas  annimmt,  ohne 
aber  bei  der  Betrachtung  selbst  eine  beschränkende  Annahme  über 
die  Natur  des  Körpers  zu  machen. 

Der  Körper  sei  zunächst  in  dem  durch  den  Punkt  a  (Fig.  17) 
angedeuteten  Zustande  gegeben,  in  welchem  sein  Volumen  durch 

Fig.  17. 


die  Abscisse  oh  und  der  Druck  durch  die  Ordinate  lia  dargestellt 
wird.  Die  durch  diese  beiden  Grössen  bestimmte  Temperatur  sei 
T.  Nun  mögen  mit  dem  Körper  nach  einander  folgende  Ver- 
änderungen vorgenommen  werden. 

1.  Man  bringt  den  Körper  von  der  Temperatur  T  auf  eine 
andere  Temperatur  Ti,  die  beispielsweise  niedriger  als  T  sein  mag, 
und  zwar  dadurch,  dass  man  ihn  in  einer  für  Wärme  undurch- 
dringlichen Hülle,  so  dass  er  weder  Wärme  aufnehmen  noch  ab- 
geben kann,  sich  ausdehnen  lässt.  Die  Abnahme  des  Druckes, 
welche  durch  die  gleichzeitige  Volumenzunahme  und  Temperatur- 
abnahme bedingt  wird,  sei  durch  die  isentropische  Curve  ah 
dargestellt,  so  dass,  wenn  die  Temperatur  des  Körpers  bis  Ti 
gesunken  ist,  sein  Volumen  und  sein  Druck  in  oi  und  ih  über- 
gegangen sind. 

Clausiu  s,  mech.  Wäimetheoiie.     I.  7 


98  Abschnitt  IV. 

2.  Man  setzt  den  veränderlichen  Körper  mit  einem  Körper  Ki 
von  der  Temperatur  T^  in  Verbindung,  und  lässt  ihn  dann  sich 
noch  weiter  ausdehnen,  wobei  ihm  alle  durch  die  Ausdehnung 
verschwindende  Wärme  von  dem  Körper  Ki  wieder  ersetzt  wird. 
Von  dem  letzteren  sei  angenommen,  dass  seine  Temperatur  wegen 
seiner  Grösse  oder  aus  irgend  einem  anderen  Grunde  durch  diese 
Wärmeabgabe  nicht  merklich  erniedrigt  wird,  und  daher  als  con- 
stant  zu  betrachten  ist.  Dann  behält  auch  der  veränderliche 
Körper  wäbrend  der  Ausdehnung  diese  constante  Temperatur, 
und  die  Druckabnahme  wird  daher  durch  eine  isothermische 
Curve  bc  dargestellt.  Die  hierbei  vonÄi  abgegebene  Wärmemenge 
heisse  Qi. 

3.  Man  trennt  den  veränderlichen  Körper  von  dem  Körper  jSTi, 
und  lässt  ihn  ohne  dass  er  Wärme  aufnehmen  oder  abgeben  kann, 
sich  noch  weiter  ausdehnen,  bis  seine  Temperatur  von  T^  auf  T^ 
gesunken  ist.  Die  hierbei  stattfindende  Druckabnahme  sei  durch 
die  isentropische  Curve  cd  dargestellt, 

4.  Man  setzt  den  veränderlichen  Körper  mit  einem  Körper  K2 
von  der  constanten  Temperatur  T2  in  Verbindung  und  drückt  ihn 
dann  zusammen,  wobei  er  alle  in  ihm  entstehende  Wärme  dem 
Körper  ^2  mittheilt.  Diese  Zusammendrückung  setzt  man  so  lange 
fort,  bis  K2  dieselbe  Wärmemenge  Qi  empfangen  hat,  welche  vor- 
her von  Kl  abgegeben  wurde.  Der  Druck  nimmt  hierbei  nach  der 
isothermischen  Curve  de  zu. 

5.  Man  trennt  den  veränderlichen  Körper  von  dem  Körper  K2, 
und  drückt  ihn,  ohne  dass  er  Wärme  aufnehmen  oder  abgeben 
kann,  noch  so  lange  zusammen,  bis  seine  Temperatur  von  Tg  auf 
den  ursprünglichen  Werth  T  gestiegen  ist,  wobei  der  Druck  nach 
der  isentropischen  Curve  ef  zunimmt.  Das  Volumen  on,  in  welches 
der  Körper  auf  diese  Weise  gebracht  wird,  ist  kleiner  als  sein 
ursprüngliches  Volumen  oh,  denn,  da  bei  der  Zusammendrückung  <^e 
der  zu  überwindende  Druck  und  demgemäss  die  aufzuwendende 
äussere  Arbeit  geringer  waren,  als  die  entsprechenden  Grössen  bei 
der  Ausdehnung  &c,  so  musste  dafür,  wenn  doch  dieselbe  Wärme- 
menge ^1  entstehen  sollte,  die  Zusammendrückung  weiter  fortgesetzt 
werden,  als  nöthig  gewesen  wäre,  wenn  die  Zusammendrückungen 
nur  die  Ausdehnungen  hätten  aufheben  sollen. 

6.  Man  bringt  den  veränderlichen  Körper  mit  einem  Körper  Ä" 
von  der  constanten  Temperatur  T  in  Verbindung  und  lässt  ihn 
sich  bis  zu  seinem  ursprünglichen  Volumen  oh  ausdehnen,  indem 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hau[)tsatzes.  99 

ihm  K  die  dabei  verschwindende  Wärme  ersetzt.  Die  dazu  nüthige 
Wärmemenge  heisse  Q.  Wenn  der  Körper  mit  der  Temperatur  T 
das  Volumen  oh  erreicht,  so  muss  auch  der  Druck  wieder  der 
ursprüngliche  sein,  und  die  isothermische  Curve,  welche  die  letzte 
Druckabnahme  darstellt,  muss  daher  gerade  den  Punkt  a  treffen. 

Diese  sechs  Veränderungen  bilden  zusammen  einen  Krcis- 
process,  da  der  veränderliche  Körper  sich  am  Schlüsse  derselben 
genau  wieder  in  seinem  Anfangszustande  befindet.  Von  den  drei 
Körpern  K,  Ki  und  K2,  welche  bei  dem  ganzen  Vorgange  nur  in 
sofern  in  Betracht  kommen,  als  sie  als  Wärmequellen  oder  Wärme- 
reservoire dienen,  haben  die  beiden  ersten  die  Wärmemengen  Q 
und  Qi  verloren,  und  der  letzte  die  Wärmemenge  ^1  empfangen, 
was  man  so  aussprechen  kann,  dass  ^1  aus  Ki  in  K^  übergegangen 
und  Q  verschwunden  ist.  Die  letztere  Wärmemenge  muss  nach 
dem,  was  bei  dem  ersten  Hauptsatze  gesagt  ist,  in  äussere  Arbeit 
verwandelt  sein.  Der  Gewinn  an  äusserer  Arbeit,  welcher  während 
des  Kreisprocesses  dadurch  entstanden  ist,  dass  der  Druck  bei 
der  Ausdehnung  grösser,  als  bei  der  Zusammendrückung,  und 
daher  die  positive  Arbeit  grösser  als  die  negative  war,  wird,  wie 
man  leicht  übersieht,  durch  den  Flächeninhalt  der  geschlossenen 
Figur  abcdef  dargestellt.  Nennen  wir  diese  Arbeit  "FT,  so  muss 
nach  Gleichung  (5  a)  des  ersten  Abschnittes  Q  =z  W  sein. 

Man  sieht  leicht,  dass  der  hier  beschriebene  Kreisprocess  den 
am  Anfange  des  Abschnittes  III.  zur  Betrachtung  angewandten  und 
in  Fig.  8  dargestellten  Kreisprocess  als  speciellen  Fall  umfasst. 
Wenn  man  nämlich  in  Bezug  auf  die  Temperatur  T  des  Körpers 
K  die  specielle  Annahme  macht,  dass  sie  gleich  der  Temperatur 
Ti  des  Körpers  Ä^i  sei,  so  kann  man  den  Körper  K  ganz  fortlassen, 
und  statt  seiner  den  Körper  Ki  anwenden,  und  erhält  dann  das 
Resultat,  dass  von  der  Wärme,  welche  der  Körper  Ki  abgegeben 
hat,  ein  Theil  in  Arbeit  verwandelt,  und  der  andere  Theil  zum 
Körper  K2  übertragen  ist,  wie  es  bei  jenem  früher  angewandten 
Kreisprocesse  war. 

Der  ganze  hier  beschriebene  Kreisprocess  lässt  sich  auch  in 
umgekehrter  Weise  ausführen,  indem  man  zuerst  in  Verbindung 
mit  dem  Körper  K  statt  der  vorher  geschehenen  Ausdehnung  fa 
jetzt  die  Zusammendrückung  af  bewirkt,  und  ebenso,  immer  unter 
denselben  Umständen,  unter  denen  vorher  die  entgegengesetzten 
Veränderungen  geschahen,  jetzt  nach  einander  die  Ausdehnungen 
fe  und  ed  und  die  Zusammendrückungen  de,  ch  und  ba  geschehen 


100  Abschnitt  IV. 

lässt.  Hierbei  werden  offenbar  von  den  Körpern  K  und  K^ 
die  Wärmemengen  Q  und  Qi  aufgenommen  und  von  K^  wird  die 
Wärmemenge  Q^  abgegeben.  Zugleich  ist  jetzt  die  negative  Arbeit 
grösser  als  die  positive,  so  dass  der  Flächeninhalt  der  geschlossenen 
Figur  jetzt  verbrauchte  Arbeit  darstellt.  Das  Resultat  des  um- 
gekehrten Processes  ist  also,  dass  die  Wärmemenge  Qi^  von  K^ 
nach  Kl  übergeführt,  und  die  Wärmemenge  Q  durch  Arbeit  er- 
zeugt und  an  den  Körper  K  abgegeben  ist. 


§.  3.     Aequivalente   Verwandlungen. 

Um  die  gegenseitige  Abhängigkeit  der  beiden  gleichzeitig  ein- 
tretenden Verwandlungen  kennen  zu  lernen,  wollen  wir  zuerst  an- 
nehmen, dass  die  Temperaturen  der  drei  Wärmereservoire  dieselben 
bleiben,  aber  die  Kreisprocesse,  durch  welche  die  Verwandlungen 
bewirkt  werden,  verschieden  seien,  indem  entweder  verschiedene 
veränderliche  Körper  ähnlichen  Veränderungen  unterworfen  wer- 
den, oder  auch  Kreisprocesse  von  beliebiger  anderer  Natur  statt- 
linden, welche  nur  der  Bedingung  genügen  müssen,  dass  die  drei 
Körper  K,  K^  und  K^  die  einzigen  sind,  welche  Wärme  empfangen 
oder  abgeben,  und  ausserdem  von  den  beiden  letzten  der  eine  so 
viel  empfängt,  als  der  andere  abgiebt.  Diese  verschiedenen  Pro- 
cesse  können  entweder  umkehrbar  sein,  wie  der  vorher  betrachtete, 
oder  nicht,  und  darnach  ändert  sich  auch  das  für  die  Verwand- 
lungen geltende  Gesetz.  Indessen  lässt  sich  die  Aenderung,  welche 
das  Gesetz  für  die  nicht  umkehrbaren  Processe  erleidet,  leicht 
nachträglich  hinzufügen,  und  wir  wollen  uns  daher  vorläufig  auf 
die  Betrachtung  der  umJiehrbaren  Kreisprocesse  beschränken. 

Für  diese  lässt  sich  aus  dem  im.  vorigen  Abschnitte  aufgestellten 
Grundsatze  beweisen,  dass  die  von  Kx  nach  K^  übertragene  Wärme- 
menge Qi  zu  der  in  Arbeit  verwandelten  Q  bei  ihnen  allen  in  einem 
und  demselben  Verhältnisse  stehen  muss.  Angenommen  nämlich, 
es  gäbe  zwei  solche  Processe,  bei  denen,  wenn  Q  in  beiden  gleich 
genommen  wird,  Q^  verschieden  wäre,  so  könnte  man  nach  einander 
den  einen,  bei  welchem  Qy  kleiner  wäre,  direct,  und  den  anderen 
umgekehrt  ausführen.  Dann  würde  die  Wärmemenge  Q^  welche 
durch  den  ersten  Process  in  Arbeit  verwandelt  wäre,  durch  den 
zweiten  wieder  in  Wärme  verwandelt  und  an  den  Körper  K  zurück- 
gegeben werden,  und  auch  im  Uebrigen  würde  sich  am  Schlüsse 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes.  101 

Alles  wieder  in  dem  ursprünglichen  Zustande  befinden,  nur  dass 
mehr  Wärme  von  K,^  nach  Ki  als  in  umgekehrter  Richtung  über- 
geführt wäre.  Es  hätte  also  im  Ganzen  ein  Wärmeübergang  von  dem 
kälteren  Körper  K^  nach  dem  wärmeren  Ki  stattgefunden,  der  durch 
nichts  compensirt  wäre.  Da  dieses  unserem  Grundsatze  widerspricht, 
so  muss  die  obige  Annahme  unrichtig  sein,  und  Q  muss  zu  Q^  in 
einem  immer  gleichen  Verhältnisse  stehen. 

Von  den  beiden  in  einem  solchen  umkehrbaren  Kreisprocesse 
vorkommenden  Verwandlungen,  kann  jede  die  andere,  wenn  diese 
im  entgegengesetzten  Sinne  genommen  wird,  ersetzen,  so  dass, 
wenn  eine  Verwandlung  der  einen  Art  stattgefunden  hat,  diese 
wieder  rückgängig  werden,  und  dafür  eine  Verwandlung  der  an- 
deren Art  eintreten  kann,  ohne  dass  dazu  irgend  eine  sonstige 
bleibende  Veränderung  nöthig  ist.  Sei  z.  B.  auf  irgend  eine  Weise 
die  Wärmemenge  Q  aus  Arbeit  entstanden  und  von  dem  Körper 
K  aufgenommen,  so  kann  man  sie  durch  den  oben  beschriebenen 
Kreisprocess  dem  Körper  K  wieder  entziehen,  und  in  Arbeit  zurück 
verwandeln,  aber  es  geht  dafür  die  Wärmemenge  Q^  von  dem 
Körper  K^  za  K.2  über.  Sei  ferner  die  Wärmemenge  Qi  vorher 
von  Kl  zu  K2  übergegangen,  so  kann  man  diese  durch  die  um- 
gekehrte Ausführung  des  obigen  Kreisprocesses  wieder  nach  Ki 
zurückschaffen,  indem  man  dafür  die  Wärmemenge  Q  von  der 
Temperatur  des  Körpers  K  aus  Arbeit  entstehen  lässt. 

Man  sieht  also,  dass  diese  beiden  Verwandlungsarten  als 
Vorgänge  von  gleicher  Natur  zu  betrachten  sind,  und  zwei  solche 
Verwandlungen,  die  sich  in  der  erwähnten  Weise  gegenseitig  er- 
setzen können,  wollen  wir  äquivalent  nennen. 


§.  4.     Aequivalenzwerthe   der   Verwandlungen. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  das  Gesetz  zu  finden,  nach  welchem 
man  die  Verwandlungen  als  mathematische  Grössen  darstellen 
muss,  damit  sich  die  Aequivalenz  zweier  Verwandlungen  aus  der 
Gleichheit  ihrer  Werthe  ergiebt.  Der  so  bestimmte  mathematische 
Werth  einer  Verwandlung  möge  ihr  Äeciuivalenmverth  heissen. 

Was  zunächst  den  Sinn  anbetrifft,  in  welchem  jede  Verwand- 
lungsart als  positiv  zu  rechnen  ist,  so  kann  man  diesen  bei  der 
einen  willkürlich  wählen,  bei  der  anderen  aber  ist  er  dadurch 
gleich  mit  bestimmt,  indem  man  offenbar  eine  solche  Verwand- 


102  Abschnitt  IV. 

limg  als  positiv  annehmen  muss,  welche  einer  positiven  Verwand- 
lung der  anderen  Art  äquivalent  ist.  Wir  wollen  im  Folgenden 
die  Verwandlung  aus  Arheit  in  Wärme,  und  demgemäss  den  TJeber- 
gang  von  Wärme  von  höherer  bu  niederer  Temperatur  als  positive 
Ver%vandlungen  rechnen.  Man  wird  später  sehen,  wodurch  diese 
Wahl  des  positiven  und  negativen  Sinnes  sich  vor  der  entgegen- 
gesetzten empfiehlt. 

In  Bezug  auf  die  Grösse  der  Aequivalenzwerthe  ist  zunächst 
klar,  dass  der  Werth  einer  Verwandlung  aus  Arbeit  in  Wärme 
der  Menge  der  entstandenen  Wärme  proportional  sein  muss,  und 
ausserdem  nur  noch  von  ihrer  Temperatur  abhängen  kann.  Man 
kann  also  den  Aequivalenzwerth  der  Entstehung  der  Wärmemenge 
Q  von  der  Temperatur  T  aus  Arbeit  ganz  allgemein  durch  den 
Ausdruck 

QJ{T) 
darstellen,   worin  f{T)   eine  für  alle  Fälle  gleiche  Temperatur- 
function  ist.     Wenn  in  dieser  Formel  Q  negativ  wird,   so   wird 
dadurch  ausgedrückt,  dass  die  Wärmemenge  Q  nicht  aus  Arbeit 
in  Wärme  sondern  aus  Wärme  in  Arbeit  verwandelt  ist. 

Ebenso  muss  der  Werth  des  Ueberganges  der  Wärmemenge 
Q  von  der  Temperatur  2\  zur  Temperatur  T.2  der  übergehenden 
Wärmemenge  proportional  sein,  und  kann  ausserdem  nur  noch  von 
den  beiden  Temperaturen  abhängen.  Wir  können  ihn  also  all- 
gemein durch  den  Ausdruck 

darstellen ,  worin  F(Ti,  T^)  ebenfalls  eine  für  alle  Fälle  gleiche 
Function  der  beiden  Temperaturen  ist,  welche  wir  zwar  noch  nicht 
näher  kennen,  von  der  aber  soviel  im  Voraus  klar  ist,  dass  sie 
durch  Verwechslung  der  beiden  Temperaturen  ihr  Vorzeichen  um- 
kehren muss,  ohne  ihren  numerischen  Werth  zu  ändern,  so  dass 
man  setzen  kann: 
(1)  F(T,,T,)  =  -F(T,,T,). 

Um  diese  beiden  Ausdrücke  mit  einander  in  Beziehung  zu 
bringen,  haben  wir  die  Bedingung,  dass  in  jedem  umkehrbaren 
Kreisprocesse  der  oben  angegebenen  Art  die  beiden  darin  vor- 
kommenden Verwandlungen  gleich  gross,  aber  von  entgegen- 
gesetzten Vorzeichen  sein  müssen,  so  dass  ihre  algebraische  Summe 
Null  ist.  Wählen  wir  also  zunächst  den  Process,  welcher  oben 
vollständig  beschrieben  ist,   so  wurde   dabei  die  Wärmemenge  Q 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes.  103 

von  der  Temperatur  T  in  Arbeit  verwandelt,  was  als  Aequivalenz- 
werth  —  Q  .f(T)  gieht,  und  die  Wärmemenge  Qi  von  der  Tem- 
peratur Ti  zu  T2  übergeführt,  was  als  Aequivalenzwerth  Qi .  F{1\^  T^) 
giebt,  und  es  muss  also  die  Gleichung 

(2)  -  QJ{T)-^  Qi-F(T,,T,)  =  0 
gelten. 

Denken  wir  uns  nun  einen  eben  solchen  Process  umgekehrt 
ausgeführt,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die  Körper  K^  und  K2 
und  die  zwischen  ihnen  übergehende  Wärmemenge  Qi  dieselben 
bleiben  wie  vorher,  aber  statt  des  Körpers  JT  von  der  Temperatur  T 
ein  anderer  Körper  K'  von  der  Temperatur  T'  angewandt  wird, 
und  nennen  wir  die  in  diesem  Falle  durch  Arbeit  erzeugte  Wärme- 
menge Q\  so  haben  wir,  entsprechend  der  vorigen,  die  Gleichung: 

(3)  Q'  .f(T')^  Q,.F(T„T,)^0. 

Durch  Addition  dieser  beiden  Gleichungen  unter  Berücksichtigung 
von  (1)  ergiebt  sich: 

(4)  -  Q.f(T)-Jr  Q'  .f{T')  =  0. 

Sieht  man  nun,  was  natürlich  gestattet  ist,  diese  beiden  nach 
einander  ausgeführten-  Kreisprocesse  zusammen  als  Einen  Kreis- 
process  an,  so  kommen  in  diesem  die  beiden  Wärmeübergänge 
zwischen  K^  und  K^  nicht  mehr  in  Betracht,  da  sie  sich  gerade 
gegenseitig  aufgehoben  haben,  und  es  bleiben  also  nur  die  Ver- 
wandlung der  von  Ä"  abgegebenen  Wärmemenge  Q  in  Arbeit,  und 
die  Entstehung  der  von  K'  aufgenommenen  Wärmemenge  Q'  aus 
Arbeit  übrig.  Diese  beiden  Verwandlungen  von  gleicher  Art  kön- 
nen aber  auch  so  zerlegt  und  zusammengesetzt  werden,  dass  sie 
wieder  als  zwei  Verwandlungen  von  verschiedener  Art  erscheinen. 
Hält  man  nämlich  einfach  an  der  Thatsache  fest,  dass  der  eine 
Körper  K  die  Wärmemenge  Q  verloren  und  der  andere  K'  die 
Menge  Q'  empfangen  hat,  so  kann  man  den  Theil,  welcher  in 
beiden  Mengen  gemeinsam  vorkommt,  ohne  Weiteres  als  von  K  zu 
K'  übergeführt  betrachten,  und  braucht  nur  für  den  übrigen  Theil, 
um  welchen  die  eine  Menge  grösser  ist,  als  die  andere,  die  Ver- 
wandlung aus  Wärme  in  Arbeit  (oder  umgekehrt)  als  solche  zu 
berücksichtigen.  Sei  z.  B.  die  Temperatur  T  höher  als  T',  so  hat 
der  auf  diese  Weise  angenommene  Wärmeübergang  die  Richtung 
vom  wärmeren  zum  kälteren  Körper,  und  ist  somit  positiv.  Dem- 
nach muss  die  andere  Verwandlung  negativ,  also  eine  Verwand- 
lung aus  Wärme  in  Arbeit  sein,  woraus  folgt,  dass  die  von  K  ab- 


104  Absclinitt  IV. 

gegebene  Wärmemenge  Q  grösser  als  die  von  K'  empfangene  Q' 
ist.    Zerlegen  wir  nun  Q  in  die  beiden  Theile 

Q'  und  Q  —  Q', 
so  ist  der  erstere  die  von  K  zu  K'  übergeführte ,  und  der  letztere 
die  in  Arbeit  verwandelte  Wärmemenge. 

Bei  dieser  Auffassungsweise  erscheint  der  Doppelprocess  als 
ein  Process  von  derselben  Art,  wie  die  beiden  Processe,  aus  denen 
er  besteht,  denn  der  Umstand,  dass  die  in  Arbeit  verwandelte 
Wärme  nicht  von  einem  dritten  Körper,  sondern  von  einem  der- 
jenigen beiden  Körper  herstammt,  zwischen  denen  der  Wärme- 
übergang stattfindet,  macht  keinen  wesentlichen  Unterschied,  da 
die  Temperatur  der  in  Arbeit  verwandelten  Wärme  beliebig  ist, 
und  daher  auch  denselben  Werth  haben  kann,  wie  die  Temperatur 
eines  jener  beiden  Körper,  in  welchem  Falle  der  dritte  Körper 
überflüssig  ist.  Es  muss  daher  für  die  beiden  Wärmemengen  Q' 
und  Q  —  Q'  eine  Gleichung  von  derselben  Form  gelten  wie  (2), 
n  f\  Tn  1 1  p  n  * 

-(Q-  Q')  JiT)  +  Q'  •  F{T,  T')  =  0. 
Eliminirt  man  hieraus  vermittelst  (4)  die  Grösse  ^,  und  hebt  dann 
die  Grösse  Q'  fort,  so  erhält  man  die  Gleichung 

(5)  FiT,T')=f(r)-f(T), 

durch  welche,  da  die  Temperaturen  T  und  T  willkürlich  sind,  die 
für  die  zweite  Verwandlungsart  geltende  Function  von  zwei  Tem- 
peraturen ganz  allgemein  auf  die  für  die  erste  Art  geltende  Func- 
tion von  Einer  Temperatur  zurückgeführt  ist. 

Für  die  letztere  Function  wollen  wir  zur  Abkürzung  ein  ein- 
facheres Zeichen  einführen.  Dabei  ist  es  aber  aus  einem  Grunde, 
der  später  ersichtlich  werden  wird,  zweckmässig,  nicht  die  Func- 
tion selbst,  sondern  ihren  reciproken  Werth  durch  das  neue  Zeichen 
darzustellen.     Wir  wollen  daher  setzen: 

(6)  r=^oder/(T)  =  i, 

so  dass  nun  r  die  unbekannte  Temperaturfunction  ist,  welche  in 
den  Aequivalenzwerthen  vorkommt.  Wenn  von  dieser  Function 
besondere  Werthe  auszudrücken  sind ,  welche  den  Temperaturen 
Ti,  T3  etc.  oder  T\T"  etc.  entsprechen,  so  soll  dieses  einfach  da- 
durch geschehen ,  dass  die  Indices  oder  Accente  an  t  selbst  gesetzt 
werden,  also  Ti,t2etc.  oder  T',r"  etc.  Dann  lautet  die  Gleichung  (5): 

F(T,r)  =  -,  —  -- 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes.  105 

Hiernach  lässt  sich  der  zweite  Hauptsatz  der  mechanischen 
Wärmetheorie,  welchen  man,  wie  ich  glaube,  in  dieser  Form 
passend  den  SaU  von  der  Aequivalenz  der  Verwcmdluwjen  nennen 
kann,  folgendermaassen  aussprechen. 

Nennt  man  zivei  Verwandlungen,  welche  sich,  ohne  da^ii  eine 
sonstige  bleibende  Veränderung  m  erfordern,  gegenseitig  ersetzen 
können,  äquivalent,  so  hat  die  Entstehung  der  Wärmemenge  Q  von 
der  Temperatur  T  aus  Arbeit  den  Aequivdlenzwerth 

Q 

und  der  Uebergang  der  Wärmemenge  Q  von  der  Temperatur  T^  zur 
Temperatur  T^  den  Aequivalenzwerth 


^(}.-t)' 


worin  t  eine  von  der  Art  des  Proccsses,  durch  welchen  die  Verwand- 
lung geschieht,  unabhängige  Temperaturfunction  ist. 


§.  5.     Gesammtwerth  aller  in   einem  Kreisprocesse   vor- 
kommenden Verwandlungen. 

Schreibt  man  den  letzten  im  vorigen  Paragraphen  angeführten 
Ausdruck  in  der  Form 

so  sieht  man,  dass  der  Uebergang  der  Wärmemenge  Q  von  der 
Temperatur  Tj  zur  Temperatur  Tg  denselben  Aequivalenzwerth 
hat,  wie  eine  doppelte  Verwandlung  der  ersten  Art,  nämlich  die 
Verwandlung  der  Menge  Q  aus  Wärme  von  der  Temperatur  T^  in 
Arbeit  und  aus  Arbeit  in  Wärme  von  der  Temperatur  To.  Eine 
Erörterung  der  Frage,  in  wieweit  diese  äussere  Uebereinstimmung 
in  dem  Wesen  der  Vorgänge  selbst  begründet  ist,  würde  hier  noch 
nicht  am  Orte  sein;  jedenfalls  aber  kann  man  bei  der  mathemati- 
schen Bestimmung  des  Aequivalenzwerthes  jeden  Wärmeübergang, 
gleichgültig  wie  er  geschehen  ist,  als  eine  solche  Combination 
von  zwei  entgegengesetzten  Verwandlungen  der  ersten  Art  be- 
trachten. 

Durch  diese  Regel  wird  es  leicht,  für  jeden  noch  so  compli- 
cirten  Kreisprocess ,  in  welchem  beliebig  viele  Verwandlungen  der 


106  Abschnitt  IV. 

beiden  Arten  vorkommen,  den  mathematisclien  Ausdruck  abzu- 
leiten, welcher  den  Gesammtwerth  aller  dieser  Verwandlungen 
darstellt.  Hiernach  braucht  man  nämlich  bei  einer  Wärmemenge, 
welche  ein  Wärmereservoir  abgiebt,  nicht  erst  zu  untersuchen, 
welcher  Theil  davon  in  Arbeit  verwandelt  wird,  und  wo  der  übrige 
Theil  hingeht,  sondern  kann  statt  dessen  bei  allen  in  dem  Kreis- 
processe  vorkommenden  W^ärmereservoiren  jede  abgegebene  Wärme- 
menge im  Ganzen  als  in  Arbeit  verwandelt,  und  jede  aufgenommene 
als  aus  Arbeit  entstandene  in  Rechnung  bringen.  Nehmen  wir  also 
an,  dass  als  Wärmereservoire  die  Körper  Ki^  K^^  K^  etc.  mit  den 
Temperaturen  Tj,  T2,  T3  etc.  vorkommen,  und  nennen  wir  die 
Wärmemengen,  welche  sie  während  des  Kreisprocesses  abgegeben 
haben,  Qi,  Q^,  Q^  etc.,  wobei  wir  jetzt  aufgenommene  Wärmemengen 
als  abgegebene  negative  Wärmemengen  rechnen  wollen  1),  so  wird 
der  Gesammtwerth  aller  Verwandlungen,  welcher  mit  N  bezeichnet 
werden  möge,  folgendermaassen  dargestellt: 

N  =  -^  -9l  _9l_  etc., 

Ti  Tq  ^3 

oder  unter  Anwendung  eines  Summenzeichens: 

(7)  N  =  -^ 


^Q 


Hierbei  ist  vorausgesetzt,  dass  die  Temperaturen  der  Körper 
Ki.K^^K^  etc.  constant,  oder  wenigstens  so  nahe  constant  seien, 
dass  ihre  Aenderungen  vernachlässigt  werden  können.  Wenn  aber 
einer  der  Körper  entweder  durch  die  Abgabe  der  Wärmemenge  Q 
selbst,  oder  aus  irgend  einem  anderen  Grunde  seine  Temperatur 
während  des  Processes  so  bedeutend  ändert,  dass  diese  Aenderung 
Berücksichtigung  erfordert,  so  muss  man  für  jedes  abgegebene 
Wärmeelement  d  Q  die  Temperatur  anwenden,  welche  der  Körper 
bei  seiner  Abgabe  gerade  hat,  wodurch  natürlich  eine  Integra- 
tion nöthig  wird.  Nehmen  wir  der  Allgemeinheit  wegen  an,  dass 
dieser  Umstand  bei  allen  Körpern  stattfinde,  so  erhält  die  vorige 
Gleichung  folgende  Gestalt: 


1)  Diese  WaU  des  positiven  und  negativen  Sinnes  der  Wärmemengen 
stimmt  mit  der  im  vorigen  Abschnitte  getroffenen  überein ,  wo  wir  eine 
von  dem  veränderlichen  Körper  aufgenommene  Wärmemenge  als  positiv 
und  eine  von  ihm  abgegebene  als  negativ  rechneten,  denn  eine  von  einem 
Wärmereservoir  abgegebene  Wärmemenge  ist  von  dem  veränderlichen 
Körper  aufgenommen  und  umgekehrt. 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes.  107 

(S)  ^  =  -/^< 

worin   das  Integral   auf  alle  von   den  verschiedenen  Körpern  ab- 
gegebenen Wärmemengen  zu  beziehen  ist. 


§,  6.     Beweis,   dass  in  einem  umkehrbaren  Kreisprocesse 
der  Gesammtwerth  aller  Verwandlungen  gleich  Null 

sein  muss. 

Wenn  der  in  Rede  stehende  Kreisprocess  umhehrbar  ist,  so 
lässt  sich,  wie  complicirt  er  auch  sei,  beweisen,  dass  die  in  ihm 
vorkommenden  Verwandlungen  sich  gegenseitig  gerade  aufheben 
müssen,  so  dass  ihre  algebraische  Stimme  gleich  Nidl  ist. 

Angenommen  nämlich,  es  sei  dieses  nicht  der  Fall,  sondern 
die  algebraische  Summe  der  Verwandlungen  habe  einen  von  Null 
verschiedenen  Werth,  dann  denke  man  sich  folgende»  Verfahren 
angewandt.  Man  theile  alle  vorkommenden  Verwandlungen  in  zwei 
Theile,  von  denen  der  erste  die  algebraische  Summe  Null  hat,  und 
der  zweite  nur  aus  Verwandlungen  von  gleichen  Vorzeichen  be- 
steht. Die  Verwandlungen  des  ersten  Theiles  denke  man  sich  in 
lauter  Paare  von  je  zwei  gleich  grossen  aber  den  Vorzeichen  nach 
entgegengesetzten  Verwandlungen  zerlegt.  Wenn  alle  vorhandenen 
Wärmereservoire  constante  Temperaturen  haben,  so  dass  in  dem 
Kreisprocesse  nur  eine  endliche  Anzahl  von  bestimmten  Tempe- 
raturen vorkommt,  so  ist  auch  die  Anzahl  der  Paare,  die  man  zu 
bilden  hat,  eine  endliche;  sollten  aber  die  Temperaturen  der 
Wärmereservoire  sich  stetig  ändern,  so  dass  unendlich  viele  ver- 
schiedene Temperaturen  vorkommen,  und  daher  die  abgegebenen 
und  aufgenommenen  Wärmemengen  in  Elemente  zerlegt  werden 
müssen,  so  wird  die  Anzahl  der  Paare,  die  man  zu  bilden  hat, 
unendlich  gross.  Das  macht  indessen  dem  Principe  nach  keinen 
Unterschied.  Die  beiden  Verwandlungen  jedes  Paares  lassen  sich 
nun  durch  einen  oder  zwei  Kreisprocesse  von  der  in  §.  2  be- 
schriebenen Form  rückgängig  machen. 

Seien  nämlich  erstens  die  beiden  gegebenen  Verwandlungen 
von  verschiedener  Art,  sei  z.  B.  die  Wärmemenge  Q  von  der  Tem- 
peratur T  in  Arbeit  verwandelt,  und  die  Wärmemenge  ^^  aus 
einem  Körper  K^  von  der  Temperatur  T^  in  einen  Körper  K^  von 
der  Temperatur  Tg   übertragen   (wobei  wir  unter  Q  und  Q^  die 


108  Abschnitt  IV. 


absoluten  Werthe  der  Wärmemengen  verstehen  wollen),  und  sei 
angenommen,  dass  die  Grössen  der  beiden  Wärmemengen  unter 
einander  in  der  Beziehung  stehen,  dass  man  folgende  der  Gleichung 
(2)  entsprechende  Gleichung  habe: 


-l+^i-i)=«- 


Dann  denke  man  sich  den  oben  beschriebenen  Kreisprocess  in  um- 
gekehrter Weise  ausgeführt,  wodurch  die  Wärmemenge  Q  von  der 
Temperatur  T  aus  Arbeit  entsteht ,  und  eine  andere  Wärmemenge 
aus  dem  Körper  K^  in  den  Körper  Ki  übertragen  wird.  Diese 
letztere  Wärmemenge  muss  dann  gerade  gleich  der  in  der  vorigen 
Gleichung  stehenden  Wärmemenge  Qi  sein,  und  die  gegebenen 
Verwandlungen  sind  somit  rückgängig  gemacht. 

Sei  ferner  eine  Verwandlung  aus  Arbeit  in  Wärme  und  eine 
aus  Wärme  in  Arbeit  gegeben,  sei  z.  B.  die  Wärmemenge  Q  von 
der  Temperatur  T  durch  Arbeit  erzeugt,  und  die  Wärmemenge  Q 
von  der  Temperatur  T'  in  Arbeit  verwandelt,  und  stehen  diese 
beiden  in  der  Beziehung  zu  einander,  dass  man  habe: 

«-^  =  0. 

r  t' 

Dann  denke  man  sich  zuerst  den  oben  beschriebenen  Kreisprocess 
ausgeführt,  wodurch  die  Wärmemenge  Q  von  der  Temperatur  T  in 
Arbeit  verwandelt,  und  eine  andere  Wärmemenge  Qi  aus  einem 
Körper  Ki  in  einen  anderen  Körper  K2  übertragen  wird.  Darauf 
denke  man  sich  einen  zweiten  Kreisprocess  in  umgekehrter  Weise 
ausgeführt,  in  welchem  die  zuletzt  genannte  Wärmemenge  ^1  wie- 
der von  jS'2  nach  Ki  zurücktransportirt  werde,  und  ausserdem  eine 
Wärmemenge  von  der  Temperatur  T'  aus  Arbeit  entstehe.  Diese 
Verwandlung  aus  Arbeit  in  Wärme  muss  dann,  abgesehen  vom 
Vorzeichen,  der  vorigen  Verwandlung  aus  Wärme  in  Arbeit  äqui- 
valent sein,  da  sie  beide  einem  und  demselben  Wärmeübergange 
äquivalent  sind.  Die  aus  Arbeit  entstandene  Wärmemenge  von 
der  Temperatur  T'  muss  daher  eben  so  gross  sein,  wie  die  in  der 
vorigen  Gleichung  stehende  Wärmemenge  Q',  und  die  gegebenen 
Verwandlungen  sind  somit  rückgängig  gemacht. 

Seien  endlich  zwei  Wärmeübergänge  gegeben,  sei  z.  B.  die 
Wärmemenge  ^1  aus  einem  Körper  Ki  von  der  Temperatur  Ti  in 
einen  Körper  K2  von  der  Temperatur  T^  und  die  Wärmemenge 
Q'i  aus  einem  Körper  K'2  von  der  Temperatur  T'2  in  einen  Körper 


Verändei-te  Form  des  zweiten  Hauptsatzes.  109 

K'i  von  der  Temperatur  T[  übergegangen,  und  stehen  diese  zu 
einander  in  der  Beziehung,  dass  man  habe: 

Dann  denke  man  sich  zwei  Kreisprocesse  ausgeführt,  in  deren 
einem  die  Wärmemenge  Qi  von  K2  nach  Ki  übertragen,  und  da- 
bei die  Wärmemenge  Q  von  der  Temperatur  T  durch  Arbeit  erzeugt 
werde,  während  im  zweiten  dieselbe  Wärmemenge  Q  wieder  in 
Arbeit  verwandelt,  und  dabei  eine  andere  Wärmemenge  von  K'i 
nach  K'2  übertragen  werde.  Diese  andere  Wärmemenge  muss  dann 
gerade  gleich  der  gegebenen  Wärmemenge  Q'i  sein,  und  die  beiden 
gegebenen  Wärmeübergänge  sind  somit  rückgängig  gemacht. 

Wenn  durch  Operationen  dieser  Art  alle  Verwandlungen  des 
ersten  Theiles  rückgängig  gemacht  sind,  so  bleiben  nur  die  den 
Vorzeichen  nach  übereinstimmenden  Verwandlungen  des  zweiten 
Theiles  ohne  irgend  eine  sonstige  Veränderung  übrig. 

Wären  nun  diese  Verwandlungen  negativ,  so  könnten  sie  nur 
Verwandlungen  aus  Wärme  in  Arbeit  und  Wärmeübergänge  von 
niederer  zu  höherer  Temperatur  sein,  und  von  diesen  Hessen  sich 
noch  die  Verwandlungen  der  ersteren  Art  durch  Verwandlungen 
der  letzteren  Art  ersetzen.  Wenn  nämlich  eine  Wärmemenge  Q 
von  der  Temperatur  T  in  Arbeit  verwandelt  ist,  so  braucht  man 
nur  den  in  §.  2  beschriebenen  Kreisprocess  in  umgekehrter  Weise 
auszuführen,  wobei  die  Wärmemenge  Q  von  der  Temperatur  T 
durch  Arbeit  erzeugt,  und  zugleich  eine  andere  Wärmemenge  Qi 
aus  einem  Körper  K2  von  der  Temperatur  T2  in  einen  Körper  Ki 
von  der  höheren  Temperatur  Ti  übertragen  wird.  Dadurch  wird 
die  gegebene  Verwandlung  aus  Wärme  in  Arbeit  rückgängig 
gemacht  und  durch  den  Wärmeübergang  von  K^  nach  Ki  ersetzt. 
Nach  Anwendung  dieses  Verfahrens  würden  schliesslich  nur  Wärme- 
übergänge von  niederer  zu  höherer  Temperatur  übrig  bleiben,  die 
durch  nichts  compensirt  wären.  Da  dieses  unserem  Grundsatze 
widerspricht,  so  muss  die  Voraussetzung,  dass  die  Verwandlungen 
des  zweiten  Theiles  negativ  seien,  unrichtig  sein. 

Wären  ferner  jene  Verwandlungen  positiv,  so  würde  nun  die 
Bedingung,  dass  der  in  Rede  stehende  Kreisprocess  unikehrhar  sein 
soll,  in  Betracht  zu  ziehen  sein.  Dächte  man  sich  nämlich  den 
ganzen  Kreisprocess  umgekehrt  ausgeführt,  so  würden  dabei  alle 
in  ihm  vorkommenden  Verwandlungen  das  entgegengesetzte  Vor- 
zeichen annehmen,  und  jene  Verwandlungen  des  zweiten  Theiles 


110  Abschnitt  IV. 

würden  somit  negativ  werden.  Dadurch  würde  man  abermals  zu 
dem  obigen  mit  unserem  Grundsatze  unvereinbaren  Falle  gelangen. 
Da  hiernach  die  Verwandlungen  des  zweiten  Theiles  weder 
positiv  noch  negativ  sein  können,  so  können  sie  überhaupt  nicht 
existiren,  und  der  erste  Theil,  dessen  algebraische  Summe  Null 
ist,  umfasst  somit  alle  in  dem  Kreisprocesse  vorkommenden  Ver- 
wandlungen, Demnach  können  wir  in  der  Gleichung  (8)  N  =  0 
setzen,  und  erhalten  dadurch  als  analytischen  Ausdruck  des  zweiten 
Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie  für  umkehrbare 
Kreisprocesse  die  Gleichung: 

(VII.)  f^  =  0. 


§.  7.     Die  Temperaturen   der  vorkommenden  Wärme- 
mengen und  die  Entropie. 

Bei  der  vorstehenden  Ableitung  der  Gleichung  (VII.)  wurden 
die  Temperaturen  der  in  Betracht  kommenden  Wärmemengen  nach 
den  Wärmereservoiren  bestimmt,  aus  welchen  sie  herstammen,  oder 
in  welche  sie  übergehen.  Betrachtet  man  nun  aber  einen  umkehr- 
baren Kreisprocess,  welcher  darin  besteht,  dass  ein  Körper  eine 
Keihe  von  Zustandsänderungen  durchmacht,  und  zuletzt  wieder  in 
seinen  Anfangszustand  zurückkehrt,  so  muss  dieser  veränderliche 
Körper,  wenn  er  mit  einem  Wärmereservoir  zur  Aufnahme  oder 
Abgabe  von  Wärme  in  Verbindung  gesetzt  wird,  dieselbe  Tem- 
peratur haben,  wie  das  Wärmereservoir,  weil  nur  in  diesem 
Falle  die  Wärme  eben  so  gut  von  dem  Wärmereservoir  zu  dem 
veränderlichen  Körper,  wie  in  umgekehrter  Richtung  übergehen 
kann,  was  für  die  ümkehrbarkeit  des  Kreisprocesses  erforder- 
lich ist.  Absolut  kann  diese  Bedingung  zwar  nicht  erfüllt  sein, 
da  bei  ganz  gleicher  Temperatur  überhaupt  kein  Wärmeübergang 
eintreten  würde,  aber  man  kann  sie  wenigstens  als  so  nahe  erfüllt 
annehmen,  dass  die  kleinen  noch  vorhandenen  Temperaturdiffe- 
renzen in  der  Rechnung  zu  vernachlässigen  sind. 

In  diesem  Falle  ist  es  natürlich  einerlei,  ob  man  die  Tempe- 
ratur einer  übergehenden  Wärmemenge  derTemperatur  des  Wärme- 
reservoirs oder  der  augenblicklichen  Temperatur  des  veränderlichen 
Körpers  gleichsetzen  will,  da  beide  unter  einander  übereinstimmen. 
Hat  man  aber  einmal  die  letztere  Wahl  getroffen,  und  festgesetzt. 


/ 


Veränderte  Form  des  zweiten  Hauptsatzes.  111 

dass  bei  der  Bildung  der  Gleichung (VII.)  für  jedes  Wärmeelement 

d  Q   diejenige  Temperatur    in    Rechnung   gebracht   werden    soll, 

welche  der  veränderliche  Körper  bei  seiner  Aufnahme  gerade  hat, 

so   kann   man  nun   den  Wärmereservoiren  auch  beliebige  andere 

Temperaturen    zuschreiben,    ohne    dass    dadurch    der    Ausdruck 

d  Q 

— —  irgend  eine   Aenderung  erleidet.     Bei   dieser   Bedeutung 

der  vorkommenden  Temperaturen  kann  man  also  die  Gleichung 
(VII.)  als  gültig  betrachten,  ohne  sich  darum  zu  bekümmern,  wo 
die  von  dem  veränderlichen  Körper  aufgenommene  Wärme  her- 
kommt oder  die  von  ihm  abgegebene  Wärme  hingeht,  wenn  der 
Process  nur  im  üebrigen  umkehrbar  ist. 

Der  unter  dem  Integralzeiclien  stehende  Ausdruck  — -^  wenn 

er  in  dem  eben  angegebenen  Sinne  verstanden  wird ,  ist  das  Diffe- 
rential einer  auf  den  Zustand  des  Körpers  bezüglichen  Grösse, 
und  zwar  einer  Grösse,  welche  vollkommen  bestimmt  ist,  sobald 
der  augenblickliche  Zustand  bekannt  ist,  ohne  dass  man  den  Weg, 
auf  welchem  der  Körper  in  denselben  gelangt  ist,  zu  kennen 
braucht,  denn  nur  in  diesem  Falle  kann  das  Integral  jedesmal 
gleich  Null  werden,  so  oft  der  Körper  nach  beliebigen  Veränderungen 
wider  in  seinen  Anfangszustand  zurückkommt.  Ich  habe  bei 
einer  anderen  Gelegenheit  i) ,  nach  Einführung  einer  gewissen  Er- 
weiterung des  Satzes  von  der  Aequivalenz  der  Verwandlungen,  den 
Vorschlag  gemacht,  diese  Grösse  nach  dem  griechischen  Worte 
TQOTtri,  Verwandlung,  die  Entropie  des  Körpers  zu  nennen.  Die 
vollständige  Erklärung  dieses  Namens  und  der  Nachweis,  dass  er 
die  Bedeutung  der  betreffenden  Grösse  richtig  ausdrückt,  kann 
freilich  erst  an  einer  späteren  Stelle  gegeben  werden,  nachdem 
die  eben  erwähnte  Erweiterung  besprochen  ist,  indessen  wollen 
wir  der  Bequemlichkeit  wegen  diesen  Namen  schon  jetzt  anwenden. 
Bezeichnen  wir  die  Entropie  des  Körpers  mit  /S,  so  können 
wir  setzen: 

oder  umgeschrieben: 

(VIII.)  dQ  =  tdS. 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  125,  S.  390. 


112  Abschnitt  IV. 


§.  8.     Die  Temperaturfunction  r. 

Um  die  Temperaturfunction  r  zu  bestimmen,  wenden  wir  das- 
selbe Verfahren  an,  welches  wir  im  vorigen  Abschnitte,  §.  7,  an- 
gewandt haben,  um  die  Function  ^{Ty^T^)  zu  bestimmen.  Da 
nämlich  die  Function  r  von  der  Natur  des  beim  Kreisprocesse  an- 
gewandten veränderlichen  Körpers  unabhängig  ist,  so  kommt  es 
nur  darauf  an,  bei  einem  mit  irgend  einem  Körper  ausgeführten 
Kreisprocesse  ihre  Form  zu  bestimmen.  Wir  wählen  dazu  als  ver- 
änderlichen Körper  wieder  ein  vollkommenes  Gas  und  denken  uns 
mit  demselben,  wie  in  jenem  Paragraphen,  einen  einfachen  Kreis- 
process  ausgeführt,  in  welchem  das  Gas  nur  bei  Einer  Temperatur, 
welche  wir  T  nennen  wollen,  Wärme  aufnimmt,  und  bei  einer 
anderen  Temperatur,  welche  I\  heissen  möge,  Wärme  abgiebt. 
Die  beiden  Wärmemengen,  welche  in  diesem  Falle  aufgenommen 
und  abgegeben  werden,  und  deren  absolute  Werthe  mit  Q  und  ^i 
bezeichnet  werden  mögen,  stehen,  gemäss  der  Gleichung  (8)  des 
vorigen  Abschnittes,  in  folgendem  Verhältnisse  zu  einander: 

(9)  3.-1. 

Nun  erhalten  wir  aber  andererseits,  wenn  wir  die  Gleichung  (VII.) 
auf  diesen  einfachen  Kreisprocess  anwenden,  indem  wir  dabei  die 
Abgabe  der  Wärmemenge  ^^  als  Aufnahme  der  negativen  Wärme- 
menge —  Qi  in  Rechnung  bringen,  die  Gleichung: 


woraus 

folgt: 

r 

'^1  

^1  ~~ 

0, 

(10) 

Q 

r 

Aus  der  Vereinigung 

der 

Gleichungen 

(9) 

und 

(10)  ergiebt 

sich 

oder: 

t 

T 

(11) 

t  = 

Betrachten  wir  nun  T  als  eine  beliebige  und  Ti  als  eine  gegebene 
Temperatur,  so  können  wir  die  vorige  Gleichung  so  schreiben; 
(12)  T  =r  r  .  Const., 


Veränderte  Form  des  zweiten  PTauptsatzefl.  113 

und  die  Temperatur function  x  ist  somit  bis  auf  einen  constanten 
Factor  bestimmt. 

Welchen  Werth  wir  dem  constanten  Factor  zuschreiben  wollen, 
ist  gleichgültig,  da  er  sich  aus  der  Gleichung  (VII. j  fortheben 
lässt  und  somit  auf  die  mit  dieser  Gleichung  angestellten  Rech- 
nungen ohne  Einfiuss  ist.  Wir  wollen  daher  den  bequemsten 
Werth,  nämlich  die  Einheit,  wählen,  wodurch  die  vorige  Gleichung 
übergeht  in: 

T=  T. 

Demnach  ist  die  Temperaturfunction  r  nichts  weiter,  als  die  ab- 
solute Temperatur  selbst. 

Da  die  hier  ausgeführte  Bestimmung  der  Function  r  sich  auf 
die  für  Gase  abgeleiteten  Gleichungen  stützt,  so  bildet  die  bei  der 
Behandlung  der  Gase  gemachte  Nebenannahme,  dass  ein  voll- 
kommenes Gas,  wenn  es  sich  bei  constanter  Temperatur  ausdehnt, 
nur  so  viel  Wärme  verschluckt,  wie  zu  der  dabei  gethanen  äusseren 
Arbeit  verbraucht  wird,  eine  der  Grundlagen,  auf  welchen  diese 
Bestimmung  beruht.  Sollte  Jemand  wegen  dieses  Grundes  Be- 
denken tragen,  diese  Bestimmung  als  vollständig  zuverlässig  an- 
zuerkennen, so  könnte  er  in  den  Gleichungen  (VII.)  und  (VIII.) 
t  als  Zeichen  einer  noch  unbestimmten  Temperaturfunction  bei- 
behalten, und  die  Gleichungen  in  dieser  Form  anwenden.  Ein 
solches  Bedenken  würde  aber  meiner  ilnsicht  nach  nicht  gerecht- 
fertigt sein,  und  ich  werde  daher  im  Folgenden  immer  T  an  die 
Stelle  von  r  setzen.  Dadurch  gehen  die  Gleichungen  (VII.)  und 
(VIII.)  in  diejenigen  über,  welche  schon  im  vorigen  Abschnitte 
unter  (V.)  und  (VI.)  gegeben  wurden,  nämlich: 


ß 


^    =0 


dQ=  TdS. 


Gl  aus  ins,   niechau.  Wärmetheoiie.     I. 


ABSCHNITT  V. 


Umformungen  der  beiden  Hauptgleichungen. 

§.  1.    Einführung  von  Veränderlichen,  welche  den  Zustand 
des  Körpers  bestimmen. 

In  den  bisherigen  allgemeinen  Betrachtungen  sind  wir  dahin 
gelangt,   die  beiden  Hauptsätze   der  mechanischen  Wärmetheorie 
durch  zwei   sehr  einfache,  unter  (HI.)  und  (VI.)  gegebene  Glei- 
chungen auszudrücken,  nämlich: 
(III.)  dQ  =  dU+  dW, 

(VI.)  dQ=TdS. 

Wir  wollen  nun  mit  diesen  Gleichungen  einige  Umformungen  vor- 
nehmen, durch  welche  sie  für  weitere  Rechnungen  bequem  werden. 

Beide  Gleichungen  beziehen  sich  auf  eine  unendlich  kleine 
Zustandsänderung  eines  Körpers,  und  zwar  ist  bei  der  letzteren 
Gleichung  vorausgesetzt ,  dass  die  Zustandsänderung  in  umkehr- 
barer Weise  vor  sich  gehe.  Für  die  Gültigkeit  der  ersteren  Glei- 
chung ist  diese  Voraussetzung  zwar  nicht  nothwendig,  wir  wollen 
sie  aber  auch  bei  ihr  machen  und  in  den  hier  folgenden  Rech- 
nungen ebenso,  wie  bisher,  annehmen,  dass  wir  es  nur  mit  wm- 
Tcehrharen  Veränderungen  zu  thun  haben. 

Den  Zustand  des  betrachteten  Körpers  denken  wir  uns  durch 
irgend  welche  Grössen  bestimmt,  und  zwar  wollen  wir  für  jetzt 
annehmen,  dass  ^ivei  Grössen  dazu  ausreichen.  Fälle,  welche 
besonders  oft  vorkommen,  sind  die,  wo  der  Zustand  des  Körpers 


U7iifovimingen  der  boiilßii   HMU]jt^leicliiiii^fm.  115 

durch  seine  Temperatur  und  sein  Volumen,  oder  durch  seine  Tem- 
peratur und  den  Druck,  unter  welchem  er  steht,  oder  endlich 
durch  sein  Volumen  und  den  Druck  bestimmt  ist.  Wir  wf)llen 
uns  aber  nicht  gleich  an  besondere  Grössen  binden,  sondern  wollen 
zunächst  annehmen,  der  Zustand  des  Körpers  sei  durch  zwei  be- 
liebige Grössen,  welche  x  und  y  heissen  mögen,  l)estimmt,  und 
diese  Grössen  wollen  wir  in  den  Rechnungen  als  die  unabhängigen 
Veränderlichen  betrachten.  Natürlich  steht  es  uns  dann  bei 
specielleren  Anwendungen  immer  frei,  unter  einer  dieser  Ver- 
änderlichen oder  unter  beiden  eine  oder  zwei  der  vorher  genannten 
Grössen,  Temperatur,  Volumen  und  Druck,  zu  verstehen. 

"Wenn  die  Grössen  x  und  y  den  Zustand  des  Körpers  be- 
stimmen, so  können  wir  in  den  obigen  Gleichungen  die  Energie  TJ 
und  die  Entropie  S  als  Functionen  dieser  Veränderlichen  behandeln. 
Ebenso  ist  die  Temperatur  T,  sofern  sie  nicht  selbst  eine  der 
Veränderlichen  bildet,  als  Function  der  beiden  Veränderlichen 
anzusehen.  Die  Grössen  W  und  Q  dagegen  lassen  sich,  wie  schon 
früher  erwähnt,  nicht  so  einfach  bestimmen,  sondern  müssen  in 
anderer  Weise  behandelt  werden. 

Die  Ditferentialcoefficienten  dieser  Grössen,  welche  wir  folgen- 
dermaassen  bezeichnen  wollen: 

(1) 

(2) 

sind  bestimmte  Functionen  von  x  und  y.  Wenn  nämlich  fest- 
gesetzt wird,  dass  die  Veränderliche  x  in  x  -\-  dx  übergehen  soll, 
während  y  unverändert  bleibt,  und  dass  diese  Zustandsänderung 
des  Körpers  in  umkehrbarer  Weise  geschehen  soll,  so  handelt  es 
sich  um  einen  vollkommen  bestimmten  Vorgang,  und  es  muss 
daher  auch  die  dabei  gethane  äussere  Arbeit  eine  bestimmte  sein, 

d  W 
woraus  weiter  folgt,  dass  der  Bruch  - —  ebenfalls  einen  bestimmten 

dx 

Werth  haben  muss.  Ebenso  verhält  es  sich,  wenn  festgesetzt  wird, 
dass  y  in  y  -\-  dy  übergehen  soll,  während  x  constant  bleibt. 
Wenn  hiernach  die  Differentialcoefficienten  der  äusseren  Arbeit 
W  bestimmte  Functionen  von  x  und  y  sind ,  so  muss  zufolge  der 
Gleichung  (III.)  auch  von  den  Differentialcoefficienten  der  vom 
Körper  aufgenommenen  Wärme  Q  dasselbe  gelten,  dass  auch  sie 
bestimmte  Functionen  von  x  und  y  sind. 


dW 

dx 

dW 

dy 

lf  =  -^- 

dy  -'^' 

116  Abschnitt  V. 

Bilden  wir  nun  aber  für  d  W  und  d  Q  ihre  Ausdrücke  in  doo 
und  dy,  indem  wir  unter  Vernachlässigung  der  Glieder,  welche  in 
Bezug  auf  dx  und  dy  von  höherer  Ordnung  sind,  schreiben: 

(3)  d  W  =  mdx  -\-  ndy 

(4)  dQ  =  Mdx  ^  Ndy, 

so  erhalten  wir  dadurch  zwei  vollständige  Differentialgleichungen, 
welche  sich  nicht  integriren  lassen,  so  lange  die  Veränderlichen  x 
und  y  von  einander  unabhängig  sind,  indem  die  Grössen  m,  n  und 
M,  N  der  Bedingungsgleichung  der  Integrabilität,  nämlich : 

dm_dn  8^  _  dN_ 

'dy~dx  ^®^^"  dy  ~  dx' 
nicht  genügen.  Die  Grössen  TT  und  Q  gehören  also  zu  denjenigen, 
welche  in  der  mathematischen  Einleitung  besprochen  wurden,  deren 
Eigenthümlichkeit  darin  besteht,  dass  zwar  ihre  Differentialcoef- 
ficienten  bestimmte  Functionen  der  beiden  unabhängigen  Veränder- 
lichen sind,  dass  sie  selbst  aber  nicht  durch  solche  Functionen 
dargestellt  werden  können,  sondern  sich  erst  dann  bestimmen 
lassen,  wenn  noch  eine  weitere  Beziehung  zwischen  den  Veränder- 
lichen gegeben  und  dadurch  der  Weg  der  Veränderungen  vor- 
geschrieben ist. 


§.  2.     Elimination   der   Grössen   U  und  S  aus  den  beiden 
Hauptgleichungen. 

Kehren  wir  nun  zur  Gleichung  (III.)  zurück  und  setzen  darin 
für  d  W  und  d  Q  die  Ausdrücke  (3)  und  (4) ,  und  zerlegen  ebenso 
d  U  in  seine  beiden  auf  dx  und  dy  bezüglichen  Theile,  so  lautet 
die  Gleichung: 

Mdx  +  Ndy  =  (^1^  -{-m^dx  -^  (j^  +  n^  dy. 

Da   diese  Gleichung  für  alle  beliebigen  Werthe  von  dx  und  dy 
gültig  sein  muss,  so  zerfällt  sie  in  folgende  zwei: 

M  =  %^-i-m 
dx 

N= [-  n. 

dy    ' 

Differentiiren   wir  die   erste   dieser  Gleichungen   nach   y  und  die 

zweite  nach  x,  so  erhalten  wir: 


Umformungen  der  beiden  Hauptgleichuugen.  117 

dM _    d^ü_    ,    dm 

dy        dxdy        dy 

dN  _    d^U    ,    dn_ 

dx         dydx        dx 
Nun  ist  auf  U  der  für  jede  Function  von  zwei  unabhängigen  Ver- 
änderlichen geltende  Satz  anzuwenden,  dass,  wenn  man  sie  nach 
den   beiden  Veränderlichen   difi'erentiirt ,    die  Ordnung   der  Diffe- 
rentiationen gleichgültig  ist,  so  dass  man  setzen  kann : 

d'^TJ  _   d'^ü 

dxdy       dydx 

Wenn  man   unter  Berücksichtigung   dieser  letzten  Gleichung  die 

zweite  der  beiden  vorigen  Gleichungen  von  der  ersten  abzieht,  so 

kommt: 

C5)  '  ^        dN  _d  m        d  n 

dy         dx         dy        dx 
In  ähnlicher  Weise  wollen  wir  nun  auch  die  Gleichung  (VI.) 
behandeln.     Setzen   wir  in  derselben  für  d  Q  und  d  S  die   voll- 
ständigen Differentialausdrücke,  so  lautet  sie: 

Mdx  +  Ndy=T  (II  dx-\-^^  dyy 

oder,  wenn  wir  noch  mit  T  dividiren: 

^  ^      i    N  _,  dS  ^      ,    dS  -, 

-dx^j^dy  =  —  dxi-^dy. 

Diese  Gleichung  lässt  sich  ebenso,   wie  die   oben  betrachtete,  in 
zwei  Gleichungen  zerlegen,  nämlich: 

M_  d^ 

T         dx 

N_dS_ 
T  -  dy' 

Indem  wir   die   erste  dieser  Gleichungen   nach  y  und  die  zweite 
nach  X  differentiiren,  erhalten  wir: 


dy              dy 

d'S 

T-2 

j,dN        ^dT 
dx         ■'     dx 

dxdy 

02Ä 

T'  dydx 


118  Absclmitt  V. 

Da  nun  für  die  zweiten  DifFerentialcoefficienten  von  S  dasselbe 
gilt,  was  oben  über  diejenigen  von  ü  gesagt  wurde,  nämlich  dass 
zu  setzen  ist: 

dxdy        dydx'' 
so  erhält  man  durch  Subtraction  der  beiden  Gleichungen  von  ein- 
ander : 

T^-M^        T—-N  — 
dy  dy  dx  dx  

oder  umgeschrieben: 

Den  beiden  so  erhaltenen  Gleichungen  (5)  und  (6)  wollen  wir 
noch  eine  etwas  andere  äussere  Gestalt  geben.  Um  nicht  zu  viele 
verschiedene  Buchstaben  in  den  Formeln  zu  haben,  wollen  wir 
für  M  und  iV",  welche  als  abgekürzte  Zeichen  für  die  DifTerential- 

coefficienten  — ^  und  ^r^  eingeführt  sind,  künftig  wieder  die  Diffe- 

ox  dy 

rentialcoefficienten   selbst  schreiben.    Betrachten   wir  ferner   die 

in  (5)  an  der  rechten  Seite  stehende  Differenz,  welche,  wenn  wir 

d  W 
auch  für  in  und  n  wieder  die  Differentialcoefficienten  -tt —  und 

ox 

-r —  schreiben,  lautet: 
dy 

d_  /dW\ d_  rdW\ 

dy  \dx  )  dx  \dy  )' 
so  ist  die  durch  diese  Differenz  dargestellte  Grösse  eine  Function 
von  X  und  t/,  die  gewöhnlich  als  bekannt  anzunehmen  ist,  indem 
die  von  aussen  auf  den  Körper  wirkenden  Kräfte  der  directen 
Beobachtung  zugänglich  sind,  und  daraus  dann  weiter  die  äussere 
Arbeit  bestimmt  werden  kann.  Wir  wollen  diese  Differenz,  welche 
im  Folgenden  sehr  häutig  vorkommen  wird,  die  auf  xy  beßügliche 
Arbeitsdifferens  nennen,  und  dafür  ein  besonderes  Zeichen  ein- 
führen, indem  wir  setzen: 

(7)  B.,^l(m-l(^\ 

^        dy  \dx  )        dx  \dy  J 

Durch  diese  Aenderungen  in  der  Bezeichnung  gehen  die  Glei- 
chungen (5)  und  (6)  über  in: 


Umformungen  der  beiden  Hauptgleichungen.  1 19 

^  ^  ?)y  \dxj        dx  \öy /  ■' 

Diese  beiden  Gleichungen  bilden  die  auf  umkehrbare  Ver- 
änderungen bezüglichen  analytischen  Ausdrücke  der  beiden  Haujot- 
sätze  für  den  Fall,  wo  der  Zustand  des  Körpers  durch  zwei 
beliebige  Veränderliche  bestimmt  ist..  Aus  diesen  Gleichungen 
ergiebt  sich  sofort  noch  eine  dritte,  welche  insofern  einfacher  ist, 
als  sie  nur  die  Differentialcoefficienten  erster  Ordnung  von  Q 
enthält,  nämlich: 

^^  dij  '  dx        dx  '  du  —  ^^"^• 


§.  3.     Anwendung    der    Temperatur    als    eine    der    unab- 
hängigen Veränderlichen. 

Besonders  einfach  werden  die  drei  vorstehenden  Gleichungen, 
wenn  man  als  eine  der  unabhängigen  Veränderlichen  die  Tem- 
peratur des  Körpers  wählt.  Wir  wollen  zu  dem  Zwecke  ij  =  T 
setzen,  so  dass  nun  die  noch  unbestimmt  gelassene  Grösse  x  und 
die  Temperatur  T  die  beiden  unabhängigen  Veränderlichen  sind. 
Wenn  y  =:  T  ist,  so  folgt  daraus  ohne  Weiteres,  dass 

1^  =  1 

dy 

ist.    Was  ferner  den  Differentialcoefficienten  - —  anbetrifft,  so  ist 

dx 

bei  der  Bildung  desselben  vorausgesetzt,  dass,  während  x  in 
X  -\-  dx  übergeht,  die  andere  Veränderliche,  welche  bisher  y  hiess, 
constant  bleibe.  Da  nun  gegenwärtig  T  selbst  die  andere  Ver- 
änderliche ist,  welche  in  dem  Differentialcoefficienten  als  constant 
vorausgesetzt  wird,  so  folgt  daraus,  dass  man  zu  setzen  hat: 

1^  =  0. 

dx 
Bilden   wir   ferner   die   auf   xT   bezügliche   Arbeitsdifferenz,    so 
lautet  diese: 
n1^  ^      _    d    /dW\         d    /dW-^ 


dTXdxJ         dx\dT 


120  Abschnitt  V. 


und  unter  Anwendung  dieser  Werthe  gehen  die  Gleichungen  (8), 
(9)  und  (10)  über  in: 


^^^^  dT\dx)        dxXdT)~  1 


T     dx 


(14)  IS-  =  TB^T- 

^     -^  ex 

Wenn   man   das  in    (14)   gegebene  Product  TB^t  statt  des 

Differentialcoefficienten  ^r-^  in  die  Gleichung  (12)  einsetzt,  und  es, 

dx 

wie  dort  vorgeschrieben  ist,   nach  T  differentiirt ,   so  erhält  man 
noch  folgende  einfache  Gleichung: 

(15)  ^f||\^T^^- 


dx  VöTj  dT 


§.  4,     Specialisirung   der  äusseren  Kräfte. 

Bisher  haben  wir  über  die  äusseren  Kräfte,  denen  der  Körper 
unterworfen  ist,  und  aufweiche  sich  die  bei  Zustandsänderungen 
gethane  äussere  Arbeit  bezieht,  keine  besonderen  Annahmen  ge- 
macht. Wir  wollen  nun  einen  Fall  näher  betrachten,  welcher  vor- 
zugsweise häufig  vorkommt,  nämlich  den,  wo  die  einzige  vorhandene 
äussere  Kraft,  oder  wenigstens  die  einzige,  welche  bedeutend  genug 
ist,  um  bei  den  Rechnungen  Berücksichtigung  zu  verdienen,  ein 
auf  die  Oberfläche  des  Körpers  wirkender  Druck  ist,  welcher  an 
allen  Punkten  gleich  stark  und  überall  normal  gegen  die  Ober- 
fläche gerichtet  ist. 

In  diesem  Falle  wird  nur  bei  Volumenänderungen  des  Körpers 
äussere  Arbeit  gethan.  Nennen  wir  den  auf  die  Flächeneinheit 
bezogenen  Druck  |j,  so  ist  die  äussere  Arbeit,  welche  gethan  wird, 
wenn  das  Volumen  v  um  dv  zunimmt: 

(16)  dW  =  pdv. 

Denken  wir  uns  nun,  dass  der  Zustand  des  Körpers  durch 
zwei  beliebige  Veränderliche  x  und  y  bestimmt  sei,  so  sind  der 
Druck  p  und  das  Volumen  v  als  Functionen  von  x  und  y  zu  be- 
trachten. Wir  können  also  die  vorige  Gleichung  in  folgender 
Form  schreiben: 


Umformungen  der  beiden  Hauptgleichungen.  121 

dW  =  p  (tt—  dx  -\-  t—  dy\ 

woraus  folgt: 

[dW  dv 


(17) 


dx  dx 

d  W  _       dv_ 


aW  dW 

Setzen  wir  diese  Werthe  von  -^r —  und  -7:^ —  in  den  in  (7)  gegebenen 

dx  cy 

Ausdruck  von  D^^y  ein,  und  führen  die  darin  angedeuteten  zwei- 
ten   Differentiationen    aus,    und    berücksichtigen    zugleich,    dass 


dxdy       dydx 


sein  muss,  so  erhalten  wir: 


^     ^  "^'^        dy     dx        dx     dy 

Diesen  Werth  von  D^y  haben  wir   auf  die  Gleichungen  (8)   und 

(10)  anzuwenden. 

Sind  X  und'  T  die  beiden  unabhängigen  Veränderlichen,  so 
erhält  man,  ganz  der  vorigen  Gleichung  entsprechend: 

welchen  Werth  man  auf  die  Gleichungen  (12),  (14)  und  (15)  an- 
zuwenden hat. 

Die  einfachsten  Formen  niihmt  der  in  (18)  gegebene  Aus- 
druck an,  wenn  man  entweder  das  Volumen  oder  den  Druck  als 
eine  der  unabhängigen  Veränderlichen,  oder  wenn  man  Volumen 
und  Druck  als  die  beiden  unabhängigen  Veränderlichen  wählt. 
Für  diese  Fälle  geht  nämlich  die  Gleichung  (18),  wie  sich  leicht 
ersehen  lässt,  über  in: 

(20)  ^^y  =  ^y 


(21)  n.y  = 


dv 

dy 
(22)  D.p  =  1. 

Will  man  endlich  in  den  Fällen,  wo  entweder  das  Volumen 
oder  der  Druck  als  eine  unabhängige  Veränderliche  gewählt  ist, 
die  Temperatur  als  andere  unabhängige  Veränderliche  wählen,  so 
braucht  man  nur  in  den  Gleichungen  (20)  und  (21)  T  an  die  Stelle 
von  y  zu  setzen,  also: 


122 

(23) 

(24) 


Abschnitt  V. 


dp 
dT 


DpT  =  — 


dv 

FT 


§.  5.     Zusammenstellung    einiger    häufig    vorkommender 
Formen   der   Differentialgleichungen. 

Unter  den  vorher  genannten  Umständen,  wo  die  einzige  vor- 
handene fremde  Kraft  ein  gleichmässiger  und  normaler  Oberflächen- 
druck ist,  pflegt  man  als  unabhängige  Veränderliche,  welche  den 
Zustand  des  Körpers  bestimmen  sollen,  am  häufigsten  die  im 
vorigen  Paragraphen  zuletzt  genannten  Grössen  zu  wählen,  näm- 
lich Volumen  und  Temperatur,  oder  Druck  und  Temperatur,  oder 
endlich  Volumen  und  Druck.  Die  für  diese  drei  Fälle  geltenden 
Systeme  von  Differentialgleichungen  will  ich,  obwohl  sie  sich  leicht 
aus  den  obigen  allgemeineren  Systemen  ableiten  lassen,  doch  ihrer 
häufigen  Anwendung  wegen  hier  in  übersichtlicher  Weise  zu- 
sammenstellen. Das  erste  System  ist  dasjenige,  welches  ich  in 
meinen  Abhandlungen  bei  Betrachtung  specieller  Fälle  meistens 
angewandt  habe. 

Wenn  v  und  T  als  unabhängige  Veränderliche  gewählt  sind : 


(25) 


(26) 


d 

dT 

m- 

d 
dv 

im- 

dp 
dl 

d 
dT 

m- 

d 
dv 

m- 

1 

T  ' 

dQ 

dv 

dQ  __ 

dv 

--  T 

dp 

dT 

d 
dv 

m- 

T 

d^p 
dT^ 

T  als  unabhängig 

ye  Veränderliche  g 

9 

dT 

(H)- 

d 
dp 

m- 

— 

dv 

dT 

d 
dT 

m- 

d 
dp 

m- 

1 
T' 

dQ 
dp 

dQ  _ 

dp 

-  — 

dv 
dT 

\dp  VoTj 


d^-v 
dT' 


Umformungen  der  beiden  Hauptgleichungen.  123 

Wenn  v  und  p  als  unabhängige  Veränderliche  gewählt  sind: 


(27) 


dp  \dv/         dv  \dpj 

_d_  /dQ\ d__  /d_Q\  ^  2_  (dT_     ^  _'^    oQ 

dp  \dv)        dv  \dp)        T  \dp  '  dv         dv  '  dp 

dp      dv         dv      dp 


§.  6.    Gleichungen  für  einen  Körper,   welclier  eine  tlieil- 
weise  Aenderung  seines  Aggregatzustandes  erleidet. 

Ein  Fall,  welcher  noch  eine  eigenthümliche  Vereinfachung 
zulässt,  und  welcher  wegen  seiner  häufigen  Anwendungen  von 
besonderem  Interesse  ist,  ist  der,  wo  mit  den  Zustandsänderungen 
des  betrachteten  Körpers  eine  theiliveise  Aenderung  des  Aygreyat- 
zustandes  verbunden  ist. 

Wir  wollen  annehmen,  es  sei  ein  Körper  gegeben,  von  dem 
sich  ein  Theil  in  einem  und  der  übrige  Theil  in  einem  anderen 
Aggregatzustande  befinde.  Als  Beispiel  kann  man  sich  denken, 
ein  Theil  des  Körpers  befinde  sich  im  flüssigen  und  der  übrige 
Theil  im  dampfiormigen  Zustande,  und  zwar  mit  derjenigen  Dich- 
tigkeit, welche  der  Dampf  in  Berührung  mit  der  Flüssigkeit  an- 
nimmt; indessen  gelten  die  aufzustellenden  Gleichungen  auch, 
wenn  ein  Theil  des  Körpers  sich  im  festen  und  der  andere  im 
flüssigen,  oder  ein  Theil  im  festen  und  der  andere  im  dampfförmigen 
Zustande  befindet.  Wir  wollen  daher  der  grösseren  Allgemeinheit 
wegen  die  beiden  Aggregatzustände,  um  die  es  sich  handeln  soll, 
nicht  näher  bestimmen,  sondern  sie  nur  den  ersten  und  den 
zweiten  Aggregatzustand  nennen. 

Es  sei  also  in  einem  Gefässe  von  gegebenem  Volumen  eine 
gewisse  Menge  des  Stoffes  eingeschlossen,  und  ein  Theil  desselben 
habe  den  ersten  und  der  andere  Theil  den  zweiten  Aggregat- 
zustand. Wenn  die  specifischen  Volumina,  welche  der  Stoff  bei 
einer  gegebenen  Temperatur  in  den  beiden  Aggregatzuständen 
hat,  ungleich  sind,  so  können  in  einem  gegebenen  Räume  die  bei- 
den in  verschiedenen  Aggregatzuständen  befindlichen  Theile  nicht 
beliebige,  sondern  nur  ganz  bestimmte  Grössen  haben.  Wenn 
nämlich  der  Theil,  welcher  sich  in  dem  Aggregatzustande  von 
grösserem  specifischem  Volumen  befindet,  an  Grösse  zunimmt,  so 


124  Abschnitt  V. 

wächst  damit  zugleich  der  Druck,  den  der  eingeschlossene  Stoff 
auf  die  Umhüllungswände  ausübt,  und  den  er  daher  auch  um- 
gekehrt von  den  Urahüllungswänden  erleidet,  und  es  wird  zuletzt 
ein  Punkt  erreicht,  wo  der  Druck  so  gross  ist,  dass  er  den  weiteren 
Uebergang  in  diesen  Aggregatzustand  verhindert.  Wenn  dieser 
Punkt  erreicht  ist,  so  können,  so  lange  die  Temperatur  der 
Masse  und  ihr  Volumen,  d.  h.  der  Rauminhalt  des  Gefässes,  con- 
stant  bleiben,  die  Grössen  der  in  den  beiden  Aggregatzuständen 
befindlichen  Theile  sich  nicht  weiter  ändern.  Nimmt  dann  aber, 
während  die  Temperatur  constant  bleibt,  der  Rauminhalt  des 
Gefässes  zu,  so  kann  der  Theil,  welcher  sich  in  dem  Aggregat- 
zustande mit  grösserem  specifischem  Volumen  befindet,  noch  weiter 
auf  Kosten  des  anderen  wachsen,  bis  abermals  derselbe  Druck, 
wie  vorher,  erreicht  und  dadurch  der  weitere  Uebergang  ver- 
hindert ist. 

Hieraus  ergiebt  sich  die  Eigenthümlichkeit,  welche  diesen 
Fall  von  anderen  unterscheidet.  Wählen  wir  nämlich  die  Tempe- 
ratur und  das  Volumen  der  Masse  als  die  beiden  unabhängigen 
Veränderlichen,  durch  welche  ihr  Zustand  bestimmt  wird,  so  ist 
der  Druck  nicht  eine  Function  dieser  beiden  Veränderlichen, 
sondern  eine  Function  der  Temperatur  allein.  Ebenso  verhält  es 
sich,  wenn  wir  statt  des  Volumens  eine  andere  Grösse,  welche 
sich  gleichfalls  unabhängig  von  der  Temperatur  ändern  kann  und 
mit  der  Temperatur  zusammen  den  ganzen  Zustand  des  Körpers 
bestimmt,  als  zweite  unabhängige  Veränderliche  wählen.  Auch 
von  dieser  kann  der  Druck  nicht  abhängen.  Die  beiden  Grössen 
Temperatur  und  Druck  zusammen  können  in  diesem  Falle  nicht 
als  die  beiden  Veränderlichen,  welche  zur  Bestimmung  des  Körper- 
zustandes dienen  sollen,  gewählt  werden. 

Wir  wollen  nun  neben  der  Temperatur  T  irgend  eine  noch 
unbestimmt  gelassene  Grösse  x  als  zweite  unabhängige  Veränder- 
liche zur  Bestimmung  des  Körperzustandes  wählen.  Betrachten 
wir  dann  den  in  (19)  gegebenen  Ausdruck  der  auf  icT  bezüglichen 
Arbeitsdifierenz,  nämlich: 

^      dp     dv         dp      dv 

so  ist  hierin  dem  Vorigen  nach  -^  =  0  zu  setzen  und  der  Diffe- 

dx 

rentialcoefficient  von  p  nach  t  ist  mit  aufrechten  d  zu  schreiben, 
und  wir  erhalten  also : 


Umformungen  dei-  beiden  Planpigleicluingen.  125 

(28)  ^^^'"-di^'d?: 

Hierdurch  gehen  die  drei  Gleichungen  (12),  (13j  und  (14)  über  in: 

^     ■  dT\dxJ       dx\dT)  ~  clT'  dx 

no)  1-  (19.\  _  A.  (^A\  _  1    ^ 

^^  dT\dx)        dx\dT)~T'dx 

d_Q_rpdp_     dv_ 

^  ^  dx  ~       (IT  '  dx' 


§.  7.     Die  Clapeyron'sche  Gleichung  und  die  Carnot'sche 

Function. 

Im  Anschlüsse  an  die  in  diesem  Abschnitte  enthaltenen  Um- 
formungen der  Hauptgleichungen  möge  hier  noch  diejenige 
Gleichung,  welche  Clapeyroni)  aus  der  Carnot'schen  Theorie 
als  Hauptgleichung  abgeleitet  hat,  angeführt  werden,  um  zu  sehen, 
in  welcher  Beziehung  sie  zu  den  von  uns  entwickelten  Gleichungen 
steht.  Da  aber  die  Clapeyron'sche  Gleichung  eine  unbestimmte 
Temperaturfunction  enthält,  welche  man  die  Carnot'sche  Func- 
tion zu  nennen  pflegt,  so  wird  es  zweckmässig  sein,  auch  unseren 
Gleichungen,  so  weit  sie  hierbei  in  Betracht  kommen,  vorher  die 
Form  zu  geben,  in  welcher  man  sie  erhält,  wenn  man  die  im  vorigen 
Abschnitte  eingeführte  Temperaturfunction  t  nicht,  gemäss  der 
nachträglichen  Bestimmung,  gleich  der  absoluten  Temperatur  T 
setzt,  sondern  als  eine  noch  unbestimmte  Temperaturfunction 
beibehält.  Dadurch  wird  sich  dann  die  Gelegenheit  bieten, 
die  Beziehung  zwischen  unserer  Temperaturfunction  r  und  der 
Carnot'schen  Function  festzustellen. 

Wenn  man,  jener  Verallgemeinerung  wegen,  statt  der  Gleichung 
dQ=  TdS 
die  weniger  bestimmte,  im  vorigen  Abschnitte  unter  (VHI.)  gegebene 
Gleichung 

dQ  =  tdS 
anwendet,  und  aus  ihr  ebenso,  wie   es  in  §.  2  geschehen  ist,   S 
eliminirt,  so  erhält  man,  statt  der  Gleichung  (9),  die  folgende: 


1)  Journal  de  VEcole.  polyfechm'quc  T.  XIV.  {1834)  u.  Pogg.  Ann.  Bd.  59. 


123  AbRclinitt  V. 

(32)  »  (I«)  -  ^  (I«)  =  i  («I  .  I«  -  |i  .  1«), 

^  ^  ?)ij  \dxj        dx  \dyj         r  \dy      ox        dx     oyj 

Verbindet  man  diese  den  zweiten  Hauptsatz  ausdrückende  Gleichung 
mit  der  den  ersten  Hauptsatz  ausdrückenden  Gleichung  (8),  so 
erhält  man  folgende  Gleichung,  welche  eine  Verallgemeinerung  der 
Gleichung  (10)  ist: 

dz     d  Q        dt     d  Q 

dy  dx  dx  dy 
Nimmt  man  nun  an,  dass  als  äussere  Kraft  nur  ein  gleichmässiger 
und  normaler  Oberfiächendruck  wirke,  so  kann  man  für  D^y  den 
in  (18)  gegebenen  Ausdruck  anwenden,  und  die  Gleichung  geht 
dadurch  über  in : 

.     .         dt     dQ        dt     dQ  /dp     dv        dp     dv\ 

dy      dx        dx      dy  \dy     dx        dx     dy) 

Wählt  man  ferner  als  unabhängige  Veränderliche  v  und  iJ ,  indem 
man  setzt:  x  =z  v  und  y  =  p^  so  kommt: 

(35)  ll    .  ?_^  _  ^   .?_?=:  7. 

dp      dv        dv      dp 
Da  nun  r  nur  eine  Function  von  T  ist,  so  kann  man  setzen : 
d^_dT_    dT_       .dT^_dt_     dT^ 
dv  ~  clT  '  dv  ^^*^  dp  ~  (IT  '  dp  ' 

Wenn  man  diese  Werthe  von  ;- —  und  ;;--  in  die  vorige  Gleichung 

dv  dp  °  ° 

dv 
einführt,  und  dann  durch  -^-p^  dividirt,  so  erhält  man,  statt  der 

dT 

letzten  der  Gleichungen  (27),  folgende  Gleichung: 

(-36)  d^    d_Q_dT_    d_Q^j^ 

^     ^  dp'  dv         dv  'dp         dz  ' 

dT 

Hierin  ist  vorausgesetzt,  dass  die  Wärme  nach  mechanischem 

Maasse  gemessen  sei.  Will  man  gewöhnliches  Wärmemaass  einführen, 

so  hat  man  den  Ausdruck  an  der  rechten  Seite  der  Gleichung  durch 

das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  zu  dividiren,  und  erhält: 

dT    dQ        dT    dQ  z 


(37) 


dp     dv         dv      dp         jp  dt 

dT 


Mit  dieser  Gleichung  stimmt  die  Clapeyron'sche  der  Form 
nach  überein,  indem  sie  lautet  i): 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  59,  S.  574. 


Umfornuiugrn  flev  liwdwi  Hfuiptglcicliiingi'n.  127 

r38)  ^  .  ^  _  ^  .  ^  ^  r; 

^     ^  dp      dv         dv      dp  ^' 

worin   C  eine   unljestimmte  Temperaturfunction  ist,   nämlich   die 

schon  erwähnte  Car not' sehe  Function. 

Setzt  man  die  in  den  beiden  vorigen  Gleichungen  an  der 
rechten  Seite  stehenden  Ausdrücke  unter  einander  gleich,  so  erhält 
man  die  Beziehung  zwischen  C  und  r,  nämlich: 

(39)  C=—^=- ^, 

dT  clT 

Wenn  man,  gemäss  der  von  uns  ausgeführten  Bestimmung  an- 
nimmt -,  dass  X  nichts  weiter,  als  die  absolute  Temperatur  T  ist,  so 
nimmt  auch  G  eine  einfache  Form  an,  nämlich: 

(40)  C=|. 

Da  die  Gleichung  (33)  aus  der  Verbindung  zweier  Gleichungen 
hervorgegangen  ist,  welche  den  ersten  und  zweiten  Hauptsatz  aus- 
drücken, so  ergiebt  sich  daraus,  dass  auch  die  Glapeyron'sche 
Gleichung  nicht  als  ein  Ausdruck  des  zweiten  Hauptsatzes  in  der 
von  uns  angenommenen  Form  anzusehen  ist,  sondern  als  Ausdruck 
eines  Satzes,  welcher  sich  aus  der  Verbindung  des  ersten  und 
zweiten  Hauptsatzes  ableiten  lässt. 

Was  nun  weiter  die  Art  anbetrifft,  wie  Clapeyron  seine  Diffe- 
rentialgleichung behandelt  hat,  so  ist  diese  von  unserer  Behand- 
lungsart sehr  verschieden.  Er  ging  nämlich,  wie  Car  not,  von  der 
Annahme  aus,  dass  die  Wärmemenge,  welche  man  einem  Körper 
mittheilen  muss,  während  er  aus  einem  Zustande  in  einen  anderen 
übergeht,  durch  seinen  Anfangs-  und  Endzustand  vollkommen 
bestimmt  sei,  ohne  dass  man  zu  wissen  brauche,  in  welcher  Weise 
und  auf  welchem  Wege  der  Uebergang  stattgefunden  hat.  Dem- 
gemäss  betrachtete  er  Q  als  eine  Function  von  p  und  v  und  leitete 
für  diese  durch  Integration  seiner  Differentialgleichung  folgenden 
Ausdruck  ab: 

(41)  Q=^F{T)-  Ccp{xj,v), 

worin  F{T)  eine  willkürliche  P\mction  der  Temperatur  ist,  und 
(piPiV)  eine  Function  von  p  und  v  bedeutet,  welche  der  folgenden 
einfacheren  Differentialgleichung  genügt: 

(42)  ^  .  ^  _  ^  .  ^  =  1. 

dv      dp         dp      dv 


128  Abschnitt  V. 

Um  auch  diese  Gleichung  zu  integriren,  muss  man  für  den 
betrachteten  Körper  die  Temperatur  T  als  Function  von  ^  und  v 
ausdrücken  können.  Nimmt  man  an,  der  betrachtete  Körper  sei 
ein  vollkommenes  Gas,  so  hat  man: 

(43)  T=S1, 

und  demgemäss: 

8T  _  £       ^  ^  _  1 

dv  ~  E  dp  ~~  R' 

Dadurch  geht  die  Gleichung  (42)  über  in: 

(M)  ^lf-«|f  =  ^' 

und  hieraus  erhält  man  durch  Integration: 

(p(p,v)  =  Rlogp  -f  ^(pv), 
worin  '^(pv)  eine  willkürliche  Function  des  Productes  ^  i;  ist.    Für 
diese  kann  man  gemäss  (43)  auch  eine  willkürliche  Function  der 
Temperatur  setzen,  so  dass  die  Gleichung  lautet: 

(45)  cp(p,v)  =  Rlogp  ^  ^(T). 

Führt  man   diesen  Ausdruck  von  q)  (p,v)  in  (41)   ein,   und   setzt 
dann  noch 

F(T)  —  CW(T)  =  RB, 
worin  JB  wiederum   eine   willkürliche  Function   der  Temperatur 
bedeutet,  so  kommt: 

(46)  Q  =  R(jB  —  Clogp). 

Dieses  ist  die  Gleichung,  welche  Clapeyron  für  Gase  abgeleitet  hat. 
Nach  unserer  Auffassung  der  Grösse  Q  müssen  wir  sowohl 
den  in  (41)  enthaltenen  allgemeinen,  als  auch  den  in  (46)  ent- 
haltenen speciellen  Clapeyron 'sehen  Ausdruck  von  Q  als  un- 
zulässig ansehen,  indem  nach  dieser  Auffassung  die  Grösse  Q 
sich  überhaupt  nicht  als  eine  Function  der  den  Zustand  des 
Körpers  bestimmenden  Veränderlichen  darstellen  lässt,  so  lange 
diese  Veränderlichen  als  von  einander  unabhängig  betrachtet 
werden. 


ABSCHNITT  YI. 


Anwendung  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf 
gesättigte  Dämpfe. 

§.  1.    Hauptgleichungen  für  gesättigte  Dämpfe. 

Unter  den  Gleichungen  des  vorigen  Abschnittes  mögen  zu- 
nächst die  in  §.  6  angeführten,  welche  sich  auf  eine  theilweise 
Aenderung  des  Aggregatzustandes  beziehen,  zur  Anwendung 
gebracht  werden,  weil  der  dort  erwähnte  Umstand,  dass  der 
Druck  nur  eine  Function  der  Temperatur  ist,  eine  besondere 
Erleichterung  der  Behandlung  gewährt.  Wir  wollen  zunächst 
den  Uebergang  aus  dem  flüssigen  in  den  dampfförmigen  Zustand 
betrachten. 

In  einem  ausdehnsamen  Gefässe  sei  von  irgend  einem  Stoffe 
die  Gewichtsmenge  M  enthalten ,  und  von  dieser  befinde  sich  der 
Theil  m  im  Zustande  von  Dampf,  und  zwar,  wie  es  sich  bei  der 
Berührung  mit  der  Flüssigkeit  von  selbst  versteht,  von  Dampf  im 
Maximum  der  Dichtigkeit,  und  der  übrige  Theil  M — m  sei  flüssig. 
Wenn  die  Temperatur  T  der  Masse  gegeben  ist,  so  ist  damit  der 
Zustand  des  dampfförmigen  Theiles  und  ebenso  der  Zustand  des 
flüssigen  Theiles  bestimmt.  Wenn  nun  auch  noch  in  gegeben  ist 
und  dadurch  die  Grössen  jener  beiden  Theile  bestimmt  sind,  so 
kennt  man  den  Zustand  der  ganzen  Masse.  Wir  wollen  daher  T 
und  m  als  die  unabhängigen  Veränderlichen  wählen ,  und  somit 

Clausius,  juechan.  Wärmetheorie.    I.  q 


130  Abschnitt  VI. 


in  den  Gleichungen  (29),  (30)  und  (31)  des  vorigen  Abschnittes  m 
an  die  Stelle  von  x  setzen.  Dadurch  gehen  diese  Gleichungen 
über  in: 

^^  dT\dmJ        dm\dTj  ~  dT'  dm 


d    fdQ\  d    fdQ\  _\     dQ 

T  '  dm 


^^^  dT\d  m)        d  m  \d  TJ 

(^\  ^Q  ^  rp  äp     dv 

^^  dm  dT    dm' 

Es  möge  nun  das  specifische  Volumen  (d.  h.  das  Volumen  der 
Gewichtseinheit)  des  gesättigten  Dampfes  mit  s,  und  das  specifische 
Volumen  der  Flüssigkeit  mit  6  bezeichnet  werden.  Beide  Grössen 
beziehen  sich  auf  die  Temperatur  T  und  auf  den  dieser  Temperatur 
entsprechenden  Druck,  und  sind  ebenso,  wie  der  Druck,  als 
Functionen  der  Temperatur  allein  zu  betrachten.  Bezeichnen  wir 
ferner  das  Volumen,  welches  die  Masse  im  Ganzen  einnimmt,  mit  v, 
so  ist  zu  setzen: 

V  =  ms  -\-  (M  —  m)6 
=zm{s  ^  6)  -\-  Mö. 

Hierin  wollen  wir  noch  für  die  Differenz  s  —  6  ein  vereinfachtes 
Zeichen  einführen,  indem  wir  setzen: 

(4)  u  =  s  —  ö, 
dann  kommt: 

(5)  V  =  7)1  u  -\-  Mö, 
woraus  folgt: 

(6)  - —  =  u. 
^  ^  dm 

Die  Wärmemenge,  welche  der  Masse  zugeführt  werden  muss, 
wenn  eine  Gewichtseinheit  derselben  bei  der  Temperatur  T  und 
unter  dem  entsprechenden  Drucke  aus  dem  flüssigen  in  den 
dampfförmigen  Aggregatzustand  übergehen  soll,  und  welche  wir 
kurz  die  Verdampfungswärme  nennen,  möge  mit  q  bezeichnet 
werden,  dann  ist: 

(7)  1^--=.. 

^  dm 

Ferner  wollen  wir  die  specifische  Wärme  des  Stoffes  im 
flüssigen  und  dampfförmigen  Aggregatzustande  in  die  Gleichungen 
einführen.  Die  specifische  Wärme,  um  welche  es  sich  hier  handelt, 
ist  aber  nicht   die   bei  constantem  Volumen,  noch  auch   die  bei 


Behancllung  der  gesättigten  Dumpfe.  131 

constantem  Drucke,  sondern  bezieht  sich  auf  den  Fall,  wo  mit  der 
Temperatur  der  Druck  in  der  Weise  wächst,  wie  das  Maximum  der 
Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes. 

Auf  die  specifische  Wärme  der  Flüssigkeit  hat  dieses  Wachsen 
des  Druckes  einen  sehr  geringen  Einfluss,  da  die  Flüssigkeiten 
sich  durch  Druckzunahmen  von  solchen  Grössen,  wie  sie  liierbei 
vorkommen,  nur  sehr  wenig  zusammendrücken  lassen.  Es  wird 
später  bei  den  auf  die  verschiedenen  specifischen  Wärmen  bezüg- 
lichen Untersuchungen  davon  die  Rede  sein,  wie  man  diesen  Ein- 
fluss bestimmen  kann,  und  ich  will  mich  daher  für  jetzt  damit 
begnügen,  nur  Eine  Zahl  als  Beispiel  anzuführen.  Für  Wasser  bei 
100^  beträgt  die  Differenz  zwischen  der  hier  in  Betracht  kommen- 
den specifischen  Wärme  und  der  specifischen  Wärme  bei  constantem 

Drucke  nur  der  letzteren,  eine  Differenz,  welche  unbedenk- 

oyOü 

lieh  vernachlässigt  werden  kann.     Wir  können  daher  die  hier  in 

Betracht  kommende  specifische  Wärme  der  Flüssigkeit,  welche  wir 

mit  C  bezeichnen  wollen ,  wenn  sie  auch  der  Bedeutung  nach  von 

der  specifischen  Wärme  bei  constantem  Drucke  verschieden  ist, 

doch  für  unsere  Rechnungen  als  mit  ihr  gleich  betrachten. 

Anders  ist  es  bei  dem  Dampfe,  Die  hier  in  Betracht  kom- 
mende specifische  Wärme  soll  sich  dem  Obigen  nach  auf  diejenige 
Wärmemenge  beziehen,  welche  gesättigter  Dampf  zur  Erwärmung 
bedarf,  wenn  er  zugleich  so  stark  zusammengedrückt  wird,  dass 
er  sich  bei  der  erhöhten  Temperatur  wieder  im  gesättigten  Zu- 
stande befindet.  Da  diese  Zusammendrückung  sehr  erheblich  ist, 
so  ist  auch  diese  Art  von  specifischer  Wärme  von  allen  bisher 
betrachteten  sehr  verschieden.  Wir  wollen  sie  die  specifische 
Wärme  des  gesättigten  Dampfes  nennen  und  mit  H  bezeichnen. 

Nach  Einführung  der  beiden  Zeichen  C  und  H  kann  man  die 
Wärmemenge,  welche  nöthig  ist,  um  die  Dampfmenge  m  und 
die  Flüssigkeitsmenge  M  —  m  um  d  T  zu  erwärmen ,  sofort  hin- 
schreiben, nämlich: 

mHdT-{-{M—  m)  CdT, 


woraus  folgt: 


1^.  =  niH^{M-  m)  C\ 
oder  anders  geordnet: 
(8)  ^  =  m{H-  C)^Ma 


132  Abschnitt  VI. 

Aus  den  Gleichungen  (7)  und  (8)  folgt  weiter: 
^^^  dT\dm)       clT 

Durch  Einsetzung  der  in  den  Gleichungen  (6),  (7),  (9)  und 
(10)  gegebenen  Werthe  in  die  Gleichungen  (1),  (2)  und  (3)  er- 
hält man: 

(U)  ||+0-H=.|f 

(12)  I^^C-H=^ 

(13)  Q  =  Tu^- 

Dieses  sind  die  auf  die  Dampf  bildung  bezüglichen  Hauptgleichungen 
der  mechanischen  Wärmetheorie.  Die  Gleichung  (11)  ist  eine 
Folge  des  ersten  Hauptsatzes,  (12)  eine  Folge  des  zweiten 
Hauptsatzes  und  (13)  ergiebt  sich  aus  der  Vereinigung  beider 
Hauptsätze. 

Will  man  die  Wärmemengen  nicht  nach  mechanischem  Maasse, 
sondern  nach  gewöhnlichem  Wärmemaasse  messen,  so  braucht  man 
nur  alle  Glieder  der  vorigen  Gleichungen  durch  das  mechanische 
Aequivalent  der  Wärme  zu  dividiren.  Für  diesen  Fall  wollen  wir 
die  beiden  specifischen  Wärmen  und  die  Verdampfungswärme  durch 
neue  Zeichen  darstellen,  indem  wir  setzen: 

C  -.        H  Q 

(U)  c  =  ^;        /^  =  ^;        r  =  ^. 

Dann  lauten  die  Gleichungen: 

(16)  lL^c-k  =  L 

(17)  r  =  ^.^^ 
^^'^  E     dT 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe.  133 


§.  2.     Specifische  Wärme  des  gesättigten  Dampfes. 

Da  die  vorstehenden  Gleichungen  (15),  (16)  und  (17),  von 
denen  jedoch  nur  zwei  unabhängig  sind,  durch  die  mechanische 
Wärmetheorie  neu  gewonnen  sind,  so  kann  man  sie  dazu  benutzen, 
zwei  Grössen,  deren  eine  früher  ganz  unbekannt  und  die  andere 
nur  unvollkommen  bekannt  war,  näher  zu  bestimmen,  nämlich  die 
Grösse  h  und  die  in  u  enthaltene  Grösse  s. 

Indem  wir  uns  zuerst  zur  Betrachtung  der  Grösse  7i,  der 
specifiscJien  Wärme  des  gesättigten  Dampfes,  wenden,  wird  es 
vielleicht  zweckmässig  sein,  zunächst  Einiges  von  den  früher  über 
diese  Grösse  ausgesprochenen  Ansichten  mitzutheilen. 

Die  Grösse  h  ist  besonders  für  die  Dampfmaschinentheorie 
sehr  wichtig  und  in  der  That  ist  der  Erste,  welcher  über  sie  eine 
bestimmte  Ansicht  ausgesprochen  hat,  der  berühmte  Verbesserer 
der  Dampfmaschinen,  James   Watt,  gewesen. 

Dieser  ging  natürlich  bei  seinen  Betrachtungen  von  denjenigen 
Ansichten  aus,  welche  auf  der  älteren  Wärmetheorie  beruhen.  Da- 
hin gehört  besonders  die  schon  im  Abschnitt  I.  erwähnte  Ansicht, 
dass  die  sogenannte  Gesammtwärme  (d.  h.  die  von  einem  Körper 
während  des  Ueberganges  aus  einem  gegebenen  Anfangszustande 
in  seinen  gegenwärtigen  Zustand  im  Ganzen  aufgenommene  Wärme- 
menge) nur  von  dem  gegenwärtigen  Zustande,  und  nicht  von  der 
Art,  wie  der  Körper  in  denselben  gelangt  ist,  abhänge,  und  dass 
sie  daher  als  eine  Function  derjenigen  Veränderlichen,  von  welchen 
der  Zustand  des  Körpers  abhängt,  dargestellt  werden  könne.  Ge- 
mäss dieser  Ansicht  würden  wir  in  unserem  Falle ,  wo  der  Zustand 
des  aus  Flüssigkeit  und  Dampf  bestehenden  Körpers  durch  die 
Grössen  T  und  m  bestimmt  wird,  die  betreffende  Wärmenge, 
für  welche  wir,  unserer  bisherigen  Bezeichnung  entsprechend,  den 
Buchstaben  ^wählen,  als  eine  Function  von  Tund;M  zu  betrachten 
und  in  Folge  dessen  zu  setzen  haben: 

A  (IR\  _  1_  fi9\  -  0 

8  T\dmJ        d  m  \d  Tj 
Führt  man  hierin  für  die  beiden  Differentialcoefficienten  zweiter 
Ordnung  die  in  (9)  und  (10)  gegebenen  Wertlie  ein,  so  kommt: 

oder  nach  Division  aller  Glieder  durch  E: 


134 

Abschnitt  VI. 

dr 
clT 

+ 

C  — 

■  Ä  =  0, 

woraus 

man 

zur 

Bestimmung 

von 

7^  erhalten  würde 

(18) 

h 

— 

dr 
dT 

^c. 

Diese  Gleichung  war  es  in  der  That,  welche  man,  wenn  auch  nicht 

gerade  in  derselben  Form,  früher  benutzt  hat,  um  1i  zu  bestimmen. 

Um  aus  dieser  Gleichung  h  berechnen  zu  können,  musste  man 

den    Differentialcoefficienten   y^^,  also   die  Aenderung   der  Ver- 
dampfungswärme mit  der  Temperatur,  kennen. 

Watt  hatte  über  die  Verdampfungswärme  des  Wassers  bei 
verschiedenen  Temperaturen  Messungen  angestellt,  und  war  dabei 
zu  einem  Resultate  gelangt,  welches  sich  in  einem  sehr  einfachen 
Satze  aussprechen  liess,  den  man  da&  Watfsche  Gesetz  zu  nennen 
pflegte.  Dieser  Satz  lautete  in  seiner  kürzesten  Form:  die  Summe 
der  freien  und  latenten  Wärme  ist  constant,  und  sollte  aussagen, 
dass  die  Summe  der  beiden  Wärmemengen ,  welche  man  einer 
Gewichtseinheit  Wasser  mittheilen  muss,  um  sie  vom  Gefrierpunkte 
bis  zur  Temperatur  t  zu  erwärmen  und  dann  bei  dieser  Tempe- 
ratur in  Dampf  zu  verwandeln,  von  der  Temperatur  t  unabhängig 
sei.  Die  zur  Erwärmung  des  Wassers  nöthige  Wärmemenge  wird 
durch  das  Integral 


cdt 

0 

dargestellt,  und  der  obige  Satz  führt  daher  zu  der  Gleichung: 


(19)  r  4-    fcdt  = 


Const. 


Wenn  man   diese  Gleichung   nach  t   differentiirt  und  dann  statt 

dr  dr 

des  Differentialcoefficienten   -jr  den  gleichbedeutenden  -jTr  setzt, 

so  kommt: 

(20)  §i+^  =  0- 

Vereinigt  man  diese  Gleichung  mit  (18),  so  erhält  man: 

(21)  h  =  0. 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe.  135 

Dieses  Resultat  hat  man  lange  für  richtig  gehalten ,  und  hat  es  in 
folgendem  Satze  ausgesprochen:  Wenn  Dampf  vom  Maximum  der 
DichtigJceit  in  einer  für  Wärme  widurcMrinylichen  Hülle  sein 
Volumen  ändert.,  so  bleibt  er  dabei  immer  im  Maximum  der  DicJi- 


S^iäter  hat  Regnault  die  Aenderung  der  Verdampfungs- 
wärme mit  der  Temperatur  zum  Gegenstande  neuer  und  sehr 
sorgfältiger  Untersuchungen  gemacht  i),  und  hat  dabei  gefunden, 
dass  das  Watt 'sehe  Gesetz,  nach  welchem  die  Summe  der  freien 
und  latenten  Wärme  constant  sein  soll,  der  Wirklichkeit  nicht 
entspricht,  sondern  dass  diese  Summe  einen  mit  steigender  Tem- 
peratur wachsenden  Werth  hat.  Das  Resultat  seiner  Unter- 
suchungen wird  durch  folgende  Gleichung  ausgedrückt: 
f 

(22)  r  +    fcdt  =  G06,5  -f  0,305  f. 

0 

dr 

Differentiirt  man  diese  Gleichung  nach  t  und  ersetzt  dann  wieder  -j- 

durch  ^-=i,  so  erhält  man: 
dl 

(23)  WT^^"^  ^^^^'''^ 

Durch  Verbindung  dieser  Gleichung  mit  (18)  erhält  man: 

(24)  h  =  0,305. 

Dieses  war  der  Werth  von  li,  welchen  man  nach  der  Ver- 
öffentlichung der  Regnault' sehen  Versuche  glaubte  statt  des 
Werthes  Null  annehmen  und  in  die  Damj)fmaschinentheorie  ein- 
führen zu  müssen.  Man  kam  also  zu  der  Ansicht,  dass  gesättigter 
Dampf  bei  der  Zusammendrückuug,  wenn  er  sich  dabei  so  er- 
wärmen soll,  dass  er  immer  gerade  die  Temperatur  hat,  für  welche 
die  Dichtigkeit  das  Maximum  ist,  Wärme  von  Aussen  aufnehmen 
müsse,  und  dass  er  umgekehrt  bei  der  Ausdehnung,  um  sich  gerade 
in  der  richtigen  Weise  abzukühlen,  Wärme  nach  Aussen  abgeben 
müsse.  Daraus  musste  man  weiter  scliliessen,  dass  in  einer  für 
Wärme  undurchdringlichen  Hülle  bei  der  Zusammendrückung  des 
gesättigten  Dampfes  ein  theilweiser  Niederschlag  erfolge,  während 
bei  der  Ausdehnung  der  Dampf  nicht  im  Maximum  der  Dichtigkeit 


1)  Relation   des   experienccs    t.  I,    zugleich    Mein,  de  l'Acad.  t-  XXL 

184:7. 


136  Absclmitt  VI. 

bleibe,  indem  seine  Temperatur  nicht  so  stark  sinke,  wie  dazu 
erforderlich  sein  würde. 

Nach  diesen  Mittheilungen  über  die  früher  in  Bezug  auf  h 
gezogenen  Schlüsse,  wollen  wir  nun  sehen,  was  sich  aus  unseren 
Gleichungen  schliessen  lässt.  Die  Grösse  h  kommt  in  den  beiden 
Gleichungen  (15)  und  (16)  vor;  die  erstere  derselben  enthält  aber 
ausser  h  noch  die  Grösse  u,  welche  nicht  ohne  Weiteres  als  genügend 
bekannt  angesehen  werden  darf,  und  sie  ist  daher  zur  Bestimmung 
von  h  weniger  geeignet,  als  die  letztere,  welche  ausser  h  nur  solche 
Grössen  enthält,  die  beim  Wasser  und  bei  einer  Anzahl  anderer 
Flüssigkeiten  durch  die  Versuche  von  Regnault  sehr  genau 
bestimmt  sind.  Aus  dieser  Gleichung  ergiebt  sich  durch  blosse 
Umstellung  der  Glieder: 

(25)  h  =  -^-\-  c  —^, 

und  wir  haben  somit  durch  die  mechanische  Wärmetheorie  zur 
Bestimmung  von  Ji  eine  neue  Gleichung  gewonnen,  welche  sich 
von  der  früher  angenommenen  Gleichung  (18)  durch  das  negative 

Glied  —  -=,  dessen  Werth  sehr  beträchtlich  ist,  unterscheidet. 


§.  3.     Numerische  Bestimmung  von   h   für  Wasserdampf. 

Wenn  wir  die  Gleichung  (25)  zunächst  auf  Wasser  anwenden, 
so  haben  wir  nach  Regnault  für  die  Summe  der  beiden  ersten 
Glieder  an  der  rechten  Seite  die  Zahl  0,305  zu  setzen.  Um  das 
letzte  Glied  zu  bestimmen,  müssen  wir  r  als  Function  der  Tempe- 
ratur kennen.     Nach  Gleichung  (22)  haben  wir  zu  setzen: 

t 

(26)  r  =  606,5  +  0,305^  —    fcdt 

0 

Die  specifische  Wärme  c  des  Wassers  bestimmt  Regnault  durch 
folgende  Formel: 

(27)  c  =  1  +  0,00004^  -f  0,0000009^2^ 

durch  deren  Anwendung  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

(28)  r  =  606,5  —  0,695^  —  0,00002^2  _  0,0000003^3. 
Wenn  man  diesen  Ausdruck  von  r  in  (25)  einsetzt,  und  dabei  auch 


BehandluDg  der  gesättigten  Dämpfe. 


137 


noch  T  durch  273  -|-  t  ersetzt,   so  erhält  man  für  Wasserdampf 

die  Gleichung: 

,     ,  ,  „  606,5  —  0,695^  —  0,00002^2  _  0,0000003^3 

(29)  h  —  0,305 273  -{-  t 

Der  unter  (28)  gegebene  Ausdruck  von  r  ist  durch  seine  Länge 
unbequem,  und  ich  glaube,  dass  die  Versuche  über  die  Verdampfungs- 
wärme bei  verschiedenen  Temperaturen,  so  werthvoU  sie  auch 
sind,  doch  nicht  einen  solchen  Grad  von  Genauigkeit  besitzen, 
dass  eine  so  lange  Formel  zu  ihrer  Darstellung  erforderlich  wäre. 
Ich  liabe  daher  in  meiner  Abhandlung  über  die  Dampfmaschinen- 
theorie vorgeschlagen,  statt  jener  Formel  folgende  anzuwenden: 

(30)  r  =  607  —  0,708  f. 

Die  Art,  wie  die  beiden  Constanten  dieser  Formel  bestimmt  sind, 
soll  später  bei  Besprechung  der  Dampfmaschinen  näher  mitgetheilt 
werden.  Hier  möge  nur,  um  zu  zeigen,  dass  die  Abweichung  beider 
Formeln  von  einander  so  gering  ist,  dass  man  ohne  Bedenken 
die  eine  für  die  andere  setzen  kann,  eine  Zusammenstellung  einiger 
Zahlenwerthe  folgen: 


t 

00 

500 

lOQO 

1500 

2000 

r  nach  Gleichung  (28) 
r  nach  Gleichung  (30) 

606,5 
607,0 

571,6 
571,6 

536,5 
536,2 

500,7 

500,8 

464,3 
465,4 

Durch  Einsetzung   des  in  (30)   gegebenen  Ausdruckes  von  r 
in  die  Gleichung  (25)  erhält  man,  statt  (29),  die  Gleichung: 

A-0305        607-0,708^ 
II  _  u,30ö  273  +  i      ' 

welche  sich  auch  in  folgende  noch  einfachere  Form  bringen  lässt: 

800,3 


(31) 


h  =  1,013  — 


273  -j-  t 

Ein  Blick  auf  die  Gleichungen  (29)  und  (31)  lässt  sofort  er- 
kennen, dass  für  Temperaturen,  welche  nicht  sehr  hoch  sind,  h 
eine  negative  Grösse  ist,  und  für  einige  bestimmte  Temperaturen 
ergeben  sich  aus  (29)  folgende  Werthe,  welche  mit  den  aus  (31) 
berechneten  Werthen  sehr  nahe  übereinstimmen: 


138 


Abschnitt  VI. 


.  t 

00 

500 

lOüO 

1500 

2000 

h 

—  1,916 

—  1,465 

—  1,133 

—  0,879 

—  0,676 

Der  umstand,  dass  die  specifische  Wärme  des  gesättigten 
Wasserdarapfes  negative  und  zwar  so  grosse  negative  Werthe  hat, 
bildet  eine  wichtige  Eigenschaft  desselben.  Man  kann  sich  von 
der  Ursache  dieses  eigenthümlichen  Verhaltens  in  folgender  Weise 
Rechenschaft  geben.  W^enn  der  Dampf  zusammengedrückt  wird, 
so  wird  durch  die  dabei  verbrauchte  Arbeit  Wärme  erzeugt,  und 
diese  Wärme  ist  mehr  als  ausreichend,  um  den  Dampf  um  so  viel 
zu  erwärmen,  dass  er  die  Temperatur  annimmt,  zu  welcher  die 
neue  Dichtigkeit  als  Maximum  gehört.  Man  muss  ihm  daher,  wenn 
er  sich  gerade  nur  in  der  Weise  erwärmen  soll,  dass  er  gesättigt 
bleibt,  einen  Theil  der  erzeugten  Wärme  entziehen.  In  entsprechen- 
der Weise  wird  bei  der  Ausdehnung  des  Dampfes  mehr  Wärme  zu 
Arbeit  verbraucht,  als  nöthig  ist,  um  den  Dampf  um  so  viel  ab- 
zukühlen, dass  er  gerade  in  dem  Zustande  als  gesättigter  Dampf 
bleibt.  Man  muss  ihm  also,  wenn  dieses  Letztere  stattfinden  soll, 
bei  der  Ausdehnung  Wärme  mittheilen. 

Sollte  der  ursprünglich  gesättigte  Dampf  sich  in  einer  für 
Wärme  undurchdringlichen  Hülle  befinden,  so  würde  er  bei  der 
Zusammendrückung  überhitzt  werden,  und  bei  der  Ausdehnung 
sich  theilweise  niederschlagen. 

Der  Schluss,  dass  die  specifische  Wärme  des  gesättigten 
Wasserdampfes  negativ  sei,  wurde  unabhängig  und  gleichzeitig  von 
Rankine  und  miri)  gezogen.  Rankine  hat  aber  von  den  beiden 
Gleichungen  (15)  und  (16),  welche  h  enthalten,  nur  die  erstere 
(freilich  in  etwas  anderer  Form)  entwickelt.  Die  letztere  konnte 
er  nicht  entwickeln,  weil  ihm  der  dazu  nöthige  zweite  Hauptsatz 
fehlte.  Da  in  der  ersteren  Gleichung  neben  h  noch  das  in  der 
Grösse  u  enthaltene  specifische  Volumen  des  gesättigten  Dampfes 
vorkommt,  so  wandte  Rankine,  um  dieses  zu  bestimmen,  das 
Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche Gesetz  auf  den  gesättigten 


^)  Rankine's  Abhandlung  ist  im  Februar  1850  in  der  Edinburger 
Royal  Society  vorgetragen  und  dann  in  den  Transactions  dieser  Gesellschaft 
Vol.  XX,  p.  147  gedruckt.  Meine  Abhandlung  ist  im  Februar  1850  in  der 
Berliner  Akademie  vorgetragen  und  dann  in  Poggendorff's  Annalen  Bd.  79, 
S.  368  und  500  gedruckt. 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe.  139 

Dampf  an,  was,  wie  wir  später  sehen  werden,  ungenau  ist.  Die 
genauere  Bestimmung  von  h  konnte  nur  durch  die  zuerst  von  mir 
abgeleitete  Gleichung  (16)  stattfinden. 


§.  4,     Numerische  Bestimmung  von  h  für  andere  Dämpfe. 

Zur  Zeit  der  ersten  Aufstellung  der  Gleichung  (2.5)  hatte 
Regnault  seine  bekannten  werthvoUen  Messungen  zur  Bestimmung 
der  specifischen  Wärme  und  der  Verdämpfungswärme  als  Func- 
tionen der  Temperatur  nur  beim  Wasser  ausgeführt  i) ,  und  es 
konnte  daher  auch  die  Grösse  h  nur  für  Wasser  numerisch  be- 
rechnet werden.  Später  hat  Regnault  seine  Messungen  auch  auf 
andere  Flüssigkeiten  ausgedehnt 2),  und  es  ist  nun  möglich,  auch 
für  diese  Flüssigkeiten  jene  Gleichung  zur  numerischen  Berechnung 
von  li  anzuwenden.    Man  erhält  auf  diese  Weise  folgende  Resultate: 

Schwefelkohlenstoff:  CSg. 

Nach  Regnault  ist  zu  setzen: 
t 
cdt  =  0,23523^  +  0,0000815^2 

0 

t  ■ 

r  -\-    fcdt^  90,00  +  0,1460U  —  0,0004123 i^ 
0 
woraus  folgt: 

c  =  0,23523  +  0,0001630^ 
r  =  90,00  —  0,08922 1  —  0,0004938  P. 
Durch  Einsetzung  dieser  Werthe  geht  die  Gleichung  (25)  über  in: 

/.  =  0,14601  -  0,0008246*  -  90,00  -  0.08922^- 0,0004938*^. 

27o  — |-  t 

Hieraus  ergeben  sich  für  1%  unter  anderen  folgende  Werthe: 


T. 

f 


t 

00 

1000 

h 

—  0,1837 

—  0,1406 

1)  Relation  des  experiences  t.  I.    Paris  1847. 

2)  Ebendas.  t.  II.    Paris  1862. 


140  Abschnitt  VI. 

Die  specifische  Wärme  des  gesättigten  Dampfes  ist  also  auch 
beim  SchwefelkohlenstojS"  negativ,  hat  aber  kleinere  Werthe,  als 
beim  Wasser, 

Aether:  C4H10O. 

Nach  Regnault  ist  zu  setzen: 
t 
Ccdt  =  0,52900^  -f  0,00029587  P 

0 

t 

r  +  redt  =  94,00  +  0,45000^  —  0,00055556  ^^ 
0 

woraus  folgt: 

c  =  0,52900  -f  0,00059174  i 

*•  =  94,00  —  0,07900  i  —  0,0008514^2. 

Dadurch  geht  (25)  über  in: 

/.  =  o,«ooo  -  cooiiiiu  -  M,oo  -  °-°^«°f  -  o.oooHSi^'-, 

Z7o  -f-  t 
und  hieraus  ergeben  sich  folgende  Werthe: 


t 

00 

1000 

h 

0,1057 

0,1309 

Beim  Aether  hat  also  die  specifische  Wärme  des  gesättigten 
Dampfes,  wenigstens  bei  den  gewöhnlich  vorkommenden  Tempe- 
raturen, positive  Werthe. 

Chloroform:  CHCI3. 

Nach  Regnault  ist  zu  setzen: 

t 

Ccdt  =  0,23235^  -f  0,00005072^2 

0 
t 

r -|-    fcdt  =  67,00  -{-0,lS16t, 

0 
woraus  folgt: 

c  ==  0,23235  -f  0,00010144  i 

r  =  67,00  —  0,09485 1  —   0,00005072  t^ 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe. 

Dadurch  geht  (25)  über  in: 

67,00  —  0,00485^  —  0,00005072  ^^ 
li  —  0,ld75  273  +  i  ' 

und  hieraus  ergeben  sich  folgende  Werthe: 


141 


t 

00 

1000 

h 

—  0,1079 

—  0,0153 

Chlorkohlenstoff:  CCI4. 

Nach  Regnault  ist  zu  setzen: 
t 
Ccdt  =  0,19798^  -f  0,0000906^2 
0 

r  +    redt  =  52,00  -f  0,14625^  —  0,000172  i^ 
0 
woraus  folgt: 

c  =  0,19798 -f  0,0001 812  # 
r  =  52,00  —  0,05173^  —  0,0002626^2. 
Dadurch  geht  (25)  über  in: 

h  =  0,14626  -  0,000344*  -  52.00  -  0,05173  >- 0,0002626 1^^ 

273  -\-  t 

und  hieraus  ergeben  sich  folgende  Werthe: 


t 

00 

1000 

h 

—  0,0442 

—  0,0066 

Aceton:  CaHgO. 

Nach  Regnault  ist  zu  setzen: 
t 
f  cdt  =  0,50643  f  -f  0,0003965^2 

0 

t 
r  -f-    Ccdt  =  140,5  -|-  0,36644 #  —  0' 


000516  #2 


woraus  folgt: 


142  ^  Abschnitt  VI. 

c  =  0,50643  +  0,0007930  i 

r  =  140,5  —  0,13999^  —  0,0009125^2. 

Dadurch  geht  (25)  über  in: 

k  =  0,36644  _  0,001032«  -    140,5  -  0.1399»  -  0,0009125«^ 

27o  — |—  t 

und  hieraus  ergeben  sich  folgende  Werthe: 


t 

00 

1000 

h 

—  0,1482 

—  0,0515 

Ausser  den  vorstehenden  Flüssigkeiten   hat  Regnault  noch 

Alkohol,  Benzin  und  Terpentinöl  in  der  Weise  untersucht,  dass  er 

t 

die  Grösse  r  -f-    f  cdt  bestimmt  hat.     Beim  Alkohol  und  Terpen- 

0 

tinöl  giebt  er  aber  keine  empirische  Formel  zur  Darstellung  dieser 

Grösse  an,  weil  die  Versuchsresultate  zu  viele  Unregelmässigkeiten 

t 

zeigten,  und  beim  Benzin  hat  er  die  Grösse    /  cdt  nicht  als  Func- 

0 

tion  der  Temperatur  bestimftit,  sondern  nur  einen  Mittelwerth  der 
specifischen  Wärme  für  ein  beschränktes  Temperatur-Intervall  auf- 
gesucht. Für  diese  Flüssigkeiten  würde  daher  die  numerische 
Berechnung  von  h  mit  grösseren  Unsicherheiten  behaftet  sein,  als 
bei  den  oben  angeführten  Flüssigkeiten,  weshalb  wir  von  ihrer 
Ausführung  hier  absehen  wollen. 

In  allen  vorstehenden  speciellen  Formeln  für  h  zeigt  sich,  dass 
diese  Grösse  mit  steigender  Temperatur  wächst.  In  dem  einzigen 
Falle,  wo  sie  bei  gewöhnlichen  Temperaturen  positiv  ist,  beim 
Aether,  nimmt  ihr  absoluter  Werth  mit  steigender  Temperatur  zu. 
In  den  anderen  Fällen,  wo  sie  negativ  ist,  nimmt  ihr  absoluter 
Werth  mit  steigender  Temperatur  ab.  Sie  nähert  sich  in  diesen 
Fällen  also  der  Null,  und  zwar  meistens  in  solcher  Weise,  dass 
man  annehmen  darf,  dass  sie  bei  einer  gewissen  höheren  Tempe- 
ratur den  Werth  Null  erreichen  und  bei  noch  weiterem  Wachsen 
der  Temperatur  positiv  werden  wird.  Zur  Bestimmung  der  Tem- 
peratur, für  welche  h  r=  o  wird,  hat  man  gemäss  (25)  zu  setzen: 

(32)  ^j^c-^  =  0, 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe.  143 

und  diese  Gleichung  hat  man,  nachdem  darin,  wie  es  oben  geschehen 
ist,  c  und  r  durch  Functionen  der  Temperaturen  ersetzt  sind,  nach 
t  aufzulösen. 

Die  empirischen  Formeln  von  Regnault,  nach  welchen  wir 
c  und  r  als  Functionen  von  t  bestimmt  haben,  dürfen  aber  natür- 
lich nicht  zu  weit  über  die  Temperaturgrenzen  hinaus  angewandt 
werden,  innerhalb  deren  Regnault  seine  Versuche  angestellt  hat. 
Dadurch  wird  die  Bestimmung  der  Temperatur,  für  welche  h  =  0 
wird,  in  manchen  Fällen  unmöglich,  wie  z.  B.  beim  Wasser,  wo 
man  aus  den  Gleichungen,  welche  man  erhält,  wenn  man  in  (29) 
und  (31)  h  =  0  setzt,  eine  Temperatur  von  etwa  500''  erhalten 
würde,  während  doch  die  Gleichungen  nur  bis  etwas  über  200° 
anwendbar  sind.  Bei  anderen  Flüssigkeiten  dagegen  liegt  die 
Temperatur,  für  welche  die  Formel  von  h  den  Werth  Null  an- 
nimmt, und  über  welche  hinaus  sie  positive  Werthe  hat,  noch 
innerhalb  der  Grenzen,  für  welche  man  die  Formel  anwenden  darf. 
So  berechnet  Cazin^)  diese  Temperatur  für  Chloroform  zu  123,48'' 
und  für  Chlorkohlenstoff  zu  128,9". 

§.  5.    Experimentelle   Prüfung   der   specifischen   Wärme 
des   gesättigten   Dampfes. 

Nachdem  die  Theorie  zu  dem  Resultate  geführt  hatte,  dass 
die  specifische  Wärme  des  gesättigten  Wasserdampfes  negativ  sei, 
und  dass  daher  gesättigter  Wasserdampf  in  einer  für  Wärme  un- 
durchdringlichen Hülle  sich  bei  der  Ausdehnung  theilweise  nieder- 
schlagen müsse,  ist  dieses  Resultat  von  Hirn  einer  experimentellen 
Prüfung  unterworfen  2).  Ein  cylinderförmiges  Gefäss  von  Metall 
war  an  seinen  beiden  Enden  mit  parallelen  Spiegelglasplatten  ver- 
sehen, so  dass  man  hindurchsehen  konnte.  Nachdem  dieser  Cylin- 
der  mit  Wasserdampf  von  hohem  Drucke  gefüllt  war,  w^elcher  voll- 
kommen durchsichtig  war,  öfihete  man  plötzlich  einen  Hahn,  so 
dass  ein  Theil  des  Dampfes  in  die  Atmosphäre  ausströmte  und  der 
zurückbleibende  Dampf  sich  somit  ausdehnte.  Dabei  sah  man 
einen  dicken  Nebel  im  Inneren  des  Cylinders  entstehen,  wodurch 
der  theilweise  Niederschlag  des  Dampfes  erwiesen  war. 

Als  später  der  zweite  Band  der  Belation  des  experiences  von 
Regnault  erschienen  war,  worin  die  oben  erwähnten,  auf  andere 

1)  Annales  de  Chimie  et  de  Physique,  4.  serie,  t.  XIV. 

2)  Bulletin  133  de  la  Societe  industrielle  de  Mulhouse,  p.  137. 


144  Abschnitt  VI. 

Flüssigkeiten  bezüglichen  Data  enthalten  waren,  mittelst  deren 
man  h  auch  für  diese  Flüssigkeiten  berechnen  konnte,  und  als 
sich  dabei  herausgestellt  hatte,  dass  li  für  Aetherdampf  positiv  sein 
muss,  stellte  Hirn  auch  mit  diesem  Dampfe  Versuche  an,  welche 
er  folgendermaassen  beschreibt  i).  „An  den  Hals  einer  festen 
Flasche  von  Krystall  brachte  ich  eine  Pumpe  an,  deren  Capacität 
angenähert  gleich  der  der  Flasche  war,  und  welche  unten  mit 
einem  Hahn  versehen  war.  Nachdem  etwas  Aether  in  die  Flasche 
gegossen  war,  tauchte  man  sie  bis  zum  Halse  in  Wasser  von  un- 
gefähr 50",  und  öffnete  den  Hahn,  bis  man  annehmen  konnte,  dass 
die  Luft  vollkommen  ausgetrieben  sei.  Dann  schloss  man  den 
Hahn,  und  tauchte  die  Pumpe  ebenfalls  mit  der  Flasche  in  das 
warme  Wasser.  Sofort  wurde  der  Stempel  durch  den  Aether- 
dampf ganz  hinauf  getrieben.  Indem  man  dann  plötzlich  den 
Apparat  aus  dem  Wasser  nahm,  stiess  man  den  Stempel  schnell 
hinunter.  In  diesem  Augenblicke,  aber  auch  nur  während  eines 
Augenblickes,  füllte  sich  die  Flasche  mit  einem  sehr  sichtbaren 
Nebel."  Hiermit  war  also  erwiesen,  dass  der  Aetherdampf  sich 
umgekehrt  verhält,  wie  der  Wasserdampf,  dass  er  nämlich,  statt 
bei  der  Ausdehnung,  vielmehr  bei  der  Zusammendrückung  sich 
theilweise  niederschlägt,  wie  es  dem  entgegengesetzten  Vorzeichen 
von  h  entspricht. 

Zur  Controle  dieses  Versuches  machte  Hirn  noch  einen  ganz 
eben  solchen  Versuch  mit  Schwefelkohlenstoff.  Da  zeigte  sich, 
dass  beim  Hinunterstossen  des  Stempels  die  Flasche  vollkommen 
durchsichtig  blieb.  Dieses  stimait  wieder  mit  der  Theorie  über- 
ein, indem  beim  Schwefelkohlenstoff,  wie  beim  Wasser,  h  negativ 
ist,  und  somit  bei  der  Zusammendrückung  des  Dampfes  nicht  ein 
Niederschlag,  sondern  umgekehrt  eine  Ueberhitzung  eintreten  muss. 
-  Einige  Jahre  später  hat  Cazin,  unterstüzt  von  der  Associa- 
tion scientifique,  ähnliche  und  in  einigen  Beziehungen  noch  er- 
weiterte Versuche  mit  grosser  Sorgfalt  und  vielem  Geschicke 
angestellt  2). 

Er  wandte  ebenfalls  ein  cylindrisches  Metallgefäss  an,  welches 
an  seinen  Enden  mit  Glasplatten  zum  Durchsehen  versehen  war. 
Dasselbe  befand  sich  in  einem  Oelbade,  um  ihm  eine  bestimmte 
für  den  Versuch  geeignete  Temperatur  geben  zu  können. 


1)  Cosmos,  10.  April  1863. 

2)  Annales  de  CJiimie  et  de  Physique,  4,  Serie,  t.  XIV. 


I 


Behamllung  der  gesättigten  Dämpfe.  145 

Bei  einer  ersten  Versuchsreihe  wurde  nur  Ausdehnung  des 
Dampfes  beabsichtigt,  und  es  war  daher  die  Einrichtung  getroffen, 
dass  man,  wenn  das  cylindrische  Gefäss  mit  Dampf  gefüllt  war, 
einen  Hahn  öffnen  konnte,  durch  den  dann  ein  Theil  des  Dampfes 
entweder  in  die  Atmosphäre  austrat,  oder  in  ein  Luftreservoir 
strömte,  dessen  Druck  man  um  eine  beliebige  Diiferenz  kleiner  als 
den  Druck  des  Dampfes  machen  konnte.  Bei  einer  zweiten  Ver- 
suchsreihe war  mit  dem  cylindrischen  Gefässe  eine  Pumpe  in  Ver- 
bindung gebracht,  welche  sich  in  dem  gleichen  Oelbade  befand 
und  deren  Kolben  durch  einen  besonderen  Mechanismus  schnell 
aufwärts  oder  abwärts  getrieben  werden  konnte,  so  dass  das  Vo- 
lumen des  Dampfes  vergrössert  oder  verkleinert  wurde. 

Durch  die  Versuche  mit  diesen  Apparaten  wurden  zunächst 
die  von  Hirn  beim  Wasserdampf  und  Aetherdampf  gefundenen 
Resultate  bestätigt,  und  zwar  geschah  die  Prüfung  mit  dem  letzten 
Apparate  jedesmal  in  doppelter  Weise,  durch  Verdünnung  und 
Verdichtung.  Der  Wasserdampf  zeigte  bei  der  Verdünnung  Nebel- 
bildnug ,  während  er  bei  der  Verdichtung  klar  durchsichtig  blieb. 
Der  Aetherdampf  dagegen  zeigte  bei  der  Verdichtung  Nebelbildung, 
während  er  bei  der  Verdünnung  klar  durchsichtig  blieb. 

Ausserdem  stellte  Cazin  noch  specielle  Versuche  mit  Cbloro- 
formdampf  an.  Wie  schon  oben  erwähnt,  wird  beim  Chloroform- 
dampf die  Grösse  /t,  welche  bei  niederen  Temperaturen  negativ 
ist,  bei  einer  Temperatur  von  massiger  Höhe,  welche  Cazin  zu 
123,48"  berechet  hat,  Null,  und  bei  noch  höheren  Temperaturen 
positiv.  Dieser  Dampf  muss  also  bei  niederen  Temperaturen  sich 
bei  der  Ausdehnung  theilweise  condensiren,  und  bei  höheren 
Temperaturen,  jeuseit  jener  Uebergangstemperatur,  sich  bei  der 
Zusammendrückung  theilweise  condensiren. 

Mit  dem  ersten  Apparate,  welcher  nur  Ausdehnung  gestattete, 
beobachtete  Cazin  bis  zur  Temperatur  von  123"  Nebelbildung  bei 
der  Ausdehnung.  Bei  Temperaturen  über  145"  fand  die  Nebel- 
bildung nicht  mehr  statt.  Zwischen  123"  und  14.5"  war  das  Ver- 
halten je  nach  der  Grösse  der  Ausdehnung  etwas  verschieden.  Bei 
kleiner  Ausdehnung  fand  keine  Nebelbildung  statt;  bei  grosser 
Ausdehnung  dagegen  trat  zu  Ende  der  Ausdehnung  etwas  Nebel- 
bildung ein.  Dieses  Letztere  erklärt  sich  sehr  einfach  daraus,  dass 
die  grosse  Ausdehnung  auch  eine  Temperaturerniedrigung  von 
entsprechender  Grösse  zur  Folge  hatte,  und  dadurch  der  Dampf 
zu   denjenigen  Temperaturen   gelangte,   bei  welchen  Ausdehnung 

Clausiiis,  mecban.  Wärmetheorie.     I.  iq 


146  Abschnitt  VI. 

mit  Niederschlag  verbunden  ist.    Das  Resultat  stimmte  also  ganz 
mit  der  Theorie  überein. 

Mit  dem  zweiten  Apparate  zeigte  der  Chloroformdampf  bis 
130^  bei  der  Ausdehnung  Nebelbildung,  während  er  bei  der  Zu- 
sammendrückung klar  durchsichtig  blieb.  Ueber  136"  zeigte  er 
bei  der  Zusammendrückung  Nebelbildung,  während  er  bei  der  Aus- 
dehnung klar  durchsichtig  blieb.  Hierdurch  ist  die  Theorie  noch 
vollständiger  als  durch  die  Versuche  mit  dem  ersten  Apparate 
bestätigt.  Auf  den  Umstand,  dass  die  Temperatur,  bei  welcher 
das  Verhalten  des  Dampfes  sich  umkehrt,  bei  diesen  Versuchen 
zwischen  130°  und  136«  zu  liegen  schien,  während  die  Theorie 
123,48°  giebt,  darf  man  kein  zu  grosses  Gewicht  legen.  Einerseits 
sind  diese  Versuche  zu  einer  genauen  Bestimmung  dieser  Tempe- 
ratur nicht  geeignet,  weil  bei  ihnen  immer  endliche  Volumen- 
änderungen von  beträchtlicher  Grösse  vorkommen,  während  die 
theoretische  Zahl  sich  auf  unendlich  kleine  Volumenänderungen 
bezieht.  Andererseits  sagt  Cazin  selbst,  dass  sein  Chloroform 
nicht  chemisch  rein  war,  und  zu  gegebenen  Dampfspannungen 
höherer  Temperaturen  bedurfte,  als  die,  welche  Regnault  gefun- 
den hat.  Man  kann  also  unter  Berücksichtigung  dieser  Umstände 
die  Bestätigung  der  Theorie  durch  das  Experiment  als  ganz  ge- 
nügend betrachten. 


§.  6.    Das  specifische  Volumen  des  gesättigten  Dampfes. 

Wir  wollen  nun  die  zweite  der  beiden  Grössen,  welche  zu 
Anfang  des  §.  2  genannt  wurden,  nämlich  die  Grösse  s,  das 
specifische  Volumen  des  gesättigten  Dampfes,  betrachten. 

Man  wandte  früher  zur  Berechnung  des  Volumens,  welches 
ein  Dampf  bei  verschiedenen  Temperaturen  und  unter  verschiede- 
nem Drucke  einnimmt,  das  Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche 
Gesetz  an,  und  machte  dabei  keinen  Unterschied,  ob  sich  der 
Dampf  im  gesättigten  oder  im  überhitzten  Zustande  befindet.  Es 
wurden  freilich  von  manchen  Seiten  Zweifel  darüber  ausgesprochen, 
ob  die  Dämpfe  wirklich  bis  zum  Sättigungspunkte  jenen  Gesetzen 
folgen;  da  aber  die  experimentelle  Bestimmung  des  Volumens 
gesättigter  Dämpfe  zu  grosse  Schwierigkeiten  darbot,  und  eine 
theoretische  Bestimmung  aus  Mangel  an  sicheren  Anhaltspunkten 
nicht  möglich  war,   so  blieb  man   dabei,  jene  Gesetze  auch  auf 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe.  147 

gesättigte  Dämpfe  anzuwenden,  um  dadurch  wenigstens  eine  un- 
gefähre Bestimmung  ihres  Volumens  ausführen  zu  können. 

Unsere  neu  gewonnenen,  am  Ende  des  §.  1  angeführten  Glei- 
chungen gewähren  uns  nun  aber  ein  Mittel  zu  einer  theoretisch 
strengen  und  mit  zuverlässigen  Daten  ausführbaren  Berechnung 
des  Volumens  gesättigter  Dämpfe.  In  diesen  Gleichungen  kommt 
nämlich  die  Grösse  u  vor,  welche  gleich  der  Differenz  s  —  0  ist, 
worin  6  das  specifische  Volumen  der  Flüssigkeit  bedeutet.  Dieses 
letztere  ist  der  Regel  nach  gegen  s  sehr  klein  und  kann  daher  bei 
vielen  Rechnungen  ganz  vernachlässigt  werden ;  ausserdem  aber 
ist  es  als  bekannt  anzusehen,  so  dass  auch  seine  Berücksichtigung 
keine  Schwierigkeit  hat. 

Die  letzte  jener  Gleichungen,  nämlich  die  Gleichung  (17) 
lautet,  wenn  wir  darin  u  durch  s  —  ö  ersetzen: 

r33)  r(s-(?)   dp 

Indem  wir  diese  Gleichung  nach  s  auflösen,  erhalten  wir: 

(^■'>  ^  =  31  +  "- 

dT 

Mittelst  dieser  Gleichung  kann  man  für  alle  Stoffe,  für  welche  die 

Dampfspannung  p  und  die  Verdampfungs wärme  r  als  Functionen 
der  Temperatur  bekannt  sind,  auch  das  specifische  Volumen  s  des 
gesättigten  Dampfes  für  jede  Temperatur  berechnen. 


§.  7.    Abweichung    des    gesättigten  Wasserdampfes  vom 
Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze. 

Wir  wollen  die  vorstehenden  Gleichungen  zunächst  dazu 
anwenden,  zu  untersuchen,  ob  der  gesättigte  Wasserdampf  dem 
Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  folgt,  oder  ob 
und  in  wie  weit  er  davon  abweicht. 

Wenn  der  gesättigte  Dampf  jenen  Gesetzen  folgte,  so  müsste 
die  nachstehende  Gleichung  gelten: 

^  =  Const., 

oder  auch,  indem  man  T  durch  a  -\-  t  ersetzt,  und  die  Gleichung 

et 
mit  dem  constanten  Factor  -^  multiplicirt : 

10* 


148  Abschnitt  VI. 

Aus  der  Gleichung  (33)  lässt  sich  aber,  nachdem  auch  in  ihr  T 
durch  a  -\-  t  ersetzt  ist,  folgende  Gleichung  ableiten: 

(3o)  ^  p{s  -  6)  —J-:  =  — ^-— T-  • 

^      '     -^    p      dt 

Da  nun  die  Differenz  s  —  6  sehr  wenig  von  s  verschieden  ist,  so 
ist  die  linke  Seite  dieser  Gleichung  sehr  nahe  gleich  der  linken 
Seite  der  vorigen  Gleichung,  und  man  braucht  also,  um  zu  unter- 
suchen, wie  der  gesättigte  Dampf  sich  zum  Mariotte'schen  und 
Gay-Lussac'schen  Gesetze  verhält,  nur  zu  prüfen,  oh  der  an  der 
rechten  Seite  der  letzten  Gleichung  stehende  ÄusdrucJc  constant  ist, 
oder  sich  mit  der  Temperatur  ändert.  Eine  solche  Prüfung  eines 
Ausdruckes,  ob  seine  auf  einander  folgenden  Werthe  unter  einander 
gleich  sind,  oder  ob  und  in  welcher  Weise  sie  von  der  Gleichheit 
abweichen,  ist  besonders  einfach  und  anschaulich,  und  die  unter 
(35)  gegebene  Form  der  Gleichung  ist  daher  für  unseren  gegen- 
wärtigen Zweck  sehr  geeignet. 

Ich  habe  die  Werthe  des  Ausdruckes  für  eine  Reihe  von  Tem- 
peraturen von  0"  bis  über  200°  berechnet,  indem  ich  dabei  für  r 
und  p  die  von  Regnault  gegebenen  Zahlen  angewandt  habe. 

Was  zunächst  die  Verdampfungswärme  r  anbetrifft,  so  habe 
ich  von  der  schon  unter  (28)  angeführten  Formel 

r  =  606,5  —  0,695  i  —  0,00002^2  _  0,0000003^3 
Gebrauch  gemacht ,  wofür  man  ohne  wesentliche  Aenderung  der 
Resultate    auch    die    unter    (30)    gegebene    vereinfachte   Formel 
benutzen  könnte. 

Was  ferner  den  Druck  p  anbetrifft ,  so  wandte  ich  bei  meinen 
Rechnungen  zuerst  diejenigen  Zahlen  an,  welche  Regnault  in 
seiner  bekannten  grossen  Tabelle  zusammengestellt  hat,  in  welcher 
von  —  320  i^is  _|_  230*'  die  Spannungen  des  Wasserdampfes  von 
Grad  zu  Grad  angegeben  sind.  Ich  fand  aber  dabei  eigenthüm- 
liche  Abweichungen  vom  regelmässigen  Verlaufe  der  Zahlen,  welche 
in  gewissen  Temperaturintervallen  einen  anderen  Charakter  hatten, 
als  in  anderen  Intervallen,  und  ich  erkannte  bald,  dass  der  Grund 
dieser  Abweichungen  darin  lag,  dass  Regnault  seine  Zahlen 
mittelst  empirischer  Formeln  berechnet  hat,  und  dass  er  in  ver- 
schiedenen Temperaturintervallen  verschiedene  Formeln  angewandt 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe. 


149 


hat.  Demnacli  schien  es  mir  zweckmässiger,  mich  bei  meiner 
Untersuchung  von  dem  Einflüsse  der  empirischen  Formeln  ganz 
frei  zu  machen,  und  mich  an  diejenigen  Zahlen  zu  halten,  welche 
das  Ergebniss  der  Beobachtungen  in  möglichster  Reinheit  dar- 
stellen, weil  diese  zur  Vergleichung  mit  theoretischen  Resultaten 
besonders  geeignet  sind. 

Regnault  hat,  um  aus  seinen  zahlreichen  Beobachtungen 
die  wahrscheinlichsten  Werthe  zu  erhalten,  eine  graphische  Dar- 
stellung zu  Hülfe  genommen,  indem  er  Curven  construirt  hat,  deren 
Abscissen  die  Temperatur,  und  deren  Ordinaten  den  Druck  p 
bedeuten,  und  welche  in  verschiedenen  Absätzen  von  —  SS"  bis 
-f-  230«  gehen.  Von  100"^  bis  230^  hat  er  auch  noch  eine  Curve 
gezeichnet,  deren  Ordinaten  nicht  ^j  selbst,  sondern  den  Logarith- 
mus von  p  bedeuten.  Aus  dieser  Darstellung  haben  sich  folgende 
Werthe  ergeben,  welche  als  das  unmittelbarste  Resultat  seiner 
Beobachtungen  zu  betrachten  sind,  und  aus  welchen  auch  die- 
jenigen Werthe,  die  zur  Berechnung  seiner  empirischen  Formeln 
gedient  haben,  entnommen  sind: 


t  in  Cent. -Gr. 
des  Luft- 

t  in  Cent.-Gr. 
des  Luft- 

2)  in  Millimetern 

2)  in 

nach  der 

nach  der 

thermometers. 

Millimetern. 

tliermometers. 

Curve  der 
Zahlen. 

Curve  der  Lo- 
garithmen 1). 

—  200 

0,91 

1100 

1073,7 

1073,3 

—  10 

2,08 

120 

1489,0 

1490,7 

0 

4,60 

130 

2029,0 

2030,5 

10 

9,16 

140 

2713,0 

2711,5 

20 

17,39 

150 

3572,0 

3578,5 

30 

31,55 

160 

4647,0 

4651,6 

40 

54,91 

170 

5960,0 

5956,7 

50 

91,98 

180 

7545,0 

7537,0 

60 

148,79 

190 

9428,0 

9425,4 

70 

233,09 

200 

11660,0 

11679,0 

80 

354,64 

210 

14308,0 

14325,0 

90 

525,45 

220 

17390,0 

17390,0 

100 

760,00 

230 

20915,0 

20927,0 

1)  Es  sind  in  dieser  Columne  statt  der  durch  die  Curve  unmittelbar 
gegebenen  und  von  Regnault  angeführten  Logarithmen  die  dazu  ge- 
hörigen Zahlen  mitgetheilt,  um  sie  besser  mit  den  Werthen  der  vorher- 
gehenden Columne  vergleichen  zu  können. 


150  Abschnitt  VI. 

Um  nun  mit  diesen  Daten  die  beabsichtigte  Rechnung  auszu- 
führen, habe  ich  zuerst  nach  der  vorstehenden  Tabelle  die  Werthe 

von—  •  -^  für  die  Temperaturen  5°,  lÖ^  25*'  etc.  bestimmt,  und 
p      dt 

zwar  auf  folgende  Weise.     Da  die  Grösse  —  •  -^  mit  wachsender 
°  p      dt 

Temperatur  nur  langsam  abnimmt,  habe  ich  die  Abnahme  in  jedem 
Intervall  von  10  Graden,  also  von  0°  bis  10%  von  10^  bis  20»  etc. 
als  gleichförmig  betrachtet,  so  dass  ich  den  z.  B.  für  25"  geltenden 
Werth  als  das  Mittel  aus  allen  zwischen  20"  und  30"  vorkommen- 
den Werthen  ansehen  konnte.    Dann  konnte  ich  mich,  da ~ 

p     dt 

=       Ji      ist,  folgender  Formel  bedienen: 


(i 

dp\        logp-io  —  logp^o 

dt)                   10 

25" 

oder  auch: 

(36) 

e 

dp\        Logp^,  —  Logp^, 

dt)                 10  .  M 

25" 

worin  Log  das  Zeichen  der  Briggs'schen  Logarithmen  und  M  der 

Modulus  dieses  Systems  ist.     Mit  Hülfe  dieser  Werthe  von  —  •  — 
-^  p      dt 

und  der  durch  die  oben  angeführte  Gleichung  gegebenen  Werthe 

vonr,  so  wie  endlich  des  Werthes  273  von  a,  sind  die  Werthe,  welche 

die  Formel   auf  der  rechten  Seite  von  (35)  und  somit  auch  der 

1  a 

Ausdruck  -pp(s  —  ö)  für  die  Temperaturen  5",  15",  25"  etc. 

annimmt,  berechnet  und  finden  sich  in  der  zweiten  Columne  der 
nachstehenden  Tabelle  angeführt.  Bei  den  Temperaturen  über 
100"  sind  die  beiden  oben  für  p  mitgetheilten  Zahlenreihen  einzeln 
benutzt,  und  die  dadurch  gefundenen  doppelten  Resultate  neben 
einander  gestellt.  Die  Bedeutung  der  dritten  und  vierten  Columne 
wird  gleich  weiter  unten  noch  näher  bezeichnet  werden. 


Beliandluiig  der  gesättigten  Dämpfe. 


151 


1. 

^  P  (*■  —  0) 

a 

rt+  t 

4. 

t  iu  Cent.-Gr. 

9 

3. 
nach  der  Glei- 
chung (38). 

des  Luft- 
thermometers. 

nach  den  Beobach- 
tungswerthen. 

Differenzen. 

50 

30,93 

30,46 

—  0,47 

15 

30,60 

30,38 

—  0,22 

25 

30,40 

30,30 

—  0,10 

35 

30,23 

30,20 

—  0,03 

45 

30,10 

30,10 

0,00 

55 

29,98 

30,00 

+  0,02 

65 

29,88 

29,88 

0,00 

75 

•  29,76 

29,76 

0,00 

85 

29,65 

29,63 

—  0,02 

95 

29,49 

29,48 

-  0,01 

105 

29,47         29,50 

29,33 

—  0,14         —  0,17 

115 

29,16         29,02 

29,17 

-1-  0,01         -f  0,15 

125 

28,89         28,93 

28,99 

+  0,10         -1-  0,06 

135 

28,88         29,01 

28,80 

—  0,08         —  0,21 

145 

28,65         28,40 

28,60 

—  0,05         +  0,20 

155 

28,16         28,25 

28,38 

4-  0,22         4-  0,13 

165 

28,02         28,19 

28,14 

-f  0,12         —  0,05 

175 

27,84         27,90 

27,89 

+  0,05         —  0,01 

185 

27,76         27,67 

27,62 

—  0,14         —  0,05 

195 

27,45         27,20 

27,33 

—  0,12         +-  0,13 

205 

26,89         26,94 

27,02 

+  0,13         +  0,08 

215 

26,56         26,79 

26,68 

+  0,12         —  0,11 

225 

26,64         26,50 

26,32 

—  0,32         —  0,18 

Man  sieht  in  dieser  Tabelle  sogleich,  dass  -r^pis  —  0) 


a  4-  t 

nicht,  wie  es  sein  müsste,  wenn  das  Mariotte'sche  und  Gay- 
Lussac'sche  Gesetz  gültig  wäre,  constant  ist,  sondern  mit  der 
Temperatur  entschieden  abnimmt.  Zwischen  oö'-  und  95^  zeigt 
sich  diese  Abnalmie  sehr  regelmässig.  Unter  35*^  findet  die 
Abnahme  weniger  regelmässig  statt,  was  sich  einfach  daraus 
erklärt,   dass  hier  der  Druck  p  und   sein  Differentialcoefficient 


152  Abschnitt  VI. 

-^y  sehr  klein  sind,  und  dass  daher  geringe  Ungenauigkeiten  in 

U/V 

ihrer  Bestimmung,  die  ganz  in  die  Grenzen  der  Beobachtungsfehler 
fallen,  doch  verhältnissmässig  bedeutend  werden  können,  lieber 
100**  hinaus  nehmen  die  Werthe  dieses  Ausdrucks  ebenfalls  nicht 
so  regelmässig  ab,  wie  zwischen  35°  und  95%  doch  zeigen  sie 
wenigstens  im  Allgemeinen  einen  entsprechenden  Gang,  und  be- 
sonders, wenn  man  eine  graphische  Darstellung  ausführt,  findet 
man,  dass  die  Curve,  welche  innerhalb  jenes  Intervalls  fast  genau 
die  Punkte  verbindet,  welche  durch  die  in  der  Tabelle  enthaltenen 
Zahlen  bestimmt  werden,  sich  auch  darüber  hinaus  bis  230°  ganz 
natürlich  so  fortsetzen  lässt,  dass  diese  Punkte  gleichmässig  auf 
beiden  Seiten  vertheilt  liegen. 

Der  Gang  dieser  Curve  kann  in  der  ganzen  Ausdehnung  der 
Tabelle  ziemlich  genau  durch  eine  Gleichung  von  der  Form 

1  a 

(37)  -^  p(s  —  6)  ~ — -—  =  m  —  ne^^ 

ausgedrückt  werden,  worin  e  die  Basis  der  natürlichen  Logarith- 
men bedeutet,  und  wi,  n  und  li  Constante  sind.  Wenn  die  letzteren 
aus  den  Werthen,  welche  die  Curve  für  45*^,  125<^  und  205"  giebt, 
bestimmt  werden,  so  kommt: 

(37  a)  m  =  31,549;     n  =  1,0486;     l  =  0,007138, 

und  wenn  man  zur  Bequemlichkeit  noch  Briggs'sche  Logarithmen 
einführt,  so  erhält  man: 

(38)  Log  [31,549   —  \,p{s  —  6)  — tt;]  =  ^,0206  -f-  0,003100  t 

Nach  dieser  Gleichung  sind  die  in  der  dritten  Columne  enthaltenen 
Zahlen  berechnet,  und  in  der  vierten  sind  die  Differenzen  hin- 
zugefügt, welche  diese  Zahlen  mit  den  in  der  zweiten  befindlichen 
bilden. 


1)  s 
8.  8.     Diffentialcoefficienten  von  - — 

pso 

Aus  dem  Vorstehenden  lässt  sich  nun  leicht  eine  Formel  ab- 
leiten, aus  welcher  man  noch  bestimmter  erkennen  kann,  in  welcher 
Weise  das  Verhalten  des  Dampfes  vom  Mariotte'schen  und  Gay- 
L US sac' sehen  Gesetze  abweicht.    Unter  Annahme  dieser  Gesetze 


Behandlong  der  gesättigten  Dämpfe. 


153 


würde  man,  wenn  ps^  den  bei  0'  geltenden  Werth  von  ps  bedeutet, 
setzen  können: 

ps   >i.  —  f. 

and  würde    also  für  den   Dififerentialcoefficienten  ^-r  {^—\  eine 

dt  \ps,/ 

constante  Grösse,  nämlich  den  bekannten  Ausdehnungscoefficienten 
—  =  0,003665  erhalten.    Statt  dessen  ergiebt  sich  ans  (37),  wenn 


-  6  einfach  s  setzt,  die  Gleichnng: 
ps        m  —  M  .  ^^    a  —  f 
ps^  ~ 


m 


m 


man  darin  für  s 

(39) 

nnd  daraas  folgt: 

(40)  fA—)  =  - 

dt  \pS(f/        a  m  —  n 

Der  Differentialcoefficient  ist  also  nicht  eine  Constante,  sondern 
eine  mit  wachsender  Temperatnr  abnehmende  Function,  welche, 
nachdem  man  für  im,  n  nnd  h  die  in  (37a)  mitgetheüten  Zahlen 
eingesetzt  hat,  anter  anderen  folgende  Berthe  annimmt: 


n  [1  -L-  Ar  r«  -!-  Ol  «** 


f. 

d   /ps\ 
dtXpsJ 

t. 

dt  \psj 

f. 

d    /ps\ 
dt  XpsJ 

(fi 

OJOOßm 

70» 

ofioam 

1400      i 

0,«X»24t 

10 

i'K-y.'Sd-i 

80 

0,00300 

150 

OjOfmi 

20 

-.'■.■:';-:^ 

90 

OflOS^ 

160 

Ofifmj 

30 

'..  y. :_; 

100 

0,00285 

170 

0,002(ß 

40 

ÖAJJ325 

110 

0,00276 

180 

0J»137 

50 

0,00819 

120 

0,00266 

190 

0,00168 

60 

0,003U 

130 

0,00256 

200 

0,00149 

Man  sieht  hieraus,  dass  die  Abweichungen  vom  Mariotte'- 
schen  and  Gay-Lnssac 'sehen  Gesetze  bei  niedrigen  Temperataren 
nur  gering  sind,  bei  höheren  aber,  z.  B.  bei  100'-  and  darüber  hin- 
aas, nicht  mehr  Temachlässigt  werden  dürfen. 

Es  kann  vielleicht  aaf  den  ersten  Blick  auffallend  erscheinen, 

dass  die  srefandenen  Werthe  von  -j-  (^—\  Heiner smA. alsO.O'^oGSS. 

dt  \psj 


154  Abschnitt  VI. 

während  man  doch  weiss,  dass  bei  denjenigen  Gasen,  welche 
beträchtlich  vom  Mariotte' sehen  und  Gay-Lussac' sehen 
Gesetze  abweichen,  wie  die  Kohlensäure  und  die  schweflige  Säure, 
der  Ausdehnungscoefficient  nicht  Meiner^  sondern  grösser  ist,  als 
jene  Zahl.  Man  darf  jedoch  den  vorher  berechneten  Differential- 
coefficienten  nicht  ganz  gleichstellen  mit  dem  Ausdehnungscoeffi- 
cienten  im  wörüiclien  Sinne,  welcher  sich  auf  die  Vermehrung  des 
Volumens  bei  constantem  Drucke  bezieht,  auch  nicht  mit  der  Zahl, 
welche  man  erhält,  wenn  man  bei  der  Erwärmung  das  Volumen 
constant  lässt,  und  dann  die  Zunahme  der  Expansivkraft  beob- 
achtet, sondern  es  handelt  sich  hier  um  einen  dritten  besonderen 

Fall  des  allgemeinen  Differentialcoefficienten  -yi  ( -^l,   nämlich 

dt  Vi^So/ 

um  den,  wo  zugleich  mit  der  Erwärmung  der  Druck  in  so  starkem 
Verhältnisse  wächst,  wie  es  beim  Wasserdampfe  geschieht,  wenn 
dieser  im  Maximum  seiner  Dichte  bleibt;  und  diesen  Fall  müssen 
wir  auch  bei  der  Kohlensäure  betrachten,  wenn  wir  eine  Vergleichung 
anstellen  wollen. 

Der  Wasserdampf  hat  bei  etwa  108''  eine  Spannkraft  von  1  m 
und  bei  1291/2"  eine  solche  von  2  m.  Wir  wollen  daher  unter- 
suchen, wie  sich  die  Kohlensäure  verhält,  wenn  sie  sich  auch  um 
211/2^  erwärmt,  und  dabei  der  Druck  von  Im  bis  2m  vermehrt 
wird.  Nach  Regnault  1)  ist  der  Ausdehnungscoefficient  der  Kohlen- 
säure bei  constantem  Drucke,  wenn  dieser  760  mm  beträgt,  0,003710, 
und  wenn  er  2520mm  beträgt,  0,003846.  Für  einen  Druck  von 
1500mm  (dem  Mittel  zwischen  Im  und  2m)  erhält  man  daraus, 
wenn  man  die  Zunahme  des  Ausdehnungscoefficienten  als  propor- 
tional der  Druckzunahme  betrachtet,  den  Werth  0,003767.  Würde 
also   die  Kohlensäure  unter  diesem  mittleren  Drucke  von  0"  bis 

1)  V 

2IV2*'    erwärmt,    so    würde    dabei    die    Grösse    - —    von    1    zu 

1  -f  0,003767  X  21,5  =  1,08099  anwachsen.  —  Ferner  ist  aus 
anderen  Versuchen  von  Regnault  2)  bekannt,  dass,  wenn  Kohlen- 
säure, welche  sich  bei  einer  Temperatur  von  nahe  0^  unter  dem 
Drucke  von  Im  befunden  hat,  mit  einem  Drucke  von  1,98292m 
belastet  wird,  dabei  die  Grösse  ^^v  im  Verhältnisse  von  1  :  0,99146 
abnimmt,  woraus  sich  bei  einer  Druckvermehrung  von  1  m  zu  2  m 


1)  Belation  des  exxm'iences,  t.  I,  Mein.  I. 

2)  Ebendas.  t.  I,  Mem.  VI. 


Beliaudlung  der  gesättigten  Dämpfe.  155 

eine  Abnahme  im  Verhältnisse  von  1  :  0,99131  ergiebt.  —  Wenn 
nun  beides  gleichzeitig  stattfindet,  die  Temperaturerhöhung  von  0'^ 
bis  2IV2''  und  die  Druckzunahme  von  Im  zu  2m,  so  muss  dabei  die 

Grösse  ^  sehr  nahe  von    1  zu  1,08099   X  0,99131  =  1,071596 

anwachsen,  und  daraus  erhält  man  als  mittleren  Werth  des  Dif- 


ferentialcoefticienten  4-;  f  - —  ) 
d  t  \p  vj 


0,071596 


=  0,00333. 


21,5 

Man  sieht  also,  dass  man  für  den  Fall,  auf  den  es  hier  anlcommt, 
schon  bei  der  Kohlensäure  einen  Werth  erhält,  der  kleiner  als 
0,003665  ist,  und  es  kann  daher  jenes  Resultat  beim  Dampfe  im 
Maximum  seiner  Dichte  um  so  weniger  befremden. 

Wollte  man  dagegen  den  eigentlichen  Ausdehnungscoefficien- 
ten  des  Dampfes  bestimmen,  also  die  Zahl,  welche  angiebt,  um 
wie  viel  ein  Dampfquantum  sich  ausdehnt,  wenn  es  bei  einer  be- 
stimmten Temperatur  im  Maximum  seiner  Dichte  genommen,  und 
dann,  getrennt  von  W^asser,  unter  constantem  Drucke  erwärmt 
wird,  so  würde  man  gewiss  einen  Werth  erhalten,  der  grösser  und 
vielleicht  heträcMIicli  grösser  wäre,  als  0,003665. 


§.  9.    Formel  zur  Bestimmung  des  specifischen  Volumens 

des    gesättigten    Wasserdampfes,    und    Vergleichung 

derselben  mit  der  Erfahrung. 

Aus  der  Gleichung  (37)  und  ebenso  aus  der  Gleichung  (34) 
lassen  sich  die  relativen  Werthe  von  s  —  0  und  daher  auch  mit 
grosser  Annäherung  von  s  für  verschiedene  Temperaturen  be- 
rechnen, ohne  dass  man  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme 
E  zu  kennen  braucht.  Will  man  aber  aus  diesen  Gleichungen  die 
absoluten  Werthe  von  s  berechnen ,  so  muss  entweder  E  bekannt 
sein,  oder  man  muss  suchen,  mit  Hülfe  eines  anderen  Datums  E 
zu  eliminiren. 

Zu  der  Zeit,  als  ich  zuerst  diese  Rechnungen  ausführte,  waren 
für  E  von  Joule  mehrere  aus  verschiedenen  Versuchsarten  ab- 
geleitete Werthe  angegeben,  welche  ziemlich  weit  von  einander  ab- 
wichen, und  Joule  hatte  sich  noch  nicht  darüber  ausgesprochen, 
welchen  dieser  Werthe  er  für  den  wahrscheinlichsten  hielt,  Weareu 


156  Abschnitt  VI. 

dieser  Unsicherheit  schien  es  mir  zweckmässig,  zur  Bestimmung 
der  absoluten  Werthe  von  s  einen  anderen  Anhaltspunkt  zu  suchen, 
und  ich  glaube,  dass  das  von  mir  gewählte  Verfahren  auch  jetzt 
noch  genügendes  Interesse  besitzt,  um  es  hier  mittheilen  zu  dürfen. 
Man  drückt  bekanntlich  das  specifische  Gewicht  der  Gase  und 
Dämpfe  gewöhnlich  in  der  Weise  aus,  dass  man  das  Gewicht  einer 
Volumeneinheit  des  Gases  oder  Dampfes  mit  dem  Gewichte  einer 
Volumeneinheit  atmosphärischer  Luft  unter  demselben  Drucke 
und  bei  derselben  Temperatur  vergleicht.  Ebenso  kann  man  das 
specifische  Volumen  in  der  Weise  ausdrücken,  dass  man  das  Volumen 
einer  Gewichtseinheit  des  Gases  oder  Dampfes  mit  dem  Volumen 
einer  Gewichtseinheit  atmosphärischer  Luft  unter  demselben  Drucke 
und  bei  derselben  Temperatur  vergleicht.  Wenden  wir  dieses 
Letztere  auf  den  gesättigten  Dampf  an,  für  welchen  wir  das 
Volumen  einer  Gewichtseinheit  mit  s  bezeichnet  haben,  und  be- 
zeichnen wir  ferner  das  Volumen  einer  Gewichtseinheit  atnio- 
sphärischer  Luft  unter  demselben  Drucke  und  bei  derselben  Tem- 
peratur mit  v\   so  wird   die  in  Rede  stehende  Grösse  durch  den 

ß 
Bruch  -7  dargestellt. 

V 

Für  s  ergiebt  sich  aus  (37),  wenn  wir  darin  6  vernachlässigen 
der  Ausdruck: 

(41)  s  =  — ^ — ■ — ^  (m  —  ne^'^). 

ap  ^ 

Für  T)'  können  wir  nach  dem  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'- 
schen  Gesetze  die  Gleichung: 

i> 

bilden.     Durch  Division  dieser  beiden  Gleichungen  durch  einander 
erhalten  wir: 

(42)  -r  =  TiT-  (w*  —  n&^). 

Bilden  wir  dieselbe  Gleichung  für  irgend  eine  specielle  Temperatur, 
welche  wir  mit  ^0   bezeichnen  wollen,  und  bezeichnen   auch  den 

betreffenden  Werth  des  Bruches  —r  mit  ( -r  )  ,  so  kommt: 

v'  \v'/o 

\y  /o       ii  « 
Lidem  wir  mit  Hülfe  dieser  Gleichung  aus  der  vorigen  den  con- 

E 

stauten  Factor  ^^7-  eliminiren,  erhalten  wir: 
li  a 


(43)  4  =  (4) 


Behandlung  clei*  gesättigten  Dämpfe.  157 


Es  fragt  sich  nun,  ob  man  für  irgend  eine  Temperatur  t(,  die 

Grösse  (— )    oder  ihren   reciproken    Werth  (  — )q,    welcher    das 

specifische  Gewicht  des  Dampfes  hei  der  Temperatur  t(,  bedeutet, 
mit  genügender 'Sicherheit  bestimmen  kann. 

Die  gewöhnlich  für  die  specifischen  Gewichte  der  Dämpfe 
angeführten  Werthe  sind  nicht  an  gesättigten,  sondern  an  stark 
überhitzten  Dämpfen  beobachtet.  Sie  stimmen,  wie  man  weiss, 
ziemlich  gut  mit  den  theoretischen  Werthen  überein,  welche  man 
aus  dem  bekannten  Gesetze  über  die  Beziehung  zwischen  dem 
Volumen  eines  zusammengesetzten  Gases  und  den  Volumen  seiner 
gasförmigen  Bestandtheile  ableiten  kann.  So  hat  z,  B.  Gay- 
Lussac  für  das  specifische  Gewicht  des  Wasserdampfes  experi- 
mentell den  Werth  0,6235  gefunden,  und  der  theoretische  Werth, 
welchen  man  erhält,  wenn  man  annimmt,  dass  zwei  Maass  Wasser- 
stoff und  ein  Maass  Sauerstoff  bei  ihrer  Verbindung  zwei  Maass 
Wasserdampf  geben,  ist: 

2  X  0,06926  +  1,10563  ^  ^  ^^2 

Diesen  Werth  des  specifischen  Gewichtes  darf  man  aber  auf 
den  gesättigten  Wasserdampf  nicht  allgemein  anwenden,  indem  sich 
aus  der  Tabelle  des  vorigen  Paragraphen,  welche  die  Werthe  von 

-j-  (- — )  enthält,  zu  grosse  Abweichungen  vom  Mar iotte' sehen 
cl  t  \p  Sq  / 

und Gay-Lussac'schen Gesetze  ergeben.  Nun  zeigt  aber  anderer- 
seits jene  Tabelle,  dass  die  Abweichungen  um  so  geringer  werden, 
je  niedriger  die  Temperatur  w^rd,  und  man  wird  daher  nur  noch 
einen  unbedeutenden  Fehler  begehen,  wenn  man  annimmt,  dass 
der  gesättigte  Wasserdampf  bei  der  Temperatur  des  Gefrierpunktes 
dem  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  schon  hin- 
länglich folge,  um  für  diese  Temperatur  das  specifische  Gewicht 
gleich  0,622  setzen  zu  dürfen.  Streng  genommen  müsste  man 
noch  weiter  gehen,  und  die  Temperatur,  für  welche  das  specifische 
Gewicht  des  gesättigten  Wasserdampfes  den  theoretischen  Werth 
annimmt,  noch  tiefer,  als  den  Gefrierpunkt,  setzen.  Da  es  aber 
bedenklich  sein  würde,  die  Gleichung  (37),  welche  nur  eine  empi- 
rische Formel  enthält,  für  so  tiefe  Temperaturen  noch  in  Anwen- 
dung zu  bringen,  so  wollen  wir  uns  mit  jener  Annahme  begnügen. 


158 


Absclinitt  VI. 


Indem  wir  also  für  f^  den  Werth  0  anwenden,  und  zugleich 

setzen : 


(7) 


=  0,622,  und  daher: 
s/o  W 

geht  die  Gleichung  (43)  über  in: 

s  m  —  ne'' 


0,622' 


^"^^^  'v'        0,622  {m  —  ny 

aus  welcher  Gleichung   man   unter  Anwendung  der  in  (37  a)  ge- 

s 
gebenen  Werthe  von  m,  n  und  ä;  die  Grösse  — ;  und  somit  auch 

die  Grösse  s  für  jede  Temperatur  berechnen  kann. 

Man  kann  der  vorstehenden   Gleichung    noch   eine   für  die 
Rechnung  bequemere  Form  geben,  indem  man  setzt: 


(45) 


^  =  M-  Na\ 


und  den  Constanten  M,  N  und  k  folgende  aus  den  Werthen  von 

w,  n  und  Je  berechnete  Werthe  giebt: 

(45a)        Jf=  1,6630;     i\^=  0,05527;     «=1,007164. 

Um  von  dem  Verhalten  dieser  Formel   eine  Anschauung  zu 

s 
geben,  sind  in  der  folgenden  Tabelle  einige  Werthe  von  —  und 

v' 
auch  von  dem  reciproken  Werthe  — ,  welchen  wir  kürzer  durch 

den  schon  früher  für  das  specifische  Gewicht  angewandten  Buch- 
staben d  bezeichnen  wollen,  zusammengestellt. 


t 

00 

50" 

1000 

1500 

2000 

s 

1,608 

1,585 

1,550 

1,502 

1,433 

d 

0,622 

0,631 

0,645 

0,666 

0,698 

Das  Resultat,  dass  der  gesättigte  Wasserdampf  von  dem 
Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze,  welche  man  bis 
dahin  allgemein  auf  ihn  angewandt  hatte,  so  weit  abweiche,  wie  es 
in  den  obigen  Formeln  und  Tabellen  ausgedrückt  ist,  fand,  wie 
schon  an  einer  anderen  Stelle  gelegentlich  erwähnt  wurde,  anfangs 
energischen  Widerspruch,  selbst  von  sehr  competenter  Seite. 
Gegenwärtig  wird  es  aber,  wie  ich  glaube,  ziemlich  allgemein  als 
richtig  anerkannt. 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe. 


159 


Auch  eine  experimentelle  Bestätigung  hat  es  erfahren  durch 
die  im  Jahre  1860  veröfFentlichten  Untersuchungen  von  Fair- 
bairn  und  Tate^),  deren  Beobachtungsresultate  in  der  nach- 
stehenden Tabelle  einerseits  mit  den  früher  angenommenen  Zahlen, 
bei  welchen  für  alle  Temperaturen  das  specifische  Gewicht  0,622 
vorausgesetzt  ist,  und  andererseits  mit  den  aus  der  Gleichung  (45) 
hervorgehenden  Zahlen  verglichen  sind. 


Volumen  eines  Kilogramm  gesättigten 

Temperatur 
in 

Wasserdampfes  in  Cubikmetern 

Centesimal- 

früher  ange- 

nach der 

nach  den 

Gracleu. 

nommene 

Gleichung 

Beobach- 

Wertlie. 

(45). 

tungen. 

58,210 

8,38 

8,23 

8,27 

68,52 

5,41 

5,29 

5,33 

70,76 

4,94 

4,83 

4,91 

.7,18 

3,84 

3,74 

3,72 

77,49 

3,79 

3,69 

3,71 

79,40 

3,52 

3,43 

3,43 

83,50 

3,02 

2,94 

3,05 

86,83 

2,68 

2,60 

2,62 

92,66 

2,18 

2,11 

2,15 

117,17 

0,991 

0,947 

0,941 

118,23 

0,961 

0,917 

0,906 

118,46 

0,954 

0,911 

0,891 

124,17 

0,809 

0,769 

0,758 

128,41 

0,718 

0,681 

0,648 

130,67 

0,674 

0,639 

0,634 

131,78 

0,654 

0,619 

0,604 

■  134,87 

0,602 

0,569 

0,583 

137,46 

0,562 

0,530 

0,514 

139,21 

0,537 

0,505 

0,496 

141,81 

0,502 

0,472 

0,457 

142,36 

0,495 

0,465 

0,448 

144,74 

0,466 

0,437 

0,432 

1)  Proc.  of  tu  Boyal  Soc.  1860  und  Phil  Mcuj.  Ser.  4,   Vol.  XXI. 


160  Abschnitt  VI. 

Man  sieht  aus  dieser  Tabelle,  dass  die  beobachteten  Werthe 
viel  besser  mit  den  aus  meiner  Gleichung  berechneten,  als  mit  den 
früher  angenommenen  Werthen  stimmen,  und  dass  die  Differenzen, 
welche  zwischen  den  Beobachtungswerthen  und  den  Werthen 
meiner  Formel  noch  vorkommen,  sogar  meistens  in  dem  Sinne 
stattfinden,  dass  die  Beobachtungswerthe  von  den  früher  angenom- 
menen Werthen  noch  weiter  abweichen,  als  die  Werthe  meiner 
Formel. 


§.  10.     Bestimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der 
Wärme  aus  dem  Verhalten  des  gesättigten  Dampfes. 


Nachdem  wir  die  absoluten  Werthe  von  s  bestimmt  haben, 
ohne  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  als  bekannt  vor- 
auszusetzen, können  wir  nun  umgekehrt,  unter  Anwendung  dieser 
Werthe,  die  Gleichung  (17)  dazu  benutzen,  das  mechanische  Aequi- 
valent der  Wärme  zu  bestimmen,  indem  wir  dieser  Gleichung 
folgende  Form  geben : 

(46)  .    £= — ^(s_6). 

Der  in  dieser  Gleichung  als  Factor  von  s  —  6  stehende  Bruch 
lässt  sich  nach  den  von  Regnault  festgestellten  Zahlen  für  ver- 
schiedene Temperaturen  berechnen.    Will  man  ihn  z,  B.  für  100" 

berechnen,  so  hat  man  nach  Eegnault  für  -^,  wenn  der  Druck 

in  Millimetern  Quecksilber  dargestellt  wird,  denWerth  27,20.  Um 
diese  Zahl  auf  das  hier  anzuwendende  Druckmaass,  nämlich  Kilo- 
gramme auf  ein  Quadratmeter,  zu  reduciren,  muss  man  sie  mit 
dem  Gewichte  einer  bei  der  Temperatur  0"  genommenen  Queck- 
silbersäule von  ein  Quadratmeter  Grundfläche  und  ein  Millimeter 
Höhe,  also  mit  dem  Gewichte  eines  Cubikdecimeter  Quecksilber 
von  O''  multipliciren.  Da  dieses  Gewicht  nach  Regnault  in 
Kilogrammen  13,596  beträgt,  so  erhält  man  die  Zahl  369,8.  Ferner 
hat  man  a  -\-  t  und  r  für  100"  gleich  373  und  536,5  zu  setzen. 
Daraus  ergiebt  sich: 


Behandlung  der  gesättigten  Dämpfe.  161 

^"^  '^   ^  Ji  _  373  X  369,8  _  ^^^ 
r  ~         536,5         —^5/, 

und  somit  geht  (46)  über  in : 

(47)  E  =  257  (s  -  ö). 

Es  kommt  nun  darauf  an,  die  Grösse  s  —  6  oder,  da  o  be- 
kannt ist,  die  Grösse  s  für  Wasserdampf  von  100"  zu  )>estimmen- 
Das  früher  übliche  Verfahren,  dasselbe  specifische  Gewicht,  welches 
man  für  überhitzten  Dampf  experimentell  gefunden  oder  theoretisch 
aus  der  Zusammensetzung  des  Wassers  abgeleitet  hatte,  auch  auf  den 
gesättigten  Dampf  anzuwenden,  führte  zu  dem  Ergebnisse,  dass  ein 
Kilogramm  Wasserdampf  bei  100"  einen  Raum  von  1,696  Cubikmeter 
einnehme.  Dieser  Werth  muss  aber  dem  Obigen  nach  beträcht- 
lich zu  gross  sein,  und  muss  daher  auch  einen  zu  grossen  Werth 
des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  geben.  Nimmt  man 
dagegen  dasjenige  specifische  Gewicht,  welches  sich  aus  der  Glei- 
chung (45)  berechnen  lässt,  und  welches  für  100"  gleich  0,645  ist, 
als  angenähert  richtig  an,  so  erhält  man  für  s  den  Werth  1,638. 

Unter  Anwendung  dieses  Werthes  von   s  geht  die  Gleichung 

(47)  über  in : 

(48)  E  =  421. 

Man  erhält  also  auf  diese  Weise  für  das  mechanische  Aequivalent 
der  Wärme  einen  Werth,  welcher  mit  dem  von  Joule  durch 
Reibung  des  Wassers  gefundenen  und  dem  in  Abschnitt  II.  aus 
dem  Verhalten  der  Gase  abgeleiteten  Werthe,  die  beide  nahe 
gleich  424  sind,  in  ganz  befriedigender  Weise  übereinstimmt.  Diese 
Uebereinstimmung  kann  als  eine  Bestätigung  unserer  über  die 
Dichtigkeit  des  gesättigten  Dampfes  angestellten  Betrachtungen 
dienen. 


§.  11.  Vollständige  Differentialgleichung  von  Q  für  einen 
aus  Flüssigkeit  und  Dampf  bestehenden  Körper. 

Im  §.  1  dieses  Abschnittes  hatten  wir  für  einen  aus  Flüssig- 
keit und  Dampf  bestehenden  Körper  die  beiden  ersten  Diflferential- 
coefficienten  von  (^  durch  folgende,  dort  unter  (7)  und  (8)  gegebene 
Gleichungen  bestimmt: 

Clans  ins,  mochan.  Wärmetheorie.     I.  ii 


(51)  dQ  =  d(mQ)  -f  ("  -  '-^  +  M&j  dT, 


162  Abschnitt  VI. 

om 

l^  =  m{H-C)  +  Ma 

Hieraus  lässt  sich  sofort  die  vollständige  Differentialgleichung  erster 
Ordnung  von  Q  bilden,  nämlich: 

(49)  dQ  =  Qdm  +  \m(H  -  C)  -|-  Mc\  dT. 
Nun  ist,  gemäss  der  Gleichung  (12),  zu  setzen: 

TT  _    p  _    dQ  Q 

^        ^  —  dT        T' 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

(50)  dQ=Q  dm  +  [in  (||  _  j)  +  ilf  (^]  rf  T, 

welche  Gleichung  man,  da  q  nur  eine  Function  von  T  und  folglich 
y^  d  T  gleich  d  q  ist,  auch  so  schreiben  kann : 

(5i: 

oder  noch  kürzer: 

(52)  dQ  =  Td  ("^^  -f  MCd T. 

Diese  Gleichungen  sind,  so  lange  die  beiden  Grössen,  deren 
Differentiale  an  der  rechten  Seite  vorkommen,  von  einander  unab- 
hängig sind,  und  somit  der  Weg  der  Veränderungen  unbestimmt 
gelassen  ist,  nicht  integrabel.  Sie  werden  aber  integrabel,  sobald 
auf  irgend  eine  Weise  der  Weg  der  Veränderungen  bestimmt  wird. 
Man  kann  daher  mit  ihnen  ganz  ähnliche  Rechnungen  anstellen, 
wie  die,  welche  in  Abschnitt  II.  für  Gase  ausgeführt  wurden. 

Wir  wollen  beispielsweise  einen  Fall  behandeln,  welcher  einer- 
seits an  sich  von  Wichtigkeit  ist,  und  andererseits  dadurch 
an  Interesse  gewinnt,  dass  er  in  der  Dampfmaschinentheorie 
eine  wesentliche  Rolle  spielt.  Wir  wollen  nämlich  annehmen, 
die  aus  Flüssigkeit  und  Dampf  bestehende  Masse  ändere  ihr 
Volumen,  ohne  dass  ihr  dabei  Wärme  mitgetheilt  oder  entzogen 
tverde.  Bei  dieser  Volumenänderung  erleidet  auch  die  Temperatur 
und  die  Grösse  des  dampfförmigen  Theiles  eine  Aenderung,  und 
zugleich  wird  eine  positive  oder  negative  äussere  Arbeit  gethan. 
Es  sollen  nun  unter  diesen  Umständen  die  Grösse  des  dampf- 
förmigen Theiles  m ,  das  Volumen  v  und  die  äussere  Arbeit  W  als 
Functionen  der  Temperatur  bestimmt  iverden. 


Bt'haiidhiiig  dar  gesättigten  Dämjif'e.  163 


§.  12.     Veränderung  des  dampfförmigen  T heilos  der 

Masse. 

Da  die  in  dem  Gefässc  befindliche  Masse  keine  Wanne 
empfangen  oder  abgehen  soll ,  so  haben  wir  d  Q  ^  0  zu  setzen. 
Indem  wir  dieses  in  der  Gleichung  (52)  thun,  erhalten  wir: 

(53)  Td  0^\  -f  MCd  T  =  0. 

Denken  wir  uns  beide  Glieder  dieser  Gleichung  durch  E  dividirt, 
so  gehen  dadurch  die  Grössen  q  und  (7,  welche  sich  auf  mechanisches 
Wärmemaass  beziehen,  in  die  Grössen  r  und  c  über,  welche  sich 
auf  geiüöhnlichcs  Wärmemaass  beziehen.  Dividiren  wir  zugleich 
noch  die  beiden  Glieder  durch  T,  so  lautet  die  Gleichung: 

(53  a)  d(~^^Mc'^  =  0. 

Das  erste  Glied  dieser  Gleichung,  welches  ein  einfaches  Diffe- 
rential ist,  lässt  sich  natürlich  sofort  integriren,  und  auch  im 
letzten  Gliede  ist,  da  c  nur  von  der  Temperatur  T  abhängt,  die 
Integration  immer  ausführbar.  Wenn  wir  diese  Integration  vor- 
läufig nur  andeuten,  und  die  auf  den  Anfangszustand  bezüglichen 
Werthe  aller  vorkommenden  Grössen  zur  Unterscheidung  mit  dem 
Index  1  versehen,  so  lautet  die  entstehende  Gleichung: 

oder  anders  geordnet: 

(54)  'IL^'^-Mfe'^- 

Zur  wirklichen  Ausführung  der  angedeuteten  Integration  kann 
man  für  c  die  von  Regnault  aufgestellten  empirischen  Formeln 
anwenden.  Beim  Wasser  lautet  die  schon  unter  (27)  angeführte 
Regnault 'sehe  Formel: 

c  =  1  -|-  0,00004  #  -f  0,0000009^2. 
Da   sich  hiernach   c   mit   der  Temperatur  sehr  wenig  ändert,   so 
wollen  wir  in  den   hier  folgenden  auf  Wasser  bezüglichen  Rech- 
nungen c  als  constant  betrachten,   was   auf  die  Genauigkeit   der 

11* 


164 


Absclinitt  VI. 


Resultate  nur  einen  unerheblichen  Einfluss  haben  kann.  Dadurch 
geht  (54)  über  in: 

(55)  -Y  =  -f^  —  ^^  %  Y' 
woraus  weiter  folgt: 

(56)  m  =  ^(^^-Mclo!,^y 

Wenn  wir  hierin  für  r  den  Ausdruck  setzen,  welcher  unter  (28) 
und  in  vereinfachter  Form  unter  (30)  gegeben  ist,  so  ist  m  als 
Function  der  Temperatur  bestimmt. 

Um  von  dem  Verhalten  dieser  Function  eine  ungefähre 
Anschauung  zu  geben ,  habe  ich  einige  für  einen  besonderen  Fall 
berechnete  Werthe  in  der  folgenden  Tabelle  zusammengestellt.  Es 
ist  nämlich  angenommen,  das  Gefäss  enthalte  zu  Anfang  kein 
tropfbar  flüssiges  Wasser,  sondern  sei  gerade  mit  Wasserdampf 
vom  Maximum  der  Dichte  angefüllt,  so  dass  also  in  der  vorigen 
Gleichung  mi  =  M  zu  setzen  ist,  und  es  finde  nun  eine  Aus- 
dehnung des  Gefässes  statt.  Wenn  das  Gefäss  zusammengedrückt 
werden  sollte,  so  dürfte  man  die  Annahme,  dass  zu  Anfang  kein 
flüssiges  Wasser  vorhanden  sei,  nicht  machen,  weil  dann  der 
Dampf  nicht  im  Maximum  der  Dichte  bleiben,  sondern  durch  die 
bei  der  Zusammendrückung  erzeugte  Wärme  überhitzt  vy^erden 
würde.  Bei  der  Ausdehnung  dagegen  bleibt  der  Dampf  nicht  nur 
im  Maximum  der  Dichte,  sondern  es  schlägt  sich  sogar  ein  Theil 
desselben  nieder,  und  die  dadurch  entstehende  Verminderung  von 
m  ist  es  eben,  um  welche  es  sich  in  der  Tabelle  handelt.  Die 
anfängliche  Temperatur  ist  zu  150° C.  angenommen,  und  es  sind 
für  die  Zeitpunkte,  wo  die  Temperatur  durch  die  Ausdehnung  auf 

125",  100^  etc.  gesunken  ist,   die  entsprechenden  Werthe  von  ^ 

angegeben.  Die  vom  Gefrierpunkte  ab  gezählte  Temperatur  ist, 
wie  schon  früher,  zum  Unterschiede  von  der  durch  T  dargestellten 
absoluten  Temperatur,  mit  t  bezeichnet. 


t 

1500 

1250 

1000 

750 

500 

250 

m 
M 

1 

0,956 

0,911 

0,866 

0,821 

0,776 

Beliandliiiig  der  gesättigten  Dämpfe.  IGl 


§.  13.     Beziehung  zwischen  Volumen    und  Temperatur. 

Um  die  zwischen  dem  Volumen  v  und  der  Temperatur  statt- 
findende Beziehung  auszudrücken,  hat  man  zunächst  die  Gleichung 
(5),  nämlich: 

V  =  mu  -\-  31  ö. 
Die  hierin  vorkommende  Grösse  ö,  welche  das  Volumen  einer  Ge- 
wichtseinheit Flüssigkeit  bedeutet,  ist  als  Function  der  Temperatur 
bekannt,  und  dasselbe  gilt  natürlich  auch  von  dem  Producte  3I(j. 
Es  kommt  also  nur  noch  darauf  an,  das  Product  mu  zu  bestimmen. 
Dazu  braucht  man  nur  in  der  Gleichung  (55)  für  /•  den  in  (17) 
gegebenen  Ausdruck  zu  substituiren,  wodurch  mau  erhält: 
.  mu     dp        m^  ri  .  T 

^'^^  -WdT  =  -Tr-  ^^'^'^t;^ 

und  somit: 

(.58)  ,nu  =  ^(^^-3IeJo,^)- 

(IT 

Der  hierin  vorkommende  Difierentialcoefficient  -j4p  ist  als  bekannt 

anzusehen,  wenn  p  selbst  als  Function  der  Temperatur  bekannt 
ist,  und  somit  ist  durch  diese  Gleichung  das  Product  m  u  bestimmt, 
und  aus  ihm  erhält  man  durch  Addition  von  J/ö  die  gesuchte 
Grösse  v. 

In  der  folgenden  Tabelle  ist  wieder  eine  Reihe  von  Werthen 

des  Bruches  —  zusammengestellt,  welche  sich  für  denselben  Fall, 

Vi 

auf  den  sich  die  vorige  Tabelle  bezieht,  aus  dieser  Gleichung  er- 
geben.    Ausserdem  sind  zur  Vergleichung  noch  diejenigen  Werthe 

von  —  hinzugefügt,  welche  man  erhalten  würde,  wenn  die  beiden 

bisher  in  der  Dampfmaschinentheorie  gewöhnlich  gemachten  An- 
nahmen richtig  wären,  nämlich  1.  dass  der  Dampf  bei  der  Aus- 
dehnung, ohne  sich  theilweise  niederzuschlagen,  gerade  im  Maximum 
der  Dichte  bleibe,  und  2.  dass  er  dem  Mariotte'schen  und  Gay- 
L US sac' sehen  Gesetze  folge;  nach  welchen  Annahmen 

Vj_        p      Ti 
sein  würde. 


166 


Abschnitt  "VI. 


t 

1500 

1250 

1000 

750 

500 

250 

V 

1 

1,88 

3,90 

9,23 

25,7 

88,7 

P  '  T, 

1 

1,93 

4,16 

10,21 

29,7 

107,1 

§.  14.    Bestimmung   der  Arbeit  als  Function   der 
Temperatur. 

Es  bleibt  endlich  noch  die  bei  der  Volumenänderung  gethane 
Arbeit  zu  bestimmen.    Dazu  haben  wir  allgemein  die  Gleichung: 


(59) 


W 


V 

=    I  pdv. 


Nun  ist  nach  Gleichung  (5),  wenn  wir  darin  die  überhaupt  nur 
kleine  und  dabei  sehr  wenig  veränderliche  Grösse  ö  als  constant 
betrachten : 

dv  =  d  (mu), 
also 

pdv  =  pd  (mt(,), 
wofür  man  auch  schreiben  kann : 


(60) 


dp 


p  d  V  =  d  (m  up)  —  m  u  ~^  d  T. 

et  JL 

Hierin  könnte  man  für  mu  ^  den  aus  Gleichung  (57)  her- 
vorgehenden Ausdruck  setzen,  und  dann  die  Integration  ausführen. 
Indessen  erhält  man  das  Resultat  gleich  in  einer  etwas  bequemeren 
Form  durch  folgende  Substitution.     Nach  (13)  ist: 

mul^dT='^dT, 
dT  T 

und  in  Folge  von  (53)  kann  man  setzen : 

d  (mq)  -{-  MCdT, 


"^dT 


und  somit  der  vorigen  Gleichung  folgende  Gestalt  geben: 

mu  L^dT=:d  (m  q)  -j-  MCd  T. 
Dadurch  geht  (60)  über  in: 


BehaiiiUuntr  '1er  gesättigten  Dämpfe. 


167 


(Gl)  pdi)  =  d  (mup)  —  (1  (mq)  —  MCdT 

=  —  d  [m  (Q  -  »p)]  —  MCdT, 
und  durch  Integration  dieser  Gleichung  erhält  man: 

(62)  W  =  nii  (pi  —  n^ih)  —  m  (g  -  up)  -\-  MC  (T,  —  T). 
Setzt  man  hierin  noch,  gemäss  (14),  für  q  und  C  die  Producte  Er 
und  _Ec,  und  fasst  dann  die  Glieder,  welche  E  als  Factor  enthalten, 
zusammen,  so  kommt : 

(63)  W=  mup  —  miuah  +  E  [ni.ri  —  mr-\-3Ic  (T,  —  T)], 
woraus  sich,  da  die  Grössen  mr  und  mu  schon  durch  die  vorigen 
Gleichungen  bekannt  sind.  W  berechnen  lässt. 

Auch  diese  Rechnung  habe  ich  für  den  obigen  speciellen  Fall 

W 
ausgeführt,  wobei  sich  für  -^ ,  d.  h.  für  die  von  der  Gewichtseinheit 

bei  der  Ausdehnung  gethane  Arbeit,  die  in  der  Tabelle  angefiihrten 
Werthe  ergeben  haben.  Als  Gewichtseinheit  ist  ein  Kilogi'amm 
und  als  Arbeitseinheit  ein  Kilogramm -Meter  gewählt.  Für  E  ist 
der  von  Joule  gefundene  Werth  423.55  angewandt. 

Zur  Yergleichung  mit  den  Zahlen  der  Tabelle  will  ich  noch 
anführen,  dass  man  für  diejenige  Arbeit,  welche  während  der  Ver- 
dampfung selbst  dadurch  gethan  wird,  dass  der  sich  bildende 
Dampf  den  äusseren  Gegendruck  überwindet,  in  dem  Falle,  wo 
1  Kilogr.  \Yasser  bei  der  Temperatur  150*"'  und  unter  dem  ent- 
sprechenden Drucke  verdampft,  den  Werth  18  700  erhält. 


t                  150»   '   1250     1000      750 

500 

250 

w 

M 

0 

11300 

23  200 

35  900 

49  300 

03  700 

ABSCHNITT  YII. 


Scilmelzprocess  und  Verdampfung  fester  Körper. 

§.  1.     Hauptgleichungen   für  den   Sclimelzprocess. 

Während  man  bei  der  Verdampfung  denEinfluss  des  äusseren 
Druckes  längst  kannte  und  in  allen  Untersuchungen  berücksich- 
tigte, hatte  man  bei  der  Schmelzung  diesen  Einfluss  früher  nicht 
beachtet,  weil  er  sich  hier  viel  weniger  bemerklich  macht.  Indessen 
lässt  schon  eine  oberflächliche  Betrachtung  erkennen,  dass,  wenn 
beim  Schmelzen  das  Volumen  des  Körpers  sich  ändert,  der  äussere 
Druck  einen  Einfluss  auf  den  Vorgang  haben  muss.  Nimmt  das 
Volumen  des  Körpers  beim  Schmelzen  zu,  so  wird  durch  eine  Ver- 
mehrung des  Druckes  das  Schmelzen  erschwert,  und  man  kann 
daher  schliessen,  dass  bei  grösserem  Drucke  eine  höhere  Tempe- 
ratur zum  Schmelzen  erforderlich  ist,  als  bei  geringerem  Drucke. 
Nimmt  dagegen  das  Volumen  beim  Schmelzen  ab,  so  wird  durch 
Vermehrung  des  Druckes  das  Schmelzen  erleichtert,  und  die  zum 
Schmelzen  erforderliche  Temperatur  wird  daher  um  so  niedriger 
sein,  je  grösser  der  Druck  ist. 

Um  nun  aber  den  Zusammenhang  zwischen  Druck  und  Schmelz- 
temperatur und  die  etwaigen  sonstigen  mit  der  Druckänderung 
zusammenhängenden  Aenderungen  näher  bestimmen  zu  können, 
müssen  wir  die  Gleichungen  aufstellen,  welche  aus  den  beiden 
Hauptsätzen  der  mechanischen  Wärmetheorie  für  den  Schmelz- 
process  hervorgehen. 


SchmelzprxHJess  und  "VerdanipfiiDg  fester  Körper.  169 

Dazu  verfabreu  wir  ebenso,  wie  bei  der  Verdampfung.  Wir 
denken  uns  in  einem  ausdebnsamen  Gefasse  eine  Menge  J/  eines 
Stoffes  enthalten,  welcher  sieh  zum  Theil  im  testen,  zum  Theil  im 
flüssigen  Zustande  befinde.  Der  flüssige  Theil  habe  die  Grösse  in 
und  demgemäss  der  feste  Theil  die  Grösse  M  —  m.  Beide  zu- 
sammen sollen  den  Rauminhalt  des  Gefässes  vollständig  ausfüllen, 
so  dass  dieser  Rauminhalt  zugleich  das  Volumen  v  des  Körpers  ist. 

Wenn  dieses  Volumen  v  und  die  Temperatur  T  des  Körpers 
gegeben  sind,  so  ist  damit  auch  die  Grösse  m  bestimmt.  Um 
dieses  nachzuweisen ,  wollen  wir  zunächst  die  Voraussetzung 
machen,  dass  beim  Schmelzen  das  Volumen  des  Körpers  sich  ver- 
grössere. Der  Körper  sei  in  einem  Zustande  gegeben,  in  welchem 
die  Temperatur  T  gerade  die  dem  stattfindenden  Dracke  ent- 
sprechende Schmelztemperatur  ist.  Wenn  die  in  diesem  Zustande 
vorhandene  Grösse  des  flüssigen  Theiles  auf  Kosten  des  festen 
wüchse,  so  würde  dui'ch  das  damit  verbundene  Ausdehnungs- 
bestreben der  Druck  des  Körpers  gegen  die  Getlisswände  und  dem- 
gemäss auch  der  Gegendruck  dieser  Wände  zunehmen.  Durch  diesen 
vermehrten  Druck  würde  die  Schmelztemperatur  steigen,  und  da  dann 
die  vorhandene  Temperatur  tiefer  wäre,  als  die  Schmelztemperatur, 
so  müsste  wieder  ein  Gefrieren  des  flüssigen  Theiles  beginnen. 
Wenn  umgekehrt  der  feste  Theil  auf  Kosten  des  flüssigen  wüchse,  so 
würde  der  Druck  abnehmen  und  demgemäss  die  Schmelztemperatur 
sinken,  und  da  alsdann  die  vorhandene  Temperatur  höher  wäre,  als 
die  Schmelztemperatur,  so  müsste  wieder  ein  Schmelzen  des  festen 
Theiles  beginnen.  Machen  wir  die  entgegengesetzte  Voraussetzung, 
dass  beim  Schmelzen  das  Volumen  des  Körpers  sich  verkleinere, 
so  wüi'den  wir  bei  der  Zunahme  des  festen  Theiles  eine  Druck- 
vermehrung und  dadurch  wieder  ein  theilweises  Schmelzen  und  bei 
der  Zunahme  des  flüssigen  Theiles  eine  Diiickverminderung  und 
dadui'ch  wieder  ein  theilweises  Gefrieren  erhalten.  Es  ergiebt 
sich  also  unter  beiden  Voraussetzungen  das  Resultat,  dass  nur  die 
ursprünglich  vorhandenen  Grössen  des  flüssigen  und  festen  Theiles. 
welche  denjenigen  Druck  bedingen,  zu  welchem  eine  Schmelz- 
temperatui-  gehört,  die  der  gegebenen  Temperatur  gleich  ist.  für 
die  Dauer  bestehen  können. 

Ebenso,  wie  dem  Vorigen  nach  durch  die  Temperatur  und  das 
Volumen  die  Grösse  m  mit  bestimmt  wii'd.  wird  auch  diu'ch  die 
lemperatiu-  und  die  Grösse  m  das  Volumen  mit  bestimmt,  und 
wir  können  T  und  /h  als  diejenigen  Veränderlichen  wählen,  welche 


170  Abschnitt  VII. 

zur  Bestimmung  des  Zustandes  des  Körpers  dienen  sollen.  Dabei 
ist  dann  jj  als  eine  Function  von  T  allein  anzusehen.  Es  kommen 
also  auch  hier  wieder  die  Gleichungen  zur  Anwendung,  welche  im 
vorigen  Abschnitte  unter  (1),  (2)  und  (3)  angeführt  sind,  nämlich: 

8    /dQ\ d_  /dQ\  _  dp      dv 

dT\d m)        d m  KdTj  ~  dT  '  d^i 

dQ 
T     G  m 


d  T  \d  nij        d  m  \d  TJ        T 


dm  dT ' d m ' 

Bezeichnen  wir  nun   das   specifische  Volumen  (das  Volumen 

der  Gewichtseinheit)  für  den  flüssigen  Zustand  des  Körpers,  wie 

früher,  mit  ö,  und  das  specifische  Volumen  für  den  festen  Zustand 

mit  T,  so  gilt  für  das  Gesammtvolumen  v  des  Körpers  die  Gleichung : 

V  =  mö  -|-  (M  —  m)  r, 
oder : 

(1)  V  =  m  (ö  —  r)  -|-  üfr, 

woraus  folgt: 

(2)  1^  =  «  -  - 

^  dm 

Bezeichnen  wir  ferner  die  Schmelzwärme  für   die  Gewichts- 
einheit mit  p',  so  ist  zu  setzen: 

(3)  Iß  =  e'. 

^  ^  dm. 

Um   den   anderen   Differentialcoefficienten   von    Q^    nämlich 

— ^,  auszudrücken,  müssen  wir  für  die  specifische  Wärme  des 
0  1 

Körpers  im  flüssigen  und  festen  Zustande  Zeichen  einführen.  Da- 
bei ist  aber  auch  hier  wieder  dieselbe  Bemerkung  zu  machen,  wie 
bei  der  Verdampfung,  dass  es  sich  nicht  um  die  specifische  Wärme 
bei  constantem  Drucke  handelt,  sondern  um  die  specifische  Wärme 
für  den  Fall,  wo  mit  der  Temperatur  der  Druck  sich  in  der  Weise 
ändert,  wie  es  geschehen  niuss,  wenn  die  Temperatur  immer  die 
zu  dem  Drucke  gehörige  Schmelztemperatur  sein  soll.  Bei  der 
Verdampfung,  wo  die  vorkommenden  Druckänderungen  der  Kegel 
nach  nicht  sehr  gross  sind,  konnten  wir  bei  der  sj)ecifischen  Wärme 
des  flüssigen  Körpers  den  Einfluss  der  Druckänderung  vernach- 
lässigen, und  die  in  der  Formel  vorkommende  specifische  Wärme  des 


SclnnHlz|)roc()HS  und   Verdampfnnj^  fester  Körpei'.  171 

flüssigen  Körpers  mit  der  specifischen  Wärme  bei  constantem  Drucke 
als  gleichbedeutend  betrachten.  In  unserem  gegenwärtigen  Falle 
aber  kommen  bei  geringen  Temperaturänderungen  so  grosso  Druck- 
änderungen vor,  dass  ihr  Einfluss  auf  die  specifische  Wärme  nicht 
vernachlässigt  werden  darf.  Wir  wollen  dalier  die  specifische 
Wärme  des  flüssigen  Körpers,  welche  wir  in  den  auf  die  Verdampfung 
bezüglichen  Formeln  mit  G  bezeichneten,  unter  den  jetzigen  Um- 
ständen mit  6"  bezeichnen.  Die  specifische  Wärme  des  festen 
Körpers  unter  den  jetzigen  Umständen  möge  mit  K'  bezeichnet 
werden.     Unter  Anwendung  dieser  Zeichen  können  wir  setzen: 

oder  auch: 

(4)  H  =  m  {C  -  K')  +  MK'. 

Aus  den  Gleichungen  (3)  und  (4)  folgt: 
~[d     /dQ\        dg' ' 


(5)  .  ,  _ 

^  ^  dT\dmJ        cir 

und  durch  Einsetzung  dieser  Werthe  und  des  in  (3)  gegebenen 
Werthes  von  —^  sowie  des  in  (2)  geffebenen  Werthes  von  - —  in 
die  obigen  Diff"erentialgleichungen  erhalten  wir: 

(8)  ^  -I-  K'  ~  C'  =  l 

(9)  9'=T(ö-r)||. 

In  diesen  Gleichungen  ist  vorausgesetzt,  dass  die  Wärme  nach 
mechanischem  Maasse  gemessen  sei.  Für  den  Fall,  wo  die  Wärme 
nach  gewöhnlichem  Maasse  gemessen  wird,  mögen  statt  der  Zei- 
chen C\  K'  und  q'  die  Zeichen  c',  //  und  /  angewandt  werden, 
deren  Bedeutung  durch  folgende  Gleichungen  bestimmt  ist: 

(10)  »■  =  §';    i'  =  §;    /  =  |. 
Dann  gehen  die  obigen  Gleichungen  über  in: 


172  Abschnitt  VII. 


(12)  ^^.      .    ..  .        r 


T 


(13)  /=.^>_-^),^. 

Dieses  sind  die  gesuchten  Gleichungen,  von  denen  die  erste 
dem  ersten  Hauptsatze  und  die  zweite  dem  zweiten  Hauptsatze 
entspricht,  während  die  dritte  aus  der  Vereinigung  beider  Haupt- 
sätze hervorgegangen  ist. 


§.  2.    Beziehung  zwischen  Druck  und  Schmelztemperatur. 

Die  vorstehenden  Gleichungen,  von  denen  nur  zwei  unabhängig 
sind,  lassen  sich  zur  Bestimmung  zweier  bisher  unbekannter 
Grössen  anwenden. 

Wir  wollen  zuerst  von  der  letzten  Gleichung  Gebrauch  machen, 
um  die  Abhängigkeit  der  Schmelztemperatur  vom  Drucke  zu  be- 
stimmen.    Dazu  geben  wir  ihr  folgende  Gestalt: 
ru^  dT  _T{6-x) 

^    ^  dp  ^        Er'       ' 

Durch  diese  Gleichung  bestätigt  sich  zunächst  die  schon  oben 
gemachte  Bemerkung,  dass,  wenn  der  Körper  sich  beim  Schmelzen 
ausdehnt,  der  Schmelzpunkt  mit  wachsendem  Drucke  steigt,  und 
wenn  der  Körper  sich  beim  Schmelzen  zusammenzieht,  der  Schmelz- 
punkt mit  wachsendem  Drucke  sinkt,  denn  je  nachdem  ö  grösser 
oder  kleiner  ist,  als  r,  ist  die  Differenz  ö  —  %  und  demgemäss  auch 

dT 

der  Differentialcoefficient  -^  positiv  oder  negativ.    Mit  Hülfe  dieser 

dT 
Gleichung  lässt  sich   aber  auch  der  numerische  Werth  von  -^ — 

berechnen. 

Wir  wollen  diese  Rechnung  für  Wasser  ausführen.  Das 
Volumen  eines  Kilogramm  Wasser,  in  Cubikmetern  ausgedrückt, 
ist  bei  40  C.  gleich  0,001.  Beim  Gefrierpunkte  ist  es  ein  Wenig 
grösser,  aber  der  Unterschied  ist  so  gering,  dass  wir  ihn  für  unsere 
Rechnung  vernachlässigen  und  daher  die  Zahl  0,001  als  Werth  von 
ö  anwenden  können.  Die  Grösse  t,  das  Volumen  eines  Kilogramm 
Eis,  in  Cubikmetern  ausgedrückt,  ist  0,001087.    Die  Schmelzwärme 


Schmelzprocess  und  Verilanipfiuig  fester  Körper.  173 

r'  des  Wassers  ist  nach  Person  79.  Ferner  ist  T  beim  Gefrier- 
punkte 273  und  für  E  wenden  wir  den  Werth  424  an.  Dadurch 
erhalten  wir: 

dT  _        273  X  0,000087 

Ip  ~  424  X  79 

Will  man  den  Druck  nicht  in  mechanischen  Einheiten  (Kilogramme 

auf  ein  Quadratmeter),  sondern  in  Atmosphären  angeben,  so  liat 

dT 
man  den  vorher  bestimmten  Werth  von  ^—  noch   mit  10  333   zu 

dp 

multipliciren,  also : 

dT  _  _  273  X  0,000087  X  10  333 

Tp  '~'  424  X  79 

Daraus  ergiebt  sich: 

d  T 

^  =  —  0,00733 , 
dp 

d.  h.    durch    die  Druckzunahme    um    eine   Atmosphäre   wird    der 

Schmelzpunkt  um  0,00733  Grad  C.  erniedrigt. 


§.  3.     Experimentelle   Bestätigung    des   vorstehenden 

Resultates. 

Der  Schluss,  dass  der  Schmelzpunkt  des  Eises  durch  ver- 
mehrten Druck  erniedrigt  werde,  und  die  erste  Berechnung  dieser 
Erniedrigung  stammt  von  James  Thomson  her,  welcher  aus  der 
Carnot'schen  Theorie  eine  Gleichung  ableitete,  die  von  der  Glei- 
chung (14)  nur  dadurch  verschieden  war,  dass  sie  rechts  an  der 

T     . 

Stelle  von  -^  eine  noch  unbestimmte  Temperaturfunction  ent- 
hielt, deren  auf  den  Frostpunkt  bezüglicher  Werth  aus  Reg- 
nault's  Angaben  über  die  Verdampfungswärme  und  die  Spannung 
des  Wasserdampfes  bestimmt  war.  Der  Bruder  des  vorher  ge- 
nannten Forsche^^der  berühmte  Physiker  William  Thomson, 
unterwarf  dann  das  theoretisch  gewonnene  Resultat  einer  sehr 
genauen  experimentellen  Prüfung  i). 

Um  die  Temperaturunterschiede  feinmessen  zu  können,  Hess-  er 
sich  ein  mit  Schwefeläther  gefülltes  Thermometer  anfertigen,  dessen 
Gefäss  31/2  Zoll  Länge  und  ^/^  Zoll  Durchmesser  hatte,  und  dessen 


1)  Phil.  Mag.  Ser.  III,  Vol.  37,  p.  123  und  Pogg.  Ann.  Bd.  81,  S.  163. 


174  Absclmitt  VII. 

Röhre  6Y2  Zoll  lang  war.  51/2  Zoll  davon  waren  in  220  gleiche 
Theile  getheilt  und  212  dieser  Theile  umfassten  ein  Temperatur- 
intervall von  30  Fahr.,   so  dass  jeder  Theil  nahe  gleich  —  Grad 

Fahr.  war.  Dieses  Thermometer  wurde  hermetisch  in  eine  etwas 
weitere  Glasröhre  eingeschlossen,  um  es  vor  der  Wirkung  des 
äusseren  Druckes  zu  schützen,  und  wurde  mit  dieser  Umhüllung 
in  eine  Oersted'sche  Presse  gesetzt,  welche  mit  Wasser  und 
klaren  Eisstücken  gefüllt  war,  und  zur  Druckmessung  ein  gewöhn- 
liches Luftmanometer  enthielt. 

Nachdem  das  Thermometer  einen  festen  Stand  angenommen 
hatte,  welcher  dem  Schmelzpunkte  des  Eises  unter  atmosphärischem 
Drucke  entsprach,  wurde  durch  Niederschrauben  des  Stempels  der 
Presse  der  Druck  vermehrt,  und  sofort  sah  man  das  Thermometer 
sinken,  indem  die  aus  Wasser  und  Eis  bestehende  Masse  die  zu 
dem  grösseren  Drucke  gehörende  tiefere  Schmelztemperatur  an- 
nahm. Beim  Nachlassen  des  Druckes  ging  das  Thermometer  wie- 
der auf  den  ursprünglichen  Stand  zurück.  Die  nachstehende  Tabelle 
enthält  die  für  zwei  Druckkräfte  beobachteten  Temperaturerniedri- 
gungen und  daneben  sind  diejenigen  Temperaturerniedrigungen 
angeführt,  welche  sich  für  dieselben  Druckkräfte  berechnen  lassen, 
wenn   man   den   im  vorigen  Paragraphen   gefundenen  Werth  von 

clT 

-^— ,  der  sich  zunächst  auf  Druckkräfte  in  der  Nähe  von  1  Atm. 

dp 

bezieht,  auch  auf  grössere  Druckkräfte  anwendet. 


Druck- 

Temperaturerniedrigung 

vermehrung 

beobachtet 

berechnet 

8,1  Atm. 
16,8      „ 

0,0590  C. 

0,129     „ 

0,0590  c. 

0,123     „ 

Man  sieht,  dass  zwischen  den  beobachteten  und  den  berechneten 
Zahlen  eine  fast  vollkommene  Uebereinstimmung  stattfindet,  und 
somit  auch  dieses  Resultat  der  Theorie  in  ausgezeichneter  Weise 
bestätigt  ist. 

Später  hat  Mousson^)  einen  sehr  interessanten  Versuch  an- 
gestellt, indem  er  Eis,  welches  fortwährend  auf  einer  Temperatur 

ij  Pogg.  Ann.  Bd.  105,  S.  161. 


Schmelzprocess  niul   Vi'vdampfiing  fester  Körper.  175 

von  —  18^  bis  —  20^  erhalten  wurde,  durch  Anwendung  eines 
ungeheuren  Druckes  zum  Schmelzen  brachte.  Den  angewandten 
Druck  giebt  er  nach  einer  ungefähren  Schätzung  zu  etwa  13  000  Atm. 
an,  wobei  aber  zu  bemerken  ist,  dass  möglicher  Weise  die  Schmel- 
zung schon  bei  einem  viel  geringeren  Drucke  eingetreten  ist,  in- 
dem sich  bei  der  von  ihm  getroffenen  Einrichtung  nur  erkennen 
Hess,  dass  überhaupt  eine  Schmelzung  des  Eises  während  des 
Versuches  stattgefunden  hatte,  aber  nicht,  zu  welcher  Zeit  sie 
eingetreten  war. 


§.  4.     Experimentelle  Untersuchung  mit  Substanzen,   die 
sich  beim  Schmelzen  ausdehnen. 

Mit  solchen  Substanzen,  die  sich  beim  Schmelzen  ausdehnen, 
und  bei  denen  daher  die  Schmelztemperatur  mit  wachsendem 
Drucke  steigen  muss,  hat  zuerst  Bunsen  eine  experimentelle 
Untersuchung  angestellt  i) ,  und  zwar  mit  Wallrath  und  Paraffin. 
Durch  eine  sinnreiche  Einrichtung  erhielt  er  in  höchst  einfacher 
Weise  eine  sehr  grosse  und  sofort  messbare  Druckvermehrung  und 
konnte  dieselbe  Substanz  unter  gewöhnlichem  atmosphärischem 
Drucke  und  unter  dem  vermehrten  Drucke  neben  einander  beob- 
achten. 

Er  zog  ein  sehr  dickwandiges  Glasrohr  von  einem  Fuss  Länge 
und  einer  Weite  von  Strohhalmdicke  am  einen  Ende  zu  einer 
feinen  15  bis  20  Zoll  langen  und  am  anderen  Ende  zu  einer  etwas 
weiteren  nur  17-2  Zoll  langen  Haarröhre  aus.  Die  letztere,  welche 
sich  bei  der  Anwendung  des  Apparates  unten  befinden  sollte,  wurde 
so  umgebogen,  dass  sie,  dem  unteren  Theile  der  Glasröhre  parallel, 
aufwärts  stand.  Diese  kurze  umgebogene  Haarröhre  wurde  nun 
mit  der  zu  untersuchenden  Substanz  und  das  weitere  Glasrohr  mit 
Quecksilber  gefüllt,  während  die  lange  Haarröhre  mit  Luft  gefüllt 
blieb.  Beide  Haarröhren  wurden  an  ihren  Enden  zugeschmolzen. 
Wenn  nun  der  Apparat  erwärmt  wurde,  so  stieg  das  Quecksilber, 
indem  es  sich  ausdehnte,  in  der  längeren  Haarröhre  empor  und 
drückte  die  hier  befindliche  Luft  zusammen.  Durch  den  Gegen- 
druck der  Luft  wurde  zunächst  das  Quecksilber  und  dann  weiter 
die  in  der  kurzen  Haarröhre  befindliche  Substanz  gedrückt,  und 


1)  Pogg.  Adu.  Bd.  81,  S.  562. 


176 


Abschnitt  VIT. 


die  Stärke  dieses  Druckes,  welche  sich  auf  über  hundert  Atmo- 
sphären steigern  Hess,  konnte  an  der  Grösse  des  noch  vorhandenen 
Luftvolumens  gemessen  werden. 

Ein  solcher  Apparat  wurde  an  einem  Brette  dicht  neben  einem 
anderen  Apparate  befestigt,  welcher  dieselbe  Einrichtung  hatte,  nur 
dass  die  obere,  mit  Luft  gefüllte  Capillarröhre  nicht  zugeschmolzen 
war,  so  dass  die  Zusammendrückung  der  Luft  und  die  damit  ver- 
bundene Druckvermehrung  in  ihm  nicht  stattfand.  Beide  Apparate 
zusammen  wurden  nun  in  Wasser  getaucht,  dessen  Temperatur  etwas 
über  dem  Schmelzpunkte  der  zu  untersuchenden  Substanz  lag- 
Dabei  konnte  man,  wenn  das  untere,  mit  der  Substanz  gefüllte 
Röhrchen  sich  schon  ganz  unter  Wasser  befand,  durch  noch 
weiteres  Einsenken  einen  immer  grösseren  Theil  des  Quecksilbers 
mit  erwärmen  und  so  den  Druck  in  dem  oben  geschlossenen  Apparate 
immer  mehr  steigern.  Unter  diesen  Umständen  Hess  Bunsen  die 
in  beiden  Apparaten  befindliche  Substanz  vielfach  schmelzen,  und 
bei  der  Abkühlung  des  Wassers  wieder  erstarren,  und  beobachtete 
die  Temperatur,  bei  der  das  Letztere  stattfand.  Dabei  zeigte  sich, 
dass  in  dem  Apparate,  in  welchem  der  Druck  vermehrt  war,  das 
Erstarren  immer  bei  höherer  Temperatur  eintrat,  als  in  dem 
anderen  Apparate,  und  zwar  ergaben  sich  folgende  Zahlen. 


Beim  Wallrath: 


Beim  Paraffin: 


■  Druck 

Erstarrungs- 
punkt 

1  Atm. 

47,70  c. 

29      „ 

48,3     „ 

96      „ 

49,7     „      . 

141      „ 

50,5     „ 

156      „ 

50,9     „ 

Druck 


1  Atm. 
85      „ 
100      „ 


Erstarrungs- 
punkt 


46,30  C. 
48,9  „ 
49,9     „ 


Später  hat  Hopkins  1)  Versuche  mit  Wallrath,  Wachs,  Schwefel 
und  Stearin  angestellt,  bei  denen  der  Druck  durch  einen  mit  Ge- 
wichten beschwerten  Hebel  hervorgebracht  und  bis  über  800  Atm. 
getrieben  wurde.  Auch  diese  Versuche  ergaben  bei  allen  jenen 
Substanzen  Erhöhung  der  Schmelztemperatur  mit  wachsendem 
Drucke.  Die  einzelnen  bei  verschiedenen  Druckkräften  von  Hop- 
kins   beobachteten    Temperaturen   zeigen    aber   noch    erhebliche 


^)  Report  of  tlie  Brit.  Assoc.  1854,  2,  p.  57. 


Sclimelzprocf'ss  und   Verdampfnno-  fester  Körper.  177 

Unregelmässigkeiten.  Beim  Wachs,  bei  welchem  die  Temperatur  mit 
wachsendem  Drucke  am  regelmässigsten  stieg,  hatte  eine  Druck- 
zunahme von  808  Atm.  eine  Erhöhung  des  Schmelzpunktes  um 
151/2"  C.  zur  Folge. 

Aus  der  theoretischen  Formel  die  Erhöhung  des  Schmelz- 
punktes numerisch  zu  berechnen,  ist  bei  den  von  Bunsen  und 
Hopkins  untersuchten  Stoffen  für  jetzt  nicht  gut  ausführbar,  weil 
die  zu  dieser  Rechnung  nöthigen  Data  noch  nicht  genau  genug 
bekannt  sind. 


§.  5.     Abhängigkeit  der  Werkwärme  des  Schmelzens  von 
der  Schmelztemperatur. 

Nachdem  wir  die  Gleichung  (13)  dazu  angewandt  haben,  die 
Abhängigkeit  der  Schmelztemperatur  vom  Drucke  zu  bestimmen, 
wollen  wir  nun  die  Gleichung  (12)  in  Anwendung  bringen,  welche 
sich  in  folgender  Gestalt  schreiben  lässt: 

(15)  M'^'-'^'  +  i- 

Diese  Gleichung  zeigt,  dass,  wenn  durch  Druckänderung  die 
Temperatur  des  Schmelzens  geändert  wird,  dabei  auch  die  zum 
Schmelzen  erforderliche  Wärmemenge  r'  sich  ändert,  und  kann 
dazu  dienen,  die  Grösse  dieser  Aenderung  zu  bestimmen.  Die  in 
ihr  vorkommenden  Zeichen  c'  und  k'  bedeuten  die  specifische  Wärme 
des  Stoffes  im  flüssigen  und  festen  Zustande,  aber,  wie  schon 
gesagt,  nicht  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke,  sondern 
die  specifische  Wärme  für  den  Fall,  wo  der  Druck  sich  mit  der 
Temperatur  in  der  Weise  ändert,  wie  es  die  Gleichung  (13)  angiebt. 
Wie  man  diese  Art  von  specifischer  Wärme  bestimmen  kann, 
soll  im  nächsten  Abschnitte  besprochen  werden,  und  es  mögen  hier 
nur  beispielsweise  die  für  Wasser  geltenden  Zahlenwertlie  angeführt 
werden.  Die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke,  nämlich 
diejenige  specifische  Wärme,  welche  einfach  unter  dem  atmosphä- 
rischen Drucke  gemessen  ist,  hat  in  der  Nähe  von  0''  für  flüssiges 
Wasser  den  Werth  1  und  für  Eis  nach  Person  i)  denWerth  0,48. 
Die  specifische  Wärme  für  den  hier  in  Betracht  kommenden  Fall 
dagegen  hat  für  flüssiges  Wasser  und  Eis  die  Werthe 
c'  =  0,945  und  Ä;'  =  0,631. 

1)  Comptes  renäus  T.  XXX,  p.  536. 

Claus  ins,  median.  Wärmetheorie.    I.  22 


178  Abschnitt  VII. 

Nimmt  man  ferner  für  r'  nach  Person  den  Werth  79  an,   so 
erhält  man: 

^  =  0,945-0,631+  — 

=  0,314  4-  0,289 
=  0,603. 
Bekanntlich  kann  der  Gefrierpunkt  des  Wassers  auch  dadurch 
erniedrigt  werden ,  dass  man  es  vor  jeder  Erschütterung  bewahrt. 
Diese  Temperaturerniedrigung  bezieht  sich  aber  nur  auf  den  An- 
fang des  Gefrierens,  denn  sobald  das  Gefrieren  begonnen  hat,  ge- 
friert gleich  ein  so  grosser  Theil  des  vorhandenen  Wassers,  dass 
die  ganze  Wassermasse  dadurch  wieder  auf  0«  erwärmt  wird,  und 
bei  dieser  Temperatur  gefriert  dann  der  übrige  Theil.  Es  wird 
daher  nicht  nöthig  sein ,  auch  die  mit  dieser  Art  von  Temperatur- 
erniedrigung verbundene  Aenderung  der  Grösse  r\  welche  einfach 
durch  die  Differenz  der  specifischen  Wärmen  des  flüssigen  Wassers 
und  des  Eises  bei  constantem  Drucke  bedingt  wird,  hier  näher  zu 
besprechen. 


§.  6.     Uebergang   aus  dem   festen  in  den  luftförmigen 

Zustand. 

Wir  haben  bisher  die  Uebergänge  aus  dem  flüssigen  in  den 
luftförmigen  und  aus  dem  festen  in  den  flüssigen  Zustand  be- 
trachtet; es  kann  aber  auch  geschehen,  dass  ein  Stoff  direct  aus 
dem  festen  in  den  luftförmigen  Zustand  übergeht.  Für  diesen 
Fall  gelten  drei  Gleichungen  von  derselben  Form,  wie  die,  welche 
im  vorigen  Abschnitte  unter  (15)  bis  (17)  und  in  diesem  Abschnitte 
unter  (11)  bis  (13)  gegeben  sind,  nur  dass  die  auf  die  verschiedenen 
Aggregatzustände  bezüglichen  specifischen  Wärmen  und  specifischen 
Volumina  und  die  Werkwärme  des  üeberganges  aus  dem  einen 
Zustande  in  den  anderen  in  der  dem  gegenwärtigen  Falle  ent- 
sprechenden Weise  gewählt  werden  müssen. 

Der  Umstand,  dass  die  Werkwärme  des  üeberganges  aus  dem 
festen  in  den  luftförmigen  Zustand  grösser  ist,  als  diejenige  des 
üeberganges  aus  dem  flüssigen  in  den  luftförmigen  Zustand,  führt 
sofort  zu  einem  Schlüsse,  den  schon  Kirchhoff  gezogen  hati). 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  103,  S.  206. 


Schmolzprocess  und  Verdampfung  fester  Körper.  179 

Betrachtet  man  nämlich  einen  Stoff'  gerade  bei  seinem  Schmelz- 
punkte, so  kann  sich  bei  dieser  Temperatur  Dampf  vom  flüssigen 
und  vom  festen  Körper  entwickeln.  Bei  Temperaturen  über  dem 
Schmelzpunkte  hat  man  es  nur  mit  solchem  Dampfe  zu  thun ,  der 
sich  vom  flüssigen  Körper  entwickelt,  und  bei  Temperaturen  unter 
dem  Schmelzpunkte  hat  man  es  (abgesehen  von  dem  am  Schlüsse 
des  vorigen  Paragraphen  besprochenen  speciellen  Falle,  wo  eine 
sehr  ruhig  gehaltene  Flüssigkeit  trotz  der  schon  erreichten  tieferen 
Temperatur  noch  flüssig  geblieben  ist)  nur  mit  solchem  Dampfe 
zu  thun,  der  sich  vom  festen  Körper  entwickelt. 

Wenn  man  nun  für  diese  beiden  Fälle,  also  für  Temperaturen 
über  und  unter  dem  Schmelzpunkte,  den  Dampfdruck  j'  als  Func- 
tion der  Temperatur  darstellt,  und  die  Curve  construirt,  welche 
die  Temperatur  als  Abscisse  und  den  Druck  als  Ordinate  hat,  so 
fragt  es  sich,  wie  die  den  beiden  Fällen  entsprechenden  Curven- 
stücke  sich  bei  der  gemeinsamen  Grenztemperatur,  nämlich  der 
Schmelztemperatur,  zu  einander  verhalten.  Was  zunächst  den 
Werth  von  p  selbst  anbetrifft,  so  können  wir  es  als  erfahrungs- 
mässig  feststehend  betrachten,  dass  er  für  beide  Fälle  gleich  ist, 
dass  also  die  beiden  Curvenstücke  bei  der  Schmelztemperatur  in 
Einem  Punkte  zusammentreffen.     In  Bezug   auf  den  Differential- 

coefficienten  -^  aber  lehrt  die  letzte   der  oben   erwähnten  drei 
dT 

Gleichungen,  dass  er  für  die  beiden  Fälle  verschiedene  Werthe  hat, 
so  dass  an  der  Stelle,  wo  die  beiden  Curvenstücke  zusammentreffen, 
ihre  Tangenten  verschiedene  Richtungen  haben. 

Die  Gleichung  (17)  des  vorigen  Abschnittes,  welche  sich  auf 
den  Uebergang  aus  dem  flüssigen  in  den  luftförmigen  Zustand  be- 
zieht, lässt  sich  so  schreiben: 

^^^^  df=T(s-ay 

Soll  nun  die  entsprechende  Gleichung  für  den  Uebergang  aus 
dem  festen  in  den  luftförmigen  Zustand  gebildet  werden,  so  möge 
dabei  an  der  linken  Seite  der  Druck  des  sich  vom  festen  Körper 
entwickelnden  Dampfes  zum  Unterschiede  durch  P  bezeichnet  wer- 
den. An  der  rechten  Seite  ist  zunächst  an  die  Stelle  von  ö,  dem 
specifischen  Volumen  des  flüssigen  Stoffes,  das  specifische  Volumen 
des  festen  Stoffes  zu  setzen,  welches  wir  mit  r  bezeichnet  haben, 
wodurch  aber,  da  diese  beiden  specifischen  Volumina  sehr  wenig 
von  einander  abweichen   und  ausserdem  beide  gegen  s,  das  spe- 

12* 


180  Absclmitt  VII. 

cifisclie  Volumen  des  luftförmigen  Stoffes,  sehr  klein  sind,  nur 
ein  sehr  geringer  Unterschied  im  Werthe  der  Formel  entsteht. 
Von  grösserer  Bedeutung  dagegen  ist  es,  dass  an  die  Stelle  von  r, 
der  Werkwärme  des  Ueberganges  aus  dem  flüssigen  in  den  luft- 
förmigen Zustand,  die  Werkwärme  des  Ueberganges  aus  dem  festen 
in  den  luftförmigen  Zustand  treten  muss.  Diese  ist  gleich  der 
Summe  aus  r  und  der  durch  r'  bezeichneten  Werkwärme  des 
Schmelzens.  Die  Gleichung  lautet  daher  für  den  in  Rede  stehen- 
den Fall: 

dP  _E{r-^r') 
^  ^  clT  ~  T(s  —  r)  ' 

Verbindet  man  diese  Gleichung  mit  (16)  und  vernachlässigt  dabei 
den  kleinen  Unterschied  zwischen  ö  und  t,  so  ergiebt  sich: 

dP        dp  _       Er' 
^^  dT~  dT~~  T{s  —  6) 

Wendet  man  diese  Gleichung  speciell  auf  Wasser  an,   so  ist 
zu  setzen: 

T  =  273;    r'  =  79;     s  =  205;     ö  =  0,001, 
und  es  kommt  daher,  indem  man  noch  für  E  den  bekannten  Werth 
424  setzt: 

dP        dp  _   424X79   _ 

dT  c^T  ~  273  X  205  ~  ' 
Will  man  den  Druck  nicht  in  Kilogrammen  auf  ein  Quadrat- 
meter, sondern  in  Millimetern  Quecksilber  ausdrücken,  so  hat  man, 
gemäss  der  in  §.  10  des  vorigen  Abschnittes  gemachten  Bemer- 
kung, die  obige  Zahl  durch  13,596  zu  dividiren,  und  man  erhält 
daher,  wenn  man  in  diesem  Falle  für  p  und  P  die  griechischen 
Buchstaben  tt  und  27  anwendet: 

^-^-0044 
dT       dT~^'^^^' 

Zur  Vergleichung  möge  noch  hinzugefügt  werden,   dass  der  Dif- 

djt 

ferentialcoefficient  y^  nach  den  Dampfspannungen,  welche  Reg- 

nault  bei  den  Temperaturen  zunächst  über  0»  beobachtet  hat, 
bei  00  den  Werth  0,33  hat. 


ABSCHNITT  VIII. 


Behandlung"  homogener  Körper. 

§.  1.     Zustandsänderungen  ohne  Veränderung  des 
Aggregatzustandes, 

Wir  kehren  nun  zu  den  im  Abschnitt  V.  aufgestellten  all- 
gemeinen Gleichungen  zurück,  und  wollen  sie  auf  solche  Fälle 
anwenden,  wo  ein  Körper  Aenderungen  erleidet,  die  nicht  mit 
Aenderungen  des  Aggregatzustandes  verbunden  sind,  und  wo  sich 
stets  alle  Theile  des  Körpers  in  gleichem  Zustande  befinden. 

Diese  Zustandsänderungen  wollen  wir  uns  dadurch  veranlasst 
denken,  dass  die  Temperatur  und  die  auf  den  Körper  wirkenden 
äusseren  Kräfte  sich  ändern.  Infolge  dessen  ändert  sich  dann 
auch  die  Anordnung  der  Theilchen  des  Körpers,  was  sich  äusser- 
lich  durch  Volumen-  und  Gestaltänderung  kund  geben  kann. 

Der  einfachste  Fall  in  Bezug  auf  die  äusseren  Kräfte  ist  der, 
wo  nur  ein  gleichmässiger ,  normaler  Obertiächendruck  auf  den 
Körper  wirkt,  und  daher  bei  der  Bestimmung  der  äusseren  Arbeit 
auf  die  Gestaltänderung  des  Körpers  keine  Rücksicht  genommen 
zu  werden  braucht,  sondern  nur  die  Volumenänderung  in  Betracht 
zu  ziehen  ist.  In  diesem  Falle  kann  man  den  Zustand  des  Körpers 
als  bestimmt  ansehen,  wenn  von  den  drei  Grössen  Temperatur^ 
Drucli  und  Volumen^  welche  wir,  wie  früher,  durch  T^  p  und  v 
bezeichnen  wollen,  irgend  zwei  gegeben  sind.  Je  nachdem  man  v 
und  T  oder  p  und  T  oder  endlich  v  und  p  als  die  beiden  Grössen 
auswählt,  welche  zur  Bestimmung  des  Zustandes  des  Körpers  dienen 
sollen,  erhält  man  eines  der  drei  Systeme  von  Gleichungen,  welche 
in  Abschnitt  V.  unter  (25),  (26)  und  (27)  aufgestellt  wurden,  und 
von  diesen  Gleichungen  wollen  wir  nun  Gebrauch  machen,  um  die 


182  Abschnitt  Vni. 

verschiedenen  specifischen  Wärmen  und  andere  auf  Temperatur-, 
Druck-  und  Volumenänderungen  bezügliche  Grössen  zu  bestimmen. 


§,  2.     Genauere  Bezeichnung  der  Differentialcoeffi- 

cienten. 

Wenn  man  die  oben  genannten  Gleichungen  des  Abschnittes  V. 
auf  eine  Gewichtseinheit  eines  Stoffes  bezieht,   so  bedeutet  der 

Differentialcoefficient  ~,  in  den  Gleichungen  (25)  die  specifische 

Wärme  bei  constantem  Volumen  und  in  den  Gleichungen  (26)  die 
specifische   Wärme    bei    constantem    Drucke.      Ebenso    hat    der 

Differentialcoefficient  -^  in  den  Gleichungen  (25)  und  (27)   und 

der  Differentialcoefficient  -^  in  den  Gleichungen  (26)  und  (27) 

verschiedene  Bedeutungen.  Aehnliche  Unbestimmtheiten  in  der 
Bedeutung  der  Differentialcoefficienten  kommen  in  allen  solchen 
Fällen  vor,  wo  die  Natur  des  Gegenstandes  es  mit  sich  bringt, 
dass  die  als  unabhängige  Veränderliche  dienenden  Grössen  zuwfeilen 
gewechselt  werden.  Hat  man  irgend  zwei  Grössen  als  unabhängige 
Veränderliche  ausgewählt,  so  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  bei 
der  Differentiation  nach  der  einen  die  andere  als  constant  anzu- 
sehen ist.  Wenn  man  nun  aber,  während  man  die  erste  unab- 
hängige Veränderliche  beibehält,  als  zweite  unabhängige  Veränder- 
liche nach  einander  verschiedene  Grössen  wählt,  so  erhält  man 
natürlich  ebenso  viele  verschiedene  Bedeutungen  für  den  nach  der 
ersten  Veränderlichen  genommenen  Differentialcoefficienten. 

Wegen  dieser  Unbestimmtheit  habe  ich  für  derartige  Fälle  in 
meiner  Abhandlung  „über  verschiedene  für  die  Anwendung  be- 
queme Formen  der  Hauptgleichungen  der  mechanischen  Wärme- 
theorie" 1)  eine ,  so  viel  ich  weiss ,  vorher  nicht  üblich  gewesene 
Bezeichnung  angewandt,  indem  ich  die  Grösse,  welche  bei  der 
Differentiation  als  constant  angesehen  wurde,  als  Index  zum  Diffe- 
rentialcoefficienten hinzugefügt  habe.  Dieses  that  ich  damals  in 
der   Form,    dass   ich   den   Diöerentialcoefficienten   in   Klammern 


1)  Viertel]  ahrsschrift   der  Züricher   naturforsch enden  Gesellschaft  18G5 
und  Pogg.  Ann.  Bd.  125,  S.  353. 


Behandlung  homogener  Körper.  183 

schloss,  und  neben  diese  den  Index  schrieb,  den  ich,  weil  an  dieser 
Stelle  auch  andere  Indices  vorkommen  können,  zur  Unterscheidung 
noch  mit  einem  über  ihn  gesetzten  waagerechten  Striche  versah. 
Die  beiden  oben  erwähnten  Differcntialcoefficienten ,  welche  die 
specifische  Wärme  bei  constantem  Volumen  und  bei  constantem 
Drucke  bedeuten,  sahen  demnach  so  aus: 


m\  und  (i^)  ■ 


Diese  Schreibweise  wurde  bald  von  verschiedenen  Autoren 
adoptirt,  nur  dass  man  gewöhnlich  der  Bequemlichkeit  wegen  den 
waagerechten  Strich  f brtliess.  Später  i)  habe  ich ,  unter  Bei- 
behaltung dessen,  was  an  meiner  Schreibweise  wesentlich  ist,  die 
Form  derselben  noch  vereinfacht,  indem  ich  den  Index  neben  das 
d  im  Zähler  des  Differcntialcoefficienten  setzte.  Dadurch  wurden  die 
Klammern  unnöthig  und  auch  der  waagerechte  Strich  konnte  fort- 
bleiben, weil  an  dieser  Stelle  kein  anderer  Index  angebracht  zu 
werden  pflegt,  und  ein  Unterscheidungsmerkmal  daher  nicht  er- 
forderlich ist.  Hiernach  gestalteten  sich  die  beiden  obigen  Diffe- 
rcntialcoefficienten so : 

"'V  Q  „„,1  "'pQ 

dT  dT' 

In  dieser  Form  wollen  wir  jene  Schreibweise  im  Folgenden  an- 
wenden, indem  wir  nur  noch,  wie  es  in  dieser  Auflage  bei  allen 
partiellen  Differcntialcoefficienten  geschehen  ist,  die  aufrechten  d 
durch  runde  d  ersetzen,  so  dass  jene  beiden  auf  Q  bezüglichen 
Differentialcoefficienten  die  Form 

h3.  „nrl   h3. 

dT  dT 

erhalten,  und  entsprechend  die  Differentialcoefficienten  anderer 
Grössen, 

§.  3.    Beziehungen  zwischen  den  Differentialcoefficienten 
von  Druck,  Volumen  und  Temperatur. 

Wenn  der  Zustand  eines  Körpers  durch  je  zwei  der  Grössen 
Temperatur ,  Volumen  und  Druck  bestimmt  ist,   so  kann  man  jede 

1)  Ueber  den  Satz  vom  mittleren  Ergal  und  seine  Anwendung  auf  die 
Molecularbeweguugen  der  Gase.  Sitzungsberichte  der  Niederrhein.  Ges. 
für  Natur  und  Heilkunde  1874,  S.  183  und  Pogg.  Ann.  Ergänzungsband  ^T;I. 
S.  215. 


184  •  Absclinitt  VIII. 

dieser  drei  Grössen  als  eine  Fujiction  der  beiden  anderen  ansehen, 
und  daher  folgende  sechs  Differentialcoefficienten  bilden: 

dvP     '^tP  ,    dpV      divdpT     dyT 

Jt'  'dv'  TT'  ^'-^v'  'dp" 

Bei  diesen  Differentialcoefficienten  könnte  man  die  Indices,  welche 
angeben,  welche  Grösse  bei  jeder  Differentiation  als  constant  vor- 
ausgesetzt ist,  fortlassen,  wenn  man  ein-  für  allemal  festsetzte, 
dass  von  den  drei  Grössen  T,  v  und  p  diejenige,  welche  in  dem 
Differentialcoefficienten  nicht  vorkommt,  als  constant  zu  betrachten 
ist.  Indessen  der  Uebersichtlichkeit  wegen  und  weil  in  Folgen- 
dem auch  Differentialcoefficienten  zwischen  denselben  Grössen  vor- 
kommen werden,  bei  denen  die  als  constant  vorausgesetzte  Grösse 
eine  andere  ist,  als  hier,  wollen  wir  die  Indices  mitschreiben. 

Es  erleichtert  nun  die  mit  diesen  sechs  Differentialcoefficien- 
ten anzustellenden  Rechnungen,  wenn  man  die  zwischen  ihnen 
stattfindenden  BeziehuHgen  im  Voraus  feststellt. 

Zuerst  ist  klar,  dass  unter  den  sechs  Differentialcoefficienten 
dreimal  je  zwei  vorkommen,  welche  einander  reciprok  sind.  Neh- 
men wir  z.  B.  die  Grösse  v  als  constant  an,  so  hängen  die  beiden 
anderen  Grössen  T  und  jj  so  unter  einander  zusammen,  dass  jede 
von  ihnen  einfach  als  Function  der  anderen  anzusehen  ist.  Ebenso 
stehen,  wenn  p  als  constant  angenommen  wird,  T  und  v,  und 
wenn  T  als  constant  angenommen  wird,  v  und  p  in  dieser  ein- 
fachen Beziehung  zu  einander.     Man  hat  also  zu  setzen: 

/,x  _1__ 8t^2^.    _J_ V^.    _J_ 5^ 

^  ^  d^~  dT'    dj^ ~  dT'    dTP~    dp' 

dp  dv  d V 

Um  ferner  die  Beziehung  zwischen  den  drei  Paaren  von 
Differentialcoefficienten  zu  erhalten,  wollen  wir  beispielsweise  ]) 
als  Function  von  T  und  v  betrachten.  Dann  lautet  die  vollständige 
Differentialgleichung  für  p) : 

^         oT  ^      dv 

Wenn  wir  nun  diese  Gleichung  auf  den  Fall  auAvenden  wollen ,  wo 
p)  constant  ist,  so  haben  wir  in  ihr  zu  setzen: 

dp  =  0  und  dv  =  ^dT, 

wodurch  sie  übergeht  in: 

O-^^dl^  -^.^r^dl. 


Behandlung  homogener  Körper.  185 

Wenn  man  hieraus  d  T  fortliebt,  und  dann  noch  mit  ^J,  dividirt, 

oder  mit  ^^  multiplicirt,  so  erhält  man: 

dp 

^  ^  dv   '  dT'    dp~ 

Mit  Hülfe  dieser  in  der  ersten  der  oben  citirten  Abhandlungen 
von  mir  aufgestellten  Gleichung  und  der  drei  unter  (1)  angeführten 
Gleichungen  kann  man  jeden  der  sechs  Difi'crentialcoefficienten 
durch  ein  Product  oder  einen  Bruch  aus  zwei  anderen  Üifferen- 
tialcoefiicienten  darstellen. 


§.  4.     Vollständige  Differentialgleichungen  für  Q. 

Kehren  wir  nun  zur  Betrachtung  der  Wärmeaufnahme  und 
Wärmeabgabe  des  gegebenen  Körpers  zurück,  und  bezeichnen  die 
specifische  Wärme  bei  constantem  Volumen  mit  Cv  und  die  spe- 
cifische  Wärme  bei  constantem  Druck  mit  (7p,  so  haben  wir,  wenn 
wir  das  Gewicht  des  Körpers  als  eine  Gewichtseinheit  annehmen, 
zu  setzen: 

dT'~    "'      dT~    '" 

Ferner  kommen  in  Abschnitt  V.  unter  (25)  und  (26)  Gleichungen 
vor,  welche  bei  unserer  jetzigen  Bezeichnungsweise  so  zu  schreiben 
sind : 

8r  Q  _  rp  V|>.    8t  Q  __  _  77  8pV 
dv  8T'     dp    '~  dT' 

Hiernach  kann  man  folgende  vollständige  Differentialgleichungen 
bilden : 

(3)  dQ=  C,dT-{-  T^dv. 

(4)  dQ=  C,dT-  T^dp. 

Aus  diesen  beiden  Gleichungen  ergiebt  sich  leicht  auch  eine  dritte 
vollständige  Differentialgleichung  für  (),  welche  sich  auf  v  und  p 
als  unabhängige  Veränderliche  bezieht,  wenn  man  die  erste 
Gleichung  mit  Cp  und  die  zweite  mit  ü^  multiplicirt,  dann  beide 
von  einander  abzieht,  und  die  dadurch  entstehende  Gleichung 
durch  Cp  —  Cy  dividirt,  nämlich: 


180  ATosclinitt  VIII. 

(5)  dQ  =  -^-^-^^(^C,^dv-^C,f^d2^- 

Diese  drei  vollständigen  Differentialgleicliungen  entsprechen 
ganz  den  in  Abschnitt  IL  für  vollkommene  Gase  aufgestellten,  nur 
dass  die  letzteren  durch  Anwendung  des  Mariotte'schen  und 
Gay-Lussac' sehen  Gesetzes  vereinfacht  sind.  Aus  der  diese 
Gesetze  ausdrückenden  Gleichung 

pv  —  BT 
ergiebt  sich  nämlich: 

dvP B     dpV B 

dT  ^7'    dT  ~  J)' 
Wenn  man  diese  Werthe  der  Differentialcoefficienten  in  die  obigen 
Gleichungen  einsetzt  und  ausserdem  in   der  letzten   für   T  den 

Ausdruck  ^  substituirt,  so  erhält  man: 
,    dQ=  C,dT-\-  —  dv 

dQ=  CpdT  —  —  dp 

C  C 

dQ=j-, — ^^-^  pdv -j-j^—^-jr  vdp, 

welche   Gleichungen  in  Abschnitt  IL  unter  (11),   (15)  und   (16) 
gegeben  sind. 

Die  drei  vollständigen  Differentialgleichungen  (3),  (4)  und  (5) 
sind,  wie  wir  es  bei  den  speciell  für  Gase  geltenden  Gleichungen 
schon  gesehen  haben,  nicht  unmittelbar  integrabel.  Für  die 
Gleichungen  (3)  und  (4)  ergiebt  sich  dieses  sofort  aus  schon  früher 
aufgestellten  Gleichungen.  Die  im  Abschnitt  V,  in  den  Systemen 
(25)  und  (26)  zu  unterst  stehenden  Gleichungen  lauten  nämlich 
unter  Anwendung  der  Zeichen  Cy  und  Cp  und  der  für  die  Diffe- 
rentialcoefficienten jetzt  angenommenen  Schreibweise: 


(6) 


dv    ~.      dT^ 


dp  eT2' 

während  die  Bedingungsgleichungen,  welche  erfüllt  sein  müssten, 
wenn  (3)  und  (4)  integrabel  sein  sollten,  lauten: 


Behandlung  homogener  Körper.  187 

dv    ~      dT''~^  dT 

dTOp  _  _  rp  8>  _  öp^ 
dp    ~  8T2        oT' 

Aehnlicli,  nur  etwas  weitläufiger,  ist  der  Nachweis  zu  führen,  dass 
die  Gleichung  (5)  nicht  integrabel  ist,  was  sich  übrigens  dem 
Vorigen  nach  auch  von  selbst  versteht,  da  sie  aus  den  Gleichungen 
(3)  und  (4)  abgeleitet  ist. 

Die  drei  Gleichungen  gehören  also  zu  denjenigen  vollstcändigen 
Diöerentialgleichungen ,  welche  in  der  Einleitung  besprochen  sind, 
und  welche  sich  erst  dann  integriren  lassen,  wenn  zwischen  den 
Veränderlichen  noch  eine  andere  Relation  gegeben  und  dadurch 
der  Weg  der  Veränderungen  vorgeschrieben  ist. 


§.  5.     Specifische  Wärme   bei   constantem   Volumen    und 
bei  constantem  Drucke. 

Wenn    man    in    der   Gleichung   (4)    statt    des   allgemeinen 

Öl) 

Differentials  dp  den  Ausdruck  -^^  d  T  setzt,  so  bezieht  sie  sich  auf 

den  speciellen  Fall,  wo  der  Körper  bei  constantem  Volumen  seine 
Temperatur  um  d  T  ändert.  Dividirt  man  dann  noch  die  Gleichung 
durch  dT,   so   erhält  man   an  der  linken  Seite  den  Differential- 

coefficienten  0^5  welchen  wir,   da  er  die  specifische  Wärme  bei 

constantem  Volumen  bedeutet,  mit  C«  bezeichnet  haben,  und  es 
entsteht  daher  folgende  die  Beziehung  zwischen  Cy  und  Cp  aus- 
drückende Gleichung: 

l'j  ^v  —    Ijp  —    1   g^  •  y^- 

Wenn  man  den  aus  dieser  Gleichung  hervorgehenden  Werth 
der  Differenz  Cp  —  C^  in  die  Gleichung  (5)  einsetzt,  so  nimmt 
dieselbe  folgende  noch  einfachere  Form  an: 

(8)        .  äQ=.C,^f^doJrCj-^dp. 

Will  man  mit  Hülfe  der  Gleichung  (7)  die  specifische  Wärme 
bei  constantem  Volumen  aus   derjenigen  bei  constantem  Drucke 


188  Absclinitt  VIII. 

unter  Anwendung  der  vorhandenen  Data  bestimmen,  so  ist  es 
zweckmässig,  noch  eine  kleine  Aenderung  mit  der  Grleichung  vor- 

zunehmen.     Der  in  ihr  vorkommende  Difierentialcoefficient  ^^ 

6  1 

stellt   die  Ausdehnung   des  Körpers   durch  Temperaturerhöhung 

dar,  und  ist  der  Regel  nach  als  bekannt  anzunehmen;  der  andere 

'Ö    7) 

Differentialcoefficient  -^^  dagegen  pflegt  bei  festen  und  tropfbar 

flüssigen  Körpern  nicht  unmittelbar  durch  Beobachtung  bekannt 
zu  sein.     Man  kann  aber  nach  (2)  setzen: 

dpV 
d^p  _  _   dT 

dp 

und  in  diesem  Bruche  ist  der  im  Zähler  stehende  Differential- 
coefficient wieder  der  vorher  besprochene,  und  der  im  Nenner 
stehende  Differentialcoefficient  stellt,  wenn  er  mit  dem  negativen 
Vorzeichen  genommen  wird,  die  Volumenverringerung  durch 
Druckvermehrung  oder  die  Zusammendrückbarkeit  dar,  welche 
man  bei  einer  Anzahl  von  Flüssigkeiten  direct  gemessen  hat,  und 
bei  festen  Körpern  aus  dem  Elasticitätscoefficienten  näherungs- 
weise berechnen  kann.  Durch  Einführung  dieses  Bruches  geht 
die  Gleichung  (7)  über  in : 

(7a)  C,=  C„  +  T^. 

dp 
Sollen   die   specitischen  Wärmen   nicht  in  mechanischem  Maasse, 
sondern  in  gewöhnlichem  Wärmemaasse  ausgedrückt  werden,  und 
bezeichnet  man  sie  in  diesem  Falle  mit  Cy  und  c^,,  so  geht  die  vorige 
Gleichung  über  in : 

(7  b)  Cy    =     Cjy     -j- 


E       drv 
dp 


'  Bei  der  Anwendung  dieser  Gleichung  zu  numerischen.  Rech- 
nungen ist  noch  zu  beachten,  dass  man  in  den  Differentialcoeffi- 
cienten  als  Voluraeneinheit  den  Cubus  derjenigen  Längeneinheit, 
welche  bei  der  Bestimmung  der  Grösse  E  angewandt  ist,  und  als 


Behnndlnng  hnniogener  Körper.  189 

Druckeinheit  den  Druck,  welchen  eine  über  eine  Flächeneinlicit 
verbreitete  Gewichtseinheit  ausübt,  anwenden  muss.  Auf  diese 
Einheiten  hat  man  daher  den  Ausdehnungscoefficienten  und  den 
Zusammendrückungscoefficienten,  wenn  sie  sich,  wie  es  gewöhnlich 
der  Fall  ist,  auf  andere  Einheiten  beziehen,  zu  reduciren. 

Da  der  Differentialcoefficient  -^  immer  negativ  ist,  so  folgt 

dp 

daraus,    dass   die    specifische    Wärme    bei    constantem    Volumen 

immer  kleiner  sein  muss  als  diejenige  bei  constantem  Drucke.    Der 

9  V 
andere  Differentialcoefficient  ;^^  ist  im  Allgemeinen  eine  positive 

Grösse,  Beim  Wasser  ist  er  bei  der  Temperatur  des  Maximums 
der  Dichte  gleich  Null,  und  demnach  sind  bei  dieser  Temperatur 
die  beiden  specifischen  Wärmen  gleich.  Bei  allen  anderen  Tempe- 
raturen, sowohl  unter  als  über  der  Temperatur  des  Maximums  der 
Dichte,  ist  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Volumen  kleiner 
als  die  bei  constantem  Drucke,  denn,  wenn  auch  der  Diiferential- 

coefficient  ^^  unter  dieser  Temperatur  einen  negativen  Werth  hat, 

so  hat  das  doch  auf  den  Werth  der  Formel  keinen  Eintiuss,  weil 
dieser  Difi'erentialcoefficient  in  ihr  quadratisch  vorkommt. 

Um  ein  Beispiel  von  der  Anwendung  der  Gleichung  (7  b)  zu  er- 
halten, wollen  wir  das  Wasser  bei  einigen  bestimmten  Temperaturen 
betrachten,  und  die  Differenz  zwischen  den  beiden  specifischen 
Wärmen  berechnen. 

Nach  den  Beobachtungen  von  Kopp,  deren  Resultate  in  dem 
Lehrbuche  der  phys.  und  theor.  Chemie  S.  204  in  einigen  Zahlen- 
reihen zusammengestellt  sind,  hat  man  für  Wasser,  wenn  sein 
Volumen  bei  4''  als  Einheit  genommen  wird,  folgende  Ausdehnungs- 
coefficienten : 

bei    00         —  0,000061 
„    250         +  0,00025 
„    500         _|_  0,00045. 

Nach  den  Beobachtungen  von  Grassi  i)  hat  man  für  dieZusammen- 
drückbarkeit  des  Wassers  folgende  Zahlen,  welche  die  durch  eine 
Druckzunahme  um  eine  Atmosphäre  verursachte  Volumenvermin- 


1)  Ann.  de  chim,  et  de  phys.  3.  sei:  t.  XXXI,  ji.  437,  und  Kröuig's 
Journ.  für  Physik  des  Auslandes  Bd.  II,  S.  129. 


190  Abschnitt  VIII. 

derung  als  Bruchtheil  des  beim  ursprünglichen  Drucke  stattfinden- 
den Volumens  angeben: 

bei  0»  0,000050 
„  250  0,000046 
„    500         0,000044. 

Wir  wollen  nun  beispielsweise  für  die  Temperatur  von  25o  die 
Rechnung  durchführen. 

Als  Längeneinheit  wählen  wir  das  Meter  und  als  Gewichts- 
einheit das  Kilogramm.  Dann  haben  wir  als  Volumeneinheit  ein 
Cubikmeter  anzunehmen,  und  da  ein  Kilogramm  Wasser  bei  4o  den 

Raum  von  0,001  Cubikmeter  einnimmt,  so  müssen  wir,  um  ~,  zu 

erhalten,  den  oben  angeführten  Ausdehnungscoefficienten  mit  0,001 
multipliciren,  also: 

§^  r=  0,00000025  =  25  .  10-«. 
0  1 

Bei  der  Zusammendrückbarkeit  ist  dem  Vorigen  nach  das  Volumen, 
welches  das  Wasser  bei  der  betreffenden  Temperatur  und  beim 
ursprünglichen  Drucke  (den  wir  als  den  gewöhnlichen  Druck  einer 
Atmosphäre  voraussetzen  können)  einnahm,  als  Einheit  genommen. 
Dieses  Volumen  ist  bei  25o  gleich  0,001003  Cubikmeter.  Ferner 
ist  eine  Atmosphäre  Druck  als  Druckeinheit  genommen,  während 
wir  den  Druck  eines  Kilogramm  auf  ein  Quadratmeter  als  Druck- 
einheit nehmen  müssen,  wonach  eine  Atmosphäre  Druck  durch 
10333  dargestellt  wird.     Demgemäss  haben  wir  zu  setzen: 

drv  _        0,000046  .  0,001003  _  ^ 

dp  ~  1Ö333  ~        4o  .  10       . 

Ausserdem  haben  wir  bei  25o  zu  setzen:  T=  273  -f-  25  =  298, 
und  für  E  wollen  wir  nach  Joule  424  annehmen.  Diese  Zahlen- 
werthe  in  die  Gleichung  (7  b)  eingesetzt,  giebt: 

298     252.10-"        _--^_ 
'^^  -  ^^  =  424  •  45    .  10-^3  =  0,0098. 

In  derselben  Weise  ergeben  sich  aus  den  obigen  Werthen  des 
Ausdehnungscoefficienten  und  der  Zusammendrückbarkeit  bei  Qo 
und  500  folgende  Zahlen: 

bei    00        Cp  —  c^  =  0,0005 
„    500         Cp  —  c^  =  0,0358. 


Behandlung  homogener  Körper.  191 

Wenden  wir  nun  für  Cp^  die  specifische  Wärme  bei  constantem 
Drucke,  die  von  Regnault  experimentell  gefundenen  Werthe  an, 
so  erhalten  wir  für  die  beiden  specifischen  Wärmen  folgende  Paare 
von  Zahlen: 

bei    00  \^P=^ 


c^  =  0,9995 

250  JCp  =  1,001G 
{c^  =  0,9918 

500  Pi^  =  1'0042 
( c^  =  0,9684 


§.  6.     Specifische  Wärme  unter  anderen  Umständen. 

In  gleicher  Weise,  wie  wir  im  vorigen  Paragraphen  die  speci- 
fische Wärme  bei  constantem  Volumen  bestimmt  haben,  können 
wir  auch  die  irgend  welchen  anderen  Umständen  entsprechende 
specifische  Wärme  bestimmen,  indem  wir  ihre  Beziehung  zur 
specifischen  Wärme  bei  constantem  Drucke  aus  der  Gleichung  (4) 
ableiten. 

Wenn  nämlich  die  Umstände,  unter  welchen  die  Erwärmung 
stattfinden  soll,  gegeben  sind,  so  sind  die  beiden  Differentiale  clT 
und  dp  nicht  mehr  von  einander  unabhängig,  sondern  das  eine  ist 
durch  das  andere  mitbestimmt,  und  wir  können  daher  für  dp  das 

Product  ~p  d  T schreiben,  worin  der  Diöerentialcoefficient  -pp  eine 

bestimmte  Function  derjenigen  Veränderlichen  ist,  von  welchen 
der  Zustand  des  Körpers  abhängt.  Wenn  man  dieses  Product  in 
(4)  an  die  Stelle  von  dp  setzt,  dann  die  Gleichung  durch  dT 
dividirt,  und  den  dadurch  an  der  linken  Seite  entstehenden  Bruch 

d  Q 

-y-^,  welcher  die  specifische  Wärme  unter  den  gegebenen  Um- 
ständen ausdrückt,  mit  C  bezeichnet,  so  kommt: 

(9)  ^=^^^-^It-II- 

Will  man  die  specifischen  Wärmen  nicht  in  mechanischen  Ein- 
heiten, sondern  in  gewöhnlichen  Wärmeeinheiten  ausdrücken  und 
für  diesen  Fall  wieder  das  kleine  c  statt  des  grossen  zur  Bezeich- 
nung anwenden,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 


192  Abschnitt  VIII. 

.Q   .      .  T     dpV     dp 

lyaj  ^  —  ^''~  E'  dT'  dT' 

Diese  Gleichung  wollen  wir  beispielsweise  dazu  benutzen,  die- 
jenigen specifiscben  Wärmen  zu  bestimmen,  welche  in  den  beiden 
vorigen  Abschnitten  in  den  Rechnungen  vorkamen,  nämlich  1)  die 
specifische  Wärme  des  flüssigen  Wassers,  wenn  es  mit  Dampf  vom 
Maximum  der  Spannkraft  in  Berührung  ist,  und  2)  die  specifische 
Wärme  des  Wassers  und  des  Eises  für  den  Fall,  wo  der  Druck 
sich  mit  der  Temperatur  so  ändert,  dass  die  dem  Drucke  ent- 
sprechende Schmelztemperatur  immer  gleich  der  gerade  statt- 
findenden Temperatur  ist. 

Im  ersten  Falle  haben  wir   dem  Differentialcoefficienten  -^ 

dT 

einfach  den  Werth  zu  geben,  welcher  der  Spannungsreihe  des 
Wasserdampfes  entspricht.  Für  die  Temperatur  100"  wird  dieser 
Werth,  wenn  als  Druckeinheit  ein  Kilogramm  auf  ein  Quadrat- 
meter  gilt,   durch   die  Zahl   370   dargestellt.     Was   den   anderen 

Differentialcoefficienten  -^  anbetrifft,  so  ist  nach  den  Versuchen 

von  Kopp  der  Ausdehnungscoefficient  des  Wassers  bei  lOO**,  wenn 

man  das  Volumen  des  Wassers  bei  4^'  als  Einheit  nimmt,  0,00080. 

8  v 
Diese  Zahl  hat  man,  um  den  Werth  von  ;r^  für  den  Fall   zu   er- 

6  1 

halten,  wo  ein  Cubikmeter  als  Volumeneinheit  und  ein  Kilogramm 
als  Gewichtseinheit  gilt,  mit  0,001  zu  multipliciren ,  wodurch  ent- 
steht 0,00000080.  Endlich  ist  noch  die  absolute  Temperatur  T  für 
1000  gleich  373  und  E^  wie  gewöhnlich,  gleich  424  zu  setzen. 
Dadurch  geht  (9a)  über  in: 


(^P  —  t^aX  0,00000080  X  370 


373 
424 
=  Cp  —  0,00026. 

Nehmen  wir  nun  für  die  specifische  Wärme  des  Wassers  bei 
constantem  Drucke  bei  100**  den  aus  der  Regnault' sehen  empiri- 
schen Formel  hervorgehenden  Werth  an,  so  erhalten  wir  für  die 
beiden  zu  vergleichenden  specifiscben  Wärmen  folgende  zusammen- 
gehörige Zahlen: 

Cp  =  1,013 
c    =  1,01274. 


Behandlung  homogener  Körper.  193 

Wir  sehen  hieraus,  class  diese  beiden  Grössen  so  nahe  gleich  sind, 
dass  es  keinen  Nutzen  gehabt  haben  würde,  die  zwischen  ihnen 
bestehende  Differenz  in  unseren  auf  die  gesättigten  Dämpfe  bezüg- 
lichen Rechnungen  zu  berücksichtigen. 

Bei  den  Betrachtungen  über  den  Einfiuss  des  Druckes  auf  das 
Gefrieren  der  Flüssigkeiten  verhält  es  sich  insofern  anders,  als  eine 
bedeutende  Aenderung   des  Druckes  den   Gefrierpunkt  nur  sehr 

wenig  ändert,  und  daher  der  Differentialcoefficient  y^  für  diesen 

Fall  einen  sehr  grossen  Werth  hat.  Nimmt  man  beim  Wasser  ge- 
mäss der  im  vorigen  Abschnitte  ausgeführten  Rechnung  an,  dass 
für  eine  Druckzunahme  um  eine  Atmosphäre  der  Gefrierpunkt  um 
0,007330 C.  sinkt,  so  hat  man  zu  setzen: 

dp_  _  _    10333 
dT~  ~  0,00733  ' 
und  die  Gleichung  (9  a)  geht  daher,   wenn  wir  noch  für  T  die 
für  den  Gefrierpunkt  geltende  Zahl  273  und  für  E  die  Zahl  424 
einsetzen,  über  in : 

_         I    273      10  333      dpV 
^  —  ^^  +  424  ■  0,00733  "  dT 

=  c^  + 908000  1^. 

Um  diese  Gleichung  zunächst  auf  flüssiges  Wasser  anzuwen- 
den, nehmen  wir  nach  Kopp  den  Ausdehnungscoefficienten  des 
Wassers  bei  0»  zu  —  0,000061  an,  in  Folge  dessen  wir,  unter  An- 
wendung des  Kilogramm  als  Gewichtseinheit  und  des  Cubikmeter 
als  Raumeinheit,  zu  setzen  haben: 

^  =  —  0,000000061, 
0  1 

und  demnach  aus  der  vorigen  Gleichung  erhalten: 

c  =  Cj,  —  0,055. 
Da  nun  Cp  =  l  ist,  so  kommt: 

c  =  0,945. 
Um  ferner  die  obige  Gleichung  auf  Eis  anzuwenden ,  nehmen 
wir  nach  den  Versuchen  von  Schumacher,  Pohrt  und  Moritz 
den  linearen  Ausdehnungscoefficienten  des  Eises  zu  0,000051  an, 
woraus  sich  der  cubische  Ausdehnungscoefficient  zu  0,000153  er- 
giebt.  Diese  Zahl  haben  wir,  um  sie  auf  die  erforderlichen  Maass- 
einheiten zu  reduciren,  mit   0,001087,   dem  in  Cubikmetern  ge- 

Clausius,  mechau.  Wärmetheorie.    I.  ig 


194  Abschnitt  VIII. 

messenen  Volumen  eines  Kilogramm  Eis,  zu  multipliciren,  wodurch 
wir  erhalten: 

§*^  =  0,000000166. 

Ol 

Durch  Einsetzung  dieses  Werthes  geht  die  obige  Gleichung  über  in : 

cz=  Cp-{-  0,151. 
Da  nun  nach  Person  i)  Cp  =  0,48  zu  setzen  ist,  so  kommt: 

c  =  0,631. 
Die  Werthe  0,945  und  0,631  sind  es,  die  im  vorigen  Abschnitte 
bei  der  Rechnung,  durch  welche  die  Abhängigkeit  der  Werkwärme 
des  Schmelzens  von  der  Schmelztemperatur  bestimmt  wurde,   in 
Anwendung  kamen. 


§.  7.    Isentropische  Aenderungen  eines  Körpers. 

Anstatt  die  Art  der  Zustandsänderung  eines  Körpers  durch 
eine  solche  Bedingungsgleichung  zu  bestimmen,  die  eine  oder 
mehrere  der  Grössen  T,  v  und  p  enthält,  wollen  wir  jetzt  die  Be- 
dingung stellen,  dass  dem  Körper  während  seiner  Veränderung 
keine  Wärme  mitgetheilt  oder  entzogen  werde,  was  durch  die 
Gleichung 

dQ  =  Q 
ausgedrückt  wird.    Da  in  Folge    dieser  Gleichung   auch   gesetzt 
werden  kann: 

woraus  folgt,  dass  die  Entropie  S  des  Körpers  unverändert  bleibt, 
so  wollen  wir  diese  Art  von  Zustandsänderungen,  wie  schon  früher 
die  darauf  bezüglichen  Druckcurven,  isentropische  nennen,  und  die 
bei  ihrer  Behandlung  gebildeten  Difierentialcoefficienten  durch  den 
Index  S  charakterisiren. 

Indem  wir  in  der  Gleichung  (3)  dQ  gleich  Null  setzen,  er- 
halten wir: 

0=  C,dT-^  T^dv. 


1)  Comptes  rendus  t.  XXX,  p.  526. 


Behandlung  homogener  Körjier.  195 

Dividiren  wir  diese  Gleichung  durch  dv^  so  ist  der  dadurch  cnt- 

dT 
stehende  Differentialcoefficient  -=—  ein  solcher,  der  sich  auf  eine 

dv 

isentropischc    Aendcrung    bezieht,     und    es    entsteht    daher    die 

Gleichung: 

^^  dv  ~~       C^'  dT' 

Ebenso  folgt  aus  der  Gleichung  (4j: 

(11) 


dsT  _  T     dj,v 


dp        Cp    d  T 

Die  Gleichung  (5),  statt  deren  man  auch  (8)  anwenden  kann,  giebt 
zunächst: 

0=  C/^  dv  +  a  1^  dp, 
und  hieraus  folgt: 

dpV 

dp  Cp     dvp' 

dT 
welche  Gleichung   sich   mit  Hülfe   von  (1)   und   (2)  in  folgende 
umwandeln  lässt: 

,  dsv  _  C^     drv 

^     ■'  dp  ~  Cp'  dp' 

Wenn  man  hierin  für  C^  den  in  (7a)  gegebenen  Werth  setzt,  so 
kommt : 

^    ■'  dp  ~  dp  ~^  Cp  KdTj  ' 

Schreibt  man  statt  (12),  indem  man  die  reciproken  Werthe 
bildet: 

....  dsp  _  C^    drp 

^  ^  dv  ~  a,  '  dv  ' 

so  kann  man  diese  Gleichung  in  entsprechender  Weise,  wie  (12), 
umformen  und  erhält  dadurch : 

dsp  _  drp         T  /d,py 


^^^^  dv  ~   dv         a  \dT, 

Diese  hier  bestimmten,  auf  constante  Entropie  bezüglichen 
Dififerentialcoefficienten  zwischen  Volumen  und  Druck  hat  man  bei 
der  Berechnung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalles  in 

13* 


196  Abschuitt  VIII. 

Gasen  und  Flüssigkeiten  anzuwenden,  was  für  die  vollkommenen 
Gase  schon  in  Abschnitt  IL  des  Näheren  besprochen  ist. 


§.  8.     Specielle  Form  der  Hauptgleichungen  für  einen 
gedehnten  Stab. 

Um  nun,  nachdem  wir  bisher  als  äussere  Kraft  immer  einen 
gleichmässigen  Oberfiächendruck  vorausgesetzt  haben,  auch  von 
einer  anderen  äusseren  Kraft  ein  Beispiel  zu  geben,  wollen  wir 
einen  elastischen  Stab  (oder  Faden)  betrachten,  welcher  seiner 
Länge  nach  durch  eine  spannende  Kraft,  z.  B.  durch  ein  angehäng- 
tes Gewicht,  gedehnt  vdrd,  während  nach  den  Seitenrichtungen 
keine  Kraft  auf  ihn  wirkt.  Statt  einer  den  Stab  in  der  Längen- 
richtung dehnenden  Kraft  kann  auch  eine  ihn  in  der  Längen- 
richtung zusammendrückende  Kraft  stattfinden,  sofern  der  Stab 
dadurch  nicht  gebogen  wird.  Eine  solche  zusammendrückende  Kraft 
behandeln  wir  in  den  Formeln  einfach  als  negative  spannende 
Kraft.  Die  Bedingung,  dass  nach  den  Seitenrichtungen  keine  Kraft 
auf  den  Stab  wirke ,  würde  eigentlich  nur  dann  vollständig  erfüllt 
werden,  wenn  der  Stab  dem  Luftdrucke  entzogen  und  also  in  einen 
luftleeren  Raum  gebracht  würde;  wenn  indessen  die  spannende 
Kraft,  welche  nach  der  Längenrichtung  auf  die  Querschnittsfläche 
des  Stabes  wirkt,  gegen  den  auf  eine  ebenso  grosse  Fläche  wirken- 
den Luftdruck  sehr  gross  ist,  so  kann  man  den  letzteren  dagegen 
vernachlässigen. 

Die  spannende  Kraft  möge  mit  P  und  die  Länge,  welche  der 
Stab  unter  ihrem  Einflüsse  und  bei  der  Temperatur  T  hat,  mit  l 
bezeichnet  werden.  Die  Länge  des  Stabes  und  überhaupt  sein 
ganzer  Zustand  ist  unter  den  gegebenen  Umständen  durch  die 
Grössen  P  und  T  bestimmt,  und  wir  können  diese  daher  als  un- 
abhängige Veränderliche  wählen. 

Wenn  nun  durch  eine  unendlich  kleine  Aenderung  der 
spannenden  Kraft,  oder  der  Temperatur,  oder  auch  beider,  die 
Länge  l  sich  um  dl  vermehrt,  so  wird  dabei  von  der  spannenden 
Kraft  P  die  Arbeit  Pdl  gethan.  Da  wir  aber  in  unseren  Formeln 
nicht  die  von  einer  Kraft  gethane^  sondern  die  von  ihr  erlittene 
Arbeit  als  positiv  rechnen,  so  lautet  die  zur  Bestimmung  der 
äusseren  Arbeit  dienende  Gleichung:  ' 
(16)  dW=~-Pdl 


Behandlung  homogener  Körper.  197 

Betrachten  wir  l  als  Function  von  P  und  T,  so  können  wir  diese 
Gleichung  so  schreiben: 

woraus  weiter  folgt: 

dW___  p_8|^ 
dP  ~  dP 

dW  _  _  p^ 

dT  ~  dT' 

Indem  wir  die   erste  dieser  Gleichungen  nach  T  und  die  zweite 
nach  P  diiferentiiren,  erhalten  wir: 

dT\dP)  dPdT 

'dW\  dl         ^     dH 


d    /dW\  _ 
dP\dT)~ 


dT        dTdP 

Subtrahiren  wir  die  letztere  dieser  Gleichungen  von  der  ersteren 
und  setzen  für  die  dadurch  an  der  linken  Seite  entstehende  Diffe- 
renz das  früher  eingeführte  Zeichen  Dn  ein,  so  kommt: 

(17)  ^'-=|t- 

Diesen  Werth  von  Dpt  wenden  wir  auf  die  Gleichungen  (12), 
(13),  (14)  und  (15)  des  Abschnittes  V.  an,  nachdem  wir  in  den- 
selben P  an  die  Stelle  von  x  gesetzt  haben,  dann  erhalten  wir  die 
auf  unseren  Fall  bezügliche  Form  der  Hauptgleichungen ,  nämlich 

^    -^  dT\dPj       dP\dTj~~  dT' 


d_  {dQ\  _  J_  (d_Q\  _l    dQ 
dPVdTj        T'dP' 


(-)        Ä  (H)  - 

(20)  '4-^1^' 

^^^^  dP  [dTj  ~  ^  Jt^ 


198  Abschnitt  VIU. 


§.  9.     Temperaturänderung  bei  der  Verlängerung  des 

Stabes. 

Die  Gleichung  (20)  lässt  sofort  durch  ihre  Form  eine  eigen- 
thümliche  Beziehung  zwischen  zwei  Vorgängen  erkennen,  nämlich 
zwischen  der  durch  Temperaturänderung  bewirkten  Längenände- 
rung und  der  durch  Längenänderung  bewirkten  Temperaturände- 
rung. Wenn  nämlich,  wie  es  der  Regel  nach  der  Fall  ist,  der  Stab 
bei  constant  bleibender  Spannung  durch  Erwärmung  länger  wird, 

und  somit  ^-™  positiv  ist,   so  ist  der  Gleichung  nach  auch  ^-^ 

positiv,  woraus  folgt,  dass  der  Stab,  wenn  er  durch  Vermehrung 
der  spannenden  Kraft  verlängert  wird,  dabei  Wärme  von  Aussen 
empfangen  muss,  um  seine  Temperatur  unverändert  beizubehalten, 
und  dass  er  sich  daher,  falls  ihm  keine  Wärme  zugeführt  wird,  bei 
der  Verlängerung  abkühlt.  Wenn  dagegen,  was  ausnahmsweise 
vorkommen  kann,  die  Erwärmung  bei  constanter  Spannung  eine 

O  7 

Verkürzung  zur  Folge  hat,  und  somit  ^-™  negativ  ist,   so  ist  der 

Gleichung  nach  auch  ^-^  negativ.    In  diesem  Falle  muss  der  Stab 

also  bei  der  durch  vermehrte  Spannung  bewirkten  Verlängerung 
Wärme  nach  Aussen  abgeben,  um  eine  constante  Temperatur  zu 
behalten,  und  wenn  keine  Wärmeabgabe  stattfindet,  muss  er  sich 
bei  der  Verlängerung  erwärmen. 

Die  Grösse  der  betreffenden  Temperaturänderung,  welche  ein- 
tritt, wenn  die  spannende  Kraft  sich  ändert,  ohne  dass  dem  Stabe 
Wärme  mitgetheilt  oder  entzogen  wird,  ergiebt  sich  leicht,  wenn 
man  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  früher  bei  Körpern,  die  unter  einem 
gleichmässigen  Oberflächendruck  stehen,  geschehen  ist,  die  voll- 
ständige Differentialgleichung   erster  Ordnung  für  Q  bildet.    Der 

Differentialcoefficient  -^~  ist  durch  die  Gleichung  (20)  bestimmt, 
in  welcher  wir  statt  ^-^  jetzt  vollständiger  ^^  schreiben  wollen. 
Um  den  anderen  Differentialcoefficienten   ^^-  in  einer  für  unseren 

Ol 

Zweck  bequemen  Weise   ausdrücken  zu  können,  möge  diejenige 


Behandlung  homogener  Körper.  199 

specifische  Wärme  des  Stabes,  welche  sich  auf  constante  Spannung 
bezieht,  mit  Cp,  und  das  Gewicht  des  Stabes  mit  M  bezeichnet 
werden.    Dann  ist: 

und  die  vollständige  Differentialgleichung  lautet  daher: 

(22)  dQ  =  MCpd T-^  T^dP. 

Macht  man  nun  die  Voraussetzung,  dass  dem  Stabe  keine 
Wärme  mitgetheilt  oder  entzogen  werde ,  so  hat  man  d  Q  =  0  zu 
setzen,  und  erhält: 

0  =  3ICpdT-^  T^dP. 
öl 

Wenn  man  diese  Gleichung  durch  dP  dividirt,  so  stellt  der  Bruch 

dT 

■^-^  denjenigen  Differentialcoefficienten  von    T  nach  P  dar,  bei 


dessen  Bildung  die  Entropie  als  constant  vorausgesetzt  ist,  und  er 

ist  daher  vollständiger  -^p-  zu  schreiben.     Man  erhält  auf  diese 

Weise  die  Gleichung: 

(c)o\  ^sT T_     dpi 

^     -^  dP   ~       MCp  '  dT' 

Diese  Gleichung  ist,  wenn  auch  nicht  gerade  in  derselben 
Form,  zuerst  von  W.  Thomson  entwickelt,  und  ihre  Richtigkeit 
ist  durch  Versuche  von  Joule  i)  bestätigt.  Besonders  auffällig 
zeigte  sich  die  Uebereinstimmung  der  Beobachtungsresultate  mit 
der  Theorie  in  einer  beim  Kautschuk  vorkommenden  Erscheinung, 
welche  schon  früher  von  Gough  wahrgenommen  war,  und  dann 
von  Joule  ebenfalls  beobachtet  und  durch  genauere  Messungen 
festgestellt  wurde.  So  lange  der  Kautschuk  entweder  gar  nicht, 
oder  nur  durch  eine  geringe  spannende  Kraft  gedehnt  ist,  verhält 
er  sich  in  Bezug  auf  die  durch  Temperaturänderung  bewirkte 
Längenänderung,  wie  die  anderen  Körper,  nämlich  dass  er  sich 
bei  der  Erwärmung  verlängert,  und  bei  der  Abkühlung  verkürzt. 
Wenn  er  aber  durch  eine  grössere  Kraft  gedehnt  ist,  so  zeigt  er 
das  umgekehrte  Verhalten,  dass  er  sich  bei  der  Erwärmung  ver- 
kürzt und  bei  der  Abkühlung  verlängert.     Der  Differentialcoeffi- 


^)  Phil.  Transact.  for  tJie  year  1859. 


200  Abscliuitt  VIII. 

7)   7 
cient  -^  ist  also  im  ersten  Falle  positiv  und  im  zweiten  Falle 

dl 

negativ.  Dementsprechend  zeigt  er  die  Eigenschaft,  dass  er,  so 
lange  die  Dehnung  noch  gering  ist,  durch  Zunahme  der  Dehnung 
sich  abkühlt,  dagegen  bei  starker  Dehnung  durch  Zunahme  der 
Dehnung  sich  erwärmt,  ganz  so  wie  es  die  Gleichung  (23)  ver- 
langt, nach  welcher  der  Differentialcoefficient  -^p-  immer  das  ent- 
gegengesetzte Vorzeichen  haben  muss,  wie  -^^  • 


§.  10.     Weitere  Folgerungen  aus  den  obigen  Gleichungen. 

Man  kann  die  vollständige  Differentialgleichung  (22)  auch  so 
umformen,  dass  T  und  l  oder  l  und  P  als  unabhängige  Ver- 
änderliche in  ihr  vorkommen. 

Dazu  naöge  zunächst  die  Beziehung  vorausgeschickt  werden, 
in  welcher  die  Differentialcoefficienten  zwischen  den  Grössen  T,  Z 
und  P  unter  einander  stehen,  und  welche  durch  eine  Gleichung 
von  derselben  Form,  wie  (2),  ausgedrückt  wird,  nämlich: 

/n  .N  ^tP     dpi    diT 

^  ^  dl    '  dT'  dP  ~ 

Um  nun  die  vollständige  Differentialgleichung  zu  bilden, 
welche  T  und  l  als  unabhängige  Veränderliche  enthält,  betrachten 
wir  P  als  Function  von  T  und  Z  und  schreiben  demgemäss  (22)  in 
der  Form: 


oder 


dQ  =  (mCp  +T^^.^-^dT+T^^-^-^  dl. 


Das  im  letzten  Gliede  stehende  Product  aus  zwei  Differential- 
coefficienten kann  man  gemäss  (24)  durch  einen  einzelnen  Diffe- 
rentialcoefficienten ersetzen,  und  erhält  dadurch: 

(25)     .dQ  =  (^MCrJrT^-^j^yiT-T^jldl 

Will  man  für  die  specifische  Wärme  bei  constanter  Länge  ein 
besonderes  Zeichen  Ci  einführen,    so   hat  man  den  in  Klammer 


Behandlung  homogener  Körper.  201 

stehenden   Factor   von   dT  gleich  MCi  zu   setzen,  woraus   sich 
ergiebt : 

(26)  Gl—  Cp-I-  -^     g^     g^, 

oder  nach  einer  mit  Hülfe  von  (24)  vorgenommenen  Umformung: 

dP 

Die  Gleichung  (25)  nimmt  dann  folgende  vereinfachte  Form  an: 

(28)  clQ^MCiclT-  T^dl. 

Um  die  vollständige  Differentialgleichung  zu  bilden,  welche  l 
und  P  als  unabhängige  Veränderliche  enthält,  betrachten  wir  T 
als  Function  von  l  und  P,  wodurch  die  Gleichung  (22)  sich  so 
gestaltet : 

dQ  =  31  Cr  (^  ^^  +  11  <^P)  -i-T^f^dP 

=  MCp  ^dl^  (mCp  II  +  T  I^)  dP 

Wenn  man  hierin  den  Factor  von  dP  folgendermaassen  umändert: 

dfi  =  Jlf  Cp  %^  «  +  (mCp  +  T  M  .  II)  II  rfP, 

SO  kann  man  den  in  Klammer  stehenden  Ausdruck  nach  (26)  durch 
MCi  ersetzen,  und  erhält  somit: 

(29)  dQ  -^MCp^^dlJr  MCi  ||  dP. 

Die  Gleichungen  (28)  und  (29)  wollen  wir  wieder  auf  den 
speciellen  Fall  anwenden,  wo  dem  Stabe  von  Aussen  keine  Wärme 
mitgetheilt  oder  entzogen  wird ,  und  somit  d  Q  =  0  zu.  setzen  ist. 
Dann  giebt  die  erstere: 

/oßN  '^sT T       diP 

^  ^  dl     ~  MCi'  dT' 

und  die  letztere  giebt  zunächst: 

diT 

äsl__Ci_      dP_ 

dP~        Cp'  dpT' 

dl 

wofür  in  Folge  von  (24)  geschrieben  werden  kann: 


202  Abschnitt  VIII. 

^  ^  dP~  Cp'  dP' 

Setzt  man  hierin  nocli  für  Ci  seinen  Werth  aus  (27),  so  kommt : 

....  dsl_dTl T_  /dply 

^     ■'  dP~  dP       MCp  KcTJ  ' 

O       7 

Die  durch   den  hier  bestimmten  Differentialcoefficienten  -^ 

0  P 

ausgedrückte  Beziehung  zwischen  Länge  und  spannender  Kraft  ist 

es,  welche  man  bei  der  Berechnung  der  Schallgeschwindigkeit  in 

einem  elastischen  Stabe  in  Anwendung  zu  bringen  hat,  an  Stelle 

der  gewöhnlich  angewandten  durch   den  Differentialcoefficienten 

O       7 

^p  ausgedrückten  Beziehung,  welche  durch  den  Elasticitätscoeffi- 

cienten  bestimmt  wird,  ebenso,  wie  man  bei  der  Berechnung  der 
Schallgeschwindigkeit  in  luftförmigen   und  flüssigen  Körpern  die 

durch   den  Differentialcoefficienten  ^r-    ausgedrückte    Beziehung 

dp 

zwischen  Volumen  und  Druck,  statt  der  durch  den  Differential- 
coefficienten- -^   ausgedrückten   Beziehung,    in   Anwendung   zu 

bringen  hat. 

Dabei  ist  noch  zu  bemerken,  dass  bei  der  Betrachtung  der 
Schallfortpfianzung ,  wo  es  sich  nicht  um  grosse  Werthe  der  Span- 
nung P  handelt,  in  der  Gleichung  (32),  welche  zur  Bestimmung 

7)    7 

des  Differentialcoefficienten  ^r^  dient,  an  die  Stelle  der  durch  Cp 

0  Jr 

bezeichneten  specifischen  Wärme  bei  constanter  Spannung  ohne 
Bedenken  die  in  gewöhnlicher  Weise  unter  dem  Drucke  der  Atmo- 
sphäre gemessene  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke  gesetzt 
werden  kann. 


ABSCHNITT  IX. 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie. 

§.  1.     Allgemeine   Gleichungen. 

In  den  früheren  Abschnitten  ist  vielfach  von  der  Energie  und 
der  Entropie  eines  Körpers  die  Rede  gewesen,  als  von  zwei  für  die 
Wärmelehi'e  wichtigen  Grössen,  welche  durch  den  gerade  statt- 
findenden Zustand  des  Körpers  bestimmt  sind,  ohne  dass  man  die 
Art,  wie  der  Körper  in  diesen  Zustand  gelangt  ist,  zu  kennen 
braucht.  Wenn  diese  Grössen  für  einen  Körper  bekannt  sind,  so 
lassen  sich  mit  Hülfe  derselben  viele  Rechnungen,  welche  sich  auf 
die  Zustandsänderungen  des  Körpers  und  die  dabei  in  Betracht 
kommenden  Wärmemengen  beziehen,  in  sehr  einfacher  Weise  aus- 
führen. Die  Eine  der  beiden  Grössen,  die  Energie,  ist  schon  mehr- 
fach, besonders  von  Kirchhoff^).  zum  Gegenstande  werthvoller 
Untersuchungen  gemacht,  und  es  ist  dabei  auch  die  Art  ihrer 
Bestimmung  näher  besprochen.  Wir  wollen  hier  die  Energie  und 
Entropie  gemeinsam  behandeln,  und  die  Gleichungen,  welche  zu 
ihrer  Bestimmung  dienen,  zusammenstellen. 

Im  ersten  und  chitten  Abschnitte  sind  folgende  Gleichungen 
als  Hauptgleichungen  aufgestellt,  welche  dort  mit  (III.j  und  (VI.) 
bezeichnet  "VMirden: 


^)  Ueber   einen  Satz   der   mechanisclien  "Wärmetlieorie   und   einige  An- 
wenduuo-en  desselben.     Pos-o-,  Ann.  Bd.  103.  S.  177. 


204  Absclinitt  IX. 

(III.)  dQ=:dü-{-dW, 

(VI.)  dQ=TdS. 

Hierin  bedeuten  ü  und  S  die  Energie  und  Entropie  des  Körpers, 
und  d  U  und  dS  die  Veränderungen ,  welche  dieselben  bei  einer 
unendlicli  kleinen  Zustandsänderung  des  Körpers  erleiden.  dQ  ist 
die  Wärmemenge,  welche  der  Körper  bei  der  Zustandsänderung 
aufnimmt,  d  W  die  dabei  geleistete  äussere  Arbeit  und  T  die  abso- 
lute Temperatur,  bei  welcher  die  Aenderung  geschieht.  Die 
erstere  dieser  beiden  Gleichungen  ist  auf  jede,  in  beliebiger  Weise 
vor  sich  gehende  unendlich  kleine  Zustandsänderung  anwendbar, 
die  letztere  dagegen  darf  nur  auf  solche  Zustandsänderungen 
angewandt  werden,  die  in  umkehrbarer  Weise  stattfinden.  Diese 
beiden  Gleichungen  schreiben  wir  nun  in  der  Form: 

(1)  dU=dQ  -  dW, 

(2)  dS='^, 

um  aus  ihnen  durch  Integration  die  Grössen  ü  und  ^S*  zu  be- 
stimmen. 

Dabei  ist  zunächst  ein  Punkt  zu  erwähnen,  der  in  Bezug  auf 
die  Energie  schon  in  §.  8  des  ersten  Abschnittes  besprochen  wurde. 
Man  kann  nämlich  nicht  die  ganze  Energie  eines  Körpers  be- 
stimmen ,  sondern  nur  den  Zuwachs ,  welchen  die  Energie  erfahren 
hat,  während  der  Körper  aus  irgend  einem  als  Anfangszustand 
gewählten  Zustande  in  seinen  gegenwärtigen  Zustand  übergegangen 
ist,  und  dasselbe  gilt  auch  von  der  Entropie. 

Um  nun  die  Gleichung  (1)  in  Anwendung  zu  bringen,  denken 
wir  uns,  dass  der  Körper  aus  dem  gegebenen  Anfangszustande,  in 
welchem  wir  die  Energie  mit  üo  bezeichnen ,  auf  irgend  einem  für 
unsere  Betrachtung  bequemen  Wege  und  in  irgend  einer  (umkehr- 
baren oder  nicht  umkehrbaren)  Weise  in  seinen  gegenwärtigen 
Zustand  gebracht  werde,  und  für  den  Verlauf  dieser  Zustands- 
änderung denken  wir  uns  die  Integration  ausgeführt.  Das  Integral 
von  d  ü  stellt  sich  einfach  durch  die  Differenz  U  —  üo  clar.  Die 
Integrale  von  d  Q  und  d  W,  d.  h.  die  ganze  Wärmemenge ,  welche 
der  Körper  während  der  Zustandsänderung  aufgenommen,  und  die 
ganze  äussere  Arbeit,  welche  er  dabei  geleistet  hat,  wollen  wir  mit 
Q  und   W  bezeichnen.     Dann  erhalten  wir  die  Gleichung: 

(3)  U=Uo-{-  Q-  W. 

Hieraus  folgt,  dass,  wenn  wir  für  irgend  eine  Art  des  Ueberganges 
aus  einem  gegebenen  Anfangszustande  des  Körpers  in  seinen  gegen- 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie.  205 

wärtigen  Zustand  die  dabei  aufgenommene  Wärme  und  geleistete 
äussere  Arbeit  bestimmen  können,  wir  dadurch  auch  die  Energie 
des  Körpers  bis  auf  eine  auf  den  Anfangszustand  bezügliche  Con- 
stante  kennen  lernen. 

Um  ferner  die  Gleichung  (2)  anzuwenden,  denken  wir  uns, 
dass  der  Körper  aus  dem  gegebenen  Anfangszustande,  in  welchem 
wir  die  Entropie  mit  So  bezeichnen,  wiederum  auf  einem  beliebig 
gewählten  Wege,  aber  in  umkehrbarer  Weise,  in  seinen  gegen- 
wärtigen Zustand  gebracht  werde,  und  für  diese  Zustandsänderung 
denken  wir  uns  die  Gleichung  integrirt.  Das  Integral  von  dS 
stellt  sich  wieder  durch  die  Differenz  S  —  Sc  dar,  und,  indem  wir 
das  andere  Integral  nur  andeuten,  erhalten  wir  die  Gleichung: 

(4)  S=S,+pl^. 

Hieraus  folgt,  dass,  wenn  wir  für  einen  in  umkehrbarer  Weise 
aber  auf  beliebigem  Wege  geschehenen  Uebergang  des  Körpers 
aus   einem   gegebenen  Anfangszustande   in   seinen   gegenwärtigen 

Zustand  das  Integral     /  ^  bestimmen  können,  wir  dadurch  den 

Werth  der  Entropie  bis  auf  eine  auf  den  Anfangszustand  bezüg- 
liche Constante  erhalten. 


§.  2.     Differentialgleichungen  für  den  Fall,   wo  nur  um- 
kehrbare Veränderungen  Yorkommen.  und   der  Zustand 
des  Körx^ers  durch  zwei  unabhängige  Veränderliche 

bestimmt  wird. 


Wenn  wir  die  Gleichungen  (III. )  und  (VI.)  beide  auf  eine  und 
dieselbe,  in  umkehrbarer  Weise  vor  sich  gehende  unendlich  kleine 
Zustandsänderung  eines  Körpers  anwenden,  so  ist  das  Wärme- 
element dQ  in  beiden  Gleichungen  dasselbe,  und  wir  können  es 
daher  aus  den  Gleichungen  eliminiren,  wodurch  wir  erhalten: 
(5)  TdS  =  dr  -\-dW. 

Nun  wollen  wir  annehmen,  der  Zustand  des  Körpers  sei  durch 
irgend  zwei  Veränderliche  bestimmt,  welche  wir,  wie  in  Abschnitt  V., 
vorläufig  allgemein  mit  x  und  y  bezeichnen,  indem  wir  uns  vor- 
behalten, später  bestimmte  Grössen,  wie  z.  B,  Temperatur,  Volumen 


206  Absclinitt  IX. 

und  Druck  dafür  einzusetzen.  Wenn  der  Zustand  des  Körpers 
durch  die  Veränderlichen  a?  und  y  bestimmt  wird,  so  müssen  sich 
alle  Grössen,  welche  durch  den  augenblicklich  stattfindenden  Zu- 
stand des  Körpers  bestimmt  sind,  ohne  dass  man  die  Art,  wie  der 
Körper  in  diesen  Zustand  gelangt  ist,  zu  kennen  braucht,  durch 
Functionen  dieser  Veränderlichen  darstellen  lassen,  in  denen  die 
Veränderlichen  als  von  einander  unabhängig  betrachtet  werden 
können.  Demnach  sind  auch  die  Entropie  S  und  die  Energie  ü 
als  Functionen  der  unabhängigen  Veränderlichen  x  und  y  anzu- 
sehen. Die  äussere  Arbeit  W  dagegen  verhält  sich  in  dieser  Be- 
ziehung, wie  schon  mehrfach  besprochen  wurde,  wesentlich  anders. 
Die  Differentialcoefficienten  von  W  können  zwar,  sofern  es  sich 
nur  um  umkehrbare  Veränderungen  handelt,  als  bestimmte  Func- 
tionen von  X  und  y  betrachtet  werden,  W  selbst  aber  lässt  sich 
nicht  durch  eine  solche  Function  darstellen,  sondern  kann  erst 
dann  bestimmt  werden,  wenn  nicht  nur  der  Anfangs-  und  End- 
zustand des  Körpers,  sondern  auch  der  Weg,  auf  welchem  der 
Körper  aus  dem  einen  in  den  anderen  gelangte,  gegeben  ist. 
Wenn  man  nun  in  der  Gleichung  (5)  setzt: 

dS  =  — —  dx  -4-  ^r —  dy 
ox  '     dy     ^ 

d  U  =  — —  dx  -\ — - —  dy 

dx        '    a^/ 

dW  = -7^- dx  4- ^r— dy,    . 
dx  dy      "^ 

so  geht  sie  über  in: 

rpdS.      ,    ^dS   ,           /du    ,    dW\   .       ,    /dU    ,    dW\-, 
T  ^dx  -\-  T—-  dy  =  [- \-  ——]  dx  4-  (- \-  —-]dy. 

dx  ^        dy     "        \dx    '     dx  J  '    \dy     '     dy J    '^ 

Da  diese  Gleichung  für  beliebige  Werthe  der  Differentiale  dx  und 
dy  richtig  sein  muss,  also  unter  anderen  auch  für  die  Fälle,  wo 
das  eine  oder  das  andere  der  Differentiale  gleich  Null  gesetzt  wird, 
so  zerfällt  sie  sofort  in  folgende  zwei  Gleichungen: 


(6) 


y  'dS  ^  dV  dW 
dx         dx  '^  dx 

rp^S  ^  du  dW 
dy         dy  ^   dy' 


Aus  diesen  Gleichungen  kann  man  durch  zweite  Differentiation 
eine  der  Grössen  S  oder  TJ  eliminiren. 


Bestimmung  der  Enei-gie  und  Entropie.  207 

Wir  wollen  zuerst  die  Grösse  U  eliminiren,  weil  die  dadurch 
entstehende  Gleichung  die  einfachere  ist. 

Wir  differentiiren  dazu  die  erste  der  Gleichungen  (6)  nach  y 

und  die  zweite  nach  x.    Dabei  wollen  wir  die  Differentialcoefficienten 

zweiter  Ordnung  von  S  und  U  ganz  so,  wie  gewöhnlich,  schreiben. 

d  W  dW 

Die  Differentialcoefficienten  von  — —  und  — —  dagegen  wollen  wir, 

dx  oy 

wie  es  schon  in  Abschnitt  V.  geschehen  ist,  um  äusserlich  anzu- 
deuten, dass  es  nicht   Differentialcoefficienten   zweiter   Ordnung 

c    /dW\ 
einer  Function   von  x  und  y   sind,   so  schreiben:  —-  {— — )  und 

c  y  \  V  X  / 

;r—  (  — —  )  •     Endlich  ist  noch  zu  beachten ,   dass  die  in  den  Glei- 
dx  \cy  J 

chungen  vorkommende  Grösse  T,  nämlich  die  absolute  Temperatur 

des  Körpers,  von  welcher  wir  in  dieser  Entwickelung  annehmen, 

dass   sie   in   allen  Theilen   des  Körpers   gleich   sei,   ebenfalls   als 

Function  von  x  und  y  anzusehen  ist.     Wir  erhalten  also : 

dy  \dx  ) 

'    ex  \  cy  J 

Wenn  wir  die  zweite  dieser  Gleichungen  von  der  ersten  abziehen, 
und  dabei  bedenken,  dass 

und 


dT 
dy 

dS             c'-S 
dx    '        dxdy 

_  d^ü 

dxcy 

dT 
dx 

dS        rj.  o-'S 
dy    '   cydx 

_   c-^ü 
cycx 

dxdy       dydx  dxdy       dydx 

ist,  so  erhalten  wir: 

ar  _  8Ä  _  8T    8Ä  _  _8_  rdW\ d_  rdW\ 

dy     dx        dx     dy        dy  \dx  J        ex  \dy ) 
Die  hierin  an  der  rechten  Seite  stehende  Differenz  haben  wir 
in  Abschnitt  V.   die  mif  xy  hesügliclie  Arbeit  sdi ff  er  enz  genannt 
und  mit  JD^y  bezeichnet,  so  dass  zu  setzen  ist: 

(7)  2).    =^(^JL\_1.(^^\. 

^^        dy  \dxj        cx\dyj 

Hierdurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

/Q.  dT    dS       dT    cS        ^ 

dy     dx       cx     cy  ^ 

Dieses  ist  die  aus  der  Gleichung  (5)  hervorgehende,  zur  Bestimmung 

von  S  dienende  Differentialgleichung. 


208  Abschnitt  IX. 

Um  ferner  aus  den  beiden  Gleichungen  (6)  die  Grösse  S  zu 
eliminiren,  schreiben  wir  sie  in  folgender  Form: 

d_S  _  ]_     dU       }_     dW 

dx~  T  '  dx^  T  '  dx 

dy  —  T  '  dy  '^  T  '  dy  ' 
Von  diesen  Gleichungen  differentiiren  wir  wieder  die  erste  nach  y 
und  die  zweite  nach  x^  wodurch  kommt: 

d^S         1      d^U         1     dT    dU  ,     d    /l     8Tf^ 


1 

dT 

^2 

dy 

1 

dT 

7^2 

'  dx 

"*"  dy  \T  '   dx) 


dxdy        T    dxdy        T^     dy     dx 
d^S         1       82^7  l      dT    dU  ,     d    /l^    dW\ 


^  dx  y. 


dydx  T  dydx  T'^  dx  dy  '  dx  \T  dy  J 
Subtrahirt  man  die  zweite  dieser  Gleichungen  von  der  ersten  und 
bringt  in  der  dadurch  entstehenden  Gleichung  die  Glieder,  welche 
U  enthalten,  auf  die  linke  Seite,  und  multiplicirt  dann  noch  die 
ganze  Gleichung  mit  T^,  so  kommt: 

dy  '  dx        dx'  dy  ~         \dy  \T  '   dx )        dx  \T  '    dy)\' 

Für  die  hierin  an  der  rechten  Seite  stehende  Grösse  wollen 

wir  ebenfalls  ein  besonderes  Zeichen  einführen,  indem  wir  setzen : 

wobei  zu  bemerken  ist,  dass  zwischen  Dxy  und  /:Jxy  folgende  Be- 
ziehung stattfindet: 
,,„,  .  ^^  dT    dW    ,    dT    dW 

Nach  Einführung  dieses  Zeichens  lautet  die  obige  Gleichung: 

dT^    dXl  _d_T_    dJl 

dy      dx        dx      dy 
Dieses   ist   die   aus   der   Gleichung    (5)   hervorgehende,   zur   Be- 
stimmung von   JJ  dienende  Differentialgleichung. 


.,,x  VJ-        V  U  VJ.        u  u  . 


§.  3.     Einführung  der  Temperatur  als  eine  der  unab- 
hängigen Veränderlichen, 

Die  vorstehenden  Gleichungen  nehmen  eine  besonders  einfache 
Gestalt  an,  wenn  man  darin  als  eine  der  unabhängigen  Veränder- 
lichen die  Temperatur  T  wählt.    Setzt  man  T  =  y^  %o  folgt  daraus  : 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie. 


209 


dT 

dp 


und  — - 

dx 


0. 


Man  erhält  daher  aus  (10)  folgende,  die  Beziehung  zwischen  D^  t 
und  ^x  T  ausdrückende  Gleichung : 

dW 
(12)  ^,T=TD,T-^. 

und  die  Gleichungen  (8)  und  (11)  gehen  über  in: 


(13) 


dx 
dU 
dx 


D 


X  T 


^. 


Hierdurch  sind  die  auf  x  bezüglichen  Differentialcoefficienten 
der  beiden  Functionen  S  und  U  bestimmt.  Für  die  auf  T  bezüg- 
lichen Differentialcoefficienten  wollen  wir  die  Ausdrücke  beibehalten, 
welche  sich  unter  der  Voraussetzung,  dass  der  Zustand  des  Körpers 
durch  die  Veränderlichen  T  und  x  bestimmt  wird,  unmittelbar  aus 
den  Gleichungen  (2)  und  (1)  ergeben,  nämlich: 

M  _  1   M 

öT  ~  T ' dT 

du  _  dQ      dW 

dT  ~  dT        dT' 
Durch   Anwendung    der   Gleichungen   (13)  und  (14) 
folgende  vollständige  Differentialgleichungen  bilden: 

1      8^ 


(14) 


kann   man 


(15) 


dS  = 


T     d~T  ^^-^  ~^  Da:  Tax 
dU=  (II  -  1^)  r?r-f  ^^Tclx. 

Da  die  Grössen  S  und  U  sich  durch  Functionen  von  T  und  x 
darstellen  lassen  müssen,  in  welchen  die  beiden  Veränderlichen  T 
und  X  als  von  einander  unabhängig  angesehen  werden  können,  so 
muss  für  die  beiden  vorstehenden  Gleichungen  die  bekannte  Be- 
dingungsgleichung der  Integrabilität  gelten.  Für  die  erste  Gleichung 
lautet  diese: 

dxKT'dTj       er  ' 

oder  anders  geschrieben: 

i  (H)  =  - 


d   rdQ\  _  rr  dJD.T 
dT  ' 


Clausius,  mechau.  Wärmetlieorie.     I. 


14 


X  T 


210  Abschnitt  IX. 

welches  die  Gleichung  (15)  des  Ahschnittes  V.  ist.    Für  die  zweite 
Gleichung  lautet  die  Bedingungsgleichung: 

^   ^  dx  \dT)       dx  VöT )         d'j 

welche  Gleichung  leicht  auf  die  vorige  zurückgeführt  werden  kann. 

Nach  (12)  ist  nämlich: 

y,  _    TD  ^^ 

^x  T  -L  Ux  T Z * 

cx 
Differentiirt  man  diese  Gleichung  nach  T,  so  kommt: 

d  /Jx  T 


__  rp^DxT    ,     j.  d     /dW\ 


dT 

Bedenkt  man  nun,  dass: 

_  _a_  /dW\ d_  /dW\ 

so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in : 

d^xT  _  rp  dPxT  _  _d_  /dW\ 

dT    ~         dT         dx  \dTj' 
Durch  Einsetzung  dieses  Werthes  von  -^-wr  in  die  Gleichung  (17) 

gelangt  man  wieder  zu  der  Gleichung  (16). 

Demgemäss  kann  man  die  Gleichungen  (15)  zur  Integration 
anwenden  und  dadurch  für  die  Grössen  S  und  U  Ausdrücke 
gewinnen,  deren  jeder  nur  noch  eine  unbestimmt  bleibende  Con- 
stante  enthält.  Diese  Constanten  lassen  sich  auch  noch  be- 
stimmen, wenn  für  irgend  einen  möglichen  Zustand  des  Körpers, 
welchen  man  bei  der  Integration  als  Anfangszustand  wählen 
kann,  die  Werthe  von  S  und   U  bekannt  sind. 


§.  4     Specialisirung  der  Differentialgleichungen   durch 

Annahme   eines  gleichmässigen  Oberflächendruckes   als 

einzige  äussere  Kraft. 

Wird  als  äussere  Kraft  nur  ein  gleichmässiger  und  normaler 
Oberflächendruck  angenommen,  so  dass  zu  setzen  ist: 

dW  =  pdv, 
und  daher : 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie.  211 

cW  dv       3  dW  dv 

^—  =  p  TT-  und  ^T—  =  p  7—  , 
dx  ex  cy  ey 

so  nehmen  die  Ausdrücke  von  D^y  und  ^^y  besondere  Formen  an, 
von  denen  die  für  Z).r,/  geltende  schon  im  Abschnitt  V.  angeführt 
wurde.     Man  erhält  zunächst: 

^  c    /     cv\         d    (    dv\ 

^^^-dljY-x)-Tx^'üj) 

'^''  '^'^'\üi\l'Tx)~~d~x  \T  '  üj)\ ' 

In  der  letzteren  dieser  Gleichungen  wollen  wir  zur  Abkürzung 
setzen: 

(18)  ^  =  f , 

wodurch  sie  übergeht  in: 

Führt  mau  nun  in  diesen  Gleichungen  die  Differentiation  der  Pro- 
■,,.,,.,--.  d'^v  d^v     .  , 


ULH^l.1^     £11 

lO  ,       LIU 

dxcy       cydx 

man: 

(19J 

j^     dp     dv        dp     dv 

•LJxy  ^           ,-x                -->        '   o      ) 

dy     ex        ex    dy 

(20) 

rj.^  fdn     dv        dn     dv\ 
'~~        \dy     ex       dx     dy) 

Wird  als 

eine  der  unabhängigen  Veränderlichen  die  Tempe^ 

ratur  T 

gewählt,  während  die  andere  x  bleibt,  so  lauten  die  Aus- 

drücke : 

(21; 

j.            dp     dv        dp     dv 
^^~ÖT     dx       dx     dT' 

(22J 

/cTC     d v         dn     d  v\ 

^^T=   J--  i                    ^,            a  ^       ;.  T  ) ' 

oder  auch,  wenn  man  für  7t  wieder  seinen  Werth  4^  setzt: 
,  rp  /dp     ev        dp     dv\  cv 

Hierdurch    gestalten    sich    die    Gleichungen    (15)    folgender- 
maassen : 

14* 


212 


Abschuitt  IX. 


(23)  c/Ä_^-g^rfi  +  (^g^-g^      a^    öt)'^^^ 

(24)  dP  =  (^^  _p  ^j  rfT+  P  (^^  .  _  _  _  .  _jdx. 
oder  anders  geschrieben : 

(24a)  c?Cr=  [^^^p  -^j  .^T-f  I^T  (^_  .  _  -  _  .  — j 

^^1     7 

Wird  nun  weiter  als  zweite  bis  jetzt  unbestimmt  gelassene 
Veränderliche  das  Volumen  v  gewählt,  und  somit  x  =  v  gesetzt, 
so  hat  man: 

-  =  1  und  gy  =  0, 

und  die  vorigen  Gleichungen  gehen  dadurch  über  in: 

1      ^Q  ^rp   i     dp 


(25) 


dv 


dS—  ^-^^^^  ^T 
dü=y^dT^{Tl^-l)dv. 


Wird  als  zweite  unabhängige  Veränderliche  neben  T  der  Druck  p 
gewählt,  und  somit  x  ■=  p  gesetzt,  so  ist : 


^  =  1  und  ^ 

dx  -      dT 


0, 


und  es  kommt  somit: 


(26) 


^^=(ll-^ll)^^-(^ll+^li)^^- 


§.  5.    Anwendung  der  vorigen  Gleichungen  auf  homogene 
Körper  und  speciell  auf  vollkommene  Gase. 

Bei  homogenen  Körpern,  auf  welche  als  äussere  Kraft  nur 
ein  gleichmässiger  und  normaler  Oberflächendruck  wirkt,  pflegt 
man,  wie  es  am  Schlüsse  des  vorigen  Paragraphen  geschehen  ist, 
zwei  der  Grössen  T,  v  und  j9  als  unabhängige  Veränderliche  zu 

wählen,  und  der  Differentialcoefficient  -^  nimmt  die  schon  mehr- 

0  1 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie.  213 

fach  erwähnte   einfache  Bedeutung  an.     Wenn  nämlich  T  und  v 

die  unabhängigen  Veränderlichen  sind,  so  bedeutet  ^,.  falls  das 

6  1 

Gewicht  des  Körpers  eine  Gewichtseinheit  ist,  die  specifische  Wärme 

bei   constantem  Volumen,  und  wenn  T  und  p  die  unabhängigen 

?  0 
Veränderlichen   sind,    so   bedeutet  ^rm  füi"    denselben    Fall    die 

6  1 

specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke.     Die  Gleichungen  (25) 

und  (26)  gehen  daher  über  in: 


(27) 


dU=  C,dT^{T^  -i^dv 


\dS=^dT-^dp 

(28)  l  -L  o±  c,  ^ 

dU=  (C,  -pl^^dT-(^T^  +  p'^)  dp. 

Wollen  wir  diese  Gleichungen  auf  ein  vollkommenes  Gas  an- 
wenden, so  kommt  die  bekannte  Gleichung: 

pv  —  RT 
zur  Geltung.     Aus  dieser  folgt,  wenn  T  und  v  als  unabhängige 
Veränderliche  gewählt  werden: 

dp  _B 

dT~  v' 
und  die  Gleichungen  (27)  gehen  daher  über  in: 

(29)  Us  =  C,''-^  +  B^-^ 

[dJJ  =  C^dT. 
Da  in  diesem  Falle  Cv  als  constant  zu  betrachten  ist,   so  lassen 
sich  diese  Gleichungen  sofort  integriren  und  geben,  wenn  die  auf 
den  Anfangszustand  bezüglichen  Grössen  zur  Unterscheidung  mit 
dem  Index  0  versehen  werden : 

(30)"  JS=S,  +CJ.,|  +  B%i 

Wählt  man  T  und  p  als  unabhängige  Veränderliche,  so  hat  man 
zu  setzen: 


214  Absclinitt  IX. 

dv__R       d  5i!  _  _  Ä^. 
dT~  p  ^^    dp~        i)2  • 

Demnach  gehen  die  Gleichungen  (28)  über  in: 

(31)  \  "^    T  p 
[dü=  (Cp  -  R)dT, 

woraus  sich  durch  Integration  ergiebt: 

Is  ^-=  S,  -f  Cplog  ^  -  RJog  ^ 

(32)  ]  0     ^       P      J    r^^  J  ^^ 

[ü=Uo  +  (C,-B)(I-T,). 
Die  Integration  der  allgemeineren  Gleichungen  (27)  und  (28) 
lässt  sich  natürlich  erst  dann  ausführen,  wenn  in  (27)  p  und  C^ 
als  Functionen  von  T  und  v  und  in  (28)  v  und  Cj,  als  Functionen 
von  T  und  ^j  bekannt  sind. 


§.  6.     Anwendung    der    Gleichungen    auf    einen    Körper, 
welcher  sich  in   zwei  verschiedenen  Aggregätzuständen 

befindet. 

Als  weiteren  speciellen  Fall  wollen  wir  noch  den  zur  Betrach- 
tung auswählen ,  auf  welchen  sich  die  Abschnitte  VI.  und  VII.  be- 
ziehen, nämlich  den  Fall,  wo  der  betrachtete  Körper  sich  theils  in 
einem,  theils  in  einem  anderen  Aggregatzustande  befindet,  und  wo 
die  Aenderung,  welche  der  Körper  bei  constanter  Temperatur  er- 
leiden kann,  darin  besteht,  dass  die  Grössen  der  in  den  beiden 
Aggregatzuständen  befindlichen  Theile  sich  ändern,  womit  eine 
Veränderung  des  Volumens,  aber  keine  Veränderung  des  Druckes 
verbunden  ist.  Da  in  diesem  Falle  der  Druck  p  nur  von  der 
Temperatur  abhängt,  so  haben  wir  in  den  Gleichungen  (23)  und 
(24a)  zu  setzen: 

1^  =  0, 

dx 


wodurch  jene  Gleichungen  in  folgende  übergehen: 
(33) 


dS=j.^dT+^.-dx 


^Q         ^   ^^\  ^rr    ^     (rr  du?  .A   e^  ^^ 

dx 


'^-{u-^u)'^+{^li-^) 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie.  215. 

Bezeichnen  wir  nun,  wie  es  in  den  Abschnitten  VI.  und  VII. 
geschehen  ist,  das  Gewicht  der  ganzen  Masse  mit  M  und  das 
Gewicht  des  Theiles,  welcher  sich  im  zweiten  Aggregatzustande 
befindet,  mit  m,  und  nehmen  m  statt  x  als  zweite  unabhängige 
Veränderliche,  so  gilt  die  in  Abschnitt  VI.  unter  f6)  gegebene 
Gleichung: 

dv  

dm  ' 

wofür  wir  nach  Gleichung  (12)  desselben  Abschnittes  auch  setzen 
können : 

dv  Q 

dm        rp  dp 
JT 
Dadurch  gehen  die  vorigen  Gleichungen  über  in: 

(34) 


dS  =  j,-^dTJr^dm, 


V  (IT/ 

Für  die  Integration  dieser  Gleichungen  diene  als  Ausgangs- 
punkt derjenige  Zustand,  wo  die  ganze  Masse  31  sich  im  ersten 
Aggregatzustande  befindet,  die  Temperatur  Tn  hat  und  unter  dem- 
jenigen Drucke  steht,  welcher  dieser  Temperatur  entspricht.  Den 
Uebergang  von  diesem  Zustande  zu  dem  gegenwärtigen,  wo  die 
Temperatur  T  ist ,  und  wo  von  der  Masse  M  der  Tlieil  m  sich  im 
zweiten  und  der  Theil  M —  m  im  ersten  Aggregatzustande  befindet, 
denke  man  sich  auf  folgendem  Wege  bewirkt.  Zuerst  werde  die 
Masse,  während  sie  immer  ganz  im  ersten  Aggregatzustande  bleibt, 
von  der  Temperatur  T,)  bis  zur  Temperatur  T  erwärmt,  und  der 
Druck  ändere  sich  dabei  in  der  Weise,  dass  er  immer  der  gerade 
stattfindenden  Temperatur  entspreche.  Dann  gehe  bei  der  Tem- 
peratur T  der  Theil  m  der  Masse  aus  dem  ersten  in  den  zweiten 
Aggregatzustand  über.  Für  diese  beiden  nach  einander  statt- 
findenden Veränderungen  möge  die  Integration  ausgeführt  werden. 

Während  der  ersten  Veränderung  ist  dm  =  0,  und  es  ist  also 
nur  das  erste  Glied  an  der  rechten  Seite  der  vorigen  Gleichungen 

ZU  integriren.     Darin  hat  ^-^  den  Wertli  ilf  C,  wenn  C  die  speci- 

fische  Wärme  des  Körpers  im  ersten  Aggregatzustande  bedeutet, 


216  Abschnitt  IX. 

und  zwar  die  specifische  Wärme  für  den  Fall,  wo  bei  der  Erwär- 
mung der  Druck  sich  in  der  oben  erwähnten  Weise  ändert.  Von 
dieser  specifischen  Wärme  ist  schon  mehrfach  die  Rede  gewesen 
und  nach  den  im  §.  6  des  vorigen  Abschnittes  ausgeführten  Be- 
stimmungen kann  sie  für  den  Fall,  wo  der  erste  Aggregatzustand 
der  feste  oder  flüssige  und  der  zweite  der  luftförmige  ist,  in  nume- 
rischen Rechnungen  ohne  Bedenken  der  specifischen  Wärme  bei 
constantem  Drucke  gleich  gesetzt  werden.  Nur  bei  sehr  hohen 
Temperaturen,  bei  denen  das  Wachsen  der  Dampfspannung  mit 
der  Temperatur  sehr  schnell  stattfindet,  kann  der  Unterschied 
zwischen  der  specifischen  Wärme  C  und  der  specifischen  Wärme 
bei  constantem  Drucke  so  erheblich  werden ,  dass  er  berücksichtigt 
werden  muss.  Ferner  hat  während  der  ersten  Veränderung  das 
mit  V  bezeichnete  Volumen  den  Werth  3l6,  worin  ö  das  specifische 
Volumen  des  Stoffes  im  ersten  Aggregatzustande  bedeutet.  Wäh- 
rend der  zweiten  Veränderung  ist  dT  =  0,  und  es  ist  daher  nur 
das  zweite  Glied  an  der  rechten  Seite  der  obigen  Gleichungen  zu 
integriren.  Diese  Integration  lässt  sich  in  beiden  Gleichungen  so- 
fort ausführen,  da  die  Factoren,  mit  denen  das  Differential  dm 
multiplicirt  ist,  von  m  unabhängig  sind,  und  daher  nur  dm  selbst 
integrirt  zu  werden  braucht,  wodurch  m  entsteht.  Es  kommt 
somit : 


(35) 


T    ^ 

^  mg 


ü=U.  +  Mf(c-pl^)dT-^mJl--^ 


Setzt  man  in  diesen  Gleichungen  m  =  o  oder  m  =  M,  so 
erhält  man  die  Entropie  und  Energie  für  die  beiden  Fälle,  wo  die 
Masse  sich  entweder  ganz  im  ersten  oder  ganz  im  zweiten  Aggregat- 
zustande befindet,  und  dabei  die  Temperatur  T  hat,  und  unter  dem 
dieser  Temperatur  entsprechenden  Drucke  steht.  Ist  z.  B.  der 
erste  Aggregatzustand  der  flüssige  und  der  zweite  der  luftförmige, 
so  beziehen  sich  die  Ausdrücke,  wenn  in  ihnen  m  =  o  gesetzt 
wird,  auf  Flüssigkeit  von  der  Temperatur  T  und  unter  einem 
Drucke,  welcher  gleich  dem  Maximum  der  Spannkraft  des  Dampfes 
für  diese  Temperatur  ist,  und  wenn  m  =  M  gesetzt  wird,  auf 
gesättigten  Dampf  von  der  Temperatur  T. 


Bestimmung  der  Energie  und  Entropie.  217 


§.  7.    Verhalten  der  Grössen  Dxy  und  ^i^, 


xy 


Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  wird  es  zweckmässig  sein, 
die  Aufmerksamkeit  noch  auf  die  Grössen  JDxy  und  zl^y  zu  lenken, 
welche  gemäss  den  Gleichungen  (7)  und  (9)  folgende  Bedeutungen 
haben : 

^^  ~  dy\dx  )       dx\dy) 

'~  \jdy\T  dxj  dx\T  dy)\ 
Diese  beiden  Grössen  sind  Functionen  von  x  und  y.  Wählt  man 
zur  Bestimmung  des  Zustandes  des  Körpers  statt  der  Veränder- 
lichen X  und  y  irgend  zwei  andere  Veränderliche,  welche  ^  und  rj 
heissen  mögen,  und  bildet  mit  diesen  die  entsprechenden  Grössen 
D^^  und  z/f^,  nämlich: 


(36) 


'      _  _a_  fdW\ d_  (dW\ 


so  sind  diese  Grössen  natürlich  Functionen  von  |  und  j^,  ebenso 
wie  die  vorigen  Grössen  Functionen  von  x  und  y.  Vergleicht  man 
nun  aber  einen  dieser  beiden  letzten  Ausdrücke,  z.  B.  denjenigen 
von  Dir,  mit  dem  Ausdrucke  der  entsprechenden  Grösse  D^y,  so 
findet  man,  dass  sie  nicht  bloss  zwei  auf  verschiedene  Veränder- 
liche bezogene  Ausdrücke  einer  und  derselben  Grösse  sind,  sondern 
dass  sie  wirklich  verschiedene  Grössen  darstellen.  Aus  diesem 
Grunde  habe  ich  Dxy  nicht  kurzweg  die  ArbeitsdifFerenz ,  sondern 
die  auf  xy  bezügliche  ArbeitsdifFerenz  genannt,  wodurch  sie  sofort 
von  D^r,i  nämlich  von  der  auf  |7j  bezüglichen  Arbeitsdifferenz, 
unterschieden  wird.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  ^xy  und  z/^,„ 
welche  gleichfalls  als  zwei  verschiedene  Grössen  anzusehen  sind. 

Die  Beziehung,  welche  zwischen  den  Grössen  D^y  und  D^r, 
besteht,  findet  man  folgendermaassen.  Die  Differentialcoefficienten, 
welche  in  dem  in  (36)  gegebenen  Ausdrucke  von  D^r,  vorkommen, 
können  in  der  Weise  abgeleitet  werden,  dass  man  zuerst  die 
Differentialcoefficienten  nach  den  Veränderlichen  x  und  y  bildet, 
und  dann  jede  dieser  beiden  Veränderlichen  als  eine  Function  von 
I  und  ?^  behandelt.     Auf  diese  Art  erhält  mau: 


218 


Abschnitt  IX. 

dW 

dt" 

dW    dx       dW    dy 

dx  '  dl    '     dy      dl 

dW 

dr] 

dW  dx  dW  dy 
dx      dr]    '     dy      dr] 

Von  diesen  beiden  Ausdrücken  soll  der  erste  nach  r]  und  der  zweite 
nach  I  dififerentiirt  werden;  wodurch  man  unter  Anwendung  des- 
selben Verfahrens  erhält: 


'         d    /dW\     dx-dx         d    /dW\     dx 
dx  \dx)     dl     drj    '    dy  \dx)     dl 

dy 

d  rj 

d 
drj 

/dW\ 
\dl)  =  ' 

dW      d'^x     .     d    /dW\     dx    dy 
~^    dx      didrj    '    dx\dy )  '  dr]     dl 
,     d    /dW\     dy     dy    .    dW      dHj 
V    '^V  \dv)     Ol     dr]    '     dy      dl'dr] 

d    /dW\     dx    dx         d    /dW\     dx 
dx  \dx)     dl     dr]    '    dy  \  dx )     dr] 

dy 

dl 

d 
dl 

fdW\ 
\dr])-\ 

dW      d'^x     ,     d    /dW\     dx    dy 
"■     dx     dldr]    '    dx\dy)     dl     dr] 
d    /dW\     dy     dy    ,    dW      dHj 
\'^  dy  \dy)     dl     dr]    '     dy      dldr] 

Wenn  man  die  zweite  dieser  Gleichungen  von  der  ersten  abzieht, 
so  heben  sich  an  der  rechten  Seite  die  meisten  Glieder  auf,  und 
es  bleiben  nur  vier  Glieder  übrig,  welche  sich  in  der  folgenden 
Weise  in  ein  Product  aus  zwei  zweigliedrigen  Ausdrücken  zu- 
sammenziehen lassen: 

_d_  /dW\ d_  /dW\  _  /d^    djj_  _  dx    dy\  [ 

dr]\dl)        dl\dr])~\dl'  dr]  ~  drj'  dlJl 

d_  /dW 

dx  \  dy 

Der  in  dieser  Gleichung  an  der  linken  Seite  stehende  Ausdruck 
ist  Z)f^,   und  der  an  der  rechten  Seite  in  der  eckigen  Klammer 


d_ 
dy 


dW\ 

dx) 


stehende  Ausdruck  ist  D, 
(37)  A.  = 


Man  erhält  also  schliesslich: 

dy        dx    dy^ 


'xy 
'dx 

,8|      drj        dr]     dl 
Auf  gleiche  Art  findet  man  auch: 

.     /dx     dy        dx     dy' 

^^  ~\dl'  d^~  d^'dj/     -" 
Wenn  man  nur  Eine  der  Veränderlichen  durch  eine  neue  er- 
setzt, wenn  man  z.  B.  die  Veränderliche  x  beibehält,  während  man 


(37  aj 


D. 


^. 


Bestimmung  der  Energie  und  Entrofjie.  219 

statt  y  die  neue  Veränderliche  ri  einführt,  so  hat  man  in  den  bei- 
den  vorigen  Gleichungen  x  =  ^^  und  somit  -j^  =  1  und  y-  =  0 
zu  setzen,  wodurch  sie  übergehen  in: 


(38)  Do:r>   =  ^    Do; y    und    ZJ^^,   —    ^  ^xy 


^  D      und  ^      -  ^^ 

Will  man  zwar  die  ursprünglichen  Veränderlichen  beibehalten, 
aber-  ihre  Reihenfolge  ändern,  so  nehmen  dadurch  die  in  Rede 
stehenden  Grössen,  wie  man  sofort  aus  dem  blossen  Anblicke  der 
Ausdrücke  (7)  und  (9)  erkennt,  das  entgegengesetzte  Vorzeichen 
an,  also: 

(39)  Dya;  =  —  Bxy  und  Jy^c  =  —  ^xy 


ABSCHNITT  X. 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sind. 

§.  1.    Vervollständigung  der  mathematischen  Ausdrücke 
des  zweiten  Hauptsatzes. 

Bei  dem  Beweise  des  zweiten  Hauptsatzes  und  den  sich  daran 
knüpfenden  Betrachtungen  wurde  bisher  immer  angenommen,  dass 
alle  vorkommenden  Veränderungen  in  umkehrbarer  Weise  vor  sich 
gingen.  Wir  müssen  nun  noch  untersuchen,  inwiefern  die  Resultate 
sich  ändern,  wenn  diese  Voraussetzung  aufgegeben  wird,  und  auch 
solche  Vorgänge,  die  niclit  umjcehrbar  sind,  in  den  Kreis  der 
Betrachtungen  gezogen  werden. 

Solche  Vorgänge  kommen,  wenn  sie  auch  ihrem  Wesen  nach 
unter  einander  verwandt  sind,  doch  in  sehr  verschiedenen  Formen 
vor.  Ein  Fall  der  Art  wurde  schon  im  ersten  Abschnitte  ange- 
führt, nämlich  der,  wo  die  Kraft,  mit  welcher  ein  Körper  seinen 
Zustand  ändert,  z.  B.  die  Kraft,  mit  der  ein  Gas  sich  ausdehnt, 
niclit  einen  ihr  gleichen  Widerstand  findet,  und  daher  nicht  die 
ganze  Arbeit  leistet,  welche  sie  bei  der  Zustandsänderung  leisten 
könnte.  Ferner  gehört  dahin  die  Wärmeerzeugung  durch  Reibung 
und  Luftwiderstand  und  die  Wärmeerzeugung  durch  einen  galva- 
nischen Strom  bei  der  Ueberwindung  des  Leitungswiderstandes. 
Endlich  sind  die  unmittelbaren  Wärmeübergänge  von  warmen  zu 
kalten  Körpern,  welche  durch  Leitung  oder  Strahlung  stattfinden, 
dahin  zu  rechnen. 

Wir  wollen  nun  zu  den  Betrachtungen  zurückkehren,  durch 
welche  im  vierten  Abschnitte  bewiesen  wurde,  dass  in  einem  um- 


Vorgänge,  welclio  nicht  uiiik(;livbar  sind.  221 

kehrl^aren  Kreisproccsse  die  Summo  aller  Verwandlungen  gleich 
Null  sein  müsse.  Für  Eine  Verwandlungsart,  nämlich  den  Wärme- 
übergang zwischen  Körpern  von  verschiedenen  Temperaturen, 
wurde  es  als  ein  auf  dem  Wesen  der  Wärme  beruhender  Grund- 
satz angenommen,  dass  der  Uebergang  von  niederer  zu  höherer 
Temperatur,  welcher  eine  negative  Verwandlung  repräsentirt,  nicht 
ohne  Compensation  stattfinden  könne.  Darauf  gestützt  wurde  der 
Beweis  geführt,  dass  die  Summe  aller  in  einem  Kreisproccsse  vor- 
kommenden Verwandlungen  nicht  negativ  sein  könne,  weil  jede 
übrig  bleibende  negative  Verwandlung  auf  einen  Wärmeübergang 
von  niederer  zu  höherer  Temperatur  zurückgeführt  werden  könnte. 
Endlich  wurde  hinzugefügt,  die  Summe  der  Verwandlungen  könne 
auch  nicht  positiv  sein,  weil  man  sonst  den  Kreisprocess  nur  um- 
gekehrt auszuführen  brauchte,  um  sie  negativ  zu  machen. 

Der  erste  Theil  des  Beweises,  aus  welchem  hervorgeht,  dass 
die  Summe  aller  in  einem  Kreisproccsse  vorkommenden  Verwand- 
lungen nicht  negativ  sein  kann,  bleibt  unverändert  auch  dann 
gültig,  wenn  nicht-umkehrbare  Veränderungen  in  dem  betrachteten 
Kreisproccsse  vorkommen.  Der  hinzugefügte  Schluss  aber,  durch 
welchen  die  Unmöglichkeit  einer  positiven  Summe  bewiesen  wurde, 
kann  selbstverständlich  auf  einen  solchen  Kreisprocess,  der  sich 
nicht  umgekehrt  ausführen  lässt,  nicht  angewandt  werden.  Viel- 
mehr ergiebt  sich  aus  unmittelbarer  Betrachtung  der  Sache  sofort, 
dass  die  positiven  Verwandlungen  sehr  wohl  im  Ueberschusse  vor- 
handen sein  können,  da  bei  manchen  Vorgängen,  wie  bei  der  Wärme- 
erzeugung durch  Reibung  und  dem  durch  Leitung  stattfindenden 
Wärmeübergange  von  einem  warmen  zu  einem  kalten  Körper  nur 
eine  positive  Verwandlung  ohne  sonstige  Veränderung  vorkommt. 

Statt  des  früher  ausgesprochenen  Satzes,  dass  die  Summe  aller 
Verwandlungen  Null  sein  müsse,  hat  man  also,  wenn  nicht-umkehr- 
bare Veränderungen  mit  einbegrifi'en  werden,  folgenden  Satz  aus- 
zusprechen: 

Die  algebraische  Summe  aller  in  einem  Kreisp>~ocesse  vor- 
kommenden Venvandlungen  kann  nur  positiv  oder  als 
Grenzfcäl  Null  sein. 

Wir  wollen  eine  solche  Verwandlung,  welche  am  Schlüsse 
eines  Kreisprocesses  ohne  eine  andere  entgegengesetzte  übrig  bleibt, 
eine  uncompensirte  Verwandlung  nennen,  und  können  dann  den 
vorigen  Satz  noch  kürzer  so  aussprechen : 

Uncompensirte  Venvandlungen  können  nur  positiv  sein. 


222  Abschnitt  X. 

Um  den  mathematischen  Ausdruck  dieses  erweiterten  Satzes 
zu  erhalten,  brauchen  wir  uns  nur  zu  erinnern,  dass  die  Summe 
aller  in  einem  Kreisprocesse  vorkommenden  Verwandlungen  durch 

-—-  dargestellt  wird.     Wir  haben  also,  um  den  allgemeinen 

Satz  auszudrücken,  statt  der  früher  unter  (V.)  gegebenen  Gleichung 
zu  setzen: 


/ 


(IX.)  /^  ^  0, 


und  die  früher  unter  (VI.)  gegebene  Gleichung  geht  dann  über  in : 
(X.)  dQ^TdS. 

§.  2.     Grösse  der  uncompensirten  Verwandlung. 

Die  Grösse  der  uncompensirten  Verwandlung  ergiebt  sich  in 
manchen  Fällen  unmittelbar  aus  den  im  vierten  Abschnitte  ent- 
haltenen Bestimmungen  der  Aequivalenzwerthe  der  Verwandlungen. 
Wenn  z.  B.  durch  einen  Process  wie  die  Reibung  eine  Wärme- 
menge Q  erzeugt  ist,  und  diese  sich  schliesslich  in  einem  Körper 
von  der  Temperatur  T  befindet,  so  hat  die  dabei  eingetretene 
uncompensirte  Verwandlung  den  Werth: 

T' 

Wenn  ferner  eine  Wärmemenge  Q  durch  Leitung  aus  einem  Körper 
von  der  Temperatur  T^  in  einen  Körper  von  der  Temperatur  T^ 
übergegangen  ist,  so  ist  die  uncompensirte  Verwandlung: 


«(i-i) 


Hat  irgend  ein  Körper  einen  nicht  umkehrbaren  Kreisprocess 
durchgemacht,  so  haben  wir  zur  Bestimmung  der  dabei  eingetrete- 
nen uncompensirten  Verwandlung,  welche  mit  N  bezeichnet  werden 
möge,  nach  den  Auseinandersetzungen  des  Abschnittes  (IV,)  die 
Gleichung : 

Da  aber  ein  Kreisprocess  aus  vielen  einzelnen  Zustandsände- 
rungen  eines  gegebenen  Körpers ' gebildet  sein  kann,  von  denen 
einige  in  umkehrbarer  Weise ,  andere  in  nicht  umkehrbarer  Weise 


Vorgänge,  welclie  nicht  umkelirbar  Kind.  223 

geschehen  sind,  so  ist  es  in  manchen  Fällen  von  Interesse,  zu  wissen, 
wieviel  jede  einzelne  der  letzteren  zur  Entstehung  der  ganzen 
Summe  von  uncompensirten  Verwandlungen  beigetragen  hat.  Dazu 
denke  man  sich  nach  der  Zustandsänderung,  welche  man  in  dieser 
Weise  untersuchen  will,  den  veränderlichen  Körper  durch  irgend 
ein  umkehrbares  Verfahren  in  den  vorigen  Zustand  zurückgeführt. 
Dadurch  erhält  man  einen  kleineren  Kreisprocess,  auf  welchen  sich 
die  Gleichung  (1)  ebenso  gut  anwenden  lässt,  wie  auf  den  ganzen. 
Kennt  man  also  die  Wärmemengen,  welche  der  Körper  während 
desselben  aufgenommen  hat,  und  die  dazu  gehörigen  Temperaturen, 

so  giebt  das  negative  Integral  —  /  -^  die  in  ihm  entstandene  un- 

compensirte  Verwandlung.  Da  nun  die  Zurückführung ,  welche  in 
umkehrbarer  Weise  stattgefunden  hat,  zur  Vermehrung  derselben 
nichts  beigetragen  haben  kann,  so  stellt  jener  Ausdruck  die  ge- 
suchte, durch  die  gegebene  Zustandsänderung  veranlasste  uncom- 
pensirte  Verwandlung  dar. 

Hat  man  auf  diese  Weise  alle  die  Theile  des  ganzen  Kreis- 
processes,  welche  nicht  umkehrbar  sind,  untersucht,  und  dabei  die 
Werthe  Ny ,  N^  etc.  gefunden ,  welche  alle  einzeln  positiv  sein 
müssen,  so  giebt  ihre  Summe  die  auf  den  ganzen  Kreisprocess 
bezügliche  Grösse  iV,  ohne  dass  man  die  Theile,  von  welchen  man 
weiss,  dass  sie  umkehrbar  sind,  mit  in  die  Untersuchung  zu  ziehen 
braucht. 


§.  3.     Ausdehnung  eines  Gases  ohne  äussere  Arbeit. 

Es  wird  vielleicht  zweckmässig  sein,  die  im  vorigen  Para- 
graphen erwähnten  Zustandsänderungen  der  Körper,  welche  in 
nicht  umkehrbarer  Weise  vor  sich  gehen,  indem  die  zu  über- 
windenden Widerstände  geringer  sind,  als  die  wirkenden  Kräfte, 
nun  etwas  näher  zu  betrachten,  um  die  dabei  stattfindende 
Wärmeaufnahme  zu  bestimmen.  Da  es  aber  sehr  viele  und  in 
sehr  mannichf altiger  Weise  verschiedene  Zustandsänderungen  der 
Art  giebt,  so  müssen  wir  uns  hier  darauf  beschränken,  einige 
Fälle,  die  entweder  ihrer  Einfachheit  wegen  besonders  anschaulich 
sind,  oder  aus  anderen  Gründen  ein  specielles  Interesse  darbieten, 
als  Beispiele  zu  behandeln. 


224  ^  Abschnitt  X. 

Die  allgemeine  Gleichung  zur  Bestimmung  der  Wärmemenge, 
welche  ein  Körper  aufnimmt,  während  er  irgend  eine  in  umkehr- 
barer oder  nicht  umkehrbarer  Weise  vor  sich  gehende  Zustands- 
änderung  erleidet,  ist: 

(2)  Q=^U,-Ü,-^W, 

wenn  TJ^  und  U^  die  Energie  im  Anfangs-  und  Endzustande  und 
W  die  während  der  Veränderung  geleistete  äussere  Arbeit  be- 
deutet. 

Zur  Bestimmung  der  Energie  gelten  die  im  vorigen  Abschnitte 
aufgestellten  Gleichungen.  Wirkt  als  äussere  Kraft  nur  ein  gleich- 
massiger  und  normaler  Oberflächendruck,  und  ist  der  Zustand  des 
Körpers  durch  seine  Temperatur  und  sein  Volumen  bestimmt,  so 
kann  man  die  dort  unter  (27)  gegebene  Gleichung: 


dv 


(3)  dU=  C,MT^{t^-  i^ 

anwenden,  und  hat  sie  für  den  auf  irgend  einem  Wege  in  umkehr- 
barer Weise  stattfindenden  Uebergang  aus  dem  Anfaugszustande 
in  den  Endzustand  zu  integriren.  Ist  in  diesen  beiden  Zuständen 
die  Temperatur  gleich,  wie  wir  es  in  den  zunächst  folgenden  Bei- 
spielen voraussetzen  wollen,  so  kann  die  Integration  bei  constanter 
Temperatur  geschehen,  und  giebt,  wenn  das  Anfangs-  und  End- 
volumen mit  Vi  und  v^^  bezeichnet  werden : 

Vi 

wodurch  die  Gleichung  (2)  in  folgende  übergeht: 
(5)  Q=  J'(^Tl^-p\dv+W. 

Als  erster  und  einfachster  Fall,  möge  nun  der  behandelt 
werden,  wo  ein  Gas  sich  ohne  äussere  Arbeit  ausdehnt.  Man  denke 
sich  dazu  eine  Quantität  des  Gases  in  einem  Gefässe  befindlich 
und  nehme  an,  dass  dieses  Gefäss  mit  einem  leeren  Gefässe  in 
Verbindung  gesetzt  werde,  so  dass  ein  Theil  des  Gases  überströmen 
könne,  ohne  dabei  einen  äusseren  Widerstand  zu  überwinden.  Die 
Wärmemenge,  welche  das  Gas  in  diesem  Falle  aufnehmen  muss, 
um  seine  Temperatur  unverändert  zu  behalten,  bestimmt  sich  durch 
die  vorige  Gleichung,  wenn  darin  TT  =  0  gesetzt  wird,  also  durch 
die  Gleichung: 


Vorgänge,  welche  nicht  nmkehvbar  sind. 


(6J 


Q=-    ^ 


TT 


in  dv. 


Macht  man  die  specielle  Voraussetzung,  dass  das  Gas  ein  voll- 
kommenes sei,  und  daher  der  Gleichung 

BT 


genüge,  so  erhält  man: 


pv 

dp 

dT 


und  daher: 


dp 


B 


T  ^=  T—  = 


B 

V  ' 

pv 


B 


B 


dT 

wodurch  (6)  übergeht  in: 
(7)  ^  =  0. 

Exioerimentell  ist  die  Ausdehnung  ohne  äussere  Arbeit,  wie 
schon  früher  erwähnt,  von  Gaj-Lussac,  Joule  und  Regnault 
untersucht.  Joule  hat  seine  auf  die  Ausdehnung  der  Luft  bezüg- 
lichen Versuche  an  die  schon  in  Abschnitt  IL  beschriebenen  Ver- 
suche, durch  welche  er  die  bei  der  Zusammendrückung  der  Luft 
erzeugte  Wärme  bestimmte,  angeschlossen.  Der  in  Fig.  6  (S.  69) 
abgebildete  Recipient  B  wurde,  nachdem  er  mit  verdichteter  Luft 
von  22  Atm.  Druck  gefüllt  war.  so  wie  es  in  Fig.  18  angedeutet 
Fio-.  18.  ist .  mit  einem  leeren  Recipienten 

B'  in  Verbindung  gesetzt,  so  dass 
nur  noch  die  Hähne  die  Commu- 
nication  zwischen  ihnen  abschlös- 
sen. Beide  Recipienten  wurden 
zusammen  in  ein  Wassercalori- 
meter  gesetzt,  un-d  dann  die  Hähne 
geöffnet,  worauf  die  Luft  durch 
theilweises  Ueberströmen  in  den 
Recipienten  B'  sich  bis  ungefähr 
zum  doppelten  Volumen  ausdehnte.  Dabei  zeigte  das  Calorimeter 
keinen  Wärmeverlust,  und  die  Ausdehnung  der  Luft  hatte  also,  so 
weit  es  sich  in  diesem  Apparate  messen  liess,  ohne  Verbrauch  von 
Wärme  stattgefunden. 

Das  eben  ausgesprochene  Resultat,  dass  bei  der  Ausdehnung 
keine  Wärme  verbraucht  sei,  gilt  jedoch  nur  für  den  Process  im 
Ganzen,  aber  nicht  für  die  einzelnen  Theile  desselben.     Im  ersten 


Clausius,  mechan.  Wärmetheorie.    I. 


15 


226 


Abschnitt  X. 


Fig.  19. 


Recipienten ,  wo  die  Ausdehnung  der  Luft  stattfindet,  und  die 
Strömungsbewegung  entsteht,  wird  Wärme  verbraucht,  im  zweiten 
Recipienten  dagegen,  wo  die  Strömungsbewegung  wieder  aufhört, 
und  die  zuerst  eingeströmte  Luft  von  der  nachfolgenden  zu- 
sammengedrückt wird,  und  ebenso  an  den  Stellen,  wo  beim  Strömen 
Reibungswiderstände  zu  überwinden  sind,  wird  Wärme  erzeugt. 
Da  aber  die  Wärmeerzeugung  und  der  Wärmeverbrauch  einander 

gleich  sind,  so  heben  sie  sich 
gegenseitig  auf,  und  man  kann 
daher,  sofern  man  nur  das  Ge- 
sammtresultat  des  ganzen  Vor- 
ganges im  Auge  hat,  sagen,  es 
habe  kein  Wärmeverbrauch  statt- 
gefunden. 

Um  die  einzelnen  Theile  des 
Vorganges  besonders  beobachten 
zu  können,  hat  Joule  seinen 
Versuch  noch  in  der  Weise  abgeändert,  dass  er  die  beiden  Reci- 
pienten und  das  Hahnstück  in  drei  verschiedene  Caloriraeter  setzte, 
wie  es  in  Fig.  19  angedeutet  ist.  Da  zeigte  das  Calorimeter,  in 
welchem  der  Recipient,  aus  dem  die  Luft  ausströmte,  sich  befand, 
Wärmeverlust,  und  die  beiden  anderen  Calorimeter  zeigten  Wärme- 
gewinn. Der  ganze  Wärmegewinn  war  dem  Wärmeverluste  so 
nahe  gleich,  dass  Joule  glaubt,  die  noch  vorhandene  Differenz 
aus  den  Fehlerquellen  des  Versuches  erklären  zu  können. 


§.  4.     Ausdehnung  eines  Gases  mit  unvollständiger 

Arbeit. 


Wenn  bei  der  Ausdehnung  eines  Gases  zwar  ein  Gegendruck 
zu  überwinden  ist,  dieser  aber  der  Expansivkraft  des  Gases  an 
Grösse  nicht  gleichkommt,  so  wird  eine  Arbeit  geleistet,  welche 
kleiner  ist  als  die,  welche  das  Gas  bei  der  Ausdehnung  leisten 
könnte.  Dieses  ist  z.  B.  der  Fall,  wenn  ein  Gas  aus  einem  Gefässe, 
in  welchem  es  einen  höheren,  als  den  atmosphärischen  Druck  hat, 
in  die  Atmosphäre  ausströmt. 

Auch  in  diesem  Falle  ist  der  Vorgang  ein  sehr  complicirter. 
Es  findet  nicht  bloss  die  für  die  Ausdehnung  nöthige  Arbeit  und 
der  ihr  entsprechende  Wärmeverbrauch  statt,   sondern  auch  zur 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sind.  227 

Hervorbringuiig  der  Ausströmungsgeschwindigkeit  Avird  Wärme 
verbraucht  und  bei  der  nachherigen  Abnahme  dieser  Geschuindig- 
keit  wieder  Wärme  erzeugt.  Ebenso  ^särd  zur  Ueberwindung  des 
Reibungswiderstandes  Wärme  verbraucht  und  durch  die  Reibung 
selbst  Wärme  erzeugt.  Wollte  man  alle  diese  einzelnen  Theile  des 
Vorganges  näher  bestimmen,  so  wüi'de  das  grosse  Schwierigkeiten 
machen.  Wenn  es  sich  aber  nur  darum  handelt,  die  Wärmemenge 
zu  bestimmen,  welche  man  im  Ganzen  von  Aussen  her  zuführen 
muss,  damit  die  Temperatur  des  Gases  constant  bleibe,  so  ist  die 
Sache  einfacher.  Dann  kann  mau  die  Theile  des  Vorganges,  deren 
Wirkungen  sich  gegenseitig  aufheben,  ausser  Acht  lassen,  und 
braucht  nur  das  Anfangs-  und  Endvolumen  des  Gases  und  die- 
jenige Arbeit,  welche  nicht  wieder  in  Wärme  verwandelt  -^-ird,  zu 
berücksichtigen.  Dabei  ist  die  innere  Arbeit  dieselbe,  wie  bei 
jeder  anderen  bei  derselbien  Temjjeratur  zwischen  demselben  An- 
fangs- und  Endvolumen  stattfindenden  Ausdehnung  des  Gases,  und 
die  äussere  Arbeit  wird  einfach  durch  das  Product  aus  der  Volumen- 
zunahme und  dem  atmosphärischen  Drucke  dargestellt. 

Um  nun  die  gesuchte  Wärmemenge  zu  erhalten,  gehen  wir 
wieder  von  der  Gleichung  (5)  aus,  und  setzen  darin  für  W  den 
Ausdruck  der  in  unserem  jetzigen  Falle  geleisteten  äusseren  Arbeit, 
nämlich,  wenn  p^  den  atmosphärischen  Druck  bedeutet,  das  Pro- 
duct ^^2  (1-2  —  t\),  wodurch  die  Gleichung  übergeht  in: 

Vi 

(8)  Q  =f[T  ^  -  i^  dv  +  i>,  (V,  -  CO. 

Wenn  das  Gas  ein  vollkommenes  wäre,  so  würde  das  an  der 
rechten  Seite  stehende  Integral,  wie  schon  im  vorigen  Paragraphen 
erwähnt  wurde,  gleich  Null  werden,  und  die  vorstehende  Gleichung 
daher  in  folgende  einfachere  übergehen: 

(9)  Q=J?2  (v,-  t-i), 

welche  ausdrückt,  dass  in  diesem  Falle  die  zugeführte  Wärme  nur 
der  zur  ueberwindung  des  äusseren  Luftdruckes  nöthigeu  Arbeit 
entspräche. 

Will  man  die  Wärme  nicht  nach  mechanischen  Einheiten, 
sondern  nach  gewöhnlichen  Wärmeeinheiten  messen,  so  hat  man 
die  Ausdrücke  an  der  rechten  Seite  von  (8J  und  (9)  durch 
das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  zu  diridii'en,  und  erhält 
dann: 

15* 


228 


Abschnitt  X. 


(8  a) 


(9  a) 


Q 


Vi 


dp 
dT 


Pi 


T  ^  —p^dv^^iv. 


—  Vi), 


Q  =  ^  (.,  -  V,). 


Fig.  20. 


Joule  hat  auch   diese  Art  von   Ausdehnung   experimentell 
untersucht.    Nachdem  er,  wie  in  den  früher  erwähnten  Versuchen, 
Luft  in    einem   Recipienten    bis   zu    hohem    Drucke   comprimirt 
hatte,  Hess  er  sie  unter  atmosphärischem  Gegendrucke  ausströmen. 
Um   dabei  die  ausströmende  Luft  wieder  auf  die  ursprüngliche 
Temperatur  zu  bringen,  Hess  er  sie  nach  dem  Austritte  aus  dem 
Recipienten  noch  durch  ein  langes  Schlangenrohr  strömen,  welches 
sich,   wie  es  in  Fig.  20  angedeutet  ist,  mit  dem  Recipienten  zu- 
sammen in  einem  Wassercalori- 
meter  befand.  Dann  blieb  für  die 
Luft  nur  die  kleine  Temperatur- 
erniedrigung  übrig,    welche    sie 
mit  der  ganzen  Wassermasse  des 
Calorimeters  gemein  hatte.    Aus 
der  Abkühlung  des  Calorimeters 
ergab  sich  die  an  die  Luft  während 
ihrer     Ausdehnung     abgegebene 
Wärmemenge.    Indem  Joule  auf 
diese  Wärmemenge  die  Gleichung 
(9a)   anwandte,   konnte   er  auch 
die  Ergebnisse  dieser  Versuche   dazu  benutzen,   das  mechanische 
Aequivalent  der  Wärme  zu  berechnen.    Er  erhielt  dabei  aus  drei 
Versuchsreihen  Zahlen,   deren  Mittelwerth  438   (nach  englischen 
Maassen  798)  ist,  ein  Werth,  welcher  mit  dem  durch  Compression 
der  Luft  gefundenen  Werthe  444  nahe  übereinstimmt,  und  auch 
von  dem  durch  Reibung  von  Wasser  gefundenen  Werthe  424  nicht 
weiter  abweicht,  als  aus  den  bei  diesen  Versuchen  vorkommenden 
Fehlerquellen  erklärlich  ist. 


§.  .5.     Versuchsmethode  von  Thomson  und  Joule. 

Die  vorstehend  erwähnten  Versuche  von  Joule,  bei  denen  eine 
in  einem  Recipienten  enthaltene  Luftmenge  sich  durch  theilweises 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sind. 


220 


Ueberströmen  in  einen  anderen  Recipienten,  oder  durch  Ausströ- 
men in  die  Atmosphäre  ausdehnte,  haben  gezeigt,  dass  die  Schlüsse, 
welche  man  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  Luft  ein  voll- 
kommenes Gas  sei,  ziehen  kann,  angenähert  mit  der  Erfahrung 
übereinstimmen.  Will  man  aber  untersuchen,  bis  zu  welchem 
Grade  der  Annäherung  das  Verhalten  der  Luft  oder  eines  anderen 
Gases  den  Gesetzen  der  vollkommenen  Gase  entspricht,  und  unter 
welchen  Gesetzen  die  etwa  noch  vorkommenden  Abweichungen  ste- 
hen, so  ist  dazu  jene  Versuchsweise  nicht  genau  genug,  indem  die 
Masse  des  betrachteten  Gases  im  Verhältnisse  zur  Masse  des  Wassers 
und  der  Gefässe,  welche  an  der  Wärmeveränderung  theilnehmen, 
zu  gering  ist,  und  daher  die  vorkommenden  Fehlerquellen  einen 
zu  grossen  Einfluss  auf  das  Resultat  gewinnen. 
^^^'  ^^'  Zu  diesen  feineren  Versuchen  ist  von  Thomson 
ein  sehr  zweckmässiges  Verfahren  ersonnen, 
welches  dann  von  ihm  und  Joule  in  eben  so 
sorgfältiger  als  geschickter  Weise  zur  Ausführung 
gebracht  isit. 

Man  denke  sich  ein  Rohr,  durch  welches  ein 
continuirlicher  Gasstrom  getrieben  wird,  in  wel- 
chem aber  an  einer  Stelle  durch  Einfügung  eines 
porösen  Pfropfes  der  Durchgang  des  Gases  so 
erschwert  ist,  dass  selbst  dann,  wenn  zwischen 
dem  vor  und  hinter  dem  Pfropfe  herrschenden 
Drucke  ein  beträchtlicher  Unterschied  obwaltet, 
doch  nur  eine  massige,  für  den  Versuch  geeignete  Menge  des 
Gases  während  der  Zeiteinheit  hindurchströmen  kann.  Thomson 
und  Joule  wandten  als  porösen  Pfropf  eine  Quantität  Baum- 
wolle oder  Seidenabfall  an,  welche,  wie  es  in  Fig.  21  angedeutet 
ist,  zwischen  zwei  durchlöcherten  Platten  AB  und  CD  zu- 
sammengepresst  war.  Betrachtet  man  nun  vor  und  hinter  dem 
Pfropf  in  solcher  Entfernung,  wo  die  Ungleichheiten  der  Bewe- 
gung, welche  sich  in  der  Nähe  des  Pfropfes  zeigen  können,  nicht 
mehr  merkbar  sind,  sondern  nur  ein  gleichmässiges  Strömen  des 
Gases  stattfindet,  zwei  Querschnitte  EF  und  GH,  so  geht  der 
ganze  Ausdehnungsprocess ,  welcher  der  Differenz  des  Druckes 
vor  und  hinter  dem  Pfropfe  entspricht,  in  dem  kleinen  zwischen  den 
beiden  Querschnitten  gelegenen  Räume  vor  sich.  Es  kann  daher, 
wenn  der  Gasstrom  längere  Zeit  gleichmässig  stattfindet,  ein 
stationärer  Zustand  eintreten,  in  welchem  alle  festen  Theile  des 


230  Abschnitt  X. 

Apparates  ihre  Temperatur  unverändert  beibehalten,  und  somit 
weder  Wärme  aufnehmen  noch  abgeben.  Wenn  dann  noch,  wie 
es  in  den  Versuchen  von  Thomson  und  Joule  der  Fall  war,  durch 
Umhüllung  des  betreffenden  Raumes  mit  schlechten  Wärmeleitern 
dafür  gesorgt  ist,  dass  keine  merkliche  Wärmemenge  von  Aussen 
her  zugeleitet  oder  nach  Aussen  hin  abgeleitet  wird,  so  muss  das 
Gas  allein  die  bei  dem  Vorgange  etwa  verbrauchte  oder  erzeugte 
Wärme  hergeben  oder  aufnehmen,  und  es  kann  daher,  selbst  wenn 
die  betreffende  Wärmemenge  nur  klein  ist,  eine  deutlich  erkennbare 
und  gut  messbare  Temperaturdifferenz  entstehen. 


§.  6.     Ableitung  der  auf  den  Fall  bezüglichen 
Gleichungen. 

Zur  theoretischen  Bestimmung  der  Temperaturdifferenz  wollen 
wir  zunächst  die  allgemeinere  Gleichung  bilden,  mittelst  deren  die 
Wärmemenge  bestimmt  wird,  welche  dem  Gase  mitgetheilt  werden 
müsste,  damit  die  Temperatur  im  zweiten  Querschnitte  irgend  einen 
verlangten  Werth  annähme.  Daraus  wird  sich  dann  leichtergeben, 
welche  Temperatur  entsteht,  wenn  die  mitgetheilte  Wärme  Null  ist. 

Die  einzelnen  Theile  des  in  Rede  stehenden  Vorganges  sind 
wieder  theils  mit  Wärmeverbrauch,  theils  mit  Wärmeerzeugung 
verbunden.  Zur  Ueberwindung  des  Reibungswiderstandes  beim 
Durchdringen  des  porösen  Pfropfes  wird  Wärme  verbraucht,  durch 
die  Reibung  selbst  aber  eben  so  viel  Wärme  erzeugt.  Zu  der  an 
gewissen  Stellen  eintretenden  Vermehrung  der  Strömungsgeschwin- 
digkeit wird  Wärme  verbraucht,  bei  der  an  anderen  Stellen  wieder 
eintretenden  Abnahme  der  Strömungsgeschwindigkeit  dagegen 
Wärme  erzeugt.  Bei  der  Bestimmung  der  Wärmemenge,  welche 
dem  Gase  im  Ganzen  mitgetheilt  werden  muss,  bleiben  aber  die 
sich  gegenseitig  compensirenden  Theile  des  Vorganges  ausser  Be- 
tracht, indem  es  genügt,  diejenige  Arbeit,  welche  als  geleistete  oder 
verbrauchte  äussere  Arbeit  übrig  bleibt,  und  ebenso  die  wirklich 
bleibende  Aenderung  der  lebendigen  Kraft  der  Strömungsgeschwin- 
digkeit zu  kennen.  Dazu  brauchen  wir  nur  die  Arbeit,  welche 
beim  Eintritt  des  Gases  in  unseren  Raum,  also  im  Querschnitt  EF^ 
und  beim  Austritt  des  Gases,  also  im  Querschnitt  GH^  geleistet 
wird ,  und  die  in  diesen  Querschnitten  stattfindenden  Strömungs- 
geschwindigkeiten zu  berücksichtigen. 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sinrl.  231 

Was  zunächst  die  Strömungsgeschwindigkeiten  anbetrifft,  so 
würde  man  die  Differenz  ihrer  lebendigen  Kräfte  leicht  in  Rech- 
nung bringen  können.  Wenn  aber  nur  so  geringe  Strömungs- 
geschwindigkeiten in  jenen  Querschnitten  vorkommen,  wie  bei  den 
Versuchen  von  Thomson  und  Joule,  so  kann  man  ihre  lebendigen 
Kräfte  ganz  vernachlässigen.  Es  bleibt  dann  also  nur  die  in  den 
beiden  Querschnitten  gethane  Arbeit  zu  bestimmen. 

Die  absoluten  Werthe  dieser  Arbeitsgrössen  erhält  man 
folgendermaassen.  Wenn  der  im  Querschnitte  EF  herrschende 
Druck  mit  j^^  bezeichnet  wird ,  und  wenn  das  Gas  in  diesem  Quer- 
schnitte eine  solche  Dichtigkeit  hat,  dass  eine  Gewichtseinheit  des 
Gases  bei  dieser  Dichtigkeit  das  Volumen  v^  einnimmt,  so  ist  die 
Arbeit,  welche  geleistet  wird,  während  eine  Gewichtseinheit  des 
Gases  durch  den  Querschnitt  strömt,  gleich  dem  Producte  PiV^. 
Ebenso  erhält  man  für  den  Querschnitt  GH^  wenn  der  hier  herr- 
schende Druck  mit  p^  und  das  specifische  Volumen  des  Gases  mit 
V2  bezeichnet  wird,  die  Arbeit  p^^v^.  Diese  beiden  Arbeitsgrössen 
sind  aber  mit  verschiedenen  Vorzeichen  in  Rechnung  zu  bringen. 
Im  Querschnitt  GH,  wo  das  Gas  aus  dem  betreffenden  Räume  aus- 
strömt, wird  der  äussere  Druck  überwunden,  in  welchem  Falle  wir 
die  geleistete  Arbeit  als  eine  positive  betrachten;  im  Querschnitt 
EF  dagegen,  wo  das  Gas  einströmt  und  sich  also  im  Sinne  des 
äusseren  Druckes  bewegt,  haben  wir  die  Arbeit  als  negativ  zu 
rechnen.  Die  im  Ganzen  geleistete  äussere  Arbeit  wird  also  durch 
die  Differenz 

dargestellt. 

Um  nun  weiter  die  Wärmemenge  zu  bestimmen,  welche  eine 
Gewichtseinheit  des  Gases  aufnehmen  muss,  während  sie  den  Raum 
zwischen  den  beiden  Querschnitten  durchströmt,  wenn  das  Gas  im 
ersten  Querschnitt,  wo  der  Druck  j^^  herrscht,  die  Temperatur  Ti 
hat,  und  im  zweiten,  wo  der  Druck  p^  herrscht,  die  Temperatur  To 
haben  soll,  müssen  wir  die  Gleichung  anwenden,  welche  für  den 
Fall  gilt,  wo  eine  Gewichtseinheit  des  Gases  aus  dem  durch  die 
Grössen  pi  und  Ti  bestimmten  Zustande  in  den  durch  die  Grössen 
P2  und  T^  bestimmten  Zustand  übergeht  und  dabei  die  äussere 
Arbeit  ^2  %  —  i*i  '^1  leistet.  Wir  gehen  dazu  zu  der  Gleichung  (2) 
z^urück,  in  welcher  wir  das  die  äussere  Arbeit  darstellende  Zeichen 
W  durch  die  vorstehende  Differenz  ersetzen,  wodurcli  sie  über- 
geht in : 


232  Abschnitt  X. 

(10)  ^  =   ZTa  —   C7,  -f-  P-2'^i  — Pi^v 

Hierin  brauchen  wir  nur  noch  die  Differenz  U2  —  Ui  zu  be- 
stimmen, wozu  wir  wieder  eine  der  im  vorigen  Abschnitte  auf- 
gestellten Differentialgleichungen  von  U  anwenden  können.  Im 
vorliegenden  Falle  ist  es  zweckmässig,  diejenige  Differential- 
gleichung auszuwählen,  in  welcher  T  und  p  als  unabhängige  Ver- 
änderlichevorkommen, nämlich  die  unter  (28)  gegebene  Gleichung: 

welcher  wir  dadurch,  dass  wir  setzen : 

=  P 

=  d(pv)  —  väp, 
folgende  Form  geben  können : 

(11)  dU=  C^dT  -  (t  ^  -  v\  dp  -  d(pv). 

Diese  Gleichung  muss  von  den  Anfangswerthen  Ti,pi  bis  zu  den 
Endwerthen  Tg ,  p.2  integrirt  werden.  Die  Integration  der  beiden 
ersten  Glieder  an  der  rechten  Seite  wollen  wir  nur  andeuten,  die 
Integration  des  letzten  Gliedes  aber  können  wir  sofort  ausführen, 
und  erhalten  dadurch: 


P  ^  (^T  +  p  —  dp  =pdv 


(12)     U,-  U,= 


CpdT  —  (t  ^  —  v\  dp\  —  p^v-i  -f  piVy. 

Bei  der  Einsetzung  dieses  Werthes  von  C/g  —  Ui  in  die 
Gleichung  (10)  heben  sich  mehrere  Glieder  auf,  und  es  entsteht 
folgende  Gleichung: 

(13)  Q  =f[c,dT-  (t  ll  -  .)  dp   . 

Der  hierin  unter  dem  Integralzeichen  stehende  Ausdruck  ist  das 
Differential  einer  Function  von  T  und  jj,  da  Cp  der  in  Abschnitt  VIII. 
unter  (6)  gegebenen  Gleichung 

dp    ~  "         dT^ 
genügt,  und  somit  ist  die  Wärmemenge  Q  durch  die  Anfangs-  und 
Endwerthe  von  T  und  p  vollständig  bestimmt. 

Wird  nun  die  den  Versuchen  von  Thomson  und  Joule  ent- 
sprechende Bedingung  gestellt,  dass  ^  =  0  sei,  so  ist  die  Differenz 
zwischen   der  Anfangs-   und  Endtemperatur   nicht  mehr  von  der 


Vorgänge,  welche  nicht  unikehrVjar  sind.  233 

Differenz  zwischen  dem  Anfangs-  und  Enddruck  unabhängig, 
sondern  aus  der  einen  lässt  sich  die  andere  bestimmen.  Denken 
wir  uns  diese  beiden  Differenzen  unendlich  klein,  so  können  wir 
statt  der  Gleichung  (13)  die  Differentialgleichung 

anwenden,  und  indem  wir  hierin  dQ  =  0  setzen,  erhalten  wir  die 
Gleichung ,  welche  die  Beziehung  zwischen  d  T  und  di)  ausdrückt, 
und  sich  so  schreiben  lässt: 

^     ^  dp         C,  V     dT 

Wenn  das  Gas  ein  vollkommenes  wäre,  und  somit  der  Gleichung 
pv  =  BT 
genügte,  so  würde  man  haben: 

dv  B V 

dT  ~J  ~T' 
und  dadurch  würde  aus  der  vorigen  Gleichung  werden: 

dp> 
In  diesem  Falle  würde  also  eine  unendlich  kleine  Druckdifferenz 
keine  Temperaturdifferenz  veranlassen,  und  dasselbe  würde  dann 
auch  von  einer  endlichen  Druckdifferenz  gelten.  Es  müsste  also 
vor  und  hinter  dem  porösen  Pfropfe  eine  und  dieselbe  Temperatur 
stattfinden.  Beobachtet  man  dagegen  das  Vorhandensein  einer 
Temperaturdiff'erenz,  so  folgt  daraus,  dass  das  Gas  dem  Mario tte'- 
schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  nicht  genügt,  und  aus  den 
Werthen  der  unter  verschiedenen  Umständen  eintretenden  Tem- 
peraturdiffereuzen  kann  man  bestimmte  Schlüsse  über  die  Art  der 
Abweichung  von  jenen  Gesetzen  ziehen. 


§.  7.     Ergebnisse   der   Versuche   und  daraus   abgeleitete 
Elasticitätsgleichung  der  Gase. 

Bei  den  von  Thomson  und  Joule  im  Jahre  1854  ausgeführten 
Versuchen  i)  stellte  sich  in  der  That  heraus,  dass  die  Temperaturen 


1)  Phil  Transact.  for  1S54,  p.  321. 


234  Absclinitt   X. 

vor  und  hinter  dem  Pfropfe  nicht  ganz  gleich  waren,  sondern 
einen  kleinen  Unterschied  zeigten,  welcher  dem  angewandten 
Druckunterschiede  proportional  war.  Bei  der  atmosphärischen 
Luft  fanden  sie  bei  einer  anfänglichen  Temperatur  von  etwa 
15"  Abkühlungen,  welche  sich,  wenn  der  Druck  in  Atmosphären 
gemessen  wurde,  durch  die  Gleichung 

T,-T,=.  0,260  (p,  -  p,) 
darstellen  liess.     Bei   der  Kohlensäure  fanden   sie  etwas  grössere 
Abkühlungen,  welche  bei  einer  Anfangstemperatur  von  etwa  19o 
der  Gleichung 

T,-T,  =  1,150  {p,  -  p,) 
genügten.     Die  diesen  beiden  Gleichungen  entsprechenden  Diffe- 
rentialgleichungen lauten: 

(15)  g  =  0,.26«„d  0=1,15. 

In  einer  späteren,  im  Jahre  1862  veröffentlichten  Unter- 
suchung!) haben  Thomson  und  Joule  ihr  Augenmerk  noch  be- 
sonders darauf  gerichtet,  wie  die  Abkühlung  sich  ändert,  wenn  die 
anfängliche  Temperatur  anders  gewählt  wird.  Sie  Hessen  daher 
das  Gas ,  bevor  es  den  porösen  Pfropf  erreichte ,  durch  eine  lange 
Röhre  strömen,  welche  von  Wasser  umgeben  war,  dessen  Tempe- 
ratur beliebig  bis  zum  Siedepunkte  gesteigert  werden  konnte. 
Dabei  ergab  sich,  dass  die  Abkühlung  bei  hohen  Temperaturen 
geringer  ist,  als  bei  niederen  Temperaturen,  und  zwar  fanden  sie 
dieselbe  umgekehrt  proportional  dem  Quadrate  der  absoluten 
Temperatur.  Sie  gelangten  für  atmosphärische  Luft  und  Kohlen- 
säure zu  nachstehenden  vervollständigten  Formeln,  in  welchen  a 
die  absolute  Temperatur  des  Gefrierpunktes  bedeutet,  und  als 
Druckeinheit  das  Gewicht  einer  Quecksilbersäule  von  100  englischen 
Zoll  Höhe  gewählt  ist: 

^  =  0,92  (^^j    und  ^  =  4,64  {^)  • 

Führt  man  in  diese  Formeln  wieder  eine  Atmosphäre  als  Druck- 
einheit ein,  so  lauten  sie: 

(10)  g  -  0,8  (|)\naf=  1,30(0. 


1)  PJiü.  Transact.  for  1862,  p.  579. 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sind.  235 

Beim  Wasserstoff  haben  Thomson  und  Joule  in  ihrer  späteren 
Untersuchung  statt  der  Abkühlung  eine  geringe  Erwärmung  beob- 
achtet, indessen  haben  sie  für  dieses  Gas  keine  bestimmte  Formel 
aus  den  Beobachtungswerthen  abgeleitet,  weil  diese  dazu  nicht 
genau  genug  waren. 

Wenn  man  in  den  beiden  unter  (16)  gegebenen  Formeln  von 

dT 

^—  für  den  Zahlenfactor  ein  allgemeines  Zeichen  A  setzt,  so  fallen 

d]) 

sie  in  Eine  Formel  zusammen,  nämlich: 

(")  S  -  ^  ©' 

und  wenn  man  diese  in  die  Gleichung (14)  einsetzt,  so  erhält  man: 

Diese  Gleichung  ist  nach  Thomson  und  Joule  für  die  wirklich 
vorhandenen  Gase  an  die  Stelle  der  auf  vollkommene  Gase  bezüg- 
lichen Gleichung 

zu  setzen,  um  die  bei  constantem  Drucke  stattfindende  Beziehung 
zwischen  Volumen-  und  Temperaturänderung  auszudrücken. 

Wenn  die  Grösse  Cp  als  constant  angenommen  wird,  so  kann 
man  die  Gleichung  (18)  sofort  integriren.  Nun  ist  freilich  nur  für 
vollkommene  Gase  erwiesen,  dass  die  specifische  Wärme  Cp  vom 
Drucke  unabhängig  ist,  und  ebenso  können  wir  die  in  Folge  der 
Regnault' sehen  experimentellen  Bestimmungen  hinzugefügt^ 
Annahme,  dass  Cp  auch  von  der  Temperatur  unabhängig  sei,  streng 
genommen ,  nur  auf  vollkommene  Gase  beziehen.  Wenn  aber  ein 
Gas  nur  wenig  vom  vollkommenen  Gaszustande  abweicht,  so  wird 
auch  Cp  nur  wenig  von  einem  constanten  Werthe  abweichen,  und 
beide  Abweichungen  können  als  Grössen  derselben  Ordnung  an- 
gesehen werden.  Da  ferner  in  der  Gleichung  (18)  das  ganze  Glied, 
welches  Cp  enthält,  nur  eine  kleine  Grösse  von  eben  jener  Ordnung 
ist,  so  können  durch  die  Veränderlichkeit  von  C^  in  der  Gleichung 
nur  Aenderungen  entstehen,  welche  kleine  Grössen  von  höherer 
Ordnung  sind,  und  diese  mögen  im  Folgenden  vernachlässigt  wer- 
den, indem  Cp  als  constant  gelte.     Dann  erhalten  wir,  nachdem 

(IT  . 

wir  die  Gleichung  mit  -^  multiplicirt  haben,  durch  Integration: 


236  Abschnitt  X. 

^    _  1     J  r    —  -^  P 

oder  umgeschrieben : 

(19)  v  =  PT-^AC,(^^^ 

worin  P  die  Integrationsconstante  bedeutet,  welche  im  vorliegen- 
den Falle  als  Function  des  Druckes  p  anzusehen  ist. 

Nach  dem  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze 
würde  sein: 

(20)  v  =  —  T, 

p 

und  es  ist  daher  zweckmässig,  der  Function  P  die  Form 

P  =  ^+^ 

P 

zu  geben,  worin  7t  wiederum  eine  Function  von  jj  bedeutet,  welche 
aber  nur  sehr  klein  sein  kann.  Dadurch  geht  die  Gleichung  (19) 
über  in: 

(21)  v  =  B^^Jr^T-^AC,(^y. 

Diese  Gleichung  vereinfachen  Thomson  und  Joule  noch 
durch  folgende  Betrachtung.  Die  Art,  wie  der  Druck  und  das 
Volumen  eines  Gases  von  einander  abhängen,  weicht  um  so  weniger 
vom  Mariotte'schen  Gesetze  ab,  je  höher  die  Temperatur  ist. 
Diejenigen  Glieder  der  vorstehenden  Gleichung,  welche  diese  Ab- 
weichung ausdrücken,  müssen  also  mit  wachsender  Temperatur 
immer  kleiner  werden.  Das  letzte  Glied  erfüllt  nun  in  der  That 
diese  Bedingung,  das  vorletzte  Glied  tcT  erfüllt  sie  aber  nicht. 
Demnach  darf  dieses  Glied  in  der  Gleichung  nicht  vorkommen,  und 
man  hat  daher  jt  ^=  0  zu  setzen,  wodurch  man  erhält: 

(22)  ,  =  j2|_|^C^(|y. 

Dieses  ist  die  Gleichung,  welche  nach  Thomson  und  Joule  bei 
den  wirklich  vorhandenen  Gasen  an  die  Stelle  der  für  vollkommene 
Gase  geltenden  Gleichung  (20)  treten  muss. 

Eine  ganz  ähnliche  Gleichung  hatte  schon  früher  Rankinei) 
aufgestellt,  um  die  von  Regnault  gefundenen  Abweichungen  der 


1)  S.  Phil  Transact.  for  1854,  p.  356'. 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrbar  sind.  237 

Kohlensäure  vom  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze 
darzustellen.  Diese  Gleichung  lässt  sich  in  ihrer  einfachsten  Form 
so  schreiben: 

(23)  pv  =  RT  —  ^, 

worin  a  ebenso,  wie  Pi,  eine  Constante  ist.  Dividirt  man  diese 
Gleichung  durch  j)^  setzt  darauf  im  letzten  Gliede,  welches  sehi-  klein 
ist,  für  das  Product  p  v  das  ihm  sehr  nahe  gleiche  Product  i?  T.  und 

führt  dann  endlich  für  den  constanten  Bruch  -^  den  Buchstaben  ß 

ein,  so  erhält  mau: 

welche  Gleichung  von  derselben  Form  ist.  wie  (22). 


])  1- 


§.  8.     Verhalten  des  Dampfes  bei  der  Ausdehnung  unter 
verschiedenen  Umständen. 

Als  ein  ferneres  Beispiel  für  die  Unterschiede,  welche  bei  der 
Ausdehnung  stattfinden  können,  möge  das  Verhalten  des  gesättigten 
Dampfes  betrachtet  werden.  "Wir  wollen  nämlich  die  beiden  Be- 
dingungen stellen,  dass  der  Dampf  entweder  bei  seiner  Ausdehnung 
einen  seiner  ganzen  Expansivkraft  entsprechenden  "Widerstand  zu 
überwinden  hat.  oder  dass  er  in  die  Atmosphäre  ausströmt,  wobei 
ihm  nur  der  atmosi^härische  Druck  entgegensteht;  und  bei  der 
letzten  Bedingung  machen  wir  noch  den  Unterschied,  dass  ent- 
weder der  Dampf  in  dem  Gefässe.  aus  welchem  er  ausströmt, 
getrennt  von  Flüssigkeit,  nur  sich  selbst  überlassen  ist,  oder  dass 
sich  in  dem  Gefässe  auch  Flüssigkeit  befindet,  welche  den  ent- 
weichenden Dampf  immer  wieder  durch  neuen  ersetzt.  In  allen 
drei  Fällen  wollen  wir  die  Wärmemenge  bestimmen,  u'elche  dem 
Dampfe  tcälirend  der  Ansdelinung  miigetlmlt  oder  entzogen  werden 
muss,  damit  er  immer  gerade  Dann?/  vom  Maximum  der  Diclüiglceit 
bleibe. 

Es  sei  also  erstens  eine  Gewichtseinheit  gesättigten  Dampfes 
ohne  Flüssigkeit  in  einem  Gefässe  gegeben,  und  dieser  Dampf 
dehne  sich  nun  aus,  indem  er  z.  B.  einen  Stempel  zurückschiebe. 
Er  soll  dabei  gegen  den  Stempel  die  ganze  Expansivkraft,  welche 


238  Abschnitt  X. 

er  in  jedem  Stadium  seiner  Ausdehnung  noch  besitzt,  entwickeln, 
wozu  nur  nöthig  ist,  dass  der  Stempel  so  langsam  zurückweicht, 
dass  der  ihm  folgende  Dampf  seine  Expansivkraft  stets  mit  dem 
im  übrigen  Gefässe  befindlichen  vollständig  ausgleichen  kann.  Die 
Wärmemenge  Q,  welche  diesem  Dampfe  mitgetheilt  werden  muss, 
wenn  er  sich  so  weit  ausdehnt,  dass  seine  Temperatur  dabei  von 
einem  gegebenen  Anfangswerthe  Tj  bis  zu  einem  Werthe  Tg  sinkt, 
wird  einfach  durch  die  Gleichung: 

(24)  Q=rjidT 

^1 
bestimmt,  worin  h  die  in  Abschnitt  VI.  eingeführte  Grösse  ist, 
welche  wir  die  specifische  Wärme  des  gesättigten  Dampfes  genannt 
haben.  Wenn,  wie  es  bei  den  meisten  Dämpfen  der  Fall  ist,  h 
einen  negativen  Werth  hat,  so  stellt  das  vorige  Integral,  in  welchem 
die  obere  Grenze  kleiner  ist,  als  die  untere,  eine  positive  Grösse  dar. 
Beim  Wasser  gilt  für  h  die  in  jenem  Abschnitte  unter  (31) 
angeführte  Formel: 

Unter  Anwendung  dieser  Formel  kann  man  für  jede  zwei  Tempe- 
raturen Ti  und  T2  den  Werth  von  Q  leicht  berechnen.  Sei  z.  B. 
angenommen,  der  Dampf  habe  anfangs  eine  Spannkraft  von  5  oder 
10  Atmosphären,  und  dehne  sich  dann  ans,  bis  seine  Spannkraft 
auf  Eine  Atmosphäre  herabgesunken  sei,  so  muss  man  nach  Reg- 
nault's  Bestimmungen  T^  resp.  =  a  -\-  152,2  oder  =  a  -\-  180,3 
und  T2  =  a  -\-  100  setzen,  und  erhält  dadurch  die  Werthe: 
Q  resp.  =  52,1  oder  =  74,9  Wärmeeinheiten. 
Als  ziveiten  Fall  nehmen  wir  an,  es  sei  wiederum  eine  Gewichts- 
einheit gesättigten  Dampfes  ohne  Flüssigkeit  bei  einer  über  dem 
Siedepunkte  der  betreffenden  Flüssigkeit  liegenden  Temperatur  Tj 
in  einem  Gefässe  eingeschlossen,  und  es  werde  nun  in  dem  Gefässe 
eine  Oeffnung  gemacht,  so  dass  er  in  die  Atmosphäre  ausströmen 
könne.  Wir  verfolgen  ihn  dabei  jenseit  der  Oeffnung  bis  zu  einer 
Entfernung,  wo  seine  Spannkraft  nur  noch  gleich  dem  Drucke  der 
Atmosphäre  ist.  Um  die  Ausbreitung  des  Dampfstromes  regel- 
mässiger zu  machen,  sei  das  Gefäss  an  der  Ausströmungsöffnung 
mit  einem  allmählich  erweiterten  Halse  P  QKM,  Fig.  22,  versehen, 
was   aber   kein  nothwendiges  Erforderniss  für  die  Gültigkeit  der 


Vorgänge,  welche  nicht  umkehrVjar  sind. 


239 


Fig.  22. 


nachstehenden  Gleichungen  ist,  sondern  nur  zur  Erleichterung  der 
Anschauung  dienen  soll.  In  diesem  Halse  sei  KLM  eine  Fläche, 
in  welcher  der  Dampf  nur  noch  eine  dem  Drucke  der  Atmosphäre 
gleiche  Spannkraft  besitzt,  und  seine  Strömungsgeschwindigkeit 
schon  so  gering  ist,  dass  man  die  lebendige  Kraft  derselben  ver- 
nachlässigen kann.  Ferner  wollen  wir  noch  annehmen,  dass  die 
durch  die  Reibung  des  Dampfes  am  Rande  der  Oeff'nung  und  an 
der  Wand  des  Halses  erzeugte  "Wärme  nicht  abgeleitet  werde, 
sondern  dem  Dampfe  wieder  zu  Gute  komme. 

Um  dann  die  Wärmemenge  zu  bestimmen,  welche  dem  Dampfe 
während  der  Ausdehnung  mitgetheilt  werden  muss,  um  ihn  gerade 

im  gesättigten  Zustande  zu  erhalten, 
wenden  wir  wieder  die  unter  (2j  an- 
geführte allgemeine  Gleichung  an, 
welche,  wenn  die  Wärmemenge  in  die- 
sem Falle  mit  Q'  bezeichnet  wird, 
lautet : 

(25)  Q'=U,-Ü,^  W, 
worin  TJi  die  Energie  im  Anfangs- 
zustande des  Dampfes  im  Gefässe  und 
U^  die  Energie  im  Endzustande  des 
Dampfes  in  der  Fläche  KL  31  bedeutet, 
und  W  die  bei  der  Ueberwindung  des 
atmosphärischen  Druckes  geleistete 
äussere  Arbeit  darstellt. 

Die  Energie    einer  Gewichtseinheit 
gesättigten  Dampfes    bei   der   Tempe- 
ratur T  ergiebt  sich  aus  der  im  vorigen  Abschnitte  unter  (35) 
angeführten    Gleichung   für    U,   wenn   wir   darin   tn  =  M  =  1 
setzen,  nämlich: 


ü 


Wenn  wir  hierin  für  T  zuerst  den  Aüfangswerth  T^  und  zugleich 

für  jp,   —jp   und    q    die   zu  dieser   Temperatur  gehörigen   Werthe 

setzen,  welche  letzteren  wir  damit  bezeichnen  wollen,  dass  \dv  die 
allgemeinen  Symbole  mit  dem  Index  1  versehen,  und  wenn  wir 
darauf  ebenso  mit  dem  Eudwerthe  jT,  der  Temperatur  verfahren, 


240 


Abschnitt  X. 


und   dann   die   so  gewonnenen  beiden  Gleichungen  von  einander 
abziehen,  so  erhalten  wir: 


(26) 


lJ,-ü,Jf{c-ppfäT  + 


P2 


Ih 


—  Qi 


1  — 


dp 
IT 
Ih 


MH), 


dehnung 


Die  äussere  Arbeit,  welche  darin  besteht,  dass  bei  der  Aus- 
von  dem  Volumen  .§i  bis  zum  Volumen  s«  der  atmo- 
sphärische Druck  p.2  überwunden  wird,  bestimmt  sich  durch  die 
Gleichung : 

W  =  p.2   {S.2    —   Sy). 

Dem  hierin  befindlichen  Ausdrucke  wollen  wir  noch  eine  andere 
Form  geben.  Wir  bezeichnen,  wie  in  Abschnitt  VI.,  die  Differenz 
s  —  ö,  worin  ö  das  specifische  Volumen  der  Flüssigkeit  bedeutet, 
mit  u  und  setzen  daher:  s  =  %i  -)-  6,     Dadurch  erhalten  wir: 

W  =  p.2   {U2    —   Ml)  +  P2  (Ö2    —    Öl). 

Hierin  führen  wir  ferner  für  u  den  Ausdruck  ein,  welcher  sich  aus 
der  Gleichung  (13)  des  Abschnittes  VI.  ergiebt,  wodurch  wir 
erhalten : 


(27)        W 


Ih 


9-2 


Qi 


"^(M).  ''iliX 


+  Ih  (Ö2  —  öl). 


Indem  wir  die  in  (26)  und  (27)  gegebenen  Werthe  von  t/2 —  Ui 
und  W  in  (25)  einsetzen,  gelangen  wir  zu  der  Gleichung: 

(28)      ö'=./(c-,||).T+,,-,i+-^^^^(,i-p.) 

+  Ih  (Ö2  —  öl). 
Hierin  ist  die  Wärme  in  mechanischem  Maasse  ausgedrückt,    um 
sie  in  gewöhnlichem  Wärmemaasse  auszudrücken,   haben  wir  die 
rechte  Seite  durch  E  zu  divicliren,  wobei  wir,  wie  früher,  setzen 
wollen : 


C_         ^ 

E~  ^'    E 


r. 


Zugleich  wollen  wir,   da   ö   eine  kleine  Grösse  ist  und  sich  sehr 


Vorgänge,  welelie  nicht  umkelirbar  sind.  241 

wenig  ändert,  die  Grössen  -jjp  und  ög  —  «'i  vernachlässigen.    Dann 
erhalten  wir: 

(29)  g  _  J\,iT  +  .,  -  n  +  — %Y  (^'  -  *'^)  • 

welche  Gleichung   zur  numerischen  Berechnung   von   Q'  geeignet 
ist,  da  in  ihr  nur  Grössen  vorkommen,  welche  für  eine  beträcht- 
liche Anzahl  von  Flüssigkeiten  experimentell  bestimmt  sind. 
Für  Wasser  ist  nach  Regnault: 

c  +  1^  =  0,305, 
und  somit: 

T 

' cdT^r^  —  r,  =  —  0,305  (T,  -  T,), 


/' 


und  auch  die  im  letzten  Gliede  der  Gleichung  (29)  vorkommenden 
Grössen   sind   hinlänglich  bekannt,   so   dass  die  ganze  Rechnung 
leicht  ausgeführt  werden  kann.  Nimmt  man  z.  B.  den  anfänglichen 
Druck  wieder  zu  5  oder  10  Atmosphären  an,  so  kommt: 
Q'  resp.  =  19,5  oder  =  17,0  Wärmeeinh. 

Da  Q'  eine  positive  Grösse  ist,  so  folgt,  dass  auch  in  diesem 
Falle  dem  Dampfe  Wärme  nicht  entzogen,  sondern  mitgetheüt 
werden  muss,  wenn  sich  nicht  ein  Theil  desselben  niederschlagen 
soll,  was  dann  nicht  bloss  an  der  Ausströmungsöffhung,  sondern 
eben  so  gut  auch  im  Innern  des  Gefässes  geschehen  würde.  Die 
Quantität  dieses  niedergeschlagenen  Dampfes  würde  aber  geringer 
sein,  als  im  ersten  Falle,  weil  Q'  geringer  ist  als  Q. 

Es  kann  vielleicht  auffallen,  dass  die  vorstehenden  Gleichungen 
für  den  anfänglichen  Druck  von  5  Atmosphären  eine  grössere 
Wärmemenge  angeben,  als  für  den  von  10  Atmosphären.  Das 
kommt  aber  daher,  dass  bei  5  Atmosphären  Druck  das  Volumen 
des  Dampfes  schon  so  gering  ist,  und  bei  einer  Druckvermehrung 
bis  zu  10  Atmosphären  nur  noch  um  einen  so  kleinen  Raum 
abnimmt,  dass  die  dadurch  bedingte  Vermehrung  der  Arbeit  beim 
Ausströmen  überwogen  wird  von  dem  Ueberschusse  der  freien 
Wärme  des  180,3'^  warmen  Dampfes  über  die  des  152,2"  warmen. 

Wir  wenden  uns  nun  endlich  zu  dem  dritten  im  Eingange 
dieses  Paragraphen  erwähnten  Falle,  wo  ausser  dem  Dampfe  auch 


Clausius,  nieehan.  Wärmetheorie.    I. 


IG 


242 


Abschnitt  X. 


Fiff.  23. 


Flüssigkeit  in  dem  Gefässe  enthalten  ist.  Das  Gefäss  Ä  B  CD^ 
Fig.  23 ,  sei  bis  EF  mit  Flüssigkeit  und  von  da  ab  mit  Dampf 
gefüllt.  P  Q  sei  die  Ausströmungsöffnimg ,  und  diese  sei ,  wie 
schon  im  vorigen  Falle  angenommen  wurde,  mit  einem  erweiterten 
Halse  P  Q  KM  versehen ,  um  die  Ausbreitung  des  Dampfstromes 
regelmässiger  zu  machen.  Die  Flüssigkeit  werde  durch  irgend 
eine  Wärmequelle  constant  auf  der  Temperatur  T^  erhalten,  so 
dass  sie  fortwährend  den  ausströmenden  Dampf  durch  neu 
entwickelten  ersetze,  und  der  ganze  Ausströmungszustand  statio- 
när sei. 

Der  zuletzt  erwähnte  Umstand  bildet  einen  wesentlichen 
Unterschied  dieses  Falles  von  dem  vorigen.  Der  Druck,  welchen 
der  neu   entstehende  Dampf  auf  den  schon  vorhandenen  ausübt, 

thut  während  des  Ausströmens  eine 
Arbeit,  welche  als  negative  äussere 
Arbeit  mit  in  Rechnung  gebracht  wer- 
den muss. 

Es  stelle  GHJ  eine  Fläche  dar, 
in  welcher  der  hindurchgehende  Dampf- 
noch  durchweg  die  Expansivkraft  p^^ 
die  Temperatur  T^  und  das  specifische 
Volumen  Sx  hat,  welche  im  Inneren 
des  Gefässes  stattfinden,  und  mit  wel- 
chen auch  der  neue  Dampf  sich  ent- 
wickelt. KLM  dagegen  stelle  eine 
Fläche  dar,  in  welcher  der  hindurch- 
gehende Dampf  schon  durchweg  die 
dem  atmosphärischen  Drucke  gleiche 
Expansivkraft  1^2  bat.  Die  Strömungs- 
geschwindigkeit nehmen  wir  in  den  beiden  Flächen  als  so  klein 
an,  dass  ihre  lebendige  Kraft  vernachlässigt  werden  kann.  Auf 
dem  Wege  von  der  einen  Fläche  zur  anderen  soll  dem  Dampfe 
fortwährend  so  viel  Wärme  mitgetheilt  oder  entzogen  werden, 
wie  nöthig  ist,  damit  er  vollständig  dampfförmig  und  gerade  ge- 
sättigt bleibe,  und  also  in  der  Fläche  KLM  die  dem  Drucke  pa 
entsprechende  Temperatur  T^  (nämlich  die  Siedetemperatur  der 
Flüssigkeit)  und  das  dazu  gehörige  specifische  Volumen  S2  habe. 
Es  fragt  sich  nun,  wie  gross  die  zu  diesem  Zwecke  erforderliche 
Wärmemenge  Q"  für  die  Gewichtseinheit  des  ausströmenden 
Dampfes  ist. 


Vorgänge,  welche  niolit  umkehrbar  Hiiicl.  243 

Zur  Bestimmung  derselben  können  wir  so  verfahren,  wie  im 
vorigen  Falle,  nur  dass  wir  für  die  äussere  Arbeit  einen  anderen 
Werth  zu  setzen  haben.  Dieser  Werth  ist  die  Differenz  zwischen 
der  Arbeit,  welche  in  der  Fläche  G IIJ  geschieht,  durch  welche 
unter  dem  Drucke  2h  ^^^  Dampfvolumen  s^  strömt,  und  der, 
welche  in  der  Fläche  KLM  geschieht,  durch  welche  unter  dem 
Drucke  po  ^^^  Dampfvolumen  Sa  strömt.  Er  wird  also  durch  die 
Gleichung 

W  rrr-  2h  S-2    -   Pv  Sl 

bestimmt.     Setzen  wir  hierin  wieder: 

S  =  M  4-    ö  =   — ^=-n \-  ö, 

'  rpäp 

clT 
so  kommt: 

Bilden  wir  nun  für  Q"  wieder  eine  Gleichung  von  der  Form  (2.5) 
und  setzen  darin  für  t/2  —  Ui  den  unter  (26)  gegebenen  Ausdruck 
und  für  W  den  eben  gefundenen  Ausdruck,  so  heben  sich  die 
Hauptglieder  des  letzteren  gegen  entsprechende  im  ersteren  vor- 
kommende Glieder  auf,  und  es  bleibt: 

Tg 

(31)  Q"  ^f(c-p  II)  äT-^  Q,  -  Q,  -^p,ö,  -2HÖ,. 

Aendern  wir  diese  Gleichung  noch  in  der  Weise  um,  dass  sie  sich 
nicht  auf  mechanisches,  sondern  auf  gewöhnliches  Wärmemaass 
bezieht,  und  vernachlässigen  dabei  die  Glieder,  welche  ö  enthalten, 
so  gelangen  wir  zu  der  einfachen  Gleichung: 

Tu 

(32)  Q"  =   rcdT-{'r,  —  r,. 

Ti 

Für  Wasser  nimmt  diese  Gleichung  folgende  Gestalt  an: 

Q"  =  —  0,305  (Ti  —  T2), 

und  wenn  man  hieraus  wieder  die  Zahlenwerthe  von  Q'  für  einen 

anfänglichen  Druck  von   5    oder    10  Atmosphären  berechnet,   so 

erhält  man: 

Q'  resp.  r=  —  15,9  oder  =  —  24,5  Wärmeeinh. 

16* 


244  Absclinitt  X. 

Aus  dem  Umstände,  dass  die  Werthe  von  <^'  negativ  sind, 
folgt,  dass  in  diesem  Falle  dem  Dampfe  nicht  Wärme  mitgetlieilt, 
sondern  entzogen  werden  muss.  Wenn  diese  Wärmeentziehung  bis 
zu  der  betrachteten  Stelle  nicht  hinlänglich  stattfindet,  so  ist  der 
Dampf  dort  wärmer  als  100»  und  somit  überhitzt.  Dieser  zuletzt 
erwähnte  Schluss  findet  eine  Bestätigung  in  der  Erfahrung,  dass 
man  die  Hand  ohne  Gefahr  in  einen  aus  der  Sicherheitsklappe 
eines  Hochdruck -Kessels  hervorkommenden  Dampfstrom  stecken 
kann,  woraus  folgt,  dass  dieser  Dampfstrom  kein  tropfbar  flüs- 
siges Wasser  mit  sich  führt. 

Anfangs  hat  es  einige  Schwierigkeit  gemacht,  diese  Erfahrung 
mit  der  Theorie  in  Einklang  zu  bringen.  Da  nämlich  die  mecha- 
nische Wärmetheorie  ergeben  hatte,  dass  gesättigter  Dampf,  wenn 
er  sich  ohne  Wärmezufuhr  und  unter  Ueberwindung  eines  seiner 
ganzen  Expansivkraft  entsprechenden  Gegendruckes  ausdehnt, 
sich  theilweise  niederschlagen  muss,  glaubte  man  auch  bei  dem 
aus  der  Sicherheitsklappe  ausströmenden  Dampfe  einen  solchen 
Niederschlag  erwarten  zu  müssen.  Dabei  hatte  man  aber  über- 
sehen, dass  der  letztere  Vorgang  sich  vom  ersteren  durch  zwei 
Umstände  unterscheidet,  erstens  durch  die  geringere  Grösse  der 
positiven  Arbeit,  welche  nur  in  der  Ueberwindung  des  atmosphä- 
rischen Druckes  besteht,  und  zweitens  durch  das  Vorhandensein 
der  in  der  Fläche  OIIJ  stattfindenden  negativen  Arbeit. 


ABSCHNITT   XL 


Anwendung  der  meclianisclien  Wärnietheorie  auf  die 
Dampfmaschine. 

§.  1.     Nothwencligkeit  einer  neuen  Behandlung  der 
Dampfmaschine. 

Da  die  veränderten  Ansichten  über  das  Wesen  und  das  Ver- 
halten der  Wärme,  welche  unter  dem  Namen  der  „mechanischen 
Wärmetheorie"  zusammengefasst  werden,  in  der  bekannten  That- 
sache,  dass  sich  die  Wärme  zur  Hevorbringung  von  mechanischer 
Arbeit  anwenden  lässt,  ihre  erste  Anregung  gefunden  haben,  so 
durfte  man  im  Voraus  erwarten,  dass  die  so  entstandene  Theorie 
auch  umgekehrt  wieder  dazu  beitragen  müsse,  diese  Anwendung 
der  Wärme  in  ein  helleres  Licht  zu  stellen.  Besonders  mussten 
die  durch  sie  gewonnenen  allgemeineren  Gesichtspunkte  es  möglich 
machen,  ein  sicheres  Urtheil  über  die  einzelnen  zu  dieser  Anwen- 
dung dienenden  Maschinen  zu  fällen,  ob  sie  schon  vollkommen 
ihren  Zweck  erfüllen,  oder  ob  und  inwiefern  sie  noch  der  Vervoll- 
kommnung fähig  sind. 

Zu  diesen  für  alle  thermodynamischen  Maschinen  geltenden 
Gründen  kommen  für  die  wichtigste  unter  ihnen,  die  Dampf- 
maschine, noch  einige  besondere  Gründe  hinzu,  welche  dazu  auf- 
fordern, sie  einer  erneuerten,  von  der  mechanischen  Wärmetheorie 
geleiteten  Untersuchung  zu  unterwerfen.  Es  haben  sich  nämlich 
gerade  für  den  Dampf  im  Maximum  der  Dichte  aus  dieser  Theorie 
einige  wesentliche  Abweichungen  von  den  früher  als  richtig  an- 
genommeneu oder  wenigstens  in  den  Rechnungen  angewandten 
Gesetzen  ergeben. 


246  Abschnitt  XI. 

Icli  brauche  in  dieser  Beziehung  nur  an  zwei  in  Abschnitt  VI. 
abgeleitete  Resultate  zu  erinnern. 

Während  in  den  meisten  früheren  Schriften  über  die  Dampf- 
maschinentheorie ,  unter  anderen  in  dem  vortrefflichen  Werke  von 
de  Pambour,  der  Watt'sche  Satz  zu  Grunde  gelegt  ist,  dass 
gesättigter  Dampf,  welcher  sich  in  einer  für  Wärme  undurchdring- 
lichen Hülle  befindet,  bei  Volumenänderungen  immer  gerade  Dampf 
vom  Maximum  der  Dichte  bleibe,  und  in  einigen  späteren  (nach 
Veröffentlichung  der  Regnault' sehen  Versuche  über  die  Ver- 
dampfungswärme des  Wassers  bei  verschiedenen  Temperaturen 
erschienenen)  Schriften  sogar  die  Annahme  gemacht  ist,  dass  der 
Dampf  bei  der  Zusammendrückung  sich  theilweise  niederschlage 
und  bei  der  Ausdehnung  sich  weniger  abkühle,  als  der  Dichtig- 
keitsabnahme entspreche,  und  daher  in  den  überhitzten  Zustand 
übergehe,  ist  in  Abschnitt  VI.  nachgewiesen,  dass  der  Dampf  ein 
von  der  ersten  Annahme  abweichendes  und  der  zweiten  Annahme 
sogar  gerade  entgegengesetztes  Verhalten  zeigen  muss,  dass  er 
nämlich  bei  der  Zusammendrückung  überhitzt  werden  und  bei  der 
Ausdehnung  sich  theilweise  niederschlagen  muss. 

Während  ferner  in  jenen  Schriften  zur  Bestimmung  des 
Volumens  einer  Gewichtseinheit  gesättigten  Dampfes  bei  ver- 
schiedenen Temperaturen  in  Ermangelung  genauerer  Kenntnisse 
die  Annahme  gemacht  wurde,  dass  der  Dampf  selbst  im  Maximum 
der  Dichte  noch  dem  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen 
Gesetze  folge,  ist  in  Abschnitt  VI.  gezeigt,  dass  er  von  diesen 
Gesetzen  beträchtlich  abweicht. 

Diese  beiden  Umstände  sind  natürlich  von  wesentlichem  Ein- 
flüsse auf  die  Dampfmenge,  welche  während  jedes  Hubes  aus  dem 
Kessel  in  den  Cylinder  strömt,  und  auf  das  Verhalten  dieses 
Dampfes  während  der  Expansion,  und  man  sieht  leicht,  dass  schon 
sie  allein  es  nöthig  machen,  die  Arbeit,  welche  eine  gegebene 
Dampfmenge  in  der  Maschine  leistet,  in  anderer  Weise,  als  bisher, 
zu  berechnen. 


§.2,     Gang  der  Dampfmaschine. 

Um  die  Reihe  von  Vorgängen,  welche  zum  Gange  einer  Dampf- 
maschine   mit    Condensator    gehören,    in    übersichtlicher    Weise 


Dampfmascliiuentheorie. 


247 


darzustellen,  und  recht  augenfällig  zu  zeigen,  dass  sie  einen 
Kreisprocess  bilden,  welcher  sich  in  gleicher  Weise  fortwährend 
wiederholt,  habe  ich  die  nebenstehende  schematischc  Fig.  24 
entworfen.  A  stellt  den  Dampfkessel  vor,  dessen  Inhalt  durch  die 
Wärmequelle  auf  der  constanten  Temperatur  Ti  erhalten  wird. 
Aus  diesem  tritt  ein  Theil  des  Dampfes  in  den  Cylinder  B,  und 
treibt  den  Stempel  ein  gewisses  Stück  in  die  Höhe.  Dann  wird 
der  Cylinder  vom  Dampfkessel  abgeschlossen,  und  der  in  ihm 
enthaltene  Dampf  treibt  den  Stempel  durch  Expansion  noch 
höher.  Darauf  wird  der  Cylinder  mit  dem  Räume  C  in  Ver- 
bindung gesetzt,  welcher  den  Condensator  vorstellen  soll.  Von 
diesem  soll  angenommen  werden,  dass  er  nicht  durch  eingespritztes 
Wasser,  sondern  durch  Abkühlung  von  aussen  kalt  erhalten  werde, 

^.     ^,  was  keinen  wesentlichen 

Flg.  24. 

Unterschied  in  den  Resul- 
taten hervorbringt,  aber 
die  Betrachtung  verein- 
facht. Die  constante  Tem- 
peratur des  Condeusators 
möge  Tq  heissen.  Während 
der  Verbindung  des  Cy- 
linder s  mit  dem  Conden- 
sator geht  der  Stempel 
den  ganzen  vorher  durch- 
laufenen Weg  wieder  zu- 
rück, und  dadurch  wird 
aller  Dampf,  welcher  nicht 
gleich  von  selbst  in  den 
Condensator  strömte,  in 
diesen  hineingetrieben,  und  schlägt  sich  hier  nieder.  Es  kommt 
nun  noch,  um  den  Cyclus  von  Operationen  zu  vollenden,  darauf 
an,  die  durch  den  Dampfniederschlag  entstandene  Flüssigkeit  in 
den  Kessel  zurückzuschaffen.  Dazu  dient  die  kleine  Pumpe  1>, 
deren  Gang  so  regulirt  wird,  dass  sie  beim  Aufgange  des  Stempels 
gerade  so  viel  Flüssigkeit  aus  dem  Condensator  aufsaugt,  wie 
durch  den  oben  erwähnten  Dampfniederschlag  in  ihn  hinein- 
gekommen ist,  und  diese  Flüssigkeitsmenge  wird  dann  beim  Nieder- 
gange des  Stempels  in  den  Kessel  zurückgepresst.  Wenn  sie 
sich  hier  wieder  bis  zur  Temperatur  Ti  erwärmt  hat,  so  befinde 
sich  Alles  wieder  im  Anfangszustande,  und  dieselbe  Reihe  von 


248  Abschnitt  XI. 

Vorgängen  kann  von  Neuem  beginnen.  Wir  haben  es  also  hier 
mit  einem  vollständigen  Kreisprocesse  zu  thun. 

Bei  den  gewöhnlichen  Dampfmaschinen  tritt  der  Dampf  nicht 
bloss  von  Einer,  sondern  abwechselnd  von  beiden  Seiten  in  den 
Cylinder.  Dadurch  entsteht  aber  nur  der  Unterschied,  dass  wäh- 
rend eines  Auf-  und  Niederganges  des  Stempels  statt  Eines  Kreis- 
processes  deren  zwei  stattfinden,  und  es  genügt  auch  in  diesem 
Falle,  für  Einen  derselben  die  Arbeit  zu  bestimmen,  um  daraus 
die  während  irgend  einer  Zeit  im  Ganzen  gethane  Arbeit  ableiten 
zu  können. 

Eine  Dampfmaschine  ohne  Condensator  kann  man  sich,  wenn 
man  nur  annimmt,  dass  sie  mit  Wasser  von  100»  gespeist  werde, 
durch  eine  Maschine  mit  einem  Condensator,  dessen  Temperatur 
lOO**  ist,  ersetzt  denken. 


§.  3.     Vereinfachende   Bedingungen. 

Zur  Ausführung  der  beabsichtigten  Bestimmung  wollen  wir, 
wie  es  auch  sonst  zu  geschehen  püegt,  den  Cylinder  als  eine  für 
Wärme  undurchdringliche  Hülle  betrachten,  indem  wir  den  wäh- 
rend eines  Hubes  stattfindenden  Wärmeaustausch  zwischen  den 
Cylinderwänden  und  dem  Dampfe  vernachlässigen,  lieber  den 
Grad  der  Genauigkeit  dieser  Annahme  haben  in  neuerer  Zeit 
lebhafte  Erörterungen  stattgefunden.  Hirn  und  Hallaue  r 
haben  Versuche  mit  Dampfmaschinen  angestellt,  und  aus  den 
Ergebnissen  derselben  geschlossen,  dass  der  während  eines  Hubes 
stattfindende  Wärmeaustausch  zwischen  den  Cylinderwänden  und 
dem  Dampfe  zu  bedeutend  sei,  um  vernachlässigt  werden  zu  dürfen. 
Die  Art  wie  sie  ihre  Schlussfolgerung  gezogen  haben,  giebt  aber, 
wie  Zeuner  in  zwei  eingehenden  Abhandlungen  i)  gezeigt  hat, 
zu  so  ernsten  Bedenken  Veranlassung,  dass  man  dem  von  ihnen 
abgeleiteten  Resultate  unmöglich  Vertrauen  schenken  kann.  Dazu 
kommt,  dass,  selbst  wenn  man  zugeben  wollte,  dass  der  Wärme- 
austausch grösser  sei,  als  nach  der  kurzen  Zeitdauer  eines  Hubes 
zu  vermuthen  ist,  doch  eine  genaue  und  allgemein  gültige  Berück- 
sichtigung desselben  fiir  jetzt  nicht  ausführbar  sein  würde,  da 


1)  Civilingenieur  Bd.  XXVII,  Heft  6  und  Bd.  XXVIII,  Heft  5. 


Dampfmaschinentheovie.  249 

der  Vorgang,  wegen  der  schnellen  Temperaturwechscl  des  Dampfes, 
zu  complicirt  und  bei  verschiedenen  Maschinen  zu  verschieden- 
artig ist,  indem  besonders  der  Unterschied,  ob  der  Cylinder  einen 
Dampfmantel  hat  oder  nicht,  von  erheblichem  Einflüsse  sein  muss. 
Unter  diesen  Umständen  wird  es  jedenfalls  von  Interesse  sein, 
sich  zunächst  klar  zu  machen,  zu  welchen  Ergebnissen  man  ge- 
langt, wenn  man  jenen  Wärmeaustausch  vernachlässigt.  Erst, 
wenn  genauere  Kenntnisse  über  ihn  vorliegen  werden,  wird  es 
Zeit  sein  zu  entscheiden,  ob  und  in  welcher  Weise  er  berück- 
sichtigt werden  muss. 

Die  im  Cylinder  befindliche  Masse  kann  immer  nur  aus  Dampf 
im  Maximum  der  Dichte  mit  etwas  beigemischter  Flüssigkeit  be- 
stehen. Es  ist  nämlich  aus  den  Entwickelungen  des  Abschnittes  VI. 
ersichtlich,  dass  der  Dampf  bei  der  nach  dem  Abschlüsse  vom 
Kessel  im  Cylinder  stattfindenden  Ausdehnung,  wenn  ihm  dabei 
von  aussen  keine  Wärme  zugeführt  wird,  nicht  in  den  überhitzten 
Zustand  übergehen  kann,  sondern  sich  vielmehr  zum  Theil  nieder- 
schlagen muss,  und  bei  anderen  weiter  unten  zu  erwähnenden 
Vorgängen,  welche  allerdings  eine  geringe  Ueberhitzung  zur  Folge 
haben  könnten,  wird  sie  dadurch  verhindert,  dass  der  Dampf  beim 
Einströmen  immer  etwas  tropfbare  Flüssigkeit  mit  in  den  Cylinder 
reisst,  und  mit  dieser  in  Berührung  bleibt. 

Die  Menge  dieser  dem  Dampfe  beigemischten  Flüssigkeit  ist 
nicht  bedeutend,  und  da  sie  grösstentheils  in  feinen  Tröpfchen 
durch  den  Dampf  verbreitet  ist,  und  daher  schnell  an  den  Tem- 
peraturänderungen, welche  der  Dampf  während  der  Ausdehnung 
erleidet,  theilnehmen  kann,  so  wird  man  keine  erhebliche  Un- 
genauigkeit  begehen,  wenn  man  in  der  Rechnung  für  jeden 
bestimmten  Zeitpunkt  die  Temperatur  der  ganzen  im  Cylinder 
befindlichen  Masse  als  gleich  betrachtet. 

Ferner  wollen  wir,  um  die  Formeln  nicht  von  vorn  herein  zu 
complicirt  zu  machen,  zunächst  die  ganze  Arbeit  bestimmen,  welche 
von  dem  Dampfdrucke  gethan  wird,  ohne  darauf  Rücksicht  zu 
nehmen,  wieviel  von  dieser  Arbeit  wirklich  nutzbar  wird,  und 
wieviel  dagegen  in  der  Maschine  selbst  zur  Ueberwindung  der 
Reibungen,  und  zur  Bewegung  der  Pumpen,  welche  ausser  der  in 
der  Figur  angedeuteten  zum  Betriebe  der  Maschine  noch  nöthig 
sind,  wieder  verbraucht  wird.  Dieser  Theil  der  Arbeit  lässt  sich 
auch  nachträglich  noch  bestimmen  und  in  Abzug  bringen,  wie 
weiter  unten  gezeigt  werden  soll. 


250  Abschnitt  XI. 

In  Bezug  auf  die  Reibung  des  Stempels  im  Cylinder  ist  übri- 
gens zu  bemerken,  dass  die  zu  ihrer  Ueberwindung  verbrauchte 
Arbeit  nicht  ganz  als  verloren  zu  betrachten  ist.  Durch  diese 
Reibung  wird  nämlich  Wärme  erzeugt,  und  dadurch  wird  das 
Innere  des  Cylinders  wärmer  erhalten,  als  es  sonst  sein  würde, 
und  somit  die  Kraft  des  Dampfes  vermehrt. 

Endlich  wollen  wir,  da  es  zweckmässig  ist,  zunächst  die  Wir- 
kungen einer  möglichst  vollkommenen  Maschine  kennen  zu  lernen, 
bevor  der  Einfluss  der  einzelnen  in  der  Wirklichkeit  vorkommen- 
den Unvollkommenheiten  untersucht  wird,  bei  dieser  vorläufigen 
Betrachtung  noch  zwei  Voraussetzungen  hinzufügen,  welche  weiter- 
hin wieder  aufgegeben  werden  sollen.  Nämlich  erstens,  dass  der 
Zuleitungscanal  vom  Dampfkessel  zum  Cylinder  und  der  Ablei- 
tungscanal  vom  Cylinder  zum  Condensator  so  weit  seien,  oder  der 
Gang  der  Dampfmaschine  so  langsam  sei,  dass  der  Druck  im 
Cylinder  während  seiner  Verbindung  mit  dem  Kessel  gleich  dem 
im  Kessel  selbst  stattfindenden  Drucke,  und  ebenso  während 
seiner  Verbindung  mit  dem  Condensator  gleich  dem  in  diesem 
stattfindenden  Drucke  zu  setzen  sei,  und  sioeUens,  dass  kein  schäd- 
licher Raum  vorhanden  sei. 


§.  4.    Bestimmung  der  während  eines  Hubes  gethanen 

Arbeit. 

Unter  den  vorher  genannten  Umständen  lassen  sich  die  wäh- 
rend eines  einem  Hube  entsprechenden  Kreisprocesses  gethanen 
Arbeitsgrössen  mit  Hülfe  der  in  Abschnitt  VI.  gewonnenen  Resultate 
ohne  weitere  Rechnung  hinschreiben,  und  geben  als  Summe  einen 
einfachen  Ausdruck. 

Die  ganze  bei  einem  Aufgange  des  Stempels  aus  dem  Kessel 
in  den  Cylinder  tretende  Masse  heisse  Ji",  und  davon  sei  der 
Theil  nii  dampfförmig  und  der  Theil  M  —  m^  tropfbar  flüssig. 
Der  Raum,  welchen  diese  Masse  einnimmt,  ist,  wenn  %  den  zu  I\ 
gehörigen  Werth  von  u  bedeutet,  ö  dagegen  als  constant  behandelt 
und  daher  ohne  Index  gelassen  wird,  gleich  der  Summe: 

w^t^i  -|-  Mö. 
Der  Stempel  wird  also  so  weit  gehoben,  dass  dieser  Raum  unter 
ihm  frei  wird,  und  da  dieses  unter  der  Wirkung  des  zu  Ti  gehörigen 


DainpfmaHcliiiientlieorie .  251 

Druckes  py  geschieht,  so  ist  die  während  dieses  ersten  Vorganges 
gethane  Arbeit,  welche   Wi  heisse  : 

(1)  Wi  =  iHyUipi  -[-  Möpi. 

Die  nun  folgende  Expansion  werde  so  weit  fortgesetzt,  bis  die 
Temperatur  der  im  Cylinder  eingeschlossenen  Masse  von  dem 
Werthe  Ti  bis  zu  einem  zweiten  gegebenen  Werthe  T2  herab- 
gesunken ist.  Die  hierbei  gethane  Arbeit,  welche  W2  heisse,  ergiebt 
sich  unmittelbar  aus  der  Gleichung  (62)  des  Abschnittes  VI.,  wenn 
darin  als  Endtemperatur  Tg  genommen,  und  aucli  für  die  anderen 
in  der  Gleichung  vorkommenden  Grössen  die  entsprechenden 
Werthe  gesetzt  werden,  nämlich : 

(2)  W,  =  m,(Q,  -  nah)  -  ^u,(q,  -  u,p,)  +  MC(T,  -  T,). 
Bei   der   hierauf  beginnenden   Herabdrückung   des   Stempels 

wird  die  Masse,  welche  zu  Ende  der  Ausdehnung  den  Raum 

einnahm,  aus  dem  Cylinder  in  den  Condensator  getrieben,  wobei 
der  constante  Gegendruck  p^  zu  überwinden  ist.  Die  dabei  von 
diesem  Drucke  gethane  negative  Arbeit  ist: 

(3)  Tf 3  =  —  m^u-iP^  —  Möp^. 

Während  nun  der  Stempel  der  kleinen  Pumpe  so  weit  in 
die  Höhe  geht,  dass  unter  ihm  der  Raum  Mö  frei  wird,  wirkt 
der  im  Condensator  stattfindende  Druck  p^  fördernd,  und  thut 
die  Arbeit: 

(4)  W,  =  M<5p,. 

Beim  Heruntergange  dieses  Stempels  endlich  muss  der  im 
Kessel  stattfindende  Druck  pi  überwunden  werden,  und  thut  daher 
die  negative  Arbeit: 

(5)  '        W,  =  -M6p,. 

Durch  Addition  dieser  fünf  Grössen  erhält  man  für  die  ganze 
während  des  Kreisprocesses  von  dem  Dampfdrucke,  oder,  wie  man 
auch  sagen  kann,  von  der  Wärme  gethane  Arbeit,  welche  W 
heisse,  den  Ausdruck: 

(6)  W  =  m,Q,  —  m^Q-i  +  MC(T^  -  T.^)  +  m^ihilh  -  Ih). 
Aus  dieser  Gleichung  muss  noch  die  Grösse  m-i  eliminirt  wer- 
den. Diese  Grösse  kommt,  wenn  man  für  lu  den  aus  Gleichung  (13) 
Abschnitt  VI.  hervorgehenden  Werth 


252  Abschnitt  XI. 

setzt,  nur  in  der  Verbindung  m.2  p2  vor,  und  für  dieses  Product 
giebt  die  Gleichung  (55)  jenes  Abschnittes,  wenn  man  darin  q 
und  C  statt  r  und  c  einführt,  den  Ausdruck: 

m.2  g.2  =  nii  Qi  y    —  MCT^log  y' 

Durch  Einsetzung  dieses  Ausdruckes  erhält  man  eine  Gleichung, 
in  welcher  auf  der  rechten  Seite  nur  noch  bekannte  Grössen  vor- 
kommen, denn  die  Massen  M  und  Wi  und  die  Temperaturen  Ti, 
T2  und  Tq  werden  als  unmittelbar  gegeben  angenommen,  und  die 

Grössen  q,  ])  und  -j^  werden  als  Functionen  der  Temperatur  als 

bekannt  vorausgesetzt. 


§.  5.     Specielle   Formen   des  vorigen  Ausdruckes. 

Wenn  man  in  der  Gleichung  (6)  T2  ==  Ti  setzt,  so  erhält 
man  die  Arbeit  für  den  Fall,  dass  die  Maschine  ohne  Expansion 
arbeitet,  nämlich: 

(7j  W  =  ni,u,(2h  —  Po> 

Will  man  dagegen  die  Annahme  machen,  dass  die  Expansion 
so  weit  getrieben  werde,  bis  der  Dampf  sich  durch  die  Ausdehnung 
von  der  Temperatur  des  Kessels  bis  zu  der  des  Condensators 
abgekühlt  habe,  was  freilich  vollständig  nicht  ausführbar  ist,  aber 
doch  den  Grenzfall  bildet,  dem  man  sich  so  weit  wie  möglich 
nähern  muss,  so  braucht  man  nur  JIj  =^  Tq  zu  setzen,  wodurch 
man  erhält: 

(8)  W  =  m,  9x  -  Wo  Qo  +  MC(T,  —  T,). 

Wenn  man  hieraus  noch  nio  Qq  mittelst  der  vorher  angeführten 
Gleichung,  in  welcher  auch  Tg  =  T^  zu  setzen  ist,  eliminirt,  so 
kommt : 

(9)  W  =  m,  Q,  ^'~^'  +  MC  {t,  -  To-\-T,  log  ^)  • 


§.  6.     Unvollkommenheiten   in   der   Ausführung  der 
Dampfmaschinen. 

Bei  allen  wirklich  ausgeführten  Dampfmaschinen  bleibt  die 
Expansion  weit  hinter  dem   im  vorigen  Paragraphen  zuletzt  be- 


Danipfmascliiiientlieorie.  253 

sprochenen  Maximum  zurück.  Nimmt  man  z.  B.  die  Temperatur 
des  Kessels  zu  150"  und  die  des  Condensators  zu  50"  an,  so  müsste 
die  Expansion,  um  die  Temperatur  des  Dampfes  im  Cylinder  bis 
zur  Condensatortemperatur  zu  erniedrigen,  gemäss  der  in  Ab- 
schnitt VI.  §.  13  gegebenen  Tabelle  bis  zum  26-fachen  des  ursprüng- 
lichen Volumens  fortschreiten.  In  der  Wirklichkeit  lässt  man  sie 
aber,  wegen  mancher  bei  grosser  Expansion  eintretender  Uebel- 
stände,  gewöhnlich  nur  bis  zum  3-  oder  4 -fachen  und  höchstens 
bis  zum  10-fachen  Volumen  gehen,  was  bei  einer  Anfangstempe- 
ratur von  150",  nach  der  erwähnten  Tabelle,  einer  Temperatur- 
erniedrigung bis  etwa  100"  und  höchstens  bis  75",  statt  bis  50", 
entspricht. 

Ausser  dieser  Unvollkommenheit,  welche  in  den  obigen  Rech- 
nungen schon  mit  berücksichtigt  und  in  der  Gleichung  (6)  mit 
einbegriffen  ist,  leidet  die  Dampfmaschine  noch  an  anderen  Un- 
vollkommenheiten,  von  denen  zwei  oben  ausdrücklich  von  der 
Betrachtung  ausgeschlossen  wurden,  nämlich  erstens  die,  dass  der 
Drude  des  Dampfes  im  Cylinder  loährend  seiner  Verbindung  mit 
dem  Kessel  geringer  als  im  Kessel^  und  u'ährend  seiner  Verhindung 
mit  dem  Condensator  grösser  als  im  Condensator  ist,  und  zweitens 
das  Vorhandensein  des  schädlichen  Raumes. 

Wir  müssen  daher  die  früheren  Betrachtungen  jetzt  in  der 
Weise  erweitern,  dass  auch  diese  Unvoilkommenheiten  mit  berück- 
sichtigt werden. 

Der  Einfiuss,  welchen  die  Verschiedenheiten  des  Druckes  im 
Kessel  und  im  Cylinder  auf  die  Arbeit  ausübt,  ist  bisher  wohl  am 
vollständigsten  in  dem  Werke  von  de  Pambour  .^Theorie  des 
Machines  ä  Vapeur''^  behandelt,  und  es  sei  mir  gestattet,  bevor 
ich  selbst  auf  diesen  Gegenstand  eingehe,  das  Wesentlichste  jener 
Behandlungsweise ,  nur  mit  etwas  anderer  Bezeichnung  und  unter 
Fortlassung  der  Grössen,  welche  sich  auf  die  Reibung  beziehen, 
hier  voraufzuschicken,  um  leichter  nachweisen  zu  können,,  inwie- 
fern sie  den  neueren  Kenntnissen  über  die  Wärme  nicht  mehr 
entspricht,  und  zugleich  die  neue  Behandlungsweise,  welche  meiner 
Meinung  nach  an  ihre  Stelle  treten  muss,  daran  anzuknüpfen. 


254  Abschnitt  XI, 


§.  7.     Pambour's  Formeln  für  die  Beziehung  zwischen 
Volumen  und  Druck. 

Die  Grundlage  der  Pambour'schen  Theorie  bilden  die  bei- 
den schon  eingangs  erwähnten  Gesetze,  welche  zur  Zeit  der  Auf- 
stellung der  Theorie  ziemlich  allgemein  auf  den  Wasserdampf 
angewandt  wurden. 

Erstens  das  Watt'sche  Gesetz,  dass  die  Summe  der  latenten 
und  freien  Wärme  constant  sei.  Aus  diesem  Gesetze  zog  man, 
wie  schon  gesagt,  den  Schluss,  dass,  wenn  ein  Quantum  Wasser- 
dampf im  Maximum  der  Dichte  in  einer  für  Wärme  undurch- 
dringlichen Hülle  eingeschlossen  sei,  und  der  Rauminhalt  dieser 
Hülle  vergrössert  oder  verkleinert  werde,  dabei  der  Dampf  weder 
überhitzt  werde,  noch  sich  theilweise  niederschlage,  sondern 
gerade  im  Maximum  der  Dichte  bleibe;  und  dieses  sollte  statt- 
finden, ganz  unabhängig  davon,  in  welcher  Weise  die  Volumen- 
änderung geschehe,  ob  der  Dampf  dabei  einen  seiner  Expansivkraft 
entsprechenden  Druck  zu  überwinden  habe,  oder  nicht.  Dasselbe 
Verhalten  des  Dampfes  setzte  Pambour  im  Cylinder  der  Dampf- 
maschine voraus,  indem  er  auch  von  den  Wassertheilchen,  welche 
in  diesem  Falle  dem  Dampfe  beigemengt  sind,  nicht  annahm, 
dass  sie  einen  merklichen  ändernden  Einfluss  ausüben  könnten. 

Zweitens  wandte  Pambour,  um  den  Zusammenhang,  welcher 
für  Dampf  im  Maximum  der  Dichte  zwischen  Volumen  und  Tem- 
peratur oder  Volumen  und  Druck  besteht,  näher  angeben  zu 
können,  das  Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche  Gesetz  auf 
den  Dampf  an.  Daraus  erhält  man,  wenn  man  das  Volumen  eines 
Kilogramm  Dampf  bei  lOO"  im  Maximum  der  Dichte  nach  Gay- 
Lussac  zu  1,696  Cubikmeter  annimmt,  und  bedenkt,  dass  der 
dabei  stattfindende  Druck  von  einer  Atmosphäre  10  333  Kilogramm 
auf  ein  Quadratmeter  beträgt,  und  man  für  irgend  eine  andere 
Temperatur  t  das  Volumen  und  den  Druck  unter  Zugrundelegung 
derselben  Einheiten  mit  v  und  p  bezeichnet,  die  Gleichung: 
,,r,.  ,.0.     10  333        273  -^  t 

^^^^  "^^-^^^-  -l^-  273  +  100- 

Hierin  braucht  man  nur  noch  für  p  die  aus  der  Spannungsreihe 
bekannten  Werthe  zu  setzen,  um  für  jede  Temperatur  das  unter 
jenen  Voraussetzungen  richtige  Volumen  berechnen  zu  können. 


Dainpfmaschinentheorie.  255 

Da  nun  aber  in  den  Formeln  für  die  Arbeit  der  Dampfmaschine 

das  Integral     /  pdv  eine  Hauptrolle  spielt,  so  war  es,  um  dieses 

auf  bequeme  "Weise  berechnen  zu  können,  nothwendig,  eine  mög- 
lichst einfache  Fonnel  zwischen  v  und  j;  allein  zu  haben. 

Die  Gleichungen,  welche  man  erhalten  würde,  wenn  man 
mittelst  einer  der  gebräuchlichen  empirischen  Formeln  von  p  die 
Temperatur  t  aus  der  vorigen  Gleichung  eliniiniren  wollte,  würden 
zu  complicirt  ausfallen,  und  Pambour  zog  es  daher  vor,  eine 
besondere  empirische  Formel  für  diesen  Zweck  zu  bilden,  welcher 
er  nach  dem  Vorgange  von  Navier  folgende  allgemeine  Ge- 
stalt gab : 

(")    ■  '■  =  rfli' 

worin  B  Tuid  h  Constante  sind.  Diese  Constanten  suchte  er  nun  so 
zu  bestimmen,  dass  die  aus  dieser  Formel  berechneten  Volumina 
möglichst  genau  mit  den  aus  der  vorigen  Formel  berechneten 
übereinstimmten.  Da  dieses  aber  für  alle  bei  den  Dampfmaschinen 
vorkommenden  Druckgrössen  nicht  mit  hinlänglicher  Genauigkeit 
möglich  ist,  so  berechnete  er  zwei  verschiedene  Formeln,  für 
Maschinen  mit  und  oline  Condensator. 

Die  erstere  lautet: 
m    ^  20  000 

und  schliesst  sich  der  obigen  Formel  (10)  am  besten  zwischen 
-  3  und  31/2  Atmosphären  an,  ist  aber  auch  noch  in  einem  etwas 
weiteren  Intervall,  etwa  zwischen  ^  0  und  5  Atmosphären  an- 
wendbar. 

Die  zweite,  für  Maschinen  ohne  Condensator  bestimmte,  da- 
gegen lautet: 

Sie  ist  z"^"ischen  2  und  5  Atmosphären  am  genauesten,  und  das 
ganze  Intervall  ihrer  Anwendbarkeit  reicht  etwa  von  1^  3  bis  10 
Atmosphären. 


256  Abschnitt  XI. 


§.  8.    Bestimmung  der  Arbeit  während  eines  Hubes  nach 

Pambour. 

Die  von  den  Dimensionen  der  Dampfmaschine  abhängigen 
Grössen,  welche  bei  der  Bestimmung  der  Arbeit  in  Betracht  kom- 
men, sollen  hier,  etwas  abweichend  von  Pambour,  folgender- 
maassen  bezeichnet  werden.  Der  ganze  Raum,  welcher  während 
eines  Hubes  im  Cylinder  für  den  Dampf  frei  wird,  mit  Einschluss 
des  schädlichen  Raumes,  heisse  v' .  Der  schädliche  Raum  soll  von 
dem  ganzen  Räume  den  Bruchtheil  £  bilden,  so  dass  also  der 
schädliche  Raum  durch  &v'  und  der  von  der  Stempelfläche  be- 
schriebene Raum  durch  (1  —  s)v'  dargestellt  wird.  Ferner  sei 
der  Theil  des  ganzen  Raumes,  welcher  bis  zum  Momente  des  Ab- 
schlusses des  Cylinders  vom  Dampfkessel  für  den  Dampf  frei 
geworden  ist,  ebenfalls  mit  Einschluss  des  schädlichen  Raumes,  mit 
ev'  bezeichnet.  Demnach  wird  der  von  der  Stempelfläche  während 
des  Dampfzutrittes  beschriebene  Raum  durch  (e  —  &)v'  und  der 
während  der  Expansion  beschriebene  Raum  durch  (1  —  e)v'  aus- 
gedrückt. 

Um  nun  zunächst  die  während  des  Dampf  Zutrittes  gethane 
Arbeit  zu  bestimmen,  muss  der  während  dieser  Zeit  im  Cylinder 
wirksame  Druck  bekannt  sein.  Dieser  ist  jedenfalls  kleiner,  als 
der  Druck  im  Kessel,  weil  sonst  kein  Strömen  des  Dampfes  statt- 
finden würde;  wie  gross  aber  diese  Differenz  ist,  lässt  sich  nicht 
allgemein  angeben,  da  sie  nicht  nur  von  der  Einrichtung  der 
Maschine  abhängt,  sondern  auch  davon,  wie  weit  der  Maschinist 
die  im  Dampfzuleitungsrohre  befindliche  Klappe  geööhet  hat,  und 
mit  welcher  Geschwindigkeit  sich  die  Maschine  bewegt.  Durch 
Aenderung  dieser  Umstände  kann  jene  Differenz  innerhalb  weiter 
Grenzen  variiren.  Auch  braucht  der  Druck  im  Cylinder  nicht 
während  der  ganzen  Zeit  des  Zuströmens  constant  zu  sein,  weil 
sowohl  die  Stempelgeschwindigkeit,  als  auch  die  von  dem  Ventil 
oder  dem  Schieber  frei  gelassene  Zuströmungsöffnung  veränder- 
lich ist. 

In  Bezug  auf  den  letzteren  Umstand  nimmt  Pambour  an, 
dass  der  mittlere  Druck,  welcher  bei  der  Bestimmung  der  Arbeit 
in  Rechnung  zu  bringen  ist,  mit  hinlänglicher  Genauigkeit  gleich 
demjenigen  Drucke  gesetzt  werden  könne,   welcher   zu  Ende  des 


Dampfmrtschineatheorie.  257 

Einstrümens  im  Momente  des  Abschlusses  vom  Kessel  im  Cylin- 
der  stattfindet.  Obwohl  ich  es  nicht  für  zweckmässig  halte,  eine 
solche  Annahme,  welche  nur  für  die  numerische  Berechnung  in 
Ermangelung  sichrerer  Data  zu  Hülfe  genommen  ist,  gleich  in 
die  allgemeinen  Formeln  mit  einzuführen,  so  muss  ich  doch 
hier  bei  der  Auseinandersetzung  seiner  Theorie  seinem  Verfahren 
folgen. 

Den  im  Momente  des  Abschlusses  im  Cylinder  stattfindenden 
Druck  bestimmt  Pambour  mittelst  der  von  ihm  festgestellten 
Beziehung  zwischen  Volumen  und  Druck,  indem  er  dabei  voraus- 
setzt, dass  die  während  der  Zeiteinheit  und  somit  auch  die  wäh- 
rend eines  Hubes  aus  dem  Kessel  in  den  Cylinder  tretende  Dampf- 
menge durch  besondere  Beobachtungen  bekannt  ist.  Wir  wollen 
dem  Früheren  entsprechend  die  ganze  während  eines  Hubes  in 
den  Cylinder  tretende  Masse  mit  M,  und  den  dampfförmigen  Theil 
derselben  mit  in  bezeichnen.  Da  diese  Masse,  von  welcher 
Pambour  nur  den  dampfförmigen  Theil  berücksichtigt,  im 
Momente  des  Abschlusses  den  Raum  ev'  ausfüllt,  so  hat  man, 
wenn  man  den  in  diesem  Momente  stattfindenden  Druck  mit  p., 
bezeichnet,  nach  Gleichung  (11): 

(12)  «»'  =  ,-^, 
woraus  folgt: 

(12  a)  _^2  = -' ö. 

^       -^  ^  ev 

Multiplicirt  man  diese  Grösse  mit  dem  bis  zu  demselben 
Momente  von  der  Stempelfläche  beschriebenen  Räume  (e  —  £)v\ 
so  erhält  man  für  den  ersten  Theil  der  Arbeit  den  Ausdruck: 

(13)  W,  ==  m  B  ■  "—^  —  y'  (e  —  f)  h. 

Das  Gesetz,  nach  welchem  sich  der  Druck  während  der  nun 
folgenden  Expansion  ändert,  ergiebt  sich  ebenfalls  aus  der  Glei- 
chung (11).  Sei  das  veränderliche  Volumen  in  irgend  einem 
Momente  mit  v  und  der  dazugehörige  Druck  mit  p  bezeichnet, 
so  hat  man: 

ni  .  B        -, 

p  — h. 

V 

Diesen  Ausdruck  muss  man  in  das  Integral     pdv  einsetzen,  und 

C  lausi  US  ,  mecliau.  Wärraetheorie.    I.  yj 


258  Abschnitt  XL 

dann  die  Integration  von  v  ^^  ev'  bis  v  ^  v'  ausführen,  wodurch 
man  als  zweiten  Theil  der  Arbeit  erhält: 

(14)  W2  =^  niB  .log-  —  v'  (1  —  e)  h. 

Um  die  hei  dem  Rückgange  des  Stempels  von  dem  Gegen- 
drucke gethane  negative  Arbeit  zu  bestimmen,  muss  der  Gegen- 
druck selbst  bekannt  sein.  Wir  wollen,  ohne  für  jetzt  darauf 
einzugehen,  wie  sich  dieser  Gegendruck  zu  dem  im  Condensator 
stattfindenden  Drucke  verhält,  den  mittleren  Gegendruck  mit  p^^ 
bezeichnen,  so  dass  die  von  ihm  gethane  Arbeit  durch 

(15)  W,  =  ~v'  (1  -  £)l>o 
dargestellt  wird. 

Endlich  bleibt  noch  die  Arbeit  übrig,  welche  dazu  verwandt 
werden  muss,  um  die  Flüssigkeitsmenge  M  wieder  in  den  Kessel 
zurückzupressen.  Pambour  hat  diese  Arbeit  nicht  besonders 
berücksichtigt,  sondern  hat  sie  in  die  Reibung  der  Maschine  mit 
eingeschlossen.  Da  ich  sie  indessen  in  meine  Formeln,  um  den 
Cyclus  der  Operationen  vollständig  zu  haben,  mit  aufgenommen 
habe,  so  will  ich  sie  zur  leichteren  Vergleichung  auch  hier  hinzu- 
fügen. Wie  sich  aus  den  bei  dem  früher  betrachteten  Beispiele 
aufgestellten  Gleichungen  (4)  und  (5)  ergiebt,  wird  diese  Arbeit, 
wenn  j^i  den  Druck  im  Kessel  und  p^  den  im  Condensator  be- 
deutet, im  Ganzen  durch 

(IG)  W,  =  -M6{p,-i,,)    , 

dargestellt.  Für  unseren  jetzigen  Fall,  wo  wir  unter  ^Jq  nicht  den 
Druck  im  Condensator  selbst,  sondern  in  dem  mit  dem  Conden- 
sator in  Verbindung  stehenden  Theile  des  Cylinders  verstehen,  ist 
dieser  Ausdruck  freilich  nicht  ganz  genau;  da  aber  wegen  der 
Kleinheit  der  Grösse  ö  der  ganze  Ausdruck  einen  so  geringen 
Werth  hat,  dass  er  kaum  Berücksichtigung  verdient,  so  können 
wir  eine  im  Verhältnisse  zu  dem  schon  kleinen  Werthe  wiederum 
kleine  Ungenauigkeit  um  so  mehr  vernachlässigen,  und  wollen  da- 
her den  Ausdruck  in  derselben  Form  auch  hier  beibehalten. 

Durch  Addition  dieser  vier  einzelnen  Arbeitsgrössen  erhält  man 
die  ganze  während  des  Kreisprocesses  gethane  Arbeit,  nämlich: 

(17)     W'==^mB(^-^-^log-^-v\\-^){h^p,)--M6ip,~-p,). 


Dampfmaschiuentheorie.  259 


§.  9.     Arbeit  für   die   Gewichtseinheit   Dampf  nach 

Pambour. 

Will  man  die  Arbeit  endlich  noch,  statt  auf  einen  einzelnen 

Hub,  während  dessen  die  Dampfmenge  nb  wirksam  ist,  lieber  auf 

die  Gewichtseinheit  Dampf  beziehen ,  so  braucht  man  den  vorigen 

Wertli  nur  durch  m  zu   dividiren.     Wir  wollen  dabei  den  Bruch 

M 

— ,  welcher  das  Verhältniss  der  ganzen  in  den  Cylinder  tretenden 

Masse  zu  dem  dampfförmigen  Theile  derselben  darstellt,  und  so- 

v' 
mit  etwas  grösser  als  1  ist,  mit  L  ferner  den  Bruch  — ,  d.h.  den 

^  Dt 

Raum,  welcher  der  Gewichtseinheit  Dampf  im  Cylinder  im  Ganzen 

W 
geboten  wird,  mit  V.  und  den  Bruch  — ,  oder  die  der  Gewichts- 

°  m 

einheit  Dampf  entsprechende  Arbeit,  mit   W  bezeichnen.     Dann 
kommt: 

(18)     yV=:^B(^^-\-log^^~  V(l-e)(h+2^,)~lö(p,~p,). 

In  dieser  Gleichung  kommt  nur  ein  Glied  vor,  welches  von 
dem  Volumen  Fabhängt,  und  zwar  enthält  es  Fals  Factor.  Da 
dieses  Glied  negativ  ist,  so  folgt  daraus,  dass  die  Arbeit,  welche 
man  mittelst  einer  Gewichtseinheit  Dampf  erhalten  kann,  unter 
sonst  gleichen  Umständen  am  grössten  ist,  wenn  das  Volumen, 
welches  dem  Dampfe  im  Cylinder  geboten  wird,  möglichst  klein 
ist.  Deirkleinste  Werth  des  Volumens,  welchem  man  sich,  wenn 
man  ihn  auch  nie  ganz  erreicht,  doch  mehr  und  mehr  nähern 
kann,  ist  derjenige,  welchen  man  findet,  wenn  man  annimmt,  dass 
die  Maschine  so  langsam  gehe,  oder  der  Zuströmungscanal  so 
weit  sei,  dass  im  Cylinder  derselbe  Druck  p^^  stattfinde,  wie  im 
Kessel.  Dieser  Fall  giebt  also  das  Maximum  der  Arbeit,  Ist  bei 
gleichem  Dampfzustrome  die  Ganggeschwindigkeit  grösser,  oder 
bei  gleicher  Ganggeschwindigkeit  der  Dampfzustrom  geringer,  so 
erhält  man  in  beiden  Fällen  mittelst  derselben  Dampfmenge  eine 
kleinere  Arbeit. 


17  = 


260  Abschnitt  XL 


§.  10.     Veränderung   des  Dampfes  beim  Einströmen   aus 
dem  Kessel  in   den   Cylinder. 

Bevor  wir  von  liier  aus  dazu  übergehen,  nach  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  dieselbe  Reihe  von  Vorgängen  in  ihrem 
Zusammenhange  zu  betrachten,  wird  es  zweckmässig  sein,  einen 
derselben,  welcher  noch  einer  speciellen  Untersuchung  bedarf,  vor- 
her einzeln  zu  behandehi,  um  die  darauf  bezüglichen  Resultate  im 
Voraus  festzustellen,  nämlich  das  Einströmen  des  Dampfes  in  den 
schädlichen  Baimt  und  in  den  Cylinder,  ivenn  er  hier  einen  ge- 
ringeren Druch  £u  über  winden  hat,  als  den,  mit  tvelchem  er  aus 
dem  Kessel  getriehen  tuird. 

Der  aus  dem  Kessel  kommende  Dampf  tritt  zuerst  in  den 
schädlichen  Raum,  comprimirt  hier  den  vom  vorigen  Hube  noch 
vorhandenen  Dampf  von  geringer  Dichte,  und  füllt  den  dadurch 
frei  werdenden  Raum  aus ,  und  wirkt  dann  drückend  gegen  den 
Stempel,  welcher,  der  Annahme  nach,  wegen  verhältnissmässig 
geringer  Belastung  so  schnell  zurückweicht,  dass  der  Dampf  nicht 
schnell  genug  folgen  kann,  um  im  Cylinder  dieselbe  Dichte  zu 
erreichen,  wie  im  Kessel. 

Unter  solchen  Umständen  müsste,  wenn  aus  dem  Kessel  ge- 
rade nur  gesättigter  Dampf  austräte ,  dieser  im  Cylinder  überhitzt 
werden,  indem  die  lebendige  Kraft  der  Einströmungsbewegung 
sich  hier  in  Wärme  verwandelt;  da  aber  der  Dampf  etwas  fein 
vertheiltes  Wasser  mit  sich  führt,  so  wird  von  diesem  ein  Theil 
durch  die  überschüssige  Wärme  verdampfen,  und  dadurch  der 
übrige  Dampf  im  gesättigten  Zustande  erhalten  werden. 

Wir  müssen  uns  nun  die  Aufgabe  stellen:  ivenn  erstens  der 
Anfangszustand  der  ganzen  in  Betracht  liommenden  Masse,  soivohl 
der  schon  vorher  im  schädlichen  Baume  befindlichen,  als  auch  der 
aus  dem  Kessel  neu  hinzukommenden,  ferner  die  Grösse  der  Arbeit, 
ivelche  toährend  des  Einströmens  von  dem  auf  den  Stempel  ivirJcen- 
den  BruclxC  getlian  tvird,  und  endlich  der  Druch,  ivelcher  im 
Momente  des  Abschlusses  vom  Kessel  im  Cylinder  stattfindet,  ge- 
geben sind,  dann  zu  bestimmen,  wieviel  von  der  im  Cylinder  be- 
findlichen Masse  in  diesem  Momente  dampfförmig  ist. 


Dampfmaschinentheorie.  2G1 

Die  vor  dem  Einströmen  im  schädlichen  Räume  befindliche 
Masse,  von  welcher  der  Allgemeinheit  wegen  angenommen  werden 
soll,  dass  sie  thoils  flüssig,  theils  dampfförmig  sei,  heisse  /u.  und 
der  davon  dampfförmige  Theil  ftg.  Der  Druck  dieses  Dampfes  und 
die  dazugehörige  absolute  Temperatur  mögen  vorläufig  mit  p.^  und 
To  bezeichnet  Averden,  ohne  dass  damit  gesagt  sein  soll,  dass  dieses 
genau  dieselben  Werthe  seien,  welche  auch  für  den  Condensator 
gelten.  Der  Druck  und  die  Temperatur  im  Kessel  sollen  wie 
früher  p^  und  T^ ,  die  aus  dem  Kessel  in  den  Cylinder  strömende 
Masse  M  und  der  davon  dampfförmige  Theil  nii  heissen.  Der 
während  des  Einströmens  auf  den  Stempel  ausgeübte  Druck 
braucht,  wie  schon  erwähnt,  nicht  constant  zu  sein.  Wir  wollen 
denjenigen  Druck  den  mittleren  nennen  und  mit  i)\  bezeichnen, 
mit  welchem  der  von  der  Stempelfläche  während  der  Zeit  des  Ein- 
strömens beschriebene  Raum  multiplicirt  werden  muss,  um  die- 
selbe Arbeit  zu  erhalten,  welche  von  dem  veränderlichen  Drucke 
gethan  wird.  Der  im  Momente  des  Abschlusses  im  Cylinder  wirk- 
lich stattfindende  Druck  und  die  dazugehörige  Temperatur  seien 
durch  p-i  und  To  und  endlich  die  Grösse,  um  deren  Bestimmung 
es  sich  handelt,  nämlich  der  von  der  ganzen  jetzt  im  Cylinder 
vorhandenen  Masse  M  -\-  ^  dampfförmige  Theil  durch  nii  dar- 
gestellt. 

Zur  Bestimmung  dieser  Grösse  denken  wir  uns  die  Masse 
31  -\-  /[t  auf  irgend  einem  Wege  in  ihren  Anfangszustand  zurück- 
geführt, z.  B.  folgendermaassen. 

Der  dampfförmige  Theil  m^  wird  im  Cylinder  durch  Herab- 
drücken des  Stempels  condensirt,  wobei  vorausgesetzt  wird,  dass 
der  Stempel  auch  in  den  schädlichen  Raum  eindringen  könne. 
Zugleich  wird  der  Masse  in  irgend  einer  Weise  fortwährend  soviel 
Wärme  entzogen,  dass  ihre  Temperatur  constant  T.2  bleibt. 

Dann  wird  von  der  ganzen  flüssigen  Masse  der  Theil  M  in 
den  Kessel  zurückgepresst,  wo  er  wieder  die  ursprüngliche  Tem- 
peratur Ti  annimmt.  Dadurch  ist  im  Kessel  derselbe  Zustand 
wie  vor  dem  Einströmen  wieder  hergestellt,  indem  am  Schlüsse 
der  Operation  im  Kessel  durchweg  die  anfängliche  Temperatur 
herrscht  und  dabei  ebenso  viel  flüssiges  Wasser  und  ebenso  viel 
Dampf,  wie  zu  Anfange,  vorhanden  ist.  Ob  die  einzelnen  Molecüle, 
welche  dem  flüssigen  und  dem  dampfförmigen  Theile  angehören, 
jetzt  gerade  dieselben  sind,  wie  zu  Anfange,  ist  für  unsere  Be- 
trachtung   gleichgültig,    da    wir    z"wdschen    den    einzelnen   Mole- 


262  Abschnitt  XI. 

cülen  keinen  Unterschied  machen,  und  daher  nicht  fragen,  ivelcJie 
Molecüle,  sondern  nur  ivie  viele  Molecüle  den  beiden  Theilen 
angehören  i). 

Die  nicht  in  den  Kessel  zurückgepresste  Masse  fi  wird  zuerst 
im  flüssigen  Zustande  von  T2  bis  Tq  abgekühlt,  und  bei  dieser 
Temperatur  verwandelt  sich  der  Theil  fto  in  Dampf,  wobei  der 
Stempel  so  weit  zurückweicht,  dass  dieser  Dampf  wieder  seinen 
ursprünglichen  Raum  einnehmen  kann. 

Hiermit  hat  die  Masse  M  -\-  ^  einen  vollständigen  Kreis- 
process  durchgemacht,  auf  welchen  wir  nun  den  Satz  anwenden 
können,  dass  die  Summe  aller  während  eines  Kreisprocesses  von 
der  Masse  aufgenommenen  Wärmemengen  der  ganzen  dabei  ge- 
thanen  äusseren  Arbeit  gleich  sein  muss. 

Es  sind  nach  einander  folgende  Wärmemengen  aufgenommen: 

1)  Im  Kessel,  wo  die  Masse  M  von  der  Temperatur  T^  bis 
Ti  erwärmt  und  bei  der  letzteren  Temperatur  der  Theil  m-i  in 
Dampf  verwandelt  werden  musste: 

2)  Bei  der  Condensation  des  Theiles  m^  bei  der  Tempe- 
ratur T2 : 

—  m-i  Q2- 

3)  Bei  der  Abkühlung  des  Theiles  jx  von  Tg  bis  T^: 

4)  Bei  der  Verdampfung  des  Theiles  fto  bei  der  Tempe- 
ratur Tq: 

Die  im   Ganzen   aufgenommene  Wärmemenge,   welche    Q   heisse, 

ist  also : 

(19)      Q  =  m.,  Q,-nH  Q2  +  MC{T,  -  T^  +  i^o  Q^-^  C{T,  -  T,). 


1)  Wollte  man,  dass  am  Schlüsse  wieder  genau  dieselben  Molecüle  dem 
dampfförmigen  Theile  angehören,  wie  zu  Anfang,  so  brauchte  man  nur 
anzunehmen,  dass  das  in  den  Kessel  zurückgepresste  Wasser  nicht  nur 
seiner  Menge  nach ,  sondern  auch  seinen  Molecülen  nach ,  genau  dasselbe 
sei,  wie  das,  welches  vorher  aus  dem  Kessel  heraustrat,  und  dass  ferner 
von  diesem  Wasser,  nachdem  es  die  Temperatur  T-^  angenommen  hat,  die 
früher  dampfförmige  Menge  m-^  wieder  verdampfe,  und  dafür  eine  eben  so 
grosse  Menge  des  vorhandenen  Dampfes  sich  niederschlage,  wobei  natür- 
lich der  ganzen  im  Kessel  befindlichen  Masse  keine  Wärme  mitgetheilt 
oder  entzogen  zu  werden  brauchte,  weil  die  zur  Verdampfung  verbrauchte 
und  die  durch  den  Dampfuiederschlag  erzeugte  Wärme  sich  compensiren 
würden. 


Dampfmaschinentheoi'ie.  263 

Die  Arbeitsgrössen  ergeben  sich  folgendermaassen : 

1)  Um  den  von  der  Stempelfläche  während  des  Einströmen s 
beschriebenen  Raum  zu  bestimmen,  weiss  man,  dass  der  ganze  zu 
Ende  dieser  Zeit  von  der  Masse  M  -\-  ^  eingenommene  Kaum 

Wg  U2  -\-  (M  -{-  ^)  6 
ist.     Hiervon  muss  der  schädliche  Raum  abgezogen  werden.     Da 
dieser  zu  Anfange  bei  der  Temperatur  To  von  der  Masse  ^  aus- 
gefüllt wurde,  wovon  der  Theil  /ito  dampfförmig  war,  so  lässt  er 
sich  durch 

darstellen.  Zieht  man  diese  Grösse  von  der  vorigen  al),  und 
multiplicirt  den  Rest  mit  dem  mittleren  Drucke  p'i^  so  erhält  man 
als  erste  Arbeit: 

(W2%  -j-  Mö  —  (i'oUo)2J'i-' 

2)  Die  Arbeit  bei  der  Condensation  der  Masse  ^2  ist: 

—  nhU2P-2. 

3)  Beim  Zurückpressen  der  Masse  M  in  den  Kessel : 

—  Möpi. 

4)  Bei  der  Verdampfung  des  Theiles  fto: 

Durch  Addition  dieser  vier  Grössen  erhält  man  für  die  ganze 
Arbeit  W  den  Ausdruck: 

(20)  W=  nHu,(p\  -  p,)  ~  M6(p,  -  p\)  -  ^i.u,  (p\  -  p,). 
Bildet  man  nun  die  Gleichung 

setzt  darin  für  Q  und  W  die  obigen  Werthe  ein,  und  bringt  die 
mit  m^  behafteten  Glieder  auf  Eine  Seite  zusammen,  so  kommt: 

(21)  m,  ^Q,  +  u,  (p'i  —  P2)]^mi  Qi  +  MC(T,  —  T,)  +  ^, q, 

-  iiC{T,  -  To)  -f  i^,Mp\  -  lh)-^M6{p^  -p\). 
Mittelst  dieser  Gleichung  kann  man  aus  den  als  bekannt  voraus- 
gesetzten Grössen  die  Grösse  ?%  berechnen. 


§.   11.     Abweichung    der   gewonnenen  Resultate    von    den 
Pambour'schen  Annahmen. 

In  solchen  Fällen,  wo  der  mittlere  Druck  p\  beträchtlich 
grösser  ist,  als  der  Enddruck  p.2^  z.  B.  wenn  man  annimmt,  dass 
während  des  grösseren  Theiles  der  Einströmungszeit  im  Cyliuder 


264  Abschnitt  XI. 

nahe  derselbe  Druck  stattgefunden  habe,  wie  im  Kessel,  und  erst 
zuletzt  durch  Ausdehnung  des  schon  im  Cylinder  befindlichen 
Dampfes  der  Druck  auf  den  geringeren  Werth  jjj  herabgesunken 
sei,  kann  es  vorkommen,  dass  man  für  mg  einen  Werth  findet,  der 
kleiner  als  lUi  -|-  (Xq  ist,  dass  also  ein  Theil  des  ursprünglich  vor- 
handenen Dampfes  sich  niedergeschlagen  hat.  Ist  dagegen  2^'i  nur 
wenig  grösser  oder  gar  kleiner  als  JO2 ,  so  findet  man  für  Wg  einen 
Werth,  der  grösser  als  mi  -[-  ^0  ist.  Dieses  letztere  ist  bei  der 
Dampfmaschine  als  Regel  zu  betrachten,  und  gilt  insbesondere 
auch  für  den  von  Pambour  angenommenen  speciellen  Fall,  dass 

P'i  =  P-2  ist. 

Wir  sind  somit  auch  hier,  wie  schon  in  Abschnitt  VI.  zu  einem 
Resultate  gelangt,  welches  von  den  Pambour' sehen  Ansichten 
wesentlich  abweicht.  Während  dieser  für  die  beiden  verschiedenen 
Arten  der  Ausdehnung,  welche  in  der  Dampfmaschine  nach  ein- 
ander vorkommen,  ein  und  dasselbe  Gesetz  annimmt,  nach  welchem 
der  ursprünglich  vorhandene  Dampf  sich  weder  vermehren  noch 
vermindern,  sondern  immer  nur  gerade  im  Maximum  der  Dichte 
bleiben  soll,  haben  wir  für  die  beiden  Ausdehnungen  zwei  ver- 
schiedene Gleichungen  gefunden,  welche  ein  entgegengesetztes 
Verhalten  erkennen  lassen.  Bei  der  ersten  Ausdehnung,  während 
des  Einströmens,  muss  nach  der  eben  gefundenen  Gleichung  (21) 
noch  neuer  Dampf  entstehen,  und  bei  der  weiteren  Ausdehnung, 
nach  dem  Abschlüsse  vom  Kessel,  wobei  der  Dampf  die  volle  seiner 
Expansivkraft  entsprechende  Arbeit  thut,  muss  nach  der  in  Ab- 
schnitt VI.  entwickelten  Gleichung  (56)  ein  Theil  des  vorhandenen 
Dampfes  sich  niederschlagen. 

Da  diese  beiden  entgegengesetzten  Wirkungen  der  Dampf- 
vermehrung und  Dampfverminderung,  welche  auch  auf  die  Grösse 
der  von  der  Maschine  geleisteten  Arbeit  einen  entgegengesetzten 
Einfluss  ausüben  müssen,  zum  Theil  einander  aufheben,  so  kann 
dadurch  unter  Umständen  angenähert  dasselbe  Endresultat  ent- 
stehen, wie  nach  der  einfacheren  Pambour 'sehen  Annahme,  Des- 
halb darf  man  jedoch  nicht  darauf  verzichten,  die  einmal  gefundene 
Verschiedenheit  auch  zu  berücksichtigen,  besonders  wenn  es  sich 
darum  handelt,  zu  bestimmen,  in  welcher  Weise  eine  Aenderung 
in  der  Einrichtung  oder  im  Gange  der  Dampfmaschine  auf  die 
Grösse  ihrer  Arbeit  einwirkt. 


Dampfmaschinentlieorie.  205 


§.  12.     Bestimmung   der   Arbeit  während   eines  Hubes 

unter  Berücksichtigung    der  erwähnten   Unvoll- 

kommenheiten. 

Wir  können  uns  nun  wieder  zu  dem  vollständigen  beim  Gange 
der  Dampfmaschine  stattfindenden  Kreisprocesse  wenden,  und  die 
einzelnen  Theile  desselben  in  ähnlicher  Weise,  wie  früher,  nach 
einander  betrachten. 

Aus  dem  Dampfkessel,  in  welchem  der  Druck  pi  angenommen 
wird,  strömt  die  Masse  Min  den  Cylinder,  und  zwar  der  Theil  nii 
dampfförmig,  und  der  übrige  Theil  tropfbar  flüssig.  Der  während 
dieser  Zeit  im  Cylinder  wirksame  mittlere  Druck  werde,  wie  oben, 
mit  p']  und  der  Enddruck  mit  p2  bezeichnet. 

Nun  dehnt  sich  der  Dampf  aus ,  bis  sein  Druck  von  iJo  ^is  zu 
einem  gegebenen  Werthe  p., ,  und  demgemäss  seine  Temperatur 
von  T2  bis  T3  gesunken  ist. 

Darauf  wird  der  Cylinder  mit  dem  Condensator,  in  welchem 
der  Druck  pa  stattfindet ,  in  Verbindung  gesetzt ,  und  der  Stempel 
macMjgäie  ganze  eben  vollendete  Bewegung  wieder  zurück.  Der 
Gegemruck,  welchen  er  dabei  erfährt,  ist  bei  etwas  schneller  Be- 
wegung grösser  als  p^ ,  und  wir  wollen  daher  zum  Unterschiede 
von  diesem  W^erthe  den  mittleren  Gegendruck  mit  p'o  bezeichnen. 

Der  zu  Ende  der  Stempelbewegung  im  schädlichen  Räume 
bleibende  Dampf,  welcher  für  den  nächsten  Hub  in  Betracht 
kommt,  steht  unter  einem  Drucke,  welcher  ebenfalls  weder  gleich 
^0  noch  gleich  p'(,  zu  sein  braucht,  und  daher  mit  p"(,  bezeichnet 
werde.  Er  kann  grösser  oder  kleiner  als  p'q  sein,  je  nacliclem  der 
Abschluss  von  dem  Condensator  etwas  vor  oder  nach  dem  Ende 
der  Stempelbewegung  eintritt,  indem  der  Dampf  im  ersteren  Falle 
noch  etwas  weiter  comprimirt  wird,  im  letzteren  Falle  dagegen 
Zeit  hat,  sich  durch  theilweises  Ausströmen  in  den  Condensator 
noch  etwas  weiter  auszudehnen. 

Endlich  muss  die  Masse  M  noch  aus  dem  Condensator  in  den 
Kessel  zurückgeschaö't  werden,  wobei,  wie  früher,  der  Druck  p^ 
befördernd  wirkt,  und  der  Druck  p^  überwunden  werden  muss. 

Die  bei- diesen  Vorgängen  gethanen  Arbeitsgrössen  werden 
durch  ganz  ähnliche  Ausdrücke  dargestellt,  wie  in  dem  früher 
betrachteten  einfacheren  Falle,  nur  dass  die  Indices  der  Buchstaben 


266  Abschnitt  XL 

in  leicht  ersichtlicher  Weise  geändert,  und  die  auf  den  schädlichen 
Raum  bezüglichen  Grössen  hinzugefügt  werden  müssen.  Man  er- 
hält dadurch  folgende  Gleichungen. 

Für  die  Zeit   des  Einströmens   nach   §.  10,   wobei  nur  noch 
m"o  statt  U(,  geschrieben  werden  muss: 

(22)  Wi  =  (m^Uo,  -^  Mö  —  ^0  M"o)iA- 

Für  die  Expansion  von  dem  Drucke  p2  bis  zum  Drucke  ^3  nach 
Abschnitt  VI.  Gleichung  (62),  wenn  darin  M  -{-  ^  an  die  Stelle 
von  M  gesetzt  wird : 

(23)  W',  =  m.ii.^p-^  —  m^it^Pi  -j-  m-iQ--,  —  in'>,Q-> 

+  (Jf+,u)6'(T,  -  ^3). 
Für  den  Rückgang  des  Stempels,  wobei  der  von  der  Stempelääche 
durchlaufene  Raum  gleich  dem  ganzen  von   der  Masse  Jf  -|-  ^ 
unter  dem  Drucke  p^  eingenommenen  Räume  weniger  dem  durch 
^(iU"()  -j-  ftö  dargestellten  schädlichen  Räume  ist: 

(24)  W,  =  —  (m,u,  4-  3Iö  —  ^0 u",)p\. 

Für  die  Zurückschaffung  der  Masse  M  in  den  Kessel :  * 

(25)  ■  W,  =  -M6(p,  -  p,). 
Die  ganze  Arbeit  ist  demnach: 

(26)  W  =--  m,  Q,  -  m,  q,  ^  (M  ^  ^i)  C(T,  —  T,)       % 

-f  m.2  W2  (p\  —  P2)  +  nh  ih  (ih  —  P'o) 
—  Mö  (pi  —  p\  -t-  p\  —  Po)  —  ^0  u"(i  (]p\  —  p'o). 
Die  hierin  vorkommenden  Massen  m.2  und  m.^  ergeben  sich 
aus  der  Gleichung  (21)  und  aus  der  in  Abschnitt  VI.  unter  (.55) 
gegebenen  Gleichung,  wobei  man  nur  in  der  ersteren  an  die  Stelle 
von  pa  den  Werth  p''^  setzen,  und  in  entsprechender  Weise  die 
Grössen  To,  ro  und  Mo  ändern,  und  in  der  letzteren  an  die  Stelle 
von  M  die  Summe  M  -\-  ^  einführen  und  zugleich  r  und  c  durch 
Q  und  C  ersetzen  muss.  Ich  will  indessen  die  durch  diese  Glei- 
chungen mögliche  Elimination  der  beiden  Grössen  m^  und  m^  hier 
nicht  vollständig  ausführen,  sondern  nur  für  eine  derselben  m^ 
ihren  Werth  einsetzen,  weil  es  für  die  Rechnung  zweckmässiger 
ist,  die  so  erhaltene  Gleichung  mit  den  beiden  vorher  genannten 
zusammen  zu  betrachten.  Das  zur  Bestimmimg-  der  Arbeit  der 
Dampfmaschine  dienende  System  von  Gleichungen  lautet  also  in 
seiner  allgemeinsten  Form: 


(27) 


DampfmaschinentheorJe.  267 

4-  11,  p"„  -  Jt  C(T,  -  T"o)  +  ^n,  u,  (p,  -  P'u) 
4-  |Uo  w"„  (27'o  —  i/'d)  -  Mg  (v'u  —  7>o) 
m..i  [q.,  -[-  u.,(p'i  —  p-i)]  —  J)h  (»i  +  MCH\  —  1\) 

.-1-  fio(>"o  -  ^C{T,  -  T'\;)  +  ^,,n"oO/,  -  j/'o) 


§.  13.     Dampfdruck   im   Cylinder   während    der   verschie- 
denen  Stadien   des  Ganges  und  darauf  bezügliche  Ver- 
einfachungen  der   Gleichungen. 

Um  nun  die  Gleichungen  (27)  zu  einer  numerischen  Rechnung 
anwenden  zu  können,  ist  es  zunächst  nöthig,  die  Grössen  p\^  p'u 
und  y'o  näher  zu  bestimmen. 

Ueber  die  Art,  wie  sich  der  Druck  im  Cylinder  während  des 
Einströmens  ändert,  lässt  sich  kein  allgemein  gültiges  Gesetz  auf- 
stellen, weil  die  Oeffnung  und  Schliessung  des  Zuströmungscanales 
bei  verschiedenen  Maschinen  in  zu  verschiedenen  Weisen  geschieht. 
Demnach  lässt  sich  auch  für  das  Verhältniss  zwischen  dem  mittle- 
ren Drucke  p\  und  dem  Enddrucke  p.2^  bei  ganz  strenger  Auf- 
fassung des  letzteren,  nicht  ein  bestimmter,  ein-  für  allemal 
geltender  Werth  angeben.  Dagegen  wird  dieses  möglich,  wenn 
man  mit  der  Bedeutung  von  p,^  eine  geringe  Aeuderung  vornimmt. 

Der  Abschluss  des  Cylinders  vom  Kessel  kann  natürlich  nicht 
momentan  geschehen,  sondern  die  dazu  nöthige  Bewegung  des 
Ventiles  oder  Schiebers  erfordert  je  nach  den  verschiedenen 
Steuerungseinrichtungen  eine  grössere  oder  kleinere  Zeit,  während 
welcher  der  im  Cylinder  befindliche  Dampf  sich  etwas  ausdehnt, 
weil  wegen  der  Verengung  der  Oeffnung  weniger  neuer  Dampf 
zuströmen  kann,  als  der  Stempelgeschwindigkeit  entspricht.  Man 
kann  daher  im  Allgemeinen  annehmen,  dass  zu  Ende  dieser  Zeit 
der  Druck  schon  etwas  kleiner  ist,  als  der  mit  p\  bezeichnete 
mittlere  Druck. 

Wenn  man  sich  aber  nicht  daran  bindet,  gerade  das  Ende 
der  zum  Schliessen  nöthigen  Zeit  als  den  Moment  des  Abschlusses 
in  Rechnung  zu  bringen,  sondern  sich  in  der  Feststellung  dieses 
Momentes  einige  Freiheit  verstattet,  so  kann  man  dadurch  auch 
für  p-i   andere  Werthe  erhalten.     Man  kann  sich   dann  den  Zeit- 


268  Abschnitt  XI. 

punkt  so  gewählt  denken,  dass,  wenn  bis  dahin  schon  die  ganze 
Masse  ilf  eingeströmt  wäre,  dann  in  diesem  Augenblicke  ein  Druck 
stattfinden  würde,  welcher  dem  bis  zu  diesem  Augenblicke  gerech- 
neten mittleren  Drucke  gerade  gleich  wäre.  Indem  man  den  auf 
diese  Weise  näher  bestimmten  momentanen  Abschluss  an  die 
Stelle  des  in  der  Wirklichkeit  stattfindenden  allmäligen  Abschlusses 
setzt,  begeht  man  in  Bezug  auf  die  daraus  berechnete  Arbeit  nur 
einen  unbedeutenden  Fehler.  Man  kann  sich  daher  mit  dieser 
Modification  der  Pambour' sehen  Annahme  anschliessen ,  dass 
^\  =  p.2  sei,  wobei  es  dann  aber  noch  für  jeden  einzelnen  Fall 
einer  besonderen  Betrachtung  vorbehalten  bleibt,  unter  Berück- 
sichtigung der  obwaltenden  Umstände  den  Zeitpunkt  des  Ab- 
schlusses richtig  zu  bestimmen. 

Was  ferner  den  beim  Rückgange  des  Stempels  stattfindenden 
Gegendruck  i/«  betrifit,  so  ist  die  Differenz  p'o  —  po  unter  sonst 
gleichen  Umständen  offenbar  um  so  kleiner,  je  kleiner  po  ist.  Sie 
wird  daher  bei  Maschinen  mit  Condensator  kleiner  sein,  als  bei 
Maschinen  ohne  Condensator,  bei  denen  po  gleich  einer  Atmosphäre 
ist.  Bei  den  wichtigsten  Maschinen  ohne  Condensator,  den  Loco- 
motiven,  kommt  gewöhnlich  noch  ein  besonderer  Umstand  hinzu, 
welcher  dazu  beiträgt,  die  Differenz  zu  vergrössern,  nämlich  der, 
dass  man  dem  Dampfe  nicht  einen  möglichst  kurzen  und  weiten 
Canal  zum  Abfluss  in  die  Atmosphäre  darbietet,  sondern  ihn  in 
den  Schornstein  leitet  und  dort  durch  ein  etwas  verengtes  Blas- 
rohr ausströmen  lässt,  um  auf  diese  Weise  einen  künstlichen  Luft- 
zug zu  erzeugen. 

In  diesem  Falle  ist  eine  genaue  Bestimmung  der  Differenz  für 
die  Zuverlässigkeit  des  Resultates  von  Bedeutung.  Man  muss  da- 
bei auch  berücksichtigen,  dass  die  Differenz  bei  einer  und  der- 
selben Maschine  nicht  constant,  sondern  von  der  Ganggeschwin- 
digkeit abhängig  ist,  und  muss  das  Gesetz,  nach  welchem  diese 
Abhängigkeit  stattfindet,  feststellen.  Auf  diese  Betrachtungen  und 
die  Untersuchungen,  welche  über  diesen  Gegenstand  schon  an- 
gestellt sind,  will  ich  aber  hier  nicht  eingehen,  weil  sie  nichts 
mit  der  hier  beabsichtigten  Anwendung  der  mechanischen  Wärme- 
theorie zu  thun  haben. 

Bei  Maschinen,  in  denen  jene  Anwendung  des  aus  dem  Cylin- 
der  austretenden  Dampfes  nicht  vorkommt,  und  besonders  bei 
den  Maschinen  mit  Condensator  ist  p'o  so  wenig  von  p>o  verschie- 
den, und  kann  sich  daher  auch  mit  der  Ganggeschwindigkeit  nur 


Dampfmaachinentheorie. 


269 


SO  wenig  ändern,  dass  es  für  die  meisten  Untersuchungen  genügt, 
einen  mittleren  Werth  für  p'^  anzunehmen. 

Da  ferner  die  Grösse  p^  in  den  Gleichungen  (27j  nur  in 
einem  mit  dem  Factor  6  behafteten  Glicde  vorkommt,  und  daher 
auf  den  Werth  der  Arbeit  einen  sehr  geringen  Einfiuss  hat,  so 
kann  man  ohne  Bedenken  auch  für  j^o  den  Werth  setzen ,  welcher 
für  p'o  der  wahrscheinlichste  ist. 

Der  im  schädlichen  Räume  stattfindende  Druck  p"(^  hängt, 
wie  schon  erwähnt,  davon  ab,  ob  der  Abschluss  vom  Condensator 
vor  oder  nach  dem  Ende  der  Stempelbewegung  eintritt,  und  kann 
dadurch  sehr  verschieden  ausfallen.  Aber  auch  dieser  Druck  und 
die  davon  abhängigen  Grössen  kommen  in  den  Gleichungen  (27) 
nur  in  solchen  Gliedern  vor,  welche  mit  kleinen  Factoren  behaftet 
sind,  nämlich  mit  ^  und  ;»o,  so  dass  man  von  einer  genauen  Be- 
stimmung dieses  Druckes  absehen,  und  sich  mit  einer  ungefähren 
Schätzung  begnügen  kann.  In  solchen  Fällen,  wo  nicht  besondere 
Umstände  dafür  sprechen,  dass  p"o  bedeutend  von  jj'n  abweicht, 
kann  man  diesen  Unterschied,  ebenso  wie  den  zwischen  p^  und 
p)'o  vernachlässigen,  und  den  Werth,  welcher  den  mittleren  Gegen- 
druck im  Cylinder  mit  der  grössten  Wahrscheinlichkeit  darstellt, 
als  gemeinsamen  Werth  für  alle  drei  Grössen  annehmen.  Dieser 
Werth  möge  dann  einfach  mit  p^  bezeichnet  werden. 

Durch  Einführung  dieser  Vereinfacliungen  gehen  die  Glei- 
chungen (27)  über  in: 

(W  =  m,  Q,  -  m,Q,  -\-MC{T,  -  T,) 

+  f'o  Po   —  fi  G{T.^   —    To)  -f  1lh  %  (j)3    —  J9o) 

=  niy  Q,  -i-  MC{T,  —  T,)  -f  f/o  Pü  —  ft  C  {T.,  -  T,) 
4-  ^oWo  (^^2  —  ih)  -j-  Mö(p^  —  p.;^ 


(28) 


»h  Q2 


J-Z  J^2  -'-3 


].  14.     Einführung  gewisser  Volumina  statt  der  ent- 
sprechen den  T emp era tu r e n. 


In  diesen  Gleichungen  ist  vorausgesetzt,  dass  ausser  den 
Massen  il/jjiJijfi  und  ^O)  von  denen  die  beiden  ersten  durch  directe 
Beobachtung  bekannt  sein  müssen,  und  die  beiden  letzten  aus  der 
Grösse    des    schädlichen   Raumes    angenähert    bestimmt  werden 


270  ATaschnitt  XI. 

können ,  auch  noch  die  vier  Druckkräfte  pi, p~2^ p^  und  p^ ,  oder, 
was  dasselbe  ist,  die  vier  Temperaturen  Ti,  T2,  T-^  und  Tq  gegeben 
seien.  Diese  Bedingung  ist  aber  in  den  in  der  Praxis  vorkommen- 
den Fällen  nur  theilweise  erfüllt,  und  man  muss  daher  andere 
Data  für  die  Rechnung  zu  Hülfe  nehmen. 

Von  jenen  vier  Druckkräften  sind  nur  zwei  als  bekannt  voraus- 
zusetzen, nämlich  j}jL  und  |Jo5  deren  erstere  durch  das  Kesselmano- 
meter unmittelbar  angegeben  wird,  und  letztere  aus  der  Angabe 
des  Condensatormanometers  wenigstens  angenähert  geschlossen 
werden  kann.  Die  beiden  anderen  p.2  und  jl»..  sind  nicht  gegeben, 
aber  dafür  kennt  man  die  Dimensionen  des  Cy linders,  und  weiss, 
bei  welcher  Stellung  des  Stempels  der  Abschluss  vom  Kessel  er- 
folgt. Daraus  kann  man  die  Volumina,  welche  der  Dampf  im 
Cylinder  im  Momente  des  Abschlusses  und  zu  Ende  der  Expansion 
einnimmt,  ableiten,  und  diese  beiden  Volumina  können  daher  als 
Data  an  die  Stelle  der  Druckkräfte  ^2  und  p-^  treten. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  die  Gleichungen  in  solche  Form  zu 
bringen,  dass  man  mittelst  dieser  Data  die  Rechnung  ausführen 
kann. 

Es  sei  wieder,  wie  bei  der  Auseinandersetzung  der  Pambour'- 
schen  Theorie,  der  ganze  Raum,  welcher  während  eines  Hubes  im 
Cylinder  frei  wird,  nait  Einschluss  des  schädlichen  Raumes,  mit  y', 
der  bis  zum  Abschluss  vom  Kessel  frei  werdende  Raum  mit  ev' 
und  der  schädliche  Raum  mit  s  v'  bezeichnet.  Dann  hat  man  nach 
dem,  was  früher  gesagt  ist,  die  Gleichungen: 
m^  U2  -\-  {M -^  ^)  6  =  ev' 
'^s  W3  +  (-34"  -\-  ^)6  =  v' 

f/o  Wo    -\-  ^6   =  BV'. 

Die  Grössen  ft  und  ö  sind  beide  so  klein,  dass  man  ihr  Product 
ohne  Weiteres  vernachlässigen  kann,  wodurch  kommt: 

'm-2  u-2  ■=  ev'  —  Mö 

m^u-^  z=  v'  —  Mö 

ev' 

^0  = 

Mo 

Ferner  ist  nach  Abschnitt  VI.  Gleichung  (13),  wenn  wir  für 
den  darin  enthaltenen  Difierentialcoefficienten  -r^,  welcher  im  Fol- 
genden so  oft  vorkommen  wird,  dass  eine  einfachere  Bezeichnung 
zweckmässig  ist,  den  Buchstaben  g  einführen : 

Q  =:  Tag. 


(29) 


Daiupfmascliinentheorie.  271 

Hiernach  kann  man  in  den  obigen  Glcichungssystemen  die 
Grössen  q.^  und  q-^  durch  u.2  und  w^  ersetzen.  Dann  kommen  die 
Massen  m2  und  in.^  nur  noch  in  denProducten  m^th  und  «^3%  vor, 
und  für  diese  kann  man  die  in  den  beiden  ersten  der  Gleichungen 
(29)  gegebenen  Werthe  einsetzen. 

Ebenso  kann  man  mittelst  der  letzten  dieser  Gleichungen  zu- 
nächst die  Masse  ^(^  eliminiren,  und  was  die  andere  Masse  fi  an- 
betrifft, so  kann  diese  zwar  etwas  grösser  als  f*,)  sein,  da  aber  die 
Glieder,  welche  ft  als  Factor  enthalten,  überhaupt  sehr  unbedeutend 
sind,  so  kann  man  unbedenklich  auch  für  ^  denselben  Werth  ein- 
setzen, welcher  für  [Iq  gefunden  ist,  d.  h.  man  kann  jene  der  All- 
gemeinheit wegen  gemachte  Annahme,  dass  die  ursprünglich  im 
schädlichen  Räume  befindliche  Masse  theils  flüssig,  theils  dampf- 
förmig war,  für  die  numerische  Rechnung  fällen  lassen,  und  jene 
Masse  als  ganz  dampfförmig  voraussetzen. 

Die  eben  angedeuteten  Substitutionen  können  sowohl  in  den 
allgemeineren  Gleichungen  (27)  als  auch  in  den  vereinfachten 
Gleichungen  (28)  geschehen.  Da  indessen  die  Ausführung  gar 
keine  Schwierigkeit  hat,  so  wollen  wir  uns  hier  auf  die  letzteren 
beschränken,  um  die  Gleichungen  sofort  in  einer  für  die  numeri- 
sche Berechnung  geeigneten  Form  zu  erhalten. 

Sie  lauten  nach  dieser  Aenderung  folgendermaassen : 
fW'  =  nHQ,-{-^C(T,  -  T,)-(v'-3Iö){T,g,  -jh+lh) 

Po  -  C(T,  -  T,) 


(30) 


+   8V' 

(ev'  -  Mö)  T^g.,  =  m^  q^  -f  MC{Ti  -  T.) 


(v'  -  M6)g,  ^  (ev'  -  Mö)g,  +  (m  +  — )  Clog 


§.  15.     Arbeit  für  die  Gewichtseinheit  Dampf. 

Um  diese  Gleichungen,  welche  die  Arbeit  eines  Hubes  oder 
der  Dampfmenge  n^  bestimmen,  endlich  noch  auf  die  Gewichts- 
einheit Dampf  zu  beziehen,  ist  dasselbe  Verfahren  anzuwenden, 
mittelst  dessen  früher  die  Gleichung  (17)  in  (18)  verwandelt 
wurde.  Wir  dividiren  nämlich  die  drei  Gleichungen  durch  mi 
und  setzen  dann: 


(31) 


272  Abschnitt  XI. 

E-_=l,^^r  und  -^  =  TF. 
jw,  Ml  nii^ 

Dadurch  gehen  die  Gleichungen  über  in: 

(W=  Q,  +  l  C{T,  -  T,)  —  (F  -  lö){T,g,  -  p,  +  po) 

'^  Wo 

_^  sv(^'~  ^^^^'  ~  ^"^  +  i>.  -  i^o)  4-  ^ö(i>i  -iJ2) 

\  Uq  J 

(F  -  7,ö)(/3-  =-  (eF  -  U)ij,  -^  (^Z  -f  y  (7%  ^  . 

§.  16.     Behandlung  der  Gleichungen. 

Die  Anwendung  dieser  Gleichungen  zur  Berechnung  der 
Arbeit  kann  in  folgender  Weise  geschehen.  Aus  der  als  bekannt 
vorausgesetzten  Verdampfungsstärke  und  aus  der  Ganggeschwin- 
digkeit, welche  die  Maschine  dabei  annimmt,  bestimmt  man  das 
Volumen  F,  welches  auf  eine  Gewichtseinheit  Dampf  kommt.  Mit 
Hülfe  dieses  Werthes  berechnet  man  zunächst  aus  der  zweiten 
Gleichung  die  Temperatur  Tg,  sodann  aus  der  dritten  die  Tempe- 
ratur Ts ,  und  diese  endlich  wendet  man  in  der  ersten  Gleichung 
zur  Bestimmung  der  Arbeit  an. 

Dabei  stösst  man  aber  noch  auf  eine  eigenthümliche  Schwie- 
rigkeit. Um  aus  den  beiden  letzten  Gleichungen  die  Tempera- 
turen %  und  Tg  zu  berechnen,  müssten  dieselben  eigentlich  nach 
den  Temperaturen  aufgelöst  werden.  Sie  enthalten  aber  diese 
Temperaturen  nicht  nur  explicite,  sondern  auch  implicite,  indem 
p  und  g  Functionen  der  Temperatur  sind.  Wollte  man  zur  Eli- 
mination dieser  Grössen  eine  der  gebräuchlichen  empirischen 
Formeln,  welche  den  Dampfdruck  als  Function  der  Temperatur 
darstellen,  für  p,  und  ihren  Differentialcoefficienten  für  g  ein- 
setzen, so  würden  die  Gleichungen  für  die  weitere  Behandlung  zu 
complicirt  werden.  Man  könnte  sich  nun  vielleicht  in  ähnlicher 
Weise,  wie  Pambour,  dadurch  helfen,  dass  man  neue  empirische 
Formeln  aufstellte,  welche  für  den  vorliegenden  Zweck  bequemer, 
und  wenn  auch  nicht  für  alle  Temperaturen,  so  doch  innerhalb 
gewisser  Intervalle   hinlänglich   genau  wären.     Auf  solche  Ver- 


Dampfmaschinentheorie.  273 

suche  will  ich  jedoch  hier  nicht  eingehen,  sondern  statt  dessen 
auf  ein  anderes  Verfahren  aufmerksam  maclien,  hei  welchem  die 
Rechnung  zwar  etwas  weitläufig,  aber  in  ihren  einzelnen  Theilen 
leicht  ausführbar  ist. 

§.  17.     Berechnung  des  Differentialcoefficienten  -jj  =  fj 
und  des  Productes  T  .  (j. 

Wenn  die  Spannungsreihe  des  Dampfes  für  irgend  eine  Flüs- 
sigkeit mit  hinlänglicher  Genauigkeit  bekannt  ist,  so  kann  mau 
daraus  auch  die  Werthe  der  Grössen  g  und  T .  g  für  verschiedene 
Temperaturen  berechnen,  und  ebenso,  wie  es  mit  den  Werthen  von 
p  zu  geschehen  pflegt,  in  Tabellen  vereinigen. 

Für  den  Wasserdampf,  welcher  bis  jetzt  bei  den  Dampfmaschi- 
nen fast  allein  angewandt  wird,  habe  ich  eine  solche  Rechnung 
mit  Hülfe  der  Regnault'schen  Spannungsreihe  für  die  Tempe- 
raturen von  0"  bis  200"  ausgeführt. 

Ich  hätte  dabei  eigentlich  die  Formeln,  welche  Regnault  zur 
Berechnung  der  einzelnen  Werthe  von  p  unter  und  über  100" 
benutzt  hat,  nach  t  differentiiren ,  und  mittelst  der  dadurch  er- 
haltenen neuen  Formeln  g  berechnen  müssen.  Da  aber  jene  For- 
meln doch  nicht  so  vollkommen  ihrem  Zwecke  entsprechen,  dass 
mir  diese  mühsame  Arbeit  lohnend  schien,  und  die  Aufstellung 
und  Berechnung  einer  anderen  geeigneteren  Formel  noch  weit- 
läufiger gewesen  wäre  so  habe  ich  mich  damit  begnügt,  die  schon 
für  den  Druck  berechneten  Zahlen  auch  zu  einer  angenäherten 
Bestimmung  des  Differentialcoefficienten  des  Druckes  zu  benutzen. 
Sei  z.  B.  der  Druck  für  die  Temperaturen  146"  und  148"  mit  pn^ 
und  1^148  bezeichnet,  so  habe  ich  angenommen,  dass  die  Grösse 

2 
den  für  die  mittlere  Temperatur  147"  geltenden  Werth  des  Diffe- 
rentialcoefficienten hinlänglich  genau  darstelle. 

Dabei  habe  ich  über  100"  die  von  Regnault  selbst  ange- 
führten Zahlen  benutzt  i).  In  Bezug  auf  die  Werthe  unter  100" 
hat  in  neuerer  Zeit  Moritz  2)  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 


1)  Mem.  de  VÄcacl  des  Sciences  T.  XXI,  p.  625. 

2)  Bulletin   de   la  Classe  physico  -  mathematique  de   VAcad.  de  St.  Pc- 
tershourg,  T.  XIII,  p.  41. 

Claiisius,  median.  Wärmetheorie.     I.  Ig 


274  Abschnitt  XI. 

die  Formel,  welche  Regnault  zwischen  0^  und  100"^  angewandt 
hat,  dadurch,  dass  er  sich  zur  Berechnung  der  Constanten  sieben- 
stelliger Logarithmen  bedient  hat,  etwas  ungenau  geworden  ist, 
besonders  in  der  Nähe  von  lOO".  Moritz  hat  daher  jene  Con- 
stanten unter  Zugrundelegung  derselben  Beobachtungswerthe  mit 
zehnstelligen  Logarithmen  berechnet,  und  die  aus  dieser  verbesserten 
Formel  abgeleiteten  Werthe  von  ^,  soweit  sie  von  den  Regnault' - 
sehen  abweichen,  was  erst  über  40^  eintritt,  mitgetheilt.  Diese 
Werthe  habe  ich  benutzt  i). 


d  p 
1)  Da  der  Diffei'entialcoefficient  -p-  in   Kechnuna^en,    welche    sich    auf 

dt 

den  Dampf  beziehen,  sehr  oft  vorkommt,  so  ist  es  von  Interesse,  zu  wissen, 

in  wie  weit  die  von  mir  angewandte  bequeme  Bestimmungsweise  desselben 

zuverlässig  ist,   und  ich   will   daher   hier   einige  Zahlen  zur  Vergleichung 

zusammenstellen. 

Regnault   hat   zur  Berechnung    der    in    seiner    Tabelle    enthaltenen 

Werthe   der  Dampfspannungen   für   die   Temperaturen  über   100''  folgende 

Formel  angewandt: 

Loff  p  =1  a  —  b  a^  ■ —  c  ß^, 

worin  unter  Log  der  Briggs'sche  Logarithmus  verstanden  ist,   ferner  x 

die  von  —  200  au   gerechnete  Temperatur  bedeutet,    so  dass  x  ^^  t  -\-  20 

ist,  und  endlich  die  fünf  Constanten  folgende  Werthe  haben: 

a  =  6,2640348 
Log  b  :=  0,1397743      - 
Log   c  =  0,6924351 
Log  cc  =  9,994049292  —  10 
Log  ß  —  9,998343862  —  10. 

Wenn  man  aus  dieser  Formel   für  p  eine  Gleichung  für  —-  ableitet,  so  er- 
hält man : 

p        dt  I  r    1 

worin  «  und  ß   dieselben  Werthe   haben,   wie  vorher,   und  A  und  B  zwei 
neue  Constante  von  folgenden  Werthen  sind : 

Log  A  —  8,5197602  —  10 

Log  B  —  8,6028403  —  10. 
Berechnet  man  aus  dieser  Gleichung  den  im  Texte  beispielsweise  erwähn- 
ten, auf  die  Temperatur  147«  bezüglichen  Werth  des  Differentialcoefficienten 

-^ ,  so  erhält  man: 
dt 

Für  jene  angenäherte  Bestimmungsweise  hat  man  nach  der  Regnault'- 
solien  Tabelle  die  Spannungen : 


Diunpfiniischinenthfoi'ie.  275 

Nachdem  die  Grösse  (j  für  die  einzelnen  Temperaturgrade 
berechnet  ist,  hat  auch  die  Berechnung  des  Productes  T .  (j  keine 
Schwierigkeit  mehr,  da  T  durch  die  einfache  (lleichung 

T=2Td  +  t 
bestimmt  ist. 

Die  so  gefundenen  Werthe  von  (j  und  T  .  (j  habe  ich  in  einer 
am    Ende   dieser   Abhandlung   mitgetheilten    Tabelle   zusammen- 


Ph8  =  3392,98 
p,,,  =  8212,74 
und  daraus  ergiebt  sich : 

^48  —  Pur,  _  130,24  _ 


90,12. 


Man  sieht,  dass  dieser  angenäherte  Werth  mit  dem  aus  der  einigen  Glei- 
chung berechneten  genaueren  Werthe  so  nahe  übereinstimmt,  dass  man 
ihn  in  den  bei  Dampfmaschinen  vorkommenden  Rechnungen  unbedenklich 
anwenden  kann. 

Was  die  Temperaturen  zwischen  0*^  und  100*^  anbetrifft,  so  lautet  die 
Formel,  welche  Regnault  in  diesem  Intervalle  zur  Berechnung  der 
Dampfspannungen  angewandt  hat: 

Log  p  =z  a  -\-  bai  —  c  ß*. 
Die  Constanten    haben   nach    der    verbesserten'  Berechnung   von   Moritz 
folgende  Werthe : 

a  =  4,7393707 
Log   h  —  8,1319907112  —  10 
Log   c  =  0,6117407675 
Log  a  —  0,006864937152 
Log  ß  =  9,996725536856  —  10. 

Aus  dieser  Formel  lässt  sich  für  -~-  wieder  eine  Gleichung  von  der  Form 

ableiten,  worin  die  Werthe  der  Constanten  a  und  ß  die  eben  angeführten 
sind,  und  A  und  B  folgende  Werthe  haben: 

Log  A  =  6,6930586  —  10 

Log  B  =  8,8513123  —  10. 
Berechnet  man   aus  dieser   Gleichung   z.  B.   den   der  Temperatur  70''   ent- 
sprechenden Werth  von  -^r ,  so  findet  mau : 
dt 

Durch  die  augenäherte  Bestimmungsweise  erhält  man : 

Pni  -  Pe9  ^  243,380  -  223,154     ^  ^^^^^^ 

also  wiederum  eine  Zahl ,  welche  mit  der  aus  der  genaueren  Gleichung- 
berechneten  ganz  befriedigend  übereinstimmt. 

18* 


276  Abschnitt  XI. 

gestellt.  Der  Vollständigkeit  wegen  habe  ich  auch  die  dazu- 
gehörigen Werthe  von  p  hinzugefügt,  und  zwar  von  0»  bis  40« 
und  über  100»  die  von  Regnault,  von  40»  bis  100°  die  von 
Moritz  berechneten.  Bei  jeder  dieser  drei  Zahlenreihen  sind  die 
Differenzen  je  zweier  aufeinander  folgender  Zahlen  mit  angeführt, 
so  dass  man  aus  dieser  Tabelle  für  jede  gegebene  Temperatur 
die  Werthe  jener  drei  Grössen,  und  umgekehrt  für  jeden  gegebenen 
Werth  einer  jener  drei  Grössen  die  entsprechende  Temperatur 
finden  kann. 


§.   18.     Einführung   anderer   Druck-   und    Wärmemaasse. 

In  Bezug  auf  die  Art  der  Anwendung  der  Werthe  jener 
Tabelle  ist  noch  eine  Bemerkung  zu  machen.  In  den  Gleichungen 
(31)  ist  vorausgesetzt,  dass  der  Druck  p  und  sein  Differential- 
coefficient  g  in  Kilogrammen  auf  ein  Quadratmeter  ausgedrückt 
seien;  in  der  Tabelle  dagegen  ist  dieselbe  Druckeinheit  beibehalten, 
auf  welche  die  Regnault'sche  Spannungsreihe  sich  bezieht,  näm- 
lich Millimeter  Quecksilber.  Um  nun  in  den  folgenden  Formeln 
unter  p  und  g  die  in  dieser  letzteren  Einheit  ausgedrückten  Werthe 
des  Druckes  und  seines  Differentialcoefficienten  verstehen  zu 
dürfen,  müssen  wir  die  Aenderung  mit  den  Gleichungen  (31)  vor- 
nehmen, dass  wir  p  und  g  mit  der  das  speciiische  Gewicht  des 
Quecksilbers  darstellenden  Zahl  13,596,  welche  nach  §.  10  des 
Abschnittes  VI.  die  Verhältnisszahl  zwischen  den  beiden  Druckein- 
heiten ist,  multipliciren.  Bezeichnen  wir  diese  Zahl  der  Kürze 
wegen  mit  Tc,  so  haben  wir  p  und  g  überall,  wo  sie  in  jenen  Glei- 
chungen vorkommen,  durch  die  Producte  hp  und  kg  zu  ersetzen. 

Zugleich  wollen  wir  statt  der  Grössen  C  und  9,  welche  die 
specifische  Wärme  und  die  Verdampfungswärme  nach  mechani- 
schem Maasse  darstellen,  die  Grössen  c  und  r  einführen,  welche 
sich  auf  gewöhnliches  Wärmemaass  beziehen,  indem  wir  statt  C 
und  Q  die  Producte  Ec  und  Er  setzen. 

Wenn  wir  dann  noch  die  Gleichungen  durch  Je  dividiren,  um 
die  Constanten  E  und  h  möglichst  zusammen  zu  bringen,  so  gehen 

W 

sie  in  folgende  über,  aus  denen  sich  der  Bruch  -y  und  somit  auch 

die  Arbeit  W  selbst  berechnen  lässt: 


Dampfinaschinontheorie.  277 

(32)  j(fF-  ?ö)T,.9,  =  I  [n  +  /c(21  -  T,)] 
+  f  T'  [j [  i>,  —p,j  +  ?<5  (i),  -  p,) 

(V  -  16) g,  -=  (eV  -  16) fj,  +  (m   il^)  ^  %  ^. 
Der  hierin  vielfach  vorkommende  Bruch  —  hat  den  Werth: 

(33)  ^  -  i^M^  -  31  1525 
^^^^  k  -  13,596  ~"  '^^'^^^•^• 

§.  19.     Bestimmung  der  Temperaturen  Tg  und  T.. 

Die  zweite  der  Gleichungen  (32)  lässt  sich  in  folgender  Form 
schreiben : 

(34)  T,g,  =^  C  -^  a{t,  -  t,)  -  h(p,  -  p,), 

worin  die  Grössen  C,  a  und  h  von  ^2  unabhängig  sind,  nämlich: 

.^  1       r^n   ,     „/^     ro-c(Ti  — Tq)   ,  \-| 


(34a) 


_.  K'  +  f) 


/j  = 


fc        eV—l6 
bV  -  l6 


eV  —  l6 

Von  den  drei  auf  der  rechten  Seite  von  (34)  stehenden  Glie- 
dern ist  das  erste  bei  Weitem  überwiegend,  und  dadurch  wird  es 
möglich,  das  Product  T^g.2  und  damit  zugleich  auch  die  Tempe- 
ratur ^2  durch  successive  Näherung  zu  bestimmen. 

Um  den  ersten  Näherungswerth  des  Productes,  welcher  T'  g' 
heissen  möge,  zu  erhalten,  setze  man  auf  der  rechten  Seite  t^  an 
die  Stelle  von  ti  und  entsprechend  pi  statt  j;.,,  dann  kommt: 
(35)  '  T'g'=C. 

Die   zu   diesem   Werthe   des   Productes   gehörige   Temperatur  t' 
schlage  man  in  der  Tabelle  auf.    Um  nun  den  zweiten  Näherungs- 


278  Absclinitt  XI. 

werth  des  Productes  zu  bekommen,  setze  man  den  eben  gefun- 
denen Werth  t'  und  den  entsprechenden  Werth  p'  des  Druckes  auf 
der  rechten  Seite  von  (34)   für  ^3   und  p.21   wodurch   man   unter 
Berücksichtigung  der  vorigen  Gleichung  erhält: 
(35  a)  T"  g"  =  T  cj  -Y  a{iy  —  Ü)  —  h{py—  p'). 

Die  zu  diesem  Werthe  des  Productes  gehörige  Temperatur  t"  er- 
giebt  sich,  wie  vorher,  aus  der  Tabelle.  Stellt  diese  die  gesuchte 
Temperatur  t.2  noch  nicht  genau  genug  dar,  so  wiederhole  man 
dasselbe  Verfahren.  Man  setze  auf  der  rechten  Seite  von  (34)  f 
und  jj"  an  die  Stelle  von  (-2  und  p.2.,  wodurch  man  unter  Berück- 
sichtigung der  beiden  vorigen  Gleichungen  erhält: 
(35  b)  T"  g'"  =  T"  g"  -f  a(t'  -  t")  —  h(p'—  p"), 
und  den  neuen  Temperaturwerth  t'"  in  der  Tabelle  finden  kann. 

In  dieser  Weise  könnte  man  beliebig  lange  fortfahren,  aber 
schon  der  dritte  Näherun gswerth  weicht  nur  noch  etwa  um  Yioo 
Grad,  und  der  vierte  um  weniger  als  Viooo  Grad  von  dem  wahren 
Werthe  der  Temperatur  t^  ab. 

Ganz  ähnlich  ist  die  Behandlung  der  dritten  der  Gleichungen 
(32).  Dividirt  man  diese  durch  V —  ?(5,  und  führt  der  leichteren 
Rechnung  wegen  statt  der  durch  das  Zeichen  log  angedeuteten 
natürlichen  Logarithmen  Briggs 'sehe  Logarithmen  ein,  welche 
durch  das  Zeichen  Log  angedeutet  Werden  mögen,  wobei  man  nur 
den  Modulus  M  dieses  Systems  als  Divisor  hinzufügen  muss,  so 
nimmt  die  Gleichung  die  Form 

(36)  g,  =  C+  aLog-^ 

an,  worin  C  und  a  folgende  von  T^  unabhängige  Werthe  haben: 


(36  a) 


^       eV  —  l6 

G  =  -^ ^  •  //2 


V  —  l6 

,■  I  I  -i- 
E 


('  +  ^) 


k     M(V—Jö) 

In  der  Gleichung  (36)  ist  wieder  auf  der  rechten  Seite  das 
erste  Glied  überwiegend,  so  dass  man  das  Verfahren  der  succes- 
siven  Näherung  anwenden  kann.  Man  setze  zunächst  T^  an  die 
Stelle  von  T3,  dann  erhält  man  als  ersten  Näherungswerth  von  g,,: 
(37)  g'  =  (7, 

und  kann  die  dazu  gehörige  Temperatur  t'  in  der  Tabelle  finden, 


ÜiiiiiiifiiiaschiiH-ntliooric.  279 

und  daraus  leicht  die  absolute  Temperatur  T  l)ilden.  Diese  setze 
man  nun  in  (30)  für  T-,  ein,  dann  kommt: 

(37  a)  fi"  =.  (/  ^aLoy  ^,, 

woraus  sich  T"  ergieht.     Ebenso  erhält  man  weiter: 

(37  b)  ff  =  (j"  -^aLog^,, 

woraus  sich  T"  ergiebt,  u.  s.  f.  Auch  hier  genügen  wenige  solcher 
Rechnungen,  um  einen  Werth  zu  erhalten,  welcher  mit  grosser 
Annäherung  als  Werth  von  T-^  gelten  kann. 


§.  20.     Bestimmung   der   Grössen   c  und   r. 

Es  bleibt  nun,  um  zur  numerischen  Anwendung  der  Glei- 
chungen (32)  schreiten  zu  können,  nur  noch  die  Bestimmung  der 
Grössen  c  und  r  übrig. 

Die  Grösse  c,  d.  h.  die  specifische  Wärme  der  Flüssigkeit,  ist 
in  der  bisherigen  Entwickelung  als  constant  behandelt.  Das  ist 
freilich  nicht  ganz  richtig,  da  die  specifische  Wärme  mit  wach- 
sender Temperatur  etwas  zunimmt.  Wenn  man  aber  den  Werth, 
welcher  etwa  für  die  Mitte  des  Intervalles,  welches  die  in  der 
Untersuchung  vorkommenden  Temperaturen  umfasst,  richtig  ist,  als 
gemeinsamen  Werth  auswählt,  so  können  die  Abweichungen  nicht 
bedeutend  werden.  Bei  den  durch  Wasserdampf  getriebenen 
Dampfmaschinen  kann  als  solche  mittlere  Temperatur  etwa  100^ 
gelten,  welche  bei  einer  gewöhnlichen  Hochdruckmaschine  mit 
Condensator  ungefähr  gleich  weit  von  der  Kessel-  und  Conden- 
satortemperatur  entfernt  ist.  Wir  wollen  also  beim  Wasser  den 
Werth  anwenden,  welcher  nach  Regnault  die  specifische  Wärme 
bei  100''  darstellt,  indem  wir  setzen: 
(38)  c  =  1,0130. 

Zur  Bestimmung  der  Grösse  r  gehen  wir  von  der  Gleichung 
aus,  welche  Piegnault  für  die  ganze  Wärmemenge,   welche  dazu 
nöthig  ist,  um  eine  Gewichtseinheit  Wasser  von  0^  bis  zur  Tem-. 
peratur  t  zu  erwärmen  und  bei  dieser  Temperatur  in  Dampf  zu 
verwandeln,  aufgestellt  hat,  nämlich: 

l  =  606,5  -f-  0,305  .  t 


280  Abschnitt  XI. 

Setzt  man  hierin  für  A  die   der  vorigen  Definition  entsprechende 

t 

Summe  /  cdt  -j-  ^',  so  kommt: 


r  =  606,5  -f-  0,305  .  t  —  fcät. 


In  dem  Integrale  muss  man,  um  genau  die  Wertlie  von  r  zu 
erhalten,  welche  Eegnault  augiebti),  für  c  die  von  Kegnault 
näher  bestimmte  Temperaturfunction  anwenden.  Ich  glaube  aber, 
dass  es  für  den  vorliegenden  Zweck  genügt,  wenn  wir  auch  hier- 
bei für  c  die  vorher  angeführte  Constante  in  Anwendung  bringen. 

Dadurch  erhalten  wir: 

t 

cdt  =  1,013  .  t, 


!'- 


und  können  nun  die  beiden  von  t  abhängigen  GHeder  der  vorigen 
Gleichung  in  Eines  zusammenziehen,  welches  —  0,708  .  t  lautet. 

Zugleich  müssen  wir  nun  auch  das  constante  Glied  der  Glei- 
chung etwas  ändern,  und  wir  wollen  es  so  bestimmen,  dass  der- 
jenige Beobachtungswerth  von  r,  welcher  wahrscheinlich  unter 
allen  der  genaueste  ist,  auch  durch  die  Formel  richtig  dargestellt 
wird.  Bei  100^  hat  Regnault  für  die  Grösse  A  als  Mittel  aus 
38  Beobachtungszahlen  den  Werth  636,67  gefunden.  Ziehen  wir 
hiervon  die  Wärmemenge  ab,  welche  zur  Erwärmung  der  Gewichts- 
einheit Wasser  von  0°  bis  100^  erforderlich  ist,  und  welche  nach 
Regnault  100,5  Wärmeeinheiten  beträgt,  so  bleibt,  wenn  wir  uns 
mit  Einer  Decimale  begnügen, 

/•loo  =  536,2  2). 
Unter  Anwendung  dieses  Werthes  erhält  man  für  r  die  Formel: 
(39)  r  =  607  —  0,708  .  i. 

Diese  Formel  wurde  schon  in  Abschnitt  VI.  §.  3  vorläufig  an- 
geführt, und  es  ist  dort  eine  kleine  Tabelle  gegeben,  aus  welcher 
die  grosse  Uebereinstimmung  zwischen  den  aus  dieser  Formel  be- 
rechneten und  den  von  Regnault  in  seiner  Tabelle  angeführten 
Werthen  von  r  ersichtlich  ist. 


1)  Relation  des  experiences  t.  I.,  p.  748. 

2)  Eegnault  selbst  führt  in  seiner  Tabelle  nicht  genau  die  obige  Zahl, 
sondern  536,5  an;  das  liegt  aber  nur  daran,  dass  er  für  i.  bei  lOO*^  in  der 
Rechnung  statt  des  vorher  erwähnten  Werthes  636,67  in  runder  Zahl  637 
gesetzt  hat. 


IXampifiiuiseliiiieiitlieorie.  281 


§.  21.    Specielle  Form  der  Gleichungen  (32)  für  eine 
Maschine  ohne  Expansion. 

Um  die  heiden  rerschiedenen  Arten  der  Ausdehnung,  auf 
welche  sich  die  heiden  letzten  der  Gleichungen  (32)  beziehen,  in 
ihren  Wildungen  unterscheiden  zu  können  ^  scheint  es  mir  zweck- 
mässig, zunächst  eine  solche  Dampfmaschine  zu  betrachten,  in 
welcher  nur  Ejne  derselben  Torkomml  Wir  wollen  daher  mit 
einer  Maschine  begnmen,  welche  ohne  Expansic»  arbeitet. 

In  diesem  Falle  ist  för  die  Grösse  ?,  wdche  das  Yerhältniss 
der  Yolumina  tot  und  nach  der  Expansion  bezeichnet,  der  Werth 
1  und  zugleich  T^,  =  T^  za  setzen,  wodurch  die  Gleichungen  (32) 
eine  ein&chere  Gestalt  annehmen. 

Die  letzte  dieser  Gleichungen  wird  identisch  und  fällt  also 
fort  In  der  zweiten  geht  die  unke  Seite  in  (F  —  ?d)  T^gf  über, 
während  die  rechte  S^te  ungeändert  bleibt.  Die  erste  endlich 
nimmt  zunädist  folgende  Form  an: 

^  =  f  ['■i  -  ^^21  -  ^.)]  -  (y-i^)(T,^,-p,-^p,) 

—  ^^T 7^ "■ 

W^m  man  hierin  för  (V —  l6)  T^g^  doi  an  der  rechten  Seite  der 
zweiten  Gleichung  stehenden  Ausdruck  einsetzt,  so  heben  sich  aUe 

Glider,  welche  -^  als  Factor  enthalten  und  zwei  Glieder,  wekne 

Z6  als  Factor  enthalten,  gegenseitig  auf.  und  die  übrig  bleibenden 
Glieder  lassen  äch  in  zwrä  Producte  zusammen&ssen.    Die  beiden 
Gleichungen  lauten  dann: 
iW 


^  =  ra     £>«>,     lA,)     IöCä     ä) 

(V  —16}  T.,u  =  ^  \r,  -1-  le(Ti  —  T^) 

-Ä> 

(40) 


Die  erste  dieser  beiden  XJleichungen  ist  genau  dieselbe,  welche 
man  auch  nach  der  Pambour'schen  Theorie  erhält,  wenn  man 
in  (IS)  e  =  1  setzt,  und  mittelst  der  Gleichung  (12)  (nachdem 


282  Abschnitt  XI. 

v' 
darin  e  =  \   und  —  =^   V  gesetzt  ist),    statt  der  Grösse  B  das 
m 

Volumen  V  einführt.  Der  Unterschied  liegt  also  nur  in  der 
zweiten  Gleichung,  welche  an  die  Stelle  der  von  Pambour  an- 
genommenen einfachen  Beziehung  zwischen  Volumen  und  Druck 
getreten  ist. 


§.  22.     Angenommene  numerische  Werthe. 

Die  in  diesen  Gleichungen  vorkommende  Grösse  £,  welche 
den  schädlichen  Raum  als  Bruchtheil  des  ganzen  für  den  Dampf 
frei  werdenden  Raumes  darstellt,  sei  zu  0,05  angenommen.  Die 
Menge  der  tropfbaren  Flüssigkeit,  welche  der  Dampf  beim  Ein- 
tritt in  den  Cylinder  mit  sich  führt,  ist  bei  verschiedenen  Ma- 
schienen  verschieden.  Pambour  sagt,  dass  sie  bei  Locomotiven 
durchschnittlich  0,25,  bei  stehenden  Dampfmaschinen  aber  viel 
weniger,  vielleicht  0,05  der  ganzen  in  den  Cylinder  tretenden  Masse 
trage.  Wir  wollen  für  unser  Beispiel  die  letztere  Angabe  be- 
nutzen, wonach  das  Verhältniss  der  ganzen  in  den  Cylinder  treten- 
den Masse  zu  dem  dampfförmigen  Theile  derselben  1  :  0,95  ist. 
Ferner  sei  der  Druck  im  Kessel  zu  5  Atmosphären  angenommen, 
wozu  die  Temperatur  152,22^  gehört,  und  vorausgesetzt,  dass  die 
Maschine  keinen  Condensator,  oder,  was  dasselbe  ist,  einen  Con- 
densator  mit  dem  Drucke  von  1  Atmosphäre  habe.  Der  mittlere 
Gegendruck  im  Cylinder  ist  dann  grösser  als  1  Atmosphäre.  Bei 
Locomotiven  kann  dieser  Unterschied,  wie  oben  erwähnt,  durch 
einen  besonderen  Umstand  beträchtlich  werden,  bei  stehenden 
Dampfmaschinen  dagegen  ist  er  geringer.  Pambour  hat  in 
seinen  numerischen  Rechnungen  für  stehende  Maschinen  ohne 
Condensator  diesen  Unterschied  ganz  vernachlässigt,  und  da  es 
sich  hier  nur  um  ein  Beispiel  zur  Vergleichung  der  neuen  Formeln 
mit  den  Pambour' sehen  handelt,  so  wollen  wir  uns  auch  hierin 
ihm  anschliessen,  und  j>o  =  1  Atmosphäre  setzen. 

Es  kommen  also  in  den  Gleichungen  (40)  für  dieses  Beispiel 
folgende  Werthe  zur  Anwendung: 


Dampfmasclünentheorie.  283 

s    ^  0,05 

?     =  -L  —  1,053 
(41)  0,90 

p,  =  8800 
Ih  =  7G0. 
Nehmen  wir  hierzu  noch  die  ein-  für  allemal  feststehenden  Werthe: 

/.•  =  13,596 

ö  =    0,001. 

so  bleiben  in  der  ersten  der  Gleichungen  (40)  ausser  der  gesuchten 
Grösse    W  nur  noch  die  Grössen   V  und  x>2  unbestimmt. 

§,  23.     Kleinstmöglicher  Werth  von   V  und  dazugehörige 

Arbeit. 

Wir  müssen  nun  zuerst  untersuchen,  welches  der  Jdeinst- 
mögliche  Werth  von   V  ist. 

Dieser  Werth  entspricht  dem  Falle,  wo  im  Cylinder  derselbe 
Druck,  wie  im  Kessel  stattfindet,  und  wir  brauchen  daher  nur  in 
der  letzten  der  Gleichungen  (40)  2h  ^^  die  Stelle  von  2)2  zu  setzen. 
Dadurch  kommt: 

Er, 


(42) 


j.   +?ö.^i<yi 


^1  ,^1  —  M  77  ■ +  ih  —Ih 


Um  hierbei  gleich  von  dem  Einflüsse  des  schädlichen  Raumes 
ein  Beispiel  zu  geben,  habe  ich  von  diesem  Ausdrucke  zwei  Werthe 
berechnet,  den,  welcher  entstehen  würde,  w^enn  kein  schädlicher 
Raum  vorhanden,  und  also  f  =  0  wäre,  und  den,  welcher  unter 
der  von  uns  gemachten  Voraussetzung,  dass  s  =  0,05  ist,  ent- 
stehen muss.  Diese  beiden  Werthe  sind  für  1  Kilogramm  aus  dem 
Kessel  tretenden  Dampfes  als  Bruchtheil  eines  Cubikmeter  aus- 
gedrückt : 

0,3637  und  0.3690. 
Dass  der  letzte  dieser  Werthe  grösser  ist,  als  der  erste,  kommt 
daher,  dass  erstens  der  Dampf  in  den  schädlichen  Raum  mit  grosser 
Geschwindigkeit  eindringt,  die  lebendige  Kraft  dieser  Bewegung 
sich  dann  in  Wärme  verwandelt,  und  diese  wiederum  einen  Theil 
der  mitgerissenen  Flüssigkeit  verdampfen  lässt,  und  dass  zweitens 


284  Abschnitt  XI. 

der  schon  vor  dem  Einströmen  im  schädlichen  Kaume  befindliche 
Dampf  ebenfalls  dazu  beiträgt,  die  ganze  nachher  vorhandene 
Dampfmenge  zu  vermehren. 

Setzt  man  die  beiden  für  V  gefundenen  Werthe  in  die  erste 
der  Gleichungen  (40)  ein,  wobei  wieder  s  das  eine  Mal  =  0  und 
das   andere  Mal  =  0,05   gesetzt  wird,    so    erhält   man  als   ent- 
sprechende Arbeitsgrössen  in  Kilogramm-Meter  ausgedrückt: 
14  990  und  14450. 

Nach  der  P am bour 'sehen  Theorie  macht  es  in  Bezug  auf  das 
Volumen  keinen  Unterschied,  ob  ein  Theil  desselben  schädlicher 
Raum  ist,  oder  nicht,  es  wird  in  beiden  Fällen  durch  dieselbe 
Gleichung  (Hb)  bestimmt,  wenn  man  darin  für  p  den  besonderen 
Werth  |Ji  setzt.     Dadurch  erhält  man: 

0,3883. 
Dass  dieser  Werth  grösser  ist,  als  der  vorher  für  dieselbe  Dampf- 
menge gefundene  0,3637,  erklärt  sich  daraus,  dass  man  überhaupt 
bisher  das  Volumen  des  Dampfes  im  Maximum  der  Dichte  für 
grösser  gehalten  hat,  als  es  der  mechanischen  Wilrmetheorie  nach 
sein  kann,  und  diese  frühere  Ansicht  auch  in  der  Gleichung  (Hb) 
ihren  Ausdruck  findet. 

Bestimmt  man  mittelst  dieses  Volumens  die  Arbeit  aus  der 
Pambour' sehen  Gleichung  unter  den  beiden  Voraussetzungen, 
dass  £  ==  0  oder  =  0,05  sei,  so  kommt: 

16  000  und  15  200. 
Diese  Arbeitsgrössen  sind,  wie  es  auch  als  unmittelbare  Folge  des 
grösseren  Volumens  vorauszusehen  war,  beide  grösser,  als  die  vor- 
her gefundenen,  aber  nicht  in  gleichem  Verhältnisse,  indem  der 
durch  den  schädlichen  Raum  veranlasste  Arbeitsverlust  nach  den 
von  uns  entwickelten  Gleichungen  geringer  ist,  als  er  nach  der 
Pambour 'sehen  Theorie  sein  müsste. 


§.  24.    Berechnung  der  Arbeit  für  andere  Werthe  von   F. 

Bei  einer  Maschine  der  hier  betrachteten  Art,  welche  Pam- 
bour in  ihrer  Wirksamkeit  untersuchte,  verhielt  sich  die  Geschwin- 
digkeit, welche  die  Maschine  wirklich  annahm,  zu  derjenigen, 
welche  sich  für  dieselbe  Verdampfungsstärke  und  denselben  Druck 
im  Kessel   aus  seiner  Theorie   als  Minimum  der  Geschwindigkeit 


Dampfmaschinentlieorie.  285 

berechnen  Hess,  bei  einem  Versuche  wie  1,275  :  1  und  bei  einem 
anderen,  unter  geringerer  Behistung,  wie  1,70  :  1.  Diesen  Ge- 
schwindigkeiten würden  für  unseren  Fall  die  Volumina  0,495  und 
0,660  entsi^rechen.  Wir  wollen  nun  als  ein  Beispiel  zur  Bestim- 
mung der  Arbeit  eine  Geschwindigkeit  wählen,  wel(;he  zwischen 
diesen  beiden  liegt,  indem  wir  in  runder  Zahl  setzen  : 

F=0,6. 
Es  kommt  nun  zunächst  darauf  an,  für  diesen  Werth  von  V 
die  Temperatur   t-i   zu   finden.     Dazu   dient   die  Gleichung  (34), 
welche  folgende  specielle  Form  annimmt: 

(43)     T,[/,  =  26  577  +  56,42  .  (t,  -  t,)  -  0,0483  .  (p,  -  p.^. 
Führt   man  mittelst  dieser  Gleichung   die    in  §.19  beschriebene 
successive  Bestimmung  von  ^2  ^us,  so  erhält  man  der  Reihe  nach 
folgende  Näherungswerthe : 

t'    =  133,010 

t"    =  134,43 

r  =  134,32 

t""  =  134,33. 
Noch  weitere  Näherungswerthe  würden  sich  nur  noch  in  höheren 
Decimalen  unterscheiden,  und  wir  haben  also,  sofern  wir  uns  mit 
zwei  Decimalen  begnügen  wollen,  die  letzte  Zahl  als  den  wahren 
Werth  von  t.2  zu  betrachten.    Der  dazu  gehörige  Druck  ist: 

P2  =  2308,30. 

Wendet  man  diese  Werthe  von  V  und  p.2  zugleich  mit  den 
übrigen  in  §.  22  näher  festgestellten  Werthen  auf  die  erste  der 
Gleichungen  (40)  an,  so  erhält  man: 

W  =  11960. 
Die  Pambour'sche  Gleichung  (18)   giebt  für  dasselbe  Volumen 
0,6  die  Arbeit: 

W=  12  520. 

Um  die  Abhängigkeit  der  Arbeit  vom  Volumen ,  und  zugleich 
den  Unterschied,  welcher  in  dieser  Beziehung  zwischen  Pam- 
bour's  und  meiner  Theorie  herrscht,  noch  deutlicher  erkennen  zu 
lassen,  habe  ich  dieselbe  Rechnung,  wie  für  das  Volumen  0,6  auch 
für  eine  Reihe  anderer  in  gleichen  Abständen  wachsender  Volumina 
ausgeführt.  Die  Resultate  sind  in  nachstehender  Tabelle  zusam- 
mengefasst.  Die  erste  horizontale  Zahlenreihe,  welche  durch  einen 
Strich  von  den  anderen  getrennt  ist,  enthält  die  für  eine  Maschine 


286 


Abschnitt  XI. 


ohne  schädlichen  Kaum  gefundenen  Werthe.    Im  üebrigen  ist  die 
Einrichtung  der  Tabelle  leicht  ersichtlich. 


nacli  Pambour 

V 

h 

W 

^ 

V 

W 

0,3637 

152,220 

14  990 

0,3883 

16  000 

0,8690 

152,22 

14  450 

0,3883 

15  200 

0,4 

149,12 

14100 

0,4 

15  050 

0,5 

140,83 

13  020 

0,5 

13  780 

0,6 

134,33 

11960 

0,6 

12  520 

0,7 

129,03 

10  910 

0,7 

11250 

0,8 

124,55 

9  880 

0,8 

9  980 

0,9 

120,72 

8  860 

0,9 

8  710 

1 

117,36 

7  840 

1 

7  440 

Man  sieht,  dass  die  nach  der  Pambour' sehen  Theorie 
berechneten  Arbeitsgrössen  mit  wachsendem  Volumen  schneller 
abnehmen,  als  die  nach  unseren  Gleichungen  berechneten,  so  dass 
sie,  während  sie  anfangs  beträchtlich  grösser  sind,  als  diese,  ihnen 
allmälig  näher  kommen,  und  zuletzt  sogar  kleiner  werden.  Dieses 
erklärt  sich  daraus,  dass  nach  der  Pambour' sehen  Theorie  bei 
der  während  des  Einströmens  stattfindenden  Ausdehnung  immer 
nur  dieselbe  Masse  dampfförmig  bleibt,  welche  es  schon  anfangs 
war;  nach  der  unserigen  dagegen  ein  Theil  der  im  flüssigen 
Zustande  mitgerissenen  Masse  noch  nachträglich  verdampft,  und 
zwar  um  so  mehr,  je  grösser  die  Ausdehnung  ist. 


§.  25.     Arbeit   einer  Maschine   mit   Expansion    für    einen 
bestimmten  Werth  von    V. 


Wir  wollen  nun  in  ähnlicher  Weise  eine  Maschine  betrachten, 
welche  mü  Expansion  arbeitet,  und  zwar  wollen  wir  dazu  eine 
Maschine  mit  Condensator  wählen. 

In  Bezug  auf  die  Grösse  der  Expansion  wollen  wir  annehmen, 
dass  der  Abschluss  vom  Kessel  erfolge,  wenn  der  Stempel  1/3  seines 


Dampfmaschinentlieorie.  287 

Weges  zurückgelegt  bat.     Dann  haben  wir  zur  Bestimmung  von  <i 
die  Gleicbung: 

e  -  £  =  Va  (1  -  0, 
und   daraus   ergiebt   sich,  wenn  wir  für   £   den  Wcrtli   0,05  bei- 
behalten : 

e  =  ^-  ^  0,3666  .  .  . 
o 

Der  Druck  im  Kessel  sei,  wie  vorher,  zu  5  Atmosphären  an- 
genommen. Der  Druck  im  Condensator  kann  bei  guter  Einrichtung 
unter  Vio  Atmosphäre  erhalten  werden.  Da  er  aber  nicht  immer 
so  klein  ist,  und  ausserdem  der  Gegendruck  im  Cylinder  den  im 
Condensator  stattfindenden  Druck  noch  etwas  übertrifft,  so  wollen 
wir  für  den  mittleren  Gegendruck  jj^  in  runder  Zahl  1/5  Atmo- 
sphäre oder  152mm  annehmen,  wozu  die  Temperatur  fu  =:^  60,46" 
gehört.  Behalten  wir  endlich  für  l  den  vorher  angenommenen 
Werth  bei,  so  sind  die  in  diesem  Beispiele  zur  Anwendung  kom- 
menden Grössen  folgende : 

e  =  0,36667 
£  =  0,05 
(44)  j    Z  =  1,053 

^1  =  3800 
(iJo  =  152. 

Es  braucht  nun ,  um  die  Arbeit  berechnen  zu  können ,  nur 
noch  der  Werth  von  Y  gegeben  zu  werden.  Um  bei  der  Wahl 
desselben  einen  Anhalt  zu  haben,  müssen  wir  zuerst  den  kleinst- 
möglichen  Werth  von  F  kennen.  Dieser  ergiebt  sich,  ganz  wie  bei 
den  Maschinen  ohne  Expansion,  dadurch,  dass  man  in  der  zweiten 
der  Gleichungen  (32)  ^^  an  die  Stelle  von  j;.2  setzt,  und  ebenso  die 
übrigen  mit  pg  zusammenhängenden  Grössen  ändert.  Man  findet 
auf  diese  Weise  für  unseren  Fall  den  Werth: 

1,010. 
Hiervon  ausgehend  wollen  wir  als  erstes  Beispiel  annehmen,  die 
wirkliche  Ganggeschwindigkeit  der  Maschine  übertreffe  die  kleinst- 
mögliche   etwa  im  Verhältnisse  von  3:2,   indem  wir  in  runder 
Zahl 

Y=  1,5 
setzen,  und  für  diese  Geschwindigkeit  wollen  wir  die  Arbeit  be- 
stimmen. 

Zunächst  müssen  durch  Einsetzung  dieses  Werthes  von  V  in 
die  beiden  letzten  der  Gleichungen  (32)  die  beiden  Temperaturen 


288  Abschnitt  XI. 

^2  und  #3  bestimmt  werden.  Die  Bestimmung  von  fj  ist  schon  bei 
der  Maschine  ohne  Condensator  etwas  näher  besprochen,  und  da 
sich  der  vorliegende  P'all  von  jenem  nur  dadurch'  unterscheidet, 
dass  die  Grösse  e,  welche  dort  gleich  1  gesetzt  war,  hier  einen 
anderen  Werth  hat,  so  will  ich  darauf  nicht  noch  einmal  eingehen, 
sondern  nur  das  Endresultat  anführen.     Man  findet  nämlich: 

ti  =  137,430. 
Diese  zur  Bestimmung  von  ^3  dienende  Gleichung  (36)  nimmt 
für  diesen  Fall  folgende  Gestalt  an: 

(45)  ^3  =  26,604+  51,515  Xor/^. 

Hieraus  erhält  man  nach  einander  folgende  Näherungswerthe : 

t'    =    99,240 

t"    =  101,93 

t'"  =101,74 

t""  =  101,76. 
Den  letzten  dieser  Werthe,  von  welchem  die  späteren  nur  noch  in 
höheren  Decimalei:i  abweichen  würden,  betrachten  wir  als  den 
richtigen  Werth  von  U,  und  wenden  ihn  zusammen  mit  den  be- 
kannten Werthen  von  ti  und  ^o  auf  die  erste  der  Gleichungen  (32) 
an.    Dadurch  kommt: 

PT  =  31  080. 
Berechnet  man  unter  Voraussetzung  desselben  Werthes  von 
V  die  Arbeit  nach  der  Pambour'schen  Gleichung  (18),  wobei 
man  aber  die  Werthe  von  JB  und  h  nicht,  wie  bei  der  Maschine 
ohne  Condensator,  aus  der  Gleichung  (IIb),  sondern  aus  der  für 
Maschinen  mit  Condensator  bestimmten  Gleichung  (Ha)  entnehmen 
muss,  so  findet  man: 

W  =  32  640. 


§.  26.     Zusammenstellung  verschiedener  Fälle   in  Bezug 
auf  den   Gang   der   Maschine. 

In  derselben  Weise,  wie  es  für  das  Volumen  1,5  hier  an- 
gedeutet ist,  habe  ich  auch  für  die  Volumina  1,2,  1,8  und  2,1  die 
Arbeit  berechnet.  Ausserdem  habe  ich,  um  den  Einfluss,  welchen 
die  verschiedenen  Unvollkommenheiten  der  Maschine  auf  die  Grösse 


Dampfmaschinentheorie.  289 

der  Arbeit  ausüben,  an  einem  Beispiele  übersichtlich  zusammen- 
stellen zu  können,  noch  folgende  Fälle  hinzugefügt. 

1)  Den  Fall  einer  Maschine,  welche  keinen  schädlichen  Raum 
hat,  und  bei  welcher  ausserdem  der  Druck  im  Cylinder  während 
des  Einströmens  gleich  dem  im  Kessel  ist,  und  die  Expansion  so 
weit  getrieben  wird,  bis  der  Druck  von  seinem  ursprünglichen 
Werthe  p^  bis  p^  abgenommen  hat.  Dieses  ist,  wenn  wir  nur  noch 
annehmen,  dass  po  genau  den  Druck  im  Condensator  darstelle,  der 
Fall,  auf  welchen  sich  die  Gleichung  (9)  bezieht,  und  welcher  für 
eine  gegebene  Wärmemenge,  wenn  auch  die  Temperaturen  der 
Wärmeaufnahme  und  Wärmeabgabe  als  gegeben  betrachtet  wer- 
den, die  grösstmögliche  Arbeit  liefert. 

2)  Den  Fall  einer  Maschine,  bei  welcher  wieder  kein  schäd- 
licher Raum  vorkommt,  und  der  Druck  im  Cylinder  gleich  dem 
im  Kessel  ist,  aber  die  Expansion  nicht  wie  vorher  vollständig, 
sondern  nur  im  Verhältnisse  von  e  :  1  stattfindet.  Dieses  ist  der 
Fall,  auf  welchen  sich  die  Gleichung  (6)  bezieht,  nur  dass  dort, 
um  die  Grösse  der  Expansion  zu  bestimmen,  die  durch  die  Expan- 
sion bewirkte  Temperaturänderung  des  Dampfes  als  bekannt  vor- 
ausgesetzt wurde,  während  hier  die  Expansion  dem  Volumen  nach 
bestimmt  ist,  und  die  Temperaturänderung  daraus  erst  berechnet 
werden  muss. 

3)  Den  Fall  einer  Maschine  mit  schädlichem  Räume  und  un- 
vollständiger Expansion,  bei  welcher  von  den  vorigen  günstigen 
Bedingungen  nur  noch  die  besteht,  dass  der  Dampf  im  Cylinder 
während  des  Einströmens  denselben  Druck  ausübt,  wie  im  Kessel, 
so  dass  alo  das  Volumen  den  kleinstmöglichen  Werth  hat. 

An  diesen  Fall  schliessen  sich  endlich  die  schon  erwähnten 
an,  in  welchen  auch  die  letzte  günstige  Bedingung  fortgefallen  ist, 
indem  das  Volumen  statt  des  kleinstmöglichen  Werthes  andere 
gegebene  Werthe  hat. 

Alle  diese  Fälle  sind  zur  Vergleichung  auch  nach  der  Pam- 
bour' sehen  Theorie  berechnet,  mit  Ausnahme  des  ersten,  für 
welchen  die  Gleichungen  (IIa)  und  (IIb)  nicht  ausreichen,  indem 
selbst  diejenige  unter  ihnen,  welche  für  geringeren  Druck  be- 
stimmt ist,  doch  nur  bis  zu  V2  oder  höchstens  ^'3  Atmosphäre 
abwärts  angewandt  werden  darf,  während  hier  der  Druck  bis  zu 
V5  Atmosphäre  abnehmen  soll. 

Die  für  diesen  ersten  Fall  aus  unseren  Gleichungen  hervor- 
gehenden Zahlen  sind  folgende: 

Clausius,  mecban.  Wärmetheorie.     I.  IQ 


290 


Abschnitt  XI. 


Volumen  vor 
der  Expansion 

Volumen  nach 
der  Expansion 

W 

0,3637 

6,345 

50  460 

Für  alle  übrigen  Fälle  sind  die  Resultate  in  der  nachstehen- 
den Tabelle  zusammengefasst,  wobei  wieder  die  auf  die  Maschine 
ohne  schädlichen  Raum  bezüglichen  Zahlen  von  den  anderen  durch 
einen  Strich  getrennt  sind.  Für  das  Volumen  sind  nur  die  nach 
der  Expansion  gültigen  Zahlen  angeführt,  weil  die  Werthe  vor  der 
Expansion  sich  daraus  von  selbst  ergeben,  indem  sie  in  allen 
Fällen  in  dem  Verhältnisse  von  e  :  1  oder  von  0,36667  :  1  kleiner 
sind. 


h 

^3 

W 

nach  Pambour 

V 

V 

W 

0,992 

152,220 

113,710 

34  310 

1,032 

36  650 

1,610 

152,220 

113,680 

32  430 

1,032 

34  090 

1,2 

145,63 

108,38 

31870 

1,2 

33  570 

1,5 

137,43 

101,76 

31080 

1,5 

32  640 

1,8 

131,02 

96,55 

30  280 

1,8 

31710 

2,1 

125,79 

92,30 

29  490 

2,1 

30  780 

27.  Zurückführung  der  Arbeit  auf  eine  von  der  Wärme- 
quelle gelieferte  Wärmeeinheit. 


Die  in  dieser  Tabelle  angeführten  Arbeitsgrössen ,  ebenso  wie 
diejenigen  der  früheren  Tabelle  für  die  Maschine  ohne  Conden- 
sator,  beziehen  sich  auf  ein  Kilogramm  aus  dem  Kessel  tretenden 
Dampfes.  Man  kann  aber  hiernach  die  Arbeit  auch  leicht  auf 
eine  von  der  Wärmequelle  gelieferte  Wärmeeinheit  beziehen,  wenn 
man  bedenkt,  dass  für  jedes  Kilogramm  Dampf  so  viel  Wärme 
geliefert  werden  muss,  wie  nöthig  ist,  um  die  Masse  l,  welche  etwas 
grösser   als  1  Kilogramm  ist,   von  ihrer  Anfangstemperatur,   mit 


Dampfmascliinentlieorie.  291 

welcher  sie  in  den  Kessel  tritt,  bis  zu  der  im  Kessel  selbst  herr- 
schenden Temperatur  zu  erwärmen,  und  bei  dieser  letzteren  ein 
Kilogramm  in  Dampf  zu  verwandeln,  welche  Wärmemenge  sich 
aus  den  bisherigen  Daten  berechnen  lässt. 


§.  28.     Berücksichtigung  der  Reibung. 

Zum  Schluss  dieser  numerischen  Bestimmungen  muss  ich  noch 
einige  Worte  über  die  Beihung  hinzufügen,  wobei  ich  mich  aber 
darauf  beschränken  will,  mein  Verfahren,  dass  ich  die  Reibung 
in  den  bisher  entwickelten  Gleichungen  ganz  unberücksichtigt 
gelassen  habe,  zu  rechtfertigen,  indem  ich  zeige,  dass  man  die  Rei- 
bung, anstatt  sie,  wie  es  Pambour  gethan  hat,  gleich  in  die 
ersten  allgemeinen  Ausdrücke  der  Arbeit  mit  einzuflechten,  nach 
denselben  Principien  auch  nachträglich  in  Rechnung  bringen  kann, 
was  übrigens  in  gleicher  Weise  auch  von  anderen  Autoren  ge- 
schehen ist. 

Die  Kräfte,  welche  die  Maschine  bei  ihrem  Gange  zu  über- 
winden hat,  lassen  sich  folgendermaassen  unterscheiden.  1)  Der 
Widerstand,  welcher  ihr  von  aussen  entgegengestellt  wird,  und 
dessen  Ueberwindung  die  von  ihr  verlangte  nütslidie  Arbeit  bildet. 
Pambour  nennt  diesen  Widerstand  die  Belastung  {cliarge)  der 
Maschine.  2)  Die  Widerstände,  welche  in  der  Maschine  selbst 
ihren  Grund  haben,  so  dass  die  zu  ihrer  Ueberwindung  verbrauchte 
Arbeit  nicht  äusserlich  nutzbar  wird.  Diese  letzteren  Widerstände 
fassen  wir  alle  unter  dem  Namen  der  Beihung  zusammen,  obwohl 
ausser  der  Reibung  im  engeren  Sinne  auch  noch  andere  Kräfte 
unter  ihnen  vorkommen,  besonders  die  Widerstände  der  zur 
Dampfmaschine  gehörigen  Pumpen,  mit  Ausnahme  derjenigen, 
welche  den  Kessel  speist,  und  welche  im  Früheren  schon  mit 
betrachtet  ist. 

Beide  Arten  von  Widerständen  bringt  Pambour  als  Kräfte, 
welche  sich  der  Bewegung  des  Stempels  widersetzen,  in  Rechnung, 
und  um  sie  mit  den  Druckkräften  des  an  beiden  Seiten  des  Stem- 
pels befindlichen  Dampfes  bequem  vereinigen  zu  können,  wählt  er 
auch  die  Bezeichnung  ähnlich,  wie  es  beim  Dampfdrucke  ge- 
schieht, nämlich  so,  dass  das  Zeichen  nicht  die  ganze  Kraft,  son- 
dern den  auf  eine  Flächeneinheit  des  Stempels  kommenden  Theil 

19* 


292  Absclinitt  XL 

derselben  bedeutet.  In  diesem  Sinne  stelle  der  Buchstabe  B  die 
Belastung  dar. 

Bei  der  Reibung  muss  noch  ein  weiterer  Unterschied  gemacht 
werden.  Die  Reibung  ist  nämlich  nicht  eine  Grösse,  die  für  jede 
Maschine  einen  constanten  Werth  hat,  sondern  wächst  mit  der  Be- 
lastung. Pambour  zerlegt  sie  daher  in  zwei  Theile,  den,  welcher 
schon  vorhanden  ist,  wenn  die  Maschine  ohne  Belastung  geht,  und 
den,  welcher  erst  durch  die  Belastung  hinzukommt.  Von  letzterem 
nimmt  er  an,  dass  er  der  Belastung  proportional  sei.  Demgemäss 
drückt  er  die  Reibung,  auf  die  Flächeneinheit  bezogen,  durch 

aus,  worin  /  und  8  Grössen  sind,  die  zwar  von  der  Einrichtung 
und  den  Dimensionen  der  Maschine  abhängen,  aber  für  eine  be- 
stimmte Maschine  nach  Pambour   als   constant   zu  betrachten 

sind. 

Wir  können  nun  die  Arbeit  der  Maschine  statt,  wie  bisher,  auf 
die  treibende  Kraft  des  Dampfes,  auch  auf  diese  'widerstehenden 
Kräfte  beziehen,  denn  die  von  diesen  gethane  negative  Arbeit  muss 
gleich  der  von  jener  gethanen  positiven  sein,  weil  sonst  eine  Be- 
schleunigung oder  Verzögerung  des  Ganges  eintreten  würde ,  was 
der  gemachten  Voraussetzung,  nach  welcher  der  Gang  gleichmässig 
sein  soll,  widerspricht.  Die  Stempelfiäche  beschreibt,  während  eine 
Gewichtseinheit  Dampf  in  den  Cylinder  tritt,  den  Raum  (1  —  e)  F, 
und  man  erhält  daher  für  die  Arbeit  W  den  Ausdruck: 

TF=(1  -£)  F[(1  +  Ö)E+/]. 
Der  nutzbare  Theil  dieser  Arbeit  dagegen,  welcher   zum  Unter- 
schiede von  der  ganzen  Arbeit  mit  ( W)  bezeichnet  werden  möge, 
wird  durch  den  Ausdruck: 

(TF)  =  (1  —  £)  V .B 
dargestellt.    Eliminirt  man  aus  dieser  Gleichung  vermittelst  der 
vorigen  die  Grösse  jR,  so  kommt: 

Mit  Hülfe  dieser  Gleichung  kann  man,  da  die  Grösse  V  als  bekannt 
vorauszusetzen  ist,  aus  der  ganzen  Arbeit  W  die  nützliche  Arbeit 
( W)  ableiten,  sobald  die  Grössen  /  und  8  gegeben  sind. 

Auf  die  Art,  wie  Pambour  die  letzteren  bestimmt,  will  ich 
hier  nicht  eingehen,  da  diese  Bestimmung  noch  auf  zu  unsicheren 
Grundlagen  beruht,  und  die  Reibung  überhaupt  dem  eigentlichen 
Gegenstande  dieses  Abschnittes  fremd  ist. 


Dampfmaschiiientheorie.  293 


§.  29.     Allgemeine  Betrachtung  der  Vorgänge  in  thermo- 

dynamisclien  Maschinen  und  Zurückführung  derselben 

auf  Kreisprocesse. 

Nachdem  wir  im  Vorigen  die  Dampfmaschine  in  der  Weise 
behandelt  haben,  dass  wir  alle  in  ihr  stattfindenden  Vorgänge  ver- 
folgt, die  dabei  geleisteten  positiven  oder  negativen  Arbeitsgrössen 
einzeln  bestimmt  und  diese  dann  zu  einer  algebraischen  Summe 
vereinigt  haben,  wollen  wir  nun  die  thermodynamischen  Maschinen 
von  allgemeineren  Gesichtspunkten  aus  betrachten. 

Der  Ausdruck,  dass  die  Wärme  eine  Maschine  treibt,  ist  natür- 
lich nicht  auf  die  Wärme  unmittelbar  zu  beziehen ,  sondern  ist  so 
zu  verstehen,  dass  irgend  ein  in  der  Maschine  vorhandener  Stoff 
in  Folge  der  Veränderungen,  welche  er  durch  die  Wärme  erleidet, 
die  JMaschinentheile  in  Bewegung  setzt.  Wir  wollen  diesen  Stoff 
den  die  Wirkung  der   Wärme  vermittelnden  Stoff  nennen. 

Wenn  nun  eine  fortwährend  wirkende  Maschine  in  gleich- 
massigem  Gange  ist,  so  finden  alle  dabei  vorkommenden  Verän- 
derungen periodisch  statt,  so  dass  derselbe  Zustand,  in  welchem 
sich  zu  einer  gewissen  Zeit  die  Maschine  mit  allen  ihren  einzelnen 
Theilen  befindet,  in  gleichen  Intervallen  regelmässig  wiederkehrt. 
Demnach  muss  auch  der  die  Wirkung  der  Wärme  vermittelnde 
Stoff'  in  solchen  regelmässig  wiederkehrenden  Momenten  in  gleicher 
Menge  in  der  Maschine  vorhanden  sein,  und  sich  in  gleichem  Zu- 
stande befinden.  Diese  Bedingung  kann  auf  zwei  verschiedene 
Arten  erfüllt  werden. 

Erstens  kann  ein  und  dasselbe  ursprünglich  in  der  Maschine 
befindliche  Quantum  dieses  Stoffes  immer  in  ihr  bleiben,  wobei 
dann  die  Zustandsänderungen ,  welche  dieser  Stoff  während  des 
Ganges  erleidet,  so  stattfinden  müssen,  dass  er  mit  dem  Ende 
jeder  Periode  wieder  in  seinen  Anfangszustand  zurückkehrt,  und 
dann  denselben  Cyclus  von  Veränderungen  von  Neuem  beginnt. 

Zweitens  kann  die  Maschine  jedesmal  den  Stoff,  welcher  wäh- 
rend einer  Periode  zur  Hervorbringuug  der  Wirkung  gedient  hat, 
nach  aussen  abgeben,  und  dafür  ebenso  viel  Stoff  von  derselben 
Art  von  aussen  wieder  aufnehmen. 

Dieses  letztere  Verfahren  ist  bei  den  in  der  Praxis  angewandten 
Maschinen  das  gewöhnlichere.     Es  findet  z.  B.  bei  den  calorischen 


294  Abschnitt  XI.. 

Luftiriaschmen,  wie  sie  bis  jetzt  construirt  sind,  Anwendung,  indem 
nacli  jedem  Hube  die  Luft,  welche  im  Treibcylinder  den  Stempel 
bewegt  hat,  in  die  Atmosphäre  ausgetrieben,  und  dafür  vom  Speise- 
cylinder  eine  gleiche  Quantität  Luft  aus  der  Atmosphäre  geschöpft 
wird.  Ebenso  bei  den  Dampfmaschinen  ohne  Condensator,  bei 
welchen  auch  der  Dampf  aus  dem  Cylinder  in  die  Atmosphäre 
tritt,  und  dafür  aus  einem  Reservoir  neues  Wasser  in  den  Kessel 
gepumpt  wird. 

Ferner  findet  es  wenigstens  eine  theilweise  Anwendung  auch 
bei  den  Dampfmaschinen  mit  Condensator  von  gewöhnlicher  Ein- 
richtung. Bei  diesen  wird  das  aus  dem  Dampfe  niedergeschlagene 
Wasser  zwar  zum  Theil  in  den  Kessel  zurückgepumpt,  aber  nicht 
alles,  weil  es  mit  dem  Kühlwasser  gemischt  ist,  und  von  diesem 
daher  auch  ein  Theil  in  den  Kessel  kommt.  Der  nicht  wieder 
angewandte  Theil  des  niedergeschlagenen  Wassers  muss  mit  dem 
übrigen  Theile  des  Kühlwassers  zusammen  fortgeschaöt  werden. 

Das  erstere  Verfahren  hat  bisher  nur  bei  wenigen  Maschinen 
Anwendung  gefunden,  unter  anderen  bei  solchen  Dampfmaschinen, 
welche  durch  zwei  verschiedene  Dämpfe,  z.  B.  Wasser-  und  Aether- 
dampf,  getrieben  werden  i).  In  diesen  wird  der  Wasserdampf  nur 
durch  die  Berührung  mit  Metallröhren,  welche  inwendig  mit 
flüssigem  Aether  gefüllt  sind,  niedergeschlagen,  und  dann  voll- 
ständig wieder  in  den  Kessel  zurückgepumpt.  Ebenso  wird  der 
Aetherdampf  in  Metallröhren,  die  nur  auswendig  von  kaltem  Wasser 
umspült  sind,  niedergeschlagen,  und  dann  in  den  ersten  Raum,  der 
zur  Verdampfung  des  Aethers  dient,  zurückgepumpt.  Es  braucht 
daher,  um  den  gleichmässigen  Gang  zu  erhalten,  nur  so  viel  Wasser 
und  Aether  neu  zugeführt  zu  werden,  wie  etwa  wegen  Unvoll- 
kommenheit  der  Construction  durch  die  Fugen  entweicht. 

In  einer  Maschine  dieser  Art,  in  welcher  dieselbe  Masse  immer 
wieder  von  Neuem  angewandt  wird,  müssen,  wie  oben  gesagt,  die 
verschiedenen  Veränderungen,  welche  die  Masse  während  einer 
Periode  erleidet,  einen  in  sich  geschlossenen  Cyclus  oder  nach  der 
Bezeichnung,  welche  ich  in  meinen  Abhandlungen  gewählt  habe, 
einen  Kreisprocess  bilden. 

Solche  Maschinen  dagegen,  bei  denen  ein  periodisches  Auf- 
nehmen und  Wiederausscheiden  von  Massen  stattfindet,  sind  die- 
ser Bedingung  nicht  nothwendig  unterworfen.    Dessen  ungeachtet 


1)  Annales  des  Mines  T.  IV.  (1853),  p.  203  u.  281. 


Bampfmascliinentheorie.  296 

können  auch  sie  dieselbe  erfüllen,  indem  sie  die  Massen  in  dem- 
selben Zustande  wieder  ausscheiden,  in  welchem  sie  sie  aufgenom- 
men haben.  Dieses  ist  der  Fall  bei  den  Dampfmaschinen  mit 
Condensator,  bei  denen  das  Wasser  im  flüssigen  Zustande  und  mit 
derselben  Temperatur,  mit  der  es  aus  dem  Condensator  in  den 
Kessel  getreten  war,  später  aus  dem  Condensator  fortgeschafft 
wird.  Das  Kühlwasser,  welches  kalt  in  den  Condensator  ein-  und 
warm  wieder  austritt,  kommt  dabei  nicht  in  Betracht,  weil  es  nicht 
zu  dem  die  Wirkung  der  Wärme  vermittelnden  Stoffe  gehört,  son- 
dern als  eine  negative  Wärmequelle  dient. 

Bei  anderen  Maschinen  ist  der  Zustand  beim  Austritte  von 
demjenigen  beim  Eintritte  verschieden.  Die  calorischen  Luft- 
maschinen z.  B.,  selbst  wenn  sie  mit  einem  Regenerator  versehen 
sind,  treiben  die  Luft  mit  einer  Temperatur,  die  höher  ist,  als  die 
Eintrittstemperatur,  in  die  Atmosphäre  zurück,  und  die  Dampf- 
maschin  en  ohne  Condensator  nehmen  das  Wasser  tropfbar  flüssig  auf? 
und  lassen  es  dampfförmig  wieder  ausströmen.  In  diesen  Fällen 
findet  zwar  kein  vollständiger  Kreisprocess  statt,  indessen  kann  man 
sich  immer  zu  der  wirklich  vorhandenen  Maschine  noch  eine  zweite 
hinzudenken,  welche  die  Masse  aus  der  ersten  Maschine  aufnimmt, 
sie  auf  irgend  eine  Weise  in  den  Anfangszustand  zurückbringt, 
und  dann  erst  entweichen  lässt.  Beide  Maschinen  zusammen  kön- 
nen dann  als  Eine  Maschine  betrachtet  werden,  welche  wieder  der 
obigen  Bedingung  genügt.  In  manchen  Fällen  kann  diese  Ver- 
vollständigung geschehen,  ohne  dass  dadurch  eine  grössere  Com- 
plication  für  die  Untersuchungen  eintritt.  So  kann  man  sich  z.  B. 
eine  Dampfmaschine  ohne  Condensator,  wenn  man  nur  annimmt, 
dass  sie  mit  Wasser  von  lOOo  gespeist  werde,  ohne  Weiteres  durch 
eine  Maschine  mit  einem  Condensator,  dessen  Temperatur  100"^  ist, 
ersetzt  denken. 

Demnach  kann  man  unter  der  Voraussetzung,  dass  die  Ma- 
schinen, welche  jene  Bedingung  nicht  schon  von  selbst  erfüllen, 
in  dieser  Weise  für  die  Betrachtung  vervollständigt  seien,  auf  alle 
thermodynamischen  Maschinen  die  für  die  Kreisprocesse  geltenden 
Sätze  anwenden,  und  dadurch  gelangt  man  zu  einigen  Schlüssen, 
welche  von  der  besonderen  Natur  der  in  den  einzelnen  Maschinen 
stattfindenden  Vorgänge  ganz  unabhängig  sind. 


296  Abschnitt  XI. 


§.  30.     Gleichungen  für  die  durch  einen  beliebigen  Kreis- 
process  geleistete  Arbeit. 

Für  jeden  Kreisprocess  gelten  den  früheren  Entwickelungen 
gemäss,  als  analytische  Ausdrücke  der  beiden  Hauptsätze,  nachdem 
der  letztere  so  erweitert  ist,  dass  er  auch  die  nicht  umkehrbaren 
Veränderungen  umfasst,  folgende  zwei  Gleichungen: 

W=:    Q 


(47) 


1    T  ~~  ' 


worin  N  die  während  des  Kreisprocesses  eingetretene  uncompen- 
sirte  Verwandlung  bedeutet,  welche  nur  positiv  sein  kann  und  bei 
umkehrbaren  Kreisprocessen  den  Grenzwerth  Null  hat. 

Wenden  wir  diese  Gleichungen  auf  denjenigen  Kreisprocess 
an,  welcher  in  der  thermodynamischen  Maschine  während  einer 
Periode  stattfindet,  so  sieht  man  zunächst,  dass,  wenn  die  ganze 
Wärmemenge,  welche  der  die  Wirkung  der  Wärme  vermittelnde 
Stoff  während  dieser  Zeit  aufgenommen  hat,  gegeben  ist,  dann 
durch  die  erste  Gleichung  unmittelbar  auch  die  Arbeit  bestimmt 
ist,  ohne  dass  die  Natur  der  Vorgänge  selbst,  aus  denen  der 
Kreisprocess  besteht,  bekannt  zu  sein  braucht. 

In  ähnlicher  Allgemeinheit  kann  man  durch  die  Verbindung 
beider  Gleichungen  die  Arbeit  auch  noch  aus  anderen  Daten 
bestimmen. 

Wir  wollen  annehmen,  es  seien  die  Wärmemengen,  welche 
der  veränderliche  Körper  nach  einander  empfängt,  sowie  die  Tem- 
peraturen, welche  er  bei  der  Aufnahme  einer  jeden  hat,  gegeben, 
und  nur  Eine  Temperatur  T(,  sei  übrig,  bei  welcher  dem  Körper 
noch  eine  Wärmemenge  mitgetheilt,  oder,  wenn  sie  negativ  ist, 
entzogen  wird,  deren  Grösse  nicht  im  Voraus  bekannt  ist.  Die 
Summe  aller  bekannten  Wärmemengen  heisse  Qi ,  und  die  unbe- 
kannte Wärmemenge  Qo, 

Dann  zerlege  man  das  in  der  zweiten  Gleichung  vorkommende 
Integral  in  zwei  Theile,  von  denen  der  eine  sich  nur  über  die  be- 
kannte Wärmemenge  Q^  und  der  andere  über  die  unbekannte  ^o 
erstreckt.  Im  letzten  Theile  lässt  sich,  da  in  ihm  T  einen  con- 
stanten  Werth  Tq  hat,  die  Integration  sogleich  ausführen,  und 
ffiebt  den  Ausdruck: 


Danipfiiiascliiiiyntboorie.  297 


Dadurch  geht  die  zweite  Gleichung  über  in; 
% 

JA  J^  ±1 AT 


P 


woraus  folgt: 

Q 


Vo  —  —  -M)  •    /  ~y 


T      N 

Ferner  hat  man  nach  der  ersten  Gleichung,  da  für  unseren  Fall 

Q=  Qi+  Q,  ist: 

Suhstituirt  man  in  dieser  Gleichung  für  Q^^  den  eben  gefundenen 
Werth,  so  kommt: 


VI 

(48)  W=Q,-1\.  f^~  T, 


N, 


Vi 

welche  Gleichung  sich ,  wenn  man  Qi  durch      dQ   ersetzt ,    auch 

0 

so  schreiben  lässt: 

(48a)  '^=f^  ~T^'  '^^-  ^«^- 

0 

Wird  insbesondere  angenommen,  dass  der  ganze  Kreisprocess 

umkehrbar  sei,   so  ist  dem  Obigen  nach  iV  =  0,  und   dadurch 

gehen  die  vorigen  Gleichungen  über  in : 

Qi 
"d_Q 

T 


(49)  W=:    Qy-n-ß 


Qi 
(49  a)  W=f^~^UQ. 

0 

Diese  Ausdrücke  unterscheiden  sich  von  dem  vorigen  nur  durch 
das  Glied  —  Tg  N.  Da  nun  JV"  nur  positiv  sein  kann,  so  kann  dieses 
Glied  nur  negativ  sein,  und  man  sieht  daraus,  was  sich  auch  durch 
unmittelbare  Betrachtung  leicht  ergiebt,  dass  man  unter  den  oben 
in  Bezug  auf  die  Wärmemittheilung  festgestellten  Bedingungen 
die  grösstmögliche  Arbeit   erhält,  wenn  der  ganze  Kreisprocess 


298  Absclmitt  XI. 

umkehrbar  ist,  und  class  durch  jeden  Umstand,  welcher  bewirkt, 
dass  einer  der  in  dem  Kreisprocesse  stattfindenden  Vorgänge  nicht 
umkehrbar  ist,  die  Grösse  der  Arbeit  abnimmt. 

Die  Gleichung  (48)  resp.  (48  a)  führt  hiernach  zu  dem  ge- 
suchten Werthe  der  Arbeit  auf  einem  Wege,  welcher  dem  gewöhn- 
lichen gerade  entgegengesetzt  ist,  indem  man  nicht,  wie  sonst, 
die  während  der  verschiedenen  Vorgänge  gethanen  Arbeitsgrössen 
einzeln  bestimmt  und  dann  addirt,  sondern  von  dem  Maximum  der 
Arbeit  ausgeht,  und  die  durch  die  einzelnen  Unvollkommenheiten 
des  Processes  entstandenen  Arbeitsverluste  davon  abzieht.  Man 
kann  dieses  Verfahren  das  SuhtradionsverfaJiren  nennen. 

Macht  man  in  Bezug  auf  die  Mittheilung  der  Wärme  die  be- 
schränkende Bedingung,  dass  auch  die  ganze  Wärmemenge  Qi  dem 
Körper  bei  einer  bestimmten  Temperatur  Ti  mitgetheilt  werde,  so 
lässt  sich  der  diese  Wärmemenge  umfassende  Theil  des  Integrals 
ebenfalls  ohne  Weiteres  ausführen,  und  giebt: 

wodurch  die  Gleichungen  (48)  und  (49)  folgende  Formen  annehmen: 
(50)  W-^  Q,  ^'~J'—T,N 


(51)  W  ==  Q, 


^1 


§.  31.  Anwendung  der  vorigenGleichungen  auf  denGrenz- 

fall,  in  welchem  der  in  der  Dampfmaschine  stattfindende 

Kreisprocess  umkehrbar  ist. 

Unter  den  weiter  oben  betrachteten  Fällen  in  Bezug  auf  den 
Gang  der  Dampfmaschine  kommt  auch  ein  Grenzfall  vor,  den  man 
zwar  in  der  Wirklichkeit  nicht  erreichen  kann,  dem  man  sich  aber 
so  weit,  wie  möglich,  zu  nähern  sucht,  nämlich  der  Fall,  wo  kein 
schädlicher  Raum  vorhanden  ist,  wo  ferner  im  Cylinder  derselbe 
Druck  herrscht  wie  im  Kessel  resp.  im  Condensator,  und  wo  end- 
lich die  Expansion  so  weit  geht,  dass  sich  der  Dampf  dadurch  von 
der  Kesseltemperatur  bis  zur  Condensatortemperatur  abkühlt. 

In  diesem  Falle  ist  der  Kreisprocess  in  allen  seinen  Theilen 
umhehrhar.    Man  kann  sich  nämlich  denken,  dass  im  Condensator 


Dampfmaschinentheorie.  299 

bei  der  Temperatur  T^  die  Verdampfung  stattfinde,  und  die  Masse  Jf, 
wovon  der  Theil  m^  dampfförmig  und  der  Theil  M  —  m^  tropfbar 
flüssig  sei,  in  den  Cylinder  trete,  und  den  Stempel  in  die  Höhe 
treibe,  dass  dann  beim  Niedergange  des  Stempels  der  Dampf  zu- 
erst soweit  comprimirt  werde,  bis  seine  Temperatur  auf  T^  ge- 
stiegen sei,  und  darauf  in  den  Kessel  gepresst  werde,  und  dass 
endlich  mittelst  der  kleinen  Pumpe  die  Masse  M  wieder  als  tropf- 
bare Flüssigkeit  aus  dem  Kessel  in  den  Condensator  geschafft 
werde,  und  sich  bis  zur  Anfangstemperatur  !{,  abkühle.  Hierbei 
durchläuft  der  Stoff  dieselben  Zustände,  wie  früher,  nur  in  um- 
gekehrter Reihenfolge.  Die  Wärmemittheilungen  oder  Wärmeent- 
ziehungen finden  in  entgegengesetztem  Sinne,  aber  in  derselben 
Grösse  und  bei  denselben  Temperaturen  der  Masse  statt,  und  alle 
Arbeitsgrössen  haben  entgegengesetzte  Vorzeichen,  aber  dieselben 
numerischen  Werthe. 

Daraus  folgt,  dass  in  diesem  Falle  in  dem  Kreisprocesse  keine 
uncompensirte  Verwandlung  vorkommt.  Man  hat  daher  in  der 
Gleichung  (48)  iV=  0  zu  setzen,  und  bekommt  dadurch  die  schon 
unter  (49)  angeführte  Gleichung,  in  welcher  nur  noch,  zur  besseren 
üebereinstimmung  mit  dem  Früheren,  W  statt  Wzu  schreiben  ist: 

§1 

Ü 

Hierin  bedeutet  Q^  für  unseren  Fall  die  der  Masse  M  im  Dampf- 
kessel mitgetheilte  Wärme,  durch  welche  M  als  Flüssigkeit  von  Tq 
bis  Tj  erwärmt  und  dann  der  Theil  mi  in  Dampf  verwandelt  wird, 
und  es  ist  daher: 

Q,  r=  m,Q,  -f  MC{T,  -  T,). 

Bei  der  Bestimmung  des  Integrales  /  -^  müssen  die  beiden 

0 

einzelnen  in  ^^  enthaltenen  Wärmemengen  m^Q]^  undi)/C(I\  —  TJ 
besonders  betrachtet  werden.  Die  Mittheilung  der  ersteren  Wärme- 
menge findet  bei  constanter  Temperatur  Ti  statt,  und  der  auf 
diese  Wärmemenge  bezügliche  Theil  des  Integrales  lautet  daher 
einfach : 

Die  Mittheilung  der  letzteren  Wärmemenge  dagegen  findet  bei 
verschiedenen  Temperaturen  statt,   und  wir  können  das  Wärme- 


300  Abschnitt  XI. 


element  dQ  in  der  Form  MCdT  schreiben,  dann  erhalten  wir 
für  den  auf  diese  Wärmemenge  bezüglichen  Theil  des  Integrals: 


T, 


Durch  Einsetzung  dieser  Werthe  geht  der  vorige  Ausdruck 
von   W  in  den  folgenden  über: 

W  =  m,Q,  -^MG{T,  -  To)  -  To  (^  +  MC  log  |) 

=  ^"1^1  ^^^^  +  MC  (t,  -  To  -h  To  %|^), 

und  dieses  ist  in  der  That  der  in  Gleichung  (9)  enthaltene  Aus- 
druck, welchen  wir  in  §.  4  und  5  durch  die  successive  Bestimmung 
der  einzelnen  während  des  Kreisprocesses  gethanen  Arbeitsgrössen 
gefunden  haben. 

§.  32.     Andere   Form  des  letzten  Ausdruckes. 

Es  wurde  im  vorigen  Paragraphen  erwähnt,  dass  die  beiden 
nach  Gleichung  (51)  in  Q^  enthaltenen  Wärmemengen  m^Qi  und 
MC{Ti  —  To)  bei  der  Berechnung  der  Arbeit  verschieden  be- 
handelt werden  müssen,  weil  die  eine  dem  die  Wirkung  der  Wärme 
vermittelnden  Stoffe  bei  einer  bestimmten  Temperatur  Ti  und  die 
andere  bei  allmälig  von  T«  bis  Ti  steigender  Temperatur  mit- 
getheilt  wird.  Demgemäss  kommen  diese  beiden  Wärmemengen 
auch  in  dem  Ausdrucke  der  Arbeit  in  verschiedener  Weise  vor, 
was  noch  deutlicher  ersichtlich  wird,  wenn  wir  die  letzte  Gleichung 
in  folgender  Form  schreiben: 

(52)    W'==m,9,.^l^-fiJfC(T,-To).(l+^r^%|)- 

Hierin  ist  die  Wärmemenge  nii  Qi  mit  dem  in  Gleichung  (51)  vor- 
kommenden Factor 

die  andere  Wärmemenge  MC{T^  —  T,)  mit  dem  Factor 


Dampfmaschinentheorie.  301 

multiplicirt.  Um  diese  beiden  Factoren  bequemer  mit  einander 
vergleichen  zu  können,  wollen  wir  den  letzteren  etwas  umgestalten , 
Führen  wir  nämlich  für  den  ersteren  Factor  einen  einfachen 
Buchstaben  ein,  indem  wir  setzen: 

(53)  ^  =  ^i^, 

so  ist; 


T,  -  1\ 
und  wir  erhalten  daher : 

1    +  .r^  log   ^^l  +   ^-^lO!j(l-  Z) 


T,  -  T,   ^'  T, 


=  1 

s 


(t  +   2   +  T  +  ''^■) 


Ä'3 


Dadurch  geht  die  Gleichung  (52)  oder  (9)  über  in: 

(54)    TF'  =  m,9,.^  +  ilfC(Ti-To).^(j^  +  2^  +  o  +  ''^'-)" 

Der  Werth  der  in  Klammern  geschlossenen  unendlichen  Reihe, 
welche  den  Factor  der  Wärmemenge  3IC(Ti  —  Tq)  von  dem  der 
Wärmemenge  ni^Qi  unterscheidet,  variirt,  wie  man  sich  leicht 
überzeugt,  während  s  von  0  bis  1  wächst,  zwischen  1/2  und  1, 

Da  nun  bei  allen  vorkommenden  Dampfmascliinen  von  den 
beiden  Bestandtheilen  der  mitgetheilten  Wärmemenge  ^1  der 
erstere  m^Qi  beträchtlich  grösser  ist,  als  der  letztere  JiC(Ti  —  To), 
so  zeigt  diese  Gleichung  recht  augenfällig,  dass  die  Arbeit  W 
etwas,  aber  nicht  viel  kleiner  ist,  als  das  Product  (^i^S  oder, 
wenn  für  z  wieder  sein  Werth  gesetzt  wird,  als  das  Product 


Qi 


T,-T, 


Um  eine  etwas  genauere  Vorstellung  von  der  durch  die  Glei- 
chung (52)  bestimmten  Grösse  W  zu  geben,  habe  ich  sie  für 
einige  als  Beispiele  gewählte  Fälle  berechnet.  Die  Temperatur  fo 
des  Condensators  ist  zu  50" C.  festgesetzt,  und  für  den  Kessel 
sind  die  Temperaturen  110^,  150^  und  180^0.  angenommen,  von 


302 


Abschnitt  XI. 


denen  die  beiden  ersten  ungefähr  der  Niederdruckmaschine  und 
der  gewölmliclien  Hochdruckmaschine  entsprechen,  und  die  letzte 
etwa  als  Grenze  der  bis  jetzt  in  der  Praxis  bei  den  Dampfmaschi- 
nen angewandten  Temperaturen  zu  betrachten  ist.  Für  diese 
Fälle  sind  die  Werthe  von  W  aus  der  in  (52)  gegebenen  Formel 
berechnet.  Zugleich  sind  die  entsprechenden  Werthe  von  ^i, 
nämlich  von  der  Wärmemenge,  welche  der  Wassermenge  M  mit- 
getheilt  werden  muss,  um  sie  von  tg  bis  ti  zu  erwärmen  und  bei 
der  letzteren  Temperatur  den  Theil  m^  ^=  0,95  M  in  Dampf  zu 
verwandeln,  berechnet  und  mit  Hülfe  derselben  ist  dann  der  Bruch 

W 

-TT-  gebildet.      Die    Werthe   dieses   Bruches   finden    sich  in   der 

Vi 

untersten  Reihe  der  nachstehenden  Tabelle,  während  in  der  dar- 
überstehenden Reihe  zur  Vergleichung  die  Werthe  des  Bruches 

—^—ni — -  angeführt  sind. 
■^1 


h 

1100 

1500 

1800 

Tr   -  T, 

0,157 

0,236 

0,287 

W 

^1 

0,149 

0,217 

0,258 

§.  33.     Berücksichtigung   der  Temperatur  der  Wärme- 
quelle. 


Da,  wie  in  §.  31  gezeigt  wurde,  unter  den  gemachten  Voraus- 
setzungen der  beim  Gange  der  Maschine  periodisch  durchlaufene 
Kreisprocess  in  allen  seinen  Theilen  umkehrbar  ist,  und  da  ein 
umliehrharer  Kreisprocess  das  Maximum  der  erreichbaren  Arbeit 
liefert,  so  können  wir  folgenden  Satz  aussprechen: 

Wenn  die  Temperaturen,  hei  tvelchen  der  die  Wirkung  der 
Wärme  vermittelnde  Stoff  die  von  der  Wärmequelle  gelieferte  Wärme 
aufnimmt,  oder  Wärme  nach  aussen  abgieht,  als  im  Voraus  gegeben 
betrachtet  iverden,  dann  ist  die  Dampfmaschine  unter  den  bei  der 
Ableitung  der  Gleichung  (9)  resp.  (52)  gemachten  Voraussetzungen, 
eine  vollkommene  Maschine,  indem  sie  für  eine  bestimmte  ihr  mit- 


Dampfmaschineutheorie.  303 

getheilte  Wärmemenge  eine  so  grosse  Arbeit  liefert,  wie  nach  der 
mechanischen  Wärmetheorie  bei  denselben  Temperaturen  der 
Wärmemittheilung  und  Wärmeentziehung  überhaupt  möglich  ist. 

Anders  verhält  es  sich  aber,  ivenn  man  auch  jene  Temperatu- 
ren nicht  als  im  Voraus  gegeben,  sondern  als  ein  veränderliches 
Element  betrachtet,  welches  hei  der  Beurtheilung  der  Maschine  mit 
herüclcsichtigt  iverden  muss. 

Darin,  dass  die  Flüssigkeit  während  ihrer  Erwärmung  und 
Verdampfung  viel  niedrigere  Temperaturen,  als  das  Feuer,  hat, 
und  also  die  Wärme,  welche  ihr  mitgetheilt  wird,  dabei  von 
höheren  zu  niederen  Temperaturen  übergehen  muss,  liegt  eine  in 
iV"  nicht  mit  einbegriffene  uncompensirte  Verwandlung,  welche  in 
Bezug  auf  die  Nutzbarmachung  der  Wärme  einen  grossen  Verlust 
zur  Folge  hat.  Das  Feuer,  welches  aus  heissen  Gasen  besteht, 
kann  seinen  Wärmeüberschuss  natürlich  nur  so  abgeben,  dass  die 
Gase  bei  der  Abgabe  der  verschiedenen  Wärmeelemente  ver- 
schiedene, allmälig  sinkende  Temperaturen  haben.  Denken  wir 
uns  nun,  die  in  dieser  Weise  gelieferte  Wärme  solle  durch  eine 
Maschine,  welche  sie  empfängt,  und  nur  bei  einer  bestimmten 
Temperatur  Tq  Wärme  wieder  abgiebt,  zur  Hervorbringung  von 
Arbeit  angewandt  werden,  so  müsste,  wenn  dieses  in  möglichst 
vollkommener  Weise  geschehen  sollte,  der  in  der  Maschine  be- 
findliche die  Wirkung  der  Wärme  vermittelnde  Stoff  bei  der  Auf- 
nahme jedes  Wärmeelementes  dieselbe  Temperatur  haben,  wie  die 
Gase,  von  welchen  er  das  Wärmeelement  empfängt. 

In  diesem  Falle  könnte  man  in  der  oben  unter  (49  a)  auf- 
gestellten, zur  Berechnung  der  Arbeit  dienenden  Gleichung 

W=J^-^dQ 

0 

unter  T,  statt  der  Temperatur  des  die  Wirkung  der  Wärme  ver- 
mittelnden Stoffes,  die  Temperatur  der  die  Wärme  liefernden 
Gase  verstehen.  Wenn  man  dann  die  Integration  für  diejenige 
Wärmemenge  ausführt,  welche  eine  gegebene  Menge  der  Gase 
abgeben  muss,  um  sich  von  ihrer  x^nfangstemperatur  bis  zur 
Temperatur  Tq  abzukühlen,  und  welche  hier  mit  Q^  bezeichnet 
ist,  so  erhält  man  die  grösste  Arbeit,  welche  sich  aus  dieser  in 
den  Gasen  enthaltenen  _  Wärme  mittelst  einer  ^Maschine ,  deren 
Wärmeabgabe  bei  der  Temperatur  Tq  stattfindet,  möglicherweise 
gewinnen  lässt. 


304  Abschnitt  XI. 

Zur  Behandlung  des  Integrals  wollen  wir  d  Q  durch  einen 
das  Differential  d  T  enthaltenden  Ausdruck  darstellen.  Bezeichnen 
wir  nämlich  die  Wärmemenge,  welche  die  Gase  abgeben  müssen, 
um  sich  von  T  bis  T  —  dT  abzukühlen ,  mit  Kd T,  worin  K 
vorläufig  als  ein  von  T  abhängiger  Factor  angesehen  werden 
kann,  so  haben  wir  zu  setzen: 

dQ  =  Kd  T, 

wodurch  die  obige  Gleichung,  wenn  wir  die  Anfangstemperatur 
der  Gase  mit  T«,  und  zugleich  den  betreffenden  Werth  von  W, 
weil  er  das  Maximum  der  Arbeit  darstellt,  mit  W^ax  bezeichnen, 
übergeht  in: 

^« 
(55)  W,na.  =f  K  ^~j^^'  d  T. 

Hierin  muss  noch,  um  die  Integration  ausführen  zu  können,  die 
Grösse  K  bestimmt  werden.  Betrachten  wir,  um  wenigstens  eine 
ungefähre  Vorstellung  von  der  durch  das  Integral  dargestellten 
Grösse  zu  gewinnen,  die  Gase,  aus  denen  das  Feuer  besteht,  als 
vollkommene  Gase,  und  nehmen  an,  dass  dieselben  während  ihrer 
Abkühlung  bis  zur  Temperatur  Tq  keine  weitere  Veränderung, 
als  die  einfache  Temperaturerniedrigung  bei  constantem  Drucke, 
erleiden,  so  können  wir  K  als  constant  ansehen,  und  seinen 
Werth  folgendermaassen  ableiten.  Die  ganze  Wärmemenge  Q^ 
wird  bestimmt  durch  die  Gleichung: 


KdT 

und  diese  geht,  wenn  K  constant  ist,  über  in: 

Q,=K{Ta-  To), 
woraus  folgt: 

(56)  K  =■  yf, yjT- 

J-a  —   -f-O 

Durch  Einsetzung  dieses  Werthes  von  K  in  die  Gleichung  (55) 
erhält  man: 

^« 

(57)  Wmax  =  y^  _'  y^  I f~^  dT, 

To 

woraus  sich  durch  Ausführung  der  Integration  ergiebt: 


Dampfmascliinenthem-ie.  305 

(58)  Wn,^,,.  =  Q,  {l  -  — ^  lo;j  '^y 

Nehmen  wir  nun  beispielsweise  an,  die  Gase,  aus  denen  das 
Feuer  besteht,  haben  zu  Anfange  die  Ternjoeratur  von  2000^0., 
und  die  Endtemperatur  Tq  sei,  wie  in  den  früheren  Beispielen, 
500C.,  wozu  als  absolute  Temperaturen  die  Werthe  2273  und 
323  gehören,  so  erhalten  wir  durch  Ausführung  der  numerischen 
Rechnung : 

W,nax.  —    Qi   .  0,677. 

Vergleicht  man  den  hierin  vorkommenden  Zahlenfactor  0,677 
mit  den  Zahlen,  welche  in  der  am  Schlüsse  des  vorigen  Para- 
graphen befindlichen  Tabelle  in  der  untersten  Reihe  stehen,  so 
erkennt  man,  in  welchem  Verhältnisse  die  Leistungen  der  Dampf- 
maschinen, selbst,  wenn  diese  so  vervollkommnet  würden,  dass 
der  in  ihnen  stattfindende  Vorgang  ein  umJiehrharer  Kreisprocess 
wäre,  geringer  sein  würden,  als  das  Maximum  der  Leistung, 
welche  aus  der  vom  Feuer  gelieferten  Wärme  durch  Maschinen, 
deren  Wärmeabgabe  bei  50'' C.  stattfände,  gewonnen  werden 
könnte. 

Aus  den  in  jener  Tabelle  stehenden  Zahlen,  so  wie  auch  aus 
der  Gesammtheit  der  vorausgehenden  mathematischen  Betrach- 
tungen ergiebt  sich,  dass  die  auf  die  Wärmeeinheit  bezogene 
Arbeit,  welche  eine  Maschine  leisten  kann,  um  so  grösser  ist,  je 
grösser  das  Intervall  zwischen  der  Temperatur  der  Wärmeauf- 
nahme und  der  Temperatur  der  Wärmeabgabe  ist,  und  es  ist 
somit  leicht  zu  erkennen,  was  schon  S.  Carnot,  und  nach  ihm 
viele  andere  Autoren  ausgesprochen  haben,  dass  man,  imi  die 
durch  Wärme  getriebenen  Maschinen  vortheilhafter  einzurichten, 
hauptsächlich  darauf  bedacht  sein  muss,  dieses  Temperaturintervall 
zu  erweitern. 

So  ist  z.  B.  von  den  calorischen  Luftmaschinen  nur  dann  zu 
erwarten,  dass  sie  einen  wesentlichen  Vortheil  vor  den  Dampf- 
maschinen erlangen,  wenn  es  gelingt,  sie  bei  bedeutend  höheren 
Temperaturen  arbeiten  zu  lassen,  als  die  Dampfmascliinen,  bei 
welchen  die  Gefahr  der  Explosion  die  Anwendung  zu  hoher  Tem- 
peraturen verbietet.  Derselbe  Vortheil  lässt  sich  aber  auch  mit 
überhitztem  Dampfe  erreichen,  denn  sobald  der  Dampf  von  der 
Flüssigkeit  getrennt  ist,  kann  man  ihn  ebenso  gefahrlos  noch 
weiter  erhitzen,  wie  ein  permanentes  Gas.  Maschinen,  welche  den 
Dampf  in  diesem  Zustande  anwenden,   können  manche  Vortheile 

Clausius,  median.  Wärmethcorie.    I.  OQ 


306  Absclinitt  XI. 

der  Dampfmaschinen  mit  denen  der  Luftmaschinen  vereinigen, 
und  es  ist  daher  von  ihnen  wohl  eher  ein  praktischer  Erfolg  zu 
erwarten,  als  von  den  Luftmaschinen. 

Bei  den  oben  erwähnten  Maschinen,  in  welchen  ausser  dem 
Wasser  noch  eine  zweite  flüchtigere  Substanz  angewandt  wird,  ist 
das  Intervall  T^  —  T^  dadurch  erweitert,  dass  Tq  erniedrigt  ist. 
Man  hat  auch  schon  daran  gedacht,  auf  dieselbe  Weise  das  Inter- 
vall auch  nach  der  oberen  Seite  hin  zu  erweitern,  indem  man  noch 
eine  dritte  Flüssigkeit  hinzufügte,  welche  weniger  flüchtig  wäre, 
als  das  Wasser.  Dann  würde  also  das  Feuer  unmittelbar  die  am 
wenigsten  flüchtige  der  drei  Substanzen  verdampfen,  diese  durch 
ihren  Niederschlag  die  zweite,  und  diese  die  dritte.  Dem  Principe 
nach  ist  nicht  daran  zu  zweifeln,  dass  diese  Verbindung  vortheil- 
haft  sein  würde;  wie  gross  aber  die  praktischen  Schwierigkeiten 
sein  würden,  welche  sich  der  Ausführung  entgegen  stellen,  lässt 
sich  natürlich  im  Voraus  nicht  übersehen. 


§.  34.    Beispiel  von  der  Anwendung  des  Subtractions- 

verfahrens. 

Ausser  der  im  vorigen  Paragraphen  besprochenen  UnvoU- 
kommenheit,  welche  nur  darauf  beruht,  dass  das  in  der  Maschine 
zur  Anwendung  kommende  Temperaturintevall  zu  beschränkt  ist, 
kommen  bei  den  Dampfmaschinen  noch  manche  andere  Unvoll- 
kommenheiten  vor,  welche  bewirken,  dass  die  in  der  Maschine 
stattfindenden  Vorgänge  keinen  umlielirbaren  Kreisprocess  bilden. 
Weiter  oben  wurde  gezeigt,  wie  man  bei  solchen  Maschinen  die 
Arbeit  dadurch  bestimmen  kann,  dass  man  alle  jene  Vorgänge 
einzeln  verfolgt  und  die  dabei  gefundenen  Arbeitsgrössen  addirt. 
Es  möge  nun  zum  Schlüsse  noch  gezeigt  werden,  wie  man  die 
Arbeit  auch  nach  dem  in  §.  30  erwähnten  Subtradionsy erfahr en 
bestimmen  kann.  Um  aber  bei  dieser  Betrachtung,  welche  nur 
ein  Beispiel  von  der  Ausführung  dieses  Verfahrens  geben  soll, 
nicht  zu  weitläufig  zu  werden,  wollen  wir  uns  darauf  beschränken, 
zwei  solche  Unvollkommenheiten  zu  berücksichtigen,  nämlich  das 
Vorhandensein  des  schädlichen  Raumes  und  den  Unterschied 
zwischen  dem  Dampfdrucke  im  Cylinder  während  des  Einströmens 
und  dem  im  Kessel  herrschenden  Drucke.  Dagegen  wollen  wir  die 
Expansion  als  vollständig  voraussetzen,  so   dass  die  mit  Tg  be- 


DampfmascliincnUieorie.  307 

zeiclmete  Endtemperatur  der  Expansion  gleich  der  Condensator- 
temperatur  T^  ist,  und  auch  die  Temperaturen  T\  und  T",,  wollen 
wir  gleich  T^  setzen. 

Das  anzuwendende  Verfahren  beruht  auf  der  Gleichung  (48j, 
welche,  wenn  wir  die  Arbeit  jetzt  mit  W  bezeichnen,  lautet: 

^1 
W  =  Q,  -  Top^  -  T,  .  N. 

0 

Hierin  stellen  die  beiden  ersten  an  der  rechten  Seite  stehenden 
Glieder 

Qi 

Vi  ^0  /  ~iTr 

0 

das  Maximum  der  Arbeit  dar,  welches  dem  Falle  entspricht,  wo 
der  Kreisprocess  umkehrbar  ist,  und  das  Product  TqN  stellt  den 
Arbeitsverlust  dar,  welcher  von  den  Un Vollkommenheiten  herrührt, 
die  die  Nichtumkehrbarkeit  des  Kreisprocesses  bewirken. 

Für  jenes  Maximum  der  Arbeit  haben  wir  den  auf  die  Dampf- 
maschine bezüglichen  Ausdruck  schon  in  §.31  abgeleitet,  nämlich: 

m.Q,  +  MC(T,  ~  To)  -  To  (^^  +  3ICIoo  -|). 

Es  braucht  also  nur  noch  die  Grösse  iV,  die  im  Kreisprocesse  ein- 
tretende uncompensirte  Verwandlung,  bestimmt  zu  werden. 

Diese  uncompensirte  Verwandlung  entsteht  beim  Einströmen 
des  Dampfes  in  den  schädlichen  Kaum  und  den  Cy linder,  und  die 
Data  zu  ihrer  Bestimmung  sind  schon  in  §.  10  gegeben,  wo  wir 
durch  die  Annahme,  dass  die  eingeströmte  Masse  sofort  wieder  in 
den  Kessel  zurückgepresst  und  auch  im  Uebrigen  Alles  in  um- 
kehrbarer Weise  wieder  in  den  Anfangszustand  gebracht  werde, 
zu  einem  besonderen  Kreisprocess  gelangten,  für  welchen  wir  alle 
der  veränderlichen  Masse  mitgetheilten  Wärmemengen  bestimmten 
und  auf  welchen  wir  jetzt  die  Gleichung: 


N 


anwenden  können. 

Jene  mitgetheilten,  theils  positiven,  theils  negativen  Wärme- 
mengen sind: 

"hPn  —  "%  P2u«o  ?oi  MC{T]  —  T-,)  und  — ^  G  (T.j  —  Tq). 

20- 


308  Abschnitt  XI. 

Die  drei  ersten  werden  bei  den  constanten  Temperaturen  Ti,  T^  . 
und  To  mitgetheilt,  und  die  betreffenden  Theile   des  Integrales 
lauten : 

IT'  T,    ''''''    To    ■ 

Die  beiden  letzten  werden  bei  Temperaturen,  die  sich  zwischen  T^ 
und  1\  und  zwischen  jTj  und  Tq  stetig  ändern,  mitgetheilt  und  die 
betreffenden  Theile  des  Integrales  lauten: 

T  T-y 

MClocj  y^  und  —  ^  C  log  TiT  ■ 

Wenn  man  die  Summe  dieser  Grössen  an  die  Stelle  des  Integrales 
setzt,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

(59)  N=-~'^  +  '^-  MGUg^^  -  ^ 

-{-  [iClog  yj^- 

Indem  man  diesen  Ausdruck  von  N  mit  Tq  multiplicirt  und 
das  Product  von  dem  obigen  Ausdrucke  des  Maximums  der  Arbeit 
abzieht,  erhält  man  für  W  die  Gleichung: 

(60)  W  =  i%px  -^m,Q,-i-MC(T,  —  T,) 

-  (M+  fi)  CTolog  ^  H-  fio^o. 

Um  diesen  Ausdruck  von  W  mit  dem  durch  die  Gleichungen 
(28)  bestimmten  zu  vergleichen,  setze  man  den  aus  der  letzten 
dieser  Gleichungen  sich  ergebenden  Werth  von  m^  q^  in  die  erste 
ein,  und  setze  dann  noch  Tj  =  Tq.  Mit  dem  dadurch  entstehenden 
Ausdrucke  stimmt  der  in  (60)  gegebene  vollständig  überein. 

Auf  dieselbe  Weise  kann  man  auch  den  durch  die  unvollstän- 
dige Expansion  entstandenen  Arbeitsverlust  in  Abzug  bringen, 
indem  man  die  beim  Ueberströmen  des  Dampfes  aus  dem  Cylinder 
in  den  Condensator  entstehende  uncompensirte  Verwandlung  be- 
rechnet, und  diese  in  JV  mit  einbegreift.  Durch  diese  Rechnung, 
welche  wir  hier  nicht  wirklich  ausführen  wollen,  gelangt  man  ganz 
zu  dem  in  (28)  gegebenen  Ausdrucke  der  Arbeit. 


Dampfraaschivientheorie. 


309 


Tabelle,  enthaltend  die  für  den  Wasserdampf  geltenden 
Werthe   des  Druckes  p,  seines   Differentialcoefficicnten 

^  =  f/  und  des  Productes    T.g   in  Millimetern   Qucck- 
dt 

Silber  ausgedrückt. 


t  in  Cent. 

V 

J 

(J 

J 

T.  (j 

J 

Graden 

1 

0" 

4,600 

0,340 

0,329 

0,022 

90 

0 

1 

4,940 

0,351 

96 

2 

5,302 

0,362 
0,385 

0,373 

0,022 
0,024 

103 

7 
7 

3 

5,687 

0,410 

0,397 

0,026 

110 

7 

4 

6,097 

0,437 

0,423 

0,027 

117 

8 

5 

6,534 

0,464 

0,450 

0,029 

125 

9 

6 

6,998 

0,494 

0,479 

0,030 

134 

9 

7 

7,492 

0,525 

0,509 

0,032 

143 

9 

8 

8,017 

0,557 

0,541 

0,033 

152 

10 

9 

8,574 

0,591 

0,574 

0,035 

162 

10 

10 

9,165 

0,627 

0,609 

0,037 

172 

11 

11 

9,792 

0,665 

0,646 

0,039 

183 

12 

12 

10,457 

0,705 

0,685 

0,040 

195 

12 

13 

11,162 

0,746 

0,725 

0,043 

207 

13 

14 

11,908 

0,791 

0,768 

0,046 

220 

14 

15 

12,699 

0,837 

0,814 

0,047 

234 

15 

16 

13,536 

0,885 

0,861 

0,049 

249 

15 

17 

14,421 

0,936 

0,910 

0,052 

264 

16 

18 

15,357 

0,962 

280 

0,989 

0,055 

17 

19 

16,346 

1,045 

1,017 

0,057 

297 

18 

20 

17,391 

1,104 

1,074 

0,060 

315 

18 

21 

18,495 

1,164 

1,134 

0,062 

333 

20 

22 

19,659 

1,229 

1,196 

0,066 

353 

21 

23 

20,888 

1,296 

1,262 

0,069 

374 

21 

24 

22,184 

1,366 

1,331 

0,071 

395 

23 

25 

23,550 

1,438 

1,402 

0,075 

418 

24 

26 

24,988 

1,517 

1,477 

0,079 

442 

25 

27 

26,505 

1,596 

1,556 

0,082 

467 

26 

28 

28,101 

1,638 

493 

310 


Abschnitt  XI. 


t  in  Cent. 
Graden 


T  .g 


28 

28,101 

29 

29,782 

30 

31,548 

31 

33,406 

32 

35,359 

33 

37,411 

34 

39,565 

35 

41,827 

36 

44,201 

37 

46,691 

38 

49,302 

39 

52,039 

40 

54,906 

41 

57,909 

42 

61,054 

43 

64,345 

44 

67,789 

45 

71,390 

46 

75,156 

47 

79,091 

48 

83,203 

49 

87,497 

50 

91,980 

51 

96,659 

52 

101,541 

53 

106,633 

54 

111,942 

55 

117,475 

56 

123,241 

57 

129,247 

58 

135,501 

59 

142,011 

60 

148,786 

61 

155,834 

62 

163,164 

63 

170,785 

1,681 
1,766 

1,858 
1,953 
2,052 
2,154 
2,262 
2,374 
2,490 
2,611 
2,737 
2,867 
3,003 
3,145 
3,291 
3,444 
3,601 
3,766 
3,935 
4,112 
4,294 
4,483 
4,679 
4,882 
5,092 
5,309 
5,533 
5,766 
6,006 
6,254 
6,510 
6,775 
7,048 
7,330 
7,621 


1,638 
1,723 
1,812 
1,905 
2,002 
2,103 
2,208 
2,318 
2,432 
2,550 
2,674 
2,802 
2,935 
3,074 
3,218 
3,367 
3,522 
3,683 
3,850 
4,023 
4,203 
4,388 
4,581 
4,780 
4,987 
5,200 
5,421 
5,649 
5,886 
6,130 
6,382 
6,642 
6,911 
7,189 
7,475 
7,771 


0,085 
0,089 
0,093 
0,097 
0,101 
0,105 
0,110 
0,114 
0,118 
0,124 
0,128 
0,133 
0,139 
0,144 
0,149 
0,155 
0,161 
0,167 
0,173 
0,180 
0,185 
0,193 
0,199 
0,207 
0,213 
0,221 
0,228 
0,237 
0,244 
0,252 
0,260 
0,269 
0,278 
0,286 
0,296 


493 

520 

549 

579 

611 

644 

678 

714 

751 

791 

832 

874 

919 

965 

1014 

1064 

1116 

1171 

1228 

1287 

1349 

1413 

1480 

1549 

1621 

1695 

1773 

1853 

1936 

2023 

2112 

2205 

2301 

2401 

2504 

2611 


27 
29 
30 
32 
33 
34 
36 
37 
40 
41 
42 
45 
46 
49 
50 
52 
55 
57 
59 
62 
64 
67 
69 
72 
74 
78 
80 
83 
87 
89 
93 
96 
100 
103 
107 


Dampfmaschinentlieorie. 


311 


t  in  Cent. 

Graden 

P 

J 

</ 

/l 

^-  il 

z/ 

63 

170,785 

7,922 

7,771 

0,305 

2611 

111 

64 

178,707 

8,231 

8,076 

0,314 

2722 

114 

65 

186,938 

8,550 

8,390 

0,325 

2836 

118 

66 

195,488 

8,880 

8,715 

0,334 

2954 

123 

67 

204,368 

9,218 

9,049 

0,344 

3077 

126 

68 

213,586 

9,568 

9,393 

0,355 

3203 

131 

69 

223,154 

9,928 

9,748 

0,365 

3334 

135 

70 

233,082 

10,298 

10,113 

0,376 

3469 

139 

71 

243,380 

10,680 

10,489 

0,387 

3608 

144 

72 

254,060 

11,072 

10,876 

0,398 

3752 

149 

73 

265,132 

11,476 

11,274 

0,410 

3901 

153 

74 

276,608 

11,892 

11,684 

0,422 

4054 

159 

75 

288,500 

12,320 

12,106 

0,433 

4213 

163 

76 

300,820 

12,759 

12,539 

0,445 

4376 

168 

77 

313,579 

13,210 

12,984 

0,458 

4544 

174 

78 

326,789 

13,675 

13,442 

0,471 

4718 

179 

79 

340,464 

14,152 

13,913 

0,484 

4897 

•185 

80 

354,616 

14,642 

14,397 

0,497 

5082 

190 

81 

369,258 

15,146 

14,894 

0,511 

5272 

197 

82 

384,404 

15,664 

15,405 

0,524 

5469 

202 

83 

400,068 

16,194 

15,929 

0,538 

5671 

208 

84 

416,262 

16,740 

16,467 

0,552 

5879 

214 

85 

433,002 

17,299 

17,019 

0,577 

6093 

220 

86 

450,301 

17,874 

17,586 

0,582 

6313 

227 

87 

468,175 

18,463 

18,168 

0,597 

6540 

234 

88 

486,638 

19,067 

18,765 

0,612 

6774 

240 

89 

505,705 

19,687 

19,377 

0,628 

7014 

248 

90 

525,392 

20,323 

20,005 

0,644 

7262 

254 

91 

545,715 

20,975 

20,649 

0,660 

7516 

262 

92 

566,690 

21,643 

21,309 

0,676 

7778 

269 

93 

588,333 

22,328 

21,985 

0,694 

8047 

276 

94 

610,661 

23,031 

22,679 

0,712 

8323 

285 

95 

633,692 

23,751 

23,391 

0,728 

8608 

292 

96 

657,443 

24,488 

24,119 

0,747 

8900 

300 

97 

681,931 

25,213 

24,865 

0,765 

9200 

309 

98 

707,174 

25,630 

9509 

312 


Abschnitt  XI. 


t  in  Cent. 

Graden 

P 

A 

9 

J 

T  .  g 

A 

98 

707,174 

26,017 

25,630 

0,783 

9509 

317 

99 

733,191 

26,809 

26,413 

0,787 

9826 

320 

100 

760,00 

27,59 

27,200 

0,805 

10146 

328 

101 

787,59 

28,42 

28,005 

0,840 

10474 

343 

102 

816,01 

29,27 

28,845 

0,855 

10817 

350 

103 

845,28 

30,13 

29,700 

0,865 

11167 

356 

104 

875,41 

31,00 

30,565 

0,885 

11523 

367 

105 

906,41 

31,90 

31,450 

0,915 

11888 

378 

106 

938,31 

32,83 

32,365 

0,935 

12266 

388 

107 

971,14 

33,77 

33,300 

0,955 

12654 

397 

108 

1004,91 

34,74 

34,255 

0,975 

13051 

407 

109 

1039,65 

35,72 

35,230 

0,990 

13458 

414 

110 

1075,37 

36,72 

36,220 

1,010 

13872 

424 

111 

1112,09 

37,74 

37,230 

1,030 

14296 

434 

112 

1149,83 

38,78 

38,260 

1,060 

14730 

448 

113 

1188,61 

39,86 

39,320 

1,080 

15178 

457 

114 

1228,47 

40,94 

40,400 

1,100 

15635 

467 

115 

1269,41 

42,06 

41,500 

1,125 

16102 

479 

116 

1311,47 

43,19 

42,625 

1,150 

16581 

491 

117 

1354,66 

44,36 

43,775 

1,170 

17072 

502 

118 

1399,02 

45,53 

46,73 

44,945 

1,185 
1,220 

17574 

509 
526 

119 

1444,55 

46,130 

18083 

120 

1491,28 

47,97 

47,350 

1,245 

18609 

537 

121 

1539,25 

49,22 

48,595 

1,260 

19146 

547 

122 

1588,47 

50,49 

49,855 

1,290 

19693 

560 

123 

1638,96 

51,80 

51,145 

1,315 

20253 

574 

124 

1690,76 

53,12 

52,460 

1,335 

20827 

583 

125 

1743,88 

54,47 

53,795 

1,365 

21410 

599 

126 

1798,35 

55,85 

55,160 

1,400 

22009 

615 

127 

1854,20 

57,27 

56,560 

1,415 

22624 

624 

128 

1911,47 

58,68 

57,975 

1,430 

23248 

633 

129 

1970,15 

60,13 

59,405 

1,470 

23881 

652 

130 

2030,28 

61,62 

60,875 

1,500 

24533 

666 

131 

2091,90 

63,13 

62,375 

1,520 

25199 

678 

132 

2155,03 

64,66 

63,895 

1,550 

25877 

694 

133 

2219,69 

65,445 

26571 

DampfmaKclünentlieorie. 


31J 


t   in  Cent. 

Graden 

P  ' 

./ 

fj 

A 

T  .  g 

A 

133 

2219,69 

66,23 

05,445 

1,575 

26571 

706 

134 

2285,92 

67,81 

67,020 

1,600 

27277 

720 

135 

2353,73 

69,43 

08,620 

1,630 

27997 

735 

136 

2423,16 

71,07 

70,250 

1,670 

28732 

755 

137 

2494,23 

72,77 

71,920 

1,685 

29487 

765 

138 

2567,00 

74,44 

73,605 

1,710 

30252 

778 

139 

2641,44 

76,19 

75,315 

1,750 

31030 

798 

140 

2717,63 

77,94 

77,065 

1,770 

31828 

810 

141 

2795,57 

79,73 

78,835 

1,810 

32638 

830 

142 

2875,30 

81,56 

80,645 

1,835 

33468 

844 

143 

2956,86 

83,40 

82,480 

1,865 

34312 

860 

144 

3040,26 

85,29 

84,345 

1,895 

35172 

876 

145 

3125,55  ' 

87,19 

86,240 

1,920 

36048 

891 

146 

3212,74 

89,13 

88,160 

1,960 

36939 

911 

147 

3301,87 

91,11 

90,120 

1,990 

37850 

928 

148 

3392,98 

93,11 

92,110 

2,015 

38778 

943 

149 

3486,09 

3 

95,14 

94,125 

2,045 

39721 

959 

150 

3581,23 

97,20 

96,170 

2,085 

40680 

980 

151 

3678,43 

99,31 

98,255 

2,120 

41660 

999 

152 

3777,74 

101,44 

100,375 

2,140 

42659 

1012 

153 

3879,18 

103,59 

102,515 

2,175 

43671 

1032 

154 

3982,77 

105,79 

104,690 

2,220 

44703 

1054 

155 

4088,56 

108,03 

106,910 

2,250 

45757 

1073 

156 

4196,59 

110,29 

109,160 

2,270 

46830 

1085 

157 

4306,88 

7   " 

112,57 

111,430 

2,310 

47915 

1107 

158 

4419,45 

114,91 

113,740 

2,345 

49022 

1127 

159 

4534,36 

117,26 

116,085 

2,375 

■50149 

1144 

160 

4651,62 

7 

119,66 

118,460 

2,410 

51293 

1105 

161 

4771,28 

3 

122,08 

120,870 

2,445 

52458 

1184 

162 

4893,36 

124,55 

123,315 

2,490 

53642 

1209 

163 

5017,91 

127,06 

125,805 

2,510 

54851 

1222 

164 

5144,97 

129,57 

128,315 

2,545 

56073 

1244 

165 

5274,54 

132,15 

130,860 

2,585 

57317 

1265 

166 

5406,69 

134,74 

133,445 

2,620 

58582 

1286 

167 

5541,43 

136,065 

59868 

137,39 

2,670 

1314 

168 

5678,82" 

138,735 

61182 

314 


Absclinitt  XI. 


t  in  Cent. 
Graden 


U 


168 
169 
170 
171 
172 
173 
174 
175 
176 
177 
178 
179 
180 
181 
182 
183 
184 
185 
186 
187 
188 
189 
190 
191 
192 
193 
194 
195 
196 
197 
198 
199 
200 


5678,82 

5818,90 

5961,66 

,  6107,19 

6255,48 

6406,60 

6560,55 

6717,43 

6877,22 

7039,97 

7205,72 

7374,52 

7546,39 

7721,37 

7899,52 

8080,84 

8265,40 

8453,23 

8644,35 

8838,82 

9036,68 

9237,95 

9442,70 

9650,93 

9862,71 

10078,04 

10297,01 

10519,63 

10745,95 

10976,00 

11209,82 

11447,46 

11688,96 


140,08 
142,76 
145,53 
148,29 
151,12 
153,95 
156,88 
159,79 
162,75 
165,75 
168,80 
171,87 
174,98 
178,15 
181,32 
184,56 
187,83 
191,12 
194,47 
197,86 
201,27 
204,75 
208,23 
211,78 
215,33 
218,97 
222,62 
226,32 
230,05 
233,82 
237,64 
241,50 


138,735 
141,420 
144,145 
146,910 
149,705 
152,535 
155,415 
158,335 
161,270 
164,250 
167,275 
170,335 
173,425 
176,565 
179,735 
182,940 
186,195 
189,425 
192,795 
196,165 
199,565 
203,010 
206,490 
210,005 
213,555 
217,150 
220,795 
224,470 
228,185 
231,935 
235,730 
239,570 
243,455 


2,685 
2,725 
2,765 
2,795 
2,830 
2,880 
2,920 
2,935 
2,980 
3,025 
3,060 
3,090 
3,140 
3,170 
3,205 
8,255 
3,280 
3,320 
3,370 
3,400 
3,445 
3,480 
3,515 
3,550 
3,595 
3,645 
3,675 
3,715 
3,750 
3,795 
3,840 
3,885 


61182 

62508 

63856 

65228 

66618 

68030 

69470 

70934 

72410 

73912 

75441 

76991 

78561 

80160 

81779 

83421 

85091 

86779 

88493 

90236 

91999 

93791 

95605 

97442 

99303 

101192 

103111 

105052 

107018 

109009 

111029 

113077 

115154 


1326 
1348 
1372 
1390 
1412 
1440 
1464 
1476 
1502 
1529 
1550 
1570 
1599 
1619 
1642 
1670 
1688 
1714 
1743 
1763 
1792 
1814 
1837 
1561 
1889 
1919 
1941 
1966 
1991 
2020 
2048 
2077 


ABSCHNITT  XII. 


Die  Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen  und 
die  Grenzen  ihrer  Wirkung. 

§.  1.     Gegenstand  der  Untersuchung. 

Der  von  mir  zum  Beweise  des  zweiten  Hauptsatzes  aufgestellte 
Grundsatz,  dass  die  Wärme  nicht  von  selbst  (oder  ohne  Compen- 
sation)  aus  einem  kälteren  in  einen  ivärmeren  Körper  ühergelien 
kann,  entspricht  in  einigen  besonders  einfachen  Fällen  des  Wärme- 
austausches der  alltäglichen  Erfahrung.  Dahin  gehört  erstens  die 
Wärmeleitung,  welche  immer  in  dem  Sinne  vor  sich  geht,  dass  die 
Wärme  vom  wärmeren  Körper  oder  Körpertheile  zum  kälteren 
Körper  oder  Körpertheile  strömt.  Was  ferner  die  in  gewöhnlicher 
Weise  stattfindende  Wärmestrahlung  anbetrifft,  so  ist  es  freilich 
bekannt,  dass  nicht  nur  der  warme  Körper  dem  kalten,  sondern 
auch  umgekehrt  der  kalte  Körper  dem  warmen  Wärme  zustrahlt, 
aber  das  Gesammtresultat  dieses  gleichzeitig  stattfindenden  doppel- 
ten Wärmeaustausches  besteht,  wie  man  als  erfahrungsmässig  fest- 
stehend ansehen  kann,  immer  darin,  dass  der  kältere  Körper  auf 
Kosten  des  wärmeren  einen  Zuwachs  an  Wärme  erfährt. 

Es  können  aber  bei  der  Strahlung  besondere  Umstände  statt- 
finden, welche  bewirken,  dass  die  Strahlen  nicht  geradlinig  fort- 
schreiten, sondern  ihre  Richtungen  ändern,  und  diese  Richtungs- 
änderung kann  in  der  Weise  geschehen,  dass  die  sämmtlichen 
Strahlen  eines  ganzen  Strahlenbündels  von  endlichem  Querschnitte 
in  Einem  Punkte  zusammentreffen,  und  hier  ihre  Wirkung  ver- 


316  Abschnitt  XII. 

einigen.  Man  kann  dieses  bekanntlich  durch  Anwendung  eines 
Brennspiegels  oder  Brennglases  künstlich  erreichen,  und  kann 
selbst  mehrere  Brennspiegel  oder  Brenngläser  so  aufstellen,  dass 
mehrere  von  verschiedenen  Wärmequellen  herstammende  Strahlen- 
bündel in  Einem  Punkte  zusammentreffen. 

Für  Fälle  dieser  Art  existirt  keine  Erfahrung,  welche  beweist, 
dass  es  unmöglich  ist,  in  dem  Concentrationspunkte  eine  höhere 
Temperatur  zu  erhalten,  als  die  Körper,  von  welchen  die  Strahlen 
herstammen,  besitzen.  Es  ist  sogar  von  Rankine  bei  einer  Be- 
sprechung der  Folgerungen,  zu  welchen  man  durch  die  Anwen- 
dung des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie 
auf  das  Universum  gelangt,  ein  eigenthümlicher  Schluss  gezogen  i), 
welcher  ganz  auf  der  Ansicht  beruht,  dass  die  Wärmestrahlen  durch 
Reflexion  in  solcher  Weise  concentrirt  werden  können,  dass  in  dem 
dadurch  entstehenden  Brennpunkte  ein  Körper  zu  einer  höheren 
Temperatur  erhitzt  werden  könne,  als  die  Körper  haben,  welche 
die  Strahlen  aussenden. 

Wenn  diese  Ansicht  richtig  wäre,  somüsste  der  oben  erwähnte 
Grundsatz  falsch  sein,  und^der  mit  Hülfe  desselben  geführte  Be- 
weis des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärnietheorie 
wäre  somit  zu  verwerfen. 

Da  ich  wünschte,  den  Grundsatz  gegen  jeden  Zweifel  dieser 
Art  zu  sichern,  und  da  die  Concentration  der  Wärmestrahlen,  mit 
welcher  auch  diejenige  der  Lichtstrahlen  in  unmittelbarem  Zu- 
sammenhange steht,  ein  Gegenstand  ist,  welcher,  auch  abgesehen 
von  jener  speciellen  Frage,  in  vieler  Beziehung  Interesse  darbietet, 
so  habe  ich  die  Gesetze,  denen  die  Strahlenconcentration  unter- 
worfen ist ,  und  den  Einfluss ,  welchen  sie  auf  den  unter  den  Kör- 
pern stattfindenden  Strahlenaustausch  haben  kann,  einer  näheren 
mathematischen  Untersuchung  unterworfen,  deren  schon  früher  ^j 
von  mir  veröffentlichte  Resultate  ich  im  Folgenden  mitthei- 
len will. 


1)  On  the  Eecoucentration  of  the  Mechanical  Energy  of  the  Universe, 
Phil.  Mag.  Ser.  IV.,  Vol.  IV.,  p.  358. 

2)  Pogg.  Ann.  Bd.  CXXI,  S.  1. 


Concentratiou  von  "Wärme-  und  Lichtstrahlen.  317 


I.  Grund,  weshalb  die  bisherige  Bestimmung  der  gegenseitigen 
Zustrahlung  zweier  Flächen  für  den  vorliegenden  Fall  nicht 

ausreicht. 

§.  2.    Beschränkung    der    Betrachtung    auf    vollkommen 

schwarze  Körper  und  auf  homogene   und   unpolarisirte 

Wärmestrahlen. 

Wenn  zwei  Körper  sich  in  einem  für  Wärmestrahlen  durch- 
dringlichen  Mittel  befinden,  so  senden  sie  einander  durch  Strah- 
lung Wärme  zu.  Von  den  Strahlen,  welche  auf  einen  Körper 
fallen,  wird  im  Allgemeinen  ein  Theil  ahsorbirt,  während  ein 
anderer  theils  reflectirt,  theils  durchgelassen  wird,  und  es  ist  be- 
kannt, dass  das  Absorptionsvermögen  mit  dem  Emissionsvermögen 
in  einem  einfachen  Zusammenhange  steht.  Da  es  sich  für  uns 
jetzt  nicht  darum  handelt,  die  Unterschiede  und  die  Gesetzmässig- 
keiten, welche  in  dieser  Beziehung  stattfinden,  zu  untersuchen,  so 
wollen  wir  einen  einfachen  Fall  annehmen,  nämlich  den,  wo  die 
betrachteten  Körper  von  der  Art  sind,  dass  sie  alle  Strahlen, 
welche  auf  sie  fallen,  sofort  an  der  Oberfläche,  oder  in  einer 
so  dünnen  Schicht,  dass  man  die  Dicke  vernachlässigen  kann, 
vollständig  absorbiren.  Solche  Körper  hat  Kirchhoff  in  seiner 
bekannten  ausgezeichneten  Abhandlung  über  das  Verhältniss 
zwischen  Emission  und  Absorption  ^)  volTkommen  schwarze  Körper 
genannt. 

Körper  dieser  Art  haben  auch  das  grösstmögliche  Emissions- 
vermögen, und  es  war  früher  schon  als  sicher  angenommen,  dass 
die  Stärke  ihrer  Emission  nur  von  ihrer  Temperatur  abhänge,  so 
dass  alle  vollkommen  schwarzen  Körper  bei  gleicher  Temperatur 
von  gleich  grossen  Stücken  ihrer  Oberflächen  gleich  viel  Wärme 
ausstrahlen.  Da  nun  die  Strahlen,  welche  ein  Körper  aussendet, 
nicht  gleichartig,  sondern  der  Farbe  nach  verschieden  sind,  so 
muss  man  die  Emission  in  Bezug  auf  die  verschiedenen  Farben 
besonders  betrachten,  und  Kirch  hoff  hat  den  obigen  Satz  dahin 
erweitert,  dass  vollkommen  schwarze  Körper  von  gleicher  Tem- 
peratur nicht  nur  im  Allgemeinen,  sondern  auch  von  jeder  Strahlen- 


1)  Pogg.  Auu.  Bd.  CIX,  S.  275. 


318  Abschnitt  XII. 

gattung  im  Besonderen,  gleich  viel  aussenden.  Da  auch  diese 
auf  die  Farbe  der  Strahlen  bezüglichen  Unterschiede  bei  unserer 
Untersuchung  nicht  in  Betracht  kommen  sollen,  so  wollen  wir 
im  Folgenden  immer  voraussetzen,  dass  wir  es  nur  mit  einer 
bestimmten  Strahlengattung,  oder,  genauer  ausgedrückt,  mit 
Strahlen,  deren  Wellenlängen  nur  innerhalb  eines  unendlich 
kleinen  Intervalls  variiren,  zu  thun  haben.  Da  dasjenige,  was 
von  dieser  Strahlengattung  gilt,  in  entsprechender  Weise  auch 
von  jeder  anderen  Strahlengattung  gelten  muss,  so  lassen  sich 
die  Resultate,  welche  für  homogene  Wärme  gefunden  sind,  ohne 
Schwierigkeit  auch  auf  solche  Wärme  ausdehnen,  die-  verschiedene 
Strahlengattungen  gemischt  enthält. 

Ebenso  wollen  wir,  um  unnöthige  Complicationen  zu  ver- 
meiden, von  Polarisationserscheinungen  absehen  und  annehmen,  dass 
wir  es  nur  mit  unpolarisirten  Strahlen  zu  thun  haben.  In  welcher 
Weise  bei  derartigen  Betrachtungen  die  Polarisation  zu  berück- 
sichtigen ist,  ist  von  Helmholtz  und  Kirchhoff  auseinander- 
gesetzt. 


§.  3.     Kirchhoff'sche    Formel    für    die    gegenseitige   Zu- 
strahlung  zweier  Flächenelemente. 

Seien  nun  irgend  zwei  Flächen  Si  und  Sg  als  Oberflächen  voll- 
kommen schwarzer  Körper  von  gleicher  Temperatur  gegeben,  und 
auf  ihnen  die  Elemente  dsi  und  ds2  zur  Betrachtung  ausgewählt, 
um  die  Wärmemengen,  welche  dieselben  sich  gegenseitig  durch 
Strahlung  zusenden,  zu  bestimmen  und  unter  einander  zu  ver- 
gleichen. Wenn  das  Mittel,  welches  die  Körper  umgiebt  und  den 
Zwischenraum  zwischen  ihnen  ausfüllt,  gleichförmig  ist,  so  dass 
die  Strahlen  sich  einfach  geradlinig  von  der  einen  Fläche  zur 
anderen  fortpflanzen,  so  ist  leicht  zu  sehen,  dass  die  Wärmemenge, 
welche  das  Element  dsi  nach  ds^  sendet,  ebenso  gross  sein  muss, 
wie  die,  welche  ds^  nach  c^s^  sendet.  Ist  dagegen  das  Mittel, 
welches  die  Körper  umgiebt,  nicht  gleichförmig,  sondern  finden 
Verschiedenheiten  statt,  welche  Brechungen  und  Reflexionen  der 
Strahlen  veranlassen ,  so  ist  der  Vorgang  weniger  einfach ,  und  es 
bedarf  einer  eingehenderen  Betrachtung,  um  sich  davon  zu  über- 
zeugen, ob  auch  in  diesem  Falle  jene  vollkommene  Reciprocität 
stattfindet. 


Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  319 

Diese  Betrachtung  ist  in  sehr  eleganter  Weise  von  Kirch- 
hoff  ausgeführt,  und  ich  will  sein  Resultat,  so  weit  es  sich  auf 
den  Fall  bezieht,  wo  die  Strahlen  auf  ihrem  Wege  von  dem  einen 
Elemente  zum  anderen  keine  Schwächung  erleiden,  wo  also  die 
vorkommenden  Brechungen  und  Keflexionen  ohne  Verlust  geschehen 
und  die  Fortpflanzung  ohne  Absorption  stattfindet,  hier  kurz 
anführen.  Dabei  werde  ich  mir  nur  in  der  Bezeichnung  und  in 
der  Wahl  der  Coordinatensysteme  zur  besseren  Uebereinstimmung 
mit  dem  Folgenden  einige  Aenderungen  erlauben. 

Wenn  zwei  Punkte  gegeben  sind,  so  kann  von  den  unendlich 
vielen  Strahlen,  welche  der  eine  Punkt  aussendet  i),  im  Allgemeinen 
nur  einer  nach  dem  anderen  Punkte  gelangen,  oder,  falls  durch 
Brechungen  oder  Reflexionen  bewirkt  wird,  dass  mehrere  Strahlen 
in  dem  anderen  Punkte  zusammentreffen,  so  ist  es  doch  im  All- 
gemeinen nur  eine  beschränkte  Anzahl  von  getrennten  Strahlen, 
deren  jeden  man  besonders  betrachten  kann.  Der  Weg  eines 
solchen  von  dem  einen  Punkte  zum  anderen  gelangenden  Strahles 
ist  dadurch  bestimmt ,  dass  die  Zeit ,  welche  der  Strahl  auf  diesem 
Wege  gebraucht,  verglichen  mit  den  Zeiten,  welche  er  auf  allen 
anderen  nahe  liegenden  Wegen  zwischen  denselben  beiden  Punkten 
gebrauchen  würde,  ein  Minimum  ist.  Dieses  Minimum  der  Zeit 
ist,  wenn  man  in  solchen  Fällen,  wo  mehrere  getrennte  Strahlen 
vorkommen,  einen  einzelnen  zur  Betrachtung  ausgewählt  hat,  durch 
die  Lage  der*  beiden  Punkte  bestimmt,  und  wir  wollen  es,  wie 
Kirchhoff,  mit  T  bezeichnen. 


1)  Die  Ausdrucksweise,  dass  ein  Punkt  unendlich  viele  Strahlen  aus- 
sende, könnte  vielleicht  im  streng  mathematischen  Sinne  als  ungenau  be- 
zeichnet werden,  da  die  Aussendung  von  Wärme  oder  Licht  nur  von  einer 
Fläche  und  nicht  von  einem  mathematischen  Punkte  geschehen  kann.  Es 
würde  darnach  genauer  sein,  die  Aussendung  von  Wärme  oder  Licht,  statt 
auf  den  betrachteten  Punkt  selbst,  vielmehr  auf  ein  bei  ihm  befindliches 
Flächenelement  zu  beziehen.  Da  indessen  schon  der  Begrijff  eines  Strahles 
nur  eine  mathematische  Abstraction  ist,  so  kann  man,  ohne  Furcht  vor 
Missverständnissen,  die  Vorstellung  beibehalten,  dass  von  jedem  Punkte 
einer  Fläche  iinendlich  viele  Strahlen  ausgehen.  AVenn  es  sich  darum  han- 
delt, die  Wärme  oder  das  Licht,  welche  eine  Fläche  ausstrahlt,  der  Quan- 
tität nach  zu  bestimmen,  so  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  dabei  die 
Grösse  der  Fläche  mit  in  Betracht  kommt,  und  dass,  wenn  man  die  Fläche 
in  Elemente  zerlegt,  diese  Elemente  nicht  Punkte,  sondern  unendlich  kleine 
Flächen  sind,  deren  Grösse  in  derjenigen  Formel,  welche  die  von  einem 
Flächenelemente  ausgestrahlte  Wärme-  oder  Lichtmenge  datsteilen  soll,  als 
Factor  vorkommen  muss. 


320  Absclinitt  XII. 

Indem  wir  nun  zu  den  beiden  Flächenelementen  dsi  und  ds^ 
zurückkehren,  wollen  wir  uns  in  einem  Punkte  jedes  Elementes 
eine  Tangentialebene  an  die  betreffende  Fläche  gelegt  denken, 
und  die  Elemente  dsi  und  ds.2  als  Elemente  dieser  Ebenen  be- 
trachten. In  jeder  dieser  Ebenen  führen  wir  ein  beliebiges  recht- 
winkliges Coordinatensystem  ein ,  welches  in  der  einen  Xi^iji^  und 
in  der  anderen  x^iy-i  heissei).  Nehmen  wir  nun  in  jeder  Ebene 
einen  Punkt,  so  ist  die  Zeit  T,  welche  der  Strahl  gebraucht,  um  vom 
einen  Punkte  zum  anderen  zu  gelangen,  wie  oben  gesagt,  durch 
die  Lage  der  beiden  Punkte  bestimmt,  und  sie  ist  somit  als  eine 
Function  der  vier  Coordinaten  der  beiden  Punkte  zu  betrachten. 

Dieses  vorausgesetzt  gilt  für  die  Wärmemenge,  welche  das 
Element  dsx  dem  Elemente  ds^^  während  der  Zeiteinheit  zusendet, 
nach  Kirchhoff  folgender  Ausdruck  2): 

g    /   32^         ^iT  d'^T         92  T 


— )  ds\ds^. 


%  \dxi'bX2  dijidy-i  dxi'öy2  dy^dx^ 
worin  n  die  bekannte  Zahl  ist,  welche  das  Verhältniss  der  Kreis- 
peripherie zum  Durchmesser  ausdrückt,  und  ey  die  Stärke  der 
Emission  der  Fläche  Si  an  der  Stelle,  wo  das  Element  ds^  liegt, 
bedeutet,  in  der  Weise,  dass  eidsi  die  ganze  Wärmemenge  dar- 
stellt, welche  das  Element  dsi  während  der  Zeiteinheit  ausstrahlt. 
Um  die  Wärmemenge  auszudrücken,  welche  umgekehrt  das 
Element  ds^  dem  Elemente  dsi  zusendet,  braucht  man  in  dem 
vorigen  Ausdrucke  nur  an  die  Stelle  von  e^  die  Grösse  e^-,  die 
Stärke  der  Emission  der  Fläche  S2,  zu  setzen.  Alles  Uebrige  bleibt 
ungeändert,  weil  es  in  Bezug  auf  beide  Elemente  symmetrisch  ist, 
denn  die  Zeit  T,  welche  ein  Strahl  braucht,  um  den  Weg  zwischen 
zwei  Punkten  der  beiden  Elemente  zu  durchlaufen,  ist  dieselbe, 
mag  der  Strahl  sich  in  der  einen  oder  in  der  entgegengesetzten 
Richtung  bewegen.  Nimmt  man  nun  an,  dass  die  Flächen,  unter 
der  Voraussetzung  gleicher  Temperatur,  gleich  viel  Wärme  aus- 
strahlen, dass  also  e^  =  e-2  ist,  so  ist  hiernach  die  Wärmemenge, 
welche  das  Element  ds^  nach  ds^  sendet,  ebenso  gross,  wie  die, 
welche  ds^  nach  dsi  sendet. 


1)  Kirclihoff  hat  zwei  Ebenen,  welche  auf  den  in  der  Nähe  der 
Elemente  stattfindenden  Strahlenrichtungen  senkrecht  sind,  angenommen, 
und  in  diese  Ebenen  hat  er  die  Coordinateusysteme  gelegt ,  und  zugleich 
die  Flächenelemente  auf  diese  Ebenen  projicirt. 

a)  Pogg.  Ann.  Bd.  CIX,  S.  286. 


floncentration  von  Wämie-  unrl  Liclifstralilen.  321 


§.  4.     Unbestimmtlioit  der  P'ormel   für  den  Fall  der 
S  t  r  a  li  1  e  n  c  0  n  c  e  n  t  r  at  i  0  n. 

Es  wurde  vorher  gesagt,  zwischen  zwei  gegebenen  Runkten 
sei  im  Allgemeinen  nur  Ein  Strahl  oder  eine  beschränkte  Anzahl 
getrennter  Strahlen  möglich.  In  besonderen  Fällen  aber  kann  es 
vorkommen,  dass  unendlich  viele  Strahlen,  welche  von  dem  einen 
Punkte  ausgehen  und  entweder  einen  in  einer  Fläche  liegenden 
Winkel,  oder  auch  einen  ganzen  körperlichen  Winkel  oder  einen 
Kegelraum  ausfüllen,  sich  in  dem  anderen  Punkte  wieder  ver- 
einigen. Dasselbe  gilt  natürlich  von  den  Lichtstrahlen  ebenso, 
wie  von  den  Wärmestrahlen,  und  man  pflegt  in  der  Optik  einen 
solchen  Punkt,  wo  sämmtliche  Strahlen,  die  ein  gegebener  Punkt 
innerhalb  eines  gewissen  Kegelraumes  aussendet,  sich  wieder  ver- 
einigen, das  Bild  des  gegebenen  Punktes  zu  nennen,  oder,  da  bei 
umgekehrter  Strahlenrichtung  auch  der  erste  Punkt  das  Bild  des 
zweiten  ist,  so  nennt  man  beide  Punkte  zwei  conjugirte  Brenn- 
imnTvte.  Wenn  das,  was  hier  von  zwei  einzelnen  Punkten  gesagt 
ist,  von  den  sämmtlichen  Punkten  zweier  Flächen  gilt,  so  dass 
jeder  Punkt  der  einen  Fläche  der  conjugirte  Brennpunkt  eines 
Punktes  der  anderen  Fläche  ist,  so  nennt  man  die  eine  Fläche 
das  optische  Bild  der  anderen. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  zwischen  den  Elementen  zweier  solcher 
Flächen  der  Strahlenaustausch  stattfindet,  ob  da  auch  die  obige 
Reciprocität  besteht,  dass  bei  gleicher  Temperatur  jedes  Element 
der  einen  Fläche  einem  Elemente  der  anderen  gerade  so  \\e\ 
Wärme  zusendet,  als  es  von  jenem  zurück  erhält,  und  dass  daher 
ein  Körper  den  anderen  nicht  zu  einer  höheren  Temperatur,  als 
seiner  eigenen,  erwärmen  kann,  oder  ob  in  solchen  Fällen  durch 
die  Concentration  der  Strahlen  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  dass 
ein  Körper  einen  anderen  zu  einer  höheren  Temperatur  erwärmen 
kann,  als  er  selbst  hat. 

x\uf  diesen  Fall  ist  der  Kirchhoff' sehe  Ausdruck  nicht 
direct  anwendbar.  Ist  nämlich  die  Fläche  So  ein  optisches  Bild  der 
Fläche  .§1,  so  vereinigen  sich  alle  Strahlen,  welche  ein  in  der  Fläche  ^i 
gelegener  Punkt  ^Ji  innerhalb  eines  gewissen  Kegelraumes  aussendet, 
in  einem  bestimmten  Punkte  ^^2  der  Fläche  §2  5  '^^^^  '"^^^  anderen 
umliegenden  Punkte  der  Fläche  s-i  erhalten  von  jenem  Punkte  ^j^ 

Clausiiis,  mccliaii,  Wärmethoorie.     I.  21 


322 


Abschnitt  XII. 


keine  Strahlen.  Es  sind  also,  wenn  die  Coordinaten  Xi,  y^  des 
Punktes  i>i  gegeben  sind,  die  Coordinaten  x^.  iji  des  Punktes  p.^ 
nicht  mehr  willkürlich,  sondern  sie  sind  gleich  mit  bestimmt;  und 
ebenso,  wenn  die  Coordinaten  x^-,  y^  gegeben  sind,  so  sind  die 
Coordinaten  Xi ,  yi  gleich  mit  bestimmt.   Ein  Differentialcoefficient 

von  def  Form  ;r — - — ,  worin  bei  der  Differentiation  nach  X]  die 

CXi  OX-i  ■ 

Coordinate  .»i  als  veränderlich  betrachtet  wird,  während  die  zweite 
Coordinate  yi  desselben  Punktes  und  die  beiden  Coordinaten  x^ 
und  2/2  des  anderen  Punktes  als  constant  vorausgesetzt  werden, 
und  ebenso  bei  der  Differentiation  nach  x^  die  Coordinate  x^  als 
veränderlich  gilt,  während  «/g,  Xi  und  y^  constant  sind,  kann  dem- 
nach keine  reelle  Grösse  von  endlichem  Werthe  sein. 

Es  muss  daher  für  diesen  Fall  ein  Ausdruck  von  etwas  ande- 
rer Form,  als  der  Kirchhoff' sehe,  abgeleitet  werden,  und  zu 
diesem  Zwecke  mögen  zunächst  einige  Betrachtungen  ähnlicher 
Art,  wie  die,  welche  Kirchhoff  zu  seinem  Ausdrucke  geführt 
haben,  folgen. 


Fis-.  25. 


II.    Bestimmung  zusammengehöriger  Punkte  und  zusammen- 
gehöriger Flächenelemente  in  drei  von  den  Strahlen  durch- 
schnittenen Ebenen. 

§.  5.    Gleichungen  zwischen  den  Coordinaten  der  Punkte, 
in  welchen  ein  Strahl  drei  gegebene  Ebenen  schneidet. 

Es  seien  drei  Ebenen  a, &, c  gegeben,  von  denen  h  zwischen 
a  und  c  liege  (Fig.  25).  In  jeder  derselben  führe  man  ein  recht- 
winkliges Coordinatensystem  ein,  welche 
mit  Xa-,  ya'i  Xtj^  y^  und  iCc,  Vc  bezeichnet 
seien.  Wenn  nun  in  der  Ebene  a  ein 
Punkt  pa,  und  in  der  Ebene  &  ein  Punkt 
Pb  gegeben  ist,  und  man  betrachtet  den. 
Strahl,  welcher  von  dem  einen  zum  an- 
deren geht,  so  hat  man  zur  Bestimmung 
des  Weges,  welchen  dieser  Strahl  nimmt, 
die  Bedingung,  dass  die  Zeit,  welche  der 
Strahl  auf  diesem  Wege  braucht,  unter 
den  Zeiten,  welche  er  auf  allen  anderen 
nahe  liegenden  Wegen  gebrauchen  würde. 


Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  323 

ein  Minimum  ist.  Dieses  Minimum  der  Zeit,  welches  als  P'unction 
der  Coordinaten  der  Punkte  pa  und  2)i, ,  also  als  Function  der  vier 
Grössen  Xa-,  yai^hit/b  zu  betrachten  ist,  heisse  Tai,.  Ebenso  sei  Tac 
die  Zeit  des  Strahles  zwischen  zwei  Punkten  jia  und  p,.  in  den 
Ebenen  a  und  c,  und  Tj,,,  die  Zeit  des  Strahles  zwischen  zwei 
Punkten  jJi  und  pc  in  den  Ebenen  b  und  c.  T^^ist  als  Function  der 
vier  Grössen  Xa,  y«,  Xc,  ijc,  und  T,,^  als  Function  der  vier  Grössen 
Xh-,  Vi,  ^c,  Vc  anzusehen. 

Da  nun  ein  Strahl,  welcher  durch  zwei  Ebenen  geht,  im  All- 
gemeinen auch  die  dritte  Ebene  schneidet,  so  haben  wir  für  jeden 
Strahl  drei  Durchschnittspunkte,  welche  in  solcher  Beziehung  zu 
einander  stehen,  dass  durch  zwei  derselben  im  Allgemeinen  der 
dritte  bestimmt  ist.  Die  Gleichungen,  welche  zu  dieser  Be- 
stimmung dienen  können,  lassen  sich  nach  der  obigen  Bedingung 
leicht  aufstellen. 

Wir  wollen  zunächst  annehmen,  die  Punkte  j;«  und^^c  (Fig.  25) 
in  den  Ebenen  a  und  c  seien  im  Voraus  gegeben,  dagegen  der 
Punkt,  wo  der  Strahl  die  Zwischenebene  h  schneidet,  und  welchen 
wir  zum  Unterschiede  von  anderen  in  der  Ebene  h  gelegenen 
Punkten  mit  p\  bezeichnen  wollen,  sei  noch  unbekannt.  Dann 
wählen  wir  in  dieser  Ebene  einen  beliebigen  Punkt  py  und  betrach- 
ten zwei  Strahlen,  die  wir  Hülfsstrahlen  nennen  wollen,  deren 
einer  von  pa  nach  _/;&,  und  der  andere  von  pj,  nach  pc  geht.  In  der 
Fig.  25  sind  die  Hülfsstrahlen  punktirt  gezeichnet,  während  der 
Hauptstrahl,  um  den  es  sich  eigentlich  handelt,  welcher  direct  von 
Pa  nach  _^;c  geht,  voll  ausgezogen  ist^).  Nennen  wir,  dem  Vorigen 
entsprechend,  die  Zeiten  der  beiden  Hülfsstrahlen  Tah  und  T,,^,  und 
bilden  die  Summe  Tai,  -\-  jT&ci  so  ist  der  Werth  dieser  Summe  von 
der  Lage  des  gewählten  Punktes  |J/,  abhängig,  und  die  Summe  ist 
daher,  sofern  die  Punkte  Pa  und  p,,  als  gegeben  vorausgesetzt  wer- 
den, als  eine  Function  der  Coordinaten  xy^  t/j,  des  Punktes  j^;,  zu 
betrachten.    Unter  allen  Werthen,  welche  diese  Summe  annehmen 


^)  In  der  Figur  sind  die  Wege  der  Strahlen  etwas  gekrümmt  gezeichnet. 
Dadurch  soll  nur  angedeutet  werden,  dass  der  Weg,  ^Y eichen  ein  Strahl 
zwischen  zwei  gegebenen  Punkten  zurücklegt,  nicht  einfach  die  zwischen 
den  beiden  Punkten  gezogene  gerade  Linie  zu  sein  braucht,  sondern  dass 
durch  Brechungen  oder  Reflexionen  ein  anderer  Weg  entstehen  kann,  wel- 
cher entweder  eine  aus  mehreren  Geraden  bestehende  gebrochene  Linie  ist, 
oder  auch,  wenn  das  Mittel,  in  welchem  der  Strahl  sich  fortpflanzt,  sich 
nicht  plötzlich,   sondern  allmälig  ändert,   eine  gekrümmte  Linie  sein  kann. 

21* 


324  Abschnitt  XII. 

kann,  wenn  man  dem  Punkte  p^  verschiedene  Lagen  in  der  Nähe 
des  Punktes  p'j,  giebt,  muss  nun  derjenige,  welchen  man  erhält, 
wenn  msna.  p^  mit  p'j,  zusammenfallen  lässt,  und  dadurch  bewirkt, 
dass  die  beiden  Hülfsstrahlen  Theile  des  direct  von  pa  nach  pc  ge- 
henden Strahles  werden,  ein  Minimum  sein.  Demnach  erhält  man 
zur  Bestimmung  der  Coordinaten  dieses  Punktes  p'j,  folgende  zwei 
Bedingungsgleichungen : 

.-,-.  S  (Tal  -\-  Tic) ^.     d  (Tal  4-  Tic) 

^  ^  oxi  ~     '  dyi  ~~    ' 

Da  die  Grössen  Tai  und  Tic  ausser  den  Coordinaten  Xi^yi  des 
vorher  als  unbekannt  betrachteten  Punktes  auch  die  Coordinaten 
Xai  IIa  und  Xc^  ijc  dcr  vorher  als  gegeben  vorausgesetzten  Punkte 
enthalten,  so  kann  man  die  beiden  vorigen  Gleichungen,  nachdem 
sie  einmal  aufgestellt  sind,  einfach  als  zwei  Gleichungen  zwischen 
den  sechs  Coordinaten  der  drei  Punkte,  in  welchen  die  drei  Ebenen 
von  einem  Strahle  getroffen  werden,  ansehen.  Diese  Gleichungen 
lassen  sich  daher  nicht  bloss  dazu  anwenden,  die  Coordinaten  des 
in  der  Mittelebene  gelegenen  Punktes  aus  den  Coordinaten  der 
beiden  anderen  Punkte  zu  bestimmen,  sondern  können  allgemein 
dazu  dienen,  irgend  zAvei  der  sechs  Coordinaten  aus  den  vier 
übrigen  zu  bestimmen. 

Nun  wollen  wir  ferner  annehmen,  die  beiden  Punkte  pa  und 
pi  (Fig.  26),  wo  der  Strahl  die  beiden  Ebenen  a  und  &  schneidet, 

seien  im  Voraus  gegeben,  dagegen  der 
Punkt,  wo  er  die  Ebene  c  trifft,  und  wel- 
chen wir  zum  Unterschiede  von  anderen 
in  der  Ebene  c  gelegenen  Punkten  wieder 
mit  p'c  bezeichnen  wollen ,  sei  noch  unbe- 
kannt. Dann  wählen  wir  in  der  Ebene 
c  einen  beliebigen  Punkt  j)^  und  betrach- 
ten zwei  Hülfsstrahlen,  deren  einer  von 
Pa  nach  pc^  und  der  andere  von  pi  nach 
Pc  geht.  In  der  Fig.  26  sind  sie  wieder 
punktirt  gezeichnet,  während  der  Haupt- 
strahl voll  ausgezogen  ist.  Nennen  wir 
die  Zeiten  der  beiden  Hülfsstrahlen  Tac 
und  Tbc,  und  bilden  die  Differenz  T^c  —  Isc,  so  ist  derWerth  die- 
ser Differenz  abhängig  von  der  Lage  des  in  der  Ebene  c  gewählten 
Punktes  p^.  Unter  den  verschiedenen  Werthen,  welche  man  erhält. 


Concetitvatinn  von  Wäi'me-  und  Lichtsti'alilen.  325 

wenn  man  dem  Punkte  p^  verschiedene  Lagen  in  der  Nähe  des 
Punktes  p'c  giebt,  muss  nun  derjenige,  welchen  man  erhält,  wenn 
man  pc  mit  p\,  zusammenfallen  lässt,  ein  Maximum  sein. 

In  diesem  Falle  schneidet  nämlich  der  von  pa  nach  2>c  gehende 
Strahl  die  Ebene  h  in  dem  gegebenen  Punkte  |;&,  und  er  besteht 
daher  aus  den  beiden  Strahlen ,  welche  von  pa  nach  pj,  und  von  pi, 
nach  pc  gehen.     Demnach  kann  man  setzen: 

und  daraus  ergiebt  sich  für  die  fragliche  Differenz  in  diesem 
speciellen  Falle  die  Gleichung: 

Tac    Tjif:   =    Tah. 

Fällt  dagegen  der  Punkt  p^.  nicht  mit  p'^  zusammen,  dann  fällt 
auch  der  von  pa  nach  pc  gehende  Strahl  nicht  mit  den  beiden 
Strahlen,  welche  von  pa  nach  p^  und  von  p^,  nach  pr  gehen,  zusam- 
men, und  da  der  directe  Strahl  zwischen  p^  und  p,.  die  kürzeste 
Zeit  braucht,  so  muss  sein: 

-^  f(  c   "^    -L  a  h   '~\~    -J-hc-i 

und  demnach  hat  man  für  die  fragliche  Differenz  im  Allgemeinen 
die  Beziehung: 

-'-ac  -Lhc  *^    -J-at). 

Die  Differenz  Tac  —  Tj,r  ist  somit  im  Allgemeinen  kleiner,  als  in 
jenem  speciellen  Falle,  wo  der  Punkt  p^.  in  der  Fortsetzung  des 
von  Pa  nach  pi  gehenden  Strahles  liegt,  und  jener  specielle  Wertli 
der} Differenz  bildet  somit  ein  Maximum  i).  Daraus  ergeben  sich 
wieder  zwei  Bedingungsgleichungen,  welche  lauten: 

dXc  ^       '  dljc  "       ' 

Nimmt  man  endlich  an,  die  Punkte  pb  und  pc  in  den  Ebenen 
b  und  c  seien  im  Voraus  gegeben,  und  dagegen  der  Punkt,  wo  der 
Strahl  die  Ebene  a  trifft,  noch  unbekannt,  so  erhält  man  aus  einer 
Betrachtung,  welche  ganz  der  vorigen  entspricht,  und  welche  ich 


1)  lu  der  Abhandlung  von  Kirch  hoff  S.  285  steht  von  der  dort 
Detrachteten  Grösse,  welche  im  Wesentlichen  der  hier  zuletzt  betrachteten 
Differenz  entspricht,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  sie  sich  auf  vier  Ebe- 
nen statt  auf  drei  bezieht,  sie  müsse  ein  Minimum  sein.  Es  kann  sein, 
dass  diese  Angabe  nur  auf  einem  Druckfehler  beruht,  und  ohnehin  würde 
eine  Verwechselung  zwischen  Maximum  und  Minimum  an  jener  Stelle  ohne 
weitere  Bedeutung  sein ,  weil  der  Satz ,  welcher  in  den  darauf  folgenden 
Rechnungen  benutzt  wird,  dass  die  Differentialcoefficienten  gleich  Null  sein 
müssen,  für  das  Maximum  und  das  Minimum  gemeinsam  gilt. 


326 


Abschnitt  XII. 


daher   nicht  weiter    ausführen   will,    die   beiden  Bedingungsglei- 
chungen : 


(3) 


ß  (Tac   —    Tah) 


0; 


d  (Tac   —    Tah) 


0. 


dXa  dya 

Auf  diese  Weise  sind  wir  zu  drei  Paar  Gleichungen  gelangt, 
von  denen  jedes  Paar  dazu  dienen  kann,  die  gegenseitige  Bezie- 
hung der  drei  Punkte,  in  welchen  ein  Strahl  die  drei  Ebenen  a,  &,  c 
schneidet,  auszudrücken,  so  dass,  wenn  zwei  der  Punkte  gegeben 
sind ,  der  dritte  gefunden  werden  kann ,  oder  noch  allgemeiner, 
wenn  von  den  sechs  Coordinaten  der  drei  Punkte  vier  gegeben 
sind,  die  beiden  anderen  sich  bestimmen  lassen. 


§.  6.    Verhältniss  zwischen  zusammengehörigen  Flächen 

elementen. 


Wir  wollen  nun  folgenden  Fall  betrachten.  In  einer  der  drei 
Ebenen,  z.  B.  in  a,  sei  ein  Punkt  pa  gegeben,  und  in  einer  zweiten, 
z.  B.  in  ö,  ein  Flächenelement ,  welches  wir  dsi  nennen  wollen. 
Wenn  nun  von  pa  aus  Strahlen  nach  den  verschiedenen  Punkten 
des  Elementes  f^.Sft  gehen,  und  man  denkt  sich  dieselben  fortgesetzt, 
bis  sie  die  dritte  Ebene  c  schneiden,  so  treffen  alle  diese  Strahlen 
die  Ebene  c  im  Allgemeinen  auch  in  einem  unendlich  kleinen 
Flächenelemente,  welches  wir  fZsc  nennen  wollen  (s.  Fig.  27).  Es 
soll  nun  das  Verhältniss  zwischen  den  Flächen  elementen  dsi,  und 
dSc  bestimmt  werden. 

In  diesem  Falle  sind  von  den  sechs  Coordinaten,  welche  bei 
jedem  Strahle  in   Betracht   kommen   (den  Coordinaten  der  drei 

Punkte,  in  welchen  der  Strahl  die  drei 
Ebenen  schneidet),  zwei,  nämlich  Xa  und 
^„,  im  Voraus  gegeben.  Wenn  dann  für 
die  Coordinaten  Xj,  und  ijj,  irgend  welche 
Werthe  angenommen  werden,  so  sind 
dadurch  im  Allgemeinen  die  Coordinaten 
Xc  und  ijc  gleich  mit  bestimmt.  Man  kann 
also  in  diesem  Falle  jede  der  Coordinaten 
Xc  und  yc  als  eine  Function  der  beiden 
Coordinaten  xi  und  y^  betrachten.  Giebt 
man  nun  dem  Flächenelemente  dsi  in  der 
Ebene  &,   dessen   Gestalt  willkürlich  ist, 


Fig.  27. 


Concentration  von  Wärme-  und  Liclitstvalilen.  327 

die  Gestalt  eines  Rechteckes  dxjj  dy^,^  und  sucht  zu  jedem  Punkte 
seines  Umfanges  den  entsprechenden  Punkt  in  der  Ebene  r;,  so 
erhält  man  hier  ein  unendlich  kleines  Parallelogramm,  welches 
das  entsprechende  Flächenelement  dSc  bildet. 

Die  Grösse  dieses  Parallelogrammes  bestimmt  sich  folgender- 
maassen.  Die  Länge  derjenigen  Seite  des  Parallelogrammes,  welche 
der  Seite  dxj,  des  Rechteckes  in  der  Ebene  h  entspricht,  heisse  A, 
und  die  Winkel,  welche  diese  Seite  mit  den  Coordinatenaxen  der 
Xc  und  ?/,.  bildet,  seien  mit  (kx^)  und  (If/c)  bezeichnet.     Dann  ist: 

Xcos(kxc)  ^=  ^— ^  dxi;      lcos{lijc)  =  ~-  dxy. 

Ebenso  hat  man,  wenn  man  die  andere  Seite  des  Parallelogrammes 
mit  (i  und  ihre  Winkel  mit  den  Coordinatenaxen  mit  (^Xc)  und 
{^Ijc)  bezeichnet,  zu  setzen: 

ex  r)  11 

acosf^Xe)  =  ,--^  dph]      ^cos(iiyc)  =  ~-^  dy,,. 

Wird  ferner  der  Winkel  zwischen  den  Seiten  A  und  //.  mit  (A|Lt) 
bezeichnet,  so  kann  man  schreiben: 

cos{l^)  =  cos(lXc)cos(^Xc)  -\-  cos(lyc)cos(iiyc) 

'    /d^    dxc_    1    8j/c  ^  8 yÄ  dxj,dyi 

~  \öXt,    ö^ö        'öxh    dyj      /t/i 
Um  nun  den  mit  dSc  bezeichneten  Flächeninhalt  des  Parallelo- 
grammes zu  bestimmen,  schreiben  wir  zunächst: 
j  dSc  =  liisin{k^) 

=  A^]/l  —  co,s2(Ai[t) 


=  ]/A>2  _  cos^{X^)  .  A2|Ia2 
und  hierin  substituiren  wir  für  cosß^)  den  eben  gegebenen  Aus- 
druck und  für  A2  und  fi2  che  aus  den  obigen  Gleichungen  hervor- 
ffehenden  Ausdrücke: 


--[(ty+(fi)>- 


Dann  heben  sich  unter  dem  Wurzelzeichen  mehrere  Glieder  fort, 
und  die  übrigen  bilden  ein  Quadrat,  nämlich: 


7  \     ßxo.     dyc        dXc     8  VAS     ni 

Y   \dxi,     dyj,        diji,     dxj 

_W/Ö£c  .  ^  _  ^  ^  ^Yds  2 
~V  \dxj,    dyj,       dyj>    oxj   ^^" 


328  Abschnitt  XII. 

und  es  lässt  sich  somit  die  angedeutete  Quadratwurzel  sofort  aus- 
ziehen. Dabei  ist  aber  noch  zu  bemerken,  dass  die  in  Klammer 
stehende  Differenz  positiv  oder  negativ  sein  kann,  und  da  wir  nur 
die  positive  Wurzel  in  Anwendung  zu  bringen  haben,  so  wollen 
wir  dieses  dadurch  andeuten,  dass  wir  vor  die  Differenz  die  Buch- 
staben V.  n.  (valor  numericus)  setzen.    Dann  können  wir  schreiben: 

(4)  ds,  =  V.  n.    — ^  .  -^  —  — -"  •  -^    dsj,. 

\öXh     dyj,        öyr,     öxj)/ 

Um  die  Abhängigkeit  der  Coordinaten  Xc  und  y^  von  den  Coor- 
dinaten  xi  und  yi  zu  bestimmen,  müssen  wir  eines  der  drei  Paare 
von  Gleichungen  in  §.  5  anwenden.  Wir  wollen  dazu  zuerst  die 
Gleichungen  (1)  wählen.  Wenn  man  diese  beiden  Gleichungen 
nach  Xi  und  nach  y^  differentiirt,  indem  man  bedenkt,  dass  jede 
der  mit  T  bezeichneten  Grössen  von  den  drei  Paaren  von  Coor- 
dinaten Xaiya'i  sCb^yi,;  Xc^pc  zwci  Paare  enthält,  welche  durch  die 
Indices  angedeutet  sind,  und  wenn  man  bei  der  Differentiation  Xc 
und  yc  als  Functionen  von  Xi  und  y^  behandelt,  während  man  Xa 
und  ya  als  constant  voraussetzt,  so  erhält  man  folgende  vier 
Gleichungen : 

(dHTa,  +  n;)     d'^T.e  _  dx^     d-^n. 


(dx-b)^  'öXb'dXc    dxi 

d-^(Tay^  n,)         d-^Tbc      dx. 


(5)    { 


dxidyh  dXbdXc     dyi, 


dxidy^  '     dyy'öXc    dxi 

d^{Tal,  +   Tyc)     ,       d^Tic       dxc     , 


dxhdyc 

d'-T,, 

cxidyc 

d'T,, 

dyijdyc 

d-^n. 

dy, 
dxb 

=  0 

dyc 
dyi" 

=  0 

ÖXi, 

=r   0 

dyc 
dy. 

=   0 

(dyi,y^  dyj,dxc    dyy    '    dy^dyc 

Wenn  wir  mit  Hülfe  dieser  Gleichungen  die  vier  Differential- 

d  X  ■    "ö  X  ■    d  II  ■    d  II  ■ 
coefficienten  — -^,  —-^,  7~,  ■—-  bestimmen,  und  die  gefundenen 

dxj>    dyh    dxi    dyi 

Werthe  in  die  Gleichung  (4)  einsetzen,  so  erhalten  wir  die  ge- 
suchte Beziehung  zwischen  den  Flächenelementen  dSh  und  dsc.  Um 
das  Resultat,  welches  sich  auf  diese  Weise  ergiebt,  kürzer  schreiben 
zu  können,  wollen  wir  folgende  Zeichen  einführen: 

(6)  ^  =  V.  n   (^^^  .    ^'^'-    _    ^'^^"-   .  ^1^] 

'\dxbdXc     dyj^dyc        dx^dy^    dybdXcJ 

(1)    I]=vu  /^!lZk±^)     dHTab-^nc)  _  \dHTa,^T,c)Y] 
^  ^  ■   ■  l       (dx^y^        '         (dy^y  L      dxvdy^      J  J" 


Coiicentration  von  Wärme-  und  Liclitsiralilen. 


329 


Dann   kann  man  die  gesuchte  Beziehung  in  folgender  Gleichung 
schreiben : 

Nehmen  wir  nun  in  entsprechender  Weise  an,   es  sei  in  der 


Fiff.  28. 


Ebene  c  (Fig.  28)  ein  l>estimmter  Punkt 
Pc  gegeben,  und  suchen  in  der  Ebene  a 
das  Flächen element  fZ.s«,  welches  dem  in 
der  Ebene  h  gegebenen  Elemente  d  h  ent- 
spricht, so  können  wir  das  Resultat  aus 
dem  vorigen  einfach  dadurch  ableiten, 
dass  wir  überall  die  Indices  a  und  c  ver- 
tauschen. Führen  wir  zur  Abkürzung 
noch  das  Zeichen  C  ein  mit  der  Bedeu- 
tung: 


(9)  C-. 

so  kommt: 
(10) 


V.  n. 


d'^Tai        d-n\a 


d-^Tai 


d^Ta 


dxadxj,     dpadyi,       dXadyj,    dijadxy, 


dSa 

dsj, 


E 

C' 


Nehmen  wir  endlich  an,  es  sei  in  der  Ebene  b  ein  bestimmter 
Fio'.  29.  ■  Punkt  pt,  gegeben  (Fig.  29),  und  wählen 
in  der  Ebene  a  irgend  ein  Flächenelement 
dSa  und  denken  uns,  von  den  verschie- 
denen Punkten  dieses  Elementes  gehen 
Strahlen  durch  den  Punkt  phi  welche  wir 
uns  bis  zur  Ebene  c  fortgesetzt  denken; 
und  suchen  wir  nun  die  Grösse  des  Flächen- 
elementes dSci  iii  welchem  diese  sämmt- 
lichen  Strahlen  die  Ebene  c  treffen,  so 
finden  wir  unter  Anwendung  der  vorher 
eingeführten  Zeichen : 

dsc  C 

dSa       A 

Man  sieht  hieraus,  dass  die  beiden  in  diesem  Falle  zusammen- 
gehörigen Flächenelemente  sich  zu  einander  gerade  so  verhalten, 
wie  die  beiden  Flächenelemente,  welche  man  erhält,  wenn  in  der 
Ebene  h  ein  bestimmtes  Element  ds^  gegeben  ist,  und  man  dazu 
erst  in  der  Ebene  a  und  darauf  in  der  Ebene  c  einen  Punkt  als 


(11) 


330  Abschnitt  XII. 

Ausgangspunkt  der  Strahlen  annimmt,  und  dann  jedesmal  in  der 
dritten  Ebene  das  dem  Elemente  d  Sh  entsprechende  Flächenelement 
bestimmt. 


§,  7.    Verschiedene  aus  sechs  Grössen  gebildete  Brüche 
zur  Darstellung  derselben  Verhältnisse. 

Bei  den  Rechnungen  des  vorigen  Paragraphen  ist  unter  den 
drei  Paaren  von  Gleichungen  des  §,  5,  welche  dazu  benutzt  wer- 
den können,  nur  das  erste  angewandt.  Man  kann  nun  aber  in 
derselben  Weise  die  Rechnungen  auch  mit  den  beiden  anderen 
Paaren  (2)  und  (3)  ausführen.  Durch  jedes  Paar  von  Gleichungen 
gelangt  man  zu  drei  Grössen  der  Art,  wie  die  vorher  mit  A,  C  und 
E  bezeichneten,  Vv^elche  dazu  dienen  können,  die  Verhältnisse  der 
Flächenelemente  auszudrücken.  Unter  den  neun  Grössen,  welche 
man  auf  diese  Weise  im  Ganzen  erhält,  kommen  aber  dreimal  je 
zwei  vor,  welche  unter  einander  gleich  sind,  wodurch  sich  die  An- 
zahl der  Grössen  auf  sechs  reducirt.  Die  Ausdrücke  dieser  sechs 
Grössen  will  ich  hier  der  Vollständigkeit  wegen  zusammenstellen, 
obwohl  drei  davon  schon  früher  mitgetheilt  sind. 


(I.) 


^,^v.  n. 


i?  =  v.  n. 


82  T,/       02  T,,  d'^Ty,         d'^Ti 


d^Tac  d'Tac  d-^Taa  d^^  Ta 


oxj 


,dXadXc    dijadpc       dXadijc     dyadx, 
'\dxadxi     dvadvi        dxadyi     öyadxj 


D 


dXi     dyadyi        dXadyi,     oya 

""''•''•1  (dXa)^  '  {dyaP  L        dXadya        J/ 

•   •  1        (dx.y         '         {dy,y  L      dx.dyy      \i 

'    •  l        {dx^y  '  {dycT-  L      dxodyc      J  j 

Mit  Hülfe  dieser  sechs  Grössen  kann  man  jedes  Verhältniss 
zweier  Flächenelemente  durch  drei  verschiedene  Brüche  darstellen, 
wie  es  die  folgende  tabellarische  Zusammenstellung  zeigt. 


(IL) 


ConcentTation  von  Wärmf-  und  LiclitsiiNililcn.  331 

dHj,       A        F  ^'  n 

df^a  ""  E  ~"  A~  (' 
dSa^_A_F_B 
ds,  ~"  C  ~  L'~~  I)' 


Wie  man  leicht  sieht,  beziehen  sich  die  drei  Horizontalreihen  auf 
die  drei  Fälle,  wo  entweder  in  der  Ebene  a,  oder  in  c,  oder  in  h 
ein  bestimmter  Punkt  angenommen  ist,  durch  den  die  Strahlen 
gehen  müssen.  Von  den  drei  Verticalreihen  der  Brüche,  welche 
die  Verhältnisse  der  Flächenelemente  darstellen,  ist  die  erste  aus 
den  Gleichungen  (1),  die  zweite  aus  den  Gleichungen  (2),  und  die 
dritte  aus  den  Gleichungen  (3)  des  §.  5  abgeleitet. 

Da  die  drei  Brüche,  welche  ein  bestimmtes  Verhältniss  zweier 
Flächenelemente  darstellen,  unter  einander  gleich  sein  müssen,  so 
erhält  man  zwischen  den  sechs  Grössen,  aus  welchen  die  Brüche 
gebildet  sind,  folgende  Gleichungen: 

(12)  B  =— ;    L   =^;    F^  —  - 

(13)  A^ -^-^  EF\    B'^  =  FD-    C^  =DF. 

Mit  diesen  sechs  Grössen  sind  nun  die  weiteren  Rechnungen 
anzustellen,  und  da  jedes  Verhältniss  je  zweier  Flächenelemente 
durch  drei  verschiedene  Brüche  dargestellt  ist,  so  hat  man  unter 
diesen  die  Wahl,  und  kann  in  jedem  speciellen  Falle  den  Bruch 
anwenden,  welcher  für  diesen  Fall  der  geeignetste  ist. 


III.     Bestimmung  der  gegenseitigen  Zustrahlung  für  den  Fall, 
dass  keine  Concentration  der  Strahlen  stattfindet. 

§.  8.     Grösse  des  zu  dsc  gehörenden  Flächenelementes  in 
einer  Ebene  von  besonderer  Lage. 

Wir  wollen  zunächst  denselben  Fall  betrachten,  auf  welchen 
der  Kirch  hoff  sehe  Ausdruck  sich  bezieht,  indem  wir  zu  bestim- 
men suchen,  wieviel  Wärme  zwei  Flächenelemente  sich  gegenseitig 
zusenden,  unter  der  Voraussetzung,  dass  jeder  Punkt  des  einen 
Elementes  von  jedem  Punkte  des  anderen  einen  Strahl  und  auch 


532 


Abschnitt  XII. 


Fio-.  30. 


nur  Einen  Strahl,   oder  höchstens  eine  beschränkte  Anzahl  von 

einzelnen  Strahlen,  die  man  gesondert  betrachten  kann,  erhält. 
Seien  zwei  Elemente  dsa  und  dSc    in   den  Ebenen  a  und  c 

(Fig.  30)  gegeben,  .so  wollen  wir  zuerst  die  Wärme  bestimmen, 

welche  das  Element  ds^  dem  Elemente  dSc  zusendet. 

Dazu  denken  wir  uns  die  Mittelebene  h  parallel  der  Ebene 

a  gelegt  in  einem  Abstände  p,  welchen  wir  als  so  klein  voraus- 
setzen, dass  bei  jedem  von  dSa  nach  dSc 
gehenden  Strahle  der  Theil,  welcher  zwi- 
schen den  Ebenen  a  und  h  liegt,  als  ge- 
radlinig, und  das  Mittel,  welches  er  auf 
dieser  Strecke  durchläuft,  als  homogen 
anzusehen  ist.  Nehmen  wir  nun  in  dem 
Elemente  dSa  irgend  einen  Punkt,  und  be- 
trachten das  Strahlenbüschel,  welches  von 
diesem  Punkte  aus  nach  dem  Elemente 
dSc  geht,  so  schneidet  dieses  die  Ebene 
h  in  einem  Elemente  dsj,^  dessen  Grösse 
durch  einen  der  drei  in  der  obersten  Ho- 
rizontalreihe von  (II.)   stehenden  Brüche 

ausgedrückt  werden  kann.     Wir  wollen  den  letzten  Bruch  wählen, 

und  erhalten  dadurch  die  Gleichung: 


(14) 


7        _-S     7 

asi)  —  -p  ciSc 


Die  hierin  vorkommende  Grösse  C  lässt  sich  nun  in  diesem  Falle 
wegen  der  eigenthümlichen  Lage  der  Ebene  h  in  eine  besonders 
einfache  Form  bringen. 

Es  sei,  wie  es  auch  von  Kirchhoff  geschehen  ist,  das  Coor- 
dinatensystem  in  h  so  gewählt,  dass  es  dem  Coordinatensysteme 
in  der  parallelen  Ebene  a  vollkommen  correspondirt.  Nämlich 
die  Anfangspunkte  beider  Coordinatensysteme  sollen  in  einer  auf 
beiden  Ebenen  senkrechten  Geraden  liegen,  und  die  Coordinaten 
des  einen  Systemes  sollen  den  entsprechenden  des  anderen  Syste- 
mes  parallel  sein.  Dann  ist  der  Abstand  r  zwischen  zwei  in  den 
beiden  Ebenen  liegenden  Punkten  mit  den  Coordinaten  x^-,  ija  und 
Xi^  ijj,  bestimmt  durch  die  Gleichung: 

(15)  r   =   Vp2    _|_   (,,^    _    ,,.J2    _|_    (y^    _    y^y^ 

Denken  wir  uns  nun  einen  Strahl  von  dem  einen  dieser  Punkte 
nach  dem  anderen  gehend,  so  wird  die  Länge  seines  Weges,  da 


Concentration  von  "Wärme-  und  Lichtstralilen.  333 

die  Fortpflanzung  zwischen  beiden  Ebenen  als  geradlinig  voraus- 
gesetzt wird,  einfach  durch  den  Abstand  r  der  beiden  Punkte  dar- 
gestellt, und  wenn  wir  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  in  der 
Ncähe  der  Ebene  a,  welche  sich  der  Voraussetzung  nach  auf  der 
Strecke  bis  zur  Ebene  h  nicht  merklich  ändert,  mit  y„  bezeichnen, 
so  ist  die  Zeit,   welche  der  Strahl  auf  dieser  Strecke  gebraucht, 

bestimmt  durch  die  Gleichung: 

r 

Tal   =   —  • 

Deragemäss  lässt  sich  der  Ausdruck  von  C  so  schreiben : 

_  1    /    &V  o2-r c'^r  c-r    \ 

"  ^"  "■  ^2  \dXadXb  '  djuWr,      'dXadijT,     c ijadxj 

Setzt  man  hierin  für  r  seinen  Werth  aus  (15j,  so  kommt: 

(16)  ü=  —  --^- 
Hierdurch  geht  die  Gleichung  (14)  über  in: 

1-4 

(17)  dsr>  =  y„2  —  BilSc- 

Bezeichnen  wir  noch  den  Winkel,  welchen  das  betrachtete,  von 
einem  Punkte  des  Elementes  dsa  ausgehende  unendlich  schmale 
Strahlenbüschel  mit  der  auf  dem  Elemente  errichteten  Normale 
bildet,  mit  -9',  so  ist 

cos  ^  =  — , 
r 

und  man  kann  daher  der  vorigen  Gleichung  auch  folgende  Form 
geben : 

(18)  ds.^^Bds,. 


§.  9.    Ausdrücke  der  Wärmemengen,  welche  die  Elemente 
dSa  und  dSe  einander  zustrahlen. 

Nachdem  die  Grösse  des  Flächenelementes  dsi  bestimmt  ist, 
lässt  sich  auch  die  Wärmemenge,  welche  das  Element  dSa  dem 
Elemente  dSc  zusendet,  leicht  ausdrücken. 

Von  jedem  Punkte  des  Elementes  dSa  geht  nämlich  nach  dSc 
ein  unendlich  schmales  Strahlenbüschel,  und  die  Keg/elöflnuugen 
der  von  den  verschiedenen  Punkten  ausgehenden  Büschel  sind  als 


334  Abschnitt  XII. 

gleich  anzusehen.  Die  Grösse  der  Kegelöffnung  eines  solchen 
Strahlenbüschels  wird  bestimmt  durch  die  Grösse  und  Lage  jenes 
Flächenelementes  ds^},  in  welchem  der  Kegel  die  Ebene  h  schnei- 
det. Um  diese  Kegelöffnung  geometrisch  auszudrücken,  denken 
wir  uns  um  den  betreffenden  Punkt,  von  dem  die  Strahlen  aus- 
gehen, mit  dem  Radius  q  eine  Kugelfiäche  geschlagen,  innerhalb 
deren  wir  die  Fortpflanzung  der  Strahlen  als  geradlinig  betrach- 
ten. Nennen  wir  dann  das  Flächenelement,  in  welchem  diese  Kugel- 
fläche von  dem  Strahlenkegel  geschnitten  wird,  rfö,  so  stellt  der 

Bruch  — -  die  Oeffnung   des  Kegels   dar.    Da  nun  das  Flächen- 

Clement  ds^  von  der  Spitze  des  Kegels  um  die  Strecke  r  entfernt 
ist,  und  die  auf  dsb  errichtete  Normale,  welche  mit  der  vorher 
erwähnten,  auf  dSa  errichteten  parallel  ist,  mit  dem  unendlich 
schmalen  Strahlenkegel  den  Winkel  Q'  bildet,  so  hat  man  die 
Gleichung : 

dd  cosQ-  .  dsi 

Wenn  man  hierin  für  dsi  den  in  (18)  gegebenen  Ausdruck  setzt, 
so  kommt: 

(20)  ^  =  ^  Bäs.. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  zu  bestimmen,  wie  gross  derjenige 
Theil  der  von  dem  Elemente  dSa  ausgesandten  Wärme  ist,  welcher 
dieser  unendlich  schmalen  Kegelöffnung  entspricht,  oder,  mit 
anderen  Worten,  wie  viel  Wärme  das  Element  dSa  durch  jenes 
auf  der  Kugelfläche  bestimmte  Element  d6  sendet.  Diese  Wärme- 
menge ist  erstens  proportional  der  Grösse  des  ausstrahlenden 
Elementes  dSa,  ferner  proportional  der  Grösse  der  Kegelöffnung, 

also  dem  Bruche  — - ,  und  endlich,  nach  dem  bekannten  Ausstrah- 

lungsgesetze ,  proportional  dem  Cosinus  des  Winkels  0",  welchen 
der  unendlich  schmale  Strahlenkegel  mit  der  Normale  bildet.  Man 
kann  sie  also  ausdrücken  durch  das  Product: 

Q" 
worin  £  ein  von  der  Temperatur  des  Flächenelementes  abhängiger 
Factor  ist.»  Zur  Bestimmung  dieses  Factors  haben  wir   die  Be- 
dingung, dass  die  Wärmemenge,  welche  das  Element  dSa  im  Ganzen 


Concentration  vou  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  335 

ausstrahlt,  also  der  ganzen  über  der  Ebene  a  befindlichen  Ilall)- 
kiigel  zustrahlt,  gleich  dem  l'roducte  e„c/.Sa  sein  muss,  worin  e«  die 
Stärke  der  Emission  der  Ebene  a  an  der  Stelle,  wo  das  Element 
dSa  liegt,  bedeutet.    Man  erhält  also  die  Gleichung: 

-—  /  C0Sd'd6  =  Ca, 

worin  die  Integration  über  die  Halbkugel  auszudehnen  ist,  und 
daraus  folgt: 

en  z=  Ca: 

Wenn  man  den  hierdurch  bestimmten  Wertli  von  £  in  den  obigen 
Ausdruck  einsetzt,  so  erhält  man  für  die  Wärmemenge,  Avelche  das 
Element  dSa  durch  d6  sendet,  die  Formel: 

—  COSd'  — -  dSa. 

In  diese  Formel  hat  man  nun  für  den  Bruch  — -  den  olien  gc- 

wonnenen  und  in  Gleichung  (20)  angegebenen  Werth  zu  setzen, 
um  den  gesuchten  Ausdruck  der  Wärmemenge^  welche  das  Element 
dSa  dem  Elemente  dsc  zusendet,  zu  erhalten,  nämlich: 

eaVa^  —  dSadSc. 
7t 

Sucht  man  in  ganz  derselben  Weise  die  Wärmemenge^  ivelche 
umgeJcehrt  das  Element  dSc  dem  Elemente  dSa  zusendet,  und  be- 
zeichnet dabei  die  Stärke  der  Emission  der  Ebene  c  an  der  Stelle, 
wo  das  Element  dSc  liegt,  mit  eci  und  die  Fortpflanzungsge- 
schwindigkeit der  Strahlen  in  der  Nähe  des  Elementes  mit  Vc,  so 

findet  man: 

7? 

CeVc^   —  dSadSc. 
7C 


§.  10.     Abhängigkeit  der  Ausstrahlung  von  dem 
umgebenden  Medium. 

Diese  im  vorigen  Paragraphen  gewonnenen  Ausdrücke  sind 
im  Uebrigen  gleich  dem  in  §.  3  mitgetheilten  Kirchhoff 'sehen 
Ausdrucke,  nur  darin  unterscheiden  sie  sich  von  demselben,  dass 
sie  noch  das  Quadrat  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  als  Factor 
enthalten,  welches  in  Kirchhoff 's  Ausdrucke  nicht  vorkommt, 
indem  Kirchhoff  au  der  betrefienden  Stelle  nur  von  der  Fort- 


336  Abschnitt  XII. 

Pflanzungsgeschwindigkeit  im  leeren  Baume  spricht,  und  diese  als 
Einheit  nimmt.  Da  nun  aher  die  Körper,  deren  gegenseitige  Zu- 
strahlung  man  betrachtet,  sich  möglicher  Weise  in  verschiedenen 
Mitteln  befinden  können,  in  denen  die  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keiten'verschieden  sind,  so  ist  für  solche  Fälle  dieser  Factor  nicht 
unwesentlich,  und  sein  Vorkommen  führt  sofort  zu  einem  eigen- 
thümlichen,  theoretisch  interessanten  Schlüsse. 

Wie  in  §.  2  erwähnt  wurde,  nahm  man  bisher  an,  dass  bei 
vollkommen  schwarzen  Körpern  die  Stärke  der  Emission  nur  von 
der  Temperatur  abhänge,  so  dass  also  zwei  solche  Körper  bei 
gleicher  Temperatur  von  gleichen  Stücken  ihrer  Oberflächen  gleich 
viel  Wärme  ausstrahlen.  Da  nun  aber  in  den  beiden  obigen 
Ausdrücken  für  die  gegenseitige  Zustrahlung  zweier  Elemente 
ein  Factor  vorkommt,  der  von  der  Natur  des  Mittels  abhängt, 
so  ist  dadurch  die  Nothwendigkeit ,  das  Mittel  zu  berücksich- 
tigen, und  zugleich  die  Möglichkeit,  seinen  Einfluss  zu  bestimmen, 
gegeben. 

Wenn  man  aus  jenen  beiden  Ausdrücken  ein  Verhältniss  bildet, 
und  dann  denjenigen  Factor,  welcher  in  beiden  Gliedern  gemeinsam 

vorkommt,  nämlich  —  clSadSc^  forthebt,  so  ergiebt  sich,  dass  die 

Wärmemenge,  welche  das  Element  dSa  dem  Elemente  dSc  zusendet, 
sich  zu  derjenigen,  welche  das  Element  dSc  dem  Elemente  ds^  zu- 
sendet, verhält  wie 

Wollte  man  nun  annehmen,  dass  bei  gleicher  Temperatur  die  Aus- 
strahlung unbedingt  gleich  sei,  auch  wenn  die  den  beiden  Elemen- 
ten angrenzenden  Mittel  verschieden  sind,  so  müsste  man  für 
gleiche  Temperatur  €■„,  =  ßc  setzen,  und  es  würden  dann  die 
W^ärmemengen,  welche  sich  beide  Elemente  gegenseitig  zustrahlen, 
nicht  gleich  sein,  sondern  sich  wie  v„2 ;  ^^i  verhalten.  Daraus  würde 
folgen,  dass  zwei  Körper,  welche  sich  in  verschiedenen  Mitteln 
befinden,  z.  B.  der  eine  in  Wasser  und  der  andere  in  Luft,  durch 
gegenseitige  Zustrahlung  nicht  ihre  Temperaturen  auszugleichen 
suchen,  sondern  dass  der  eine  den  anderen  durch  Zustrahlung  zu 
einer  höheren  Temperatur  erwärmen  könnte,  als  er  selbst  hat. 

Gesteht  man  dagegen  jenen  von  mir  als  Grundsatz  hingestellten 
Satz,  dass  die  Wärme  nicht  von  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen 
wärmeren  Körper  übergehen  kann,  ganz  allgemein  als  richtig  zu, 
so  muss   man   die  gegenseitige  Zustrahlung   zweier   vollkommen 


Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  337 

schwarzer  Flächenelemente  von  gleicher  Temperatur  als  gleich 
betrachten,  und  somit  setzen: 

(21)  e„'y«2  =  e,v,^ 
Daraus  folgt  die  Proportion: 

(22)  ea  :  e,.  =  v^^  :  Va\ 

oder  auch,  da  das  Verhältniss  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeiten 
gleich  dem  umgekehrten  Verhältnisse  der  Brechungscoefficienten 
der  beiden  Mittel  ist,  welche  wir  mit  tia  und  Uc  bezeichnen  wollen, 
die  Proportion: 

(23)  Ca  :  Cc  =  w„2  :  ri^^. 

Hiernach  ist  also  die  Ausstrahlung  volllcommen  schwarzer  Körper 
hei  gleicher  Temperatur  in  verschiedenen  Mitteln  verschieden,  und 
verhält  sich  umgehehrt,  ivie  die  Quadrate  der  Fortpßansimgsge- 
schiüindigJceiten  in  den  Mitteln,  oder  direct  toie  die  Quadrate  ihrer 
Brechungscoefficienten.  Die  Ausstrahlung  in  Wasser  muss  sich 
somit  zu  der  in  Luft  angenähert  wie  (Vs)^  '•  1  verhalten. 

Berücksichtigt  man  den  Umstand,  dass  in  der  von  einem  voll- 
kommen schwarzen  Körper  ausgestrahlten  Wärme  Strahlen  von 
sehr  verschiedenen  Farben  vorkommen,  und  giebt  man  als  richtig 
zu,  dass  die  Gleichheit  der  gegenseitigen  Zustrahlung  nicht  bloss 
für  die  Wärme  im  Ganzen,  sondern  auch  für  jede  Farbe  im  Ein- 
zelnen gelten  muss,  so  erhält  man  für  jede  Farbe  eine  Proportion 
der  Art,  wie  (22)  und  (23),  worin  aber  das  an  der  rechten  Seite 
stehende  Verhältniss,  welchem  das  Verhältniss  der  Ausstrahlungen 
gleich  gesetzt  ist,  etwas  verschiedene  Werthe  hat. 

Will  man  endlich  statt  der  vollkommen  schwarzen  Körper 
auch  Körper  von  anderer  Natur  betrachten,  bei  denen  nicht  voll- 
kommene, sondern  nur  th eilweise  Absorption  der  auffallenden 
Wärmestrahlen,  stattfindet,  so  muss  man  statt  der  Emission  einen 
Bruch ,  welcher  die  Emission  als  Zähler  und  den  Absorptionscoef- 
ficienten  als  Nenner  hat,  in  die  Formeln  einführen,  und  erhält 
dann  für  diesen  Bruch  entsprechende  Beziehungen,  wie  vorher  für 
die  Emission  allein.  Auf  diese  Verallgemeinerung  des  Resultates, 
bei  welcher  auch  der  Einfluss  der  Strahlenrichtung  auf  die  Emission 
und  Absorption  zur  Sprache  kommen  würde,  brauche  ich  hier 
nicht  einzugehen,  weil  sie  sich  bei  angemessener  Betrachtung  des 
Gegenstandes  von  selbst  ergiebt. 


Clausius,  mechau.  Wärmetlieorie.    I.  22 


338 


Absclinitt  XII. 


IV.  Bestimmung  der  gegenseitigen  Zustrahlung  zweier  Flächen- 

elemente  für  den  Fall,  dass  das  eine  Fläehenelement  das 

optische  Bild  des  anderen  ist. 


§.  11.    Verhalten  der  Grössen  J5,  D,  F  und  E. 

Wir  wollen  nun  zu  dem  Falle  übergehen,  wo  die  bisher 
gemachte  Voraussetzung,  dass  die  Ebenen  a  und  c,  soweit  sie  in 
Betracht  kommen,  ihre  Strahlen  in  der  Weise  austauschen,  dass 
von  jedem  Punkte  der  einen  nach  jedem  Punkte  der  anderen  ein 
Strahl,  und  auch  nur  Ein  Strahl,  oder  höchstens  eine  beschränkte 
Anzahl  von  einzelnen  Strahlen  gelange,  nicht  erfüllt  ist.  Die 
Strahlen,  welche  von  den  Punkten  der  einen  Ebene  divergirend 
ausgehen,  können  durch  Brechungen  oder  Reflexionen  conver- 
girend  werden,  und  in  der  anderen  Ebene  wieder  zusammentreflen, 
so  dass  es  für  einen  in  der  Ebene  a  zur  Betrachtung  ausgewählten 
Punkt  fa  in  der  Ebene  c  einen  oder  mehrere  Punkte  oder  Linien 
giebt,  in  welchen  sich  unendlich  viele  vom  Punkte  pa  kommende 
Strahlen  schneiden,  während  andere  Stellen  der  Ebene  c  gar  keine 
Strahlen  von  jenem  Punkte  erhalten.  Natürlich  findet  in  einem 
solchen  Falle  auch  mit  den  Strahlen,  welche  von  der  Ebene  c  aus- 
gehend nach  der  Ebene  a  gelangen,  das  Entsprechende  statt,  da 
die  zwischen  den  beiden  Ebenen  hin-  und  zurückgehenden  Strahlen 
gleiche  Wege  beschreiben. 

Unter  den  unendlich  vielen  verschiedenen  Fällen  dieser  Art 
wollen  wir,  der  grösseren  Anschaulichkeit  wegen,   zunächst  den 

extremen  Fall  behandeln,  wo  alle  Strahlen, 
welche  der  Punkt  pa  der  Ebene  a  inner- 
halb eines  gewissen  endlichen  Kegelraumes 
aussendet,  in  einem  einzelnen  Punkte  jpc 
der  Ebene  c  wieder  zusammentreffen,  wie 
es  in  Fig.  31  angedeutet  ist.  Dieser  Fall 
tritt  z.  B.  ein,  wenn  die  Pächtungsänderung 
der  Strahlen  durch  eine  Linse  oder  einen 
sphärischen  Spiegel,  oder  auch  durch 
irgend  ein  System  von  centrirten  Linsen 
oder  Spiegeln  bewirkt  ist,  und  wenn  man 
von  der  dabei  stattfindenden  sphärischen 


Fig.  31. 


Concentratioü  von  Wärme-  und  Liclifcstralil<!u.  33'J 

und  chromatischen  Aberration  absieht,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass 
die  chromatische  Aberration  hier  ohnehin  nicht  zu  berücksichtigen 
ist,  da  wir  uns  von  vorn  herein  auf  die  Betrachtung  homogener 
Strahlen  beschränkt  haben.  Zwei  in  der  angegebenen  Weise  zu- 
sammengehörige Punkte,  welche  den  Ausgangs-  und  den  Vereini- 
gungspunkt der  Strahlen  bilden,  werden,  wie  schon  oben  erwähnt, 
conjugirte  BrennpunJcte  genannt. 

In  einem  solchen  Falle  sind  für  jeden  der  betreffenden  Strah- 
len durch  die  Coordinaten  a?«,  ya  des  Ausgangspunktes  pa  auch 
die  Coordinaten  Xci  ijc  des  Punktes  pc-,  wo  der  Strahl  die  Ebene  c 
trifft,  gleich  mit  bestimmt.  Die  übrigen  in  der  Nähe  von  p^  liegen- 
den Punkte  der  Ebene  c  erhalten  vom  Punkte  pa  keine  Strahlen, 
weil  es  nach  ihnen  hin  keinen  Weg  giebt,  der  die  Eigenschaft 
kätte,  dass  die  Zeit,  welche  der  Strahl  auf  diesem  Wege  gebraucht, 
verglichen  mit  der  Zeit,  welche  er  auf  jedem  anderen  nahe  liegen- 
den Wege  gebrauchen  würde,  im  mathematischen  Sinne  ein  Mini- 
mum ist.  Demnach  kann  auch  die  Grösse  Tae-,  welche  dieses  Mini- 
mum der  Zeit  darstellt,  für  keinen  der  um  pc  gelegenen  Punkte, 
sondern  nur  für  den  Punkt  pc  selbst  einen  reellen  Werth  haben.. 
Die  Difierentialcoefficienten  von  Tac-,  in  denen  die  Coordinaten  Xa^ 
ya  als  constant,  und  gleichzeitig  eine  der  Coordinaten  x^.,  y^  als 
veränderlich,  oder  umgekehrt  Xc,yc  als  constant,  und  zugleich  eine 
der  Coordinaten  Xa,  ya  als  veränderlich  vorausgesetzt  werden, 
können  somit  keine  endlichen  reellen  Grössen  sein.  Daraus  er- 
giebt  sich,  dass  von  den  sechs  durch  die  Gleichungen  (I.)  be- 
stimmten Grössen  Ä^  B^  C,  I),  E,  F  die  drei  J5,  JD,  F,  welche 
Differentialcoefficienten  von  Tae  enthalten,  in  unserem  gegen- 
wärtigen Falle  nicht  anwendbar  sind. 

Die  drei  anderen  Grössen  A^  G,  E  dagegen  enthalten  nur 
Difierentialcoefficienten  der  Grössen  Tah  und  Ti^-  Wenn  wir  nun 
annehmen,  die  Ebene  h  sei  so  gewählt,  dass  zwischen  ihr  und  den 
beiden  Ebenen  a  und  c,  soweit  wir  die  Ebenen  betrachten,  der 
Strahlenaustausch  in  der  früher  vorausgesetzten  Weise  stattfinde, 
dass  von  jedem  Punkte  der  Ebene  h  nach  jedem  Punkte  der  Ebenen 
a  und  c  ein  Strahl  und  auch  nur  Ein  Strahl,  oder  höchstens  eine 
beschränkte  Anzahl  von  einzelnen  Strahlen  geht,  so  haben  die 
Grössen  Tah  und  Tic  und  ihre  Differentialcoefficienten  für  alle  in 
Betracht  kommenden  Punkte  reelle  und  nicht  unendlich  grosse 
Werthe.  Die  Grössen  A^  C  und  E  sind  daher  im  gegenwärtigen 
Falle  ebenso  gut,  wie  in  dem  früher  betrachteten,  anwendbar. 


340  Atisclinitt  XII. 

Eine  dieser  Grössen,  nämlich  E^  nimmt  in  diesem  Falle  einen 
speciellen  Werth  an,  der  sich  sofort  ableiten  lässt.  Für  die  drei 
Punkte,  in  welchen  ein  Strahl  die  drei  Ebenen  a,  &,  c  schneidet, 
müssen  die  beiden  unter  (1)  gegebenen  Gleichungen  gelten: 

8  (Tg,  +  n,)  _  ^.     8  (Tg,  H-  T,c)  _  ^ 

Da  nun  in  unserem  gegenwärtigen  Falle  durch  die  Lage  der  beiden 
Punkte  pa  und  pc  in  den  Ebenen  a  und  c  die  Lage  des  Punktes, 
wo  der  Strahl  die  Ebene  h  schneidet,  nicht  bestimmt  ist,  sondern 
die  Ebene  h  in  allen  Punkten  eines  gewissen  endlichen  Flächen- 
raumes geschnitten  werden  kann,  so  müssen  die  beiden  vorigen 
Gleichungen  für  alle  diese  Punkte  gültig  sein,  woraus  folgt,  dass 
man  durch  Differentiation  dieser  Gleichungen  nach  Xjj  und  y^  eben- 
falls wieder  gültige  Gleichungen  erhalten  muss,  also: 

Wendet  man  diese  Gleichungen  auf  diejenige  der  Gleichungen  (I.) 
an,  durch  welche  E  bestimmt  wird,  so  kommt: 
(25)  E  =0. 

Die  beiden  anderen  Grössen  Ä  und  C  haben  im  Allgemeinen 
endliche  Werthe,  welche  je  nach  Umständen  verschieden  sind,  und 
diese  müssen  nun  zu  den  folgenden  Bestimmungen  angewandt 
werden. 


§.  12.    Anwendung  der  Grössen  A  und  C  zur  Bestimmung 
des  Verhältnisses  zwischen  den  Flächenelementen. 

Es  sei  angenommen,  das  Element  dSa  der  Ebene  a  habe  ein 
optisches  Bild,  welches  in  die  Ebene  c  fällt,  und  welches  wir  dSc 
nennen  wollen,  so  dass  also  jeder  Punkt  des  Elementes  dSa  einen 
Punkt  des  Elementes  dsc  zum  conjugirten  Brennpunkte  hat,  und 
umgekehrt.  Es  soll  nun  untersucht  werden,  ob  die  Wärmemengen, 
welche  diese  Flächenelemente,  wenn  sie  als  Elemente  der  Ober- 
flächen zweier  vollkommen  schwarzer  Körper  von  gleicher  Tempe- 
ratur betrachtet  werden,  sich  gegenseitig  zusenden,  gleich  sind. 

Um  zunächst  das  zu  dem  gegebenen  Elemente  dSa  gehörige 
Bild  dSc  seiner  Lage  und  Grösse  nach  zu  bestimmen,  nehmen  wir 
in  der  Zwischenebene  b  irgend  einen  Punkt  ^&  an,  und  denken  uns 


Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  341 

von  sämmtlichen  Punkten  des  Elementes  dSa  Strahlen  durch  die- 
sen Punkt  ph  gehend.  Jeder  dieser  Strahlen  trifft  die  Ebene  c  in 
dem  conjugirten  Brennpunkte  desjenigen  Punktes,  von  welchem  er 
ausgegangen  ist,  und  somit  ist  das  Flächenelement,  in  welchem 
dieses  Strahlenbüschel  die  Ebene  c  schneidet,  gerade  das  mit  dsc 
bezeichnete  optische  Bild  des  Elementes  dSa.  Wir  können  daher, 
um  das  Bild  dSc  seiner  Grösse  nach  im  Verhältniss  zu  dSa  aus- 
zudrücken, einen  der  drei  in  der  untersten  Horizontalreihe  von 
(II.)  angeführten  Brüche  anwenden,  welche  das  Verhältniss  der- 
jenigen beiden  Flächenelemente  darstellen,  in  welchen  ein  durch 
einen  Punkt  pi,  der  Zwischenebene  b  gehendes  unendlich  schmales 
Strahlenbüschel  die  beiden  Ebenen  a  und  c  schneidet;  und  zwar 
ist  von  den  drei  dort  stehenden  Brüchen  in  diesem  Falle  nur  der 
erste  brauchbar,  weil  die  beiden  anderen  unbestimmt  sind.  Wir 
haben  also  die  Gleichung: 

Diese  Gleichung  ist  auch  in  optischer  Beziehung  von  Interesse, 
indem  sie  die  allgemeinste  Gleichung  zur  Bestimmung  des  Grössen- 
verhältnisses  zwischen  einem  Gegenstande  und  seinem  optischen 
Bilde  ist,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  die  Zwischenebene  &,  auf 
welche  sich  die  Grössen  Ä  und  C  beziehen,  beliebig  ist,  und  daher 
in  jedem  einzelnen  Falle  so  gewählt  werden  kann,  wie  es  für  die 
Rechnung  am  bequemsten  ist. 


§.  13.     Verhältniss  zwischen  den  Wärmemengen,  welche 
die  Elemente  dSn  und. dSc  einander  zustrahlen. 

Nachdem  das  Flächenelement  dSe,  welches  zu  dSa  als  Bild 
gehört,  bestimmt  ist,  nehmen  wir  in  der  Ebene  h  statt  eines  Punktes 
ein  Flächenelement  dsi,,  und  betrachten  die  Strahlen,  welche  die 
beiden  Elemente  dSa  und  dSc  durch  dieses  Element  dsy  senden. 
Alle  Strahlen,  welche  von  einem  Punkte  des  Elementes  dSa  aus- 
gehend, durch  das  Element  dSh  gehen,  vereinigen  sich  wieder  in 
einem  Punkte  des  Elementes  dSe,  und  somit  treffen  alle  Strahlen, 
welche  das  Element  dSa  durch  dsj,  sendet,  gerade  das  Element  dSc, 
und  umgekehrt  die  Strahlen,  welche  dSe  durch  dSh  sendet,  treffen 
sämmtlich  das  Element  dSa-    Die  beiden  Wärmemengen,  welche 


342  Absclinitt  XII. 

die  Elemente  dSa  und  dSc  dem  Elemente  ds^  zusenden,  sind  somit 
auch  die  Wärmemengen,  welche  die  Elemente  dSa  und  dSc  durch 
das  Zwischen element  dsi,  hindurch  einander  gegenseitig  zusenden. 
Diese  Wärmemengen  lassen  sich  nun  dem  Früheren  nach  ohne 
Weiteres  angeben. 

Es  gilt  nämlich  für  die  Wärmemenge,  welche  das  Element  dsa 
dem  Elemente  dsb  zusendet,  derselbe  Ausdruck,  welcher  in  §.  9 
für  diejenige  Wärmemenge  entwickelt  wurde,  welche  das  Element 
dSa  dem  Elemente  dSe  zusendet,  wenn  man  darin  nur  für  dSc  setzt 
dsj,,  und  für  die  Grösse  B  die  Grösse  C  einführt.  Der  Ausdruck 
lautet  also: 

C 

eaVa^  —  dSadSi,. 
71 

Ebenso  gilt  für  die  Wärmemenge,  welche  das  Element  dSc  dem 
Elemente  c?s&  zusendet,  derselbe  Ausdruck,  welcher  dort  für  die 
Wärmemenge  angegeben  wurde,  welche  das  Element  dSc  dem 
Elemente  ds„  zusendet,  wenn  man  darin  für  dSa  setzt  dsi,  und 
für  die  Grösse  B  die  Grösse  A  einführt,  also: 

^e^c^  —  dscdsi. 

7t 

Bedenkt  man  nun,  dass  nach  Gleichung  (26)  ist: 

L/  Cl  S(i  —  Jji  Cl  Sc  5 

SO  sieht  man,  dass  die  beiden  gefundenen  Ausdrücke  sich  unter 
einander  verhalten  wie  eaVa^  :  ecVc^. 

Ganz  dasselbe  Resultat  finden  wir,  wenn  wir  in  der  Zwischen- 
ebene h  irgend  ein  anderes  Flächenelement  ds^  nehmen,  und  die 
Wärmemengen  betrachten,  welche  sich  die  beiden  Elemente  dSa 
und  dSe  durch  dieses  Element  gegenseitig  zusenden.  Immer  stehen 
die  beiden  Wärmemengen  zu  einander  in  dem  Verhältnisse 
GaVa^-ecVc^.  Da  nun  die  Wärmemengen,  welche  sich  die  Elemente 
dSa  und  dSc  im  Ganzen  zusenden,  aus  denjenigen,  welche  sie  sich 
durch  die  einzelnen  Elemente  der  Zwischenebene  hindurch  zu- 
senden, zusammengesetzt  sind,  so  muss  auch  für  sie  dasselbe 
Verhältniss  gelten,  und  wir  finden  somit  als  Endresultat,  dass  die 
Wärmemengen,  welche  die  Flächenelemente  dSa  und  dSe  sich  im 
Ganzen  gegenseitig  zusenden,  sich  verhalten  wie 

Dieses  ist  dasselbe  Verhältniss,  welches  in  den  §§.  8  und  9 
für  den  Fall  gefunden  wurde,  wo  keine  Concentration  von  Strahlen 


Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  343 

stattfindet.  Es  ergiebt  sich  also,  dass  die  Concentration  der  Strah- 
len, wie  sehr  sie  auch  die  absolute  Grösse  der  Wärmemengen, 
welche  zwei  Flächenelemente  durch  Strahlung  mit  einander  aus- 
tauschen, verändert,  doch  das  Verhältniss  derselben  ungeändert 
lässt. 

In  §.  10  ist  gezeigt,  dass,  wenn  bei  der  gewöhnlichen,  ohne 
Concentration  stattfindenden  Zustrahlung  der  Satz  gelten  soll, 
dass  dadurch  nicht  Wärme  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren 
Körper  übergeführt  werden  kann,  dann  die  Ausstrahlung  in  ver- 
schiedenen Medien  verschieden  sein  muss,  und  zwar  in  der  Weise, 
dass  man  für  vollkommen  schwarze  Körper  von  gleicher  Tempe- 
ratur hat: 

Ist  diese  Gleichung  erfüllt,  so  sind  auch  in  unserem  gegenwärtigen 
Falle,  wo  von  den  Flächenelementen  d  s«  und  d  Sc  das  eine  das  Bild 
des  anderen  ist,  die  Wärmemengen,  welche  sie  sich  gegenseitig 
zusenden,  unter  einander  gleich,  und  es  kann  daher,  trotz  der 
Concentration  der  Strahlen,  das  eine  Element  das  andere  nicht 
zu  einer  höheren  Temperatur  erwärmen,  als  es  selbst  hat. 


V.    Beziehung  zwischen  der  Vergrösserung  und  dem  Verhält- 
nisse der  beiden  Kegelöflfnungen  eines  Elementarstrahlen- 

büschels. 

§.  14.     Aufstellung   der  betreffenden  Proportionen. 

Als  ein  Nebenresultat  der  vorstehenden  Betrachtung  möchte 
ich  hier  gelegentlich  eine  Proportion  entwickeln,  welche  mir  von 
allgemeinem  Interesse  zu  sein  scheint,  indem  sie  eine  eigen thüm- 
liche  Verschiedenheit  in  dem  Verhalten  der  Strahlenbüschel  beim 
Gegenstande  und  beim  Bilde  angiebt,  welche  stets  in  bestimmter 
Weise  stattfinden  muss,  wenn  Gegenstand  und  Bild  verschiedene 
Grössen  haben. 

Wenn  wir  ein  unendlich  schmales  Strahlenbüschel  betrachten, 
welches  von  einem  Punkte  des  Elementes  dsa  ausgehend  durch 
das  Element  dsi  der  Zwischenebene  geht,  und  sich  dann  wieder 
in  einem  Punkte  des  Elementes  dSc  vereinigt,  so  können  wir  die 
Grösse  der  Divergenz,  welche  die  Strahlen   an  ihrem  Ausgangs- 


344  Abschnitt  XII. 

punkte  haben,  vergleichen  mit  der  Grösse  der  Convergenz,  welche 
dieselben  Strahlen  an  ihrem  Vereinigungspunkte  haben.  Diese 
Divergenz  und  Convergenz,  wofür  wir  auch  mit  gemeinsamem  Aus- 
drucke sagen  können :  die  Oeffnungen  der  unendlich  schmalen  Kegel., 
welche  das  Strahlenbüschel  am  Ausgangs-  und  Vereinigungspunkte 
bildet,  ergeben  sich  unmittelbar  durch  dasselbe  Verfahren,  welches 
wir  in  §.  9  angewandt  haben. 

Wir  denken  uns  um  jeden  der  Punkte  eine  Kugelfläche  mit 
so  kleinem  Eadius  beschrieben,  dass  wir  die  Strahlen  bis  zur 
Kugelfläche  als  geradlinig  ansehen  können,  und  betrachten  dann 
das  Flächenelement,  in  welchem  das  Strahlenbüschel  die  Kugelfläche 
schneidet.  Sei  dieses  Flächenelement  mit  dö  bezeichnet,  und 
heisse  der  Radius  der  Kugel  p,  so  wird  die  Oeffnung  des  un- 
endlich schmalen  Kegels,  welcher    die  Strahlen,  soweit  sie  als 

geradlinig  zu  betrachten  sind,  einschliesst,  durch  den  Bruch  — 

Q 
dargestellt. 

Diesen  Bruch  haben  wir  in  §.  9  für  einen  ähnlichen  Fall  durch 
die  Gleichung  (20)  bestimmt,  und  in  dem  dort  gegebenen  Aus- 
drucke brauchen  wir  nur  die  Buchstaben  etwas  zu  ändern,  um  die 
für  unseren  gegenwärtigen  Fall  passenden  Ausdrücke  zu  erhalten. 
Um  die  Kegelööhung  an  dem  in  der  Ebene  a  liegenden  Ausgangs- 
punkte der  Strahlen  auszudrücken,  hat  man  in  dem  dortigen  Aus- 
drucke statt  des  Elementes  dSc  das  Element  c^s?,,  und  statt  der 
Grösse  B  die  Grösse  C  zu  setzen.  Ausserdem  wollen  wir  das 
Zeichen  -9-,  welches  den  Winkel  zwischen  dem  Elementarstrahlen- 
büschel  und  der  auf  dem  Flächenelemente  dSa  errichteten  Normale 
bedeutet,  um  bestimmter  anzudeuten,  dass  es  sich  um  den  an  der 
Ebene  a  liegenden  Winkel  handelt,  in  %'a  umändern,  und  aus  dem- 
selben Grunde  auch  den  Bruch  — ,  welcher  die  gesuchte  Kegel- 

Q 
Öffnung  darstellt,  mit  dem  Index  a  versehen.    Dann  kommt : 

(27)  {^)    =  ^  Cäs,. 

Um  die  andere  entsprechende  Gleichung  zu  erhalten,  welche  die 
Kegelöffnung  an  dem  in  der  Ebene  c  liegenden  Vereinigungspunkte 
bestimmt,  braucht  man  in  der  vorigen  nur  überall,  wo  der  Index  a 
steht,  den  Index  c  zu  setzen,  und  ausserdem  die  Grösse  C  mit  A 
zu  vertauschen,  also: 


Coucentration  von  Wärme-  und  Liclitstralilen.  345 

(28)  ('^)    =^Ad.,.. 

Aus  diesen  beiden  Gleichungen  ergiebt  sich  die  Proportion: 
ros  d'a  /d  6\       cos  d-f.  /d  6'^ 


und  wenn  man  hierauf  die  Gleichung  (26)  anwendet,  so  kommt: 

Führt  man  für  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeiten  die  Brechungs- 
coefficienten  der  Mittel  ein,  so  lautet  die  Proportion: 

(30)  Ha^cos^a  [-pj    ■  nc^' COS &c  [-j)  =  ds^  :  ds„. 

Das  Verhältniss,  welches  in  diesen  Proportionen  an  der  rechten 
Seite  steht,  ist  das  Grössenverhältniss  zwischen  einem  Flächen- 
elemente des  Bildes  und  dem  entsprechenden  Flächenelemente  des 
Gegenstandes,  also  kurz  die  Flächenvergrösserung,  und  man  erhält 
also  durch  diese  Proportionen  eine  einfache  Beziehung  zwischen 
der  Vergrösserung  und  dem  Verhältnisse  der  Kegelöffinungen  eines 
Elementarstrahlenbüschels.  Dabei  ist  es,  wie  man  leicht  sieht,  für 
die  Gültigkeit  der  Proportionen  nicht  gerade  nöthig,  dass  die 
Strahlen  schliesslich  convergirend  sind,  und  sich  in  einem  Punkte 
wirklich  schneiden,  sondern  sie  können  auch  divergirend  sein,  so 
dass  ihre  nach  rückwärts  gezogenen  geradlinigen  Verlängerungen 
sich  in  einem  Punkte  schneiden,  und  das  entstehende  Bild  ein  in 
der  Optik  sogenanntes  vhiuelles  ist. 

Nimmt  man  als  speciellen  Fall  an,  das  Mittel  am  Ausgangs- 
und am  Vereinigungspunkte  sei  gleich,  wie  es  z.  B.  stattfindet, 
wenn  die  Strahlen  von  einem  in  der  Luft  befindlichen  Gegenstande 
ausgehen,  und,  nachdem  sie  irgend  welche  Brechungen  oder 
Reflexionen  erlitten  haben,  ein  Bild  geben,  welches  sich  in  der 
Luft  befindet,  oder  in  der  Luft  gedacht  wird,  so  ist  Va  =Vc  und 
Ua  =  Uc  ZU  setzen,  und  es  kommt: 

COS&a   (— T  )    '•   COS&c  (  — T  )    =  ^^c  :  dSa- 
VpVa  \Q'Jc 

Fügt  man  ferner  noch  als  Bedingung  hinzu,  dass  das  Elementar- 
strahlenbüschel  mit  beiden  Flächenelementen  gleiche  "Winkel  bilde, 
z.  B.  auf  beiden  senkrecht  stehe,  so  heben  sich  auch  die  beiden 
Cosinus  fort,  und  es  kommt: 


346  Abschnitt  XII 

^d  ö\       /ä  6 


Q'/a       \Q\ 

In  diesem  Falle  stehen  also  die  Kegelöffiiungen  des  Elementar- 
strahlenbüschels  am  Gegenstande  und  am  Bilde  einfach  im  um- 
gekehrten Verhältnisse,  wie  die  Grössen  der  einander  entsprechen- 
den Flächenelemente  von  Gegenstand  und  Bild. 

In  der  ebenso  inhaltreichen  als  klaren  Auseinandersetzung 
der  Gesetze  der  Brechung  in  Systemen  kugeliger  Flächen,  welche 
Helmholtz  in  seiner  „Physiologischen  Optik"  i)  gegeben  hat,  um 
daran  die  Betrachtung  derjenigen  Brechungen  zu  knüpfen,  welche 
im  Auge  vorkommen,  findet  sich  auf  Seite  50,  und  erweitert  auf 
Seite  54  eine  Gleichung,  welche  die  Beziehung  zwischen  der  Bild- 
grösse  und  der  Convergenz  der  Strahlen  für  den  Fall  ausdrückt, 
wo  die  Ptichtungsänderung  der  Strahlen  durch  Brechung  oder  auch 
durch  Reflexion  in  centrirten  Kugelflächen  bewirkt  wird,  und  wo 
die  Strahlen  auf  den  betreffenden  Ebenen,  welche  Gegenstand  und 
Bild  enthalten,  angenähert  senkrecht  stehen.  In  der  Allgemein- 
heit, wie  in  den  Proportionen  (29)  und  (30)  ist  die  Beziehung,  so 
viel  ich  weiss,  noch  nirgends  angegeben. 


VI.     Allgemeine   Bestimmung   der  gegenseitigen   Zustrahlung 
zwischen  Flächen,  in  denen  beliebige  Concentrationen  vor- 
kommen können. 

§.  15.    Allgemeiner   Begriff   der    Strahlenconcentration. 

Es  muss  nun  die  Betrachtung  dahin  verallgemeinert  werden, 
dass  sie  nicht  bloss  den  extremen  Fall,  wo  alle  von  einem  Punkte 
der  Ebene  a  innerhalb  eines  gewissen  endlichen  Kegelraumes  aus- 
gehenden Strahlen  wieder  in  einem  Punkte  der  Ebene  c  zusammen- 
treffen, so  dass  dort  ein  conjugirter  Brennpunkt  entsteht,  sondern 
jeden  beliebigen  Fall  der  Strahlenconcentration  umfasst. 

Um  den  Begriff  der  Concentration  näher  festzustellen,  sei 
folgende  Definition  eingeführt.  Wenn  von  irgend  einem  Punkte  ^)„ 
Strahlen  ausgehen  und  auf  die  Ebene  c  fallen,  und  diese  Strahlen 
haben  in  der  Nähe  dieser  Ebene  solche  Richtungen,  dass  an  einer 


Allgemeine  Encyklopädie  der  Physik,  herausgegeben  von  G.  Karsten. 


Concentration  von   Wärme-  und  Lichtstrahlen.  347 

Stelle  der  Ebene  die  Dichtigkeit  der  auffallenden  Strahlen  gegen 
die  mittlere  Dichtigkeit  unendlich  gross  ist,  so  wollen  wir  sagen, 
es  finde  an  dieser  Stelle  Concentration  der  von  pa  ausgehenden 
Strahlen  statt. 

Nach  dieser  Definition  können  wir  den  Fall  der  Strahlencon- 
centration  leicht  mathematisch  kenntlich  machen.  Wir  nehmen 
zwischen  dem  Punkte  pa  und  der  Ebene  c  irgend  eine  Zwischen- 
ebene' &,  welche  so  gelegen  ist,  dass  in  dieser  keine  Concentration 
der  von  pa  ausgehenden  Strahlen  stattfindet,  und  dass  auch  die 
Ebenen  h  und  c,  soweit  sie  hierbei  in  Betracht  kommen,  zu  ein- 
ander in  solcher  Beziehung  stehen,  dass  die  von  den  Punkten  der 
einen  ausgehenden  Strahlenbüschel  in  der  anderen  keine  Concen- 
tration erleiden.  Dann  denken  wir  uns  ein  von  p>a  ausgehendes 
unendlich  schmales  Strahlenbüschel,  welches  die  Ebenen  b  und  c 
schneidet,  und  vergleichen  die  Grössen  der  Flächenelemente  clsi 
und  dSc,  in  denen  der  Durchschnitt  stattfindet.  Wenn  dann  das 
Element  dSc  im  Verhältnisse  zu  ds^  verschwindend  klein  ist,  so 
dass  nian  setzen  kann: 

so  ist  das  ein  Zeichen,  dass  in  der  Ebene  c  Strahlenconcentration 
in  dem  oben  angegebenen  Sinne  stattfindet. 

Gehen  wir  nun  zu  den  in  §.  7  gegebenen  Gleichungen  (11.) 
zurück,  so  sind  die  in  der  ersten  Horizontalreihe  stehenden  Glei- 
chungen auf  unseren  gegenwärtigen  Fall  bezüglich,  und  unter  den 
drei  dort  befindlichen  Brüchen,  welche  das  Verhältniss  der  Flächen- 
elemente darstellen,  ist  wiederum  der  erste  in  unserem  Falle  an- 
wendbar, weil  nach  der  gemachten  Annahme  über  die  Lage  der 
Zwischenebene  die  Grössen  Ä  und  E  sich  in  gewöhnlicher  Weise 
bestimmen  lassen.     Wir  haben  also  die  Gleichung: 

dsc  _  E 

dsh  A 
Soll  dieser  das  Verhältniss  der  beiden  Flächenelemente  ausdrückende 
Bruch  Null  werden,,  so  muss  es  dadurch  geschehen,  dass  der 
Zähler  i'  Null  wird,  denn  der  Nenner  A  kann  nach  der  gemachten 
Annahme  über  die  Lage  der  Ebene  h  nicht  unendlich  gross  wer- 
den.. Wir  haben  also  als  mathematisches  Criterium  zur  Ent- 
scheidung, ob,  die  vom  Punkte  pa  ausgehenden  Strahlen  an  der 
betrefienden  Stelle  der  Ebene  c  eine  Concentration  erleiden  oder 
nicht,  die  Bedingungsgleichung: 


348  Abschnitt  XII. 

(32)  E=0, 

welche  im  Falle  der  Concentration  erfüllt  sein  muss. 

Nehmen  wir  nun  umgekehrt  an,  es  sei  in  der  Ebene  c  ein 
Punkt  pc  gegeben,  und  es  soll  entschieden  werden,  ob  die  von 
diesem  ausgehenden  Strahlen  an  irgend  einer  Stelle,  der  Ebene  a 
eine  Concentration  erleiden,  so  haben  wir  in  ganz  entsprechender 
Weise  die  Bedingung: 

dSg     __ 

und  da  wir  nach  (II.)  setzen  können: 

dSa  E 

dsl~  C' 
so  erhalten  wir  wieder  dieselbe  Bedingungsgleichung: 

In  der  That  ist  auch  leicht  zu  sehen,  dass  in  dem  Falle,  wo  die 
von  einem  Punkte  der  Ebene  a  ausgehenden  Strahlen  in  einem 
Punkte  der  Ebene  c  eine  Concentration  erleiden,  auch  umgekehrt 
die  von  diesem  letzteren  Punkte  ausgehenden  Strahlen  in  dem 
ersteren  eine  Concentration  erleiden  müssen. 

Da  wir  in  den  Gleichungen  (12)  und  (13)  die  Beziehungen 
ausgedrückt  haben,  welche  zwischen  den  sechs  Grössen  Ä,  B,  6\ 
D^  E,  F  stattfinden,  so  können  wir  diese  Gleichungen  anwenden, 
um  zu  erkennen,  was  in  einem  solchen  Falle,  wo  ^  =  0  wird, 
während  Ä  und  C  von  Null  verschiedene  endliche  Werthe  haben, 
aus  den  drei  Grössen  B,  D  und  F  wird.  Nach  jenen  Gleichungen 
hat  man:  y 

(33)  B  =  ^;     D  =  ?l;     F=§. 

Daraus  ergiebt  sich,  dass  alle  drei  Grössen  für  den  gegenwärtigen 
Fall  unendlich  gross  werden. 


§.  16.    Gegenseitige  Zustrahlung  eines  Flächenelementes 

und  einer  endlichen  Fläche  durch  ein  Element  einer 

Zwischenfläche. 

Wir  wollen  nun  das  Verhältniss  der  Wärmemengen,  welche 
zwei  Flächen  durch  Strahlung  mit  einander  austauschen,  in  solcher 
Weise  zu  bestimmen  suchen,  dass  das  Ptesultat,  unabhängig  davon, 


Coneentratiou  von  Wärme-  uud  Liclitstrahlen.  349 

ob  eine  Concentration  von  Strahlen  stattiindet,  oder  nicht,  in  allen 
Fällen  gültig  sein  muss. 

Der  grösseren  Allgemeinheit  wegen  seien  statt  der  bisher  be- 
trachteten Ebenen  a  und  c,  zwei  beliebige  Flächen  gegeben,  welche 
Sa  und  Sc  heissen  mögen.  Zwischen  ihnen  nehmen  wir  irgend  eine 
dritte  Pläche  Si  an,  welche  nur  die  Bedingung  zu  erfüllen  braucht, 
dass  die  Strahlen,  welche  von  Sa  nach  s^  oder  umgekehrt  gehen, 
in  Sh  keine  Concentration  erleiden.  Nun  sei  in  s«  irgend  ein 
Element  clsa  gewählt,  und  in  Sj,  ein  Element  clsj^,  welches  so 
liegt,  dass  die  von  dSa  durch  dsi  gehenden  Strahlen  auf  ihrer 
Fortsetzung  die  Fläche  Sc  treffen.  Dann  wollen  wir  zunächst  be- 
stimmen: wie  viel  Wärme  das  Element  dSa  durch  das  Element  ds^ 
hindurch  der  Fläche  Sc  zusendet^  und  wie  viel  Wärme  es  durch 
eben  jenes  Element  der  Zivischenfläche  hindurch  von  der  Fläche 
Sc  zurücTi  erhält. 

Um  die  zuerst  genannte  Wärmemenge  zu  erhalten,  brauchen 
wir  nur  zu  bestimmen,  wieviel  Wärme  das  Element  dSa  dem  Ele- 
mente dsi  zusendet,  denn  nach  der  gemachten  Annahme  über  die 
Lage  des  Elementes  dsh  muss  alle  diese  Wärme,  nachdem  sie  das 
Element  ds-b  passirt  hat,  die  Fläche  .Sc  treffen.  Diese  Wärmemenge 
lässt  sich  mit  Hülfe  der  früher  entwickelten  Formeln  sofort  aus- 
drücken. Wir  denken  uns  in  einem  Punkte  des  Elementes  dSa 
eine  Tangentialebene  an  die  Fläche  §„  gelegt,  und  ebenso  in  einem 
Punkte  des  Elementes  dsy  eine  Tangentialebene  an  s&,  und  be- 
trachten die  gegebenen  Flächenelemente  als  Elemente  dieser  Ebenen. 
Wenn  wir  dann  in  diesen  Tangentialebenen  dieCoordinatensysteme. 
Xaiija  nnd  Xi,yT)  einführen,  und  die  durch  die  dritte  der  Gleichungen 
(I.)  bestimmte  Grösse  C  bilden,  so  wird  die  gesuchte  Wärmemenge, 
welche  das  Element  dSa  nach  dem  Elemente  (?s&,  und  durch  dieses 
hindurch  nach  Sc  sendet,  dargestellt  durch  den  Ausdruck: 

C 

CaVa'^  —  dSadSh- 
% 

Was  nun  die  Wärmemenge  betrifft,  welche  das  Element  dSa 
durch  dsT,  hindurch  von  der  Fläche  Se  erhält,  so  findet  in  Bezug 
auf  die  Punkte  der  Fläche  Sc^  von  welchen  diese  Strahlen  ausgehen, 
im  Allgemeinen  nicht  jenes  einfache  Verhalten  statt,  wie  in  jenem 
speciellen  Falle,  wo  das  Element  dSa  ein  in  die  Fläche  Sc  fallendes 
optisches  Bild  dSc  hat,  und  daher  selbst  ebenfalls  das  optische 
Bild  des  Elementes  dSc  ist.  Wählen  wir  in  dem  Zwischenelemente 
dsji  einen  bestimmten  Punkt  2)6,  und  denken  uns  von  allen  Punkten 


350  Absclinitt  XII. 

des  Elementes  dSa  Strahlen  durch  diesen  Punkt  gehend,  so  er- 
halten wir  ein  unendlich  schmales  Strahlenbüschel,  welches  die 
Fläche  So  in  einem  gewissen  Flächenelemente  schneidet.  Dieses 
Flächenelement  ist  es,  welches  dem  Elemente  dSa  durch  den  ge- 
wählten Punkt  j)ö  hindurch  Strahlen  zusendet.  Wählen  wir  nun 
aber  in  dem  Zwischenelemente  dsj,  einen  anderen  Punkt  .als 
Kreuzungspunkt  des  Strahlenbüschels ,  so  erhalten  wir  in  der 
Fläche  Sc  ein  etwas  anders  liegendes  Element,  Die  Strahlen,  welche 
das  Element  dSa  von  der  Fläche  Sc  durch  verschiedene  Punkte  des 
Zwischenelementes  erhält,  stammen  also  nicht  alle  von  einem  und 
demselben  Elemente  der  Fläche  Sc  her. 

Da  nun  aber  die  Grösse  des  Zwischenelementes  d  s&  willkürlich 
ist,  so  hindert  uns  nichts,  dieses  Element  so  klein  zu  nehmen, 
dass  es  ein  unendlich  Kleines  von  höherer  Ordnung  ist,  als  das 
gegebene  Element  dSa-  Wenn  in  diesem  Falle  der  Kreuzungs- 
punkt des  Strahlenbüschels  innerhalb  des  Elementes  dsi,  seine 
Lage  ändert,  so  kann  dadurch  das  Element  der  Fläche  Sc,  welches 
dem  Elemente  dSa  entspricht,  seine  Lage  nur  so  wenig  ändern, 
dass  die  Unterschiede  im  Vergleiche  mit  den  Dimensionen  des 
Elementes  unendlich  klein  sind,  und  daher  vernachlässigt  werden 
dürfen.  Man  kann  somit  in  diesem  Falle  das  Element  dSc,  welches 
man  erhält,  wenn  man  einen  beliebigen  Punkt  pi  des  Elementes 
dsi  auswählt,  und  zum  Kreuzungspunkte  des  von  dSa  ausgehen- 
den Strahlenbüschels  macht,  als  denjenigen  Theil  der  Fläche  Sp 
betrachten,  welcher  durch  ds^,  hindurch  mit  dem  Elemente  dSa 
Strahlen  austauscht. 

Die  Grösse  dieses  Elementes  dSc  können  wir  dem  Früheren 
nach  leicht  ausdrücken.  Wir  denken  uns,  wie  vorher,  in  dem 
Punkte  pj,  eine  Tangentialebene  an  die  Fläche  Ss,  und  ebenso  in 
einem  Punkte  des  Elementes  dSa  und  in  einem  Punkte  des  Ele- 
mentes dSc  Tangentialebenen  an  die  Flächen  Sa  und  Sc  gelegt,  und 
betrachten  die  beiden  letzteren  Flächenelemente  als  Elemente  der 
Tangentialebenen.  Führen  wir  dann  in  den  drei  Tangentialebenen 
Coordinatensysteme  ein,  und  bilden  die  durch  die  erste  und  dritte 
der  Gleichungen  (L)  bestimmten  Grössen  Ä  und  C,  so  können  wir 
nach  (IL)  schreiben: 

tt  Sc  —j  d  Sa' 

Die  Wärmemenge,  welche  dieses  Element  dSc  dem  Elemente 
dsj)  zusendet,  und  welche  wir,  wie  gesagt,  als  diejenige  ansehen 


Concentration  von  Wärme-  und  Lichtstrahlen.  351 

können,  die  das  Element  dSa  durch  clsh  hindurch  von  der  Fläche 
Sc  erhält,  wird  dargestellt  durch  : 

Ä 

und  wenn  wir  hierin  für  dSc  den  in  der  vorigen  Gleichung  gege- 
benen Werth  setzen,  so  kommt: 

o     C'      7  7 

ßcVc-  —  dSadSi. 
7t 

Vergleicht  man  diesen  Ausdruck  mit  dem  oben  gefundenen, 
welcher  die  Wärmemenge  darstellt,  die  das  Element  dSa  durch 
dsi,  hindurch  der  Fläche  Sc  zusendet,  so  sieht  man,  dass  sich  1)eide 
unter  einander  verhalten  wie  6«^«^  :  ec^c^.  Nimmt  man  nun  an, 
dass  Sa  und  s^  die  Oberflächen  zweier  vollkommen  schwarzer  Kör- 
per von  gleicher  Temperatur  seien,  und  macht  für  solche  Flächen, 
wie  es  sich  schon  bei  der  ohne  Concentration  stattfindenden  Wärme- 
strahlung als  nothwendig  herausstellte,  die  Annahme,  dass  die 
beiden  Producte  ^„^«2  yxndi  e^Vc^  gleich  sind,  so  sind  auch  die  durch 
die  beiden  Ausdrücke  dargestellten  Wärmemengen  gleich. 


§.  17.     Gegenseitige  Zustrahlung  ganzer  Flächen. 

Wählt  man  in  der  Zwischenfläche  Sj  statt  des  vorher  be- 
trachteten Elementes  ein  anderes,  auch  als  unendlich  klein  von 
höherer  Ordnung  vorausgesetztes  Element,  so  hat  dasjenige  Ele- 
ment der  Fläche  s^^  welches  durch  dieses  Element  der  Zwischen- 
fläche hindurch  mit  dem  Elemente  dsa  Strahlen  austauscht,  eine 
andere  Lage,  als  im  vorigen  Falle,  aber  wiederum  sind  die  beiden 
ausgetauschten  Wärmemengen  unter  einander  gleich;  und  ebenso 
verhält  es  sich  mit  allen  anderen  Elementen  der  Zwischenfläche. 

Um  die  Wärmemenge  zu  erhalten,  welche  das  Element  dSa 
der  Fläche  Sc  nicht  nur  durch  ein  einzelnes  Element  der  Zwischen- 
fläche, sondern  im  Ganzen  zusendet,  und  ebenso  die  Wärmemenge, 
welche  es  im  Ganzen  von  Sc  zurückerhält,  muss  man  die  beiden 
gefundenen  Ausdrücke  in  Bezug  auf  die  Fläche  s-b  integriren ,  und 
das  Integral  auf  den  Theil  dieser  Fläche  ausdehnen ,  welcher  von 
den  Strahlen,  die  von  dem  Elemente  fZs«  nach  der  Fläche  s^  und 
umgekehrt  gehen,  getroffen  wird.  Dabei  versteht  es  sich  von 
selbst,  dass,  wenn  für  jedes  Flächenelement  dsy^  die  beiden  Diffe- 


352  Absclinitt  XII. 

rentialausdrücke  gleich  sind,  dann  auch  die  Integrale  gleich  sein 
müssen. 

Will  man  endlich  die  Wärmemengen  haben,  welche  die  ganze 
Fläche  Sa  mit  der  Fläche  Sc  austauscht,  so  muss  man  die  beiden 
Ausdrücke  auch  in  Bezug  auf  die  Fläche  s«  integriren,  wodurch 
wiederum  die  Gleichheit,  welche  für  die  einzelnen  Elemente  dsa 
besteht,  nicht  gestört  werden  kann. 

Der  weiter  oben  für  speciellere  Fälle  gefundene  Satz,  dass 
zwei  vollkommen  schwarze  Körper  von  gleicher  Temperatur,  so- 
fern die  Gleichung  e^^a^  =  ßcVc^  für  sie  gilt,  gleich  viel  Wärme 
mit  einander  austauschen,  ergiebt  sich  somit  auch  als  Resultat 
einer  Betrachtung ,  welche  ganz  davon  unabhängig  ist ,  ob  die  von 
Sa  ausgehenden  Strahlen  in  s^ ,  und  umgekehrt  die  von  Se  ausgehen- 
den Strahlen  in  s«  eine  Concentration  erleiden,  oder  nicht,  indem 
nur  die  Bedingung  gestellt  wurde,  dass  die  von  s«  und  Sc  ausgehen- 
den Strahlen  in  der  Zwischenfläche  s^  keine  Concentration  erleiden, 
eine  Bedingung,  welche  sich  immer  erfüllen  lässt,  da  man  die 
Zwischenfläche  beliebig  wählen  kann. 

Aus  diesem  Resultate  folgt  natürlich  auch  weiter,  dass,  wenn 
ein  gegebener  schwarzer  Körper  nicht  bloss  mit  Einem,  sondern 
mit  beliebig  vielen  anderen  schwarzen  Körpern  von  gleicher  Tem- 
peratur in  Wechselwirkung  steht,  er  von  allen  zusammen  gerade 
so  viel  Wärme  erhält,  als  er  ihnen  zusendet. 


§.  18.     Berücksichtigung   verschiedener  Nebenumstände. 

Alle  vorstehenden  Entwickelungen  wurden  unter  der  Voraus- 
setzung gemacht,  dass  die  vorkommenden  Brechungen  und  Re- 
flexionen ohne  Verlust  geschehen,  und  keine  Absorption  stattfinde. 
Man  kann  sich  aber  leicht  davon  überzeugen,  dass  das  gewonnene 
Resultat  sich  nicht  ändert,  wenn  man  diese  Bedingung  fallen 
lässt.  Betrachtet  man  nämlich  die  verschiedenen  Vorgänge,  durch 
welche  ein  Strahl  auf  dem  Wege  von  einem  Körper  zu  einem 
anderen  geschwächt  werden  kann,  sei  es  dadurch,  dass  an  einer 
Stelle,  wo  der  Strahl  die  Grenzfläche  zweier  Mittel  trifft,  ein  Theil 
unter  Brechung  in  das  angrenzende  Mittel  eindringt  und  der 
andere  reflectirt  wird,  so  dass  man  es,  mag  man  den  einen  oder 
den  anderen  Theil  als  die  Fortsetzung  des  ursprünglichen  Strahles 
betrachten,  in  beiden  Fällen  mit  einem  geschwächten  Strahle  zu 


Concenti'ation  von  Wärme-  und  Liclitstralilen.  353 

thun  hat,  oder  sei  es  dadurch,  dass  der  Strahl  heim  Durchdringen 
eines  Mittels  theilweise  al)sorbirt  wird,  so  gilt  in  jedem  dieser  Fälle 
das  Gesetz,  dass  bei  zwei  Strahlen,  welche  sich  auf  demselben  Wege 
hinwärts  und  rückwärts  fortpflanzen,  die  Schwächung  in  gleichem 
Verhältnisse  stattfindet.  Die  Wärmemengen,  welche  zwei  Körper 
sich  gegenseitig  zusenden,  werden  daher  durch  solche  Vorgänge 
stets  beide  in  gleicher  Weise  geschwächt,  so  dass,  Avenn  sie  ohne 
die  Schwächung  gleich  gewesen  wären,  sie  auch  nach  der  Schwächung 
gleich  sind. 

Mit  den  vorher  erwähnten  Vorgängen  hängt  auch  ein  anderer 
Umstand  zusammen,  nämlich  der,  dass  ein  Körper  aus  einer  und 
derselben  Richtung  Strahlen  erhalten  kann,  welche  von  verschie- 
denen Körpern  herstammen.  Unser  Körper,  welcher  Ä  heisse, 
kann  z,  B,  aus  einem  Punkte,  welcher  an  der  Grenzfläche  zweier 
Mittel  liegt,  zwei  der  Richtung  nach  zusammenfallende,  aber  doch 
von  zwei  verschiedenen  Körpern,  JB  und  C,  herstammende  Strah- 
len erhalten,  von  welchen  der  eine  aus  dem  angrenzenden  Mittel 
kommt,  und  in  jenem  Punkte  gebrochen  ist,  und  der  andere  schon 
vorher  in  demselben  Mittel  war,  und  in  jenem  Punkte  reflectirt 
ist.  In  diesem  Falle  sind  aber  beide  Strahlen  durch  die  Brechung 
und  die  Reflexion  in  der  Weise  geschwächt,  dass,  wenn  sie  vorher 
beide  gleich  stark  waren ,  nachher  ihre  Summe  ebenso  stark  ist, 
wie  vorher  jeder  einzelne.  Denkt  man  sich  dann  von  unserem 
Körper  Ä  in  umgekehrter  Richtung  einen  ebenso  starken  Strahl 
ausgehend,  so  wird  dieser  in  demselben  Punkte  in  zwei  Theile 
getheilt,  von  denen  der  eine  in  das  angrenzende  Mittel  eindringt, 
und  dann  weiter  nach  dem  Körper  B  geht,  und  der  andere  reflec- 
tirt wird,  und  nach  dem  Körper  C  geht.  Die  beiden  Theile,  welche 
in  dieser  Weise  von  Ä  nach  JB  und  C  gelangen,  sind  ebenso  gross, 
wie  die  Strahlentheile,  welche  A  von  B  und  C  erhält.  Der  Körper 
Ä  steht  also  mit  jedem  der  beiden  Körper  B  und  C  in  jener 
Wechselbeziehung,  dass  er,  unter  Voraussetzung  gleicher  Tempe- 
raturen, gleich  viel  Wärme  mit  ihm  austauscht.  Dasselbe  muss 
wegen  der  Gleichheit  der  Wirkungen,  welche  zwei  auf  irgend  einem 
Wege  hin-  und  zurückgehende  Strahlen  erleiden,  in  allen  anderen 
noch  so  complicirten  Fällen  stattfinden. 

Wenn  man  ferner  statt  der  vollkommen  schwarzen  Körper 
auch  solche  betrachtet,  welche  die  auf  sie  fallenden  Strahlen  nur 
theilweise  absorbiren,  oder  wenn  man  statt  der  homogenen  Wärme 
solche  Wärme  betrachtet,  welche  Wellensysteme  von  verschiedenen 

Clausius,   mechan.  Wännetlieorie.     I.  2H 


354  Absclinitt  XII. 

Wellenlängen  gemischt  enthält,  oder  endlich,  wenn  man,  anstatt 
alle  Strahlen  als  impolarisirte  anzusehen,  auch  die  Polarisations- 
erscheinungen berücksichtigt,  so  kommen  in  allen  diesen  Fällen 
immer  nur  solche  Umstände  zur  Sprache,  welche  in  gleicher  Weise 
für  die  vom  Körper  ausgesandte  Wärme  gelten,  wie  für  die,  welche 
er  von  anderen  Körpern  empfängt. 

Es  ist  nicht  nöthig,  auf  alle  diese  Umstände  hier  näher  ein- 
zugehen, denn  diese  Umstände  finden  auch  bei  der  gewöhnlichen, 
ohne  Concentration  vor  sich  gehenden  Strahlung  statt ,  und  der 
Zweck  der  vorliegenden  Abhandlung  bestand  nur  darin,  die  Wir- 
kungen zu  betrachten,  welche  durch  die  Concentration  der  Strahlen 
möglicher  Weise  entstehen  können. 


§.  19.    Zusammenstellung  der  Resultate. 

Die  Hauptresultate  der  angestellten  Betrachtungen  können 
kurz  folgendermaassen  ausgesprochen  werden. 

1)  Um  die  Wirkungen  der  gewöhnlichen,  ohne  Concentration 
stattfindenden  Wärmestrahlung  mit  dem  Grundsatze,  dass  die  Wärme 
nicht  von  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper 
übergehen  kann,  in  Einklang  zu  bringen,  ist  es  nothwendig  anzu- 
nehmen, dass  die  Stärke  der  Emission  eines  Körpers  nicht  nur  von 
seiner  eigenen  Beschaffenheit  und  seiner  Temperatur,  sondern  auch 
von  der  Natur  des  umgebenden  Mittels  abhängt,  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  die  Emissionsstärken  in  verschiedenen  Mitteln  im 
umgekehrten  Verhältnisse  stehen  mit  den  Quadraten  der  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeiten der  Strahlen  in  den  Mitteln,  oder  im 
directen  Verhältnisse  mit  den  Quadraten  derBrechungscoefficienten 
der  Mittel. 

2)  Wenn  diese  Annahme  über  den  Einfluss  des  umgebenden 
Mittels  auf  die  Emission  richtig  ist,  so  ist  jener  Grundsatz  nicht 
nur  bei  der  ohne  Concentration  stattfindenden  Wärmestrahlung 
erfüllt,  sondern  er  muss  auch  gültig  bleiben,  wenn  die  Strahlen 
durch  Brechungen  oder  Reflexionen  in  beliebiger  Weise  concen- 
trirt  werden,  denn  die  Concentration  kann  zwar  die  absolute  Grösse 
der  Wärmemengen,  welche  zwei  Körper  einander  durch  Strahlung 
mittheilen,  nicht  aber  das  Verhältniss  dieser  Wärmemengen  ändern. 


ABSCHNITT  XIIT. 


Discussionen  über  die  vorstehend  entwickelte  Form  der 
meclianischen  Wärmetheorie  und  ihre  Begründung. 

§.   1.    Verschiedene  Ansichten  über  die  Beziehung 
zwischen  "Wärme  und  meclianischer  Arbeit. 

Die  Entwickelung  der  mechanischen  Wärmetheorie  ist  nicht 
ohne  vielfache  und  lebliafte  Discussionen  vor  sich  gegangen, 
welche  auch  sonst  bei  der  Geltendmachung  neuer  Ideen  zur  Klar- 
stellung und  zur  Vertheidigung  gegen  Einwände  nothwendig  zu 
sein  pflegen.  Einige  dieser  Discussionen  haben  im  Laufe  der 
Zeit  ihre  Bedeutung  verloren,  indem  sie  sich  auf  Fragen  bezogen, 
die  gegenwärtig  kaum  noch  zu  Zweifeln  Anlass  geben.  Andere 
dagegen  scheinen  mir,  theils  in  historischer,  theils  in  theoretischer 
Beziehung,  auch  jetzt  noch  von  hinlänglichem  Interesse  zu  sein, 
um  eine  zusammenfassende  Besprechung  zu  rechtfertigen,  welche 
den  Gegenstand  dieses  letzten  Abschnittes  bilden  soll. 

Wie  schon  in  Abschnitt  III.  erwähnt  wurde,  ist  der  erste  be- 
deutsame Versuch,  die  Arbeitsleistung  der  Wärme  auf  ein  allge- 
meines Princip  zurückzuführen,  von  S.  Gar  not  gemacht,  welcher, 
von  der  Voraussetzung  ausgehend,  dass  die  Quantität  der  vor- 
handenen Wärme  unveränderlich  sei,  annahm,  das  Herabsinken 
von  Wärme  von  einer  höheren  zu  einer  tieferen  Temperatur  bringe 
in  ähnlicher  Weise  mechanische  Arbeit  hervor,  wie  das  Herab- 
sinken von  Wasser  von  einer  höher  gelegenen  zu  einer  tiefer 
gelegenen  Stelle. 

23* 


356  Abschnitt  XIII. 

Neben  dieser  Auffassung  maclite  sich  allmälig  die  Ansicht 
geltend,  dass  die  Wärme  eine  Bewegung  sei  und  dass  zur  Hervor- 
bringung von  Arbeit  Wärme  verbraucht  werde.  Diese  Ansicht 
war  seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  schon  hin  und  wieder 
von  einzelnen  Autoren,  wie  Rumford,  Davy  und  Seguin,  ge- 
äussert i);  aber  erst  in  den  vierziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts 
wurde  das  dieser  Ansicht  entsprechende  Gesetz  der  Aequivalenz 
von  Wärme  und  Arbeit  von  Mayer  und  Joule  bestimmt  ausge- 
sprochen und  von  Letzterem  durch  mannigfaltige  und  ausgezeich- 
nete experimentelle  Untersuchungen  als  richtig  nachgewiesen.  Bald 
darauf  wurde  auch  das  verallgemeinerte  Princip  von  der  Erhaltung 
der  Energie  von  Mayer  2)  und  in  besonders  klarer  und  umfassen- 
der Weise  von  Helmholtz^)  aufgestellt  und  auf  verschied'ene 
Naturkräfte  angewandt. 

Hiermit  war  für  die  Wärmelehre  der  Anknüpfungspunkt  neuer 
Untersuchungen  gegeben;  aber  die  Durchführung  derselben  bot 
natürlich  bei  einer  schon  so  weit  ausgebildeten  Theorie,  welche 
mit  allen  Zweigen  der  Naturwissenschaft  verwachsen  war  und  das 
ganze  physikalische  Denken  beeinflusste,  grosse  Schwierigkeiten 
dar.  Auch  war  die  Anerkennung,  welche  die  Car not' sehe  Be- 
handlung der  mechanischen  W^irkungen  der  Wärme,  besonders 
nachdem  sie  von  Clapeyron  in  eine  elegante  analytische  Form 
gebracht  war,  sich  erworben  hatte,  für  die  Annahme  der  neuen 
Ansicht  ungünstig.  Man  glaubte  sich  nämlich  in  die  Alternative 
versetzt,  entweder  die  Carnot'sche  Theorie  beizubehalten,  und 
die  neuere  Ansicht,  nach  welcher  zur  Erzeugung  von  Arbeit  Wärme 
verbraucht  werden  muss,  zu  verwerfen,  oder  umgekehrt  sich  zu 
der  neueren  Ansicht  zu  bekennen  und  die  Carnot'sche  Theorie 
zu  verwerfen. 


§.  2.     Abhandlungen  von  Thomson  und  mir. 

Sehr  bestimmt  spricht  sich  über  den   damaligen  Stand  der 
Sache   der  berühmte   englische  Physiker  W.   Thomson   aus  in 


1)  In  einem  1837  publicirten  Aufatze  von  Molir  wird   die  Wärme  an 
einigen  Stellen  eine  Bewegung,  an  anderen  eine  Kraft  genannt. 

2)  Die  organische  Bewegung  in  ihrem  Zusammenhange  mit  dem  Stoff- 
wechsel; Heilbronn  1845. 

3)  Ueber  die  Erhaltung  der  Kraft;  Berlin  1847. 


Disciissionen  über  die  mechanische  Wäi-metheorie.  357 

einer  interessanten  Abhandlung,  welche  er  im  Jahre  1849,  als  die 
meisten  der  oben  erwähnten  Untersuchungen  von  Joule  schon  er- 
schienen und  ihm  bekannt  waren,  unter  dem  Titel  ,^An  Account  of 
Carnofs  TJieory  of  thc  Motive  Poiver  of  Heat;  ivith  Numerical 
Besults  deduced  from  liegnault's  Experiments  on  Steam'-'-  publi- 
cirte  1).  In  dieser  Abhandlung  stellt  er  sich  noch  ganz  auf  den  Stand- 
punkt von  Carnot,  dass  die  Wärme  Arbeit  leisten  könne,  ohne 
dass  die  Quantität  der  vorhandenen  Wärme  sich  ändere.  Er  führt 
zwar  eine  Schwierigkeit  an,  welche  dieser  Ansicht  entgegensteht, 
und  sagt  dann  (S.  545):  „Es  möchte  scheinen,  dass  die  Schwierigkeit 
ganz  vermieden  werden  würde,  wenn  man  Carnot's  Fundamental- 
Axiom  verliesse,  eine  Ansicht,  welche  von  Herrn  Joule  stark  urgirt 
wird."  Er  fügt  jedoch  hinzu:  „Wenn  wir  dieses  aber  thun,  so 
stossen  wir  auf  unzählige  andere  Schwierigkeiten,  welche,  ohne 
fernere  experimentelle  Untersuchung  und  einen  vollständigen  Neu- 
bau der  Wärmetheorie  von  Grund  auf,  unüberwindlich  sind.  Es 
ist  in  der  That  das  Experiment,  auf  welches  wir  ausschauen  müssen, 
entweder  für  eine  Bestätigung  des  Carnot' sehen  Axioms  und  eine 
Erklärung  der  Schwierigkeit,  die  wir  betrachtet  haben,  oder  für 
eine  ganz  neue  Grundlage  der  Wärmetheorie." 

Zur  Zeit  des  Erscheinens  dieser  Abhandlung  schrieb  ich  meine 
erste  Abhandlung  über  die  mechanische  Wärmetheorie,  welche  im 
Februar  1850  in  der  Berliner  Akademie  vorgetragen  und  im  März- 
und  Aprilheft  von  Poggendorff's  Annalen  gedruckt  wurde.  In 
dieser  Abhandlung  habe  ich  versucht,  jenen  Neubau  zu  beginnen, 
ohne  fernere  Experimente  abzuwarten,  und  ich  glaube  darin  die 
von  Thomson  erwähnten  Schwierigkeiten  soweit  überwunden  zu 
haben,  dass  für  alle  weiteren  Untersuchungen  dieser  Art  der  Weg 
geebnet  war. 

Ich  zeigte  darin,  in  welcher  Weise  die  Eundamentalbegriffe 
und  die  ganze  mathematische  Behandlung  der  Wärme  abgeändert 
werden  mussten,  wenn  man  den  Satz  von  der  Aequivalenz  von 
Wärme  und  Arbeit  annahm,  und  wies  ferner  nach,  dass  man  auch 
die  Gar  not' sehe  Theorie  nicht  ganz  zu  verwerfen  brauchte,  son- 
dern einen  von  dem  Carnot'schen  nur  wenig  abweichenden,  aber 
auf  andere  Art  begründeten  Satz  annehmen  konnte,  welcher  sich 
mit.  dem  Satze  von  der  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit  ver- 
einigen Hess,  um  mit  ihm  zusammen  die  Grundlage  der  neuen 


1)  Travsact.  of  tlie  Eoyal  Soc.  of  Edinh.     Vol.  XVI,  p.  541. 


358  Abschnitt  XIII. 

Theorie  zu  bilden.  Diese  Theorie  entwickelte  ich  dann  speciell 
für  vollkommene  Gase  und  gesättigte  Dämpfe  und  erhielt  dadurch 
eine  Reihe  von  Gleichungen,  welche  in  derselben  Form  jetzt 
allgemein  angewandt  werden  und  oben  im  zweiten  und  sechsten 
Abschnitte  mitgetheilt  sind. 


§.  3.     Abhandlungen  von  Rankine  und  spätere  Abhand- 
lung von  Thomson. 

In  demselben  Monate  (Februar  1850),  in  welchem  meine  Ab- 
handlung in  der  Berliner  Akademie  vorgetragen  wurde,  wurde  auch 
in  der  Edinburger  Eoyal  Society  eine  sehr  werthvolle  Abhandlung 
von  Rankine  vorgetragen,  welche  dann  in  den  Transactions  dieser 
Gesellschaft  veröffentlicht  isti). 

Rankine  stellt  darin  die  Hypothese  auf,  dass  die  Wärme  in 
einer  wirbelnden  Bewegung  der  Molecüle  bestehe,  und  leitet  dar- 
aus in  sehr  geschickter  Weise  eine  Reihe  von  Sätzen  über  das  Ver- 
halten der  Wärme  ab,  welche  mit  den  von  mir  aus  dem  ersten 
Hauptsatze  abgeleiteten  übereinstimmen. 

Der  ^iveite  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie  ist  in 
dieser  Abhandlung  von  Rankine  noch  nicht  behandelt,  sondern 
erst  in  einer  anderen  Abhandlung,  welche  ein  Jahr  später  (April 
1851)  in  der  Edinburger  Royal  Society  vorgetragen  wurde  2).  Er 
sagt  darin  selbst  3),  er  habe  zuerst  gegen  die  Richtigkeit  der  Schluss- 
weise, durch  welche  ich  diesen  Satz  aufrecht  erhalten  habe,  Zweifel 
gehegt,  sei  dann  aber  durch  W.  Thomson,  dem  er  seine  Zweifel 
mitgetheilt  habe,  veranlasst,  den  Gegenstand  näher  zu  untersuchen. 
Dabei  habe  er  gefunden,  dass  dieser  Satz  nicht  als  ein  unabhän- 
giges Princip  in  der  Wärmetheorie  zu  behandeln  sei,  sondern  dass 
er  als  eine  Folge  aus  denjenigen  Gleichungen  abgeleitet  werden 
könne,  welche  in  der  ersten  Section  seiner  früheren  Abhandlung 
gegeben  seien.  Er  theilt  dann  den  neuen  Beweis  des  Satzes  mit, 
welcher  aber,  wie  weiter  unten  noch  gezeigt  werden  soll,  für  ge- 
wisse und  gerade  sehr  wichtige  Fälle  mit  seinen  eigenen  an  anderen 
Stellen  ausgesprochenen  Ansichten  im  Widerspruche  steht. 


1)  Bd.  XX,  S.  147.     Sie  ist  1854  mit  einigen  Abänderungen  noch  einmal 
abgedruckt  im  Phil  Mag.  Ser.  IV,  Vol.  VII,  p.  1,  111  u.  172. 

2)  Eclinl.  Trans.  XX,  p.  205;  Phil.  Mag.  S.  IV,  Vol.  VII,  p.  249. 

3)  Phil.  Mag.  Vol.  VII,  p.  250. 


Discnssioneii  übei'  die  mechanische  Wärrnetlieorie.  359 

Rankine  hat  die  Abhandlung  von  1851  seiner  früheren  Ab- 
handlung wegen  der  Verwandtschaft  des  Inhaltes  in  der  Weise 
angefügt,  dass  er  sie  als  fünfte  Section  derselben  bezeichnet  hat. 
Dadurch  ist  bei  einigen  Autoren  der  Irrthum  entstanden,  als  ob 
diese  neue  Abhandlung  schon  ein  Theil  jener  früheren  Abhandlung 
gewesen  wäre  und  demnach  Rankine  gleichzeitig  mit  mir  einen 
Beweis  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie 
gegeben  hätte.  Aus  dem  Vorstehenden  ist  aber  ersichtlich,  dass 
sein  Beweis  (abgesehen  davon,  in  wie  weit  er  genügend  ist),  erst 
ein  Jahr  nach  dem  meinigen  gegeben  ist. 

Ebenfalls  im  Jahre  1851  (im  März)  wurde  auch  von  W.Thom- 
son eine  zweite  Abhandlung  über  die  Wärmetheorie  der  Edinburger 
Roijal  Society  vorgelegt  i).  In  dieser  Abhandlung  verlässt  er  seinen 
früheren  Standpunkt  in  Bezug  auf  die  Carnot'sche  Theorie,  und 
schliesst  sich  meiner  Auffassung  des  zweiten  Hauptsatzes  der 
mechanischen  Wärmetheorie  an.  Er  hat  dabei  die  Betrachtungen 
erweitert.  Während  ich  mich  bei  der  mathematischen  Behand- 
lung des  Gegenstandes  auf  die  Betrachtung  der  Gase,  der  Dämpfe 
und  des  Verdampfungsprocesses  beschränkte,  und  nur  hinzufügte, 
man  werde  leicht  sehen,  wie  sich  entsprechende  Anwendungen  auch 
auf  andere  Fälle  machen  lassen,  hat  Thomson  eine  Reihe  all- 
gemeinerer, vom  Aggregatzustande  der  Körper  unabhängiger 
Gleichungen  entwickelt,  und  ist  erst  dann  zu  specielleren  An- 
wendungen übergegangen. 

In  einem  Punkte  aber  bleibt  auch  diese  spätere  Abhandlung 
hinter  der  meinigen  zurück.  Thomson  hält  nämlich  auch  hier 
noch  für  gesättigten  Dampf  am  Mariotte' sehen  und  Gay- 
Lu SS ac 'sehen  Gesetze  fest,  indem  er  eine  in  meinen  Entwicke- 
lungen  vorkommende  Hypothese  2),  mit  Hülfe  deren  ich  unter 
anderen  gewisse  Schlüsse  über  das  Verhalten  der  Dämpfe  ge- 
zogen hatte,  beanstandet.  Er  sagt  darüber  s):  „Ich  kann  nicht 
einsehen,  dass  irgend  eine  Hypothese  der  Art,  wie  die  von 
Clausius  bei  seinen  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand 
zu  Grunde  gelegte,  welche,  wie  er  zeigt,  zu  Bestimmungen  der 


1)  Ediiib.  Trans.  Vol.  XX,  p.  261;  wieder  abgedruckt  im  Phil.  Mag. 
Ser.  IV,  Vol.  IV,  p.  8,  105  und  16S.  Deutsch  in  Krönig 's  Journ.  für 
Physik  des  Auslandes  Bd.  III,  S.  233. 

2)  Nämlich  die  in  Abschnitt  II,  §.  2  besprochene  Nebenannahme. 

3)  Edmb.  Trans.  Vol.  XX,  j).  277;  Phü.  Mag.  Vol.  IV,  p-  lU;  und 
Krönig's  Joimial  Bd.  III,  S.  260. 


360  Absclinitt  XIII. 

Dichtigkeiten  des  gesättigten  Dampfes  bei  verschiedenen  Tem- 
peraturen führt,  die  enorme  Abweichungen  von  den  Gas-Gesetzen 
der  Veränderung  mit  Temperatur  und  Druck  ergeben,  wahr- 
scheinlicher ist,  oder  wahrscheinlich  der  Richtigkeit  näher  kommt, 
als  dass  die  Dichtigkeit  des  gesättigten  Dampfes  diesen  Gesetzen 
folgt,  wie  es  gewöhnlich  von  ihr  angenommen  wird.  Im  gegen- 
wärtigen Zustande  der  Wissenschaft  würde  es  vielleicht  unrichtig 
sein,  zu  sagen,  dass  eine  Hypothese  wahrscheinlicher  sei,  als  die 
andere." 

Erst  mehrere  Jahre  später,  nachdem  er  sich  durch  gemeinsam 
mit  Joule  angestellte  Versuche  davon  überzeugt  hatte,  dass  die 
von  mir  angenommene  Hypothese  in  den  von  mir  selbst  schon 
bezeichneten.  Grenzen  richtig  ist,  hat  auch  er  zur  Bestimmung  der 
Dichtigkeiten  des  gesättigten  Dampfes  dasselbe  Verfahren,  wie  ich, 
angewandt  ij. 

Rankine  und  Thomson  haben  die  im  Vorigen  angegebene 
Stellung,  welche  unsere  ersten  Arbeiten  über  die  mechanische 
Wärmetheorie  zu  einander  einnahmen,  so  viel  ich  weiss,  immer 
auf  das  Bereitwilligste  anerkannt.  Thomson  sagt  in  seiner  Ab- 
handlung 2):  „Die  ganze  Theorie  der  bewegenden  Kraft  der  Wärme 
gründet  sich  auf  die  beiden  folgenden  Sätze ,  welche  beziehentlich 
von  Joule  und  von  Carnot  und  Clausius  herstammen",  Dem- 
gemäss  führt  er  darauf  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen 
Wärmetheorie  unter  der  Bezeichnung  „Prop.  II.  (Carnot  and 
Clausius)"  an.  Nachdem  er  sodann  einen  von  ihm  selbst  gefun- 
denen Beweis  dieses  Satzes  mitgetheilt  hat,  fährt  er  fort  3):  „Es 
ist  nicht  mit  dem  Wunsche  eine  Priorität  zu  reclamiren,  dass  ich 
diese  Auseinandersetzungen  mache,  da  das  Verdienst,  den  Satz 
zuerst  auf  richtige  Principien  gegründet  zu  haben,  vollständig 
Clausius  gebührt,  welcher  seinen  Beweis  desselben  im  Monat 
Mai  des  vorigen  Jahres  im  zweiten  Theil  seines  Aufsatzes  über 
die  bewegende  Kraft  der  Wärme  publicirte," 

In  der  im  Jahre  1871  erschienenen  ersten  Auflage  des  schönen 
Werkes  von  Maxwell  „TJieory  of  Heaf-^  war  in  den  historischen 
Bemerkungen  der  Sachverhalt  anders  dargestellt,  als  es  vorstehend 


1)  PMl  Trans.  1854,  ii.  321. 

2)  Edinh.  Trans.  Vol.  XX,  p.  364;   PMl  Mag.  Vol.  IV,  p.  11;   Krö- 
nig's  Journal  III,  S.  238. 

3)  Au  den  obis-en  Orten  S.  266.  14  und  242. 


Discussionen  über  die  mechanische  Wärmetheorie.  361 

geschehen  ist.  Nachdem  ich  aher  in  einer  Reclamation  ij  auf  die 
Unrichtigkeit  dieser  Darstellung  aufmerksam  gemacht  hatte,  hat 
Maxwell  in  der  bald  darauf  erschienenen  zweiten  Auflage  seines 
Werkes  alle  von  mir  angefochtenen  Stellen  in  dem  von  mir  an- 
gedeuteten Sinne  geändert.  Es  ist  daher  nicht  daran  zu  zweifeln, 
dass  die  in  der  ersten  Darstellung  enthaltenen  Irrthümer  nur 
auf  unvollkommener  Kenntniss  der  ausserenglischen  Literatur  be- 
ruhten, die  bei  einem  so  unausgesetzt  durch  eigene  Schöpfungen 
in  Anspruch  genommenen  Forscher  leicht  erklärlich  ist. 

§.  4.     Verschiedene  Veranlassungen  zu  Einwendungen. 

Die  ersten  Einwendungen .  welche  die  mechanische  Wärme- 
theorie erfuhr,  und  welche  zum  Theil  die  Form  von  heftigen 
Angriffen  annahmen,  waren  dadurch  veranlasst,  dass  die  Wärme- 
menge Q,  welche  ein  Körper  aufnehmen  musste,  während  er  aus 
einem  gegebenen  Anfangszustande  in  seinen  gegenwärtigen  Zu- 
stand überging,  nach  der  neuen  Theorie  eine  Grösse  von  anderer, 
Art  ist,  als  man  früher  angenommen  hatte.  Früher  wurde  es 
als  selbstverständlich  angenommen,  dass  diese  Wärmemenge  Q 
durch  den  gegenwärtigen  Zustand  des  Körpers  vollkommen  be- 
stimmt sei,  so  dass  man  sie  einfach  als  Function  derjenigen 
Veränderlichen  betrachten  könne,  welche  den  Zustand  des  Körpers 
bestimmen.  Nach  der  neuen  Theorie  dagegen  sind,  falls  die 
Veränderungen  als  umkehrbar  vorausgesetzt  werden,  die  nach 
jenen  Veränderlichen  genommenen  Differentialcoefficienten  von  Q 
allerdings  Functionen  jener  Veränderlichen,  Q  selbst  aber  lässt 
sich  nicht  durch  eine  solche  Function  darstellen,  sondern  kann 
erst  bestimmt  werden,  wenn  ausser  dem  gegenwärtigen  Zustande, 
des  Körpers  auch  der  Weg,  auf  welchem  er  in  denselben  ge- 
langte, bekannt  ist.  Das  Letztere  findet  seinen  mathematischen 
Ausdruck  darin,  dass  die  vollständigen  Differentialgleichungen, 
welche  sich  für  Q  aufstellen  lassen,  nicht  integrabel  sind. 

Da  solche  Differentialgleichungen,  obwohl  ihre  Behandlung 
schon  längst  von  Monge  festgestellt  war,  bis  dahin  in  der  Phy- 
sik und  Mechanik  nicht  angewandt  waren,  so  fanden  die  in  der 
mechanischen  Wärmetheorie  mit  ihnen  angestellten  Rechnungen 
nicht  überall  das  richtige  Verständniss  und  wurden  von  manchen 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  145,  S.  132. 


362  Abschnitt  XIII. 

Vertretern  jener  Fächer  für  falsch  gehalten.  So  erschien  z.  B.  in 
Dingler's  Polytechnischem  Journal  (Bd.  148)  eine  Abhandlung  von 
De  eher,  in  welcher  die  betreffenden  Rechnungen  geradezu  als 
Misshandlung  der  Analysis,  Pfuscherei  und  Unsinn  bezeichnet 
wurden.  Einwendungen  dieser  Art  Hessen  sich  natürlich  leicht 
widerlegen;  um  jedoch  für  die  Zukunft  solchen  Missverständ- 
nissen vorzubeugen,  habe  ich  es  für  zweckmässig  gehalten,  meinen 
Auseinandersetzungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie  die 
am  Anfange  dieses  Bandes  befindliche  mathematische  Einleitung 
hinzuzufügen. 

Andere  Einwendungen,  wie  sie  z.  B,  von  Holtzmanni) 
erhoben  wurden,  beruhten  darauf,  dass  gewisse  aus  der  neuen 
Theorie  hervorgegangene  Folgerungen  mit  den  Ergebnissen  älterer 
Experimentaluntersuchungen  nicht  übereinstimmten.  So  hielt 
man  es  z.  B.  nach  Versuchen  von  Suermann  und  von  De  la 
Roche  und  Berard  für  feststehend,  dass  die  specifische  Wärme 
eines  Gases  um  so  geringer  sei,  je  mehr  das  Gas  verdichtet  sei. 
Die  mechanische  Wärmetheorie  dagegen  ergab  für  vollkommene 
Gase  die  Schlussfolgerung,  dass  ihre  specifische  Wärme  von  dem 
Grade  ihrer  Verdichtung  unabhängig  sein  müsse.  Dieser  Wider- 
spruch zwischen  Theorie  und  Erfahrung  wurde  einige  Zeit  später 
durch  die  Veröffentlichung  der  Regnault' sehen  Versuche  über 
die  specifische  Wärme  der  Gase  2)  gehoben,  indem  durch  dieselben 
der  aus  der  mechanischen  Wärmetheorie  gezogene  Schluss  voll- 
ständig bestätigt  wurde. 

Grössere  und  andauerndere  Schwierigkeiten  hat  die  Annahme 
des  neuen  Beweises  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen 
Wärmetheorie  gefunden.  Der  von  Carnot  für  die  ursprüngliche 
Form  des  Satzes  gegebene  Beweis,  welcher  auf  der  Unmöglichkeit 
der  Erzeugung  von  Arbeit  aus  Nichts  beruhte,  konnte  auf  die 
veränderte  Form  des  Satzes  keine  Anwendung  finden,  weil  bei 
dieser  vorausgesetzt  wird,  dass  mit  jeder  Hervorbringung  von 
Arbeit  ein  Verbrauch  von  Wärme  verbunden  ist,  so  dass  in  keinem 
Falle  die  Rede  davon  sein  kann,  dass  die  Arbeit  aus  Nichts  ent- 
standen sei.  Ich  habe  daher  für  den  veränderten  Satz  auch 
einen  anderen  Beweis  gegeben,  welcher  sich  auf  folgenden  von 
mir  aufgestellten  Grundsatz  stützt. 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  82,  S.  445. 

2)  Comftes  rendus  T.  XXXVI,  1853;   später  vollständig  veröffentlicht 
im  zweiten  Baude  seiner  Melation  des  experiences. 


Discussionen  über  die  mechanische  Wärmetheorie.  363 

Die  Wärme  kann  nicht  von  selbst  (oder  ohne  Compensation) 
aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  übergehen. 
Dieser  Grundsatz  hat  bei  manchen  Autoren  eine  von  meinen  An- 
sichten abweichende  Auffassung  gefunden;  die  Abweichungen 
gehen  aber  nach  verschiedenen,  zum  Theil  einander  entgegen- 
gesetzten Richtungen.  Während  man  ihn  einerseits  als  so  selbst- 
verständlich betrachtete,  dass  man  es  für  unnöthig  hielt,  ihn  als 
besonderen  Grundsatz  auszusprechen,  zog  man  andererseits  seine 
Richtigkeit  in  Zweifel. 

Da  auch  jetzt  noch  Meinungsdifi'erenzen  in  dieser  Beziehung 
bestehen,  wird  es  zweckmässig  sein,  die  bisher  hierüber  geführten 
Discussionen  etwas  näher  zu  besprechen,  indem  die  weitere  Be- 
handlung des  Gegenstandes  durch  die  Kenntniss  dessen,  was 
darüber  schon  geschrieben  ist,  erleichtert  wird. 


§.  5.    Zeuner's  erste  Behandlung  des  Gegenstandes. 

Die  am  Schlüsse  des  vorigen  Paragraphen  zuerst  erwähnte 
Auflassung  findet  sich  in  der  von  Zeuner  im  Jahre  1860  heraus- 
gegebenen sehr  verdienstlichen  Schrift  „Grundzüge  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie". 

Zeuner  theilt  in  dieser  Schrift  meinen  Beweis  des  zweiten 
Hauptsatzes  im  Wesentlichen  in  der  Form  mit,  in  welcher  Reech 
ihn  wiedergegeben  hat  i).  In  einem  Punkte  aber  weicht  seine  Dar- 
stellung von  jener  ab.  Reech  nämlich  führt  den  Satz,  dass  die 
Wärme  nicht  von  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren 
Körper  übergehen  kann,  ausdrücklich  als  einen  von  mir  aufge- 
stellten Grundsatz  an,  und  basirt  darauf  den  Beweis.  Zeuner 
dagegen  erwähnt  diesen  Satz  gar  nicht,  sondern  zeigt  nur,  dass, 
wenn  für  irgend  2wei  Körper  der  zweite  Hauptsatz  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  nicht  gültig  wäre,  man  durch  zwei  mit  diesen 
beiden  Körpern  in  entgegengesetzter  Weise  ausgeführte  Kreis- 
processe  ohne  eine  sonstige  Veränderung  Wärme  aus  einem  kälte- 
ren in  einen  wärmeren  Körper  übertragen  könnte,  und  fährt  dann 
fort  2) :  „Da  wir  beide  Processe  beliebig  oft  wiederholen  können,  in- 


^)  Mecapitulation  tres  -  succincte  des  r  edier  dies  algehriqiies  faites  sur 
la  theorie  des  effects  mecaniques  de  la  dialcnr  par  differents  auteurs : 
Journ.  de  Liouvüle  IL  ser.  t  I,  p.  58. 

^)  S.  24  seines  Buches. 


364  Abschnitt  XIII. 

dem  wir  in  der  bezeichneten  Weise  die  beiden  Körper  abwechselnd 
anwenden,  so  würde  daraus  hervorgehen,  dass  wir  mit  Nichts, 
ohne  Aufwand  von  Arbeit  oder  Wärme,  fortwährend  Wärme  von 
einem  Körper  von  niederer  zu  einem  Körper  von  höherer  Tempe- 
ratur überführen  könnten;  was  eine  Ungereimtheit  wäre." 

Dass  die  Unmöglichkeit,  ohne  eine  sonstige  Veränderung 
Wärme  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  überzufüh- 
ren, so  ohne  Weiteres  evident  sei,  wie  es  hier  in  der  kurzen  Be- 
merkung: „was  eine  Ungereimtheit  wäre",  angedeutet  ist,  werden, 
wie  ich  glaube,  wenige  Leser  zugeben.  Bei  der  Wärmeleitung 
und  der  unter  gewöhnlichen  Umständen  stattfindenden  Wärme- 
strahlung kann  man  allerdings  sagen,  dass  diese  Unmöglichkeit 
durch  die  alltägliche  Erfahrung  feststehe.  Aber  schon  bei  der 
Wärmestrahlung  kann  die  Frage  entstehen,  ob  es  nicht  vielleicht 
durch  künstliche  Concentration  der  Wärmestrahlen  mit  Hülfe  von 
Brennspiegeln  oder  Brenngläsern  möglich  wäre ,  eine  höhere  Tem- 
peratur zu  erzeugen,  als  die  Körper  haben,  welche  die  Strahlen 
aussenden,  und  dadurch  zu  bewirken,  dass  die  Wärme  in  einen 
wärmeren  Körper  übergehe.  Ich  habe  es  daher  für  nöthig  ge- 
halten, diesen  Gegenstand  in  einem  besonderen  Aufsatze  zu  be- 
handeln, dessen  Inhalt  im  vorigen  Abschnitte  mitgetheilt  ist.  Noch 
coraplicirter  wird  die  Sache  in  solchen  Fällen,  wo  Wärme  in  Arbeit 
und  Arbeit  in  Wärme  verwandelt  wird,  sei  es  durch  Wirkungen  der 
Art  wie  die  der  Reibung,  des  Luftwiderstandes  und  des  elektrischen 
Leitungswiderstandes,  sei  es  dadurch,  dass  ein  oder  mehrere  Körper 
solche  Zustandsänderungen  erleiden,  die  mit  theils  positiver,  theils 
negativer,  innerer  und  äusserer  Arbeit  verbunden  sind,  und  bei 
denen  daher  Wärme  verbraucht  oder  erzeugt  wird,  welche  Wärme 
die  veränderlichen  Körper  anderen  Körpern  von  verschiedenen 
Temperaturen  entziehen  und  mittheilen  können. 

Wenn  man  für  alle  solche  Fälle,  wie  complicirt  die  Vorgänge 
auch  immer  sein  mögen,  behauptet,  dass  ohne  eine  andere  blei- 
bende Veränderung,  welche  als  eine  Compensation  anzusehen  ist, 
niemals  Wärme  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper 
übertragen  werden  kann,  so  glaube  ich,  dass  man  diesen  Satz 
nicht  als  einen  ganz  von  selbst  verständlichen  behandeln  darf, 
sondern  ihn  vielmehr  als  einen  neu  aufgestellten  Grundsatz,  von 
dessen  Annahme  oder  Nichtannahme  die  Gültigkeit  des  Beweises 
abhängt,  anführen  muss. 


Discussionen  über  die  mechanisclie  Wärmetheorie.  365 


§.  6.    Zeuncr's  spätere  Behandlung  des  Gegenstandes. 

Nachdem  ich  gegen  jene  von  Zeuner  angewandte  Ausdrucks- 
weise den  im  vorigen  Paragraphen  mitgctheilten  Einwand  in  einem 
im  Jahre  1863  publicirten  Aufsatze  erhoben  hatte,  hat  er  in  der 
im  Jahre  1866  erschienenen  zweiten  Auflage  seines  Buches  zur 
Begründung  des  zweiten  Hauptsatzes  einen  anderen  Weg  einge- 
sehlagen. 

Indem  er  den  Zustand  eines  Körpers  als  durch  den  Druck  p 
und  das  Volumen  v  bestimmt  annimmt,  bildet  er  für  die  Wärme- 
menge d  Q^  welche  der  Körper  während  einer  unendlich  kleinen 
Veränderung  aufnimmt,  die  Differentialgleichung: 

(1)  dQ  =  Ä{Xdp  4-  Ydv), 

worin  X  und  Y  Functionen  von  p  und  v  darstellen ,  und  Ä  das 
calorische  Aequivalent  der  Arbeitseinheit  bedeutet,  welche  Diffe- 
rentialgleichung bekanntlich,  so  lange  p  und  v  als  von  einander 
unabhängige  Veränderliche  betrachtet  werden,  nicht  integrabel 
ist.     Dann  fährt  er  auf  Seite  41  fort: 

„Es  sei  nun  aber  S  eine  neue  Function  von  p  und  v^  deren 
Form  zwar  bis  jetzt  ebenso  wenig  bekannt  sein  mag,  wie  die  der 
Functionen  X  und  Y,  der  wir  aber  eine  Bedeutung  beilegen 
wollen,  die  sogleich  aus  den  weiteren  Betrachtungen  hervorgehen 
wird.  Multiplicirt  und  dividirt  man  die  rechte  Seite  vorstehender 
Gleichung  mit  S,  so  ergiebt  sich: 

(2)  dQ  =  ÄS^^dpi-^dvY 

Man  kann  nun  offenbar  S  so  wählen,  dass  der  Ausdruck  in  der 
Klammer  ein  vollständiges  Differential  wird,  mit  anderen  Worten, 

es  soll  der  Werth  -^  der  integrirende  Factor  oder  wie  sich  auch 

sagen  lässt,  es  soll  S  der  integrirende  Divisor  des  Ausdruckes  in 
der  Klammer  der  Gleichung  (2)  sein." 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich,  dass  in  der  aus  (3)  ab- 
geleiteten Gleichung: 

(3)  -A  =  4  y  äp  +  ^  d„_ 

die  ganze  rechte  Seite  ein  vollständiges  Differential  ist,  und  dass 
somit  für  einen  Kreisprocess  die  Gleichung 


366  Abschnitt  XIII. 


(4)  /^  =  0 


S 

gelten  rauss.  Auf  diese  Weise  gelangt  Zeuner  zu  einer  Gleichung, 
welche  der  im  vierten  Abschnitte  unter  (VII,)  angeführten  Glei- 
chung 

''clQ 


ß 


=  0 

X 


ähnlich  ist. 

Die  Aehnlichkeit  ist  aber  nur  eine  äusserliche.  Das  Wesent- 
liche der  letzteren  Gleichung  besteht  nämlicli  darin,  dass  die  Grösse 
X  eine  Function  der  Tem])eratur  allein  ist,  und  dass  ferner  diese 
Temperaturfunction  von  der  Natur  des  hetracMeten  Körpers  unab- 
hängig ,  also  für  alle  Körper  gleich  ist.  Die  Grösse  S  dagegen  ist 
von  Zeuner  als  eine  Function  der  &eic?en  Veränderlichen  |9  und  v, 
von  welchen  der  Zustand  des  Körpers  abhängt,  eingeführt,  und  da 
ferner  die  in  der  Gleichung  (2)  vorkommenden  Functionen  X  und 
Y  für  verschiedene  Körper  verschieden  sind,  so  muss  man  vor- 
läufig auch  von  der  Grösse  S  annehmen ,  dass  sie  für  verschiedene 
Körper  verschieden  sein  Mnne.  So  lange  dieses  von  der  Grösse  S 
gilt,  ist  durch  die  Gleichung  (5)  für  den  Beweis  des  zweiten  Haupt- 
satzes der  mechanischen  Wärmetheorie  noch  gar  nichts  gewonnen, 
denn  dass  es  überhaupt  einen  integrirenden  Factor,  den  man  mit 

-^  bezeichnen  kann,  geben  muss,  mittelst  dessen  der  in  der  Glei- 

chung  (2)  in  Klammer  stehende  Ausdruck  zu  einem  vollständigen 
Differential  gemacht  werden  kann,  ist  ganz  selbstverständlich. 

Demnach  ist  bei  der  Zeuner 'sehen  Beweisführung  das  ganze 
Gewicht  darauf  zu  legen ,  wie  er  nun  weiter  zu  dem  Schlüsse  ge- 
langt, dass  S  eine  blosse  Temperaturfunction  und  zivar  eine  für 
alle  Körper  gleiche  Temperaturfunction  sein  muss^  welche  er  dann 
als  das  wahre  Maass  der  Temperatur  bezeichnen  kann. 

Er  lässt  dazu  einen  Körper  verschiedene  Veränderungen  er- 
leiden, welche  so  stattfinden,  dass  der  Körper,  während  S  einen 
Constanten  Werth  hat,  Wärme  aufnimmt,  und  während  S  einen 
anderen  constanten  Werth  hat,  Wärme  abgiebt,  und  welche  zusam- 
men einen  mit  Arbeitsgewinn  oder  Arbeitsverbrauch  verbundenen 
Kreisprocess  bilden.  Diesen  Vorgang  vergleicht  er  mit  dem  Senken 
oder  Heben  eines  Gewichtes  von  einem  Niveau  zu  einem  anderen 
und  der  damit  verbundenen  mechanischen  Arbeit,  und  sagt  dann 
auf  S.  68:     „Der  weitere  Vergleich  führt  zu   dem  interessanten 


Discussionen  über  die  meclianisclic  VVärmetheorie.  367 

Resultate,  dass  wir  die  Function  ;8'  als  eine  Läwje^  als  eine  Hohe 
auffassen  können,  und  dass  der  Ausdruck 

Q_ 

ÄS 
als  ein  Gewicht  angeschen  werden  kann;  ich  werde  daher  auch  in 
der  Folge  den  vorstehenden  Werth  das  Wärmegeioicht  nennen." 

Da  hier  für  eine  Grösse,  welche  S  enthält,  ein  Name  einge- 
führt wird,  in  welchem  nichts  vorkommt,  was  sich  auf  die  Natur 
des  betrachteten  Körpers  bezieht,  so  scheint  dabei  stillschweigend 
die  durch  die  frühere  Definition  in  keiner  Weise  begründete  Vor- 
aussetzung gemacht  zu  sein,  dass  S  eine  von  der  Natur  des  be- 
trachteten Körpers  unabhängige  Grösse  sei. 

Zeuner  führt  dann  jenen  Vergleich  zwischen  den  auf  die 
Schwerkraft  und  den  auf  die  Wärme  bezüglichen  Vorgängen  noch 
weiter  aus,  und  überträgt  einige  für  die  Schwerkraft  geltende  Sätze 
auf  die  Wärme,  indem  er  dabei,  wie  vorher  angegeben,  8  als  Höhe 

und  -~  als  Gewicht  auffasst.    Nachdem  er  dann  endlich  noch  ge- 

sagt  hat,  dass  die  auf  solche  Weise  erhaltenen  Sätze  sich  bestätigen, 
wenn  man  unter  S  die  Temperatur  versteht,  fährt  er  auf  Seite  74 
fort:  „Wir  sind  daher  berechtigt,  den  weiteren  Untersuchungen 
die  Hypothese  zu  Grunde  zu  legen,  dass  die  Function  S  das  ivalire 
Temperattmiiaass  darstellt. " 

Es  ergiebt  sich  hieraus,  dass  in  den  Betrachtungen,  welche 
Zeuner  in  der  zweiten  Auflage  seines  Buches  zur  Begründung  des 
zweiten  Hauptsatzes  anstellt,  als  wesentliche  Grundlage  nur  die 
Analogie  zwischen  der  Arbeitsleistung  durch  die  Schwerkraft  und 
durch  die  Wärme  dient,  und  im  Uebrigen  dasjenige,  was  bewiesen 
werden  müsste,  theils  stillschweigend  vorausgesetzt,  theils  aus- 
drücklich als  Hypothese  angenommen  wird. 


§.  7.    Rankine's  Behandlung  des  Gegenstandes. 

Ich  wende  mich  nun  zu  den  Autoren,  welche  der  Ansicht 
waren,  dass  mein  Grundsatz  nicht  hinlänglich  zuverlässig,  oder 
selbst,  dass  er  unrichtig  sei. 

Ich  muss  in  dieser  Beziehung  zunächst  die  schon  oben  ange- 
deutete Behandlungsart,  welche  Rankine  geglaubt  hat  an  die 
Stelle  der  meinigen  setzen  zu  müssen,  etwas  näher  besprechen. 


368  Abschnitt  XIII. 

Rankine  imtersclieidet ,  wie  auch  ich  es  gethan  habe,  in  der 
Wärme,  welche  man  einem  Körper  mittheilen  muss,  um  seine 
Temperatur  zu  erhöhen,  zwei  verschiedene  Theile,  nämlich  den 
Theil,  welcher  zur  Vermehrung  der  im  Körper  wirklich  vorhande- 
nen Wärme  dient,  und  den  Theil,  welcher  zu  Arbeit  verbraucht 
wird.  Der  letztere  Theil  umfasst  die  zu  innerer  und  zu  äusserer 
Arbeit  verbrauchte  Wärme  zusammen. 

Für  die  zu  Arbeit  verbrauchte  Wärme  wendet  Rankine  einen 
mathematischen  Ausdruck  an,  welchen  er  in  der  ersten  Section 
seiner  Abhandlung  aus  der  Hypothese  der  Molecularwirbel  ab- 
geleitet hat.  Auf  diese  Ableitungsweise  brauche  ich  hier  nicht  näher 
einzugehen,  da  schon  der  Umstand,  dass  sie  auf  einer  eigenthüm- 
lichen  Hypothese  über  die  Beschaffenheit  der  Molecüle  und  über 
die  Art  ihrer  Bewegungen  beruht,  hinreichend  erkennen  lässt,  dass 
man  es  dabei  mit  complicirten  Betrachtungen  zu  thun  haben  muss, 
welche  manchen  Zweifeln  über  den  Grad  ihrer  Zuverlässigkeit 
Raum  bieten.  Ich  habe  mich  in  meinen  Abhandlungen  bei  der 
Entwickelung  der  Gleichungen  der  mechanischen  Wärmetheorie 
nicht  auf  specielle  Ansichten  über  die  Molecularconstitution  der 
Körper,  sondern  nur  auf  gewisse  allgemeine  Grundsätze  gestützt, 
und  demgemäss  würde  ich,  selbst  wenn  der  eben  genannte  Um- 
stand der  einzige  wäre,  welchen  man  gegen  Rankine's  Beweis 
anführen  könnte,  doch  glauben,  meine  Behandlungsart  des  Gegen- 
standes als  die  geeignetere  festhalten  zu  müssen.  Aber  die  Bestim- 
mung des  anderen  Theiles  der  dem  Körper  mitzutheilenden  Wärme, 
nämlich  des  Theiles,  welcher  zur  Vermehrung  der  im  Körper  wirk- 
lich vorhandenen  Wärme  dient,  ist  bei  ihm  noch  viel  unsicherer. 

In  seinem  Beweise  stellt  er  freilich  die  Vermehrung  der  im 
Körper  vorhandenen  Wärmemenge,  wenn  die  Temperatur  t  des- 
selben sich  um  dt  ändert,  mag  das  Volumen  des  Körpers  sich 
dabei  gleichzeitig  auch  ändern,  oder  nicht,  einfach  durch  das 
Product  tdt  dar,  und  behandelt  die  hierin  vorkommende  Grösse  f, 
welche  er  die  wahre  specifische  Wärme  (tlie  real  specific  heat) 
nennt,  als  eine  vom  Volumen  unabhängige  G-rösse.  Nach  einem 
ausreichenden  Grunde  für  dieses  Verfahren  sucht  man  aber  in 
seiner  Abhandlung  vergebens;  vielmehr  kommen  Angaben  vor, 
welche  damit  geradezu  im  Widerspruche  stehen. 

In  der  Einleitung  zu  seiner  Abhandlung  stellt  er  in  Glei- 
chung (XIII.)  einen  Ausdruck  für  die  wahre  specifische  Wärme  ! 
auf,  welcher  einen  mit  h  bezeichneten  Factor  enthält,  und  von 


Discussionen  über  die  mechanische  Wärmetheorie.  369 

diesem  sagt  eri):  The  coefficient  h  (loliich  enters  into  the  value  of 
specific  heat)  heing  the  ratio  of  the  vis  viva  of  the  entire  motion 
imprcssed  on  the  atomic  atmospheres  hy  the  uction  of  their  nuclei, 
to  the  vis  viva  of  a  peculiar  Mnd  of  motion,  may  he  conjectured  to 
have  a  specific  value  for  each  suhstance  depending  in  a  manner  yet 
unhnoivn  on  some  circumstance  in  the  Constitution  of  its  atoms. 
ÄUhough  it  varies  in  some  cases  for  thesame  suhstance  in  the  solid, 
liquid  and  gaseo%is  states,  there  is  no  experimental  evidence  that  it 
varies  for  the  same  suhstance  in  the  same  condition.  Hiernach  ist 
also  Rankine  der  Ansicht,  dass  die  wahre  specifische  Wärme  einer 
und  derselben  Substanz  in  verschiedenen  Aggregatzuständen  ver- 
schieden sein  könne;  und  auch  dafür,  dass  sie  in  demselben 
Aggregatzustande  als  unveränderlich  anzunehmen  sei,  führt  er  als 
Grund  nur  an,  dass  kein  experimenteller  Beweis  für  das  Gegen- 
theil  vorliege. 

In  einer  späteren  Schrift  von  Rankine  „Ä  Manual  of  the 
Steam  Engine  and  other  Prime  Movers,  London  and  Glasgow  1859^^ 
findet  sich  auf  Seite  307  über  diesen  Gegenstand  ein  noch  be- 
stimmterer Ausspruch,  worin  es  heisst:  a  ehange  of  real  specific 
heat,  sometimes  considerahle ,  often  accompanies  the  ehange  hetween 
any  two  of  those  conditions  (nämlich  der  drei  Aggregatzustände). 
Wie  grosse  Unterschiede  Rankine  bei  der  wahren  specifischen 
Wärme  einer  und  derselben  Substanz  in  verschiedenen  Aggregat- 
zuständen für  möglich  hält,  geht  daraus  hervor,  dass  er  (auf 
derselben  Seite)  sagt,  beim  flüssigen  Wasser  sei  die  durch  Beobach- 
tung bestimmte  specifische  Wärme,  welche  er  die  scheinbare  speci- 
fische Wärme  nennt,  nahe  gleich  der  wahren  specifischen  Wärme. 
Da  nun  Rankine  sehr  wohl  weiss,  dass  die  beobachtete  specifische 
Wärme  des  flüssigen  Wassers  doppelt  so  gross  ist,  als  die  des 
Eises,  und  mehr  als  doppelt  so  gross,  als  die  des  Dampfes,  und  da 
die  wahre  specifische  Wärme  des  Eises  und  des  Dampfes  jedenfalls 
nur  kleiner  und  nicht  grösser  sein  kann,  als  die  beobachtete,  so 
folgt  daraus,  dass  Rankine  annehmen  muss,  die  wahre  specifische 
Wärme  des  flüssigen  Wassers  übertreffe  diejenige  des  Eises  und 
des  Dampfes  um  das  Doppelte  oder  mehr. 

Stellt  man  sich  nun  die  Frage,  wie  nach  dieser  Auffassung 
bei  einem  Körper,  dessen  Temperatur  t  um  dt,  und  dessen  Volu- 
men V  um  dv  wächst,   die  dabei  stattfindende  Zunahme  der  im 


1)  Phil.  Mag.  8er.  IV,  Vol.  VII,  p.  10. 

Clausius,  median.  Wärmetheorie.    I.  24 


370  Abschnitt  XIII. 

Körper  wirklich  vorhandenen  Wärmemenge  ausgedrückt  werden 
müsste,  so  ergiebt  sich  Folgendes. 

Für  den  Fall,  dass  der  Körper  bei  der  Volmnenänderung  keine 
Aenderung  des  Aggregatzustandes  erleidet,  würde  man  die  Zu- 
nahme der  vorhandenen  Wärmemenge  zwar,  wie  Rankine  es 
gethan  hat,  durch  ein  einfaches  Product  von  der  Form  Idt  dar- 
stellen können,  aber  man  müsste  den  Factor  !  für  verschiedene 
Aggregatzustände  verschiedene  Werthe  zuschreiben. 

In  solchen  Fällen  aber,  wo  der  Körper  bei  der  Volumenände- 
rung auch  seinen  Aggregatzustand  ändert  (also  z.  B.  in  dem  oft 
betrachteten  Falle ,  wo  eine  Quantität  eines  Stoifes  theils  im 
ilüssigen,  theils  im  darnj^fförmigen  Zustande  gegeben  ist,  und  wo  bei 
der  Volumeuänderung  sich  die  Grösse  dieser  beiden  Theile  ändert, 
indem  entweder  von  der  Flüssigkeit  noch  ein  Theil  verdampft, 
oder  von  dem  Dampfe  sich  ein  Theil  niederschlägt),  würde  man 
die  mit  einer  gleichzeitigen  Temperatur-  und  Volumenänderung 
verbundene  Zunahme  der  vorhandenen  Wärmemenge  nicht  mehr 
durch  ein  einfaches  Product  Idt  darstellen  können,  sondern  müsste 
dazu  einen  Ausdruck  von  der  Form 

Idt  -\-  tidv 

anwenden.  Wenn  nämlich  die  wahre  specifische  Wärme  eines 
Stofies  in  verschiedenen  Aggregatzuständen  verschieden  wäre,  so 
müsste  man  mit  Nothwendigkeit  schliessen,  dass  auch  die  in  ihm 
vorhandene  Wärmemenge  von  seinem  Aggregatzustande  abhänge, 
so  dass  gleiche  Quantitäten  des  Stoffes  im  festen,  flüssigen  und 
luftförmigen  Zustande  verschiedene  Mengen  von  Wärme  enthalten. 
Es  müsste  somit  in  einem  Falle,  wo  ohne  Temperaturänderung 
ein  Theil  des  Stoffes  seinen  Aggregatzustand  ändert,  auch  die  in 
dem  Stoffe  im  Ganzen  vorhandene  Wärmemenge  sich  ändern. 

Hieraus  folgt,  dass  Rankine  die  Art,  wie  er  die  Zunahme 
der  vorhandenen  Wärmemenge  ausdrückt,  und  den  Ausdruck  in 
seinem  Beweise  behandelt,  nach  seinen  eigenen  sonstigen  Aussprü- 
chen nur  für  solche  Fälle  als  zulässig  betrachten  darf,  wo  keine 
Aenderungen  des  Aggregatzustandes  vorkommen,  und  dass  er  da- 
her seinem  Beweise  auch  nur  für  diese  Fälle  Gültigkeit  zuschreiben 
kann.  Für  alle  Fälle,  wo  Aenderungen  des  Aggregatzustandes  vor- 
kommen, bliebe  der  Satz  also  unbewiesen;  und  doch  sind  diese 
Fälle  von  besonderer  Wichtigkeit,  indem  gerade  sie  es  sind,  auf 
welche  man  den  Satz  bisher  am  meisten  angewandt  hat. 


Diseussionen  über  flie  mechanische  Wärmetheorie.  371 

Ja  man  muss  noch  weiter  gehen  und  sagen,  dass  hierdurch 
der  Beweis  auch  für  solche  Fälle,  wo  keine  Aendcrungen  des 
Aggregatzustandes  vorkommen,  alle  Zuverlässigkeit  verliert.  Wenn 
Rankine  annimmt,  dass  die  wahre  specifische  Wärme  in  ver- 
schiedenen Aggregatzuständen  verschieden  sein  kann,  so  sieht 
man  gar  nicht  ein,  aus  welchem  Grunde  man  sie  in  demselben 
Aggregatzustande  als  unveränderlich  ansehen  muss.  j\Ian  weiss, 
dass  bei  festen  und  flüssigen  Körpern,  auch  ohne  Aenderung  des 
Aggregatzustandes,  Aenderuugen  in  den  Cohäsionsverhältnissen 
eintreten  können,  und  dass  bei  gasförmigen  Körpern  ausser  den 
grossen  Volumenverschiedenheiten  auch  der  Unterschied  vor- 
kommt, dass  sie,  je  nachdem  sie  mehr  oder  weniger  weit  von  ihrem 
Condensationspunkte  entfernt  sind,  mehr  oder  weniger  genau  dem 
Mariotte' sehen  und  Gay-Lussac' sehen  Gesetze  folgen.  Wes- 
halb soll  man  nun,  wenn  Aenderungen  des  Aggregatzustandes 
einen  Einfluss  auf  die  wahre  specifische  Wärme  haben  können, 
nicht  jenen  Veränderungen  ebenso  gut  einen,  wenn  auch  geringe- 
ren, Einfluss  der  Art  zuschreiben  dürfen?  Die  Voraussetzung, 
dass  die  wahre  specifische  Wärme  in  demselben  Aggregatzustande 
unveränderlich  sei,  ist  also  bei  Rankine  nicht  nur  unbegründet 
gelassen,  sondern  sie  würde,  wenn  die  sonstigen  von  ihm  gemachten 
Annahmen  richtig  wären,  sogar  im  hohen  Grade  unwahrschein- 
lich sein. 

Rankine  hat  den  vorstehend  mitgetheilten  Bemerkungen  über 
seinen  Beweis,  welche  schon  in  einem  im  Jahre  1863  von  mir  ver- 
öflentlichten  Aufsatze  i)  vorkamen,  nicht  widersprochen,  und  hat 
vielmehr  in  einem  darauf  bezüglichen  späteren  Artikel  -)  seine 
früher  mehrfach  ausgesprochene  Ansicht,  dass  die  wahre  specifische 
Wärme  eines  Körpers  in  verschiedenen  Aggregatzuständeu  ver- 
schieden sein  könne,  wodurch  die  Gültigkeit  seines  Beweises  auf 
solche  Fälle  beschränkt  wird,  in  denen  keine  Aenderung  des  Aggre- 
gatzustandes vorkommt,  ausdrücklich  aufrecht  erhalten. 


§.  8.     Einwand  von   Hirn. 

Einen  noch  bestimmteren  Einwand  gegen  meinen  Grundsatz, 
dass  die  Wärme   nicht   von    selbst  aus   einem  kälteren  in  einen 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  120,  S.  426. 

2j  Phil.  Mcifj.  So:  IV.,  Vol.  XXX.,  p.  410. 

24* 


372  Abschnitt  XIII. 

wärmeren  Körper  übergehen  kann,  hat  Hirn  in  seinem  1862  er- 
schienenen Werke  ,,Exposition  analytique  et  experimentale  de  la 
theorie  mecanique  de  la  clicdeur'-''  und  in  zwei  daran  sich  an- 
schliessenden Artikeln  im  Cosmos^)  erhoben,  indem  er  eine  eigen- 
thümliche  Operation  beschrieben  hat,  welche  ein  auf  den  ersten 
Blick  allerdings  überraschendes  Resultat  giebt.  Auf  eine  Erwide- 
rung von  meiner  Seite  "^)  hat  er  dann  seinen  Einwand  dahin  er- 
läutert 3) ,  dass  er  dadurch  nur  auf  einen  scheinharen  Widerspruch 
habe  aufmerksam  machen  wollen,  während  er  im  Wesentlichen  mit 
mir  übereinstimme ,  und  in  demselben  Sinne  hat  er  sich  dann  auch 
in  der  zweiten  und  dritten  Auöage  seines  schätzbaren  W^erkes  aus- 
gesprochen. 

Dessenungeachtet  glaube  ich  den  Einwand  und  meine  Wider, 
legung  desselben  hier  mittheilen  zu  dürfen,  weil  die  in  ihm  aus- 
gedrückte Auffassung  des  Gegenstandes  in  der  That  eine  nahe- 
liegende ist,  w^elche  sich  leicht  auch  anderweitig  geltend  machen 
könnte.  Ein  unter  solchen  Umständen  erhobener  Einwand  hat 
seine  volle  wissenschaftliche  Berechtigung,  und  wenn  er  in  so  klarer 
und  präciser  Weise  gemacht  wird,  wie  es  im  vorliegenden  Falle 
von  Hirn  durch  Anführung  jener  sinnreich  erdachten  Operation 
geschehen  ist,  so  kann  das  für  die  Wissenschaft  nur  nützlich  sein, 
denn  dadurch,  dass  der  scheinbar  vorhandene  Widerspruch  be- 
stimmt und  augenfällig  dargelegt  wird,  wird  die  Auseinandersetzung 
des  Gegenstandes  sehr  erleichtert,  und  es  kann  auf  die  Art  der 
Yortheil  erreicht  werden,  dass  eine  Schwierigkeit,  die  sonst  viel- 
leicht noch  zu  manchen  Missverständnissen  Veranlassung  geben, 
und  wiederholte  längere  Discussionen  nöthig  machen  würde,  mit 
einem  Male  und  für  immer  beseitigt  wird.  Ich  bin  daher,  indem 
ich  den  Gegenstand  noch  einmal  zur  Sprache  bringe,  weit  davon 
entfernt,  Herrn  Hirn  aus  seinem  Einwände  einen  Vorwurf  machen 
zu  wollen,  sondern  glaube  vielmehr,  dass  er  dadurch  seine  son- 
stigen Verdienste  um  die  mechanische  Wärmetheorie  noch  ver- 
mehrt hat. 

Die  erwähnte  Operation,  an  welche  Hirn  seine  Betrachtungen 
geknüpft  hat,  ist  folgende. 

Es  seien  zwei  Cylinder  von  gleichem  Querschnitte,  Ä  und  B 
in  der  nebenstehenden  Fig.  32,  gegeben,  welche  unten  durch  eine 

1)  Tome  XXII.  (premier  semestre  1863),  p.  283  und  413. 

2)  A.  a.  0.  p.  560. 

3)  A.  a.  0.  p.  734. 


Discussionen  über  die  mechanische  Wärmetheorie. 


373 


verhältnissmässig  enge  Röhre  in  Verbindung  stehen,  und  in  welchen 
luftdicht  schliessende  Stempel  beweglich  sind.  Die  Stempelstangen 
sollen  mit  Zähnen  versehen  sein,  welche  von  beiden  Seiten  in  die 
Zähne  eines  zwischen  ihnen  befindlichen  Zahnrades  eingreifen, 
so  dass,  wenn  der  eine  Stempel  hinunter  geht,  der  andere  um 
eben  so  viel  heraufgehen  muss.  Der  unter  den  Stempeln  befind- 
liche Raum  in  den  beiden  Cylindern,  mit  Einschluss  der  Ver- 
bindungsröhre, muss  also  bei  der  Bewegung  der  Stempel  unver- 
änderlich bleiben,  indem  mit  einer  Abnahme  des  Raumes  in  dem 


Fig.  32. 


einen  Cylinder  eine  eben  so  grosse  Zunahme 
im  andern  verbunden  ist. 

Wir  denken  uns  zuerst  den  Stempel  in 
B  ganz  unten  befindlich,  und  daher  den  in 
A  möglichst  weit  oben,  und  nehmen  an, 
der  Cylinder  A  sei  mit  einem  vollkommenen 
Gase  von  beliebiger  Dichtigkeit  angefüllt, 
dessen  Temperatur  ^o  heissen  möge.  Nun 
soll  der  Stempel  in  A  sich  allmälig  abwärts, 
und  demgemäss  der  in  B  sich  aufwärts  be- 
wegen, so  dass  das  Gas  nach  und  nach  aus 
dem  Cylinder  A  in  den  Cylinder  B  getrieben 
wird.  Die  Verbindungsröhre,  durch  welche 
das  Gas  strömen  muss,  soll  dabei  constant 
auf  einer  Temperatur  t^  erhalten  werden,  die 
höher  ist  als  ^o,  so  dass  jedes  Gasquantum, 
welches  die  Röhre  durchströmt,  dabei  auf 
die  Temperatur  ty  erwärmt  wird,  und  mit  dieser  Temperatur  in 
den  Cylinder  B  tritt.  Die  Wände  der  beiden  Cylinder  dagegen 
sollen  für  Wä,rme  undurchdringlich  sein,  so  dass  das  Gas  inner- 
halb der  Cylinder  weder  Wärme  erhalten  noch  abgeben  kann, 
sondern  nur  beim  Durchströmen  der  Verbindungsröhre  Wärme  von 
Aussen  zugeführt  erhält.  Um  in  Bezug  auf  die  Temperaturen  ein 
bestimmtes  Beispiel  zu  haben,  wollen  wir  annehmen,  die  Anfangs- 
temperatur des  Gases  im  Cylinder  A  sei  diejenige  des  Gefrier- 
punktes 0%  und  die  Temperatur  der  Verbindungsröhre  sei  lOO**, 
indem  die  Röhre  z.  B.  vom  Dampfe  kochenden  Wassers  umspült  werde. 
Es  lässt  sich  nun  ohne  Schwierigkeit  übersehen,  was  das  Re- 
sultat dieser  Operation  sein  wird. 

Die  erste  kleine  Quantität  Gas,  welche  die  Verbindungsröhre 
passirt,  erwärmt  sich  dabei  von  0^  auf  100'^,  und  dehnt  sich  zu- 


374  Absclinitt  XIII. 

gleich  um  so  viel  aus,  wie  es  dieser  Erwärmung  entspricht,  näm- 
lich um  angenähert  i^'Va??,  ihres  ursprünglichen  Yolumens.  Da- 
durch wird  das  noch  im  Cylinder  Ä  befindliche  Gas  etwas  zusammen- 
gedrückt und  der  in  beiden  Cylindern  stattfindende  Druck  etwas 
erhöht.  Die  folgende  kleine  Quantität  Gas,  welche  durch  die 
Röhre  strömt,  dehnt  sich  ebenfalls  aus,  und  drückt  dadurch 
das  in  beiden  Cylindern  befindliche  Gas  zusammen.  Ebenso  trägt 
jede  folgende  überströmende  Gasmenge  durch  ihre  Ausdehnung 
dazu  bei,  nicht  nur  das  noch  in  Ä  befindliche  Gas  noch  weiter 
zusammenzudrücken,  sondern  auch  das  schon  in  B  befindliche, 
welches  sich  vorher  ausgedehnt  hatte,  wieder  mehr  und  mehr  zu- 
sammenzudrücken, so  dass  seine  Dichtigkeit  sich  allmälig  wieder 
der  ursprünglichen  nähert.  Die  Zusammendrückung  bewirkt  in 
beiden  Cylindern  eine  Erwärmung  des  Gases,  und  da  die  Gas- 
quantitäten, welche  nach  und  nach  in  den  Cylinder  B  treten,  bei 
ihrem  Eintritte  alle  die  Temperatur  100°  haben,  so  müssen  sie 
nachträglich  Temperaturen  über  100°  annehmen,  und  zwar  muss 
dieser  Temperaturüberschuss  um  so  grösser  sein,  je  mehr  die  be- 
treffende Quantität   nachträglich  wieder  zusammengedrückt  wird. 

Betrachtet  man  daher  den  Zustand  am  Schlüsse  der  Opera- 
tion, nachdem  alles  Gas  aus  Ä  nach  B  getrieben  ist,  so  muss  das 
in  der  obersten  Schicht  dicht  unter  dem  Stempel  befindliche  Gas, 
welches  zuerst  übergetreten  ist,  und  daher  die  grösste  nachträg- 
liche Zusammendrückung  erlitten  hat,  am  wärmsten  sein.  Die 
folgenden  Schichten  sind  der  Reihe  nach  weniger  warm  bis  zur 
untersten,  welche  gerade  die  Temperatur  100"^  besitzt,  die  sie  beim 
Ueberströmen  angenommen  hat.  Es  ist  für  unsern  vorliegenden 
Zweck  nicht  nöthig,  die  Temperaturen  der  verschiedenen  Schichten 
einzeln  zu  kennen,  sondern'  es  genügt,  die  Mitteltemperatur  zu 
kennen,  welche  zugleich  diejenige  Temperatur  ist,  die  entstehen 
würde,  wenn  die  in  den  verschiedenen  Schichten  herrschenden 
Temperaturen  sich  durch  Leitung  oder  Vermischung  der  Gas- 
quantitäten zu  einer  gemeinsamen  Temperatur  ausglichen.  Diese 
Mitteltemperatur  beträgt  etwa  120°. 

In  einem  der  später  im  Cosmos  erschienenen  Artikel  hat 
Hirn  diese  Operation  noch  dahin  vervollständigt,  dass  er  annimmt, 
das  Gas  in  B  werde  nach  seiner  Erwärmung  mit  Quecksilber  von 
0°  in  Berührung  gebracht,  und  dadurch  wieder  bis  0°  abgekühlt; 
dann  werde  es  unter  denselben  Umständen,  unter  denen  es  von  A 
nach  B  gelangt  war,  von  B  nach  A  zurückgetrieben  und  dabei  in 


Discussionen  über  die  mechanische  Wärmetheorie.  375 

gleicher  Weise  erwärmt;  dort  werde  es  wieder  durch  (Quecksilber 
abgekühlt;  darauf  abermals  von  A  nach  B  getrieben  u.  s,  f.,  so 
dass  man  einen  periodischen  Vorgang  erhalte,  bei  dem  das  Gas 
immer  wieder  in  seinen  Anfangszustand  zurückkehre,  und  alle  von 
der  Wärmequelle  abgegebene  Wärme  schliesslich  in  das  zur  Ab- 
kühlung benutzte  Quecksilber  übergehe.  Indessen  wollen  wir  auf 
diese  Erweiterung  des  Verfahrens  hier  nicht  eingehen,  sondern  uns 
auf  diö  Betrachtung  der  vorlier  beschriebenen  einfachen  Operation 
beschränken,  durch  welche  das  Gas  von  0'^  auf  eine  Mittel- 
temperatur von  120^  erwärmt  wird,  indem  diese  Operation  schon 
das  Wesentliche,  worauf  der  Einwand  von  Hirn  sich  stützt,  enthält. 

Bei  dieser  Operation  ist  äusserlich  weder  Arbeit  gewonnen 
noch  verloren,  denn  da  der  Druck  in  den  beiden  Cylindern  immer 
gleich  ist,  so  werden  beide  Stempel  in  jedem  Momente  mit  gleicher 
Kraft  nach  oben  gedrückt,  und  diese  Kräfte  heben  sich  an  dem 
Zahnrade,  in  welches  die  Zähne  der  Stempelstangen  eingreifen, 
auf,  so  dass,  abgesehen  von  der  Reibung,  die  geringste  Kraft  ge- 
nügt, um  die  Drehung  des  Zahnrades  im  einen  oder  anderen  Sinne 
zu  veranlassen,  und  dadurch  einen  Stempel  hinunter  und  den 
anderen  herauf  zu  treiben.  Der  Ueberschuss  der  Wärme  in  dem 
Gase  kann  also  nicht  durch  äussere  Arbeit  erzeugt  sein. 

Der  Vorgang  ist,  wie  man  leicht  sieht,  folgender.  Indem 
eine  gegen  die  ganze  vorhandene  Gasmenge  als  sehr  klein  vor- 
ausgesetzte Quantität  des  Gases  sich  in  der  Röhre  erwärmt,  und 
sich  dabei  ausdehnt,  muss  sie  von  der  Wärmequelle  soviel  Wärme 
erhalten,  wie  zur  Erwärmung  unter  constantem  Drucke  nothwendig 
ist.  Von  dieser  Wärmemenge  dient  ein  Theil  zur  Vermehrung 
der  wirklich  im  Gase  vorhandenen  Wärme,  und  ein  anderer  Theil 
wird  zu  der  Ausdehnungsarbeit  verbraucht.  Da  aber  die  Ausdeh- 
nung des  in  der  Röhre  befindlichen  Gases  eine  Zusammendrückung 
des  in  den  Cylindern  befindlichen  zur  Folge  hat,  so  muss  hier 
eben  so  viel  Wärme  erzeugt  werden,  als  dort  verbraucht  wird. 
Jener  zweite  Theil  der  von  der  Wärmequelle  abgegebenen  Wärme, 
welcher  sich  in  der  Röhre  in  Arbeit  umgesetzt  hatte,  kommt  somit 
in  den  Cylindern  wieder  als  Wärme  zum  Vorschein,  und  dient 
dazu,  das  noch  in  A  befindliche  Gas  über  seine  Anfangstemperatur 
0"  zu  erwärmen,  und  das  schon  in  B  befindliche  Gas,  welches  beim 
Eintritte  die  Temperatur  100"  hatte,  über  diese  Temperatur  zu  er- 
wärmen, und  dadurch  den  oben  erwähnten  Temperaturüberschuss 
hervorzubringen. 


376  Abschnitt  XIII. 

Demnach  kann  man,  ohne  auf  die  Zwischenvorgänge  Rück- 
sicht zu  nehmen,  sagen,  class  die  ganze  Wärmemenge,  welche  das 
Gas  zu  Ende  der  Operation  mehr  enthält,  als  zu  Anfang-,  aus  der 
an  der  Verbindungsröhre  angebrachten  Wärmequelle  stammt.  Da- 
durch erhält  man  das  eigen thümliche  Resultat,  dass  durch  einen 
Körper  von  100°,  nämlich  durch  den  die  Röhre  umspülenden 
Wasserdampf,  das  eingeschlossene  Gas  auf  über  100",  und  zwar, 
sofern  wir  nur  die  Mitteltemperatur  ins  Auge  fassen,  auf  120"  er- 
wärmt ist.  Hierin  soll  nun  ein  Widerspruch  mit  dem  Grundsatze, 
dass  die  Wärme  nicht  von  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen 
wärmeren  Körper  übergehen  kann,  liegen,  indem  die  von  dem 
Dampfe  an  das  Gas  abgegebene  Wärme  aus  einem  Körper  von 
100°  in  einen  Körper  von  120"  übergegangen  sei. 

Dabei  ist  aber  ein  Umstand  unbeachtet  gelassen.  Wenn  das 
Gas  schon  zu  Anfang  eine  Temperatur  von  100"  oder  darüber  ge- 
habt hätte,  und  es  dann  durch  den  Dampf,  welcher  nur  die  Tem- 
peratur von  100"  besitzt,  zu  einer  noch  höheren  Temperatur  er- 
wärmt wäre,  so  läge  darin  allerdings  ein  Widerspruch  gegen  meinen 
Grundsatz.  So  verhält  sich  die  Sache  aber  nicht.  Damit  das  Gas 
zu  Ende  der  Operation  wärmer  als  100"  sei,  muss  es  nothwendig 
zu  Anfang  kälter  als  100"  sein,  und  in  unserem  Beispiele,  wo  es 
am  Schlüsse  die  Temperatur  120"  hat,  hatte  es  zu  Anfang  die 
Temperatur  0".  Die  Wärme,  welche  der  Dampf  dem  Gase  mit- 
getheilt  hat,  hat  also  einestheils  dazu  gedient,  des  Gas  von  0"  bis 
100"  zu  erwärmen,  und  anderntheils  dazu,  es  von  100"  auf  120" 
zu  bringen. 

Da  es  sich  nun  in  meinem  Grundsatze  um  die  Temperaturen 
handelt,  welche  die  Körper,  zwischen  denen  der  Wärmeübergang 
stattfindet,  in  dem  Momente  haben,  wo  sie  die  Wärme  abgeben 
oder  aufnehmen ,  und  nicht  um  die ,  welche  sie  nachträglich  be- 
sitzen, so  muss  man  den  bei  dieser  Operation  stattfindenden  Wärme- 
übergang folgendermaassen  auffassen.  Der  eine  Theil  der  vom 
Dampfe  abgegebenen  Wärme  ist  in  das  Gas  übergegangen,  so  lange 
seine  Temperatur  noch  unter  100"  war,  ist  also  aus  dem  Dampfe 
in  einen  kälteren  Körper  übergegangen;  und  nur  der  andere  Theil 
der  Wärme,  welcher  dazu  gedient  hat,  das  Gas  von  100"  an  noch 
weiter  zu  erwärmen,  ist  aus  dem  Dampfe  in  einen  wärmeren  Körper 
übergegangen. 

Vergleicht  man  dieses  mit  jenem  Grundsatze,  nach  welchem, 
wenn  ohne  eine  Verwandlung  von  Arbeit  in  Wärme  oder  eine  Ver- 


Dincussionen  über  die  nipchanisohe  Wärnietheoi-ie.  377 

ändernng  in  der  Molecularanordnung  eines  Körpers,  Wärme  aus 
einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  übergehen  soll,  dann 
notliwendig  in  derselben  Operation  aucli  Wärme  aus  einem  wärme- 
ren in  einen  kälteren  Körper  übergehen  muss,  so  sieht  man  leicht, 
dass  vollständige  Uebereinstimmung  herrscht.  Das  Eigenthüm- 
liche  in  der  von  Hirn  ersonnenen  Operation  besteht  nur  darin, 
dass  in  ihr  nicht  zwei  verschiedene  Körper  vorkommen,  von  denen 
der  eine  kälter  und  der  andere  wärmer  ist ,  als  die  Wärmequelle, 
sondern  dass  ein  und  derselbe  Körper,  nämlich  das  Gas,  in  einem 
Theile  der  Operation  die  Rolle  des  kälteren,  und  im  anderen  Theile 
der  Operation  die  Rolle  des  wärmeren  Körpers  spielt.  Hierin 
liegt  aber  keine  Abweichung  von  meinem  Satze,  sondern  es  ist 
nur  ein  specieller  Fall  von  den  vielen  möglichen  Fällen. 

Auch  Dupre  hat  ähnliche  Einwände  gegen  meinen  Grundsatz 
erhoben,  wie  Hirn,  auf  welche  ich  hier  aber  nicht  näher  eingehen 
will,  da  sie  nichts  wesentlich  neues  enthalten. 


§.  9.    Einwand  von  Tait. 

Herr  Tait  hat  gegen  meinen  Grundsatz,  dass  die  Wärme 
nicht  von  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper 
übergehen  kann,  zwei  aus  thermoelektrischen  Erscheinungen  ent- 
nommene Einwände  erhoben  i) ,  von  denen  der  eine  nur  in  dem 
zufällig  gewählten  Beispiele  an  die  Elektricität  geknüpft,  in  seinem 
wesentlichen  Inhalte  aber  von  allgemeinerer  Natur  ist,  und  daher 
schon  hier  besprochen  werden  kann,  obwohl  die  Elektricität  in 
diesem  Bande  noch  nicht  behandelt  ist. 

Tait  führt  nämlich,  um  die  Unrichtigkeit  des  Grundsatzes 
zu  beweisen,  die  Thatsache  an,  dass  eine  Thermosäule,  bei  welcher 
zur  Erwärmung  und  Abkühlung  der  Löthstellen  siedendes  Wasser 
und  Eis  angewandt  wird,  einen  feinen  Draht  bis  zum  Glühen  er- 
hitzen kann. 

Da  in  diesem  Falle  ein  Theil  der  von  dem  siedenden  Wasser 
an  die  warmen  Löthstellen  abgegebenen  Wärme  in  dem  glühen- 
den Drahte  wieder  als  Wärme  zum  Vorschein  kommt,  so  ist 
dadurch  allerdings  ein  Wärmeübergang  aus  einem  kälteren  in 
einen  wärmeren  Körper  gegeben.    Um  aber  zu  entscheiden,   ob 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  145,  S.  49G  und  Phü.  Mag.  Ser.  IV,  Vol.  43. 


378  Äbsclmitt  XIII. 

dieses  Ergebniss  mit  meinem  Grundsätze  im  Widerspruche  steht, 
muss  die  Frage  gestellt  werden,  oh  der  Wärmeübergang  von  seihst 
geschieht,  oder  mit  einer  anderen,  gleichzeitig  stattfindenden  und 
als  Compensation  dienenden  Veränderung  verbunden  ist. 

Betrachten  wir  nun  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  Thermo- 
säule,  so  wissen  wir,  dass,  während  die  warmen  Löthstellen  von 
dem  zu  ihrer  Erwärmung  dienenden  siedenden  Wasser  Wärme 
empfangen,  die  kalten  Löthstellen  an  das  zu  ihrer  Abkühlung 
dienende  Eis  umgekehrt  Wärme  abgeben,  und  dass  somit  ein 
Wärmeübergang  aus  dem  siedenden  Wasser  in  das  Eis,  also  aus 
einem  wärmeren  in  einen  kälteren  Körper  stattfindet.  Dieser 
absteigende  Wärmeübergang  ist  es,  welcher  die  Compensation 
des  von  Tait  erwähnten  aufsteigenden  W^ärmeüberganges  aus 
dem  siedenden  Wasser  in  den  glühenden  Draht  bildet.  Er  ist 
ein  nothwendiger  Bestandtheil  des  ganzen  in  Betracht  kommen- 
den Vorganges,  denn  ohne  ihn  könnte  der  elektrische  Strom, 
welcher  den  aufsteigenden  Wärmeübergang  zur  Folge, hat,  gar 
nicht  entstehen.  Man  darf  also  nicht  sagen,  der  aufsteigende 
Wärmeübergang  finde  von  seihst  statt,  und  damit  ist  die  Unhalt- 
ba,rkeit  des  von  Tait  erhobenen  Einwandes  erwiesen. 

Die  vorstehende  Betrachtung  lässt  sich  übrigens  auch  auf 
einen  anderen  analogen  Fall  übertragen,  welcher  vielleicht  ge- 
eignet ist,  die  Sache  noch  anschaulicher  zu  machen. 

Ich  habe  in  meiner  im  Jahre  1853  erschienenen  Abhandlung 
über  thermoelektrische  Erscheinungen  i)  gezeigt,  dass  man  ein 
thermoelektrisches  Element  (und  ebenso  natürlich  auch  eine 
Thermosäule),  mit  einer  Dampfmaschine  vergleichen  kann,  indem 
die  erwärmte  Löthstelle  dem  Kessel  und  die  abgekühlte  Löthstelle 
dem  Condensator  entspricht.  Bei  der  Dampfmaschine  nimmt  das 
W^asser  im  Kessel  eine  gewisse  Wärmemenge  auf,  und  im  Con- 
densator giebt  es  einen  Theil  dieser  Wärme  wieder  ab,  während 
der  übrige  Theil,  wenn  wir  von  den  durch  die  Unvollkommen- 
heiten  der  Maschine  bedingten  Verlusten  absehen,  in  Arbeit  ver- 
wandelt wird.  Nehmen  wir  nun  an,  die  so  gewonnene  Arbeit 
werde  ganz  oder  theilweise  dazu  verwandt  Keibungswiderstände 
zu  überwinden,  so  würde  sie  sich  dabei  wieder  in  Wärme  ver- 
wandeln, und  als  solche  in  den  sich  reibenden  Körpern  zum 
Vorschein  kommen.     Wenn  nun  diese  Körper  eine  höhere  Tem- 


1)  Poffff.  Ann.  Bd.  90,  S.  513. 


Discussionen  über  die  mecbanisclie  Wänuetheorie.  379 

peratur  hätten,  als  der  Dampfkessel,  so  würde  auch  in  diesem 
Falle  ein  Theil  der  bei  der  Temperatur  des  Dampfkessels  von 
dem  Wasser  aufgenommenen  Wärme  in  Körper  von  höherer 
Temperatur  übergehen.  Ich  glaube  aber,  dass  in  diesem  Falle 
Niemand  daran  denken  würde,  den  Wärmeübergang  aus  dem 
Kessel  in  die  sich  reibenden  Körper  als  einen  für  sich  bestehen- 
den aufsteigenden  Wärmeübergang  hinzustellen,  ohne  den  gleich- 
zeitig stattfindenden  absteigenden  Wärmeübergang  aus  dem  Kessel 
in  den  Condensator,  welcher  die  Compensation  bildet,  mit  in 
Betracht  zu  ziehen. 


§.  10.     Einwand  von  F.  Kohlrausch, 

In  einem  interessanten  Aufsatze  über  die  Thermoelektricität 
Wärme-  und  Elektricitätsleitung  von  F.  Kohlrauschi)  ist  ein 
Einwand  gegen  die  von  mir  aufgestellte  Theorie  der  thermoelektri- 
schen  Ströme  erhoben,  welcher  sich  auf  einen  in  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  scheinbar  hervortretenden  Widerspruch  stützt, 
und  daher  einer  näheren  Beleuchtung  bedarf.  Da  die  Stelle, 
welche  den  Einwand  enthält,  nur  kurz  ist,  so  wird  es  am  besten 
sein,  sie  hier  wörtlich  anzuführen. 

Nachdem  Kohlrausch  gesagt  hat,  die  mechanische  Wärme- 
theorie nehme  bei  der  Bestimmung  der  von  der  Wärme  geleiste- 
ten Arbeit  auf  die  durch  Leitung  ausgeglichene  Wärme  keine 
Rücksicht,  und  wer  dieses  Verfahren  unter  allen  Umständen  als 
erlaubt  ansehe,  werde  daraus  gegen  seine  Hypothese,  dass  ein 
Wärmestrom  Arbeit  leisten  könne,  einen  erheblichen  Einwand  ab- 
leiten, fährt  er  fort: 

„Nun  liegt  aber  im  Gebiete  der  Elektricität  ein  anderer  Fall 
vor,  der  nach  meiner  Ansicht  mit  den  Grundsätzen  der  mechani- 
schen Wärmetheorie,  oder  mit  anderen  Worten,  mit  dem  Clau- 
sius' sehen  Satze,  dass  die  Wärme  nicht  von  selbst  aus  niederer 
zu  höherer  Temperatur  übergeht,  nicht  anders  in  Uebereinstim- 
mung  gebracht  werden  kann,  als  wenn  man  der  Wärmeleituug 
eine  wesentliche  Rolle  bei  dem  Vorgang  zuschreibt.  In  seiner 
Polemik  gegen  Clausius  hatte  Tait  den  genannten  Grundsatz 
als  unrichtig  hingestellt,  weil  man  mittelst  einer  Thermosäule  von 


1)   Göttinger  Nachrichten  Febr.  1874  und  Pogg.  Ann.  Bd.  156,  S.  601. 


380  Abschnitt  XIII. 

geringer  Temperatur  einen  Draht  zum  Glühen  bringen  könne. 
Clausius  widerlegt  diesen  Einwand  leicht,  indem  ja  die  Tempe- 
raturerhöhung der  in  dem  Drahte  entwickelten  Wärme  nach  P ei- 
tler begleitet  ist  von  einem  Uebergang  einer  anderen  Wärme- 
menge von  der  warmen  zur  kalten  Löthstelle  der  Thermosäule 
(Pogg.  Ann.  Bd.  CXLVI,  S.  310).  Bei  dieser  Widerlegung  wird 
indessen  offenbar  vorausgesetzt,  was  ja  auch  in  Wirklichkeit  immer 
zutrifft,  dass  die  in  dem  erhitzten  Drahte  entwickelte  Temperatur 
eine  Grenze  hat.  Könnte  man  diese  Temperatur  beliebig  steigern, 
so  würde  durch  den  Uebergang  einer  endlichen  Wärmemenge  in 
der  Thermosäule  zu  einer  um  eine  endliche  Grösse  niedrigeren 
Temperatur  eine  andere  endliche  Wärmemenge  zu  beliebig  hoher 
Temperatur  erhoben  werden  können." 

Der  im  letzten  Satze  erwähnte  Umstand,  dass  der  Erhebung 
einer  endlichen  Wärmemenge  zu  beliebig  hoher  Temperatur  als 
Compensation  nur  das  Herabsinken  einer  ebenfalls  endlichen 
Wärmemenge  um  eine  endliche  Temperaturdifferenz  gegenüber- 
steht, ist  es,  an  welchem  Kohlrausch  Anstoss  nimmt,  und  welcher 
ihn  veranlasst  hat,  meine  Theorie  der  thermoelektrischen  Ströme 
durch  eine  andere  zu  ersetzen. 

Bevor  wir  auf  die  theoretische  Betrachtung  dieses  Umstandes 
eingehen,  möge  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  auch 
er  nicht  bloss  bei  der  Thermosäule,  sondern  eben  so  gut  auch 
bei  anderen  thermodynamischen  Maschinen  vorkommen  kann. 
Wählen  wir  wieder  das  im  vorigen  Paragraphen  betrachtete  Bei- 
spiel einer  Dampfmaschine,  deren  Arbeit  ganz  oder  theilweise 
zur  Ueberwindung  von  Keibungswiderständen  verwandt  wird,  so 
können  wir  den  sich  reibenden  Körpern  eine  Temperatur  zu- 
schreiben, die  um  eine  beliebige  Grösse  höher  ist,  als  die  Kessel- 
temperatur, und  gelangen  dadurch  wieder  zu  dem  Ergebnisse, 
dass  einem  absteigenden  Wärmeübergange,  bei  welchem  nur  eine 
bestimmte  endliche  Temperaturdifferenz  (nämlich  die  Differenz 
zwischen  der  Kessel-  und  Condensatortemperatur)  vorkommt,  ein 
aufsteigender  Wärmeübergang  gegenübersteht,  bei  dem  die  Tem- 
peraturdifferenz beliebig  gross  ist. 

Um  nun  die  theoretische  Betrachtung  an  mathematische  Aus- 
drücke knüpfen  zu  können,  wollen  wir  die  niedrigste  vorkommende 
Temperatur,  nämlich  diejenige  der  kalten  Löthstellen  oder  des 
Condensators,  mit  Tq,  die  nächst  höhere  Temperatur,  nämlich  die 
der   warmen  Löthstellen   oder   des   Dampfkessels,   mit   Ti,   und 


Discussionen  über  die  mechanische  Wännetheorie«  ^"- 

endlich  die  höchste  Temperatur,  nämlich  die  des  glühenden 
Drahtes  oder  der  sich  reibenden  Körper,  mit  T.^  bezeichnen. 
Ferner  sei  Q  ■  die  Wärmemenge ,  welche  von  der  Temperatur  Ti 
zur  Temperatur  Tq  übergeht,  und  q  die  Wärmemenge,  welche 
von  der  Temperatur  Ti  zur  Temperatur  To  üljergeht.  Dann  ist 
der  Aequivalenzwerth  des  absteigenden  Wärmeüberganges: 


T  T 

und  der  Aequivalenzwerth  des  aufsteigenden  Wärmeüberganges; 


<1 


\T,        Tj 


Dieser  letztere  Ausdruck  stellt  eine  negative  Grösse  dar, 
deren  absoluter  Werth  mit  wachsender  Temperatur  Tg  zunimmt. 
Die  Zunahme  desselben  findet  aber  nicht  etwa  in  der  Weise  statt, 
dass  er  bei  unbegrenztem  Wachsen  der  Temperatur  To  ebenfalls 
bis  ins  Unbegrenzte  zunähme,  sondern  nur  so,  dass  er  sich  mehr 

und  mehr  dem  Grenzwerthe  ^  nähert,   welcher  kleiner  ist,  als 

der  Aequivalenzwerth  des  absteigenden  Wärmeüberganges,  oder 
höchstens  ihm  gleich  werden  kann.  Demnach  kann  der  Fall, 
dass  der  absteigende  Wärmeübergang  nicht  ausreichend  wäre, 
um  den  aufsteigenden  Wärmeübergang  zu  compensiren,  gar  nicht 
eintreten. 

Die  Grösse  -^,  welcher    der  seiner  absoluten   Grösse  nach 

betrachtete  Aequivalenzwerth  des  aufsteigenden  Wärmeüberganges 
sich  mit  wachsendem  Tg  nähert,  ist  zugleich  die  absolute  Grösse 
des  Aequivalenzwerthes  der  Verwandlung  der  Wärmemenge  q 
von  der  Temperatur  T^  in  Arbeit.  Dieses  Verhalten  der  Formeln 
stimmt  ganz  mit  dem  Umstände  überein,  dass  eine  in  Arbeit 
verwandelte  Wärmemenge  sich  nachher  wieder  in  Wärme  von 
beliebig  hoher  Temperatur  verwandeln  kann. 

Wenn  aber  hier  von  beliebig  hoher  Temperatur  die  Rede 
ist,  so  darf  darunter  doch  nicht  eine  im  streng  mathematischen 
Sinne  unendlich  liolie  Temperatur  verstanden  werden,  sondern  es 
ist  in  dieser  Beziehung  durch  die  Natur  der  Sache  selbst  eine 
gewisse  Grenze  gegeben. 

Um  dieses  zu  erkennen  und  von  der  Art  der  Grössen,  um 
welche  es  sich  dabei  handelt,  einen  ungefähren  Begriff  zu  be- 
kommen,  wollen   wir  uns   denken,   die  von   der   Dampfmascliine 


382  Abschnitt  XIII. 

geleistete  Arbeit  werde  zimaclist  dazu  angewandt,  einen  Körper 
von  gegebener  Masse,  z.  B.  eine  Masseneinheit,  in  Bewegung  zu 
setzen,  und  diese  Massenbewegung  sei  es  nun,  welche  in  Wärme 
verwandelt  werden  solle.  Dann  haben  wir  es  nur  noch  mit  der 
Verwandlung  einer  Art  von  Bewegung  in  eine  andere  Art  von 
Bewegung  zu  thun,  wodurch  der  Schluss  über  die  Höhe  der  er- 
reichbaren Temperatur  erleichtert  wird. 

Wenn  zwei  Körper,  deren  jeder  sich  als  Ganzes  bewegt,  in 
Wechselwirkung  treten,  so  wird  im  Allgemeinen  der  Körper, 
welcher  die  grösste  lebendige  Kraft  besitzt,  dem  anderen  einen 
Theil  seiner  lebendigen  Kraft  mittheilen.  Wenden  wir  dieses  auf 
den  Fall  an,  wo  eine  sich  als  Ganzes  bewegende  Masseneinheit 
die  kleinsten  Theilchen  eines  Körpers,  z.  B.  die  Molecüle  eines 
Gases,  welche  vermöge  der  Wärme  in  fortschreitender  Bewegung 
begriffen  sind,  in  schnellere  Bewegung  versetzen  und  dadurch 
Wärme  erzeugen  soll,  so  können  wir  sagen,  dass  die  höchste 
dadurch  erreichbare  Temperatur  diejenige  sein  würde,  bei  welcher 
ein  einzelnes  Molecül  durch  seine  fortschreitende  Bewegung  eine 
ebenso  grosse  lebendige  Kraft  hätte,  wie  die  ganze  bewegte 
Masseneinheit.  Hierdurch  gelangen  wir  zu  einem  ganz  ausser- 
ordentlich grossen  aber  nicht  gerade  zu  einem  unendlich  grossen 
Werthe,  ähnlich  wie  die  Masse  eines  Molecüls  gegen  eine  Massen- 
einheit ganz  ausserordentlich  klein,  aber  nicht  gerade  unendlich 
klein  ist. 

Natürlich  soll  diese  Betrachtung  nicht  dazu  dienen,  uns  einen 
bestimmten  ein  für  allemal  geltenden  Werth  als  Grenze  der  er- 
reichbaren Temperaturen  zu  geben,  da  ja  mit  der  Grösse  der 
Arbeit  auch  die  lebendige  Kraft  der  Massenbewegung,  welche  an 
ihre  Stelle  gesetzt  werden  kann,  verschieden  ist,  aber  sie  giebt 
wenigstens  eine  Vorstellung  von  der  Ordnung  der  betreffenden 
Grössen. 

Kehren  wir  nun  von  dieser  allgemeinen  Betrachtung  zu  dem 
von  Kohlrausch  erhobenen  Einwände  zurück,  so  können  wir 
ihrErgebniss  folgendermaassen  zusammenfassen.  Es  ist  allerdings 
richtig,  dass  mittelst  der  Thermosäule  durch  den  Uebergang  einer 
endlichen  Wärmemenge  zu  einer  um  eine  endliche  Grösse  niedri- 
geren Temperatur  eine  andere  endliche  Wärmemenge,  wenn  auch 
nicht  zu  beliebig  hoher,  so  doch  zu  jeder  sonst  erreichbaren 
Temperatur  erhoben  werden  kann,  und  es  lässt  sich  sogar  hin- 
zufügen,   dass    auch    andere   thermodynamische   Maschinen    uns 


Discussionen  über  die  mechanisclie  Wärmotheorie.  383 

dieselbe  Möglichkeit  darbieten.  Aber  in  dieser  Möglichkeit  liegt 
eben  so  wenig  etwas  Widersinniges ,  wie  darin ,  dass  durch  den 
Uebergang  einer  endlichen  Wärmemenge  zu  einer  um  eine  end- 
liche Grösse  niedrigeren  Temperatur  eine  andere  endliche  Wärme- 
menge in  Arbeit  verwandelt  werden  kann. 


§'.  11.     Anderer  Einwand  von  Tait. 

In  einem  später,  als  die  in  §.  9  citirte  Notiz,  erschienenen 
Buche  von  Tait  „Ledurcs  ou  sonie  recent  advances  in  Physical 
Science,  second  cdition,  London  1876^^  wrd  auf  p.  119  ein  neuer 
Gegengrund  gegen  meinen  Satz  geltend  gemacht,  welchen  ich  mir 
erlauben  will,  ebenfalls  hier  zu  besprechen. 

Hr.  Tait  führt  eine  von  Maxwell  angestellte  Betrachtung 
an,  welche  sich  darauf  bezieht,  wie  man  es  sich  etwa  als  möglich 
vorstellen  könne,  dass  Wärme  ohne  einen  gleichzeitigen  Verbrauch 
von  Arbeit  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  über- 
gehen könne.  Maxwell  geht  von  der  kinetischen  Gastheorie  aus, 
in  welcher  angenommen  wird,  dass  in  einer  Gasmasse  selbst  dann, 
wenn  keine  Strömungen  in  ihr  stattfinden  und  ihre  Temperatur 
durchweg  gleich  ist,  die  Molecüle  ungleiche  Geschwindigkeiten 
haben,  und  seine  Betrachtung  besteht  in  Folgendem:  Er  setzt 
den  Fall,  dass  solche  imaginäre  Wesen,  welche  Thomson  vorläufig 
Dämonen  nennt  —  kleine  Geschöpfe  ohne  Beharrungsvermögen, 
von  ausserordentlicher  Sinnenschärfe  und  Intelligenz  und  wun- 
derbarer Beweglichkeit  —  (such  imaginary  heings,  ivlioni  Sir 
W.  Thomson  provisionally  calls  demons  —  small  creatiires  witli- 
out  inertia,  of  extremelij  acute  senses  and  inteUigence,  and  mar- 
vellous  agility  —)  die  Partikelchen  eines  Gases  überwachten,  wel- 
ches sich  in  einem  Gefässe  befände ,  worin  eine  Scheidewand  wäre, 
die  sehr  viele,  ebenfalls  von  Beharrungsvermögen  freie  Klappen 
hätte,  nnd  dass  diese  Dämonen  die  Klappen  in  geeigneten  Momen- 
ten öffneten  und  schlössen,  und  zwar  so,  dass  sie  die  schnelleren 
Partikelchen  aus  der  ersten  Abtheilung  des  Gefässes  in  die  zweite 
und  eine  ebenso  grosse  Anzahl  langsamerer  Partikelchen  aus  der 
zweiten  Abtheilung  in  die  erste  üessen.  Wenn  dieser  Fall  statt- 
fände, so  würde  natürlich  das  Gas  in  der  zweiten  Abtheilung 
allmälig    immer    wärmer   und   das   in   der    ersten    immer   kälter 


384 


Abschnitt  XIII. 


Werden,  und  somit  Wärme  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren 
Körper  übergehen. 

Maxwell  hat  diesen  von  ihm  ersonnenen  imaginären  Vorgang 
nur  dazu  benutzt  i),  die  Verschiedenheit  der  Rechnungsmethode, 
welche  bei  der  Behandlung  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  anzuwenden  ist,  und  welche  er  die  statistische 
Methode  nennt,  von  der  eigentlich  dynamischen  Rechnungsmethode 
zu  veranschaulichen.  Hr.  Tait  dagegen  glaubt  diesen  Vorgang 
einfach  als  Gegenbeweis  gegen  meinen  Satz  geltend  machen  zu 
dürfen,  indem  er  sagt,  dieser  Vorgang,  für  sich  allein,  sei  absolut 
verhängnissvoll  für  meine  Schlussweise  (lühicJi,  cdone,  is  ahsolutely 
fatal  to  Clausius'  reasoningj. 

Dieses  kann  ich  in  keiner  Weise  zugeben.  Wenn  die  Wärme 
als  eine  Molecularbewegung  betrachtet  wird,  so  ist  dabei  zu  be- 
denken, dass  die  Molecüle  so  kleine  Körpertheilchen  sind,  dass  es 
für  uns  unmöglich  ist,  sie  einzeln  wahrzunehmen.  Wir  können 
daher  nicht  auf  einzelne  Molecüle  für  sich  allein  wirken ,  oder  die 
Wirkungen  einzelner  Molecüle  für  sich  allein  erhalten,  sondern 
haben  es  bei  jeder  Wirkung,  welche  wir  auf  einen  Körper  aus- 
üben oder  von  ihm  erhalten ,  gleichzeitig  mit  einer  ungeheuer 
grossen  Menge  von  Molecülen  zu  thun,  welche  sich  nach  allen  mög- 
lichen Richtungen  und  mit  allen  überhaupt  bei  den  Molecülen 
vorkommenden  Geschwindigkeiten  bewegen,  und  sich  an  der  Wir- 
kung in  der  Weise  gleichmässig  betheiligen,  dass  nur  zufällige 
Verschiedenheiten  vorkommen,  die  den  allgemeinen  Gesetzen  der 
Wahrscheinlichkeit  unterworfen  sind.  Dieser  Umstand  bildet  ge- 
rade die  charakteristische  Eigenthümlichkeit  derjenigen  Bewegung, 
welche  wir  Wärme  nennen,  und  auf  ihm  beruhen  die  Gesetze, 
welche  das  Verhalten  der  ¥/ärme  von  dem  anderer  Bewegungen 
unterscheiden. 

Wenn  nun  Dämonen  eingreifen,  und  diese  charakteristische 
Eigenthümlichkeit  zerstören,  indem  sie  unter  den  Molecülen  einen 
Unterschied  machen,  und  Molecüle  von  gewissen  Geschwindigkei- 
ten den  Durchgang  durch  eine  Scheidewand  gestatten,  Molecülen 
von  anderen  Geschwindigkeiten  dagegen  den  Durchgang  verweh- 
ren, so  darf  man  das,  was  unter  diesen  Umständen  geschieht,  nicht 
mehr  als  eine  Wirkung  der  Wärme  ansehen  und  erwarten,  dass 
es  mit   den   für   die  Wirkungen   der  Wärme  geltenden  Gesetzen 


1)  Theonj  of  Heat,  London  1871,  p.  30S. 


Discussionen  über  die  mechanische  "Wärmetheorie.  385 

Übereinstimmt,  Alle  diese  G^esetze,  mit  Einschluss  des  von  mir 
aufgestellten  Grundsatzes,  sollen  nur  ausdrücken,  was  unter  na- 
türlichen Umständen  und  allein  dem  Wesen  der  Wärme  selbst 
entsprechend  geschieht. 

Nachdem  ich  die  vorstehend  mitgetheilten  Gegenbemerkungen 
gegen  den  Tait' sehen  Einwand  in  Wied.  Annalen  veröfi'entlicht 
hatte,  hat  Herr  Tait  in  einer  neueren  Schrift i)  seinen  Einwand 
durch  den  Ausspruch  wenigstens  theilweise  aufrecht  zu  erhalten  ge- 
sucht, dass  das,  was  Dämonen  im  grossen  Maassstabe  thun  können, 
in  der  Wirklichkeit  ohne  Hülfe  von  Dämonen,  wenn  auch  in  einem 
sehr  kleinen  Maassstabe,  in  jeder  Gasmasse  vor  sich  gehe  (tliat 
ivhat  demons  could  do  on  a  large  sccde,  really  goes  on  tvithout  tlie 
help  of  demons  [thougli  in  a  very  small  scalej  in  every  mass  of 
gas). 

Hiermit  ist,  wenn  ich  es  recht  verstehe,  Folgendes  gemeint. 
Wenn  zwei  Gasmassen  A  und  B  unter  einander  in  Berührung 
sind,  so  fliegen  fortwährend  Molecüle  von  A  nach  B  und  umge- 
kehrt von  B  nach  A.  Haben  die  beiden  Gasmassen  gleiche  Tem- 
peraturen, so  haben  auch  die  von  A  nach  B  fliegenden  Molecüle 
durchschnittlich  dieselbe  lebendige  Kraft,  wie  die  von  B  nach  A 
fliegenden.  Da  aber  die  Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Molecüle 
verschieden  sind ,  so  können  in  einzelnen  Momenten  Abweichungen 
von  dem  durchschnittlichen  Verhalten  stattfinden,  und  es  kann  z.  B. 
vorkommen,  dass  in  einem  gewissen  Momente  zufällig  unter  den 
von  A  nach  B  fliegenden  Molecülen  diejenigen  mit  grösseren  Ge- 
schwindigkeiten und  unter  den  von  5  nach^  fliegenden  diejenigen 
mit  kleineren  Geschwindigkeiten  vorwiegen.  Dadurch  steigt  dann 
für  einen  Augenblick  die  Temperatur  in  B  und  sinkt  die  Tempe- 
ratur in  A,  und  es  geht  also  momentan  etwas  Wärme  aus  der  da- 
durch kälter  werdenden  Gasmasse  in  die  wärmer  werdende  über. 
Dieses  soll  nach  Herrn  Tait  mit  meinem  Grundsatze  im  Wider- 
spruche stehen. 

Hiergegen  brauche  ich  wieder  nur  zu  sagen,  dass  es  sich  im 
zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie  und  ebenso 
in  meinem  Grundsatze  gar  nicht  darum  handelt,  was  in  einzelnen 
Momenten  zufällig  bald  in  einem,  bald  im  entgegengesetzten  Sinne 
geschehen  kann,   sondern  darum,  was  durchschnittlich  nach  den 


1)  Sketch  of  Thermodynaniics ,  second  edition ,  Edinburgh  1S77,  in  der 
Vorrede,  S.  XVIII. 

Clausius,  median,  Wärmetheorie.    I.  95 


386  Abschnitt  XIII. 

Kegeln  der  Wahrscliemliclikeit  gescMeht.  Der  Ueberschuss  von 
lebendiger  Kraft,  welcher  durch  eine  in  einem  gewissen  Momente 
stattfindende  zufällige  Abweichung  vom  durchschnittlichen  Verhal- 
ten vom  kälteren  zum  wärmeren  Gase  übergehen  kann,  ist  im  Ver- 
gleiche zu  den  für  uns  messbaren  Wärmemengen  eine  Grösse  von 
derselben  Ordnung,  wie  die  Masse  eines  einzelnen  Molecüls  im 
Vergleiche  zu  den  unserer  directen  Wahrnehmung  zugänglichen 
Massen.  Grössen  dieser  Ordnung  werden  aber  bei  den  Betrach- 
tungen, welche  sich  auf  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen 
Wärmetheorie  beziehen,  vernachlässigt. 


§.  12.     Ansichten  über   die   entsprechenden  Tempera- 
turen der  Dämpfe  und  das  Molecularvolumen. 

Die  entsprechenden  Temperaturen  der  Dämpfe  und  das  Mo- 
lecularvolumen sind  in  diesem  Bande  noch  nicht  behandelt,  sondern 
werden  erst  im  dritten  Bande  zur  Behandlung  kommen;  da  sie 
aber  in  neuerer  Zeit  eine  sehr  lebhafte  Besprechung  gefunden 
haben,  welche  eine  baldige  Beantwortung  wünschenswerth  machen, 
so  scheint  es  mir  zweckmässig,  schon  hier  einiges  darüber  zu 
sagen. 

Ueber  die  entsprechenden  Temperaturen  der  Dämpfe,  d.  h. 
diejenigen  Temperaturen,  bei  welchen  die  gesättigten  Dämpfe 
verschiedener  Flüssigkeiten  gleiche  Spannungen  haben,  sind  nach 
einander  verschiedenartige  Ansichten  ausgesprochen.  Dalton 
hat  das  Gesetz  aufgestellt,  dass  für  irgend  zwei  Flüssigkeiten 
alle  Differenzen  mischen  entsprechenden  Temperaturen  gleich  seien. 
Dieses  Gesetz  stimmt  bei  solchen  Flüssigkeiten,  deren  Siedepunkte 
nahe  bei  einander  liegen,  ziemlich  gut  mit  der  Erfahrung  über- 
ein, bei  solchen  aber,  deren  Siedepunkte  weit  von  einander 
entfernt  sind,  treten  grosse  Abweichungen  ein.  Diese  stellten 
sich  bei  den  von  Avogadro  angestellten  Beobachtungen  der 
Dampfspannungen  des  Quecksilb ers i)  sehr  bestimmt  heraus,  und 
traten  eben  so  deutlich  in  den  Untersuchungen  von  Faraday 
über   die   Condensation   der   Gase 2)  hervor.      Faraday   sprach 

1)  Im  Auszuge  Ann.  de  chim.  et  de  pJiys.  XLIX,  p.  369  und  Pogg. 
Ann.  Bd.  XXVII,  S.  60;  vollständig  Mem.  de  VAead.  de  Turin,  Vol.  XXXVI. 

2)  Fhü.  Trans,  of  the  Boijcü  Soc.  of  London  for  1845,  p.  155  und  Pogg. 
Ann.  Bd.  72  a,  S.  193. 


Discussionen  über  die  meclianiscli«  Wärinetheorie.  387 

sich  in  den  Zusatzbemerkungen  zu  seiner  Abhandlung,  nachdem 
er  die  Anwendung  des  Dalton 'sehen  Gesetzes  auf  die  Gase  zu- 
rückgewiesen hatte,  folgondcrmaassen  aus:  „Sofern  die  Beob- 
achtung der  folgenden  Substanzen  nämlich:  Wasser,  schweflige 
Säure,  Cyan,  Ammoniak,  Arsenikwasserstoff,  Schwefelwasserstoff, 
Chlorwasserstoffsäure,  Kohlensäure,  Ölbildendes  Gas  etc.  einen 
Schluss  auf  ein  allgemeines  Gesetz  rechtfertigen,  möchte  es 
scheinen,  als  ob,  je  flüchtiger  ein  Körper  sei,  desto  schneller 
die  Kraft  seines  Dampfes  bei  weiterer  Zunahme  der  Wärme 
wachse,  wenn  man  bei  allen  von  einem  gegebenen  Punkte  des 
Druckes  anfängt;"  und  weiterhin:  „Es  scheint  somit  aller  Grund 
zu  sein,  zu  erwarten,  dass  die  Zunahme  der  Elasticität  sich 
direct,  wie  die  Flüchtigkeit  der  Substanz  verhalte."  Dasselbe, 
worauf  Faraday  in  diesen  Worten  hinweist,  wird  einige  Jahre 
später  (1849)  von  Groshans  noch  einmal  und  zwar  in  der 
Form  einer  bestimmten  Gleichung  ausgedrückt  i).  Indem  er 
Wasser,  dessen  Siedetemperatur  100"  ist,  mit  einer  Flüssigkeit, 
deren  Siedetemperatur  E  heissen  soll,  vergleicht,  und  irgend  zwei 
andere  entsprechende  Temperaturen  dieser  beiden  Flüssigkeiten 
mit  t  und  T  bezeichnet,  stellt  er  folgende  in  seinem  Aufsatze 
mit  der  Nummer  (3)  versehene  Gleichung  auf: 
1  +  c^  _l  +  cT  • 
^^  1  +  c  .  100  ~  1  +  cE' 

worin  c  den  Ausdehnungscoefficienten  der  Gase  bedeutet. 

In  einem  Aufsatze,  welchen  ich  selbst  im  Jahre  1851  über 
denselben  Gegenstand  veröffentlicht  habe  -) ,  habe  ich  den  Sinn 
dieser  Gleichung  folgendermaassen  in  Worten  ausgedrückt.  Wenn 
man  alle  Temperaturen  von  —  273^  C.  ah  (d.  h.  von  derjenigen 
Temperatur  ab,  welche  durch  den  umgekehrten  Werth  des  Aus- 
dehnungscoefficienten der  Luft  bestimmt  wird)  mlilt^  so  sind  für 
irgend  stoei  Flüssigkeiten  alle  entspreclienden  Temperaturen  pro- 
portional. 

Ich  habe  dieses  Gesetz  dort  als  ein  angenähertes  bezeichnet, 
welches  der  Erfahrung  unzweifelhaft  besser  entspreche,  als  das 
Dal  ton' sehe.  Da  aber,  wie  ich  hinzufügte,  der  von  Groshans 
gegebene  Beweis  Manches  zu  wünschen  übrig  lässt,   so  habe  ich 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  78,  S.  112. 

2)  Ueber  den  theoretischen  Zusammenhang  zweier  emj)irisch  aufgestell- 
ter Gesetze  über  die  Spannung  und  die  latente  Wärme  verschiedener 
Dämpfe.    Pogg.  Ann.  Bd.  82,  S.  274  und  Abhandluugensammluug  I,  S.  119. 

25* 


388  Absclinitt  XIII. 

es  für  zweckmässig  gehalten,  dieses  Gesetz  mit  einem  anderen 
auf  Dämpfe  bezüglichen  Gesetze,  welches  man  empirisch  als 
näherungsweise  richtig  gefunden  hat,  zu  vergleichen,  um  zu  sehen, 
ob  sie  sich  gegenseitig  bestätigen,  oder  nicht,  nämlich  mit  dem 
Gesetze,  dass  die  latente  Wärme  einer  Volumeneinheit  des  heim 
SiedepunUe  entivickelten  Dampfes  hei  allen  Flüssigkeiten  gleich  sei. 
Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  dass  die  beiden  Gesetze  so  unter 
einander  zusammenhängen,  dass,  wenn  das  eine  streng  richtig 
wäre,  es  auch  das  andere  sein  müsste,  und  dass  die  in  der  Wirk- 
lichkeit bei  dem  einen  vorkommenden  Ungenauigkeiten  sich  in 
entsprechender  Weise  auch  beim  anderen  zeigen  müssen. 

Viel  später,  als  die  vorstehend  erwähnten  Aufsätze,  ist  eine 
Schrift  von  E.  Dühring  erschienen  i) ,  in  welcher  der  Verfasser 
einige  Sätze  mittheilt,  die  er  neue  Grundgesetze  nennt.  Eins 
derselben,  welches  die  ensprechenden  Temperaturen  der  Dämpfe 
betrifft,  und  welches  Herr  Dühring  als  von  seinem  Sohne  auf- 
gefunden bezeichnet,  wird  auf  S.  73  folgendermaassen  ausge- 
sprochen: Von  den  Siedepunkten  heliehiger  Suhstansen,  wie  sie 
für  irgend  einen  für  alle  gemeinsamen  Druck  als  Ausgangspunkte 
gegehen  sein  mögen.,  sind  his  su  den  Siedepunkten  für  irgend  einen 
anderen  gemeinsamen  Druck  die  Temperaturahstände  sich  gleicli- 
hleihende  Vielfache  von  einander. 

Vergleicht  man  eine  zur  Betrachtung  ausgewählte  Flüssigkeit 
mit  dem  Wasser  und  bezeichnet  beim  atmosphärischen  Drucke, 
bei  welchem  das  Wasser  die  Siedetemperatur  100°  hat,  die  Siede- 
temperatur jener  Flüssigkeit  mit  i?,  und  nennt  man  ferner  bei 
irgend  einem  anderen  gemeinsamen  Drucke  die  Siedetemperaturen 
des  Wassers  und  jener  Flüssigkeit  t  und  T,  so  kann  man  den 
angeführten  Satz  durch  folgende  Gleichung  ausdrücken: 

^2^  ^-^^  =  ^' 

worin  q  eine  Constante  ist,  welche  Dühring  den   specifischen 

Factor  der  betreffenden  Flüssigkeit  nennt. 

Stellt  man  diese  Gleichung  mit  der  oben  unter  (1)  mitge- 
theilten  Groshans' sehen  Gleichung  zusammen,  so  überzeugt  man 
sich  leicht,  dass  sie  in  derselben  als  nothwendige  Folge  enthalten 
ist.  Die  Groshans'sche  Gleichung  lässt  sich  nämlich  durch 
eine  einfache  Umformung  in  folgende  Gestalt  bringen: 


1)  Neue  Grundgesetze  zur  rationellen  Physik  und  Chemie.   Leipzig  1878. 


(la) 


Discussionen  über  die  mechanisclie  Wärmetheorie.  389 

T—  E  _     l-^cE 


i  —  100        1  -f  c  .  100 
Hierin  ist  der  an  der  linken  Seite  stehende  Bruch  derselbe,  wie 
der  in  der  Düh ring' sehen  Gleichung   befindliche,  und  an  der 
rechten  Seite  steht  hier  ebenso,  wie  dort,   eine  für  jede  Flüssig- 
keit constante  Grösse. 

Der  Unterschied  zwischen  beiden  Gleichungen  besteht  nur 
darin,  dass  die  Constante  in  der  Groshans' sehen  Gleichung 
einen  durch  den  Siedepunkt  bestimmten,  und  zwar  der  absoluten 
Temperatur  des  Siedepunktes  proportionalen  Wertli  hat,  wäli- 
rend  sie  in  der  Dühr in g' sehen  Gleichung  unbestimmt  gelas- 
sen ist. 

Was  nun  den  Erfolg  dieser  Aenderung  anbetrifft,  so  ist  es 
selbstverständlich,  dass  man  die  Uebereinstimmung  der  Gleichung 
mit  der  Erfahrung  bis  auf  einen  gewissen  Grad  verbessern  kann, 
wenn  man  der  Constante  nicht  im  Voraus  eine  zu  ihrer  Be- 
stimmung dienende  Bedeutung  giebt,  sondern  sich  vorbehält,  sie 
nachträglich  aus  geeignet  erscheinenden  empirischen  Daten  zu 
bestimmen.  Aber  eine  wirklich  ausreichende  Uebereinstimmung 
kann  man  auch  dadurch  nicht  erzielen,  und  ausserdem  ist  zu 
bemerken,  dass  die  Gleichung  durch  die  grössere  Unbestimmtheit 
an  theoretischer  Bedeutsamkeit  verliert,  und  mehr  den  Charakter 
einer  rein  empirischen  Gleichung  annimmt. 

Dass  nämlich  die  Groshans'sche  Art,  die  Constante  zu  be- 
stimmen, in  der  That  eine  gewisse  theoretische  Berechtigung  hat, 
ergiebt  sich  aus  der  grossen  Anzahl  von  Flüssigkeiten,  für  welche 
sie  der  Erfahrung  angenähert  entspricht.  Auch  Herr  Düh  ring 
hat  sich  dieser  Wahrnehmung  nicht  verschliessen  können ,  wie 
aus  folgender,  auf  S.  87  befindlicher  Stelle  seines  Buches  her- 
vorgeht: „Die  specifischen  Factoren  stehen  bei  einer  Anzahl  von 
Stoffen  im  Verhältniss  der  sogenannten  absoluten  Temperaturen  ent- 
sprechender, d.  h.  zu  gleichen  Spannungen  gehöriger  Siedepunkte. 
Solche  Stoffe  sind  Quecksilber,  Schwefel,  Chlorwasserstoff,  Brom- 
wasserstoff', Jodwasserstoff,  Stickoxydul,  Chloroform,  Silicium- 
chlorid,  Chlorkohlenstoff,  Benzol  und  noch  einige  andere,  die  sich 
vermehren  würden,  sobald  nur  die  erforderlichen  Beobachtungen 
zur  Verfügung  ständen." 

Wendet  man  das  hier  über  die  specifischen  Factoren  gesagte 
auf  die  Dühring'sche  Gleichung  an,  so  wird  sie,  soweit  sie  sich 
auf  die  genannten  und  die  als   noch  dazugehörig  angedeuteten 


390  Absclinitt  XlII. 

Stoffe  bezieht,  mit  der  Groshans' sehen  Gleichung  vollkommen 
übereinstimmend. 

Unter  diesen  Umständen  konnte  es  nur  Erstaunen  erregen, 
als  Herr  Dühring  den  von  seinem  Sohne  ausgesprochenen  Satz, 
ohne  Erwähnung  der  Groshans' sehen  Gleichung,  als  ein  neues 
Grundgesetz  publicirte,  und  als  er  bald  darauf  sogar  eine  Reihe 
von  anderen  Autoren  anklagte,  sich  das  so  erworbene  Verdienst 
seines  Sohnes  angeeignet  zu  haben.  Zu  diesen  Autoren  rechnete 
er  auch  mich,  obwohl  die  auf  Grund  der  van  der  Wa als' sehen 
Gleichung  von  mir  aufgestellte  Formel,  welche  ihn  dazu  veran- 
lasste, gar  nicht  einmal  mit  jenem  Satze  übereinstimmt,  sondern 
vielmehr,  falls  sie  als  richtig  anerkannt  wird,  ganz  besonders  dazu 
geeignet  ist,  die  Ungenauigkeit  desselben  erkennen  zu  lassen. 

Da  das  von  Herrn  Dühring  über  die  Groshans'sche 
Gleichung  beobachtete  Stillschweigen  sich  nur  durch  die  Annahme, 
dass  er  sie  nicht  gekannt  habe,  erklären  Hess,  so  konnte  man 
Anfangs  glauben,  er  würde,  wenn  er  sie  kennen  lernte,  sein  Ur- 
theil  über  den  Stand  der  Sache  und  sein  Verhalten  gegen  die 
Autoren,  welche  von  demselben  besser,  als  er,  unterrichtet  ge- 
wesen waren,  ändern.  Das  hat  sich  aber  nicht  bewährt.  Ich 
habe  in  einem  1881  veröffentlichten  Aufsatze  i)  gelegentlich  die 
Groshans'sche  Gleichung  erwähnt.  Das  hat  aber  nur  dazu 
gedient,  mir  die  heftigsten  Angriffe  der  Herren  Dühring,  Vater 
und  Sohn,  in  ihrer  neuesten  Schrift 2)  zuzuziehen,  worin  sie  sich 
zugleich  in  geringschätzigen  Aeusserungen  über  die  Groshans'- 
sche Gleichung  gegenseitig  überbieten. 

Herr  Dühring  Sohn  sagt  auf  S.  34:  „Unser  Professor  hat 
nämlich  in  seiner  letzten  Abhandlung  eine  historische  Notiz  über 
die  seinen  Aufstellungen  vorangegangenen  Versuche  zu  einem 
Siedegesetz  liefern  wollen  und  hat  in  der  betreffenden  Anmerkung 
den  D  alt  on' sehen  ursprünglichen  Ansatz  zu  einem  Siedegesetz, 
sowie  eine  Kleinigkeit  in  derselben  Richtung  von  einem  hollän- 
dischen Gelehrten,  Herrn  Groshans  erwähnt." 

Hiermit  genau  übereinstimmend  sagt  Herr  Dühring  Vater 
auf  S.  138:  „Gewissenhaft  citirte  er  die  Vorgänger,  den  Dalton'- 
schen  Ansatz  und,  was  er  sonst  schon  ganz  bei  Seite  geworfen 


1)  Wied.  Ann.  Bd.  14,  S.  696. 

2)  Neue  Grundgesetze  zur  rationellen  Physik,  und  Chemie.   Zweite  Folge. 

Leipzig  1886. 


* 


Discussionen  über  die  mechanische  Wärmetheorie.  391 

hatte,  einen  kleinen  Beitrag  in  derselben  Richtung  von  einem 
Herrn  Groshans,  der  ihn  vor  länger  als  einem  Menschenalter 
geliefert  hatte."  Die  hierin  vorkommenden  Worte  „was  er  sonst 
schon  ganz  bei  Seite  geworfen  hatte",  welche  nur  dadurch  ver- 
anlasst sind,  dass  ich  im  ersten  Bande  der  zweiten  Auflage  mei- 
ner mechanischen  Wärmetheorie  über  diese  Sache  nicht  gesprochen 
habe,  verlieren  allen  Sinn  durch  den  Umstand,  dass  der  letzte 
Band  der  zweiten  Auflage  noch  nicht  erschienen  ist,  und  Herr 
Dühring  nicht  wissen  kann,  was  er  enthalten  wird. 

Auf  S.  139  spricht  er  weiter  von  dem  „Stückchen  speciellen 
und  beschränkten  Sinnes  ......   in   welchem   der  Groshans'- 

sche  Beitrag  seit  Dalton  eine  Kleinigkeit  zu  bedeuten  haben 
konnte";  und  auf  S.  140  vergleicht  er  die  eigene  Leistung  mit 
der  Groshans'schen  in  folgender  Weise.  „Wie  die  Dalton'- 
schen  Specialfälle,  so  erhält  auch  das  Groshans' sehe  falsch 
ausgedehnte  Apergü,  wenn  ihm  im  Lichte  unseres  Gesetzes  ein 
richtiger  Sinn  gegeben  wird,  die  Bedeutung  als  eine  sich  noch 
unklare  Bewegung  um  ein  Schrittchen  in  derjenigen  Richtung, 
in  welcher  wir  mit  einem  Male  zur  umfassenden  Wahrheit  ge- 
langten. Quantitativ  lässt  sich  das  aber  nicht  zutreffend  ver- 
gleichen. Es  ist  nicht  sowohl  ein  Procent,  was  Herr  Groshans 
vorausgehabt  hätte,  während  wir  gleich  mit  dem  ganzen  Hundert 
gekommen  wären,  sondern  der  Unterschied  ist  vornehmlich  ein 
qualitativer.  Unser  Gesetz  ist  nämlich  eine  Allgemeinheit  für 
sich  mit  eigenen  Bedingungen  und  hat  selber  erst  bemessen 
lassen,  wie  die  Groshans' sehe  falsche  Vorstellung  als  ganz 
speci eller  Gruppensachverhalt  richtig  zu  deuten  sei." 

Auf  Aeusserungen  solcher  Art  näher  einzugehen  halte  ich 
für  überflüssig.  Die  dargelegten  Thatsachen  sprechen  für  sich 
selbst,  und  an  ihnen  lässt  sich  durch  geringschätzige  Bemerkun- 
gen nichts  ändern. 

Noch  auffälliger  zeigt  sich  die  Art,  wie  Herr  Dühring  Alles, 
was  seit  Decennien  gearbeitet  ist,  vernachlässigt,  in  dem  zweiten 
der  Sätze,  welche  er  als  neue  Grundgesetze  veröffentlicht  hat. 

Schon  in  meinem  1857  publicirten  ersten  Aufsatze  über  die 
kinetische  Gastheorie  habe  ich,  nachdem  ich  von  der  Erklärung 
des  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetzes  ge- 
sprochen hatte,   in   §.  5 1)  die  Abweichungen,   welche  die  Gase 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  100,  S.  358  und  Abhandlungensammlung  11,  S.  235. 


392  Abschnitt  XHI. 

von  diesen  Gesetzen  zeigen,  daraus  erklärt,  dass  diese  Gesetze 
nur  dann  genau  richtig  sein  könnten,  wenn  drei  Bedingungen 
erfüllt  wären,  deren  erste  lautete:  „der  Raum,  welchen  die  Mo- 
lecüle  des  Gases  wirklich  ausfüllen,  muss  gegen  den  ganzen 
Raum,  welchen  das  Gas  einnimmt,  verschwindend  klein  sein"; 
und  deren  andere  beide  sich  auf  die  Stosszeit  und  die  zwischen 
denMolecülen  wirkenden  Kräfte  beziehen.  Nach  Anführung  dieser 
Bedingungen  habe  ich  hinzugefügt:  „Wenn  diese  Bedingungen  nicht 
erfüllt  sind,  so  treten  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  Ab- 
weichungen von  den  einfachen  Gesetzen  der  Gase  ein,  welche 
um  so  bedeutender  werden,  je  weniger  der  Molecularzustand  des 
Gases  diesen  Bedingungen  entspricht." 

Dasselbe,  worauf  ich  zu  jener  Zeit,  wo  es  sich  noch  um  die 
Feststellung  der  Grundlagen  der  kinetischen  Gastheorie  handelte, 
nur  in  allgemeinen  Ausdrücken  hingewiesen  habe,  hat  später  in 
den  Untersuchungen  verschiedener  Forscher  bestimmte  mathe- 
matische Formen  angenommen.  Ich  kann  mich  hier  darauf  be- 
schränken, eine  Gleichung  anzuführen,  welche  Hirn  im  Jahre 
1865  aufgestellt  hafi).  Bei  der  Besprechung  des  Mariotte'schen 
Gesetzes  sagt  er,  dasselbe  müsse,  um  genau  zu  werden,  zwei 
Aenderungen  erfahren,  von  denen  die  eine  die  inneren  Kräfte 
und  die  andere  das  Volumen  betreffe.  An  der  Stelle,  wo  nur 
von  der  letzteren  Aenderuug  die  Rede  ist,  führt  er  aus,  dass 
man  nicht  das  ganze  Volumen,  welches  das  Gas  scheinbar  ein- 
nimmt, sondern  nur  den  veränderlichen  Theil  desselben  in  Rech- 
nung bringen  müsse,  und  sagt  dann:  II  est  hien  evident  que 
nous  devrons  ecrire: 

/y  jp-N 

(3)  Pi  =  Po  [y  _  qr) 

en  place  de: 

Vo 

Pi=Po  -f^- 

Hierin  bedeutet,  wie  leicht  ersichtlich,  2h  und  pi  den  Anfangs- 
und Enddruck,  Vq  und  Vi  das  Anfangs-  und  Endvolumen,  und 
die  Grösse  ^P"  definirt  er  als  la  sonime  des  volumes  des  atomes. 
Dem  entsprechend  nennt  er  auch  die  Differenz  V  —  W  völume 

interatomique. 


1)  Tlieorie  mecanique  de  la  chaleur,  11^  ed.,   T.  1,  p.  193;  wieder  ab- 
gedruckt nie  ed.  1876,  T.  II,  p.  206. 


Discussionen  über  die  mecliani«clie  Wärmetheorie.  393 

Dreizehn  Jahre  nachdem  dieses  gedruckt  war,  veröffentlichte 
Herr  Dühringi)  als  angeblich  neu  entdecktes  Grundgesetz 
folgenden  Satz:  „Der  Veränderung  des  auf  ein  Gas  ivirhenden 
Druckes  entspricht  eine  umgekehrt  ]i)roj)orUonale  Veränderung  des 
mvischen  den  Molccülen  hefindliclien  Baumes.'-''  Um  diesen  Satz 
durch  eine  Gleichung  auszudrücken,  bezeichnete  er  den  Anfangs- 
und Enddruck  mit  %)'  und  |),  sowie  das  Anfangs-  und  Endvolumen 
des  Gases  mit  v'  und  v,  und  stellte  den  von  den  Molecülen  ein- 
genommenen Raum  durch  x  dar,  und  unter  Anwendung  dieser 
Zeichen  bildete  er  (auf  S.  50)  folgende  Gleichung: 

^  ^  p'        V  —  X 

Man  sieht  auf  den  ersten  Blick,  dass  dieses  genau  die  unter 
(3)  mitgetheilte  Hirn 'sehe  Gleichung  ist. 

Dabei  ist  noch  zu  bemerken,  dass  Hirn  dieser  Gleichung 
nur  die  Bedeutung  einer  vorläufigen  Gleichung  giebt,  welche 
zeigen  soll,  wie  die  Mariotte'sche  Gleichung  sich  durch  Berück- 
sichtigung des  Volumens  der  Molecüle  ändert,  und  dass  er  gleich 
darauf  auch  die  weitere  Aenderung  hinzufügt,  zu  welcher  er 
durch  Berücksichtigung  der  zwischen  den  Molecülen  wirkenden 
Kräfte  gelangt  ist. 

Auch  ist,  wie  schon  gesagt,  Hirn  nicht  der  einzige  Autor, 
welcher  derartige  Betrachtungen  angestellt  hat.  Vielmehr  war 
zu  der  Zeit,  wo  Herr  Dühring  sein  Buch  veröffentlichte,  die 
Berücksichtigung  des  Volumens  der  Molecüle  bei  der  Behandlung 
des  gasförmigen  Zustandes  schon  ein  vielbesprochener  Gegenstand. 

Von  alledem  war  aber  in  der  Darstellung  des  Herrn  Düh- 
ring keine  Rede,  Er  erwähnte  im  Anfange  des  betreffenden 
Capitels,  S.  36,  nur  kurz,  dass  Daniel  Bernoulli  im  Jahre 
1738  einen  unvollständig  durchgeführten  Versuch  der  Berück- 
sichtigung des  Volumens  der  Molecüle  gemacht  habe,  und  sagte 
dann  sofort  von  sich  selbst,  er  habe  „denselben  Kernpunkt,  den 
Bernoulli  theilweise  streifte,  imi  ihn  dann  gänzlich  aufzugeben, 
vollständig  und  als  eine  grundgesetzliche  Nothwendigkeit  auf- 
gefunden." Dass  Verdienste,  welche  er  in  solcher  Weise  für  sich 
in  Anspruch  nimmt,  von  den  Physikern  nicht  anerkannt  werden, 
dafür  weiss  er  keinen  anderen  Grund  zu  finden,  als  die  Missgunst 
und  Selbstsucht  der  Coteriegelehrten, 


1)  Neue  Grundgesetze  etc.,  S.  49. 


394  Abschnitt  XIII. 


§.  13.    Ueber  das  Bekanntwerden   der  Schriften 
Robert  Mayer's. 

Zwei  Jahre  nach  dem  Erscheinen  der  im  vorigen  Paragraphen 
beleuchteten  Schrift  hat  Herr  E.  Dühring  eine  andere  Schrift 
„Robert  Mayer,  der  Galilei  des  neunzehnten  Jahrhunderts" 
herausgegeben,  in  welcher  er  die  bedauernswerthe  Thatsache,  dass 
Mayer's  Schriften,  mit  Ausnahme  des  ersten,  in  Wöhler- 
Liebig's  Annalen  erschienenen  Aufsatzes,  so  lange  Zeit  un- 
bekannt geblieben  sind,  in  höchst  befremdlicher  Weise  bespricht. 
Anstatt  die  verschiedenen  für  das  Bekanntwerden  der  Schriften 
ungünstigen  Umstände,  unter  denen  ihre  Veröffentlichung  statt- 
fand, in  Betracht  zu  ziehen,  sucht  er  die  Erklärung  jener  That- 
sache in  der  absichtlichen  Ignorirung  und  Unterdrückung 
Mayer's  von  Seiten  der  Fachgelehrten  oder,  wie  er  sie  nennt, 
der  Handwerksgelehrten,  welche  dadurch  das  Gewicht  ihrer  eigenen 
Verdienste  hätten  vergrössern  wollen. 

Diesen  Vorwurf  macht  er  auch  mir,  und  da  er  durch  falsche 
Angaben  die  richtige  Beurtheilung  der  Sache  unmöglich  macht, 
bin  ich  es  meiner  Ehre  schuldig,  darauf  zu  antworten. 

Zum  ibesseren  Verständnisse  muss  ich  zunächst  über  die 
Stellung  meiner  Arbeiten  zu  denen  Mayer's  und  über  den 
Vorgang,  auf  welchen  der  Angriff  sich  bezieht,  einiges  voraus- 
schicken. 

Als  ich  meine  erste  auf  die  "Wärme  bezügliche,  im  Jahre 
1850  veröffentlichte  Abhandlung  i)  schrieb,  kannte  ich  von  Rob. 
Mayer  den  im  Jahre  1842  in  den  Wöhler-Liebig'schen  Annalen 
erschienenen  Aufsatz  und  von  Joule  die  im  Philosophical 
Magazine  veröffentlichten  Aufsätze.  Beide  habe  ich  in  meiner 
Abhandlung  erwähnt,  und  von  Mayer  habe  ich  (S.  370)  ge- 
sagt, dass  er  in  seinem  Aufsatze  das  mechanische  Aequivalent 
der  Wärme  schon  vor  Holtzmann  in  derselben  Weise,  wie  dieser, 
bestimmt  habe,  welche  Bestimmungsweise  dann  weiterhin  (S.  521), 
wieder  unter  Nennung  von  Mayer's  Namen,  von  mir  besprochen 
ist.  Ich  habe  somit  den  von  mir  angeführten  und  meinen  wei- 
teren Entwickelungen  zu  Grunde  gelegten  Satz  von  der  Aequi- 


1)  Pogg.  Ann.  LXXIX,  S.  368  und  500. 


Disciissionen  über  die  mechanische  Wännetheorie.  395 

Valenz  von  Wärme  und  Arbeit  nicht  etwa  als  einen  von  mir  ent- 
deckten, sondern  als  einen  schon  vor  mir  bekannten  Satz  hin- 
gestellt. Einige  Jahre  später  (1856)  habe  ich  sogar,  als  Hoppe 
in  einem  auf  denselben  Gegenstand  bezüglichen  Aufsatze  i)  diesen 
Satz  als  ein  von  mir  aufgestelltes  Princip  bezeichnet  hatte,  in 
meiner  Erwiderung  2)  ausdrücklich  erklärt ,  dass  dieses  Verdienst 
nicht  mir  gebühre,  sondern  dass  der  Satz  schon  vor  meinen  Unter- 
suchungen aufgestellt  und  selbst  experimentell  bestätigt  sei. 

Ebenso  habe  ich  auch  von  dem,  was  sonst  in  den  Mayer'- 
schen  Schriften  enthalten  ist,  nie  etwas  für  mich  in  Anspruch 
genommen,  wozu  auch  gar  keine  Veranlassung  vorlag,  da  meine 
Arbeiten,  soweit  sie  sich  überhaupt  an  die  Mayer' sehen  an- 
knüpfen, ein  ganz  anderes  Gebiet  verfolgen,  als  diese,  nämlich 
die  mathematische  Entwickelung  der  Folgerungen,  welche  sich 
aus  jenem  Satze  und  aus  dem  von  mir  modificirten  Carnot'- 
schen  Satze  ziehen  lassen.  Daraus  ist  ersichtlich,  dass  ich  in 
keiner  Weise  mit  Mayer  concurrire  und  daher  in  den  Pi-ioritäts- 
fragen,  welche  in  Bezug  auf  seine  Arbeiten  erhoben  sind,  ganz 
unparteiisch  dastehe. 

Was  nun  den  Vorgang  anbetrifft,  aufweichen  sich  Dühring's 
Angriff  bezieht,  so  ist  es  folgender. 

Im  Jahre  1862  schrieb  mir  Tyndall,  er  wünsche  sich  sämmt- 
liche  Schriften  May  er 's  zu  verschaffen,  und  fragte  mich,  svie 
er  dazu  gelangen  könne.  In  meiner  Antwort  sagte  ich,  dass 
ausser  dem  damals  schon  mehrfach  besprochenen  Aufsatze  in 
Liebig's  Annalen  noch  einige  Schriften  als  , besondere  Bro- 
schüren erschienen  seien,  die  mir  aber  selbst  unbekannt  geblieben 
seien.  Ich  wolle  versuchen,  ihm  die  Schriften  zu  verschaffen, 
glaube  aber  nicht,  dass  er  sehr  Erhebliches  darin  finden  werde. 

Dabei  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  dieser  letzte  Aus- 
spruch sich  nicht  auf  den  ersten  in  Liebig's  Annalen  erschienenen 
Aufsatz  bezog,  denn  aus  diesem  hatte  ich  das  Hauptresultat, 
nämlich  die  darin  zum  ersten  Male  ausgeführte  Bestimmung  des 
mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  selbst  schon  lange  vor- 
her an  Stellen  citirt,  wo  die  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit 
als  Hauptgrundlage  der  ganzen  neuern  Wärmetheorie  besprochen 
und   daher  ihre   Wichtigkeit  gewiss    vollständig    anerkannt  war. 


1)  Pogg.  Auu.  XCVII,  S.  30. 

2)  Pogg.  Ann.  XCYIII,  S.  173. 


396  Abschnitt  XIII. 

Auch  konnte  ich  nach  diesem  Citat  unmöglich  davon  sprechen, 
was  ich  glaube,  dass  in  diesem  Aufsatze  zu  finden  sei,  da  ich 
ja  wusste,  was  darin  stand.  Ferner  war  dieser  Aufsatz,  welcher 
in  einem  sehr  verbreiteten,  auch  in  englischen  Bibliotheken  vor- 
handenen Journal  erschienen  war,  Tyndall  ebenso  zugänglich, 
wie  mir,  und  sein  Inhalt  konnte  ihm  um  so  weniger  unbekannt 
sein,  als  er  schon  Gegenstand  eines  Prioritätsstreites  zwischen 
Mayer  und  Joule  in  den  Comptes  rendus  und  im Philosophical 
Magazine  gewesen  war.  Ich  hatte  also  gar  nicht  nöthig,  ihn  von 
dem  Inhalte  dieses  Aufsatzes  in  Kenntniss  zu  setzen.  Es  han- 
delte sich  vielmehr  nur  darum,  was  in  den  Schriften,  welche 
wir  nicht  kannten,  und  deren  Besorgung  ich  übernommen  hatte, 
ausserdem  noch  zu  erwarten  war.  Da  ich  nun  aus  diesen  Schriften 
nie  ein  Eesultat  angeführt  gefunden  hatte,  und  sie  überhaupt 
fast  ganz  unbekannt  geblieben  waren,  so  konnte  ich  nicht  ver- 
muthen,  dass  sie  sehr  Erhebliches  enthielten.  Dazu  kam  noch, 
dass  Mayer  der  ersten  und  wichtigsten  dieser  Schriften  den 
ihrem  Inhalte  sehr  unvollständig  entsprechenden  Titel  „Die  or- 
ganische Bewegung  in  ihrem  Zusammenhange  mit  dem  Stoff- 
wechsel" gegeben  hat,  sodass  man,  selbst  wenn  man  den  Titel 
zu  Gesicht  bekam,  gar  nicht  auf  den  Gedanken  kommen  konnte, 
dahinter  allgemeine  Auseinandersetzungen  über  die  Grundprin- 
cipien  der  Mechanik  und  Physik  zu  suchen. 

Ich  schrieb  darauf  nach  Heilbronn  an  den  Buchhändler, 
welcher  mir  als  der  wahrscheinliche  Verleger  der  May  er' sehen 
Schriften  bezeichnet  war,  und  als  ich  sie  von  diesem  erhalten 
hatte,  las  ich  sie  vor  der  Absendung  selbst.  Dabei  erkannte  ich 
sofort,  dass  ich  mich  in  Bezug  auf  ihren  Inhalt  geirrt  hatte, 
und  ich  nahm  daher ,  schon  als  ich  die  erste^  gleich  nach  ihrer 
Durchlesung  an  Tyndall  sandte,  meinen  frühern  Ausspruch 
ausdrücklich  zurück,  und  schrieb  ihm,  ich  sei  erstaunt  über  die 
Menge  der  darin  enthaltenen  schönen  und  richtigen  Gedanken. 
Zugleich  fügte  ich  eine  Uebersicht  dessen,  was  ich  darin  für 
besonders  wichtig  hielt,  hinzu. 

Tyndall  hatte  damals  gerade,  bei  Gelegenheit  der  Londoner 
Industrie-Ausstellung,  einen  Vortrag  vor  wissenschaftlichen  Nota- 
bilitäten  aus  allen  Ländern  zu  halten,  und  in  diesem  setzte  er 
mit  seinem  bekannten  Rednertalente  die  in  May  er 's  Schriften 
enthaltenen  neuen  Ideen  auseinander,  und  als  er  dadurch  das 
höchste   Interesse   für   die    Sache   erregt  hatte,  fügte   er  hinzu. 


Discussionen  über  die  mechaniache  Wärmetheorie.  397 

unter  wie  schwierigen  Umständen  dieses  von  einem  nicht  den 
wissenschaftlichen  Kreisen  angehörigen  Manne  ohne  wissenschaft- 
liche Anregung  und  Ermuthigung  geschaffen  war. 

Durch  diesen  Vortrag,  welcher  mehrfach  gedruckt  i)  und 
viel  besprochen  wurde,  war  der  Bann,  unter  welchem  Mayer 
durch  die  geringe  Beachtung  seiner  Arbeiten  gestanden  hatte, 
gebrochen.  Die  Arbeiten  wurden  nicht  nur  gelesen,  sondern  es 
entstanden  auch  lebhafte  Discussionen  über  ihre  Stellung  zu  den 
Arbeiten  Joule's,  wodurch  die  Aufmerksamkeit  noch  mehr  auf 
sie  gelenkt  wurde. 

Als  Mayer  einige  Jahre  später  eine  neue  Auflage  seiner 
Schriften  herausgab,  veröffentlichte  ich  eine  Recension  derselben 
im  Literarischen  Centralblatt  (1868),  in  welcher  ich  ihre  Wich- 
tigkeit hervorhob  und  zugleich  den  oben  erwähnten  Vortrag, 
durch  welchen  Tyndall  ihnen  zur  Anerkennung  verhelfen  hatte, 
besprach,  wodurch  ich  die  Arbeiten  auch  in  denjenigen  deut- 
schen Kreisen,  welche  nicht  gerade  naturwissenschaftliche  Jour- 
nale zu  lesen  pflegen,  bekannter  zu  machen  suchte. 

Aus  dem  Vorstehenden  wird  man  zur  Genüge  ersehen  haben, 
dass  ich  weder  irgend  eine  Veranlassung  hatte,  das  Nichtbekannt- 
werden  der  May  er' sehen  Schriften  zu  wünschen,  noch  auch 
irgend  etwas  dazu  gethan  habe,  sondern  dass  ich  vielmehr  das  in 
seinem  ersten  Aufsatze  enthaltene  Hauptergebniss  seiner  Unter- 
suchungen schon  sehr  früh  angeführt  und  gewürdigt,  und  später, 
nachdem  mir  die  übrigen  Schriften  bekannt  geworden  waren, 
auch  zu  deren  Verbreitung  mit  beizutragen  gesucht  habe. 

Ich  wende  mich  nun  zu  der  Du  bring 'sehen  Darstellung 
der  Sache. 

Nachdem  Herr  Dühring  erzählt  hat,  dass  auf  einen  im 
Mai  1849  von  Mayer  in  der  Augsburger  Allgemeinen  Zeitung 
veröffentlichten  Artikel  ein  Gegenartikel  von  einem  Tübinger 
Privatdocenten  erschienen  sei,  welcher  ohne  eigenes  Verständniss 
von  der  Sache  Mayer  in  hochmüthigem  Tone  als  Ignoranten 
abgefertigt  und  das  Publikum  vor  seinen  Unklarheiten  gewarnt 
habe,  und  dass  ferner,  als  Mayer  sich  gegen  diesen  ungerecht- 
fertigten und  in  jeder  Beziehung  unpassenden  Angriff"  habe  ver- 
theidigen   wollen,    die  Redaction  ihm  ihre   Spalten   verschlossen 

1)  „On  Force.'-''  Proc.  of  the  Royal  Institution,  June  6,  1862;  Phil. 
Mag.  Ser.  4,  Vol.  24,  jp.  57;  Heat  consiclered  as  a  mode  of  Motion,  hy 
John  Tyndall,  London  1863,  p.  435. 


398'  Abschnitt  XIH. 

habe,  knüpft  er  daran  die  Frage,  warum  sich  damals  die  Männer 
der  Wissenschaft  nicht  May  er 's  angenommen  und  ihn  vertheidigt 
hätten.  Als  solche,  die  dieses  hätten  thun  sollen,  nennt  er  zu- 
erst Li  eh  ig  und  Helmholtz,  und  erwähnt  dann  auch  mich 
mit  den  Worten:  „auch  Herr  Clausius  sprosste  damals  schon 
ein  wenig  auf, "  und  sagt  von  mir ,  ich  habe  „noch  dreizehn  Jahre 
später  dem  Professor  Tyndall  in  London  geschrieben,  dass  der- 
selbe, nach  dem  ersten  Aufsatze  Mayer' s  zu  urtheilen,  in  dessen 
Schriften  nichts  Rechtes  finden  werde."  Darauf  fährt  er  fort: 
„Wenn  Herr  Clausius  1862  noch  für  gut  fand,  in  der  Mayer'- 
schen  Entdeckung  nichts  Erhebliches  finden  zu  wollen,  während 
er  selbst  an  nichts  als  an  mechanischer  Wärmetheorie  wieder- 
käute, so  mag  man  ermessen,  wie  sich  die  Ignorirung  und  Unter- 
drückung May  er' s  durch  Handwerksgelehrte  solchen  Schlages 
aus  der  edlen  Paarung  von  bösem  Willen  und  eitler  Beschränkt- 
heit zusammensetzte.  Den  May  er' sehen  Aufsatz  gelesen  haben, 
ein  Matador  der  Wärmetheorie  sein  wollen  und  dennoch  in  jenem 
Aufsatze  nichts  finden  können,  —  das  heisst  handgreiflich  bei 
Eigenschaften  attrapirt  sein,  deren  Besitz  den  wissenschaftlichen 
Hals  brechen  muss." 

Was  zunächst  die  Frage  anbetrifft,  weshalb  ich  mich  Mayer' s 
nicht  angenommen  habe,  so  muss  ich  erwähnen,  dass  ich  damals 
noch  gar  nicht  Docent  an  einer  Universität  war  und  noch  nichts 
über  die  Wärme  publicirt  hatte,  und  dass  ich  daher,  wenn  auch 
meine  Studien  schon  auf  die  Wärmetheorie  gerichtet  waren,  doch 
nicht  alle  darüber  stattfindenden  Discussionen  verfolgte.  In  der 
That  habe  ich  von  dem  in  der  Augsburger  Allgemeinen  Zeitung 
erschienenen  Artikel  damals  nichts  erfahren,  sondern  habe  erst 
lange  nachher  aus  einer  der  Schriften  Dühring's  davon  Kennt- 
niss  erhalten. 

Was  nun  aber  die  weiteren  auf  mich  bezüglichen  Aeusse- 
rungen  betrifft,  so  hat  Herr  Dühring  meinen  x^usspruch  un- 
richtig wiedergegeben.  Abgesehen  davon ,  dass  er  die  Worte 
„nichts  sehr  Erhebliches"  (very  important)  durch  „nichts  Rechtes" 
ersetzt,  hat  er  die  von  mir  gar  nicht  geschriebenen  Worte  „nach 
dem  ersten  Aufsatze  Mayer's  zu  urtheilen"  hinzugefügt,  welche 
dem  Ausspruche  einen  ganz  andern  Sinn  geben,  als  er  bei  mir 
hatte.  In  demselben  Sinne  sagt  er  dann  noch  bestimmter  weiter, 
ich  habe  „in  der  May  er 'sehen  Entdeckung"  (nämlich  in  der 
Entdeckung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme)  nichts 


Discussionen  über  die  mechanische  'Wärmetheorie.  399 

Erhebliches  finden  wollen,  und  ich  habe  „in  jenem  Aufsatz" 
nichts  finden  können.  Von  jenem  ersten,  in  Liebig's  Annalen 
erschienenen  Aufsatze,  welcher  die  Entdeckung  des  mechani- 
schen Aequivalentes  der  Wärme  enthält,  ist  aber  in  meinem 
Ausspruche  gar  nicht  die  Rede  und  konnte  es  auch  nicht 
sein,  wie  aus  den  oben  angeführten  Gründen  und  ganz  beson- 
ders aus  meiner  eigenen  Erwähnung  des  Aufsatzes  klar  ersicht- 
lich ist. 

Da  ich  mir  nicht  denken  konnte,  dass  Herr  Dühring  mir 
absichtlich  etwas  Falsches  untergeschoben  habe,  sprach  ich  in 
meiner  ersten  Erwiderung  die  auch  durch  eine  andere  Stelle 
seines  Buches  scheinbar  bestätigte  Yermuthung  aus,  dass  er  von 
dieser  Erwähnung  nichts  gewusst  habe.  Dem  widerspricht  er 
aber  in  seiner  neuesten  Schrift  i)  mit  den  Worten:  ..Dies  kannte 
ich;  ich  hatte  so  etwas  nie  bestritten;  im  Gegentheil,  ich  hatte 
stets  solche  Winkelcitate ,  die  an  letzter  Stelle  neben  Anderen 
das  Verdienst  des  Mitaufgeführten  nur  verkleinern,  gerügt  und 
mit  unter  die  Verschüttungsproceduren  gerechnet." 

Nach  diesem  Ausspruche  handelt  es  sich  nur  noch  um  die 
Form  oder  die  Stellung,  in  welcher  ich  Mayer  neben  anderen 
Autoren  erwähnt  habe.  Hierauf  näher  einzugehen  halte  ich  um 
so  weniger  für  nöthig,  als  ich  bei  meinen  Erwähnungen  gar  nicht 
die  Absicht  hatte,  eine  abwägende  historische  Darstellung  zu 
geben,  sondern  nur  den  damaligen  Stand  unseres  Wissens  über 
den  Gegenstand  zu  kennzeichnen.  Eins  aber  ergiebt  sich  auch 
aus  diesem  Ausspruche,  dass  nämlich,  selbst  wenn  die  Behauptung, 
dass  ich  Mayer  nicht  genug  hervorgehoben  hätte,  richtig  wäre, 
daraus  nicht  mir,  sondern  nur  den  neben  ihm  erwähnten  Autoren 
ein  Vortheil  hätte  erwachsen  können. 

Wenn  somit  der  Umstand,  dass  ich  in  einer  Sache,  in  der 
ich  persönlich  ganz  unbetheiligt  war,  einem  Citat  eine  andere 
Form  oder  Stellung  gegeben  habe,  als  Herr  Dühring  angemessen 
findet,  ihm  genügt  hat,  um  mir  bösen  Willen,  eitle  Beschränktheit 
und  solche  Eigenschaften,  die  mir  den  T\-issenschaftlichen  Hals 
brechen  müssen,  zuzuschreiben,  so  kann  man  sich  daraus  eine 
Vorstellung  davon  bilden,  wie  das  Thatsächliche  beschaffen  ist, 
auf  welches  er  seine  Vorwürfe  gründet. 


^)  Neue  Gruudgesetze  zur  rationellen  Physik  und  Chemie,  zweite  Folge, 
S.  137. 


400  Abschnitt  Xni. 

Weiterhin  (auf  S.  94  seiner  Schrift)  kommt  Herr  Dühring 
noch  einmal,  und  zwar  specieller  auf  die  Correspondenz,  welche 
Tyndall  mit  mir  und  gleichzeitig  auch  mit  Helmholtz  geführt 
hat,  zurück  und  stellt  die  Sache  in  ganz  eigen thümlicher  Weise  dar. 

Zuerst  sagt  er:  „Herr  Tyndall  hatte  hiermit  (nämlich  mit 
seinem  Vortrage)  ein  wenig  an  die  Glocke  geschlagen,  obwohl 
er  von  zwei  deutschen  professoralen  Adressen,  an  die  er  sich 
damals  um  Näheres  über  Mayer  und  seine  Schriften  gewendet 
hatte,  mit  abmahnenden  Urtheilen  regalirt  worden  war."  Nun 
sagt  aber  Tyndall  kein  Wort  davon,  dass  Helmholtz  ihm 
ein  abmahnendes  Urtheil  geschickt  habe,  und  von  mir  führt  er 
aus  meinem  zweiten  Briefe  die  Stelle  „I  am  astonished  at  the 
multitude  of  beautiful  and  correct  thoughts  which  they  contain" 
wörtlich  an  und  fährt  dann  fort:  „and  he  goes  on  to  point  out 
various  important  subjects,  in  the  treatment  of  which  Mayer 
had  anticipated  other  eminent  writers."  Dieses  nennt  Herr 
Dühring  ein  abmahnendes  Urtheil. 

Sodann  sagt  er  weiter  von  Tyndall:  „In  seinem  damaligen 
Vortrag  hat  er  die  Namen  dieser  ehrenwerthen  Adressen  noch 
verschwiegen  und  die  Adressen  selbst  bloss  gekennzeichnet.  Es 
waren  die  Herren  Clausius  und  Helmholtz."  Wenn  hier 
angedeutet  wird,  dass  die  Nichtnennung  unserer  Namen,  die  ganz 
natürlich  war,  da  es  sich  ja  nur  um  eine  Privatcorrespondenz 
handelte,  aus  Schonung  für  uns  geschehen  sei,  so  hat  dieses 
schon  an  sich,  der  ganzen  Sachlage  nach,  gar  keinen  Sinn,  und 
ausserdem  unterlässt  Herr  Dühring  es,  hinzuzufügen,  dass  ich 
selbst,  bei  Besprechung  des  zwischen  Tyndall  und  Tait  über 
Mayer  ausgebrochenen  Streites i),  die  beiden  von  Tyndall 
erwähnten  Briefe  zuerst  als  von  mir  herrührend  bezeichnet  habe, 
woraus  gewiss  hervorgeht,  dass  ich  das  Bekanntwerden  meines 
Namens  nicht  zu  scheuen  hatte. 

Eudhch  fährt  Herr  Dühring  mit  specieller  Beziehung  auf 
mich  fort:  „Ersterer  musste  ihm  schliesslich  doch  die  Mayer'- 
schen  Broschüren  schicken  und  konnte  sich  nicht  anders  aus  der 
Klemme  herauswinden,  als  dass  er  klein  beigab  und  so  that,  als 
wenn  er  die  Broschüren  erst  jetzt  eingesehen  hätte.  Mit  dem 
Aufsatz  in  den  Lieb  ig' sehen  Annalen  hatte  er  sich  aber  schon 
zugleich  verrathen   und  biossgestellt;   denn   er  hatte  von  vorn- 


1)  Die  mechanische  Wärmetheorie.   2.  Aufl.,  Bd.  II,  S.  325. 


Discusfilonon  über  die  mechanische  "Wärmetheorie.  401 

herein  Herrn  Tyndall  weismachen  wollen,  es  wäre  nichts  für 
die  Wissenschaft  Erhebliches  darin  zu  finden.  Solchen  edeln 
deutschen  Landsmannschaftlichkeiten  gegenüber  nimmt  sich  Herrn 
Tyndall's  Bemühung  wirklich  gut  aus  .  .  ." 

Die  hierin  vorkommende  Stelle,  ich  hätte  mich  zugleich 
verrathen,  dass  ich  den  Aufsatz  in  den  Liebig' sehen  Annalen 
schon  gekannt  hätte,  ist  es,  welche  mir  früher  als  ein  Beweis 
dafür  erschienen  war,  dass  Herr  Du  bring  von  meiner  schon 
lange  vorher  geschehenen  Erwähnung  dieses  Aufsatzes  nichts  ge- 
wusst  habe,  denn  durch  diese  stand  es  ja  fest,  dass  ich  ihn 
gekannt  hatte,  und  es  konnte  also  davon,  dass  ich  mich  in  dieser 
Beziehung  noch  erst  verrathen  hätte,  gar  nicht  die  Rede  sein. 
Nachdem  Herr  Dühring  aber  neuerdings  erklärt  hat,  meine  Er- 
wähnung sei  ihm  bekannt  gewesen,  kann  ich  nur  sagen,  dass 
ich  die  Stelle  nicht  verstehe.  Auch  über  die  abermals  wieder- 
kehrende Behauptung,  ich  habe  von  diesem  Aufsatze  gesagt,  dass 
er  nichts  Erhebliches  enthalte,  brauche  ich  nicht  weiter  zu 
sprechen.  Was  ich  aber  hervorheben  muss,  ist,  dass  er  dadurch, 
dass  er  sagt,  ich  habe  so  gethan,  als  wenn  ich  die  Broschüren 
erst  jetzt  eingesehen  hätte,  mich  der  Lüge  zeiht. 

Eine  solche  Anschuldigung  spricht  man  sonst  nur  aus,  wenn 
man  gleich  ganz  bestimmte  und  untrügliche  Beweisgründe  hinzu- 
fügen kann.  Herr  Dühring  führt  aber  gar  keinen  Beweisgrund 
an,  und  ausserdem  ist  auch,  da  ich  nichts  von  dem,  was  in  den 
Broschüren  steht,  für  mich  in  Anspruch  genommen  und  in  ganz 
anderer  Richtung,  als  Mayer,  gearbeitet  habe,  gar  kein  Grund 
abzusehen,  weshalb  ich,  wenn  mir  die  Broschüren  bekannt  ge- 
wesen wären,  dieses  hätte  ableugnen  sollen.  Die  Anschuldigung 
ist  mir  daher  völlig  unbegreiflich.  Ueberhaupt  ist  in  der  ganzen 
Darstellung  der  Sache  alles  Thatsächliche  so  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit entstellt,  und  dabei  eine  Sprache  geführt,  die  in  der 
Wissenschaft  so  unerhört  ist,  dass  ich  beim  Lesen  derselben  fast 
zu  träumen  glaubte. 

Da  mir  von  Herrn  Dühring  der  Vorwurf  gemacht  ist,  unedel 
und  mit  bösem  Willen  gegen  Mayer  gehandelt  zu  haben,  so 
glaube  ich  dem  gegenüber  mittheilen  zu  müssen,  wie  Mayer 
selbst  darüber  dachte.  Als  Tyndall  seinen  Vortrag  gehalten 
hatte,  setzte  ich  Mayer  davon  in  Kenntniss,  wobei  ich  zugleich 
meiner  eigenen  Werthschätzung  seiner  Arbeiten  Ausdruck  gab 
und    ihm    eine    damals    eben    erschienene   Abhandlung   von   mir 

^     C  1  a  u  s  i  u  s  ,  mechan.  Wärmetlieorie.    I.  9g 


402  Absclinitt  XIII, 

zusandte.  Darauf  habe  ich  von  ihm  ein  Dankschreiben  erhalten. 
Unter  anderen  Umständen  würde  ich  nie  daran  gedacht  haben, 
dieses  Schreiben  zu  publiciren,  indem  zu  meiner  sonstigen  Ab- 
neigung, Privatschreiben  vor  die  Oeffentlichkeit  zu  bringen,  in 
diesem  Falle  noch  der  Gedanke  kommen  musste,  dass  man  mir 
wegen  des  in  dem  Schreiben  enthaltenen  Lobes  seine  Veröffent- 
lichung als  Ruhmredigkeit  auslegen  könnte.  Jetzt  aber,  nachdem 
mir  ein  so  schwerer  Vorwurf  gemacht  ist,  der,  wenn  er  begründet 
wäre,  ein  um  so  schlechteres  Licht  auf  mich  werfen  müsste,  je 
mehr  Mayer  so  schon  durch  die  Verhältnisse,  in  denen  er  sich 
befand,  zu  leiden  hatte,  sehe  ich  mich  genöthigt,  alle  derartigen 
Rücksichten  fallen  zu  lassen,  und  auch  von  diesem  Documente 
zu  meiner  Vertheidigung  Gebrauch  zu  machen.  Der  Brief  lautet 
folgendermaassen. 


Hochverehrtester  Herr  Professor! 

Kaum  weiss  ich  Worte  zu  finden,  um  Ihnen  meinen  Dank 
für  Ihr  mich  so  sehr  ehrendes  Schreiben  vom  1,5  d,  M,  auszu- 
drücken, wiewohl  ich  mit  Beschämung  gestehen  muss,  dass  ich 
mir  wohl  bewusst  bin,  wie  meine  schwachen  Leistungen  ein  solches 
Lob  und  von  einem  solchen  Munde  gespendet  entfernt  nicht 
verdienen,  Ihnen,  sehr  verehrter  Herr,  gebührt  vor  Allen  das 
Verdienst,  durch  Ihre  höchst  gediegenen  Arbeiten  die  mechanische 
Wärmetheorie  auf  analytischem  Wege  begründet  zu  haben  —  ein 
Verdienst,  das  soviel  mir  bekannt  unbestritten  überall  anerkannt 
ist.  Solchen  Leistungen  gegenüber  kann  meinen  Schriftchen 
offenbar  nur  ein  historisches  Interesse  noch  zukommen.  Auch 
für  die  gütige  Zusendung  Ihrer  Abhandlung  über  die  Aequivalenz 
der  Verwandlungen  sage  ich  Ihnen  meinen  verbindlichsten  Dank; 
ich  habe  dieselbe  mit  grossem  Interesse  zu  studiren  angefangen 
und  finde,  dass  Sie  hier  mit  bekannter  Meisterhand,  mit  grosser 
Klarheit  und  ausserordentlichem  Scharfsinn  eine  Welt  von  Ge- 
danken erschlossen  haben,  — 

Wenn  Sie  Ihrem  verehrten  Freunde,  Herrn  Professor  Tyn- 
dall  wieder  schreiben,  so  sind  Sie  wohl  so  gütig,  demselben 
zugleich  meinen  respectvollsten  Dank  für  die  mir  von  seiner 
Seite  zu  Theil  gewordene  so  wichtige  und  ehrenvolle  Anerken- 
nung auszudrücken.     Wahrhaft  beglücken  würde  es  mich,  wenn 


Discussionen  über  die  mechanisclie  WHi-metheorie.  403 

ich   einmal  auf  irgend  eine  Weise  in  den  Stand  gesetzt   werden 
sollte,  meine  Dankesgefühle  auch  durch  die  That  zu  beweisen. 

Genehmigen  Sie  etc. 

Dr.  J.  R.  Mayer. 

Heilbronn, 

24  Juni  1862. 

Ich  brauche  wohl  kaum  zu  bemerken,  dass  man  dem,  was 
Mayer  hier  über  seine  und  meine  Verdienste  um  die  Begründung 
der  mechanischen  Wärmetheorie  sagt,  kein  zu  grosses  Gewicht 
beilegen  darf,  indem  man  dabei  seine  Bescheidenheit  und  Höf- 
lichkeit in  Anschlag  bringen  muss.  Worauf  es  mir  ankommt,  ist 
nur,  dass  in  diesem  Briefe  ausgedrückt  ist,  wie  er  unsere  persön- 
liche Beziehung  zueinander  aufiasste.  Er  hat  mich  später  in 
Zürich  besucht,  und  auch  anderwärts  sind  wir  zusammengetroffen, 
und  immer  hat  zwischen  uns  nur  ein  freundschaftliches  Verhältniss 
bestanden.  Hiernach  möge  man  beurth eilen,  was  davon  zu  halten 
ist,  wenn  jetzt,  nach  May  er 's  Tode,  in  Bezug  auf  denselben 
Vorgang,  welcher  den  obigen  Brief  veranlasst  hat,  von  einem 
Schriftsteller,  der  damals  und  noch  lange  nachher  Mayer  ganz 
fern  stand,  ohne  jeden  Beweisgrund  Anschuldigungen  der  oben 
besprochenen  Art  gegen  mich  erhoben  werden. 


DIE 


MECHANISCHE 


WARMETHEORIE 


VON 


R.   CLAUSIUS. 


ZWEITE 

umgearbeitete  und  vervollständigte  Auflage  des  unter  dem  Titel 

„Abhandlungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie - 

erschienenen  Buches. 


ZWEITER    BAND. 

Anwendung  der  der  mechanisclien  "Wärmetheorie  zu  Grunde 
liegenden  Principifen  auf  die  Electricität. 


BRAÜNSCHWEIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  FRIEDRICH  VIEWEG   UND   SOHN. 

18  7  9. 


ANKÜNDIGUNG. 


"Während  die  erste  Auflage  dieses  Werkes  eine  Sammlung  von 
einzelnen  früher  veröffentlichten  Abhandlungen  war,  welche  in  ihrer 
ursprünglichen  Form  wieder  abgedruckt  und  zur  Erläuterung  und 
Vervollständigung  nur  mit  Anmerkungen  und  Zusätzen  versehen 
waren,  hat  bei  der  zweiten  Auflage  eine  vollständige  Umarbeitung 
stattgefunden,  durch  welche  der  Inhalt  jener  Abhandlungen  systema- 
tisch vereinigt  und  in  die  Form  eines  Lehrbuches  gebracht  ist.  Die 
z<weite  Auflage  kann  daher  in  Bezug  auf  die  Darstellungsweise  als 
ein  neues  Werk  bezeichnet  werden. 

Der    vorliegende    zweite  Band  enthält  die  Anwendung  der  der 

mechanischen  Wärmetheorie  zu   Grunde   liegenden  Principien  auf  die 

Electricität ,    welche    Abtheilung    durch    das    Hinzukommen    mehrerer 

'•*■■ 
Vervollständigungen    und    ausgedehnter    neuer    Untersuchungen    sehr 

erweitert  ist  und  eine  in  sich  zusammenhängende  mechanische  Behand- 
lung der  Electricität  bildet. 


V 


DIE 


MECHANISCHE 


WARMETHEORIE 


VON 


R   CLAUSIUS. 


ZWEITE 

umgearbeitete  und  vervollständigte  Auflage  des  unter  dem  Titel 

„Abhandlungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie" 

erschienenen  Buches. 


ZWEITER    BAND. 

Anwendung  der  der  mechanisclien  Wärmetheorie  zu  Grunde 
liegenden  Principien  auf  die  Electricität. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  FRIEDRICH   VIEWEG  UND   SOHN. 

18   7   9. 


DIE 


MECHANISCHE 


BEHAT^DLÜI^a 


ELECTRICITÄT 


VON 


R.   CLAUSIUS. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK   UND   VERLAG  VON  FRIEDRICH  VIEWEG   UND   SOHN. 

18   7   9. 


V  0  R  E  E  D  E. 


Die  durcli  die  erneute  Auflage  meines  Buches  über 
die  meclianisclie  Wärmetheorie  veranlasste  Ueberarbei- 
tung  meiner  früheren  electrischen  Untersuchungen  hat 
mich  zu  neuen  Untersuchungen  geführt,  welche  eine 
wesenthche  Vervollständigung  der  früheren  bilden,  und 
daher  neben  diesen  mit  aufgenommen  werden  mussten. 
Besonders  ist  in  dieser  Beziehung  die  Behandlung  der 
electrodynamischen  Erscheinungen  zu  erwähnen,  welche 
in  der  ersten  Auflage  fehlte,  in  der  gegenwärtigen  aber 
einen  beträchtlichen  Raum  einnimmt.  Dadurch  ist  der 
auf  die  Electricität  bezügliche  Theil  des  Werkes  so 
angewachsen,  dass  es  zweckmässig  erschien,  aus  ihm 
einen  besonderen  Band  zu  bilden,  und  die  noch  übri- 
gen Theile  der  mechanischen  Wärmetheorie  für  einen 
dritten  Band  vorzubehalten. 

Zugleich  sind  die  so  vervollständigten  Entwicke- 
lungen  nicht  mehr  bloss  als  eine  Anwendung  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  auf  die  electrischen  Erscheinun- 


VI  Vorrede. 

gen,  sondern  als  eine  zum  Theil  von  der  Wärmelelire 
unabhängige  meclianisclie  Beliandlung  der  Electricität 
zu  betrachten.  Aus  diesem  Grrunde  habe  ich  geglaubt, 
dem  Titel,  welcher  sie  als  zweiten  Band  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  bezeichnet,  noch  einen  anderen 
Titel  hinzufügen  zu  dürfen,  welcher  sie  als  mechanische 
Behandlung  der  Electricität  bezeichnet,  um  dadurch 
anzudeuten,  dass  dieser  Band  auch  als  ein  von  den  an- 
deren Bänden  der  mechanischen  Wärmetheorie  unab- 
hängiges, für  sich  bestehendes  Werk  gelten  kann. 

Bonn,  im  November  1878. 

K.   Clausius. 


Il^^HALT. 


Abschnitt    I. 

Seite 

Einleitung  in  die  matheniatische  Behandlung  der  Electrieität   .  1 

§.     1.    Die  Potentialfunction 1 

§.    2.    Annahme  zweier  Electricitäten  und  Ausdruck  ihrer  Kräfte    .    .  2 

§.    3.    Ausdruck  der  Potentialfunction 4 

§.    4.    Bestimmung   der   Kraftcomponenten   mit    Hülfe    der    Potential- 
function     5 

§.    5.    Das  Potentialniveau 6 

§.    6.    Differentialausdruck  zweiter  Ordnung,   welcher   die  Vertheilung 

des  wirksamen  Agens  im  Räume  bestimmt 7 

§.    7,    Gleichgewichtszustand  der  Electrieität 8 

§.    8.    Differentialausdruck,  welcher  die  Vertheilung  des  wirksamen  Agens 

auf  einer  Fläche  bestimmt 10 

§.    9.    Anordnung  der  Electrieität  auf  einer  Kugel  und  auf  einem  EUip- 

soid 12 

§.  10.    Anordnung  der  Electrieität  auf  einer  elliptischen  Platte    ....  16 

§.  11.    Der  Green' sehe  Satz 18 

§.  12.    Bestimmung  des  von  einer  Fläche  eingeschlossenen  Agens   ...  21 
§.  13.    Das  Green-Dirichlet'sche  Princip  und  die  Green'sche  Func- 
tion     22 

§.  14.     Bestimmung   der  Potentialfunction   eines  durch   eine  Fläche  ab- 
gegrenzten Agens  aus  den  in  der  Fläche  stattfindenden  Werthen  24 
§.  15.    Flächenbelegung,  welche  einer  in  der  Fläche  gegebenen  Potential- 
function entspricht 28 

§.  16.    Bestimmung  der  Potentialfunction  und  der  Flächendichtigkeit  bei 

electrischen  leitenden  Körpern  aus  der  Green' sehen  Function  30 

§.  17.    Wirkung  einer  leitenden  Schaale  und  eines  leitenden  Schirmes  .  31 

§.  18.    Ein  allgemeiner  Satz  in  Bezug  auf  Influenzwirkungen 33 


VIII  Inhalt. 


Abschnitt   II. 

Seite 

Gleiehungen  für  Leidener  Flasehen 39 

§.  1.    Betrachtung     zweier     einander    sehr    nahe    gegenüberliegender 

Oberflächenpuncte  von  leitenden  Körpern 39 

§.  2.    Anwendung  der  Gleichungen  auf  den  Condensator,   die  Frank- 
lin'sehe  Tafel  und  die  Leidener  Flasche 43 

§.  3.    Vervollständigungen,  welche   in    den  vorigen  Gleichungen  noch 

nöthig  sind 46 

§.  4.    Behandlung  einfacher  specieller  Fälle 48 

§.  5.    Allgemeine  Gleichungen  für  zwei  beliebige  Körper 52 

§.  6.    Bestimmung  des  Coefficienten  a  für  Leidener  Flaschen     ....  55 

§.  7.    Bedeutung  der  Coefficienten  «  und  ß  für  Leidener  Flaschen   .    .  58 

§.  8.    Bequeme  Form  der  Gleichungen 59 


Absclinitt   III. 

Behandlung  dieleetriseher  Medien 62 

§.  1.     Verhalten  der  isolirenden  Zwischenschicht      62 

§.  2.    Mögliche  Annahmen  über  die  innere  Polarisation  der  Isolatoren  64 

§.  3.    Auswahl  einer  Hypothese  zur  mathematischen  Behandlung  ...  66 

§.  4.    Ableitung  der  Poisson'schen  Fundamentalgleichungen    ....  67 

§.  5.    Veränderte  Formen  der  gewonnenen  Gleichung 76 

§.  6.    Anwendung  der   gewonnenen    Gleichungen   auf  Franklin 'sehe 

Tafeln  und  Leidener  Flaschen 80 

§.  7.    Vollständige  Gleichungen  für  die   beiden  Belegungen  einer  Lei- 
dener Flasche 89 

§.  8.    Behandlung  der  Dielectrica  von  Helmholtz  und  Maxwell   .    .  91 


Absclmitt  lY. 

Das  mechanische  Aequivalent  einer  eleetrisehen  Entladung  .   .  98 

§.  1.     Gesammtwirkung  einer  Entladung 98 

§.  2.    Potential  einer  geladenen  Leidener  Flasche  oder  Batterie     ...  99 

§.  3.    Abnahme  des  Potentials  bei  der  Entladung  und  Rückstand     .    .  102 
§.  4.    Untersuchung  des   Falles,   wo   die  Potentialniveaux  der  beiden 
Belegungen  gleich   sind,  während  noch  eine  innere  Polarität 

besteht 104 

§.  5.    Arbeit  der  eleetrisehen  Kräfte  während  der  Entladung  und  nach 

derselben 108 

§.  6.    Wirkungen  der  Entladung 110 

§.  7.    Vergleichung  unter  Annahme  verschiedener  Ladungen 117 


Inhalt.  IX 

Seite 

§.     8.    Unvollständige  Entladung 118 

§.     9.     Gleichungen  für  die  Cascadenbatterie 122 

§.  10.     Cascadenbatterie  aus  zwei  ungleichen  Elementen 123 

§.  11.     Cascadenbatterie  aus  mehreren  gleichen  Elementen 127 


Absclinitt   V. 


Arbeit    und    Wärmeerzeugung   bei    einem    stationären  eleetri- 

schen  Strome 131 

§.     1.    Eigenthümlichkeit  des  zu  betrachtenden  Falles 131 

§.  2.  Das  Ohm 'sehe  Gesetz  und  die  Kirchhoff'sche  Deutung  des- 
selben      132 

§.    3.    Anordnung  der  getrennten  Electricität  und  electrischer  Zustand 

im  Inneren  des  Leiters 134 

§.    4.    Bestimmung  der  im  Leiter  gethanen  Arbeit 138 

§.     5.    Bestimmung  der  im  Leiter  erzeugten  "Wärme 140 

§.    6.    Behandlung  specieller  Fälle 142 

§.     7.    Verhalten  galvanisch  erwärmter  Drähte  in  verschiedenen  Gasen    144 
§.    8.    Zunahme  des  Leitungs Widerstandes  einfacher  fester  Metalle  mit 

der  Temperatur 150 

§.  9.  Beziehung  zwischen  der  chemischen  Action ,  welche  in  einer 
Volta'schen  Säule  stattfindet,  und  den  durch  den  Strom  her- 
vorgebrachten Wirkungen 151 


Absclmitt   YI. 

Eleetrieitätsleitung  in  Eleetrolyten 155 

§.     1.    Arbeitleistung  und  Wärmeerzeugiing   in  einem  electrolytischen 

Leiter 155 

§.     2.    Electrisches  Verhalten  der  Theilmolecüle 157 

§.    3.    Bedingung,  welche  als  erfüllt  vorauszusetzen  ist 159 

§.    4.    Schwierigkeit  der  Erklärung 161 

§.    5.     Veränderte  Annahme   über   das  moleculare   Verhalten   electro- 

lytischer  Flüssigkeiten 163 

§.     6.    Neue  Erklärung  der  electrolytischen  Leitung 164 

§.    7.    Uebereinstimmung    der    neuen   Erklärung  mit    der  Erfahrung 
und   Unterschied  zwischen    ihr  und    der    Grotthuss'schen 

Erklärung 166 

§.    8.    Eine  frühere  ähnliche  Ansicht  über  moleculare  Vorgänge  .    .    .  167 

§.     9.    Metallische  Leitung  in  Eleetrolyten 169 


Inhalt. 


Abschnitt   YII. 

Seite 

Die  thermoeleetriselien  Ströme 170 

§.     1.     Electrischer  Zustand  an  der  Berührungsfläclie  zweier  Stoffe  .    .  170 

§.    2.     Grund  der  Potentialniveaudifferenz 171 

§.     3.     Untersclieidung   der    liier   angenommenen    Potentialniveaudiffe- 
renz von  einer  anderen 177 

§.     4.     Stromstärke  in  einer  aus  zwei  Stoffen  bestellenden  Thermokette  178 
§.     5.    Arbeitleistung   und  Wärmeerzeugung  in   der   Thermokette    .    .  180 
§.     6.     Vorhandensein  eines  durch  die  Thermokette  vermittelten  Wärme- 
überganges     183 

§.     7.    Anwendung  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärme- 
theorie      185 

§.     8.    Uebereinstimmungspuncte  des  obigen  Resultates  mit  der  Erfah- 
rung   188 

§.     9.    Abweichungen   des   obigen  Resultates  von   der  Erfahrung   und 

ihre  Erklärung 190 

§.  10.     Erweiterung  der  Theorie 193 

§.  11.     Verallgemeinerter  Ausdruck  der  electromotorischen  Kraft  .    .    .  195 

§.  12.     Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  in  der  Thermokette  .  199 


Abschnitt   YIII. 

Ponderomotorisehe    und.     eleetromotorisehe     Kräfte    zwischen 

linearen  Strömen  und.  Leitern 204 

§.     1.     Die  Ampere'schen  Grundformeln 204 

§.     2.     Umformung  der  vorstehenden  Gleichungen 207 

§.     3.    Zurückführung  der  drei  Grössen  A,  B  und  C  auf  Eine  Grösse   209 
§.     4.     Die   magnetische   Kraft  und   die  magnetische  Potentialfunction 

eines  geschlossenen  Stromes 211 

§.     5.    Einführung  magnetischer  Flächen   für  den  die  Wirkung  erlei- 
denden Strom 215 

§.     6.    Das  magnetische  Potential  zweier  geschlossener  Ströme  auf  ein- 
ander  218 

§.    7.    Die    Induction  und  das  electrodynamische  Potential  zweier  ge- 
schlossener Ströme  auf  einander ,   .    224 


Abschnitt   IX. 

Ableitung  eines  neuen  eleotrodynanüsehen  Grundgesetzes  .    .    .    227 

§.     1.    Verallgemeinerung  des   electrischen  Kraftgesetzes  und  Ansich- 
ten über   die  strömende  Electricität 227 


Inhalt.  XI 

Seite 
§.     2.     Unvereinbarkeit  des  Weber'schen  Grunrigesetzes  mit  der  Vor- 
stellung von  nur   Einer  im   festen  Leiter   beweglichen  Elec- 

tricität 229 

§.     3.    Betrachtung   eines    von    Eiemann    aufgestellten    Kraftgesetzes 

unter   dem   obigen  Gesichtspuncte 232 

§.    4.    Zulässigkeit  gewisser  Vorbedingungen  bei  der  Bestimmung  der 

Kräfte 235 

§.     5.    Ausdrücke  der  Kraftcomponenten  für  ein  specielles  Coordinaten- 

system 237 

§.     6.    Ausdrücke    der    Kraftcomponenten   für    ein   beliebiges    Coordi- 

natensystem .  242 

§.     7.     Bestimmung  der  in  Xg  vorkommenden  Functionen 246 

§.     8.    Bestimmung  der  in  X^  vorkommenden  Functionen 249 

§.    9.    Bestimmung  der  in  Xg  vorkommenden  Functionen 252 

§.  10.    Anwendung  der  Inductionsgesetze 258 

§.  11.    Zusammenfassung  der  bisher  gewonnenen  Resultate 265 

§.  12.    Anwendung  des  Princips  von  der  Erhaltung  der  Energie  .    .    .  267 

§.  13.    Das  electrodynamische  Potential 275 

§.  14.    Ableitung  der  Kraftcomponenten  aus  dem  Potential 277 

§.  15.    Kraftgesetz  für  Stromelemente 280 

Abschnitt   X. 

Anwendung  des  neuen  eleetrodynamisclien  Grundgesetzes  auf 
die  zwisclien  linearen  Strömen  und  Leitern  stattfin- 
denden ponderomotorisehen  und  eleetromotorisehen 
Kräfte 282 

§.     1.    Unterscheidende  Eigenthümlichkeiten  des  neuen  Grundgesetzes  282 
§.     2.    Anwendung    des    neuen    Grundgesetzes    auf    die  in    bewegten 

linearen  Leitern   strömenden   Electricitäten 286 

§.     3.    Ponderomotorische  Kraft  zwischen  zwei  Stromelementen    .    .    .  292 

§.     4.     Bestimmung  der  inducirten  eleetromotorisehen  Kraft 296 

§.    5.     Arbeit  der  ponderomotorisehen  und  eleetromotorisehen  Kräfte  299 
§.    6.    Das  electrodynamische  Potential  geschlossener  Ströme  auf  ein- 
ander   302 


Absclinitt   XL 

Diseussionen   über  die    meehaniselie   Behandlung    der  "Wärme 

und  Eleetrieität 306 

§.     1.     Aus  thermoelectrischen  Erscheinungen  entnommener  Einwand 

von  Tait 306 

§.    2.    Einwand  von  F.  Kohlrausch 309 

§.    3.    Anderer  Einwand  von  Tait 314 

§.    4.    Einwand  von  Tolver  Preston 317 


XII  Inhalt. 

Seite 

§.     5.     Arbeitsverlust  in  niclit-umkelirbaren  Kreisprocessen 319 

§.    6.    Tendenz  des  Buches   „Sketch  of  Thermodynamics"-  von  Tait  .  324 

§.     7.     Spätere  Aeusserungen^von   Tait  und  Aenderung  seines  Buclies  331 
§.     8.    Ansichten  von  W.  Thomson  und  F.  Kohlrausch  über  ther- 

moelectrische  Erscheinungen 334 

§.     9.    Einwände  von  Zöllner  gegen   die   im  Abschnitt  IX.   enthalte- 
nen electrodynamischen  Betrachtungen 338 

§.  10.    Einwände  von    W.  Weber 344 

§.  11.     Untersuchung   von  Lorberg 350 


Berichtigung. 

Seite  61,  Zeile  8  von  unten  ist  statt  (43)  zu  lesen:  (44). 


Bemerkung  über  die  Bezeichnungsweise. 

Es  ist  in  diesem  Bande  für  die  partiellen  Differentialcoefficienten  die 
von  Jacobi  eingeführte  Bezeichnungsweise,  in  welcher  die  aufrechten  d 
durch  runde  Q  ersetzt  sind,  in  Anwendung  gebracht,  weil  dadurch  an  eini- 
gen Stellen  die  Auseinandersetzung  an  Klarheit  gewann.  Die  dadurch  ent- 
standene kleine  Abweichung  von  der  Bezeichnungs weise  des  ersten  Bandes 
werden  die  Leser  wohl  kaum  bemerken,  da  jeder  Mathematiker  daran  ge- 
wöhnt ist,  beim  Lesen  verschiedener  Abhandlungen  bald  die  eine,  bald 
die  andere  Bezeichuungsweise  angewandt  zu  sehen. 


ABSCHNITT   I. 


Einleitung-  in  die  mathematische  Behandlung  der 
Electricität. 

§.  1.    Die  Potentialfunction. 

In  den  mathematischen  Betrachtungen  über  Electricität  han- 
delt es  sich  zunächst  darum,  zu  bestimmen,  in  welcher  Weise 
irgend  eine  Electricitätsmenge,  welche  man  einem  leitenden  Kör- 
per mittheilt,  sich  in  oder  auf  demselben  anordnet,  sei  es,  dass  der 
Körper  von  allen  anderen  leitenden  Körpern  weit  entfernt  ist,  so 
dass  keine  fremden  electrischen  Kräfte  auf  ihn  einwirken  können, 
sei  es,  dass  er  sich  in  der  Nähe  anderer  leitender  Körper  befindet, 
die  entweder  ebenfalls  isolirt  und  mit  gegebenen  Electricitäts- 
mengen  versehen  sein  oder  mit  der  Erde  in  Verbindung  stehen 
können.  Diese  Bestimmung,  sowie  die  sonstigen  auf  das  Verhalten 
der  Electricität  bezüglichen  Rechnungen  werden  sehr  erleichtert 
durch  die  Einführung  einer  gewissen  Function ,  welche ,  nachdem 
sie  schon  früher  von  verschiedenen  Mathematikern,  wie  Laplace 
und  Poisson,  angewandt  war,  i.  J,  1828  von  George  Green  un- 
ter dem  Namen  Potentialfunction  speciell  behandelt  i) ,  und  etwas 
später  auch  von  Gauss  zum  Gegenstande  sehr  werthvoller  mathe- 
matischer Entwickelungen  gemacht  ist  2). 


1)  An  Essay  on  the  Application  of  matliematical  Aualj'sis  to  the  theo- 
ries  of  Electricity  aud  Maguetism;  by  George  Green.  Nottingham  1828. 
Wieder  abgedruckt  in  Crelle's  Journ.   Bd.  44  und  47. 

2)  Allgemeine  Lelirsätze  in  Beziehung  auf  die  im  verkehrten  Verhältnisse 
des  Quadrats  der  Entfernung  wirkenden  Auziehungs-  und  Abstossungskräfte. 
Resultate  aus  den  Beobachtungen  des  magnetischen  Vereins  im  Jahre  1839. 

Clausius,    mech.  AViirmetheorie.    H.  ]^ 


2  Absclmitt  I. 

Ich  habe  über  diese  Function,  welche  in  der  mathematischen 
Physik  von  ausserordentlicher  Wichtigkeit  ist,  eine  Schrift  ver- 
öffentlicht, welche  eben  jetzt  in  dritter,  an  verschiedenen  Stellen 
vermehrter  Auflage  erschienen  ist  i).  In  dieser  Schrift  habe  ich 
die  Haupteigenschaften  der  Function  und  einer  aus  ihr  durch  In- 
tegration abgeleiteten  Grösse,  nämlich  des  Potentials,  näher  be- 
sprochen. Ich  kann  mich  daher  hier  darauf  beschränken ,  einige 
Sätze,  welche  zum  Verständnisse  dieser  Einleitung  und  der  folgen- 
den Entwickelungen  nöthig  sind,  kurz  zu  erwähnen,  indem  ich  in 
Bezug  auf  die  Beweise  der  Sätze  und  ihre  weiteren  Ausführungen 
auf  jene  Schrift  verweisen  kann. 

Der  Einfachheit  wegen  werde  ich  die  Betrachtungen  hier  im- 
mer speciell  auf  Electricität  beziehen,  obwohl,  wie  man  leicht 
sehen  wird,  das  Gesagte  sich  mit  geringen  Modificationen  auch  auf 
andere  Agentien,  die  nach  dem  umgekehrten  Quadrate  der  Ent- 
fernung anziehend  oder  abstossend  wirken,  übertragen  lässt. 


§.  2.    Annahme  zweier  Electricitäten  und  Ausdruck 
ihrer  Kräfte. 

Die  mathematischen  Untersuchungen  über  Electrostatik  pfle- 
gen von  der  Hypothese  auszugehen,  dass  es  zwei  verschiedene 
Electricitäten  gebe,  deren  Kräfte  darin  bestehen,  dass  zwei  Mengen 
von  gleicher  Electricität  sich  abstossen  und  zwei  Mengen  von 
entgegengesetzten  Electricitäten  sich  anziehen.  Damit  ist  aber 
nicht  gesagt,  dass  die  Resultate  dieser  Untersuchungen  in  solcher 
Weise  an  die  Hypothese  geknüpft  seien,  dass  sie  mit  derselben 
stehen  und  fallen;  vielmehr  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass 
dieselben  Resultate  ihrem  wesentlichen  Inhalte  nach  auch  dann  gül- 
tig bleiben  müssen,  wenn  jene  Hypothese  durch  irgend  eine  an- 
dere ersetzt  wird,  welche  ebenfalls  geeignet  ist,  die  experimentell 
bekannten  electrischen  Kräfte  zu  erklären.  Gerade  aus  diesem 
Grunde  haben  die  mathematischen  Physiker  kein  Bedenken  getra- 
gen, sich  dieser  Hypothese  zu  bedienen,  und  die  Untersuchung,  ob 
die  Hypothese  wirklich  im  wörtlichen  Sinne  als  richtig  zu  betrach- 
ten ist,  der  Zukunft  zu  überlassen. 


1)  Die  Potentialfunction  und  das  Potential,  ein  Beitrag  zur  mathemati- 
schen  Physik.    Leipzig  bei  J.  A.  Barth. 


Mathematische  Einleitung.  3 


ö* 


Es  mögen  nun  zwei  Electricitätsmengen  gegeben  sein,  die 
durch  q^  und  g'  bezeichnet  werden  sollen ,  in  der  Weise ,  dass  diese 
Grössen  als  mathematisch  positiv  oder  negativ  betrachtet  werden, 
je  nachdem  die  Electricitätsmengen  der  einen  oder  anderen  Art 
angehören.  Denken  wir  uns  diese  beiden  Electricitätsmengen  in 
zwei  Puncten  concentrirt,  so  muss  die  Kraft,  welche  sie  auf  einan- 
der ausüben,  erstens  proportional  jeder  der  beiden  Mengen,  also 
proportional  dem  aus  den  beiden  Mengen  gebildeten  Producte  sein, 
und  zweitens  ist  sie,  wie  experimentell  hinlänglich  festgestellt  ist, 
als  umgekehrt  proportional  dem  Quadrate  der  Entfernung  anzu- 
nehmen. Wir  können  also,  wenn  r  die  Entfernung  der  beiden 
Puncto  von  einander  bedeutet,  die  Kraft  durch  folgenden  Aus- 
druck darstellen: 

£^' 

"     ^2   ' 

worin  £  einen  constanten  Factor  bedeutet,  welcher  von  dem  Maasse 
abhängt,  nach  dem  man  die  Electricitätsmengen  messen  will. 

Wir  wollen  für  unsere  Betrachtungen  folgendes  Maass  anneh- 
men. Als  Einheit  der  Electricität  soll  diejenige  Menge  gelten, 
welche  auf  eine  gleich  grosse  Menge  in  der  Einheit  der  Entfernung 
die  Einheit  der  Kraft  ausübt.  In  diesem  Falle  wird  der  constante 
Factor  seinem  absoluten  Werthe  nach  gleich  Eins.  Es  bleibt  aber 
noch  zu  entscheiden,  ob  wir  ihn  gleich  -j-  1  oder  gleich  —  1 
setzen  wollen.  Dazu  muss  der  Unterschied  zwischen  anziehender 
und  abstossender  Kraft  in  Betracht  gezogen  werden,  indem,  wenn 
die  eine  dieser  Kräfte  als  positiv  betrachtet  wird ,  die  andere  als 
negativ  in  Rechnung  zu  bringen  ist.  Wir  wollen  uns  in  dieser 
Beziehung  dahin  entscheiden,  eine  Abstossung  als  positiv  und  eine 
Anziehung  als  negativ  zu  rechnen,  weil  die  Abstossung  auf  Ver- 
grösserung  und  die  Anziehung  auf  Verkleinerung  von  r  hinwirkt. 
Dann  müssen  wir  bei  der  Betrachtung  von  Electricität,  weil  gleich- 
artige Electricitätsmengen  sich  abstossen,  den  constanten  Factor 
positiv  machen,  und  haben  ihn  also  nach  der  obigen  Feststellung 
seines  absoluten  Werthes  gleich  -(-  1  zu  setzen.  Der  Ausdruck 
der  Kraft,  welchen  die  Mengen  5  und  cf  auf  einander  ausüben, 
wird  somit: 

q£ 

y2 


1* 


4  Absclinitt  I. 


§.  3.    Ausdruck  der  Potentialfunction. 

Nun  möge  weiter  angenommen  werden,  dass  nicht  bloss  Eine 
in  einem  Puncte  concentrirte  Electricitätsmenge  g'  auf  die  Menge 
q  wirke,  sondern  dass  beliebig  viele  in  verschiedenen  Puncten  con- 
centrirte Electricitätsmengen  g',  q^',  q<l  etc.  gegeben  seien,  welche 
gemeinsam  auf  q  wirken ,  oder  auch ,  dass  die  die  Wirkung  aus- 
übende Electricität ,  anstatt  in  einzelnen  Puncten  concentrirt  zu 
sein,  über  eine  Linie,  eine  Fläche  oder  einen  körperlichen  Raum 
stetig  verbreitet  sei.  Um  in  diesem  Falle  die  betreffende  Kraft 
nach  Stärke  und  Richtung  in  möglichst  einfacher  Weise  bestim- 
men zu  können,  bilden  wir  zunächst  eine  Grösse,  welche  folgender- 
maassen  definirt  werden  möge. 

Der  Punct,  wo  sich  die  Electricitätsmenge  q  befindet,  welche 
die  Wirkung  erleidet,  sei  mit  j)  bezeichnet ,  und  die  Abstände  die- 
ses Punctes  von  den  Puncten,  wo  die  Electricitätsmengen  g',  g/, 
q<l  etc.  concentrirt  sind,  mögen  r,  ri,  r^  etc.  heissen.  Dann  wird 
die  in  Rede  stehende  Grösse,  welche  mit  V  bezeichnet  zu  werden 
pflegt,  durch  folgende  Gleichung  bestimmt: 

(1)  F^i!    1    ^_J_^  +  etc. 

oder,  wenn  man  die  Summe  durch  ein  Summenzeichen  andeutet: 


(2)  y  =  x 


r 


Wenn  die  die  Wirkung  ausübende  Electricität  nicht  in  einzelnen 
Puncten  concentrirt,  sondern  über  eine  Linie,  eine  Fläche  oder 
einen  körperlichen  Raum  stetig  verbreitet  ist,  so  denke  man  sich 
dieselbe  in  Elemente  dq'  zerlegt,  bezeichne  mit  r  den  Abstand 
eines  Elementes  vom  Puncte  p  und  bilde  dann  statt  der  in  der 
vorigen  Gleichung  angedeuteten  Summe  das  entsprechende  Inte- 
gral, nämlich : 

dq' 


(3)  r=f^ 


Dieser  letztere  Ausdruck  von  V  ist  der  allgemeinere,  und  schliesst 
auch  den  vorigen  in  sich  ein,  denn  man  kann  offenbar  auch  in  dem 
Falle,  wo  endliche  Electricitätsmengen  in  einzelnen  Puncten  con- 
centrirt sind,  eine  Integration  ausführen. 


Mathematische  Einleitung.  5 

Es  versteht  sich  übrigens  dem  Obigen  nach  von  selbst,  class 
man  nicht  nur  für  Electricität,  sondern  auch  für  jedes  andere 
nach  dem  umgekehrten  Quadrate  der  Entfernung  anziehend  oder 
abstossend  wirkende  Agens  einen  Ausdruck  dieser  Art  bilden  kann, 
wobei  man  den  in  der  allgemeinen  Kraftformel  vorkommenden 
(]oefficienten  £,  dessen  VVerth  von  der  für  das  Agens  gewählten 
Maasseinheit  abhängt,  und  den  wir  bei  der  Electricität  durch  1 
ersetzt  haben,  der  Allgemeinheit  wegen  vorläufig  beibehalten  kann. 

Die  so  bestimmte  Grösse  Fist  es,  welche  Green  die  Poten- 
tlalfunction  genannt  hat.  Gauss  hat  später  dieselbe  Grösse  ein- 
fach Potential  genannt;  indessen  ist  diese  Benennung  mit  einem 
Uebelstande  behaftet.  Es  giebt  nämlich  noch  eine  andere  sehr 
wichtige  Grösse,  von  der  weiter  unten  die  Rede  sein  wird,  welche 
man  das  Potential  einer  Menge  auf  eine  andere  oder,  nach  Umstän- 
den, das  Potential  einer  Menge  auf  sich  seihst  nennt.  Man  würde 
also  bei  der  Annahme  der  Gauss'schen  Benennungsweise  für  zwei 
Begriffe,  die  zwar  verwandt,  aber  nicht  gleich  sind,  dasselbe  Wort 
Potential  gebrauchen.  Aus  diesem  Grunde  habe  ich  in  meinen  auf 
Electricität  bezüglichen  Abhandlungen  und  in  der  oben  citirten 
Schrift  für  die  durch  die  Gleichung  (3)  defiuirte  Grösse  wieder 
den  von  Green  vorgeschlagenen  Namen  Potcntialfunction  gewählt, 
und  den  Namen  Potential  nur  für  jene  andere,  aus  der  Potcntial- 
function durch  Integration  abgeleitete  Grösse  angewandt. 


§.  4.    Bestimmung  der  Kraftcomponenten  mit  Hülfe 
der  Potcntialfunction. 

Mit  Hülfe  der  im  vorigen  Paragraphen  besprochenen  Function 
bestimmt  sich  nun  die  in  irgend  einem  Puncte  ^j  wirkende  Kraft 
folgendermaassen. 

Wir  wollen  zunächst  annehmen,  die  im  Puncte  j>  gedachte 
Electricitätsmenge,  welche  die  Wirkung  erleidet,  und  welche  oben 
mit  q  bezeichnet  wurde,  sei  eine  positive  Electricitätseinlieit.  Die 
auf  diese  Electricitätseinlieit  ausgeübte  Kraft  denken  wir  uns  in 
drei  in  die  Richtungen  dreier  rechtwinkhger  Coordinaten  fallende 
Componenten  zerlegt,  welche  mit  X,  Y^  ^bezeichnet  werden  mö- 
gen. Wenn  wir  dann  V  (die  Potentialfunction  der  die  Wirkung 
ausübenden  Electricität  an  dem  betreffenden  Puncte)  als  Function 
der  Coordinaten  x^  y,  s  des  Punctes  betrachten,  so  haben  wir; 


6  x^bschnitt  I. 

(^^  ^--^'^      ^=-W'     ^=~d7- 

Eben  so  einfach,  wie  die  Kraftcomponenten  nach  den  drei 
Coordinatenrichtungen ,  lässt  sich  auch  die  Kraftcomponente  nach 
irgend  einer  beliebigen  anderen  Richtung  ausdrücken.  Denken 
wir  uns  durch  den  Punkt  p  eine  beliebige  Linie  gezogen ,  und  be- 
zeichnen den  auf  dieser  Linie  gemessenen  Abstand  des  Punctes 
p  von  irgend  einem  anderen  als  Anfangspunct  gewählten  Puncte 
der  Linie  mit  s ,  und  dem  entsprechend  die  unendlich  kleine  Zu- 
nahme, welche  F  erleidet,  wenn  der  betrachtete  Punct  j)  sich  auf 

.    dV 
dieser  Linie  um  das  Wegelement  ds  fortbewegt,  mit  ^r—  äs,  so 

wird  die  in  die  Richtung  dieser  Linie  fallende  Kraftcomponente, 
welche  S  heissen  möge,  bestimmt  durch  die  Gleichung: 

(^)  ^  —  l^- 

Sollte  sich  im  Puncte  p  nicht  gerade  eine  Electricitätsem/ie/^, 
sondern  eine  beliebige  andere  Electricitätsmenge  befinden,  welche 
die  Wirkung  erleidet,  und  welche,  wie  früher,  mit  q  bezeichnet 
werden  möge ,  in  der  Weise ,  dass  q  sowohl  eine  positive  als  auch 
eine  negative  Grösse  darstellen  kann,  so  lauten  die  Ausdrücke  der 
Kraftcomponenten,  welche  diese  Electricitätsmenge  nach  den  Coor- 
dinatenrichtungen X,  y,  s  und  nach  der  beliebigen  Richtung  s  er- 
leidet : 

dV         dV         dV     ,         dV 

—  q  ■^— ,    —  q  ^-,    —  g  -^  und  —  q  ^— - 

dx  ciy  -^  dz  OS 

Wenn  man  in  der  eben  angegebenen  Weise  die  in  die  drei 
Coordinatenrichtungen  fallenden  Kraftcomponenten  ausgedrückt 
hat,  so  kann  man  daraus  natürlich  auch  die  ganze  Kraft  nach 
Grösse  und  Richtung  leicht  bestimmen. 


§.  5.    Das  Potentialniveau. 
Bildet  man  eine  Gleichung  von  der  Form 

worin  A  eine  Constante  bedeutet,  so  ist  dieses  die  Gleichung  einer 
Fläche,  welche  die  Eigenschaft  hat,  dass  für  jeden  in  ihr  liegen- 
den Punct  die   Kraft,   welche    eine  dort   gedachte   Electricitäts- 


Mathematische  Einleitung.  7 

menge  erleiden  würde,  auf  der  Fläche  senkrecht  ist.  Die  Fläche 
hat  also  in  Bezug  auf  die  hier  betrachtete  electrische  Kraft  die- 
selbe Bedeutung,  wie  die  Oberfläche  einer  ruhenden  Flüssigkeit  in 
Bezug  auf  die  Schwerkraft,  und  man  nennt  daher  eine  solche 
Fläche  eine  Niveauflächc. 

Nimmt  man  für  die  Potentialfunction  einen  anderen  constan- 
ten  Werth  an,  indem  man  z,  B.  setzt: 

so  wird  dadurch  eine  andere  Niveaufiäche  bestimmt,  und  auf  diese 
Weise  kann  man  unendlich  viele  Niveauflächen  erhalten.  Wir 
wollen  demgemäss  den  Werth,  welchen  die  Potentialfunction  in 
irgend  einem  Puncte  des  Raumes  hat,  und  durch  welchen  die 
durch  diesen  Punct  gehende  Niveaufläche  bestimmt  wird,  kurz  das 
Potentialniveau  dieses  Punctes  nennen. 

Bei  der  Electricität  (und  ebenso  bei  jedem  anderen  Agens, 
welches  theils  anziehende,  theils  abstossende  Kräfte  ausübt)  können 
die  Potentiahiiveaux  sowohl  positiv  als  auch  negativ  sein,  und  die 
Räume ,  in  denen  das  Eine  und  das  Andere  •  stattfindet ,  werden 
durch  eine  Niveaufiäche  mit  dem  Potentialniveau  Null  von  ein- 
ander getrennt. 

Denken  wir  uns  nun  in  irgend  einem  Puncte  des  Raumes 
eine  positive  Electricitätseinheit  concentrirt,  und  betrachten  die 
Kraft,  welche  auf  diese  wirkt,  in  der  Weise,  dass  wir  für  jede  von 
dem  Puncte  ausgehende  Richtung  die  in  dieselbe  fallende  Kraft- 
componente  bestimmen,  so  lässt  sich  allgemein  Folgendes  sagen. 
Nach  den  Richtungen,  nach  welchen  das  Potentialniveau  abnimmt, 
ist  die  Kraftcomponente  positiv,  und  nach  den  Richtungen,  nach 
welchen  das  Potentialniveau  zunimmt,  ist  die  Kraftcomponente 
negativ,  und  dem  absoluten  Werthe  nach  ist  die  Kraftcomponente 
um  so  grösser,  je  schneller  in  der  betrachteten  Richtung  das  Po- 
tentialniveau sich  ändert,  da  dem  Obigen  nach  die  Kraftcompo- 
nente durch  den  betreffenden  negativ  genommenen  Differential- 
coefficienten  des  Potentialniveaus  dargestellt  wird. 


§.  6.    Differentialausdruck  zweiter  Ordnung,  welcher  die 
Vertheilung  des  wirksamen  Agens  im  Räume  bestimmt. 

Ausser  der  Eigenschaft,  die  Kraftcomponenten  auf  eine  so 
einfache  Art  darzustellen ,  hat  die  Potentialfunction  noch  eine  an- 
dere sehr  wichtige  Eigenschaft ,  welche  hier  zunächst  für  ein  be- 


8  Abschnitt  I. 

liebiges  nach  dem  umgekehrten  Quadrate  der  Entfernung  anzie- 
hend oder  abstossend  wirkendes  Agens  ausgesprochen ,  und  dann 
sofort  speciell  auf  Electricität  angewandt  werden  soll. 

Wenn  der  Punct  p  in  einem  Eaume  gelegen  ist ,  in  welchem 
sich  von  dem  Agens,  dessen  Potentialfunction  durch  V  dargestellt 
wird,  nichts  befindet,  so  gilt  die  Gleichung: 

Wenn  dagegen  der  Punct  jp  sich  in  einem  Räume  befindet,  wel- 
cher von  dem  wirksamen  Agens  oder  von  einem  Theile  desselben 
stetig  erfüllt  ist,  so  nimmt  die  Gleichung  eine  andere  Gestalt  an. 
Wir  wollen  die  Dichtigkeit  des  Agens  an  der  betreffenden  Stelle 
des  Raumes  mit  Je  bezeichnen  (so  dass  die  in  einem  Raumelemente 
dr  befindliche  Menge  des  Agens  durch  kdr  dargestellt  wird),  dann 
gilt  die  Gleichung: 

d^V  ,    d^V   ,827  ^       , 

^  ^  8a;2    '    8^2     I    g^.2 

Diese  letztere  Gleichung  ist  die  allgemeinere  und  umfasst 
die  vorige ,  denn ,  wenn  der  Punct  p  sich  ausserhalb  des  von  dem 
wirksamen  Agens  erfüllten  Raumes  befindet,  so  ist  dort  ^  =  0, 
und  dadurch  geht  die  Gleichung  (7)  in  (6)  über.  Aus  der  Glei- 
chung (7)  ergiebt  sich,  dass  man  vermöge  der  Potentialfunction 
nicht  nur  die  Kräfte,  welche  das  wirksame  Agens  ausübt,  sondern 
auch  die  Vertheilung  des  Agens  selbst  bestimmen  kann. 

Da    der   vorstehende    Differentialausdruck    sehr    häufig    vor- 
kommt, so  hat  man  für  ihn  das  einfache  Zeichen  z/  V  eingeführt. 
Danach  lauten  die  beiden  vorigen  Gleichungen : 
(6a)  z/F=0 

(7  a)  ^V=  —  inek 

Setzt  man  für  den  Coefficienten  £  den  Werth  1,   welchen  wir 
bei  der  Electricität,  gemäss  der   für  dieselbe   gewählten  Maass- 
einheit, in  Anwendung  gebracht  haben,  so  geht  die  Gleichung  (7  a) 
über  in 
(8)  yir=  —  4:7lk. 

§.  7.    Gleichgewichtszustand  der  Electricität, 

Es  möge  nun,  wie  es  im  Anfange  dieser  Einleitung  gesagt 
wurde,  angenommen  werden,  es  sei  irgend  ein  aus  einem  leiten- 


Mathematische  Einleitung.  9 

den  Stoffe  bestehender,  aber  von  Nichtleitern  umgebener  Körper 
gegeben,  und  demselben  sei  eine  beliebige  Electricitätsmenge  mit- 
getheilt,  die  sich  entweder  für  sich  allein,  oder  unter  dem  Ein- 
flüsse fremder,  auf  anderen  Körpern  befindlicher  Electricitäts- 
mengen  in  das  Gleichgewicht  zu  setzen  habe.  Es  fragt  sich  dann, 
wie  man  die  für  dieses  Gleichgewicht  zu  erfüllende  Bedingung  am 
einfachsten  mathematisch  ausdrücken  kann,  und  wo  sich  dabei  die 
getrennt  vorhandene  Electricität  befinden  muss.  Dabei  mag  be- 
merkt werden,  dass  man  voraussetzt,  im  unelectrischen  Zustande 
enthalte  ein  Körper  in  jedem  seiner  Elemente  gleiche  Mengen 
positiver  und  negativer  Electricität,  während  im  electrischen  Zu- 
stande in  oder  an  dem  Körper  Stellen  vorkommen,  wo  ein  üeber- 
schuss  an  positiver  oder  negativer  Electricität  vorhanden  sei.  Einen 
solchen  irgendwo  vorhandenen  Ueberschuss  an  positiver  oder  nega- 
tiver Electricität  wollen  wir,  wie  es  vorher  geschehen  ist,  getrennte 
Electricität  nennen. 

In  einem  leitenden  Körper  kann  Bewegung  der  Electricität 
stattfinden;  in  dieser  Beziehung  sind  aber  verschiedene  Annah- 
men möglich.  Man  kann  sich  entweder  denken,  dass  beide  Electri- 
citäten  beweglich  seien ,  oder  dass  nur  Eine ,  welche  dann  als  die 
positive  gelten  soll,  beweglich  und  die  andere  fest  an  die  ponde- 
rablen  Atome  gebunden  sei.  Für  die  Electrostatik  macht  es  kei- 
nen wesentlichen  Unterschied,  welche  dieser  beiden  Annahmen 
man  macht,  für  die  Electrodynamik  aber  entsteht  daraus  eine  Ver- 
schiedenheit von  Belang,  und  dort  werden  wir  daher  speciell  dar- 
über zu  sprechen  haben. 

Wenn  nun  in  dem  leitenden  Körper  Gleichgewicht  sein  soll, 
so  müssen  im  Innern  desselben  an  jeder  Stelle  die  von  den  ver- 
schiedenen Theilen  der  vorhandenen  Electricität  ausgeübten  Kräfte 
sich  gegenseitig  aufheben,  so  dass  ihre  Resultante  Null  ist,  denn 
wenn  an  irgend  einer.  Stelle  eine  Resultante  von  angebbarem 
Werthe  bestände,  so  würde  sich  die  hier  vorhandene  positive 
Electricität  in  der  Richtung  der  Resultante  und  die  negative 
Electricität,  falls  auch  sie  beweglich  ist,  in  der  entgegengesetzten 
Richtung  bewegen,  was  der  gemachten  Voraussetzung,  dass  Gleich- 
gewicht stattfinden  soll,  widerspräche.  In  der  Bedingung,  dass  die 
Resultante  Null  sein  muss,  ist  zugleich  mit  einbegrifi'en,  dass,  wenn 
man  sich  die  Resultante  in  drei  nach  den  Coordinatenrichtungen 
gehende  Componenten    zerlegt    denkt,    auch    diese   Componenten 


10  Abschnitt  L 

einzeln  Null  sein  müssen.  Es  müssen  also  überall  im  Innern  des 
leitenden  Körpers  folgende  drei  Gleichungen  gelten: 

IZ^o-       ^-0-      ^-0 

und  hieraus  ergiebt  sich  als  Gleichgewichtsbedingung,  dass  die 
Potentialfundion  V  innerhalb  des  leitenden  Körpers  einen  constan- 
ten  Werth  haben  muss. 

Dem  eben  Gesagten  nach  lassen  sich  auch  die  folgenden  drei 
Gleichungen  bilden: 

und  wenn  man  diese  auf  die  Gleichung  (8)  anwendet,  so  findet 
man,  dass  im  Innern  des  leitenden  Körpers  überall 

k  =  0 
sein  muss.  Man  gelangt  also  auf  diese  Weise  zu  dem  wichtigen 
Schlüsse,  dass  im  Gleichgewichtszustande  sich  in  dem  Körper,  so- 
weit er  leitend  ist,  nirgends  getrennte  Electricität  befinden  kann, 
sondern  dass  nur  an  der  Oberfläche,  wo  der  leitende  Körper  von 
Nichtleitern  begrenzt  ist,  getrennte  Electricität  angehäuft  sein 
kann. 

Man  muss  sich  also  an  der  Oberfläche  eine  sehr  dünne  Schicht 
mit  der  getrennten  Electricität  erfüllt  denken.  Eine  genaue  Be- 
stimmung der  Dicke  dieser  Schicht  würde  sich  ohne  näheres  Ein- 
gehen auf  das  Wesen  der  Electricität  und  auf  die  Natur  der  lei- 
tenden nnd  nichtleitenden  Medien,  an  deren  Trennungsfläche  die 
Electricität  angehäuft  ist,  nicht  wohl  ausführen  lassen.  Man  pflegt 
sich  daher  mit  dem  Resultate,  dass  die  Dicke  sehr  gering  sein 
muss,  zu  begnügen,  und  bei  den  meisten  Betrachtungen  sieht  man 
von  der  Dicke  der  Schicht  ganz  ab,  und  betrachtet  einfach  die 
Electricität  als  auf  einer  Fläche  befindlich. 


§.  8.    Differentialausdruck,  welcher  die  Vertheilung  des 
.wirksamen  Agens  auf  einer  Fläche  bestimmt. 

Da  man  es  in  der  Electricitätslehre ,  wie  eben  erwähnt  wurde, 
mit  einem  Falle  zu  thun  hat,  wo  man,  wenigstens  bei  mathemati- 
schen Untersuchungen,    anzunehmen   pflegt,   dass   das  wirksame 


MatliGmatisohe  Einleitung.  1 1 

Agens  (nämlich  die  getrennte  Electricität)  nicht  einen  körper- 
lichen Raum  ausfüllt,  sondern  sich  auf  einer  Fläche  l)efindet,  so 
muss  hier  noch  ein  auf  diesen  Fall  bezüglicher  wichtiger  Satz  an- 
geführt werden. 

Durch  einen  Punct  einer  solchen  Fläche,  welche  das  Agens 
enthält,  sei  eine  senkrecht  gegen  die  Fläche  gerichtete  Gerade  ge- 
zogen, und  auf  dieser  Geraden  denke  man  sich  den  Punkt  ^,  auf 
welchen  die  Potentialfunction  sich  bezieht,  beweglich.  Der  Ab- 
stand des  Punctes  p  von  der  Fläche,  welcher  an  der  einen  Seite 
der  Fläche  als  positiv  und  an  der  anderen  Seite  als  negativ  zu  be- 
trachten ist,  sei  mit  n  bezeichnet.    Wenn  wir  nun  den  auf  diese 

dV    . 
Gerade  bezüglichen  Difierentialcoefficienten  - —  bilden,  dessen  ne- 

on 

gativer  Werth  die  in  die  Normalrichtung  fallende  Componente 
der  Kraft  darstellt,  so  hat  derselbe  an  den  beiden  Seiten  der 
Fläche  verschiedene  Werthe,  indem  er  beim  Hindurchgehen  des 
Punctes  durch  die  Fläche  eine  sprungweise  Aenderung  seines 
Werthes  erleidet,  deren  Grösse  von  der  an  der  betreffenden  Stelle 
der  Oberfläche  stattfindenden  Dichtigkeit  abhängt.  Sei  die  Flächen- 
dichtigkeit an  dieser  Stelle  mit  h  bezeichnet  (so  dass  ein  dort  be- 
findliches Flächenelement  da  die  Menge  hda  des  Agens  enthält), 
und  seien  ferner  die  beiden  Werthe,  welche  der  Differentialcoefti- 

dV 
cient  -TT—  annimmt,  wenn  der  Punct  w  an  der  positiven  und  an 

der   negativen    Seite    bis    dicht    an    die    Fläche  heranrückt,  mit 

T—]       und  (tt-)        bezeichnet,  so  gilt  die  Gleichung: 

Wendet  man  diese  Gleichung  speciell  auf  Electricität  an,  so 
ist  wieder,  wie  bisher,  £  =  1  zu  setzen,  und  es  kommt: 

(10)        m  -m  =-4.;,. 

Wenn  die  betrachtete  Fläche  die  Grenzfläche  eines  leitenden  Kör- 
pers bildet,  so  weiss  man,  dass  im  Inneren  eines  leitenden  Kör- 
pers bis  dicht  an  die  Oberfläche  die  Potentialfunction  V  constaut 


12  Abschnitt  I. 

ist.  Demnach  hat  man,  wenn  die  Normale  nach  Aussen  positiv 
und  nach  Innen  negativ  gerechnet  wird, 

und  die  vorige  Gleichung  geht  daher  über  in: 
(U)  (|Z)^=_4... 

Hierdurch  ist  die  Beziehung  zwischen  der  dicht  an  der  Oberfläche 
eines  leitenden  Körpers  wirkenden  Normalkraft  und  der  daselbst 
stattfindenden  electrischen  Dichtigkeit  gegeben/ 


§.  9.    Anordnung  der  Electricität  auf  einer  Kugel 
und  auf  einem  Ellipsoid. 

Wir  wollen  nun  für  einzelne  Fälle  betrachten,  in  welcher 
Weise  die  Electricität  sich  auf  der  Oberfläche  eines  leitenden  Kör- 
pers anordnet. 

Die  Bedingung,  aus  welcher  diese  Anordnung  zu  bestimmen 
ist,  ist  immer  die,  dass  die  Potentialfunction  der  gesammten  Elec- 
tricität in  jedem  leitenden  Körper  constant  sein  muss,  woraus 
dann  folgt,  dass  die  Resultante  der  electrischen  Kräfte  Null  ist. 

Als  einfachsten  Fall  wollen  wir  annehmen,  es  sei  ein  leiten- 
der Körper  von  der  Gestalt  einer  Kugel  gegeben,  diesem  sei  eine 
gewisse  Electricitätsmenge  Q,  die  positiv  oder  negativ  sein  kann, 
mitgetheilt,  und  ausser  dieser  Electricitätsmenge  seien  in  der 
Nähe  keine  getrennten  Electricitäten  vorhanden,  welche  auf  die- 
selbe einwirken  könnten. 

In  diesem  Falle  kann  man  sofort  daraus,  dass  die  Kugel  nach 
allen  Seiten  symmetrisch  ist,  schliessen,  dass  die  Electricität  sich 
gleicliförmig  über  die  Oberüäche  verbreiten  muss.  Da  nun  die 
Grösse  der  Oberfläche ,  wenn  a  den  Radius  der  Kugel  bedeutet, 
durch  4,7ta^  dargestellt  wird,  so  erhalten  wir  für  die  mit  h  be- 
zeichnete Flächendichtigkeit  der  Electricität  die  Gleichung: 

(12).  ^^=T-^- 

Ein  zweiter  etwas  allgemeinerer  Fall,  welcher  den  vorigen 
als  sj)eciellen  Fall  in  sich  schliesst,  und  welcher  ebenfalls  zu  einem 
sehr  einfachen  Resultate  führt ,  ist  der ,  wenn  der  leitende  Körper 


Mathematische  Einleitung.  13 


ö* 


die  Gestalt  eines  ElUpsoids  hat.  Für  diesen  Fall  hat  Poisson 
zur  Bestimmung  der  electrischen  Dichtigkeit  an  den  verschiede- 
nen Puncten  der  Oberfläche  folgende  Regel  gegeben,  deren  Rich- 
tigkeit sich  leicht  nachweisen  lässt. 

Man  denke  sich  um  das  gegebene  Ellipsoid  ein  zweites  ähn- 
liches und  concentrisches  Ellipsoid  mit  gleichgerichteten  Axen  be- 
schrieben, welches  seiner  Grösse  nach  nur  sehr  wenig  von  dem 
gegebenen  verschieden  sei,  so  dass  zwischen  beiden  Ellipsoidflächen 
eine  sehr  dünne  Schicht  eingeschlossen  sei,  und  diese  Schicht 
denke  man  sich  gleichförmig  mit  Electricität  ausgefüllt.  Die  un- 
ter diesen  Umständen  über  irgend  einem  Oberflächenelemente  be- 
findliche Electricitätsmenge  ist  gleich  derjenigen,  welche  im  Gleich- 
gewichtszustande auf  dem  Oberfiächenelemente  vorhanden  sein 
muss. 

Aus  dieser  Regel  lässt  sich  der  mathematische  Ausdruck  der 
Flächendichtigkeit  an  verschiedenen  Stellen  leicht  ableiten.  Be- 
trachten wir  irgend  ein  Element  dco  der  Oberfläche  des  gegebe- 
nen EUipsoids ,  und  nennen  die  Dicke  der  Schicht  an  dieser  Stelle 
y,  so  ist  yd  CO  der  unendlich  keine  Theil  der  Schicht,  welcher  sich 
über  diesem  Oberfiächenelemente  befindet.  Ferner  wollen  wir  die 
Raumdichtigkeit,  welche  man  erhält,  wenn  man  sich  die  Schicht 
gleichförmig  von  der  gegebenen  Electricitätsmenge  erfüllt  denkt, 
mit  Je  bezeichnen.  Dann  befindet  sich  über  dem  Flächenelemente 
da  die  Electricitätsmenge  Tiydo.  Nun  wird  aber  andererseits, 
wenn  wir  mit  h  die  Flächendichtigkeit  der  Electricität  an  der  be- 
treffenden Stelle  bezeichnen,  die  auf  dem  Flächenelemente  d  co  be- 
findliche Electricitätsmenge  durch  hda  dargestellt.  Aus  der  Ver- 
gleichung  dieser  beiden  Ausdrücke  folgt,  dass  man  zu  setzen  hat: 

h  =  hy. 

Seien  nun  a,  &,  c  die  Halbaxen  des  gegebenen  EUipsoids,  und 
a  {\  -\-  8\h  {l  -\-  8)^  c  {l  -\-  8)^  worin  8  eine  sehr  kleine  Grösse 
ist,  die  Halbaxen  des  construirt  gedachten  concentrischen  EUip- 
soids. Wenn  man  dann  nach  dem  betrachteten  Puncte  der  Ober- 
fläche vom  Mittelpuncte  aus  einen  Leitstrahl  zieht,  dessen  Länge 
u  heissen  möge,  und  diesen  Leitstrahl  bis  zur  concentrischen 
Ellipsoidfiäche  fortgesetzt  denkt,  so  wird  seine  Länge  bis  zum 
Durchschnitte  mit  dieser  zweiten  Fläche  durch  u  (1  -{-  8)  dar- 
gestellt. Das  zwischen  beiden  Flächen  liegende  Stück  des  Leit- 
strahles hat  also  die  Länge  8  .  u.    Multiplicirt  man  diese  Grösse 


14  Abschnitt  I. 

mit  dem  Cosinus  des  Winkels,  welchen  der  Leitstrahl  mit  der  an 
der  betreffenden  Stelle  auf  der  Oberfläche  errichteten  Normale 
bildet,  so  erhält  man  die  dort  stattfindende  Dicke  der  Schicht. 
Es  kommt  also,  wenn  man  diesen  Winkel  mit  (p  bezeichnet: 

y  ^=  d  .  ucos  cp. 
Dieses  in  die  vorige  Gleichung  eingesetzt,  giebt: 

(13)  h  =  Jid  .  ucos(p. 

Hier  kann  man  zunächst  das  Product  1^8  bestimmen.  Das 
Volumen  des  gegebenen  Ellipsoids  \s,i  ^Ttahc,  Entsprechend  ist 
das  Volumen  des  construirt  gedachten  concentrischen  Ellipsoids 
^Ttahc  (1  -f-  d)3,  wofür  man,  da  8  als  sehr  klein  vorausgesetzt 
ist,  schreiben  kann :  ^nahc  (1  -j-  3  d).  Zieht  man  nun  das  erste 
Volumen  vom  zweiten  ab,  so  erhält  man  das  Volumen  der  zwi- 
schen beiden  Flächen  befindlichen  Schicht,  nämlich: 

4: nahe  .  8. 
Da  nun  die  Raumdichtigkeit  innerhalb  dieser  Schicht  mit  h  be- 
zeichnet ist,  so  kann  man,  wenn  die  gegebene,  unserem  Ellipsoid 
mitgetheilte  Electricitätsmenge  Q  heisst,  schreiben: 

Q  =  4nah  c . 8 .% 
und  daraus  folgt: 

^iTcahc 
Dieses  in  den  in  (13)  gegebenen  Ausdruck  von  h  eingesetzt,  giebt: 

(14)  ^  = -A — ^-T-ucosq). 
^     -^  4: 7t  ab  c  ^ 

Es  bleibt  nun  nur  noch  das  Product  u  cos  (p  auszudrücken. 
Seien  x^  y,  z  die  Coordinaten  des  betrachteten  Oberflächenpunctes, 
wo  man  die  Dichtigkeit  bestimmen  will,  so  werden  die  Cosinus 
der  Winkel,  welche  der  Leitstrahl  mit  den  Coordinatenaxen  bil- 
det, ausgedrückt  durch 

X     y      z 

M  '    M  '     u 
Ferner  werden  die  Cosinus  der  Winkel,  welche  die  Normale  mit 
den  Coordinatenaxen  bildet,  ausgedrückt  durch: 

X  y  z 

02  02"  62" 


c* 


Mathematische  Einleitung.  15 

Hieraus  folgt,  dass  man  für  den  Cosinus  des  Winkels  g?,  den  der 
Leitstrahl  mit  der  Normale  bildet,  folgenden  Ausdruck  erhält: 


coscp  = 


02       '       t^   ^    C^" 

K     «4     I      §4    ^    c* 


Der  Zähler  dieses  Bruches  hat  einen  sehr  einfachen  Werth.  Es 
gilt  nämlich  für  einen  Punct  der  Oberfläche  eines  Ellipsoids  mit 
den  Halbaxen  a,  ö,  c  bekanntlich  die  Gleichung: 

<t1  nil  f,1 

(15)  f5  +  |.  +  ^='- 

Setzen  wir  diesen  Werth  ein  und  raultipliciren  ausserdem  die 
Gleichung  mit  m,  so  kommt: 

1 

u  cos  (p  ■=■ 


\/^  4_  l!  j_  f! 

Durch  Anwendung  dieses  Werthes  auf  die  Gleichung  (14)  erhal- 
ten wir  den  gesuchten  mathematischen  Ausdruck  der  Flächen- 
dichtigkeit Ä,  nämlich: 

(16)  h  = 


Aus  diesem  Ausdrucke  kann  man  noch  mit  Hülfe  der  Glei- 
chung (15)  eine  der  Coordinaten  eliminiren.  Man  kann  z.  B.  nach 
(15)  setzen: 

f!.  _  1  _  ^  _  l! 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 
Q  1 


(17)  h  = 


An  ab     \  /  ^2 


1/'+^^'-  + 


b^ 


16  Abschnitt  I. 


§.  10.    Anordnung  der  Electricität  auf  einer  ellipti- 
schen Platte. 

Aus  dem  vorigen  Resultate  lässt  sich  als  specieller  Fall  noch 
ein  Resultat  ableiten,  welches  von  besonderem  Interesse  ist. 

Man  betrachtet  oft  den  Fall,  wo  der  leitende  Körper,  dem 
man  Electricität  mittheilt,  die  Form  einer  dünnen  Platte  hat,  wo- 
bei man  als  Grenzfall  auch  die  Platte  als  unendlich  dünn  anneh- 
men kann.  Es  fragt  sich  dann,  wie  sich  auf  einer  solchen  Platte 
die  Electricität  vertheilt.  Für  Platten  von  elHptischer  Gestalt 
kann  man  nun  die  Vertheilung  der  Electricität  dem  Vorigen  nach 
ohne  Weiteres  hinschreiben,  wenn  man  eine  elliptische  Platte  als 
ein  sehr  flaches  Ellipsoid  ansieht. 

Sei  die  Halbaxe  c  als  diejenige  angenommen,  welche  sehr 
klein  geworden  ist,  so  wollen  wir  die  Gleichung  (17)  in  folgender 
Form  schreiben: 

Q  1 


(18)        h 


4. 71  ah    '\/ .  _  x^  _  f_ 
«2        62 


+-(S+i:) 


Hierin   ist  von  den  beiden    unter  dem  Wurzelzeichen  stehenden 
Grössen 


-7.2  nß  /  /V.2 

1  _  ^  _  |Lund  c2/^ 


«2        Ö2  Va^ 


+  © 


im  Allgemeinen  die  letztere  gegen  die  erstere  als  sehr  klein  anzu- 
sehen, und  nur  in  der  Nähe  des  Randes,  wo  die  erstere  sich  dem 
Werthe  Null  nähert,  gewinnt  dadurch  die  letztere  an  Bedeutung. 
Nimmt  man  die  Platte  als  unendlich  dünn  an,  so  dass  die 
mit  dem  Factor  c?  behaftete  Grösse  als  ganz  verschwindend  zu  be- 
trachten sei,  so  hat  man  zu  setzen: 

(19)  h=      ^  ^ 


4.7t  ah     1  /  X'''        if 

~    «2    ~    "p 


V- 


Ist  die  Platte  kreisförmig,  so  muss  man  h  =^  a  setzen.  Zu- 
gleich kann  man  dann,  wenn  r  den  Abstand  des  betrachteten 
Punctes  vom  Mittelpuncte  bedeutet,  schreiben:  x^  -\-  y^  ^=:  r2,  wo- 
durch die  Gleichungen  (18)  und  (19)  übergehen  in: 


MathematiHche  Einleitung.  17 

(20)  / 


Q  1 


(21)  h 


V 

Q  1 


a'    ■      a* 


4  TT  «2 


V 


fl' 


Diese  letzteren  Gleichungen  lassen  die  Zunahme  der  Dichtig- 
keit der  Electricität  von  der  Mitte  nach  dem  Rande  zu  besonders 
(Jeutlich  erkennen.  Man  sieht  dass  sie  zuerst  langsam  und  dann 
immer  schneller  wächst,  je  näher  man  dem  Rande  kommt.  Bei 
einer  unendlich  dünnen  Platte  würde  am  Rande  selbst,  also  für 
r  =  a,  die  Dichtigkeit  unendlich  gross  sein.  Daraus  folgt  aber 
nicht,  dass  die  auf  der  Platte  befindliche  Electricität  in  so  über- 
wiegender Menge  am  Rande  angehäuft  sein  würde,  dass  man  da- 
gegen die  auf  den  mittleren  Partien  der  Platte  befindliche  Menge 
vernachlässigen  dürfte. 

Um  hierüber  ein  bestimmtes  Urtheil  zu  gewinnen ,  wollen  wir 
uns  die  ganze  Kreisfläche  durch  einen  mit  dem  Radius  J,  der  klei- 
ner als  a  ist,  geschlagenen  concentrischen  Kreis  in  zwei  Theile 
getheilt  denken,  in  die  innere  Kreisfläche  mit  dem  Radius  b  und 
in  die  zwischen  ihrer  Peripherie  und  dem  Rande  der  Platte  gele- 
gene ringförmige  Fläche ,  und  wollen  die  auf  beiden  Theilen  be- 
findlichen Electricitätsmengen  bestimmen.  Dieselben  mögen  durch 
II  und  S  bezeichnet  werden,  wobei  die  beiden  einander  unendlich 
nahe  gegenüberliegenden  parallelen  Grenzflächen  der  Platte  ge- 
meinsam betrachtet,  und  die  auf  ihnen  befindlichen  Electricitäts- 
mengen zusammengefasst  sein  sollen.    Dann  haben  wir  zu  setzen : 

27T  b 


(22) 


0         0         K  a'^ 


2n 


s 


0         b  Y  «2 


Setzen  wir  z.  B.  6  =  |  a,  so  ist: 
und  setzen  wir  b  =  \j  a,  so  ist: 

ClaUBius,    mech.  Wärmetheorie.    II. 


18 


Absclinitt  I. 


Es  sind  auch  experimentelle  Untersuchungen  über  die  Zu- 
nahme der  Dichtigkeit  auf  einer  mit  Electricität  geladenen  me- 
tallenen Kreisplatte  von  Coulomb  angestellt,  deren  Resultate 
Biot  in  seinem  Traue  de  Phi/sique,  T.  11^  p.  211  (deutsche  Bear- 
beitung von  Fechner,  Bd.  II,  S.  191),  mittheilt.  Diese  mögen 
hier  ebenfalls  Platz  finden  und  mit  den  Werthen ,  welche  sich  für 
den  Fall ,  dass  die  Platte  unendlich  dünn  gewesen  wäre ,  aus  der 
obigen  Formel  ergeben  würden,  verglichen  werden.  Dabei  ist  zu 
bemerken,  dass  bei  einer  unendlich  dünnen  Platte  eine  schnellere 
Zunahme  der  Dichtigkeit  von  der  Mitte  nach  dem  Rande  hin  statt- 
finden müsste,  als  bei  einer  Platte  von  endlicher  Dicke,  dass  die- 
ser Unterschied  besonders  in  der  Nähe  des  Randes  beträchtlich 
wird,  und  dass  am  Rande  selbst  keine  >Vergleichung  mehr  mög- 
lich ist,  indem  die  unendlich  dünne  Platte  dort  eine  unendlich 
grosse  Dichtigkeit  haben  würde,  während  bei  einer  Platte  von 
endlicher  Dicke  ein  bestimmter  endlicher  Werth  entstehen  muss, 
der  bei  solcher  Dicke,  wie  sie  eine  gewöhnliche  Condensatorplatte 
hat,  und  wie  sie  wahrscheinlich  (obwohl  keine  Angabe  darüber 
vorliegt)  auch  die  Coulomb 'sehe  Platte  gehabt  hat,  nicht  einmal 
sehr  gross  sein  kann.  Unter  Berücksichtigung  dieser  Umstände 
wird  man  die  Uebereinstimmung  zwischen  den  beobachteten  und 
den  berechneten  Werthen  genügend  finden.  Der  Radius  der  Platte 
war  5". 


Abstand 

vom  Rande  der 

Platte 

Beobachtete 
Dichtigkeit 

Berechnete 
Dichtigkeit 

5" 

1 

1 

4" 

1-001 

1-020 

3" 

1-005 

1-090 

2" 

1-17 

1250 

1" 

1-52 

1-667 

0-5" 

2-07 

2-294 

0 

- 

2-90 

00 

§.11.     Der  Green'sche  Satz. 

Bevor  wir  nun  dazu  übergehen,  das   Verhalten  electrischer 
Körper  unter  dem  Einflüsse  anderer  in  der  Nähe  befindHcher  und 


Matliematische  Einleitung.  19 

somit  infiuenzirend  wirkender  Körper  zu  betrachten,  wird  es  zweck- 
mässig sein,  einige  allgemeine  Sätze  über  die  Potentialfunction 
vorauszuschicken,  von  denen  diejenigen,  welche  in  meinem  Buche 
über  die  Potentialfunction  behandelt  sind,  hier  nur  kurz  angeführt 
zu  werden  brauchen. 

Zunächst  ist  ein  von  Green  aufgestellter  geometrischer  Satz, 
welcher  in  der  Potentialtheorie  vielfältige  Anwendung  findet,  zu 
erwähnen. 

Es  seien  JJ  und  V  zwei  Functionen  der  Raumcoordinaten, 
von  denen  wir  vorläufig  voraussetzen  wollen,  dass  innerhalb  eines 
zur  Betrachtung  gegebenen  Raumes  die  Functionen  selbst  und 
ihre  ersten  und  zweiten  A1)leitungen  nirgends  unendlich  gross 
werden.  Ferner  werde  zur  Abkürzung  ein  Summenzeichen  einge- 
führt, welches  auch  im  Folgenden  vielfach  Anwendung  finden 
wird.  Wenn  nämlich  eine  Summe  von  drei  Gliedern  vorkommt, 
welche  sich  auf  die  drei  Coordinatenrichtungen  beziehen,  im  Uebri- 
gen  aber  ganz  gleich  sind,  so  soll  nur  das  auf  die  rr-Richtung  be- 
zügliche Glied  wirklich  hingeschrieben  und  davor  das  Summen- 
zeichen gesetzt  werden,  wie  aus  Folgendem  zu  ersehen  ist: 

^  dx  dx         dx  dx  ''    dy    dy  ~^  dz    dz 
Dann  gelten  nach  Green  folgende  Gleichungen: 

Hierin  soll  dx  ein  Raumelement  sein,  und  die  Integrale  nach  r 
sollen  sich  über  den  ganzen  gegebenen  Raum  erstrecken.  Ferner 
soll  da  ein  Element  der  Oberfläche  des  Raumes  sein  und  in  den 

o  TT  o  TT" 

Differentialcoefficienten  -7-—  und  -;r —  soll  n  die  auf  der  Oberfläche 

on  on 

errichtete,  nach  Innen  zu  als  positiv  gerechnete  Normale  bedeu- 
ten.   Die  Integrale  nach  a  sollen  sich  über  die  ganze  Oberfläche'' 
des  gegebenen  Raumes  erstrecken. 

Diese  drei  Gleichungen  bilden  den  Ausdruck  desGreen'schen 
Satzes. 

2* 


20  Abschnitt  I. 

Die  Gleichungen  können  noch  nach  einer  gewissen  Richtung 
hin  erweitert  werden.  Wir  wollen  nämlich  die  Bedingung,  dass 
die  Functionen  U  und  V  und  ihre  ersten  und  zweiten  Ableitun- 
gen in  dem  ganzen  Räume  nirgends  unendlich  gross  werden,  fal- 
len lassen,  und  statt  dessen  annehmen,  dass  die  Functionen  Glie- 
der enthalten  können,  welche  die  Form  der  Potentialfunction  eines 
in  dem  Räume  befindlichen  Agens  haben,  welches  nicht  stetig  durch 
den  Raum  verbreitet  zu  sein  braucht,  sondern  auch  auf  Flächen, 
auf  Linien  oder  in  Puncten  angehäuft  sein  kann.  Es  seien  also 
für  ZJ  und  F  folgende  Formen  angenommen: 


(26) 


dq 


^  =  "+/-, 


Hierin  sollen  u  und  v  Functionen  bedeuten,  welche  die  obige  Be- 
dingung erfüllen,  dass  sie  und  ihre  ersten  und  zweiten  Differential- 
coefficienten  in  dem  ganzen  Räume  endlich  bleiben.  Unter  d  q  und 
dq  sollen  die  Elemente  von  Agentien  verstanden  sein,  welche  man 
sich  in  dem  Räume  befindlich  und  beliebig  darin  angeordnet  den- 
ken kann,  und  für  welche  die  Maasseinheiten  so  gewählt  werden 
sollen,  wie  es  bei  der  Electricität  geschehen  ist,  so  dass  £  =  1  zu 
setzen  ist.  Endlich  soll  r  den  Abstand  eines  solchen  Elementes 
von  dem  Puncto  (^,  «/,  s)  darstellen.  Wenn  nun  z.  B.  in  einem 
Puncto  p'  eine  endliche  Menge  q  oder  q  eines  Agens  befindlich  ist, 
so  lautet  der  betreffende  Theil  des  einen  oder  anderen  Integrals 

—  oder  — ,  und  diese  Brüche  und  ihre  Differentialcoefficienten  wer- 

den  bei  unendlicher  Annäherung  an  den  Punct  p'  unendlich  gross. 
Dasselbe  findet  statt,  wenn  sich  eine  endliche  Menge  des  Agens 
auf  einer  Linie  befindet,  während  in  dem  Falle,  wo  sich  eine  end- 
liche Menge  des  Agens  auf  einer  Fläche  befindet,  zwar  nicht  für 
das  Integral  selbst  und  seine  Differentialcoefficienten  erster  Ord- 
nung, wohl  aber  für  seine  Diö'erentialcoefficienten  zweiter  Ord- 
nung unendliche  Werthe  entstehen.  Nur  wenn  das  Agens  mit  end- 
licher Raumdichtigkeit  durch  den  Raum  verbreitet  ist,  bleibt  das 
Integral  mit  seinen  Diö'erentialcoefficienten  erster  und  zweiter  Ord- 
nung überall  endlich,  und  in  diesem  Falle  ist  es  daher  gleichgül- 
tig, ob  man  das  Integral  in  u  resp.  in  v  mit  einbegreifen  oder  be- 
sonders hinschreiben  will. 


Mathematisclie  Einleitung.  21 

Für  diese  unter  (26)  gegebenen  allgemeineren  Formen  der 
Functionen  U  und  V  lauten  die  den  Green' sehen  Satz  aus- 
drückenden Gleichungen  folgendermaassen : 

(28)  /SS'^-^-Z^-ff ""  -fv^ucU  +  i.fvd, 

(29)  Cu^dco  +    f  Uzlodt  —  4jr   /  Udq 

=  fv^^dco  -f    fvziudt  -  47t    fvdq. 


§.  12.    Bestimmung  des  von  einer  Fläche  einge- 
schlossenen Agens. 

Um  eine  erste  sehr  einfache  Anwendung  des  Green'schen 
Satzes  zu  machen ,  wollen  wir  für  U  den  constanten  Werth  1  an- 
nehmen. Daraus  ergiebt  sich  für  die  Differentialcoeflicienten  von 
U  und  somit  für  die  ganze  linke  Seite  der  Gleichung  (27)  der 
Werth  0  und  die  Gleichung  geht  über  in : 

/  -^—  da  4-    /  ^vdv  —  4:71  I  dq  =  0. 

Ferner  wollen  wir  unter  V  die  Potentialfunction  eines  Agens  ver- 
stehen, welches  sich  theils  innerhalb,  theils  ausserhalb  der  ge- 
schlossenen Fläche  befinden  und  beliebig  vertheilt  sein  kann.  In- 
dem wir  dann  für  V  die  unter  (26)  gegebene  allgemeine  Form 

^=^  +  /^ 

anwenden,  wollen  wir  uns  die  Potentialfunction  des  äusseren  Agens 

durch  y  und  die  des  inneren  Agens  durch  /  — ^  dargestellt  denken. 

Dann  ist  für  den  ganzen  von  der  Fläche  eingeschlossenen  Raum 
z/ü  =  0,  und  die  obige  Gleichung  vereinfacht  sich  somit  in: 


/  -^ —  da  —  4;r  f  dq  =  0. 


22  Absclinitt  I. 

Das  zweite  hierin  vorkommende  Integral  ist  nichts  weiter,  als  die 
ganze  Menge  des  von  der  Fläche  eingeschlossenen  Agens,  und  wir 
erhalten  somit,  indem  wir  diese  Menge  mit  Q  bezeichnen: 

(30)  J  —  da>^i7tQ 

oder : 

(30a)  Q  =  J-      ILL  day. 

Sollte  die  Fläche  selbst  mit  einer  endlichen  Menge  Agens  be- 

dV 
legt  sein,  so  würde  - —  an  der  Innen-  und  Aussenseite  der  Fläche 

on 

verschiedene  Werthe  haben,  und  je  nachdem  man  den  inneren 
oder  äusseren  Werth  in  dem  Integrale  anwendete,  würde  man  die 
Menge  des  Agens  ohne  oder  mit  Zurechnung  der  auf  der  Fläche 
befindlichen  Menge  erhalten. 


§.  13.    Das  Green-Dirichlet'sche  Princip  und  die 
Green'sche  Function. 

Die  weiteren  Anwendungen  des  Green'schen  Satzes  werden 
besonders  fruchtbar,  wenn  man  ihn  mit  einem  gewissen  anderen 
Satze  in  Verbindung  bringt.  Dieser  ist  in  der  für  den  betreffen- 
den Zweck  geeigneten  Form  ebenfalls  zuerst  von  Green  ausge- 
sprochen ,  aber  nicht  streng  mathematisch  bewiesen ,  sondern  nur 
auf  Gründe,  welche  man  vom  physicalischen  Gesichtspuncte  aus 
als  sicher  zu  betrachten  pflegt,  zurückgeführt.  Dirichlet  hat 
ihm  später  eine  allgemeinere  Form  gegeben,  und  ihn  streng  mathe- 
matisch bewiesen.  In  dieser  Form,  in  welcher  man  ihn  das  Di- 
richlet'sche  Princip  zu  nennen  pflegt,  lautet  er:  Es  giebt 
für  einen  beliebigen  begrenzten  Raum  immer  eine  und 
nur  Eine  Function  u  von  x,  ^,  ^,  die  selbst  und  deren  Dif- 
ferentialcoefficienten  erster  Ordnung  stetig  sind,  die 
innerhalb  jenes  ganzen  Raumes  die  Gleichung  z^m  =  0 
erfüllt,  und  die  endlich  in  jedem  Puncte  der  Ober- 
fläche einen  vorgeschriebenen  Werth  hat. 

Den  Beweis  dieses  Satzes  will  ich  hier  nicht  aufnehmen,  son- 
dern verweise  in  dieser  Beziehung  auf  mein  oben  citirtes  Buch 
über  die  Potentialfunction.  Hier  wird  es  genügen,  die  von  Green 
für  den  beschränkteren  Satz  angeführten  Gründe  mitzutheilen. 


Matheinatisclie  Einleitung.  23 

Green  stellt  nicht  die  allgemeine  Bedingung,  dass  die  Func- 
tion u  an  der  OberHäclie  einen  für  jeden  Punct  beliebig  vorge- 
schriebenen Wertli  habe,  sondern  giebt  den  Werth,  den  sie  haben 
soll,  bestimmt  an.  Sei  nämlich  innerhalb  des  gegebenen  Raumes 
irgend  ein  Punct  p'  ausgewählt,  und  der  Abstand  des  betrachteten 
Punctes  der  Oberfläche  von  diesem  Puncte  mit  r  bezeichnet,  so  soll 

u  an  dem  Oberfiächen-Puncte  den  Wertli haben,  so  dass  die 

1        .  .  y  ' 

Summe  u  -A gleich  Null  ist. 

Den  Beweis  von  der  eindeutigen  Existenz  dieser  Function  u 
führt  Green  so.  Man  betrachte  die  Oberfläche  des  gegebenen 
Raumes  als  eine  für  Electricität  leitende  Fläche,  welche  durch 
einen  unendlich  dünnen  Draht  mit  der  Erde  in  Verbindung  stehe. 
Ferner  denke  man  sich  im  Puncte  p'  eine  Einheit  positiver  Elec- 
tricität concentrirt.  Diese  wird  durch  Influenz  bewirken,  dass  po- 
sitive Electricität  von  der  Fläche  in  die  Erde  abströmt  und  die 
Fläche  eine  so  angeordnete  negativ  electrische  Ladung  erhält,  dass 
die  gesammte  Potentialfunction  auf  allen  Theilen  der  Fläche  den 
in  der  Erde  stattfindenden  Werth  Null  hat.  Die  gesammte  Poten- 
tialfunction besteht  aber  erstens  aus  der  Potentialfunction  der  in 

p'  concentrirten  Electricitätseinheit,  nämlich  — ,  und  zweitens  aus 

der  Potentialfunction  der  auf  der  Fläche  durch  Influenz  angesam- 
melten Electricität.  Nennen  wir  also  die  letztere  Potentialfunction 
M,  so  ist  auf  allen  Theilen  der  Fläche  die  Gleichung 

,     1 

u  -\ =  0 

erfüllt,  und  ebenso  genügt  diese  mit  u  bezeichnete  Potentialfunc- 
tion in  dem  ganzen  gegebenen  Räume  der  in  Bezug  auf  die  Stetig- 
keit gestellten  Bedingung  und  der  Gleichung  /lu  =  0.  Nimmt 
man  es  nun  als  selbstverständlich  an,  dass  es,  wenn  in  irgend 
einem  Puncte  p'  eine  Electricitätseinheit  concentrirt  ist,  immer 
eine  und  nur  Eine  Vertheilung  von  Electricität  auf  der  Fläche 
giebt,  welche  der  für  das  Gleichgewicht  nöthigen  Bedingung,  dass 
die  gesammte  Potentialfunction  auf  der  Fläche  überall  gleich  Null 
ist,  entspricht,  so  ist  damit  die  eindeutige  Existenz  der  Function 
u  bewiesen,  und  ihr  zugleich  dadurch,  dass  sie  die  Potential- 
function der  unter  den  genannten  Umständen  auf  der  Fläche  an- 
gesammelten Electricität  sein  soll,  eine  bestimmte  physicalische 
Bedeutung  gegeben. 


24  Abschnitt  I. 

Auch  für  einen  nicht  in  dem  von  der  Fläche  eingeschlossenen 
Räume,  sondern  in  dem  die  Fläche  umgebenden  Räume  gelegenen 
Punct  ^'  stellt  Green  die  entsprechenden  Betrachtungen  an,  dass 
er  sich  in  j)'  eine  positive  Electricitätseinheit  concentrirt  denkt, 
welche  die  als  leitend  und  mit  der  Erde  verbunden  angenommene 
Fläche  negativ  electrisch  macht,  und  dass  er  dann  die  Potential- 
function  der  auf  der  Fläche  befindlichen  negativen  Electricität  als 
die] Function  u  ansieht.    Diese  Function  erfüllt  dann  wieder  die 

Bedingung,  dass  sie  an  allen  Puncten  der  Fläche  gleich ist, 

und  hat  ausserdem  die  Eigenschaft,  dass  in  unendlicher  Entfer- 
nung R  vom  Anfangspuncte  der  Coordinaten  u  und  ^^  unendlich 

kleine  Grössen  von  den  Ordnungen  -yr^  und  -j^r    werden,    was  für 

solche  Betrachtungen,  bei  denen  man,  um  einen  allseitig  begrenz- 
ten Raum  zu  haben,  zu  der  gegebenen  Fläche  noch  eine  unend- 
lich grosse  Kugelfläche  als  zweite  Grenzfläche  hinzunimmt,  wesent- 
lich ist. 

Die  in  dieser  Weise  für  den  inneren  oder  äusseren  Raum  be- 
stimmte Function  u  pflegt  man  die  Green'sche  Function  zu 
nennen. 


§,  14.    Bestimmung  der  Potentialfunction  eines  durch 

eine  Fläche  abgegrenzten  Agens   aus  den  in  der 

Fläche  stattfindenden  Werthen. 

Wir  wollen  nun  annehmen,  es  sei  eine  geschlossene  Fläche 
gegeben,  welche  einen  ein  Agens  enthaltenden  Raum  von  einem 
leeren  Räume  abgrenze,  indem  entweder  der  äussere  Raum  das 
Agens  enthalte  und  der  innere  leer  sei,  oder  umgekehrt  der  innere 
Raum  das  Agens  enthalte  und  der  äussere  leer  sei.  Auf  der  Fläche 
selbst  kann  sich  in  beiden  Fällen  ebenfalls  eine  endliche  Menge 
des  Agens  befinden.  Es  handelt  sich  nun  darum ,  zu  untersuchen, 
ob  die  Potentialfunction,  wenn  sie  an  der  Grenzfläche  bekannt  ist, 
sich  auch  in  dem  ganzen  leeren  Räume  bestimmen  lässt. 

Zunächst  möge  der  innere  Raum  als  der  leere  betrachtet  wer- 
den. Indem  wir  auf  diesen  die  Green'sche  Gleichung  (29)  an- 
wenden, wollen  wir  unter  V  die  zu  bestimmende  Potentialfunction 
verstehen.    Da  diese  Function  und  ihre  ersten  und  zweiten  Ablei- 


Mathematische  Einleitung.  25 

tungen  in  dem  von  Agens  freien  inneren  Räume  überall  endlich 
bleiben  müssen,  so  kann  man  in  dem  unter  (26)  gegebenen  allge- 
meinen Ausdrucke  von   F,  nämlich  v  -f-  /  — ,    das  Integral  mit 

dc[  fortlassen  und  v  mit  V  als  gleichbedeutend  betrachten.  Was 
ferner  die  Function  V  anbetrifft,  so  wollen  wir,  nachdem  wir  irgend 
einen  in  dem  Räume  gelegenen  Punct  p'  mit  den  Coordinaten 
x\  y\  z'  ausgewählt  haben,  unter  r  den  Abstand  des  Punctes 
(ic,  «/,  z)  von  diesem  Puncte  und  unter  u  die  Cr  r  e  e  n '  sehe  Func- 
tion verstehen,  und  dann  setzen: 

Aus  der  Vergleichung  dieses  Ausdruckes  mit  dem  unter  (26)  gege- 
benen allgemeinen  Ausdrucke  u  -\-  l  —  ergiebt  sich,  dass  in  dem 

letzteren  d(\  als  das  Element  einer  im  Puncte  j/  concentrirten 
Einheit  des  Agens  anzusehen  ist,  woraus  folgt,  dass  das  in  der 

Green'  sehen  Gleichung  vorkommende  Integral  ./  Vd  q  in  diesem 
Falle  nichts  anderes  ist ,  als  der  im  Puncte  p'  stattfindende  Wertli 
von  F,  welchen  wir  mit  V  bezeichnen  wollen.  Die  Green' sehe 
Gleichung  (29)  nimmt  also  folgende  Form  an: 


VzJudT  —  4nV'. 


Da  nun  das  Agens,  von  welchem  V  die  Potentialfunction  ist, 
sich  nur  im  äusseren  Räume  oder  auf  der  Oberfläche,  und  das 
Agens,  von  welchem  u  die  Potentialfunction  ist,  sich  nur  auf  der 
Oberfläche  befindet,  so  ist  für  den  ganzen  inneren  Raum 

z/  F  =  0  und  ^u  =  0. 

Ferner  muss  an  der  Oberfläche  die  für  die  Green'sche  Function 
geltende  Bedingungsgleichung 

w  H —  =  0 

r 
erfüllt  sein.    Die  obige  Gleichung  vereinfacht  sich  also  in 


2ß  Abschnitt  I. 


/ 


/(»+7) 

woraus  sich  ergiebt 


on 


a-     ■    ' 


(31)  ^"  =  ^J  fIa:;,^^». 


Bedenkt  man  nun,  dass  u  eine,  wenn  auch  nicht  bekannte,  so 
doch  vollkommen  bestimmte  Function  ist,  so  folgt  aus  diesei"  Glei- 
chung, dass,  wenn  die  Potentialfunction  V  an  der  Oberfläche  be- 
kannt ist,  dadurch  auch  ihr  Werth  an  jedem  beliebigen  Puncte  p' 
im  Innern  des  von  der  Fläche  eingeschlossenen  Raumes  bestimmt 
ist,  ohne  dass  dazu  die  Art  der  Vertheilung  des  Agens  gegeben  zu 
sein  braucht.  Zur  wirklichen  Berechnung  von  V  bedarf  es  erst 
noch  der  Ableitung  der  dem  speciellen  Falle  entsprechenden  Form 
von  u. 

Es  möge  nun  zweitens  der  äussere  Raum  als  der  leere  be- 
trachtet werden,  in  welchem  die  Potentialfunction  des  von  der 
Fläche  eingeschlossenen  Agens  bestimmt  werden  soll.  Damit  die- 
ser Raum  allseitig  begrenzt  sei,  denken  wir  uns  um  den  Anfangs- 
punct  der  Coordinaten  mit  einem  unendlich  grossen  Radius  B  eine 
Kugelfläche  geschlagen,  so  dass  der  zu  betrachtende  Raum  zwi- 
schen der  gegebenen  geschlossenen  Fläche  und  der  unendlich 
grossen  Kugelfläche  liegt. 

In  diesem  Räume  wählen  wir  wieder  irgend  einen  Punct  p' 
aus,  und  können  dann,  ganz  wie  vorher  die  Gleichung  (31)  ablei- 
ten, worin  aber  für  diesen  Fall  das  Flächenintegral,  wenigstens 
vorläufig,  nicht  bloss  auf  die  gegebene  Fläche,  sondern  auch  auf 
die  unendlich  grosse  Kugelfläche  zu  beziehen  ist. 

Was  zunächst  den  auf  die  gegebene  Fläche  bezüglichen  Theil 
des  Integrals  betrifft,  so  sind  darüber  noch  einige  Bemerkungen 
zu  machen.  In  dem  unter  dem  Integralzeichen  stehenden  Diffe- 
rentialcoefficienten 


8  (»  +  j) 


dn 
muss,  den  früheren  Festsetzungen  gemäss ,  die  Normale  nach  der 
Seite  des  betrachteten  Raumes  zu  als  positiv  gerechnet  werden. 
Während  sie  also  im  vorigen  Falle  nach  Innen  als  positiv  gerech- 


Mathematische  EinleitimGr.  27 


»• 


net  werden  miisste,  muss  sie  im  jetzigen  Falle  nach  Aussen  als 
positiv  gerechnet  werden.  Da  ferner  dieser  Differentialcoefficient 
an  beiden  Seiten  der  Fläche  verschiedene  Werthe  hat,  so  muss 
darauf  geachtet  werden,  dass  immer  der  Werth  anzuwenden  ist, 
welcher  an  der  Seite  des  betrachteten  Raumes  gilt.  Während  also 
im  vorigen  Falle  der  an  der  Innenseite  geltende  Werth  angewandt 
werden  musste,  muss  im  jetzigen  Falle  der  an  der  Aussenseite  gel- 
tende Werth  angewandt  werden. 

Was  ferner  den  auf  die  unendlich  grosse  Kugelfläche  bezüg- 
lichen Theil  des  Integrals  betrifft,  so  lässt  sich  dieser  sehr  ein- 
fach abmachen.  Gegen  den  unendlich  grossen  Radius  der  Kugel- 
fläche sind  alle  endlichen  Entfernungen  zu  vernachlässigen,  und 

man  kann  daher  an  der  Kugelfläche  für  —  und    V  die  Werthe  in 

r 

Anwendung  bringen,  welche  man  erhalten  würde,  Avenn  der  Punct 
p'  und  das  ganze  von  der  gegebenen  Fläche  eingeschlossene  Agens, 
dessen  Menge  wir  mit  Q  bezeichnen  wollen ,  sich  im  Mittelpuncte 
der  Kugelfläche  befände,  nämlich : 

l  =  lundF=^ 
r        R  B ' 

und  für  die  Differentialcoefiicienten  nach  n  kann  man,  da  die  nach 
Innen  gehende  Normale  die  entgegengesetzte  Richtung  des  Ra- 
dius hat,  setzen: 

8w  __        du        ,       r  1 

Endlich  kann  man  das  Flächenelement  da  der  Kugelfläche  durch 
das  Product  W^dö  ersetzen,  worin  d6  das  Element  des  körper- 
lichen Winkels  bedeutet.  Dadurch  erhält  man  für  den  auf  die 
Kugelfläche  bezüglichen  Theil  des  Integrals  die  Gleichung : 


/ 


du 


Da  nun  nach  dem,  was  in  §.  13  über  u  gesagt  wurde,  ^^-^  eine  un- 


endlich  kleine  Grösse  von  der  Ordnung  -^^  ist,  so  ist  das  Product 


28  Absclinitt  I. 

B  ^r-^  noch  eine  unendlich  kleine  Grösse  von  der  Ordnung  ^,  und 
0  M  -tt 

der  ganze  auf  die  Kugelfläche  bezügliche  Theil  des  Integrals  ist 
somit  unendlich  klein  und  kann  vernachlässigt  werden.  Man 
braucht  also  in  der  Gleichung  (31),  mag  man  sie  auf  den  inneren 
oder  äusseren  Raum  anwenden,  das  Integral  nur  über  die  gege- 
bene Fläche  auszudehnen. 

Unter  Zusammenfassung  der  vorstehenden  Ergebnisse  können 
wir  folgenden,  für  beide  Fälle  geltenden  Satz  aussprechen:  Durch 
die  Werthe,  welche  die  Potentialfunction  in  der  ge- 
gebenen Fläche  hat,  sind  auch  die  Werthe,  welche 
sie  in  dem  ganzen  resp.  inneren  oder  äusseren  leeren 
Räume  hat,  vollständig  bestimmt. 

Befindet  sich  das  Agens  nur  auf  der  Fläche  selbst,  so  gilt  der 
Satz  für  den  inneren  und  äusseren  Raum  gleichzeitig,  und  man 
kann  ihn  dann  so  aussprechen:  Wenn  für  ein  über  eine  ge- 
schlossene Fläche  verbreitetes  Agens  die  Potential- 
function in  der  Fläche  selbst  gegeben  ist,  so  ist  sie 
dadurch  auch  in  dem  ganzen  inneren  und  äusseren 
Räume  bestimmt. 

Endlich  möge  noch  bemerkt  werden,  dass  die  Sätze,  welche 
hier  für  eine  einzelne  geschlossene  Fläche  ausgesprochen  sind,  sich 
in  leicht  ersichtlicher  Weise  auch  auf  mehrere  geschlossene  Flä- 
chen ausdehnen  lassen. 


§.    15.     Flächenbelegung,   welche   einer  in  der  Fläche 
gegebenen  Potentialfunction  entspricht. 

Aus  dem  im  vorigen  Paragraphen  abgeleiteten  Satze  ergiebt 
sich  sofort  auch  der  folgende  Satz:  Für  eine  geschlossene 
Fläche  giebt  es  stets  eine  und  auch  nur  Eine  Verthei- 
lung  von  Agens  auf  der  Fläche  selbst,  deren  Poten- 
tialfunction in  jedem  Puncte  der  Fläche  einen  vor- 
geschriebenen Werth  hat. 

Wenn  nämlich  für  eine  Flächenbelegung  der  Werth  der  Po- 
tentialfunction in  allen  Puncten  der  Fläche  gegeben  ist,  so  ist 
damit  nach  dem  vorigen  Paragraphen  auch  die  Potentialfunction 
im  ganzen  inneren  und  äusseren  Räume  bestimmt,  und  mit  der 
Potentialfunction  sind  es  auch  ihre  Differentialcoefficienten.    Den- 


Mathematische  Einleitung.  29 

ken  wir  uns  nun  an  irgend  einem  Puncte  der  Oberfläche  eine  Nor- 
male errichtet,  welche  nach  der  einen  Seite  als  positiv  und  nach 
der  anderen  als  negativ  gerechnet  wird,  so  gilt  gemäss  (9)  in  §.  8, 
wenn  darin  £  =  1  gesetzt  wird,  folgende  Gleichung: 


dnj  +  0 


önJ-oV 


worin  h  die  auf  den  betreffenden  Punct  bezügliche  Flächendichtig- 
keit derjenigen  Flächenbelegung  bedeutet,  von  welcher  F  die  Po- 
tentialfunction  ist.  Folglich  ist  die  Flächendichtigkeit  für  jeden 
Punct  der  Fläche  vollkommen  bestimmt,  und  damit  ist  der  obige 
Satz  bewiesen. 

Hieraus  lässt  sich  sofort  noch  ein  weiterer  Schluss  ziehen. 
Wenn  eine  geschlossene  Fläche  einen  mit  Agens  erfüllten  Raum 
von  einem  leeren  abgrenzt,  indem  entweder  der  äussere  Raum  das 
Agens  enthält  und  der  innere  leer  ist,  oder  der  innere  das  Agens 
enthält  und  der  äussere  leer  ist,  so  ist,  wie  wir  im  vorigen  Para- 
graphen gesehen  haben,  durch  die  Werthe,  welche  die  Potential- 
function  des  Agens  an  der  Grenzfläche  hat,  auch  die  Potential- 
function  in  dem  ganzen  leeren  Räume  bestimmt.  Da  nun  stets  eine 
und  nur  Eine  Flächenbelegung  möglich  ist,  deren  Potentialfunction 
an  der  Fläche  selbst  irgend  welche  vorgeschriebene  Werthe  hat, 
so  muss  auch  eine  und  nur  Eine  Flächenbelegung  möglich  sein, 
deren  Potentialfunction  an  der  Fläche  die  der  Potentialfunction 
des  gegebenen  Agens  zukommenden  Werthe  hat,  und  somit  auch 
in  dem  ganzen  leeren  Räume  mit  der  Potentialfunction  des  gege- 
benen Agens  übereinstimmt. 

Demnach  lässt  sich  folgender,  oft  zur  Vereinfachung  anwend- 
barer Satz  aussprechen:  Wenn  in  einem  Räume,  welcher 
durch  eine  geschlossene  Fläche  von  dem  übrigen 
Räume  abgegrenzt  ist,  sich  ein  Agens  in  beliebiger 
Vertheilung  befindet,  welches  zum  Theil  auch  auf 
der  Fläche  selbst  gelagert  sein  kann,  so  giebt  es  stets 
eine  und  nur  Eine  Flächenbelegung,  welche  in  dem 
ganzen  übrigen  Räume  dieselbe  Potentialfunction 
hat,  wie  das  gegebene  Agens. 


30  Abschnitt  I. 


§.  16.    Bestimmung  der  Potentialfunction  und  der 

Flächendichtigkeit  bei  electrischen  leitenden  Körpern 

aus  der  Green'schen  Function. 

An  die  vorigen  Sclilüsse  mögen  noch  einige  weitere  ange- 
knüpft werden,  welche  sich  speciell  auf  Electricität  beziehen. 

Es  sei  ein  für  Electricität  leitender  Körper  A  gegeben,  wel- 
cher mit  Electricität  geladen  sei ,  und  es  soll  die  Potentialfunction 
im  äusseren  Räume  bestimmt  werden.  Dazu  haben  wir  allgemein 
die  Gleichung  (31),  nämlich: 


47tJ 


d 


(«+!) 


F  =  -f-     I     V—^^ -^  dcj. 

on 

Nun  ist  aber  im  Innern  und  somit  auch  an  der  ganzen  Oberfläche 
eines  leitenden  Körpers  die  Potentialfunction  constant  und  kann 
daher  aus  dem  Integralzeichen  herausgenommen  werden.  Wir  er- 
halten also,  indem  wir  den  constanten  Werth,  welchen  wir  das 
Potentialniveau  des  Körpers  Ä  nennen  wollen,  mit  F«  be- 
zeichnen : 


Hieraus  ergiebt  sich,  dass  für  jedes  Potentialniveau  des  Körpers 
die  Potentialfunction  in  dem  ganzen  äusseren  Piaume  aus  der 
Function  u  bestimmt  werden  kann. 

Wenn  die  Potentialfunction  in  dem  ganzen  äusseren  Räume 

bestimmt  ist,  so  ist  es  auch  der  in  der  Nähe  der  Fläche  geltende 

dV 
Werth  von  - — ,  und  mit  Hülfe  dieses  wiederum  kann  man,  nach 

on 

Gleichung  (11),  die  Flächendichtigkeit  h  ausdrücken,  so  dass  also 
auch  die  Art,  wie  die  dem  Körper  mitgetheilte  Electricität  sich 
über  seine  Oberfläche  verbreitet,  aus  der  Function  u  bestimmt 
werden  kann. 

Sind  statt  Eines  Körpers  Ä  deren  mehrere  A,  B^  C  etc.  ge- 
geben, so  erhält  man  ganz  entsprechend: 


Mathematische  Einleitung.  31 

+  T^  —^-7 ^r7«,+  etc., 

47r^y  (In  ' 

worin  dcoa,  doi,,  äcOc  etc.  Obertiächenelemente  der  Körper  A,  B. 
Cetc.  bedeuten  und  die  einzelnen  Integrale  sich  auf  die  Oberflächen 
der  einzelnen  Körper  beziehen.  Die  Function  u  ist  in  diesem  Falle 
natürlich  so  zu  bestimmen,  dass  alle  gegebenen  Körper  gleichzeitig 
berücksichtigt  werden.  Man  denke  sich  nämlich  alle  diese  Körper 
durch  unendlich  dünne  Drähte  mit  der  Erde  verbunden,  und 
nehme  im  Puncte  y  eine  positive  Electricitätseinheit  an,  welche 
auf  allen  Körpern  durch  Influenz  eine  Ladung  mit  negativer  Elec- 
tricität  verursacht,  dann  ist  die  Potentialfunction  dieser  gesamm- 
ten  negativen  Electricität  die  Function  u. 


§.  17.    Wirkung  einer  leitenden  Schaale  und  eines 
leitenden  Schirmes. 

Es  sei  ein  von  einer  inneren  und  einer  äusseren  Oberfläche 
begränzter  schaalenförmiger  Körper  aus  einem  die  Electricität  lei- 
tenden Stoffe  gegeben.  Dann  können  wir  drei  Räume  unterschei- 
den, den  inneren  Hohlraum,  den  äusseren  umgebenden  Raum  und 
den  von  dem  Körper  selbst  erfüllten  Raum. 

Der  innere  Hohlraum  möge  nun  irgend  welche  mit  Electrici- 
tät geladene  Körper  einschliessen ,  und  es  soll  untersucht  werden,, 
welchen  electrischen  Zustand  diese  in  der  Schaale  hervorrufen, 
und  wie  sie  nach  Aussen  wirken. 

Wir  betrachten  zunächst  die  innere  Oberfläche  der  Schaale. 
Unendlich  nahe  an  derselben,  aber  noch  in  dem  Hohlräume,  den- 

dV        . 

ken  wir  uns  den  Differentialcoefficienten  - —  gebildet,  wobei  die 

cn 

Normale  nach   dem  Hohlräume  zu  als   positiv  gerechnet  werden 

möge.    In  Bezug  auf  diesen  Differentialcoefficienten  gilt  folgende, 

in  §.  12  unter  (30)  gegebene  Gleichung: 

worin  das  Integral  sich  auf  die  den  Hohlraum  begrenzende  Fläche. 


ß 


32  Abschnitt  I. 

also  auf  die  innere  Oberfläche  unserer  Scliaale  bezieht ,  und  Q  die 
gesammte  von  der  Fläche  eingeschlossene  Electricitätsmenge,  also 
die  Electricitätsmenge,  mit  welcher  die  in  dem  Hohlräume  befind- 
lichen electrischen  Körper  geladen  sind ,  bedeutet.    Ferner  ist  der 

dV 
hier  betrachtete  Differentialcoefficient  - —  derselbe,  welcher  in  8. 8 

mit  (- — )      bezeichnet  ist,  und  für  welchen  die  dort  unter  (11) 

\dnJ+o  ^     ^ 

gegebene  Gleichung 


Ol       =  —  4:7ch 

gilt,  worin  h  die  Flächendichtigkeit  der  Electricität  bedeutet.  Durch 
Einsetzung  des  hier  rechts  stehenden  Werthes  in  die  vorige  Glei- 
chung erhält  man: 

(34)  fhd(o  =  —  Q, 

d.  h.  auf  der  inneren  Oberfläche  der  Schaale  befindet 
sich  eine  Electricitätsmenge,  welche  der  auf  den 
eingeschlossenen  electrischen  Körpern  befindlichen 
gleich  und  entgegengesetzt  ist. 

Bei  diesem  Resultate  ist  es  ganz  gleichgültig ,  ob  die  Schaale 
mit  der  Erde  in  Verbindung  steht  und  dadurch  auf  dem  Potential- 
niveau Null  erhalten  ist,  oder  ob  sie  isolirt  und  auf  irgend  ein  an- 
deres Potentialniveau  gebracht  ist.  Dieses  hat  nur  Einfluss  auf 
die  Electricitätsmenge,  welche  sich  auf  der  äusseren  Oberfläche 
lagert. 

Wir  wollen  nun  die  Potentialfun ction  in  dem  die  Schaale 
umgebenden  äusseren  Räume  betrachten.  Für  irgend  einen  Punct 
p'  dieses  Raumes  gilt,  wenn  wir  das  Potentialniveau  der  Schaale 
mit  Va  bezeichnen,  die  im  vorigen  Paragraphen  unter  (32)  gege- 
bene Gleichung: 

F'  =  /i   /    -\ ^rf». 

°tn^  dn 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  die  äussere  Potentialfunction  vollkom- 
men bestimmt  ist,  sobald  das  Potentialniveau  der  Schaale  gegeben 
ist,  ohne  dass  über  die  Art,  wie  die  in  dem  Hohlräume  befind- 
lichen Körper  gestaltet,  angeordnet  und  mit  Electricität  geladen 
sind,  etwas  bekannt  zu  sein  braucht. 


Mathematisclae  Einleitung.  33 

Wenn  die  Schaale  mit  der  P^rde  in  leitender  Verbindung  steht, 
so  ist  Va  =  0,  und  dann  ist  auch  für  jeden  Punct  p'  des  äusseren 
Raumes  V  =  0.  Daraus  ergiebt  sich,  dass  die  in  dem  Hohlraum 
befindlichen  electrischen  Körper  nach  Aussen  hin  gar  keine  Wir- 
kung ausüben.  Ihre  Wirkung  ist  durch  die  entgegengesetzte  Elec- 
tricität,  welche  durch  Influenz  an  der  inneren  Oberfläche  der 
Schaale  angesammelt  ist,  vollständig  aufgehoben. 

Wir  wollen  uns  nun,  statt  der  die  electrischen  Körper  ganz 
umgebenden  Schaale,  eine  verhältnissmässig  grosse  aus  einem  lei- 
tenden Stoffe  bestehende  Platte  denken,  welche  vor  die  electri- 
schen Körper  gestellt  sei,  und  jeuseit  deren  die  Potentialfunction 
bestimmt  werden  solle.  Ohne  auf  eine  specielle  Betrachtung  die- 
ses Falles  einzugehen,  kann  man  soviel  ohne  Weiteres  übersehen, 
dass  die  Platte,  wenn  sie  hinlänglich  gross  ist,  eine  ähnliche,  wenn 
auch  nicht  so  vollständige  Wirkuug  ausüben  muss,  wie  die  Schaale 
und  dass  also  die  Potentialfunction  jenseit  der  Platte  fast  nur  von 
dem  Potentialniveau  der  Platte  abhängen  kann.  Steht  die  Platte 
mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung,  so  muss  die  Potentialfunc- 
tion jenseit  der  Platte  sehr  nahe  den  constanten  Werth  Null  ha- 
ben, indem  die  auf  der  Platte  durch  Influenz  angesammelte  ent- 
gegengesetzte Electricität  die  Wirkung  der  electrischen  Körper 
fast  vollständig  compensirt.  Eine  in  dieser  Weise  wirkende  Platte 
pflegt  man  einen  electrischen  Schirm  zu  nennen. 

§.  18.    Ein  allgemeiner  Satz  in  Bezug  auf  Influenz- 
wirkungen. 

Zum  Schluss  dieser  allgemeinen  Betrachtungen  möge  noch 
ein  vor  Kurzem  von  mir  in  Wiedemann's  Annaleni)  mitgetheüter 
Satz  angeführt  werden ,  welcher  sich  auf  die  gegenseitige  Influenz 
beliebig  vieler  leitender  Körper  bezieht,  und  mehrere,  von  ver- 
schiedenen Autoren  aufgestellte  Pieciprocitätssätze  als  specielle 
Fälle  in  sich  enthält. 

Es  sei  irgend  eine  Anzahl  leitender  Körper  Ci ,  C2, 
C3  etc.  gegeben,  welche  influenzirend  auf  einander 
wirken.  Diese  sollen  in  zwei  verschiedenen  Weisen 
geladen  werden.  Bei  der  ersten  Ladung  seien  die  auf 
den  einzelnen  Körpern  befindlichen  Electricitäts- 
mengen:  q^^  ^.^,  ^3  etc. 


1)  Bd.  1,  S.  493. 

Clausius,    mech.  Wärmetbeorie.    H 


34  Absclinitt  I. 

und  die  dadurch  entstehenden  Potentialniveaux  der 
Körper: 

Fl,  n,  F3  etc., 
und  bei  der  zweiten  Ladung  seien  die  Electricitäts- 
mengen  und  Potentialniveaux: 

Dl,  CI2,  O3  etc. 

2Si,  3S2,  %  etc. 
Dann  gilt  folgende  Gleichung: 

(35)  Fl  Dl  -{-V,€i,^  V,  Q3  +  etc.  =  f8,  Q,  +  Ä^^  ^2  +  SSs  $3  +  etc. 
oder  kürzer  geschrieben: 

(35a)  EV€i  =  2:^Q. 

Zum  Beweise  dieser  Gleichung  denken  wir  uns  um  einen  in 
der  Nähe  der  Körper  gelegenen  Punct  eine  unendlich  grosse  Kugel- 
fiäcbe  geschlagen,  und  wenden  auf  den  zwischen  den  Körpern  und 
der  Kugeliiäche  liegenden  unendlichen  Raum  die  dritte  Green'sche 
Gleichung  an,  indem  wir  unter  den  beiden  darin  vorkommenden 
Functionen,  welche  wir  mit  F  und  35  bezeichnen  wollen,  die  der 
ersten  und  zweiten  Ladung  entsprechende  Potentialfunction  ver- 
stehen. Da  diese  beiden  Potentialfunctionen  mit  ihren  ersten  und 
zweiten  Ableitungen  in  dem  betrachteten  Räume  überall  endlich 
bleiben,  so  können  wir  die  Green'sche  Gleichung  in  der  unter 
(25)  gegebenen  Form  schreiben,  nämlich: 

Da  ferner  in  dem  betrachteten  Räume  keine  Electricität  vorhan- 
den sein  soll,  so  gelten  in  demselben  überall  die  Gleichungen: 

z/F=  0  und  ^35  =  0, 

wodurch  die  vorige  Gleichung  sich  reducirt  auf: 

(36)  fv^dco  =  f^^da). 
J        cn  J        dn 

In  dieser  Gleichung  haben  sich  die  Integrale  über  die  Ober- 
flächen aller  gegebenen  Körper  und  über  die  unendlich  grosse 
Kugelüäche  zu  erstrecken.  Die  auf  die  letztere  Fläche  bezüglichen 
Theile  der  Integrale  sind  aber  aus  den  Gründen,  welche  für  einen 
ähnlichen  Fall  schon  in  §.  14  besprochen  wurden,  unendlich  klein 
und  können  daher  vernachlässigt  werden,  so  dass  die  Integratio- 


Mathematisclie  Einleitung.  35 

nen  nur  auf  die  Oberflächen  der  gegebenen  Körper  ausgedehnt  zu 
werden  brauchen. 

Auf  der  Oberfläche  jedes  Körpers  ist  die  Potentialfunction 
constant,  und  kann  daher  für  den  Theil  des  Integrals,  welcher  sich 
auf  ihn  bezieht,  aus  dem  Integralzeichen  genommen  werden.  Dem- 
nach können  wir  die  vorige  Gleichung  so  schreiben: 

'^'/ll ''"'  +  ^'P^ ''"'  +  ^'/If '''"'  +  ^t"- 

fdV  PdV  rdV 

=  * J  -^  ^^"^  +  ^V  d^  '^"^  +  ^V  d^  ^''^  +  '^'•' 

worin  cZoi,  dco^,  da-,  etc.  Oberflächenelemente  der  Körper  6\, 
O2,  C3  etc.  sein  und  die  verschiedenen  Integrale  sich  auf  die  Ober- 
flächen der  einzelnen  Körper  beziehen  sollen. 

Nun  ist,  wie  im  vorigen  Paragraphen,  an  allen  Oberflächen, 
gemäss  der  Gleichung  (11),  zu  setzen: 

7^ —  =  —  4:7ch  und  - —  =  —  4  na, 

on  an 

worin  li  und  !^  die  Flächendichtigkeiten  bei  den  beiden  Ladungen 
bedeuten  sollen.    Es  kommt  also: 

Viffjdcoi^  -\-  V<if'^dG}^  -f  V^ff)dG)3  -\-.  etc. 

=  SSi  y  /^  c?  cöi  -|-  9S2  y  ^  «^^  ^2  -\-  '^■i  J  h  d  ('^ä  -\-  etc. 
Die  hierin  noch  vorkommenden  Integrale  sind  aber  nichts  weiter, 
als  die  auf  den  einzelnen  Körpern  befindlichen  Electricitätsmen- 
gen,  und  wir  erhalten  somit  die  zu  beweisende  Gleichung 

FiDi-f-  F^Q^-f  F3Q3+  etc.  =  ^,  Q,^^,  Q^-^-^z  Q^^  etc. 
Diese  Gleichung  lässt  sich  unter  gewissen,  oft  stattfindenden 
Umständen  noch  sehr  vereinfachen.    Betrachten  wir  die  Glieder, 
welche  sich  auf  irgend  einen  der  gegebenen  Körper,  der  C^  heisse, 
beziehen,  nämlich  die  beiden  Producte 

FOe-und  %Qi, 
so  werden  diese  in  zwei  Fällen  Null,  so  dass  sie  aus  der  Gleichung 
fortgelassen  werden  können.  Wenn  der  Körper  mit  der  Erde  in 
leitender  Verbindung  steht,  so  bleibt  sein  Potentialniveau  bei  jeder 
Ladung  des  Systemes  Null,  und  wir  haben  also  für  diesen  Fall  zu 
setzen : 

K-  =  %  =  0, 

wodurch  die  obigen  Producte  verschwinden.  Wenn  ferner  der  Kör- 

3* 


36  Abschnitt  1. 

per  isolirt  und  ursprünglich  unelectrisch  ist,  und  bei  der  Ladung 
keine  Electricität  von  Aussen  erhält,  sondern  nur  durch  Influenz 
eine  ungleiche  Vertheilung  seiner  eigenen  Electricität  erleidet,  so 
wird  seine  Oberfläche  theils  positiv,  theils  negativ  electrisch,  in 
der  Weise,  dass  die  ganze  auf  der  Oberfläche  befindliche  Electri- 
citätsmenge  Null  bleibt.    Wir  haben  dann  also  zu  setzen: 

Q,  =  Q,  =:  0, 

wodurch  wiederum  die  obigen  Producte  verschwinden.  Demge- 
mäss  kann  folgende  Kegel  aufgestellt  werden.  Solche  Körper,  die 
bei  beiden  Ladungen  mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  ste- 
hen, oder  die  isolirt  und  ursprünglich  unelectrisch  sind,  und  bei 
den  Ladungen  keine  Electricität  empfangen,  können  bei  der  Auf- 
stellung der  Gleichung  (3.5)  ganz  unberücksichtigt  bleiben. 

Es  möge  nun  als  specieller  Fall  angenommen  werden,  dass 
bei  allen  gegebenen  Körpern,  mit  Ausnahme  von  Ci  und  C.2 ,  einer 
der  beiden  genannten  Umstände  stattfinde.  Dann  reducirt  sich 
die  Gleichung  auf: 

(37)  Fl  Ol  +  F2Q2  =  SSi  Q,  +  ^,  Q,. 

Wenn  wir  diese  Gleichung  noch  weiter  dadurch  vereinfachen,  dass 
wir  auch  über  das  Verhalten  der  Körper  Ci  und  O2  noch  beson- 
dere Annahmen  machen ,  so  gelangen  wir  zu  den  oben  erwähnten 
ßeciprocitätssätzen. 

Zunächst  wollen  wir  uns  denken,  bei  der  ersten  Ladung  werde 
Ol  bis  zum  Potentialniveau  K  geladen ,  während  O2  mit  der  Erde 
in  leitender  Verbindung  stehe  und  durch  Influenz  aus  der  Erde 
die  Electricitätsmenge  Q2  erhalte;  bei  der  zweiten  Ladung  werde 
C2  bis  zum  Potentialniveau  K  geladen,  während  6\  mit  der  Erde 
in  leitender  Verbindung  stehe,  und  durch  Influenz  die  Electricitäts- 
menge Qi  erhalte.    Dann  haben  wir  zu  setzen: 

F2  =  S5i  =  0;     Fi=3S2  =  ^, 
wodurch  (37)  übergeht  in : 

oder: 

(38)  Ol  =  Q2. 

Also  die  Electricitätsmenge,  welche  bei  der  Ladung  von  Ci  bis  zu 
einem  gewissen  Potentialniveau  durch  Influenz  auf  Cg  angesam- 
melt wird,  und  diejenige,  welche  bei  der  Ladung  von  C^  bis  zu 


Mathematische  Einleitung.  37 

demselben  Potentialniveau  durch  Influenz  auf  Ci  angesammelt  wird, 
sind  unter  einander  gleich. 

Ferner  wollen  wir  beide  Körper  als  isolirt  und  ursprüng- 
lich unelectrisch  voraussetzen,  und  annehmen,  bei  der  ersten  La- 
dung erhalte  nur  der  Körper  Cj  die  Electricitätsmenge  /i",  durch 
deren  Influenz  in  C2  das  Potentialniveau  V2  entstehe,  und  bei  der 
zweiten  Ladung  erhalte  nur  der  Körper  C2  die  Electricitätsmenge 
jEJ,  durch  deren  Influenz  in  Ci  das  Potentialniveau  23i  entstehe. 
In  diesem  Falle  haben  wir  zu  setzen: 

^,  =:Q,  =  0;     Q,=.ri.,  =  E, 
wodurch  (37)  übergeht  in: 

oder: 

(39)  r,  =  ^,. 

Also  das  Potentialniveau,  welches  bei  der  Ladung  von  Ci  mit  einer 
gewissen  Electricitätsmenge  durch  Influenz  in  C2  entsteht,  und 
dasjenige,  welches  bei  der  Ladung  von  C.2  mit  derselben  Electri- 
citätsmenge durch  Influenz  in  Ci  entsteht,  sind  unter  einander 
gleich. 

Denken  wir  uns  noch  specieller  die  beiden  Körper  auf  Puncte 
reducirt,  setzen  ferner  E  ==^1  und  nehmen  endlich  von  den  übrigen 
ausser  d  und  C^  noch  vorhandenen  leitenden  Körpern  an,  dass  sie 
mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  stehen,  so  erhalten  wir  als 
speciellen  Fall  der  vorigen  Gleichung  die  entsprechende  Gleichung 
für  die  Green 'sehe  Function.  Bezeichnen  wir  nämlich  die 
Green' sehe  Function  für  die  beiden  Fälle,  wo  sich  die  Electri- 
citätseinheit  im  ersten  oder  zweiten  Puncte  befindet,  mit  u  und  u, 
und  ferner  den  Abstand  irgend  eines  Punctes  x,  ^,  z  vom  ersten 
und  zweiten  Puncte  mit  r  und  r,  so  haben  wir  zu  setzen: 

und  dadurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in 
,1  ,1 

Nun  sind  aber  r.i  und  ti  unter  einander  gleich,  indem  r.2  den  Ab- 
stand des  zweiten  Punctes  vom  ersten  und  ti  den  Abstand  des  er- 
sten Punctes  vom  zweiten  bedeutet,  und  somit  reducirt  sich  die 
Gleichung  auf 


38  Abschnitt  I. 

(40)  %  =  Uli 

d.  h.  wenn  man  von  zwei  gegebenen  Puncten  das  eine  Mal  im  ersten 
die  Electricitätseinheit  annimmt  und  ina  zweiten  die  Green'sche 
Function  betrachtet,  und  das  andere  Mal  im  zweiten  die  Electri- 
citätseinheit annimmt  und  im  ersten  die  Green'sche  Function 
betrachtet,  so  erhält  man  gleiche  Werthe. 

Ausser  den  hier  beispielsweise  aus  der  Gleichung  (35)  gezo- 
genen Schlüssen,  welche  zwei  sehr  einfache  specielle  Fälle  betref- 
fen, lassen  sich  natürlich  noch  viele  andere  ähnliche  Schlüsse  aus 
derselben  ziehen. 


ABSCHNITT  IL 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen. 

§.  1.    Betrachtung  zweier  einander  sehr  nahe  gegenüber- 
liegender Oberflächenpuncte  von  leitenden  Körpern. 

Nach  den  vorstehenden  allgemeinen  Betrachtungen  wenden 
wir  uns  nun  zur  speciellen  Betrachtung  einer  für  die  Electricitäts- 
lehre  sehr  wichtigen  Gruppe  von  Apparaten,  nämlich  des  Conden- 
sators,  der  Franklin 'sehen  Tafel  und  der  Leidener  Flasche. 
Dabei  wollen  wir  die  bei  diesen  Apparaten  vorkommende  isoli- 
rende  Zwischenschicht  vorläufig  einfach  als  einen  vollkommenen 
Isolator  ansehen,  welcher  bei  der  Ladung  des  Apparates  keine 
innere  Veränderung  erleidet,  indem  wir  uns  die  Betrachtung  der 
im  Inneren  von  Isolatoren  vorkommenden  electrischen  Verände- 
rungen und  ihres  nach  Aussen  hin  ausgeübten  Einflusses  für  den 
nächsten  Abschnitt  vorbehalten. 

Zunächst  mögen  statt  eines  der  genannten  Apparate  nur 
irgend  zwei  leitende  Körper  d  und  Cj  gegeben  sein,  deren  Ober- 
flächen sich  an  einer  Stelle  sehr  nahe  gegenüberliegen.  Die  Ober- 
flächen sollen  an  dieser  Stelle  einander  parallel  sein,  so  dass  die 
auf  der  einen  errichtete  Normale  auch  auf  der  anderen  normal  ist. 
Die  Länge  des  zwischen  den  beiden  Oberflächen  Kegenden  Stückes 
der  gemeinsamen  Normale,  also  den  Abstand  der  Flächen,  wollen 
wir  mit  c  bezeichnen  und  als  sehr  klein  voraussetzen. 

Es  möge  nun  die  Potentialfunction  im  Körper  Ci  den  Werth 
Fl  und  im  Körper  C2  den  Werth  F^  haben,  während  sie  zwischen 
beiden  Körpern  veränderlich  ist,  und  hier  einfach  mit  F  bezeich- 


40  Abschnitt  II. 

net  werde.  Um  sie  hier  für  einen  beliebigen  Punct  auszudrücken, 
wählen  wir  den  an  der  Oberfläche  des  Körpers  C^  gegebenen  Punct 
zum  Anfangspuncte  eines  rechtwinkligen  Coordinatensystemes,  des- 
sen ^-Axe  die  in  dem  Puncte  errichtete  Normale  (und  zwar  nach 
Aussen  hin  als  positiv  gerechnet),  und  dessen  x-  und  ^-Axe  irgend 
zwei  in  der  Tangentialebene  gelegene  auf  einander  senkrechte 
Gerade  seien.  Da  der  zum  Anfangspuncte  gewählte  Punct  noch 
zum  Körper  Cx  gehört,  so  hat  die  Potentialfunction  in  ihm  den 
Werth  Fl.  Gehen  wir  aber  von  ihm  aus  in  der  Kichtung  der 
^-Axe  vorwärts,  so  ändert  sich  die  Potentialfunction,  und  nach 
dem  Tailor' sehen  Lehrsatze  können  wir  für  einen  um  die  Strecke 
z  vom  Körper  G^  entfernten  Punct  schreiben: 

worin  der  an  die  Differentialcoefficienten  gesetzte  Index  1  andeu- 
ten soll,  dass  es  sich  um  die  dicht  am  Körper  G^  geltenden  Werthe 
der  Differentialcoefficienten  handelt.  Wenden  wir  diese  Gleichung 
auf  den  Punct  an,  wo  die  ^-Axe  den  anderen  Körper  G^  trifft,  so 
ist  in  diesem  Puncte  ^  =  c,  und  die  Potentialfunction  hat  hier 
den  Werth  F2,  woraus  folgt,  dass  zu  setzen  ist: 

Die  ersten  beiden  hierin  an  der  rechten  Seite  stehenden  Diffe- 
rentialcoefficienten kann  man  auf  Einen  reduciren ,  wenn  man  die 
für  den  ganzen  zwischen  den  beiden  Körpern  liegenden  Raum  gel- 
tende Gleichung 

in  Anwendung  bringt. 

Man  denke  sich,  dass  man  von  dem  in  der  Oberfläche  des 
Körpers  Ci  liegenden  Anfangspuncte  der  Coordinaten  aus  in  der 
a;^- Ebene  nach  einem  anderen  ausserhalb  des  Körpers  oder  in 
dessen  Oberfläche  gelegenen  unendlich  nahen  Puncte  fortschreite, 
dessen  Coordinaten  dx  und  dz  sein  mögen.  Die  dadurch  entste- 
hende kleine  Aenderung  der  Potentialfunction  F  wird  durch  fol- 
gende Gleichung  bestimmt: 

,^^       dV.      ,    dV ,     ,    d^V  dx^    .     d^V    ^    ^     .    d^V  dz^ 

dy  =  -^—ax-j-^-dz-{-  ^-r-^^ h  ^-^  dxdz  -[-  ^-^--7^ 

ox         ^    dz         '    dx^     2      '    dxdz  '    oz^      2 

-\-  etc., 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen.  41 

worin  der  Index  1  an  den  Differentialcoefficienten  der  Bequem- 
lichkeit wegen  fortgelassen  ist.  Nimmt  man  nun  bestimmter  an, 
dieser  andere  Punct  sei,  wie  der  Anfangspunct  der  Coordinatcri, 
in  der  Oberfläche  des  Körpers  C\  gelegen,  so  hat  die  Potential- 
function  hier  ebenfalls  den  Werth  Vi  und  das  an  der  linken  Seite 
stehende  Differential  d  V  ist  somit  gleich  Null  zu  setzen.  Zughjich 
lässt  sich  für  diesen  Fall  aus  der  Gestalt  der  Curve,  in  welcher  die 
ic^- Ebene  die  Oberfläche  des  Körpers  schneidet,  die  Beziehung 
zwischen  den  Differentialen  dx  und  d^  ableiten.  Da  die  cc-Axo 
die  in  dem  betreffenden  Puncte  an  die  Curve  gelegte  Tangente  ist, 
so  erhalten  wir,  wenn  wir  den  Krümmungsradius  der  Curve  in  die- 
sem Puncte  mit  Bi  bezeichnen,  die  Gleichung: 

d^  =  ip      p    dx^  -\-  etc., 

worin  das  obere  oder  untere  Zeichen  zu  wählen  ist,  jenachdem 
die  Curve,  von  der  Seite  der  positiven  2,  d.  h.  von  der  Aussenseite 
des  Körpers  betrachtet,  convex  oder  concav  ist.  Setzen  wir  diesen 
Werth  von  ds;  in  die  vorige  Gleichung  ein,  und  setzen  zugleich  die 
linke  Seite  gleich  Null,  so  kommt: 

0  =  ^^-  dx  -j-  -^  {  ^^  +  ü-  •  ^—    «^   +  etc. 
dx  '     2  \dx^    '    El    dz]  ' 

Da  diese  Gleichung  für  beliebige  Werthe  von  dx  richtig  sein  muss, 
so  folgt,  dass  die  Coefficienten  der  verschiedeneu  Potenzen  von  dx 
einzeln  gleich  Null  sein  müssen,  woraus  sich  ergiebt: 

8F_  82^_  _1_   8F_ 

dx  ~     '      8a;2  '^  El    dz  "" 
Die  zweite    dieser    Gleichungen    wollen   wir    in    folgender  J'orm 
schreiben : 

^  ^  8^2  —^  El    dz 

Ebenso  erhält  man  für  die  2/0- Ebene,  wenn  die  Curve,  in  wel- 
cher diese  Ebene  die  Oberfläche  schneidet,  den  Krümmungsradius 
Ell  hat: 

92  F  \     dV 

^  '  diß        -  E'i    dz 

Diese  Werthe  von  :r — -  und  — — -  in    die   Gleichuns;  (2)  eiusrc- 
dx'^  dy'^  o  V  ;        t? 

setzt,  giebt: 


42  Abschnitt  II. 

,-  B,  -  R\)  ds  "^0^3  "~" 
oder: 
^M  82F_  /_    1    _    1  \  aF 

^^^  ö^-V  +  X  +  l^yeJ' 

92  F 
Indem  man  diesen  Werth  von  ^r— r,  welcher  sich  auf  den  au  der 

Oberfläche  des  Körpers  Ci  liegenden  Anfangspunct  der  Coordina- 

/82  F\ 
ten  bezieht,  in  die  Gleichung  (1)  für  {■k—^)  einsetzt,  erhält  man: 

-}-  etc. 
Hierin  kann  nun  noch  für  (  - — )    ein    anderer   Ausdruck  ge- 

setzt  werden.  Nach  Gleichung  (11)  des  vorigen  Abschnittes  ist 
nämlich,  wenn  liy  die  Flächendichtigkeit  der  Electricität  an  dem 
betreffenden  Puncte  der  Oberfläche  des  Körpers  6\  bedeutet,  zu 
setzen : 

(— -)    =  —  4;r/ii, 
wodurch  die  Gleichung  übergeht  in: 


V,=^V,-  Mhc  [i  +  |-(+  ;^  T  ^J\  +  ('^)  T-^^+etc. 


-R'i/J   '   Vö^Vi  1-2.3 

In  dieser  Gleichung  wollen  wir  nun  die  Glieder  von  dritter  und 
höherer  Ordnung  in  Bezug  auf  c  vernachlässigen,  und  die  Glei- 
chung in  folgender  Form  schreiben: 


(7)  Fl  -  Fa  =  4:7rh,c 


1  +  I  (+ BT  +  i?r)} 


Nachdem  wir  dieses  Resultat  für  den  Körper  Ci  gewonnen 
haben ,  wollen  wir  uns  denken ,  es  werde  ganz  dieselbe  Entwicke- 
lung  noch  einmal  gemacht,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  wir 
von  der  Oberfläche  des  Körpers  C2  ausgehen,  und  in  der  Normale 
bis  zur  Oberfläche  des  Körpers  Ci  fortschreiten.  Die  dadurch  ent- 
stehende Gleichung  können  wir  sofort  aus  der  vorigen  ableiten, 
wenn  wir  die  Differenz  Fi  —  V^  mit  Fg  —  Fi  vertauschen ,  fer- 
ner für  hl  das  Zeichen  J)^  einführen ,  welches  die  electrische  Dich- 
tigkeit an  dem  betreffenden  Puncte  der  Oberfläche  des  Körpers 
O2  bedeuten  soll,  und  ebenso  für  Ri  und  R\  die  Zeichen  R2  und 


(9) 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen.  43 

B'^  setzen,  welche  die  Krümmungsradien  der  zweiten  Fläche  dar- 
stellen sollen.    Es  kommt  also: 

(8)  F,_F,  =  4.Ä,.[l+|(Ti  +  ^)]. 

Die  Gleichungen  (7)  und  (8)  können  unter  entsprechender 
Vernachlässigung  der  Glieder  höherer  Ordnungen  auch  in  folgende 
Form  gebracht  werden: 

Hieraus  ergiebt  sich  für  die  electrische  Dichtigkeit  an  jedem  der 
beiden  einander  gegenüberliegenden  Puncte  das  eigenthümliche 
Resultat,  dass  sie,  soweit  sie  durch  das  erste  und  bedeutendste 
Glied  der  Formel  ausgedrückt  wird,  nur  von  der  zwischen  beiden 
Körpern  stattfindenden  Potentialniveaudiiferenz  und  von  ihrem  Ab- 
stände abhängt,  und  für  beide  Körper  gleich  und  entgegengesetzt 
ist.  Das  zweite  Glied  ist  für  beide  Körper  verschieden,  hängt  aber 
bei  gegebener  Potentialniveaudifferenz  für  jeden  Körper  nur  von 
seinen  eigenen  Krümmungsradien  ab.  Sollten  die  Oberflächen  an 
den  betreffenden  Stellen  so  gestaltet  sein,  dass  man  hätte: 

-  +  -V  =  — +  A-, 

so  würden  auch  die  zweiten  Glieder  beider  Formeln  gleich  und 
entgegengesetzt  sein ,  und  der  Unterschied  zwischen  }^  und  —  lii 
könnte  dann  nur  noch  durch  Glieder  von  höheren  Ordnungen  aus- 
gedrückt sein. 


§.  2.    Anwendung  der  Gleichungen  auf  den  Condensator, 
die  Franklin'sche  Tafel  und  die  Leidener  Flasche. 

Die  vorstehenden  Gleichungen  können  wir  nun  sofort  auf  die 
beiden  Platten  eines  Condensators  und  die  beiden  Belegungen 
einer  Franklin'schen  Tafel  anwenden,  und  da  bei  diesen  die  ein- 
ander gegenüberliegenden  Flächen  der  beiden  Platten  oder  Bele- 
gungen in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  parallel  sind,  so  gelten  die 
Gleichungen  nicht  bloss  für  ein  bestimmtes  Paar  von  gegenüber- 
liegenden Puncten,  sondern  für  die  ganzen  Flächen.   Nur  die  Stel- 


44  Absclmitt  II. 

len ,  welche  so  nahe  am  Rande  liegen ,  dass  die  Entfernimg  vom 
Rande  eine  Grösse  von  derselben  Ordnung  wie  c  ist,  sind  auszu- 
nehmen, weil  hier  die  höheren  Differentialcoefficienten  so  gross 
werden,  dass  die  in  den  Gleichungen  fortgelassenen  Glieder  nicht 
mehr  vernachlässigt  werden  dürfen. 

Was  ferner  die  Leidener  Flaschen  anbetrifft,  so  pflegen  bei 
diesen  die  einander  gegenüberliegenden  Flächen  der  beiden  Be- 
legungen, d.  h.  die  Grenzflächen  des  Glases,  zwar  angenähert  aber 
nicht  genau  parallel  zu  sein,  und  dadurch  tritt  eine  Abweichung 
ein.  Wenn  man  nämlich  in  einem  Puncte  der  einen  Fläche  eine 
Normale  errichtet  und  von  demselben  Puncte  aus  auch  auf  die 
andere  Fläche  eine  Normale  fällt,  so  fallen  diese  beiden  Normalen 
nicht  genau  zusammen,  und  die  auf  ihnen  gemessenen  Abstände 
der  beiden  Flächen  sind  daher  nicht  genau  gleich.  Der  zwischen 
ihnen  stattfindende  Längenunterschied  kann  indessen  bei  kleinen 
Abweichungen  vom  Parallelismus  nur  sehr  unbedeutend  sein. 
Setzen  wir  voraus ,  die  Abweichung  vom  Parallelismus ,  also  der 
Winkel  zwischen  den  beiden  Normalen,  sei  nur  eine  Grösse  von 
derselben  Ordnung  wie  c  (wobei  wir  uns  c  nach  einer  den  Dimen- 
sionen der  Belegungen  entsprechenden  Längeneinheit  gemessen 
denken) ,  so  lässt  sich  leicht  ersehen ,  dass  der  Unterschied  zwi- 
schen den  auf  den  beiden  Normalen  gemessenen  Abständen  so  ge- 
ring sein  muss,  dass  man,  nachdem  der  eine  mit  c  bezeichnet  ist, 
den  anderen  durch  einen  Ausdruck  von  der  Form  c  -)-  mc^  dar- 
stellen kann.  Der  Unterschied  ist  also  eine  Grösse  von  dritter 
Ordnung  in  Bezug  auf  c,  und  kann  somit  in  unseren  Gleichungen, 
die  nur  bis  zur  zweiten  Ordnung  richtig  sein  sollen,  vernachlässigt 
werden.  Demnach  können  wir  unter  der  gemachten  Voraussetzung 
die  Gleichungen  des  vorigen  Paragraphen  auch  auf  Leidener  Fla- 
schen anwenden. 

Betrachten  wir  nun  die  Gleichungen  (9),  so  treten  in  densel- 
ben für  die  in  Rede  stehenden  Apparate  noch  gewisse  Verein- 
fachungen in  Bezug  auf  das  Glied  ein ,  welches  die  Krümmungs- 
radien enthält.  Bei  dem  Condensator  und  der  Franklin 'sehen 
Tafel  sind  die  Flächen  eben,  also  die  Krümmungsradien  unendlich 
gross,  und  dadurch  wird  das  Glied  Null.  Bei  der  Leidener  Flasche 
haben  die  Krümmungsradien  zwar  endliche  Werthe,  aber  es  fin- 
det zwischen  ihnen  eine  gewisse  Beziehung  statt,  weil  die  Flächen 
parallel  oder  wenigstens  nahe  parallel  sind.  Bei  parallelen  Flä- 
chen sind  die  Längen  der  zusammengehörigen  Krümmungsradien 


Gleicliune:en  für  Leidener  Flaschen.  45 


'b 


nur  um  den  Aljstancl  c  von  einander  verscliieden ,  und  wenn  die 
Flächen  zwar  nicht  ganz  parallel  sind,  aber  nur  um  eine  Grösse 
von  der  Ordnung  c  vom  Parallelismus  abweichen,  so  können  auch 
in  diesem  Falle  die  Längen  der  Krümmungsradien  nur  um  eine 
Grösse  von  der  Ordnung  c  von  einander  verschieden  sein.  Da  nun 
das  Glied,  welches  die  Krümmungsradien  enthält,  das  höchste  in 
den  Gleichungen  noch  berücksichtigte  ist,  so  kann  in  ihm  ein 
Unterschied,  welcher  im  Verhältnisse  zu  seiner  Grösse  wieder  nur 
von  der  Ordnung  c  ist,  vernachlässigt  werden.  Dem  Vorzeichen 
nach  aber  sind  die  Krümmungsradien  beider  Flächen  entgegen- 
gesetzt, denn  die  Curven,  in  welchen  eine  Normalebene  die  beiden 
Flächen  schneidet,  verhalten  sich  insofern  entgegengesetzt,  als  die 
eine  nach  Aussen  convex  und  die  andere  concav  ist.  Wir  können 
also,  wenn  wir  die  Krümmungsradien  der  ersten  Fläche,  unter 
Fortlassung  des  Index,  mit  E  und  R'  bezeichnen,  die  der  zweiten 
durch  —  B  und  —  PJ  darstellen.  Die  Gleichungen  (9)  gehen  da- 
her über  in: 


(10) 


/,  =  ''.  -  ''^ 


ho  = 


4:JtC 


und  hieraus  ergiebt  sich  weiter: 

(11)  /,^==_;,^  |^l_^c(+l.q:i-^j. 

Eine  noch  grössere  Uebereinstimmung ,  als  zwischen  den 
Grössen  ^  und  —  7^l,  findet  zwischen  zwei  anderen  damit  zu- 
sammenhängenden Grössen  statt.  Wir  wollen  auf  der  ersten  Fläche 
ein  Element  d  coi  betrachten.  Am  Umfange  desselben  wollen  wir 
uns  unendlich  viele  Normalen  auf  der  Fläche  errichtet  denken,  die 
auf  der  zweiten  Fläche  ein  Element  abgrenzen,  welches  wir  als  das 
entsprechende  ansehen  und  mit  dG)2  bezeichnen  wollen.  Die  auf 
diesen  beiden  Elementen  befindlichen  Electricitätsmengen  sind 
hidcoi  und  h^da^.  Nun  ergiebt  sich  aber  aus  einfachen  geometri- 
schen Betrachtungen,  dass  die  beiden  Flächenelemente,  unter  Ver- 
nachlässigung von  Gliedern  höherer  Ordnungen ,  in  folgender  Be- 
ziehung zu  einander  stehen: 

(12)  da>,r^dco,\v-^c{±^±^y\^. 


46  Abschnitt  IL 

Wenn  man  nun  die  Gleichungen  (11)  und  (12)  mit  einander  mul- 
tijjlicirt.,  so  verschwindet  das  mit  dem  Factor  c  behaftete  Glied,  und 
wenn  man  das  mit  dem  Factor  c^  behaftete  Glied  fortlässt,  so 
kommt : 

(13)  Ji^ida^,  =  —  liydoii 

d.  h.  die  Electricitätsm engen,  welche  sich  auf  zwei  entsprechenden 
Flächenelementen  befinden,  sind,  abgesehen  vom  Vorzeichen,  ein- 
ander so  nahe  gleich,  dass  die  Abweichung  im  Verhältnisse  zum 
ganzen  Werthe  nur  eine  Grösse  von  der  Ordnung  c^  ist. 

Dasselbe,  was  hier  von  zwei  entsprechenden  Flächenelementen 
gesagt  ist,  muss  natürlich  auch  von  endlichen  Flächenstücken  gel- 
ten, welche  so  begrenzt  sind,  dass  die  an  der  einen  Grenzlinie  auf 
der  Fläche  errichteten  Normalen  sämmtlich  die  andere  Grenzlinie 
treffen.  Auch  auf  diesen  endlichen  Flächenstücken  müssen  die 
Electricitätsmengen  einander  so  nahe  gleich  sein,  dass  die  Abwei- 
chung im  Verhältnisse  zur  ganzen  Menge  nur  von  zweiter  Ord- 
nung in  Bezug  auf  c  ist. 

§.  3.    Vervollständigungen,  welche  in  den  vorigen  Glei- 
chungen noch  nöthig  sind. 

Die  im  vorigen  Paragraphen  mitgetheilten  Gleichungen  hat 
Green  für  den  Condensator,  die  Franklin 'sehe  Tafel  und  die 
Leidener  Flasche  abgeleitet,  und  sie  bilden  die  Grundlage  der  auf 
diese  Apparate  bezüglichen  Theorie.  Bei  näherer  Betrachtung 
findet  man  aber,  dass  sie  noch  nicht  alles  enthalten,  was  bei  die- 
sen Apparaten  zu  berücksichtigen  ist. 

Wir  wollen  im  Folgenden  der  Kürze  wegen  immer  von  der 
Leidener  Flasche  sprechen,  weil  das,  was  von  dieser  gilt,  auch  auf 
die  Franklin'sche  Tafel  und  den  Condensator  Anwendung  findet, 
und  sogar,  wenn  man  bei  den  letzteren  die  beiden  Metallplatten 
als  eben,  parallel,  gleich  und  einander  genau  senkrecht  gegenüber- 
stehend voraussetzt,  noch  einfacher  wird. 

Es  handelt  sich  bei  der  mathematischen  Betrachtung  dieser 
Apparate  vorzugsweise  darum,  wenn  die  Potentialniveaux  der  bei- 
den Belegungen  (d.  h.  die  auf  den  Belegungen  stattfindenden  Werthe 
der  Potentialfunction)  gegeben  sind ,  dann  die  auf  ihnen  befind- 
lichen Electricitätsmengen  zu  bestimmen,  oder,  allgemeiner  ausge- 
drückt, die  Gleichungen,  welche  zwischen  den  beiden  Potential- 


Grieicilungen  für  Leidener  Flaschen.  47 

niveaux  und  den  beiden  Electricitätsmengen  stattfinden,  aufzu- 
stellen. 

Die  Green' sehen  Gleichungen  (10)  geben  uns  die  electri- 
schen  Dichtigkeiten  hi  und  h^  auf  den  beiden  einander  zugewand- 
ten Flächen  der  Belegungen,  und  wenn  man  unter  Anwendung 
dieser  Werthe  die  Producte  hidcoy  und  h^do^  bildet,  worin  rfw, 
und  dci.2  Elemente  der  beiden  Flächen  bedeuten,  und  dann  die 
Differentialausdrücke  über  endliche  Flächenstücke  integrirt,  so  er- 
hält man  die  auf  diesen  Flächenstücken  befindlichen  Electricitäts- 
mengen. Nun  ist  aber  zu  bemerken,  dass  die  Gleichungen  (lOj 
doch  nicht  ganz  allgemein  gültig  sind.  Zunächst  ist  aus  der  Art 
der  Ableitung  dieser  Gleichungen  klar,  dass  sie,  weil  in  ihnen  Glie- 
der höherer  Ordnungen  in  Bezug  auf  c  vernachlässigt  wurden,  nur 
dann  anwendbar  sind ,  wenn  der  Abstand  der  Flächen  an  der  be- 
trachteten Stelle  gegen  die  Dimensionen  der  Belegungen  klein  ist. 
Im  vorliegenden  Falle  kommt  aber  noch  ein  anderer  Umstand  in 
Betracht.  Die  Belegungen  einer  Leidener  Flasche  sind  dünne 
Metallblätter,  die  von  scharfen  Rändern  begrenzt  sind.  An  einem 
solchen  Rande  tritt  nun  in  Bezug  auf  die  Electricität  ein  eigen- 
thümliches  Verhalten  ein,  indem  sich  bei  gleichem  Werthe  der 
Potentialfunction  am  Rande  die  Electricität  viel  stärker  anhäuft,  als 
an  den  vom  Rande  entfernten  Flächentheilen.  Man  darf  daher  die 
Gleichungen  nur  auf  diejenigen  Partien  der  einander  zugewandten 
Flächen  der  Belegungen  anwenden,  welche  von  den  Rändern  der 
Belegungen  so  weit  entfernt  sind,  dass  man  die  Entfernung  vom 
Rande  gegen  den  Abstand  der  Belegungen  von  einander,  oder,  me 
wir  bei  Leidener  Flaschen  etwas  kürzer  sagen  können,  gegen  die 
Glasdicke  als  gross  betrachten  kann.  Auf  diesen  Partien  ist,  sofern 
die  Glasdicke  als  constant  vorausgesetzt  wird,  auch  die  electrische 
Dichtigkeit  als  sehr  nahe  constant  zu  betrachten.  In  der  Nähe 
der  Ränder  aber  hat  die  electrische  Dichtigkeit  andere,  und  zwar 
grössere  Werthe. 

Man  sieht  hieraus,  dass  die  Integrale,  welche  man  erhält, 
wenn  man  für  \  und  h<i  einfach  die  Werthe  (10)  anwendet,  und 
damit  die  Integrationen  über  die  ganzen  Flächen  der  Belegungen 
ausführt,  mit  einer  üngenauigkeit  behaftet  sein  müssen,  deren 
Grösse  von  der  Grösse,  Gestalt  und  Lage  der  Ränder  abhängt. 
Ausserdem  ist  noch  zu  bemerken,  dass  man  bei  den  Integrationen 
über  die  Flächen  der  Belegungen  stillschweigend  vorauszusetzen 
pflegt,  dass  beide  Belegungen  genau  gleich  weit  reichen,  so  dass 


48  Abschnitt  11. 

ihre  Ränder  sich  senkrecht  gegenüberstehen.  In  der  Wirklichkeit 
aber  ist  dieses  nicht  immer  genau  erfüllt,  und  es  kann  auch  die- 
ser Umstand  einen,  wenn  auch  in  der  Regel  nur  geringen  Einiluss 
auf  das  Resultat  haben. 

Eine  andere  wesentliche  Vernachlässigung  besteht  darin,  dass 
Green  nur  diejenigen  Electricitätsmengen  betrachtet,  welche  sich 
auf  den  einander  zugewandten  Flächen  der  beiden  Belegungen  be- 
finden, auf  die  Electricitätsmengen  dagegen ,  welche  sich  auf  den 
von  einander  abgewandten  Flächen  befinden ,  keine  Rücksicht 
nimmt.  Diese  letzteren  Electricitätsmengen  sind  zwar  bei  der  ge- 
wöhnlichen Art  der  Ladung  viel  kleiner,  als  die  ersteren,  indessen 
sind  sie  doch  bei  manchen  Betraclitungen  von  Bedeutung,  weil 
vorzugsweise  sie  es  sind ,  welche  die  Verschiedenheit  der  auf  den 
beiden  Belegungen  befindlichen  Electricitätsmengen  verursachen. 

Man  muss  demnach  zu  den  aus  den  Green'  sehen  Gleichungen 
sich  ergebenden  Grössen  noch  ergänzende,  auf  die  erwähnten  Um- 
stände bezügliche  Grössen  hinzufügen ,  Avenn  man  die  auf  den  Be- 
legungen befindlichen  Electricitätsmengen  genau  darstellen  will. 


§.  4.    Behandlung  einfacher  specieller  Fälle. 

Um  die  Anschauung  zu  erleichtern,  wollen  wir,  bevor  wir  zur 
Aufstellung  allgemeiner  Gleichungen  für  beliebig  gestaltete  Lei- 
dener Flaschen  schreiten,  einige  specielle  Formen,  welche  sich  be- 
sonders leicht  behandeln  lassen,  zur  Betrachtung  auswählen. 

Als  erste  Form  wählen  wir  eine  solche,  die  zwar  in  der  Wirk- 
lichkeit nicht  vorkommen  kann,  die  aber  doch,  wenn  man  sie  sich 
als  existirend  denkt,  im  Wesentlichen  unter  denselben  Gesetzen 
stehen  muss,  wie  die  gewöhnlichen  Flaschen,  und  zu  sehr  ein- 
fachen Resultaten  führt.  Als  Glasgefäss  soll  nämlich  eine  ganä 
geschlossene  HoMkugel  von  überall  gleicher  Glasdicke  dienen 
und  diese  soll  auf  ihrer  ganzen  inneren  und  äusseren  Fläche  mit 
Stanniol  belegt  sein.  Auf  der  inneren  Belegung  befinde  sich  die 
auf  irgend  eine  Weise  dorthin  gelangte  Electricitätsmenge  M  und 
auf  der  äusseren  Belegung  die  Electricitätsmenge  N.  Es  fragt 
sich,  welche  Werthe  dann  die  Potentialfunction  auf  den  beiden 
Belegungen  hat. 

Jede  der  beiden  Belegungen  hat  zwei  kugelförmige  Grenz- 
flächen, welche  wir  die  innere  und  äussere  Grenzfläche  nennen 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen.  49 

wollen,  und  da  im  Inneren  eines  leitenden  Körpers  keine  getrennte 
Electricität  vorhanden  sein  kann,  so  können  die  El ectricitätsm en- 
gen 31  und  N  nur  auf  diesen  Grenzflächen  gelagert  sein.  Wir 
wollen  die  einzelnen  auf  den  vier  Hächen  befindlichen  Electricitäts- 
mengen,  von  der  innersten  an,  der  Reihe  nach  mit  Mi^,  Mi^  Ni 
und  iVg  bezeichnen,  so  dass  zu  setzen  ist: 

(14)  Mi-\-M,  =  M;    N,-\-N,  =  N. 

Von  diesen  vier  Electricitätsmengen  ist  sofort  ersichtlich,  dass  sie, 
sofern  nicht  noch  fremde  electrische  Kräfte  mitwirken,  gleich- 
massig  über  die  betreffenden  Flächen  verbreitet  sein  müssen,  und 
man  kann  also  für  jede  derselben  die  Gleichungen  anwenden, 
welche  für  eine  gleichmässig  über  eine  Kugelfläche  verbreitete 
Electricitätsmenge  gelten,  und  welche  hier  nur  kurz  angeführt 
werden  sollen  i). 

In  dem  von  einer  gleichmässig  mit  Electricität  belegten  Kugel- 
Üäche  eingeschlossenen  Hohlräume  ist  die  Potentialfunction  con- 
stant  und  es  gilt,  wenn  der  Radius  der  Kugelfläche  mit  r,  die 
Flächendichtigkeit  der  Electricität  mit  Ji  und  die  innere  Potential- 
function mit  Vi  bezeichnet  wird,  die  Gleichung : 

(15)  Vi  =  4:7thr. 

Da  nun  der  Flächeninhalt  der  Kugelüäche  durch  4:7t  r-  dargestellt 
wird,  so  drückt  das  Product  4:7tr^h  die  ganze  auf  der  Kugelfläche 
befindliche  Electricitätsmenge  aus,  und  wir  können  daher,  wenn 
wir  diese  Electricitätsmenge  mit  Q  bezeichnen,  schreiben: 

(15  a)  Vi=-^- 

r       - 

Ausserhalb  der  Kugelfläche  ist  die  Potentialfunction,  welche  hier 
mit  Ve  bezeichnet  werden  möge,  veränderlich,  und  zwar  ist,  wenn 
l  den  Abstand  des  betrachteten  Punctes  vom  Mittelpuncte  bedeu- 
tet, zu  setzen: 

(16)  '       Ve  =  4.7C]l    ^-^  =  -^- 

Diese  Gleichungen  wenden  wir  nun  auf  die  oben  genannten 
vier  Kugelflächen  an.  Um  ihre  Radien  ausdrücken  zu  können,  be- 
zeichnen wir  den  Radius  der  inneren  Grenzfläche  der  Glaskugel 
mit  a,  die  Dicke  des  Glases  mit  c  und  die  Dicken  der  beiden  Be- 


^)  Siehe  mein  Buch  über  die  Potentialfunctiou  S.  26. 

Ol  aus  ins,   mech.  Wärmetheorie.    11.  4 


50  Absclinitt  II. 

legungen  mit  ß  und  y,  dann  sind  die  Radien  der  einzelnen  Flä- 
chen von  der  innersten  an:  a  —  ß,  a,  a  -{-  c  und  a  -}-  c  -{-  y. 

Betrachten  wir  nun  irgend  einen  Punct  innerhalb  der  inneren 
Belegung,  dessen  Abstand  vom  Mittelpuncte  l  heissen  möge,  so 
liegt  dieser  Punct  in  Bezug  auf  die  innere  Grenzfläche  der  inne- 
ren Belegung  im  äusseren  Baume  und  in  Bezug  auf  die  drei  ande- 
ren Kugelflächen  im  inneren  Räume.  Wir  haben  daher  für  die 
Electricitätsmenge  Jfi  die  Gleichung  (16)  und  für  die  Electricitäts- 
mengen  M^,  N^  und  N2  die  Gleichung  (15  a),  unter  Einsetzung 
der  betrefi'enden  Radien  für  r,  anzuwenden.  Bezeichnen  wir  also 
die  ganze  Potentialfunction  in  der  inneren  Belegung  mit  F,  so 
kommt : 


l      "^    a     '^  a  -\-  c   ^    a  -\-  c  -^  y 

Betrachten  wir  ferner  einen  Punct  innerhalb  der  äusseren  Bele- 
gung, dessen  Abstand  vom  Mittelpuncte  wieder  l  heissen  möge,  so 
liegt  dieser  Punct  in  Bezug  auf  die  äussere  Grenzfläche  der  äusse- 
ren Belegung  im  inneren  Räume  und  in  Bezug  auf  die  drei  ande- 
ren Kugelflächen  im  äusseren  Räume.  Wir  haben  daher  für  die 
Electricitätsmenge  N^  die  Gleichung  (15  a)  und  für  die  drei  Men- 
gen Ml,  M2  und  Ni  die  Gleichung  (16)  anzuwenden,  wodurch  wir, 
wenn  wir  die  Potentialfunction  in  der  äusseren  Belegung  mit  G 
bezeichnen,  erhalten: 

(18)  e  =  ^  +  ^^  +  ^+       ^^ 


l      '      l      '      l      ^    a  -\-  c  -{-  y 

Innerhalb  jeder  Belegung  muss  die  Potentialfunction  constant, 
also  von  l  unabhängig  sein.  Das  ist  für  F  nur  dadurch  möglich, 
dass 

(19)  Jfi  =  0, 
woraus,  gemäss  (14),  weiter  folgt: 

(20)  M2  =  M. 

Soll  ferner  G  von  l  unabhängig  sein,  so  muss  sein : 

Ml  +  M,  +  Ni  =  0, 
woraus,  unter  Berücksichtigung  der  beiden  vorigen  Gleichungen, 
folgt: 

(21)  Ni  =  -M, 

und  mit  Hülfe  dieser  Gleichung  erhält  man  aus  (14): 

(22)  N,  =  M^K 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen. 


51 


Durch  Einsetzung  dieser  vier  Werthe  in  die  Gleichungen  (17j 
und  (18)  gehen  diese  über  in: 

Jf  +  N 


(23) 


F== 

a(a  -f-  c) 


M-{- 


«  +  c  +  y 


Löst  man  diese  Gleichungen  nach  M  und  N  auf,  so  erhält  man : 


(24) 


^^  a(a  -f  c)  ^ 


^)  +  («  +  c  +  y)  G^. 


Bezeichnet  man  den  Flächeninhalt  der  inneren  Grenzfläche  der 
Glaskugel  mit  s,  so  ist  s  =  4:7ca^,  und  man  kann  daher  die  vori- 
gen Gleichungen  so  schreiben: 

s 


(25) 


M 


4:JtC 


(i  +  |)(f_e) 


i\ 


=  4^0  +  7)^^-^)  +  ^^^  +  ^  +  >^)^- 


F. 


Steht  die  äussere  Belegung  mit  der  Erde  in  leitender  Verbin- 
dung, so  ist  zu  setzen:  (r  =  0.  Dadurch  wird  N  z=  —  M  und 
zwischen  M  und  F  erhält  man  die  einfache  Gleichung : 

(26)  M=-^  (l  ^  - 

Ein  anderer  specieller  Fall,  welcher  verhältnissmässig  leicht 
zu  behandeln  ist,  ist  der  einer  Franklin'schen  Tafel  mit  kreis- 
förmigen Belegungen.  Diesen  habe  ich  in  einer  im  Jahre  1852  ver- 
öffentlichten Abhandlung  i)  einer  näheren  Betrachtung  unterwor- 
fen, von  deren  Resultaten  hier  einige  mitgetheilt  werden  mögen. 
Wenn  a  den  Radius  der  kreisförmigen  Belegungen  und  c  ihren  gegen- 
seitigen Abstand  bedeutet,  so  lauten  die  betreffenden  Gleichungen : 


(27) 


2c 


an 


MA-  N=  —  (F-f  G). 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  86,  S.  161. 

2)  In  neuester  Zeit  ist  eine  schöne  Abhandlung  „zur  Theorie  des  Con- 
densators"  von  Kirchhoff  erschienen  (Monatsberichte   der  Berliner  Aca- 

4* 


52  Abschnitt  II. 

Indem  wir  diese  Gleichungen  zu  einander  addiren  und  von  ein- 
ander subtrahiren,  und  zugleich  für  den  Flächeninhalt  einer  der 
Belegungen,  also  für  die  Grösse  jra^^  das  Zeichen  s  einführen,  er- 
halten wir: 


(28) 


M  = 


Ebenso  kann  man  auch  F  und  G  durch  M  und  N  oder  überhaupt 
irgend  zwei  der  vier  Grössen  M,  N,  JP,  G  durch  die  beiden  ande- 
ren ausdrücken. 

Für  den  Fall,  dass  eine  der  Belegungen,  welche  wir  als  die 
zweite  annehmen  wollen,  mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung 
steht,  und  demgemäss  G  den  Werth  Null  hat,  braucht  man  von 
den  drei  übrigen  Grössen  M,  N  und  F  nur  Eine  zu  kennen ,  um 
die  beiden  anderen  zu  bestimmen.    So  erhält  man  z.  B. : 


(29) 


§.  5.    Allgemeine  Gleichungen  für  zwei  beliebige 

Körper. 

Um  die  betreffenden  Ausdrücke  für  die  beiden  Belegungen 
einer  beliebig  gestalteten  Leidener  Flasche  bilden  zu  können,  wol- 
len wir  zunächst  die  Sache  noch  allgemeiner  betrachten,  und  statt 
cier  Belegungen  irgend  zwei  leitende  Körper  Ä  und  B  als  gegeben 


demie,   März   1877),  in  welcher  für  denselben  Fall  folgende  Gleichung  ge- 
geben ist: 

worin  e  die  Basis  der  natürlichen  Logarithmen  bedeutet.    Diese  Gleichung 
stimmt,  wie  man  sieht,  der  Form  nach  mit  der  meinigen  überein,  und  auch 

der  constante  Factor  — -   ist  von   der  Zahl    17'68,  welche  ich  durch  eine 

Reihenentwickelung   als  Näherungswerth   berechnet  habe,    nur  wenig  ver- 
schieden. 


Grleichungen  für  Leidener  Flaschen.  53 

annehmen,  in  deren  Nähe  sich  noch  beliebige  andere  leitende  Kör- 
per befinden  dürfen,  von  denen  wir  aber  voraussetzen  wollen,  dass 
sie  entweder  mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  stehen ,  oder, 
falls  sie  isolirt  sind,  keine  Electricität  mitgetheilt  erhalten.  Für 
diese  Körper  Ä  und  JB  wollen  wir  gewisse  allgemeine  Gleichungen 
ableiten ,  welche  sich  auf  ihre  gegenseitige  Influenz  beziehen ,  und 
welche  wir  dann  auf  die  beiden  Belegungen  der  Leidener  Flasche 
anwenden  können. 

Zunächst  möge  der  Körper  Ä  mit  der  Erde  in  leitende  Ver- 
bindung gesetzt  und  B  isolirt  werden,  und  unter  diesen  Umstän- 
den lade  man  B  bis  zum  Potentialniveau  —  K  mit  Electricität. 
Auf  dem  Körper  Ä ,  dessen  Potentialniveau  wegen  seiner  Verbin- 
dung mit  der  Erde  Null  bleiben  muss ,  wird  dann  durch  Influenz 
eine  gewisse  Electricitätsmenge  angesammelt,  welche  jedenfalls  der 
Grösse  jK"  proportional  ist,  und  welche  wir  daher  jetzt  mit  aK  be- 
zeichnen wollen.  Die  gleichzeitig  auf  B  befindliche  Electricitäts- 
menge, welche  auch  der  Grösse  K  proportional  und  von  entgegen- 
gesetztem Vorzeichen  sein  muss,  wollen  wir  durch  —  hK  darstel- 
len. Die  in  diesen  beiden  Ausdrücken  vorkommenden  Factoren  a 
und  h  sind  zwei  positive  Constante,  welche  von  der  Grösse  und 
Gestalt  der  Körper  A  und  B  und  von  ihrer  Lage  zu  einander  und 
zu  den  übrigen  im  Bereiche  der  Influenz  befindlichen  leitenden 
Körpern  abhängen. 

Nachdem  diese  Ladung  geschehen  ist,  denke  man  sich  die 
leitende  Verbindung  zwischen  dem  Körper  A  und  der  Erde  unter- 
brochen, so  dass  nun  beide  Körper  A  und  B  isolirt  sind.  Unter 
diesen  Umständen  theile  man  beiden  Körpern  soviel  gleichartige 
Electricität  mit,  dass  sich  auf  beiden  das  Potentialniveau  um  den 
Betrag  K'  ändere.  Die  dazu  nöthigen  Electricitätsmengen  sind 
dieselben,  wie  die,  welche  man  anwenden  müsste;  wenn  die  beiden 
isolirten  Körper  anfangs  unelectrisch  wären,  und  man  sie  dann 
auf  das  gleiche  Potentialniveau  K'  bringen  wollte.  Da  diese  Elec- 
tricitätsmengen dem  Potentialniveau  K'  proportional  sein  müssen, 
so  wollen  wir  sie  mit  aK'  und  ßK'  bezeichnen,  worin  a  und  ß 
wieder  zwei  positive  von  der  Grösse,  Gestalt  und  Lage  der  Körper 
abhängige  Constante  sind. 

Die  durch  diese  beiden  auf  einander  folgenden  Operationen 
entstandenen  Zustände  der  beiden  Körper  lassen  sich  folgender» 
maassen  ausdrücken: 


54  Absclinitt  IL 

Potentialniveau :  K' 


\  Electricitätsmenge :  aK  -\-  aK' 
„..  j.  {  Potentialniveau:  —  K -\-  K' 

1  Electricitätsmenge:  —  bK -\-  ßK' 

Nehmen  wir  nun  als  speciellen  Fall  an,  es  sei: 

-  K-^K'  =  0 
und  somit: 

K'  =  K, 

so  sind  die  Zustände ,  welche  die  Körper  nach  den  beiden  Opera- 
tionen haben ,  dieselben ,  wie  die ,  welche  sie  angenommen  haben 
würden,  wenn  einfach  der  Körper  JB  mit  der  Erde  in  leitende  Ver- 
bindung gesetzt  und  dadurch  auf  dem  Potentialniveau  Null  erhal- 
ten wäre,  während  man  den  Körper  Ä  isolirt  und  bis  zum  Poten- 
tialniveau K  mit  Electricität  geladen  hätte.  Die  unter  diesen  Um- 
ständen auf  B  durch  Influenz  angesammelte  Electricitätsmenge 
muss  nach  Gleichung  (38)  des  vorigen  Abschnittes,  welche  sich 
auf  zwei  Ladungen  bis  zum  Potentialniveau  Ä"  bezieht,  der  mit  aK 
bezeichneten  Electricitätsmenge,  welche  der  Körper  Ä  aufnimmt, 
wenn  er  mit  der  Erde  verbunden  ist,  während  B  bis  zum  Poten- 
tialniveau —  K  geladen  wird,  gleich  und  entgegengesetzt  sein. 
Wir  können  also ,  wenn  wir  in  dem  Ausdrucke  der  auf  B  befind- 
lichen Electricitätsmenge  die  Grösse  K'  durch  K  ersetzen,  fol- 
gende Gleichung  bilden: 

-bK-{-  ßK  =  -  aK, 

woraus  folgt: 

b  =  a^  ß. 

Hierdurch  ist  eine  der  vier  oben  eingeführten  Constanten  be- 
stimmt, und  wir  können  nun  wieder  zu  dem  allgemeineren  Falle, 
wo  K'  nicht  gleich  K  zu  sein  braucht ,  zurückkehren,  und  in  den 
Ausdrücken,  welche  die  Zustände  der  beiden  Körper  darstellen,  für 
b  den  gefundenen  Werth  einsetzen.  Dadurch  erhalten  wir : 
Potentialniveau:  K' 


[  Electricitätsmenge :  aK  -{-  aK' 
j^..  T3  I  Potentialniveau:  —  K  -{-  K 

orper       |  Electricitätsmenge:  —  aK -{-  ß{—K-\-K'). 
Das  in  diesen  Ausdrücken  enthaltene  Ergebniss  der  vorste- 
henden  Betrachtung    wollen  wir   nun  noch  in  etwas   bequemere 
Form  bringen.    Anstatt  die  auf  die  beiden  einzelnen  Operationen 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen.  55 

bezüglichen  Potentialniveaux  in  den  Formeln  zu  behalten,  wollen 
wir  die  schliesslich  stattfindenden  Potentialniveaux  der  beiden  Kör- 
per durch  einfache  Buchstaben  darstellen.  Das  schhesshche  Po- 
tentialniveau des  Körpers  Ä  möge  mit  JP,  und  dasjenige  des  Kör- 
pers B  mit  G  bezeichnet  werden.    Dann  haben  wir  zu  setzen: 

K'  =  F 

-  K  -\-  K'  =  G 
und  somit: 

K  =F  —  G. 

Ferner  wollen  wir  die  schliesslich  auf  den  beiden  Körpern  befind- 
lichen Electricitätsmengen  mit  M  und  N  bezeichnen.  Dann  kön- 
nen wir  dem  Vorigen  nach  folgende  zwei  Gleichungen  bilden,  welche 
für  jede  zwei  unter  gegenseitiger  Influenz  stehende  leitende  Kör- 
per gelten,  wenn  alle  anderen  im  Bereiche  der  Influenz  befind- 
lichen leitenden  Körper  mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  ste- 
hen, oder,  falls  sie  isolirt  sind,  keine  Electricität  raitgetheilt  er- 
halten : 

{M=a{F  -  G)  +  aF 

^    ^  [N  =  a(G  —  F)-{-  ßG. 


§.  &.    Bestimmung  des  Coefficienten  a  für  Leidener 

Flaschen. 

Wenn  wir  diese  Gleichungen  auf  die  beiden  Belegungen  einer 
Leidener  Flasche  anwenden ,  so  können  wir  die  Grössen  a ,  a  und 
ß  näher  bestimmen.  Wir  wollen  dabei  die  innere  Belegung  der 
Flasche  als  den  Körper  Ä  und  die  äussere  Belegung  als  den  Kör- 
per B  betrachten. 

Zunächst  möge  angenommen  werden ,  dass  die  äussere  Bele- 
gung bis  zum  Potentialniveau  G  geladen  sei,  während  die  innere 
Belegung  mit  der  Erde  in  Verbindung  stehe.  Die  unter  diesen 
Umständen  auf  der  inneren  Belegung  befindliche  Electricitätsmenge 
kann  man  durch  die  erste  der  Gleichungen  (30)  ausdrücken,  wenn 
man  darin  F  =  0  setzt,  also : 

(31)  M=-aG. 

Ausserdem  kann  man  in  diesem  Falle  die  Electricitätsmenge  M 
auch  durch  directe  Betrachtungen  bis  a\if  einen  gewissen  Grad 
von  Genauigkeit  bestimmen. 


56  Abschnitt  II. 

Da  sich,  nämlich  auf  der  inneren  Belegung,  welche  mit  der 
Erde  leitend  verbunden  ist,  nur  so  viel  Electricität  befindet,  wie 
durch  die  Anziehung  derjenigen  Electricität,  mit  welcher  die 
äussere  Belegung  geladen  ist,  festgehalten  wird,  so  kann  man 
schliessen ,  dass  die  auf  der  inneren  Belegung  befindliche  Electri- 
cität ganz  auf  der  der  äusseren  Belegung  zugewandten  Fläche  der 
inneren  Belegung  gelagert  ist.  Zur  Bestimmung  der  Dichtigkeit 
der  Electricität  auf  dieser  Fläche  kann  man  die  erste  der  Glei- 
chungen (10)  anwenden,  wenn  man  darin  V^  =  G  und  Fi  =  0 
setzt.    Diese  Gleichung  lautet  dann : 

Es  sei  nun  d  o  ein  Element  der  nach  Aussen  gewandten  Fläche 
der  inneren  Belegung  oder,  wie  man  kürzer  zu  sagen  pflegt,  ein 
Flächenelement  der  inneren  Belegung,  indem  man  die  nach  Aussen 
gewandte  Fläche  und  die  nach  Innen  gewandte  Fläche  einer 
und  derselben  Belegung  als  gleich  gross  betrachtet.  Mit  diesem 
Flächenelemente  multiplicire  man  die  vorige  Gleichung  an  beiden 
Seiten  und  integrire  die  dadurch  entstehenden  Differentialaus- 
drücke über  die  ganze  Fläche  der  inneren  Belegung,  wodurch  fol- 
gende Gleichung  entsteht: 

(32)  /;„..  =  -  ii  [f^  +  i/(±  ^  ±  ^)  ä.]. 

Von  den  an  der  rechten  Seite  dieser  Gleichung  in  der  ecki- 
gen Klammer  stehenden  Integralen  kann  man  das  erste  für  den 
Fall,  dass  die  Glasdicke  c  constant  jst,  sofort  ausführen.  Sei  näm- 
lich mit  s  die  Fläche  der  inneren  Belegung  bezeichnet,  so  ist: 

(33)  /^  =  i.. 

Sollte  die  Glasdicke  c  nicht  constant  sein,  so  wollen  wir  einen 
mittleren  Werth  c^  einführen,  welcher  durch  folgende  Gleichung 
bestimmt  sein  soll: 

(34)  fi^^l.. 

Durch  Einsetzung  dieses  Bruches  für  das  betreffende  Integral  geht 
die  Gleichung  (32)  über  in: 

oder  anders  geschrieben: 


Grleichungen  für  Leidener  Flaschen.  57 

(36)    f^d.  =  _  G  jA_  [,  +  2^J-{+  ^  +  J_)  ^„]. 

Dieses  so  ausgedrückte  Integral  /  h^  d  co  ist  nun  zwar  nicht 

vollkommen  identisch  mit  der  ganzen  unter  den  genannten  Um- 
ständen auf  der  inneren  Belegung  befindlichen  Electricitätsmengc 
Jf,  sondern  weicht  ein  Wenig  von  derselben  ab,  weil  in  der  Nähe 
des  Randes  die  electrische  Dichtigkeit  grösser  ist,  als  der  obige 
Ausdruck  von  h^  angiebt.  Die  Abweichung  kann  aber  nach  dem, 
was  in  §.  3  gesagt  ist,  nur  eine  solche  Grösse  sein,  die,  wenn  man 
sie  als  Bruchtheil  des  ganzen  Integralwerthes  ausdrückt,  mit  ab- 
nehmender Glasdicke  in  der  Weise  abnimmt,  dass  sie  mit  unend- 
lich klein  werdender  Glasdicke  (vorausgesetzt  dass  das  Glas  ohne 
Beeinträchtigung  seines  Isolationsvermögens  unendlich  dünn  ge- 
macht werden  könnte)  ebenfalls  unendlich  klein  wird.  Da  nun 
in  der  eckigen  Klammer  der  vorigen  Gleichung  sich  schon  ein  Glied 
befindet,  welches  mit  dem  Factor  c.,n  behaftet  ist,  und  daher  die 
Eigenschaft  hat,  mit  der  Glasdicke  zugleich  abzunehmen  und  un- 
endlich klein  zu  werden,  so  können  wir  die  vorgenannte  Abwei- 
chung mit  diesem  Gliede  zusammenfassen,  und  wir  wollen  die  da- 
durch entstehende  Grösse,  welche  innerhalb  der  Klammer  zu  1 
addirt  werden  muss,  mit  8  bezeichnen.  Dann  können  wir  schreiben : 

(ä«>  ^=-^4^.(1  +  *)- 

Da  nun  nach  Gleichung  (31)  für  M  der  Ausdruck  —  aG  ge- 
setzt werden  kann,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in : 

—  aG=-G  -r^—  (1  4-  ö) 

und  wenn  wir  hieraus  noch  die  Grösse  —  G  fortheben ,  so  erhal- 
ten wir  die  Gleichung: 

(37)  „=_i-(i  +  a). 

Hierdurch  ist  der  Coefficient  a  soweit  bestimmt,  dass  nur  noch  die 
im  Verhältnisse  zu  1  kleine  Grösse  8  unbestimmt  gelassen  ist. 


58  Abschnitt  II. 


§.  7.    Bedeutung  der  Coefficienten  a  und  ß  für 
Leidener  Flaschen. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  den  beiden  Coefficienten  a  und  /3,  um 
zu  sehen,  in  wie  weit  sich  diese  bestimmen  lassen. 

Gemäss  dem,  was  oben  über  diese  beiden  Coefficienten  gesagt 
ist,  können  wir  sie  für  eine  Leidener  Flasche  folgendermaassen 
definiren:  Wenn  'beide  Belegungen  der  Flasche  so  geladen  werden 
sollen,  dass  die  Potentialfundion  auf  ihnen  den  gemeinsamen  Werth 
1  hat,  so  sind  die  dazu  nöthigen  JElectricitätsmengen  a  und  ß. 

Denken  wir  uns,  nachdem  diese  Ladung  beider  Belegungen 
zu  einem  gemeinsamen  Potentialniveau  stattgefunden  hat,  zwischen 
beiden  Belegungen  eine  leitende  Verbindung  hergestellt,  z.  B.  mit- 
telst eines  durch  die  isolirende  Schicht  hindurchgehenden  sehr 
dünnen  Drahtes,  so  wird  dadurch  in  der  Vertheilung  der  Electri- 
cität  und  im  Potentialniveau  keine  Aenderung  veranlasst  werden. 
Denken  wir  uns  ferner,  dass  die  Metallplatten,  welche  die  Bele- 
gungen bilden,  einander  mehr  und  mehr  genähert  werden,  so  dass 
sie  endhch  zur  Berührung  kommen,  und  zusammen  als  eine  ein- 
fache Metallplatte  von  der  Form  einer  der  Belegungen  zu  betrach- 
ten sind,,  so  wird  auch  dadurch  das  gemeinsame  Potentialniveau 
sich  nur  um  eine  Grösse  ändern  können,  welche  im  Verhältnisse 

c 
zum  ursprünglichen  Werthe  1  von  der  Ordnung     , —  ist,  d.  h.  von 

V  s 
der  Ordnung  des  Verhältnisses,  in  welchem  der  Abstand  der  Plat- 
ten von  einander  zu  ihren  Dimensionen  steht.  Sollte  das  Poten- 
tialniveau bei  der  Annäherung  bis  zur  Berührung  ungeändert 
gleich  1  erhalten  werden,  so  würde  dazu  eine  kleine  Aenderung 
der  gesammten  Electricitätsmenge  a  -\-  ß  erforderlich  sein,  welche 
Aenderung  aber  im  Verhältnisse  zum  ursprünglichen  Werthe  eben- 

c 
falls  nur  von  der  Ordnung      , —  sein  würde.    Da  nun  aber  die 

Grösse  cc  -]-  ß  selbst  schon  gegen  die  Grösse  a  klein  ist,  indem 
ihr  Ausdruck  nicht,  wie  derjenige  von  a,  den  Abstand  c  im  Nen- 
ner hat,  so  wollen  wir  eine  Aenderung,  die  im  Verhältnisse  zum 

c 
ganzen  Werthe  von  a  -\-  ß  von  der  Ordnung      , —  ist,  vernach- 

y  s 

lässigen,  und  uns  mit  dem  folgenden  angenäherten  Satze  begnügen: 
DenM  man  sich ,  dass  nur  Eine  der  beiden  Belegungen  vorhanden 


Grleichungen  für  Leidener  Flaschen.  59 

vcäre^  so  ist  cc  -\-  ß  angenähert  gleich  der  Electricitätsmenge^  welche 
man  dieser  einen  Belegung  mittheilen  müsste,  um  sie  bis  zum  Po- 
tentialniveau 1  zu  laden. 

Hierdurch  ist  die  Summe  der  beiden  Coefficienten  a  und  /3, 
wenn  auch  nicht  wirkhch  bestimmt,  so  doch  auf  einen  einfache- 
ren Fall  zurückgeführt,  aus  dem  man  selbst  dann,  wenn  man  die 
weitere  Rechnung  nicht  ausführt,  schon  eine  Vorstellung  von  der 
Art  der  Grösse,  um  die  es  sich  handelt,  gewinnen  kann. 

Was  nun  noch  das  Verhältniss  der  beiden  einzelnen  Coeffi- 
cienten a  und  ß  zu  einander  anbetrifit,  so  hängt  dieses  vorzugs- 
weise davon  ab ,  wie  die  Belegungen  gekrümmt  sind.  Sind  beide 
Belegungen  eben,  wie  bei  einer  Franklin'schen  Tafel,  und  neh- 
men wir  dazu  noch  an,  dass  sie  vollkommen  gleich  gross  sind,  und 
dass  die  beiden  Ränder  sich  überall  senkrecht  gegenüberstehen, 
so  sind  die  beiden  Coefficienten  a  und  ß  unter  einander  gleich. 
Für  den  noch  specielleren  Fall,  dass  die  Belegungen  kreisförmig 
sind,  haben  oc  und  /3,  wie  man  aus  (28)  ersieht,  den  gemeinsamen 

a 
Werth  — ,  worin  a  den  Radius  des  Kreises  bedeutet.  Sind  die  Be- 

71 

legungen  so  gekrümmt,  dass  die  eine  die  andere  ganz  umschliesst, 
so  ist  der  auf  die  innere  Belegung  bezügliche  Coefficient  a  gleich 
Null,  und  der  auf  die  äussere  Belegung  bezügliche  Coefficient  ß 
hat  den  ganzen  Werth ,  welcher  vorher  für  die  Summe  beider  be- 
stimmt wurde.  Für  die  in  §.  4  behandelte  Kugeltiasche  hat  |!3,  wie 
man  aus  den  Gleichungen  (25)  ersieht,  den  Werth  a  -f-  c  -|-  y, 
worin  a  den  Radius  der  inneren  Grenzfläche  der  Glaskugel ,  c  die 
Dicke  des  Glases  und  y  die  Dicke  der  äusseren  Belegung  bedeu- 
tet. Wenn  endhch,  wie  es  bei  gewöhnlichen  Leidener  Flaschen  der 
Fall  ist,  eine  Belegung  die  andere  zwar  theilweise,  aber  nicht  voll- 
ständig umschliesst,  so  ist  aus  der  Vergleichung  mit  den  beiden 
vorigen  Fällen  leicht  ersichtlich,  dass  der  auf  die  innere  Belegung 
bezügliche  Coefficient  a  kleiner  sein  muss,  als  der  auf  die  äussere 
Belegung  bezügliche  Coefficient  ß. 


§.  8.    Bequeme  Form  der  Gleichungen. 

Wir  kehren  nun  zu  den  Gleichungen  (30)  zurück.  Für  den 
Coefficienten  a  setzen  wir  den  in  (37)  gegebenen  Ausdruck,  worin 
wir   aber  statt  c,„  einfach  c  schreiben  wollen,  indem  wir  im  Fol- 


60 


Abschnitt  II. 


genden  unter  c  die  durch  Gleichung  (34)  bestimmte  mittlere  Glas- 
dicke verstehen.  Die  beiden  anderen  Coefficienten  a  und  ß  behal- 
ten wir  unverändert  bei.  Dann  lauten  die  für  eine  geladene  Lei- 
dener Flasche  geltenden  Gleichungen : 


(38) 


31= -^-(1  -j-ö)(F 

4:710     ^  I  ^     ^ 


G)-^aF 


(39) 


^=4^^^+^^^^-^^  +  ^^' 


Zur  Abkürzung  wollen  wir  noch  setzen : 

4:7CC 


1  +  8' 


woraus  sich  ergiebt,  dass  die  neu  eingeführte  Grösse  x  vorzugs- 
weise von  der  Glasdicke  abhängt,  und  angenähert  gleich  4:7rc  ist. 
Dadurch  nehmen  die  Gleichungen  folgende  etwas  einfachere  Ge- 
stalt an: 

^  M  =  -  {F  —  G)  ^  aF 


(40) 


N  =  ^{G-F)^ßG. 


Bei  der  Anwendung  der  Leidener  Flaschen  ist  der  gewöhn- 
lichste Fall  der,  wo  die  äussere  Belegung  mit  der  Erde  in  leiten- 
der Verbindung  steht.  In  diesem  Falle  ist  G  =  0  zu  setzen,  und 
die  Gleichungen  gehen  dadurch  über  in : 


(41) 


^^=(7  +  ^)^ 


N  = 


F. 


Da  es  in  dem  zuletzt  genannten  Falle  bequem  ist ,  wenn  man 
die  auf  der  inneren  Belegung  befindliche  Electricitätsmenge  M 
mit  dem  auf  derselben  Belegung  stattfindenden  Werthe  F  der 
Potentialfunction  in  möglichst  einfacher  Weise  vergleichen  kann, 
so  wollen  wir  neben  dem  griechischen  Buchstaben  x  noch  den  la- 
teinischen Buchstaben  h  einführen,  dessen  Bedeutung  durch  fol- 
gende Gleichung  bestimmt  wird: 


Gleichungen  für  Leidener  Flaschen. 


61 


(42) 

woraus  folgt: 

(43)  l  = 


s         s     . 

r  =  ¥  +  "' 


4:7tC 


1  +  u 


1  +  Ö  + 


47tc 


Dadurch  gehen  die  allgemeinen  Gleichungen  (40j  über  in: 


(44) 


M=~{F  -  G)  +  aG 
fc 


N 


=  (j  -  ^')  {G-F)  +  ßG, 


und  die  speciellen  Gleichungen  (41) ,  welche  sich  auf  den  Fall  be- 
ziehen, wo  die  äussere  Belegung  mit  der  Erde  in  leitender  Ver- 
bindung steht,  gehen  über  in: 


(45) 


M=j^F 


N 


-ii 


a]F. 


Mit  Hüh'e  der  unter  (40)  und  in  veränderter  Form  unter  (43) 
angeführten  Gleichungen  kann  man,  wenn  von  den  vier  Grössen 
Jf,  N^  F  und  G  irgend  zwei  gegeben  sind,  die  beiden  anderen 
bestimmen.  Ebenso  kann  man  in  dem  speciellen  Falle,  wo  die 
äussere  Belegung  mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  steht,  mit 
Hülfe  der  unter  (41)  und  in  veränderter  Form  unter  (45)  ange- 
führten Gleichungen  aus  jeder  der  drei  Grössen  M,  N  und  F  die 
beiden  anderen  berechnen. 


ABSCHNITT    III. 


Behandlung  dieleetrischer  Medien. 
§.  1,    Verhalten  der  isolirenden  Zwischenschicht. 

Im  vorigen  Abschnitte  ist  die  Zwischenschicht,  welche  die  bei- 
den Platten  eines  Condensators  oder  die  beiden  Belegungen  einer 
Franklin' sehen  Tafel  oder  Leidener  Flasche  von  einander 
trennt,  einfach  als  vollkommener  Isolator  betrachtet,  dessen  elec- 
trischer  Zustand  sich  durch  die  Einwirkung  der  auf  den  Platten 
oder  Belegungen  befindlichen  Electricität  nicht  ändert,  und  der 
daher  auch  keine  electrische  Gegenwirkung  ausüben  kann.  So  ein- 
fach ist  die  Sache  aber  in  der  Wirklichkeit  nicht.  Schon  Faraday 
und  nach  ihm  Wern.  Siemens  haben  beobachtet,  dass  das  elec- 
trische Verhalten  eines  Condensators  bei  gleichem  Abstände  der 
Platten  noch  wesentlich,  von  der  Natur  des  zwischen  den  Platten 
befindlichen  Isolators  abhängt.  Faraday  hat  sich  daraus  sogar 
die  Ansicht  gebildet ,  dass  die  mit  Electricität  geladenen  Platten 
überhaupt  nicht  direct  aus  der  Entfernung  auf  einander  wirken, 
sondern  dass  die  Wirkung  nur  durch  Vermittelung  des  dazwischen 
befindlichen  Stoffes  stattfinden  könne,  und  er  hat  einen  solchen 
Stoff,  welcher,  ohne  die  Electricität  zu  leiten,  die  von  der  Electri- 
cität in  die  Entfernung  ausgeübte  Wirkung  vermittelt,  ein  Diele c- 
tricum  genannt.  Diesen  Namen  kann  man  auch  dann  beibehal- 
ten, wenn  man  sich  der  Faraday 'sehen  Ansicht  nicht  ganz  an- 
schliesst,  sondern  annimmt,  dass  zwar  eine  directe  Wirkung  der 
Electricität  in  die  Entfernung  stattfinde ,  dass  diese  Wirkung  aber 
durch  den  dazwischen  befindlichen  Stoff'  modificirt  werde. 

In  neuerer  Zeit  haben  Boltzmanni),  Wüllner^)  u.  A.  die 
Kenntniss  des  Verhaltens   der  isolirenden  Stoffe  zur  Electricität 

1)  Sitzungsberichte  der  "Wiener  Academie  1873  und  1874. 

2)  Wiedemann's  Ann.   Bd.  1,  S.  247  (1877). 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  63 

durch  ausgezeichnete  experimentelle  Untersuchungen  gefördert, 
und  es  kann  nach  den  Resultaten  dieser  Untersuchungen  kein 
Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die  Wirkung  der  Electricität 
durch  verschiedene  isolirende  Stoffe  hindurch  mit  sehr  verschiede- 
ner Stärke  stattfindet. 

Mit  der  Zustandsänderung ,  welche  das  bei  einer  Leidener 
Flasche  als  isolirende  Zwischenschicht  angewandte  Glas  unter  dem 
Einflüsse  der  auf  den  Belegungen  befindlichen  Electricitäten  erlei- 
det, und  wodurch  es  umgekehrt  auch  wieder  auf  diese  Electricitä- 
ten wirkt,  hängt  auch  der  Rückstand  zusammen,  welchen  man  nach 
der  Entladung  einer  Leidener  Flasche  beobachtet,  und  diese  Rück- 
stau dbildung,  über  welche  besonders  von  R.  Kohlrausch  werth- 
voUe  messende  Untersuchungen  angestellt  sind  i),  hat  schon  mehr- 
fach zur  Besprechung  des  Verhaltens  der  isolirenden  Stoffe  Ver- 
anlassung gegeben. 

Alle  Untersuchungen  über  dieses  Verhalten  werden  erheblich 
dadurch  erschwert,  dass  das  Glas  und  die  sonst  zur  Isolation  an- 
gewandten Stoffe  keine  vollkommenen  Isolatoren  sind.  Manche 
Glassorten  leiten  so  stark,  dass  sie  dadurch  zur  Verwendung  für 
Leidener  Flaschen  ganz  unbrauchbar  werden ,  indem  die  Electri- 
cität von  den  Belegungen  so  schnell  in  das  Glas  eindringt  und 
sich  dort  ausgleicht,  dass  die  Ladung  sich  in  kurzer  Zeit  fast 
vollständig  verliert.  Andere  Glassorten  leiten  zwar  viel  weniger, 
aber  ganz  frei  von  Leitung  sind  auch  sie  nicht.  Diese,  wenn  auch 
schwache  Leitung  und  das  dadurch  ermöglichte  Eindringen  von 
Electricität  in  den  betreffenden  Stoff  hat  Wirkungen  zur  Folge, 
welche  mit  jenen  anderen,  dem  Stoffe  als  Dielectricum  eigen thüm- 
lichen  Wirkungen  gleichzeitig  stattfinden,  und  natürlich  die  davon 
abhängigen  Erscheinungen  complicirter  machen,  so  dass  es  sehr 
schwer  ist,  zu  unterscheiden,  in  wie  weit  die  Erscheinungen  von 
der  einen  oder  von  der  anderen  Wirkung  verursacht  werden. 

In  der  That  sind  dadurch  auch  sehr  verschiedene  Urtheile 
über  die  betreffenden  Erscheinungen  veranlasst.  Die  Rückstand- 
bildung haben  manche  Autoren  ganz  aus  dem  Eindringen  der 
Electricität  in  das  Glas  erklären  wollen;  besonders  von  Bezold, 
welcher  werthvoUe  Untersuchungen  über  die  Abnahme  der  dispo- 
niblen Ladung  bei  Leidener  Flaschen  und  Franklin 'sehen  Ta- 


1)  Pogg.  Ann.,  Bd.  91. 


64  Absclmitt  III. 

fein  angestellt  hat  i).  Ich  glaube  aber  nicht ,  class  es  möglich  ist, 
aus  diesem  Umstände  die  Rückstandbildung  genügend  zu  erklä- 
ren, wenn  man  nicht  etwa,  wie  es  Riemann  gethan  hat 2),  eine 
besondere  zwischen  dem  Glase  und  der  Electricität  stattfindende 
Kraft  zu  Hülfe  nehmen  will.  Riemann  macht  in  dieser  Bezie- 
hung die  Annahme,  dass  die  ponderablen  Körper  „nicht  dem 
electrisch  Werden  oder  der  Annahme  von  Spannungselectricität, 
sondern  dem  electrisch  Sein  oder  dem  Enthalten  von  Spannungs- 
electricität widerstreben."  Eine  solche  Annahme  scheint  mir  aber 
zu  fremdartig,  um  mich  ihr  anschliessen  zu  können. 

Wir  wollen  daher  im  Folgenden  das  unvollkommene  Isola- 
tionsvermögen als  einen  Nebenumstand  betrachten,  welcher  gleich- 
zeitig mit  den  eigentlichen  dielectrischen  Wirkungen  stattfinden 
kann,  um  dessen  Bestimmung  es  sich  aber  gegenwärtig  nicht  han- 
delt. Wir  wollen  also  von  den  auf  diesem  Umstände  beruhen- 
den Verlusten  von  Electricität  ganz  absehen,  und  nur  die  dielec- 
trischen Wirkungen  der  Isolatoren  ins  Auge  fassen. 

§.  2.    Mögliche  Annahmen  über  die  innere  Polarisa- 
tion der  Isolatoren. 

Um  die  dielectrischen  Wirkungen  der  Isolatoren  und  speciell 
der  zwischen  den  beiden  Belegungen  befindlichen  Zwischenschicht 
zu  erklären,  scheint  es  nöthig,  anzunehmen,  dass  durch  die  Kräfte, 
welche  die  auf  den  Belegungen  befindlichen  Electricitäten  auf  das 
Innere  der  Zwischenschicht  ausüben,  in  dieser  ein  polarer  Zustand 
hervorgerufen  wird,  der  dann  wieder  auf  die  Belegungen  zurück- 
wirken kann.  Die  Entstehung  dieser  Polarität  kann  man  sich  aber 
noch  in  verschiedenen  Weisen  vorstellen. 

Erstens  kann  man  sich  denken,  dass  das  Glas,  während  es  im 
Ganzen  ein  Nichtleiter  sei,  doch  kleine  Körperchen  enthalte,  welche 
etwas  leitend  seien.  In  diesen  Körperchen  trete  durch  Influenz 
eine  Scheidung  der  Electricitäten  ein,  wodurch  die  Körperchen 
nach  der  Seite  der  positiv  geladenen  Belegung  negativ  electrisch, 
und  nach  der  Seite  der  negativ  geladenen  Belegung  positiv  elec- 
trisch werden.    Bei  der  Bestimmung  des  electrischen  Zustandes, 


1)  Pogg.  Ann.,  Bd.  H4,  125  und  137. 

2)  Amtlicher  Bericlit  über  die  31.   deutsche  Naturforscherversammlung 
im  Jahre  1854  und  nachgelassene  Werke,   S.  48  und  345. 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  65 

welchen  ein  solches  leitendes  Körpertheilchen  annehmen  würde, 
muss  man  natürlich  nicht  bloss  die  unmittelbare  Wirkung  der  auf 
den  Belegungen  befindlichen  Electricität  in  Betracht  ziehen,  son- 
dern auch  die  Wirkung,  welche  die  übrigen,  gleichfalls  electrisch 
polar  gewordenen  Körpertheilchen  auf  das  betrachtete  Körper- 
theilchen ausüben. 

Zweitens  kann  man  sich  vorstellen,  die  betreffenden  Körper- 
theilchen seien  schon  im  natürhchen  Zustande  des  Glases ,  bevor 
es  noch  von  Aussen  her  eine  electrische  Einwirkung  erleidet,  elec- 
trisch polar,  aber  die  Lagerung  der  Theilchen  sei  ganz  unregel- 
mässig, so  dass  die  positiven  und  negativen  Pole  in  gleicher  Weise 
nach  allen  Seiten  gerichtet  seien,  und  daher  eine  gemeinsame  Wir- 
kung der  Theilchen  in  einem  bestimmten  Sinne  unmöglich  sei. 
Wenn  aber  das  Glas  irgend  einer  electrischen  Kraft  unterworfen 
werde,  so  werden  dadurch  die  Theilchen  einigermaassen  gerichtet, 
so  dass  die  positiven  Pole  vorwiegend  nach  der  einen  und  die 
negativen  Pole  nach  der  anderen  Seite  gekehrt  seien,  wodurch  na- 
türlich eine  gemeinsame  Wirkung  ermöglicht  wird.  Diese  gleich- 
massige  Richtung  der  Theilchen  trete  um  so  vollständiger  und  all- 
gemeiner ein,  je  stärker  die  einwirkende  electrische  Kraft  sei. 

lieber  die  Kräfte,  welche  bei  dem  zuletzt  erwähnten  Vor- 
gange, nämlich  bei  der  Richtung  der  vorher  unregelmässig  gela- 
gerten electrisch  polaren  Theilchen  ins  Spiel  kommen,  kann  man 
wiederum  zwei  verschiedene  Annahmen  machen.  Man  kann  anneh- 
men, dass  die  Theilchen  durch  die  Cohäsion  in  solcher  Weise  in 
ihrer  ursprünglichen  Lage  festgehalten  werden,  dass  durch  eine 
Drehung  eines  Theilchens  eine  elastische  Gegenkraft  entstehe, 
welche  das  Theilchen  wieder  in  seine  ursprüngliche  Lage  zurück- 
zubringen suche,  und  dass  diese  Gegenkraft,  wie  andere  elastische 
Kräfte,  mit  der  Grösse  der  Drehung  wachse.  Oder  man  kann  an- 
nehmen, der  Widerstand,  den  die  Cohäsion  der  Drehung  der  Theil- 
chen entgegensetzt,  sei  nur  ein  passiver  Widerstand  von  der  Art 
einer  starken  Reibung,  so  dass  daraus  keine  Kraft  hervorgehe, 
welche  die  Theilchen  wieder  in  ihre  frühere  Lage  zurückzubringen 
suche.  In  diesem  Falle  würde  die  einzige  Kraft,  welche  dieses  zu 
bewirken  suchte,  aus  der  gegenseitigen  electrischen  Einwirkung 
der  gerichteten  electrisch  polaren  Theilchen  entstehen. 

Ausser  diesen  Annahmen  ist  noch  eine  andere  möglich,  welche 
Maxwell  gemacht  und  zu  sehr  interessanten  Schlüssen  angewandt 
hat,  und  von  welcher  weiter  unten  noch  die  Rede  sein  soll. 

Clausius,   m?ch.  Wärmetheorie.    IL  k 


66  Abschnitt  III. 


§.  3.     Auswahl   einer  Hypothese  zur  mathematischen 

Behandlung. 

Zu  einer  ganz  sicheren  Theorie  dessen,  was  im  Inneren  der 
Zwischenschicht  unter  dem  Einflüsse  der  von  Aussen  wirkenden 
electrischen  Kräfte  vor  sich  geht,  scheinen  mir  die  bisher  vorhan- 
denen Beobachtungsdata  noch  nicht  den  nöthigen  Grad  von  Voll- 
ständigkeit und  Zuverlässigkeit  zu  besitzen.  Indessen  habe  ich  es 
bei  der  Bearbeitung  der  ersten  Auflage  dieses  Buches  für  nützlich 
gehalten,  unter  Voraussetzung  einer  gewissen  Hypothese  eine 
Rechnung  anzustellen,  um  über  die  äusseren  Wirkungen  einer  sol- 
chen Polarität  eine  Vorstellung  zu  gewinnen.  Dazu  habe  ich  die  Hy- 
pothese gewählt,  dass  sich  im  Inneren  der  Zwischenschicht  Körper- 
chen befinden,  welche  etwas  leitend  sind,  welche  aber  von  einan- 
der durch  nichtleitende  Zwischenräume  getrennt  werden,  so  dass 
die  Electricität  sich  nur  innerhalb  der  einzelnen  Körperchen  be- 
wegen, nicht  aber  vom  einen  zum  anderen  übergehen  kann. 

Wenn  man  bei  der  anderen  oben  erwähnten  Hypothese,  dass  die 
Körpertheilchen  schon  im  Voraus  electrisch  polar  sind,  und  durch 
die  auf  sie  wirkende  Kraft  nur  gerichtet  werden,  die  Nebenannahme 
macht,  dass  bei  der  Ablenkung  der  Theilchen  aus  ihren  ursprüng- 
lichen unregelmässigen  Lagen  eine  elastische  Gegenkraft  entstehe, 
welche  der  Ablenkung  proportional  sei,  und  ferner  annimmt,  dass 
selbst  bei  den  stärksten  vorkommenden  Kräften  die  entstehenden 
Ablenkungen  im  Verhältniss  zu  denen,  welche  stattfinden  müssten, 
wenn  die  Theilchen  ganz  gleichmässig  gerichtet  werden  sollten, 
immer  nur  sehr  klein  bleiben,  so  kann  man  die  Ergebnisse  der 
ersten  Hypothese  auch  für  die  zweite  Hypothese  als  gültig  ansehen. 
Wenn  man  dagegen  bei  dieser  zweiten  Hypothese  annehmen  wollte, 
dass  der  Widerstand,  welchen  die  Cohäsion  der  Drehung  der  Theil- 
chen darbietet,  nur  von  der  Art  einer  starken  Reibung  sei,  so  dass 
aus  ihm  keine  zurückdrehende  Kraft  erwachsen  könne,  und  dass 
demnach  die  einzige  Kraft,  welche  die  Theilchen  wieder  in  die  un- 
regelmässigen Lagen  zu  bringen  suche,  diejenige  sei,  welche  durch 
die  gegenseitige  electrische  Einwirkung  der  electrisch  polaren 
Theilchen  bedingt  ist,  so  müsste  man  die  mathematische  Behand- 
lung in  etwas  anderer  Weise  ausführen. 

Die  vorher  genannte,  von  mir  zur  mathematischen  Behand- 
lung ausgewählte  Hypothese  ist  dieselbe,  wie  die,  welche  Poisson 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  67 

und  Green  für  die  mathematische  Behandlung  des  Magnetismus 
ausgewählt  haben,  und  wir  können  daher,  wenn  wir  alles,  was 
dort  von  nord-  und  südmagnetischem  Fluidum  gesagt  ist,  auf 
positive  und  negative  Electricität  anwenden,  die  von  jenen  Mathe- 
matikern schon  entwickelten  Fundamentalgleichungen  auch  für 
unsere  Bestimmungen  benutzen.  Aus  diesem  Grunde  wird  es 
zweckmässig  sein,  das  Wesentlichste  jener  Entwickelungen  hier 
erst  kurz  mitzutheilen.  • 


§.  4.    Ableitung  der  Poisson'schen  Fundamental- 
gleichungen. 

Wenn  die  im  Inneren  des  Dielectricums  als  vorhanden  ange- 
nommenen und  als  sehr  klein  vorausgesetzten  leitenden  Körper- 
chen durch  Influenz  electrisch  geworden  und  somit  an  ihrer  Ober- 
fläche mit  einer  theils  positiven ,  theils  negativen  electrischen 
Schicht  bedeckt  sind,  so  kann  man  die  äussere  Potentialfunction 
eines  solchen  Körperchens  folgendermaassen  bestimmen. 

Im  Inneren  des  Körperchens  sei  ein  Punct  p  mit  den  Coordi- 
naten  a?,  y,  0  angenommen ,  z.  B.  der  Schwerpunct  des  von  dem 
Körperchen  eingenommenen  Raumes ,  und  die  Coordinaten  eines 
Oberflächenpunctes  seien  dann  mit  x-\-^,  y-j-rj,  0-\-t,  bezeich- 
net. Betrachten  wir  dann  einen  ausserhalb  des  Körperchens  lie- 
genden Punct  p'  mit  den  Coordinaten  x',  y\  z'  und  bezeichnen  sei- 
nen Abstand  vom  Puncto  ^  mit  r  und  seinen  Abstand  von  jenem 
Oberflächenpuncte  mit  ri,  so  können  wir  unter  Vernachlässigung 
der  Glieder  höherer  Ordnungen  setzen: 

Sei  nun  bei  jenem  Oberflächenpuncte  ein  Flächenelement  don  ge- 
nommen und  die  darauf  befindliche  Electricitätsmenge  mit  lida 
bezeichnet,  und  sei  für  die  Potentialfunction  des  Körperchens  der 
Buchstabe  u  gewählt  und  ihr  Werth  im  Puncto  ^'  mit  w'  bezeich- 
net, so  ist  zu  setzen : 


,         riidco 


worm  die  Integration  über  die  ganze  Oberfläche  des  kleinen  Kör- 

5* 


68  Abschnitt  III. 

perchens  auszuführen  ist.    Substituiren  wir  hierin  für  —  den  obi- 
gen  Ausdruck,  so  kommt: 

1    r  r  r 

u'  =  —       hda  A-  -7^ —  /  ^hda  4-  - —  /  vlidG) 
r  J  ^     dx  J  ^     dy  J     ' 


»i 


+  ^f^^ 


da. 


Das  erste  hierin  an  der  rechten  Seite  stehende  Integral  ist  Null, 
weil  die  durch  Inüuenz  über  die  Oberfläche  des  Körperchens  ver- 
theilte  Electricität  in  der  Weise  aus  positiven  und  negatiA''en  Men- 
gen bestehen  muss,  dass  die  Summe  denWerth  Null  hat.  Für  die 
drei  anderen  Integrale,  welche  die  electrischen  Momente  des 
Körperchens  darstellen,  mögen  besondere  Zeichen  eingeführt  wer- 
den, nämlich: 

(1)  a  =    I  ^hda;     h  =  1  rihdo]     c  =  f  t^d(D, 
dann  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

ai        »i        ai 

/y^  /y>  /V* 

(2)  u'  =  -^—  a  +  ^—  h  -\-  ^—  c. 
^  ■'  dx        ^     dy  ds 

Denken  wir  uns  nun  an  der  Stelle,  wo  das  betrachtete  Kör- 
perchen sich  befindet,  ein  Raumelement  dt  des  Dielectricums  ge- 
nommen, so  können  wir  dessen  Potentialfunction  folgendermaassen 
ausdrücken.  Die  Anzahl  der  in  dt  enthaltenen  leitenden  Körper- 
chen werde  durch  JV^r  dargestellt.  Wenn  diese  Körperchen  in 
Bezug  auf  Grösse,  Gestalt  und  Orientirung  ihrer  Hauptdimensio- 
nen unter  einander  verscliieden  sind,  und  daher  die  Grössen  a,  h 
und  c  bei  ihnen  ungleiche  Werthe  haben ,  so  sollen  unter  ax ,  &i 
und  Ci  die  Mittelwerthe  verstanden  werden.  Dann  ist  die  Poten- 
tialfunction des  Raumelementes: 

si  gl  si     \ 

■  ox         ^    dy         '     ds      / 
und  wenn  man  zur  Vereinfachung  setzt : 

(3)  a  =  Nau    ß  =  Nb^;    r  =  Nc 
so  kommt: 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  69 


.  1 

^  1 

^  1 

9- 

d- 

ö- 

r 
'dx 

a 

+ 

r 
dy 

ß  + 

r 

(It. 

Diesen  Ausdruck  hat  man  über  den  vom  Dielectricum  eingenom- 
menen Kaum  zu  integriren,  um  die  Potentialfunction  des  ganzen, 
im  polaren  Zustande  befindlichen  Dielectricums  zu  erhalten.  Zur 
Bezeichnung  dieser  Potentialfunction  möge  der  Buchstabe  U  ge- 
wählt und  ihr  Werth  beim  Puncte  p'  mit  den  Coordinaten  x\  y\  z' 
mit  JJ'  bezeichnet  werden,  dann  lautet  die  betreffende  Gleichung : 

Es  kommt  nun  weiter  darauf  an,  die  Grössen  w,  /3,  y  zu  be- 
stimmen, wozu  wir  zunächst  die  Grössen  a,  &,  c,  welche  die  electri- 
schen  Momente  eines  einzelnen  Körperchens  darstellen,  betrachten 
müssen.  Da  diese  Momente  von  der  Kraft,  unter  der  das  Körper- 
chen steht,  hervorgerufen  werden,  so  müssen  sie  zu  den  Compo- 
nenten  dieser  Kraft,  welche  wir  mit  X,  Y,  Z  bezeichnen  wollen, 
in  bestimmter  Beziehung  stehen.  Da  diese  Beziehung  von  der 
Grösse,  Gestalt  und  Orientirung  des  Körperchens  abhängt,  so 
braucht  sie  nicht  ganz  einfach  zu  sein,  indessen  ist  so  viel  leicht 
zu  erkennen,  dass,  wenn  die  Kraftcomponenten  alle  drei  in  glei- 
chem Verhältnisse  wachsen  würden,  dann  auch  die  Grössen  «,  6,  c 
in  demselben  Verhältnisse  wachsen  müssten,  woraus  folgt,  dass 
jede  dieser  drei  Grössen  eine  homogene  Function  ersten  Grades 
von  X,  Y,  Z  sein  muss,  und  dass  somit  für  die  erste  derselben 
folgende  Gleichung  gebildet  werden  kann: 

worin  die  Coefficienten  e,  /,  (/  von  der  Kraft  unabhängig  sind. 
Hieraus  kann  man,  gemäss  den  Gleichungen  (3),  sofort  auch  fol- 
gende Gleichung  bilden: 

worin  e^,  /i,  f/i,  die  auf  die  verschiedenen  nahe  bei  einander  liegen- 
den Körperchen  bezüglichen  Mittelwerthe  von  e,  /,  g  bedeuten. 

Nun  muss  man  aber  für  einen  isotropen  Stoff'  annehmen,  dass 
die  Körperchen,  wenn  sie  nicht  selbst  schon  eine  nach  allen  Kich- 
tungen  gleiche  Form,  also  die  Kugelform,  haben,  so  verschieden 
orientirt  sind,  dass   für  jedes   Körperchen  jede  Richtung  gleich 


70  Absclmitt  III. 

wahrscheinlich  ist.  Daraus  folgt ,  dass  die  auf  die  a;-E,ichtung  be- 
züglichen Momente,  welche  eine  nach  der  ^-Richtung  wirkende 
Kraft  in  den  verschiedenen  Körpern  hervorrufen  kann,  den  Mittel- 
werth  Null  haben  muss,  da  positive  und  negative  Momente  gleich 
wahrscheinlich  sind,  und  es  ist  daher  zu  setzen  :/i  =  0.  Dasselbe 
gilt  von  einer  nach  der  ^-Richtung  wirkenden  Kraft ,  woraus  folgt 
gi  =  0.  Es  bleibt  also  in  der  vorigen  Gleichung  in  der  Klam- 
mer nur  das  erste  Glied  übrig,  und  wenn  wir  noch  für  das 
Product  Nei  das  einfachere  Zeichen  r]  einführen,  so  lautet  die 
Gleichung : 

(5)  a  =  riX. 

In  ganz  entsprechender  Weise  ist  für  einen  isotropen  Stoff  auch 
zu  setzen: 

(5a)  ß  =  r}Y',    Y  =  nZ. 

Was  nun  die  Kraft  anbetrifft,  durch  welche  die  Körperchen 
electrisch  polar  gemacht  werden,  und  deren  Componenten  wir  mit 
X,  Y,  Z  bezeichnet  haben,  so  wird  diese  zum  Theil  von  solcher 
Electricität,  die  nicht  zum  Dielectricum  gehört,  und  sich  irgendwo 
befinden  kann,  zum  Theil  vom  Dielectricum  selbst  ausgeübt. 

Die  Componenten  des  ersten  Theiles  der  Kraft  lassen  sich, 
wenn  V  die  Potentialfunction  der  nicht  zum  Dielectricum  gehören- 
den Electricität  bedeutet,  einfach  durch 

_dV      _dV      _dV 

darstellen. 

Um  ferner  die  Componenten  des  zweiten  Theiles  der  Kraft, 
also  die  Componenten  der  von  dem  umgebenden  Dielectricum  selbst 
auf  das  Körperchen  ausgeübten  Kraft  auszudrücken,  müssen  wir 
unser  Augenmerk  wieder  auf  die  oben  betrachtete  Potentialfunc- 
tion des  Dielectricums  richten.  Da  es  sich  hierbei  um  denjenigen 
Werth  handelt,  welchen  die  Potentialfunction  im  Puncte  (x^  y,  z) 
hat,  so  wollen  wir  in  der  Gleichung  (4),  welche  die  Potentialfunc- 
tion des  Dielectricums  im  Puncte  (x\  y\  z')  bestimmt,  die  accen- 
tuirten  und  unaccentuirten  Coordinaten  unter  einander  vertau- 
schen, indem  wir  dem  Raumelemente  dx  die  Coordinaten  x\  y\  ^' 
zuschreiben  und  die  Coordinaten  des  Punctes,  für  welchen  die 
Potentialfunction  bestimmt  wird,  mit  ^,  ?/,  s  bezeichnen.  Dem  ent- 
sprechend müssen  wir  dann  auch  für  die  Potentialfunction  das 
Zeichen  JJ  statt  U  und  für  die  an  der  rechten  Seite  stehenden 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  71 

Coefficienten,  welche  zum  Raumelemente  dt  gehören,  die  Zeichen 
«',  /3',  y'  statt  cc,  /3,  y  anwenden.    Die  Gleichung  lautet  dann: 


f/ei         ai         al 

/   V^  «'  +  ^  /^'  +  -^ 
^y     \ar       '    ay       '    a^' 


(")         ^=J   Vez  «' +  87  "' +  87  ^V ''^- 

lieber  die  Art,  wie  aus  dieser  Potentialfunction  die  betreffen- 
den Kraftcomponenten  abzuleiten  sind,  ist  aber  noch  eine  beson- 
dere Bemerkung  zu  machen.  Man  darf  dieselben  nicht  einfach 
durch 

__dü      _dU      _dü 
dx^  dy  ''  dz 

darstellen.    Wenn  nämlich  von  der  Kraft  die  Rede  ist,  welche  ein 
leitendes  Körperchen  erleidet,  und  durch  welche  eine  ungleiche 
Vertheilung  seiner  Electricität  verursacht  wird,  so  ist  darin   die 
von  der  Electricität  des  Körperchens  selbst  ausgeübte  Kraft  nicht 
mit  einbegriffen.    Man  muss  daher  auch  von  der  Potentialfunction 
des  Dielectricums  den  Theil,  welcher  von  der  Electricität  des  be- 
trachteten Körperchens  herrührt,  in  Abzug  bringen.   Da  der  obige 
Ausdruck  von  U  ein  Integral  nach  dem  Räume  ist ,  so  können  wir 
folgende  Betrachtung  anstellen.    Der  Raum,  welchen  das  Dielec- 
tricum  einnimmt,  wird  von  den  leitenden  Körperchen,  unserer  Vor- 
aussetzung nach ,  nur  theilweise  ausgefüllt ,  und  der  übrige  Theil 
besteht  aus  nichtleitenden  Zwischenräumen.    Aber  man  kann  sich 
den  ganzen  Raum  in  kleine  Räume  zerlegt  denken,  deren  jeder 
ein  leitendes  Körperchen  enthält  und  als  derjenige  Theil  des  gan- 
zen Raumes  gelten  kann,  welcher  diesem  Körperchen  entspricht. 
Stellt  man  sich  nun  vor ,  das  Körperchen ,  für  welches  die  Kraft 
bestimmt  werden  soll,  sei  fortgenommen,  so  bildet  der  ihm  ent- 
sprechende kleine  Raum  einen  Hohlraum  in  dem  Dielectricum  und 
die  in  diesem  Hohlräume  herrschende  Kraft  ist   die  zu  bestim- 
mende Kraft.     Um  die  Componenten  dieser  Kraft  auszudrücken 
müssen  wir  für  die  Potentialfunction,  statt  des  in  (6)  gegebenen 
Integrals,  ein  Integral  anwenden,  welches  den  kleinen  Hohlraum 
nicht  mit  umfasst. 

Was  die  Gestalt  des  Hohlraumes  anbetrifft,  so  kann  man  sich 
denken,  dass  in  den  den  verschiedenen  leitenden  Körperchen  ent- 
sprechenden Räumen  zufällige  Verschiedenheiten,  sei  es  in  Bezug 
auf  die  Gestalt  selbst,  sei  es  in  Bezug  auf  die  Orientirung  ihrer 
Hauptdimensionen  vorkommen.    Verschiedenheiten  dieser  Art  wür- 


72  Absclinitt  III. 

den  für  unseren  Hohlraum  auch  Unterschiede  der  Kraft  zur  Folge 
haben.  Von  solchen  zufälligen  Unterschieden  müssen  wir  aber  bei 
unserer  Bestimmung,  welche  sich  auf  die  durchschnittlich 
wirkende  Kraft  bezieht,  absehen,  was  am  einfachsten  dadurch  ge- 
schehen kann,  dass  wir  den  Hohlraum  als  kugelförmig  annehmen. 
Wir  denken  uns  also  in  dem  Dielectricum  einen  kleinen  kugel- 
förmigen Raum  abgegrenzt,  und  bilden  die  Potentialfunction  des 
ausserhalb  dieses  Raumes  befindlichen  Dielectricums  für  irgend 
einen  innerhalb  des  Raumes  liegenden  Punct  (x,  y,  z\  Indem  wir, 
wie  bisher,  die  Potentialfunction  des  ganzen  Dielectricums  JJ  nen- 
nen, wollen  wir  die  Potentialfunction  des  ausserhalb  der  kleinen 
Kugel  befindlichen  Dielectricums  mit  C/j  bezeichnen.  Dann  wer- 
den die  Componenten  der  in  Rede  stehenden  Kraft  dargestellt 
durch : 

3.r  '  8^  '  'dz 

Um  nun  die  Beziehung  zwischen  Vi  und  TJ  angeben  zu  können, 
wollen  wir  noch  für  die  Potentialfunction  des  in  der  kleinen  Kugel 
befindlichen  Dielectricums ,  zu  deren  Bestimmung  wir  das  in  (6) 
angedeutete  Integral  über  den  kleinen  kugelförmigen  Raum  aus- 
zuführen haben,  das  Zeichen  C/q  anwenden.  Dann  können" wir 
setzen : 

(7)  U,=  U-V,, 

und  es  kommt  nun  nur  noch  darauf  an,  die  zur  Bestimmung  von 

TJa  nöthige  Rechnung  wirklich  auszuführen. 

Wenn  das  in  (6)  angedeutete  Integral  sich  nur  auf  den  als 
sehr  klein  vorausgesetzten  kugelförmigen  Raum  erstrecken  soll,  so 
können  wir  dabei  die  Grössen  «',  /3',  y'  als  constant  betrachten 
und  ihnen  die  bei  dem  ebenfalls  innerhalb  der  Kugel  gelegenen 
Punct  (^,  ^,  s)  stattiindenden  Werthe  zuschreiben,  welche  wir  mit 
a,  /3,  y  bezeichnen.  In  Folge  dessen  können  wir  diese  Grössen  aus 
dem  Integralzeichen  herausnehmen  und  die  Gleichung  so  schreiben : 

AI  Ai  fil 

Nun  ist  aber,  gemäss  der  Gleichung 
zu  setzen : 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  73 

al  ai 

und  wenn  dieser  Werth  in  das  erste  Integral  eingeführt  ist,  so 
kann  man  die  Differentiation  nach  x  (welche  Grösse  von  der  Lage 
des  Elementes  d%  unabhängig  ist),  auch  ausserhalb  des  Integral- 
zeichens andeuten,  und  somit  setzen: 


/^  r        _         d      rät 


Entsprechende  Gleichungen  gelten  für  die  beiden  anderen  Coordi- 
natenrichtungen,  und  dadurch  geht  die  Gleichung  (8)  über  in: 
,^,  TT  ^    r^"^        a   ^    rät  d    Cdt 

(9)      ^"-^^-TxJt-^j^Jt-^tJt- 

Das  hierin  noch  vorkommende  Integral  lässt  sich  leicht  aus- 
führen und  kann  sogar  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,  indem 
es  nichts  weiter  ist,  als  die  Potentialfunction  einer  homogenen  Ku- 
gel mit  der  Dichtigkeit  1  für  einen  innerhalb  der  Kugel  gelegenen 
Punct,  Bezeichnen  wir  die  Coordinaten  des  Mittelpunctes  der  Ku- 
gel mit  j,  \),  i  und  ihren  Kadius  mit  r,  so  erhalten  wir  i) : 

f^  =  27t  {x^  -  1  \_{x  -  ly  -\-iy-  t^y  +  (^  -  ä)2]}. 

Hieraus  folgt  weiter: 

d     rät  4c7t  ,  .      S     rät  4:7C  ,  . 

dz 
und  die  Gleichung  (9)  geht  daher  über  in: 

(10)  V,  =  ^[a  (x-i)  +  ß  (y-t))  -I-  r  (^-S)], 
und  durch  Einsetzung  dieses  Werthes  in  (7)  erhält  man: 

(11)  U,=  U-^[a(x-x)  +  ß(y-^)-\-y(,-i)]. 

Da  in  diesem  Ausdrucke  der  Radius  r  nicht  vorkommt,  so  folgt 


/dr  4:7t  .         . 


^)  Siehe  mein  Buch   über   die  Potentialfunction   §.  12,  Gleichung  (34), 
worin  Ä  durch  r  ersetzt  und  a  =  0  gesetzt  werden  muss. 


74 


Abschnitt  III. 


daraus,  dass  es  zur  Bestimmung  von  Ui  nicht  nöthig  ist,  die  Grösse 
des  Raumes,  welcher  einem  einzelnen  leitenden  Körperchen  ent- 
spricht, zu  kennen. 

Durch  Differentiation  der  vorigen  Gleichung  erhalten  wir: 


(12) 


Kehren  wir  nun  zu  den  Gleichungen  zurück,  welche  die  Com- 
ponenten  der  ganzen  auf  das  leitende  Körperchen  wirkenden  Kraft 
bestimmen,  nämlich: 

dx        dx'  dy         dy'  dz         dz' 

und  setzen  wir  hierin  für  den  letzten  Differentialcoefficienten  jedes 
Ausdruckes  den  in  (12)  gegebenen  Werth,  so  kommt: 


\dUr  _ 

dx 

dU              4:7t 

~  dx         3    ^ 

düi 
dy 

dU               4:7t 

-  dy         3    ^ 

dU, 

dz  ~ 

du                4:7t 

~  dz         3    ^ 

(13) 


d(V±JI)       47t 

dy  '3 

^__d(V^Ü)       47t 
^  —  dz         ^   3    ^' 


Diese  Ausdrücke  der  Kraftcomponenten  haben  wir  auf  die 
Gleichungen  (5)  und  (5  a)  anzuwenden.  Die  Gleichung  (5)  geht 
dadurch  über  in: 


=  n  [j 


woraus  folgt: 
(14) 


8(7+  V)    ,    4;r 
dx         "^    3    " 


d(V^Ü) 


47t 


dx 


Hierin  wollen  wir    noch  ein   vereinfachendes   Zeichen   einführen, 
indem  wir  setzen: 


(15) 


E  = 


47C 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  75 

Bilden  wir  dann   zugleich  auch  die  entsprechenden  Gleichungen 
für  die  beiden  anderen  Coordinatenrichtungen,  so  erhalten  wir: 


(16) 


\ 


cc  =  —  E 
ß  =  —  E 
y  =  —  E 


8(F4-  U) 

dy 
0(F+  U) 


Nachdem  wir  so  die  Grössen  «,  jS,  y  bestimmt  haben,  können 
wir  ihre  Werthe  in  die  Gleichung  (4)  einsetzen  und  erhalten  da- 
durch : 

m^   TV-        I    pv8(F+£ri^7      8(F+^^7 
(17)    ü  --    I     E\ ^ ^  + :^^ -^ 

+         dz         'dzJ'*'^' 
Wenden  wir  hierin  zur  Abkürzung  das  in  Abschnitt  L,  §.  11  ein- 
geführte Summenzeichen  an,  so  können  wir  schreiben: 

1 


w^-J  l 


v^-fa.E^'^\+''^'^ 


(17a)  u   =  -   ,     u.^  ^^  g^ gj 

Dieses  ist  die  zur  Bestimmung  der  Potentialfunction  U  des  Dielec- 
tricums  dienende  Gleichung,  wie  sie  aus  den  Pols son' sehen  und 
den  damit  übereinstimmenden  Green'schen  Untersuchungen  über 
Magnetismus  hervorgeht. 

Was  die  hierin  vorkommende  Grösse  E  anbetrifft,  so  kann  ihr 
Werth,  je  nach  der  Natur  des  Dielectricums ,  zwischen  0  und  oo 
variiren.  Der  Werth  0  gilt  für  Stoffe,  die  durch  und  durch  nicht- 
leitend sind,  und  daher  durch  Influenz  keine  electrische  Polarität 
annehmen  können,  und  der  Werth  oo  für  solche,  die  durch  und 
durch  leitend  sind.  Bei  solchen  Stoffen,  die,  wie  wir  für  ein  Dielec- 
tricum  angenommen  haben,  zum  Theil  aus  leitenden  Körperchen, 
zum  Theil  aus  nichtleitenden  Zwischenräumen  bestehen,  lässt  sich, 
wenigstens  für  den  Fall,  wo  die  Körperchen  als  kugelförmig  vor- 
ausgesetzt werden,  eine  bestimmte  Beziehung  zwischen  den  mit  ^ 
und  E  bezeichneten  Grössen  und  dem  von  den  leitenden  Körper- 
chen erfüllten  Kaume  ableiten.     Wird  nämlich  dieser  Raum  als 


76  Abschnitt  III 

Bruchtheil    des    ganzen    von    dem   Dielectricum    eingenommenen 
Raumes  mit  g  bezeichnet,  so  gilt  für  ri  die  Gleichung : 

(18)  ,  =  ^^, 

und  daraus  ergiebt  sich  nach  (15)  für  E  die  Gleichung : 

^9 


(19)  E 


4.7t{\-g) 


§.  5.    Veränderte  Formen   der  gewonnenen 
Gleichung. 

Man  kann  die  im  vorigen  Paragraphen  gewonnene  Gleichung 
(17)  in  verschiedenen  Weisen  umformen. 

Betrachtet  man  von  den  in  der  Klammer  stehenden  Gliedern 
zunächst  nur  das  erste,  so  kann  man  setzen: 

(20)  E'-^z±^%m'Ji±m\i^u'jy±m). 

^    -^  ex        ox       cx\r        ox      J      rox\  ox       J 

Dieser  Ausdruck  muss  mit  dt  multiplicirt  und  über  den  ganzen 
vom  Dielectricum  eingenommenen  Raum  integrirt  werden.  Ersetzt 
man  dabei  dt  durch  dx  dy  dz^  so  lässt  sich  beim  ersten  an  der 
rechten  Seite  stehenden  Gliede  die  Integration  nach  x  ausführen, 
nämlich : 

worin  die  Indices  1  und  2  andeuten  sollen,  dass  von  dem  in  der 
Klammer  stehenden  Ausdrucke  die  Werthe  zu  nehmen  sind,  welche 
an  den  Stellen  stattfinden,  wo  eine  der  x-kKQ  parallele  Gerade, 
deren  andere  Coordinaten  y  und  s  sind,  die  Oberfläche  des  Dielec- 
tricums  schneidet.  Sollte  diese  Gerade  die  Oberfläche  mehr  als 
zweimal  schneiden,  was  dann  jedenfalls  eine  gerade  Anzahl  von 
Malen  stattfinden  müsste,  so  wären  an  der  rechten  Seite  dem  ent- 
sprechend mehr  Glieder  zu  setzen. 

Es  möge  nun  an  der  durch  den  Index  1  angedeuteten  Stelle 
das  Flächenelement,  welches  ein  längs  jener  Geraden  gedachtes 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  77 

unendlich  schmales  Prisma  mit  dem  Querschnitte  dy  dz  aus  der 
Oberfläche  des  Dielectricums  ausschneidet,  mit  dai  bezeichnet 
werden,  dann  hat  man: 

dy  dz  =  cos  l  ö!a>i, 

worin  A  den  Winkel  der  auf  d  «i  nach  Innen  zu  errichteten  Nor- 
male mit  der  a;-Axe  bedeutet.  Nun  kann  man  aber,  wenn  man 
die  Normale  mit  n^  bezeichnet,  schreiben: 

,         dx 
cos  A  =  z — 1 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

dy  dz  =  -x —  dcoi. 

Für  die  durch  den  Index  2  angedeutete  Stelle,  an  welcher  die 
positive  ic- Richtung  von  der  Fläche  aus  nicht  nach  Innen,  son- 
dern nach  Aussen  geht,  lautet  die  entsprechende  Gleichung: 

dydz  =  —  7=: —  dcDo. 

Durch  Einsetzung  dieser  Werthe  geht  die  Gleichung  (21)  über  in: 

worin  an  der  rechten  Seite  die  Integration  über  die  ganze  Ober- 
fläche des  Dielectricums  auszuführen  ist. 

Kehren  wir  nun  zur  Gleichung  (20)  zurück,  welche  mit  dr 
zu  multipliciren  und  dann  zu  integriren  ist,  so  erhalten  wir  daraus 
durch  Einsetzung  des  vorstehenden  Werthes  die  folgende  Glei- 
chung : 

ox  ox  J    r  dx         on 

Eben  solche  Gleichungen  gelten  für  die  y-  und  ^-Richtung. 
Wenn  man  von  diesen  drei  Gleichungen  die  Summe  bildet,  und  in 
der  dadurch  entstehenden  Gleichung  die  Vorzeichen  umkehrt,  so 
ist  die  linke  Seite  gemäss  (17)  gleich  U'.  An  der  rechten  Seite 
können  wir  unter  dem  ersten  Integralzeichen  setzen: 


/ 


78  Abschnitt  III. 

a(F+  U)  dx    ,    d{V-{-  U)  dy    ,    e(F4-  IJ)  dl  ^  d(V-\-  U) 
dx         dn  dy         dn~^         ds         dn  dn       ' 

und  unter  dem  zweiten  Integralzeiclien  können  wir  die  betref- 
fende Summe  durch  Anwendung  des  Summenzeichens  andeuten, 
und  erhalten  dadurch: 

Aus  dieser  Gleichung  ergiebt  sich,  dass  man  die  Potential- 
function  des  Dielectricums  betrachten  kann  als  die  Potential- 
function  einer  Electricitätsmenge ,  die  sich  theils  auf  der  Ober- 
fläche des  Dielectricums  befindet,  theils  durch  den  von  dem  Dielec- 
tricum  erfüllten  Raum  stetig  verbreitet  ist,  und  welche  dort  die 
Oberflächendichtigkeit 

^ — 8^r~'- 

hier  die  Raumdichtigkeit 

hat. 

Da  sich  nun  andererseits  für  die  in  jener  Weise  angeordnete 
Electricität,  von  welcher  ü  als  die  Potentialfunction  zu  betrachten 
ist,  die  Oberflächendichtigkeit  durch 


8  /^8(F+  uy 

dx        j 


43r  L\8»*/  +  o     \8w/_oJ 


und  die  Raumdichtigkeit  durch 

4o7t 

darstellen  lässt,  so  erhält  man  die  Gleichungen: 

(-)       ©.,-©-«=  — ^^^^ 

Wenn  das  Dielectricum  homogen  und  somit  E  constant  ist,  so 
vereinfacht  sich  die  letzte  Gleichung  in: 

(25)  ^ü=-4.7tE'^?liL±JD.:=:-.4jcE^(V-i-  U), 

welcher  Gleichung  man  auch  folgende  Form  geben  kann: 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  79 

Wenn  ferner  noch  vorausgesetzt  wird,  dass  die  nicht  zum 
Dielectricum  gehörende  Electricität ,  von  welcher  V  die  Potential- 
function  ist,  sich  ganz  ausserhalb  des  Dielectricums  befinde,  so  ist 
im  Dielectricum  überall  z/  F  =  0  und  somit  auch  ^  ü  =  0.  Un- 
ter diesen  Voraussetzungen  nimmt  die  Gleichung  (22)  folgende 
einfache  Form  an: 

(26)  V'  =  Eß'-iI±^do,. 

^  J    r         cn 

Eine  andere  Umformung  der  Gleichung  (17)  kann  dadurch 
bewirkt  werden,  dass  man  setzt: 

dx        dx        cxL    ^      ^      '  dxJ  '        dx\     ox 

Wenn  man  mit  dieser  Gleichung  ebenso  verfährt,  wie  oben  mit 
der  Gleichung  (20),  so  erhält  man: 

oder  anders  geschrieben: 

(27)  ü' = 


f< 


+  1  ('^+^2wff<^^' 


Hierin  lässt  sich  das  Integral 


/ 


E(V-}-  U)  J  ^  dt 


sofort  näher  bestimmen.  Wenn  der  Punct  (x\  y\  ^),  von  welchem 
aus  der  Abstand  r  gemessen  wird,  und  für  welchen  der  Werth 
von  TJ  mit  U  bezeichnet  ist,  sich  ausserhalb  des  Dielectricums  be- 
findet, so  ist  ^  —  ==  0,  und  dadurch  wird  auch  das  Integral  Null. 

Wenn  dagegen  jener  Punct  sich  innerhalb  des  Dielectricums  be- 
findet, so  ist 


/ 


EiV^  U^^-dt^-^  inE'{V'  +  ü') 


80  Abschnitt  III. 

worin  E' {V -\-  U')  den  Werth  von  ^(7+  V)  am  Puncte  {x\y',z') 
bedeuten  soll  i).  Demnach  lautet  die  Gleichung  (27)  für  einen 
ausserhalb  des  Dielectricums  liegenden  Punct: 

(28)  ü'=    I     E(r+0)-^da, 


'S 
f 


-1     ^1 

r  dE 


und  für  einen  innerhalb  des  Dielectricums  liegenden  Punct: 
(28a)    ü'  =  -inE'(r+ü')+   I     E(V+U)-^dm 


f 


dr. 


Wenn  das  Dielectricum  homogen  und  somit  E  constant  ist,  so 
erhält  man  für  einen  ausserhalb  desselben  liegenden  Punct: 


r^Ej   (V+ü)'-^ 


(29)  U'  =  Ej     (V-\-  TJ)^dco 

und  für  einen  innerhalb  desselben  liegenden  Punct: 


(29a)    U  =  -~4.7tEiV'-i-U')-^E    /     (V -{-  U)  -^  dio 


§.6.  Anwendung  der  gewonnenen  Gleichungen  aufFrank- 
lin'sche  Tafeln  und  Leidener  Flaschen. 

Die  Gleichung  (29)  habe  ich  in  meinem  1867  veröffentlichten 
Artikel  2)  angewandt,  um  die  Beziehung  zwischen  den  auf  den  Be- 
legungen einer  Franklin' sehen  Tafel  oder  Leidener  Flasche 
befindlichen  Electricitätsmengen   und  der   dadurch  entstehenden 


1)  Siehe  mein  Buch:   „Die  Potentialfunction  und  das  Potential"  §.41, 
Gleichung  (149). 

2)  Meine  Abhandlungensammlung  Bd.  II,  Zusatz  zu  Abhandlung  X. 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  81 

Potentialniveaudifferenz   zu  bestimmen,  und  ich  will  diese  Rech- 
nungen hier  ebenfalls  mittheilen. 

Der  Einfachheit  wegen  möge  zunächst  eine  Fr  an  kl  in 'sehe 
Tafel  mit  kreisförmigen  Belegungen  angenommen  werden. 
Die  planparallele  Glasplatte,  welche  die  beiden  Belegungen  von 
einander  trennt,  ist  der  zu  betrachtende  Körper;  wir  brauchen 
aber  nicht  die  ganze  Glasplatte  zu  betrachten ,  sondern  können 
die  Betrachtung  auf  das  kreisförmige  Stück  derselben,  welches  ge- 
rade zwischen  den  Belegungen  liegt,  beschränken,  indem  der  über 
die  Belegungen  hinausragende  Theil,  welcher  den  freien  Rand  bil- 
det, durch  die  Ladung  der  Belegungen  jedenfalls  nur  eine  sehr 
geringe  Aenderung  seines  inneren  Zustandes  erleiden,  und  daher 
auch  nur  sehr  wenig  dazu  beitragen  kann,  den  Werth  der  Poten- 
tialfun ction  ü  zu  ändern.  Der  Körper,  über  dessen  Oberfläche 
die  Integration  ausgeführt  werden  muss ,  ist  also  ein  sehr  flacher 
Cylinder  mit  kreisförmigen  Grundflächen. 

Den  Punct  p\  für  welchen  der  mit  TJ'  bezeichnete  Werth  von 
U  zunächst  bestimmt  werden  soll,  wollen  wir  folgendermaassen 
wählen.  Auf  der  einen  Kreisfläche ,  auf  welcher  die  Belegung  A 
sich  befindet,  denken  wir  uns  im  Mittelpuncte  eine  nach  Aussen 
gehende  Normale  errichtet.  In  dieser  Normale  soll  p'  liegen,  und 
zwar  so  nahe  an  der  Kreisfläche ,  dass  der  Abstand  von  derselben 
gegen  die  Dimensionen  der  Platte  als  verschwindend  klein  anzu- 
sehen ist.  Wir  wollen  den  so  bestimmten  Punct  jp'  kurz  die  Mitte 
der  Belegung  A  nennen. 

Um  nun  die  in  der  Gleichung  (29)  vorgeschriebene ,  auf  die 
Oberfläche  des  flachen  Glascylinders  bezügliche  Integration  aus- 
zuführen, können  wir  die  Oberfläche  in  drei  Theile  theilen,  1)  die 
Kreisfläche,  welche  mit  der  Belegung  A  bedeckt  ist,  2)  die  gegen- 
überliegende Kreisfläche,  welche  mit  der  Belegung  B  bedeckt  ist, 
3)  die  Cylinderfläche,  welche  die  Umfange  der  beiden  Kreisflächen 
verbindet. 

Für  die  beiden  Kreisflächen  ist  die  Integration  sehr  leicht 
ausführbar,  weil  auf  jeder  der  Belegungen  die  durch  die  Summe 
V  -\~  TJ  dargestellte  gesammte  Potentialfunction  einen  constanten 
Werth  haben  muss. 

Um  für  die  erste,  mit  der  Belegung  A  bedeckte  Kreisfläche 
die  Rechnung  anzustellen ,  wollen  wir  uns  vorläufig  den  Punct  p' 
nicht  in  unmittelbarer  Nähe  der  Fläche  denken,  sondern  wollen 
annehmen,  er  liege  in  der  im  Mittelpuncte  nach  Aussen  hin  errich- 

Clausius,   mech.  Wärinetheorie.    11.  f- 


82  AbscTinitt  III. 

teten  Normale  um  eine  beliebige  Strecke  Z  von  der  Fläche  ent- 
fernt. Nun  denken  wir  uns  an  irgend  einem  anderen  Puncte  der 
Kreisfläche,  welcher  um  die  Strecke  q  vom  Mittelpuncte  entfernt 
ist,  auf  der  Fläche  eine  in  das  Glas  hineingehende  Normale  von 
der  Länge  n  errichtet.  Wenn  dann  r  die  Entfernung  des  End- 
punctes  dieser  Normale  vom  Puncte  p'  bedeutet,  so  hat  man: 

Hieraus  ergiebt  sich: 

r  /  l  -\-  n 


Setzt  man  hierin,  wie  es  sein  muss,  wenn  der  Differentialcoefficient 
sich  auf  die  Oberfläche  des  Glases  beziehen  soll,  w  =  0,  so  kommt: 


Bezeichnen  wir  nun  noch  den  constanten  Werth,  welchen  die 
Summe  Y  -\-  JJ  auf  dieser  Kreisfläche  hat,  mit  K,  und  nennen 
den  Radius  des  Kreises  a,  so  ist  der  auf  diese  Kreisfläche  bezüg- 
liche Theil  des  Integrales,  welcher  von  dem  ganzen  Integrale  da- 
durch unterschieden  werden  soll,  dass  das  unter  dem  Integral- 
zeichen stehende  Flächenelement  da  mit  dem  Index  1  versehen 
wird : 

a 

/d (-)  r  iQdQ 

0 

=  -27ck(i  —  ,,     ^     — 

•  \  V  «2  _^  Z2/ 

Nehmen  wir  nun  endlich  dem  Obigen  entsprechend  an,  der  Punct 
p',  welchen  wir  uns  vorläufig  in  einer  behebigen  Entfernung  l  von 
der  Fläche  gelegen  dachten,  liege  so  nahe  an  der  Fläche,  dass  l 
gegen  die  Dimensionen  der  Platte  als  verschwindend  klein  anzu- 
sehen sei,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 


/ 


8|i 


(30)  .  /     (V+U)  -^  dm,  =-2^K. 


Behandluno:  dielectrischer  Medien.  83 


"■ö 


Wir  wollen  nun  in  entsprechender  Weise  den  Theil  des  Inte- 
grales, welcher  sich  auf  die  gegenüberliegende  mit  der  Belegung 
B  bedeckte  Kreisfläche  bezieht,  bilden,  wobei  wir  den  Punct  p'  von 
vornherein  als  dicht  an  der  ersten  Kreisfläche  liegend  annehmen 
wollen.  Denken  wir  uns  in  einem  Puncte  der  zweiten  Kreisfläche, 
welcher  von  ihrem  Mittelpuncte  um  die  Strecke  q  entfernt  ist,  auf 
der  Fläche  eine  Normale  von  der  Länge  n  in  das  Glas  hinein  er- 
richtet, so  erhalten  wir,  wenn  r  die  Entfernung  des  P^ndpunctes 
der  Normale  vom  Puncte  p'  bedeutet,  und  der  Abstand  der  beiden 
Kreisflächen  von  einander  mit  c  bezeichnet  wird,  die  Gleichung: 

r  =  ]/  92  _|_  (c  _  ^^)2^ 
woraus  folgt: 


(7) 


d 

c  —  n 


dn  [p2  -f-  (c  —  ^)2]%' 

oder,  wenn  wir  in  diesem  Ausdrucke ,  um  ihn  auf  die  Kreisfläche 
selbst  zu  beziehen,  n  =  0  setzen: 


d 


(7) 


dn  (92  -^  c2)% 

Der  constante  Werth,  welchen  die  Summe  V -\-  ü"  auf  dieser 
Kreisfläche  hat,  sei  mit  Ki  bezeichnet,  dann  erhält  man  für  den 
zweiten  Theil  des  Integrales,  welcher  dadurch  von  dem  ganzen 
Integrale  unterschieden  werden  soll,  dass  d  a  mit  dem  Index  2  ver- 
sehen wird,  den  Ausdruck: 

0 

V  l/a2_^c2y' 

c 
Denkt  man  sich  diesen  Ausdruck  nach  Potenzen  von  —  entwickelt 

a 

und  vernachlässigt  die  Glieder  von  höherer  als  erster  Ordnung,  so 

kommt : 


;3i)    J  (y+v)^ 


d  cjo  =  2  7t  K.    (1  —  — 


84  Abschnitt  III. 

Nun  muss  endlich  noch  die  Cyhnderfiäche ,  welche  die  Kreis- 
umfänge  verbindet,  betrachtet  werden.  An  irgend  einer  Stelle 
dieser  Cylinderfläche,  welche  vom  Umfange  des  ersten  Kreises  um 
die  Strecke  z  entfernt  ist,  denke  man  sich  eine  nach  innen  ge- 
hende Normale  von  der  Länge  n  errichtet,  dann  ist  die  Entfernung 
r  des  Endpunctes  dieser  Normale  von  unserem  Puncte  j)'  bestimmt 
durch  die  Gleichuna;: 


r  =  y  {a  —  w)2  -j-  ^2^ 


und  daraus  folgt: 


3(1 

r 


dn       '  [{a  —  ny  -|-  ^2]% 
oder,  wenn  wir  hierin  wieder  n  =  0  setzen: 

1 


dn  (a2  +  0^yk 

Der  Werth  der  Summe  F  -)-  Ü7  ist  auf  der  Cylinderfläche 
nicht  überall  gleich,  sondern  ändert  sich  in  der  vom  einen  Kreis- 
umfange zum  anderen  gehenden  Richtung.  Wenn  der  Abstand  c 
der  beiden  Kreise  gegen  ihren  Radius  a  klein  ist,  so  kann  man 
mit  grosser  Annäherung  annehmen,  dass  der  Werth  der  Summe 
V  -{-  U  sich ,  wenn  man  in  einer  die  beiden  Kreisumfänge  verbin- 
denden Seite  des  Cylinders  fortschreitet,  gleichmässig  ändert,  und 
man  kann  daher  für  einen  Punct,  welcher  von  dem  ersten  Kreis- 
umfange um  die  Strecke  s  entfernt  ist,  setzen: 

F+  Ü=K  +  ^'~-^  0. 

c 

Demnach  erhält  man  für  den  auf  die  Cylinderfläche  bezüglichen 
Theil  des  Integrales,  in  welchem  da  mit  dem  Index  3  versehen 
werden  soll: 


(^+^-^ä<o,  =  2^aJ     (^-f^^l—^,). 


(«2  +  ^2)3,, 


2  7ta 


Vä^ 


c'  L 


c     ,     ,-^  ^^,   V  a'  A-  c 


K^^{K,-K) 


V^^ 


Denkt  man  sich  diesen  Ausdruck  wieder  nach  Potenzen  von  —  ent- 

a 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  85 


wickelt,  und  vernachlässigt  die  Glieder  von  höherer  als  erster  Ord- 
nung, so  kommt: 

d  (  -  ) 


(7) 


(32)  /     (V^U)  -^  da>,  =  ^{K+K,)  ^ 

Vereinigen  wir  nun  die  drei  unter  (30),  (31)  und  (32)  gegebe- 
nen Theile  des  Integrales,  so  erhalten  wir : 

J     (F+£^)-^^«=-2^/i:+2^Zi(l-0  +  ;r(ir+^O^, 

oder  anders  geordnet: 

.  /1\ 

2.(x,-ü:)(i-i£). 

Diesen  Werth  des  Integrales  haben  wir  auf  die  Gleichung  (29) 
anzuwenden,  wodurch  entsteht: 

(34)  U'  =  27cE{K,-K)(\-\^y 

Hierin  wollen  wir  noch  die  Bezeichnung  ein  Wenig  ändern.  Da 
wir  von  jetzt  an  die  Potentialfunctionen  Fund  CTnur  in  den  Mit- 
ten der  beiden  Belegungen  zu  betrachten  haben,  so  wollen  wir  die 
Werthe,  welche  die  Potentialfunctionen  in  der  Mitte  der  Belegung 
A  haben,  einfach  mit  V  und  C/",  und  die  Werthe,  welche  sie  in  der 
Mitte  der  Belegung  B  haben,  mit  Fi  und  JJi  bezeichnen.  Dann 
ist  zu  setzen: 

K  =  V  -\-  V 

und  zugleich  ist ,  da  der  Punct  p'  sich  in  der  Mitte  der  Belegung 
A  befinden  soll,  zu  setzen: 

U'  =U. 

Dadurch  geht  die  Gleichung  (34)  über  in: 

(35)  ü=27tE(V,+  U,-  V-  U)(l  -l{)' 

Um  die  entsprechende  Gleichung  für  den  Fall,  wo  der  Punct 
p'  sich  in  der  Mitte  der  Belegung  B  befindet,  zu  bilden,  braucht 
man  in  der  vorigen  Gleichung  nur  die  Buchstaben  mit  und  ohne 
Index  zu  vertauschen,  also : 


86  -  Abschnitt  III. 

(36)        ü,  =  27tE(V-i-  U-  Fl-  U0(l  -^1)- 

Subtraliirt  man  diese  beiden  Gleichungen  von  einander,   so 
kommt : 

U-  U,  =  -4:7tE(V+  U-  Fl-  C/-i)(l-i^), 

und  hieraus  ergiebt  sich  die  gesuchte  zur  Bestimmung  der  Poten- 
tiahiiveaudifferenz  U—Ui  dienende  Gleichung,  welche,  unter  Ver- 
nachlässigung der  höheren  Gheder,  in  folgender  Form  geschrie- 
ben werden  kann: 

(37)  u-u.  =  -  ^^  (i  -  5(rT45^  ■  ^)(^'-  ^'> 

Von  dieser  Gleichung  wollen  wir  im  Folgenden  Gebrauch  machen. 

Zu  dem  Zwecke  ist  noch  eine  Bemerkung  nöthig.  Die  in  die- 
ser Gleichung  vorkommende  Differenz  F  —  Fi  hat  bei  einer  ge- 
ladenen Franklin'schen  Tafel  nicht  ganz  genau  denselben  Werth, 
welchen  man  in  dem  Falle  erhalten  würde,  wenn  die  beiden  Bele- 
gungen mit  eben  so  grossen  Electricitätsmengen  geladen  wären, 
aber  das  Glas  keinen  polaren  Zustand  angenommen  hätte.  Durch 
diesen  Zustand  des  Glases  wird  nämlich  bewirkt,  dass  die  Electri- 
cität  auf  den  Belegungen  eine  etwas  andere  Anordnung  annimmt, 
als  die,  welche  sie  ohne  denselben  annehmen  würde.  Der  Unter- 
schied in  der  Anordnung  der  Electricität  kann  aber  nur  ein  sehr 
geringer  sein. 

Die  Electricität  auf  den  Belegungen  würde  sich  nämlich  schon 
in  dem  Falle ,  wenn  das  Glas  nur  einfach  als  Isolator  wirkte,  so 
nahe  gleichmässig  über  die  ganzen  Flächen  verbreiten,  dass,  mit 
Ausnahme  der  Stellen  in  unmittelbarer  Nähe  des  Randes,  die  an 
irgend  einer  Stelle  stattfindende  Dichtigkeit  von  der  mittleren 
Dichtigkeit  nur  um  eine  Grösse  abweichen  würde,  die  im  Verhält- 

niss  zur  ganzen  Dichtigkeit  von  der  Ordnung  —  wäre.    Da  nun 

der  im  Glase  eintretende  polare  Zustand  nur  bewirken  kann,  dass 
die  Electricität  auf  den  Belegungen  sich  noch  gleichmässiger  ver- 
breitet ,  als  es  ohne  diesen  Zustand  geschehen  würde ,  so  können 
die  dadurch  eintretenden  Aenderungen  in  der  Dichtigkeit  jeden- 

c 
falls  auch  nur  Grössen  von  der  Ordnung  —  sein.    Die  durch  diese 

a 

kleinen  Aenderungen  der  Electricitätsvertheilung  bewirkte  Aende- 

rung  der  Potentialniveaudifferenz   F  —  Fi  kann  natürlich  auch 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  87 

nur  eine  Grösse  sein,  welche  im  Verhältniss  zu  ihrem  ganzen  Werthe 
von  derselben  Ordnung,  also  von  der  Ordnung  —  ist. 

In  den  vorstehenden  Rechnungen  haben  wir  bei  den  Reihen- 

entwickelungen  nach  —  die  Glieder  erster  Ordnung  noch  berück- 

a 

sichtigt,  dagegen  die  Glieder  von  höheren  Ordnungen  vernach- 
lässigt. Wenn  wir  uns  aber  mit  einem  geringeren  Grade  von  Ge- 
nauigkeit begnügen,  und  auch  die  Glieder  erster  Ordnung  ver- 
nachlässigen wollen ,  so  können  wir  den  in  der  so  vereinfachten 
Gleichung  vorkommenden  Werth  von  V  —  Vi  ohne  Weiteres  als 
gleichbedeutend  betrachten  mit  demjenigen  Werthe,  welchen  mau 
bei  denselben  Electricitätsmengen  ohne  den  polaren  Zustand  des 
Glases  erhalten  würde. 

Von  der  so  vereinfachten  Gleichung  lässt  sich  ferner  sagen, 
dass  sie  nicht  bloss  für  Franklin 'sehe  Tafeln  mit  kreisförmigen 
Belegungen,  sondern  auch  für  Franklin 'sehe  Tafeln  mit  anders 
gestalteten  Belegungen  und  auch  für  Leidener  Flaschen  gilt.  Es 
zeigt  sich  nämlich  in  den  vorstehenden  Rechnungen,  dass  die  auf 
den  Umfang  bezüglichen  Glieder,  welche  allein  von  der  angenom- 

c 
menen  Kreisgestalt  abhängen,  von  der  Ordnung  —  sind,  und  all- 

gemein  kann  man  sagen,  dass  die  von  der  Gestalt  der  Belegungen 

c 
abhängigen  Glieder  von  der  Ordnung     , —  sind,  wenn  s  der  Flä- 

V  s 
cheninhalt   der  Belegungen  ist.     Was  ferner  die  von  der  Krüm- 
mung der  Flächen  abhängigen  Glieder  anbetrifft,  so  können  diese, 
wenn  die  Krümmungen  nicht  so  stark  sind,  dass  die  Krümmungs- 

radien  gegen  ]/  s  klein  sind,  auch  nur  von  der  Ordnung      sein. 

y  s 

Es  ergiebt  sich  hieraus,  dass  man  durch  Vernachlässigung  der 
Glieder  von  der  Ordnung     , —  eine  Gleichung  erhält,  welche  von 

y  s 

der  Gestalt  und  Krümmung  der  Belegungen  unabhängig  ist. 
In  der  so  vereinfachten  Form  lautet  die  Gleichung  (37) : 

(38)  ü-U.^-^^^iV-V,). 

An  diese   Gleichung    können  wir  sofort   auch   diejenige  an- 
schliessen,  welche  die  ganze  wirklich  stattfindende  Potentialniveau- 


88  Abschnitt  III. 

clifferenz  der  beiden  Belegungen  ausdrückt.  Die  gesammte  Poten- 
tialfunction  aller  getrennten  Electricitätsmengen  (sowohl  der  auf 
den  Belegungen,  als  auch  der  auf  den  polaren  Glastheilchen  be- 
findlichen) ist  innerhalb  der  einen  Belegung  V  -\-  U  und  inner- 
halb der  anderen  Belegung  Vi  -|-  Ui  und  die  zwischen  den  Bele- 
gungen im  Ganzen  stattfindende  Potentialniveaudifferenz  ist  somit 
V  -\-  U  —  Vi  —  üi.  Diese  Grösse  erhalten  wir ,  wenn  wir  an 
beiden  Seiten  der  vorigen  Gleichung  V —  Vi  hinzuaddiren.  Da- 
durch kommt: 

(39)  V+  U-Vi-Ui  =  YT^^  ^^  ~  ^'^' 

Diese  Gleichung  sagt  aus,  dass  die  Potentialniveaudifierenz,  welche 
bei  der  Ladung  einer  Franklin'schen  Tafel  oder  Leidener  Flasche 
mit  gewissen  Electricitätsmengen  wirklich  eintritt,  im  Verhältnisse 

von  - — i — 7—^:;:  1  kleiner  ist,  als  dieienige  Potentialniveaudifferenz, 

1  -f  4:7tE  5  J      b  5 

welche  bei  Anwendung  derselben  Electricitätsmengen  eintreten 
würde,  wenn  das  Glas  keinen  polaren  Zustand  annähme,  sondern 
einfach  als  Isolator  wirkte. 

Die  beiden  vorigen  Gleichungen  kann  man  noch  in  der  Weise 
abändern,  dass  man  an  der  rechten  Seite  statt  der  Grösse  V —  Vi 
eine  der  betreffenden  Electricitätsmengen  einführt.  Die  auf  den 
beiden  Belegungen  befindlichen  Electricitätsmengen  können  bei 
dem  jetzt  von  uns  als  genügend  betrachteten  Grade  von  Genauig- 
keit als  den  absoluten  Werthen  nach  unter  einander  gleich  ange- 
sehen und  daher  durch  Q  und  —  Q  bezeichnet  werden.  Zur  Be- 
stimmung der  Grösse  Q  dient  folgende  Gleichung,  welche  der  er- 
sten der  unter  (38)  im  vorigen  Abschnitt  stehenden  Gleichungen 
entspricht,  wenn  man  darin  d  gegen  1  vernachlässigt  und  das 
Glied,  welches  nicht  c  im  Nenner  hat,  fortlässt : 

Mit  Hülfe  dieser  Gleichung  lassen  sich  die  beiden  vorigen  um- 
formen in: 

(41)  J7_p^  =  ___.____^ 

(42)  F+P-F,-C/.  =  i^.^^e. 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  89 


§.  7.    Vollständige  Gleichungen  für  die  beiden  Belegun- 
gen einer  Leidener  Flasche. 

Nachdem  im  vorigen  Paragraphen  die  Beziehung  zwischen 
der  Potentialniveaudifferenz  V  -{-  U  —  Vi  —  Ui  und  den  auf  den 
Belegungen  befindlichen  Electricitätsmengen  so  weit  bestimmt  ist, 
dass  die  zwischen  den  absoluten  Werthen  dieser  beiden  Electrici- 
tätsmengen bestehende  kleine  Differenz  vernachlässigt  ist,  können 
wir  auch  die  vollständigen  Ausdrücke  der  Electricitätsmengen  bil- 
den, worin  dann  freilich  einige  Constante  unbestimmt  bleiben,  ganz 
den  Ausdrücken  entsprechend,  welche  am  Schlüsse  des  vorigen  Ab- 
schnittes für  den  Fall  aufgestellt  wurden,  wo  die  die  Belegungen 
trennende  Zwischenschicht  nur  als  einfacher  Isolator  angenom- 
men ist. 

Bezeichnen  wir  wieder,  wie  es  dort  geschah,  die  Werthe  der 
gesammten  Potentialfunction  auf  der  inneren  und  äusseren  Bele- 
gung mit  F  und  G^  indem  wir  setzen : 
(43)  F+  C/  =  J'  und  Fl  -f  f/i  =  (?, 

und  bezeichnen  wir  ferner  die  auf  den  beiden  Belegungen  befind- 
lichen Electricitätsmengen  mit  M  und  iV,  so  müssen  zwischen  den 
Grössen  F^  (r,  Jf  und  JV  jedenfalls  die  im  vorigen  Abschnitte  un- 
ter (30)  angeführten  Gleichungen 

j  M=a  (F  -  G)  ^aF 
^^^^  \N  =  a{G-F)-^ßG 

bestehen.  Diese  Gleichungen  gelten  nämlich  für  jede  zwei  lei- 
tende Körper,  in  deren  Nähe  sich  noch  beliebige  andere  leitende 
Körper  befinden  dürfen,  welche  entweder  mit  der  Erde  in  leiten- 
der Verbindung  stehen,  oder,  falls  sie  isolirt  sind,  keine  Electrici- 
tät  mitgetheilt  erhalten.  Die  letztere  Bedingung,  keine  Electrici- 
tät  mitgetheilt  zu  erhalten,  ist  nun  für  die  im  Inneren  des  Glases 
befindlichen  leitenden  Körpertheilchen  erfüllt,  und  das  Vorhanden- 
sein dieser  Körpertheilchen  kann  daher  die  Gültigkeit  der  Glei- 
chungen nicht  aufheben. 

Was  nun  die  in  den  Gleichungen  vorkommenden  Constanten 
anbetrifft,  so  wurde  die  Grösse  a  für  eine  Leidener  Flasche ,  zwi- 
schen deren  Belegungen  sich  nur  ein  einfacher  Isolator  befindet, 
im  vorigen  Abschnitte  durch  folgenden  Ausdruck  dargestellt: 


90  Abschnitt  III. 

a  =  j^  (1  +  d), 

worin  d  eine  Grösse  ist,  deren  Werth  nicht  für  alle  Flaschen 
gleich,  aber  jedenfalls  immer  gegen  die  Einheit  klein  ist.  Diesen 
Ausdruck  müssen  wir  nun  für  den  Fall,  wo  sich  zwischen  den  Be- 
legungen ein  Dielectricum  befindet,  etwas  abändern,  und  zwar 
müssen  wir,  wie  sich  ohne  Weiteres  aus  der  im  vorigen  Paragra- 

s 

4:7t  C 


phen   gegebenen    Gleichung  (42)  ersehen   lässt,  die  Grösse 


durch (1  -\~  4:7t  E)  ersetzen,  während  man  8  einfach  als  eine 

4jrc  ^      '  ^ 

unbestimmte,    aber  gegen  die  Einheit  kleine  Grösse  beibehalten 

kann.  Der  Ausdruck  von  a  nimmt  also  die  nachstehende  Form  an : 

(45)  a  =  ^{l  +  47tE)(lJrd). 

Demnach  erhalten  wir  für  eine  Leidener  Flasche  statt  der  im  vori- 
gen Abschnitte  unter  (38)  gegebenen  Gleichungen  die  folgenden: 


(46) 


^^  =  4^  (^  +  '^^^'^  ^^  +  d)  (F  -  (?)  +  aF 
N  =  j^(^+  ^^E)  (l^ö)(a-F)-j-ß  G. 


Ueber  die  Bedeutung  der  Constanten  a  und  ß  gilt  hier  das- 
selbe, was  in  §.  7  des  vorigen  Abschnittes  gesagt  ist.  Sie  stellen 
nämlich  die  Electricitätsmengen  dar,  welche  man  den  beiden  Be- 
legungen der  Flasche  mittheilen  müsste,  wenn  man  sie  beide 
bis  zu  dem  gemeinsamen  Potentialnrveau  1  laden 
wollte. 

Um  die  vorstehenden  Gleichungen  für  die  Anwendung  beque- 
mer zu  machen,  wollen  wir  wieder,  wie  in  §.  8  des  vorigen  Ab- 
schnittes ,  ein  vereinfachtes  Zeichen  einführen.  Wir  wollen  näm- 
lich setzen: 

.  _  4.7tC 

^^^^  '''~  (1  +47tE){l-^8)' 

dann  lauten  die  Gleichungen  ebenso,  wie  die  dort  unter  (40)  an- 
geführten, nämlich: 


(48) 


M=~{F  -  G)-f-  aF 
N  =  ^{G  -  F)  +  ßG. 


Behandlung  clielectrischer  Medien. 


91 


Ferner  wollen  wir  auch  liier  für  die  Belianflliing  des  speciel- 
len,  aber  besonders  oft  vorkommenden  Falles,  wo  die  äussere  Be- 
legung mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  steht ,  und  somit 
G  =  0  ist,  neben  dem  griechischen  Buchstaben  %  noch  den  lateini- 
schen Buchstaben  Je  einführen,  dessen  Bedeutung  durch  die  Glei- 
chung 

(«)  1  =  7  +  " 

bestimmt  wird,  woraus  sich  ergiebt: 
(50)        Jc=  


Atcc 


l  +  «7        (l-|-47rÄ)(l+ö0  4-«^ 


Dadurch  nehmen  die  Gleichungen  (48)  wieder  die  im  vorigen  Ab- 
schnitte und  (44)  gegebene  Form  an,  nämlich: 


(51) 


G)-{-  aG 
und  gehen  für  den  vorher  erwähnten  Fall,  wo  Cr  =  0  ist,  über  in : 


N 


(52) 


M=±F 


N 


") 


Man  sieht  also,  dass  die  Gleichungen,  welche  die  Beziehun- 
gen zwischen  den  Grössen  F,  (r,  31  und  N  ausdrücken ,  für  eine 
Leidener  Flasche,  bei  der  sich  ein  Dielectricum  zwischen  den  Be- 
legungen befindet,  dieselben  Formen  haben,  wie  für  eine  solche 
Leidener  Flasche,  bei  der  sich  ein  einfacher  Isolator  zwischen  den 
Belegungen  befindet,  und  dass  der  Unterschied  nur  in  den  ver- 
schiedenen Werthen  der  in  den  Gleichungen  vorkommenden  Con- 
stanten liegt. 


8.    Behandlung  der  Dielectrica  von  Helmholtz  und 
Maxwell. 


Obwohl  für  unsere  im  folgenden  Abschnitte  zu  gebenden  An- 
wendungen die  vorstehenden  Entwickelungen  schon  ausreichend 
sind,  so  wird  es  doch  nicht  ohne  Interesse  sein,  wenn  ich  im  i^n- 


92  Abschnitt  III. 

Schlüsse  an  dieselben  auch  die  von  Helmholtz  und  Maxwell  ge- 
gebenen Erweiterungen  der  auf  Dielectrica  bezüglichen  Gleichun- 
gen mittheile. 

Helmholtz  in  seiner  bekannten  schönen  Abhandlung  über 
die  Bewegung  der  Electricität  in  ruhenden  Leitern  i)  hat  auf  die 
Dielectrica  ebenfalls  die  Behandlungsweise  angewandt,  durch 
welche  Poisson  das  Verhalten  magnetischer  Körper  unter  dem 
Einflüsse  magnetischer  Kräfte  abzuleiten  gesucht  hat, 

Maxwell  hat  eine  ganz  neue,  nicht  bloss  auf  das  Verhalten 
dielectrischer  Körper,  sondern  auf  das  ganze  Wesen  der  Electri- 
cität bezügliche  Ansicht  aufgestellt ,  deren  Hauptpuncte  er  schon 
in  einer  1865  erschienenen  Abhandlung  2)  mitgetheilt  und  deren 
vollständige  Entwickelung  er  dann  in  seinem  1873  erschienenen 
wichtigen  Werke  „Ä  Treatise  of  Eleciricity  and  Magnetism^^  gege- 
ben hat. 

Maxwell  betrachtet  die  Electricität  als  ein  incompressibles 
Fluidum,  welches  allen  Raum  erfüllt.  Denkt  man  sich  nun  einen 
Körper  mit  einer  ihm  noch  besonders  mitgetheilten  Electricitäts- 
menge  geladen,  so  wird  dadurch  die  Electricität  des  umgebenden 
Mediums  nach  Aussen  geschoben,  so  dass  in  jedem  Raumtheile 
doch  nur  eben  so  viel  Electricität  vorhanden  ist,  wie  vorher,  als 
der  Körper  noch  unelectrisch  war.  Aber  durch  die  Verschiebung 
der  Electricität  des  Mediums  ist  eine  elastische  Gegenkraft  ent- 
standen ,  welche  die  verschobenen  Electricitätstheilchen  wieder  in 
ihre  ursprünglichen  Lagen  zurückzubringen  sucht.  Aus  dieser 
electrischen  Elasticität  des  Mediums  erklärt  Maxwell  die  Kräfte, 
welche  electrische  Körper  auf  einander  ausüben.  Die  verschiede- 
nen dielectrischen  Medien  unterscheiden  sich  nun  nach  Maxwell 
dadurch  von  einander,  dass  ihre  electrischen  Elasticitäts- 
coefficienten  verschieden  sind. 

Trotz  dieser  Verschiedenheit  der  Grundvorstellung  sind  doch 
die  Gleichungen,  zu  welchen  Maxwell  gelangt,  ganz  überein- 
stimmend mit  den  sonst  gebräuchlichen,  und  dieses  gilt  auch  spe- 
ciell  von  den  auf  Dielectrica  bezüglichen  Gleichungen ;  nur  muss 
man  den  in  den  Gleichungen  vorkommenden  Grössen  die  der 
Maxwell'schen  Vorstellung  entsprechenden  Bedeutungen  bei- 
legen. 


1)  Borchardt's  Journal.   Bd.  72,    1870. 

2)  Philosojahical  Transactions  for  1865  p.  459. 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  93 


"ö 


Eine  Hauptgrösse,  welche  er  nach  Faraday  the  Specific  In- 
ductive  Capacity  of  the  dielectric  medium  nennt  und  mit  K  bezeich- 
net, definirt  er  als  das  Verhältniss  der  Capacitat  eines  Ansamm- 
lers,  welcher  als  isolirende  Zwischenschicht  das  betreffende  Dielec- 
tricum  hat,  zu  der  Capacitat  eines  Ansammlers  von  derselben 
Form  und  Grösse,  welcher  aber  als  isolirende  Zwischenschicht  Luft 
hat.  Hierbei  nimmt  Maxwell  an,  dass  die  Dichtigkeit  der  Luft 
auf  die  Capacitat  des  Ansammlers  keinen  merklichen  Einfiuss 
habe.  Will  man  diese  Annahme,  welche  nur  angenähert  richtig 
ist,  nicht  machen,  sondern  die  kleinen  Unterschiede,  welche  durch 
verschiedene  Dichtigkeiten  der  Luft  veranlasst  werden  können, 
auch  noch  berücksichtigen,  so  thut  man  besser,  sich  in  dem  zur 
Vergleichung  gewählten  Ansammler  den  Zwischenraum  nicht  mit 
Luft  gefüllt,  sondern  von  aller  ponderablen  Masse  frei  und  somit 
nur  mit  Aether  gefüllt  zu  denken.  Diese  Grösse  K  steht  zu  sei- 
nem electrischen  Elasticitätscoefficienten ,  welcher  mit  p  bezeich- 
net werden  möge,  in  folgender  Beziehung: 

p 

Um  die  Beziehung  dieser  Grösse  K  zu  der  im  vorigen  Para- 
graphen angewandten  Grösse  E  abzuleiten,  brauchen  wir  nur  die 
Resultate  der  dort  angestellten  Rechnungen  mit  der  von  Maxwell 
gegebenen  Definition  zu  vergleichen.  Für  eine  Franklin'sche 
Tafel  oder  Leidener  Flasche  haben  wir  gemäss  (40)  und  (42)  zu 
setzen : 

Hierin  stellt  V  —  Fi  die  Potentialniveaudifferenz  dar,  welche  zwi- 
schen den  mit  den  Electricitätsmengen  Q  und  —  Q  geladenen  Be- 
legungen stattfinden  würde,  wenn  die  Zwischenschicht  keinen  pon- 
derablen Stoff  enthielte ,  und  F  -|-  TJ  —  Fi  —  C/i  die  Potential- 
niveaudifferenz,  welche  unter  Mitwirkung  des  in  der  Zwischen- 
schicht enthaltenen  ponderablen  Stoffes  entsteht.  Die  vor  den 
Klammern  stehenden  Factoren  bedeuten  also  die  den  beiden  Fäl- 
len entsprechenden  Capacitäten  des  Ansammlers ,  und  indem  wir 
das  Verhältniss  dieser  Factoren  gleich  K  setzen,  erhalten  wir : 
(53)  K=l-\-  4.nE. 


94  Abschnitt  III. 

Setzen  wir  hierin  noch  für  E  den  unter  gewissen  Voraussetzungen 
abzuleitenden,  in  §.  4  unter  (19)  gegebenen  Ausdruck,  so  kommt: 

(54)  K  =  \±^. 

Man  kann  bei  der  Aufstellung  der  auf  dielectrische  Medien 
bezüglichen  Gleichungen  auch  den  von  ponderabler  Masse  freien 
und  nur  Aether  enthaltenden  Raum  als  ein  Dielectricum  behan- 
deln, für  welchen  die  Max  well' sehe  specifische  inductive  Capa- 
cität  K  den  speciellen  Werth  1  hat,  und  die  Grössen  E  und  g  den 
speciellen  Werth  0  haben. 

Für  den  Fall,  wo  mehrere  aneinander  grenzende  Dielectrica 
verschiedener  Art  gegeben  sind,  lassen  sich  die  Gleichungen  eben- 
falls aus  den  vorigen  ableiten ,  und  es  mögen  die  Formen ,  welche 
Helmholtz  und  Maxwell  den  Gleichungen  für  diesen  allgemei- 
neren Fall  gegeben  haben,  hier  auch  noch  mitgetheilt  werden. 

Es  seien  zunächst  zwei  an  einander  grenzende  dielectrische 
Media  gegeben,  für  welche  E  die  Werthe  ^i  und  ^2  ii^be,  und 
welche  beide  unter  dem  Einflüsse  von  gegebenen  Electricitäten 
und  zugleich  unter  ihrem  gegenseitigen  Einflüsse  electrisch  polar 
geworden  sind,  und  es  handle  sich  darum,  unter  diesen  Umstän- 
den die  Potentialfunctionen  TJi  und  ü^  der  beiden  Media  zu  be- 
stimmen. Dazu  können  wir  die  Gleichung  (22)  anwenden,  müssen 
aber  dabei  den  Umstand  berücksichtigen,  dass  auf  jedes  der  Me- 
dien ausser  den  gegebenen  Electricitäten,  deren  Potentialfunction 
V  ist,  auch  noch  das  andere  Medium  einwirkt.  Wir  haben  also 
bei  Behandlung  des  ersten  Mediums  V  -\-  U2  und  bei  Behandlung 
des  zweiten  Mediums  V-\-  Ui  an  die  Stelle  von  V  zu  setzen.  Dem- 
nach erhalten  wir  die  beiden  Gleichungen : 

J    r  dui  '  J  r  ^^-^dxy  dx  ) 

J    r  dn^  ^   '  J    r^^dx\  dx  )     ' 

worin  sich  die  Integrale  nach  a^  und  x^  auf  die  Oberfläche  und 
das  Volumen  des  ersten  Mediums  und  die  Integrale  nach  02  und 
7^2  auf  die  Oberfläche  und  das  Volumen  des  zweiten  Mediums  be- 
ziehen. Wenn  wir  diese  Gleichungen  addiren,  und  dabei  die  Po- 
tentialfunction beider  Medien  zusammen,  also  die  Summe  C/j  -}-  TJ^ 
mit  f7  bezeichnen,  erhalten  wir: 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  95 

In  Bezug  auf  die  Volumenintegrale  folgt  aus  dieser  Gleichung 
nichts  Anderes,  als  was  sich  schon  aus  der  in  §.  5  gegebenen,  auf 
ein  einzelnes  Medium  bezüglichen  Gleichung  (22)  ergiebt.  Man 
kann  nämlich  die  beiden  Integrale,  welche  dvi  und  dz^  enthalten, 
und  welche  sich  auf  die  von  den  beiden  Medien  erfüllten  Räume 
erstrecken  sollen,  in  das  Eine  Integral 


J   r  ■^ 


dx  \  dx 


zusammenfassen,  welches  sich  auf  den  ganzen  von  beiden  Medien 
zusammen  erfüllten  Raum  erstrecken  soll,  und  worin  E  für  beide 
Medien  gilt,  indem  es  in  dem  einen  gleich  E^  und  in  dem  anderen 
gleich  E2  ist.  Aus  dieser  Form  des  Integrals  folgt  dann,  dass  die 
in  §,  5  unter  (24)  gegebene  Gleichung  sich  auch  auf  zwei  Medien, 
und,  wie  gleich  hinzugefügt  werden  kann,  auf  beliebig  viele  Me- 
dien beziehen  lässt.  In  dieser  verallgemeinerten  Bedeutung  möge 
die  Gleichung  hier  noch  einmal  angeführt  werden: 

In  Bezug  auf  die  in  (55)  vorkommenden  Oberflächenintegrale 
tritt  für  die  Trennungsfläche  der  beiden  Medien  ein  bisher  noch 
nicht  besprochenes  Verhalten  ein.  Da  diese  Fläche  nämlich  Ober- 
fläche beider  Medien  ist,  so  beziehen  sich  auf  sie  beide  Oberflächen- 
integrale. Wollen  wir  also  für  diese  Fläche  die  Gleichung  bilden, 
welche  der  in  §.  5  gegebenen  Gleichung  (23)  entspricht,  so  haben 
wir  dabei  an  der  rechten  Seite  zwei  Glieder  zu  setzen,  nämlich: 


Hierin  kann  man  die  Form  der  linken  Seite  noch  etwas  mehr  der- 
jenigen der  rechten  Seite  anpassen.  Die  Zeichen  Wi  und  n^  bedeu- 
ten nämlich  die  auf  einem  und  demselben  Flächenelemente  nach 
beiden  Medien  hin  errichteten  Normalen.  Betrachten  wir  nun  die 
nach  dem  ersten  Medium  hin  gehende  Normalrichtung  als  die  po- 
sitive, so  können  wir  schreiben: 


96  Absclinitt  III. 

dU\    _  dlT^    /dU\    _       dU 
dnj+o       öwi'    \dn/—o  dfii'' 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

(57)       |^  +  |£  =  -4.(£,»(I+iQ  +  ^,»-i^tiQ 

Diese  Gleichung  ist  zunächst  nur  für  die  Trennungsfläche 
zweier  Dielectrica  abgeleitet.  Man  kann  ihr  aber  auch  eine  allge- 
meinere Bedeutung  geben.  Man  kann  nämlich,  wie  schon  oben 
gesagt,  auch  den  von  ponderabler  Masse  freien  und  nur  Aether 
enthaltenden  Kaum  als  ein  Dielectricum  behandeln ,  in  welchem 
E  den  Werth  Null  hat.  Ferner  kann  man  einen  die  Electricität 
leitenden  Körper  als  ein  Dielectricum  behandeln,  in  welchem  E 
unendlich  gross  ist.  Auf  diese  Weise  kann  man  die  vorige  Glei- 
chung auf  alle  vorkommenden  Grenzflächen  anwenden. 

Die    Gleichungen  (56)    und   (57)    drücken    Beziehungen    der 
Grösse  U  zu  der  Summe   V  -\-  U  aus.    Man  kann  aus  ihnen  aber 
,  auch  leicht  Gleichungen  gewinnen,  welche  Beziehungen  der  Grösse 
V  zu  der  Summe  V  -\-  U  ausdrücken. 

In  der  Gleichung  (56)  möge  zu  dem  Zwecke  an  der  linken 
Seite  z/  F  addirt  und  subtrahirt  werden,  wodurch  entsteht: 

8    /„8(F+i7)- 


_^r+^(F+P)  =  -4-S^(^        8. 
welche  Gleichung  sich  folgendermaassen  umformen  lässt; 


dx  \  dx 

wofür  man  einfacher  schreiben  kann: 

,s)        ..  =  2^[a  +  --)^-^^^} 

Führen  wir  hierin  noch  für  1  -\-  4:nE  das  Max  well' sehe  Zei- 
chen K  ein,  so  kommt : 


Behandlung  dielectrischer  Medien.  97 

In  der  Gleichung  (57)  addiren  und  subtrahiren  wir  an  der 

cV       dV 
linken  Seite 1-  - —  und  verfahren  dann  ähnlich,  wie  vorher, 

wodurch  wir  erhalten: 

(59)    IZ  +  £L  =  E,^^l+Il  +  K,^^L+Jä. 

C»X  Clio  CUi  '  Oh, 

In  diese  Gleichungen  können  wir  noch  die  Grössen  einführen, 
welche  ausdrücken,  welche  Dichtigkeit  diejenige  Electricität,  von 
welcher  V  die  Potentialfunction  ist,  an  den  betreffenden  Stellen 
hat.  Bezeichnen  wir,  wie  früher  die  Raumdichtigkeit  mit  Ä*  und 
die  Flächendichtigkeit  auf  der  betrachteten  Grenzfläche  mit  /?,  so 
ist  zu  setzen : 

z/F=  —  4t7cl 
dV    ,     dV        /dV\  /dV\  ,     , 

dni        CHo         \8??/-Lo       \Cn/-o 
und  dadurch  gehen  die  vorigen  Gleichungen  über  in: 

(61)  K,  Hljt^^l  +  K,  Hl+^  +  4  .;„  =  0. 

Dieses  sind  die  von  Helmhol tz  und  Maxwell  aufgestellten 
Gleichungen.  Maxwell  schreibt  darin  statt  V -\-  U  einfach  F, 
indem  er  die  ganze  Function,  deren  negative  Difierentialcoefficien- 
ten  die  Componenten  der  in  dem  Dielectricum  wirkenden  electri- 
schen  Gesammtkraft  darstellen,  mit  V  bezeichnet. 


Clausius,  mech.  Wännetheorie.    II. 


ABSCHNITT  IV. 


Das  mechanische  Aequivalent  einer  electrischen 

Entladung. 

§.  1,    Gesammtwirkiing  einer  Entladung. 

Nachdem  in  den  vorigen  Absclmitten  von  den  unter  verschie- 
denen Umständen  stattfindenden  electrischen  Ladungen  und  von 
dem  darauf  bezüglichen  Verhalten  der  Potentialfunction  die  Rede 
gewesen  ist,  müssen  wir  nun  die  Entladung  und  die  durch  sie 
entstehenden  Wirkungen  betrachten,  wobei  wir  unter  electri- 
scher  Entladung  jede  Aenderung  in  der  Anordnung  der  Elec- 
tricität  verstehen,  durch  welche  der  electrische  Zustand  der  ver- 
schiedenen Theile  eines  Systemes  von  leitenden  Körpern,  zu  denen 
auch  die  Erde  gehören  kann,  sich  ganz  oder  theilweise  ausgleicht. 

Während  der  in  der  Anordnung  der  Electricität  stattfinden- 
den Aenderung  und  der  damit  verbundenen  Bewegung  der  Elec- 
tricitätstheilchen  wird  von  den  electrischen  Kräften  Arbeit  gelei- 
stet. Diese  von  Kräften,  welche  dem  Quadrate  der  Entfernung 
umgekehrt  proportional  sind,  geleistete  Arbeit  lässt  sich- auf  sehr 
einfache  Art  bestimmen  i).  Sie  ist  von  der  Art,  wie  die  Bewegun- 
gen der  Electricitätstheilchen  stattfinden,  ganz  unabhängig  und 
hängt  nur  von  den  Anfangs-  und  Endlagen  derselben  ab,  und  zwar 
wird  sie  dargestellt  durch  die  bei  der  Entladung  eingetretene  Ab- 


1)  Siehe  darüber  mein  Buch  „Die  Potentialfunction  und  das  Potential", 
dritte  Auflp,ge,  §.  65. 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  99 

nähme  des  Potentials  der  gesammten  Electricität  auf 
sich  selbst. 

Durch  diese  von  den  electrischen  Kräften  gethane  Arbeit  kön- 
nen nun  zunächst  gewisse  Wirkungen  hervorgebracht  werden,  bei 
welchen  andere  Kräfte  zu  überwinden  sind ,  und  von  denen  einige 
der  gewöhnlichsten  folgende  sind.  Es  springen  an  einer  oder  meh- 
reren Stellen  electrische  Funken  über,  wobei  eine  Luftschicht  oder 
ein  anderer  nichtleitender  Körper  von  der  Electricität  durchbro- 
chen wird.  —  Wenn  der  electrische  Strom  an  einer  Stelle  durch 
einen  sehr  dünnen  Draht  geht,  so  erleidet  dieser  mechanische  Ver- 
änderungen, welche  von  kleinen,  kaum  merkbaren  Einknickungen 
bis  zum  vollständigen  Zerstäuben  variiren  können.  —  Wenn  der 
Strom  durch  electrolytische  Körper  geht,  so  treten  chemische  Zer- 
setzungen ein.  —  In  Körpern,  welche  sich  in  der  Nähe  der  durch- 
strömten Leiter  befinden,  können  Inductionsströme  oder  magne- 
tische Wirkungen  hervorgerufen  werden  —  etc. 

Zu  diesen  verschiedenen  Wirkungen  wird  ein  Theil  der  gan- 
zen von  den  electrischen  Kräften  geleisteten  Arbeit  verbraucht. 
Der  übrige  Theil  der  Arbeit  verwandelt  sich  in  den  Leitern  in 
Wärme. 

Wenn  wir  die  Wärme  nach  mechanischem  Maasse,  d.  h.  nach 
der  ihr  entsprechenden  mechanischen  Arbeit  messeti,  und  auch  die 
anderen  vorher  genannten  Wirkungen  durch  die  zu  ihnen  ver- 
brauchten Arbeitsgrössen  ausdrücken,  so  können  wir  sie  sämmt- 
lich  in  eine  algebraische  Summe  vereinigen  und  diese  kurz  die 
Summe  aller  durch  die  electrische  Entladung  hervorgebrachten 
Wirkungen  nennen.  In  Bezug  auf  diese  gilt  dann  dem  Obigen 
nach  folgender  einfacher  Satz,  welchen  wir  als  Hauptsatz  den 
nachstehenden  Betrachtungen  zu  Grunde  legen : 

Die  Summe  aller  durch  eine  electrische  Entladung 
hervorgebrachten  Wirkungen  ist  gleich  der  da- 
bei eingetretenen  Abnahme  des  Potentials  der  ge- 
sammten Electricität  auf  sich  selbst. 

§.  2.    Potential  einer  geladenen  Leidener  Flasche 
oder  Batterie. 

Indem  wir  nun  als  Beispiel  eines  Körpersystemes,  welches  mit 
Electricität  geladen  und  wieder  entladen  werden  kann,  die  Leide- 
ner Flasche  wählen,  handelt  es  sich  darum,  bei  einer  geladenen 

7* 


100  Absclinitt  IV. 

Leidener  Flasche  das  Potential  der  gesammten  Electricität  auf 
sich  selbst  zu  bestimmen,  wobei  unter  der  gesammten  Electricität 
nicht  bloss  die  auf  den  beiden  Belegungen  befindlichen  Electrici- 
tätsmengen  zu  verstehen  sind,  sondern  auch  die  sämmtlichen  klei- 
nen Electricitätsmengen ,  welche  sich  im  Inneren  des  Glases  auf 
den  electrisch  polaren  Partikelchen  befinden. 

Seien  dq  und  dcl  irgend  zwei  Electricitätselemente  und  r  ihr 
gegenseitiger  Abstand,  so  wird  das  Potential  der  gesammten  Elec- 
tricität auf  sich  selbst,  welches  wir  mit  W  bezeichnen  wollen, 
durch  folgende  Gleichung  bestimmt: 

(1)  w^ijj'-ifi-, 

worin  die  beiden  angedeuteten  Integrationen  über  alle  gegebenen, 
theils  positiven,  theils  negativen  Electricitätsmengen  auszuführen 
sind.  Da  nun  andererseits,  wenn  die  Potentialfunction  aller  gege- 
benen Electricitätsmengen  an  dem  Puncto  (a;,  «/,  0),  wo  das  Ele- 
ment d(i  sich  befindet,  mit  F  bezeichnet  wird,  die  Gleichung 

(2)  y=f'4 

gilt,  so  können  wir  die  vorige  Gleichung  auch  so  schreiben: 

(3)  W  =  \Jvdci. 

In  unserem  gegenwärtigen  Falle  ist  es  aber  zweckmässig,  die- 
ser letzteren  Gleichung  noch  eine  etwas  andere  Form  zu  geben, 
nämlich  die  Potentialfunction  der  Electricitätsmengen,  welche  sich 
auf  den  Belegungen  der  Flasche  befinden  von  der  Potentialfunction 
derjenigen  Electricitätsmengen,  welche  sich  im  Inneren  des  Gla- 
ses auf  den  polaren  Partikel chen  befinden,  zu  trennen,  und  beide 
durch  besondere  Zeichen  darzustellen.  Die  erstere  möge  mit  V 
und  die  letztere  mit  U  bezeichnet  werden,  so  dass  die  Potential- 
function aller  in  Betracht  kommenden  Electricitäten  durch  die 
Summe  V  -\-  ü  dargestellt  wird.  Dann  nimmt  die  vorige  Glei- 
chung folgende  Gestalt  an: 

(4)  W=\f{V-\-U)dq, 

worin  die  Integration  über  alle  auf  den  Belegungen  und  auf  den 
polaren  Glaspartikelchen  befindlichen  Electricitätsmengen  auszu- 
führen ist. 


Mech,  Ae(iuivtilent  einer  Entladung.  101 

Was  zunächst  die  auf  den  polaren  Glaspartikelchcn  Tjefind- 
liclien  Electricitätsmengen  anbetrifft,  so  lässt  sich  für  diese  die 
Integration  sehr  kurz  abmachen.  Wenn  ein  leitendes  Glastheil- 
chen  durch  Influenz  bis  zum  Gleichgewichtszustande  electrisch  po- 
lar geworden  ist,  so  ist  das  Potentialniveau  in  ihm  constant.  Da 
ferner  die  auf  ihm  befindlichen  getrennten  Electricitäten  aus  glei- 
chen Mengen  positiver  und  negativer  Electricität  bestehen ,  so  ist 
der  Theil  des  Integrales,  welcher  sich  auf  diese  beiden  Electricitäts- 
mengen bezieht,  Null.  Dasselbe  gilt  von'  allen  leitenden  Glastheil- 
chen  in  gleicher  Weise,  und  man  kann  daher  den  ganzen  Theil 
des  Integrales,  welcher  sich  auf  die  auf  den  leitenden  Glastheil- 
chen  befindlichen  getrennten  Electricitäten  bezieht,  ohne  Weiteres 
gleich  Null  setzen. 

Was  ferner  die  auf  den  Belegungen  befindlichen  Electricitäts- 
mengen anbetrifft,  so  findet  auch  bei  ihnen  eine  Vereinfachung 
statt,  indem  auf  jeder  Belegung  das  Potentialniveau  constant  ist. 
Wir  wollen,  wie  in  §.  7  des  vorigen  Abschnittes,  den  Werth  des 
Potentialniveaus  auf  der  inneren  Belegung  mit  F  und  auf  der 
äusseren  Belegung  mit  O  bezeichnen.  Nennen  wir  dann  noch,  wie 
dort,  die  auf  der  inneren  Belegung  befindliche  Electricitätsmenge 
Jf  und  die  auf  der  äusseren  Belegung  befindliche  iV",  so  geht  die 
Gleichung  (4)  über  in: 

(5)  W=\FM-\-\aN. 

Substituirt  man  hierin  für  M  und  N  die  in  den  Gleichungen 
(48)  oder  (.51)  des  vorigen  Abschnittes  gegebenen  Werthe,  so  er- 
hält man  W  durch  F  und  G  ausgedrückt.  Ebenso  kann  man  W 
durch  31  und  N  oder  durch  irgend  zwei  der  vier  Grössen  jP,  G^ 
M  und  N  ausdrücken. 

Setzt  man  voraus,  dass  die  äussere  Belegung  der  Flasche  mit 
der  Erde  in  leitender  Verbindung  stehe,  so  hat  mau  G  =  0  zu 
setzen.    Dadurch  vereinfacht  sich  (5)  in : 

(6)  W=\FM. 

Hieraus  kann  man,  mit  Hülfe  der  im  vorigen  Abschnitte  unter  (52) 
gegebenen  Gleichung 

(7)  ^=1-^' 
entweder  M  oder  F  eliminiren  und  erhält  dadurch : 


102  Abschnitt  VI. 

1 
2l 


(8)  ^=k^F' 


(9)  ^'=TT' 

Wenn  statt  einer  einzelnen  Flasclie  eine  Batterie  von  n  glei- 
chen Flaschen  gegeben  ist,  so  kann  man  die  auf  diese  bezüglichen 
Gleichungen  leicht  aus  den  vorigen  ableiten.  Wenn  man,  nach- 
dem die  wFlaschen  einzeln  gleich  stark  geladen  sind,  alle  inneren 
und  alle  äusseren  Belegungen  unter  sich  verbindet,  so  wird  da- 
durch (sofern  man  von  dem  kleinen  Einflüsse  der  auf  den  Verbin- 
dungsstücken befindUchen  Electricität  absieht)  keine  Aenderung 
in  den  Werthen  der  Potentialfunction  auf  den  Belegungen  eintre- 
ten. Die  Electricitätsmengen  dagegen ,  welche  sich  auf  der  inne- 
ren und  äusseren  Belegung  der  ganzen  Batterie  befinden,  sind  na- 
türlich wmal  so  gross ,  als  die  auf  den  Belegungen  einer  einzelnen 
Flasche  befindlichen.  Dieses  letztere  kann  man  in  der  unter  (7) 
•gegebenen  Gleichung,  welche  sich  auf  den  Fall  bezieht,  wo  die 
äussere  Belegung  mit  der  Erde  in  leitender  Verbindung  steht,  ein- 
fach dadurch  ausdrücken,  dass  man  die  mit  s  bezeichnete  Fläche 
der  inneren  Belegung  Einer  Flasche  durch  die  Gesammtfläche  der 
inneren  Belegung  der  ganzen  Batterie,  welche  S  heissen  möge,  er- 
setzt und  somit  schreibt: 

(10)  '     M  =  ^F. 

Wenn  man  mit  Hülfe  dieser  Gleichung  aus  der  Gleichung  (6) 
M  oder  F  eliminirt,  so  erhält  man : 

(11)  w=^SF' 

(12)  ^=|--^- 


§.  3.    Abnahme  des  Potentials  bei  der  Entladung 
und  Rückstand. 

Betrachten  wir  hiernach  das  Potential  einer  geladenen  Leide- 
ner Flasche  oder  Batterie  als  bekannt ,  so  lässt  sich  daraus  auch 
leicht  die  bei  der  Entladung  stattfindende  Abnahme  des  Potentials 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  103 

bestimmen.  Wird  die  Batterie  vollständig  entladen,  so  dass  der 
Endwertli  des  Potentials  gleich  Null  ist,  so  ist  die  AJjnahme  des 
Potentials  einfach  gleich  W.  Findet  aher  nur  eine  theilweise  Ent- 
ladung statt,  so  dass  nach  der  Entladung  noch  ein  Potential  W 
bestellt,  so  hat  man  die  Differenz  W  —  W'  zu  bilden. 

Bewirkt  man  bei  einer  Batterie,  deren  äussere  Belegung  mit 
der  Erde  in  leitender  Verbindung  steht,  die  Entladung  dadurch, 
dass  man  die  äussere  Belegung  mit  der  inneren  in  leitende  Ver- 
bindung setzt  und  diese  Verbindung  längere  Zeit  bestehen  lässt, 
so  findet  eine  vollständige  Entladung  statt.  Wenn  man  dagegen 
die  Verbindung  nur  momentan  herstellt  und  dann  sofort  wieder 
aufhebt,  so  findet  bekanntlich  die  Entladung  nicht  ganz  vollstän- 
dig statt,  sondern  es  bleibt  noch  ein  Rückstand,  welcher  nach 
einiger  Zeit  eine  zweite  schwächere  Entladung  ermöglicht,  bei  der 
wiederum  ein  Rückstand  von  geringerer  Grösse  bleibt,  der  dann 
eine  dritte  Entladung  geben  kann,  u.  s.  f. 

Die  Entstehung  des  Rückstandes  ist  wohl  unzweifelhaft  dar- 
aus zu  erklären,  dass  das  Glas  seinen  electrisch  polaren  Zustand, 
welchen  es  unter  dem  Einflüsse  der  auf  den  Belegungen  befind- 
lichen Electricitätsmengen  angenommen  hat,  im  Momente  der  Ent- 
ladung nicht  gleich  vollständig  verliert,  sondern  dass  einTheil  die- 
ser inneren  Polarität  zunächst  noch  fortbesteht,  und  dass  dadurch 
ein  Tlieil  der  Electricität  auf  den  Belegungen  zurückgehalten  wird. 
Diese  unmittelbar  nach  der  Entladung  noch  vorhandene  innere 
Polarität  verliert  sich  dann  in  einiger  Zeit  soweit,  dass  nur  noch 
eine  Polarität  von  solcher  Stärke  übrig  bleibt,  wie  sie  den  jetzt 
noch  auf  den  Belegungen  befindlichen  Electricitätsmengen  ent- 
spricht, und  von  diesen  aufrecht  erhalten  werden  kann.  Diese  ge- 
ringere Polarität  ist  natürlich,  wenn  zwischen  den  Belegungen  wie- 
der eine  leitende  Verbindung  hergestellt  wird,  nicht  ausreichend, 
die  auf  den  Belegungen  befindlichen  Electricitäten  festzuhalten, 
und  es  tritt  daher  von  Neuem  eine  Entladung  ein,  bei  der  dann 
abermals  ein  Theil  der  zuletzt  vorhandenen  Polarität  bestehen 
bleibt  und  daher  ein  gewisser  viel  kleinerer  Rest  von  Electricität 
auf  den  Belegungen  festgehalten  wird,  u.  s.  f. 

Woher  es  kommt,  dass  die  innere  Polarität  zum  Theil  wäh- 
rend der  Entladung  selbst,  also  gleichzeitig  mit  der  Kraft, 
welche  sie  erzeugt  hat,  in  fast  unmessljar  kurzer  Zeit  verschwin- 
det, zum  Theil  dagegen  sich  erst  nachträglich  allmälig  verliert, 
ist  noch  nicht  festgestellt.  Boltzmann  hat  die  nachträglich  ein- 


104  Abschnitt  IV. 

tretende  Veränderung  des  inneren  electrischen  Zustandes  mit  der 
elastischen  Nachwirkung  verglichen  i),  welche  Vergleichung 
viel  für  sich  hat,  wenn  auch  der  eigentliche  Grund  der  Erschei- 
nung dabei  noch  in  verschiedenen  Weisen  gedeutet  werden  kann. 
Um  über  den  Zustand  der  Batterie  unmittelbar  nach  der  Ent- 
ladung und  die  darauf  bezüglichen  Grössen  ein  bestimmteres  Ur- 
theil  zu  gewinnen,  wird  es  zweckmässig  sein,  noch  einige  beson- 
dere Betrachtungen  anzustellen. 


§.  4.  Untersuchung  des  Falles,  wo  die  Potential- 
niveaux  der  beiden  Belegungen  gleich  sind, 
während  noch  eine  innere  Polarität  besteht. 

Wenn  die  Belegungen  einer  Batterie  für  eine  sehr  kurze  Zeit 
unter  einander  leitend  verbunden  werden,  so  strömt  so  viel  Elec- 
tricität  von  der  einen  zur  anderen,  dass  sie  beide  gleiches  Poten- 
tialniveau haben,  welches  wir  unter  Vernachlässigung  einer  klei- 
nen, möglicher  Weise  bestehenden  Abweichung  einfach  gleich  Null 
setzen  können.  Es  fragt  sich  nun,  wie  viel  Electricität  bei  dieser 
Ausgleichung  der  Potentialniveaux  noch  auf  den  Belegungen  blei- 
ben muss,  wenn  die  innere  Polarität  des  Glases  zum  Theil  noch 
fortbesteht. 

Bezeichnen  wir  die  Potentialniveaux,  welche  die  Belegungen  nur 
wegen  der  noch  bestehenden  inneren  Polarität  des  Glases  haben 
würden,  mit  u  und  % ,  so  müssen  die  Electricitätsmengen  so  gross 
sein,  dass  sie  für  sich  allein  die  Belegungen  zu  den  Potentialniveaux 
—  u  und  —  Ui  bringen  würden.  Zur  Bestimmung  der  dazu  nöthi- 
gen  Electricitätsmengen  können  wir  die  Gleichungen  (38)  des  Ab- 
schnittes II.  anwenden ,  in  welchen  wir  dann  F  und  G  durch  —  u 
und  —  Ui  und  ausserdem,  wenn  wir  nicht  bloss  Eine  Flasche,  son- 
dern eine  Batterie  von  beliebig  vielen  Flaschen  betrachten,  s  durch 
S  zu  ersetzen  haben.  Vernachlässigen  wir  auch  hier  verhältniss- 
mässig  kleine  Abweichungen  und  lassen  daher  die  Grösse  8  und 
die  mit  den  Coefficienten  «  und  ß  behafteten  Glieder  fort,  so  er- 
halten wir  für  beide  Belegungen  gleiche  und  entgegengesetzte 
Electricitätsmengen,  welche  mit  m  und  —  m  bezeichnet  werden 
können,  wobei  m  durch  folgende  Gleichung  bestimmt  wird: 


1)  Sitzungsberichte  der  Wiener  Academie,  Bd.  68,  Juli  1873. 


Mech.  Aequivalent  einer  Entlaflung.  105 

(13)  ,  m  =  7-^—  (uy  —  u). 

^       ■  4-7CC 

Um  nun  ferner  zur  Bestimmung  des  auf  diesen  Zustand  der 
Batterie  bezüglichen  Potentials  unsere  früheren  auf  den  Gleich- 
gewichtszustand bezüglichen  Gleichungen  anwenden  zu  können, 
wollen  wir  neben  der  Grösse  m  noch  die  Grösse  (i  einführen  mit 
der  Bedeutung,  dass  ^  und  —  ^  diejenigen  Electricitätsmengen 
sind,  welche  sich  auf  den  beiden  Belegungen  befinden  müssten, 
um  die  vorher  besprochene  innere  Polarität,  welche  unmittelbar 
nach  der  Entladung  noch  vorhanden  ist,  hervorzurufen  und  auf- 
recht zu  erhalten.  Diese  Grösse  fx  steht  dann  zu  der  Differenz 
11,  —  Ui  in  derselben  Beziehung,  welche  in  der  Gleichung  (41)  des 
vorigen  Abschnittes  zwischen  Q  und  U  —  üi  ausgedrückt  ist,  und 
wir  können  daher  schreiben: 

Wenn  auf  den  beiden  Belegungen  der  Batterie  nach  der  Ent- 
ladung, statt  der  Electricitätsmengen  m  und  —  5»,  die  Electrici- 
tätsmengen ft  und  —  fi  befindlich  wären ,  so  hätten  wir  einen 
Gleichgewichtszustand  von  derselben  Art,  wie  der,  auf  welchen  die 
Gleichungen  (46)  des  vorigen  Abschnittes  sich  beziehen.  Nennen 
wir  die  ganzen  Potentialniveaux,  welche  unter  diesen  Umständen 
auf  den  Belegungen  stattfinden  würden ,  /  und  g ,  so  erhalten  wir 
gemäss  jenen  Gleichungen,  unter  Vernachlässigung  der  Grösse  8 
und  der  mit  den  Coefficien  a  und  ß  behafteten  Glieder : 

(15)  ft  =  ^(l+4;r£;)(/-i/), 

und  wenn  wir  hierin  für  ^  den  in  (14)  gegebenen  Ausdruck  setzen, 
so  ergiebt  sich: 

Das  Potential  der  gesamniten  Electricität  auf  sich  selbst,  welches 
unter  diesen  Umständen  bestehen  würde,  und  welches  mit  ß  be- 
zeichnet werden  möge,  ergiebt  sich  aus  der  Gleichung  (5),  wenn 
man  darin  F  und  G  durch  /  und  g  und  M  und  N  durch  ^u  und 
—  (i  ersetzt,  nämlich : 

(17)  il^l^(f^g-). 


106  Abschnitt  lY. 

Setzt  man  hierin  für  ft  und/  —  g  die  in  (14)  und  (16)  gegebenen 
Ausdrücke,  so  kommt: 

Um  von  diesem  Potential  zu  dem  von  uns  gesuchten  zu  ge- 
langen ,  wollen  wir  uns  die  Grösse  ju.  in  die  Theile  ^  —  m  und  m 
getheilt  denken ,  und  dann  die  sämmtlichen  vorher  betrachteten 
Electricitäten ,  deren  Potential  ß  ist,  in  zwei  Systeme  zerlegen. 
Das  erste  System  S^  soll  nur  aus  den  beiden  Electricitätsmengen 
^  —  m  und  —  (^  —  m)  bestehen.  Das  zweite  System  8'  dagegen 
soll  die  Mengen  m  und  —  yn  und  ausserdem  alle  auf  den  polaren 
Glastheilchen  befindlichen  Electricitätsmengen  (also  gerade  diejeni- 
gen Electricitätsmengen,  welche  unmittelbar  nach  der  Entladung 
vorhanden  sind),  umfassen.  Dann  zerfällt  das  Potential  5i  in  fol- 
gende drei  Bestandtheile : 

1.  das  Potential  des  Systemes  S^  auf  sich  selbst,  welches  Wi 
heissen  möge ; 

2.  das  Potential  des  Systemes  S'  auf  sich  selbst,  welches  W 
heissen  möge; 

3.  das  Potential  des  Systemes  Si  auf  das  System  S\  welches 
Wi  heissen  möge. 

Hiernach  kann  man  setzen: 

ii  =  ITi  +  1>F'  -f  IFi'. 

Das  letzte  an  der  rechten  Seite  stehende  Potential  Wx  lässt 
sich  sofort  seinem  Werthe  nach  angeben.  Wir  erhalten  es  näm- 
lich, wenn  wir  jedes  zu  dem  einen  Systeme  gehörige  Electricitäts- 
element  mit  der  auf  den  betreffenden  Punct  bezüglichen  Potential- 
function  des  anderen  Systemes  multipliciren ,  und  dann  die  Inte- 
gration ausführen.  Nun  befinden  sich  alle  zum  ersten  Systeme 
gehörenden  Electricitätselemente  auf  den  Belegungen,  und  die 
Potentialfunction  des  zweiten '  Systemes  ist  auf  den  Belegungen 
gerade  Null,  folglich  muss  auch  die  Integration  den  Werth  Null 
geben,  und  wir  erhalten : 

TFi'  =  0. 
Hierdurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

ß  =  IFi  +  W\ 
welche  Gleichung  wir  in  folgender  Form  schreiben  wollen: 
(19)  Tf '  =  ß  _    W^. 


Mech,  Aequivalent  einer  Entladung.  107 

Von  den  beiden  hierin  an  der  rechten  Seite  stehenden  Grössen 
ist  die  erste  Sl  durch  die  Gleichung  (18j  bestimmt.  Um  die  an- 
dere Grösse  Wi  zu  bestimmen,  ist  zu  bemerken,  dass  die  Electri- 
citätsmengen  ^  —  m  und  —  (ji  —  m),  wenn  sie  für  sich  allein  vor- 
handen wären,  auf  den  Belegungen  die  Potentialnivcaux  /  und  </ 
hervorbringen  würden,  da  alle  übrigen  Electricitätsmengen  auf  den 
Belegungen  die  Potentialnivcaux  Null  geben.    Daraus  folgt: 

W,  =  i  (f.  -  m)  (f  -  g). 

Hierin  kann  man  nach  (13)  und  (14)  setzen: 

S       Ux  —  u 
'  4jrc       4:7tE 

und  für/  —  g  kann  man  den  in  (16)  gegebenen  Werth  anwenden, 
wodurch  man  erhält: 

S     (Ux  —  w^ 


Durch  Anwendung  dieser  Werthe  geht  (19)  über  in: 

^^^^  ^    —  Stic         4.7tE      ' 

wofür  man  auch  gemäss  (13)  schreiben  kann: 

Durch  diese  Gleichungen  ist  das  gesuchte,  unmittelbar  nach  der 
Entladung  stattfindende  Potential  der  gesammten  Electricität  auf 
sich  selbst  bestimmt. 

Wenn  nach  der  Entladung  eine  gewisse  Zeit  verflossen  ist, 
und  die  innere  Polarität  bis  zu  dem  Reste  abgenommen  hat,  wel- 
cher durch  die  auf  den  Belegungen  befindlichen  Electricitätsmen- 
gen m  und  —  m  aufrecht  erhalten  werden  kann,  so  ist  wieder  ein 
Gleichgewichtszustand  von  der  Art,  wie  der ,  auf  welchen  die  Glei- 
chungen von  (5)  bis  (12)  sich  beziehen,  erreicht.  Das  diesem  Zu- 
stande entsprechende  Potential  der  gesammten  Electricität  auf 
sich  selbst,  welches  W"  heissen  möge,  erhält  man,  wenn  man  in 
der  Gleichung  (12)  einfach  m  an  die  Stelle  von  M  setzt,  wobei 
man   wieder  für  den  Grad  von  Genauigkeit,  welcher  beim  Rück- 

4:  7t  C 

stände  ausreichend  ist,  Je  durch  - — j — - — -  ersetzen  kann: 

'  1     -|-     4:7tE 


108  Abschnitt  IV. 


(23)  W"  = 
Substituirt  man  hierin 

(24)  W 


1  +  47tE  '   S 
Substituirt  man  hierin  für  m  seinen  Werth  aus  (13),  so  kommt: 

S(Ui  —  m)^ 

8  7tC   {l   ^  iTtE)' 


§.  5.     Arbeit  der  electrischen  Kräfte  während  der  Ent- 
ladung und  nach  derselben. 

Nachdem  in  den  vorigen  Paragraphen  das  Potential  der  ge- 
sammten  Electricität  auf  sich  selbst  für  die  verschiedenen  in  Be- 
tracht kommenden  Zustände  bestimmt  ist,  lässt  sich  auch  die  Ar- 
beit, welche  die  electrischen  Kräfte  während  der  Entladung  und 
nach  derselben  leisten,  leicht  ausdrücken. 

Wir  wollen  uns  die  Entladung  zuerst  dadurch  bewirkt  den- 
ken ,  dass  ein  von  der  äusseren  Belegung  ausgehender  Leiter  mit 
seinem  anderen  Ende  einer  mit  der  inneren  Belegung  in  leitender 
Verbindung  stehenden  Stelle  genähert  und  für  eine  ganz  kurze 
Zeit  damit  in  Berührung  gebracht  wird.  Dann  haben  wir  vor  der 
Entladung  den  Zustand ,  bei  welchem  das  Potential  gleich  W  ist, 
und  unmittelbar  nach  der  Entladung  den  Zustand,  bei  welchem 
das  Potential  gleich  W  ist.  Während  der  Entladung  wird  also 
die  Arbeit 

W-  W 

geleistet. 

Wenn  nach  der  Entladung  einige  Zeit  verstrichen  ist,  so  ist 
der  Zustand  eingetreten,  bei  welchem  das  Potential  gleich  W"  ist, 
und  es  wird  also  nach  der  Entladung  bis  zum  Eintreten  dieses  Zu- 
standes  noch  die  Arbeit 

W'  —  W" 

von  den  electrischen  Kräften  geleistet. 

Lässt  man  jetzt  abermals  eine  Entladung  eintreten,  so  erhält 
man  dieselben  beiden  Vorgänge  im  verkleinerten  Maassstabe  u.  s.  f. 

Um  die  Arbeitsgrössen  in  ihrer  Beziehung  zum  ganzen  ur- 
sprünglich bestehenden  Potential  W  näher  angeben  zu  können, 
muss  man  wissen,  wie  sich  W  und  W"  zu  W  verhalten,  und  dazu 
wiederum  muss  bekannt  sein,  wie  sich  die  Differenz  %  —  u  zur 
Differenz  F  —  G  verhält.    Ein  Grenzwerth  für  %  —  u^  welcher 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  109 

sicherlich  nicht  überschritten  werden  kann,  ergiel)t  sich  sofort 
daraus,  dass  die  Polarität  des  Glases  nach  der  Entladung  nicht 
grösser  sein  kann,  als  sie  während  der  Ladung  war.  Bezeichnen 
wir  daher,  wie  im  vorigen  Abschnitte,  die  Potentialniveaux,  welche 
die  während  der  Ladung  bestehende  Polarität  des  Glases  für  sich 
allein  auf  den  Belegungen  hervorbringen  würde,  mit  U  und  Z7i, 
so  kann  ti^  —  ii  keinesfalls  grösser  als  Ui  —  U  sein.  Wieviel  klei- 
ner es  ist,  lässt  sich  nicht  genau  a,ngeben.  Soviel  aber  kann  als 
unzweifelhaft  angenommen  werden,  dass  bei  einer  bestimmten' 
Flasche  oder  Batterie  mit  wachsendem  Ui  —  U  auch  Mi  —  u 
wächst,  und  da  es  bei  den  auf  den  Rückstand  bezüglichen  Grössen, 
welche  überhaupt  nicht  bedeutend  sind ,  auf  äusserste  Genauigkeit 
nicht  ankommt,  so  wird  es  erlaubt  sein,  die  Differenzen  u^  —  ti 
und  Ui  —  U  als  einander  proportional  zu  betrachten,  und  dem- 
gemäss  zu  setzen: 

(25)  tfi  —  u  =  p(Ui  —  U), 

worin  p  einen  von  der  Natur  der  die  Batterie  bildenden  Flaschen 
abhängigen  Coefficienten  bedeutet,  dessen  Werth  zwischen  0  und 
1  liegen  muss.  Was  nun  die  Differenz  Ui  —  ü  anbetrifft,  so  lässt 
sich  aus  der  Gleichung  (39)  des  vorigen  Abschnittes  zunächst  die 
folgende  ableiten: 

Ui  -  ü=4.jtE(V  -^  U-  Vi  -  C/":), 
und  wenn  man  hierin  für  V  -{--  U  und  Vi  -\-  Ui  die  später  ein- 
geführten Zeichen  F  und  G  setzt,  so  kommt: 

(26)  Ui—  ü  =  i7tE(F  —  G), 
wodurch  die  Gleichung  (25)  übergeht  in: 

(27)  u,  —  u=pAnE{F  —  G). 

Aus  dieser  Gleichung  kann  man  mit  Hülfe  der  im  vorigen  Ab- 
schnitt unter  (46)  und  in  diesem  Abschnitt  unter  (13)  gegebenen 
Gleichungen  auch  noch  die  folgende  ableiten: 

Kehren  wir  nun  zu  den  für  die  Potentiale  W  und  W"  auf- 
gestellten Gleichungen  (22)  und  (23)  zurück  und  setzen  darin  für 
m  den  vorstehenden  Ausdruck,  so  kommt: 

(30)  W"^2.ci,'^4^^^.^. 

^       ^  (1    +   4:71  Ef  S 


110  Abschnitt  IV. 

Das  in  diesen  beiden  Gleichungen  vorkommende Product  2nc  kön- 

nen  wir  noch  durch  -^  ersetzen,  da  wir  auch  bisher  bei  der  Be- 

handlung  der  auf  den  Rückstand  bezüglichen  Grössen,  welche  an 
sich  nur  klein  sind,  den  zwischen  h  und  4jrc  bestehenden  Unter- 
schied vernachlässigt  haben. 

Diese  Ausdrücke  von  W  und  W"  können  nun  bei  der  Be- 
stimmung der  Arbeit  angewandt  werden ,  wobei  W  mittelst  der  in 
§.  2  entwickelten  Gleichungen  zu  bestimmen  ist  Zur  speciellen 
Ausführung  der  Rechnung  wollen  wir  den  Fall  wählen,  wo  die 
äussere  Belegung  der  Batterie  mit  der  Erde  in  leitender  Verbin- 
dung steht,  und  wo  für  W  die  Gleichung  (12)  gilt.  Dann  erhal- 
ten wir: 

•Im  Vorstehenden  war  vorausgesetzt,  dass  die  Entladung  in 
der  Weise  stattfinde,  dass  die  Enden  des  Schliessungsbogens  nur 
für  eine  sehr  kurze  Zeit  mit  einander  in  Berührung  gebracht  wer- 
den. Wird  dagegen  die  mit  der  Erde  leitend  verbundene  äussere 
Belegung  dauernd  mit  der  inneren  in  leitende  Verbindung  gesetzt, 
so  tritt  eine  vollständige  Entladung  ein.  Indessen  findet  auch  in 
diesem  Falle  der  Umstand  statt,  dass  nicht  die  ganze  Entladung 
gleich  im  Momente  der  Verbindung  vollendet  ist,  sondern  dass  ein 
Theil  derselben  erst  nachträglich  im  Verlaufe  einiger  Zeit  vor  sich 
geht.  Man  kann  daher  auch  in  der  Arbeit,  welche  im  Ganzen 
durch  W  dargestellt  wird,  zwei  Theile  unterscheiden,  den  Theil 
W  —  W,  welcher  sofort  beim  Eintritt  der  Verbindung  geleistet 
wird,  und  den  Theil  W\  welcher  während  des  Bestehens  der  Ver- 
bindung erst  allmälig  folgt. 


§.  6.    Wirkungen  der  Entladung. 

Wenn  wir  nun  die  von  der  Entladung  hervorgebrachten  Wir- 
kungen betrachten,  so  können  diese,  wie  schon  oben  in  §.  1  er- 
wähnt, von  sehr  verschiedener  Art  sein.  Zu  den  dort  angeführten 
Wirkungen  ist,  streng  genommen,  noch  eine  schon  vor  der  eigent- 
lichen Entladung  stattfindende  hinzuzufügen.    Während  nämlich 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  111 

das  Ende  des  von  der  äusseren  Belegung  ausgehenden  Hchliessungs- 
bogens  sich  der  mit  der  inneren  Belegung  leitend  verbundenen 
Stelle  nähert,  findet  schon  eine  kleine  Mitwirkung  der  Electricität 
statt,  indem  die  Enden  des  Schliessungsl)Ogens  vermöge  der  auf 
ihnen  befindlichen  Electricität  einander  anziehen,  und  dadurch  die 
Annäherung  erleichtern.  Diese  Wirkung  ist  aber  in  unserem  Falle, 
wo  der  grösste  Theil  der  Electricität  auf  den  Belegungen  gebunden 
ist,  und  daher  zu  jener  Anziehung  nicht  beitragen  kann,  jedenfalls 
so  gering,  dass  wir  sie  ohne  Bedenken   vernachlässigen  können. 

Ferner  wollen  wir  zur  Vereinfachung  die  Erregung  von  In- 
ductionsströmen  oder  Magnetismus  ausserhalb  des  betrachteten 
Körpersystemes  und  alle  bleibenden  Veränderungen  mechani- 
scher, chemischer  oder  magnetischer  Natur  innerhalb  desselben 
für  jetzt  von  der  Untersuchung  ausschliessen  und  annehmen,  dass 
die  Arbeit,  welche  an  den  Stellen  verwandt  wird,  wo  der 
Schliessungsbogen  unterbrochen  ist,  und  wo  ein  Funke 
überspringen  muss,  und  die  in  dem  ganzen  Systeme 
erzeugte  Wärme  die  einzigen  vorkommenden  Wirkungen  seien. 
Dann  muss  dem  Hauptsatze  nach  die  Summe  dieser  beiden 
gleich  der  Abnahme  des  Potentials  sein. 

Dieses  theoretische  Ergebniss  möge  nun  mit  der  Erfahrung 
verglichen  werden.  Dazu  bietet  besonders  die  von  Riess  mit  der 
grössten  Sorgfalt,  Umsicht  und  Consequenz  durchgeführte  Reihe 
von  Untersuchungen  ein  ebenso  reichhaltiges,  als  zuverlässiges 
Material  dar,  und  die  Vergleichung  desselben  mit  der  Theorie  wird 
noch  dadurch  sehr  erleichtert,  dass  Riess  selbst  aus  den  von  ihm 
beobachteten  Thatsachen  ganz  bestimmt  formulirte  Gesetze  abge- 
leitet hat. 

Wird  zunächst  angenommen,  dass  bei  einer  Reihe  von  Ver- 
suchen die  Stärke  der  Entladung,  d.  h.  die  Abnahme  des 
Potentials,  dieselbe  bleibe,  aber  der  Schliessungsbogen 
geändert  werde,  so  muss  dabei  die  Summe  der  beiden 
Wirkungen  constant  sein. 

Was  die  Wärmeerzeuguiig  anbetrifft,  so  besitzen  wir  über 
deren  Abhängigkeit  vom  Schliessungsbogen  folgende  zwei  wich- 
tige Sätze  von  Riess  i). 

1.  Die  durch  eine  und  dieselbe  Entladung  in  zwei 
verschiedenen  im  Schliessungsbogen  befindlichen  conti - 


^)  Pogg.  Anu.    Bd.  43  uud  45. 


112  Abschnitt  IV. 

nuirliclien  Drahtstücken  erzeugten  Wärmemengen  ver- 
halten sich  wie  ihre  reducirten  Längen,  wenn  man  unter 

reducirte  Länge  die  Grösse  — -  x  versteht,  worin  l  die  wirk- 

liehe  Länge,  q  der  Radius  und  x  eine  vom  Stoffe  des  Drahtes 
abhängige  Grösse  ist,  welche  Riess  die  Verzögerungskraft  nennt, 
und  welche  der  Leitungsfähigkeit  umgekehrt  proportional  ist. 

2.  Wenn  man  unter  sonst  unveränderten  Umständen 
den  Schliessungsbogen  dadurch  verlängert,  dass  man 
einen  Draht  von  der  reducirten  Länge  l  einschaltet, 
so  wird  dadurch  die  Erwärmung  eines  anderen  im 
Schliessungsbogen  befindlichen  Drahtes  vermindert, 
und  zwar  nahe  im  Verhältnisse  von  1  -|-  &Z  :  1,  worin  & 
eine  durch  den  Versuch  zu  bestimmende  Constante  ist. 

Beide  Sätze  lassen  sich  in  folgende  Gleichung  zusammen- 
fassen 1) : 

(33)  «  =  TT^^' 

worin  V  die  reducirte  Länge  des  betrachteten  Drahtstückes  und 
C  die  darin  erzeugte  Wärmemenge  ist,  während  h  und  l  die  vor- 
her erwähnte  Bedeutung  haben,  und  A  eine  von  der  Stärke  der 
Entladung  abhängige  Grösse  darstellt,  welche  für  unseren  gegen- 
wärtigen Fall,  wo  wir  es  nur  mit  gleichen  Entladungen  zu  thun 
haben,  constant  ist. 

Diese  Gleichung  enthält  eine  Bestätigung  des  vorher  gezoge- 
nen Schlusses.  Der  eingeschaltete  Draht  l  wird  natürlich  durch 
die  Entladung  ebenfalls  erwärmt  und  zwar  wird  nach  der  vorigen 

Gleichung  die  Wärmemenge       ^^        A  in  ihm  erzeugt.     Dafür 

X    — —    0  V 

mu^s,  wenn  die  Gesammtsumme  der  Wirkungen  constant  bleiben 
soll ,  eine  Verminderung  "der  übrigen  Wirkungen  eintreten ,  und 
diese  wird  in  der  That  durch  den  zweiten  Riess' sehen  Satz  und 
durch  die  Gleichung  nachgewiesen.  Mit  dieser  allgemeinen  Ueber- 
einstimmung  müssen  wir  uns  für  jetzt  begnügen.  Eine  genaue 
quantitative  Untersuchung,  ob  die  Abnahme  aller  übrigen  Wirkun- 
gen zusammen  wirklich  gerade  gleich  jener  durch        ,    ,  ,  A  aus- 


1)  Pogg.  Ann.   Bd.  45,  S.  23. 


Mech.  Aeqnivalent  einer  Entladung.  11^ 

gedrückten  Wärmemenge  ist,  scheint  mir  his  jetzt  ohne  neue  Beob- 
achtungsdata nicht  ausführbar  zu  sein. 

Vorsselman  de  Heer  hat  freilich  aus  j ener  Gleichung  (33) 
einen  allgemeinen  Satz  abgeleitet,  den  man  vielleicht  auf  den  er- 
sten Blick  für  eine  vollständige  Bestätigung  unseres  Schlusses  hal- 
ten könnte.  Es  soll  nämlich  die  Gesammtwärme,  welche  durch 
eine  electrische  Entladung  in  dem  ganzen  Schliessungs- 
bogen  erregt  wird,  von  der  Natur  des  Schliessungs- 
bogens  unabhängig  sein  i).  Dieser  Satz  wird  auch  von  Helm- 
hol tz  in  der  That  als  mit  der  Theorie  übereinstimmend  ange- 
führt 2);  indessen  scheint  er  mir  dazu  doch  nicht  geeignet  zu  sein, 
indem  er  mehrere  Ungenauigkeiten  enthält. 

Erstens  beschränkt  Vorsselman  de  Heer  die  Betrachtung 
ausdrücklich  auf  „den  die  beiden  Belege  der  Batterie  verbinden- 
den Bogen"  3).  Die  Wärmeerzeugung  erstreckt  sich  aber  auch  auf 
die  übrigen  Körper  des  Systemes,  und  zwar  wird  ein  Theil  inner- 
halb der  Batterie  selbst  erzeugt,  und  ein  anderer,  für  den  Fall, 
dass  die  Batterie  und  der  Schliessungsbogen  nicht  isolirt,  sondern 
mit  der  Erde  verbunden  sind,  innerhalb  des  Ableitungszweiges 
und  der  Erde.  Der  letztere  Theil  wird  im  Allgemeinen  unbedeu- 
tend sein,  da  nur  der  Ueberschuss  der  einen  oder  anderen  Electri- 
cität  nach  der  Erde  strömt,  und  dieser  gegen  die  ganze  Electri- 
citätsmenge  gering  ist,  und  dasselbe  lässt  sich  unter  der  Bedin- 
gung, dass  der  Schliessungsbogen  eine  beträchtliche  reducirte 
Länge  hat,  vielleicht  auch  von  dem  ersten  Theile  annehmen.  Bei 
sehr  kurzem  Schliessungsbogen  dagegen  würde  eine  solche  An- 
nahme unzulässig  sein,  und  jedenfalls  müssen  wir  diesen  Theil  bis 
j-etzt  als  unbekannt  bezeichnen. 

Ferner  hat  er  die  Stellen,  wo  der  Schliessungsbogen  unter- 
brochen ist  und  wo  ein  Funke  überspringt,  nicht  berücksichtigt. 
An  diesen  Stellen  findet  eine  äusserliche  mechanische  Wirkung 
statt,  welche  man  erst  als  verbrauchte  Arbeit  von  der  Gesammt- 
wirkung  abziehen  muss,  um  den  Theil  zu  erhalten,  welcher  wirk- 
lich innerhalb  des  betrachteten  Körpersystems  in  Wärme  verwan- 
delt wird. 

Was  die  Grösse  dieses  Arbeitsverbrauches  und  seinen  Ein- 
äuss  auf  die  Wärmeentwickelung  anbetrifft,  so  kann  ich  in  dieser 


1)   Pogg.  Aun.    Bd.  48,   S.  298.   —   2)   Ueber  die   Erhaltung   der  Kraft. 
S.  44.  —  3)  Pogg.  Auu.   Bd.  48,  S.  297. 

Clausius,   mech.  Wärmetheorie.    II,  Q 


114 


Absclmitt  lY. 


Beziehung  zunächst  wieder  eine  Bestätigung  der  Theorie  durch 
das  Experiment  anführen.  Es  ist  nämlich  im  Voraus  klar,  dass 
der  Arbeitsverbrauch  von  dem  Widerstände,  welchen  die  nicht- 
leitende Schicht  der  Durchbrechung  entgegensetzt,  abhängt,  und 
dass  er  daher  bedeutender  sein  wird,  wenn  die  Enden  des 
Schliessungsbogens  durch  einen  nichtleitenden  festen  Körper 
getrennt  sind,  als  wenn  sich  bloss  Luft  zwischen  ihnen  befindet. 
Daraus  folgt,  dass  im  ersteren  Falle  ein  an  einer  anderen  Stelle 
des  Schliessungsbogens  befindliches  electrisches  Luftthermometer 
weniger  erwärmt  werden  muss,  als  im  letzteren,  und  so  hat  es  sich 
auch  bei  einer  von  R  i  e  s  s  ausgeführten  Versuchsreihe  i)  in  der 
That  ergeben. 

An  der  Unterbrechungsstelle  standen  sich  entweder  zwei 
kleine  Scheiben,  oder  zwei  Kugeln,  oder  zwei  Spitzen  gegenüber, 
jedesmal  in  einer  Entfernung  von  0,2  Linien.  Zwischen  diesen 
waren  nach  einander  die  in  der  ersten  Columne  der  nachstehenden 
Tabelle  genannten  Körper  eingeschaltet,  und  dabei  wurden  unter 
sonst  gleichen  Umständen  in  dem  Luftthermometer  die  in  den  fol- 
genden Columnen  angeführten  Erwärmungen  beobachtet.  Wo 
Pt  i  e  s  s  mehrere  Zahlen  giebt ,  habe  ich  die  Mittelzahl  genommen. 


Erwärmungen  im  Lufttbermometer, 
je  nachdem  der  Funke 

Eingesclialtete  Körper. 

zwischen  den 
Scheiben 

zwischen  den 
Kugeln 

zwischen  den 
Spitzen 

übersprang. 

Liuftschiclit  ....       ...        .    . 

15-9 

15-4 

15-1 

ein  Kartenblatt 

11-7 

12-0 

11-6 

zwei  Kartenblätter   mit  zwischen- 
gelegtem  Stanniol  ....... 

9-7 

9-3 

— 

zwei  Kartenblätter 

8-0 

8-8 

10-4 

Glimmerblatt 

6-8 

4-7 

4-8 

1)  Pogg.  Ann.    Bd.  43,  S.  82. 


Mech.  Aeqnivalont  einer  Entladung.  115 

In  dieser  Tabelle  tritt  der  Einfluss  der  Festigkeit  des  einge- 
schalteten Körpers,  welcher  vom  Funken  durchbrochen  werden 
muss ,  sehr  deutlich  hervor.  Nur  der  Fall ,  wo  zwei  Kartenblätter 
mit  zwischengelegtem  Stanniol  angewandt  wurden,  könnte  auf  den 
ersten  Blick  eine  Ausnahme  zu  bilden  scheinen ,  indem  diese  drei 
Körper  eine  geringere  Wirkung  ausübten  als  die  beiden  Karten- 
blätter allein.  Hiernach  muss  man  annehmen,  dass  durch  das 
Stanniolblatt,  obwohl  es  mit  durchbrochen  wurde,  doch  der  Ar- 
beitsverbrauch nicht  vermehrt,  sondern  vermindert  wurde,  was 
einen  Widersinn  zu  enthalten  scheint.  Ich  glaube  indessen,  dass 
man  diese  Annahme  nicht  als  widersinnig  zu  betrachten  braucht, 
denn  es  kommt  bei  dem  Arbeitsverbrauch  nicht  bloss  darauf  an, 
welche  Körper  durchbrochen  werden,  sondern  auch,  wie  sie 
durchbrochen  werden,  und  die  Art  der  Durchbrechung  wird  durch 
den  zwischen  den  Kartenblättern  eingeschalteten  leitenden  Körper 
jedenfalls  geändert.  Aus  der  grossen  Verschiedenheit  der  übrigen 
in  der  Tabelle  befindlichen  Zahlen  ersieht  man,  wie  bedeutend  die 
durch  den  Funken  verbrauchte  Arbeit  unter  erschwerenden  Um- 
ständen werden  kann.  Ein  genaues  Maass  dieser  Arbeit  möchte 
sich  jedoch  hieraus  noch  nicht  ableiten  lassen,  und  ein  solches 
besitzen  wir  meiner  Ansicht  nach  bis  jetzt  überhaupt  noch  nicht, 
selbst  für  den  einfachsten  und  wichtigsten  Fall,  wo  der  Funke 
nur  durch  Luft  überspringt. 

Bei  oberflächlicher  Betrachtung  könnte  man  vielleicht  glauben, 
diese  Arbeit  müsse  bei  gleicher  Dichtigkeit  der  Luft  ein- 
fach der  Dicke  der  durchbrochenen  Luftschicht  propor- 
tional sein.  Wenn  man  jedoch  bei  unverändertem  Abstände  der 
Körper,  zwischen  denen  der  Funke  überspringen  muss,  die  Ladung 
der  Batterie  oder  die  Beschaffenheit  des  Schliessungsbogens  ändert, 
so  treten  in  der  Natur  der  Funken  so  grosse,  schon  äusserlich  an 
der  verschiedenen  Stärke  des  Lichtes  und  Knalles  erkennbare  Unter- 
schiede ein,  dass  man  diese  Funken  in  Bezug  auf  die  von  ihnen 
verbrauchte  Arbeit  unmöglich  als  gleich  betrachten  kann. 

Ferner  könnte  man  vielleicht  aus  einigen  von  Riess  mitge- 
theilten  Beobachtungen  i)  den  Schluss  ziehen  wollen,  die  von 
einem  durch  die  Luft  überspringenden  Funken  ver- 
brauchte Arbeit  sei  überhaupt  so  gering,  dass  man  sie 
vernachlässiffen  könne.    Riess  hat  nämlich  mit  den  vorher 


^)  Pog'g.  Ann.    Bd.  43,  S.  78. 


116  Absclinitt  IV. 

erwähnten  kleinen  Scheiben  und  Kugeln  die  Versuche  auch  so  an- 
gestellt, dass  er  sie  zuerst  in  Berührung  und  dann  in  verschiedene 
Entfernungen  brachte,  so  dass  die  Electricität  im  ersteren  Falle 
ohne  und  in  den  letzteren  Fällen  mit  Funken  überging,  und  für 
jeden  dieser  Fälle  hat  er  die  in  dem  Schliessungsbogen  unter  sonst 
gleichen  Umständen  erregte  Wärme  beobachtet.  Dabei  zeigte  sich 
diese  Wärme  bei  der  Entfernung  im  Allgemeinen  nur  wenig  ge- 
ringer, als  bei  der  Berührung,  und  in  einzelnen  Fällen  sogar  etwas 
grösser.  Ich  glaube  indessen,  dass  diese  Beobachtungen  zu  dem 
obigen  Schlüsse  noch  nicht  berechtigen. 

Wir  müssen  nämlich  ausser  demjenigen  Funken,  welcher 
durch  die  Entfernung  der  Scheiben  oder  Kugeln  willkürlich  her- 
vorgerufen wurde,  auch  jene  anderen  betrachten,  welche  an  sich 
schon  mit  dem  Entladungsverfahren  verbunden  waren.  Riess  be- 
wirkte die  Entladungen,  um  sie  so  regelmässig  wie  möglich  zu 
machen,  durch  einen  eigens  dazu  construirten  Apparat  i),  welcher 
so  eingerichtet  war,  dass  jedesmal  zwei  Funken  übersprangen. 
Nun  ergiebt  sich  aus  anderen  Versuchen  von  Riess 2),  dass  durch 
eine  im  Schliessungsbogen  angebrachte  Unterbrechung  die  Schlag- 
weite an  einer  anderen  Stelle  vermindert  wird,  und  folglich  müs- 
sen auch  im  vorliegenden  Falle  zugleich  mit  der  Hervorbringung 
des  einen  neuen  Funkens  zwischen  den  Scheiben  oder  Kugeln  die 
beiden  anderen  Funken  im  Entladungsapparate  verkürzt  sein, 
woraus  man  auf  eine  theilweise  Compensation  des  Arbeitsverbrau- 
ches schliessen  kann.  In  manchen  Fällen  waren  die  beiden  letzte- 
ren Funken  sogar  ganz  verschwunden ,  indem  „die  Entladung  erst 
bei  der  Berührung  der  Kugeln  des  Entladungsapparates  eintrat"  ^). 
Es  war  also  Ein  Funke  neu  hinzugekommen,  und  dafür  waren 
zwei  früher  vorhandene  Funken  fortgefallen,  was  eine  Verminde- 
rung des  Arbeitsverbrauches,  und  dem  entsprechend  eine  Vermeh- 
rung der  Wärmeerzeugung  erwarten  lässt;  und  in  der  That  waren 
es  gerade  diese  Fälle,  in  denen  Riess  eine  erhöhte  Wärme 
im  Schliessungsbogen  beobachtete.  Man  sieht  also,  dass  es  zur 
Erklärung  dieser  Erscheinungen  nicht  nothwendig  ist,  die  An- 
nahme zu  machen ,  dass  die  Grösse  des  Arbeitsverbrauches  bei 
einem  Funken  sehr  klein  sei,  und  überhaupt  scheinen  mir  die  Ver- 
suche noch  keinen  sicheren  Schluss  über  diese  Grösse  zu  gestatten. 


1)  Pogg.  Ann.   Bd.  40,  S.  339.  —  2)  Pogg.  Ann.   Bd.  53,  S.  11. 
s)  Pogg.  Ann.   Bd.  43,  S.  79. 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  117 

Wenn  es  somit  wegen  der  in  der  Gesammtwirkung  vorkommen- 
den unbekannten  Grössen  unmöglich  ist,  eine  quantitativ  ge- 
naue Uebereinstimmung  der  Gleichung  (33)  mit  dem  Hauptsätze 
nachzuweisen,  so  könnte  man  vielleicht  umgekehrt  versuchen, 
durch  die  Annahme  beider,  und  ihre  Verbindung  mit  einander, 
jene  unbekannten  Grössen,  oder  wenigstens  die  Summe  derselben 
zu  bestimmen,  und  dazu  scheint  die  Form  der  von  Eiess  aufge- 
stellten Gleichung  (33)  allerdings  einzuladen.  Dabei  muss  man 
aber  bedenken,  dass  man  dieser  Gleichung  selbst,  als  einer  empiri- 
schen Gleichung,  keine  absolute  Genauigkeit  zuschreiben  darf,  wie 
es  auch  die  von  Riess  angeführten  Zahlen  zeigen.  Er  hat  näm- 
lich in  zwei  Versuchsreihen  in  den  Schliessungsbogen  Drähte  von 
verschiedener  Länge  und  Dicke  eingeschaltet,  wodurch  sich  in  dem 
'Ausdrucke  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  (33)  nur  die  im 
Nenner  befindliche  Grösse  l  änderte,  und  hat  dann  jedesmal  aus 
der  beobachteten  Erwärmung  die  Constante  h  bestimmt.  Die  so  ge- 
fundenen Werthe  weichen  in  der  ersten  Reihe  zwischen  0,01358  und 
0,01101  und  in  der  zweiten  zwischen  0,00000926  und  0,000008401) 
von  einander  ab,  und  wenn  diese  Differenzen  bei  der  grossen  Ver- 
schiedenheit der  eingeschalteten  Drähte  und  bei  der  Schwierigkeit 
der  Versuche  auch  nicht  als  bedeutend  gelten  können,  so  schei- 
nen sie  doch  deshalb  einige  Beachtung  zu  verdienen,  weil  sich  in 
ihnen  eine  gewisse  Regelmässigkeit  zeigt.  In  beiden  Reihen  wer- 
den nämlich  mit  wachsender  reducirter  Länge  l  des  Drahtes  die 
entsprechenden  Werthe  von  b  im  Allgemeinen  kleiner. 


§.  7.    Vergleichung  unter  Annahme  verschiedener 
Ladungen. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  dem  zweiten  Vergleichsj)uncte  zwi- 
schen der  Theorie  und  der  Erfahrung,  nämlich  zu  dem  Falle, 
wo  der  Schliessungsbogen  derselbe  bleibt,  aber  die 
Grösse  der  Batterie  und  der  darauf  angehäuften  Elec- 
tricitätsmenge  geändert  wird. 

Auch  hier  tritt  uns  der  eben  besprochene  Uebelstand  wieder 
entgegen.    Da  wir  nämlich  einen  Theil  der  Entladungswirkungen 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  43,  S.  68  und  73.  Der  grosse  Unterschied  zwischen 
den  Zahlen  der  ersten  und  zweiten  Reihe  beruht  auf  einer  verschiedeneu 
Wahl  der  Einheiten. 


118  Abschnitt  IV. 

nicht  kennen,  so  können  wir  auch  nicht  angeben,  wie  derselbe  sich 
mit  der  Grösse  der  Batterie  und  der  Electricitätsmenge  ändert,  und 
können  daher  aus  der  an  Einer  Stelle  des  Schliessungsbogens  beob- 
achteten Wirkung  noch  nicht  mit  Sicherheit  auf  die  Gesammt- 
wirkung  schhessen.  Nur  in  Bezug  auf  die  in  den  continuirlichen 
Theilen  des  Schliessungsbogens  erzeugte  Wärme  können  wir  als 
sicher  voraussetzen,  dass  jede  in  Einem  Theile  beobachtete  Ver- 
änderung auch  in  den  übrigen  Theilen  proportional  stattfindet. 

Wenn  nun  aber  der  Schliessungsbogen  eine  grosse  reducirte 
Länge  hat,  so  darf  man  wohl  annehmen,  dass  der  grösste  Theil 
der  Gesammtwirkung  zu  seiner  Erwärmung  verwendet  wird ,  und 
in  diesem  Falle  werden  also ,  wenn  die  übrigen  Wirkungen  auch 
von  jener  Proportionalität  abweichen  sollten,  die  dadurch  ent- 
stehenden Diöerenzen  verhältnissmässig  gering  sein,  so  dass  man* 
ohne  bedeutende  Ungenauigkeit  die  an  irgend  einer  Stelle  beob- 
achteten Erwärmungen  den  entsprechenden  Gesammtwirkungen 
proportional  setzen  kann. 

Nun  lässt  sich  aber  die  Gesammtwirkung  einer  vollständigen 
Entladung  nach  Gleichung  (12)  durch  den  Ausdruck 

—^  Const. 

darstellen,  und  dieses  ist  gerade  der  Ausdruck,  welchen  Riess 
für  die  Erwärmung  im  Schliessungsbogen  experimentell  gefunden 
hat,  indem  die  Gleichung  (33)  vollständig  lautet  i): 

(33a)  c=^.f, 

worin  a  eine  Constante  ist  2). 


§.  8.    Unvollständige  Entladung. 

Die  bisher  betrachteten  Fälle  bezogen  sich  auf  die  vollstän- 
dige Entladung.  Wir  wollen  nun  den  Fall  der  unvollständigen 
Entladung  betrachten. 


1)  Pogg.  Ann.   Bd.  45,  S.  23. 

2)  Diese  Uebereinstimmung  zwischen  Theorie  und  Erfahrung  wird  auch 
schon  von  Helmholtz  augeführt  (seine  Schrift  S.  43),  doch  ist  mir  die 
Entwicklung  seiner  Formel  nicht  ganz  verständlich,  indem  er  darin  eine 
Grösse  einführt,  welche  er  Ableitungsgrösse  nennt,  und  von  welcher  er 
sagt,  dass  sie  der  Fläche  der  Batteriebelegung  proportional  sei,  ohne  jedoch 
ihre  Bedeutung  oder  den  Grund  dieser  Proportionalität  näher  anzugeben. 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  119 

Auch  in  dieser  Beziehung  besitzen  wir  messende  Versuche 
vonRiessi),  welcher  eine  geladene  Batterie  dadurch  theilweise 
entlud,  dass  er  ihre  beiden  Belegungen  mit  den  entsprechenden 
Belegungen  einer  anderen  ungeladenen  Batterie  in  Verbindung 
setzte,  so  dass  die  vorher  auf  der  einen  Batterie  angehäuften  Elec- 
tricitäten  sich  nun  über  beide  verbreiteten.  Er  änderte  die  Ver- 
suche dadurch  ab,  dass  er  beide  Batterien  von  verschiedener 
Flaschenzahl  nahm,  und  beobachtete  jedesmal  die  Erwärmung  in 
einem  oder  in  beiden  Verbindungsbogen.  Die  Flaschen  jeder 
Batterie  waren  natürlich  unter  sich  gleich,  al)er  leider  waren  nicht 
auch  die  Flaschen  der  einen  gleich  denen  der  anderen.  Als  Re- 
sultat giebt  er  an,  dass  die  nachfolgende  „Formel  sich  allen  beob- 
achteten Erwärmungen  an  einer  constanten  Stelle  sowohl  des  in- 
neren als  des  äusseren  Schliessungsbogens  vollkommen  angeschlos- 
sen" 2)  habe: 

^^^^  ^^7^1 A — ' 

wobei  ich  nur  zur  leichteren  Vergleichung  mit  meinen  sonstigen 
Formeln  die  Buchstaben  etwas  anders  gewählt  habe,  als  Riess, 
Es  bedeutet  nämlich  C  die  beobachtete  Wärme,  M  die  angewandte 
Electricitätsmenge,  s  den  Flächenraum  der  inneren  Belegung  einer 
Flasche  der  ersten  Batterie  und  n  die  Anzahl  dieser  Flaschen, 
s'  und  n'  dieselben  Grössen  für  die  andere  Batterie,  und  endlich 
a  eine  Constante,  welche  für  den  inneren  Schliessungsbogen  etwas 
grösser  genommen  werden  musste,  als  für  den  äusseren,  was  sich 
daraus  erklären  lässt ,  dass  sich  auf  der  inneren  Belegung  etwas 
mehr  Electricität  befand,  als  auf  der  äusseren. 

Wir  wollen  nun  diese  Erwärmung  mit  der  Zunahme  des  Po- 
tentials vergleichen. 

Aus  der  Gleichung  (12)  ergiebt  sich  für  das  Potential  der 
ersten  Batterie  vor  der  Entladung,  wenn  man  die  Electricitäts- 
menge mit  M  bezeichnet ,  und  für  den  ganzen  Flächenraum  S  sei- 
nen Werth  ns  setzt,  der  Ausdruck: 

(35)  w=\-^- 

^     '  2      ns 

Um  nun  zu  bestimmen,  wie  sich  die  ganze  Electricitätsmenge  M. 


1)  Pogg.  Ann.   Bd.  80,  S.  214.  —  2)  A.  a.  0.  S.  217. 


120 


Abschnitt  IV. 


bei  der  Entladung  über  beide  Batterien  vertheilt,  kennt  man  die 
Bedingung,  dass  auf  den  verbundenen  Belegungen  die  Potential- 
functionen  gleich  sein  müssen.  Seien  nach  der  Entladung  Fi  und 
Fl  die  Potentialfunctionen  auf  den  inneren  Belegungen ,  und  Mi 
und  Ml  die  gesuchten,  auf  ihnen  befindlichen  Electricitätsmengen, 
so  hat  man  nach  (10): 

ns 


Fl   =  k 


F.'=Jc'^. 
n  8 

worin  Tc'  dieselbe  Grösse  für  die  Flaschen  der  zweiten  Batterie  ist, 
wie  Je  für  die  der  ersten.  Setzt  man  diese  beiden  Ausdrücke  ein- 
ander gleich,  und  bedenkt,  dass: 


Ml 

■\-  M{  =  M 

sein  muss,  so  erhält  man: 

ns 

Ml 

T 

ns  .  n's' 
l  ~^    Je' 

(36) 

\         / 

n's' 

MI 

Je' 

ns  .  n's' 
Je  ~^    Ji' 

M. 


Hieraus  ergiebt  sich  weiter,  wenn  Wi  das  Gesammtpotential  bei- 
der Batterien  nach  der  Entladung  ist: 


(37) 


Wi  =  \{MiFi-^M{F^) 


\M' 


ns 


+ 


Je     '      Je' 
und  somit  erhält  man  als  Abnahme  des  Potentials: 


(38) 


W-  Wi  = 


2    Je' 


s 


ns 


1  Je"^     s' 
Die  Grösse  —  ^  •  —  ist  für  die  ganze  Versuchsreihe  constant,  und 
^  Je      s 

man  kann  also  schreiben: 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  121 

Ä  .  M^ 


(39)  W—  Wi  = 


/.;      s' 

ns 


Vergleicht  man  diesen  Ausdruck  mit  dem  von  Riess  für  die 
Erwärmung  gegebenen  (34),  so  zeigt  sich,  dass  man,  um  beide  ein- 
ander proportional  zu  machen,  nur  anzunehmen  l)raucht,  dass  in 
den  Flaschen  beider  Batterien,  obwohl  sie  nicht  gleich  waren, 
doch  die  Grössen  fc  und  Je'  nahe  denselben  Werth  hatten,  und 
diese  Annahme  wird  noch  insbesondere  dadurch  gerechtfertigt, 
dass  Riess  weiterhin  i)  anführt,  er  habe  durch  directe  Messungen 
gefunden,  dass  bei  der  Verbindung  die  Electricität  sich  über 
beide  Batterien  nach  dem  Verhältnisse  der  Oberflächen  vertheilte, 
was  nach  den  Gleichungen  (36)  nur  dann  der  Fall  sein  konnte, 
wenn  7c  =  k'  war  2). 

Riess  änderte  die  Versuche  auch  dadurch  ab,  dass  er  den 
Schliessungsbogen  verlängerte,  und  beobachtete  die  dabei  statt- 
findende Abnahme  der  Wärme  an  einer  bestimmten  Stelle.  Die 
Resultate  dieser  Beobachtungen  stimmen  im  Allgemeinen  mit  den 
schon  oben  besprochenen  überein,  und  wir  wollen  sie  daher  hier 
übergehen  und  ebenso  einige  andere  in  demselben  Aufsatze  noch 
angeführte  Versuche. 


1)  A.  a.  0.  S.  220. 

2)  Da  die  Grössen  k  und  7c'  dem  Obigen  nach  von  den  Glasdicken 
beider  Batterien  abhängen,  so  schien  es  mir  von  Interesse  zu  sein,  diese 
Dicken  kennen  zu  lernen,  und  ich  habe  daher,  während  der  Aufsatz,  in 
welchem  ich  diese  Entwickelungen  gemacht  hatte,  schon  in  Pogg.  Ann. 
gedruckt  wurde,  noch  Hrn.  Riess  ersucht,  eine  Messung  derselben  anzu- 
stellen, worauf  er  so  gut  gewesen  ist,  mir  folgende  Mittheilung  zu 
machen.  In  den  kleinen  Flaschen  (denen  der  zweiten  Batterie)  variirt  die 
Glasdicke  bedeutend  und  ist  im  Mittel  lYa  pariser  Linien.  Die  grossen 
Flaschen  (die  der  ersten  Batterie)  hat  er  nicht  selbst  messen  können,  da 
sie  oben  geschlossen  sind,  und  er  hat  dafür  zwei  überzählige  Flaschen 
derselben  Art,  die  zur  Vorsicht  mit  den  im  Gebrauch  befindlichen  zu 
gleicher  Zeit  angefertigt  worden  sind,  gemessen;  das  Glas  ist  in  diesen 
nahe  gleich  und  IV3  Linien  dick.  Da  eine  absolute  Gleichheit  der  Glas- 
dicken unter  den  von  Hrn.  Riess  augeführten  Umständen  nicht  zu  erwarten 
war,  und  auch  durch  die  angenommene  Gleichheit  der  Grössen  Je  und  k' 
nicht  nothwendig  bedingt  ist,  indem  die  letzteren  ausser  von  der  Glas- 
dicke auch  von  der  Natur  des  Glases  und  in  einem  gewissen ,  obwohl  nur 
untergeordneten  Grade  von  der  Gestalt  und  Grösse  der  Flaschen  abhängen, 
so  glaube  ich,  dass  man  die  Uebereinstimmung  der  Zahlen  1'/,  und  l^/g 
als  genügend  betrachten  kann. 


122  Abschnitt  IV. 


§.  9.    Gleichunge.n  für  die  Cascadenbatterie. 

Es  möge  nun  nocli  die  Franklin 'sehe  sogenannte  Cascaden- 
batterie oder  Flaschensäule  betrachtet  werden.  Sie  besteht 
bekanntlich  aus  einer  Anzahl  einzelner  Flaschen  oder  ganzer  Bat- 
terien, welche  isolirt  und  dann  so  unter  einander  verbunden  sind, 
dass  die  äussere  Belegung  der  ersten  mit  der  inneren  der  zweiten, 
die  äussere  der  zweiten  mit  der  inneren  der  dritten  u.  s.  f.  in  lei- 
tendem Zusammenhange  stehen.  Nur  die  innere  Belegung  der  er- 
sten und  die  äussere  der  letzten  Batterie  sind  frei,  und  diese  wer- 
den bei  der  Ladung  wie  die  innere  und  äussere  Belegung  einer 
einzelnen  Batterie  behandelt. 

Nachdem  diese  Ladung  stattgefunden  bat,  mögen  die  Electri- 
citätsmengen ,  welche  sich  auf  den  beiden  Belegungen  der  einzel- 
nen Batterien  befinden ,  und  die  entsprechenden  Potentialniveaux 
der  Reihe  nach  mit 

Mi,Ni-,    M^,N,;    M,,N^  etc. 


^^^^  '  F„   G,;    F,,  a,;    ^3,  G-^  etc. 

bezeichnet  werden.  Da  nun,  wenn  der  inneren  Belegung  der  er- 
sten Batterie  von  einem  Conductor  positive  Electricität  zugeführt 
wird,  die  äussere  Belegung  dieser  Batterie  ihre  negative  Electri- 
cität nur  von  der  inneren  der  zweiten  erhalten  kann,  und  diese 
dadurch  positiv  geladen  wird,  so  hat  man: 

und  da  ferner  zwei  Körper,  welche  leitend  mit  einander  verbunden 
sind,  gleiche  Potentialniveaux  haben  müssen,  so  hat  man  für  die- 
selben beiden  Belegungen: 

Gl  =  F2, 

und  zwei  eben  solche  Gleichungen  gelten  für  jedes  andere  Paar 

verbundener  Belegungen ,  so  dass  folgende  Reihe  von  Gleichungen 

gegeben  ist: 

an      f^i--=-^2;     N,  =  -  M,;    N,  =  -  M,  etc. 

^    ^      \  Gi  =  F,;  G,  =  F,;  G,  =  F,  etc. 

Ausserdem  stehen  für  jede  Batterie  die  Grössen  Ji",  iV",  F  und 
G  in.  solcher  Beziehung  zu  einander,  dass  durch  je  zwei  derselben 
die  beiden  anderen    bestimmt  sind.     Man  kann  nämlich  gemäss 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  123 

den  Gleichungen  (51)  des  vorigen  Abschnittes  für  eine  aus  n  glei- 
chen Flaschen  bestehende  Batterie  setzen: 


(42) 


3f=n  j  {F  —  G)-^  nc/M 

N  =  n(j  —  a\  {G  —  F)  +  n  ß  G. 


Mittelst  der  Gleichungssysteme  (41)  und  (42)  kann  man,  so- 
bald zwei  der  Grössen  (40)  gegeben  sind,  die  übrigen  bestimmen, 
und  daraus  dann  weiter  auch  das  Potential  der  gesammten  Elec- 
tricität  auf  sich  selbst  berechnen. 

Zur  Vergleichung  der  Theorie  mit  der  Erfahrung  Ijesitzen 
wir  messende  Versuche  von  Dove^)  und  Riess'-^).  Die  von  ihnen 
angestellten  Versuche  bestehen  bei  beiden  aus  zwei  verschiedenen 
Reihen.  Bei  der  ersten  war  die  Flaschenzahl  in  allen  verbunde- 
nen Batterien  gleich,  aber  die  Anzahl  der  angewandten  Batterien 
wurde  geändert;  bei  der  zweiten  dagegen  blieb  die  Anzahl  der 
angewandten  Batterien  dieselbe,  nämlich  immer  nur  zwei,  aber 
in  jeder  dieser  Batterien  wurde  die  Flaschenzahl  geändert. 


§.    10.    Cascadenbatterie  aus  zwei  ungleichen 
Elementen. 

Wir  wollen  zunächst  die  zweite  der  genannten  Versuchsreihen 
betrachten  und  mit  der  Theorie  vergleichen. 

Die  Anordnung  der  Versuche  war  so  getroffen,  dass  beide  als 
Elemente  der  Cascadenbatterie  dienende  Batterien  isolirt,  und  die 
innere  Belegung  der  ersten  mit  dem  Conductor  der  Electrisir- 
maschine,  die  äussere  der  zweiten  mit  einer  L an e' sehen  Maass- 
flasche verbunden  waren.  Demnach  war  durch  die  Anzahl  der 
Funken  der  Maassflasche  die  Electricitätsmenge  der  zweiten  äusse- 
ren Belegung  gegeben,  und  zugleich  kann  man  das  Potentialniveau 
dieser  Belegung  nach  dem  Ueberspringen  jedes  Funkens  der  Maass- 
flasche gleich  Null  setzen,  wobei  nur  die  Potentialfunction  des  jedes- 
mal in  der  Maassflasche  bleibenden  Rückstandes  vernachlässigt  ist. 

Es  sind  also,  wie  oben  gefordert  wurde,  zwei  von  den  Grössen 
(40)  bekannt,  und  um  aus   diesen  die  übrigen  abzuleiten,   kann 


1)  Pogg.  Ann.    Bd.  72,  S.  406.  —  2)  Pogg.  Auu.    Bd.  80,  S.  349. 


124  Abschnitt  IV. 

man  von  der  zweiten  äusseren  Belegung  nach  einander  zur  zwei- 
ten inneren,  zur  ersten  äusseren  und  endhch  zur  ersten  inneren 
fortschreiten.  Man  erhält  auf  diese  Weise,  wenn  man  die  durch 
die  Maassflasche  gemessene  Electricitätsmenge  mit  —  Q  und  die 
Flaschenzahlen  der  beiden  Batterien  mit  n^  und  Wa  bezeichnet,  und 
alle  Flaschen  als  gleich  voraussetzt,  unter  Vernachlässigung  von 
Gliedern  höherer  Ordnungen  in  Bezug  auf  h ,  folgende  Reihe  von 
Gleichungen : 

N,  =  -  Q 

V      '         sj  n^s  ^ 
^1  =  -  (l  +  «  I)  <? 

l      '    Wi  +  W3  L  *^2J  s\  \ni    '    71 J  s   ^ 

M,=  {l+[2a  +  (a  +  ß)"S^t}Q. 

Bildet  man  nun  zur  Bestimmung  des  Potentials  der  ganzen 
zusammengesetzten  Batterie  die  Gleichung: 

und  setzt  darin  die  vorstehenden  Ausdrücke  ein,  so  erhält  man : 

Will  man  sich  mit  einem  geringeren  Grade  von  Genauigkeit  be- 
gnügen, und  eine  Grösse,  welche  im  Verhältnisse  zum  Ganzen  von 
der  Ordnung  li  ist,  vernachlässigen,  so  kann  man  schreiben: 

(43a)  T»'=(i_  +  J_)|L«^ 

Da  nach  der  Entladung  das  Potential  Null  ist ,  so  ist  W  die 
bei  der  Entladung  stattfindende  Abnahme  des  Potentials,  und 
wenn  wir  wieder,  wie  früher,  annehmen,  dass  unter  sonst  glei- 
chen Umständen  die   Erwärmung  an    einer  einzelnen   Stelle  des 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  125 

Schliessungsbogens  der  Gesammtwirkung  proportional  sei,  so  kön- 
nen wir  schreiben: 

(44)  C=^(l  +  l)|, 

worin  C  die  erzeugte  Wärme  und  A  eine  Constante  ist. 

Vergleichen  wir  diese  Formel  mit  den  Beohachtungsresulta- 
ten ,  so  finden  wir  zunächst  die  Proportionalität  der  erzeugten 
Wärme  mit  dem  Quadrate  der  angewandten  Electricitätsmenge 
auch  hier,  wie  in  allen  anderen  Fällen,  bestätigt.  Was  aber  die 
Abhängigkeit  der  Wärme  von  den  Flaschenzahlen  ny  und  11.2  l)e- 
trifft,  so  giebt  Dove  dafür  eine  andere  Formel.  Bezeichnen  wir 
nämlich  die  ganzen  Flächenräume  der  Belegungen  der  beiden  Bat- 
terien, also  UyS  und  n-jS^  mit  Sx  und  ^2,  so  geht  (44)  über  in: 

und  statt  dessen  giebt  Dove  die  Formel: 

Die  von  ihm  mitgetheilten  Versuchsresultate  schliessen  sich  auch 
sehr  gut  seiner  Formel  an,  dagegen  stimmen  die  späteren  Ver- 
suche von  Riess  besser  mit  der  meinigen,  wie  die  nachstehenden 
Tabellen  zeigen. 

Es  wurde  nämlich  von  beiden  Beobachtern  2)  ein  Mal  n^  con- 
stant  gelassen  und  iii  so  geändert,  dass  nach  einander 

ni  =  Yio ,  =  2  W.2 ,  =  3  «2  und  =  4  n^ 

war;  ein  anderes  Mal  wurde  n^  constant  gelassen  und  n-i  so  geän- 
dert, dass  nach  einander 

n^  =  ni ,  =:  2  Ml ,  =  3  Wj  und  =  4  Wi 

war.  Um  die  Resultate  besser  vergleichen  zu  können,  habe  ich  in 
beiden  Fällen  die  Erwärmung,  welche  bei  dem  ersten  Versuche, 
wo  «1  =  n.2  war,  beobachtet  wurde,  als  Einheit  genommen,  und 
darauf  die  übrigen  Erwärmungen  reducirt.  Bei  Riess,  welcher 
jedesmal  zwei  Beobachtungswerthe  anführt,  habe  ich  die  Mittel- 
zahlen genommen. 


1)  Pogg.  Ann.   Bd.  72,  S.  419. 

2)  Pogg.  Ann.  Bd.  72,  S.  417  und  Bd.  80,  S.  356. 


126 


Abschnitt  IV. 

(I.)    Hl  vei'äuderlicli,  n^  constant. 


Erwärmungen 

l^l 

berechnet 

beobachtet 

nach  Dove's 
Formel. 

nach 
Formel  (45). 

von 
Dove. 

von 
Riess. 

n^ 

1 

1 

1 

1 

2^2 

0-71 

0-75 

0-72 

0-76 

3  «2 

0-58 

0-G7 

0-59 

0-69 

4ot2 

0-50 

0-63 

0-51 

0-66 

(II.)    «2  veränderlich,  %  constant. 


Erwärmungen 

Wä 

berechnet 

beobachtet 

nach  Dove's 
Formel. 

nach 
Formel  (45). 

von 
Dove. 

von 
Riess. 

«1 

1 

1 

1 

1 

2wi 

0-71 

0-75 

0-71 

0-78 

3«! 

0-58 

0-67 

0-60 

0-72 

4% 

0-50 

0-G3 

0-50 

0-G8 

Man  sieht,  dass  in  der  ersten  Tabelle  zwischen  den  Zahlen 
der  dritten  und  fünften  Colmnne  eine  genügende  Uebereinstim- 
mimg  stattfindet.  In  der  zweiten  Tabelle  sind  die  Differenzen 
allerdings  etwas  bedeutender,  wenn  man  aber  bedenkt,  wie  schwie- 
rig es  sein  würde,  die  in  der  theoretischen  Formel  vorausgesetzten 
Bedingungen,  besonders  die  der  vollkommenen  Isolation,  genau  zu 
erfüllen ,  und  dass  auch  selbst  für  diesen  Fall  die  Formel  nur  als 
eine  angenähert  richtige  aufgestellt  ist,  so  wird  man  auch  diese 
Differenzen  nicht  für  die  Theorie  bedenklich  finden,  und  dabei 
muss   noch  bemerkt  werden,    dass   alle  Zahlen   der  fünften  Co- 


Mech.  Aequivalent  einet-  Entladung.  127 

lumne  grösser  sind,  als  die  Ergebnisse  meiner  P'ormel ,  während 
sie,  um  sich  der  Dove' sehen  Formel  zu  nähern,  kleiner  sein 
müssten. 


§.   11.     Cascadenbatterie  aus  mehreren  gleichen 
Elementen. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  anderen  oben  erwähnten  Reihe 
von  Versuchen,  bei  welcher  die  zur  Cascadenbatterie  verbundenen 
Elemente  (einzelne  Flaschen  oder  aus  einigen  Flaschen  bestehende 
Batterien),  unter  einander  gleich  waren,  ihre  Anzahl  aber  ver- 
schieden genommen  wurde.  Dove  und  Riess  wandten  drei  oder 
vier  gleiche  Flaschen  oder  Batterien  als  Elemente  an ,  welche  bei 
der  Ladung  immer  alle  zu  einer  Cascadenbatterie  vereinigt  waren, 
während  die  Entladung  entweder  an  der  ersten  allein,  oder  an  den 
beiden  ersten  zusammen,  oder  an  den  drei  ersten  zusammen  etc. 
vorgenommen  wurde.  Bei  jeder  Entladung  wurde  die  Erwärmung 
im  Schliessungsbogen  beobachtet. 

Um  für  eine  aus  beliebig  vielen  gleichen  Elementen  bestehende 
Cascadenbatterie  die  Potentialniveaux  aller  einzelnen  Belegungen 
und  die  auf  ihnen  befindlichen  Electricitätsmengen  zu  bestimmen, 
wenn  zwei  dieser  Grössen  gegeben  sind,  können  wir  wieder  die 
Gleichungssysteme  (41)  und  (42)  anwenden.  Wir  wollen  uns  aber 
jetzt  bei  dieser  Bestimmung  mit  dem  geringeren  Grade  von  Ge- 
nauigkeit begnügen,  welchen  man  erhält,  wenn  man  bei  jeder  der 
Grössen  nur  das  erste  Glied  berücksichtigt.  Dann  sind  die  Elec- 
tricitätsmengen auf  allen  Belegungen  den  absoluten  Werthen  nach 
als  gleich  zu  betrachten,  und  sie  lassen  sich  daher,  wenn  wir  die 
auf  der  letzten  äusseren  Belegung  befindliche  Electricitätsmenge 
wieder  mit  —  Q  bezeichnen,  von  dieser  anfangend  der  Reihe  nach 
durch  —  Qi  ~{-  Qi  —  Q-,  -\-  Q  etc.  darstellen.  Für  die  Potential- 
niveaux erhalten  wir,  wenn  das  Potentialniveau  der  letzten  äusse- 
ren Belegung  gleich  Null  ist,  von  diesem  anfangend  der  Reihe 
nach  folgende  Werthe: 

0,  K  -^ ,    «'  "q  )  ^  "'  "o  5  ^  '^  ~Q  1  <-" "'  "o"  etc. 

Was  nun  das  Potential  der  gesammten  Electricität  aui  sich 
selbst  für  eine  Cascadenbatterie  von  irgend  einer  Anzahl  von  Ele- 


128  Absclmitt  IV. 

menten  anbetrifft,  so  ist  zu  bemerken,  dass  bei  dem  Grade  von 
Genauigkeit,  mit  welchem  wir  uns  begnügt  haben,  die  Potentiale 
der  einzelnen  als  Elemente  angewandten  Flaschen  oder  Batterien 

alle  unter  einander  gleich  sind,  indem  jedes  durch  —  •  -§-  dar- 

gestellt  wird.  Wendet  man  also  bloss  Ein  Element,  oder  eine 
Verbindung  von  zwei,  drei  etc.  Elementen  an,  so  erhält  man  als 
Potentiale  die  Werthe: 


-i2  7.  /-»2 


^      ^       2   ^      ^       3    ^      ^   etc 

Diese  im  Verhältnisse  der  ganzen  Zahlen  1,2,3  etc.  fort- 
schreitenden Werthe  sind  es,  welche  bei  den  von  Dove  und  Riess 
nach  einander  vorgenommenen  Entladungen  die  von  den  electri- 
schen  Kräften  geleisteten  Arbeitsgrössen  darstellen,  und  mit  ihnen 
müssen  daher  die  beobachteten  Erwärmungen  verglichen  werden. 

Dabei  darf  man  aber  in  dieser  Versuchsreihe  nicht  eine  so 
nahe  Uebereinstimmung  erwarten,  wie  in  der  vorher  besprochenen, 
indem  bei  diesen  Versuchen  einige  Uebelstände  hervortreten,  welche 
zwar  auch  bei  den  anderen  nicht  ganz  fehlten,  aber  doch  dort 
nicht  so  einfiussreich  sein  konnten,  als  hier.  Darunter  ist  beson- 
ders der  hervorzuheben,  dass  durch  jede  bei  der  Entladung  neu 
hinzugenommene  Batterie  auch  der  Schliessungsbogen  verlängert 
wird.  In  der  vorher  betrachteten  Versuchsreihe  wurden  nämlich 
bei  der  Vermehrung  der  Flaschen  einer  Batterie  die  neuen  Fla- 
schen neben  den  schon  vorhandenen  eingeschaltet,  und  wenn  da- 
her auch  durch  sie  und  ihre  Verbindungsdrähte  das  unter  der  Ein- 
wirkung der  electrischen  Entladung  stehende  Körpersystem  ver- 
grössert  wurde,  so  war  diese  Vergrösserung  doch  nicht  als  eine  für 
sich  bestehende  Verlängerung  des  Schliessungsbogens  zu  rech- 
nen, und  ich  habe  deshalb  diesen  Umstand  vorher  unberücksichtigt 
gelassen,  ebenso  wie  den  ähnlichen  früher  bei  der  Vermehrung  der 
Flaschen  einer  einzelnen  Batterie.  Bei  der  jetzt  betrachteten  Ver- 
suchsreihe dagegen  ist  jede  neu  hinzugenommene  Batterie  hinter 
den  anderen  eingeschaltet,  so  dass  der  zu  ihr  führende  Zwischen- 
draht und  ihre  beiden  Belegungen  selbständige  Theile  des 
Schliessungsbogens  bilden. 

Hieraus  folgt,  dass  die  Annahme,  welche  wir  früher  bei  gleich- 
bleibendem Schliessungsbogen  gemacht  haben,  dass  die  Wärme- 
erregung an  einer  einzelnen  Stelle  der  Gesammtwirkung  propor- 


Mech.  Aequivalent  einer  Entladung.  129 

tional  sei,  auf  den  Fall,  wo  die  letztere  durch  Vermehrung  der 
Elemente  einer  Cascadenbatterie  vergrössert  wird,  nicht  als  gleich 
nahe  richtig  angewandt  werden  darf,  sondern  dass  in  diesem  Falle 
das  Verhältniss  der  beobachteten  Wärmeerregungen  ein  etwas  ge- 
ringeres sein  muss.  Da  sich  nun  aus  den  obigen  Gleichungen  die 
Gesammtwirkung  oder  die  Abnahme  des  Potentials  der  Anzahl  der 
zusammen  entladenen  Elemente  proportional  ergiebt,  so  muss  man 
von  einem  in  dem  Schliessungsbogen  befindlichen  electrischen 
Thermometer  bei  stufenweiser  Vermehrung  der  Elemente  Anzei- 
gen erwarten,  die  etwas  hinter  den  auf  einander  folgenden  ganzen 
Zahlen  zurückbleiben. 

In  den  von  Dove^)  mitgetheilten  Versuchen  tritt  dieser  Un- 
terschied zwar  nicht  hervor,  indem  er  bei  vier  Batterien  für  die 
Erwärmungen  gerade  die  Zahlen  1,  2,  3  und  4  anführt.  Die  Ver- 
suche von  Riess2)  dagegen  zeigen  sogar  eine  ziemlich  bedeu- 
tende Abweichung,  indem  bei  vier  Flaschen  die  Zahlen,  statt  von 
1  bis  4,  immer  nur  von  1  bis  etwa  3,  und  bei  drei  Batterien,  statt 
von  1  bis  3,  nur  von  1  bis  2,5  wachsen.  Ein  bestimmtes  Gesetz 
lässt  sich  über  diese  Zahlenreihe  natürlich  nicht  aufstellen,  indem 
dieselbe  sehr  von  der  Beschaffenheit  der  angewandten  Batterien 
und  der  Zwischenverbindungen  abhängen  muss. 

Die  Richtigkeit  der  im  Vorigen  gemachten  Annahme ,  dass 
jede  Verbindung  je  zweier  Elemente  als  ein  selbständiger  Theil 
des  Schliessungsbogens  zu  betrachten  sei,  ergiebt  sich  übrigens 
noch  insbesondere  daraus,  dass  nach  den  Beobachtungen  beider 
Physiker  die  Erwärmung  in  diesen  Zwischendirähten  nahe  ebenso 
stattfindet,  wie  im  Hauptschliessungsbogen ,  und  dass  durch  die 
Einschaltung  eines  schlechten  Leiters  in  eine  der  Zwischenverbin- 
dungen die  Erwärmung  irgend  einer  Stelle  des  Hauptbogens  nahe 
ebenso  vermindert  wird,  als  wenn  jener  Leiter  in  den  Hauptbogen 
selbst  eingeschaltet  wäre. 

Diesen  letzteren  Umstand  muss  man  wohl  berücksichtigen, 
wenn  man  sich  von  der  bei  der  Vermehrung  der  Elemente  einer 
Cascadenbatterie  stattfindenden  Zunahme  der  im  Ganzen  erzeug- 
ten "Wärme  Rechenschaft  geben  will.  Hat  man  z.  B.  eine  Cascaden- 
batterie von  vier  Elementen,  so  kommen  in  dieser  vier  getrennte 
Theile  des  Schliessungsbogens  vor,  der  Hauptbogen,  welcher  die 
erste  innere  Belegung  mit  der  letzten  äusseren  verbindet,  und  die 


1)  Pogg.  Auu.   Bd.  72,  S.  408.  —  '^)  Pogg.  Auü.   Bd.  80,  S.  351. 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.   IT,  g 


130  Abschnitt  lY. 

drei  Zwischenstücke,  welche  je  eine  äussere  Belegung  mit  der 
nächsten  inneren  Belegung  verbinden.  Da  man  nun  in  jedem  die- 
ser yier  Verbindungsbogen  ein  electrisches  Luftthermometer  ein- 
schalten kann,  und  darin  jedesmal  eine  Wärmemenge  erhält,  die 
sich  der  vierfachen  von  derjenigen,  welche  ein  einzelnes  Element 
hervorbringen  würde,  wenigstens  nähert,  so  könnte  man  vielleicht, 
wie  es  in  der  That  geschehen  ist,  den  Schluss  ziehen,  dass  man 
bei  gleichzeitiger  Einschaltung  von  electrischen  Luftthermometern 
in  allen  vier  Verbindungsbogen  angenähert  die  sechszehnfache 
Wärmemenge  erhalten  würde.  Dabei  ist  aber  zu  bedenken,  dass 
wenn  nur  Ein  Luftthermometer,  dessen  Draht  eine  bedeutende 
reducirte  Länge  hat,  eingeschaltet  ist,  fast  die  ganze  Wirkung  der 
Entladung  sich  in  ihm  concentrirt;  wenn  aber  vier  Luftthermome- 
ter eingeschaltet  sind ,  die  Wirkung  sich  über  alle  vier  verbreiten 
und  daher  in  jedem  einzelnen  entsprechend  geringer  werden  muss. 
Die  gesammte  Wärmeerzeugung  kann  nicht  grösser  sein,  als  die 
bei  der  Entladung  eingetretene  Abnahme  des  Potentials,  und  diese 
ist  dem  Obigen  nach  bei  einer  Batterie  von  vier  Elementen  nicht 
sechzehnmal,  sondern  viermal  so  gross  als  bei  einem  einzelnen  Ele- 
mente. 

Fassen  wir  nun  das  Ergebniss  aller  bisher  untersuchten  Fälle 
zusammen,  so  sind  die  meisten  derselben  allerdings  zu  complicirt, 
um  eine  ganz  strenge  Vergleichung  mit  der  Theorie  zuzulassen; 
so  weit  aber  die  Vergleichung  möglich  war,  ist  sie  immer  zu  Gun- 
sten des  Hauptsatzes  ausgefallen,  und  mir  ist  auch  sonst  keine 
experimentell  feststehende  Thatsache  bekannt,  welche  gegen  die- 
sen Satz  spräche.  Ich  glaube  daher,  dass  man  denselben,  sofern 
er  dessen  neben  seiner  theoretischen  Begründung  überhaupt  noch 
bedarf,  auch  durch  die  Erfahrung  als  bestätigt  ansehen  kann. 


ABSCHNITT   Y. 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  stationären 
electrischen  Strome. 

§.  1.    Eigentliümlichkeit  des  zu  betrachtenden 

Falles. 

Im  vorigen  Abschnitte  wurden  die  Wirkungen  der  Electri- 
citätsbewegung  in  einem  Falle  betrachtet,  welcher  in  einer  gewis- 
sen Beziehung  besonders  einfach  ist.  Es  wurde  nämlich  voraus- 
gesetzt, dass  sowohl  der  Anfangs-  als  auch  der  Endzustand 
der  Electricität  ein  Ruhezustand  sei.  Für  diesen  Fall  brauchte 
man  den  Verlauf  der  Bewegung ,  durch  welche  die  Electricität  aus 
dem  einen  Zustande  in  den  anderen  übergeht,  gar  nicht  zu  be- 
trachten, sondern  es  genügte,  das  Potential  der  gesammten  Elec- 
tricität auf- sich  selbst  für  jeden  der  beiden  Ruhezustände  zu  ken- 
nen, indem  die  während  des  Ueberganges  von  den  electrischen 
Kräften  geleistete  Arbeit  einfach  durch  die  Differenz  dieser  beiden 
Potentiale  dargestellt  wird.  Jetzt  wollen  wir  dagegen  die  Elec- 
tricität in  der  Bewegung  selbst  betrachten,  wollen  dabei  aber  an- 
dere vereinfachende  Annahmen  machen.  Wir  wollen  die  Bewe- 
gung als  eine  stationäre  voraussetzen,  worunter  wir  eine  solche 
verstehen,  bei  der  der  Bewegungszustand  des  betrachteten  Sy- 
stemes  im  Verlaufe  der  Zeit  immer  derselbe  bleibt,  oder  wenig- 
stens nur  solche  Aenderungen  erleidet,  deren  Zeitdauer  gegen  die 
bei  der  Beobachtung  in  Betracht  kommenden  Zeiten  so  klein  ist, 
dass  man  es  bei  der  Beobachtung  nur  mit  einem  mittleren  Bewe- 
gungszustande  zu    thun   hat,    welcher  unveränderlich  ist.     Eine 

9* 


132  Abschnitt  V. 

solche  stationäre  Bewegung  findet  bei  einem  galvanischen  und 
thermoelectrischen  Strome  statt ,  und  mit  Strömen  dieser  Art  wol- 
len wir  uns  jetzt  beschäftigen.  Dabei  wollen  wir  noch  eine  Be- 
schränkung einführen.  Wir  wollen  nämlich  nicht  gleich  den  gan- 
zen Stromkreis  mit  Einschluss  der  Stellen,  wo  die  electromotori- 
schen  Kräfte  wirken,  und  mit  den  diese  Kräfte  erzeugenden  Vor- 
gängen betrachten,  sondern  wollen  die  Betrachtung  auf  ein  sol- 
ches Leiterstück  beschränken,  in  welchem  keine  electromotorische 
Kraft  ihren  Sitz  hat,  und  welches  durch  den  Strom  keinerlei  che- 
mische oder  mechanische  Veränderungen  erleidet.  Auch  wollen 
wir  voraussetzen,  dass  keinerlei  inducirende  Wirkungen  zwischen 
dem  betrachteten  Leiter  und  anderen  Leitern  oder  Magneten 
stattfinden. 

In  diesem  Falle  ist  die  einzige  Wirkung,  welche  der  electrische 
Strom  hervorbringt,  eine  Erwärmung  des  Leiters.  Die  Gesetze  die- 
ser Wärmeerzeugung  sind  für  den  einfachsten  Fall,  wo  der  Leiter 
ein  Draht  ist,  empirisch  von  Joule  i),  Lenz  2)  und  Becquerel^) 
ermittelt,  welche  gefunden  haben,  dass  die  während  der  Zeiteinheit 
in  einem  Drahte  erzeugte  Wärme  proportional  seinem  Leitungs- 
widerstande und  dem  Quadrate  der  Stromintensität  ist.  Es  han- 
delt sich  nun  darum,  die  in  dem  Leiter  von  den  electrischen  Kräf- 
ten gethane  Arbeit  und  die  in  Folge  dessen  erzeugte  Wärme  vom 
allgemeinen  theoretischen  Gesichtspuncte  aus  zu  betrachten  und 
mit  den  im  vorigen  Abschnitte  betrachteten  Wirkungen  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen. 


§.  2.    Das  Ohm'sche  Gesetz  und  die  Kirchhoff'sche 
Deutung  desselben. 

Das  Ohm'sche  Gesetz,  soweit  es  sich  auf  die  Vorgänge  inner- 
halb eines  homogenen  Leiters  bezieht,  lässt  sich  ganz  allgemein 
in  folgender  Weise  aussprechen.  Sei  da  irgend  ein  Flächen- 
element innerhalb  des  Leiters,  N  die  Normale  darauf  und  ida 
die  Electricitätsmenge ,  welche  während  der  Zeiteinheit  hindurch- 
strömt, worin  i  positiv  oder  negativ  zu  nehmen  ist,  je  nachdem 


1)  Phil.  Mag.  S.  3,  V.  19,  p.  264  und  Ser.  4,  V.  3,  p.  486. 

2)  Pogg.  Ann.  Bd.  61,  S.  44. 

3)  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  S.  3,  T.  9,  p.  21. 


imd  der  negative  Differential-Coefficient  —  -^i^^^  stellt  offenbar  die 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    133 

die  Electricität  von  der  in  Bezug  auf  N  negativen  Seite  nach  der 
positiven  oder  umgekehrt  strömt,  so  gilt  die  Gleichung: 

(1)  ^  =  -  Je  g^, 

worin  k  das  Leitungsvermögen  des  Körpers  bedeutet,  und  V  eine 
Function  ist,  welche,  sobald  der  stationäre  Zustand  des  Stromes 
eingetreten  ist,  nur  von  den  Raumcoordinaten  abhängt. 

Es  muss  nämlich,  in  jedem  Puncte  des  durchströmten  Leiters 
eine  Kraft  wirken,  welche  die  Electricität  trotz  des  Widerstandes, 
den  sie  fortwährend  zu  überwinden  hat,  doch  in  Bewegung  erhält, 

dV 

dN 

in  die  Richtung  der  Normale  N  fallende  Componente  dieser  Kraft 
dar.  Im  Uebrigen  aber  war  die  plij^sikalische  Bedeutung  der 
Function  V  früher  zweifelhaft.  Ohm  nennt  nämlich  die  durch 
diese  Function  dargestellte  Grösse  die  electroskopische  Kraft, 
und  definirt  sie  als  die  Dichtigkeit  der  Electricität  an  dem  be- 
treffenden Puncte  des  Leiters  i).  Gegen  diese  Ansicht  hat  aber 
Kirchhoff  2)  mit  Recht  eingewandt,  dass  sie  mit  einem  bekannten 
electrostatischen  Satze  geradezu  im  Widerspruche  stehe.  Nach  ihr 
müsste  nämlich  die  Electricität  in  einem  Leiter  in  Ruhe  bleiben, 
wenn  sie  durch  den  ganzen  Rauminhalt  desselben  mit  gleicher 
Dichtigkeit  verbreitet  wäre,  während  es  doch  hinlänglich  bekannt 
ist,  dass  die  getrennte  (d.  h.  nicht  mit  einer  gleichen  Menge 
entgegengesetzter  Electricität  verbundene)  Electricität' eines  Kör- 
pers, von  welcher  allein  hier  die  Rede  sein  kann,  da  nur  sie  eine 
Kraft  ausübt,  im  Zustande  der  Ruhe  nur  über  die  Oberfläche 
des  Körpers  verbreitet  ist. 

Dieser  Einwand  könnte  vielleicht  Misstrauen  gegen  die 
theoretische  Zulässigkeit  des  Ohm 'sehen  Gesetzes  überhaupt  ein- 
flössen, doch  hat  Kirchhoff  selbst  sogleich  gezeigt,  dass  das  Ge- 
setz auch  mit  den  Grundsätzen  der  Electrostatik  sehr  wohl  in 
Einklang  zu  bringen  ist,  und  welche  Bedeutung  man  zu  dem 
Zwecke  der  Function  V  beilegen  muss.    _ 


1)  Die  galvauisclie  Kette,  mathematiscli  bearbeitet  vou  Dr.  G.  S.  Ohm, 
S.  95  und  an  anderen  Stellen. 

2)  Pogg.  Ann.  Bd.  78,  S.  506. 


134  Abschnitt  V. 

dV 
Wie  schon  gesagt,  stellt  —  ^-^  die  in  die  Richtung  von  N 

fallende  Componente  der  in  dem  betrachteten  Puncte  auf  eine  dort 
gedachte  Electricitätseinheit  wirkende  Kraft  dar,  und  ebenso  wer- 
den natürlich  auch  die  in  die  Richtungen  der  drei  Coordinaten- 

axen  fallenden  Componenten  durch  —  ;::—,  —  yr—  und  —  ^--    dar- 

dx         oy  dz 

gestellt.  Das  deutet  darauf  hin ,  dass  die  Kraft  von  Anziehungen 
und  Abstossungen  herrührt,  welche  von  festen  Puncten  ausgehen, 
und  von  denen  jede  ihrer  Stärke  nach  nur  von  der  Entfernung 
und  nicht  von  der  sonstigen  Lage  des  wirksamen  Punctes  abhängt, 
wobei  freilich  das  Gesetz  dieser  Abhängigkeit  noch  willkürlich 
bleibt.  Aber  auch  dieses  letztere  lässt  sich  aus  anderen  Gründen 
schliessen,  indem  solche  Anziehungen  und  Abstossungen  in  unse- 
rem Falle  offenbar  nur  von  der  Electricität  selbst  ausgeübt  wer- 
den können,  und  für  deren  Anziehungen  und  Abstossungen  das 
Gesetz  des  umgekehrten  Quadrates  der  Entfernung  gilt. 
Daraus  folgt,  dass  die  Function  V  einfach  als  die  Potential- 
function  der  gesammten  getrennten  Electricität  zu  be- 
trachten ist  1). 

Hierdurch  ist  der  oben  erwähnte  Widerspruch  gehoben,  denn 
bei  dieser  Bedeutung  der  Function  V  ist  die  Gleichung  V  =  const,, 
welche  in  Folge  von  (1)  ausdrückt,  dass  kein  Strom  stattfinde, 
dieselbe,  welche  auch  aus  der  Electrostatik  als  Bedingungsgleichung 
für  den  Gleichgewichtszustand  bekannt  ist. 


§.  3.   Anordnung  der  getrennten  Electricität  und  electri- 
scher  Zustand  im  Inneren  des  Leiters. 

Aus  der  vorstehend  angegebenen  Bedeutung  von  V  lässt  sich, 
wie  Kirchhoff  gezeigt  hat,  leicht  bestimmen,  wo  sich  während 
eines  stationären  Stromes  die  getrennte  Electricität  befindet.  Soll 
nämlich  der  Strom  stationär  sein,  so  muss  die  in  jedem  Raum- 
elemente enthaltene  Electricitätsmenge  constant,  und  also  die  wäh- 


1)  Icla  habe  daher  für  diese  Function,  welche  Ohm  und  Kirchhoff 
mit  u  bezeichnen,  von  vornherein  den  Buchstaben  F  gewählt,  weil  ich 
diesen  in  meinen  sonstigen  Untersuchungen  für  die  Potentialfunction  ge- 
braucht habe, 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.   135 

rend  irgend  einer  Zeit  einströmende  Electricitätsmenge  gleich  der 
ausströmenden  sein.  Betrachten  wir  nun  ein  heim  Puncte  {x^  ?/,  z) 
liegendes  Element  dxdyds!,  so  ist  nach  Gleichung  (1)  die  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  durch  die  erste  der  beiden  Flächen  dy  dz  in 
das  Element  einströmende  Menge 

=  —  Jidydz^, 

und  die  durch  die  gegenüberliegende  Fläche  ausströmende  Menge 

=  -ldydz[^~^  —  dxy 

also  der  Ueberschuss  der  ersteren  über  die  letztere 

=  lidxdydz  ■^-^• 

Ebenso  erhält  man  für  das  Flächenpaar  dx  dz  den  Ueberschuss: 

Iv  dx  dy  dz    ;r— r-, 

und  für  das  Flächenpaar  dxdy: 

Ti  dx  dy  dz  tt-t* 

•^        dz^ 

Die  Summe  dieser  drei  Ausdrücke  giebt  den  Ueberschuss  der  gan- 
zen in  das  Element  einströmenden  Electricitätsmenge  über  die 
ausströmende ,  und  da  dieser  Ueberschuss  Null  sein  muss ,  so  er- 
hält man : 

82  1^  g2y  g2T7' 

^  ^  dx'i^  dy^  ^  dz^ 

Aus  dieser  Gleichung  folgt  nun  aber  nach  einem  bekannten  Satze 
über  die  Potentialfunction ,  dass  der  Punct  (x^  y^  z)  sich  ausser- 
halb derjenigen  Electricitätsmengen,  von  welchen  Fdie  Potential- 
function ist,  befinden  muss,  und  da  dasselbe  von  allen  Puncten  des 
Leiters  gilt,  so  folgt  weiter,  dass  die  getrennte  Electricität  sich 
überhaupt  nicht  innerhalb  des  Leiters  befinden  kann,  und  sie  kann 
daher  während  eines  stationären  Stromes ,  ebenso  wie  im  Gleich- 
gewichtszustande, nur  an  der  Oberfläche  angehäuft  sein. 

Den  Umstand,  dass  die  im  Inneren  des  Leiters  strömende 
Electricität  keine  Anziehung  oder  Abstossung  ausübt,  muss  man 
je  nach  der  Hypothese,  dass  es  zwei  Electricitäten  oder  nur  eine 
Electricität  gebe,  verschieden  deuten.  Bei  der  ersten  Hypothese 
muss  man  annehmen,  dass  sich  in  jedem  Raumelemente  innerhalb 


136  Abschnitt  V. 

des  Leiters  stets  gleich  viel  von  beiden  Electricitäten  befinde.  Bei 
der  anderen  Hypothese,  bei  welcher  vorausgesetzt  wird,  dass  ein 
Kaumelement  eines  Körpers,  wenn  es  eine  gewisse  normale  Quan- 
tität von  Electricität  enthalte,  auf  ein  fremdes  Electricitätsth eil- 
chen keine  Wirkung  ausübe,  indem  die  Abstossung  der  Electrici- 
tät durch  irgend  eine  andere  Kraft  compensirt  werde,  und  dass 
erst  dann  eine  wirksame  Abstossung  oder  Anziehung  eintrete, 
wenn  das  Raumelement  zu  viel  oder  zu  wenig  Electricität  enthalte, 
muss  man  annehmen,  dass  sich  während  eines  stationären  Stromes 
in  jedem  Kaumelemente  innerhalb  des  Leiters  fortwährend  die 
normale  Electricitätsmenge  befinde. 

Bei  der  ersten  Hypothese,  dass  es  zwei  Electricitäten  gebe, 
kann  man  aber  in  Bezug  auf  ihr  Verhalten  noch  verschiedene  An- 
nahmen machen.  Wenn  man  beide  Electricitäten  als  gleich  be- 
weglich betrachtet,  so  muss  man  schliessen,  dass  sie  sich  beide 
mit  gleichen  Geschwindigkeiten  nach  "entgegengesetzten  Seiten  be- 
wegen. Man  kann  aber  auch,  wie  es  von  C.  Neumann  geschehen 
ist,  die  Annahme  machen,  dass  nur  Eine  der  beiden  Electricitäten, 
etwa  die  positive ,  in  der  Weise  beweglich  sei ,  dass  sie  im  festen 
Leiter  strömen  könne ,  und  dass  die  negative  Electricität  fest  an 
die  ponderablen  Atome  gebunden  sei.  Diese  Annahme  stimmt  in 
Bezug  darauf,  dass  der  galvanische  Strom  nur  aus  einer  einfachen 
Bewegung,  nämlich  der  Bewegung  der  positiven  Electricität  be- 
steht, mit  jener  anderen  Hypothese ,  dass  es  nur  Eine  Electricität 
gebe,  überein;  sie  ist  aber  im  Uebrigen  für  die  mathematische  Be- 
handlung bequemer,  indem  die  von  der  ruhenden  festen  Electrici- 
tät ausgeübten  Kräfte  sich  in  bestimmter  und  einfacher  Weise 
ausdrücken  lassen. 

Wir  wollen  im  Folgenden  immer  nur  Eine  Electricität  als 
strömend  annehmen.  Die  Gültigkeit  der  in  diesem  Abschnitte  vor- 
kommenden Schlüsse  ist  aber  von  dieser  Annahme  ganz  unab- 
hängig. Um  alle  hier  vorkommenden  Betrachtungen  der  anderen 
Annahme,  dass  beide  Electricitäten  gleich  beweglich  seien,  anzu- 
passen, braucht  man  immer  nur  statt  Eines  Stromes,  welcher  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  durch  eine  gegebene  Fläche  die  Electricitäts- 
menge Q  nach  Einer  Kichtung  führt,  zwei  Ströme,  M'-elche  die 
Electricitätsmengen  i  Q  und  —  IQ  nach  entgegengesetzten  Kich- 
tungen  führen,  zu  substituiren,  und  dann  dieselben  Schlüsse,  welche 
sich  hier  auf  den  einen  Strom  beziehen ,  auf  beide  Ströme  einzeln 
anzuwenden. 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    137 

Ferner  muss  noch  ein  anderer  Umstand  hier  zur  Sprache  ge- 
bracht werden.  Es  sind  im  Vorigen  bei  Besprechung  der  Kraft, 
welche  die  bewegte  Electricität  erleidet,  nur  die  gewöhnlich  be- 
trachteten Kräfte  berücksichtigt,  welche  die  Electricitätsth eilchen 
unabhängig  von  ihrer  Bewegung  auf  einander  ausüben.  Nun  üben 
aber  bewegte  Electricitätstheilchen  auch  solche  Kräfte  auf  einan- 
der aus,  die  nur  durch  ihre  Bewegung  entstehen,  und  welche  wir 
kurz  electro dynamische  Kräfte  nennen  wollen.  Es  fragt  sich 
nun,  ob  ein  in  dem  Leiter  sich  bewegendes  Electricitätstheilchen 
von  allen  übrigen  bewegten  Electricitätstheilchen,  welche  den  gan- 
zen geschlossenen  Strom  bilden,  eine  electrodynamische  Kraft  er- 
leidet, welche  durch  ihr  Hinzukommen  zu  der  bisher  besproche- 
nen Kraft  die  oben  erwähnten  Gesetze  modificirt. 

In  dieser  Beziehung  will  ich  zunächst  als  Kesultat  einer  in 
einem  späteren  Abschnitte  folgenden  Untersuchung  vorläufig  an- 
führen, dass  die  electrodynamische  Kraft,  welche  ein  bewegtes 
Electricitätstheilchen  von  einem  ruhenden  und  constanten  ge- 
schlossenen Strome  erleidet,  nur  eine  auf  der  Bewegungsrichtung 
senkrechte  Kichtung  haben  kann,  und  dass  sie  also  bei  der  Bewe- 
gung keine  Arbeit  leisten  kann.  Demnach  können  wir  bei  der  hier 
beabsichtigten  Bestimmung  der  Arbeit  und  der  damit  zusammen- 
hängenden Wärmeerzeugung  von  der  electrodynamischen  Kraft 
ganz  absehen. 

Bei  der  Frage  aber,  wo  sich  die  getrennte  Electricität  befin- 
det, und  wie  sie  angeordnet  ist,  kommt  allerdings  die  electrodyna- 
mische Kraft  mit  in  Betracht.  Man  kann  sich  nämlich,  wenn  eine 
solche  Kraft  besteht,  vorstellen,  dass  ausser  derjenigen  getrennten 
Electricität,  von  welcher  V  die  Potentialfunction  ist,  noch  andere 
getrennte  Electricität  vorhanden  sei,  deren  Kraft  der  electrodyna- 
mischen Kraft  das  Gleichgewicht  halte.  Die  nähere  Erörterung 
dieses  Gegenstandes  würde  hier,  wo  von  der  electrodynamischen 
Kraft  noch  nicht  die  Rede  gewesen  ist,  nicht  am  Orte  sein,  und 
ich  will  mich  daher  hier  darauf  beschränken ,  durch  eine  gewisse 
Unterscheidung  in  der  Benennungsweise  anzudeuten,  dass  dieser 
Erörterung  durch  das  hier  Gesagte  nicht  vorgegriffen  werden  soll. 
Ich  will  nämlich  V  nicht  einfach  die  Potentialfunction  der  ge- 
trennten Electricität,  sondern  die  Potentialfunction  der  treiben- 
den getrennten  Electricität  nennen ,  wodurch  ausgedrückt 
werden  soll,  dass  ausser  dieser  getrennten  Electricität  noch  an- 
dere vorhanden  sein  kann,  welche  nicht  treibend  wirkt,  indem  die 


138  Absclmitt  Y. 

in  die  Eichtung  der  Bahn  fallende  Componente  der  von  ihr  aus- 
geübten Kraft  Null  ist. 


§.  4.    Bestimmung  der  im  Leiter  gethanen  Arbeit, 

Wir  gehen  jetzt  zur  Bestimmung  der  Arbeit  über,  welche  die 
innerhalb  des  Leiters  wirksame  Kraft  bei  der  Bewegung  der  Elec- 
tricität  thut. 

Es  sei  dazu  irgend  ein  Electricitätselement  dq^  während  es 

sich  auf  dem  Wege  s  fortbewegt,  betrachtet.    Die  in  die  Richtung 

der  Bahn  fallende  Componente  der  auf   eine  Electricitätseinheit 

dV 
wirkenden  Kraft  wird  für  jeden  Punct  der  Bahn  durch  —  — ,  und 

daher  die  Componente  der  auf  das  Element  dq  wirkenden  Kraft 

dV 
durch  —  dq--;r-   dargestellt.     Dabei  ist  zu  bemerken,  dass  das 

■^     CS 

Electricitätselement  sich  nach  der  Richtung  bewegt,  nach  welcher 
die  Kraft  wirkt,  und  dass  daher  die  in  die  Richtung  der  Bahn  fal- 
lende Componente  der  Kraft  zugleich  die  ganze  Kraft  ist.  Denken 
wir  uns  nun  die  Bahn  des  Electricitätselementes  dq  gegeben,  so 
können  Wir   V  einfach  als  Function  der  Bahnlänge  s  betrachten, 

dV  dV 

und  können  daher  statt  7—  auch  ^5-   schreiben,  und  demgemäss 

ds  ds 

dV 
die  obige  Kraft  durch  —  dq-^-  darstellen.     Die  bei  der  Bewe- 

gung  um  das  Bahnelement  ds  von  der  Kraft  gethane  Arbeit  ist 
daher 

=  -äq-^^ds, 
und  somit  die  auf  der  Strecke  von  Sq  bis  Si  gethane  Arbeit 


dV 

—  ds  =  (Fo  —  Fl)  dq, 

So 


worin  Fo  und  Fi   die  zu  So  und  Sj  gehörigen  Werthe  von  F  be- 
zeichnen. 

Man  sieht  hieraus  zunächst,  dass  diese  Arbeit  durch  die  am 
Anfangs-  und  Endpuncte  der  Bahnstrecke  stattfindenden  Werthe 
der  Potentialfunction  vollständig  bestimmt  ist,  ohne  dass  man  den 
Weg  zwischen  diesen  beiden  Puncten  zu  kennen  braucht.  Ferner  ist 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    139 

das  Product  V.dq  das  Potential  der  treibenden  getrennten  Elec- 
tricität  auf  das  Element  dq,  so  dass  der  vorige  Ausdruck  die  auf 
dem  Wege  von  So  bis  Si  eingetretene  Abnahme  dieses  Potentials 
darstellt,  und  da  derselbe  Ausdruck  ebenso  für  jedes  andere  Electri- 
citätselement  gilt,  und  sich  daher  auch  auf  eine  endliche  Electri- 
citätsmenge  ausdehnen  lässt,  so  erhält  man  folgenden  Satz: 

Die  bei  einer  bestimmten  Bewegung   einer  Electri- 
citätsmenge   von    der   im   Leiter  wirksamen   Kraft 
gethane    Arbeit   ist   gleich   der   bei   der  Bewegung 
eingetretenen  Abnahme  des  Potentials  dieser  Elec- 
tricitätsmenge  und  der  treibenden  getrenntenElec- 
tricität  auf  einander. 
Wir  haben  uns  bei  dieser   Entwickelung   die  Bewegung  der 
Electricität   so  vorgestellt,    als  ob    eine  bestimmte   Electricitäts- 
menge  den   ganzen  betrachteten  Weg  durchlaufe;"  es  kann  aber 
sein,  dass  die  Bewegung  der  Electricität  einen  ganz  anderen  Cha- 
rakter hat.    Setzt  man  z.  B.  voraus,  dass  jedes  Massenmolecül  mit 
einer  gewissen  Menge  von  Electricität  versehen  sei,  und  denkt  sich 
eine  Anzahl  solcher  Molecüle  1,  2,  3,  4  etc.  in  einer  Reihe  hinter 
einander  liegend,  so  kann  die  Electricitätsbewegung  in  der  Weise 
stattfinden,  dass  eine  kleine  Quantität  von  1  nach  2  geht,   eine 
eben  so  grosse,  aber  andere  Quantität  von  2  nach  3,  wieder  eine 
eben  so  grosse  aber  andere  von  3  nach  4  u.  s.  f.    Für  die  Gültig- 
keit des  vorigen  Satzes  ist  es  aber  ganz  gleichgültig,  welche  die- 
ser beiden  Arten  von  Bewegung  man  annimmt,  denn  der  Satz  for- 
dert nur,  dass  alle  Theile   des  ganzen  Weges  von  einer  gleich 
grossen,  aber  nicht,  dass  sie  von  derselben  Electricitätsmenge 
durchlaufen  werden. 

Nach  diesem  Satze  ist  es  nun  auch  leicht,  die  Arbeit  zu  be- 
stimmen, welche  in  einem  beliebigen  Stücke  eines  von  einem  sta- 
tionären Strome  durchfiossenen  Leiters  während  der  Zeiteinheit 
gethan  wird. 

Sei  nämlich  eine  geschlossene  Fläche  gegeben,  welche  einen 
Theil  des  von  dem  Leiter  erfüllten  Raumes  abgrenzt,  so  braucht 
man  nur  für  jedes  während  der  Zeiteinheit  durch  diesen  abge- 
grenzten Raum  hindurchströmende  Electricitätstheilchen  die  Ab- 
nahme des  Potentials  zu  bestimmen,  oder,  was  dasselbe  ist,  es  mit 
den  am  Eintritts-  und  Austrittspuncte  stattfindenden  Werthen  der 
Potentialfunction  zu  multipliciren ,  und  beide  Producte  von  ein- 
ander abzuziehen.    Die  Summe  aller  dieser  Differenzen,  welche  die 


140  Abschnitt  V. 

gesuchte  Arbeitsgrösse  giebt,  lässt  sich,  bequem  auf  folgende  Weise 
darstellen.  Sei  d  to  ein  Element  der  Oberfläche  des  abgegrenzten 
Eaumes,  und  ido)  die  während  der  Zeiteinheit  durch  dasselbe  hin- 
durchströmende Electricitätsmenge ,  welche  positiv  oder  negativ 
genommen  wird,  je  nachdem  sie  in  den  Raum  hinein-  oder  aus 
ihm  herausströmt,  und  bezeichne  W  die  innerhalb  des  Kaumes  ge- 
thane  Arbeit,  so  ist: 

(I.)  W  =  fvid(o, 

worin  das  Integral  über  die  ganze  Oberfläche  genommen  werden 
muss.    Setzt  man  hierin  nach  (1): 

wobei  die  Normale  N  nach  Innen  als  positiv  zu  rechnen  ist,  so 
kann  man  diese  Gleichung  auch  so  schreiben: 


(la.)  W=-hf 


§.  5.    Bestimmung  der  im  Leiter  erzeugten  Wärme. 

An  diese  Gleichungen  schliessen  sich  unmittelbar  diejenigen 
an,  welche  die  innerhalb  des  abgegrenzten  Raumes  erzeugte 
Wärme  bestimmen. 

Es  muss  nämlich  die  in  demselben  gethane  Arbeit  von  einer 
ebenso  grossen  Zunahme  an  lebendiger  Kraft  begleitet  sein.  Die 
gethane  Arbeit  wird  für  unseren  Fall  durch  die  Gleichung  (I.) 
oder  (la.)  vollständig  dargestellt,  da  wir  alle  sonstigen  Wirkun- 
gen, bei  welchen  eine  Arbeit  vorkommt,  wie  z.  B.  die  Electrolyse, 
ausgeschlossen  haben.  Bei  der  lebendigen  Kraft  müssen  wir,  streng 
genommen,  nicht  nur  die  ponderable  Masse  des  Leiters,  sondern 
auch  die  Electricität  berücksichtigen.  Die  Electricitätstheilchen 
können  nämlich  auf  ihrem  Wege  durch  den  Raum  beschleunigt 
oder  verzögert  werden,  da  mit  der  Bedingung  des  stationären  Zu- 
standes  zwar  ausgesprochen  ist,  dass  die  Geschwindigkeit  an  jeder 
Stelle  des  Leiters  unveränderlich,  aber  nicht,  dass  sie  an  den  ver- 
schiedenen Stellen  gleich  sei.  Geht  z.  B.  der  Strom  durch  einen 
Leiter  mit  sehr  verschiedenen  Querschnitten,  so  kann  sich  die 
Electricität  an  den  engeren  Stellen  schneller  bewegen  als  an  den 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.   141 

weiteren,  ähnlich  wie  das  Wasser  eines  Flusses  an  Stellen,  wo  das 
Flussbett  beengt  ist,  schneller  fiiesst  als  an  anderen. 

Es  würde  sich  also  darum  handeln ,  zu  entscheiden ,  ob  man 
der  Electricität  Beharrungsvermögen  und  daher  der  bewegten 
Electricität  lebendige  Kraft  zuzuschreiben  und  wie  man  diese  zu 
bestimmen  hat.  In  dieser  Beziehung  ist  nun  zu  bemerken ,  dass 
schon  bei  der  Aufstellung  des  Ohm'schen  Gesetzes  stillscliwei- 
gend  eine  Annahme  hierüber  gemacht  ist.  Wenn  nämlich  die  un- 
ter (1)  gegebene  Gleichung 

richtig  ist,  so  hängt  die  an  einem  bestimmten  Puncte  stattfindende 
Geschwindigkeit  der  Electricität  nach  Grösse  und  Pachtung  nur 
von  der  an  diesem  Puncte  wirksamen  Kraft  ab,  und  es  muss  da- 
her das  Beharrungsvermögen  der  Electricität  entweder  Null,  oder 
doch  so  klein  sein,  dass  die  Kraft,  welche  nöthig  ist,  um  solche 
Geschwindigkeitsänderungen,  wie  sie  im  Leiter  vorkommen,  zu  be- 
wirken, gegen  die  Kraft,  welche  zur  Ueberwindung  des  Leitungs- 
widerstandes nöthig  ist,  vernachlässigt  werden  kann.  Demnach 
können  wir  auch  bei  der  hier  beabsichtigten  Bestimmung  von  einer 
Berücksichtigung  der  lebendigen  Kraft  der  Electricität  absehen. 

Wir  haben  also  nur  die  lebendige  Kraft  der  ponderablen 
Masse  des  Leiters  zu  betrachten,  und  da  der  Voraussetzung  nach 
keine  äusserlich  wahrnehmbare  Bewegung  derselben  hervorge- 
bracht ist,  so  bleibt  nur  die  Vermehrung  oder  Verminderung  der 
Wärmemenge  übrig.  Man  kann  dieses  kurz  so  aussprechen:  die 
ganze  Arbeit  ist  zur  Ueberwindung  des  Leitungswiderstandes  ver- 
wandt, und  diese  wiederum  hat  in  ähnlicher  Weise,  wie  die  Ueber- 
windung einer  Reibung,  die  Entstehung  einer  der  Arbeit  äquiva- 
lenten Wärmemenge  zur  Folge. 

Denken  wir  uns  nun  die  Wärme  nach  mechanischem  Maasse 
gemessen,  so  ist  die  erzeugte  Wärmemenge  einfach  gleich  der  von 
den  electrischen  Kräften  gethanen  Arbeit,  und  die  für  TT  gegebe- 
nen Formeln  gelten  also  auch  für  die  erzeugte  Wärmemenge.  Den- 
ken wir  uns  dagegen  die  Wärme  nach  gewöhnlichem  Maasse  ge- 
messen und  nennen  die  der  W^ärmeeinheit  entsprechende  Arbeit 
oder  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  E,  so  haben  wir, 
wenn  wir  die  während  der  Zeiteinheit  in  dem  abgegrenzten  Räume 
erzeugte  Wärmemenge  mit  H  bezeichnen,  zu  setzen : 


142  Absclinitt  V. 

und  somit  nach  (I.)  und  (la.): 

(IL)  H=  ~f  Vida 

(IIa.)  H=-^frl^ä.. 


§.  6.    Behandlung  specieller  Fälle. 

Die  in  den  Gleichungen  (I.),  (la.),  (IL)  und  (IIa.)  enthaltenen 
Integrale  lassen  in  den  in  der  Praxis  vorkommenden  Fällen  ge- 
wöhnlich grosse  Vereinfachungen  zu. 

Ist  die  Fläche,  welche  den  betrachteten  Raum  abgrenzt,  zum 
Theil  zugleich  die  Oberfläche  des  Leiters,  und  vernachlässigen 
wir  die  geringe  Electricitätsmenge ,  welche  der  Leiter  während 
des  Stromes  an  die  umgebende  Luft  abgiebt,  gegen  die  ganze  ihn 
durchströmende  Electricitätsmenge,  so  brauchen  wir  diesen  Theil 
der  Fläche  bei  der  Integration  gar  nicht  zu  berücksichtigen.  Bil- 
det z.  B.,  wie  es  gewöhnlich  der  Fall  ist,  der  Leiter  einen  lang- 
gestreckten Körper,  welcher  seiner  Länge  nach  von  der  Electricität 
durchströmt  wird,  und  betrachten  wir  von  ihm  ein  zwischen  zwei 
Querschnitten  liegendes  Stück,  so  brauchen  wir  die  Integration 
nur  für  die  Flächen  dieser  beiden  Querschnitte  auszuführen. 

Hat  ferner  der  Leiter  an  der  Stelle,  wo  sich  der  eine  Quer- 
schnitt befindet,  eine  angenähert  prismatische  oder  cylindrische 
Gestalt,  so  dass  man  annehmen  kann,  dass  die  Electricitätstheil- 
chen  sich  hier  alle  unter  einander  und  mit  der  Axe  parallel  be- 
wegen ,  so  muss  auch  die  treibende  Kraft  hier  diese  Richtung  ha- 
ben. Legt  man  daher  ein  rechtwinkliges  Coordinatensystem  so, 
dass  die  Coordinatenaxe  der  x  mit  der  Axe  des  Leiters  parallel 

dV  dV 

ist,  so  stellt  —  — -   die  ganze  treibende  Kraft  dar,  und  - —  und 

ox  oy 

dV  . 

—  sind  Null.    Daraus  folgt,  dass  wenn  der  Querschnitt  gegen  die 

Axe  senkrecht  genommen  ist,  innerhalb  desselben  F  constant  sein 
muss,  und  man  kann  also  schreiben: 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    143 
/   Vi  dco  =  VI   ida. 

Hierin  stellt  das  Integral    /  idco,  positiv  oder  negativ  genommen, 

je  nachdem  dieser  Querschnitt  in  Bezug  auf  die  Richtung  des 
Stromes  der  erste  oder  zweite  ist,  die  ganze  während  der  Zeit- 
einheit durch  den  Querschnitt  strömende  Electricitätsmenge  dar, 
welche  man  gewöhnlich  die  Intensität  des  Stromes  nennt,  und 
welche  wir  daher  mit  J  bezeichnen  wollen,  wodurch  der  vorige 
Ausdruck  in 

±V.J 

übergeht.  Nehmen  wir  nun  an,  dass  bei  dem  anderen  Querschnitte 
dieselben  Bedingungen  erfüllt  seien,  und  bezeichnen  die  im  ersten 
und  zweiten  Querschnitte  geltenden  Werthe  von  V  resp.  mit  Vo 
und  Fl,  so  ist  die  innerhalb  des  ganzen  Stückes  gethane  Arbeit: 

(3)  W=(V,-V,),J, 
und  die  erzeugte  Wärme: 

(4)  H=^iVo-V,).J. 
Nun  ist  aber  nach  dem  Ohm' sehen  Gesetze: 

(5)  J= ^ , 

worin  l  den  Leitungswiderstand  des  zwischen  den  beiden  Quer- 
schnitten liegenden  Stückes  bedeutet,  und  dadurch  gehen  die  bei- 
den vorigen  Gleichungen  über  in: 

(6)  W=l.J^ 

(7)  H=^l.J\ 

Die  letztere  dieser  Gleichungen  enthält  die  beiden  Eingangs  er- 
wähnten von  Joule  gefundenen,  und  von  Lenz  und  Becquerel 
bestätigten  Gesetze. 

Nachdem  ich  diese  Gleichung  (7),  in  welcher  E  das  mecha- 
nische Aequivalent  der  Wärme  bedeutet,  in  einer  inPoggendorff's 
Annaleni)  veröffentlichten  Abhandlung  so,  wie  es  vorstehend  mit- 
getheilt  ist,  nur  aus  dem  Ohm 'sehen  Gesetze  abgeleitet  hatte  2), 


1)  Bd.  87,  S.  164. 

^)  In  einer  von  W.  Thomson  ausgeführten  Untersuchung'  dieses  Gegen- 
standes (Phil.  Mag.  Ser.  4,  Vol.  2,  p.  551)  waren    ausser   dem   Ohm' sehen 


144  Abschnitt  V. 

hat  von  Quintus-Icilius  dieselbe  zu  einer  numerischen  Bestim- 
mung von  E  angewandt  i).  Durch  eine  Reihe  sorgfältiger  Messun- 
gen ist  er  zu  dem  Werthe  399-7  oder  rund  400  Kilogrammeter  ge- 
langt, welcher  in  Anbetracht  der  grossen  Schwierigkeit  der  dabei 
auszuführenden  Beobachtungen  hinlänglich  genau  mit  dem  von 
Joule  durch  Reibung  des  Wassers  bestimmten  Werthe  424  über- 
einstimmt. 


§.  7.    Verhalten  galvanisch  erwärmter  Drähte  in  ver- 
schiedenen Gasen. 

Grove  hat  im  Jahre  1845  2)  die  Beobachtung  gemacht,  dass, 
wenn  man  einen  Draht  durch  einen  galvanischen  Strom  zurWeiss- 
gluth  gebracht  hat  und  darauf  ein  Gefäss  mit  Wasserstoff  darüber 
stülpt,  dann  sein  Licht  so  plötzlich  erlischt,  wie  es  mit  der  Flamme 
einer  Kerze  geschehen  sein  würde.  In  einer  späteren  Arbeit  ^)  ist 
er  auf  diesen  Gegenstand  noch  specieller  eingegangen ,  wobei  be- 
sonders der  folgende  Versuch  von  Wichtigkeit  ist.  Er  schaltete  in 
den  Schliessungsbogen  einer  Volta' sehen'  Batterie  zwei  ganz 
gleiche  Stücke  Platindraht  ein,  welche  schraubenförmig  gewunden 
in  zwei  kleine  Glasröhren  eingeschlossen  waren,  deren  eine  Sauer- 
stoff, die  andere  Wasserstoff  enthielt,  und  legte  die  so  vorgerichte- 
ten Röhren  in  zwei  gleiche ,  mit  gleichen  Quantitäten  Wasser  ver- 
sehene Gefässe,  welche  als  Calorimeter  dienten.  W^urde  nun  die 
Verbindung  mit  der  Batterie  hergestellt,  so  dass  beide  Drähte  von 
demselben  Strome  durchflössen  wurden,  so  gerieth  der  in  Sauer- 
stoff befindliche  Draht  in  Weissgluth,  während  der  in  Wasserstoff 
befindliche  nicht  sichtbar  glühte.  Zugleich  stieg  durch  die  von 
den  Drähten  abgegebene  Wärme  die  Temperatur  in  den  Calori- 
metern  in  verschiedenem  Grade ,  nämlich  in  dem  die  Wasserstoff- 
röhre umgebenden  von  60^  F.  bis  70"  und  in  dem  die  Sauerstoff- 
röhre umgebenden  von  60<*  bis  8P. 

In  ähnlicher  Weise  verglich  Grove  auch  andere  Gase  mit 
dem  Wasserstoff  und  fand  dabei  unter  anderen  folgende  Zahlen, 


Gesetze  auch  nocli   die  Gesetze  der   electromagnetischen  Induction  in  An- 
wendung gebracht. 

1)  Pogg.  Ann.  Bd.  101,  S.  69.  —  2)  phil.  Mag.  Ser.  3,  Vol.  27,  p.  445. 

8)  Phil.  Mag.  Ser.  3,  Vol.  35,  p.  114  und  Pogg.  Ann.  Bd.  78,  S.  366. 


Ai'lieit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    145 

welche  ich  zur  leichteren  Uebersicht  dadurch  reducirt  habe,  dass 
ich  immer  die  in  demselben  Versuche  beim  Wasserstoff'  beobach- 
tete Wärmemenge  als  Einheit  genommen  habe. 


Gase,  in  denen  der 
Draht  sich  befand. 

Stick- 
stoff. 

Sauer- 
stoff 

Kollleu- 
säure. 

Oelbilden- 
des  Gas. 

Wasser- 
stoff. 

Abgegebene    Wärme- 
menge     

2-26 

2-10 

1-90 

1-57 

1 

Bei  der  üebersetzung  eines  Aufsatzes,  welcher  die  erste  oben 
erwähnte  Beobachtung  enthält,  hat  Poggendorff  in  einer  An- 
merkung die  Ansicht  ausgesprochen  i),  dass  das  Erkalten  eines  gal- 
vanisch glühenden  Drahtes  in  verschiedenen  Gasen  wohl  mutatis 
mutandis  nach  denselben  Gesetzen  geschehe,  welche  Dulong  und 
Petit  für  das  Erkalten  eines  auf  gewöhnliche  Weise  erhitzten  Kör- 
pers aufgestellt  haben,  und  nach  welchen  ebenfalls  das  Wasser- 
stoffgas  das  stärkste  Abkühlungsvermögen  besitzt.  Als  aber  der 
spätere  Versuch  mit  den  beiden  Calorimetern  von  Grove  ver- 
öffentlicht war,  trat  J.  Müller  gegen  die  Poggendorff  sehe  An- 
sicht auf,  indem  er  sagtet):  „Dieser  Versuch  beweist  entschieden, 
dass  das  schwächere  Glühen  des  Drahtes  in  Wasserstoff"  bei  voll- 
kommen gleicher  Stromstärke  nicht  etwa  darin  zu  suchen  ist,  dass 
das  Wasserstoffgas  dem  Drahte  seine  Wärme  schneller  entzieht, 
sonst  müsste  ja  gerade  das  Wasser  sich  schneller  erwärmen,  wel- 
ches die  Wasserstoöröhre  umgiebt.  Alles  deutet  darauf  hin,  dass 
in  dem  Drahte,  wenn  er  vom  Wasserstoff"  umgeben  ist,  wirklich 
eine  geringere  Wärmeproduction  stattfindet."  Nach  einigen  wei- 
teren Betrachtungen  schloss  er  seine  Auseinandersetzung  mit  dem 
Ausspruche:  „Nach  meinem  Dafürhalten  steht  die  Erscheinung 
noch  ganz  isolirt  und  völlig  unerklärt  da." 

Diese  Bemerkungen  von  Müller  gaben  mir  Veranlassung  zu 
einer  erweiterten  Betrachtung  des  Gegenstandes  s),  wobei  ich  neben 
dem  von  Poggendorff  erwähnten  Unterschiede  des  Abkühluugs- 
vermögens  verschiedener  Gase,    noch  die  Abhängigkeit  des  Lei- 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  71,  S.  197. 

2)  Bericht   über    die   neuesten   Fortschritte  der  Phj^sik.     Braunschweig 
1849,  S.  397. 

3)  Pogg.  Ann.   Bd.  87,  S.  501. 


Clausius,  mech.  Wärmetheorie.   IJ. 


10 


146  Abschnitt  V. 

tungswiderstandes  von  der  Temperatur  und  die  Abhängigkeit  der 
Wärmeerzeugung  vom  Leitungs  wider  stände  berücksichtigte. 

Die  von  mir  gegebene  Erklärung  lässt  sich  kurz  so  ausspre- 
chen. Wenn  zwei  Gase,  als  welche  wir  beispielsweise  atmosphä- 
rische Luft  und  Wasserstoff  annehmen  wollen,  in  der  Weise  ver- 
schieden wirken,  dass  der  Wasserstoff  einem  heissen  Körper  seine 
Wärme  schneller  entzieht,  als  die  Luft,  so  würde  der  Platindraht, 
selbst  bei  gleicher  Wärmeerzeugung  im  Wasserstoff  weniger  warm 
werden,  als  in  der  Luft.  Nun  ist  aber  der  Leitungswiderstand  im 
kälteren  Drahte  geringer,  als  im  wärmeren,  und  daher  wird  bei 
gleicher  Stromstärke  im  kälteren  Drahte  weniger  Wärme  erzeugt. 
Daraus  ergiebt  sich  für  den  im  Wasserstoff  befindlichen  Draht  eine 
noch  niedrigere  Temperatur,  als  die,  welche  man  bei  gleicher 
Wärmeerzeugung  erhalten  würde.  Auf  diese  Weise  ist  also  gleich- 
zeitig einerseits  die  viel  niedrigere  Temperatur  und  andererseits 
die  geringere  Wärmeerzeugung  und  Wärmeabgabe  an  das  Calori- 
meter  erklärt. 

Um  auch  eine  ungefähre  numerische  Vergleichung  machen 
zu  können,  hat  man  die  Rechnungen  in  folgender  Weise  anzu- 
stellen. 

Die  Wärmemenge  S",  welche  durch  einen  galvanischen  Strom 
während  der  Zeiteinheit  in  dem  Drahte  erzeugt  wird,  lässt  sich 
durch  die  unter  (7)  gegebene  Gleichung 

hl 

darstellen.  Der  hierin  vorkommende  Leitungswiderstand  l  be- 
stimmt sich  als  Function  der  Temperatur  durch  die  Gleichung 

worin  l^  den  Leitungswiderstand  beim  Gefrierpuncte  und  t  die 
vom  Gefrierpuncte  an  gerechnete  Temperatur  in  C- Graden  dar- 
stellt, während  Iz  eine  Constante  bedeutet,  welche  wir  für  Platin 
nach  Arndtsen  gleich  0"00327  setzen  können  i).  Demnach  geht 
die  für  H  geltende  Gleichung  über  in 

(8)  H=^l,J'{l-^U\ 


1)  In  meinem  oben  citirten  Aufsatze  von  1852  habe  ich  für  k  den 
Werth  0-0023  angewandt,  welcher  damals  nach  den  Versuchen  von  Lenz 
der  wahrscheinlichste  war;  jetzt  aber  glaube  ich  den  später  von  Arndt- 
sen gefundenen  Werth  vorziehen  zu  müssen. 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    147 

Was  nun  die  Wärmemenge  R'  anbetriö"t,  welche  der  Draht 
theils  durch  Strahlung,  theils  durch  Berührung  mit  dem  umge- 
benden Gase  während  der  Zeiteinheit  verliert  und  an  das  Calori- 
meter  abgiebt,  so  haben  wir  bei  deren  Bestimmung  die  von  Du- 
long  und  Petit  gegebene  Gleichung  in  Anwendung  zu  bringen. 
Diese  Gleichung  halte  ich  zwar,  wenn  man  sie  als  eine  für  alle 
Temperaturen  gültige  betrachten  wollte ,  für  durchaus  fehlerhaft ; 
aber  in  dem  Temperaturintervall,  innerhalb  dessen  die  Versuche 
von  Dulong  und  Petit  angestellt  sind,  nämlich  von  0^  bis  300"^, 
wird  man  sie  wohl  als  angenähert  richtig  ansehen  dürfen.  Die 
Gleichung  ist  für  einen  an  der  Oberfläche  aus  Silber  bestehenden 
Körper  aufgestellt,  wir  wollen  aber  annehmen,  dass  sie  sich  auch 
auf  Platin  anwenden  lasse.  Machen  wir  ferner  noch  der  Einfach- 
heit wegen  die  Voraussetzung,  dass  die  Temperatur  des  Calori- 
meters  constant  gleich  0"  gewesen  sei  (wie  es  der  Fall  gewesen 
sein  würde,  wenn  Grove  statt  der  Wasser calorimeter  Eiscalorime- 
ter  angewandt  hätte),  so  können  wir  die  Dulong-Petit'sche 
Gleichung  in  folgender  Form  schreiben: 
(9)  H' =  B  {a' —l^pt% 

worin  B  eine  von  der  Form  und  Grösse  des  angewandten  Körpers 
(also  in  unserem  Falle  des  Platindrahtes)  abhängige  Constante  ist. 
Innerhalb  der  Klammer  bezieht  sich  die  Differenz  a"  —  1  auf  den 
Wärmeverlust  durch  Strahlung,  und  die  darin  vorkommende  Grösse 
a  hat  den  Werth  1-0077.  Das  Glied  'pf  bezieht  sich  a;uf  die 
Wärmeabgabe  an  das  umgebende  Gas.  Darin  hat  h  ein-  für  alle- 
mal den  Werth  1-233,  während  p  von  der  Natur  des  umgebenden 
Gases  abhängt,  und  für  die  von  Dulong  und  Petit  untersuchten 
Gase  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  folgende  Werthe  hat : 


P 


In  Kohlen- 
säure. 


0-0220 


In  atm. 
Luft. 


0-022'; 


In  Ölbild. 
Gase. 


0-0305 


In  Wasser- 
stoff. 


0-0784 


Wenn  nun  in  Bezug  auf  die  Temperatur  des  Drahtes  ein  sta- 
tionärer Zustand  eingetreten  ist,  wie  es  bei  den  Grove'schen  Ver- 
suchen der  Fall  war,  so  muss  die  Gleichung 

H-  H'  =  0 
gelten,  und  diese  nimmt  durch  Einsetzung  der  für  //  und  E'  in 

10* 


148  Abschnitt  V. 

(8)  und  (9)  gegebenen  Ausdrücke,  wenn  man  dabei  zugleich  für 

7      T2 

den  Bruch  -^^^7  zur  Abkürzung  das  Zeichen  G  einführt,  folgende 

Form  an:      • 

(10)  G{1  +  U)  -  a'  +  1  —  i>i^  =  0. 

Aus  dieser  Gleichung  lassen  sich  die  Temperaturen,  welche 
der  Draht  bei  einer  bestimmten  Stromstärke  in  den  verschiede- 
nen Gasen  annimmt,  berechnen,  wenn  man  bei  unverändertem 
Werthe  der  Grösse  C  für  p  die  verschiedenen  in  der  Tabelle  an- 
geführten Werthe  anwendet.  Die  von  der  Stromstärke  abhängige 
Grösse  C  muss  dabei  aber  einen  solchen  Werth  haben ,  dass  keine 
der  Temperaturen  höher  wird,  als  SOO»,  weil  sonst  die  Gleichung 

(9)  und  demnach  auch  die  Gleichung  (10)  ihre  Anwendbarkeit  ver- 
lieren würde. 

Ich  habe  eine  solche  Rechnung  für  atmosphärische  Luft  und 
Wasserstoff  ausgeführt,  indem  ich  angenommen  habe,  die  Strom- 
stärke sei  so  gewählt,  dass  der  Draht  in  atmosphärischer  Luft 
gerade  die  Temperatur 

t^    :=    300» 

annehme,  und  dann  die  Temperatur  t^^  welche  er  bei  derselben 
Stromstärke  in  Wasserstoff  annehmen  muss,  berechnet  habe.  Um 
zunächst  den  der  gewählten  Stromstärke  entsprechenden  Werth 
von  G  zu  bestimmen,  hat  man  in  (10)  für  t  den  Werth  300  und 
für  |)  den  in  atmosphärischer  Luft  geltenden  Werth  0-0227  zu  setzen. 
Die  so  entstehende  Gleichung  giebt  für  G  den  Werth  17-52.  Führt 
man  nun  diesen  Werth  von  G  in  die  Gleichung  (10)  ein,  und  wen- 
det jetzt  für^  den  in  Wasserstoff  geltenden  Werth  0-0784  an,  so 
kann  man  aus  der  Gleichung  die  Temperatur  t^-,  welche  der  Draht 
bei  derselben  Stromstärke  in  Wasserstoff  annimmt,  berechnen,  und 
erhält : 

U  =  97'\ 

Man  sieht  also,  dass  der  Draht  in  Wasserstoff'  in  der  That  eine 
viel  niedrigere  Temperatur  annehmen  muss,  als  in  atmosphäri- 
scher Luft. 

Nachdem  die  Temperaturen  t^  und  t^  bestimmt  sind,  kann 
man  auch  das  Verhältniss  der  Wärmemengen  Hi  und  H^,  welche 
in  dem  Drahte  während  der  Zeiteinheit  erzeugt  und  an  das  Calori- 
meter  abgegeben  werden,   leicht  berechnen.     Man   braucht  dazu 


Arbeit  und   Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    149 

nur  in  der  Gleichung  (8)  für  t  nach  einander  300  und  97  zu 
setzen,  wodurch  man  erhält: 

Hl  :  H^=--  1-981  :  1-817  =  1-5  :  1. 

Also  auch  in  dieser  Beziehung  stimmt  das  Resultat  der  Rechnung 
mit  der  Grove'schen  Beobachtung  überein,  indem  die  durch  den 
Strom  erzeugte  und  an  das  Calorimeter  abgegebene  Wärmemenge 
für  den  in  Wasserstoff'  befindlichen  Draht  geringer  gefunden  wird, 
als  für  den  in  atmosphärischer  Luft  befindlichen. 

Eine  genaue  Vergleichung  der  Zahlen  ist  allerdings  nicht 
möglich,  weil  wir  unsere  Rechnung  wegen  der  beschränkten  Gül- 
tigkeit der  empirischen  Formeln  auf  viel  engere  Temperatur- 
grenzen beschränken  mussten,  als  in  Grove's  Versuchen  vorge- 
kommen sind ,  wo  der  in  Luft  befindliche  Draht  weissglühend  ge- 
worden ist.  Da  indessen  für  die  engeren  Temperaturgrenzen  die 
Erklärung  so  unzweifelhaft  der  Erfahrung  entspricht,  so  wird  man 
keinen  Anstand  nehmen,  sie  auch  für  weitere  Temperaturgrenzen 
als  richtig  anzuerkennen.  Wenn  man  dieses  thut,  so  kann  man 
nun  umgekehrt  die  Grove'schen  Beobachtungen  dazu  anwenden, 
zu  prüfen,  ob  die  von  Dulong  und  Petit  aufgestellte  Formel 
auch  für  solche  Temperaturen,  die  bis  zur  Weissglühhitze  gehen, 
noch  als  zulässig  anzusehen  ist.  Auf  diese  Betrachtungen  will  ich 
hier  nicht  eingehen,  sondern  verweise  in  dieser  Beziehung  auf  mei- 
nen oben  citirten  Aufsatz. 

Schliesslich  will  ich  noch  bemerken,  dass  jedes  andere  Mittel, 
durch  welches  die  Wärmeabgabe  des  Drahtes  geändert  wird,  im 
Wesentlichen  dieselben  Erscheinungen  zur  Folge  haben  muss,  wie 
die  Anwendung  verschiedener  Gase.  Ein  sehr  einfaches  Mittel  der 
Art  besteht  darin,  die  Grösse  der  Oberfläche  des  Drahtes  zu  än- 
dern. Nimmt  man  z.  B.  zwei  Drähte  von  gleichem  Stoffe,  gleicher 
Länge  und  gleichem  Querschnitte,  welche  sich  nur  dadurch  von 
einander  unterscheiden,  dass  der  eine  cylindrisch  und  der  andere 
plattgewalzt  ist,  so  besitzt  der  letztere  eine  grössere  Oberfläche 
und  demgemäss  eine  schnellere  Wärmeabgabe,  als  der  erstere. 
Zwei  solche  Drähte  werden  sich  in  einem  und  demselben  Gase 
ganz  ähnlich  verhalten,  wie  zwei  gleiche  Drähte  in  verschiedenen 
Gasen,  indem  der  platte  Draht  weniger  erhitzt  und  in  ihm  weni- 
ger Wärme  erzeugt  wird. 


150  Abschnitt  Y. 


§.  8.     Zunahme  des  Leitungswiderstandes  einfacher 
fester  Metalle  mit  der  Temperatur. 

Der  electrische  Leitungswiderstand  der  Metalle  ändert  sich 
bekanntlich  mit  der  Temperatur.  Bei  Legirungen  aus  zwei  oder 
mehreren  Metallen  ist  diese  Aenderung  sehr  verschieden;  bei  den 
einfachen  festen  Metallen  dagegen  ist  die  verhältnissmässige  Zu- 
nahme des  Leitungswiderstandes  mit  der  Temperatur  angenähert 
gleich.  Diese  letztere  Uebereinstimmung  tritt  besonders  deutlich 
in  der  im  Jahre  1858  veröffentlichten  werthvoUen  Untersuchung 
von  Arndt s en  1)  hervor,  welcher  am  Schlüsse  seines  Aufsatzes 
darauf  hinweist,  ohne  jedoch  die  Grösse  dieser  auf  das  electrische 
Verhalten  der  Metalle  ausgeübten  Wärmewirkung  mit  der  anderer 
"Wärme Wirkungen  in  Beziehung  zu  bringen. 

Als  ich  jenen  Hinweis  las,  stieg  mir  der  Gedanke  auf,  dass, 
wenn  die  verhältnissmässige  Zunahme  des  Leitungswiderstandes 
von  der  Natur  des  Stoffes  unabhängig  und  nur  von  der  Tempe- 
raturzunahme abhängig  sei,  sie  nothwendig  zur  absoluten  Tem- 
peratur in  einer  einfachen  Beziehung  stehen  müsse.  Dieses  fand 
ich  dann  bei  einer  Vergleichung  der  Zahlen  in  der  That  bestätigt. 
Die  absolute  Temperatur  wächst  bekanntlich ,  wenn  man  die  vom 
Gefrierpuncte  an  in  C- Graden  gezählte  Temperatur  mit  t  be- 
zeichnet, im  Verhältnisse  der  Summe  1-)-  0-003665  .t.  Ganz  ähn- 
lich verhält  sich  auch  die  Zunahme  des  Leitungswiderstandes  der 
einfachen  festen  Metalle  mit  der  Temperatur.  Bei  fünf  Metallen 
(Platin,  Aluminium,  Silber,  Kupfer  und  Blei)  konnte  Arndtsen 
die  Zunahme  des  Leitungswiderstandes  durch  eine  in  Bezug  auf 
die  Temperatur  lineare  Formel  darstellen,  und  nur  beim  Eisen 
musste  er  ein  quadratisches  Glied  hinzufügen,  welches  aber  inner- 
halb der  bei  seinen  Versuchen  eingehaltenen  Temperaturgrenzen 
im  Verhältniss  zum  linearen  Gliede  unbedeutend  ist.  Die  Coeffi- 
cienten  von  t  liegen  bei  allen  sechs  Metallen  (wenn  wir  bei  jedem 
den  bei  0°  stattfindenden  Leitungswiderstand  zur  Einheit  nehmen) 
zwischen  0'00327  und  0-00413  und  ihr  Mittelwerth  ist  0-00366. 
Auch  die  schon  ein  Jahr  früher  von  Matthiessen  mit  Kalium 
und  Natrium  angestellten  Versuche  2)  hatten  Zunahmen  des  Lei- 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  104,  S.  1.  —   2)  Pogg.  Ann.  Bd.  100,  S.  178. 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem   Strome.    151 

tungswiderstandes  gegeben,  welche   zwischen  denselben   Grenzen 
liegen. 

Dieses  veranlasste  mich  in  einer  in  Pogg.  Ahn.  veröffentlich- 
ten kurzen  Notiz  i)  darauf  aufmerksam  zu  machen ,  dass  die  Ab- 
hängigkeit des  Leitungswiderstandes  der  festen  einfachen  Metalle 
von  der  Temperatur  sich  mit  einer  gewissen  Annäherung  durch 
den  einfachen  Satz  ausdrücken  lasse,  dass  der  Leitungswider- 
stand der  absoluten  Temperatur  proportional  sei.  Wenn 
dieser  Satz  auch  nur  angenähert  richtig  ist  (wie  es  ja  auch  die 
meisten  anderen  physicalischen  Sätze  nur  sind),  so  schien  er  mir 
doch  geeignet  zu  sein,  als  Anknüpfungspunct  für  weitere  Betrach- 
tungen über  den  electrischen  Leitungswiderstand  zu  dienen  und 
insofern  einiges  Interesse  darzubieten. 


§.  9.    Beziehung  zwischen  der  chemischen  Action,  welche 

in  einer   Volta'schen  Säule    stattfindet,  und  den  durch 

den  Strom  hervorgebrachten  Wirkungen. 

Es  ist  in  den  in  diesem  Abschnitte  vorgekommenen  Betrach- 
tungen über  die  während  eines  stationären  Stromes  geleistete  Ar- 
beit und  erzeugte  Wärme  nur  von  homogenen  Leitern  die  Rede 
gewesen  und  dabei  angenommen,  dass  der  in  ihnen  stattfindende 
Strom  keine  Wirkung  nach  Aussen  hin  ausübe  und  von  Aussen 
her  erleide.  Es  wird  aber  vielleicht  nicht  unzweckmässig  sein,  zum 
Schlüsse  noch  einen  Blick  auf  die  galvanische  Kette  im  Ganzen  zu 
werfen,  um  zu  sehen,  wie  die  chemischen  Kräfte,  welche  den  Strom 
hervorrufen,  bei  der  Betrachtung  der  Aequivalenz  von  Wärme 
und  Arbeit  in  Rechnung  zu  bringen  sind,  und  wie  es  sich  verhält, 
wenn  der  Strom  ausserhalb  des  Leiters  eine  Arbeit  leistet  und 
dabei  die  entsprechende  Rückwirkung  erfährt. 

Wenn  ein  electrischer  Strom  durch  eine  Volta'sche  Säule 
hervorgebracht  wird,  so  findet  in  dieser  eine  chemische  Action 
statt,  welche  nicht  unmittelbar  die  Wärme  entwickelt,  die  sie  ent- 
wickeln könnte,  wenn  sie  unter  anderen  Umständen  stattfände. 
Diejenige  bei  dieser  Action  von  den  molecularen  Kräften  gethane 
Arbeit,  welche,  anstatt  unmittelbar  Wärme  zu  erzeugen,  den  elec- 
trischen Strom  hervorruft,  möge  kurz  die  verbrauchte  Arbeit 


1)  Bd.  104,  S.  650. 


152  Abschnitt  Y. 

genannt  werden.    Der  Strom  seinerseits,  indem  er  den  Leitungs- 
widerstand überwindet,  erzeugt  in  den  Leitern  Wärme.    Sofern 
der  Strom  keine  äusseren  Wirkungen  hervorbringt,  ist  diese  er-  . 
zeugte  Wärme  der  verbrauchten  Arbeit  äquivalent. 

Wenn  dagegen  der  Strom  eine  äussere  Wirkung  hervorzubrin- 
gen, z.  B.  eine  electromagnetische  Maschine  zu  treiben  hat,  so 
nimmt  die  Stärke  des  Stromes  ab,  und  damit  wird  zugleich  einer- 
seits die  chemische  Action  und  der  mit  ihr  verbundene  Arbeits- 
verbrauch, und  andererseits  die  bei  der  Ueberwindung  des  Lei- 
tungswiderstandes stattfindende  Wärmeerzeugung  geringer.  Es 
fragt  sich  nun,  in  welcher  Beziehung  jetzt  diese  beiden  Grössen 
zu  einander  stehen,  ob  wiederum  die  erzeugte  Wärme  der  ver- 
brauchten Arbeit  äquivalent  ist,  oder  ob  sich  unter  Anwendung 
der  in  der  Electricitätslehre  geltenden  Gesetze  ein  Ueberschuss  an 
verbrauchter  Arbeit  in  der  Säule  nachweisen  lässt,  welcher  als 
Aequivalent  der  äusserlich  hervorgebrachten  Wirkungen  zu  be- 
trachten ist. 

Diese  Frage  lässt  sich  sehr  kurz  so  beantworten.  Wenn  die 
Intensität  des  Stromes,  während  er  äusserlich  eine  Arbeit  thut, 
abnimmt,  so  nimmt  dabei  die  chemische  Action  im  einfachen  Ver- 
hältnisse und  die  erzeugte  Wärme  im  quadratischen  Verhältnisse 
ab.  Folglich  muss  die  erzeugte  Wärme  kleiner  als  die  verbrauchte 
Arbeit  werden.  Es  bleibt  somit  von  der  in  der  Säule  verbrauch- 
ten Arbeit  ein  Ueberschuss ,  welcher  das  Aequivalent  der  äusser- 
lich gethanen  Arbeit  ist. 

Die  Sache  wird  noch  klarer  durch  einige  einfache  Formeln. 

Sei  a  die  Menge  des  Zinks,  welche  in  einem  galvanischen  Ele- 
mente durch  einen  Strom  von  der  Einheit  der  Intensität  während 
der  Einheit  der  Zeit  aufgelöst  wird.  Wenn  dann  Z  die  Menge  des 
Zinks  bezeichnet,  welche  in  einer  Säule  von  n  Elementen  durch 
einen  Strom  von  der  Intensität  I  während  der  Zeiteinheit  aufge- 
löst wird,  so  haben  wir  die  Gleichung : 

(11)  Z=anl. 

Die  übrigen  chemischen  Actionen,  welche  die  Auflösung  des 
Zinks  begleiten,  sind  in  den  verschiedenen  galvanischen  Elemen- 
ten verschieden,  und  ebenso  verhält  es  sich  folglich  auch  mit  der 
in  den  Elementen  verbrauchten  Arbeit.  Sei  e  die  verbrauchte  Ar- 
beit für  die  Gewichtseinheit  Zink,  eine  Arbeitsgrösse,  welche  je 
nach  den  Elementen  ungleich  und  z.  B.  in  einem  Grove'schen 


Arbeit  und  Wärmeerzeugung  bei  einem  Strome.    1 53 

Elemente  grösser  als  in  einem  DanieH'sclien  Elemente  ist.  Sei 
ferner  W  die  Arbeit,  welche  in  der  ganzen  Säule  während  der 
Zeiteinheit  verbraucht  wird ,  wenn  der  Strom  die  Intensität  I  hat. 
Dann  hat  man  die  Gleichung : 

(12)  W=  eZ=  aenl. 

Die  Wärmemenge  //,  welche  durch  denselben  Strom  bei  Ueber- 
windung  des  Leitungswiderstandes  erzeugt  wird,  wird  dem  Obigen 
nach  bestimmt  durch  die  Gleichung: 

(13)  H=^U\ 

worin  l  den  ganzen  Leitungswiderstand  der  Schliessung  und  E 
das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  bedeutet,  vorausgesetzt 
dass  die  Stromintensität  und  der  Leitungswiderstand  nach  mecha- 
nischen Maassen  gemessen  wird. 

Wenn  eine  Schliessung,  welche  eine  galvanische  Säule  enthält, 
sich  unter  solchen  Umständen  befindet,  wo  sie  keine  äusserliche 
Wirkung  ausübt  oder  erleidet,  so  nimmt  der  Strom  von  selbst  die- 
jenige Intensität  an,  welche  nothwendig  ist,  damit  die  erzeugte 
Wärme  der  verbrauchten  Arbeit  äquivalent  werde.  Wenn  also  Wi 
und  Hl  die  speciellen  Werthe  von  W  und  H  sind ,  welche  diesem 
Falle  entsprechen,  so  hat  man: 

04)  ^i=E  ^^' 

welche  Gleichung  dazu  dient,  die  Intensität  Jj  des  Stromes,  wel- 
cher unter  diesen  Umständen  entsteht,  zu  bestimmen.  Unter  An- 
wendung der  Gleichungen  (12)  und  (13)  geht  diese  Gleichung 
nämlich  über  in: 

1  1 

a  e  n  Ii . 


(15) 

1     7  72              1 

woraus  folgt: 

(16) 

j         aen 

h    —          7 

Die  in  dieser  Gleichung  vorkommende  Grösse  aen  ist  diejenige, 
welche  man  gewöhnlich  die  electromotorische  Kraft  der  Säule 
nennt. 

Wir  wollen  nun  annehmen,  der  Strom  vollbringe  äusserlich 
eine  Arbeit,  und  dadurch  sei  seine  Intensität  um  die  Grösse  i  ver- 
mindert. Der  Einfachheit  wegen  wollen  wir  noch  annehmen,  dass 
diese  Verminderung  constant  sei,  denn  wenn  sie  veränderlich  wäre, 


154  Abschnitt  V. 

so  miissten  wir  statt  einer  Zeiteinheit  nur  ein  Element  der  Zeit 
betrachten.    Die  gegenwärtige  Intensität  des  Stromes  ist  also: 

J=  Ji  -  i. 
Indem  man  diesen   Werth  in  die  Gleichungen  (12)  und  (13) 
einführt,  erhält  man : 
(17)  W=aen{I^  —  i) 

(18)  H=^m,-iy 

=  l[lI,(I,-i)-U(I,-i)]. 

Substituirt  man   in  der  letzten  Gleichung  für  J^  einmal  seinen 
Werth  aus  (16),  so  kann  man  schreiben: 

H  =  -p  [aen(Ii  —  i)  —  li(Ii  —  ^)] 

und  folglich  auch,  gemäss  der  Gleichung  (17): 

(19)  H=^[W-li(I,-i)]. 

Aus  dieser  Gleichung  ersieht  man,  dass  die  erzeugte  Wärme 
zu  klein  ist,  um  der  verbrauchten  Arbeit  äquivalent  zu  sein.  Der 
Rest  dieser  letzteren,  nämlich  die  Grösse 

Hill  -  i) 
stellt  denjenigen  Verbrauch  dar,  welcher  der  äusserlich 
gewonnenen  Arbeit  entspricht. 

Ebenso  findet  man,  dass  in  dem  Falle,  wo  durch  einen  äusse- 
ren Einfiuss  die  Intensität  des  Stromes  vermehrt  wird,  die  erzeugte 
Wärme  die  in  der  Säule  verbrauchte  Arbeit  übertrifft.  Man  braucht 
für  diesen  Fall  nur  die  Grösse  i  mit  dem  Pluszeichen  einzuführen, 
wodurch  man  an  der  Stelle  von  (19)  erhält: 

(20)  H=^[W-\-li{:i,-{-i)\. 

Wenn  die  Schliessung,  in  welcher  der  Strom  i  inducirt  wird, 
keine  eigene  Stromquelle  enthält,  so  muss  man  TF  =  0  und  7i  =  0 
setzen,  wodurch  die  Gleichungen  (19)  und  (20)  übergehen  in: 

welches  für  einen  inducirten  Strom  dieselbe  Gleichung  ist,  wie  (13) 
für  einen  beliebigen  Strom. 


ABSCHNITT  VI. 


Electricitätsleitung"  in  Electrolyten. 

§.  1.     Arbeitleistung  und  Wärmeerzeugung  in  einem 
electrolytischen  Leiter. 

Im  vorigen  Abschnitte  haben  wir  die  Wirkungen  eines  gal- 
vanischen Stromes  innerhalb  eines  Leiters  erster  Classe  (d.  h.  eines 
solchen,  welcher  ohne  Electrolyse  leitet)  betrachtet,  ohne  dabei 
auf  die  Art  der  Entstehung  des  Stromes  Rücksicht  zu  nehmen. 
Es  hat  sich  dort  ergeben,  dass  die  Gesetze,  nach  welchen  die 
Wärmeerzeugung  in  diesen  Leitern  stattfindet,  eine  unmittelbare 
Folge  des  Ohm 'sehen  Gesetzes  und  des  Satzes  von  der  Aequiva- 
lenz  von  Wärme  und  Arbeit  sind.  In  ähnlicher  Weise  kann  man 
auch  bei  einem  Leiter  zweiter  Classe,  welcher  durch  Electrolyse 
leitet,  wenn  man  ihn  ganz  für  sich,  ohne  Rücksicht  auf  die  übri- 
gen Theile  der  Kette  betrachtet,  einige  theils  streng  begründete, 
theils  wenigstens  wahrscheinliche  Folgerungen  ziehen ,  welche  mir 
von  Interesse  zu  sein  scheinen,  und  welche  ich  hier  so,  wie  ich  sie 
in  einer  in  Pogg.  Ann.  i)  veröffentlichten  Abhandlung  entwickelt 
habe,  mittheilen  will. 

Was  zunächst  die  Gesetze  der  Arbeitleistung  anbetrifft,  so 
lassen  sich,  wenn  man  das  Ohm' sehe  Gesetz  auch  bei  den  Leitern 
zweiter  Classe  als  richtig  anerkennt,  die  im  vorigen  Abschnitte 
gezogenen  Schlüsse  in  unveränderter  Weise  auch  auf  diesen  Fall 


1)  Bd.  101,  S.  338. 


156  Abschnitt  VI. 

ausdehnen.  Um  den  Strom  trotz  des  Leitungswiderstandes  auf- 
recht zu  erhalten,  muss  an  jeder  Stelle  des  Leiters  eine  Kraft  thä- 
tig  sein ,  welche  positiv  electrische  Theilchen  nach  einer  und  ne- 
gativ electrische  Theilchen  nach  der  entgegengesetzten  Richtung 
zu  treiben  sucht.  Diese  Kraft  wird  ausgeübt  von  getrennter  Elec- 
tricität,  welche  sich,  wie  Kirchhoff  bewiesen  hat,  nur  an  der 
Oberfläche  des  Leiters  oder  an  der  Grenzfläche  zweier  verschiede- 
ner Leiter  befinden  kann,  während  man  von  dem  Inneren  eines 
homogenen  Leiters  annehmen  muss,  dass  dort  positiv  und  negativ 
electrische  Theilchen  so  gleichmässig  gemischt  sind,  dass  man 
jeden  messbaren  Raum  als  unelectrisch  betrachten  darf.  Die  von 
jener  treibenden  Kraft  geleistete  Arbeit  lässt  sich  durch  dieselben 
Formeln  ausdrücken,  welche  im  vorigen  Abschnitte  entwickelt  sind. 

Wenn  man  nun  die  durch  den  Strom  erzeugte  Wärme  be- 
stimmen will,  so  könnte  es  auf  den  ersten  Blick  vielleicht  schei- 
nen, als  ob  in  dieser  Beziehung  zwischen  den  Leitern  erster  und 
zweiter  Classe  eine  Verschiedenheit  obwalten  müsse.  In  den  Lei- 
tern erster  Classe  bleiben  die  Massenmolecüle  unverändert  in 
ihrer  Lage,  und  nur  die  Electricität  bewegt  sich;  bei  den  Leitern 
zweiter  Classe  dagegen  werden  die  Bestandtheile  der  Massen- 
molecüle mit  in  die  Bewegung  gezogen,  und  es  finden  Zerlegun- 
gen und  Wiederzusammensetzungen  statt,  bei  denen  ohne  Zweifel 
die  Molecularkräfte ,  mit  welchen  die  Bestandtheile  auf  einander 
wirken,  eine  bedeutende  Thätigkeit  entwickeln.  Bei  näherer  Be- 
trachtung überzeugt  man  sich  jedoch  leicht,  dass  bei  der  Bestim- 
mung der  erzeugten  Wärme  die  von  den  Molecularkräften  getha- 
nen  Arbeitsgrössen ,  so  bedeutend  sie  auch  im  Einzelnen  sein  mö- 
gen, doch  nicht  berücksichtigt  zu  werden  brauchen,  weil  sie  sich 
gegenseitig  vollständig  aufheben. 

Wenn  man,  während  der  Leiter  von  einem  stationären  Strome 
durchflössen  wird,  ein  zur  Betrachtung  ausgewähltes,  von  einer  ge- 
schlossenen Fläche  umgrenztes  Stück  desselben  zu  Anfang  und 
zu  Ende  einer  Zeiteinheit  untersucht,  so  findet  man,  dass  sein  Zu- 
stand während  dieser  Zeit  keine  wesentliche  Veränderung  erlitten 
hat.  Es  haben  sich  zwar  die  electro-positiven  Bestandtheile  vie- 
ler Molecüle  von  electro-negativen,  mit  welchen  sie  bisher  verbun- 
den waren,  getrennt,  aber  dafür  haben  sie  sich  mit  anderen  ganz 
gleichen  wieder  verbunden,  und  die  Arbeit,  welche  die  Molecular- 
kräfte bei  einer  solchen  Verbindung  thun ,  ist  unzweifelhaft  eben 
so  gross,  wie  die,   welche    sie  bei  der  Trennung  erleiden  (oder 


Electricitätsleitung  in   l^^lectrolyten.  157 

negativ  tlmn).  Ebenso  sind  für  alle  Massentlicilc,  welche  an  der 
einen  Seite  aus  dem  Räume  ausgetreten  sind,  eben  so  viele  solche 
an  der  anderen  Seite  eingetreten,  so  dass  die  ganze  in  dem  Räume 
befindliche  Masse  zu  Ende  der  Zeit  dieselbe  Dichtigkeit,  dieselbe 
Zusammensetzung  und  dieselbe  Anordnung  der  Molecüle  hat,  wie 
zu  Anfang.  Man  kann  daher,  ohne  die  Arbeitsgrössen ,  welche  bei 
den  einzelnen  Vorgängen  von  den  Molecularkräften  gethan  sind, 
zu  kennen,  mit  Sicherheit  den  Schluss  ziehen,  dass  die  algebraische 
Summe  dieser  Arbeitsgrössen  Null  ist.  Es  bleibt  also  nur  die  Ar- 
beit übrig,  welche  die  treibende  electrische  Kraft  bei  der  Ueber- 
windung  des  Leitungswiderstandes  gethan  hat,  und  welche  sich, 
da  sie  keine  bleibende  Veränderung  in  dem  Leiter  hervorgebracht 
hat,  in  lebendige  Kraft,  und  da  keine  andere  lebendige  Kraft  vor- 
kommt, in  Wärme  verwandelt  haben  muss. 


§.  2.    Electrisches  Verhalten  der  Theilmolecüle. 

Wir  wollen  nun  auf  die  Art,  wie  man  sich  die  Electricitäts- 
leitung  innerhalb  eines  Electrolyten  vorstellen  muss.,  etwas  spe- 
cieller  eingehen. 

Die  Molecüle  des  Electrolyten  werden  durch  den  Strom  in 
zwei  Bestandtheile  zerlegt,  welche  entweder  einfache  Atome  oder 
selbst  auch  schon  aus  mehreren  Atomen  zusammengesetzte  Mole- 
cüle sein  können,  wie  z.  B,  im  Kupfervitriol  der  eine  Bestandtheil 
Cu  einfach  und  der  andere  SO^  zusammengesetzt  ist.  Ich  werde 
diese  Bestandtheile,  mögen  sie  nun  aus  einem  oder  aus  mehreren 
Atomen  bestehen,  die  Theilmolecüle  nennen,  und  ein  ganzes 
Molecül  des  Electrolyten,  \yo  es  zur  Unterscheidung  nöthig  ist,  ein 
G  e  s  am  m  tm  0 1  e  c  ü  1. 

Aus  der  Art,  wie  die  Zersetzung  des  Ekctrolyten  mit  der 
Electricitätsleitung  zusammenhängt,  muss  man  schliessen,  dass  die 
beiden  Theilmolecüle  in  ihrer  Verbindung  zu  einem  Gesammt- 
molecül  entgegengesetzte  electrische  Zustände  haben,  welche  auch 
nach  ihrer  Trennung  fortbestehen.  Unter  der  Voraussetzung,  dass 
es  zwei  Electricitäten  gebe,  muss  man  also  annehmen,  dass  das 
eine  Theilmolecül  einen  Ueberschuss  an  positiver,  das  andere  einen 
eben  so  grossen  Ueberschuss  an  negativer  Electricität  habe;  unter 
der  Voraussetzung  von  nur  Einer  Electricität  dagegen  muss  man 


158  Absclinitt  YI. 

annehmen,  dass  das  eine  Theilmoleciil  mehr  und  das  andere  weni- 
ger Electricität  besitze,  als  zum  neutralen  Zustande  nöthig  ist. 

Dass  zwei  Molecüle  von  verschiedener  Natur  bei  ihrer  Be- 
rührung solche  entgegengesetzten  electrischen  Zustände  annehmen 
können,  ist  sehr  wohl  denkbar.  Eben  so  liegt  keine  Schwierig- 
keit darin,  sich  diese  Zustände  auch  nach  der  Trennung  als  fort- 
bestehend zu  denken,  so  lange  man  nur  annimmt,  dass  nirgends 
innerhalb  des  Leiters  eine  grössere  Anzahl  positiver  Theilmolecüle 
allein  oder  negativer  Theilmolecüle  allein  angehäuft  sei,  sondern 
dass  beide  Arten  von  Theilmolecülen  überall  so  gleichmässig  ver- 
breitet seien,  dass  sich  in  jedem  messbaren  Räume  gleich  viel 
Molecüle  beider  Arten  befinden.  In  diesem  Falle  kann  nämlich 
aus  den  Kräften,  welche  die  an  einem  Theilmolecül  haftende  Elec- 
tricitätsmenge  von  den  Electricitätsmengen  der  umgebenden  Theil- 
molecüle erleidet,  wegen  der  entgegengesetzten  Wirkungen  der 
positiven  und  negativen  Theilmolecüle,  keine  starke  Resultante 
entstehen,  welche  jene  erster e  Electricitätsmenge  nach  einer  be- 
stimmten Richtung  zu  treiben  und  dadurch  von  seinem  Molecül, 
wenn  dieses  an  der  Bewegung  verhindert  wäre,  zu  trennen  suchte. 

Wäre  dagegen  in  einem  Räume  eine  grosse  Anzahl  von  Mo- 
lecülen  befindlich,  welche  alle  mit  gleicher  Electricität  geladen 
wären,  so  würde  die  Electricitätsmenge  irgend  eines  zur  Betrach- 
tung ausgewählten  Molecüls  von  den  Electricitätsmengen  aller 
anderen  abgestossen  werden,  und  diese  Kräfte  würden,  wenn  sich 
das  betrachtete  Molecül  nicht  gerade  in  der  Mitte  der  Masse  be- 
fände, durch  ihre  Vereinigung  eine  beträchtliche  in  der  Richtung 
von  innen  nach  aussen  wirkende  Kraft  bilden  können.  Da  auch 
die  an  den  anderen  Molecülen  haftenden  Electricitätsmengen  ganz 
ähnlichen  Wirkungen  unterworfen  wären,  indem  jede  durch  die 
Gesammtwirkung  aller  übrigen  nach  aussen  gedrängt  würde,  so 
würde  in  dem  electrischen  Zustande  der  ganzen  Masse  eine  Span- 
nung obwalten,  welche  sich  nur  dann  unverändert  erhalten  könnte, 
wenn  die  Masse  absolut  nichtleitend  wäre.  Im  anderen  Falle 
würde  die  freie  Electricität  aller  Molecüle,  je  nach  der  Güte  der 
Leitung  mehr  oder  weniger  schnell  nach  aussen  strömen,  zunächst 
an  die  Oberfläche  der  Masse,  und  von  da,  wenn  die  Masse  nicht 
vollkommen  isolirt  wäre,  in  die  weiteren  Umgebungen. 


Electricitätsleitung  in  Electrolyten.  159 


§,   3.     Bedingung,   welche    als    erfüllt   voraus- 
zusetzen ist. 

Betrachten  wir  ferner  den  Vorgang  der  Zersetzung  selbst, 
wie  er  in  der  Flüssigkeit,  welche  als  Electrolyt  dient,  oder  den 
Electrolyten  aufgelöst  enthält,  stattfindet ,  so  darf  zunächst  so  viel 
als  feststehend  betrachtet  werden,  dass  nicht  die  an  der  einen 
Electrode  frei  werdenden  Theilmolecüle  sich  durch  die  Flüssig- 
keit bis  zur  anderen  Electrode  fortbewegen,  sondern  dass  in  der 
ganzen  zwischen  den  beiden  Electroden  befindlichen  Flüssigkeits- 
masse  überall  Zersetzungen  und  neue  Verbindungen  geschehen, 
so  dass  die  positiven  Theilmolecüle,  welche  während  der  Zeit- 
einheit an  der  Kathode  ankommen,  zwar  der  Anzahl  nach  mit 
denen  übereinstimmen,  welche  von  der  Anode  ausgehen,  aber  nicht 
dieselben  sind,  und  ebenso  in  Bezug  auf  die  negativen  Theil- 
molecüle, welche  an  der  Anode  ankommen. 

Die  Art,  wie  die  in  den  verschiedenen  Flüssigkeitsschichten 
stattfindenden  Zersetzungen  unter  einander  zusammenhängen,  be- 
darf aber  noch  einer  näheren  Feststellung,  und  namentlich  muss 
eine  Ansicht,  welche  ziemlich  nahe  zu  liegen  scheint,  welche  aber 
entschieden  unrichtig  ist,  von  vornherein  ausgeschlossen  werden. 

Man  könnte  sich  nämlich  möglicherweise  vorstellen,  dass  die 
Zersetzung  von  der  einen  Electrode,  z.  B.  von  der  Anode,  aus- 
ginge, dass  die  negativen  Theilmolecüle  der  zersetzten  Gesammt- 
molecüle  hier  festgehalten  würden,  die  positiven  dagegen  zur 
nächsten  Flüssigkeitsschicht  gingen  und  dort  eine  neue  Zersetzung 
bewirkten,  indem  sie  sich  mit  den  negativen  Theilmolecülen  die- 
ser Schicht  verbänden,  und  die  positiven  frei  machten ,  dass  diese 
letzteren  dann  weiter  zur  folgenden  Schicht  gingen,  und  hier  aber- 
mals dieselbe  Wirkung  ausübten  u.  s.  f.  Hiernach  würde  die  Zer- 
setzung einer  Schicht  die  Ursache  für  die  Zersetzung  der  folgen- 
den Schicht  sein,  und  die  Wirkung  der  in  dem  Ijeiter  vorhande- 
nen treibenden  Kraft  würde  sich  darauf  beschränken,  erstens  die 
frei  gewordenen  positiven  Theilmolecüle  der  vorigen  Schicht  nach 
der  folgenden  zu  bewegen,  und  zweitens  dadurch,  dass  sie  die 
positiven  Theilmolecüle  dieser  Schicht  ebenfalls  vorwärts  drängt, 
die  Zersetzung  zu  erleichtern. 

Die  Unrichtigkeit  dieser  Vorstellungsweise  ergiebt  sich  aber 
sogleich  daraus,  dass  nach  ihr  innerhalb  der  Flüssigkeit  während 


160  Abschnitt  VI. 

des  Stromes  stets  ein  Ueberschuss  von  positiven  Theilinolecülen, 
und  somit  auch  von  positiver  Electricität  vorhanden  sein  müsste, 
was,  wie  schon  erwähnt,  nach  den  Gesetzen  über  die  Vertheilung 
der  getrennten  Electricität  für  einen  stationären  Strom  eben  so 
unzulässig  ist,  wie  für  den  Gleichgewichtszustand.  In  derselben 
Weise  würde  man,  wenn  man  die  vorher  beschriebene  Art  der 
Fortpflanzung  der  Zersetzungen  in  umgekehrter  Richtung  von  der 
Kathode  zur  Anode  annehmen  wollte,  einen  Ueberschuss  von  nega- 
tiven Theilmolecülen  innerhalb  der  Flüssigkeit  erhalten,  welcher 
natürlich  gleichfalls  unstatthaft  ist. 

Als  Grundbedingung  für  alle  weiteren  Betrachtungen  müssen 
wir  an  dem  Satze  festhalten,  dass  sich  innerhalb  jedes  mess- 
baren Raumes  der  Flüssigkeit  gleich  viel  positive  und 
negative  Theilmolecüle  befinden,  mögen  diese  nun  alle  je 
zwei  zu  Gesaromtmolecülen  verbunden  sein,  oder  mögen  einige  im 
unverbundenen  Zustande  zwischen  den  Gesammtmolecülen  zer- 
streut sein. 

Hieraus  folgt,  dass  in  einer  electrolytischen  Flüssigkeit,  welche 
sich  in  ihrem  natürlichen  Zustande  befindet,  indem  keine  Art  von 
Theilmolecülen  in  ihr  überwiegt,  unter  dem  blossen  Einflüsse  der- 
jenigen Kraft,  welche  dazu  dient,  den  Leitungswiderstand  zu  über- 
winden, solche  abwechselnde  Zersetzungen  und  Wiederverbindun- 
gen der  Molecüle,  wie  sie  zur  Electricitätsleitung  nöthig  sind,  statt- 
finden können  i). 

Die  Erklärung  dieser  Thatsache  bietet  eine  eigenthümliche 
Schwierigkeit  dar,  welche,  wie  es  mir  scheint,  nur  dadurch  geho- 
ben werden  kann,  dass  man  ein  durchaus  anderes  Verhalten  der 
Flüssigkeiten  annimmt,  als  es  bisher  gebräuchlich  war.  Ich  will 
versuchen,  dieses  in  den  nächsten  Paragraphen  auseinander  zu 
setzen. 


^)  Um  einen  Fall  zu  haben,  wo  gar  keine  Electroclen  vorkommen,  kann 
man  folgende  Annahme  machen.  Es  sei  aus  einem  electrolytischen  Leiter 
ein  in  sich  geschlossener  Ring  gebildet.  In  der  Nähe  dieses  leitenden 
Ringes  werde  ein  kreisförmiger  electrischer  Strom  oder  ein  Magnet 
bewegt,  z.  B.  angenähert  oder  entfernt.  Dadurch  wird  in  dem  Ringe  ein 
Inductionsstrom  erzeugt,  und  man  hat  somit  in  dem  Electrolyten  einen 
electrischen  Strom,  welcher  nicht  von  einer  Electrode  zu  einer  anderen, 
sondern  im  Kreise  durch  einen  überall  gleichartigen  Ring  geht  und  durch 
eine  electromotorische  Kraft  hervorgerufen  ist,  die  nicht  bloss  an  einzelnen 
Stellen  des  Ringes,  sondern  in  allen  seinen  Theilen  wirkt. 


Electricitätsleitung  in  Electrolyten.  161 


§.  4.    Schwierigkeit  der  Erklärung. 

Es  sei  eine  Flüssigkeit  gegeben,  welche  entweder  ganz  oder 
zum  Theil  aus  electrolytischen  Molecülen  besteht,  und  wir  wollen 
zunächst  einmal  annehmen,  diese  Molecüle  hätten  sich  im  natür- 
lichen Zustande  der  Flüssigkeit  in  irgend  einer  bestimmten  Anord- 
nung gelagert,  in  welcher  sie,  so  lange  keine  fremde  Kraft  auf  sie 
einwirkt,  verharrten,  indem  die  einzelnen  Molecüle  zwar  vielleicht 
um  ihre  Gleichgewichtslagen  oscilliren,  aber  nicht  ganz  aus  den- 
selben heraustreten  könnten;  ferner  sei,  wie  man  es  bei  jeder  der- 
artigen Anordnung  voraussetzen  muss ,  die  Anziehung  zwischen 
zwei  Theilmolecülen ,  welche  zu  einem  Gesammtmolecül  verbunden 
sind,  und  daher  einander  sehr  nahe  sind,  grösser,  als  die  Anzie- 
hung zwischen  dem  positiven  Theilmolecül  eines  Gesammtmolecüls 
und  dem  negativen  eines  anderen.  Wenn  nun  innerhalb  dieser 
Masse  eine  electrische  Kraft  wirkt,  welche  die  positiv  electrischen 
Theilmolecüle  nach  einer  und  die  .negativ  electrischen  nach  der 
entgegengesetzten  Richtung  zu  treiben  sucht,  so  fragt  es  sich,  wel- 
chen Einfluss  diese  auf  das  Verhalten  der  Molecüle  ausüben  muss. 

Die  erste  Wirkung  würde  offenbar,  sofern  die  Molecüle  als 
drehbar  vorausgesetzt  werden,  darin  bestehen,  alle  Molecüle  in 
gleicher  Weise  zu  richten,  indem  die  beiden  entgegengesetzt  elec- 
trischen Bestandtheile  jedes  Gesammtmolecüls  sich  nach  den  Sei- 
ten drehen  würden,  wohin  sie  durch  die  wirksame  Kraft  getrieben 
werden. 

Ferner  würde  die  Kraft  die  zu  einem  Gesammtmolecül  ver- 
einigten Theilmolecüle  zu  trennen  und  nach  entgegengesetzten 
Richtungen  zu  bewegen  suchen,  und  wenn  diese  Bewegung  ein- 
träte, so  würde  dadurch  das  positive  Theilmolecül  des  einen  Ge- 
sammtmolecüls mit  dem  negativen  des  folgenden  zusammenkom- 
men und  sich  mit  ihm  verbinden.  Nun  muss  aber,  um  die  einmal 
verbundenen  Theilmolecüle  zu  trennen,  die  Anziehung,  welche  sie 
auf  einander  ausüben ,  überwunden  werden ,  wozu  eine  Kraft  von 
bestimmter  Stärke  nöthig  ist,  und  dadurch  wird  man  zu  dem 
Schlüsse  geführt,  dass,  so  lange  die  in  dem  Leiter  wirksame 
Kraft  diese  Stärke  nicht  besitzt,  gar  keine  Zersetzung 
der  Molecüle  stattfinden  könne,  dass  dagegen,  wenn  die 
Kraft  bis  zu  dieser  Stärke  angewachsen  ist,  sehr  viele 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.    IL  W 


162  Abschnitt  VI. 

Moleciile  mit  einem  Male  zersetzt  werden  müssen,  indem 
sie  alle  unter  dem  Einflüsse  derselben  Kraft  stehen  und 
fast  gleiche  Lage  zu  einander  haben.  In  Bezug  auf  den 
electrischen  Strom  kann  man  diesen  Schluss ,  wenn  man  voraus- 
setzt, dass  der  Leiter  nur  durch  Electrolyse  leiten  könne,  so  aus- 
drücken: So  lange  die  im  Leiter  wirksame  treibende 
Kraft  unter  einer  gewissen  Grenze  ist,  bewirkt  sie  gar 
keinen  Strom,  wenn  sie  aber  diese  Grenze  erreicht  hat, 
so  entsteht  plötzlich  ein  sehr  starker  Strom. 

Dieser  Schluss  widerspricht  aber  der  Erfahrung  vollkommen. 
Schon  die  geringste  Kraft  i)  bewirkt  einen  durch  abwechselnde 
Zersetzungen  und  Wiederverbindungen  geleiteten  Strom,  und  die 
Intensität  dieses  Stromes  wächst  nach  dem  Ohm' sehen  Gesetze 
der  Kraft  proportional. 

Demnach  muss  die  obige  Annahme,  dass  die  Theilmolecüle 
eines  Electrolyten  in  fester  Weise  zu  Gesammtmolecülen  verbun- 
den sind,  und  diese  eine  bestimmte  regelmässige  Anordnung  ha- 
ben, unrichtig  sein.  Man  kann  dieses  Resultat  noch  allgemeiner 
folgendermaassen  aussprechen.  Jede  Annahme,  welche  darauf 
hinauskommt,  dass  der  natürliche  Zustand  einer  electrolytischen 
Flüssigkeit  ein  Gleichgewichtszustand  ist,  in  welchem  jedes  posi- 
tive Theilmolecül  mit  einem  negativen  fest  verbunden  ist,  und 
dass  ferner,  um  die  Flüssigkeit  aus  diesem  Gleichgewichtszustande 
in  einen  anderen,  welcher  sich  vom  vorigen  nur  dadurch  unter- 
scheidet, dass  eine  Anzahl  positiver  Theilmolecüle  mit  anderen 
negativen,  als  vorher,  verbunden  ist,  überzuführen,  eine  Kraft  von 
bestimmter  Stärke  auf  diejenigen  Molecüle,  welche  diese  Verände- 
rung erleiden  sollen,  wirken  muss,  —  jede  solche  Annahme  steht 
im  Widerspruche  mit  dem  Ohm 'sehen  Gesetze. 

Ich  glaube  daher,  dass  die  folgende  Annahme,  bei  welcher 
dieser  Widerspruch  gehoben  ist,  und  welche,  wie  es  mir  scheint. 


.  • ..  1)  Ich  muss  hierbei  noch  einmal  ausdrücklich  hervorheben,  dass  hier, 
wie  in  diesem  ganzen  Abschnitte ,  nicht  von  den  Kräften  die  Rede  ist, 
welche  au  den  Electrodeu  wirken,  wo  die  Zersetzungsproducte  ausgeschie- 
,den  werden  und  die  Polarisation  überwunden  werden  muss,  sondern  ledig- 
lich vpu  der  Kraft,  welche  innerhalb  des  Electrolyten  selbst  wirkt,  wo  je- 
des Theilmolecül,  welches  von  dem  bisher  mit  ihm  verbundenen  Theil- 
molecül getrennt  wird,  sich  sogleich  wieder  mit  einem  anderen  Theilmolecül 
derselben  Art  verbindet,  so  dass  die  Masse  im  Wesentlichen  uugeändert 
bleibt,  und  nur  der  Leitungswiderstand  zu  überwinden  ist. 


Electricitätsleitung  in  Electrolyten.  Iß3 

auch  mit  den  sonst  bekannten  Thatsachen  vereinbar  ist,    einige 
Beachtung  verdient. 


§.   5.    Veränderte  Annahme  über  das  moleculare  Ver- 
halten electroly tischer  Flüssigkeiten. 

In  meiner  Abhandlung  „über  die  Art  der  Bewegung,  welche 
wir  Wärme  nennen"  i),  habe  ich  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass 
in  Flüssigkeiten  die  Molecüle  nicht  bestimmte  Gleichgewichtslagen 
haben ,  um  welche  sie  nur  oscilliren ,  sondern  dass  ihre  Bewegun- 
gen so  lebhaft  sind,  dass  sie  dadurch  in  ganz  veränderte  und  im- 
mer neue  Lagen  zu  einander  kommen,  und  sich  unregelmässig 
durch  einander  bewegen. 

Unter  Zugrundelegung  dieser  Ansicht  wollen  wir  uns  in  der 
electrolytischen  Flüssigkeit  zunächst  einmal  ein  einzelnes  Theil- 
molecül,  z.  B.  ein  electro-positives,  befindlich  denken,  von  welchem 
wir  voraussetzen  wollen ,  dass  sein  electrischer  Zustand  noch  ganz 
derselbe  sei,  wie  in  dem  Momente,  wo  es  aus  einem  Gesammt- 
molecül  ausgeschieden  wurde.  Ich  glaube  nun,  dass,  indem  dieses 
Theilmolecül  sich  zwischen  den  Gesammtmolecülen  umherbewegt, 
unter  den  vielen  Lagen,  die  es  annehmen  kann,  auch  zuweilen 
solche  vorkommen,  in  welchen  es  das  negative  Theilmolecül  irgend 
eines  Gesammtmolecüls  mit  stärkerer  Kraft  anzieht,  als  die,  mit 
welcher  die  beiden  zu  dem  Gesammtmolecül  gehörigen  Theilmole- 
cüle,  deinen  Lage  zu  einander  auch  nicht  ganz  unveränderlich  ist, 
sich  in  diesem  Augenblicke  gegenseitig  anziehen.  Sobald  es  in 
eine  solche  Lage  getreten  ist,  verbindet  es  sich  mit  diesem  nega- 
tiven Theilmolecül,  und  das  bisher  mit  demselben  verbundene  posi- 
tive Theilmolecül  wird  dadurch  frei.  Dieses  bewegt  sich  nun  eben- 
falls allein  umher  und  zerlegt  nach  einiger  Zeit  ein  anderes  Ge- 
sammtmolecül auf  dieselbe  Art  u.  s.  f.,  und  alle  diese  Bewegungen 
und  Zersetzungen  geschehen  eben  so  unregelmässig,  wie  die  Wärme- 
bewegungen, durch  welche  sie  veranlasst  werden. 

Betrachten  wir  ferner  das  Verhalten  der  Gesammtmolecüle 
unter  einander,  so  glaube  ich,  dass  es  auch  hier  zuweilen  geschieht, 
dass  das  positive  Theilmolecül  eines  Gesammtmolecüls  zu  dem 
negativen  eines  anderen  in  eine  günstigere  Lage  kommt,  als  jedes 


1)  Pogg.  Auu.   Bd.  100,  S.  353. 

11* 


164  Abschnitt  VI. 

dieser  beiden  Theilmolecüle  im  Augenblicke  gerade  zu  dem  ande- 
ren Theilmolecül  seines  eigenen  Gesammtmolecüls  hat.  Dann 
werden  sich  jene  beiden  bisher  fremden  Theihnolecüle  zu  einem 
Gesammtmolecül  verbinden,  und  die  beiden  dadurch  frei  werden- 
den Theilmolecüle  (das  negative  des  ersten  und  das  positive  des 
zweiten  Gesammtmolecüls)  werden  sich  entweder  ebenfalls  unter 
einander  verbinden,  oder  wenn  die  Wärmebewegung  sie  daran 
verhindern  sollte,  so  werden  sie  sich  unter  die  übrigen  Gesammt- 
molecüle  mischen ,  und  dort  ähnliche  Zersetzungen  hervorbringen, 
wie  sie  vorher  von  einem  einzelnen  Theilmolecül  beschrieben 
wurden. 

Wie  häufig  in  einer  Flüssigkeit  solche  gegenseitige  Zerlegun- 
gen vorkommen,  wird  erstens  von  der  Natur  der  Flüssigkeit  ab- 
hängen, ob  die  Theile  der  einzelnen  Gesammtmolecüle  mehr  oder 
weniger  innig  zusammenhängen,  und  zweitens  von  der  Lebhaftig- 
keit der  Molecularbewegung,  d.  h.  von  der  Temperatur. 


§.6.    Neue  Erklärung  der  electrolytischen  Leitung. 

Wenn  nun  in  einer  Flüssigkeit,  deren  Molecüle  sich  schon 
von  selbst  in  einer  solchen  Bewegung  befinden ,  wobei  sie  ihre 
Theilmolecüle  in  unregelmässiger  Weise  austauschen,  eine  elec- 
trische  Kraft  wirkt,  welche  alle  positiven  Theilmolecüle  nach  einer 
und  alle  negativen  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  zu  trei- 
ben sucht,  so  lässt  sich  leicht  einsehen,  welcher  Unterschied  da- 
durch in  der  Art  der  Molecularbewegung  eintreten  muss. 

Ein  freies  Theilmolecül  wird  dann  nicht  mehr  ganz  den  un- 
regelmässig wechselnden  Richtungen,  nach  welchen  es  durch  die 
Wärmebewegungen  getrieben  wird,  folgen,  sondern  es  wird  die 
Richtung  seiner  Bewegung  im  Sinne  der  wirksamen  Kraft  ändern, 
so  dass  unter  den  Richtungen  der  freien  positiven  Theilmolecüle, 
obwohl  sie  noch  sehr  unregelmässig  sind,  doch  eine  gewisse  Rich- 
tung vorherrscht,  und  ebenso  die  negativen  Theilmolecüle  sich 
vorherrschend  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  bewegen. 
Ausserdem  werden  bei  der  Einwirkung  eines  Theilmolecüls  auf  ein 
Gesammtmolecül  und  bei  der  Einwirkung  zweier  Gesammtmolecüle 
auf  einander  solche  Zerlegungen,  bei  welchen  die  Theilmolecüle  in 
ihren  Bewegungen  zugleich  der  electrischen  Kraft  folgen  können, 
erleichtert  werden  und   daher  häufiger  stattfinden,  als   ohne  die 


Electricitätsleitnng  in  Electrolyten.  165 

Kraft,  indem  auch  in  Fällen,  wo  die  Lage  der  Molecüle  noch  nicht 
günstig  genug  ist,  dass  die  Zerlegung  von  selbst  eintreten  könnte, 
die  Mitwirkung  der  electrischen  Kraft  ihr  Eintreten  veranlassen 
kann.  Umgekehrt  solche  Zerlegungen,  bei  denen  die  Theilmole- 
cüle  sich  der  electrischen  Kraft  entgegen  bewegen  müssten,  wer- 
den durch  diese  Kraft  erschwert  und  dadurch  seltener  gemacht 
werden. 

Betrachtet  man  im  Inneren  dieser  Flüssigkeit,  während  die 
electrische  Kraft  wirkt,  ein  kleines  auf  der  Richtung  der  Kraft 
senkrechtes  Flächenstück,  so  gehen  durch  dieses  während 
der  Zeiteinheit  mehr  positive  Theilmolecüle  in  posi- 
tiver als  in  negativer  Richtung  hindurch,  und  mehr 
negative  Theilmolecüle  in  negativer  als  in  positiver 
Richtung.  Da  nun  für  jede  Art  von  Theilmolecülen  zwei  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  stattfindende  Durchgänge  sich  gegensei- 
tig in  ihrer  Wirkung  aufheben ,  und  nur  der  für  die  eine  Rich- 
tung bleibende  Ueberschuss  von  Durchgängen  in  Betracht  kommt, 
so  kann  man  das  Vorige  auch  einfacher  so  ausdrücken:  es  geht 
eine  gewisse  Anzahl  positiver  Theilmolecüle  in  posi- 
tiver und  eine  Anzahl  negativer  Theilmolecüle  in 
negativer  Richtung  durch  das  Flächenstück.  Die  Grösse 
dieser  beiden  Zahlen  braucht  nicht  gleich  zu  sein ,  weil  sie  ausser 
von  der  treibenden  Kraft,  welche  für  beide  Arten  von  Theilmole- 
cülen gleich  ist,  auch  noclf  von  dem  Grade  der  Beweglichkeit  ab- 
hängt, welcher  bei  verschiedenartigen  Theilmolecülen  aus  mehre- 
ren Gründen  verschieden  sein  kann. 

Diese  entgegengesetzte  Bewegung  der  beiden  Arten  von  Theil- 
molecülen bildet  den  galvanischen  Strom  innerhalb  der  Flüssig- 
keit. Um  die  Stärke  des  Stromes  zu  bestimmen,  ist  es  nicht  nöthig, 
die  Anzahl  der  in  positiver  Richtung  durch  das  Flächenstück  ge- 
henden positiven  Theilmolecüle  und  die  Anzahl  der  in  negativer 
Richtung  hindurchgehenden  negativen  Theilmolecüle  einzeln  zu 
kennen,  sondern  es  genügt,  wenn  man  die  Summe  beider  Zahlen 
kennt.  Mag  man  nämlich  von  der  Vorstellung  ausgehen,  dass  es 
zwei  Electricitäten  gebe,  und  dass  ein  negativ  electrisches  Theil- 
molecül  mit  einer  gewissen  Quantität  freier  negativer  Electricität 
begabt  sei,  oder  von  der  Vorstellung,  dass  es  nur  eine  Electricität 
gebe,  und  dass  ein  negativ  electrisches  Theilmolecül  weniger  Elec- 
tricität besitze,  als  für  den  neutralen  Zustand  nöthig  ist,  in  bei- 
den Fällen  muss  man  annehmen ,  dass  es  zur  Vermehrung  eines 


166  Absclinitt  VI. 

galvanischen  Stromes  gleich  viel  beiträgt,  ob  ein  positiv- electri- 
sches  Theilmolecül  sich  nach  der  Richtung  des  Stromes,  oder  ob 
ein  eben  so  stark  negativ-electrisches  Theilmolecül  sich  nach  der 
entgegengesetzten  Richtung  bewegt.  Wenn  wir  also  für  den  Fall, 
dass  die  Molecularbewegung  der  Art  wäre,  dass  nur  für  die  posi- 
tiven Theilmolecüle  ein  Ueberschuss  der  Bewegung  nach  einer 
Richtung  stattfände ,  und  dass  während  der  Zeiteinheit  n  positive 
Theilmolecüle  in  positiver  Richtung  durch  das  Flächenstück  gin- 
gen, die  dadtirch  bedingte  Stromstärke  mit  C.n  bezeichnen,  so 
müssen  wir  dem  entsprechend  bei  einer  Bewegung,  bei  welcher 
gleichzeitig  n  positive  Theilmolecüle  in  der  positiven  und  n'  nega- 
tive Theilmolecüle  in  der  negativen  Richtung  hindurchgehen,  die 
Stromstärke  mit  C  (n  -\-  n')  bezeichnen. 


7.     Uebereinstimmung   der  neuen  Erklärung  mit   der 
Erfahrung  und  Unterschie( 
Grotthuss'schen  Erklärung. 


Erfahrung  und  Unterschied  zwischen  ihr  und  der 


Bei  dieser  Auffassung  des  Zustandes  der  Flüssigkeiten  fällt 
die  oben  erwähnte  Schwierigkeit  fort.  Man  sieht  leicht,  dass  der 
Einfluss,  welchen  die  electrische  Kraft  auf  die  schon  von  selbst 
stattfindenden,  aber  noch  unregelmässigen  Zersetzungen  und  Be- 
wegungen der  Molecüle  übt,  nicht  erst  beginnt,  wenn  die  Kraft 
eine  gewisse  Stärke  erreicht  hat,  sondern  dass  schon  die  geringste 
Kraft  in  der  vorher  angegebenen  Weise  ändernd  auf  dieselben 
einwirken,  und  dass  die  Grösse  dieser  Wirkung  mit  der  Stärke 
der  Kraft  wachsen  muss.  Der  ganze  Vorgang  stimmt  also  mit  dem 
Ohm' sehen  Gesetze  sehr  gut  überein. 

Weshalb  das  electrische  Leitungsvermögen,  welches  von  der 
Leichtigkeit,  mit  welcher  die  Zerlegungen  der  Molecüle  und  die 
Bewegungen  der  Theilmolecüle  innerhalb  der  Flüssigkeit  gesche- 
hen, abhängt,  bei  verschiedenen  Flüssigkeiten  so  verschieden  ist, 
weshalb  z.  B.  bei  den  Molecülen  des  Schwefelsäurehydrats  die 
Zerlegungen  so  sehr  viel  leichter  stattfinden,  als  bei  den  Wasser- 
molecülen,  und  woher  der  bedeutende  Einfluss  kommt,  welchen  die 
Verdünnung  der  Schwefelsäure  auf  die  Güte  der  Leitung  ausübt, 
ist  freilich  bisher  nicht  hinlänglich  erklärt,  indessen  sehe  ich  darin 
auch  nichts,  was  als  Widerspruch  gegen  die  vorstehende  Theorie 
geltend  gemacht  werden  könnte. 


Electricitätsleituijg  in  Electrolyten.  167 

Der  Umstand  dagegen ,  dass  bei  Leitern  zweiter  Classe  das 
Leitungsvermögen  mit  wachsender  Temperatur  zunimmt,  erklärt 
sich  aus  dieser  Theorie  in  sehr  ungezwungener  Weise ,  indem  die 
grössere  Lebhaftigkeit  der  inneren  Bewegung  offenbar  dazu  bei- 
tragen muss,  die  gegenseitigen  Zerlegungen  der  Molecüle  zu  er- 
leichtern. 

Vergleichen  wir  die  ältere  Grotthuss'sche  Theorie  mit  der 
hier  entwickelten,  so  liegt  der  Unterschied  hauptsächlich  darin, 
dass  in  jener  angenommen  wird,  die  Bewegung  werde  erst  durch 
die  electrische  Kraft  hervorgerufen,  und  finde  nur  nach  zwei  be- 
stimmten Richtungen  statt,  indem  die  Zersetzungen  regelmässig 
von  Molecül  zu  Molecül  fortschreiten,  während  nach  dieser  die 
schon  vorhandenen  Bewegungen  nur  geändert  werden,  und  auch 
das  nicht  so ,  dass  sie  vollkommen  regelmässig  werden ,  sondern 
nur  so,  dass  in  der  noch  immer  grossen  Mannichfaltigkeit  von  Be- 
wegungen die  beiden  bestimmten  Richtungen  vorherrschen. 


§.  8.    Eine  frühere  ähnliche  Ansicht  über  moleculare 

Vorgänge. 

Nachdem  ich  im  Jahre  1857  die  vorstehende  Ansicht  über  das 
Verhalten  electrolytischer  Flüssigkeiten  niedergeschrieben  hatte, 
erfuhr  ich  in  der  Unterhaltung  mit  einem  Chemiker,  dass  eine  ähn- 
liche Ansicht  über  das  Verhalten  zusammengesetzter  flüssiger  und 
luftförmiger  Körper  schon  von  Williamson  in  einer  Abhandlung 
.  über  die  Theorie  der  Aetherbildung  i)  ausgesprochen  ist.  Es 
heisst  in  dieser  Abhandlung  unter  anderen  2):  „Wir  werden  auf 
diese  Weise  zu  der  Annahme  geführt,  dass  in  einem  Aggregat  von 
Molecülen  jeder  Verbindung  ein  fortwährender  Austausch  zwi- 
schen den  in  ihr  enthaltenen  Elementen  vor  sich  geht.  Angenom- 
men z.  B. ,  ein  Gefäss  mit  Salzsäure  würde  durch  eine  grosse  Zahl 
von  Molecülen  von  der  Zusammensetzung  Cl  H  ausgefüllt ,  so 
würde  uns  die  Betrachtung,  zu  der  wir  gelangt  sind,  zu  der  An- 
nahme führen,  dass  jedes  Atom  Wasserstoff  nicht  in  ruhiger  Ge- 
geneinanderlagerung  neben  dem  Atom  Chlor  bleibe ,  mit  dem  es 


^)  Annaleu  der  Chemie  und  Pharmacie  Bd.  77,  S.  37.     Gelesen  vor  der 
British  Association  zu  Edinburg. 
2)  A.  a.  0.  S.  46. 


168  Abschnitt  VI.  . 

zuerst  verbunden  war,  sondern  dass  ein  fortwährender  Wechsel 
des  Platzes  mit  anderen  Wasserstoffatomen  stattfindet." 

Hiernach  scheint  William son  sogar  eine  bei  weitem  grössere 
Wandelbarkeit  in  der  Gruppirung  der  Theilmolecüle  anzunehmen, 
als  zur  Erklärung  der  Electricitätsleitung  nöthig  ist.  Er  spricht 
von  einem  fortwährenden  Wechsel  eines  Wasserstoffatoms  mit  an- 
deren Wasserstoffatomen,  während  es  zur  Erklärung  der  Electri- 
citätsleitung genügt,  wenn  bei  den  Zusammenstössen  der  Gesammt- 
molecüle  hin  und  wieder  und  vielleicht  verhältnissmässig  selten 
ein  Austausch  der  Theilmolecüle  stattfindet. 

Williamson  führt  zur  Bestätigung  seiner  Ansicht  das  Ver- 
halten an,  welches  stattfindet,  wenn  in  einer  Flüssigkeit  zwei  Ver- 
bindungen mit  verschiedenen  electro -positiven  und  verschiedenen 
electro-negativen  Bestandtheilen  gelöst  sind,  dass  dann  die  beiden 
ursprünglichen  Verbindungen  nicht  einfach  bestehen  bleiben,  oder 
eine  andere  Anordnung  der  Art  entsteht,  bei  welcher  ein  electro- 
positiver  Bestandtheil  ausschliesslich  mit  Einem  der  beiden  electro- 
negativen  Bestandtheile  verbunden  ist,  und  umgekehrt,  sondern 
dass  alle  vier  möglichen  Combinationen  sich  in  einem  gewissen 
Verhältnisse  bilden,  woher  es  kommt,  dass,  wenn  irgend  eine  der 
vier  Verbindungen  unlöslich  ist,  diese  sich  ausscheidet.  Auch  ich 
glaube,  dass  dieses  Verhalten  sich  sehr  natürlich  daraus  erklärt, 
dass  die  Verbindungen  je  zweier  Theilmolecüle  nicht  fest,  sondern 
wandelbar  sind,  und  dass  ein  positives  Theilmolecül  nicht  bloss 
ein  positives  Theilmolecül  derselben  Art,  sondern  auch  ein  solches 
von  anderer  Art  verdrängen  kann,  und  ich  habe  dieses  Verhalten 
bei  der  Aufstellung  der  oben  entwickelten  Theorie  gleich  mit  im 
Auge  gehabt.  Indessen  halte  ich  es  auch  hierbei  nicht  für  nöthig, 
dass  alle  Molecüle  in  fortwährendem  Wechsel  begriffen  sind,  son- 
dern es  scheint  mir  zu  genügen ,  wenn  sie  sich  hin  und  wieder  ge- 
genseitig austauschen,  denn  wenn  die  Anzahl  der  Austausche  auch 
im  Verhältniss  zur  Anzahl  der  Stösse  gering  ist,  so  kann  sie  doch 
an  sich  betrachtet  noch  sehr  gross  sein,  und  daher  in  kurzer  Zeit 
eine  bedeutende  Aenderung  in  der  ursprünglichen  Verbindungsart 
hervorbringen. 

Da  ich  zu  dem  Schlüsse  über  die  im  Inneren  einer  Flüssig- 
keit stattfindenden  Austausche  der  Theilmolecüle  ganz  unabhän- 
gig und  auf  einem  durchaus  anderen  Wege  wie  Williamson  ge- 
langt bin ,  so  habe  ich ,  auch  nachdem  ich  die  Abhandlung  dessel- 
ben kennen  gelernt  habe ,  doch  noch  geglaubt ,  meine  Betrachtun- 


Electricitätsleitung  in  Electrolyten.  169 

gen  unverändert  mittheilen  zu  dürfen,  indem  es  dadureh  am  besten 
ersichtlich  sein  wird,  in  wie  fern  diese  beiden  Betrachtungsweisen 
einander  gegenseitig  zur  Bestätigung  dienen. 


§.  9.    Metallische  Leitung  in  Electrolyten. 

Es  ist  in  neuerer  Zeit  mehrfach  die  Frage  erörtert,  ob  in 
Leitern  zweiter  Classe  neben  der  Leitung  durch  Electrolyse  auch 
noch  eine  Electricitätsleitung  der  Art,  wie  in  Leitern  erster  Classe 
stattfinde. 

Vom  theoretischen  Gesichtspuncte  aus  scheint  mir  der  An- 
nahme, dass  beide  Arten  von  Leitung  in  demselben  Körper  gleich- 
zeitig stattfinden  können,  nichts  entgegen  zu  stehen.  Die  Bestim- 
mung aber,  wie  sich  in  einzelnen  Fällen  die  beiden  verschiedenen 
Leitungen  ihrer  Grösse  nach  zu  einander  verhalten,  wird  bei  dem 
Mangel  an  genau  festgestellten  Thatsachen,  welche  als  Grundlage 
für  theoretische  Schlüsse  dienen  könnten,  für  jetzt  wohl  ganz  der 
experimentellen  Untersuchung  überlassen  bleiben  müssen. 

Für  diejenigen  Körper,  welche  bis  jetzt  in  dieser  Beziehung 
untersucht  sind,  und  welche  ihrer  vielfachen  Anwendung  wegen 
die  wichtigsten  sind,  hat  sich  gezeigt,  dass  die  Leitung  ohne  Elec- 
trolyse, wenn  sie  überhaupt  existirt,  jedenfalls  sehr  gering  ist, 
und  es  wird  daher  nicht  nöthig  sein,  auf  diese  Art  von  Leitung, 
welche  übrigens  theoretisch  nichts  wesentlich  Neues  darbieten 
würde,  hier  näher  einzugehen. 


ABSCHNITT    YII. 


Die  thermoelectrischen  Ströme. 

*  • 

§.  1.     Electrischer  Zustand  an  der  Berührungsfläche 

zweier  Stoffe. 

Während  die  beiden  vorigen  Abschnitte  nur  die  in  einem 
homogenen  Leiter  während  eines  stationären  electrischen  Stromes 
stattfindenden  Vorgänge  behandelten,  soll  nun  eine  Verbindung 
mehrerer  ohne  Electrolyse  leitender  Stoffe  betrachtet  werden, 
welche,  wenn  sie  eine  in  sich  geschlossene  Leitung  bilden  und  die 
Verbindungsstellen  der  Stoöe  auf  verschiedenen  Temperaturen 
erhalten  werden,  einen  thermoelectrischen  Strom  geben. 

Man  nimmt  gewöhnlich  als  Sitz  der  electromotorischen  Kräfte, 
welche  den  thermoelectrischen  Strom  hervorbringen,  die  eben  er- 
wähnten Verbindungsstellen  verschiedener  Stoße  an,  während  man 
innerhalb  eines  einzelnen  Stoffes,  auch  wenn  seine  Theile  verschie- 
dene Temperaturen  haben,  keine  electromotorischen  Kräfte  vor- 
aussetzt. Wir  wollen  diese  Annahme,  welche  die  einfachste  ist, 
zunächst  auch  machen,  und  untersuchen  zu  welchen  Folgerungen 
sie  führt.  Die  Vergleichung  dieser  Folgerungen  mit  der  Erfah- 
rung wird  dann  von  selbst  herausstellen,  ob  jene  einfache  An- 
nahme zur  Erklärung  aller  beobachteten  Thatsachen  genügt,  oder 
ob  und  in  welcher  Weise  sie  noch  modificirt  werden  muss. 

Für  die  Berührungsfläche  zweier  Stoffe  machen  wir  die  An- 
nahme, dass  dort  eine  Spannungsdifferenz  zwischen  den  Stoffen 
eintrete ,  indem  die  Electricität  sich  ungleich  unter  ihnen  theile. 
Hiernach  muss  man  für  den  Zustand  des  Gleichgewichtes  anneh- 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  171 

men,  class  die  Potentialfunction  zwar  innerhalb  eines  jeden  einzel- 
nen Stofies  constant  sei,  aber  in  zwei  sich  berührenden  Stoffen 
verschiedene  Werthe  habe  i),  und  für  den  während  eines  continuir- 
lichen  Stromes  stattfindenden  Zustand,  dass  die  Potentialfunction 
sich  innerhalb  jedes  einzelnen  Stoffes  nur  allmälig,  an  der  Berüh- 
rungsfiäche  zweier  Stoffe  aber  plötzlich  ändere.  Wir  können  somit, 
wenn  wir  die  Potentialfunction  innerhalb  zweier  Leiter,  welche  a 
und  h  heissen  mögen,  zur  Unterscheidung  mit  F„  und  Vi,  bezeich- 
nen, für  je  zwei  Puncte,  welche  sich  zu  beiden  Seiten  der  Berüh- 
rungsfläche sehr  nahe  gegenüberliegen,  die  Gleichung 
(1)  n  -  F«  =  ^„., 

bilden,  worin  E„i,  eine  von  der  Beschaffenheit  der  sich  berühren- 
den Stoffe  abhängige  Grösse  ist,  welche  wir  diePotentialniveau- 
differenz  der  beiden  Stoffe  nennen  wollen. 

Man  darf  diese  plötzliche  Aenderung  der  Potentialfunction 
natürlich  nicht  im  streng  mathematischen  Sinne  als  einen  Sprung 
betrachten,  welcher  in  einer  mathematischen  Fläche  stattfindet, 
sondern  nur  als  eine  sehr  schnelle  Aenderung  in  der  Nähe  dieser 
Fläche.  Zur  Erklärung  derselben  muss  man,  wie  schon  mehrfach, 
und  besonders  bestimmt  von  Helmholtz '-)  ausgesprochen  ist,  zwei 
zu  beiden  Seiten  der  Berührungsfläche  sich  gegenüberliegende 
entgegengesetzt  electrische  Schichten  annehmen,  also  eine  ähn- 
liche Anordnung ,  wie  bei  einer  geladenen  Leidener  Flasche  oder 
Franklin 'scheu  Tafel.  Wir  wollen  den  die  beiden  electrischen 
Schichten  und  ihren  Zwischenraum  umfassenden  Raum ,  welcher 
im  Ganzen  nur  eine  sehr  dünne  Schicht  bildet,  die  U e bergan gs- 
schicht  der  beiden  Stoffe  nennen. 


§.  2.    Grund  der  Potentialniveaudiffereuz. 

Es  entstellt  nun   aber  die  Frage,  was  es  für  eine  Kraft  ist, 
welche  diese  beiden  Schichten ,  die  doch  durch  keinen  nichtleiten- 


^)  In  electi'ostatischeu  Uutersncliuugen  legt  mau  gewöliulich  den  Satz 
zu  Gruude ,  dass  in  einem  ganzen  Systeme  unter  sich  verbundener  Leiter 
im  Zustande  des  Gleichgewichtes  die  Potentialfunction  überall  denselben 
Werth  habe ;  dadurch  sollen  aber  die  durch  Verschiedenheit  der  Stoffe  be- 
dingten Unterschiede  nicht  bestritten  werden,  sondern  sie  sind  nur  ihrer 
Kleinheit  wegen  vernachlässigt,  da  man  es  in  der  Electrostatik  gewöhnlich 
mit  viel  grösseren  Unterschieden  zu  thun  hat. 

2)  Pogg.  Ann.  Bd.  89. 


172  Abschnitt  VII. 

den  Körper  von  einander  getrennt  sind,  hindert,  sich  in  ihrem 
electrischen  Zustande  auszugleichen ,  und  welche  sogar ,  wenn  die 
Electricität  einen  anderen  Weg  zur  Ausgleichung  hat,  in  demsel- 
ben Maasse,  wie  dadurch  die  Differenz  an  der  Berührungsfläche 
geringer  werden  würde,  immer  neue  Electricität  von  der  negati- 
ven nach  der  positiven  Seite  hinübertreibt,  und  so  einen  fortwäh- 
renden electrischen  Strom  möglich  macht. 

Helmholtz  spricht  sich  darüber  in  seiner  Schrift  „über  die 
Erhaltung  der  Kraft"  S,  47  folgendermaassen  aus:  „Es  lassen 
sich  nämlich  offenbar  alle  Erscheinungen  in  Leitern  erster  Classe 
(d.  h.  solchen,  in  denen  die  Leitung  der  Electricität  ohne  Electro- 
lyse  stattfindet)  herleiten  aus  der  Annahme,  dass  die  verschiede- 
nen chemischen  Stoffe  verschiedene  Anziehungskräfte  haben  gegen 
die  beiden  Electricitäten  und  dass  diese  Anziehungskräfte  nur  in 
unmessbar  kleinen  Entfernungen  wirken,  während  die  Electricitä- 
ten auf  einander  es  auch  in  grösseren  tliun.  Die  Contactkraft 
würde  danach  in  der  Differenz  der  Anziehungskräfte  bestehen, 
welche  die  der  Berührungsstelle  zunächst  liegenden  Metalltheil- 
chen  auf  die  Electricitäten  dieser  Stelle  ausüben,  und  das  electri- 
sche  Gleichgewicht  eintreten,  wenn  ein  electrisches  Theilchen,  wel- 
ches von  dem  einen  zum  anderen  übergeht,  nichts  mehr  an  leben- 
diger Kraft  verliert  oder  gewinnt." 

Mit  dieser  Erklärung  stimmen  meines  Wissens  auch  die  An- 
sichten der  meisten  anderen  Physiker  überein,  wenn  die  darüber 
vorhandenen  Aussprüche  auch  minder  klar  und  bestimmt  sind ;  des- 
sen ungeachtet  glaube  ich  ihr  wenigstens  theilweise  widersprechen 
zu  müssen.  Ob  überhaupt  eine  Potentialniveaudifferenz  in  der 
hier  angegebenen  Weise  bloss  durch  die  verschiedenen  Anziehungs- 
kräfte verschiedener  chemischer  Stoffe  gegen  die  Electricität  her- 
vorgebracht wird ,  mag  vorläufig  dahingestellt  bleiben ,  dass  sich 
aber  hieraus,  wie  behauptet  wird,  alle  Erscheinungen  in  Leitern 
erster  Classe  herleiten  lassen,  muss  ich  bestreiten.  Zur  Erklärung 
der  thermoelectrischen  Ströme,  und  der  von  Peltier  entdeckten, 
durch  einen  electrischen  Strom  verursachten  Wärme-  und  Kälte- 
erregung an  der  Berührungsstelle  zweier  Stoffe  reicht  diese  An- 
nahme nicht  hin,  sondern  dazu  ist  eine  andere  Annahme  nothwen- 
dig,  nämlich  die,  dass  die  Wärme  selbst  bei  der  Bildung  und 
Erhaltung  der  Potentialniveaudifferenz  an  der  Berüh- 
rungsstelle wirksam  ist,  indem  die  Molecularbewegung, 
welche  wir  Wärme  nennen,  dieElectricität  von  dem  einen 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  173 

Stoffe  zum  anderen  zu  treiben  strebt,  und  nur  durch  die 
entgegenwirkende  Kraft  der  beiden  dadurch  gebildeten 
electrischen  Schichten,  wenn  diese  eine  gewisse  Dich- 
tigkeit erreicht  haben,  daran  verhindert  werden  kann. 

Um  dieses  zuerst  aus  den  thermoelectrischen  Strömen  nach- 
zuweisen, denken  wir  uns  irgend  eine  aus  zwei  Stoffen,  als  welche 
wir  der  Regel  nach  Metalle  annehmen  können,  gebildete  Kette  ge- 
geben. Wenn  sich  die  ganze  Kette  in  gleicher  Temperatur  befindet, 
so  sind  natürlich  die  Potentialniveaudifferenzen  an  den  beiden 
Berührungsstellen  gleich  gross ,  und  die  Potentialfunction  kann 
daher  in  jedem  Metalle  für  sich  einen  constanten  Werth  haljen, 
wie  es  dem  Gleichgewichtszustande  entspricht.  Werden  nun  aber 
die  beiden  Berührungsstellen  in  verschiedene  Temperaturen  ge- 
bracht, so  entstellt  ein  Strom,  und  daraus  muss  man  schliessen, 
dass  in  Bezug  auf  die  Vertheilung  der  Electricität  eigenthümliche 
Bedingungen  eingetreten  sind,  die  sich  durch  keinen  Gleichge- 
wichtszustand erfüllen  lassen. 

Solche  Bedingungen  lassen  sich  aus  der  Annahme,  dass  die  Po- 
tentialniveaudifferenzen nur  durch  die  verschiedenen  Anziehungs- 
kräfte chemisch  verschiedener  Stoffe  gegen  die  Electricität  her- 
vorgebracht werden,  nicht  herleiten.  Zunächst  ist  es  überhaupt 
sehr  unwahrscheinlich,  dass  solche  Anziehungskräfte  sich  mit  der 
Temperatur  ändern  sollten,  und  wenn  dieses  nicht  der  Fall  wäre, 
so  würde  die  Wärmevertheilung  auf  die  Electricitätsvertheilung 
gar  keinen  Einfluss  haben.  Aber  wenn  man  auch  diesen  Einwand 
fallen  lässt,  und  die  Abhängigkeit  der  Anziehungskräfte  von  der 
Temperatur  als  möglich  zugiebt,  so  ist  damit  doch  zur  Erklärung 
einer  fortwährenden  Bewegung  der  Electricität  noch  gar  nichts 
gewonnen,  denn  alsdann  würde  einfach  jeder  Theil  der  Kette  so 
viel  Electricität  zu  sich  heranziehen,  wie  seiner  augenblicklichen 
Anziehungskraft  entspräche,  und  würde  diese,  so  lange  die  Tem- 
peraturverhältnisse der  Kette  dieselben  blieben,  festhalten.  Man 
kann  denselben  Schluss  auch  in  folgender  Weise  aussprechen. 
Wenn  ein  Stoff"  bei  verschiedenen  Temperaturen  verschiedene  An- 
ziehungskräfte gegen  die  Electricität  besässe,  so  würden  sich  ver- 
schieden warme  Theile  desselben  Stoffes  in  dieser  Beziehung  eben 
so  zu  einander  verhalten,  wie  verschiedene  Stoffe  bei  gleicher  Tem- 
peratur, so  dass  auch  zwischen  ihnen  Potentialniveau differenzen 
entstehen  müssten,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  eine  Temperatur- 
verschiedenheit in  den  Th  eilen  einer  thermoelectrischen  Kette  ge- 


174  Absclmitt  VII. 

rade  so  wirken  würde,  wie  eine  vermehrte  Stoffverschieden- 
heit bei  gleicher  Temperatur,  welche  wohl  einen  veränder- 
ten electrischen  Gleichgewichtszustand,  aber  nie  einen  dauernden 
electrischen  Strom  zur  Folge  haben  kann. 

Anders  verhält  es  sich,  wenn  man  annimmt,  dass  die  Wärme 
selbst  bei  der  Bildung  der  Potentialniveaudifi'erenzen  an  den  Be- 
rührungsstellen wirksam  sei.  Diese  Annahme  macht  es  nicht  nur 
möglich,  sondern  sogar  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Grösse  der 
Differenzen  von  den  dort  stattfindenden  Temperaturen  abhänge, 
und  giebt  dabei  doch  durchaus  keine  Veranlassung  zu  dem 
Schlüsse,  dass  auch  zwischen  den  verschieden  warmen  Theilen 
eines  und  desselben  Stoffes  entsprechende  Potentialniveaudifferen- 
zen entstehen  müssen.  Man  erhält  also  bei  dieser  Annahme  in  der 
That  den  eigenthümlichen  Fall,  dass  einerseits  die  Verschiedenheit 
der  Potentialniveaudifferenzen  an  den  beiden  Berührungsstellen 
es  nothwendig  macht,  dass  die  Potentialfunction  in  den  verschie- 
denen Theilen  der  einzelnen  Stoffe  verschiedene  Werthe  be- 
sitzt, und  dass  sich  andererseits  innerhalb  jedes  einzelnen  Stoffes 
der  electrische  Zustand  so  auszugleichen  sucht,  dass  die  Poten- 
tialfunction in  allen  seinen  Theilen  denselben  Werth  hat.  Diese 
beiden  Bedingungen  lassen  sich  durch  einen  Gleichgewichtszustand 
nicht  gleichzeitig  erfüllen,  sondern  erfordern  einen  continuirlichen - 
Strom,  ganz  so,  wie  es  der  wirklichen  Beobachtung  entspricht. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  zweiten  der  oben  erwähnten  Er- 
scheinungen, zu  der  von  P eitler  entdeckten,  an  der  Berührungs- 
üäche  zweier  Stoffe  durch  einen  electrischen  Strom  verursachten 
Wärme-  oder  Kälteerregung.  Von  dieser  Wirkung  gilt  natürlich 
dasselbe,  was  oben  von  der  Veränderung  der  Potentialfunction  ge- 
sagt ist,  dass  sie  nicht  auf  eine  mathematische  Fläche  beschränkt 
sein  kann,  sondern  über  den  körperlichen  Raum  derjenigen  Schicht 
vertheilt  sein  muss,  welche  wir  oben  mit  dem  Namen  Ueber- 
gangsschicht  bezeichnet  haben.  Zur  Erklärung  der  in  dieser 
Schicht  stattfindenden  Erzeugung  oder  Vernichtung  von  Wärme 
ist  es  erforderlich,  eine  entprechende,  von  irgend  einer 
Kraft  getliane  positive  oder  negative  Arbeit  nachzu- 
weisen. 

Um  zu  sehen,  wie  die  beiden  einander  gegenüberstehenden 
Annahmen  sich  in  Bezug  auf  dieses  Erforderniss  verhalten ,  wollen 
wir  zunächst  wieder  von  der  von  Helmholtz  ausgesprochenen 
Annahme  ausgehen.    Nach  dieser  wirken  auf  ein  in  diesem  Räume 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  175 

befindliches  Electricitätstheilchen  /cwei  verschiedene  Kräfte,  er- 
stens eine  rein  electrische  Kraft,  indem  das  Theilchen  zwischen 
den  beiden  electrischen  Schichten  von  der  einen  angezogen  und 
von  der  anderen  abgestossen  wird,  und  zweitens  eine  Molecular- 
kraft,  indem  das  Theilchen  von  den  auf  beiden  Seiten  befind- 
lichen verschiedenartigen  Molecülen  verschieden  stark  angezogen 
wird.  Wenn  sich  der  Gleichgewichtszustand  hergestellt  hat,  so 
wirken  sich  diese  beiden  Kräfte  mit  gleicher  Stärke  entgegen,  so 
dass  beim  Uebergange  des  Theilchens  eine  eben  so  grosse  Arbeit 
von  der  einen  erlitten,  wie  von  der  anderen  gethan  werden  würde, 
und  daher,  wie  es  auch  Helmholtz  ausspricht,  weder  ein  Ge- 
winn noch  ein  Verlust  an  lebendiger  Kraft  eintreten  könnte.  Wäh- 
rend eines  Stromes  dagegen  ist  die  electrische  Kraft  ein  wenig 
grösser  oder  kleiner,  als  die  Molecularkraft ,  so  dass  das  Electri- 
citätstheilchen jener  oder  dieser  folgen  muss.  Man  kann  dieses 
Verhältniss  am  einfachsten  dadurch  darstellen,  dass  man  die  wäh- 
rend des  Gleichgewichts  wirksamen  einander  gleichen  Kräfte  auch 
jetzt  ganz  unverändert  beibehält,  ausserdem  aber  noch  eine  kleine 
electrische  Kraft  als  dritte  hinzufügt,  welche  nach  der  einen  oder 
anderen  Seite  gerichtet  ist,  und  gerade  nur  dazu  hinreicht,  den 
Leitungswiderstand  innerhalb  der  Uebergangsschicht  zu  überwin- 
den, und  so  die  Electricität  in  Bewegung  zu  erhalten.  Diese  Kraft 
ist  ganz  dieselbe,  welche  bei  gleicher  Stromstärke  auch  in  jeder 
mit  einem  gleichen  Leitungswiderstande  versehenen  Schicht  eines 
homogenen  Leiters  vorhanden  sein  muss,  und  somit  können  auch 
die  von  ihr  gethane  Arbeit  und  erzeugte  Wärme  keine  anderen 
sein,  als  die,  welche  in  einer  solchen  homogenen  Schicht  vorkom- 
men, und  welche  bei  der  Kleinheit  des  Leitungswiderstandes  einer 
so  dünnen  Schicht  hier  vernachlässigt  werden  können.  Die  an  der 
Berührungsstelle  stattfindende  eigenthümliche  Erscheinung, 
welche  von  P eitler  beobachtet  ist,  bleibt  bei  dieser  Annahme  also 
unerklärt. 

Wir  wollen  nun  in  gleicher  Weise  von  der  anderen  Annahme 
ausgehen,  nach  der  es  die  Wärme  ist,  welche  innerhalb  der  Ueber- 
gangsschicht die  Electricität  von  der  einen  nach  der  anderen  Seite 
zu  treiben  strebt,  und  dadurch  der  electrischen  Kraft  entgegen- 
wirkt. Während  des  Gleichgewichtszustandes  wird  dieses  Streben 
von  der  electrischen  Kraft  gerade  compensirt;  während  eines 
Stromes  dagegen  ist  die  letztere ,  wie  vorher  erwähnt ,  etwas  ver- 
grössert  oder  verkleinert  und   dadurch  wird  der  Uebergang  der 


176  Abschnitt  VII. 

Electricität  in  der  einen  oder  anderen  Richtung  veranlasst.  Dabei 
thut  oder  erleidet  die  electrische  Kraft  eine  gewisse  Arbeit,  und 
diese  kann  nicht  durch  eine  entgegengesetzte  Arbeit  einer  ande- 
ren Kraft  aufgehoben  werden,  da  unserer  Annahme  nach  keine 
zweite  Kraft  vorhanden  ist,  sondern  die  Wirkungen,  welche  Helm- 
holtz  einer  solchen  zuschreiben  zu  müssen  glaubte,  durch  die 
Wärme,  also  durch  eine  Bewegung,  hervorgebracht  werden. 
Demnach  muss  jene  ganze  Arbeit  eine  äquivalente  Vermehrung 
oder  Verminderung  der  lebendigen  Kraft  zur  Folge  haben,  und 
daraus  erhalten  wir,  da  lebendige  Kraft  hier  nur  in  der  Form  von 
Wärme  vorkommt,  die  von  Peltier  beobachtete  Wärme-  oder 
Kälteerregung. 

Ich  glaube  den  ganzen  Zustand  in  der  Uebergangsschicht  am 
besten  mit  dem  vergleichen  zu  können,  wenn  ein  in  einer  aus- 
dehnsamen  Hülle  befindliches  Quantum  Gas  durch  einen  äusseren 
Druck  zusammengehalten  wird,  während  die  Wärmebewegung  sei- 
ner Molecüle  es  auszudehnen  sucht.  Wird  die  äussere  Kraft,  welche 
vorher  dem  Ausdehnungsbestreben  der  Wärme  gerade  das  Gleich- 
gewicht hielt,  ein  Wenig  vergrössert  oder  verkleinert,  so  drückt 
sie  das  Gas  weiter  zusammen  oder  lässt  es  sich  weiter  ausdehnen; 
dabei  thut  oder  erleidet  sie  eine  gewisse  Arbeit,  und  zugleich 
wird  in  dem  Gase  eine  äquivalente  Menge  Wärme  erzeugt  oder 
vernichtet. 

Will  man  in  Bezug  auf  die  Arbeit  diejenige  Ausdrucks  weise 
anwenden,  welche  in  der  mechanischen  Wärmetheorie  gebräuch- 
lich ist,  dass  man  die  durch  die  Wärme  bewirkte  üeberwindung 
einer  Kraft  als  gewonnene  Arbeit  und  die  von  der  Kraft  selbst 
gethane  Arbeit  als  verbrauchte  Arbeit  bezeichnet,  so  kann  man 
sagen:  wenn  die  Electricität  sich  unter  dem  Einflüsse  der  Wärme 
in  dem  der  electrischen  Kraft  entgegengesetzten  Sinne  bewegt,  so 
wird  Arbeit  gewonnen  und  dafür  eine  entsprechende  Menge  Wärme 
verbraucht.  Findet  dagegen  die  Bewegung  der  Electricität  im 
Sinne  der  electrischen  Kraft  statt,  so  wird  Arbeit  verbraucht  und 
dafür  Wärme  gewonnen,  gerade  so  wie  bei  der  Ausdehnung  eines 
Gases  und  der  dabei  stattfindenden  üeberwindung  des  Gegen- 
druckes Arbeit  gewonnen  und  Wärme  verbraucht,  und  bei  der  Zu- 
sammendrückung des  Gases  Arbeit  verbraucht  und  Wärme  ge- 
wonnen wird. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  177 


§.  3.     Unterscheidung  der  hier  angenommenen  Potential- 
niveaudifferenz von  einer  anderen. 

Es  hat  sich  also  ergeben,  dass  wenn  man  an  der  Berührungs- 
stelle zweier  Stoffe  eine  durch  die  Wärme  verursachte  Potential- 
niveaudifferenz annimmt,  dann  die  durch  den  Strom  je  nach  sei- 
ner Richtung  erregte  Wärme  oder  Kälte  eine  nothwendige  Folge 
davon  ist.  Demgemäss  können  wir  nun  auch  umgekehrt  die  letz- 
tere Erscheinung  als  einen  Beweis  für  das  Vorhandensein,  und  zu- 
gleich als  ein  Maass  jener  Potentialniveaudifferenz  l^etrachten. 
Hiermit  scheint  aber  eine  andere  Thatsache  im  Widerspruche  zu 
stehen.  Da  nämlich  die  Wärme-  oder  Kälteerregung  am  stärksten 
beim  Wismuth  und  Antimon  stattfindet,  so  muss  man  schliessen, 
dass  zwischen  diesen  beiden  Metallen  auch  die  Potentialniveau- 
differenz am  grössten  ist;  electroskopische  Versuche  dagegen  zei- 
gen zwischen  anderen  Metallen,  wie  z,  B.  Kupfer  und  Zink,  viel 
grössere  Differenzen,  als  zwischen  Wismuth  und  Antimon.  Dieser 
Widerspruch  lässt  sich  auf  zwei  verschiedene  Weisen  erklären. 

Erstens  kann  man  annehmen,  dass  ausser  der  durch  die  Wärme 
verursachten  Potentialniveaudifferenz  gleichzeitig  noch  eine  an- 
dere bestehe,  welche  in  der  von  Helmholtz  angegebenen  Weise 
nur  durch  die  verschiedenen  Molecularanziehungen  hervorgebracht 
werde ,  und  dass  diese ,  wenn  sie  auch  auf  die  thermoelectrischen 
Erscheinungen  keinen  Einfiuss  übe,  doch  bei  den  electroskopi- 
schen  Erscheinungen  zur  vollen  Geltung  komme,  und  sich  dabei 
sogar  meistens  als  die  grössere  von  beiden  erweise.  Zweitens  kann 
man  annehmen,  dass  die  bei  electroskopischen  Versuchen  beob- 
achtete Differenz  nicht  durch  die  unmittelbare  Berührung  der  bei- 
den untersuchten  Stoffe,  z.  B.  des  Kupfers  und  Zinks,  entstehe, 
und  überhaupt  gar  nicht  zur  Zahl  derjenigen  Erscheinungen  ge- 
höre, welche  bei  der  Berührung  von  nur  Leitern  erster  Classe 
eintreten,  sondern  zur  Zahl  derer,  welche  durch  die  Mitwirkung 
von  Leitern  zweiter  Classe  (d.  h.  von  solchen,  die  die  Electricität 
durch  Electrolyse  leiten)  veranlasst  werden.  Man  kann  in  dieser 
Beziehung  anführen,  dass  bei  einem  electroskopischen  Versuche, 
selbst  wenn  die  untersuchten  Metalle  mit  keinem  fremden  Körper, 
wie  z.  B.  mit  der  Hand,  sondern  nur  unter  sich  in  Berührung  ge- 
bracht werden,  dadurch  doch  die  Mitwirkung  fremder  Stoffe  nicht 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.    IT.  j^2 


178  Abschnitt  VII. 

ganz  ausgeschlossen  werden  könne,  denn  die  Metalle  selbst  seien 
an  ihrer  Oberfläche  von  einer  Schicht  comprimirter  Gase  und  viel- 
leicht auch  condensirter  Dämpfe  bedeckt,  welche  bei  nicht  zusam- 
mengelötheten ,  sondern  nur  zusammengedrückten  Metallstücken 
den  wirklich  metallischen  Contact  verhindere,  und  durch  ihr  Da- 
zwischentreten die  electroskopischen  Erscheinungen  M'^esentlich 
modificire. 

Welche  von  diesen  beiden  Erklärungsarten  vorzuziehen  ist, 
soll  hier  nicht  erörtert  werden,  da  es  für  die  Untersuchung  der 
thermoelectrischen  Ströme  und  ihrer  Wirkungen  gleichgültig  ist. 
Für  diese  genügt  es,  wenn  die  durch  die  Wärme  verursachte 
Potentialniveaudifferenz  dem  obigen  Schlüsse  gemäss  als  existirend 
anerkannt  wird,  denn  nur  mit  ihr  haben  wir  es  hier  zu  thun,  und 
wenn  daher  im  Folgenden  kurz  von  der  Potentialniveaudifferenz 
die  Rede  ist,  so  soll  damit  immer  nur  diese  eine  gemeint  sein, 
ganz  abgesehen  davon,  ob  daneben  noch  eine  andere  besteht, 
oder  nicht. 


§.  4.    Stromstärke  in  einer  aus  zwei  Stoffen  bestehen- 
den Thermokette. 

Wir  wollen  nun  die  Thermokette  im  Ganzen  betrachten,  und 
dazu  zunächst  eine  solche  wählen,  die  nur  aus  zwei  leitenden 
Stoßen  besteht.  Dabei  wollen  wir  die  Voraussetzung  machen,  dass 
die  Thermokette  keinerlei  inducirende  Wirkungen  nach  Aussen 
hin  ausübe  oder  von  Aussen  her  erleide,  sondern  einfach  sich  selbst 
überlassen  sei. 

Die  beiden  der  Einfachheit  wegen  als  linear  vorausgesetzten 
Leiter  mögen  a  und  b  und  ihre  Verbindungsstellen  p'  und  p" 
heissen,  und  die  dort  herrschenden  absoluten  Temperaturen  mit 
T  und  T"  bezeichnet  werden.  Für  den  Strom  und  ebenso  für 
die  electromotorische  Kraft  nehmen  wir  eine  bestimmte  Richtung 
als  die  positive  an,  und  zwar  wollen  wir  dazu  die  Richtung 
p'ap"hp'  wählen.  Die  Potentialfunction  im  Leiter  a  bezeichnen 
wir  mit  Va  und  ihre  Grenzwerthe  an  den  Puncten  p'  und  p"  mit 
Va  und  V'J,  und  ebenso  bezeichnen  wir  im  Leiter  b  die  Potential- 
function allgemein  mit  F«,  und  ihre  Grenzwerthe  mit  V^  und  V'b. 
Die  an  den  Verbindungsstellen  stattfindenden  Potentialniveau- 
differenzen ,  beide  im  Sinne  des  positiven  Stromes  genommen ,  mö- 


Die  thermoelectri sehen  Ströme.  179 

gen  für  'p"  mit  hXl,,  und  für  |)'  mit  E\,,  bezeichnet  werden;  dann 
haben  wir  zu  setzen: 

.2^  /  ^'U  =  VI'  -  Vi! 

^    ^  [Ei,=    V'a    -     VI. 

Um  nun  die  durch  diese  Potentialniveaudifferenzen  ver- 
ursachte Stromstärke  zu  bestimmen,  liilden  wir  zunächst,  indem 
wir  die  Leitungswiderstände  in  den  beiden  Leitern  a  und  b  mit 
la  und  7ö  bezeichnen,  folgende  zwei  Gleichungen: 

V   V" 


Stromstärke  in  a  = 
Stromstärke  in  /;  = 


la 

v[:  -  v. 


k 

Beide  Stromstärken  müssen  unter  einander  gleich  sein,  und 
wir  wollen  ihren  gemeinsamen  Werth,  welchen  wir  einfach  die 
Stromstärke  der  Thermokette  nennen ,  mit  J  bezeichnen.  Indem 
wir  nun  die  vorigen  Brüche  beide  gleich  J  setzen  und  die  so  ent- 
stehenden Gleichungen  mit  l,,  und  Zj  multipliciren,  erhalten  wir: 

ji,  =  v'a  -  r: 

Jl,  =  Fi'  _  Vi. 
Durch  Addition  dieser  beiden'  Gleichungen  kommt: 

J(J,  -I-  l,)   r=V'a-    V'a    +    V'l   -     VI 

Führen  wdr  hierin  gemäss  (2)  die  Zeichen  E'ah  und  E'^a  ein,  und 
bezeichnen  zugleich  die  Summe  !„  -\-  h-,  welche  den  ganzen  Lei- 
tungswiderstand der  Kette  bedeutet,  mit  L,  so  kommt: 

JL  =   E'ai   -j-   E'ia 

oder  auch: 

(3)  J= j^ 

Aus  dieser  Gleichung  folgt  nach  dem  Ohm 'sehen  Gesetze, 
dass  die  im  Zähler  des  Bruches  stehende  Summe  der  beiden  Po- 
tentialniveaudifferenzen die  ganze  electromotorische  Kraft  der 
Thermokette  ist.  Bezeichnen  wir  diese  mit  F,  so  haben  wir  zu 
setzen : 

(4)  F=E':^,JrEL. 


12* 


180  Absclinitt  VII. 


§.  5.     Arbeitsleistung  und  Wärmeerzeugung  in  der 
Thermokette. 

Da  jedes  Theilchen  der  in  der  Kette  strömenden  Electricität 
nach  einander  an  Stellen  von  verscliiedenem  Potentialniveau  kommt, 
so  wird  dabei  von  den  electrischen  Kräften  Arbeit  geleistet,  welche 
an  einigen  Stellen  positiv,  an  anderen  negativ  ist. 

Betrachten  wir  zuerst  eine  Uebergangsschicht,  z.  B.  die  bei 
j>",  so  gelangt  jedes  Electricitätstheilchen  clq,  indem  es  sich  durch 
die  Schicht  bewegt,  vom  Potentialniveau  F'j  zum  Potentialniveau 
V'b.  Die  dabei  von  der  electrischen  Kraft  gethane  Arbeit,  welche 
durch  die  Abnahme  des  Potentials  der  getrennt  vorhandenen 
Electricität  auf  das  Theilchen  clq  dargestellt  wird,  ist  gleich 
(V'a  —  Vt)dq  oder  —  E'^j,  dq.  Wenn  wir  dieses  auf  alle  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  durch  die  Schicht  strömende  Electricität, 
deren  Menge  gleich  J  ist ,  anwenden ,  so  erhalten  wir  für  die  Ar- 
beit, welche  während  der  Zeiteinheit  in  dieser  Uebergangsschicht 
von  der  electrischen  Kraft  gethan  wird,  den  Ausdruck  —  E'^i  J. 
Ebenso  erhalten  wir  für  die  in  der  Uebergangsschicht  bei  p'  ge- 
thane Arbeit  den  Ausdruck  —  E^^  J.  Setzen  wir  in  diese  Aus- 
drücke für  J  seinen  Werth  aus  (3)  ein,  so  erhalten  wir: 


(5) 


Arbeit  in  der  Uebergangsschicht  bei  ^9"  =  —  E'^^  ^«^-f^a« 


L 


Arbeit  in  der  Uebergangsschicht  bei  p'  =  —  E',a  ^^'^  +  ^^"  . 

-Li 

Diese  Arbeitsgrössen  sind  negativ  oder  positiv,  je  nachdem  die  die 
Schicht  durchströmende  Electricität  von  niedrigerem  zu  höherem 
oder  von  höherem  zu  niedrigerem  Potentialniveau  gelangt. 
Fasst  man  beide  Ausdrücke  zusammen,  so  erhält  man : 

(6)    Arbeit  in  beiden  Uebergangsschichten  =  —  ^.    <^b  -r  ^la)  , 

Dieser  Ausdruck  ist  jedenfalls  negativ  und  der  Durchgang  der 
Electricität  durch  beide  Uebergangsschichten  zusammen  findet  also 
gegen  die  electrischen  Kräfte  statt,  was  daraus  zu  erklären  ist, 
dass  die  electrischen  Kräfte  durch  die  Wirkung  der  Wärme  über- 
wunden werden. 


Die  therm  oelectrischen  Ströme.  181 

Betrachten  wir  nun  weiter  die  homogenen  Leiter  a  und  J,  so 
wird  in  diesen  von  den  electrischen  Kräften  beim  Strömen  der 
Electricität  diejenige  Arbeit  geleistet,  welche  zur  Ueberwindung 
des  Leitungswiderstandes  nöthig  ist.  Diese  Arbeit  ist,  gemäss  der 
in  Abschnitt  V.  unter  (6)  gegebenen  Gleichung,  im  Leiter  a  gleich 
la  J^  und  im  Leiter  h  gleich  ?6  J"^.  Für  beide  Leiter  zusammen  er- 
halten wir  also,  wenn  wir  wieder  die  Summe  ?„  -j-  1,^  mit  L  be- 
zeichnen, den  Ausdruck  LJ^,  und  wenn  wir  hierin  für  J  seinen 
Werth  aus  (3)  setzen,  so  kommt: 

(7)  Arbeit  in  den  Leitern  =  (^«6  +  E[a)\ 

Da  dieser  Ausdruck  dem  in  (6)  gegebenen  Ausdrucke  der  in 
den  beiden  Uebergangsschichten  zusammen  gethanen  Arbeit  gleich 
und  entgegengesetzt  ist,  so  folgt  daraus,  dass  die  Summe  aller  in 
der  Thermokette  von  den  electrischen  Kräften  gethanen  Arbeits- 
grössen  gleich  Null  ist.  Dieses  ist  auch  von  vornherein  selbstver- 
ständlich. Wenn  nämlich  die  electrischen  Kräfte  während  einer 
gegebenen  Zeit  innerhalb  der  Thermokette  im  Ganzen  eine  Arbeit 
thun  oder  erleiden  sollten,  so  könnte  dieses  nur  durch  eine  ver- 
änderte Anordnung  der  Electricität  geschehen,  und  jede  solche 
Aenderung  ist  durch  die  Annahme,  dass  der  Strom  stationär  sei, 
ausgeschlossen. 

Mit  der  vorher  besprochenen  in  den  verschiedenen  Theilen 
der  Kette  von  den  electrischen  Kräften  gethanen,  theils  positiven, 
theils  negativen  Arbeit  hängt  nun  auch  Erzeugung  und  Verbrauch 
von  Wärme  zusammen.  In  den  Uebergangsschichten  wird,  je  nach- 
dem die  Bewegung  der  Electricität  im  Sinne  der  electrischen  Kraft 
oder  ihr  entgegen  geschieht,  Wärme  erzeugt  oder  verbraucht.  In 
beiden  Uebergangsschichten  zusammen  findet  Verbrauch  von 
W^ärme  statt,  weil  dem  Obigen  nach  die  Summe  der  in  ihnen  ge- 
thanen Arbeitsgrössen  negativ  ist.  In  den  homogenen  Leitern,  wo 
die  electrischen  Kräfte  den  Leitungswiderstand  zu  überwinden  ha- 
ben, findet  Erzeugung  von  Wärme  statt.  Was  die  Mengen  der  er- 
zeugten und  verbrauchten  Wärme  anbetrifft,  so  sind  sie  unter  der 
von  uns  gemachten  Voraussetzung,  dass  die  Thermokette,  ohne 
Wirkungen  nach  Aussen  hin  auszuüben  oder  von  Aussen  her  zu 
erleiden,  nur  sich  selbst  überlassen  ist,  und  dass  in  ihr  neben  den 
Wärnieveränderungen  keine  weiteren  Veränderungen  mechanischer 
oder  chemischer  Natur  vorkommen,  den  oben  bestimmten  Arbeits- 


182  Abschnitt  VII, 

grossen  äquivalent.  Wenn  wir  uns  die  Wärme  nach  mechani- 
schem Maasse  gemessen  denken,  so  werden  die  Wärmemengen 
einfach  durch  dieselben  Ausdrücke  dargestellt,  wie  die  betreffen- 
den Arbeitsgrössen,  und  es  wird  daher  nicht  nöthig  sein,  länger 
dabei  zu  verweilen.  Es  möge  nur  noch  angeführt  werden,  dass  die 
algebraische  Summe  aller  in  der  Thermokette  erzeugten  Wärme- 
mengen (wobei  verbrauchte  Wärmemengen  negativ  gerechnet  wer- 
den), ebenso  wie  die  Summe  aller  von  den  electrischen  Kräften 
gethanen  Arbeitsgrössen,  gleich  Null  ist. 

Wir  können  diejenigen  Theile  der  Thermokette,  in  welchen 
die  Wärme  selbst  thätig  ist,  indem  sie  entweder  die  Electricität 
nach  einer  bestimmten  Richtung  treibt,  oder  der  vorhandenen  Be- 
wegung widerstrebt,  also  in  unserem  bisher  betrachteten  einfachen 
Falle  die  beiden  Uebergangsschichten  bei  ^3'  und  j?",  mit  jeder  voll- 
kommenen durch  Wärme  getriebenen  Maschine  vergleichen.  Wie 
durch  die  Maschine  z.  B.  ein  Gewicht  gehoben,  also  der  Schwer- 
kraft entgegen  bewegt  werden  kann,  wobei  die  Schwerkraft  eine 
Arbeit  erleidet,  so  wird  hier  die  Electricität  zu  einer  Bewegung 
gezwungen ,  welche  der  electrischen  Kraft  entgegengerichtet  ist, 
und  bei  der  diese  daher  eine  Arbeit  erleidet.  Wie  man  ferner 
dort  das  gehobene  Gewicht  nachher  wieder  sinken  und  somit  der 
Schwerkraft  folgen  lassen  kann ,  wobei  diese  eine  Arbeit  tliut ,  die 
der  vorher  erlittenen  genau  gleich  ist,  und  welche  man  zur  Her- 
vorbringung verschiedener  Wirkungen  benutzen  kann,  so  strömt 
auch  hier  die  Electricität  wieder  zurück ,  indem  sie  innerhalb  der 
homogenen  Leiter  der  electrischen  Kraft  folgt,  und  die  von  dieser 
dabei  gethane  Arbeit  kann  ebenfalls  zu  verschiedenen  Wirkungen 
benutzt  werden,  da  man  ja  aus  den  electrischen  Strömen  eine 
mechanische  Triebkraft  gewinnen  kann.  Wenn  wir,  um  die  Ueber- 
einstimmung  noch  vollständiger  zu  machen,  auch  die  beschrän- 
kende Voraussetzung,  welche  wir  über  die  Wirkungen  des  Stromes 
im  Vorigen  gemacht  haben ,  in  entsprechender  Weise  bei  der  Ma- 
schine machen  wollen ,  so  müssen  wir  annehmen ,  dass  die  ganze 
Arbeit  der  Maschine  nur  zur  Ueberwindung  von  Reibung  benutzt 
werde.  In  diesem  Falle  wird  durch  die  Reibung  gerade  so  viel 
Wärme  erzeugt,  wie  in  der  Maschine  selbst  verbraucht  wird ,  und 
betrachten  wir  daher,  um  ein  mit  der  ganzen  Thermokette  ver- 
gleichbares System  zu  erhalten,  die  sich  reibenden  Körper  als  mit 
der  Maschine  zusammengehörig,  so  findet  in  diesem  Systeme  eben- 
falls weder  ein  Gewinn  noch  ein  Verlust  an  Wärme  statt. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  183 


§.  6.     Vorhandensein  eines  durch  die  Thermokette 
vermittelten  Wärmeüberganges. 

Indem  wir  vorher  die  Theile  der  Thermokette,  in  welchen  die 
Wärme  selbst  thätig  ist,  also  die  beiden  Uebergangsschichten,  mit 
einer  thermodynamischen  Maschine  verglichen,  richteten  wir  unser 
Augenmerk  nur  auf  den  Verbrauch  oder  die  Erzeugung  von  Wärme. 
Nun  findet  aber  in  einer  thermodynamischen  Maschine,  ausser  der 
Veränderung  der  Quantität  der  im  Ganzen  vorhandenen  Wärme, 
auch  ein  Uebergang  von  Wärme  von  einem  warmen  zu 
einem  kalten  Körper  statt,  welcher  durch  den  zweiten  Haupt- 
satz der  mechanischen  Wärmetheorie  näher  bestimmt  wird,  und 
wir  müssen  daher  die  Thermokette  auch  von  diesem  Gesichts- 
puncte  aus  betrachten. 

Zunächst  wollen  wir  uns  die  allgemeinere  Frage  stellen ,  ob 
sich  in  der  Thermokette  überhaupt  ein  Wärmeübergang  von  einem 
warmen  zu  einem  kalten  Körper  nachweisen  lässt.  Wir  betrach- 
ten dabei  wieder,  wie  bisher,  die  aus  nur  zwei  homogenen  Stoffen 
bestehende  Kette,  bei  welcher  die  Wärme  nur  in  den  beiden  Ueber- 
gangsschichten thätig  ist.  Oben  wurde  gezeigt,  dass  der  Aus- 
druck für  die  in  beiden  Schichten  zusammen  erzeugte  Wärme  nega- 
tiv ist;  daraus  darf  man  aber  nicht  denselben  Schluss  für  jede 
Schicht  einzeln  ziehen,  sondern  man  kann  vielmehr,  wenigstens 
für  geringe  Temperaturintervalle,  im  Voraus  als  ßegel  annehmen, 
dass  die  beiden  einzelnen  Ausdrücke  von  entgegengesetzten  Vor- 
zeichen sind.  Bei  gleichen  Temperaturen  sind  nämlich  die  Poten- 
tialniveaudifferenzen an  beiden  Berührungsstellen  gleich  und  ent- 
gegengesetzt; wenn  sich  nun  die  Temperatur  der  einen  Stelle  än- 
dert, so  ändert  sich  auch  ihre  Potentialniveaudifferenz,  da  diese 
Aenderung  aber  stetig  vor  sich  geht,  so  kann  sie  wenigstens  nicht 
gleich  anfänglich  eine  Umkehrung  des  Vorzeichens  bewirken,  und 
so  lange  dieses  nicht  geschieht,  behalten  die  Potentialniveaudiffe- 
renzen, und  mit  ihnen  natürlich  auch  die  entsprechenden  Arbeits- 
grössen  und  Wärmemengen  entgegengesetzte  Vorzeichen.  Dieses 
Verhalten  wollen  wir  daher  auch  in  der  von  uns  betrachteten 
Thermokette  voraussetzen,  indem  wir  die  bei  grossen  Temperatur- 
unterschieden zuweilen  vorkommenden  Abweichungen ,  von  denen 
später  die  Kede  sein  wird,  für  jetzt  unberücksichtigt  lassen.    Da 


184  Abschnitt  VII. 

der  Zustand  der  ganzen  Kette  der  Annahme  nacli  stationär  sein 
soll,  und  somit  die  an  den  beiden  Berührungsstellen  stattfindenden 
Temperaturen  T'  und  T"  constant  sein  müssen,  so  denken  wir  uns 
dieses  dadurch  bewirkt,  dass  die  beiden  Berührungsstellen  mit  zwei 
Körpern  in  Verbindung  gesetzt  sind,  welche  bleibend  auf  den  Tem- 
peraturen T'  und  T"  erhalten  werden,  und  von  denen  der  eine 
seiner  Berührungsstelle  die  verbrauchte  Wärme  wieder  ersetzt,  der 
andere  der  seinigen  die  erzeugte  Wärme  entzieht.  Dadurch  er- 
fährt der  eine  Körper  einen  Verlust,  der  andere  einen  Gewinn  an 
Wärme,  und  wir  erhalten  somit  wirklich  einen  durch  die  Thermo- 
kette  vermittelten  Uebergang  von  Wärme  von  einem  Körper  zu 
einem  anderen. 

Es  fragt  sich  nun  noch,  ob  dieser  Uebergang  auch  der  Be- 
dingung genüge,  dass  er  vom  warmen  zum  kalten  Körper,  und 
nicht  etwa  in  umgekehrter  Richtung  geschieht.  Betrachten  wir 
in  dieser  Beziehung  die  beiden  Stofie,  deren  thermoelectrische 
Wirkungen  am  meisten  experimentell  untersucht  sind,  und  bei 
denen  die  Entscheidung  daher  am  sichersten  ist,  nämlich  Wismuth 
und  Antimon,  so  ergiebt  sich  in  der  That  das  erstere,  denn  bei 
einer  aus  diesen  Stoffen  zusammengesetzten  Kette  geht  der  Strom 
an  der  warmen  Berührungsstelle  vom  Wismuth  zum  Antimon,  und 
an  der  kalten  vom  Antimon  zum  Wismuth,  und  andererseits  weiss 
man,  dass  ein  durch  die  Berührungsstellen  gehender  Strom  bei  der 
ersteren  Richtung  Abkühlung  hervorbringt,  also  Wärme  verbraucht, 
und  bei  der  letzteren  Wärme  erzeugt.  Demnach  erfährt,  wie  es 
sein  muss,  der  wärmere  Körper  den  Verlust  und  der  kältere  den 
Gewinn  an  Wärme,  und  in  ähnlicher  Weise  stellt  sich  die  Ueber- 
einstimmung  auch  bei  den  anderen  bis  jetzt  untersuchten  Stoffen 
heraus.  Man  sieht  leicht,  wie  durch  dieses  Resultat  die  oben 
durchgeführte  Analogie  zwischen  der  Thermokette  und  einer  durch 
die  Wärme  getriebenen  Maschine  noch  vervollständigt  wird,  denn 
offenbar  entspricht  die  warm  gehaltene  Berührungsstelle  dem 
geheizten  Theile  der  Maschine,  und  die  kalt  gehaltene  dem 
Condensator  der  Dampfmaschine  oder  dem  Theile,  wo  die  kalte 
Luft  comprimirt  wird,  in  der  durch  warme  Luft  getriebenen  Ma- 
schine. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  185 


§.  7.     Anwendung  des   zweiten  Hauptsatzes  der 
mechanischen  Wärmetheorie. 

Nachdem  so  das  Vorhandensein  des  Wärmeüberganges  nach- 
gewiesen ist,  wollen  wir  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen 
Wärmetheorie  auf  ihn  anwenden.  Eine  sehr  einfache  Form  dieses 
Satzes  erhält  man,  wenn  man  die  Temperaturen  der  beiden  Kör- 
per, welche  die  Wärmezu-  und  -abfuhr  bewirken,  als  unendlich 
wenig  von  einander  verschieden  annimmt.  Wir  wollen  die  bei  jy" 
stattfindende,  bisher  mit  T"  bezeichnete  Temperatur,  welche  wir 
als  die  höhere  voraussetzen,  jetzt  einfach  mit  T  bezeichnen,  und 
die  bei  ^'  stattfindende,  bisher  mit  T'  bezeichnete  Temperatur 
gleich  T  —  dT  setzen.  Dann  gilt  für  den  vollständigen  Process, 
bei  welchem  eine  gewisse  Wärmemenge  in  Arbeit  verwandelt  oder, 
wie  man  auch  sagen  kann,  zu  Arbeit  verbraucht  wird,  und  eine 
andere  Wärmemenge  von  dem  wärmeren  zu  dem  kälteren  Körper 
übergeht,  die  Gleichung: 

,  .  die  verbrauchte  Wärme    äT 

die  übergegangene  Wärme         T 

Um  nun  die  an  der  linken  Seite  dieser  Gleichung  im  Zähler 
und  Nenner  stehenden  Wärmemengen  zu  bestimmen,  müssen  wir 
die  auf  die  beiden  Uebergangsschichten  bezüglichen  Gleichungen 
(5)  anwenden,  welche  zunächst  für  die  dort  gethanen  Arbeits- 
grössen  aufgestellt  sind,  aber  auch  für  die  dort  erzeugten  Wärme- 
mengen gelten,  und  in  welche  wir  nur  für  die  die  Potentialniveau- 
differenzen  darstellenden  Zeichen  die  auf  unseren  Fall  bezüglichen 
Werthe  einzusetzen  haben.  Die  bei  |)"  stattfindende  Potential- 
niveaudifferenz wollen  wir  jetzt  einfach  mit  E  bezeichnen,  so  dass 
zu  setzen  ist : 

Was  die  bei  j/  stattfindende  Potentialniveaudifferenz  E^^  anbe- 
trifit,  so  ist  erstens  zu  bemerken,  dass  sie  wegen  der  umgekehrten 
Reihenfolge  der  Stoffe  a  und  h  das  entgegengesetzte  Vorzeichen 
hat,  und  zweitens  ist  ihr  absoluter  Werth  um  so  viel  vom  vorigen 
verschieden  anzunehmen,  wie  es  der  um  d  T  niedrigeren  Tempera- 
tur entspricht.    Es  ist  also  zu  setzen: 


186  Abschnitt  VII. 

äE 


^'-  =  -{^-¥t^^) 


Bei  p"  erzeugte  Wärme  =  —  y-  --^ 

Ju    Cf/  J. 

Bei  p  erzeugte  Warme  =  y-  yy  al  —  y  [tTt) 


Aus  der  Vereinigung  beider  Gleichungen  folgt: 

Eab    -T   Ella   =  -TTji  "-^• 

Setzen  wir  diese  "Werthe  in  die  Gleichungen  (5)  ein,  so  kommt 

(9) 

und  hieraus  folgt  weiter: 

1      / rl  Ji^\  2 

(10)      Bei  y  und  j9"  erzeugte  Wärme  = ^  (tt)    ^^-^^• 

Da  der  letzte  Ausdruck  negativ  ist,  so  ergiebt  sich  daraus, 
wie  schon  oben  besprochen  wurde,  für  beide  Uebergangsschichten 
zusammen  ein  Wärme  verbrauch,  und  der  absolute  Werth  des 
Ausdruckes  stellt  die  Menge  der  verbrauchten  Wärme  dar,  also 
die  Grösse,  welche  in  dem  in  der  Gleichung  (8)  vorkommenden 
Bruche  den  Zähler  bildet. 

Was  ferner  die  im  Nenner  stehende  übergegangene  Wärme- 
menge anbetrifft,  so  ist  als  solche  die  bei  p'  erzeugte  Wärme- 
menge anzusehen,  welche  durch  die  zweite  der  Gleichungen  (9) 
bestimmt  wird,  wobei  noch  zu  bemerken  ist,  dass  wir  in  dem  be- 
trefienden  Ausdrucke  das  in  Bezug  auf  dT  quadratische  Glied 
gegen  das  lineare  vernachlässigen  können.  Die  Gleichung  (8)  geht 
also  über  in: 

L  \dT)  __  d£ 

EdE  -    T' 

welche  Gleichung  sich  vereinfacht  in: 

dE  _  dT 

und  aus  welcher  sich  durch  Integration  ergiebt: 
(12)  E=8T, 

worin  s  eine  von  der  Natur  der  sich  berührenden  Stoffe  abhän- 
gige Constante  bedeutet. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  187 

Wir  sind  somit  in  Bezug  auf  die  Art,  wie  die  zAvischen  zwei 
verschiedenen  Stoffen  stattfindende  Potentialniveaudifferenz  sich 
mit  der  Temperatur  ändert,  zu  dem  einfachen  Gesetze  gelangt, 
dass  die  Potentialniveaudifferenz  der  absoluten  Tem- 
peratur proportional  ist.  Dabei  ist  aber  wohl  zu  beachten, 
dass  die  das  Gesetz  ausdrückende  Gleichung  (12)  in  der  einfachen 
Form,  dass  £  constant  ist,  nur  so  weit  als  gültig  angesehen  wer- 
den darf,  wie  die  unserer  bisherigen  Entwickelung  zu  Grunde  lie- 
gende Voraussetzung,  dass  innerhalb  der  einzelnen  Stoffe  keine 
electromotorischen  Kräfte  auftreten,  erfüllt  ist. 

Wenden  wir  jenen  für  E  gewonnenen  Ausdruck  auf  eine 
Thermokette  an,  deren  Verbindungsstellen  p'  und  p"  beliebige 
Temperaturen  T'  und  T"  haben,  so  haben  wir  zu  setzen : 

Eiba   =   ^ba   J-      ^^^  ^ab    J-    ■ 

Dadurch  geht  die  für  die  ganze  electromotorische  Kraft  der  Thermo- 
kette geltende  Gleichung  (4)  über  in: 

(13)  F=B,,iT"  -  T'). 

Wir  wollen  uns  nun  statt  der  aus  zwei  Stoffen  bestehenden 
Thermokette  eine  solche  gegeben  denken,  welche  aus  einer  beliebi- 
gen Anzahl  n  von  leitenden  Stoffen  besteht,  die  «,  &,  c.h  heissen 
mögen.     Die  Verbindungsstellen  wollen   wir,  vom  Anfangspuncte 

des  Leiters  a  beginnend,  mit  p\  p",  p'" p^"'>  bezeichnen,  so 

dass  p"  die  Verbindungsstelle  zwischen  a  und  &,  p'"  die  Verbin- 
dungsstelle zwischen  h  und  c  und  zuletzt  p'  die  Verbindungsstelle 
zwischen  h  und  a  ist.  Die  an  diesen  Verbindungsstellen  stattfin- 
denden Potentialniveaudifferenzen  mögen  E'ab,  E'l[ E^«  heissen. 

Dann  haben  wir  zur  Bestimmung  der  electromotorischen  Kraft  der 
Thermokette,  entsprechend  der  Gleichung  (4),  zu  setzen: 

(14)  F==K'6  +  £"cH V  EU- 

Bezeichnen  wir  ferner  die  in  den  Ausdrücken  der  Potentialniveau- 
differenzen vorkommenden  constanten  Factoi-en  der  Reihe  nach 
mit  Sab-,  Sbc----£ha  wud  nennen  die  Temperaturen  der  Verbin- 
dungsstellen, von  derjenigen,  welche  den  Anfangspunct  des  Leiters 
a  bildet,  beginnend,  T',  T",  T'" T^"\  so  geht  die  vorige  Glei- 
chung über  in: 

(15)  F=8,b  T"  ^Sbc  T"'  + -^  BnaT'. 


188  Abschnitt  VII. 


§.  8.    Uebereinstimmungspuncte  des  obigen  Resultates 
mit  der  Erfahrung. 

Vergleicht  man  das  in  der  Gleichung  (12)  ausgedrückte  Re- 
sultat der  obigen  Entwickelungen  mit  der  Erfahrung,  so  findet 
man  in  mehrfacher  Beziehung  eine  unzweifelhafte  Ueberein- 
stimmung. 

Der  erste  zu  besprechende<Punct  bezieht  sich  nur  darauf,  dass 
der  in  (12)  gegebene  Ausdruck  einem  allgemeinen  Erfordernisse 

entspricht.    Wenn  in  einer  aus  beliebig  vielen  Stoffen  a,  &,  c 1% 

bestehenden  Thermokette  alle  Verbindungsstellen  eine  und  die- 
selbe Temperatur  T  haben,  so  entsteht  kein  Strom  und  die  elec- 
tromotorische  Kraft  der  Kette  muss  somit  Null  sein.  Man  hat 
also  für  diesen  Fall,  gemäss  (14),  zu  setzen: 

und  dieser  Gleichung  müssen  die  Potentialniveaudifferenzen  für 
jeden  beliebigen  Werth  der  gemeinsamen  Temperatur  T  ge- 
nügen. Setzt  man  nun  für  die  Potentialniveaudifferenzen  ihre  Aus- 
drücke nach  (12),  indem  man  bei  allen  dieselbe  Temperatur  T  in 
Anv^endung  bringt,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

und  aus  der  Form  dieser  Gleichung  ersieht  man  sofort,  dass,  wenn 
die  Constanten  solche  Werthe  haben,  dass  die  Gleichung  für  Eine 
Temperatur  erfüllt  ist,  sie  auch  für  alle  Temperaturen  erfüllt  ist. 

Wir  wollen  nun  einige  specielle  Folgerungen,  welche  sich  aus 
(12)  ergeben,  mit  der  Erfahrung  vergleichen 

1.  Nach  (12)  nehmen  die  Potentialniveaudifferenzen 
bei  wachsender  Temperatur  zu  und  nicht  ab.  Um  die 
Richtigkeit  dieses  Schlusses  zu  prüfen,  müssen  wir  uns  erinnern, 
dass  der  Strom  immer  die  Richtung  wählt,  in  welcher  die  Summe 
der  Potentialniveaudiöerenzen  positiv  ist,  also  für  den  Fall,  wo  nur 
zwei  Differenzen  vorkommen,  die  Richtung,  in  welcher  die  grössere 
von  ihnen  positiv  ist.  Es  braucht  also  zum  Beweise,  dass  die  Po- 
tentialniveaudifi'erenz  an  der  wärmeren  Berührungsstelle  die 
grössere  ist,  nur  gezeigt  zu  werden,  dass  sie  in  Bezug  auf  die 
Stromrichtung  die  positive  ist,  und  dieses  ist  schon  oben  ge- 
schehen, indem  aus  der  Erfahrung  nachgewiesen  ist,  dass  an  der 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  189 

wärmeren  Berührungsstelle  ein  Verbrauch  von  Wärme  statt- 
findet, was  einer  negativen  Arbeit  und  somit  einer  im  Sinne  des 
Stromes  stattfindenden  Zunahme  des  Potentialniveaus  entspricht. 

2.  Nach  (12)  sind  die  Acnderungen  jeder  Potential- 
niveaudifferenz den  entsprechenden  Temperaturände- 
rungen proportional.  Hiernach  muss,wie  aus (13)  zu  ersehen  ist, 
bei  jeder  aus  zwei  homogenen  Stoffen  zusammengesetzten  Tliermo- 
kette  die  electromotorische  Kraft  i)  dem  an  beiden  Berühruiigs- 
stellen  angewandten  Temperaturunterschiede  proportional  sein, 
und  dieses  kann  in  der  That  für  nicht  zu  grosse  Temperaturunter- 
schiede im  Allgemeinen  als  Regel  bezeichnet  werden. 

3.  Nach  (12)  müssen  diejenigen  Potentialniveaudiffe- 
renzen, deren  Zunahme  mit  der  Temperatur  am  gröss- 
ten  ist,  auch  ihren  ganzen  Werthen  nach  die  grössten 
sein.  Betrachten  wir  nämlich  irgend  zwei  Combinationen  von  je 
zwei  Stoffen,  etwa  a,  h  und  c,  d^  so  haben  wir  zu  setzen: 


woraus  folgt 


ßaö  =   Sab    Tund   E,,^  =   E,d   T, 

dEab  1  dEcd 

=     £nh    und      —TT^    =    Ecd 


dT  ~~    ""  dT 

und  aus  diesen  Gleichungen  ergiebt  sich  die  Proportion: 

dEai,    dEcd 


dT    ■    dT 


' —    ^al:  '•  Ecd- 


Auch  dieser  Schluss  bestätigt  sich,  indem  diejenigen  Stoffcombi- 
nationen,  welche  bei  einem  bestimmten  Temperaturunterschiede 
die  stärksten  Ströme  geben,  wie  z.  B.  die  von  VVismuth  und  Anti- 
mon, sich  auch  dadurch  auszeichnen,  dass  ein  durch  ihre  Berüh- 
rungsstelle gehender  Strom  dort  am  meisten  Wärme  erzeugt  oder 
vernichtet ,  wobei  die  erstere  Eigenschaft  auf  einen  grossen  Werth 

des  Differentialcoefficienten  ^— ,  und  die  letztere  auf  einen  grossen 

dt 

Werth  der  Function  E  selbst  schliessen  lässt. 


1)  Man  darf  hier  statt  der  electromotorischen  Kraft  nicht  ohne  Weite- 
res die  Stromstärke  setzen,  weil  die  letztere  auch  vom  Leitungswiderstande 
abhängt,  welcher  sich  mit  der  Temperatur  ändert. 


190  Absclinitt  VII. 


§.   9.     Abweichungen  des  obigen  Resultates  von  der 
Erfahrung   und  ihre  Erklärung. 

Die  vorstehend  erwähnten  Bestätigungen  lassen  wohl  keinen 
Zweifel  daran  bestehen,  dass  der  in  der  Gleichung  (12)  gegebene 
Ausdruck  nicht  bloss,  wie  eine  empirische  Formel  innerhalb  ge- 
wisser Grenzen  eine  äusserliche,  vielleicht  zufällige  Aehnlichkeit 
mit  dem  Verhalten  der  Potentialniveaudifferenzen  zeigt,  sondern 
dass  er  in  der  Natur  der  Sache  selbst  begründet  ist.  Dessen  un- 
geachtet stellt  er  allein  die  Erscheinungen  noch  nicht  genau  dar, 
vielmehr  findet  man  bei  näherer  Untersuchung  derselben,  beson- 
ders in  den  Fällen,  wo  hohe  Temperaturen  vorkommen,  erhebliche 
Abweichungen,  welche  zeigen,  dass  bei  der  Hervorbringung  dieser 
Erscheinungen  noch  Nebenumstände  mitwirken  müssen,  die  bei 
der  Ableitung  des  Ausdruckes  nicht  berücksichtigt  sind.  Am  deut- 
lichsten tritt  dieses  bei  einer  aus  Eisen  und  Kupfer  bestehenden 
Thermokette  hervor,  welche  bekanntlich  bei  allmälig  fortschreiten- 
der Erwärmung  der  einen  Berührungsstelle  statt  beständiger  Zu- 
nahme des  Stromes  von  einer  gewissen  Temperatur  an  eine  Ab- 
nahme, und  bei  der  Glühhitze  sogar  eine  Umkehrung  des  Stro- 
mes zeigt. 

Diese  Abweichungen  lassen  darauf  schliessen,  dass  die  unse- 
rer obigen  Entwickelung  zu  Grunde  gelegte  Voraussetzung,  dass 
die  in  einer  Thermokette  vorkommenden  electromotorischen  Kräfte 
nur  an  den  Verbindungsstellen  verschiedener  Stoffe  ihren  Sitz  ha- 
ben, während  im  Inneren  eines  einzelnen  Stoffes,  auch  wenn  seine 
Theile  verschiedene  Temperaturen  haben,  keine  electromotori- 
schen Kräfte  vorkommen,  ungenau  sein  muss.  Wollte  man  z.  B. 
bei  der  Eisen-Kupferkette  die  Entstehung  des  Stromes  nur  aus  den 
beiden  an  den  Berührungsstellen  stattfindenden  Potentialniveau- 
differenzen erklären,  so  müsste  man  schliessen,  dass  bei  der  Tem- 
peratur, bei  welcher  die  Umkehrung  des  Stromes  eintritt,  die  Po- 
tentialniveaudifferenz an  der  warmen  Berührungsstelle  gerade  wie- 
der gleich  der  an  der  kalten  geworden  wäre,  und  sich  so  auf  dem 
Durchgangspuncte  aus  einem  grösseren  in  einen  kleineren,  oder 
aus  einem  kleineren  in  einen  grösseren  Werth  befände.  Bei  die- 
ser Aenderung  ihres  Werthes  würde  natürlich  ihr  Vorzeichen  zu- 
nächst ungeändert   bleiben,   und  es  müssten   sich  daher  bei  der 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  191 

Umkehrung  des  Stromes  auch  seine  thermischen  Wirkungen  an 
den  beiden  Berührungsstellcn  in  die  entgegengesetzten  verwan- 
deln, so  dass,  wenn  vorher  Wärme  von  einem  warmen  zu  einem 
kalten  Körper  überging,  nun  der  umgekehrte  üebergang  einträte, 
was  dem  zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie 
direct  widerspricht.  Man  ist  also  zu  der  Annahme  genöthigt,  dass 
auch  im  Inneren  der  beiden  verbundenen  Metalle,  oder  eines  der- 
selben, Potentialniveaudifferenzen  entstanden  seien,  welche  als  elec- 
tromotorische  Kräfte  zur  Hervorbringung  des  Stromes  mitwirken, 
und  hat  zugleich  durch  die  Bedingung,  dass  der  zweite  Hauptsatz 
der  mechanischen  Wärmetheorie  immer  erfüllt  bleiben  muss,  ein 
Mittel  über  das  Verhältniss,  in  welchem  diese  verschiedenen  Diffe- 
renzen zu  einander  stehen  müssen,  wenigstens  Einiges  zu  schliessen. 

Damit  ist  aber  nicht  gesagt,  dass  jede  Temperaturver- 
schiedenheit schon  als  solche  nothwendig  von  einer  Po- 
tentialniveaudifferenz begleitet  sein  müsse,  sondern  ich 
glaube,  dass  es  zur  Erklärung  jener  Abweichungen,  so  weit  sie  bis 
jetzt  beobachtet  sind,  hinreicht,  wenn  man  die  im  Inneren  eines 
Metalles  entstehende  Potentialniveaudifferenz  nur  als  eine  secun- 
däre  Wirkung  der  Temperaturverschiedenheit  betrachtet,  welche 
dann  eintritt,  wenn  durch  die  Temperaturänderung  des 
einen  Theiles  eine  Aenderung  seines  Molecularzustan- 
des  veranlasst  ist,  so  dass  der  veränderte  und  der  unveränderte 
Theil  desselben  Metalles  sich  wie  verschiedene  Metalle  zu  einander 
verhalten.  Dasselbe  gilt  natürlich  auch,  wenn  beide  Theile  ihren 
Molecularzustand  geändert  haben,  aber  die  Aenderungen  nicht 
gleich  sind. 

Dass  dergleichen  Aenderungen  in  bedeutendem  Maasse  statt- 
finden, lässt  sich  in  manchen  Fällen  mit  ziemlicher  Sicherheit 
nachweisen,  und  es  möge  als  ein  Beispiel  der  Art  hier  der  Stahl 
betrachtet  werden,  bei  welchem  die  Wirkungen  der  Wärme  beson- 
ders auffällig  sind.  Harter  und  weicher  Stahl  stehen  sich  in  den  be- 
deutendsten Eigenschaften,  wie  Härte,  Elasticität  und  Sprödigkeit, 
so  fern,  wie  zwei  ganz  verschiedene  Metalle,  und  es  ist  bekannt, 
dass  bei  ihrer  Berührung  auch  eine  electrische  Potentialniveau- 
differenz entsteht,  indem  sich  aus  ihnen  eine  wirksame  Thermo- 
kette,  und  durch  mehrfache  Wiederholung  eine  ziemlich  kräftige 
Thermosäule  bilden  lässt.  Da  der  ganze  zwischen  hartem  und  wei- 
chem Stahl  bestehende  Unterschied  seine  Ursache  nur  in  der 
grösseren   oder   geringeren  Geschwindigkeit   der  Abkühlung  hat. 


192  Abschnitt  VII. 

so  muss  man  annehmen,  dass  die  bei  höherer  Temperatur  stattfin- 
dende Art  der  Verbindung  des  Eisens  mit  der  Kohle,  und  der 
damit  zusammenhängende  Molecularzustand  der  ganzen  Masse  sich 
bei  der  Abkühlung  zu  ändern  sucht,  dass  diese  Aenderung  aber 
einiger  Zeit  bedarf,  und  daher  durch  die  Schnelligkeit  der  Abküh- 
lung ganz  oder  theilweise  verhindert  werden  kann,  während  sie 
bei  langsamer  Abkühlung  wirklich  eintritt.  In  Uebereinstimmung 
hiermit  kann  man  aus  der  Verschiedenheit,  welche  man  zwischen 
langsam  und  schnell  gekühltem  Stahle  beobachtet,  auf  eine  entspre- 
chende Verschiedenheit  zwischen  langsam  gekühltem  und  heissem 
Stahle  schliessen,  und  denselben  Schluss  hat  auch  Seebeck  aus 
seinen  thermoelectrischen  Versuchen  gezogen  i). 

Für  das  häufige  Vorkommen  und  den  electrischen  Einfluss 
solcher  Verschiedenheiten  des  Molecularzustandes  sprechen  ferner 
alle  thermoelectrischen  Ströme ,  welche  man  bei  Anwendung  eines 
einzigen  Metalles  erhält,  wenn  man  einzelne  Stellen  desselben  er- 
wärmt. Besonders  stark  sind  diese  bei  solchen  Metallen,  die  ein 
deutlich  ausgeprägtes  krystallinisches  Gefüge  zeigen.  So  beobach- 
tete Seebeck  2)  z.  B.  bei  einem  im  Ganzen  gegossenen  Ringe  aus 
Antimon,  dass  er  sich  gerade  so  verhielt,  als  ob  er  aus  zwei  ver- 
schiedenen Metallen  bestände,  deren  Grenzen  sich  genau  feststel- 
len Hessen.  Als  später  der  Ring  zerbrochen  wurde,  fand  sich,  dass 
der  eine  Theil  sternförmig  krystallisirt  war,  während  der  andere 
ein  feinkörniges  Gefüge  besass,  und  eine  weitere  Untersuchung 
des  Gegenstandes  ergab  als  Ursache  dieses  Unterschiedes  die  ver- 
schiedene Erkaltungsgeschwindigkeit  der  beiden  Theile.  Für  dehn- 
bare Metalle  ist  in  neuerer  Zeit  Magnus  durch  sorgfältige  expe- 
rimentelle Untersuchungen  s)  ebenfalls  zu  dem  Resultate  gelangt, 
dass  die  in  einem  einzigen  Metalle  entstehenden  Ströme  ihren 
Grund  in  dem  verschiedenen  Zustande  seiner  Theile,  besonders 
in  der  verschiedenen  Härte  haben.  Da  demnach  durch  verschie- 
dene Behandlung  in  den  Theilen  eines  Metalles  bleibend  ein  sol- 
cher Unterschied  des  Zustandes  entstehen  kann,  dass  sie  sich  in 
Bezug  auf  die  Bildung  von  thermoelectrischen  Strömen  wie  ver- 


1)  Uebex'  die  magnetisclie  Polarisation  der  Metalle  und  Erze  durch 
Temperatur -Differenz,  von  Dr.  T.  J.  Seebeck,  Denkschr.  der  Berliner 
Akad.  für  1822  u.  1823,  und  Pogg.  Ann.  Bd.  6,  §.  47. 

2)  A.  a.  0.  §.  46. 

3)  Denkschriften  der  Berliner  Akad.  für  1851,  und  Pogg.  Ann.  Bd.  83, 
S.  469. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  193 

schiedene  Metalle  verhalten,  so  ist  es  wohl  keine  unwahrschein- 
liche Annahme,  dass  auch  durch  Temperaturverschiedenheit  vor- 
ühergeliend  ein  solcher  Unterschied  hervorgerufen  werden  könne. 
Wenn  nun  in  einer  Thermokette  dieser  Fall  eintritt,  dass  ein 
Theil  des  einen  Metalles  seinen  Molecularzustand  ändert,  so  ent- 
steht dabei  erstens,  wie  erwähnt,  zwischen  diesem  veränderten  und 
dem  unveränderten  Theile  desselben  Metalles  eine  vorher  nicht 
vorhandene  Potentialniveaudifi'erenz ,  und  zweitens  erleidet  an  der 
Stelle,  wo  der  veränderte  Theil  ein  anderes  Metall  berührt,  die 
dort  schon  vorhandene  Potentialniveaudifferenz  eine  Aenderung, 
welche  in  der  Gleichung  (12)  nicht  mit  ausgedrückt  ist,  und  daher 
noch  besonders  in  Rechnung  gebracht  werden  muss,  und  beide 
Umstände  vereinigen  sich  in  ihrer  Wirkung  auf  den  Strom.  Um 
in  solchen  Fällen  mit  dem  zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen 
Wärmetheorie  im  Einklänge  zu  bleiben,  braucht  man  sich  nur  die 
durch  die  Wärme  in  der  Thermokette  hervorgebrachten  electri- 
schen  Wirkungen  in  zwei  Theile  zerlegt  zu  denken,  nämlich  in  die 
unmittelbaren  und  die  durch  Aenderungen  des  Molecularzustan- 
des  vermittelten,  und  dann  die  letzteren  so  zu  behandeln,  als  ob 
sie  durch  wirkliche  Stoffveränderungen  veranlasst  wären,  für  die 
ersteren  dagegen  die  Gleichung  (12)  ungeändert  beizubehalten  und 
diese  nach  jeder  Aenderung  des  Molecularzustandes  auf  die  verän- 
derte Kette  gerade  so  anzuwenden,  wie  vorher  auf  die  unverän- 
derte. Ob  die  Aenderung  des  Molecularzustandes  bei  einer  be- 
stimmten Temperatur  sprungweise  eintritt,  oder  ob  ein  allmäliger 
Uebergang  aus  dem  einen  Zustande  in  den  anderen  stattfindet, 
macht  hierbei  keinen  wesentlichen  Unterschied,  denn  im  letzteren 
Falle  kann  man  statt  Einer  endlichen  Differenz  eine  unendliche 
Reihe  von  unendlich  kleinen  Differenzen  annehmen. 


§.  10.     Erweiterung  der  Theorie. 

Nachdem  ich  die  vorstehend  mitgetheilte  Theorie  der  thermo- 
electrischen Ströme  in  einer  zuerst  im  Jahre  1853  erschienenen 
und  später  wieder  abgedruckten  Abhandlung  auseinandergesetzt 
hatte,  und  am  Schlüsse  derselben  von  den  noch  vorkommenden 
Abweichungen  der  Resultate  von  der  Erfahrung  die  im  vorigen 
Paragraphen  enthaltene  Erklärung  gegeben  und  zugleich  angedeu- 
tet hatte,  wie  die  Entwickelungen  zu  erweitern  sein  würden,  um 

Clausius,  mech.  Wärme tlieorie.    IL  13 


194  Abschnitt  VlI. 

die  vollständige  Uebereinstimmung  mit  der  Erfahrung  herzustel- 
len, hat  Hr.  Budde  in  einer  im  Jahre  1874  veröffentlichten  schö- 
nen Abhandlung  i)  den  Gegenstand  wieder  aufgenommen  und  jene 
Erweiterung  der  Entwickelunge n  ausgeführt.  Von  dieser  Behand- 
lung will  ich  das  Wesentlichste  in  etwas  veränderter  Form  hier 
hinzufügen,  indem  ich  in  Bezug  auf  die  mehr  ins  Einzelne  gehende 
Durchführung  auf  die  Abhandlung  selbst  verweise. 

Die  im  vorigen  Paragraphen  besprochenen  Verschiedenheiten 
des  Molecularzustandes  oder  der  Structur,  welche  in  einem  che- 
misch gleichartigen  Stoffe  vorkommen  und  dann  bewirken  können, 
däss  zwei  Theile  dieses  Stoffes  sich  in  thermoelectrischer  Beziehung 
wie  zwei  verschiedene  Stoffe  zu  einander  verhalten,  können  in  dop- 
pelter Weise  von  der  Temperatur  abhängen. 

Es  giebt  Fälle,  wo  durch  eine  Aenderung  der  Temperatur 
auch  eine  Aenderung  der  Structur  des  Stoffes  hervorgerufen  wird, 
wo  aber  die  Temperatur  und  die  Structur  doch  nicht  in  so  be- 
stimmtem Zusammenhange  unter  einander  stehen,  dass  der  Stoff 
bei  der  Rückkehr  zur  ursprünglichen  Temperatur  auch  nothwen- 
dig  seine  ursprüngliche  Structur  wieder  annehmen  müsste.  So  ist 
es  z,  B.  bekannt,  dass  Körper,  welche  in  verschiedener  Weise  kry- 
stallisiren  können,  zuweilen  bei  der  Temperaturerhöhung  eine 
Aenderung  des  crystallinischen  Gefüges  erleiden,  ohne  dass  bei 
nachheriger  Abkühlung  das  erste  crystallinische  Gefüge  sich  wie- 
der herstellt.  Ebenso  weiss  man,  dass  Stahl,  wenn  er  erwärmt  und 
nachher  wieder  zur  ursprünglichen  Temperatur  abgekühlt  wird, 
dadurch  eine  bedeutende  Aenderung  der  Härte  erleiden  kann.  Bei 
Stoffen  dieser  Art  würde  es  schwer  sein,  ihr  Verhalten  in  der 
Thermokette  durch  allgemeingültige  Gleichungen  darzustellen,  und 
es  möge  hier  nur  gesagt  werden,  dass  man  für  jeden  Theil  eines 
solchen  Stoffes  die  seiner  augenblicklich  stattfindenden  Structur 
entsprechenden  thermoelectrischen  Eigenschaften  in  Rechnung  zu 
bringen  hat. 

Es  kommen  aber  auch  Stoffe  vor,  besonders  Metalle,  welche 
mit  der  Temperatur  ihre  Structur  in  der  Weise  ändern,  dass  bei 
derselben  Temperatur  auch  immer  wieder,  wenigstens  angenähert, 
dieselbe  Structur  eintritt.  Nimmt  man  dieses  Wiedereintreten  der- 
selben Structur  als  wirklich  genau  an,  so  kann  man  bei  einem  sol- 
chen Stoffe  die  von  der  Structur  abhängigen  Grössen  als  Functio- 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  153,  S.  343. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  195 

nen  der  Temperatur  betrachten,  was  bei  der  Behandlung  seines 
thermoelectrischen  Verhaltens  von  Wichtigkeit  ist.  Auf  Stoffe  die- 
ser Art  beziehen  sich  die  von  Budde  ausgeführten  Entwickelungen. 


§.  11.     Verallgemeinerter  Ausdruck  der  electro- 
motorischen  Kraft.  ^ 

In  §.  7  wurde  die  an  der  Berührungsstelle  zweier  Stoffe  statt- 
findende Potentialniveaudifferenz  E  durch  die  unter  (12)  gegebene 

Gleichung 

E=  eT 

bestimmt,  worin  £  als  eine  von  der  Natur  der  sich  berührenden 
Stoffe  abhängige  Constante  angesehen  wurde.  Wenn  nun  die  Stoffe 
mit  der  Temperatur  ihre  Structur  ändern,  so  braucht  die  Grösse  £ 
nicht  constant  zu  sein,  sondern  ist  als  Function  der  Temperatur 
zu  betrachten.  Wenn  ferner  verschiedene  Theile  eines  und  dessel- 
ben Stoffes  verschieden  warm  sind,  und  dadurch  in  ihrer  Structur 
Verschiedenheiten  eingetreten  sind,  so  können  auch  zwischen  ihnen 
Potentialniveaudifferenzen  obwalten. 

Um  die  Potentialniveaudifferenz  zwischen  irgend  zwei  Stoffen 
oder  irgend  zwei  Theilen  eines  Stoffes  in  einer  für  das  Folgende 
bequemen  Form  darstellen  zu  können,  wollen  wir  zunächst  alle 
Stoffe  mit  einem  Stoffe  vergleichen,  von  dem  wir  annehmen,  dass 
er  eine  durchweg  gleichmässige  und  auch  bei  Temperaturände- 
rungen unveränderliche  Structur  habe,  so  dass  zwischen  verschie- 
den warmen  Theilen  dieses  Stoffes  keine  electrischen  Potential- 
niveaudifferenzen bestehen.  Ob  ein  so  unveränderlicher  Stoff  wirk- 
lich existirt,  ist  für  die  Gültigkeit  des  Folgenden  ohne  Bedeutung, 
da  er  nur  dazu  dienen  soll,  für  die  Bestimmung  aller  Potential- 
niveaux  einen  gemeinsamen  Ausgangspunct  zu  gewinnen ,  dessen 
Lage  die  auf  Thermoketten  bezüglichen  Gleichungen,  in  welchen  es 
sich  nur  um  die  Differenzen  der  vorkommenden  Potentialniveaux 
handelt,  nicht  beeinüusst.  Wir  wollen  diesen  hypothetischen  Ver- 
gleichsstoff mit  r-  bezeichnen.  Betrachten  wir  nun  irgend  einen 
anderen  Stoff'  a,  so  denken  wir  uns  diesen  mit  r  in  Berührung  ge- 
bracht und  bilden  für  die  an  der  Berührungsstelle  bei  der  Tem- 
peratur T  entstehende  Potentialniveaudifferenz  Era  gemäss  (12) 
die  Gleichung: 
(16)  E,,,  =  £,„  T. 

13* 


196  Absclmitt  VII. 

Ganz  entsprechend  haben  wir  dann  auch  für  einen  anderen  Stoff 

h  die  Gleichung: 

(16  a)  E^^  =  Srb  T 

zu  bilden,  und  aus  diesen  beiden  Gleichungen  ergiebt  sich  weiter: 

(17)  Eab  =  Erb  Era  =    T  (s^b   —    ^ ra)- 

Da  man  nun  andererseits  gemäss  (12)  setzen  kann: 

Eab  =  ^ab    T^ 

SO  folgt: 

(18}  £a6  =^   ^rb  ^rai 

wodurch  die  Temperaturfunction  £„&,  welche  von  der  Natur  der 
beiden  Stoffe  a  und  &  abhängt,  auf  zwei  Temperaturfunctionen, 
von  denen  jede  nur  von  der  Natur  eines  dieser  beiden  Stoffe  ab- 
hängt, zurückgeführt  ist.  Um  auch  noch  für  die  Bezeichnung  die 
Vereinfachung  zu  gewinnen,  dass  wir  den  auf  den  Vergleichsstoff 
bezüglichen  Buchstaben  r  nicht  immer  mitzuschreiben  brauchen, 
wollen  wir  unter  Einführung  des  neuen  Buchstabens  t]  setzen: 

(19)  Sra  =  ^a    liud    S rb  =  l^ö, 

SO  dass  wir  die  vorige  Gleichung  schreiben  können : 

(20)  Sab  =  Vjb  —   Va- 

Hierdurch  geht  dann  auch  (17)  über  in: 

(21)  E„,  =  Tif},-ri„). 

Wir  wollen  nun  eine  aus  zwei  linearen  Leitern  a  und  b  be- 
stehende Thermokette  betrachten,  deren  Verbindungsstellen  die 
Temperaturen  T'  und  T"  haben. 

Es  möge  zunächst  für  den  Leiter  a,  dessen  Temperatur  sich 
vom  Anfangspuncte  bis  zum  Endpuncte  von  T'  bis  T"  ändert,  be- 
stimmt werden,  wie  sich  die  bei  geöffneter  Kette  an  seinen  ver- 
schiedenen Puncten  stattfindenden  Potentialniveaux  unter  einander 
verhalten.  Wenn  an  zwei  unendlich  wenig  von  einander  entfern- 
ten Puncten  des  Leiters  die  Temperaturen  T  und  T  -\-  dT  statt- 
finden, so  unterscheiden  sich  die  beiden  betreffenden  Werthe  von 

fj  a  um  -jyp  d  T  von  einander,  und  die  entsprechende  Differenz  der 

an  den  beiden  Puncten  stattfindenden  Potentialniveaux  ist: 

(22)  ^dT  ^T^dT. 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  197 

Daraus  folgt,  wenn  wir  den  Anfangs-  und   Endwcrth  von  F«  mit 
Va  und  Va  bezeichnen: 

(33)  V:'  -  V:,=fT'^dT. 


2" 


Wenn  die  Kette  geschlossen  ist,  und  daher  ein  continuirlicher 
electrischer  Strom  durch  den  Leiter  a  geht,  so  findeii  natürlich 
andere  Potentialniveaux  auf  ihm  statt,  als  bei  geöfiheter  Kette. 
Für  die  Bestimmung  der  electromotorischen  Kräfte  sind  aber  die 
bei  geöffneter  Kette  stattfindenden  Potentialniveaudiff'erenzen 
maassgebend.  Zwischen  zwei  Stellen ,  deren  Temperaturen  T  und 
T  -\-  (?Tsind,  wirkt  eine  electromotorische  Kraft,  welche  durch 

d  Va  dVa 

-j^  d  T  oder  durch  T  -j~  ^  ^  dargestellt  wird,  und  demnach  gilt 

für  die  Summe  aller  innerhalb  des  Leiters  a  wirkenden  electro- 
motorischen Kräfte  der  in  (23)  gegebene  Ausdruck: 


/ 


/TT  <^'^a     n  rn 


Aus  der  Form  dieses  Ausdruckes  sieht  man  sofort,  dass  sein  Werth 
nur  von  der  Anfangs-  und  Endtemperatur  des  Leiters  und  nicht 
von  der  Art,  wie  die  Zwischentemperaturen  über  ihn  vertheilt  sind, 
abhängt. 

Li  entsprechender  Weise  wird  für  den  Leiter  &,  der  an  sei- 
nem Anfangspuucte  die  Temperatur  T"  und  am  Eudpuncte  die 
Temperatur  T'  hat,  die  Summe  der  in  ihm  wirkenden  electromo- 
torischen Kräfte  durch  den  Ausdruck 


J         dT 


dT 


dargestellt. 

Betrachten  wir  nun  die  ganze  Thermokette,  so  wirken  in  die- 
ser, ausser  den  eben  bestimmten,  noch  die  an  den  Verbindungs- 
stellen j)'  und  p"  stattfindenden  electromotorischen  Kräfte.  Be- 
zeichnen wir  die  Werthe,  welche  die  Grössen  i^ia  und  rii  bei  den 
Temperaturen  T'  und  T"  haben,  mit  t^^,  t]'^  und  tj",  //j,  so  sind 
die  an  den  Verbindungsstellen  wirkenden  electromotorischen  Kräfte 

T"  W  -  n"a)  und  T'  in'a  -  n'ö). 


198  Abschnitt  VIL 

Aus  der  Zusammenfassung  der  vier  vorstehenden  Ausdrücke 
erhalten  wir  für  die  ganze  electromotorische  Kraft  F  der  Kette 
die  Gleichung: 

(24)  F  =  fT^  dTJr  T"  W  -  n'i)  -^  f  T  ^  dT 

l'  T" 

Hierin  kann  man  unter  Ausführung   der  theilweisen  Integration 
setzen : 

f  T^dT=T"  ri'i-  r  r}',  -  friadT 
t'  t' 

t'  t' 

f  T^dT  =  T'  n'b-  T"  n'l-  f  n^dT. 
Dann  heben  sich  die  meisten  Glieder  auf  und  es  bleibt: 

T"  t' 

(25)  F=-  fyiadT-  fyi.dT 


T' 


oder  anders  geschrieben: 


2" 


(25a)  F==  f(fj,  -  r}a)dT=  fsa.dl. 

t'  t' 

Macht  man  in  dieser  Gleichung  die  specielle  Annahme,  dass 
Sah  constant  sei,  so  geht  sie  in  die  unter  (13)  gegebene  Gleichung 

^  =  Saö  (T"  -  T') 

über.  Betrachtet  man  dagegen  £„&  als  eine  noch  zu  bestimmende 
Temperaturfunction,  so  kann  man  durch  geeignete  Wahl  der  Form 
dieser  Function  die  von  dem  gewöhnlichen  Verhalten  abweichen- 
den Beobachtungen,  welche  man  bei  manchen  Ketten  in  Bezug  auf 
die  Abhängigkeit  der  electromotorischen  Kraft  von  den  Tempera- 
turen der  Löthstellen  gemacht  hat,  aus  dieser  Gleichung  sehr  gut 
erklären. 

Die  Gleichungen  (24)  und  (25)  lassen  sich  leicht  auch  in  der 
Weise  erweitern,  dass  sie  für  eine  aus  beliebig  vielen  Stoffen  be- 
stehende Thermokette  gelten.  Seien  n  Leiter  a,  h^  c  ....  h  als  Be- 
standtheile  der  Thermokette  gegeben,  und  seien  die  Temperaturen 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  199 

ihrer  Verbindungsstellen  vom  Anfangspuncte  des  Leiters  a  an  der 
Reihe  nach  mit  T\  T'\  T'" T^"'  bezeichnet,  so  lauten  die  er- 
weiterten Gleichungen : 

(26)  F^Jt'^  clT^  T"  {n'l  -  V^)  +  J  t'^  dT 

2<l  y" 

T' 

■   +  T'"  in"' -  riT) -\----  +  fT'h^dT-^T'  (n'a-  »?'.) 

(27)  F=-  J  r},dT-  f  fjödT- -  f 'l'^ 


...  clT. 

t"  y{nl 


§.  12.    Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  in  der 
Thermokette. 

Nachdem  die  in  der  Thermokette  vorkommenden  electromo- 
torischen  Kräfte  ausgedrückt  sind,  kann  auch  das  in  ihren  ver- 
schiedenen Theilen  stattfindende  Verschwinden  oder  Entstehen 
von  Wärme  leicht  bestimmt  werden. 

Es  sind  dabei,  wie  schon  früher  in  §.  5  auseinandergesetzt 
ist,  zwei  Vorgänge  in  Betracht  zu  ziehen.  Derjenige,  bei  welchem 
die  Wärme  selbst  thätig  ist,  indem  sie  electromotorische  Kräfte 
hervorbringt,  die  an  manchen  Stellen  im  Sinne  des  Stromes,  an  an- 
deren Stellen  im  entgegengesetzten  Sinne  stattfinden,  wodurch 
dann  Verbrauch  oder  Erzeugung  von  Wärme  bedingt  ist,  und  der- 
jenige, welcher  nur  in  der  TJeberwindung  des  Leitungswiderstan- 
des besteht,  wobei  ebenso,  wie  bei  der  Ueberwindung  einer  Rei- 
bung, Wärme  erzeugt  wird.  In  dem  früher  betrachteten  einfachen 
Falle,  wo  die  electromotorischen  Kräfte  nur  an  den  Berührungs- 
flächen verschiedener  Stofi"e  ihren  Sitz  haben,  waren  beide  Vor- 
gänge räumlich  getrennt.  Wenn  aber  auch  innerhalb  der  einzel- 
nen Stoffe  electromotorische  Kräfte  vorkommen,  so  finden  hier 
beide  Vorgänge  in  demselben  Räume  neben  einander  statt.  Dessen- 
ungeachtet kann  man  sie  für  die  Betrachtung  von  einander 
trennen. 

Sie  unterscheiden  sich  nämlich  wesentlich  dadurch,  dass  der 
eine  durch  Umkehrung  des  Stromes  ebenfalls  eine  Umkehrung  er- 


200  Abschnitt  VII. 

leidet,  indem  Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  sich  gegen- 
seitig vertauschen,  während  der  andere  bei  Umkehrung  des  Stro- 
mes ungeändert  bleibt,  indem  bei  ihm  immer  nur  Wärmeerzeugung 
stattfindet.  Dadurch  wird  es  möglich,  in  jedem  Stücke  einer  Thermo- 
kette  die  durch  die  beiden  Vorgänge  erzeugten  Wärmemengen 
(wobei  verbrauchte  Wärmemengen  als  erzeugte  negative  Wärme- 
mengen gerechnet  werden)  durch  Beobachtung  einzeln  zu  bestim- 
men. Nachdem  man  für  den  durch  die  thermoelectromotorischen 
Kräfte  hervorgebrachten  Strom  die  ganze  in  dem  betrachteten 
Stücke  erzeugte  Wärme  beobachtet  hat,  lasse  man  die  Kette  von 
einem  durch  fremde  electromotorische  Kräfte  hervorgebrachten 
eben  so  starken  entgegengesetzten  Strom  durchfliessen  und  beob- 
achte dabei  wieder  die  ganze  in  dem  Stücke  erzeugte  Wärme- 
menge. Wenn  man  dann  die  beiden  Wärmemengen  addirt  und 
von  der  Summe  die  Hälfte  nimmt,  so  stellt  diese  die  durch  den 
thermoelectrischen  Strom  bei  der  Ueberwindung  des  Leitungs- 
widerstandes erzeugte  Wärmemenge  dar.  Wenn  man  dagegen  die 
durch  den  zweiten  Strom  in  dem  Stücke  erzeugte  Wärme  von  der 
durch  den  ersten  Strom  erzeugten  abzieht,  und  von  der  Differenz 
die  Hälfte  nimmt,  so  stellt  diese  diejenige  durch  den  thermoelectri- 
schen Strom  erzeugte  Wärmemenge  dar,  welche  der  selbstthätigen 
Wirkung  der  Wärme  entspricht. 

Auch  mathematisch  lassen  sich  beide  Wärmemengen  für  lineare 
Leiter  leicht  ausdrücken.  Diejenige  in  irgend  einem  Stücke  eines 
Leiters  erzeugte  Wärmemenge,  welche  der  selbstthätigen  Wirkung 
der  Wärme  entspricht,  also  mit  der  Hervorbringung  von  electro- 
motorischen  Kräften  zusammenhängt,  wird  dargestellt  durch  das 
negative  Product  aus  der  in  dem  Leiterstücke  wirkenden  electro- 
motorischen  Kraft  und  der  Stromstärke.  Die  bei  der  Ueberwin- 
dung des  Leitungswiderstandes  erzeugte  Wärmemenge  dagegen 
wird  dargestellt  durch  das  Product  aus  dem  Leitungswiderstande 
des  betrachteten  Stückes  und  dem  Quadrate  der  Stromstärke. 

Betrachten  wir  nun  zunächst  die  Thermokette  im  Ganzen  und 
nennen  ihre  gesammte  electromotorische  Kraft  F^  ihren  gesamm- 
ten  Leitungswiderstand  L  und  die  in  ihr  stattfindende  Stromstärke 
J",  so  ist  die  ganze  durch  den  ersten  Vorgang  in  der  Kette  er- 
zeugte Wärmemenge: 

-  FJ 


Die  thermoelectrischen  Ströme.  201 

und  die  durch  den  zweiten  Vorgang  in  ihr  erzeugte  Wärme- 
menge : 

LJ\ 
Setzen  wir  hierin: 

F 

so  gehen  die  beiden  Ausdrücke  über  in : 

f-  und  -j-  ■ 

Sie  sind  also  den  Vorzeichen  nach  entgegengesetzt  (indem  bei  dem 
einen  Vorgange  Wärme  verbraucht  und  bei  dem  anderen  Vor- 
gange Wärme  erzeugt  wird),  und  den  absoluten  Werthen  nach 
gleich,  so  dass  ihre  algebraische  Summe  Null  ist,  wie  es  nach  dem 
ersten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie  sein  muss. 

Um  nun  weiter  zu  sehen ,  ob  auch  der  zweite  Hauptsatz  der 
mechanischen  Wärmetheorie  erfüllt  ist,  haben  wir  unser  Augen- 
merk nur  auf  die  Wärmemengen  zu  richten,  welche  durch  den 
ersten  Vorgang,  bei  welchem  die  Wärme  selbst  thätig  ist,  erzeugt 
werden.  Dividiren  wir  die  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Thermo- 
kette  durch  diesen  Vorgang  erzeugten  Wärmemengen  durch  die 
absoluten  Temperaturen  der  betrefienden  Theile  und  bilden  aus 
den  so  entstehenden  Quotienten  die  Summe,  so  muss  diese  nach 
dem  zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie  gleich 
Null  sein. 

Wir  wählen  zunächst  den  Leiter  a  zur  Betrachtung  und  neh- 
men von  demselben  ein  unendlich  kleines  Stück ,  dessen  Anfangs- 
punct  die  Temperatur  T  und  dessen  Endpunct  die  Temperatur 
T  -{-  dT  hat.    Die  innerhalb  dieses  Stückes  wirkende  electromo- 

torische  Kraft  ist  T  ~~  ä  T,  und  daher  die  in  ihm  während  der 

(l'  7] 

Zeiteinheit  erzeugte  Wärmemenge  —  JT  -j^  d  T.    Dieses  mit  T 

et  _/. 

dividirt  giebt :  —  J  -^  d  T.    Denken  wir  uns  solche  Ausdrücke 

für  alle  Elemente  des  Leiters  a,  welcher  an  seinem  Anfangspuncte 
die  Temperatur  T'  und  an  seinem  Endpuncte  die  Temperatur  T" 
hat,  gebildet  und  nehmen  die  Summe  aller  dieser  Ausdrücke,  welche 
in  diesem  Falle  em  Integral  wird,  so  erhalten  wir: 


202  Abschnitt  VII. 

t" 

t' 

Ebenso  erhalten  wir  für  die  folgenden  Leiter  &,  e h  der  Reihe 

nach  die  Ausdrücke : 

Jiil  -n'l') J(rif  -n'n)' 

Wir  haben  nun  weiter  die  Verbindungsstellen  der  verschiede- 
nen Leiter  zu  betrachten.  Die  an  der  Verbindungsstelle  der  Lei- 
ter a  und  h  stattfindende  electromotorische  Kraft  ist  T"  (rj'l  —  rja) 
und  daher  die  dort  erzeugte  Wärmemenge  JT"  (rj'a  —  rj'b)-,  woraus 
wir  durch  Division  mit  T"  erhalten : 

J  {i'a  -  ri'l). 

Ebenso  erhalten  wir  für  die  anderen  Verbindungsstellen  der  Reihe 
nach  die  Ausdrücke : 

Jiv'l'  -n'c) Jiin-yfal  ■ 

Bilden  wir  nun  aus  sämmtlichen  für  die  ti  Leiter  und  die 
w Verbindungsstellen  geltenden  Ausdrücken  die  Summe,  so  heben 
sich  darin  alle  Glieder  auf  und  es  entsteht  der  Werth  Null.  Somit 
ist  auch  der  zweite  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie  er- 
füllt, und  es  wird  sich  daher  vom  Standpuncte  dieser  Theorie  aus 
nichts  gegen  die  aufgestellten  Gleichungen  einwenden  lassen. 

Budde  hat  sie  auch  noch  einer  experimentellen  Prüfung  unter- 
worfen, indem  er  dazu  einen  speciellen  Fall  ausgewählt  hat,  wel- 
cher sich  auf  die  Eisenkupferkette  bezieht.  Wie  schon  erwähnt, 
nimmt  bei  dieser,  wenn  man  die  Temperatur  der  warmen  Löth- 
stelle  fortwährend  steigert,  die  electromotorische  Kraft  nicht  fort- 
während zu,  sondern  erreicht  ein  Maximum  und  nimmt  von  da  an 
wieder  ab.  Betrachtet  man  nun  speciell  die  Temperatur,  bei  wel- 
cher die  electromotorische  Kraft  ihr  Maximum  hat,  so  findet  bei 
dieser  eine  characteristische  Eigenthümlichkeit  statt.  Differentiirt 
man  nämlich  die  Gleichung  (25a)  nach  T",  so  kommt: 

dF  _ 
dT"~    ""' 
worin  s'a,,  den  der  Temperatur  T"  entsprechenden  Werth  von  s^b 
bedeuten    soll.    Hieraus   folgt  nach  der  Gleichung  Ea^  =  s^b  1, 
wenn  man  den  der  Temperatur  T"  entsprechenden  Werth  von  Eab 
mit  E'ab  bezeichnet: 


Die  thermoelectrisclien  Ströme.  203 

Für  den  Wertli  der  Temperatur  T",  für  welchen  F  ein  Maximum 

(IF 
ist,  muss  nun  der  Differentialcoefficient  -jr^  gleich  Null  sein,  und 

daraus  ergiebt  sich  auch  für  die  Potentialniveaudiöerenz  E'/j  der 
Werth  Null,  Wenn  hiernach  an  der  Löthstelle  von  Eisen  und 
Kupfer  bei  dieser  Temperatur  keine  Potentialniveaudifferenz  vor- 
handen ist,  so  kann  auch  die  Peltier'sche  Erscheinung  (der  Ver- 
brauch oder  die  Erzeugung  von  Wärme  beim  Durchgange  eines 
Stromes)  bei  dieser  Temperatur  dort  nicht  stattfinden.  Dieses  Pie- 
sultat  der  Theorie  hat  Budde  experimentell  geprüft  und,  soweit 
die  Versuchsschwierigkeiten  eine  Entscheidung  zuliessen,  bestätigt 
gefunden. 

Schliesslich  möge  noch  bemerkt  werden,  dass  über  den  eigent- 
lichen Grund  der  Entstehung  der  electromotorischen  Kraft  einer 
Thermokette  von  W.  Thomson  und  F.  Kohlrausch  Ansichten 
aufgestellt  sind,  welche  von  meiner  Erklärung  abweichen.  Diese 
Ansichten  werden  im  letzten  Abschnitte  dieses  Bandes  näher  be- 
sprochen werden.- 


ABSCHNITT    YIII. 


Ponderomotorische   und  electromotorische  Kräfte 
zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern. 

§.   1.     Die  Ampere'sclien  Grundformeln. 

Ampere  hat  bekanntlich  die  Entwickelung  seiner  Theorie 
der  ponderomotorischen  Kräfte  damit  begonnen,  eine  Formel  für 
die  gegenseitige  Einwirkung  zweier  Stromelemente  abzuleiten.  Da- 
bei ist  er  von  gewissen  experimentell  festgestellten  Thatsachen 
ausgegangen,  hat  aber  noch  die  Annahme  hinzugefügt,  dass  die 
von  zwei  Stromelementen  auf  einander  ausgeübten  Kräfte  nur  in 
einer  gegenseitigen  Anziehung  oder  Abstossung  beste- 
hen können. 

Der  auf  diese  Weise  abgeleiteten  Formel  hat  er  verschiedene 
Gestalten  gegeben,  von  denen,  je  nach  den  Rechnungen,  welche 
man  mit  ihr  ausführen  will,  bald  die  eine,  bald  die  andere  beque- 
mer ist.  Eine  der  einfachsten  ist  folgende.  Seien  äs  und  ds'  die 
beiden  Stromelemente,  i  und  i'  die  Stromintensitäten,  r  der  Ab- 
stand der  Elemente  von  einander  und  (ss')  der  Winkel  zwischen 
ihren  Richtungen,  dann  ist  die  Kraft,  welche  die  Elemente  auf 
einander  ausüben,  nach  Ampere,  eine  Anziehung  von  der  Stärke: 

r 


T     .   .,     n         n     ,\    COS(SS')        , 

htr  ds  ds'  \ — \ — -  -f-  r 


r2  I  dsds'^ 
worin  h  eine  positive  Constante  bedeutet.  Ein  negativer  Werth 
dieser  Formel  stellt  natürlich  eine  Abstossung  dar,  indem  diese 
als  negative  Anziehung  aufgefasst  werden  kann. 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.    205 

Will  man  hieraus  die  Kraft  ableiten,  welche  das  Stromelement 
ds  von  einem  endlichen  Strome  s'  erleidet,  so  muss  man  die  in  be- 
stimmte Richtungen  fallenden  Componcnten  der  Kraft  betrachten, 
und  für  diese  kann  man  dann  die  Integration  ausführen.  Es  möge 
dazu  ein  rechtwinkliges  Coordinatensystem  eingeführt  werden,  in 
welchem  die  beiden  Stromelementc  die  Coordinaten  x^  y^  z  und 
x',  y\  s'  haben.  Die  in  die  Richtungen  dieser  Coordinaten  fallen- 
den Componenten  der  Kraft,  welche  das  Element  ds  von  dem  Ele- 
mente ds'  erleidet,  seien  mit  ^dsds\  rjdsds'^  t,dsds'  bezeichnet; 
dann  ergiebt  sich  aus  der  obigen  Anziehungsformel  die  Gleichung: 

^  =  ^"'  \r~^  ^^^  ^^^'^  +  ^'''  ~  ^^  d^hj 

oder  anders  geschrieben : 

[gl  d--^l 

und  ebenso  für  die  beiden  anderen  Coordinatenrichtungen : 


(la) 


'  =  hü'  L^  cos  iss')  +  (y'  -  y)  ^J 
P  7  ^'  ll 


Bezeichnen  wir  nun  die  drei  Componenten  der  Kraft,  welche 
das  Stromelement  ds  von  einem  endlichen  Strome  s'  erleidet,  mit 
Ä'^s,  Hds,  Zds,  so  gilt  für  ^  die  Gleichung: 


S=  f^ds\ 


Für  die  hierin  angedeutete  Integration  ist  es  zweclanässig,  den  un- 
ter (1)  gegebenen  Ausdruck  von  |  in  folgenden  gleichbedeutenden 
umzuformen: 

id  —  d  —  ^  ,  „ 
^—  cos  (ss') r—  ^T  +  ^, 
dx          ^     -^         ds    CS     '    ds 


tI(^' 


Hierin  lässt  sich  das  letzte  Glied  sofort  nach  s'  integriren  und 
giebt  einfach  die  Differenz  der  Werthe,  welche  der  in  der  eckigen 
Klammer  stehende  Ausdruck  für  die  beiden   Grenzwerthe  von  s'. 


206 


Abschnitt  VIII. 


die  s'o  und  s'i  heissen  mögen ,  annimmt ,  und  welche  wir  dadurch 
bezeichnen  wollen,  dass  wir  0  und  1  als  Indices  neben  den  Aus- 
druck setzen.    Wir  erhalten  so  die  Gleichung: 


(3) 


S  =  Mi'   J 


r  ,    ,.  r  dx 

-^—  cos  {ss') K—  ^- 

ox         ^     '         OS   ds 


J 


äs' 


+ 


L  (-'--)  fei- ^'-^^yoi- 


8  s  Ji  L^"~  '^^  0s  -JQ' 
Nehmen  wir  nun  an,  der  Strom  s'  sei  ein  geschlossener, 
so  beziehen  sich  die  Grenzwerthe  s'o  und  s'i  der  Stromcurve  auf 
einen  und  denselben  Pmict  des  Raumes,  und  die  beiden  Werthe, 
deren  Differenz  in  der  vorigen  Gleichung  vorkommt,  sind  somit 
unter  einander  gleich  und  heben  sich  gegenseitig  auf.  Es  bleibt 
also  nur  das  Glied  übrig,  welches  das  noch  unausgeführte  Integral 
enthält.  Dasselbe,  was  hier  über  die  Grösse  lEl  gesagt  ist,  gilt  na- 
türlich auch  von  den  Grössen  H  und  Z,  und  man  erhält  daher  zur 
Bestimmung  der  drei  Componenten  der  von  einem  geschlossenen 
Strome  auf  ein  Stromelement  ausgeübten  Kraft  die  Gleichungen : 


(4) 


^     i-dx 


cos  (ss')  — 


^  1 

r  dx 
"äs"  ds' 


H  =  Jcii'     I     I  -r-^  cos  (s s') 
Z  =  liii'     I     I  ^:r^  cos  (ss') 


jj  ds' 

r  dy'  \   ,  , 
-  ^\  ds' 

s   ds  J 

^T  ds' 

-d7      WA       ^''^ 


d- 
r 

"d7  ds 


Was  nun  den  Grad  der  Zuverlässigkeit  der  vorstehenden  For- 
meln anbetrifft,  so  muss  man  sagen,  dass  die  Formeln,  welche  sich 
auf  die  von  einem  Stromelemente  auf  ein  anderes  ausgeübte  Kraft 
beziehen,  mit  einer  erheblichen  Unsicherheit  behaftet  sind.  Die 
bei  ihrer  Ableitung  gemachte  Voraussetzung,  dass  die  Kraft  nur 
eine  Anziehung  oder  Abstossung  sein  könne,  also  in  die  Richtung 
der  Verbindungslinie  der  beiden  Elemente  fallen  müsse,  ist,  wie 
H.  Grassmann  schon  im  Jahre  1845  in  einer  schönen  Abhandlung  i) 


1)  Pogg.  Ann,  Bd.  64,  S.  1. 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.    207 

hervorgehoben  hat,  durch  nichts  gerechtfertigt.  Bei  zweiPuncten 
kann  man  für  diejenigen  Kräfte,  welche  sie  unabhängig  von  ihren 
etwaigen  Bewegungen  auf  einander  ausüben,  allerdings  im  Voraus 
annehmen ,  dass  sie  nur  die  Richtung  der  Verbindungslinie  haben 
können,  da  es  für  zwei  Puncte,  wenn  man  von  ihren  Bewegungen 
absieht,  keine  andere  ausgezeichnete  Richtung  giebt.  Bei  zwei 
Stromelementen  dagegen  sind  die  Richtungen  der  Stromelemente 
ebenfalls  ausgezeichnete  Richtungen,  und  es  ist  gar  nicht  abzu- 
sehen, weshalb  die  Kraftrichtungen  von  den  Richtungen  der  Strom- 
elemente unabhängig  sein  müssen. 

Demgemäss  darf  man  die  Richtigkeit  der  Gleichungen  (1)  und 
(la),  welche  die  von  einem  einzelnen  Stromelemente  auf  ein  ande- 
res Stromelement  ausgeübte  Kraft  bestimmen,  nicht  als  bewiesen 
betrachten.  Dasselbe  gilt  von  der  Gleichung  (3),  welche  sich  auf 
die  von  einem  ungeschlossenen  Strome  auf  ein  Stromelement  aus- 
geübte Kraft  bezieht.  Die  Gleichungen  (4)  dagegen,  welche  die 
von  einem  geschlossenen  Strome  auf  ein  Stromelement  aus- 
geübte Kraft  bestimmen,  sind  der  experimentellen  Prüfung  zugäng- 
lich und  können  als  durch  die  Erfahrung  hinlänglich  bestätigt  an- 
gesehen werden,  um  sie  als  sicher  anzunehmen.  Diese  wollen  wir 
daher  den  nächstfolgenden  Entwickelungen  zu  Grunde  legen. 


§.  2.    Umformung  der  vorstehenden  Gleichungen. 
Man  kann  den  Gleichungen  (4)  noch  andere,  für  die  weiteren 

T 

Anwendungen  bequeme  Formen  geben.  Für  cos  (ss')  und  — —  gel- 
ten folgende  Ausdrücke: 

.    ,.  dx  dx'      1^    dy  dy'    ^^  ds  ds' 

cos  {SS) -  —  ^    -Y-    — —  -!-  —  _ 

d  —         o  —  ^  8— o  8—  o 

r  r  ox  j.        r  oy  j^      r  dB 

ds  dx   ds  '^  dy   ds  '^  ds   ds 

Setzt  man  diese  Ausdrücke  in  die  Gleichungen  (4)  ein,  so  heben 
sich  in  jeder  derselben  unter  dem  Integralzeichen  zwei  Gheder 
auf,  und  die  anderen  Glieder  lassen  sich  folgendermaassen  zu- 
sammenfassen : 


208 


Absclmitt  VIII. 


(5) 


^       1    .f\  ^y  \  \     ^'^y'         r  8a;' 
LdsoJ    \dxds        cy  ds 

r    r/al^ ,   gl, , 

..,8^/1     r  02         r  oy 
■*  Ld~sJ  \dyWs'~dJWs' 

T.  •  ■/^•'^    I    (        ^    ^^'  *"    ^^' 


^  /(^s 


~ds<J  \d^d7~dxds' 
,      dx  \  [    r  c)y'        r  dx'  )  n  ,  \ 

~dsJ  \dxd?~dvds'/      J 
J  \dnds' 


'2/ 
r  dy' 


H=li 


-     -  ''^^       ^sJ    \dyds'       d0ds' 

Von  den  sechs  hierin  vorkommenden  Integralen  sind  dreimal 
je  zwei  unter  sich  gleich,  so  dass  nur  drei  verschiedene  Integrale 
übrig  bleiben.  Zur  Abkürzung  wollen  wir  nach  Ampere  für  diese 
Integrale,  nachdem  sie  mit  Jci'  multiplicirt  sind,  vereinfachte  Zei- 
chen einführen,  indem  wir  setzen: 


(6) 


B  = 


C 


^      \dx  ds 


r  oy 


d 


dz   ds' 
]_ 

f  dz' 
'dxd^ 

r  dx' 
dy    8s' 


ds' 


ds' 


ds'. 


Da  nun,  gemäss  der  Gleichung 


r  =  ]/  (x  —  x')^  -j-  (y 
zu  setzen  ist: 


y'y  +  (^  -  ^r 


8- 


y  —  y. 


8l 

r 


z  —  z' 


dx  T''  dy  r^  dz  r"" 

so  kann  man  die  vorigen  Gleichungen  auch  so  schreiben: 

y 


(6  a) 


f%       8s 


J   \     r^       6s  r'^       ds J 


-z'dj/_ 

ds' 

X  —  x'  dz' 

^3  gs' 


z  —  z'  dx' 
r3       8  s' 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.    209 

Durch  Einführung  dieser  Zeichen    nehmen    die   Gleichungen  (5) 
folgende  einfache  Formen  an: 


(7) 


\     ds  ds/ 


H=i(Al^-  C 

\      ds 

\      ds  ds/ 


§.  3.    Zurückführung  der  drei  Grössen  Ä,  B  und  C  auf 

Eine  Grösse. 

Die  drei  Grössen  A^  B  und  C  lassen  sich  unter  der  von  uns 
gemachten  Voraussetzung,  dass  der  Strom  s'  geschlossen  sei,  auf 
eine  einzige  Grösse  zurückführen ,  von  welcher  sie  die  negativ  ge- 
nommenen partiellen  DifFerentialcoefficienten  nach  x^  y  und  z  sind. 
Zu  dieser  Grösse  gelangt  man  am  leichtesten  durch  Anwendung 
einer  aus  der  analytischen  Geometrie  bekannten  Transformations- 
gleichung, die  ich  hier  nicht  beweisen,  sondern  nur  anführen  will. 

Es  sei  irgend  eine  von  einer  geschlossenen  Curve  umgrenzte 
Fläche  gegeben.  Das  Element  der  Curve  möge  ds  und  das  Ele- 
ment der  Fläche  da  heissen.  Von  der  auf  dem  Flächenelemente 
da  errichteten  Normale,  welche  nach  der  einen  Seite  als  positiv 
und  nach  der  anderen  als  negativ  zu  rechnen  ist,  soll  ein  Element 
mit  dn  bezeichnet  werden.  Die  Seite  der  Normale,  nach  welcher 
wir  d  n  als  positiv  rechnen,  soll  mit  der  auf  die  geschlossene  Curve 
bezüglichen  Umlaufsrichtung,  nach  welcher  wir  ds  als  positiv  rech- 
nen, so  zusammenhängen,  dass  ein  in  der  Curve  im  positiven  Sinne 
stattfindender  Umlauf,  von  der  positiven  Seite  der  Normale  aus 
betrachtet,  als  positive  Drehung  erscheint,  d.  h.  so,  wie  in  der 
a? 2/ -Ebene,  wenn  man  sie  von  der  positiven  ^- Seite  aus  betrach- 
tet, eine  von  der  positiven  x-Axe  nach  der  positiven  y-kxe  hin 
gehende  Drehung  erscheint.  Zur  vollständigeren  Fixirung  der 
Ideen  möge  auch  noch  über  den  positiven  Sinn  der  Coordinaten- 
axen  eine  Annahme  gemacht  werden,  und  zwar  wollen  wir  die 
Wahl  so  treffen,  dass  die  erwähnte  in  der  xy -Ebene  von  der  posi- 
tiven x-kxe  nach  der  positiven  y-Axe  hin  gehende  Drehung  von 
der  positiven   ^- Seite    aus  als  Linksdrehung  erscheint,    die  der 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.  II.  i^ 


210  Abschnitt  YIII. 

Drehung  des  Zeigers  der  Uhr  entgegengesetzt  ist.  Es  mögen  nun 
weiter  L ,  M  und  N  drei  Functionen  von  x^  y^  s  darstellen ,  dann 
gilt  folgende  Gleichung: 

~~Jl\dy       ds)dn'^\d^       dx)dn'^\dx       dyJdnV    ' 

worin  das  erste  Integral  über  die  ganze  geschlossene  Curve  und 
das  zweite  Integral  über  die  von  der  Curve  begrenzte  Fläche  aus- 
zudehnen ist. 

Diese  Gleichung  wollen  wir  nun  zur  Transformation  der  un- 
ter (6a)  vorkommenden  Integrale  anwenden,  indem  wir  uns  durch 
die  Stromcurve  s'  irgend  eine  Fläche  gelegt  denken.  Da  die  auf 
den  Strom  s'  bezüglichen  Grössen  in  (6  a)  durch  accentuirte  Buch- 
staben bezeichnet  sind,  und  es  zweckmässig  ist,  dasselbe  auch  mit 
den  Grössen  zu  thun,  welche  sich  auf  die  durch  s'  gelegte  Fläche 
beziehen,  so  wollen  wir  uns  alle  in  der  Gleichung  (8)  vorkommen- 
den Buchstaben  accentuirt  denken.  Um  die  so  abgeänderte  Glei- 
chung zunächst  auf  die  erste  der  Gleichungen  (6  a)  anzuwenden, 
setzen  wir: 

i' =  0;  JM' =  1^;  JV' =  -  ^^', 

wodurch  (8)  übergeht  in: 

^^^  J  \     r^       ds'  r^       ds'J  '^^ 

Ä_  A  (y  -  y'\  _  ^  f^-  ^'w  ^  I  _L  {y-y'\  M. 
dy'  \     r3     J        ds'\    r3     J}dn'~^dx'\    r^    J  dn' 

'    ox   \    r^     /  dn] 

Die  rechte  Seite  dieser  Gleichung  lautet  nach  Ausführung  der  an- 
gedeuteten Differentiationen: 

n/     (x  -  x'y  _  J_\  ö^    ,    3  {X  -  X')  (y  -  y')  dy[_ 

3  C^  -  ^  <f  -  ^')  ^1  aa,; 

wofür  man  auch  schreiben  kann: 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.    211 


-!• 


d^ 


r    dx' 


d^ 


7  + 


r    dy' 


T  + 


r     dz 


dxdx'  dn'    '    dxdtj'  dn'  ^    dx  'dz'  dn' 


;r—,  }    doj' 


oder  endlich: 


dl       r 

dxJ     dn' 


TT-    1      -TT-T    dCi)'. 


dx'>J    dn 

Entsprechende  Ausdrücke  erhcält  man,  wenn  man  die  Glei- 
chung (8)  auf  die  beiden  letzten  der  Gleichungen  (6  a)  anwendet. 
Setzt  man  diese  Ausdrücke  für  die  in  (6  a)  enthaltenen  Integrale 
ein,  so  kommt: 


(10)' 


A  = 


W 


B  =  —  W 


dx 

d_ 
dy 


C  = 


ki'f 
ds 


*/    dn 

dn 


«/     (in 


Hiernach  ist  hi'    j   ^—f  dco'  die  am  Anfange  dieses  Paragraphen 

erwähnte  Grösse,  deren  negativ  genommene  partielle  Differential- 
coefficienten  die  Grössen  A^  B  und  C  darstellen. 


§.  4.    Die  magnetische  Kraft  und  die  magnetische  Poten- 
tialfunction  eines  geschlossenen  Stromes. 

Nachdem  wir  bisher  nur  die  mathematischen  Ausdrücke  für 
die  Grössen  A^  B  und  C  abgeleitet  haben,  wollen  wir  nun  eine 
gewisse  Vorstellung  damit  verbinden,  welche  für  physicalische  Be- 
trachtungen sehr  bequem  ist. 

Wir  wollen  uns  denken ,  J.,  B  und  C  seien  die  Componenten 
einer  von  dem  geschlossenen  Strome  s'  am  Puncte  {x^  ?/,  z)  aus- 
geübten Kraft,  und  da  zu  einer  Kraft  auch  etwas  gehört,  worauf 
sie  ausgeübt  wird,  wollen  wir  uns  vorstellen,  die  Kraft  werde  auf 
eine  im  Puncte  {x^  «/,  0)  befindliche  Einheit  eines  Agens  ausgeübt, 

14* 


212  Absclinitt  VIII. 

welches  wir  Magnetismus  nennen  wollen,  wobei  wir  aber  unter  die- 
sem Namen  vorläufig  nur  etwas  zur  Bequemlichkeit  unserer  Be- 
trachtungen angenommenes  verstehen ,  was  gar  keine  reelle  Exi- 
stenz zu  haben  braucht.  Nach  Einführung  dieses  Agens  können 
wir  die  Kraft,  von  der  Ä^  B  ..und  G  die  Componenten  sind,  die 
magnetische  Kraft  des  geschlossenen  Stromes  s'  nennen. 

Ferner  giebt  der  Umstand,  dass  in  dem  in  den  Gleichungen 
(10)  vorkommenden  Ausdrucke,  dessen  negative  Differentialcoeffi- 
cienten  die  Kraftcomponenten  J.,  B  und  C  darstellen,' die  zu  inte- 
grirende  Grösse  der  nach  n'  genommene  Difi'erentiälcoefficient  von 

—  ist,  Veranlassung,  auch  den  die  Kraft  ausübenden  geschlossenen 

r 

Strom  durch  ein  eigenthümliches ,  nur  für  die  mathematische  Be- 
trachtung bestimmtes  Gebilde  zu  ersetzen. 

Wir  wollen  uns  denken,  von  dem  Agens,  welches  wir  Magne- 
tismus genannt  haben,  gebe  es  ebenso,  wie  von  der  Electricität, 
zwei  verschiedene  Arten,  welche  sich  so  verhalten,  dass  zwei  Men- 
gen einer  und  derselben  Art  sich  abstossen,  und  zwei  Mengen  der 
beiden  verschiedenen  Arten  sich  anziehen.  Diese  beiden  Arten 
von  Magnetismus  können,  in  Uebereinstimmung  mit  der  bei  der 
Electricität  angewandten  Benennungsweise,  positiver  und  negati- 
ver Magnetismus,  oder  auch,  gemäss  dem  aus  anderen  Gründen 
entstandenen  Sprachgebrauche,  Nord-  uud  Süd-Magnetismus  ge- 
nannt werden.  Von  der  Kraft,  mit  welcher  zwei  Mengen  sich  ab- 
stossen oder  anziehen,  nehmen  wir  an,  dass  sie  dem  Quadrate  der 
Entfernung  umgekehrt  proportional  sei,  und  was  die  Grösse  der 
Kraft  anbetrifft,  so  wollen  wir  annehmen,  die  Kraft,  mit  welcher 
zwei  Einheiten  von  positivem  Magnetismus  sich  in  der  Einheit  der 
Entfernung  abstossen,  sei  gleich  h. 

Nun  kehren  wir  zu  der  im  vorigen  Paragraphen  betrachteten, 
durch  die  geschlossene  Stromcurve  gelegten  Fläche  zurück ,  und 
denken  uns,  neben  derselben,  an  der  Seite ,  nach  welcher  die  Nor- 
male als  positiv  gerechnet  wird,  noch  eine  zweite  parallele  Fläche 
gelegt,  welche  nur  um  den  unendlich  kleinen  Abstand  £  von  ihr 
entfernt  sei.  Die  erste  Fläche  denken  wir  uns  mit  negativem  und 
die  zweite  mit  positivem  Magnetismus  belegt,  und  zwar  in  folgen- 
der Weise.    Auf  der  ersten  sei  die  Flächendichtigkeit  des  Magne- 

i' 
tismus  constant  gleich ,    so    dass    sich   auf   einem    Flächen- 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.  213 
elemente  da)'  die  Menge dco'  befinde.     Betrachten    wir  nun 

■■''.■'  s 

daä  diesem  Elemente  senkrecht  gegenüberliegende  Element  der 
zweiten  Fläche ,  so  soll"  sich  auf  diesem  eine  ebenso  grosse  Menge 
von  positivem  Magnetismus  befinden,  und  dasselbe  soll  für  jede 
zwei  andere  sich  senkrecht  gegenüberliegende  Flächenelcmente 
der  Fall  sein,  so  dasts  die  zweite  Fläche  eben  so  viel  positiven 
Magnetismus  enthält,  wie  die  erste  negativen  Magnetismus. 

Wir  wollen  nun  zunächst  nur  die  beiden  unendlich  kleinen 
MagnetismusmQngen  betrachten,  welche  sich  auf  dem  Flächen- 
elemente düi)'  und  d.em  ihm    senkrecht  gegenüberliegenden  Ele- 

i' 
mente  der  anderen  Fläche  befinden,   also  die  Mengen dca' 

.■'.'...  £ 

■i' 

und  -I — ■  dd)'.    Von'  diesen  beiden  Mengen  wollen  wir  die  Poten- 

tialfunction  im  Pui^cte  (a?,  t/,  ,0)  bilden.  Der  Abstand  des  Elemen- 
tes 4.«'  vom  PunctQ  (a;,.y,,  ^)  werde,  gemäss  unserer  früheren  Be- 
zeicliftungsweise,  durch  r  dargestellt,  und  der  Abstand  des  gegen- 
überli9genden  Elementes  yon  demselben  Puncte  heisse  rx-  Dann 
ist  die  Potentialfunctipn  der  beiden  Magnetismusmengen : 

—  da   -f-  . da' 

■  r     £  Ti    6 

oder : 

1          1\  hi'    ,    , 
)  —  da . 

Ji     ,    r /    £ 

Nun  kann  man  aber,  da  d,as  zweite  Element  vom  ersten  in  der 
w'- Richtung  um  s  entfernt  ist,  setzen: 

'     '  Ty        'r  ''     dn'    '•; 

wodurch  der  vorige  Ausdruck  übergeht  in :- 

,,  JW  ^—7  da'. 

>•  ■  •       ■       on 

Wenn  man  diesen  Ausdruck  über  die  ganze  erste  Fläche  in- 
tegrirt,  also  den  Ausdruck 


J    dn' 


lii'    I    -TT-T  äa' 
dn 


214  Abschnitt  VIII. 

bildet,  so  stellt  dieser  die  Potentialfunction  der  ganzen  auf  den 
beiden  Flächen  befindlichen  Magnetismusmengen  im  Puncte  (x, «/,  ^) 
dar.  Hieraus  folgt  weiter,  dass  die  Componenten  der  Kraft,  welche 
diese  beiden  Magnetismusmengen  auf  eine  im  Puncte  (a?,  y,  s)  ge- 
dachte Magnetismuseinheit  ausüben,  durch 


rsj  g  Tai 

•<J    dn  difJ    dn' 

/r 
dn' 


9    J        Y 
oz<J    on 
dargestellt  werden. 

Dieses  sind  dieselben  Ausdrücke,  welche  in  (10)  für  die  Com- 
ponenten Ä^  B,  C  derjenigen  Kraft  gegeben  wurden,  welche  der 
geschlossene  Strom  s'  auf  jene  Magnetismuseinheit  ausübt.  Dem- 
nach können  die  beiden  magnetischen  Flächen  und  der  Strom  sich 
in  Bezug  auf  die  von  ihnen  ausgeübte  magnetische  Kraft  gegen- 
seitig ersetzen,  und  die  vorher  für  die  beiden  magnetischen  Flä- 
chen bestimmte  Potentialfunction  kann  daher  auch  auf  den  Strom 
bezogen  werden,  und  wir  wollen  sie  die  magnetische  Poten- 
tialfunction des  geschlossenen  Stromes  nennen. 

Da  diese  Potentialfunction  vielfach  angewandt  werden  kann, 
so  ist  es  zweckmässig,  ein  einfaches  Zeichen  dafür  einzuführen, 
und  wir  wollen  setzen: 


(11)  P  =  7a'  /    ^  da)'. 

iJ     on 

Dann  können  wir  die  Gleichungen  (10)  kürzer  so  schreiben: 

(12)  4  =  -"^;iJ=-":;a=-|^. 

dx  dy  dz 

Setzt  man  diese  Werthe  von  A ,  B  und  C  in  die  Gleichungen 
(7)  ein,  so  kommt: 

'  ^öP  d£  _dPdy 

ßy    ds         dz   8s. 


(13) 


""  * \dz   ds         dx   ds) 
.       ~*  \dx  ds         dy   ds)' 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.   215 

Es  ist  somit  die  Bestimmung  der  von  einem  geschlossenen  Strome 
auf  ein  Stromelement  ausgeübten  Kraft  auf  die  magnetische  Poten- 
tialfunction  des  Stromes  zurückgeführt. 


§.  5.    Einführung  magnetischer  Flächen  für  den  die 
Wirkung  erleidenden  Strom. 

Es  möge  nun  angenommen  werden ,  dass  auch  der  die  Wir- 
kung erleidende  Strom  s  geschlossen  sei,  und  dass  es  sich  darum 
handele,  zu  bestimmen,  welche  Gesaramtwirkung  die  auf  alle  seine 
Elemente  wirkenden  ponderomotorischen  Kräfte  auf  den  ganzen 
Strom  ausüben,  wenn  der  Leiter  als  starr  vorausgesetzt  wird. 

Diese  Gesammtwirkung  kann  in  zwei  auf  den  ganzen  Strom 
bezügliche  Wirkungen  zerlegt  werden,  deren  eine  irgend  einen  mit 
dem  Leiter  fest  verbundenen  Punct,  als  welchen  wir  den  Anfangs- 
punct  der  Coordinaten  wählen  können,  zu  verschieben  sucht,  wäh- 
rend die  andere  eine  Drehung  um  diesen  Punct  hervorzubringen 
sucht,  und  es  kommt  daher  darauf  an,  die  drei  in  die  Coordinaten- 
richtungen  fallenden  Componenten  der  Verschiebungskraft  und 
die  Drehungsmomente  um  die  drei  Coordinatenaxen  zu  bestimmen. 

Die  in  die  ä;- Richtung  fallende  Componente  der  Verschie- 
bungskraft ist   I  iBlds,  und    gemäss  (13)  haben  wir: 

(14)  j  ^äs  =  ^J[-^^^-^/^ds. 

Um  das  in  dieser  Gleichung  an  der  rechten  Seite  stehende  Linien- 
integral in  ein  Flächenintegral  verwandeln  zu  können,  denken  wir 
es  uns  zunächst  in  der  Form 


/( 


OS  OS      ^  OS/ 


geschrieben,  indem  wir  den  hierin  vorkommenden  Buchstaben  L, 
M  und  N  folgende  Bedeutungen  beilegen : 

'  8^  dy 

und  auf  dieses  Integral  wenden  wir  die  unter  (8)  gegebene  Trans- 
formationsgleichung an.    Dadurch  erhalten  wir: 

r^      _  •  rU^^P  _i    8^P\  dx_  _    a^P   dy_  _    d^P   d£l 
o/  '^  V  lW         d^ydn        dxdy  dn        dxd^  dn\        ' 

und  dieser  Gleichung  können  wir  folgende  Form  geben : 


216  Abschnitt  VIII. 

mPdx  d^P  dij   ■     dW  8^\1    . 

\dx^dn  dxdy  dn~'~  dxdzdnj] 
Die  hierin  vorkommende  Grösse  P  ist  die  im  vorigen  Paragraphen 
besprochene  Potentialfunction  der  Magnetismusmengen,  welche 
sich  auf  der  vom  Strome  s'  begrenzten  und  der  ihr  unendlich 
nahen  parallelen  Fläche  befinden.  Denken  wir  uns  nun  die  vom 
Strome  s  begrenzte  Fläche,  deren  Element  clco  in  der  vorigen  Glei- 
chung vorkommt,  so  gelegt,  dass  sie  jene  erstgenannten  beiden 
Flächen  nicht  schneidet ,  was  immer  möglich  ist ,  wenn  die  Strom- 
curven  s  und  s'  nicht  in  einander  verschlungen  sind,  so  gilt  für  alle 
in  dem  Integrale  vorkommenden  Elächenelemente  d  a  die  Gleichung : 

Ferner  kann  man  schreiben: 

d^dx      d^p  dy_  ,    a^p  ■d^_  d_  /dP\ 

dx^ßn        dxdy  dn        dxd s  dn        dn  \dxj 
Demnach  geht  die  Gleichung  (15)  über  in: 

Entsprechende  Gleichungen  gelten  natürlich  auch  für  die  beiden 
anderen  Coordinatenrichtungeh. 

Was  nun  ferner  die  Drehuhgsmotaente  anbetrifft,  so  wird  das- 
jenige um  die  ic-Axe  durch  1  {yZ—  kE)ds  dargestellt,  und  nach 
(13)  gilt  die  Gleichung: 

(dP  dx        dP  dsV]   , 

■      ■     .  ~  ^  \d^  ds~J^  ds)\  '^'' 

¥m  hierin  wieder  das  an  der  rechten  Seite  stehende  Linienintegral 
in  ein  Flächenintegral  verwandeln  zu  können,  schreiben  wir  auch 
dieses  Integral  in  der  Form:  . , 

/(^l?  +  ^lf  +  ^lf)^^' 

indern  wir  jetzt  den  Buchstaben  L^  Jf  und  N  folgende  Bedeutun- 
gen beilegen:  .  .; 


CO. 


Kräfte  zwiacheii  linearen  Strömen  und  Leitern.   217 

V     dy     ^        d0/  *^  dx  öx 

Wenn  wir  dann  die  Transformationsgleichung  (8)  anwenden,  und 

die  dadurch  entstehende  Gleichung  in  ähnlicher  Weise,  wie  die 
obige,  umgestalten,  so  erhalten  wir: 

(18)        /(,  Z  -  .  //)  ,U  =  .  fl  (.  If  -  /äj) '' 

Entsprechende  Gleichungen  gelten  auch  für  die  Drehungsmomente 
um  die  beiden  anderen  Coordinatenaxen. 

Dieselben  Ausdrücke,  welche  in  den  Gleichungen  (IG)  und 
(18)  für  die  ;z;  -  Componente  der  Verschiebungskraft  und  für  das 
Drehungsmoment  um  die  x-kxQ  gegeben  sind,  erhält  man,  wenn 
man,  ganz  so,  wie  es  im  vorigen  Paragraphen  für  den  Strom  s'  ge- 
schehen ist,  nun  auch  für  den  Strom  s  zwei  magnetische  Flächen 
einführt. 

Man  denke  sich  dazu  neben  der  durch  den  Strom  s  gelegten 
Fläche,  deren  Element  äco  ist,  noch  eine  zweite,  nur  um  den  un- 
endlich kleinen  Abstand  s  von  ihr  entfernte  parallele  Fläche ,  und 
nehme  an,  dass  die  erste  mit  negativem  und  die  zweite  mit  positi- 
vem Magnetismus  bedeckt  sei.     Auf  einem  Elemente  f?co  der  er- 

sten  Fläche  soll  sich  die  Magnetismusmenge doa  und  auf  dem 

ihm  gegenüberliegenden  Elemente  der  zweiten  Fläche  eine  dem 
absoluten  Werthe  nach  eben  so  grosse  positive  Magnetismusmenge 

befinden.    Die  auf  c?a»  befindliche  Menge dca  erleidet  eine 

Kraft,  deren  in  die  ^-Eichtung  fallende  Componente  den  Ausdruck 

i  dP   -j 

—  y: —   acO 

E     OX 

hat,  und  deren  Drehungsmoment  um  die  ^-Axe  durch  den  Aus- 
druck 

9P  dP\ 


H 


dargestellt  wird.  Die  auf  dem  gegenüberliegenden  Flächenelemente 

befindliche  Magnetismusmenge  —  (?«,  welche  von  der  ersteren  in 

der  w-Kichtung  um  £  entfernt  ist,  erleidet  eine  Kraft,  für  deren 
in  die  a?- Richtung  fallende  Componente  und  auf  die  ^-Axe  be- 
zügliches Drehungsmoment  folgende  Ausdrücke  gelten: 


218  Absclinitt  YIII. 

6  idx     '    dn  \dx/   J        ' 

i  [    dP  dP    ,     d    /    dP  dP\  1  , 

-  7  L^  07  -  "  87  +  8^  V  ö^  ~  '  "¥)']  ^" 


Für  beide   Flächenelemente   zusammen  wird   also   die  ;:c-Compo- 
nente  der  Kraft  durch 

dn  \oxJ 
und  das  Drehungsmoment  um  die  x-kx.Q,  durcii 
d    /    dP  dP' 


.    d    /    dP  dP\   , 

dn  \     dij        "^   dsj 


dargestellt.  Durch  Integration  dieser  beiden  Ausdrücke  erhält 
man  genau  die  oben  unter  (16)  und  (18)  gegebenen  Ausdrücke, 
und  es  folgt  daraus,  dass  man  den  geschlossenen  Strom  s  in  Be- 
zug auf  die  ponderomotorische  Kraft ,  welche  er  erleidet,  ganz  so, 
wie  den  Strom  s'  in  Bezug  auf  die  Kraft,  welche  er  ausübt ,  durch 
ein  magnetisches  Flächenpaar  ersetzen  kann. 


§.  6.     Das  magnetische  Potential  zweier  geschlossener 
Ströme  auf  einander. 

Die  Gesammtwirkung,  welche  das  den  Strom  s  repräsentirende 
magnetische  Flächenpaar  von  dem  den  Strom  s'  repräsentirenden 
magnetischen  Flächenpaare  erleidet,  lässt  sich  am  bequemsten  da- 
durch bestimmen,  dass  man  zuerst  das  Potential  des  einen  magne- 
tischen Flächenpaares  auf  das  andere  bildet,  und  dann  die  Aende- 
rung  untersucht,  welche  dieses  Potential  erleidet,  wenn  das  den 
Strom  s  repräsentirende  Flächenpaar  irgend  eine  unendlich  kleine 
Bewegung  macht. 

Dieses  Potential  lässt  sich  sehr  leicht  aus  der  schon  bestimm- 
ten Potentialfunction  P  des  den  Strom  s'  repräsentirenden  Flä- 
chenpaares ableiten.  Das  Potential  dieses  Flächenpaares  auf 
die  zu  dem  anderen  Flächenpaare  gehörige  negativ  magnetische 
Fläche  ist: 


/ 


P-    dca 


s 
und  das  Potential  auf  die  positiv  magnetische  Fläche ; 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.   219 


/( 


Daraus  ergiebt  sich  für  das  Potential  auf  beide  Flächen  zusam- 
men, welches  Q  heissen  möge,  die  Gleichung: 

'9P 


(19)  Q  =  if 


dco. 

on 


Setzen  wir  hierin  für  P  seinen  unter  (11)  gegeljcnen  Werth  ein, 
so  kommt: 


oder  anders  geschrieben: 


r  8  r®7 

=  hii'    \  da  ;—-]   —-j 

'J  owJ    on 

äben: 

=  'ki^'   i    i  o    ;,   / 
*J  O   nnon 


(20)  Q  =  lii'    I    I  -——-:  dada'. 

Diese  Grösse,  welche  ihrer  Entwickelung  nach  zunächst  das 
Potential  der  beiden  magnetischen  Flächenpaare  auf  einander  be- 
deutet, kann,  da  die  Flächenpaare  durch  ihre  gegenseitigen  Wirkun- 
gen die  gegenseitigen  Wirkungen  der  beiden  geschlossenen  Ströme 
vertreten  können,  auch  das  magnetische  Potential  der  bei- 
den geschlossenen  Ströme  auf  einander  genannt  werden. 

Man  kann  diesem  Potential  auch  noch  andere  Formen  geben, 
in  welchen  die  beiden  Integrationen  sich  direct  auf  die  beiden 
Stromcurven  beziehen. 

Wir  gehen  dazu  von  folgendem  Ausdrucke  aus : 


// 


r   \os  OS     '    8s  9s         ds  ds / 


und  wenden  auf  ihn  zweimal  die  Transformationsgleichung  (8)  an, 
um  die  beiden  Linienintegrale  in  Flächenintegrale  zu  verwandeln. 
Zuerst  schreiben  wir  ihn  in  der  Form : 

fr],'  ffl  ^  dx         1   dy'  dp        Idl  dj\ 
J       J  \r  ds''ds  ~^  r  9s' "95  "^  r  9s''9sy     " 
und  erhalten  daraus  gemäss  (8): 


!"I[ 


r    ds'         rdiy\dx    ^_{     rdx'         rds'jdj/ 
dy    ds'      ds  ds'/  dn        \ds  ds'      dxds'ydn 


.     r  dy'        r  du.   .^^  .  j 
+  \9i97'~9^^>'~''^''- 


9^  j9£  I 

9  s'  /  9  w J ' 


220 


Absclinitt  YIII.^ 


Diesem  Ausdrucke  geben  wir  nun  folgende  Form : 


J^'^j 


T  dy        r  dz  \dx''. 
dz  dn  '     dy  dn/  ds' 


.d 


r  ds 
dx  dn 


8-« 

r  ox 
ds  dn 


djf 


+, 


d'  d' 

r  dx 


ds' 


r  dy  idz' 

•-dy  dn       dx  dny  ds' - 
und  wenden  hierauf  abermals  die  Transformationsgleicüung  (8)  im, 
wodurch  wir  erhalten: 


j'^'j 


r    dx 


-\dydy'  dn 
1 


r  dy 


Ö3 


r  ds 


82 


r  dx  \dx' 


-f 


+ 


82 


dxdy'dn 
1 


r    dy 


82 


dxdß'  dn 
1 


r  ds 


82 


r  dx 


dsds'dnJ  dn' 

82  i 

rdy  \dy' 


dsds'  dn 
1 


82 


f    ds 


dyds'dn 
r  dx 


dydx'dn      dxdx'  dn/  dn' 
r  dy   .         r  ds  \ds 


da' 


<dxdx'dn      dsdx'dn      dsdy'dn  .    dydy'dn/ dn'-i 

Dieser  Ausdruck  lässt  sich  nun  sehr  vereinfachen. 

Wir   wollen   zunächst   unsere    Aufmerksamkeit   nur  auf  den 

8  x' 
Factor  von  -^—j  richten,  welchen  wir ,  nachdem  wir  noch  das  Glied 

dn 


1 


dx 


einmal  mit  positivem  und    einnial  ipiit  negativem  Vor- 


8^8;z^'  dn 

zeichen  hinzugefügt  haben,  so  schreiben  können: 


8^1 

r 

dxdx' 


T  + 


8>i 

r 

dydy 


82 


7  + 


dsds' 


dx 
dn' 


82 


r    dx 


+ 


8»i 

r 


dy 


82  1 

r     ds 


-dxdx'  dn 
Nun  ist  zu  bemerken,  dass  in  der  Grösse 


''  8-::t7  8^'   dn^ 
die  Coordinaten  a?,  ?/,  s, 


dxdy'  dn 
1_ 

x',  y',  s'  nur  in  der  Verbindung  x  —  x',  y  —  y'  und  s  —  s'  vor- 
kommen, und  dass  man  daher  jeden  Differentialcoefficienten  nach 
einer  der  accentuirten  Grössen  durch  den  Differentialcoefficienten 
nach  der  entsprechenden  unaccentuirten  Grösse,  und  umgekehrt, 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.   221 

ersetzen  kann,   wenn  man  zugleich  das  Vorzeichen  umkehrt,  dass 
man  also  z.  B,  schreiben  kann: 

g2   _  g2  _  g2   _  ö'i   _ 

und 


■  'dx'dx'  c)x'^  dxdy'         dx'dy 

Demnach  kann  man  dem  vorigen  Ausdrucke  folgende  Form  geben; 

82i  g2l  82l\  /e^-^  d''-.  C^'-o 

**_]_*"  _i_     V  \ox      I         r  ox  ^_       1^  f^V  j.         r   Ol: 


.8.^2  '    a?/-'    '    0Ä'V8n       \dxrdxdn  '   dx'dydn  '  0^'8;?8w/ 

Von  den  beiden  Gliedern,  dieses  Ausdruckes  ist  das  erste  Null  und 
das  zweite  lässt  sich  so  schreiben: 

dl      r  ox    .        r   cy  j^      r   o 

dx'  \dx  dn  ~^  dy   8w    '     ds   dn 


und  dann  zusammenziehen  in 


dx'  \  dn 

.   ■  öl/'  dß' 

Ebenso  lassen  sich  die  FactOren  von  ■;—-;  und  ;r— r  in  die  entspre- 

on  dn 

chenden  einfachen  Formen 

8    1      r  \  ,  dl      r 

dy'  \dn/  dz'  \dn 

bringen,  und  das  ganze  obige  Doppelintegral  nimmt  daher  fol- 
gende Gestalt  an: 


-J  '^''J  vh 


r )  ^^'  j_  ^  (    ** )  '^y' 

dx'  \dn/  dn'        dy'  \dn  /   dn' 


^    d    r  r  )dz'  .^    , 


^1 


welche  sich  noch  weiter  vereinfacht  in 


4/         J  dndn' 


dndn 
oder  anders  geschrieben: 


222  Abschnitt  VIII. 


I! 


»4 

y  dcodcü'. 


dndn' 

Demnach  erhalten  wir  als  Resultat  der  vorgenommenen  Trans- 
formationen die  Gleichung: 

r  Cd^- 

J  J    r\dsds       dsds       dsdsj  «^  <J  dndn 

Wenn  wir  diese  Gleichung  auf  (20)  anwenden,  so  kommt: 

^     ^       '^  J  J   r  \ds  ds'    '    9s  9s     '    9s  9s7 

Nun  ist  aber  ferner,  wenn  man  den  Winkel  zwischen  den  Strom- 
elementen ds  und  ^s'  mit  (ss')  bezeichnet,  zu  setzen: 

,    ,.  dx  dx'    .    dy  dy'    .dz  dz' 

cos  {SS)  —  ^s  ^  -r  ^s  ^>  -r  Ysdl 
und  aus  der  Gleichung 

r^  —  {x  —  x'f  ^  {y  —  y'Y  +  (^  —  ^'T 
ergiebt  sich: 

9s9s'  ~  ~      V9s   9s'  "^  9s  9s'  "^  9s  9s'y 
und  man  kann  daher  die  Gleichung  (21)  auch  in  folgende  Formen 
bringen : 

(21a)  Q  =  ~  Ui'  f  f^-^^-^  dsds' 

(21b)  Q^.Mi'fß'^dsds'. 

Setzt  man  in  der  letzten  Gleichung: 

1  9^  (r^)  _  2_  9r  9r  d^r 

7  9s 9s'  "~  7  9s  9?  "^     9s9s" 
und  bedenkt,  dass  das  Integral  des  letzten  Gliedes  für  geschlos- 
sene Ströme  Null  wird,  so  erhält  man: 

(22)  Q=^Ui'  f  f  -^~ds  ds'. 

J   J     r   ds  ds' 

Bezeichnet  man  ferner  die  Winkel  zwischen  der  in  dem  Sinne  von 
ds'  nach  ds  hin  positiv  gerechneten  Richtung  von  r  und  den  Rich- 
tungen von  ds  und  ds'  mit  (rs)  und  (rs'\  so  ist 

dT  df 

cos  (rs)  =  7^   und  cos  (rs')  =  —  ttii 
^    -^        9s  9s 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.   223 

und    demgemäss    kann  man   der   Gleichung   (22)    nocli    folgende 
Form  geben : 

/on  \           /i             1  •  I    r  r^^ös  (rs)  .  cos  (rs')  ,    ,  , 
(22a)  Q  :=  —  hit'  I    I  i — '- ^^ — '-  dsds. 

Die  unter  (21),  (21a),  (21b),  (22)  und  (22a)  gegebenen  Aus- 
drücke sind  es,  welche  F.  Neumann  für  das  magnetische  Potential 
zweier  geschlossener  Ströme  auf  einander  aufgestellt  hat. 

Da  es  für  das  Folgende  zweckmässig  ist,  in  dem  Ausdrucke 
des  Potentials  den  Factor,  welcher  von  den  Stromintensitäten  un- 
abhängig ist,  und  ausser  von  der  Grösse  k  nur  noch  von  der  Con- 
figuration  der  beiden  Leiter  abhängt,  kurz  bezeichnen  zu  können, 
wollen  wir  dafür  das  Zeichen  iv  einführen,  indem  wir  setzen: 

(23)  ii)  =  hf  f^^^-p^  ds  eis'. 

Dann  können  wir  die  zur  Bestimmung  des  magnetischen  Poten- 
tials dienende  Gleichung  sehr  einfach  so  schreiben: 

(24)  Q  =  —  ii'iv. 

Denkt  man  sich  nun,  dass  der  Strom  s  unter  dem  Einflüsse 
der  ponderomotorischen  Kräfte,  welche  seine  Elemente  von  dem 
Strome  s'  erleiden,  irgend  eine  Bewegung  mache,  so  wird  dabei 
von  den  ponderomotorischen  Kräften  eine  Arbeit  gethan,  welche 
sich  durch  die  Abnahme  des  magnetischen  Potentials  darstellen 
lässt.  Dasselbe  gilt  auch  für  den  umgekehrten  Fall,  wo  der  Strom 
s'  sich  unter  dem  Einflüsse  der  von  dem  Strome  s  auf  seine  Ele- 
mente ausgeübten  ponderomotorischen  Kräfte  bewegt,  und  ebenso 
für  den  allgemeineren  Fall,  wo  beide  Ströme  sich  unter  dem  Ein- 
flüsse der  gegenseitig  auf  einander  ausgeübten  ponderomotorischen 
Kräfte  bewegen.  Hierbei  ist  unter  Abnahme  des  Potentials  aber 
nur  diejenige  Abnahme  verstanden,  welche  durch  die  Lagenände- 
rungen der  Leiter  verursacht  wird,  und  nicht  diejenige,  welche 
möglicherweise  gleichzeitig  durch  Aenderung  der  Stromintensitä- 
ten stattfinden  kann.  Bezeichnen  wir  also  die  von  den  pondero- 
motorischen Kräften  gethane  Arbeit  mit  Ap  und  den  während  eines 
Zeitelementes  dt  stattfindenden  Zuwachs  dieser  Arbeit  mit  dÄp^  so 
dürfen  wir  nicht  allgemein  setzen: 

dAp  =  —  dQ^ 
sondern  haben  folgende  Gleichung  zu  bilden: 

(25)  dAp  =  ii'  div. 


224  Absclinitt  YITI. 


§.  7.    Die  Induction  und  das  electrodynamische  Potential 
zweier  geschlossener  Ströme  auf  einander. 

Die  Induction  ist  bekanntlich  von  F.  Neumann  sehr  vollstän- 
dig behandelt  i) ;  wir  wollen  uns  hier  aber  auf  die  Besprechung 
des  Falles  beschränken,  wo  beide  I^eiter  geschlossen  sind,  weil  das 
für  diesen  Fall  von  Neumann  aufgestellte  Gesetz  als  unzweifel- 
haft richtig  betrachtet  werden  kann. 

Wir  denken  uns  also  zwei  geschlossene  Leiter  s  und  s'  gege- 
ben, und  nehmen  an,  dass  in  s'  ein  Strom  von  der  Stärke  i'  statt- 
finde. Wenn  nun  die  beiden  Leiter,  welche  wir  der  Einfachheit 
wegen  als  starr  voraussetzen  wollen,  sich  irgendwie  bewegen  und 
zugleich  die  Stromstärke  i'  sich  ändert,  so  fragt  es  sich,  welche 
electromotorische  Kraft  dabei  in  s  inducirt  wird.  Darüber  gilt 
nach  Neumann  folgendes  Gesetz:  Die  im  Leiter  s  inducirte 
electromotorische  Kraft  ist  gleich  dem  nach  der  Zeit  ge- 
nommenen Differentialcoefficienten  des  magnetischen 
Potentials  des  im  Leiter  s'  stattfindenden  Stromes  i'  auf 
einen  im  Leiter  s  gedachten  Strom  von  einer  gewissen 
Constanten  Stärke,  welche  vorläufig  c  heissen  möge. 

Die  hierin  vorkommende,  vorläufig  unbestimmt  gelassene  Con- 
stante  c  wird  die  Inductionsconstante  genannt. 

Das  magnetische  Potential  der  Ströme  i'  und  c  auf  einander 
wird  nach  Gleichung  (24)  durch  —  ci' w  dargestellt.  Demnach 
lässt  sich,  wenn  die  in  s  inducirte  electromotorische  Kraft  mit  E 
bezeichnet  wird,  folgende  Gleichung  bilden: 

(26)  E^-c^^. 

Findet  in  dem  Leiter  s,  für  welchen  vorher  nur  ein  gedachter 
Strom  von  gegebener  Stärke  c  in  Betracht  kam ,  auch  ein  wirk- 
licher Strom  von  irgend  einer  Stärke  i  statt,  die  mit  der  Zeit  ver- 
änderlich sein  kann,  so  wird  auch  in  dem  Leiter  s'  eine  electro- 
motorische Kraft  inducirt,  welche  mit  E'  bezeichnet  werden  möge, 
und  für  welche  folgende,  der  vorigen  entsprechende  Gleichung  gilt: 

d{iw) 


(27)  E'  = 


dt 


1)  Abhandlungen  der  Berliner  Academie  1845  und  1847. 


Kräfte  zwischen  linearen  Strömen  und  Leitern.    225 

Nachdem  die  inducirte  electromotorische  Kraft  bestimmt  ist, 
kann  auch  die  von  dieser  Kraft  während  des  Zcitelcmentes  ät  ge- 
thane  Arbeit  leicht  ausgedrückt  werden.  Man  braucht  dazu  nur 
die  inducirte  electromotorische  Kraft  mit  der  Intensität  des  in  dem 
betreffenden  Leiter  stattfindenden  Stromes  und  mit  dem  Zeit- 
elemente zu  multipliciren,  also  für  den  Leiter  s  das  Product  Eidt 
und  für  den  Leiter  s'  das  Product  E' i' dt  zu  bilden,  in  welche 
Producte  man  dann  für  E  und  E'  ihre  Werthe  einsetzen  kann. 
Man  erhält  daher,  wenn  man  die  in  beiden  Leitern  zusammen  von 
den  electromotorischen  Kräften  während  der  Zeit  dt  gethane  Ar- 
beit mit  dAe  bezeichnet,  die  Gleichung: 

TA  .    d(i'iv)   -.,         .,     d(itv)   -,, 

dAe  =  —  tc     \,       dt  —  t'c      \.      dt 
dt  dt 

oder  einfacher  geschrieben: 

(28)  dAe  =  —  c  [id(i'  iv)  +  i'd(iw)]. 

Dem  hier  in  der  eckigen  Klammer  stehenden  Ausdrucke  kann 
man  auch  eine  solche  Form  geben,  dass  eines  seiner  Glieder  ein 
vollständiges  Differential  ist,  nämlich: 

(29)  dAe,==  —  c  [d(ii'  tv)  -\-  ii'  div]. 

Diese  von  den  electromotorischen  Kräften  gethane  Arbeit 
möge  nun  noch  mit  der  oben  in  (25)  bestimmten ,  von  den  j)onde- 
romotorischen  Kräften  gethanen  Arbeit  in  eine  Summe  vereinigt 
werden.  Wir  wollen  dabei  für  die  Gesammtarbeit  das  einfache 
Zeichen  A  einführen,  so  dass  wir  setzen  können : 

dAp  -\-  dAe  =  dA^ 
dann  kommt: 

dA  =  ii'  diu  —  c[d(ii'  tv)  -\-  ii'  dtv], 

oder  anders  geordnet: 

(30)  dA  =  ~  cd(ii'u))  +  (1  —  c)  ii'dtv. 

Nehmen  wir  nun  an,  dass  für  electrische  Ströme  und  die  von 
ihnen  gethane  Arbeit  das  Princip  von  der  Erhaltung  der  Energie 
gelte ,  so  muss  sich  die  von  den  ponderomotorischen  und  electro- 
motorischen Kräften  zusammen  während  des  Zeitelementes  ge- 
thane Arbeit  durch  das  Differential  irgend  einer  Grösse  darstellen 
lassen,  welche  nur  von  dem  augenblicklichen  Zustande  der  Ströme, 
also  von  ihren  Lagen  und  Intensitäten  abhängt.  Wir  wollen,  in 
Uebereinstimmung  mit  dem  in  der  Electrostatik  und  beim  Magne- 
tismus angewandten  Verfahren,  diejenige  Grösse,  deren  negatives 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.    IL  15 


226  Abschnitt  VIII. 

Differential  die  Arbeit  darstellt,  zur  besonderen  Benennung  und 
Bezeichnung  auswählen.  Diese  Grösse  möge  das  electrodyna- 
mische  Potential  der  beiden  Ströme  auf  einander  genannt  und 
durch  das  Zeichen  W  dargestellt  werden,  so  dass  zu  setzen  ist : 

(31)  dÄ  =  —  dW. 

Halten  wir  diese  Gleichung  mit  der  Gleichung  (30)  zusammen,  so 
sehen  wir,  dass  an  der  rechten  Seite  der  letzteren  das  zweite  Glied, 
nämlich  (1  —  c)  ii'  dw,  welches  kein  vollständiges  Differential  ist, 
verschwinden  muss,  woraus  folgt,  dass  die  Inductionsconstante  c 
in  unseren  Gleichungen,  in  welchen  zur  Messung  der  Strominten- 
sitäten das  mechanische  Maass  angewandt  ist,  den  Werth  1  ha- 
ben muss.  Das  dann  an  der  rechten  Seite  von  (30)  allein  übrig 
bleibende  erste  Glied  muss  mit  —  dW  übereinstimmen,  und  wir 
erhalten  daher  zur  Bestimmung  des  electrodynamischen  Potentials 
der  beiden  Ströme  auf  einander  die  Gleichung : 

(32)  W=ii'tv. 

Das  electrodynamische  Potential  der  beiden  Ströme  auf  einander 
ist  also  dem  oben  mit  Q  bezeichneten  und  durch  die  Gleichung  (24) 
bestimmten  magnetischen  Potential  der  beiden  Ströme  aufein- 
ander dem  absoluten  Werthe  nach  gleich,  aber  dem  Vorzeichen 
nach  entgegengesetzt. 


ABSCHNITT  IX. 


Ableitung"  eines  neuen  electrodynamischen 
Grundgesetzes. 

§.  1.    Verallgemeinerung  des  electrischen  Ki^aftgesetzes 
und  Ansichten  über  die  strömende  Electricität. 

Die  im  vorigen  Abschnitte  besprochenen  ponderomotorischen 
und  electromotorischen  Kräfte  sind  von  der  Bewegung  der  Elec- 
tricität abhängig,  und  man  muss  daher  schliessen,  dass  bewegte 
Electricitätstheilchen  anders  auf  einander  wirken,  als  ruhende.  Es 
entsteht  nun  die  Frage,  ob  sich  für  die  Kräfte,  welche  zwei  be- 
wegte Electricitätstheilchen  auf  einander  ausüben,  ein  allgemeines 
Gesetz  aufstellen  lässt,  welches  alle  electrostatischen  und  electro- 
dynamischen Wirkungen  erklärt,  und  keiner  bekannten  Erschei- 
nung widerspricht. 

Der  erste,  welcher  die  electrischen  Wirkungen  von  diesem  all- 
gemeinen Gesichtspuncte  aus  betrachtet  hat,  ist  W.  Weber  ge- 
wesen, welcher  bekanntlich  für  die  Kräfte,  welche  zwei  bewegte 
Electricitätstheilchen  auf  einander  ausüben,  ein  Grundgesetz  auf- 
gestellt hat,  welches  zur  Erklärung  aller  electrischen  Wirkungen 
ausreichen  soll.  Seien  nämlich  e  und  e'  die  beiden  in  Puucten 
concentrirt  gedachten  Electricitätstheilchen,  und  r  ihr  gegenseiti- 
ger Abstand  zur  Zeit  t,  so  bestehen  die  von  den  Theilchen  auf  ein- 
ander ausgeübte  Kräfte  nach  W^eber  in  einer  gegenseitigen  Ab- 
stossung  von  der  Stärke 

15** 


228  Abschnitt  IX. 

^  Fl  —  —  f—Y  4-  —     ^1 
7^  L  c2  \dt)   "^  c2  ^  ^J' 

worin  c  eine  Constante  bedeutet. 

Bei  der  Ableitung  dieser  Formel  ist  Weber  von  der  Vor- 
stellung ausgegangen,  dass  bei  einem  galvanischen  Strome  in  je- 
dem Leiterelemente  gleiche  Mengen  positiver  und  negativer  Elec- 
tricität  sich  mit  gleichen  Geschwindigkeiten  nach  entgegengesetz- 
ten Seiten  bewegen.  Diese  Vorstellung  ist  eine  so  complicirte, 
dass  schon  viele  Physiker  daran  Anstoss  genommen  haben.  So 
lange  nicht  zwingende  Gründe  für  die  Annahme  einer  solchen 
Doppelbewegung  vorliegen,  darf  man  die  einfachere  Vorstellung, 
dass  ein  Strom  aus  der  Bewegung  nur  Eines  Fluidums  bestehe, 
nicht  aufgeben,  sondern  muss  versuchen,  aus  ihr  die  Wirkungen 
des  galvanischen  Stromes  zu  erklären. 

Der  letztgenannten ,  schon  lange  und  oft  zum  Ausdruck  ge- 
langten Vorstellung  hat  neuerdings  besonders  Carl  Neumann 
eine  bestimmtere  Form  gegeben  i),  indem  er  dabei  sagt,  dass 
seine  Ueberlegungen  vollständig  mit  denen  übereinstimmen,  welche 
Riemann  schon  im  Jahre  1854  in  der  einunddreissigsten  Natur- 
forscherversammlung ausgesprochen  habe.  Neumann  nimmt 
nämlich  an,  ein  metallischer  Leiter  enthalte  zwar  in  jedem  Raum- 
theilchen  positive  und  negative  Electricität ,  aber  nur  die  er- 
stere  sei  in  der  Weise  beweglich,  dass  sie  im  Leiter  strömen 
könne,  während  die  letztere  unlöslich  mit  den  ponderablen  Ato- 
men verbunden  sei. 

Ueber  den  Punct ,  ob  es  überhaupt  nöthig  ist ,  neben  der  be- 
weglichen positiven  Electricität  noch  eine  an  den  ponderablen  Ato- 
men haftende  negative  Electricität  anzunehmen,  oder  ob  sich  die 
dieser  Electricität  zugeschriebenen  Kräfte  auch  auf  andere  Weise 
erklären  lassen,  können  vielleicht  noch  verschiedene  Ansichten  gel- 
tend gemacht  werden.  Indessen  bei  der  mathematischen  Behand- 
lung der  Sache  kann  man,  da  die  Kräfte  so  stattfinden,  wie  sie 
von  solcher  den  Atomen  anhaftenden  negativen  Electricität  aus- 
geübt werden  würden,  jedenfalls  die  letztere  als  vorhanden  vor- 
aussetzen, ohne  dadurch  schon  eine  feste  Entscheidung  über  ihre 
wirkliche  Existenz  zu  treffen.   In  diesem  Sinne  werde  ich  jene  Vor- 


1)  Berichte  der  k.  sächsisctieu  Gesellscliaft  der  Wiss.  Math.-phys.  Classe, 
1871,  S.  394  und  417. 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  229 

stellungsweise  so,  wie  sie  von  Neumann  formulirt  ist,  den  nach- 
stehenden Betrachtungen  zu  Grunde  legen. 


§.  2.  Unvereinbarkeit  des  Weber'schen  Grundgesetzes 
mit  der  Vorstellung  von  nur  Einer  im  festen  Leiter 
beweglichen  Electricität. 

Es  möge  nun  zunächst  die  Frage  gestellt  werden,  ob  das 
Weber'sche  Grundgesetz  mit  jener  Ansicht,  dass  nur  Eine  Elec- 
tricität im  festen  Leiter  strömen  könne ,  vereinbar  ist.  Dazu  wol- 
len wir  als  Kriterium  den  Erfahrungssatz  wählen,  dass  ein  in 
einem  ruhenden  Leiter  stattfindender  geschlossener  und 
constanter  galvanischer  Strom  auf  ruhende  Electricität 
keine  bewegende  Kraft  ausübt,  und  wollen  untersuchen,  ob 
das  Weber'sche  Grundgesetz  auch  dann  noch  zu  diesem  Satze 
führt,  wenn  man  nur  Eine  der  beiden  Electricitäten  als  beweglich 
betrachtet. 

Im  Puncte  r,  ^,  ^  denken  wir  uns  irgend  eine  Electricitäts- 
menge,  z.B.  eine  Einheit  positiver  Electricität,  und  im  Puncte 
x\  y\  ^'  ein  Element  ds'  eines  galvanischen  Stromes  befindlich. 
Die  im  letzteren  sich  bewegende  positive  Electricität  heisse  h'  ds'. 
Diese  übt  nach  Weber  auf  die  ruhende  Electricitätseinheit  eine 
Abstossung  aus,  welche  durch 

h'  ds'  r.         1   /^r\2    ,     2      d"; 


Fl  —  i  (^hX^  -X-  —     ^1 


dargestellt  wird,  wobei  natürlich  ein  negativer  Werth  des  Aus- 
druckes Anziehung  bedeutet.  Hierin  können  wir  im  vorliegenden 
Falle,  wo  die  Grösse  r  sich  nur  durch  die  Bewegung  der  im  Leiter- 
elemente ds'  befindlichen  Electricität  ändert,  setzen: 

dr   dr  ds' 

dt    ~  ds'Ht' 

^  _  aV  /dsy   .    dr_  dW 
'  dt^  ~  ds'^  \dt)  '^ds'lF' 

und  in  dieser  letzteren  Formel  haben  wir,  wenn  wir  den  Leiter 
des  Stromes  als  durchweg  gleich  voraussetzen,  so  dass  h'  in  allen 
seinen  Theilen  einen  und  denselben  Werth  hat,  für  einen  constan- 


230  Abschnitt  IX. 

ten  Strom  -j-^  =  0  zu  setzen.  Dadurch  geht  der  Ausdruck  für 
die  Abstossung  über  in: 

h'ds'i,     ,     1   r      /dry  ,    ^     d^rl  /ds'y\ 

Nimmt  man  nun  zunächst  mit  Weber  an,  dass  in  dem  Leiter- 
elemente ds'  auch  eine  eben  so  grosse  Menge  negativer  Electri- 
cität  sich  mit  gleicher  Geschwindigkeit  nach  entgegengesetzter 
Richtung  bewege,  so  muss  man,  um  die  Abstossung,  welche  diese 
auf  die  ruhende  Electricitätseinheit  ausüben  würde,  zu  erhalten, 
dem  vorigen  Ausdrucke  im  Ganzen  das  negative  Vorzeichen  geben, 

ds' 
und  ausserdem  das  Vorzeichen  des  Differentialcoefficienten  -7-  um- 

dt 

kehren.  Da  aber  dieser  Differentialcoefficient  nur  quadratisch  vor- 
kommt, so  bringt  die  Umkehrung  seines  Vorzeichens  keine  Aende- 
rung  in  dem  Ausdrucke  hervor.  Die  von  der  negativen  Electricität 
ausgeübte  Kraft  würde  also  der  von  der  positiven  ausgeübten 
gleich  und  entgegengesetzt  sein,  so  dass  beide  sich  aufheben ,  und 
das  Stromelement  gar  keine  Kraft  auf  die  ruhende  Electricitäts- 
einheit ausüben  würde.  Es  ergiebt  sich  also,  dass  das  Weber'sche 
Grundgesetz,  wenn  es  mit  der  Weber'schen  Vorstellung  von  der 
doppelten  Electricitätsbewegung  in  Verbindung  gebracht  wird,  mit 
dem  obigen  Erfahrungssatze  übereinstimmt,  indem  nicht  nur  für 
einen  geschlossenen  Strom,  sondern  auch  für  jedes  einzelne  Ele- 
ment desselben  die  Kraft  Null  wird. 

Nun  wollen  wir  aber  die  andere  Annahme  machen,  dass  die 
in  dem  Leiterelemente  befindliche  negative  Electricität  nicht 
ströme,  sondern  fest  mit  den  ponderablen  Atomen  verbunden  sei. 
Dann  wird  die  Kraft,  welche  diese  auf  die  ruhende  Electricitäts- 
einheit ausübt,  durch  die  aus  der  Electrostatik  bekannte  einfache 

h'  ds' 
Formel  —  — -—  dargestellt.    Demnach  heben  sich  in  diesem  Falle 

die  beiden  Kräfte  nicht  vollständig  auf,  sondern  es  bleibt  eine 
durch  die  Formel 


h'  ds'  r      /dr\'^  ,    ^     d^  r' 
2r 


[-  m+ 


dargestellte  Abstossung  übrig 


ds[V 
dt 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         231 
Die  in  die  rc-Richtung  fallende  Componente  dieser  Kraft  er- 
hält man  durch  Multiplication  mit ,  und  es  ergiebt  sich  da- 

her,  wenn  man  diese  Componente  mit  -^^  ds'  bezeichnet,  folgende 

Qj  S 

Gleichung : 

,,,       ddc   ,  ,        /*'  /ds'y  X  —  x'  \      /dry  ,    ^,     oVi   ,  , 

^1^     ^  ^^  =  ^  \Tt)  —^  \r  \W  +  ''  äi^J  '^'' 

Diese  Gleichung  muss  nach  s'  über  den  ganzen  geschlossenen 
Strom  integrirt  werden,  um  die  Grösse  3f,  nämlich  die  in  die  ;r-Rich- 
tung  fallende  Componente  der  Kraft,  welche  der  ganze  Strom  auf 
die  ruhende  Electricitätseinheit  ausübt,  zu  erhalten. 

Dazu  wollen  wir  mit  dem  auf  der  rechten  Seite  stehenden 
Ausdrucke  noch  einige  Umformungen  vornehmen.  Man  kann 
setzen : 


=  2 


""^;^[-(l?y+2r|^] 


r"/2  ?)x 

Dadurch  geht  die  Gleichung  (1)  über  in: 

Jt)     dx     ds"- 
Hierin  kann  man  weiter  setzen: 


(2) 


dl   ,  ,        8h' 
ds  =  ^- 
ds  c^ 


ds'. 


dVr  d^Vr 


dx    ds'^ 

=  -(■ 
ds'  \ 

wodurch  (2)  übergeht  in: 


^  /8Vr  dVr 
ds'  \  dx      ds' 

dVr  dVr 
dx      ds' 


dVr   d^Vr 
ds'    ds'dx 

]^d_  [fdVr 

2   dx 


r/dVr 
[\ds' 


(3)  ^,ds' 


[M- 


dVr\m 


m 


ds'. 


c^  \dtj  \ds'\  dx     ds'  )        2  dx  W  ds 

Wenn  man  diese  Gleichimg  über  einen  geschlossenen  Strom 
integrirt,  so  giebt  das  erste  innerhalb  der  Klammer  befindliche 
Glied,  welches  ein  Differentialcoefficient  nach  s'  ist,  den  Wertli 
Null.  Das  zweite  Glied ,  welches  ein  Differentialcoefficient  nach  x 
ist,  kann,  da  die  Veränderliche  x  von  der  Veränderlichen  s'  unab- 
hängig ist,  unter  dem  Differentiationszeichen  integrirt  werden, 
und  es  kommt: 

4/i'  /dsy  d_    r/öVr 
dt  J   dxj  \  ds' 


(4) 


1  = 


ds'. 


232  Abschnitt  IX. 

Ganz  entsprechende  Ausdrücke  ergeben  sich  auch  für  die  in  die 
y-  und  ^-Kichtung  fallenden  Componenten  der  Kraft. 

Man  sieht  sofort,  dass  das  hierin  vorkommende  Integral  nicht 
Null  ist,  und  dass  auch  seine  Differentialcoefficienten  nach  x^  y 
und  3  im  Allgemeinen  nicht  Null  sein  werden.  Demnach  müsste 
ein  in  einem  ruhenden  Leiter  stattfindender  geschlossener  und 
constanter  Strom  auf  ruhende  Electricität  eine  Kraft  ausüben,  und 
zwar  eine  Kraft,  welche  ein  Ergal  hätte,  da  ihre  in  die  Coordi- 
natenrichtungen  fallenden  Componenten,  der  obigen  Gleichung 
nach,  durch  die  negativen  Differentialcoefficienten  einer  von  den 
Coordinaten  der  betreffenden  ruhenden  Electricitätseinheit  abhän- 
genden Grösse  dargestellt  würden.  Der  galvanische  Strom  müsste 
also,  ähnlich  wie  ein  mit  einem  Ueberschuss  von  positiver  oder 
negativer  Electricität  geladener  Körper,  in  jedem  in  seiner  Nähe 
befindlichen  leitenden  Körper  eine  veränderte  Vertheilung  der 
Electricität  hervorrufen  i).  Auch  für  einen  Magneten  würde  man, 
wenn  man  den  Magnetismus  durch  moleculare  electrische  Ströme 
erklärt,  ähnliche  Wirkungen  auf  die  ihn  umgebenden  leitenden 
Körper  erhalten. 

Solche  Wirkungen  sind  aber,  trotz  der  vielen  Gelegenheit,  die 
man  dazu  gehabt  haben  würde,  nie  beobachtet  worden,  und  man 
wird  daher  den  obigen  Satz,  welcher  ausdrückt,  dass  sie  nicht  statt- 
finden, gewiss  allgemein  als  feststehenden  Erfahrungssatz  anerken- 
nen, woraus  dann,  da  das  in  der  Gleichung  (4)  ausgedrückte  Re- 
sultat diesem  Satze  widerspricht,  der  Schluss  folgt,  dass  das  We- 
ber'sche  Grundgesetz  mit  der  Ansicht,  dass  bei  einem  in 
einem  festen  Leiter  stattfindenden  galvanischen  Strome 
nur  die  positive  Electricit-ät  sich  bewegt, unvereinbar  ist, 

§.3,  Betrachtung  eines  von  Riemann  aufgestellten  Kraft- 
gesetzes unter  dem  obigen  Gesichspuncte. 

In  neuester  Zeit,  nachdem  ich  meine  erste  Mittheilung  über 
das  von  mir  aufgestellte  Grundgesetz  schon  veröffentlicht   hatte, 


1)  Derselbe  Schluss  ist  aucli  schon  i.  J.  1873  von  Riecke  gezogen 
(Gott.  Nachr.  5.  Juli  1873),  was  mir,  als  ich  dieses  schrieb,  unbekannt 
war,  worauf  ich  aber,  noch  während  es  in  Borchardt's  Journal  gedruckt 
wurde,  durch  den  damals  eben  ei-schienenen  neuesten  Aufsatz  von  Ei  ecke 
(Gott.  Nachr.  28.  Juni  1876),  in  welchem  jener  ältere  citirt  war,  aufmerk- 
gam  gemacht  wurde. 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  233 

ist  ein  Werk  erschienen  i),  in  welcliem  ein  anderes,  von  Riemann 
in  seinen  Vorlesungen  mitgetheiltes  electrodynainisclies  Kraftgesetz 
angeführt  wird,  und  es  wird  daher  zweckmässig  sein,  im  An- 
schlüsse an  das  Vorige  auch  dieses  Gesetz  unter  demselhen  Ge- 
sichtspuncte  zu  betrachten,  d.  h.  zu  untersuchen,  ob  es  mit  der 
Ansicht  von  nur  Einer  im  festen  Leiter  beweglichen  Electricität 
vereinbar  ist. 

Seien,  wie  oben,  e  und  e'  zwei  in  Puncten  concentrirt  gedachte 
Electricitätstheilchen ,  x^  y^  z  und  x\  y\  s'  ihre  rechtwinkligen 
Coordinaten  zur  Zeit  ^,  so  gilt  für  die  in  die  a;-Ilichtung  fallende 
Componente  der  Kraft,  welche  e  von  e'  erleidet,  nach  Riemann 
(S.  327)  folgende  Gleichung: 

2   /dx       dx''' 


d 

ee'  dr     ,    ee'      \  r  \dt         dt 


^^^      ^        r2  dx  "^  c2  dt 

e^]^^\fdx_dxy      /dy  _^'Y  i   /^_^yi 
'^  ~c^7^dx\\dt       dt)  '^[ßt        'dt)  ^\dt       dt)]' 
und  entsprechende  Gleichungen  sind  für  die  beiden  anderen  Coor- 
dinatenrichtungen  zu  bilden. 

Diese  Gleichung  wollen  wir  nun  wieder  dazu  anwenden,  die 
Kraft  zu  bestimmen,  welche  ein  geschlossener  galvanischer  Strom 
auf  eine  ruhende  Electricitätseinheit  ausübt.    Wir  setzen  daher : 

^        ^  dx dy dz 

dt        dt        dt 
Ferner  ersetzen  wir,  um  zunächst  die  Kraft  zu  bestimmen,  welche 
von  der  im  Leiterelemente  ds'  sich  bewegenden  positiven  Electri- 
cität ausgeübt  wird,  e'  durch  das  Product  1%' ds'.    Dann  geht  der 
vorige  Ausdruck  über  in: 

, /2^  dx'\ 
1    dr         1       \Jlit) 


h'ds' 


r^  dx         c         dt 


'^  c''  r'^dx\\dt)   '^Xdt)   ~^\dt)\\ 


Hierin  kann  das  letzte  Glied  dadurch  vereinfacht  werden,  dass  die 

/ds'\^ 
in  der  eckigen  Klammer  stehende  Summe  durch   (  -j— )     ersetzt 


^)  Schwere,  Electricität  und  Magnetismus.    Nach  den  Vorlesungen  von 
Bernhard  Riemann  bearbeitet  von  Karl  Hattendorff,  Hannover  1876. 


234  Absclinitt  IX. 

wird,  und  das  zweite  Glied  möge  so  umgeändert  werden,  dass  x' 
und  f  als  Functionen  von  s'  und  die  Grösse  s'  als  Function  von  t 

behandelt  und  dabei,  weil  der  Strom  constant  ist,  -j-^  =  0  gesetzt 

Ci  t 

wird.    Dann  kommt: 

2_  d^\ 


Lr2  dx        c2        ds'         \cU)   "^  c2  r2  ^^  \cit)  _ 

Gehen  wir  nun  zunächst  wieder  von  der  Voraussetzung  aus, 
dass  in  dem  Leiterelemente  ds'  eine  gleich  grosse  Menge  negati- 
ver Electricität  mit  gleicher  Geschwindigkeit  nach  entgegengesetz- 
ter Richtung  ströme,  so  haben  wir,  um  die  ^-Componente  der  von 
dieser  Electricitätsmenge  auf  die  ruhende  Electricitätseinheit  aus- 
geübten Kraft  darzustellen,  denselben  Ausdruck,  wie  vorher,  nur 
mit  entgegengesetztem  Vorzeichen  zu  bilden.  Beide  Kräfte  heben 
sich  somit  auf,  und  es  ist  daher  unter  der  Voraussetzung  zweier  in 
gleicher  Weise  im  Leiter  beweglicher  Electricitäten  auch  das  Rie- 
m  ann'sche  Kraftgesetz  mit  unserem  Erfahrungssatze  im  Einklänge. 

Machen  wir  dagegen  die  Voraussetzung,  dass  die  im  Leiter- 
elemente ds'  befindliche  negative  Electricität  in  Ruhe  sei,  so  ha- 
ben wir  die  ^-Componente  der  von  ihr  auf  die  ruhende  Electrici- 
tätseinheit ausgeübten  Kraft  durch 

r^  ox 
darzustellen,  und  wir  erhalten  daher,  wenn  wir  die  a^-Componente 
der  Kraft,  mit  welcher  das  Stromelement  ds'  auf  die  ruhende  Elec- 

tricitätseinheit  wirkt,  wieder  mit  -^,  ds'  bezeichnen,  die  Gleichung: 


d'^       ,        h' 
^^^        di'  '^'  =  ^ 


r   df~  — ^         1 

/dsy     __      \r  ds')    I    1  ^ 
\dt)    L  ds'        ^  r2  dxA 


ds'. 


Denken  wir  uns  diese  Gleichung  über  einen  geschlossenen  Strom 
integrirt,  so  giebt  das  erste  Glied  Null,  und  es  kommt : 

c^  \dt /  J  r^  dx 
oder  anders  geschrieben: 

^^  c2  \dt)    dxj    r   ' 


Neues  electrodynamisches  Grrundgesetz.         235 

Entsprechende  Gleichungen  erhält  man  natürlich  auch  für  die  in 
die  beiden  anderen  Coordinatenrichtungen  fallenden  Kraftcompo- 
nenten. 

Das  hierin  vorkommende  Integral  ist  nicht  Null  und  auch 
seine  Differentialcoefficienten  sind  es  im  Allgemeinen  nicht.  Wir 
erhalten  also  auch  aus  dem  Riemann' sehen  Gesetze  dasselbe  Re- 
sultat, wie  aus  dem  Web  er' sehen,  dass  ein  geschlossener  galvani- 
scher Strom,  und  ebenso  auch  ein  Magnet,  auf  jeden  in  seiner 
Nähe  befindlichen  leitenden  Körper  eine  der  electrostatischen  In- 
fluenz ähnliche  Wirkung  ausüben  müsste.  Da  dieses  unserem  Er- 
fahrungssatze widerspricht,  so  können  wir  auch  von  dem  Rie- 
mann'schen  Gesetze  sagen,  dass  es  mit  der  Vorstellung  von 
nur  Einer  im  festen  Leiter  beweglichen  Electricität 
nicht  vereinbar  ist. 


§.  4.    Zulässigkeit  gewisser  Vorbedingungen  bei   der 
Bestimmung  der  Kräfte. 

Wenn  wir  nun  versuchen  wollen,  ein  anderes  Grundgesetz  auf- 
zufinden, welches  von  dem  vorstehend  erwähnten  Widerspruche 
mit  der  Erfahrung  frei  ist,  so  müssen  wir  uns  zunächst  darüber 
klar  werden,  ob  und  in  wie  weit  es  zulässig  ist,  in  Bezug  auf  die 
Richtung  und  Grösse  der  Kräfte  gewisse  Vorbedingungen  zu  stellen. 

Weber  hat  es  als  selbstverständlich  betrachtet,  dass  die 
Kräfte,  welche  zwei  in  Puncten  concentrirt  gedachte  Electricitäts- 
theilchen  auf  einander  ausüben,  nur  in  gegenseitigen  Anziehungen 
oder  Abstossungen  bestehen  können,  dass  sie  also  gleich  und  ent- 
gegengesetzt sein  und  ihrer  Richtung  nach  in  die  Verbindungs- 
linie der  beiden  Puncte  fallen  müssen.  In  dieser  Beziehung  muss 
ich  aber  auf  das  zurückkommen,  was  schon  in  S.  1  des  vorigen 
Abschnittes  über  die  von  zwei  Stromelementen  auf  einander  aus- 
geübten Kräfte  gesagt  wurde. 

Wenn  Newton  die  Kräfte,  welche  zwei  materielle  Puncte  un- 
abhängig von  ihrer  etwaigen  Bewegung  auf  einander  ausüben, 
ohne  weiteres  als  eine  gegenseitige  Anziehung  betrachtet,  und  wenn 
man  ebenso  von  den  Kräften,  welche  zwei  ruhende  Electricitäts- 
th  eilchen  aufeinander  ausüben,  ohne  weiteres  annimmt,  dass  sie 
nur  in  gegenseitiger  Anziehung  oder  Abstossung  bestehen  können, 
so  ist  das  vollkommen  berechtigt,  denn  zwei  ruhenden  Puncten 


236  Abschnitt  IX. 

kann  man  gar  keine  Kraft  zuschreiben ,  welche  von  der  Verbin- 
dungsHnie  seithch  abwiche,  da  kein  Umstand  vorhanden  ist,  durch 
welchen  Eine  seitliche  Richtung  vor  den  übrigen  ausgezeichnet 
wäre.  Bei  derjenigen  Kraft  dagegen,  welche  zwei  Electricitäts- 
theilchen  wegen  ihrer  Bewegungen  auf  einander  ausüben,  verhält 
es  sich  ganz  anders.  In  diesem  Falle  giebt  es  in  der  That  ausser 
der  Verbindungslinie  der  Theilchen  noch  andere  ausgezeichnete 
Richtungen,  nämlich  die  beiden  Bewegungsrichtungen  der  Theil- 
chen, und  es  ist  selir  wohl  denkbar,  dass  diese  einen  Einfluss  auf 
die  Kraftrichtungen  haben.  Hätte  Newton  ein  Gesetz  für  solche 
Kräfte,  die  durch  die  Bewegungen  der  Puncte  verursacht  werden, 
aufzustellen  gehabt,  so  würde  er  bei  der  Vorsicht,  mit  welcher  er 
ungerechtfertigte  Hypothesen  vermied,  wohl  nicht  im  Voraus  an- 
genommen haben,  dass  diese  Kräfte  eine  bestimmte  von  den  Be- 
wegungsrichtungen der  Puncte  unabhängige  Richtung  haben 
müssten. 

Ich  kann  daher  die  in  dieser  Beziehung  stattfindende  Ein- 
fachheit des  Web  er' sehen  Kraftgesetzes  nicht  als  einen  Vorzug 
desselben  anerkennen,  da  es  eine  Einfachheit  ist,  die  nicht  der  Na- 
tur der  Sache  entspricht,  sondern  durch  eine  der  Sache  fremde 
Voraussetzung  willkürlich  hineingebracht  ist, 

Riemann  hat  sich  auch  in  der  That  bei  der  Aufstellung  sei- 
nes Kraftgesetzes  an  die  Bedingung,  dass  die  Kraftrichtungen  in 
die  Verbindungslinie  der  beiden  Puncte  fallen  müssen,  nicht  ge- 
bunden. Dagegen  hat  er  an  der  anderen  Bedingung,  dass  die  bei- 
den von  den  Puncten  auf  einander  ausgeübten  Kräfte  gleich  und 
entgegengesetzt  sein  müssen ,  noch  festgehalten.  Dadurch  hat  er 
erreicht,  dass  die  beiden  Kräfte,  wenn  man  sie  sich  an  einen  ge- 
meinsamen Angriffspunct  verlegt  denkt,  als  Resultante  Null  ge- 
ben, was  mit  dem  Verhalten  der  sonst  gewöhnlich  betrachteten 
Kräfte,  die  von  der  Bewegung  unabhängig  sind,  übereinstimmt. 
Ich  glaube  aber,  dass  damit  nicht  viel  gewonnen  ist,  denn,  wenn 
die  beiden  Kräfte  auch  nicht  eine  nach  einer  bestimmten  Rich- 
tung gehende  Resultante  geben,  so  geben  sie  doch  ein  Drehungs- 
moment, worin  eine  wesentliche  Abweichung  von  dem  Verhalten 
der  von  der  Bewegung  unabhängigen  Kräfte  liegt.  Wenn  nun 
aber  einmal  in  Einer  Beziehung  eine  solche  wesentliche  Abwei- 
chung als  möglich  zugegeben  ist,  so  liegt  meiner  Ansicht  nach  auch 
kein  Grund  mehr  vor,  in  einer  anderen  Beziehung  die  entspre- 
chende Abweichung  für  unmöglich  zu  erklären. 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         237 

Wir  wollen  daher  im  Folgenden  über  die  Riclitung  und  Grösse 
der  Kräfte,  welche  zwei  bewegte  Electricitätstheilchen  auf  einander 
ausüben,  im  Voraus  gar  keine  Annahme  machen,  sondern  nur  ver- 
suchen, durch  eine  auf  der  Grundlage  von  Erfahrungssiitzen  aus- 
zuführende Entwickelung  zur  Bestimmung  der  Kräfte  zu  gelangen. 


§.  .5.    Ausdrücke  der  Kraftcomponenten  für  ein  specielles 
Coordinatensystem. 

Gemäss  der  Annahme,  dass  die  Kraft  von  der  gegenseitigen 
Lage  der  Theilchen  und  von  ihren  durch  die  Geschwindigkeits- 
componenten  und  Beschleunigungscomponenten  bestimmten  Be- 
wegungszuständen  abhänge,  bilden  wir  für  jede  der  drei  in  die 
Coordinatenrichtungen  fallenden  Componenten  der  Kraft  einen 
allgemeinen  Ausdruck,  welcher  von  den  relativen  Coordinaten  des 
einen  Theilchens  zum  anderen,  und  von  den  nach  der  Zeit  genom- 
menen Difterentialcoefficienten  erster  und  zweiter  Ordnung  der 
Coordinaten  beider  Theilchen  abhängt.  In  diesen  Ausdruck  neh- 
men wir  vorläufig  alle  möglichen  Glieder  bis  zur  zweiten  Ordnung 
auf,  wobei  unter  Gliedern  zweiter  Ordnung  alle  Glieder  von  sol- 
chen Formen  verstanden  werden,  wie  sie  durch  zweimalige  Difle- 
rentiation  nach  t  entstehen  können,  die  also  entweder  einen  DifFe- 
rentialcoefficienten  zweiter  Ordnung  oder  zwei  Differentialcoeffi- 
cienten  erster  Ordnung  als  Factoren  haben. 

Es  möge  nun  zunächst  ein  rechtwinkliges  Coordinatensystem 
von  specieller  Lage  eingeführt  werden.  Die  eine  Coordinatenaxe 
soll  nämlich  durch  die  beiden  Puncte  gehen,  in  welchen  die  bei- 
den Electricitätstheilchen  sich  zur  Zeit  t  gerade  befinden,  und  zwar 
möge  die  Richtung  von  e'  nach  e  als  die  positive  angenommen 
^werden.  Die  auf  dieser  Axe  gemessenen  Coordinaten  der  beiden 
Theilchen  mögen  l  und  V  sein.  Die  beiden  anderen  Coordinaten- 
axen  können  irgend  welche  auf  der  ersten  und  unter  einander 
senkrechte  Richtungen  haben.  Wenn  dann  die  auf  diesen  Axen 
gemessenen  Coordinaten  der  beiden  Theilchen  allgemein  mit  ni,  n 
und  rn\  n'  bezeichnet  werden,  so  ist  zur  Zeit  t  zu  setzen: 

m  =  M  =  m'  =  n'  =  0. 

Demnach  sind  auch  die  auf  diese  beiden  Richtungen  bezüglichen 
relativen  Coordinaten  m  —  m'  und  n  —  n'  zur  Zeit  t  gleich  Null, 


238  Abschnitt  IX. 

und  nur  die  auf  die  erste  Richtung  bezüghche  relative  Coordinate 
l  —  V  hat  einen  angebbaren  Werth,  welcher  gleich  der  Entfernung 
der  beiden  Theilchen  von  einander  ist  und  daher ,  der  obigen  Be- 
zeichnungsweise entsprechend,  durch  r  dargestellt  werden  kann. 
Daraus  folgt,  dass  bei  Anwendung  dieses  Coordinatensystems  die 
Functionen  der  relativen  Coordinaten,  welche  in  den  Ausdrücken 
der  Kraftcomponenten  vorkommen,  nur  Functionen  von  r  sein  kön- 
nen. Auch  in  anderer  Beziehung  bietet  dieses  Coordinatensystem 
noch  Gelegenheit  zu  Vereinfachungen  dar,  indem  aus  dem  Verhal- 
ten der  in  den  Gliedern  vorkommenden  Differentialcoefficienten 
unmittelbar  ersichtlich  ist,  dass  gewisse  Glieder  auf  die  betreffende 
Kraftcomponente  keinen  Einfiuss  haben  können,  und  gewisse  Paare 
von  Gliedern  einen  gleichen  Einfluss  haben  müssen. 

Als  erste  zu  untersuchende  Kraftcomponente  wählen  wir  die 
in  die  Z-Richtung  fallende  aus.  Indem  wir  diese  mit  Lee'  bezeich- 
nen, bilden  wir  den  die  Grösse  L  bestimmenden  Ausdruck. 

Dieser  Ausdruck  muss  zunächst  ein  Glied  enthalten,  welches 
von  den  Bewegungen  der  Theilchen  unabhängig  ist,  und  die  elec- 
trostatische  Kraft  darstellt.    Dieses  Glied  ist  vollkommen  bekannt 

und  lautet 


Von  den  anderen  Gliedern  betrachten  wir  zuerst  diejenigen, 
welche  nur  Differentialcoefficienten  der  Coordinaten  des  Theil- 
chens  e  enthalten. 

Die  Glieder,  welche  nur  Einen  Differentialcoefficienten  erster 
Ordnung  enthalten,  lauten  allgemein: 

.  dl         ,  dm        .,,  dn 
Tf     W  dt' 

worin  A,  A  und  Ä'  Functionen  von  r  bedeuten;  aber  in  Bezug 
auf  die  beiden  letzten  lässt  sich  sofort  ein  Schluss  der  oben  ange- 
deuteten Art  ziehen.     Das  Glied  Ä  -r-  ändert  nämlich  mit  -^r— 

dt  dt 

sein  Vorzeichen.  Nun  verhält  sich  aber  für  einen  in  der  ^-Axe 
liegenden  Punct  die  negative  Seite  der  ir^-Richtung  ebenso  zur 
Z-Richtung,  wie  die  positive  Seite,  und  es  ist  daher  in  unserem 
Falle,  wo  beide  Puncte  in  der  Z-Axe  liegen,  kein  Grund  abzu- 
sehen, weshalb  eine  Bewegung  nach  der  einen  Seite  eine  andere 
Kraft  in  der  Z- Richtung  zur  Folge  haben  sollte,  als  eine  Bewegung 
nach  der  anderen  Seite.    Demnach  muss  dieses  Glied  aus  dem  Aus- 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  239 

drucke  verschwinden,   d.  li.  es  muss  A'  =  0  sein.    Ebenso  kann 
man  auch  schliessen,  dass  A"  =  0  sein  muss.     Es  bleibt  also  von 

77 

den  obigen  drei  Gliedern  nur  A  jj  übrig. 


Passelbe  gilt  von  den  drei  Gliedern 

.    (PI        .,  d^m        .n  d'^n 
'  d¥'        '  dF'        '  dW 


von  denen  die  beiden  letzten  ebenfalls  verschwinden  müssen,  so 

dass  nur  das  erste  übrig  bleibt. 

Was  endlich  die  Glieder  anbetrifft,  welche  zwei  gleiche  oder 

verschiedene  Differentialcoefficienten  erster  Ordnung  als  Factoren 

haben,  in  welchen  also  eines  der  folgenden  Quadrate  und  Producte 

vorkommt : 

/dl\^      /dniY      /dn\^     dl  dm     dl  dn     dm  dn 
\di)  '     \dr) '     \dt)  '     dt  It'    dtlt'     dt  ~dt' 

so  lässt  sich  auf  die  Glieder  mit  den  zuletzt  erwähnten  Producten 

dasselbe  anwenden,    was  vorher  gesagt  wurde.     Diese   Producte 

(1/  W'i  d  ^% 

ändern   nämlich   ihr  Vorzeichen  mit   -^—  und  -rr.  während  doch 

dt  dt 

sowohl  bei  der  m-Richtung  als  auch  bei  der  w-Richtung  die  nega- 
tive Seite  sich  zu  den  beiden  anderen  Axen  gerade  so  verhält,  wie 
die  positive  Seite.  Glieder  mit  diesen  Producten  können  also  in 
dem  Ausdrucke  nicht  vorkommen.  Da  ferner  die  m-  und  w-Rich- 
tung  sich  zur  Z-Axe  geometrisch  gleich  verhalten,  so  müssen  die 

Quadrate  {-tt\  und  \-^\  gleiche  Coefficienten  haben.  Die  be- 
treffenden Glieder  bilden  also  eine  Summe  von  der  Form: 


^K^y+-'[(ty+(^)i 


Dieser   Summe   wollen   wir   folgende    etwas    abgeänderte   Gestalt 
geben : 

worin  A^  an  die  Stelle  der  Differenz  Ä^  —  A-^  gesetzt  ist.    Nun 
ist  aber,  wenn  v  die  Geschwindigkeit  des  Theilchens  e  bedeutet: 


240  Abschnitt  IX. 

und  die  vorige  Summe  lässt  sich  daher  einfacher  so  schreiben: 

Fassen  wir  nun  alle  Glieder,  welche  nur  Differentialcoefficien- 
ten  der  Coordinaten  des  Theilchens  e  enthalten,  zusammen  und 
bezeichnen  die  Summe  dieser  Glieder  mit  Xi,  so  kommt: 

(8)  i,  =  4«  +  ^,^_i^  +  4,(|y  +  ^3... 

Ganz  entsprechend  können  wir,  wenn  wir  die  Summe  der  Glie- 
der, welche  nur  Differentialcoefficienten  der  Coordinaten  des  Theil- 
chens e'  enthalten,  mit  L.^  bezeichnen,  schreiben: 

(9)  i,  =  ^.|:  +  ^,g  +  ^.(|y  +  4,,.. 

Nun  bleiben  noch  die  Glieder  zu  betrachten ,  welche  ein  Pro- 
duct  aus  DifFerentialcoefficienten  der  Coordinaten  beider  Theilchen, 
also  eines  der  folgenden  Producte  enthalten: 

dl  dl'      dm  dm'      dn  dn' 
dt~dt'    'dt   ~dr'    It'dt' 

dl  dm'     dl    dm     dl  dn'     dl    dn     dm  dn'     dm'  dn 
diW'    dt  W    diW    dt   dt'    It  ~dt'    ~dt~dt' 

Bei  den  sechs  letzten  Producten  kann  man  wieder  aus  dem 

TT     .      1      1         •       •.  dm    dm'    dn    dn'  -i     -tr        •  ^        ••    i 
Umstände,  dass  sie  mit  -^r--,  —rr-,  -rr-i  -rr  ihr  Vorzeichen  andern, 
dt      dt      dt     dt 

ganz  in  der  obigen  Weise  schliessen,  dass  Glieder  mit  diesen  Pro- 
ducten in  dem  Ausdrucke  der  Kraftcomponente  nicht  vorkommen 
können.  Auf  das  zweite  und  dritte  Product  aber  ist  dieser  Schluss 
nicht  anwendbar,  obwohl  die  Aenderung  des  Vorzeichens  auch  bei 

ihnen  vorkommt.  Wenn  nämlich  der  Differentialcoefficient  -^t-  sein 

dt 

Vorzeichen  ändert,  also  das  Theilchen  e  seine  in  der  m-ßichtung 
stattfindende  Bewegung  umkehrt,  so  verhält  sich  die  jetzige  Bewe- 
gung zwar  zur  ^-Richtung  ebenso,  wie  die  frühere,  aber  zu  der 

durch  -^—  ausgedrückten  nach  der  ^>z -Richtung  gehenden  Bewe- 

gung  des  Theilchens  e'  verhält  sie  sich  anders.  Wenn  sie  früher 
mit  ihr  nach  gleicher  Seite  ging,  so  geht  sie  jetzt  nach  entgegen- 
gesetzter Seite,  und  umgekehrt.  Die  Coefficienten  dieser  beiden 
Producte  brauchen  also  nicht  Null  zu  werden,  aber  sie  müssen 


Neues  electrodynamisches  Grrundgesetz.  241 

unter  einander  gleich  sein,  weil  die  m-  und  w- Richtung  sich  zur 
Z-Axe  geometrisch  gleich  verhalten. 

Es  ergiebt  sich  also,  indem  wir  die  Summe  der  Glieder,  welche 
Differentialcoefficienten  der  Coordinaten  beider  Theilchen  enthal- 
ten, mit  L^  bezeichnen,  folgende  Gleichung : 

./    dl  dl'    1^    .    /dm  dm'  _,    dn  dn' 
■'  ^      'TtUi^     '  \dt    W^  dt  W 
Diese  Gleichung  wollen  wir  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  weiter  oben 
mit  einem  anderen  Ausdrucke  geschehen  ist,  umgestalten.     Wir 
schreiben  zunächst: 

dl  dl'    .      .    /dl  dl'    .    dm  dm'    .    dn  dn'\ 


^''  "~  ^'  dt  dt  ^  ^'  \dt  dt  '^  dt  dt  '^  dt  dt)' 
worin  A^  an  die  Stelle  der  Differenz  Ai  —  A^  gesetzt  ist.  Nun  ist 
aber,  wenn  £  den  Winkel  zwischen  den  Bewegungsrichtungen  der 
beiden  Theilchen  e  und  e'  bedeutet: 

dl  dl     1^  dm  dm!        dn  dn' , 

dt'dt'^~dt~dt^'dt~dt~~'"'^  ^^^  ^' 
und  die  vorige  Gleichung  lässt  sich  daher  so  schreiben: 

(10)  L-i  =  As  -^^j-^-\^  Agvv'  cos  s. 

Nachdem  wir  vorstehend  die  einzelnen  Gruppen  der  in  L  ent- 
haltenen Glieder  näher  bestimmt  haben,  erhalten  wir  aus  ihnen 
die  ganze  Grösse  L  durch  Bildung  folgender  Gleichung: 

(11)  L=l-f  X,  +  L,-fL3. 

In  ganz  entsprechender  Weise  können  wir  nun  auch  die  in 
die  m-  und  w- Richtung  fallenden  Kraftcomponenten,  welche  mit 
Mee'  und  Nee'  bezeichnet  werden  mögen,  behandeln;  es  wird 
aber  nicht  nöthig  sein,  auch  diese  Behandlung  hier  vollständig 
durchzuführen,  sondern  es  wird  genügen,  die  zur  Bestimmung  von 
M  und  N  dienenden  Systeme  von  Gleichungen  einfach  hinzuschrei- 
ben.   Es  sind  die  folgenden: 

dm    ,    ^   ä^m    ,    ^   dl  dm 


(12) 


T,^         -„   dm'    .    ^   d^m'    ,    ^^   dl'  dm' 

^^^^^-^-dT  +  ^'IW-^^-^-dt  -IT' 

^,         -p   dl  dm'  ^^  ^   dl'  dm 

^^^'  =  -^'TtW^-^'dtW 
M  =  My  H-  M,  +  Mz- 

Clausius,  mech.  Wärmetlieorie.    II.  Iß 


242 


Abschnitt  IX. 


(13) 


„  -ry  dn    .    -r,   d^n    .    -ry   dl  dn 

^'^'^It'^^'-dW  +  ^'TtTV 

_    dn'    1    T?    d^^'    I     T?   ^l   dn' 

^'  =  -^'~dt^-^'d¥"^-^'lii~dt- 

-.j    T>    dl  dn'    I     j^   dl   dn 

^'  -  ■^'TtHt'^-^'Tt'di' 


6.     Ausdrücke  der  Kraftcomponenten  für  ein 
beliebiges  Coordinatensystem. 


Nachdem  für  ein  specielles  Coordinatensystem  die  drei  Kraft- 
componenten ausgedrückt  sind,  können  wir  daraus  auch  leicht  die 
Kraftcomponenten  für  ein  beliebiges  Coordinatensystem  ableiten. 

Es  sei  irgend  ein  rechtwinkliges  Coordinatensystem  eingeführt, 
in  welchem  die  beiden  Electricitätstheilchen  die  Coordinaten  x^  y,  z 
und  x!^  y\  s'  haben.  Die  in  diese  Coordinatenrichtungen  fallenden 
Componenten  der  Kraft,  welche  e  von  e'  erleidet,  mögen  durch 
Xee',  Yee'  und  Zee'  dargestellt  werden,  dann  handelt  es  sich 
darum,  die  Grössen  X,  Y  und  Z  auszudrücken. 

Um  X  auszudrücken,  bezeichnen  wir  die  Winkel,  welche  die 
ic-Richtung  mit  den  früher  angenommenen  Coordinatenrichtungen, 
nämlich  der  Z-,  m-  und  w-Richtung  bildet,  mit  (Ix)^  {mx)  und  {nx). 
Dann  ist  zu  setzen: 


(14) 


X  =::  L  cos  (Ix)  -f-  M  COS  (mx)  -\-  N  cos  (nx). 


Man  kann  aber  auch  die  einzelnen  Bestandtheile  von  X  durch  die 
entsprechenden  Bestandtheile  von  i,  M  und  N  ausdrücken.  Be- 
zeichnet man  die  Summe  derjenigen  in  X  vorkommenden  Glieder, 
welche  nur  Differentialcoefficienten  der  Coordinaten  von  e  enthal- 
ten, mit  Xi ,  die  Summe  der  Glieder,  welche  nur  Differentialcoeffi- 
cienten der  Coordinaten  von  e'  enthalten,  mit  X2,  und  die  Summe 
der  Glieder,  welche  Producte  aus  Differentialcoefficienten  der  Coor- 
dinaten beider  Theilchen  enthalten,  mit  X3,  so  gilt  für  Xi  die 
Gleichung : 

(15)        Xi  =  Li  cos  (Ix)  -f-  Ml  cos  (mx)  -(-  Ni  cos  (nx), 
und  eben  solche  Gleichungen  gelten  für  X2  und  X3. 


Neues  eleetrodynamisches  Grundgesetz.         243 

Setzt  man  nun  in  die  vorige  Gleichung  für  Li,  31^  und  iVj 
die  unter  (8),  (12)  und  (13)  gegebenen  Wertlie  ein,  und  berück- 
sichtigt bei  der  Addition  der  drei  Glieder  die  Gleichungen: 


(16) 


dl  .^  .    ,     dm  .      .    .     dn         ,     .        dx 

Tt '''  ^^'^  +  irr '''  ^^'^^^  +  -dT '''  ^^^^  =  TV 


d^l         /7  X    1    d^m         ,      .     ,    d'^n         .      ,         d,'^x 
^2  COS  {Ix)  +  j^  cos  (mx)  +  j^  cos  (nx)  =  ■^, 

so  kommt: 


(17) 


__       c?^         ^    d'x        ^    dl^dx        V  dl 

^'  =  ^dt^^''d¥  +  ^'dtdt^[^'^~-^^dt 

+  (Ä,  -  ^i)  1^  +  (-4.  -  Sd  Q^)  +  A  v^\  cos  (Ix). 


X 


Hierin  substituiren  wir  für  cos  (Ix)  seinen  Werth ,  und 

.     1      .      . 

zwar  multipliciren  wir  mit  —  die  einzelnen  innerhalb  der  eckigen 

Klammer  stehenden  Glieder,  während  wir  x  —  x'  als  gemeinsamen 
Factor  ausserhalb  der  Klammer  stehen  lassen. 

Ferner  wollen  wir  für  die  Differentialcoefficienten  von  l  die- 
jenigen von  r  einführen.  Es  ist  schon  oben  gesagt,  dass  der  Ab- 
stand r  der  Theilchen  e  und  e'  von  einander  zur  Zeit  t  einfach 
durch  die  Differenz  l  —  l'  dargestellt  wird,  weil  zu  dieser  Zeit  die 
Coordinaten  m,  n^  m'  und  n'  gleich  Null  sind.  Will  man  aber  die 
Grögse  r  differentiiren ,  so  muss  man  dazu  den  allgemeinen  Aus- 
druck 


r  =  ]/  (l  —  l'y  -^  (m  —  my  +  (n  —  ny 

anwenden,  und  erst  nach  vollzogener  Difierentiation  darf  man 
m  — •  m'  =  n  —  %'  =  0  setzen.  Für  die  Differentiation  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  sich  die  Coordinaten  ?,  m,  n  nur  durch  die  Be- 
wegung des  Theilchens  e  und  die  Coordinaten  Z',  »*',  n'  nur  durch 
die  Bewegung  des  Theilchens  e'  ändern,  während  r  sich  durch  die 
Bewegung  beider  Theilchen  ändert.  Die  den  beiden  einzelnen  Be- 
wegungen entsprechenden  Aenderungen  von  r  kann  man  dadurch 
von  einander  unterscheiden,  dass  man  r  als  Function  der  von  den 
beiden  Theilchen  beschriebenen  Bahnlängen  s  und  s',  und  diese 
Bahnlängen  ihrerseits  als  Functionen  von  t  betrachtet.  Dann  kann 
man  die  Differentiationen,  welche  sich  nur  auf  die  Bewegung  des 
Theilchens  e  beziehen,  so  ausführen: 

16* 


,  dm 


n') 


an 


] 


dl   ,   ,  ,,  dm  ,   ,         ,.  dnV 


244  Abschnitt  IX 

drds       1  r.7      ,^  dl    .    . 

In  diesen  Gleichungen  kann  nun 

m  —  m'  =  n  —  n'  =  0  und  l  —  V  =z  r 
gesetzt  werden,  und  zugleich  kann  man  setzen: 

'ds\^ 


dt 


Aus  den  dadurch   entstehenden  Gleichungen  ergeben  sich  für  die 
Differentialcoefficienten  von  l  folgende  Ausdrücke: 

dl  dr  ds 

dt  ~  dsdt' 

72, 


(18) 
(19) 


dH 

df 


-[ 


82r    ,    j^ 


_  n  /^Y        dr  d^s 
,dt)   '^  dsd¥ 


r\  \c 


Diese  Ausdrücke  haben  wir  in  (17)  einzusetzen,  wobei  wir  der 

Gleichförmigkeit  wegen  auch  v^  durch  ( -^  j    ersetzen  wollen.    Für 

die  dann  in  der  eckigen  Klammer  stehenden  Functionen  von  r,  mit 
welchen  die  Dififerentialcoefficienten  multiplicirt  sind ,  wollen  wir 
zur  Abkürzung  die  einfachen  Zeichen  C,  Ci,  Cg  und  Cg  einführen. 
Dann  lautet  die  Gleichung : 

^'  =  -^  '^  ~^  -^^  ^  '^  ^'  dSlt  dt 


(20) 


dt 


dt' 


x'). 


Ganz  ebenso  erhält  man; 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  245 

^'-^'IT'^-^'dW-^^'d^'dtdt 

^^  ^^  8s'  dt'j  '.■^-■^> 
Was  nun  noch  die  dritte  zu  bestimmende  Grösse  X3  anbe- 
trifft, so  hat  man,  um  sie  auszudrücken,  in  die  Gleichung 
X3  =  Zj  cos  (Ix)  -\-  Jfg  cos  (mx)  -\-  iVs  cos  (wa:;) 
für  i.j,  ilfg  und  JV^^  die  unter  (10),  (12)  und  (13)  gegebenen  Werthe 
einzusetzen.    Wenn  man  dann  bei  der  Addition  der  drei  Glieder 
wieder  die  erste  der  Gleichungen  (16)  berücksichtigt,  so  kommt: 

^'"^^-^'Tt-dt^-^'TtlÜ 

+  I  (J.8  —  B,—B^)  ^  ^  4-  ^9  v  v'  cos  £  I  cos  {Ix), 

welche  Gleichung  sich  dem  Obigen  entsprechend  auch  so  schrei- 
ben lässt: 


(22) 


-^  T>   ^f  dx'  ds    .    -n    dr  dx  ds' 

^  ~~     '  d~s  Wdt  '^     '  dJ'  M  It 

r  dr  dr    ,     ^  \  ,  ,^  ds  ds' 

dt  dt 


(^'  ä^  ß?  +  ^'  ^^^ ')  ^^  ~  ^'^ 


Nachdem  die  drei  Grössen  Xi,  X^  und  X^  ausgedrückt  sind, 
kann  man  die  ganze  Grösse  X  aus  der  Gleichung 

(23)  X  =  ^^  +  X,  +  X,  +  X, 

erhalten. 

Ebenso  kann  man  natürlich  auch  die  Grössen  Y  und  Z  dar- 
stellen, wozu  man  in  den  vorstehenden  Gleichungen  nur  die  spe- 
ciell  auf  die  ^-Axe  bezüglichen  Grössen  durch  die  entsprechenden, 
auf  die  y-kxe  oder  auf  die  ^-Axe  bezüglichen  Grössen  zu  ersetzen 
hat,  während  man  alles  auf  r  bezügliche  unverändert  beibehält. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  die  in  den  Gleichungen  (20),  (21) 
und  (22)  vorkommenden,  bisher  unbestimmt  gelassenen  Functio- 
nen von  r  zu  bestimmen. 


246  Abschnitt  IX. 


§.  7.    Bestimmung  der  in   X2  vorkommenden 
Functionen. 

Um  zunächst  die  in  Xg  vorkommenden  Functionen  theilweise 
zu  bestimmen,  möge  von  dem  Satze  Gebrauch  gemacht  werden, 
welcher  schon  in  den  Paragraphen  2  und  3  angewandt  wurde,  näm- 
lich dass  ein  in  einem  ruhenden  Leiter  stattfindender 
geschlossener  und  constanter  galvanischerStrom  auf 
ruTiende  Electricität  keine  bewegende  Kraft  ausübt. 

Zur  Vermeidung  von  Missverständnissen  wird  es  zweckmässig 
sein,  diesem  Satze  noch  einige  Erläuterungen  beizufügen. 

Wenn  irgendwo  Electricität  von  Einer  Art,  also  z.  B.  positive 
Electricität  angehäuft  ist,  so  übt  diese  auf  jeden  in  ihrer  Nähe 
befindlichen  leitenden  Körper  eine  electrostatische  Inüuenzwirkung 
aus  und  erleidet  demgemäss  auch  die  Gegenwirkung  der  durch 
Influenz  auf  dem  Leiter  angehäuften  Electricität.  Diese  Art  von 
Wechselwirkung  findet  natürlich  auch  zwischen  dem  Leiter  des 
galvanischen  Stromes  und  jener  als  vorhanden  angenommenen 
ruhenden  Electricitätsmenge  statt.  Sie  ist  aber  von  dem  in  dem 
Leiter  stattfindenden  Strome  ganz  unabhängig  und  braucht  daher 
hier  nicht  in  Betracht  gezogen  zu  werden. 

Ferner  befindet  sich  auf  der  Oberfläche  eines  Leiters,  wäh- 
rend er  von  einem  Strome  durchflössen  wird ,  eine  gewisse  Menge 
getrennter  Electricität,  von  welcher  die  auf  die  strömende  Electri- 
cität wirkende,  zur  Ueberwindung  des  Leitungswiderstandes  nöthige 
treibende  Kraft  herrührt.  Diese  Electricität  kann  ebenfalls  auf  die 
als  vorhanden  angenommene  ruhende  Electricitätsmenge  eine  Kraft 
ausüben;  aber  auch  von  dieser  Kraft  können  wir  hier  absehen,  da 
sie  mit  der  von  uns  zu  betrachtenden  Kraft,  welche  die  strömende 
Electricität  wegen  ihrer  Bewegung  ausübt,  in  keinem  Zusammen- 
hange steht,  und  nicht  nur  für  die  theoretische  Betrachtung,  son- 
dern auch  für  die  Beobachtung  davon  getrennt  werden  kann.  Man 
kann  nämlich  dem  Leiter  des  galvanischen  Stromes  eine  solche 
Form  geben,  dass  die  Theile,  welche  am  meisten  positiv  electrisch 
sind,  denen,  welche  am  meisten  negativ  electrisch  sind,  sehr  nahe 
liegen,  z.  B.  die  Form  einer  Spirale,  welche  aus  zwei  Lagen  von 
Windungen  besteht,  die  so  gewickelt  sind,  dass  die  Windungen 
der  zweiten  Lage  nach  derselben  Seite  zurückgehen,  von  welcher 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  247 

die  der  ersten  ausgingen.  Dann  hebt  sich  die  von  jener  getrenn- 
ten Electricität  ausgeübte  Kraft  zum  grössten  Theile  auf,  während 
die  von  der  strömenden  Electricität  ausgeübte  Kraft  bestehen 
bleibt.  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  bei  einem  Magneten,  dessen 
Molecularströme,  in  Bezug  auf  die  von  ihnen  ausgeübte  Kraft,  der- 
selben Betrachtung,  wie  geschlossene  galvanische  Ströme,  unter- 
worfen werden  können,  jene  getrennte  Electricität,  welche  beim 
galvanischen  Strome  auf  die  strömende  Electricität  treibend  wirkt, 
überhaupt  nicht  vorhanden  ist. 

Demnach  können  wir  von  jenen  Nebenwirkungen  ganz  absehen, 
und  uns  auf  die  vom  Strome  selbst  ausgeübten  Wirkungen  be- 
schränken. 

Wir  denken  uns  also,  wie  in  §.2,  im  Puncte  x,  y,  z  eine 
ruhende  positive  Electricitätseinheit ,  und  im  Puncte  x\  y\  z'  ein 
Stromelement  ds'  befindlich,  welches  letztere  aus  der  sich  bewe- 
genden positiven  Electricitätsmenge  li' ds'  und  aus  der  ruhenden 
negativen  Electricitätsmenge  —  h'  ds'  besteht.  Diese  beiden  Elec- 
tricitätsmengen  üben  auf  die  ruhende  Electricitätseinheit  Kräfte 
aus,  deren  in  die  ;r-Richtung  fallende  Componenten  sind: 


h'ds'  (^^  +  X,)    und    -  h'ds'  - 


Die  Summe  dieser  beiden  ist  die  a;-Componente  der  von  dem  Strom- 
elemente   auf  die    Electricitätseinheit   ausgeübten   Kraft,   welche 

Componente,  wie  früher,  mit  ^  ds'  bezeichnet  werden  möge.  Wir 

erhalten  also  die  Gleichung: 

^,ds'  =  h'ds'X,. 

■ds 

Hierin  haben   wir  für  X^   den  unter  (21)  gegebenen  Ausdruck  zu 
setzen.    Dabei  wollen  wir  statt 

-r-     und     -TTö- 
dt  dv 

die  gleichbedeutenden  Formeln 

d^d^  <Px[  /dsy    .    d^  d^ 

ds'  dt  ds'^\dt)   ^  ds'  df 

anwenden  und  wegen  der  Voraussetzung,  dass  der  Strom  constant 

d^s' 
sei,  -^  =  0  setzen.    Dann  lautet  die  Gleichung: 


248 


Abschnitt  IX. 


jlf  ..=.'..  {[^3  :j^  +  c.  (.-.')  |j]|: 


(24) 


t^s'2 


+  (a|J^+Ce 


es'  £?s' 

er\2 
8?. 


-f  Cr  )  (ic  —  a;') 


Dieser  Ausdruck  muss,  jenem  Satze  nach,  bei  der  Integration 
über  einen  behebigen  geschlossenen  Strom  Null  geben.  Wenn 
aber  das  Integral  des  ganzen  Ausdruckes,  unabhängig  von  der 
Stromintensität,  Null  sein  soll,  so  müssen  die  Integrale  der  beiden 

mit  -j-  und  ( -j-  j    multiplicirten  Glieder  einzeln  Null  sein.    Die  in 

den  beiden  eckigen  Klammern  stehenden  Ausdrücke  müssen  dem- 
nach vollständige  Differentialcoefficienten  nach  s'  sein,  ohne  dass 
dazu  zwischen  r  und  x'  irgend  eine  specielle  Relation  angenom- 
men zu  werden  braucht. 

Wenn  der  erste  Ausdruck  ein  Differentialcoefficient  nach  .s' 
sein  soll,  so  kann  er,  wie  man  sofort  aus  seiner  Form  ersieht,  nur 
gleich 


-  w?  [^'  (^ 


x')] 


sein,  und  dazu  ist  erforderlich,  dass  die  Gleichung 

(25)  ^*  =  -'# 

erfüllt  ist. 

Ebenso  ist  beim  zweiten  Ausdrucke ,  wenn  man  die  Glieder, 
welche  Differentialcoefficienten  zweiter  Ordnung  enthalten,  ins 
Auge  fasst,  sofort  ersichtlich,  dass  er  nur  mit  folgendem  Differen- 
tialcoefficienten übereinstimmen  kann: 

8    r      dx'  ^T~\ 

wozu  erforderlich  ist,  dass  die  Gleichungen 

l  6V  =  0 


(26) 


Csi 


erfüllt  sind. 


Neues  electrodynamisches  Glrundgesetz.  249 

Auf  diese  Weise  sind  die  in  der  Gleichung  (21)  vorkommen- 
den sieben  unbestimmten  Functionen  auf  drei  zurückgeführt,  und 
jene  Gleichung  lässt  sich  nun  so  schreiben: 


(27) 


X,  =  - 


d  [B-i  (x  —  x')]  ds' 


ds' 


dt 


ds\^ 


+ [^*  !>' + «^  (-  -  -')  I?] 


dt^ 


§.  8.     Bestimmung  der  in    Xi   vorkommenden 
Functionen. 


Bei  der  Behandlung  der  Grösse  Xi  können  wir  einen  dem 
vorigen  ähnlichen  Erfahrungssatz  anwenden,  nämlich  den  folgen- 
den: eine  ruhende  Electricitätsmenge  übt  auf  einen 
in  einem  ruhenden  Leiter  stattfindenden  geschlosse- 
nen und  Constanten  galvanischen  Strom  keine  Kraft 
aus. 

Für  diesen  Satz  gelten  dieselben  Erläuterungen,  welche  dem 
im  vorigen  Paragraphen  angewandten  hinzugefügt  sind. 

Um  diesen  Satz  anzuwenden ,  denken  wir  uns  im  Puncte  x\ 
i/',  /  eine  ruhende  Electricitätseinheit  und  im  Puncte  ^,  ^,  ^  ein 
Stromelement  ds,  welches  die  bewegte  Electricitätsmenge  hds 
und  die  ruhende  Electricitätsmenge  —  hds  enthält.  Die  a;-Com- 
ponenten  der  Kräfte,  welche  diese  beiden  von  der  ruhenden  Elec- 
tricitätseinheit erleiden,  sind: 


hds 


+  -^i) 


und    —  hds 


Demnach  wird  die  a; - Componente  der  Kraft,  welche  das  Strom- 
element von  der  Electricitätseinheit  erleidet,  durch  das  Product 
hdsXi  dargestellt,   worin  für   Xi  der  unter  (20)  gegebene  Aus- 

druck  zu  setzen  ist.    Wenn  wir  dkbei  wieder  für  -4r  und  ^-nr  die 

dt  dtr 

Formeln 


dx  ds        ,    d^x  /dsY 
ds  dt  ds^ 


/dsy    .    da 
\dt)    "*"  ^ 


dx  d^  s 
s  di^ 


250  Absclmitt  IX. 


dt' 
setzen,  so  lautet  der  Ausdruck: 


anwenden,  und  zugleich,  weil  der  Strom  constant  sein  soll,  ^^ 


Hieraus  können  wir  nun  zunächst  ganz  entsprechende  Schlüsse 
ziehen ,  wie  im  vorigen  Paragraphen.  Wenn  nämlich  die  Electri- 
citätseinheit  auf  den  ganzen  Strom  keine  nach  der  a^-Richtung  ge- 
hende Kraft  ausüben  soll,  so  muss  das  auf  den  ganzen  Strom  aus- 
gedehnte Integral  des  Ausdruckes  Null  sein,  und  daraus  erhält 
man,  entsprechend  den  Gleichungen  (25)  und  (26),  die  Gleichungen: 
dB 


(28) 


dr 
73    (iJji     1^^         ^   dCi       ^ 


Ausserdem  können  aber  im  vorliegenden  Falle  noch  weitere 
Schlüsse  gezogen  werden.  Der  Satz  sagt  nämlich  nicht  nur  aus, 
dass  die  Electricitätseinheit  den  Strom  nach  keiner  Richtung  zu 
bewegen  sucht,  sondern  auch,  dass  sie  ihn  um  keine  Axe  zu  drehen 
sucht,  und  daraus  ergeben  sich  ebenfalls  gewisse  Gleichungen. 

Da  die  Wahl  der  Axe  beliebig  ist,  so  wollen  wir  die  durch 
den  Punct  x\  y',  s'  gehende,  der  ^-Axe  parallele  Gerade  als  Axe 
wählen,  und  für  sie  das  Drehungsmoment  bestimmen.  Der  obige 
Ausdruck  für  die  x  -  Componente  der  Kraft ,  welche  das  Strom- 
element ds  von  der  ruhenden  Electricitätseinheit  erleidet,  lässt 
sich  in  Folge  der  Gleichungen  (28)  in  nachstehende  Form  bringen: 

Jids  TT-, 
ds 

worin  P  eine  durch  folgende  Gleichung  bestimmte  Grösse  ist : 

(29)   P  =  B  (.  _  .0  If  +  [b.  ^  +  C,  (.  -  .■)  1^]  (^)  ■ 
Ebenso  gilt  für  die  ^/-Componente  jener  Kraft  der  Ausdruck: 

hds  ^, 

ds 

worin  Q  durch  folgende  Gleichung  bestimmt  wird: 


Neues  electrodynaminches  Grundgesetz.         251 


(30)    e  =  B  (,-,')  If  +  [b.  I  +  C,(,j-  ,f)  I]  (%  > 


fZsy 


Hieraus  ergiebt  sich  für  das  Drehungsmoment  dieser  Kraft  der 
Ausdruck : 


h 


[(-  -  /)  If  -  (!/  -  ^/)  'i\  'i' 


Wenn  nun  die  ruhende  Electricitätseinheit  einen  geschlosse- 
nen Strom  nicht  zu  drehen  sucht,  so  muss  das  Integral  dieses  Aus- 
druckes für  jeden  geschlossenen  Strom  Null  sein.  Der  Ausdruck 
lässt  sich  auch  so  schreiben: 

und  da  hierin  das  erste  Glied  ein  Differential  ist,  welches  jeden- 
falls bei  der  Integration  Null  giebt,  so  muss  auch  das  zweite  Glied 
Null  geben.  Dieses  nimmt  aber,  wenn  für  P  und  Q  die  in  (29) 
und  (30)  gegebenen  Werthe  gesetzt  werden,  folgende  Form  an: 

und  man  sieht  sofort,  dass  dieser  Ausdruck  kein  vollständiges  Diffe- 
rential ist,  und  nur  dann  für  jeden  geschlossenen  Strom  das  Inte- 
gral Null  geben  kann,  wenn  er  selbst  durch  den  in  der  zweiten 
eckigen  Klammer  stehenden  Factor  Null  wird.  Damit  aber  dieser 
Factor,  unabhängig  von  der  Stromstärke,  Null  werde,  muss  sein: 

(31)  ^  =  0    und     C\  =  0. 

Verbindet  man  diese  neuen  Gleichungen  mit  den  unter  (28)  gege- 
benen, so  gehen  die  letzteren  über  in: 

(32)  0=0;     ^2  =  ^;     C,  =  0-     C,  =  0. 

Dadurch  sind  die  sieben  in  dem  Ausdrucke  von  Xi  vorkom- 
menden unbestimmten  Functionen  auf  Eine  reducirt,  und  die  Glei- 
chung (20)  geht  über  in : 

(33)  X.=A/£,^Uf£y+£/'-<'=^ 


ds  \    '  dsj  \dt)     '       '  ds  df 


252  Abschnitt  IX. 


§.  9.     Bestimmung  der  in  X3   vorkommenden 
Functionen. 

um  nun  die  in  X3  vorkommenden  Functionen  zu  bestimmen, 
wollen  wir  die  gegenseitige  Einwirkung  zweier  in  ruhenden  Leitern 
stattfindenden  Ströme  betrachten. 

In  den  Puncten  x.,  y,  s  und  x\  y\  s,'  seien  zwei  Stromelemente 
ds  und  £^s',  welche  die  bewegten  Electricitätsmengen  /^6?s  und 
Ä'  ds'  und  die  ruhenden  Electricitätsmengen  —  Ji  ds  und  —  Ä'  ds' 
enthalten.  Um  nun  die  Kraft  zu  bestimmen,  welche  das  Strom- 
element d$  von  dem  Stromelemente  ds'  erleidet,  müssen  wir  die 
vier  Kräfte  betrachten,  welche  die  Menge  ]ids  von  den  beiden 
Mengen  li'  ds'  und  — }^  d^  und  die  Menge  —  lids  von  den  beiden 
Mengen  y  ds'  und  —  1^ ds'  erleidet.  Die  in  die  a;-Kichtung  fallen- 
den Componenten  dieser  vier  Kräfte  sind: 

li^dsd^  i^^  +  Xi  +  X2  +  X3), 

—  hh'dsds'(- — f-  Xi  j, 

-  hh'  ds  ds'  (^-^  +  XX 


hh'  dsds' 


r 


Durch  Addition  derselben  erhalten  wir  für  die  ic-Componente  der 
Kraft,  welche  das  Stromelement  ds  von  dem  Stromelemente  ds' 
erleidet,  einfach  das  Product 

hh'  ds  ds'  X3, 
worin  wir  für  X3  den   in  (22)   gegebenen  Ausdruck  anzuwenden 
haben. 

Dem  letzteren  wollen  wir  aber  erst  noch  eine  für  die  Integra- 
tion geeignetere  Gestalt  geben.  Die  darin  vorkommende  Grösse 
cos  E  können  wir  durch  einen  Differentialcoefficienten  ersetzen. 
Aus  der  Gleichung 

r^  =  (x  —  x'y  +  (y  —  y'Y-  +  (^  —  ^'Y 
ßrhält  man  nämlich  durch  zweimalige  Differentiation: 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         253 

d^(r'^) „  /dx  dx'    ,    di)  dy'    ,    dz  dz'\ 

^  ^  8sW  ~  ~     \ds  d^' '^  't^  t^'  ^  lü  d^ r 

und  da  der  rechts  in  Klammern  stehende  Ausdruck  nichts  anderes 

ist,  als  cos  £,  so  kommt : 

1     8-'(y2) 


(35)  C08  £  = 


2  Bs  Ös' 


Wenn  wir  diesen  Ausdruck  für  cos  s  einsetzen  und  zugleich  statt 

y7 /VI  ^t'  (tOC  eis 

-Y-  und  —7 ,  wie  in  den  vorigen  Paragraphen,  die  Producte  — — =- 

et  V  eil  (i  S    (i-v 

und  -r-7  ^-T  anwenden,  so  lautet  die  Gleichung  (22) : 
ds   dt 

,^        ds  ds'  \  j^   dr  dx'    .    ^    dr  dx 

(36)  ^■^  =  Ttdt[^'rsd7^-^'d7Ts 

Hieraus  soll  nun  noch  das  Product  Cg  —  ^—,  fortgeschafft  werden. 

Dazu  möge  eine  Function  E  von  r  eingeführt  werden,  welche 
zu  Cg  in  folgender  Beziehung  steht: 

E  =  I  rdr  1  — ^  dr, 

woraus  folgt: 

1  dE  rCs    1  j        d    n  dE\        ^ 

7—  =  /  —  dr    und    r  ^-  ( ^—  )  =  Cs . 

r    ar        J     r  dr  \r    dr/ 

Differentiiren  wir  diese  Function  E  nach  s  und  s',  so  können  wir 
den  Differentialcoefficienten  folgende  Formen  geben 
dE  _  dE  dr  _  J^  dE  djr'-) 
ds         dr  ds       2r  dr     ds 
d^E   _  ]_dE  82 (r 2)    ,    1  ^  /J_  ^\  dr_  d (r"^) 
dsds'        2r  dr  dsds'    '     2  dr  \r   dr J  es'    ds 

~"  2r  dr  dsds'  "^    ''  ds  ds" 
und  wir  erhalten  daher : 

8r  er l_dE  82  (^2)       _82£ 

'^  ?^s   8.q'  '>,r   r7r    't)s?)a'     "^  ri 


Setzt  man  diesen  Werth  von  Og  :r-  --:  in  die  Gleichung  (36)  ein, 

8s  8s  o  V    /       ? 

und  wendet  dabei  für 


254  Abschnitt  IX. 

1/1  dE 

das  vereinfachte  Zeichen  Ej^  an,  so  kommt: 
„  ds  ds'  V-r.   dr  dx'  _,    -p    'öv  dx 

^^^^  ^'-Ttdtr'd'sdV'^-^'d^d^ 

Ferner  kann  gesetzt  werden: 

82JS    ,          ,,        82r^(^_a;')l    ,    8^6^^       'dE  dx 
-,{x-  x!)  =      \^^, '-  + 


dsds'  3s  8s'  8s  c^s'        8s'  (is ' 

und  wenn  man  dabei  noch  zur  Vereinfachung  die  Zeichen  E2  und 
E3  mit  den  Bedeutungen 

£,  =  5.  +  f    und    £,  =  B,-f 

einführt,  so  geht  die  Gleichung  (37)  über  in: 

/oQN     Y   _^sds'  j  d^  (r'O  8r  (?ä;'  8r  (^a; 

8^[£;(a;  — ^')]] 
"^  8s8s'        j 

Den  so  umgestalteten  Ausdruck  von  X3  multipliciren  wir  mit 
hh' ds  ds\  um  die  rr-Componente  der  Kraft  zu  erhalten,  welche 
das  Stromelement  ds  von  dem  Stromelemente  ds'  erleidet. 

Führt  man  dann,  um  die  a;-Componente  der  Kraft,  welche  das 
Stromelement  ds  von  dem  ganzen  als  geschlossen  vorausgesetzten 
Strome  s'  erleidet,  zu  erhalten,  die  Integration  nach  s'  aus,  so  tre- 
ten dabei  einige  Vereinfachungen  ein.  Das  letzte  Glied  des  vori- 
gen Ausdruckes  ist  nämlich  ein  Diflferentialcoefficient  nach  s',  und 

im  vorletzten  Gliede  ist  der  Factor  -j-  von  s'  unabhängig,  so  dass 

er  bei  der  Integration  als  constant  behandelt  werden  kann ,  und 

der  andere  Factor  Eo  — -.  ist  wiederum  ein  Differentialcoefficient 

"*  8s' 

nach  s'.  Beide  Glieder  geben  also  bei  der  Integration  über  einen 
geschlossenen  Strom  den  Werth  Null,  und  es  bleibt: 

(39)    hh'dsfx^ds' 

-j  ,,  ds  ds'  ,     n^  .  ,^  82(r2)    ,    „  8r  dx^-\  ^  , 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         255 

Wenn  man  diesen  Ausdruck  auch  noch  nach  s  integrirt,  so 
erhält  man  die  Kraft,  mit  welcher  der  Strom  s'  den  ganzen  Strom 
s  nach  der  aj-Richtung  zu  verschieben  sucht.  Diese  Integration 
bringt  für  den  Fall,  dass  auch  der  Strom  s  geschlossen  ist,  wiederum 

ein  Glied  zum  Verschwinden.     In  dem  Gliede  Eo  7: — 7-7  ist  näm- 

^  ds  ds' 

lieh   der  Factor  -^-j  von  s  unabhängig  und   der   andere  Factor 
E2  ■;—  ist  ein  Differentialcoefficient  nach  s  und  giebt  somit  bei  der 

OS 

Integration  Null.    Es  kommt  also: 

(40)   kh'ffx,  äs  ds'  =  hh'  ^  %ffE,  (.  _  .')  |ife^  ds  ds'. 

Dieses  Resultat  können  wir  mit  einem  vollkommen  feststehen- 
den Ergebnisse  der  Ampere'schen  Theorie  vergleichen,  indem 
diese  Theorie ,  soweit  sie  sich  auf  die  von  geschlossenen  Strömen 
auf  einander  ausgeübten  Kräfte  bezieht,  als  durchaus  zuverlässig 
anzusehen  ist.  Nun  wird  nach  dieser  Theorie  die  Kraft,  mit  wel- 
cher ein  geschlossener  Strom  s'  einen  anderen  geschlossenen  Strom 
s  nach  der  a?-Richtung  zu  bewegen  sucht,  durch  den  Ausdruck 


Icii'  I    I —  cos  s  ds  ds' 


dargestellt,  worin  i  und  i'  die  beiden  Stromintensitäten  sind,  und 
h  eine  Constante  bedeutet.   Diesen  Ausdruck  kann  man,  wenn  man 

i  und  i'  durch  h  j-  und  h'  -7-  und  cos  £,  gemäss  Gleichung  (35), 

durch  —  —  ^  \  ,  ersetzt,  in  folgende  Gestalt  bringen: 

2  öS  OS 

,,,ds  ds'  r  r  Tc   ,       ,.  an»--)  ,  7 , 

dt  dtj  J   2r-'  OS  es 

und  wenn  man  ihn  dann  mit  dem  in  (40)  gegebenen  Ausdrucke 
vergleicht,  so  sieht  man,  dass  zu  setzen  ist: 

(")  ^'  =  27i- 

Um  auch  noch  die  andere  in  (39)  vorkommende,  mit  Eo  be- 
zeichnete Function  zu  bestimmen,  wenden  wir  den  ebenfalls  that- 
sächUch  feststehenden  Satz  an,  dass   ein  in  einem  ruhenden 


256  Abschnitt  IX. 

Leiter  stattfindender  geschlossener  und  constanter  gal- 
vanischer Strom  einen  anderen  in  einem  ruhenden  Lei- 
ter stattfindenden  geschlossenen  galvanischen  Strom  in 
seiner  Intensität  nicht  zu  ändern  sucht. 

Der  in  (39)  gegehene  Ausdruck,  welcher  nach  Einsetzung  des 
eben  gefundenen  Werthes  von  Ei  lautet: 

dt  dt       J    L      2r2        dsds     '  ds  ds  \ 

bedeutet  seiner  Entwickelung  nach  die  aj-Componente  derjenigen 
Kraft,  welche  der  geschlossene  Strom  s'  auf  das  Stromelement  ds^ 
also  auf  die  beiden  in  dem  Leiterelemente  ds  befindlichen  Electri- 
citätsmengen  hds  und  —  hds  ausübt.  Nun  ist  aber  die  negative 
Electricitätsmenge  — hds  in  Ruhe,  und  auf  ruhende  Electricität 
kann  nach  dem  in  §.  6  angewandten  Satze  der  geschlossene  gal- 
vanische Strom  keine  Kraft  ausüben.  Demnach  lässt  sich  der 
obige  Ausdruck  auch  in  dem  Sinne  auffassen,  dass  er  die  x-Govix- 
ponente  derjenigen  Kraft  bedeutet,  welche  der  geschlossene 
Strom  s'  auf  die  in  dem  Leiterelemente  ds  befindliche 
positive  Electricitätsmenge  lids  ausübt. 

Um  auch  die  in  die  Richtung  des  Elementes  ds  fallende  und 
somit  auf  Stromverstärkung  hinwirkende  Componente  dieser  Kraft 
bequem  darstellen  zu  können,  wollen  wir  dem  Ausdrucke  noch 
eine  etwas  veränderte  Gestalt  geben.    Aus  der  Gleichung 

r^  =  (x  —  x'Y  -f  («/  —  y'y  +  (^  —  s'y 

folgt  nämlich: 

{  d  (r2) 


(42) 


_  2{x  —  x'), 
ox  ^  ^ 

02  (r^)  _  _  2  ^' 
'dxos'  ds' 


Wenn  man  mittelst  dieser  Gleichungen  x  —  x'  und  -^-j-  aus  ienem 

^  ds'         "^ 

dr  1  9(r2) 

Ausdrucke  eliminirt,  und  zugleich  ;:—  in  der  Form  - — ^-^  schreibt, 

ds  2r   ds 

so  geht  er  über  in: 

,  ^^j^,  äsdi^^  rn  djr^  dHr^  _E,d(j^  5Hr!)l  ^,.. 

*         dt  dt      J   [_r^    dx    dsds'        r     ds    dxds'] 

Will  man  nun  statt  der  in  die  willkürlich  gewählte  a;-Rich- 
tung  fallenden  Componente  der  Kraft  die  in  die  Richtung  des  Ele- 


Neues  electrodynamisches  (Irundgesetz.  257 

mentes  ds  fallende  Componente  haben,  so  braucht  man  nur  die 
Difl'erentialcoefficienten  nach  x  durch  entsprechende  Differential- 
coefficienten  nach  s  zu  ersetzen,  wodurch  man  erhält: 

1  hh'  'll  ^  Je  f  l  ?i!l)  ?1^  _  E^djr^  dHrm   .. 
'"'\U  dt     V   Ir'    ds    dsds'         r      ds    dsds'j^ 

oder  anders  geschrieben: 


'""  dt  dt   "^V  V         rjds'  l 


'^''^v,,> 


ds 

Dieser  Ausdruck  stellt  die  in  einem  einzelnen  Elemente  ds 
im  Sinne  der  Stromverstärkung  wirkende  Kraft  dar.  Soll  nun  die 
Intensität  des  Stromes  ungeändert  bleiben,  so  muss  das  über  den 
ganzen  geschlossenen  Strom  s  ausgedehnte  Integral  dieses  Aus- 
druckes Null  sein.  Das  in  dem  Ausdrucke  schon  vorkommende 
über  den  Strom  s'  zu  nehmende  Integral 


J   \r^         r  J  OS  l  CS  j 


mit  welchem  das  Element  ds  multiplicirt  ist,  muss  also  entweder 
die  Form  eines  Differentialcoefficienten  nach  s  haben,  oder  Null 
sein.  Da  nun  das  erstere  durch  keine  Form  der  Function  E.,  zu 
bewirken  ist,  so  muss  man  E^  so  bestimmen,  dass  das  Integral  Null 
wird,  was  erfordert,  dass  man  setzt: 
^  _  ^  _ 

worin  c  irgend  eine  Constante  bedeutet,  indem  nur  dadurch  der 
unter  dem  Integralzeichen  stehende  Ausdruck  ein  Differential  und 
somit  das  Integral  selbst  für  jeden  geschlossenen  Strom  Null  wer- 
den kann. 

Aus  dieser  Gleichung  folgt: 

E^  =  —  —  er. 

Da  nun  aber  das  hierin  vorkommende  Glied  —  er  in  dem  Aus- 
drucke von  X3  ein  Glied  geben  würde,  welches  mit  wachsendem 
Abstände  r  grösser  würde,  und  ein  solches  Glied  in  dem  Ausdrucke 
der  Kraftcomponente  nicht  vorkommen  kann,  so  muss  die  Con- 
stante c  gleich  Null  gesetzt  werden,  und  man  erhält  somit  zur  Be- 
stimmung von  E.2  die  Gleichung: 

(43)  ^2  =  ^- 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.    II.  iy 


258  Absclmitt  IX. 

Es  sind  also  von  den  vier  in  dem  unter  (38)  gegebenen  Aus- 
drucke von  X3  vorkommenden  unbestimmten  Functionen  von  r 
zwei  bestimmt,  und  durch  Einsetzung  ihrer  Werthe  geht  die  Glei- 
chung (38)  über  in: 

^  _\'k{x  —  x')'d'^  (r2)    ,^8^^i7^    8r^ 
(44)      A3  —  I      -^^         g^^  -+-  ^2  gg  ^g,  -t-  ^3  gg,  ^g 

?)'^\E{x  —  x')\\  äs  ds' 


d^yE{x-x')\\ 
"^  dsds'        ] 


dt  dt 


§.  10.    Anwendung  der  Inductionsgesetze. 

Während  wir  bisher  nur  constante  Ströme  in  ruhenden  Lei- 
tern betrachtet  haben,  wollen  wir  jetzt  von  der  Beschränkung, 
dass  die  Ströme  constant  seien,  absehen  und  ferner  noch  die  An- 
nahme machen,  dass  der  Leiter  s  sich  bewege.  Der  Einfachheit 
wegen  wollen  wir  aber  voraussetzen,  dieser  Leiter  ändere  seine 
Gestalt  nicht,  und  bewege  sich  nur  mit  sich  selbst  parallel,  so  dass 
alle  seine  Elemente  während  des  Zeitelementes  dt  ein  gleich  grosses 
Wegelement  d6  nach  gleicher  Kichtung  zurücklegen. 

Dann  hat  jedes  in  dem  Leiter  s  befindliche  positive  Electri- 

citätstheilchen  gleichzeitig  zwei  Bewegungen,  die,  mit  welcher  es 

ds 
sich  im  Leiter  bewegt,  und  deren  Geschwindigkeit  -y  ist,  und  die, 

mit  welcher  der  Leiter  sich  bewegt,  und  deren    Geschwindigkeit 

—  ist.     Demnach  müssen  die  auf  die  Bewegung  dieses  Electri- 
dt 

citätstheilchens  bezüglichen   Differentialcoefficienten   nach  t  jetzt 

anders  ausgedrückt   werden   als  früher.     Statt   eines  Ausdruckes 

von  der  Form 

dV  ds 

ds  dt' 
worin   V  irgend  eine  von  der  Lage  des  Electricitätstheilchens  ab- 
hängige Grösse  bedeutet,  muss  jetzt  gesetzt  werden: 

dUdsd_Ud6 

'ds  dt  '^  d6  dt' 
und  statt  eines  Ausdruckes  von  der  Form 

ds\      ds)  \dt)   ~^       ds    dt^' 


Neues  electrodynamisches  Grrundgesetz.  259 

worin  V  noch  irgend  eine  zweite  von  der  Lage  des  Electricitäts- 
theilchens  abhängige  Grösse  bedeutet,  muss  jetzt  gesetzt  werden: 


ds\ds)\(Uj    ^  Löö  V       dsJ^dsV    c 


dU 


ds  da 
dt  dt 


V 


dV- 


döjxdtj 


ds  df 


dö  df 


Wollen  wir  nun  die  a;-Componente  der  Kraft  bestimmen, 
welche  die  in  ds  befindliche  positive  Electricitätsmenge  lids  von 
der  in  ds  befindlichen  positiven  Electricitätsmenge  h'  ds'  erleidet, 
so  haben  wir  für  dieselbe,  wie  früher,  den  allgemeinen  Ausdruck 


hh'  dsds 


'   {^T^    +     ^^     +     ^2    +    X3) 


zu  bilden,  darin  aber  jetzt  für  Xx ,  X-j  und  X3  diejenigen  Aus- 
drücke zu  setzen,  welche  aus  (33),  (27)  und  (44)  durch  die  vor- 
stehend angedeuteten  Aenderungen  hervorgehen,  nämlich: 

'ds\-^ 

^dt. 


(45) 


^^=U'^'^ 


'       dx 

^  ds 


d  /j^   dx\l  ds  d6 
ds  \    '  döjj  dt  It 


+ 


9(t 


JB, 


\dt) 


dx  d 


(46) 


X, 


06 

d  [B;  (x  —  x')]  ds' 


+  ^i  ^  ^  +  ^i  b 


dx  d^ö 


ds   dt 


da  dt^ 


ds' 


dt 


+  8l[^' 


dx' 
ds' 


7  -f  C5  (rr  —  x') 


drl  /d^> 
ds'j  \dt^ 


(47) 


Xo. 


(hix 


ds 


\j^CUx-x')^] 


ds 

dr^  (Ps[ 

dt"" 


r 


x')  d'^(r-)    .     Je  dr  dx'     ,  dr  dx 

2^3         dsds'    '    r^  8s  ^7  "^     '^  ds' ds 


+ 


d''[E(x 


dsds' 


x')]\  ds  ds' 
dt  'dt 


H- 


i       2r3        döds'  "^  r2  dö   ds'  "^     ^  ds'  dö 


+ 


d'-[E(x 


x'y\]  da  ds' 
dt  dt 


döds' 

Wollen  wir  ferner  die  a:  -  Componente   der  Kraft  bestimmen, 
welche  die  in  ds  befindliche  positive  Electricitätsmenge  li  ds  von 

17* 


260  Abschnitt  IX. 

der  in  ds'  befindlichen  negativen  Electricitätsmenge  —  Ji'  ds'  er- 
leidet, so  brauchen  wir  in  den  vorigen  Ausdrücken  nur  h'  ds'  durch 
—  h' ds'  zu  ersetzen  und  ferner,  weil  die  in  ds'  befindliche  nega- 

.      ds' 
tive  Electricität  in  Ruhe  ist,  —  =  0  zu  setzen.     Dadurch  wird 

X2  =  0  und  X3  =  0,  während  Xi  ungeändert  bleibt.  Demnach 
reducirt  sich  der  Ausdruck  dieser  Kraftcomponente  auf 


-  hh'  ds  ds'  {^-^  -f  X^  ■ 


Daraus  ergiebt  sich  für  die  ;r-Componente  der  Kraft,  welche 
die  in  ds  befindliche  positive  Electricitätsmenge  hds  von  dem 
Stromelemente  ds'^  also,  von  den  beiden  Electricitätsmengen  h'  ds' 
und  —  h' ds  zusammen,  erleidet,  der  Ausdruck: 

hh'dsds'  (X,  -f  X3). 

Integrirt  man  diesen  Ausdruck  nach  s',  so  erhält  man  die 
a:-Componente  der  Kraft,  welche  die  in  ^s  befindliche  positive  Elec- 
tricitätsmenge hds  von  dem  ganzen  Strome  s'  erleidet,  und  es  gilt 
also,  wenn  man  diese  Kraftcomponente  mit  dihds  bezeichnet,  die 
Gleichung 

(48)  ae  =  h'f(X,  -f  X3)  ds', 

worin  man  für  X2  und  X3  die  unter  (46)  und  (47)  gegebenen  Aus- 
drücke zu  setzen  hat.  Bei  der  Ausführung  der  Integration  geben 
alle  in  jenen  Ausdrücken  vorkommenden  Glieder,  welche  die  Form 
von  Differentialcoefficienten  nach  s'  haben.  Null,  und  können  daher 
fortgelassen  werden,  so  dass  man  erhält: 

* = ^'  ^7[^'  S' + ^'  (^  -  -'>  Ij]  '' 

,    ^  -,,  ds  ds'  rrx  —  x'  82(^2)        1   dr  dx'l   ,  , 

j_lj,  ädds[  fVx  —  x'  8^ (r^)    I    2_  ^  ^1  ^  / 
'^TtlÜj\r2^d6d^^^dödI'\'^^ 

Diese  Gleichung  kann  man  noch  mittelst  der  schon  im  vorigen 
Paragraphen  angewandten  Gleichungen: 

,  dr         ,     dx'  ,  d^(r^) 

X  ~  x'  ^=2  r  ■—-     und     -—  =  —  i      '     , 

ex  ds  -^  oxos 

umformen  in: 


l^eues  electrodynamisches  Grundgesetz.         261 


(50) 


ae  =  i  A' 


oxds      '         ox    öS  J 


-^"^  dt  Tt 


^      ,  d6  ds 


'-I 


r  d^  (»-2) 

dx  dsds' 

1 


r  0'  (r^)  r 

Jx  döds'  "'    "äö 


r    92  (y2j 

ÖS  9ä;8s 
1 


\\ds 


82  (r2j 
8a;os'J 


ds'. 


Um  aus  diesem  auf  die  rr- Richtung  bezüglichen  Ausdrucke 
den  entsprechenden  auf  die  Richtung  des  Elementes  ds  bezüglichen 
Ausdruck  abzuleiten ,  brauchen  wir  wieder  nur  die  Diiferential- 
coefficienten  nach  x  durch  solche  nach  s  zu  ersetzen.  Dann  heben 
die  unter  dem  zweiten  Integralzeichen  stehenden  beiden  Glieder 
sich  gegenseitig  auf,  und  wir  erhalten ,  wenn  wir  die  in  die  Rich- 
tung des  Elementes  ds  fallende  Componente  der  Kraft,  welche  die 
Electricitätsmeuge  hds  von  dem  Strome  s'  erleidet,  mit  <Bhds  be- 
zeichnen, die  Gleichung: 


f  @  _  1  7/  ^'s'  r\      B   ^"^'"^  4-  C  ^'  ^  ^'"A  d,' 


(51) 


I       17,7/    f^<5   ^^S 

-^   -''''''     dt     dt 


■-I 


7)1 

r  82  (r2) 


gl 

r  82  (r2) 


8s   8ö8s'    '     80  8s8s' 


ds'. 


Das  Product  (Bds  ist  dasjenige,  was  man  die  in  dem  Leiter - 
demente  ds  inducirte  electromotorische  Kraft  nennt, 

und  demnach  stellt  das  Integral    (  <B  ds  die  in  dem  ganzen  Leiter 

s  inducirte  electromotorische  Kraft  dar. 

Die  Integration    nach  s  bringt  wieder    ein   Glied    zum  Ver- 
schwinden.   Betrachten  wir  nämlich  das  DoppeKntegral 


IJ 


ds    döds 


so  ist  zu  bemerken,  dass  die  Grösse 

82  (r2) 


dx  dx'    ,     dy  dij'    ,    d.z  ds' 


'  ~r  ;^rt  /7o'  ~r 


0. 


8ö8s'  "  V8ö  ds'    '    8ö  ds'    '    80  ds' 

welche  wir  auch  durch  —  2  cos  (ös')  bezeichnen  können,  wenn 
{6s')  den  Winkel  zwischen  dem  von  ds  zurückgelegten  Bahn- 
elemente d6  und  dem  Stromelemente  ds'  bedeutet,  von  s  unab- 


262  Abschnitt  IX. 

hängig  ist,  weil  der  ganze  Leiter  s  sich  mit  sich  selbst  parallel  be- 
wegt, und  somit  alle  seine  Elemente  eine  und  dieselbe  Bahnrich- 
tung haben.    Man  kann  also  das  obige  Integral  so  schreiben: 

1 


fds'  ?^M  f 


d 

-^—  äs. 

ds 


Hierin  lässt  sich  die  Integration  nachs  sofort  ausführen,  und  giebt 
für  einen  geschlossenen  Strom  Null. 

Betrachten  wir  ferner  das  andere  Doppelintegral 

1 


// 


^-  ^^^r-,-  ds  ds  , 
dö  ds CS 


so  können  wir  hierin,  da  der  Differentialcoefficient  ^  \  ,,  welcher 

dsds 

nach  (35)  gleich  —  2cos  s  ist ,  sich  bei  der  Bewegung  des  Leiters 
s  nicht  ändert,  und  somit  von  6  unabhängig  ist,  setzen: 
1 


j'  ~  öö"  L r  8s8s'J' 


8ö  8s8s' 

und  da  ferner  die  Grösse  ö,  nach  welcher  hier  diff'erentiirt  werden 
soll,  von  den  Grössen  s  und  s',  nach  welchen  der  ganze  Ausdruck 
integrirt  werden  soll,  unabhängig  ist,  so  können  wir  die  Differen- 
tiation nach  6  auch  ausserhalb  der  Integralzeichen  andeuten,  und 
demnach  statt  des  obigen  Doppelintegrals  schreiben: 

d_  r  ri  82  (r2) 
d<jj  J   r  'dsds' 


dsds'. 


Wir  erhalten  daher  zur  Bestimmung  der  im  Leiter  s  inducir- 
ten  electromotorischen  Kraft  die  Gleichung: 


(52) 


/ 


©  ds 


=  \h' 


dt'  J  J  [      ^'  8787  +   ^'  ds    ds'  J  '^''^' 


,  .,,  ds'  d<5   d     r  r\  82(r2)  ^   ^  , 
lKh'^r--j-^—  -  ^  \  /  dsds. 

2         dt   dt  döj  J    r  dsds' 


Auf  diese  Gleichung  wollen  wir  nun  den  Satz  anwenden, 
dass,  wenn  entweder  der  Leiter  s  in  einer  bestimmten 
Lage  in  der  Nähe  des  Leiters  s'  verharrt,  aber  im  letzte- 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  263 

ren  die  Stromstärke  von  Null  bis  zu  einem  gegebenen 
Werthe  wächst,  oder  die  Stromstärke  in  s'  unveränder- 
lich diesen  Werth  hat,  aber  s  sich  aus  unendlicher  Ent- 
fernung bis  zu  jener  Lage  heranbewegt,  in  beiden  Fällen 
eine  gleich  grosse  Inductionswirkung  in  s  stattfindet. 

Um  die  während  irgend  einer  Zeit  stattfindende  Inductions- 
wirkung zu  bestimmen,  haben  wir  den  Ausdruck,  welcher  die  in- 
ducirte  electromotorische  Kraft  darstellt,  mit  dt  zu  multipliciren 
und  dann  über  die  betreffende  Zeit  zu  integriren.     Im  ersten  der 

beiden  vorher  genannten  Fälle  ist  nun  —  =  0,  so  dass  das  zweite 

Glied  des  in  (.52)  gegebenen  Ausdruckes  verschwindet,  und  im  er- 
sten Gliede  ist  das  Doppelintegral  von  der  Zeit  unabhängig  und 
nur  der  als  Factor  vor  demselben  stehende  Differentialcoefficient 

d^s'  .  ds' 

-772"  ist  nach  t  zu  integriren  und  giebt  -=-•     Die  in   diesem  Falle 

stattfindende  Inductionswirkung  ist  daher: 

dtj  J    [_  dsds  ds    ds   J 


2 


Im  zweiten  Falle  ist  -j-j  =  0,  so  dass  das  erste  Glied  des  Aus- 
druckes verschwindet,  und  das  zweite  Glied  lässt  sich  sofort  nach 
t  integriren,  und  giebt: 


ds'  r  ri  d^(r'-) 


^kh''--^  f  f-P~^dsds'. 
^  dtJ   J   r  dsds 


Diese  beiden  Grössen  müssen,  jenem  Satze  nach,  unter  ein- 
ander gleich  sein,  ihre  Differenz  muss  also  den  Werth  Null  haben, 
und  man  erhält  daher  die  Gleichung: 

^''^     J  J[{7  +  ^^)did7-^-^d-si^\'^'^'='' 

Das  zweite  in  der  eckigen  Klammer  stehende  Glied  können 
wir  noch  so  umändern : 


^_drd  (r^) 


OS  ids    J  J        dsdsj 


ds    ds' 

und  da  von  den  beiden  hier  au.f  der  rechten  Seite  stehenden  Glie- 
dern das  erste  bei  der  Integration  über  einen  geschlosseneu  Strom 
s  NuU  wird,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 


264 


Abschnitt  IX. 


"  <^^>  IAt  +  ^*  +1"^  '^'■]  Sil?  '' ''  =  0- 

Wenn  diese  Gleicliung  für  jede  zwei  geschlossene  Ströme  er- 
füllt sein  soll,  so  muss  der  vor  dem  Differentialcoefficienten  zwei- 
ter Ordnung  als  Factor  stehende  Ausdruck  constant  sein,  und  wir 
können  also,  wenn  a  eine  Constante  bedeutet,  setzen: 


(55) 


7+^*  + 


Cr;  dr  =  a. 


Fassen  wir  nun  das  Integral  mit  der  Constanten  a  in  ein  Zeichen 
zusammen,  indem  wir  setzen: 


a 


=  I  C.,  dr  —  a, 


so  erhalten  wir; 
(56) 


^^  =  -  ^  +  (^\ 


^      da 


Hierdurch  sind  wieder  zwei  der  unbestimmten  Functionen, 
welche  in  dem  Ausdrucke  von  X^  noch  vorkommen,  auf  Eine  zu- 
rückgeführt, und  die  unter  (27)  gegebene  zur  Bestimmung  von  X^ 
dienende  Gleichung  geht  jetzt  über  in: 


_       d  {B^  (x  -  x')]  dl 
ds'  dt 


X,  =  - 


drl  d^ 
dt"" 


oder  anders  geschrieben: 

j^  d  [B-i  (x  —  x')]  ds' 

'  ~  8?  dt 

X')]] 


(57) 


d_ 
ds' 


r  ds' 


ds' 
d^Gix-x')]]  d^s' 


dt) 


ds' 


dt' 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  265 


§.  11.    Zusammenfassung  der  bisher  gewonnenen 
Resultate. 

Nachdem  durch  die  in  den  Paragraphen  7.  bis  10.  angestellten 
Betrachtungen  die  Ausdrücke  von  Xi,  X2  und  X3  die  unter  f33j, 
(57)  und  (44)  gegebenen  vereinfachten  Formen  gewonnen  haben, 
wollen  wir  sie  in  die  Gleichung  (23),  nämlich 

Z  =  ^^-f  X,  +  Z,  +  Z3 

einsetzen.  Dadurch  erhalten  wir  zur  Bestimmung  der  aj-Compo- 
nente  der  Kraft,  die  ein  Electricitätstheilchen ,  welches  während 
der  Zeit  dt  den  Weg  ds  zurücklegt,  von  einem  anderen,  welches 
während  derselben  Zeit  den  Weg  ds'  zurücklegt,  erleidet,  die 
Gleichung : 


X  = 


X — «'       8  ( -^  dx\(ds\  1    -p  dxd^s      d[jB^(x  —  x')]  ds' 


:(^4-f)(l)+^^ 


ds\      dsj\dtj  ds  dt^  ds'  dt 

"•"ös'  1       r  ds'  "^  ds'  J  \dt) 

j_  !_•  1  ^'    I    d[G(x  —  x'J]]  dh' 


r  ds'  ds'  J  dt 

.    \Jc(x  —  x')  d^(r^)  ,    li  dr  dx' 

"^  1       2/3        dsds'  '    r2  äs  ^ 

,     „   dr  dx  ,    d^[E(x  —  x')]]  ds  ds' 


ds'  ds     '  dsds'         j  dt  dt 

Hierin  lassen  sich  einige  Vereinfachungen  machen.  Bedenkt 
man,  dass  x'  nur  von  s',  dagegen  r  von  s  und  s'  abhängt,  so  sieht 
man,  dass  man  schreiben  kann: 

d    /Ti  dx'\  /ds'\^        Ji  dx'  d^s'  j^  h  dr  dx'  ds  ds' 
~  ds'\7  17)  \di)    "  7  ds' ~dW  ^  r^  ds  Js' dt  ~di 

d   / 1   dx'^ 


dt  \r    dt 

wodurch  sich  drei  der  oben  vorkommenden  Glieder  in  eines  zu- 
sammenziehen. Ferner  kann  man  aus  denselben  Gründen  schreiben; 

d    / j.   dx\  /dsY    I    73    dx  d^s 

d~s  \    '  lü)  \ßi)   '^^TsW 

d   /t3   dx\        dBi  dr  dx  ds  ds' 

~di\^  Jt)         dr  ds'  JsdtlÜ' 


(58) 


266  Abschnitt  IX. 

Setzt  man  sodann  zur  Abkürzung: 

^    dr       dB^  dr  _  dF 

^  ds'         dr   ds'~~  ds' 

und  führt  noch  für  Bi  und  —  ^3  die   einfacheren  Zeichen  H  und 

J  ein ,  so  nimmt  die  zur  Bestimmung  von  X  dienende  Gleichung 

folgende  Form  an: 

_  X  —  x'       d  [J(x  —  x')]  ds^    .    d''[G{x  —  x')]  /cUy 
rs       "^  ds'  dt     ^  ds'^  \dt) 

"1  ds'  dt^^dt\dt)~dt\rdt) 

.    \l{x  —  x')  d^ (r^)       dFdx    ,    d^[E(x  —  x')]]  ds  d^ 
"^  i~~27ä       dsds'^ds'  d^'^  dsds'       ]  dt  dt' 

Bei  der  Ableitung  dieser  Gleichung  sind  neben  der  Annahme, 
dass  nur  Eine  Electricität  im  festen  Leiter  strömen  könne,  nur 
solche  Sätze  zur  Anwendung  gebracht,  welche  sich  auf  die  gegen- 
seitige Einwirkung  geschlossener  Ströme  beziehen,  und  da  diese 
Sätze  als  vollkommen  sicher  zu  betrachten  sind,  so  darf  behauptet 
werden,  dass  der  in  dieser  Gleichung  gegebene  Ausdruck  von  X 
unter  der  Voraussetzung  von  nur  Einer  im  festen  Leiter  beweg- 
lichen Electricität  der  einzig  mögliche  ist. 

Dabei  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  Zulässigkeit  dieses  Aus- 
druckes nicht  auf  den  Fall,  wo  nur  Eine  Electricität  als  strömend 
vorausgesetzt  wird,  beschränkt  ist,  sondern  dass  er  auch  dann  zu- 
lässig bleibt,  wenn  man  annimmt,  der  galvanische  Strom  bestehe 
aus  zwei  nach  entgegengesetzten  Richtungen  gehenden  Strömen 
von  positiver  und  negativer  Electricität,  wobei  es  gleichgültig  ist, 
ob  man  diese  beiden  Ströme  ihrer  Stärke  nach  als  gleich  oder  ver- 
schieden annimmt. 

Wenn  man  zu  den  im '  Obigen  angewandten  Sätzen  noch  die 
Bedingung  hinzufügen  wollte,  dass  die  Abhängigkeit  der  Kraft  von 
der  Entfernung  nach  einem  einheitlichen  Gesetze  stattfinden  müsse, 
so  würde  man  aus  der  blossen  Vergleichung  der  Glieder,  welche 
noch  unbestimmte  Functionen  von  r  enthalten,  mit  denen,  in  wel- 
chen die  Functionen  schon  bestimmt  sind,  noch  weitere  Schlüsse 
über  die  Form  der  Functionen  ziehen  können,  und  zwar  würde 
man  durch  diese  Betrachtungen  zu  dem  Ergebnisse  gelangen,  dass 

die  Functionen  E,  F,  G  und  H  sämmtlich  die  Form  —  .  const.  ha- 

r 

ben  müssten,  so  dass  also  statt  jener  unbestimmten  Functionen 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         267 

nur  noch  unbestimmte  Constante  in  dem  Ausdrucke  von  X  blei- 
ben würden.  Indessen  wollen  wir  uns  Schlüsse  dieser  Art  für  jetzt 
nicht  erlauben,  sondern  statt  dessen  noch  einen  allgemeinen  Satz 
in  Anwendung  bringen. 


§.  12.    Anwendung  des  Princips  von  der  Erhaltung 
der  Energie. 

Wir  wollen  nun  die  Annahme  machen,  dass  die  Kräfte,  welche 
zwei  bewegte  Electricitätstheilchen  auf  einander  ausüben,  für  sich 
allein  dem  Princip  von  der  Erhaltung  der  Energie  genügen,  wozu 
erforderlich  ist,  dass  die  Arbeit,  welche  diese  Kräfte  bei  der  Be- 
wegung der  Theilchen  während  des  Zeitelementes  dt  thun,  durch 
das  Differential  einer  von  den  augenblicklichen  Lagen  und  Bewe- 
gungszuständen  der  Theilchen  abhängigen  Grösse  dargestellt  wird. 

Um  die  Arbeit  bestimmen  zu  können,  denken  wir  uns  nelien 
dem  unter  (58)  gegebenen  Ausdrucke  von  X  die  entsijrechenden 
Ausdrücke  von  Y  und  Z  gebildet,  und  ebenso  denken  wir  uns  die 
Grössen  X\  Y'  und  Z\  welche  sich  auf  die  Kraft  beziehen,  die 
das  Theilchen  e'  von  dem  Theilchen  e  erleidet,  in  entsprechender 
Weise  ausgedrückt,  wozu  nur  die  accentuirten  und  unaccentuirten 
Buchstaben  gegen  einander  vertauscht  zu  werden  brauchen.  Un- 
ter Anwendung  dieser  Ausdrücke  bilden  wir  die  Grösse 


ee' 


\     dt     '         dt  dt    '  dt     '  dt  dt J 

Diese  Grösse  muss,  wenn  das  Princip  von  der  Erhaltung  der 
Energie  erfüllt  sein  soll,  das  vollständige  Differential,  oder,  anders 
gesagt,  die  in  der  Klammer  stehende  Summe  von  sechs  Producten 
muss  der  nach  t  genommene  Differentialcoefficient  eines  aus  den 
Coordinaten  und  Geschwindigkeitscomponenten  der  beiden  Theil- 
chen gebildeten  Ausdruckes  sein. 

Da  der  unter  (.58)  gegebene  Ausdruck  von  X  etwas  lang  ist, 
so  wollen  wir  seine  Glieder  einzeln  oder  in  kleinen  Gruppen  nach 
einander  betrachten,  um  zu  sehen,  wie  bei  ihnen  die  Summe  der 
sechs  Producte  sich  gestaltet. 

Das  erste  Glied  ist 


oder 


»1 

r 


268                                Abschnitt  IX. 

und  die  Summe  der  sechs  Producte  lautet  daher 

i     r  dx   ^     r  dy    ,      r  ds   .      r  dx' 

\dx  dt  '^  dy  dt^  dz  dt^  dx'  dt 

r 

^dy' 

dy' 
dt 

+ 

r 

dz' 

dz' 
dt 

und  lässt  sich  zusammenziehen  in: 

,  1 

— 

d- 

r 
dt 

Das 

zweite 

GHed  ist: 

d  [J{x  - 

-x')] 

ds' 

ds' 

dt 

Um  dieses  mit  dem   Difierentialcoefficienten  j-  zu  niultipliciren, 
zerlegen  wir  den  letzteren  in  das  Product  -^  -j-  und  multiplici- 

et  S   Ctv 

ren  mit  dem  Factor  -=-  ,  welcher  von  s'  unabhängig  ist,  unter  dem 
0/  s 

Differentiationszeichen,  also : 

dx~ 

ds  ds' 

ds'  dt  dt 

Bildet  man  hierzu  die  entsprechenden  Producte  für  die  y-  und 

^-Axe  und  addirt  zunächst  nur  diese  drei  Producte,  indem  man 

dabei  die  Gleichung 

{x  —  x')  -r-  ^  (y  —  y')  -r  -\-  (z  —  z')  -j-  =  r  :^ 
-^  ds        ^^       "^    ds  ds  ds 

berücksichtigt,  so  erhält  man: 

dr 


a  [h.  -  .')  f] 


\       dsj  ds  ds' 

dJ'         dt  li' 

Ebenso  geben  die  drei  anderen  Producte: 

0r' 


\       ds'J  ds  ds' 
ds         dt  dt 
Diese  beiden  Ausdrücke  sind  unter  einander  gleich,  indem  sich, 
wenn  man  das  Zeichen  K  mit  der  Bedeutung 


(59)  K=f. 


Jr  dr 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         269 
einführt,  der  als   erster  Factor  stehende  Differentialcoefficient  in 

o3  TT 

beiden  durch  ^    ^   ,   darstellen  lässt,  und  die   Summe   der  sechs 

OS  OS 

Producte  nimmt  daher  folgende  Form  an: 

d^K  ds  ds[ 

dsds'  dt  dt 

Das  dritte  und  vierte  Glied  von  (58),  nämlich 
d^[G(x  —  x')]  fds'y    ,    d[a(x  —  x')]d's' 


m + 


ds'^  \dtj     '  ds'  dt^' 

kann  man  ganz  ähnlich  behandeln.     Durch  Addition  der  drei  er- 
sten Producte  erhält  man: 

d^  Igt  ^1  d  Igt  ^1 

L       ds]  ds  {ds\'         L       ds]  ds  d^ 
ds'^        dt  \dt)  ^        ds'         dt   dt""' 

wofür  man,  wenn  man  das  Zeichen  B  mit  der  Bedeutung 

(60)  R=fGrdr 

einführt,  schreiben  kann: 

d^R    ds  /ds'V    ,     d^R    ds  d^s' 


m+ 


dsds'^  dt  \dtj     '    dsds'  dt  dt^  ' 

und  ebenso  geben  die  drei  anderen  Producte: 

d'^R    /dsy  ds^    .      d^R    ds^  d^ 
ds'^ds'  \dt)    dt  ~^  dsds'  dt   dt""' 

Die  Summe  aller  sechs  Producte  ist  also: 

/  d^R    cls^         d^R    ds\dsd^.     d^R    /dsd^       cW  d^\ 
\dsds'^  dt  "•"  ds^ds'  dt)  dt  dt    '    8s es'  \dt  dt^  "^  dt   dty' 
was  sich  zunächst  zusammenziehen  lässt  in: 

d   /  d''R\  ds  ds'    .     d'-R    d  {ds  ds' 


/dU{\  dsds[ 
\dsds')  dt  dt  "*" 


dt  \dsds'J  dt  dt    '    dsds'  dt  \dt  dt 
und  dann  weiter  in: 

dt  \dsds'  dt  dt 
Das  fünfte  Glied 

d  /jj-dx 
dt  V      dt 


270  Absclinitt  IX. 

giebt,  wenn  man  zuerst  die  angedeutete  Differentiation  ausführt, 

Q  rjr* 

und  dann  mit  -j-  multiplicirt : 

dK  /dx\^    .    jj  dx  d^x 
1t   \dt)    '^       cÜ  JP' 


was  sich  auch  in  folgender  Form  schreiben  lässt: 

r      /^Yl        ,  dH  /dxy 
l     \dt)  J  +  ^  "^  \dt)  ' 


-y  d 

^dt 


In  gleicher  Weise  erhält  man  als  anderes,  auch  auf  die  x-Axe  be- 
zügliches, aber  das  accentuirte  x  enthaltendes  Product: 

^  dt  L     \dt)  \  "^  2  -dt\dt)' 

Bildet  man  nun  die  entsprechenden  Producte  für  die  y-  und  ^-Axe, 
so  kann  man  die  Summe  aller  sechs  Producte  zusammenziehen  in: 

2  dt  \      \\dt)   "^  \dt)  W  "^  ^  dt   \\dt)   ^\dt)\' 

Das  sechste  Glied 

T    d  /l   dx' 
dt  \r    dt 
giebt   durch   Ausführung    der    angedeuteten    Differentiation    und 

durch  Multiplication  mit  -r- : 

et  z 

d- 

r  dx  dx'        -j    1  dx  d^x' 
dt    dt   dt  r   dt   dt^ 

In  gleicher  Weise  erhält  man  wieder  als  anderes  auch  auf  die 
x-kxe  bezügliches  Product,  in  welchem  aber  das  accentuirte  und 
das  unaccentuirte  x  gegen  einander  vertauscht  sind: 

,       r  dx  dx'       ,    1  dx'  d^x 
dt    dt   dt  r   dt    dt^ 

Die  Summe  dieser  beiden  Producte  kann  man  in  folgender  Form 
schreiben : 

d- 

-,    d  /l  dx  dx'\        ,       r  dx  dx' 

dt\r   dt  dt)  dt    dt    dt 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  271 

Bildet  man  nun  die  entsprechenden  Producte  für  die  y-  und  ;5;-Axe 

und  berücksichtigt  dabei  die  Gleichung 

dx  dx'  _.    dy  dy'    ,_  dz  dz' ^  ?>'^{r'^)  ds  ds' 

It   dt  ^  dt   dt  ^  dt   dt  ~  ~  ^  dsds'  dt  ~dt' 

so  erhält  man  als  Summe  aller  sechs  Producte: 

d^ 

l    d  (l  82 (y2)  eis  ds'\    .1       r  d^r^  ds  ds' 


2  dt  \r  dsds'  dt  dtj    '     2    dt    dsds'  dt  dt 
Das  siebente  Glied 

K.x  —  x')  82  (r 2)  ds  ds^ 
2r3        8s 8s'  dt  dt' 

oder,  anders  geschrieben, 

gl 

_  k      r  82  (r2)  ds  ds[ 

~  J'dx'dsdVTt  dt 
giebt  als  Summe  der  sechs  Producte: 

d^ 

_  7^       r  82  (r2)  ds  ds^ 

2    dt   dsds'  dt  dt' 
Dieser  Ausdruck  hebt  sich  gegen  einen  Theil  des  beim  sechsten 
Gliede  erhaltenen  Ausdruckes  auf,  so  dass  man  für  das  sechste 
und  siebente  Glied  zusammen  als  Summe  der  sechs  Producte  ein- 
fach erhält: 

l    d  {l  82 (r2)  ds  ds'' 


2  dt  \r  dsds'  dt  dt 
Das  achte  GHed 

dF  dx  ds  ds' 
ds'  ds  dt  dt 
giebt  als  Summe  der  sechs  Producte,  wie  man  leicht  sieht: 

d_F  /dsY  ^    i_  M"  ^  f^'^^ 
ds'  \dt)    dt  "^  ^s  dt  \dt 

Das  neunte  und  letzte  Glied 

d^[E(x  —  x')]  ds  ds^ 
dsds'         dt  dt 
schreiben  wir  zunächst  in  der  Form : 


d    VdE  '\  _j_  r  ^-^l  ^^  ^^' 

g7  [g^  (^  -  ^)  +  ^  ^J  ^  -^, 


272  Absclmitt  IX. 


welche  wir  auch  noch  so  umändern  können: 

d    r    dE  dr  dr  j^       dxl  ds  ds' 
ds'  L    dr  ds  dx  dsj  dt  dt 

Zugleich  setzen  wir  für  -rr-  das  Product  -^ — 7-  und  multipliciren 

dt  ds  dt 

cioß 

mit  -r-  unter  dem  DifFerentiationszeichen.  Wenn  wir  dann  die  ent- 
ds 

sprechenden  Producte  für  die  y-  und  ;2-Axe  bilden,  und  die  Summe 

dieser  drei  Producte  nehmen,  so  erhalten  wir: 

ds'  L     dr  \dsj   ^     J  \dtj    dt' 
und  somit  als  Summe  aller  sechs  Producte: 


ds' 


r  äE /d^y  .     1  fdsy ds[  .   d_r  ^f^y,p]^/ds\^ 
~'  V  Tr  \ds)  "^     J  \dt)  dt'^ds  V   dr  \ds')  '^    \dt\dt)' 

Vereinigen  wir  nun  alle  bei  den  einzelnen  Gliedern  von  (58) 
als  Summe  der  sechs  Producte  gewonnenen  Ausdrücke,  so  erhalten 
wir  folgende  Gesammtsumme : 

d^ 
r  d'^K  ds  ds'    ,     d  /  d^B   ds  ds' 

' — jü~  +  ^ 


dt  dsds'  dt  dt    '    dt  \dsds'  dt  dt 


'^2dt\r  dsd7  dt  dt)  "^  ds'  \dt)    dt  "^  ds  dt  \dt) 

_8_r  dE/dr\^        l,/ds\^d^       d_V  ^ / ^^ y  ,    ^1  ^ /^ Y 
'^ds'V  drKds)'^    \\dt)  dt  ^  dsV  dr  \d  s' ) '^    \dt\dt)' 

welche  Gesammtsumme  wir  auch,  unter  Zusammenfassung  der 
Glieder,  welche  Differentialcoefficienten  nach^  sind,  und  etwas  ver- 
änderter Anordnung  der  übrigen  Glieder,  so  schreiben  können: 

j  (      1    .  (l  d^jr^)  ■    d^Bylsds'      1  rj\fäs\^      /^A'll 
dt\     r'^\2rdsds''^dsds')dt  dt  '^^^     [\dt)  '^\dt)  Jj 
d^K  ds_d^  dJI  /dsV'    ,    1  ^  fdsy 

"^      dsds'  dt  dt    '    2   ds    \dt)    "^  "  ds'  \dt) 


+Ä[4f(i^r+^+^+^^]^:(i^) 


Neues  electrodyniiinisches  Grrundgesetz.  273 


Dieser  ganze  Ausdruck  muss,  Avcnn  das  Priiicip  von  der  Er- 
haltung der  Energie  für  die  Kräfte,  welche  die  beiden  Electricitäts- 
theilchen  auf  einander  ausüben ,  erfüllt  sein  soll ,  ein  Differential- 
coefficient  nach  t  sein.  Da  nun  der  erste  Theil  des  Ausdruckes 
schon  äusserlich  als  Differentialcoeffient  nach  t  liezeichnet  ist,  so 
haben  wir  unser  Augenmerk  nur  auf  den  übrigen ,  aus  fünf  Glie- 
dern bestehenden  Theil  zu  richten.  Diese  Glieder  sind  alle  in  Be- 
zug  auf  die   Difi'erentialcoefficienten  erster  Ordnung  -^  und  -^ 

dt  dt 

von  höherem  als  erstem  Grade,  während  die  Diöereutialcoefficien- 

ten  zweiter  Ordnung  ^— -  und  -^^7^  in  ihnen  nicht  als  Factoren  vor- 
dP  dt'' 

kommen.    Daraus  folgt,  dass  weder  ein  einzelnes  der  Glieder  noch 

irgend  eine  Gruppe  derselben  ein  Differentialcoefficient  nach  t  sein 

kann.    Demnach  muss  die  Summe   dieser  fünf  Glieder  Null  sein, 

ds  ds' 

und  das  wiederum  kann  für  beliebige  Werthe  von  -j-  und  -j-  nur 


dann  der  Fall  sein,  wenn  alle  fünf  Glieder  einzeln  Null  sind, 
erhalten  also  folgende  fünf  Bedingungsgleichungen: 


Wir 


(61) 


dsds 

dH 

ds 

dH 

ds' 

d_ 
ds 

d_ 
ds 


-,  =  0,. 

=  0, 

=  0, 
dE 


^K^0+^+-+i-]  = 


r    dE/drV' 
V   dr  \ds') 


^E^F-l\H 


] 


0. 


Die  erste  dieser  Gleichungen,  welche  sich  auch  so  schreiben 


lässt : 


dK    d^r 


dUl  drd^_ 
dr'^    dsds'  ' 


dr  dsds' 

kann  für  beliebige  Bahnen  der  Electricitätsth  eil  eben  nur  dann  er- 
füllt sein,  wenn 

dr 
woraus  nach  (.59)  weiter  folgt: 
(62)  J=0. 

Cialis  ins,  mcch.  Wärmcthoorie.    II.  Jg 


274 

Absclinitt  IX. 

Die  beiden  folgenden  der  Gleichungen 

(61), 

nämlich 

ds 

=  0    und     g^,= 

0, 

geben  zunächst: 

H  =  const 

Da  aber  der  in  (58)  gegebene  Ausdruck  von  X  das  Glied  S  -^ 

enthält,  welches,  wenn  If  einen  angebbaren  constanten  Werth  hätte, 
einen  von  der  gegenseitigen  Entfernung  der  Electricitätstheilchen 
unabhängigen  Bestandtheil  der  Kraft  darstellen  würde,  und  ein 
solcher  nicht  vorkommen  kann,  so  muss  sein: 

(63)  H=0. 

Die  beiden  letzten  der  Gleichungen  (61)  lauten,  wenn  man 
H  =  0  setzt  und  die  angedeuteten  Differentiationen  ausführt : 

V  drj  /dry  8^:  _i    2     ^  ?I    8^r      ,    d(E  -}-  F)  ^_q 
dr        \dsj   ds'    '  dr  ds  dsds'  "^         dr  ds'         ' 

d  f  ^\ 

V  dr)  dr  /dry   ,    ^     ^  ^    B^r         d(E -^r  F)  dr  _  q 

dr        ds  \ds'/  dr  ds'  dsds'  dr         ds         '     • 

welche  Gleichungen  nur  dann  für  beliebige  Bahnen  der  Electricitäts- 
theilchen erfüllt  sein  können,  wenn  man  hat: 

(64)  -—  =  0     und     -—  =  0, 
^  dr  dr 

wodurch  E  und  F  genügend  bestimmt  sind,  da  nur  die  Differential- 
coefficienten  dieser  Grössen  in  (58)  vorkommen. 

Nach  diesen  Bestimmungen  nimmt  der  Ausdruck  der  von  den 
gegenseitigen  Kräften  der  beiden  Electricitätstheilchen  während 
des  Zeitelementes  dt  geleisteten  Arbeit  folgende  einfache  Gestalt  an : 

^^  dt[       r  ~^  \2r  dsds'  "^  dsds')  dt  dt\      ' 
und  die  Gleichung  (58)  geht  über  in: 


(65) 


^^/dRx  —  ^'\  /dRx  —  x'\ 

-^ X  —  x'    .       \dr      r     J /ds'y  ,      \dr       r     )d^s' 

~~r3        '  d7~^  \dt)  ^  ds'  Ht^ 


h 


d  /l  dx'\       h(x  —  x')  82 (r2)  ds  ds' 


\r    dt)'^ 


dt  \r    dtj    '  2/3        dsds'  dt   dt' 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         275 
welche  Gleichung  sich  noch  einfacher  so  schreiben  lässt: 

(66)  {  8^  V    "^  2   dsds'  dt  dt)  dt  \r    dt) 
d_  Vd^  fdsy    ,    dB  d^l 

~^  dxlds'^  \dt)   "^  ds'   dtU' 

§.  13.    Das  electrodynamische  Potential. 

Nach  dem  vorher  angeführten  Ergebnisse  unserer  Betrach- 
tungen wird  die  Arbeit,  welche  die  von  zwei  bewegten  Electricitäts- 
theilchen  auf  einander  ausgeübten  Kräfte  während  des  Zeit- 
elementes dt  leisten,  dargestellt  durch  das  Differential  des  folgen- 
den Ausdruckes: 

^^   [r        \2r  dsds' '^  dsds')  dt  dtj' 

Nun  wird  bekanntlich  bei  der  Betrachtung  der  electrostatischen 
Kräfte  diejenige  Grösse,  deren  negatives  Differential  die  Arbeit 
darstellt,  das  Potential  der  beiden  Electricitätsth eilchen  auf 
einander  genannt,  und  dem  entsprechend  kann  man  auch  den  vor- 
stehenden, nur  durch  Fortlassung  des  äusseren  Minuszeichens 
abgeänderten  Ausdruck  als  Potential  im  erweiterten  Sinne  be- 
zeichnen. Dabei  kann  man  auch  die  beiden  Theile,  welche  sich 
auf  die  electrostatischen  und  auf  die  von  der  Bewegung  abhängigen 
oder  electrodynamischen  Kräfte  beziehen,  einzeln  betrachten  und 
danach  das  electrostatische  und  das  electrodynamische 
Potential  von  einander  unterscheiden.  Bezeichnen  wir  das  erstere 
mit  U  und  das  letztere  mit  F,  so  ist  dem  Vorigen  nach  zu  setzen : 

(67)  U^i^, 

,  /h  8H»'')    ,     S'-ß  \  ds  ds' 

Der  hier  gegebene  Ausdruck  des  electrodynamischen  Potentials 
ist  bei  der  Annahme  von  nur  Einer  im  festen  Leiter  beweglichen 
Electricität  der  einzig  mögliche. 

Die  in  ihm  noch  vorkommende,  mit  B  bezeichnete  unbe- 
stimmte Function  von  r  lässt  sich  aus  den  Wirkungen  geschlossener 

18* 


276  Abschnitt  IX. 

Ströme  überhaupt  nicht  bestimmen,  und  man  ist  daher,  wenn  man 
auch  sie  noch  bestimmen  will,  für  jetzt  auf  Wahrscheinlichkeits- 
gründe angewiesen. 

Macht  man  die  schon  am  Ende  des  §.10  erwähnte  Annahme, 
dass  die  Abhängigkeit  der  Kraft  von  der  Entfernung  nach  einem 
einheitlichen  Gesetze  stattfinden  müsse,  so  gelangt  man  zu  dem 
Schlüsse,  dass 

(69)  R  =  \r 

zu  setzen  ist,  worin  Zq  eine  Constante  bedeutet.  Dadurch  geht 
(68)  über  in : 

(70)  r=-ee'am  +  h    «"■^''^<^^' 


2r  dsds'    '      '  dsds'J  dt   dt 

Sucht  man  ferner  noch  durch  Bestimmung  der  Constanten  hy 
diesen  Ausdruck  möglichst  einfach  zu  machen,  so  findet  man 
zunächst,  dass  zwei  Werthe  sich  in  dieser  Beziehung  besonders 
auszeichnen,  nämlich  y^i  =  0  und  Ici  =  —  Tc,  welche  geben: 

ee'  dHr^)  dsds' 
^'^  ^  ^       ^2r  dsds'  dt  dt' 

.  ^.  TT -.  ee'  dr  dr  ds  ds' 

^^^-^  ^  -~~^  Trsd^'dilt' 

Diese  beiden  Formeln  sind  äusserlich  nahe  gleich  einfach;  benutzt 
man  sie  aber  zu  Rechnungen,  indem  man  aus  ihnen  die  Kraft- 
componenten  zu  bestimmen  sucht,  so  findet  man,  dass  für  diese 
aus  der  ersteren  Formel  viel  einfachere  Ausdrücke  entstehen,  als 
aus  der  letzteren,  und  man  wird  also,  wenn  man  dasjenige  Kraft- 
gesetz erhalten  will,  welches,  während  es  allen  bis  jetzt  bekannten 
Erscheinungen  entspricht,  zugleich  möglichst  einfach  ist,  Jci  =  0 
oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  jR  =  0  zu  setzen  haben. 

Da  der  Ausdruck  des  electrodynamischen  Potentials  kürzer 
und  übersichtlicher  ist,  als  diejenigen  der  Kraftcomponenten ,  so 
ist  er  ganz  besonders  dazu  geeignet,  die  verschiedenen  bis  jetzt 
aufgestellten  electrodynamischen  Grundgesetze  (mit  Ausnahme  des 
Gauss'  sehen,  welches  dem  Princip  von  der  Erhaltung  der  Energie 
nicht  genügt)  unter  einander  zu  vergleichen,  und  es  möge  hier 
eine  Zusammenstellung  der  Art  Platz  finden.  Die  zur  Bestimmung 
des  electrodynamischen  Potentials  dienende  Gleichung  ist 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.  277 

1)  nach  Weber  i): 


2)   nach  Kiemann  2): 


V  = 


1_  ee'  ^ 

(.2      Y 


\dt         dt  J  ~^  \dt        dt)  ~^  \dt  ~  Tlt)  y 


3)   nach  den  von  mir  ausgeführten  Entwickelungen 
a)   in  allgemeinster  Form: 

T^  ,  /h  d'(r^)    .     d^R\  ds  ds' 


,2r  dsds'    '    dsds'J  dt  dt' 
h)   in  vereinfachter  Form: 

-r.  ,  fh   dHr'-)    .    ,      dH  \  ds  ds' 


,2r  dsds'    '      '  dsds'J  dt  dt  ' 
c)   in  einfachster  und  daher  wahrscheinlichster  Form: 

Y_  _.e^  9^  jr^)  ds  cU 
~  2r  dsds'  dt  dt' 

Dem  letzten  Ausdrucke  kann  man  auch  folgende  Gestalt  geben: 

,     ,  ^ ,  ee'  /dx  dx'    .    dy  dy'  _,    dz  dz' 

^  ^  T\dt    dt^dtJi'^dtlt 

oder,  wenn  man  mit  v  und  v'  die  Geschwindigkeiten  der  beiden 
Electricitätstheilchen  und  mit  s  den  Winkel  zwischen  ihren  Bewe- 
gungsrichtungen bezeichnet: 

(74)  V  =  1  —  vv'  cose. 

r  ■ 


§.  14.     Ableitung  der  Kraftcomponenten   aus  dem 

Potential. 

Um  nun  aus  dem  electrostatischen  und  electrodynamischen 
Potential  wiederum  die  Kraftcomponenten  abzuleiten,  hat  man 
Gleichungen  anzuwenden,  in  denen  das  electrodynamische  Potential 
in  derselben  Weise  vorkommt,  wie  in  den  auf  allgemeine  Coordi- 
naten  bezüglichen  mechanischen  Grundgleichungen  von  Lagrange 


1)  Po  gg.    Ann.  Jubelband  S.  212. 

2)  Schwere,  Electricität  und  Magnetismus,  nach  den  Vorlesungen  von 
Bernh.  Riemann   bearbeitet  von  Hattendorjff,    Hannover  1876,   S.  326. 


278 


Absclmitt  IX. 


die  lebendige  Kraft.  Für  die  in  die  ii;-Ric]itung  fallende  Compo- 
nente  der  Kraft,  welche  das  Theilclien  e  erleidet,  lautet  die 
Gleicliung: 

d{V-  U)  _   d_  /8F' 

dx  dt  {  „  dx 

VTt 


(75) 


Xee' 


Hierin  hat  man  für  ü  und  V  die  unter  (67)  und  (68)  gege- 
benen Ausdrücke  einzusetzen.  Aus  dem  ersteren  erhält  man 
einfach : 


(76) 


du 

dx 


ee 


r 
'dx' 


Den  letzteren,  welcher  bei  der  Differentiation  als  Function  der 
sechs  Coordinaten  und  der  sechs  Geschwindigkeitscomponenten  zu 
behandeln  ist,  wollen  wir  so  umformen,  dass  die  Geschwindigkeits- 
componenten explicite  in  ihm  vorkommen.  Der  Bequemlichkeit 
wegen  wollen  wir  dabei  V  in  zwei  Theile  zerlegen,  indem  wir 
setzen: 

(77)  F=Fi-t-F2, 

worin  Vi  und  V2  folgende  Bedeutungen  haben: 

Y  _  _  ^  g^  (r^)  dsds^ 
^  ~~        2r    dsds'  dt  dt 


Icee'  /dx  dx'  j_  dy  dy'    |^  dz  dz'\ 

^  ~r  \di  dt  ^  dt  dt  '^  dt  ~dt)' 


r,= 


ee 


d^B    ds  ds' 


—  ee  < 


dsds'  dt  dt 

d'-B_  dxdx^_.     d^R   dx  dy'   ,     d^R    dx  ds'^ 
1  äJ  11    r 


dxdx' dt  dt 
d^B    dydx^. 


dxdy'  dt  dt 
d^B    dydy' 


1  + 


dydx'  dt  dt    '   dydy'  dt  dt 
d^B    dzdx'    ,     d'^B    dz  dy' 


^+    \ 


+ 


dxds'-  dt  dt 

d^B   dy  dz' 

dydz'  dt  dt 

d^B    dz  dz' 


dzdx'  dt  dt    '    dzd^j'  dt  dt 
Dann  erhalten  wir  für  den  ersten  Theil: 


f    rH^     ^+         \       T^r)  'Av'    ^  + 


dzdz'  dt  dt 


Neues  electrodynamisclies  Grundgesetz.  279 


(78) 


dV, 


r  /dx  dx' 


dy  dl/    .    d^  ds''' 


dx  dx   \dt    dt     ^  dt    dt  ^  dt   dt  J 


„  dx 
^dt 


liee'  dx' 

~7~  dt' 


d 


r  d^(r^)  ds  ds^ 
dx  ds  ds'  dt  dt ' 


(79) 


d_ 

dt 


_  dx 
^di 


=  liee' 


d   /l   dx' 
dt 


\r   dtr 


und  für  den  zweiten  Theil  erhalten  wir 
8F2  .   d    f  d^B    ds  ds' 


(80) 


dx 

dV, 
^Tt 


—  ee 


dx  \dsds'  dt  dt 


-'(; 


82E   dx'    ,      d^B    dj/  j_    d^B    ds' 


dxdx'  dt     '    dxdy'  dt     '    dxdz'  dt 

_  _     ,    d_  /dB  dx'    .    dB  dij'    .    dB  ds' 
~       ^^   dx  \dx'  dt     '    dij'  dt  "^  ds'    dt, 


ee 


d    /dB  ds' 


d_ 
dt 


dr^\ 

^  dx  ] 
^JtJ 


=  —  ee 


dx  \ds'  dt 

A 

dt 


Vd_  /dB  ds\' 

[dx  \ds'  dtjy 


was  sich  auch  so  schreiben  lässt; 


dt  {  ^  dx 

^Tt 


dv^x  _  _    /  _8_  r_^  /^  ^\ 


dx 


r_rf  /dB  ds\] 
[dt\ds'  dtj\ 


oder  endlich: 

dt  i  „  dx 

^dt 


(81) 


dx  L 


d    r  d^B    ds  ds^ 

dsds'  dt  dt 


d^  /dsy- 
ds'^  \dt. 


dB  d's'l 
+  ds'  dt'} 


Setzt  man  nun  die  unter  (76),  (78),  (79),  (80)  und  (81)  gege- 
benen Ausdrücke  in  die  Gleichung  (75)  ein,  nachdem  man  in  der 
letzteren  V  durch  Vi  -\-  V^  ersetzt  hat,  so  erhält  man : 


280  Abschnitt  TX. 

Y  —  —  ^  Fl  -^  -  ^^  (^^)  ^  ^1  _  7..  A  (L  ^M\ 

8^   L    "^   2    dsds'  dt  dtj  dt  \r    dt) 

.     d_  Vd^  /dsy    ,    dB  d^l 
"+"  dx  Las' 2  \dt)  "^  ds'  dt'^y 
welches  die  oben  unter  (66)  gegebene  Gleicbung  ist. 

Die  Recbnung  vereinfaclit  sich  offenbar  sehr,  wenn  man  für 
B  den  Werth  Null  annimmt,  welcher  in  §.  13  als  der  wahrschein- 
lichste bezeichnet  wurde.    Dann  erhält  man: 

d- 

dx\   '^2  dsds' dt  dt)         dt\r  dt) 


(82) 


al 


rr        -j  /dxdx'  .dydy'  .d^dsi'\l      ,  c?  /l  dx'\ 

~~dxl\ßtlt'^Tt7iI^Mdt)\~di\r  dt) 

d- 

In  dieser  Form  habe  ich  die  Gleichung,  welche  zur  Bestimmung 
der  in  eine  Coordinatenrichtung  fallenden  Kraftcomponente  dient, 
und  sich  natürlich  für  die  beiden  anderen  Coordinatenrichtungen 
auf  entsprechende  Art  bilden  lässt,  zuerst  in  einer  Mittheilung 
vom  Februar  1876  aufgestellt. 


§.  15.     Kraftgesetz  für  Stromelemente. 

Will  man  die  Ä;-Componente  der  Kraft  bestimmen,  welche  ein 
Stromelement  ds  von  einem  Stromelemente  ds'  erleidet,  so  hat 
man  die  unter  (66)  gegebene  Gleichung  auf  folgende  vier  Combi- 
nationen  von  je  zwei  Electricitätsmengen  anzuwenden:  lids  und 
h'  ds',  hds  und  —  h'  ds',  —  hds  und  h'  ds'i  —  li  ds  und  —  li'  ds', 
indem  man  dabei  hds  und  li' ds'  als  bewegt,  dagegen  —  hds  und 
—  li'  ds'  als  ruhend  betrachtet.  Von  den  dadurch  erhaltenen  vier 
Ausdrücken  hat  man  die  algebraische  Summe  zu  nehmen.  Man 
gelangt  dadurch  für  die  gesuchte  Kraftcomponente  zu  dem 
Ausdrucke : 

7)1.  7)1- 

jj,  .    ,  ,j  (       1  %  8'(r2)  r  dx'\  ds  ds' 

IUI  asas  i^y--,-^  g^^  --dJ  d^)Ttdt 


Neues  electrodynamisches  Grundgesetz.         281 
oder  anders  geschrieben: 


1 

^  1 

y 

^- 

d  — 

r 

r 

dx' 

cos  s  - 

—  

— 

dx 

ds 

ds'- 

hh'  ds  ds'  h  \  -t~-  cos  s — ^  ^^  I  -n  ti' 

\  dx  ds   ds  /   dt  dt 

Bezeichnet  man  die  Stromintensität,  d.  h.  die  während  der 

Zeiteinheit  durch  einen  Querschnitt  fliessende  Electricitätsmenge, 

für  die  beiden  Ströme  mit  i  und  ^',  indem    man  sicli  dabei   die 

Electricitätsmenge  nach  demselben  mechanischen  Maasse  gemessen 

denkt,  welches  in  allen  obigen  Gleichungen  angewandt  ist,  so  kann 

ds  ds' 

man  i  und  i'  an   die  Stelle  der  Producte  Ji  -^  und  h'  -=-  setzen, 

dt  dt 

und  erhält   dann    für   die  ^-Componente    der  Kraft,  welche  das 

Stromelement    ds    von    dem    Stromelemente    ds'    erleidet,    den 

Ausdruck: 

kii'  ds  ds'  \  -7^ —  cos  s ^-r 

\ox  CS    ds 

In  diesem  Ausdrucke  kommt  die  unbestimmte  Function  R 
nicht  vor,  sondern  sie  hat  sich  bei  der  Bildung  der  oben  erwähnten 
Summe  fortgehoben.  Wir  haben  also  für  die  in  eine  gegebene 
Richtung  fallende  Componente  der  Kraft,  welche  ein  Stromelement 
von  einem  andern  erleidet,  einen  vollkommen  bestimmten  Ausdruck 
gewonnen,  von  dem  wir  sagen  dürfen,  dass  er  der  einzige  ist, 
welcher  sich  mit  den  beiden  Annahmen,  dass  nur  Eine  Electricität 
im  festen  Leiter  beweglich  sei,  und  dass  die  gegenseitigen  Ein- 
wirkungen zweier  Electricitätstheilchen  für  sich  allein  dem  Princip 
von  der  Erhaltung  der  Energie  genügen,  vereinigen  lässt. 

Einen  hiermit  vollständig  übereinstimmenden  Ausdruck  für 
die  von  einem  Stromelemente  auf  ein  anderes  ausgeübte  Kraft 
hat  H.  Grassmann  schon  im  Jahre  1845  (Poggendorff's  Annalen 
Bd.  64,  S.  1)  aus  sehr  sinnreichen  Betrachtungen  ganz  anderer 
Art  abgeleitet,  worin  eine  erfreuliche  Bestätigung  unserer  oben 
ausgeführten  Entwickelungen  liegt. 


ABSCHNITT  X. 


Anwendung  des  neuen'  electrodynamischen  Grundge- 
setzes auf  die  zwischen  linearen  Strömen  und  Lei- 
tern stattfindende  ponderomotorischen  und  electro- 
motorischen  Kräfte. 

§.  1.    Unterscheidende  Eigenthlimlichkeiten  des 
neuen  Grundgesetzes. 

Im  vorigen  Abschnitte  ist  für  die  gegenseitige  Einwirkung 
zweier  bewegter  Electricitätsth'eilchen  ein  neues  Grundgesetz  abge- 
leitet, welches  sich  von  den  früher  aufgestellten  sehr  wesentlich 
unterscheidet.  Dieser  Unterschied  ist  in  §.  13  des  vorigen  Ab- 
schnittes schon  einmal  dadurch  ersichtlich  gemacht,  dass  die  den 
verschiedenen  Gesetzen  entsprechenden  Formeln  des  electrodyna- 
mischen Potentials  zusammengestellt  sind;  es  wird  aber  nicht 
unzweckmässig  sein,  diese  Vergleichung  hier  noch  einmal  unter 
einem  besonderen  Gesichtspuncte  vorzunehmen. 

Wenn  zwei  Puncte  sich  bewegen,   so  kann  man  bekanntlich 

ausser   den   absoluten  Bewegungen  der  beiden   einzelnen  Puncte 

auch  die  relative  Bewegung  beider  Puncte  zusammen  betrachten. 

Unter  der  Bezeichnung  relativer  Bewegung  werden  aber  noch 

zwei    wesentlich  von    einander   verschiedene  Begriffe  verstanden. 

Seien  x,  y,  ^  und  x',  y'.,  s,'  die    rechtwinkligen  Coordinaten  der 

,    .,       -r,       .  ,        dx     dij      dz        T  dx'     dl/      dz'    ,. 

beiden  Puncte,    so     dass   -tt'    -ti-->    t-  und  -77-1   -rf-'    -it  die 

dt      dt      dt  dt       dt       dt 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  283 

Geschwindigkeits-Componenten  der  beiden  absoluten  Bewegungen 
darstellen,  dann  sind 

dx       dx'     dy       dy'     dsi       ds' 
dt        df    dt        dt''    dt        dt 

die  Geschwindigkeits-Componenten  der  relativen  Bewegung  im 
gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes.  Ausserdem  wird  aber  von  manchen 
Autoren,  insbesondere  von  W.  Weber,  die  relative  Bewegung 
auch  so  aufgefasst,  dass  darunter  nur  die  Zu-  oder  Abnahme  der 
gegenseitigen  Entfernung  der  beiden  Puncte  verstanden,  und  dass 
daher,  wenn  r  ihre  Entfernung  zur  Zeit  t  bedeutet,  die  relative 

dy 

Geschwindigkeit  durch  -7-  dargestellt  wird.     Um    diese   letztere 

relative  Geschwindigkeit  durch  die  Componenten  der  absoluten 
Geschwindigkeiten  auszudrücken,  hat  man  die  Gleichung 

r  =  V  (x  ~  xy  -f  (y  —  ijy  +  (^  —  z'y 

nach  t  zu  differentiiren,  wodurch  man  erhält: 

Die  drei  von  Weber,  Riemann  und  mir  für  das  electrody- 
namische  Potential  zweier  bewegter  Electricitätstheilchen  auf 
einander  aufgestellten  Formeln  unterscheiden  sich  nun  wesentlich 
dadurch  von  einander,  dass  die  eine  oder  die  andere  Art  von 
relativer  Geschwindigkeit  oder  die  absoluten  Geschwindigkeiten 
in  ihnen  vorkommen. 

In  der  Weber'  sehen  Formel  kommt  die  relative  Geschwindig- 
keit der  letzten  Art  vor,  indem  die  Formel  lautet: 

(2)  v^--  —  {- 

^  ^  ^  c^    T    \dt 


dr 

dt 
die  Formel  über  in: 


Setzt  man  hierin  für  -^  den   obigen  Ausdruck  ein,  so  geht 


/o  \   Tr  1    ß^T/-  ,./dx      dx'\   .    .  ,^/dy      dii'\ 


+  (^-'Krt-% 


284  Abschnitt  X. 

In  der  Riemann'sclien   Formel    kommt    die    relative    Ge- 
schwindigkeit der  ersten  Art  vor,  indem  sie  lautet: 

(3)  F=-i- 


'/dx  __  dx\^    \(dy__  dyy 
\dt         dt)   '^  \dt        dt) 


i_  /ds       dß' 


^dt        dt,. 

In  meiner  Formel  endlich  kommen  die  Componenten  der  abso- 
luten Geschwindigkeiten  vor,  indem  sie  lautet: 

,  „ ,  ee'  /dx  dx'  _,    dy  dy'    ,    dz  dz' 

^^  r    \Tt  It  ^  Tt  ~dt  ^  dt  ~di 

Eine  Vergleichung  .  der  drei  Formeln  (2  a) ,  (3)  und  (4)  lässt 
sofort  erkennen,  dass  für  die  absoluten  Geschwindigkeiten  die 
letzte  Formel  bedeutend  einfacher  ist,  als  die  beiden  ersten,  indem 

sie    sowohl   in   Bezug   auf  -^-?  -^  und  -^f-i  als   auch   in  Bezug 
°  dt      dt  dt 

auf  -TT-'   -TT-  und  ^  homogen  vom   ersten  Grade  ist,  während 
dt      dt  dt 

die  beiden  ersten  Formeln  die  einzelnen  Geschwindigkeits-Compo- 
nenten  auch  quadratisch  enthalten.  Dieser  Umstand  trägt  sehr 
wesentlich  zur  Vereinfachung  aller  mit  dem  Potential  anzustellenden 
Rechnungen  bei,  und  mit  ihm  hängt  auch  der  Vorzug  zusammen, 
auf  welchen  ich  das  Hauptgewicht  legen  muss,  nämlich  dass  das 
durch  meine  Formel  ausgedrückte  Kraftgesetz  allgemeiner  zulässig 
ist,  als  die  beiden  anderen. 

Die  von  Weber  und  Riemann  aufgestellten  Kraftgesetze 
stehen,  wie  zu  Anfang  des  vorigen  Abschnittes  nachgewiesen  ist, 
nur  dann  mit  der  Erfahrung  im  Einklänge,  wenn  man  die  specielle 
Voraussetzung  macht,  dass  ein  galvanischer  Strom  aus  zwei 
gleichen  und  entgegengesetzten  Strömen  von  positiver  und  nega- 
tiver Electricität  bestehe.  Anders  das  von  mir  aufgestellte  Gesetz. 
Bei  der  im  vorigen  Abschnitte  ausgeführten  Ableitung  desselben 
habe  ich  zwar  der  Einfachheit  wegen  auch  eine  specielle  Voraus- 
setzung über  die  Art  der  Electricitätsbewegung  in  festen  Leitern 
gemacht,  nämlich  die,  dass  nur  die  positive  Electricität  ströme, 
während  die  negative  Electricität  fest  an  den  ponderablen  Atomen 
hafte.  Es  wurde  aber  schon  dort  in  §.11  darauf  hingewiesen, 
dass  die  Zulässigkeit  des  gewonnenen  Ausdruckes  nicht  auf  den 
Fall,  wo  nur  Eine  Electricität  als  strömend  vorausgesetzt  wird, 
beschränkt  ist,  sondern  dass  er  auch  dann  zulässig  bleibt,  wenn 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  285 

man  annimmt,  der  galvanische  Strom  bestelle  aus  zwei  nach  ent- 
gegengesetzten Richtungen  gehenden  Strömen  von  positiver  und 
negativer  Electricität ,  wobei  es  gleichgültig  ist,  ob  man  diese 
beiden  Ströme  ihrer  Stärke  nach  als  gleich  oder  als  verschieden 
annimmt.  In  der  That  kann  man  sich  auch  leicht  davon  über- 
zeugen, dass  alle  Erfahrungssätze,  welche  im  vorigen  Abschnitte 
der  Entwickelung  zu  Grunde  gelegt  wurden,  auch  dann  erfüllt 
bleiben,  wenn  man  den  gewonnenen  Kraftausdruck  auf  eine 
Combination  von  zwei  entgegengesetzten  Strömen  von  positiver 
und  negativer  Electricität,  deren  Intensitäten  beliebig  sind,  an- 
wendet. 

Diese  grössere  Allgemeinheit  der  Zulässigkeit  meiner  Formel 
ist  sehr  wichtig.  Wenn  man  sich  nämlich  auch ,  wie  ich  es  thue, 
der  von  C.  Neumann  gemachten  Voraussetzung  anschliesst,  dass 
die  negative  Electricität  fest  an  den  ponderablen  Atomen  hafte,  so 
ist  damit  doch  nur  für  diejenigen  Leiter,  welche  die  Electricität 
ohne  Mitbewegimg  der  Atome  leiten,  das  Strömen  der  negativen 
Electricität  ausgeschlossen.  Bei  den  electrolytischen  Leitern 
dagegen,  bei  denen  die  Electricitätsleitung  durch  Bewegung  der 
positiv  und  negativ  electrischen  Molecültheile  vermittelt  wird, 
muss  man  für  die  entgegengesetzt  electrischen  Molecültheile  auch 
entgegengesetzt  gerichtete  Bewegungen  annehmen,  die  aber  wegen 
der  verschiedenen  Beweglichkeit  der  verschiedenen  Molecültheile 
nicht  mit  gleicher  Geschwindigkeit  stattzufinden  brauchen.  Daraus 
folgt,  dass  ein  Kraftgesetz,  dessen  Zulässigkeit  an  eine  ganz  be- 
stimmte Voraussetzung  über  die  Bewegung  der  negativen  Electri- 
cität geknüpft  ist  (sei  es  die,  dass  die  negative  Electricität  sich 
eben  so  schnell  bewege,  wie  die  positive,  oder  die,  dass  sie  sich 
gar  nicht  bewege),  nicht  auf  alle  galvanischen  Ströme  in  metalli- 
schen und  electrolytischen  Leitern  angewandt  werden  darf,  sondern 
dass  dieses  nur  mit  einem  Kraftgesetze  geschehen  darf,  dessen 
Zulässigkeit  davon,  ob  und  wie  schnell  die  negative  Electricität 
sich  bewegt,  unabhängig  ist. 

Wir  wollen  daher  in  den  folgenden  allgemeinen  Entwicke- 
lungen  nicht  nur  für  die  positive,  sondern  auch  für  die  negative 
Electricität  eine  Strömungsbewegung  in  Rechnung  bringen,  wollen 
aber  das  Verhältniss  der  Geschwindigkeiten  der  beiden  Electrici- 
täten  unbestimmt  lassen,  indem  wir  zwei  verschiedene  Zeichen 
für  die  beiden  Geschwindigkeiten  einführen,  denen  wir  nachträglich 
beliebige  Werthe   geben  können.     Dann    können    wir   für  jeden 


286  Abschnitt  X. 

electrolytischen  Leiter  das  Verhältniss  der  beiden  Geschwindig- 
keiten so  annehmen,  wie  es  der  Natur  des  Leiters  entspricht,  und 
für  metaUische  Leiter  können  wir,  gemäss  der  Neumann'schen 
Vorstellung,  die  Geschwindigkeit  der  negativen  Electricität  gleich 
Null  setzen.  Ja  man  könnte  auch,  wenn  man  sich  der  Web  er' sehen 
Vorstellung  anscbUessen  wollte,  für  die  metallischen  Leiter  die 
Geschwindigkeit  der  negativen  Electricität  gleich  der  der  positiven 
setzen.  Die  auf  diese  Weise  abgeleiteten  Gleichungen  haben  also 
den  Vorzug,  dass  sie  den  verschiedenen  Arten  von  Leitern  und 
den  verschiedenen  Vorstellungsweisen  über  die  Electricitäts- 
bewegung  gleich  gut  angepasst  werden  können. 


§.  2.     Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes  auf  die  in 

bewegten  linearen  Leitern  strömenden 

Electricitäten, 

Es  möge  nun  das  neue  Grundgesetz  dazu  angewandt  werden, 
die  zwischen  zwei  linearen  Strömen  stattfindenden  ponderomotori- 
schen  Kräfte  und  die  von  einem  linearen  Strome  auf  einen  linearen 
Leiter  ausgeübten  Inductionswirkungen  zu  bestimmen. 

Nach  diesem  Gesetze  gilt,  wenn  Xee'  die  :r-Componente  der 
Kraft  darstellt,  welche  ein  zur  Zeit  t  im  Puncte  a?,  y^  ß  befindliches 
bewegtes  Electricitätstheilchen  e  von  einem  anderen  um  die 
Strecke  r  von  ihm  entfernten,  im  Puncte  x\  y\  z'  befindlichen 
bewegten  Electricitätstheilchen  e'  erleidet,  folgende  Gleichung: 

gl 
_  r  V  fdx  ds^       dy  dy^  _,    dl  d0\\ 

(t)j        JL-  -  ^-  1^1  —  /c  ^^^^   ^^   -^  dt  dt  ^  dt  dtj] 

d  /l  dx' 
dt  \r   dt 

Um  diese  Gleichung  und  ebenso  auch  die  weiter  unten 
folgenden,  aus  ihr  abgeleiteten  Gleichungen  bequemer  schreiben 
zu  können,  wollen  wir  ein  Summenzeichen  von  eigenthümlicher 
Bedeutung  einführen.  Wenn  nämlich  eine  Summe  aus  drei 
Gliedern  besteht,  welche  sich  auf  die  drei  Coordinatenrichtungen 
beziehen,  im  Uebrigen  aber  unter  einander  gleich  sind,  so  wollen 
wir  nur  das  auf  die  a?-Richtung  bezügliche  Glied  wirklich  hin- 
schreiben und  das  Vorhandensein  der  beiden  anderen  durch  das 


Anwendung  des  neuen  Grrundgesetzes.  287 

Summenzeichen  andeuten,   wie    aus  nachstehender  Gleichung  zu 
ersehen  ist: 

2jdi  dt  ~^  dt    dt  ^  dt    dt  "'    dt    dt  ' 
Dadurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in : 

^  ^   /  ^  ^^dx  dx'\        T    d  {l  dx'\ 

Diese  Gleichung  wollen  wir  nun  auf  die  in  zwei  linearen 
Leitern  strömenden  Electricitäten  anwenden.  Es  mögen  also  zwei 
von  galvanischen  Strömen  durchiiossene  Leiter  s  und  s'  gegeben 
sein,  welche  sich  bewegen  können  und  deren  Stromintensitäten 
veränderlich  sein  können.  Li  einem  Leiterelemente  ds  denken 
wir  uns  gleiche  Mengen  von  positiver  und  negativer  Electricität 
enthalten,  welche  wir  mit  hds  und  —lids  bezeichnen  wollen. 
Die  positive  Electricität  habe  die  Strömungsgeschwindigkeit  c  nach 
der  Seite,  nach  welcher  wir  die  Bogenlänge  s  als  wachsend  be- 
trachten, und  die  negative  Electricität  habe  eine  nach  der  ent- 
gegengesetzten Seite  gehende  Strömungsgeschwindigkeit,  welche 
wir  mit  —  c^  bezeichnen  wollen.  Ebenso  bezeichnen  wir  die  in 
einem  Leiterelemente  ds'  enthaltenen  Electricitätsmengen  mit 
h'ds'  und  —  h'ds'  und  ihre  Strömungsgeschwindigkeiten  mit  c'  und 

-  Ci'-  .         -, 

Richten  wir  nun  zunächst  unsere  Aufmerksamkeit  auf  irgend 

zwei  in  den  beiden  Leitern  sich  bewegende  Electricitätstheilchen, 
welche  sich  zur  Zeit  t  in  den  Puncten  x,  y,  s  und  x\  y',  z'  und  im 
gegenseitigen  Abstände  r  befinden,  so  hat  jedes  dieser  Electricitäts- 
theilchen ausser  seiner  Bewegung  im  Leiter,  welche  wir  kui'z  die 
Strömungsbewegung  nennen  und  deren  Geschwindigkeit  wir, 
wie  oben  bei  der  positiven  Electricität,  beim  einen  mit  c  und  beim 
anderen  mit  c'  bezeichnen  wollen,  noch  dadurch  eine  weitere 
Bewegung,  dass  der  Leiter  selbst  sich  bewegt.  Um  die  Antheile, 
welche  die  beiden  Bewegungen  an  der  Yeränderung  der  Coordinaten 
und  des  Abstandes  haben,  von  einander  unterscheiden  zu  können, 
wollen  wir  folgende  Bezeichnungsweise  einführen. 

Die  Coordinaten  eines  in  einem  der  Leiter  festen  Punctes 
betrachten  wir  einfach  als  Fimctionen  der  Zeit  f,  die  Coordinaten 
des  im  Leiter  s  strömenden  Electricitätstheilchens  dagegen  denken 
wir  uns  als  Functionen  von  t  und  s  dargestellt,  und  betrachten 


288  Absclinitt  X. 

dabei  s  selbst  wieder  als  Function  von  t  Demnacli  ist  für  die 
Coordinate  x  des  Electricitätstheilcliens  der  vollständige  Differen- 
tialcoel'ficient  nach  t  so  zu  schreiben: 

dt  "^  dt  '^  d^  dt' 
oder,  wenn  wir  für  den  die  Strömungsgeschwindigkeit  darstellen- 
den Differentialcoefficienten  ^  das  oben  eingeführte  Zeichen  c  an- 

dt 

wenden: 

dx        dx    ,       dx 

Ebenso  gilt  für  das  im  Leiter  s'  mit  der  Geschwindigkeit  c'  strömende 
Theilchen  die  Gleichung: 

dx'  _dx'         ,  dx' 

^^^  dt-m'^'^ds'' 

Entsprechende  Gleichungen  sind  natürlich  auch  für  die  beiden 
anderen  Coordinatenrichtungen  zu  bilden. 

Der  Abstand  r  der  beiden  Electricitätstheilchen  von  einander 
hängt  wegen  der  Bewegung  der  beiden  Leiter  unmittelbar  von  f, 
und  wegen  der  Bewegung  der  Electricitätstheilchen  in  den  Leitern 
von  s  und  s'  und  dadurch  mittelbar  von  t  ab.     Der  vollständige 

Differentialcoefficient  von  -  nacli  t  lautet  daher: 

r 

(8)  -W^^  +  '^  +  ^'w- 

Wegen  der  in  der  Gleichung  (.5  a)  vorkommenden  zweiten 
Differentiation  nach  t  müssen  wir  unser  Augenmerk  auch  noch 
auf  das  Verhalten  der  Geschwindigkeiten  c  und  c'  richten.  Bei 
einem  galvanischen  Strome  kann  die  Geschwindigkeit  der  strö- 
menden Electricitäten  sich  an  jeder  Stelle  des  Leiters  mit  der 
Zeit  ändern,  weil  die  Intensität  des  Stromes  veränderlich  sein 
kann,  und  ausserdem  können,  falls  der  Leiter  in  Bezug  auf  Quer- 
schnitt und  Stoff  nicht  überall  gleich  ist,  die  Geschwindigkeiten 
an  verschiedenen  Stellen  des  Leiters  verschieden  sein.  Wenn  wir 
nun  dem  entsprechend  bei  unserem  zur  Betrachtung  ausgewählten, 
im  Leiter  s  sich  bewegenden  Electricitätstheilchen  die  Strömungs- 
geschwindigkeit c  als  Function  von  t  und  s  behandeln,  so  haben 
wir  zu  setzen: 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  289 

.  .  de de    ,      de 

und  ebenso  für  das  im  Leiter  s'  sich  bewegende  Electricitäts- 
theilchen : 

(1°)        ^  §-%  +  <^^- 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  über  die  Behandlung  der  in 
Betracht  kommenden  Grössen  wollen  wir  die  Kraft  bestimmen, 
welche  ein  Stromelement  ds'  auf  eine  in  einem  Puncte 
concentrirt  gedachte  Electricitätseinheit  ausüben 
würde,  wenn  diese  mit  der  Geschwindigkeit  c  im  Leiter 
s  strömte. 

Zunächst  möge  die  Kraft  bestimmt  werden,  welche  die  in  dem 
Elemente  enthaltene  positive  Electricitätsmenge  h'ds',  die  mit 
der  Geschwindigkeit  c'  strömt,  auf  jene  Electricitätseinheit  ausüben 
würde.  Die  ^-Componente  dieser  Kraft  wird  durch  das  Product 
h'ds'X  dargestellt,  in  welchem  für  X  der  unter  (5a)  gegebene 
Ausdruck  zu  setzen  ist,  wodurch  kommt: 

gl 

dx  \  '^-^  dt    dt/  dt  \r    dt  J 

Hierin  müssen  wir  das  letzte  Glied  etwas  näher  betrachten. 

1     ß/OC 

Die  Grösse  -  -r— ?  welche  durch  Einsetzung  des  in  (7)  gegebenen 

ßjOß 

Ausdruckes  von  -^-r  die  Form: 
dt 

1  C^A.  _4_    '  ?^\ 
r\dt'^^  ds') 

erhält,  ist  als  Function  von  #,  s  und  s'  anzusehen,  und  demgemäss 
ist  die  angedeutete  vollständige  Differentiation  nach  t  so  auszu- 
führen : 

dt  \r  dt)~  dt  \T   dt)  "^  ^  8s  \r   dt)  "^  ^  9s'  \r  Jf)' 

Diese  Gleichung  möge  mit  h'  multiplicirt  und  dann  das  letzte 
Glied  in  folgender  Weise  umgeformt  werden : 

ds'\r   dt)~  ds'\  r     dt)        rdt       ds' 
Zugleich  möge  bei  der  im  vorletzten  Gliede  angedeuteten  Differen- 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.   11.  jn 


290  Absclmitt  X. 

tiation  berücksichtigt  werden,  dass  nur  r  von  s  abhängig  ist. 
Dann  kommt: 

-     gl 
...^        1,    f^  /l   dx'\        -,,   d    /l   dx'\    ,    ,,         r  dx' 

(11)      ''  Tt{TTt)  =  ^'  ^t[vTt)  +  ^'T^dt 

'^  ds'  \  r     dt)        r    dt      ds' 

dOi'c') 
Der  hierin  vorkommende  Differentialcoefficient      \  ,      lässt  sich 

OS 

durch  einen  anderen  ersetzen.  Das  Leiterelement  ds'  ist  von 
zwei  Querschnitten  des  Leiters  begrenzt,  welche  sich  an  den  durch 
die  Bogenlängen  s'  und  s'  +  ds'  bestimmten  Stellen  befinden. 
Durch  den  ersten  Querschnitt  strömt  während  der  Zeit  dt  die 
Menge  h'  c' dt  von  positiver  Electricität  in  das  Element  hinein. 
Durch  den  zweiten  Querschnitt  strömt  die  Menge 

dQi'c') 


(^,',>^^^ds')dt 


aus  dem  Elemente  heraus.  Die  während  der  Zeit  dt  stattfindende 
Zunahme  der  in  dem  Elemente  enthaltenen  positiven  Electricitäts- 
menge  ist  also: 

ds 
Eben  diese  Zunahme  wird  aber  andererseits  durch: 

TTT  ds' dt 

et 

dargestellt,  und  man  erhält  somit  die  Gleichung: 

dih'c')  _       dh' 


(12) 


ds'  dt  ' 


und  dadurch  geht  die  Gleichung  (11)  über  in: 

.1 

d  (l_  d^\  _-.,   d_(\^  d^\         ,    _v_d^.d_  /^  d^\ 
^  dt  \r    dt)~      dt  \r   dt)'^  "^    ds    dt  '^  ds'\  r     dt) 

1   dx'  dh' 
'^  r   dt   dt' 

Hierin  lässt  sich  an  der  rechten  Seite  das  erste  und  letzte  Glied 
in  eines  zusammenziehen,  so  dass  die  Gleichung  lautet: 


Anwendung  des  neuen  Clrundgesetzes. 


291 


ei 


^,   , ,  d  /l  dx'\  d  /h!  dx'\  _.    -.,       r  dx'  _.     Ö   fh'  c'  dx'\ 

^^"-^  ^  Tt\V  Jt)- dt  \^  It)^ '' "^1)^11 '^'^'\T  Tt)' 

Durch  Einsetzung    dieses   Werthes  in   das  letzte   Glied    des 
obigen  Ausdruckes  der  Kraftcomponente  geht  derselbe  über  in : 


'=S 


dx  dx'\        7  ^  /      ö  A'  ^^' 

'dt'dt)~    ^  \Jt  \7  dt 


d- 

,,        r  dx'    ,     8    A'c'  dx^ 

Hierin  müssen  wir  nun  endlich  noch  für  -^-  und  ^—  ihre  unter 

dt  dt 

(6)  und  (7)  gegebenen  Werthe  einsetzen,  wodurch  wir  folgenden 

Ausdruck  für  die  Ä;-Componente  der  von  der  positiven  Electricitäts- 

menge  y  ds'  ausgeübten  Kraft  erhalten : 


ai 


_,w^[i-.2(|  +  ^|f) 


-  ^^^ '  äl 


t 


■r    dt  f    8s 


0+ 


+  - 


ai 

r 
r      ds 


{n''^^k'c' 


d_x[ 

ds' 


') 


Will  man  ferner  die  a;-Componente  derjenigen  Kraft  aus- 
drücken, welche  die  in  dem  Elemente  ds'  enthaltene  negative 
Electricitätsmenge  —  h'  ds'  auf  die  im  Leiter  s  gedachte  Electri- 
citätseinheit  ausüben  würde,  so  hat  man  dazu  im  vorigen  Aus- 
drucke nur  h'  und  c'  durch  —  7^'  und  —  c[  zu  ersetzen,  wodurch 
man  erhält: 


—  Ä;c?s'|_ 


Ä'9£' 
r  dt 


yjx^  d_^ 

r    ds' 


.,      0>4-  \  „,         T^r.'     )    'T' 


8i 
r 


d_  /Ji/_c[  d_x^  _ 
~T"  ä7  V   r     dt 


ds 

h' c[^  d_x' 

r     ds 


D 


19- 


292  Absclinitt  X. 

Durch  Addition  dieser  beiden  Ausdrücke  erhalten  wir  die 
ic-Componente  der  zu  bestimmenden  Kraft,  welche  das  Strom- 
element ds'  auf  die  im  Leiter  s  gedachte,  mit  der  Geschwindigkeit 
c  strömende  Electricitätseinheit  ausüben  würde.  Bei  der  Aus- 
führung der  Addition  möge  berücksichtigt  werden,  dass  die  Summe 
y  c'  4-  h'  c[  die  Stromintensität  in  s'  bedeutet,  welche  wir  mit  *' 
bezeichnen  und  in  allen  Theilen  des  Leiters  als  gleich  annehmen 
wollen.  Wenn  wir  dann  noch  unter  Einführung  eines  neuen 
Zeichens  dieselbe  a;-Componente  durch  ids'  darstellen,  so  erhalten 
wir  die  Gleichung: 

r  ?^1  d- 

7     •,^-v-«/8^i      '^oc\dx'       d  fi'dx'\         .,    rdx' 

~*  ds'\r  dt^      r       ds[ 

Entsprechend  lauten  natürlich  auch  die  zur  Bestimmung  der  y- 
und  0-Componente  derselben  Kraft  dienenden  Gleichungen. 


§.  3.    Ponderomotorische  Kraft  zwischen  zwei 
Stromelementen. 

Aus  der  im  vorigen  Paragraphen  bestimmten  Kraft,  welche 
die  im  Leiter  s  gedachte  Electricitätseinheit  von  dem  Strom- 
elemente ds'  erleiden  würde,  können  wir  nun  leicht  auch  die 
Kräfte  ableiten,  welche  die  in  einem  Leiterelemente  ds  wirklich, 
enthaltenen  beiden  Electricitätsmengen  hds  und  —hds  von  dem 
Stromelemente  ds'  erleiden. 

Um  die  a;-Componente  der  Kraft  zu  erhalten,  welche  die 
positive  Electricitätsmenge  hds,  deren  Geschwindigkeit  c  ist, 
erleidet,  brauchen  wir  nur  den  obigen  Ausdruck  von  i  mit  hdsds' 
zu  multipliciren ,  und  diese  Componente  wird  somit  dargestellt 
durch : 


Tchdsds 


V    dx  2^\dt^^  ds)  ds'        dt  \r  ds') 

.,  %  8^'        .,   d_  (l^  8^'    ,    c'  —  c\  0^\ 
"  ^*     8s   8s'        *  8s'  \rdt'^       r       ds')-' 


Anwendunof  des  neuen  Grrundoresetzes. 


293 


Um  ferner  die  x-Componente  der  Kraft  zu  erhalten,  welche  die 
negative  Electricitätsmenge  —  hds  erleidet,  brauchen  wir  in  dem 
vorigen  Ausdrucke  nur  h  und  c  durch  —  h  und  —  Ci  zu  ersetzen, 
wodurch  wir  erhalten: 


—  kJidsds 


r  ^- 


2( 


dx 
dt 


Ci 


dx 
ds 


d_x^ 
ds' 


d_ 
dt 


dj_ 
ds' 


•.  !j1  ?^  _  •/  _S_  /J_  9^'  I  c'  -  c'i  d_x[\ 
+  ^^*  ds  ds'  *  ds'\r  dt  ^  r  ds' )-\' 
Die  Summe  dieser  beiden  Ausdrücke  bedeutet  die  a:-Compo- 
nente  der  ponderomotorischen  Kraft,  welche  das  Strom - 
Clement  ds  von  dem  Stromelement  ds'  erleidet.  In  dieser 
Summe  heben  sich  alle  Glieder,  welche  nicht  c  oder  Ci  als  Factor 
haben,  gegenseitig  auf,  und  es  bleibt: 

1^ 
r 
■  dx  ^=^  ds  ds'  ds  ds' , 
Hierin  kann  man  noch  das  Product  h  (c  +  cj,  welches  die  Strom- 
intensität in  s  bedeutet,  durch  das  Zeichen  i  ersetzen.  Indem 
wir  den  Ausdruck  dann,  unserer  früheren  Bezeichnung  gemäss, 
gleich  ^dsds'  setzen,  erhalten  wir  die  zur  Bestimmung  von  | 
dienende  Gleichung,  zu  welcher  wir  auch  die  entsprechenden  zur 
Bestimmung  von  iq  und  t,  dienenden  bilden  wollen,  nämlich: 


JiJidsds'  (c  -f-  Ci)i' 


^^  dx  dx' 


r  dx 


15) 


I  =  Mi' 


Mi' 


r 


dx 
fd'- 


d~ 
>^  dx  dx'  r   dx' 


1 


. 


e  =  Mi' 


r  -sr^  dx  dx' 

^dy   ^  ds  ds' 

ei 

r 


dj[_ 

ds' 


Sdx  dx' 
ds  e? 


r  dz 


Diese  Gleichungen  kann  man  noch  dadurch  umgestalten  dass 
man  für  die  in  ihnen  vorkommende  Summe  andere  gleichbedeu- 
tende Ausdrücke  substituirt.      Aus  der  Gleichung: 

r2  =  (^  -  x!y  +  (2/  -  y'y  -\-{z-  z'y- 
ergiebt  sich: 


294  Abschnitt  X. 

dsW  ~  ~     \ds   ds'  "^  ds  ds'  ~i    ds  ds'J  ~~  ^  ds  ds'' 

Bezeichnet  man  ferner,  wie  oben,  den  Winkel  zwischen  den  Rich- 
tungen der  beiden  Stromelemente  ds  und  ds'  mit  (ss'),  so  ist: 

cos  (ss)  =    V  ^   5-7- 

Infolge  dieser  beiden  Gleichungen  kann  man  der  ersten  der  Glei- 
chungen (15)  folgende  Formen  geben: 

/     ol  ol 

,  ..,     1       r  82(^2)        ^  r  dx' 

(16)  |  =  _7,..'^-_^  +  __ 

/^  1  .1 

I    7  ^  7  e.r' 

(17)  |  =  7,^i'V-g|-^os(ss')-^gfr 

und  in  gleicher  Weise  lassen  sich  natürlich  auch  die  beiden  letzten 
der  Gleichungen  (15)  umgestalten. 

In  Bezug  auf  diese  hier  gewonnenen,  und  auch  schon  im 
letzten  Paragraphen  des  vorigen  Abschnittes  aus  einer  weniger 
allgemeinen  Betrachtung  abgeleiteten  Ausdrücke  für  die  Compo- 
nenten  der  ponderomotorischen  Kraft,  welche  das  Stromelement 
ds  von  dem  Stromelemente  ds'  erleidet,  ist  zunächst  zu  bemerken, 
dass  sie  davon,  ob  der  galvanische  Strom  aus  der  Bewegung  nur 
Einer  Electricität  oder  aus  der  Bewegung  beider  Electricitäten 
besteht,  ferner  davon,  ob  die  Stromelemente  in  Ruhe  oder  in 
Bewegung  sind,  und  ob  die  Stromintensitäten  in  ihnen  constant 
oder  veränderlich  sind,  nicht  beeinflusst  werden. 

Ihrer  Richtung  nach  unterscheidet  sich  die  durch  diese 
Ausdrücke  bestimmte  Kraft  von  derjenigen,  welche  Ampere  ange- 
nommen hat,  wesentlich  dadurch,  dass  sie  nicht  in  die  Verbindungs- 
linie der  beiden  Stromelemente  fällt. 

Die  durch  den  Mittelpunct  von  ds  gehende  Gerade,  in  welcher 
die  Kraft  wirkt,  lässt  sich  leicht  geometrisch  bestimmen.  Nach 
der  Form  der  obigen  Ausdrücke,  welche  aus  je  zwei  Gliedern 
bestehen,  zerfällt  die  Kraft  in  zwei  Componenten,  von  denen  die 
erste  eine  Anziehung  von  der  Stärke: 

T  ..,  1   j  I  cos  iss') 
Kit  dsds  ^ — - 

ist,  und  die  zweite  die  Richtung  des  Elementes  ds'  und  die  Stärke: 


Anwendung  dos  neuen  Grundgesetzes.  295 

«7  18,. 

—  liii'  dsds'  -TT —     oder   liii'  ds  ds'  —  7— 

OS  r^  ÖS 

hat.  Daraus  folgt,  class  jene  Gerade,  in  welcher  die  Kraft  wirkt, 
in  der  durch  r  und  ds'  gelegten  Ebene  liegen  muss.  In  dieser 
Ebene  bestimmt  sich  ihre  Richtung  weiter  dadurch,  dass  sie  auf 
dem  Elemente  ds  senkrecht  sein  muss.  Die  in  die  Richtung  des 
Elementes  ds  fallende  Componente  der  Kraft  wird  nämlich  dar- 
gestellt durch: 

dsds'U^^  +  ^p  +  ip), 

\    ds    '       ds    '       ösj 

und  wenn  man  hierin  für  |,  rj,  t,  die  unter  (15)  gegebenen  Aus- 
drücke einsetzt,  und  dabei  die  Gleichung: 

9  —  o          S— ^          9—  Q  S  — 

r  ox  ^^      r  dy  _.       r  dz  r 

dx    ds         dy    ds         dz    ds         ds 

berücksichtigt,  so  hebt  sich  Alles  auf  und  der  Ausdruck  wird 
Null,  woraus  folgt,  dass  die  Kraft  nur  auf  dem  Elemente  senkrech  t 
sein  kann. 

Ein  anderer  wesentlicher  Punct,  in  welchem  die  aus  dem  neuen 
Grundgesetze  abgeleitete  Kraft  von  der  Ampere' sehen  abweicht, 
ist  folgender.  Wenn  die  beiden  Stromelemente  so  gerichtet  sind, 
dass  sie  mit  ihrer  Verbindungslinie  zusammenfallen,  so  würden  sie 
nach  der  Ampere'schen  Formel  eine  Abstossung  oder  Anziehung 
auf  einander  ausüben,  je  nachdem  die  Ströme  im  gleichen  oder  ent- 
gegengesetzten Sinne  stattfinden.  Nach  den  obigen  Formeln  dage- 
gen ist  für  diesen  Fall  die  Kraft  gleich  Null.  Ich  glaube  nicht,  dass 
irgend  eine  erfahrungsmässig  feststehende  Thatsache  dem  letzteren 
Resultate  widerspricht.  Man  betrachtet  zwar  gewöhnlich  die  Bewe- 
gung, welche  ein  auf  zwei  mit  Quecksilber  gefüllte  parallele  Rinnen 
gesetzter  metallischer  Schwimmer  beim  Durchgange  eines  galvani- 
schen Stromes  annimmt,  als  einen  Beweis  für  die  Richtigkeit  des 
aus  der  Ampere'schen  Formel  abgeleiteten  Ergebnisses;  ein 
solcher  Schluss  scheint  mir  aber  nicht  gerechtfertigt  zu  sein,  da 
diese  Bewegung  sich  auch  auf  andere  Weise  erklären  lässt,  näm- 
lich aus  der  Wirkung,  welche  die  Electricität  beim  Uebergange 
aus  dem  Quecksilber  in  den  festen  Leiter  und  aus  dem  festen 
Leiter  wieder  in  das  Quecksilber  auf  die  ponderablen  Atome 
ausübt,  und  welche  auch  in  zusammenhängenden  Leitern  bei  der 


296  Abschnitt  X. 

Ueberwindung  des  Leitimgswiderstandes  stattfindet,  aber  hier 
keine  sichtbare  Bewegung,  sondern  nur  Wärme  hervorbringen 
kann. 

Zur  weiteren  Vergleichung  unserer  oben  bestimmten  Kraft 
mit  der  von  Ampere  angenommenen  kann  besonders  die  in  Ab- 
schnitt VIII.  unter  (2)  gegebene,  aus  der  Ampere'schen  Formel 
abgeleitete  Gleichung  dienen,  nämlich : 


*  \dx         ^     ^         ds   ds'    ^    ds'  L>  ^  Ss  J 


Diese  Gleichung  unterscheidet  sich  von  der  unter  (17)  gegebenen 
nur  durch  das  letzte  Glied.  Da  dieses  Glied  ein  Differentialcoeffi- 
cient  nach  s'  ist,  so  giebt  es  bei  der  Integration  über  einen  ge- 
schlossenen Strom  s'  oder  auch  über  ein  beliebiges  System  von 
geschlossenen  Strömen  den  Werth  Null.  Daraus  folgt,  dass  in 
allen  Fällen,  wo  es  sich  um  die  von  geschlossenen  Strömen  (zu 
denen  auch  Magnete  zu  rechnen  sind),  ausgeübten  ponderomoto- 
rischen  Kräfte  handelt,  die  aus  der  Ampere'schen  Formel  abge- 
leiteten Resultate  mit  den  aus  dem  neuen  Grundgesetze  sich  erge- 
benden übereinstimmen. 


§.  4.    Bestimmung  der  inducirten  electromotorischen 

Kraft. 

Wir  kehren  nun  zurück  zu  der  Gleichung  (14),  nämlich: 


\  -f  _Ji^  {^  _,       dx\dx[ d_  /i/_  dx\ 

\J    dx  ^\dt~^  ^  ds)  ds'        dt  \r  ds'J 


.,    d    /l  dx'    .c'  —  c{  dx' 
*  ^77  Ir  "^  ~r 


ds'  \r   dt     ^         r        ds'JJ 

Die  durch  diese  Gleichung  bestimmte  Grösse  g  ist  dadurch  definirt, 
dass  das  Product  ids'  die  a;-Componente  der  Kraft  darstellt,  welche 
eine  im  Leiter  s  gedachte,  mit  der  Geschwindigkeit  c  strömende 
Electricitätseinheit  von  dem  Stromelemente  ds'  erleiden  würde. 
Bezeichnet  man  die  y-  und  ^-Componente  derselben  Kraft  mit 
li)ds'  und  ids't  so  sind  die  Grössen  t)  und  g  natürlich  durch  ganz 
entsprechende  Gleichungen  zu  bestimmen.    Bezeichnet  man  ferner 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  297 

die  in  der  Richtung  des  Leiters  s  fallende  Componente  derselben 
Kraft  mit  ^ds\  so  gilt  für  §  die  Gleichung: 

Diese  Grösse,  welche  dem  Folgenden  nach  von  c  unabhängig 
ist,  steht  nun  mit  einer  anderen,  um  deren  Bestimmung  es  sich 
im  Folgenden  handelt,  in  unmittelbarer  Beziehung.  Das  Product 
%äsds'  stellt  nämlich  dasjenige  dar,  was  man  die  von  dem 
Stromelemente  ds'  in  dem  Leiterelemente  ds  inducirte 
electromotorische  Kraft  nennt.  Bezeichnet  man  also  die  von 
einem  endlichen  Strome  s'  in  einem  endlichen  Leiter  s  inducirte 
electromotorische  Kraft  mit  £",  und  demgemäss  die  von  dem 
Stromelemente  ds'  in  dem  Leiterelemente  ds  inducirte  electromo- 

torische  Kraft  mit  ^   ^  .  dsds\  so  hat  man  zu  setzen: 

dsds 

§  = 


dsds' 
Dadurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in : 

^  osds  8s  ds  ds 

Wenn  man  hierin  für  %  den  oben  angeführten  Ausdruck  und 
für  ^  und  5  die  entsprechenden  Ausdrücke  einsetzt,  so  heben  sich 
die  mit  dem  Factor  c  behafteten  Glieder  gegenseitig  auf,  und  die 
übrigen  geben : 


d'^E 
dsds' 


V   d- 

—  f^\J     ^g   2j  ^t  ^s'        2j  gs  dt  \r  ds') 

.,8/1  '^  dx  dx'    .    c'  —  c'i  -sr^  dx  dx'\ 
~"  *   ds'  \r  -^  ds   dt  '^        r       ^  ds  ds') 


Hierin  kann  man  setzen: 
1 


.,     r  -s-^  dx  dx' .,8/1  '^  dx  dx'\         i'  ^^   d-x    dx' 

*  "äi^ele?  —  *  d^\7  ^di  e?/  ~  7  -^  dtds  el' 

und  dann  weiter: 


r^8^8s8s'       ^dsdt\r  ds')~       dtXr  -^ 


dx  dx' 
ds  8? 


298  Abschnitt  X. 

wodurch  die  obige  Gleichung  übergeht  in: 

^  ^  dsds'~     l      dt\r  ^  ds  as7  +  *   ds\r  ^  dt  ds' ) 

~  *   ds'\r^dldt^        r      ^  ds  ds')\ ' 

Dieser  Gleichung  kann  man  noch  etwas  andere  Formen  geben. 

Wenn  d6  und  dö'  die  unendlich  kleinen  Bahnen  sind,  welche  die 

Leiterelemente  ds  und  ds'  während  der  Zeit  dt  zurücklegen,  so 

kann  man  setzen: 

dx dx  d6        _.    dx' dx'  dö' 

dt  ~  d6  ~dt  dt   ~  d0'  Jt' 

oder  unter  Einführung  der  Zeichen: 


noch  kürzer: 


dö        T      ,        dö' 
y  =  ^  und  y  =  ^, 

dx  dx        ^  dx'  ,  dx' 

dt  dö  dt  dö 


Dadurch  geht  (19)  über  in: 

/'9o^  ^'^  —  z  r_  _?-  /^i!  x^  ^  ^^  -1-  ■'  A  fi^'^  ?^\ 

^  ^    dsds'  ~      [      dt\r  -^  ds  ds')  "^  '   ds\r  ^dö  ds') 

~  *  d^  \r  -^^  dö'^  r  ^  8s  d7)\ ' 
Bezeichnet  man  nun  wieder,  wie  früher,  den  Winkel  zwischen  den 
Richtungen  der  beiden  Leiterelemente  ds  und  ds'  mit  (ss'),  und 
ferner  den  Winkel  zwischen  den  Richtungen  des  Leiterelementes 
ds  und  des  Bahnelementes  dö'  mit  (so'),  sowie  den  zwischen  den 
Richtungen  von  dö  und  ds'  mit  (ös'),  so  kann  man  die  obigen 
Summen  durch  die  Cosinus  dieser  Winkel  ersetzen,  und  erhält: 

/on     ^'^  _  7.  r       ^  (i^cosiss^    ,    .,   d  (y  cos  {ös')\ 

^^^^   d^'  -''\rdt  V r )  +  '   d~s  \        r       ) 

.,   d    fy'  cosjsö')       (c'  —  cQ  cos  (ss')\] 
~'   d^\        r  +  r  )]' 

Aus  dieser  unter  (19),  (20)  und  (21)  in  verschiedenen  Formen 
gegebenen  Differentialgleichung  kann  man  durch  Litegration  die 
inducirte  electromotorische  Kraft  für  jedes  Stück  des  inducirenden 
Stromes  und  jedes  Stück  des  inducirten  Leiters  berechnen. 

Ist  der  inducirende  Strom  s'  geschlossen,  so  giebt  das  letzte 
Glied  bei  der  Integration  nach  s'  den  Werth  Null,  und  man  erhält: 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  299 

(02)  1^  =  -  ;4  fl^^iS^  ,,,-  +  w  8  fy  ^»^  "-'-n  ,u'. 

^    ''    ds  dt  J  r  dsj  r 

Diese  Gleichung  stimmt  mit  den  von  Fr.  Neumann  aufgestellten 
Inductionsgesetzen  überein. 

Ist  der  inducirte  Leiter  s  geschlossen,  so  gieht  bei  der  Inte- 
gration nach  s  das  zweite  Glied  den  Werth  Null,  und  es  kommt: 

/oox        9^  78    ri'  cos(ss')   , 

ds'J   \         r  '  r  / 

Sind  endlich  s  und  s'  beide  geschlossen,  so  fallen  bei  der 
doppelten  Integration  nach  s  und  s'  die  beiden  letzten  Glieder 
fort,  und  man  erhält  daher  für  die  von  einem  geschlossenen 
Strome  s'  in  einem  geschlossenen  Leiter  s  inducirte  electromotori- 
sche  Kraft  die  einfache  Gleichung: 

(24)  E=-Tc  ^Jp-^2lJi£l  4s  äs', 

worin  man  zur  Andeutung   der  Differentiation  nach  t  statt   des 

runden  8  auch  das  aufrechte  d  anwenden  kann,  da  der  zu  differen- 

tiirende  Ausdruck  nur  noch  von  t  abhängt. 

Ganz  in  derselben  Weise,  wie  wir  vorher  die  vom  Strome  s' 

im    Leiter  s  inducirte   electromotorische   Kraft   bestimmt   haben, 

können  wir  natürlich  auch  die  vom  Strome  s  im  Leiter  s'  inducirte 

electromotorische  Kraft  bestimmen.    Bezeichnen  wir  diese  mit  E 

und  demgemäss  die  von  einem  Stromelemente  ds  in  einem  Leiter- 

d'^E' 
elemente  ds'  inducirte  electromotorische  Kraft  mit  ^    _  ,  ds  ds\  so 

dsds 

ist  zu  setzen: 

.  8  fy  cos  (ös')    I    (c  —  Ci)  cos  (ss') 


ds  \        r 


(c  —  Ci)  cos  (s  s  )V\ 


§.  5.     Arbeit  der  ponderomotorischen  und  electro- 
motorischen  Kräfte. 

Nachdem  für   zwei  von   electrischen   Strömen   durchflossene 
Leiter  elemente  ds  und  ds'  die  auf  einander  ausgeübten  pondero- 


300  Absclmitt  X. 

motorischen  Kräfte  und  die  gegenseitig  in  einander  inducirten 
electromotorisclien  Kräfte  bestimmt  sind,  lässt  sich  auch  die  von 
diesen  Kräften  gethane  Arbeit  leicht  angeben. 

Die  Componenten  derjenigen  ponderomotorischen  Kraft, 
welche  äs  von  ds'  erleidet,  wurden  durch  die  Producte  i,dsds\ 
rjdsds'  und  t,dsds'  dargestellt  und  die  darin  vorkommenden 
Grössen  |,  -ij,  g  durch  die  Gleichungen  (15)  bestimmt,  und  wenn 
man  in  entsprechender  Weise  die  Componenten  der  ponderomoto- 
rischen Kraft,  welche  ds'  von  ds  erleidet,  durch  ^' dsds\  rj'dsds' 
und  l'  dsds'  darstellt,  so  kann  man  zur  Bestimmung  von  |',  ri\  i,' 
dieselben  Gleichungen  anwenden,  nachdem  man  in  ihnen  die 
accentuirten  und  unaccentuirten  Buchstaben  gegen  einander  ver- 
tauscht hat. 

Will  man  nun  die  Arbeit  bestimmen,  welche  diese  Kräfte  bei 
der  Bewegung  der  Elemente  während  der  Zeit  dt  leisten,  so  hat 
man  folgenden  Ausdruck  zu  bilden: 

dy   ^    ^dz   ^    ^,dx'   ,     ,dy'   ^   ^,  ^£'^ 

dt. 


1    i;i. /j.örc   1      dy   .    ^dz   ,    ^,dx'   .     ,dy'   .   ,, 


Substituirt  man  hierin  für  |,  rj,  ^,  |',  -jj',  ^'  ihre  Werthe,  so  erhält 
man: 

,,  ,  ,  -  I  Ty^dxdx'  r^sr^dxdx'  r-^dxdx' 
ktt  ^^^s  (^i\-^  2uYs  d¥  ~  Ts  ^Yt  dl'  ~dl'^d~s  dt 
Hierin  kann  man  weiter  setzen: 

dt^dsds' ~"dt\r^dsds')      r^di~"' 


r  -^  dx dx' 8/1  ^ dxdx'\      1  ^  d^x  dx' 

Ys^dids'~dl\r^dt  ds' )  ""  7  ^  dsdt  ä? 

gl 

r  s-^dxdx' d   /l  -^dxdx'^^      1  ^o^  d^x' 

ds'-^dsU~ds'\x-^'ds  'dt)  ~  r  ^  äs  ds'dt ' 
wodurch  entsteht: 

Mi' ds  ds'dt  [A  ri  V  -  -^  -  1  T-  T  -  -"l 
KU  asas  at  y^^  y^  2j  gs  ^s'J       ds  \r  ^  dt  ds'J 

d    /l   1^  dx  dx'\l 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  301 

und  wenn  man  hiermit  dieselben  Umformungen  vornimmt,  wie  mit 
(19),  so  erhält  man  für  die  auf  die  Zeit  dt  bezügliche  Ar- 
beitder  zwischen  zwei  Stromelementen  wirkenden  ponde- 
romotorischen  Kräfte  den  Ausdruck: 

Um  die  Arbeit,  welche  von  der  in  einem  Leiter  inducirten 
electromotorischen  Kraft  während  der  Zeit  dt  geleistet  wird,  aus- 
zudrücken, haben  wir  die  electromotorische  Kraft  mit  der  im 
Leiter  stattfindenden  Stromintensität  und  dem  Zeitelemente  zu 
multipliciren.  Wenden  wir  dieses  auf  die  beiden  electromotorischen 
Kräfte  an,  welche  die  Elemente  ds  und  ds'  gegenseitig  in  einander 
induciren,  so  kommt: 

/     d^E  d^E'  \ 

dsds'dt  [i^-^-j -\- i'  ^-^j)- 

Setzt  man  hierin  die  unter  (21)  und  (25)  gegebenen  Ausdrücke 
ein,  so  heben  sich  mehrere  Glieder  gegenseitig  auf  und  es  bleibt: 

7  7    7  f  7^  f  •   ö  /*'  cos  (ss')\    ,    .,    d  /i  cos  (ss')\ 
-Msds'dt}^z^i^ _L_Zj  _|_  ,' _  (^ _ ^    . 

_^  ..,  Vd_  /(c  -  c,)  cos  (ss')\  ^    d_  /(c'  -  c[)  cos  (ss')V\] 

Hierin  lassen  sich  die  beiden  ersten  in  der  grossen  Klammer 
stehenden  Glieder  durch  folgende  ersetzen: 

d  ZU'  cos  {ss')\  j_  •  •/    ö  fcos  (ss')\ 
dt\         r         ;  +  **    di\       i      )' 
so   dass  man  für  die  auf  die  Zeit  dt  bezügliche  Arbeit 
der  von  den   Elementen  ds  und  ds'  in  einander  indu- 
cirten   electromotorischen    Kräfte    folgenden    Ausdruck 
erhält : 

d   /ii'  cos  {ss')\    ,     ..,  fö   /cos  {ss')\ 


,..,,« {|(lLi^)  +  ,,[A(^ 


r       / 

,    _8_  /(c  —  Ci)  cos  {ss')\    ,     d_  /{c'  —  c[)cos  {ss')V\\ 
■^0sV  r  )'^ds'\  r  )\Y 

Addirt  man  nun  die  beiden  gefundenen  Arbeitsgrössen,  so  er- 
hält man  für  die  auf  die  Zeit  dt  bezügliche  Arbeit  aller 
zwischen  den  Elementen  ds  und  ds'  wirkenden  Kräfte 
den  Ausdruck: 


302  Abschnitt  X. 

\ot\^      r       /  \jos\       r  '  r  J 

■     d  /y' cos  {so')      {c'  —  c[)cos{ss')V\\ 
'^ds'\        r         "^  r  )\\' 

Bei  der  Integration  dieser  Ausdrücke  nach  s  und  s'  treten 
für  den  Fall,  dass  es  sich  um  geschlossene  Leiter  und  Ströme  han- 
delt, dieselben  Vereinfachungen  ein,  welche  schon  in  den  vorigen 
Paragraphen  bei  anderen  Ausdrücken  zur  Sprache  gekommen  sind, 
indem  die  Glieder,  welche  die  Form  von  Differentialcoefficienten 
nach  s  und  s'  haben,  bei  der  betreffenden  Integration,  wenn  der 
Leiter  geschlossen  ist,  den  Werth  Null  geben.  Sind  s  und  s'  beide 
geschlossen,  so  bleiben  nur  die  Integrale  der  Glieder  übrig,  welche 
Differentialcoefficienten  nach  t  enthalten.  Führt  man  dann  noch 
zur  Abkürzung  das  Zeichen  w  ein  mit  der  Bedeutung: 

(26)  li)  =  hff^-^^-^  ds  äs' 

und  bezeichnet  die  auf  die  Zeit  dt  bezügliche  Arbeit  der  pondero- 
motorischen  Kräfte  mit  dAp^  die  der  electromotorischen  Kräfte 
mit  dAe  und  die  aller  Kräfte  einfach  mit  dA^  so  lauten  die  Glei- 
chungen : 

(27)  dAp  =  ii'  dw 

(28)  dAe  =  —  d(ii'  w)  —  ii'  dw 

(29)  dA   =  —  d(ii'w), 

welche  Gleichungen  mit  den  in  den  beiden  letzten  Paragraphen 
des  Abschnittes  VIII.  gegebenen  übereinstimmen. 


§.  6.    Das  electrodynamische  Potential  geschlossener 
Ströme  auf  einander. 

Bei  der  Aufstellung  des  neuen  Grundgesetzes  habe  ich  eine 
Grösse  gebildet,  welche  ich  das  electrodynamische  Potential 
zweier  bewegter  Electricitätstheilchen  e  und  e'  auf  einander  ge- 
nannt und  durch  folgenden  Ausdruck  dargestellt  habe : 

,  ee'  /dx  dx'  j^  dy  dy'  ^^  dß  dz' 
~V  \dt  Jt  ^  dt   dt  '^  dt   dt 

welchen  man  abgekürzt  so  schreiben  kann: 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  303 

,  ee'  -s^  dx  dx' 

Von  dieser  Grösse  habe  ich  nachgewiesen,  dass  ihr  negatives 
Differential  die  Arbeit  darstellt,  die  während  der  Zeit  dt  von 
den  Kräften,  welche  die  Theilchen  auf  einander  ausüben,  gelei- 
stet wird. 

Da  nun  bei  geschlossenen  Strömen  dieselben  Electricitäts- 
mengen,  welche  einmal  in  ihnen  sind,  auch  in  ihnen  bleiben,  so 
kann  man  unter  Anwendung  des  vorigen  Ausdruckes  auch  das 
electrodynamische  Potential  geschlossener  Ströme  auf 
einander  bilden,  und  dieses  Potential  muss  ebenfalls  jener  Be- 
dingung genügen ,  dass  die  von  allen  Kräften ,  welche  die  Ströme 
auf  einander  ausüben,  während  der  Zeit  dt  geleistete  Arbeit  durch 
das  negative  Differential  des  Potentials  dargestellt  wird. 

Um  das  Potential  auszudrücken,  betrachten  wir  zunächst  zwei 
Elemente,  ds  und  ds\  der  beiden  Ströme.  In  diesen  sind  die  Elec- 
tricitätsmengen  lids^  — hds^  h'ds'  und  — /*'(?s' enthalten.  Die 
Geschwindigkeiten  dieser  Electricitätsmengen  sind  in  §.  2  näher 
bestimmt  und  die  in  die  ic-Richtung  fallenden  Componenten  der- 
selben werden  dargestellt: 


"ür  die  Menge 

hds 

durch 

dx  .  dx 
6t  ^"^    ds 

j:        75               55 

—  hds 

55 

dx            dx 

dt      ""'  ds 

V      V           n 

h'ds' 

55 

dx'  .  ,  dx' 
dt  "+"  "^   ds' 

n      n           ;? 

—  h'ds' 

55 

dx'  ,  dx' 
dt       "^^  ds' 

und  entsprechende  Ausdrücke  gelten  für  die  in  die  anderen  Coor- 
dinatenrichtungen  fallenden  Geschwindigkeitscomponenten.  Indem 
wir  nun  die  vier  Combinationen  von  je  einer  m  ds  und  einer  in 
ds'  enthaltenen  Electricitätsmenge  bilden,  können  wir  für  jede 
dieser  Combinationen  das  electrodynamische  Potential  der  beiden 
Mengen  auf  einander  ausdrücken.  Diese  Potentiale  werden  dar- 
gestellt 


304  Absclinitt  X. 

„..       ,  ,  7,  T  ,  1      1  -,  hh'dsds' sr^/dx  ,  dx\/dx'  ,  ,dx'\ 

für     hdsu.  h' ds  anrch  h >.[7rr-\-c  ;^][  ttt-t  C ^-j) 

r        ^^^\dt    '  ds/\dt  ds'J 

,  T  7/  7  /  Thh'dsds' ^srry/dx  ,  dx\fdx'  ,dx\ 

-Ms  /i'^s'  .hh'dsds'^/dx  dxWdx'  dx' 

,7  7,7,  -.hh'dsds' ^sr^/dx  dx\fdx'  ,dx' 


Die  Summe  dieser  vier  Ausdrücke,  welche  das  Potential  der 
beiden  in  dem  einen  Stromelemente  enthaltenen  Electricitäts- 
mengen  auf  die  beiden  im  anderen  Stromelemente  enthaltenen 
darstellt,  ist  einfach: 

,  hh'dsds'  ,     ,       .  .  ,    ,     fv  -"v^  dx  dx' 
*  —r ("  +  '^')  (<^  +  ''■)  S  8?  8T 

oder  auch ,  wenn  man  die  Producte  h  (c  -j-  Ci)  und  7i'  (c'  -\-  c[% 
welche  die  Stromintensitäten  bedeuten,  durch  i  und  »',  und  die 
angedeutete  Summe  durch  cos  (ss)  ersetzt: 

-,  ..,  cos  (ss')  7    7  , 
kii'  ^^ — -  dsds, 

r 

Durch  Integration  dieses  Ausdruckes  über  die  beiden  geschlos- 
senen Stromcurven  erhalten  wir  das  Potential  der  beiden  Ströme 
auf  einander.  Indem  wir  dieses  mit  TT  bezeichnen,  gelangen  wir 
zu  der  Gleichung: 

(30)  W  =  Mi'ff^-^^^  dsds', 

welche  sich  unter  Anwendung  des  durch  (26)  definirten  Zeichens 
w  noch  kürzer  so  schreiben  lässt: 

(31)  W=ii'w. 

In  Abschnitt  VIIL,  §.  6.  wurde  eine  von  Fr.  Neumann  einge- 
führte Grösse  erwähnt,  welche  wir  das  magnetische  Potential 
der  Ströme  auf  einander  nannten  und  mit  Q  bezeichneten,  und 
welche  durch  folgenden  Ausdruck  dargestellt  wird: 

T  . .,    r  f'cos  {ss')  -,    j  , 
—  Kii'  I    /  — ^^ — -  dsds' 

oder  unter  Anwendung  des  Zeichens  w  durch: 

—  ii' w. 


Anwendung  des  neuen  Grundgesetzes.  305 

Aus  der  Vergleichung  dieses  Ausdruckes  mit  dem  für  W  gefunde- 
nen ergiebt  sich,  dass  das  von  uns  aus  dem  Grundgesetze  abge- 
leitete electrodynamische  Potential  geschlossener  Ströme  auf 
einander  dem  von  Neumann  eingeführten  Potential  dem  absolu- 
ten Werthe  nach  gleich,  dem  Vorzeichen  nach  aber  entgegen- 
gesetzt ist. 

Betrachten  wir  nun  endlich  die  am  Schlüsse  der  vorigen 
Paragraphen  gegebenen  Ausdrücke  der  während  der  Zeit  dt  ge- 
thanen  Arbeit,  so  sehen  wir,  dass  die  Arbeit  aller  von  geschlosse- 
nen Strömen  auf  einander  ausgeübten  Kräfte  in  der  That  durch 
das  negative  Differential  ihres  electrodynamischen  Potentials  dar- 
gestellt wird.  Der  für  die  Arbeit  der  ponderomotorischen  Kräfte 
allein  gewonnene  Ausdruck  ii'  dw  dagegen  ist  nur  dann  das  nega- 
tive Differential  des  magnetischen  Potentials,  wenn  die  Strom- 
intensitäten constant  sind,  oder  wenigstens  ein  constantes  Pro- 
duct  haben. 


Clausius,  meoli.  Wärmetlieorie.    II.  rt« 


ABSCHNITT    XL 


Discussionen  über  die  mechanische  Behandlung'  der 
Wärme  und  Electricität. 

§.  1.    Aus  thermoelectrischen  Ersclieinungen  entnomme- 
ner Einwand  von  Tait. 

Schon  am  Schlüsse  des  ersten  Bandes  dieses  Werkes  ist  davon 
die  Rede  gewesen,  dass  Hr.  Tait  sein  Verfahren,  meine  Arbeiten 
über  die  mechanische  Wärmetheorie,  trotz  ihrer  von  ihm  selbst 
anerkannten  Priorität,  doch  hinter  den  entsprechenden  Arbeiten 
englischer  Autoren  zurückzusetzen,  durch  die  Behauptung  moti- 
virt  hat,  der  von  mir  aufgestellte  Grundsatz,  dass  die  Wärme  nicht 
von  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  über- 
gehen kann,  sei  falsch.  Auf  eine  Besprechung  der  zum  Beweise 
seiner  Behauptung  angeführten ,  auf  thermoelectrische  Ströme  be- 
züglichen Gründe  konnte  ich  aber  dort,  wo  von  electrischen  Er- 
scheinungen noch  nicht  die  Rede  gewesen  war,  nicht  eingehen, 
und  ich  behielt  mir  dieselbe  daher  für  den  zweiten  Band  vor.  Diese 
Besprechung  will  ich  nun  hier  folgen  lassen,  indem  ich  aus  einer 
von  mir  veröffentlichten  Erwiderung  i)  das  Wesentlichste  mittheile. 

Von  den  beiden  von  ihm  zur  Widerlegung  des  Satzes  ange- 
führten Erscheinungen  will  ich  zunächst  diejenige  besprechen,  von 
welcher  er  sagt,  dass  sie  einen  ausgezeichneten  Beweis  für  die 
Unrichtigkeit  des  Grundsatzes  liefere.  Es  ist  nämlich  die  Erschei- 
nung, dass  eine  thermoelectrische  Batterie,  bei  welcher  der  Siede- 


1)  Pogg.  Ann.    Bd.  146,  S.  308. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      307 

und  Gefrierpunct  des  Wassers  als  Temperaturen  der  Löthstellen 
angewandt  werden,  im  Stande  ist,  einen  feinen  Draht  zum  Glühen 
zu  bringen. 

Um  die  völlige  Grundlosigkeit  dieses  Einwandes  nachzuwei- 
sen, brauche  ich  nur  an  dasjenige  zu  erinnern,  was  ich  schon  im 
Jahre  1853  in  meiner  Abhandlung  über  thermoelectrische  Er- 
scheinungen 1)  auseinandergesetzt  habe,  und  was  man  im  siebenten 
Abschnitte  dieses  Bandes  wiedergegeben  findet.  Ich  habe  dort 
gezeigt,  dass  ein  thörmoelectrisches  Element  (und  natürlich  ebenso 
eine  thermoelectrische  Batterie)  sich  mit  einer  Dampfmaschine 
vergleichen  lässt,  indem  die  erwärmte  Löthstelle  dem  Kessel  und 
die  kalte  Löthstelle  dem  Condensator  entspricht.  An  der  warmen 
Löthstelle  wird  einem  Wärmereservoir,  dessen  Temperatur  wir  ti 
nennen  wollen,  Wärme  entzogen,  und  an  der  kalten  Löthstelle  wird 
an  ein  anderes  Wärmereservoir,  dessen  Temperatur  to  heissen 
möge ,  Wärme  abgegeben.  Die  abgegebene  Wärmemenge  ist  aber 
etwas  geringer,  als  die  aufgenommene,  und  wir  wollen  daher  die 
abgegebene  Wärmemenge  für  die  Zeiteinheit  mit  Q  und  die  auf- 
genommene mit  Q  -\-  q  bezeichnen.  Der  eine  Theil  q  der  letzte- 
ren Wärmemenge  wird  zu  der  für  die  Erzeugung  des  electrischen 
Stromes  nöthigen  Arbeit  verbraucht,  und  der  andere  Theil  Q  geht 
aus  einem  Körper  von  der  Temperatur  ty  in  einen  anderen  von  der 
Temperatur  ^o  über. 

Wenn  man  die  Arbeit,  welche  von  einer  Dampfmaschine  ge- 
leistet wird,  dazu  verwendet,  um  Reibungswiderstände  oder  sonstige 
passive  Widerstände  zu  überwinden,  so  verwandelt  sie  sich  dabei 
wieder  in  Wärme  und  kann  unter  geeigneten  Umständen  eine  Tem- 
peratur erzeugen,  die  weit  über  der  des  Dampfkessels  liegt.  Ebenso 
kann  bei  der  thermoelectrischen  Batterie  die  Arbeit,  welche  ge- 
leistet werden  musste,  um  die  Electricität  in  Bewegung  zu  setzen, 
sich  bei  der  Ueberwindung  von  Leitungswiderständen  wieder  in 
Wärme  verwandeln,  und  kann  auch  hier  unter  geeigneten  Umstän- 
den eine  Temperatur  erzeugen,  die  viel  höher  ist,  als  diejenige 
der  erwärmten  Löthstellen.  Es  kann  z.  B.,  wie  Hr.  Tait  anführt, 
wenn  die  erwärmten  Löthstellen  nur  die  Temperatur  des  sieden- 
den Wassers  haben,  ein  Draht  bis  zum  Glühen  erhitzt  werden. 

Bezeichnen  wir  die  Temperatur,  welche  der  Draht  annimmt, 
und  welche  dann  beliebig  lange  constant  erhalten  werden  kann. 


1)  Pogg.  Auu.    Bd.  90,  S.  513. ' 

20^ 


308  Absclinitt  XI. 

mit  #2,  so  können  wir  sagen:  ein  Theil  derjenigen  Wärmemenge 
^,  welche  in  der  Batterie  zu  Arbeit  verbraucht  wird,  kommt  in 
einem  anderen  Körper  von  der  Temperatur  t^  wieder  als  Wärme 
zum  Vorschein.  Da  nun  jene  zu  Arbeit  verbrauchte  Wärme  aus 
einem  Wärmereservoir  von  der  Temperatur  t^  herstammt,  so  er- 
halten wir  als  ein  Resultat  des  Processes  den  Uebergang  einer 
gewissen  Wärmemenge  aus  einem  Körper  von  der  Temperatur  ti 
in  einen  Körper  von  der  höheren  Temperatur  ^2- 

Die  Frage ,  um  deren  Entscheidung  es  sich  handelt ,  ist  nun 
die,  ob  dieser  Wärmeübergang  von  niederer  zu  höherer  Tempera- 
tur von  selbst  stattgefunden  hat. 

Unter  der  kurzen  Bezeichnung  von  selbst  verstehe  ich,  wie 
ich  es  vielfach  erläutert  habe,  ohne  gleichzeitiges  Eintreten 
einer  anderen  als  Compensation  dienenden  Veränderung. 
Sofern  wir  es  mit  Kreisprocessen  zu  thun  haben,  giebt  es  zwei 
Arten  von  Veränderungen,  welche  als  Compensation  dienen  kön- 
nen, nämlich  erstens  den  Uebergang  von  Wärme  aus  einem  wär- 
meren in  einen  kälteren  Körper ,  und  zweitens  den  Verbrauch  von 
Arbeit  oder,  bestimmter  ausgedrückt,  die  Verwandlung  von  Arbeit 
in  Wärme. 

Betrachten  wir  nun  unter  diesem  Gesichtspuncte  unsere  thermo- 
electrische  Batterie  mit  dem  dünnen  Leitungsdrahte,  welcher  zum 
Glühen  gebracht  wird,  so  sehen  wir,  dass  zwar  die  Wärmemenge  3 
zum  Theil  von  der  Temperatur  t^  zur  höheren  Temperatur  t^  über- 
geht ,  dass  aber  gleichzeitig  die  andere  Wärmemenge  Q  von  der 
Temperatur  tx  zur  niederen  Temperatur  to  übergeht.  Dieser  letz- 
tere Wärmeübergang  bildet  die  Compensation  des  ersteren,  und 
wir  dürfen  daher  nicht  sagen,  der  erstere  Wärmeübergang  habe 
von  selbst  stattgefunden. 

Der  hier  besprochene  Fall  ist  so  einfach  und  klar,  dass  man 
ihn  als  ein  ganz  geeignetes  Beispiel  zur  Erläuterung  und  Bestäti- 
gung meines  Grundsatzes  wählen  könnte,  und  gerade  diesen  Fall 
hat  Hr.  Tait  zum  Beweise  seiner  Unrichtigkeit  ausgewählt. 

Als  anderen  Fall ,  welcher  meinem  Grundsatze  widersprechen 
soll,  führt  Hr.  Tait  eine  thermoelectrische  Kette  an,  in  welcher 
die  heisse  Löthstelle  eine  Temperatur  hat,  die  höher  ist,  als  der 
neutrale  Punct.  Es  handelt  sich  also  um  eine  solche  thermo- 
electrische Kette,  bei  welcher  durch  gesteigerte  Erwärmung  der 
einen  Löthstelle  der  Strom  nicht  fortwährend  verstärkt  wird,  son- 
dern wo  der  Strom  von  einer  gewissen  Temperatur  an  wieder  ab- 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      309 

nimmt  und  bei  noch  weiterer  Steigerung  der  Temperatur  sogar 
seine  Richtung  ändern  kann. 

Diese  Erscheinung  habe  ich  ebenfalls  in  meiner  oben  citirten 
Abhandlung  schon  besprochen.  Ich  habe  sie  durch  die  Annahme 
zu  erklären  gesucht,  dass  in  einem  der  beiden  Metalle,  aus  denen 
eine  solche  Kette  besteht  (oder  auch  in  allen  beiden),  durch  die 
Temperaturveränderung  eine  Aenderung  des  Molecularzustandes 
veranlasst  wird,  welche  bewirkt,  dass  der  veränderte  Theil  des 
Metalles  sich  zum  unveränderten  Theile  in  electrischer  Beziehung 
so  verhält,  wie  zwei  verschiedene  Metalle.  Sobald  eine  Aenderung 
dieser  Art  eingetreten  ist,  wirken  nicht  nur  an  den  Berührungs- 
stellen verschiedener  Metalle,  sondern  auch  da,  wo  verschieden  be- 
schaffene Theile  desselben  Metalles  sich  berühren,  electromoto- 
rische  Kräfte,  Demnach  wird  nicht  bloss  an  den  Löthstelleu,  son- 
dern auch  an  anderen  Stellen ,  welche  sich  im  Inneren  der  einzel- 
nen Metalle  befinden,  Wärme  erzeugt  oder  verbraucht,  und  wir 
müssen  daher,  um  alle  vorkommenden  Wärmeübergänge  zu  be- 
stimmen, nicht  bloss  die  Temperaturen  der  Löthstellen,  sondern 
auch  die  Temperaturen  jener  anderen  Stellen  berücksichtigen. 

Dadurch  wird  natürlich  die  Sache  complicirter.  Auch  haben 
wir  von  den  erwähnten  Veränderungen,  obwohl  ihr  Vorhanden- 
sein in  einzelnen  Fällen  schon  nachgewiesen  ist,  doch  noch  zu  we- 
nig specielle  Kenntnisse,  um  alle  in  einer  solchen  Thermokette 
stattfindenden  Vorgänge  ins  Einzelne  verfolgen  zu  können.  In- 
dessen wird  man  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  in  der  von  mir  ge- 
machten Annahme  wenigstens  die  Möglichkeit  einer  Erklärung 
der  betreffenden  Erscheinungen  liegt,  und  aus  der  am  Ende  des 
siebenten  Abschnittes  mitgetheilten  Entwickelung  von  Budde  kann 
man  ersehen,  wie  sich  diese  Erklärung  ganz  in  Uebereinstimmung 
mit  meinem  Grundsatze  durchführen  lässt.  Es  kann  also  auch  aus 
diesen  Erscheinungen  kein  Einwand  gegen  meinen  Grundsatz  ent- 
nommen werden. 


§.  2.    Einwand  von  F,  Kohlrausch. 

In  einem  interessanten  Aufsatze  über  Thermoelectricität, 
Wärme-  und  Electricitätsleitung  von  F.  Kohlrausch^)  ist  ein 
Einwand  gegen  die  von  mir  aufgestellte  Theorie  der  thermoelectri- 


1)   Gröttinger  Nachrichten  Febr.  1874  und  Pogg.  Ann.    Bd.  156,   S.  601, 


310  Abschnitt  XL 

sehen  Ströme  erhoben,  welcher  sich  auf  einen  in  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  scheinbar  hervortretenden  Widerspruch  stützt, 
und  daher  einer  näheren  Beleuchtung  bedarf.  Da  die  Stelle, 
welche  den  Einwand  enthält,  nur  kurz  ist,  so  wird  es  am  besten 
sein,  sie  hier  wörtlich  anzuführen. 

Nachdem  Kohlrausch  gesagt  hat,  die  mechanische  Wärme- 
theorie nehme  bei  der  Bestimmung  der  von  der  Wärme  geleiste- 
ten Arbeit  auf  die  durch  Leitung  ausgeglichene  Wärme  keine 
Rücksicht,  und  wer  dieses  Verfahren  unter  allen  Umständen  als 
erlaubt  ansehe,  werde  daraus  gegen  seine  Hypothese,  dass  ein 
Wärmestrom  Arbeit  leisten  könne,  einen  erheblichen  Einwand  ab- 
leiten, fährt  er  fort: 

„Nun  liegt  aber  im  Gebiete  der  Electricität  ein  anderer  Fall 
vor,  der  nach  meiner  Ansicht  mit  den  Grundsätzen  der  mechani- 
schen Wärmetheorie,  oder  mit  anderen  Worten,  mit  dem  Clau- 
sius'schen  Satze,  dass  die  Wärme  nicht  von  selbst  aus  niederer 
zu  höherer  Temperatur  übergeht,  nicht  anders  in  Uebereinstim- 
mung  gebracht  werden  kann,  als  wenn  man  der  Wärmeleitung 
eine  wesentliche  Bolle  bei  dem  Vorgang  zuschreibt.  Li  seiner 
Polemik  gegen  Clausius  hatte  Tait  den  genannten  Grundsatz 
als  unrichtig  hingestellt,  weil  man  mittelst  einer  Thermosäule  von 
geringer  Temperatur  einen  Draht  zum  Glühen  bringen  könne. 
Clausius  widerlegt  diesen  Einwand  leicht,  indem  ja  die  Tempe- 
raturerhöhung der  in  dem  Drahte  entwickelten  Wärme  nach  P ei- 
tler begleitet  ist  von  einem  Uebergang  einer  anderen  Wärme- 
menge von  der  warmen  zur  kalten  Löthstelle  der  Thermosäule 
(Pogg.  Ann.  Bd.  CXLVI,  S.  310).  Bei  dieser  Widerlegung  wird 
indessen  offenbar  vorausgesetzt,  was  ja  auch  in  Wirklichkeit  immer 
zutrifft,  dass  die  in  dem  erhitzten  Drahte  entwickelte  Temperatur 
eine  Grenze  hat.  Könnte  man  diese  Temperatur  beliebig  steigern, 
so  würde  durch  den  Uebergang  einer  endlichen  Wärmemenge  in 
der  Thermosäule  zu  einer  um  eine  endliche  Grösse  niedrigeren 
Temperatur  eine  andere  endliche  Wärmemenge  zu  beliebig  hoher 
Temperatur  erhoben  werden  können." 

Die  im  letzten  Satze  erwähnte  Erhebung  einer  endlichen 
Wärmemenge  zu  beliebig  hoher  Temperatur  ist  es,  in  welcher 
Kohlrausch  einen  in  meiner  Theorie  liegenden  Widerspruch  er- 
blickt, und  durch  welchen  er  bewogen  wird,  auch  die  Wärme- 
leitung in  den  Kreis  der  Betrachtungen  zu  ziehen.  Ich  glaube 
aber  nachweisen  zu  können,  dass  bei  einer,  wenn  auch  bisher  nicht 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      311 

bestimmt  ausgesprochenen,  so  doch  ganz  im  Geiste  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  liegenden  Auflassung  der  Sache  dieser  Wider- 
spruch, auch  ohne  die  Hinzuziehung  der  Wärmeleitung,  ver- 
schwindet. 

Um  die  Natur  des  betreff"enden  Vorganges,  welchen  Kohl- 
rausch  für  die  Thermosäule  hervorgehoben  hat,  besser  beurth ei- 
len zu  können,  wird  es  zweckmässig  sein,  zu  zeigen,  dass  er  auch 
bei  anderen  thermodynamischen  Maschinen,  z.  B,  bei  der  Dampf- 
maschine, vorkommen  kann.  Bei  dieser  nimmt  der  die  Wirkung 
der  Wärme  vermittelnde  Stofi'  (das  Wasser)  im  Kessel ,  dessen  ab- 
solute Temperatur  Ji  heissen  möge,  Wärme  auf,  und  im  Conden- 
sator,  dessen  absolute  Temperatur  wir  Tq  nennen  wollen ,  giebt  er 
wieder  Wärme  ab.  Die  abgegebene  Wärmemenge  ist  aber  gerin- 
ger als  die  aufgenommene,  und  den  Ueberschuss  der  letzteren  kön- 
nen wir,  wenn  wir  von  den  durch  die  Unvollkommenheiten  der 
Maschinen  bedingten  Verlusten  absehen,  als  in  Arbeit  verwandelt 
betrachten.  Bezeichnen  wir  also  die  während  der  Zeiteinheit  im 
Kessel  aufgenommene  Wärmemenge  mit  Q  -\-  qi  und  die  im  Con- 
densator  abgegebene  mit  Q,  so  ist  q  die  in  Arbeit  verwandelte 
Wärmemenge,  während  Q  die  von  der  Temperatur  Ti  zur  Tempe- 
ratur Tq  übergehende  Wärmemenge  ist. 

Wenn  nun  die  von  der  Maschine  geleistete  Arbeit  dazu  ver- 
wandt wird,  einen  Reibungswiderstand  zu  überwinden,  so  verwan- 
delt sie  sich  dabei  wieder  in  Wärme,  und  es  kommt  somit  jene 
Wärmemenge  g,  welche  zu  der  Arbeit  verbraucht  wurde,  in  den 
sich  reibenden  Körpern,  deren  absolute  Temperatur  T2  sein  möge, 
wieder  als  Wärme  zum  Vorschein.  Man  kann  also  sagen,  diese 
Wärmemenge  sei  von  der  Temperatur  Ti ,  bei  welcher  sie  von  der 
Maschine  aufgenommen  wurde,  zur  Temperatur  T2  übergeführt. 
Da  nun  die  Temperatur  T2  der  sich  reibenden  Körper  beliebig 
hoch  sein  kann,  so  gelangen  wir  auch  hier  zu  jenem  Resultate 
dass  durch  den  Uebergang  einer  endlichen  Wärmemenge  (Q)  zu 
einer  um  eine  endliche  Grösse  niedrigeren  Temperatur  (von  Ti 
zu  To)  eine  andere  endliche  Wärmemenge  (g)  zu  einer  beliebig 
hohen  Temperatur  (T,)  erhoben  werden  kann. 

Um  nun  zunächst  zu  sehen,  in  welcher  Weise  die  Temperatur 
T2  in  den  Gleichungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  vorkommt,  ■ 
haben  wir  den   für   den   Aequivalenzwerth   des  Ueberganges    der 
Wärmemenge  q  von  der  Temperatur  Ti  zur  Temperatur  T2  gel- 
tenden Ausdruck  zu  bilden,  nämlich: 


312  Abschnitt  XL 

Dieser  Ausdruck  stellt,  wenn  T2  >>  Ti,  eine  negative  Grösse 
dar,  deren  absoluter  Werth  mit  wachsender  Temperatur  T^  zu- 
nimmt; aber  diese  Zunahme  findet  nicht  etwa  bis  ins  Unbegrenzte 
statt,  sondern  der  Ausdruck  nähert  sich  bei  fortwährendem  Wach- 
sen von  T2  nur  dem  bestimmten  endlichen  Werthe 

g_ 

welcher  der  Aequivalenzwerth  der  Verwandlung  der  Wärmemenge 
q  von  der  Temperatur  T-^  in  Arbeit  ist.  Dieses  Verhalten  der  For- 
meln ist  ganz  mit  jenem  Umstand  in  Uebereinstimmung ,  dass 
eine  einmal  in  Arbeit  verwandelte  Wärmemenge  auch  wieder  in 
Wärme  von  beliebig  hoher  Temperatur  verwandelt  werden  kann. 

Wenn  nun  aber  hierbei  von  beliebig  hoher  Temperatur  die 
Rede  ist,  so  darf  darunter  doch  nicht  eine  im  streng  mathemati- 
schen Sinne  unendlich  hohe  Temperatur  verstanden  werden,  son- 
dern es  ist  in  dieser  Beziehung  durch  die  Natur  der  Sache  selbst, 
ohne  dass  man  die  Wärmeleitung  dabei  zu  Hülfe  zu  nehmen 
braucht,  eine  gewisse  Grenze  gegeben. 

Um  dieses  zu  erkennen  und  von  der  Art  der  Grössen,  um 
welche  es  sich  dabei  handelt,  einen  ungefähren  Begriff  zu  bekom- 
men, wollen  wir  uns  denken,  die  von  der  Maschine  geleistete  Ar- 
beit werde  zunächst  dazu  angewandt,  einen  Körper  von  gegebener 
Masse,  z.  B.  eine  Masseneinheit,  in  Bewegung  zu  setzen,  und  diese 
Massenbewegung  sei  es  nun,  welche  in  Wärme  verwandelt  werden 
solle.  Dann  haben  wir  es  nur  noch  mit  der  Verwandlung  einer 
Art  von  Bewegung  in  eine  andere  Art  von  Bewegung  zu  thun, 
wodurch  der  Schluss  über  die  Höhe  der  erreichbaren  Temperatur 
erleichtert  wird. 

Wenn  man  unter  der  absoluten  Temperatur  eines  Körpers 
die  mittlere  lebendige  Kraft  der  einzelnen  bei  der  als  Wärme  be- 
zeichneten Bewegung  sich  selbständig  bewegenden  Körpertheil- 
chen,  nämlich  der  Atome,  versteht,  so  kann  man  den  Satz,  dass 
ein  Körper  einen  anderen  nicht  zu  einer  höheren  Temperatur,  als 
er  selbst  hat,  erwärmen  kann,  so  ausdrücken:  Die  Atome  des 
einen  Körpers  können  den  Atomen  des  anderen  keine  Bewegungen 
mittheilen,  deren  lebendige  Kräfte  im  Mittel,  grösser  sind,  als  ihre 
eigenen.    Wenden  wir  diesen  Satz  nun  auch  auf  den  Fall  an,  wo 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      313 

eine  sich  im  Ganzen  bewegende  Masseneinheit  die  Atome  eines 
Körpers  in  schnellere  Bewegung  versetzen  und  dadurch  Wärme 
erzeugen  soll,  so  können  wir  sagen,  dass  die  höchste  dadurch  er- 
reichbare Temperatur  diejenige  sein  würde,  bei  welcher  ein  einzel- 
nes Atom  eine  eben  so  grosse  lebendige  Kraft  hätte,  wie  die  ganze 
bewegte  Masseneinheit.  Hierdurch  gelangen  wir  zu  einem  ganz 
ausserordentlich  grossen  aber  nicht  gerade  zu  einem  unendlich 
grossen  Werthe,  ähnlich  wie  die  Masse  eines  Atoms  gegen  eine 
Masseneinheit  ganz  ausserordentlich  klein,  aber  nicht  gerade  un- 
endlich klein  ist. 

Natürlich  soll  diese  Betrachtung  nicht  dazu  dienen,  uns  einen 
bestimmten  ein  für  allemal  geltenden  Werth  als  Grenze  der  er- 
reichbaren Temperaturen  zu  geben,  da  ja  mit  der  Grösse  der  Ar- 
beit auch  die  lebendige  Kraft  der  Massenbewegung,  welche  an 
ihre  Stelle  gesetzt  werden  kann,  verschieden  ist,  aber  sie  giebt 
wenigstens  eine  Vorstellung  von  der  Ordnung  der  betreffenden 
Grössen. 

In  den  Gleichungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  ist  die 
hier  besprochene  Beschränkung  in  Bezug  auf  die  erreichbaren  Tem- 
peraturen nicht  ausgedrückt.  In  diesen  Gleichungen  kommen  näm- 
lich, wie  wir  es  in  den  oben  betrachteten  Aequivalenzwerthen  ge- 
sehen haben,  die  reciproken  Werthe  der  Temperaturen  vor,  und 
dabei  sind  die  reciproken  Werthe  jener  hohen  Grenztemperaturen 
ihrer  Kleinheit  wegen  vernachlässigt.  Darin  liegt  nun  freilich  eine 
Ungenauigkeit ,  indessen  wird  man  bei  der  enormen  Höhe  jener 
Grenztemperaturen  gewiss  zugestehen,  dass  dieses  nur  eine  solche 
Ungenauigkeit  ist,  wie  sie  fast  jeder  physikalischen  Gleichung  an- 
haftet., indem  es  nur  wenige  physikalische  Gleichungen  giebt,  die 
in  der  Form,  in  welcher  man  sie  bei  den  wirklich  vorkommenden 
Processen  anwendet,  auch  in  aller  Strenge  bis  ins  Unendliche  an- 
wendbar sind. 

Ich  habe  mich  übrigens  schon  lange,  bevor  ich  die  hier  mit- 
getheilten  und  zuerst  in  Pogg.  Ann.  Bd.  160  veröffentlichten  Be- 
merkungen zu  dem  Einwände  von  Kohlrausch  schrieb,  bei  einer 
anderen  Gelegenheit  in  ähnlicher  Weise  ausgesprochen.  In  einer 
im  Jahre  1865  veröffentlichten  Abhandlung  i)  ist  bei  Besprechung 


^)  lieber  verschiedene  für  die  Anwendung-  bequeme  Formen  der  Haupt- 
gleicliungen  der  mechanisclien  Wärmetheorie,  Pogg.  Ann.  Bd.  125,  S.  353, 
und  Abhandlungensammlung  Bd.  II,  S.  1. 


314  Absclinitt  XI. 

des  von  mir  eingeführten  Begriffes  des  Verwandlungswertlies  der 
Wärme  davon  die  Rede,  wie  man  den  Verwandlungswerth  einer 
solchen  Bewegung,  die  von  einer  grösseren  ponderablen  Masse  im 
Ganzen  ausgeführt  wird,  zu  bestimmen  hat.  Dieser  Verwandlungs- 
werth wird  in  den  Formeln  der  mechanischen  Wärmetheorie  sei- 
ner Kleinheit  wegen  vernachlässigt;  ich  habe  aber  nicht  gesagt, 
dass  er  Null  sei,  sondern  habe  mich  folgendermaassen  ausgespro- 
chen!): „Wenn  eine  Masse,  welche  so  gross  ist,  dass  ein  Atom 
dagegen  als  verschwindend  klein  betrachtet  werden  kann,  sich  als 
Ganzes  bewegt,  so  ist  der  Verwandlungswerth  dieser  Bewegung 
gegen  ihre  lebendige  Kraft  gleichermaassen  als  verschwindend 
klein  anzusehen."  Hierin  ist  also  nicht  nur  darauf  hingewiesen, 
dass  die  betreffende  Grösse  nicht  im  streng  mathematischen  Sinne 
unendlich  klein  ist,  sondern  es  ist  auch  die  Ordnung  ihrer  Klein- 
heit durch  den  damit  in  Zusammenhang  gebrachten  Vergleich 
zwischen  der  Masse  eines  Atomes  und  der  ganzen  Masse,  um  deren 
Bewegung  es  sich  handelt,  bestimmt  festgestellt. 


§.  3.    Anderer  Einwand  von  Tait. 

In  einem  vor  Kurzem  erschienenen  Buche  des  Hrn.  Tait 
„Lectures  on  some  recent  advances  in  Physical  Science,  second  edi-- 
tion,  London  1876'-'-  wird  auf  p,  119  ein  neuer  Gegengrund  gegen 
meinen  Satz  geltend  gemacht,  welchen  ich  mir  erlauben  will,  eben- 
falls hier  zu  besprechen. 

Hr.  Tait  führt  eine  von  Maxwell  angestellte  Betrachtung 
an,  welche  sich  darauf  bezieht,  wie  man  es  sich  etwa  als  möglich 
vorstellen  könne,  dass  Wärme  ohne  einen  gleichzeitigen  Verbrauch 
von  Arbeit  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  über- 
gehen könne.  Maxwell  geht  von  der  kinetischen  Gastheorie  aus, 
in  welcher  angenommen  wird,  dass  in  einer  Gasmasse  selbst  dann, 
wenn  keine  Strömungen  in  ihr  stattfinden  und  ihre  Temperatur 
durchweg  gleich  ist,  die  Molecüle  ungleiche  Geschwindigkeiten 
haben,  und  seine  Betrachtung  besteht  nach  Tait  in  Folgendem:  Er 
setzt  den  Fall,  dass  solche  imaginäre  Wesen,  welche  Thomson 
vorläufig  Dämonen  nennt  —  kleine  Geschöpfe  ohne  Beharrungs- 


1)   Pogg.    Ann.  Bd.    125,   S,  399,   und   Abhandlungen  Sammlung   Bd,  II, 
S.  43, 


Discussionen  übei;  AVärme  und  Electricdtät,      315 

vermögen ,  von  ausserorclentliclier  Sinnenschärfe  und  Intelligenz 
und  wunderbarer  Beweglichkeit  —  (such  imaginary  beings,  whom 
Sir  W.  Thomson  provisionalhj  calls  demons  —  small  creatures 
ivithout  inertia^  of  extremely  acute  senses  and  inteUigenee,  and  mar- 
veüous  agüity  — )  die  Partikelchen  eines  Gases  überwachten,  wel- 
ches sich  in  einem  Gefässe  befände,  worin  eine  Scheidewand  wäre, 
die  sehr  viele,  ebenfalls  von  Beharrungsvermögen  freie  Klappen 
hätte,  und  dass  diese  Dämonen  die  Klappen  in  geeigneten  Momen- 
ten öfiheten  und  schlössen,  und  zwar  so,  dass  sie  die  schnelleren 
Partikelchen  aus  der  ersten  Abtheilung  des  Gefässes  in  die  zweite 
und  eine  ebenso  grosse  Anzahl  langsamerer  Partikelchen  aus  der 
zweiten  Abtheilung  in  die  erste  Hessen.  Wenn  dieser  Fall  statt- 
fände, so  würde  natürlich  das  Gas  in  der  zweiten  Abtheilung  all- 
mählich immer  wärmer  und  das  in  der  ersten  immer  kälter  wer- 
den, und  somit  Wärme  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Kör- 
per übergehen. 

Hr.  Maxwell  hat  diesen  von  ihm  ersonnenen  imaginären 
Vorgang  nur  dazu  angewandt  i),  die  Verschiedenheit  der  Rech- 
nungsmethode, welche  bei  der  Behandlung  des  zweiten  Haupt- 
satzes der  mechanischen  Wärmetheorie  anzuwenden  ist,  und  welche 
er  die  statistische  Methode  nennt,  von  der  eigentlich  dynamischen 
Methode  zu  veranschaulichen.  Hr.  Tait  dagegen  nimmt  keinen 
Anstand,  diesen  Vorgang  einfach  als  Gegenbeweis  gegen  meinen 
Satz  geltend  zu  machen,  indem  er  sagt,  dieser  Vorgang,  für  sich 
allein,  sei  absolut  verhängnissvoll  für  meine  Schlussweise  (tuhich^ 
ahne,  is  ahsolutely  fatal  to  Clausius''  reasoning). 

Dieses  kann  ich  in  keiner  Weise  zugeben.  Wenn  die  Wärme 
als  eine  Molecularbewegung  betrachtet  wird,  so  ist  dabei  zu  be- 
denken, dass  die  Molecüle  so  kleine  Körpertheilchen  sind,  dass  es 
für  uns  unmöglich  ist,  sie  einzeln  wahrzunehmen.  Wir  können 
daher  nicht  auf  einzelne  Molecüle  für  sich  allein  wirken,  oder  die 
Wirkungen  einzelner  Molecüle  für  sich  allein  erhalten,  sondern 
haben  es  bei  jeder  Wirkung,  welche  wir  auf  einen  Körper  aus- 
üben oder  von  ihm  erhalten,  gleichzeitig  mit  einer  ungeheuer 
grossen  Menge  von  Molecülen  zu  thun,  welche  sich  nach  allen  mög- 
lichen Richtungen  und  mit  allen  überhaupt  bei  den  Molecülen 
vorkommenden  Geschwindigkeiten  bewegen,  und  sich  an  der  Wir- 
kung in  der  Weise  gleichmässig   betheiligen,   dass  nur   zufällige 


Theory  of  Heat,  London  1S71,  p.  308. 


316  Absclinitt  XI. 

Verschiedenheiten  vorkommen,  die  den  allgemeinen  Gesetzen  der 
Wahrscheinlichkeit  unterworfen  sind.  Dieser  Umstand  bildet  ge- 
rade die  charakteristische  Eigenthümlichkeit  derjenigen  Bewegung, 
welche  wir  Wärme  nennen,  und  auf  ihm  beruhen  die  Gesetze, 
welche  das  Verhalten  der  Wärme  von  dem  anderer  Bewegungen 
unterscheiden. 

Wenn  nun  Dämonen  eingreifen,  und  diese  charakteristische 
Eigenthümlichkeit  zerstören,  indem  sie  unter  den  Molecülen  einen 
Unterschied  machen,  und  Molecülen  von  gewissen  Geschwindigkei- 
ten den  Durchgang  durch  eine  Scheidewand  gestatten,  Molecülen 
von  anderen  Geschwindigkeiten  dagegen  den  Durchgang  verweh- 
ren, so  darf  man  das,  was  unter  diesen  Umständen  geschieht,  nicht 
mehr  als  eine  Wirkung  der  Wärme  ansehen  und  erwarten,  dass 
es  mit  den  für  die  Wirkungen  der  Wärme  geltenden  Gesetzen 
übereinstimmt. 

Ich  glaube  daher  meine  Erwiderung  auf  den  Einwand  des 
Hrn.  Tait  in  die  kurze  Bemerkung  zusammenfassen  zu  können, 
dass  mein  Satz  sich  nicht  darauf  bezieht,  was  die  Wärme  mit  Hülfe 
von  Dämonen  thun  kann,  sondern  darauf,  was  sie  für  sich  allein 
thun  kann. 

Nachdem  ich  die  vorstehend  mitgetheilten  Gegenbemerkungen 
gegen  den  Tait' sehen  Einwand  in  Wied.  Annalen  veröffentlicht 
hatte,  hat  Hr.  Tait  in  einer  neueren  Schrift i)  seinen  Einwand 
durch  den  Ausspruch  wenigstens  theilweise  aufrecht  zu  erhalten  ge- 
sucht, dass  das,  was  Dämonen  im  grossen  Maassstabe  thun  können, 
in  der  Wirklichkeit  ohne  Hülfe  von  Dämonen,  wenn  auch  in  einem 
sehr  kleinen  Maassstabe,  in  jeder  Gasmasse  vor  sich  gehe,  [that 
wJiat  demons  couJd  do  on  a  large  scaJe,  really  goes  on  without  the  help 
of  demons  {though  in  a  very  smcäl  scaJe)  in  every  mass  of  gas]. 

Hiermit  ist,  wenn  ich  es  recht  verstehe.  Folgendes  gemeint. 
Wenn  zwei  Gasmassen  Ä  und  B  in  Berührung  sind,  so  flie- 
gen fortwährend  Molecüle  von  Ä  nach  B  und  umgekehrt  von  B 
nach  Ä.  Haben  die  beiden  Gasmassen  gleiche  Temperaturen,  so 
haben  auch  die  von  Ä  nach  B  fliegenden  Molecüle  durchschnitt- 
lich dieselbe  lebendige  Kraft,  wie  die  von  B  nach  Ä  fliegenden. 
Da  aber  die  Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Molecüle  verschie- 
den sind,  so  können   in  einzelnen  Momenten  Abweichungen  von 


1)  Sketch  of  Thermodynamics,  second  edüton,  Edinburgh  1877,  in  der 
Vorrede  S.  XVIII. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      317 

dem  durchschnittlichen  Verhalten  stattfinden,  und  es  kann  z.  B. 
vorkommen,  dass  in  einem  gewissen  Momente  zufällig  unter  den 
von  Ä  nach  B  fliegenden  Molecülen  diejenigen  mit  grösseren  Ge- 
schwindigkeiten und  unter  den  von  B  nach  Ä  fliegenden  diejeni- 
gen mit  kleineren  Geschwindigkeiten  vorwiegen.  Dadurch  steigt 
für  einen  Augenblick  die  Temperatur  in  B  und  sinkt  die  Tempe- 
ratur in  Ä,  und  es  geht  also  momentan  etwas  Wärme  aus  der  da- 
durch kälter  werdenden  Gasmasse  in  die  wärmer  werdende  über. 
Dieses  soll  nach  Hrn.  Tait  mit  meinem  Grundsatze  im  Wider- 
spruche stehen. 

Hiergegen  brauche  ich  wieder  nur  zu  sagen,  dass  es  sich  im 
zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie  und  ebenso 
in  meinem  Grundsatze  gar  nicht  darum  handelt,  was  in  einzelnen 
Momenten  zufällig  bald  in  einem,  bald  im  entgegengesetzten  Sinne 
geschehen  kann,  sondern  darum,  was  durchschnittlich  nach  den 
liegein  der  Wahrscheinlichkeit  geschieht.  Der  Ueberschuss  von 
lebendiger  Kraft,  welcher  durch  eine  in  einem  gewissen  Momente 
stattfindende  zufällige  Abweichung  vom  durchschnittlichen  Verhal- 
ten vom  kälteren  zum  wärmeren  Gase  übergehen  kann,  ist  im  Ver- 
gleiche zu  den  für  uns  messbaren  Wärmemengen  eine  Grösse  von 
derselben  Ordnung,  wie  die  Masse  eines  einzelnen  Molecüls  im 
Vergleiche  zu  den  unserer  directen  Wahrnehmung  zugänglichen 
Massen.  Grössen  dieser  Ordnung  werden  aber,  wie  schon  im  vori- 
gen Paragraphen  erwähnt  wurde,  bei  den  Betrachtungen,  welche 
sich  auf  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie 
beziehen,  vernachlässigt. 


§.  4.    Einwand  von  Tolver  Preston. 

Hr.  Tolver  Preston  hat  in  Nature,  Vol.  XXVIJ,  p.  202 
(Januar  1878)  ein  Verfahren  angegeben,  mittelst  dessen  man  durch 
Diffusion  von  Gasen  mechanische  Arbeit  gewinnen  kann.  Die  von 
ihm  angestellten  Betrachtungen  sind  sehr  sinnreich  und  in  theore- 
tischer Beziehung  durch  die  Schlüsse,  zu  welchen  sie  Gelegenheit 
geben,  interessant.  Nur  in  einem  Puncte  glaube  ich  eine  abwei- 
chende Ansicht  äussern  zu  müssen.  Hr.  Preston  meint  nämlich, 
dass  das  Resultat  seines  Verfahrens  dem  zweiten  Hauptsatze  der 
mechanischen  Wärmetheorie  widerspreche,  und  hiermit  kann  ich 
nicht  übereinstimmen. 


318  Absclmitt  XI. 

Das  Wesentliche  seines  Verfahrens  ist  Folgendes.  Er  denkt 
sich  einen  Cylinder,  welcher  durch  einen  beweglichen  Stempel  in 
zwei  Abtheilungen  getheilt  wird.  Der  Stempel  soll  aus  einem  po- 
rösen Stoffe,  wie  etwa  Pfeifenthon  oder  Graphit,  bestehen.  In  den 
beiden  Abtheilungen  des  Cy linders  sollen  sich  zwei  yerschiedene 
Gase  befinden,  z.  B.  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

Wenn  nun  beide  Gase  anfangs  gleichen  Druck  haben,  so  tritt 
darin  durch  die  Diffusion  bald  eine  Aenderung  ein.  Der  Wasser- 
stoff dringt  durch  den  porösen  Stempel  schneller  hindurch,  als 
der  Sauerstoff"  und  es  nimmt  daher  die  vorhandene  Gasmenge  an 
der  Wasserstoffseite  ab  und  an  der  Sauerstoff seite  zu.  Dadurch 
entsteht  eine  Druckverminderung  an  der  Wasserstoffseite  und  eine 
Druckvermehrung  an  der  Sauerstoffseite,  so  dass  der  Stempel  mit 
einer  gewissen  Kraft  in  Bewegung  gesetzt  und  eine  mechanische 
Arbeit  geleistet  werden  kann,  welche  sich  äusserlich  nutzbar  ma- 
chen lässt.  Zugleich  wird  bei  der  Bewegung  des  Stempels  das 
Gas  an  der  Seite,  wo  es  sich  ausdehnt,  kälter  und  an  der  Seite, 
wo  es  zusammengedrückt  wird,  wärmer,  und  es  geht  somit  Wärme 
aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  über. 

Diese  beiden  Umstände  nun,  dass  in  dem  Processe  ohne  eine 
ursprünglich  vorhandene  Temperaturdifferenz  Arbeit  aus  Wärme 
gewonnen  wird,  und  dass  dabei  noch  Wärme  aus  der  kälteren  Ab- 
theilung in  die  wärmere  übergeht,  betrachtet  Tolver  Preston 
als  dem  zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie  wider- 
sprechend. 

Diesem  Schlüsse  kann  ich  nicht  zustimmen.  Wenn  die  Ver- 
wandlung von  Wärme  in  Arbeit  und  der  Wärmeübergang  aus  dem 
kälteren  in  den  wärmeren  Körper  so  stattfände,  dass  dabei  der 
veränderliche  Stoff  am  Schlüsse  der  Operation  sich  wie- 
der in  seinem  ursprünglichen  Zustande  befände,  und 
dass  man  es  daher  mit  einem  Kreisprocesse  zu  tliun 
hätte,  so  würde  darin  allerdings  ein  Widerspruch  mit  dem  zwei- 
ten Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie  liegen.  So  ver- 
hält sich  die  Sache  aber  nicht.  Als  veränderlichen  Stoff  haben 
wir  in  dem  Processe  die  beiden  Gase.  Diese  sind  am  Anfange. un- 
gemischt und  am  Schlüsse  gemischt,  und  es  ist  also  eine  wesent- 
liche Aenderung  mit  ihnen  eingetreten,  welche  als  Compensation 
der  Verwandlung  aus  Wärme  in  Arbeit,  und  des  Wärmeüberganges 
aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  betrachtet  wer- 
den kann. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      319 

Da  die  Gase  durch  die  Molecularbewegung,  welche  wir  Wärme 
nennen,  sich  zu  mischen  suchen,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die 
Mischung  um  so  schneller  erfolgt,  je  höher  die  Temperatur  ist,  so 
haben  wir  es  hier  mit  einer  Wirkung  der  Wärme  zu  thun,  welche 
der  Ausdehnung  eines  Gases  durch  die  Wärme  zu  vergleichen  ist. 
Wir  müssen  daher,  wenn  wir  hier  schon  einen  von  mir  eingeführ- 
ten Begriff,  der  erst  im  nächsten  Bande  näher  besprochen  werden 
wird,  in  Anwendung  bringen  wollen,  den  gemischten  Gasen  eine 
grössere  Disgregation  zuschreiben,  als  den  ungemischten.  Da 
nun  die  Vermehrung  der  Disgregation  eine  positive  Verwandlung 
ist,  so  kann  sie  die  Verwandlung  aus  Wärme  in  Arbeit  und  den 
Uebergang  von  Wärme  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren 
Körper,  welche  beide  negative  Verwandlungen  sind,  compensiren. 

Man  sieht  also,  dass  der  vorliegende  Fall  zwar  gewisse  Eigen- 
thümlichkeiten  hat,  durch  welche  er  sich  äusserlich  von  anderen 
Fällen  unterscheidet,  dass  er  aber  in  den  wesentlichen  Puncten, 
um  welche  es  sich  in  der  mechanischen  Wärmetheorie  handelt, 
ganz  mit  den  gewöhnlich  betrachteten  Fällen  übereinstimmt,  und 
nichts  enthält,  was  mit  dem  zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen 
Wärmetheorie  im  Widerspruche  stände. 


§.  5.    Arbeitsverlust  in  nicht-umkehrbaren 
Kreisprocessen. 

In  meiner  Abhandlung  über  eine  veränderte  Form  des  zwei- 
ten Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie  i)  habe  ich  eine 
Grösse  eingeführt,  welche  ich  die  uncompensirte  Verwandlung  ge- 
nannt und  mit  N  bezeichnet  habe ,  und  zu  deren  Bestimmung ,  so 
weit  es  sich  um  Kreisprocesse  handelt,  ich  folgende  Gleichung  auf- 
gestellt habe: 

(1)  N  =  -/^, 

worin  d  Q  ein  Element  der  dem  veränderhchen  Körper  während 
des  Kreisprocesses  mitgetheilten  Wärme  bedeutet  (wobei  eine  ent- 
zogene Wärmemenge  als  eine  mitgetheilte  negative  Wärmemenge  ge- 


1)   Pogg.  Ann.   Bd.  93,  1854;   Abhandlungensammlung   Bd.  I,   Abhand- 
lung IV;  in  der  zweiten  Auflage  Abschnitt  V. 


320  Abschnitt  XI. 

rechnet  wird),  und  T  die  absolute  Temperatur  des  Körpers  im  Mo- 
mente der  Mittheilung  ist.  Wenn  der  Kreisprocess  umkehrbar  ist, 
so  hat  man  ^''  =  0 ;  wenn  dagegen  in  dem  Kreisprocesse  Verände- 
rungen vorkommen ,  die  nicht  umkehrbar  sind,  so  hat  N  einen  an- 
gebbaren Werth,  welcher  aber  immer  nur  positiv  sein  kann. 

Für  den  in  einer  thermodynamischen  Maschine  stattfindenden 
Kreisprocess  ist  es  nun  am  vortheilhaftesten ,  wenn  nur  umkehr- 
bare Veränderungen  in  ihm  vorkommen,  indem  jede  in  nicht  um- 
kehrbarer Weise  vor  sich  gehende  Veränderung  einen  Verlust  von 
Arbeit  zur  Folge  hat.  Auf  diesen  Umstand  habe  ich  ein  eigen- 
thümliches  Verfahren  gegründet,  die  Arbeit  einer  thermodynami- 
schen Maschine  zu  bestimmen.  Wir  wollen  annehmen,  für  den 
Kreisprocess,  welcher  in  der  thermodynamischen  Maschine  statt- 
findet, seien  sonst  alle  dem  veränderlichen  Körper  mitgetheilten 
Wärmemengen  und  die  Teniperaturen,  welche  der  Körper  bei  der 
Mittheilung  hat,  gegeben,  nur  Eine  Temperatur  Tq  (in  der  Dampf- 
maschine etwa  die  Temperatur  des  Condensators)  komme  vor,  bei 
welcher  der  Körper  noch  eine  positive  oder  negative  Wärmemenge 
aufnehme,  deren  Werth  unbekannt  sei.  Wenn  wir  dann  das  Ar- 
beitsmaximum, welches  man  unter  diesen  Umständen  aus  den  ge- 
gebenen Wärmemengen  möglicherweise  gewinnen  könnte ,  mit 
Wmax.i  und  die  Arbeit,  welche  man  wirklich  gewinnt,  mit  W  be- 
zeichnen, so  gilt  folgende  Gleichung,  in  welcher  E  das  mechanische 
Aequivalent  der  Wärme  bedeutet  i) : 

(2)  W=Wma..-JET,N. 

Bei  Anwendung  dieser  Gleichung  wird  die  Arbeit  der  Ma- 
schine nicht  so  bestimmt,  dass  man  die  in  den  verschiedenen  nach 
einander  stattfindenden  Vorgängen  geleisteten  Arbeitsgrössen  ein- 
zeln bestimmt  und  dann  addirt,  sondern  so,  dass  man  zuerst  das 
Arbeitsmaximum  bestimmt,  welches  man  erhalten  würde,  wenn  alle 
stattfindenden  Vorgänge  umkehrbar  wären,  und  davon  dann  den 
durch  Unvollkommenheiten  des    Kreisprocesses    entstehenden  Ar- 


^)  Abhandlung  über  die  Anwendung  der  mechanischen  Wärmetheorie 
auf  die  Dampfmaschine,  Pogg.  Ann.  Bd.  97,  S.  452;  Abhandlungensamm- 
lung Bd.  I,  S.  166;    zweite   Auflage  Bd.  I,  S.  298.    Dabei  ist  zu  bemerken, 

dass   an  den  beiden  ersten  Stellen  statt  des  Zeichens  JE  der  Bruch  -r-    an- 

A 

gewandt  ist,    und  an  der  letzten  Stelle  die  Wärme  als  nach  mechanischem 

Maasse  gemessen  angenommen  und  daher  JK  =  1  gesetzt  ist. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      321 

beitsverlust  abzieht.    Ich  habe  daher  dieses  Verfahren ,  die  Arbeit 

zu  bestimmen,  das  Subtractionsverfahren  genannt.    Der  Arbeits- 
verlust ist: 

(3)  ET,N=-ET,f^ 

und  die  entsprechende  Wärmemenge  wird  dargestellt  durch 

(4)  T,N=-T,f^. 

In  dem  von  Tait  veröffentlichten  Buche  ^^SJcetcJi  of  TJiermo- 
dynamics^^  kommt  nun  eine  äusserlich  ähnliche,  aber  in  unrichti- 
ger Weise  ausgeführte  Entwickelung  vor,  deren  Resultat  einer 
näheren  Besprechung  bedarf.  Um  Missverständnisse  unmöghch  zu 
machen,  will  ich  das  Resultat  wörtlich  im  englischen  Texte  mit- 
theilen, wobei  ich  nur,  der  leichteren  Vergleichung  wegen,  in  der 
Bezeichnung  die  kleine  Aenderung  machen  will,  dass  ich  für  die 
kleinen  Buchstaben  t  und  g,  welche  Tait  zur  Bezeichnung  der 
Temperatur  und  der  Wärmemenge  anwendet,  die  grossen  Buch- 
staben T  und  Q  setze,  und  statt  des  Buchstaben  J",  welchen 
Tait  für  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  anwendet, 
den  von  uns  dafür  angewandten  Buchstaben  E  setze.  Tait 
nennt  die  gewonnene  mechanische  Arbeit  ,,the  practicdl vaJue^^ 
und  spricht  das  Resultat  seiner  kurzen  Entwickelung  so  aus  i) : 
Hence  in  any  cydical  process  whatever ,  if  Qi  he  the  whole  heat 
taken  in^  and  Qo  tJiat  given  out^  the  practical  valiie  is 

E(Q,  -  Qo)-ET,f^- 

Die  Unrichtigkeit  dieses  Resultates  lässt  sich  leicht  aus  dem 
blossen  Anblicke  der  Formel  erkennen.  Wie  auch  der  Kreisprocess 
beschaffen  sein  mag,  ob  umkehrbar  oder  nicht  umkehrbar,  immer 
ist  der  Ueberschuss  der  aufgenommenen  Wärme  über  die  abge- 
gebene Wärme  die  in  Arbeit  verwandelte  Wärme.  Die  durch  den 
Kreisprocess  gewonnene  Arbeit  wird  also  ein-  für  allemal  durch 
E  (Qi  —  Qa)  dargestellt.  Der  Tait' sehe  Ausdruck  kann  somit 
nur  für  umkehrbare  Kreisprocesse ,   bei  welchen  das  Integral 

/  -^  gleich  Null  ist,  und  daher  das  letzte  Glied  des  Ausdruckes 

fortfällt,  richtig  sein;  für  nicht  umkehrbare  Kreisprocesse  dagegen, 


^)  Sketch  of  Thermodynamics,  erste  Auflage  S.  99,  zweite  Auflage  S.  121. 

Claixsius,  mech.  Wärmetheorie.    II.  21 


322  Abschnitt  XI. 

bei  welchen  das  letzte  Glied  nicht  Null  ist,  muss  er  unrichtige 
Arbeitswerthe  geben.     Das  Letztere  wird  durch  einen  besonderen 

Umstand  noch  recht  augenfällig.  Das  Integral  /  —^  kann  näm- 
lich, wenn  es  nicht  Null  ist,  immer  nur  negative  Werthe  haben. 
Daraus  folgt,  dass  das  letzte,  äusserlich  mit  dem  Minuszeichen  ver- 
sehene Glied  des  Tait 'sehen  Ausdruckes  positiv  sein  muss,  und 
dass  somit  der  Tait' sehe  Ausdruck  für  nicht  -  umkehrbare  Kreis- 
processe  grössere  Arbeitswerthe  giebt,  als  für  umkehrbare,  was 
mit  den  Principien  der  mechanischen  Wärmetheorie  unverein- 
bar ist. 

Hr.  Tait  selbst  äussert  sich  freilich  ganz  anders  über  die 
Sache,  indem  er  fortfährt: 

JVom;,  if  the  cycle  he  reversible,  the  pracUcal  value  is 

by  the  first  Jatv ;  so  tJiat,  in  this  particular  case, 

/f  =  o. 

JBut  in  general  this  integral  has  afinite  positive  value,  because 

in  non- reversible  cycles  the  practical  value  of  the  heat  is  always 

less  than 

E(Q^  —  Qo). 

Hier  ist  also  in  bestimmten  Worten  ausgesprochen,  dass  der 
practisciie  Werth  der  mitgetheilten  Wärme,  d.  h.  die  gewonnene 
Arbeit,  nur  für  umkehrbare  Kreisprocesse  gleich  E (Qi  —  Qo),  für 
nicht -umkehrbare  dagegen  von  E(Qi  —  Qo)  verschieden  sei,  was 
mit  dem  ersten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmetheorie,  wel- 
cher für  umkehrbare  und  nicht  -  umkehrbare  Kreisprocesse  in  ganz 
gleicher  Weise  gilt,  im  Widerspruche  steht.  Da  nun  Hr.  Tait 
weiss,  dass  nicht -umkehrbare  Kreisprocesse  für  die  Gewinnung 
von  Arbeit  ungünstiger  sind,  als  umkehrbare,  so  macht  er  ohne 
Weiteres  die  Voraussetzung,  dass  für  nicht  -  umkehrbare  Kreis- 
processe die  Arbeit  kleiner  als  E (Qi  —  ^o)  sei,    und  daraus 

—^  für  nicht  -  umkehr- 
bare Kreisprocesse  positiv  sei,  was  mit  dem  zweiten  Hauptsatze 
der  mechanischen  Wärmetheorie  im  Widerspruche  steht. 

Durch  eine  solche  Reihe  falscher  Schlüsse,  die  bei  einem  her- 
vorragenden   Mathematiker,    welcher   selbst    ein  Buch   über   die 


tJ'. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      323 

mechanische  Wärmetheorie  geschrieben  hat,  fast  unbegreiflich  sind, 
gelangt  Hr.  T  a  i  t  endlich  zu  dem  Resultate,  dass  die  in  dem  Kreis- 
processe  nutzlos  verlorene  Wärme  durch 

T 

dargestellt  werde,  welcher  Ausdruck,  abgesehen  von  dem  schon 
erwähnten  falschen  Vorzeichen,  mit  dem  unter  (4)  mitgetheilten 
Ergebnisse  meiner  Entwickelung  übereinstimmt.  Hr.  Tait  nimmt 
aber  von  meiner  Entwickelung  keine  Notiz,  sondern  sagt:  This  is 
Thomson' s  expression  for  the  amount  of  heat  dissipated  during 
the  cycle^  und  fügt  als  Beleg  für  diese  Behauptung  folgendes  Citat 
hinzu:  Phil.  Mag.  and  Froc.  M.  S.  E.  1852.,  „On  a  Universal  Ten- 
dency  in  Nature  to  Dissipation  of  Energy.''^ 

Nachdem  ich  in  Pogg.  Ann.  i)  und  später  im  ersten  Bande 
dieses  Werkes  2)  darauf  aufmerksam  gemacht  habe ,  dass  sich  in 
dem  citirten  Aufsatze  von  Thomson  weder  der  in  Rede  stehende, 
noch  ein  ihm  gleich  bedeutender  Ausdruck  befindet,  führt  Hr.  Tait 
in  der  Vorrede  zur  zweiten  Auflage  seines  Buches  als  den  Aus- 
druck, welchen  er  gemeint  hat,  folgenden  an: 

we        J  J 

T 

Dieser  Ausdruck  hat  eine  ganz  andere  Gestalt,  wie  der  oben  an- 
geführte, und  Hr.  Tait  durfte  daher  selbst  dann,  wenn  er  i)eide 
Ausdrücke  dem  Sinne  nach  für  gleich  hielt ,  nicht  einfach  sagen : 
this  is  Thomson'' s  expression.,  sondern  er  musste  die  Gleichheit 
erst  nachweisen.  In  der  Wirklichkeit  aber  sind  beide  Ausdrücke 
auch  dem  Sinne  nach  sehr  verschieden  von  einander. 

In  Thomson's  Ausdruck  bedeutet  «7  das  mechanische  Aequi- 
valent  der  Wärme  und  fi  den  reciproken  Werth  der  Carnot'schen 
Temperaturfunction,  welche  in  diesem  Ausdrucke  noch  als  un- 
bekannt angenommen  ist.  T  stellt  die  Temperatur  des  Conden- 
sators  der  Dampfmaschine  dar,  und  kann  also  der  in  dem  obigen 
Ausdrucke  vorkommenden  Grösse  Tq  gleich  gesetzt  werden,  wäh- 
rend 8  die  Temperatur  des  Dampfkessels  darstellt.  Hieraus  ist 
ersichtlich,  dass  in  Thomson's  Ausdruck  nur  zwei  Temperaturen 
vorkommen,  während  in  dem  obigen  Ausdrucke  zu  den  verschiede- 


1)  Bd.  145,  S.  145.  —  2)  S.  387. 

21* 


324  Abschnitt  XI. 

nen  Wärmeelementen  unendlicli  viele  verschiedene  Temperaturen 
gehören  können.  Der  Hauptunterschied  aber  liegt  in  der  Bedeu- 
tung der  in  Thomson's  Ausdruck  vorkommenden  Grösse  w  im 
Vergleiche  mit  der  in  dem  obigen  Ausdrucke  vorkommenden 
Grösse  Q.  Während  d  Q  das  Element  der  Wärme  bedeutet,  welche 
der  veränderliche  Körper  während  des  Kreisprocesses  von  Aussen 
her  empfängt,  also  bei  der  Dampfmaschine  ein  Element  der  theils 
positiven  theils  negativen  Wärmemengen,  welche  dem  Wasser  bei 
seiner  Verdampfung  und  bei  dem  dann  wieder  erfolgenden  Nieder- 
schlage von  Aussen  her  zugeführt  werden,  und  für  welche  vor- 
zugsweise das  den  Kessel  umspülende  Feuer  und  das  Kühlwasser 
des  Condensators  als  positive  und  negative  Wärmequellen  dienen, 

definirt  Thomson  seine  Grösse  tv  dadurch  dass  er  sagt,  -y  w  sei 

eine  Wärmemenge,  welche  auf  Kosten  einer  Arbeits- 
grösse-u;  durch  Reibung  erzeugt  werde,  sei  es  Reibung 
des  Dampfes  in  den  Röhren  und  Eintrittsöffnungen,  sei 
es  Reibung  irgend  welcher  bewegter  fester  oder  flüs- 
siger Körper  in  irgend  welchen  Theilen  der  Maschine 
(a  quantity  of  Jieat  produced  by  the  exjaendüure  of  a  quantity  w  of 
tvorh  in  friction^  tvhether  of  the  steam  in  the  pipes  and  entrance 
ports^  or  of  any  solids  or  fluids  in  motion  in  any  pari  of  the  enginej. 
Man  sieht  hieraus,  dass  es  sich  in  Thomson's  Ausdruck  um  eine 
ganz  andere  Wärmemenge  handelt,  als  in  jenem  obigen  Ausdrucke, 
und  "dass  somit  durchaus  keine  Berechtigung  vorlag ,  beide  Aus- 
drücke als  gleichbedeutend  zu  bezeichnen. 


§.  6.    Tendenz  des  Buches  „Sketch  of  Thermodynamics'-^ 

von  Tait. 

In  Bezug  auf  das  von  Tait  veröffentlichte  Buch  „Sketch  of 
TJtermodynamics'-^^  aus  welchem  schon  im  vorigen  Paragraphen 
eine  Stelle  besprochen  ist,  hatte  ich  im  Jahre  1872  in  meinem  Ar- 
tikel „Zur  Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie"  i)  und  im 
ersten  Bande  dieses  Werkes  S.  387  die  Ueberzeugung  ausgedrückt, 
dass  es  seine  Entstehung  vorwiegend  dem  Bestreben  verdanke,  die 
mechanische  Wärmetheorie  so  viel,  wie  möglich,  für  die  englische 


•1)  Pogg.  Ann.  Bd.  145,  S.  132. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      325 

Nation  in  Anspruch  zu  nehmen.  Die  Gründe  auf  welche  diese 
Ueberzeugung  sich  stützt,  habe  ich  aber  bisher  nicht  angegeben, 
weil  sie  zum  Theil  in  einer  Privatcorrespondenz  liegen,  welche  ich 
nicht  gern  zur  Sprache  bringen  wollte,  wenn  nicht  Hr.  Tait  selbst 
mich  zu  einer  weiteren  Besprechung  der  Sache  aufforderte.  Da 
nun  aber  neuerdings  Hr.  Tait  in  den  Vorreden  zu  zwei  Werken  i) 
die  Angelegenheit  wieder  aufgenommen  und  in  der  einen  2)  den 
Wunsch  ausgedrückt  hat,  meine  Gründe  kennen  zu  lernen  (I  am, 
indeed,  curious  to  Jcnow  ivhat  these  grounds  can  he),  so  bin  ich  zu 
meiner  eigenen  Rechtfertigung  genöthigt,  näher  auf  die  Sache 
einzugehen.  Ich  muss  dazu  etwas  zurückgreifen  und  einige  Vor- 
gänge erwähnen,  welche  schon  vor  dem  ersten  Erscheinen  des 
Buches  über  die  Thermodynamik  stattgefunden  haben. 

Die  Arbeiten  von  Bob.  Mayer  waren  bis  zum  Anfange  der 
sechziger  Jahre  sehr  wenig  bekannt.  Nur  die  erste  derselben ,  ein 
kurzer  Aufsatz,  welcher  noch  gewisse  Mängel  der  Auffassung  ent- 
hielt, war  im  Jahre  1842  in  einer  wissenschaftlichen  Zeitschrift  =') 
erschienen  und  dadurch  in  weiteren  Kreisen  verbreitet;  die  ande- 
ren dagegen  waren  als  besondere  Brochüren  gedruckt  und  waren, 
da  zur  Zeit  ihres  Erscheinens  wenige  Personen  sich  für  den  Gegen- 
stand interessirten ,  in  Vergessenheit  gerathen.  Auch  ich  kannte 
zu  jener  Zeit  nur  die  erste  Arbeit,  und  daher  kam  es,  dass  ich,  wie 
Tyndall  in  dem  gleich  zu  erwähnenden  Vortrage  mitgetheilt  hat, 
auf  eine  von  ihm  im  Jahre  1862  an  mich  gerichtete  Anfrage  über 
den  Inhalt  der  Mayer'schen  Schriften  antwortete,  ich  glaube  nicht, 
dass  er  sehr  erhebliches  darin  finden  werde,  wolle  indessen  ver- 
suchen, sie  ihm  zu  verschaffen.  Als  ich  dann  aber  die  Brochüren 
von  dem  Buchhändler  in  Heilbronn  erhalten  hatte  und  sie,  bevor  ich 
sie  an  Tyndall  schickte,  selber  las,  erkannte  ich,  dass  ich  mich 
geirrt  hatte,  und  dass  Mayer  vielmehr  die  Mängel,  welche  an- 
fangs seinen  mechanischen  Vorstellungen  noch  angehaftet  hatten, 
und  welche  bei  einem  practischen  Arzte,  der  zum  ersten  Älale  über 
einen  mechanischen  Gegenstand  schrieb,  sehr  erklärlich  waren, 
durch  weitere ,  eingehende  Studien  beseitigt  Latte ,  und  in  diesen 


1)  Lectures  on  some  Recent  Advances  in  Science  2.  edition,  London 
1876  und  zweite  Auflage  des  erwähnten  Buches  Sketch  of  Thermodi/na- 
mics,  London  1877. 

2)  Vorrede  zu  den  Lectures  S.  IX. 

3)  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm,  von  Wo  hl  er  und  Lieb  ig,    Bd.  42,  S.  239. 


326  Absclmitt  XI. 

Schriften  seine  Ansichten  mit  Klarheit  und  Schärfe  auseinander- 
setzte, und  einen  Ideenreichthum  entwickelte,  welchen  man  be- 
wundern musste ,  selbst  wenn  man  nicht  mit  allem  dort  Gesagten 
übereinstimmte.  Ich  nahm  daher,  als  ich  Tyndall  die  Schriften 
zusandte,  meinen  früheren  Ausspruch  zurück  und  hob  dasjenige, 
was  ich  in  den  Schriften  für  besonders  wichtig  hielt,  hervor. 

Gerade  damals  hatte  Tyndall  bei  Gelegenheit  der  im  Jahre 
1862  stattfindenden  Londoner  Industrieausstellung  einen  öffent- 
lichen Vortrag  in  der  Royal  Institution  vor  einer  grossen  und  ge- 
wählten, aus  verschiedenen  Ländern  zusammengekommenen  Zu- 
hörerschaft zu  halten.  Dazu  wählte  er  als  Gegenstand  die  May  er '- 
sehen  Schriften  und  setzte  die  Hauptresultate  derselben  in  seiner 
bekannten  ansprechenden  Weise  auseinander,  und  als  er  dadurch 
das  grösste  Interesse  erweckt  hatte,  und  man  natürlich  gespannt 
darauf  war,  zu  erfahren,  von  wem  das  alles  stamme,  da  nannte  er 
den  Mann,  welcher  in  einer  kleinen  deutschen  Stadt,  ohne  wissen- 
schaftliche Anregung  und  ohne  Ermuthigung  seine  mit  Genialität 
erfassten  Gedanken  mit  wunderbarer  Kraft  und  Ausdauer  ent- 
wickelt habe. 

Dieser  Vortrag,  welcher  mehrfach  gedruckt  wurde  i)  und  viel 
besprochen  ist,  hat  für  Mayer  in  Bezug  auf  die  Anerkennung  sei- 
ner Leistungen  den  Wendepunct  gebildet  2).  Mayer  selbst  sprach 
sich  darüber  in  einem  an  Tyndall  gerichteten  Briefe  3)  folgender- 
maassen  aus.  „2  hardly  Tznow  how  to  find  words  to  express  the 
feelings  ivhich  move  me  at  the  present  moment.  On  the  1 6th  of  last 
June  Prof.  Clausius  conveyed  to  me  the  joleasant  intelligence  of 
your  lecture  at  the  Royal  Institution.  The  hopes  ivhich  in  stillness  I 
ventured  to  cherish  ivere  exceeded  by  the  recognition  which  you  there 
accorded  me,  and  I  am  still  more  deeply  affected  by  the  receipt  of 
your  last  communication  to  the  Fhilosophical  Magazine.  Your 
Mndness  maJces  all  the  deeper  impression  from  the  fact  that  for 
many  years  I  have  been  forced  to  habituate  myself  to  a  precisely 
opposite  mode  of  treatment.^^ 


1)  „  Oll  Force."  Proc.  of  the  Boyal  Institution ,  June  6,  1862,  Phil. 
Mag.  Ser.  4,  Vol.  24,  p.  57,  Heat  considered  as  a  mode  of  Motion, 
London  1863,  p.  435. 

2)  Ich  habe  daher  bei  Gelegenheit  einer  von  mir  im  Literarischen 
Centralblatt  für  1868  veröffentlichten  Reoension  der  von  Mayer  später 
herausgegebenen  gesammelten  Schriften  schon  einmal  davon  gesprochen, 

3)  Phil.  Mag.  Ser.  4,  Vol.  26,  p.  66. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      327 

Während  Tyndall  sich  durch  die  in  diesem  Vortrage  geübte 
historische  Gerechtigkeit  einerseits  Dank  und  Anerkennung  erwor- 
ben hat,  hat  er  sich  andererseits  dadurch,  auch  viele  und  heftige 
Anfeindungen  in  England  zugezogen,  weil  man  dort  bis  dahin  den 
berühmten  englischen  Physiker  Joule,  welcher  sich  um  die  Fest- 
stellung des  Satzes  von  der  Aequivalenz  von  Wärme  und  Arbeit  und 
um  die  Bestimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme 
unzweifelhafte  und  grosse  Verdienste  erworben  hat,  welcher  den 
Satz  aber,  obwohl  unabhängig,  so  doch  später,  als  Mayer,  aus- 
gesprochen hat,  für  den  ersten  und  alleinigen  Begründer  des  Satzes 
gehalten  hatte. 

Bald  nach  dem  Vortrage  erschien  in  einer  viel  gelesenen, 
nicht  wissenschaftlichen  englischen  Zeitschrift  „Good  Words^^  ein 
von  Thomson  und  Tait  überschriebener  Artikel  „Energy",  dessen 
eigentlicher  Verfasser  aber  der  Letztere  war,  wie  aus  einer  später 
von  ihm  gemachten  Bemerkung  i)  hervorgeht.  Hierin  heisst  esi 
nachdem  der  erste  Aufsatz  von  Mayer  erwähnt  ist:  „  On  the  strength 
of  tliis  puhlication  an  attempt  has  heen  made  to  cJaim  for  Mayer 
the  credit  of  heing  the  first  to  estahlish  in  its  generality  the  prin- 
ciple  of  the  Conservation  of  Energy.  It  is  true  that  „La  science 
n'a  pas  de  patrie",  and  it  is  highly  creditahle  to  British  philo- 
sophers, that  they  have  so  liherally  acted  according  to  this  maxim. 
But  it  is  not  to  he  imagined  that  on  this  account  there  should  he 
no  scientific  patriotism,  or  that  in  our  desire  to  do  all  justice  to  a 
foreigner,  we  should  depreciate  or  suppress  the  claims  of  our  own 
countrymen.  And  it  especially  startles  us  that  the  recent  attenipts 
to  place  Mayer  in  a  position  tvhich  he  never  claimed,  and  ivhich 
had  long  hefore  taken  hy  another,  should  have  found  support  ivithin 
the  very  walls  wherein  Davy  propounded  his  transcendent  dis- 
coveries." 

Die  hierin  vorkommende  Hervorhebung  des  wissenschaftlichen 
Patriotismus  und  die  Art,  wie  die  Räume,  in  denen  Davy  seine 
grossartigen  Entdeckungen  gemacht  hat  (nämlich  die  Räume  der 
Boyal  Institution),  erwähnt  sind,  um  Tyndall's  Handlungsweise 
noch  als  besonders  unpatriotisch  erscheinen  zu  lassen,  kennzeich- 
net von  vorn  herein  den  Standpunct,  von  welchem  aus  Hr.  Tait 
die  Geschichte  der  Wissenschaft  behandelt. 


ij  PMl  Mag.  Ser.  4,  Vol.  26,  p.  144. 


328  Abschnitt  XI. 

An  diesen  Artikel  schloss  sich  eine  lange  Polemik  zwischen 
Tyndall  und  Tait  an,  welche  sich  durch  drei  Bände  des  Phil. 
Mag.  (Bd.  25,  26  und  28,  1863  und  1864)  hinzog,  aber  bei  der  von 
Tait  selbst  in  jenen  Worten  ,,scientific  patriotism'-^  so  deutlich 
ausgedrückten  Tendenz  zu  keiner  Einigung  führen  konnte,  sondern 
die  Gegensätze  nur  verschärfte. 

Hr.  Tait  sah  sich  daher  veranlasst,  der  Sache  grössere  Dimen- 
sionen zu  geben,  und  veröffentlichte  im  Jahre  1864  in  einer  damals 
in  Schottland  erscheinenden  Zeitschrift  ,,North  British  Beview'-^ 
zwei  längere  Artikel  über  die  Geschichte  der  mechanischen  Wärme- 
theorie, welche  sich  nicht  mehr  bloss  auf  die  Prioritätsfrage  zwi- 
schen Mayer  und  Joule  beschränkten,  sondern  auch  die  weitere 
Entwickelung  der  mechanischen  Wärmetheorie  behandelten. 

Diese  Artikel  sollten  ,  einige  Jahre  später  einem  grösseren 
Publicum  zugänglich  gemacht  werden,  und  es  wurde  daher  aus 
ihnen  eine  besondere  Brochüre  unter  dem  Titel  „Historical  Sltetch 
of  the  Dynamical  Theory  of  Heat'-'-  gebildet,  welche  aber  nicht 
gleich  der  Oeffentlichkeit  übergeben  wurde ,  sondern  von  der  nur 
eine  beschränkte  Anzahl  von  Abdrücken  gemacht  wurde,  wie  es 
scheint,  um  vor  der  Veröffentlichung  einigen  als  competent  gelten- 
den Personen  zur  Beurtheilung  vorgelegt  zu  werden. 

Diese  Brochüre  wurde  auch  mir  im  Anfange  des  Jahres  1867 
von  Hrn.  Tait  mit  folgendem  Schreiben  zugesandt.  „Would  you 
hindly  looJc  over  the  little  j)amphlet  which  accompanies  this,  and 
which  is  not  yet  puhlished,  so  as  to  teil  me  ivhether  in  trying  to 
give  Joule  and  Thomson  the  credit  they  deserve,  and  which  some 
of  their  countrymen  appear  indisposed  to  grant  them ,  I  have  inad- 
vertently  done  injustice  to  you.  If  such  he  the  case ,  I  shall  he  de- 
lighted  to  make  the  necessary  corrections  before  Publishing.,  as  my 
sole  object  is  to  be  impartial.'-^ 

Hieraus  sieht  man,  dass  es  sich  in  der  Schrift  vorzugsweise 
darum  handelte,  die  Verdienste  von  Joule  und  Thomson  her- 
vorzuheben. Was  den  Schlusssatz  über  die  Unparteilichkeit  an- 
betrifft, so  versteht  es  sich  erstens  von  selbst,  dass  niemand  seine 
eigene  Schrift  als  parteiisch  bezeichnen  wird.  Ferner  kann  ich 
aber  auch  hinzufügen,  dass  es  gar  nicht  meine  Absicht  ist,  die 
Aufrichtigkeit  dieses  Ausspruches  zu  bestreiten,  denn,  wenn  man 
der  Schrift  die  Tendenz  zuschreibt,  die  Verdienste  gewisser  Perso- 
nen hervorzuheben,  und  diese  Tendenz  selbst  als  eine  übertriebene 
bezeichnet,  so  liegt  darin  noch  nicht  die  Behauptung,  dass  der  Ver- 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      329 

fasser  in  wirklich  bewusster  Weise  parteiisch  gewesen  sei,  sondern 
man  kann  gern  zugeben,  class  er  in  dem  guten  Glauben  gehandelt 
habe,  gerecht  zu  sein,  und  dass  nur  sein  Urtheil  durch  den  Patrio- 
tismus und  die  Freundschaft  zu  den  betreuenden  Personen,  und 
vielleicht  auch  durch  die  in  der  voraufgegangenen  Polemik  ent- 
standene Erregtheit  getrübt  gewesen  sei. 

Als  ich  nun  die  mir  zugesandte  Schrift  las,  fand  ich  sie  in 
einem  wirklich  überraschenden  Grade  einseitig,  und  erkannte  deut- 
lich, dass  der  Autor,  welcher  es  unternommen  hatte,  eine  Ge- 
schichte der  mechanischen  Wärmetheorie  zu  schreiben,  doch  wenig 
mehr,  als  die  Abhandlungen  der  englischen  Autoren,  deren  Ver- 
dienste er  hervorheben  wollte,  gelesen  haben  konnte. 

Ich  theilte  ihm  diese  Wahrnehmung  in  meiner  Antwort  ganz 
offen  mit,  wobei  ich,  infolge  seiner  Frage  über  meine  Arbeiten, 
verschiedene  Einzelnheiten  derselben  näher  besprach,  und  schrieb 
dann  wörtlich  weiter:  „Sie  sind  mir,  hochgeehrter  Herr,  mit  sehr 
anerkennenswerther  Freundlichkeit  entgegengekommen,  indem  Sie 
mir  die  Schrift  vor  ihrer  Veröffentlichung  zur  Ansicht  zugeschickt 
haben,  und  ich  habe  geglaubt,  es  nicht  bloss  mir,  sondern  auch 
Ihnen  schuldig  zu  sein,  Ihnen  aufrichtig  und  ohne  Rückhalt  meine 
Ansicht  auszusprechen.  Gestatten  Sie  mir  noch  zum  Schlüsse, 
Ihnen  (ganz  abgesehen  von  der  Beurtheilung  meiner  eigenen  Ar- 
beiten) offen  zu  sagen^  dass  meiner  Ueberzeugung  nach  die  Schrift 
in  ihrer  jetzigen  Form  Ihrem  eigenen  so  hoch  stehenden  wissen- 
schaftlichen Rufe  nur  schaden  kann.  Jeder  Leser  sieht  auf  den 
ersten  Blick,  dass  dieses  nicht  eine  unparteiische  historische  Dar- 
stellung der  Sache  ist,  wie  man  sie  von  einem  Forscher  Ihres  Ran- 
ges erwarten  muss,  sondern  eine  blosse  Parteischrift,  welche  nur 
zum  Lobe  einiger  weniger  Personen  geschrieben  ist.  Ich  selbst 
schätze  diese  Personen  sehr  hoch,  aber  ich  glaube  doch,  dass  man 
um  ihretwillen  nicht  andere  herabsetzen  muss.  In  Ihrer  Schrift 
erkennt  man,  dass  das  Urtheil  über  alle  die  Personen,  welche  mit 
jenen  concurriren,  nicht  mehr  frei  und  unbefangen  geblieben, 
sondern  durch  den  vorgefassten  Zweck  getrübt  und  oft  sehr  un- 
gerecht geworden  ist." 

Zugleich  gab  ich  in  dem  Briefe  folgende  bestimmte  Erklä- 
rung ab.  „Wenn  Ihr  Historical  Sketch  in  seiner  jetzigen  Form 
veröffentlicht  werden  sollte,  so  behalte  ich  mir  vor,  eine  Entgeg- 
nung darauf  zu  schreiben,  und  ich  glaube ,  nicht  bloss  die  hier  er- 


330  Abschnitt  XI. 

wähnten,  sondern  auch  noch  andere  Fehler  darin  nachweisen  zu 
können." 

Nach  dieser  Correspondenz  dauerte  es,  obwohl  der  Satz  des 
Buches  schon  vollendet  gewesen  war,  doch  mehr  als  ein  Jahr,  bis 
es  erschien.  Es  war  dann  durch  Zusätze  bedeutend  erweitert,  so 
dass  es  von  68  Seiten  auf  128  Seiten  angewachsen  war,  und  von 
diesen  Zusätzen  war  ein  nicht  unbeträchtlicher  Theil  meinen  Ar- 
beiten gewidmet.  In  seinem  Titel  war  jetzt  das  Wort  „HistoricaV^ 
fortgelassen,  und  er  lautete  einfach  „Sketch  of  Thermodynamics^^ ; 
da  aber. der  ursprüngliche  Satz  des  Buches  benutzt  war,  und  die 
Ergänzungen  nur  eingefügt  oder  angehängt  waren,  so  enthielten 
die  Ueberschriften  der  Capitel,  mit  Ausnahme  des  ganz  neu  ent- 
standenen letzten,  und  die  sämmtlichen  Columnenüberschriften 
der  ersten  86  Seiten  das  Wort  „UistoricaV^,  was  mit  dem  Titel,  in 
welchem  dieses  Wort  fehlte,  in  eigenthümlicher  Weise  contrastirte 
und  ganz  augenfällig  zeigte,  dass  die  urprüngliche  Bestimmung 
des  Buches  dem  jetzigen  Titel  nicht  entsprach. 

Obwohl  nun  nach  den  vielen  vorgenommenen  Aenderungen 
für  mich  keine  Veranlassung  mehr  vorlag,  mit  einer  Gregenschrift 
aufzutreten,  so  konnte  ich  doch  bei  einer  allgemeinen,  auf  alle 
besprochenen  Autoren  bezüglichen  Beurtheilung  das  Buch  auch  in 
seiner  neuen  Form  nicht  als  eine  gerechte  historische  Darstellung 
anerkennen.  Die  Tendenz,  vorzugsweise  die  Verdienste  englischer 
Autoren  hervorzuheben,  kann  keinem  aufmerksamen  Leser  des 
Buches  entgehen,  und  wenn  man  dabei  bedenkt,  dass  diejenigen 
Bestandtheile  des  Buches,  welche  sich  auf  fremde  Arbeiten  be- 
ziehen, meistens  erst  nachträglich  auf  besondere  Anregung  hinzu- 
gefügt sind,  während  ursprünglich  fast  ausschliesslich  über  eng- 
lische Arbeiten  gesprochen  war,  und  wenn  man  ferner  die  oben 
erwähnten,  der  Publication  vorausgegangenen  Vorgänge  mit  be- 
rücksichtigt, so  wird  man  gewiss  meinen  Ausspruch  gerechtfertigt 
finden ,  dass  das  Buch  seine  Entstehung  ganz  unzweifelhaft  vor- 
wiegend dem  Bestreben  verdankt,  die  mechanische  Wärmetheorie 
so  viel,  wie  möglich,  für  die  englische  Nation  in  Anspruch  zu 
nehmen. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      331 


§.   7.    Spätere  Aeusserungen  von  Taitund  Aenderung 
seines  Buches. 

Der  oben  erwähnte  im  Jahre  1872  von  mir  gethane  Ausspruch 
über  die  Tendenz  des  Tait' sehen  Buches  hatte  eine  Polemik  zur 
Folge  1),  welche  trotz  meiner  Bemühung,  sie  auf  wissenschaftlichem 
Gebiete  zu  erhalten,  einen  so  persönlichen  Character  annahm,  dass 
ich  erklären  musste,  sie  nicht  weiter  fortsetzen  zu  können.  Ich 
kann  mir  den  Ton,  welchen  Hr.  Tait  darin  anschlug,  nur  aus  einer 
grossen  Heftigkeit  seines  Temperamentes  erklären,  die  ihn,  wenn 
er  sich  für  beleidigt  hält,  nicht  dazu  kommen  lässt,  die  betreffen- 
den Stellen  mit  Ruhe  zu  lesen  und  zu  prüfen,  sondern  ihn  treibt, 
sofort  nach  dem  ersten,  bei  flüchtiger  Durchsicht  entstandenen 
Eindrucke  in  möglichst  geharnischter  Weise  zu  antworten.  • 

So  führt  er  aus  meinem  Artikel  die  Ausdrücke  „Absichtlich- 
keit" und  „sehr  geschickt  abgefasst"  als  besonders  beleidigend  an. 
Nun  kommt  aber  das  Wort  „Absichtlichkeit"  in  einer  Stelle  vor, 
welche  sich  gar  nicht  auf  ihn  bezieht ,  und  was  den  zweiten  Aus- 
druck anbetrifft,  so  lautet  die  Stelle,  in  welcher  er  vorkommt,  fol- 
gendermaassen :  „Ich  hatte  gegen  die  Art,  wie  meine  Arbeiten 
darin  (nämlich  in  dem  Sketch  of  Thermoclynamics)  neben  denjeni- 
gen von  W.  Thomson  und  Rank  ine  besprochen  sind,  manches 
einzuwenden,  aber  aus  Scheu  vor  persönlichen  Erörterungen  und 
aus  Hochachtung  vor  dem  Verfasser  und  vor  den  beiden  letzt- 
genannten hervorragenden  Gelehrten,  deren  Verdienste  ich  in  kei- 
ner Weise  schmälern  wollte,  unterliess  ich  es,  obwohl  jenes  sehr 
geschickt  abgefasste  Buch  nicht  bloss  in  England  grosse  Verbrei- 
tung fand,  sondern  auch  ins  Französische  übersetzt  wurde."  Ich 
glaube,  keiner,  der  diesen  Satz  ruhig  liest,  wird  in  ihm  etwas  Be- 
leidigendes finden. 

Später  muss  Hr.  Tait  wohl  selber  gefunden  haben,  dass  die 
Worte  „sehr  geschickt  abgefasst"  keine  Beleidigung  enthalten, 
denn  in  der  Vorrede  zu  der  im  vorigen  Jahre  erschienenen  zwei- 
ten Auflage  seines  Buches  (S.  XVI)  sieht  er  sich  zu  folgender  Er- 
klärung veranlasst.  ,,  Professor  Claus  ins  adds  tJiat  my  hooJc  is 
sehr  geschickt  abgefasst     Read  hy  the  light  of  the  context  this 


1)  Phil  Mag.  Ser.  IV,  Vol.  43  and  44. 


332  Absclmitt  XI. 

can  only  mean  that  ü  is  sMTled  special  pleading}^  Hiernach  ist 
also  nicht  mehr  der  von  mir  gebrauchte  Ausdruck  selbst,  sondern 
dasjenige,  was  Hr.  Tait  ihm  des  Zusammenhanges  wegen  glaubt 
unterlegen  zu  müssen,  beleidigend.  Ich  muss  mich  aber  bestimmt 
dagegen  verwahren,  dass  meinen  Worten  etwas  anderes  unter- 
gelegt wird,  als  was  sie  wirklich  enthalten.  Ich  bin  gewohnt,  mich 
immer  offen  auszusprechen,  und  denke  nie  daran,  etwas,  was  ich 
nicht  wirklich  sagen  will ,  doch  andeutungsweise  durchblicken  zu 
lassen.  Jene  Worte  „sehr  geschickt  abgefasst"  sind  von  mir  ein- 
fach als  ein  auf  die  gewandte ,  leicht  fassliche  Darstellungsweise 
bezügliches  Lob  gebraucht,  und  weiter  kann  man  auch  aus  dem 
Zusammenhange  nichts  schliessen,  da  sie  ofienbar  dazu  dienen  sol- 
len, die  grosse  Verbreitung  des  Buches  in  England  und  seine 
üebersetzung  ins  Französische  zu  erklären. 

Man  wird  mir  zugeben,  dass  diese  Art,  einem  Autor  die  Ab- 
sicht der  Beleidigung  unterzuschieben ,  wo  er  sie  gar  nicht  gehabt 
hat,  und  dann  sofort  mit  wirklichen  Beleidigungen  zu  antworten, 
die  Discussion  so  unerquicklich  machen  kann,  dass  nur  ein  kurzes 
Abbrechen  derselben  übrig  bleibt.  Ich  will  daher  auch  auf  die 
damaligen  Auseinandersetzungen  hier  nicht  weiter  eingehen,  son- 
dern nur  einige  von  Hrn.  Tait  neuerdings,  nämlich  in  der  zweiten 
Auflage  seines  Buches  Sketch  of  Thermodynamics,  gethane  Aeusse- 
rungen  und  das  darin  gegen  mich  eingeschlagene  Verfahren  kurz 
beleuchten. 

Wie  es  scheint,  will  Hr.  Tait  die  Verantwortlichkeit  für  seine 
Darstellung  der  Gleschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  nicht 
gern  allein  tragen,  sondern  wünscht  sich  dabei  auf  andere  Autori- 
täten zu  stützen. 

Zunächst  sagt  er  auf  S.  XV  der  Vorrede:  „and  it  ivill  he  seen 
that  Professor  Clausius  fancies  himself  to  have  received  even 
tvorse  treatment  from  Clerh-Maxivell  than  from  myself}''  Wenn 
Hr.  Tait  sich  hier  auf  die  Autorität  von  Maxwell  beruft,  so 
scheint  er  nicht  zu  wissen,  dass  meine  Meinungsdifferenz  mit 
Hrn.  Maxwell  längst  dadurch  ausgeglichen  ist,  dass  Hr.  Max- 
well die  von  mir  angefochtenen  Stellen  der  ersten  Auflage  seiner 
Theory  of  Heat  in  der  bald  darauf  erschienenen  zweiten  Auflage 
in  dem  von  mir  angedeuteten  Sinne  geändert  und  auf  diese  Weise 
meine  Einwendungen  als  richtig  anerkannt  hat.  Ich  glaube  hinzu- 
fügen zu  müssen,  dass  die  loyale  Bereitwilligkeit,  mit  welcher 
Hr.  Maxwell  jene  Stellen  der  ersten  Auflage,  sobald  er  auf  ihre 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      333 

Unrichtigkeit  aufmerksam  gemacht  war,  sofort  corrigirt  hat,  in  mir 
die  Ueberzeugung  hervorgerufen  hat,  dass  auch  bei  ihrer  ersten 
Abfassung  nicht  eine  Absichtlichkeit  obgewaltet  hat,  sondern  nur 
eine  unvollständige  Kenntniss  der  ausserenglischen  Literatur,  über 
welche  man  bei  einem  Forscher,  dem  die  Wissenschaft  so  viele 
und  so  durchgreifend  wichtige  eigene  Schöpfungen  verdankt,  leicht 
hinfortsehen  wird. 

Ferner  erzählt  Hr.  Tait,  wie  schon  in  der  Vorrede  zu  seinem 
Buche  „On  some  Becent  Advances  e^c",  so  auch  wieder  in  der  Vor- 
rede zur  zweiten  Auflage  seines  Buches  über  die  Thermodynamik 
(S.  XVI),  dass  er  die  auf  meine  Arbeiten  bezüglichen  Paragraphen, 
welche  er  in  der  ersten  Auflage  des  letzteren  Buches  dem  ursprüng- 
lichen Entwürfe  hinzugefügt  hat,  gar  nicht  selbst  verfasst  hat,  son- 
dern sich  von  Rankine  hat  schreiben  lassen,  und  knüpft  daran 
die  Bemerkung,  dass  ein  Theil  meines  Angriffes  (wie  er  meine 
Aeusserungen  über  sein  Buch  nennt)  in  Wirklichkeit  gegen  Ran- 
kine's  Aufstellungen  gerichtet  sei. 

Das  Geständniss,  dass  Hr.  Tait  zu  der  Zeit,  wo  er  sich  schon 
berufen  fühlte,  eine  Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie 
zu  schreiben,  doch  die  Arbeiten,  deren  Werth  er  darin  beurtheilte, 
so  wenig  kannte,  dass  er  zu  einer  etwas  specielleren  Auseinander- 
setzung fremde  Hülfe  in  Anspruch  nehmen  musste,  hat  mich  etwas 
in  Erstaunen  gesetzt.  Die  daran  geknüpfte  Bemerkung  verstehe 
ich  aber  nicht,  da  mein  Urtheil  über  sein  Buch  sich  nicht  sowohl 
auf  die  späteren  Zusätze,  als  auf  die  ursprüngliche  Anlage  dessel- 
ben bezieht,  und  die  Zusätze  vielmehr  bewirkt  haben,  dass  ich 
meine  Absicht,  eine  Entgegnung  zu  schreiben,  aufgegeben  habe. 
Sollten  aber  wirklich  in  den  von  Rankine  herrührenden  Zusätzen 
noch  Differenzpuncte  vorkommen,  so  wird  Hr.  Tait,  wie  ich  denke, 
für  das,  was  er  unter  seinem  Namen  veröffentlicht  hat,  auch  wohl 
die  Verantwortung  übernehmen. 

Ganz  besonders  auffällig  ist  mir  aber  ein  Punct  gewesen,  näm- 
lich dass  Hr.  Tait  in  der  Vorrede  zur  zweiten  Auflage  seines  Bu- 
ches (S.  XV)  sagt,  er  habe  selbst  in  der  ersten  Auflage  einige  für 
mich  günstige  Stellen  hinzugefügt,  welche  er  in  der  zweiten  Auf- 
lage, als  ununterstützt  durch  den  Augenschein,  wieder  habe  zu- 
rückziehen müssen  (tvhich  I  Jiave  noiv  been  obliged  to  retract  as 
tmsujyported  hy  evidence).  Ich  war  gespannt  darauf,  diese  Stellen 
kennen  zu  lernen.  Ausser  einigen  Stellen,  welche  den  von  mir  ein- 
geführten Ausdruck  Entropie  enthielten,  der  in  der  ersten  Auf- 


334  Abschnitt  XI. 

läge  excellent  term  und  excellent  word  genannt  und  vielfach  ange- 
wandt war,  in  der  zweiten  Auflage  aber  beseitigt  ist,  handelt  es 
sich,  soviel  ich  habe  finden  können,  vorzugsweise  um  folgende 
Stelle,  welche  in  der  ersten  Auflage  auf  S.  29  steht.  „But  the 
grand  point  of  Clausius^  worJc  is  Ms  proof  that  CarnoVs  prin- 
ciple  of  reversibility  still  Jiolds ,  iJiough  on  other  grounds  tJian  ihose 
from  wMch  Carnot  deduced  ist.  This  was  a  step  of  the  utmost  im- 
portance  to  thermodynamics,  and  sufficient  (had  he  done  no  more)  to 
entiile  him  to  a  foremost  place  in  the  history  of  the  suhject^^  Diese 
Stelle  ist  in  der  neuen  Auflage  fortgelassen. 

Also  im  Jahre  1868,  wo  die  hierbei  in  Betracht  kommenden 
Abhandlungen  schon  fast  zwei  Decennien  alt  waren,  und  die  mei- 
nigen nicht  nur  deutsch,  sondern  auch  in  englischer  üebersetzung 
vorgelegen  hatten,  wo  Hr.  Tait  daher  die  reichlichste  Gelegenheit 
zu  ihrer  Prüfung  und  Vergleichung  gehabt  hatte,  und  bei  seinem 
speciellen  Interesse  für  die  Geschichte  der  mechanischen  Wärme- 
theorie über  diesen  ihre  ersten  Grundlagen  betreffenden  Punct 
längst  im  Klaren  sein  musste,  hatte  er  es  für  recht  gehalten,  die- 
sen Satz  zu  schreiben,  und  im  Jahre  1877,  wo  zu  den  wissenschaft- 
lichen Documenten  nichts  Neues  hinzugekommen  ist,  wo  aber 
unser  persönliches  Verhältniss  sich  geändert  hat,  hält  er  es  für 
angemessen,  ihn  wieder  zurückzuziehen,  ohne  zur  Erklärung  etwas 
anderes  zu  sagen,  als  die  paar  Worte  „as  unsupported  hy  evidence^''. 
Dieses  Verfahren  ist  so  characteristisch ,  dass  ich  meinerseits  mich 
jeden  Commentars  enthalte,  und  es  den  Lesern  überlasse,  selbst 
zu  beurtheilen,  welches  Vertrauen  man  hiernach  zu  der  histori- 
schen Unparteilichkeit  des  Autors  haben  kann. 


§.  8.    Ansichten  von  W.  Thomson  und  F.  Kohlrausch  über 
thermoelectrische  Erscheinungen. 

Ueber  das  Verhalten  der  Stoffe,  und  zwar  speciell  der  Me- 
talle, in  thermoelectrischer  Beziehung  sind  mehrere  sehr  werth- 
voUe  Arbeiten  von  W.  Thomson  veröffentlicht,  welche  theils  theo- 
retischer, theils  experimenteller  Natur  sind.  Eine  erste  kurze 
Notiz  war  schon  vor  meiner  im  Jahre  1853  publicirten  Abhand- 
lung, deren  Inhalt  in  Abschnitt  VII.  wiedergegeben  ist,  veröffent- 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität,      335 

licht  1).  Die  grösseren  Abhandlungen  dagegen ,  welche  die  Ent- 
wickelung  der  Theorie  und  die  Mittheilung  ausgedehnter  Versuchs- 
reihen enthalten,  erschienen  etwas  später,  nämlich  in  den  Jahren 
1854  und  1856  2).  Durch  die  experimentellen  Untersuchungen  ist 
eine  Reihe  wichtiger,  früher  nur  theilweise  und  unvollständig  be- 
kannter Thatsachen  über  das  thermoelectrische  Verhalten  der 
Metalle  festgestellt  und  ins  Einzelne  verfolgt,  und  der  grosse  Werth 
dieser  Untersuchungen  kann  natürlich  durch  etwaige  Meinungs- 
verschiedenheiten über  die  Ursachen  der  betreffenden  Erscheinun- 
gen in  keiner  Weise  beeinträchtigt  werden.  Was  aber  die  theo- 
retischen Betrachtungen  anbetrifft,  so  muss  ich  gestehen ,  dass  ich 
mit  einigen  derselben  nicht  übereinstimmen  kann. 

Bei  der  Betrachtung  der  thermoelectrischen  Erscheinungen 
handelt  es  sich  zunächst  um  die  Entstehung  des  thermoelectri- 
schen Stromes,  und  in  dieser  Beziehung  kann  man  zweierlei  unter- 
scheiden, erstens  den  regulären  Vorgang,  welcher  so  stattfindet, 
dass  bei  einer  aus  zwei  Metallen  oder  sonstigen  Leitern  erster 
Classe  gebildeten  Kette  durch  eine  Temperaturdifferenz  der  beiden 
Verbindungsstellen  ein  electrischer  Strom  veranlasst  wird,  dessen 
Stärke  mit  der  Grösse  der  Temperaturdifferenz  gleichmässig  wächst, 
und  zweitens  die  Abweichungen  von  diesem  regulären  Vorgange, 
welche  bei  manchen  Metallverbindungen,  besonders  bei  der  Eisen- 
kupferkette vorkommen,  und  darin  bestehen,  dass  der  Strom  mit 
wachsender  Temperaturdifferenz  nicht  immer  zunimmt,  sondern 
von  einer  gewissen  Höhe  der  einen  Temperatur  an  wieder  abnimmt 
und  bei  sehr  grosser  Höhe  sogar  die  entgegengesetzte  Richtung 
annehmen  kann. 

Zugleich  ist  mit  der  Entstehung  des  thermoelectrischen  Stro- 
mes die  Erscheinung  verbunden,  dass  ausser  derjenigen  Wärmer 
erzeugung,  welche  in  der  ganzen  Kette  bei  der  Ueberwindung  des 
Leitungswiderstandes  stattfindet  und  dem  Quadrate  der  Strom- 
stärke proportional  ist,  noch  an  gewissen  Stellen  ein  Verschwinden 
und  an  anderen  ein  Hervortreten  von  Wärme  stattfindet,  wobei  die 
betreffenden  Wärmemengen  der  Stromstärke  einfach  proportional 
sind.  Wenn  man  es  nur  mit  dem  regulären  Vorgange  zu  thun  hat,  so 


^)  Proc.  of  the  Edinh.  B.  Soc,  JDec.  1851  und  Phil.  Mag.  Sei:  IV, 
Vol.  III,  1852. 

2)  Transactions  of  the  Edenb.  B.  Soc.  for  1854  und  Phil.  Trans,  for 
1856.    Fortgesetzt  in  Phil.  Trans,  for  1875. 


336  -  Abschnitt  XI. 

braucht  man  ein  solches  Verschwinden  und  Hervortreten  -von 
Wärme  nur  an  den  Verbindungsstellen  verschiedener  Stoffe  an- 
zunehmen, und  es  ist  dann  diejenige  Erscheinung,  welche  man  die 
Peltier'sche  zu  nennen  pflegt.  Wenn  dagegen  auch  die  oben  er- 
wähnten Abweichungen  vom  regulären  Vorgange  vorkommen,  so 
muss  man  annehmen,  dass  auch  im  Innern  der  einzelnen  Metalle 
an  verschiedenen  Stellen  dieses  der  Stromstärke  proportionale  Ver- 
schwinden und  Hervortreten  von  Wärme  stattfindet. 

Die  Theorie  von  Thomson  bezieht  sich  nun  vorzugsweise  auf 
das  zuletzt  erwähnte  Verschwinden  und  Hervortreten  von  Wärme 
im  Innern  der  einzelnen  Metalle.  Dieses  sucht  er  auf  eine  eigen- 
thümliche  Wirkung  der  Electricität  zurückzuführen,  welche  er 
dadurch  ausdrückt,  dass  er  sagt,  die  Electricität  führe  beim 
Strömen  durch  einen  ungleich  erwärmten  Leiter  Wärme 
mit  sich  (carries  lieat  wiili  ü).  Speciell  über  Eisen  und  Kupfer 
spricht  er  sich  so  ausi):  Harzelectricität  führt  Wärme  mit 
sich  in  einem  ungleich  erwärmten  Leiter  von  Eisen  und 
Glaselectricität  führt  Wärme  mit  sich  in  einem  ungleich 
erwärmten  Leiter  von  Kupfer.  Unter  dem  hierbei  angewand- 
ten Ausdrucke  des  Mitsichführens  von  Wärme  in  einem  ungleich- 
erwärmten Leiter  soll  etwas  verstanden  werden,  was  man,  wie  ich 
glaube,  ohne  besondere  Erklärung  nicht  leicht  darunter  verstehen 
würde,  nämlich  dass  in  dem  Falle,  wo  die  Electricität  von  wärmeren 
zu  kälteren  Stellen  des  Leiters  strömt,  Wärme  in  dem  Leiter  ent- 
wickelt, und  umgekehrt,  wenn  die  Electricität  von  kalt  zu  warm 
strömt,  dem  Leiter  Wärme  entzogen  wird. 

In  Verbindung  mit  dieser  Ansicht  führt  Thomson  eine  neue 
Grösse  ein,  welche  er  die  specifische  Wärme  der  Electricität 
nennt  und  folgendermaassen  definirt  2) :  Wenn  in  einem  Metalle 
ein  Strom  von  der  unendlich  kleinen  Intensität  y  von  einer  Stelle, 
deren  Temperatur  t  -\-  dt  ist,  zu  einer  Stelle,  deren  Temperatur 
t  ist,  geht,  und  er  zwischen  diesen  beiden  Stellen  während  der 
Zeiteinheit  die  Wärmemenge  yöüt  entwickelt,  so  ist  6  die  spe- 
cifische Wärme  der  Electricität  in  diesem  Metalle.  Die  so  defi- 
nirte  specifische  Wärme  der  Electricität  hat  nach  Thomson  in 
verschiedenen  Metallen  verschiedene  Werthe  und  selbst  verschie- 
dene Vorzeichen.    Den  oben  angeführten  Aussprüchen  nach  muss 


1)  Transactions  of  the  Edinb.  B.  Soc.  Vol.  XXI,  p.  143. 

2)  A.  a.  0.  S.  133. 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      337 

man  beim  Kupfer  die  specitische  Wärme  der  (ilaselectricität  als 
positiv  annehmen,  und  beim  Eisen  muss  man  die  specifische  Wärme 
der  Harze] ectricität  als  positiv,  und  demgeraäss  die  specifische 
W^ärme  der  Glaselectricität  als  negativ  annehmen. 

Ich  weiss  nicht,  ob  diese  Aussprüche  und  Definitionen  nur 
dazu  dienen  sollen,  das  Verhalten  der  verschiedenen  Metalle  in 
Bezug  auf  das  in  ihnen  während  eines  electrischen  Stromes  statt- 
findende Verschwinden  und  Hervortreten  von  Wärme  in  bequemer 
und  einheitlicher  Weise  auszudrücken,  oder  ob  sie  eine  wirkliche 
Erklärung  der  Erscheinungen  enthalten  sollen.  Im  letzteren 
Falle  müsste  ich  sagen,  dass  ich  nicht  im  Stande  bin,  eine  mir 
physikalisch  annehmbar  scheinende  Vorstellung  mit  dieser  Erklä- 
rung zu  verbinden. 

Auch  würde  dann  das  an  den  Berührungsstellen  verschiedener 
Stoffe  stattfindende  Verschwinden  und  Hervortreten  von  Wärme, 
also  das  Peltier'sche  Phänomen,  eine  Erscheinung  von  ganz 
anderer  Art  sein,  als  das  Verschwinden  und  Hervortreten  von 
Wärme  im  Innern  eines  Metalles,  und  es  würde  dafür  noch  eine 
besondere  Erklärung  nöthig  sein. 

Was  endlich  die  Entstehung  des  thermoelectrischen  Stromes 
anbetrifi't,  so  hat  Thomson  von  dieser  meines  Wissens  überhaupt 
keine  Erklärung  gegeben. 

Eine  in  Bezug  auf  die  verschiedenen  in  Betracht  kommenden 
Erscheinungen  vollständigere  Theorie  ist  in  neuerer  Zeit  von 
F.  Kohlrausch  aufgestellt  i),  welche  ebenfalls  eine  neue  Eigen- 
schaft der  Electricität  und  zugleich  eine  entsprechende  neue 
Eigenschaft  der  Wärme  als  Grundlage  voraussetzt. 

Kohlrausch  nimmt  nämlich  an,  dass  mit  einem  W^ärme- 
strome  in  bestimmtem,  von  der  Natur  des  Leiters  ab- 
hängigem Maasse  ein  electrischer  Strom  verbunden  sei, 
und  dass  auch  umgekehrt  durch  einen  electrischen  Strom 
die  W^ärme  bewegt  werde.  Diese  letztere  von  Kohlrausch 
der  Electricität  zugeschriebene  Eigenschaft,  beim  Strömen  die 
Wärme  mit  zu  bewegen ,  ist  aber  anders  zu  verstehen ,  als  die 
von  Thomson  angenommene,  welche  er  dadurch  ausdrückt,  dass 
er  sagt,  die  Electricität  führe  Wärme  mit  sich.  Nach  Thomson 
soll  die  betreffende  "Wirkung  des  Stromes  auf  die  im  Leiter  vor- 


1)     Göttinger   Nachrichten.     Februar    1874    und    Pogg.    Ann.    Bd.    156, 
S.  601. 

Clausius,  mech.  Wärmetheorie.    H.  22 


338  Absclmitt  XI. 

handene  Wärme  nur  in  einem  ungleich  erwärmten  Leiter  statt- 
finden und  zwar  in  entgegengesetzter  Weise,  je  nachdem  dieElectri- 
cität  von  warm  zu  kalt  oder  von  kalt  zu  warm  strömt,  indem  im 
einen  Falle  Wärme  entwickelt,  im  anderen  Falle  Wärme  absorbirt 
wird.  Die  von  Kohl  rausch  angenommene  Wirkung  dagegen  soll 
auch  im  gleichmässig  erwärmten  Leiter  stattfinden,  und  ein  Gegen- 
satz der  zuletzt  erwähnten  Art  kommt  bei  ihr  nicht  vor. 

Kohlrausch  erklärt  aus  den  von  ihm  angenommenen  Eigen- 
schaften der  Wärme  und  der  Electricität  die  Entstehung  des 
thermoelectrischen  Stromes  und  das  Verschwinden  und  Hervor- 
treten von  Wärme  an  den  Verbindungsstellen  verschiedener  Metalle, 
und  zeigt  ferner,  wie  man  unter  Zuhülfenahme  einer  besonderen 
Hypothese  auch  das  Verschwinden  und  Hervortreten  von  Wärme 
im  Innern  eines  einzelnen  Metalles  erklären  kann.  Dessenunge- 
achtet kann  ich  ihr  nicht  zustimmen,  weil  sie  für  die  einzelnen  zu 
erklärenden  Erscheinungen  eben  so  viele  ganz  neue  Eigenschaften 
der  Wärme  und  Electricität  annimmt,  von  denen  die  eine,  dass 
die  Wärme  bei  dem  durch  Leitung  stattfindenden  Uebergange  von 
warmen  zu  kalten  Stellen  eine  Arbeit  leisten  könne,  den  sonstigen 
Annahmen  der  mechanischen  Wärmetheorie  widerspricht,  während 
meine  Theorie  sich  nur  an  die  auch  sonst  in  der  mechanischen 
Wärmetheorie  gemachten  Annahmen  über  die  Umstände,  unter 
welchen  die  Wärme  Arbeit  leisten  kann,  anschliesst. 

Zugleich  muss  ich  daran  erinnern,  dass  ich  den  Einwand, 
welchen  Kohlrausch  gegen  meine  Theorie  gemacht  hat,  und  um 
dessentwillen  er  gemeint  hat,  sich  gegen  dieselbe  erklären  zu 
müssen,  schon  im  zweiten  Paragraphen  dieses  Abschnittes  wider- 
legt habe.  Ich  habe  daher  keinen  Grund,  meine  Theorie,  welche 
ebenfalls,  wenn  sie  in  der  von  mir  gleich  anfangs  angedeuteten 
und  später  von  Budde  zur  Ausführung  gebrachten  Weise  erweitert 
wird,  von  allen  beobachteten  Erscheinungen  Rechenschaft  giebt,  zu 
verlassen. 


§.    9.     Einwände  von  Zöllner   gegen  die  im  Abschnitt  IX. 
enthaltenen  electrodynamischen  Betrachtungen. 

Gegen  die  im  Abschnitt  IX.  enthaltenen  electrodynamischen 
Betrachtungen,  welche  zur  Aufstellung  des  neuen  electrodynami- 
schen Grundgesetzes  geführt  haben,  sind  von  Zöllner  verschiedene 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      339 

Einwände  erhoben^),  von  welchen  die  wichtigsten  hier  besprochen 
werden  mögen. 

Ich  habe  dort  gezeigt,  dass  das  Web  er' sehe  Grundgesetz, 
wenn  es  mit  der  Annahme  in  Verbindung  gebracht  wird,  dass  im 
galvanischen  Strome  nur  Eine  Electricität  sich  bewege,  zu  einer 
von  einem  geschlossenen,  ruhenden  und  constanten  Strome  auf 
ruhende  Electricität  ausgeübten  Kraft  führe,  welche  in  der  Wirk- 
lichkeit nicht  beobachtet  wird.  Zöllner  erkennt  nun  zwar  die 
betreffenden  Gleichungen,  welche  dort  abgeleitet  sind,  und  welche 
auch  schon  früher  von  Kiecke  aufgestellt  waren,  als  richtig  an, 
meint  aber,  die  durch  dieselben  bestimmte  Kraft  sei  so  klein,  dass 
sie  sich  der  Beobachtung  entziehe. 

Die  rr-Componente  dieser  Kraft  wird  bestimmt  durch  die  im 
Abschnitt  IX.  unter  (4)  angeführte  Gleichung,  nämlich : 

W  /ds'V  d    r/d]/' 


^-         c'    [dt  )  d^J  V^r)  '^''- 

Eine  characteristische  Eigenthümlichkeit  der  hier  für  3£  gegebenen 

d'S 
Formel  ist  die,    dass    der  Differentialcoefficient   -y— ,  welcher   die 

Bewegungsgeschwindigkeit  darstellt,  nicht  blos  in  der  ersten  Potenz, 
sondern  quadratisch  in  ihr  als  Factor  vorkommt.     Daraus  folgt, 

dass,  wenn  die  Stromstärke,   d.  h.   die  durch  das  Product  h'  -j- 

ausgedrückte  während  einer  Zeiteinheit  durch  einen  Querschnitt 
fliessende  Electricitätsmenge ,  gegeben  ist,  der  Werth  der  Formel 
noch  wesentlich  davon  abhängt,  wie  man  den  Strom  auffasst,  ob 
man  der  strömenden  Electricitätsmenge  einen  sehr  grossen  und 
ihrer  Geschwindigkeit  einen  geringen  Werth  zuschreibt,  oder  ob 
man  die  Electricitätsmenge  als  geringer  und  dafür  die  Geschwin- 
digkeit als  grösser  annimmt. 

Zöllner  stützt  seine  Betrachtungen  auf  die  bekannten  Unter- 
suchungen von  B.  Kohlrausch  und  Weber  über  die  Zurückführung 
der  Stromintensitätsmessungen  auf  mechanisches  Maass  2) ,  aus 
welchen  die  Verf.  unter  andern  den  Schluss  gezogen  haben  (S.  281), 
dass  in  electrolytischen  Leitern  die  Strömungsgeschwindigkeit  so 
klein  sei,  dass  man  bei  gewissen  Annahmen  über  die  Stromstärke 
und  den  Querschnitt  des  Leiters  nur  eine  Fortbewegung  um  Y2  ^t^ 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  160,  S.  514  und  Wied.  Ann.  Bd.  2,  S.  604. 

2)  Abb.  d.  k.  säclis.  Ges.  d.  Wiss.  III,  S.  221. 

22* 


340  Abschnitt  XL 

in  der  Secuncle  erhalte.  Diesen  Werth  der  Geschwindigkeit  wendet 
Zöllner  an  und  gelangt  dadurch  für  dl  zu  einem  seiner  Kleinheit 
wegen  der  Beobachtung  nicht  mehr  zugänglichen  Werthe.  Hier- 
gegen sind  aber  sehr  erhebliche  Einwände  zu  machen. 

Betrachten  wir  zunächst  nur  die  electrolytischen  Leiter,  so 
bezieht  sich  der  obige  Schluss  von  Weber  und  Kohlrausch  aut 
die  mittlere  Geschwindigkeit  aller  im  Electrolyten  ent- 
haltenen Theilmolecüle,  also  auf  diejenige  Geschwindigkeit, 
welche  man  erhalten  würde,  wenn  man  sich  dächte,  dass  alle  in 
(;lem  Electrolyten  enthaltenen  positiven  und  negativen  Theilmolecüle 
Sich  in  gleicher  Weise  nach  den  beiden  entgegengesetzten  Rich- 
tungen bewegten.  Macht  man  dagegen  die,  meiner  Ansicht  nach, 
viel  wahrscheinlichere  Annahme,  dass  nur  verhältnissmässig  wenige 
Theilmolecüle  die  betreifende  Bewegung,  durch  welche  die  Electri- 
cität  übertragen  wird,  ausführen,  und  dass  diese  dafür  um  so 
grössere  Geschwindigkeiten  haben,  so  erhält  man  dadurch  für 
unsere  vom  Quadrate  der  Geschwindigkeit  abhängende  Grösse  36 
natürlich  entsprechend  grössere  Werthe. 

Betrachten  wir  ferner  statt  der  Electrolyten  metallische  Leiter, 
so  tritt  bei  diesen  der  neue  Umstand  hinzu,  dass  nicht  die  Molecüle 
selbst  mit  den  ganzen  an  ihnen  haftenden  Electricitätsmengen  sich 
fortbewegen,  sondern  dass  ein  Uebergang  von  Electricität  von 
Molecül  zu  Molecül  stattfindet.  Dabei  ist  nun  nicht  wohl  anzu- 
nehmen, dass  die  ganze  einem  Molecüle  angehörende  Electricitäts- 
menge  dieses  verlasse  und  zu  dem  nächsten  Molecüle  übergehe, 
sondern  es  ist  viel  wahrscheinlicher,  dass  verhältnissmässig  sehr 
kleine  Theile  der  ganzen  Electricitätsmengen  übergehen,  wodurch 
man  dann  zu  sehr  viel  grösseren  Geschwindigkeiten  gelangt. 

Wenn  man  daher  auch,  wie  Weber  und  Kohlrausch  ganz  rich- 
tig hervorheben,  nicht  daran  denken  darf,  die  ungeheure,  nach  Tau- 
senden von  Meilen  zählende  Geschwindigkeit,  welche  Wh  eat  st  one 
und  andere  Forscher  für  die  Fortpflanzung  der  electrischen  Wir- 
kung gefunden  haben,  als  die  Bewegungsgeschwindigkeit  der  Elec- 
tricität selbst  zu  betrachten,  so  darf  man  andererseits,  meiner 
Ueberzeugung  nach,  auch  jenen  kleinen  Werth  von  1/2  i^n^?  welchen 
Weber  und  Kohlrausch  für  eine  gewisse  mittlere  Geschwindig- 
keit berechnet  haben,  nicht  auf  die  wirkliche  Bewegungsgeschwin- 
digkeit der  Electricität  anwenden,  besonders  wenn  es  sich  um 
metallische   Leiter    handelt.     In   diesen   ist   die   Geschwindigkeit 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      341 

wahrscheinlich  in  sehr  hohem  Maasse  grosser,  wodurch  dann  die 
Zöllner'sche  Beweisführung  vollkommen  hinfällig  wird. 

Noch  viel  ungünstiger  für  die  Zöllner'sche  Beweisführung 
gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  man  statt  der  galvanischen  Ströme 
Magnete  betrachtet.  Bei  diesen  gelangt  man  zu  einem  Resultate, 
welches  dem  Zolin  er' sehen  gerade  entgegengesetzt  ist. 

Zunächst  möge  bemerkt  werden,  dass  bei  den  Molecular- 
strömen,  aus  welchen  man  nach  Ampere  den  Magnetismus  erklärt, 
die  von  Weber  angenommene  Doppelströmung  nocli  unwahr- 
scheinlicher ist,  als  bei  galvanischen  Strömen  in  festen  Leitern. 
Wenn  man  sich  denkt,  dass  die  positive  Electricität  sich  um  einen 
negativ  electrischen  Kern  wirbelartig  herumbewege,  so  ist  das  eine 
den  sonst  vorkommenden  mechanischen  Vorgängen  ganz  entspre- 
chende Vorstellung,  Dass  aber  zwei  verschiedene  Fluida  sich  um 
denselben  Mittelpunct  fort  und  fort  in  entgegengesetzten  Pach- 
tungen bewegen  sollten,  scheint  mir  fast  undenkbar. 

Auch  Weber  selbst,  welcher  früher,  um  die  moleculare Doppel- 
strömung wenigstens  als  möglich  erscheinen  zu  lassen,  davon  ge- 
sprochen hatte,  dass  vielleicht  das  eine  Fluidum  eine  engere  Kreis- 
bahn und  das  andere  Fluidum  eine  weitere  Kreisbahn  um  das 
Molecül  beschreibe,  hat  sich  in  neuerer  Zeit  von  den  Ampere'- 
schen  Molecularströmen  eine  andere  Vorstellung  gebildet,  welche 
mit  der  vorher  erwähnten,  den  sonstigen  mechanischen  Vor- 
gängen entsprechenden  Vorstellung  ganz  übereinstimmt.  Weber 
nimmt  nämlich  an  i),  dass  zu  einem  ponderablen  Atom  ein  positives 
und  ein  ebenso  grosses  negatives  Electricitätstheilchen  gehöre. 
Bei  der  Betrachtung  der  Bewegung  der  beiden  Electricitätstheilchen 
um  einander  spricht  er  davon,  dass  das  Verhältniss  beider  Theilchen 
in  Beziehung  auf  Theilnahme  an  der  Bewegung  von  dem  Verhält- 
niss ihrer  Massen  abhänge,  und  dass  man,  wenn  an  einem  Electri- 
citätstheilchen ein  ponderables  Atom  hafte,  die  Masse  desselben 
mit  zu  der  des  Electricitätstheilchens  zu  rechnen  habe.  Nachdem 
er  dann  das  positive  Electricitätstheilchen  mit  -|-  e  und  das  nega- 
tive mit  —  e  bezeichnet  hat,  sagt  er  wörtlich  weiter:  „Nur  an 
diesem  letztern  hafte  ein  ponderables  Atom,  wodurch  seine  Masse 
so  vergrössert  werde,  dass  die  Masse  des  positiven  Theilchens 
dagegen  als  verschwindend  betrachtet  werden  dürfe.     Das  Theil- 


1)    Electrodynamische    Maassbestimmungen ,    insbesondere     über     das 
Princip  der  Erhaltung  der  Energie.     Leipzig  1871,  S.  41. 


342  Absclinitt  XI. 

chen  —  e  wird  dann  als  ruhend,  und  blos  das  Theilchen  -|-  e  als 
in  Bewegung  um  das  Theilchen  —  e  herum  befindlich  betrachtet 
werden  können." 

Bei  dieser  Vorstellung  kommt  die  sonst  von  Weber  ange- 
nommene Doppelströmung  nicht  vor,  sondern  nur  eine  einfache 
Herumbewegung  der  positiven  Electricität  um  einen  negativ  elec- 
trischen  Kern,  für  welche  Art  von  Bewegung  aus  dem  Web  er' sehen 
Grundgesetze  die  oben  angeführte  Gleichung  folgt.  Wenn  sich 
nun  weiter  nachweisen  lässt,  dass  die  durch  diese  Gleichung  be- 
stimmte Kraft  so  gross  ist,  dass  sie  sich,  wenn  sie  vorhanden  wäre, 
der  Beobachtung  nicht  entziehen  könnte,  so  muss  man  aus  dem 
Umstände,  dass  diese  Kraft  in  der  Wirklichkeit  nicht  beobachtet 
wird,  schliessen,  dass  das  von  Weber  aufgestellte  Grundgesetz  bei 
der  von  ihm  selbst  in  den  Molecularströmen  angenommenen  Be- 
wegungsart zu  einem  Widerspruche  mit  der  Erfahrung  führt. 

Nun  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  schon  die  gewöhnliche 
electrodynamische  Gesammtwirkung  der  Molecularströme  eines 
Magnetes  so  gross  ist,  dass,  wenn  man  einen  einigermaassen  star-. 
ken  Magnet  durch  ein  ihn  äusserlich  umgebendes  Solenoid  von 
gleich  grosser  electrodynamischer  Wirkung  ersetzen  wollte,  man 
in  demselben  einen  sehr  starken  Strom  oder  sehr  viele  Windungen 
anwenden  müsste. 

Zu  diesem  für  den  Magnet  günstigen  Umstände  kommt 
aber  noch  ein  anderer  hinzu,  welcher  dem  Magnete  in  Bezug  auf 
die  Kraft,  welche  er  nach  dem  Weber'schen  Grundgesetze  auf 
ruhende  Electricität  ausüben  müsste,  ein  so  grosses  Uebergewicht 
giebt,  dass  selbst  die  stärksten  Ströme  in  Leitern  von  gewöhn- 
lichen Dimensionen  ganz  dagegen  zurücktreten. 

Aus  der  schon  oben  angeführten,  für  die  Kraftcomponente  36 
geltenden  Formel,  nämlich 


^--fr^y4/(«^y- 


geht  hervor-,  dass  die  hier  in  Rede .  stehende  Kraft  sich  in  einer 
gewissen  Beziehung  ganz  anders  verhält,  als  die  gewöhnlich  be- 
trachteten electrodynamischen  Kräfte.  Bestimmt  man  nämlich 
für  einen  sehr  kleinen  geschlossenen  Strom,  den  wir  der  Einfach- 
heit wegen  als  kreisförmig  annehmen  wollen,  die  auf  einen  anderen 
kleinen  geschlossenen  Strom  oder  auf  einen  Magnetpol  ausgeübte 
Kraft,  also  die  gewöhnliche  electrodynamische  Kraft,  so  findet  man 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      343 

sie    dem  Fläche ninlialte   des  Kreises   proportional.     Bestimmt 
man  aber  nach,  der  obigen  Formel  die  vom  Kreisstrome  auf  eine 
ruhende  Electricitätseinheit  ausgeübte  Kraft,  so  findet  man,  dass 
diese  dem  Umfange  des  Kreises  jiroportional  ist.     Wie  wesentlich 
dieser  Unterschied  ist,  ergiebt  sich  leicht  aus  folgender  Betrachtung. 
Construirt   man   innerhalb    eines   grossen   Kreises   sehr  viele 
kleine  Kreise,  welche  so  nahe  neben  einander  liegen,   dass  sie  den 
Flächeninhalt  des  grossen  Kreises  zum  grössten  Theile  ausfüllen, 
und  denkt  sich  einerseits  den  grossen  Kreis  und  andererseits  alle 
kleinen  Kreise  von  gleich  starken  und  in  gleichem  Sinne  herum- 
gehenden Strömen  umflossen,  so  kann  man  die  von  dem  grossen 
Kreisstrome    ausgeübte   Kraft  mit   der  von    allen   kleinen  Kreis- 
strömen   zusammen    ausgeübten   Kraft   vergleichen.     Thut    man 
dieses  in  Bezug  auf  die  gewöhnliche  electrodynamische  Kraft,  so 
findet  man,  dass  die  Gesammtkraft  aller  kleinen  Ströme  geringer 
ist,  als  die  Kraft  des  einen  grossen  Stromes,  wie  es  dem  Umstände 
entspricht,  dass  die  von  allen  kleinen  Strömen  umflossenen  Flächen 
zusammen  nicht   so  gross  sind,   als   die  von  dem  einen  grossen 
Strome  umflossene  Fläche.     Stellt  man   die  Vergleichung  dagegen 
in  Bezug  auf  die  Kraft  an,  welche  der  Formel  nach  auf  ruhende 
Electricität  ausgeübt  wird,  so  findet  man,  dass  die  Kraft  der  vielen 
kleinen  Ströme  die  des  einen  grossen  Stromes  bei  Weitem  über- 
trifft, wie  es  dem  Umstände  entspricht,  dass  die  Bahnlängeu  der 
kleinen  Ströme  zusammen  viel  grösser  sind,  als  die  Bahnläuge  des 
einen  grossen   Stromes.     Dieses  Ueberwiegen    der  Gesammtkraft 
der  kleinen  Ströme  über  die  Kraft  des  grossen  Stromes  ist  um  so 
stärker,  je  .kleiner  die  ersteren  sind,   und  je  grösser  demgemäss 
ihre  Anzahl  ist. 

Kehren  wir  nun  zur  Betrachtung  eines  Magnetes  zurück  und 
denken  uns  um  denselben  ein  Solenoid  gebildet,  welches  so  viele 
Windungen  und  eine  solche  Stromstärke  hat,  dass  es,  soweit  es 
sich  um  die  gewöhnliche  electrodynamische  Kraft  handelt,  ebenso 
stark  wirkt,  wie  der  Magnet,  also  wie  alle  in  dem  Magnete  ent- 
haltenen Molecularströme  zusammengenommen,  so  findet  in  Bezug 
auf  die  der  obigen  Formel  nach  auf  ruhende  Electricität  ausgeübte 
Kraft  diese  Gleichheit  nicht  statt,  sondern  die  Molecularströme 
übertreffen  das  Solenoid  in  einem  Verhältnisse,  welches  wegen  der 
alle  Vorstellung  übersteigenden  Menge  von  Molecularströmen,  die 
in  einem  Magnete  anzunehmen  sind,  ganz  ungeheuer  gross 
sein  muss. 


344  Abschnitt  XI. 

Hieraus  folgt,  class  selbst  dann,  wenn  man  in  der  Formel  eine 
so  kleine  Geschwindigkeit  der  Electricität ,  wie  sie  Zöllner 
annimmt,  in  Rechnung  bringen  wollte,  und  dadurch  für  das  Sole- 
noid  zu  einer  sehr  kleinen  Kraft  gelangte,  man  doch  für  den 
Magnet  umgekehrt  zu  einer  sehr  grossen  Kraft  gelangen  würde. 
Der  Umstand,  dass  eine  solche  Kraft  weder  bei  permanenten 
Magneten,  noch  auch  bei  Electromagneten ,  bei  denen  man  den 
Magnetismus  plötzlich  entstehen  und  vergehen  lassen  kann,  wahr- 
genommen wird,  kann  also  als  ein  sicherer  Beweis  dafür  angesehen 
werden,  dass  das  Weber'sche  Gesetz  mit  der  Annahme,  dass  in 
den  Molecularströmen  eines  Magnetes  nur  die  positive  Electricität 
ströme,  nicht  vereinbar  ist. 

Während  Zöllner  in  den  erwähnten  beiden  Aufsätzen,  aus 
welchen  hier  nur  die  wichtigsten,  rein  sachlichen  Auseinander- 
setzungen hervorgehoben  sind,  mein  Grundgesetz  entschieden  und 
mit  einer  gewissen  Heftigkeit  bekämpft,  kommt  andererseits  eine 
Stelle  vor,  in  welcher  er  zu  zeigen  sucht,  dass  mein  Grundgesetz 
eigentlich  gar  nicht  neu  sei,  sondern  im  Wesentlichen  mit  dem 
Web  er' sehen  übereinstimme,  indem  meine  Potentialformel  durch 
einige  „rationelle  Vereinfachungen"  auf  die  Weber'sche  zurück- 
geführt werden  könne. 

In  dieser  Beziehung  brauche  ich  nur  auf  die  im  ersten  Para- 
graphen des  vorigen  Abschnittes  (S.  283)  enthaltene  Zusammen- 
stellung der  von  Weber,  Riemann  und  mir  aufgestellten  Poten- 
tialformeln zu  verweisen.  Ein  blosser  Blick  auf  die  drei  dort  unter 
(2  a),  (3)  und  (4)  gegebenen  Formeln  genügt,  um  zu  erkennen, 
dass  sie  wesentlich  von  einander  verschieden  sind,  und  dass  die 
Operationen,  welche  Zöllner  rationelle  Vereinfachungen 
nennt,  und  durch  welche  er  meine  Formel  auf  die  Weber'sche 
zurückführt,  vielmehr  als  vollständige  principielle  Umän- 
derungen meiner  Formel  zu  bezeichnen  sind. 


§.  10.     Einwände  von  W.  Weber. 

In  der  in  neuester  Zeit  erschienenen  zweiten  Abtheilung  des 
zweiten  Bandes  von  Zöllner's  wissenschaftlichen  Abhandlungen 
ist  noch  ein  weiterer  Einwand  gegen  mein  electrodynamisches 
Grundgesetz  geltend  gemacht.  Zöllner  sagt  dabei,  dass  er  die 
betreffende   Untersuchung   der  Güte    Wilhelm   Weber's  ver- 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      345 

danke,  mit  dessen  Einwilligung  ihre  Publication  an  dieser  Stelle 
stattfinde.  Zugleich  theilt  Zöllner  daljei  mit,  dass  auch  ein 
Nachtrag,  welchen  er  seiner  früheren  Abhandlung  hinzugefügt 
hatte,  und  welcher  ebenfalls  einen  Einwand  gegen  mein  Grund- 
gesetz enthielt,  von  Weber  herstamme. 

Unter  diesen  Umständen  muss  den  betreffenden  Einwänden 
ein  ganz  besonderes  Gewicht  beigelegt  werden,  und  wir  wollen  sie 
daher  hier  näher  betrachten.  Zunächst  wollen  wir  unsere  Auf- 
merksamkeit auf  den  erwähnten  Nachtrag  zu  der  früheren  Ab- 
handlung richten. 

Derselbe  lautet  wörtlich  folgendermaassen : 
„Glausius  bezeichnet  in  seiner  Potentialformel: 

— -  (1  -|-  livv'  cos  s) 

mit  V  und  v'  die  absoluten  Geschwindigkeiten  der  Theilchen  e 
und  e'  und  mit  s  den  Winkel  ihrer  Richtungen.  Jene  Geschwin- 
digkeiten lassen  sich  zerlegen  in  zwei  entgegengesetzt  gleiche 
u,  welche  den  Winkel  s  =  tu  mit  einander  bilden,  und  in  zwei 
gleiche  und  gleichgerichtete  iv,  welche  den  Winkel  s  =  o 
mit  einander  bilden.     Ist  u  =  o^  so  ist  v  =  v'  =  iv  und  cos  s  = 

ee' 
-\-  1;  folglich  ist  das  Potential  =  —  (1  -f-  Jitv^)-     Ist  to  =  o,  so 

ist   V  =  v'  =  u   und   cos  s    =   —    1 ;     folglich    das    Potential 

ee' 
=  —  (1  —  hti'^)-     Der  erster e  Fall    findet  statt  bei  zwei  auf 

der  Erde  in  Paüie  befindlichen  Theilchen,  die  sich  mit  der  Erde 

im  Weltenraume  fortbewegen.     Für  solche  Theilchen  ist  das  Gesetz 

der  Electrostatik  experimentell   begründet  worden,   wonach 

e  ß' 
ihr  Potential  =  —   ist,   womit    das    Glausius' sehe    Gesetz   im 

r 

Widerspruch  steht.  Im  letzteren  Falle  ist  die  relative  Geschwin- 
digkeit beider  Theilchen  =  2  u,  und  es  ergiebt  sich  daraus  das 
Glausius 'sehe  Gesetz  in  vollkommener  Uebereinstimmung 
mit    dem   Weber 'sehen,    wenn    die    Glausius 'sehe    Constante 

4 
Ä  =  —  gesetzt  wird.     Nach  Verbesserung  des   Glausius' sehen 

Gesetzes,  dem  Grundgesetze  der  Electrostatik  gemäss,  wird 
daher  aus  dem  Glausius 'sehen  Gesetze  das  Web  er' sehe  als 
allgemeines  Gesetz  erhalten," 


346  Abschnitt  XL 

Auf  die  hierin  entlialteneii  Auseinandersetzungen  ist  zweierlei 
zu  entgegnen. 

Erstens  wird  der  Umstand  erwähnt,  dass  zwei  auf  der  Erde 

in  Ruhe  befindliche  Electricitätstheilchen    sich  mit  der  Erde  im 

Weltenraume  fortbewegen  und  daher  gleiche  und  gleichgerichtete 

Geschwindigkeiten  haben ,  deren  Grösse  Weber  mit  tv  bezeichnet. 

ee 
Für  diesen  Fall  giebt  mein  Gesetz  die  Potentialformel  —  (  1  -|-  Ictv^)-, 

und  Weber  sagt  nun,  dieses  stehe  mit  dem  experimentell  begrün- 
deten Gesetze  der  Electrostatik  im  Widerspruche,  nach  welchem 

das  Potential  gleich  —  sei. 

r 

Betrachtet  man  aber  die  Sache   etwas  näher,  so   sieht  man 

diesen    scheinbaren  Widerspruch    mit   der   Erfahrung  vollständig 

verschwinden.     Bezeichnet  man  nämlich  die  Coordinaten  der  beiden 

in  relativer  Ruhe  zur  Erde  befindlichen  Electricitätstheilchen  e  und 

e'  in  Bezug  auf  ein  im  Räume  festes  rechtwinkliges  Coordinaten- 

system  mit  x,  «/,  0  und  x\  y\  z'^  so  erhält  man  aus  meiner  Poten- 

ee' 
tialformel   —  (1  -}-  /^w^),  in  welcher  man  die  Geschwindigkeit  iv 

des  betreffenden  Punctes  der  Erde  für  die  experimentelle  Unter- 
suchung als  geradlinig  und  constant  ansehen  kann,  für  die  Com- 
ponenten  der  Kraft,  welche  e  von  e'  erleidet,  folgende  Ausdrücke : 


al 

al 

8^ 

e^'g^d     /«»^); 

dy 

—  Iti)'); 

ee'  /  (l—Jctü^ 

ee 
während  man  aus  der  electro statischen  Potentialformel  —  die  fol- 


genden Ausdrücke  erhalten  würde : 


^  1 

1 

■     1 

8- 

8- 

8- 

,     r 

,       f 

/       r 

ee  ^ — : 

—  ee   — — ;    - 

—  ee'  ^r— 

^x' 

02/ 

ds 

Die  für  die  beiden  Fälle  geltenden  Ausdrücke  unterscheiden 
sich  also  nur  durch  den  constanten  Factor  1  —  'kiv'^.  Dieser  con- 
stante  Factor  hat  auf  die  Formeln  denselben  EinÜuss,  wie  wenn 
die  Maasseinheit,  nach  welcher  die  Electricitätsmengen  e  und  e' 
gemessen  werden,  ein  wenig  geändert  würde.  Da  wir  nun  aber 
die  Maasseinheit,  nach  welcher  wir  die  Electricität  messen,  nur  aus 
der  von  ihr  ausgeübten  Kraft  entnehmen,  so  können  wir  natürlich 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      347 

eine  in  constanter  Weise  stattfindende  Aenderung  der  Kraft  nicht 

bemerken,  wodurch  jener  Widerspruch  fortfallt. 

Zweitens  sagt  Weber,  wenn  man  wegen  jenes  (vermeintlichen) 

Widerspruches   mit  dem   electrostatischen  Gesetze  meine  Formel 

dadurch  abändere,  dass  man  bei  ihrer  Bildung  die  gleichen  und 

gleichgerichteten  Geschwindigkeiten  iv  unberücksichtigt  lasse  und 

nur  die   gleichen  und   entgegengesetzten  Geschwindigkeiten  u  in 

ee' 
Betracht  ziehe,  und  ihr  somit  folgende  Gestalt  gebe:  — (1  — Icti^)^ 

so  stimme  diese  Formel  mit  seiner  Potentialformel  überein,  und  es 
werde  daher  nach  dieser  Verbesserung  aus  meinem  Gesetze  das 
seinige  als  allgemeines  Gesetz   erhalten.      Dieses  ist   aber  ein 

Versehen,  denn  die  Formel  — ^  (1  — liu'^)  ist  nicht  die  Weber'sche, 

sondern  die  Rie  mann 'sehe  Potentialformel,  da  die  Grösse  1u  nicht 

gleich    -j-  ist,  sondern  die  relative   Geschwindigkeit  im  gewöhn- 

liehen  Sinne  des  Wortes  darstellt. 

Es  kann  natürlich  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  dieses 
Versehen  nur  durch  eine  zu  flüchtige  Behandlung  des  Gegenstandes 
veranlasst  ist,  und  in  der  That  hat  Weber  selbst  in  seinem  spä- 
teren, von  Zöllner  in  der  zweiten  Abtheilung  des  zweiten  Bandes 
seiner  Abhandlungen  veröffentlichten  Aufsatze  die  Behandlung 
vervollständigt.     Er  sagt  zwar  nicht,  dass  seine  frühere  Behaup- 

tung,  nach  welcher  die  Formel  —  (1  —  liu"^)  mit  seiner  Potential- 
formel übereinstimmen  soll,  unrichtig  sei,  aber  er  nimmt  doch  mit 
der  gleichen  und  entgegengesetzten  Geschwindigkeit  u  noch  die 
weitere  Zerlegung  vor,  welche  nothwendig  ist,  um  überhaupt  die 

in  seiner  Formel  vorkommende  Grösse  j-  zu  erhalten.     Er  zerlegt 

nämlich  u  in  zwei  Componenten,  deren  eine  in  die  Richtung  der 
Verbindungslinie    der   beiden  Theilchen  fällt,    und    daher   gleich 

1    U/T 

^  j-  ist,  während  die  andere  auf  der  Verbindungslinie  senkrecht 

ist.  Diese  beiden  Componenten  mögen  im  Folgenden  mit  Ui  und 
U.2  bezeichnet  werden. 

Nach  dieser  Zerlegung  stellt  Weber  nun  eine  andere  Betrach- 
tung an,  aus  welcher  er  einen  neuen  Einwand  gegen  meine  Poten- 
tialformel ableitet. 


348  Absclmitt  XL 

Er  bildet  nämlich  meine  electrodynamisclie  Potentialformel 
sowohl  für  die  ganzen  Geschwindigkeiten  v  und  v',  als  auch  für 
die  einzelnen  Componenten  dieser  Geschwindigkeiten,  und  ver- 
gleicht dann  die  letzteren  Ausdrücke  mit  dem  ersten.  Das  auf 
die  ganzen  Geschwindigkeiten  bezügliche  electrodynamisclie  Poten- 
tial V  wird  bestimmt  durch  die  Gleichung: 

V  =  h  —  vv'  cos  s. 

r 

Zerlegt  man  die  Geschwindigkeiten  in  je  zwei  Componenten  w  und 
u  und  bezeichnet  die  auf  sie  bezüglichen  Potentiale  mit  W  und 
C/,  so  lauten  die  Gleichungen: 

ly  ly 

Zerlegt  man  die  Geschwindigkeiten  in  je  drei  Componenten  iv,  % 
und  %  und  bezeichnet  die  auf  sie  bezüglichen  Potentiale  mit  W-, 
üi  und   C/2,  so  lauten  die  Gleichungen: 


y  IT  T 

Weber  sagt  nun,  man  müsse  erwarten,  dass  bei  der  ersten 
Zerlegung  die  Summe  W  -\-  ~ü  und  bei  der  zweiten  Zerlegung  die 
Summe  "FT-}-  C^i  +  C/2  gleich  V  sei;  dieses  sei  aber  nicht  der 
Fall,  denn  die  Grösse  vv'  cos  s  sei  den  algebraischen  Summen 
v^  —  u^  und  ^2  —  ^,2  —  ^2  nic]2t  gleich,  sondern  werde  durch 
einen  viel  complicirteren  Ausdruck  dargestellt. 

Wenn  dieses  wirklich  richtig  wäre,  so  würde  dadurch  in  der 
That  meine  Potentialformel  unwahrscheinlich  werden.  Bei  näherer 
Betrachtung  findet  man  aber,  dass  es  nicht  richtig  ist,  sondern 
dass  auch  diese  Weber' sehe  Behauptung  nur  durch  zu  flüchtige 
Behandlung  des  Gegenstandes  veranlasst  ist,  indem  sie  auf  einem 
einfachen  Rechenfehler  beruht. 

Von  jenen  beiden  algebraischen  Summen  tv^  —  u^  und 
tü^  —  Ui' —  U2  brauchen  wir  nur  die  erste  näher  zu  betrachten, 
da  die  zweite  mittelst  der  ganz  selbstverständlichen  Gleichung 
Ui  -\-  U2  =  u"^  auf  die  erste  zurückgeführt  werden  kann.  Es  lässt 
sich  nun  sehr  leicht  beweisen,  dass  (entgegen  der  Weber 'sehen  Be- 
hauptung), die  Gleichung: 

(5)  vv'  cos  8   ^=  W'^  —  'U/'^ 

gültig  ist, 


Discussionen  über  Wärme  und  E]ectricität.      349 

Dazu  betrachten  wir  von  ?;,  v\  tu  und  u  die  in  die  Coordinaten- 
richtungen  lallenden  Componenten.     Die  ic-Componenten  der  Ge- 

(1  X  (1   A 

schwindigkeiten  v  und  v'  sind  -j-  und  -^-     Daraus    folgt,     dass 

die  a:;-Componenten  der  gleichen  und  gleichgerichteten  Gescliwin- 

1  /dx        dx'\ 
digkeiten   tv  für  beide   Theilchen    durch   -  ( -4-  +  — r— 1  und  die 

2  \  dt         dt  / 

rr-Componenten  der  gleichen  und  entgegengesetzten  Geschwindig- 
keiten   u    für    das     erste    und    zweite    Theilchen    resp.     durch 

chende  Ausdrücke  sind  für  die   beiden   anderen  Coordinatenrich- 
tungen  zu  bilden.     Demnach  gelten  für  iv  und  u  die  Gleichungen: 


2 1  V/dx        dx'\^j^  /dy        dy'\^_.    /dz        dz'\ 

*    ~"  1  \Sßi  ~  It)  ^\dt~  'dtj  '^  \dt  ~  Tt) 


Durch  Subtraction  der  zweiten  dieser  Gleichungen  von  der  ersten 
erhält  man : 

*^    ~"^   ~  W  ~dt  '^  dt  W  ~^  dt  W 

und  der  hierin  an  der  rechten  Seite  stehende  Ausdruck  ist  gleich 
VI)'  cos  £,  wodurch  die  Gleichung  (5)  bewiesen  ist. 

Statt  dieser  sehr  einfachen  Rechnung  macht  Weber  eine 
viel  complicirtere,  von  der  ich  hier  nur  so  viel  anzuführen  brauche, 
wie  nöthig  ist,  um  den  Ptechenfehler  nachzuweisen.  Indem  er  den 
Winkel  zwischen  der  tw-Richtung  und  der  einen  w-Richtung  mit  y 
bezeichnet,  bildet  er  die  Gleichungen: 

v^  =  u^  -\-  tv'^  —  2uw  cos  y 


(6) 

V'2  ^::^  ^^2  _|_   ^y2   _|_    2  U  tu  COS  y. 

Indem  er  ferner  die  Winkel  zwischen  der  ^y-Richtung  und  den  v- 
und  v'-Richtungen  mit  a  und  ß  bezeichnet,  bildet  er  die  Glei- 
chungen : 

V     .  ^'     ■     ß 

sm  y  ^  —  sin  a  =  —  stn  p, 
u  n 

woraus  folgt: 

(7)  u  cos  y  =  y  «(2  —  'y2  gi^i^2  cc  =  y  u-  —  v'-  sin-  ß. 


350  Absclmitt  XI. 

Nun  sagt  Weber  weiter,   aus   diesen  Gleichungen  resultiren  die 
folgenden : 


(8) 


v^  =  u^  -\-  w'^  cos  2  a  (l  -j^   1/  ~^  —  sm^  ^ ) 
^'2  ^  ^i2  j^  ^1,2  cos  2  ß  fl  ±  W  ~  —  sin^  ß\ 


und  die  durch,  diese  Gleichungen  bestimmten  Werthe  von  v  und  v' 
sind  es,  von  welchen  er  meint,  dass  sie  in  meine  Potentialformel 

Ic  —  vv'  cos  £  einzusetzen   seien,    wodurch   diese  dann  allerdings 

eine  sehr  complicirte  Form  annehmen  würde. 

In  der  Wirklichkeit  resultiren  aber  aus  den  Gleichungen  (6) 
und  (7)  gar  nicht  die  Gleichungen  (8),  sondern  vielmehr  folgende 
Gleichungen : 


(9) 


v'^  =  u"^  -\-  w^  (  cos  2  w  +;  2  cos  M    ]/  ~  —  süi^  a  ] 
v'^  =  m2  _j_  ^f;2  fcos  2ß±2cos  ß    y~  —  sin^  ß\ 


Aus  diesen  Gleichungen  lässt  sich,  wenn  man  noch  eine  gewisse 
zwischen  den  Geschwindigkeiten  u  und  w  und  den  Winkeln  a  und  ß 
bestehende  Relation  mit  berücksichtigt,  die  Gleichung 

V  v'  cos  (a-\-ß)  =  lü^  —  u^ 
ableiten,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  die  Summe  der  Winkel  a  und 
ß  gleich  dem  von  mir  mit  e  bezeichneten  Winkel  ist.  Man  gelangt 
also  auch  durch  diese  Entwickelung,  wenn  auch  auf  weitem  Um- 
wege, zu  der  von  Weber  bestrittenen  Gleichung  (.5),  wodurch 
sein  Einwand  fortfällt. 


§.  11.     Untersuchung  von  Lorberg. 

In  der  zu  Anfange  des  vorigen  Paragraphen  citirten  zweiten 
Abtheilung  des  zweiten  Bandes  von  Zöllner 's  wissenschaftlichen 
Abhandlungen  wird  auch  die  im  84sten  Bande  von  Borchard's 
Journal  veröffentlichte  Abhandlung  von  Lorberg  „über  das 
electrodynamische  Grundgesetz"  erwähnt  und  dabei  gesagt,  in 
dieser  Abhandlung  werde  die  Unhaltbarkeit  meines  Gesetzes  und 
(unter  selbstverständlichen  Voraussetzungen)   die  Nothw endig- 


Discussionen  über  Wärme  und  Electricität.      351 

keit  des  Weber'schen  Gesetzes  nachgewiesen.  Was  von  dieser 
Behauptung  zu  halten  ist,  wird  am  besten  aus  einer  näheren  Be- 
trachtung der  von  Lorberg  gewonnenen  Resultate  klar  werden. 

Lorberg  wendet  in  seiner  Abhandlung  zunächst  das  We- 
ber'sche  Grundgesetz  und  mein  Grundgesetz  auf  einige  specielle 
Fälle  an.  Dabei  stellen  sich  natürlich  gewisse  Unterschiede  in 
den  sich  ergebenden  Kräften  heraus,  aber  immer  nur  in  solchen 
Fällen,  in  denen  eine  Entscheidung  über  die  Richtigkeit  des  einen 
oder  anderen  der  differirenden  Ergebnisse  durch  irgend  welche 
bisher  angestellte  experimentelle  Untersuchungen  nicht  möglich 
ist.  Es  kann  also  gar  keine  Rede  davon  sein,  dass  dadurch  die 
Unhaltbarkeit  meines  Gesetzes  nachgewiesen  sei. 

Ferner  macht  Lorberg  eine  ähnliche  Entwickelung,  wie  ich 
sie  gemacht  habe,  indem  er  unter  Zugrundelegung  gewisser  Vor- 
aussetzungen die  mathematische  Form  des  Grundgesetzes  ableitet. 
Diese  Voraussetzungen  sind,  soweit  sie  auf  Erfahrungen  beruhen, 
im  Wesentlichen  dieselben,  wie  die  von  mir  gemachten;  aber  eine 
Voraussetzung  ist  noch  hinzugefügt,  welche  meinen  ausdrücklich 
ausgesprochenen  Ansichten  widerspricht,  nämlich  die,  dass  die 
electrodynamischen  Kräfte  :^wischen  zwei  bewegten  Electricitäts- 
theilchen  nur  von  der  relativen  Bewegung  der  Electricitätstheil- 
chen  abhänge,  und  zwar  von  der  relativen  Bewegung  im  Weber'- 
schen Sinne  des  Wortes,  welche  sich  nur  auf  die  gegenseitige  An- 
näherung oder  Entfernung  der  Theilchen  bezieht. 

Ich  habe  von  vorn  herein  bei  meinen  Entwickelungen  gesagt, 
dass  sie  sich  dadurch  von  den  früheren  ähnlichen  Entwickelungen 
unterscheiden,  dass  in  ihnen  nicht  nur  die  relative  Bewegung  son- 
dern auch  die  absoluten  Bewegungen  der  Theilchen  berücksich- 
tigt sind.  Um  zu  zeigen,  wie  dieser  Unterschied  sich  auch  in  den 
Resultaten  äussert,  habe  ich  eine  oben  in  Abschnitt  X.,  §.  1  wieder- 
gegebene Zusammenstellung  der  drei  von  Weber,  Riemann  und 
mir  aufgestellten  Potentialformeln  gemacht,  und  dabei  hervorgeho- 
ben, dass  sie  sich  dadurch  wesentlich  von  einander  unterscheiden, 
dass  die  Weber' sehe  Potentialformel  die  relative  Geschwindig- 
keit im  Weber'schen  Sinne  des  Wortes,  die  Riemann'sche  die 
relative  Geschwindigkeit  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes  und 
die  meinige  die  Componenten  der  absoluten  Geschwindigkeiten 
enthält.  Wer  also,  wie  Zöllner,  die  Voraussetzung,  dass  die 
electrodynamischen  Kräfte  nur  von  der  relativen  Bewegung  im 
Weber'schen  Sinne  des  Wortes  abhängen  können,  als  selbst- 


352  Abschnitt  XI. 

verständlich  betrachtet,  der  bedarf,  um  zwischen  den  drei  For- 
meln zu  entscbeiden,  nicht  noch  erst  weiterer  Untersuchungen, 
sondern  kann  die  Entscheidung  unmittelbar  aus  den  Formeln  selbst 
ablesen. 

Die  Lorberg'sche  Untersuchung  ist  für  die  Klarstellung  des 
Gegenstandes  insofern  sehr  werthvoll,  als  sie  die  Folgerungen, 
welche  sich  aus  gewissen  Voraussetzungen  ergeben,  schärfer  fest- 
stellt, als  es  bisher  geschehen  war;  aber  im  Widerspruche  mit 
meiner  Untersuchung  kann  sie  gar  nicht  stehen,  weil  sie  eben 
auf  anderen  Voraussetzungen  beruht. 

Um  deutlich  erkennen  zu  lassen,  wie  die  Ergebnisse  der  bei- 
den Untersuchungen  sich  zu  einander  verhalten,  wird  es  am  besten 
sein,  sie  in  möglichst  ähnlichen  Fassungen  neben  einander  zu  stel- 
len. Das  Ergebniss  der  Lorberg'schen  Untersuchung  lässt  sich 
so  aussprechen.  Wenn  man  von  der  Voraussetzung  aus- 
geht, dass  nur  die  relative  Bewegung  im  Weber'schen 
Sinne  des  Wortes  auf  die  electrodynamischen  Kräfte 
Einfluss  haben  könne,  so  gelangt  man  zu  dem  Schlüsse, 
dass  das  Weber'sche  Grundgesetz  das  einzig  mög- 
liche sei  und  dass  in  einem  galvanischen  Strome  beide 
Electricitäten  mit  entgegengesetzt  gleicher  Geschwin- 
digkeit fliessen  müssen.  Das  Ergebniss  meiner  Untersuchung 
dagegen  ist  folgendes.  Wenn  man  die  Annahme,  dass  in  den 
galvanischen  Strömen  und  den  sonstigen  electrischen 
Strömen,  für  welche  die  electrodynamischenGesetze  gel- 
ten, beide  Electricitäten  mit  entgegengesetzt  gleicher 
Geschwindigkeit  fliessen,  nicht  machen  will,  so  darf  man 
auch  nicht  annehmen,  dass  nur  die  relative  Bewegung 
(sei  es  im  Weber'schen  oder  im  gewöhnlichen  Sinne  des 
Wortes),  auf  die  electrodynamischen  Kräfte  Einfluss 
habe,  sondern  muss  auch  den  absoluten  Bewegungen 
einen  Einfluss  zuschreiben,  und  gelangt  dann  zu  mei- 
nem Grundgesetze  als  dem  einzig  möglichen. 


DIE 


MECHANISCHE 

WÄRMETHEORIE 


VON 


E.  CLAUSIUS. 


ZWEITE 

umgearbeitete  und  vervollständigte  Auflage  des  unter  dem  Titel 

über  die  mechanisclif 

erschienenen  Buches. 


„Abhandlungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie" 


DRITTER    BAND. 

Entwickelung  der  besonderen  Voi'stellungen  von   der  Natur   der 
Wärme  als  einer  Art  der  Bewegung. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dh  MAX  PLANCK,    ü>d    Dk  CARL  PULFRICH, 

Professor  an  der  Universität.  Privstdocent  an  der  tlnirersität 

zu  Berlin,  zu  Bonn. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRÜCK   UND    VERLAG  VON    FRIEDRICH   VIEWEG   UND   SOHN. 

1889-  1891. 


A  N  K  Ü  ^^  D  I  G  U  N  G. 


Der  vorliegende  dritte  Band  der  „Meclianisclien  Wärmetheorie 
von  R.  Clausius",  die  kinetische  Theorie  der  Gase  ent- 
haltend, bildet  seiner  Entstehung  nach  die  zweite  Auflage  eines  Tlieiles 
■der  früheren,  im  Jahre  1867  veröffentlichten  Ahhandlungensammlung. 
Nach  dem  im  August  1888  erfolgten  Tode  des  Verfassers  haben  die 
Herren  Professor  Dr.  Max  Planck  und  Dr.  Carl  Pu  1fr ich  die 
Herausgabe  des  Wei'kes  übernommen,  auch  ist  demselben  ein  aus- 
führliches Vorwort  seitens  der  Herausgeber  beigefügt  worden.  Wir 
haben  den  dritten  Band  in  zwei  Lieferungen  erscheinen  lassen,  deren 
erste  nur  den  kleineren  Theil  des  Bandes  umfasste,  soweit  derselbe 
nämlich  von  des  Verfassers  Hand  als  druckfertiges  Manuscript  sich 
vorfand.  Im  Uebrigen  war  ein  zusammenhängender  und  vom  Verfasser 
schon  mehrfach  durchgearbeiteter  Entwurf  für  das  ganze  Werk  vor- 
handen, dessen  Wiedergabe  den  Inhalt  der  zweiten  Lieferung  bildet. 
In  einem  Anhange  sind  ferner  acht  vom  Verfasser  in  vei'schiedenen  Zeit- 
schriften veröffentlichte  Aufsätze  zusammengestellt,  die  inhaltlich  der 
kinetischen  Gastheorie  nahe  verwandt  sind.  Von  ihnen  gehörten 
bereits  die  beiden  ersten  der  früheren  Abhandlungensammlung  an. 

Braunschweig,  im  Februar  1891. 

Friedrich  Yiewea:   und  Sohn. 


DIE 


MECHANISCHE 

WÄRMETHEORIE 


VON 


E.  CLAUSIU8. 


ZWEITE 

Iständigte  Auf! 
Abliandlimffen  über  die  mechaiiisclie  Wärmetheorie" 


umgearbeitete  und  vervollständigte  Auflage  des  unter  dem  Titel 


J5 

erschienenen  Buches 


DRITTER    BAND. 

Entwickelung   der  besonderen   Vorstellungen   von    der  Natur    der 
Wärme  als  einer  Art   der  Bewegung. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr   MAX  PLANCK,    und    Dk  CARL  PULERICH, 

Vrofeasor  an  der   ITiiivevsitiit  Privatdoceiit  an  der  rnivorsitilt 

zu  Berlin,  zu  Bonn. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK   UND    VERLAG  VOK    FRIEDRICH    VIEWEG    UND    SOHN. 

1889-1891. 


DIE  KINETISCHE 


THEORIE  DER  GASE 


VON 


E.  CLAUS lUS. 


HERAUSGEGEBEN 


Dk  MAX  PLANCK,    und    Dr  CAEL  PULFRICH, 

Professov  an  lier  ünirersitiit  Privatdocent  an   der  Universität 

zu  Berlin,  zn    Bonn. 


ZWEITE 

umgearbeitete  und  vervollständigte  Auflage   des   unter  dem  Titel 

„Abhandlungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie" 

erschienenen  Buches. 


BRAUNSCHWEIG, 

DRUCK   UND    VERLAG  VON    FRIEDRICH    VIEWEG    UND    SOHN. 

1889  -  1891. 


VORWORT. 


Uer  dritte  Band  der  „Meclianischen  Wärmetlieorie" 
von  R.  Clausins,  welcher,  seiner  Entstehung  nach, 
ebenso  wie  die  beiden  ersten  Bände,  die  zweite  Auflage 
eines  Theiles  der  früheren  im  Jahre  1867  veröffent- 
Hchten  Abhandlungensammlung  bildet,  im  Uebrigen 
aber  nach  dem  eigenen  Ausspruch  des  Verfassers  als 
ein  neues,  von  den  übrigen  Theilen  der  Mechanischen 
Wärmetheorie  unabhängiges  und  für  sich  bestehendes 
Werk  zu  bezeichnen  ist,  sollte  nach  des  Verfassers 
Zusage  im  Herbst  1888  druckfertig  sein.  Sein  am 
24.  August  desselben  Jahres  erfolgter  Tod  hat  die 
Vollendung  des  Werkes  unmöglich  gemacht,  seine  lang- 
wierige Krankheit  schon  während  des  Sommers  den 
Fortschritt  der  Arbeit  gestört.  Trotz  der  in  den  letzten 
Jahren  seines  Lebens  immer  mehr  sich  steio:ernden  amt- 


"O" 


liehen   ThätiQ-keit   hat   Clausius  bis  kurz   vor   seinem 


'ö 


Tode  an  dem  Abschluss  des  Bandes  mit  Q-rossem  Eifer 


o 


gearbeitet,  indem  er  bis  zuletzt  das  Grefühl  der  heran- 
nahenden Krankheit  mit  der  ihm  eigenen  Energie  unter- 
drückte. So  ist  es  gekommen,  dass  nur  etwa  der 
vierte  Theil  des  dritten  Bandes  als  druckfertiges  Manu- 
script  im  Nachlass   sich  vorfand;   im  Uebrigen  war  ein 


VI  Vorwort. 

ausführlich  gehaltener  und  mehrfach  durchgearbeiteter 
Entwurf  für  das  ganze  Werk  vorhanden.  Den  Wünschen 
der  Familie  entsprechend  haben  die  beiden  unterzeich- 
neten Herausgeber  des  dritten  Bandes,  von  denen  der 
letztere  dem  Verstorbenen  als  langjähriger  Schüler  und 
Assistent  nahe  stand,  es  unternommen,  nach  sorgsamer 
Sichtung  des  vorliegenden  Materials  eine  möglichst 
vollständige  Wiedergabe  des  Werkes  im  Sinne  des  Ver- 
fassers zu  bewerkstelligen. 

In  erster  Linie  betrachteten  wir  es  als  unsere  Auf- 
gabe, den  Originalentwurf  möglichst  getreu  in  dem 
Zustande,  wie  er  aus  des  Verfassers  Hand  hervorging, 
der  Fachwelt  zu  übermitteln,  und  daneben  nur  dafür 
zu  sorgen,  dass  der  für  das  Verständniss  nothwendige 
Zusammenhang  in  allen  Puncten  hergestellt  werde. 
Dank  der  besonderen  Ausführlichkeit,  die  der  Verfasser 
bekanntlich  seiner  Darstellung  zu  geben  liebte,  sowie 
der  Gewissenhaftigkeit,  mit  welcher  er  jede  nachträglich 
vorgenommene  Aenderung  in  schien  Aufzeichnungen 
zu  markiren  und  oft  auch  zu  motiviren  pflegte,  war 
uns  die  Durchführung  unserer  Arbeit  in  der  Weise 
möglich,  dass  wir,  was  den  Inhalt  der  vorgetragenen 
Theorien  betrifft,  keinen  einzigen  Satz  in  den  Text 
aufzunehmen  brauchten,  der  nicht  vom  Verfasser  selbst 
niedergeschrieben  wäre;  wo  der  Gedankengang  eine  Er- 
läuterung oder  Ergänzung  zweckmässig  machte,  konnte 
das  immer  in  einer  Anmerkung  geschehen.  In  for- 
meller Beziehung  zeigten  sich  allerdings  eine  Anzahl 
von  Aenderungen  nothwendig,  deren  hauptsächlichste 
wir  an  Ort  und  Stelle  hervorgehoben  haben.  Vor 
Allem  erschien  es  wünschenswerth ,  für  die  in  ver- 
schiedenen  Abschnitten   wiederkehrenden   Grössen   ein- 


Vorwort.  VII 

heitliche  Bezeichnungen  durchzuführen,  was  im  Ent- 
wurf zum  Theil  noch  nicht  geschehen  ist;  dabei  achteten 
wir  namentlich  darauf,  dass  nicht  im  Laufe  der  Be- 
trachtungen für  verschiedene  Grössen  das  nämliche 
Zeichen  angewendet  wird.  Manchmal  erwuchsen  auch 
daraus  Schwierigkeiten,  dass  der  Verfasser  an  ver- 
schiedenen Stellen  Aenderungen  in  der  Anordnung  oder 
Bezeichnung  nur  durch  eine  Randbemerkung  nach- 
träglich angedeutet  hat.  In  einfacheren  Fällen  haben 
wir  die  vom  Verfasser  geäusserte  Absicht  ohne  Weiteres 
verwirklicht,  manchmal,  wo  die  Aenderungen  zu  weit 
geführt  hätten,  sie  nur  erwähnt,  immer  aber  dafür 
gesorgt,  dass  die  Stetigkeit  der  Entwickelung  nicht 
unterbrochen  werde.  Für  die  Zuverlässigkeit  sämmt- 
licher  Formeln,  Zahlenrechnungen  und  Citate  betrachten 
wir  uns  natürlich  als  verantwortlich. 

Der  ]N^atur  der  Sache  nach  wird  das  Werk  in 
seiner  vorliegenden  Gestalt  auch  formell  immer  noch 
den  Bindruck  des  Unvollendeten  machen;  denn  es  ist 
sicher  anzunehmen,  dass  der  Verfasser  bei  der  Durch- 
arbeitung der  einzelnen  Abschnitte  ausser  manchen 
sachlichen  Ergänzungen  die  Einheit  der  Darstellung 
und  manchmal  auch  die  Präcision  des  Ausdrucks  noch 
in  einiger  Hinsicht  verbessert  hätte  (man  vergleiche 
z.  B.  die  etwas  ungenaue  Definition  der  Grössen  E,  F,  G, 
Seite  124  f.,  die  in  den  Rechnungen  zuerst  als  unbe- 
stimmte Integrale,  später,  von  Seite  128  an,  als  be- 
stimmte Integrale  behandelt  werden).  Das  schlagendste 
Beispiel  hierfür  liefert  der  ausser  dem  druckfertigen 
Manuscript  des  ersten  Abschnittes  noch  vorhandene 
Entwurf  desselben;  zugleich  giebt  er  Zeugniss  davon, 
in  welch'  sorgsamer  Weise  der  Verfasser  noch  im  letzten 


VIII  Vorwort. 

Augenblicke  behufs  Erhöhung  der  Klarheit  und  Voll- 
ständigkeit die  bessernde  Hand  anlegte.  Doch  glau- 
ben wir  nicht,  dass  an  irgend  einer  Stelle  ein  Miss- 
verständniss  oder  auch  nur  eine  Unklarheit  in  Betroff 
des  Sinnes  der  vom  Verfasser  gebrauchten  Grössen  und 
Ausdrücke  möglich  ist. 

Unserer  Auffassung  entsprechend  haben  wir  uns 
einer  sachlichen  Ergänzung  oder  gar  Kritik  der  in  dem 
Werke  entwickelten  Theorie  vollständig  enthalten.  Es 
versteht ^, sich  von  selbst,  dass  jede  Untersuchung  auf 
einem  Grebiete,  welches  einerseits  von  so  viel  Hypo- 
thesen durchsetzt  ist,  andererseits  der  Analyse  so  enorme 
Schwierigkeiten  entgegenstellt,  wie  die  kinetische  Gas- 
theorie, schon  von  vornherein  Einwürfen  und  Bedenken 
in  ganz  anderem  Grade  ausgesetzt  ist,  als  etwa  die 
Bearbeitung  der  beiden  Hauptsätze,  welche  den  ersten 
Band  der  „Mechanischen  Wärmetheorie"  des  Verfassers 
bildet.  Wird  man  daher  dem  letztgenannten  schon 
mit  gewissem  Rechte  den  Rang  eines  Lehrbuches  ein- 
räumen können,  so  enthält  der  vorliegende  Band  im 
eigentlichen  Sinne  die  Resultate  der  persönlichen  For- 
schung, und  unter  diesem  Gesichtspuncte  allein  ist  das 
nachgelassene  Werk  des  Mannes  zu  beurtheilen,  der  die 
Vollkraft  seines  Lebens  für  sein  bahnbrechendes  Wirken 
auf  dem  Gebiete  der  Wärmetheorie  eingesetzt  hat.  Aus 
demselben  Grunde  haben  wir  auch  die  polemischen 
Stellen  ohne  jeden  sachlichen  Commentar  gelassen. 

Der  erste,  zweite  und  vierte  Abschnitt  bieten  im 
Wesentlichen  Neubearbeitungen  der  drei  Abhandlungen 
des  Verfassers:  „Ueber  die  Art  der  Bewegung,  welche 
wir  Wärme  nennen",  Pogg.  Ann.  100,  S.  353,  1857; 
„Ueber  die  mittlere  Länge  der  Wege,   welche   bei   der 


Vorworf-r.  IX 

Molecularbewegung  gasförmiger  Körper  von  den  ein- 
zelnen Molecülen  zurückgelegt  werden" ,  Pogg.  Ann. 
105,  S.  239,  1858,  und  „Ueber  die  Wärmeleitung  gas- 
förmiger Körper",  Pogg.  Ann.  115,  S.  1,  1862.  Völlig 
neu  erscheint  der  dritte  Abschnitt,  über  die  innere 
Reibung  der  Gase.  Leider  zeigt  sich  gerade  er  am 
wenigsten  ausgeführt,  wenn  er  auch  inhaltlich  voll- 
ständig durchgearbeitet  ist  (vgl.  die  Anm.  der  Heraus- 
geber am  Schlüsse  desselben).  So  finden  sich  in  dem 
Entwürfe  zu  diesem  Abschnitt  einige  Ungereimtheiten, 
unnöthige  Wiederholungen  und  Verweisungen  auf  Stel- 
len, die  noch  nicht  abgehandelt  sind.  Dies  erklärt 
sich  namentlich  auch  daraus,  dass  der  Verfasser  ur- 
sprünglich die  Absicht  hatte,  diesen  Abschnitt  ganz 
an  den  Schluss  zu  stellen,  wie  sich  aus  Bemerkungen 
und  Citaten  im  Entwurf  unzweideutig  ergiebt.  Auch 
trägt  der  Entwurf  zum  vierten  Abschnitt  auf  der 
Innenseite  des  Umschlages  noch  den  alten  Titel 
„Abschnitt  III". 

Ausser  den  oben  genannten  drei  Abhandlungen 
enthielt  die  frühere  Abhandlungensammlung  noch  zwei 
weitere  Aufsätze:  „Ueber  die  Natur  des  Ozon",  Pogg. 
Ann.  103,  S.  644,  1858,  und  „Ueber  den  Unter- 
schied zwischen  activem  und  gewöhnlichem  Sauerstoff", 
Pogg.  Ann.  121,  S.  250,  1864.  Für  diese  beiden  Ab- 
handlungen lag  eine  ISTeubearbeitung  nicht  vor,  auch 
fanden  sich  Aenderungen  des  Textes  oder  Hinweisungen 
auf  solche  etwa  später  vorzunehmende  weder  im 
Handexemplar  noch  im  Entwurf  der  obigen  vier  Ab- 
schnitte. Die  Absicht  des  Verfassers  lao,"  aber  klar  zu 
Tage  —  man  vergleiche   nur  die  Bemerkung  im  Text, 


X  Vorwoi't. 

Seite  24  oben  — ,  die  beiden,  ihrem  Inhalte  nach  mit 
der  kinetischen  Gastheorie  nahe  verwandten  Abhand- 
hingen mit  in  den  dritten  Band  herüberzunehmen. 
Wir  haben  geglaubt,  im  Sinne  des  Verstorbenen  und 
im  Interesse  der  Sache  zu  handeln,  indem  wir  noch 
einen  Schritt  weiter  gingen  und  auch  die  späteren  auf 
den  Gregenstand  bezüglichen  und  in  verschiedenen  Zeit- 
schriften veröffentlichten  Arbeiten  des  Verfassers  eben- 
falls dem  dritten  Bande  der  Mechanischen  Wärmetheorie 
einverleibten.  Wir  haben  bei  der  Aufnahme  dieser  Ab- 
handlungen äusserlich  nur  insofern  eine  Trennung  von 
den  früheren  vier  Abschnitten  eintreten  lassen,  als  wir 
die  sämmtlichen  Abhandlungen  einschliesslich  der  beiden 
Arbeiten  über  Ozon  in  einem  Anhange  zusammen- 
stellten, so  dass  der  vorliegende  dritte  Band  in  seinem 
zweiten  Theile  den  Charakter  der  früheren  Abhand- 
lungensammlung trägt  und  gewissermaassen  als  deren 
Fortsetzung  zu  betrachten  ist.  Die  einzelnen  Abhand- 
lungen sind  nach  der  Zeit  ihrer  Veröffentlichung  anein- 
ander gereiht.  Den  beiden  Abhandlungen  über  das  Ozon 
schliesst  sich  zunächst  eine  kleinere  dritte  Abhandlung: 
„Zur  Geschichte  des  Ozon",  Pogg.  Ann.  136,  S.  102, 
1869,  an.  Die  übrigen  sind  Abhandlung  IV:  „Ueber 
das  Verhalten  der  Kohlensäure  in  Bezug  auf  Druck, 
Volumen  und  Temperatur",  Wiedem.  Ann.  9,  S.  337, 
1880;  Abhandlung  V:  „Ueber  einige  neue  Unter- 
suchungen über  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmole- 
cüle",  Wiedem.  Ann.  10,  S.  92,  1880;  Abhandlung  VI: 
„Ueber  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes 
und  der  Volumina  des  Dampfes  und  der  Flüssigkeit", 
I.Aufsatz:  Wiedem.  Ann.  14,  S.  279,  1881;  2.  Aufsatz: 
Wiedem.    Ann.    14,    S.    692,    1881;     Abhandlung   VII: 


Vorwort.  XI 

„Ueber  die  Dimensionen  und  die  gegenseitigen  Ab- 
stände der  Molecüle,  Antwort  anf  einen  Brief  des 
Herrn  Jules  Bourdin",  La  Lumiere  Electrique,  Nr.  32, 
p.  241,  1885,  und  endlich  Abhandlung  VIII:  „Prüfung 
der  Einwände  von  Hirn  gegen  die  kinetische  Theorie 
der  Gase",  Bulletin  de  l'x^cademie  royale  de  Belgique, 
3i^e  s^He,  t.  XI,  Nr.  3,  1886.  Die  letzte  Abhandlung  ist 
bisher  ebenso  wenig  wie  die  vorletzte  in  deutscher 
Sprache  erschienen.  Die  Arbeit  gegen  Hirn  ist  von 
Seiten  eines  der  beiden  Herausgeber  ins  Deutsche  zurück- 
übersetzt, während  für  den  Aufsatz  über  die  Dimen- 
sionen und  Abstände  der  Molecüle  noch  das  deutsche 
Manuscript   im    Nachlass    des    Verfassers    sich    vorfand. 

Berlin  und  Bonn,  im  November  1890. 


Die  Herausgeber: 

Dr.  Max  Planck.    Dr.  Carl  Piilfricli. 


mHALTSYERZEICHNISS. 


Absclmitt   I. 

Art  der  Bewegung,  welche  wir  "Wärme  nennen. 

Seite 

§.     1.     Specielle,    von    den    allgemeinen    Schlüssen    unabhängige    Tor- 
stellung von  der  Wärme 1 

§.     2.     Bewegungen,  welche  in  gasförmigen  Körpern  angenommen  werden  3 
§.     3.     Verhältniss  zwischen  den  verschiedenen  gleichzeitig  stattfinden- 
den Bewegungen 5 

§.    4.     Erklärung  der  Expansivkraft  des  Gases 6 

§.     5.     Gi'ünde,   weshalb   die    Gase   dem  Mario  tte' sehen    und    Gaj— 

Lussac'schen  Gesetze  nicht  genau  folgen 9 

§.     6.    Verhalten  der  Molecüle  in  den  drei  Aggregatzuständen     ....  11 

§.     7.     Erklärung  des  Verdampfungsprocesses 12 

§.     8.    Einfluss  eiues  über  der  Flüssigkeit  befindlichen  Gases  auf  die 

VerdamiDfung 1-4 

§.     9.    Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  durch  äussere  Arbeit    .  16 

§.  10.    Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  durch  innere  Arbeit  .    .  18 

§.11.    Volumenverhältnisse  zusammengesetzter  Gase 19 

§.  12.     Volumenverhältnisse  einfacher  Gase  und  allgemeines  Gesetz     .    .  20 

§.  13.     Mathematische  Bestimmung  der  Exj)ansivkraft 25 

§.  14.     Verhalten  der  Molecüle  zu  einer  bewegten  Wand 29 

§.  15.     Lebendige  Kraft  und   Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Be- 
wegung der  Molecüle 32 

§.  16.    Verhältniss  zwischen  der  lebendigen  Kraft  der  fortschreitenden 

Bewegung  der  Molecüle  und  der  Energie  des  Gases     ...  35 

§.  17.     Gesetz  in  Bezug  auf  die  Geschwindigkeiten  der  Molecüle     ...  37 
§.  18.     Einige  Folgerungen  aus  dem  Maxwell'schen  Gesehwindigkeits- 

sesetze 41 


XIV  Inlialtsverzeiclmiss. 

Abschnitt   II. 

lieber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle. 

Seite 

§.     1.     Specielle   Voraussetzungen    über    die    von    den    Molecülen    aus- 
geübten Kräfte 46 

§.     2.     Vereinfachung  der  Betrachtungen 49 

§.  3,  Anzalil  der  Stösse  und  mittlere  Weglänge  eines  .beweglichen 
Punctes  innerhalb  eines  Raumes,  der  beliebige,  die  Be- 
wegung hindernde  Flächen  enthält 51 

§.  4.  Anzahl  der  Stösse  und  mittlere  Weglänge  eines  beweglichen 
Punctes  innerhalb  eines  Raumes,  der  die  Wirkungssphären 

vieler  Molecüle  enthält 55 

§.     5.     Berücksichtigung  des  Molecularvolumens •      57 

§.     6.     Berücksichtigung  des  Umstandes,  dass  nicht  bloss  Ein  Molecül 

sich  bewegt,  sondern  alle  Molecüle  in  Bewegung  sind   .    .      61 

§.     7.     Berücksichtigung  der  das  Gas  umgebenden  Hülle 66 

§.     8.     Wirklich  zurückgelegte  Wege  der  einzelnen  Molecüle 70 

§.     9.     Gesammtzahl  der  Stösse  und  damit  zusammenhängende  Grössen      73 
§.  10.     Mittlere  relative   Geschwindigkeit    und   mittlere  Weglänge  für 
Molecüle    von    gegebener    Geschwindigkeit    und    dadurch 
bedingtes   Geschwindigkeitsgesetz  der  ausgesandten  Mole- 
cüle        74 


Abschnitt   III. 
Ueber   die   innere   Reibung   der   Gase. 

§.     1.     Verschiedene  auf  die  Reibung  der  Gase  bezügliche  Arbeiten     .      84 

§.     2.     Feststellung  des  zu  untersuchenden  Falles 85 

§.  3.  Beweguugszüstand  nach  der  kinetischen  Gastheorie  und  ins- 
besondere Verhalten  der  ausgesaudten  Molecüle 86 

§.  4.  Eliminirung  des  Einflusses,  welchen  der  Unterschied  der  Massen- 
bewegung auf  den  Durchgang  der  Molecüle  durch  das  Gas 

ausübt "^0 

§.     5.     Positive  Bewegungsgrösse  der  Massenbewegung,  welche  durch 

die  yz-'Ehene  geht 93 

§.     6.     Ausdruck  des  Reibungscoefficienten 95 

§.     7.     Verhalten  des  vorstehenden  Ausdrucks 97 

§.  8.  Bestimmung  des  in  dem  Ausdruck  von  i]  vorkommenden  Inte- 
grals unter  Anwendung  des  Maxwell'schen  Geschwindig- 
keitsgesetzes         99 

S.     9.     Weitere  Umformungen  des  gewonnenen  Ausdruckes 102 


InhaltsverzeichnisR.  XV 

Abschnitt   IV. 

Ueber   die  Wärmeleitung  gasförmiger   Körper. 

Seite 

§.     1.     Veranlassung  der  Untersuchung 105 

I.    Verhalten  der  in  dem  betrachteten  Falle  von  einer 

unendlich    dünnen    Schicht    ausgesandten    Mole- 

cüle 107 

§.    2.     Feststellung  des  zu  betrachtenden  Falles 107 

§.  3.  Definition  des  durch  Leitung  entstehenden  Wärmestromes  .  .  108 
§.     4.     Zwei  Arten  von  Verschiedenheiten  zwischen   den  Bewegungen 

der  Molecüle 109 

§.     5.     Allgemeiuer  Charakter  der  durch  den  speciellen  Fall  bedingten 

Verschiedenheiten 111 

§.     6.     Mathematische  Formeln  für  die  Bewegungen  der  ausgesandten 

Molecüle 114 

IL    Bestimmung    der    durch    eine    Ebene    gehenden 

Masse,    Bewegungsgrösse    und    lebendigen    Kraft    118 

§.  7.  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  ein  von  einer  unendlich  dünnen 
Schicht  in  gegebener  Richtung  ausgesandtes  Molecül  eine 
gegebene,  auf  der  x-Axe  senkrechte  Ebene  erreicht  und 
durchdringt 118 

§.  8.  Bestimmung  der  Masse,  der  positiven  Bewegungsgrösse  und 
der  lebendigen  Kraft,  welche  durch  die  betreffende  Ebene 
gehen 122 

§.     9.     Weitere  Behandlung  der  aufgestellten  Gleichungen 125 

§.  10.  Bedingungen,  welchen  die  Grössen  E,  F  und  G  genügen  müssen, 
und  daraus  hervorgehende  weitere  Vereinfachung  der 
Ausdrücke 129 

IIL    Umgekehrte  Betrachtung  zur   Bestimmung  von  jj 

durch^ 131 

Bewegungszustaud    der   in    einer    dünnen    Schicht    gleichzeitig 

vorhandenen  Molecüle 131 

Ausdruck  der  Anzahl  und  positiven  Bewegungsgrösse  der  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  in  der  Schicht  zusammenstossenden 
und  nach  den  Stössen  von  ihr  ausgesandten  Molecüle    .    .    135 

Ausführung  der  in  den  Gleichungen  (31)  und  (32)  vorkommen- 
den Integrationen ■    .    140 

Vergleichung  des  im  vorigen  Paragraphen  gewonnenen  Resul- 
tates mit  der  in  §.  6  gemachten  Annahme,  und  daraus 
hervorgehende  Folgerungen 143 

IV.   Endresultate ,    .    .    .    .  144 

§.  15.     Zustand  des  Gases 144 

§.  16.     Umgestaltung  der  Wärmeleitungsformel 145 

§.  17.     Schlüsse  über  die  Wärmeleitung 147 


§• 

11. 

§• 

12. 

§. 

13, 

§• 

14. 

XVI  Inlialtsverzeiclmiss. 

Seite 

§.  18.     Vergleichuug  verschieclenei'  zweiatomiger  Gase 148 

§.  19.     Numerische  Bereclinung  des  Leitungsvermögens 149 

§.  20.     Numerische  Werthe  von  K 152 

§.  21.     Vergleichung    des    vorstehenden    Werthes    mit    dem    Leitungs- 
vermögen eines  Metalles 154 

§.  22.     Zusammenfassung  der  erhaltenen  Resultate 155 


Anhang. 

Abhandlung  I.     Ueber  die  Natur  des  Ozon 157 

Abhandlung  IL     Ueber  den  Unterschied  zwischen  activem  und  gewöhn- 
lichem Sauerstoff 164 

Abhandlung  III.     Zur  Geschichte  des  Ozon 181 

Abhandlung  IV.     Ueber  das  Verhalten  der  Kohlensäure  in  Bezug  auf 

Druck,  Volumen  und  Temperatur 184 

Abhandlung  V.     Ueber    einige    neue    Untersuchungen    über    die    mitt- 
lere Weglänge  der  Gasmolecüle 204 

Abhandlung    VI.     Ueber    die    theoretische    Bestimmung    des     Dampf- 
druckes   und    der    Volumina    des    Dampfes    und    der    Flüssigkeit. 

I.  Aufsatz 215 

Dasselbe.    IL  Aufsatz 227 

Abhandlung   VII.     Ueber  die  Dimensionen  und  die  gegenseitigen  Ab- 
stände der  Molecüle 241 

Abhandlung  VIII.     Prüfung  der  Einwände  von  Hirn  gegen  die  kine- 
tische Theorie  der  Gase 248 


ABSCHNITT    I. 


Art  der  Bewegung-,  welche   wir  Wärme  nennen, 

§.  1.     Specielle,   Ton    den    allgemeinen    Schlüssen 
unabhängige  Vorstellung  von  der  \\"ärnie. 

Im  ersten  Bande  dieses  Buches  ist  bei  der  Entwickelung  der 
mechanischen  Wärmetheorie  die  Frage,  was  für  eine  Art  von 
Bewegung  man  zur  Erklärung  der  Wärme  annehmen  müsse,  un- 
erörtert  geblieben.  Alle  dort  gezogenen  Schlüsse  beruhen  auf 
einigen  allgemeinen  Sätzen,  die  man  als  richtig  anerkennen  kann, 
ohne  eine  bestimmte  Annahme  über  die  Natur  der  Wärme  zu 
machen.  Auch  wenn  man  den  ersten  Hauptsatz  der  mechanischen 
Wärmetheorie,  nämlich  den  Satz  von  der  Aequivalenz  von  Wärme 
und  Arbeit,  nicht  als  einen  für  die  Wärme  allein  geltenden  Satz, 
sondern  als  Folgerung  aus  dem  allgemeinen  mechanischen  Satze 
von  der  Aequivalenz  von  lebendiger  Kraft  und  Arbeit  betrachtet, 
indem  man  von  der  Voraussetzung  ausgeht,  dass  die  Wärme  eine 
Bewegung  sei,  braucht  man  sich  nicht  an  eine  bestimmte  Art 
von  Bewegung  zu  binden,  da  jener  mechanische  Satz  für  alle 
Bewegungen  gilt.  Ich  habe  daher  bei  allen  bisher  mitgetheilten 
Schlussfolgerungen,  um  ihre  Unabhängigkeit  von  speciellen  Hypo- 
thesen ausser  Zweifel  zu  stellen,  ein  l)esonderes  Gewicht  darauf 
gelegt,  die  Art  der  Bewegung,  welche  als  Wärme  wahrgenommen 
wird,  ganz  unerwähnt  zu  lassen. 

Meine  Untersuchungen  selbst  waren  aber  nicht  so  frei  von 
dem  Nebengedanken  an  eine  Hypothese  geblieben.  Es  ist  ein 
dem  Geiste  eingeborenes  Bedürfniss,  allgemeine  Begriffe  auch  mit 
speciellen  Vorstellungen  zu  verknüpfen,  und  so  hatte  ich  schon 
im  Beginn  meiner  auf  die  Wärme  bezüglichen  Arbeiten  versucht, 

Clausius,  mechan.  Wännetheorie,    ni.  -j 


2  Abschnitt  I. 

mir  von  dem  inneren  Bewegungszustande  eines  warmen  Körpers 
Rechenschaft  zu  geben  und  hatte  mir  eine  Vorstellung  darüber 
gebildet,  die  ich  schon  vor  meiner  ersten  Publication  über  die 
Wärme  zu  verschiedenen  Untersuchungen  und  Rechnungen  an- 
gewandt hatte.  Diese  Vorstellung  war  von  Allem,  was  ich  bis 
dahin  über  die  Ansichten  anderer  Physiker  erfahren  hatte,  so 
verschieden,  dass  ich  sie  für  vollständig  neu  hielt. 

Später  erfuhr  ich  von  William  Siemens,  als  ich  ihm  bei 
einer  gelegentlichen  Unterhaltung  einige  Mittheilungen  über  meine 
Vorstellung  vom  gasförmigen  Zustande  machte,  dass  auch  Joule 
eine  derartige  Idee  ausgesprochen  habe.  Obwohl  er  mir  über 
die  Einzelheiten  des  Joule'  sehen  Aufsatzes  nichts  Näheres  sagen 
konnte,  und  ich  auch  sonst  keine  Gelegenheit  hatte,  denselben 
kennen  zu  lernen  i),  so  ergab  sich  aus  der  Mittheilung  doch,  dass 
meine  Ansicht  nicht  so  neu  war,  als  ich  geglaubt  hatte,  und  ich 
hielt  es  daher  um  so  weniger  für  nöthig,  mit  ihrer  Veröffent- 
lichung besonders  zu  eilen. 

Als  aber  i.  J.  18.56  ein  Aufsatz  von  Krönig  unter  dem  Titel 
„Grundzüge  einer  Theorie  der  Gase"  erschien  2),  in  welcher  ich 
einen  Theil  meiner  Ansichten  wiederfand,  so  glaubte  ich  nun  auch 
den  Theil  meiner  Ansichten,  den  ich  in  ihr  nicht  fand,  oder  der 
mit  ihrem  Inhalte  nicht  übereinstimmte,  veröffentlichen  zu  müssen, 
was  in  einem  1857  in  Pogg.  Ann.  (Bd.  100,  S.  353)  erschienenen 
Aufsatze  geschah,  dessen  Inhalt,  vermehrt  durch  einige  nachträg- 
liche Hinzufügungen,  den  Gegenstand  dieses  Abschnittes  bildet  '■). 


1)  Joule  hat  seiueu  Aufsatz  i.  ,J.  1848  in  der  Lit.  and  Phil.  Soc.  of 
Manchester  gelesen  und  dann  in  den  Mem.  dieser  Gesellschaft  (Vol.  IX, 
p.  107,  1851)  veröffentlicht,  welche  in  Deutschland  wenig  verbreitet  sind. 
Erst  viel  später,  i.  J.  1857,  hat  er  ihn  auf  einen  von  mir  ausgesprochenen 
Wunsch  noch  einmal  im  Phil.  Mag.  (4tii  Ser.,  Vol.  XIV,  p.  211)  abdrucken 
lassen. 

_^,  "  2)  Zuerst  als   besondere,   bei   A.  W.  Hagen    erschienene   Schrift   und 
dann  in  Pogg.  Ann.,  Bd.  99,  S.  .315. 

3)  Nachdem  durch  die  neueren  Publicationen  die  Aufmerksamkeit 
weiterer  Kreise  auf  diesen  Gegenstand  gelenkt  war,  hat  man  auch  in  älteren 
Schriften  Stellen,  welche  sich  in  ähnlichem  Sinne  aussprechen,  aufgefunden 
und  ihnen  ein  erhöhtes  Interesse  zugewandt. 

Joule  selbst  hatte  schon  Herapath  als  ihm  vorangehend  erwähnt. 
Später  hat  P.  du  Bois-Eeymond  darauf  hingewiesen,  dass  schon  Dan. 
Bernoulli  in  seiner  Hydrodynamica  dieselbe  Ansicht  ausgesprochen  und 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  entwickelt  hat.  Einige  Zeit  darauf  bin  ich 
auf  ein  von  P  r  e  v  o  s  t   herausgegebenes  Buch  aufmerksam  gemacht  (Deux 


Art  dei'  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen. 


§.  2.     Bewegungen,  welche   in    gasförmigen    Körpern 
angenommen  werden. 

Die  neue  Gastheorie,  welche  den  Namen  der  Vineiischen 
erhalten  hat,  nimmt  an,  dass  die  Gasmolecüle  nicht  um  bestimmte 
Gleichgewichtslagen  oscilliren,  sondern  sich  in  gerader  Linie  mit 


Traites  de  Physique  mecanique,  puhlies  par  Pierre  Prevost,  Geneve 
et  Paris  1818),  welches  zwei  Abhaudlungen  enthält,  eine  von  G.  L. Le  Sage, 
welche  Prevost  nach  dessen  Tode  herausgegeben  hat,  und  eine  von 
Prevost  selbst,  in  welcher  die  Ansichten  von  Le  Sage  weiter  entwickelt 
sind.  In  diesen  Abhandlungen  findet  sich  ebenfalls  die  Idee  ausgesprochen 
und  behandelt,  dass  die  Molecüle  der  Gase  sich  in  fortschreitenden  Bewe- 
gungen befinden,  und  wenn  auch  in  Bezug  auf  die  Entstehung  und  Erhal- 
tung dieser  Bewegungen  manches  darin  vorkommt,  was  von  meinen  An- 
sichten sehr  al)weicht,  so  ist  doch  die  Art,  wie  die  Expausivkraft  des  Gases 
daraus  erklärt  wird,  im  Wesentlichen  dieselbe. 

Le  Sage  führt  wiederum  eine  Reihe  von  Autoreu  au,  welche  schon 
vor  ihm  ähnliche  Ideen  gehabt  haben,  indem  er  auf  S.  126  wörtlich  sagt: 
„Ou  trouve  des  vestiges  de  cette  opinion  sur  la  nature  de  l'air.  et  meme 
„de  quelques  autres  fluides,  dans  divers  auteurs  qui  m'out  precede:  Lucrece, 
„livre  II,  vers  111 — 140.  Gassendi,  dans  la  premiere  section  de  sa  Physique, 
„au  milieu  du  8e  chapitre  du  4e  livre,  et  au  commencement  du  4e  chapitre 
„du  6e  livre.  Boyle  dans  ses  Nouvelles  Experiences  physico  -  mecaniques 
„sur  la  force  elastique  de  l'air  et  sur  ses  eftets,  ainsi  que  dans  son  Traite 
„sur  la  fluidite  et  la  durete.  Parent,  dans  l'Histoire  de  l'Academie  des 
„Sciences  de  Paris,  xjour  1708,  ä  la  suite  des  Variations  observees  dans  la 
„regle  de  Mariotte  sur  la  dilatation  de  l'air.  Phoronomie  de  Hermau. 
„livre  II,  chap.  6.  Dan.  Bernoulli,  dans  la  10?  section  de  son  Hydro- 
„dynamique.  Enfin  Dan.  et  Jean  Bernoulli,  dans  une  des  pieces  qui  out 
„eu  part  au  i^rix  de  l'Acad.  des  Sc.  de  Paris,  eu  1746." 

Ich  brauche  wohl  kaum  zu  bemerken,  dass  ich,  als  ich  meine  Abhand- 
lung schrieb,  von  diesen  früher  vorhandenen  Erklärungsversuchen  des  gas- 
förmigen Zustandes  nichts  gewusst  habe;  ich  würde  es  sonst  gewiss  nicht 
unterlassen  haben,  sie  neben  denjenigen  von  Krönig  und  Joule  ebenfalls 
zu  erwähnen.  Bei  der  grossen  Anzahl  von  xlutoren ,  die  nun  schon  in 
dieser  Beziehung  citirt  sind,  und  denen  sich  vielleicht  noch  andere  anreihen 
lassen  werden ,  die  sich  aber ,  wie  ich  vermuthe ,  obwohl  ich  die  älteren 
nicht  nachgelesen  habe,  zum  Theil  nur  ziemlich  unbestimmt  geäussert 
haben  mögen,  würde  es  wohl  schwer  sein,  denjenigen  mit  Sicherheit  anzu- 
geben, dem  die  erste  Aufstellung  der  Hypothese  zuzuschreiben  ist,  und 
es  wird  sich  wohl  nur  feststellen  lassen ,  wie  viel  die  einzelneu  Autoren 
dazu  beigetragen  haben ,  die  unbestimmte  Idee  zu  einer  annehmbaren 
physikalischen  Theorie  zi;  entwickeln. 

1* 


4  Abschnitt  I. 

constaiiter  Geschwindigkeit  fortbewegen,  bis  sie  gegen  andere 
Gasmolecüle  oder  gegen  eine  für  sie  undurchdringliche  Wand 
stossen,  und  dann  durch  Abprallen  neue  Bewegungsrichtungen 
annehmen,  wobei  aber  die  lebendige  Kraft  ihrer  Bewegungen 
durchschnittlich  eben  so  gross  bleibt,  wie  vor  den  Stössen. 

Durch  diese  von  den  Molecülen  auf  jede  ihrer  Bewegung 
Widerstand  leistende  Wand  ausgeübten  Stösse  erklärt  sich  die 
Expansivkraft  des  Gases,  wie  weiterhin  noch  näher  besprochen 
werden  soll.  Indessen  liegt  darin,  dafs  die  fortschreitende  Be- 
wegung der  Molecüle  zur  Erklärung  der  Expansivkraft  ausreicht, 
kein  Beweis  dafür,  dass  sie  die  einzig  vorhandene  Bewegung  sei, 
sondern  es  können  gleiclizeitig  mit  ihr  auch  noch  andere  Be- 
wegungen existiren,  und  es  liegen  sogar  bestimmte  Gründe  vor, 
solche  anzunehmen. 

Zunächst  liegt  es  nahe,  neben  der  fortschreitenden  Bewegung 
auch  eine  rotirende  Bewegung  der  Molecüle  anzunehmen,  da  bei 
jedem  Stosse  zweier  Körper  gegen  einander,  wenn  er  nicht  zu- 
fällig central  und  gerade  ist,  ausser  der  fortschreitenden  Be- 
wegung auch  eine  rotirende  entsteht. 

Ferner  glaube  ich,  dafs  innerhalb  der  einzelnen,  in  fort- 
schreitender Bewegung  begriffenen  Massen  auch  eine  Vibration 
stattfindet.  Solche  Vibrationen  sind  in  verschiedener  Weise 
denkbar.  Selbst  wenn  man  sich  auf  die  Betrachtung  der  ponde- 
rablen  Atome  allein  beschränkt,  und  diese  als  absolut  starr  an- 
sieht, so  bleibt  es  doch  noch  möglich,  dass  ein  Molecül,  welches 
aus  mehreren  Atomen  besteht,  nicht  ebenfalls  eine  absolut  starre 
Masse  bildet,  sondern  dass  in  ihm  die  einzelnen  Atome  inner- 
halb gewisser  Grenzen  beweglich  sind,  und  daher  gegen  einander 
schwingen  können. 

Zugleich  will  ich  noch  bemerken,  dass  dadurch,  dass  man 
den  ponderablen  Atomen  selbst  eine  Bewegung  zuschreibt,  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dafs  jedes  ponderable  Atom  noch  mit  einer 
Quantität  eines  feineren  Stoffes  begabt,  und  dieser,  ohne  sich 
von  dem  Atom  zu  trennen,  doch  in  seiner  Nähe  beweglich  sein 
könne. 

Durch  eine  am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  mitgetheilte  mathe- 
matische Betrachtung  lässt  sich  nachweisen,  dass  die  lebendige 
Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  zu  gering  ist,  um  allein  die 
ganze  in  dem  Gase  vorhandene  Wärme  darzustellen ,  so  dass 
man  schon  dadurch,  ohne  auf  die  sonstigen  Wahrscheinlichkeits- 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  5 

gründe  einzugehen,  genöthigt  ist,  noch  eine  oder  mehrere  andere 
Bewegungen  anzunehmen.  Der  Ueberschuss  der  gesammten 
lebendigen  Kraft  über  diejenige  der  fortschreitenden  Bewegun-g 
allein  ist  nach  dieser  Rechnung  besonders  bedeutend  bei  den 
Gasen  von  complicirter  chemischer  Zusammensetzung,  bei  denen 
eine  grosse  Anzahl  von  Atomen  zu  einem  Molecül  gehört. 

§.3.  Verhältniss  zwischen  den  verschiedenen  gleichzeitig 
stattfindenden  Bewegungen. 

Die  fortschreitende  Bewegung  der  ganzen  Molecüle  und  die 
verschiedenen  Bewegungen,  welche  die  einzelnen  Bestandtheile 
der  Molecüle  noch  ausserdem  haben,  und  welche  ich  kurz  die 
Bewegungen  der  Bestandtheile  nennen  will,  werden  bei  einem 
seiner  Natur  und  Beschaffenheit  nach  bestimmten  Gase  immer 
in  einem  constanten  Verhältnisse  zu  einander  stehen. 

Denkt  man  sich  eine  Anzahl  von  Molecülen,  deren  Bestand- 
theile in  lebhafter  Bewegung  sind,  die  aber  keine  fortschreitende 
Bewegung  haben,  so  wird  diese  von  selbst  entstehen,  indem  zwei 
sich  berührende  Molecüle  durch  die  Bewegung  der  Bestandtheile 
von  einander  gestossen  werden,  wobei  natürlich  die  Bewegung  der 
Bestandtheile  einen  entsprechenden  Verlust  an  lebendiger  Kraft 
erleiden  muss.  Umgekehrt,  wenn  eine  Anzahl  in  fortschreitender 
Bewegung  begriffener  Molecüle  in  ihren  Bestandtheilen  keine  Be- 
wegung hätte,  so  würde  diese  bald  durch  die  Stösse  der  Molecüle 
gegen  einander  und  gegen  die  festen  Wände  erzeugt  werden.  Erst 
wenn  alle  Bewegungen,  welche  überhaupt  entstehen  können,  ein 
gewisses  von  der  Beschaffenheit  der  Molecüle  abhängiges  Ver- 
hältniss zu  einander  haben,  werden  sie  sich  gegenseitig  nicht 
weiter  vermehren  oder  vermindern. 

Damit  ist  nicht  gemeint,  dass  bei  jedem  ehizelnen  Molecüle 
dieses  bestimmte  Verhältniss  zwischen  den  verschiedenen  Be- 
wegungen eintrete  und  bei  den  weiteren  Stössen  unverändert 
fortbestehe,  sondern  es  handelt  sich  hier  nur  um  die  auf  sehr 
viele  Molecüle  hezüglichen  Mitteliverthe  und  zwar  um  die  Mittel- 
werthe  der  lebendigen  Kräfte  der  Bewegungen. 

Wenn  zwei  Molecüle,  deren  Bestandtheile  in  Bewegung  sind, 
gegen  einander  stossen,  so  werden  sie  nicht  nach  den  gewöhn- 
lichen Elasticitätsgesetzen,  wie  zwei  elastische  Kugeln,  von  ein- 
ander abprallen,  sondern  die  Geschwindigkeiten  und  Richtungen, 


6  Absclinitt  I. 

in  welchen  sie  auseinander  fliegen,  werden  ausser  von  der  Be- 
wegung, welche  die  ganzen  Molecüle  vor  dem.  Stosse  hatten,  noch 
von  der  augenhlicklich  stattfindenden  Bewegung  derjenigen  Be- 
standtheile,  welche  sich  beim  Stosse  am  nächsten  kommen,  ab- 
hängen. Wenn  aber  die  verschiedenen  Bewegungen  sich  einmal 
so  ausgeglichen  haben,  dass  die  fortschreitende  Bewegung  durch 
die  Bewegungen  der  Bestandtheile  durchschnittlich  nicht  ver- 
mehrt oder  vermindert  wird,  so  kann  man  bei  der  Untersuchung 
der  Gesammtwirkung  einer  grossen  Anzahl  von  Molecülen  die 
bei  den  einzelnen  Stössen  vorkommenden  Unregelmässigkeiten 
vernachlässigen,  und  annehmen,  dass  die  Molecüle  in  Bezug  auf 
die  fortschreitende  Bewegung  den  gewöhnlichen  Elasticitäts- 
gesetzen  folgen. 

§.  4.     Erklärung  der  Expansivkraft  des  Gases. 

Um  die  Expansivkraft  des  Gases  zu  erklären,  denken  wir 
uns  eine  Quantität  desselben  in  einem  festen  Gefässe  ein- 
geschlossen, und  betrachten  einen  kleinen  Theil  der  inneren 
Oberfläche  der  Gefässwand,  Gegen  dieses  Flächenstück  stossen 
fortwährend  Molecüle,  deren  Bewegungsrichtungen  mit  der  auf 
dem  Flächenstücke  nach  aussen  hin  errichteten  Normale  Winkel 
bilden,  die  kleiner  sind  als  90*^.  Jedes  dieser  Molecüle  verlässt 
die  Wand  nach  sehr  kurzer  Zeit  wieder  und  fliegt  nach  dem 
inneren  Raum  des  Gefässes  zurück.  Wenn  das  Molecül  sich 
ganz  wie  eine  elastische  Kugel  verhielte,  die  gegen  eine  feste 
Wand  stösst,  so  würde  es  beim  Verlassen  der  Fläche  dieselbe 
Geschwindigkeit,  wie  beim  Heranfliegen,  und  eine  Bewegungs- 
richtung haben,  die  mit  der  nach  innen  gerichteten  Normale 
denselben  Winkel  bildete,  wie  die  Bewegungsrichtung  des  an- 
kommenden Molecüls  mit  der  nach  aussen  gerichteten  Normale. 

So  regelmässig  ist  nun  in  der  Wirklichkeit  der  Vorgang 
nicht.  Da  das  gegen  die  Wand  fliegende  Molecül  aus  Atomen 
besteht,  die  ausser  der  Gesammtbewegung  des  Molecüls  noch  be- 
sondere Bewegungen  haben,  und  da  ferner  auch  die  Wand  aus 
Molecülen  und  Atomen  besteht,  die  trotz  der  scheinbaren  Ruhe 
der  Wand  doch  kleine  Bewegungen  machen,  so  haben  wir  es 
bei  einem  Stosse  nicht  nur  mit  einer  einfachen  Wechselwirkung 
des  ganzen  Molecüls  und  der  festen  Wand,  sondern  auch  mit 
der   besonderen   Wechselwirkung  der    vom   Stosse    zunächst   be- 


Art  der  Bewegung,  welche  wii-  Wämie  nennen.  f 

troffenen  Bestandtheile  zu  thun.  Je  nach  den  Phasen,  welche 
die  Bewegungen  der  Letzteren  im  Momente  des  Stosses  haben, 
können  sie  die  durch  den  Stoss  entstehende  Bewegung  des  ganzen 
Molecüls  in  verschiedenen  Weisen  beeinflussen. 

Dieses  bezieht  sich  aber  nur  auf  die  einzelnen  Stösse.  lin 
Allgemeinen  kann  man,  unter  der  Voraussetzung,  dass  alle  den 
Umständen  nach  möglichen  Bewegungen  zu  einander  in  dem 
oben  erwähnten  bleibenden  Verhältnisse  stehen,  annehmen,  dass 
die  Molecüle  nach  dem  Abprallen  durchschnittlich  dieselbe 
lebendige  Kraft  haben,  wie  beim  Heranfliegen,  und  dass  unter 
den  abgeprallten  Molecülen  alle  von  der  Wand  fortgehenden 
Richtungen  ebenso  vertreten  sind,  wie  unter  den  heranfliegenden 
Molecülen  die  nach  der  Wand  hingehenden  Richtungen.  Wenn 
dieses  als  feststehend  betrachtet  wird,  so  macht  es  bei  der  Be- 
stimmung des  Druckes  keinen  Unterschied  mehr,  wenn  man  statt 
der  nur  durchschnittlichen  Gleichheit  eine  bei  jedem  einzelnen 
Stosse  stattfindende  Gleichheit  annimmt,  d.  h.  wenn  man  an- 
nimmt, dass  die  Molecüle  nach  denselben  Gesetzen  abprallen, 
wie  elastische  Kugeln  von  einer  festen  Wand. 

Denken  wir  uns  nun  eine  solche  Kugel  in  irgend  einer 
Richtung  gegen  die  Wand  fliegend,  so  können  wir  uns  ihre 
fortschreitende  Bewegung  in  zwei  Componenten  zerlegen,  deren 
eine  parallel  der  Wand  und  die  andere  senkrecht  zur  Wand  ist. 
Die  erstere  wird  durch  den  Stoss  nicht  geändert,  die  letztere 
dagegen  verwandelt  sich  in  eine  andere,  welche  ihr  der  absoluten 
Grösse  nach  gleich,  der  Richtung  nach  aber  entgegengesetzt  ist. 
Diese  Umänderung  kann  man  so  auflassen,  dass  die  Kugel  durch 
die  von  der  Wand  auf  sie  ausgeübte  Kraft  eine  nach  innen  ge- 
richtete normale  Bewegungsgrösse  erhält,  welche  doppelt  so  gross 
ist,  als  ihre  ursprünglich  vorhandene,  nach  aussen  gerichtete. 
Die  erste  Hälfte  derselben  dient  dazu,  die  nach  aussen  gerichtete 
Bewegungsgrösse  aufzuheben,  und  die  zweite  bleibt  nach  dem 
Stosse  bestehen.  Die  Wand  empfängt  dabei  durch  Reaction  eine 
nach  aussen  gerichtete  normale  Bewegungsgrösse,  welche  eben- 
falls doppelt  so  gross  ist,  als  diejenige,  welche  die  Kugel  ur- 
sprünglich hatte  1). 


1)  Krönig  hat  bei  seiner  Bestimmung  der  Expansivkraft  nur  die  ein- 
fache Bewegungsgrösse  der  die  Wand  treffenden  Molecüle  in  Rechnung 
gebracht,  und  daher  hat  er  auch  die  Expansivkraft  nur  halb  so  gross  ge- 
funden, als  sie  in  Wirklichkeit  ist. 


8  Absclmitt  I. 

Derselbe  Vorgang  findet  bei  jedem  Stosse  eines  Molecüls 
statt.  Dabei  ist  aber  zu  bemerken,  dass  die  Wirkung  jedes 
einzelnen  Stosses  wegen  der  Kleinheit  der  Molecüle  sehr  gering, 
und  dafür  die  Anzahl  der  selbst  die  kleinsten  unserer  Beobach- 
tung zugänglichen  Flächenstückchen  während  der  Zeiteinheit 
treffenden  Stösse  sehr  gross  ist.  Dadurch  entsteht  für  unsere 
Wahrnehmung  der  x\nschein,  als  ob  die  Wand  die  ihr  mitgetheilte 
Bewegungsgrösse  nicht  durch  einzelne  Stösse,  sondern  durch 
eine  stetig  wirkende,  von  innen  nach  aussen  gerichtete  Kraft 
erhielte.  Diese  Kraft  ist  es,  welche  wir  die  Expansivkraft  des 
Gases  nennen.  Sie  muss  durch  eine  andere,  ihr  entgegen  wir- 
kende Kraft  aufgehoben  werden,  wenn  die  Wand  durch  sie  nicht 
in  Bewegung  gerathen  soll. 

Was  die  Grösse  der  Expansivkraft  anbetrifft,  so  lässt  sich 
schon  durch  eine  oberftächliche  Betrachtung  einigermaassen  er- 
kennen, von  welchen  Umständen  sie  abhängen  und  in  welcher 
Weise  die  Abhängigkeit  stattfinden  muss. 

Wenn  die  Dichtigkeit  des  Gases  zunimmt,  und  daher  die  in 
der  Raumeinheit  vorhandene  Anzahl  der  Molecüle  sich  vermehrt, 
so  muss  sich  dadurch  auch  die  Anzahl  der  Stösse  vermehren, 
und  zwar  muss  unter  sonst  gleichen  Umständen  die  Anzahl  der 
Stösse  in  demselben  Verhältniss  wachsen,  wie  die  Anzahl  der  in 
der  Raumeinheit  vorhandenen  Molecüle.  Demnach  muss  der 
Druck  im  Verhältnisse  der  Dichtigkeit  zunehmen,  was  dem 
Mariotte' sehen  Gesetze  entspricht. 

Wenn  ferner  die  allgemeine  Bewegungsgeschwindigkeit  der 
Molecüle  sich  ändert,  so  tritt  dadurch  in  Bezug  auf  die  Stösse 
eine  doppelte  Aenderung  ein.  Erstens  wächst  mit  der  Ge- 
schwindigkeit die  Anzahl  der  Stösse,  und  zwar,  unter  sonst 
gleichen  Umständen,  in  demselben  Verhältnisse,  wie  die  Ge- 
schwindigkeit. Zweitens  wächst  die  Stärlie  der  Stösse,  und  auch 
dieses  findet  in  demselben  Verhältnisse  statt,  wie  die  Zunahme 
der  Geschwindigkeit.  Demnach  muss  der  durch  die  Gesammt- 
wirkung  der  Stösse  entstehende  Druck  Avie  das  Quadrat  der 
Geschwindigkeit  wachsen.  Nehmen  wir  nun  an,  dass  die  absolute 
Temperatur  das  Maass  der  lebendigen  Kraft  der  fortschreitenden 
Bewegung  der  Molecüle  bilde  und  somit  dem  Quadrate  der  Ge- 
schwindigkeiten proportional  sei,  so  erhalten  wir  aus  dem  vor- 
stehenden Ergebnisse  das  Gay-Lussac'sche  Gesetz. 


Art  dei-  Bewegung,  welche  wir  Wäraae  nennen.  9 

Um  auch  den  numerischen  Werth  des  Druckes  aus  der  An- 
zahl und  Geschwindigkeit  der  Molecüle  berechnen  zu  können, 
muss  eine  mathematische  Betrachtung  angestellt  werden,  welche 
an  dieser  Stelle  den  Gang  der  Auseinandersetzungen  zu  sehr 
unterbrechen  würde  und  daher  erst  am  Schlüsse  dieses  Ab- 
schnittes neben  anderen  mathematischen  Entvvickelungen  Platz 
finden  soll. 


§,  .5.     Gründe,  weshalb   die   Gase   dem  Mariotte'schen 
und  Gay-L ussac'schen  Gesetze  nicht  genau  folgen. 

Das  bisher  Gesagte  gilt  nur  von  den  schwer  condensirbaren 
Gasen,  welche  man  früher  permanente  Gase  nannte,  und  auch 
von  diesen  nur  angenähert.  Der  Grund  der  vorkommenden 
kleinen  Abweichungen  lässt  sich,  wenigstens  im  Allgemeinen, 
ohne  Schwierigkeit  einsehen. 

Damit  das  Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche  Gesetz 
und  die  mit  ihm  in  Verbindung  stehenden  Gesetze  streng  gültig 
seien,  muss  das  Gas  in  Bezug  auf  seinen  Molecularzustand  fol- 
genden Bedingungen  genügen: 

1)  Der  Raum,  welchen  die  Molecüle  des  Gases  wirklich  aus- 
füllen, muss  gegen  den  ganzen  Raum,  welchen  das  Gas  einnimmt, 
verschwindend  klein  sein. 

2)  Die  Zeit  eines  Stosses,  d.  h.  die  Zeit,  welche  ein  Molecül, 
indem  es  gegen  ein  anderes  Molecül  oder  eine  feste  Wand 
stösst,  bedarf,  um  seine  Bewegung  in  der  "Weise  zu  ändern,  wie 
es  durch  den  Stoss  geschieht,  muss  gegen  die  Zeit,  welche 
zwischen  zwei  Stössen  vergeht,  verschwindend  klein  sein. 

3)  Der  Einiiuss  der  Molecularkräfte  muss  verschwindend 
klein  sein.  Hierin  liegt  Zweierlei.  Zunächst  wird  gefordert,  dass 
die  Kraft,  mit  welcher  die  sämmtlichen  Molecüle  sich  in  ihren 
mittleren  Entfernungen  noch  gegenseitig  anziehen,  gegen  die  aus 
der  Bewegung  entstehende  Expansivkraft  verschwindet.  Nun  be- 
finden sich  aber  die  Molecüle  nicht  immer  in  ihren  mittleren 
Entfernungen  von  einander,  sondern  bei  der  Bewegung  kommt 
oft  ein  Molecül  in  unmittelbare  Nähe  eines  anderen  oder  einer 
ebenfalls  aus  wirksamen  ^lolecülen  bestehenden  festen  Wand, 
und  in  solchen  Momenten  treten  natürlich  die  Molecularkräfte 
in  Thätigkeit.      Die  zweite  Forderung  besteht   daher  darin,    dass 


10  Abschnitt  1. 

die  Theile  des  von  einem  Moleciile  beschriebenen  Weges,  auf 
welchen  diese  Kräfte  von  Einfluss  sind,  indem  sie  die  Bewegung 
des  Molecüls  in  Richtung  oder  Geschwindigkeit  merklich  ändern, 
gegen  die  Theile  des  Weges,  auf  welchen  die  Kräfte  als  unwirk- 
sam betrachtet  werden  können,  verschwinden. 

Wenn  diese  Bedingungen  nicht  erfüllt  sind,  so  treten  Ab- 
weichungen von  den  einfachen  Gesetzen  der  Gase  ein,  welche 
nach  verschiedenen  Richtungen  hingehen  können,  indem  jene 
Umstände  theils  Vergrösserung,  theils  Verkleinerung  des  Druckes 
bewirken.  Die  Abweichungen  werden  um  so  bedeutender,  je 
weniger  der  Molecularzustand  des  Gases  diesen  Bedingungen 
entspricht. 

Als  ich  die  im  Jahre  1847  erschienenen  i)  berühmten  Unter- 
suchungen von  Regnault  über  die  Abweichungen  der  Gase  von 
dem  Mariotte' sehen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  kennen 
lernte.,  versuchte  ich  mit  Hülfe  der  eben  angedeuteten  Principien 
aus  der  Art  der  Abweichungen,  welche  Regnault  bei  den  ein- 
zelnen Gasen  gefunden  hat,  einige  Schlüsse  darüber  zu  ziehen, 
welche  Grössen  man  dem  von  den  Molecülen  erfüllten  Räume, 
der  Stosszeit  und  der  Molecularanziehung  bei  den  von  Regnault 
untersuchten  Gasen  zuzuschreiben  hätte.  Indessen  waren  die 
Resultate,  welche  sich  aus  den  Regnault'schen  Beobachtungen 
allein  ziehen  Hessen,  wegen  der  geringen  Ausdehnung  der  bei 
ihnen  angewandten  Druekvermehrung,  zu  unsicher,  um  mir  damals 
zur  Veröffentlichung  geeignet  zu  erscheinen.  Später  sind  von 
anderen  Physikern  Beobachtungen  angestellt,  bei  denen  die  Zu- 
sammendrückung der  Gase  "sehr  viel  weiter  getrieben  ist,  und 
diese  bieten  für  derartige  Schlüsse  eine  zuverlässigere  Grundlage. 
Es  wird  daher  von  diesem  Gegenstande  weiter  unten  noch  einmal 
eingehend  die  Rede  sein. 

Vorläufig  wollen  wir,  wie  bisher,  wenn  von  einem  Gase  die 
Rede  ist,  immer  ein  solches  darunter  verstehen,  welches  die 
vorigen  Bedingungen  vollkommen  erfüllt,  und  welches  Regnault, 
da  alle  wirklich  vorhandenen  Gase  nur  eine  Annäherung  an 
diesen  Zustand  zeigen,  ein  ideelles  Gas  nennt,  während  es  in 
unseren  Auseinandersetzungen  gewöhnlich  ein  vollkommenes  Gas 
genannt  ist. 


1)  Mem.  de  TAc.  des  Sc.  T.  XXI. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  11 


§.  6.     Verhalten  der  Molecüle  in   den   drei  Aggregat- 

ziiständen, 

Nach  diesen  Betrachtungen  über  den  gasförmigen  Zustand 
bietet  sich  von  selbst  die  Frage  dar,  wie  sich  der  feste  und 
flüssige  Zustand  vom  gasförmigen  unterscheiden.  Obwohl  eine 
in  allen  Einzelheiten  genügende  Definition  dieser  Zustände  eine 
viel  vollständigere  Kenntniss  der  einzelnen  Molecüle  erfordern 
würde,  als  wir  bis  jetzt  besitzen,  so  glaube  ich  doch,  dass  sich 
einige  Hauptunterschiede  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  an- 
geben lassen. 

Eine  Bewegung  der  Molecüle  findet  in  allen  drei  Zuständen 
statt. 

Im  festen  Zustande  ist  die  Bewegung  der  Art,  dass  sich  die 
Molecüle  um  gewisse  Gleichgewichtslagen  bewegen,  ohne  diese, 
so  lange  nicht  fremde  Kräfte  auf  sie  einwirken,  ganz  zu  ver- 
lassen. Die  Bewegung  lässt  sich  also  bei  festen  Körpern  als 
eine  vibrirende  bezeichnen,  Indess  kann  sie  doch  noch  von  sehr 
complicirter  Art  sein.  Erstens  können  die  Bestandtheile  eines 
Molecüls  unter  sich,  und  zweitens  die  ganzen  Molecüle  als 
solche  vibriren ,  und  die  letzteren  Vibrationen  können  wieder  in 
Hin-  und  Herbewegungen  des  Schwerpunctes  und  in  Drehungs- 
schwingungen um  den  Schwerpunct  bestehen.  In  solchen  Fällen, 
wo  äussere  Kräfte  auf  den  Körper  wirken,  z.  B.  bei  Erschütte- 
rungen, können  die  Molecüle  auch  bleibend  in  andere  Lagen 
kommen. 

Im  flüssigen  Zustande  haben  die  Molecüle  keine  bestimmte 
Gleichgewichtslage  mehr.  Sie  können  sich  um  ihren  Schwer- 
punct ganz  herumdrehen  und  auch  der  Schwerpunct  kann  sich 
ganz  aus  seiner  Lage  fortbewegen.  Die  auseinander  treibende 
Wirkung  der  Bewegung  ist  aber  im  Verhältniss  zu  der  gegen- 
seitigen Anziehung  der  Molecüle  nicht  stark  genug,  um  die 
Molecüle  ganz  von  einander  zu  trennen.  Es  haftet  zwar  nicht 
mehr  ein  Molecül  an  bestimmten  Nachbarmolecülen ,  aber  es 
verlässt  diese  doch  nicht  von  selbst,  sondern  nur  unter  Mit- 
wirkung der  Kräfte,  welche  es  von  anderen  Molecülen  erleidet, 
zu  denen  es  dann  in  dieselbe  Lage  kommt,  wie  zu  seinen  bis- 
herigen Nachbarmolecülen.     Es  findet    also    in    der  Flüssigkeit 


12  Abschnitt  I, 

eine  schwingende,  wälzende  und  fortschreitende  Bewegung  der 
Molecüle  statt,  aher  so,  dass  die  Molecüle  dadurch  nicht  aus- 
einander getrieben  werden,  sondern  sich  auch  ohne  äusseren 
Druck  innerhalb  eines  gewissen  Volumens  halten. 

Im  gasförmigen  Zustande  endlich  sind  die  Molecüle  durch 
die  Bewegung  ganz  aus  den  Sphären  ihrer  gegenseitigen  An- 
ziehung herausgekommen,  und  fliegen  nun  nach  den  gewöhn- 
lichen Bewegungsgesetzen  geradlinig  fort.  Wenn  zwei  solcher 
Molecüle  in  ihrer  Bewegung  zusammenstossen ,  so  fliegen  sie  im 
Allgemeinen  mit  derselben  Heftigkeit  wieder  auseinander,  mit 
der  sie  zusammengeflogen  sind , '  was  um  so  leichter  geschehen 
kann,  als  ein  Molecül  von  einem  einzelnen  anderen  Molecül  mit 
viel  geringerer  Kraft  angezogen  wird,  als  von  der  ganzen  Menge 
von  Molecülen,  welche  es  im  flüssigen  oder  festen  Zustande  in 
seiner  ^[ähe  hat. 


§.  7.     Erklärung  des  Verdampfungsprocesses. 

Von  hervorragendem  Interesse  schien  es  mir  bei  der  Ent- 
wickelung  der  kinetischen  Gastheorie  zu  sein,  den  Vorgang  der 
Verdampfung  zu  erklären,  welcher  von  den  Autoren,  welche  vor 
mir  diese  Theorie  behandelt  haben,  nicht  in  Betracht  gezogen  war. 

Ich  gelangte  durch  meine  auf  den  Gegenstand  bezüglichen 
Erwägungen  dahin,  mir  von  dem  Verdampfungsprocesse  eine  Vor- 
stellung zu  bilden,  welche  von  den  früher  üblichen  Erklärungen 
derartiger  Processe  sehr  verschieden  war.  Während  man  nämlich 
früher  die  Erklärungen  auf  die  Annahme  solcher  Kräfte  zu  gründen 
pflegte,  die  in  dem  ganzen  Körper  stetig  und  gleichmässig  wirken, 
wurden  in  meiner  Erklärung  Bewegungen  und  mit  ihnen  zu- 
sammenhängende Kräfte  angenommen,  die  in  unregelmässigster, 
ganz  dem  Zufall  unterworfener  Weise  von  Molecül  zu  Molecül 
und  von  Moment  zu  Moment  grosse  Veränderungen  erleiden,  und 
nur  den  allgemeinen  Gesetzen  der  Wahrscheinlichkeit  unterworfen 
sind.  Diese  Erklärung,  mit  welcher  auch  meine  bald  darauf 
gegebene  Erklärung  der  elektrolytischen  Leitung  i)  zusammenhing, 
fand  allmählich  mehr  und  mehr  Anerkennung,  und  das  ihr  zu 
Grunde  liegende   Princip  wurde  später  auch  von   verschiedenen 


1)  Pogg.  Ann.,  Bd.  101,  S.  338,  1857. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  13 

Autoren  auf  die  Dissociation  und  andere  ähnliche  Vorgänge  über- 
tragen ').  Ich  glaube,  meine  Erklärung  hier  einfach  in  ihrer  ur- 
sprünglichen P'orm  folgen  lassen  zu  dürfen. 

Es  ist  im  Vorigen  gesagt,  dass  in  Flüssigkeiten  ein  Molecül 
bei  seiner  Bewegung  in  der  Anziehungsspliäre  seiner  Nachbar- 
molecüle  bleibt,  oder  diese  nur  verlässt,  um  dafür  zu  anderen 
Nachbarmolecülen  in  eine  entsprechende  Lage  zu  kommen.  Dieses 
gilt  aber  nur  von  dem  Mittelwerthe  der  Bewegungen,  und  es  ist, 
da  die  Bewegungen  ganz  unregelmässig  sind,  anzunehmen,  dass  die 
Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Molecüle  von  dem  Mittelwerthe 
nach  beiden  Seiten  innerhalb  weiter  Grenzen  abweichen. 

Betrachten  wir  nun  zunächst  die  Oberfläche  einer  Flüssig- 
keit ,  so  nehme  ich  an ,  dass  in  der  Mannichfaltigkeit  der  Be- 
wegungen hin  und  wieder  der  Fall  eintritt,  dass  ein  Molecül 
durch  ein  günstiges  Zusammentreffen  der  fortschreitenden,  schwin- 
genden und  drehenden  Bewegung  mit  solcher  Heftigkeit  von 
seinen  Nachbarmolecülen  fortgeschleudert  wird,  dass  es,  bevor 
es  durch  die  zurückziehende  Kraft  derselben  diese  Geschwindig- 
keit ganz  verloren  hat,  schon  aus  ihrer  Wirkungssphäre  heraus 
ist,  und  dann  in  dem  über  der  Flüssigkeit  befindlichen  Räume 
weiter  fliegt. 

Denken  wir  uns  diesen  Raum  begrenzt  und  anfänglich  leer, 
so  wird  er  sich  mit  den  fortgeschleuderten  Molecülen  allmählich 
mehr  und  mehr  füllen.  Diese  Molecüle  verhalten  sich  nun  in 
dem  Räume  ganz  wie  ein  Gas,  und  stossen  daher  in  ihrer  Be- 
wegung gegen  die  Wände.  Eine  dieser  Wände  wird  aber  von 
der  Flüssigkeit  selbst  gebildet,  und  diese  wird,  wenn  ein  Molecül 
gegen  sie  stösst,  dasselbe  im  Allgemeinen  nicht  wieder  zurück- 
treiben, sondern  durch  die  Anziehung,  welche  die  übrigen  Mole- 
cüle bei  der  Annäherung  sogleich  wieder  ausüben,  festhalten  und 
in  sich  aufnehmen.  Der  Gleichgewichtszustand  wird  also  eintreten, 
wenn  so  viel  Molecüle  in  dem  oberen  Räume  verbreitet  sind, 
dass  durchschnittlich  während  einer  Zeiteinheit  eben  so  viele 
Molecüle  gegen  die  Flüssigkeitsoberfläche  stossen  und  von  dieser 
festgehalten  werden,  als  andere  Molecüle  von  ihr  ausgesandt 
werden.  Der  eintretende  Gleichgewichtszustand  ist  demnach  nicht 
ein  Ruhezustand ,   in   welchem   die    Verdampfung   aufgehört   hat, 


^)  Siehe   insbesondere   die   interessante  Abhandlung  von  Pfaundler, 
„Beiträge  zur  chemischen  Statik".  Pogg.  Ann.,  Bd.  131,  S.  55,  1867. 


14  Abschnitt  I. 

sondern  ein  Zustand,  in  welchem  fortwährend  Verdampfung  und 
Niederschlag  stattfindet,  die  beide  gleich  stark  sind,  und  sich 
daher  compensiren. 

Die  Dichtigkeit  des  Damj^fes,  welche  zu  dieser  Compensation 
nöthig  ist,  hängt  davon  ab,  wie  viel  Molecüle  während  der  Zeit- 
einheit von  der  Flüssigkeitsoberüäche  ausgesandt  werden,  und 
diese  Anzahl  wiederum  ist  offenbar  von  der  Lebhaftigkeit  der 
Bewegung  innerhalb  der  Flüssigkeit,  d.  h.  von  ihrer  Temperatur, 
abhängig. 

Was  vorher  von  dem  Verhalten  der  Flüssigkeitsoberfläche 
gegen  den  darüber  befindlichen  Dampf  gesagt  ist,  gilt  in  ähnlicher 
Weise  auch  von  den  übrigen  Wänden,  welche  den  mit  Dampf 
gefüllten  Raum  umgrenzen.  Es  schlägt  sich  zuerst  etwas  Dampf 
an  ihnen  nieder,  dieser  ist  dann  selbst  wieder  der  Verdampfung 
unterworfen,  und  es  muss  auch  hier  zuletzt  der  Zustand  ein- 
treten, in  welchem  Verdampfung  und  Niederschlag  einander 
gleich  sind.  Die  Menge  des  auf  der  Oberfläche  condensirten 
Dampfes,  welche  dazu  nöthig  ist,  hängt  ab  von  der  Dichtigkeit 
des  Dampfes  in  dem  umschlossenen  Räume,  von  der  Temperatur 
des  Dampfes  und  der  Wand,  und  von  der  Kraft,  mit  welcher  die 
Darapfmolecüle  von  der  Wand  angezogen  werden.  Das  Maximum, 
welches  in  dieser  Beziehung  eintreten  kann,  besteht  darin,  dass 
die  Wand  ganz  von  der  niedergeschlagenen  Flüssigkeit  benetzt 
wird,  und  nachdem  dieses  geschehen  ist,  verhält  sich  die  Wand 
gerade  so,  wie  die  Oberfläche  der  gleichen  Flüssigkeit. 


§.8.    Einfluss  eines  über  der  Flüssigkeit  befindlichen 
Gases   auf  die  Verdampfung. 

Hieraus  ergiebt  sich  auch  für  die  Erscheinung,  dass  eine 
andere  über  der  Flüssigkeit  befindliche  Gasart  die  Verdampfung 
an  der  Oberfläche  nicht- verhindern,  wohl  aber  bewirken  kann, 
dass  das  Sieden  erst  bei  einer  bestimmten  Temperatur  eintritt, 
eine  wirklich  ausreichende  Erklärung,  während  der  früher  bei 
der  Besprechung  dieser  Erscheinung  gewöhnlich  angeführte 
D alt on' sehe  Ausspruch,  dass  ein  mit  einer  Gasart  erfüllter 
Raum  sich  für  ein  anderes  Gas  wie  ein  leerer  Raum  verhalte, 
nicht  eine  Erklärung,  sondern  nur  eine  veränderte  Darstellung 
der  Erscheinung  giebt. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  15 

Der  Druck  des  Gases  auf  die  Flüssigkeit  besteht  nur  darin, 
dass  bald  hier  bald  dort  einzelne  Gasmolecüle  gegen  die  Flüssig- 
keitsoberfläche  stossen.  Uebrigens  aber  ist  der  Raum  über  der 
Flüssigkeit,  da  die  Gasmolecüle  selbst  nur  einen  sehr  kleinen 
T.heil  desselben  wirklich  ausfüllen,  als  leer  und  für  die  Molecüle 
der  Flüssigkeit  frei  durchdringlich  zu  betrachten.  Im  Allgemeinen 
werden  diese  erst  in  verhältnissmässig  weiten  Entfernungen  von 
der  Oberfläche  gegen  Gasmolecüle  stossen,  und  sich  dann  zu 
ihnen  verhalten,  wie  die  Molecüle  irgend  eines  anderen  beige- 
mischten Gases.  Man  muss  also  schliessen,  dass  die  Flüssigkeit 
auch  in  den  mit  Gas  erfüllten  Raum  ihre  Molecüle  aussendet, 
und  dass  die  Menge  des  dadurch  dem  Gase  beigemischten  Dampfes 
auch  in  diesem  Falle  so  lange  wächst,  bis  durchschnittlich  eben 
so  viele  Dampfmolecüle  gegen  die  Oberfläche  stossen  und  von 
ihr  aufgenommen  werden,  als  sie  selbst  aussendet,  und  die  dazu 
für  die  Raumeinheit  erforderliche  Anzahl  von  Dampfmolecülen 
ist  sehr  nahe  dieselbe,  mag  der  Raum  ausserdem  noch  ein  Gas 
enthalten  oder  nicht. 

Einen  anderen  Einfiuss  übt  aber  der  Druck  des  Gases  auf  das 
Innere  der  Flüssigkeit  aus.  Auch  hier,  oder  an  den  Stellen,  wo 
die  Flüssigkeitsmasse  von  einer  Gefässwand  begrenzt  wird,  kann 
es  vorkommen,  dass  die  Molecüle  sich  mit  solcher  Kraft  von 
einander  werfen,  dass  für  den  Augenblick  der  Zusammenhang 
der  Masse  gelöst  wird.  Der  dadurch  entstehende  kleine  leere 
Raum  ist  aber  von  allen  Seiten  von  blassen  umgeben,  welche 
den  bewegten  Molecülen  keinen  Durchgang  verstatten,  und  er 
wird  sich  daher  nur  dann  zu  einer  Dampfblase  vergrössern  und 
als  solche  erhalten  können,  wenn  fortwährend  von  den  inneren 
Flüssigkeitswänden  so  viel  Molecüle  fortgeschleudert  werden, 
dass  der  dadurch  entstehende  innere  Dampfdruck  dem  Drucke, 
welcher  von  aussen  wirkt  und  die  entstandene  Blase  wieder 
zusammenzudrücken  sucht,  das  Gleichgewicht  halten  kann.  Die 
Expansivkraft  des  eingeschlossenen  Dampfes  muss  demnach  um 
so  grösser  sein,  je  grösser  der  Druck  ist,  unter  dem  die  Flüssig- 
keit steht,  und  es  erklärt  sich  daraus  die  Abhängigkeit  der 
Siedetemperatur  vom  Drucke, 

Wenn  das  über  der  Flüssigkeit  befindliche  Gas  selbst  conden- 
sirbar  ist  und  eine  Flüssigkeit  bildet,  welche  sich  mit  der  ge- 
gebenen Flüssigkeit  mischt,  so  werden  natürlich  dadurch,  dass 
das  Bestreben  dieser  Stoffe,  sich  zu  mischen,  als  eine  neue  Kraft 


16  Abschnitt  I. 

hinzutritt,  die  Verhältnisse  complicirter.    Auf  diese  Erscheinungen 
will  ich  aber  hier  nicht  eingehen. 

Aehnlich  wie  bei  flüssigen  lässt  sich  auch  bei  festen  Kör- 
pern die  Möglichkeit  einer  Verdampfung  einsehen ;  indessen  folgt 
daraus  nicht  umgekehrt,  dass  an  der  Oberfläche  aller  Körper 
eine  Verdampfung  stattfinden  müsse.  Es  ist  wohl  denkbar,  dass 
die  Molecüle  eines  Körpers  so  fest  unter  einander  zusammen- 
hängen, dass,  so  lange  die  Temperatur  des  Körpers  eine  gewisse 
Grenze  nicht  überschreitet,  selbst  die  günstigste  Combination 
der  verschiedenen  Molekularbewegungen  nicht  fähig  ist,  den  Zu- 
sammenhang zu  lösen. 


§.  9.     Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  durch 
äussere  Arbeit. 

Wenn  ein  Körper  seinen  Zustand  in  solcher  Weise  ändert, 
dass  dabei  eine  positive  oder  negative  Arbeit  stattfindet,  so  muss 
eine  entsprechende  Wärmemenge  verbraucht  oder  erzeugt  wer- 
den. Dieses  lässt  sich  schon  aus  dem  allgemeinen  mechanischen 
Satze  von  der  Aequivalenz  von  lebendiger  Kraft  und  Arbeit 
schliessen,  welcher  hier,  indem  andere  Bewegungen  von  der  Be- 
trachtung ausgeschlossen  sind,  auf  die  lebendige  Kraft  der 
Molecularbewegungen ,  also  auf  die  Wärme  zu  beziehen  ist.  Es 
ist  aber  von  Interesse,  sich  für  die  verschiedenen  Arten  von 
Arbeit  den  Vorgang  zu  veranschaulichen. 

Wir  beginnen  mit  der  äusseren  Arbeit,  und  zwar  betrachten 
wir  dieselbe  zunächst  bei  einem  vollkommenen  Gase.  Wenn  das 
Gas  nach  allen  Seiten  von  festen  Wänden  begrenzt  ist,  so  prallen 
die  gegen  eine  solche  Wand  fliegenden  Molecüle  im  Allgemeinen 
mit  derselben  Geschwindigkeit  von  ihr  ab,  mit  der  sie  heran- 
geflogen sind,  so  dass  ihre  lebendige  Kraft  keine  Aenderung  er- 
leidet. Wenn  aber  eine  der  Wände  sich  nach  Aussen  oder  nach 
Innen  bewegt,  und  das  Volumen  des  Gases  sich  dadurch  ver- 
grössert  oder  verkleinert,  so  findet  diese  Un Veränderlichkeit  der 
lebendigen  Kraft  nicht  mehr  statt.  Bewegt  sich  die  Wand  nach 
Aussen,  also  im  Sinne  der  heranfliegenden  Molecüle,  so  haben 
diese  nach  dem  Anprallen  im  Allgemeinen  eine  geringere  Ge- 
schwindigkeit als  vorher;  bewegt  die  Wand  sich  dagegen  nach 
Innen,   also  den  heranfliegenden  Molecülen  entgegen,  so  ist  die 


Art  dei'  Bewegung,  welche  Avir  "Wärme  nennen.  17 

Geschwindigkeit  der  Letzteren  beim  Verlassen  der  Wand  grösser 
als  beim  Heranfliegen,  Im  ersteren  Falle  findet  daher  eine 
Verminderung  der  lebendigen  Kraft  statt,  welche  als  Wärrae- 
verbrauch  zu  bezeichnen  ist,  und  im  letzteren  Falle  eine  Ver- 
mehrung der  lebendigen  Kraft,  welche  sich  als  Wärmeerzeugung 
zu  erkennen  giebt. 

Dass  der  Wärmeverbrauch  und  die  Wärmeerzeugung,  welche 
auf  diese  Weise  ihre  Erklärung  finden,  auch  ihrer  Grösse  nach 
genau  der  geleisteten  oder  verbrauchten  äusseren  Arbeit  ent- 
sprechen, soll  weiterhin  noch  nachgewiesen  werden. 

Wenn  die  Wand  sich  so  langsam  bewegt,  dass  der  Druck 
des  Gases  gegen  die  bewegte  Wand  ebenso  gross  ist,  wie  gegen 
eine  ruhende  Wand,  so  kommt  bei  der  Bestimmung  der  Arbeit 
die  Geschwindigkeit  der  Wand  nicht  in  Betracht,  sondern  nur 
der  im  Ganzen  von  ihr  zurückgelegte  Weg.  Ist  dagegen  die 
Geschwindigkeit  der  Wand  so  gross,  dass  dadurch  eine  merkliche 
Verdichtung  oder  Verdünnung  des  Gases  in  der  Nähe  der  Wand 
eintritt,  so  muss  man  immer  den  während  der  Bewegung  von 
dem  Gase  wirklich  ausgeübten  Druck  in  Rechnung  bringen. 

Wenn  zwischen  zwei  Gefässen,  welche  mit  Gas  von  verschie- 
dener Dichtigkeit  gefüllt  sind,  oder  von  denen  das  eine  anfangs 
leer  ist,  ein  Ueberströmen  stattfindet,  so  wird  dabei  im  Ganzen 
genommen  keine  Arbeit  gethan,  und  es  kann  daher  auch  keine 
Aenderung  der  im  Ganzen  vorhandenen  Wärmemenge  eintreten. 
Damit  ist  aber  nicht  gesagt,  dass  nicht  in  jedem  der  beiden 
Gefässe  für  sich  eine  Aenderung  der  Wärmemenge  stattfinden 
könne,  denn  eine  Gasmasse,  deren  Molecüle  Bewegungen  haben, 
unter  denen  eine  bestimmte  Richtung  vorwaltet,  verhält  sich  zu 
angrenzenden  Gasmassen  ähnlich  wie  eine  bewegte  Wand,  und 
wenn  die  bewegte  Gasmasse  gegen  ruhende  Wände  stösst,  so 
kommt  dabei  ebenso  viel,  wie  die  der  ganzen  Masse  gemeinsame 
fortschreitende  Bewegung  an  lebendiger  Kraft  verliert,  als  Wärme- 
bewegung zum  Vorschein. 

Ebenso  wie  bei  den  Volumenänderungen  gasförmiger  Körper, 
muss  man  auch  in  anderen  Fällen  die  äussere  Arbeit  in  Betracht 
ziehen,  z.  B.  die  Arbeit,  welche  bei  der  Verdampfung  einer  Flüssig- 
keit darauf  verwandt  wird,  dass  der  Dampf  sich  bei  seiner  Ent- 
stehung durch  Zurückdrängen  des  äusseren  Widerstandes  Raum 
schaöen  muss.  Bei  festen  und  flüssigen  Körpern,  welche  nur 
geringe  Volumenänderungen  erleiden,  ist  meistens  auch  die  äussere 

Clausius,  mechan.   Wärmetheorie.     III.  2 


18  Abschnitt  I. 

Arbeit  gering,  indessen  kommen  auch  hier  Fälle  vor,  in  welchen 
ihr  Einfluss  erheblich  wird. 


§.  10.     Wärmeverbrauch   und  Wärmeerzeugung   durch 

innere  Arbeit. 

In  gleicher  Weise,  wie  die  äussere  Arbeit,  giebt  auch  die 
innere  Arbeit  zu  Wärmeverbrauch  und  Wärmeerzeugung  Ver- 
anlassung, welche  zum  Theil  noch  viel  bedeutender  sind,  als  die 
durch  die  äussere  Arbeit  veranlassten. 

Wenn  die  Molecüle  eines  Kör^Ders,  oder  auch  die  Bestand- 
theile,  aus  denen  die  Molecüle  noch  zusammengesetzt  sind,  ihre 
Lage  zu  einander  ändern,  so  kann  dieses  entweder  in  dem  Sinne 
geschehen,  in  welchem  die  den  Molecülen  innewohnenden  Kräfte 
sie  zu  bewegen  suchen,  oder  im  entgegengesetzten  Sinne.  Im 
ersteren  Falle  wird  den  Molecülen  oder  ihren  Bestandtheilen 
während  des  Ueberganges  aus  der  einen  Lage  in  die  andere 
von  den  Kräften  eine  gewisse  Geschwindigkeit  mitgetheilt,  deren 
lebendige  Kraft  sich  sogleich  in  Wärme  verwandelt;  im  letzteren 
Falle  ist  es,  sofern  wir  von  fremden  aussergewöhnlichen  Kräften 
für  jetzt  absehen,  die  Wärme,  durch  welche  die  Molecüle  oder 
ihre  Bestandtheile  sich  in  Richtungen  bewegen,  die  den  inneren 
Kräften  entgegengesetzt  sind,  und  die  Verzögerung,  welche  die 
Molecüle  dabei  durch  die  entgegenwirkenden  Kräfte  erleiden, 
kommt  als  Verminderung  der  Wärmebewegung  zum  Vorschein. 

Wenn  feste  und  flüssige  Körper  sich  durch  die  Wirkung  der 
Wärme  ausdehnen,  so  ist  dabei,  wie  schon  gesagt,  die  äussere 
Arbeit  der  Regel  nach  gering,  während  die  innere  Arbeit  einen 
bedeutenden  Werth  annehmen  kann.  Bei  gasförmigen  Körpern 
ist  das  Verhältniss  dagegen  umgekehrt.  Bei  diesen  ist  die  gegen- 
seitige Anziehung  der  Molecüle,  wegen  ihrer  viel  weiteren  Ent- 
fernung von  einander,  sehr  gering,  und  es  kann  daher  bei  noch 
weiterer  Ausdehnung  auch  nur  eine  sehr  geringe  innere  Arbeit 
geleistet  werden.  Dieses  ist  um  so  mehr  der  Fall,  je  weiter  das 
Gas  von  seinem  Condensationspuncte  entfernt  ist,  und  je  mehr 
sich  daher  ^ein  Zustand  dem  vollkommenen  Gaszustande  genähert 
hat,  in  welchem  man  die  bei  der  Ausdehnung  geleistete  innere 
Arbeit  als  Null  betrachten  kann. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  ueunen.  19 

Beim  Uebergang  aus  dem  festen  in  den  flüssigen  Zustand 
entfernen  sich  die  Molecüle  zwar  nicht  aus  den  Sphären  ihrer 
gegenseitigen  Einwirkung,  aber  sie  gehen  der  obigen  Annalmie 
nach  aus  einer  bestimmten,  den  Molecularkräften  angemessenen 
Lage  in  andere  unregelmässige  Lagen  über,  wobei  die  Kräfte, 
welche  sie  in  jener  Lage  zu  erhalten  suchen,  überwunden  werden 
müssen. 

Bei  der  Verdampfung  findet  die  vollständige  Trennung  ein- 
zelner Molecüle  von  der  übrigen  Masse  statt,  was  offenbar 
wiederum  die  Ueberwindung  entgegenwirkender  Kräfte  nöthig 
macht. 

Li  noch  weit  höherem  Grade,  als  bei  den  Aenderungen  der 
Aggregatzustände,  findet  Arbeitsverbrauch  und  Arbeitsleistung 
bei  der  Entstehung  chemischer  Verbindungen  und  bei  chemischen 
Zersetzungen  statt,  und  dementsprechend  sind  auch  die  bei  der 
Entstehung  von  Verbindungen  erzeugten  und  bei  Zersetzungen 
verbrauchten  Wärmemengen  viel  grösser,  als  die  entsprechenden 
V^ärmemengen  bei  Aenderungen  der  Aggregatzustände. 


§.11.    Volumenverhältnisse  zusammengesetzter  Gase. 

Endlich  möge  noch  eine  Erscheinung  zur  Sprache  gebracht 
werden,  deren  Erklärung  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  nämlich 
die  bei  gasförmigen  Körpern  stattfindende  Beziehung  zwischen 
(le)ii  specifisclicn  Gcwiclite  und  dem  MolccnlargewicJite^  oder  zwischen 
dem  Volumen  und  der  Molcciüarzalü. 

Li  §.  4  wurde  als  Ergebniss  der  kinetischen  Gastheorie  an- 
geführt, dass  der  Druck,  welchen  ein  Gas  auf  die  Flächeneinheit 
seiner  Umhüllung  ausübt,  einerseits  der  Anzahl  der  in  der  Volumen- 
einheit enthaltenen  Molecüle,  und  andererseits  der  lebendigen 
Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  der  einzelnen  Molecüle 
proportional  sein  muss.  Es  fragt  sich  nun,  ob  und  in  welcher 
Weise  dieser  Satz  zur  Erklärung  der  oben  genannten  Beziehung 
führen  kann. 

Wir  wollen  zunächst  nur  zusammengesetzte  Gase  unter  ein- 
ander vergleichen. 

Als  Beispiel  für  die  Betrachtung  mögen  zwei  Verbindungen 
zwischen  Sauerstoff  und  Stickstoff'  gewählt  werden,  nämlich  die 
Verbindung  von   einem  Volumen  Sauerstoff  und  einem  Volumen 

2* 


20  Abschnitt  I. 

Stickstoff  ZU  Stickstoffoxyd,  und  von  einem  Volumen  Sauerstoff 
mit  zwei  Volumen  Stickstoff'  zu  Stickstoffoxydul,  welche  Verbin- 
dungen bekanntlich  gleichen  Raum  einnehmen.  Macht  man  nun 
die  durch  ihre  Einfachheit  wahrscheinlichste  Voraussetzung,  dass 
die  Atomzahlen  in  den  Molecülen  beider  Verbindungen  den 
Volumenzahlen  der  zu  den  Verbindungen  zusammengetretenen 
einfachen  Gase  entsprechen,  dass  also  ein  Molecül  Stickstoffbxyd 
aus  einem  Atom  Sauerstoff'  und  einem  Atom  Stickstoff',  und  ein 
Molecül  Stickstoffoxydul  aus  einem  Atom  Sauerstoff'  und  zwei 
Atomen  Stickstoff'  besteht,  so  folgt,  dass  gleiche  Räume  beider 
Verbindungen  gleich  viel  Molecüle  enthalten.  Da  nun  auch  der 
Druck  beider  Gase  gleich  ist,  so  müssen  wir  aus  dem  oben  er- 
wähnten Satze  der  kinetischen  Gastheorie  schliessen,  dass  die 
einzelnen  Molecüle  beider  Gase,  obwohl  die  einen  aus  zwei 
Atomen  und  die  anderen  aus  drei  Atomen  bestehen,  gleiche 
lebendige  Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  haben. 

Zu  demselben  Schlüsse  kommt  man  bei  den  meisten  anderen 
zusammengesetzten  Gasen,  und  in  den  Fällen,  welche  sich  dieser 
Regel  nicht  fügen,  scheint  es  mir  nicht  unmöglich,  die  Ab- 
weichungen darauf  zurückzuführen,  dass  entweder  das  betreffende 
Gas  bei  der  Bestimmung  seines  Volumens  noch  nicht  weit  genug 
von  seinem  Condensationspuncte  entfernt  war,  oder  dass  die 
bisher  gebräuchliche  chemische  Formel  die  Art,  wie  die  Atome 
zu  Molecülen  verbunden  sind,  nicht  richtig  darstellt. 


§.  12.    Volumenverhältnisse   einfacher   Gase   und 
allgemeines  Gesetz. 

Vergleicht  man  nun  aber  die  zusammengesetzten  Gase  mit 
den  einfachen,  aus  denen  sie  entstanden  sind,  so  stösst  man  auf 
eine  eigenthümliche  Schwierigkeit.  Auf  den  ersten  Blick  würde 
man  geneigt  sein ,  anzunehmen ,  dass  bei  einfachen  Gasen  jedes 
Atom  seine  Bewegungen  für  sich  allein  mache,  oder  mit  anderen 
Worten,  dass  die  Molecüle  der  einfachen  Gase  aus  je  einem 
Atome  bestehen.  Wenn  man  diese  Annahme  mit  dem  Satze,  dass 
gleiche  Räume  verschiedener  Gase  gleich  viel  Molecüle  enthalten, 
in  Verbindung  brächte,  so  würde  man  zu  dem  Schlüsse  gelangen, 
dass,  wenn  ein  Volumen  eines  einfachen  Gases  sich  mit  einem 
oder  mehreren  Volumen  eines  anderen  einfachen  Gases  verbände, 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  21 

die  Verbindung  wieder  nur  Ein  Volumen  einnehmen  müsste, 
während  in  der  Wirklichkeit  gewöhnlich  die  Verbindung  zwei 
Volumen  einnimmt. 

Indem  ich  nach  einem  Erklärungsgrunde  für  diese  merk- 
würdige Erscheinung,  und  überhaupt  nach  einem  geraeinsamen 
Gesetze  für  die  Voluraenverhältnisse  der  Gase  suchte,  bin  ich 
endlich  bei  folgender  Ansicht  als  der  wahrscheinlichsten  stehen 
geblieben,  welche  ich  dem  wissenschaftlichen  Publicum  wenigstens 
als  eine  Hypothese,  die  der  weiteren  Prüfung  werth  ist,  glaube 
vorlegen  zu  dürfen. 

Ich  nehme  an,  dass  die  Kraft,  welche  die  Entstehung  chemi- 
scher Verbindungen  verursacht,  und  welche  wahrscheinlich  in 
einer  Art  von  Polarität  der  Atome  besteht,  auch  schon  in  den 
einfachen  Stoffen  wirksam  ist,  und  dass  auch  in  diesen  mehrere 
Atome  Bu  einem  Molecüle  verbunden  sind. 

Der  einfachste  und  daher  wahrscheinlichste  Fall  einer  solchen 
Verbindung  würde  der  sein,  dass  zwei  Atome  ein  Molecül  bilden, 
und  dieser  Fall  liefert  die  Erklärung  jener  Volumenverhältnisse, 
welche  vorher  als  von   der  Regel  abweichend  angeführt  wurden. 

Es  mögen  z.  B.  gleiche  Volumen  Sauerstoff  und  Stickstoff 
gegeben  sein.  Bilden  diese  Gase  eine  Mischung,  so  ist  darin  eine 
gewisse  Anzahl  von  Molecülen  enthalten,  welche  entweder  aus 
zwei  Atomen  Sauerstoff  oder  aus  zwei  Atomen  Stickstoff  bestehen. 
Denkt  man  sich  nun,  dass  die  Mischung  in  eine  chemische  Ver- 
bindung übergeht,  so  enthält  diese  eben  so  viele  Molecüle,  welche 
nur  anders  zusammengesetzt  sind,  indem  jedes  aus  einem  Atom 
Sauerstoff  und  einem  Atom  Stickstoff  gebildet  ist.  Es  ist  also 
kein  Grund  zu  einer  Volumenänderung  vorhanden.  Sind  dagegen 
ein  Volumen  Sauerstoff  und  zwei  Volumen  Stickstoff  gegeben,  so 
besteht  in  der  Mischung  jedes  Molecül  aus  zwei  Atomen  und  in 
der  Verbindung  jedes  Molecül  aus  drei  Atomen.  Die  Anzahl 
der  Molecüle  hat  also  durch  das  Eintreten  der  chemischen  Ver- 
bindung im  Verhältniss  von  3 : 2  abgenommen,  und  in  demselben 
Verhältniss  musste  sich  daher  auch  das  Volumen  verringern. 

Es  giebt  bekanntlich  einige  einfache  Stoffe,  welche  im  gas- 
förmigen Zustande  nicht  dasjenige  Volumen  einnehmen,  welches 
man  nach  ihrem  Atomgewichte  und  nach  dem  Volumen  ihrer 
Verbindungen  erwarten  sollte,  sondern  ein  anderes  in  den  meisten 
Fällen  kleineres,  welches  zu  jenem  in  einem  einfachen  Verhält- 
nisse  steht.      Eine    speciellere   Betrachtung   dieser    Stoffe   würde 


22  Abschnitt  I. 

hier  um  so  weniger  an  ihrem  Orte  sein,  als  zwei  derselben, 
Schwefel  und  Phosphor,  auch  in  anderer  Beziehung,  durch  die 
Mannichfaltigkeit  der  Zustände,  welche  sie  annehmen  können,  ein 
so  auffälliges  Verhalten  zeigen,  dafs  man  wohl  von  der  Chemie 
noch  besondere  Aufschlüsse  über  diese  Körper  erwarten  darf, 
welche  dann  zugleich  mit  den  anderen  Unregelmässigkeiten  viel- 
leicht auch  diejenigen  des  Dampfvolumens  erklären.  Indessen 
möchte  ich  doch  an  einen  Umstand  erinnern,  der  möglicherweise 
in  einigen  Fällen  zur  Erklärung  beitragen  kann,  nämlich  den, 
dass  die  obige  Annahme,  dass  die  Molecüle  der  einfachen  Stoffe 
aus  je  zwei  Atomen  bestehen,  zwar  die  einfachste,  aber  nicht  die 
einzig  mögliche  ist  i). 

Vergleicht  man  alle  Fälle  von  einfachen  und  zusammenge- 
setzten Gasen  unter  einander,  so  ist  es  nicht  zu  erwarten,  dass 
man  überall  sogleich  eine  vollkommene  üebereinstimmung  finde; 
aber  ich  glaube,  dass  man  bei  der  Unsicherheit,  welche  über 
die  innere  Constitution  mancher  Körper,  besonders  solcher  von 
complicirter  chemischer  Zusammensetzung,  noch  herrscht,  kein 
zu  grosses  Gewicht  auf  einzelne  Ausnahmefälle  legen  darf,  und 
ich  halte  es  für  wahrscheinlich,  dass  mit  Hülfe  der  über  die 
Molecüle  der  einfachen  Stoffe  gemachten  Hypothese  sämmtliche 
Volumenverhältnisse  der  Gase  sich  auf  den  Satz  zurückführen 
lassen,  dass  die  einseinen  Molecüle  aller  Gase  in  Besug  auf  ihre 
fortscJireitende  Bewegung  gleiche  lebendige  Kraft  haben. 

Als  meine  Abhandlung  über  die  Art  der  Bewegung,  welche 
wir  Wärme  nennen,  aus  welcher  die  vorstehende  Erklärung  wört- 
lich entnommen  ist,  in  Pogg,  Ann.  von  1857  erschienen  war, 
wurde  zu  einem  in  den  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  erschienenen 
Auszuge  dieser  Abhandlung  und  zu  der  in  den  Archives  des 
Sciences  phys.  et  nat.  erschienenen  Uebersetzung  derselben  an 
dieser  Stelle  von  den  Herren  V erdet  und  Marignac  An- 
merkungen hinzugefügt,  worin  erwähnt  wird,  dass  auch  Dumas, 
Laurent  und  Gerhardt  schon  die  Ansicht  ausgesprochen  haben, 
dass  die  Molecüle  der  einfachen  Gase  aus  mehreren  Atomen  be- 


1)  Beim  Schwefel  ist  bekanntlich  von  Öte.-Claii'e  Deville  und  Troost 
im  Jahre  1859  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die  Unregelmässigkeit  seines 
Dampfvolumens  auf  gewisse  Temperaturgrenzen  beschräukt  ist  und  bei 
sehr  hohen  Temperaturen  nicht  stattfindet,  was  sich  dem  Obigen  nach  aus 
einem  durch  die  Wärme  bewirkten  Zerfallen  complicirterer  Molecüle  in 
einfachere  erklären  lässt. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  23 

stehen.  Es  war  mir  natürlich  sehr  angenehm,  auf  diesen  mir 
bis  dahin  unbekannten  Umstand  aufmerksam  gemacht  zu  werden, 
und  die  beiden  oben  genannten  Herren  sind  dann  auch  so  gütig 
gewesen,  mir  die  Stellen,  wo  sich  Aeusserungen  der  Art  befinden, 
näher  zu  bezeichnen.  Ich  habe  daraus  ersehen,  dass  die  be- 
stimmtesten dahin  gehenden  Aussprüche  sich  bei  Gerhardt 
(im  vierten  Bande  seiner  organischen  ChemieJ  finden,  welcher 
aus  ganz  anderen,  rein  chemischen  Gründen  zu  der  Ansicht  ge- 
langt ist,  dass  man  freien  Wasserstoff  als  Wasserstoff  hydrür  (H,I1) 
und  freies  Chlor  als  Chlorchloriir  (Gl,  Gl)  betrachten  müsse 
(§§.  2451  und  2457  jenes  W^erkes).  Ein  solches  Zusammentreffen 
der  aus  verschiedenen  Betrachtungen  hervorgegangenen  Ptesultate 
ist  um  so  erfreulicher,  je  schwieriger  und  dunkler  der  betreffende 
Gegenstand  noch  ist. 

Ueber  die  Zusammensetzung  der  Sauerstotfmolecüle  spricht 
sich  Gerhardt  weniger  bestimmt  aus.  Die  Stelle,  welche  am 
speciellsten  darauf  eingeht,  befindet  sich  im  §.  2452.  Nachdem 
hier  gesagt  ist,  der  Process,  wenn  Schwefelkalium  sich  beim 
Rösten  in  schwefelsaures  Kali  verwandelt,  sei  als  eine  doppelte 
Zersetzung  zwischen  Sauerstoff  und  Schwefelkalium  zu  betrachten, 
heisst  es  weiter:  „La  molecule  de  l'oxygene  libre  etant  composee 
de  plusieurs  atomes  (de  deux  au  moins),  il  se  forme,  par  double 
decomposition  de  l'acide  sulfurique  anhydre  et  de  l'oxyde  de 
potassium;  mais  ces  deux  produits  demeurent  unis,  et  peuvent 
ulterieurement  etre  separes,  comme  dans  le  cas  de  la  liqueur 
des  Hollandais: 

SK2  + 03G  =  SO^^-f  lOO 

restent  combines." 

In  dieser  chemischen  Gleichung  soll  offenbar  die  Formel 
0^0  das  vorher  erwähnte,  aus  mehreren  Atomen  bestehende 
Molecül  des  freien  Sauerstoffs  darstellen.  An  einer  anderen 
Stelle  (in  §.  2457),  wo  der  Sauerstoff  nur  ganz  kurz  neben 
anderen  Stoffen  erwähnt  ist,  kommt  für  den  freien  Sauerstoff 
die  Formel  00  vor,  ohne  dass  für  die  Verschiedenheit  dieser 
Formel  von  der  kurz  vorher  aufgestellten  ein  Grund  ausgeführt 
wird.  Es  scheint  hiernach,  als  ob  Gerhardt  über  die  Constitu- 
tion der  Molecule  des  freien  Sauerstoffes  zweifelhaft  gewesen  sei. 
Auch  bei  den  anderen  betreffenden  Autoren  finde  ich  über  die 
Anzahl  der  Atome,  welche  in  einem  Sauerstoff'molecüle  enthalten 


24  Absclinitt  I. 

sein  sollen,  keine  bestimmten  Angaben.  In  meiner  Theorie  da- 
gegen ist  für  die  Molecüle  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs  bestimmt 
angenommen,  dass  sie  aus  je  ztoei  Atomen  bestehen,  worauf  ich 
um  so  mehr  Gewicht  legen  muss,  als  diese  Annahme  den  Aus- 
gangspunkt meiner  weiter  unten  folgenden  Erklärung  des  Ozon 
bildet. 

Noch  unbestimmter,  als  die  Angaben  der  oben  erwähnten 
Autoren,  sind  die  Aeusserungen ,  welche  sich  in  einigen  älteren 
Abhandlungen  von  Avogadro^)  befinden,  welche  zur  Zeit  jener 
Erörterungen  so  sehr  in  Vergessenheit  gerathen  waren,  dass  in 
dem  1863  erschienenen  Biographischen  Handwörterbuch  von 
Poggendorff  nicht  einmal  der  Name  Avogadro  vorkommt, 
und  welche  erst,  nachdem  die  Volumenverhältnisse  der  Gase  von 
anderen  Gesichtspuncten  aus  beleuchtet  waren,  wieder  beachtet 
wurden.  In  diesen  Abhandlungen  ist  auch  schon  davon  die 
Rede,  dass  die  Molecüle  der  einfachen  Gase  zerlegbar  seien, 
aber  die  Anzahl  ihrer  trennbaren  Theile  ist  dort  meistens  un- 
bestimmt gelassen,  und  wo  beispielsweise  eine  Zahl  genannt  wird, 
ist  es  gewöhnlich  die  Zahl  vier^  was  damit  zusammenhängt,  dass 
damals  in  einer  von  Ampere  veröffentlichten  Abhandlung  über 
die  Krystallisation  die  Ansicht  ausgesprochen  war,  das  Molecül 
eines  einfachen  Stoffes  bestehe  im  Allgemeinen  aus  vier  Partikeln 
einfachster  Art,  welche  die  Eckpuncte  eines  regulären  Tetraeders 
einnehmen. 

Was  die  Volumenverhältnisse  der  bei  gleicher  Temperatur 
und  unter  gleichem  Drucke  genommenen  Gase  im  Allgemeinen 
anbetrifft,  so  hat  Avogadro  sie  durch  den  Satz  ausgedrückt, 
dass  in  gleichen  Volumen  verschiedener  Gase  gleich  viele  Molecüle 
enthalten  sind^  während  ich  den  Satz  ausgesprochen  habe,  dass 
die  Molecüle  verschiedener  Gase  gleiche  lebendige  Kraft  der  fort- 
schreitenden Bewegung  haben.  Beide  Sätze  führen  zu  denselben 
Volumenzahlen,  unterscheiden  sich  aber  dadurch  von  einander, 
dass  der  Avogadro'sche  Satz  die  Beziehung  zwischen  Volumen 
und  Molecülzahl  einfach  als  Thatsache  hinstellt,  während  der 
meinige  auch  den  mechanischen  Grund  dieser  Beziehung  er- 
kennen lässt. 


1)  Journal  de  physique  par  de  Laraetherie,  Juli  1811  und  Februar  1814, 
und  Memorie  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino  T.  XXVI,  1821, 
p.  1  und  440. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  25 


§.  13.   Mathematische  Bestimmung  der  P]xpansivkraft. 

In  §.  4  wurde  von  der  P]xpansivkraft  der  Gase  eine  Er- 
klärung gegeben,  bei  der  es  sich  nur  darum  handelte,  die  Ent- 
stehung derselben  und  ihre  Abhängigkeit  von  den  Umständen, 
unter  denen  die  Gase  sich  befinden,  anschaulich  zu  machen. 
Es  muss  nun  aber  auch  noch  der  mathematische  Ausdruck  für 
die  Grösse  der  Expansivkraft  abgeleitet  werden. 

Dabei  wollen  wir,  wie  es  dort  geschehen  und  motivirt  ist, 
annehmen,  dass  das  Abprallen  der  Moleciile  von  einer  festen 
Wand  nach  denselben  Gesetzen,  wie  das  Abprallen  elastischer 
Kugeln,  stattfinde. 

Ferner  wollen  wir  voraussetzen,  dass  wir  es  mit  einem  voll- 
hommenen  Gase  zu  thun  haben,  dass  also  1)  die  Moleciile  hin- 
länglich klein  seien,  um  ihr  Volumen  gegen  das  von  dem  Gase 
im  Ganzen  eingenommene  Volumen  vernachlässigen  zu  können, 
und  2)  die  Moleciile  nur  in  unmittelbarer  Nähe  Kräfte  auf  ein- 
ander ausüben.  Die  Erfüllung  dieser  letzteren  Bedingung  hat 
zugleich  die  Erfüllung  der  dritten  in  §.  5  angeführten  Bedingung 
zur  Folge,  dass  die  Zeit  eines  Stosses  gegen  die  Zeit  der  Be- 
wegung zwischen  zwei  Stössen  verschwindend  klein  sei.  Unter 
diesen  Voraussetzungen  können  wir  uns  die  Moleciile  durch 
elastische  Massenpuncte  ersetzt  denken. 

Endlich  wollen  wir  noch  eine  vereinfachende  Annahme  in 
Bezug  auf  die  Geschwindigkeiten  der  Molecüle  machen.  In  der 
Wirklichkeit  finden  zwischen  den  Geschwindigkeiten  der  einzel- 
nen Molecüle  sehr  grosse,  mit  jedem  Stosse  wechselnde  Ver- 
schiedenheiten statt.  Bei  der  Betrachtung  aber  können  wir  allen 
Molecülen  eine  gewisse  mittlere  Geschwindigkeit  zuschreiben. 
Diese  muss  aber,  wie  aus  der  nachfolgenden,  den  Druck  dar- 
stellenden Formel  ersichtlich  sein  wird,  nicht  so  gewählt  werden, 
dass  sie  das  arithmetische  Mittel  aus  allen  einzelnen  Geschwindig- 
keiten ist,  sondern  so,  dass  ihr  Quadrat  das  arithmetische 
Mittel  aus  den  Quadraten  aller  einzelnen  Geschwindigkeiten  ist, 
oder,  mit  anderen  Worten,  dass  man  aus  ihr  für  die  lebendige 
Kraft  aller  Molecüle  denselben  W^erth  erhält,  wie  aus  den  wirk- 
lich stattfindenden  Geschwindigkeiten, 

Um  nun  den  Druck,  welchen  das  Gas  auf  die  umhüllende 
Wand  ausübt,  zu  bestimmen,  wollen  wir  uns  eine  Flächeneinheit 


26  ,  Abschnitt  I. 

der  Wand  als  eben  vorstellen,  und  dann  unsere  Aufmerksamkeit 
auf  eine  an  diese  Flächeneinheit  grenzende,  unendlich  dünne 
Schicht  des  Gasvolumens  richten,  deren  überall  gleiche  Dicke 
mit  dx  bezeichnet  werden  möge. 

Das  Volumen  dieser  Schicht  wird,  da  ihre  Grundfläche  gleich 
einer  Flächeneinheit  ist,  ebenfalls  einfach  durch  dx  dargestellt, 
und  daraus  folgt,  dass  die  Anzahl  der  gleichzeitig  in  der  Schicht 
vorhandenen  Molecüle  gleich  Ndx  ist,  wenn  N  die  Anzahl  der 
in  der  Volumeneinheit  des  Gases  befindlichen  Molecüle  bedeutet. 
Diese  Ndx  Molecüle  bewegen  sich  nach  allen  möglichen  Rich- 
tungen, so  dass  jede  Richtung  ebenso  wahrscheinlich  ist,  wie 
die  übrigen.  Demnach  verhält  sich  die  Anzahl  derjenigen  Mole- 
cüle, deren  Bewegungsrichtungen  mit  der  auf  der  Wandfläche 
nach  aussen  hin  errichteten  Normale  Winkel  bilden,  die  zwischen 
-O-  und  %•  -\-  d%  liegen,  zu  der  ganzen  Anzahl  aller  in  der  Schicht 
vorhandenen  Molecüle,  wie  die  dem  Winkelintervall  von  ■O-  bis 
\f  -\-  dd"  entsprechende  Kugelzone  zur  ganzen  Kugeloberfläche, 
also  wie  2  7t  sin  d-dd-'An.  Wir  erhalten  also ,  wenn  wir  die  be- 
treffende Anzahl  mit  P  bezeichnen,  die  Gleichung: 

P  = i Ndx  =  ^Nsmd'dd-dx. 

4:7t  2 

Der  hierin  vorkommende  Winkel  ^  kann  jeden  Wertli  zwi- 
schen 0  und  7t  haben,  und  zwar  ist  er  kleiner  oder  grösser  als 

7t 

TT,  je  nachdem  das  betreffende  Molecül  sich  zur  Wand  hin  oder 

von  der  Wand  fort  bewegt.  Da  aber  bei  der  von  uns  beabsich- 
tigten Bestimmung  nur  solche  Molecüle,  die  zur  Wand  hin  gehen, 
in  Betracht  kommen,   so  haben  wir   es  dabei  nur  mit  Werthen 

unter  —  zu  thun. 

Der  Weg,  den  ein  unter  dem  Winkel  0"  die  Schicht  durch- 
fliegendes Molecül  in  der  Schicht  zurückzulegen  hat,  um  bis  zur 

Wand   zu  gelangen,   ist   gleich   ^-    Bezeichnen  wir  ferner  die 

^  °  COSd- 

Geschwindigkeit  des  Molecüls  mit  u^  und  die  Zeit,  welche  es 
zum  Durchfliegen  der  Schicht  gebraucht,  mit  r,  so  erhalten  wir 
zur  Bestimmung  der  letzteren  Grösse  die  Gleichung: 

dx 

X  = 

u  .  cos  & 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  27 

Wenn  nun  von  solchen  Molecülen,  deren  jedes  die  Zeit  r 
zum  Durchfliegen  der  Schicht  gebraucht,  stets  die  Anzahl  P  in 
der  Schicht  vorhanden  ist,  so  lässt  sich  daraus  leicht  auch  ab- 
leiten, eine  wie  grosse  Anzahl  solcher  Molecüle  während  der 
Zeiteinheit  die  Schicht  durchfliegt  und  somit  die  Wand  trifft, 
welche  Anzahl  mit  Q  bezeichnet  werden  möge.  Wenn  r  =:  1 
wäre,  so  würde  Q  =  P  sein;  wenn  aber  r  einen  von  1  ver- 
schiedenen Werth  hat,  so  muss  sich  Q  zu  F  verhalten,  wie 
1  zu  r,   und  es  ist  daher  zur  Bestimmung  von  Q  die  Gleichung 

zu  bilden.     Setzen  wir  hierin  für  P  und  r  die   oben   gegebenen 
Werthe  ein,  so  kommt: 


oder  vereinfacht; 


^         1    TVT   •    o.  7  Q.  7     11  cos  d' 
Q  =  —  IS  stn  %■  d  xt  d  X  —^ , 


Q  =  ~  Nucos^  sin^dd: 


Jedem  dieser  Molecüle  wird  durch  die  Kraft,  welche  es 
während  der  Stosszeit  von  der  Wand  erleidet,  die  zur  Wand 
senkrechte  Componente  seiner  Geschwindigkeit,  deren  Grösse 
ucosd-  ist,  entzogen,  und  dann  eine  ebenso  grosse  Geschwindig- 
keitscomponente  nach  der  entgegengesetzten  Seite  wieder  mit- 
getheilt,  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  es  wird  ihm  die 
Geschwindigkeit  2  u  cos  d-  nach  der  negativen  Normalrichtung 
mitgetheilt. 

Wenn  die  Masse  m  des  Molecüls  mit  in  Betracht  gezogen 
wird,  so  kann  man  das  Vorige  auch  dahin  ausdrücken,  dass  dem 
Molecül  während  des  Stosses  die  Beweguugsgrösse  2  ni  u  cos  9 
nach  der  negativen  Normalrichtung  mitgetheilt  wird.  Da  nun 
aber  die  zwischen  der  Wand  und  dem  Molecül  während  des 
Stosses  ausgeübten  Kräfte  Avechselseitige  sind,  die  mit  gleicher 
Stärke  nach  entgegengesetzten  Richtungen  wirken,  so  kann  man 
auch  umgekehrt  sagen,  dass  die  Wand  durch  den  Stoss  die  Be- 
wegimg sgrösse  2  m  a  cos  9^  nach  der  positiven  Normair icMimg  erhält. 

Indem  man  dieses  Resultat  auf  die  ganze  Anzahl  Q  von 
Stössen  ausdehnt,  gelangt  man  für  die  von  ihnen  zusammen  auf 


28  Abschnitt  I. 

die  Wand  übertragene  positive  Bewegungsgrösse  zu  dem  Aus- 
drucke: 

Q.2mucos9; 

welcher  durch  Anwendung  des  obigen  Werthes  von  Q  übergeht  in: 

-^  Nu  cos  ^  sin  d-  cid'  .2  m  u  cos  ^  =  N  m  u"^  cos^  -0-  sin  %•  dd'. 

Dieser  Ausdruck  bezieht  sich  nur  auf  diejenigen  Molecüle, 
deren  Bewegungsrichtungen  mit  der  Normale  Winkel  bilden, 
welche  zwischen  %•  und  %  -\-  d%^  liegen.  Um  aus  ihm  die  ganze 
Bewegungsgrösse  abzuleiten,  welche  alle  in  beliebigen  Richtungen 
gegen  die  Flächeneinheit  der  Wand  fliegenden  Molecüle  ihr  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  mittheilen,  muss  man  ihn  nach  %  von  0  bis 

—  integriren,  und  da  diese  Bewegungsgrösse  den  von  dem  Gase 

auf  die  Wand  ausgeübten  Druck  darstellt,  so  erhält  man  zur 
Bestimmung  des  Druckes,  welcher  mit  j9  bezeichnet  werden  möge, 
die  Gleichung: 

7t 

T 
j)  =  iVm  M^    /    cos'^  -O-  sin  %  ä  -0-, 
b 

oder  nach  Ausführung  der  Integration: 

., .                                                    Nm  u'^ 
(1)  ^  =  -"3 

Anstatt  uns,  wie  es  im  Vorigen  geschehen  ist,  eine  Flächen- 
einheit der  Wand  als  eben  vorzustellen,  und  dann  den  auf  diese 
Flächeneinheit  ausgeübten  Druck  zu  bestimmen,  können  wir 
natürlich  auch  die  Gestalt  der  Wand  unbestimmt  lassen,  und 
dann  unsere  Betrachtung  auf  ein  Flächenelement  den  derselben 
beschränken.  Bezeichnen  wir  den  auf  dieses  ausgeübten  Druck 
mit  p  .dco,  so  erhalten  wir  für  p  denselben  Ausdruck,  wie  vorher. 

Der  Umstand,  dass  in  diesem  Ausdrucke  die  Geschwindigkeit 
quadratisch  als  Factor  vorkommt,  ist  es,  um  dessentwillen  die 
für  alle  Molecüle  angenommene  gemeinsame  Geschwindigkeit  u 
aus  den  in  der  Wirklichkeit  stattfindenden  verschiedenen  Ge- 
schwindigkeiten in  der  Weise  abgeleitet  werden  muss,  wie  es  im 
Anfang  dieses  Paragraphen  festgesetzt  wurde. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  29 


§.  14.     Verhalten  der  Molecüle  zu  einer  bewegten  Wand. 

Bei  den  vorstehenden  Betrachtungen  wurde  vorausgesetzt, 
dass  die  Wand,  gegen  welche  die  Molecüle  stossen,  in  Ruhe  sei. 
In  diesem  Falle  leistet  der  von  den  Molecülen  auf  die  Wand 
ausgeübte  Druck  keine  Arbeit.  Da  ferner  in  diesem  Falle  die 
Molecüle  im  Allgemeinen  mit  derselben  Geschwindigkeit  von  der 
Wand  zurückgeworfen  werden,  mit  der  sie  heranfliegen,  so  er- 
leidet die  lebendige  Kraft  der  Molecüle  durch  die  Stösse  keine 
Aenderung. 

Nun  wollen  wir  annehmen,  die  Wand  sei  in  Bewegung,  und 
zwar  wollen  wir,  da  eine  der  Wandfläche  parallele  Bewegung 
an  den  bisherigen  Resultaten  nichts  ändern  würde,  dem  zur  Be- 
trachtung ausgewählten,  als  sehr  klein  vorausgesetzten  Flächen- 
stücke eine  Bewegung  zuschreiben,  welche  der  auf  dem  Flächen- 
stücke errichteten  Normale  parallel  ist.  Die  Geschwindigkeit 
dieser  Bewegung  möge  mit  iv  bezeichnet  und  als  positiv  oder 
negativ  gerechnet  werden,  je  nachdem  das  Wandstück  sich  von 
Innen  nach  Aussen,  oder  von  Aussen  nach  Innen  bewegt. 

Gegen  dieses  Wandstück  denken  wir  uns  ein  Molecül  flie- 
gend, welches  die  Geschwindigkeit  u  habe,  und  dessen  Bewegungs- 
richtung  mit  der  nach  Aussen  gehenden  Normale  den  Winkel 
•O-  bilde.  Es  soll  nun  bestimmt  werden,  welche  Aenderung  die 
Bewegung  dieses  Molecüls  durch  den  Stoss  erleidet,  wobei,  wie 
im  Obigen,  vorausgesetzt  werden  soll,  dass  der  Stoss  in  solcher 
Weise  vor  sich  gehe,  wie  bei  einer  gegen  die  Wand  fliegenden 
elastischen  Kugel. 

Um  die  gegenseitige  Einwirkung  zwischen  der  Wand  und 
dem  Molecül  zu  bestimmen,  zerlegen  wir  die  Geschwindigkeit 
des  Molecüls  in  die  beiden  Componenten  parallel  und  senkrecht 
zur  Wand,  welche  durch  ushiQ'  und  ucos^  dargestellt  werden. 
Die  erstere  ändert  sich  durch  den  Stoss  nicht;  die  letztere  da- 
gegen erleidet  folgende  Aenderungen.  Zuerst  drückt  sich  das 
Molecül  so  lange  gegen  die  Wand,  bis  die  senkrechte  Compo- 
nente  seiner  Geschwindigkeit  durch  die  von  der  Wand  ausgeübte 
Gegenkraft  zum  Werthe  w  herabgebracht,  also  um  die  Grösse 
u  cos  1^  —  IV  vermindert  ist,  und  dann  wird  dem  Molecül  während 
seiner  Trennung  von   der  Wand   noch   einmal   die  normale  Ge- 


30  Abschnitt  I. 

schwindigkeitscomponente  —  (u  cos  ^  —  iv)  mitgetheilt.  Im  Ganzen 
empfängt  das  Molecül  also  durch  den  Stoss  die  normale  Ge- 
schwindigkeitscomponente  —  2(ucosQ'  —  tu\  und  man  erhält  daher 
für  die  normale  Geschwindigkeitscomponente,  welche  es  nach  dem 
Stosse  besitzt,  folgenden  Ausdruck: 

UCOSd'   —   2  (U  cos  &•  —  tv)  =  —   tlCOSQ'  -\-  2  IV. 

Hieraus  lässt  sich  nun  leicht  die  lebendige  Kraft,  welche 
das  Molecül  nach  dem  Stosse  besitzt,  bestimmen.  Dieselbe  ist 
nämlich : 

—  [(u  sin  »y  -f  (—  u  cos  ^  4-  2  ivy] 

oder  zusammengezogen: 

w 

—  (m2  —  4  tv  u  cosQ'  -\-  4:  iv^). 

Li 

Der  Stoss  hat  also  bewirkt,  dass  die  lebendige  Kraft  des 
Molecüls,  welche  ursprünglich  —  w^  ^ar,  um  die  Grösse 

—  Imw  {u  COS  ^  —  w) 

zugenommen  hat.  Bei  der  Beurtheilung  dieser  Formel  ist  zu 
beachten,  dass  die  Differenz  ucosd'  —  tv  nur  positiv  sein  kann, 
weil  Molecüle,  bei  denen  die  senkrechte  Geschwindigkeitscompo- 
nente UCOS&  kleiner  als  iv  ist,  das  betreffende  Flächenstück 
überhaupt  nicht  treffen  können.  Demnach  ist  der  Werth  der 
Formel  negativ  oder  positiv,  je  nachdem  iv  positiv  oder  negativ 
ist,  d.  h.  wenn  die  Wand  sich  nach  Aussen  bewegt,  findet  eine 
Abnahme,  und  wenn  die  Wand  sich  nach  Innen  bewegt,  eine  Zu- 
nahme der  lebendigen  Kraft  der  gegen  sie  stossenden  Molecüle 
statt. 

Es  möge  nun  weiter  die  Arheü  bestimmt  werden,  welche 
der  von  dem  Molecül  während  des  Stosses  auf  die  Wand  aus- 
geübte Druck  leistet. 

Wie  schon  oben  gesagt  wurde,  wird  dem  Molecül  während 
des  Stosses  die  Geschwindigkeitscomponente  2  {u  cos  0  —  iv)  nach 
der  negativen  Normalrichtung  mitgetheilt.  Die  dieser  Ge- 
schwindigkeit entsprechende  Bewegungsgrösse  ist  2'm(ucos^  —  iv). 
Wenn  nun  das  Molecül  durch  die  zwischen  ihm  und  der  Wand 
stattfindende   Wechselwirkung    diese    Bewegungsgrösse   nach   der 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  31 

negativen  Normalrichtung  erhält,  so  erhält  die  Wand  gleichzeitig 
dieselbe  Bewegungsgrösse  nach  der  positiven  Normalrichtung. 
Der  diese  Bewegungsgrösse  hervorbringende  Druck,  welchen  das 
Molecül  während  des  Stosses  auf  die  Wand  ausübt,  ist  sehr  ver- 
änderlich, indem  er  zuerst  von  Null  bis  zu  einem  Maximumwerthe 
zunimmt  und  dann  wieder  bis  Null  abnimmt.  Man  kann  aber  den 
Mittelwerth  dieses  Druckes  während  der  betreffenden  Zeit  er- 
halten, wenn  man  die  im  Ganzen  von  ihm  hervorgebrachte  Be- 
wegungsgrösse durch  die  Zeit  dividirt.  Bezeichnen  wir  daher  die 
sehr  kurze  Zeit  von  dem  Beginn  der  gegenseitigen  Einwirkung 
zwischen  Molecül  und  Wand  bis  zu  ihrem  Ende,  welche  wir  die 
Stösszeit  nennen,  mit  r,  so  ist  der  während  der  Stosszeit  von 
dem  Molecül  auf  die  Wand  ausgeübte  mittlere  Bruch  gleich 

—  (u  cos  Q-  —  tv). 

T      ^ 

Dieser  mittlere  Druck  muss  zur  Bestimmung  der  Arbeit  mit 
dem  von  der  Wand  während  der  Zeit  r  zurückgelegten  Wege 
tVT  multiplicirt  werden.  Wir  erhalten  also  für  die  gesuchte 
Arbeit  den  Ausdruck : 

—  (u  cos  &  —  w)  w  T  =^  2  m  w  (u  cos  d-  —  «•)• 

Aus  der  Vergleichung  dieses  Ausdruckes  mit  dem  für  die 
Zunahme  der  lebendigen  Kraft  des  Molecüls  gefundenen  Aus- 
drucke ergiebt  sich,  dass  beide  dem  absoluten  Werthe  nach 
gleich,  aber  dem  Vorzeichen  nach  entgegengesetzt  sind,  wie  es 
nach  dem  Satze  von  der  Aequivalenz  von  lebendiger  Kraft  und 
Arbeit  auch  sein  muss. 

Dasselbe,  was  hier  für  einen  einzelnen  Stoss  festgesetzt  ist,  gilt 
auch  für  alle  Stösse,  welche  das  betrachtete  Wandstück  während 
der  Zeiteinheit  erleidet.  Wir  können  daher,  wenn  wir  die  auf 
alle  Stösse  bezüglichen  Grössen  aus  den  auf  einen  Stoss  bezüg- 
lichen durch  Vorsetzung  des  Summenzeichens  ableiten,  die  während 
der  Zeiteinheit  an  dem  Wandstücke  geleistete  Arbeit  und  die 
gleichzeitig  eingetretene  Veränderung  der  lebendigen  Kraft  der 
gegen  das  Wandstück  geflogenen  Molecüle  durch  folgende  Aus- 
drücke darstellen,  in  welchen  der  Factor  ^r,  weil  er  für  alle 
Stösse  gleich  ist,  ausserhalb  der  Summenzeichen  gesetzt  ist: 

iv^^2m(ucos  1^  —  if)     und     —  iv^_^2  ni  (u  cosQ-  —  ic). 


32  Abschnitt  I. 

Die  in  diesen  Ausdrücken  vorkommende  Summe  bedeutet 
die  während  der  Zeiteinheit  dem  Wandstücke  mitgetheilte  Be- 
wegungsgrösse ,  welche  gleichbedeutend  mit  dem  auf  das  Wand- 
stück ausgeübten  Drucke  ist.  Bezeichnen  wir  also  den  auf  die 
Flächeneinheit  bezüglichen  Druck  mit  j3  und  die  Grösse  des 
Wandstückes  mit  «,  so  können  wir  setzen: 

^1  2  m  (ti  cos  ■9"  —  ir)  =  p  a, 

wodurch  die  vorigen  Ausdrücke  übergehen  in: 
2cp  a    und     —  tv2)  cc. 

Wenn  die  Geschwindigkeit  tv  der  Wand  gegen  die  Ge- 
schwindigkeit u  der  Molecüle  sehr  klein  ist,  so  ist  der  Druck, 
welchen  die  bewegte  Wand  von  den  Molecülen  erleidet,  mit 
demjenigen,  welchen  die  ruhende  Wand  erleiden  würde,  als 
gleich  anzusehen.  Wenn  dagegen  die  Geschwindigkeit  iv  einen 
gegen  w  in  Betracht  kommenden  Werth  hat,  so  muss  auch  die 
durch  die  Bewegung  der  Wand  bedingte  Aenderung  des  Druckes 
berücksichtigt  werden,  welche  im  negativen  oder  positiven  Sinne 
stattfindet,  je  nachdem  ^ü  positiv  oder  negativ  ist,  d.  h.  je  nachdem 
das  Wandstück  sich  nach  Aussen  oder  nach  Innen  bewegt. 

Unter  allen  Umständen  aber  bleibt  bei  richtiger  Bestimmung 
des  wirklich  stattfindenden  Druckes  der  Satz  bestehen,  dass  die 
geleistete  Arbeit  gleich  der  Abnahme  der  lebendigen  Kraft  der 
Molecüle  ist 


§.  15.     Lebendige   Kraft   und   Geschwindigkeit   der   fort- 
schreitenden Bewegung  der  Molecüle. 

Wir  kehren  nun  wieder  zu  dem  Beharrungszustande  des 
Gases  zurück  und  richten  unser  Augenmerk  auf  die  lebendige 
Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  aller  in  ihm  vorhandenen 
Molecüle. 

Unter  (1)  wurde  zur  Bestimmung  des  Druckes  p  folgende 
Gleichung  gegeben : 

P  =  ö V 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  33 

worin  N  die  Anzahl  der  in  der  liaumeiidioit  enthaltenen  Mole- 
cüle  bedeutet.     Schreibt  man  diese  Gleich un^i;  in  der  Form : 

(2)  ^^-  =  2  2'' 

SO  stellt  die  linke  Seite  die  lebendige  Kraft  der  fortschreitenden 
Bewegung  der  in  der  Raumeinheit  enthaltenen  Molecüle  dar. 

Will  man  statt  der  Gasmenge,  welche  eine  Raumeinheit  er- 
füllt, eine  beliebig  gegebene  Gasmenge,  welche  das  Volumen  v 
einnimmt,  betrachten,  und  bezeichnet  man  die  Anzahl  der  Mole- 
cüle dieser  Gasmenge  mit  w,  so  ist 

V 

wodurch  die  Gleichung  (1)  übergeht  in: 

welche  sich  auch  schreiben  lässt: 

(4)  -T"  =  2^'^' 

worin  die  linke  Seite  wieder  die  lebendige  Kraft  der  fortschreiten- 
den Bewegung  der  Molecüle   der  gegebenen  Gasmenge  bedeutet. 
Da  nun  nach  dem  Mari otte' sehen  und  Gay -Lussac' sehen 
Gesetze,  wenn  die  absolute  Temperatur  mit  T  bezeichnet  wird, 

ist,  worin  |)o  den  Druck  einer  Atmosphäre,  T^  die  Temperatur 
des  Gefrierpunctes  und  Vq  das  dazu  gehörige  Volumen  der  ge- 
gebenen Gasmenge  bedeuten  soll ,   so  kann  man  auch  schreiben : 

n  m  ti^  _  3  PoVo  rp 


(5) 


2     1\ 


Es  ergiebt  sich  hieraus,  was  auch  schon  weiter  oben  au- 
geführt wurde,  dass  die  lebendige  Kraß  der  forisclireitenden  Be- 
tvegwig  der  Molecüle  der  absoluten  Temperatur  des  Gases  pro- 
portional  ist 

Die  vorstehenden  Gleichungen  lassen  sich  weiter  dazu  an- 
wenden, die  Grösse  u  zu  bestimmen,  welche  dadurch  dehnirt  ist, 
dass  das  Quadrat  von  u  das  arithmetische  Mittel  der  Geschwindig- 

Clausius,  meoliau.  Wärmetheoiie,     III,  o 


34  Abschnitt  I. 

keitsquadrate  aller  Molecüle  ist.     Durch  Auflösung   der  letzten 
Gleichung  nach  n^  erhält  man: 

nm    Iq 

Das  Product  non  stellt  die  Masse  der  gegebenen  Gasraenge 
dar,  welche  man  aus  dem  Gewichte  derselben  mittelst  Division 
durch  die  Schwerkraft  g  erhält,  also,  wenn  q  das  Gewicht  bezeichnet, 

Q. 

nm  =  —, 

y 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

Es  möge  hierin  als  Längeneinheit  das  Meter  und  als  Ge- 
wichtseinheit das  Kilogramm  gewählt  werden.  Da  nun  nach 
Regnault  ein  Kilogramm  Luft  unter  einer  Atmosphäre  Druck 
und  beim  Gefrierpuncte  den  Raum  von  0,7733  Cubikmeter  ein- 
nimmt, so  bestimmt  sich,  wenn  q  das  specifische  Gewicht  des 
Gases  bedeutet,  das  Volumen  Vq  durch  die  Gleichung: 

0,7733 

wodurch  die  vorige  Gleichung  übergeht  in: 

,,2  ^^  0,7733  T. 

Erwägen  wir  ferner,  dass  jJqi  <ler  Druck  einer  Atmosphäre, 
10333  Kilogramm  auf  ein  Quadratmeter  beträgt,  und  setzen  zu- 
gleich für  y  seinen  Werth   9,80896  und  für  T«   den  Werth  273, 

so  kommt: 

T 

u^  =  3  . 9,80896 .  10333 . 0,7733  ^r=—- 

2, 1 6  Q 

und  somit : 


(6)  u  =  485»»)/. 


273.  p 

Bezeichnen  wir  den  speciellen  Werth  von  u^  welcher  dem 
Gefrierpuncte  entspricht,  mit  **(,,  so  erhalten  wir  für  diesen  die 
vereinfachte  Gleichung: 


(7) 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  35 

485™ 


und  aus  dieser  ergeben  sich  unter  andern  folgende  Werthe  von  Wq 

für  Sauerstoff 461'" 

„    Stickstoff 492 »" 

„    Wasserstoff'     ....  1844»». 


§.   16.     Verhältniss   zwischen    der    lebendigen   Kraft   der 

fortschreitenden  Bewegung  der  Molecüle  und  der 

Energie  des  Gases. 

Es  ist  schon  weiter  oben  davon  die  Rede  gewesen,  dass  die 
fortschreitende  Bewegung  der  Molecüle  nicht  die  einzige  im  Gase 
vorkommende  Bewegung  ist,  sondern  dass  daneben  auch  rotirende 
Bewegungen  der  Molecüle  und  bei  zusammengesetzten  Molecülen 
auch  Schwingungen  der  Bestandtheile  jedes  Molecüls  gegen  ein- 
ander vorkommen  müssen.  Die  lebendige  Kraft  aller  dieser  Be- 
wegungen nebst  der  mit  der  Temperaturzunahme  möglicher 
Weise  verbundenen  inneren  Arbeit  bildet  die  Energie  des  Gases. 
Es  fragt  sich  nun,  in  welchem  Verhältniss  der  durch  die  leben- 
dige Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  dargestellte  Theil  der 
Energie  zur  ganzen  Energie  steht. 

Wenn  wir  das  Gas  als  ein  vollkommenes  Ijetrachten  und 
demgemäss  die  Bedingung,  dass  es  während  einer  Ausdehnung 
bei  constanter  Temperatur  nur  so  viel  Wärme  verschluckt,  wie 
zu  der  dabei  geleisteten  äusseren  Arbeit  verbraucht  wird,  als 
hinlänglich  genau  erfüllt  ansehen,  so  haben  wir,  gemäss  der  im 
ersten  Bande  dieses  Buches  Abschnitt  II,  §.  3  befindlichen  Ent- 
wickelung,  die  Energie  U  als  eine  Function  der  Temperatur 
allein  zu  l)etrachten.  Die  einer  Temperaturzunahme  um  d  T 
entsprechende  Energiezunahme  ist  dann  gleich  der  Wärmemenge, 
welche  das  Gas  aufnimmt,  wenn  es  sich  bei  constantem  Volumen 
und  somit  ohne  Leistung  äusserer  Arbeit  um  d  T  erwärmt. 
Daraus  erhalten  wir,  wenn  wir  die  gegebene  Gasmenge  als  eine 
Gewichtseinheit  voraussetzen,  die  Gleichung: 

dU=  C,  d  T, 
worin    Cv  die   specifische   Wärme   bei    constantem   Volumen   be- 
deutet. 

3* 


36  Abschnitt  I. 

Ferner  haben  wir,  wenn  wir  die  lebendige  Kraft  der  fort- 
schreitenden Bewegung  der  Molecüle  mit  K  bezeichnen,  nach 
Gleichung  (5)  zu  setzen: 

„        3  j>o  ^0  /TJ 


woraus  folgt: 


1      -to 


Dividirt  man  diese  Differentialgleichung  durch  die  vorher  auf- 
gestellte, so  erhält  man: 

dK^  _  3  po^o 

Dieser  Gleichung  kann   man  noch   eine   für  die  numerische 

Rechnung  bequemere  Form  geben.  Der  Bruch    ,^,  " ,   für   welchen 

wir  meistens  das  einheitliche  Zeichen  U  angewandt  haben ,  ist 
nach  Abschnitt  II,  §.4  des  ersten  Bandes  gleich  der  Differenz 
Cp  —  Cv-,  worin  C^  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke 
bedeutet.     Demgemäss  lässt  sich  die  Gleichung  so  schreiben: 

c 

Der  Bruch  -^  hat  bei  denjenigen  Gasen,  deren  Molecüle  aus 

zwei  Atomen  bestehen,  und  deren  Zustand  nicht  zu  weit  vom 
vollkommenen  Gaszustande  abweicht,  einen  gemeinsamen  Werth, 
der  angenähert  gleich  1,410  ist.  Unter  Anwendung  dieses  Werthes 
erhält  man: 

TU  =  ^'^^^- 

Bei  solchen  Gasen,  deren  Molecüle  aus  mehr  als  zwei  Atomen 

C 
bestehen,  ist  der  Bruch  y^  kleiner  als  1,410,  und  nähert  sich  um 

so  mehr  dem  Werthe  1,  je  grösser  die  Anzahl  der  in  einem 
Molecül  enthaltenen  Atome  ist.     Dem  entsprechend  ist  auch  der 

Werth  des  Bruches  -r^^  um  so  kleiner,  ie  grösser  die  Atomzahl 

du  '  j     & 

des  Molecüls  ist. 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  37 


§.  17.  Gesetz  in  Bezug  auf  die  Geschwindigkeiten  der 

Molecüle, 

Es  ist  im  Obigen  schon  mehrfach  davon  die  Rede  gewesen, 
dass  nicht  alle  Molecüle  gleiche  Geschwindigkeiten  haben,  son- 
dern dass  eine  grosse  Mannichfaltigkeit  in  Bezug  auf  die  Ge- 
schwindigkeiten stattfindet.  Daraus  folgt  aber  nicht,  dass  die 
vorkommenden  Geschwindigkeiten  in  ihrer  Beziehung  zu  einander 
ganz  unbestimmt  seien,  sondern  man  muss  annehmen,  dass  bei 
einer  sehr  grossen  Anzahl  von  Molecülen  sich  unter  gleichen 
Umständen  ein  im  Grossen  und  Ganzen  gleicher  Zustand  her- 
stellen wird,  bei  dem  die  Anzahl  derjenigen  Molecüle,  deren  Ge- 
schwindigkeiten zwischen  gegebenen  Grenzen  liegen,  sich  mittelst 
einer  durch  diese  Grenzen  bestimmten  Grösse  darstellen  lässt. 
Indem  wir  die  einzelnen  Geschwindigkeiten  mit  u  bezeichnen, 
und  den  Abstand  der  Grenzen  von  einander  als  unendlich  klein 
annehmen ,  können  wir  der  zur  Bestimmung  des  Bewegungs- 
zustandes dienenden  Festsetzung  folgende  Form  geben:  Die  An- 
zahl der  Molecüle^  deren  GescliwindigTieiten  zwisdien  den  Grenzen 
u  und  u  -\-  d  u  liegen^  ivird  als  Bruchtheü  der  ganzen  vorliandenen 
Anzahl  durch  das  Product 

f{ii)  d  u 
dargestellt 

Die  Form  der  hierin  vorkommenden  Function  /(?<)  ist  es, 
welche  das  für  die  Molecüle  geltende  Gescliwindigl'eitsgesefz  be- 
stimmt, und  es  fragt  sich  daher,  in  wie  weit  sich  diese  Function 
bestimmen  lässt,  und  zu  welcher  Form  man  dabei  gelangt. 

Dieser  Gegenstand  ist  vorzugsweise  von  Maxwell  in  seiner 
bekannten  ausgezeichneten  Abhandlung  von  1860  behandelt  i), 
und  das  von  ihm  aufgestellte  Gesetz  nebst  einigen  Anwendungen 
desselben  mögen  hier  kurz  besprochen  werden. 

Er  geht  von  der  Voraussetzung  aus,  dass  die  Geschwindig- 
keitscomponenten  nach  irgend  drei  auf  einander  senkrechten 
Richtungen  von  einander  ganz  unabhängig  seien  und  giebt  als 
Ausdruck  der  Wahrscheinlichkeit,  dass  bei  irgend  einem  zur  Be- 
trachtung ausgewählten  Molecül   die  x-Componente   der   augen- 


1)  Phil.  Mag.  4tb  Ser.,  Vol.  XIX,  p.  19  und  Vol.  XX,  p.  21. 


38  Absclinitt  I. 

blicklich  stattfindenden  Geschwindigkeit  zwischen  den  Werthen 
X  und  X  A^  dx  liege,  die  Formel: 

Ae    '^  dx^ 

worin  e  die  Basis  der  natürlichen  Logarithmen  bedeutet,  während 
A  und  a  zwei  andere  Constanten  darstellen.  Die  Constante  a 
bestimmt  die  Lebhaftigkeit  der  Bewegung  und  muss  daher  in  der 
Formel  bleiben.  Die  Constante  A  dagegen  lässt  sich  durch 
Rechnung  bestimmen.  Da  nämlich  die  Grösse  der  ^-Componente 
der  Geschwindigkeit  zwischen  —  co  und  -|-  oo  liegen  muss,  so 
muss  der  vorige  Ausdruck,  wenn  man  ihn  von  —  oo  bis  -|-  od 
integrirt,  den  Werth  1  geben.     Nun  ist  aber; 

Ae    "  dx  =  AaVn, 
und  man  hat  also,  damit  dieser  Werth  gleich  1  werde,  zu  setzen : 

A  = 


f 


wodurch  die  obige  Formel  übergeht  in: 

1  «2-7 

e       ax. 


Ebenso  erhält  man  für  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die 
^-Componente  der  Geschwindigkeit  zwischen  den  Werthen  y  und 
y  -\^  dy  liege,  die  Formel: 


e    "  dy, 


ayTC 

und  für  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  ^-Componente  zwischen 
^  und  0  -\-  ds  liege: 

1        -- 

="      ß  Cv  (^« 

7t 

Aus  diesen  für  die  einzelnen  Coordinatenrichtungen  auf- 
gestellten Formeln  ergiebt  sich  weiter,  wie  gross  die  Wahr- 
scheinlichkeit ist,  dass  gleichzeitig  die  a; - Componente  der  Ge- 
schwindigkeit zwischen  x  und  x  -\-  dx^  die  y-Componente  zwischen 
y  und  y  -\-  dy  und  die  s  -  Componente  zwischen  z  und  z  ~[-  d  s 
liege.  Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  nämlich  durch  das  Product 
der  drei  vorigen  dargestellt,  und  ist  somit: 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  39 

— - — rr-  e         "         äxdiidz. 

Da  die  Summe  a;^  -f  ^2  _|_  ^2  gleich  dem  Quadrat  der  ganzen 
Geschwindigkeit  n  des  Molecüls  ist,  so  kann  man  den  vorigen 
Ausdruck  auch  so  schreiben: 

1     -S 

Denkt  man  sich  die  Geschwindigkeitscomponenten  ä;,  i/,  ^ 
graphisch  durch  die  Coordinaten  des  angewandten  rechtwinkeligen 
Coordinatensystems  dargestellt,  so  bildet  das  Product  dxdydz 
ein  Raumelement,  und  u  ist  die  Länge  des  vom  Anfangspuncte 
der  Coordinaten  nach  demselben  gezogenen  Leitstrahles.  Der 
vorstehende  Ausdruck  bestimmt  dann  die  Wahrscheinlichkeit, 
welche  dafür  gilt,  dass  der  Leitstrahl,  welcher  die  Geschwindig- 
keit eines  beliebig  ausgewählten  Molecüls  nach  Grösse  und  Rich- 
tung darstellt,  gerade  in  jenem  Raumelement  endige. 

Dieselbe  Bedeutung  des  Ausdruckes  bleibt  bestehen,  wenn 
man  das  Raumelement  durch  Polarcoordinaten  darstellt.  Dazu 
wollen  wir  den  Winkel,  den  der  Leitstrahl  ii  mit  der  ^-Axe 
bildet,  mit  O-,  und  den  Winkel,  den  die  durch  die  ^^-Axe  und 
den  Leitstrahl  gehende  Ebene  mit  der  ^^- Ebene  bildet,  mit  g) 
bezeichnen.  Dann  erhalten  wir  als  Ausdruck  eines  Raumelementes 
das  Product: 

11^ sind'  d%-  d(p  du, 

wodurch  der  Wahrscheinlichkeitsausdruck  übergeht  in: 

1 


«3  Jt^/i 


ii"^  e    «2  sin  d'  dd-  dq)  d  u. 


Dieser  Ausdruck   möge   nach   (p  von  0  bis  2  ;r  und  nach  d- 
von  0  bis  n  integrirt  werden,  wodurch  entsteht: 


4  _!^ 


a^-Vn 


Der  so  erhaltene  Ausdruck  stellt  die  WalirsclieinJiclilieit  dar, 
welche  dafür  besteht,  dass  die  Geschwindig'keit  des  zur  Betrachtung 
ausgeiüählten  Ilölecüls   zwischen  u   und   u  -\-  du  liege.     Er   ist 


40  Abschnitt  I. 

also  gleiclibedeuteud  mit  f(it)du^  woraus  folgt,  dass  nach  Max- 
weU's  Ansicht  zu  setzen  ist: 

(lOj  /(•»)  =  -^  W^ß-S. 

Diese  Gleichung  drückt  das  viel  besprochene  Maxwell'sche 
GescJiiüindiglceüsgeset^  der  Molecüle  aus. 

Von  vielen  Seiten,  und  zwar  zum  Theil  von  hervorragenden 
Physikern,  wird  dieses  Gesetz  so  behandelt,  als  ob  es  absolut 
richtig  sein  müsse.     Dem  kann   ich   aber  nicht  ganz  zustimmen. 

Die  Ableitung  des  Gesetzes  beruht,  wie  schon  oben  gesagt, 
auf  der  Voraussetzung,  dass  die  nach  drei  auf  einander  senk- 
rechten Coordinatenrichtungen  genommenen  Geschwindigkeits- 
componenten  von  einander  unabhängig  seien,  und  den  Ausgangs- 
punct  der  Ableitung  hat  die  Betrachtung  des  Verhaltens  harter 
elastischer  Kugeln  gebildet,  bei  denen  jene  Voraussetzung  erfüllt 
ist.  Dem  gegenüber  glaube  ich  geltend  machen  zu  dürfen,  dass 
ich  schon  in  meinen  ersten  Abhandlungen  über  die  kinetische 
Gastheorie,  welche  einige  Jahre  vor  der  Maxwell' sehen  Ab- 
handlung erschienen  sind,  darauf  hingewiesen  habe,  dass  das 
Verhalten  der  Molecüle  zu  einander  demjenigen  harter  elastischer 
Kugeln  zwar  ähnlich,  aber  nicht  ganz  gleich  ist. 

Wenn  man  den  Molecülen  ausser  den  Bewegungen  ihrer 
Schwerpuncte  auch  noch  besondere  Bewegungen  ihrer  Bestand- 
theile  zuschreibt,  und  annimmt,  dass  diese  so  schnell  stattfinden, 
dass  beim  Zusammenstosse  zweier  Molecüle  verschiedene  Bestand- 
theile  beider  Molecüle  in  Wechselwirkung  treten,  so  wird  man 
zugeben  müssen,  dass  die  Geschwindigkeiten  der  Schwerpuncte 
beider  Molecüle  nach  dem  Stosse  nicht  bloss  von  den  Geschwindig- 
keiten der  Schwerpuncte  vor  dem  Stosse  abhängen,  sondern  dass 
auch  die  Bewegung  der  Bestandtheile  einen  Einfiuss  darauf  haben 
muss,  und  zwar  wird  man  diesen  Einfiuss  als  einen  ausgleichenden 
anzusehen  haben,  welcher  bewirkt,  dass  solche  Geschwindigkeiten, 
die  sehr  weit  vom  Mittelwerthe  abweichen,  weniger  oft  vorkommen, 
als  sie  ohne  diesen  Einfiuss  vorkommen  würden. 

Dabei  werden  auch  die  Geschwindigkeiten  der  Bestandtheile 
Aenderungen  erleiden.  Wenn  zwei  Molecüle  mit  sehr  grosser 
relativer  Geschwindigkeit  zusammenfliegen,  so  wird  ein  Theil  der 
lebendigen  Kraft  dieser  Molecularbewegung  auf  die  Bestandtheile 
übergehen,   so   dass  diese  in  lebhaftere  gegenseitige  Bewegungen 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  41 

gerathen,  während  die  relative  Geschwindigkeit  der  Molecüle  beim 
Auseiuaiiderfliegeii  geringer  sein  wird,  als  beim  Zusammentiiegen. 
Wenn  umgekehrt  zwei  Molecüle  mit  sehr  kleiner  relativer  Ge- 
schwindigkeit zusammentiiegen,  so  wird  auf  Kosten  der  Bewegung 
der  Bestandtheile  die  relative  Geschwindigkeit  der  Molecüle  ver- 
grössert  werden. 

Daraus  folgt,  dass  bei  Molecülen,  bei  denen  die  Bewegung 
der  Bestandtheile  einen  erheblichen  Bruchtheil  der  Gesammt- 
bewegung  bildet,  das  Gesetz  der  relativen  Geschwindigkeiten  der 
Molecülpaare  nicht  ganz  dasselbe  sein  kann,  wie  bei  harten 
elastischen  Kugeln,  bei  denen  jene  ausgleichende  Wirkung  nicht 
vorkommt.  Zugleich  ist  es  selbstverständlich,  dass,  'wenn  die 
relativen  Geschwindigkeiten  der  Molecülpaare  eine  Aenderung 
erleiden,  auch  die  absoluten  Geschwindigkeiten  der  einzelneu 
Molecüle  geändert  werden,  und  somit  nicht  genau  dem  Max- 
well'sehen  Gesetze  folgen  können. 

Das  Maxwell'sche  Gesetz  ist  also  nicht  als  ein  solches  zu 
betrachten,  welches  der  Wirklichkeit  unter  allen  Umständen  genau 
entspricht.  Dessen  ungeachtet  hat  es  einen  grossen  Werth,  in- 
dem es  wenigstens  für  einen  speciellen  Fall  das  sehr  complicirte 
Verhalten  vieler  frei  bewegter  Körper  zu  einander  klar  und  be- 
stimmt darstellt,  und  für  andere  Fälle  ein,  wenn  auch  nicht  ge- 
naues, so  doch  ungefähres  Bild  davon  giebt.  Es  ist  daher  zweck- 
mässig, sich  mit  dem  Gesetze  und  seinen  Folgen  näher  bekannt 
zu  machen. 


§.  18.     Einige   Folgerungen   aus   dem  MaxwelFschen  Ge- 
schwindigkeitsgesetze. 

Das  im  vorigen  Paragraphen  mitgetheilte  Maxwell'sche 
Gesetz  lässt  sich,  wenn  es  auf  eine  sehr  grosse  Anzahl  N  von 
Molecülen  bezogen  wird,  auch  so  aussprechen:  miter  N  3Ioh- 
cülen  ist  die  Anzahl  derjenigen^  deren  Gescliwindiglceiten  zwisehen 
II  und  u  -\-  du  liegen,  gleich 

7^  u^ e        au. 


«3  yo 

Hiernach  kann  man  leicht  den  ]\Iittelwerth  irgend  einer  Po- 
tenz von  u  bestimmen.     Man   braucht  nämlich,   um  den  Büttel- 


42  Abschnitt  I. 

werth  der  *^ten  Potenz  von  u  zu  erhalten,  nur  den  vorstehenden 
Ausdruck  mit  w**  zu  multipiiciren,  ihn  dann  von  u  =  0  bis  u  =  cc 
zu  integriren  und  endlich  das  Integral  durch  N  zu  dividiren. 
Da  der  Factor  N  bei  der  Integration  unverändert  stehen  bleibt 
und  bei  der  Division  sich  forthebt,  so  kann  man  ihn  auch  von 
vornherein  fortlassen,  und  erhält  daher,  wenn  man  den  gesuchten 
Mittelwerth  nach  der  von  mir  eingeführten  Bezeichnungsweise 
durch  ti'»  darstellt,  die  Gleichung: 

(11)     ■  W'  =  -^-    ru''+^  e~^' du. 

a'^  y  n  J 

0 

Hieraus  ergiebt  sich  unter  andern: 


(12) 


-2  3     2 

u  =  —=,a]  1^2  =  — «2. 

—  4  —        15 

u'^  =  —p=  «3;  u^  =  —-  a*. 
VTt  4 


Maxwell  hat  auch  die  relativen  Geschwindigkeiten  der 
durch  beliebige  Combination  je  zweier  Molecüle  gebildeten  Mole- 
cülpaare  in  entsprechender  Weise  behandelt,  und  hat  für  die- 
selben ein  Gesetz  aufgestellt,  welches  sich  von  dem  für  die  ab- 
soluten Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Molecüle  aufgestellten 
nur  dadurch  unterscheidet,  dass  die  Constante  cc  durch  1/2  a  er- 
setzt ist.  Das  Gesetz  lautet  nämlich  folgendermaassen :  Wenn 
irgend  zwei  Molecüle  lOÜTkürlicli  herausgegriffen  tverden,  so  ivird 
die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ihre  relative  Geschtvindigkeit  zwischen 
den    Werthen  r  und  r  -j-  dr  liege,  dargestellt  durch  die  Formel: 

1/2  -  — 


«3  y^ 

In   dieser  Formel  braucht  man  nur  dem  constanten  Factor 

4 
die  Gestalt    ,  ,_  ,„    ,-   zu   geben,  um   sich  zu  überzeugen,  dass 
(\/2  af  y-si 

sie  in  der  That  bis  auf  die  Umänderung  der  Constante  «in  V2  a 
mit  der  für  ii  gegebenen  Formel  übereinstimmt. 

Aus  derselben  lassen  sich  die  Mittelwerthe  der  verschiede- 
nen Potenzen  von  r  gerade  so  ableiten,  wie  aus  der  anderen 
Formel  die  Mittelwerthe  der  verschiedenen  Potenzen  von  u,  und 
man  erhält  dadurch  unter  andern: 


(13) 


Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  43 

r  =       ,-    «;      r^  =  da-; 

-        8V2      ,      -        ^^    ^ 

r'  =  ■    ,-    ci''\     r*  =  15  «^ 

Schliesslich  möge  noch  eine  von  Maxwell  in  Prop,  VIII 
seiner  Abhandlung  gegebene  Formel  besprochen  werden.  Wählt 
man  ein  Molecül,  dessen  Geschwindigkeit  u  ist,  zur  Betrachtung 
aus,  so  haben  die  übrigen  Molecüle  zu  demselben  verschiedene 
relative  Geschwindigkeiten,  und  man  kann  sich  die  Frage  stellen, 
welchem  Gesetze  diese  relativen  Geschwindigkeiten  folgen.  Dieses 
Gesetz  hat  Maxwell  folgendermaassen  festgestellt:  Die  Wahr- 
scheinlichkeit^ dass  bei  einem  tvillMirlich  herausgegriffenen  Molecül 
die  relative  Geschwindigkeit  zu  dem  gegehenen  Molecül  mit  der 
Geschwindigkeit  u  zivischen  den  Werthen  r  und  r  -]-  dr  liege^ 
wird  dargestellt  durch  die  Formel: 

—-7-  —  (e       "'     —  e       "'    \  dr. 
a^Tt  u\  ) 

Um  aus  dieser  Formel  den  Mittelwerth  der  relativen  Ge- 
schwindigkeiten aller  anderen  Molecüle  zu  dem  gegebenen  Molecül 
mit  der  Geschwindigkeit  m,  welcher  Mittelwerth  mit  r„  bezeichnet 
werden  möge,  abzuleiten,  hat  man  sie  mit  r  zu  multipliciren, 
und  dann  von  r  ■=  0  bis  /  =  00  zu  integriren.  Dadurch  er- 
hält man: 

(14)  7,,=  -^    f  r'(e       "'     -e       "M  rZr. 

0 

Die  hierin  angedeutete  Integration  kann  für  die  beiden  Glie- 
der einzeln  ausgeführt  werden. 

Bei  der  Behandlung  des  ersten  Gliedes  möge  die  Veränder- 
liche z  mit  der  Bedeutung 

r  —  u, 

z  — 

a 

eingeführt  werden,  wodurch  entsteht 

r^  e       "       dr  =  ci  («^ ^2  -|-  2  oc  u z  -\-  h'^) e-^^  d z. 
Da  nun  bei  der  Integration  den  für  r  vorgeschriebenen  Gren- 
zen  0  und   00   für  z  die  Grenzen  —  —  und  x>   entsprechen,  so 
kommt : 


44  Abschnitt  I. 

(r  —  m)2 


/    r^  e       "'     dr  ^=  a    1    (a^ ^^ -]- 2auz -{- 11^)6^"^  dg. 


Berücksichtigt  man  hierin  noch,  class  man  setzen  kann: 

^-^e-^'  dz  =  —  ~  d(2e-'')  +  ^  e-''d0, 

so  gelangt  man  zunächst  durch  theilweise  Ausführung  der  Inte- 
gration zu  der  Gleichung: 

r'-e       "'     dr  =  i^  oi^ue    ""'  -^  a  (^  oc'-  -\-  tA    j    e-'^  d 2: 

0  u 

u 

Hierin  kann  man  ferner  setzen: 

e-'''dg-=    I    e-'^dg-\-    /    p-'^  ds 


0 


0 
wodurch  die  Gleichung  übergeht  in: 

00  {r-iCf 

(15)  r  r^ 


«27  1  ,  «2 

e  dr  =  —  cc^  u  e 


2 


+  «  (1  «2  +  w^)  (  y^  e-^^(^^  +  ^V7t 


Durch    ganz    entsprechende   Behandlung    des   zweiten   unter 
dem  Integralzeichen  der  Gleichung  (14)  stehenden  Gliedes  gelangt 


man  zu  der  Gleichung: 


„00  _  (r  +  u)^  _  m2 

ai  1  a2 

r^e  dr  =  —  —  oc'^tie 


(16)    / 

U 


1     ,- 


Avt  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen.  45 

Die  beiden  in  (15)  und  (10)  an  der  rechten  Seite  stellenden 
Werthe  hat  man  in  (14)  einzusetzen,  um  den  gesuchten  VVerth 
von  >•„  zu  erhalten,  nämlich: 


y Tc  u  Mit     j 


ABSCHNITT   IL 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle. 

§,  1.     Specielle  Voraussetzungen  über  die  von  den 
Molecülen  ausgeübten  Kräfte. 

Es  ist  im  vorigen  Abschnitte  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass 
die  Molecüle  der  gasförmigen  Körper  sich  in  einem  derartigen 
Bewegungszustande  befinden,  dass  jedes  Molecül  sich  als  Ganzes 
so  lange  geradlinig  bewegt,  bis  es  gegen  ein  anderes  Molecül 
oder  eine  feste  Wand  stösst  und  nach  dem  Abprallen  eine  neue 
geradlinige  Bewegung  nach  anderer  Richtung  beginnt.  Es  ent- 
steht nun  die  Frage,  wie  gross  durchschnittlich  die  Wege  sind, 
welche  das  Molecül  von  einem  Abprallen  bis  zum  folgenden 
zurücklegt. 

Um  die  Behandlung  dieser  Frage  zu  erleichtern,  wird  es 
zweckmässig  sein,  zunächst  einige  Bemerkungen  darüber  voraus- 
zuschicken, wie  man  sich  die  Molecularkräfte  möglicherweise  vor- 
stellen kann.  Diese  Bemerkungen  sind  aber  nicht  als  ein  wesent- 
licher Bestandtheil  der  weiterhin  folgenden  Entwickelung  zu 
betrachten,  sondern  sollen  nur  dazu  dienen,  die  Ideen  zu  fixiren. 

Wenn  wir  von  den  Kräften  der  chemischen  Verwandtschaft 
absehen  und  nur  solche  Molecüle  betrachten,  die  chemisch  gegen 
einander  indifferent  sind,  so  glaube  ich,  dass  man  noch  zwei 
Kräfte  unterscheiden  muss,  dass  nämlich  bei  der  Annäherung 
zweier  Molecüle  zuerst  eine  Anziehungskraft  wirkt,  welche  schon 
in  einiger  Entfernung  anfängt  merkbar  zu  werden,  und  mit  Ab- 
nahme der  Entfernung  wächst;  dass  dann  aber,  wenn  die  Molecüle 
in  unmittelbare  Nähe  zu  einander  gelangt  sind,  eine  Kraft  ein- 


üeber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  47 

tritt,  welche  sie  wieder  auseinander  zu  treiben  sucht.  Wie  man 
sich  die  letztere  denken  will,  oh  so,  wie  bei  festen  elastischen 
Körpern,  die  erst,  wenn  sie  in  wirklicher  Berührung  sind  und 
mit  einer  gewissen  Kraft  zusammengedrückt  wurden,  sich  mit 
derselben  Kraft  wieder  auseinander  treiben,  oder  so,  dass  sie 
schon  vor  der  wirklichen  Berührung  der  Molecüle  eintritt,  ist 
für  die  hier  beabsichtigte  Betrachtung  gleichgültig.  Ebenso  kann 
der  Ursprung  dieser  Kräfte,  ob  man  sie  beide  den  ponderablen 
Massentheilchen  selbst,  oder  eine  von  ihnen  einem  feineren  Stoffe, 
mit  dem  die  ponderablen  Massentheilchen  begabt  sein  können, 
zuschreiben  will,  hier  unerörtert  bleiben. 

Denken  wir  uns  nun  zwei  Molecüle ,  die  sich  in  solchen 
Richtungen  bewegen,  dass  sie,  wenn  sie  diese  Richtungen  unver- 
ändert beibehielten,  nicht  aufeinander  stossen,  sondern  in  einiger 
Entfernung  aneinander  vorbeigehen  würden,  so  können  verschie- 
dene Fälle  eintreten.  Ist  die  Entfernung  sehr  klein,  so  kommen 
die  Molecüle,  welche  durch  die  schon  aus  einiger  Entfernung 
wirkende  Anziehungskraft  noch  mehr  zu  einander  gezogen  werden, 
sich  so  nahe,  dass  die  abstossende  Kraft  wirksam  wird  und  ein 
Abprallen  der  Molecüle  stattfindet.  Ist  die  Entfernung  etwas 
grösser,  so  erleiden  die  Bahnen  der  Molecüle  nur  durch  die  An- 
ziehungskraft eine  gewisse  Richtungsänderung,  ohne  dass  die 
Abstossungskraft  dabei  in  Wirksamkeit  treten  kann.  Endlich 
bei  noch  grösseren  Entfernungen  ist  der  Einfiuss  der  Molecüle 
auf  einander  ganz  zu  vernachlässigen. 

Wie  gross  die  Entfernungen  sein  müssen,  damit  das  eine 
oder  das  andere  eintritt,  würde  sich,  selbst  wenn  man  über  die 
Molecularkräfte  genaue  Kenntniss  hätte,  nicht  allgemein  be- 
stimmen lassen,  indem  dabei  auch  die  Geschwindigkeit  der  Mole- 
cüle und  die  gegenseitige  Neigung  ihrer  Bahnen  in  Betracht 
kommen,  indessen  würde  man  doch  mittlere  Werthe  dieser  Ent- 
fernungen angeben  können.  Wir  wollen  daher  annehmen,  es  sei 
als  ein  solcher  Mittelwerth  die  Entfernung  ö  gegeben,  welche 
die  Grenze  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Fall  bildet,  und 
deren  Bedeutung  wir  noch  etwas  bestimmter  folgendermaassen 
feststellen  wollen.  Wenn  die  Schwerpuncte  zweier  Molecüle  solche 
Bewegungsrichtungen  haben,  dass  sie,  wenn  sie  sich  in  diesen 
Richtungen  geradlinig  fortbewegten,  in  einer  Entfernung  an  ein- 
ander vorbeigehen  würden,  die  grösser  als  ö  ist,  so  ändern  die 
Molecüle   nur   durch  die  gegenseitige  Anziehung  die  Richtungen 


48  Abschnitt  11. 

ihrer  Bahnen  etwas,  ohne  dass  eine  auseinandertreibende  Kraft 
zwischen  ihnen  eintritt;  ist  dagegen  jene  Entfernung  kleiner  als 
ö,  so  tritt  auch  die  letztere  Kraft  in  Thätigkeit  und  es  findet 
ein  Abprallen  der  Molecüle  statt. 

Wenn  wir  nun  unter  Zuscmimenstoss  zweier  Molecüle  nur 
den  letzteren  Fall  verstehen,  und  dagegen  die  Richtungsände- 
rungen, welche  bei  grösseren  Entfernungen  durch  die  Anziehung 
verursacht  werden,  ausser  Acht  lassen,  so  können  wir  für  unsere 
hier  beabsichtigten  Betrachtungen  eine  um  den  Schwerpunct  des 
Molecüls  als  Centrum  mit  dem  Radius  6  beschriebene  Kugel  als 
die  Wirliungssjihäre  des  Molecüls  bezeichnen. 

Ich  will  noch  einmal  hervorheben,  dass  die  hierbei  gemachten 
speciellen  Annahmen  über  die  Natur  der  Molecularkräfte  nicht 
als  eine  nothwendige  Bedingung  für  die  Gültigkeit  der  folgenden 
Entwickelungen  anzusehen  sind,  sondern  dass  sie  nur  dazu  dienen 
sollten,  der  Vorstellung  einen  gewissen  Anhaltspunct  zu  geben, 
und  dadurch  das  Verstau dniss  zu  erleichtern.  Wie  man  sich 
auch  die  Kräfte,  durch  welche  die  Molecüle  ihre  Bewegungs- 
richtungen gegenseitig  ändern,  denken  mag,  wenn  man  nur  zu- 
giebt,  dass  ihre  Wirkungen  nur  bis  in  sehr  kleine  Entfernungen 
merkbar  sind,  so  wird  man  immer  eine  Entfernung  als  Grenz- 
werth  annehmen  können,  mit  der  Bestimmung,  dass  die  Wirkungen 
in  grössere  Entfernungen  hinaus  vernachlässigt  und  nur  die 
Wirkungen  in  kleineren  Entfernungen  berücksichtigt  werden 
sollen,  und  eine  mit  dieser  Entfernung  beschriebene  Kugel  kann 
man  dann  als  Wirkungssphäre  bezeichnen. 

Wenn  man  den  Vorgang  des  Zusammenstosses  und  Abprallens 
näher  betrachtet,  so  sieht  man  leicht,  dass  er  sich  verschieden 
verhalten  muss,  je  nachdem  die  abstossende  Kraft,  welche  das 
Abprallen  zur  Folge  hat,  bei  der  gegenseitigen  Annäherung  der 
Molecüle  mehr  oder  weniger  schnell  wächst.  Als  Grenze  nach 
der  einen  Richtung  hin  kann  man  den  Fall  betrachten,  wo  die 
Molecüle  sich  zu  einander  so  verhalten,  wie  zwei  sehr  harte 
elastische  Kugeln,  zwischen  denen  bei  ihrer  gegenseitigen  An- 
näherung so  lange  gar  keine  Kraft  wirkt,  bis  ihre  Oberflächen 
sich  berühren,  dann  aber  plötzlich  eine  abstossende  Kraft  ein- 
tritt, welche  bei  weiterer  Annäherung  so  schnell  wächst,  dass 
der  Vorgang  des  Zusammenstosses  und  Abprallens  auf  eine  un- 
merklich kurze  Bewegungsstrecke  und  eine  unmerklich  kurze 
Zeit  beschränkt  ist. 


Ueljer  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  49 


§.  2,     Vereinfachung  der  Betrachtiingon. 

Obwohl  nach  der  Schhissbemerkung  des  vorigen  Paragraplien 
der  Fall,  wo  die  Molecüle  sich  so  zu  einander  verhalten,  wie 
harte,  elastische  Kugeln,  unter  den  verschiedenen  möglichen  Fällen 
nur  einen  Grenzfall  bildet,  so  bietet  er  doch  durch  seine  Ein- 
fachheit für  die  Betrachtung  so  grosse  Vorzüge  dar,  dass  er  am 
geeignetsten  ist,  von  dem  ganzen  Vorgange,  welcher  wegen  der 
Mannichfaltigkeit  der  vorkommenden  Bewegungen  sehr  compli- 
cirt  ist,    eine  einigermaassen   anschauliche  Vorstellung  zu  gehen. 

Es  möge  also  angenommen  werden,  dass  in  einem  gegebenen 
Räume  eine  grosse  Menge  von  elastischen  Kugeln  unregelmässig 
durch  einander  fliegen  und  beim  Zusammenstossen  nach  den 
Elasticitätsgesetzen  von  einander  abprallen.  Von  einer  um- 
schliessenden  festen  Wand  können  wir  vorläufig  absehen ,  wenn 
wir  uns  denken,  dass  der  Raum,  innerhalb  dessen  wir  den  Vor- 
gang betrachten,  nur  einen  Theil  eines  grösseren  von  dem  Gase 
erfüllten  Raumes  bilde.  Wählt  man  nun  eine  der  Kugeln  zur 
speciellen  Betrachtung  aus,  so  handelt  es  sich  darum,  zu  bestim- 
men, wie  weit  sie  durchschnittlich  fliegen  kann,  bis  sie  eine  der 
anderen  Kugeln  trifft. 

Wir  wollen  jedoch  nicht  ohne  Weiteres  zur  Behandlung 
dieser  Frage  schreiten,  sondern  statt  ihrer  zunächst  eine  etwas 
einfachere  stellen,  welche  mit  ihr  in  solcher  Verbindung  steht, 
dass  man  aus  der  Lösung  der  einen  auf  die  der  anderen  schliessen 
kann. 

Wir  wollen  nämlich  annehmen,  dass  nicht  alle  in  dem  Räume 
befindlichen,  als  kugelförmig  vorausgesetzten  Molecüle  in  Bewe- 
gung seien,  sondern  dass  nur  das  eine  sur  BetracMung  aus- 
geiüählte  sich  beivege^  während  alle  anderen  in  festen  Lagen  be- 
harren. Dann  wird  die  bewegte  Kugel  bald  hier  bald  dort  gegen 
eine  der  festen  anstossen  und  von  dieser  in  der  Weise  abprallen, 
dass  ihre  Geschwindigkeit  dieselbe  bleibt  und  nur  die  Richtung 
ihrer  Bewegung  sich  ändert.  Die  Anzahl  der  Stösse,  welche  die 
bewegte  Kugel  unter  diesen  Umständen  erleidet,-  ist  nicht  so 
gross,  wie  die  Anzahl  derer,  welche  sie  erleiden  würde,  wenn 
auch  die  anderen  Kugeln  sich  bewegten,  aber  im  Uebrigen  sind 
die  Vorgänge  in   beiden  Fällen   einander   so   ähnlich,   dass  man 

Clausius,  mechan.  Wärmetheorie.     III.  4 


50  Abschnitt  11. 

auch  an  einer  gewissen  Uebereinstimmung  der  auf  sie  bezüglichen 
Gesetze  nicht  zweifehi  kann. 

Ausser  dieser  Vereinfachung  möge  noch  eine  andere  ein- 
geführt werden,  welche  nicht  so  wesentlich  ist,  sondern  nur  die 
Form  der  Betrachtungsweise  betrifft.  Anstatt  nämlich  die  Be- 
wegung der  ganzen  Kugel  zu  betrachten,  können  wdr  die  Be- 
trachtung auf  die  Bewegung  ihres  Mittel punctes  heschränhen. 

Da  nun  der  Mittelpunct  einer  Kugel  sich  dem  Mittelpuncte 
einer  anderen  Kugel  nur  so  weit  nähern  kann ,  bis  ihr  gegen- 
seitiger Abstand  gleich  dem  Durchmesser  der  Kugeln  ist,  so  kann 
man  sich  um  jede  der  festen  Kugeln  eine  zweite  concentrische 
Kugelfläche  beschrieben  denken,  deren  Radius  gleich  dem  Durch- 
messer der  gegebenen  festen  Kugel  ist,  und  die  mit  derjenigen 
KugelHäche  übereinstimmt,  welche  weiter  oben  als  Wirkungs- 
sphäre des  gegebenen  Molecüls  bezeichnet  wurde.  Diese  nur  in 
Gedanken  um  die  festen  Molecüle  beschriebenen  Kugelflächen 
kann  man  dann  als  feste  Flächen  betrachten,  welche  den  für  die 
Bewegung  des  Punctes  freien  Raum  begrenzen,  und  von  welchen 
der  Punct,  wenn  er  sie  trifit,  nach  den  Gesetzen  des  elastischen 
Stosses  abprallt.  Dann  haben  wir  es  also  nur  noch  mit  einem 
zwischen  festen  Wänden  umherfliegenden  materiellen  Puncto  zu 
thun,  wodurch  die  Betrachtung  sehr  erleichtert  wird. 

Bei  der  Einfülirung  der  die  festen  Kugeln  umgebenden  Kugel- 
flächen mit  doppeltem  Radius  tritt  aber  ein  eigenthümlicher  Um- 
stand ein,  welcher  der  Erörterung  bedarf.  Wenn  alle  festen  Kugeln 
so  weit  von  einander  entfernt  wären,  dass  die  Abstände  ihrer 
Mittelpuncte  grösser  wären  als  das  Vierfache  ihres  Radius,  so 
würden  die  mit  dem  doppelten  Radius  um  sie  beschriebenen 
Kugelflächen  alle  ganz  frei  liegen,  ohne  sich  gegenseitig  zu 
schneiden.  Wenn  aber  zwei  der  festen  Kugeln  einander  so  nahe 
liegen,  dass  der  Abstand  ihrer  Mittelpuncte  kleiner  ist,  als  das 
Vierfache  ihres  Radius,  so  werden  die  mit  dem  doppelten  Radius 
um  sie  beschriebenen  Kugelflächen  sich  gegenseitig  schneiden. 
Dann  liegt  von  jeder  dieser  Kugelflächen  ein  Theil  innerhalb  der 
andern,  und  kann  daher  von  dem  bewegten  Puncto  nicht  getroffen 
werden. 

Da  nun  in  unserem  Falle  angenommen  wird,  dass  die  festen 
Kugeln  ganz  willkürliche  Lagen  haben,  die  nur  der  einen  Be- 
dingung unterworfen  sind,  dass  gleich  grosse  Räume  von  mess- 
barer Grösse  gleich  viel  Kugeln  enthalten   müssen,  so  ist  anzu- 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  51 

nehmen,  class  unter  den  vielen  Paaren  von  je  zwei  Kugeln  auch 
solche  vorkommen,  bei  denen  der  Al)stand  der  Mittelpuncte 
kleiner  ist,  als  das  Vierfache  ihres  Radius,  und  dem  gemäss  wird 
durch  das  erwähnte  Ineinandergreifen  der  um  die  Kugeln  be- 
schriebenen concentrischen  Kugelflächen  die  Gesammtgrösse  der 
Flächen,  an  denen  der  bewegte  Punct  abprallen  kann,  geringer 
werden,  als  sie  ohne  diesen  Umstand  sein  würde. 

Diese  Verringerung  kann  aber  bei  Gasen,. welche  nur  unter 
massigem  Drucke  stehen,  nur  sehr  klein  sein.  Sie  ist  eine  Grösse 
von  derselben  Ordnung,  wie  der  von  den  Wirkungssphären  der 
Molecüle  erfüllte  Raum  als  Bruchtheil  des  ganzen  von  dem  Gase 
eingenommenen  Raumes,  und  dieser  wiederum  ist  eine  Grösse 
von  derselben  Ordnung,  wie  die  Abweichung  des  Gases  vom 
Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze.  Wir  können 
daher  in  allen  solchen  Fällen,  wo  das  betreffende  Gas  dem 
Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  noch  genau 
genug  folgt,  um  seine  Abweichung  von  diesen  Gesetzen  vernach- 
lässigen zu  können,  auch  jene  Verringerung  der  dem  bewegten 
Puncto  zugänglichen  Fläche  vernachlässigen.  Wenn  aber  ein 
Gas  so  stark  zusammengedrückt  ist,  dass  seine  Abweichung  vom 
Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  nicht  mehr  ver- 
nachlässigt werden  darf,  so  darf  auch  jene  Flächenverringerung 
nicht  vernachlässigt  werden. 

In  den  zunächst  folgenden  Betrachtungen  wollen  wir  an- 
nehmen, dass  von  jener  Flächenverringerung  abgesehen  werden 
dürfe  1). 


§.  3.     Anzahl    der    Stösse    und    mittlere    Weglänge    eines 
beweglichen   Punctes  innerhalb    eines  Raumes,    der   be- 
liebige, die  Bewegung  hindernde  Flächen  enthält. 

Es  sei  ein  Raum  gegeben,  von  welchem  gewisse  Theile  durch 
starre  Oberflächen  abgegrenzt  sind.  Diese  in  grosser  Zahl  vor- 
handenen Oberflächen  sollen  nicht  regelmässig  in  bestimmten 
Abständen  angeordnet  sein,  sondern  ganz  willkürliche  Lagen 
haben.     In  diesem  Räume  befinde  sich  ein  beweglicher  Punct  an 


^)  Hiermit  bricht  die  vom'  Autor  seihst  besorgte  Eeinscbrift  des  Manu- 
scriptes  ab.  D.  H. 

4* 


52  Abschnitt  II. 

einer  beliebigen  Stelle,  so  dass  für  alle  gleich  grossen  Theile 
des  Raumes  die  Wahrscheinlichkeit,  den  Punct  zu  enthalten, 
gleich  gross  sei.  Dieser  Punct  mache  eine  unendlich  kleine  Be- 
wegung nach  irgend  einer  Richtung,  so  dass  alle  möglichen  Rich- 
tungen gleich  wahrscheinlich  seien.  Wie  gross  ist  unter  diesen 
Umständen  die  Walirsclieinliclikeit  ^  dass  der  Punct  hei  seiner 
unendlich  Meinen  JBeivegung  die  Oberfläche  treffe? 

Wir  wollen  zunächst  ein  einzelnes  Element  ds  der  Ober- 
fläche betrachten,  und  fragen,  wie  gross  die  Wahrscheinlichkeit 
ist,  dass  der  Punct  gerade  dieses  Element  der  Oberfläche  treffe. 

Wenn  dl  die  unendlich  kleine  Strecke  ist,  um  welche  der 
Punct  sich  bewegt,  so  denke  man  sich  nun  den  Punct  ruhend 
und  umgekehrt  das  Flächenelement  d  s  nach  der  entgegengesetzten 
Richtuiig  um  das  Stück  dl  bewegt.  Dadurch  beschreibt  das 
Flächenelement  einen  unendlich  kleinen  prismatischen  Raum,  und 
die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punct  gerade  in  diesem  Räume 
liege,  ist  dieselbe,  wie  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punct 
bei  seiner  Bewegung  das  E'lächenelement  ds  treffe. 

Für  alle  solche  Fälle,  wo  die  gedachte  Bewegung  des  Flächen- 
elementes  von  dem  begrenzten  Räume  nach  Aussen  geht,  so  dass 
der  von  dem  Flächenelement  beschriebene  kleine  Raum  ausser- 
halb des  gegebenen  Raumes  liegt,  ist  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  der  Punct  sich  in  diesem  kleinen  Räume  befinde,  gleich 
Null.  Für  solche  Fälle  dagegen,  wo  die  gedachte  Bewegung  des 
Flächenelementes  nach  Innen  geht,  so  dass  der  von  ihm  beschrie- 
bene kleine  Raum  einen  Theil  des  gegebenen  Raumes  bildet, 
wird  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punct  sich  gerade  in  diesem 
Theile  des  Raumes  befinde,  dargestellt  durch  einen  Bruch,  dessen 
Zähler  dieser  Theil  des  Raumes  und  dessen  Nenner  der  ganze 
Raum  ist. 

Sei  d-  der  Winkel,  welchen  die  Bewegungsrichtung  des  Ele- 
mentes mit  der  auf  dem  Elemente  nach  Innen  zu  errichteten 
Normale  bildet,  so  wird  die  Grösse  des  kleinen  Raumes  darge- 
stellt durch  den  Ausdruck: 

cos %•  ds  d 7, 
welcher  positiv  oder  negativ  wird,  je  nachdem  der  kleine  Raum 
innerhalb  oder  ausserhalb  des  gegebenen  Raumes  liegt.    Bezeich- 
nen wir  daher  noch  den   ganzen   für   die  Bewegung  des  Punctes 
freien  Raum  mit  TF,  so  können  wir  in  Bezug,  auf  die  zu  bestim- 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  53 

mencle  Wahrschoiiiliclikeit  sagen:  für  solche  Ijewegungsriclitungon, 
bei  denen  der  vorstehende  Ausdruck  negativ  wird,  ist  die  Wahr- 
scheinlichkeit gleich  Null,  und  für  solche  ßewegungsrichtungen, 
bei  denen   der  Ausdruck  positiv  wird,  ist  die  Wahrscheinlichkeit 

gleich 

cosQ'  ds  dl 


W 

Um  nun  die  mittlere  Wahrscheinlichkeit  für  alle  möglichen 
Bewegungsrichtungen  zu  berechnen,  müssen  wir  noch  das  auf  die 
Winkel  bezügliche  Wahrscheinlichkeitsgesetz  berücksichtigen.  Die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Winkel,  den  die  Bewegungsrichtung 
mit  der  Normale  bildet,  zwischen  einem  gegebenen  Werthe  d-  und 
dem  unendlich  wenig  verschiedenen  Werthe  d-  -j-  dd-  liege,  wird 
dargestellt  durch  das  Verhältniss  des  Flächeninhaltes  einer  Kugel- 
zone mit  dem  Polarwinkel  d'  und  der  Breite  d  d-  zur  ganzen  Kugel- 
fiäche,  also  durch  den  Bruch 

2  7C  sin  &  dd' sin  d-  dd' 

4^r  ~         2 

Mit  diesem  Bruche  haben  wir  den  vorigen  Bruch  zu  multi- 
pliciren,  und  dann  für  alle  Werthe  von  -9-,  für  welche  cos  Q-  positiv 

ist,  also  von  o  bis  ^  zu  integriren.    Die  Wahrscheinlichkeit,  dass 

der  Punct,  wenn  er  sich  nach  beliebiger  Richtung  um  die  Strecke 
dl  bewegt,  dabei  das  Flächen element  ds  treffe,  wird  also  dar- 
gestellt durch 

^  =  "2  2 

^cos^dsdl    sin^d^       dsdl    P    .    ^       ^.^       dsdl 


rcosd-  ds  dl    sin d-  dd- ds  dl    r 

J  W  2        ~  TWj 


sin  O"  cos  Q'  d%' 


4TF 


Dieselbe  Wahrscheinlichkeit,  welche  für  Ein  Flächenelement 
gilt,  gilt  auch  für  jedes  andere  ebenso  grosse  Flächenelement. 
Es  ergiebt  sich  daher  ohne  Weiteres  für  irgend  ein  zur  Betrach- 
tung ausgewähltes  endliches  Stück  s  der  Oberfläche,  oder  auch 
für  die  ganze  Oberfläche,  welche  wir  mit  S  bezeichnen  wollen, 
folgender  Satz:  Wenn  in  einem  von  der  Fläche  S  hegrenzien 
Baume  W  ein  Punct  sich  von  heUehiger  Stelle  aus  nach  heliehiger 
Bichtung  um  die  unendlich  Ideine  Streclic  dl  heiccgt,  so  wird  die 
Wcdirscheinlichkeit,  dass  er  dabei  einen  geioissen  Theil  s  der  Ober- 
fläche treffe,  dargestellt  durch 


54  Abscliuitt  II. 

und  die   WahrscheinJicMeü ,   dass   er  dabei   überhaupt   die  Ober- 
fläche treffe,  dargestellt  durch 

S 


4.W 


dl 


Wir  wollen  nun  annelimen ,  der  Punct  bewege  sich  nicht 
bloss  um  die  unendlich  kleine  Strecke  d  Z,  sondern  habe  eine 
gewisse  Geschwindigkeit  ^t,  mit  welcher  er  sich  fortbewege,  bis 
er  die  Oberfläche  treffe  und  von  dieser  nach  den  Elasticitäts- 
gesetzen  abpralle,  worauf  er  nach  anderer  Richtung  mit  dersel- 
ben Geschwindigkeit  seine  Bewegung  fortsetze.  Dabei  wollen  wir 
voraussetzen,  dass  die  Kraft,  welche  die  Oberfläche  auf  den  Punct 
ausübt,  nur  in  unmittelbarer  Nähe  wirke,  so  dass  die  Aenderung 
der  Bewegungsrichtung  beim  Stosse  in  unmerklich  kurzer  Zeit 
vor  sich  gehe,  und  demnach  die  Geschwindigkeit,  trotz  der  wäh- 
rend der  Stosszeit  stattfindenden  Abweichung,  als  constant  be- 
trachtet werden  dürfe. 

Dann  können  wir  im  vorigen  Satze  das  Wegelement  d  l  durch 
das  Product  udt  ersetzen,  und  sagen:  die  Wahrscheinlichheit, 
dass  der  Punct  ivährend  der  unendlich  Meinen  Zeit  d  t  die  Ober- 
fläche treffe,  tvird  dargestellt  durch: 

Su    -. 
Tw     ■ 

Daraus  ergiebt  sich  für  die  durchschnittlich  während  der 
Zeiteinheit  stattfindende  Anzahl  von  Stössen,  welche  wir  mit  P' 
bezeichnen  wollen,  die  Gleichung: 

(1)  P'  =    ^^ 

und  für  die  mittlere  Weglänge  V  erhalten  wir,  indem  wir  u  durch 
P'  dividiren,  die  Gleichung: 

4TF 


(2)  V 


S 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  55 

§.  4.     Anzahl    der    Stösse   und   mittlere    Weglänge    eines 

beweglichen   Punctes   innerhalb    eines   Raumes,   der   die 

Wirkangssphären  vieler  Molecüle  enthält. 

Wir  wollen  nun  annehmen,  die  durch  starre  Oberflächen  ab- 
gegrenzten Theile  des  gegebenen  Raumes  seien  die  Wirkungs- 
sphären sehr  vieler  in  festen  Lagen  befindlichen  Molecüle,  von- 
welchen  der  bewegliche  Punct,  wenn  er  sie  trifit,  abprallt. 

Um  die  Oberfläche  einer  Wirkungssphäre  zu  bestimmen,  be- 
nutzen wir  die  im  §.  1  dieses  Abschnittes  (S.  48)  für  den  Radius 
der  Wirkungssphäre  eingeführte  Grösse  ö  (Durchmesser  des  als 
Kugel  gedachten  Molecüls).  Demnach  ist  die  Oberfläche  einer 
Wirkungssphäre  4  7t  ö-.  Bezeichnen  wir  nun  die  Anzahl  der  in 
dem  gegebenen  Räume  vorhandenen  Molecüle  mit  N^  so  ist  die 
Anzahl  der  als  festliegend  angenommenen  N —  1,  und  die  ge- 
sammte  Oberfläche  ihrer  Wirkungssphären  wird  daher  durch  das 
Product  (N  —  1)  4  7t  ö-  dargestellt,  worin  man  wegen  der  enormen 
Grösse  der  Zahl  N  unbedenklich  die  danebenstehende  1  vernach- 
lässigen kann,  so  dass  der  Ausdruck  die  einfache  Gestalt  N 4:7t  6'^ 
annimmt. 

Wie  in  §.  2  erwähnt  wurde,  ist  nicht  die  gesammte  Ober- 
fläche der  Wirkungssphären  für  den  beweglichen  Punct  zugäng- 
lich, sondern  ein  Theil  derselben  wird  dadurch,  dass  die  Wir- 
kungssphären in  einander  greifen,  für  den  Punct  unzugänglich.  Da 
dieser  Theil  aber  bei  Gasen,  die  nur  unter  einem  massigem  Drucke 
stehen,  sehr  klein  ist,  so  möge  er  vorläufig  vernachlässigt  und 
die  gesammte  Oberfläche  aller  Wirkungssphären  als  für  den  be- 
weglichen Punct  zugänglich  in  Rechnung  gebracht  werden.  Dann 
bildet  das  obige  Product  N4:7c6^  den  Ausdruck  der  im  vorigen 
Paragraphen  mit  S  bezeichneten  Fläche.  Ferner  ist  zu  sagen, 
dass,  wenn  man  bei  der  Bestimmung  der  Fläche  S  einmal  die 
eben  besprochene  Vernachlässigung  als  zulässig  zugestanden  hat. 
man  auch  bei  der  Bestimmung  des  für  die  Bewegung  des  Punctes 
freien  Raumes  eine  Grösse  derselben  Ordnung  vernachlässigen 
und  statt  des  für  die  Bewegung  des  Punctes  freien  Raumes,  wel- 
cher im  vorigen  Paragraphen  mit  W  bezeichnet  wurde,  einfach 
den  ganzen  von  dem  Gase  eingenommenen  Raum.  Avelcher  T^ 
heissen  möge,  in  Rechnung  bringen  darf.  Demnach  gehen  die 
Gleichungen  (1)  und  (2)  für  den  vorliegenden  Fall  über  in: 


56  Aljsclmitt  IT. 

,  ,  -,„        N 4.71 6'^  Njtö-i 

(3)  P'  =  ^^-  u  =  — ^^  u 


(4) 


V 


JVtT  Ö2 


Die  letzte  Gleichung  ist  diejenige,  welche  ich  in  meiner  ersten, 
auf  die  mittlere  Weglänge  bezüglichen  Abhandlung  (Pogg.  Ann. 
Bd.  105,  S.  239  bis  258,  1858)  für  den  vorliegenden  Fall  ab- 
geleitet habe,  nur  dass  dort  die  Bezeichnung  etwas  anders  ge- 
wählt ist.  Statt  der  Grössen  V  und  N  ist  dort  eine  Länge  in 
die  Formel  eingeführt,  welche  zur  Vergleichung  mit  anderen  bei 
der  Betrachtung  vorkommenden  Längen  sehr  bequem  ist.  Es  ist 
nämlich  der  Abstand,  welcher  in  dem  Falle,  dass  die  Molecüle 
cubisch  angeordnet  wären,  zwischen  den  Mittelpuncten  zweier 
einander  zunächst  liegenden  Molecüle  bestehen  würde,  der  mitt- 
lere Abstand  der  Nachbarmolecüle  genannt  und  mit  X  bezeichnet. 
Bei  solcher  Anordnung  der  Molecüle  ist  leicht  zu  erkennen,  dass 
die  Anzahl  N  der  vorhandenen  Molecüle  dadurch  bestimmt  wird, 
wie   oft   der   Cubus  A3   in    dem   ganzen   Räume   V  enthalten   ist, 

und  dass  man  daher  den  Bruch  ^^p  durch  V>  ersetzen  kann.  Durch 

N 

diese  Aenderung  der  Bezeichnung  geht  die  Gleichung  (4)  über  in: 

in  welcher  Form  sie  sich  in  der  oben  erwähnten  Abhandlung 
findet,  nur  dass  der  früher  mit  q  bezeichnete  Radius  der  "Wir- 
kungssphäre jetzt  ö  genannt  ist  i).  — 

In  den  obigen  Auseinandersetzungen  ist  der  Raum  V  nur 
als  ein  zur  Betrachtung  ausgewählter  Theil   eines  grösseren  von 


1)  Die  nun  folgende  Erörterung  des  Einflusses  der  UmhüUungsfläclie 
findet  sich  ausführlicher  im  §.  7  (S.  66)  angestellt.  Auch  geht  aus  Rand- 
bemerkungen im  Manuscript  hervor,  dass  der  Verfasser  beabsichtigte,  den 
ganzen  Schluss  dieses  Paragraphen  erst  zum  Schlüsse  des  Abschnittes  zu 
bringen.  Ausserdem  sollte  die  Reihenfolge  der  folgenden  drei  Paragraphen 
in  der  Weise  stattfinden,  dass  nach  Einführung  der  relativen  Geschwindig- 
keiten, wie  in  §.  G,  sich  zuerst  die  Berücksichtigung  des  Molecularvolumens 
anschliessen  und  später  die  der  ümhüUungsfläche  folgen  sollte.  Da  indessen 
eine  solche  Umänderung  durch  die  Rücksicht  auf  den  Zusammenhang  nicht 
direct  geboten  ist,  so  haben  wir  uns  für  die  Beibehaltung  der  im  Manuscript 
befolgten  Anordnung  entschieden.  D.  H. 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasniolecüle.  57 

dem  Gase  erfüllten  Raumes  angenommen.  Sollte  aLer  der  Kaum 
V  von  einer  festen  Hülle  eingesclilossen  sein,  so  würde  der  be- 
wegliche Punct  auch  an  diese  anstossen  können  und  diese  Fläche 
müsste  daher  in  die  allgemeine  mit  S  bezeichnete  Fläche  mit 
einbegriffen  werden.  Bezeichnet  man  die  Fläche  der  Hülle  mit  s, 
so  hat  man  zu  setzen: 

S  =  N  4.710-^  4-  s, 
wodurch  aus   (1)  und  (2)    statt   der  Gleichungen  (3)  und   (4j  die 
folgenden  entstehen : 

V  = 


NA  7t  6-^  -^  s 

Es  möge  aber  hier  gleich  bemerkt  werden ,  dass  bei  einem 
Gase,  welches  nicht  sehr  verdünnt  ist,  z.  B.  einem  unter  dem 
atmosphärischen  Drucke  stehenden,  und  bei  einer  Form  des  Ge- 
fässes,  bei  welcher  die  Oberfläche  gegen  den  Rauminhalt  nicht 
sehr  gross  ist,  z.  B.  bei  der  Würfelform,  die  Oberfläche  s  des 
Gefässes  gegen  die  durch  NA  7t  6^  dargestellte  Gesammtoberfläche 
der  Wirkungssphären  als  sehr  klein  zu  betrachten  ist.  Es  wird 
daher  der  Regel  nach  kaum  nöthig  sein,  die  Grösse  s  in  die 
Formel  mit  aufzunehmen.  Nur  wenn  das  Gas  sehr  verdünnt  ist, 
oder  wenn  die  Gestalt  des  Gefässes  eine  solche  ist,  die  bei  ge- 
gebenem Rauminhalte  eine  sehr  grosse  Oberfläche  hat,  kann  die 
Nothwendigkeit,  die  Grösse  s  zu  berücksichtigen,  schon  bei  massi- 
gen Anforderungen  an  die  Genauigkeit  hervortreten. 


§.  5.     Berücksichtigung   des  Molecularvolumens. 

Bei  der  vorigen  Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  des 
beweglichen  Punctes  sind  die  Umstände,  dass  nicht  der  ganze 
von  dem  Gase  eingenommene  Raum  für  die  Bewegung  des  Punctes 
frei,  und  nicht  die  ganze  Oberfläche  der  Wirkungssphären  dem 
Puncte  zugänglich  sind,  vernachlässigt.  Wie  schon  oben  gesagt, 
ist  hierdurch  eine  Ungenauigkeit  entstanden,  welche  als  Bruch- 
theil  der  ganzen  mittleren  Weglänge  eine  Grösse  von  derselben 
Ordnung  ist,  wie  der  von  den  Molecülen  ausgefüllte  Raum  als 
Bruchtheil   des  ganzen   von   dem   Gase  eingenommenen  Raumes. 


58  Abschnitt  II. 

Wir  müssen  nun  versuchen,  auch  diese  Umstände  in  Rechnung 
zu  bringen  i),  wobei  wir  uns  aber  darauf  beschränken  wollen, 
dasjenige  hinzukommende  Glied  zu  bestimmen,  welches  in  Bezug 
auf  das  Molecularvolumen  von  der  ersten  Ordnung  ist,  während 
wir  die  Glieder,  welche  von  höherer  Ordnung  sind,  unberück- 
sichtigt lassen. 

In  Bezug  auf  den  für  die  Bewegung  des  Punctes  freien  Raum 
lässt  sich  die  Berücksichtigung  des  Molecularvolumens  leicht  aus- 
führen. Wir  müssen  nämlich  einfach  das  Volumen  der  sämmt- 
lichen  Wirkungssphären  von  dem  ganzen  von  dem  Gase  einge- 
nommenen Räume  abziehen,  und  somit  statt   W=  F  setzen: 

(  N^TtöÄ 

(5)  W=  V  -  N  ~  716-^=  V\l ^ . 

Was  die  Verminderung  der  dem  beweglichen  Puncte  zu- 
gänglichen Oberflächen  der  Wirkungssphären  anbetrifft,  so  lässt 
sich  diese  folgendermaassen  bestimmen.  Wir  betrachten  irgend 
eins  der  als  festliegend  angenommenen  Molecüle.  Da  die  Lage 
dieses  Molecüls  ganz  willkürlich  ist,  so  kann  es  auch  einem  der 
anderen  festen  Molecüle  so  nahe  liegen,  dass  ein  Theil  der  Ober- 
fläche seiner  Wirkungssphäre  in  die  Wirkungssphäre  des  anderen 
fällt,  und  dadurch  für  den  beweglichen  Punct  unzugänglich  wird. 
Dieses  tritt  ein,  sobald  das  betrachtete  Molecül  dem  anderen  so 
nahe  kommt,  dass  der  Abstand  ihrer  Mittelpuncte  kleiner  ist  als 
der  doppelte  Radius  der  Wirkungssphäre,  und  da  der  Abstand 
der  Mittelpuncte  nicht  kleiner  werden  kann,  als  der  einfache 
Radius  der  Wirkungssphäre,  so  kann  man  sagen:  das  theilweise 
Ineinandergreifen  der  Wirkungssphären  findet  statt,  wenn  der 
Abstand  der  Mittelpuncte  zwischen  dem  einfachen  und  dem  dop- 
pelten Radius  der  Wirkungssphäre  liegt. 


1)  Der  Umstand,  dass  nicht  das  ganze  Volumen,  welches  das  Gas  ein- 
nimmt, für  die  Bewegung  eines  Molecüls  frei  ist,  wurde  zuerst  von  van 
der  Waals  (Over  de  continuiteit  van  den  gas-en  vloeistoftoestand,  Leiden 
1873.  Deutsch  von  F.  Roth,  Die  Continuität  des  gasförmigen  und  flüssi- 
gen Zustaudes,  Leipzig  1881)  ziir  Sprache  gebracht;  aber  seine  Art,  diesen 
Umstand  in  Rechnung  zu  bringen,  stimmt  nicht  mit  der  meinigen  überein, 
und  ausserdem  hat  er  den  anderen  Umstand,  dass  ein  Theil  der  Oberflächen 
der  Wirkungssphären  der  Molecüle  durch  die  Wirkungssphären  anderer 
Molecüle  überdeckt  ist,  dessen  Einfluss  von  derselben  Ordnung  ist,  nicht 
mit  in  Rechnung  gebracht. 


lieber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  59 

Sei  nun  r  eine  innerhalb  dieses  Intervalls  liegende  Länge, 
so  wollen  wir  uns  denken,  es  seien  um  den  Mittelpunct  des  an- 
deren Molecüls  zwei  concentrische  Kugelfiächen  mit  den  Radien 
r  und  r  -|-  (ir  geschlagen.  Dann  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass 
der  Mittelpunct  des  betreffenden  Molecüls  innerhalb  der  zwischen 
diesen  beiden  Kugelflächen  befindlichen  Schicht  liegt,  so  gross, 
wie   der  Rauminhalt   der  Schicht  im  Verhältniss  zu  dem  ganzen 

gegebenen  Räume  ist,  und  wird  somit  durch  den  Bruch  ^^ — 

ausgedrückt. 

Bei  dieser  Lage  des  Mittelpunctes  fällt  von  der  Oberfläche 
der  betrachteten  Wirkungssphäre  eine  Kugelkuppe  in  die  andere 
Wirkungssphäre,  welche  dadurch   bestimmt  ist,   dass   die  Ebene 

ihres  Grenzkreises  um  —  r   vom   Mittelpuncte    der   betrachteten 

Wirkungssphäre  entfernt  ist.  Die  Höhe  der  Kugelkuppe  ist  also, 
wenn  wir  den  Radius  der  Wirkungssphäre  wieder  mit  6  bezeich- 
nen, gleich  ö  —  —  r,    woraus   folgt,   dass  der   Flächenraum   der 

Kugelkuppe  gleich  2%  6  id  —  "^^)  ist. 

Durch  Multiplication  dieser  Grösse  mit  der  oben  bestimmten 
Wahrscheinlichkeit  erhält  man: 

a/  l\4jrr2  8  7r2ö/^         1       \^ 

2  7t  6  [6  —  -^rj  —^  dr  =  — ^^  i^ör^  —  -  r^j  dr, 

und  wenn  man  diesen  Ausdruck  von  r  =  ö  bis  r  =  26  integrirt, 
so  erhält  man  den  Flächentheil ,  welchen  man  von  der  Oberfläche 
der  betrachteten  Wirkungssphäre  wegen  des  Vorhandenseins  der 
anderen  Wirkungssphäre  in  Abrechnung  bringen  muss.  Da  nun 
aber  neben  der  zur  Betrachtung  ausgewählten  festen  Wirkungs- 
sphäre nicht  bloss  eine,  sondern  N  —  2  feste  Wirkungssphären 
vorhanden  sind,  so  muss  man  den  so  bestimmten  Ausdruck  noch 
mit  dem  Factor  N  —  2  versehen,  wofür  man  ebenso,  wie  weiter 
oben  für  N  —  1,  unbedenklich  einfach  N  setzen  kann.  Demnach 
lautet  der  Ausdruck  des  Flächentheils,  welchen  man  von  der 
Oberfläche  der  Wirkungssphäre  abziehen  muss,  folgendermaassen : 

20- 

^^8  71^6  r /    ,       1     \  , 


F    ,/    V  2 


60  Abschnitt  II. 

woraus  man  durch  Ausführung  der  Integration  erhält: 

Dieser  Ausdruck  niuss  von  4: 7t  6^  abgezogen  werden ,  um  den 
für  den  beweglichen  Punct  zugänglichen  Theil  der  Oberfläche  einer 
Wirkungssphäre  zu  erhalten,  welcher  somit  folgenden  Ausdruck  hat: 

oder  anders  geschrieben: 

Da  nun  derselbe  Ausdruck  für  jede  der  festen  Wirkungs- 
flächen in  Anwendung  zu  bringen  ist,  so  erhalten  wir  zur  Be- 
stimmung der  ganzen  früher  mit  S  bezeichneten,  für  den  beweg- 
lichen Punct  zugänglichen  Fläche  die  Gleichung: 

(6)  S  =  Ni^c^[^l-^^—.^j- 

Wenden  wir  nun  die  in  (5)  und  (G)  gewonnenen  Ausdrücke 
von  TF  und  S  auf  die  Gleichungen  (1)  und  (2)  an,  so  erhal- 
ten wir: 


16         V 

(7)  P'  = ) 4 r- 

..fi-^:) 

welche   durch   Ausführung   der  Division   unter  Vernachlässigung 

N  —   7l<5^ 

der  Glieder,  welche  in  Bezug  auf ^ von  höherer  als  erster 

Ordnung  sind,  übergehen  in: 


(8) 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  61 


(9)  P-  =  i^'U  +  ^.^^U, 


5 

N 

j^7t6-^' 

16 
5 

N 

V 

4 

Will  man  statt  der  Wirkungssphären  die  als  kugelförmig 
angenommenen  Molecüle  selbst  betrachten,  so  braucht  man  nur 
zu  berücksichtigen,  dass  für  diese  Kugeln  6  nicht  den  Radius, 
sondern  den  Durchmesser  darstellt. 

Dieselben  Gleichungen,  welche  hier  für  einen  zwischen  den 
festen  Wirkungssphären  beweglichen  Punct  aufgestellt  sind,  gel- 
ten auch  für  ein  zwisclien  festen  Molecülen  bewegliches  Molecül. 
Nur  muss  man  im  Auge  behalten,  dass  die  Gleichungen,  wie  aus 
ihrer  Entwickelung  selbstverständlich  ist,  auf  sehr  verdichtete 
Gase  nicht  angewandt  werden  dürfen.  Die  Gleichungen  (7)  und 
(8)  dürfen  nur  so  lange  angewendet  werden,  als  der  von  den 
Molecülen  ausgefüllte  Raum  als  Bruchtheil  des  ganzen  von  dem 
Gase  eingenommenen  Raumes  gegen  1  vernachlässigt  werden 
kann,  und  die  Gleichungen  (9)  und  (10)  nur  so  lange,  als  das 
Quadrat  jenes  Bruches  gegen  1  vernachlässigt  werden  kann. 


§.  6.     Berücksichtigung  des  Umstandes,   dass  nicht  bloss 
Ein  Molecül   sich   bewegt,   sondern   alle  Molecüle  in  Be- 
wegung sind. 

In  den  vorstehenden  Betrachtungen  wurde  angenommen,  es 
sei  nur  ein  Molecül  in  Bewegung,  während  alle  anderen  Molecüle 
sich  in  festen  Lagen  befinden.  Es  muss  nun  untersucht  werden, 
welchen  Unterschied  es  macht,  wenn,  wie  es  in  der  Wirklichkeit 
der  Fall  ist,  auch  die  anderen  Molecüle  sich  bewegen,  und  zwar 
durchschnittlich  mit  derselben  Geschwindigkeit,  wie  das  betrach- 
tete Molecül. 

In  diesem  Falle  ist  die  Anzahl  der  Stösse,  welche  das  be- 
trachtete Molecül  erleidet,  grösser  als  in  dem  bisher  betrachteten 
Falle,  und  zwar  in  dem  Verhältnisse,  in  welchem  die  mittlere 
relative  Geschwindigkeit  des  betrachteten  Molecüls  zu  den  be- 
wegten  Molecülen   grösser  ist,  als  seine  relative  Geschwindigkeit 


62  Abschnitt  11. 

ZU  den  ruhenden  Molecülen  oder,  mit  anderen  Worten,  als  seine 
absolute  Geschwindigkeit.  Die  relative  Geschwindigkeit  zu  einem 
der  bewegten  Molecüle  möge  mit  r,  und  der  Mittelwerth  der  rela- 
tiven Geschwindigkeit  zu  allen  bewegten  Molecülen  mit  r  bezeichnet 
werden,  dann  haben  wir  in  den  Ausdrücken  von  P'  nur  u  durch 
r"  zu  ersetzen,  um  die  auf  diesen  Fall  bezügliche  Anzahl  von 
Stössen,  welche  mit  P  bezeichnet  werden  möge,  zu  erhalten.  Es 
kommt  also,  wenn  wir  uns  mit  der  einfacheren  unter  (3)  gegebe- 
nen Gleichung  begnügen: 

(11)  P=-^^r 

und  wenn  wir  die  genauere,  unter  (9)  gegebene  Gleichung  an- 
wenden wollen: 

(IIa)  ^  =  — r~ 

Um  aus  der  Anzahl  der  Stösse,  welche  ein  Molecül  während 
der  Zeiteinheit  erleidet,  die  mittlere  Weglänge  desselben  zwischen 
je  zwei  Stössen  abzuleiten,  beachte  man,  dass  in  unserer  obigen 
Untersuchung,  in  welcher  die  Geschwindigkeit  ii  des  Molecüls  als 
constant  vorausgesetzt  wurde,  diese  ohne  Weiteres  die  ganze 
während  der  Zeiteinheit  durchlaufene  Strecke  darstellte.  Man 
erhielt  also  durch  Division  derselben  mit  der  Anzahl  der  Stösse, 
oder  was  dasselbe  ist,  mit  der  Anzahl  der  einzelnen  W^ege,  aus 
denen  die  ganze  Strecke  besteht,  sofort  die  mittlere  Länge  der 
einzelnen  Wege.  In  dem  jetzt  betrachteten  Falle  aber,  wo  alle 
Molecüle  als  beweglich  angenommen  werden,  kann  die  Geschwin- 
digkeit u  nicht  als  constant  angenommen  werden,  indem  sie  bei 
jedem  Zusammenstosse  mit  einem  bewegten  Molecül  im  Allge- 
meinen eine  Aenderung  erleidet.  Man  kann  aber  die  mittlere 
Geschwindigkeit  des  Molecüls  u  bestimmen,  welche  wiederum  die 
ganze  während  der  Zeiteinheit  von  dem  Molecül  durchlaufene 
Strecke  darstellt,  und  diese  mittlere  Geschwindigkeit  muss  also 
durch  die  Anzahl  der  Stösse  dividirt  werden ,  um  die  mittlere 
Weglänge  zu  erhalten.  Bezeichnen  wir  die  so  bestimmte  mittlere 
Weglänge  mit  /,  so  erhalten  wir,  je  nachdem  wir  den  ersten  oder 
den  zweiten  der  beiden  vorstehenden  Ausdrücke  in  Anwendung 
bringen : 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  G3 


(12) 
oder 

(12  a) 


Ntcö 


Was  den  hierin  vorkommenden  Factor  —  anbetrifft,  so  muss 

r 

man,  nm  denselben  zu  bestimmen,  das  Gesetz  kennen,  welches  in 
Bezug  auf  die  verschiedenen  gleichzeitig  stattfindenden  Geschwin- 
digkeiten der  verschiedenen  Molecüle  gilt,  woraus  sich  dann  auch 
das  Gesetz  der  gleichzeitig  zwischen  den  verschiedenen  Molecül- 
paaren  stattfindenden  relativen  Geschwindigkeiten  ergiebt.  Zu 
der  Zeit,  als  ich  zuerst  die  mittlere  Weglänge  bestimmte,  war 
hierüber  noch  nichts  festgestellt,  und  ich  konnte  daher  keine 
genaue  Bestimmung  jenes  Bruches  ausführen. 

Um  aber  doch  eine  ungefähre  Vorstellung  von  seinem  Werthe 
zu  erhalten,  machte  ich  die  Annahme,  dass  alle  Molecüle  sich 
mit  gleicher  Geschwindigkeit  bewegten  und  nur  die  Richtungen 
der  Bewegungen  verschieden  seien.  In  diesem  Falle  lässt  sich 
die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  sehr  leicht  auf  folgende 
Weise  bestimmen. 

Für  zwei  Molecüle,  deren  Bewegungsrichtungen  den  Winkel  (p 
unter  einander  bilden,  würde,  wenn  die  beiden  absoluten  Ge- 
schwindigkeiten ?t  und  V  wären,  für  die  relative  Geschwindigkeit 
die  Gleichung: 

r  =  Vu-  -\-  v^  —  2  UV  cos  rp 
gelten;  wenn  dagegen  die  absoluten  Geschwindigkeiten  der  Mole- 
cüle gleich  sind,  so  erhalten  wir,  indem  wir  i^  =  u  setzen: 

(13)  r  =  u  V2  Vi  —  cos  cp. 

Denken  wir  uns  nun,  die  Richtung  des  einen  Molecüls  sei 
gegeben,  für  das  andere  Molecül  aber  sei  jede  Richtung  im  Räume 
gleich  wahrscheinlich,  so  wird  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der 
Winkel  zwischen  den  BcM^egungsrichtungen  der  beiden  Molecüle 
zwischen  einem  Werthe  cp  und  dem  unendlich  wenig  davon  ver- 
schiedenen Werthe  (p  -\-  d  cp  liege,  durch  das  Verhältniss  zwischen 
dem  Flächeninhalt  einer  Kugelzone  mit  dem  Polarwinkel  cp  und 
der  Breite  d cp,  und  dem  ganzen  Flächeninhalt  der  Kugel,  also 
durch  den  Bruch 


64  Abschnitt  II. 

2 n . sin (p  .dtp  sin  cp  d  (p 

4jr  ~         2 

dargestellt,  Multipliciren  wir  diese  Wahrscheinlichkeit  mit  der 
vorher  bestimmten,  zum  Winkel  (p  gehörigen  relativen  Geschwin- 
digkeit, und  integriren  dann  nach  cp  von  0  bis  jr,  so  erhalten 
wir  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit.  Es  gilt  also  die  Gleichung: 


fti  V2  V^l 


cos  cp 


sin  cp  .d  cp 


2 

0 

welche   sich,  wenn  wir  statt   cos  cp   das   einfache   Zeichen   v  ein- 
führen, so  schreiben  lässt: 

+ 1 
u 

V2 


(14)  r  =  :^     r  Vi  -  V  dv, 


woraus  sich  durch  Ausführung  der  Integration  ergiebt: 

—         4 
(15)  r  =  -  u. 

o 

Unter  der  Voraussetzung,  dass  die  absoluten  Geschwindig- 
keiten aller  Molecüle  gleich  wären,  würde  also  der  in  dem  Aus- 

u  3 

drucke  von  J  vorkommende  Bruch  —  den  Werth  —  haben, 

^  4 

Ein  Jahr  später  veröffentlichte  Maxwell  das  im  §.  17  des 
vorigen  Abschnittes  erwähnte,  von  ihm  aufgestellte  Gesetz  der 
bei  den  verschiedenen  Molecülen  gleichzeitig  vorkommenden 
Werthe  der  Geschwindigkeit  u.  Nach  diesem  Gesetze  wird,  wenn 
N  die  ganze  Anzahl  der  in  der  gegebenen  Gasmenge  vorhan- 
denen Molecüle  ist,  die  Anzahl  derjenigen  Molecüle,  deren  Ge- 
schwindigkeit zwischen  u  und  it  -|-  du  liest,  durch  den  Ausdruck 


'b 


4  JV  n2 

y=  i^' e    cc^^  du    (vergl,  S,  39) 


dargestellt.  Aus  diesem  auf  die  absolute  Geschwindigkeit  be- 
züglichen Gesetze  leitete  Maxwell  auch  das  Gesetz  der  bei  den 
verschiedenen  Molecülpaaren  gleichzeitig  vorkommenden  Werthe 
der  relativen  Geschwindigkeit  r  ab.     Die  ganze  Anzahl  der  vor- 

handenen  Molecülpaare  ist  — ^^ — ^,  wofür  man  unbedenklich 

]Sf2 

-pr-  setzen  kann.     Das  Max  well' sehe  Gesetz  sagt  nun  aus,  dass 


Ueber  die  mittlere  Wegläiigf  der  Gasmolecüle.  65 

die  Anzahl  derjenigen  Molecülpaaro,  deren  relative  Geschwindig- 
keit zwischen  f  und  r  -\-  dr  liegt,  dargestellt  wird  durch: 

p=  r2  e    2«i  df    (vergl.  S.  42). 

Aus  dem  für  die  einzelnen  Geschwindigkeiten  u  aufgestellten 
Gesetze  kann  man  auch  die  mittlere  Geschwindigkeit  u  durch 
Rechnung  ableiten.  Dazu  muss  man  die  Anzahl  der  Molecüle, 
deren  Geschwindigkeit  zwischen  u  und  u  -f-  du  liegt,  mit  u  mul- 
tipliciren ,  dann  von  u  =  0  bis  m  =  co  integriren  und  den  da- 
durch gewonnenen  Wertli  durch  die  ganze  Anzahl  iV  der  Mole- 
cüle dividiren.     Man  hat  also  zu  setzen: 


4J\^      .  _ü! 


(16)  u  =  -^         u    '^  '^^j-  u'^  e    u'^  du, 


0 


(18)  r  =  ^     /    r  ■-—^^^=  r"-  e    2«^  dr, 


woraus  sich  ergiebt: 

(17)  -  »=12. 

]/7C 

Ebenso  kann  man  aus  dem  auf  die  einzelnen  Werthe  von  r 
bezüglichen  Gesetze  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  7  ab- 
leiten, indem  man  setzt: 

00 

0 

woraus  sich  ergiebt : 

(19)  r  =  ■— =-. 

Aus   diesen  Werthen  von  u  und  r   erlmlt  man  für   den  aus 

ihnen  gebildeten  Bruch  —  statt   des   bei    gleichen    Geschw^ndig- 

r 

o  1 

keiten   geltenden  Werthes  —  =0,75    den  Werth  ^=  =  0,7071. 

4  V2 

Unter   Anwendung    dieses   Werthes    gehen   die   Gleichungen  (12) 

und  (12  a)  über  in: 

V 

(20)  l  = 

y  'z  ly  ■710'' 


(20  a)  ^  —     .- 

Olausiua,  mecban.  Wärmetheorie.    HI. 


66  Abschnitt  11. 

§.   7.     Berücksichtigung    der   das    Gas    umgebenden 

Hülle  1). 

Bisher  haben  wir  angenommen,  die  zur  Betrachtung  gegebene 
Gasmenge  sei  ein  Theil  einer  durch  einen  grösseren  Raum  ver- 
breiteten Gasmenge.  Wenn  aber  die  gegebene  Gasmenge  in  eine 
feste  Hülle  eingeschlossen  ist,  so  stossen  die  Molecüle  auch  gegen 
die  innere  Fläche  der  Hülle,  und  es  fragt  sich,  wie  die  Formeln 
für  die  Anzahl  der  Stösse  während  der  Zeiteinheit  und  für  die 
mittlere  Weglänge  sich  ändern,  wenn  man  diese  Stösse  mit  be- 
rücksichtigt. 

Wir  wollen  uns  zuerst  wieder  denken,  dass  nur  Ein  Molecül 
beweglich  und  die  übrigen  alle  fest  seien,  oder,  was  auf  dasselbe 
hinauskommt,  dass  ein  Punct  sich  zwischen  feststehenden  Wir- 
kungssphären bewegt,  für  welchen  Fall  wir  für  die  durch  P'  be- 
zeichnete Anzahl  der  Stösse  des  Punctes  während  der  Zeiteinheit 
unter  (1)  folgende  Gleichung  gegeben  haben: 

_    Su 

worin  Ä  die  ganze  für  den  Punct  zugängliche  Fläche  und  W  den 
für  die  Bewegung  freien  Raum  bedeutet.  In  dieser  Gleichung 
hatten  wir  in  dem  bisher  betrachteten  P'alle  bei  der  Bestimmung 
von  S  nur  die  Oberflächen  der  Wirkungssphären  zu  berücksich- 
tigen; im  vorliegenden  Falle  aber  müssen  wir  noch  die  innere 
Fläche  der  festen  Hülle  berücksichtigen.  Für  die  Summe  der 
Oberflächen  der  Wirkungssphären,  soweit  sie  für  den  beweglichen 
Punct  zugänglich  sind,  haben  wir  in  Gleichung  (6)  folgenden 
Ausdruck  gegeben: 

Hierzu  muss  nun  die  innere  Grenzfläche  der  das  Gas  ein- 
schliessenden  Hülle  hinzugefügt  werden,  welche  s  heissen  möge; 
dann  erhalten  wir  für  die .  ganze  dem  beweglichen  Puncte  zu- 
gängliche Fläche  die  Gleichung: 

(    11  ^4^*^'^ 

(21)         s  =  Ki^ö'^\i-  ^  _^    n-s. 


1)  Vergl.  hierzu  S.  56.  D.  H. 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  67 

Streng  genommen  müsste  noch  darauf  Rücksiclit  genommen 
werden,  dass  von  denjenigen  festen  Molecülen,  welche  der  Hülle 
sehr  nahe  liegen,  ein  Theil  der  Oberflächen  der  Wirkungssphären 
über  die  Innenfläche  der  Hülle  hinausgreift,  und  dadurch  für 
den  beweglichen  Punct  unzugänglich  wird.  Die  Grösse,  welche 
man  wegen  dieses  Umstandes  von  dem  vorigen  Ausdruck  abziehen 

N  ~   7t  6' 

müsste,  würde  aber  von  der  Form  as  — '-^ sein,  worin  a  einen 

Zahlenfactor  bedeutet.  Da  nun  unter  gewöhnlichen  Umständen 
der  Flächeninhalt  der  Hülle  viel  kleiner  ist,  als  die  gesanimte 
Oberfläche  der  Wirkungssphären,  so  ist  die  durch  diesen  Aus- 
druck dargestellte  Grösse  viel  kleiner,  als  die  in  der  Gleichung  (21) 

vorkommende  Grösse  N4:7c6'^  ■—- ^ ,  welche  oben  als  die 

16  K 

kleinste  Grösse   festgesetzt  wurde,   welche  bei   unserer  Rechnung 

noch  Berücksichtigung  finden  soll.    Wir  können  daher  jene  Grösse 

vernachlässigen  und   die  Gleichung  (21)  zur  Bestimmung  von  S 

beibehalten. 

Was   nun    den   für   die  Bewegung   des  Punctes  freien  Raum 

TF  anbetrifft,  so  ist  derselbe  durch  Gleichung  (.5)  folgendermaassen 

bestimmt: 


N^  7t6^^ 


W=  V    1 


V     I 

Der  Raum  ist  in  unserem  gegenwärtigen  Falle  eigentlich  noch 
dadurch  etwas  verengt,  dass  eine  an  die  Innenfläche  der  Hülle 
sich  anschliessende  Schicht  von  der  Dicke  Y2  ^  in  Abzug  zu  brin- 
gen ist,  weil  der  bewegliche  Punct,  welcher  der  Mittelpunct  eines 
Moleculs  ist,  nicht  näher  an  die  Hülle  kommen  kann,  als  der 
Radius  des  Moleculs  beträgt.     Der  Rauminhalt  dieser  Schicht  ist 

—  s.ö,  welche  Grösse   aus   dem   obigen  Grunde  viel  kleiner  ist. 

als   das  kleinste  in   der  vorigen  Gleichung  berücksichtigte  Glied 

4 
JV"  —  7C  ö3,  und  daher  vernachlässigt  werden  kann. 

3 

Wir  können  also  die  vorstehenden  Ausdrücke  von  S  und  TF 
beibehalten,  und  erhalten  dadurch  für  die  Anzahl  der  Stösse, 
welche  der  Punct  während  der  Zeiteinheit  erleidet,  die  Gleichung: 


68  Abschnitt  II. 


(22)  P'  =  '— T ^ u, 


V 

und  hieraus   ergiebt   sich  für   die  mittlere   Wegläuge   ?',  welche 


u 


durch  den  Bruch  -^  dargestellt  wird,  die  Gleichung: 


P' 

4F 


(23)  Z'  = 


JV4jrö2 


Gehen  wir  nun  von  dem  Falle,  wo  nur  Ein  Molecül  sich 
bewegt,  und  die  übrigen  fest  sind,  zu  dem  Falle  über,  wo  alle 
Molecüle  sich  bewegen,  so  müssen  wir  bei  der  Einführung  der 
relativen  Geschwindigkeit  in  Betracht  ziehen,  dass  ein  bewegtes 
Molecül  zu  der  festen  Hülle  nicht  dieselbe  relative  Geschwindig- 
keit hat,  wie  zu  den  anderen  Molecülen.  Die  mittlere  relative 
Geschwindigkeit  zu  der  festen  Hülle  ist  einfach  gleich  seiner 
mittleren  absoluten  Geschwindigkeit,  also  gleich  u.  Wir  müssen 
also  in  der  Gleichung  (22),  anstatt  die  beiden  Glieder  des  Zählers 
mit  u  zu  multipliciren ,  das  erste  mit  r  und  das  zweite  mit  u 
multipliciren,  so  dass  wir  für  die  in  diesem  Falle  mit  P  bezeich- 
nete Stosszahl  folgende  Gleichung  erhalten: 


(24)  P  = 


jv^4^ö2l  1  _  i_ 1_ I  r  +  sw 


4  F  ,  X 


und  hieraus  ergiebt  sich  für  die  mittlere  Weglänge: 


Ueber  die  mittlere  "Weglänge  der  Gasmolecüle.  69 


47  1^1  - 
(25)  l  = ■ — 


Obwohl  durcli  die  letzte  Gleichung  der  Grad  der  Genauig- 
keit gegen  den  meiner  ersten  für  l  aufgestellten  Gleichung  durch 
Berücksichtigung  des  Molecularvolumens  und  der  Umhüllungs- 
fläche  etwas  erhöht  ist,  so  glaube  ich  doch,  dass  man  sich  bei 
den  Anwendungen  meistens  mit  jener  ersten  unter  (12j  gegebenen 
Gleichung,  nämlich 

begnügen  kann,  da  die  Vorstellung,  dass  die  Molecüle  sich  beim 
Zusammenstosse  wie  harte,  elastische  Kugeln  verhalten,  doch  eine 
so  wenig  gesicherte  ist,  dass  es  wenig  nützen  kann,  bei  einer  auf 
solcher  Grundlage  beruhenden  Rechnung  die  Genauigkeit  bis  auf 
den  äussersten  Grad  treiben  zu  wollen. 

Wählen  wir  zur  Betrachtung  nicht  eine  gegebene  Quantität 
des  Gases,  welche  je  nach  Umständen  verschiedene  Volumen  ein- 
nimmt, sondern  richten  unsere  Aufmerksamkeit  auf  eine  Volumen- 
einheit des  Gases,  so  stellt  die  Grösse  N  die  Anzahl  der  Molecüle 
in  einer  Volumeneinheit  dar  und  ist  daher  bei  einem  und  dem- 
selben Gase  seiner  Dichtigkeit  proportional.  Für  diesen  Fall 
nimmt  die  vorige  Gleichung  folgende  Form  an: 

1       u 
welche  für  die  Anwendung  sehr  bequem  ist. 


1)  „Tait's  Bemerkung,  dass  anderer  Mittelwertli  von  l  zu  nehmen  ist, 
zurückweisen",  lautet  eine  Randbemerkung  im  Manuscript.  Damit  ist 
jedenfalls  die  von  Tait,  Trans.  Roy.  Soc.  Ediub.  33,  part  I,  p.  74,  1S85 
bis  1886,  gegebene  abweichende  Definition  gemeint,  wonach  man  zur 
Berechnung  der  mittleren  Weglänge  die  einer  bestimmten  Geschwindig- 
keit entsprechende  mittlere  Weglänge  multiplicirt  mit  der  Wahrschein- 
lichkeit  dieser   Geschwindigkeit,   und   die   so    gebildeten   Producte   addirt. 

Dann  tritt  an  die  Stelle  des  Maxwell' sehen  Coefficienteu  ^ö,  —  ^'~^''  ^^^ 
Zahl  0,677.  D.  H. 


70  Abschnitt  II. 

§.   8.     Wirklich   zurückgelegte   Wege    der   einzelnen 

M  0 1  e  c  ü  1  e. 

Nachdem  im  Vorigen  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle 
zwischen  zwei  Stössen  festgestellt  ist,  kann  noch  die  Frage  auf- 
geworfen werden,  wie  sich  die  wirklich  vorkommenden  Wege  zu 
der  mittleren  Weglänge  verhalten. 

Denken  wir  uns  von  irgend  einem  Puncte  im  Innern  des 
Gases  ein  Molecül  ausgehend,  so  können  wir  die  Wahrscheinlich- 
keit, dass  es  die  Entfernung  s  vom  Ausgangspuncte  erreicht, 
ohne  ein  anderes  Molecül  zu  treffen,  als  Function  von  s  durch 
W(s)  bezeichnen.  Die  Bedeutung  dieser  Function  kann  man 
auch  so  ausdrücken:  Wenn  von  dem  gewählten  Ausgangspuncte 
eine  sehr  grosse  Anzahl  Z  von  Molecülen  ausginge,  so  würde  die 
Anzahl  Z  W{s)  ungehindert  über  die  Entfernung  s  hinausgehen, 
während  die  Anzahl  Z[l  —  W  (s)]  innerhalb  der  Strecke  von 
0  bis  s  von  anderen  Molecülen  aufgefangen  würde. 

Es  versteht  sich  hieraus  von  selbst,  dass  W (s)  eine  mit 
wachsendem  s  abnehmende  Function  ist.  Um  diese  Function 
näher  zu  bestimmen,  können  wir  folgende  Betrachtung  anstellen. 
Wenn  die  Z .  W(s)  Molecüle,  welche  die  Entfernung  s  über- 
schritten haben,  sich  weiter  bewegen,  so  werden  von  ihnen  auf 
der  folgenden  ebenso  grossen  Strecke  wiederum  so  viele  aufgefan- 
gen, dass  die  Anzahl  derjenigen,  welche  die  Entfernung  2s  über- 
schreiten, im  Verhältniss  TF  (.s)  zu  1  kleiner  ist,  als  die  Anzahl 
derjenigen,  welche  die  Entfernung  s  überschritten  haben,  so  dass 
dieselbe  durch  Z .  [  T^''(s)]2  dargestellt  wird.  Andererseits  kann 
man  nach  der  Bedeutung  der  Function  W{s)  die  Anzahl  der- 
jenigen, welche  die  Entfernung  2  s  überschreiten,  auch  durch 
Z.W  (2  s)  ausdrücken.  Daraus  folgt,  dass  die  durch  TT  ange- 
deutete Function  folgender  Gleichung  genügen  muss: 
W{2s)  =  [W(s)]K 

Dieselbe  Betrachtung  kann  man  auch  für  beliebige  weitere 
Strecken  wiederholen,  und  erhält  daraus  die  allgemeinere  Bedin- 
gungsgleichung 

W{ns)=  [W(s)]% 

worin  n  einen  beliebigen  Zahlenwerth  bedeutet.  Hieraus  und 
aus  der  Bedingung,  dass  die  Function  für  s  =  0  den  Werth  1 
hat,  folgt,  dass  sie  folgende  Form  haben  muss: 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  71 

s 

(27)  W(s)  =  c~^, 

worin  c  die  Basis  der  natürlichen  Logarithmen  und  c  eine  vor- 
läufig willkürliche  Constante  darstellen  soll. 

Um  die  letztere  zu  bestimmen,  wenden  wir  die  Bedingung 
an,  dass  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  bis  zu  ihrem  Zusam- 
menstosse  mit  einem  anderen  Molecül  gleich  l  ist. 

Die  Zahl  der  Molecüle,  deren  Weglänge  bis  zum  Zusammen- 
stösse  mit  einem  anderen  Molecül  zwischen  s  und  s  -\-  ds  liegt, 
wird  dargestellt  durch  die  Differenz: 

Z.W{s)  -  Z.W(s^ds) 
oder  durch 

ds 

Setzen  wir  hierin  für  W(s)  die  in  (27)  gegebene  Function 
ein,  so  lautet  der  Ausdruck: 

1     _i 
Z  —  e    c  ds. 
c 

Wenn  wir  diese  Anzahl  mit  der  betreffenden  Weglänge  .s 
multipliciren ,  dann  den  Ausdruck  von  s  =  0  bis  s  =  oo  inte- 
griren,  und  endlich  das  gewonnene  Integral  durch  die  ganze  An- 
zahl Z  der  Molecüle  dividiren,  so  erhalten  wir  die  mittlere  Weg- 
länge und  wir  können  also  setzen: 

l  =  -;=    /    Z  —  e~c  ds  =    /    -—  e~'^  ds. 
Z  J  c  Je 

0  0 

woraus  sich  durch  Ausführung  der  Integration  ergiebt: 

(28)  Z  =  c. 

Unter  Anwendung  dieses  Resultats  geht  die  Gleichung  (27) 
über  in: 

(29)  W{s)  =  e~T. 

Wenden  wir.  diesen  Ausdruck  von  W (s)  z.  B.  auf  den 
speciellen  Fall  an,  wo  s  =  1  ist,  so  kommt 

W{1)  =  e-i  =  0,3679, 
woraus  folgt,  dass  von  Z  Fällen  nur 

0,3679  Z 


72  Abschnitt  II. 

Fälle  vorkommen,  in  welchen  die  wirkliche  Weglänge  gleich  oder 
grösser  als  die  mittlere,  während  in  den  übrigen 

0,6321  Z 
Fällen  die  wirkliche  Weglänge  kleiner  ist. 

Fragt  man  ferner  nach  der  Anzahl  von  Fällen,  in  welchen 
der  wirkliche  Weg  die  zweifache,  dreifache  etc.  Länge  des  mitt- 
leren Weges  erreicht  oder  übertrifft,  so  kann  man  dasselbe  Ver- 
fahren, wie  vorher,  anwenden.  Nennt  man  die  betreffenden 
Wahrscheinlichkeiten   W(2l)  W  (3  l)  etc.,  so  kommt : 

W(2l)  =  e-^ 
W(dl)  =  e-^ 
etc. 
Diese  Zahlen  nehmen  offenbar  sehr  schnell  ab,  indem  z.  B. 

e-io  =  0,000045 
ist,  und  man  sieht  daraus,  dass,  wenn  auch  einzelne  Fälle  vor- 
kommen, in  welchen  ein  Molecül  einen  beträchtlich  längeren  Weg 
als  den  mittleren  zurücklegt,  diese  Fälle  doch  verhältnissmässig 
selten  sind,  und  dass  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  von  Fällen 
die  wirklichen  Wege  kleiner  oder  nur  wenig  grösser  sind,  als 
der  oben  gefundene  Mittelwerth. 

Da  nun  ausserdem,  wie  in  einem  der  folgenden  Abschnitte 
nachgewiesen  werden  solli),  die  mittlere  Weglänge,  wenn  das 
Gas,  mit  dem  man  es  zu  thun  hat,  nicht  sehr  verdünnt  ist,  eine 
ausserordentlich  kleine  Grösse  ist,  so  erkennt  man,  dass  die 
kinetische  Gastheorie  nicht  zu  dem  Schlüsse  führt,  dass  zwei  an 
einander  grenzende  Gasmassen  sich  schnell  und  stürmisch  ver- 
mischen müssen,  sondern  dass  nur  eine  verhältnissmässig  kleine 
Anzahl  von  Molecülen  schnell  in  grössere  Entfernungen  gelangen 
kann,  während  die  Hauptmassen  sich  nur  allmählich  an  den 
Grenzflächen  mischen  können.  Es  entspricht  also  hierin  die  kine- 
tische Gastheorie  ganz  der  Erfahrung,  und  auch  die  übrigen  ihr 
Anfangs  gemachten  Einwände,  welche  auf  der  Anschauung  be- 
ruhten, als  ob  die  Molecüle  weite  Strecken  ungehindert  durch- 
laufen, finden  hierin  ihre  Erledigung. 


1)  Vergl.  die  Anm.  d.  H.  am  Schluss  des  dritten  Abschnitts. 


Ueber  die  mittlere  WegläiiKe  der  Gasuiolecüle.  73 


§.  9.      Gesammtzahl   der   Stösse   und   damit  zusammen- 
hängende Grössen. 

In  den  obigen  Betrachtungen  wurde  die  Anzahl  der  Stösse, 
welche  ein  einzelnes  Molecül  während  der  Zeiteinheit  erleidet, 
mit  P  bezeichnet  und  in  §.  6  durch  folgende  Gleichung  (11  j  be- 
stimmt: 

P  =    —y-   r, 

worin  iV  die  in  einem  gegebenen  Volumen  V  enthaltene  Anzahl 
der  Molecüle  bedeutet.  Will  man  die  Betrachtung  auf  eine 
Volumeneinheit  beziehen,  so  hat  man  N  als  die  Anzahl  der 
Molecüle  in  der  Volumeneinheit  zu  definiren  und  zugleich  in  der 
Formel   V  =  1  zu  setzen,  wodurch  sie  übergeht  in : 

(30)  F  =  N7t6^7. 

Um  hieraus  die  Anzahl  der  Stösse,  welche  unter  allen  in  der 
Volumeneinheit  vorhandenen  Molecülen  während  der  Zeiteinheit 
stattfinden,  abzuleiten,  muss  man  den  Ausdruck  mit  der  Anzahl 
N  mullipliciren  und  durch  2  dividiren.  Das  letztere  deshalb, 
weil  an  jedem  Stösse  zwei  Molecüle  betheiligt  sind.  Man  erhält 
also  für  die  Gesammtzahl  der  Stösse  den  Ausdruck 

-^  Tcö^r. 

Die  nach  einem  Stösse  wieder  auseinander  fliegenden  Mole- 
cüle wollen  wir  die  von  dem  Stösse  ausgesandten  Molecüle  nen- 
nen, und  die  von  allen  während  einer  Zeiteinheit  in  der  Raum- 
einheit stattfindenden  Stössen  auseinander  fliegenden  Molecüle 
wollen  wir  kurz  die  während  der  Zeiteinheit  ausgesandten  Mole- 
cüle nennen.  Die  Zabl  derselben  erhalten  wir,  wenn  wir  im 
vorigen  Ausdruck  den  Nenner  2  fortlassen,  weil  von  jedem  Stösse 
zwei  Molecüle  ausgesandt  werden.  Bezeichnen  wir  also  die  An- 
zahl der  während  der  Zeiteinheit  in  der  Raumeinheit  ausgesaudten 
Molecüle  mit  Jl,  so  gilt  die  Gleichung: 

(31)  31=  N'^7ta'-r. 

Wollte  man  zur  Bestimmung  der  hierin  vorkommenden  rela- 
tiven   Geschwindigkeit  r   die    Annahme    machen,    die    absoluten 


7,4  '  Abschnitt  II. 

Geschwindigkeiten  seien  alle  gleich,  so  würde  die  Gleichung  nach 
(15)  übergehen  in 

(32)  M=  ^  N'^TiöKu. 

6 

Bestimmt  man  dagegen  r  aus  der  Annahme,  dass  die  abso- 
luten Geschwindigkeiten  dem  Maxwell' sehen  Gesetze  folgen, 
so  erhält  man  nach  S.  G5: 

(33)  M  =  y2m7t6Hi. 

In  §.  6  ist  für  die  mittlere  Weglänge  die  Gleichung  (12) 
gegeben,  welche,  wenn  unter  N  die  in  der  Raumeinheit  enthal- 
tene Anzahl  von  Molecülen  verstanden  wird,  lautet: 

Unter  Anwendung  dieser  Gleichung  kann  man  den  zur  Be- 
stimmung von  P  und  M  dienenden  Gleichungen  (30)  und  (31) 
folgende  Form  geben: 

(35)  -P  =  T 

(36)  M=  N  ^■ 


§.  10.     Mittlere    relative    Geschwindigkeit   und    mittlere 
Weglänge  für  Molecüle   von    gegebener  Geschwindigkeit 
und  dadurch  bedingtes  Geschwindigkeitsgesetz  der  aus- 
gesandten Molecüle. 

Bei  vielen  theoretischen  Betrachtungen  ist  es  ausreichend, 
das  Geschwindigkeitsgesetz  durch  eine  allgemeine  Function  an- 
zudeuten, ohne  dass  man  die  specielle  Form  dieser  Function  an- 
zugeben braucht. 

Dazu  möge  zunächst  für  die  Geschwindigkeit  eine  Bezeich- 
nung eingeführt  werden,  welche  gleich  erkennen  lässt,  wie  die 
Geschwindigkeit  eines  zur  Betrachtung  ausgewählten  einzelnen 
Molecüls  sich  zur  mittleren  Geschwindigkeit  verhält.  Sei  näm- 
lich, wie  bisher,  u  die  Geschwindigkeit  eines  einzelnen  Molecüls 
und  u  die  mittlere  Geschwindigkeit  aller  Molecüle,  so  wollen  wir 
die  Grösse  0  einführen  mit  der  Bedeutung 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  75 

(37)  z  =  ^, 

so  dass  wir  an  die  Stelle  von  u  das  Product  u  z  setzen  können. 
Um  nun  auszudrücken,  wie  die  verschiedenen  gleichzeitig  statt- 
findenden Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Molecüle  sich  um  den 
Mittelwerth  vertheilen,  wollen  wir  festsetzen,  dass  die  Wahrschein- 
lichkeit dafür,  dass  die  Geschwindigkeit  irgend  eines  zur  Betrach- 
tung ausgewählten  Molecüls  zwischen  den  Werthen  w  z  und 
w  {z  -j-  d  z)  liegt,  durch  das  Product 

ii{z)ds 
dargestellt  wird;   oder  wie  man  dasselbe  auch  ausdrücken  kann: 
unter  der  sehr  grossen  Anzahl  iV  von  Molecülen,  welche  in  einer 
Raumeinheit  enthalten  sind,  sollen 

iVt^  {z)  d  z 

Molecüle  vorkommen,  deren  Geschwindigkeiten  zwischen  uz  und 
u{z  -|-  dz)  liegen.  Die  in  diesen  Formeln  vorkommende  Function 
t/'(^),  welche  als  Ausdruck  des  Geschwindigkeitsgesetzes  dient  ij, 
kann  vorläufig  unbestimmt  bleiben. 

Nur  zwei  Bedingungen,  welche  die  Function  t/;  erfüllen  muss, 
ergeben  sich  unmittelbar  aus  ihrer  Definition.  Da  bei  allen  vor- 
handenen Molecülen  die  Geschwindigkeit  zwischen  0  und  od  liegen 
muss,  so  folgt  daraus,  dass  das  Integral  des  Ausdruckes  N  il)  (z)  d  z 
die  ganze  vorhandene  Anzahl  N  von  Molecülen  darstellen  muss, 
und  es  muss  daher  sein 

00 

(38)  f'ip(z)dz=l. 

0 

Da  ferner  der  Mittelwerth  aller  einzelnen  durch  itz  dargestellten 
Geschwindigkeiten  gleich  u  sein  muss,  so  muss  das  Integral  des 
Ausdruckes  uzNi){z)dz  gleich  Nu  sein,  woraus  folgt: 

00 

(39)  I  z^(z)dz  =  1. 

0 

Nimmt  man  das  im  ersten  Abschnitte  S.  40  angeführte,  von 
Maxwell  aufgestellte  Geschwindigkeitsgesetz  an,  so  hat  man  der 
Function  tp  folgende  Form  zu  geben: 


^)  und  mit    der    auf    S.    37    definirteu    GescliAvludigkeitsfunction  /(») 
durch  die  Beziehung  \p{z)dz  =  f{ii)du  zusammenhängt.  D.  H. 


76  Abschnitt  II. 

(40)  ip(2)d2  =  -^  3^e~^'  d0, 

die  man  erhält,  indem  man  in  dem  Ausdruck 

4  _!^ 

/ (u)  d u  = -^  u^e    u^  •  du 

der  Gleichung  (10)  des  ersten  Abschnittes  die  Geschwindigkeit  u 
ersetzt  durch  das  Product 

-  2a 

(41)  u  =  US  =  — F=-  s. 

Vit 

Man  kann  sich  leicht  davon  überzeugen,  dass  diese  Formel 
den  beiden  vorstehenden  Bedingungsgleichungen  genügt  i). 

Gehen  wir  nun  von  den  absoluten  Geschwindigkeiten  der 
Molecüle  über  zu  der  Betrachtung  der  relativen  Gescbwindig- 
keiten  der  Molecülpaare. 

Bisher  haben  wir  nur  den  mit  r  bezeichneten  allgemeinen 
Mittelwerth  aller  relativen  Geschwindigkeiten  für  sämmtliche  aus 
den  vorhandenen  Molecülen  zu  bildenden  Combinationen  zu  je 
zweien  betrachtet.  Nun  hat  aber  ein  Moleciil,  welches  eine  grössere 
absolute  Geschwindigkeit  besitzt,  im  Allgemeinen  auch  eine 
grössere  relative  Geschwindigkeit  zu  den  übrigen  Molecülen,  als 
ein  Molecül,  welches  eine  kleinere  absolute  Geschwindigkeit  be- 
sitzt, und  man  kann  sich  daher  einen  speciellen  Mittelwerth  der- 
jenigen relativen  Geschwindigkeit  gebildet  denken,  die  ein  ein- 
zelnes Molecül,  dessen  Geschwindigkeit  u  gegeben  ist,  zu  allen 
übrigen  Molecülen  hat.  Für  diesen  speciellen  Mittelwerth  möge 
zur  Unterscheidung  von  dem  allgemeinen  Mittelwerthe  r  ein  be- 
sonderes Zeichen  eingeführt  werden.  Dazu  wollen  wir  die  gege- 
bene Geschwindigkeit  u  nach   der  in   (37)   eingeführten  Bezeich- 


^)  Vorstehende  Einleitung  dieses  Paragraphen  findet  sich  im  Entwurf 
zum  ersten  Abschnitt,  als  Schluss  des  §.  17,  ist  aber  vom  Verfasser  in  die  Rein- 
schrift des  Maauscripts  nicht  mit  aufgenommen  worden,  da  er  offenbar  die 
Absicht  hatte,  die  hier  eingeführte  Bezeichnungsweise  wieder  ganz  fallen  zu 
lassen,  und  zwar  aus  dem  Grunde ,  weil  in  der  Theorie  der  Wärmeleitung 
eine  gleichmässige  Geschwindigkeit  aller  Molecüle  angenommen  ist  und  die 
Einführung  der  Variabein  z  daher  entbehrlich  wird.  Die  Durchführung  dieses 
Planes  würde  jedoch  eine  wesentliche  Umgestaltung  der  folgenden  Aus- 
führungen bedingen,  weshalb  wir  es  vorziehen,  dieselben  ungeändert  zu 
lassen  und  die  zum  Verständniss  nöthige  Einleitung  aus  dem  Entwurf  zum 
ersten  Abschnitt  vorauszuschicken.  D.  H, 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  77 

nungsvveise  durch  das  Product  U2  darstellen,  und  dann  für  das 
mit  dieser  Geschwindigkeit  begabte  Molecül  den  Mittelwerth  seiner 
relativen  Geschwindigkeit  zu  allen  übrigen  Molecülen  mit  r^  be- 
zeichnen. 

Das   Verhältniss    zwischen   diesem    speciellen   Mittelwerth  Vz 
und  dem  allgemeinen  Mittelwerth  r  muss  sich  durch  eine  Function 
von  0  darstellen  lassen,  und  wir  wollen  daher  setzen : 
(42)  r,  =  V(p  (2). 

Die  Function  q)  (^)  muss  einer  Bedingungsgleichung  ent- 
sprechen, welche  sich  unmittelbar  aus  ihrer  Definition  ergiebt.  Da 
nämlich  zur  Bestimmung  des  Mittelwerthes  von  r^  die  Gleichung 

00 

r  =  I  Tz  i>  (0)  d  0 
0 
gilt,  so  erhält  man,  indem  man  für  r^  das  vorstehende  Product 
einsetzt,  die  Gleichung 


00 

/ 


q)  (0)  i\){z)d  2 
0 

Ausserdem  lässt  sich  in  Bezug  auf  die  Function  cp  (z)  schon  aus 
allgemeinen  Betrachtungen  einiges  schliessen.  Ihr  Werth  muss 
mit  wachsendem  z  zunehmen,  weil  mit  wachsender  absoluter 
Geschwindigkeit  des  betrachteten  Molecüls  auch  seine  mittlere 
relative  Geschwindigkeit  zu  den  übrigen  Molecülen  zunimmt.  Es 
kann  aber  zwischen  (p  {z)  und  z  nicht  eine  einfache  Proportio- 
nalität bestehen.  Wenn  nämlich  ^  =  0  wird,  so  kann  (p  {z)  nicht 
gleich  Null  werden,  weil  die  relative  Geschwindigkeit  eines  ruhen- 
den Molecüls  zu  den  übrigen  Molecülen  nicht  Null  sein  kann,  da 
die  letzteren  in  Bewegung  sind.  Die  mittlere  relative  Geschwin- 
digkeit eines  ruhenden  Molecüls  zu  allen  anderen  Molecülen  ist 
gleich  der  mittleren  absoluten  Geschw^indigkeit  der  letzteren. 
Wenn  z  sehr  gross  wird,  so  muss  die  mittlere  relative  Geschwin- 
digkeit Yz  nahe  gleich  der  absoluten  Geschwindigkeit  des  betrach- 
teten Molecüls ,  also   gleich  u  z  werden ,   so  dass  dann  (p  {z)  sich 

dem  Werth  —  z  nähern  muss.  Die  genauere  Bestimmung  von  (p  {z) 
r 

kann  nur  stattfinden,  wenn  die  das  Geschwindigkeitsgesetz  dar- 
stellende Function  i};(z)  bekannt  ist.  Nimmt  man  das  Max- 
well'sehe  Geschwindigkeitsgesetz  an,  so  erhält  man  für  (p  (z) 
folgende  Gleichung: 


78  Absclinitt  II. 

wie  sich  ergiebt,  wenn  man  in  Gleichung  (42)  für  r  den  auf 
S.  43  berechneten  Werth,  für  r^  den  auf  S.  45,  dort  mit  r^  be- 
zeichneten Ausdruck  einsetzt,  und  schliesslich  für  u  wieder  nach 
Gleichung  (41)  s  einführt. 

Wenn  die  Grösse  r^  als  gegeben  betrachtet  wird,  so  kann 
man  leicht  die  dazu  gehörige  Anzahl  der  Stösse,  ferner  den 
Mittelwerth  der  von  einem  Stosse  zum  anderen  vergehenden 
Zeit  und  die  mittlere  Weglänge  bestimmen. 

Nehmen  wir  vorläufig  an,  das  betrachtete  Molecül  habe  wäh- 
rend einer  Zeiteinheit  fortwährend  die  als  gegeben  betrachtete 
absolute  Geschwindigkeit  u  ^=  u^  und  daher  auch  die  als  gegeben 
betrachtete  relative  Geschwindigkeit  r^,  so  würde  dasselbe  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  die  Anzahl  P^  von  Stössen  erleiden,  welche 
bestimmt  wird  durch  die  Gleichung  (30) 

(44)  P,  =  Nn  ö2  r„ 

worin  N  die  Anzahl  der  Molecüle  in  der  Volumeneinheit  bedeutet  i). 
Daraus   folgt    für  die   mittlere    Zeit,   welche    zwischen    zwei 
Stössen  vergeht,  und  welche  mit  t^  bezeichnet  werden  möge: 

1  1 


(45)  r. 


P,        Nnö^r, 


Ferner  folgt,  dass  die  mittlere  Weglähge  /^  für  ein  Molecül, 
welches  fortwährend  ein  und  dieselbe  Geschwindigheit  «^  hat, 
bestimmt  wird  durch  die  Gleichung 

(4b)  /,  =  ^-  = 


P,        NnG^r, 

Setzen   wir  hierin  für  u^  das  Product  zu^  und  für  r^  den  unter 
(42)  festgestellten  Ausdruck,  so  kommt: 

(46  a)  l,^        ''    _.-J^r=l 


NTtö^r  fp(^)  fp(^) 


1)  Die  folgenden  Stellen  sind  im  Entwurf  vielfach  geändert  und  durch- 
corrigirt.  "Wir  geben  dieselben  unter  möglichster  Wahrung  des  Zusam- 
meuhanffes,  mit  theilweiser  Benutzung  durchstrichener  Sätze.       D.  H. 


Ueber  die  mitUcre  WegUlnge  der  Oasinoleciile.  79 

Nach  dem ,  was  oben  über  die  Function  (p  (z)  gesagt  ist, 
übersiebt  man  leicbt,  dass  /^  in  der  Weise  mit  ä'  zugleich  wächst, 
dass  für  ^  =  0  auch  /^  den  Werth  0  bat,  und  dass  für  sehr 
gross    werdende    Wertbe   von   pj   die   Grösse  l^   sieb  dem    Grenz- 

werthe  -^ ■  Ucäbert. 

Da  nun  aber  in  der  Wirklicldceit  das  Molecül  nicht  immer 
eine  und  dieselbe  Geschwindigkeit  hat,  sondern  seine  Geschwin- 
digkeit sich  von  Stoss  zu  Stoss  ändert,  und  dabei  auch  seine  rela- 
tive Geschwindigkeit  zu  den  übrigen  Molecülen  sich  in  der  oben 
besprochenen  Weise  von  Stoss  zu  Stoss  ändert,  so  wollen  wir 
statt  der  Zeiteinheit  eine  unendlich  kleine  Zeit  dt  betrachten. 
Für  eine  unendlich  kleine  Zeit  kann  man  streng  genommen  nicht 
von  der  Anzahl  der  Stösse  sprechen,  die  das  Molecül  während 
derselben  erleidet,  da  zwischen  zwei  Stössen  eine  wenn  auch 
kleine,  so  doch  endliche  Zeit  vergeht.  Man  muss  vielmehr,  wenn 
man  sich  ganz  genau  ausdrücken  will,  statt  der  Anzahl  der 
Stösse  eine  andere  Grösse  einführen,  nämlich  die  Walirscliein- 
licMeit  dafür,  dass  während  der  Zeit  dt  ein  Stoss  stattfindet. 
Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  durch  das  ProduCt 

>  P,dt 

dargestellt.  Legt  man  aber  mehr  Gewicht  auf  eine  bequeme  und 
gleichförmige,  als  auf  eine  dem  Wortlaute  nach  durchaus  strenge 
Ausdrucksweise,  so  kann  man  unbedenklich  im  statistischen  Sinne 
sagen:  wenn  in  der  Zeiteinheit  P^  Stösse  stattfinden,  so  finden 
in  dem  Zeitelement  dt  P^dt  Stösse  statt.  Der  Umstand,  dass 
der  Werth  des  Productes  nicht  nur  kleiner  als  Eins,  sondern  sogar 
unendlich  klein  ist,  hat  auf  die  Anwendbarkeit  dieses  Ausdruckes 
keinen  wesentlichen  Einfluss. 

Will  man  nun  für  den  wirklichen  Vorgang,  wo  die  Geschwin- 
digkeit des  betrachteten  Molecüls  und  damit  auch  die  Grösse 
Pz  sich  von  Stoss  zu  Stoss  ändert,  die  Anzahl  der  Stösse  wäh- 
rend der  Zeiteinheit  bestimmen,  so  braucht  man  nur  den  Diffe- 
rentialausdruck P^dt  für  die  Zeiteinheit  zu  integriren  und 
erhält  also,  wenn  man  die  während  der  Zeiteinheit  wirklich  statt- 
findende Anzahl  von  Stössen  mit  P  bezeichnet,  die  Gleichung: 

1 
(47)  P=   f  P,dt. 


80  Abschnitt  II. 

Setzt  man   hierin  für  P^  seinen  in  (44)  gegebenen  Ausdruck,  so 
kommt: 


/  r,dt, 


0 

oder,   da  das  hierin  vorkommende  Integral  der  Mittelwerth  von 
r  ist: 

P  =  NTtö^-r, 
welche  Gleichung  mit   der  oben   unter  (30)   gegebenen  überein-  . 
stimmt. 

Will  man  ferner  für  ein  Molecül,  welches  seine  Geschwin- 
digkeit von  Stoss  zu  Stoss  ändert,  die  mittlere  Weglänge  l  be- 
stimmen, so  darf  man  dazu  nicht  einfach  das  Product  lg  dt  für 
eine  Zeiteinheit  integriren.  Unter  der  mittleren  Weglänge  ver- 
stehen wir  nämlich  die  Gesammtlänge  aller  während  einer  ge- 
wissen Zeit,  z.  B.  während  einer  Zeiteinheit,  zurückgelegten  Wege, 
dividirt  durch  die  Anzahl  dieser  Wege.  Wenn  nun  während  des 
Zeiteleraents  d  t  die  Geschwindigkeit  des  Molecüls  u^  ist,  so  ist 
die  Anzahl  der  während  d  t  zurückgelegten  Wege  P^  d  t  und  die 
Länge  eines  Weges  1^^  und  somit  ist  die  von  dem  Molecül  wäh- 
rend dt  durchlaufene  Strecke  l^F^dt.  Dieser  Ausdruck  muss 
für  die  Zeiteinheit  integrirt  werden,  um  die  von  dem  Molecül 
während  der  Zeiteinheit  im  Ganzen  durchlaufene  Strecke  zu  er- 
halten. Zugleich  stellt,  wie  schon  gesagt,  das  Integral  von  F^dt 
die  Anzahl  der  Wege  dar  und  wir  erhalten  somit  zur  Bestim- 
mung von  l  die  Gleichung: 

fhFgdt 

1  =  '—, 


7    Fgdt 

0 

Das  hierin  im  Zähler  stehende  Integral  nimmt  durch  Einführen 
des  unter  (46)  stehenden  Ausdruckes  von  Z^  eine  sehr  einfache 
Form  an.     Es  ist  nämlich: 


und  somit  kommt 


/   IgFg  dt  =    I   tig  dt  ^=  u. 

0  0 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  81 

Ferner  ist   das   im  Nenner   stehende  Integral   nacli  (47)   einfach 
durch  P  zu  ersetzen  und  es  kommt  daher 


1=:    '' 


—  1 


P        NTtö^r 
welches  die  früher  unter  (26)  gegehene  Gleichung  ist. 

Nach  den  vorstehenden  Betrachtungen  kann  man  nun  dazu 
übergehen,  noch  eine  wichtige  Bestimmung  auszuführen. 

Die  Geschwindigkeiten  der  von  den  Stössen  ausgesandten 
Molecüle  befolgen  nicht  dasselbe  Gesetz,  wie  die  gleichzeitig 
stattfindenden  Geschwindigkeiten  der  im  Gase  vorhandenen  Mole- 
cüle, sondern  es  sind  unter  den  ersteren  die  grösseren  Geschwin- 
digkeiten stärker  vertreten  als  unter  den  letzteren,  weil  die 
schneller  bewegten  Molecüle  häufiger  zusammenstossen ,  als  die 
langsamer  bewegten,  und  daher  auch  häufiger  unter  den  von  den 
Stössen  ausgesandten  Molecülen  vorkommen.  Es  muss  nun  unter- 
sucht werden,  wie  die  beiden  Geschwindigkeitsgesetze  unter  ein- 
ander zusammenhängen. 

Die  ganze  Anzahl  der  während  einer  Zeiteinheit  ausgesandten 
Molecüle  haben  wir  in  §.  9  mit  M  bezeichnet  und  durch  fol- 
gende dort  unter  (31)  und  (36)  gegebene   Gleichungen  bestimmt: 

Indem  wir  nun  wieder  jede  einzelne  Geschwindigkeit  u  eines 
dieser  Molecüle  nach  (37)  durch  ein  Product  von  der  Form  *(  0 
bezeichnen,  wollen  wir  festsetzen,  dass  diejenige  Theilzahl  von 
ausgesandten  Molecülen,  bei  denen  die  Grösse  s  zwischen  den 
Werthen  0  und  3  -\-  dz  liegt,  durch  das  Product 

MW{z)ds 

bestimmt  werde,  so  dass  W {z)  die  Function  ist,  welche  das  Ge- 
schwindigkeitsgesetz für  die  ausgesandten  Molecüle  darstellt.  Es 
handelt  sich  nun  darum,  die  Beziehung  zwischen  den  Functionen 
^(0)  und  i\)  {z)  zu  finden. 

Dazu  kann  folgende  Betrachtung  dienen.  Die  Zeit,  welche 
ein  ausgesandtes  Molecül  mit  der  Geschwindigkeit  us  durch- 
schnittlich gebraucht,  um  wieder  mit  einem  anderen  Molecül 
zUsammenzutreö'en ,  d.  h.  also  die  Zeit,  während  welcher  die  Ge- 
schwindigkeit, mit  der  das  Molecül  ausgesandt  ist,  durchschnitt- 
lich besteht,  haben  wir  oben  durch  t,  bezeichnet.     Hieraus  folgt, 

Clausius,  mecliau.  Wärmetheorie.     III.  a 


82  Abschnitt  II. 

dass  die  Anzahl  der  gleichseitig  bestehenden^  zwischen  U0  nnd 
ü(0  -f-  d  s)  liegenden  Geschwindigkeiten  durch  das  Product 

MW(s)ds.t, 

dargestellt  wird.  Nun  wird  aber  andererseits  die  Anzahl  der 
Molecüle,  deren  gleichzeitig  stattfindende  Geschwindigkeit  zwischen 
US  und  u{0  -^  dd)  liegt,  durch  die  Formel  S.  75 

Ni\}{z)dB 
dargestellt,  und  wir  erhalten  also  die  Gleichung: 

MW{z)ds.tz=  N^  {s)  d  s, 
oder 

(48)  MW(s)d0=  n"^  ds. 

Setzen  wir  hierin  für  t^  seinen  unter  (45)  gegebenen  Werth, 
so  kommt: 
(48a)        MW{z)dz  =  NPi}{s)ds  =  mn6'^r,tp{z)ds. 

Man  kann   auch  für  t^  den  aus  der  Gleichung  (46)  hervor- 
gehenden Werth  ^  setzen,  wodurch  man  erhält: 
u  z 

(49)  M  W  {z)  dz  =  N'^-^^P  (z)  d  z. 

Die  beiden  vorstehenden  Ausdrücke  kann  man  auch  so  schreiben: 

(49  a)  MW(z)dz  =  N^Tiö^r  ^  ilj(z)dz 

r 

(49b)  MW(z)dz  =  Nj-  ^z-tp(z)dz. 

Da  nun  für  M  folgende  Gleichungen  gelten: 

so  erhält  man  zur  Bestimmung  von  ^(z)  die  Gleichung: 

(50)  W.{z)  =  ^i>(z)  =  ~z^l^(z), 

r  ''z 

oder  wenn   man    unter   Anwendung   der    Gleichungen    (42)   oder 
(46  a)  die  Function  g)  (z)  einführt,  die  Gleichung: 

(51)  .       W(z)  =  ip(z)i^(z). 


Ueber  die  mittlere  Weglänge  der  Gasmolecüle.  83 

Will  man  das  Maxwell'scbe  Geschwindigkeitsgesetz  anwen- 
den, so  hat  man  für  ijj  (js)  den  oben  unter  (40j  und  für  cp  (z)  den 
unter  (43)  gegebenen  Ausdruck  zu  setzen  und  erhält: 

(52)    >.w==^^u^l'■'  +  (,  +  i,.),-^'"/.-^".4 


ABSCHNITT   IIL 


eber  die  innere  Reibung  der  Gase. 


§.    1.     Verschiedene   auf   die   Reibung    der    Gase   bezüg- 
liche  Arbeiten. 

Maxwell  hat  in  seiner  schon  mehrfach  citirten  Abhandlung 
vom  Jahre  1860  auch  die  Reibung  der  Gase  behandelt  und  hat 
für  den  Reibungscoefficienten  einen  Ausdruck  abgeleitet,  welcher 
dem  Princip  nach  als  richtig  anzusehen  ist,  und  demgemäss  die 
Gesetze,  welchen  die  Gasreibung  unterworfen  ist,  richtig  dar- 
stellt, aber  eine  gewisse,  den  numerischen  Werth  des  Reibungs- 
coefficienten beeinflussende  Ungenauigkeit  enthält.  Es  kommt 
nämlich  in  der  Rechnung  einerseits  die  Geschwindigkeit,  ande- 
rei:seits  die  Weglänge  der  Molecüle  in  Betracht.  Diese  beiden 
Grössen  sind  nicht  von  einander  unabhängig,  sondern  hängen  in 
der  Weise  von  einander  ab,  dass  Molecüle,  welche  grössere  Ge- 
schwindigkeiten haben,  im  Allgemeinen  auch  längere  Wege  zurück- 
legen. Diesen  Unterschied  hat  Maxwell  nicht  berücksichtigt, 
sondern  hat  die  beiden  Grössen  so  behandelt,  als  ob  von  jeder 
einzelnen  nur  der  Mittelwerth  in  Rechnung  zu  bringen  sei.  Da- 
durch wird  die  Rechnung  sehr  erleichtert,  aber  die  mathematische 
Strenge  etwas  beeinträchtigt. 

Nach  Maxwell  haben  viele  andere  Autoren  sich  mit  der 
Gasreibung  beschäftigt,  unter  denen  ich  nur  Ose.  Em.  Meyer  i) 
und   Tait2)   hier  anführen   will,    von   denen   der  erstere   seinen 


1)  0.  E.  Meyer,  Die  kinetische  Theorie  der  Gase.    Breslau  1877.   Vergl. 
ferner  Pogg.  Ann.  135,  177,  1865. 

2)  Tait,  Trans.  Roy.  Soc.  Edinb.  33,  part.  I,  p.  65,  1885  —  1886. 


Uebei*  die  innere  Reibung  der  Gase.  85 

theoretischen  Betrachtungen  aucli  sehr  werthvolle  experimentelle 
Untersuchungen  hinzugefügt  hat,  und  der  letztere  die  oben  er- 
wähnte, in  der  Maxwell' sehen  Formel  vorkommende  Ungenauig- 
keit  einer  speciellen  Besprechung  unterzogen  hat. 

Im  Nachfolgenden   möge   zunächst   eine   kurze  Entwickelung 
der  betreffenden  Gleichung  gegeben  werden. 


§.  2.     Feststellung  des  zu  untersuchenden   Falles. 

Es  möge  eine  Gasmenge  gegeben  sein,  welche  neben  den 
unregelmässigen  Molecularbewegungen  auch  eine  Bewegung  der 
ganzen  Masse  besitzt,  und  zwar  eine  solche  Bewegung,  deren 
Richtung  in  allen  Theilen  des  Gases  gleich,  deren  Geschwindig- 
keit aber  in  verschiedenen  Theilen  des  Gases  verschieden  ist. 
In  letzterer  Beziehung  wollen  wir  noch  die  vereinfachende  Be- 
dingung einführen,  dass  die  Geschwindigkeit  sich  nur  nach  einer 
bestimmten  auf  der  Bewegungsrichtung  senkrechten  Richtung 
ändert.  Wir  wollen  die  letztere  Richtung  als  .r- Richtung  und 
die  Bewegungsrichtung  als  </ -Richtung  eines  rechtwinkeligen  Coor- 
dinatensystems  annehmen,  dann  können  wir  die  in  Bezug  auf 
die  Geschwindigkeit  gestellte  Bedingung  dadurch  ausdrücken, 
dass  wir  sagen,  die  Geschwindigkeit  sei  eine  Function  von  x. 

Wählen  wir  nun  irgend  eine  auf  der  ic- Richtung  senkrechte 
Ebene  zur  Betrachtung  aus,  welche  wir,  da  der  Anfangspunct 
der  Coordinaten  willkürlich  ist,  als  die  ?/-^- Ebene  des  Coordi- 
natensystems  annehmen  wollen ,  und  bezeichnen  wir  den  Werth, 
welchen  die  Geschwindigkeit  v  in  dieser  Ebene  hat,  mit  v^,  so 
können  wir  für  irgend  eine  andere  der  y-^-Ebene  parallele  Ebene, 
deren  Abscisse  x  ist,  den  Werth  v  in  der  bekannten  Weise  durch 
Reihenentwickelung  darstellen,  nämlich: 

,  dv  ,  cV^v  x^  ,  . 
^  dx  ^  dx-  2 
Da  im  Folgenden  nur  sehr  kleine  Werthe  von  x  in  Betracht 
kommen  werden,  welche  von  der  Ordnung  der  mittleren  Weg- 
länge der  Molecüle  sind,  so  können  wir  alle  Glieder,  welche  in 
Bezug  auf  x  von  höherer  als  erster  Ordnung  sind,  vernachlässigen, 
und  demgemäss  setzen: 

,    d  V 
'    dx 


86  Abschnitt  III. 

Um  eine  bestimmte  Anschauung  zu  gewinnen,  wollen  wir 
annehmen,  dass  -^ —  positiv  sei,  Avas  zulässig  ist,  weil  wir  die  Seite, 

tt  CG 

nach  welcher  wir  x  als  positiv  nehmen  wollen,  noch  frei  wählen 
können. 

Da  nun  die  zu  beiden  Seiten  der  ^-^ -Ebene  befindlichen 
Gasmassen  verschiedene  Geschwindigkeiten  haben,  so  üben  sie 
auf  einander  eine  Kraft  aus,  welche  dahin  wirkt,  die  schneller 
bewegte  Masse  in  ihrer  Bewegung  zu  verzögern  und  die  lang- 
samer bewegte  Masse  zu  beschleunigen.  Diese  Kraft,  welche  die 
innere  Reibung  des  Gases  genannt  wird,  ist  es,  um  deren  Be- 
stimmung es  sich  im  Folgenden  handelt. 

§.  3.    Bewegungszustand  nach  der  kinetischen  Gastheorie 
und  insbesondere  Verhalten  der  ausgesandten  Molecüle. 

Nach  der  kinetischen  Gastheorie  haben  die  Molecüle  eines 
scheinbar  ruhenden  Gases  Molecularbewegungen ,  welche  in  un- 
regelmässiger Weise  stattfinden  und  nur  den  Wahrscheinlichkeits- 
gesetzen unterworfen  sind.  Zu  diesen  nach  allen  Richtungen 
gehenden  Geschwindigkeiten  kommt  im  gegenwärtigen  Falle  noch 
die  Geschwindigkeit  v  nach  der  positiven  ;?/ -Richtung  hinzu. 

Wenn  diese  letztere  Geschwindigkeit  innerhalb  des  Gases 
überall  gleich  wäre,  so  würde  sie  das  Verhalten  der  Molecüle 
zu  einander  gar  nicht  ändern.  Insbesondere  würde  die  Zahl  der 
in  einer  Raumeinheit  während  der  Zeiteinheit  ausgesandten  i) 
Molecüle,  und  das  Verhalten  dieser  Molecüle  in  Bezug  auf  die 
Geschwindigkeit  der  unregelmässigen  Bewegungen  in  dem  beweg- 
ten Gase  dasselbe  sein,  wie  in  einem  ruhenden  Gase.  Dieses 
Verhalten  wollen  wir  durch  folgende  Angaben  ausdrücken.  Die 
Gesammtzahl  der  in  der  Raumeinheit  während  der  Zeiteinheit 
ausgesandten  Molecüle  möge  wie  früher  mit  M  bezeichnet  wer- 
den, und  die  Anzahl  derjenigen  unter  ihnen,  bei  denen  die  Ge- 
schwindigkeiten der  unregelmässigen  Bewegungen  zwischen  u 
und  u  -\-  du  liegen,  möge  durch  den  Ausdruck: 

MF{u)du^) 
dargestellt  werden. 


1)  Vergl.  S.  73. 

2)  Der   Ausdruck  F(u)du   ist   identisch  mit    dem   S.  81    aufgestellten 
'/^(^■)  d  s.    Die  dort  angestellte  Untersuchung  der  Function  '/'  lässt  sich  daher 


lieber  die  innere  Reibung  der  Gase.  87 

Nun  müssen  wir  weiter  betrachten,  wie  bei  einem  Gase,  in 
dem  die  Massenbewegung  nicht  überall  gleich ,  sondern  an  ver- 
schiedenen Stellen  in  der  oben  beschriebenen  Weise  verschieden 
ist,  die  nach  den  Stössen  ausgesandten  Molecüle  sich  verhalten. 
Wir  wählen  zur  Betrachtung  statt  der  Raumeinheit  den  Raum 
einer  unendlich  dünnen  Schicht  zwischen  zwei  Ebenen,  deren 
Abscissen  x  und  x  -\-  dx  sind.  Wenn  wir  von  dieser  Schicht 
ein  Stück  nehmen,  welches  einer  Flächeneinheit  der  Grenzfläche 
entspricht,  so  ist  der  Rauminhalt  dieses  Stückes  der  Schicht  ein- 
fach dx^  und  die  von  diesem  Stücke  der  Schicht  während 
der  Zeiteinheit  ausgesandten  Molecüle,  deren  Geschwindigkeiten 
zwischen  u  und  u  -\^  du  liegen,  würden,  wenn  die  Massen- 
bewegung in  allen  Theilen  des  Gases  gleich  wäre,  durch 

3IF(u)  du  dx 
dargestellt  werden.    Nun  fragt  es  sich  aber,  wie  dieser  Ausdruck 
sich  dadurch  ändert,   dass   die   Massenbewegung   nicht   in  allen 
Theilen  des  Gases  gleich  ist. 

Dazu  müssen  wir  zunächst  einige  allgemeine  Betrachtungen 
über  das  Verhalten  der  Molecüle  beim  Zusammenstosse  an- 
stellen. Dieses  Verhalten  ist  nicht  vollständig  dasselbe,  wie  das 
Verhalten  zusammenstossender  elastischer  Kugeln,  indessen  kann 
man  doch  in  vielen  Beziehungen  einen  nützlichen  Einblick  in  das 
Verhalten  der  Molecüle  gewinnen,  wenn  man  von  der  Betrach- 
tung elastischer  Kugeln  ausgeht.  Die  gegenseitige  Einwirkung 
zweier  elastischer  Kugeln  beim  Zusammenstosse  ist  in  recht  über- 
sichtlicher Weise  in  der  oben  erwähnten  Abhandlung  von  Max- 
well zusammengestellt.  Ich  will  hier  nur  einige  Sätze,  welche 
auch  sonst  als  hinlänglich  bekannt  zu  betrachten  sind,  anführen. 

Wenn  zwei  gleiche  elastische  Kugeln  mit  gleicher  Geschwin- 
digkeit in  entgegengesetzter  Richtung  fliegen,  und  zwar  so,  dass 
ihre  Mittelpuncte  sich  in  derselben  Geraden  bewegen,  und  die 
Kugeln  daher  central  zusammenstossen ,  so  prallen  sie  in  der 
Weise  von  einander  ab,  dass  jede  Kugel  mit  gleicher  Geschwin- 
digkeit nach  der  Richtung  zurückfliegt,  aus  der  sie  gekommen  ist. 
Bewegen  sich  die  Kugeln  aber  vor  dem  Stosse  zwar  in  entgegen- 
gesetzter Richtung,   aber  so,  dass  die  Wege   ihrer  Mittelpuncte 


unmittelbar  auf  die  Function  i^  übertragen ;  insbesondere  geht  dadurch  die 
Gleichung  (48a),  unter  Berücksichtigung  der  Bemerkung  S.  Tf),  über  in: 
MF{u)  =  NPf{u).  D.H. 


88  Absclmitt  III. 

nicht  in  derselben  Geraden,  sondern  in  zwei  parallelen  Geraden 
liegen,  und  dass  folglicli  die  Kugeln  excentrisch  zusammenstossen, 
so  prallen  sie  zwar  wieder  mit  gleichen  Geschwindigkeiten  aus- 
einander, und  die  Centra  bewegen  sich  wieder  nach  entgegen- 
gesetzten Seiten  in  zwei  parallelen  Geraden,  aber  die  Richtung 
dieser  Geraden  ist  nicht  dieselbe,  wie  die  Richtung  derjenigen 
Geraden,  in  welchen  sich  die  Centra  vor  dem  Stosse  bewegten. 
Die  neue  Richtung  hängt  von  der  Lage  ab,  welche  der  Punct 
des  Zusammentreffens  in  den  beiden  Oberflächen  hat,  und  da  die 
Kugeln  in  unendlich  vielen  verschiedenen  Puncten  ihrer  Ober- 
flächen zusammentreffen  können,  so  findet  auch  in  den  Richtungen 
des  Auseinanderprallens  eine  unendliche  Mannichfaltigkeit  statt, 
und  es  lässt  sich  leicht  beweisen,  dass  jede  mögliche  BicMung  im 
Räume  für  die  Beioegungen  der  Kugeln  nach  dem  Stosse  gleich 
ivahrscheinlich  ist. 

Sei  nun  allgemein  angenommen,  die  beiden  gleichen  Kugeln 
bewegen  sich  vor  dem  Stosse  7nit  heliehigen  Geschivindigheiten 
nach  heliebigen  Hichtungen.  Dann  zerlegen  wir  uns  die  Bewegung 
jeder  Kugel  in  zwei  Componenten.  Als  erste  Componente  nehmen 
wir  die  Bewegung  des  gemeinsamen  Schwerpunctes  beider  Kugeln, 
dann  ist  die  zweite  Componente  die  relative  Bewegung  der  betref- 
fenden Kugel  gegen  den  gemeinsamen  Schwerpunct.  Die  erstere 
Bewegung  ist  für  beide  Kugeln  gleich  gross  und  gleich  gerichtet, 
die  letztere  für  beide  Kugeln  gleich  gross  und  entgegengesetzt. 
Die  erstere  wird  durch  den  Stoss  nicht  geändert ;  die  letztere  da- 
gegen wird  gerade  in  derselben  Weise  geändert,  als  ob  sie  allein 
vorhanden  wäre  und  die  gemeinsame  Bewegung  gar  nicht  statt- 
fände. In  Bezug  auf  sie  gilt  dasselbe,  was  vorher  von  dem  Falle 
gesagt  wurde,  wo  zwei  Kugeln  sich  in  parallelen  Geraden  gegen 
einander  bewegen  und  durch  den  Stoss  je  nach  dem  Puncte  des 
Zusammentreffens  verschiedene  Richtungen  annehmen  können. 
Hieraus  sieht  man,  in  wie  weit  bei  unregelmässig  zusammen- 
stossenden  Kugeln  die  Bewegungen  nach  den  Stössen  von  denen 
vor  den  Stössen  abhängen,  und  in  wie  weit  sie  von  ihnen  unab- 
hängig sind.  Die  JBeivegung  jeder  Kugel  besteht  aus  zwei  Com- 
ponenten^ von  denen  die  erste  nach  Grösse  und  Richtung  durch 
die  Beivegungen  vor  dem  Stosse  vollständig  bestimmt  ist^  und  die 
zweite  ebenfalls  eine  bestimmte  Grösse  hat ,  aber  unendlich  viele 
verschiedene  Riichtungen  haben  Tiann^  und  zivar  so^  dass  jede  Rich- 
tung im  Räume  gleich  ivahrscheinlich  ist. 


lieber  die  inaere  Keibung  dei'  Gase.  89 

Indem  wir  dieses  Resultat  auf  die  unter  den  Moleciilen  statt- 
findenden StÖRse  anwenden,  können  wir  annehmen,  dass  aucli 
hier  von  den  Bewegungen,  welche  zwei  zusammenstossende  Mole- 
cüle  vor  dem  Stosse  haben,  nur  der  den  beiden  Moleciilen  ge- 
meinsame Theil,  nämlich  die  Bewegung  des  gemeinsamen  Schwer- 
punctes,  nach  Grösse  und  Richtung  ungeändert  bleibt,  während 
die  zweite  Componente  der  Bewegungen  ihre  Richtung  in  so 
verschiedenen  Weisen  ändern  kann,  dass  für  sie  jede  Richtung  im 
Räume  gleich  wahrscheinlich  ist. 

Betrachten  wir  nun  die  ganze  Menge  der  Molecüle,  welche 
während  der  Zeiteinheit  in  unserer  unendlich  dünnen  Schicht 
zusammenstossen ,  so  sind  diese  theils  von  der  positiven,  theils 
von  der  negativen  Seite  in  die  Schicht  gelangt.  Bei  den  von  der 
positiven  Seite  kommenden  Moleciilen  hat  die  Geschwindigkeit  v 
einen  grösseren  Werth  als  den,  welcher  der  Lage  der  Schicht 
entspricht,  und  bei  den  von  der  negativen  Seite  kommenden 
Molecülen  einen  kleineren  Werth.  Bilden  wir  daher  für  alle  in 
der  Schicht  zusammenstossende  Molecüle  den  Mittelwerth  von  t;, 
so  erhalten  wir  einen  Werth,  welcher  dem  der  Lage  der  Schicht 
entsprechenden  Werthe  so  nahe  gleich  ist,  dass  der  noch  bleibende 
Unterschied  nur  eine  Grösse  sein  kann,  welche  in  Bezug  auf  die 
mittlere  Weglänge  von  höherer  Ordnung  ist,  als  die  bei  den  ein- 
zelnen Molecülen  vorkommenden  Unterschiede,  und  daher  ver- 
nachlässigt werden  kann. 

Dasselbe,  was  von  den  zusammenstossenden  Molecülen  gilt, 
gilt  auch  von  den  ausgesandten  Molecülen,  und  wir  können  daher 
den  Bewegungszustand  der  von  einem  der  Flächeneinheit  ent- 
sprechenden Stück  der  Schicht  ausgesandten  Molecüle  in  folgender 
Weise  mathematisch  bestimmen.  Die  Anzahl  derjenigen  Mole- 
cüle, bei  welchen  die  nach  allen  Richtungen  gehenden  Mole- 
cularbewegungen  Geschwindigkeiten  haben,  die  zwischen  u  und 
u  -\-  du  liegen,  wird  durch 

MF(u)du  dx 
dargestellt.  Zu  diesen  nach  allen  Richtungen  gehenden  Bewe- 
gungen kommt  noch  eine  nach  der  ^/-Richtung  gehende  Bewegung, 
welche  für  alle  betreffenden  Molecüle  eine  gemeinsame  Gesch-^^-in- 
digkeit  hat,  nämlich  die  der  Lage  der  Schicht  entsprechende 
Geschwindigkeit  v. 


90  Abschnitt  III. 


§.  4.     Eliminirung    des   Einflusses,    welchen    der   Unter- 
schied   der    Massenbewegung    auf    den    Durchgang    der 
Molecüle   durch  das  Gas  ausübt. 

Nachdem  der  Bewegungszustand  der  von  einer  unendlich 
dünnen  Schicht  ausgesandten  Molecüle  festgestellt  ist,  handelt  es 
sich  weiter  darum,  zu  bestimmen,  wie  viele  von  diesen  Molecülen 
bis  zur  2/^- Ebene  gelangen,  ohne  vorher  von  anderen  Molecülen 
aufgefangen  zu  werden. 

Wir  beschränken  uns  zunächst  auf  die  Betrachtung  solcher 
Molecüle,  deren  Moleculargesch windigkeiten ,  abgesehen  von  der 
Massenbewegung,  zwischen  u  und  u  -{-  du  liegen,  und  deren 
Anzahl 

MF(u)dudx 

ist.  Da  diese  Molecüle  sich  nach  allen  möglichen  Richtungen 
bewegen,  wollen  wir  von  ihnen  wieder  nur  einen  unendlich  kleinen 
Bruchtheil  betrachten,  welcher  bestimmt  vorgeschriebene  Rich- 
tungen hat.  Um  die  Bewegungsrichtung  eines  Molecüls  angeben 
zu  können,  führen  wir  die  Winkel  9'  und  q)  ein.  d"  soll  den 
Winkel  mit  der  ;r- Richtung  bedeuten;  da  aber  die  ^Z^- Ebene 
von  der  Schicht,  welche  die  Molecüle  aussendet,  nach  der  nega- 
tiven Seite  liegt,  so  wollen  wir  unter  &  den  Winkel  zwischen 
der  Bewegungsrichtung  des  Molecüls  und  der  negativen  a?- Rich- 
tung verstehen.  Ferner  wollen  wir  eine  Ebene  durch  die  ^-Rich- 
tung und  die  Bewegungsrichtung  des  Molecüls,  und  eine  andere 
Ebene  durch  die  ic- Richtung  und  die  ^-Richtung  legen  und  den 
Winkel  zwischen  diesen  beiden  Ebenen  mit  cp  bezeichnen.  Durch 
diese  beiden  Winkel  ist  die  Bewegungsrichtung  des  Molecüls 
bestimmt,  und  der  zur  Betrachtung  ausgewählte  Bruchtheil  der 
ganzen  Molecülzahl  soll  dadurch  bestimmt  sein,  dass  diese  Winkel 
Werthe  haben ,  die  zwischen  d-  und  d-  -\-  dO'  und  zwischen  cp  und 
cp  -\-  d(p  liegen. 

Die  Anzahl  der  Molecüle,  bei  denen  die  Winkel  zwischen 
diesen  Grenzen  liegen,  verhält  sich  zur  ganzen  Anzahl,  bei  denen 
die  Winkel  beliebig  sind ,  wie  sin 0'  d^  dcp  zu  4 ^.  Demnach 
wird  die  Anzahl  der  Molecüle,  welche  von  der  unendlich  dünnen 
Schicht  ausgesandt  werden,  und  bei  denen  die  Moleculargeschwin- 
digkeiten  zwischen  u  und  u  -{-  dii  liegen,  und  bei  denen  zugleich 


» 


Ueber  die  innere  Reibung  der  Gase.  91 

die  Winkel   zwisclien   den   vorher   angegebenen    Grenzen   liegen, 
durch  folgende  Formel  dargestellt: 

sin&  dxt  dm 
MF(u)dudx -• 

^     ^  4:7t 

Um  nun  zu  bestimmen,  wie  viele  von  diesen  Molecülen  zur 
Ebene  y  s;  gelangen,  ohne  von  anderen  .Molecülen  aufgefangen 
zu  werden,  wollen  wir  einen  anderen  Ausdruck,  als  den  in  Ab- 
schnitt II,  S.  71  entwickelten  in  Anwendung  bringen,  indem  wir 
statt  der  Länge  des  zu  durchlaufenden  Weges  die  zur  Durch- 
laufung desselben  nöthige  Zeitdauer  in  Betracht  ziehen.  Bezeich- 
nen wir  für  unsere  Molecüle,  welche  die  Eigengeschwindigkeit  u 
haben,  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  zu  den  anderen 
Molecülen  mit  r„  i),  so  werden  wir  die  Wahrscheinlichkeit  dafür, 
dass  ein  bestimmtes  von  ihnen  während  einer  Zeit  t^  nicht  auf- 
gefangen wird,  für  den  Fall,  dass  r„  von  der  Zeit  unabhängig 
wäre,  durch  den  Ausdruck  e~^*^  darstellen  können  2),  worin  P, 
die  Zahl  der  Stösse  in  der  Zeiteinheit,  nach  der  Gleichung  (44) 
des  vorigen  Abschnittes  folgende  Bedeutung  hat: 

(1)  P  =  N7t6^ru. 

Wenn  aber  r«  und   somit   auch  P  von  der  Zeit  abhängig  ist,  so 

müssen  wir  statt  des  vorigen  Ausdruckes   den  folgenden  bilden: 

h 
-fpdt 

e  0  . 
Falls  keine  Massenbewegung  vorhanden  wäre,  sondern  nur 
die  Molecularbewegungen  beständen,  würde  ru  einen  von  der 
Bewegungszeit  unabhängigen  Werth  haben,  und  wir  würden  daher 
denjenigen  Theil  der  oben  besprochenen  ausgesandten  Molecüle, 
welcher  wirklich  an  der  ^^ -Ebene  anlangt,  und  sie  durchschreitet, 
durch 


sind-dd-dw       p, 
MF (u)  du  dx e--P^ 


darstellen. 


^)  Der  hier  gebrauchte  Iudex  «  ist  ganz  gleichbedeutend  mit  dem  im 
vorigen  Abschnitt  gebrauchten  Index  z.  D.  H. 

2)  Dieser  Ausdruck  ergiebt  sich,  wenn  man  in  die  Gleichung  (29)  des 
vorigen  Abschnittes  für  s,  den  durchlaufenen  Weg,  seinen  Werth  u  t^,  und 

für  die  Weglänge  l  aus  der  Gleichung  (46)  den  Werth  -p  einsetzt.      D.  H. 


92    ■  Abschnitt  III. 

In  unserem  gegenwärtigen  Falle  aber  kommt  zu  der  Mole- 
cularbewegung  noch  die  Massenbewegung.  Da  diese  nach  der 
^-Richtung  geht,  so  hat  sie  auf  die  ^-Componente  der  Geschwin- 
digkeit des  betrachteten  Molecüls  keinen  Einfluss,  und  die  Zeit, 
welche  das  Molecül  gebraucht,  um  von  der  unendlich  dünnen 
Schicht  bis  zu  der  um  die  Strecke  x  von  ihr  entfernten  ^(0 -Ebene 
zu  gelangen,  wird  daher  durch  das  Hinzukommen  der  Massen- 
bewegung nicht  geändert,  sondern  behält  den  mit  ti  bezeichneten 
Werth.  Anders  verhält  es  sich  jedoch  mit  der  mittleren  rela- 
tiven Geschwindigkeit.  Wenn  die  Massenbewegung  in  allen  Theilen 
des  Gases  gleich  wäre,  so  würde  sie  auf  die  mittlere  relative 
Geschwindigkeit  eines  Molecüls  zu  den  übrigen  Molecülen  keinen 
Einfluss  haben.  Da  nun  aber  der  Annahme  nach  die  Geschwin- 
digkeit der  Massenbewegung  mit  wachsendem  x  zunimmt,  so  hat 
das  betrachtete  Molecül,  welches  von  der  unendlich  dünnen  Schicht 
mit  der  Abscisse  x  ausgeht,  eine  etwas  grössere  Massenbewegung, 
als  in  dem  Zwischenräume  zwischen  der  Schicht  und  der  j/^ -Ebene 
herrscht.    Dieser  Unterschied  muss  in  Betracht  gezogen  werden. 

Der  grösste  Werth,  welchen  dieser  Unterschied  erreicht,  findet 

bei   der  11  ^- Ebene   statt,  und  hier  ist  er  gleich  -5—  x.   Da  die 

■^  ^  dx 

hierbei  in  Betracht  kommenden  Werthe  von  x  nur  sehr  klein, 
nämlich  von  der  Ordnung  der  mittleren  Weglänge  sind,  so  ist 
auch  der  in  Rechnung  zu  ziehende  Unterschied  der  Massenbewegung 
immer  nur  so  klein,  dass  wir  bei  einer  Reihenentwickelung  nach 
Potenzen  dieser  Grössen  nur  die  erste  Potenz  zu  berücksichtigen 
brauchen  und  die  höheren  Potenzen  vernachlässigen  können. 

Betrachten  wir  nun,  was  dieser  zu  der  Molecularbewegung 
hinzukommende  Unterschied  der  Massenbewegung  für  einen  Ein- 
fluss auf  den  zu  behandelnden  Ausdruck  hat^  so  besteht  derselbe 
darin,  dass  wegen  dieses  Unterschiedes  die  mittlere  relative  Ge- 
schwindigkeit des  betrachteten  Molecüls  zu  den  anderen  Mole- 
cülen an  den  verschiedenen  Stellen  des  von  dem  Molecül  durch- 
laufenen Raumes  verschieden  ist,  und  dass  somit  r^  als  eine 
Function  der  Zeit  zu  behandeln  ist.  'Wir  haben  also  zur  Dar- 
stellung der  Anzahl  von  Molecülen,  welche  bis  zur  1/^- Ebene 
gelangen,  folgenden  Ausdruck  zu  bilden : 

u 

i\ri:^  r  \  7     j     sind-dd-dcp    ~-i^'"' 
MF  (u)  du  dx e    ^ 

^  4:71 


üeber  die  innere  Reibung  der  Gase.  93 

Wollte  man  das  hier  im  Exponenten  vorkommende  Integral 
für  jeden  einzelnen  Werth  der  Grösse  m,  d-  und  q)  mathematisch 
genau  bestimmen,  so  würde  das  grosse  Weitläufigkeiten  machen; 
indessen  kann  man  durch  eine  einfache  geometrische  Betrachtung 
zu  einem  Ergebnisse  gelangen,  welches  zu  einer  grossen  Verein- 
fachung führt.  Da  nämlich  die  Massenbewegung  die  Richtung 
der  y-kxe  hat,  so  hängt  der  Einfluss,  welchen  der  Unterschied 
der  Massenbewegung  auf  die  Grösse  >•„  und  damit  auf  den  ganzen 
in  Betracht  kommenden  Ausdruck  hat,  von  dem  Winkel  (p  ab. 
Für  zwei  Werthe  von  ^,  deren  Cosinuse  entgegengesetzte  Vor- 
zeichen und  gleiche  absolute  Werthe  haben,  findet  auch  jener 
Einfluss  im  Allgemeinen  in  entgegengesetztem  Sinne  statt,  und 
ist,  absolut  genommen,  so  nahe  gleich,  dass  die  etwa  vorhandene 
Abweichung  nur  eine  Grösse  von  höherer  als  erster  Ordnung  in 
Bezug  auf  den  wirksamen  Unterschied  der  Massenbewegung  ist. 

Daraus  folgt  weiter,  dass,  wenn  man  den  vorstehenden  Aus- 
druck nach  (p  von  0  bis  2  :;r  integrirt,  in  diesem  Integral  die  in 
entgegengesetztem  Sinne  wirkenden  Einflüsse  des  Unterschiedes 
der  Massenbewegung  sich  soweit  aufheben,  dass  die  Gesammt- 
wirkung  dieser  Einflüsse  ebenfalls  eine  Grösse  von  höherer  als 
erster  Ordnung  in  Bezug  auf  den  Unterschied  der  Massenbewegung 
und  daher  auch  in  Bezug  auf  die  mittlere  Weglänge  ist. 

Da  wir  nun  festgesetzt  haben,  dass  Grössen  von  solcher 
Kleinheit  in  unseren  Rechnungen  vernachlässigt  werden  sollen, 
so  können  wir  bei  der  Integration  nach  g?  der  Grösse  r,,  den- 
jenigen Constanten  Werth  beilegen,  welcher  gelten  würde,  wenn 
die  Massenbewegung  in  allen  Theilen  des  Gases  gleich  wäre. 
Dann  erhalten  wir  durch  diese  Integration   folgenden  Ausdruck: 

-^  MF  {u)dudx  sin  &  cid-  e-^K 


§.  5.     Positive    Bewegungsgrösse    der    Massenbewegung, 
welche  durch  die  </^-Ebene  geht. 

Bei  der  weiteren  Behandlung  des  Gegenstandes  wollen  wir 
den  Gang  der  Betrachtung  etwas  ändern. 

Zunächst  möge  statt  der  Zeit  ^^  die  Grösse  x  eingeführt  wer- 
den. Unter  ti  wird  diejenige  Zeit  verstanden,  welche  ein  Mole- 
cül',   dessen   Molecularbewegung  die  Geschwindigkeit  u  und  eine 


94  Abschnitt  III. 

Richtung  hat,  die  mit  der  negativen  a:;- Richtung  den  Winkel  Q- 
bildet,  gebraucht,  um  von  seiner  Ausgangsschicht  bis  zur  i/^-Ebene 
zu  gelangen.  Zur  Bestimmung  dieser  Zeit  müssen  wir  die  in  die 
negative  rr- Richtung  fallende  Componente  der  Geschwindigkeit 
des  Molecüls  kennen.  Auf  diese  Componente  hat,  wie  schon  oben 
gesagt,  die  Massenbewegung,  welche  nach  der  ^/-I^ichtung  geht, 
keinen  Einfluss,  sondern  sie  bestimmt  sich  einfach  aus  der  Mole- 
cularbewegung  und  wird  durch  das  Product  ucosd'  dargestellt. 
Da  nun  die  unendlich  dünne  Schicht,  von  welcher  das  Molecül 
ausgeht,  um  die  Strecke  x  von  der  ^5^ -Ebene  entfernt  ist,  so  er- 
halten wir  für  die  Zeit  t^  die  Gleichung: 

(2)  ^1=       "" 


U.COSd' 


Demnach  können  wir  die  Anzahl  der  den  Differentialen  dx, 
du  unA  dd-  entsprechenden  Molecüle,  welche,  ohne  von  anderen 
Molecülen  aufgefangen  zu  werden,  bis  zur  ^^ -Ebene  gelangen 
und  dieselbe  durchschreiten,  durch  folgenden  Ausdruck  darstellen: 


-^  MF(u)  dudx  sin  &  dd-  e    « '°'^^. 

Wir  haben  aber  im  Folgenden  nicht  nur  die  Anzahl  dieser 
Molecüle  zu  betrachten,  sondern  die  positive  Bewegungsgrösse 
ihrer  Massenbewegung.    Die  Geschwindigkeit  der  Massenbewegung 

ist  in  der  Schicht,  von  welcher  die  Molecüle  ausgehen,  um  -r-  x 

dx 

grösser  als  in  der  ^^- Ebene,   und  demgemäss  führt  jedes  dieser 

Molecüle    beim    Durchgange   durch   die   i/^- Ebene   einen   üeber- 

schuss  von  positiver  Bewegungsgrösse  mit  sich,  welcher,  wenn  m 

die  Masse  des  Molecüls  bedeutet,  durch  das  Product 

dv 

m     -rj—    X 

dx 

dargestellt  wird,  und  überträgt  dieselbe  von  der  an  der  positiven 
Seite  der  Ebene  befindlichen  Gasmasse  zu  der  an  der  negativen 
Seite  befindlichen.  Der  ganze  der  vorstehenden  Molecülzahl  ent- 
sprechende positive  Bewegungsüberschuss,  welcher  von  der  posi- 
tiven zur  negativen  Seite  übertragen  wird,  ist  daher 

-17  Px 

—  Mtn  -j—  F(u) dudx  sin %•  d^  x.e~^' ""' ^ . 
2  dx      ^  -^ 


lieber  die  innere  Reibung  der  Gase.  95 

Um  diesen  Ausdruck  dahin  zu  erweitern,  dass  er  sich  nicht 
mehr  auf  die  Differentiale  dx^  du  und  dO'^  sondern  auf  sämmt- 
liche  vorkommende  Werthe  von  x,  u  und  d-  bezieht,  müssen  wir 
ihn  nach  x  von  0  bis  co,  nach  u  ebenfalls  von  0  bis  c»,  und  nach 

■9"  von  0  bis  —  integriren. 

Durch  die  Integration  nach  x  geht  der  Ausdruck  über  in : 

—  Bim  -r—  F  (u)  d  u  sin  ^  dO-  — ^r. — , 
Z  dx  i:^ 

und  sodann  durch  die  Integration  nach  -9'  in: 

1    __     dv  u^ F(u)  du 

—  Mm  -j ^ 

6  dx         P^ 

Die  Integration  nach  u  wollen  wir  vorläufig  nur  andeuten,  indem 
wir  setzen: 

00 

1    Ti^     ä'V     r  u'^F(ii)du 

-TT  Mm  '  ^ 


dv^    r 

dx  J 


6  dx  J  F^ 

0 


§.  6.    Ausdruck  des  Reibungscoefficienten. 

Einen  ganz  entsprechenden  Ausdruck,  wie  den  am  Schluss 
des  vorigen  Paragraphen  stehenden,  erhält  man  auch  für  die 
Molecüle,  welche  von  der  negativen  zur  positiven  Seite  durch  die 
2/^- Ebene  gehen.  Man  sieht  nämlich  leicht,  dass  man  alle  vor- 
stehenden Betrachtungen  auch  auf  diesen  Fall  anwenden  kann, 
wenn  man  die  a?- Richtung  nach  der  entgegengesetzten  Seite  als 

positiv  annimmt,  wodurch  sich  nur  das  Vorzeichen  von  -j—  ändert. 

dx 

Man  erhält  also  für  diese  Molecüle  den  Ausdruck: 


1   TiT-     dv    r  i^'^F{:u)du 


0 

Zieht  man  den  letzten  Ausdruck  von  dem  vorhergehenden 
ab ,  so  erhält  man  für  die  Differenz ,  welche  wir  mit  H  bezeich- 
nen wollen,  folgenden  Werth: 


96  Abschnitt  111. 

Diese   Grösse    stellt    den    während    der    Zeiteinheit    durch    eine 

Flächeneinheit   der   y^ -Ebene   stattfindenden  Austausch  von  ße- 

wegungsgrösse  nach  der  2/ -Richtung  dar,  indem  sie  angiebt,  um 

wie  viel  die  an  der  positiven  Seite  liegende  Gasmasse  mehr  Be- 

wegungsgrösse  nach  der  anderen  Seite  hin  abgiebt,  als  sie  von 

dort  zurück  empfängt. 

Diese   Bewegungsgrösse    ist   zugleich   das   Maass    der   Kraft, 

welche  die  an  der  einen  Seite  der  ys -Ebene  liegende  Gasmasse 

auf  die  an  der  anderen  Seite  liegende  nach  der  ^-Richtung  ausübt, 

und  welche  als  innere  Reibung  bezeichnet  wird.    Da  diese  Reibung 

cl  V 
dem  Difierentialcoefficienten  der  Geschwindigkeit  -^  proportional 

ist,  so  können  wir  die  Gleichung 

rÄ\  TT  ^^ 

bilden,  worin  iq  die  Grösse  ist,  welche  man  den  Reibung scoeffi- 
cienten  nennt.  Setzen  wir  den  so  gegebenen  Werth  von  H  in 
die  vorige  Gleichung  ein,  so  erhalten  wir  zur  Bestimmung  von  rj 
die  Gleichung: 

/Kx  1    71^         ru^F{%i)du 

(5)  ri=-Mm  J    p/        • 

0 
Diesem  Ausdruck  von  iq  können  wir  noch  eine  andere  Form 
geben.  Zwischen  den  Functionen  F{u)  und  /(m)i  welche  die  Ge- 
schwindigkeitsgesetze für  die  ausgesandten  Molecüle  und  die 
gleichzeitig  bestehenden  Bewegungen  darstellen,  gilt  folgende 
(S.  86  und  87,  Anm.  d.  H.,  abgeleitete)  Gleichung: 

M  F  (w)  du  =  NPf  (u)  d  u. 
Hierdurch  lässt  sich  die  vorige  Gleichung  umformen  in: 

CO 

1  r  u^ 

(6)  ^  ^  J  -^"^  J   77/(«)^^w- 

0 

Hierin  wollen  wir  noch  für  P  seinen  in  (1)  gegebenen  Werth 
Njt  62  r^  setzen,  wodurch  die  Gleichung  übergeht  in : 


Ueber  die  innere  Beibunff  der  Gase.  97 


§.  7.     Verhalten  des  vorstehenden    Ausdrucks. 

Aus  dem  Umstände,  dass  in  diesem  Ausdrucke  die  Grösse  N 
nicht  vorkommt,  ergiebt  sich  ein  merkwürdiges  Resultat,  welches 
schon  Maxwell  bei  seinen  ersten  theoretischen  Betrachtungen 
der  inneren  Reibung  gefunden  hat,  dass  nämlich  die  Grösse  des 
Reibungscoefficienten  von  der  Dichtigkeit  des  Gases  unabhängig 
ist.  Man  kann  dieses  daraus  erklären,  dass  bei  verdünnten  Gasen 
die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  grösser  ist,  wodurch  die 
gegenseitige  Einwirkung  der  zu  beiden  Seiten  einer  gedachten 
Ebene  liegenden  Gasmassen  vermehrt  wird,  und  dass  diese  Ver- 
mehrung die  durch  die  geringere  Anzahl  der  vorhandenen  Mole- 
cüle veranlasste  Verminderung  der  Einwirkung  aufhebt.  Dabei 
ist  aber  zu  bemerken,  dass  dieser  Satz  nicht  bis  zu  jeder  beliebi- 
gen Verdünnung  des  Gases  angewandt  werden  darf,  wodurch 
man  zu  dem  widersinnigen  Resultate  kommen  würde,  dass  auch 
im  leeren  Räume  eine  ebenso  grosse  Reibung  stattfinde,  als  in 
einem  mit  Gas  gefüllten  Räume.  Dass  eine  so  weitgehende  An- 
wendung des  Satzes  unzulässig  ist,  ergiebt  sich  daraus,  dass  bei 
den  obigen  Entwickelungen,  aus  denen  der  Satz  hervorgegangen 
ist,  vorausgesetzt  wurde,  dass  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle 
so  klein  sei,  dass  man  höhere  Potenzen  derselben  gegen  die  erste 
Potenz  vernachlässigen  könne.  Wenn  nun  bei  der  Verdünnung 
des  Gases  die  mittlere  Weglänge  grösser  wird,  so  gelangt  man 
schliesslich  zu  solchen  Werthen  derselben,  bei  denen  die  Ver- 
nachlässigung der  höheren  Potenzen  nicht  mehr  zulässig  ist,  und 
für  einen  solchen  Grad  der  Verdünnung  dürfen  auch  die  ent- 
wickelten Formeln  nicht  mehr  angewandt  werden. 

Man  kann  dem  Ausdrucke  von  rj  noch  eine  andere  Form 
geben,  in  welcher  statt  der  durch  die  Beschaffenheit  der  Molecüle 

bestimmten   Grösse  — -   eine   andere   von   der   Natur  des   Gases 

71  6' 

abhängige  Grösse  vorkommt,  nämlich  die  im  vorigen  Abschnitte 
behandelte  mittlere  Weglänge  der  Molecüle.     Dazu  multipliciren 

und  dividiren  wir  den  vorstehenden  Ausdruck   durch  N  —  i),  so 

u 
dass  wir  erhalten : 


1)  Vergl.  Gleichung  (26)  des  zweiten  Abschnittes. 

Clausius,  mecban.  Wärmetheorie.     III. 


98  Absclmitt  III. 


1       Nm         r       /      w2         ,  , 

(8)  n  =  -ö -^--^    /     ;^/0'')^^'- 

u  0 

Nun  bedeutet  2Vw  die  in  der  Raumeinheit  des  Gases  enthaltene 
Masse,  also  die  Dichte  des  Gases,  welche  mit  d'  bezeichnet  wer- 
den möge,  und  Nnö^  —  ist   der  reciproke  Werth   der  mittleren 

u 

Weglänge,  welchen  wir  mit  l  bezeichnet  haben,  und  es  kommt 
also: 

00 

1  T        f*   U^ 

(9)  71  =  -81-^         —f(u)du. 

0 

Dieser  Ausdruck  erinnert  an  den  von  Maxwell  für  r/  auf- 
gestellten Ausdruck.  Die  Max  well' sehe  Gleichung  lautet  näm- 
lich (PhiL  Mag.  [4]  19,  p.  31,  1860): 

rj  =  —  diu.. 

Die  Abweichung  dieser  Gleichung  von  der  vorstehenden  erklärt 
sich  auf  folgende  Weise.     Das  Integral 


/ 


1 1J 


0 


.    ■      -  it^ 

bedeutet  den  Mittelwerth  des  Bruches  — ,  also  die  Grösse,  welche 

r„. 


nach  unserer  Bezeichnungsweise  so  zu  schreiben  ist:  (  —  ].    Max- 

\ru) 

well  aber  hat  das  Versehen  gemacht,  dass  er  diesen  Bruch  über- 
haupt nicht  in  solcher  Weise  bildet,  dass  darin  u  und  r^  als  ver- 
änderliche Grössen  angesehen  werden,  so  dass  von  dem  Bruche 
nachträglich  erst  der  Mittelwerth  genommen  werden  muss ,  son- 
dern er  hat  von  vornherein  nur  mit  dem  Mittelwerth  der  Grössen 
u  und  Tu  operirt  und  aus  diesen  hat  er  den  Bruch 

r 

gebildet.  Setzen  wir  diesen  Bruch  in  die  Gleichung  (9)  an  die 
Stelle  des  Integrals  ein,  so  erhalten  wir: 


Ueber  die  innere  Reihung  der  Gase.  99 

1      ,   r   {uY         1       ,- 
o         u     r  ^ 

welches  die  MaxwelTsclie  Gleichung  ist. 

§.  8.     Bestimmung  des  in   dem   Ausdruck  von   rj  vorkom- 
menden Integrals  unter  Anwendung   des  Maxwell'schen 
Geschwindigkeitsgesetzes. 

Was  nun  den  richtigen  Werth  jenes  Integrals  anbetrifft,  so 
kann  derselbe  natürlich  nur  dann  bestimmt  werden,  wenn  die 
Function  /(w),  welche  das  Geschwindigkeitsgesetz  der  Molecular- 
bewegungen  darstellt,  bekannt  ist. 

Um  eine  Vorstellung  von  den  aus  solchen  Rechnungen  her- 
vorgehenden Resultaten  zu  erhalten,  wollen  wir  das  von  Max- 
well aufgestellte  Geschwindigkeitsgesetz  in  Anwendung  bringen, 
nach  welchem,  wie  in  Gleichung  (10)  des  ersten  Abschnittes,  zu 
setzen  ist: 

1  «2 

(10)  f(u)  =  —-=u^^e-ü^ 

Der  diesem  Gesetze  entsprechende  Werth  von  Tu  lässt  sich  aus 
einer  von  Maxwell  schon  entwickelten  Formel  ableiten,  die  wir 
im  ersten  Abschnitt  besprochen  haben.  Dort  erhielten  wir  als 
Gleichung  (17): 

u 
a 

(11)      ^«=i7=^  H — d=—  / '~'  '^'' 

0 

Setzen  wir  nun  in  das  in  Rede  stehende,  in  dem  Ausdrucke  von 
y]  vorkommende  Integral  für  f{u)  und  r„  die  unter  (10)  und  (11) 
gegebenen  Ausdrücke  ein,  so  kommt: 


(12)/|^/(w)rZ 


M-^  e    "'^  d  u 


aue    "''  -j-  (2 «2  _|_  c^sj    /   Q-z^  d  ^ 


0 

Führt  man  hierin  noch  das  Zeichen  co  ein  mit  der  Bedeutung 

u 
ö  =  — , 


100  Abschnitt  III. 

SO  geht  die  Gleichung  über  in: 


(13)  f  ^f{u)du  =  4.a 

0 


Gj  e~ 


+  (2cö2+  1)    r  e"'"  dz 

0  ö 

Zur  Berechnung  des  in  diesem  Ausdrucke  vorkommenden 
Integrals  und  anderer  damit  verwandter  Integrale  hat  Tait^) 
seine  oben  citirte  Abhandlung  mit. sehr  werthvollen  numerischen 
Tabellen  versehen,  aus  welchen  sich  ergiebt,  dass  das  vorstehende 
Integral  den  Zahlenwerth  0,2095  hat,  woraus  sich  ergiebt: 

00 

(14)  f  —f{u)du  =  0,S3Sa: 

0 

Die  hierin  vorkommende  Grösse  a  bestimmt  die  Lebhaftig- 
keit der  Molecularbewegungen  und  kann  durch  verschiedene  von 
den  Geschwindigkeiten  u  abhängige  Mittelwerthe  ersetzt  werden. 

Wir  wollen  dazu  zunächst  das  arithmetische  Mittel  aller 
gleichzeitig  vorhandenen  Werthe  von  m,  also  die  von  uns  durch  m 
bezeichnete  Grösse  wählen.  Nach  Maxwell  ist,  wie  in  Glei- 
chung (12)  des  ersten  Abschnittes: 

2w 

u  =  -=, 

V7C 

und  somit:  _ 

a  =  y^ü  =  0,8862  ü. 

Dieses  in  die  obige  Gleichung  eingesetzt,  giebt: 

u^  — 

—  f{u)du  =--■  0,7427  m. 


f 


r,. 


T 

Was   ferner   den   in  Gleichung  (8)  vorkommenden   Bruch  -^  an- 

u 

betrifft,   so  giebt  das  Maxwell'sche  Geschwindigkeitsgesetz  für 
diesen  den  Werth  V22),  woraus  sich  ergiebt: 


/*  «2  _ 

—  f(u)du  =  1,0504  w. 


1)  Tait,  1.  c,  p.  95. 

2)  Vergl.  S.  65.        I).  H. 


Ueber  die  iunere  ReiVjung  der  Gase.  101 

Durch  Einsetzung  dieser  beiden  Werthe  in  die  Gleichung  (8) 
und  (9)  erhält  man: 

(15)  ri  =  0,2476  ^  ü 

(16)  7}  -=  0,3601  diu. 

Man  kann  aber  statt  des  arithmetischen  Mittels  aller  gleich- 
zeitig stattfindenden  Werthe  von  u  auch  einen  anderen  Werth 
wählen,  welcher,  wenn  er  an  die  Stelle  der  verschiedenen  Werthe 
von  u  gesetzt  wird,  irgend  eine  besonders  wichtige  Wirkung  des 
Gases  richtig  darstellt.  Eine  solche  Wirkung  ist  die  von  dem 
Gase  ausgeübte  Expansivkraft,  und  diese  wird  nicht  durch  das 
arithmetische  Mittel  aus  den  Geschwindigkeiten,  sondern  durch 
das  arithmetische  Mittel  aus  den  Quadraten  der  Geschwindig- 
keiten dargestellt.  Man  muss  also,  wenn  man  die  verschiedenen 
Geschwindigkeiten    durch    eine    einzelne    Grösse    ersetzen    will, 

welche  dieselbe  Expansivkraft  giebt,  dazu  die  Grösse  Vu'^  wählen. 
Nun    ist    nach  Maxwell,    gemäss   der   Gleichung   (12)   des 
ersten  Abschnittes: 

3 

und  somit: 


V^ 


3 
Mit  Hülfe  dieses  Werthes  erhält  man  aus  (14): 

00 

r —/(w)c?M  =  0,6842  V^, 

0 

00 

^    f  ~f  (w)  d  u  =  0,9676  Vü^. 

Durch   Einsetzen   dieser  Werthe   gehen    die   obigen   zur  Be- 
stimmung von  7}  dienenden  Gleichungen  (8)  und  (9)  über  in: 

(17)  «  =  0,2281  -^  V^ 

(18)  rj  =  0,3225  d?  V^. 


102  Abschnitt  III. 


§.9.   Weitere  Umformungen  des  gewonnenen  Ausdruckes. 

In  Abschnitt  I.  ist  folgende  unter  (3),  S.  33  gegebene  Glei- 
chung abgeleitet: 

n  m  u'^ 

worin  v  das  von  einer  beliebigen  Menge  des  Gases  eingenommene 
Volumen  und  n  die  Anzahl  der  Molecüle  derselben  bedeutet; 
hieraus  ergiebt  sich,  wenn  iV,  wie  früher,  die  Anzahl  der  Mole- 
cüle in  der  Volumeneinheit  darstellt: 

Nm  u'^ 

und  somit: 

w2  =  3  -J^  =  3  I-. 

Nm  d 

Durch  Anwendung  dieser  Ausdrücke  gehen  die  Gleichungen  (17) 
und  (18)  über  in: 

VT      ~ 


(19)  ,  ^  0,395  ^1/A  , 

(20)  .    ri  =  0,559  l  VJö. 

Für  den  Fall,  dass  das  betreffende  Gas  dem  vollkommenen 
Gaszustande  hinlänglich  nahe  ist,  um  das  Mariott e 'sehe  und 
Gay-Lussac'sche  Gesetz  anwenden  zu  können,  kann  man  setzen: 

fO-l\  J^  Po_  jI_ 

^   ^  N--  N,   To ' 

worin  jJq  und  Tq  einen  willkürlich  gewählten  Druck  und  eine 
willkürlich  gewählte  Temperatur,  und  iVg  die  Anzahl  der  unter 
diesem  Drucke  und  bei  dieser  Temperatur  in  der  Volumeneinheit 
enthaltenen  Molecüle  bedeuten.  Wenn  das  betreffende  Gas  bei 
der  Temperatur  des  Gefrierpunctes  unter  dem  Drucke  einer  Atmo- 
sphäre bestehen  kann,  so  kann  man  diesen  Druck  und  diese 
Temperatur  unter  p^  und  To  verstehen.  Durch  Anwendung  der 
Gleichung  (21)  geht  (19)  über  in: 


(22)  ^=^0,395  )/^^  1/ IT 

Diese  Gleichung  kann  man  auch  so  schreiben: 


Ueber  die  innere  Reibung  der  Gase. 

103 

,- 0,395  V2l^     ^^'^W/l. 

-XT                      .        '                              (^ 

]S\  TT  Ö-'   — 

hierin  iS^,,  m  durch  ö„,  iV;,  jr  02  1/2  durch  —  . 

,  wo- 

bei  Öq  die  Dichtiglceit  des  Gases,  £  die  mittlere  Weglänge  der 
Gasmolecüle  unter  dem  Drucke  p<^  und  bei  der  Temperatur  1\ 
bedeutet,  so  kommt: 

(23)  n  =  0,5588  £  V|a7  Vl^- 

Hierin  möge  noch  für  die  Dichtigkeit  Öq  das  Product  dö  q 
eingeführt  werden,  worin  Öq  die  Dichtigkeit  der  atmosphärischen 
Luft  unter  dem  Drucke  ^0  und  bei  der  Temperatur  To  darstellen, 
und  Q  das  specifische  Gewicht  des  Gases  im  Vergleich  zur  atmo- 
sphärischen Luft  bedeuten  soll.     Dadurch  erhalten  wir: 

(24)  n  =  0,5588  £  Vi^  Vq    V^- 


Die  hierin  vorkommende  Wurzel  Vjjq  ^'0  lässt  sich  leicht  nume- 
risch berechnen.  ^0  ist  der  Druck  einer  Atmosphäre,  und  da 
dieser  dem  Gewichte  von  1033,3  g  auf  ein  Quadratcentimeter  gleich 
ist,  so  erhalten  wir  1) : 

jj^  =  1033,3  .  g  =  1033,3  .  980,9. 
Ferner  ist  nach  Regnault: 

Ö'o  =  0,0012932, 
woraus  sich  era;iebt: 


1)  Der  Verf.  bedient  sich  hier  des  absoluten  C.  G.  S.- Systems,  während 
er  in  den  Rechnungen  S.  34  als  Längeneinheit  das  Meter,  als  Krafteinheit 
das  Kilogramm  benutzte.  Die  dortigen  Gleichungen  lauten,  auf  das  hiesige 
absolute  Maass  übertraoen: 


(  111 

— 

?, 

i'o 

= 

773,3 

'^' 

Po 

= 

1033,3 

.  980,896 

«  =  48  500  1  ''  — 
1     27 


»2 

= 

■T 

»2 

= 

'^'^  77 
^0? 

3,3  T 

T 

273  Q 

er  See 

nn( 

235130, 
ie. 

.10*- 

T 
273 

D. 

H. 

OQ 


104  Abschnitt  III. 


Vpo  ^0  =  1/1033,3.980,9.0,0012932 
=  36,204 
Durch  Einsetzung  dieses  Werthes  erhält  man  i) : 

(25)  t?  =  20,23  eV^y^- 


1)  Mit  dieser  fundamentalen  Gleichung  schliesst  der  Entwurf  des  Ab- 
schnittes über  die  Keibung  der  Gase.  Ohne  Zweifel  hätte  der  Verfasser, 
wenn  es  ihm  vergönnt  gewesen  wäre,  diese  Gleichung  in  ähnlicher  Weise 
nach  verschiedenen  Richtungen  hin'  besprochen,  wie  im  nächsten  Abschnitt 
die  Formel  für  die  Wärmeleitung.  Vor  Allem  würde  hierher  gehören  die 
Abhängigkeit  der  Reibung  von  der  Temperatur  und  dem  specifischen  Ge- 
wicht des  Gases ,  ferner  die  Bemerkung ,  dass  man  in  dieser  Gleichung  ein 
erstes  Mittel  besitzt,  um  die  Grösse  der  Weglänge  e  zu  finden.  Da  hier- 
nach e  noch  beträchtlich  kleiner  ist,  als  der  Reibungscoefficient  >]  bei  mitt- 
leren Temperaturen ,  so  folgt ,  dass  £ ,  in  Centimetern  ausgedrückt ,  sehr 
klein  ist,  —  ein  Ergebniss,  von  dem  der  Verfasser  im  Vorhergehenden,  wie 
auch  im  Folgenden  wiederholt  Gebrauch  macht,  unter  Hinweis  auf  diese 
von  ihm  noch  durchzuarbeitende  Stelle.  D.  H. 


ABSCHNITT   IV. 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper. 
§.  1.     Veranlassung  der  Untersuchung. 

Nachdem  ich  in  einer  meiner  Abhandlungen  zu  dem  im 
vorigen  Abschnitt  näher  besprochenen  Schluss  i)  gelangt  war,  dass 
die  einzelnen  geradlinig  zurückgelegten  Wege,  der  Gasmoleeüle 
nur  als  sehr  klein  anzusehen  sind,  waren  damit  diejenigen 
gegen  die  kinetische  Gastheorie  erhobenen  Einwände,  welche  sich 
auf  die  thatsächlich  feststehende  langsame  Diffusion  der  Gase 
stützten,  widerlegt;  dagegen  wurde  bald  ein  anderer  Einwand 
erhoben,  der  das  geringe  Wärmeleitungsvermögen  der  Gase  zum 
Ausgangspuncte  hatte. 

Man  sagte:  wenn  auch  die  Molecüle  selbst  sich  nur  kurze 
Strecken  bewegten,  so  müsste  doch  eine  irgendwo  im  Gase  statt- 
findende grössere  Bewegungsgeschwindigkeit  dadurch,  dass  sie  bei 
jedem  Zusammenstoss  von  einem  Molecüle  auf  das  andere  über- 
gehe, sich  so  schnell  ausbreiten,  dass  locale  Temperaturverschie- 
denheiten in  einer  Gasmasse  nicht  möglich  wären.  Man  führte 
als  Analogen  die  bekannte  Erscheinung  an,  dass  in  einer  Reihe 
gleicher  elastischer  Kugeln  eine  Bewegung,  welche  man  der 
ersten  mittheilt,  sich  durch  Uebertragung  von  Kugel  zu  Kugel 
schnell  weithin  fortpflanzen  kann,  während  doch  jede  Kugel  da- 
bei nur  einen  sehr  kleinen  Weg  durchläuft. 

Diesen  Vergleich  und  den  darauf  gestützten  Schluss  über  die 
schnelle  Ausbreitung  der  Wärme  in  gasförmigen  Körpern  konnte 


1)  Vergl.  die  Anm.  cl.  H.  am  Sclihisse  des  di'itten  Abschnittes. 


106  Abschuitt  IV. 

ich  nicht  als  richtig  zugeben,  weil  bei  der  Unregelmässigkeit  der 
Bewegungen  der  Gasmolecüle  ganz  andere  Erscheinungen  ein- 
treten müssen,  als  bei  einer  Reihe  von  Kugeln,  welche  in  gerader 
Linie  geordnet  sind,  und  sich  Bewegungen  mittheilen,  die  nur  in 
dieser  geraden  Linie  stattfinden. 

In  anderer  Weise  war  die  Wärmeleitung  von  Maxwell  in 
der  schon  oben  S.  37  citirten  Abhandlung,  in  welcher  er  das 
Gesetz  der  Moleculargeschwindigkeiten  aufgestellt  hat,  betrachtet; 
indessen  war  sie  hier  neben  anderen  auf  die  dynamische  Theorie 
der  Gase  bezüglichen  Gegenständen  nur  kurz  behandelt,  und 
gegen  die  Art  der  Behandlung  glaubte  ich  bedeutende  Einwen- 
dungen erheben  zu  müssen  i). 

Unter  diesen  Umständen  schien  es  mir  zweckmässig,  die 
Wärmeleitung  der  Gase  unter  Zugrundelegung  der  in  meinen 
voraufgegangenen  Abhandlungen  verfochtenen  Hypothese  über  die 
Molecularbewegungen  in  gasförmigen  Körpern  einer  näheren 
mathematischen  Betrachtung  zu  unterwerfen,  und  der  wesent- 
liche Inhalt  der  so  entstandenen  Abhandlung  möge  im  Folgen- 
den in  etwas  vereinfachter,  und  wie  ich  glaube,  verbesserter 
Form  wiedergegeben  werden.  Dabei  glaube  ich  darauf  aufmerk- 
sam machen  zu  dürfen,  dass  dieselben  Principien,  welche  bei 
dieser  Untersuchung  zur  Sprache  kommen  werden,  mit  gewissen 
Modificationen  auch  in  vielen  anderen  Fällen  Anwendung  finden 
können,  wo  es  sich  darum  handelt,  die  inneren  Vorgänge  in  einer 
Gasmasse  zu  bestimmen,  und  dass  insofern  die  nachfolgende  Aus- 
einandersetzung eine  über  die  zunächst  gestellte  Aufgabe  hin- 
ausgehende  allgemeinere  Bedeutung  beanspruchen  darf. 


1)  Maxwell  hat  in  einer  späteren  Abhandlung  (Phil.  Trans,  for  1867, 
Part.  I,  und  Phil.  Mag.  Ser.  4,  Vol.  35,  p.  132,  1868)  meine  Einwendungen 
gegen  seine  Entwickelung  ausdrücklich  als  richtig  anerkannt,  wobei  er  zu- 
gleich seine  auf  die  Diffusion  der  Gase  bezügliche  Entwickelung  zurück- 
nimmt. Er  sagt  nämlich  wörtlich :  „I  also  gave  a  theory  of  diffusion  of 
gases,  which  I  now  know  to  be  erroneous  and  there  were  several  errors  in 
my  theory  of  the  conduction  of  heat  in  gases  which  M.  Clausius  has 
pointet  out  in  an  elaborate  memoir  on  that  subject." 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  Iü7 


I.    Verhalten  der  in  dem  betrachteten  Falle  von  einer 
unendlich  dünnen  Schicht  ausgesandten  Molecüle. 

§.  2.     Feststellung  des  zu  betrachtenden  Falles. 

Wir  denken  uns  eine  Gasmenge  zwischen  zwei  unendlich 
grossen  einander  parallelen  ebenen  Wänden,  von  denen  jede 
auf  einer  constanten  Temperatur  erhalten  wird.  Wenn  die  Tem- 
peratur der  einen  Wand  höher  ist,  als  die  der  anderen,  so  wird 
vermittelst  des  Gases  eine  Wärmeleitung  von  der  einen  Wand 
zur  anderen  stattfinden,  indem  fortwährend  Wärme  von  der  wär- 
meren Wand  in  das  Gas  übergeht,  dann  innerhalb  desselben  von 
Schicht  zu  Schicht  fortgepflanzt  und  endlich  vom  Gase  wieder  an 
die  kältere  Wand  abgegeben  wird.  Da  wir  hier  nur  diejenige 
Wärmebewegung  betrachten  wollen,  welche  durch  Leitung  statt- 
findet, und  nicht  die,  welche  durch  Strömungen  veranlasst  werden 
kann,  die  im  Gase  dadurch  entstehen,  dass  die  wärmeren  Theile 
des  Gases  specifisch  leichter  sind,  als  die  kälteren,  und  daher 
jene  nach  oben  und  diese  nach  unten  zu  strömen  suchen,  so  wol- 
len wir  von  der  Wirkung  der  Schwere  ganz  absehen,  was  ange- 
nähert dem  Falle  entspricht,  wo  die  beiden  begrenzenden  Wände 
horizontal  sind,  und  die  wärmere  oben  ist,  weil  in  diesem  Falle 
ebenfalls  keine  Strömungen  entstehen. 

Wenn  die  beiden  Wände  längere  Zeit  auf  constanter  Tempe- 
ratur erhalten  werden,  so  tritt  zuletzt  in  dem  Gase  ein  stationärer 
Zustand  ein,  bei  dem  die  Temperatur  an  jeder  Stelle  unveränder- 
lich, aber  an  verschiedenen  Stellen  verschieden  ist,  und  zwar 
in  der  Weise,  dass  in  jeder  den  begrenzenden  Wänden  parallelen 
Ebene  die  Temperatur  überall  gleich  ist,  dagegen  in  der  Kichtung 
von  der  wärmeren  Wand  zur  kälteren  die  Temperatur  nach  einem 
bestimmten  Gesetze  stetig  abnimmt.  Zugleich  findet  dann  durch 
das  Gas  hindurch  ein  Wärmestrom  von  bestimmter  unveränder- 
licher Stärke  statt. 

Diesen  stationären  Zustand  des  Gases  wollen  wir  nun  betrach- 
ten und  den  dabei  stattfindenden  Wärmestrom,  welcher  durch  die 
Wärmeleitung  des  Gases  verursacht  wird,  zu  bestimmen  suchen. 


108  Abschnitt  IV. 


§.3.   Definition  des  durch  Leitung  entstehenden  Wärme- 

stromes. 

Es  möge  zwischen  den  beiden  Wänden  eine  auf  ihnen  senk- 
recht stehende  Gerade  gezogen  und  diese  als  Abscissenaxe  ge- 
nommen werden,  dann  ist  die  Temperatur  innerhalb  des  Gases 
eine  Function  der  Abscisse  x^  und  wenn  wir,  um  gleich  eine  be- 
stimmte Anschauung  zu  gewinnen,  voraussetzen,  dass  die  erste 
Wand,  wo  die  Abscisse  ihren  kleinsten  Werth  hat,  die  wärmere 
sei,  so  nimmt  die  Temperatur  innerhalb  des  Gases  mit  wachsen- 
dem X  ab.  Die  Dichtigkeit  des  Gases  verhält  sich  umgekehrt, 
indem  für  den  Gleichgewichtszustand  die  Dichtigkeit  um  so  grösser 
sein  muss,  je  niedriger  die  Temperatur  ist;  sie  ist  also  eine 
Function  von  x^  welche  mit  wachsendem  x  zunimmt. 

Wir  setzen  nun  voraus,  dass  die  Gasmolecüle  nach  allen 
Richtungen  unregelmässig  durch  einander  fliegen,  und  dabei  bald 
hier  bald  dort  zusammenstossen  und  von  einander  abprallen;  und 
dass  ferner  die  Bewegungsgeschwindigkeit  um  so  grösser  ist,  je 
höher  die  Temperatur  ist.  Denken  wir  uns  nun  durch  den  mit 
Gas  gefüllten  Raum  eine  den  begrenzenden  Wänden  parallele 
Ebene  gelegt,  so  gehen  durch  diese  während  der  Zeiteinheit  eine 
grosse  Anzahl  von  Molecülen  von  der  negativen  zur  positiven 
Seite ,  und  umgekehrt.  Die  Molecüle ,  welche  von  der  negativen 
zur  positiven  Seite  gehen,  haben  im  Allgemeinen  eine  grössere 
Geschwindigkeit  als  die,  welche  von  der  positiven  zur  negativen 
Seite  gehen,  weil  an  der  negativen  Seite  der  Ebene  unserer  An- 
nahme nach  die  Temperatur  höher  und  somit  die  Bewegungs- 
geschwindigkeit der  Molecüle  grösser  ist,  als  an  der  positiven. 
Die  gesammte  lebendige  Kraft,  welche  während  der  Zeiteinheit 
im  positiven  Sinne  durch  die  Ebene  geht,  ist  demnach  grösser 
als  die,  welche  im  negativen  Sinne  hindurchgeht,  und  wir  behal- 
ten daher,  wenn  wir  gleiche  Mengen,  welche  im  entgegengesetzten 
Sinne  hindurchgehen,  sich  gegenseitig  aufheben  lassen,  noch  einen 
gewissen  Ueberschuss  an  lebendiger  Kraft,  der  im  positiven  Sinne 
hindurchgeht.  Diese  durch  die  Ebene  gehende  lebendige  Kraft 
bildet,  indem  wir  lebendige  Kraft  und  Wärme  als  gleichbedeutend 
ansehen,   den  im  vorigen  Paragraphen   erwähnten  Wärmestrom, 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasfijrmiger  Körper.  109 

welchen  wir  Wärmeleitimg  nennen  und  im  Folgenden  zu  betrach- 
ten haben  i). 


§.   4.     Zwei  Arten   von   Verschiedenheiten    zwischen    den 
Bewegungen    der   Molecüle. 

Wir  wollen  damit  beginnen,  die  Art  der  Bewegungen  der 
einzelnen  Molecüle  etwas  näher  zu  betrachten. 

Wir  denken  uns  zwei  auf  der  Axe  senkrechte,  einander  un- 
endlich nahe  Ebenen  gelegt,  welche  eine  unendlich  dünne  Schicht 
einschliessen.  In  dieser  Schicht  wird  es,  wie  in  allen  anderen 
Theilen  des  von  dem  Gase  erfüllten  Raumes,  häufig  vorkommen, 
dass  zwei  Molecüle  zusammenstossen  und  dann  wieder  ausein- 
anderprallen. Diese  Molecüle,  welche,  nachdem  sie  durch  die  Zu- 
sammenstösse  ihre  früheren  Bewegungen  verloren  haben,  mit  ver- 
änderten Bewegungen  wieder  aus  der  Schicht  heraustreten,  wollen 
wir,  entsprechend  der  im  zweiten  Abschnitte  2)  eingeführten  Be- 
zeichnungsweise, kurz  die  von  der  Schicht  ausgesandten  Molecüle 
nennen,  und  deren  Bewegungen  wollen  wir  jetzt  ins  Auge  fassen. 

Diese  Bewegungen  sind  unter  einander  sehr  verschieden,  und 
zwar  müssen  wir  unter  den  vorkommenden  Verschiedenheiten 
zwei  von  einander  unabhängige  Arten  unterscheiden,  welche  durch 
zwei  von  einander  unabhängige  Ursachen  veranlasst  werden  und 
daher  getrennt  betrachtet  werden  können.  Die  eine  Art  besteht 
aus  jenen  unregelmässigen  Verschiedenheiten,  welche  bei  den 
Molecularbewegungen,  die  wir  Wärme  nennen,  immer  herrschen, 
und  daher  auch  dann  stattfinden  würden,  wenn  das  Gas  überall 


^)  Es  wird  dem  Obigen  nach  bei  der  Leitung  nur  diejenige  Wärme  be- 
tracbtet,  welche  den  Molecülen  selbst  innewohnt,  und  von  einem  Molecüle 
zum  anderen  nur  durch  Zusammenstoss  übertragen  wird.  Ausserdem  theilen 
sich  die  Molecüle  noch  dadurch  Wärme  mit,  dass  jedes  Molecül  AYärme 
ausstrahlt,  welche  sich  durch  den  Aether  fortpflanzt  und  auf  ihrem  Wege 
von  den  anderen  Molecülen  nach  und  nach  theilweise  absorbirt  wird.  Diese 
Mittheilung  kann  man  aber  bei  Stoffen  von  so  geringer  Ausstrahlung  und 
Absorption,  wie  die  Gase  sind,  wohl  kaum  mit  zur  Leitung  rechnen,  da  sie 
bei  den  langen  Wegen,  welche  die  Wärmestrahlen  durchlaufen  können,  ohne 
absorbirt  zu  werden,  einen  wesentlich  anderen  Charakter  hat.  .  Jedenfalls 
wird  es  erlaubt  sein,  die  eine  Art  von  Wärmebevvegung  für  sich  allein  zu 
betrachten,  und  wir  wollen  daher  im  Folgenden  das  Wort  Wärmeleitung 
stets  in  diesem  Sinne  gebrauchen. 

2)  Vergl.  S.  73  und  S.  86. 


110  Abschnitt  IV. 

gleiche  Temperatur  und  Dichte  hätte.  Diese  wollen  wir  die  bia- 
fäUigen  Verschiedenheiten  nennen.  Die  Verschiedenheiten  der 
anderen  Art  entstehen  dadurch,  dass  die  Temperatur  und  Dichte 
des  Grases  nicht  überall  gleich  ist,  und  sind  somit  von  den  für 
den  betrachteten  Fall  gestellten  Bedingungen  abhängig.  "Wir 
können  sie  daher  als  die  durcli  den  speciellen  Fall  bedingten 
Verschiedenheiten  bezeichnen. 

Die  zufälligen  Verschiedenheiten  kommen  bei  der  Erklärung 
der  Wärmeleitung  und  der  Aufstellung  der  allgemeinen  auf  die 
Wärmeleitung  bezüglichen  Gesetze  nicht  in  Betracht,  sondern 
üben  nur  eine  nebensächliche,  vorzugsweise  bei  den  numerischen 
Rechnungen  zu  beachtende  Wirkung  aus. 

Bei  diesen  Rechnungen  ist  es  nämlich  nöthig,  von  gewissen 
in  den  Formeln  vorkommenden  Grössen  die  Mittelwerthe  zu  ken- 
nen. Was  z.  B.  die  Geschwindigkeit  der  Molecüle  anbetrifft,  so 
muss  nicht  nur  der  Mittelwertli  der  einfachen  Geschwindigkeiten, 
sondern  auch  der  Mittelwerth  der  Quadrate  und  der  Mittelwerth 
der  dritten  Potenzen  der  Geschwindigkeiten  bekannt  sein.  Dabei 
ist  zu  beachten,  dass  der  Mittelwerth  der  Quadrate  nicht  gleich 
dem  Quadrate  des  Mittelwerthes  der  einfachen  Geschwindigkeiten, 
und  der  Mittelwerth  der  dritten  Potenzen  nicht  gleich  der  dritten 
Potenz  des  Mittelwerthes  der  einfachen  Geschwindigkeiten  ist, 
sondern  dass  zwischen  diesen  Grössen  Unterschiede  bestehen,  die 
sich  nur  bestimmen  lassen,  wenn  die  Art,  in  welcher  die  zufälligen 
Geschwindigkeiten  stattfinden,  bekannt  ist.  Ebenso  verhält  es 
sich  mit  den  relativen  Geschwindigkeiten,  den  mittleren  Weg- 
längen und  anderen  in  den  Formeln  vorkommenden  Grössen. 

Da  nun,  wie  in  den  vorigen  Abschnitten  erwähnt  wurde,  von 
Maxwell  ein  Gesetz  für  die  zufälligen  Geschwindigkeiten  auf- 
gestellt ist,  so  fragt  es  sich,  ob  und  in  welcher  Weise  man  dieses 
Gesetz  bei  den  Rechnungen  zur  Geltung  bringen  kann. 

Das  eigentlich  strenge  Verfahren  würde  darin  bestehen  müssen, 
dass  man  von  vornherein  die  zufälligen  Verschiedenheiten  nach 
dem  Maxwell'schen  Gesetze  in  die  Formeln  einführte,  und  alle 
weiteren  mathematischen  Entwickelungen  mit  den  in  dieser  Weise 
vervollständigten  Formeln  zur  Ausführung  brächte.  Dadurch 
würden  aber  nicht  nur  die  mathematischen  Entwickelungen  viel 
weitläufiger  werden,  sondern  sie  würden  auch  sehr  an  Ueber- 
sichtlichkeit  verlieren,  indem  die  zufälligen  Verschiedenheiten, 
welche   mit  der    Wärmeleitung  in   gar  keinem  ursächlichen  Zu- 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  111 

sammenhange  stehen,  bei  den  mathematischen  Entwickelungen 
wegen  der  grösseren  Schwierigkeit  ihrer  Behandlung  mehr  in  den 
Vordergrund  treten  würden ,  als  die  durch  den  speciellen  Fall 
bedingten  Verschiedenheiten,  welche  für  den  Vorgang  von  viel 
wesentlicherer  Bedeutung  sind. 

Ein  anderes  weniger  strenges  Verfahren  kann  darin  bestehen, 
dass  man  bei  den  ersten  mathematischen  Entwickelungen  von  den 
zufälligen  Verschiedenheiten  ganz  absieht,  und  allen  Molecülen, 
welche  sich  nach  einer  gegebenen  Richtung  bewegen,  eine  gemein- 
same Geschwindigkeit  zuschreibt,  und  dass  man  erst  bei  den 
später  vorzunehmenden  numerischen  Rechnungen  die  Mittelwerthe 
der  in  den  Formeln  vorkommenden  Grössen  möglichst  sachgemäss, 
unter  Berücksichtigung  des  Maxwell'schen  Geschwindigkeits- 
gesetzes bestimmt. 

Dieses  Verfahren  wollen  wir  anwenden,  und  über  die  zu 
wählenden  Mittelwerthe  zum  Schlüsse  einiges  sagen. 

W^as  ferner  die  durch  den  speciellen  Fall  bedingten  Verschie- 
denheiten anbetrifft,  so  beruht  ihre  Entstehung  im  vorliegenden 
Falle  darauf,  dass  von  zwei  Molecülen,  welche  in  der  Schicht  zu- 
sammentreffen, wenn  sie  von  verschiedenen  Seiten  in  die  Schicht 
eingetreten  sind,  im  Allgemeinen  das  von  der  wärmeren  Seite 
kommende  Molecül  eine  grössere  Geschwindigkeit  hat,  als  das 
von  der  kälteren  Seite  kommende.  Die  Grösse  dieses  Unter- 
schiedes hängt  davon  ab,  wie  weit  die  Stellen,  wo  die  betreffen- 
den Molecüle  ihre  Bewegungen  begonnen  haben,  von  der  betrach- 
teten Schicht  entfernt  sind,  und  da  die  Wege,  welche  die  Mole- 
cüle zwischen  je  zwei  Zusammenstössen  zurücklegen,  im  Allge- 
meinen nur  sehr  klein  sind,  so  kann  auch  dieser  Unterschied 
nur  klein  sein,  in  der  W^eise,  dass  wir  den  Mittelwerth  dieses 
Unterschiedes  als  eine  Grösse  von  derselben  Ordnung,  wie  die 
mittlere  Weglänge  der  Molecüle  betrachten  können.  Wir  müssen 
nun  festzustellen  suchen,  welchen  Eintiuss  dieser  vor  den  Stössen 
stattfindende  Unterschied  auf  die  Bewegungen  nach  den  Stössen 
ausübt. 

§.  5.     Allgemeiner   Charakter  der    durch   den   speciellen 
Fall  bedingten  Verschiedenheiten. 

Das  Verhalten  zweier  Molecüle  beim  Zusammenstosse  ist 
nicht   in   allen   Beziehungen    dasselbe,  wie  das  zweier  elastischer 


112  Abschnitt  IV. 

Kugeln,  indessen  kann  man  doch  in  vielen  Beziehungen  einen 
nützlichen  Einblick  in  das  Verhalten  der  Molecüle  gewinnen, 
wenn  man  von  der  Betrachtung  des  Zusammenstosses  zweier 
elastischer  Kugeln  ausgeht  i).  Für  diesen  Fall  gilt  folgender 
Satz : 

Nach  dem  Stosse  besteht  die  JBetvegung  jeder  Kugel  aus  zivei 
Componenten^  von  denen  die  erste  nach.  Grösse  und  Richtung  durch 
die  Bewegungen  vor  dem  Stosse  vollständig  bestimmt  ist,  und  die 
zweite  ebenfalls  eine  bestimmte  Grösse  hat,  aber  unendlich  viele 
verschiedene  Richtungen  haben  hann,  und  sivar  so,  dass  jede  Rich- 
tung im  Räume  gleich  ivahrscheinlich  ist  ^). 


1)  Nun  lässt  der  Verfasser  im  Entwurf  genau  dieselben  Ueberlegungen 
folgen,  wie  im  vorigen  Abschnitte  S.  87  bei  der  Betrachtung  der  inneren 
Reibung,  weshalb  wir  uns  hier  darauf  beschränken,  das  Resultat  derselben 
noch  einmal  wiederzugeben ,  und  im  Uebrigen  auf  die  genannte  Stelle  ver- 
weisen. -  D.  H. 

2)  Aus  diesem  Resultate  sieht  man  recht  deutlich,  wie  sehr  man  von 
der ,  Wirklichkeit  abweicht,  wenn  man,  wie  es  Jochmann  und  Hoppe 
gethan  haben,  bei  einer  angenäherten  Betrachtung  nur  den  centralen  Stoss 
berücksichtigt,  indem  man  dadurch  statt  der  unendlich  vielen  verschiede- 
nen Richtungen,  welche  nach  dem  Stosse  stattfinden  können,  nur  eine  be- 
stimmte Richtung  erhält,  welche  für  die  Fortpflanzung  der  lebendigen 
Kraft  gerade  besonders  günstig  ist. 

Ich  habe  hier  und  in  der  oben  nur  abgekürzt  wiedergegebeuen  Ein- 
leitung zu  dieser  Abhandlung  die  Ansicht  ausgesprochen ,  der  Schluss  von 
Jochmann  und  Hoppe,  dass  nach  der  neuen  Gastheorie  die  Wärme  sich 
in  einem  Gase  so  schnell  ausbreiten  müsste,  dass  locale  Temperaturdiffe- 
renzen in  ihm  nicht  möglich  wären ,  sei  dadurch  veranlasst,  dass  sie  den 
wirklich  stattfindenden  Fall,  wo  die  Molecüle  sich  unregelmässig  nach  allen 
Richtungen  bewegen,  und  demnach  auch  in  den  verschiedensten  Weisen 
zusammenstossen ,  durch  den  einfachen  Fall  ersetzt  haben,  wo  nur  Bewe- 
gung nach  bestimmter  Richtung  und  nur  gerader  und  centraler  Zusammen- 
stoss  vorkommt.  In  einem  bald  nach  dem  Erscheinen  meiner  Abhandlung 
veröffentlichten  Aufsatze  von  Stefan:  „Bemerkungen  zur  Theorie  der 
Gase"  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  Januar  1863,  und  Zeitschrift 
für  Math,  und  Phys.,  Bd.  VII,  S.  355)  äussert  sich  der  Verfasser  im  Anfange 
in  der  Weise,  als  wolle  er  jene  Ansicht  widerlegen  und  zeigen,  dass  man 
auch  bei  der  Vorstellung  regulärer  Bewegungen  (nämlich  wenn  man  nur 
Molecüle  betrachtet,  welche  sich  in  bestimmter  Richtung  vorwärts  und 
rückwärts  bewegen  und  so  zusammenstossen,  dass  immer  wieder  Bewegungen 
in  dieser  Richtung  entstehen)  zu  meinem  Resultate  des  geringen  Wärme- 
leitungsvermögens der  Gase  gelangen  könne.  Der  weitere  Verlauf  seines 
Aufsatzes  weicht  aber  von  dieser  Ankündigung  bedeutend  ab. 

Nach  einigen  Auseinandersetzungen ,  welche  ich  hier  übergehen  kann, 
weil  sie  durch  seine  eigenen  gleich  folgenden  Aussprüche  erledigt  werden, 


lieber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  113 

Betrachten  wir  nun  die  ganze  Menge  der  Molecüle,  welche 
während  einer  Zeiteinheit  in  der  in  §.  4  besprochenen  unendlich 
dünnen  Schicht  zusammenstossen ,  so  ist  von  den  Bewegungen, 
welche  dieselben  vor  den  Stössen  haben,  schon  in  §.  4  die  Rede 
gewesen.  Es  sind  nämlich  unter  diesen  Bewegungen  alle  mög- 
lichen Richtungen  vertreten,  aber  die  Molecüle,  welche  von  der 
wärmeren  Seite  herkommen,  haben  im  Allgemeinen  etwas  grössere 
Geschwindigkeiten,  als  die  von  der  kälteren  Seite  kommenden. 
Da  nach  unserer  Annahme  die  Temperatur  mit  wachsendem  x  ab- 
nimmt, so  ist  die  wärmere  Seite  die  negative,  d.  h.  die,  wo  x 
kleinere  Werthe  hat  als  in  der  Schicht,  und  es  haben  also  die 
Molecüle,  welche  von  der  negativen  zur  positiven  Seite  gehen,  im 
Allgemeinen  grössere  Geschwindigkeiten  als  die,  welche  von  der 
positiven  zur  negativen  Seite  gehen,  so  dass,  wenn  man  die  Be- 
wegungen aller  zusammenstossenden  Molecüle  zusammensetzen 
würde,  man  eine  gewisse  kleine  Bewegungsgrösse  nach  der  posi- 
tiven ic- Richtung  erhalten  würde. 

Diese  gemeinsame  Bewegungsgrösse  bleibt  nun  durch  die 
Stösse  ungeändert.  Im  Uebrigen  findet  aber  eine  vollständige 
Aenderung  der  Bewegungsrichtungen  statt,  in  dem  Sinne,  dass  die 


geht  er  etwas  näher  darauf  ein,  zu  betrachten,  wie  sich  unter  der  Voraus- 
setzung regulärer  Bewegungen  ein  Ueberschuss  von  lebendiger  Kraft,  wel- 
cher in  einer  Schicht  einer  Gasmasse  vorhanden  w^äre,  von  Schicht  zu 
Schicht  mittheilen  müsste  (wobei  er  sich  die  Schichten  horizontal  denkt, 
und  die  oberste  als  die  wärmste  annimmt).  "  Diese  Betrachtung  schliesst  er 
mit  den  Worten :  „Unter  dieser  Voraussetzung  ist  daher  auch  die  Bildung 
eines  beharrenden  Wärmestromes  auf  die  Art,  wie  wir  sie  aus  der  Erfah- 
rung kennen,  nämlich  mit  gleichmässig  von  oben  nach  unten  abnehmenden 
TemiDcraturen,  unmöglich."  Darauf  fährt  er  fort:  „Ganz  anders  gestaltet 
sich  jedoch  die  Sache,  wenn  die  Bewegungen  der  Molecüle  unregelmässig 
geschehen,  wenn  alle  möglichen  Bew^eguugsrichtungen  vorkommen  und,  was 
wesentlich  ist,  wenn  diese  Unregelmässigkeit  der  Bew^egungen  darin  ihren 
Grund  hat,  dass  die  Zusammenstösse  der  Molecüle  keine  geraden ,  cen- 
tralen sind."  Mit  Hülfe  dieser  unregelmässigen  Bewegungen  findet  er  dann 
eine  bessere  Uebereinstimmuug  mit  der  Erfahrung. 

Stefan  gelangt  also  schliesslich  zu  derselben  Ansicht,  wie  ich,  und 
ich  kann  daher  in  dem  Ergebnisse  seines  Aufsatzes  nur  eine  Bestätigung 
meiner  auf  diesen  Punct  bezüglichen  Aussprüche  finden. 

(Anmerkung  der  Herausgeber  zu  dieser  Notiz: 

Der  Entwurf  lässt  es  zweifelhaft,  ob  diese  Anmerkung  aus  der  ersten 
Auflage  hier  aufzunehmen  ist  oder  nicht.  Vielleicht  beabsichtigte  der  Ver- 
fasser ,  alle  derartigen  Erörterungen  an  den  Schluss  des  Werkes  als  Dis- 
cufsion  anzufügen.) 

Clausiiis,  mechan.  Wiirmetheoiie.    III.  g 


114  Abschnitt  IV. 

Molecüle  ohne  Unterschied  nach  allen  Richtungen  gesandt  wer- 
den. Wenn  daher  auch  vor  den  StÖssen  eine  ungleiche  Betheili- 
gung der  verschiedenen  Richtungen  an  der  Bewegung  stattfand, 
indem  für  gewisse  Richtungen  die  Anzahl  der  dahin  gehenden 
Molecüle  oder  ihre  Geschwindigkeiten  andere  waren,  als  für  an- 
dere Richtungen,  so  muss  man  annehmen,  dass  dieses  durch  die 
Stösse  soweit  ausgeglichen  wird,  dass  ausser  der  Gesammthewe- 
gung  nach  der  positiven  ^-Richtung  kein  Unterschied  der  Rich- 
tungen ührig  bleibt,  sondern  alle  Richtungen  in  gleicher  Weise 
unter  den  neuen  Bewegungen  vertreten  sind. 

Hiernach  ist  es  leicht,  die  Bewegungsart  der  ausgesandten 
Molecüle  zu  bestimmen.  Dazu  gehen  wir  aus  von  dem  einfachen 
Falle,  wo  nach  allen  Richtungen  gleich  viel  Molecüle  gesandt 
werden  und  die  Geschwindigkeiten  derselben  alle  gleich  sind,  in- 
dem sie  alle  den  gemeinsamen  Werth  ii  haben.  Dann  denken 
wir  uns,  dass  jedem  dieser  Molecüle  noch  eine  kleine,  für  alle 
Molecüle  gleiche  Geschwindigkeitscomponente  nach  der  positiven 
;3:^  -  Richtung  mitgetheilt  werde.  Dadurch  werden  die  Richtungen 
und  Geschwindigkeiten  der  Bewegungen  etwas  geändert,  und  man 
erhält  ein  neues  Bewegungssystem,  in  welchem  nach  verschiede- 
nen Richtungen  verschieden  viel  Molecüle  gehen,  und  die  Mole- 
cüle je  nach  den  Richtungen  etwas  verschiedene  Geschwindig- 
keiten haben.  Die  Abweichungen  dieses  Bewegungssystems  von 
dem  als  Ausgangspunct  genommenen  einfachen  Bewegungssystem 
stellen  die  durch  den  speciellen  Fall  bedingten  Verschieden- 
heiten dar. 

Um  gleichzeitig  auch  die  zufälligen  Verschiedenheiten  dar- 
zustellen, braucht  man  nur  das  für  diese  geltende  Geschwindig- 
keitsgesetz in  derselben  Weise  in  Anwendung  zu  bringen,  wie  es 
oben  besprochen  ist. 


§.   6.     Mathematische   Formeln   für   die   Bewegungen   der 
ausgesandten  Molecüle. 

Es  mögen  nun  unter  Anwendung  des  vorstehend  angedeuteten 
Verfahrens  die  mathematischen  Formeln  für  das  veränderte  Be- 
wegungssystem abgeleitet  werden. 

In  dem  einfachen  Bewegungssystem,  von  dem  wir  ausgehen, 
ist  die  gemeinsame  Geschwindigkeit  aller  Molecüle  w.     Die  hinzu- 


Ueber  die  Wärmeleilung  gasförmiger  Körper.  115 

zufügende  Gescliwindigkeitscomponente  nach  der  positiven  a;- Rich- 
tung kann  nach  dem  oben  Gesagten  nur  eine  sehr  kleine  Grösse 
sein,  von  der  Ordnung  der  mittleren  Weglänge  der  Molecüle.  Da 
diese  letztere  von  der  Dichtigkeit  des  Gases  abhängt,  so  ist  sie 
nicht  an  allen  Puncten  der  von  uns  betrachteten  Gasmasse  gleich 
gross,  und  es  ist  daher  für  das  Folgende  zweckmässig,  statt  dieser 
veränderlichen  Grösse  eine  solche  einzuführen,  die  für  jedes  Gas 
einen  bestimmten  Werth  hat.  Dazu  nehmen  wir  für  jedes  Gas 
einen  gewissen  Zustand  als  Normalzustand  an,  z.  B,  den,  wenn 
das  Gas  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  steht  und 
durchweg  die  Temperatur  des  Gefrierpunctes  hat.  Die  für  diesen 
Zustand  geltende  mittlere  Weglänge  wollen  wir  die  normale  mitt- 
lere Weglänge  nennen  und  mit  e  bezeichnen.  Dann  können  wir 
die  vorher  erwähnte  Gescliwindigkeitscomponente  als  eine  Grösse 
von  der  Ordnung  £  ansehen  und  wollen  sie  demgemäss  mit  p  s 
bezeichnen. 

Wir  betrachten  nun  irgend  ein  Molecül,  dessen  Bewegungs- 
richtung mit  der  x-Axe  den  Winkel  u  bilde.  Da  von  dem  Win- 
kel, welchen  die  Bewegungsrichtung  eines  Molecüls  mit  der  a;-Axe 
bildet,  im  Folgenden  gewöhnlich  nur  der  Cosinus  vorkommt,  so 
wollen  wir  diesen  der  Kürze  wegen  einfach  den  Cosinus  des 
Molecüls  nennen  und  durch  einen  einzelnen  Buchstaben  bezeich- 
nen, welcher  im  vorliegenden  Falle  k  sei.  Wenn  nun  dem  Mole- 
cül noch  die  Geschwindigkeitscomponente  p  s  nach  der  positiven 
a?- Richtung  mitgetheilt  wird,  so  wird  dadurch  seine  GescliAvin- 
digkeit  und  sein  Cosinus  geändert,  und  wir  wollen  die  veränder- 
ten Werthe,  welche  an  die  Stellen  von  u  und  A  treten,  mit  U 
und  ft  bezeichnen.  Dann  haben  wir  zur  Bestimmung  dieser  beiden 
Grössen  zunächst  die  Gleichung: 

(1)  U}i  =  it }.  -j-  p  s. 

Da  ferner  die  in  die  y-  und  ^-Richtung  fallenden  Compo- 
nenten  der  Geschwindigkeiten  des  Molecüls  ungeändert  bleiben, 
so  erhalten  wir,  wenn  wir  die  Cosinusse  mit  diesen  Richtungen 
vor  der  Veränderung  mit  A^  und  Aj  und  nach  der  Yeiänderung 
mit  ^i  und  fi^  bezeichnen: 

U ^i  =  ul-i,  und   U112  =  UL2. 
Wenn    wir   diese  beiden   Gleichungen   und   die   vorher   gegebene 
Gleichung  quadriren  und  addiren,  so  erhalten  wir  als  zweite  zur 
Bestimmung  von    U  und  ft  dienende  Gleichung  die  folgende: 

8* 


116  Absclinitt  IV. 

(2)  f/2  =  tt2  _^  2  2  Wi)  f  -f  xßs"^.  ' 

Setzt  man  in  der  letzten  Gleichung  für  X  u  den  aus  der 
ersten  Gleichung  hervorgehenden  Werth   U(i  — p  £,  so  kommt: 

Löst  man  diese  Gleichung  nach  ü  auf,  so  erhält  man  zwei 
Werthe,  einen  positiven  und  einen  negativen,  von  denen  man 
selbstverständlich  den  positiven  wählen  muss,  welcher  lautet: 

(3)  ü  —  i)ii£  -f  Vm2  —  if-{l  —  11^)  £^. 

Unter  dem  hierin  vorkommenden  Wurzelzeichen  befindet  sich 
neben  u^  nur  ein  Glied,  welches  in  Bezug  auf  s  von  zweiter 
Ordnung  ist.  Da  nun  s  eine  sehr  kleine  Grösse  ist,  so  können 
wir  dieses  Glied  unbedenklich  vernachlässigen,  wodurch  die  Wur- 
zel den  Werth  ti  annimmt,  und  wir  erhalten  somit  zur  Bestim- 
mung von  ü  die  Gleichung: 
(I)  ü  =  u  -\-  p  ^  £. 

Die  hierin  vorkommenden  Grössen  u  und  p  können  in  verschie- 
denen Schichten  verschiedene  Werthe  haben,  und  sind  somit  als 
Functionen  von  x.  anzusehen. 

Was  nun  die  Vertheilung  der  Molecüle  unter  die  verschiede- 
nen Bewegungsrichtungen  anbetrifft,  so  sieht  man  leicht,  dass, 
wenn  das  ursprüngliche  Bewegungssystem  i)  der  Art  war,  dass 
nach  allen  Richtungen  gleich  viele  Molecüle  gingen,  dieses  in 
dem  veränderten  Bewegungssysteme  nicht  mehr  der  Fall  seih 
kann,  sondern  dass  nach  den  Pachtungen,  für  welche  ^  positiv 
ist,  mehr  Molecüle  gehen  müssen,  als  nach  denjenigen,  für  welche 
fi  negativ  ist. 

Um  diese  Veränderung  ausdrücken  zu  können,  gehen  wir  von 
der  Betrachtung  jenes  ursprünglichen  Bewegungssystemes  aus, 
und  bestimmen  die  Anzahl  der  Molecüle,  deren  Bewegungsrich- 
tungen mit  der  x-Axe  Winkel  bilden,  die  zwischen  zwei  unendlich 
wenig  verschiedenen  Werthen  a  und  a  -\-  da  liegen.  Dazu  den- 
ken wir  uns  eine  Kugelfläche  mit  dem  Piadius  1  beschrieben,  neh-: 
men  den  Punct,  wo  dieselbe  von  einer  vom  Mittelpuncte  aus  nach 
der  positiven  a? -Richtung  gezogenen  Geraden  geschnitten  wird,- 
als  Pol,  und  schlagen  um  diesen  auf  der  Kugelfläche  mit  den 
Bogenradien  a  und  a  -\-  da,  zwei  Kreise,  welche   eine  unendlich 

1)  Nämlich   das   Bewegungssystem,    zu    welchem    die   kleine   nach    der 
positiven  x  -  Richtung  gehende  Componeute  noch  nicht  hinzugefügt  ist. 


Ueber  die  Wärmeleitung  gaKförmiger  Körper.  117 

schmale  Zone  zwischen  sicli  einschlicssen.  Dann  wird  die  Anzal)l 
der  Molecülc,  deren  Bewegungsrichtungen  mit  der  x-Kxq  Winkel 
zwischen  a  und  (x  -{-  da  bilden,  als  Bruchtheil  der  ganzen  An- 
zahl, welche  nach  allen  möglichen  llichtungen  gehen,  durch  die- 
selbe Zahl  dargestellt,  welche  den  Flächeninhalt  der  eben  be- 
schriebenen Kugelzone  als  Bruchtheil  der  ganzen  Kugelfläche 
darstellt,  also  durch 

2  7t  sin a  da     ^      ^     .        , 
i oder  i  sm a  da. 

4:71  '^ 

Da  nun  sin  a  da  =  —  dcosa  =  —  röA  ist,  so  kann  man  auch 
sagen:  die  Anzahl  der  Molecüle,  deren  Cosinus  zwischen  k  und 
k  -\-  d  l  liegen,  wird  als  Bruchtheil  der  ganzen  Anzahl  durch 

}dk 
dargestellt. 

Um  in  dem  veränderten  Bewegungssysteme  in  entsprechender 
Weise  die  Anzahl  der  Molecüle  auszudrücken,  deren  Cosinus 
zwischen  (i  und  ^  -\-  d^  liegen,  müssen  wir  den  vorigen  Ausdruck 
durch  Hinzufügung  eines  Factors  modificiren,  welcher  von  ^  ab- 
hängig ist.  Nennen  wir  diesen  Factor  H,  so  lautet  der  neue 
Ausdruck: 

IHdfi. 

Die  Bestimmung  des  Factors  H  kann  auf  folgende  Weise 
geschehen.  Da  der  Cosinus  l  durch  Hinzufügung  der  Geschwin- 
digkeitscomponente  j;  £  in  ft,  und  entsprechend  der  Cosinus  l-\-dl 
in  ^  -\-  du  verändert  wird,  so  gilt  für  die  Molecüle,  deren  Cosi- 
nus nach  der  Veränderung  zwischen  ^  und  ^  -^  d ^  liegen,  die- 
selbe Zahl,  wie  für  die,  deren  Cosinus  vor  der  Veränderung 
zwischen  k  und  k  -\-  dk  lagen,  und  wir  können  daher  setzen: 

^  Hdfi  =  \d  k, 
woraus  folgt: 

(4)  H=^- 

^  '  d[i 

Nun  ist  nach  Gleichung  (1): 

.  Uji  _  p_£ 

u  u  ' 

und  wir  erhalten  also,  da  tt,  p  und  e  von  ^  unabhängig  sind: 
^  ^  u      d^ 


118  Abschnitt  IV. 

Setzen   wir   hierin   für    ü  den    unter  (I)   gegebenen   Werth,    so 

kommt : 

„         1   cl(tt^  -\-  p ^0,2 s) 

11  = j 

u  a^ 

oder  nach  Ausführung  der  Differentiation: 

(II)  H=1^2^^e. 

Durch  die   beiden  Gleichungen  (1)  und  (II)   sind  die  durch 
den  speciellen  Fall  bedingten  Verschiedenheiten  ausgedrückt. 


II.    Bestimmung  der  durch  eine  Ebene  gehenden  Masse, 
Bewegungsgrösse  und  lebendigen  Kraft. 

§.  7.     Wahrscheinlichkeit   dafür,   dass   ein  von  einer  un- 
endlich  dünnen   Schicht   in  gegebener  Richtung  ausge- 
sandtes  Molecül    eine    gegebene,    auf  der   :r-Axe   senk- 
rechte Ebene  erreicht  und  durchdringt. 

Nachdem  wir  das  Verhalten  der  von  einer  unendlich  dünnen 
Schicht  ausgesandten  Molecüle  soweit  wie  nöthig  festgestellt 
haben,  wollen  wir  unsere  Aufmerksamkeit  auf  ihre  nach  der  Aus- 
sendung stattfindenden  Bewegungen  richten,  um  zu  sehen,  wie  viele 
von  diesen  Molecülen  ungehindert,  d.  h.  ohne  vorher  mit  einem 
anderen  Molecül  zusammenzustossen,  eine  in  der  Nähe  der  Schicht 
gedachte  ihr  parallele  Ebene  erreichen  und  durch  sie  hindurch- 
gehen. 

Die  Zusammenstösse  mit  anderen  Molecülen  treten  bei  ver- 
schieden ausgesandten  Molecülen  verschieden  früh  ein,  aber  im. 
Allgemeinen  werden  die  Wege,  welche  die  Molecüle  bis  zum  Ein- 
treten eines  Zusammenstosses  durchlaufen,  nur  sehr  kurz  sein, 
und  wir  wollen  daher  auch  den  Abstand  der  Ebene  von  der 
Schicht  als  entsprechend  klein  annehmen. 

Zunächst  beschränken  wir  uns  darauf,  diejenigen  von  der 
Schicht  ausgesandten  Molecüle  zu  betrachten,  bei  denen  der 
Cosinus  des  Winkels,  den  die  Bewegungsrichtung  mit  der  a?-Axe 
bildet,  zwischen  den  Werthen  ft  und  ^  -\-  d^  liegt. 

Die  Abscisse  der  zur  Betrachtung  ausgewählten  Ebene  sei  x. 
Die  Abscissen  der  ausserhalb  der  Ebene  liegenden  Puncte  wollen 


Ueber  die  Wärineleitung  gasförmiger  Körper. 


119 


wir  an    der    positiven   Seite  mit  ä;  -[-  I?   und   an   der  negativen 
Seite  mit  x  —  |   bezeichnen,   worin  |  eine   stets   positive  Grösse 


Fig.  1. 


darstellt.  Die  Lage  der 
Schicht,  welche  die  Mole- 
cüle  aussendet,  wollen  wir 
dadurch  bestimmen ,  dass 
wir  die  zu  ihren  Grenz- 
ebenen gehörenden  Werthe 
von  ^  mit  |'  und  |'  -|-  d^ 
bezeichnen.  Dabei  muss 
noch  angegeben  werden,  ob 
die  Schicht  von  der  betrachteten  Ebene  aus  nach  der  positiven 
oder  negativen  Seite  liegt,  und  in  dieser  Beziehung  wollen  wir 
zunächst  annehmen,  sie  liege  nach  der  negativen  Seite. 

Wenn  von  einer  solchen  Schicht  ein  Molecül  ausgeht,  dessen 
Bewegungsrichtung  mit  der  Abscissenaxe  einen  Winkel  bildet, 
der  kleiner  ist  als  90",  so  dass  der  mit  /u-  bezeichnete  Cosinus 
einen  positiven  Werth  hat,  so  kann  es  möglicherweise  die  be- 
trachtete Ebene  erreichen,  und  die  Länge  des  Weges,  welchen  es 

P 
dazu   zurückzulegen   hat,  wird   durch   den  Bruch  ^-  dargestellt. 

Die  Wahrscheinlichkeit  aber,  dass  das  Molecül  wirklich,  ohne  vor- 
her ein  anderes  Molecül  zu   trefien,  bis  zu  der  Ebene  gelangt, 

a 

ist  um  so  geringer,  je  länger  die  Strecke  —  ist. 

Wenn  das  Gas  überall  gleiche  Dichtigkeit  und  Temperatur 
hätte,  so  dass  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  für  alle  Theile 
des  Gases  und  für  alle  Bewegungsrichtungen  einen  gemeinsamen 
Werth  l  hätte,  so  würde  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  das 

a 

Molecül  die  Strecke  —  ungehindert  durchlaufe  und  somit  die  be- 

trachtete  Ebene  erreichte,  nach  Gleichung  (29)  des  zweiten  Ab- 
schnittes durch  den  Ausdruck: 


dargestellt  werden. 

In  unserem  gegenwärtigen  Falle  aber  dürfen  wir  die  mitt- 
lere Weglänge  nicht  als  constant  betrachten ,  sondern  müssen 
eine  doppelte  Abhängigkeit  in  Betracht  ziehen.  Erstens  ist  die 
Bewegung   der  Gasmolecüle  nicht  nach  allen  Richtungen  gleich, 


120  Abschnitt  IV. 

sondern  nach  gewissen  Riclitungen  bewegen  sicli  die  Molecüle 
in  grösserer  Anzahl  und  mit  grösserer  Geschwindigkeit,  als  nach 
anderen  Richtungen.  Demgemäss  hängt  auch  die  mittlere  Weg- 
länge von  der  Bewegungsrichtung  ab,  und  zwar  von  dem  Winkel, 
den  die  Bewegungsrichtung  mit  der  x-Axe  bildet,  dessen  Cosinus 
wir  mit  jx.  bezeichnet  haben.  Zweitens  hat  das  Gas  in  unserem  Falle 
an  verschiedenen  Stellen  verschiedene  Dichtigkeit,  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  die  Dichtigkeit  eine  Function  der  Abscisse  ist.  Dem- 
gemäss muss  auch  die  mittlere  Weglänge  von  der  Abscisse  abhängen. 

Vorläufig,  so  lange  wir  die  Bewegungsrichtung  des  betrach- 
teten Molecüls  als  gegeben  voraussetzen,  haben  wir  es  nur  mit 
der  zuletzt  erwähnten  Abhängigkeit  von  der  Abscisse  zu  thun. 
Um  diesen  Unterschied  äusserlich  erkennbar  zu  machen,  wollen 
wir  die  mittlere  Weglänge,  welche  der  Abscisse  x  entspricht, 
d.  h.  durch  die  bei  der  Abscisse  x  stattfindende  Dichtigkeit  be- 
stimmt wird,  einfach  durch  Z,  und  die  mittlere  Weglänge,  welche 
der  Abscisse  x' —  |  entspricht,  durch  l^  bezeichnen. 

Betrachten  wir  nun  ein  von  der  unendlich  dünnen  Schicht 
ausgesandtes  Molecül,  so  müssen  wir  unsere  Aufmerksamkeit  zu- 
nächst auf  ein  unendlich  kleines  Stück  des  von  ihm  zurück- 
gelegten Weges  richten.  Wir  nehmen  an,  dass  das  Molecül  schon 
eine  gewisse  Strecke  s  durchlaufen  habe,  wodurch  es  von  der 
Abscisse  x  —  ^'  zur  Abscisse  x  —  |  gelangt  sei,  und  stellen  uns 
die  Frage,  wie  gross  die  Wahrscheinlichkeit  dafür  ist,  dass  es 
auch  das  darauf  folgende  Wegelement  ds  durchlaufe,  ohne  von 
einem  anderen  Molecül  aufgefangen  zu  werden.  Diese  Wahr- 
scheinlichkeit lässt  sich  aus  den  in  §.  8   des  zweiten  Abschnittes 

ds 

auseinandergesetzten  Gründen  durch  die  Formel  e  ^i'  darstellen. 
Um  aber  von  hier  aus  zu  der  erweiterten  Formel  zu  gelangen, 
welche  die  Wahrscheinlichkeit  dafür  darstellt,  dass  das  Molecül 
die  ganze  Strecke  von  der  Schicht  bis  zu  der  betrachteten  Ebene 
ungehindert  durchlaufe,  dürfen  wir  nicht  einfach  das  Wegelement 
ds  durch  den  ganzen  W^eg,   den   das  Molecül  bis  zur  Ebene  zu- 

rückzulegen   hat,   und  welcher  gleich  —   ist,    ersetzen,    sondern 

ds  t'  ■ 

müssen  den  Differentialausdruck  -^—  von  s  =  0  bis  s  =  —  inte- 

k  ^ 

griren.  Für  dieses  Integral  wollen  wir  ein  einheitliches  Zeichen 
einsetzen,  indem  wir  schreiben: 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  121 


(6)  L  =  f 


11- 

ds 

0 


und    können   dann    die   gesuchte    Wahrscheinlichkeit    durch    die 
Formel 


darstellen. 

Wenn  wir  in  der  Gleichung  (6)  für  d  s  seinen  Werth 

setzen,  so  geht  sie  über  in: 

,  /     ^  k 
wofür  wir  auch  schreiben  können: 

0 

Um  die  Integration  ausführen  zu  können,  wollen  wir  die  Grösse 
It,  welche  sich  auf  die  Abscisse  x  —  ^  bezieht,  ausgehend  von 
dem  der  Abscisse  x  entsprechenden  Werthe  l,  in  eine  Reihe  ent- 
wickeln, nämlich: 

?,  =  z  _  |!  I  _^  1  4^;|2  _  etc. 

dx  ^    ^     2   dx^ 

Was  die  Grösse  |  anbetrifft,  so  ist  dieselbe  zwar,  an  und  für 
sich  betrachtet,  nicht  auf  kleine  Werthe  beschränkt,  aber  in 
unserer  Rechnung,  welche  sich  auf  Entfernungen  bezieht,  von 
welchen  aus  Molecüle  zur  Ebene  gelangen  können,  handelt  es 
sich  nur  um  kleine  Werthe  von  |,  welche  mit  der  mittleren  Weg- 
länge l  von  gleicher  Ordnung  sind,  indem  das  Vorkommen  grösserer 
Werthe  eine  verschwindend  kleine  Wahrscheinlichkeit  hat.  Wir 
können  uns  daher  entsprechend  dem  im  Obigen  angewandten 
Grade  von  Genauigkeit  damit  begnügen,  von  der  vorstehenden 
Reihe  zwei  Glieder  zu  berücksichtigen,  und  schreiben: 

dx^ 
Demgemäss  können  wir  auch  schreiben: 
1    _  1  l    cid 

h  ~  l  '^  p  dx  ^' 


122  Abschaitt  IV. 

woraus  weiter  folgt: 

dl 


-=/KT  +  lf^)<^^' 


0 


und  nach  Ausführung  der  Integration: 

(^^  ^  =  ^  +  2]rp^^"- 

Diesen  Werth  von  L  haben  wir  in  die  Wahrscheinlichkeits- 
formel  e~^  einzusetzen,  und  wir  erhalten: 

\fil  ^  2ul2  dx^   J 

e  , 

oder  anders  geschrieben: 

__^ 1_  dl_  j,2 

lü  2uV^  dx  * 

e    '     -e      ' 

Wenn  wir  hierin  noch  die  den  zweiten  Factor  bildende  Potenz 
von  e  in  eine  Reihe  entwickeln,  und  von  derselben  wieder  nur 
zwei  Glieder  berücksichtigen,  so  erhalten  wir  schliesslich  folgen- 
des Resultat:  Die  Wahrscheinlichheit  dafür,  dass  ein  von  der 
unendlich  dünnen  Schicht  unter  einem  Winkel,  dessen  Cosinus  ft 
ist,  ausgesandtes  Molecül  die  betrachtete  Ebene  erreiche,  ohne  ein 
anderes  Molecül  mt  treffen,  ivird  dargestellt  durch  den  ÄusdrucJc: 

1 L_  i!l   fc'2\  „      ,«i 

2^P  dx ^ 


§.  8,     Bestimmung  der  Masse,  der  positiven  Bewegungs- 
grösse  und   der  lebendigen  Kraft,  welche   durch   die  be- 
treffende Ebene  gehen. 

Nachdem  für  ein  einzelnes  von  der  unendlich  dünnen  Schicht 
in  der  fi- Richtung  ausgesandtes  Molecül  die  Wahrscheinlich- 
keit dafür,  dass  es  die  betrachtete  Ebene  erreiche,  bestimmt  ist, 
können  wir  sofort  auch  angeben,  wie  viele  von  den  Molecülen, 
welche  die  Schicht  unter  Winkeln,  deren  Cosinus  zwischen  fi  und 
^  -^  d^  liegen,  aussendet,  zu  der  Ebene  gelangen. 

Dazu  müssen  wir  zunächst  die  Anzahl  der  Molecüle,  welche 
von  einem  der  Flächeneinheit  entsprechenden  Theile  der  unend- 
lich dünnen  Schicht  ausgesandt  werden,  bezeichnen.     Das  Volu- 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  123 

men  des  der  Flächeneinheit  entsprechenden  Theiles  einer  Schicht 
von  der  Dicke  cl^'  wird  durch  d  ^'  dargestellt.  Die  von  einem 
solchen  Volumen  während  der  Zeiteinheit  ausgesandte  Anzahl 
von  Molecülen  wollen  wir  für  den  Fall,  dass  das  Volumen  sich 
an  einer  Stelle  hefindet,  deren  Abscisse  x  ist,  mit  Md^'  bezeich- 
nen. Da  aber  das  Volumen  sich  an  einer  Stelle  befindet,  deren 
Abscisse  x  —  ^'  ist,  müssen  wir  an  die  Stelle  von  M  den  ver- 
änderten Werth  M ^ —  k'  setzen ,  so  dass  der  Ausdruck  für 

dx 

die  ausgesandte  Anzahl  von  Molecülen  lautet: 

dM 


{M-'^,)ä, 


Von  dieser  Anzahl  von  Molecülen  haben  wir  in  unserer 
Rechnung  nur  den  Theil  in  Betracht  zu  ziehen,  bei  welchem  der 
Cosinus  innerhalb  des  unendlich  kleinen  Intervalls  von  ^  bis 
(i  -{-  d(i  liegt.  Dieser  Theil  wird  als  Bruchtheil  der  ganzen  An- 
zahl durch  —  Ud  {i  dargestellt,  worin  H  die  durch  Gleichung  (II) 
bestimmte  Grösse  ist,  nämlich: 

'        n 

In   diesem  Ausdrucke  ist  der   zum  zweiten  Gliede  gehörige 

n  , 

Factor  —  als  Function  der  Abscisse  zu  betrachten,  und  wir  müssten 

daher  eigentlich  auch  bei  ihm  den  Unterschied  zwischen  den 
Abscissen  x  und  x  —  ^'  berücksichtigen.  Da  aber  dieser  Factor 
mit  der  sehr  kleinen  Grösse  s  multiplicirt  ist,  so  würde  die  wegen 
des  Unterschiedes  der  Abscissen  einzuführende  Aenderung  eine 
kleine  Grösse  von  höherer  Ordnung  werden,  welche  vernach- 
lässigt werden  kann.  Wir  können  somit  die  Grösse  H  unver- 
ändert zur  Anwendung  bringen. 

Hierdurch  erhalten  wir  für  die  Anzahl  derjenigen  Molecüle, 
welche  ein  der  Flächeneinheit  entsprechendes  Stück  der  unend- 
lich dünnen  Schicht  in  der  Weise  aussendet,  dass  ihre  Cosinusse 
zwischen  fi  und  ^  -\-  d ^  liegen,  den  Ausdruck: 

Um  nun  weiter  zu  bestimmen,  wie  viele  von  diesen  Molecülen 
bis  zu  der  Ebene  mit  der  Abscisse  x  gelangen,  müssen  wir  diesen 


124  Abschnitt  IV. 

Ausdruck  noch  mit  dem  am  Schlüsse  des  vorigen  Paragraphen 
gegebenen  Wahrscheinlichkeitsausdrucke  multipliciren ,  und  wir 
erhalten : 

oder  nach  Multiplication  der  Klammern: 

Wenn  wir  diesen  Ausdruck  mit  der  Masse  m  eines  Molecüls 
multipliciren,  so  stellt  er  die  während  einer  Zeiteinheit  von  der 
betreffenden  Schicht  in  den  betreffenden  Richtungen  durch  die 
Ebene  gesandte  Masse  dar.  Wir  wollen  diejenige  Masse,  welche 
im  Ganzen  während  der  Zeiteinheit  von  der  negativen  zur  posi- 
tiven Seite  durch  unsere  Ebene  geht,  mit  E  bezeichnen,  dann 
wird  die  Masse,  welche  von  der  bestimmten  Schicht  mit  der 
Dicke  d  |'  in  den  Richtungen,  welche  dem  Cosinusdifferential  d  ^ 
entsprechen,  durch  die  Ebene  gesandt  wird,  durch 

dargestellt,  und  wir  erhalten  daher  die  Gleichung: 

,^.         d^E   _  1  /  dM  M     dl 

^  ^       dfd^  "  2"  '''^  r    ~  dx  ^  ~  2jrp   dx  ' 

An  diese  Gleichung  können  wir  gleich  noch  zwei  andere  an- 
schliesseu.  Wenn  ein  Molecül  von  der  Masse  m  in  einer  Rich- 
tung, welche  mit  der  :r-Axe  einen  Winkel  bildet,  dessen  Cosinus 
(i  ist,  mit  der  Geschwindigkeit  U  durch  die  Ebene  geht,  so  ist 
die  positive  Bewegungsgrösse  dieses  Molecüls,  genommen  in  der 
Richtung  der  a?-Axe,  welche  dabei  ebenfalls  durch  die  Ebene 
geht,   gleich   m  ü^.     Ferner   ist  die   lebendige   Kraft   der   fort- 

schreitenden  Bewegung  des  Molecüls  —  ü^.  Dieses  ist  aber  nicht 

die  ganze  lebendige  Kraft  des  Molecüls,  da  ausser  der  fortschrei- 
tenden Bewegung  des  ganzen  Molecüls  auch  Bewegungen  der 
Bestandtheile  des  Molecüls  gegen  einander  bestehen.  Es  ist  aber 
nach  dem,  was  im  ersten  Abschnitte  gesagt  ist,  anzunehmen,  dass 
die  lebendige  Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  einen  aliquoten 
Theil  der   ganzen  lebendigen  Kraft   des  Molecüls  bildet.     Dem- 


lieber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Korper.  125 

gemäss  kann  man  die  letztere  durch  li  —  IP  bezeichnen,  worin  Je 

ein  Factor  (>>  1)  ist,  der  für  jede  Gasart  einen  bestimmten  Werth  liat. 
Bezeichnen  wir  nun  die  gesammte  positive  Bewegungsgrösse 
und  die  gesammte  lebendige  Kraft,  welche  während  der  Zeit- 
einheit mit  den  Molecülen  von  der  negativen  zur  positiven  Seite 
durch  die  Ebene  gehen,  mit  F  und  (r,  so  können  wir  die  Diffe- 
rentialcoefficienten  dieser  Grössen,  welche  den  Differentialen  d^' 
und  d^  entsprechen,  sofort  aus  dem  vorigen  Ausdruck  ableiten, 
wenn  wir  nur  die  Grösse  m  einerseits  durch  m  U^  und  anderer- 

seits  durch  h  —  U'^  ersetzen,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  U  als 

Function   der    Abscisse   und   des    Cosinus  ^   zu   behandeln   ist  i). 
Dadurch  erhalten  wir: 

^     ■^  d^'d^         2  ^  \  dx  2^P  dx      J 

^     ^  d^d^        4  \  dx  2^1^  dx 


§.  9.   Weitere  Behandlung  der  aufgestellten  Gleichungen. 

Um  aus  den  vorstehenden  Gleichungen,  welche  sich  nur  auf 
diejenigen  Molecüle  beziehen,  welche  von  einer  bestimmten  un- 
endlich dünnen  Schicht  und  nach  bestimmten  Richtungen  aus- 
gesandt werden,  diejenigen  Gleichungen  abzuleiten,  welche  die 
ganze  durch  die  Ebene  gehende  Masse,  positive  Bewegungsgrösse 
und  lebendige  Kraft  bestimmen,  müssen  wir  sie  nach  |'  und  ^ 
integriren. 

Die   erste  Integration  ist  von  |'  =  0  bis   zu  einem   solchen 

Werthe  von  |'  auszuführen ,  für  welchen  der  Factor  e  "  ^  schon 
so  klein  ist,  dass  die  Grösse  des  Differentialausdruckes  als  ver- 
schwindend zu  betrachten  ist.  Dieses  tritt,  wegen  der  Kleinheit 
der   im   Nenner   befindlichen   Grösse   7,    schon    bei   sehr  kleinen 


^)  D.  li.  es  wird  niclit  einfach  m  TJfi  und  —  U'^k,  sondern  m  i  U—  -j-^'i']u, 

resp.  -^  \U'^ YT  ^' ]  ^"^  statt  m  eingesetzt,  unter  Yernachlässiguno:  der 

Grössen  höherer  Ordnunof.  D.  H. 


126  Abschnitt  IV. 

Werthen  von  |'  ein.  Dessenungeachtet  können  wir  sagen,  wir 
führen  die  Integration  nach  |'  von  ^'  =  Q  bis  |'  =  oo  aus,  weil 
alle  grösseren  Werthe  von  ^'  an  dem  Integralwerthe  nichts  än- 
dern.    Dadurch  erhalten  wir  aus  der  Gleichung  (9): 

welche  Gleichung  man  auch  in  folgender  Form  schreiben  kann: 
,.^,       dE        1        TT    T  fj.^  d(Ml)\ 

Ebenso  ergiebt  sich  aus  den  Gleichungen  (10)  und  (11): 

nA^      Ö^          1    7       77     7  fmri2  d{MU'-l)\ 

(14)      —  =  -lcmH^li^MU^-^-^^^^y 

Um  nun  auch  die  Integration  nach  ft  vornehmen  zu  können, 
.müssen  wir  für  die  Grössen   C/,  Zf  und  Z,   welche  alle  drei  von  ft 
abhängen,  ihre  Ausdrücke  setzen.     Für   JJ  und  H  sind   die  Aus- 
drücke in  den  Gleichungen  (I)  und  (II)  gegeben,  nämlich: 

U  =  u  -\-  2>  ^  £  ^^nd 
fi  =  1  +  2  ^  u  £. 

Die  Grösse  l  ist  im  Allgemeinen  noch  nicht  als  Function 
von  /u  bestimmt;  die  Form  dieser  Function  lässt  sich  aber,  so- 
weit sie  hier  bekannt  zu  sein  braucht,  leicht  aus  allgemeinen 
Betrachtungen  ableiten.  Dass  die  mittlere  "Weglänge  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  verschieden  ist,  hat  seinen  Grund  nur 
darin,  dass  sich  die  Molecüle  nach  verschiedenen  Richtungen  in 
verschiedener  Anzahl  und  mit  verschiedener  Geschwindigkeit  be- 
wegen. Da  nun  der  bei  der  Anzahl  und  der  Geschwindigkeit 
vorkommende  Unterschied  sich  dadurch  ausdrücken  lässt,  dass 
zu  dem  von  der  Richtung  unabhängigen  Werthe  noch  ein  Glied 
mit  dem  Factor  ^is  hinzugefügt  wird,  so  können  wir  schliessen, 
dass  auch  der  bei  der  mittleren  Weglänge  vorkommende  Unter- 
schied sich  durch  Hinzufügung  eines  solchen  Gliedes  ausdrücken 
lässt.  Wir  wollen  von  jetzt  an  den  von  ^  abhängigen  Werth 
der  mittleren  Weglänge  mit  Z„  bezeichnen,  und  unter  dem  ein- 
fachen l  den  Mittelwerth  für  alle  Richtungen  verstehen.  Dann 
können  wir  setzen : 


1 

31 


lieber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Köi'per.  127 

(15)  .      l,  =  l(l^(j^s), 

worin  g  eine  von  ^  unabhängige  Grösse  darstellt,  welche  ebenso, 

wie  die  Grösse  1,  nur  noch  von  der  Abscissc  abhängt. 

Diese  Ausdrücke  von  f/,  H  und  la  haben  wir  in  die  Gleichun- 
gen (12),  (13)  und  (14)  einzusetzen,  wobei  wir  aber  alle  Glieder, 
welche  in  Bezug  auf  l  und  s  von  höherer  als  zweiter  Ordnung 
werden,  vernachlässigen  können.     Dadurch  erhalten  wir: 

|f  =  i.„{...,.  +  [i..(.|.  +  .).-^).].^ 

Diese  Ausdrücke  wollen  wir  noch  dadurch  vereinfachen,  dass 
wir  für  die  Grösse  l  und  das  Product  Ml  ihre  Werthe  einführen. 

Die  Grösse  l  bedeutet  die  mittlere  Weglänge  für  den  Fall, 
wenn  das  Gas  durchweg  die  Dichtigkeit  hätte,  welche  bei  der 
Abscisse  x  stattfindet.  Diese  mittlere  Weglänge  lässt  sich  leicht 
auf  die  normale  mittlere  Weglänge  £  zurückführen.  Nach  Glei- 
chung (26)  des  zweiten  Abschnittes  ist  nämlich: 

, 1       u 

Wenden  wir  dieses  auf  den  Normalzustand  des  Gases  an,  bei  wel- 
chem die  Temperatur  0^  und  der  Druck  einer  Atmosphäre  vor- 
ausgesetzt ist,  und  bezeichnen  die  Anzahl  der  Molecüle,  welche 
sich  in  diesem  Zustande  in  einer  Volumeinheit  befinden,  mit  iVo, 
so  erhalten  wir: 

1        u 

^  ~  Na  71  6^  "^' 

11 
Da  wir  nun  annehmen  können,  dass  der  Bruch  —  von  der  Tem- 

r 

peratur   und  Dichte   des  Gases   unabhängig  ist,  so  erhalten  wir 

aus  diesen  beiden  Gleichungen: 

(17)  !  =  §.  s. 

Was  ferner  die  Grösse  M  anbetrifft,  so  gilt  nach  Gleichung  (36) 
des  zweiten  Abschnittes ')  die  Gleichung: 

^)  u  wird  hier  durcli  u  ersetzt.  D.  H. 


128 


Abschnitt  IV. 


M  ==  N 


woraus  folgt: 

(18)  ,     Ml  =  Nu. 

Führt  man  diesen  Werth  für  das  in  den  Gleichungen  (16) 
mehrfach  vorkommende  Product  Ml  ein,  und  setzt  für  Z,  welches 
dann  nur  noch  in  Einem  Gliede  jeder  Gleichung  vorkommt,  den 
in  (17)  gegebenen  Ausdruck,  so  gehen  die  Gleichungen  über  in: 


(19) 


(dE 
d  ^ 

dF 


—  mNUi^i  +  ^2^;  -^  gu  — 


N^     dx    J  ^     \ 

JVo    d{Nu'^ 


- —  =  —  lern  Nu^    w  u  +  (  4  «  +  (/ u  —  -r^T^  ^ 

Diese  Gleichungen  muss  man  endlich  noch,  um  die  Grössen 
jE",  F  und  G  selbst  zu  erhalten,  nach  ^  zwischen  den  Grenzen 
—  1  und  -(-  1  integriren,  wodurch  man  erhält: 


(20) 


E  = 

1 

-m 

N(2p-\-gti) 

F  = 

—  m  Nu^ 

G  = 

1    j 

—  hm 
b 

Nu-^  (4  j9  -f 

Nq  d(Nu)l 
N      dx    \ 


N,  d(Nu'^} 


N      dx 


Die  drei  hier  für  die  Grössen  E,  F  und  G  gegebenen  Aus- 
drücke sind  in  Bezug  auf  die  kleine  Grösse  s  von  verschiedener 
Ordnung,  indem  der  zweite  von  der  nullten  Ordnung  ist,  während 
der  erste  und  letzte  von  der  ersten  Ordnung  sind.  Das  erklärt 
sich  daraus,  dass  die  Bewegungsgrösse  sich  in  Bezug  auf  das 
Vorzeichen  anders  verhält,  wie  die  Masse  und  die  lebendige 
Kraft.  Die  Bewegungsgrösse  eines  Molecüls,  welches  in  nega- 
tiver Richtung  durch  die  Ebene  geht,  ist  nämlich  an  sich  nega- 
tiv, und  da  sie  wegen  des  Durchganges  in  negativer  Richtung 
auch  noch  mit  dem  negativen  Vorzeichen  versehen  werden  muss, 
so  wird  sie  dadurch  wieder  positiv,  so  dass  sich  die  positiven 
und  negativen  Durchgänge  in  diesem  Falle  addiren,  während  sie 
sich  in  den  beiden  anderen  Fällen  subtrahiren. 


Ueber  die  Wärineleitung  gasförmiger  Körper.  129 


§.    10.     Bedingungen,   welchen   die    Grössen    E,  F  und  G 

genügen    müssen,    und    daraus    hervorgehende    weitere 

Vereinfachung  der  Ausdrücke, 

In  Bezug  auf  die  Grössen  £",  F  und  G  lassen  sich  aus  der 
Annalime,  dass  das  Gas  sich  in  einem  stationären  Zustande  he- 
finden  soll,  sofort  folgende  Sätze  ableiten. 

1)  Die  Gasmasse,  welche  durch  die  Ebene  geht,  muss  Nnll 
sein.  Da  nämlich  die  ganze  voi'handene  Gasmasse  zwischen  zwei 
festen  Wänden  eingeschlossen  ist,  so  müsste,  wenn  durch  eine 
Zwischenebene  Gas  in  einer  Iiichtung  hindurchginge,  die  Dich- 
tigkeit an  der  einen  Seite  der  El)ene  zunehmen  und  an  der 
anderen  abnehmen,  was  der  Voraussetzung  widerspricht. 

2)  Die  positive  Beivegungsgrösse ,  ivelche  ivährend  der  Zeit- 
einheit durch  unsere  Ebene  geht,  muss  von  der  Lage  der  Ebene 
unabhängig,  also  in  Bezug  auf  x  constant  sein.  Denkt  man  sich 
nämlich  durch  irgend  zwei  parallele  Ebenen  eine  Schicht  ab- 
gegrenzt, so  muss  die  Bewegungsgrösse,  welche  durch  die  eine 
Ebene  in  die  Schicht  eintritt,  gleich  derjenigen  sein,  welche 
durch  die  andere  austritt,  weil  sonst  die  in  der  Schicht  vorhan- 
dene Bewegungsgrösse  sich  ändern  müsste,  was  der  Bedingung 
des  stationären  Zustandes  widerspricht, 

3)  Die  lebendige  Kraft,  ivelche  während  der  Zeiteinheit  durch 
die  Ebene  geht,  muss  in  Bezug  auf  x  constant  sein,  aus  demsel- 
ben Grunde,  welcher  für  die  positive  Bewegungsgrösse  angeführt 
wurde. 

Man  kann  also  folgende  drei  Bedingungsgleichungen  auf- 
stellen : 

(^  =  0 
(21)  rp  =  Const. 

I  G  =  Const., 

welche  wir  nun  auf  die  für  E,  F  und  G  gewonnenen  Ausdrücke 
anwenden  wollen. 

Die  zweite  dieser  Gleichungen,  nämlich  F  =^  Const..  hat  eine 
sehr  einfache  physikalische  Bedeutung.  Der  nach  Gleichung  (20) 
für  F  geltende  Ausdruck  ^jU,  m  N u-  stellt  nämlich  nach  der 
Gleichung    (1)  in   §.  13   des   ersten   Abschnittes    den    Druck   des 

Clan 3 ins,  median.  Wärmfitheoiie.     III.  g 


130  Abschnitt  IV. 

Gases  dar,  und  die  Gleichung  sagt  daher  aus,  dass  der  Druck 
innerhalb  der  hier  betrachteten  Gasmasse  überall  gleich  sei,  was 
man  auch  ohne  mathematische  Entwickelung,  aus  einfacher  Ueber- 
legung  schliessen  könnte. 

Die  hieraus  sich  ergebende  Gleichung: 
JVm2  _  Const. 
kann  nun  dazu  angewandt  werden,  der  ersten  und  letzten  der 
Gleichungen  (20)  eine  etwas  veränderte  Gestalt  zu  geben.  Man 
kann  nämlich,  wie  leicht  zu  ersehen  ist,  statt  der  beiden  Pro- 
ducte  Nil  und  Nii\  deren  Differentialcoefficienten  nach  x  in  der 
ersten  und  letzten  Gleichung  vorkommen,  schreiben: 

JV^^2  _     und     Nu^ .  u. 
u 

Differentiirt  man  nun  diese  Ausdrücke  nach  x,  indem  man  dabei 
JVm2  als  constant  betrachtet,  so  erhält  man: 

d(Nu)  ^r  .    1   du  du 

dx  ti^  dx  dx 

dx  dx 

wodurch  die  erste  und  letzte  der  Gleichungen  (20)  übergehen  in: 

1         ,.  r^         ,  ,     -ZVn    du' 


(22) 


,.  r^         ,  ,     ^n    du' 

l    n       ^-r       \' .       ,  No  du! 


Wendet  man  hierauf  weiter  die  erste  der  obigen  Bedingungs- 
gleichungen, nämlich  £J  =  0,  an,  so  erhält  man : 

^       ,  ,    No  du 

(23)  ip  +  S^«  +  if  H  =  0- 

Diese  Gleichung  kann  man  dazu  benutzen,  die  unbekannte  Grösse 
g  aus  der  zweiten  der  beiden  vorstehenden  Gleichungen  zu  elimi- 
niren,  wodurch  man  erhält: 

(24)  0  =  jJcmNu'-[p-^^)s. 

Wir  können  nun  endlich  noch  die  leMe  der  obigen  Bedin- 
gungen anwenden,  nämlich  dass  G  constant  sein  muss.  Da  wir 
schon  wissen,  dass  Nu'^  constant  ist,  so  folgt  aus  dieser  letzten 
Bedingung,  dass  auch  die  in  vorstehender  Gleichung  in  Klammer 
stehende  Grösse  constant  sein  muss.     Wir  können  also  schreiben: 


lieber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  131 

/TTT^  -^f    ^** 

und  dadurch  der  vorigen,  zur  Bestimmung  der  gesuchten  Grösse 
G  dienenden  Gleichung  folgende  sehr  einfache  Gestalt  gehen: 

(IV)  G  =  jkmNu^qe, 

worin  q  eine   Constante  bedeutet. 


III.     Umgekehrte  Betrachtung    zur  Bestimmung  von 

2)  durch  q. 

§.  11.     Bewegungszustand   der   in   einer   dünnen   Schicht 
gleichzeitig  vorhandenen  Molecüle. 

Der  im  vorigen  Paragraphen  zuletzt  gewonnene  Ausdruck 
von  G  enthält  die  neu  eingeführte  Grösse  g,  von  der  wir  nach 
unserer  Entwickelung  wissen,  dass  sie  constant,  d.  h.  von  der 
Abscisse  ;r  unabhängig  sein  muss,  deren  Werth  wir  aber  noch 
nicht  kennen.  Um  diesen  Werth  zu  bestimmen,  wollen  wir  jetzt 
eine  Betrachtung  anstellen,  welche  in  gewissem  Sinne  der  vorigen 
entgegengesetzt  ist.  Während  wir  nämlich  dort  die  Grösse  p  als 
gegeben  annahmen,  und  mit  ihrer  Hülfe  Resultate  ableiteten, 
welche  uns  zur  Einführung  der  Grösse  q  veranlassten,  wollen 
wir  jetzt  umgekehrt  q  als  gegeben  annehmen  und  daraus  ^)  zu 
bestimmen  suchen. 

Wir  gehen  dazu  zu  den  Gleichungen  (19)  zurück,  welche 
durch  die  im  vorigen  Paragraphen  besprochenen  Bedingungen, 
denen  die  Grössen  i?,  F  und  G  unterworfen  sind,  ebenfalls  ein- 
fachere Formen  annehmen. 

Durch  die  Bedingung,  dass  F  und  demgemäss  das  Product 
Nu^  constant  sein  muss,  gehen  sie  über  in: 

Nn  du'' 


M-(2. +  .«.  +  #  11)  .'.] 


dE        1       ^^ 
o  [i  2 

d  F         1 

—-  =  -mNii  [n fA2  -f-  (3  jj  +  f/ n) ^i"^  s] 

SG^  1      7  AT      0     r  I      /.  I  -^1    ^^"\       0     1 


132  Abschnitt  IV. 

Durch  die  andere  Bedingung  E  =  0,  aus  welclier  sich  die 
Gleichung  (23)  ergiebt,  mit  Hülfe  deren  sich  g  eliminiren  lässt, 
vereinfachen  sich  die  Gleichungen  in: 

dE      1 


—      mNu^ 
0(1         2 

d_F 

d 


dG         1    ,       ,.   ,  r         ,    o  /  N,  du\        1 

d(i  4  L  \  N  dx)  ^     J 

Setzt  man  hierin  noch  an  die  Stelle  der  Differenz 

iVo  du 

welche,  wegen  der  Bedingung  G  =  Const.,  eine  Constante  sein 
muss,  das  für  diese  eingeführte  Zeichen  g,  so  nehmen  die  drei 
Gleichungen  folgende  sehr  einfache  Gestalten  an: 

d  (i  2  ' 


(25) 


-; —  =  -r-  7n  Nu  u^(u  -{-  qas) 
0(1         2  i    V      i    j-i     / 

- —  =  —  Je m Nu^ a  (u  4-  2q as). 
ö  (i         4  i    V      I 


Denken  wir  uns  diese  Gleichungen  noch  mit  d(i  multiplicirt, 

dE  dF 

so    stellen   die    durch    sie   bestimmten   Grössen  — —  da,  — —  da 

0(1  0(1 

und  — —  d (i   die  Masse,   die  positive  Bewegungsgrösse   und   die 

0  (l 

lebendige  Kraft  derjenigen  Molecüle  dar,  welche  während  der 
Zeiteinheit  durch  die  Flächeneinheit  einer  bei  der  Abscisse  x 
senkrecht  auf  der  x- kxo,  gelegten  Ebene  in  Richtungen,  deren 
Cosinus  zwischen  fi  und  (i  -{-  d(i  liegen,  hindurchgehen.  Hieraus 
lässt  sich  aber  auch  das  Verhalten  derjenigen  Molecüle  bestim- 
men, welche  sich  in  einer  an  derselben  Stelle  gedachten,  auf  der 
x-Axe  senTcr echten  unendlich  dünnen  Schicht  gleichseitig  befinden. 
Wir  denken  uns  eine  Schicht,  deren  eine  Grenzebene  die 
Abscisse  x,  und  die  andere  Grenzebene  die  Abscisse  x  -\-  dx  hat, 
so  dass  deren  Dicke  somit  dx  ist.  Ein  durch  diese  Schicht  in 
einer  Richtung,   deren   Cosinus  (i  ist,  hindurchgehendes  Molecül 


Ueber  die  Wärmeleitun^  gasförmiger  Körper.        •  133 

(a    ^ 

legt  in  ihr  den  Weg  —  zurück,  und  befindet  sich  daher  in  der 

Schicht  während  einer  Zeit,  welche  man  erhält,  wenn  man  diesen 
Weg  durch  die  Geschwindigkeit  des  Molecüls  dividirt. 

Die  Geschwindigkeiten  der  Molecüle,  welche  in  einer  bestimm- 
ten Richtung  durch  die  Ebene  gehen,  sind  selbst  bei  unserer  ver- 
einfachten Betrachtung,  in  welcher  wir  von  den  zufälligen  Ver- 
schiedenheiten absehen,  nicht  als  ganz  gleich  anzusehen,  weil  die 
Molecüle  aus  verschiedenen  Entfernungen  kommen,  und  daher 
von  Stellen  ausgehen,  wo  die  Temperaturen  etwas  verschieden 
sind.  Der  dadurch  entstehende  Unterschied  kann  aber  nur  eine 
Grösse  von  der  Ordnung  £  sein  und  es  ist  für  die  von  uns  aus- 
zuführende Bestimmung  nicht  nothwendig,  diesen  Unterschied  in 
Betracht  zu  ziehen,  sondern  wir  können  uns  damit  begnügen, 
für  jede  Richtung  den  Mittelwerth  der  Geschwindigkeit  einzu- 
führen. Sofern  wir  von  Gliedern,  welche  in  Bezug  auf  £  von 
höherer  als  erster  Ordnung  sind,  absehen,  können  wir  den  Mittel- 
werth der  auf  eine  bestimmte  Richtung  bezüglichen  Geschwin- 
digkeit für  die  während  der  Zeiteinheit  durch  eine  der  Grenz- 
ebenen gehenden  Molecüle  mid  für  die  gleichzeitig  in  der  Schicht 
befindlichen  Molecüle  als  gleich  ansehen,  und  wollen  denselben 
mit  F  bezeichnen.  Diese  Grösse  V  ist  bei  gegebenem  x  eine 
Function  von  (u-,  ebenso  wie  die  früher  betrachtete  Geschwindig- 
keit ?7,  welche  sich  auf  die  von  einer  Schicht  ausgesandten  Mole- 
cüle bezog. 

Unter  Anwendung  des  Zeichens  F  für  die  Geschwindigkeit 
erhalten  wir   für  die  Zeit,  während  welcher  das  Molecül  sich  in 

der  Schicht  befindet,  den  Bruch  — ^7-    Hieraus  lassen  sich  weiter 

\x  V 

folgende  Schlüsse  ziehen,  für  welche  wir,  um  sie  bequemer  aus- 
drücken zu  können,  vorausschicken,  dass  sie  sich  auf  TNIolecüle, 
deren  Cosinus  zwischen  ft  und  fi  -\-  d[i  liegen,  und  auf  eine 
Flächeneinheit  der  Grenzebene  und  das  entsprechende  Stück  der 
unendlich  dünnen  Schicht  beziehen.  Dann  lauten  die  Schlüsse : 
1)   Da    die   Masse,    welche   während    der   Zeiteinheit   durch 

dE 
jede  der  beiden  Grenzebenen  geht,  durch  --—  fZft  dargestellt  wird, 

so   ist   die   gleichzeitig  in   der    Schicht  befindliche   Masse   gleich 

dx    d E   -, 
—jr--K —  a(i. 
H  V    d^i 


134  Abschnitt  IV. 

2)  Da  die  positive  Beweguugsgrösse  der  während  der  Zeit- 
einheit durch   die  beiden  Grenzebenen  gehenden  Molecüle  durch 

7)  W 

—  d  (i  dargestellt  wird,  so  ist  die  diesen  Molecülen  entsprechende, 

gleichzeitig  in   der  Schicht  befindliche  positive  ßewegungsgrösse 

,  .  ,     dx   dF  -, 
gleich  ^^  ^—  d^. 
^  K    oft 

Bedenkt  man  ferner,  dass  die  positive  Beweguugsgrösse  einer 
gegebenen  Anzahl  von  Molecülen  gleich  dem  Product  aus  ihrer 
Masse  und  dem  Mittelwerthe  der  a?  -  Componente  ihrer  Geschwin- 
digkeit ist,  so  erhält  man  die  Gleichung: 

dx   dE  ^         „         dx    dF  -, 
— j^  — -  d^i  ^  V  =  — ^  ^—  du, 

welche  sich  in  folgende  vereinfachte  Eorm  bringen  lässt: 

dF 
l     d  ^ 


(26)  F  = 


d  ^ 


Setzt  man  hierin  für  — —  und  — —   die   in    (25)   gegebenen  Aus- 

d a  d^  \     /    ^  o 

drücke,  so  erhält  man  zur  Bestimmung  von   V  die  Gleichung : 
(V)  V  =  u^q^£. 

Um  ferner  die  Art,  wie  die  sammtlichen  gleichzeitig  in  der 
Schicht  befindlichen  Molecüle  sich  unter  die  verschiedenen  Rich- 
tungen vertheilen,  auszudrücken,  bezeichnen  wir  die  Anzahl  der 
Molecüle,    deren   Cosinus    zwischen   ^  und  jx.  -j-  d ^i    liegen,   als 

Bruchtheil  aller  vorhandenen  Molecüle  durch  —  Jd  ^  i).       Dann 

können  wir  schreiben: 

dx  d  E   -. 

(2  0  -^Jdfi  = 


7       r    l     dE  . 
dx    /    — T7  — —  da 


1)  Die  Grössen  J  und  V  entsprechen  durchaus  den  in  (II)  und  (I)  ge- 
gebenen Grössen  H  und  U,  die  sich  auf  die  „ausgesandten"  Molecüle  be- 
ziehen. Beachtenswerth  ist  überhaupt  der  vollständig  durchgeführte  Dua- 
lismus in  den  Bezeichnungen  und  Formeln  zwischen  den  Grössen,  die  sich 
einerseits  auf  die  in  einem  Räume  befindlichen,  andererseits  auf  die  von 
demselben  ausgesandten  Molecüle  beziehen.  D.  H, 


Uebei*  die  Wärmeleituug  gasförmiger  Körper.  135 

welche  Gleichung,  wenn  man  für  - —   und    V  ilirc    Werthe   aus 
(25)  und  (V)  setzt,  übergeht  in: 


1  ^  +  ¥  ^' 

—  Jd(i  = 


2         '  +1       d^ 


1+   -ft£ 


oder,  wenn  wir  noch  den  Bruch nach  f.    entwickeln 

1  +  -^^f 

'     u 

und  dabei  die  Glieder  höherer  als  erster  Ordnung  vernachlässigen: 


Jd^ 


(l_l,.)r?^ 


2    -  -"  r-  +1 

—1 

Das  im  Nenner  stehende  Integral  hat,  wie  man  sofort  sieht, 
den  Werth  2,  und  demgemäss  erhalten  wir  schliesslich  folgende 
zur  Bestimmung  von  J  dienende  Gleichung: 

(VI)  ,7=l-|-^a. 


§.  12.     Ausdruck   der  Anzahl  und    positiven   Bewegungs- 
grösse  der  während   der  Zeiteinheit  in   der  Schicht  zu- 
sammenstossenden   und   nach   den  Stössen    von    ihr  aus- 
gesandten Molecüle. 

Nachdem  der  Bewegungszustand  der  Molecüle,  welche  sich 
gleichzeitig  in  der  bei  der  Abscisse  x  gedachten  unendlich  dün- 
nen Schicht  befinden,  durch  die  Gleichungen  (V)  und  (VI)  be- 
stimmt ist,  lassen  sich  auch  über  die  in  der  Schicht  stattfinden- 
den Zusammenstösse  von  Molecülen  Schlüsse  ziehen  und  es  lässt 
sich  unter  anderen  die  Anzahl  und  die  positive  Bewegungsgrösse 
der  Molecüle  bestimmen,  welche  während  der  Zeiteinheit  in  einem 
der  Flächeneinheit  entsprechenden  Stücke  der  Schicht  zusammen- 
stossen,  und  nach  den  Stössen  von  ihr  ausgesandt  werden. 


136  AbscliDitt  IV. 

Um  die  Bewegungsrichtung  eines  Molecüls  in  einer  für  das 
Folgende  bequemen  Weise  angeben  zu  können,  -wollen  wir  uns 
eine  Kugelfläche  mit  dem  Radius  1  geschlagen  und  in  dieser 
nach  der  Bewegungsrichtung  des  Molecüls  einen  Radius  gezogen 
denken.  Da  die  Richtung  dieses  Radius  durch  den  Punct,  wo  er 
die  Kugelfläche  trifl"t,  bestimmt  ist,  so  können  wir  sagen,  dass 
jeder  Punct  der  Kugelfläche  eine  Bewegungsrichtung  darstellt. 

Es  mögen  nun  auf  der  Kugelfläche  zwei  beliebige  Flächen - 
demente  div  und  div'  gegeben  sein,  und  diejenigen  Molecüle, 
deren  Bewegungsrichtungen  Puncte  innerhalb  dieser  Elemente 
treff'en,  zur  Betrachtung  ausgewählt  werden. 

Der  Winkel,  welchen  die  den  beiden  Elementen  entsprechen- 
den Richtungen  unter  einander  bilden,  heisse  qp,  und  die  Ge- 
schwindigkeiten, welche  diesen  beiden  Richtungen  entsprechen, 
seien  durch  V  und  V  dargestellt.  Dann  wird  die  relative  Ge- 
schwindigkeit R  zweier  Molecüle,  welche  sich  nach  diesen  Rich- 
tungen bewegen,  durch  folgende  Gleichung  bestimmt: 

(28)  R  =  Vf^-I-  V^—2VV'cos(p. 

Bezeichnen  wir  ferner  die  Cosinuse  der  Winkel,  welche  die  den 
beiden  Elementen  entsprechenden  Richtungen  mit  der  ;2;- Rich- 
tung bilden,  dem  Bisherigen  gemäss  mit  fx  und  fi',  so  gelten 
nach  (V)  für    V  und   V  die  Gleichungen: 

V  =  u  -\-  q(i6 

V  -j=  u  -\-  q  (i'  £. 

Setzen  wir  diese  Werthe  für  V  und  V  ein,  und  führen  zugleich 
für  cos  q)  das  Zeichen  v  ein,  so  geht  die  vorige  Gleichung  über  in  : 

R  =  y[u  -^  q^i  £)--]-  (u  -\-  q  ^'  s)^  —  2(u  -\-  q^e)  (u  -\-  q  ^'  s)  r, 
welche  Gleichung  durch  Ausführung  der  Quadrirungen  und  der 
Multiplication,  unter  Vernachlässigung  der  Glieder,  welche  in 
Bezug  auf  s  von  höherer  als  erster  Ordnung  sind,  übergeht  in: 

oder,  wenn  die  Wurzel  noch  nach  s  entwickelt  wird, 

(29)  i?  =  «  [l  +  X  (^  +  „')  ,  j  y2(i-v). 

Die  Anzahl  der  in  der  Schicht  befindliclien  Molecüle,  deren 
durch  Radien  repräsentirte  Bewegungsrichtungen  die  Kugelober- 


Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  137 

fläche  innerhalb  des  Elementes  div  treffen,  und  welche  n  heissen 
möge,  wird  bestimmt  durch  die  Gleichung  i): 

(30)  n  =  Ndx^J=:Ndx^(l  -  ^  u  fV 

^  An  4:71    \  M'/ 

und  ebenso  die  Anzahl  der  in  gleicher  Weise  zu  dem  Elemente 
diu'  gehörenden  Molecüle,  welche  n'  heissen  möge,  durch  die 
Gleichung: 

(3üa)       n'  =  Ndx  '^  J'  =  Ndx  ^  A  —  1  it'  s). 

^  ^  4  TT  4o7t    \  u    ^      J 

Nachdem  die  beiden  Molecülzahlen  und  die  gegenseitige 
relative  Geschwindigkeit  bestimmt  sind,  kann  auch  die  Anzahl 
der  zwischen  ihnen  während  der  Zeiteinheit  in  der  Schicht  statt- 
findenden Stösse  nach  den  Gleichungen  des  zweiten  Abschnittes 
bestimmt  werden. 

Denken  wir  uns,  dass  in  irgend  einem  Räume,  den  wir  vor- 
läufig durch  V  bezeichnen  wollen,  zwei  Gruppen  von  Molecülen, 
deren  Anzahl  n  und  n'  sind,  sich  bewegen,  so  können  wir  nach 
den  Betrachtungen  des  §.6  des  zweiten  Abschnittes  leicht  an- 
geben, wie  viele  Stösse  während  der  Zeiteinheit  zwischen  je  einem 
Molecül  der  einen  und  einem  Molecül  der  anderen  Gruppe  statt- 
finden. 

Die  Anzahl  der  Stösse  eines  einzelnen  Molecüls  der  Gruppe 
n'  gegen  die  Molecüle  der  Gruppe  n  wird  nach  Gleichung  (11) 
des  zweiten  Abschnittes  durch 

n  n6^  - 

r 

V 

dargestellt,  und  daraus  folgt,  dass  die  Anzahl  der  Stösse  aller 
Molecüle  der  Gruppe  n'  gegen  die  Molecüle  der  Gruppe  n  durch 

n.n'  7i6^  — 

. r 

V 

dargestellt  wird,  worin  r  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit 
der  Molecüle  der  einen  Gruppe  gegen  die  Molecüle  der  anderen 


1)  Denn  von  der  Gesammtzahl  Ndx  der  in  der  Schicht  vorhandenen 
Molecüle  hat  der  Bruchtheil  —  Jd  u  eine  Bewegungsrichtung,  deren  Cosi- 
nus zwischen  ,u  und  ,u  -}-  d  ju  liegt,  und  von  dieser  Zahl  wiederum  ist  der 

Bruchtheil ; —  nach  dem  Element  d  w  gerichtet.  D.  H. 

2n  .d  ju  ^ 


138  Abschnitt  IV. 

Gruppe  bedeutet.  Hierin  haben  wir  nun  für  unseren  Fall  r 
durch  die  in  Gleichung  (29)  bestimmte  Grösse  jR,  ferner  n  und 
yi'  durch  die  in  (30)  und  (80  a)  gegebenen  Werthe,  und  endlich 
V  durch  das  Volumen  eines  der  Flächeneinheit  entsprechenden 
Stückes  unserer  Schicht,  also  durch  dx  zu  ersetzen,  und  wir 
erhalten : 


[^-^£,(i^^i'')^]V^(^-^) 


oder  zusammengezogen 

V2 


16 


-  NUlxö^ud  tu  d  iv'  \l  —  pr^  (u  -f  /x')  «1  •  Vi  —  V- 


Um  aus  diesem  Ausdrucke  die  Gesammtzahl  der  Stösse,  welche 
während  der  Zeiteinheit  in  der  Schicht  stattfinden ,  abzuleiten, 
muss  man  ihn  noch  sowohl  nach  iv  als  auch  nach  lü'  über  die 
ganze  Kugelfläche  integriren  und  von  dem  so  entstehenden  Doppel- 
integral die  Hälfte  nehmen.  Das  letztere  ist  deshalb  nöthig, 
weil  in  dem  Doppelintegral  jede  Combination  von  zwei  Elemen- 
ten dio  dtv'  zweimal  vorkommt.  Will  man  aber  statt  der  An- 
zahl der  Stösse  die  Anzahl  der  zusammenstossenden  Molecüle 
bestimmen,  so  hat  man  nicht  das  halbe,  sondern  das  ganze  Doppel- 
integral in  Rechnung  zu  bringen,  weil  zu  jedem  Stösse  zwei 
Molecüle  gehören.  Die  Anzahl  der  in  der  Schicht  zusammen- 
stossenden Molecüle  ist  zugleich  die  Anzahl  der  von  der  Schicht 
aufigesandten  Molecüle.  Wir  erhalten  somit,  wenn  wir  die  Anzahl 
der  von  einem  der  Flächeneinheit  entsprechenden  Stücke  der 
Schicht  während  der  Zeiteinheit  ausgesandten  Molecüle  mit  Mdx 
bezeichnen,  folgende  Gleichung: 

(31)    M  =  ^  iV^2 a-> u  ff  diu d  lü'  [l  —  2l^ (f^  +  f*')  A  •  Vr=^. 

Für  jeden  Stoss  wird  die  Summe  der  in  der  Richtung  der 
x-Axe  genommenen  Bewegungsgrössen  der  beiden  zusammen- 
stossenden Molecüle  durch  m  V )i  -\-  m  V  jtt'  dargestellt,  und  diese 
bleibt  durch  den  Stoss  ungeändert,  so  dass  wir  sie  auch  als  die 
Summe  der  Bewegungsgrössen  der  nach  dem  Stösse  auseinander 
fliegenden  Molecüle  betrachten  können.  Mit  dieser  Summe  haben 
wir  also  die  obige  auf  die  beiden  Elemente  d  lo  und  d  w'  bezüg- 


Uebei'  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  139 

liehe  Anzahl  der  Stösse  zu  multiplicircn  und  den  dadurch  erhal- 
tenen Ausdruck  haben  wir  wieder  nach  iv  und  lo'  über  die  ganze 
Kugelfläche  zu  integriren,  und  von  dem  so  gebildeten  Doppel- 
integral die  Hälfte  zu  nehmen,  um  die  positive  Bewegungsgrösse 
aller  ausgesandten  Molecüle  zu  erhalten.  Bezeichnen  wir  daher 
die  positive  Bewegungsgrösse  der  während  der  Zeiteinheit  von 
einem  der  Flächeneinheit  entsprechenden  Stücke  der  Schicht  aus- 
gesandten Molecüle  mit    PF,  so  erhalten  wir  die  Gleichung: 


W  = 


V2 

32  TT 


N'^ö^muffcliüd'w'  [l  —  ^  (^ -^  {^') 


-Vi  -  V  (V^^  F>'). 

Für   die   weitere  Behandlung   dieses   Ausdruckes   wollen  wir 

das  Doppelintegral  in  zwei  Doppelintegrale  zerlegen,  welche  den 

beiden    Theilen    des    letzten    Factors    entsprechen,    wodurch   die 

Gleichung  übergeht  in: 

W=  ^^N'-ö^muljydtodiv'h—^  ((i-^^')e]Vl —v .V^ 

■        4-  ff  d  lü  d  lo'  Fl  —  2™  {ii  +  fi')  f]  Vi  —  V  V  ^']- 

In  jedem  der  hierin  vorkommenden  Doppelintegrale  sind  die 
beiden  Integrationen  nach  lo  und  iv'  über  dieselbe  Pläche  aus- 
zuführen, so  dass  eine  Vertauschung  von  tv  und  w'  an  dem  In- 
tegral nichts  ändert.  Es  kann  daher  für  den  Werth  des  Doppel- 
integrals keinen  Unterschied  machen,  ob  in  dem  zu  integrirenden 
Ausdrucke  der  auf  das  Element  div  bezügliche  Factor  Fjx  oder 
der  auf  das  Element  d  lu'  bezügliche  entsprechende  Factor  V  ^' 
vorkommt.  Demnach  können  wir  statt  der  Summe  der  beiden 
Doppelintegrale  zweimal  das  eine  Doppelintegral  setzen,  wozu 
wir  das  erstere  wählen  wollen.  Dadurch  entsteht  folgende  Gleichung: 

W  =  j^  N^ ö2  m u  ffd lü  d  w'  \\  — -^^y-\-^)h    y\-vV\i. 

Hierin  möge  endlich  für  F  noch  aus  (V)  sein  Werth  iiA^ii\ih 
gesetzt  werden,  wodurch  die  Gleichung  übergeht  in: 

(32)   IF  =  4^  W^  ö2  m  ic-  ffd  w  d  lo'  Fl  +  ^ C"  —  "')  A  ß  Vl—v, 

^  1  b  TT  JJ  L  2  '«  J 


140  Abschnitt  IV. 


§.  13.     Ausführung   der  in   den  Gleichungen  (31)  und  (32) 
vorkommenden  Integrationen. 

Um  nun  die  in  den  Gleichungen  (31)  und  (32)  angedeuteten 
zweifachen  Integrationen  über  die  Kugelfläche  auszuführen,  wollen 
wir  die  Elemente  dtv  und  dtv'  durch  Differentiale  gewisser  Win- 
kel darstellen. 

Zur  Darstellung  von  diu  wählen  wir  die  vom  Mittelpuncte 
unserer  Kugelfläche  aus  gezogene  x-A.xe  als  Axe  eines  Polar- 
coordinatensystems  und  bezeichnen  den  Winkel,  den  ein  nach 
dem  Elemente  gezogener  Radius  mit  der  Axe  bildet,  und  dessen 
Cosinus  die  Grösse  ft  ist,  mit  9-,  und  den  Winkel,  den  die  durch 
den  Radius  und  die  Axe  gelegte  Ebene  mit  irgend  einer  festen 
durch  die  Axe  gehenden  Ebene  bildet,  mit  ip.  Dann  haben  wir 
zu  setzen: 

d  10  =  sin  %■  d%'  d  i'. 

Zur  Darstellung  von  dtv'  wählen  wir  den  nach  dem  P^le- 
mente  div  gezogenen  Radius  als  Axe  eines  Polarcoordinaten- 
systems  und  bezeichnen  den  W^inkel,  den  ein  nach  dem  Elemente 
d'w'  gezogener  Radius  mit  jenem  nach  div  gezogenen  bildet, 
dessen  Cosinus  die  Grösse  v  ist,  mit  cp,  und  den  Winkel,  den  die 
durch  die  beiden  Radien  gehende  Ebene  mit  derjenigen  Ebene 
bildet,  welche  durch  den  nach  diu  gezogenen  Radius  und  die 
X  -  Axe  geht,  mit  %.  Dann  haben  wir  zu  setzen : 
d  tu'  =  sin  (p  d(p  d%. 

Mit  Hülfe  der  Winkel  -9-,  (p  und  %  können  wir  auch  den 
Cosinus  des  Winkels  %■',  welchen  der  nach  diu'  gezogene  Radius 
mit  der  a^-Axe  bildet,  nämlich  den  in  unseren  Formeln  mit  fi' 
bezeichneten  Cosinus,  bestimmen,  qo,  '9'  und  0-'  bilden  nämlich 
die  drei  Seiten  eines  sphärischen  Dreiecks,  in  welchem  der  Seite 
%•'  der  Winkel  %  gegenüberliegt.  Daraus  folgt,  dass  man  setzen 
kann : 

cos  %•'  =  cos  %■  cos(p  -\-  sin  %•  sin  cp  cos  %. 

Führen  wir  in  diese  drei  Gleichungen  unsere  bisher  ange- 
wandte Bezeichnung  ein,  nämlich  cos  ö"  =  fi,  cos  %''  =  ft',  cos  q)  =  v 
und  dem  entsprechend  sind'  =  Vi  —  jx^  sin  0-'  =  Vi  —  ^''\  so 
lauten  die  drei  vorstehenden  Gleichungen: 


Ueber  die  Wänneleitung  gasförmiger  Körper. 

diu  =^  —  d^  dip 
dtü'  ^=  —  dv  d% 


141 


Diese  Werthe  von  dw^  dio'   und  (i'  setzen  wir  nun   in  die 
Gleichungen  (31)  und  (82)  ein,  wodurch  dieselben  übergehen  in: 

-|-  Vi  —  ^2  Vi  —  v^cos  x]  £    Vi  —  vä  ^  dv  d  i/;  dx 


W 


1671 


—  Vi  —  ft^  Vi  —  v^  cos  X 1  f  I  f*- V  l  —  V  d  ^  d  V  d  x^  d  x- 
Fig.  2. 


Hierin  sind  die  Integrationen  nach  ^i  und  v  zwischen  —  1  und 
-f-  1  und  die  Integrationen  nach  ip  und  x  zwischen  0  und  2  n 
auszuführen. 

Die  Integration  nach  ^  giebt  einlach  für  die  ganzen  Aus- 
drücke den  Factor  2  n.  Durch  die  Integration  nach  x  werden 
die  Glieder,  welche  den  Factor  cos  x  enthalten,  gleich  Null  und 
die  anderen  Glieder  erhalten  den  Factor  2  n.  Dadurch  verein- 
fachen sich  die  Gleichungen  in  folgender  Weise: 


142  Abschnitt  IV. 

M=^N'^7T6'-  u  ff  h  _  ^  ^  (1  -f  o;)  fl  yT^^  dfidv 

W  =  y^  N'~7i  6'- in  u'-  ff  L  -f-  -^  fi2  (1  _  y^  gl  V/rZr;7c?j[i  dv. 

Integriren  wir  diese  Gleichung  nach  fi  von  —  1  bis  -|-  1, 
so  wird  wieder  in  jeder  Gleichung  eins  der  beiden  Glieder,  aus 
denen  das  Integral  besteht,  gleich  Null,  und  es  kommt: 

M^^N^TtöHt   I    Vi  —  V  dv 

Pf  =  -y-  N^nö'^imiqs    /    (1  —  vf/idv. 

Führen  wir  hierin  endlich  noch  die  Integration  nach  v  von 
—  1  bis  -}-  1  aus,  so  gelangen  wir  zu  den  gesuchten  Ausdrücken 
von  M  und   TF,  nämlich: 

(33)  M=  ^  N'^TCö'- u 

4 
(84)  W  =  —  N^^^ö^  m  u  q  e. 

15 

Der  Ausdruck  von  M  ist  von  q  unabhängig.  Daraus  folgt, 
dass  er  unverändert  gültig  bleiben  würde,  wenn  innerhalb  des 
Gases  gar  keine  Temperatur-  und  Dichtigkeitsunterschiede  vor- 
kämen, sondern  in  der  ganzen  Gasmenge  diejenige  Temperatur 
und  Dichtigkeit  stattfände,  wie  in  der  betrachteten  Schicht  bei 
der  Abscisse  x.  In  der  That  stimmt  dieser  Ausdruck  auch  mit 
demjenigen  überein,  welcher  im  zweiten  Abschnitte  unter  der 
Voraussetzung,  dass  alle  absoluten  Geschwindigkeiten  gleich  seien, 
abgeleitet  und  dort  unter  (32)  gegeben  ist. 

Betrachten  wir  nun  die  letzte  Gleichung,  und  bringen  in 
ihr  zur  weiteren  Vereinfachung  die  vorletzte  Gleichung  zur  An- 
wendung, so  geht  sie  über  in: 

(VII)  W=\  Mmqa. 

0 


Ueber  die  "Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  143 


§.    14.      Vergleichung   des   im   vorigen    Paragraphen   ge- 
wonnenen   Resultates    mit   der   in   §.  6    gemachten   An- 
nahme, und   daraus  hervorgehende  Folgerungen, 

Nach  dem  Endresultate  des  vorigen  Paragraphen  ist  die 
positive  Bewegungsgrösse  der  während  der  Zeiteinheit  von  einem 
der  Flächeneirdieit  entsprechenden  Stücke  der  Schicht  von  der 
Dicke  dx  ausgesandten  Molecüle  gleich 

—  Mm  q  8(1  sc. 
5 

Eben  diese  Grösse  wird  aber   nach  §.  6   unter  Amvendung  der 
Grösse  p  durch 

Min  21  s  .äx 
dargestellt  i).      Aus   der    Vergleichung   dieser   beiden    Ausdrücke 
ergiebt  sich: 

(VIII)  JP  =  i  2- 

o 

Hierdurch  ist  die  Grösse  p,  welche  nach  (I)  den  Bewegungs- 
zustand der  von  einer  dünnen  Schicht  ausgesandten  Molecüle  be- 
stimmt, auf  die  Grösse  q  zurückgeführt,  welche  nach  (V)  den 
Bewegungszustand  der  gleichzeitig  in  der  dünnen  Schicht  vor- 
handenen Molecüle  bestimmt. 

Kehren  wir  nun  zur  Gleichung  (III)  des  §.  10  zurück,  welche 
lautet : 

_  No  du  _ 
^  ~  W  d^  ~  "^^ 
und  setzen  hierin  für  ^j  den  vorher  gegebenen  Werth,  so   erhal- 
ten wir: 

,-rv\  6  No  du 

^^^■^  ^  -  ~  4  IT  ^' 


1)  Denn  jedes  der  Mdx  ausgesandten  Molecüle  besitzt  ausser  der  be- 
liebig gerichteten  Geschwindigkeit  «,  die  hier  nicht  in  Betracht  kommt, 
die  Geschwindigkeit  jj  £  in  der  Kichtung  der  x-Axe.  D.  H. 


144  Abschnitt  IV. 


IV.     Endresultate!). 

§.  15.     Zustand    des    Gases. 

Nachdem  im  Vorigen  die  nöthigen  Coefficienten  bestimmt 
sind,  können  wir  nun  dazu  schreiten,  aus  den  aufgestellten 
Gleichungen  Schlüsse  über  den  Zustand  des  Gases  und  die  in 
demselben  stattfindende  Wärmeleitung  zu  ziehen. 

Wir  haben  in  §.  10  gefunden,  dass  q  eine  constante  Grösse 
sein  muss,  und  wir  können  daher,  wenn  wir  für  q  seinen  Werth 
setzen,  schreiben : 

\    du         ,. 
^rp  -^ —  =  üonst. 

N  dx 

Ferner  wissen  wir  aus  demselben  Paragraphen,  dass 

Nu'^  =  Const. 

ist,   und   durch  Multiplication   dieser  beiden  Gleichungen  erhal- 
ten wir: 

(35)  m2  ^  ^  Const. 

Da  nun  die  Grösse  w^  der  absoluten  Temperatur  T  proportional 
ist,  so  kann  man  setzen : 

u  =  Const.  YT, 
und  dadurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

(36)  VT  ^  =^  Const. 

et  oc 

Durch  Integration  dieser  Gleichung   erhält  man   eine  Gleichung 
von  der  Form : 

(37)  T^  =  Cx-\-  (7i, 
worin  C  und  C^  Constante  sind. 

Die  zwischen  zwei  Wänden  von  gegebenen  Temperaturen  ein- 
geschlossene Gasmasse  nimmt  also  nicht,  wie  man  vielleicht  auf 
den  ersten  Blick  vermuthen  könnte,  einen  solchen  Zustand  an, 
dass   die  Temperatur  eine   lineare   Function   der  Abscisse  bildet. 


^)   Dies   ganze    Capitel   ist   mit  wenigen  Abweichungen  aus   der  ersten 
Auflage  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  den  Entwurf  herübergenommen. 

D.  H. 


Uebev  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  145 

sondern   die   Temperatiirveränderung  von   der   einen  Grenzfiilclie 
zur  anderen  findet  nach  einem  etwas  complicirteren  Gesetze  statt, 

3 

indem  die  Potenz  T^  durch   eine   lineare  Function   der   Abscissc 
dargestellt  wird. 

Wenn  in  der  Gleichung  (37)  die  Constanten  Ü  und  C'i  mit 
Hülfe  der  beiden  gegebenen  Temperaturen  der  Grenzflächen  be- 
stimmt sind,  so  kann  man  für  jeden  anderen  Punct  des  Gases 
die  Temperatur  berechnen.  Da  ferner  das  Product  aus  Tempe- 
ratur und  Dichtigkeit  innerhalb  des  Gases  constant  sein  muss, 
so  kann  man,  wenn  für  Einen  Punct  die  Dichtigkeit  gegeben  ist, 
für  alle  übrigen  Puncte  die  Dichtigkeit  aus  der  Temperatur  be- 
rechnen, und  es  ist  somit  der  Zustand  des  Gases  in  Bezug  auf 
Temperatur,  Dichtigkeit  und  Druck  vollständig  bekannt. 


§.  16.     Umgestaltung   der  Wärmeleitungsformel. 

Für  die  im  Gase  stattfindende  Wärmeleitung  G  erhalten 
wir  durch  Einsetzung  des  gefundenen  Werthes  von  5  in  die 
Gleichung  (IV)  folgende  Gleichung: 

(X)  (-  =  _  A  fc  m  N  w2  ^  £i). 

^    ^  12  dx      ^ 


^)  Maxwell  giebt  für  die  lebendige  Kraft,  welclie  vermöge  der  Mole- 
cularbewegungen  während  der  Zeiteinheit  durch  eine  Flächeneinheit  einer 
auf  der  ic-Axe  senkrechten  Ebene  in  positiver  Richtung  hindurchgellt,  fol- 
genden Ausdruck  (Phil.  Mag.   Vol.  XX,  p.  32) : 

(A)  G  =-^^{LT,,nu^Nui), 

worin  l  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  bei  der  Dichtigkeit ,  welche 
das  Gas  an  der  betrachteten  Stelle  hat,  bedeutet.  Setzen  wir  für  l  nach 
(17)  seinen  Werth: 

so  kommt: 

d  u 
dx 
Dieser   Ausdruck   ist  von  dem   obigen  nur  dadurch  verschieden ,  dass 

1  5 

-^  au  der  Stelle  von  — r 

Maxwell  zu  der  Gleichung  (A)  gelangt  ist,  so  findet  man,  dass  diese  an- 
genäherte Uebereinstimmung  seines  Resultates  mit  dem  meinigen  nur  eine 
scheinbare  ist. 

Clausius,  raechan.  Wärmetlieorie.     III.  jq 


(t  = —  ^ —  (-—  lim  N.yifi  £]  ^= V  kinN(.u^ 

d    d  X   \2  /  2 


au  der  Stelle  vou  tt;  steht.     Verfolgt  mau  aber  den  Weg,   auf  welchem 


146  Abschnitt  IV. 

Diese  Gleichung  wollen  wir  zum  bequemeren  Gebrauche  noch 
etwas  umgestalten.  Sei  für  den  Normalzustand  des  Gases  die 
Geschwindigkeit  der  Molecüle  mit  Wq  ^^^  die  absolute  Tempe- 
ratur mit  To  bezeichnet,  so  hat  man: 

und  daher: 


Wenn  E  die  Masse  des  Gases  bedeutet,  welche  während  einer  Zeitein- 
heit durch  jene  Flächeneinheit  in  positiver  Richtung  hindurchgeht,  so  hat 
Maxwell  folgende  Gleichung  aufgestellt  (a.  a.  0.  S.  23): 

(B)  E  =  -^-^{mNul). 

In  dieser  Gleichung  hat  er  dann,  um  statt  der  hindurchgehenden  Masse 
die  hindurchgehende  lebendige  Kraft  zu  erhalten,  einfach  an  die  Stelle  der 

Masse  m  eines  Molecüls  die  lebendige  Kraft  —  k  m  u^  eines  Molecüls  ge- 
setzt, und  dadurch  hat  er  die  Gleichung  (A)  gewonnen.  Betrachten  wir 
nun  die  Gleichung  (B)  näher,  und  substituiren  darin  ebenfalls  für  l  seinen 

N 
Werth  -rrf-  e,  so  kommt : 

N 

^  =  -  y  ^  ("^■^°"^)  =  -  y ''*^«  c7^  ^- 

Diese  Gleichung  sagt  aus,  dass,  wenn  die  Temperatur  des  Gases  sich  in  der 

£C- Richtung  ändert,  so  dass  -; —   einen   angebbaren  Werth  hat,   eine   Fort- 

dx 

bewegung  von  Masse  nach  der  a;- Richtung  stattfinden  muss,  indem  mehr 
Molecüle  in  einer  Richtung  durch  die  Ebene  gehen,  als  in  der  entgegen- 
gesetzten. Sie  steht  also  mit  der  Voraussetzung,  welche  wir  machen  müssen, 
wenn  wir  von  Wärmeleitung  sprechen,  im  Widerspruche,  denn  unter  Wärme- 
leitung versteht  man  eine  Fortbewegung  der  Wärme  ohne  Fortbewegung 
der  Masse. 

Man  muss  demnach,  abgesehen  davon,  ob  die  Gleichung  (B)  überhaupt 
zulässig  ist,  nothwendig  eins  von  beiden  schliessen:  entweder  Maxwell 
hat  bei  der  Aufstellung  seiner  Gleichungen  einen  ganz  anderen  Zustand  im 
Auge  gehabt,  als  den,  welchen  wir  bei  der  Wärmeleitung  voraussetzen, 
nämlich  einen  solchen,  bei  dem  die  Gasmasse  sich  nach  bestimmter  Rich- 
tung fortbewegt;  in  diesem  Falle  stellt  seine  Gleichung  (A)  nicht  das  dar, 
was  wir  unter  Wärmeleitung  verstehen,  und  was  durch  meine  Gleichung 
(X)  dargestellt  wird ,  sondern  eine  mit  Massenheivegung  verbundene  und 
zum  Theil  durch  dieselbe  vermittelte  Wärineheivegung ;  oder  Maxwell  hat 
wirklich  jenen  Zustand,  bei  dem  Wärmebewegung  ohne  Massenbewegung 
stattfindet,  gemeint,  dann  ist  die  Gleichung  (B)  falsch,  und  die  daraus  ab- 
geleitete Gleichung  (A)  ist  nur  dadurch  angenähert  richtig  geworden,  dass 
zwei  Fehler  sich  gegenseitig  theilweise  aufeehoben  haben. 


lieber  die  Wävmeleitung  gasförmiger  Körper.  147 

(38)  u  =  -^VY      ■ 

und: 

^  dx        2    \/t^  T  ('^^ 

Dadurch  geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

Nehmen  wir  als  Temperatur  des  Normalzustandes  den  Gefrier- 
punct  an,  so  ist  angenähert  Tq  =  273  und  T  =  273  -|-  t,  worin 
t  die  vom  Gefrierpuncte  ab  gezählte  Temperatur  bedeutet.  Be- 
zeichnen wir  ferner,  wie   es  gewöhnlich  geschieht,  den  Ausdeh- 

nungscoefficienten  der  permanenten  Gase,  nämlich  ^r^z-r-,  mit  a,  so 

können  wir  schreiben: 

^     ^  24        273  ^        dx 

Führen  wir  hierin  endlich  das  Zeichen  K  ein  mit  der  Bedeutung 

^       ^  ~  24        273       ' 

so  lautet  unsere  Gleichung: 

(XIII)  G^^-^VTf^^. 


§.  17.     Schlüsse  über  die  Wärmeleitung. 

Der  Factor  K  enthält  nur  solche  Grössen,  die  sich  auf  den 
Normalzustand  des  Gases  beziehen,  und  er  ist  daher  eine  nur 
von  der  Natur  der  betrachteten  Gasart  abhängige  Constante. 
Demnach  lassen  sich  aus  der  Form  der  letzten  Gleichung  sofort 
zwei  allgemeine  Schlüsse  ziehen. 

dt 

Erstens:     Für    einen    gegebenen    Werth   von   -j-   wäelist  die 

Wärmeleitung  mit  der  Temperatur^  welche  das  Gas  an  der  hc- 
tracMeten  Stelle  hat,  und  zwar  in  demselben  Verhältnisse,  wie 
die   Schallgeschwindigkeit  mit   der  Temperatur  wächst,  nämlich 

proportional  der  Grösse  yl  -\-  at. 

10* 


148  Abschnitt  IV. 

Zweitens:  Die  Wärmeleitung  ist  unabhängig  von  dem  Druche, 
unter  dem  das  leitende  Gas  stellt.  Dieses  erklärt  sich  daraus, 
dass  bei  einem  durch  grösseren  Drack  verdichteten  Grase  zwar 
die  Anzahl  der  Molecüle,  welche  die  Wärme  übertragen  können, 
grösser  ist,  dafür  aber  die  Wege  der  einzelnen  Molecüle  klei- 
ner sind. 

Dieser  letzte  Satz  könnte  zu  Ungereimtheiten  führen,  wenn 
man  annehmen  wollte,  dass  er  bis  zu  jeder  beliebigen  Verdich- 
tung und  Verdünnung  des  Gases  gültig  sei.  Man  muss  aber  be- 
denken, dass  die  Anwendung  des  Satzes  auf  solche  Zustände,  die 
sehr  weit  vom  Mittelzustande  abweichen,  ihre  selbstverständlichen 
Grenzen  hat,  indem  das  Gas  einerseits  nicht  soweit  verdichtet 
sein  darf,  dass  dadurch  zu  starke  Abweichungen  von  den  Gesetzen 
vollkommener  Gase,  welche  der  ganzen  Entwickelung  zu  Grunde 
liegen,  eintreten,  und  andererseits  nicht  soweit  verdünnt  sein  darf, 
dass  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  zu  gross  wird,  um  ihre 
höheren  Potenzen  vernachlässigen  zu  können. 


§.    18.     Vergleichung    verschiedener   zweiatomiger   Gase. 

Wenn  wir  verschiedene  Gase  in  Bezug  auf  ihre  Leitungs- 
fähigkeit unter  einander  vergleichen  wollen,  so  tritt  uns  dadurch 
eine  Schwierigkeit  entgegen,  dass  der  in  K  vorkommende  Factor 
Je  nicht  bei  allen  Gasen  einen  und  denselben  Werth  hat.  Be- 
schränken wir  uns  aber  auf  diejenigen  Gase,  deren  Molecüle  aus 
je  zwei  Atomen  bestehen,  so  kann  man  bei  diesen  den  Werth 
von  h  als  gleich  betrachten  i),  so  dass  er  sich  aus  dem  zwischen 
K  und  K'  gebildeten  Verhältnisse  forthebt.  Unterscheiden  wir 
auch  die  übrigen  auf  die  beiden  Gase  bezüglichen  Grössen  da- 
durch von  einander,  dass  wir  die  Zeichen  der  Grössen  bei  dem 
einen  Gase  mit  einem  Accent  versehen,  und  beim  anderen  ohne 
Accent  lassen,  so  erhalten  wir  für  das  Verhältniss  folgende 
Gleichung : 

^     ^  K         m  Nq  u'^  s  ' 

Nun  kann  man,  wenn  q  und  q'  die  specifischen  Gewichte 
der  Gase,   bezogen   auf  Luft,  bedeuten,   mittelst  derselben   zwei 

1)  Vergl.  S.  36. 


Ueber  die  Wärmeleitiing  gasfünnigor  Küriier.  149 

Gleichungen  bilden.     Erstens  die  nach  der  Bedeutung  der  speci- 
fischen  Gewichte  selbstverständliche  Gleichung: 

m' N'o  _  q' 

in  Nq          p  ' 
und  zweitens  die   aus  Gleichung  (7)   des  ersten  Abschnittes  her- 
vorgehende Gleichung  i):  

w^ 1  /_P 

Durch  Anwendung  dieser  beiden  Gleichungen  geht  die  Gleichung 
(41)  über  in: 

K'        p'  /  P  M  £'        1  /' 


\q')  s  -  y  q'  ,' 


K  Q     \q'  /        £  Q' 

Mit  Hülfe  dieser  Gleichung  kann  man  das  Verhältniss  der 
Wärmeleitungsfähigkeit  verschiedener  Gase  berechnen,  sobald  das 
Verhältniss  der  mittleren  Weglängen  s  und  a'  bekannt  ist.  Auf 
welche  Weise  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  bestimmt  wer- 
den kann,  ist  in  dem  vorigen  Abschnitte  besprochen  worden  2). 
Ich  will  hier  noch  anführen,  dass  man  für  Sauerstoff  und  Wasser- 
stoff folgende  in  Millimetern  ausgedrückte  Werthe  gefunden  hat  3) : 

0,0001059  und  0,0001855. 
Da   ferner  die  specifischen  Gewichte  dieser   Gase  sich  verhalten 
wie  16  :  1,  so  erhält  man: 

^_  4.1855  _ 
K  ~        1059  ' 

Der  Wasserstoff"  hat  sonach  ein  siebenmal  grösseres  Wärme- 
leitungsvermögen als  der  Sauerstoff.  Dieses  Resultat  stimmt  auch 
mit  dem  von  verschiedenen  Physikern  experimentell  festgestellten 
Verhältnisse  in  genügender  Weise  überein. 

§.  19.     Numerische   Berechnung   des   Leitungsvermögens. 

Bei  der  numerischen  Berechnung  des  Leitungsvermögens 
muss  der  schon  in  §.  4  besprochene  Umstand  wieder  zur  Sprache 
kommen.  Wir  haben  nämlich  in  unseren  vorstehenden  Rech- 
nungen auf  die  in  den  Bewegungen  der  Molecüle  vorkommenden 


^)  Ueber  die  Zulässigkeit  dieser  Berechnung  vergl.  den  nächsten  Para- 
graphen. D.  H. 

2)  Siehe  die  Anm.  d.  H.  am  Schlüsse  des  vorigen  Abschnittes. 

3)  Meyer,  Theorie  der  Gase,  S.  142. 


150  Abschnitt  IV. 

zufälligen  Verschiedenheiten  keine  Rücksicht  genommen,  sondern 
für  den  Fall,  wo  in  dem  Gase  keine  Temperaturverschiedenheiten 
vorkommen,  allen  Molecülen  eine  gemeinsame  Geschwindigkeit  u 
zugeschrieben.  Ebenso  ist  auch  für  die  von  den  Molecülen 
zwischen  zwei  Zusammenstössen  zurückgelegten  Wege  nur  ein  auf 
alle  Molecüle  bezüglicher  Mittelwerth  betrachtet,  welcher  für  den 
Normalzustand  des  Gases  mit  s  bezeichnet  ist,  während  doch  die 
schneller  bewegten  Molecüle  im  Allgemeinen  längere  Wege  be- 
schreiben, als  die  langsamer  bewegten. 

Die  bei  den  Weglängen  vorkommenden  Verschiedenheiten 
sind  nicht  so  gross,  als  die  bei  den  Geschwindigkeiten  vorkom- 
menden. Wenn  wir  nämlich  für  jede  Geschwindigkeit  die  mitt- 
lere Weglänge  besonders  bestimmen,  so  finden  wir,  dass  für  die 
Geschwindigkeit  Null  auch  die  mittlere  Weglänge  den  Werth 
Null  hat,  dass  dann  bei  zunehmender  Geschwindigkeit  zwar  auch 
die  mittlere  Weglänge  zunimmt,  aber  in  einem  geringeren  Ver- 
hältnisse. Denkt  man  sich  nämlich  die  Geschwindigkeit  bis  zu 
einem  unendlich  grossen  Werthe  wachsend,  so  wächst  dabei  die 
mittlere  Weglänge  nur  bis  zu  einem  bestimmten  endlichen  Werthe. 
Wir  wollen  daher  auf  die  Verschiedenheiten  zwischen  den  mitt- 
leren Weglängen  der  schneller  bewegten  und  der  langsamer 
bewegten  Molecüle,  und  den  Einfluss,  welchen  eine  Berücksich- 
tigung derselben  auf  die  Gestalt  unserer  Gleichungen  gehabt 
haben  würde,  hier  nicht  eingehen,  und  unter  s  einfach  den 
allgemeinen  Mittelwerth  aller  Weglängen  verstehen. 

Von  grösserer  Bedeutung  ist  der  für  die  Geschwindigkeiten 
der  Molecüle  zu  wählende  Mittelwerth.  In  unserer  unter  (XII) 
gegebenen  P'ormel  von  K,  welche  unter  Vernachlässigung  der 
zufälligen  Verschiedenheiten,  also  unter  der  Voraussetzung,  dass 
in  einer  Gasmenge,  welche  durchweg  gleiche  Temperatur  hätte, 
die  Bewegungsgeschwindigkeiten  u  aller  Molecüle  gleich  wären, 
entwickelt  ist,  kommt  der  Factor  i4  vor  i).  Es  fragt  sich  nun, 
was   unter   diesem  Factor   zu  verstehen  ist,  wenn   die   einzelnen 


1)  Hierzu  tiat  der  Verfasser  im  Entwurf  folgende  Bemerkung  geschrie- 
ben:     „Dieses  u^  nicht  erwähnen,  sondern  zurückgehen  auf  die  Gleichung: 

G  =  —  Yö  kinNoU^   -j —  £  (X,   S.    145)   und  u^  in  Betracht  ziehen.     Das 

■y—  muss  nämlich  wegen  der  Gleichung  q  = T  Iv  1~~  ^^^  besonders 

behandelt  werden,"  D.  H. 


Ueber  die  Wärnieleitung  gasförmiger  Körper.  151 

Wertlie  von  t^o  verschieden  sind.  Um  die  Unterscbicde,  welche 
in  dieser  Beziehung  vorkommen  können,  klar  zu  üljerselien,  wollen 
wir,  wie  früher,  das  arithmetische  Mittel  einer  Anzahl  von  Grössen 
dadurch  bezeichnen,  dass  wir  über  das  Zeichen,  welches  die  ein- 
zelnen Grössen  darstellt,  einen  wagcrechten  Strich  machen.  Es 
können  dann  z.  B.  folgende  Grössen: 

(uo)'^',  «I;  nf-th",  {uo}'^-']  «Wo  +  (1  —  «)(mo)-' 
gebildet  werden,  deren  Anzahl  sich  noch  beliebig  vermehren 
lässt,  und  welche,  wenn  die  einzelnen  Werthe  von  Uq  gleich  wären, 
alle  den  gemeinsamen  Werth  Uq  haben.  Sind  aber  die  einzelnen 
Werthe  von  u^j  verschieden ,  so  unterscheiden  sich  diese  Grössen 
von  einander.  Fragt  man  aber,  welche  von  diesen  oder  den 
sonst  noch  zu  bildenden  entsprechenden  Grössen  in  unserem  Falle 
in  Anwendung  zu  bringen  ist,  so  stellen  sich  einer  ganz  strengen 
Beantwortung  dieser  Frage  grosse  Schwierigkeiten  entgegen,  da 
es  sich  nicht  bloss  um  diejenigen  zufälligen  Verschiedenheiten 
handelt,  welche  in  einem  Gase  von  durchweg  gleicher  Temperatur 
vorkommen,  sondern  auch  die  Grösse  jj,  welche  von  den  bei  der 
Wärmeleitung  vorkommenden  Temperaturunterschieden  abhängt, 
und  die  durch  sie  bestimmte  Grösse  q  ebenfalls  zufällige  Ver- 
schiedenheiten enthalten.    Da  nun  der  in  (IX)  gegebene  Ausdruck 

von  q  den  Factor  -j—^   enthält,   welcher  gemäss   (39)  durch  den 

et  Ob 

Ausdruck 

1  ^0  clT 
^  VTq.  T  dx 
ersetzt  ist,  so  ist  der  hierin  vorkommende  Factor  w^  auch  in 
jener  dritten  Potenz  ul  enthalten,  und  es  entsteht  nun  die  Frage, 
ob  dieser  Factor  bei  der  Bildung  des  Mittelwerthes  ebenso  zu 
behandeln  ist,  wie  die  beiden  anderen  in  ul  steckenden  Factoren 
Uq,  oder  eine  besondere  Behandlung  erfordert. 

Ferner  ist  zu  bemerken ,  dass  der  in  dem  Ausdrucke  von 
jST  vorkommende  Factor  äj,  und  ebenso  der  Factor  £  sich  numerisch 
nur  mit  einiger  Unsicherheit  bestimmen  lässt,  und  es  daher  nicht 
nothwendig  ist,  bei  der  Bildung  des  Mittelwerthes  von  nl  die 
äusserste  Genauigkeit  zu  erreichen. 

Unter  diesen  Umständen  habe  ich  in  meiner  Abhandlung 
über  die  Wärmeleitung  von  einer  speciellen  Untersuchung  über 
den    am  besten  zu  wählenden  Mittelwerth  abgesehen  und  habe 


152  Abschnitt  IV. 

mich  damit  begnügt,  einen  Mittelwerth  anzuwenden,  welcher  sich 
am  leichtesten  bestimmen  lässt  und  auch  sonst  eine  besonders 
wichtige  Rolle  in  den  auf  Gase  bezüglichen  Rechnungen  spielt. 
Der  Mittelwerth  der  Quadrate  der  Geschwindigkeiten,  also 
die  Grösse  üf,  hängt  nämlich  mit  dem  Drucke  Pq  des  Gases  durch 
die  folgende  einfache  Gleichung  zusammen  i): 

3    p    _  iVp  m  ul 

"2  ^°~        2       ■ 
Da  ferner  die  rechte  Seite  dieser  Gleichung  die  lebendige  Kraft 
der  fortschreitenden  Bewegung   darstellt,  so  steht  die  Grösse  ul 
auch  zu  der  im  Gase  enthaltenen  Wärme  in  nächster  Beziehung, 
Ich  bin  daher  von  dieser  Grösse  ausgegangen  und  habe  den  aus 

ihr  hervorgehenden  Mittelwerth  von  Mq,  nämlich  die  Grösse  V Uo, 
bei  der  Berechnung  von  K  für  Uq  in  Anwendung  gebracht. 

§.  20.    Numerische  Werthe  von  K. 

Bei  der  am  Schlüsse  des  vorigen  Paragraphen  angegebenen 

Bestimmung  von  Uq  hat  das  Product  —  h  Nq  m  ul   eine   einfache 

Bedeutung.  Es  stellt  nämlich  die  in  einer  Volumeneinheit  des  Gases 
im  Normalzustande  enthaltene  lebendige  Kraft,  oder  die  darin 
enthaltene  Wärmemenge  dar.  Diese  Wärme  wird,  wenn  y  die 
specifische  Wärme  einer  Volumeneinheit  des  Gases  bei  constantem 
Volumen  ist,  durch  y  Tq,  oder,  wenn  als  Normaltemperatur  Tq  der 
Gefrierpunct  genommen  ist,  angenähert  durch  y .  273  ausgedrückt, 
und  die  Gleichung  (XII)  geht  dadurch  über  in: 

(42)  K=  —  yu,B, 

und  zwar  wird  durch  Anwendung  dieser  Formel,  wenn  y  in  ge- 
wöhnlichen Wärmeeinheiten  ausgedrückt  ist,  auch  die  Wärme- 
leitung in  gewöhnlichen  Wärmeeinheiten  ausgedrückt.  Die  Grösse 
Uq  ergiebt  sich  aus  der  früher  schon  von  mir  aufgestellten  For- 
mel für  die  Bewegungsgeschwindigkeit  der  Molecüle  2)  folgender- 
maassen : 

(43)  %  =  -y=-, 


1)  Vergl.  Gleichung  (2)  des  ersten  Abschnittes. 

2)  Gleichung  (7)  des  ersten  Abschnittes. 


lieber  die  Wärmelcitung  gasförmiger  Körper.  153 

worin  q  das  specifische  üewiolit  des  betreffenden  Gases,  vergliclien 
mit  atmosphärischer  Luft,  bedeutet.  Dadurch  geht  die  vorige 
Gleichung  über  in: 

(XIV)  K  =  202,1  -^  8. 

Vq 

Für  die  einfachen  permanenten  Gase,  und  für  solche  zusam- 
mengesetzte Gase,  welche  bei  der  Verbindung  keine  Volumen- 
verminderung erlitten  haben,  hat  die  specifische  Wärme  y  den- 
selben Werth,  wie  für  die  atmosphärische  Luft,  nämlich,  wenn 
als  Volumeneinheit  ein  Cubikmeter  genommen  wird,  welcher 
1,2932  kg  atmosphärischer  Luft  im  Normalzustande  enthält: 
(44)  y  =  0,1686 . 1,2932  =  0,21803. 

Durch  Anwendung  dieses  Werthes  erhält  man  für  die  genannten 
Gase  : 

Hieraus  ergeben  sich  für  die  drei  einfachen  permanenten  Gase 
und  für  die  atmosphärische  Luft,  welche  in  Bezug  auf  die  Wärme- 
leitung wie  ein  einfaches  Gas  zu  behandeln  ist,  folgende  Werthe 
von  K: 

für  atmosphärische  Luft   .     .     .       44,06  .  s 

„     Sauerstoff 41,90  .  s 

„     Stickstoff 44,71  .  e 

„     Wasserstoff 167,49  .  s. 

Zur  vollständigen  numerischen  Bestimmung  dieser  Werthe 
müsste  noch  der  Factor  £  für  jedes  Gas  bekannt  sein.  Eine  un- 
mittelbare theoretische  Berechnung  dieser  Grösse  nach  den  oben 
auseinander  gesetzten  Principien  ist  deshalb  nicht  möglich,  weil 
dazu  der  Radius  der  Wirkungssphäre  6  bekannt  sein  müsste; 
man  muss  daher  zur  Bestimmung  von  s  andere  Data  anwenden^). 
Maxwell  hat  aus  Angaben  über  die  Reibung  bewegter  Luft- 
massen und  über  die  Diffusion  der  Gase  die  mittlere  Weglänge 
der  Molecüle  berechnet,  und  hat  in  beiden  Fällen  Zahlen  gefun- 
den, die  nicht  weit  von 

mm  ''"si-  zo"  °a«  mmm  "'=*'='• 


^)  Vergl.  S.  149.     Bei   der  Abfassung   dieser  Sätze  hatte  der  Verf.  den 
dritten  Abschnitt  noch  nicht  geschrieben.    (Siehe  das  Vorwort.)    D.  H. 


154  Abscliuitt  IV. 

abweichen.  Ohne  mich  hier  über  den  Grad  der  Zuverlässigkeit 
dieser  Zahl  auszusprechen,  glaube  ich  doch,  dass  wir  sie  anwen- 
den können,  um  einen  ungefähren  Begriff  von  der  Art  der  Grössen, 
um  die  es  sich  handelt,  zu  bekommen.  Durch  Einsetzung  dieses 
Werthes  erhalten  wir  für  atmosphärische  Luft: 

44  11 

^^^^  ^  16  000  000   "^    4  000  000" 

Diese  Grösse  bedeutet  die  Wärmemenge,  in  gewöhnlichen 
Wärmeeinheiten  ausgedrückt,  welche  während  einer  Secunde 
durch   eine  Fläche  von  einem  Quadratmeter  gehen  würde,  wenn 

dt 

T—  =  —  1  wäre,  d.  h.  wenn  in  der  Nähe  der  betrachteten  Stelle 

dx 

die  Temperatur  nach  der  Richtung  der  Abscissenaxe  in  der  Weise 
abnähme,  dass,  wenn  dieselbe  Abnahme  auf  einer  grösseren  Strecke 
stattfände,  auf  der  Länge  von  Im  die  Temperatur  um  l^'C.  ab- 
nehmen würde. 


§.  21.    Vergleichung  des  vorstehenden  Werthes  mit  dem 
Leitungsvermögen   eines  Metalles. 

Um  diese  Wärmeleitung  mit  derjenigen  der  Metalle  zu  ver- 
gleichen, können  wir  ein  Beobachtungsresultat  von  Peel  et  an- 
wenden. Dieser  hat  durch  Beobachtung  der  Wärmemenge,  welche 
durch  eine  Bleiplatte  ging,  gefunden,  dass,  wenn  eine  grosse  Blei- 
masse in  einen  solchen  Zustand  versetzt  würde,  dass  auf  der 
Strecke  von  Im  die  Temperatur  um  loC.  abnähme,  dann  während 
einer  Stunde  durch  eine  Fläche  von  einem  Quadratmeter  14  Wärme- 
einheiten gehen  würden  i).  Um  diese  Zahl  mit  der  für  Luft  gefun- 
denen zu  vergleichen,  müssen  wir  die  letztere,  da  sie  sich  auf  eine 
Secunde  als  Zeiteinheit  bezieht,  mit  der  Anzahl  der  Secunden, 
welche  in  einer  Stunde  enthalten  sind,  multipliciren,  wodurch  wir 
erhalten : 

11.3600  _     1 
4  000  000  ~  TÖÖ' 

Diese  Rechnung  führt  also  zu  einer  Wärmeleitung,  welche 
1400  mal  kleiner  ist,  als  die  des  Bleies  2), 


1)  Traite  de  la  clialeur,  t.  I,  p.  391. 

2)  Maxwell   hat  ein   ganz   anderes  Resultat   gefunden,  nämlicli,  dass 
die  Luft  zehn  Millionen  mal  schlechter  leite  als  Kupfer.     Das  beruht  aber 


Ueber  die  Wärineleitimg  q^asförmiger  Körper.  155 

Wenn  der  Grad  der  Genauigkeit  dieser  Zahl  auch  gering  ist, 
so  dass  sie  nur  als  ein  ungefährer  Werth  gelten  kann,  so  wird 
man  doch  soviel  dadurch  als  erwiesen  ansehen  können,  dass  die 
Wärmeleitung,  welche  man  aus  der  dieser  Ahhandluiig  zu  Grunde 
liegenden  Hypothese  über  die  Molecularbewegungcn  der  Gase 
theoretisch  ableiten  kann,  viel  geringer  ist,  als  die  der  Metalle, 
ein  Resultat,  welches  ganz  der  Erfahrung  entspricht.  Der  Ein- 
wurf, diese  Hypothese  führe  zu  einer  so  schnellen  Verbreitung 
der  Wärme,  dass  locale  Temperaturverschiedenheiten  in  der  Gas- 
masse nicht  möglich  seien,  ist  also  vollständig  ungegründet.  Ja 
man  kann  hiernach  sogar  dieselbe  Erscheinung,  welche  mit  be- 
sonderem Nachdrucke  gegen  die  Hypothese  geltend  gemacht  wurde, 
als  einen  neuen  Bestätigungsgrund  für  die  Hypothese  anführen. 


§.  22.     Zusammenfassung  der  erhaltenen  Resultate i). 

Fassen  wir  zum  Schlüsse  kurz  die  gewonnenen  Resultate 
zusammen,  so  können  wir  dieselben  folgendermaassen  aussprechen. 

1)  Die  Gase  leiten  die  Wärme  bedeutend  schlechter  als  die 
Metalle.  Eine  ungefähre  numerische  Rechnung,  bei  welcher  der 
von  Maxwell  für  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  berechnete 
Werth  angewandt  ist,  ergiebt  für  die  atmosphärische  Luft  in  der 
Nähe  des  Gefrierpunctes  ein  Leituugsvermögen,  welches  1400  mal 
kleiner  ist,  als  das  des  Bleies. 

2)  Die  Wärmeleitung  ist  von  der  Temperatur  des  Gases  ab- 
hängig, und  wächst  mit  der  Temperatur  in  demselben  Verhält- 
nisse, wie  die  Schallgeschwindigkeit. 


nur  darauf,  dass  in  seiner  numerischen  Eeclmung-  zwei  Versehen  vorkom- 
men. Erstens  wendet  er  statt  der  von  Peel  et  gegebenen  Zahlen,  welche 
die  Leitungsfähigkeit  der  Metalle  in  französischen  Maassen  angeben,  Zahlen 
an,  die  Rankine  daraus  für  den  Leitungswiderstand  in  englischen  Maassen 
berechnet  hat  (Manual  of  the  Steam  Engine,  p.  259).  Diese  Zahlen  sind 
aber  nicht  ganz  richtig,  sondern  sie  müssen  noch  mit  0,4536,  dem  Ver- 
hältniss  von  1  engl.  Pfd.  zu  1kg,  multiplicirt  werden ,  um  den  P  e  c  1  e  t  - 
sehen  Zahlen  zu  entsprechen.  Ferner  hat  Maxwell  die  Zahlen,  welche 
sich  auf  eine  Stunde  als  Zeiteinheit  beziehen,  so  angewandt,  als  ob  sie  sich 
auf  eine  Secunde  bezögen. 

^)  Dieser  Schlussparagraph  der  ersten  Auflage  ist  nicht  in  den  Ent- 
wurf aufgenommen.  Vielleicht  beabsichtigte  der  Verfasser  ihn  noch  um- 
zuarbeiten und  zu  erweitern.  D.  H. 


156  Abschnitt  IV. 

3)  Die  Wärmeleitung  ist  von  dem  Drucke,  unter  welchem 
das  Gas  steht,  innerhalb  gewisser  Grenzen  unabhängig. 

4)  Das  Wärnieleitungsvermögen  ist  bei  leichteren  Gasen 
grösser  als  bei  schwereren,  und  muss  daher  insbesondere  beim 
Wasserstoff  bedeutend  grösser  sein,  als  bei  allen  anderen  Gasen. 


ANHANG. 


Abhandlung  I. 

(Abhandlung  XVII.  der  früheren  Sammlung.) 

Ueber  die  Natur  des  Ozon. 

Vorgetragen  in  der  Züricher  naturforschenden  Gesellschaft  am  S.März  1858; 

abgedruckt   in  Pogg.    Ann.    Aprilheft  1858,   Bd.    CHI,    S.  644;   Phil.    Mag. 

4*''  Ser. ,  Vol.  XVI ,  p.  45 ;   Archives   des  sciences  phys.  et  nat. ,  Bibl.   univ. 

de  Geneve,  2e  s^rie,  t.  II,  p.  150. 

Im  Januarhefte  des  Phil.  Mag.  i),  S,  24  befindet  sich  ein  Auf- 
satz von  Schönbein,  in  welchem  der  Entdecker  des  Ozon  eine 
neue  Eigenschaft  dieser  merkwürdigen  Modification  des  Sauer- 
stoffs mittheilt.  Während  nämlich  das  Ozon  auf  die  oxydirbaren 
Substanzen  und  selbst  auf  edle  Metalle  eine  starke  oxydirende 
Wirkung  ausübt,  hat  Schönbein  gefunden,  dass  Papierstreifen, 
welche  mit  Bleisuperoxyd  gefärbt  sind,  wenn  man  sie  feucht  in 
stark  ozonisirte  Luft  bringt,  dort  gebleicht  werden,  indem  das 
Bleisuperoxyd  za  Bleioxyd  reducirt  wird,  wobei  zugleich,  wie 
Schönbein  anderweitig  nachgewiesen  hat,  das  Ozon  zerstört, 
d.  h.  in  gewöhnlichen  Sauerstoff  übergeführt  wird. 

Diese  Mittheilung  hat  mich  in  der  Ansicht,  welche  ich  schon 
früher  über  die  Natur  des  Ozon  hatte,  bestärkt,  und  ich  glaube 
daher,  dieselbe  jetzt  als  eine  Hypothese  veröffentlichen  zu  dürfen. 

In  meiner  Abhandlung  „über  die  Art  der  Bewegung,  welche 
wir  Wärme  nennen"  2),  habe  ich  die  Beziehungen,  welche  zwischen 


1)  4tii  Ser.  Vol.  XV. 

2)  Abhandlung  XIV.  der  früheren  Sammlung;  vergl.  oben  Abschnitt  I. 


158  Anhang. 

den  Volumen  der  einfachen  und  zusammengesetzten  Gase  be- 
stehen, durch  die  Annahme  zu  erklären  gesucht,  dass  auch  in 
einfachen  Gasen  mehrere  Atome  zu  einem  Molecüle  verbunden 
sind,  dass  z.  B,  ein  Sauerstoffmolecül  aus  zwei  Atomen  besteht. 
Ich  glaube  nun,  dass  es  unter  besonderen  Umständen  geschehen 
kann,  dass  von  der  grossen  Anzahl  von  Molecülen,  welche  sich 
in  einem  gewissen  Quantum  Sauerstoffgas  befinden,  ein  kleiner 
Theil  in  seine  beiden  Atome  zerlegt  wird,  welche  dann  getrennt 
unter  den  übrigen  Molecülen  umherfliegen.  Diese  vereinzelten 
Sauerstoffatome  ^  loelche  sich  in  ihrem  Verhalten  gegen  fremde  Kör- 
per natürlich  von  solchen  Atomen^  die  je  zivei  zu  Molecülen  ver- 
bunden  sind,  unterscheiden  müssen,  sind  meiner  Ansicht  nach  das 
Ozon  1). 

Betrachten  wir  hiernach  zunächst  die  wichtigsten  Entstehungs- 
weisen des  Ozon. 

Wenn  in  Sauerstoffgas  oder  atmosphärische  Luft  Electricität 
ausströmt,  oder  wenn  electrische  Funken  hindurchschlagen,  so 
bildet  sich  dadurch  Ozon,  wobei  die  Art  der  Electricität,  ob  sie 
positiv  oder  negativ  ist,  keinen  Unterschied  macht.  Diese  Wir- 
kung kann  man  wohl  einfach  der  abstossenden  Kraft  der  Elec- 
tricität zuschreiben,  indem  die  beiden  Atome  eines  Molecüls, 
wenn  sie  mit  gleicher  Electricität  geladen  sind,  in  derselben  Weise 
aus  einander  getrieben  werden,  wie  man  es  an  grösseren  Körpern 
beobachtet. 

Wenn  Sauerstoff  unter  geeigneten  Umständen  durch  Electro- 
lyse  aus  seinen  Verbindungen  ausgeschieden  wird,  so  erhält  man 
ihn  ozonisirt.  Dieses  erklärt  sich  daraus,  dass  im  Momente  der 
Ausscheidung  die  Sauerstoffatome  vereinzelt  sind.  Die  meisten 
verbinden  sich  sogleich  an  der  Electrode  je  zwei  zu  Molecülen, 
wobei  vielleicht  die  Electrode  selbst,  wenn  diese  z,  B,  aus  Platin 
besteht,  mit  wirksam  ist.  Ein  kleiner  Theil  der  Atome  aber  bleibt 
vereinzelt,  und  diese  bilden  das  dem  Sauerstoff  beigemischte  Ozon. 


^)  Ich.  will  hier  gleich  bemerken,  dass  es  nur  einen  geringen,  das  eigent- 
liche Wesen  meiner  Erklärung  gar  nicht  berührenden  Unterschied  macht, 
wenn  man  annimmt,  dass  die  Atome,  welche  aus  der  Zerlegung  der  ge- 
wöhnlichen Sauerstoffmolecüle  entstehen ,  nicht  ganz  frei  bleiben ,  sondern 
sich  mit  noch  unzerlegten  Molecülen  des  umgebenden  gewöhnlichen  Sauer- 
stojä's  in  loser  Weise  verbinden.  Solche  lose  gebundenen  Atome  sind  ebenso 
geeignet,  die  weiter  unten  erwähnten  Wirkungen  hervorzubringen,  wie  freie 
Atome.    (1866.) 


Uebev  die  Natur  des  Ozou.  159 

Eine  dritte  Entstehungsart  endlich  findet  statt,  wenn  atmo- 
sphärische Luft  in  Berührung  mit  feuchtem  Phosphor  ist.  Diesen 
Process  kann  man  sich  vielleicht  so  denken.  Indem  der  Phosphor 
sich  mit  dem  umgebenden  Sauerstoff  verbindet,  muss  eine  An- 
zahl der  mit  ihm  in  Berührung  kommenden  Sauerstoffmolecüle 
in  ihre  zwei  Atome  zerlegt  werden,  und  dabei  kann  es  geschehen, 
dass  er  sich  nicht  mit  beiden  verbindet,  sondern  dass  das  eine 
durch  die  Wärmebewegung  aus  seiner  Wirkungssphäre  entfernt 
wird,  und  dann  vereinzelt  bleibt.  Es  ist  möglich,  dass  hierbei 
noch  ein  besonderer  Umstand,  wirksam  ist.  Aus  der  Electrolyse 
ist  es  bekannt,  dass  in  der  Verbindung  verschiedenartiger  Atome 
zu  einem  Molecüle  ein  Theil  des  Molecüls  positiv  electrisch  und 
der  andere  negativ  electrisch  ist.  Dieses  findet  vielleicht  auch 
bei  der  Verbindung  zweier  gleichartiger  Atome,  also  z.  B.  zweier 
Sauerstoöatome  statt,  indem  auch  von  diesen  das  eine  positiv  und 
das  andere  negativ  electrisch  wird  i).  Da  nun  bei  der  Oxydation 
des  Phosphor  der  Sauerstoff  jedenfalls  als  negativer  Bestandtheil 
in  die  Verbindung  tritt,  so  kann  es  sein,  dass  von  den  beiden 
Sauerstofiatomen,  welche  aus  einem  Molecüle  entstehen,  vorzugs- 
weise das  negative  von  dem  Phosphor  festgehalten  wird,  und  das 
positive  ungehindert,  oder  doch  weniger  gehindert  fortfliegen  kann. 
Wenn  dieses  dann  auch  später  im  Verlaufe  seiner  Bewegungen 
und  seiner  Berührungen  mit  anderen  Gasmolecülen  oder  mit  festen 
Wänden  seinen  positiv  electrischen  Zustand  verliert,  und  dadurch 
zur  Verbindung  mit  dem  Phosphor  geeigneter  wird,  so  kann  es 
in  diese  doch  nicht  eher  eintreten,  als  bis  es  wieder  einmal  durch 
seine  Bewegung  in    die   Wirkungssphäre    des  Phosphor  gelangt. 

Bekanntlich  finden  bei  der  Ozonisirung  durch  Phosphor  einige 
auffällige  Erscheinungen  statt,  z.  B.  dass  verdünnter  Sauerstoff 
leichter  ozonisirt  wird,  als  dichterer,  und  Sauerstoff",  der  mit 
Wasserstoff  oder  Stickstoff  gemischt  ist,  leichter  als  reiner.  Ich 
glaube,  dass  sich  auch  für  manche   dieser  Nebenerscheinungen 


1)  Ich  glaube  hiei'  daran  erinuei'n  zu  dürfen,  dass  zu  der  Zeit,  als  ich 
dieses  schrieb  und  veröffentlichte,  in  den  Aufsätzen  von  Schöubein  noch 
nicht  von  zwei  verschiedenen  Arten  activen  Sauerstoffs ,  sondern  nur  vom 
Ozon  die  Rede  war.  Erst  in  später  erschienenen  Aufsätzen  sprach  auch 
Schönbein  die  Ansicht  aus,  dass  gewöhnlicher  Sauerstoff  aus  zwei  in 
verschiedenen  Zuständen  befindlichen  Bestandtheilen  bestehe,   die   er  Ozon 

0  0 

und  Antozon  nannte  und  mit  0  und   @  bezeichnete.    (1SG6.) 


160  Anhang. 

wahrschemliclie  oder  wenigstens  mögliche  Erklärungsgründe  an- 
geben lassen,  indessen  will  ich  auf  diese  hier  nicht  eingehen. 

Der  vorher  als  möglich  erwähnte  Umstand,  dass  in  der  Ver- 
bindung zweier  Sauerstoffatome  zu  einem  Molecüle  die  beiden 
Atome  entgegengesetzt  electrische  Zustände  haben,  kann  auch 
zur  Erklärung  einiger  anderer  Erscheinungen  dienen.  Dass  das 
in  einer  Sauerstoffmenge  gebildete  Ozon  nicht  nach  kurzer  Zeit 
von  selbst  wieder  verschwindet,  indem  die  getrennten  Atome  sich 
wieder  zu  Molecülen  verbinden,  hat  seinen  Grund  vielleicht 
darin,  dass,  nachdem  die  freien  Atome  ihren  electrischen  Zustand 
verloren  haben,  damit  auch  ihr  Bestreben,  sich  zu  vereinigen, 
geringer  geworden  ist;  wie  ja  auch  Sauerstoff,  selbst  wenn  er 
ozonisirt  ist,  mit  Wasserstoff'  gemischt  sein  kann,  ohne  sich  mit 
ihm  zu  verbinden  i). 

Wenn  ozonisirter  Sauerstoff  erhitzt  wird ,  so  wird  dadurch 
das  Ozon  zerstört.  Dieses  lässt  sich  vielleicht  daraus  erklären, 
dass  die  hohe  Temperatur  gerade  so,  wie  sie  die  Verbindung  von 
Sauerstoff"  mit  Wasserstoff"  und  anderen  oxydirbaren  Substanzen 
veranlassen  kann,  auch  die  Vereinigung  der  getrennten  Säuerstoff- 
atome veranlasst. 

Durch  Versuche  von  Becquerel  und  Fremy  hat  sich  gezeigt, 
dass  eine  gegebene  Menge  Sauerstoffgas  sich  durch  electrische 
Funken,  wenn  das  Ozon  mit  dem  Sauerstoff  gemischt  bleibt,  nur 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  ozonisiren  lässt,  während,  wenn 
das  gebildete  Ozon  immer  gleich  beseitigt  wird,  z.  B.  durch 
Oxydation  von  Silber,  nach  und  nach  die  ganze  Sauerstoffmenge 
in  Ozon  verwandelt  werden  kann.  Dieses  deutet  darauf  hin, 
dass,  wenn  schon  zu  viele  einzelne  Atome  in  dem  Gase  enthalten 
sind,  diese  sich  wieder  unter  einander  verbinden,  und  es  kann 
sein,  dass  die  electrischen  Funken  selbst  die  Fähigkeit  haben, 
unter  veränderten  Umständen  auch  die  umgekehrte  Wirkung  zu 
üben,  nämlich  die  Vereinigung   getrennter  Atome   zu  befördern, 


1)  Wenn  die  Sauerstoffatome,  welclie  das  Ozon  bilden,  sich  mit  anderen 
gewöhnlichen  Sauerstoffmolecülen  in  loser  Weise  verbunden  haben,  und 
wenn  sie  in  den  so  entstandenen  complicirteren  Molecülen  als  negativ- 
electrische  Bestandtheile  enthalten  sind,  und  sich  daher  sämmtlich  in  einem 
und  demselben  electrischen  Zustande  befinden ,  so  wird  dadurch  ihr  ge- 
ringes Bestreben,  sich  gegenseitig  zu  zweiatomigen  Molecülen  zu  verbinden, 
um  so  mehr  erklärlich  (1866). 


lieber  die  Naluv  des  Ozon.  161 

iilinlich  wie  sie  die  Verbindung  von  Sauerstoff  und  Wasserstoff 
eiideiten  können. 

Betrachten  wir  nun  einige  Wirkungen  des  Ozon. 

Die  Hauptwirkung,  nämlich  die  starke  Oxydation,  kann  nacli 
der  gegebenen  Erklärung  vom  Ozon  als  von  selbst  verständlich 
angesehen  werden,  denn  es  ist  klar,  dass  getrennte  ij  Sauerstoff- 
atome  in  Verbindungen  mit  fremden  Körj^ern  leichter  eintreten 
können,  als  solche  Atome,  die  schon  unter  sich  zu  je  zweien  ver- 
bunden sind,  und  aus  dieser  Verbindung  erst  gelöst  werden  müssen, 
um   zur    Verbindung   mit   anderen  Stoffen    geeignet    zu   Averden. 

In  dieser  Beziehung  ist  das  Ozon  mit  dem  Sauerstoff"  im 
Status  nascens  zu  vergleichen,  nur  dass  bei  dem  letzteren  noch 
der  electrische  Zustand  mit  in  Betracht  kommt.  Wenn  nämlich 
Sauerstoff'  aus  einer  Verbindung,  in  welcher  er  electronegativ 
war,  ausgeschieden  wird,  so  wird  er  in  eine  andere  Verbindung, 
in  welcher  er  auch  electronegativ  sein  muss,  aus  doppeltem 
Grunde  leicht  eintreten,  erstens  weil  die  Atome  noch  vereinzelt 
sind,  und  zweitens,  weil  sie  schon  den  richtigen  electrischen 
Zustand  haben.  Es  kann  daher  der  Sauerstoff"  im  Status  nascens 
in  manchen  Fällen   an  Wirksamkeit   das  Ozon   noch   übertreff'en. 

Eine  mit  der  vorigen  verwandte  Wirkung  ist  die,  dass  eine 
Platinplatte  durch  Eintauchen  in  ozonisirten  Sauerstoff  galvanisch 
polarisirt  wird.  Bekanntlich  werden  die  beiden  Electroden, 
welche  zur  galvanischen  Wasserzersetzung  dienen,  dadurch  in  der 
Weise  polarisirt,  dass  sie  für  sich  allein  einen  entgegengesetzten 
Strom  hervorzubringen  vermögen.  Man  erklärt  dieses  daraus, 
dass  die  eine  Electrode  mit  einer  Schicht  von  Wasserstoff- 
gas und  die  andere  mit  einer  Schicht  von  Sauerstoft'gas  be- 
legt ist.  Hiermit  stimmt  es  auch  überein,  dass  eine  Platin- 
platte, welche  in  Wasserstoffgas  getaucht  wird,  dadurch  ebenfalls 
positive  Polarisation  annimmt.  Taucht  man  dagegen  eine  Platin- 
platte in  gewöhnliches  Sauerstofi'gas ,  so  tritt  die  entsprechende 
Erscheinung,  welche  man  vielleicht  erwarten  könnte,  dass  die 
Platte  hierdurch  negativ  polarisirt  wird ,  nicht  ein ,  und  hierin 
scheint  ein  Widerspruch  gegen  die  erwähnte  Erklärung  zu  liegen. 
Indessen  glaube  ich,  dass  man  sich  von  diesem  Unterschiede 
folgendermaassen  Rechenschaft  geben  kann.  Da  ein  W^asser- 
molecül  aus  mvei  Atomen  W^asserstoff  und  einem  Atome  Sauerstoff' 


1)  Oder  nur  schwach  an  anderen  Moleciilen  haftende.     (1866.) 

Claiisiiis,  meohau.  Warmetheorie.    III.  jj 


1G2  Aiiliang. 

besteht,  so  können  die  Atome  des  Wasserstoö'gases,  welche  eben- 
falls, wie  die  des  Sauerstoffgases,  je  zwei  zu  Molecülen  vereinigt 
sind,  in  die  Verbindung  mit  Sauerstoff  eintreten,  ohne  ihre  Ver- 
einigung unter  einander  aufzugeben.  Die  Atome  des  Sauerstoff'- 
gases  dagegen  sind,  so  lange  sie  unter  einander  zu  Molecülen 
vereinigt  sind,  zur  Verbindung  mit  dem  Wasserstoff  nicht  geeignet. 
Daher  kann  der  Sauerstoff"  in  seinem  gewöhnlichen  Zustande 
keine  galvanische  Polarisation  hervorbringen,  erhält  aber  diese 
Fähigkeit  durch  Ozonisation. 

Neben  der  oxydirenden  Wirkung  kann  das  Ozon ,  wie 
Schön  bei  n  am  Bleisuperoxyd  nachgewiesen  hat,  auch  die  ent- 
gegengesetzte Wirkung  der  Desoxydation  üben ,  and  das  Ozon 
selbst  wird  dabei  in  gewöhnlichen  Sauerstoff'  übergeführt.  Da 
das  letztere  in  gleicher  Weise  bei  der  Berührung  des  Ozon  mit 
anderen  Superoxyden  stattfindet,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  auch  die  Desoxydation  nicht  auf  das  Bleisuperoxyd  allein 
beschränkt  ist.  Diese  Wirkung  lässt  sich  ohne  Schwierigkeit 
erklären.  Denkt  man  sich  nämlich  ein  Oxyd,  welches  seinen 
Sauerstoff'  oder  einen  Theil  desselben  leicht  abgiebt,  in  Berührung 
mit  einem  Gase,  in  welchem  einzelne  Sauerstoffatome  sich  be- 
wegen, die  sich  mit  zweiten  Atomen  zu  verbinden  suchen,  so 
werden  diese,  indem  sie  mit  dem  Oxyde  in  Berührung  kommen, 
ihm  die  nur  schwach  gebundenen  Atome  entziehen  können,  wo- 
durch die  doppelte  Wirkung,  die  Reduction  des  Oxydes  und  das 
Verschwinden  des  Ozon  zugleich  erklärt  ist. 

Das  Verhalten  des  Ozon  ist  in  mancher  Beziehung  dem  der 
Superoxyde  ähnlich.  Wasserstoff'superoxyd  z.  B.  hat  bekanntlich 
eine  starke  oxydirende  Wirkung,  indem  es  sein  zweites  Sauerstoff- 
atoni  leicht  abgiebt.  Bringt  man  dagegen  Wasserstoff'superoxyd 
mit  Oxyden  edler  Metalle  oder  mit  gewissen  metallischen  Super- 
oxyden zusammen,  so  findet  eine  gegenseitige  Reduction  statt. 
Hierbei  darf  man  wohl  annehmen,  dass  die  Sauerstoff'atome, 
welche  aus  dem  Wasserstoff'superoxyd  ausscheiden,  sich  mit  denen, 
welche  aus  den  metallischen  Oxyden  oder  Superoxyden  frei 
werden,  zu  Molecülen  vereinigen. 

Es  kann  bei  dieser  Erscheinung  die  Frage  entstehen,  weshalb 
die  Atome  des  Ozon  für  sich  allein,  oder  die  in  einem  einzelnen 
Oxyde  oder  Superoxyde  enthaltenen  und  leicht  trennbaren  Sauer- 
stoff'atome sich  nicht  ebenso  leicht  unter  einander  vereinigen 
können,  als  die  Atome  zweier  verschiedenartiger  Stoffe  sich  gegen- 


Ueber  die  Natur  des  Ozon.  IG.T 

seitig  vereinigen,  Dal)ei  können  aber  mancherlei  Nebenumstiinde 
von  Einfluss  sein.  Zunächst  ist  der  Aggregatzustand  zu  berück- 
sichtigen. In  einem  festen  Metalloxyde  oder  -suj)eroxyde  sind 
die  einzelnen  Theile  in  unveränderlicher  Lage  zu  einander,  und 
man  kann  daher  annelftnen,  dass  die  Sauerstoffatome  nicht  in 
solche  Berührung  mit  einander  kommen ,  wie  zur  Vereinigung 
nothwendig  ist.  Ein  flüssiger  Körper  dagegen  schmiegt  sich  an 
den  festen  besser  an,  und  seine  Theilchen  besitzen  zugleich  die 
nöthige  Beweglichkeit,  und  ebenso  verhält  es  sich  mit  einem 
luftförmigen  Körper,  der  ausserdem  an  der  Oberfläche  des  festen 
Körpers  noch  eine  Verdichtung  erleidet.  Ferner  kann  es  sein,  dass 
der  gleiche  electrische  Zustand,  in  welchem  sich  die  Sauerstoff- 
atome einer  bestimmten  Verbindung  befinden,  sie  zur  Vereinigung 
unter  einander  weniger  geneigt  macht,  als  zur  Vereinigung  mit 
dem  unelectrischen  Ozon,  oder  mit  den  Sauerstoffatomen  einer 
anderen  Verbindung,  deren  electrischer  Zustand  möglicherweise 
ein  anderer  sein  kann.  Auch  das  electrische  Leitungsvermögen 
der  Stoffe  kann  in  Betracht  kommen,  indem  die  zur  Vereinigung 
nothwendigen  Aenderungen  des  electrischen  Zustandes  in  Be- 
rührung mit  metallischen  Körpern  leichter  geschehen  können, 
als  im  Lmeren  schlecht  leitender  Körper.  Vielleicht  lassen  sich 
auch  noch  andere  Gründe  zur  Beantwortung  jener  Frage  bei- 
bringen, indessen  werden  die  angeführten  schon  genügen,  um 
wenigstens  zu  zeigen,  wie  viele  Umstände  hier  zusammenwirken 
können,  und  dass  man  daher  nicht  erwarten  darf,  eine  einfache 
Gesetzmässigkeit  zu  finden,  welche  für  alle  Fälle  gültig  bleibt. 

(Bei  der  ersten  Veröffentlichung  dieser  kleinen  Abhandlung 
hatte  ich  zum  Schlüsse  noch  eine  Bemerkung  über  Beobachtungen 
der  Dichtigkeit  des  Ozon,  welche  kurz  vorher  von  Andrews  und 
Tait  angestellt  waren,  hinzugefügt.  Ich  glaubte  damals,  das  Er- 
gebniss  dieser  Beobachtungen  widerspreche  meiner  Erklärung  des 
Ozon;  indessen  habe  ich  später  erkannt,  dass  dieser  Widerspruch 
nur  scheinbar  ist,  indem  er  nicht  die  Hauptsache  meiner  Erklärung, 
sondern  nur  den  schon  oben  (S,  160,  Anmerkung)  erwähnten, 
ganz  untergeordneten  Nebenpunct  betrifft.  Es  wird  hiervon  in 
der  folgenden  Abhandlung  i)  noch  weiter  die  Ptede  sein.   186G.) 


1)  Vergl.  Abhandl.  III,  S.  181.  D.  H. 


11* 


Abhandlung     II. 

(Abhandlung  XVIII.  der  früheren  Sammlung. 


Ueber  den  Unterscliied  zwischen  activem  und 
g-ewöhnlichem  Sauerstoff. 

Vorgetragen  in  der  Züricher  naturforschenden  Gesellschaft  am  19.  October 
1863;  abgedruckt  in  der  Vierteljalirssclirift  dieser  Gesellschaft  Bd.  VIII, 
S.345;  Pogg.  Ann.  Februarheft  1864,  Bd.  CXXI,  S.250;  Phil.  Mag.  4th  Ser. 

Vol.  XXVII,  p.  261. 

In  emer  im  März  1858  mitgetheilten  Abhandlung  „über  die 
Natur  des  Ozon"  i)  habe  ich  von  dieser  Modification  des  Sauer- 
stoffs eine  Erklärung  gegeben,  welche  mit  meinen  kurz  vorher 
veröffentlichten  Ansichten  über  den  inneren  Zustand  der  Körper, 
insbesondere  der  Gase,  im  Zusammenhange  stand.  Damals  waren 
unsere  Kenntnisse  vom  activen  Sauerstoff  noch  viel  geringer  als 
jetzt.  Der  Gegensatz  zwischen  Ozon  und  Antozon  war  noch  nicht 
entdeckt.  Man  wusste  nur,  dass  der  Sauerstoff  durch  verschiedene 
Processe  in  einen  erregten  Zustand  gebracht  werden  kann,  in 
welchem  er  stärker  oxydirend  wirkt  als  gewöhnlicher  Sauerstoff, 
und  diesen  so  veränderten  Sauerstoff  nannte  man  Ozon.  Neben 
der  oxydirenden  Wirkung  war  eben  damals  von  Schönbein 
zum  ersten  Male  auch  eine  desoxydirende  Wirkung  beobachtet, 
nämlich  die  Desoxydation  von  Bleisuperoxyd,  und  die  Veröffent- 
lichung dieser  Beobachtung  2)  war  es,  welche  mir  zur  Mittheilung 
meiner  Ansichten  über  das  Ozon  Veranlassung  gab. 


1)  Siehe  Abhandlung  L,  S.  157. 

2)  Fhü.  Mag.  Januarheft  1858,  S.  24. 


Ueber  eleu  Uuterscliied  zwisclieu  activtjm  und  guwüliiiliclii'm  ("»auerstuif.     165 

Seitdem  sind  viele  und  wichtige  experimentelle  Unter- 
sucliungen  über  den  activen  SauerstoU'  gemacht.  Schönbein 
selbst  hat  seine  Epoche  machende  Entdeckung  des  Ozon  durch 
den  Nachweis  des  Unterschiedes  zwischen  Ozon  und  Antozon 
vervollständigt.  Unter  den  anderen  Arbeiten  muss  ich  vorzugs- 
weise die  höchst  interessante  Schrift  von  G.  Meissner  „Unter- 
suchungen über  den  Sauerstoff"  hervorheben,  ferner  die  fort- 
gesetzten Untersuchungen  von  Andrews  und  Tait^),  und  die 
schönen  von  v.  Babo^)  und  Soret^)  angestellten  Beobachtungen. 

Die  Resultate  dieser  neueren  Untersuchungen  halben  den 
Haupttheil  meiner  Erklärung  in  auffalliger  Weise  bestätigt;  in 
zwei  Punkten  aber,  welche  von  nur  untergeordneter  Bedeutung 
sind,  stimmen  sie  nicht  ganz  mit  derselben  überein.  Diese  Ab- 
weichungen können  vielleicht  bei  manchen  Lesern  Bedenken 
gegen  die  Richtigkeit  meiner  Erklärung  erregen,  da  es  nicht 
immer  leicht  ist,  das  Wesentliche  einer  Erklärung  vom  Unwesent- 
lichen zu  unterscheiden,  und  diese  Unterscheidung  im  vorliegen- 
den Falle  noch  dadurch  erschwert  wird,  dass  ich  selbst  in  meiner 
ersten  Darstellung  auf  einen  unwesentlichen  Punct  ein  grösseres 
Gewicht  gelegt  habe,  als  nöthig  war.  Ich  halte  es  daher  für 
zweckmässig,  noch  einmal  auf  den  Gegenstand  zurückzukommen, 
um  mich  darüber  auszusprechen,  bis  wie  Aveit  ich  meine  Erklärung 
auch  jetzt  noch  für  richtig  halte,  und  in  welchen  Puncten  da- 
gegen, meiner  Ansicht  nach,  durch  die  neueren  Untersuchungen 
kleine  Aenderungen  nothwendig  geworden  sind. 

In  meiner  Abhandlung  „über  die  Art  der  Bewegung ,  welche 
wir  Wärme  nennen"  habe  ich  den  Schluss  gezogen,  dass  im 
gewöhnlichen  Sauerstoff  die  Atome  nicht  ganz  vereinzelt,  sondern 
je  zwei  zu  Molecülen  verbunden  sind,  einen  Schluss,  welcher  *uch 
mit  den  von  Gerhardt  über  die  Constitution  der  Gasmolecüle 
geäusserten  Ansichten  übereinstimmt,  nur  dass  Gerhardt  sich 
gerade  über  den  Sauerstoff  weniger  bestimmt  ausgesprochen  hat, 
als  ich,  indem  er  nur  sagt-^):  „das  freie  Sauerstoffatom  ist  aus 
mehreren    (wenigstens    zwei)    Atomen    zusammengesetzt."      Auf 


1)  Phil.  Trans,  of  the  Boycd  Soc.  of  London  for  18G0,  ^).  113. 

2)  Berielite  der  naturf.  Gesellschaft  zu  Freiburg  in  Br.  Bd.  III,  Heft  I. 

3)  Comptes  rendus,  t.  LVII,  p.  601  (October  1SG3). 

*)  Gerhardt,  Lehrbuch  der  organischen  Chemie,  in  deutscher  Ueher- 
setzuug  herausgegeben  von  Wagner,  Bd.  IV,  S.  612  (französische  Ausgabe 
t.  IV,  p.  574). 


166  Anhang. 

diesem  früher  von  mir  gezogenen  Schlüsse  fussencl,  gab  ich  von 
dem  in  gewöhnlichem  Sauerstoff  enthaltenen  activen  Sauerstoff', 
welchen  man  damals  ohne  Unterschied  Ozon  nannte,  die  Er- 
klärung, dass  er  aus  einzelnen^  also  nicht  paarweise  zu  Molecülen 
verhundenen  Atomen  bestehe^  welche  sich  unter  den  gewöhnlichen 
Molecülen  zerstreut  befinden. 

Indem  ich  diese  Erklärung  mit  den  damals  bekannten  That- 
sachen  verglich,  und  dazu  zunächst  die  wichtigsten  Entstehungs- 
weisen des  Ozon  betrachtete,  fand  ich  Gelegenheit,  auch  auf  den 
Zustand  der  beiden  in  einem  gewöhnlichen  Sauerstoffmolecül 
enthaltenen  Atome  näher  einzugehen,  und  meine  Ansicht  darüber 
zu  äussern.  Ich  sagte  nämlich,  dass  man  sich  den  Process, 
welcher  stattfindet,  wenn  durch  Berührung  von  atmosphärischer 
Luft  mit  feuchtem  Phosphor  Ozon  entsteht,  vielleicht  folgender- 
maassen  denken  könnet):  „Indem  der  Phosphor  sich  mit  dem 
umgebenden  Sauerstoff"  verbindet,  muss  eine  Anzahl  der  mit  ihm 
in  Berührung  kommenden  Sauerstoffmolecüle  in  ihre  Atome  zer- 
legt werden,  und  dabei  kann  es  geschehen,  dass  er  sich  nicht 
mit  beiden  verbindet,  sondern  dass  das  eine  durch  die  Wärme- 
bewegung aus  seiner  Wirkungssphäre  entfernt  wird  und  dann 
vereinzelt  bleibt.  Es  ist  möglich,  dass  hierbei  noch  ein  besonderer 
Umstand  wirksam  ist.  Aus  der  Electrolyse  ist  es  bekannt,  dass 
in  der  Verbindung  verschiedenartiger  Atome  zu  einem  Molecüle 
ein  Theil  des  Molecüls  positiv  electrisch  und  der  andere  negativ 
electrisch  ist.  Dieses  findet  vielleicht  auch  bei  der  Verbindung 
zweier  gleichartiger  Atome,  also  z.  B,  zweier  Sauerstoffatome,  statt, 
indem  auch  von  diesen  das  eine  positiv  und  das  andere  negativ 
electrisch  wird.  Da  nun  bei  der  Oxydation  des  Phosphor  der 
Sauerstoff  jedenfalls  als  negativer  Bestandtheil  in  die  Verbindung 
tritt,  so  kann  es  sein,  dass  von  den  beiden  Sauerstoffatomen, 
welche  aus  einem  Molecül  entstehen ,  vorzugsweise  das  negative 
von  dem  Phosphor  festgehalten  wird,  und  das  positive  ungehindert, 
oder  doch  weniger  gehindert,  fortfliegen  kann." 

In  diesen  Sätzen,  und  wiederholt  auch  noch  im  weiteren 
Verlaufe  der  Abhandlung,  ist,  soviel  ich  weiss,  zum  ersten  Male 
und  zu  einer  Zeit,  wo  noch  keine  experimentellen  Data  vorlagen, 
die  dazu  nöthigten,  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  die  beiden 
in    einem    gewöhnlichen    Sauerstoffmolecüle    enthaltenen    Atome 

1)  Oben  S.  159. 


Ueber  den  Uuterscliied  zwischen  activem  und  güwühulichem  Sauerstoff.     107 

entgegengesetzt  elcctrisclie  Zustände  luiLcn.  Diese  Ansicht  ist 
clurcli  die  bald  darauf  gemachte  Entdec^kung,  dass  es  zwei  Arten 
von  activem  Sauerstoff'  giebt,  welche  Schönbein  durch  die 
Worte  Ozon  und  Antozon  unterschieden  hat,  und  dass'  diese 
beiden  sicli  zu  gewöhnlichem  Sauerstoff  verbinden  können ,  in 
merkwürdiger  Weise  bestätigt. 

Was  den  Umstand  anbetrifft,  dass  der  active  Sauerstoff"  so- 
wohl oxydirend  als  auch  desoxydircnd  wirken  kaini,  so  gab  ich 
davon  folgende  Erklärung.  Ungepaarte  Atome  können  in  Ver- 
bindungen mit  anderen  Stoffen  leichter  eintreten,  als  solche,  die 
schon,  unter  sich  zu  je  zweien  verbunden  sind,  und  aus  dieser 
Verbindung  erst  gelöst  werden  müssen,  um  zur  Verbindung  mit 
andei'en  Stoffen  geeignet  zu  werden;  jene  werden  daher  stärker 
oxydirend  wirken  als  diese.  Denkt  man  sich  ferner  ein  Oxyd 
resp.  Superoxyd,  welches  seinen-  Sauerstoff  oder  einen  Thcil  des- 
selben leicht  abgiebt,  in  Berührung  mit  einem  Gase,  in  welchem 
sich  Sauerstoffatome  befinden,  die  das  Bestreben  haben,  sich  mit 
zweiten  Atomen  zu  verbinden,  so  werden  diese  dem  Oxyde  die 
schwach  gebundenen  Atome  entziehen  können ,  wodurch  gleich- 
zeitig das  Oxyd  reducirt  und  der  active  Sauerstoff  in  gewöhn- 
lichen übergeführt  wird. 

In  Bezug  auf  diese  doppelte  Wirkung  der  Oxydation  und 
Desoxydation  verglich  ich  den  activen  Sauerstoff",  wie  er  in  ge- 
wöhnlichem Sauerstoff'  enthalten  sein  kann,  mit  demjenigen 
Sauerstoff,  welcher  sich  in  gewissen  Superoxyden  oder  in 
Oxyden  edler  Metalle  lose  gebunden  befindet,  und  indem  ich 
Wasserstoffsuperoxyd  als  Beispiel  wählte,  sagte  ichi):  „Wasser- 
stoff'superoxyd  z.  B.  hat  bekanntlich  eine  starke  oxydirende 
Wirkung,  indem  es  sein  zweites  Sauerstotfatom  leicht  abgiebt. 
Bringt  man  dagegen  Wasserstoffsuperoxyd  mit  Oxyden  edler 
Metalle  oder  mit  gewissen  metallischen  Superoxyden  zusammen,  so 
findet  eine  gegenseitige  Reduction  statt.  Hierbei  darf  man  wohl 
annehmen,  dass  die  Sauerstoff'atome,  welche  aus  dem  Wasserstoö"- 
superoxyd  ausscheiden,  sich  mit  denen,  welche  aus  den  metalli- 
schen Oxyden  oder  Superoxyden  frei  werden,  zu  Molecülen  ver- 
einigen." 

Ich  stellte  dann  die  Frage  auf,  weshall)  die  in  einem  ein- 
zelnen Oxyde  oder  Superoxyde  enthaltenen  und  leicht  trennbaren 


1)  Oben  S.  162. 


168  Auhang. 

Sauerstoffatome  sich  nicht  ebenso  leicht  unter  sich  vereinigen 
können,  wie  die  Sauerstoffatome  einer  Verbindung  sich  mit  denen 
eiuer  anderen  Verbindung  vereinigen.  Unter  den  Gründen, 
welche  ich  zur  Beantwortung  als  möglich  bezeichnete,  kommt 
auch  der  vor ,  dass  die  Sauerstoffatome  verschiedener  Verbin- 
dungen sich  in  verschiedenen  electrischen  Zuständen  befinden 
können  und  der  electrische  Unterschied  die  .  Atome  der  einen 
Verbindung  zur  Vereinigung  mit  den  Atomen  der  anderen  Ver- 
bindung geneigter  machen  kann,  als  zur  Vereinigung  unter 
sich  selbst. 

Ueber  die  gegenseitige  Reduction  zweier  Superoxyde  hat 
Brodie  in  einer  in  den  Londoner  Philos.  Transad.  für  1850 
veröffentlichten  schönen  Abhandlung,  welche  mir  bei  der  Abfassung 
meines  Aufsatzes  unbekannt  war,  eine  Ansicht  ausgesprochen, 
welche  in  einem  Puncto  der  von  mir  ausgesprochenen  ähnlich  ist, 
in  anderen  Puncten  aber  wesentlich  von  ihr  abweicht.  Brodie 
nimmt  an,  dass  der  Sauerstoff  der  beiden  Verbindungen,  welche 
auf  einander  einwirken,  verschiedene  chemische  Zustände  habe. 
Er  sagt,  der  Sauerstoff  sei  in  den  Verbindungen  diemicaUy  polar, 
und  unterscheidet  den  positiv  polaren  und  den  negativ  polaren 
Zustand.  Zwei  Quantitäten  Sauerstoff',  welche  sich  in  diesen 
beiden  Zuständen  befinden,  suchen  sich  unter  einander  chemisch 
zu  verbinden,  ebenso  wie  Sauerstoff"  und  Wasserstoff  sich  ver- 
binden können.  Die  Frage,  worauf  die  chemische  Verschieden- 
heit der  beiden  Sauerstoffmengen  beruht,  und  wie  die  Molecüle 
beschaffen  sind,  entscheidet  er  nicht,  sondern  erklärt  diese  Frage 
am  Schlüsse  seiner  Abhandlung  ausdrücklich  für  eine  offene. 
Seine  Ansicht  scheint  sich  indessen  dahin  zu  neigen,  dass  die 
Stoffe,  welche  in  der  Chemie  als  einfache  betrachtet  werden, 
selbst  noch  wieder  aus  anderen  zusammengesetzt  sind,  „that  tliey 
consist  of  yet  other  and  furtlier  elements" .  Vom  Sauerstoff'  specidl 
sagt  er :  „  On  tliis  view ,  the  real  fad  lohich  lay  hid  under  these 
pJienomena,  miglit  he  the  synthesis  of  the  oxygen  from  the  ultimate 
and  further  Clements  of  tvhich  the  oxygen  consisted." 

Meine  Erklärung  dagegen  führt  -die  Erscheinungen  ganz  be- 
stimmt auf  eine  einfache  Molecularconstitution  zurück,  indem  sie 
davon  ausgeht,  dass  die  Molecüle  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs 
zweiatomig  sind,  und  dass  die  Atome  das  Bestreben  haben,  sich, 
wenn  sie  frei  sind,  wieder  paarweise  zu  Molecülen  zu  vereinigen. 
Wenn  zwischen  zwei  Sauerstoffatomen  ein  electrischer  Gegensatz 


Ueber  den  Unterschied  zwischen  uctiveni  und  gewüluilicliem  Sauerstoff.     1G9 

bestellt,  so  wird  dadurch  ihre  Vereinigung  l^efordert;  aber  selbst 
wenn  dieser  Gegensatz  nicht  besteht,  so  ist  die  Tendenz  zur 
Vereinigung  doch  vorhanden ,  und  der  electrische  Gegensatz 
bildet  sich  dann  bei  der  Vereinigung  von  selbst.  Auf  diese  Weise 
erklärt  es  sich,  dass  die  Sauerstoffatome  einer  Verbindung  sich 
zwar  leichter  mit  den  Sauerstoffatomen  einer  anderen  Verbindung, 
welche  einen  anderen  electrischen  Zustand  haben ,  vereinigen, 
dass  aber  unter  geeigneten  Umständen,  z.  B.  bei  erhöhter  Tempe- 
ratur, auch  die  Sauerstoffatome  einer  einzelnen  Verbindung  aus 
dieser  austreten  und  sich  unter  einander  zu  Molecülen  vereinigen 
können,  und  dass  dadurch  Sauerstoff  von  derselben  Art  entstellt, 
wie  wenn  zwei  in  verschiedenen  Verbindungen  enthaltene  Sauer- 
stoftmengen  zusammentreten.  Brodie's  Ansicht,  nach  der  nur 
solche  Sauerstoffmengen,  welche  entgegengesetzte  chemische 
Polarität  haben,  sich  unter  einander  zu  verbinden  suchen,  lässt 
diesen  letzten  Vorgang  ganz  unerklärt,  und  auch  in  den  übrigen 
Vorgängen  bleibt  eine  grössere  Unbestimmtheit,  als  bei  meiner 
Erklärung. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  kann  ich  dasjenige,  was  ich  von 
meiner  in  der  früheren  Abhandlung  ausgesprochenen  Ansicht 
auch  jetzt,  nach  den  neueren  P]ntdeckungen,  noch  glaube  unver- 
ändert festhalten  zu  dürfen,  kurz  in  folgende  zwei  Sätze  zu- 
sammenfassen, von  denen  der  eine  dort  von  vornherein  den 
Hauptpunct  meiner  FJrklärung  bildete,  und  der  andere  im  Ver- 
laufe der  Auseinandersetzungen  als  ein  wahrscheinlicher  Satz 
mit  zu  Hülfe  genommen  wurde:  1)  GeivoJinlicJier  Sauerstoff  be- 
steht aus  gepaarten,  activer  Sauerstoff  aus  ungepaarten  ÄtoDieu'^). 
2)  Die  beiden  Atome,  tvelche  ein  Molecill  gewolinliclien  Sauerstoffs 
bilden,  befinden  sich  in  entgegengesetzten  electrischen  Zuständoi. 

Ich  gehe  nun  dazu  über,  die  beiden  Puncto  zu  besprechen, 
in  welchen  ich  glaube,  meine  ursprünglich  ausgesprochene  Ansicht 
ändern  zu  müssen. 

Zu  jener  Zeit  war,  wie  schon  erwähnt,  nichts  davon  bekannt, 
dass  es  ausser  dem  Ozon  noch  eine  zweite  Art  von  activem 
Sauerstoff  gebe,  und  vom  Ozon  wusste  man  noch  nicht,  dass  in 


^)  Unter  gepaarten  Atomen  verstehe  ich  hier  solche  Atome,  von  denen 
je  sivei  zu  einem  Molecüle  verbunden  sind,  und  unter  ungepaarten  Atomen 
solche,  die  sich  nicht  in  dieser  bestimmten  Verbindung  zu  je  ziceien  befinden 
und  die  leichter,  als  so  verbundene  Atome,  einzeln  in  Wirksamkeit  treten 
können.    (1866.) 


170  Anliaug. 

seinem  Verhalten  zu  dem  in  verschiedenen  Verhindungen  befind- 
lichen Sauerstofie  irgend  ein  Unterschied  der  Art  stattfinde,  wie 
in  dem  Verhalten  einer  Electricität  zu  der  gleichartigen  oder  zu 
der  entgegengesetzten  Electricität.  Ich  glaubte  es  daher  als 
eine  Thatsache  betrachten  zu  müssen,  dass  ein  solcher  Unter- 
schied nicht  bestehe.  Da  nun  einerseits  nach  meiner  Ansicht 
über  den  Zustand  der  gewöhnlichen  Sauerstoffmolecüle  voraus- 
zusetzen war,  dass  die  Atome  eines  Molecüls  im  Momente,  wo  sie 
sich  trennen,  entgegengesetzt  electrisch  seien;  da  ich  aber  anderer- 
seits es  für  eine  durch  Beobachtungen  festgestellte  Thatsache 
hielt,  dass  der  durch  diese  Trennung  entstandene  active  Sauer- 
stoff bei  seinem  weiteren  Fortbestehen  keine  Eigenschaften  be- 
sitze, welche  diesem  electrischen  Gegensatze  entsprechen,  so 
machte  ich  die  Annahme,  dass  der  electro- positive  oder  electro- 
negative  Zustand,  welchen  die  Atome  im  Momente  der  Trennung 
haben,  sich  nachher  verliere,  und  die  Atome  electrisch  neutral 
werden.  Man  wird  aber  zugestehen,  dass  diese  Annahme  nicht 
durch  die  meiner  Erklärung  zu  Grunde  liegende  Idee  nothwendig 
bedingt  war,  sondern  dass  es  nur  eine  Nebenannahme  ist,  die 
zu  Hülfe  genommen  werden  musste,  um  dem  damals  voraus- 
gesetzten Sachverhalte  zu  genügen.  Sie  kann  daher,  soweit  die 
verbesserten  Kenntnisse  über  den  Sachverhalt  es  erfordern ,  auf- 
gegeben und  abgeändert  werden,  ohne  dass  die  Grundidee  meiner 
Erklärung  davon  berührt  wird. 

Es  kommen  in  der  Chemie  häufig  Fälle  vor,  wo  eine  ge- 
gegebene Quantität  Sauerstoff  sich  vollständig  mit  einem  anderen 
Stoffe  verbindet,  und  zwar  so,  dass  alle  Atome  dieses  Sauerstoffs 
in  der  Verbindung  in  gleicher  Weise  enthalten  sind,  und  daher 
auch  alle  einen  und  denselben  electrischen  Zustand,  in  den  meisten 
Fällen  den  electro  -  negativen ,  haben  müssen.  Wenn  nun  der 
obigen  Annahme  gemäss  in  dem  Sauerstoff",  bevor  er  die  Ver- 
bindung mit  dem  anderen  Stoffe  eingeht,  die  Hälfte  der  Atome 
electro -positiv  und  die  andere  Hälfte  electro-negativ  ist,  so  muss 
beim  Entstehen  der  Verbindung  die  eine  Hälfte  der  Atome  ihren 
electrischen  Zustand  ändern.  Ebenso  kommen  umgekehrt  Fälle 
vor,  wo  Sauerstoff'  aus  einer  Verbindung  ausgeschieden  wird,  und 
wo  im  Momente  der  Ausscheidung,  wie  man  voraussetzen  darf, 
alle  Atome  gleichen  electrischen  Zustand  haben,  während  nachher, 
nachdem  der  frei  gewordene  Sauerstoff'  in  seinen  gewöhnlichen 
Zustand  übergegangen  ist,  die  Atome,  der  Annahme   nach,   zur 


lieber  den  Unterschied  zwischen  activem  und  gewölmlichem  Sauerstoff.     171 

Hälfte  positiv  und  zur  Hälfte  nei^ativ  sind.  Hiernach  darf  man  die 
elcctrische  Verschiedenheit  der  Sauerstoffatome  nicht  so  auffassen, 
als  ob  es  zwei  Arten  von  Sauerstofiatomen  gäbe,  von  denen  die 
einen  ein-  für  allemal  electro- positiv,  und  die  anderen  ein-  für 
allemal  electro-negativ  sind,  sondern  man  muss  die  Möglichkeit  des 
Ueberganges  aus  dem  einen  Zustande  in  den  andern  zugestehen. 

Darin  liegt  zugleich  die  Möglichkeit  ausgesprochen,  dass  die 
Atome,  wenigstens  momentan,  sich  auch  in  Zwischenzuständen 
befinden,  und  unter  andern  auch  unelectrisch  sein  können.  Ob 
aber  die  Uebergänge  immer  plötzlich  stattfinden,  oder  ob  die 
Atome  auch  in  jenen  Zwischenzuständen  für  längere  Zeit  ver- 
harren und  von  einem  zum  andern  allmälig  übergehen  können, 
ist  damit  noch  nicht  entschieden,  sondern  kann  nur  aus  Beob- 
achtungsdaten geschlossen  werden. 

Beim  Ozon  im  engeren  Sinne  sprechen  die  von  Schönbein  in 
neuerer  Zeit  beobachteten  Thatsachen  dafür,  dass  die  activen  Atome, 
welche  das  Ozon  bilden,  electro-negativ  sind,  und  diesen  electri- 
schen  Zustand  so  lange,  wie  das  Ozon  als  solches  besteht,  unveränder- 
lich beibehalten.  Wie  sich  das  Antozon  in  Bezug  auf  die  Bestän- 
digkeit seines  electrischen  Zustaudes  verhält,  lässt  sich  aus  den 
bisher  bekannten  Thatsachen  noch  nicht  mit  Sich-erheit  entnehmen. 

Der  zweite  Punct,  in  welchem  ich  glaube  meine  ursprünglich 
gegebene  Erklärung  etwas  ändern  zu  müssen,  hängt  mit  den 
Volumenänderungen  zusammen,  welche  der  Sauerstoff  dadurch 
erleidet,  dass  ein  Theil  desselben  aus  dem  gewöhnlichen  in  den 
activen  Zustand  oder  umgekehrt  übergeht. 

In  der  schon  citirten  Abhandlung  „über  die  Art  der  Bewe- 
gung, welche  wir  Wärme  nennen",  habe  ich  alle  Volumenverhält- 
nisse gasförmiger  Körper  auf  den  einen  Satz  zurückgeführt,  „dass 
bei  gleicher  Temperatur  die  einzelnen  Molecüle  aller  Gase  in 
Bezug  auf  ihre  fortschreitende  Bewegung  gleiche  lebendige  Kraft 
haben"  ^).  Wenn  dieser  Satz  richtig  ist,  so  müssen  von  allen  Gasen 
bei  gleicher  Temperatur  und  unter  gleichem  Drucke  in  gleichen 
Räumen  gleich  viele  Molecüle  sein.  Betrachtet  man  nun  eine 
gewisse  Menge  gewöhnlichen  Sauerstoffs,  so  sind  darin  meiner 
Ansicht  nach  die  Atome  paarweise  zu  Molecülen  verbunden.  Wer- 
den bei  der  Erregung  dieses  Sauerstoffs  eine  Anzahl  von  Mole- 
cülen in  ihre  Atome  zerlegt,  so  fragt  es  sich  nun,  wie  sich  diese 

1)  Oben  S.  22. 


172  Anhang. 

einzelnen  Atome  verhalten,  ob  sie  vereinzelt  bleiben  und  für 
sich  allein  ihre  Bewegungen  machen,  so  dass  jedes  dieser  Atome 
in  dem  Gase  die  Rolle  eines  Molecüls  spielt,  oder  ob  sie  irgend 
welche  andere  Verbindungen  eingehen. 

Ich  habe  bei  meiner  ersten  Erklärung  angenommen,  dass  die 
getrennten  Atome  vereinzelt  bleiben  und  Molecüle  für  sich  bil- 
den ,  so  dass  also  im  erregten  Sauerstoff  mehr  Molecüle  ent- 
halten seien,  als  in  derselben  Quantität  Sauerstoff  im  unerregten 
Zustande,  und  daraus  schloss  ich,  dass  der  Sauerstoff  im  erregten 
Zustande  ein  grösseres  Volumen  einnehme,  als  im  unerregten. 
Es  existirten  damals  freilich  schon  Versuche-  über  die  Dichtig- 
keit des  Ozon  von  Andrews  und  Taiti),  welche  das  jener  An- 
nahme widersprechende  Resultat  gegeben  hatten,  dass  ozonhaltiger 
Sauerstoff,  wenn  das  Ozon  in  gewöhnlichen  Sauerstoff  verwandelt 
wird,  dabei  an  Volumen  zunimmt;  diese  Versuche  standen  aber 
damals  noch  so  isolirt  da,  und  schienen  mir  wegen  ihrer  Schwie- 
rigkeit so  viele  mögliche  Fehlerquellen  zu  enthalten,  dass  ich, 
ohne  die  Geschicklichkeit  und  Sorgfalt  jener  Forscher  in  Zweifel 
zu  ziehen,  doch  glaubte,  meinen  Bedenken  an  der  Zuverlässig- 
keit des  Resultats  noch  Raum  geben  und  meine  Annahme  fest- 
halten zu  dürfen.- 

Seitdem  haben  dieselben  beiden  Forscher  ihre  Untersuchung 
des  Gegenstandes  fortgesetzt,  und  auch  von  Babo  und  Soret 
haben  Beobachtungen  darüber  angestellt.  Durch  diese  Unter- 
suchungen, bei  deren  Beschreibung  die  betreffenden  Autoren 
immer  nur  von  Ozon  und  nicht  von  zwei  Arten  von  activem 
Sauerstoff  sprechen,  hat  sich  jenes  früher  gefundene  Resultat, 
dass  ozonhaltiger  Sauerstoff  ein  geringeres  Volumen  einnimmt, 
als  dieselbe  Menge  Sauerstoff,  wenn  sie  sich  durchweg  im  ge- 
wöhnlichen Zustande  befindet,  vollkommen  bestätigt,  und  als 
specielles  Ergebniss  hat  sich  noch  herausgestellt,  dass  die  Diffe- 
renz zwischen  den  beiden  Volumen  gerade  so  gross  ist,  als  ob 
der  Theil  des  Sauerstoffs,  welcher  sich  im  Zustande  von  Ozon 
befindet,  gar  nicht  existirte. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  und  in  welcher  Weise  meine  Erklärung, 
dass  der  active  Sauerstoff  sich  vom  gewöhnlichen  dadurch  unter- 
scheidet, dass  er  aus  ungepaarten  Atomen  besteht,  mit  dieser  in 


1)  Proc  of  the  R.  Soc.  of  London,  Vol.  VIII,  p.  498,  und  Pogg.  Ann. 
l  CII,  S.  625. 


Ueber  den  UuterKcliied  zwischen  activem  und  gewöhnlichem   Rauerstoff.     173 

Bezug  auf  das  Volumen  gefundenen  Thatsache  in  Einklang  zu 
bringen  ist.  Man  muss  es  nach  diesen  Beobachtungen  als  aus- 
gemaclit  betrachten,  dass  die  ungepaarten  Atome,  aus  welchen 
das  Ozon  besteht,  nicht  vereinzelt  bleiben  und  Molecülc  für  sich 
bilden,  sondern  sich  irgendwie  an  die  Molecüle  des  umgebenden 
gewöhnlichen  Sauerstoffs  anschliessen ,  und  mit  ihnen  zusammen 
complicirtere  Molecüle  bilden.  Um  aber  dabei  doch  das  Wesent- 
liche meiner  Erklärung  aufrecht  zu  erhalten,  muss  man  über  die 
Constitution  der  so  entstandenen  complicirteren  Molecüle  be- 
stimmte Annahmen  machen. 

Man  muss  nämlich  zunächst  annehmen,  dass  die  complicir- 
teren Molecüle  nicht  aus  mehreren  Atompaaren  bestehen,  wie 
wenn  mehrere  gewöhnliche  Sauerstoffmolecüle  sich  unter  einander 
verbunden  hätten,  sondern  dass  die  Atome,  welche  den  activen 
Sauerstoff'  bilden,  als  uyigepaarte  Atome  in  den  Molecülen  enthal- 
ten sind.  Der  einfachste  Fall  der  Art  ist  der,  wenn  jedes  der 
complicirteren  Molecüle  aus  einem  Atompaare  und  einem  damit 
verbundenen  activen  Atome  besteht;  sollten  aber  mehrere  active 
Atome  in  ihm  vorkommen,  so  müssten  diese  sich  in  solchen 
Lagen  befinden,  dass  sie  keine  unter  sich  verbundenen  Paare 
bilden,  sondern  als  einzelne  Atome  an  dem  Molecüle  haften,  und 
als  solche  auch  von  ihm  ausgeschieden  werden  können.  Ferner 
muss  man,  um  die  starke  oxydirende  Wirkung  des  activen  Sauer- 
stoffs zu  erklären,  annehmen,  dass  es  leichter  ist,  jene  ungepaarten 
Atome  von  den  Molecülen  zu  trennen,  als  zwei  zu  einem  Paare 
verbundene  Atome  von  einander  zu  scheiden,  dass  also  im  Ver- 
hältnisse zu  der  Kraft,  mit  welcher  zwei  gepaarte  Atome  sich 
gegenseitig  festhalten,  die  ungepaarten  Atome  nur  lose  gebun- 
den sind. 

Hiernach  besteht  die  zweite  Aenderung,  welche  ich  glaube 
mit  meiner  Erklärung  vornehmen  zu  müssen,  einfach  darin,  dass 
ich,  anstatt  die  ungepaarten  Atome  als  vollkommen  frei  zu  be- 
trachten, nur  sage,  sie  können  möglicher  Weise  enhveder  frei  oder 
lose  gebunden  sein. 

Der  Fall,  wo  ein  Atom  an  irgend  ein  Molecül  lose  gebunden 
ist,  ist  von  dem,  wo  es  frei  ist,  in  chemischer  Beziehung  sehr 
wenig  verschieden,  und  es  hätte  um  so  näher  gelegen,  ihn  bei 
meiner  ersten  Erklärung  gleich  mit  ins  Auge  zu  fassen,  als  ich 
selbst  schon  den  in  reinem  Sauerstoff'  enthaltenen  activen  Sauer- 
stoff- mit  solchem  Sauerstoff  verglich,   der  in  Superoxyden   oder 


174  Anliaug. 

Oxyden  edler  Metalle  lose  gebunden  vorkommt.  Icli  muss  es 
daher  als  eine  Unachtsamkeit  eingestehen,  dass  ich  damals  auf 
den  Punct,  dass  die  Atome  ganz  frei  seien,  irgend  ein  Gewicht 
legte,  und  aus  diesem  Grunde  das  Resultat  der  ersten  Beobach- 
tungen von  Andrews  und  Tait  für  unwahrscheinlich  hielt,  und 
dass  ich  nicht  vielmehr  von  vornherein  jene  beiden  Fälle  als 
gleich  möglich  bezeichnete.  Wenn  man  die  Alternative  stellt, 
dass  die  ungepaarten  Atome  frei  oder  lose  gebunden  sein  kön- 
nen, so  umfasst  die  Erklärung  nicht  nur  den  in  reinem  Sauer- 
stoffe enthaltenen  activen  Sauerstoff'  und  den,  welcher  in  irgend 
einer  chemischen  Verbindung  in.  solcher  Weise  enthalten  ist,  dass 
er  leicht  in  andere  Verbindungen  übertritt,  und  insofern  activ 
genannt  werden  kann,  sondern  auch  den  Sauerstoff"  im  Status 
nascens. 

Ich  will  nun  noch  einige  Bemerkungen  darüber  machen,  wie 
man  sich,  meiner  Ansicht  nach,  die  in  reinem  Sauerstoffe  befind- 
lichen complicirteren  Molecüle,  welche  die  activen  Atome  ent- 
halten, etwa  constituirt  denken  kann.  Dabei  muss  ich  aber  aus- 
drücldich  hervorheben,  dass  ich  das,  was  hierüber  zu  sagen  ist, 
nicht  als  nothwendig  mit  zu  meiner  Erklärung  gehörig  betrachte, 
sondern  glaube,  dass  man  die  Erklärung,  soweit  sie  im  Vorigen 
enthalten  ist,  annehmen  kann,  selbst  wenn  man  über  die  Speciali- 
täten  der  Molecularconstitution  noch  verschiedener  Ansicht  sein 
sollte.  Ich  will  daher,  bevor  ich  zu  diesen  Bemerkungen  über- 
gehe, das  Wesentliche  meiner  Erklärung  in  der  den  neueren 
Entdeckungen  angepassten  Form  noch  einmal  kurz  zusammen- 
fassen : 

Die  Molecüle  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs  sind  zweiatomig^ 
und  enthalten  je  ein  electro -positives  und  ein  electro -negatives 
Atom.  Der  active  Sauerstoff  besteht  aus  ungepaarten  Atomen, 
ivclche  entivcder  frei  oder  lose  gebunden  sein  können,  und  je 
nachdem  diese  Atome  electro -negativ  oder  electro -positiv  sind, 
bilden  sie  Ozon  oder  Anioson. 

Alle  oben  genannten  Beobachter,  welche  gefunden  haben, 
dass  ozonhaltiger  Sauerstoff'  ein  kleineres  Volumen  einnimmt,  als 
gewöhnlicher,  sind  darüber  einig,  dass  im  ersteren  complicirtere 
Molecüle  vorkommen  müssen,  als  im  letzteren.  In  der  Tbat  ist 
dieses  auch,. wie  schon  gesagt,  als  ein  unmittelbares  Ergebniss 
jener  Beobachtungen  anzusehen,  sofern  man  den  Satz,  dass  das 
Volumen  eines  Gases  der  Anzahl   seiner  Molecüle  proportional 


■Uebev  den  Unterschied  zwischen   activem  und  j;ew;")hn]ieliem  RauerstnfiC.     175 

ist,  als  feststehend  betrachtet.  Uolier  die  Art,  wie  man  sich  die 
Zusammensetzung  der  Molecüle  zu  denken  habe,  sind  sie  al)er 
verschiedener  Ansicht. 

Andrews  und  Tait  knüpfen  ihre  Betrachtung  an  Versuche, 
welche  sie  mit  zusammengesetzten  Gasen,  besonders  mit  Stickstoff- 
oxyd und  Kohlenoxyd  angestellt  haben.     Als  sie  innerhall)  dieser 
Gase  dieselben  electrischen  Entladungen  stattfinden  Hessen,  durc-li 
welche   sie   die  Erregung   des   Sauerstoffs  bewirkt  hatten,  beob- 
achteten  sie  ebenso,  wie  bei  diesem,  Volumverringerung,  welche 
sie  daraus  erklären,  dass  die  Bestandtheile  der  betreffenden  Gase 
unter   dem   Einflüsse   der  Entladungen   theilweise  aus  ihren  bis- 
herigen Verbindungen  gelöst  und  in  andere  Verbindungen  über- 
geführt werden,  welche  ein  geringeres  Volumen  einnehmen.   Hier- 
von ausgehend  sprechen  sie  die  Vermuthung  aus,  dass  auch  der 
Sauerstoff  nicht,  wie  man  bis  jetzt  annimmt,  ein  einfacher,  son- 
dern ein   chemisch  zusammengesetzter  Stoff  sei,  dessen  Bestand- 
theile   sich-    ebenfalls    in    verschiedener    Weise    unter    einander 
verbinden  können.     Diese  Erklärungsweise,  welche  mit  der  Bro- 
dle'sehen    übereinstimmt,    weicht    von    den    sonst   verbreiteten 
Ansichten   so   sehr  ab,  dass  man,  wie  ich  glaube,  nur  dann  auf 
sie  eingehen  dürfte,  wenn  keine  andere  Erklärung  möglich  wäre. 
Von  Babo  schliesst  sich  einer  früher  von  WeltzienO  aus- 
gesprochenen  Ansicht  an,    welche   meiner  Erklärung   entgegen- 
gesetzt ist,  indem   sie   dahin  geht,  dass  der  gewöhnliche  Sauer- 
stoffe aus    einfachen    Atomen    und   das    Ozon    aus   zweiatomigen 
Molecülen  bestehe,  und  er  verspricht,  seine  Gründe  dafür  in  einer 
späteren  Abliandlung  zu  entwickeln  2).     Dieser  Ansicht  kann  ich 
in   keiner  Weise   beipflichten,    da   schon    die    Vergleichung    des 
Volumens  des  Sauerstoffs  mit  den  Volumen  seiner  Verbindungen 
mich,  ganz  unabhängig  vom  Ozon,  zu  der  Annahme  geführt  liatte, 
dass  der  Sauerstoff  aus  zweiatomigen  Molecülen  bestehen  müsse, 
und  ich  ferner  nicht  einsehe,  wie  sich  die  Wirkungen  des  Ozon 


1)  Ann.  der  Chem.  u.  Pharm.  Bd.  CXV,  S.  128. 

2)  Mit  Bezug  auf  die  Worte :  „und  er  verspricht ,  seine  Gründe  dafür 
in  einer  späteren  Abhandlung  zu  entwickeln"  sagt  Hr.  Weltzien  in  den 
Ann.  der  Chem.  und  Pharm.  Bd.  CXXXVIII,  S.  164,  dieses  sei  ein  Irrthum, 
indem  er  kein  solches  Versprechen  gegeben  habe.  Ich  denke  aber,  dass 
jeder,  der  meinen  Satz  mit  einiger  Aufmerksamkeit  liest,  erkennen  \\-ird. 
dass  jene  Worte  sich  gar  nicht  auf  Herrn  Weltzien,  sondern  auf  Herrn 
von  Babo  beziehen.    (1866.) 


176  Anhang. 

und  die  gegenseitige  Verbindung  von  Ozon  und  Antozon  zu 
gewöhnlichem^  Sauerstoff  erklären  sollen,  wenn  die  Molecüle  des 
Sauerstoffs  als  einatomig  vorausgesetzt  werden.  Ich  muss  natür- 
lich, bevor  ich  weiter  auf  die  Beurtheilung  dieser  Ansicht  ein- 
gehen kann,  abwarten,  welche  Gründe  von  Babo  für  dieselbe 
beibringen  wird. 

Soret  spricht  über  die  Art  der  Zusammensetzung  der  Mole- 
cüle keine  bestimmte  Ansicht  aus.  Er  erklärt  es  zuerst  als  ein 
Ergebniss  der  Beobachtungen,  dass  das  Ozon  Molecüle  von  mehr 
Atomen  haben  müsse,  als  der  gewöhnliche  Sauerstoff',  und  indem 
er  dann  anführt,  dass  eine  grosse  Anzalil  von  Chemikern  und 
Physikern  jetzt  annehmen,  dass  beim  gewöhnlichen  Sauerstoffe 
die  Molecüle  schon  zweiatomig  seien,  sagt  er,  dass  man  dieser 
Annahme  gemäss  den  Molecülen  des  Ozon  mehr  als  zwei  Atome 
zuschreiben  müsse.  Er  erörtert  dann  zunächst  als  Beispiel  den 
einfachsten  Fall,  dass  ein  Molecül  aus  drei  Atomen  bestehe,  und 
fährt  dann  foi-t:  „JZ  est  clair  que  rien  dans  les  faits  connus  ne 
prouve  que  Vosone  resuUe  du  groupement  de  S  atonies  plutot  que 
de  #,  5  etc.]  pour  determmer  ce  nonibre  ü  faudrait  connaUre  la 
densite  de  ce  corps.'-^  In  einer  Anmerkung  sagt  er,  da  nach  den 
Versuchen  von  Sainte-Claire  Deville  und  Troost  und  von 
Bin e au  die  Dichtigkeit  des  Schwefeldampfes  in  der  Nähe  des 
Siedepunctes  dreimal  so  gross  sei,  als  bei  sehr  hohen  Tempera- 
turen, so  existire  vielleicht  eine  Analogie  zwischen  diesen  beiden 
Zuständen  des  Schwefels  und  den  beiden  allotropen  Zuständen 
des  Sauerstoffs,  in  welchem  Falle  man  beim  Ozon  eine  solche 
Molecularconstitution  voraussetzen  müsse,  dass  seine  Dichtigkeit 
dreimal  so  gross  sei,  als  die  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs.  Hier- 
nach müssten  also,  wenn  die  gewöhnlichen  Sauerstoffmolecüle 
zweiatomig  sind,  beim  Ozon  die  Molecüle  sechsatomig  sein. 

Ich  glaube  nun,  dass  die  oben  angeführten,  aus  meiner  Er- 
klärung hervorgehenden  Bedingungen,  welche  die  in  erregtem 
Sauerstoffe  befindlichen  complicirteren  Molecüle  erfüllen  müssen, 
Anhaltspuncte  geben,  um,  wenn  auch  nicht  mit  Sicherheit  über 
die  Zusammensetzung  dieser  Molecüle  zu  entscheiden,  so  doch 
über  den  Grad  der  "Wahrscheinlichkeit  der  verschiedenen  mög- 
lichen Zusammensetzungsweisen  gewisse  Schlüsse  zu  ziehen.  Ich 
will  dabei  zunächst  das  Ozon  im  engeren  Sinne  betrachten,  wel- 
ches durch  sein  chemisches  und  physikalisches  Verhalten  schliessen 
lässt,   dass   es   aus  electro -negativen  Atomen  besteht.     Da  nun 


Ueber  den  Unterschied  zwischen  activem  und  gewöhnlichem  Sauerst,off      177 

nach  meiner  Erklärung  die  activen  Atome  als  ungepaarte  Atome 
in  den  betreffenden  Molecülen  enthalten  sein  müssen,  und  da 
sie  ferner  im  vorliegenden  Falle  gleiche  electrische  Zustände 
haben  müssen,  so  wird  es  aus  diesen  beiden  Gründen  viel  wahr- 
scheinlicher, dass  in  einem  Molecüle  nur  Ein  Ozoiiatom  enthal- 
ten ist,  als  dass  mehrere  solche  in  ihm  vorkommen.  Der  von 
Soret  beispielsweise  angeführte  Fall,  wo  die  complicirteren  Mole- 
cüle aus  drei  Atomen  bestehen,  scheint  mir  daher  mit  den  Fäl- 
len, wo  sie  aus  vier,  fünf  etc.  Atomen  bestehen,  nicht  bloss  gleich- 
berechtigt zu  sein,  sondern  sich  vor  ihnen  durch  eine  bei  Weitem 
grössere  Wahrscheinlichkeit  auszuzeichnen.  Was  den  anderen 
von  Soret  speciell  angeführten  Fall  betrifft,  in  welchem  die 
Molecüle  aus  sechs  Atomen  bestehen  müssten,  so  kann  ich  diesen 
von  meinem  Standpuncte  aus  nur  als  sehr  unwahrscheinlich  be- 
trachten 1). 


1)  (Die  nachfolgende  Anmerkung  ist,  während  diese  Abhandlung  in 
Pogg.  Ann.  gedruckt  wurde,  noch  als  Nachtrag  hinzugefügt.) 

Als  ich  diese  Abhandlung  schrieb ,  kannte  ich  die  Arbeit  von  Soret 
nur  aus  der  oben  citirten,  in  den  Comptes  rendus  der  Pariser  Academie 
enthaltenen  Note.  Seitdem  habe  ich  aus  einer  in  den  Archives  des  sciences 
phys.  et  nat.  (t.  XVIII)  und  in  den  Verhandlungen  des  naturhist.-med.  Ver- 
eins zu  Heidelberg  (Bd.  III)  erschienenen  vollständigeren  Abhandlung  [auch 
in  Pogg.  Ann.  Bd.  CXXI  abgedruckt]  einige  weitere  Aufschlüsse  über  So- 
ret's  Ansichten  erhalten,  indem  sich  in  dieser  Abhandlung  mehrere  nicht 
unwesentliche  Ergänzungen  befinden. 

Die  in  den  Compt.  rend.  stehende  Anmerkung,  in  welcher  davon  die 
Rede  ist,  dass,  nach  Analogie  der  beiden  Modificationen  des  Schwefel- 
dampfes, das  Ozon  möglicherweise  eine  dreimal  so  grosse  Dichtigkeit  haben 
könne  als  gewöhnlicher  Sauerstoff,  kommt  auch  hier  vor,  aber  mit  folgen- 
dem, dort  nicht  befindlichen  Schlusssatze :  „doch  macht  bis  jetzt  keine  That- 
sache,  soviel  ich  weiss,  diese  Analogie  wahrscheinlich."  —  In  einer  anderen 
Anmerkung,  welche  in  den  Compt.  rend.  fehlt,  wird  über  die  vonWeltzien 
aufgestellte  Hypothese  gesagt:  „Diese  Ansicht  stimmt  mit  dem  in  dieser 
Abhandlung  erwähnten  Versuche  überein,  aber  sie  scheint  nicht  zu  erklären, 
warum  Ozon  oxydirender  ist  als  Sauerstoff."  —  Die  in  den  Compt.  rend. 
nur  kurz  als  Beispiel  angeführte  Molecularconstitution ,  bei  welcher  ein 
Molecül  aus  drei  Atomen  besteht,  ist  hier  etwas  ausführlicher  bespi'ochen, 
und  es  sind  dabei  mehrere,  meiner  Ansicht  nach  sehr  treffende  Bemerkun- 
gen gemacht. 

Aus  diesen  in  der  Abhandlung  vorkommenden  Stellen  glaube  ich 
schliessen  zu  dürfen,  dass  Soret  auf  die  als  Beispiel  gewählte  Molecular- 
constitution ein  grösseres  Gewicht  legt,  als  es  nach  jener  abgekürzten  Note 
schien,  und  dass  somit  zwischen  den  Ansichten  dieses  geschickten  und  um 
die   Erforschung   der  Eigenschaften   des    Ozon   besonders   verdienten  Phy- 

Clausiiis,  mechan.  Wärmetheorie.    III.  JO 


178  Anhang. 

Wenn  man  annimmt,  dass  beim  Ozon  die  activen  Atome  sich 
mit  den  gewöhnlichen  SauerstolFmolecülen  zu  neuen  complicir- 
teren  Molecülen  verbunden  haben,  so  lässt  sich  daraus  auch  die 
Beständigkeit  des  Ozons,  wenn  es  bei  niederer  Temperatur  auf- 
bewahrt wird,  und  insbesondere  die  Beständigkeit  des  electro- 
negativen  Zustandes  der  activen  Atome  leichter  erklären,  als  bei 
der  Annahme,  dass  die  activen  Atome  vereinzelt  bleiben.  Wie 
nämlich  überhaupt  in  chemischen  Verbindungen  jedes  Atom  einen 
gewissen  electrischen  Zustand  hat,  welcher  nicht  willkürlich  und 
veränderlich  ist,  sondern  zu  den  Eigenthümlichkeiten  der  Ver- 
bindung gehört,  so  kann  man  dieses  auch  von  den  zu  einem 
Molecüle  vereinigten  Sauerstoffatomen  voraussetzen,  und  im  vor- 
liegenden Falle  annehmen,  dass  die  activen  Atome  als  electro- 
negative  in  den  Molecülen  enthalten  seien,  und  diesen  electrischen 
Zustand  so  lange  beibehalten  müssen,  wie  sie  sich  in  dieser  Ver- 
bindung befinden. 

Dabei  ist  es  nicht  nothwendig,  dass  der  ozonhaltige  Sauer- 
stofl"  im  Ganzen  eine  electroskopisch  wahrnehmbare  negativ-elec- 
trische  Spannung  zeige.  Man  kann  nämlich,  wie  man  es  ja  auch 
bei  anderen  chemisch  zusammengesetzten  Molecülen  thut,  anneh- 
men, dass  die  electrischen  Zustände  der  einzelnen  Atome  eines 
Mblecüls  in  solchen  Beziehungen  zu  einander  stehen ,  dass  das 
Molecül  im  Ganzen  unelectrisch  ist,  indem  nämlich  die  Mengen 
von  freier  positiver  oder  negativer  Electricität,  welche  die  einzel- 
nen Atome  eines  Molecüls  besitzen,  als  algebraische  Summe  ge- 
rade Null  geben. 

Ich  muss  nun  noch  vom  Antozon  sprechen. 

Meissner  hat  bei  seinen  Untersuchungen  über  den  Sauer- 
stoff Beobachtungen  gemacht,  aus  welchen  er  schliesst,  dass  bei 
der  Erregung  des  Sauerstoffs  durch  electrische  Induction  neben 
dem  Ozon  noch   ein  anderer  Stoff  entsteht,  welcher  eine  höchst 


sikers  und  den  meinigen  eine  mir  sehr  erfreuliche  Uebereinstimmung 
herrscht.  Auch  Soret  selbst  spricht  sich  am  Ende  der  Abhandlung  über 
die  Beziehung  zwischen  seiner  Annahme  und  meiner  früher  aufgestellten 
Theorie  dahin  aus,  dass  zu  meiner  Hypothese,  nach  welcher  das  Ozon  aus 
einzelnen,  nicht  paarweise  verbundenen  Atomen  besteht,  die  Annahme,  dass 
diese  einzelnen  Atome  sich  im  Augenblicke,  wo  sie  frei  werden,  gleich  mit 
den  unzerlegten  Sauerstoffmolecülen  verbinden,  hinzugefügt  werden  kann, 
ohne  dass  meine  Beweisführung  dadurch  erschüttert  wird,  und  dass  dann 
meine  Theorie  mit  der  von  ihm  auseinandergesetzten  übereinstimmt. 


Ueber  den  UDterschied  zAvisclien  activem  und  gewühnlichem  Sauerstoff.    179 

merkwürdige  Einwirkung  auf  den  Wasserdarapf  ausübt  und  da- 
durch seine  Existenz  verräth.  Durch  weitere  Verfolgung  des 
Gegenstandes  glaubt  er  sich  davon  überzeugt  zu  haben ,  dass 
dieser  Stoff  nichts  anderes  ist,  als  die  von  Schönbein  mit  dem 
Worte  Antozon  bezeichnete  Modification  des  Sauerstoffs. 

Das  Ergehniss,  dass  bei  der  Erregung  des  Sauerstoffs  durch 
electrische  Induction  gleichzeitig  mit  dem  Ozon  auch  Antozon 
gebildet  wird,  stimmt  sehr  gut  mit  meiner  Annahme  überein,  dass 
jedes  Molecül  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs  aus  zwei  entgegen- 
gesetzt electrischen  Atomen  besteht,  und  ich  möchte,  gegenüber 
der  etwas  veränderten  Art,  wie  Meissner  die  Sache  aufzufassen 
scheint,  dass  nämlich  die  Atome  erst  durch  die  electrische  Influenz 
die  entgegengesetzt  electrischen  Zustände  annehmen,  daran  fest- 
halten, dass  der  electrische  Gegensatz  zwischen  den  Atomen  jedes 
Molecüls  schon  im  Voraus  stattfindet,  wenn  derselbe  auch  durch 
die  Influenz  möglicher  Weise  noch  verstärkt  werden  kann.  In 
Bezug  auf  die  Trennung  der  beiden  Atome  stimme  ich  Meissner 
darin  bei,  dass  sie  sich  am  leichtesten  daraus  erklären  lässt,  dass 
ein  electrischer  Körper  auf  die  beiden  Atome  Kräfte  ausübt, 
welche  der  Richtung  nach  entgegengesetzt  sind. 

Au<ch  bei  anderen  Erregungsarten  des  Sauerstoffs  hat  Meiss- 
ner Beobachtungen  gemacht,  welche  den  vorher  erwähnten  ent- 
sprechen, und  ebenfalls  auf  die  Bildung  von  Antozon  schliessen 
lassen.  Es  fragt  sich  nun,  wie  das  Antozon,  sofern  es  in  reinem 
Sauerstoffe  vorkommt,  sich  darin  verhält. 

Nach  den  Beobachtungen  von  Meissner  ist  das  Antozon, 
selbst  in  trockenem  und  kaltem  Sauerstoff,  weniger  beständig, 
als  das  Ozon,  indem  es  nicht,  wie  dieses,  auf  unbestimmte  Zeit 
fortbesteht,  sondern  nach  und  nach  verschwindet,  d.  h.  sich  in 
gewöhnlichen  Sauerstoff  verwandelt.  Hieraus  muss  man  wohl 
schliessen,  dass  die  electro-positiven  Sauerstoffatome,  falls  sie  sich 
überhaupt  mit  den  Molecülen  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs  zu 
complicirteren  Molecülen  verbinden,  in  dieser  Verbindung  noch 
weniger  festgehalten  werden  als  die  electro-negativen.  Ueber  die 
Art  der  Molecularconstitution  in  antozonhaltigem  Sauerstoffe  eine 
bestimmte  Behauptung  aufzustellen,  welche  mehr  aussagte  als 
das,  was  sich  aus  meinen  obigen  Bedingungen  ergiebt,  die  erfüllt 
sein  müssen,  damit  die  betreflenden  Atome  als  activer  Sauerstott" 
wirken  können,  würde  mir  bei  den  unvollkommenen  Kenntnissen 

12* 


180  Anhang. 

von  den  physikalischen  Eigenschaften  des  antozonhaltigen  Sauer- 
stojä's  für  jetzt  zu  gewagt  erscheinen. 

Auch  darüber,  ob  die  Antozonatome  in  reinem  Sauerstoffe 
ihren  electro -positiven  Zustand  ebenso  unveränderlich  beibehal- 
ten, wie  in  chemischen  Verbindungen  mit  anderen  Stoffen,  z.  B. 
in  Wasserstoffsuperoxyd  und  Bariumsuperoxyd,  oder  ob  und  unter 
welchen  Umständen  sie  den  electro -positiven  Zustand  verlieren 
und  sich  dem  unelectrischen  nähern,  kann,  wie  ich  glaube,  aus 
den  bis  jetzt  bekannten  Thatsachen  noch  nicht  mit  Sicherheit 
entschieden  werden.  Diese  Frage  wird  wohl  im  Zusammenhange 
mit  der  vorher  erwähnten,  ob  die  Atome  des  Antozon  sich  auch, 
wie  diejenigen  des  Ozon,  mit  den  gewöhnlichen  Sauerstoffmole- 
cülen  zu  complicirteren  Molecülen  verbinden,  zu  behandeln  sein. 

Wenn  sich  in  reinem  Sauerstoffe  gleichzeitig  Ozon  und  Ant- 
ozon befindet,  so  kann  dadurch  möglicher  Weise  eine  eigenthüm- 
liche  Molecularconstitution  entstehen,  welche  von  denen,  die  statt- 
finden, wenn  nur  Ozon  oder  nur  Antozon  vorkommt,  verschieden  ist. 
Es  ist  nämlich  denkbar,  dass,  wenn  ein  ursprünglich  zweiatomiges 
Molecül  sich  mit  einem  electro -negativen  Atome  verbunden  hat, 
es  gerade  dadurch  geneigt  wird,  sich  nun  auch  noch  mit  einem 
electro -positiven  Atome  zu  verbinden,  und  dass  dadurch  vier- 
atomige  Molecüle  entstehen,  in  welchen  nur  zwei  Atome  An  Paar 
bilden.  Die  beiden  anderen  Atome  können  sich  in  solchen  Lagen 
befinden,  dass  sie  unter  sich  nicht  in  directe  Berührung  kommen, 
und  daher  keine  Gelegenheit  haben,  sich  zu  einem  Paare  zu  ver- 
einigen. In  diesem  Falle  würden  die  letzteren  Atome  den  oben 
für  activen  Sauerstoff  gestellten  Bedingungen  genügen,  dass  jedes 
wieder  als  einzelnes  Atom  von  dem  Molecüle  getrennt  werden 
kann,  und  zwar  mit  einer  Kraft,  die  geringer  ist  als  die,  welche 
nöthig  ist,  um  die  Atome  eines  Paares  von  einander  zu  trennen. 
Durch  eine  solche  Anordnung  der  Atome  liesse  sich  vielleicht 
die  von  Meissner  gemachte  Beobachtung  erklären,  dass  Ant- 
ozon in  trockenem  Sauerstoff  beständiger  ist,  wenn  sich  gleich- 
zeitig auch  Ozon  im  Sauerstoff  befindet,  als  wenn  das  Ozon 
nicht  zugegen  ist;  welches  Verhalten  auf  den  ersten  Blick  dem 
Satze,  dass  Ozon  und  Antozon  sich  unter  einander  zu  gewöhn- 
lichem Sauerstoö'  zu  verbinden  suchen,  zu  widersprechen  scheint. 


Abhandlunof     III. 


Zur   Geschichte   des   Ozon. 

(Pogg.  Ann.  Bd.  136,  S.  102  bis  105,  1869.) 

Iin  neuesten  Hefte  des  Repertoriums  für  Experimentalphysik 
von  Ph.  Carl  (Bd.  IV,  S.  251)  befindet  sich  ein  Aufsatz  mit  dem 
Titel  „Geschichte  des  Ozons",  welcher  aus  der  Zeitschrift  der 
österreichischen  Gesellschaft  für  Meteorologie  entnommen  ist, 
und  welcher  ursprünglich  aus  dem  englischen  Journale:  Tlie 
InteUedual  Ohserver  stammt.  Ein  Punct  dieses  Aufsatzes  nöthigt 
mich  zu  einer  kurzen  Bemerkung. 

Es  wird  dort  die  Erklärung  des  Ozon  in  folgender  Weise 
besprochen.  Nachdem  von  den  Versuchen  von  Andrews  und 
Tait  die  Rede  gewesen  ist,  nach  welchen  Sauerstoff,  der  Ozon 
enthält,  dasselbe  Volumen  einnimmt,  als  ob  das  Ozon  nicht  vor- 
handen wäre,  und  dabei  gesagt  ist,  dass  dieses  Resultat  seine 
Entdecker  in  Erstaunen  und  Verlegenheit  gesetzt  habe,  heisst  es 
weiter:  „Bald  indess  ergoss  sich  neues  Licht  über  dasselbe.  Die 
Experimente  waren  zu  schlagend  und  dabei  zu  sorgfältig  vor- 
genommen worden,  um  lange  unfruchtbar  zu  bleiben,  und  gerade 
die  Absurdität,  welche  sie  in  sich  zu  schliessen  scheinen,  brachten 
den  scharfsinnigen  Geist  Dr.  Odling's  auf  eine  einfache  Lösung 
des  Problems." 

Diese  Lösung  des  Problems,  welche  dann  angeführt,  und 
welche  Odling's  Ozon -Theorie  genannt  wird,  besteht  darin, 
dass  gewöhnliche  Sauerstoffmolecüle  zwei  Atome  enthalten,  dass 
dagegen  beim  Ozon  die  Molecüle  aus  drei  Atomen  bestehen,  und 
dass   die   oxydirende  Kraft   des  Ozon  von   der  Leichtigkeit   her- 


182  Anhang. 

rührt,  womit  jedes  dieser  Molecüle  sein  drittes  Sanerstoifatom 
verliert. 

In  einem,  schon  im  Jahre  1858  erschienenen  Aufsatze  „über 
die  Natur  des  Ozon"  ^)  habe  ich  eine  Erklärung  vom  Ozon  ge- 
geben, welche  den  einige  Zeit  vorher  von  mir  gezogenen  Schluss, 
dass  die  Molecüle  des  gewöhnlichen  Sauerstoffs  aus  je  zwei 
Atomen  bestehen  müssen,  zum  Ausgangspuncte  hatte.  Diese  Er- 
klärung bestand  darin,  dass  beim  Ozon  die  Sauerstoffatome  aus 
jener  Verbindung  zu  je  zweien  gelöst  sind,  und  dass  die  starke 
oxydirende  Wirkung  des  Ozon  darauf  beruht,  dass  die  aus  ihrer 
Verbindung  zu  je  zweien  gelösten  Atome  sich  leichter  mit  an- 
deren Stoffen  vereinigen  können,  als  solche  Atome,  die  noch  erst 
aus  jener  Verbindung  gelöst  werden  müssen,  bevor  sie  in  andere 
Verbindungen  eintreten  können.  Zugleich  habe  ich  die  gerade 
damals  zum  ersten  Male  beobachtete  desoxydirende  Wirkung  des 
Ozon  daraus  erklärt,  dass  Atome,  welche  aus  jener  Verbindung 
zu  je  zweien  gelöst  sind,  sich  wieder  mit  anderen  Sauerstoff- 
atomen zu  zweiatomigen  Molecülen   zu  verbinden   streben. 

Nur  darin  wich  meine  erste  Erklärung  von  der  jetzt  adoptir- 
ten  Erklärungsweise  ab,  dass  ich  damals,  wo  die  Volumbestimmun- 
gen des  Ozon  noch  nicht  so  zuverlässig  und  vollständig  waren,  wie 
jetzt,  glaubte,  die  aus  der  Verbindung  zu  je  zweien  gelösten 
Atome  blieben  ganz  frei,  während  man  aus  den  neueren  Volum- 
bestimmungen von  Andrews  und  Tait,  sowie  aus  denen  von 
V.  B  a  b  o  und  von  S  o  r  e  t  schliessen  muss ,  dass  die  Atome, 
welche  aus  ihrer  Verbindung  zu  je  zweien  gelöst  sind,  sich  an 
die  Molecüle  des  umgebenden  Sauerstoffs  in  loser  Weise  an- 
schliessen,  und  mit  ihnen  zusammen  dreiatomige  Molecüle  bil- 
den. Solche  lose  gebundenen  Atome  können  beinahe  ebenso 
wirken,  wie  freie  Atome,  und  man  wird  daher  zugeben,  dass  die 
Annahme  von  dreiatomigen  Molecülen,  welche  ihr  drittes  Atom 
leicht  abgeben ,  nicht  als  eine  ganz  neue  Theorie  zu  betrachten 
ist,  sondern  nur  eine  geringe  Modification  meiner  ursprünglichen 
Theorie  bildet. 

Was  nun  die  Entstehung  dieser  Modification  anbetrifft,  so 
habe  ich  selbst  im  Jahre  1863,  sobald  ich  von  den  damals  aus- 
geführten schönen  Untersuchungen  von  Sorot  über  das  Volumen 


1)  Pogg.  Ann.  103,  644  und  Abhandlungen -Sammlung  Kd.  II,  S.  327; 
vergl.  oben  S.  157. 


Zu  r  Geschichte  des  Ozon.  183 

des  Ozon  die  erste  Kenntniss  aus  einer  in  den  Comptes  rendus 
erschienenen  Notiz  erhielt,  sofort  diese  Modification  als  nothwen- 
dig  hingestellt  i).  Als  ich  dann  später  durch  die  Güte  des  Herrn 
Soret  seine  vollständige  Abhandlung  2)  erhielt,  fand  ich,  dass 
auch  er  schon  die  Möglichkeit  von  dreiatomigen  Molecülen  im 
Ozon  weitläufig  besprochen  hatte,  wenn  er  sich  auch  über  den 
Grad  ihrer  Wahrscheinlichkeit  gegenüber  von  anders  zusammen- 
gesetzten Molecülen  noch  etwas  reservirt  geäussert  hatte.  Soret 
hatte  dabei  in  der  loyalsten  Weise  anerkannt,  dass  durch  diese 
neue  Ansicht  meine  Theorie  nicht  umgestossen,  sondern  nur  leicht 
modificirt  werde,  indem  der  Schluss  seiner  Abhandlung  wörtlich 
lautet:  „Zum  Schlüsse  will  ich  noch  einige  Worte  über  die 
Theorie  von  Clausius  sagen.  Indem  dieser  von  der  Annahme 
ausgeht,  dass  ein  Sauerstoffmolecül  aus  zwei  Atomen  besteht, 
erklärt  er  die  Bildung  des  Ozons  durch  die  Trennung  dieser 
Atome;  auf  diese  Art  würde  das  Ozon  aus  freien  isolirten  Atomen 
gebildet.  Wir  haben  gesehen,  und  Clausius  hat  es  selbst  gesagt, 
dass  dieser  letztere  Punct  mit  den  von  Andrews  und  Tait 
entdeckten  Phänomenen  nicht  übereinstimmt.  Doch  um  die  Hypo- 
these von  Clausius  mit  den  Thatsachen  in  Uebereinstimmung 
zu  bringen,  genügt  es,  hinzuzufügen,  dass  jene  Atome  im  Augen- 
blick, wo  sie  frei  werden,  sich  gleich  mit  den  unzersetzten  Sauer- 
stoffmolecülen  verbinden.  Die  Beweisführung  von  Clausius 
scheint  dadurch  nicht  erschüttert  zu  werden,  und  seine  Theorie 
stimmt  dann  mit  derjenigen,  welche  wir  auseinandergesetzt  haben." 
Es  ist  mir  unbekannt,  wo  und  zu  welcher  Zeit  die  Abhand- 
lung erschienen  ist,  in  welcher  auch  Odling  die  Ansicht  von 
den  dreiatomigen  Molecülen  ausgesprochen  hat.  Nur  wenn  die- 
selbe vor  den  zuletzt  erwähnten,  im  Jahre  1863  publicirten  Ab- 
handlungen von  Soret  und  mir  erschienen  ist,  kann  darauf  ein 
Prioritätsanspruch  gegründet  werden,  und  auch  in  diesem  Falle 
kann  sich  dem  Obigen  nach  die  Priorität  nur  auf  die  Modification 
meiner  Theorie  und  nicht  auf  die  ganze  Theorie  beziehen. 


1)  Vierteljahrsschrift  der  Züricher  naturf.  Gesellschaft  für  1863.  Pogg. 
Ann.  121,  250;  Abhandlungen -Sammlung  Bd.  II,  S.  335;  vergl.  oben  S.  164. 

^)  Archives  des  sciences  phys.  et  nat.  t.  XVIII;  Verhandlungen  des 
naturhist.-med.  Vereins  zu  Heidelberg,  Bd.  III;  Pogg.  Ann.  131,  268. 


Abhandluns:    lY. 


Ueber  das  Verhalten  der  Kohlensäure  in  Bezug  auf 
Druck,  Volumen  und  Temperatur. 

(Vorgetragen  auf  der  52.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 
am  19.  Sept.  1879.     Wiedemann's  Ann.  9,  1880,  S.  337  bis  357.) 

Die  Gase  folgen  bekanntlich  in  Bezug  auf  Druck,  Volumen 
und  Temperatur  mit  einer  gewissen  Annäherung  dem  Mariotte'- 
schen  und  dem  Gay-Lussac'schen  Gesetze,  welche  sich  gemein- 
sam durch  folgende  Gleichung  ausdrücken  lassen,  worin  p  den 
Druck,  V  das  Volumen  und  T  die  absolute  Temperatur  darstellt, 
und  R  eine  von  der  Natur  des  Gases  abhängige  Constante  ist: 
(1)  pv  =  BT. 

Die  Annäherung  an  diese  Gesetze  ist  um  so  grösser,  je  weiter 
das  betreffende  Gas  von  seinem  Condensationspuncte  entfernt  ist. 
Bei  den  Gasen,  welche  unter  gewöhnlichen  Umständen  so  weit 
von  ihrem  Condensationspuncte  entfernt  sind,  dass  man  bis  vor 
Kurzem  ihre  Condensation  nicht  hatte  bewirken  können ,  und 
welche  man  daher  permanente  Gase  nannte,  ist  die  Annäherung 
so  gross,  dass  man  lange  Zeit  geglaubt  hat,  sie  folgten  diesen 
Gesetzen  wirklich  genau,  bis  zuerst  Regnault  durch  seine  be- 
kannten ausgezeichneten  Untersuchungen  i)  kleine  Abweichungen 
nachwies.  Etwas  später  zeigte  Natterer  2j,  dass  man  bei  An- 
wendung sehr  grosser  Druckkräfte  sehr  bedeutende  Abweichungen 


1)  Regnault,  Mem.  de  l'Acad.  des  sciences  21,  1847. 

2)  Natterer,    Wien.    Ber.    5,   S.   351,    1850;    6,  S.  557,   1851   und  12, 
S.  199,  1854. 


Ueber  das  Verhalten  der  Kolilensäure  etc.  185 

vom  Mariotte' seilen  Gesetze  erhält,  und  zwar  waren  die  von 
ihm  beobachteten  Abweichungen  anderer  Art,  als  die  von  Reg- 
nault  gefundenen.  Während  nämlich  Regnault  bei  allen  von 
ihm  untersuchten  Gasen,  mit  Ausnahme  des  Wasserstoffs,  gefun- 
den hatte,  dass  der  Druck  langsamer  zunimmt  als  die  Dichtig- 
keit, stellte  sich  bei  den  Versuchen  von  Natterer  heraus, 
dass  bei  sehr  grossem  Drucke  die  Sache  sich  umkehrt,  und 
der  Druck  schneller  zunimmt,  als  die  Dichtigkeit.  Bei  atmo- 
sphärischer Luft,  Stickstoff  und  Kohlen  oxydgas  erreichte  der 
Druck  schon  eine  Grösse  von  etwa  3000  Atmosphären,  als  die 
Dichtigkeit  erst  die  700-  bis  800  fache  der  unter  dem  Drucke 
von  einer  Atmosphäre   stattfindenden  Dichtigkeit  geworden  war. 

Ueber  die  Gründe,  auf  welchen  diese  Abweichungen  der 
Gase  vom  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze 
beruhen,  sprach  ich  mich  in  meiner  1857  veröffentlichten  Ab- 
handlung „Ueber  die  Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nen- 
nen", folgendermaassen  aus^): 

„Damit  das  Mariotte'sche  und  Gay-Lussac'sche  Gesetz 
und  die  mit  ihm  in  Verbindung  stehenden  Gesetze  streng  gültig 
seien,  muss  das  Gas  in  Bezug  auf  seinen  Molecularzustand  fol- 
genden Bedingungen  genügen: 

1)  Der  Raum,  welchen  die  Molecüle  des  Gases  wirklich  aus- 
füllen, muss  gegen  den  ganzen  Raum,  welchen  das  Gas  einnimmt, 
verschwindend  klein  sein. 

2)  Die  Zeit  eines  Stosses,  d.  h.  die  Zeit,  welche  ein  Molecül, 
indem  es  gegen  ein  anderes  Molecül  oder  gegen  eine  feste  Wand 
stösst,  bedarf,  um  seine  Bewegung  in  der  Weise  zu  ändern,  wie 
es  durch  den  Stoss  geschieht,  muss  gegen  die  Zeit,  welche  zwischen 
zwei  Stössen  vergeht,  verschwindend  klein  sein. 

3)  Der  Einfluss  der  Molecularkräfte  muss  verschwindend 
klein  sein.  Hierin  liegt  zweierlei.  Zunächst  wird  gefordert,  dass 
die  Kraft,  mit  welcher  die  sämmtlichen  Molecüle  sich  in  ihren 
mittleren  Entfernungen  noch  gegenseitig  anziehen,  gegen  die  aus 
der  Bewegung  entstehende  Expansivkraft  verschwindet.  Nun  be- 
finden sich  aber  die  Molecüle  nicht  immer  in  ihren  mittleren 
Entfernungen  von  einander,  sondern  bei  der  Bewegung  kommt 
oft  ein  Molecül  in  unmittelbare  Nähe  eines   andern   oder   einer 


1)  Pogg.  Ann.  100,  S.  358,  1857,  und  Abhandluugensammlung  2,  S.  235; 
vergl,  oben  Abschnitt  I,  S.  9. 


186  Anhang. 

ebenfalls  aus  wirksamen  Molecülen  bestehenden  festen  Wand, 
und  in  solchen  Momenten  treten  natürlich  die  Molecularkräfte 
in  Thätigkeit.  Die  zweite  Forderung  besteht  daher  darin,  dass 
die  Theile  des  von  einem  Molecüle  beschriebenen  Weges,  auf 
welchen  diese  Kräfte  von  Einfluss  sind,  indem  sie  die  Bewegung 
des  Molecüls  in  Richtung  und  Geschwindigkeit  merklich  ändern, 
gegen  die  Theile  des  Weges,  auf  welchen  die  Kräfte  als  unwirk- 
sam betrachtet  werden  können,  verschwinden. 

Wenn  diese  Bedingungen  nicht  erfüllt  sind,  so  treten  nach 
verschiedenen  Richtungen  hin  Abweichungen  von  den  einfachen 
Gesetzen  der  Gase  ein,  welche  um  so  bedeutender  werden,  je 
weniger  der  Molecularzustand  des  Gases  diesen  Bedingungen  ent- 
spricht." 

Die  in  dieser  Stelle  erwähnten,  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen hin  eintretenden  Abweichungen  müssen  sich ,  sofern  man 
bei  gegebener  Temperatur  und  gegebenem  Volumen  den  Druck 
betrachtet,  darin  äussern,  dass  dieser  entweder  grösser  oder 
kleiner  ist,  als  er,  wenn  man  vom  sehr  verdünnten  Zustande  des 
Gases  ausgeht,  nach  dem  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'- 
schen  Gesetze  sein  sollte.  Der  oben  unter  1)  angeführte,  von 
den  Molecülen  wirklich  ausgefüllte  Raum  bedingt  eine  Vermeh- 
rung des  Druckes,  indem  durch  ihn  bei  einem  gegebenen  Volumen 
des  Gases  der  für  die  Bewegung  der  Molecüle  freie  Raum  ver- 
kleinert und  demgemäss  die  Anzahl  der  Stösse  vergrössert  wird. 
Die  unter  3)  angeführten  Molecularkräfte  bewirken  beim  Vor- 
herrschen der  Anziehung  eine  Verminderung  des  Druckes.  Der 
unter  2)  angeführte  Umstand,  nämlich  die  während  eines  Stosses 
vergehende  Zeit,  hat  eine  complicirtere  Wirkung,  indem  beim 
Gegeneinanderfliegen  zweier  Molecüle  zunächst  eine  Beschleuni- 
gung und  darauf  erst  die  Verzögerung  und  Umkehrung  der  Be- 
wegung eintritt.  Man  kann  daher  bei  der  auf  die  Gesammt- 
wirkung  gerichteten  Betrachtung  die  Wirkung  dieses  Um  Standes 
theils  der  des  ersten,  theils  der  des  letzten  Umstandes  an- 
schliessen. 

Von  den  beiden  entgegengesetzten  Wirkungen  der  Druck- 
vermehrung und  Druckverminderung  kann  je  nach  Umständen 
die  eine  oder  die  andere  überwiegen.  Die  oben  angeführten  Ver- 
suche von  Regnault  und  Natterer  ergeben  beim  Wasserstoff 
durchweg  ein  Ueberwiegen  der  Druckvermehrung,  während  sie 
bei   den   anderen    Gasen    erkennen   lassen,   dass    bei  geringeren 


Ueber  das  Verliallen  der  Kohlensäure  etc.  187 

Dichtigkeiten  die  Druckvermiiiclerung  und  hei  grösseren  Dich- 
tigkeiten die  Driickvermehrung  üherwiegt. 

Noch  coraplicirter  wird  das  Verhalten  eines  Stoffes,  wenn  er 
bei  der  Verdichtung  nicht  immer  gasförmig  bleibt,  sondern  seinen 
Aggregatzustand  ändert,  indem  er  flüssig  wird. 

Ueber  den  Zusammenhang  dieses  Vorganges  mit  den  vorher 
besprochenen  Vorgängen  sind  in  neuerer  Zeit  sehr  schöne  Ver- 
suche von  Andrews  angestellt,  indem  er  Kohlensäure  bei  ver- 
schiedenen Temperaturen  starken  Verdichtungen  unterwarf  und 
die  dabei  stattfindende  Druckzunahme  beobachtete  i).  Er  fand 
dabei,  dass  ein  wesentlicher  Unterschied  im  Verhalten  der  Kohlen- 
säure stattfindet,  je  nachdem  die  Temperatur  über  oder  unter 
31"  liegt.  Ueber  SP  zeigen  sich  nur  die  oben  erwähnten  Ab- 
weichungen vom  Mariotte'schen  und  Gay-Lussac'schen  Ge- 
setze, unter  3P  aber  tritt  bei  einem  gewissen  Drucke  die  Con- 
densation  ein. 

Andrews  hat  die  von  ihm  beobachteten  Beziehungen  zwischen 
Druck  und  Volumen  durch  Curven  dargestellt,  Avelche  Druck 
und  Volumen  als  Abscissen  und  Ordinaten  haben.  Die  auf  Tem- 
peraturen über  31"  bezüglichen  Curven  zeigen  einen  stetigen 
Verlauf;  die  auf  Temperaturen  unter  31"  bezüglichen  dagegen 
sind  gebrochen,  indem  bei  abnehmendem  Volumen  anfänglich 
der  Druck  wächst,  von  einem  gewissen  Volumen  an  aber,  bei 
welchem  die  Condensation  beginnt,  die  folgende  Volumenabnahme 
ohne  Druckzunahme  stattfindet,  und  erst  bei  einem  viel  kleine- 
ren Volumen,  bei  dem  die  ganze  Masse  flüssig  ist,  der  Druck 
wieder  mit  abnehmendem  Volumen  zu  wachsen  beginnt,  welches 
Wachsen  dann  sehr  schnell  geschieht.  Der  Theil  der  Curve, 
welcher  dem  üondensationsvorgange  entspricht,  ist  eine  gerade 
Linie,  mit  welcher  die  stetig  gekrümmten  Theile  an  beiden  En- 
den zusammentreffen.  Eine  kleine,  an  dem  einen  Ende  der 
Geraden  von  Andrews  gezeichnete  Krümmung  scheint  auf  etwas 
Luftbeimischung  zu  beruhen  und  kann  daher  hier  unberücksich- 
tigt bleiben. 

Zwei  Jahre  später  2)  hat  James  Thomson,  dessen  sinn- 
reiche Betrachtungen  schon  so  viel  zur  Erweiterung  der  mecha- 
nischen und  physikalischen  Wissenschaft  beigetragen  haben,  die 


1)  Andrews,  Phil.  Trans,  for  1869,  p.  575. 

2)  Proc.  of  Koy.  Soc.  of  London,  Nov.  1871. 


188 


Anhang. 


Curven  von  Andrews  dadurch  ergänzt,  dass  er  an  den  Stellen, 
wo  sich  dort  eine  gerade  Linie  befindet,  eine  gekrümmte  Linie 
hinzugefügt  hat,  die  sich  an  die  beiden  gekrümmten  Theile  der 
von  Andrews  gegebenen  Curve  in  stetiger  Weise  anschliesst  und 
einen  allmählichen  Uebergang  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen 
Zustand  darstellt,  bei  welchem  stets  die  ganze  Menge  des  Stoffes 
sich  in  gleichem  Zustande  befindet,  eine  Art  des  Ueberganges, 
welche  theoretisch  denkbar  ist,  aber  in  der  Wirklichkeit  deshalb 
nicht  vorkommen  kann,  weil  sie  Zwischenzustände  enthält,  in 
denen  kein  stabiles,  sondern  nur  ein  labiles  Gleichgewicht  besteht. 
In  nachfolgender  Abbildung  ist  die  von  Andrews  gegebene 
Figur  mit  den  von  J.  Thomson  hinzugefügten,  punctirt  gezeich- 

Fig.  3. 

90t 


85 
80 
75 
70 
65 
60 
55 
50 
45 


'■--l)-''' 


neten  Ergänzungscurven  wiedergegeben.  Nur  ist  ■  das  äussere 
Arrangement  der  Figur  in  einer  zuerst  von  Maxwell  in  Anwen- 
dung gebrachten  Weise  geändert.  Andrews  hat  nämlich  in 
seiner  Figur  den  Druck  durch  die  Abscissen  und  das  Volumen 
durch  die  Ordinaten  dargestellt.  Nun  ist  es  aber  in  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  Brauch,  das  Volumen  durch  die  Abscissen 
und  den  Druck  durch  die  Ordinaten  darzustellen,  und  diesem 
Brauche  gemäss  ist  die  Figur  umgezeichnet. 

In    den   zu  den.  Temperaturen    13,lo    und   21,5o  gehörenden 
Curven  sind  ae  und //c  die  oben  erwähnten,  dem  Condensations- 


Ueber  das  Verhalten  der  Kohlensäure  etc.  189 

vorgange  entsprechenden  geraden  Linien,  welclie  J.  Thomson 
durch  die  punctirt  gezeichneten  gekrümmten  Linien  ahcde  und 
fghili  ersetzt  hat. 

J.  Thomson  hat  seinen  Schluss  über  die  Gestalt  dieser 
Linien  nur  aus  der  Gestalt  der  zu  den  höheren  Temperaturen 
gehörenden  Curven  von  Andrews  gezogen,  indem  er  verfolgte, 
wie  diese  letzteren  sich  bei  der  Annäherung  an  die  Temperatur 
von  310  allmälig  ändern,  und  dann  dieselbe  Art  der  Aenderung 
auch  unter  31°  fortsetzte.  Auf  eine  Untersuchung  der  Gründe 
für  diese  eigenthümliche  Gestaltung  der  Druckcurven  und  auf 
die  Bildung  eines  ihnen  entsprechenden  mathematischen  Aus- 
druckes ist  er  nicht  eingegangen. 

Was  diesen  letzteren  Punct,  nämlich  die  mathematische  Be- 
handlung des  Gegenstandes  anbetrifi't,  so  sind  theils  vor,  theils 
nach  der  von  Andrews  ausgeführten  experimentellen  Unter- 
suchung von  verschiedenen  Autoren  Versuche  gemacht,  die  Ab- 
weichungen der  Gase  vom  Mariotte' sehen  und  Gay-Lussac'- 
schen  Gesetze  durch  eine  Gleichung  auszudrücken. 

Rankine  1)  hat  an  Stelle  von  (1)  eine  Gleichung  aufgestellt, 
mit  welcher  auch  eine  von  W.  Thomson  und  Joule-)  aus  ihren 
Versuchen  über  die  bei  der  Ausdehnung  von  Gasen  stattfindenden 
Temperaturänderungen  abgeleitete  Gleichung  sehr  nahe  über- 
einstimmt, und  welche  sich  in  ihrer  einfachsten  Form  so  schreiben 
lässt: 

(2)  j,^=RT-^, 

worin  c  ebenso,  wie  B,  eine  Constante  bedeutet. 

Hirn  3)  hat  mit  der  Gleichung  (1)  eine  Umbildung  vorge- 
nommen, bei  welcher  die  beiden  oben  erwähnten  Umstände, 
welche  vorzugsweise  die  Abweichung  der  Gase  vom  Mariott e'- 
schen  und  Gay-Lussac' sehen  Gesetze  veranlassen,  nämlich  das 
Volumen  der  Molecüle  und  ihre  gegenseitige  Anziehung  durch 
Einführung  besonderer  Grössen  zur  Geltung  gebracht  sind.  Die 
von  ihm  gebildete  Gleichung,  welche  nicht  nur  auf  Gase,  sondern 
auch  auf  Körper  von  anderen  Aggregatzuständen  anwendbar  sein 
soll,  lautet: 

1)  Siehe  Phil.  Traus.  for  1854,  p.  336. 

2)  Thomson  u.  Joule,  Phil.  Trans.  1862,  p.  579. 

3)  Hirn,   Theorie   mecanique   de   la  chaleur,   seconde  edition  1865,  1, 
p.  195;  troisieme  edition  3,  p.  211,  1876. 


190  Anhang. 

(3)  (pJ^r)iv  —  tp)  =  R  T. 

Hierin  bedeutet  t^  „la  somme  de  volumes  des  atomes"  und  r 
„la  somme  des  actions  internes",  welche  letztere  Grösse  er  auch 
„la  pression  interne"  nennt.  Bei  der  weiteren  Behandlung  dieser 
Gleichung,  durch  welche  Hirn  die  Grössen  i^  und  r  zu  bestim- 
men sucht,  macht  er  Sclilüsse,  welche  mir  nicht  gerechtfertigt  zu 
sein  scheinen,  und  deren  Resultat  daher  auch  meiner  Ansicht 
nach  der  Wirklichkeit  nicht  entspricht. 

Recknagel  hat  in  einer  1871  erschienenen  und  1872  noch 
vervollständigten  Abhandlung  i)  an  Stelle  von  (1)  eine  Gleichung 
gebildet,  welche  äusserlich  mit  der  von  Rankine  aufgestellten 
Gleichung  übereinstimmt.     Sie  hat  die  Form: 

(4)  ^,  =  Et(i-^^ 

worin  Jl  eine  Constante  und  Bt  eine  Temperaturfunction  bedeutet. 
Diese  letztere  hat  Recknagel  anders  bestimmt  als  Rankine, 
indem  sie  nach  ihm  der  absoluten  Temperatur  direct  und  dem 
dieser  Temperatur  entsprechenden  Drucke  des  gesättigten  Dampfes 
des  gegebenen  Stoffes  umgekehrt  proportional  sein  soll. 

J.  D.  van  der  Waals  hat  in  einer  nach  der  Veröffent- 
lichung der  oben  citirten  Versuche  von  Andrews  erschienenen, 
sehr  interessanten  Schrift  2)  an  Stelle  von  (1)  eine  Gleichung 
gebildet,  in  welcher,  wie  bei  Hirn,  die  beiden  Umstände,  der 
von  den  Molecülen  erfüllte  Raum  und  die  gegenseitige  Anziehung 
der  Molecüle,  berücksichtigt  sind,  und  welche  folgende  Form  hat: 

(5)  (^,j^^y^-j,)  =  RT, 

oder  nach  ji?  aufgelöst: 

(5  a)  p  =  E  j- -, 

worin  B,  a  und  h  Constante  sein  sollen.  Die  Werthe  dieser  Con- 
stanten hat  van  der  Waals  für  Kohlensäure  folgendermaassen 
bestimmt  3),  wobei  als  Einheit  des  Druckes  eine  Atmosphäre  und 
als  Einheit  des   Volumens   dasjenige   Volumen   angenommen   ist. 


1)  Recknagel,  Pogg.  Ann.,  Ergbd.  5,    S.  563  uud  145,    S.  469,  1872. 

2)  Van  der  Waals,  Over  de  continuiteit  van  den  gas-  en  vloei- 
stoftoestand ,  Leiden  1873,  p.  56;  (Deutsch  von  F.  Roth,  Die  Contiuuität 
des  gasförmigen  und  flüssigen  Zustandes,  Leipzig  1881.) 

3)  Van  der  Waals,  p.  76  seiner  Schrift. 


üeber  das  Verlialten  der  Kolilensäure  eto.  1!)1 

welches  die  Kohlensäure  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre 
beim  Gefrierpuiicte  einnimmt.  Die  in  dem  Werthc  der  ersten 
Constanten  als  Nenner  stehende  Grösse  1\  stellt  die  dem  Gefrier- 
puncte  entsprechende  absolute  Temperatur,  also  angenähert  die 
Zahl  273  dar. 

1,0064G 


(6) 


n  = 


To 


a  =  0,00874, 
b  =  0,0023. 

Diese  Gleichung,  welche  ihrer  Form  nach  ausserordentlich 
einfach  ist,  giebt  Druckcurven,  welche  den  von  Andrews  con- 
struirten  und  von  J.  Thomson  vervollständigten  Curven  ihrer 
Gestalt  nach  gut  entsprechen,  und  den  charakteristischen  Unter- 
schied zwischen  den  Gestalten,  welche  zu  Temperaturen  über 
und  unter  31*'  gehören,  ebenfalls  zeigen. 

Was  aber  die  genauere  numerische  Uebereinstimmung  der 
aus  dieser  Gleichung  berechneten  Werthe  von  ])  mit  den  von 
Andrews  beobachteten  Werthen  anbetrifft,  so  hat  schon  van 
der  Waals  selbst  die  Bemerkung  gemacht,  dass  bei  solchen 
Volumen,  die  kleiner  als  0,0046  sind,  der  Werth  von  b  nicht 
mehr  als  constant  betrachtet  werden  dürfe,  sondern  mit  abneh- 
mendem Volumen  verkleinert  werden  müsse.  Welches  aber  die 
Function  des  Volumens  sei,  durch  die  man  b  darzustellen  habe, 
sei  ihm  noch  nicht  geglückt,  zu  finden  i). 

Dazu  kommen  noch  andere  Abweichungen,  die  sich  erst 
später  herausstellen  konnten.  Nach  der  Veröffentlichung  der 
Schrift  von  van  der  Waals  hat  nämlich  das  zur  Vergleichung 
mit  den  berechneten  Werthen  geeignete  Beobachtungsmaterial 
eine  grosse  und  wichtige  Bereicherung  erfahren,  indem  Andrews 
seine  Untersuchungen  fortgesetzt  und  im  Jahre  1876  drei  neue 
Beobachtungsreihen  für  die  Temperaturen  6,5'^,  64'^  und  100*^'  ver- 
öffentlicht hat  2),  welche  die  früher  veröffentlichten  an  Ausdeh- 
nung weit  übertreffen  und  auch  wohl  eine  erhöhte  Genauigkeit 
besitzen.  Bei  der  Vergleichung  mit  diesen  Versuchen  zeigt  sich, 
dass  die  von  van  der  Waals  aufgestellte  Gleichung  mit  der 
Erfahrung  nicht  übereinstimmt,  und  auch  nicht  durch  eine  Ver- 
änderung der  den  Constanten  beigelegten  Werthe  zur  Ueberein- 


^)  Van  der  Waals,  p.  78  und  52  seiner  Sclirift. 
2)  Andrews,  Phil.  Trans,  for  1876,  p.  421. 


192  Anhang. 

Stimmung  gebracht  werden  kann,  sondern  dass  sie  dazu  einer 
wesentlicheren  Modification  bedarf. 

Der  Hauptgrund  dieser  Abweichungen  scheint  mir  folgender 
zu  sein.  Van  der  Waals  hat  es  als  selbstverständlich  ange- 
nommen, dass  die  gegenseitige  Anziehung  der  Molecüle  von  der 
Temperatur  unabhängig  sei  und  also  nur  eine  Function  des 
Volumens  sein  könne.  Danach  müsste,  wenn  eine  Quantität  des 
Gases  bei  constantem  Volumen  erwärmt  würde,  die  Molecular- 
anziehung  unverändert  bleiben.  Dieses  würde  allerdings  richtig 
sein,  wenn  die  Bewegung  der  Gasmolecüle  bei  niedrigerer  und 
höherer  Temperatur  sich  nur  durch  die  verschiedene  Grösse  der 
mittleren  lebendigen  Kraft  der  Bewegung  unterschiede,  im  üebri- 
gen  aber  in  ganz  gleicher  Weise  stattfände,  indem  die  Wege 
aller  Molecüle  und  die  Verhältnisse  der  Geschwindigkeiten  in 
den  verschiedenen  Stadien  eines  Weges  dieselben  bjieben.  Auch 
glaube  ich,  dass  man  eine  solche  Annahme  über  die  Gleichartig- 
keit der  Bewegung  in  dem  Falle  machen  darf,  wo  man  nur  den 
idealen  Zustand  eines  Gases  betrachtet,  welchen  wir  den  voU- 
Jcommenen  Gaszustand  nennen.  Wenn  es  sich  aber  darum  han- 
delt, die  Abweichungen  eines  Gases  vom  vollkommenen  Gas- 
zustande zu  untersuchen,  so  scheint  mir  dabei  diese  Annahme 
nicht  mehr  zulässig  zu  sein. 

Ich  will  über  die  Art,  wie  die  Bewegung  beim  Verlassen 
des  vollkommenen  Gaszustandes  sich  ändert,  hier  keine  be- 
stimmte Theorie  aufstellen,  aber  ich  will  mir  wenigstens  erlauben, 
eine  Art  der  Aenderung  als  eine  mögliche  anzuführen.  Für  den 
vollkommenen  Gaszustand  ist  anzunehmen,  dass  jede  zwei  Mole- 
cüle, welche  zusammenfliegen,  sich  nach  dem  Zusammenstosse 
wieder  trennen.  Wenn  das  Gas  dagegen  zur  Flüssigkeit  conden- 
sirt  ist,  so  findet  ein  ganz  anderes  Verhalten  statt,  nämlich  dass 
die  Molecüle  im  Allgemeinen  durch  ihre  gegenseitige  Anziehung 
zusammengehalten  werden  und  nur  ausnahmsweise,  bei  besonders 
günstigem  Zusammentreffen  der  Bewegungsphasen,  einzelne  Mole- 
cüle sich  von  der  übrigen  Masse  trennen.  Zwischen  diesen  beiden 
extremen  Zuständen  kann  man  sich  nun  wohl  einen  Zwischen- 
zustand von  der  Art  denken,  dass  zwar  der  Begel  nach  die  Mole- 
cüle sich  nach  dem  Zusammenstosse  wieder  trennen,  dass  es  aber 
doch  zuweilen  vorkommt,  dass  zwei  Molecüle  nach  dem  Zusam- 
mentreffen sich  nicht  wieder  trennen,  sondern  nur  gegen  ein- 
ander  oscilliren,  während  sie   die  fortschreitende  Bewegung  ge- 


Ueber  das  Verhalten  der  Kolileiisiiiire  etc.  193 

raeinsam  ausführen,  bis  etwa  durcili  die  hei  weiteren  Zusammen- 
stüssen  eintretende  Veränderung  der  Bewegung  die  Trennung 
wieder  veranlasst  wird.  Die  Anzahl  solcher  zusammcnliaftenden 
Molecülpaare  würde  dann  um  so  grösser  werden,  je  niedriger  die 
Temperatur  und  je  geringer  daher  die  mittlere  lehendigo  Kraft 
der  Bewegung  würde,  und  es  könnten  hei  weiterem  Sinken  der 
Temperatur  auch  Fälle  hinzukommen,  wo  nicht  bloss  zwei,  son- 
dern mehrere  Molecüle  zusammenhafteten  und  als  Molecülgruppen 
die  fortschreitende  Bewegung  gemeinsam  machten. 

Wenn  ein  solches  Verhalten  einträte,  so  würde  dadurch 
die  mittlere  Stärke  der  gegenseitigen  Anziehung  der  Molecüle 
wachsen,  indem  die  vereinigt  bleibenden  Molecüle  sich  natürlich 
wegen  der  grösseren  Nähe  auch  stärker  anzögen,  und  demgemäss 
dürfte  man  die  Grösse^  ivelche  in  der  Formel  die  gegenseitige  An- 
zieliung  der  Molecüle  repräsentirt^  nicht  als  von  der  Temperatur 
unabhängig  betrachten ,  sondern  müsste  annehmen ,  dass  sie  mit 
sinhender  Temperatur  grösser  ivürde. 

Ferner  hat  van  der  Waals  aus  theoretischen  Betrachtungen 
den  auch  schon  von  Anderen  in  ihren  Formeln  ausgedrückten 
Schluss  gezogen,  dass  die  durch  die  gegenseitige  Anziehung  der 
Molecüle  bedingte  Abnahme  des  Druckes  dem  Quadrate  des 
Volumens  umgekehrt  proportional  sei.  Diesen  Schluss  kann  man 
für  grössere  Volumina  als  angenähert  richtig  zugestehen,  braucht 
ihm  aber  keine  allgemeine  und  strenge  Gültigkeit  zuzuschreiben, 
sondern  kann  annehmen,  dass  auch  von  ihm  eine  Abweichung 
stattfinde,  die  um  so  grösser  werde,  je  mehr  sich  das  Volumen 
verkleinere. 

Ich  habe  nun  versucht,  eine  Formel  für  p  zu  bilden,  welche 
aus  den  früheren  Formeln  dasjenige  beibehält,  was  mir  in  ihnen 
richtig  zu  sein  scheint,  zugleich  aber  den  oben  erwähnten  modi- 
ficirenden  Umständen  Rechnung  trägt,  und  bei  möglichster  Ein- 
fachheit mit  den  älteren  und  neueren  Beobachtungen  von  An- 
drews, sowie  auch  mit  den  sonst  vorhandenen  Beobachtungen 
genügend  übereinstimmt.  Es  ist  dieses  wegen  eines  besonderen 
Umstandes  mit  grossen  Schwierigkeiten  verbunden.  Die  für  p 
zu  bildende  Formel  hat  nämlich,  wie  man  schon  aus  den  Glei- 
chungen (2).  (3),  (4)  und  (5),  wenn  man  sie  nach  p  auflöst,  er- 
sehen kann,  die  Eigenthümlichkeit,  dass  sie  die  Differenz  aus  zwei 
Grössen  ist,  welche  beide  viel  grössere  AVerthe  haben  können, 
als  p.     Dadurch  wird  es  bewirkt,  dass  Ungenauigkeiten,  welche 

Claitsius,  mecliau.  Wärnietheorie.     III.  jg 


(8) 


194  Anhang. 

im  Verhältnisse  zu  den  beiden  einzelnen  Grössen  nur  klein  sind, 
doch  in  p  im  Verhältniss  zu  seinem  Werthe  bedeutende  Ab- 
weichungen von  der  Erfahrung  hervorbringen  können,  und  dass 
daher  die  Bestimmung  der  einzelnen  Grössen  um  so  genauer 
stattfinden  muss. 

Die  Formel,  welche  ich  gebildet  habe,  hat  folgende  Gestalt 

T  c 

worin  i?,  c,  a  und  ß  Constante  sind. 

Diesen  Constanten  hat  man  für  Kohlensäure,  wenn  man  als 
Druckeinheit  eine  Atmosphäre  und  als  Volumeneinheit,  wie  vor- 
her, dasjenige  Volumen  wählt,  welches  die  Kohlensäure  unter 
dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  und  bei  der  Temperatur  des 
Gefrierpunctes  einnimmt,  folgende  Werthe  zu  geben: 

'iJ=i^«?=  0,003  088 

c  =  2,0035 
a  =  0,000  843 
ß  =  0,000  977. 

Wählt  man  dagegen  als  Druckeinheit  den  Druck  eines  Kilogramm 
auf  ein  Quadratmeter  und  als  Volumeneinheit  ein  Cubikmeter, 
indem  man  dabei  voraussetzt,  dass  die  betrachtete  Menge  Kohlen- 
säure ein  Kilogramm  sei,  so  hat  man  den  Constanten  folgende 
Werthe  beizulegen: 

(R  =  19,273 

c  =  5533 

a  =  0,000  426 
[  ß  =  0,000  494. 

Zur  Prüfung  der  Uebereinstimmung  dieser  Formel  mit  der 
Erfahrung  habe  ich  die  drei  neueren  ßeobachtungsreihen  von 
Andrews,  welche  sich  auf  die  Temperaturen  G,5°,  64"  und  100" 
beziehen,  und  drei  der  älteren  Beobachtungsreihen,  welche  sich 
auf  die  Temperaturen  13,P,  31,1"  und  48,1"  beziehen,  zur  Ver- 
gleichung  gewählt.  Bei  jeder  dieser  Reihen  habe  ich  aus  den  darin 
vorkommenden  Volumen  eine  Anzahl,  welche  sich  über  das  ganze 
Beobachtungsintervall  möglichst  gleichmässig  vertheilen,  zur  Be- 
trachtung  ausgewählt.     Dabei  ist   aber   noch  zu  bemerken,  dass 


(9) 


Ueber  das  Verhalten  der  Kohlensäure  etc. 


195 


Andrews  die  Volumen  nicht  so  ausgedrückt  hat,  dass  allen 
Zahlen  eine  und  dieselbe  Einheit  zu  Grunde  liegt,  sondern  dass 
er  bei  jeder  Temperatur  dasjenige  Volumen,  welches  die  Kohlen- 
säure hei  dieser  Temperatur  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmo- 
sphcäre  einnimmt,  als  Einheit  genommen  hat.  Das  auf  diese 
Weise  ausgedrückte  Volumen  hat  er  mit  e  bezeichnet.  Um  hier- 
aus das  von  uns  mit  v  bezeichnete  Volumen,  bei  dem  das  heim 
Gefrierpuiirtc  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  von  der 
Kohlensäure  eingenommene  Volumen  als  Einheit  zu  Grunde  liegt, 
zu  berechnen,  müssen  wir  den  Ausdehnungscoefficienten  der  Koh- 
lensäure unter  atmosphärischem  Drucke  kennen.  Für  diesen  ist 
der  von  Regnault  gefundene  Wertli  0,00371,  welchen  auch 
Andrews  in  seinen  Rechnungen  benutzt  hat,  in  Anwendung 
gebracht. 

Die  so  erhaltenen  Werthe  von  v  sind  zugleich  mit  den  be- 
treffenden Temperaturen  m  die  Formel  eingesetzt,  und  aus  dieser 
dann  die  dazu  gehörigen  Werthe  von  j}  berechnet.  Diese  Werthe 
sind  in  den  folgenden  Tabellen  mit  p  (her.)  bezeichnet,  und  unter 
ihnen  stehen  die  entsprechenden  beobachteten  Werthe,  welche 
mit  p  (beob.)  bezeichnet  sind.  Auch  sind  noch  die  mit  z/  be- 
zeichneten Differenzen  zwisclien  den  beobachteten  und  den  be- 
rechneten Werthen  von  p)  hinzugefügt.  Bei  jeder  Reihe  ist  an- 
gegeben, ob  sie  zu  den  älteren  oder  neueren  Beobachtungsreihen 
von  Andrews  gehört. 

I.  Temp.  6,5"  (neuere  Reihe). 


1 

1 

1 

16,13 

2ü,62 

45,80 

V 

0,06349 

0,03458 

0,02236 

p  (her.) 

14,65 

24,63 

•   34,15 

p  (Ijeob.) 

14,68 

24,81 

34,49 

J 

—  0,03 

—  0,18 

—  0,34 

13' 


196 


Anhang. 

II.  Temp.  13,10  (ältere  Reihe). 


1 

1 
80,43 

1 

480,4 

1 

76,l(i 

510,7 

V 

0,013  768 

0,013  037 

0,002  182  8 

0,002  053  2 

p  (her.) 

47,98 

49,27 

54,66 

74,96 

p   (beob.) 

47,50 

48,76 

54,56 

90,43 

J 

+  0,48 

+  0,51 

+  0,10 

—  15,47 

III.  Temp.  31,10  (ältere  Reihe). 


1 

1 

1 
174,4 

1 

1 

80,55 

124,4 

311,1 

405,5 

V 

0,013  847 

0,008  966 

0,006  395 

0,003  585 

0,002  751 

p   (ber.) 

54,92 

68,44 

75,33 

78,22 

92,47 

p   (beob.) 

54,79 

67,60 

73,83 

75,40 

85,19 

J 

+  0,13 

-f  0,84 

+  1,50 

+  2,82 

+  7,28 

IV.  Temp.  48,1"  (ältere  Reihe). 


1 

1 

1 

86,45 

146,8 

298,4 

V 

0,013  631 

0,008  028 

0,003  949 

p  (ber.) 

62,05 

84,42 

112,6 

p   (beob.) 

62,60 

84,35 

109,4 

J 

—  0,55 

+  0,07 

+  3,2 

V.  Temp.  640  (neuere  Reihe). 


1 

1 

1 

1 

1 

24,18 

46,34 

83,44 

185,5 

446,4 

V 

0,05118 

0,02670 

0,01483 

0,006  671 

0,002  772 

p   (ber.) 

22,41 

39,95 

63,99 

107,06 

202,30 

p   (beob.) 

22,56 

40,54 

64,96 

106,88 

222,92 

J 

-  0,15 

—  0,59 

—  0,97 

+  0,18 

—  20,62 

Ueber  das  Verhalten  dc^r  Kohlensäure  etc. 


UJ7 


VI.  Temp.  100'^  (neuere  Ucilie). 


1 

1 

1 

1 

1 

2(),0Ü 

50,«]3 

96,65 

218,0 

;-j79,:-5 

V 

0,05255 

0,0270ö 

0,014  lb5 

0,006  289 

0,()0;:{  615 

p   (ber.) 

24,05 

45,30 

78,69 

146,29 

280,09 

j)   (beob.) 

24,85 

45,99 

80,25 

145,44 

223,57 

J 

—  0,20 

—  0,69 

—  1,56 

4-  0,85 

+  6,52 

Aus  diesen  Tabellen  ist  ersichtlich,  dass  zwischen  den  aus 
der  Formel  berechneten  und  den  beobachteten  Werthen  von  p 
im  Allgemeinen  eine  genügende  und  zum  Theil  eine  auffallend 
gute  Uebereinstimmung  stattfindet.  Indessen  kommen  bei  den 
grössten  in  den  Versuchen  erreichten  Dichtigkeiten  der  Kohlen- 
säure, welche  das  Vier-  bis  Fünfhundertfache  der  unter  dem 
Drucke  von  einer  Atmosphäre  stattfindenden  Dichtigkeiten  be- 
tragen, doch  erhebliche  Differenzen  vor.  Diese  veranlassten  mich 
anfangs,  mit  der  Formel  noch  eine  Aenderung  vorzunehmen,  in- 
dem ich  im  zweiten  Gliede  noch  eine  Temperaturfunction  als 
Factor  einführte,  welche  dazu  dienen  sollte,  die  Differenzen  aus- 
zugleichen. Dadurch  verlor  aber  die  Formel  ihre  bisherige  Ein- 
fachheit, und  es  entstand  die  Frage,  ob  jene  Differenzen  wirklich 
von  so  grosser  Bedeutung  sind,  um  eine  solche  Aenderung  der 
Formel  zu  rechtfertigen.  Diese  Frage  glaubte  ich  bei  näherer 
Betrachtung  der  Sache  verneinen  zu  müssen. 

Die  Differenzen  wechseln  nämlich  in  ganz  auffälliger  Weise 
ihr  Vorzeichen.  Bei  13, fo  ist  die  grösste  Differenz  negativ,  bei 
31,10  positiv,  bei  64»  negativ  und  bei  100^  wieder  positiv.  Ein 
so  häufiger  Zeichenwechsel  spricht  nicht  dafür,  dass  der  Grund 
der  Differenzen  in  der  Formel  liegt,  sondern  mehr  dafür,  dass  er 
in  Beobachtungsfehlern  zu  suchen  ist.  Auch  sind  im  vorliegen- 
den Falle,  selbst  bei  sorgfältigster  Beobachtung,  solche  Fehler 
sehr  wohl  denkbar.  Das  Volumen  der  stark  verdichteten  Kohlen- 
säure wurde  in  Capillarröhren  gemessen.  Wenn  es  nun  schon 
so  klein  geworden  war,  dass  es  nur  noch  ein  Vier-  bis  Fünf- 
hundertstel seiner  ursprünglichen  Grösse  betrug,  so  konnten  bei 
der  Ablesung  leicht  Fehler  vorkommen,  welche  zwar,  absolut 
genommen,  sehr  klein,  aber  verhältnissmässig  doch  gross  genug 


198  ADhang. 

waren,  um  in  der  Formel  für  p^  welche  bei  kleinen  Wertlien 
von  V  ihren  Werth  sehr  schnell  mit  ■?;  ändert,  Differenzen  von 
den  in  der  Tabelle  vorkommenden  Grössen  zu  verursachen. 

Auch  das  zur  Bestimmung  des  Druckes  dienende  Luftmano- 
meter bestand  aus  einer  Capillarröhre ,  in  welcher  die  Luft  bei' 
den  grössten  vorkommenden  Drucken  so  kleine  Volumina  ein- 
nahm, dass  ein  geringer  Beobachtungsfehler  einen  sehr  grossen 
Einliuss  auf  den  aus  der  Beobachtung  abgeleiteten  Druck  aus- 
üben musste. 

Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  Andrews  bei  der  Ableitung 
des  Druckes  aus  den  Angaben  des  Luftmanometers  von  der  Vor- 
aussetzung ausgegangen  ist,  dass  die  Luft  bis  zu  den  grössten  in 
den  Versuchen  angewandten  Drucken,  welche  bis  über  zwei- 
hundert Atmosphären  reichten,  dem  Mariotte' sehen  Gesetze 
folge.  Dieses  ist  aber  bekanntlich  nicht  der  Fall,  sondern  es  fin- 
den bei  solchen  Drucken  schon  beträchtliche  Abweichungen  statt. 
Ich  versuchte  anfangs,  unter  Zuhülfenahme  der  Beobachtungen 
von  Cailletet  und  Amagat  über  die  Zusammendrückung  des 
Stickstoffs,  die  aus  den  Manometerangaben  abgeleiteten  Druck- 
grössen  zu  corrigiren,  fand  aber,  dass  die  Beobachtungsresultate 
dieser  beiden  Forscher  doch  nicht  in  genügender  Weise  unter 
einander  übereinstimmen,  um  sie  mit  hinlänglicher  Sicherheit  zu 
einer  solchen  Correction  anwenden  zu  können.  Ich  habe  daher 
in  der  Tabelle  einfach  die  von  Andrews  angeführten  Werthe 
von  p  wiedergegeben. 

Endlich  muss  ich  noch  auf  einen  eigenthümlichen  Unter- 
schied aufmerksam  machen,  welcher  sich  in  den  zwischen  den 
berechneten  und  den  beobachteten  Werthen  von  p  statttindenden 
Differenzen  zeigt.  In  den  älteren  Beobachtungsreihen  sind  näm- 
lich die  Differenzen  fast  alle  positiv  und  in  den  neueren  fast 
alle  negativ.  Auch  dieser  Unterschied  spricht  dafür,  dass  die 
Differenzen  ihren  Grund  mehr  in  den  die  Versuche  beeinflussen-, 
den  Umständen,  als  in  der  Formel  haben. 

Aus  allen  diesen  Gründen  muss  man  auf  eine  gewisse,  den 
grössten  beobachteten  Werthen  von  p  noch  anhaftende  Unsicher- 
heit schliessen,  und  demgemäss  darf  man  an  die  Uebereinstim- 
mung  zwischen  den  berechneten  und  den  beobachteten  Werthen 
keine  zu  strengen  Anforderungen  stellen.  Ich  habe  daher  von 
der  oben  erwähnten,  die  Formel  complicirter  machenden  Aende- 
rung  wieder  Abstand  genommen  und  bin   auf  ihre  ursprüngliche 


Uel)er  das  Verhaltx'u  der  Kolileusäiire  etc.  199 

und  einfachste  Gestalt  zurückgekommen ,  welche  mir  nicht  nur 
in  praktischer,  sondern  auch  in  theoretischer  JJezic^hung  den  Vor- 
zug zu  verdienen  scheint. 

Die  in  der  Formel  vorkommenden  Constanten  hahe  ich  durch 
ziemlich  mühsame  Kechnungen  no  bestimmt,  dass  die  aus  der 
Formel  sich  ergebenden  Werthe  von  jj  sowohl  mit  den  neueren, 
als  auch  mit  den  älteren  Beobachtungsresultaten  von  Andrews 
möglichst  gut  übereinstimmen,  und  dass  von  den  bei  grossen 
Dichtigkeiten  der  Kohlensäure  bestehen  bleibenden  Differenzen 
ungefähr  ebensoviele  positiv,  wie  negativ  sind.  Bei  diesen  Werthen 
der  Constanten  findet  auch  mit  den  Beobachtungsresultaten  von 
Regnault,  welche  in  Bezug  auf  die  Verdichtung  der  Kohlen- 
säure lange  nicht  so  weit  reichen,  wie  die  von  Andrews,  eine 
genügende  üebereinstimmung  statt.  Ich  glaube  daher,  dass  diese 
Werthe  der  Constanten  dem  gegenwärtig  vorhandenen  Beobach- 
tungsmaterial, welches  gerade  bei  der  Kohlensäure  vollständiger 
ist,  als  bei  irgend  einem  anderen  Gase,  mit  hinlänglicher  Genauig- 
keit entsprechen. 

Was  die  anderen  Gase  anbetrifft,  so  kann  man  meiner  An- 
sicht nach  die  allgemeine  Gleichung  (7)  auch  auf  diese  anwen- 
den, muss  aber  natürlich  die  Constanten  für  jedes  Gas  besonders 
bestimmen. 


Im  Anschluss  an  das  Vorige  muss  noch  eine  Frage  erörtert 
werden,  welche  sich  bei  der  Betrachtung  der  von  Andrews  ge- 
zeichneten und  von  James  Thomson  vervollständigten  Druck- 
curven  aufdrängt. 

Wenn  ein  Gas,  z.  B.  Kohlensäure,  bei  einer  unter  der  kriti- 
schen Temperatur  liegenden  Temperatur  zusammengedrückt  wird, 
so  beginnt  bei  einem  gewissen  Volumen  die  Condensation ,  und 
es  tritt  damit  ein  Zustand  ein,  in  welchem  ein  Theil  des  Stoffes 
flüssig  und  der  andere  gasförmig  ist.  So  lange  dieser  Zustand 
bei  der  weiteren  Volumenverminderung  fortdauert,  bleibt  der 
Druck  constant  und  das  entsprechende  Stück  der  isothermischen 
Druckcurve  ist  somit  eine  horizontale  gerade  Linie.  Neben  dieser 
geraden  Linie  kann  man  sich,  wie  oben  besprochen  wurde,  nach 
James  Thomson  noch  eine  andere  isothermische  Druckcurve 
denken,  welche  denjenigen  Druck  darstellt,  der  bei  derselben 
Volumenänderung  stattfinden   würde,   wenn   diese   in  der  ^Veise 


200  Anhaug. 

vor  sich  ginge,  dass  stets  die  ganze  Menge  des  Stoffes  sich  in 
gleichem  Zustande  befände.  Wenn  diese  letztere  Art  der  Volu- 
menänderung auch  in  der  Wirklichkeit  nicht  stattfindet,  weil  die 
in  ihr  vorkommenden  Gleichgewichtszustände  zum  Theil  labil 
sind,  so  muss  man  sie  doch  als  theoretisch  möglich  betrachten, 
und  in  der  That  stellt  die  letztere  Druckcurve  den  durch  unsere 
Formel  bestimmten  Druck  dar. 

Es  fragt  sich  nun  aber,  in  welcher  Lage  diese  theoretische 
Druckcurve  und  die  dem  wirklichen  Vorgange  entsjorechende 
horizontale  gerade  Linie  sich  zu  einander  befinden. 

James  Thomson  hat  sich  darüber  nicht  ausgesprochen, 
sondern  hat  nur  in  der  auf  S.  188  wiedergegebenen  Andrews'- 
schen  Figur  zu  den  auf  die  Temperaturen  13,lo  und  21, 5»  be- 
züglichen Druckcurven  die  dort  punctirt  gezeichneten  Curven- 
stücke  hinzugefügt.  Diese  sollen  wahrscheinlich  nur  dazu  dienen, 
eine  ungefähre  Vorstellung  von  der  möglichen  Gestalt  und  Lage 
der  Curvenstücke  zu  geben.  Als  wirklich  richtig  können  sie  in 
dieser  Form  nicht  gelten. 

Maxwell  geht  in  den  ersten  Aufiagen  seines  Buches  „Theory 
of  Heat"  p.  125  näher  auf  die  Sache  ein.  Denkt  man  sich  eine 
der  stetig  verlaufenden  theoretischen  Druckcurven,  z.  B.  die  zu 
der  Temperatur  13,1"  gehörige,  gegeben  und  zeichnet  die  hori- 
zontale Gerade  in  verschiedenen  Höhen  hinein,  so  erhält  man 
jedesmal  zwei  Puncte  a  und  e  als  Endpuncte  der  Geraden.  Die 
Differenz  zwischen  den  beiden  Werthen,  welche  die  Energie  des 
Stoffes  in  den  diesen  beiden  Puncten  entsprechenden  Zuständen 
hat,  ist  für  die  verschiedenen  Lagen  der  Geraden  verschieden 
gross,  und  nun  sagt  Maxwell,  diejenige  Lage  der  Geraden,  bei 
der  diese  Differenz  ein  Maximum  sei,  sei  die  richtige.  In  der 
vierten  Auflage  seines  Buches  aber  ist  diese  Stelle  geändert  und 
die  Lage  der  horizontalen  Geraden  unbestimmt  gelassen.  Man 
muss  daher  wohl  annehmen,  dass  Maxwell  seine  frühere  An- 
sicht über  diesen  Punct  später  wieder  aufgegeben  hat. 

Van  der  Waals  sagt  auf  p.  121  seiner  oben  citirten  Schrift: 
„Es  hat  mir  nicht  glücken  wollen,  in  einer  der  Eigenschaften 
des  gesättigten  Dampfes  ein  Merkmal  zu  finden,  durch  welches 
festgestellt  werden  könnte,  wo  die  (gerade)  Linie  durch  die  Iso- 
therme gezogen  werden  muss." 

Hiernach  darf  wohl  die  Frage,  welche  Lage  die  den  Druck 
des  gesättigten  Dampfes   angebende    horizontale   Gerade  in    der 


Ueber  das  Verlialtt'ii  der  Kolileiisänre  etc.  201 

isothermisclien  Druckcurve  hat,  als  eine  iio(;h  odene  angeselien 
werden,  und  ich  will  mir  erlauhcn,  diejenige  Beantwortung  dieser 
Frage,  welche  sich  mir  bei  der  i5etraclitung  des  Gegenstandes 
dargeboten  hat,  hier  mitzutheilen. 

Wenn  rnan  die  für  die  Temperatur  von  13,1"  von  Andrews 
gezeichnete  und  von  J.  Thomson  vervollständigte  Druckcurve 
bctraclitet,  so  sieht  man,  dass  sie  von  m  bis  a  und  weiterhin  von 
e  bis  n  einfach,  dagegen  zwischen  a  und  e  doppelt  ist.  Zwischen 
den  beiden  Zuständen  des  StoÖ'es,  welche  den  Puncten  a  und  e 
entsprechen,  und  welche  wir  kurz  die  Zustände  a  und  e  nennen 
wollen,  giebt  es  also  zwei  Wege,  auf  welchen  der  Stoff  aus  dem 
einen  in  den  andern  übergehen  kann.  Der  Uebergang  kann  auf 
jedem  dieser  Wege  unter  ganz  gleichen  Umständen  sowohl  in 
der  Richtung  von  a  nach  e,  als  auch  in  der  Richtung  von  e 
nach  a  stattfinden,  und  die  betreuenden  Veränderungen  sind  so- 
mit beide  als  umkehrbar  zu  bezeichnen. 

Denken  wir  uns  nun,  dass  der  Stoff  auf  dem  durch  die 
Curve  ahcäe  dargestellten  Wege  von  a  nach  c  übergehe  und 
auf  dem  durch  die  Gerade  ea  dargestellten  Wege  wieder  von 
e  nach  a  zurückkehre,  so  haben  wir  einen  umkehrbaren  Kreis- 
process.  Für  die  im  Verlaufe  desselben  dem  veränderlichen  Stoffe 
von  aussen  her  mitgetheilten  positiven  oder  negativen  Wärme- 
mengen,  deren  Element  dQ  heissen  möge,  muss  daher  die  be- 
kannte Gleichung: 

/^  =  o 

gelten.  Da  nun  im-  gegenwärtigen  Falle  die  Temperatur  T  con- 
stant  ist,  indem  die  Linien,  welche  den  Kreisprocess  graphisch 
darstellen,  nur  isothermische  Linien  für  eine  und  dieselbe  Tem- 
peratur sind,  so  vereinfacht  sich  die  Gleichung  in: 

J'dQ  =  0. 

Die  dem  Stoffe  mitgetheilten,  theils  positiven,  theils  negativen 
Wärmemengen  heben  sich  also  gegenseitig  auf. 

Daraus  folgt  weiter,  dass  auch  die  während  des  Kreispro- 
cesses  gethane,  theils  positive,  theils  negative  äussere  Arbeit  sich 
aufheben  muss.  Die  zu  den  beiden  Abschnitten  des  Kreisprocesses 
gehörenden  Ueberschüsse  der  positiven  Arbeit  über  die  negative 
werden  durch  die  in  der  Figur  vorkommenden  Flächenräume 
dargestellt,  und  zwar  stellt  der  über  der  Geraden  liegende  Flächen- 


202 


Anhang. 


räum  cclec  einen  positiven,  und  der  unter  der  Geraden  liegende 
Flächenraum  ahca  einen  negativen  üeberscliuss  dar.  Diese 
beiden  Flächenräume  müssen  somit,  um  für  die  Gesammtarbeit 
den  Werth  Null  zu  geben,  unter  einander  gleich  sein.  .  Hierdurch 
ist,  wenn  die  dem  homogenen  Zustande  entsprechende  theoretische 
Druckcurve  gegeben  ist,  auch  die  Lage  der  dem  wirklichen  Ver- 
dampfungs-  und  Condensationsprocesse  entsprechenden  horizon- 
talen geraden  Linie  bestimmt. 

Man  kann  die  vorstehende  Bedingung  folgendermaassen  als 
Satz  aussprechen:  J) er  Druck  des  gesättigten  Bampfes  ist  so  gross, 
dass  die  äussere  Arbeit,  ivelche  hei  der  Verdampfung  geleistet 
tvird,  gleich  derjenigen  ist,  ivelche  geleistet  iverden  tüürde,  -wenn 
der  Stoff  hei  derselben  Volumenmnahme  homogen  bliebe.  Man  kann 
dieses  auch  noch  etwas  kürzer  so  fassen:  Der  Druck  des  ge- 
sättigten Dampfes  ist  gleich  dem  mittleren  Drude  des  homogen 
bleibenden  Stoffes  bei  einer  der  vollständigen  Verdampfung  ent- 
sprechenden  Volumensunahme. 

Die  von  J.  Thomson  für  die  Temperatur  von  13,1«  zwischen 
a  und  e  gezeichnete  Gurve  entspricht  dieser  Bedingung  nicht,  in- 
dem die  Flächeninhalte  der  von  ihr  und  der  horizontalen  Geraden 
gebildeten  Figuren  ahca  und  cdec  augenscheinlich  ungleich  sind. 
Um  nun  zu  sehen,  wie  die  Sache  sich  gestaltet,  wenn  man  zur 
Bestimmung  des  Druckes  die  Gleichung  (7)  anwendet,  habe  ich 
für  so  viele  zwischen  a  und  e  liegende  Werthe  von  v  die  ent- 
sprechenden Werthe  von  p  berechnet,  dass  daraus  der  Verlauf 
der  Curve  zwischen  a  und  e  zu  ersehen  ist.  Die  dabei  erhal- 
tenen Werthe  sind,  nebst  den  oben  in  Tabelle  II  schon  einmal 
mitgetheilten  Werthen  von  p,  welche  sich  auf  einige  ausserhalb 
des  Intervalls  ae  liegenden  Werthe  von  v  beziehen,  in  der  fol- 
genden Tabelle  zusammengestellt: 


V 

0,013  768 

0,013  037 

0,012 

0,011 

0,010 

0,009 

0,008 

p 

47,98 

49,27  ■ 

51,12 

52,87 

54,50 

55,84 

56,63 

0 

0,007 

0,006 

0,005 

0,001 

0,00350 

0,00325 

0,00300 

p 

56,38 

54,28 

49,00 

38,83 

32,05 

28,83 

26,53 

V 

0,00285 

0,00275 

0,00250 

0,002  182  8 

0,002  053  2 

p 

26,11 

^ 

56,52 

31,52 

54,f 

56 

7J 

t,96 

lieber  das  Vei'halten  der  Kolilensäure  etc. 


202 


Unter  Anwendung  dieser  Wertlie  erhält  man  eine  Curve  von 
der  in  folgender  Figur  gegebenen  Gestalt.  Diese  Curve  ent- 
spricht der  obigen  Bedingung  mit  hinlänglicher  Genauigkeit. 

Fig.  4. 


TO- 

TO 

65 

a 
•5 

60 

ST 
o 

g 
< 

55 
50- 

'■•■-,_ 

a 

,        /                                         \ 

o 

45- 
40- 
35 

30- 

9=; 

i        / 

VoluDien 


Abhandlung-    V. 


Ueber  einige  neue   Untersucliung'en  über  die  mittlere 
Wegläng-e  der  Gasmolecüle. 

(Wiedemann's  Ann.  10,  S.  92  bis  103,  1880.) 

Es  sind  in  neuerer  Zeit  von  verschiedenen  Autoren  Unter- 
suchungen über  die  mittlere  Weglänge  der  Moiecüle  gasförmiger 
Körper  angestellt,  welche  dazu  geführt  haben,  dass  mehrfache 
Aeiiderungen  an  der  früheren  Bestimmung  dieser  Weglänge  vor- 
geschlagen sind,  und  ich  glaube  daher,  dass  eine  zusammen- 
fassende Besprechung  dieser  Aenderungsvorschläge  nicht  als  un- 
zweckmässig erscheinen  wird. 

1.  Die  erste  Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  der  Gas- 
molecüle habe  ich  in  einem  i.  J.  1858  in  Pogg.  Ann.  i)  veröffent- 
lichten Aufsatze  ausgeführt.  Ich  ging  dabei  von  der  Betrach- 
tung eines  einfacheren  Falles  aus,  indem  ich  zuerst  nur  ein 
Molecül  als  bewegt  und  alle  anderen  als  ruhend  annahm.  Für 
diesen  Fall  erhielt  ich  für  die  mittlere  Weglänge  V  des  bewegten 
Molecüls  folgenden  Ausdruck: 

Hierin  bedeutet  X  den  Abstand,  den  zwei  einander  zunächst 
liegende  Moiecüle  haben  würden,  wenn  die  Moiecüle  cubisch  an- 
geordnet wären.  Will  man  statt  dieser  Grösse  X  lieber  die  Grösse 
n  einführen,  welche  die  Anzahl  der  Moiecüle  in  der  Raumeinheit 
angiebt,  so  lautet  der  Ausdruck: 


1)  Clausius,  Pogg.  Ann.  105,  239,  1858.  Wieder  abgedruckt  in  meiner 
Abhandlungen -Sanimluug  2,  260;  vergl.  oben  S.  46. 


Ueber  einige  nefie  Uutersuchungen  etc.  205 

Das  Zeichen  q  stellt  den  Radius  der  Wirkungssphäre  eines  Mole- 
cüls  dar.  Dabei  ist  unter  Wirkungssphäre  diejenige  um  den 
Schwerpunct  eines  Molecüls  beschriebene  Kugel  verstanden,  l)is 
zu  deren  Oberfläche  der  Schwerpunct  eines  andern  Molecüls  sich 
ihm  nähern  kann,  bevor  ein  Abprallen  eintritt.  Stellt  man  sicli, 
wie  es  zuweilen  der  Anschaulichkeit  wegen  geschieht,  die  Mole- 
cüle  als  harte  elastische  Kugeln  vor,  so  tritt  bei  diesen  das  Ab- 
prallen ein,  wenn  der  Abstand  ihrer  Schwerpuncte  gleich  ihrem 
Durchmesser  ist,  und  für  solche  elastische  Kugeln  ist  daher  der 
Radius  q  der  Wirkungssphären  doppelt  so  gross,  als  der  Radius 
der  Kugeln  selbst. 

Nachdem  ich  so  für  den  einfachen  Fall,  wo  nur  ein  Molecül 
sich  bewegt,  während  die  übrigen  in  Ruhe  sind,  die  mittlere  Weg- 
länge ausgedrückt  hatte,  handelte  es  sich  weiter  darum,  zu  be- 
stimmen, wie  dieser  Ausdruck  geändert  werden  muss,  wenn  sich 
alle  Molecüle,  und  zwar  mit  durchschnittlich  gleichen  Geschwin- 
digkeiten, bewegen.  Die  unter  diesen  Umständen  nöthige  Aen- 
derung  besteht  darin,  dass  man  den  vorigen  Ausdruck  mit 
dem  Verhältnisse  der  mittleren  absoluten  Geschwindigkeit  aller 
Molecüle  zur  mittleren  relativen  Geschwindigkeit  aller  Molecül- 
paare  zu  multipliciren  hat.  Bezeidmet  man  also  die  absolute 
Geschwindigkeit  eines  Molecüls  mit  v  und  den  Mittelwerth  dieser 
Grösse  mit  ü,  und  ferner  die  relative  Geschwindigkeit  zweier 
Molecüle  mit  r  und  den  Mittelwerth  dieser  Grösse  für  alle  Com- 
binationen  aus  je  zwei  Molecülen  mit  r,  so  erhält  man  für  die 
mittlere  Weglänge,  welche  jetzt  mit  l  bezeichnet  werden  möge, 
den  Ausdruck: 

(3)  i^_l_.l. 

V 

Um  nun  aber  das  hier  eingeführte  Verhältniss  —  numerisch 

zu  bestimmen,  muss  man  die  Art  der  Bewegung  der  Molecüle 
näher  kennen,  d.  h.  man  muss  wissen,  welches  Gesetz  in  Bezug 
auf  die  verschiedenen  gleichzeitig  stattfindenden  Geschwindig- 
keiten aller  einzelnen  Molecüle  gilt.  Zu  der  Zeit,  wo  ich  meine 
Untersuchung  machte,  war  ein  solches  Gesetz  noch  nicht  aufgefun- 
den,  und  ich  musste  mich  daher  bei  meiner  Rechnung,  bei  der 


206  Anhang.  ' 

es  sich,  wie  ich  sagte,  nur  darum  handelte,  einen  ungefähren 
Begriff  von  der  Grösse  des  Verhältnisses  zu  erhalten,  mit  einer 
für  diesen  Zweck  geeigneten  Annahme  begnügen.  Als  solche 
wählte  ich  die,  dass  alle  Molecüle  nicht  nur  durchschnittlich, 
sondern  fortwährend  gleiche  Geschwindigkeiten  haben,  was  frei- 
lich in  der  Wirklichkeit  nicht  möglich  ist,  da  die  Geschwindig- 
keiten sich  bei  jedem  Stosse  ändern,  aber  für  eine  angenäherte 
Rechnung  doch  angenommen  werden  konnte.  Unter  Zagrunde- 
legung    dieser    Annahme    ergab    sich    für    das    Verhältniss    der 

Werth  4- 
4 

Ein  Jahr  später  veröffentlichte  Maxwell  seine  bekannte 
schöne  Abhandlung  „Illustrations  of  the  dynamical  theory  of 
gases"  1) ,  in  welcher  er  sein  Gesetz  über  die  Geschwindigkeiten 
der  einzelnen  Gasmolecüle  ableitete.  In  dieser  Abhandlung  be- 
schäftigte er  sich  auch  mit  der  mittleren  VVeglänge  der  Molecüle 
und  gelangte,  was  die  allgemeine  Formel  anbetrifft,  zu  demselben 
Resultate,  wie  ich.  Die  numerische  Berechnung  des  Verhältnisses 
der  beiden  mittleren  Gescliwindigkeiten  konnte  er  aber  anders 
ausführen,  wie  ich,  indem  er  ihr  sein  soeben  abgeleitetes  Ge- 
schwindigkeitsgesetz  zu  Grunde  legen  konnte,  aus  welchem  sich 

für  das  gesuchte  Verhältniss  der  Werth   1/  —  ergiebt.    Diese  Ab- 

3 
änderung  des  von  mir  berechneten  Werthes  —  ist  offenbar  nicht 

so  aufzufassen,  als  ob  Maxwell  einen  von  mir  begangenen  Fehler 
berichtigt    hätte,    denn   für   den    Fall,    für   welchen   ich    meinen 

o 

Werth  —  abgeleitet  hatte,  war  er,  wie  ich  noch  besonders  nach- 
gewiesen habe  2),  vollkommen  richtig.  Da  dieser  Fall  aber  nur 
ein  zur  Aushülfe  angenommener  war,  so  stehe  ich  nicht  an,  den 

aus    dem    Maxwell'schen   Gesetze   abgeleiteten    Werth    y  -^  als 

einen  der  Wirklichkeit  mehr  entsprechenden  anzuerkennen.  Unter 
seiner  Anwendung  lautet  der  Ausdruck  für  l: 


(4)  l 


'-VI- 


2     n7t  Q' 


1)  Maxwell,  Phil.  Mag.  (4)  19,  19,  1859. 

2)  Ibid.  21,  434,  1860. 


Ueber  einige  neue  Untersucluingen  etc.  207 

2.  Was  nun  die  gegen  den  Ausdruck  erhobenen  Einwände 
anbetrifft,  so  ist  zunächst  ein  von  Frowein  in  dem  „Nieuw 
Archief  voor  Wiskunde",  Decl  V,  unter  dem  Titel  „Eene  bekende 
formule  van  Clausius"  veröffentlichter  Aufsatz  zu  erwähnen. 

Frowein  bekämpft  schon  meine  erste  Entwickelung,  welche 
sich  auf  den  Fall  bezieht,  wo  nur  ein  Molecül  sich  bewegt,  wäh- 
rend die  anderen  in  Ruhe  sind,  und  aus  welcher  sich  die  unter 
(1)  mitgetheilte  Formel  ergeben  hat.  Er  legt  dabei  aber  meinen 
Aussprüchen  einen  so  unrichtigen  Sinn  unter,  dass  ich  vermuthen 
muss,  dass  er  meine  Abhandlung  wegen  der  ihm  fremden  Sprache, 
in  welcher  sie  geschrieben  ist,  nicht  überall  richtig  verstanden  hat. 

Ich  habe  gesagt,  man  solle  sich  den  mit  Molecülen  erfüllten 
Raum  in  dünne  Schichten  zerlegt  denken,  deren  Dicke  8  so  klein 
sei,  dass  man  höhere  Potenzen  derselben  gegen  die  erste  Potenz 
vernachlässigen  könne.  Indem  ich  dann  von  den  Molecülen 
sprach,  welche  für  jede  dieser  Schichten  in  Rechnung  zu  bringen 
sind,  habe  ich  das  erste  Mal  ausdrücklich  gesagt,  dass  es  sich 
dabei  um  diejenigen  Molecüle  handle,  deren  Centra  sich  in  der 
Schicht  befinden.  Weiterhin  aber  habe  ich  es  nicht  für  nöthig 
gehalten,  dieses  jedesmal  zu  wiederholen,  sondern  habe  die  be- 
treffenden Molecüle  kurz  die  in  der  Schicht  befindlichen  Molecüle 
genannt.  Anstatt  nun  dieses  so  zu  verstehen,  wie  es  dem  Vor- 
ausgegangenen entspricht,  nämlich  dass  es  sich  nur  um  die  Lage 
der  Centra  handelt,  fasst  Hr.  Frowein  es  wörtlich  auf  und  er- 
hebt dagegen  den  Einwand,  eine  unendlich  dünne  Schicht  könne 
nicht  ganze  Molecüle,  sondern  nur  Theile  von  Molecülen  ent- 
halten. 

Ferner  habe  ich  die  Anzahl  der  in  einer  Schicht  von  der 
Dicke  d  befindlichen  Molecüle  mit  der  Anzahl  der  in  einer  Schicht 
von  der  Dicke  l  befindlichen  verglichen,  und  habe  gesagt,  aus 
der  letzteren  Anzahl  erhalte  man  die  erstere  durch  Multiplication 

mit  — •     Da   ich   nun    in   derselben  Betrachtung   auch  davon  ge- 

öprochen  habe,  dass  man  sich  alle  in  der  Schicht  von  der  Dicke 
A  befindlichen  Molecüle  so  verlegt  denken  solle,  dass  ihre  Centra 
in  einer  Ebene  liegen,  so  meint  nun  Hr.  Frowein,  jene  Miilti- 

plication  mit  —  solle   dazu  dienen,  einen  auf  eine  Ebene  bezüg- 

liehen  Ausdruck  in  einen  auf  einen  Raum  bezüglichen  zu  ver- 
wandeln, wogegen  er  sich  dann  ausspricht.    Man  sieht  also  wohl, 


208  Anhang. 

dass  es  sich  bei  diesen  beiden  Einwänden  nur  um  Missverständ- 
nisse handelt. 

Ausser  diesen  Einwänden  macht  Frow^ein  aber  noch  einen 
andern ,  welcher  mehr  sachlicher  Art  ist.  Er  sagt  nämlich, 
zwischen  dem  Falle,  wo  nur  ein  Molecül  sich  bewegt,  während 
die  anderen  in  Ruhe  sind,  und  dem,  wo  alle  Molecüle  sich  be- 
wegen, finde  in  Bezug  auf  die  mittlere  Weglänge  gar  kein  Unter- 
schied statt.     Man  habe  also  die  auf  den  ersten  Fall  bezügliche 

.3  .1 /T 

mittlere  Weglänge  weder  mit  — ,  noch  mit|/—  zu  multipliciren, 

sondern  ganz  unverändert  auch  auf  den  letzteren  Fall  an7Aiwen- 
den.  Er  giebt  allerdings  zu,  dass  die  Anzahl  der  Stösse,  welche 
ein  Molecül  in  der  Zeiteinheit  erleidet,  unter  bewegten  Molecülen 
grösser  sei,  als  unter  ruhenden,  und  zwar  in  demselben  Verhält- 
nisse, in  welchem  seine  mittlere  relative  Geschwindigkeit  zu  den 
bewegten  Molecülen  grösser  sei,  als  seine  mittlere  absolute  Ge- 
schwindigkeit, sagt  aber,  bei  der  Ableitung  der  mittleren  Weg- 
länge aus  der  Anzahl  der  Stösse  habe  man  ebenfalls  die  mittlere^ 
relative  Geschwindigkeit  statt  der  mittleren  absoluten  Geschwin- 
digkeit in  Rechnung  zu  bringen,  und  dadurch  hebe  sich  jener 
Unterschied  wieder  auf.  Dieses  ist  ein  Irrthum,  denn  es  ist  ohne 
Weiteres  ersichtlich,  dass  man,  um  die  mittlere  Weglänge  eines 
Molecüls  zu  erhalten,  die  ganze  von  ihm  während  der  Zeiteinheit 
durchlaufene  Strecke  durch  die  Anzahl  der  Wege,  aus  welchen 
die  Strecke  besteht,  zu  dividiren  hat.  Jene  Strecke  wird  aber 
durch  seine  mittlere  absolute  Geschwindigkeit  dargestellt,  und 
die  Anzahl  der  Wege  ist  gleich  der  Anzahl  der  Stösse,  welche 
es  während  der  Zeiteinheit  erleidet.  Somit  ergiebt  sich  auch 
dieser  Einwand  als  ungerechtfertigt. 

3.  Von  grösserer  Bedeutung,  als  die  vorstehenden  Einwände, 
ist  eine  Veränderung,  welche  Korteweg  mit  meiner  Formel  vor- 
genommen hafi),  weil  das  Irrthümliche  in  der  von  ihm  gegebe- 
nen Begründung  schwerer  herauszufinden  ist.  Eine  Besprechung 
dieser  Veränderung  scheint  mir  daher  besonders  nöthig  zu  sein. 

Sie  besteht  in  der  Hinzufügung  eines  in  meiner  Formel 
nicht  vorkommenden  Factors  2,  also  in  der  Verdoppelung  des 
von   mir   gegebenen   Werthes   der  mittleren   Weglänge,   und   die 


1)  Korteweg,   Archives   Neerlandaises   des    sciences  exactes  et  natu- 
relles 12,  p.  241,  1877. 


Uehev  einige  ueue  Untersuclmngen  etc.  209 

Schlussweise,  durch  welche  er  zu  diesem  doppelten  Werthe  ge- 
langt, ist  folgende. 

Er  betrachtet  zunächst  alle  sich  durcheinander  bewegenden 
Molecüle  in  den  Bewegungsstadien,  in  welchen  sie  sich  in  einem 
gewissen  Momente  befinden,  und  bestimmt  den  Mittelwerth  der 
Wegstücke,  welche  sie  von  diesem  Momente  an  bis  zu  ihren 
nächsten  Stössen  zurücklegen.  Dann  sagt  er  weiter,  vor  jenem 
von  ihm  zur  Betrachtung  ausgewählten  Momente  liaben  die  Mole- 
cüle seit  ihren  letzten  Stössen  auch  schon  gewisse  Wegstücke 
durchlaufen,  deren  Mittelwerth  ebenso  gross  sei,  wie  der  von 
ihm  bestimmte  Mittelwerth  der  nach  jenem  Momente  durch- 
laufenen Wegstücke,  und  demnach  sei  der  Mittelwertli  der  gan- 
zen von  einem  Stosse  bis  zum  andern  durchlaufenen  Wege  dop- 
pelt so  gross,  als  jener  von  ihm  bestimmte  Mittelwerth,  und  dieser 
doppelte  Werth    sei   somit   als   mittlere  Weglänge   anzunehmen. 

Diese  Schlussweise  scheint  auf  den  ersten  Blick  so  einfach 
und  natürlich  zu  sein,  dass  man  glauben  könnte,  ihr  ohne  Wei- 
teres zustimmen  zu  müssen.  Dessenungeachtet  ist  sie  unrichtig. 
Der  Mittelwerth  der  Wegstücke,  welche  die  Molecüle  von  einem 
gewissen  Momente  an  bis  zu  den  nächsten  Stössen  durchlaufen, 
ist  nicht  halb  so  gross,  sondern  ebenso  gross,  wie  die  Strecke, 
welche  wir  mittlere  Weglänge  nennen,  nämlich  der  Mittelwerth 
aller  im  Gase  vorkommenden,  von  einem  Stosse  zum  andern 
durchlaufenen  Wege. 

Ich  habe  mich  über  diesen  Punct  schon  einmal  in  meiner 
Abhandlung  über  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper  aus- 
gesprochen ^).  Dort  habe  ich  nämlich  alle  Molecüle  betrachtet, 
welche  sich  in  einem  gewissen  Momente  in  einer  unendlich  dün- 
nen Schicht  befinden,  und  habe  mir  die  Frage  gestellt,  wie  gross 
der  Mittelwerth  der  Wegstücke  sei,  welche  sie  von  diesem  Mo- 
mente an  bis  zu  ihren  nächsten  Stössen  durchlaufen  müssen,  und 
ebenso,  wie  gross  der  Mittelwerth  der  Wegstücke  sei,  welche  sie 
vor  diesem  Momente  seit  ihren  letzten  Stössen  durchlaufen  haben. 
Diese  beiden  unter  sich  gleichen  Mittelwerthe ,  welche  ich  mit  s 
bezeichnete,  stellten  sich  als  ebenso  gross  heraus,  wie  die  ganze, 
früher  von  mir  bestimmte  mittlere  Weglänge,  welche  ich  dadurch 


1)  Clausius,  Pogg.  Ann.  115,  20,  1862,  und  Abhandlungen-Samm- 
lung 2,  292,  1867.  In  die  oben  entwickelte  Theorie  hat  der  Verf.  diese 
BetracbtuDg  nicht  mehr  aufgenommeu.  D.  H. 

Clausius,  median.  Wärmetlieorie.     111.  ^4: 


210  Anhang. 

erhalten  hatte,  dass  ich,  von  einer  grossen  Anzahl  von  Stössen 
ausgehend,  die  Wege  der  Molecüle  bis  zu  ihren  nächsten  Stössen 
betrachtete  und  von  diesen  den  Mittelwerth  nahm.  Nachdem 
ich  auf  diesen  eigenthümlichen  Umstand  im  Texte  aufmerksam 
gemacht  hatte,  fügte  ich  zur  Erklärung  desselben  folgende  An- 
merkung hinzu. 

„Es  kann  vielleicht  auf  den  ersten  Blick  auffällig  erscheinen, 
dass  man  für  die  Wege  von  den  letzten  Zusammenstössen  bis 
zu  einem  gewissen  Zeitpuucte,  oder  von  diesem  Zeitpuncte  bis  zu 
den  nächsten  Zusammenstössen  denselben  Mittelwerth  erhält,  wie 
für  die  während  einer  gewissen  Zeit  in  dem  Gase  zurückgelegten 
ganzen  Wege  von  einem  Zusammenstosse  bis  zum  nächsten.  Da- 
bei muss  man  aber  bedenken,  dass  der  Mittelwerth  aus  allen 
Wegen,  welche  während  einer  gewissen  Zeit  in  dem  Gase  zwischen 
je  zwei  Zusammenstössen  zurückgelegt  werden,  nicht  gleich- 
bedeutend ist  mit  demjenigen  Mittelwerthe ,  den  man  erhalten 
würde,  wenn  man  von  allen  Molecülen,  welche  sich  in  einem 
gewissen  Momente  gleichzeitig  in  einer  Schicht  befinden,  die  Wege 
von  ihren  letztvorangegangenen  bis  zu  ihren  nächstfolgenden 
Zusammenstössen  betrachten  wollte.  Im  letzteren  Falle  sind  näm- 
lich die  grossen  Wege  gegenüber  den  kleinen  stärker  vertreten, 
als  im  ersteren,  denn  ein  Molecül  braucht  zu  einem  grossen  Wege 
mehr  Zeit,  als  zu  einem  kleinen,  und  es  ist  daher  für  einen 
gewissen  Moment  mehr  Wahrscheinlichkeit,  dass  es  sich  auf  einem 
grossen  Wege  befindet,  als  auf  einem  kleinen,  während  im  ersteren 
Falle  alle  im  Gase  vorkommenden  Wege  gleich  zählen.  Wenn 
man  die  Rechnung  ausführt,  so  findet  man  im  letzteren  Falle 
einen  doppelt  so  grossen  Mittelwerth,  als  im  ersteren.  Von  jenem 
grösseren  Mittelwerthe  ist  unser  oben  bestimmter  Werth  s  die 
Hälfte." 

Hieraus  erklärt  es  sich  also,  weshalb  Korteweg  bei  seinem 
Verfahren,  bei  dem  er  die  Molecüle  in  einem  gewissen  Momente 
betrachtete  und  die  Wege  von  ihren  letztvorangegangenen  bis  zu 
ihren  nächstfolgenden  Stössen  bestimmte,  einen  Werth  erhalten 
musste,  welcher  doppelt  so  gross  ist,  als  die  wirkliche  mittlere 
Weglänge. 

4.  Während  die  bisher  besprochenen  Meinungsdifferenzen 
über  die  richtige  Form  des  Ausdruckes  der  mittleren  Weglänge 
der  Art  waren,  dass  es  sich  dabei  um  verhältnissmässig  bedeu- 
tende Werthänderungen  handelte,  ist  schliesslich  noch  eine  Ab- 


Ueber  einige  neue  Untersuchungen  etc.  211 

änderung  des  Ausdruckes  zu  erwähnen,  bei  welcher  es  sicli  nur 
um  einen  verhältnissmässig  sehr  kleinen  Unterschied  des  VVerthes 
handelt,  nämlich  um  einen  solchen,  der  von  der  Ordnung  der 
Moleculardimensionen  ist. 

Ich  habe,  wie  schon  oben  erwähnt,  um  die  gegenseitige  Ein- 
wirkung der  Molecüle  in  Rechnung  bringen  zu  können,  ohne 
doch  über  ihre  Gestalt  und  über  die  von  ihnen  ausgeübten  Kräfte 
specielle  Hypothesen  machen  zu  müssen,  für  jedes  Molecül  eine 
gewisse  Wirkungssphäre  angenommen,  welche  ich  als  eine  um 
seinen  Schwerpunct  beschriebene  Kugel  definirte,  bis  zu  deren 
Oberfläche  sich  der  Schwerpunct  eines  andern  Molecüls  ihm 
nähern  könne,  bevor  ein  Abprallen  eintrete.  Nach  dieser  An- 
nahme konnte  ich  in  dem  zuerst  von  mir  behandelten  Falle,  wo 
nur  ein  Molecül  sich  bewegt,  während  die  anderen  in  Rühe  sind, 
das  bewegte  Molecül  durch  einen  blossen  Punct  ersetzen,  welcher 
zwischen  den  Wirkungssphären  der  ruhenden  Molecüle  umherfliegt 
und  bald  hier,  bald  dort  an  eine  derselben  austösst. 

Um  nun,  wenn  der  Punct  sich  mit  einer  gewissen  Bewegnngs- 
richtung  einer  Wirkungssphäre  nähert,  zu  bestimmen,  ob  er  sie 
trifft  oder  an  ihr  vorübergeht,  dachte  ich  mir  senkrecht  zu  der 
Bewegungsrichtung  des  Punctes  einen  grössten  Kreis  durch  die 
Wirkungssphäre  gelegt  und  sagte  dann,  wenn  die  Bahnlinie  des 
Punctes  diese  Kreisfläche  schneidet,  so  findet  Zusammentreffen, 
im  anderen  Falle  Vorübergehen  statt. 

Im  Zusammenhange  mit  dieser  Betrachtung  habe  ich  auch 
das  Ende  des  Weges,  welchen  der  Punct  bis  zum  Zusammen treö'en 
zu  durchlaufen  hat,  der  Einfachheit  wegen  so  bestimmt,  als  ob 
es  in  jener  mittleren  Kreisfläche  läge.  Da  aber  in  der  Wirklich- 
keit der  Punct  sich  nicht  bis  zur  mittleren  Kreisfläche,  sondern 
nur  bis  zur  Oberfläche  der  Wirkungssphäre  bewegen  kann,  so 
ist  durch  diese  Bestimmungsweise  der  Weg  etwas  zu  lang  ge- 
rechnet. Der  unter  (1)  und  (2)  mitgetheilte  Ausdruck  von  V  hat 
also  einen  etwas  zu  grossen  Werth,  und  dieselbe  Ungenauigkeit 
überträgt  sich  natürlich  auch  auf  den  aus  (2)  abgeleiteten  Aus- 
druck (3),  welcher  die  mittlere  Weglänge  für  den  Fall  darstellt, 
wo  nicht  bloss  ein  Molecül  sich  bewegt,  sondern  alle  Molecüle 
in  Bewegung  sind.  Da  aber  bei  Gasen,  die  nicht  sehr  stark  ver- 
dichtet sind,  die  mittlere  Weglänge  gegen  den  Radius  der  Wir- 
kungssphäre sehr   gross  ist,  so  ist  die  auf  diese  Weise  entstan- 

14* 


212  Anhang. 

dene  Ungenaiiigkeit  im  Verhältniss  zur  ganzen  mittleren  Weg- 
länge sehr  klein. 

Später  sind  verschiedene  Versuche  gemacht,  diese  kleine 
Ungenauigkeit  noch  zu  corrigiren  und  die  wirkliche  Lage  der 
,Stosspuncte  in  den  Oberflächen  der  Wirkungssphären  zu  berück- 
sichtigen. Die  erste  derartige  Rechnung  wurde  von  van  der 
Waals  in  seiner  schönen  Schrift:  „Over  de  continuiteit  van 
den  gas-en  vloeistoftoestand"  (Leiden  1673)  ausgeführt.  Ein  Jahr 
später  habe  ich  selbst,  ohne  damals  den  Inhalt  jener  in  hollän- 
discher Sprache  verfassten  Schrift  zu  kennen,  bei  Gelegenheit 
einer  anderen  Untersuchung  i)  eine  erneute  Bestimmung  der  mitt- 
leren Weglänge  der  Molecüle  vorgenommen,  bei  der  jene  Ver- 
legung der  Stosspuncte  in  die  mittleren  Kreisflächen  nicht  vor- 
kommt. Ferner  hat  Korteweg  in  seiner  schon  oben  citirten 
Abhandlung  2),  in  welcher  er  den  Factor  2  in  die  Formel  ein- 
geführt hat,  gleichzeitig  den  hier  in  Rede  stehenden  Umstand 
mit  berücksichtigt,  und  endlich  ist  auch  van  der  Waals  noch 
einmal  auf  den  Gegenstand  zurückgekommen  ?>). 

Die  Resultate  dieser  verschiedenen  Untersuchungen  stimmen 
unter  einander  nicht  ganz  überein,  sondern  es  ist  in  ihnen  noch 
ein  Differenzpunct  geblieben.  Ich  glaube  aber  kaum,  dass  eine 
Erörterung  desselben  für  die  Leser  von  erheblichem  Interesse 
sein  würde,  da  selbst  eine  vollkommen  genaue  Berücksichtigung 
des  in  Rede  stehenden  Umstandes  die  Sache  noch  nicht  zum 
Abschluss  bringen  würde.  Ich  habe  nämlich  bei  weiterer  Be- 
trachtung des  Gegenstandes  gefunden,  dass,  wenn  man  einmal 
so  kleine  Unterschiede,  wie  den  durch  die  Lage  des  Stosspunctes 
bedingten,  in  Rechnung  ziehen  will,  man  auch  noch  auf  einen  an- 
deren die  mittlere  Weglänge  beeinflussenden  Umstand  Rücksicht 
nehmen  muss. 

Die  vorher  definirten  Wirkungssphären  der  Molecüle  sind 
nämlich  grösser  als  die  Molecüle  selbst.  Denkt  man  sich  z.  B. 
die  Molecüle  als  harte  elastische  Kugeln,  so  haben  bei  diesen, 
wie  schon  oben  einmal  erwähnt  wurde,  die  Wirkungssphären 
einen  doppelt  so  grossen  Radius  und  daher  ein  achtmal  so  grosses 


1)  Clausius,  Sitzungsberichte  der  Niederrhein.  Gesellschaft  für  Natur- 
und  Heilkunde,  1874,  und  Pogg.  Ann.,  Ergzbd.  7,  215,  1876. 

2)  Korteweg,  Archives  Neerlandaises  des  sciences  exactes  et  naturel- 
les, 12,  241,  1877. 

3)  Van  der  Waals,  Archives  Neerlandaises  12,  201,  1877. 


lieber  eiuige  neue  Untersucliungen  etc.  213 

Volumen,  als  die  elastischen  Kugeln.  Daraus  folgt,  class,  wenn 
zwei  Molecüle  einander  selir  nahe  liegen,  ihre  Wirkungssphären 
sich  zum  Theil  gegenseitig  decken  können.  Dieser  Umstand  ist 
bei  der  zur  Ableitung  der  Gleichung  (2)  angestellten  Betrachtung 
des  Falles,  wo  ein  Punct  sich  zwischen  den  ruhenden  Wirkungs- 
sphären umherbewegt,  nicht  berücksichtigt,  sondern  es  ist  still- 
schweigend angenommen,  dass  die  Oberflächen  aller  Wirkungs- 
sphären vollkommen  frei  seien,  so  dass  sie  in  jedem  ihrer  Puncte 
von  dem  bewegten  Puncte  getroffen  werden  können.  Hierdurch 
ist  nun  ebenfalls  eine  Ungenauigkeit  in  dem  durcli  die  Glei- 
chung (2)  bestimmten  Werthe  von  l'  und  demgemäss  auch  in 
dem  durch  die  Gleichung  (.3)  bestimmten  Werthe  von  l  ver- 
anlasst, welche  von  derselben  Ordnung  ist,  wie  die  vorher  be- 
sprochene, so  dass  eine  Correction  der  einen  ohne  gleichzeitige 
Correction  der  anderen  gar  nichts  nützen  kann. 

Man  könnte  nun  freilich  durch  eine  erweiterte  Ptechnung 
auch  die  zweite  Correction  noch  hinzufügen,  und  in  der  That 
habe  ich  für  mich  eine  solche  Rechnung  ausgeführt  i).  Ich  muss 
aber  sagen,  dass  ich  wenig  Gewicht  darauf  lege.  Es  ist  nämlich 
zu  beachten,  dass  die  ganze  Annahme  von  scharf  abgegrenzten 
Wirkungssphären  nur  eine  angenäherte  ist.  Bei  harten  elasti- 
schen Kugeln,  welche  beim  Zusammentreffen  plötzlich  von  ein- 
ander abprallen,  lässt  sich  allerdings  der  Vorgang  durch  Ein- 
führung von  Wirkungssphären  von  bestimmt  augebbarer  Grösse 
genau  darstellen.  Die  wirkliche  gegenseitige  Einwirkung  der 
Molecüle  ist  aber  wahrscheinlich  von  dem  Verhalten  harter 
elastischer  Kugeln  sehr  verschieden  und  lässt  sich  durch  die  Ein- 
führung von  scharf  begrenzten  Wirkungssphären  nur  unvollkom- 
men darstellen.  Wenn  hiernach  schon  in  der  Annahme,  auf  wel- 
cher die  Rechnung  beruht,  eine  Ungenauigkeit  liegt,  so  würde 
es  meiner  Ansicht  nach  keinen  Nutzen  haben ,  wenn  man  die 
Rechnung  selbst  bis  zur  äussersten  Genauigkeit  treiben  wollte. 

Es  scheint  mir  vielmehr,  so  lange  uns  nähere  Kenntnisse  über 
die  Molecüle  fehlen,  am  angemessensten,  sich  bei  der  Bestimmung 
ihrer  mittleren  Weglänge  mit  einer  Annäherung  zu  begnügen 
und  bei  der  ursprünglich  von  mir  abgeleiteten  Gleichung  (3), 
welche  die  einfachste  Form  hat,  stehen  zu  bleiben,  dabei  aber 
im  Auge  zu  behalten,  dass  sie  nicht  vollkommen  genau,  sondern 

1)  Siehe  S.  57  £f.  D.  H. 


214  Anhang. 

mit  einer  Ungenauigkeit  von  der  Ordnung  der  Moleculardimen- 
sionen  behaftet  ist.  Diese  Ungenauigkeit  fällt  dann  in  dieselbe 
Kategorie,  wie  die  Abweichung  der  Gase  vom  Mariotte'schen 
und  G ay -L US sac' sehen  Gesetze  und  von  den  anderen  für  den 
vollkommenen  Gaszustand  geltenden  Gesetzen,  welche  trotzdem, 
dass  sie  für  die  wirklichen  Gase  nicht  ganz  genau  sind,  doch 
ihren  Werth  als  angenäherte  und  durch  ihre  Einfachheit  aus- 
gezeichnete Gesetze  behalten. 

Bonn,  Februar  1880. 


Abhandlung    VI. 


Ueber  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes 
und  der  Volumina  des  Dampfes  und  der  Flüssigkeit. 

I.    Aufsatz. 
(Wiedemann's  Ann.  14,  S.  279  bis  290,  1881.) 

§.  1.  Wenn  man  ein  Gas  bei  constanter  Temperatur  mehr 
und  mehr  zusammendrückt,  so  beginnt,  wie  man  weiss,  bei  einem 
gewissen  Drucke  die  Condensation,  welche  sich  ohne  Druckzunahme 
vollzieht,  und  erst,  wenn  sie  beendet  ist,  bedarf  es  zu  noch  weiterer 
Volumenverminderung  einer  Vermehrung  des  Druckes,  welcher 
dann  in  starkem  Verhältnisse  wachsen  muss.  Neben  diesem  wirk- 
lichen Verlaufe  der  Sache  hat  bekanntlich  J.  Thomson  einen 
anderen  Vorgang  ersonnen,  der  zwar  in  der  Wirklichkeit  nicht 
stattfinden  kann,  weil  die  in  ihm  vorkommenden  Gleichgewichts- 
zustände zum  Theil  labil  sind,  der  aber  theoretisch  doch  denk- 
bar ist,  nämlich  eine  Volumenänderung,  bei  der  die  ganze  Masse 
als  fortwährend  homogen  vorausgesetzt  wird,  und  der  Druck  sich 
dem  gemäss  stetig  ändert.  Die  Curve,  welche  für  diesen  letzteren 
Vorgang  die  der  Volumenänderung  entsprechende  Druckänderung 
darstellt,  kann  man  kurz  die  tJieoretiscJie  Isotherme  nennen.  Die 
ivirläiche  Isotherme  unterscheidet  sich  von  ihr  dadurch,  dass  auf 
einer  gewissen  Strecke,  welche  bei  der  Zusammendrückung  dem 
Condensationsprocesse  und  umgekehrt  bei  der  Ausdehnung  dem 
Verdampfungsprocesse  entspricht,  die  gekrümmte  Linie  durch 
eine  der  Abscissenaxe  parallele  gerade  Linie  ersetzt  ist.  Diese 
Gerade  muss,  wie  sich  aus  dem  zweiten  Hauptsatze  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  nachweisen  lässt,  so  liegen,  dass  die  bei 
der  Verdampfung  gethane   äussere  Arbeit  gleich   derjenigen   ist, 


216  Aahang. 

welche  bei  derselben  Volumenzunalime  gethan  werden  würde, 
wenn  der  Druck  sich  nach  der  theoretischen  Isotherme  änderte  i). 
Diesen  über  die  Lage  der  Geraden  geltenden  Satz  kann  man 
nun  anwenden,  um  aus  der  allgemeinen,  für  alle  Volumina  gel- 
tenden theoretischen  Druckformel  denjenigen  Druck  abzuleiten, 
welchen  der  gesättigte  Dampf  ausübt.  Die  erste  hierüber  veröffent- 
lichte Untersuchung,  welche  mir  bekannt  geworden  ist,  findet  sich 
in  einem  interessanten  Aufsatze  von  van  der  Waals^).  Der 
Verfasser  hat  zwar  von  der  vollständigen  Mittheilung  seiner 
Rechnungen  und  der  aus  ihnen  hervorgegangenen  Endgleichungen 
Abstand  genommen,  weil  die  ersteren  zu  langwierig  und  die  letz- 
teren zu  verwickelt  und  ausserdem  nur  für  einen  beschränkten 
Theil  der  Curven  gültig  seien,  hat  aber  eine  Reihe  daraus  gezo- 
gener wichtiger  Folgerungen  zusammengestellt.  Eine  andere  eben- 
falls sehr  werthvolle  Untersuchung  über  den  Gegenstand  ist  in 
neuester  Zeit  von  Planck  veröffentlicht  3) ,  worin  sowohl  die 
allgemeinen  Gleichungen  als  auch  ihre  specielle  Anwendung  auf 
Kohlensäure  mitgetheilt  sind. 


1)  Als  icli  in  meinem  Aufsatze  über  das  Verhalten  der  Kohlensäure 
(Wied.  Ann.  9,  337,  1880,  ver.ofl.  oben  S.  202)  die  Lage  der  Geraden  in  der 
oben  angegebenen  Weise  bestimmte ,  betrachtete  ich  die  betreffende  Frage- 
ais eine  noch  offene.  Dabei  hatte  ich  meine  Kenntniss  von  Maxwell's  An- 
sichten aus  der  Quelle  geschöpft,  die  als  die  maassgebendste  betrachtet  wer- 
den musste,  nämlich  aus  seinem  Werke  über  die  Wärmetheorie,  und  zwar 
aus  der  letzten  von  ihm  bearbeiteten,  im  Jahre  1875  erschienenen  Auflage. 
In  die?er  Auflage  hat  er  eine  in  den  früheren  Auflagen  ausgesprochene, 
vom  Obigen  abweichende  Ansicht  fortgelassen,  ohne  jedoch  eine  andere 
Ansicht  an  deren  Stelle  zu  setzen,  woraus  ich  natürlich  schliessen  musste, 
dass  er  jene  Ansicht  als  unrichtig  erkannt,  aber  noch  keine  ihn  mehr 
befriedigende  gewonnen  habe.  Nachträglich  habe  ich  durch  eine  gütige 
Mittheilung  des  Herrn  van  derWaals  erfahren,  dass  Maxwell  noch 
an  einem  anderen  Orte  über  die  Sache  gesprochen  und  dort  eine  mit  dem 
Obigen  übereinstimmende  Ansicht  geäussert  hat,  nämlich  in  einem  am 
18.  Februar  1875  in  der  Chemical  Society  gehaltenen  Vortrage,  welcher 
dann  in  „Nature"  vom  4.  und  11.  März  1875  abgedruckt  ist.  Weshalb  Max- 
well die  dort  geäusserte  Ansicht  in  der  in  demselben  Jahre  erschienenen 
neuen  Auflage   seines  Werkes  nicht  erwähnt  hat,  ist  mir  unbekannt. 

2)  Van  der  Waals,  Onderzoekingen  omtrent  de  overeenstemmende 
eigenschappen  der  normale  verzadigden  -  damp  -  en  vloeistoflijnen ,  Amster- 
dam 1880;  auch  aufgenommen  in  die  von  Roth  veröffentlichte  Ueber- 
setzung  des  Buches:  Over  de  continuiteit  van  den  gas-en  vloeistoftoestand, 
Leipzig  1881. 

3)  Planck,  Wied.  Ann.  13,  535,  1881. 


lieber  die  theoretisdie  Bestimmung  des  Dami)fdriicke8  etc,  217 

Auch  ich  hatte  mich  schon,  hevor  ich  diese  Untersuchungen 
kennen  lernte,  seit  längerer  Zeit  mit  demselben  Gegenstande 
beschäftigt,  und  der  Abschluss  meiner  Untersuchung  war  nur 
durch  die  Beschwerlichkeit  der  numerischen  Rechnungen  ver- 
zögert, welche  zur  Vergleichung  der  theoretisclien  Formeln  mit 
den  Beobachtungsdaten  nöthig  waren.  Nachdem  nun  aber  jene 
Untersuchungen  von  van  der  Waals  und  Planck  veröffent- 
licht sind,  glaube  ich  auch  mit  der  Veröffentlichung  der  meinigen 
nicht  länger  zögern  zu  dürfen,  und  ich  will  mir  erlauben,  in 
diesem  Aufsatze  zunächst  die  allgemeinen,  von  der  Natur  der 
einzelnen  Stoffe  unabhängigen  Formeln  und  eine  darauf  bezüg- 
liche Zahlenreihe  mitzutheilen ,  indem  ich  mir  vorbehalte,  die 
Anwendungen  auf  bestimmte  Stoffe  in  einem  anderen  Aufsatze 
folgen  zu  lassen. 

§.  2.  Die  Formel,  welche  ich  in  meinem  Aufsatze  über  das 
Verhalten  der  Kohlensäure  zur  Darstellung  des  Druckes  als 
Function  von  Volumen  und  Temperatur  im  Anschlüsse  an  frühere 
von  anderen  Autoren  aufgestellte  Formeln  gebildet  habe,  lautet: 

T  c 

worin  ^,  v  und  T  Druck,  Volumen  und  absolute  Temperatur, 
und  2?,  c,  a  und  /3  Constante  bedeuten.  Diese  Formel  habe  ich 
zunächst  für  Kohlensäure  durch  Vergleichung  mit  den  Beobach- 
tungsresultaten von  Andrews  gebildet  und  habe  nur  als  Ver- 
muthung  hinzugefügt,  dass  sie  sich  bei  anderer  Bestimmung  der 
Constanten,  ohne  sonstige  Aenderung,  auch  auf  die  übrigen  .Gase 
anwenden  lassen  werde.  Als  ich  nun  aber  den  Versuch  machte, 
sie  auf  solche  Stoffe,  für  welche  ausgedehnte  und  zuverlässige 
Reihen  von  Beobachtungsdaten  vorliegen,  insbesondere  auf  den 
Wasserdampf  anzuwenden,  fand  ich,  dass  zur  Herstellung  einer 
genügenden  Uebereinstimraung  doch  noch  eine  weitere  Aenderung 
mit  der  Formel  vorgenommen  werden  muss,  und  zwar  eine  Aende- 
rung, die  ich  früher,  als  ich  mich  nur  mit  der  Kohlensäure  be- 
schäftigte, schon  einmal  im  Auge  hatte,  von  der  ich  damals  aber 
wegen  der  Unsicherheit  derjenigen  Beobachtungsdaten,  auf  welche 
ich  sie  hätte  gründen  müssen,  zurückgekommen  war.  Es  muss 
nämlich  an  die  Stelle  des  im  letzten  Gliede  vorkommenden  Bruches 
c/T  eine  allgemeinere  Temperaturfunction  mit  mehr  unbestimmten 
Constanten  gesetzt  werden. 


218  Anhang. 

Da  für  die  hier  zunächst  beabsichtigten  allgemeinen  Ent- 
wickelungen  die  genauere  Kenntniss  der  Temperaturfunction  noch 
nicht  nöthig  ist,  so  wollen  wir  uns  vorläufig  damit  begnügen,  sie 
durch  Einführung  eines  neuen  Zeichens  anzudeuten.  Zur  Bequem- 
lichkeit der  Rechnungen  ist  es  aber  zweckmässig,  dieses  neue 
Zeichen  nicht  so  zu  wählen,  dass  es  einfach  an  die  Stelle  des 
Bruches  c/T  zu  setzen  ist,  sondern  so,  dass  es  eine  andere,  diesen 
Bruch  enthaltende  Grösse  vertritt.  Dazu  wollen  wir  der  G-lei- 
chung  (1)  folgende  Form  geben: 

p     1  c 

'BT  ~  V  —  a  "  BT'(v  ^  /3)2' 
und  hierin  möge  der  Bruch 


durch  — ~r^ — ~ 


BT'-  8^ 

ersetzt  werden,  worin  d-  die  unbestimmt  gelassene  Temperatur- 
function bedeuten  soll,  von  der  vorläufig  nur  soviel  gesagt  wer- 
den möge,  dass  sie  für  T  =  0  ebenfalls  den  Werth  o,  und  für 
die  kritische  Temperatur  den  Werth  1  hat.  Durch  diese  Sub- 
stitution geht  die  vorige  Gleichung  über  in: 

^  -^  BT        V  —  a        8^(v  +  ßp' 

Um  diese  Gleichung  auf  den  Verdampfungsprocess  anzu- 
wenden, wollen  wir  den  Druck  des  gesättigten  Dampfes  zur  Unter- 
scheidung mit  P  bezeichnen  und  für  das  Volumen  des  gesättigten 
Dampfes  und  der  unter  demselben  Drucke  stehenden  Flüssigkeit 
die  auch  sonst  von  mir  gebrauchten  Zeichen  s  und  6  anwenden. 
Da  nun  die  Gleichung  sowohl  für  die  Flüssigkeit  als  auch  für 
den  gesättigten  Dampf  gelten  muss,  so  können  wir  aus  ihr  fol- 
gende zwei  Gleichungen  bilden : 


(4) 


BT  "  6  -  a        8-^(0  +  ßy 
P    _       1  27(cc  +  ^) 


BT        s  —  a        8^(s  -\-  ßy 

Um  ferner  auszudrücken,  dass  die  bei  der  Verdampfung  ge- 
leistete äussere  Arbeit  gleich  derjenigen  sein  muss,  welche  man  bei 
derselben  Volumenzunahme  erhalten  würde,  wenn  der  Druck  sich 
nach  der  theoretischen  Isotherme  und  der  ihr  entsprechenden 
Formel  änderte,  hat  man  zu  setzen: 


1  27  y 


Ueber  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes  etc.  219 

.9 

P(s  —  6)  =  J'  pdv, 

(I 

und  wenn  man  hierin  für  p  den  durch  die  Gleichung  (2)  be- 
stimmten Werth  setzt,  dann  die  Integration  ausführt  und  die 
so  entstehende  Gleichung  noch  mit  RT  dividirt,  so  kommt: 

Der  Bequemlichkeit  wegen  wollen  wir  noch  folgende  verein- 
fachte Zeichen  einführen: 

(6)  \"  =  4t^      r  =  «  +  /5 

\w  :=  6  —  a\    W  =  s  —  a, 
dann  lauten  die  Gleichungen  (3),  (4)  und  (5): 

(I)  n='  ^'^ 

(III)      n{W  -  lü)  =  iog  —  -^  (—. wn— Y 

Diese  drei  Gleichungen  sind  es,  welche  man  zur  Rechnung 
anzuwenden  hat,  indem  sich  aus  ihnen  die  VVerthe  von  77,  ic 
und  W  für  jeden  Werth  von  d-  bestimmen  lassen,  was  dann 
weiter,  wenn  #•  als  Function  von  T  bekannt  ist,  dazu  führt,  die 
Werthe  von  77,  tv  und  W  auch  für  jeden  Werth  von  T  zu  be- 
stimmen. 

§.  3.  Wollte  man  die  Rechnung  so  ausführen,  dass  man  die 
drei  Grössen  77,  w  und  W  direct  als  Functionen  von  d-  aus- 
zudrücken suchte,  so  würde  man  eine  transscendente  Gleichung 
zu  behandeln  haben,  welche  sich  in  geschlossener  Form  nicht 
auflösen  lässt.  Es  ist  daher,  wie  Planck  ganz  richtig  sagt, 
besser,  zunächst  alle  vier  Grössen  77,  tv,  W  und  %■  als  Functionen 
einer  zweckmässig  gewählten  neuen  Veränderlichen  zu  bestimmen. 
Planck  hat  als  solche  neue  Veränderliche  eine  Winkelgrösse  qo 
gewählt,  welche  er  vorläufig  noch  mit  einer  anderen  Grösse  r 
vereinigt  und  mit  dieser  zusammen  durch  folgende  Gleichungen 
definirt  hat: 


220  Anhang. 

Ich  habe  dagegen  in  meinen  Rechnungen  einfach  die  in  Glei- 
chung (III)  vorkommende  Grösse  log{Wjiü)  als  die  neue  Ver- 
änderliche gewählt,  welche  ich  mit  A  bezeichnet  habe. 

Bevor  wir  dieses  Zeichen  in  die  obigen  Gleichungen  ein- 
führen, wollen  wir  dieselben  noch  etwas  umgestalten.  Aus  (I) 
und  (II)  folgt  ohne  Weiteres: 

JL 27  y  _    \ 27  y 

ii;         8  -^  (w  -V  yf  ~  W        8  ^  ( IF  +  yY 
und  hieraus  ergiebt  sich: 

J^ ]_ 

27  y  lü  W 


8^  1  1 

oder  umgeformt: 


(7) 


■    {tv-{-yy^       (W-^yy 
27  y  _    (W^  y)Htü  +  7)2 


8^  Wiv(W-}-  lü  -^2y) 

Wenn  man  diesen  Werth   von  27  y/8  d-  in  die  Gleichung  (I)  ein- 
setzt, so  erhält  man: 


tv         Wiv{W-^  lü  -\-  2yy 
welchen  Ausdruck  man  umformen  kann  in : 

^  f  y^  \  ' 

Was   endlich  die  Gleichung  (III)   anbetrifft,   welche  jetzt  in 
folgender  Anordnung  geschrieben  werden  möge: 

7       "^         rrrijr  ^     1     27  y    /       1  1        \ 

-^    w  ^  -^    ^      8  u-    \w  -\-  y        W  -\-  yj 

so  geht  dieselbe,  wenn  man  für  27  y/8 -9-  und  TT  die  unter  (7) 
und  (8)  gegebenen  Werthe  setzt  und  dann  noch  einige  Reductionen 
vornimmt,  in  folgende  über: 

^q^  l.n  K  -  (W-w)(2Wio  +  yW-i-yiv) 

ly;  ^og  ,^^  —  Wiü(W^w  ^2y) 

Auf  diese  letzte  Gleichung  wollen  wir  nun  die  Gleichung: 
(10)  ^  =  ^^^^ 


Üeber  die  tlieoretisclie  Bestimrannf,^  des  Bampfdruckos  etc.  221 

und  die  aus  ihr  sich  ergebende  Gleichung: 
(11)  W=we^ 

anwenden,  wodurch  wir  erhalten: 


e^[io{e^  +  Ij  +  2y]' 
oder  anders  geschrieben: 

(12)  A  =  (i-0    2»  +  r(i  +  0 


Diese  Gleichung  lässt  sich  leicht  nach  iv  auflösen  und  giebt: 

1  —  2Ae-^  —  e-2^ 
^1^)  ''  -  ^  A-2  +  (A4-2).-^- 

und  hieraus  ergiebt  sich  gemäss  (11)  sofort  weiter: 

^1^)  ^-^^    A-2  +  (A  +  2)e-^- 

Um  die  Grösse  77  zu  berechnen,  kann  man,  wenn  die  Grössen 
*(;  und  TT  einmal  berechnet  sind,  die  Gleichung  (8)  anwenden. 
Will  man  aber  11  als  Function  von  A  darstellen,  so  hat  man  in 
(8)  für  tu  und  W  die  unter  (13)  und  (14)  gegebenen  Ausdrücke 
zu  setzen  und  erhält  dann  nach  einigen  Reductionen: 

e-^  [A  -  2  +  (A  +  2)  e-'] .  [(1  -  e-'y  -  l\e-^-] 
^  ^  ~  r(l  —  e-^)(l  —  '2.lc-^  —  e-2Aj2 

Zur  Bestimmung   der  letzten  Grösse  %^  ergiebt  sich  aus  (7) : 

27y   T^^(;(TF+^f;  +  2?.) 

^^  8      {W  -YyYiw^yy 

und   wenn   man   hierin  für  w  und   T'F  ihre  Werthe  aus  (13)  und 
(14)  einsetzt,  so  erhält  man: 

27  [A  -2  +  (A  +  2)e-^](l  -  2  Ae-^  -  e-^^)^ 
'^   ^  8   (1  —  e-^)(A  —  1  +  e-ÖHl  —  e~^  —  ^e-")'" 

Durch  die  Gleichungen  (13),  (14),  (15)  und  (17)  ist  erreicht, 
was  beabsichtigt  wurde,  nämlich  die  vier  Grössen  lü,  TF,  U  und 
%■  durch  eine  und  dieselbe  Grösse  A  auszudrücken. 

§.  4.  Will  man  die  gefundenen  Ausdrücke  in  Reihen  ent- 
wickeln, die  nach  Potenzen  von  A  fortschreiten,  so  stösst  man 
auf  ein  eigenthümliches  Verhalten.  In  fast  allen  Factoren,  welche 
in  den  Zählern  und  Nennern  vorkommen,  heben  sich  die  von  A 
unabhängigen   und   die   mit  niederen  Poteiizen  von  A  behafteten 


■222  Anhang. 

Glieder  auf,  so  dass  alle  Zähler  und  Nenner  ziemlich  hohe  Potenzen 
von  A  zu  Factoren  haben,  die  sich  dann  freilich  in  den  Brüchen 
aufheben.  Die  einzelnen,  die  Factoren  darstellenden  Reihen  lauten 
folgendermaassen : 

Wendet  man  diese  Ausdrücke  auf  die  Gleichungen  (13)  und 
(14)  an  und  führt  in  diesen  noch  die  angedeutete  Division  und 
Multiplication  aus,  so  erhält  man: 

(18)    „  =  ,(2-A  +  ^A^_3i5A=+^^A--3J^A..  +  ..:) 

(19)H^=,(2  +  A  +  5^A=  +  3LA3  +  5^A.+  3-i^A.  +  ...). 

Man  sieht  hieraus,  was  sich  auch  anderweitig  als  nothwendig 
nachweisen  lässt,  dass  die  Glieder  mit  geraden  Potenzen  von  A 
in  beiden  Ausdrücken  gleich  und  die  Glieder  mit  ungeraden 
Potenzen  gleich  und  den  Vorzeichen  nach  entgegengesetzt  sind. 
Man  kann  daher  zwei  neue  Grössen  M  und  N  einführen,  welche 
nur  gerade  Potenzen  von  l  enthalten,  nämlich: 


(20) 


^  =  ''(>  +  o^'  +  ir^^-f 


Tind  dann  setzen: 

(21)         IV  =  M  —  Nl,  (22)         W=  M^  NL 

Aus  den  beiden  letzten  Gleichungen  folgt: 
(23)         W  -{-lü  =  2M,  (24)     Wiv  =  M^  —  N'^ A^, 


Uebei-  die  theovetische  Bestimmung  des  Dampfdruckes  etc.  223 

woraus  ersichtlich  ist,  dass  die  Summe  und  das  Product  aus  den 
beiden  Grössen  W  und  iv  nur  gerade  Potenzen  von  X  enthalten. 
Da  nun  in  den  unter  (8)  und  (16)  gegebenen  Ausdrücken  von 
77  und  d'  die  Grössen  W  und  iv  nur  in  den  Verbindungen  zu 
Summe  und  Product  vorkommen,  so  folgt  daraus,  dass  auch  die 
Grössen  77  und  d"  nur  gerade  Potenzen  von  A  enthalten.  Hier- 
durch ist  bedingt,  dass  in  der  Nähe  der  kritischen  Temperatur, 
wo  l  sich  dem  Werthe  Null  nähert,  die  Grössen  77  und  &  sich 
wesentlich  anders  verhalten,  als  die  Grössen  W  und  iv,  worauf 
wir  weiterhin  noch  zurückkommen  werden. 

§.  5.  Die  bisher  entwickelten  Gleichungen,  welche  die  vier 
Grössen  tu^  PF,  77  und  -O-  als  Functionen  von  A  darstellen,  be- 
stimmen natürlich  dadurch  indirect  auch  den  Zusammenhang,  in 
welchem  jede  der  drei  Grössen  tc,  W  und  77  mit  der  Grösse  d- 
steht;  aber  diese  indirecte,  durch  eine  dritte  Grösse  vermittelte 
Bestimmung  genügt  den  Anforderungen  nur  unvollständig.  Ge- 
wöhnlich betrachtet  man  bei  Untersuchungen  über  den  Ver- 
dampfungsprocess  die  Temperatur  als  das  Gegebene  und  will  aus 
ihr  unmittelbar  den  Dampfdruck  und  die  Volumina  des  Dampfes 
und  der  Flüssigkeit  herleiten.  In  diesem  Sinne  müssen  wir  daher 
unsere  Bestimmungsart  noch  vervollständigen.  Da  in  unseren 
bisherigen  Entwickelungen  die  Temperatur  nicht  explicite  vor- 
kommt, sondern  nur  die  noch  unbestimmt  gelassene  Temperatur- 
function  '9-,  so  ist  vorläufig  die  Bestimmung  an  diese  Temperatur- 
function  d-  zu  knüpfen,  und  wir  müssen  uns  die  Aufgabe  stellen, 
es  so  einzurichten,  dass  sich  aus  dem  Werthe  von  -9-  in  möglichst 
einfacher  Weise  die  entsprechenden  Werthe  von  w^  W  und  77 
ergeben.  Das  habe  ich  dadurch  zu  erreichen  gesucht,  dass  ich 
eine  Tabelle  berechnet  habe,  welche  für  die  verschiedenen,  um  je 
ein  Hundertstel  fortschreitenden  Werthe  von  Q-  die  entsprechen- 
den Werthe  von  A  angiebt.  Aus  dieser  Tabelle  kann  man  A 
durch  Interpolation  für  jeden  beliebigen  Werth  von  d-  leicht  be- 
stimmen, und  wenn  A  bekannt  ist,  so  kann  man  mit  Hülfe  der 
obigen  Formeln  lo.,  W  und  77  direct  berechnen. 

Zur  Berechnung  der  Tabelle  habe  ich  zunächst  A  durch  eine 
Reihe  dargestellt,  welche  nach  Potenzen  einer  von  &  abhängenden 
Grösse  fortschreitet.     Dazu  schien  mir  am  geeignetsten  folgende 
Grösse: 
(25)  X  =  V'l  —  '9-, 


224  Anliang*. 

welche  sich  in  gleicher  Weise,  wie  A,  bei  Annäherung  an  die 
kritische  Temperatur  dem  Werthe  Null  nähert.  Die  betreffende 
Reihe  lautet: 

(26)     A  =  G  ^  +  3,24  ^•'  4-  2,880  171  6  ^^  -f-  2,885  628  x-^  -\ 

Bevor  von  der  Anwendung  dieser  Reihe  zur  Rechnung  die 
Rede  ist,  möge  eine  schon  aus  ihrer  Form  sich  ergehende  Fol- 
gerung eingeschaltet  werden,  welche  sich  an  die  am  Schlüsse  des 
vorigen  Paragraphen  gemachte  Bemerkung  anschliesst.  Wie  man 
sieht,  enthält  die  Reihe  nur  ungerade  Potenzen  von  x^  und  dar- 
aus ergiebt  sich  sofort,  dass  diejenige  Reihe,  welche  A^  darstellt, 
nur  gerade  Potenzen  von  x  enthalten  kann.  Da  ferner,  wie  oben 
besprochen,  die  Grösse  TI  bei  der  Entwickelung  nach  A  nur 
gerade  Potenzen  von  A  enthält,  so  kann  sie  dem  Vorigen  nach 
bei  der  Entwickelung  nach  x  nur  gerade  Potenzen  von  x  ent- 
halten, während  die  Reihen;  welche  die  Grössen  iv  und  W  dar- 
stellen, auch  Glieder  mit  ungeraden  Potenzen  und  darunter  ein 
Glied  erster  Ordnung  enthalten.  Nun  ergeben  sich  aus  (25)  für 
die  Differentialcoefticienten  von  x  und  x^^  nach  %•  folgende  Aus- 
drücke : 

^97^  ^  _   _  1  IM  _  _   1 

^^^  d^  -     2i/r^r^'   cid-  -    '' 

welche  sich  in  ihrem  Verhalten  bei  der  Annäherung  an  die 
kritische  Temperatur,  für  welche  -9-  =  1  ist,  dadurch  wesentlich 
von  einander  unterscheiden,  dass  der  erstere  unendlich  gross 
wird,  während  der  letztere  endlich  bleibt.  In  eben  dieser  Weise 
müssen  sich  nach  dem  vorher  Gesagten  auch  die  nach  %•  genom- 
menen Differentialcoefficienten  der  Grösse  lo  und  W  von  dem 
Difierentialcoefficienten  der  Grösse  77  unterscheiden.  Es  möge  hier 
gleich  hinzugefügt  werden,  dass  dasselbe  auch  für  die  nach  T 
genommenen  Differentialcoefficienten  gilt,  und  es  folgt  daraus, 
dass  bei  der  Annäherung  an  die  kritische  Temperatur  die  Volu- 
mina der  Flüssigkeit  und  des  Dampfes  Aenderungen  erleiden, 
welche  im  Verhältniss  zur  Temperaturänderung  unendlich  gross 
sind,  während  die  Aenderung  des  Dampfdruckes  im  Verhältniss 
zur  Temperaturänderung  endlich  bleibt.  Auf  diesen  eigenthüm- 
lichen  Unterschied  hat  schon  van  der  Waals  aufmerksam 
gemacht. 

Mit  Hülfe  der  obigen  Reihe  habe  ich  A  für  diejenigen  Werthe 
von  %-  und  x  berechnet,  für  welche  jene  Gliederzahl  ausreicht, 


UebHV  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes  etc.  225 

um  den  gewünschten  Grrad  von  Genauigkeit  zu  erzielen.  P'ür 
grössere  Werthe  von  ,x,  und  somit  kleinere  Werthc  von  'S-,  ])\u 
ich  auf  die  Gleichung  (17)  zurückgegangen,  aus  welcher  sich  für 
gegebene  Werthe  von  /l  die  entsprechenden  Werthe  von  d-  be- 
rechnen lassen,  und  welche  unter  Anwendung  eines  Näherungs- 
verfahrens auch  umgekehrt  dazu  dienen  kann ,  für  gegebene 
Werthe  von  ■9'  diß  entsprechenden  Werthe  von  A  zu  bestimmen. 
Die  in  dieser  Weise  berechnete  Tabelle,  in  welcher  zur 
Erleichterung  der  Interpolation  auch  die  Differenzen  zwischen 
je  zwei  auf  einander  folgenden  Zahlen  hinzugefügt  sind,  folgt 
nachstehend.  Wenn  man  aus  dieser  Tabelle  den  zu  einem  ge- 
gebenen Werthe  von  -9-  gehörenden  Werth  von  l  entnommen  hat, 
so  kann  man  mit  dessen  Hülfe,  wie  schon  gesagt,  die  entsprechen- 
den Werthe  von  t/;,  W  und  77  aus  den  obigen  Gleichungen  direct 
berechnen.  Auch  hat  es,  nachdem  die  Tabelle  für  A  einmal 
berechnet  ist,  keine  Schwierigkeit  weiter,  für  tv,  Wund  TL  Tabellen 
von  gleicher  Art  zu  berechnen,  welche  für  dieselbe  Reihe  von 
Werthen  von  %■  die  entsprechenden  Werthe  dieser  Grössen  an- 
geben. 


Clausius,  mechan.  Wärraetheorie.     III.  ji^ 


226 


Anhang;- 


0 

0,05 

0,10 

0,11 

0,12 

0,13 

0,14 

0,15 

0,16 

0,17 

0,18 

0,19 

0,20 

0,21 

0,22 

0,23 

0,24 

0,25 

0,26 

0,27 

0,28 

0,29 

0,30 

0,31 

0,32 

0,33 

0,34 

0,35 

0,36 

0,37 

0,38 

0,39 


CO 

67,4947 
33,7185 
30,6469 
28,0867 
25,9197 
24,0618 
22,4511 
21,0412 
19,7968 
18,6901 
17,6995 
16,8074 
16,0000 
15,2655 
14,5944 
13,9788 
13,4119 
12,8882 
12,4028 
11,9516 
11,5309 
11,1376 
10,7691 
10,4230 
10,0971 
9,7896 
9,4989 
9,2235 
8,9621 
8,7135 
8.4767 


3,0716 
2,5602 
2,1670 
1,8579 
1,6107 
1,4099 
1,2444 
1,1067 
0,9906 
0,8921 
'0,8074 
0,7345 
0,6711 
0,6156 
0,5669 
0,5237 
0,4854 
0,4512 
0,4207 
0,3933 
0,3685 
0,3461 
0,3259 
0,3075 
0,2907 
0,2754 
0,2614 
0,2486 
0,2368 


»- 


0,39 

8,4767 

0,40 

8,2507 

0,41 

8,0348 

0,42 

7,8280 

0,43 

7,6296 

0,44 

7,4392 

0,45 

7,2561 

0,46 

7,0797 

0,47 

6,9096 

0,48 

6,7453 

0,49 

6,5864 

0,50 

6,4326 

0,51 

6,2834 

0,52 

6,1387 

0,53 

5,9980 

0,54 

5,8612 

0,55 

5,7278 

0,56 

5,5978 

0,57 

5,4709 

0,58 

5,3469 

0,59 

5,2256 

0,60 

5,1068 

0,61 

4,9904 

0,62 

4,8761 

0,63 

4,7639 

0,64 

4,6535 

0,65 

4,5448 

0,66 

4,4377 

0,67 

4,3321 

0,68 

4,2279 

0,09 

4,1248 

0,70 

4,0229 

0,2260 
0,2159 
0,2068 
0,1984 
0,1904 
0,1831 
0,1764 
0,1701 
0,1643 
0,1589 
0,1538 
0,1492 
0,1447 
0,1407 
0,1368 
0,1334 
0,1300 
0,1269 
0,1240 
0,1213 
0,1188 
0,1164 
0,1143 
0,1122 
0,1104 
0,1087 
0,1071 
0,1056 
0,1042 
0,1031 
0,1019 


0,70 

4,0229 

0,71 

3,9220 

0,72 

3,8219 

0,73 

3,7225 

0,74 

3,6238 

0,75 

3,5255 

0,76 

3,4277 

0,77 

3,3301 

0,78 

3,2327 

0,79 

3,1353 

0,80 

3,0376 

0,81 

2,9393 

0,82 

2,8414 

0,83 

2,7424 

0,84 

2,6425 

0,85 

2,5416 

0,86 

2,4393 

0,87 

2,3354 

0,88 

2,2295 

0,89 

2,1212 

0,90 

2,00995 

0,91 

1,89517 

0,92 

1,77604 

0,93 

1,65147 

0,94 

1,52001 

0,95 

1,37956 

0,96 

1,22688 

0,97 

1,05653 

0,98 

0,85786 

0,99 

0,60327 

1 

0 

0,1009 

0,1001 

0,0994 

0,0987 

0,0983 

0,0978 

0,0976 

0,0974 

0,0974 

0,0977 

0,0978 

0,0984 

0,0990 

0,0999 

0,1009 

0,1023 

0,1039 

0,1059 

0,1083 

0,1112 

0,11478 

0,11913 

0,12457 

0,13146 

0,14045 

0,15268 

0,17035 

0,19867 

0,25459 

0,60327 


Bonn,  August  1881. 


Ueber  die  tlienret.isclie  Bestimmung  des  Dampfdruckes  etc.  227 

II.    Aufsatz  1). 

(Wiedpmann's  Ann.  14,  S.  692  bis  704,  1881.) 

§.  1.  In  (1cm  ersten  auf  den  oben  hezcichnetcn  Gegenstand 
bezüi^lichcn  Aufsatze  habe  ich  zur  Bestimmung  des  Druckes  eines 
Gases  als  Function  von  Temperatur  und  Volumen  folgende  Glei- 
chung gebildet,  welche  eine  Verallgemeinerung  der  früher  von 
mir  für  Kohlensäure  angewandten  Gleichung  ist: 

...  _^__i 27(oc  +  ^) 

^^  RT~~v  —  cc        8d-(v^ß/ 

Hierin  bedeutet  p  den  Druck,  v  das  Volumen  und  T  die  absolute 
Tem]3eratur,  nämlich  die  Summe  273  -\-  t^  wenn  t  die  vom  ge- 
wöhnlichen Nullpuncte  an  gezählte  Temperatur  darstellt.  Fer- 
ner ist  R  die  in  dem  gewöhnlichen  Ausdrucke  des  Mariotte'- 
schen  und  Gay-Lussac' sehen  Gesetzes  schon  vorkommende 
Constante,  und  a  und  ß  stellen  zwei  andere  Constante  dar,  deren 
Summe  weiterhin  mit  y  bezeichnet  ist.  ^  bedeutet  eine  Tempe- 
raturfunction ,  welche  für  T  =  0  den  Werth  0  und  für  die 
kritische  Temperatur  den  Werth  1  hat,  im  Uebrigen  aber  vor- 
läufig unbestimmt  zu  lassen  ist. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  wir  dieser  Gleichung  auch 
eine  einfachere  Form  geben  können,  wenn  wir  die  Temperatur- 
function  mit  den  in  dem  Gliede  vorkommenden  constanten  Fac- 
toren  in  Ein  Zeichen  vereinigen.     Setzen  wir  nämlich: 

(2)  0=         8*  8* 


SO  geht  die  Gleichung  über  in : 


(3) 


27  (w  -|-  /3)         27  y  ' 
er  i 

P     _       1 


BT  V  —  a  &{v  -{-  ßy 
Die  Beziehung  zwischen  der  in  dieser  Gleichung  vorkommen- 
den Temperaturfunction  0  und  der  oben  angewandten  Tempe- 
raturfunction  #  wird  besonders  klar,  wenn  man  beachtet,  dass 
derjenige  Werth,  welchen  @  für  die  kritische  Temperatur  an- 
nimmt, und  welcher  mit  0c  bezeichnet  werden  möge,  dadurch  zu 
bestimmen  ist,  dass  man  in  der  Gleichung  (2)  für  O-  den  Werth  1 
setzt.     Daraus  ergiebt  sich  nämlich: 


1)  Siehe  den  ersten  Aufsatz  oben,  S.  215. 

15  = 


228  Anhang. 

W  ®"  =  äf/ 

und  infolge  dessen  kann  man  schreiben : 

® 

(5)  *  =  §;• 

Bei  der  Anwendung  der  Gleichung  (1)  auf  den  gesättigten 
Dampf  wurde  der  Druck  des  gesättigten  Dampfes  mit  P  und  der 
Bruch  PjB,  T  mit  TT  bezeichnet.  Die  Volumina  des  gesättigten 
Dampfes  und  der  unter  demselben  Drucke  stehenden  Flüssigkeit 
wurden  nach  der  sonst  üblichen  Weise  mit  s  und  ö  bezeichnet, 
aber  für  die  Differenzen  s  —  w  und  6  —  a  noch  die  vereinfachten 
Zeichen  W  und  iv  eingeführt.  Um  die  Grössen  77,  W^  lü  in  ihrer 
Abhängigkeit  von  -O'  zu  bestimmen ,  wurden  zunächst  alle  vier 
Grössen  als  Functionen  der  Grösse  A  =  7o^  ( Wliv)  ausgedrückt, 
und  dann  wurde  zur  Erleichterung  der  weiteren  liechnungen  eine 
Tabelle  hinzugefügt,  aus  welcher  man  für  jeden  Werth  von  -O- 
den  entsprechenden  Werth  von  X  entnehmen  kann.  Ich  sagte 
dabei,  dass  es  nach  der  Berechnung  der  Tabelle  für  X  keine 
Schwierigkeit  weiter  habe,  auch  für  77,  W  und  iv  eine  ähnliche 
Tabelle  zu  berechnen,  und  diese  erlaube  ich  mir  nachstehend 
mitzutheilen. 

Vorher  ist  jedoch  noch  eine  Bemerkung  zu  machen.  Die 
Werthe,  welche  die  Grössen  77,  W  und  lo  bei  der  kritischen 
Temperatur,  bei  der  X  ■=  0  ist,  annehmen,  und  welche  mit  7Tc, 
Wc  und  lOc  bezeichnet  werden  mögen,  ergeben  sich  aus  den  oben 
erwähnten ,  in  §.  3  meines  vorigen  Aufsatzes  enthaltenen  Aus- 
drücken, wenn  man  noch  die  in  §.  4  enthaltenen  Reihen  berück- 
sichtigt, folgendermaassen: 

(6)  -^^  =  8^'    W,  =  2y;   iv,  =  2y. 


Ueber  die  theoretische  Bestimmung   des  Dampfdruckes  etc. 


229 


& 

11 

W 

?y 

iT  

j 

j 

j 

^. 

"o 

^c 

''^c 

0,20 

0,0000059 

67 

672780 

355440 

0,033707 

1947 

0,21 

0,0000126 

123 

317340 

156660 

0,035714 

1978 

0,22 

0,0000249 

213 

160680 

74175' 

0,037692 

2008 

0,23 

0,0000462 

352 

86505 

37365 

0,039700 

2(J40 

0,24 

0,0000814 

553 

49140 

19877 

0,041740 

2072 

0,25 

0,0001367 

834 

29263 

11097 

0,043812 

2106 

0,26 

0,0002201 

1215 

18166 

6464 

0,045918 

2141 

0,27 

0,0003416 

1715 

11702 

3912,3 

0,048059 

2176 

0,28 

0,0005131 

2352 

7789,7 

2449,8 

0,050235 

2213 

0,29 

0,0007483 

3144 

5339,9 

1581,6 

0,052448 

2253 

0,30 

0,0010627 

4111 

3758,3 

1049,7 

0,054701 

2290 

0,31 

0,0014738 

5264 

2708,6 

714,0 

0,056991 

2380 

0,32 

0,0020002 

6619 

1994,6 

497,2 

0,059321 

2374 

0,33 

0,0026621 

8187 

1497,4 

353,2 

0,061695 

2418 

0,34 

0,0034808 

9972 

1144,2 

255,79 

0,064113 

2462 

0,35 

0,0044780 

11983 

888,41 

188,44 

0,066575 

2508 

0,36 

0,0056763 

14224 

699,97 

141,07 

0,069083 

2555 

0,37 

0,0070987 

16693 

558,90 

107,17 

0,071638 

2607 

0,38 

0,0087680 

19380 

451,73 

82,49 

0,074245 

2658 

0,39 

0,010706 

2230 

369,24 

64,30 

0,076903 

2709 

0,40 

0,012936 

2543 

304,94 

50,69 

0,079612 

2767 

0,41 

0,015479 

2877 

254,25 

40,41 

0,082379 

2822 

0,42 

0,018356 

3233 

213,84 

32,54 

0,085201 

2883 

0,43 

0,021589 

•  3604 

181,30 

26,43 

0,088084 

2944 

0,44 

0,025193 

3994 

154,87 

21,65 

0,091028 

3009 

0,45 

0,029187 

4402 

133,22 

17,88 

0,094037 

3075 

0,46 

0,033589 

4824 

115,34 

14,89 

0,097112 

3148 

0,47 

0,038413 

5267 

100,45 

12,497 

0,10026 

321 

0,48 

0,043680 

5718 

87,953 

10,532 

0,10347 

329 

0,49 

0,049398 

6179 

77,421 

8,945 

0,10676 

337 

0,50 

0,055577 

6655 

68,476 

7,640 

0,11013 

345 

0,51 

0,062232 

7140 

60,836 

6,561 

0,11358 

354 

0,52. 

0,069372 

7632 

54,275 

5,663. 

0,11712 

362 

0,53 

0,077004 

8135 

48,612 

4,914 

0,12074 

371 

0,54 

0,085139 

8644 

43,698 

4,284 

0,12445 

381 

0,55 

0,0;)3783 

9157 

39,414 

3,750 

0,12826 

391 

0,5G 

0,10294 

35,664 

0,13217 

230 


Anhaug. 


© 

n 

W 

lü 

j 

j 

j 

^  "    ®c 

^c 

"^c 

^c 

0,56 

0,10294 

967 

35,664 

3,295 

0,13217 

402 

0,57 

0,11261 

1020 

32,369 

2,909 

0,18619 

412 

0,58 

0,12281 

1D72 

29,460 

2,576 

0,14031 

425 

0,59 

0,13353 

1125 

26,884 

2,289 

0,14456 

437 

0,60 

0,14478 

1179 

24,595 

2,046 

0,14893 

447 

0,61 

0,15657 

1230 

22,549 

5 

1,829 

0,15340 

463 

0,62 

0,16887 

1284 

20,720 

1,642 

0,15803 

476 

0,63 

0,18171 

1337 

19,078 

1,478 

0,16279 

491 

0,64 

0,19508 

1391 

17,700 

1,335 

0,16770 

507 

0,65 

0,20899 

16,265 

0,17277 

.  0,66 

0,22343 

1444 
1494 

15,056 

1,209 
1,098 

0,17801 

524 
540 

0,67 

0,23837 

1548 

13,958 

998 

0,18341 

560 

0,68 

0,25385 

1600 

12,960 

911 

0,18901 

578 

0,69 

0,26985 

1652 

12,049 

832 

0,19479 

600 

0,70 

0,28637 

1703 

11,217 

763 

0,20079 

623 

0,71 

0,30340 

1754 

10,454 

7007 

0,20702 

645 

0,72 

0,32094 

1806 

9,7533 

6447 

0,21347 

672 

0,73 

0,33900 

1855 

9,1086 

5946 

0,22019 

698 

-  0,74 

0,35755 

1906 

8,5140 

5494 

0,22717 

728 

0,75 

0,37661 

1956 

7,9646 

5085 

0,23445 

759 

0,76 

0,39617 

2004 

7,4561 

4717 

0,24204 

793 

0,77 

0,41621 

2051 

6,9844 

4377 

0,24997 

830 

0,78 

0,43672 

2100 

6,5467 

4078 

0,25827 

870 

0,79 

0,45772 

2147 

6,1389 

3801 

0,26697 

915 

0,80 

0,47919 

2196 

5,7588 

3554 

0,27612 

961 

0,81 

0,50115 

2242 

5,4034 

3323 

0,28573 

1014 

0,82 

0,52357 

2285 

5,0711 

3115 

0,29587 

1072 

0,83 

0,54642 

2333 

4,7596 

2927 

0,30659 

1138 

0,84 

0,56975 

2377 

4,4669 

2755 

0,31797 

1207 

0,85 

0,59352 

2422 

4,1914 

2597 

0,33004 

1289 

0,86 

0,61774 

2463 

3,9317 

2452 

0,34293 

1382 

0,87 

0,64237 

2508 

3,6865 

2324 

0,35675 

1485 

0,88 

0,66745 

2552 

3,4541 

2208 

0,37160 

1604 

0,89 

0,69297 

2592 

3,2333 

2102 

0,38764 

1744 

0,90 

0,71889 

2634 

3,0231 

2005 

0,40508 

1914 

0,91 

0,74523 

2677 

2,8226 

1926 

0,42422 

2106 

0,92 

0,77200 

2,6300 

0,44528 

Ueber  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes  etc. 


231 


0 

n 

W 

w 

^'  =  ^- 

j 

j 

j 

©c 

"c 

Wo 

"'c 

0,92 

0,77200 

2713 

2,6300 

1850 

0,44528 

2360 

0,93 

0,79913 

2755 

2,4450 

1793 

0,46888 

2664 

0,94 

0,82668 

2793 

2,2657 

1751 

0,49552 

3066 

0,95 

0,85461 

2833 

2,0906 

1730 

0,52618 

3607 

0,9G 

0,88294 

2870 

1,9176 

1740 

0,56225 

4394 

0,97 

0,91164 

2909 

1,7436 

1801 

0,60619 

5684 

0,98 

0,94073 

2945 

1,5635 

2008 

0,66303 

8239 

0,99 

0,97018 

2982 

1,3627 

3627 

0,74542 

25458 

1 

1 

1 

1 

Diese  drei  Werthe  kann  man  daher,  ebenso  wie  den  Werth 
0c,  als   direct  durch   die  Constante  y  bestimmt  betrachten,  und 


demgemäss  folgende  Brüche  bilden: 


77 


w^ 

w. 


und 


tv 


Diese  Brüche  sind  es,  deren  Werthe  in  vorstehender  Tabelle 
neben  den  dazu  gehörigen,  stufenweise  steigenden  Werthen  des 
mit  %■  bezeichneten  Bruches  0/0c  angeführt  sind. 

§.  2.  In  der  vorstehenden  Tabelle  ist  eine  für  alle  Stoffe 
gleichmässig  geltende  Beziehung  der  Grössen  77,  W  und  lo  zu 
einer  noch  unbestimmt  gelassenen  Temperaturfunction  @  dar- 
gestellt. Wie  sich  nun  die  Beziehung  zwischen  jenen  Grössen 
und  der  Temperatur  seihst  gestaltet,  ob  und  in  welchem  Grade 
auch  sie  für  verschiedene  Stoöe  übereinstimmt  i),  das  hängt  von 


1)  Zwei  ältere  über  diese  Beziehung"  aufgestellte  Sätze  habe  ich  schon 
vor  lauger  Zeit  besprochen  (Pogg.  Ann.  83,  273,  1851,  und  Abhandluugen- 
sammlung  1,  119,  1864).  Nennt  mau  nämlich  die  Temperaturen,  welche  bei 
■verschiedeneu  Flüssigkeiten  zu  gleichen  Dampfspannungen  gehören,  ent- 
sprechende Temperaturen,  so  sind  nach  D alten  die  Differenzen  zicischen 
entspreclienden  Temperaturen  gleich.  Groshans  dagegen  hat  eine  Gleichung 
aufgestellt  (Pogg.  Ann.  78,  112,  1849),  welche  unter  der  Voraussetzung, 
dass  die  Temperaturen  "von  —  273"  C.  au.  gezählt  werden,  aussagt,  dass  für 
irgend  zwei  Flüssigkeiten  alle  entsprechenden  Temperaturen  proportional 
seien.  Von  diesen  beiden  Sätzen  weicht  der  zweite  zwar  nicht  so  weit  von 
der  Erfahrung  ab,  wie  der  erste,  aber  doch  immer  noch  zu  weit,  um  ihm 
die  Bedeutung  eines  wirklichen  physikalischen  Gesetzes  zugestehen  zu 
können. 


232  Auliang. 

dem  Verhalten  jener  Temperaturfunction  ab.  Ich  ging  in  meiner 
Untersuchung  ursprünglich  von  der  Voraussetzung  aus,  dass  man 
die  Temperaturfunction  durch  einen  Ausdruck  darstellen  könne, 
welcher  nur  Eine  von  der  Natur  des  Stoffes  abhängige  Constante 
enthalte,  fand  aber  bei  näherer  Betrachtung,  dass  man  in  so 
einfacher  Weise  doch  nicht  zu  einer  genügenden  Uebereinstim- 
mung  mit  der  Erfahrung  gelangen  kann.  Nach  vielfachen  Ver- 
gleichungen  ergab  sich  mir  als  geeignetste  Form  einer  Gleichung 
zur  Bestimmung  des  von  uns  mit  d-  bezeichneten  Bruches  &/&c 
die  folgende: 

.  &  a 

(')  Wo  '^  T^  ~    ' 

worin  «,  h  und  w  Constante  sind,  die  für  verschiedene  Stoffe 
verschiedene  Werthe  haben. 

Es  handelt  sich  nun  darum,  diese  Constanten  für  einzelne 
Stoffe  zu  bestimmen. 

Was  zunächst  die  Kohlensäure  anbetrifft,  so  habe  ich  in  der 
für  sie  speciell  aufgestellten  Formel  i)  der  Temperaturfunction  & 
eine  sehr  einfache  Form  gegeben ,  nämlich  die ,  welche  man  aus 
der  Gleichung  (7)  erhält,  wenn  man  in  ihr  6  =  0  und  n  =  2 
setzt,  wodurch  sie  übergeht  in: 

&c  ci 

wofür  man  auch  schreiben  kann: 

@  =  T2  Const. 
Indessen  habe  ich  schon  bei  der  Veröffentlichung  jener  Formel 
hinzugefügt,  dass  ich  versucht  hätte,  gewisse  zwischen  ihr  und 
den  Beobachtungen  von  Andrews  noch  bestehende  Differenzen 
durch  Anwendung  einer  complicirteren  Temperaturfunction  aus- 
zugleichen, dass  ich  davon  aber  wegen  der  Unsicherheit  der  be- 
treffenden Beobachtungsresultate  wieder  Abstand  genommen  hätte. 
Dasselbe,  was  ich  damals  von  den  vorhandenen  Beobachtungs- 
resultaten sagte,  gilt  auch  jetzt  noch.  Insbesondere  ist  zu  be- 
merken, dass  die  Andrews 'sehen  Beobachtungen  sich  nur  auf 
Temperaturen  über  0^  beziehen,  während  die  Formel  auch  unter 
00  bis  zu  dem  bei  —  57 o  liegenden  Gefrierpuncte  der  Kohlen- 
säure gültig  bleiben  muss,  und  daher  zur  Bestimmung  ihrer  Con- 


')  Wiedemann's  Ann.  9,  337,  1880;  vergl.  oben  Abhaudl.  IV,   S.  184. 


Ueber  die  tlieoretisclie  Bestimmung  des  Dumpfdruckes  etc.  233 

stauten  auch  Ucobachtungswertlic  von  älinlichcm  Temperatur- 
umfaiige  erford(3rt.  Nun  besitzen  wir  zwar  eine  von  llognault 
verüüentlichte  Spannmigsreihe  des  gesättigten  Kohlensäure- 
dampfes  i),  welche  sich,  wenn  auch  nicht  bis  —  57",  so  doch  bis 
—  25"^  erstreckt,  aber  bei  den  Versuchen,  mittelst  deren  Kegnault 
diese  Zahlen  gefunden  hat,  scheinen  erhebliche  Fehlerquellen  ob- 
gewaltet zu  haben.  Die  von  Regnault  für  Temperaturen  ül)cr 
0*'  angeführten  Spannungen  weichen  von  den  von  Andrews 
beobachteten  2)  beträchtlich  ab ,  und  ganz  besonders  auffällig  ist 
es,  dass  Regnault  bis  zu  Temperaturen  über  42«  die  Spannun- 
gen des  gesättigten  Kohlensäuredampfes  beobachtet  haben  will, 
während  es  jetzt  nach  den  Versuchen  von  Andrews  feststeht, 
dass  es  schon  von  SP  an  gar  keinen  gesättigten  Kohlensäure- 
dampf mehr  giebt,  weil  keine  Condensation  mehr  stattfindet. 

Unter  diesen  Umständen  halte  ich  es  für  gerathen,  für 
Kohlensäure  vorläufig  die  oben  erwähnte,  von  mir  aufgestellte 
Formel  als  eine  angenähert  richtige  beizubehalten,  und  die  ge- 
nauere Bestimmung  der  Constanten  erst  dann  vorzunehmen,  wenn 
auch  für  Temperaturen  unter  0*^  bis  zum  Gefrierpuncte  der 
Kohlensäure  zuverlässige  Beobachtungsdata  vorliegen. 

§.  3.  Ein  Stoff,  welcher  zur  Vergleichung  der  theoretisch 
bestimmten  Dampfspannungen  mit  den  beobachteten  besonders 
geeignet  ist,  ist  der  Aether.  Für  diesen  besitzen  wir  die  von 
Regnault  bestimmte  Spannungsreihe  3),  welche  von  —  20*^  bis 
120"  reicht,  und  deren  Zuverlässigkeit  wohl  nicht  bezweifelt  wer- 
den darf,  und  eine  Spannungsreihe  von  S  ajotschewsky  *), 
welche  von  100'^  bis  zu  der  kritischen  Temperatur  190''  reicht. 

Von  diesen  beobachteten  Spannungen  habe  ich  drei  zur  Be- 
stimmung der  in  (7)  vorkommenden  Constanten  angewandt  und 
folgende  Zahlen  gefunden: 

a  =  2665;     b  =  0,76786;     n  ^  1,19233. 

Unter  Anwendung  dieser  Zahlen  kann  man  aus  (7)  für  jeden 
Werth  von  T  den  entsprechenden  Werth  von  &/&c  berechnen 
und  dann  den  dazugehörigen  Werth  des  Bruches  il/'/T,.  aus  der 
Tabelle  entnehmen.     Aus   diesem  Bruche,   welcher   sich  auch  so 


1)  Regnault,  Relation  des  exper.  etc.  2,  625,  1SG2. 

2)  Andrews,  Proc.  of  the  Roy.  Sog.  23,  516,  1875. 
^)  Regnault,  Relation  des  expor.  2,  393. 

*)  Sajotschewsky,  Beibl.  3,  741,  1S79. 


234 


Anhang. 


schreiben  lässt:  PTc/PcT,  ergiebt  sich,  da  Pc  und  Tc  bekannt 
sind,  sofort  der  Werth  von  P.  Auf  diese  Weise  habe  ich  für 
eine  in  Absätzen  von  je  20 ^  fortschreitende  Reihe  von  Tempe- 
raturen die  Spannungen  berechnet  und  nachfolgend  unter  der 
Bezeichnung  Pber.  zusammengestellt.  Zur  Vergleichung  habe  ich 
unter  Pbeob.  die  beobachteten  Werthe  hinzugefügt,  und  zwar  unter 
100*^  die  von  Regnault  beobachteten,  über  120"  die  von  Sajo- 
tschewsky  beobachteten  und  für  100»  und  120°  die  aus  den 
Angaben  beider  Beobachter  genommenen  Mittelwerthe. 


* 

—  200 

00 

200 

400 

600 

80« 

-Pber. 

-I  beob. 

J 

0,0881 

0,0907 

—  0,002G 

0,2427 

0,2426 

-f  0,0001 

0,572 

0,569 

+  0,003 

1,195 
1,193 

4-  0,002 

2,265 

2,270 

—  0,005 

3,978 

3,977 

-f  0,001 

t 

1000 

1200 

1400 

1600 

1800 

1900 

Pber. 

6,557 

10,27 

15,41 

22,33 

31,41 

36,90 

-Pbeob. 

6,549 

10,28 

15,42 

22,34 

31,90 

36,90 

J 

4-  0,008 

—    0,01 

—    0,01 

—     0,01 

—    0,49 

0 

Man  sieht,  dass  die  Uebereinstimmung  zwischen  den  berech- 
neten und  beobachteten  Spannungen  meistens  eine  fast  vollkom- 
mene ist.  Nur  bei  ISO«  kommt  eine  Differenz  von  unzulässiger 
Grösse  vor,  welche  im  Vergleiche  mit  den  übrigen  Differenzen 
sehr  auffällig  ist.  Diese  ist  aber  unzweifelhaft  vorzugsweise  durch 
eine  Ungenauigkeit  des  Beobachtungswerthes  verursacht,  was  am 
deutlichsten  daraus  hervorgeht,  dass  Sajotschewsky  selbst  mit- 
telst einer  aus  den  übrigen  Beobachtungswerthen  abgeleiteten 
empirischen  Formel  die  Spannung  bei  180*^  zu  31,56  statt  31,90 
bestimmt  hat,  wodurch  sich  die  Differenz  mit  dem  aus  unserer 
Tabelle  abgeleiteten  Werthe  von  0,49  auf  0,15  reducirt. 

Ebenso  wie  die  Werthe  von  11/11^  ergeben  sich  aus  unserer 
Tabelle  auch  die  Werthe  von   W/Wc  und  tv/Wc- 

Um  aus  diesen  Brüchen  die  Werthe  von  W  und  w  abzu- 
leiten, muss  man  Wc  und  tVc  und  somit,   gemäss  (6),   die   Con- 


Ueber  die  iLeoretisclie  I'estininiuiig  ik's<  Dampfdruckes  etc.  235 

stallte  y  kennuii,  zu  deren  Bestimmung  wiederum  die  Constante  jB 
erforderlich  ist.  Die  letztere  erhält  man  auf  folgende  Weise. 
Die  Grösse  H  ist  ihrer  l)edeutung  nach  dem  specifischen  Ge- 
wichte, welches  die  Stofte  im  vollkommenen  Gaszustande  hahen, 
iimgekelirt  proportional.  Nun  ist  für  atmosphärische  Luft  der 
Werth  von  11  bekannt  i) ,  nämlich  29,27 ,  und  daraus  folgt  für 
Aetlier,  wenn  d  das  auf  atmosphärische  Luft  bezogene  specifische 
Gewicht  des  Aetherdampfes  im  Zustande  eines  vollkommenen 
Gases  bedeutet: 

29  27 
(8)  ^-\- 

Es  fragt  sich  nun,  welches  specifische  Gewicht  man  dem 
Aetherdampfe  im  vollkommenen  Gaszustände  zuzuschreiben  hat. 
Als  solches  kann  man,  wie  ich  glaube,  dasjenige  annehmen,  wel- 
ches man  .  erhält,  wenn  man  nach  der  für  Aetlier  geltenden 
chemischen  Formel  C4H10O  voraussetzt,  dass  1  Vol.  Sauerstoff 
und  10  VoL  Wasserstoff  mit  der  entsprechenden  Menge  Kohlen- 
stoff 2  Vol.  Aetherdampf  geben,  nämlich  das  specifische  Gewicht 
2,5604.  Unter  Anwendung  dieser  Zahl  für  d  ergiebt  sich  aus  der 
vorigen  Gleichung : 

E  =  11,4318. 

Dieser  Werth  bezieht  sich  auf  ein  Kilogramm  des  betrachteten 
Stoffes,  also  im  vorliegenden  Falle  des  Aethers,  und  es  gilt  in 
ihm  als  Volum eneinheit  ein  Cuhihnder  und  als  Druckeinheit  der 
DrucJv,  ivelclien  ein  über  die  Fläche  von  einem  Quadratmeter  ver- 
breitetes Gewicht  von  einem  Kilogramm  ausübt.  Diese  Einheiten 
wollen  wir  auch  bei  der  Bestimmung  der  anderen  Constanten 
und  der  Grössen  s  und  <5  beibehalten. 

Um  y  zu  bestimmen,  können  war,  gemäss  (6j,  setzen: 

^^  ^'  =  8777  =  8P;' 

und  hieraus  ergiebt  sich,  wenn  wir  unter  Anwendung  der  von 
Sajotschewsky  für  die  kritische  Temperatur  und  den  kritischen 
Druck  gefundenen  Wertlie  setzen:  T,  =  273  +  190  =^  463  und 
Pc  =  36,9  .  10  333,  und  für  ü  den  vorher  bestimmten  Werth  an- 
wenden : 

y  =  0,001  735  2. 


^)  Siehe  Clausius,  Meclianisclie  Wärmctlieorie  1,  55. 


236 


Anhang. 


Wenn  man  nun  mit  Hülfe  des  durch  2y  dargestellten  Werthes 
von  Wg  und  iVg  aus  den  oben  erwähnten  Brüchen  W/Wa  und 
iv/Wc  die  Grössen  W  und  tu  gewonnen  hat,  und  von  ihnen  zu 
den  mit  s  und  ö  bezeichneten  Volumen  des  dampfförmigen  und 
flüssigen  Aethers  gelangen  will,  so  muss  man  dazu  noch  die  Con- 
stante  a  kennen,  da  s  ^=  W  -\-  a  und  6  =  iv  -{-  a  ist.  Zur 
Bestimmung  von  a  wendet  man  am  besten  irgend  ein  beobach- 
tetes Flüssigkeitsvolumen  an,  von  welchem  man  den  für  dieselbe 
Temperatur  berechneten  Werth  von  tv  abzuziehen  hat.  Für  Oo 
hat  der  flüssige  Aetlier  nach  Kopp  das  specifische  Gewicht 
0,736  58,  woraus  man,  wenn  man  noch  berücksichtigt,  dass  das 
Volumen  6  sich  nicht  auf  den  Druck  von  1  Atm. ,  sondern  auf 
den  Druck  von  0,2426  Atm.  bezieht,  erhält  ö  =  0,001357  8. 
Ebenso  erhält  man  für  20"  nach  Kopp  6  =  0,0014001.  Wenn 
man  mit  Hülfe  dieser  Grössen  a,  bestimmt  und  aus  beiden  nahe 
übereinstimmenden  Werthen  das  Mittel  nimmt,  so  findet  man 

a  =  0,001  087  6. 

Es  möge  hier  gleich  noch  hinzugefügt  werden,  dass  sich 
nach  der  Bestimmung  von  y  und  a  sofort  auch  der  Werth  von 
ß  ergiebt,  da  ß  =  y  —  a  ist.     Es  kommt  nämlich: 

ß  =  0,000  647  6. 

Unter  Anwendung  der  gefundenen  Werthe  der  Constanten 
können  wir  nun  aus  den  Brüchen  W/Wc  und  w/tVc  die  Grössen 
s  und  6  berechnen,  und  erhalten  für  die  oben  betrachtete  Reihe 
von  Temperaturen  folgende  Werthe. 


t 

—  200 

00 

200 

400 

600 

800 

s 
a 

3,182 
0,001318 

1,238 
0,001356 

0,5562 
0,001402 

0,2793 
0,001455 

0,1524 
0,001520 

0,08883 
0,001600 

t 

1000 

1200 

1400 

1600 

1800 

1900 

s 
a 

0,05417 
0,001702 

0,03408 
0,001837 

0,02175 
0,002030 

0,01373 
0,002335 

0,008016 
0,002982 

0,004558 
0,004558 

Ueber  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes  otc.  237 

Schliesslich  möge  hier  noch  die  Form,  welclio  die  allgomfine 
Gleichung  (3)  nach  der  Bestimmung  von  0  annimmt,  hinzugefügt 
werden.     Gemäss  (7)  und  (4)  hat  man  zu  setzen : 

^  =  ^{a  T—  -1)  =  ^^  {a  T-"  -  h). 
&         @c  ^  8     ^ 

Hierfür  kann  man  unter  Einführung  neuer  Constnntcn  kürzer 
schreiben : 

(10)  ^  =  AT—-B 

und  dadurch  geht  (3)  über  in 

^^  BT       v  —  a  («^4-/3)2 

Die  für  Aether  geltenden  Werthe  der  Constanten  A  und  B  er- 
geben sich  aus  den  oben  für  «,  h  und  y  angeführten  Werthen 
folgen  dermaassen : 

A  =  15,G07;     B  =  0,0044968  i). 

§.  4.  Die  Stoffe,  bei  denen  man  die  Beobachtung  der  Dampf- 
spannungen noch  nicht  bis  zur  kritischen  Temperatur  hat  aus- 
dehnen können,  bieten  für  die  Bestimmung  der  in  der  Gleichung  (7) 
vorkommenden  Constanten  a,  h  und  n  Schwierigkeiten  dar,  die 
um  so  grösser  sind,  je  weiter  die  höchste  Beobachtungstemperatur 
noch  von  der  kritischen  Temperatur  entfernt  ist.  Ist  nämlich 
dieser  Temperaturabstand  sehr  gross,  so  können  Aenderungen 
der  Constanten,  welche  in  dem  Temperaturintervall,  für  "welches 
Beobachtungen  vorliegen,  nur  geringe  Unterschiede  der  berech- 
neten Dampfspannungen  verursachen,  doch  für  die  berechnete 
kritische  Temperatur  und  den  ihr  entsprechenden  Druck  einen 
beträchtlichen  Unterschied  zur  Folge  haben. 

Zu  diesen  Stoffen  gehört  das  Weisser.  Ich  habe  versucht, 
aus  den  Regnault' sehen  Spannungsbeobachtungen,  welche  bis 
etwas  über  220''  reichen,  die  wahrscheinlichsten  Werthe  der  Con- 
stanten abzuleiten,  und  bin  nach  vielfachen  Vergleichungen  zu 
folgenden  Zahlen  gelangt: 

a  =  5210;     b  =  0,85;     n  =  1,24. 


1)  Im  Haadexemplar  findet  sich  hierzu  noch  folgende  Bemerkung  des 
Verfassers:  Siehe  über  die  Dichte  des  Aether-  und  Wasserdampfes  Perot, 
Ann.  de  Chim.     Febr.  1888,  T.  XIII,  p.  145  —  190. 


238 


Auliang. 


Mit  Hülfe  dieser  Zahlen  und  unter  der  Voraussetzung,  dass 
für  die  Temperatur  von  100"  die  Dampfspannung  eine  Atmo- 
sphäre beträgt,  habe  ich,  wie  beim  Aether,  für  eine  in  Absätzen 
von  je  20°  fortschreitende  Reihe  von  Temperaturen  die  Dampf- 
spannungen aus  unserer  Tabelle  abgeleitet  und  die  nachstehen- 
den Werthe  gefunden.  Soweit  die  Beobachtungswerthe  reichen, 
habe  ich  auch  sie  zur  Vergleichung  hinzugefügt,  und  zwar  habe 
ich  dazu  diejenigen  Werthe  gewählt,  welche  Regnault  direct 
aus  den  von  ihm  constrairten  Curven  entnommen  hat,  und  welche 
er  als  das  unmittelbarste  Ergebniss  seiner  Beobachtungen  be- 
trachtet. Wo  er  zwei  aus  verschiedenen  Curven  erhaltene  Werthe 
anführt,  habe  ich  deren  Mittel  genommen.  Unter  den  beobach- 
teten Spannungen  stehen  die  Differenzen  mit  den  berechneten 
Spannungen.  Ausserdem  habe  ich  in  dieser  Tabelle  auch  gleich 
die  berechneten  Werthe  von  s  angeführt,  von  denen  weiter  unten 
die  Rede  sein  wird. 


t 

00 

200 

400 

600 

800 

1000 

Pber. 

0,00574 

0,02248 

0,07183 

0,1956 

0,4665 

1 

1  beob. 

0,00605 

0,02288 

0,07225 

0,1958 

0,4666 

1 

J 

0,00031 

0,00040 

0,00042 

0,0002 

0,0001 

0 

S 

216,6 

59,30 

19,81 

7,725 

3,422 

1,677 

t 

1200 

1400 

1600 

1800 

2000 

2200 

Pber. 

1,962 

3,571 

6,106 

9,907 

15,37 

22,97 

-Pbeob. 

1,960 

3,569 

6,118 

9,922 

15,35 

22,88 

A 

—  0,002 

—  0,002 

0,012 

0,015 

—  0,02 

—  0,09 

s 

0,8927 

0,5085 

0,3060 

0,1924 

0,1253 

0,08371 

t 

2400 

2600 

2800 

3000 

3200 

332,320 

Pbor. 

S 

33,23 
0,05700 

46,73 
0,03912 

64,15 
0,02680 

86,27 
0,01796 

113,9 
0,01111 

134,1 

0,005892 

Uebev  die  theoretische  Bestimmung  des  Dampfdruckes  etc.  230 

Die  Zusammenstellung  der  berechneten  und  beobachteten 
Spannungen  zeigt  in  dem  ganzen  Temperaturintcrvall  von  0^^  bis 
220^  eine  sehr  befriedigende  Uebereinstimmung,  und  danach  darf 
man  es  wohl  als  wahrscheinlich  annehmen,  dass  auch  die  für 
die  höheren  Temperaturen  berechneten  Spann ungswerthe,  sowie 
die  berechnete  kritische  Temperatur  332,32^'  und  der  ihr  ent- 
sprechende Druck  von  134  Atmosphären  nicht  zu  weit  von  der 
Wahrheit  abweichen. 

Was  nun  die  übrigen  in  den  Formeln  vorkommenden  Con- 
stanten anbetrifft,  so  erhält  man  für  Ji,  gemäss  der  Gleichung  (8), 
wenn  man  darin  für  d  den  Werth  0,6221  setzt,  welcher  aus  den 
für  die  specifischen  Gewichte  von  Wasserstoff  und  Sauerstoff  von 
Regnault  gefundenen  Werthen  hervorgeht: 

R  =  47,05. 

Daraus  ergiebt  sich  weiter,  gemäss  (9),  wenn  man  für  T^ 
und  Fe  die  oben  gefundenen  Werthe  anwendet: 

7  =  0,002  569. 

Um  w  zu  bestimmen,  muss  man  von  einem  beobachteten  Volu- 
men des  flüssigen  Wassers  den  für  dieselbe  Temperatur  berech- 
neten Werth  von  lü  abziehen.  Nun  zeigt  aber  das  flüssige  Wasser, 
wenn  man  es  von  0°  an  erwärmt,  die  bekannte  eigenthümliche 
Erscheinung,  dass  es  sich  anfangs  zusammenzieht  und  erst  über 
40  ausdehnt,  und  dass  auch  dann  noch,  innerhalb  eines  beträcht- 
lichen Temperaturintervalls,  der  Ausdehnungscoefficient  viel  ver- 
änderlicher ist,  als  bei  anderen  Flüssigkeiten.  Diese  Erscheinung, 
welche  unzweifelhaft  mit  denjenigen  Molecularkräften  zusammen- 
hängt, die  beim  Gefrieren  des  Wassers  als  Krystallisationskräfte 
wirken,  wird  durch  unsere  zur  Bestimmung  von  iv  dienende 
Gleichung  nicht  mit  ausgedrückt,  weil  bei  ihrer  Aufstellung  diese 
Art  von  Kräften  nicht  mit  berücksichtigt  ist.  Hierdurch  ent- 
steht nun  für  die  Bestimmung  von  oc  eine  Unsicherheit,  indem 
man  je  nach  der  Temperatur,  auf  welche  das  zur  Bestimmung 
angewandte  Wasservolumen  sich  bezieht,  verschiedene  Werthe 
von  «  erhält.  Wendet  man  das  bei  20"  beobachtete  Wasser- 
volumen an,  so  kommt: 

«  =  0,000  754, 
und  wenn  man  diese  Zahl  von  der  oben  für  y  angeführten  Zahl 
abzieht,  so  erhält  man: 

ß  =  0,001815. 


240  Anhang. 

Auf  die  berechneten  Wertlie  des  Dampfvolumens  s  hat  dje 
in  Bezug  auf  die  Constante  a  stattfindende  Unsicherheit  nur  einen 
sehr  geringen  Einfluss,  da  die  ganze  Grösse  von  oc  gegen  das 
Dampfvolumen  bei  allen  Temperaturen,  die  der  kritischen  Tem- 
peratur nicht  zu  nahe  liegen,  sehr  klein  ist.  Die  für  die  oben 
betrachtete  Reihe  von  Temperaturen  berechneten  Werthe  von  s 
sind,  wie  schon  erwähnt,  der  letzten  Tabelle  mit  angefügt.  Sie 
stellen  das  Volumen  eines  Kilogramm  Dampf  in  Cubikmetern  dar. 

Giebt  man  endlich  noch  der  den  Druck  p  bestimmenden 
Gleichung  die  unter  (11)  angeführte  Form: 

p    _       1       _  AT-^  —  B 

so    haben    die    hierin    vorkommenden  Constanten    A   und    B   für 
Wasser  folgende  Werthe: 

^  =  45,17;     i>'  =  0,00737. 


Abhandlung     VII. 


Ueber  die  Dimensionen  und  die  gegenseitig-en  Abstände 

der  Molecüle. 

Antwort  auf  einen  Bi*ief  des  Herrn   Jules   Bourdin.      (Nach   dem  deut- 
schen Manuscript  des  in  La  Lumiere  Electrique  Nr.  32,  p.  241  —  244,  1885 
erschienenen  Aufsatzes.) 

Mein  Herr  und  sehr  geehrter  College! 

Sie  haben  mir  die  Ehre  erwiesen,  in  Ihrem  Namen  und  im 
Namen  einer  Gruppe  von  Electrikern  an  mich  einen  Brief"  zu 
richten  i),  welcher  sich  auf  einen  von  mir  gehaltenen  Vortrag 
bezieht  2),  und  welchen  ich  mit  dem  grössten  Interesse  gelesen 
habe.  Die  darin  enthaltenen  sinnreichen  Betrachtungen  umfassen 
ein  sehr  weites  Gebiet,  und  es  würde  daher  in  einer  nothwen- 
diger  Weise  kurz  gehaltenen  Antwort  nicht  möglich  sein,  sie 
alle  mit  der  wünschenswerthen  Vollständigkeit  zu  besprechen. 
Gestatten  Sie  mir  daher,  meine  Antwort  auf  die  Frage  zu  be- 
schränken, auf  welche  Sie  das  Hauptgewicht  zu  legen  scheinen, 
nämlich  auf  die  Frage,  ob  es  nothwendig  ist,  ausser  der  pon- 
derablen  Masse  noch  einen  anderen  feineren  Stoö'  als  existirend 
anzunehmen. 

Ich  habe  in  meinem  Vortrage  gesagt,  die  sehr  kleinen 
Schwingungen,  welche  das  Licht  und  die  strahlende  Wärme  bil- 
den, könnten  nicht  vermittelst  der  Luft  oder  sonst  eines  Gases 
fortgepflanzt  werden,  indem  die  Gase,  welche  aus  ponderablen 
Atomen  bestehen,  eine  zu  grobe  Massenvertheilung  hätten.     Die 


1)  La  Lumiere  Electrique  du  30.  Mai  1885,  Nr.  22,  p.  419. 

2)  Gemeint  ist  die  bekannte  Rectoratsrede   „Ueber  den  Zusammenhang 
zwischen  den  grossen  Agentien  der  Natur".     Bonn  1885.  D.  H. 

Clausius,  median.  Wärmetheorie.     III.  ig 


242  Anhang. 

Richtigkeit  dieses  Ausspruches  bestreiten  Sie,  indem  Sie  sagen: 
„nous  n'admettons  pas  l'accusation  de  grossierete  et  de  manque 
de  siibtilite  portee  par  Huygens  contre  la  matiere  ponderable, 
nous  la  croyons  capable  de  se  preter  d'elle-meme  ä  la  propagation 
des  vibrations  lumineuses,  caloriques  ou  electriques,  aussi  faci- 
lement  et  mieux  meme,  quand  il  s'agit  de  certains  corps,  qu'elle 
ne  se  prete  a  la  propagation  sonore." 

Um  zwischen  diesen  beiden  verschiedenen  Ansichten  ent- 
scheiden zu  können ,  niuss  man  Anhaltspuncte  zur  Beurtheilung 
der  Grösse  der  Atome  und  ihrer  Entfernung  von  einander  haben. 
Sie  sagen  darüber:  „Nul  jusqu'ä  present  n'a  ose  mesurer  ni  un 
atome  ni  une  distance  atomique."  Wenn  Sie  das  Wort  „mesurer" 
im  ganz  strengen  Sinne  als  eine  durch  directe  Beobachtung  aus- 
geführte Bestimmung,  oder  als  eine  vollkommen  genaue  und  zu- 
verlässige Bestimmung  der  betreffenden  Grössen  verstehen  wollen, 
so  muss  ich  diesen  Satz  allerdings  als  richtig  zugestehen.  Aber 
eine  angenäherte  Bestimmung  jener  Grössen  lässt  sich  durch 
Schlussfolgerungen  verschiedener  Art  ausführen.  Eine  von  Atha- 
nase  Dupre  angewandte  Bestimmungsweise  wurde  in  Nr.  23 
dieses  Journals  von  Herrn  Decharme^)  zur  Sprache  gebracht. 
Ich  will  mir  hier  erlauben,  Ihre  Aufmerksamkeit  auf  eine  von 
mehreren  anderen  Autoren  angewandte  Schlussweise  zu  lenken, 
welche,  wie  es  mir  scheint,  noch  bestimmtere  Resultate  giebt. 

Sie  beruht  auf  der  kinetischen  Gastheorie.  Diese  Theorie 
nimmt  an,  dass  jedes  Gasmolecül  sich  so  lange  geradlinig  bewegt, 
bis  es  mit  einem  anderen  Molecül  zusammentrifft,  und  dadurch 
gezwungen  wird,  seine  Bewegungsrichtung  zu  ändern.  Die  gegen- 
seitige Einwirkung  zweier  zusammentreffender  Molecüle  ist  sicher- 
lich nicht  so  einfach,  wie  die  gegenseitige  Einwirkung  zweier  harter 
elastischer  Kugeln,  welche  zusammenstossen  und  von  einander 
abprallen;  indessen  für  eine  angenäherte  Betrachtung  kann  man 
wohl  A^on  der  Vorstellung  ausgehen,  dass  die  Molecüle  harte 
elastische  Kugeln  wären,  und  kann  sich  dann  die  Aufgabe  stellen, 
aus  den  Eigenschaften  der  Gase  die  Grösse  und  gegenseitige 
Entfernung  dieser  Kugeln  zu  bestimmen. 

Ich  habe  in  einer  1858  erschienenen  Abhandlung  2)  eine  Be- 


1)  La  Lumiere  Electrique,  T.  XVI,  Nr.  23,  Sam.  6.  juin  1885,  p.  489.   D.H. 

2)  Pogg.     Ann.    105,     239    (und    Theorie    mecanique     de    chaleur,    par 
R.  Clausius,  traduite  par  F.  Folie,  t.  II,  p.  230).    Die  Kugel,  welche  dort 


Uebev  die  Dimensionen  und  die  gegenseitigen  Abstände  der  Molecüle.      243 

Ziehung  zwischen  dem  Molecüldurchmesser  und  der  mittleren 
Länge  der  Wege,  welche  die  Molecüle  von  einem  Zusammenstosse 
bis  zum  nächsten  zurücklegen,  aufgestellt,  welche  sich  folgonder- 
maassen  ausdrücken  lässt:  Die  mit  8  multijjUcirte  mittlere  Weg- 
länfje  verhält  sich  zum  Durchmesser  der  Molecüle^  wie  der  von 
dem  Gase  im  Gänsen  eingenommene  Raum  zu  dem  von  den  ßlole- 
ciilen  ivirMich  erfiilUen  Ilaume.  Bei  der  Aufstellung  dieses  Satzes 
ist  angenommen,  dass  alle  Molecüle  gleiche  Geschwindigkeiten 
haben.  Will  man  dagegen,  wie  es  Maxwell  später  gethan  liat, 
die  in  der  Wirklichkeit  vorkommenden  Unterschiede  zwischen  den 
Geschwindigkeiten  der  verschiedenen  Molecüle  mit  l)erücksich- 
tigen,    so    muss    man    den    Zahlenfactor   8    im    Verhältniss   von 

1/2  :  —  vergrössern,   wodurch   er  in  8,485   oder    angenähert   8,5 
o 

übergeht. 

Um  diesen  Satz  mathematisch  auszudrücken,  wollen  wir  vor- 
aussetzen, der  von  dem  Gase  im  Ganzen  eingenommene  Raum 
sei  eine  Raumeinheit.  Bezeichnen  wir  dann  den  von  den  Mole- 
cülen  wirklich  erfüllten  Raum  mit  £,  den  Durchmesser  eines 
Molecüls  mit  d  und  die  mittlere  Weglänge  mit  ?,  so  drückt  sich 
der  Satz  durch  folgende  Gleichung  aus: 

8,5  .  l  _  2. 
ö       ~    a' 
woraus  folgt: 

(1)  d  =  8,6. I.E. 

Mit  Hülfe  dieser  Gleichung  kann  man  d  berechnen ,  wenn  7  und 
s  bekannt  sind. 

Was  zunächst  Z,  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle,  an- 
betrifft, so  lässt  sich  dieselbe  sowohl  aus  der  Schnelligkeit  der 
Diffusion  zweier  Gase,  als  auch  aus  der  Reibung  zweier  Gas- 
schichten, welche  sich  mit  verschiedenen  Geschwindigkeiten  be- 
wegen, bestimmen,  denn  diese  beiden  Erscheinungen  beruhen 
darauf,  dass  die  Molecüle  aus  der  einen  Schicht  in  die  andere 
hinüber  fliegen,  und  bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  in  dieselbe  ein- 
dringen. Auf  diese  Weise  hat  man  für  mehrere  Gase  die  mitt- 
leren Weglängen  der  Molecüle  bestimmt,  und   die  von  verschie- 


„sphere  d'action"  genannt  wird,  bat  einen  zweimal  so  grossen  Radius  iind 
daher  ein  aclitmal  so  grosses  Volumen,  als  die  Kugel,  welche  hier  als 
Molecül  betrachtet  wird. 

16* 


244  Anliang. 

denen  Beobachtern  ermittelten  Werthe  stimmen  so  gut  unter 
einander  überein,  dass  man  daraus  schliessen  darf,  dass  sie  nicht 
mehr  weit  von  der  Wahrheit  abweichen. 

Wir  wollen  als  Beispiel  zur  Behandlung  die  Kohlensäure 
wählen.  In  einem  Aufsatze  von  A.  von  Obermayeri)  finden 
wir  für  Kohlensäure  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre 
und  bei  der  Temperatur  0^  folgende  Werthe  von  l  angeführt, 
welche  aus  Versuchen  verschiedener  Beobachter  abgeleitet  sind: 
0,000049  mm;     0,000050  mm;     0,0000.56  mm. 

0.  E.  Meyer,  in  seinem  bekannten  ausgezeichneten  Werke  „Die 
kinetische  Theorie  der  Gase"  giebt  auf  S.  142  für  Kohlensäure 
unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  und  bei  der  Temperatur 
20*^  folgenden  Werth  von  Z  an: 

0,000068  mm, 
woraus  man  durch  Reduction  auf  die  Temperatur  0°  erhält: 

0,000063  mm. 
Als  Mittelwerth  aus  den  vier  auf  die  Temperatur  0"  bezüglichen 
Werthen  ergiebt  sich: 
(2)  l  =  0,0000545  mm. 

Was  ferner  die  Grösse  f,  nämlich  den  von  den  Molecülen 
eines  Gases  wirklich  erfüllten  Raum  anbetrifft,  so  findet  man  die 
Anhaltspuncte  zu  ihrer  Bestimmung  ebenfalls  in  der  kinetischen 
Gastheorie.  Aus  dieser  Theorie  ergiebt  sich  nämlich,  wie  ich  in 
meiner  ersten  darauf  bezüglichen  Abhandlung  2)  näher  ausein- 
ander gesetzt  habe,  dass  die  Abweichung  der  Gase  vom  Mariotte'- 
schen  und  Gay-Lussac'schen  Gesetze  auf  verschiedenen  Grün- 
den beruht,  von  denen  einer  der  ist,  dass  der  von  den  Molecülen 
eines  Gases  ivirMicJi  erfüllte  Raum  gegen  den  von  dem  Gase  im 
Ganzen  eingenommenen  Raum  nicht  verscliimndend  Mein  ist.  Man 
kann  daher  aus  jenen  Abweichungen  auf  die  Grösse  des  von  den 
Molecülen  erfüllten  Raumes  schliessen.  Besonders  zuverlässige 
Data  zu  solchen  Schlüssen  ergeben  sich  aus  den  Versuchen, 
welche  Herr  Andrews  in  neuerer  Zeit  über  das  Verhalten  der 
Gase  bei  sehr  grossen  Druckdifferenzen  ausgeführt  hat. 


^)  Repertorium  für  Experimeiital- Physik,  herausgegeben  von  Ph.  Carl, 
Bd.  XIIT,  S.  157. 

2)  Pogg.  Ann.  1857,  100,  359  (und  Theorie  mecanique  de  la  chaleur, 
]jar  11.  Clausius,  traduite  par  F.  Folio,  t.  II,  p.  191). 


Uebev  die  Dimensionen  und  die  gegenseitigen  Abstände  der  Molecüle.      245 

Um  diejenigen  Resultate,  welche  er  für  Kohlensäure  gefun- 
den hat,  durch  eine  Formel  darzustellen,  habe  ich  folgende 
Gleichung  gebildet: 

T 


■  CK  T(v  +  ßy 
Hierin  bedeutet  p  den  Druck  in  Atmosphären ,  T  die  absolute 
Temperatur  und  v  das  Volumen  der  Kohlensäure,  wobei  dasjenige 
Volumen  als  Einheit  gewählt  ist,  welches  dieselbe  Menge  Kohlen- 
säure unter  dem  Drucke  von  einer  xVtmosphäre  und  bei  0'*  ein- 
nimmt. Die  Buchstaben  jR,  c^  u  und  ß  bezeichnen  Constante, 
welche  folgende  Werthe  haben: 

R  =  0,003  688 

c  =  0,093  5 

a  =  0,000  843 

ß  =  0,000  977. 

Eine  dieser  Constanten,  nämlich  «,  steht  zu  der  in  Gleichung  (\) 
vorkommenden  Grösse  s  in  naher  Beziehung.  Sie  stellt  den 
kleinsten  Baum  dar,  in  welchen  die  Gasmolecüle  durch  Zunahme 
des  Druckes  möglicherweise  zusammengedrängt  werden  können, 
denn  wenn  man  in  obiger  Gleichung  t;  =  a  setzt,  so  wird  ^^  =  cc . 
Nun  ist  aber  der  Raum,  welcher  eine  Anzahl  von  Kugeln  ent- 
halten kann,  wenn  sie  sich  bis  zur  Berührung  einander  genähert 
haben,  nur  wenig  grösser,  als  der  Raum,  welchen  die  Kugeln 
wirklich  ausfüllen.  Das  Verhältniss  zwischen  diesen  beiden 
Räumen  ist  etwas  verschieden,  je  nach  der  Art  der  Lagerung 
der  Kugeln.  Bei  der  engsten  Lagerung  ist  es  ungefähr  gleich 
dem  Verhältniss  7  :  6.  Wir  können  daher,  wenn  wir  die  engste 
Lagerung  annehmen,  setzen: 

6 
6  =  y  a. 

Führen  Avir  hierin  für  a  den  oben  gegebenen  Werth  ein,  so 
erhalten  wir: 

£  =  j-  0,000  843 

oder 

(3)  s  =  0,000  723. 

Durch  Einsetzung  der  in  (2)  und  (3)  gegebenen  Werthe  von 
Z  und  £  geht  die  Gleichung  (1)  über  in: 


246  Anhang. 

d  =  8,5  .  0,000  723  .  0,000  054  5  mm, 
woraus  folgt: 

(4)  d  =  0,000  000  335  mm, 
oder  anders  geschrieben: 

Nachdem,  der  Durchmesser  eines  Molecüls  bestimmt  ist,  lässt 
sich  auch  leicht  die  Anzahl  der  in  einem  Cubikmillimeter  befind- 
lichen Molecüle  angeben.  Sie  ist  nämlich  gleich  der  Anzahl  der 
Kugeln,  deren  Gesammtvolumen  gleich  c  ist,  und  wir  können 
daher,  wenn  wir  die  Anzahl  mit  N  bezeichnen,  die  Gleichung 
bilden: 

Setzen  wir  hierin  für  a  und  Ö  die  unter  (3)  und  (4)  gegebenen 
Werthe  ein,  so  kommt: 

(5)  iV=  37.10''. 

Dieselbe  Zahl  gilt  auch  für  alle  anderen  Gase,  da  nach  Avogadro 
in  gleichen  Volumen  aller  Gase,  bei  gleicher  Temperatur  und 
unter  gleichem  Drucke,  gleich  viel  Molecüle  enthalten  sind. 

Wenn  die  Anzahl  der  Molecüle  in  einer  llaumeinheit  be- 
kannt ist,  so  kann  man  sich  auch  von  dem  mittleren  gegenseitigen 
Abstände  zweier  Nachbarmolecüle  eine  Vorstellung  machen.  Denkt 
man  sich  nämlich  die  Molecüle  cubisch  angeordnet,  d.  h.  denkt  man 
sich  den  Raum  eines  Cubikmillimeters  in  N  kleine  cubische 
Räume  zerlegt,  und  nimmt  an ,  dass  die  Mittelpuncte  der  Mole- 
cüle sich  in  den  Eckpuncten  dieser  Guben  befinden,  so  ist  die 
Seite  eines  solchen  kleinen  Cubus  der  gegenseitige  Abstand  der 
Mittelpuncte  zweier  Nachbarmolecüle.  Demnach  gilt,  wenn  dieser 
Abstand  mit  A  bezeichnet  wird,  die  Gleichung: 

Setzt  man  hierin  für  N  den  obigen  W^erth,  so  kommt: 

(6)  l  =  0,000  003  mm. 

Dieser  Abstand  ist  allerdings  sehr  klein  und  entspricht  einer 
sehr  feinen  Massenvertheiluug;  aber  zur  FortpÜanzung  der  Licht- 


Ueber  die  Dimensioneu  niul  ilie  gegenseitigen  Abstände  der  Molecüle.      247 

wellen   durch   den  Weltenraum   ist  diese  Massenvertheilung  doch 
noch  viel  zu  groh. 

Wenn  man  sich  vorstellen  wollte,  der  Stoff,  welcher  die  Licht- 
Avellen  durch  den  Weltenraura  fortpflanzt,  wäre  ein  ponderahles 
Gas,  so  müsste  man  diesem,  um  den  geringen  Widerstand,  Avel- 
chen  die  Weltkörper  hei  ihrer  Bewegung  finden,  zu  erklären, 
eine  ausserordentlich  grosse  Verdünnung  zuschreiben.  Eine  Dich- 
tigkeit, welche  ein  Milliontel  von  -derjenigen  hetrügc,  welche  hei 
0"  und  unter  dem  Drucke  von  einer  Atmosphäre  stattiindet,  Aväre 
jedenfalls  noch  sehr  viel  zu  gross,  und  doch  würde  selbst  bei 
diesem  noch  lange  nicht  ausreichenden  Grade  der  Verdünnung 
der  Abstand  der  Nachbarmolecüle  schon  eine  mit  der  Fort- 
pflanzung von  Lichtwellen  offenbar  durchaus  unvereinbare  Grösse 
erlangen.  Er  würde  nämlich  hundertmal  so  gross  werden,  als 
die  in  Gleichung  (6)  bestimmte  Länge,  so  dass  man  für  dieses 
verdünnte  Gas  zu  setzen  hätte: 

l  =  0,000  3  mm. 
Dieser  Abstand  wäre  schon  beinahe  gleich  der  Wellenlänge  des 
violetten  Lichtes.  Es  ist  aber  ganz  undenkbar,  dass  eine  regel- 
mässige Wellenbewegung  sich  in  einem  Medium  fortpflanzen 
sollte,  in  welchem  die  einander  zunächst  liegenden  Theilchen  um 
eine  Wellenlänge  von  einander  entfernt  wären. 

Man  ist  daher,  wenn  man  die  Fortpflanzung  der  Lichtwellen 
durch  den  Weltenraum  erklären  will,  genöthigt,  die  Existenz  eines 
Stoffes  anzunehmen,  welcher  eine  viel  feinere  Massenvertheilung 
hat,  als  die  ponderablen  Gase.  Dieser  Stoff"  ist  es,  welchen  man 
bisher  Aether  nannte,  und  von  welchem  ich  glaube,  dass  er  nichts 
anderes  ist,  als  die  Electricität. 

K.  Clausius. 


Abhandluns:    VIII. 


Prüfung  der  Einwände  von  Hirn  gegen  die  kinetische 
Theorie  der  Gase. 

(üebersetzung   des   in   den   Bulletins    de   l'Academie   royale   de    Belgique 
3me  Serie  t.  XI,  Nr.  3,  1886  veröffentlichten  Aufsatzes  des  Verfassers  Exa- 
men   des   objections   faites    par    M.   Hirn   ä_  la    theorie    cinetique 

des   g  a  z.) 

In  den  beiden  der  königlich  belgischen  Akademie  überreichten 
Abhandlungen  „Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Bezie- 
hung zwischen  dem  Widerstand  der  Luft  und  ihrer  Tempera- 
tur 1)"  und  „Experimentelle  und  analytische  Untersuchungen  über 
die  Gesetze  des  Ausflusses  und  des  Stosses  der  Gase  in  ihrer 
Abhängigkeit  von  der  Temperatur 2)'^  beschreibt  Hirn  einerseits 
mehrere  Versuchsreihen,  andererseits  macht  er  deren  Resultate 
zur  Grundlage  theoretischer  Betrachtungen,  die  ihn  zu  dem 
Schlüsse  führen ,  dass  die  kinetische  Theorie  der  Gase  der  Er- 
fahrung widerspricht. 

Indem  ich  meinerseits  der  Akademie  meine  Ansicht  über 
diesen  Gegenstand  vorlege,  die  von  der  Hirn'schen  wesentlich 
abweicht,  betone  ich  ausdrücklich,  dass  meine  Kritik  sich  keines- 
wegs auf  die  experimentelle  Seite  seiner  Untersuchungen  bezieht. 
Die  Versuche,  die  er  beschreibt,  sind  wohl  durchdacht;  sie  wur- 
den mehrere  Jahre  hindurch  mit  bemerkenswerther  Ausdauer 
fortgesetzt,  und  ich  zweifle  nicht,  dass  auch  die  Sorgfalt  und 
die  Geschicklichkeit  in  der  Ausfübrung  auf  gleicher  Höhe  stan- 
den, so  dass  die  gewonnenen  Resultate  vollständiges  Zutrauen 
verdienen;  ihr  Werth   gehört  der  Wissenschaft  an   und  ist  voU- 


1)  Memoires,  t.  XLIII  (1881). 

2)  Ibid.,  t,  XLIV  (1834). 


Prüfuug  der  Einwtinile  vou  Hirn  etc.  249 

ständig  unabhängig  von  dem  Urtheil,  das  man  über  die  von 
Hirn  daraus  gezogenen  Folgerungen  fällt. 

Unter  diesen  Folgerungen  ist  namentlich  diejenige,  welche 
sich  auf  den  Stoss  der  Gase  bezieht,  in  sehr  präciser  Weise  aus- 
gedrückt.    Wir  wollen  uns  mit  ihr  zuerst  beschäftigen. 

Hirn  lässt  aus  einem  mit  Luft  unter  Druck  gefüllten  Gaso- 
meter einen  Luftstrom  ausfliessen ,  und  zwar  aus  einer  Röhre, 
die  an  ihrem  Ende  rechtwinklig  nach  unten  gebogen  ist  und  an 
diesem  Ende  die  Ausflussöffnung  enthält.  In  einiger  Entfernung 
unter  dieser  Oeffnung  befand  sich,  horizontal  auf  einer  Wagschale 
liegend,  eine  kreisförmige  Platte,  welche  den  Stoss  des  Luft- 
stromes senkrecht  auffing.  Zur  Ausgleichung  des  auf  die  Platte 
ausgeübten  Druckes  belastete  man  die  andere  Wagschale  mit 
Gewichten,  welche  als  Maass  der  Grösse  des  ausgeübten  Druckes 
dienten. 

Diese  Versuche  wurden  theils  mit  Luft  von  Zimmertemperatur 
ausgeführt,  theils  auch  mit  Luft  von  höherer  Temperatur,  etwas 
über  200".  Man  constatirte,  dass  der  von  dem  Luftstrome  auf  die 
Platte  ausgeübte  Druck  allein  abhängt  von  der  während  der  Zeit- 
einheit ausgeströmten  Luftmenge  und  von  der  Ausflussgeschwin- 
digkeit, nicht  aber  von  ihrer  Temperatur. 

Hirn  meint,  dass  dieses  Residtat  in  Widerspruch  steht  mit 
der  kinetischen  Theorie  der  Gase. 

Die  Gründe  dieser  Ansicht  sind  namentlich  im  §.  7  (S.  97) 
seiner  zweiten  Abhandlung  auseinander  gesetzt.  Man  kann  sich 
aber  bei  der  Durchsicht  dieser  Stelle  seiner  Arbeit  überzeugen, 
dass  seine  Deductionen  wesentliche  Fehler  enthalten. 

Bemerken  wir  zunächst,  dass  Hirn  einen  zu  ausgedehnten 
Gebrauch  macht  von  gewissen  vereinfachenden  Hypothesen,  welche 
in  speciellen  Fällen  angewendet  werden  können,  um  das  Ver- 
ständniss  zu  erleichtern.  Nach  der  kinetischen  Gastheorie  sind 
die  Molecüle  einer  scheinbar  in  Ruhe  befindlichen  Gasmenge  mit 
schnellen  und  verschiedentlich  wechselnden  Bewegungen  behaftet. 
Sie  bewegen  sich  in  allen  möglichen  Richtungen,  aber  der  Weg, 
den  sie  zwischen  zwei  auf  einander  folgenden  Stössen  durchlaufen, 
ist  sehr  kurz.  Wenn  das  Gas  die  Dichtigkeit  hat,  welche  dem 
Druck  einer  Atmosphäre  und  der  Temperatur  des  schmelzenden 
Eises  entspricht,  ist  der  mittlere  Betrag  der  Weglängen  für  alle 
Gase,  ausgenommen  Wasserstoff,  kleiner  als  ein  zehnmilliontel 
Millimeter.    Ferner   sind  die  Stösse  zwischen  zwei  Molecülen  im 


250  Auhang. 

Allgemeinen  schief  und  excentrisch,  so  dass  nach  jedem  Stosse 
die  Richtungen  und  die  Geschwindigkeiten  der  beiden  Molecüle 
total  geändert  sind. 

Diese  complicirten  Bewegungen  ersetzt  Hirn  durch  andere, 
viel  einfachere,  indem  er  annimmt,  dass  die  Molecüle  sich  allein 
nach  drei  auf  einander  senkrechten  Richtungen  bewegen,  dass  sie 
sich  in  ihren  Bewegungen  nicht  gegenseitig  stören,  sondern  dass 
vielmehr  jedes  seine  geradlinige  Bewegung  fortsetzt  bis  zum  An- 
prall an  eine  feste  Wand.  Derartige  Hypothesen  dürfen  nur  mit 
Vorsicht  angewendet  werden;  denn  wenn  sie  in  gewissen  Fällen 
exacte  Resultate  liefern,  so  führen  sie  ebensowohl  unter  anderen 
Umständen  in  die  Irre.  Man  wird  in  der  Folge  sehen,  dass 
sie  in  dem  von  Hirn  betrachteten  Falle  zum  Theil  unzulässig 
sind. 

Wenn  die  Gasmasse,  anstatt  scheinbar  zu  ruhen,  auszuströ- 
men beginnt,  so  kommt  zu  der  Molecularbewegung  die  Ausfluss- 
bewegung hinzu,  und  diese  muss  für  jedes  Molecül  mit  seiner 
augenblicklichen  Molecularbewegung  zusammengesetzt  werden,  um 
die  wirkliche  Bewegung  des  Molecüls  zu  erhalten.  In  der  Aus- 
führung dieser  Zusammensetzung  für  den  Luftstrom,  welcher  aus 
der  Oeffnung  üiesst  und  gegen  die  Platte  prallt,  begeht  Hirn 
einen  wesentlichen  Fehler,  den  schon  Folie  in  seinem  Referat 
bemerkt  hat. 

In  der  That:  Hirn  nimmt  an,  dass  für  ein  Drittel  aller 
Molecüle  die  Molecularbewegungen  parallel  und  für  die  beiden 
anderen  Drittel  senkrecht  sind  zur  Richtung  des  Stromes;  indem 
er  dann  die  Geschwindigkeit  der  Molecularbewegungen,  die  er 
für  alle  Molecüle  als  gleich  voraussetzt,  mit  Z7,  und  die  Geschwin- 
digkeit des  Stromes  mit  F  bezeichnet,  bildet  er  für  das  Drittel 
der  Molecüle,  dessen  Molecularbewegung  parallel  der  Richtung 
des  Stromes  verläuft,  die  Summe  TJ  -\-  V  als  Ausdruck  der 
totalen,  aus  beiden  Bewegungen  resultirenden  Geschwindigkeit, 

Das  ist  absolut  unrichtig.  Wenn  wir  uns  für  einen  Augen- 
blick der  ersten  Hypothese  von  Hirn  bedienen,  nach  welcher 
alle  Molecularbewegungen  nach  drei  auf  einander  senkrechten 
Richtungen  vor  sich  gehen,  von  denen  eine,  die  wir  mit  x  be- 
zeichnen wollen,  mit  der  Richtung  des  Stromes  zusammenfällt, 
dürfen  wir  dennoch  nicht  annehmen,  dass  alle  der  Richtung  x 
parallelen  Molecularbewegungen  in  demselben  Sinne  wie  der  Strom 
gerichtet  sind;  im   Gegentheil  ist  klar,  dass   die  eine  Hälfte  im 


riiif'iiiig  der  I'',iinv;iii(l<'  von   Jliru  etc.  251 

positiven  Sinne  der  Ivichtung  x^  die  andere  Hälfte  im  negativen 
Sinne  fliegt. 

Wollte  man  auch  die  zweite  Hypothese  von  Hirn  l)fnbehalten, 
dass  die  jNIolecüle,  ohne  sich  gegenseitig  zu  stören,  sich  in  gerader 
Linie  bis  zum  Anprall  an  ein  festes  Hinderniss  fortbewegen,  so 
müsste  man,  falls  t/"  >>  F,  den  Molecülen,  die  im  Sinne  der  nega- 
tiven X  gerichtet  sind,  gänzlich  verschiedenartige  Bedingungen 
der  Bewegung  zuertheilen.  In  der  Tliat  würden  diese  Molecüle 
dann  gegen  die  Ausflussöffnung  zurückfliegen  und  durch  diese 
wieder  in  den  Behälter  eindringen,  anstatt  daraus  hervorzukom- 
men. Man  sieht  daraus,  dass  die  zweite  Hypothese  in  dem  vor- 
liegenden Falle  nicht  zulässig  ist. 

Man  darf  vor  Allem  nicht  aus  dem  Auge  verlieren,  dass  die 
Molecularbewegungen  wechselnde  Bewegungen  sind;  alsdann  wird 
man  sich  eine  ganz  andere  Vorstellung  machen  von  der  Art,  wie 
sich  die  Molecüle  bewegen,  deren  Molecularbewegungen  parallel 
der  Axe  der  ,r-,  d.  h.  der  Austiussrichtung  verlaufen. 

Gesetzt,  der  Luftstrom  wird  von  einer  Ebene  senkrecht  zur 
Richtung  des  Ausflusses  geschnitten,  so  wird  offenbar  jedes  ]\lolecül 
diese  Ebene  nicht  ein  einziges  Mal,  sondern  mehrere  Male  über- 
schreiten, und  zwar  immer  abwechselnd  von  der  negativen  Seite 
zur   positiven   und  von   der   positiven    zur   negativen.     Die   Zahl 

dieser  Uebergänge  ist  um  so  grösser,  je  grösser  der  Bruch  -^  ist, 

und  wird  immer  durch  eine  ungerade  Zahl  dargestellt;  denn  die 
Zahl  der  Uebergänge  von  der  negativen  Seite  zur  positiven  ist 
um  1  grösser,  als  die  Zahl  der  Uebergänge  von  der  positiven  Seite 
zur  negativen.  Nimmt  man  an,  dass  zwei  entgegengesetzt  ge- 
richtete Uebergänge  sich  gegenseitig  aufheben,  so  wird  für  jedes 
Molecül  ein  Uebergang  von  der  negativen  Seite  zur  positiven 
übrig  bleiben,  wie  es  der  Ausflussbewegung  des  Gases  entspricht. 
Betrachten  wir  jetzt  für  einen  gegebenen  Augenblick  die 
Molecüle,  deren  Molecularbewegung  parallel  der  Richtung  des 
Stromes  erfolgt,  iind  welche  ein  Drittel  sämmtlicher  in  dem 
Strome  vorkommenden  Molecüle  bilden.  Die  Hälfte  dieses  Drittels 
wird  ihre  Molecularbewegungen  in  demselben  Sinne  wie  der  Strom 
ausführen.  Für  diese  Hälfte  erhalten  wir  als  Ausdruck  der 
totalen,  aus  beiden  Bewegungen  resultirenden  Geschwindigkeit 
die  Summe  TJ  -\-  V;  die  andere  Hälfte  des  Drittels  führt  dem 
Strome  entgegengesetzte  Molecularbewegungen  aus,  und  wir  müssen 


252  Anhang. 

die  totale,  aus  beiden  Bewegungen  resultirende  Geschwindigkeit 
durch  die  Differenz  —   ü  -\-  V  ausdrücken. 

Man  sieht,  dass  die  Summe  ü  -\-  V,  durch  welche  Hirn  die 
totale  Geschwindigkeit  aller  mit  einer  zur  Stromesrichtung  paral- 
lelen Molecularbewegung  behafteten  Molecüle  ausdrückt,  keines- 
wegs der  Wirklichkeit  entspricht.  Dies  ist  der  Hauptgrund  der 
Fehlschlüsse,  die  sich  weiterhin  in  seiner  Abhandlung  vor- 
finden. 

Er  berechnet  zuerst  für  eine  Volumeneinheit  der  ausströmen- 
den Luft  die  lebendige  Kraft  der  Bewegung  senkrecht  zur  Platte, 
indem  er  für  ein  Drittel  der  Molecüle  die  oben  erwähnte  Summe 
U -\-  F  nimmt;  für  die  anderen  beiden  Drittel,  deren  Molecular- 
bewegungen  senkrecht  zur  Richtung  des  Stromes  und  in  Folge 
dessen  parallel  der  Platte  verlaufen ,  führt  er  einfach  für  die 
Geschwindigkeit  der  betrachteten  Bewegung  die  Geschwindigkeit 
des  Stromes  V  in  die  Rechnung  ein.  Indem  er  die  Dichtigkeit 
der  Luft,  d.  h.  das  Gewicht  der  Volumeneinheit,  mit  (5,  und  die 
Beschleunigung  der  Schwere  wie  gewöhnlich  mit  g  bezeichnet, 
erhält  er  so  für  die  lebendige  Kraft  den  Ausdruck: 

(1)  l7(f^+>')'^  +  f(i-i)^'. 

der  sich  auf  den  folgenden  reducirt: 

Mit  Hülfe  dieses  Ausdrucks  bestimmt  Hirn  den  Druck,  wel- 
chen die  Luft  auf  die  Platte  ausübt.  Der  Querschnitt  des  Luft- 
stromes an  der  Stelle,  wo  er  die  Maximalgeschwindigkeit  V  hat, 
wird  durch  das  Product  ms  bezeichnet,  worin  s  die  Fläche  der 
Ausflussöffnung  und  m  den  Coefficienten  der  Contraction  bedeutet. 
Indem  er  ferner  annimmt,  dass  der  Strom,  wenn  er  gegen  die 
Platte  stösst,  sich  in  demselben  Zustande  wie  an  dieser  Stelle 
betindet,  leitet  er  aus  der  lebendigen  Kraft  der  Bewegung  senk- 
recht zur  Platte  den  Druck  auf  die  von  ihm  getroffene  Fläche 
m  s  in  derselben  Weise  her,  wie  man  in  der  kinetischen  Gas- 
theorie den  Druck  ruhender  Luft  berechnet.  Er  kommt  auf  fol- 
genden Ausdruck: 

d  (m  s) 


{ju^  +  jvr+r^y 


Prüfung  der  Einwände  von   Jlirn  et<;.  253 

Die  Luft,  welche  sich  an  der  hinteren  Fläche  der  Platte  in 
Ruhe  befindet,  üht  dort  einen  Druck  aus,  welcher  für  eine  Fläche 
von  derselben  Grösse  ausgedrückt  wird  durch: 

3  (J 
Dieser  Druck  muss  von  dem  auf  die  vordere  Fläche  aus- 
geübten abgezogen  werden,  um  den  Ueberschuss  des  von  dem 
Strome  herrührenden  Druckes  zu  erhalten,  wie  er  direct  beob- 
achtet wird.  Ist  dieser  letztere  Druck  p^  so  erhält  Hirn  folgende 
Gleichung: 

(2)  ,  =  ^(|f7r+F.), 

die  er  als  das  Resultat  betrachtet,  welches  die  kinetische  Gas- 
theorie, auf  unseren  Fall  angewandt,  liefert. 

Diese  Gleichung  stimmt  nicht  überein  mit  dem  Resultat 
seiner  Beobachtungen,  dass  der  Druck  unabhängig  von  der  Tem- 
peratur ist.  Denn  die  Grösse  U  ist  proportional  der  Quadrat- 
wurzel der  absoluten  Temperatur.  Daraus  schliesst  Hirn,  dass 
die  kinetische  Gastheorie  der  Erfahrung  widerspricht  und  daher 
unzulässig  ist. 

Man  muss  jedoch  selien,  was  sich  ergiebt,  wenn  man  in  den 
Rechnungen  von  Hirn  die  Thatsache  berücksichtigt,  dass  nur 
die  Hälfte  der  Molecüle,  deren  Molecularbewegungen  parallel  der 
Richtung  des  Stromes  sind,  die  Geschwindigkeit  U  ~{-  V  hat,  und 
dass  die  andere  Hälfte  mit  der  Geschwindigkeit  —  U  -{-  V 
behaftet  ist.  Man  erhält  dann  für  die  lebendige  Kraft  der  Bewe- 
gung senkrecht  zur  Platte  an  Stelle  des  oben  unter  (1)  gegebenen 
Ausdrucks  den  folgenden: 


den  man  reduciren  kann  auf: 

(3  a)  i(lf7.+  r,). 


den  man  reduciren  kann  auf: 

Dieser  Ausdruck  unterscheidet  sich  von  dem  (1  a)  durch  die 

2 
Abwesenheit  des  Gliedes  —  U  V  in  der  Klammer. 

o 

Wendet  man  diesen  Ausdruck  zur  Bestimmung  des  Druckes 
in  derselben  Weise  an,  wie  Hirn  seinen  Ausdruck  (la),  so  er- 
hält man  an  Stelle  der  Gleichung  (2)  die  folgende: 


.254  Anhang. 

(4)  i.  =  ^^^■F^ 

g 

welche  sich  wiederum  von  (2)  durch  die  Abwesenheit  des  mit 
dem  Factor  U  behafteten  Gliedes  unterscheidet.  Da  gerade  dieses 
Glied  den  Grund  des  Einwandes  von  Hirn  gegen  die  kinetische 
Gastheorie  bildet,  so  folgt  daraus,  dass  durch  sein  Verschwinden 
dieser  Einwand  hinfällig  wird. 

Um  die  Zuverlässigkeit  seiner  Schlussfolgerung  zu  erhöhen, 
hat  Hirn  seine  Betrachtungen  verallgemeinert.  Anstatt  der  An- 
nahme, dass  ein  Drittheil  aller  Molecularbewegungen  parallel  der 
Richtung  des  Stromes  erfolgen,  hat  er  diese  Voraussetzung  nur 
für  einen  unbestimmten  Bruchtheil  a  der  Molecularbewegungen 
eingeführt;  für  diesen  Bruchtheil  führt  er  dann  die  Geschwindig- 
keit TJ  -\-  V  m  die  Rechnung  ein.  Diese  Verallgemeinerung 
konnte,  abgesehen  davon,  dass  sie  durch  nichts  gerechtfertigt  ist, 
keineswegs  dazu  dienen,  seinen  Fehler  zu  berichtigen. 

Wie  klein  er  auch  den  Bruch  cc  voraussetzte,  er  durfte  immer 
nur  für  die  Hälfte  dieses  Bruches  die  Geschwindigkeit  TJ  -\-  V 
einführen ;  für  die  andere  Hälfte  musste  er  die  Geschwindigkeit 
—  fJ -f-  F  einführen,  was  wiederum  den  Wegfall  des  mit  dem 
Factor  U  behafteten  Gliedes  in  dem  Ausdrucke  von  p  zur  Folge 
gehabt  hätte. 

Vielleicht  könnte  man  gegen  die  Art  der  von  uns  eben  an- 
gestellten Rechnung  einen  anderen  Einwand  erheben,  der  auf 
den  ersten  Blick  durch  seine  augenscheinliche  Einfachheit  einen 
gewissen  Eindruck  macht  und  daher  Beachtung  verdient. 

In  dem  Falle,  dass  Z7  >>  F,  ist  die  Differenz  —  ü  -\-  V 
negativ  und  stellt  eine  Geschwindigkeit  dar,  die  nicht  gegen  die 
Platte  hin,  sondern  von  ihr  fort  gerichtet  ist.  Man  könnte  also 
geltend  machen,  dass,  wenn  man  bei  der  Bestimmung  der  leben- 
digen Kraft  der  in  einem  Räume  hervorgebrachten  Bewegungen 
in  gleicher  Weise  den  negativen  wie  den  positiven  Geschwindig- 
keiten Rechnung  tragen  ■  müsse,  es  sich  doch  nicht  ebenso  ver- 
halte bei  der  Bestimmung  des  auf  die  Platte  ausgeübten  Druckes; 
denn  ein  Molecül  mit  negativer  Geschwindigkeit  kann  die  Platte 
gar  nicht  treffen.  Folglich  müsste  man  von  den  beiden  Geschwin- 
digkeiten U  -\-  V  und  —   ü  -\-  V  nur  die  erstere  berücksichtigen. 

Diese  Betrachtung  würde  einen  schweren  Fehler  enthalten; 
denn    es   wäre   nicht   genug  Rücksicht  genommen  auf  die  Modi- 


Prüfung  der  Eiiiwilndo;  von   IJini  olc.  255 

ficationeii,  welche  diircli  den  Umstand  bedingt  werden,  dass  der 
Luftstroni  die  Platte  trifft  und  an  dieser  Stelle  seinen  Bewegungs- 
zustand ändert. 

Um  diese  Erscheinung  an  einem  der  Rechnung  bequem  zu- 
gänglichen Falle  verfolgen  zu  können,  wollen  wir  uns  vorläufig 
der  Hypothese  von  Hirn  bedienen,  nach  welcher  der  Luftstrom, 
wenn  er  die  Platte  trifft,  in  demselben  Zustande  ist,  wie  kurz  vor 
derselben,  und  dass  jedes  Molecül,  das  in  einer  senkrechten 
Richtung  ankommt,  mit  der  nämlichen  Geschwindigkeit  normal 
zurückprallt.  , 

Daraus  Avürde  in  Wirklichkeit  ein  Zustand  hervorgehen,  der 
in  der  Natur  nicht  möglich  ist.  Der  cylindrische  Raum  mit  dem 
Querschnitt  ms^  welcher  den  Luftstrom  enthält,  der  zur  Platte 
gelangt  und  den  wir  den  vorwärtsschreitenden  Strom  nennen 
wollen ,  würde  auch  den  Luftstrom  enthalten ,  welcher  sich  in 
Folge  des  Abprallens  der  Molecüle  von  der  Platte  entfernt,  und 
den  wir  den  rückwärtsschreitenden  Strotfi  nennen  wollen.  Der 
Raum  wäre  dann  erfüllt  mit  Luft  von  doppelter  Dichtigkeit  und 
würde  2wei  einander  entgegengesetzte  Ströme  enthalten,  die  sich 
nach  der  Annahme  nicht  stören  dürften.  Obgleich  ein  derartiger 
Zustand  in  Wirklichkeit  unmöglich  ist,  kann  man  ihn  sich  doch  als 
vorhanden  vorstellen  und  die  Frage  aufwerfen,  welches  in  diesem 
Falle  der  auf  die  Fläche  ms   der  Platte  ausgeübte  Druck  wäre. 

Dieser  Druck  ist  zwar  verschieden  von  dem  wirklichen  Druck, 
steht  aber  doch  in  einem  einfachen  Verhältniss  zu  diesem,  so 
dass  man  von  dem  einen  auf  den  anderen  schliessen  kann.  In 
Wirklichkeit  existirt  kein  rückwärtsschreitender  Strom,  sondern 
die  Luft  fliesst  von  der  Mitte  der  Platte  nach  allen  möglichen 
radialen  Richtungen  gegen  die  Ränder  ab,  wo  sie  dieselbe  ver- 
lässt.  Bei  der  Ausbreitung  durch  die  radiale  Bewegung  vermin- 
dert sich  die  Geschwindigkeit  der  Luft  mit  der  Entfernung  vom 
Centrum,  so  dass  man  bei  Anwendung  einer  Platte  mit  Dimen- 
sionen, wie  die  von  Hirn  benutzte,  die  Geschwindigkeit  der  Luft, 
wenn  sie  die  Platte  verlässt,  als  sehr  klein  ansehen  und  in  der 
Rechnung  vernachlässigen  kann.  Die  durch  den  Widerstand  der 
Platte  erzeugte  Wirkung  wird  sich  also  darauf  beschränken,  die 
ursprüngliche  Bewegung  des  Stromes  zu  vernichten,  während  da- 
gegen in  dem  idealen  Falle  dieser  Widerstand  ausserdem  noch 
eine  gleiche  Bewegung  im  umgekehrten  Sinne  hervorbringen  wird, 
wodurch  die  Wirkung  verdoppelt  wird.    Ferner  ist  in  dem  idealen 


256  Anhang. 

Falle  die  Fläche  ms  in  Berührung  mit  Luft  von  doppelter  Dich- 
tigkeit, so  dass  auch  der  von  dem  Ausfluss  unabhängige  Theil 
des  Druckes  zweimal  so  gross  ist  wie  in  dem  wirklich  existiren- 
den  Falle  der  einfachen  Dichtigkeit.  Daraus  ist  zu  schliessen, 
dass  der  dem  idealen  Falle  entsprechende  Druck  doppelt  so  gross 
ist  als  der  wirkliche  Druck. 

Nachdem  wir  uns  nun  so  von  der  Bedeutung  des  idealen 
Falles  Rechenschaft  gegeben  haben,  wollen  wir  ihn  mathematisch 
behandeln.  Betrachten  wir  ein  Molecül,  dessen  Molecularbewegun- 
gen  parallel  sind  der  Richtung  des  Stromes,  und  welches  durch 
den  vorwärtsschreitenden  Luftstrom  hinlänglich  nahe  an  die  Platte 
herangeführt  sei,  um  sie  in  Folge  seiner  Molecularbewegungen  er- 
reichen zu  können.  Es  wird  nicht  nur  Ein  Mal  an  die  Platte 
stossen  und  zurückprallen,  sondern  nach  dem  Rückpralle  und  dem 
Eintritt  in  den  rückwärtsschreitenden  Strom  wird  es  abermals 
gegen  die  Platte  anprallen  und  dadurch  wiederum  in  den  vorwärts- 
schreitenden Strom  geworfen  werden;  hierauf  wird  es  zum  dritten 
Male  gegen  die  Platte  anprallen,  um  in  den  rückwärtsschreiten- 
den Strom  zurückzukehren,  und  diese  Vorgänge,  jedesmal  mit 
einem  Anprall  verbunden,  werden  sich  wiederholen,  bis  der  rück- 
wärtsschreitende Strom  das  Molecül  so  weit  von  der  Platte  fort- 
geführt hat,  dass  es  dieselbe  durch  seine  Molecularbewegungen 
nicht  mehr  erreichen  kann.  Die  Anzahl  der  Stösse  des  Molecüls 
gegen   die  Platte  wird   um  so  grösser  sein,  je  grösser  der  Bruch 

Y  ist- 

Die  Grenzfläche  der  Platte  spielt  hier  dieselbe  Rolle  wie  die 
senkrechte  Ebene,  die  wir  oben  den  Strom  schneiden  Hessen, 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  die  Molecüle,  anstatt  die  Platte 
zu  überschreiten,  von  ihr  abprallen.  Man  kann  hier  noch  hinzu- 
fügen, dass  die  Anzahl  der  Stösse  durch  eine  ungerade  Zahl  dar- 
gestellt wird,  da  die  Stösse,  die  das  Molecül  aus  dem  vorwärts- 
schreitenden in  den  rückwärtsschreitenden  Strom  versetzen,  um 
einen  zahlreicher  sein  müssen,  als  die  mit  dem  umgekehrten  Er- 
folg. Ausserdem  ist  zu  bemerken,  dass  die  ersteren  Stösse  mit 
der  Geschwindigkeit  U  -\-  V  erfolgen,  während  für  die  letzteren 
die  Geschwindigkeit  U  —  V  eintritt;  diese  letztere  spielt  als 
positive  Geschwindigkeit  in  dem  rückwärtsschreitenden  Strome 
dieselbe  Rolle,  wie  die  Geschwindigkeit  —  U  -\-  F  als  negative 
Geschwindigkeit  in  dem  vorwärtsschreitenden  Strome. 


Prüfuiig  der  Einwände  von  Hirn  etc.  257 

Dieser  Umstand,  dass  jedes  Molecül  mehrmals  zum  Anstoss 
gegen  die  Platte  kommt,  ist  Hirn  entgangen,  weil  er  angenom- 
men hat,  dass  die  Molecüle  sich  in  gerader  Linie  bewegen,  ohne 
sich  gegenseitig  zu  stören,  bis  sie  eine  feste  Wand  treffen,  wor- 
aus folgen  würde,  dass  jedes  Molecül  nur  Ein  Mal  die  Platte 
träfe,  um  sie  sogleich  zu  verlassen.  Unter  diesen  Umständen 
konnte  er  nur  der  Geschwindigkeit  f  -j-  F,  die  zur  Zeit  des 
ersten  Stosses  besteht,  einen  Einfluss  auf  den  Druck  zuschreiben. 

Bestimmen  wir  jetzt  den  durch  die  Stösse  auf  die  Platte 
ausgeübten  Druck,  indem  wir  der  oben  beschriebenen  Erschei- 
nung vollständig  Rechnung  tragen.  Wir  wollen  zuerst  die  Stösse 
betrachten,  welche  das  Molecül  aus  dem  vorwärtsschreiten- 
den in  den  rückwärtsschreitenden  Strom  versetzen,  und  die 
mit  der  Geschwindigkeit  TJ  -\~  V  erfolgen.  Die  ganze  an  den 
Stössen  in  diesem  Räume  betheiligte  Masse,  auf  die  Zeiteinheit 
bezogen  (die  Masse  der  mehrmals  anstossenden  Molecüle  ist 
soviel  Mal  in  Rechnung  zu  setzen,  als  sie  Stösse  dieser  Art  aus- 
üben), beträgt  den  sechsten  Theil  der  in  einem  Cylinder  vom 
Querschnitt  ms  und  der  Länge   ü -\-  F  enthaltenen  Masse,  also 

—  —  m  s  (U  -[-  F).     Die   Stösse  vernichten   die   Geschwindigkeit 
6    (/ 

ü  -\-  V  dieser  Masse  und  theilen  sie  ihr  wieder  im  entgegen- 
gesetzten Sinne  mit,  wodurch  eine  Kraft  bedingt  wird,  doppelt 
so  gross  wie  die,  welche  zur  Mittheilung  der  Geschwindigkeit 
TJ  -\-  V  erforderlich  ist;  sie  wird  dargestellt  durch  das  doppelte 
Product  aus  Masse  und  Geschwindigkeit,  also  durch 

^   g 

Dieses  Product  müssen  wir  als  Ausdruck  des  durch  die  ge- 
nannten Stösse  auf  die  Platte  ausgeübten  Druckes  betrachten. 

Ebenso  erhalten  wir  für  die  Stösse,  Avelche  mit  der  Geschwin- 
digkeit ü  —  F  erfolgen: 

\-ms{u—  vy. 

Betrachten  wir  endlich  die  beiden  anderen  Drittel  der  Ge- 
sammtzahl  der  Molecüle,  deren  Molecularbewegungon  parallel 
der  Platte  sind,  so  haben  wdr  für  deren  Stoss  nur  auf  die  Ge- 
schwindigkeit F  des  Stromes  Rücksicht  zu  nelnnen.  Für  ihren 
Druck  erhalten  wir: 

Clausius,  mecban.  Wärmetheorie.     III-  J7 


258  Anhang. 

- —  ms  V^. 
3   g 

Siimmirt  man  diese  drei  Ausdrücke,  so  ergiebt  sich  für  den 
gesämmten  auf  die  Fläche  m  s  ausgeübten  Druck : 

j  ms  ^:^(UJrn'-^jiU-  Vy  +  j  F^] 

oder 

9 

Dieser  für  den  idealen  Fall  berechnete  Druck  muss  nach 
dem  Obigen  doppelt  so  gross  sein  als  der  wirkliche  Druck.  Für 
diesen  letzteren  erhalten  wir  also: 


2i,„.s{iu^  +  v'y 


1  „„  (i  c/.  + ,.). 


Davon  müssen  wir  den  Druck  abziehen,  der  auf  die  hintere 

Fläche  m s  der  Platte  ausgeübt  und  durch  - —  ms U^  dargestellt 

S  g 

wird,  um  den  allein  durch  den  Strom  hervorgebrachten  Druck  zu 
erhalten.  Wenn  wir  also  diesen  Druck  wie  früher  mit  p  bezeich- 
nen, erhalten  wir  die  Gleichung: 

d  ,_ 

w  =  —  m  s  I  'K 
(/ 

die  mit  der  oben  unter  (4)  gegebenen  übereinstimmt. 

Die  Verhältnisse  sind  in  Wirklichkeit  viel  complicirter  als 
in  dem  idealen  Falle,  den  wir  zur  Bestimmung  des  Druckes 
herangezogen  haben,  bei  dem  man  sich  von  den  kleinsten  Einzel- 
heiten Rechenschaft  geben  kann.  Der  Luftstrom  erleidet  Ver- 
änderungen, ehe  er  die  Platte  erreicht,  er  wird  schon  vor  der- 
selben aufgehalten,  weil  die  in  ihrer  ursprünglichen  BcAvegung 
behinderte  Luft  nicht  schnell  genug  nach  den  Seiten  abfliessen 
und  der  folgenden  Luft  Platz  machen  kann.  Die  ankommende 
Luft  muss  sich  also  theilweise  mit  der  noch  vor  der  Platte  be- 
findlichen mischen,  was  nicht  ohne  zahlreiche  Zusammenstösse 
zwischen  den  Molecülen  der  beiden  Luftmassen  nach  den  ver- 
schiedensten Richtungen  geschehen  kann. 

Es  handelt  sich  natürlich  hier  nicht  mehr  einfach  um  gerad- 
linige und  centrale  Stösse,  in  welchen  die  gestossenen  Molecüle 
einfach  ihre  Bewegungen  austauschen,   sondern  vielmehr  um  un- 


Prüfung  der  Einwände  von  Hirn  etc.  259 

regelmässige  Stösse,  in  denen  die  Richtungen  und  die  Geschwin- 
digkeiten der  Bewegungen  sich  in  sehr  verschiedener  Weise  je 
nach  den  Berührungspuncten  zufällig  ändern.  Die  Molecüle  mit 
negativer  Bewegung  nehmen  ehensowohl  wie  die  mit  positiver 
Bewegung  Theil  an  diesen  gegenseitigen  Bewegungsänderungen, 
die  sich  fortwährend  zwischen  allen  Molecülen  abspielen,  so  dass 
die.  einen  wie  die  anderen  in  gleicher  Weise  den  Zustand  der 
Luft  beeinflussen,  die  sich  vor  der  Platte  befindet  und  auf  sie 
ihren  Druck  ausübt. 

Ohne  in  die  Einzelheiten  der  Gesammterscheinung  eingehen 
zu  müssen,  sieht  man  unmittelbar,  dass  es  keineswegs  erlaubt  ist, 
bei  der  Bestimmung  des  Druckes  die  im  Luftstrome  befindlichen 
negativen  Geschwindigkeiten  zu  vernachlässigen;  wird  jedoch 
diese  Erlaubniss  nicht  ertheilt,  so  wird  den  von  Hirn  auf  Grund 
seiner  Gleichung  (2)  gegen  die  kinetische  Gastheorie  erhobenen 
Einwänden  der  Boden  entzogen. 


Die  Einwände,  welche  Hirn  aus  seinen  Versuchen  über  den 
Widerstand  der  Luft  und  über  den  Ausfluss  der  Gase  herleitet, 
sind  ganz  derselben  Art,  wie  der  eben  von  uns  betrachtete  Ein- 
wand, der  aus  dem  Stosse  eines  Luftstromes  gegen  eine  Platte  ab- 
geleitet ist. 

Bei  dem  Widerstände  der  Luft  handelt  es  sich  um  einen  dem 
eben  bc^sprochenen  ganz  analogen  Fall.  Jener  bezog  sich  auf  die 
Wirkung  bewegter  Luft  auf  einen  ruhenden  Körper,  hier  handelt 
es  sich  um  die  Wirkung  ruhender  Luft  auf  einen  bewegten  Kör- 
per. Auch  der  Einwand  von  Hirn  und  die  Ueberlegungen ,  die 
ihn  dazu  veranlassen,  sind  in  beiden  Fällen  dieselben.  Hirn 
fand  in  seinen  Versuchen,  dass  der  Widerstand  der  Luft  nur  von 
der  Dichtigkeit,  nicht  von  der  Temperatur  abhängt.  Dieses  Re- 
sultat scheint  ihm  mit  der  kinetischen  Gastheoric  in  Widerspruch 
zu  stehen,  doch  ist  er  nur  deshalb  auf  diesen  Schluss  gekommen, 
weil  er  bei  der  theoretischen  Ableitung  des  Luftwiderstandes  aus 
der  kinetischen  Gastheorie  nur  die  gegen  den  Körjier  hin  gerich- 
teten und  nicht  auch  die  in  umgekehrtem  Sinne  gerichteten  ^lole- 
cularbewegungen  berücksichtigt  hat.  Da  die  Ungenauigkeit  dieses 
Verfahrens    genau    in    derselben   Weise   wie    oben    nachgewiesen 


260  Anhang. 


werden  kann,   so  brauchen  wir  auf  die  vorhergehenden  Erläute- 
rungen nicht  zurückzukommen. 

Was  den  Äusfluss  der  Gase  betriti't,  so  hat  Hirn  eine  ge- 
nügende Uebereinstimmung  zwischen  den  Resultaten  seiner  Ver- 
suche und  den  gewöhnlichen  Formeln  für  die  Ausflussgeschwin- 
digkeit gefunden.  Aber  er  ist  der  Ansicht,  dass  man  nach  der 
kinetischen  Theorie  diese  Formel  nicht  auf  die  Geschwindigkeif  F, 
sondern  auf  den  Ausdruck  V2a  U  V -j-  V'^  anwenden  muss,  worin 
ci  wieder  den  Bruchtheil  sämmtlicher  Molecüle  bezeichnet,  dessen 
Molecularbewegung  dem  Gasstrome  parallel  ist.  In  dem  Mangel 
an  Uebereinstimmung  zwischen  diesem  Ausdruck  und  der  Formel 
glaubt  Hirn  einen  Einwand  gegen  die  kinetische  Theorie  zu 
finden. 

Die  Ableitung  dieses  Schlusses  ist  die  nämliche,  die  er  bei  der 
oben  beschriebenen  Verallgemeinerung  seiner  Rechnung  zur  Bestim- 
mung des  von  dem  Luftstrome  auf  die  Platte  ausgeübten  Druckes 
angewendet  hat.  Seine  Beweisführung  fusst  darauf,  dass  er  unter 
den  Bewegungen  parallel  zum  Gasstrome  nur  die  mit  der  Ge- 
schwindigkeit U  -\-  V  und  nicht  auch  die  ebenso  zahlreichen 
mit  der  Geschwindigkeit  —  U  -\-  V  berücksichtigt.  Unter  Beach- 
tung dieser  letzteren  würde  das  Glied  2a  UV  aus  der  Wurzel 
verschwinden.  Es  handelt  sich  also  wieder  um  den  schon  be- 
schriebenen Fehler,  zu  dessen  Widerlegung  wir  nur  das  oben 
Gesagte  zu  wiederholen  hätten. 

Ich  glaube  noch  einige  Worte  sagen  zu  müssen  über  eine 
auf  den  Äusfluss  der  Gase  bezügliche  Behauptung,  in  welcher  es 
sich  um  Betrachtungen  anderer  Art  handelt. 

Bei  den  in  der  Abhandlung  beschriebenen  Versuchen  über 
den  Äusfluss  war  die  DruckdiÖerenz ,  die  den  Luftstrom  hervor- 
rief, immer  klein  im  Verhältniss  zu  dem  Drucke,  welcher  im  In- 
neren wie  auch  ausserhalb  des  Gefässes  herrschte.  Der  äussere 
Druck  war  im  Allgemeinen  der  einer  Atmosphäre,  und  der  innere 
überstieg  ihn  nur  um  10  bis  27  mm  Quecksilber;  ebenso  waren 
die  Ausflussgeschwindigkeiten  der  Luft  geringer  als  100  m. 

Dagegen  citirt  Hirn  in  einer  Anmerkung  (S.  117)  später 
ausgeführte  Versuche,  in  denen  er  behauptet,  eine  Geschwindig- 
keit von  5700m  erzielt  zu  haben,  dadurch,  dass  er  den  äusse- 
ren Druck  bis  auf  10mm  Quecksilber  erniedrigte,  während  der 
innere  ungefähr  auf  einer  Atmosphäre  blieb. 


Prüfung  der  Einwände  von  Hirn  etc.  261 

Iii  dem  Zusatz  zu  seiner  Abhandlung  (S.  198)  ergänzt  Hirn 
diese  Mittheilung  und  fixirt  die  Ausflussgeschwindigkeit  auf  4266  m. 
Nach  der  kinetischen  Theorie  können  die  Molecularbewegungen 
in  Luft  bei  der  gegebeneu  Temperatur  höchstens  eine  mittlere 
Geschwindigkeit  von  ungefähr  500  m  besitzen  und  sind  in  Folge 
dessen  unfähig,  eine  Geschwindigkeit  von  über  4000  m  zu  liefern. 
Eb«nso  glaubt  Hirn,  in  diesem  Versuch  ein  entscheidendes 
Argument  gefunden  zu  haben  und  beschliesst  seine  Auseinander- 
setzung mit  den  Worten:  „Diese  Ueberlegung  enthält  einen 
schlagenden  Beweis  gegen  die  kinetische  Theorie,  so  wie  sie  bis- 
her entwickelt  worden  ist." 

Daraufhin  muss  man  natürlich  das  lebhafteste  Interesse 
haben,  zu  erfahren,  wie  Hirn  diese  grosse  Geschwindigkeit  ge- 
messen hat.  Wenn  man  aber  die  Fortsetzung  seiner  Abhand- 
lung liest,  kann  man  sehen,  dass  er  gar  keine  Geschwindigkeits- 
messungen vorgenommen  hat:  er  hat  nur  die  in  der  Zeiteinheit 
aus  dem  Gefäss  ausgeschlossene  Luftmenge  gemessen  und  daraus 
die  Gesclnvindigkeit  durch  theoretische  Schlüsse  berechnet. 

Die  Versuche  haben  gezeigt,  dass,  wenn  man  den  äusseren 
Druck  mehr  und  mehr  verringert,  während  der  innere  unver- 
änderlich auf  750  mm  bleibt,  die  Austlussmenge  nur  bis  zu  dem 
Augenblicke  wächst,  wo  der  äussere  Druck  bis  auf  400mm  er- 
niedrigt ist.  Bei  weiterer  Verminderung  des  äusseren  Druckes 
bleibt  der  Ausfluss  nahezu  constant. 

Dieser  Umstand,  dass  die  Ausflussmenge  mit  abnehmendem 
Drucke  einem  Maximum  zustrebt,  das  sie  nicht  überschreiten 
kann,  stimmt  sehr  wohl  mit  der  kinetischen  Theorie  überein.  In 
der  That  muss  man  nach  ihr  annehmen,  dass,  wenn  der  äussere 
Druck  =  0  ist,  die  Molecüle,  welche  in  Folge  ihrer  Molecular- 
bewegungen und  des  in  der  Nähe  der  Oeffnung  gebildeten  Stromes 
an  der  Oeffnung  ankommen,  allein  mit  der.  Geschwindigkeit  her- 
ausfliegen, welche  sie  gerade  in  dem  ^^Augenblicke  besitzen,  wo 
sie  die  Oeffnung  erreichen. 

Unter  diesen  Umständen  wird  eine  gewisse  Luftmenge,  be- 
stimmt durch  die  Dichtigkeit  und  die  inneren  Bewegungen,  in 
der  Zeiteinheit  die  Oeffnung  verlassen;  diese  ist  es,  welche  das 
Maximum  bildet.  Weiter  ist  es  sehr  wohl  möglich,  dass  die  Aus- 
flussraenge  nicht  coutinuirlich  in  der  nämlichen  Weise  mit  der 
Verminderung  des  äusseren  Druckes  wächst,  sondern  dass  sie  sich 
im  Gegentheil   verhältnissmässig   schnell   dem   Maximum    nähert, 


262  Anbang. 

SO  dass  die  fortgesetzte  Abnahme  des  äusseren  Druckes  später 
keine  nennenswerthe  Aenderuug  dieser  Menge  mehr  herbeiführt. 

Was  den  Ausflussprocess  selbst  betriö't,  so  wird  er  verschieden 
sein,  je  nachdem  er  durch  einen  sehr  kleinen  oder  einen  sehr 
grossen  äusseren  Druck  hervorgebracht  wird.  In  dem  ersteren 
Falle  wird  sich  nicht  etwa  ein  nahezu  cylindrischer  Strom  bilden, 
in  welchem  die  Luft  schon  nahe  der  Oefihung  die  nöthige  Dich- 
tigkeit hat,  um  die  Differenz  zwischen  dem  Drucke  im  Inneren 
des  Stromes  und  dem  äusseren  Drucke  auszugleichen.  Im  Gegen- 
theil  wird  in  Folge  der  von  den  Molecülen  am  Ausgange  der  Oetf- 
nung  eingehaltenen  verschiedenen  Richtungen  der  Strom  sich 
schnell  ausbreiten,  und  da  die  Molecüle  zu  kurze  Zeit  in  der 
Umgebung  der  Oeffnung  verweilen ,  um  schon  an  dieser  Stelle 
dem  Drucke  die  Ausgleichung  zu  gestatten,  so  werden  ihre  gegen- 
seitigen Abstände  in  der  Nähe  der  Oefthung  gänzlich  verschieden 
sein  von  denen,  die  bestehen  würden,  wenn  jener  Ausgleich  sich 
vollziehen  könnte.  Diese  Abstände  hängen  fast  allein  von  dem 
Zustande  der  Luft  im  Inneren  des  Behälters  und  sehr  wenig  von 
dem  äusseren  Drucke  ab;  daher  kann  die  Dichtigkeit  der  aus- 
strömenden Luft  nahe  der  Oefihung  ganz  beträchtlich  sein  trotz 
dem  geringen  äusseren  Drucke.  Hätte  Hirn  diese  Umstände 
berücksichtigt,  so  hätte  er  das  Resultat  seiner  Versuche  als  eine 
Bestätigung  der  kinetischen  Gastheorie  ansehen  können.  Statt 
dessen  stellt  er  ganz  andere  Betrachtungen  an. 

In  dem  Falle,  dass  der  äussere  Druck  bedeutend  ist,  kann 
man  mit  Hülfe  bekannter  Gesetze  mittelst  des  Verhältnisses 
zwischen  dem  inneren  und  dem  äusseren  Drucke  die  Dichtigkeit  ö, 
welche  die  ausströmende  Luft  bei  der  Ausgleichung  des  Druckes 
in  der  Nähe  der  Oeffnung  annimmt,  in  ihrer  Abhängigkeit  von 
der  Dichtigkeit  Ö^  im  Behälter  bestimmen.  Wenn  ausserdem  der 
Querschnitt  ms  des  Stromes  und  die  in  der  Zeiteinheit  aus- 
geflossene Luftmenge  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,  kann  man 
hieraus  die  Geschwindigkeit  V  berechnen.  Sei  W^  das  Volumen 
der  in  der  Zeiteinheit  ausgeflossenen  Luft,  im  Behälter  gemessen, 
so  kann   man   ihr   durch  die  Ausdehnung  vergrössertes  Volumen 

durch  — ^,—  ausdrücken.     Andererseits   würde,   wenn   der  Strom 

0 

constant  bliebe,  die  während  der  Zeiteinheit  ausströmende  Luft 
einen  Cylinder  vom  Querschnitt  -ms  und  der  Höbe  V  bilden, 
dessen  Volumen  m  s  V  ist. 


Prüfung  der  EinAvände  von  Hirn  etc.  2G3 

Man   hat  also  durch  Gleichsetzung  dieser  beiden  Ausdrücke 
für  das  Volumen: 


ms  y 


w,  d, 


woraus  folgt: 

(5)  F=2^». 

^  ms  0 

Diese  Art  der  Berechnung,  die  allein  für  einen  hohen  äusseren 
Druck  zulässig  ist,  hat  Hirn  in  gleicher  Weise  auf  den  Fall  eines 
inneren  Druckes  von  750  mm  und  eines  äusseren  von  10  mm  an- 
gewendet, obgleich  hier  die  Art  des  Ausflusses  gänzlich  verschie- 
den ist.  Er  behält  für  den  Querschnitt  des  Stromes  den  für 
einen  hohen  äusseren  Druck  aus  der  Contraction  berechneten 
Wertli  ms  bei,  ferner   berechnet   er  ebenso  das  Verhältniss  der 

Dichtigkeiten  ^  mittelst  derselben  nur  im  Falle  eines  hohen  äusse- 

ren  Druckes  gültigen  Formel,  was  im  vorliegenden  Falle  unzu- 
lässig ist,  da  diese  Formel  eine  Ausgleichung  des  Druckes  vor- 
aussetzt.    Da    der   aus  dieser  Formel  abgeleitete  Werth  von  ^ 

sehr  klein  ist  und  er  in  der  Gleichung  (5)  benutzt  ist,  wird  die 
daraus  abgeleitete  Grösse  V  ausserordentlich  gross,  also  etwa 
4266  m.  Wenn  der  äussere  Druck  =  0  wäre,  würde  diese  Rech- 
nung für  V  sogar  einen  unendlich  grossen  Werth  ergeben.  Jedoch 
ist  es  klar,  dass  man  den  auf  diese  Weise  berechneten  Zahlen 
nicht  die  geringste  Bedeutung  beilegen  darf. 


In  den  allgemeinen  Betrachtungen ,  welche  einen  grossen 
Theil  seiner  beiden  Abhandlungen  einnehmen,  Avendet  sich  Hirn 
lebhaft  gegen  die  Neigung  einzelner  Autoren,  die  kinetische 
Gastheorie,  welche  gewisse  Kräfte  auf  Bewegungen  zurückgeführt 
hat^  derartig  zu  erweitern,  dass  überhaupt  alle  Kräfte  in  dersel- 
ben Weise  erklärt  werden  könnten.  In  dieser  Beziehung  befinde 
ich  mich  mit  Hirn  vollständig  in  üebereinstimmung  und  be- 
trachte mit  ihm  diese  Neigung  als  eine  Uebertreibung,  die  daher 
rührt ,  dass  man  einem  gewonnenen  Resultat  eine  allzu  hohe 
Tragweite  beilegt,  und  dabei  die  Grenzen  seiner  Gültigkeit  aus 
dem  Auare  verliert.     Niemals  habe   ich  in  meinen  Arbeiten  über 


264  Anhang. 

die  kinetische  Gastlieorie  die  Meinung  vertreten,  dass  alle  Kräfte, 
sich  durch  Bewegungen  erklären  lassen;  vielmehr  habe  ich  einen 
Satz  entwickelt,  der  das  Gegentheil  beweist,  ich  meine  den  Satz 
vom  Virial.  Dieser  Satz  sagt  aus,  dass  jede  stationäre  Bewegung, 
um  andauern  zu  können,  gewisse  Kräfte  nötliig  hat,  die  ihr 
dynamisch  das  Gleichgewicht  halten,  und  zwar  drückt  er  die 
Bedingung  dieses  dynamischen  Gleichgewichts  aus  durch  eine 
Gleichung,  deren  eines  Glied  die  lebendige  Kraft  der  Bewegung 
ist,  während  das  andere  ein  Ausdruck  ist,  der  gebildet  wird  von 
den  Coordinaten  der  bewegten  Massen  und  den  Componenten  von 
Kräften.  Diese  Gleichung  lässt  mit  Sicherheit  darauf  schliessen, 
dass  ohne  Anziehungskräfte  ein  stabiler  Zustand  in  der  Natur 
gar  nicht  möglich  wäre. 


00311 ,C6 


^,      3  5002  02002  3730 

Clausius,  R. 

Die  mechanische  warmetheorie  ... 


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311 

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