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Full text of "Die Medizin in der klassischen Malerei"

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Presented  lo  ihe 

LIBRARY  o/f/ie 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 

by 
Canada  Council  Special 
Grant  -  History  of 
Science  1968 


DIE  MEDIZIN  IN  DER 
KLASSISCHEN  MALEREI 


In  glehheiii  Verlcii,'c  sind  \(>ii  clcniselhcn  Herrn  Verfasser  in  den 
lehlen   |<iliren  erschienen  : 

Die  Karikatur  und  Satire  in  der  Medizin 

Mcdikokunsiliislorisrhe  Sliidie 

\  on 

Prof.  Dr.  EUGEN  HOLLÄNDER 

Mii   10  Idrbitjen  Tafeln  und  225  Texlabbildungen 
hoch  -1".     1^;()5.     karl.  M.  24.— :  in   Leinwand  geb.  M.  27.— 


Plastik  und  Medizin 


Prof.  Dr.  E U G E N   HO LLÄN DER 
Mii    1   Titelbild   und   4S3  Texiabbildunpen 
hoch    1".     1912.     karl.  M.  28.— ;  in  Leinwand  geb.  M.  30. 


DIE  MEDIZIN 

IN  DER  KLASSISCHEN 

MALEREI 


VON 


EUGEN  HOLLÄNDER 


MIT  272  IN  DEN  TEXT  GEDRUCKTEN  ABBILDUNGEN 


ZWEITE  AUFLAGE 


STUTTGART 
VERLAG  VON  FERDINAND  ENKE 

1913 


K 


H5^ 


Alle  ßechre  insbesondere  das  der  Llhersehuni^  vorbehalten 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlaj,'syesellscb<ifl  in  Stnllj^art 


VORWORT  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE 


icscs  Buch  ist  viel  gelobt  und  stark  getadelt  worden,  beides 
wohl  über  (iebühr.  Man  hat  behauptet,  daß  es  zu  den 
klassischen  Werken  tür  alle  Dauer  der  Zeiten  rechnen  wird*), 
und  man  hat  tranzösischerseits  arg  gescholten**),  dal.^  in  demselben 
zu  wenig  die  Verdienste  der  Pariser  Schule  \  (.mi  Charcot  betont  werden. 
Man  hat  dies  Ruch  als  ganzes  wie  im  einzelnen  von  seltener  lir- 
freulichkeit  genannt,  das  trotz  seiner  außerberut liehen  Entstehung 
geeignet  sei,  als  edelste  Erholung  Berulstreudigkeit  zu  erwecken***). 
Ein  Teil  der  Tadler  rügten  die  ganze  Tendenz  des  l^uches.  Andere 
ernste  und  gelehrte  Manner  tadelten  mit  Recht  manche  Irrtümer  und 
Schnitzer.  Es  waren  aber  merkwürdigerweise  gerade  Dilettanten  und 
schlechte  Sänger,  welche  die  fehlende  Wissenschaltlichkeit  dieser 
Arbeit  rügten  und  gegen  tl^jn  Dilettantismus  in  der  Historie  breit- 
beinig zu  Eelde  zogen.  Doch  derjenige,  welcher  sich  längere  Zeit 
und  gründlich  mit  der  Geschichte  der  Kunst  und  Medizin  betaßt 
hat  und,  nicht  den  grünen  Tisch  zum  Acker  machend,  aus  drei  oder 
vier  ähnlichen  Werken  ein  fünftes  sich  aus  der  hohlen  lland  erschuf, 
wird  meiner  Meinung  sein,  daß  die  Bearbeitung  gerade  dieses  Stoffes 
nicht  das  wissenschaftliche  Mäntelchen  verträgt,  welches  allzuleicht 
den  literarischen  Diebstahl  legitimiert.  Es  liegt  leider  im  Wesen  einer 
solchen  außerberuflichen  Publikation,  daß  Entgleisungen  vorkommen, 
und  dankbar  war  ich  denen,  die  mich  auf  solche  aufmerksam  ge- 
macht haben.  Ich  habe  es  versucht,  solche  in  der  Neubearbeitung 
auszumerzen.  Doch  dafür,  daß  meine  Absicht  mit  diesem  Buche 
voll  und  ganz  erreicht  ist,  spricht  neben  der  Anerkennung  kom- 
petenter P\ichmänner  die  Schule,  die  es  gemacht  hat;  mit  einem  — 
ich  kann  wohl  sagen  —  Enthusiasmus  stürzte  man  sich  auf  dieses 


*)  Siehe  Pagel,  Janus  Jahrgang  9,  S.  239. 
**)  Siehe  Iconographie  de  la  Salpetricre  B.  16.     1903. 
**')  Siehe  Sudhoff,  Älitteilungcn  zur  Geschichte  der  Medizin.     Heft  X.   1904.   S.  131. 


VI  jKJSSsxsJSiO-stiSiOisssiSiieiiSJK  Vorwort  zur  zweiten  Auflage  äKS*s><ci!ie>!C>!0>iK'C!!«iS'«iO«iCi!C!!5>!K=« 


tür  Deutschland  wenigstens  neu  enldeekte  dren/gebiet  zwischen  Kunst 
und  .Medi/in.  Medi/inartistische  Kalender  erschienen,  Wuchenschrilten 
brachten  und  bringen  ilhisirative  IV'ihi^en  aus  der  Geschichte  der 
Medizin.  Die  Medizin  in  der  Malerei  ist  eine  beinahe  ständiue  Kapitel- 
überschritt  in  den  l\ataK\i;en  der  Kunsthändler  geworden  und  in  di^n 
Mappen  der  Antiquare;  l^ilder  aus  der  (ieschichie  der  Medizin  wurden 
und  werden  als  Beilagen  lür  pharniazeiuische  Präparate  und  lür  Zeit- 
schriften verwandt,  und  selbst  der  üble  Ansichtspostkaitenruniniel 
nahm  sich  der  Konjunktur  .ui.  iünnial  in  Mode,  land  man  ( iefallen 
daran,  die  Menükarlen  ärztlicher  (iesellschatten  nnt  den  Illustrationen 
dieses  Buches  zu  schmücken.  Weit  ernsthaltere  Bestrebungen  gipfelten 
in  Ausstellungen,  von  denen  die  Berliner''^')  im  Jahre  1906  ein 
schwaches  Unternehmen  gegenüber  der  großartigen  Leistung  aut  der 
internatiiMialen  1  Ivgieneausstelhmg  in  {Dresden  war.  liier  wurde  der 
erstaunten  Welt  \-on  einem  .Manne,  der  den  Dämon  der  .Medizin- 
geschichte in  sich  trägt,  gezeigt,  bis  zu  welcher  Höhe  die  Übjekt- 
kunde  und  ihre  bildliche  Vorführung  der  Geschichte  der  Medizin 
nutzbar  gemacht  werden  kann.  Iirtolgreicheii  Pionierdienst  aut  diesem 
Neulande  der  Forschung,  wo  man  die  (ieschichte  der  Medizin  in  ihrer 
zahllosen  Beziehung  zur  Kunst  kultiviert,  leistete  demnach  dies  l^uch**^). 
Die  weitere  Kntwickhing  dieser  mediko  -  historischen  Studien  hat 
durch  die  Mitarbeit  von  P'achgenossen  und  durch  die  l'ortsetzung 
eigener  Arbeit  so  an  Tiefe  und  Breite  gewonnen,  daß  die  Neuauf- 
lage des  vorliegenden  Jkiches  eine  Umarbeitung  desselben  not- 
wendig machte. 

Nach  Gebühr  versuchte  ich  Versäinntes  nachzuholen  und  die 
historische  Kntwicklung  der  .Mediko-Kunsthistorie  zu  skizzieren,  so- 
weit diese  für  den  ("praktischen  Arzt  von  Interesse  ist.  (lelegentlich 
der  Herausgabe  der  »Plastik  und  .NK'dizin«***)  habe  ich  diese  \'or- 
arbeit  bereits  gewürdigt.  Hs  hat  sich  nämlich  herausgestellt,  daß 
schon  lange   vor  Virchow   und   (^harcot    hervorragende  Arzte    syste- 


*)  Ausstellun};  der  Geschichte  der  Medizin   in  Kunst   und  Kunsthanducrk.     Der  wissen- 
schaftliche Katalor;  hierzu  bei  Ferdinand  Enke  erschien   1906. 
"1  .Mitteilungen  zur  Geschichte  der  Medizin  1906,  S.  334. 
**•;  Stuttgart  191 2  bei  Ferdinand  Knkc. 


S5!SStiO>iCi-C>>KiC*«!<0!!K!vi!5!)CtJOtiKSi!5  NoRWORT  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE  3JiSKJßJ5!0>!K!C>!eiiO!iOi!0!S>!Ci!0!!CS\'II 


matisch  die  Erzeugnisse  des  Kunsthandwerks  mit  Ik'zug  aut  die 
Heilkunst  sammelten  und  studierten.  Doch  ging  hei  ihnen  der  Reiz 
zu  Schlehen   Studien   von  grund\'erschiedener  Stimmung  aus. 

Wenn  auch  das  Verdienst  der  Clurcotschen  Schule  ungeschmälert 
sein  soll,  aus  dem  Edelmetall  dieser  Materie  die  schönsten  Münzen 
geprägt  zu  hahen,  die  schon  zu  einer  Zeit  im  Kurs  waren,  als  wir 
noch  sammelten,  so  ist  es  doch  ohne  jeden  Zweifel,  daß  es  dem 
Gc)ttinger  Gelehrten,  dem  Protessor  der  Pharmakologie  Karl  l'riedrich 
Heinrich  Marx,  vorbehalten  war,  in  einer  Akademieschritt  über  die 
»Beziehungen  der  darstellenden  Kunst  ziu-  Heilkunst«  im  Jahre  i86i 
prinzipiell  und  programmatisch  das  ganze  Material  swstematisch 
2:eordnet  zu  haben.  Es  ist  dabei  ziemlich  "leichgültig,  daß  Marx 
sich  sein  Material  im  Kunterstichkabinett  suchte  und  nicht  durch 
Anschauung  die  Originale  in  denW'eltmuseen  kennen  lernte.  H.  Kohlts 
beansprucht  tür  »Marx  dien  Einzigen«,  wie  er  diesen  originellen  und 
ideenreichen  Eorscher,  der  in  (jöttingen  auch  in  'Fracht  und  Umgangs- 
tormen  eigene  und  sonderbare  Wege  ging,  nennt,  das  Prädikat  des 
Begründers  der  ethischen  Medizin.  Mit  demselben  Rechte  konnte 
man  ihn  als  den  J3egründer  der  mediko-artistischen  Bestrebungen 
hinstellen,  wenn  seine  fleißige  Arbeit  nicht  im  rein  Theoretischen 
stecken  geblieben  wäre.  \'ergleichen  wir  seine  übrigen  Streitzüge  in 
der  Geschichte  der  Medizin  und  seine  ott  geistreichen,  meist  durch 
gesuchte  Antithesen  aber  verschnörkelten  Schritten  dieser  Gattung  mit 
der  Sammlertätigkeit  des  l.eibmedikus  des  Joachimsthaler  Gvmna- 
siums,  Moehsen*),  so  tinden  wir,  daß  beide  Arzte,  heseelt  \on 
gleicher  Liebe  zur  Kunst  und  zur  Medizin,  beide  tätig  als  Sanmiler, 
Ästheten  und  Medizinhistoriker,  sich  fremd  gegenüberstehen.  Bei 
gleicher  Ilingabe  an  denselben  Gegenstand  betreten  beide  grund- 
verschiedene Wege.  Das  tührt  zu  einer  vollkommen  divergenten 
Bearbeitung  desselben  Stoft'es.     Der  Berliner  Sammler  illustriert  sein 

*)  J.  C.  W.  Miiehsen,  Beschreibung  einer  Berliner  Medaiilensammlung,  die  vorzüglich  aus 
Gedächtnis-Münzen  berühmter  Arzte  besteht.     Berlin   177,,. 

J.  ('.  W.  Moehsen,  Verzeichnis  einer  Sammlung  von  Bildnissen  größtenteils  berühmter 
Ärzte  sowohl  in  Kupferstichen,  schwarzer  Kunst  und  Holzschnitten,  als  auch  in  einigen  Hand- 
zeichnungen. Diesem  sind  verschiedene  Nachrichten  und  Anmerkungen  vorgesetzt,  die  sowohl  zur 
Geschichte  der  Arzneigelahrtheit.  als  vornehmlich  zur  Geschichte  der  Künste  gehören.  Berlin  1771. 


\'III  •«ss-otJSiieiJOiiSiSiSJSSiSiiSJCi  \'or\vort  zur  zweiten  Auflage  StStietJSiO'jSJCii'CiiSiCitieiiCi-CüSiJSiStiSiJt 


Verzeichnis  der  l^ildcrsaninilung  bcrülinitcr  Arzte,  wie  auch  die 
BeschreibuHi;  seiner  .Medaillensaninihini;  mit  wert\olleii  himdeii  zur 
Geschichte  der  Xaturwissenschatt,  aber  er  Melk  sein  medizin-hislo- 
risches  Wissen  vollkommen  in  den  Dienst  der  Kiaist,  und  zwar 
nicht  einer  allgemeinen  Kunstanscliauung,  sondern  vornelnnlich  der 
Geschichte  der  Graphik  und  der  Xumismalik.  Das  erstrebenswerteste 
Ziel  seiner  Darstellunuen  ist  eine  vollkonnnene  Aulzahlung  aller 
Varianten  vorhandener  Stiche.  Bei  dem  Hildnisse  des  llippokrates 
zum  Beispiel  beschättigt  er  sich  mit  der  .\rbeit  der  \  erschiedenen 
Stecher,  die  alle  das  (iemalde  des  Rubens  zum  \'orbilde  haben, 
welches  dieser  wieder  nach   einer  antiken  JKiste  gemalt  hat. 

Wir  zeigten*),  daß  die  \  erbindung  reiner  hiunanistischer  Cie- 
lehrsamkeit  und  theoretischer  Ausbildung  die  Arzte  der  süddeutschen 
Kulturzentren  im  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert  aul  die 
Grenzgebiete  der  .Medizin  gewiesen  hat.  Die  scholastischen  .Studien 
nährten  die  Neigung  zu  Betätigungen,  welche  xon  praktischer  Heil- 
kunde weit  abliegen.  Wir  nannten  die  Xamen,  \()r  allen  den  des  Xürn- 
bergers  Michael  l.ochner  xon  IIunmielstein**J,  der  als  .Stadt u'zt  lür 
seine  pharmakologischen  Studien  Anregung  in  den  Kunsterzeugnissen 
der  antiken  \\\-lt  suchte***).  Ahnliches  gilt  \on  dem  Ifelmstedter 
Professor  Heinrich   .Meibom. 

X'ergleichen  wir  mit  diesen  Bestrebungen,  die  W'rbindung  suchten 
zwischen  Medizin  und  Kunst  zum  b'rommen  und  zur  l-orderung 
real  ärztlicher  und  naturwissenschaltlicher  Kenntnisse,  und  den  rein 
philosophischen,  ethischen  und  ästhetischen  .Motiven  eines  .Marx 
unsere  modernen  Arbeiten,  so  linden  wir  bald  auch  diesseits  und  jen- 
seits vom  Rhein  eine  charakteristische  kleine  Nuance.  Die  leinen  Bei- 
träge der  französischen  Schule,  die  im  wesentlichen  in  der  Nouvelle 
Iconographie  de  la  Salpetriere  niedergelegt  sind,  lassen  eher  dem 
rein    Künstlerischen    den   X'orrang.     Die    Kunstgeschichte    steht  dort 


'o- 


breit  im  \'ordergrunde.     Der   große  .Meister  C^harcot   treut  sich,    ein 


*)  Siehe  «Plastik  und  Medizin«  und  siehe  Münchner  medizinische  Wochenschrift  1904,  Nr.  22. 
**)  Zu  Fürth   1662  geboren. 
**•)  Papaver   ex  omni  antiquitatc  erutum,   yemmis,   numinis,   statuis  et  marmoribus  aere 
incisis  illustratum,  Nürnberg  1715. 


Jv!i0>!Ki0i!j>J0>S!J0ii0!J0iSi!C>!0(iKJ5:i0i!K:<5t  VoKWOU  I  /L  K  ZW  l-ITEN  AUFLAGE  JCiSiiJtiKiCiStiC^JOiJviSiJßiOiSiJCiiK  IX 


grundlegendes  Material  gesammelt  zu  haben  als  Beweis  dafür,  daß 
»la  grande  nevrose  hvsterique«,  ein  medizinischer  Begrifl  neueren 
Datums,  schon  aul  disn  alten  ivunstwerkeii  naturgetreu  geschildert  ist. 
Mit  Sorgfalt  und  Liebe  werden  die  Dokumente  gesammelt.  Der 
künstlerische  Teil,  die  Studienzeichnungen,  lintwürle  des  Malers, 
Kopien  und  die  Zugehörigkeit  des  Malers  zu  einer  Schule,  seine 
sonstigen  Leistungen,  die  Deutung  des  l^ildes  im  Detad,  die  Zu- 
sammenstellung der  Larben  werden  mit  fachmannischer  Kenntnis  ge- 
schildert, kurz,  die  Kunst  ist  im  wesentlichen  der  empfangende  Teil ; 
die  Künstler  müssen  diesen  Ärzten  dankbar  sein,  welche  ihre  großen 
und  intimen  Kenntnisse  ihnen  zur  \'erfügung  stellten.  Ls  ist  das- 
selbe Wrhaltnis  wie  beim  Anatom,  der  den  Künstler  mit  seiner 
medizinischen  L'achkeniitnis  über  die  Schönheiten  des  Körpers  und 
die  Proportionen  der  'Leile  autklärte,  so  daß  sie  ihm  jetzt  erst  Be- 
sitz werden,  obwohl  der  Maler  sie  schon  der  Xatur  abgestohlen  und 
richtig  auf  die  Leinwand  gebraclit  hatte.  Der  führende  Arzt  und 
Gelehrte  Richer  ist  selbst  ein  anerkannt  grol.k'r  ausübender  Künstler. 

Demgegenüber  zielen  unsere  Bestrebungen  nach  der  rein  medizin- 
historischen Seite.  Wenn  wir  heute  die  voraussetzungslos  gemalten 
Krankheitsschilderungen  betrachten,  so  erwarte  man  keine  Bilderfibel 
tür  Medizinstudenten;  wir  sammeln  bloß  Anschauungsmaterial  für 
die  Geschichte  der  lleilkunst  und  des  Heilstandes,  Dokumente, 
deren  Wert  unersetzlich  ist,  und  welche  in  das  Ödland  und  die 
Moränen  medizinischen  Geschichtsunterrichts  neues  sprießendes  Leben 
bringen  sollen   imd  gebracht   haben. 

So  hat  denn  dieser  frohe  Abstecher  in  das  schöne  Land  der 
Künste,  den  ich  vor  lo  Ldiren  als  einfacher  Tourist  ohne  L'ührer  und 
Ikich,  und  wie  ich  gerne  zugebe,  auch  ohne  genügende  Ausrüstung 
unternahm,  trotzdem  für  uns  ein  Neuland  erschlossen.  Denen,  die 
mir  folgen  wollen,  rule  ich  glückliche  L'ahrt  zu. 


if:<f.<^:<i<:i<f.<^:<i<i<;i<ii<i<f:<>:<^^^^^^ 


VORWORT  DER  ERSTEN  AUFLAGE 


'.Altem  11(111  iiilit  iiisi  iyiiariis.« 

ics  Buch,  ein  trchcs  Werk  aiilkTbcrut lieber  'l"äli_nl<eil,  \"er- 
dankl  sein  Mnlslehen  der  N'orliebe  des  Vertassers  lur  die 
Sebc>ptuni;en  der  holländischen  und  llaniischen  ( lenreschule, 
die  er  seit  den  Ta^en  seiner  Schulzeit  betätigte.  Es  war  mir,  .ils 
eiirigeni  Besucher  der  (jalerien  und  auch  der  Kunstauklionen,  aut- 
gcfallen,  daß  Gemälde  aus  dem  debiete  der  .Medizin  ziemlicli  zahl- 
reich auch  noch  im  Kunslbandel  vorkamen,  und  daß  der  (ieschmack 
der  Zeit  dieses  einst  si)  beliebte  (jenre  vernachlässigte.  Ich  ling  dann 
an,  scilche  zu  sammeln  und  die  in  den  dalerien  der  Alten  Welt 
befmdlichen  Werke  dieser  Art  in  pliotographischen  Abbildungen  zu 
erwerben;  es  bot  das  große  Schwierigkeiten,  da  einerseits  diese 
Nebenwerke  nicht  photographiert  waren,  anderseits  die  Irüliere 
'I'echnik,  alte  .Meister  zu  photographieren,  so  ungenügend  war,  daß  etwa 
vorhandene  Reproduktionen  nicht  zu  verwerten  waren.  So  mußte 
denn  ein  großer  Teil  der  wiedergegebenen  Photographien  besonders 
autgenommen  werden;  es  hat  zum  Teil  der  Photograph  des  Alten 
Museums  diese  Aulgabe  würdig  gelost,  lis  ist  mir  auch  eine  an- 
genehme Plhcht,  das  Entgegenkommen  vieler  .Museumsdirektoren  an 
dieser  Stelle  dankbar  zu  quittieren,  und  nenne  ich  besonders  die 
Galeriedirektionen  Berlin,  .Mannheim,  Schweiin,  Köln  a.Kli.,  Aachen, 
Breslau,  Gral  Xostizsche  Sanmihing  (Piag),  Dresden,  Paris,  .Mont- 
pellier, .Madrid  (Prado),  .'\msterdani  (Keichsnuiseiuu),  Si\'  (iaierie, 
Delft  (Direktion  des  Krankenhauses),  Eondon  (Direction  Harbers 
iEill,  Societv  of  Antiquaries).  Berlin  (Kunstgewerbenurseiim  und 
Kupferstichkabinett  etc.).  Daneben  stellten  \iele  Pri\atsaininler  mir 
ihre  Kollektion  zin'  X'erfügung,  und  es  sind  im  Text  einige  glückliche 
Funde  in  solchen  erwähnt.  Selbstverständlich  war  es  nicht  möglich, 
alle  in  Betracht    kommenden   Geiualde   wiederzugeben ,    die   N'erlags- 


ißjS'OtSiiSJSSiißXüJüiSiOiißJKiJX'CfSiiS  Vorwort  der  ersten  Auflage  !(5tJC«JS!0!!Ci!«s>*ss>s>!etiKjS<j>!ß!5i  XI 


anstalt  von  Ferdinand  l:nkc  zeigte  dabei  schon  ein  das  gewohnte 
Maß  weit  überschreitendes  lintgegenkommen;  es  wurden  nur  Haupt- 
bilder reproduziert,  die  aus  einer  lUahe  ähnlicher  durch  ihren  Kunst- 
wert oder  ihr  medizinisches    Interesse   hervorragten. 

Während  der  Herausgabe  des  Werkes  erschien  Dr.  Paul  Richers: 
L'Art  et  la  Medecine,  ein  Werk,  welches  auf  Grund  der  Arbeiten 
der  Charcotschen  Schule  eine  ziemlich  unilassende  Zusammenstel- 
limg  dieser  Dinge  gibt.  Ware  meine  Arbeit  dem  Abschluß  nicht 
schon  so  nahe  gewesen,  so  hätte  dies  Buch  meine  Autgabe  mir 
wesentlich  erleichtern  kimnen.  So  kommt  jedoch  dieser  Umstand 
der  Originalität   desselben   zugute. 

Aus  dem  am  Schlüsse  beigetugten  Literaturverzeichnisse  ergeben 
sich  die  Quellen,  die  dieses  eigenartige  Grenzgebiet  von  Malerei  und 
Medizin  berühren. 

Erwähnen  will  ich  auch  noch  besonders,  daß  vielfach  Mediziner 
eitrige  Sammler  derartiger  Kunstwerke  und  ihrer  Reproduktionen  sind; 
so  hat  Exzellenz  \on  Bergmann  der  Deutschen  Gesellschatt  tür 
Chirurgie  vor  einigen  Jahren  eine  medizinische  Bildersammlung  ge- 
schenkt, Professor  Klein  in  München  sammelt  alte  gynäkologische 
Drucke,  Professor  G.  Meier  solche  Abbildungen,  die  sich  auf  das 
Rettungswesen  beziehen,  Dr.  Müllerheim  \\\)chenstu.bendarstellungen, 
und  in  Fachkreisen  bekannt  ist  die  medizinische  Kupferstich-  und 
Medaillensammlung  von  Dr.  |.  Brettauer  in  'l'riest*).  Wie  das 
Germanische  Museum  in  Xürnberg  bestrebt  ist,  das  Rüstzeug  und 
historische  Urkunden  aus  dem  Leben  des  alten  deutschen  Arztes  zu 
sammeln,  so  wäre  es,  glaube  ich,  wichtig  und  lehrreich  zugleich, 
Kunstgegenstände  dieser  Art  in  einer  Hand  und  an  einer  Stelle  zu 
vereinigen**). 


*)  Mittlerweile  nach  dem  Tode  Brettauers  verteilt.    Die  iMedaillensammlung  ist  im  Wiener 
Münzkabinett,  die  graphische  Sammlung  im  Besitz  vim  Dr.  C).  Bernheimer. 

")  Dieser  Wunsch  ist  seitdem  an  mehreren  Stellen  in  Erfüllung  gegangen,  so  im  Kaiserin- 
Friedrich-Haus  in  Berlin,  im  medizinisch-pharmazeutischen  Museum  in  Amsterdam  (Danielsi, 
in  Henry  S.  Wellcome's  Museum  in  London  und  anderswo. 


!5!Ci!S!Ot!Cii«jß!0i:«!C>i(S?S!0i!0iiSiS-K<S<S?KX^SiKXiS!S<SS?!K^ 


INHÄLT 


Seite 

Vorwort  zur  zweiten  Auflage V 

\'orwort  der  ersten  Aufl.ioe X 

Verzeichnis  der  Abbildungen XV 

Einleitung i 

Kunst  und  Medizin,  Kiuistler  und  Mediziner  im  alluenieinen.  —  Grenzgebiete. 

Das  Anafomicbiid 4 

Historische  b.ntwicklung  der  Darstellung  von  Sektionsbildern  in  den  Manu- 
skripten und  frühen  Holzschnitten.  —  Die  Geschichte  der  Skelettdarstel- 
lung. —  Die  Darstellung  des  nackten  Körpers.  —  Die  Muskelmanner.  — 
Michelangelo.  —  Raflael  und  I.ionardo  da  Vinci.  —  Mondino  de  I.uzzi.  — 
Guv  de  Chauliac.  —  Ketham.  —  Vesalius  und  Calcar.  —  Die  hollandischen 
Anatomiegenialde.  —  Die  englischen  Anatoniiegenialde.  —  lün  japanisches 
Anatom  leg  eni  aide. 

Medizinische  Gruppenbilder 87 

Ein  englisches  (jruppenbild. 

Das  ärztliche  Porträt 107 

Vesalius. 

Der    Körperbau    und    seine    Darstellung    im    Wechsel    von    Mode    und 

Künstlerstil       114 

Der  Kanon  des  Polvklet.  —  Der  Infantihsmus  der  primitiven  Malerei.  —  Der 
Einfluß  der  Schuhe  auf  die  Korperhaltung.  —  Tradition  und  Mode. 

Schwangerschaft  und  Geburt 124 

Die  Nymphe  Kallislo.  —  Der  Besuch  der  Maria  bei  I-disabeth.  —  Die  Bal- 
dachinsäulen in  San  Pietro.  — •  Leda  mit  dem  Schwan.  —  Die  religiösen 
Einlegeblätter.  —  Sanctus  Expeditus.  —  Der  Geburtsakt.  —  Die  antike 
Darstellung.  • —  Die  Geburt  der  Päpstm  Johanna.  —  Die  Zwillingsgeburt 
der  Rebekka.  —  Die  Geburt  des  Adonis.  —  Die  italienischen  Frauenschalen. 


Kaiserschnitt 144 

Die  Wochenstube. 

Der  Tod  in  der  Geburt 147 

Massengeburt.  —  Abort. 


XI\"  !5ss<s»:?>ss!KS>«t<s?>iss><C!tJ(>:!0'ißi««?siCiiS>i«  Imiai  T  io«sci!e>JSiSiSiKiK<«JSie>!Ois*iKS!?ss>!C>::«iS!C>::«jSssi>:'« 

Seite 

Lcprd 152 

Hiob  und  der  arme  Lazarus.  —  Die  Heilung  des  Aussätzigen.  —  Der  bild- 
nerische Ausdruck  für  Lepra  bis  zum  fünfzehnten  Jahrhundert.  —  Die 
Syphilis.  —  Das  Reinigungsopfer  des  Aussätzigen.  —  Die  heilige  Klisabeth 
mit  den  .Aussätzigen.  —  Der  Isenheinier  Altar. 

Lues 193 

Pest 201 

Rochus  und  Sebastian.  —  Die  geistigen  1-pideniien.  —  Tanzwnt.  —  Dämonische 
Krankheiten. 

Zwerge  und  I^iescn 219 

Krüppel 229 

Blindheit 235 

Geisteskrankheiten. 

Gesichtstumoren 256 

Varia. 

Innere  Medizin 267 

l-.inleitung.  —  Uroskopie  und  Pulsfühlcn.  —  Homunkulus,  —  Der  .Xrzt  zu 
Hause.  —  Arztlicher  Besuch. 

Chirurgie 327 

lunleitung.  —  Die  CJhirurgie  in  der  antiken  Kunst.  —  Bader  und  Badewesen.  — 
Schröpfen,  Aderlall,  Haarseil.  —  Kauterisation. 

Steine 365 

Blasensteine  und  Nierensteine. 

Die  Amputation 379 

Fußoperationen 388 

Beschneidung 39. 1. 

Narrenschneiden 398 

Zdhnopcrdtiüiien 418 

Hospitalwesen 43» 

Laicnbehandlung.     Heilige  —  Könige 440 

Allegorien   und   Kmblemc 455 

Schlul^wort 467 


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VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN 

Seite 

Fig.     I.     Holhein  d.  J.     Arzt  und  'I'od 5 

„      2.     Zimmerscher  Totentanz 6 

„       3.     Scliedelscher  Totentanz 7 

„      4.     Holbein  d.  J.     Zeichnung S 

„       5.     Kvosai.     Zeichnung 9 

„       6.     Marco  Dente  da  Ravenna.     Der  IViedhof  oder  die   Skelette 11 

„      7.     Apollo  schindet  Marsyas 13 

„      8.     Die  Eva  des  Jan  van  Eyck 14 

9.     Domenico  del  Barbiere  genannt   D.  l'iorentino  sc.     Aus  einem  anatomischen 

Zeichenbuche  ....          15 

,,    10.     Raflaello  Santi.     Studienblatt 16 

„     II.     Michelangelo.     Studienblatt 17 

„     12.      Skizze:  Michelangelo  und  Antonio  della  Torre   bei  einer  heimliclien  Sektion  19 

„     13.     Lionardo  da  \'inci.     Handzeichnungen 21 

„     14.     Lionardo  da  \'inci.     Handzeichnungen 23 

,,     15.     Initiale  aus  dem   Dresdener  Kodex 28 

„     16.     Miniatur  aus  der  Prachtausgabe   der  Chirurgia  magna   des  Guv  de  Chauliac, 

.Montpellier 29 

„     17.     .\us  Johannes  de  Ketham 30 

„     iS.     Titelblatt  aus  Mondinos  Anatomie 32 

„     19.     Bordüre   aus  dem   »Kanon«   des  Avicenna,  Venedig    1323 53 

„    20.     Aus  dem  Steinschnittbuch  des  Georg  Bartisch 35 

„     21.     Jan   van   Calcar.     Anatomie   des  .\ndreas  \'esalius 37 

„    22.     Jan  van  Calcar.     Initialen  aus  \'esals  Fabrica 58 

„    23.     Jan  van  Calcar.     Initialen  aus  Vesals  Fabrica 38 

„    24.     Jan  van  Calcar.     Initialen  aus  Vesals  Fabrica 39 

„    25.     Jan  van  Calcar.     Initialen  aus  Vesals  Fabrica 40 

„    26.     Gerard  Dou.     Vesalius'  Anatomie  in  einem  Stilleben 41 

„    27.     Albrecht  Dürer.     Studienblatt 42 

„    28.     Albrecht  Dürer.     Anatomische  Studie 43 

,,     29.     Das  Theatrum  anatomicum  in  Leiden 45 

„    30.     Pieter  Pavius  im  Leidener  Theatrum  anatomicum 47 

.,    51.     Amphithe.itre  des  Fcoles  de  St.  Cosme  zu  Paris 50 

„    32.     Arend  Pietersz.     Anatomie  des  Doktor  Sebastian  Egberts 32 

Thomas  de  Kevser.     Die  Anatomie  des  Doktor  Egberts 55 

Michiel  Janszon  van  Miereveit.    Die  Anatomie  des  Doktor  W.  van  der  Xeer  55 

Xicolaas  Elias.    Die  Anatomie  des  Doktor  Johann  Holland  (genannt  Fontevn)  37 

Rembrandt  Harmensz  van  Rijn.     Die  .\natomie   des   Doktor  Tulpius  ...  59 

Nicolaas  Elias.     Bildnis  des  Xicolaas  Tulp 61 

Rembrandt.     .\natomie  des  Doktor  Johan  Devuian 62 

Erster  Entwurf  Rembrandts  zu   derselben 65 


35 

34. 

35' 

36, 

37 

38, 

39' 

XVI  äOSJKS>iC!iOii5JSJOt!ßS><S'«iSSSS55  VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN  SS!K<ßiK!0iS><>S>iß<5S>'C»iSS>SiS>:<S!0! 


Seite 

Fig.  40.     Andrea  .M;intcgna.     Toter  Christus 64 

41.  Adriaen  Biicker.     Die  Anatomie  des  Doktor  I-redcrik  Ruyscii       ....  65 

42.  Johan  van  Neck.     Die  Anatomie  des  l^oktor  l'rederik  Ruysch     ....  67 
45.     Jurriaen  Pool.     C.  Boekelmann  und  J.  Six 69 

44.  Cornelis  de  Man.     Die  Anatomie  des  Cornelis  s'Gravesande 70 

45.  Cornelis  Troost.     Die  .\natoniie  des  Professor  Roell 71 

46.  Thomas  van  de  Wilt.     Die  Anatomie   des   Doktor  Abraham  Cornelis  van 
Blevswvck 73 

47.  Tibout  Reglers.     Die  Anatomie  des  Doktor  Petrus  (Camper 75 

48.  Wandelaar.     Vignette  zur  Neuau.sgabe  des  Vesalius  vom  Jahre   1723   .     .  77 

49.  John  Banister.     Die  Anatomie  des  Barber-Surgeon 78 

50.  Greenburv.     Die  .\natomie  des  Sir  Charles  Scarborough 79 

51.  William  Hogarth.     Eine  anatomische  Vorlesung   1750  in  )3arbershall    .     .  81 

52.  HolLindischer  Arzt,  eine  Japanerin   sezierend ■.  85 

53.  Radierung  einer  .Medaille  auf  Johann  Bapt.  Morgagni 87 

34.     Werner  van  Vakkert.     Die  \'orsteherinnen  des  Lepraspitals 89 

55.  Jan  de  Brav,     ^■orsteher  des  Lepraspitals 91 

56.  .\ussatzattest  vom  Jahre   1608 93 

57.  Xicolaes  Maes.     Die  Chefs  der  Chinirgengilde 95 

38.     Cornelis  Troost.     Drei  Chefs  der  (^hirurgengilde 97 

59.  J.  M.  Quinckhard.     \'orsieher  der  Chirurgengilde 99 

60.  Hans  Holbein  d.  J.     Heinrich  VIII.     Farlamcntsakt 103 

61.  Hans  Holbein  d.  J.     Sir  John  Chambers 105 

62.  Portrat  des  \'esalius 109 

63.  llolbein  d.  J.     Baseler  Bürgerin 113 

64.  Cornelisz  Engelbrecht.     Johannes  der  Taufer  und  Magdalena       ....  117 
63.     Nicolas  Manuel  Deutsch.     Das  Parisurteil 119 

66.  Nicolas  Manuel  Deutsch.     Weiblicher  .\kt 120 

67.  Vittore  Carpaccio.     Die  Kurtisanen 121 

68.  Ratfaello  Santi.     La  donna  gravida 125 

69.  Tiziano  Vccellio.     Diana  und  Kallisto 127 

70.  Geburtszene 130 

71.  Rebekka  gebiert  Jakob  und  Lsau 131 

72.  Geburtsdarstellung 133 

75.     Geburt  der  Minerva 134 

74.  A.  L.  Gibelin.     Die  Nicderkunt't 135 

75.  Die  Geburt  der  Papstin  Johanna 157 

76.  Abraham  Bosse.     Lit  de  misere 139 

77.  .Abraham  Bosse.     Wochenbettbesucli  nach  der  Taufe 141 

78.  Barthel   Beham.     Die  unzeitige   Geburt 142 

79.  iMajolikaschale  aus  Urbino 143 

80.  Kaiserschnitt '44 

81.  Die  Geburt  Cäsars  im  Suetonius  von   1506 145 

82.  Robusti  Tintoretto.     Die  Wochensiube  der  .Mutter  Anna 149 

83.  Vierlingsgeburt 1)' 

84.  Miniatur  aus  dem  Prachtkodex  der  »Chirurgie  des  Bischofs  Theoderich«  132 

85.  Lepröser  aus  der  Kährie-Moschec  in  Stambul 135 

86.  Mosaikschmuck  des  Mittelschiil's  des  Doms  von  Monreale 156 

87.  Albrecht  Dürer.     Hiob 159 


J5S!JKS<!O!St<K<0iiKSi!K:«SiS>S!<C«S>>0>  VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN  JKiKi«iSS!!Ot<SiSi>:!S>SJ«««iei  XVII 


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„   135 

Seile 

Hans  Scliäutclcin.     Iliob 161 

Albrecht  Dürer,     lliob        163 

Botticelli.     Das   Opter  des  Aussätzigen 165 

Botticelli.     Der  Aussätzige  mit  der  mutilietten   Hand 167 

BotticelH.     Der  heilige   .Martin 16S 

Pietro  de!   Ddnzello.     Der   heilige  Martin   mit  einem   Leprösen    ....  169 

l'eter   Paul   Rubens.      Der  heilige  Martin 172 

Andrea   di   Cinne.      Gruppe   von   Leprosen   im    Triuniplizug   des  'I'odes  .      .  175 

Taddeo  Gaddi.      Wunder   des   heiligen   Domenico 175 

Heiliger  mit  Aussätzigen 177 

Gosimo   Rosselli.     Die   Bergpredigt 179 

Holbein  d.  j.     Sancta   Llisabet 180 

Holbein   d.  1.     Hlisabetb   mit  einem  Leprosen 185 

Ausschnitt   aus  des  Nikolaus  Manuel  Deutsch   .^nrulung   der  heiligen  Anna 

selbdritt 184 

Burgkmair.     Line   Heilige   einen  .\ussatzigen   badend 185 

Matthias  Grünewald.    Ausschnitt  aus  der  Versuchung  des  heiligen  Antonius  186 

Murillo.     Die   heilige   Elisabeth 187 

Umgang  der   (jilden  und  Leprösen 189 

Rembrandt.     Der  Leprose 191 

Cornelis  Matsvs.     Aus  der  Kruppelserie 192 

Albrecht   Diirer.     l'rste   Darstellung  der   Syphilis 197 

Joseph   Grünpeck.     Kranke  mit    »wilden  Wartzeu" 199 

Rembrandt.     Porträt 200 

Mignard.     Die   Pest        205 

Micco   Spadara.     Die   Pest   in   Xeapel    i6;6 20 > 

iXücffo  Spadara.      Pest  von   Neapel   16)6 209 

Francesco  Garotto.     Der  heilige  Rochus 210 

Francesco   Carotto.     Der  heilige   Rochus 211 

.\us  dem   Fasciculus  medicinae  von  Johann   de   Ketham 212 

Hondius.     Tanzwütige  nach   Pieter  Breughel  d.  .\ 217 

Albrecht   Dürer.     Holzschnitt 221 

Velasquez  de   Silva.     Fl   Bobo  de   Goria 225 

\'elasquez.     Sebastian   de  Morra 224 

Peter  Paul  Rubens.     Grat  Thomas  Arundel  mit  einem  Hotzwerg  .     .     .  225 

Jan  Molenar.     Die  Werkstatt  des  Malers 227 

luan   Gareno  de   Miraiula.     Adipöse   Zwergin 228 

Ribera.     Halbseitige  Kinderlähmung 230 

Hieronvnuis  Bosch.     Krüppelprozession 231 

Velasquez.     Der  Idiot 252 

Gornelius  Matsys.     Die  Krüppel 255 

Pieter  Brueghel   d.  A.     Amputierte   und   Krüppel 234 

Rembrandt.      Homer 236 

Rembrandt.     Der  blinde   Geiger 237 

Rembrandt.     Tobias  heilt  seinen   Vater 238 

Rembrandt.     Die  Heilung  des  'Fobias 239 

RatVael.     Porträt  des  Tommaso  Inghirami 240 

Petrus  Brandet.     Die  Heilung  des  blinden  Tobias 241 

Peter   Brueghel.     Die  Blinden 242 


XVIII  3S!S!ß<Si'«<Ci'iSS>iiS!KS5S>!iSiS  VhKZKH..HM.s  1)1  K  AbiuI  1)1  NGHX  SCHSSöKiOiiCSJRKlSSSSSiCSSiCtJßSiiS?»»! 


St, IC 


56.  Lukas  van  Leiden.     Der  Blinde  von  Jericho 24; 

57.  C.  \V.  H.  Dietrich.     Der  Okuhst 2-|.i 

58.  Piet.  Ant.  Mezzasti.     Die  Wunder  des  San  Antonius  von  Padua  2  17 

59.  Peter  Paul  Rubens.    Ignatius  von  Lo\ola  Besessene  und  Kranke  lieileiid  2)8 
(o.  Peter  l'aul  Rubens.     Ignaiius  von  Lovola  Bese.ssene  heilend      ....  251 

41.  Ausschnitt  aus  der  'Lranstiguration 25; 

42.  Ghirlandajo.     Porträt 257 

45.  Holbein  d.  J.     Porträt 258 

4.(.  Bildnis  eines  Unbekannten 259 

4 ).  Rötelzeichnung  angeblich  des  Lionardo  da  Vinci 260 

46.  Simon  Vouet.     Hin  Fall  von  Knochenvereiterung 261 

47.  Parasitäre  Hauterkrankung 262 

48.  .\nton  J.  Wiertz.    Wahnsinn 265 

49.  Gabriel  Metsu.     I^ie  Kranke 264 

50.  Gabriel  Metsu.     Das  liebernde  Kind 26) 

51.  Der  Arzt.     Freske  vom  alten  Baseler  Totentanz 267 

)2.  Rembrandt.     Pulsfühlen 269 

j3.  Pieter  Brueghel.     Satirische  Darstellung  der  Uroskopie 271 

54.  Seite    aus    dem    Pergamentprachtkodex    des    AI    Havi    von    Rhazes    vom 

Jahre   1466 275 

55.  Seite  aus  dem  ))Canon«   des  Avicenna  (Ibn  SinaJ 275 

56.  Adrian  van  Ostade.     Der  Arzt  zu  Hause 277 

57.  Gerard  Dou.     Die  Urinprobe 281 

)8.  Gerard  Dou.     Die  Urinprobe 285 

59.  Gerard  Dou.     Beim  Arzt 284 

60.  Adriaen  Brouwer.     Bittere  Arznei 285 

61.  David  Teniers  d.  1.     Beim  Dorfarzt 287 

62.  David  Teniers  d.  J.     Der  Dorfarzt 288 

63.  David  Teniers  d.  1.     Arzt  im  Studierzimmer 289 

64  Gerard  Terborch.     Beim  Arzte 290 

65.  J.  Ohlis.     Konsultation 291 

66.  David  Teniers  der  Altere.     Beim  Arzt 292 

67.  (iilles  van  Tilborgh.     Arztliche    Konsultation 293 

68.  David  Ruvkhaerdt.     Homunculus 295 

69.  Gottfried  Schalken.     Die  Keuschheitsprobe 297 

70.  Rembrandt.     Der  Tod  Marias 299 

71.  Quirin  Brekelenkam.     Das  Pulsfühlen 300 

72.  Gabriel  Metsu.     Der  ärztliche  Besuch 301 

75.  Gerard   Dou.     Die  wassersüchtige  F'rau 502 

74.  Franz  van  Mieris.     Die  kranke  Frau 505 

75.  Samuel  van  Hoogstraaten.     Die  Bleichsüchtige 304 

76.  Jakob  Toorenvliet.     Ärztliche  Visite 503 

77.  Franz  van  Mieris.     Der  Arzt  bei  einer  Melancholischen 307 

78.  Jan  Steen.     Der  ärztliche  Besuch 509 

79.  Jan  Steen.     Der  ärztliche  Besuch ;  1 1 

80.  Longhi.    Arztliche  Krankenvisite.     (Venetianische  Schule) 512 

81.  Gerard  Dou.     Das  liebeskranke  Mädchen 513 

82.  Jan  Steen.     Arzt  bei  einer  Liebeskranken 314 

83.  Jan  Steen.     Arzt  und  Liebeskranke 515 


SSseE355äK!CiSS3053SSK5K?»355K!«5KS5ä8i«  Verzkichms  DER  ABBILDUNGEN  äSäSSKäiäKiCSJKiSiCiSKSKiCiiCSStiS  XIX 


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229. 
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251. 


Jan   Stcen.     Licbuskrank 

Jan  Stcen.     Liebestoll 

Gabriel  iMetsu.     Febris  aniatoria 

Jan  Steeii.     Zu  spat 

William   Hogarth.     Aus   »The   Mamille   a   la   niode« 

Zum  Pariser  Antimonstreit 

Miniature  aus  der  Chirurgie  des  Theodericus  Cerviensis 

Die   Chirurgie   der  Meister  Roland   \on  Salerno 

Dresdener   Prachtausgabe  des   Galen 

Initial  aus  dem  Werk  des  Vesalius 

Initialen  aus  dem  Werk  des  Vesalius 

Aus  der  Chirurgia   Rolandi.     Steinschnut 

Aus  der  Chirurgie   des  Meisters   Roland.     Leistenhruehoperation       .     .     . 

Schale  des   Sosias,  etwa    H'o  v.  (^hr 

Aneas  und  Japis 

.\ryballos   Pevtel,     Aderlal) 

Knieellenbogenlage   beim   Fingull 

Hans  StbalJ  Behani.     l'rauenbad  mit  Schriipfszene 

Hans  Sebald  Beham.     Schwitzbad 

Cornelis  van   Holstein.     Badstube 

Quirin  Brekelenkam.     Das  Schröpfweib 

Cornelis  Dusart.     Das  Schröpfweib 

Peter  Paul  Rubens.     Der  Tod  des  Scneca 

Antike   Plastik 

Abraham   Bosse,     Aderlali 

David  Teniers  d.  J.     Kopfoperation 

Franz  van  Mieris.     Kopfoperation 

Malor     Kopfoperation 

Adriaen  Brouwer.     Rückenoperation 

Adriaen  Brouwer.     Operation  am  .\rm 

.\driaen  Brouwer.     Rückenoperation 

Adriaen  Brouwer.     Rückenoperatiou 

Adriaen   Backer?     Setaceumoperation 

Jan  de  Doot  mit   dem  von   ihm   selbst  sich    16 ji    exstiipierten   Blasenstein 

Blasenstein  des  M.  Johannes  Saubert 

Blasenstein   der  Anna  Maria   Löflelholziu 

Steine,  so  bey  Paul  Loersch  (-j-   1681)  Handelsmann    in    Nürnberg    nach 

seinem  Tode  gefunden  \vorden 

Blasenstein,  durch   Benedikt   Wideman  geschnilten 

Nierenstein   des  Matthias  Sebastian  Lang 

Francken.     Das  Wunder  der  Heiligen  Kosmas  und  Damian 

Das  Wunder  der  Heiligen  Kosmas  und  Damian 

Beato  Angelico.     Das  Wunder  der  Heiligen  Kosmas  und  Damian  .     .     . 

David  Teniers.     Flandrische  Barbier-Chirurgenstube 

Adriaen  Brouwer.     Fußoperation 

Adriaen  van  Ostade.     F'ußoperation 

Johann  Hooremans.     Pedicure 

David  Ruyckhaerdt.     Beim  Dorfbader 

Willem  van  der  Porten.     Die  Beschneidung 


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594 


XX  !äJCiiS!:>i«stiK^s>s>i«JSätäOtäK  Verzeichnis  der  Abbildukgen  sssüSsssiJSiSiKiKStSiiSäKiKisstjjiJS 


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Seite 

52.     Die  Bcschncidung 595 

Pictro  Feriii;ino.    Die  Bcsdineidung  des  Sohnes  von  Moses  durch  Zippora     397 

25.).  Hieronvmus  Bosch  v.ni  Aken.     »Das  Schneiden  von  dem  Key«      .     .     .     599 

255.     Art  des  Hieronvmus  l?osch.     Das  Narrenschneulen 401 

236.     Pieter  Hrueghel  d.  A.     Das  Narrenschneiden }03 

257.  Pieter  Brueghel  d.  A.     Karii<atur  auf  die  Steinschneider 105 

258.  Jan   Steen.     i)as  Xarrenscimeiden 407 

239.  Jan  Steen.     Das  Xarrenscimeiden 408 

240.  .\driaen  Brouwer.     Der  fahrende  Schnittarzt 109 

2(1.     Jan  van  lleemesseti.     Die  Steinoperation jn 

242.     l'ranz  Hals  d.  |.     Das  Narrenschneiden I15 

245.     Weydmans.     Das  Narrenschneiden |i  I 

244.  Operationsszene I17 

245.  Carlo  Dolci.     Die  heilige  ApolK)nia (20 

2.(6.     Adriaen  von  Ostade.     Der  Dorfzahnbrecher )2i 

247.  Gerard  van  Honthorst.     Die  Zahnoperation 12; 

248.  Gerard  Dou.     Der  Zahnarzt 424 

249.  David  Teniers.     Der  Zahnarzt 425 

250.  David  Teniers.     Der  Zahnarzt 426 

251.  Rombouts.     Der  Zahnarzt (27 

232.     Johannes  Lingelbach.     Der  Zahnarzt  zu  Pferde 129 

253.  Burgkmair.     Inneres  eines  Krankenhauses (35 

254.  Bartolo  di  Domenico.     Hospital  Santa  Maria  dell.i  Scala ^54 

255.  Abraham  Bosse.     I.'inlirmerie  de  l'lliipital  de  la  (^harite  de  Paris       .     .     .(35 

256.  Andrea  del  Sarto.     Frauenklinik (57 

257.  Lepraschauzettel   vom  Jahre    1632  für  die   Sebalduskirclie   in   Nürnberg     .      439 

2 58.  Joachim   Buckelaer.     Die   Apostel   Petrus  und  Johannes,  Kranke   heilend   .     441 

259.  Kosmas  und  Damian (43 

260.  Roger  v.  d.  Wevden.     Kosnias  und  Daunan 1.45 

261.  Burgkmair.      Ixiuard   der  Bekenner (49 

262.  Bernaert  van  Orley.     Salbung  eines  französischen  Königs (51 

263.  Baron  Gros.     Napoleon  im  Pesthospital  in  Jatl'a 453 

264.  Der  .Arzt  als  Gott 456 

265.  Der  Arzt  als  Kugel 457 

266.  Der  Arzt  als  Mensch 458 

267.  Der  Arzt  als  Teufel 459 

268.  Holbein  d.  J.     Allegorie  auf  die  arztliche  Kunst 461 

269.  Solis.     Porträt  des  Jakob  Baumann (65 

270.  .'\nton  Mozart.     Allegorie  auf  die  ärztliche  Tätigkeit ^64 

271.  Rückseite  des  vorigen  Gemäldes (65 

272.  Zeichnerischer  Krankheitsbericht  Albrecln  Dürers  an  seinen  .\rzt    .     .     .     471 


{SLr:i<iii}ff.<:)i<f:<>:<>.iy.?^^^^^^ 


EINLEITUNG 


alerci  und  Medizin  was  soll  die  Geijenüberstelluni;  zweier 
so  entfernter  Begritle,  zwischen  denen  man  zunächst  vergeb- 
lich Brücken  sucht?  Wer  möchte  wi)hl  diesen  Gedanken- 
spruni;  mitmachen?  ja,  hieße  die  Umdernishürde:  Kunst  und  Medizin, 
über  diesen  nächsthöheren  Bei^rifl  käme  man  schon  leichter  hinweg; 
will  doch  die  Medizin  selbst  eine  Kunst  sein;  freilich,  je  näher  man 
in  unseren  Tagen  dem  ideal  kam,  aus  der  lieilkunst  eine  exakte 
Wissenschaft  zu  machen,  desto  mehr  entfernte  man  sich  von  der 
künstlerischen  (jenossenschatt ,  die  bei  allen  X'olkern  im  Urbeginn 
eine  göttliche  war.  Denn  von  den  Göttern  l<am  die  »stille«  Kunst 
auf  die  Halbgötter  und  \'on  diesen  und  den  Helden  zu  den  gewöhn- 
lichen Sterblichen.  Der  Musengott  ApolU)n,  gleichzeitig  Künstler 
und  Arzt,  \ersclienkte  seine  Gottesi^aben  gleichwertig: 


An  nun  langte  des  Pliöbus  erkorner  Liebling  lapyx, 

lasiis'  Sohn,  dem  Apoll  von  inniger  Liebe  geleitet 

Froli   einst  jegliche  Kunst  anbot,   die   er  selber  verleihn  kann, 

Kitharaspiel,  weissagende   Kraft  und   flüchtige   Pfeile. 

jener,  damit  er   die  Tag'  aufhalte  dem  sterbenden  Vater, 

Wollte  vielmehr  der  Kräuter   Gewalt  und  die  Wege  der  Heilung 

Hinschn  und  ungerühmt   die  stilleren  Künste  betreiben. 

l'irgil,  Ai'iieis. 

Und  vergessen  wir  nicht  diese  Schwagerschaft  mit  jeglicher 
Kunst  aus  den  Tagen  des  Mittelalters.  \\'enn  wir  auch  noch  so 
gerne  möchten,  wir  können  von  unseren  akademischen  Rockschößen 
nicht  die  Heilkünstler  abschütteln,  die  in  jenen  vergessenen  Zeiten 
auf  den  Märkten  herumzogen  und  ihren  Karren  neben  den  der'Fhespis 
stellten  und  selbst  Theater  spielten  unA  Kunststücke  zeigten. 

Und  heilt  nicht  auch  noch  heute  der  Arzt  am  besten,  der  der 
beste  Lebenskünstler  ist?   Doch  genug  des  Persönlichen,  denn  sonst 

Holländer,  Die  Medizio  in  der  klassischen  Malerei.     2.  Auf  läge.  I 


2    3C«{äMS3KSKSBXäS3WSSöWWCöKäC«Kä«««£    EINLEITUNG    äCöSäKJKiKi«JSi«ie><5-S>:i5iO>!C«iiSSiiC>»>)(>SiiSi«Si 


vertührte  mich  dieser  Gedanke,  die  Arzie  autzu;?ählen,  die  in  ihren 
Mußestunden  teils  selbst  künstlerisch  tätig  waren  oder  doch  als 
Liebhaber  und  Sammler  die  Kunst  KM'derten*).  So  werden  wir 
sehen,  daß  ein  Teil  der  schiMisten  Schöpfungen  Renibrandts  Aut- 
träge von  Ärzten  waren,  und  daß  scluui  der  berühmte  Bologneser 
Chirurg  Berengar  von  Car|M.  aus  dem  Anlange  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts (der  erste,  der  das  Quecksilber  gegen  die  Sv(ihilis  wissen- 
schaftlich eniptahl).  als  Honorar  für  die  Heilung  des  Kardinals  Colonna 
Raffaels  Ciemälde  »Johannes  der  Täuler«  verlangte,  das  jetzt  sich  in 
der  Tribuna  von  llorenz  betindet. 

Und  der  l^vangelist  J.ukas!  ist  nicht  dieser  Schüler  des  Paulus 
der  gegebene  Patron  mediko- artistischer  Bestrebungen?  Nach  alt- 
historischer Tradition  war  er  Maler  und  nach  der  Stelle  Kolosser 
4,  i-i  war  er  auch  Arzt.  Nachweisbar  vom  zehnten  Jahrhundert  ab 
übernahm  die  abendlandische  Kirche  die  Legende.  Dargestellt  wird 
Lukas,  wie  er  die  Madonna  malt,  oder  wie  er  vor  einem  Madonnen- 
bilde sitzend,  sein  Lvangelium  schreibt.  Linige  in  bvzantinischem 
Stile  gemalte  Ahtdonnenbilder,  so  das  in  der  Santa  ALiria  in  \"ia  lata 
und  in  Ära  C^oeli  in  Rom  werden  ihm  selbst  zugeschrieben.  Der 
18.  Oktober  ist  der  Tag  dieses  Heiligen. 

Kunst  als  höherer  Begrifl  hat  mehr  mit  der  .Medizin  gemein, 
als  daß  es  dieses  Buch  hissen  koiuile.  gibt  es  doch  selbst  manche 
Berührungspunkte  zwischen  .Medizin  und  .Musik!  L'nd  .Malerei  und 
Medizin  treffen  sich  n(K"h  aut  einem  (jebiete,  welches  seit  500  Jahren 
durch  eine  große  Reihe  von  Lehrbüchern  und  Scliritten  die  X'orstufe 
künstlerischen  Bildens  geworden  ist:  die  Kunstanatomie.  Diese  Lehre 
verfolgt  de]i  /weck-,  dem  schadenden  Kunstler  die  wissenschaftliche 
Grundlage  zu  geben  bei  der  Nachbildung  der  .Menschengestalt,  imd 
trennt  sich  im  Prinzip  von  den  Anforderungen  der  wissenschaftlichen 
Anatomie.  Denn  letztere  sucht  dvn  wahren  Bau  zu  anaKsieren  und 
gibt    in    schematischen    oder    absolut    natiirlichen    .\bbildungen    die 


•)  In  Berlin  besteht  eine  .Arzlckapcllc  und  um  .Uztcchoi.  —  In  I'aris  wurde  der  dritte 
Salon  des  Medccins,  in  dem  nur  Arzte  ihre  Kunstschöpfungen  ausstellten,  günstig  beurteilt. 
Abbildungen  siehe  .Aesculape  19 12,  Nr.  4. 


iO!XiS>iCt!ß!SSK<o><^JS«i!Oti«>>5i!OiS!!SSK!>:iSS>St!l«S!   Hinleitung   äiStJSStSt!KiS<!t!Ci!!K!C>!C*!C>S!>iO>iO><K!5tSS!j!<K!K   3 


Resultate,  während  die  Kiinstanatoniie  die  schone  Mittehorni  anstrebt. 
Und  deshalb  sind  auch  die  zahlreichen  lainstlerischen  Abbildungen, 
welche  den  Zweck  vertoli;en,  dein  Maler  und  Bildhauer  aul  diesem 
Gebiete  ein   Vorbild  zu  sein,   tür  dieses  Buch   ohne  Interesse. 

Nur  die  freien  Kunstwerke,  die  voraussetzunnslosen  aus  dem 
Gebiete  der  Malerei,  sollen  einer  sammelnden  historischen  IV'trach- 
tung  unterzogen  werden.  Mit  den  Augen  des  Mediziners  sollen  die 
Gemälde  aus  der  guten  Zeit  einmal  betrachtet  werden;  nicht  aber 
mit  der  Kritik  eines  Anatomen,  der  gelungene  Kt)rpertorm  lobt  und 
schlechte    tadelt,    sondern   \dm   Standpunkte    des   Medizinhistorikers. 


äK5l!iCB5!!^!5i!C?<O>!KiKiKiK<?JC5i0HK!K3S!KiCHK!05:«iS<CS!Ki0ä5CBK!Ot 


DAS  ANATOMIEBILD 


^  ist  eine  stindcrbarc  Erscheinung;,  daß  das  Anatomiebild, 
welches  doch  so  recht  ei.^enthcli  die  hikarnation  des  Grenz- 
L;ebietes  zwischen  Medizin  und  Kunst  bildet,  bis  aul  diesen 
ly  noch  nicht  Ausgangspunkt  oder  doch  Reiz  tür  historische  Studien 
war.  Mag  sein,  daß  das  berühmte  und  so  oft  zitierte  Werk  des  königl. 
Sachs.  Geheimrates  Ludwig  Choulant*)  den  Gegenstand  zu  erschöpfen 
schien.  Doch  zeigt  schon  der  Titel,  daß  hier  nur  die  anatomisch- 
medizinische  Darstellung  in  ihrer  Ik'ziehung  zur  Kunst  geprüit  wird. 
Betrachtet  wird  da  der  Revers  jener  .Münze,  welche  die  Kunstanatomie 
heißt.  Der  Anatom  lehrt  den  Künstler  äußere  Bildung  und  Gestalt. 
Choulant  dagegen  untersucht  historisch  die  l])ienste,  die  der  Bildner 
und  der  /eichner  der  anatomischen  Wissenschaft  geleistet  hat.  Wahr- 
lich ein  schöner  Wirwurt,  dessen  \'erfolgung  für  beide  Teile  wichtige 
Ergebnisse  brachte.  Uns  interessiert  dagegen  in  vorliegender  Arbeit 
ein  noch  anderer  Begrifl.  W'w  wollen  das  Doktrinäre  und  rein 
wissenschaltliche  Produkt,  das  legale  Endergebnis  einer  \'erbindung 
von  -Medizin  und  Kunstfertigkeit:  die  anatomische  Zeichnuni;  hier 
ganz  beiseite  setzen  und  das  nur  einer  historischen  Betrachtung 
unterziehen,  was  gewissermaßen  in  freier  Liebe  zwischen  diesen  beiden 
medizinisch  Interessantes  geschaffen  wurde.  Den  ersten  Anfängen 
der  anatomischen  Zeichnung  ist  neuerdings  Sudhoft  nachgegangen 
und  hat  imposantes  .\Luerial  herbeigebracht,  welches  einigermaßen 
die  verloren  gegangene  Kontinuität  der  l'orschuni;  im  Mittelalter 
wiederherstellen  sollte**).  Die  schönsten  Muskelmanner  des  Meisters 
Stephan  aus  der  Eabrica  des  anatomischen  Reformators  Vesalius,  so 

•|  L.  Choulant,   Geschichte  und  BibHouraphic  der  anatomischen  Abbildung  nach  ihrer 
Beziehung  auf  anatomische  Wissenschaft  und  bildende  Kunst,   Lcii)zig  1852. 

••)  Karl  Sudhoff,  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Anatomie  im  Mittelalter,  speziell  der 
anatomischen  Graphik.     Studien  zur  Geschichte  der  Medizin,  Heft  4.     Leipzig  1908. 


iK>St>KSit'C>S>)K<!X'«iöS>!C<äiKX<!t)K<SS>iSS><S!KiOt!C?  ANATOMIE  55!e!S?)C(J>iO>iS!0>S>S(ißiS!C!»;!C?!0!JßSt!S!C?>K)0>iC5    5 


künstlerisch  sie  auch  L;cstcllt  sind,  i;chi)rcn  nicht  hierher,  ehensowenig 
wie  die  beiden  nackten  Körper  seiner  Hpitonie,  denn  sie  dienten 
Lehrzwecken.  Aber  die  zufälHg  aur  Gemälden  inid  Stichen  vor- 
kommenden Muskel-  und  Knochenmänner,  wie  sie  zum  J3eispiel 
häufiger  zur  Anschauung  kommen  bei  der  Schilderung  der  Bestrafung 
des  ungerechten  Richters  oder  der  Schindung  des  Marsvas  können 
wir  kritisch  studieren.  Wir  müssen  diesen  (jedanken,  um  nicht  ins 
Uferlose  zu  gelangen,  recht  präzis  erfassen.  Wir  wollen  aber  insofern 
einen  Schritt  weitergehen  als  (ruber,  und  auch  aus  Lehrbüchern  der 
Anatomie  das  rein  künstlerische  Beiwerk  gelegentlich  betrachten,  wenn 
wir  damit  iür  die  Geschichte  der  Medizin 
eine  kleine  Lrucht  pflücken  können. 

Die  Geschichte  der  Renaissance  der 
Anatomie  ist  wohl  ohne  Zweifel  die 
wichtigste  und  interessanteste  historische 
Aufgabe,  und  manche  Rätsel,  manche 
Unstimmigkeiten  sind  hier  noch  lösbar. 
Wir  haben  in  »Plastik  und  Medizin« 
zur  antiken  Skelettdarstellung  des  Kör- 
pers interessantes  Material  gesammelt, 
und  erst  in  diesen  Tagen  fand  ich  auf 
einer  antiken  Keramik  ein  so  hervor- 
ragend schön  und  richtig  erfaßtes  Skelett, 
wie  es  kaum  bis  in  die  modernste  Zeit 
hinein  die  Töpferkunst  oder  die  Reliefkunst  überhaupt  wieder  hervor- 
gebracht hat.  Die  Skelette  auf  den  Silberbechern  des  Schatzes  von 
Boscoreale  werden  durch  dieses  in  den  Hintergrund  gestellt.  Ich 
erwähne  dies  nur,  um  die  Wege  zu  zeigen,  auf  denen  durch  unsere 
Bestrebungen  die  Geschichte  der  Heilkunst  gefordert  werden  kann. 
Eine  Spezialuntersuchung  über  die  anatomischen  Verhältnisse,  über 
Schematismus  und  miserable  Formengebung  in  der  Skelettdarstellung, 
die  in  der  moderneren  Kunst  beinahe  mit  der  Todesdarstellung  über- 
einstimmt, würde  zum  mindesten  dasselbe  Literesse  erwecken,  wie 
die   von    LessiniJ    behandelte   LTage   nach    der  Todesdarstellung   der 


Fig.  I.     Arzt  und  Tod. 
Hans  Holbeins  Totentanz  11538). 


6    äK!K?K!e>!«iC!S>;<S<KJj!!SJSS><O!iCiiCöK?K3IHK30«CHCS  AnaTOMH;  iCSiS<5><5iSStJS!0;S>iJtSi!5!!5tS?!5iiKSC!!>:!Jti0t!e!!y!iCi!C5!0t 


Alten    ubcrhaiiin.     |-s   ist   seit   den  Taigen  dieser  Debatte*)   viel    neues 
Material  aus  der  l-rde  gehoben   worden**). 

Viel  Anregung  bietet  auch  nach  dieser  Richtung  die  Totentanz- 
idee und  die  'rotentan/darstehung.  i'iniges  Material  hierzu  lindet 
man  in  meiner  »Karikatur  und  Satire«***).  l:in  Witz  der  Historie  ist 
es  dabei,  daß  in  der  W'eltchronik  des  Arztes  Schedel  ( Nürnberg  1493) 


(.icrtn.  Mitst:um,   .\ iittil'crg. 

J  lg.  J.     /.imnicrsclier  Totentanz. 

Handschrift  des  sechEehnten  Jahrluiiiderts.     ( )nginal  Königsegyische  Bibliothek 

zu  Aulcndorf. 


seine  befreundeten  Zeichner  gerade  das  phantastischste  Skelett  zum 
Druck-e  brachten  (siehe  bigur  5).  Die  nicht  zu  Lehrzwecken 
dienenden  Skelettdarstellungen  wiu-den  einen  13and  Itir  sich  ergeben. 
\\'as  wir  aber  als  Fazit  aus  einer  solchen  Skelettbetrachtung  in  der 


*)  Lessing:   -Wie  die  Alten  den  Tod  gebildet«,   1769. 
••)  Siehe  auch  antike  Skelettmarionetten,  Plastik  und  Medizin.  S.  425. 
•*•)  Die  Karikatur  und  .Satire  in  der  Medizin,  Stuttgart  1905,  S.  21  ff. 


Kunst  von  der  antiken  Zeit  bis  in  die  (iegenwart  ziehen  können, 
das  gleicht  den  Ergebnissen  der  neuen  Blutprobe  nach  Wassermann. 
Eine  schone  tehlerlose  Zeichnung  und  Darstellung  in  Proportion 
und  Anordnung  der  Einzelknochen  erlaubt  einen  Rückschluß  im 
positiven  Sinne.  Grobe  kehler  aber  und  anatomisch-orthographische 
Schnitzer,  die  heute  so  gut  vorkonunen  wie  zu  Holbeins  und  Rethels 
Zeit,  geben  ein   negatives  Resultat,    das    heißt  sie  erlauben  durchaus 


Fig.  3.     Totentanz. 
Aus  der     Weltchronik  von  Doktor  Schcdel..     Nürnlierg  1493. 

keinen    Rückschluß    aut    den    jeweiligen    Stand    der    anatomischen 
Wissenschaft. 

Das  Gebiet  der  Skelettdarstellungen  ist  grenzenlos.  Es  muß 
sich  verfolgen  lassen  bis  in  die  allerersten  Anfange  menschlicher 
Kunstfertigkeit,  und  es  wäre  nicht  zu  verwundern,  wenn  wir  aus 
der  Urzeit  der  bildenden  Kunst,  aus  alter  oder  jüngerer  Steinzeit 
Skelettdarstellungen  fänden;  denn  auch  den  Naturvölkern  und  gerade 
ihnen   bot   sich   Gelegenheit,    den   knöchernen    Rest   von    dem,   was 


8    äCBKS(i5!!S!Ki5!!SS>Si!S5ti«!«Ü>JKjiSJKiSS<iet!0«i<0>  ANATOMIE  SOEi^^i^iOiiKiCiiOi^iCEiOiiSS^iiOiiSS^siStiKi^iivt^iCSiOiiCiii^ 


einst  ein  Mensch  w.ir,  vor  Aui;cn  zu  haben.  —  Wir  wollen  aus  der 
ungeheuren  .\hisse  der  Kni)chendarslelluni;en  in  der  reinen  ixunsl  zu- 
nächst zwei  künstlerische  Leistungen  Norlühren,  welche  die  extremsten 
Grenzen   zeichnerischer   Kunst   zeigen.      Das   eine  ein    Menienlo   niori 


Hoil'nn   der  yrntgcre 


Fi.iJ.  -I. 


JiiJSt'i. 


von  Holbeins  Hand  aus  dem  Basler  Museum.  Zweifelsohne  hat  hier  der 
Meister  verwitterte  Schädel  als  Vorlage  benutzt  und  sie  mit  künst- 
lerisch erlaubtem  Schematismus  verwertet  (l'i^ur  4).  Solche  Studien 
finden  wir  massenhaft,  da  in  iler  Kirchemnakrei  der  Schädel  ein  not- 
wendiges Requisit  war.  Ich  erinnere  nur  an  das  Ciemälde  llolbeins 
des  Jüngeren  in  der  IMnakothek  zu  München,  aul  welchem  hinter  dem 


!ßiKS>«>iJt>OääK3O«53OHKX55KSÖKiKJK5CeK3SSIöKS0iSSS5    Knochex   iSSXiKJSSiiOiiJ-iCiJJtiSiKiOtJSiCiiKSiiOiiKißiSJCiiKJK    9 


treftlichcn  Kopte  des  Sir  Brvan  'l'ukc  ein  Schädel  hervorkt)mnit.  Wer 
eine  Magdalena  in  der  Buße  malt,  braucht  einen  solchen.  x\ndrea 
del  Sartos  Rötelzeichnungen  in  ^\iJn  llorentiner  Uthzien  sind  alle 
ohne  Unterkieter,  wie  auch  aul  Dürers  Wappen  ein  solcher  lehlt. 
Die  andere  Darstellung  stammt  \'on  dem  Japaner  Kvosai  und 
ist  eine  Originalzeichnung,  deren  technische  Meisterschatt  nicht  zu 
verkennen  ist.  Um  zwei  Skelette  herum,  welche  vielleicht  nach  der 
\atur   Gezeichnet    und    im    ganzen    wohl    betroffen,    im    Detail    aber 


Flg.  5. 
Originalzeichnung  von  Kyosai  (1831 — Sg). 

durchaus  fehlerhaft  sind,  linden  wir  kleinere  Skelette  in  akrobatischen 
Verrenkungen,  wie  sie  bei  den  ikarischen  Spielen  vorkommen.  Die 
Wirkung  ist  eine  groteske  (siehe  Figur  3). 

Als  weiteres  Beispiel  gelegentlicher  Skelettdarstellung  aus  früher 
Zeit  bringen  wir  den  Stich  des  Marco  Dente  von  Ravenna  nach 
einer  Zeichnung  des  Baccio  Bandinelli,  des  Schülers  und  Gegners 
des  großen  Michelangelo  (siehe  Ingur  6).  Man  beachte  auf  ihr  die 
für  die  damalige  Zeit  auffallende  Zeichnung  der  unteren  Brustapertur. 


lo  SKStiCtJSSiiCiSisci-iSJKißSiSiätißiöJissiJßiSißiftäs  Anatomie  sKiKiSSiJöiKiS-öStJSStiSiOtJOiSiOiJKiöSüStißJKJöJßSt 


Duicli  die  i;an/c  Kunstgeschichte  aber  reitet  der  Sensenmann, 
meist  auf  diirltigem  Klepper.  Zeichnerisch  und  auch  lür  unsere 
Betrachtung  von  größerer  Wichtigkeit  wie  zum  Beispiel  jener  beriihmte 
Dürersche  Kupferstich  vom  Jahre  131  >  ist  desselben  Meisters  wohl- 
gelungene Skizze  in  London  vom  Jahre  1503.  Auch  diese  Zeichnung 
des  großen  Künstlers  dtikumentiert  die  Schwäche  seiner  anatomischen 
Kenntnisse.  Meist  machen  die  Kimstler  es  sich  bequem,  und  dort, 
wo  die  richtige  Vorstellung  lehlt,  stellt  sich  dann  zur  rechten  Zeit 
ein  hetzen  l'leisch  oder  ein  ,Stück  Haut  als  Ausrede  ein.  \'om  künst- 
lerischen Standpunkt,  und  wenn  das  (ianze  skizzenhaft  ist,  wie  aiil 
dieser  Dürerschen   Zeichnung,  wäre  aber  eine  l^üge  Pedanterie. 

Cjelegentlich  jirimken  Künstler  geradezu  mit  anatomischen  Kennt- 
nissen, und  wir  haben  den  l:indruck,  daß  hier  dann  X'ollkonnnenheit 
angestrebt  wird.  Ihnen  gilt  die  Mahnimg  Lionardos  (M.S.  I-'.h'ol.  I9\"): 
»o  .Maleranatom  gib  acht,  aut  daß  nicht  das  Zuvielwissen  um  die 
Knochen.  Sehnen  imd  Muskeln  Ursache  werde,  dich  zu  einem 
hölzernen  Maler  zu  machen.«  Als  Beispiel  dieser  Gattung  bringen 
wir  den  Kupiferstich  des  Monogramniisten  M.  h.  vom  Jahre  133(1 
(siehe  Figur  7).  Die  Darstellung  ist  die  bereits  erwähnte  Schindung 
des  von  Apoll  besiegten  Marsvas.  Der  erzürnte  Gott,  der  in  der 
linken  Hand  das  Messer  hält  (im  Üriginalbilde  natürlich  in  der 
rechten)*),  hat  soeben  dem  unglücklichen  musikalischen  Konkurrenten 
die  Haut  abgezogen,  so  daß  wir  dessen  Muskulatur  im  Detail  be- 
trachten k()nnen.  Es  scheint  beinahe,  als  wenn  dem  Künstler  das 
Einzelblatt  des  Domenico  kiorentino  vom  Jahre  1306  als  anatomische 
Unterlage  gedient   habe  (siehe  Seite  13). 

Solche  gelegentlichen  Porträtierungen  des  Knochengerüstes  sind 
aber  nicht  auf  eine  Stute  zu  stellen  mit  den  eingehenden  anatomi- 
schen Studien,  welche  die  italienischen  Heroen  der  Malkunst  ziel- 
bewußt betrieben  haben.  Wir  werden  später  versuchen,  um  die 
Genese  des  Anatomiebildes  historisch  vor  Augen  zu  führen,  die  l'nt- 
wickiung  der  Renaissance  der  Anatomie  kurz  aufzurollen.    An  dieser 

•)  Es  existiert  eine  spätere  Radicrunt;  im  Siiiet;eli)ilcl.  Vielleicht  ist  die  Jahresbezeich- 
nung  1536  eine  Fälschung. 


12  !«S*iö<SJK5C?<0?!K?S<S!S?>:?5i!K<K»>!e!Si<S<O;!>!ß«E  AnaTOMH    IO!iO><C*<0><KS>JOiSi!5>Si<Ji?SiO>'CiiKiK!ei!5SKiS!K!KS?S5iK 


Stelle  müssen  wir  vorgreitcn  und  im  Zusanuncnhani;  das  \'crdicnsl 
dieser  Künstler^ruppe  aus  dem   Quallriicentn  besprechen. 

Hs  ist  das  bleibende  und  große  \'erdienst  Rallaels,  Michel- 
angelos und  im  Sinne  der  Steigerung  l.ionardo  da  \'incis,  daß  sie 
in  ihren  Bestrebungen  die  Wahrheit,  die  Wirklichkeit  künstlerisch 
darzustellen,  dem  Getüge  des  menschlichen  Körpers  nicht  nur  äußer- 
lich nahezukonnnen  versuchlen.  \'ergessen  wollen  wir  dabei  nicht, 
daß  auch  die  erste  realistische  Schilderung  des  menschlichen  Körpers 
in  \ ulliger  Nacktheit  eine  kühne  Tat  war,  welche  schon  ein  Menschen- 
alter vor  diesem  italienischen  Dreigestirn  das  Brüderpaar  van  l:\ck 
aui  dem  berühmten  Genier  Altar  gewagt  hatte.  Wir  werden  später 
aut  die  KiM-perschilderung  des  Jan  \an  Hvck,  denn  dieser  malte 
nachweislich  Adam  und  l:va,  als  solche  noch  zurückkommen  müssen. 
Hier  genügt  der  Hinweis,  daß  die  erstaunte  Christenheit  zum  ersten 
Male  zwei  so  nackte  und  natürliche  Menschen  vor  sich  sah  mit  allen 
Haaren  und  Härchen,  halten  und  hältchen  und  ohne  jede  Spur 
einer  Idealisierung.  Auch  dieses  kühne  W^agnis  war  die  (Offenbarung 
eines  Wahrheitstriebes,  der  sich  allerdings  in  den  Schutz  der  Kirche 
gestellt  hatte.  Um  ganz  die  Größe  dieses  Mutes  zu  überschauen, 
müssen  wir  daran  erinnern,  daß  frühere  Bildner  die  ersten  Menschen 
unter  völliger  Mißachtung  natürlicher  Verhältnisse  schulen,  und  daß 
die  hva  zum  l^eispiel  als  Weib  wesentlich  nur  durch  ihre  längeren 
Haare  charakterisiert  wurde.  Am  Dom  zu  l^amberg  stehen  am  süd- 
lichen Portale  des  Ostchores,  welches  ungefähr  um  das  lahr  1230 
errichtet  wurde,  die  lebensgroßen  Figuren  der  ersten  Menschen  aus 
Stein  unter  zierlichen  Baldachinen;  beide  Körper  für  die  damalige 
Zeit  in  anerkennenswerter  Schlankheit  und  l'ormenschöne,  beide  auch 
aus  religiösem  Realismus  ohne  Nabel;  aber  es  ist  kaum  möglich, 
den  weiblichen  Körper  vom  männlichen  zu  unterscheiden.  Beider 
Schoß  ist  verdeckt  durch  einen  Blätterwald.  Allerdings  macht  auch 
Jan  van  l-.vck  eine  Konzession  nach  dieser  Richtung,  aber  er  macht 
sie  unauldringlich,  ohne  dal.i  der  (iesamteindruck   darunter  leidet. 

Diese  detaillierteWiedergabe  der  Menschenkörper  war  eigentlich  nur 
eine  Naturabschrift,  sie  war  nur  ein  Wetterleuchten  des  Naturalismus. 


14  55!KSi?5S>!I!S?!5!5!ß?5iK'etiK!SS«iSJ5Sti«<S<ßi«  Ana  lOMll    JSiSiK'e-JKJS-KSKJSJKiSJKiOtSKJßiKSiiKiSiCtSSiKSKiSSS 


Die  beiden  berühiiuen  T.iteln  sleheii  in  ileni  Lebenswerke  des  Meisters 
und  ihrer  Zeit  isoliert  da  wie  Wunder,  die  man  bestaunt,  aber  nicht 
nachni.iehen  k.mn.  .So  ist  es  dijun  auch  verstandhch,  daß  dieser 
ganze  denter  Altar  trotz  seiner  anderen  berühmten  reh,i;iosen  Dar- 
stellungen im  \'olksmunde  »die  Adam-  und  l-vakajielJe«  genannt 
wurde.  War  doch  das  \'olk  verbiulit  durch  den 
unglaublich  kecken  \'ersuch ,  .Menschen  in  ihrer 
n.ickteii  Wirklichkeit  zu  zeigen.  -Später  kam  eine 
Zeit,  in  der  man  aus  Prüderie  die  Tafeln  entternt 
hielt.  Zirka  cSo  Jahre  lang  versteckte  man  sie,  weil 
Kaiser  Joseph  I.  Anstoß  nahm  und  die  Nacktheit 
den   Kirchenbesuchern  entzogen  wissen   wollte. 

Wie  noch  Dürer  auf  seinem  berühmten  Kupfer- 
stich »Das  dlück«  einfach  den  Akt  eines  Weibes  auf 
eine  Kugel  setzt  ohne  jegliche  Balance,  ohne  An- 
deutung einer\\)rwärtsbewegung  oder  einer  Flüchtig- 
keit, so  haben  wir  auch  bei  diesen  ersten  Menschen 
jetzt  nur  den  Hindruck,  daß  ihnen  die  Kleider  vom 
Leibe  gerissen  sind  und  daß  sie  in  ihrer  Nacktheit 
geniert  dastehen.  Das  überträgt  sich  auch  auf  L'arbe 
und  Beschaffenheit  der  LLiut,  die  die  tvpischen  Merk- 
male  derjenigen   \-on   Kleiderträgern    hat. 

Dagegen  sind  die  Schilderungen  der  Korper- 
oberHäche  eines  Michelangelo,  RafLiel,  Lionardo  da 
\'inci  bereits  anatomische  Studien.  Die  Muskuhuur 
wird  detailliert  behandelt  und  trotz  erhaltener  Über- 
haut so  herausgearbeitet,  als  wenn  dieselbe  abgezogen 
ist.  Die  .\Linner  sind  mit  Muskeln  bepackt  wie 
fertige  RLimpferde.  imd  so  ist  es  schon  aus  tier  Pjctrachlung  der 
Aktstudien  dieser  Korper  ersichtlich,  dal.^  die  Kimstler  auch  in  die 
Fiele  drangen  und  auf  eigene  Laust  dun  Knochenbau  und  Ljngeweide 
studierten.  Das  Ikdürlnis  ihrer  Seele,  das  Bedürhiis  ihrer  Kunst  nach 
Wahrheit  lührte  sie  zum  Seziertisch.  \'on  allen  dreien  besitzen  wir 
.Studienblätter,   liie  den  Beweis   hierlür  erbrinuen.     Die  Künstler  haben 


1  1-.  8. 

Die  \-.\:i  des 

Jan  van   Myck. 


«««HKiS5KiKiKiK!«!eJäCi!K-Ot-C?S?iß:«iC5äOS!CHß30HK    Raffael!  o    SfSCHKiKJCiHCitiOtSKSiCSStJeiJSJSJOJäKiKJCBOiäKSiili  1  5 


Gelegenheit  gesucht,  sich  anatomische  Präparate  zu  verschaffen, 
Zerghederungen  heizuwohnen  oder  selber  solche  vorzunehmen. 
Lionardo  sagt  an  einer  Stelle,  daß  er  zehn  menschliche  Körper 
zerlegt  habe,  nur  um  die  Blutgefäße  zu  studieren.  Die  beigetügte 
Zeichnung  Raffaels  (siehe  Figur  lo)  stellt  eine  Studie  zu  seinem 
jetzt  im  Palast  Borghese  befindlichen  Gemälde  »Die  Grablegung« 
dar.     Die   Korrektheit   der   Stellung   seiner   Figuren   kontrolliert   der 


;^tj;,w  riK-l  > 


Fig.  9.     Domenico  del  Barbiere  genannt  D.  Fiorentino  sc. 
.\us  einem  anatomischen  Zeichenliuche  für  Franz  I. 

Maler  durch  Hinzeichnung  des  Skelettes.  Manchmal  be^nimt  er 
sich  auch  statt  der  Bekleideten  zunächst  den  Entwurf  als  Xackt- 
zeichnung  herzustellen.  Erhalten  ist  uns  noch  die  erste  \'orzeich- 
nung  seines  letzten  grandiosen  Gemäldes  »Die  Transfiguration«. 
Zu  Füßen  dieser  eben  vollendeten  Meisterschöpt'ung  bahrte  man 
des  Malers  sterbliche  Reste.  Was  sich  als  heitere  Schöpfungen  und 
Offenbarungen  seines  Genies  zeigte,  war  demnach  das  Ergebnis 
vorbedachter  fleißiger  x\rbeit. 

Auch   von  Michelangelo    besitzen  wir   eine  Reihe   anatomischer 


l6  3KSKJ5öKäKäKSKSSJCÖ5:«SSStS5iKSöKSSS5äS3>:äKä>:  AxATOMlE  äCSiCiiOiSiSSiCiiiSSXiCSäßSiiKJOiiCiSSäKäOäSJtäeäKäOtäCSäKäKäK 


/cichnunuen.  Dlt  hcrkuliscli  gebaute  Mann  (siehe  l'iuur  i  i)  läßt 
trotz  Hervortreten  der  .Miiskiilaiur  den  Knoeheiibau  an  \ielen  Stellen 
diirchblieken.  Seitwärts  Inulen  wir  die  Aiuieutun«;  einer  Skelett- 
skizzc,  welche  ihm  zur  l'ri'portionslehre  von  Xiit/en  war,  ein  ander- 
nial  sind  (ielenke  und  Knochen  markiert  (k'ederzeichnmii;  in  den 
Ulhzien).  St)lcher  anatomischen  Studienblätter  werden  22  angegeben, 
die    angeblich   l^onieiiico   Idorentino    nach   des  Angelo  Zeichnung   in 

Kupier    gestochen    hat    (siehe 

l'igur  9).  Cber  das  seltene 
Blatt  des  biorentino  spricht 
sich  Moehsen  sehr  anerkennend 
aus.  lir  erwähnt  aber  die  aut- 
tallenden  I-ehler,  welche  na- 
mentlich beim  Becken,  am  büß 
und  auch  in  der  Muskulatiu' 
vorliegen.  Üb  dieser  .Stecher 
mm  tatsächlich,  wie  Moehsen 
glaubt,  eine  Zeichenvorlage  des 
großen  Plastikers  benutzt  hat, 
erscheint  dtirchaus  traglich, 
wenn  N'.isari  und  andere  auch 
ausdrücklich  bestätigen,  daß 
der  .Meister,  angeregt  durch 
\'incis  \'orgehen,  vielfach  Lei- 
chen, denen  die  Maut  abge- 
zogen war,  gezeichnet  hätte, 
und  dal.^  AngeK)S  übermäßige 
Betonung  der  .Muskulatur  da\'on  herrühre.  \ On  diesem  sehr  seltenen 
Blatt,  welches  übrigens  von  Domenico  del  l^arbiere  recht  mäßig 
gestochen  ist,  beweist  aber  Clhoulant,  daß  es  von  Kosso  de  Kossi 
herstamme,  einem  b'lorentiner  Hotmaler,  der  1496  geboren,  später  in 
Fontainebleau  als  .Maler  Kc'mig  T*ranz"  1.  endete.  Es  soll  aus  einem 
unvollendeten  anatoniisi.hen  Zeichenbuche  lür  den  Konig  stammen. 
Außer  diesen  Dokumenten    perst)nlicher  .Art    besitzen   wir  noch 


■  v     \ 


,'iA 


Fig.  10.     Ratlaelio  Santi.     Studienlil.itt. 


iOiS!iO>iSiKS>!5SiiKS>!OiS*iO>iO>iOi!0>S«St<SS>!J>!5S!  .Ml(  111  I. ANGELD  !C?iK!0>i>:<ß!KiC>K;iJ0tJ>'Cii0t>>:!SißS>:<Ci<0!<K<0i<5i<0i  I7 


die  historische  CherlielerunL;  \Hin  Michelani^elos  Anatciniiestudien. 
X'asari  erzählt  uns  in  seinem  Werke,  daß  er,  dann't  heschätti^t  tür 
die  Florentiner  Heilii^e-Cjeistkirche  das  hölzerne  Kruzilix  im  (dior 
zu  machen,  vom  Prior  die  Erlaubnis  bekommen  habe,  Leichen  die 
Haut  abzuziehen,  um  die  bloßlie^ende  Muskidatur  zu  studieren. 
Diese  heimliche  Sektion  des  Malerbildhauers  illustriert  eine  llüchti^e, 
historisch  aber  interessante  Skizze,  die  trüber  dem  .Michelangelo  selbst 
zugeschrieben  wurde  (siehe  Fi- 
gur 12).  Die  neuere  kritisierende 
Kunstgeschichte  bestreitet  jedtich 
die  Echtheit  der  Skizze  und  ver- 
legt ihren  Ursprung  zirka  hun- 
dert Filire  später.  F.  W'ickhofi 
begründet  diesen  Zweitel  in  sei- 
nem Katalog  der  Handzeich- 
nungen der  x*\lbertina  (Jahrbuch 
der  österreichischen  Kunstsamm- 
lung, Band  zwölt)  durch  die 
Ähnlichkeit  in  Komposition  und 
Form  mit  zwei  Pinselzeichnungen 
einer  Kneipgesellschalt  und  einer 
Malergruppe,  die  bei  kunstlichem 
Lichte  nach  (jipsmodellen  zeich- 
net, von  denen  die  eine  mit 
Sicherheit  dem  Bartolomeo  ^Lln- 
tredi  (Ahtntua  1380  bis  16 13) 
zugeschrieben  wird.  Offenbar 
aber  war  ihm  der  Antrieb  zu  der  »Befreiung«  Michelangelos  von 
dieser  Vaterschaft  durch  eine  X'erkennung  des  Sujets  gekommen. 
Denn  nach  Beschreibimg  der  Zeichnung,  bei  der  er  in  dem  Künstler 
das  Porträt  Michelangelos,  in  dem  des  Anatomen  das  Antonius  della 
Torres  sieht,  fährt  er  fort:  »Einen  Zug  grimmigen  Humors  nennt 
das  Robinson,  und  die  Szene  wurde  von  französischen  ALdern  im 
Bilde  dargestellt,  die  es  wahrscheinlich  pikant  fanden,  sich  Michel- 

Hollander,  Die  -Medizin   in  der  klassischen  Malerei.     2    AiifLiee.  2 


Fio;.  II.     Michelano;elo.     Studicnblatt. 


1 8  SSSKSSSKiCtiCtiKiCtStiCiiCSiCiSSiKiCSSSSäKSSißiCHCHK  AxAIOMIK  3«iO««5!K3K3K?K?SSS!Oi3KäKäOE3K?CBK!CS3JS3K?K-CS!CfStSS 

anirelo  wie  eine  russische  Stiulcniin  vdr/ustcllcn.  Unsere  Albertina- 
blätter  werden  Michelangelo  V(M1  dieser  /eichnuni;  befreien,  und  sie 
in  den  Kreis  des  u>llen  Cara\ai4gio,  zu  dem  sie  paßt,  verweisen.« 
Wenn  dem  Kunstkritiker  die  (ieschichte  der  Medizin  und  der  Ana- 
tomie näher  gelegen  hätte,  so  würde  er  vielleicht  nicht  aul  die  Idee 
gekonmien  sein,  daß  es  sich  hier  um  einen  burlesken  Scherz  gehandelt 
hat,  oder  um  eine  gesuchte  und  ellekthaschende  I.ichtwirkung.  Uns 
persönlich  kann  es  ganz  gleichgültig  sein,  ob  diese  anspruchs- 
lose kleine  Arbeit  von  der  Hand  des  Meisters  selbst  geleistet  ist, 
oder  von  irgend  einem  Schüler,  oder  selbst  ein  Jahrhundert  später 
entstanden  ist,  als  Reminiszenz  aus  den  Studienlagen  des  (jroß- 
meislers.  Die  Überlieferung  erzählt,  daß  der  Prior  der  Kirche  San 
Spirito  zu  Morenz  dem  jungen  Künstler  aus  Dankbarkeit  lur  ein 
geliefertes  Kruzifix  in  seinem  Kloster  Räume  zur  Verfügung  gestellt 
habe,  in  denen  er  ungestört  Leichen  zergliedern  konnte.  Mag  dies 
wahr  sein  oder  nicht!  Eine  absolute  Tatsache  ist  es,  daß  Michel- 
angelo lange  Jahre  hindurch  anatomische  Studien  betrieben  haben 
mul,^,  und  aus  allen  seinen  Studienblättern,  aus  der  Jugendzeit  wie 
aus  dem  späteren  Alter  ist  es  ersichtlich,  daß  seine  großen  anato- 
mischen Kenntnisse  das  Produkt  langjähriger  Studien  waren.  Solche 
Früchte  pflücken  sich  nicht  in  wenig  Wochen.  In  jener  Zeit  aber, 
in  welcher  diese  Skizze  entstand,  waren  Zergliederungen  verboten, 
und  mußten  heimlich  und  nächtens  vorgenommen  werden.  Es  war 
die  Zeit,  in  der  Sixtus  i\'.  in  einem  Hreve  die  P.rlaubnis  zu  Sektionen 
von  einer  (Genehmigung  der  geistlichen  (jewalt  abhängig  machte, 
und  wo  Leichendiebstähle  zu  anatomischen  Zweck-en  derartig  an 
der  Tagesordnung  waren,  daß  die  benaclibarte  Re|iublik  \'enedig 
in  öffentlichen  \'erordnungen  die  schwersten  Straten  über  diese 
Missetäter  verhängte;  es  war  auch  die  Zeit  der  kirchlichen  degen- 
reformation;  nach  jenen  sonnigen  Tagen  der  künstlerischen  und 
geistigen  Wiedergeburt  war  die  l.ebens\  erneinung  und  die  .Vskese 
wieder  in  die  Welt  gekommen,  und  der  religiöse  banatismus,  der 
aus  dem  zeusähnlichen  Konig  iler  Juden  wieder  dun  leidgequälten 
Gekreuziuten    werden    ließ,    bedrohte    von   neuem    wieder  Kunst  und 


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20 äKäKSKäSJaäKäOEäKäKJßSJäKäKäSJSSSiS^JSiJtiKiCiSS  Ana i üMlh  äSäCSäOtäSiSäKSKSiiKäSSiiKiKiKSKiSiSSiSiiKiK-OiiOiißSi 


Wissenschatt.  Noch  l^oniitc  der  Mmicli  \on  San  .Marco  Sawmarola 
seinen  Hanntlneh  i;ci:cn  alles  Xaekte  in  der  Kunst  werfen  und  die 
karnevalstrohen  Massen  durch  sein  gewallines  dämonisches  Wort  zu 
religiösen  Orgien  hinreilk'n.  In  jenen  Tagen  mußten  die  W'ahrheits- 
sucher  mit  dem  l.ichle  in  den  Keller  gehen,  um  ihre  verhotenen 
Studien  zu  treihen,  und  dieser  Kerzenschimmer  erscheint  mir  viel- 
mehr als  lichte  Gloriole  um  das  Haupt  des  Kunstlers,  und  heleuchtet 
hell  die  W'iedcrgeburtsstunde  der  Anatomie.  \'on  diesem  Stand- 
punkte aus  besitzt  dieses  l^latt  für  uns  ein  gesteigertes  Interesse,  als 
historische  Reliquie  dieser  Stunde;  denn  darin  stimmen  alle  überein, 
daß  es  tatsächlich  den  Meister  am  Sektionstische  darstellt.  Ist  das 
Blatt  ein  Produkt  der  C>aravaggioschule,  so  könnte  man  annehmen, 
daß  es  ein  Entwurf  zu  einem  größeren  historischen  Gemälde  gewesen 
ist,  und  dann  hat  sich  der  Zeichner  lebhaft  in  das  Milieu  jener 
Zeiten  hineingelebt.  Denn  zur  Zeit  Amerighis  war  die  Anatomie 
bereits  eine  anerkannte,  durch  päpstliche  Bullen  und  S\nipathien 
geschützte  Wissenschaft,  und  die  Professoren  der  Anatomie  in  Rom 
waren   Archiatri    Pontifici. 

Die  knieende  Person  mit  dem  Zirkel  in  der  Hand  zeigt  das 
charakteristische  Antlitz  Michelangelos  mit  der  zertrümmerten  Nase. 
Am  Fußende  sitzt  Antonio  della  Torre. 

Dieser  junge  Anatom,  Marco  Antonio  della  Torre  aus  X'erona, 
in  Padua  und  Pavia  Professor  der  Anatomie,  hatte  die  Absicht,  ein 
großes  anatomisches  Werk  herauszugeben  zusammen  mit  seinem 
Preunde  \'inci.  \'asari  berichtet,  daß  der  .Maler  die  Knochen  und 
iMuskeln  zuerst  mit  Rotstein  gezeichnet  und  dann  mit  der  beder 
schraffiert  habe.  Als  nun  della  Torre  ohne  Leibeserben  im  Jahre 
1312  an  der  Pest  gestorben  war.  hat  Vinci  oflenbar  die  Zeichnungen 
wieder  an  sich  genommen,  l-r  erwähnt  sie  olt  in  seinem  Buch  von 
der  Malerei,  hatte  aber  so  wenig  Gelegenheil,  das  Werk  zu  l-nde  zu 
führen,  wie  manches,  was  dieser  Übermensch  erdachte  und  begann. 
Hinige  wenige  Blätter  waren  bekannt,  die  Mehrzahl  aber  verschwand. 
Es  ist  ein  Spiel  des  Zufalles,  daß  sie  wieder  an  das  Tageslicht 
gekommen   sind.     Hin   vergessener  .Schrank,  ein  \erlorener  Schlüssel 


waren  schuld,  daß  dieses  kostbare  Ciut  in  Kensini^ton  zweiluindert 
Jahre  mit  Holbeinschen  Zeichnun,nen  zusammen  unberührt  und 
verbori^en  ruhte,    bis    eines  'faires  Dahon    das  Schloß    erbrach    und 


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'.-A'n'ifcinP 


Fis.  i;.     Lionardo  da  Vincis  Handzcichnunsjen. 
I'ublication  honorce  de  la  Souscription  du  Ministcre  de  rinstructioii  puljl.  et  des  Beaux  Arts  l'nris. 

den  Band  ans  Licht  zog.  Obwohl  diese  Handzeichnungen  vom 
französischen  Ministerium  de  blnstruction  publique  et  des  Beaux 
Arts  in  wunderbarem  Faksimile  herausgegeben  wurden,  so  bedurfte 


22  3KStS£SK!Ki:tiO£iCnOESiiK!$BK!SSitS;;!KS;3:«^<C$!:>%it  Anatomii:  SK^^StSSißSiJßJSJSJCiJe^SiiißiOiSiißiKSiJCiStJßfSiOiSiiß 


es  erst  der  \'crcini>;uni;  eines  kundigen  Romanisten  mit  einem 
Medizinhistorikei"  und  Anati'inen,  um  den  in  (ieheimsehrilt  (Spiegel- 
schritt) schwer  leserhchen  Text  zu  ent/.irtcrn  und  in  der  Üriginal- 
sprache  und  in  deutscher  und  eni;hscher  Cberset/uni;  zu  verolfent- 
lichen*).  Um  den  Stand  der  anatomischen  Anschauuni;en  dieses 
Malergenies  im  speziellen  zu  würdigen  und  den  großen  Fortschritt 
zu  fixieren,  den  er  vor  der  (ialenschen  Anatomie  hatte,  zu  präzisieren, 
hcdarl  es  natürlich  heststellungen ,  die  den  Rahmen  dieser  Arbeit 
überschreiten.  Wir  wollen  nur  ganz  kurz  den  tielen  Hindruck  der 
Bewunderung  zum  Ausdruck  bringen,  den  auch  nur  eine  obertläch- 
liche  Betrachtung  dieser  anatomischen  Studien  auf  jeden  Forscher 
machen  muß.  \'or  ims  liegt  da  nicht  der  geniale  \'ersuch  eines 
Malers,  die  Sektionsergebnisse  hübsch  und  anschaulich  auf  das  Papier 
zu  bringen,  sondern  wir  blicken  in  die-  Werkstatt  eines  großen 
Denkers  und  Gelehrten.  Hr  offenbart  sich  uns  als  gewaltiger  Geist, 
der  prophetengleich  in  einem  späteren  Jahrhundert  dahinwandelt. 
\\'enn  wir  bedenken,  daß  dieser  Mann  an  der  Wende  vom  vier- 
zehnten zum  fünfzehnten  Jahrhundert  sich  schon  zu  der  Frkenntnis 
durchgerungen  hat,  daß  der  Mensch  nur  ein  organisches  Wesen  sei, 
gleichwertig  dem  Tier,  aber  an  höchster  Stelle  stehe,  und  daß  die 
Funktionen  des  Leibes  und  die  Bewegung  der  Gliedmaßen  sich  nach 
den  (besetzen  der  Dvnamik  und  Mechanik  vollziehen,  so  erkennen 
wir  darin  die  imponierende  Freiheit  seines  Blickes.  Daß  dieser  Biologe 
auch  in  das  Wesen  der  Pllanzenwelt  und  der  'Fierwelt  mit  seinem 
Geiste  eindrang,  nebenbei  noch  überhau[n  als  erster  vergleichende 
Anatomie  getrieben  hat,  darf  uns  nicht  wundern.  In  seinem  ]k'- 
streben  nach  Erkenntnis  legte  er  Quer-  und  Serienschnitte  an,  nicht 
nur  an  den  Extremitäten,  sondern  auch  an  L\^:n  Organen.  Seine 
Studien  über  das  /entralnervensvstem,  \'or  allem  aber  auch  über  Herz 
und  f  jetälk  zeigen,  daß  er  die  zeitgenössischen  Ansichten  weit  hinter 
sich  ließ.  Es  wird  behauptet,  daß  er  als  erster  auch  den  Sauersloff- 
gehalt  des  Blutes  erkannt   habe  und   disn  Unterschied   /wischen  arte- 


•)  Leonardo  da  Vinci.     Quaderni  danatomia.    Ventiquattro  fofjli  «kll.i  Royal  Library  di 
W'indsor.     Ove  C.  L.  Vangensten,  A.  Fonahn,  H.  Hopstock.     Christiania  191 2. 


ä5SJCH«JKäSä5iC5S8S53C«Si«ä«3eHKäK5C5ä8SSSäiet5K3CHKäCEieiiC5  Vinci  äKäKJKJKSiiiKtäiSiiKJKJKißiKSCSiKSKJKSSJKiCfSSJCSSfJK  23 

riellem  und  venösem  I^lule  (W'indsor  An.  III,  lol.  226  r.):  »wie 
das  Hlut,  welches  zurückkehrt,  wenn  das  Herz  sich  wieder  öflnet, 
nicht  das  ist,  so  die  Tore  des  Herzens  schliel.U«*).  Auch  üher  die 
Generationsvorgänge  suchte  er  sich  zu  unterrichten.    Unsere  l'igur  13 


■„,..,.,.-•*•   /  >/i  ,  .    

in— ■^iT-T '•/jir        1  *  V"""'"''.t;,3. /^•■•■"■•■r"ia 


Fig.  14.     Lionardo  da  Vincis  Handzeichnungen. 
Publication  honorce  de  la  Sousciiption  du  Ministerc  de  I'Instructiun  puM.  et  des  Beaux  Arts  Paris. 

zeigt  mehrere  limbrvonen  in  verschiedenen  Lagen.  Früher  ist  schon 
als  Hinzelblatt  gestochen  bekannt  geworden  der  Durchschnitt  eines 
männlichen    und    weiblichen    Körpers    während    des    Koitus.     Es   ist 


•|    Dies    und    das    nächste    Zitat  nach  Marie  Herzfeld,    Leonardo  da  Vinci,    der  Denker, 
Forscher  und  Poet.     Leipzig   190-1,     S.  9(1,  S4f. 


24  äSäOtiSSSiSiKiCiiCiJSieiStSiiJiJviiCtJSiOtJCiStiCiJCiäiiK  AnaTOMH:  StiKiOiKSS>!SS^iC!StS>:J5>!0tiS!C>S>!v!iCii!KJS!v>SiJ>!yt!v«v* 


selbstverständlich,  daß  dieser  £;roße  Geist,  dessen  andere  Spezialität 
es  noch  war,  nebenher  Belagerungsniaschinen  zu  konstruieren  und 
mechanisch  -  dx-naniische  Gesetze  zu  KVsen .  der  ein  Meister  des 
Wasserbaues  war,  mit  intuitivem  Blicke  nicht  au  der  l'orm  allein 
Cieniige  iand,  sondern  auch  die  lunktion  studierte  und  physiolo- 
gische und  optische  Probleme  zu  lösen  suchte,  lis  ist  nach  allem 
wolil  keine  übertriebene  Behauptung,  wenn  wir  sagen,  dM}^  dieser 
Maler  die  gröl.Uen  anatomischen  KeniUnisse  seiner  Zeit  in  sich  ver- 
einigte und  seinen  Schillern  zugute  kommen  liel,^.  Wie  er  ein 
eigenes  anatomisches  Werk  sich  dachte,  darüber  boren  wir  ihn 
selbst: 

»Dies  Werk  muß  beginnen  mit  der  limptängnis  des  Menschen, 
und  du  unüh  die  Art  des  Uterus  beschreiben  und  wie  das  Kind  ihn 
bewohnt  und  in  welcher  Stute  es  sich  in  jenem  aufhält,  und  die 
Art,  lebendig  zu  werden  und  sich  zu  nähren.  Und  sein  Wachs- 
tum, und  welcher  Intervall  sei  zwischen  einem  (irad  des  Wachstums 
bis  zum  anderen,  und  was  es  hinaussteißt  aus  dem  Leib  der  Mutter 
und  aus  Welchem  Grund  es  manches  .Mal  aus  dem  Bauche  seiner 
Mutter  vor  der  gehörigen  Zeit  herauskommt. 

Dann  wirst  du  beschreiben,  welches  die  Glieder  seien,  welche 
dann,  wenn  das  Kind  geboren  ist,  schneller  wachsen  als  die  anderen, 
und  das  .Maß  eines  Kindes  von  einem  Jahre.  Dann  beschreibe  den 
erwachsenen  Mann  und  die  Iran  und  deren  Maße  und  Natur  der 
Beschaftenheit,  barbe  und  Physiognomie.  Nachher  beschreibe,  wie 
er  zusammengesetzt  ist,  aus  Adern,  Nerven,  Muskeln  und  Knochen. 
Dies  wirst  du  im  letzten  des  Buches  tun.  .  .  .  Ferner  beschreibe 
Stellungen  und  Jkwegungen;  nachher  Perspektive  für  den  Dienst 
und    die   W  irkungen    des    Auges    und    dijs   Ohres  du    wirst    von 

der  Musik   sprechen  und   beschreibe   die   anderen   Sinne. 

Und   dann  schreibe  von   der  Natur  der  Sinne. 

Diese  instrumentale  Gestalt  des  .Menschen  werden  wir  in 
.  .  .  Figuren  demonstrieren,  von  denen  die  drei  ersten  die  \'er- 
zweigungen  der  Knochen  sein  werden,  nämlich,  eine  von  vorn,  welche 
die  Höhe  der  Lage  und  Figur  der  Knochen  zeigt;   die  zweite  wird  im 


SK!KiKJK5>:iKi0ti0>:SiJß!C><>:i0iJ5!<5JKJIiäK5Ci!C?!Ki0!iOtSS!Ci^  JCSSiSSiSiC?<SS??>:K>:5C?KS!0!?K:«!SSt<XSiiO>:<>:!KS!XSX!>     2  5 

Profil  gesehen  werden  und  wird  die  Tiefe  des  (ianzen  zeigen,  und  die 
der  Teile  und  ihre  Lage.  Die  dritte  i'igur  sei  der  Demonstrator  der 
Knochen  des  rückwärtigen  Teils.  Hieraut  werden  wir  drei  andere 
Figuren  machen  von  gleicher  Ansicht,  mit  durchsägten  Knochen, 
in  denen  ihre  Dicke  und  Ihihlung  sichthar  sein  wird;  drei  andere 
Figuren  werden  wir  machen  mit  den  ganzen  Knt)chen  und  den 
Nerven,  die  im  Nacken  entspringen  und  in  welchen  (jliedern  sie  sich 
verzweigen.  Und  drei  andere  mit  Knochen  und  Adern  imd  wo  sie 
sich  verzweigen,  hieraut  drei  mit  Muskeln  und  drei  mit  der  Haut,  und 
proportionierte  Figuren,  und  drei  von  der  krau,  um  den  Uterus  zu 
demonstrieren  und  die  iMenstrualadern,   die  zu   diju  Brüsten  gehen.« 

Es  ist  tür  uns  ein  unersetzlicher  Verlust,  daß  des  Meisters 
Absicht  nicht  zur  Ausführung  kam;  seine  kleen ,  seine  Kenntnisse 
pflanzten  sich  nur  von  Mund  zu  Munde  tort.  Wir  wissen  nur,  daß 
die  großen  Lehrmeister  dieser  Zeit  ihre  Schüler  in  dem  gleichen 
Sinne  anleiteten. 

Wollen  wir  uns  nun  in  folgendem  darüber  Kenntnis  zu  ver- 
schaflen  suchen,  in  welcher  Weise  die  italienische  Renaissance  der 
Malerei  die  Renaissance  der  Anatt)mie  glorihziert  hat!  Suchen  wir 
nach  dem  großen  anatomischen  Historienbilde,  so  werden  wir  es 
nirgends  in  Italien  finden.  Das  große  Ereignis  der  populär  gewordenen 
Sektion  hat  nur  in  den  Titelkupfern  der  italienischen  Anatomen 
einen  ziemlich  unbedeutenden  künstlerischen  Niederschlag  gefunden. 
Das  fünfzehnte  L^hrhundert  zeigt  in  allen  Ländern  und  Städten,  in 
denen  die  Spuren  geistiger  Tätigkeit  Sichtbarwerden,  noch  ein  unglaub- 
Hch  geringes  Interesse  tür  anatomische  Studien.  Allmählich  aber  brach 
auch  tür  die  Medizin  die  neue  Zeit  herein;  die  großen  Entdeckungen 
und  Erfindungen  bahnten  die  Wege  für  freiere  Geistesarbeit.  \'om 
Dunkel  der  mittelalterlichen  Finsternis  hob  sich  ein  heller  Lichtschein 
ab,  der  von  Südeuropa  ausging.  Die  ersten  Nachrichten  über  offiziell 
gestattete  Sektionen  stammen  aus  dem  Anfang  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts. Kaiser  Friedrich  IL  verfügte  auf  Antrag  des  Protomedikus 
Marcianus,  daß  alle  fünf  Jahre  eine  Leiche  ötientlich  seziert  würde 
(i2  5(S).     Jedenfalls   aber  blieben   die  Sektionen  so  selten,    daß  noch 


26  JKJKSSäSJOiäKäKJKSBKJKäSäSäKäeäKSKäKäSäSStäSäK  AkaTOMIK  SSäKiSSKJKiKSKiKSöKäSiOKKKäKiKSSSIiißißSKäSiKSSäS 


-Moiulinus  in  seinem  1,10  \crtal.Ucn  l.chrbuchc  der  Anatomie  vt)ll 
Stolz  erwähnt,  auch  zwei  weibliche  i.eiehen  in  seinem  Lehen  seziert 
zu  haben.  Es  lag  das  eben  daran,  dal.^  der  christliche  Klerus  in 
diesem  Punkte  mit  den  \'orschrilten  des  Korans  übereinstinuiUe.  Ja 
.Mohanmied  hatte  diesem  \  erbot  einer  Leichenoflnung  noch  die  \'er- 
schärtung  zugeiügt:  auch  dann  nicht,  wenn  der  \'erstorbene  zu  Leb- 
zeiten die  köstlichste  Perle  verschluckt  habe,  die  das  Ligentum  eines 
anderen  sei.  lün  solches  \"erb(U  legte  die  anatomischen  l'orschungen 
im  .Morgenlanile  lur  alle  Zeiten  lahm,  und  erst  im  Jahre  iN^S 
erlolgte  ein  Irade,  nach  dem  wenigstens  die  .Sektion  von  C'diristen  und 
Juden  treigegeben  wurde.  Diese  Tatsache  des  lehlenden  anatomischen 
Substrats  war  ollenbar  der  Cirund,  daß  der  enorme  Aulschwung, 
den  die  arabische  .Medizin  genonuuen  hatte,  keiner  weiteren  Steige- 
rung fähig   war. 

In  hrankreich  ging  die  Lntwickhmg  dieser  b'orschung  ziem- 
lich Hand  in  Hand  mit  Italien.  K.u'l  von  Anjou  gab  den  Chir- 
urgen seiner  Universität  Montpellier  die  Lrlaubnis,  jährlich  einen 
ALiIetaktor  zu  sezieren,  ein  Latent,  welches  1396  von  Karl  IV.  be- 
stätigt  wurde. 

Li  England  hielt  schon  zu  Antang  des  tuntzehnten  Jahrhimderts 
die  Barbersurgeonsgilde  \-iermal  im  lahre  anatomische  \'orlesungen 
ab,  nach  deren  Beendigung  Iröhliche  Gelage  stattfanden  (siehe 
unten). 

Lrotzdem  nun  der  christliche  Klerus  zunächst  der  j-ntwicklung 
der  Anatoiuie  feindlich  gegenüberstand,  nuil.^  die  \-orurteilsfreie  (jC- 
rechtigkeit  konstatieren,  dal,^  die  Läpste  einen  gtinstigen  Einflul.^  auf" 
das  Studiimi  der  .Medizin  ausübten.  Schon  die  eine  Tatsache  würde 
genügen,  daL^  aus  der  Reihe  der  päpstlichen  Leibärzte  herNorragende 
römische  L'niwrsiiätsprolessoren  hervorgingen.  So  .Andreas  Cesal- 
pino,  von  dem  viele  behaupten,  dal,^  er  der  eigentliche  Entdecker 
des  Blutkreis]aufe.s  sei,  Bartholomäus  Eustachius  und  andere.  Die 
frühere  Ansicht,  daß  Bonifatius  Vlll.  und  Sixtus  l\'.  den  Bannfluch 
gegen  die  Ausführer  von  anatomischen  Sektionen  geschleudert  habe, 
ist  durch   die   Untersuchungen   Lhilipii   Lussanas    hinfällig  geworden. 


da  sich  diese  berühmte  Bulle  vom  |ahre  1303,  übrigens  das  älteste 
Dokument  der  Universität  Rom,  nur  gegen  die  unerlaubte  Aus- 
grabung und  den  ruchlosen  \'erkaut  von  1-eichen  wendet,  ja,  es 
wird  sogar  behau[net,  dal.^  Paul  l\'.  und  Pius  1\'.  die  Sektionen 
dadurch  quasi  in  Mode  brachten,  daß  sie  Kardinäle,  Prälaten  und  unter 
anderen  kirchlichen  Würdenträgern  auch  den  Jesuitengeneral  Kealdo 
Colombo  sezieren  ließen.  Xach  den  historischen  Berichten  Corradis 
erscheint  es  als  Tatsache,  dal.^  Rom  mit  dem  Studium  am  Sektions- 
tische allen  übrigen  Städten  vt)ranging,  i^rag  und  Montpellier  folgten, 
und  erst  über  zweihundert  Jahre  später  wurden  solche  in  Deutsch- 
land, brankreich,  Spanien  und  England  ausgeführt:  Roma  caput 
mundi. 

Hat  die  arabische  Medizin  zum  Teil  nur  sich  als  Übersetzer 
der  griechischen  Anatomie  bewährt,  teils  auch  den  selbständigen 
Versuch  gemacht  zu  einer  theoretischen  Anatomie,  so  vermittelte 
wiederum  das  mittelalterliche  Monchtum,  an  erster  Stelle  Lsidor  von 
Sevilla  und  Constantinus  Atricanus,  der  berühmte  Benediktinerniönch 
auf  Monte  Cassino,  die  Kenntnis  der  Araber.  I:s  braucht  nicht 
besonders  betont  zu  werden,  daß  diese  Kompilatoren  von  der  Anatomie 
der  Alexandriner  und  des  Galen  das  Ö\  zu  ihrem  kleinen  Lebenslichte 
bezogen.     Der  Umschwung  kam   durch   die  Salernitaner  Schule. 

Allerdings  ist  in  dem  berühmten  medizinischen  Lehrgedicht  der 
Schule  von  Salerno  die  I-'ars  anatomica  dürttig  genug  im  \'erhältnis 
zur  Nosologie,  Therapie  und  Semiotik. 

»NUMERUS  OSSIUM  ET  VENARUM  ET  MEMBRORU.M  0FFICL\L1U.\I. 
Nervus  et  artcri.i,  cutis,  os,  ciro,  gl.indula,  veua,  — 
Pinguedo,   cirtilago,  et  uienibrana,  tcnoiites: 
Hae  sunt  consimilcs  in  nostro  corpore  partes. 
Ossibus  ex  denis  bis  centenisque  novenis 
Constat  homo,   denis  bis  dentibus  et  diiodenis. 
Ex  tricentenis  decies  sex  quinque  venis. 
Hepar,  fei,  stomachus,  caput,  spien,  pes,  manus  et  cor, 
Matrix  et  vesica  sunt  officialia  niembra.« 

Die  erste  Anatomie  des  Kopho  IL  und  die  des  Magister  Richardus 
basieren    ausdrücklich    auf  der   Tieranatomie    —    »Affen    und    Bären 


28.'C«tJJHSäKäSäKäSäKäCSißäKä5««H5«HS3SäSäSäKiK  Anaiomii    JCi!S!KiKäiiKi5JCöKKHK3K5JC«5!KS?!Kiß!K<SJK<Ci!-C*. 


I'i".i  5. 1 11  itialu. ins  dein  Dresden  erKodex. 


seien  dem  Menselieii  aiilk'rlich,  das 
Schwein  ilnii  aber  innerlich  am  ahn- 
hchsten«.  h^s  scheinl,  als  cih  das 
Bedürhiis  der  C'.liirnr^ie  den  nach- 
haltii^en  AnsloL^  ,<;c^ehen  hat,  mit 
dieser  Scheinanatomie  zu  brechen. 
Jedenlalls  behandelt  Wilhelm  von 
Saliceto  in  seiner  1273  oder  1279 
beendeten  Chirurgie  ein  Kapitel  über 
die  Anatomie  auf  (irund  wirklicher 
Kenntnisse.  Anderseits  ist  fests,estellt, 
daß  gleichtalls  in  Bologna  1 3C-2  bereits  wegen  einer  \'ergiftung  eine 
gerichtsärztliche  Sektion  vorgenommen  wurde.  Um  1300  herum 
entsteht  hier  die  s|iäter  immer  wieder  gedruckte  Anatomie  des  Mon- 
dino  de  l.uzzi,  welche  lur  zweieinhalb  lahrhunderte  die  wissen- 
schaltliche  Welt  in  ihrem  anatomischen  Ik'dürtnisse  in  2n  Ausaaben 
versorgte.  Im  Jahre  13 13  hat  .Mondino  auch  zwei  weibliche  Leichen 
seziert,  welche  Tatsache  er  im  Kapitel  »De  anathomia  matricis« 
erwähnt.  Das  Schülerkomjiendium  aus  dem  Jahre  1316  ist  ohne 
Abbildung.  Die  späteren  Buchausgaben,  bis  zu  einer  149S  in 
Venedig  erschienenen,  sind  gleichtalls  ohne  bildliche  ]-rläuterimg. 

Es  ist  nun  klar,  dal,^  die  neue  Krrungenschalt  einer  Menschen- 
sektion  Irüh/.eitig  ihren  bildnerischen  Ausdruck  getimden  haben 
muß,  und  aus  diesem  wird  sich  aut  traditioneller  (Grundlage  das 
Anatomiegemälde  bis  zu  seinem  stolzen  Ilöheininkt  in  Holland  ent- 
wickelt haben,  b.s  ist  eine  interessante  Aulgabe,  den  Werdegang 
einer  solchen  Sektionsschilderung  in  den  .Miniaturen  und  dem  J^ild- 
werke  der  .Manuskripte  zu  verfolgen.  Soweit  ich  bisher  dies  tesl- 
stcllen  konnte,  belindet  sich  wohl  die  erste  Darstellung  einer  Sektion, 
noch  dazu  einer  brau,  in  tieni  Prachtkodex  der  C.hirurgia  magna 
des(iuy  de  Ch  a  u  1  iac  zu  .Montpellier  in  einer  lranz()sischen  Über- 
setzung aus  dem  Lateinischen  vom  Jahre  1363.  Die  schlecht 
erhaltene  Miniatur  (siehe  ligur  16)  zeigt,  wie  auf  dem  in  einem 
Hospitalzimmer  aufgestellten   Tisch   eine  weibliche   Leiche   liegt,    im 


sKiOiiKiSJK'SJOtJCit-OiJKSi'OiiitJIiieiSiiKiKiJtJKiOtiK    MixiA  rVKMAl  l  Kl  I    JßiKJOiäiJOiiöJSSiSXiCSJOiiKiOiSSJOiJOtJCtSSJKSS  2(j 


Hintcr^ruiiLlc  sieht  man  das  Belt  der  N'erstorbeneii ;  eine  Xonne 
betet  für  ihre  Seele,  >:\vei  Sekanten  sind  mit  der  Zergliederung  der 
Leiche  beschättigt,  der  Professor  liest  aus  einem  Werke  vor.  Hs 
drängen    sich  Schüler    in    die    Tür    hinein,    vorne    bemüht    sich    ein 


'  i\■n^^)a^.\i.biXA.^\ox\^on^■^8.  er  coxvamt\u^:'5  ;;-;  Vntf  cA>  aii^in-cVmncvfÜ  qmjjtwlcVi 

I"ig.  i6,     MiiiLitur  aus  der  Prachtausgabe  der  Chiriirgia  magna  des  Guy  de  Chauliac, 

Montpellier. 

Gehilfe    und    einige  Frauen    werden    sichtbar.     Nach    ihrer  Kleidung 
können  es  weibliche  Doktoren   der  Medizin  sein. 

In  anderen  früheren  Kodices  mit  schönen  Miniaturen  vermissen 
wir  solche  Darstellungen  vollkommen.  So  zum  Beispiel  in  dem 
Pergamentkodex  der  Dresdner  Kgl.  Bibliothek,  welcher  eine  lateinische 
Ausgabe   des  Galen   aus   dem  fünfzehnten  Jahrhundert   enthält.      In 


30  äOöKäiS«ti>SiSiSöK!Kjß.'Ct!«iS353KäK!«JK»iäKJOt  AnaTO.MIH  äKäSäSiCtivSäSiviJJtiOJjJsäSäOiäKiOiSSiKiKiOtSSJCSJCSiKäKSKäK 


diesem  SchriUwLTk  sind  \iclc  Antangsbuchstabcn  in  (iold  und  Deck- 
tarbcii  ausgeführte  Miniaturen.  Die  Darstellimg  ist  eine  sicli  stets 
wiederholende.  Der  Protessor  in  einem  IVachtornat  imd  Ilermehn- 
mantel,  meist  aui  einem  Thronsessel  sitzend,  doziert  vor  barhauptigen 
Schülern  an  nackten  Menschen  (siehe  l'igur  13).     Einmal  sehen  wir, 

daß  ein  stehender  Mann  in  der 
Mittellinie  geöffnet  ist,  und 
daß  hier  ein  rotes  Kartenherz 
sichtbar  wird*). 

Diese  Darstellung  aber 
hat  mit  dem  Anatomie- 
bilde nichts  zu  tun.  Sie 
gehört  in  die  lintwicklungs- 
reihe  jener  anatomischen  Fi- 
guren, von  denen  Karl  Sud- 
hotf**)  nachgewiesen  hat, 
daß  diese  Eingeweidesitus- 
bilder  mit  den  Aderlaßhguren 
in  Beziehung  stehen.  Unter 
den  dort  abgebildeten  Illu- 
strationen interessiert  uns  am 
meisten  der  nackte  Mann 
mit  geöffnetem  Eeibe  aus 
dem  Lübecker  deutschen 
Bartholomäus  Anglicus  vom 
Jahre  1483.  Der  sichtbare 
Situs  erinnert  an  die  etruskischen  Eingeweidetorsos.  Der  Mann  steht 
mit  ausgebreiteten  Händen  vor  einer  Burg,  in  dessen  Hol  man 
(lottvater  mit  der  I\rone  aut  dem  Haupte  damit  beschäftigt  sieht, 
aus  dem  Adam  die  Eva  herauszunehmen.  Eine  stetige  Entwicklung 
dieser  Art  von  anatomischen  Lehrfiguren  geht  durch  die  folgenden 
Jahrhunderte.     Wir   verweisen    auf  Sudhofls    wichtige   l'orschungs- 


Fig.  17.     Aus  Johannes  de  Ketham. 
Fasciculus  medicinae.     i49ö. 


*)  .Abbildung  siehe  bei  Choulant. 
••)  Karl  Sudhoff,  Studien  zur  Geschichte  der  Medizin,  Hand  T.     Lcijjzig  1907. 


JSiöJOtX^SXJÖJOiJKJSJOtieiJßiK-CiSKSiJOiiCiStiSiOtiKSiX^SSiK  Ketham  iß!KiKiKS>i5iS!S!CS<0>StS>JSJßS!iK>5-!5>!K!C!t!0!iO!5K  3  I 


resLiltate*)  und  wollen  nur  noch  erwähnen,  daß  ihr  Ilohe[Hnila  zu  den 
oft  künstlerisch  gezeichneten  Fliegenden  Blättern  führte,  die  vielfach 
zu  Nürnberg,  Straßburg  und  Frankfurt,  meist  unter  dem  Titel  «Ab- 
contratektum  eines  Mannsleib«  erschienen,  bei  denen  die  einzelnen 
Wände  des  Rumptes  aufklappbar  sind  und  in  vielen  Lagen  über- 
einander die  Frontalschnitte  des  Körpers  sichtbar  werden. 

Den  ersten  Holzschnitt  eines  wirklichen  Seklionsbildes  linden  wir 
in  des  Johannes  de  Ketham  (1491  resp.  1.(93  '^"''••^  '495)  '^-^^  \  enedig 
erschienenem  Fasciculus  medicinae,  in  welchem  Ruche  übrigens  die 
ersten  anatomischen  Holzschnitte  überhaupt  vt)rhanden  sind.  Fs  ist 
beachtenswert,  daß  die  Flolzschnitte,  wie  es  scheint,  verschiedener 
llerkuntt  sind.  Die  erste  Ausgabe  hat  das  größte  Format  und 
größere  und  schönere  Holzschnittplatten.  Als  Unikum  besitzt  das 
Berliner  Kupterstichkabinett  ein  Fxemplar,  welches  nicht  illuminiert 
ist,  sondern  merkwürdigerweise  einen  Dreilarbendruck  hat**).  Uns 
interessiert  aus  diesem  Werke  im  wesentlichen  die  in  der  Malweise 
Mantegnas  gehaltene  Sektion.  Die  gemeinsame  Darstellung  in  den 
verschiedenen  Ausgaben  zeigt  einen  aut  dem  Katheder  sitzenden 
Dozenten.  Die  Breite  des  Bildes  und  den  Vordergrund  ninunt  ein 
aut  dem  'Fisch  liegender  Leichnam  ein,  dessen  untere  Fxtremitäten 
leicht  gebeugt  sind.  Fin  Sekant  ist  damit  beschättigt,  gerade  den 
Medianschnitt  mit  einem  großen  Messer  zu  machen.  Seitwärts 
belinden  sich  nun  sieben  Personen,  teils  bedeckten  Hauptes,  teils 
barhäuptig.  Fin  Demonstrator  zeigt  mit  dem  Stocke,  wt)  geschnitten 
werden  soll.  Fin  anderer  Anatom  legt  auf  den  Prosektor  mit  einer 
ermahnenden  Geste  die  Hand.  Fet/terer  hat  seinem  Stande  gemäß 
Kniehosen,  alle  übrigen  sind  in  langem  Habit  und  mit  Sandalen 
an  den  Füßen  bekleidet.  Die  erste  besser  ausgeführte  Ausgabe  läßt 
zur  linken  und  rechten  Seite  des  Hintergrundes  je  ein  ofienes  und 
geschlossenes,  aber  zerbrochenes  Fenster  —  Andeutung  der  nötigen 
Ventilation    —    erblicken.     In    der  späteren  Ausgabe    und    auf  einem 


*)    Ein  Beitrag   zur  Geschichte    der  Anatomie  im  Mittelalter,    speziell    der    anatomischen 
Graphik,    Heft  4  der  Studien  zur  Geschichte  der  Medizin,  Leipzig   190S. 
'*)  Ein  weiteres  Exemplar  im  liritish  Museum. 


32  30H«iC?!KSKSfS?«iiJ!?K!>:!>:S>!Oii>:!5i!K?5!K!C5?SS!!K  ANATOMIE  ?OSä«3K!OtS5äCi!«K3>:S««i!C«!«tSK<iiKJOi«!Ot!e>JKKX:^ 


öini  i£nKöata 
tjocto:nnclc 


allen  ( il.iSL;cnialdc  mit  derselben  DarsiellunL;  aus  meinem  l'riv.ilbesitz 
sielu  man  dureh  das  oflene  l-'ensier  im  llinieri^runde  eine  Landschaft 
mit  i^rcuk'n  Baulichkeilen  (sielie  l-i_uur  i;).  In  der  ersten  Ausgabe 
memoriert  der  Protessor,  in  der  /weilen  hat  er  ein  i^roßes  Anatt)mie- 
werk  vor  sich. 

Hs  ist  nun  walirscheinlich.  dal.^  dieses  Kethamsche  Buch  di:n 
Titolhoizschnitt  einer  Anatomie   des  Mondino   beeinflul.U  hat.      Denn 

in   einer  wahrscheinlicli    in   Leipzig 

iMii  \  jno  erschienenen  Ausgabe: 
Anatliomia  Mundini  eniendata  per 
doctorem  melerstat  (das  ist  Ahir- 
linus  Pollich  von  Meilerichstadt) 
erscheint  plötzlich  als  Titelholz- 
schnitt  ein  Sektionsbild.  Wir  bilden 
es  nach  dem  illuminierten  Original 
aus  der  Sammlung  Fritz  Weindler, 
nach  dessen  Reproduktion  in  seinem 
schonen  \\'erke :  Geschichte  der 
gynäkologisch-anatomischen  Abbil- 
dung, Dresden  190S,  ab  (siehe 
iigur  iN).  Der  Anatom  sitzt  aut 
einem  großen  Lehrstuhl,  das  ALmu- 
skri[n  in  der  ILmd  und  gibt  Wei- 
sung. Die  autgeschnittene  Leiche 
liegt  vorne  aut  dem  'Lisch;  ein 
barh;ui[itiger  (Chirurg  mit  seitlichem 
Besteck  entwickelt  soeben  die  Darme,  ein  sabelartiges  Messer  liegt 
zur  Seile.  Statt  der  Hörer  sieht  man  einige  Bäume,  da  die  Szene 
sich   in  einer  treien  Gebirgslandschatt  abspielt*). 

Die  zeitlich  folgenden  Bücher,  die  sich  mit  Anatomie  be- 
schäftigen, sind  deutschen  Ursprungs  und  Druckwerks  und  auch  an- 
gefüllt mit  anatomischen  Holzschnitten.     Aber  weder  in   dem  Buche 


l-'ig.  iS.  Titelblatt  aus  Mondinos  Anatomie 
Leipzig  1500. 


•)   In    der   I.  .Ausgabe    des  Bartholomaeus  Anglicus  v.  J.  c.  1495    lieriiultt    sieh   aiieli   eine 
Sektionsdarstcllung. 


iOSSCSJKSSSKJKJKäSäKJCSäKäSSKäSSSäSiKSKJSißSeSSSCSSKäK  AviCEWA  JOE<KSi!>:-CS!5i?Jtä{«S5!K3KäCSäK555S«äK!KJ«äK50BOH«SS  3 3 


des  Leipziger  Professors  Magnus  Hundt  xoni  Jahre  ijoi,  noch  in 
dem  Spiegel  der  Artznev  von  Laurentius  l'hrvesen  \on  Kohiiar  131S 
zu  Strasburg  findet  sich  als  Buchschmuck  ein  solches  Anatt)niiebild. 
Erst  die  (Aimmentaria  und  die  Isagogae  des  Chirurgen  Jacopo 
Berengario  da  Carpi  vom  Jahre  1321  und  1333  bringen  wieder  eine 
solche  Abbildinig.  Die  ungemein  seltene  Ausgabe  aus  Bologna 
zeigt  als  Titelholzschnitt  oben  das  niediceische  W'apjien  und  unten 
eine  Leichenöiinimg  mit  dem  linkssitzenden  Dt)zenten,  einem' bar- 
haupten  Sekanten  und  drei  assistierenden  Ärzten.  Das  Titelblatt 
der    Carpischen    Ausgabe    der    Isagogae,    welche    1533     in    Venedig 


O r ! i^ i u a iau/'n a /n/ie  Koni    L., 


i-ig.  19. 


erschien,  iiihrt  unten  auch  eine  Leichenöflnung.  Es  scheint  beinah, 
als  wenn  sich  der  Zeichner  derselben  das  Kethamsche  als  Vorbild 
genommen  und  nur  die  Szene  von  der  Seite  gemalt  hat.  Choulant, 
welcher  die  Abbildung  bringt,  betont  auch,  daß  dieses  Titelbild  aus 
der  Mantegnaschen  Schule  otienbar  von  einem  anderen  gezeichnet 
ist  als  die  übrigen  anatomischen  Abbildungen. 

Eine  solche  Sektionsdarstellung  ist  unten  wie  ein  Medaillon 
einq-efügt  in  die  Bordüre  aus  Portratdarstellungen  berühmter  xMedi- 
ziner,  welche  die  Titelbilder  der  großen  füntbändigen  am  27.  Juli  1323 
in  Venedig  von  dem  Mantuaner  Philippus  gedruckten  Ausgabe  des 
Avicenna  schmückt.  Die  Darstellung  ist  in  der  Form  der  des  Beren- 
garwerkes  ähnlich  (siehe  Figur   19). 

Die  auf  dem  Titelblatt  angebrachte  Sektionsdarstellung  wirkt 
programmatisch,  da  dadurch  zum  Ausdruck  kommt,  daß  die  x-\natomie 

HiilUiDder,    I'ie  Medizin  in   der  klassischen    Malerei-      2.  Aufknie  J 


34  SOHOHSStSiiKiOtJCtiSäiJKieiiSißäSäOtiSiOiSiiSJKSii«  Anatomie  SKäKäKäKäSäCSSKiKäCSJKStStiKiOtJCSiOtiCSiKStäKäKäKiKäOiäJi 


iKich  der  Leiche  abuehandelt  wird.  Dieser  l'urm  der  Anatomie 
ent2;eoeno;esetzt  war  die  Anatoinia  vivoruni  oder  »Anatoniia  tortuita«. 
.Man  halte  dem  Bereni;ar  nändich  den  talschhchen  \'orwurl  gemacht, 
daß  er  Lebende  zergliedert  Inibe.  Er  wehrt  sieh  in  seinen  »C'.ommen- 
taria«  gegen  diese  AnschuKligimg  und  rühmt  sich,  mehrere  hundert 
Leichen   anatomisiert  zu   haben*). 

Berengario  hat  als  Chirurg  glänzende  Kuren  gemacht,  unter 
anderem  eine  schwere  Kopt\erletzimg  des  Lorenzo  de'  Medici,  Her- 
zogs \on  Urbino,  geheilt.  Aul  seinen  Konsultationsreisen  kommt  er 
auch  nach  Rom  und  tritt  in  Beziehung  zu  X'asari  und  Benvenuto 
Cellini.  Seine  größten  \'erdienste  aber  zog  er  aus  der  Kurierung 
Syphilitischer.  Die  Behandlung  dieser  lag  damals  in  den  Händen  der 
Chirurgen  und  1-allonia  ist  uns  Gewährsmann  dalür,  daß  Berengario 
als  erster  das  Quecksilber  innerlich  verabreichte.  So  konnte  er  ein 
großes  X'ermögen  ansammeln,  und  aut  ihn  paßt  auch  die  Anekdote, 
die  man  von  einem  französisclieii  Wundarzt  erzählt  (Idiierrv  de 
Herv),  der  eines  l'ages  knieend  im  (iebet  vor  der  Statue  Karls  \'1IL 
angetroffen  wurde.  ALm  machte  ihn  daraul  autmerksam,  daß  es 
nicht  statthalt  sei,  vor  dem  Kimige  wie  vor  einem  Heiligen  zu 
knieen,  er  aber  ließ  sich  nicht  stören  und  sagte:  »ich  knie  vor  dem 
im  Gebete,  der  mir  eine   Rente  von   7000  Livres  verschallt  hat  « 

Das  große  (ieschehnis  der  nächsten  Zeit  (134O  wuchs  heraus 
aus  dem  Bündnis  eines  Künstlers  mit  einem  (jelehrlen.  Die  konzen- 
trierte Schaft'enskratt  imd  das  zielbewul.Ue  Arbeiten  des  an  uni- 
verseller Bedeutung  gegenüber  Lionardo  und  della  Torre  sicher 
geringeren  Paares  \'esal  und  Calcar,  war  doch  xon  unvergleichlich 
größerer  Durchschlagskraft.  Das  Anatomiewerk  des  Andreas  X'esalius 
mit  dem  bildnerischen  Schmuck  und  den  anatomischen  Holzschnitten 
des  Meisters  loli.  Stephanus  van  (Calcar  war  von  solcher  geistigen 
Kraft  erfüllt,  daß  es  mit  einem  Schlage  die  menschliche  Zergliede- 
runirskunst  zu   einer  modernen   W'issenschall  machte,    die  nicht   nur 


•(  Tempore  enim  nostio  non  fit  anatomia  in  vivis,  nisi  toite  a  mcdicis,  ut  milii  cmitingit 
interdum  in  incidendo  apostemata  etc.,  ubi  cognoscunt  colligantias  meiiilnorum,  positiones  et 
operationes  et  omnia  requisita  in   anatomia. 


3CHKiO>SS!«StJ5tiKi0!Si<CSKS!SiKi0i<0i'Oii5iSiiß!O>S>JCSJ05!Ot   Vesahus   SSSKXS!0>!SS>!C*SiS>JC>>5!!C>iC!!0>S>S>iO><5->0!JO!Si<S>iK  35 


an  allen  Uni\crsiläten  gelehrt  wurde,  sondern  die  demnächst  auch 
breitere  Schichten  der  L;ebildeten  Welt  beschättii;en  sollte.  Über 
die  anatomische  Illustration  und  den  Buchschmuck  der  verschiedenen 
Veröffentlichungen  des  zu  Brüssel  1314  geborenen  \'esal  ist  viel 
gedruckt  worden.     Man  hat  dieselben  dem  iMalerfürsten  Tizian  zu- 


Fig.  2ü. 
Aus  dem  Steinschnittbuch  des  Georg  Bartisch  (1575). 

geschrieben,  obwohl  an  mehreren  Stellen  \'esal  als  seinen  Zeichner 
den  Jan  van  Calcar  besonders  nennt.  \'ielleicht  hat  der  große  weib- 
liche Akt  in  der  Epitome,  ganz  im  Stile  Tizians  gezeichnet,  diesen 
Irrtum  hervorgerufen.  Jedentalls  beruft  sich  die  erste  deutsche 
Kunstanatomie  (zu  Augsburg  1706  erschienen)  und  manche  späteren 
Nachdrucke  der  Typen  aus  \'esals  Werken  noch  darauf,  daß  die 
Figuren  von  Tizian  gezeichnet  seien.  Hs  ist  hier  nicht  der  Platz, 
das  Anatomiewerk    des  großen  blamen   im    speziellen    zu  würdigen. 


30  SKJKKit!CöK?SJC«ÖK5K?>:?>:!5»ti«S*SiS!Si«<SS5iiS  Ana  roMli:  äSätiCSJKiKiOiäKäKJKJJtJSJKJKJSSiJßJKiOiSCiiiSiKiCHeBKäK 


Es  ist  bekannt  _L;enug,  daß  er  der  eigentliche  Reformator  der  Ana- 
tomie wurde,  (ieschiclite  und  Legende  liat  alles  zusammengetragen, 
um  die  Persönlichkeit  dieses  Mannes  /u  glorihzieren.  Man  erzählte, 
daß  er,  vom  Drange  beseelt  und  von  dem  (jedanken  nach  anato- 
mischer Ausbildung  erfaßt,  zunächst  helddienst  nahm  unter  Karl  \'., 
ohne  aber  hier  so  recht  auf  die  Kosten  zu  kommen.  Kr  wandte 
sich  deshalb  nach  Italien,  nacluiem  er  vorübergehend  in  i^u'is  studiert 
hatte.  1)37  hnden  wir  ihn  in  Padua  als  Professor  der  Chirurgie 
und  der  Anatomie  und  1338  gibt  er  bereits  seine  ersten  anato- 
mischen Tafeln  heraus.  13  j3  erschien  in  Basel  sein  e(iochemachendes 
Werk:  de  liumani  ccirporis  fabrica  libri  Septem  und  noch  in  demselben 
Jahre  die  \ierzehn  Blatt  seiner  j-pitome.  Was  uns  an  dieser  ,Stelle 
nun  besonders  interessiert,  ist  die  Art  der  Illustration  und  der  Buch- 
schmuck selbst.  Er  erkannte,  unbelriedigt  von  den  bisherigen  ]\ibli- 
kationen  seiner  \'orgänger,  den  Wert  des  Zusammenwirkens  von 
Kunst  und  Wissenschaft  und  betont  selbst  die  Mühe,  die  er  sich 
mit  der  Überwachung  der  Kunstabschrift  seiner  Präparate  gegeben 
hat.  Der  luiolg  war  der  beschriebene;  trotz  der  gesuchten  und 
\'iellach  gesjireizten  Art  bedeuten  seine  Muskel-  und  Knochen- 
männer eine  Tat  von  bahnbrechender  Wirkung.  Aul  die  Vorzüge 
und  die  l'ehler  der  anatomischen  Darstellung  einzugehen,  ist  hier 
nicht  der  Ort*).  Ohne  Zweifel  aber  hat  auch  die  rein  künstlerische 
Beigabe  des  Werkes  zu  dem  buchhändlerischen  Erfolge  beigetragen. 
In  seinem  Titelblatte  wächst  das  bisher  bescheidene  Anatt)miebild 
zu  monumentaler  Große.  Dabei  ist  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  daß 
die  dramatische  W'nkung  des  geschickt  k(Mn|ionierten  l^lattes  eine 
etwas  reklamehafte  Selbstverherrlichung  in  sich  schließt.  Wir  sehen 
da  hinein  in  einen  mächtigen  Säulenhof,  in  dem  eine  vielköphge 
Menge  der  Sektion  eines  Weibes  zusieht,  die  der  [lorträtähnhch 
gezeichnete  Vesalius  auszuführen   hat.    Personen   der  verschiedensten 


•)  Nur  aut  einen  Punkt  sei  als  ein  Zeugnis  der  nMtürlidicn  He(il)achtungs^;al>c  des  \'csalius 
hingewiesen.  In  seiner  Zeichnung  des  Beckens  sind  deutlich  die  Fossae  subglenoidalcs  iuml)o- 
sacrales  markiert,  die  seitdem  kein  Anatomiewerk  mehr  beoliachtet  und  erwähnt  hat.  .Siehe 
\V.  A.  Freund  und  Mendclsohn,  Der  Zusammenhang  des  Infantilismus  des  Thorax  und 
Beckens,  Stuttgart  190S,  Enke. 


Fis.  2  1. 


Jan  van  C.ilcar.     Anatomie  des  Andreas  Vesalius. 
Titelljlatt  aus  Vesalius'  Werk. 


38  jKSiiKicsißicitSiiCiiKSiSiJSjCitiSiCtißäKiKjKäKJOtißsK  ANATOMIE  %B(eiS!ce^!asi30ii;!<ci!>:!KiO!i;sü!!:i:<!^sK!>:i:i<Cii;t!Cti9E 


I-'iiJ.  22.    Initialen   .ins   \'esals  f.ibrica. 


Stände  drangen  sich  um  den  Tisch. 
In  der  Mille  des  Raumes  und  oher- 
halb  der  Leiche  sieht  ein  Skelett. 
Am[ihiiheairalisch  ault;ebaule  Steh- 
bänke sind  von  Studenten  dicht  be- 
setzt. Im  \\)rderi;rund  wetzt  ein 
Barbierchiruri;  die  Anatomiemesser 
imd  andere  haken  einen  Hund  rnid 
einen  Allen  bereit,  die  vielleicht  als 
\  ergleichsubjekte  seziert  werden  sol- 
len. Der  Titel  des  Werkes  ist  auf 
einer  Tafel  angebracht,  über  welcher  Putten  ostentativ  das  Wappen 
des  Anatomen  tragen,  drei  W^icsel,  da  die  Familie  aus  Wesel  im 
Kleveschen  stammte  (siehe  l'igur  21). 

Im  Gegensatz  zu  den  früheren  Darstellungen,  bei  denen  sich 
der  Anatom  vornehm  im  Hintergründe  hielt  inid  nur  aus  einem 
Kodex  dozierte,  beobachtet  man,  wie  hier  der  Meister  selbst  das 
Messer  führt  und  den  Situs  demonstriert.  Trt)tz  mancher  Schwäche 
in  der  Zeichnung,  so  der  mangelhaften  Perspektive  (die  Männer  im 
\'ordergrunde  und  im  Hintergründe  sind  zu  groß  geraten  und  \'esal 
verschwindet  zu  sehr  in  der  Menge),  ist  doch  dieses  Titelblatt  für 
die  folgenden  Jahrhun- 
derte tonangebend  ge-  tm^y^^^i^^—  x  n^-- 
worden  und  wir  werden 
bei  der  Betrachtung  der 
späteren  groLk'n  Anato- 
miegemälde die  Beob- 
achtung machen  kt)nnen, 
daß  in  theatralisch- 
dramatischer Beziehung 
diese  Komposition  von  den  folgenden  nicht  übertroffen  wird. 
im  l^enaissanceslil  lag  es,  daß  man  das  Buch  schmückte.  Noch 
heute  bei  unserer  fortgeschrittenen  Technik  sind  solche  bOlianten 
aus  der  Zeit  begehrt  nur  wegen  ihres  Buchschmuckes.    Die  \'erleger 


l-ii: 


Iniiialun  aus  Vesals  fabrica. 


äKJOMßiCfSiSKSiJKSSiOiißJOtJOtiCJjeiiOtSKißieiiöJOtJCiiOtißJei     Oporix  SßSßS>iK!e!ij!iKiOiJCi!SJ!XJO>ietS«iiK<ßiJi>JiJj!St<K5KiK  39 


und  Drucker  wußten  die  schon  t;epreLUen  Schweinslederbande  mit 
ornamentalen  Schließen  zu  versehen.  Sie  benutzten  farblich  wirkende 
Vorsatzblatter  und  wußten  vielfach  auch  durch  verschiedenfarbige 
Lettern  einen  auffallenden  und  künstlerischen  lündruck  hervorzurufen. 
Zu  dieser  äußeren  Ürnamentieruni;  k'am  aber  auch  eine  innere  hinzu. 
Der  Druck  war  oft  geteilt,  die  trennende  Linie  gelegentlich  schon 
verziert,  der  Inhalt  einer  Seite  durch  xorgerückten  Druck  mit  Schlag- 
wörtern markiert.  Die  Anf'angslettern  waren  besonders  groß  und 
durch  Arabesken  verziert.  Mit  solchen  den  Manuskripten  nachge- 
arbeiteten   Mitteln    arbeitete    auch    die    Ofhzin    des    Basiers   Oporin. 

13aß  aber  diese  künstlerische  Durch- 
tränkung des  realen  \"orwurfes  nicht 
gegen  den  Wunsch  des  Anatomen 
war,  das  geht  aus  der  Haltung  und 
der  Umgebung  der  Figuren  selbst 
mit  Sicherheit  hervor.  Die  Skelette 
und  Muskelmänner  nehmen  alle  eine 
mehr  oder  weniger  dramatische  Stel- 
lung ein.  Das  Skelett  stützt  sich  in 
einer  Alpenlandschaf't  auf"  eine  große 
Schaufel  und  macht  mit  der  anderen 
Hand  eine  demonstrative  Bewegung.  Ls  würde  eine  solche  Geste, 
die  die  ausruhende  Mittellage  verläßt,  nichts  schaden,  aber  die  ana- 
tomische Lesbarkeit  der  Figur  erleidet  eine  Linbuße;  der  zurück- 
geworfene Schädel  muß  dadurch  perspektivisch  verzeichnet  werden. 
Andere  Skelette  und  Muskelmänner  schreiten  durch  heroische  Land- 
schaften. Hierbei  fallt  es  dann  unangenehm  auf',  daß  der  heraus- 
geschnittene Kehlkopf  und  andere  Organe  im  Grase  liegen.  Gegen- 
über solcher  \'ersündigung  gegen  die  moderne  rein  wissenschaftliche 
Auffassung  ist  die  \'erzierung  der  hiitialen  höchsten  Lobes  wert. 
Van  Calcar  hat  in  geistvoller  und  gleichzeitig  humoristischer  \\'eise 
im  sprechenden  derben  Geschmack  seiner  Zeit  und  seines  engeren 
\'aterlandes  Szenen  geschildert,  welche  das  Drum  imd  Dran  der 
Zergliederungskunst  beleuchten.     Da  sehen   wir  beim   Buchstaben   L 


Fis;.  24. 


40  3CHWS!KJ»«?>S>!OtSiS5S?s5!KSSäKSC«K3C«550«S3K  AxATOMIE  äKSSißfKSSJKäKSiäSJCtSCiJKSKiCiißäßäSJCSSiiSJOtiOiJSJSiS 


das  Stehlen  der  Leiche  vom  (iali^cii,  heim  Riiehsiahcn  C.  das  W'ieder- 
hegrahen  des  Suhjecuim  analomicimi.  Aus  dem  Sart;e  drängt  sich  die 
präparierte  Hand  heraus.  Dann  tinden  wir  eine  gan/e  Reihe  von  l^uch- 
staben  in  der  Weise  dargestelh,  dal.U^ulten  die  anatomischen  Ihnid- 
werksdienste,  /um  IkMspiel  Auskochung  der  'l'eile  zur  (jewimiung  der 
Skelettknochen,  Durchsägung  des  Schädeks,  ^•errichlen;  mehrlacli  sind 
\'ivisektionen  zu  sehen.  Hin  Schwein  ist  auf  den  Sektionstisch  gefesselt 
und  das  .\natomiehihl  von  Pullen  amüsant  geslelh.  Auch  Szenen  aus 
der  übrigen  .Medizin  kommen  zur  Anschauung:  eine  Kathetrisation,  die 


Einrenkung  eines  zerbrochenen  Ik'ines  und  aiulere  Dinge,  die  wir 
lieber  nicht  besonders  beschreiben  wollen.  Aus  diesen  manchmal 
derben  Beigaben  erkennen  wir  des  /eichners  \'erwandtschatl  mil  dem 
alten   Brueghel    und    den    früheren    holländischen  Sittenschilderern  *). 

l:s  ist  nun  aber  durchaus  nicht  das  originelle  \'erdienst  unseres 
Künstlers,  die  Manier  aulgebracht  zu  haben,  in  diesen  Initialen 
solche  Szenen  zur  Anschauung  zu  bringen,  sondern  auch  hier  wirkt 
wieder  als  mächtiger  l'aktor  die  Tradition.  Die  llolzschnittechnik 
übernahm  einlach  die  Initialmalerei  nnttelalterlicher  Handschritten. 
Am  bekanntesten  imd  berühmtesten  waren  die  Alphabete  des  jüngeren 
Holbein.  Unter  diesen,  welche  zum  Heispiel  die  verschiedenen  Beruts- 
arten,  oft  in  Kinderspiel  eingekleidet,  aul  kleinstem  Raum  drastisch 
schildern,  fand  das  Thema  des  Totentanzes  den  größten  Beifall**). 

Wir   betonten    bereits    die  relormatorische  Krall  der  \'esalschen 


*)  .Abbildung  siehe  «KarilNatur  und  Satire«,  Figur  30. 
•*)  Abbildung  siehe   'Karikatur  und  .Satire«,  Figur  16.  —   1076  luitiakn  von  Hans  1  Idlljcin 
wurden  herausgegeben  von  Gustav  Schneeli  uiul  l'ani  llcitz,  Straßburg  1900. 


iC5!KäK5KieS50555Eiß!O!!5:«!K!0iS55K!«!«äK!OtJKiO!äKiKiC>:!K   Vesalius  SKSiJCtJCSäKiKjCiJKSiSSiSJKiCiJKJKiCiJOsiSiOtiKiKiKiC?  4  i 


E:i^cntitni  ih'r  Frau  Ihf'r^t  A 'i' ,    i'f 

Fig.  26.     Ger.ird  Dou.     \'esalius'  Anatomie  in  einem  Stilleben. 


Anatomie    und    sprachen     von    seinem    buchhändlerischen    Erfolge. 
Vielmals  erlebten  die  Einzel-  und  Gesamtausiraben  Neuauflagen  und 


42  3KiC>Si!0>>CiS>!OtiCtie>iS!0«i«iSSiiKS*«!iS'«St!K!Ö5S  ANATOMIE  •CiSiiKSiJKXiSiJOiJOi-CiiSS'iSJSiOiiOtiSiCiiCtiCiJCiJOiSKiS 


seine  üriyinalluil/plattcn  wurJcn  in  vielen  Schrillen,  auch  in  deutschen, 
benutzt*).  .Meist  handelt  es  sich  allerdings  um  s|nueie  Xachahmun^en 
und  schlechte  Kopien,  wobei  die  1  lerausj^eher  dabei  beharren,  die 
Illustration  dem'li/ian  zuzuschreiben,  lünnial  wurden  soi;ar  schlecht- 
weg   xon    Bonavera    die   tihne     Text    herausgegebenen    Illustrationen 

als  .Anatomie  i'izians  bezeichnet. 
Die  Kurve  der  l-Jitwickluni; 
des  Anatomiebildes,  welche,  wie 
wir  sahen,  schnell  /u  dieser 
künstlerischen  Spitze  i^ediehen 
war,  erlebte  nachher  einen  eben- 
so schnellen  .Abstieg.  Der  Stoll 
schien  nicht  mehr  steigerungs- 
laliig.  Idne  Reminiszenz  erleben 
wir  noch  einmal  in  dem  nach- 
gedruckten Werke  des  Bartholo- 
mäus Hustachius.  Sowohl  für  die 
rcimisclie  wie  tür  die  Amster- 
damer .Ausgabe  des  Anlangs  des 
achtzehnten  lahrhunderts  zeich- 
nete Cdiezzi  als  TiteK  ignette  eine 
Keichenöffnung.  Damit  war  für 
Italien  wenigstens  der  Gedanke 
erscho(ilt,  der  Stoff  verbraucht. 
Keiner  der  großen  Dramatiker 
der  Farbe  hat  es  unternommen,  uns  ein  niedizin-historisches  Sektions- 
gemälde zu  hinterlassen.  I's  kann  kein  /ulall  sein,  daß  ein  Land, 
welches  an  die  Tausend  bethlehenn'tische  Kiiuleiinorde  hervorbrachte 
und  ebenso  viele  l'.nthau[itungen  luul  .\larl\rer-\'ivisektionen,  lür  die 
innnerhin  ergreifende  Szenerie  der  (ieschichte  des  eigenen  Leibes  auch 
nicht  dun   kleinsten  j'etzen   Leinwand   übrii;   hatte. 


Fig.  27.     Albrecht  Dürer.     Studienbl.m. 


•)  Das  Kaiserin-Friedrich-Haus  erw.irl)  kür/.licli  eine  beni.ilte  persische  Leinwand  aus  dem 
Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  mit  anatomischen  Zeichnungen,  hei  (ieiieii  die  Skelette  dem 
Vesalius  entnommen  sind. 


äOHOwKSiSiJOtiviJSS^SiS'SiJOiJKSiiO'JC^iviSiJK'ö:«)^  Dl  Kl  K   JS!OtSiiCtiSiOtiOi*X!S!C!iCi!KiSSti«S>!0*-0>JSSii>:!CiiC>:!K  43 


Der  Deutsche  Albrecht  Dürer  war  um  die  Zeit,  als  die  Anatomie 
in  Italien  ihre  Wiedergeburt  teierte,  dort  anwesend.  Er  stand  mit 
Rafl'ael  in  freundschaftlichen  Beziehungen  und  tauschte  mit  ihm 
Zeichnunuen  und   Holzschnitte.     Bei   der  ungewöhnlichen  X'ielseitig- 


Akadeiitie    l'eiifdi^. 

Fig.  28.     .\natomische   Studie  von  Aibrecht   Dürer. 

keit  dieses  Meisters  wäre  es  beinahe  unnatürlich,  wenn  wir  von  ihm 
nicht  auch  anatomische  Studien  in  Händen  hätten.  Als  sicheres, 
offenbar  nach  der  Natur  gezeichnetes  Blatt  aus  dem  Jahre  1323 
bringen  wir  die  Zeichnung  eines  Präparates,  mit  der  allerdings  nicht 
viel  anzufangen  ist  (siehe  Figur  27).  Das  Ganze  macht  den  Eindruck 
einer  Knochenpräparation.  Das  Becken  und  der  linke  Schultergürtel 
sind  ebenso  wie  der  linke  Überschenkel  von  Muskulatur  schon  be- 


44  3K«:«iOiiOi:«!Ot?5!iKiOtSiiCii«!SS?!SißS«St!RS?!CiiC>  A\  AToMil    sKJOiiöSi'CiSSJC'SSJßSiiS-CiiSieiiKSiiiKiSißiCiSiJCiSSiRiK 

freit.  Die  rechte  Körpcrhälttc  dagegen  iiiacht  einen  zienilich  /er- 
fet/ten  lündruck  und  scheint  es  beinah,  als  wenn  ein  Trannia  die 
rechte  Brusthaltte,  Oberarnikndchen  und  die  Wirbelsäule  zertrümmert 
habe.  Näheres  kiinnte  ich  über  dieses  Blatt,  welches  aus  der  Dürer- 
sammlung l\isonv  in  Wien  st.unmt,  nicht  in  lirtahrung  bringen. 
Da  das  Blatt  fünf  jähre  vor  dem  Tode  des  .Meisters  entstand,  kann 
es  kaum  als  bloße  Kor|ierstudie  aufgefaßt  werden,  sondern  muß 
einem  besonderen  /weck  gedient  haben.  Keine  Künstleranatomie, 
allerdings  beinahe  ausschließlich  Proportionslehre,  war  Dürers  Werk 
über  die  \'erhältnisse  des  menschlichen  Körpers:  »Hierinnen  sind 
begriflen  vier  Bücher  von  menschlicher  Pro|H)rtionK  usw.,  das  erst 
nach  seinem  Tode  gedruckt  wurde.  \'ielleicht  aber  ist  der  .Muskel- 
mann  (siehe  bigur  2(S),  der  in  der  Akademie  in  \enedig  aul  bewahrt 
und  dort  als  »deutsche  Schule«  bezeichnet  wird,  eine  Arbeit  des 
Meisters  unter  italienischem  blinlluß.  jedenfalls  ist  scluin  aus  der 
Dürftigkeit  dieses  .\hiterials  ersichtlich,  daß  Dürers  rein  anatomische 
.Studien,  die  im  übrigen  auch  in  Deutschland  erst  mehrere  Menschen- 
alter später  mit  Eifer  aufgenommen  wurden,  bei  ihm  nicht  zu  einer 
intimeren  \'erbindung  von  Kunst  und  .Medizin  getührt   haben. 

Und  nun  zu  fiolland.  Weit  mehr  noch  als  in  Deutschland 
hatten  die  aus  Italien  tönenden  Weckrute  einen  lauten  Widerhall  im 
neuen  Holland  gelunden,  welches  damals  im  Zenit  seines  Helden- 
zeitalters stand.  Die  freien  holländischen  Bürger  hatten  soeben  die 
beiden  größten  Mächte  der  damaligen  Welt  bezwungen :  Spanien 
und  den  Katholizismus,  und  in  dem  goldgelüllten  Lande  mit  einer 
großen  Kolonialmacht  erblühten  schnell  Kunst  und  Wissenschalt. 
Und  nicht  nur  im  wirklichen  Sinne  war  damals  Holland  mit  seiner 
Blumenzucht  der  Garten  Europas,  noch  jetzt  überstraiill  die  barben- 
pracht  malerischer  Kunst  dieser  Zeit  die  folgenden  Jahrhunderte. 
Weshalb  aber  die  aufblühende  anatomisch-chirurgische  Wissenschaft 
gerade  in  Holland  und  nicht  zum  Beispiel  in  den  spanischen  Nieder- 
landen diesen  malerischen  Ausdruck  gefunden  hat,  das  mul,^  beson- 
dere (iründe  haben.  Das  .\ultreten  eines  Genies  ist  sicher  nicht 
gebunden    an    eine    allmählich    sich    steigernde    1-ntwicklung.       Das 


iKiCtSiSiJOiSSJOiJOiSiiJtJlisKJSSi.^JßStiCtJKSiJCiJSJCiS!!^   Hol  i  axd   •C>!S<SJÖ!5<K'C^iOt!«<tS!JOiJSiO>Si!C>iC!JC»S>i«iSi!«i'ß45 


Darwinsche   Gesetz   der   stetigen  Fortentwicklung   erklärt   nicht   das 
Emporwachsen  eines  Riesen  aus  einer   Familie  von  Mittelmäßigkeit. 


-1 


Meteorgleich  stieg  der  Übermensch  Napoleon  und  auch  Goethe 
empor,  aber  oftmals  versagt  eine  autsteigende  kulturelle  Linie,  und 
die  Kurve  erreicht  keinen  Gipfelpunkt.  Es  brauchte  kein  Rubens  und 
kein  Rembrandt  in   den  spanischen  Niederlanden   und  in  Holland  zu 


46  iC9Ki«!JtS*iSS?>Ki5JC*<0tSi<Si5StS>5S<ß<K<5StSßiK  Ana  lOMii    •CSSiiSiOtiöS^iS'^iCiJSiKiSSiiSiSSiiCiSiißiSiSStiKiKJj! 


entstehen,  aber  kamen  sie  hier  und  durt,  sei  mußten  sie  als  Söhne 
ihres  \'olkcs  und  Sklaven  ihrer  X'crhältnisse  in  diametral  entgegen- 
gesetzte Richtunt;  getrieben  werden.  Beide  mit  einzi_L;er  Begabung, 
räumlieh  und  zeitlich  nahe,  halten  die  'l'rennung  von  Jahrhunderten 
ertragen.  Rubens,  der  b'lame,  glücklieh  unter  der  spanischen  Gönner- 
schatt,  wurde  der  glänzendste  Hofmaler,  der  für  die  katholische  Majestät 
das  hohe  Pathos  des  Barocks  mit  beis[iielloser  Meisterschaft  behandelte. 
Das  Kirchenbild  und  die  Historie  war  nichts  lür  Amsterdam  und 
Rembrandt;  der  Bildersturm  war  eben  verrauscht,  und  ein  reiches, 
sieggewohntes  Bürgertum  —  vom  Westfälischen  Frieden  anerkannt  — 
trug  ein  Selbstbewußtsein  in  sich,  welches  sich  vor  allem  auch  in 
seiner  Kunst  ausdrückte;  und  Kunst  war  in  diesem  Lande  nur 
-Malerei.  Das  weite  tiache  W'iesenland  mit  seinem  Steinmangel  ließ 
d<jn  eingeborenen  Sinn  tür  Architektur  und  Plastik  weniger  entfalten. 
Statt  dessen  wuchs  die  .Malerei  zu  einer  \'ollendung,  die  Meister- 
hattes  leistete  in  der  Darstellung  der  eigenen  Landschaft  und  des 
Porträts.  Der  stolze,  freie  und  reiche  Bürger  hatte  nichts  übrig  für 
das  illusionäre  Kirchenbild,  er  sah  am  liebsten  sich  selbst  gemalt, 
und  dafür,  daß  er  gut  gemalt  wurde,  sorgten  Maler  wie  Llias,  Thomas 
de  Kevser,  Bartholomäus  van  der  Helst,  Rembrandt,  Bol,  ALies,  Baker 
in  Amsterdam,  die  beiden  Miereveit  in  Delft,  Ravestein  im  Haag  und 
vor  anderen   Frans  Hals  in  LLiarlem. 

Das  druppenbild,  das  sogenannte  Regenten-  und  Schützenstück, 
war  die  natürliche  Folge  des  Hinzelporträts. 

Zuerst  schon  um  das  sechzehnte  lahrhundert  sehen  wir,  daß 
städtische  Kompanien  sich  als  Erinnerung  irgend  einer  gemeinschaft- 
lichen 'Fätigkeit  für  ihre  \'ersamndungssäle  malen  ließen;  zunächst 
ziemlich  unkünstlerisch,  Brust  an  Brust,  ohne  Handlung.  Man  ließ 
sich  damals  malen,  wie  man  sich  heute  in  unseren  'Lagen  photo- 
graphieren  läßt,  bevor  man  auseinandergeht;  jeder,  der  auf  dem 
Bilde  sein  w'ollte,  zahlte  seinen  Obolus;  je  mehr  er  gab,  einen  desto 
besseren  Platz  bekam  er.  Allmählich  kam  etwas  Charakter  und 
Bewegung  in  die  Figuren;  so  scheint  der  bärtige  .Mann  aul  ilem 
Schützenbilde  von  C.  Tennisen   1337,   mit  dem  Schädel   in  der  Hand, 


iO>!SiK)0>iO>!Ct<S<ßiO>S>!0><S!SKSS><0!S(K!t<SJ5*>iOiJCS!5!S^   HOLLAND   !C>iItiS<S!K!Oi!Ci)5!<j!!O>iKS?»>iK!0>iJ>JO>!Ci-OiiO!!5!J0t!Ö  47 


Fig.  30.     Pietcr  Pavius  im  Leidener  Theatiiim  anatoniicum. 
Stich  von  Andreas  Stog. 


ein  gelehrter  Doktor  zu  sein.  Es  ent\vicl<elte  sich  allmählich  eine 
künstlerische  Steigerung,  die  ihren  Höhepunkt  in  Rcmbrandts  be- 
rühmter Nachtwache  findet. 


4^  Si!ß?K!5t<5S!S!iS>SStS<!0><Ki5«t<KJS!«iiSSt!0!iSi5  AXATOMIE  SKiKSiSiSSiSS^St-CSiOtäSSiiKSiSSiKJßiSSiiSSiSt'eiSiJC? 

Uiul  wie  die  Kompanien  sich  malen  lielk'n,  so  auch  die  \'or- 
stehcr,  die  sogenannten  Regenten  öllentlieher  gemeinnütziger  (Seiios- 
senschaften.  /um  Beispiel  der  Münze,  des  Idisabetlispitals.  des  Lepra- 
spitals, und  das  anerkannt  beste  Kegentenstück  nach  so  viel  guten 
.Mustern  malte  wieder  der  Maler  aus  der  Judenbreitstraße:  die  Staal- 
meesters.  L"nd  so  malte  er  auch  in  zwingender  Konsequenz  das 
beste  Bild  der  dritten  (iruppe,  das  beste  Anatt)miestück  :  die  Ana- 
tomie des  Dr.  'l'ulpius.  Die  .Vnatomiestücke  entwickeln  sich  dem- 
nach in  Holland  aus  den  kleinen  Holzschnitten  der  italienischen 
traditionellen  Titelblätter  in  natürlicher  Steigerung  als  Folge  imd 
Ergebnis  freier  Forschung,  freien  Bürgertums  und  treier  Selbst- 
schätzuns;.  Ihrem  künstlerischen  Werte  kam  zuLjute  die  hohe  l:nt- 
Wicklung  der  Malkunst. 

Aber  noch  ein  äußerlicher  Umstand  war  otlenbar  die  \'eran- 
lassung,  daß  diese  Xeigimg  der  Anatomen,  sich  in  ihrer  Lehrtätig- 
keit zu  verewigen,  über  hundert  lahre  fortdauerte  und  sich  tort- 
schleppte in  die  Zeit  des  \'erialls  von  l^ürgertum,  F'reiheit,  W'issen- 
schalt  und  Kunst.  Es  war  dies  die  Gewohnheit,  die  Wände  des 
Tlieatrum  anatomicum  mit  diesen  Anatomiegemälden  zu  schmücken. 
Wie  die  Schützen  ihre  Kompaniesäle  und  die  Regenten  ihre  Repräsen- 
tationsräume mit  ihren  Bildern  bekleideten,  so  schmückten  die  \'or- 
steher  der  C^hirurgen   ihre   «Snvkamer«   nut  solchen. 

Pieter  Paaw,  1367  bis  1617  Professor  der  Botanik  und  Anatomie 
in  Leiden,  errichtete  im  |ahre  1397  das  erste  anatomische  'Lheater 
in  Holland,  nachdem  die  Sektion  xon  \'erbrechern  seit  dem  |ahre  1333 
bereits  offiziell  gestattet  war  und  1330  die  Ghirurgengilde  im 
St.  Ursulakonvent  die  erste  Sektion  veranstaltet  hatte.  Obgleich  in 
Frankreich  schon  lange  Sektionen  ausgetührt  wurden,  wurde  doch 
erst  i6o_|  in  Paris  in  der  Rue  du  louarre  ein  Ampihitheater  errichtet 
(siehe  Figur  31).  F"ür  das  Leidenei'  Theater  liel.^  sich  der  Anatom, 
dessen  Lebenswerk,  »Primitiae  anatomicae  de  Inmiani  corporis  ossi- 
bus«,  (161 3)  auf  uns  gekommen  ist,  von  |akob  de  dhein  malen; 
das  Gemälde  selbst  ist  verloren,  ein  Stich  nach  demselben  von  Andreas 
Steg  ist  in  unserem  Besitz.    Offenbar  hat  der  .Maler  sich  \'esals  Titel- 


<CiiKiO>Si!Oi<J>!Oi!K<Ji!0!StiK<0><0>!0>iC>!C>!CiiO>Si  Tlil MRUM   ANATOMICUM   JCiJKSiJß-OtiSiSiCtJOiiC^SiJOüSSiiOtJOiiKSi  49 


blatt  zum  Muster  genommen;  es  ist  die  gleiche  Komposition,  etwas 
geschickter  gruppiert.  \\'ir  sehen  Männer  jeden  Standes  und  jeden 
Alters,  Ritter,  Cielehrte,  Bauern,  Bürger,  in  /um  'l'eil  auftauender 
Kleidung.  Auch  die  Hunde  fehlen  nicht.  Alle  iiberragt  ein  Skelett, 
welches  eine  h'ahne  trägt  mit  der  Inschrift:  Mors  ultima  linea  rerum 
(der  Tod  ist  die  (Frenze  aller  Dinge).  Das  Interesse  und  der  Zu- 
lauf scheint  so  groß  gewesen  zu  sein,  dat.^  man  bald  sich  nach 
einem  größeren  Raum  umsehen  mußte.  Der  Stich  \-on  Swanenburg 
aus  dem  Jahre  1610  (siehe  l'ig.  29)  zeigt  uns  den  bi/arr  und  grotesk 
geschmückten  neuen  Saal.  Die  ernste  Szene  wird  zur  Schaubühne, 
die  Wissenschaft  zur  Sensationslust.  Eine  ganze  (jesellschaft  von 
Skeletten  garniert  die  äußeren  Barrieren.  Sie  halten  Fahnen  in  den 
Händen  mit  Inschriften,  die  auf  die  Vergänglichkeit  alles  Irdischen 
hinweisen.  Unter  anderem  bemerkt  man  den  Sündenlall,  durch 
Gerippe  dargestellt,  einen  Knochenritter  auf  einem  Fferdeskelett  und 
eine  Unmasse  von  Tier-  und  Vogelkorpern.  liin  Schließer  zeigt 
den  leeren  Raum  einigen  Besuchern,  die  mit  ihren  brauen  die 
Gegenstände  bewundern,  l'j'nen  interessanten  Beleg  dafür,  daf,^  diese 
öftentlichen  theatralischen  und  reklamehat'ten  Schaustellungen  nicht 
ohne  liinfluß  auf  die  \'errohung  der  Sitten  blieben,  ersehen  wir 
aus  der  rechten  Gruppe  des  Bildes;  hier  trägt  ein  Bürger  statt  des 
Mantels  eine  gegerbte  Menschenhaut.  Bei  späteren  Radierungen 
fehlt  diese  Geschmacklosigkeit.  In  ihrer  Übertreibung  der  negieren- 
den Lebensautfassung  kokettierte  man  damals  mit  der  Todes- 
verachtung. 

Das  Interesse  der  Bürgerschaft  für  die  anatomische  Wissenschaft 
war  ein  ganz  allgemeines.  Man  war  auf  seinen  städtischen  Anatomie- 
professor so  stolz  wie  heute  auf  einen  wilden  Kapellmeister.  Das 
anatomische  Theater  hatte  damals  den  Wert  wie  heutzutage  viel- 
leicht ein  Aquarium  oder  sonst  ein  Museum.  Fremden  wurde  in 
erster  Linie  das  Institut  gezeigt.  Als  Montaigne  1580  auf  seiner 
Badereise  wegen  des  Steinleidens  durch  Basel  kam,  ging  er  zunächst 
in  das  anatomische  Theater.  Auch  bewunderte  er  im  Hause  des 
berühmten    Felix    Platter    (geb.  1336)    die    vollständig    konservierten 


H  ol  1  a  n  lU-r  ,   Die  Medizin   in    der  ULtssischcn    Malerei.      2.  Auflage. 


!;0  3«S-0>!KS!iö!ß!Sie>S!i«'ÖiS»tSSS>JCS!SS!iC!!SSiäK  ANATOMIE  Sß!«iS!C(<Ci<0!iCSiCi!KSStiKS«!SiOt!«S>!CSSi!SS*<S!0>S>J0>:« 


Leiclinamc.  Platter,  dessen  kunstvolles  1  laus  .M(nitaii;ne  ini(xinierte, 
war  der  trüheste  \'erlreter  der  \'esalischen  Kiehtuni;  und  einer  der 
ersten  Anatomen,  die  in  Deutschland  Sektionen  auslührten.  Die  Zahl 
derselben  stieg  im  Laule  seiner  lünizigjährigen  Tätigkeit  auf  drei- 
hundert. 

\'ergleichen   wir  mm    diese  X'erhähnisse    mit  den  gleichzeitigen 
in  einer  deutschen  Stadt  von  ähnlicher  Jk'deiUung,  so  erkennen   wir 

_     daraus    am    besten    die    Pührer- 

schalt  Hollands aidniedizinischem 
(icbiet.  Erst  im  Jahre  lötSi;  füh- 
len die  frankfurter  Barbiere  das 
Bedürinis  nach  anattimischen 
Demonstrationen  und  bitten  in 
einer  Eingabe  tun  den  Kadaver 
eines  Delinquenten.  Dieses  \'er- 
langen  nach  einer  Autfrischung 
des  .MedizinaKvesens  wird  aber 
erst  1729  so  ak'tuell ,  daß  die 
IMivsici  ein  Immediatgesuch  an 
den  K'aiser  schicken,  in  dem  die 
Erbauung  eines  Theatrum  ana- 
tomiciun  zur  Unterrichtung  der 
Wundärzte  gefordert  wird.  Trotz- 
dem nun  in  den  nächsten  Jahren 
mehrere  kaiserliche  Mahnbriefe 
einlauten,  geschieht  nichts,  und 
erst  im  Jahre  1740  wwd  im  Gast- 
hof zum  Elefanten  ein  Lokal  tür  \ierzig  'laier  als  .Anatomiekammer 
gemietet.  Aber  auch  jetzt  stockl  der  Unterriclu  manchmal  jahrelang, 
weil  trotz  günstiger  Senatsbeschlüsse  keine  Leichen  zu  bekonmien 
waren.  l:rst  im  Jahre  1768  wurde  die  Stiftung  des  Doktor  Sencken- 
berg,  »der  Schauplatz  der  Zergliederung«,  eingeweiht,  aber  dei'  l'ro- 
sektor  bekommt  aus  dem  Bürgerspitale  die  Leichen  nur  unter  der 
Bedingung,  daß  er  sie  auf  seine  Kosten  beerdigen  lasse,  obwohl   die 


Fig.  31. 


JKiOiiOiiKiOiSiiKiCtSiSXiOtiSJKiOt-OtJJ-iStiOiiCiiSJKStSiK^     1  kwkii  im     SiiKS'JßSiiO'SiJOiiOtiSJKJKSi'CiiOiJKJOiiKJSJSiSiC«  5  I 


Vorlesungen  gratis  abzuhalten  waren.  Wie  bittere  Ironie  hören  sich 
die  unterwürfigen  Worte  an,  die  der  Anatoinielehrer  Dt)ktor  j.  Tabor 
an  die  Stadtbonzen  richtet,  »brankkirts  stolze  Mauren  prangen  nun 
mit  dem  Zergliederungssaale,  den  Ausländer  bewundern,  bdnheimische 
rühmen  und  wünschen,  daß  doch  jederzeit  recht  \iele  Leichname 
zerlegt  werden  luochten.  Nützlich  im  Leben  zu  sein,  ist  reizend  und 
göttlich,  nützlich  durch  b'ranklurter  Obrigkeit  werden,  ist  leicht, 
vor  diese  ein  anderer  Kurtius  werden,  die  größte  und  angenehmste 
Pflicht.«  Welcher  Kontrast  hier  und  in  Holland!  hier  eine  gequälte 
Existenz  mit  dünnem  Lebenslicht,  welches  alle  Augenblicke  zu  ver- 
löschen drohte  und  nur  durch  den  Üpfermut  einiger  weniger  wissen- 
schaftlich und  vornehm  denkender  ALmner  künstlich  erhalten  blieb, 
und  dort  eine  Volksbewegung,  die  begeistert  den  Kulturtortschritt 
aufnahm,  sich  persönlich  an  den  l'orschungen  beteiligte  und  Museen 
von  internationalem  Ruf  schuf  Das  Theatrum  anatomicum  wurde 
stolz  den  Lrenulen  gezeigt,  man  erhob  die  Anatomielehrer  zu  den 
höchsten  Bürgerstellen,  die  die  Stadt  verleihen  konnte,  und  in  Deutsch- 
land verhungerte  beinahe  der  erste  Professor  der  Anatomie  der  Uni- 
versität Göttingen,  »der  Menschenschinder«  Albrecht,  wie  der  Pöbel 
ihn  schimpfte,  weil  keiner  ihn  bedienen  wollte.  Die  Geschichte  des 
Volkscharakters  in  seinen  Niederungen  und  Lichtzeiten  oftenbart  sich 
schleierlos  beim  Studium  dieser  Dinge,  die  vom  Kulturstandpunkt 
aus  wichtiger  sind,  als  die  Kenntnis  gewonnener  Schlachten. 

Der  Erfolg  des  Leideners  Pavius  veranlaßte  auch  in  den  Nicht- 
universitätsstädten  die  Chirurgengilde,  anatomische  Kurse  einzu- 
richten, die  aber  nur  von  Ärzten  besucht  wurden;  es  war  das  eine 
treie  Vereinigung  der  Chirurgen  einer  Stadt  zu  gemeinsamem  wissen- 
schaftlichen Studium.  So  sehen  wir  bereits  1603  Doktor  Sebastian 
Egberts  de  \'ri)  in  Amsterdam  von  einer  großen  Schar  von  Zu- 
hörern umgeben.  Alle  diese  in  drei  überlange  Reihen  gestellten 
neunundzwanzig  Ärzte  und  Chirurgen  mit  ihren  Mühlsteinkragen 
und  langen  Barten  sehen  uns  an  wie  in  das  Objekti\'  eines  photo- 
graphischen Apparates ;  der  \'ortragende  steht  vor  dem  Leichnam 
mit    einer  Kornzan^e    in  der  LLmd.     Es    ist    ein    lebloses  Schützen- 


52  3K3IiS!<5S?!K!5>?SiC!tS>iCSiKiKSi!SiCiS*!5!!JtS>:St!CiiK  ANATOMIE  iOiJJiJOiJSSiißSi'CiSSiKStiJiJSiKSiSiiOiJCiJSStißiSSiJK'Oi 


bild  alten  Stiles.  Das  C,c- 
maKlc  staninit  \on  dem 
Konstschilder  Arend  Pie- 
tersz,  dem  Sohn  des  be- 
kannteren Arvaensz  (^t 
lange  Piert.  Sebastian 
Egberts  (bis  1621)  ist  der 
Nachfolger  des  ersten 
Amsterdamer  Praelector 
chirurgiae  Koster;  er  war 
ein  tüehtiger  Praktiker, 
der,  wie  es  scheint,  als 
erster  die  Scarlatina  be- 
schrieb. Ingrassia  hatte 
zwar  schon  um  das  Jahr 
1330  ein  Ausschlagtieber 
unter  dem  Xamen  Rc\s- 
sania  oder  Rossalia  be- 
schrieben, das  erzwischen 
Pocken  und  .Morbillen 
klassifizierte  und  Balloni  US 

eine  scharlachähnliche 
Pariser  l:pidemie  1  )7  | 
unter  dem  Xamen  Ru- 
biohi.  lirst  nach  Swlen- 
hani  unterschied  man  je- 
doch allgemein  die  Febris 
scarlatina  von  den  anderen 
exanthematischen  Fiebern . 
Unter  den  achtundzwan- 
zig anderen  (diirurgen 
finde  ich  keine  Xamen 
von  Bedeutung  (siehe 
Figur  32). 


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54  3KSB:sss!Ci3(esii(e^iKiCtiS3:iK!>!>:ic$iSisssiC!iKi:£!Ci  Anatomii:  iCi!;ii>:iO!iKi;!SSi(t^:j:ti:i!0>:!C!!y!^i$!iS£jO!!(E!$i!Oii;!i;iiSs;i 

Zur  tcicrlichcn  liröHnuiii;  eines  cii^cncn  AnisterJ.imcr  Analoniic- 
s.ialcs  ließ  sieh  nun  derselbe  Doklcr  I^Ljberts  de  \'v\']  \(u^)  mit  liinf 
anderen  ('.liiruri^en  lür  das  (iildehaus  ni.deii,  und  es  stellt  dies  erste 
künstlerisch  hochstehende  Anaioniiestuck  i^leichzeitii;  das  älteste  uns 
bekannte  l^ild  des  zu  so  i;roßer  P>eiuhinlheit  ^elan^ten  'i'hoinas  de 
Keyser  dar.  des  mit  Keiiibrandt  erfolgreich  konkurrierenden  Portra- 
tisten ;  mit  etwa  siebzehn  Jahren  mul.'i  es  der  junqe  Meister  gemalt 
haben.  Ist  die  Anordnuni;  der  sechs  biguren  auch  noch  etwas  ge- 
zwungen und  s\-mmetrisch,  so  sind  die  Kopfe  doch  gut  charakteri- 
siert und  das  Skclell  geradezu  meisterhaft  gemalt.  Die  Schwierig- 
keit, die  in  dem  leicht  lacherlich  wirkenden  Kontrast  zwischen  dem 
Knochenmenschen  und  den  korpulenten  Holländern  lag,  ist  durch 
die  Erhöhung  des  Skeletts  und  durch  die  \orzügliche  Pose  desselben 
glücklich  vermieden.  Ks  war  dies  ein  N'orbild,  von  dem  auch  ein 
Rembrandt  lernen  la)nnte.  Die  Xamen  der  übrigen  C'diirurgen  sind 
oben  links  eingetragen,  wie  auf  Arend  Pietersz  Bild  unten  rechts. 
Aul  dem  ersteren  Bilde  steht  Doktor  Egbert  nur  als  Wissender  unter 
Gleichgestellten,  als  alterndem  Meister  gebührt  ihm  ein  offenbarer 
\'orrang  vor  den  Stadtkollegen.  Ein  Zeichen  dafür  und  für  Holland 
charakteristisch  ist  die  Tatsache,  daß  er  allein  di:n  breitkrempigen 
Hut  aul  dem  Kopie  trägt.  Übrigens  war  tler  Mann  i6o6  schon 
Bürgermeister  der  Stadt  gewesen.  Die  Xamen  lier  übrigen  sind 
nach  der  kleinen  .Mitteikuig  \on  l'ilanus*):  van  Uvttenholl,  Dirk 
Koolvelt.  jak-obs,  (ierrit  liulies  und  Jan  de  Wees.  Die  (ieste  der 
Dozenten  weist  auf  den  berühmten  Streit  um  die  zwollte  Ri|ipe  hin 
(Figur  33). 

A\'enn  wir  nun  der  Jahreszahl  nachgehend  die  uns  über- 
kommenen Gemälde  weiter  verfolgen,  so  befmdet  sich  im  Delfter 
Krankenhause  ein  wenig  bekanntes  Anatomiegemälde  des  Michiel 
Janszoon  van  .\Iiere\elt,  welches  siclier  der  Mühe  wert  ist,  ilie 
seine  photographische  Aufnahme  gemacht  hat.  Das  Bild  vom  Jahre 
1617   besitzt   hohen   künstlerischen  Wert,    luid   ist   vielleicht   eines  der 


'1  Beschrijving  der  Schilderijcn  afkomsti^  van  hct  Chiruigijn.s-Gil(l,  Amsterdam  1S65,  S.  i: 


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2: 


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;6  ?5iO!JS!ß!j!Si<KStJKiOt>S<Ci!K!C?JCS?S!SS!Si!Sä!!K!C!  Anatomik  SOSißSi-CtSCiSiiSiSJKißJKiKSiStJCitStJCiäiiKiJiiSSiJßiSäi 


bcdculciuistcn  Cjcniaklc  dieses  bcriihiiUL'ii  uiul  n.inicnllich  in  neuerer 
Zeit  zu  Ehren  gelconinienen  Porträtislen.  Was  aber  trotz  vorzüi;- 
lichcr  Kiinipt^sition .  geschickter  X'erwertung  des  Helldunkels  und 
glänzender  Charakteristik  der  einzelnen  i^'rsonen  dem  Bilde  lehlt, 
das  lehrt  erst  die  Hetrachtung  von  Kenibrandts  .Meistersclmplung.  Der 
Anatom  Willem  van  der  Xeer  sowohl  wie  seine  Zuhörer  sind  nicht 
bei  der  Sache.  Die  Sektion  hat  begonnen.  Die  Bauchdecken  sind 
durch  einen  Querschnitt  zurückgeklappt,  ein  interessanter  und  wich- 
tiger j-'und  erwartet  vielleicht  seine  Deutung,  aber  nicht  ein  einziger 
Zuhörer  ist  mit  dem  Studium  beschäftigt,  alle  blicken  aul,  wie  wenn 
sie  durcli  einen  neu  Eingetretenen  abgelenkt  werden.  Und  so  wird 
auch  der  Beschauer  unbewui.U  etwas  abgelenkt  von  dem  die  breite 
.Mitte  einnehmenden  Objectum  anatomicum,  dessen  Gesicht  und 
i.eib  verdeckt  ist.  Es  könnte  dies  ja  als  ein  Kunstgrift  gedeutet 
werden,  durch  den  der  .Maler  die  Blicke  des  Zuschauers  von  der 
geöffneten  Leiche  ablenken  und  dadurch  das  Grausige  des  Vorwurfs 
mildern  wollte,  aber  dieser  gesuchten  .\utTassung  widerspricht  die 
vergleichende  Pietrachtung  der  xorrembrandtschen  Gemälde.  Das 
Theatrum  anatomicum  scheint  dem  Leidener  nachgebildet;  aul  der 
Rückenlehne  stehen  Skelette,  hinter  denen  jüngere  Studenten  sicht- 
bar werden.  Durch  den  \'ersuch  des  .\hilers.  das  Einerlei  der 
Kleidung  durch  lauter  verschiedene  ILdskrausen  lebendiger  zu  machen, 
kommt  eine  gewisse  Unruhe  in  das  Bild.  L^ine  .NLidistin  aber  kcninte 
von  der  teingekünstelten  Laltenbildung  derselben  Anregung  lür  die 
neueste  .Mode  bekommen   (l-'igur    3  (). 

Das  nächste  Bild  führt  uns  wieder  nach  .Amsterdam;  es  stellt  die 
.Anatomie  des  Doktor  Johann  Holland  (gebt)ren  i)74),  genannt 
Fontevn  oder  i'ontanus,  des  Geneesheer  des  Prinzen  .Moritz,  dar 
und  ist  von  Xicolaas  Elias  im  Jahre  1623  gemalt.  Das  Bild  dieses 
Meisters  hat  bei  der  Restauration  im  Jahre  1732  so  erheblich 
selitten,  daß  es  nur  noch  ein  Bruchstück  ist.  \'on  den  früheren 
zwölf  Personen  sind  fünf  durch  i.kn  l^rand  des  Jahres  1723  ver- 
loren gegangen.  Wir  sehen  aul'  dem  erhaltenen  .Ausschnitt,  wie 
der    \'ortragende    im    Begriff  ist,    einen    Schädel    zu    demonstrieren. 


58  ««JKjetSKSS'ösS'eiStiSiOiSSiCi'SSätiis-eijOiSiiSiittiKiß  Anatomie  iKißiöiOiStSiiCiStJSJS'iSiSJCijO'iKSSJSSJSiJO'JSSKieiJß«! 

Die  glänzend  geniallen  .sieben  Porträts  der  Arzte  ersclieinen  aul 
dem  erhaltenen  Torso  ohne  Zusammenhang,  und  so  laßt  sich  der 
frühere  Totaleindruck  des  Ciemaldes  nicht  beurteilen  (siehe  l'igiir  33). 

Sahen  wir  nun  schon  mehrere  auch  künstlerisch  bedeutende 
Anatomiestücke,  so  werden  doch  alle  und  auch  die  folgenden  (ie- 
mälde  dieser  Art  in  den  Schatten  gestellt  durch  Rembraiult  van 
Kijns  Anatomie  des  Doktor  Tidpius.  welche  jetzt  im  llaag  ist,  nach- 
dem Konig  Wilhelm  1.  das  J3ild  \-on  der  Amsterdamer  (".liirurgen- 
gilde  lür  52000  (ndden  erstanden  hatte.  \'on  allen  Kennern  der 
Kunst  und  allen  Liebhabern  des  wahrlialt  1-dlen  und  droßen  ist 
diese  Anatomie  als  eines  der  Meisterwerke  aller  Zeiten  bewiutdert 
worden.  Die  sichere  Ruhe  des  Anatomen,  wie  er  mit  der  Kornzange 
die  Beugemuskidatur  des  exakt  präparierten  Armes  anhebt,  und  da- 
bei imwillkürlich  den  Beugeapparat  seiner  eigenen  Ihmd  spielen  läßt 
ziu-  b'unktionserklärung  der  Muskulatur,  die  auls  höchste  gespannte 
Auhnerksamkeit  der  Hörer,  die  glänzende  ]-5eherrschung  des  ilell- 
dimkels,  alles  das  ist  die  gluckliche  Otlenbarung  eines  (ienies.  Das 
Bild  im  ganzen  und  die  einzelnen  Kopie,  die  xiellach  allein  re- 
produziert wurden,  ist  durch  die  zahllosen  Wiederholungen  jedem 
Gebildeten  bekannt.  Es  darf  hier  daran  erinnert  werden,  daß  es  iür 
den  eben  erst  von  Leiden  nach  Amsterdam  gekommenen  jungen 
Maler  von  größtem  Werte  war,  sich  die  Protektion  des  Doktor 
'Lulp,  des  späteren  Jku-germeisters  von  Amsterdam,  zu  erwerben; 
diese  Unterstützung  scheint  ihm  in  leichem  .Mal'e  zuteil  geworden 
zu  sein.  Wir  komieii  Kembrandt  aus  demselben  Jahre  allein  zehn 
Amsterdamer  Porträtbestellungen  nachrechnen. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  Kembrandt.  der  sich  in  Leiden 
als  Student  der  schönen  Wissenschalten  in  die  Lni\ersitätslisten 
hatte  einschreiben  lassen  und  dort  Schuler  Non  |akob  \an  Swanen- 
burch  war,  sowohl  die  Dellter  als  auch  die  .\msterd.uner  Vorbilder 
bekannt  waren;  geschickt  verwendete  er  diese  Erlahiimgen  und  schul 
doch  etwas  ganz  Neues  und  anderes,  trotz  mancher  .\nlehnung  .m 
seine  \'orbilder.  Alle  l-igm'en  des  i^ildes,  und  das  gilt  iVu-  die 
holländischen  Analomiebilder  überhau|n,  sind  Porträts.     Der  .Anatom 


X 


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6o  JKStiCiJKiSJKSiJJtiOtSiiCiiiOiiKiyiJOtiKiOtSiiOtJOiißiOtäK  AnatO.MIK  SiJKiKiKiKißiKiOiStiOSXiii^tiliSiiviiSiiiiOiJKiOtiOiJviäSiCiili 


selbst,  niil  Jcm  Ihn  aiii'  dein  Kopie,  isl  der  bekannte  Cbiriiri;  und 
Praktiker  Pieter  Tulp  (1393  bis  \(\^).  ein  Schüler  des  uns  schon 
bekannten  Doktor  Pavius  aus  Leiden,  'l'ulps  Schriften  (Observatioiuiin 
medicaruni  hbri  tres.  AmstelcKlaini  ih\\)  \  erraten  objektive  Ik'obach- 
tunu  und  gehörten  /u  den  belesensten  Schrilten  seiner  Zeit.  Da  meist 
oder  last  ausschließlich  Sektionen  nur  an  dehenkteii  vorgenommen 
wurden,  so  war  die  pathologische  Anatomie  den  (dnrurL;en  überlietert 
und  aul  zufällige  Befunde  angewiesen.  L'ber  isierensteine,  Gebär- 
nnitterwirfalle,  Hierstocksgeschwulste  usw.  werden  \'on  ihm  kasu- 
istische Mitteilungen  gemacht  und  durch  vorzügliche  Radierimgen 
illustriert.  Nebenbei  gesagt  ist  er  der  erste,  der  einen  Schimpansen 
wissenschaftlich  beschrieben  und  abgebildet  hat*).  \'on  Interesse 
ist  es,  das  Porträt  des  Cdiirurgen  auf  dem  Rembrandtschen  l'ilde 
zu  vergleichen  mit  dem,  welches  \on  Claes  lilias"  Hand  herrührt. 
In  der  (ialerie  Six  in  Amsterdam  wird  dieses  Bild  aut  bewahrt,  und 
die  Ähnlichkeit  der  beiden  Porträts  ist  augenfällig.  Sonderbar  wirkt 
auf  den  ersten  Blick  die  Komposition  des  Eliasschen  Bildes.  Dem 
Anatomen  gegenüber  steht  eine  zur  Hallte  niedergebrannte  Kerze, 
auf  die  er  mit  einer  Handbewegimg  hinweist.  Der  unter  dem  Bilde 
stehende  Wahlspruch  des  Doktor  Tulpius:  Aliis  inserviendo  con- 
sunior,  bringt  den  erklärenden  Autschluß:  Anderen  zli  Xutz  verzehre 
ich  mich,  wie  die  Kerze  vergeht,  indem  sie  anderen  Licht  bringt. 
Wahrlich  ein  stolzer,  übrigens  beliebter  Wahlspruch  eines  selbst- 
bewußten Mannes  (Ligur   37). 

Die  Xamen  der  Zidiörer  sind  in  der  unteren  Reihe,  \on  Tulp 
an  gezählt:  |akob  Block,  Jakob  de  Witt,  Adriaen  Slabraan ,  Jakob 
Koolveld,  Hartmansz.  Kalkoen,  Iran/  \an  Loenen.  Der  Xame  des 
Objcctum  anatomicum  kaim  mit  Sicherheit  nicht  eruiert  werden,  da 
in  diesem  Jahre  zwei  Sektionen  gemacht   wurden   (Ligur    36). 

.Mit  -Medizinern  blieb  Rembrandt  auch  in  dun  lolgenden  J.dnen 
in  freundschaftlichem  X'erkehr  und  mehrlach  porträtierte  er  solche, 
ich     erinnere    nur    an     die    jüdischen    .\rzte     l:phraiin    Bonus     und 


•)  II I.  Tab.  14.    Überschrift:  Homo  sylvestris  Oranfj-outang. 


Manasse  bcn   Israel,  sowie  an   den   Leidener   l'rotessor  Jan  Antonisx 
van   der  Linden. 

über  zwanzig   Jahre  spater,  als  schwere   Zeiten   liir   den  Meister 
«jekomnien  waren,  bekam  Renibrandt  noch  einmal  einen  Aiiltrai;  von 


Fig.  57.     Bildnis  des  Xicolaas  Tulp. 
Viin  Nicolaas  Elias  I1590  i)is   1656).     Six'  Galerie,  Amsterdam. 

Nach  einem  K-ihletlnick  von  Br.iiin,   Clement  ^c  Cu,     Dnrnach,  P.iris,   Xew  Volk. 

dem  x\mtsnachtoIger  des  Doktor  Tulp,  tür  den  Amsterdamer  Ana- 
tomiesaal ein  Bild  zu  malen:  »Die  Anatomie  des  Doktor  Devnian«. 
Von  diesem  Gemälde  ist  leider  nur  noch  ein  Bruchstück  erhalten, 
da    es    am    8.  November    1725    ein  Brand    zum    i^re^ßten    Teile  zer- 


62  iCHK!»!s:c>'«<ßs>siiCiiß!KS>;CS<s:«:«iS!C*:«i(>jS'«  Anatomie  jCtSS!C*iß!K<KiK!C*iSiS!>:!K!KS!S><o>'!OtiS!0>j>:iSi«!OtS*i> 


störte.     Die    rrumnier    dieses    Bildes,    das    I^xzellenz  l^Oilc    in    lin«;- 
land  wieder  autgetundeii   hatte,   wurden  durch   die  Heimihun^eii   des 


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Herrn  J.  Six  nach  Amsterdam  s^ehrachl,  iiaelulem  l'rotessor  Il.uiser 
gerettet,  was  noch  vom  I^ilde  /u  retten  war;  man  ahnt  jetzt  nur 
noch  die  künstlerische  Größe.  Der  sezierende  Anatom  ist  mit  der 
Brust-    und   l^auchsektion    fertig    inul   jetzt    nnl    der   Fräparation    des 


Gehirnes  beschiUtint;  mit  Pinzette  und  Höllischere  entfernt  er  die 
weichen  Hirnhaute.  Wm  Dol^tor  Deynian  ist  \vein"g  erliaken ;  der 
Kopt  tehlt,  die  Hände  sind  verbrannt,  man  erkennt  nur  die  Pose. 
Neben  dem  Anatom  steht,  die  Schadelschale  in  der  Hand,  mit  dem 
Ausdruck  ernsten  Sinnes  der  C'ollegienmeester  Gvsbrecht  Kalkoen. 
Glücklicherweise   besitzen   wir   eine   kleine  Skizze  des  Meisters,    aus 


Fig.  39.     Erster  Entwurl  Rembrandts. 
.Six'  Galerie.  Amsterdam, 

der  die  trübere  Anordnung  des  Bildes  hervorgeht.  Neun  Personen 
befanden  sich  auf  demselben.  Außer  dem  Prälektor  J.  \an  Deyman 
noch  der  Collegienmeester  Gysbrecht  Kalkoen,  der  Proefmeester 
Dirk  \'isch,  die  Overleeders  P'ruyt,  Idorianus  de  Lange,  Augustus 
Mever  und  die  Herren  Heems  und  kiarnv.  Die  Gruppierung  der- 
selben um  den  Meister  herum  geht  aus  der  Rembrandtschen  Skizze 
(siehe  Figur  39)  deutlich  hervor.  Diese  letztere  wurde  mir  von 
Herrn    Six    gütigst    zur    Reproduktion    zur  X'eriügung    gestellt.      Die 


64»K?JßJK-C<iKStSiiKi««(iC*<OB»<SS>:!5!StS?<SiOtiK!CS  ANATOM  ll    iKiC?iKJS!0t«><SS>!0!!KiKi0i!SS>JK!CS<KJKSi<5:iOtJSSiJKJß 


wichtigste  Pcrst)n  des  Gemäldes  ii.ieli  der  /erslurunL;  ist  die  Leiche 
des  am  ^g.  lamiar  gehenkten  l-onte\n.  \\  as  dieser  Idgur  zu  einer 
großartigen  Wirkung  verhiUt.  ist  die  imgeniein  kühne  Xerkurzimg, 
in  der  sie  gemalt  ist.  Man  sieiit  den  l.eicimani  von  den  1  iiLlsohlen 
aus  und  bei  verändertem  Stand[iunkt  des  Betrachtenden  scheint  sich 
der    Körper   zu    strecken.      Es    ist    viellach    behauptet    worden,    daß 


l'ig.  40.     Andrei  M.iiiUgna  (1431    Ms    i,ii()i. 
Naturstudie,  Toter  ('hristus.     Brera,  Mnilaiul. 

Rembrandt  sich  Andrea  .\Lintegnas  Xaturstudie:  «Der  tote  (diristus«, 
in  dem  Palazzo  di  Brera  in  Mailand  zum  \'orbilde  genonunen  habe, 
und  es  zeigt  tatsächlich  die  Betrachtinig  dieses  Bildes,  welches  Kem- 
brandt  auch  bekannt  war,  eine  gewisse  Cbereinstinmiung  (siehe 
Figur   jü). 

Mir  scheint  es  dabei  doppelt  bedeutsam,  daß  au!  dem  Gemälde 
Mantegnas   der  Kopf  des  Toten   wie  der  eines  gequälten  X'erbrechers 


Holländer,   Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei.     =.  Auflage 


663SSöSS5SHCit3KäK!iSSKäKä5äKSRä>;äKSt3K!0t3KSKiK3K  ANATOMIE  JKäKäKäKäKäSSSSöJäJCiSiiKiß-eiStiKiKJßJOiJOtJßJKJOtJKJ« 

aussieht,  uiul  \on  Jcm  Bilde  des  lloliandeis  etwas  wie  der  milde  und 
edle  Schein  des  Dulders  ausstrahlt;  /u  dieser  Wirkuni;  koiunii  hinzu, 
daß  die  seitwärts  umgeschlagenen  Koplschwarten  und  die  Mcdian- 
turche  des  (iehirns  die  \'ision  gescheitelter  Locken  herwMrult  (siehe 
Figur  58).  Auch  'rintoretto  hat  Manlegnas  \\M-hild  oiTenhar  henutzt 
bei  seinem  demälde:  »Die  Aullindung  der  Leiche  des  heiligen 
Markus«,  Mailand.   l'ala//o   di   Hrera. 

Yon  dem  Analunien  Prolessor  Irederik  Ru\sch  besitzen  wir 
zwei  Anatomiestücke,  aus  dem  Ldire  1670  und  i6(S3.  Das  erste 
Bild  \on  Adrian  Backer  (1^153  bis  i('vS|),  kurz  nach  seiner  Heim- 
kehr aus  Italien  gemalt,  zeigt  noch  Rembrandtsche  Schule.  Der 
muskulöse  Leichnam  eines  Jünglings  liegt  in  halber  \'erkürzung  in 
vollem  Lichte.  Der  l'leischton  sticht  vorteilhalt  \-on  der  dunklen 
Gewandung  der  Cdiirurgen  ab;  die  Kleidung  ist  eine  andere  geworden, 
die  breiten  Krausen  sind  verschwunden,  weniger  kleidsame  weiße 
Lätze  bilden  den  Halsabschluß,  die  Barte  sind  getallen,  kleine  Schnurr- 
barte zieren  die  meist  pastcisen  Gesichter;  noch  beginnt  die  Perücke 
schüchtern  ihre  demnächst  scheul.Uiche  Rolle  zu  spielen.  Ungünstig 
beeinllussen  den  Hintergrund  klassizistische  l-'lastiken  des  Asklepios 
und  der  Hvgieia.  Aul  dem  Bilde  erscheint  der  zweinnddreißigjährige 
Ruysch,  kenntlich  durch  den  Hut,  wie  er  nachdenklich  die  Leisten- 
gegend  präpariert  (siehe  Figur  41). 

Das  nächste  Gemälde  bringt  einen  ganz  neuen  (iegenstand  zur 
Veranschaulichung,  die  Sektion  eines  neugeborenen  Kindes.  Im  \'cr- 
hältnis  zu  seinen  X'orgängern  ollenbarl  sich  der  ALiler  lohami  von  Neck 
(1636  bis  171  1)  als  der  kleinere  Konner.  Von  allen  anatomischen 
Zergliederungen  stellt  die  Darstellung  gerade  dieses  'i'hemas  die  weit- 
gehendsten Ansprüche  an  das  ästhetische  (iefühl.  Die  malerische 
Schwierigkeit,  die  in  der  Darstellung  eines  kleinen  Kinderleichnams 
beruht,  ersieht  man  auch  aus  (iemälden  erster  .Meister.  Aul  dem 
unsrigen  (siehe  ligur  42)  drängt  sich  der  gedunsene  kleine  Korper, 
im  Mittelpunkte  des  ]3ildes  liegend,  zu  unvorteilhaft  aus  seiner 
dunklen  Umgebimg  heraus.  Um  diesen  ]-jndruck  zu  mildern,  umgibt 
der  Künstler  den  kleinen  Korper  mit  vier  technisch  glänzend  gemalten 


6^  SSS?!K!«<SJ5S!iO'StiSiO!S>SiS><0t'ö<ßSi<S<S:<>i«<S  Ana  lOMlh  JK!vtSX!ytiSSt!0!!viSi!0!iOiiKäK!«>:Jvi!Cti>:i>:äKiSSi>>!Ki>;äIi 


ChiriirgcnhanLlon.  (jab  uns  die  Rciubraiullschc  Olicnbaruii^  den 
malerischen  Ansdruck  des  Bei^riffs  W'issenscbaltliclikeit,  so  beirachlen 
diese  Arzte  das  l.eiehen[ira|iai-al  mit  dem  liebenswürdiucn  Lächeln 
befriedigter  Neugier.  \"on  entzückender  LiebHchkeit  ist  die  b'igur  des 
kleinen  Hendrik  Kuysch.  der  hier  schon  abs  Ivleiner  Assistent  das 
Skelett  eines  Neugeborenen  berbeitragt  und  später  selbst  ein  tüchtiger 
Arzt  wiu-de.  Der  \'ater  ist  gerade  dabei,  allerdings  mit  geschlossenem 
Munde,  sein  Lieblingsthema,  den  /.usammeiihang  des  Mutterkuchens 
mit  dem  Kinde  durch  die  Nabelschnur  zu  erklären.  Die  in  Holland 
autgekonnnene  hohe  Kunst  der  Spitzenarbeit  zeigt  sich  jetzt  an  den 
\'olants  einiger  LIeganten.  \'on  Ruvsch  gibt  es  noch  mehrere  Linzel- 
bildnisse,  so  eines   von    |.  Pool   im  Museum  Ikiymans  in  Rotterdam. 

Der  Anatom  Ivuvsch  ist  eine  interessante  Persönlichk-cit;  seine 
Berühmtheit  \erdankt  er  indirekt  der  Kunst  sowohl  als  \'ater  der 
berühmten  Blumenmalerin,  der  Rahel  Ruvsch,  wie  auch  als  künst- 
lerischer Techniker  in  der  Anfertigung  \nn  anatomischen  Präparaten. 
.Seine  weltberühmte  Sammlung  verkautte  er  lür  50000  Cnilden  an  Peter 
den  Großen.  Wenn  auch  Kuvschs  Zeitgenossen  und  Kritiker  ihm 
Scharlatanerie  nachsagten,  so  hat  er  doch  auch  wissenschaltliche 
Früchte  geerntet,  und  neben  großen  \'erdiensten  aus  der  anatomischen 
Technik  hat  er  auch  solche  um  die  Anatomie  selbst  gehabt.  Seinen 
Namen  trägt  die  unter  der  Chorioidea  gelegene  Membran;  er  studierte 
besonders  die  Kranzgefäße  des  Herzens,  den  Unterschied  zwischen 
männlichem  und  weiblichem  Becken,  er  entdeckte  die  Arteriae  imd 
Venae  bronchiales  und  hinterliel.^  tüchtige  Arbeilen  über  den  Zu- 
sammenhang der  mütterlichen  luid  kindlichen  (Jetäße  im  Mutter- 
kuchen,  die  CJehorknocbelchen,   Zahne   und   anderes. 

Die  von  Ruvsch  besonders  betriebene  Gefäßinjektion  illustriert 
uns  ein  Gemälde  von  jurriaen  Pool  (1666  bis  1745)  aus  dem  Jahre 
169t).  C.  Boekelmann.  Ghef  der  Ghirurgengilde,  demonstriert  ein 
injiziertes  Herz  dem  Kollegen  I.  Six.  Das  für  uns  Interessante  an 
dem  Bilde  ist  der  Gegenstand:  das  Herz  mit  den  bis  zu  den  Hals- 
schlagadern injizierten  Getaßen,  denn  das  Bild  als  solches  ist  nnnder- 
wertig.     Der  .Maler  scheint   den  Auftrag   weniger  seiner  Kunstlertig- 


keit  verdankt  zu  haben  als  der  Tatsache,  daß  er  der  Schwiegersohn 
von  Ruysch  war.  ]:s  liegt  nahe,  daß  .luch  er  gerade  \\ie  Kahel  Ruvsch 
dem  \'ater  behilllich  war  bei  der  Antertigimg  der  Prairirate.  Six 
hält  den  Tubus  in  der  Hand,  mit  dem  die  Injektion  ausgeführt 
wird  (siehe  kigur  43). 

Das  letzte  Bild  dieser  Art  aus  dem  siebzehnten  Jahrhundert 
treffen  wir  wieder  im  Deltter  Krankenhaus;  es  ist  die  Anatomie  des 
Doktor  Cornelis  s'Ciravesande,  von  Cornelis  de  Man  (1621  bis  1706) 


Ainilträtini , 


Fig.  43.     C.  Boekclmann  und  J.  Six  (1699). 
Von   lurriacn  Pool  I1666  bis  1745). 

gemalt,  imd  es  muß  dieses  Bildnis  der  Tracht  nach  mit  den  Anatomien 
des  Professor  Ruvsch  zeitlich  zusammentallen.  Die  Nachwelt  denkt 
über  Maler  und  Anatom  dasselbe,  beide  werden  derselben  vollkom- 
menen Vergessenheit  durch  diese  Leinwand  entrissen.  Es  ist  beinahe, 
als  wenn  ein  Rembrandt,  Hals,  Keyser,  Miere\-elt  u.  a.  nicht  gelebt 
hätten;  man  kehrt  an  den  Ausgangspunkt  zurück,  und  wenn  nicht 
die  Perückenmähne  und  die  Beffchen  wären,  man  könnte  in  die  \'er- 
suchung  kommen,  das  Bild  hundertundfünfzig  Jahre  zurückzudatieren. 
Wir   sehen    wieder    das    bekannte    Deltter   anatomische    Theater   mit 


70  JKäKS«Si!>S>iOi»iiCiiSi«>»iJCltStiS!K!S<5Si!>:S?iSJK  AkATOMIE  SKiSJKStSSJSXSSSiß.^iKJßJSiSSiJßJCiJSiiSSiJOtiSißSiiS 

den  Skeletten  im  llintergruiul;  der  AiialDin  dciziert  an  der  Leiche 
den  Brustsitiis;  bemerkenswert  liir  die  Sektionstechnik  ist  die  'Tat- 
sache, daß  hier  /.um  ersten  Male  das  Hrusthcin  heraiiSi;elcxst  ist.     .Mit 


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steifer  Pose  und  schwacher  l:rinncrun^  an  Doktor  lulp  zeigt  der 
freundHch  Idchehide  Gelehrte  am  eii^enen  Kor|nis  die  Situation.  Wie 
vor  hundertundfünfzig  Jaliren  die  Schützen,  so  halt  Jeder  etwas  in  di:n 


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72  3S!Sis^io>^!SiS!C$!s^'^^'):S):siS>:!!Si^!c;^^3:s  Anatomie  ic??>:sK<c>:!CiiKiß!K?>:si!S!Oi!C?!>:!Oi<S!KiKij!!K!C!iiK!KSiic? 

Händen:  ein  l^uch,  ein  Ricelibüchschcn,  einen  Bleistih.  und  man  i;uekl 
wieder  zum  Bilde  hinaus.  Doch  einen  i^rußen  lh.slt)rischen  Wert 
besitzt  das  ti^urenreiche  Bild.  Hinter  dem  Lektor  steht,  die  Hand 
im  Rock,  der  Delfter  Anton\-  van  I.eeuwenhoek,  der  1-ntdeckcr  der 
Infusorien,  der  mit  dem  Zeitgenossen  Johann  Swammcrdam  sich  um 
die  mikroskopische  Instrumentenkunde  und  Anatomie  große  \'er- 
dienste  erwarb.  Leeuwenlmek  verfertigte  mit  unglaublicher  manueller 
Geschicklichkeit  Mikroskope  bis  zu  zweihundertundsiebziglacher  \'er- 
größerung  und  machte  durch  diese  Apparate  aus  (ilas,  Bergkristall, 
Diamant  und  Quarz  unter  anderem  die  lüitdeckung  der  Inlusorien 
inid   der  Querstreitung  der  Muskulatur  (l'igur  44). 

So  sehen  wir,  wie  mit  dem  Ausgang  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts ein  ziemlich  schneller  \'ert'all  der  Malkimst  eintrat,  der  ja 
mit  der  Hinbuße  (■n)litischer  Größe  des  Landes  Hand  in  Hand  ging. 
Doch  schleppte  die  stetig  wachsende  wissenschaftliche  Bedeutung 
der  Anatomie  die  Sitte  der  Anatomiegemälde  noch  weit  hinein  in 
das  neue  Jahrhundert.  Die  ]-ntwicklungskurven  von  ALilerei  und 
Medizin  kreuzten  sich  jah.  Denn  die  der  Medizin  stieg  fieberhalt 
zu  ungeahnter  Höhe.  Die  Leidener  Universität  förderte  Manner 
ersten  Ranges,  die  Xanien  des  über  neunzig  Jahre  alt  gewordenen 
Leeuwenhoek,  von  Boerhave,  Albinus,  Camper  erklaren  es  schon 
allein,  daß  der  Jkenn|nmkt  der  Medizin  in  der  ersten  Hälfte  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  unstreitig  in  den  Niederlanden  lag.  Von 
hier  aus  gingen  die  Sendboten  Haller  und  van  Swieten  nach  (iot- 
tingen  und  Wien.  Der  objektiv  reale  (jeist  der  .Medizin  begann 
die  Welt  zu  erobern.  Ls  flackerten  bereits  im  stillen  an  \  ielen 
Orten  Lichter  auf",  die  erst  hundertundlunlzig  Jahre  später  zu  einem 
hellleuchtenden  Mammenmeer  zusannnenschlugen,  als  Ciloriole  eines 
bisher  nie  erreichten,  nie  geahnten  Zenites  in  der  Medizin;  erst  in 
unseren  Tagen  begann  die  Malerei  wieder  aus  der  dumpteii  [ihili- 
strösen  Stubenluft  imaginärer  Xatur  der  alleren  akademischen  Schulen 
zur  freien  Xaturschilderung  zu  erwachen.  In  dieser  Zeit  der  Deka- 
denz der  .Malerei  taucht  ein  begabter  Lpigone  aul,  in  malerischer 
Beziehung  ein   Meister,  aber  ein   Kind   seiner  Zeit:    (".ornelis  'i'roost; 


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74  äSäSJSäeiäSSSStäSiSJKJSiSJKiKäSiKäKäKJSiKSiSSäK  ANATOMIE  äKSSäSäSäSäKSSäKäSiCSJOääCiäSiKSiiKJSäKäKSSiKäSäSäSä« 

von  ihm  stanmu  eine  Salonanatoniie  aus  dem  Jahre  17 28,  die  nur 
zu  gut  gemalt  ist,  imi  nicht  als  eine  Karikatur  zu  gelten;  im  \'er- 
gleich  mit  den  Irüheren  Gemälden  charakterisiert  dieses  l^ild  vor- 
zügHch  den  Übergang  vom  Barock-  zum  Zopfstil.  Um  eine  Leiche, 
deren  Kniegelenk  sorgfaltig  präpariert  ist,  so  daß  man  die  l'nter- 
fläche  der  Kniescheibe  sehen  kann,  sitzen  drei  (Chirurgen  in  salopper 
Haltung;  der  jüngste  derselben,  Professor  Roeli.  sucht  anscheinend 
vero;eblich  die  Aufmerksamkeit  der  anderen  aut  das  Präparat  zu 
lenken.  Die  Herren  in  (iala  ä  la  l.ouis  XW,  in  liellseidenen  Röcken 
und  kurzen  IKxschen  mit  seidenen  Strümplen  an  den  verlebten  Beinen, 
kennzeichnen  vorzüglich  den  Geschmack  der  Zeit.  Behielt  früher  der 
Anatom  als  Zeichen  seiner  \\'ürde  das  flaupt  bedeckt,  so  ist  es  jetzt 
umgekehrt:  die  blasierten  gelehrten  Herren  tragen  den  Dreimaster  aut 
ihren  weißen,  auf  die  Brust  fallenden  Allongeperücken;  Professor  Roell 
hält  in  den  eleganten,  gepflegten  Händen  lange  Haken,  um  nur  ja  nicht 
die  duftigen,  feinen  Spitzenmanschetten  zu  beschmutzen.  Professor 
Roell  selbst  war  erst  Assistent  und  dann  Nachfolger  Ruyschs,  übergab 
aber  bald  krankheitshalber  den  anatonüschen  Unterricht  an  P.  Camper. 
Die  Namen  der  übrigen  sind  van  Brederode.  Milaan  und  ikanardus 
van  X'ijve;  sogar  den  Namen  des  hinten  stehenden  Gildeknechts 
Clevering  nennt  die  Chronik  (siehe  ligur  43). 

Die  noch  übrigbleibenden  .Vnatomiestücke  \erdienen  nur  kurze 
Erwähnung.  Thomas  van  de  Wilt  (1692  bis  1727)  malte  die  Ana- 
tomie des  Abraham  Cornelis  van  Bleyswvck,  im  Jahre  1727.  Der 
Anatom  demonstriert  vor  dreiundzwanzig  Perücken  die  Armmuskulatur. 
Hr,  der  Meister,  zeichnet  sich  \-or  den  anderen  dadurch  aus,  daß  er 
in  der  Mitte  steht  und  seine  weiße  Allongeperücke  beinahe  den 
Bauch  berührt.  I  linier  ihm,  auf  den  .Malstock  gestützt,  steht  der 
Maler  des  Bildes,  der  übrigens  auch  die  Illustrationen  zu  I.eeuwen- 
hoeks  \Wy]<  lieferte  (Figur    16). 

Das  letzte  zu  erwähnende  Bild  zeigt  den  berühmten  Gelehrten 
Pieter  Camper  in  seinem  achtunddreißigsten  Lebensjahr  und  ist  von 
Tibout  Reglers  I73(S  gemalt.  Über  dem  Gemälde  lici^t  eine  öde 
tödliche  Langeweile,  die  mit  dem  Honorar  von  600  Gulden,  das  der 


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/Ö  JSJSJSiSiSSiStiSJKiKiSieiiCiißJSSiStiSJSiSJKiSSS  Anatomie  JCiiKäRjßäSäKiCiiKJCiXJiKiKSiKSäliiKiKSiiKJOtiKiKiKiKSS 

Maler  bekam,  reichlich  bezahlt  isl.  Die  Kleidung,  den  schlechten 
Zeiten  entsprechend,  ist  einlach,  die  i'erücken  sind  kurz  geworden. 
Acht  Personen  gruppieren  sich  um  einen  Tisch,  aul  dem  ein  Brüs- 
.seler  Teppich  liegt;  der  Anatt)m  mit  langem  Talar.  wie  ein  evan- 
gelischer Geistlicher  aussehend,  hat  vor  sich  einen  wohlprä(iarierten 
Halssitus.  dessen  Topographie  er  demonstriert.  C^amper  selbst  ist 
ein  bedeutender  Forscher  gewesen.  Wenn  dieses  Bild  langst  ver- 
modert ist,  wird  sich  an  den  Xanien  dieses  Leidener  delehrten  die 
stolze  Erinnerung  knüpten,  dal.^  er  der  anatomisch-phvsiologischen 
Forschung  die  Wege  geebnet  hat;  die  Kenntnis  des  (iesichtswinkels, 
die  Lehre  von  der  Pneumatizitat  des  X'ogelskelettes,  von  der  Svm- 
phvseotomie  und  von  dem  Processus  vaginalis  peritonei  trägt  den 
Xamen  des  .Mannes,  dessen  Wahlspruch  war:  Aut  bene  aut  non 
(siehe  L'igur  .|6).  .\uch  sei  erwähnt,  daß  er  selbst  gut  gezeichnet 
hat  und  daß  [ilastische  Studien  \on  ihm  noch  in  Leiden  aufbewahrt 
werden*). 

Der  \'ollständigkeit  wegen  sei  noch  ein  \iertes  Anatoniiebild 
in  Dellt  erwähnt;  es  stellt  die  Gehirnsektit)n  eines  unbedeutenden 
Anatomen  von  einem  last  unbekannten  Maler  aus  dem  Jaiire  177^  dar. 

So  war  Holland  gewissermaßen  das  Mutterland  tur  die  Ana- 
tomiegemälde; es  würde  nun  menschlicher  Sitte  und  (jewohnheit 
entsprechen,  wenn  dieses  V'orbild  in  dem  einen  oder  .uidercn  Lande 
Schule  gemacht  hätte:  bisher  ist  es  mir  aber  nur  gelungen,  in 
England  von  solchen  ,\natomiegemälden  Kunde  zu  bekonmien. 
Wir  werden  an  anderer  Stelle,  bei  Ik'sprechung  der  (jruppen- 
bilder,  auseinandersetzen,  dal.^  es  aber  nicht  ganz  sicher  ist,  ob  diese 
Gemälde  ihren  Ursprung  den  niederländischen  \'orbildern  ver- 
danken oder  dem  J-influsse  eines  zweihundert  Jahre  älteren  eng- 
lischen Gruppenbildes,  jedenialls  besteht  die  Tatsache,  dal,^  die  früh 
zu  Ansehen  gelangte  Loniloner  Barbierchirurgengilde  sich  schon 
sicher  seit  1462  mit  anatomischen  Studien  beschäftigte.  Diese 
Chirurgengilde  besaß  zwei  AListers  und  zwei   Stewards  ol   the  .\na- 

•)  Siehe  auch  Peter  Campcr's  Vorlesungen  in  der  .Amsterdamer  Zeichenakademie, 
unter  anderem  ülier  die  Schönheit  der  T'orm.     Berlin   i7<)j. 


JOtäiSiäKiKXSiKiOtiKSXiOtJviiOsäiSXäiiKiCt'SiiviJJiJOiJK»:!^    L.NGLAND  !0!SKi«!iKi«!<X!0>s:i!S!C>SX<SS><S!K<C>:i5iiC>:!0><5«!0>!K  ^^ 


toniy,  \()n  denen  die  ersleren  anatomische  \'orlesiinL;en  hielten, 
wahrend  die  letzteren  die  Zeri^hederuni;  der  l.eiehe  vornahmen.  |edes 
Jahr  fanden  vier  otlentHche  anatomische  \'orlesuni;en  nach  Hin- 
richtungen \-on  Maletalaoren  statt,  an  die  sicli  später  ein  solennes 
Diner  knüpfte.  Neben  solchen  öflentlichen  landen  aber  auch  früh- 
zeitig in  Barbershall  jirivate  anatomische  X'orlesungen  statt,  zu  denen 
spezielle  Einladungen  ergingen.  Indem  ntm  in  den  Urkunden  und 
Rechnungsbüchern     der    Chirurgengilde     häufiger    Anatomieuemälde 


Fig.  48.     Vignuttc   zur  Xcuausgabc   dus  Vcsalius  v.J.  1725.     Von  Wam.klaar. 


erwähnt  werden,  ohne  daß  wir  von  diesen  eine  speziellere  Kunde 
besaßen,  hat  D'Arcv  Power  diese  Lücke  in  äul.^erst  dankenswerter 
Weise  ausgefüllt  durch  die  Publikation  des  einzig  bisher  bekannt 
gewordenen  Anatomiegemäldes  aus  l^arbershall"').  Dies  miniaturartig 
gemalte  Ölbild  (siehe  Figur  49)  hat  sich,  wie  es  scheint,  deshalb 
erhalten,  weil  es  in  einen  Band  von  Master  John  Banisters  anato- 
mischen Tafeln  eingebunden  war.  Ein  Blick  auf  die  Darstellung  zeigt, 
daß  das  mediko-historische  Interesse  das  künstlerische  vollkommen 
überwiegt.  Denn  eine  schwache  Hand  hat  hier  des  Chirurgen  Auf- 
trag ausgeführt.     Dabei  W(_)llen  wir  gerne  zugeben,  daß  ofienbar  der 


•)    Proceedings    of   the   Royal    Society   of  Mcdicinc,   \'oI.  6,    Section   of  thc   History    of 
Medicine,  p.  iS — }.b  (Dec.  19121. 


78  JKäSäSSSSHKSSiCtJCt'CiieiiöißJßJOiStJOiiJtSiiKäK:«»?  Anatomie  äKJCSäKäKäSäOiäCiäSiKSKSSJCiSKiOtiOtiKStiOiiKiOiivtiKiKiCÜiK 

Kopf  Banisters  und  der  des  wahrscheinlichen  Präsidenten  der  (iilde 
vom  lahre  13S1  Master  Robert  Mudesley  portratähnHch  ^ehini;en 
ist.  Die  Aiinalen  der  Barbierehiruri^en  bezeichnen  als  Master  des 
Jahres  1380  diesen,  als  solchen  des  Jahres  13S1  Bovey  und  als 
»\\'ardens«  Swaine  Rankvn  und  (uillin.  Die  an  der  Leiche  selbst 
Beschäftigten  haben  weiße  Chirurgenärniel.  Der  Lektor  und  der 
Master    sind    im    (iegensatz    /u    den    Zuhörern    bedeckten    llauines. 


Origiria/titi/fiii/ii/tt:. 

Fig.  49.    Die  Anatümic  des  ßarber-Surgcon  John  Banister  1581. 

Die  Szene  spielt  in  einem  Räume  in  l'arbershall.  An  der  A\^md 
sind  die  Wappen  angebracht  luit  L\^:n  Sprüchen:  »Tendit  in  ardua 
\'irtus«  tmd  »De  praescientia  Deic  Dieses  letzte  Motto  erscheint 
erst  mit  dem  neuen  Wappen  der  dilde  vom  Jahre  1369  und  wird 
noch  heute  von  der  Company  of  Barbers  benutzt.  Das  erste  Wappen 
ist  das  der  Lamilie  Banister  von  Surrcv.  D'Arcv  Power  rückt 
auf  Grund    dieses    Bildes    das    wirkliche    deburtsjahr    l^anisters    aul 


1533  zurück,  während  bisher  das  Jahr  15(0  daliir  L;ah.  Der  ana- 
tomische Kodex  ist  der  1339  zuerst  in  \  enedii;  i^edruckle  »Kealdus 
Columbus«,  und  es  beginnt  die  sichtbar  auliieschhiuene  Seite  mit  den 


I  !_;.  y.      ]'ic   Anatomie   Jts  Sir  Charles  ScarboroUL;h, 
Von  Greenbury  (ifi-io).     London,  Barbershnll. 

Worten:  »Intestina  igitur  a  ventriculo  cxoriuntur.«  Dieser  Cremoneser 
Realdo  Colombo  war  Schüler  und  Xaclholger  des  \'esahus.  In 
einem  dem  Papste  Paul  l\\  gewidmeten  Werke:  »De  re  anatomica« 
aber  gefällt  er  sich  darin,   bei  jeder  Gelegenheit  seinen  inzwischen  mit 


So  5SäS3SäKißäKäSäKJS!KäiiOi.«:<>;i5JSiSäIi!5i5SSäKi«  ANATOMIE  äRäS.<>:iKi>;!Sie!iKäKäKiS!«!K!KSiSK!0!!0>!0>Si!>;!KiSiK!C>: 


ihw.  veiicindclcn  Lehrer  nnzuurcitcn.  Ranistcr  selbst  begann  seine 
Lautbahn  als  Krie^schirui'i;  und  wurde  dann  Praktikus  in  X()tlini;hani. 
Dann  i;ing  er  nach  London.  Durch  einen  noch  erhaltenen  llriel  der 
Königin  Elisabeth  bekam  der  hier  /.u  Ldnen  und  Ruhm  gekonnnene 
tüchtige  Mann  noch  die  elnx-nde  Lizenz,  auch  innere  Medizin  treiben 
zu   dürfen. 

Außerdem  ist  aut  uns  ein  Anatomiebild  gekommen,  welches 
im  Lthre  ]6|9  von  Cireenburv  gemalt  ist  imd  den  Doktt)r  Sir  Charles 
Scarborough  mit  dem  Alderman  Arris  darstellt.  Wir  wissen,  daß 
Doktor  .Scarborough  zimi  Anatomical  Re.ider  gewählt  wurde  und 
dal.^  der  .Maler  tür  dieses  Bild  neun  Li  und  zehn  Shilling  von  der 
(jilde  bezahlt  bekommen  hat.  Sir  (Charles  Scarborough  war  intimer 
L'reund  Ilarvevs;  er  vertal.Ue  neben  mathematischen  Schritten  auch 
einen  Svllabus  musculorum;  aui  seinem  Leichenstein  stehen  die  stolzen 
Worte:  »Anglorum  inter  mcdicos  Llippocrates,  inter  matheniaticos 
Euclides.«  \\'ir  sehen  aut  diesem  schlecht  erhaltenen  Bilde  in  steifer 
Pose  den  Doktor  vor  einem  soeben  präparierten  Leichnam  in  elegantem 
Ornat  dozieren,  während  sein  Assistent  den  Muskelarm  mit  beiden 
Händen  umt'aßt  hält;  offenbar  ist  dieser  \'orlesung  bereits  die  Lrä- 
paration  der  Leiche  vorausgegangen  und  das  Bild  so  gedacht,  dal.^  die 
Lektoren  vor  großer  Korona  dozieren.  Die  Leiche  selbst  ist  beinahe 
ganz  bedeckt  mit  Leintüchern,  und  sieht  man  nur  dijn  Brustkorb, 
der  aut   der  einen   Seite  bis   aul    die   Kippen   prä|iariert   ist. 

Hine  entternte  Ähnlichkeit  nut  diesem  englischen  Anatomie- 
gemäldc,  das  den  Übergang  zum  einlachen  Porträt  eines  Anatomen 
bildet,  ist  ein  jetzt  in  der  medizin-historischen  Sannnlung  des 
Kaiserin  -  Iriedrich  -  Hauses  belindliches  Gemälde,  welches  einen 
Mediziner  xorstellt,  der  in  seiner  rechten  Hand  ein  großes  Sezier- 
messer hält.  Unter  seinen  Lingern  erscheint  noch  der  Koji!  der 
präparierten  Leiche;  nnt  der  anderen  llaiul  weist  er  aul  einen  großen, 
an  der  Wand  hängenden  /eitel,  aul  welchem  in  deutscher  Sprache 
und  in  \'ersen  der  Nutzen  der  Anatomie  \  erherrlicht  war.  Bei  der 
l^estauration  des  P>ildes  gingen  jedoch  diese  \erloren.  \'orne  neben 
der  Leiche  lie^t  der  Kruzitixus.    Das  Cjemälde.   welches   Iruher  einmal 


JSSSiSiSJOi^lJKS^JßJK'Ciä'iSiCSJSJÖSiJJiäiSiStJSiCtJCtäK    England    äOsiC'SiiSiOiißSiiKiOiSiJSiStiOiJßSiSiSi'OiJiiißJßStJK  8  i 


im  Magazin  des  Berüncr  Alten  Museums  sich  befand,  stammt  aus  dem 
Antani;  des  siebzehnten  Jahrhunderts;  die  Züge  des  bartlosen  Koptes 


Fig.  51.     Eine  anatomische  Vorlesung   1750  in  Barbershall. 
Von  William  Hogarth. 

mit  den  großen  Augen  und  dem  spitzen  mageren  Kinn  haben  eine 
ausgesprochene  Ähnlichkeit  mit  denen  des  Paracelsus.  Auch  ent- 
spricht die  ganze  x\ufmachung  einem  spateren  Gemälde  aus  seinem 

Holktnder,    Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei.     2.  Auflage.  O 


82  äSSSiKäiS>iSS>S>SiJ5<SiCiti>i5'«iS<SS>»!50iS!iK!K  Ana  I  OMIH  JSSSSSißjeiJKJSSii^JSiSiSSiiJSSiJCiJSiOiiKStJjiiKSiiOiiS 


Salzburger  Mause,  welches  sich  jel/t  in  allerdings  troslK.seni  Ziistaiul 
im  dortigen  stadtischen  Museum   belindet. 

(janz  aus  dem  Rahmen  der  bisher  behandelten  Bilder  fällt  ein 
Tendenzstück  aus  der  Mitte  des  achtzehnten  laiirluiiulerls,  welches 
aber  tiir  unsere  Zwecke  von  Bedeutung  und  Interesse  ist,  ersetzt  es 
uns  doch  gewissermalk^n  die  \erloren  gegangenen  englischen  Anatoniie- 
gemälde.  Diese  Schilderung  einer  Sektion  in  Barbershall  rührt  von 
dem  berühmten  britischen  Xationahnaler  Lind  dem  kühnsten  Satiriker 
seines  jahrhuuderls, William  llogarth,  her,  der  durch  seine  Radierungen 
und  Bilderlolgen  zum  Hrzieher  seines\'olkes  wurde*).  Das  Bild  stamnu 
aus  dem  Jahre  1730  und  gehört  als  viertes  und  letztes  zu  der 
Reihe:  »bour  Stages  ot  Ca'ueltv.«  Die  (jenieinheiten  und  drausam- 
keiten  des  Tom  Xero,  der  schon  als  Zögling  der  Saint  (iiles  (diaritv 
School  Anerkennenswertes  auf  diesem  Gebiete  leistete,  lernen  wir 
durch  die  drei  ersten  Bilder  kennen,  bis  er,  gehenkt  für  seine  L'n- 
menschlichkeiten.  aut  dem  \  ierten  J^latt  eine  homöopathische  Be- 
handlung erfährt.  Nach  guter  alter  Sitte  wird  er  in  Barbershall 
seziert.  Und  nun  benutzt  llogarth  diesen  X'organg,  dem  Chirurgen- 
kollegium selbst  drausanda'it  vorzuwerfen.  Die  Art  und  Weise,  wie 
dies  geschieht,  ist  so  infam  und  widrig,  dal,^  man  am  liebsten  das 
Blatt  schon  aus  ästhetischen  (jründen  unierdrücken  nn)chte,  wenn 
es  nach  Abzug  dieses  Personlichen  nicht  ein  willkommenes  histo- 
risches Dokument  wäre.  Der  gute  Tom  liegt  au!  dem  Tische,  wir 
kennen  ihn  wieder  an  seiner  \'erbrecherphvsiognomie  und  zum  L'ber- 
lluß  noch  an  seiner  Tätowierung  am  Arm.  Wie  aul  einem  Thrdn 
sitzt  der  Lektor,  mit  dem  langen  Stabe  an  der  Leiche  demonstrierend. 
Mit  der  Ausführung  der  Zergliederung  selbst  sind  analog  den  aller- 
frühesten  Zeiten  die  Stewards  of  Auatomy  beschältigl.  In  der  ersten 
Reihe  sitzen  die  Snrgeons.  dahinter  die  Apprentices  und  StudeiUen. 
Zwei  Anatomen  sind  mit  der  Sektion  beschäftigt,  \-on  denen  der  eine 
den  Leib  soeben  geöffnet  hat.  während  der  andere  mit  der  lauikleation 
des  Auges  beschäftigt  ist.    Lin  Student  übt  sich  im  Präparieren   und 


*)  .Abbildungen  'Karikatur  und  Satire«,  Seite  105,   118,   iiy. 


!OtSi!0>!Oi!KSiS!!OtJC>JKJOtiCS!K!Oi!S!S!«i!«JOt-«tiC?iCiSiiKiC?   England   !{><KJS>KiKSiiJ>!0>?SiK!0><0<JOt<CiiKJ5!SiiJi2i?>iC?!C>!K  83 

ein  Diener  wäscht  die  Därme  aus.  Wahrend  nun  Hoi^arlh  aut  alle 
Gesichter  eine  stoische  Ruhe  und  (ileichmüti.nkeit  t^elei^t  hat,  scheint 
als  einziger  die  (irausanda-it  der  Situation  der  Malefaktor  selbst  zu 
fühlen.  Der  in  Wirklichkeit  durch  einen  Idaschenzug  hochgehobene 
Kadaver  scheint  sich  vt)r  Schmerz  zu  krümmen  und  schneidet  dabei 
eine  scheußliche  Grimasse.  Das  Ganze  macht  dadurch  zunächst  den 
Eindruck  einer  Vi\isektion,  eine  Darstellung,  die  übrigens  aucli  den 
zeitgenössischen  Briten,  wie  man  zu  sagen  [fliegt,  über  die  Hutschnur 
ging.  Den  Hintergrund  füllen  zwei  Nischen  aus,  in  denen  zwei 
Gerippe  berühmter  Verbrecher  stehen.  Im  Vordergrunde  sieht  man 
eine  Vorrichtung  zur  Auskochung  für  I\nochenpräparation ;  ein  Köter 
frißt  das  Herz  des  Verbrechers.  Über  dem  Sitz  des  Lektors  sehen 
wir  das  Emblem  des  Roval  College  of  Physicians,  eine  Hand,  die 
der  anderen  den  Puls  fühlt,  und  es  zeigen  die  Totenhdnde  der 
Skelette  darauf,  als  wenn  sie  sagen  wollten,  daß  durch  die  ärztliche 
Kunst  überhaupt  das  Sterben  in  die  Welt  gekommen  wäre;  die 
Galle  des  Malers  verschärft  noch  lohn  Ireland,  ein  Zeitgenosse  und 
Erklärer  des  Künstlers,  indem  er  sagt,  daß  jener  noch  richtiger  die 
beiden  Hände  so  gezeichnet  haben  würde,  wie  die  eine  der  anderen 
eine  Guinee  in  die  Hand  steckt,  da  das  doch  die  Hauptsache  vom 
Ganzen  sei.  Nehmen  wir  diesem  Blatt  die  brutale  und  übrigens 
wenig  geistvolle  Satire,  so  bleibt  für  unsere  Zwecke  ein  wichtiger, 
historisch  interessanter  Einblick  in  die  oflentlichen  Sitzungen  der 
Londoner   Barbershall    um    die  Mitte    des    achtzehnten   Jahrhunderts. 


Einen  natürlichen  Anschluß  an  diese  im  wesentlichen  holländi- 
schen Anatomiegemälde  hndet  ein  seltsames  japanisches  Aquarell, 
welches  ohne  Zweifel  als  Vorlage  gedient  hat  oder  doch  dienen 
sollte  für  einen  Earbdruck.  Auf  diesem  großen,  jetzt  im  Kaiserin- 
Friedrich-Hause  befindlichen  Aquarell  sehen  wir*)  die  sezierte  Leiche 
einer  Japanerin.    \'or  ihr  sitzt  ein  Ahinn  in  halbeuropäischer  Tracht, 


*)  Siehe  auch  Deutsch,  med.  Wochcnschr.  190.S.    47.  färb.  Kunstbeiblatt. 


84  3KSK!«>ßSiStS!!«SSi«!CtiCiiiiKjßie!S0!iCt!SS>!«J5>KäK  AnATOMIF.  »tSiSXiSSiJßSiJSJKKX'CtSiSi-SiSiSißStXiiietSiiiSiOiJKS? 


der  aber  zweitcllos  ein  Ausländer  sein  soll,  mit  Sicherheit  ein  Hol- 
länder: das  breite,  dicke  Ciesiclit  mit  den  laiii^en  sclnvar/en  Locken 
respektive  der  IV'rücke  charakterisieren  seine  Xationalität.  Das  Alter 
des  Blattes  wird  iibereinstininiend  \(in  den  Kennern  ijetjen  das  Ende 
des  achtzehnten  Jahrhunderts  !;ele<;t.  Aus  der  (icsichtsbildunL;  der 
Japanerin  mit  ihrem  unnatürlicii  kleinen  Mundchen  »ergebe  sich, 
daß  der  Maler  des  Blattes  ztu'  Uki\(neschule«  gehört  habe.  Diese 
Zeitbestimmung  ausgangs  des  achtzehnten  Jahrhunderts  paßt  aber 
auch  zur  Kleidung   des  Arztes   und   dem   sonstigen  Inhalt   des  Blattes. 

Die  japanische  Medizin  war  ein  Derivat  der  chinesischen.  Der 
Einiluß,  den  namentlich  (lortugiesische  Arzte  eine  Zeitlang  ausüben 
konnten,  war  kein  bedeutender.  Nach  \'ernichtung  der  portugiesischen 
Kultiu'  in  Japan,  der  das  Land  die  ersten  Anlange  der  operativen 
Chiriu'gie  verdankte,  umschloß  sich  Japan  mit  einem  Stachelzaun  von 
Voriuleilen.  Aul  dieser  Ringmauer  klebte  ein  kleines  Xest  von 
Europäern,  die  holländische  L'aktorei  Deshima  bei  Naga- 
saki, die  stets  einen  holländischen  Arzt  unterhielt.  Es  ist  ntni  klar 
und  historisch  erweislich,  daß  die  'Lätigkeit  dieses  Arztes  trotz  der 
peinlichen  \'orkehrungen  in  das  Land  Innüberreichte.  Aut  den  Keisen 
der  holländischen  Gesandtschalt  an  den  Ho!  und  in  der  Umgebung 
der  Laktorei  wurde  er  konsultiert,  imd  es  wird  berichtet,  dal.'i  die 
holländischen  Arzte  meist  ihre  Dolmetscher  als  Assistenten  benutzten, 
sie  in  der  Medizin  unterrichteten  und  ihnen  Diplome  und  Zeugnisse 
ausstellten.  \'on  diesen  so  geschulten  Japanern  wurden  manche  zu 
Vorposten    europäischer  Medizin    und   dründer   von   Medizinschiden. 

Wie  stand  es  nun  mit  den  Zergliederungen?  Wenn  ich  hier 
den  |iri\aten  Mitteilungen  des  Geheimrats  Scheube  ,uis  Greiz  lolge, 
so  kennt  die  .Medizingeschichte  Japans  inu'  zwei  ollizielle  Sek- 
tionen, eine  aus  dem  Jahre  177473,  die  zweite  xom  Jahre  iS^N. 
Bei  der  ersten  handelte  es  sich  dariun,  lestzustellen ,  ob  die  ana- 
tomischen Abbildungen  des  Danzio;er  Gvmnasiallehrers  |ohaini  Adam 
Kulmus  richtiger  wären  oder  die  der  allen  chinesischen  Schule.  L.s 
wurde  dazu  der  Korper  einer  enthau|neten  X'erbrecherin  bemUzt. 
Die  richtige  Konsequenz  war  eine  midK-volle  L'bersetzung   der  ana- 


■!>:<>:<>:<>:<>:<>:<:i<f:<;i<f:<):<>:^^^^^  Jai  a\  <0!!>:'C!iS!«>StiS»:!S!ßSt»:iK<0i*>iS<K!>:<i!<0!!5t<K<iiiK  85 

toinischcn   Tabellen    Jes    l)anzii;er  l'rDtessors    ins  japanische,      lüne 
weitere    l'\)lL;e    war    die    lintwicklunLi    der    (diirnri;ie.      liier    ist    der 


PS^ 


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,,,   .       ,,,,,, ,  ,,  lirrlin.    K.usi-riu  I  ri,d,iJilLu,s 

i-ig.  52.     Holljiuii.sLliLi'  Arzt  eine  J.ipaiicrin  SL-zterend. 

Name  des  Japaners  Hanaoka  Shin  zu   nennen,  der  i;roße  Operationen 
schon    zu    Anfang    des    neunzehnten    Jahrhunderts    austührte    unter 


86  JSSS'CSJSiiSiOiJSSiStiSiSiSiSiKS'JKißiSSiJSSiiKJCS  ANATOMIE  •öiSJSiSiOi.^JCtiKKi'KSiSS'iKStiJiSiJCiißStiCiiSiSSiJSSt 


Anwciuluni;  stark  narkolischcr  AMa)cliunL;cn.  J^ald  aber  trat  eine 
Reaktion  aul.  Die  chincsisclic  .Medizin  triuinc>liicrtc  wieder  eine  Zeit- 
lang, bis  unter  Hetreibuni;  der  hi^Handiselien  Ivilonie  im  |ahre  1S4N 
eine  Medizinsehiile  in  Nagasaki  gegründet  wurde  unter  der  Leitung 
des  Pompe  van  Mcedcrvort.  Dieser  lührte  naeli  eingeholter  lalaubnis 
zum  ersten  Male  1838,  imter  heftigster  Aufregung  des  fanatischen 
\'olkes,  eine  otlizielle  Sektion  aus.  Diese  letztere  konuiit  aber  tür 
unsere  Alibildung  der  Zeit  naeli  nicht  mehr  in  l'rage.  i:s  ist  dem- 
nach mit  Wahrscheinlichkeit  zu  vermuten  und  auch  st)nst  nahe- 
liegend, dal.!,  die  Sektion  der  Ja(ianerin  vom  Jahre  1771  der  direkte 
Anlaß  zu  unserem  Aquarell  gewesen  ist.  Man  wird  dabei  nicht 
fehlgehen,  wenn  man  folgendes  annimmt:  den  ja|ianern  war  es 
bekannt  geworden,  daß  die  lu)lländischen  Ärzte  Menschen  anato- 
misierten.  Unter  X'erleugnung  des  Moti\es  benutzte  die  Reaktion 
diese  seit  1773  allgemein  bekannt  gewordene  Tatsache,  tun  Stim- 
mung gegen  die  Fremden  zu  machen  imd  den  W'rdacht  zu  er- 
wecken, als  wemi  sie  Menschenschlachter  wären.  Wohl  mit  voller 
Absicht  ist  hier  als  Opfer  ein  bildschönes  Mädchen  gemalt.  Die 
Tatsache,  daß  der  Situs  der  Leiche  eine  hohle  Phantasie  ist,  bestätigt 
die  .\nnahme  des  nicht  selbst  erlebten  X'organgs.  Ofienbar  handelt 
es  sich  um  ein  imsauberes  ,\Lmo\er  der  konkurrierenden  chinesi- 
schen .Medizin.  Doch  das  intelligente  \'olk  ließ  sich  nicht  lange 
düpieren.  Die  chinesische  Reaktion  bekam  den  Todesstoß.  .Mit 
dent  Jahre  i(S7i  erfolgte  unter  besonderer  .Anlehnung  an  die  deutsche 
Medizinschule  und  unter  Heranziehung  deutscher  Lehrkrälte  eine 
systematische  Modernisierung  des  ärztlichen  Unterrichts  im  ganzen 
Lande,  welche  bald  auch  in  medizinischer  Beziehung  die  japanische 
Großmachtstellung  imd  ihre  asiatische  \\)rherrschaft  begründete. 
Man  wird  aber  nicht  \ergessen  dürfen,  daß  die  llolländer  es  waren, 
deren  \'erdienste  lun  die  .Vusbildung  der  .Anatomie  und  damit  der 
Medizin  überhaupt  unbestritten  sind,  die  nicht  nur  das  alte  b.uropa 
mit  Medizinlehrern  versahen,  sondern  die  Pioniere  ihrer  Kunst  und 
der  Kultur  überhaupt  bis  in  das  ferne  Jajian  sandten.  Unter  den 
größten  Schwierigkeiten  behaupteten  sie  zähe  das  einmal  gewomiene 


5K5CS3K5KiO!StJK!OtiCi!«JC?Si!{>SSJOiXS!Ci-««!C?JS<>:S!<KSi!Oi   JAl'AX   !Ci<:>!0!<0'Si-Ci<S!C>S^<«?XiS!K!KS>i5<C?iC?!Ö!«<C(<5<C>J(S   87 


'l'crrain.  l'ür  diese  schwere  Zeil  dus  Kam|iles  ist  diese  Zeich- 
nung ein  wichtiges  niedizinliistorisches  Dokument  und  gleichzeitig 
ein    Ruhmesblatt     in     der     (ieschichte     der     holländischen     Medizin. 


Fig.  55.     Radierung  einer  Medaille  aul   Joli.inn   Piapt.  Morgagni. 


MEDIZINISCHE  GRUPPENBILDER 

Die  ärztlichen  (Gruppenbilder  Hollands  entstanden  aui  dem 
Bt)den  derselben  A'oraussetzungen ,  dem  auch  die  Anatomie- 
bilder entwicklungsgeschichtlich  ihre  Entstehung  verdankten.  Beide 
Gruppen  gehen  manchmal  ineinander  über,  aber  wir  haben  ihre 
etwas  künstliche  Trennung  absichtlich  vorgenommen;  jedes  ein- 
zelne Anatomiebild  bietet  etwas  Neues  und  Bedeutungsvolles,  das 
medizinhistorische  Interesse  aber  tür  ein  Massenporträt  ziemlich  un- 
bekannter Personen  ist  nur  ein  geringes  und  wird  nur  gesteigert 
durch  zufällige,  den  Arzt  besonders  interessierende  Beigaben  oder 
einen   künstlerischen  Hochstand. 

Selbst  die  Regentenbilder  ärztlicher  Protession  interessieren  uns 
nur  bedingt.  Zwei  Korperschatten  waren  es  im  wesentlichen,  deren 
Repräsentationsstücke  in  beinahe  vollkommener  Reihenfolge  aut  uns 


88  äSäSSiiCSStiSiSJSiSiSStJItiKiSiKiOs    MEDIZINISCHE   GRUPPENBILDER   äßJOtjJiSJiJOiiOiiKiKiOiSSiöißiSiSiKJKiKiCS 

gekommen  sind;  das  Amsterdamer  Lcprahospital  und  die  Wirsielier  der 
dortigen  Chirurgengilde;  lüni/elin  derartige  (iemälde.  meist  kolossaler 
Dimension  und  von  geringerem  Kuiistw  erte  hangen  im  Keiehsmuseum. 

Aus  der  Betrachtung  der  Cjemälde  der  Amsterdamer  l.eprcxserie 
geht  hervor,  daß  nicht  nur  Mediziner  als  \'orsteher  dieses  Hospizes 
amtierten,  sondern  dal.^  g;Hiz  wie  hei  uns  reiche  Bürger  und  an- 
gesehene Bürgerinnen  es  lür  eine  \-ornehme  und  humane  l'llicht 
hielten,  gemeinnützig  tätig  zu  sein.  Die  meist  in  (iala  imi  einen 
Tisch  herum  sitzenden  Regenten  sind  in  irgend  einer  bezüglichen 
Ilandhmg  dargestellt,  etwa  ein  wichtiges  Dokument  unterschreibend 
oder  wie  aut  dem  Hilde  von  \'alkaert  mit  1-inanzgesciiät'ten  für  ihr 
Schutzhaus  beschäitigt.  Neben  den  Alvnheeren  sieht  man  nun  oft 
noch  die  Oberin  oder  den  Hauswart,  durch  die  abweichende  Kleidung 
imd  die  meist  devotere  Stellung  erkennbar.  Was  uns  aber  am  meisten 
interessiert,  sind  die  charakteristischen  Nebenfiguren  dieser  Bilder. 
Gelegentlich  sehen  wir  aut  diesen  Tafeln  Lepröse  mit  mehr  oder 
weniger  Naturtreue  abgebildet.  Im  Hintergrund  des  bereits  erwähnten 
X'alkaertschen  Bildes  (siehe  Figur  54)  ist  aul  einer  Balustrade  die 
Mahlzeit  des  Reichen  dargestellt;  an  den  Tisch  drängt  sich  bettelnd 
ein  .\ussätziger,  der  in  seiner  verstünmielten  Klauenhand  die  Aussatz- 
klajiper  schwingt.  Doch  was  von  des  Reichen  Tische  ablällt,  das 
fressen  die  schnelleren  Hiuide  vorweg. 

Aut  einem  anderen  Bilde  von  van  C)chter\"elt  führt  die  Haus- 
mutter zwei  misselsüchtige  Kinder  in  den  Saal,  aut  einem  dritten, 
von  lan  de  Brav  1667  gemalten  Bilde  wird  ein  elender  Knabe,  dessen 
Gesicht  und  Kopt  aber  keine  charakteristischen  Merkmale  der  Lepra 
trägt,  hereingeführt  (siehe   L'igur   yy). 

Es  ist  natürlich  im  Rahmen  dieser  Mitteilungen  nicht  angängig, 
jedes  derartige  Bild  Nom  medizinhistorischen  und  kulturhistorischen 
Standpunkt  vollkommen  zu  anahsieren.  Wir  müssen  olt  uns  begnügen, 
nur  die  Anweisung  hierzu  gegeben  zu  haben.  .\m  Ciemälde  des 
Jan  de  Brav  wollen  wir  einmal  zu  zeigen  versuchen,  wie  wir  uns 
eine  medikohistorische  \'orlesung   im   klinischen  Sinne  denken. 

Nun  da  ist  zunächst  der  mittelmäßige  .Maler,   dei'  einer  bekannten 


90  jCiiKJSJSiSißStöiSiiss^siSiiöSiSi  Medizinische  Gruppenbilder  jCäiOtJßisSiSiSiSiJßiKJCiJKiCiiKJSSsiSJS 


und  tüchtii^cn  Küiistlciiaiiiilic  angehörte,  die  Maler,  l'ornischncidLT 
und  Kupicrätzcr  cr/cugte.  X'on  ihm  sind  mehrere  (irii[ipengemälde 
im  1  laarlemer  Kathaus  erhalten,  welche  die  \\)r.steherinnen  des  Aus- 
satzspitals und  die  männlichen  und  weiblichen  X'orsteher  des  Ariuen- 
kiiiderhauses  verewigen. 

Betrachten  wir  zunächst  einmal  unsere  Wirsteher.  Es  sind 
Männer  in  den  besten  Jahren,  glall  rasiert,  ohne  Ringe  an  dun 
Händen,  mit  Perücken,  die  nocli  dunkel  und  ungek'räuselt  sind  und 
aut  weil.le,  schlicht  gehaltene  1  lalsumschläge  lallen.  Die  Krause  ist 
bereits  ganz  aul.^er  Mode;  den  Übergang  der  gestärkten  sogenannten 
Mühlsteinkrause  in  die  eintachere  lorm  erkennen  wir  auf  Rem- 
brandts  Anatt)mie  vom  Jahre  1632.  Aul  den  späteren  Anatomie- 
gemälden sehen  wir  dann  die  allmähliche  Entwicklung  zu  dieser 
schlichteren  l-'orm,  die  dann  später  das  tvpische  Kleid  für  Gelehrte, 
namentlich  aus  dem  geistlichen  und  dem  Kichterstand,  werden  sollte. 
Der  Kontrast  des  haarlosen  Jünglings  mit  dem  Perückenträger  ist 
in  die  Augen  lallend.  Ein  Wort  über  die  Perücke  in  kulturhistori- 
scher und  medi/inhistorisclier  JV'deutung.  Der  (jcbrauch  Irenuler 
Haare  war  schon  in  der  .\ntike  bekannt;  namentlich  die  gold- 
gelben Maare  der  (jermanen  wurden  in  Koni  geschätzt  und  zu 
I^TÜcken  \erwertet.  Die  Epiigranune  des  \'alerius  Martialis,  eine 
Fundgrube  lür  solche  Dinge,  erwähnen  dun  (Gegenstand  mehrfach, 
z.  H.  Marl.  .\11.   Buch  23: 

Dcntibus  atque  comis  —  nee  tc  puJut  —  utcris  cmptis; 

Quid  facies  oculo,  Laelia?  non  eniitur. 
(»Orten  schmücktest  du  dich  mit  gefälschten  Zähnen  und  Ihuiren, 
Lälia,  wie  mit  dem  Aug  aber?    Das  kauft  man  docii  niclu.«) 

Xim,  auch  darüber  sind  wir  hin\\'eg.  Auch  ein  Auge  kann  die 
Braut  des  Abends  neben  Ilaare,  /ahne  und  l-Susen  aul  das  Kom- 
mödchen  deponieren.  Obwohl  nun  in  den  Tagen  Ludwigs  XI.  die 
Perücke  wieder  in  Irankreich  erscheint,  verstohlen  zimäclisl  und 
kunstlos  verfertigt,  ist  es  sehr  wohl  verständlich,  tlal,^  die  Svphilis 
der  Verbreitung  dieser  Methode  luachiig  imd  mit  Xaclulruck  \'or- 
spann  leistete.    Erst  in  der  dritten  Periode  dieser  Krankheil,  mit  dem 


-3 


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92  St<ssi'C>'«'i>jßi«ci<5JC!tic>siiei!>ä5  MtDiziNiscHE  Gruppenbilder  äK!O!Si>X!esS>!etSSjCt!CiSKij!S>:jCiS>s*iCi<0> 

Jahre  1540  ungctiihr  nacli  I^Vascaturi.  traten  mehrere  S\niptoiiie  der 
Lustseuche,  die  hisher  im  XOrdergrunde  ^estaudeii  liatten,  wie  die 
(iHedersclimer/en  und  die  pustulosen  Ihuiteruptionen,  nierldieh  in 
den  1  Untergrund  und  die  gummösen  (ieschwülste  heherrsehten  das 
Bild.  —  Am  auilallendsten  war  aher  der  Auslall  der  Haare  am  Kupl, 
Bart  imd  den  \\'impern.  Lalloppio  setzt  den  Beginn  dieses  I)ellii\iiim 
capiüorum  um  das  Jahr  1353.  Der  liiniluß  solchen  Geschehnisses 
aut  die  Mode  ist  naheliegend.  L'm  den  X'erdacht  ahzulenken,  Träger 
der  Krankheit  zu  sein,  ließ  man  sicli  den  Bart  inoglichst  lang 
wachsen.  Auch  das  frühzeitige  Ergrauen  und  das  llellerwerden  der 
Iris  rechnete  man  zu  den  sicheren  Symptomen,  zu  denen  etwas 
später  noch  das  Auslallen  der  Zähne  sich  zugesellte.  l:s  wurden 
aher  derer,  die  mit  langen  Barten  prahlen  konnten,  allmählich  zu 
wenig.  Eine  \'ergewaltigung  der  gesunden  .Minorität  erfolgte  durch 
die  Mode,  welche  die  Perücke  und  die  glatte  Kasur  »kreierte«.  Das 
Bedürfnis  nach  falschen  Ilaaren  wurde  enorm.  .Man  \erbarg  mit 
ihnen  nicht  nur  das  hehlen  des  eigenen  llaarwuchses,  sondern 
steigerte  die  falsche  Ik'haarung  ins  ungemessene.  Die  wunderliche 
Ausartung  schuf  der  Leibfriseur  Ludwigs  Xl\'.:  die  Allongeperücke 
erblickte  1670  das  Tageslicht,  also  drei  lahre  vor  Schafking  unseres 
Bildes.  Die  folgenden  (iruppenbilder  zeigen  schon  die  schnelle  \  er- 
breitung  dieser  Modetorheit.  1673  bildete  sich  in  Baris,  1716  in 
Berlin   die  erste  Perückenmacherzunit. 

Wenn  man  nun  durch  den  Katalog  erlährt,  daß  hier  die  \'or- 
steher  eines  Armenkiiiderhauses  oder  Aussatzspitals  sich  porträtieren 
ließen,  so  erscheint  zunächst  die  Deutung  des  Bildes  durchsichtig 
genug,  um  der  Erklärinig  zu  eiitraten.  Da  sitzen  die  reichen  .\l\n- 
heeren  um  den  Tisch,  aul  welchem  ein  liandgeknü[ilter  re|i[iicli  liegt. 
Bei  Betrachtung  des  Knüptgewebes  erinnere  ich  in  Parenthese  daran, 
daß  Bode,  gleichzeitig  der  beste  Bihler-  und  Teppiichkenner,  die 
letzteren  in  der  ALderei  studiert  und  damit  die  erste  (huiullage 
geschaffen  hat,  das  Alter  und  die  .Muster  der  ürientteppiiche  zu  er- 
gründen. —  Der  Chef  des  Präsidiiuns,  keimtlich  auch  durch  die 
längere  Perücke,    empfangt  \-on    einem   Angestellten,    \ielleicln  auch 


JOiJS-CiSXJKiSiKiOiJKißJOiSSStSiiSSSJOiiSJKSiiOiiK?^!!!!«  HOLLAND   SiiCiiCiJSiKSiJCiSKiCiKJiJOiiliiOiJKKSJOiiOtiSJC^JOiiCtJCiJOigS 


dem  \'atci"  des  Unnuindigen,  eine  QuilUinL;  lür  eiiiplan^ene  ünter- 
stützungsgelder.  In  dieser  Weise  deutete  ich  zunächst  das  J^ild  wie 
wuhl  jeder  Unbefangene.  Doch  liegt  die  Sache  ganz  anders.  Der  \'ov- 
steher  der  IJaarlenier  Jakobskapelle  übergibt  dem  Vater  oder  Vormund 


C  {KtUtcli  3ti  alUn  lantmt/^t  bat  \ap  Qfiittttm  ofi»ft»eten  ban 
fitue ?arob0 Captlle äupttn ^aetlem /  0l}tmotf(  enoe  n\tt ailic 


nactßjctjcptöefittiö^öbfn/tfti  ^^-^y  *vV///y        Q^matmt 

laf t/u)irgf!eb«!/bcfmeif«l»flfti  mcf  a<rjfri|f/waeromm£  -y-i 
g<ien  {ßimn  bUeoberg/miClsp  bebbenbe  op  br  bo^S/ecnftsaces 
^oecoptl)ooft/br(Imitietrei)ltDift(nban&tfonbcranberbant/ 
rnoe  bf  fenbiirf  ont5f|nbMfftc3(arrn  tsbooreiibe  Knuc.  Ju  l^m> 
nt(re  ÖC6  ivaerbepts/fo  tifbben  cdp  gbecnten  germo^en  tnoffttut» 
'€tn/  btttnbtitf  btitQtltmnonitn  QonctuenKflbeUmcSiatrdn^ 


|5 


■'T 


inalijuf nähme  Anistc-}(^afn  tiiini  -hist.  Miist'Utn. 


Fig.  56.    Aussatzattest  vom  Jahre   1608. 

ein  Dokument,  an  dem  sichtbar  ein  Siegel  hangt,  und  dafür  erhält  der 
Vorsteher  ein  Honorar,  nicht  umgekehrt.  Als  Gegenleistung  nämlich 
bedeutet  dieser  gesiegelte  Geleitbriet  das  Privileg  des  ungestraften 
Betteins.      C.   E.  Daniels    ist    der    ulückliche    Besitzer    eines    solchen 


94  SiSS!K!Ot!Cit!ßäS:Cit!Si«S>StSt<e!!CS!K    MEDIZINISCHE   GrUPPEXBILDER  3ßSiSii«i0iiS<0>iS5S<0>J0i!0t!5iS<SJßi«!5> 

Leprazcltels  von  der  Sankl  Jakobskapcllc  in  llaarlcni,  den  wir  durch 
sein  Hntgeqenkonmicn  —  das  Original  befindet  sich  im  Amsterdamer 
.Medizinisch-pharmazeutisch-historischen  Museum  —  liier  abbilden 
können  (siehe  Figur  56).  lis  ist,  wie  man  sieht,  ein  iVagament- 
streifen  mit  \'ordruck.  Der  in  altholländisch  abgefaßte  Wortlaut 
wird  dann  noch,  wie  auch  bei  diesem  einzigen  l:xemplar,  das  noch 
existiert,  durch  Schritt  ausgetüllt.  Der  Inhalt  lautet  ungelähr  tolgender- 
maßen:  »Wir*),  die  \'orsteher  der  liaarlemer  Jakobskapelle,  haben 
—  folgt  der  eingeschriebene  Xamen  -  tür  lepros  erklart.  Wir  geben 
ihm  einen  schwarzen  Hut  mit  weißem  Rand,  eine  Klap[ier  und 
diesen  gesiegelten  Brief,  der  aber  nur  vier  Jahre  Gültigkeit  hat.  Wir 
(jeschworene  haben  diesen  Brief  gesiegelt  160S.«  Ob  nun  einer  der 
Vorsteher  Arzt  war,  ist  nicht  gesagt  und  auch  unwahrscheinlich. 
Wir  erkennen  nun  aut  dem  Bilde  das  weiße  Halstuch  des  Leprösen 
und  sahen  auf  dem  Original  auch  den  schwarzen  Hut,  der  aber  aut  der 
Reproduktion  vor  der  Brust  des  Kranken  sich  nicht  genügend  abhebt. 
Das  schwarze  Gewand  der  Misselsüchtigen  trug  außer  anderen 
Abzeichen  in  Holland  oft  das  Wappen  der  Stadt,  zu  der  man  gehörte, 
oft  war  es  auch  mit  weißer  Wolle  mit  »zwei  Händen«  bestickt, 
auch  der  Hut  war  ott  mit  solchen  weißen  Händen  dekoriert.  Das 
Charakteristische  war  nun  die  Klapper.  Aus  Abbildungen  (zum 
Beispiel  auf  der  Rembrandtschen  Radierung)  ersieht  man  deren  Kon- 
struktion. Ein  bewegliches  Mittelbrett  schlägt  gegen  zwei  im  Winkel 
gestellte  Bretter.  Alle  Bemühungen  von  zwanzig  Jahren,  ein  Original 
dieser  Art  aulzutreiben,  scheiterten  aus  naheliegenden  Ciründen.  Denn 
eine  gebrauchte  l.e|M-aklap[-»er  ist  kein  Bijou,  das  sorgsam  aul  bewahrt 
wird.  Doch  genügt  als  Modell  vollkonuuen  die  Klapper,  die  man 
heute  noch  bei  Hasentreibjagden  gebraucht.  Die  Ausübung  der  Le[ira- 
schau  war  namentlich  in  Holland  eine  einträgliche  Ptründe.  Dabei 
bemerkten  wir  schon,  daß  sie  meist  in  Händen  von  Laien  lag. 
Meyer  Ahrens**)  berichtet,  daß  in  der  Schweiz  die  Leprösen  selbst  sich 


•)  Siehe  auch  Holländer  in  den  Verhandlungen  der  Berliner  dermatologischen  Gesell- 
schaft 1907,  S.  61. 

••)  Geschichtliche    Notizen    über    das    erste   Auftreten    der   Lustseuche    in    der   Schweiz, 
Zürich   1S41. 


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g6  äSjcsißätSiJSiCiSiiKJS-JtJCisSiSiCSäK  Medizinische  Gruppenbilder  s>:ißiSi>:!Ciiß;«i5-i0i!0>:i>:iß<j>;i>::<SJ0>S!iS 


die  Ausübung  der  LL'[iralu'sch;ui  anmaßten.  Da  jedenfalls  ein  <^erei;elter, 
ärztlich  uberwaeluer  Dienst  \ieltaeh  telihe  und  allerlei  llautkrank- 
heitcn  in  der  damaligen  Zeit  konkurrierten,  sd  kamen  \iellach 
unbeabsichtigte  Irrtümer  vor.  llaeser  berichtet  sogar,  daß  die  Stadt 
Ilaarlem  das  Recht  hatte,  auch  völlig  (jesunden  das  i.eprosenkleid 
der  Bettler  als  Privileg  zu  verleihen.  Im  Gegensatz  hierzu  war 
offenbar  im  alten  Xürenberg  das  (iesundheitswesen  trühzeitig  besonders 
gut  geregelt,  das  ersieht  man  schon  aus  der  großen  Reihe  \on  sanitäts- 
polizeilichen  \'erordnungen  des  Rates  vom  Beginn  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  ab,  die  die  .Sammlung  des  Kaiserin -briedrich- Hauses 
im  Original  besitzt.  Unter  diesen  interessiert  besonders  ein  Lepra- 
schaubriei  vom  |alire  16^2.  Derselbe*)  sollte  an  der  Sebalduskirche 
angeschlagen  werden.  Der  Inhalt  ergibt,  daß  »eins  erbarn  Ratths 
verordnete  herrn  Doctores  der  löblichen  Artznex'  und  Leibaertzte  im 
Siechenhaus  denen  Bürgerskindern  die  einer  Lepraschau  dörftig 
wären«,  zur  testgesetzten  Zeit  zur  Vertügung  ständen.  Weitere  Lepra- 
schauzettel sind  kürzlich  von  Sudholl   publiziert  worden. 

Was  übrigens  die  Entstehung  dieses  Bildes  und  ähnlicher  betrifft, 
so  weiß  man,  daß  ALder,  welche  dieWohltaten  irgendeiner  öffentlichen 
Anstalt  vorübergehend  genossen  hatten,  gewissermaßen  als  Honorar 
dafür  ein  solches  \'orstandsbild  anfertigten.  So  hängen  zum  Ik'ispiel 
im  Haarlemer  Stadthause  zwei  Gemälde,  durch  die  der  \ierund- 
achtzigjährige  Frans  Hals,  der  nach  einem  in  dulci  jubilo  verpraßten 
Leben  im  Altmännerliaus  endete,  als  (iegenleistung  die  X'orsteher 
verewigte**). 

Ein  besonderes  Interesse  fLißen  uns  die  Gruppenbilder  der 
Amsterdamer  Chirurgengilde  ein.  Schon  h-üh  vereinigten  sich  die 
Haager  Chirurgen  zu  der  Ilaagsche  Chirurgijns  (jilde  ^enaamd 
de  Cosmas  en  Damiani  C^onirerie.  In  dem  uns  bekannten  Theatrum 
ofte  Kamer  van  Anatomie  wurde  jährlich  der  b'eiertag  der  Schutz- 
heiligen der  Ärzte,  der  (Cosmas-  en  Damiani -Tag,  gefeiert.  Etwas 
später  erfolgte  die  Gründung  der  Amsterdamer  Chirurgengilde,  deren 

♦)  Abbild,  s.  Vcrh.  der  Htrl.  dcrmatol.  Ges.  1907,  S.  61. 
•*)  So  entstand  z.  B.  auch  der  Triumpf  des  Todes  im  Spedalc  firandc  in  Talcrino. 


Gruppenbilder  sich  über  hundert  Jahre  erstrecken  und  einen  i^lück- 
hchen  ]3eitrai;  zur  deschichte  des  arztüclien  Standes  heiern.  Man 
muß  dabei  berücksichtigen,  ilaß  diese  hohandischen  Institutionen 
tranzösische  \'orbilder  l<opierten.      Schon    über   hundert    hthre    früher 


I 


S.      Dixi   t.hclb   der   Chirurt'cnL'ilde. 


Von  Cornelis  Troost.     Amsterdam   ly.U- 


hatten    sich    in  Paris    die  Laienchirurgen    zu    der  Confrerie  de  Saint 
Cöme  et  Saint  Damien   zusammengetan. 

Die  ahe  Sitte,  den  \'ersammlungssaal  mit  den  Porträts  der 
»Overleeden«  zu  schmücken,  hat  auch  bei  uns  in  neuester  Zeit 
Nachahmung  gefunden.  Im  l^angenbcckhaus  zu  Berlin  hängen  an 
den  Wänden  des  Sitzungssaales  die  Ölbilder  der  bedeutendsten  Mit- 
glieder der  Deutschen  (iesellschatt  tür  Chirurgie.  Aber  welcher 
Kontrast  hier  zwischen  Malerei  und  Medizin,  zwischen  Bildnis  und 


HoUaDder,   Die   Medizin    in   der  klassischen    Malerei 


98  3SSS!OtS!iC£3SiS3CSSS<CiSSiSS:SiOiiS!(£   MEDIZINISCHE   GrUPPEXBIIDI  1*    SKSiißiOiSSiCiSJtiKJSJSJKaiSJiäSSSJCSäCSäK 


Pcrsmi.  Welch  düiilii^c  Kimsilcistungcii  im  Ncrlialliiis  selbst  zur 
hi^ll.uulisclien  |- piiionenzeit!  Was  hätte  ein  Hlias,  'l"r(K)st,  Maes,  um 
niu'  Meister  gerillterer  Qualität  zu  ueunen,  aus  den  Ki)plen  zeit- 
genössischer Chiruri^en  gemacht,  auf  deren  männliche  Züge  der  stete 
Kampt  mit  dem  Tode  und  wissenschaltliches  Streben  charakteristische 
Marken  geprägt  hat. 

Aus  der  grol.^en  Reihe  der  aul  ims  gekcimmenen  l^ilder  wollen 
wir  nur  einige  wenige  charakteristische  herausgreilen.  Aul  dem 
Bilde  l'igur  37  zeigt  sich  der  bedeutende  Rembrandtschüler  Xicolaas 
.\hies  stark  beeinlUil.U  durch  die  Antwerpener  Scinde  als  Modemaler 
des  Barocks.  Sechs  Chirurgen  sitzen  um  den  Tisch  herum,  sehr 
vornehm  in  der  Pose  und  sehr  elegant  im  kleidsamen  Kostüm  der 
Zeit,  mit  der  eben  erst  ertundenen  Kräuselung  der  ]-*erückenhaare. 
Hs  sei  daran  erinnert,  daß  die  (iewandimg  bei  den  Cdiirurgen  eine 
große  Rolle  spielte.  Nach  tranzosischem  \'orbilde  trugen  die  akademisch 
gebildeten  Chirurgen,  die  Maitres  chirurgiens  jures,  di:n  langen  Rock, 
während  13arbierchirurgen  selbst  in  öffentlichen  Urkunden  als  Chirur- 
giens de  cüiule  rohe  bezeichnet  wurden. 

In  noch  illustrerer  Manier  wie  Maes  malte  der  uns  schon  durch 
seine  Anatomie  bekannte  Cornelis  Troost  seine  drei  Chirurgen- 
vorsteher (l-'igur  )<S).  Die  Meister  in  langen  weißen  Allongeperücken 
und  eleganten  seidenen  Staatsgewändern  haben  soeben  eine  wichtige 
Urkunde  (een  heelmeesters  diploma)  unterschrieben,  die  anfängt  nnt 
den  \\'orten:  W'ij  onderschrexen  Overluiden  \an't  Chirurgi).  An 
der  Wand  befinden  sich  die  \\'appen,  die  jetzt  die  stolzen  Herren 
führen,  und  unter  denselben  liieXanien:  Isaac  llartn)an,  Klias  lluyzer, 
Adriaen  VerduNii.  Xur  noch  die  \'ornamen  erinnern  an  die  alte  Zeit. 
Aus  den  linkelkindern  steifnackiger  und  sieggewohnter  Jiauernhelden 
und  Seefahrer  waien  mit  ausländischen  Allüren  kokettierende  und 
mit  aristokratischem  Aussehen   pirahlemle  l^ankiersöhne  geworden. 

Xoch  ein  Gruppenbild  dieser  Reihe  erregt  unsere  .Aufmerksam- 
keit, wenn  auch  sein  künstlerischer  Werl  gering  zu  bemessen  ist. 
Sieben  Chels  der  Chirurgengilde  vom  Jahre  ly,;.  von  Jan  .\huirits 
Üuinckard  in   derselben  langweiligen  Manier  gemall,   in   der  er  noch 


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lOO  3KäSäS3Sä0t3SäC*SiS><C««5-Oi<5S>«    MeDIZIKISCHE   GrUPPEKBILDER    JCüJSSiiJßiOi-JtiSJOS-iKJCiiOiiCiJO'S'CiSiSi 


zwei  weitere  dcraniuc  chirurgische  (jruppenhilder  aiislührte  (vom 
Jahre  lys^  und  i7|j),  sitzen  um  einen  Tisch  herum,  der  nnt  einem 
Teppich  bedeckt  ist,  in  di^n  die  Brüsseler  W'ehekunsl  die  Wappen 
der  Bürger  eingewirkt  hat.  Nach  den  Kampleii,  die  den  Cdiirurgen 
in  keinem  Lande  erspart  geblieben  waren,  war  t)llenb.ir  auch  in 
Holkmd  eine  (ileichberechtigung  der  Cliirurgen  und  der  inneren 
Ärzte  eingetreten.  Ist  dieses  ]3iki  doch  zu  einer  Zeit  gemah,  in 
der  in  Paris  gerade  die  Akademie  der  (diirurgie  gegründet  worden 
war,  die  einige  Jahre  später  der  medizinischen  hakuhät  völlig  gleich- 
gestellt wurde.  Was  nun  diesem  Bilde  unser  besonderes  Interesse 
zuführt,  ist  der  Umstand,  daß  der  ganze  Tisch  bedeckt  ist  mit 
Instrumenten  zu  Blasen-  und  Ilarnrohrenoperationen :  Katheter, 
Sonden,  Steinlöftel,  Steinzangen,  Dilatatoren  usw.;  Abraham  Tit- 
singh,  der  Staatssteinschneider,  erklärt  die  Steinoperation,  und  \or 
ihm  liegt  eine  ganze  Reilie  operativ  entfernter  Blasensteine.  Abraham 
Titsingh  war  ein  im  Anfang  des  achtzehnten  Jalirhunderts  auch 
literarisch  produktiver  chirurgischer  Autodidakt.  Nachdem  die  innere 
Medizin  in  Svdenham  und  später  in  Boerhave  mächtige  l'iirderer 
gefunden  hatte,  begann  nun  auch  die  Chirurgie  an  Bedeutung  zu 
gewinnen.  Es  bemächtigten  sich  dieser  Kunst  die  akademischen 
Chiriu'gen,  nachdem  sie  lange  Zeit  ungebildeten  Praktikern  aus- 
geliefert war.  So  ging  es  auch  mit  der  Steint)peratit)n,  die  damals 
die  bei  weitem  am  häufigsten  ausgeführte  größere  Operation  war.  Mit 
diesem  Eingrifl"  beschäftigte  sich  eine  besondere  Klasse  \'on  Wund- 
ärzten seit  dijn  ältesten  Zeiten.  \'ou  dem  \'ater  auf  dun  Sohn 
vererbte  sich  diese  Kunst,  und  in  m.mchen  Landein  bedurfte  es  zu 
ihrer  Ausübung  eines  besonderen  Privilegs;  so  besaß  in  Frankreich 
die  1-amilie  Colot  eine  Zeitlang  das  .Monopol  des  Steinschnittes,  wie 
sich  in  Italien  in  der  ganzen  Renaissancezeit  die  umbrischen  bamilieii 
der  Xorciner  und  l'recianer  in  das  l'ri\ileg  dieser  Operation  teilten 
und  von  Ärzten  und  auch  den  tüchtigsten  Chirurgen  zur  Ausfuhrung 
ihres  Kunsthandwerkes  zugezogen  wurden.  Der  originelle  Bro\encale 
Pierre  Pranco,  einer  der  geschicktesten  Operateure  des  sechzehnten 
Jahrhunderts,    hatte  als  erster  den   sogenannten    hohen   Blasenschnitt 


SKiCSäOtäK!K5KSiäKiK!K3SäytiO!JOiä5SJO!!K!Ci>S!Cii5tS«S>StJ5t  Hngland  !0>X!iiC!iC?!SJCi!C*S>!0><>:j><0>-0>iC>-0><>.StiCiSXS>X>:S>:S>  lOl 


empfohlen,  aber  auch  noch  /u  /eilen  der  linlstehunt;  des  vt)rHei;enden 
Bildes  war  der  Weg  vcmi  Danim  aus  der  weitaus  beliebtere.  Daliir 
sprechen  auch  die  vielen  gerillten  Sonden,  die  aui  dem  1  ische  liegen 
(Figur  39)*). 

An  letzter  Stelle  müssen  wir  jetzt  des  genaueren  ein  (Gruppen- 
bild besprechen,  welches  das  älteste  der  uns  bekannten  (iemälde 
dieser  Art  ist  und  von  einem  in  England  vornehmlich  schafienden 
deutschen  Meister  gemalt  wurde.  Zur  lirldärung  dieses  Ilolbeinschen 
Bildes  wollen  wir  etwas  weiter  ausholen  und  schon  jetzt  die  Geschichte 
des  Entwicklungsganges    des   Chirurgenstandes    in   England 


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schicken,  der  in  großen  Zügen  ein  getreues  Abbild  \on  dem  der  kon- 
tinentalen Xachbarländer  ist. 

Bei  dem  Studium  dieser  Dinge  konnnt  uns  nun  ein  umtang- 
reiches  Werk:  »Annais  ot  the  Barber-Surgeons«,  als  Archiv  sehr  zu- 
statten,  ein  Buch,  in  dem  unter  Beibringung  vieler  originaler  Urkunden 
die  Geschichte  der  englischen   C^iirurgen   niedergelegt  ist**). 

Auch  in  England  lag  die  Ausübung  der  Arzneikunde  zuerst  in 
den  Händen  der  (jeistlichkeit,  wie  wir  dies  schon  beschrieben  haben. 
Da  ihnen  aber  nun  bald  die  x'\usübung  der  Chirurgie  durch  päjist- 
liche  Erlasse  verboten  wurde,  so  unterwiesen  sie  die  Barbiere,  die 
dann  die  kleine  Chirurgie  als  ihre  Domäne  betrachteten,  und  bald 
als  Barbersurgeons  unter  Richard  the  Barber  1308  sich  zu  einer 
Gilde  zusammenschlössen.  Ihr  wachsendes  Ansehen  brachte  bald 
Streitigkeiten  mit  den  richtigen  Surgeons,  die  damit  endigten,  daß 
141 3  die  beiden  Masters  der  Gilde  das  Recht  bekamen,  die  große 
Chirurgie  zu  betreiben,  und  den  Titel  erhielten:  Magistri  barbiton- 
sorum  chirurgiae  facultatem  exercentes.  Das  Ansehen  dieser  Gilde  nun 
erklärt,  daß  früher  wie  irgendwo  anders  die  akademisch  gebildeten 
inneren  Mediziner,  meist  des  Lateinischen  kundige  Geistliche,  sich 
mit  diesen  chirurgischen  Praktikern   1423    zu    einer  Connnonaltv    ot 


*)  Abbild,  der  Steinupcration  von  Colut  im  Jahre  1474  s.  •  Karikatur  und  Satire-   S.  51. 

**)  The    Annais    of    the    Barber-Surgeons    of    London,    compiled    from    their    records 

and    other    sources ,    by    Sidney    Voung .    one    of   the    Court    of   Assistants    of   the    worshipfui 

Company   of  Barbers    of   London,    vvith    illustrations   by    .\ustin    T.  Voung.     Lonilon ,    Blades, 

East  iV  Blades,  iS<)o. 


I02  siietiS:e>:«s>:ic?JC?!K<s55<K<5:<K<c?  Medizinische  Gruppenbii di  k  jssciiKSKSKJCSssicsiKiSiOiiKiCSiOiSiiKiOis? 


Phvsician.s  aiul  Sur^cons  vereinigten,  die  aber  leider  bald  sich 
wieder  auf  löste.  Auch  die  Streitigkeiten  zwischen  der  chirurgischen 
Brüderschatt  und  der  eigentlichen  alten  Barbiergilde  wuchsen  in 
dem  Maße,  wie  das  Ansehen  der  Barbierchirurgen  zunahm  und 
den  Surgeoiis  erluihte  Konkurrenz  bereitete.  In  lidinburg  wurde 
das  Kollegium  der  Wundärzte  i)05  gegriindet,  tias  nur  Pro- 
testanten aufnahm.  \'iele  Mitglieder  waren  Barbiere,  die  nur  Sonn- 
tags nicht  rasieren  durlten.  Ijnige  ihrer  Mitglieder  erlangten  Sitz 
im    Parlament. 

Den  lloheinmkt  erreichte  die  Zunft  im  Jahre  1432,  als  König 
Heinrich  \'l.  ihnen  mit  der  Prlaubnis.  ein  Wappen  zu  führen,  auch 
das  Recht  aut  die  Chirurgie  verlieh.  Dalür  hatten  sie  die  Pllicht 
übernommen,  an  den  Stadttoren  Londons  Wachtposten  autzustellen, 
die  die  Stadt  \oy  dem  Hindringen  Aussatziger  beschützen  sollten. 
\"on  einer  Unehrlichkeit  dieser  Kunsthandwerkergilden,  wie  in 
Deutschland,  ist  nirgends  die  Rede,  wenn  allerdings  auch  in  England 
sich  diese  Barbiei Chirurgen  gewissermaßen  erst  das  Recht  erkämpfen 
mußten,  \\'ai]en  zu  tragen.  Charakteristisch  für  die  Stellung  der 
Chirurgen  ist,  daß  selbst  pjiglands  Könige  sich  dieser  Beschäftigung 
hingaben.  König  Heinrichs  VHP  Rezeptbuch  enthält  eigene  Ver- 
ordnungen, und  lakob  1\'.  war  selbst  ein  so  guter  ^\'undarzt, 
daß  er  in  sclnvierigen  Pällen  konsultiert  wiu'de.  Die  Streitigkeiten 
/wischen  Barbieren  und  (Chirurgen  beendete  das  Jahr  ij.jo.  König 
Heinrich  \'II1.  von  Hngland,  bekannt  durch  seine  '■  streng  anti- 
protestantische Regierung  (contra  Ilenricum  regem  AP  Putherus,  1522) 
imd  durch  seine  sechslache  l:he  mit  Anna  Bolevn,  Johanna  Seymour, 
Katharina  Howard  usw.,  vereinigte  durcli  einen  formellen  Parla- 
mentsakt die  P'ellowship  ol'  Surgeons  mit  der  Barber  Surgeons  (ä)m- 
pany,  und  der  erste  Meister  dieser  vereinigten  diUle  wurde  der 
berühmte  'Phomas  \'icar\-.  Aus  dieser  glücklichen  \'ereinigung,  die 
erst  im  Jahre  1715  wieder  sich  aufloste,  entstand  \iel  Cutes.  Den 
feierHchen  Parlamentsakt  als  (ieschenk-  für  den  König  im  Bilde  zu 
verewigen,  hatte  nun  Ilolbein  von  der  (iilde  den  .\ultrag  bekommen 
(Pigur  60). 


104  SKSiäiäiiSJKStSiJSiS'CiißSiSiiOt    Ml-.DIZINISCHE   GrUPPENBILDKK   JSJSJSJSißSiSiSiJOiJCiiCtSiiCiSisSSiSiJK 

Wenn  man  sich  in  der  I.cndonLT  Citv  nach  hingcni  llcrnin- 
suchen  cndhch  in  die  enge  Silver  Slreel  nach  der  MonkweU  Slreet 
in  der  Nähe  der  Guildhali  durchgefragt  hal,  so  erwartet  man  nach 
den  prächtigen  Illustrationen  von  Austin  ^'oung  aus  den  Annalen 
der  Barbierchirurgie  etwas  ganz  anderes  als  diesen  bescheidenen 
Hinterbau. 

Jedenfalls  überragt  der  medizinhistorische  \\'erl  des  hier  auf- 
bewahrten Clemäides  seinen  künstlerischen,  und  es  ist  augenfällig, 
daß  eine  schwache  Hand  \'ollendete,  was  der  Meister  begonnen  und 
entwt)rlen.  V.s  befmdet  sich  übrigens  eine  llott  gemalte  alte  Kopie 
dieses  Bildes  in  etwas  anderem  b'ormate  in  der  \'orhalle  des  Ro\al 
College  ot  Surgeons. 

Aut  dem  hgurenreichen  Bilde,  welches  noch  heute  in  der 
Barbershall  hängt,  sieht  man  den  König  im  fünfzigsten  Lebensjahr, 
wie  er  die  Urkunde  den  Händen  \-on  Thomas  N'icarv  übergibt.  Zur 
Rechten  des  Königs  knien  der  königliche  Leibarzt  John  Chambers, 
der  berühmte  William  Butts,  und  hinter  diesem  der  Apotheker  Aesop 
in  pelzbesetzten  .Mantelgewändern.  Zur  Linken  des  Königs  knien 
fünfzehn  Gildevorsteher,  Members  of  the  court,  in  Brokat  und 
glänzendem  Damast  als  erster  der  Sergant  Surgeon  Thomas  Vicarv 
mit  goldener  Kette,  als  nächster  der  Surgeon  cit  the  King:  Sir  John 
Avieff,  und  hinter  ihnen  der  Kingsbarber:  Xicholaß  Sim|ison.  Was  das 
Bild  selbst  betrifft,  so  scheint  es  sicher,  dal.'i  dieses  grolk'  Repräsen- 
tationsstück von  dem  berühmtesten  deutschen  Meister  nur  im  Lntwurt 
angelegt  ist,  und  daß  der  kurze  Zeil  später  erfolgte  l'od  ihn  ver- 
hinderte, das  Bild  ganz  zu  beenden,  hdnige  Kcipte  verraten  seine 
Meisterschaft,  und  es  wurde  dem  Bilde  eine  jetzt  verblaßte  Farben- 
pracht eines  l'izian  und  der  Ausdruck  eines  Cerard  Dou  nachgerühmt. 
Vollendet  wurde  das  Bild  offenbar  von  einem  schwächeren  Schüler. 
Wieso  der  Deutsche  Holbein  (jelegenheit  hatte,  in  l:ngland  höfischer 
iNLiler  zu  werden,  erklären  die  Religionskämple  und  theologischen 
Zankereien,  die  in  dem  sonst  so  leichtlebigen  Basel  tobten.  Hol- 
bein ergriff  den  W'anderstab  und  ging  nach  London,  und  damit 
verlor  Deutschland  endgültig  den  größten  Maler  der  Renaissancezeit. 


iKiKS>:!SS!JjiJO!<ß!0!!«iSso>iCi!JSii>iS!K!eiS!!Ci<siS'KX!>     11(11  Kl  IN  •c>:<0i<ß!>»:K>;<^<K!Ci!O>iO!!OiSt!C*iK<ii!O><K!«!iO!!e«iCiäK  105 


'■■■■tschcn 


Die  glänzenden  Porträts,  die  er  zuerst  von  den  reichen  ueu 
Handelsherren  des  Stahlhotes,  des  Ouartiers  der  deuLscIien  Hansa  in 
London,  anlertigte,  zogen  die  Aiifnierlvsamkeit  des  königlichen  Hofes 
aut  sich.     Hin   Porträt  von  Thomas  Croniwell   eniptahl   ihn  Heinrich. 


Fig.  61.     Sir  John  Chambers. 
Von  Hans  Holliein  il.  J. 

der  ihn  diu'cli  Jahresgehalt  und  zahlreiche  Autträge  dauernd  an  seinen 
Hot  fesselte,  obwohl  der  Basler  Rat,  jetzt  allerdings  vergeblich,  ihn 
der  Heimat  wiederzugewinnen   versuchte. 

Als  Studie  zu  diesem  großen  Repräsentationsstück  sind  gewisser- 
maßen die  Porträts  der  Leibärzte  Thomas  \'icarv  und  Sir  John  Avleft 
aufzufassen,    die  in  ßarbershall  hängen,  und  dann   noch   das  schöne 


I06  JKiCtiKJKJiSSiiSJSStSiJÄSiiKißiO!   MEDIZINISCHE    GRUPPENBILDER   äKißJSiS'CiS'JOiißSiJS'eiJCiiOtSiJßSi'etJS 


Bild  von  lohn  Chanibcrs.  welches  in  der  Gemäldegalerie  in  Wien 
sich  belindel.  l:s  ist  das  derselbe  konii^liche  Leibarzt,  der  znr 
Rechten  Heinrichs  kniet,  und  dem  man  seine  beinahe  neunzig  Jahre 
kanni  ansieht  (i'ii^ur  M ).  Hin  Wort  noch  über  Thomas  \'icary. 
Ans  den  kleinsten  Anlangen  eines  Praktikers  heraus,  der  bereits  in 
Xorditalien  und  Aleppo  mit  Ivrlolg  tätig  gewesen  war,  avancierte  er 
bald  nach  seiner  Aulnahme  in  die  Londoner  Rarber  Snrgeons  Conipanv 
zum  Holchirurgen  I  leinrichs  \'lll.  und  spater  der  Konigin  LIisabeth. 
Als  Chef  des  l^artholomaushospitals  gab  er  1348  die  erste  englische 
Anatomie  heraus,  welche  iiber  hundertundliintzig  jähre  in  seinem 
Vaterlande  maßgebend   war. 

Wir  dürlen  \on  Lngland  nicht  Abschied  nehmen,  ohne  einer 
eigentümlichen  'Latsache  zu  erwähnen,  die  ebensi)  sonderbar  erscheint, 
als  sie  durchaus  unaufgekliart  ist.  Es  ist  nämlich  sicher,  daÜ  m 
lingland  wirkliche  Gruppenbilder,  respektive  Anatomiebilder  ent- 
standen, üb  wir  nun  in  diesen  Gemälden  weitere  Folgen  des 
Holbeinschen  \'orbildes  haben  oder  ob  diese  Sitte  von  neuem  aus 
Holland  importiert  tmd  nachgeahmt  wurde,  scheint  mir  zweilelhatt. 
Die  erste  Kunde  von  diesen  Bildern  hnden  wir  in  einer  Rechnungs- 
tnkunde  vom  |ahre  1601.  Aus  diesen  und  anderen  ähnlichen  Quellen 
geht  hervor,  dail  ein  großes  Cjruppenbild,  »the  table  ot  the  anatomy« 
genannt,  existierte,  aut  dem  eiiiund\ierzig  ALusters  ot  Anatomy 
und  I:xaminers  ot  Surgeons,  die  sich  die  einundvierzig  Philosophen 
nannten,  naturgetreu  abgebildet  waren.  Ls  war  nun  ollenbar  eine 
besondere  Idire,  aut  diesem  l)ilde  [lorträtiert  zu  sein,  und  es  scheint, 
dal.^  man  eigenmächtig  sowohl,  wie  auch  mit  ik'Stinnnung  des  (iilde- 
vorstandes  alte  Köpfe  aut  diesem  Cjemälde  wegwischte,  und  datür 
den  eigenen  Kopl  auf  fremde  Schultern  setzte.  So  linden  wir  zum 
Beispiel  unter  dem  29.  März  1647  tolgende  Xoliz:  »'Lhis  court  doth 
Order  That  Mr.  Henrv  Watsons  fligure  in  the  i^resent  table  ol  anatomy 
bc  blotted  out  and  Mr.  Charlevs  l-,ftigies  placed  in  the  Koome  thereot 
Proveded,  that  bis  executrics  pa\-  bis  Legac\-  to  this  house.«  Dieselbe 
Urkunde  bestimmt,  dal.'i  ein  neues  Anatomiegemaide  angelertigt 
werden   sollte,    auf  dem   alle   diejenigen   .Mitglieder,    welche  aut  dem 


•«JKißJJiiSJKäiißäKJOHKSOSJOSiKSKSOHOiJOtSiiKiOtäKiKiOtäK  England  SßiKißJOtiKSKJKiCSSKäCSäKSKäSäOiSSäKStiCiiSäJiJliiCiiK  107 


alten  nicht  vorhanden  sind,  aul  eigene  Kosten  zu  porträtieren  waren, 
und  daß  Doktor  Goddards  aul  diesem  Bilde  als  Lektor  lun<;ieren 
sollte.  Es  scheint  nun,  als  ob  das  i^rcjlk'  l'euer  vom  Jahre  1666 
bis  1667,  welches  das  Holbeinsche  Bild  glücklicherweise  verschonte, 
diese  Anatomiegemälde  vernichtet  hat,  wenigstens  habe  ich  keine 
Spur  mehr  von  denselben  entdecken  können.  Das  einzige,  welches 
in  die  neue  Barbersurgeonshall  (167..J  bis  1864)  übernommen  wurde, 
war  das  Anatcnniebild  des  Doktor  Charles  Scarborough,  von  Green- 
bury  gemalt;  wir  haben  dieses  bei  den  Anatomiegemälden  bereits 
ausführlicher  erwähnt.  Die  Betrachtung  des  achtundachtzigjährigen 
englischen  Kollegen  in  der  Tracht  eines  lirasnuis  \'on  Rotterdam  leitet 
uns  zum  ärztlichen   Iiinzelpt)rträt   hinüber. 


DAS  ÄRZTLICHE  PORTRÄT 

Es  ist  vielfach  behauptet  worden,  daß  der  Berut  des  ALmnes  auf 
dessen  Korper  Marken  zurücklasse.  So  wird  \on  berühmten 
Diagnostikern  erzählt,  daß  sie  es  liebten,  dem  ihnen  nackt  präsen- 
tierten Kranken  die  Berutsart  auf  den  Kopf  zuzusagen.  »Ein 
Schusterbub  bist  du  und  die  Kratz  hast  du.«  Doch  auch  die  Ent- 
gleisungen sind  bekannt:  der  emphvsematische  Musiker,  der  aber  nur 
Trommel  imd  J-'auke  bearbeitet.  Wir  wollen  also  uns  beschränken 
und  nur  behaupten,  daß  die  nachdenkliche  und  ott  sorgenvolle 
Tätigkeit  des  Arztes  dem  Ausdruck  desselben  oftmals  einen  etwas 
wehmütigen  Einschlag  gibt.  Auch  das  Idealbild  des  hellenischen 
Asklepios,  vor  allem  zum  Beispiel  der  schöne  Londoner  Kopf  von 
der  Insel  Melos,  scheint  mir  neben  aller  herrlichen  Innerlichkeit 
diesen  leicht  verzichtenden  Zug  auf  den  Lippen  zu  haben,  obgleich 
das  gar  nicht  im  Sinne  der  Antike  liegt.  Wollten  wir  uns  aus  den 
großen  Sammlungen  von  Arzteporträts  über  diese  Erage  vergewissern, 
so  würde  dieser  Versuch  sotcirt  an  der  bedauerlichen  Tatsache  scheitern, 
daß    es    meist    größeren    Künstlertums    bedarf,    diese    phiK>sophische 


io8  jjHSiCsjSiCSiCSiSSiStSt-iSJCiiStißsKjefiK  Das  ärztliche  Porträt  JCSiOüSiSJKiCiiJCSiCiiKiCiiJSiKJOiiiKSüieiJKSKiOtSj! 


Nuance  aul  die  Leinwand  zu  brinijen.  Die  Physiognomie  der  Hand 
redet  den  meisten  Ärzten  eine  bekanntere  Sprache.  Aber  man  soHte 
sich  auch  üben,  die  ausgeprägten  Züge  richtig  einzuschätzen  und 
das  Gesicht  eines  temperamentN-oUen  Juristen  innerscheiden  zu  lernen 
von   der  verinnerhchten   (iesichtsmaske  des  Xaturertorschers. 

Xamenthch  in  Irüheren  Jahrhunderteu  hebte  man  es,  bit>graphische 
und  bibHographische  Schriften  herauszugeben  und  unter  anderen 
sogenannte  (ialeriewerke  von  Ärzten  zusammenzustellen.  Das  grol.V' 
neue  Lexikon  \on  August  Hirsch  zählt  eine  große  Anzahl  solcher 
Schritten  auf.  Solche  ärztliche  Porträtwerke,  die  übrigens  meist  nou 
einem  nationalen  Standpunkte  ausgingen,  sind  im  siebzehmen  und 
achtzehnten  Jahrhundert  mit  guten  Kuplerstichen  versehen  worden. 
Dabei  gehen  dann  die  Herausgeber  in  der  Weise  vor,  daß  sie  meistens 
von  ein  und  demselben  Stecher  entweder  nach  erreichbaren  Originalen 
diese  Porträts  nachbilden  lassen,  oder  daß  sie  auch  mehr  oder 
weniger  mit  reiner  Phantasie  arbeiten.  Lin  Beispiel  iür  diese  latsache 
bildet  das  schone  und  seltene  ikonographische  \W'rk  des  Sambucus*). 
welches  1374  in  Antwerpen  erschien.  Die  Ptnlräts  der  Arzte  sind 
alle  mehr  oder  weniger  mit  derselben  Xadel  gestochen  und  durch 
ihre  gemeinsame  HerkLUiit  von  einer  innerlichen  Ähnlichkeit.  Das 
Beiwerk,  der  bei  allen  olt  wechselnde  Rahmen  aus  'lierornamenten 
und  Pllanzenarabesken  und  der  darimterstehende  lateinische  \'ierzeiler 
von  »Llollunder«  bildet  die  Hauptsache.  Aloehsen,  der  merkwürdiger- 
weise in  seinem  Werke  der  Hildnissannnlung  berühmter  Arzte  allerlei 
hübsche  X'ignetten  und  Stiche  beiüigl,  aber  nicht  ein  einziges  Arzte- 
porträt,  behauptet,  dal,^  .Sambucus  aus  dem  berülnnten  Wiener  Kodex 
des  Dioscorides  die  Bildnisse  einiger  antiker  Arzte,  wie  des  (jalen, 
entnommen  habe.  Ich  habe  mich  aber  \-on  einer  Ähnlichkeit  nach 
dieser  Richtung  hin  nicht  überzeugen  können.  Allerdings  haben 
mir  nur  die  Kupier  aus  dem  Daniel  de  Xesselschen  Kataloge  (Wien 
und  Xürnberg  1690)  vorgelegen. 

Ls    ist   die   Aufgabe    einer    medizinhistorischen  Sammlung,    die 


*)  Icones   veterum    aliquot   ac    recciitiuiii    mcdicorum   iiliilosüphorumque,    clcgiolis  suis 
editae  o|)era   I.  Sambuci.     .Antwerpen  1574. 


JßSKJKäKJOtäKSiSiJCJiKJK'CJJCiSJiO-SiiCiJKiKiOSSKJOiiCtSSSS  Vesai.IUS  !Ci!C!-<iiCi<SiK!Ot!C!XS<iK>:KSiCiS><>:!ßJOi<!i<iKX-ei!Ci?S  109 


Porträts  und  die  Auto^raphen  möglichst  allcT  luTiihiiilcii  Arzte  im 
Besitz  zu  haben,  und  diese  lH)rderung  ist  leieliter  zu  bei;leiclien  als 
der  lückenlose  Besitz  der  auf  Arzte  geschlagenen  Medaillen.  Die 
ärztliche  Personalkunde   wird   dadurch  erleichtert,  dal,^  man  es  früher 


Fig.  62.    Vesalius. 


liebte,  seinen  Büchern  das  eigene  Porträt  beizufügen.  Oftmals  umgab 
man  dasselbe  mit  allegorischem  Beirat,  und  es  gibt  radierte  Porträts, 
welche  allein  vom  künstlerischen  Standpunkte  begehrter  und  kostbarer 
Besitz  sind.  Die  moderne  Reproduktionstechnik  hat  diese  schwarze 
Kunst  beinahe  verschwinden  lassen.  Ebenso  ist  es  heutzutage  ver- 
pönt, auf  seinem  i\-)rträt  die  Profession  anzudeuten.  Das  geht 
soweit,    daß  zum  Beispiel    berühmte  Chirurgen   aut    den   (jemälden, 


HO  jKssssssiSiSJCiiSiJCiisSiJKSiiCiiCiSi!«  Das  ärztliche  Porträt  3C?äiiSi!5<oi!Sis<C!i?><c><ß<oi?s>K!esstii>?SJCi!C? 


welche  unsere  Sitzungssäle  schmücken,  ängstlich  ihre  I  lande,  meist 
ihr  Bestes,  hinter  dem  Rücken  \'erstecken.  Das  (iesicht  ist  Trumpf, 
aber  wo  sind  die  Maler,  welche  mit  den  Porträtisten  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  in  lli)lland  und  denen  des  achtzehnten  und  neunzehnten 
Jahrhunderts  in  England  auch  nur  einigermaßen  konkiurieren  könnten? 

Selbst  wenn  wir  lür  die  vorliegende  Betrachtung  unsere  Aulgabe 
so  beschranken  wollten,  nur  die  Originale  berühmter  Arzte,  von 
berühmten  Künstlern  gemalt,  hier  im  l^ilde  zu  \'ereinigen,  so  würde 
dieser  Beitrag  schon  zu  groß  sein.  Wir  wollen  uns  begnügen,  einiges 
über  das  Porträt  des  \"esalius  zu  sagen. 

\'on  Andreas  Vesalius  existieren  angeblich  drei  große  Porträt- 
gemälde: eins  von  Tizian  in  der  (jaleria  Pitti  in  Florenz,  lerner 
eins  von  Jan  van  ('alcar  im  l.ouvre  und  ein  drittes  in  der  Münchener 
l'inakothek  von  Jacopo  Robusti  Tintoretto.  Zu  unserem  Bedauern 
müssen  wir  aber  erklären,  daß  alle  drei  ihre  Bezeichnung  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  tälschlich  tragen.  Das  geht  schini  aus  dem 
bloßen  \'ergleich  derselben  untereinander  und  mit  den  beiden  einzigen 
fraglos  und  einwandtrei  beglaubigten  Bildnissen  des  Reformators 
der  Anatomie,  den  Holzschnitten  aus  seinem  eigenen  Werke,  hervor. 
Hs  ist  das  zunächst  der  bekannte  Holzschnitt  aus  seiner  P'abrica  1343, 
aul  dem  der  Anatom  mit  der  Präparation  des  Armes  einer  weiblichen 
Leiche  beschältigt  ist,  und  ferner  der  Profilkopl  auf  dem  Titelblatt. 
Die  Xüge  des  jugendlichen  .Meisters  sind  charakteristisch  genug. 
Ein  breiter  Kopt  mit  hoher  Stirn  und  ausgeprägtem  Gesichtsschädel 
und  einer  leicht  an  der  Spitze  eingeknickten  Nase.  Eigentümlich 
ist  auch  sein  starker  Haarwuchs,  welcher  in  ilie  ll(')he  strebend 
und  leicht  gekräuselt  ist.  Die  Ilaargrenze  \'erläult  wellenförmig, 
indem  in  der  Mittellinie  die  Haare  sich  der  Stirn  nähern  und  zu 
beiden  Seiten  zurückweichen.  W'rgleichen  wir  hiermit  das  im  übrigen 
meisterhaft  gemalte   l.ouvrebild,    so   lallt    ims  solort    eine   veränderte 


»~ 


Haargrenze  auf.  Die  ganz  glatten  perückenartigen  Ilaare  dieses 
jungen  Mannes  verlaufen  geradlinig.  lis  lehlt  Nollkommen  die 
sogenannte  lliehende  Stirn.  Auch  der  I^artwuchs  ist  ein  anderer. 
Vesalius    trägt    auf   dem   Holzschnitt    einen    breit    und   viereckig  zu- 


JKätJSStStKSSiSiiOtJOtJCiiSißSSKXKXiOtJSSiiSiOiJSiKiCiiS  \l  sAI  ILs  i0iS!iß!C>S>S!tS!iß<SSiJ0!!KiK!SiS<C!i5ii5>!CiiCt!Cii0iiß  I  I  I 


geschnittenen  Spitzbart,  auf  dem  Louvre-Cieniäkle  aber  zeigt  der 
Jüngling  einen  zweigeteilten  diiiinen  X'ollbart.  Zur  \'er\vechslung 
führte  die  Manier  des  Künstlers,  die  Augensterne  noch  akzentuierter 
in  die  Lidwinkel  zu  stellen,  als  sie  der  Gesichtsstellung  entsprechen, 
ferner  die  gleichmäßige  X'erwendmig  desselben  Ilabits  mit  dem 
Blätterornament  und  die  Tatsache,  daß  das  angegebene  Alter  \-on 
sechsundzwanzig  Jahren  und  das  lintstehungsjahr  1340  mit  dem 
Alter  des  W'salius  übereinstimmt.  Das  (jemälde,  welchem  lange  im 
Katalog  die  Bezeichnung  als  Porträt  des  \'esalius  beigefügt  war,  ist 
jetzt  richtig  als  das  eines  Venezianers  del  l^uono  erkannt,  nach  dem 
aut  der  Säule  belindlichen  \\^ippen  (drei  Ah)hnköpte  aut  blauem 
Grunde).  Der  Siegelring  am  linken  Zeigefmger  trägt  dieselbe  \'er- 
zierung.  Das  ^\'appen  des  Anatt)men  war  nach  seiner  Weseler  Heimat 
ein  Feld  mit  drei   Wieseln*). 

Das  Bildnis  des  Tintoretto  hat  eine  entschieden  größere  mimische 
Verwandtschatt  mit  dem  liolzschnittporträt.  Allerdings  sind  die 
Schädelverhältnisse  diametral  verschieden.  Statt  des  Breit-  und  Lang- 
koptes  linden  wir  hier  einen  kleinen  Rundschädel.  Auch  die  Gesichts- 
knochen dieses  jungen  Mannes  sowie  der  ganze  Ausdruck  weisen 
aut  einen  Romanen  hin.  Die  Behandlung  des  Spitzbartes  ist  eine 
ganz  andere.  Es  hält  nun  dieser  junge  Mann  in  der  Rechten  einen 
Zirkel,  in  der  hinken  ein  Gebilde,  welches  als  Oberschenkelknochen 
angesprochen  wird,  ohne  aber  mit  Sicherheit  einen  solchen  vor- 
zustellen. Ich  habe  mich  jedenfalls  nicht  da\'on  überzeugen  können 
und  glaube,  daß  hier  eine  Übermalung  den  Gegenstand  unkenntlich 
gemacht  hat.  Im  übrigen  finde  ich  die  ganze  Pose  mit  dem  Zirkel 
zum  mindesten   unglücklich   für  einen  Anatomen  gewählt. 

Das  letzte  Bild  aus  der  Pittigalerie  stellt  einen  Mann  \-or,  dessen 
verschwommene  Züge  mit  dem  langen  Barte  einen  hohen  Fünfziger 
charakterisieren  müssen.  Seine  Linke  stützt  sich  aut  einen  großen 
Folianten,  in  dem  er  eben  studiert  hat;  seine  Rechte  hält  die  Brille 
in  der  Hand.     Wir  haben  es  auch  hier  wohl  ohne  Zweifel  nüt  einem 


*)  Ein  diesem  Gemälde  äußerst  ähnliclies  Porträt  eines  etwas  älteren  Mannes  hängt  mit 
der  Bezeichnung  Vesalius  im  Royal  College  of  Physicians. 


1 1 2  iss>sii>:iO>:«i5>!StäijCi«Sie>jßs>!C(i5>äS  Das  ärztliche  Porträt  äKSüKSiißSiiOiSiiSiKiKSiSiiSieiJSJSiSiCüCS 


Manne  der  Wissenschalt  zu  lun.  \un  ist  es  aber  ja  bekannt,  dail 
unser  Anatom,  erst  neunimdvierzig  Jahre  ah,  auf  der  mysteriösen 
Rückreise  \on  Jerusalem  starb,  nachdem  er  die  letzten  Jahre  seines 
Lebens  sicherlich  lern  von  Italien  gelebt  hatte.  Tizian  aber  war  gegen 
Ende  des  Lebens  des  Anatomen  bereits  ein  (ireis.  .Seine  Riistigkeit 
und  hölische  Lrscheinung  erfüllte  noch  die  Welt  mit  Glanz,  inul  das 
Portrat  des  Arztes  Parma  (jetzt  in  der  Kaiserlichen  Gemälde-Cjalerie 
Wien)  —  im  Jahre  1360  gemalt  verrät  noch  seine  ungeschwächte 
.Meisterschaft;  aber  in  der  Zeit,  in  welcher  der  Malerlürst  den  .Ana- 
tomen hätte  kennen  können,  kann  dieser  unmöglich  so  ausgesehen 
haben.  Ls  ist  allerdings  nachgewiesen,  daß  Tizian  auch  (jemälde 
von  Personen  entwerfen  hat,  die  er  nie  gesehen,  wie  dieses  ja  auch 
von  van   Dvck   und  anderen   berichtet  wird. 

Wenn  wir  also  auch  auf  dieser  .Schöptung  nicht  sicher  tußen 
können,  so  sind  wir  in  der  Lage,  ein  zweifelsohne  authentisches 
Porträt  des  großen  .\natomen  zu  publizieren,  welches  der  hollän- 
dische medizinische  Historiograph  C.  E.  Daniels  ans  Picht  gezogen 
und  zuerst  veröffentlicht  hat.  Dabei  hatte  Daniels  die  1-reundlich- 
keit,  das  'l'afelgemälde  für  unsere  Ausstellung  im  Jahre  1906 
bereitwilligst  nach  Berlin  zu  schicken.  Das  Bild  stanmit  nach- 
gewiesenermaßen aus  der  Familie  \an  Wesel.  Aut  der  ]\ückseite  i.\cs 
Gemäldes  steht  die  Xotiz,  dal.'i  dies  Üriginalgemälde  des  Doktor 
Vesalius  dem  Bürgermeister  Jan  Trip  gehört  hat,  einem  Deszendenten 
eben  dieser  Familie.  Daniels  sucht  nun  in  einer  eingelienden  Aus- 
einandersetzung*) nachzuweisen,  daß  dieses  (jemälde  auch  von  Jan 
van  Calcar  gemacht  sei.  Der  längere  rote  Bart  und  der  etwas 
gesetztere  Gesichtsausdruck  veranlaßte  ihn,  die  1-ntsteluingszeit  des 
Gemäldes  kurz  vor  das  Todesjahr  des  .\Lilers,  also  i)\(\  zu  legen. 
Vesalius  wäre  damals  ungefähr  zweiunddreißig  Jahre  alt  gewesen. 
Wenn  ich  mir  selbst  ein  Urteil  erlauben  dari,  so  ents[iricht  das  Bild 
weder  der  Malweise  des  Calcar  noch  einem  Alter  von  zweiund- 
dreißig Jahren.     L-h  setze    das  Bild    über  zehn  Jahre  später  an  und 


•)  Onze  Kunst  (voortzettiny  van  Uc  Vlaamschc  Schoolj,  mei  1905. 


JKSiSSiSiiSiOtJCiißSiSiKSStiOiJSSXiOiJKSiJCiiSKSiOiiSSt      ENGLAND   J0tS!iCii5!iC!S!!ß<Ki«!!><>!0!Sii5!!K!0iJC!!Ci!J(SS!i:Si0i    115 


glaube,  daß  es  seine  Herkuiitl  einem  sclnvaclieren  Niederländer 
verdankt,  der  vielleicht  den  Meister  perscuilich  gekannt  und  sich  im 
übrigen  mehr  an  den  Holzschnitt  gehalten  hat.  l'iir  letztere  Aul- 
tassung  spricht  namentlich  die  Zeichnung  des  Ühres,  welches  trotz 
der  grol.V'ren  l:n-lace-Stellung  des  Koples  die  l'rotdansicht  des  Holz- 
schnittes aulweist. 

lis  existieren  mehrfach  Kollektivsammlungen  von  Bildnissen 
berühmter  Arzte;  sei  es,  daß  der  Lokalpatriotismus,  sei  es,  daß 
sonstige  Beziehungen  hierzu  W'ranlassimg  waren.  So  erinnere  ich 
an  die  vollständige  und  methodisch  angelegte  Sammlung  der  graphi- 
schen Denkmäler  und  l:rinnerungen  an  Idieophrastus  Paracelsus  im 
Salzburger  Museum. 

Artur  Weise*)  gab  die  zahllosen  J^ildnisse  Albrecht  \on  Hallers 
heraus  und  die  allerjüngste  hochinteressante  Arbeit  des  bekannten 
Londoner  Chirurgen  D'Arcy  Power  (1^)13)  behandelt  die  Porträts 
von   Harvev. 

Hin  Gang  durch  die  alten  kulturgesattigten  Stätten  englischer 
medizinischer  (iesellschalten  und  Kollegienhäuser  läßt  so  recht  den 
Unterschied  em|Mmden  zwischen  der  Behausung  der  Medizin  dies- 
seits und  jenseits  des  Kanals.  Drüben  blicken  au(  L\(:n  Mediziner 
von  den  holzgetälelten  Wanden  palastartiger  Gebäude  die  klugen 
und  stolzen  Augen  der  geistigen  Vorlahren.  Liebevolle  Pilege  hat 
die  prächtigen  und  reichen  (iemälde  seit  den  Tagen  llolbeins  rein 
erhalten.  Was  einmal  bei  uns  vorhanden  war,  das  wurde  geraubt 
und  zerstört.  Die  W'imden,  die  unserem  Lande  der  dreil.^igjährige 
Krieg  schlug,  sind   unheilbar. 


*)  Artur  Wfise.  Die  Bildnisse  Altireclit  von   llallcrs.     Bern   1909. 


^:<;i■äi■<>:<i■<f:<)i■<f:<:i■<f/<^:<^/<;i■<i^^^^^^^ 


Holländer,   Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei.     2.  Auf  läge.  ö 


DER  KÖRPERBAU 

LIND  SEINE  DARSTELLUNG  IM  WECHSEL 

VON  MODE  UND  KÜNSTLERSTIL 

c\'(ir  wir  uns  der  Ik'lraLlUunL;  der  Pathologie  in  der  Malerei 
hingeben,  müssen  wir  uns  lüniges  überlegen  über  die 
malerische  Darstellung  des  Korpers  überhaupt,  über  die 
Konstitutit)n  der  1, einwandmenschen.  Wir  müssen  uns  dabei  ernsthalt 
die  l'rage  vorlegen,  ob  lür  uns  diese  Schilderungen  dokumentarischen 
Wert  haben,  lis  ist  das  deshalb  schon  nötig,  um  das  Interessengebiet 
für  die.sc  Studien  zwischen  sichere  Grenzpfähle  abzusteck'en  und 
um  uns  zu  vergewissern,  ob  solche  gemalte  Korper  auch  lür  rein 
wissenschaftlich  -  arztliche  Zwecke  als  beglaubigtes  Material  \'er- 
wendung  linden  kimnen.  Diese  krage  ist  schon  einmal  \or  ernsten 
Mäiniern  zur  Diskussion  gestellt  worden.  Professor  Dr.  Albu  hat 
in  der  Berliner  medizinischen  Gesellschalt  die  Behauptung  aut- 
gestellt, daß  die  Hva  des  lan  van  l:vck  nicht  xom  .Maler  als  ge- 
schwängert dargestellt  werden  sollte,  sondern  daß  sie  jenen  '1  vpus 
repräsentiere,  lier  nach  seiner  und  anderer  Ik'obachtung  den  Habitus 
der  gesenkten  P.ingeweide  und  Xieren  vorstelle,  l'.s  liegt  aul  der 
Hand,  daß  man  aus  solcher  gemalten  Xaturschilderung  tiieses  und 
anderes  schließen  kann.  oWenn  damals  schon  die  Schnürlurchen 
am  weiblichen  Korpier  sichtbar  waren,  kann  unsere  moderne  Schnür- 
brust nicht  hierfür  in  Anklage  gesetzt  werden.  Die  geringe  k.nt- 
wicklung  des  Ikuslkorbes,  die  auffallenden  Zeichen  des  Habitus 
phthisicus  der  Botticellischen  Korj^er  haben  schon  zu  mancherlei 
Hypothesen  X'eranlassung  gegebeiT.  Wenn  nach  der  Aussage  dieser 
zeitgenössischen  Maler  die  Mehrzahl  der  Weiber  diesen  inlanlilen 
Körperbau  hat,  so  lag  das  vielleicht  an  der  damals  leidenden  sport- 
lichen  Betätigung    der   Iran,    an    den    olt    zu    frühzeitigen    Heiraten, 


<^:<}i<>:<}:<>i<>:<>:<ii<>:<f:0:ci<^^^^^^  Mode  sKs-issiJSijOiiCiiOiiSiKiKiSSiJKiKiOii^JKJKJKS^iSiOiJOt  1 1 5 


an  der  Art  ihrer  Bekleidung;  die  Briiste,  aus  denen  die  Säug- 
linge eines  Roger  van  der  W'evden,  eines  van  l'lvck  und  der  ganzen 
primitiven  Maler,  der  Altkolner  und  altitalienischen  Schule  trinken, 
sind  alle  so  exquisit   junglräulich   in   hOrm   und  barbe,   daß  es  nicht 


lloU-ciH  d   y  Bau/ 

Fig.  63.     Basulur  Bürgerin.    (Schwan^erschattsmode.) 

wundernehmen  kann,  wenn  ihre  Säuglinge  atrophisch  aussehen 
mit  Pergamenthaut  und  dickem  Bauch.  Mag  sein,  daß  hier  auch 
die  Franzosenkrankheit  zu  einer  massenhatten  Degeneration  der  Mal- 
modelle geführt  hat,  sieht  man  doch  in  der  folgenden  Zeit,  wie  der 
medizinische  Hochstand  an   den   holländischen  Universitäten   und  das 


ii6  äK!KiS!ßSii5!s<S!iSiKissii5!öi>:sii>:iSiKSS  Dkr  Körperbau  ieiSSiS.^iiKiSiSiJ-JSißäSiOtSiiKiSiCJJKiKSiiOiJKiKJOi 


goldene  Zeitalter  nach  dem  s[ianisclKii  1-rbfolgekrieg  aucli  /u  einer 
solchen  Steigerung  nicht  nur  der  Fülle  des  (Jeldbeutels,  sondern 
auch  des  l-'ettansatzes  geführt  hat.  wie  sie  Rubens  und  seine  Schüler 
verherrlichen  konnte.«  Solche  und  ahnhche  l'olgerungen  —  wie 
unsinnig  sie  auch  immer  sind  -  konnten  mit  wissenschattlicher 
Begründung  aus  malerischem  Beweismaterial  gezogen  werden.  Aber 
die  Schöpfung  eines  Künstlers  ist  kein  wissenschaltliches  Aktenstück, 
sondern  sie  ist  getrankt  mit  personhcher  Aultassung,  erlüllt  \on 
persönlichem  (ieschmacke.  Oder  glaubt  ihr,  daß  in  jenen  slol/en 
Tagen  der  perikleischen  Kunstblüte  .Mädchen  und  .Mütter  durch 
athenische  Cjassen  wandelten  nnt  Ktirpern,  wie  sie  der  Meister  oder 
seine  Schüler  schufen?  Ilaben  attische  Dirnen  und  Idötenspielerinnen 
in  der  Mehrzahl  jenen  Korjierbau  besessen,  den  die  .Marmorreliefs 
aufweisen?  Betrachtet  euch  die  Hängebäuche  und  Schlotterbusen 
auf  den  keramischen  Erzeugnissen  jener  Zeit  und  die  vielen  bigurinen, 
in  denen  die  Kleinkünstler  hellenischer  und  hellenistischer  llerkunlt 
das  tägliche  Keben  und  die  .Menschen  jener  Zeit  schilderten  und  olt 
auch  \-erspotteten.  ]3ie  Kunstler  zeigten  das  (lOttliche  im  .Menschen; 
doch  diese  göttergleiche  l.inienlührung  und  Silhouette  war  keine 
Kopie  eines  einzelnen  Körpers,  wie  solche  dutzendweise  herumlieleii. 
Noch  heute  erkennen  wir  nach  oft  geringfügigen  \'erschiedenheiten 
der  Körperbildung,  ob  Alkamenes  den  'l\)rso  sehnt  oder  \ielleicht 
Skopas.  Der  Kanon,  wie  er  im  Polvkletschen  Sinne  zum  Ausdruck 
kam  und  als  Musterligur  galt,  ist  nicht  ein  zu  Stein  gewtirdener 
speertragender  Jüngling,  sondern  eine  ideale  K'omposition,  welche 
aus  der  Summe  vorautgegangener  Schöpfungen  und  der  eigenen 
besonderen  Aultassung  vom  Ki'irper  sich  aut  baute.  l:s  kann  mm 
deshalb  keine  Rtjdij  davon  sein,  daß  die  /eilgenossen  dieses  oder 
jenes  Künstlers  mehr  nach  dem  einen  oder  auileren  Tx-pus  gebaut 
waren.  Betrachten  wir  zum  Beweise  eimn.d  die  Scho[->tungen  zweier 
gleichzeitiger  .Meister!  Konnten  sonst  .Michelangelos  und  Ratlaels 
Menschen  Stralk-  bei  Strai,k',  Haus  an  Haus  zur  selben  Zeit  gelebt 
haben?  Konnte  der  eine  dieselben  .Menschen  in  krattstrotzender  .Muskel- 
fülle ihrer  kolossalen  Glieder  malen   und  bilden,   und  Ralhiel  gleich- 


■<>i<>i<ii>:<>:<>:<i<:i<f:<;iig>^^^^^^  Mode  äiiOiiS!5!iSSi!S!0!iKJCi!C!<o>:siss<Si>iiSi!>:iSiKSi!0>!SiOt  117 


zeitig  nur  das  Zarte  iiiul  I.icbliclie  an  ihnen  /eigen?  Das  SclT()nlieits- 
idea!  des  einzelnen  Künstlers  ist  nicht  identisch  mit  dem  Schönheits- 
ideal  einer  gan/en   Zeit,   und   in   der  Sucht   und   in   der  Betonung  des 


Cnrjielisz  Ettgi'll'rechtsz  A,uht-n,   Sueriito'tdt-Mnseum . 

Fig.  64.     Johannes  der  'J".uiter  und   Magdalena. 
(Scluvangerschaftsinodetracht. ) 

eigenen  Stils  und  eigener  künstlerischer  l-'reiheit  wichen  absichtlich 
groLk'  Künstler  von  dem  ab,  was  Mode  und  (jeschmack  ilu'er  Zeit 
war.  Und  sti  müssen  wir  als  zweiten  l'aktor  bei  der  Betrachtung 
vt)n  Leinwandmenschen  die  Mode  in  Rechnung  setzen.  Welche 
Kontraste    nach   dieser  Richtung  hin    bei   den  verschiedenen  \'ölkern 


Il8  SKSiiKSSiCiJKJSiCtiKiKiiSJSStiCiSiiSiSiKatiK  Der  KöRIM  KHAI    SSiCSiK'ftSßißiOiSiSiiSiöiSStJSSiiSäKieil^JCiJOiiSJK 


bestellen,  das  erkennen  wir  eigentlich  erst  in  unserem  i;ei;"enteiligen 
Bestreben,  die  Disseman/en  bei  ihnen  auszugleichen.  \\'ir  Irenen 
uns,  eeleiientiiche  Übereinsiininiunuen  lestzuslellen.  Aber  auch  ini 
Wortbegrifl"  der  .Mi>de  liegt  schon  ihr  steter  Wechsel  begründet. 
Und  so  iinden  wir  auch,  daß  die  Körperschilderung  von  der  Mode 
abhängig  ist.  Hs  ist  der  K.nii|M'  der  graden  Linie  gegen  die 
geschwungene,  welche  im  grt)ßeii  und  ganzen  die  (irenzen  dieser 
steten  Antagonistik  ausmacht.  |-inmal  ist  der  Astartetvpus  modern, 
die  enge  Taille  mit  den  ausladenilen  llulteii  und  den  starken  Briisten, 
wie  er  immer  wiederkehrt  und  zuletzt  den  sogenannten  Wiener 
Tvpus  repräsentierte,  ein  andermal  der  hermaphroditische  '1'\[his  oder 
der  infantile  '1"\|his  mit  einer  \'erneinung  oder  doch  wenigstens 
Unterbetonung  der  Sexualität.  K'asteien  sich  heute  wiederum  die 
Frauen  der  \erschiedensten  Rassen,  um  den  jetzt  modernen  englischen 
und  infantilen  Tvpus  zu  markieren,  und  halten  die  naturliche  Kundung 
ihres  Bauches  mit  Panzerplatten  zurück,  so  begeisterten  sich  umgekehrt 
die  Zeitgenossen  Holbeins  an  einem  gegenteiligen  Habitus.  Die 
Markierung  des  .Schwangerschaftstv|nis  war  nicht  nur  in  der  Kleidung 
und  'J'racht.  Sitte  und  Ideal  jener  Zeit  (siehe  die  llulbeinsche  Zeichung, 
Figur  63);  man  ging  darin  sei  weit,  auch  im  l^ilde  .\lärt\rerinnen 
und  Heilige  hochgesegnet  darzustellen  (siehe  b'igur  64).  Die  Mode 
der  Zeit  übertrug  man  auf'  die  Schilderung  des  nackten  Kc'rpers 
überhaupt,  und  der  sonst  so  s\-mpathische  .Manuel  Deutsch  malte  die 
drei  hellenischen  (iöttinnen,  wie  sie  x'or  i\uis  in  Konkurrenz  stehen, 
in  der  strotzenden  Leibesfülle  des  siebenten  .Abmats  (siehe  l'igur  63 
und  66).  Und  wahrend  allerorten  die  .\hiler  der  primiti\en  Kunst 
es  lieben,  schlanke  infantile  Korper  zu  schildern,  und  namentlich  den 
ersten  Menschen  grazilen  Körperbau  gaben,  bemalte  Pietro  di  Puccio 
die  \\'ände  des  C^ampo  Santo  in  Pisa  nnt  wahrhaften  Mastmenschen. 
Die  Hva,  welche  noch  mit  tien  l'ül.k'n  in  der  Seile  .\dams  steckt, 
ist  ein  Koloß.  Beide  erfreuen  sich  noch  einer  höchst  unmodernen 
Fettfülle,  als  sie  von  Michael  aus  dem  Paradies  vertrieben  werden. 
Auch  hat  hier  der  .Maler  die  Lva  nht  den  ausgesprochensten 
X-Beinen   begabt,  die  aber  weniger  die  bolge  schlechten  Wachstums, 


SSiKStiOiJSiSiiOiKSIOiSiCJiSiOiiCiiKiSJOiiSiiSiOtKSSiJOiiSSi     Modi;  Si»:<K»:<5iO!iKiK!0>JSSiiS«»;iC!!0>iCiKX»ii5!SXS!ti>::«  119 


als  einer  akut   aiillreteiKleii   Schainliafti^keit  sind.     I'ine   leine  Nalur- 
heobachluni;   des  Malers  ist  es  aucli,   daß  der   leiste  Adam,  aus  dein 


.\7.  (i/.JS    Manuti  Ü,  J:.:sfi' 

Fig.  63.     Da.s  Paii:>urtcil.     (.Schwangerschaftsmode.) 

Paradies  vertrieben  und  der  Wu  iiehorchend  Ackerhau  treibend,  jetzt 
sein  Embonpoint  verliert  und  dünne  Waden  bekommt. 

Hduard  Inichs  hat  in  seiner  illustrierten  Sittengeschichte  darauf 
hingewiesen,  daß  die  liintührung  des  Absatzes  am  Schuh,  so  unter- 
geordnet    das     zunächst    erscheint,     im     Rahmen     der    körperlichen 


I  20  äCSäCttSiCtjöäSiCiiSiCiSiiKiKäSSiSiiCi.'SiCSäKJK  DeR  KÖRPERBAU  i0tiKiO!iK!K.*>;!C>JOt!C>:!K!KJSJ>:iKJ5iißJSJ5!i0J!Cii>:ißiK 


Bekleidung  eine  re\H)lLitii)näre  Tat  sei;  eine  neue  1-poche  der  l'rasen- 
tatiiMi  des  Kurpciiiehcn  liahe  sich  hierdureh  cingeleilel.  Diireh  den 
Absatz  am  Schuh  sei  die  KcirpcrhaltunL;  verändert,  der  Raucli  gehe 
hinein,  die  Brust  heraus.  Um  das  (ileichgewicht  /u  erhallen,  nniß 
der  Kucken  einge>iOgen  werden,  und  djdurcli  marldcre  sich  das 
Becken;    weil    die    Knie    durchgedruci^t    werden    nuissen,    wird    die 

gesamte  Haltung  jugendlicher,  der 
vorgestreckte  Busen  erscheine  strot- 
zender. .Mit  anderen  Worten:  der 
Absatz  sei  eine  rallinierte  l-rlindung 
zur  Betonung  und  zur  Bloßstellung 
der  Sexualität.  L'nbewul.k  hätten  auch 
schon  antike  l'lastiker  die  Absatzfuß- 
stellung, das  heil.U  gesenkte  Fußspitze, 
erhobene  Hacken,  be\orzugt,  so  bei 
der  \'enus  kallip\ge)S.  Auch  das  Bei- 
spiel der  »drei  Cirazien«  des  Rubens 
luhil   luchs  an. 

Ohne  Zweifel  verdient  diese  An- 
regung des  gewissenhalten  und  ern- 
sten Autors  auch  vom  medizinischen 
Standpmikte  aus  eine  Würdigung. 
Der  Absatzschuh  beginnt  seine  Rolle 
.v,-w/»j  .)/«„,<,•//',■».'« //  Ä,,s,/       mit    dem    Airsgang    des   sechzehnten 

'^''   "■  Jahrhunderts,    bis  ilahin   kannte  man 

nur  die  Hache  Sohle.  I^och  auch  der  Absatz  hat  seine  \'or- 
geschichte.  Angeschn.dlteii  Untersätzen  begegnete  man  in  ver- 
schiedenen Ländern.  In  \'enedig  sollen  solche  nn'lunler  zwi)!!  bis 
fünfzehn  /oll  hoch  gewesen  sein.  Sie  dieiUeii  verschiedenen 
Zwecken.  Zunächst  wohl  um  dun  besser  gekleideten  la-auen  den 
Gang  durch  grundlosen  Straßenkot  iiberhaujH  zu  ermöglichen, 
sodann  aber  auch  naturgemäß  der  j-igur  eine  majestätische  Hal- 
tung zu  geben.  .Allmählich  wuchs  der  Absatz  zu  einer  Ciröße, 
wie    wir    sie    am    Stockelschuh    Ludwigs    .W.    bewundern    koimen. 


jCiiOiSiiKißSiJCiJJiiJtJSSiJCiJßJOiißiOtiSiOiiKJiiSiiKiOiSS  Der  Absatz  ssssiKJßiKiKiOiJKJKiCtiJtJSiKiKiKäßiKiOiiCisessss  1 2 1 


Casan(.)va  wunderte  sich  einmal  über  die  Ki)rperlialtung  der  Iranzo- 
sischen  liotdanien,  die  nielir  einem  Hupten  in  halbhockender  Kan- 
guruhstelluni;  ähnlich  sei.  Mit  der  Inthronisation  der  l'rau  als 
t)berste    Gottheit    "elan^tc    auch    der    Stöckelschuh    zu    seiner   Höhe. 


c,,,/ 


Fig.  67.     Die  Kurtisanen. 


Als  die  Gesellschatt  zusammenbrach,  die  dieser  Religion  gehuldigt 
hatte,  verschwinden  auch  die  grt)tesken  1-ormen  des  Absatzes.  Aut 
unserer  Abbildung  sehen  wir  solche  Stelzenschuhe  (siehe  Figur  67). 
Das  Gemälde  stellt  Kurtisanen  vor,  wie  sie  sich  aut  dem  Dache  ihr 
Haar  durch  die  Sonne  bleichen  lassen,  wohl  unter  Einwirkung  von 
Henna  und  Q.LUttensatt.  Die  Revolution  stellte  die  l'rau  wieder  auf 
ihre   natürliche   Basis.     Die  Mode    verschwand    aber   nicht,    sie  kam 


122  ?S<S.«<C!<SSi«iKSiJKSiSiiiKiK!ßSiiKSiiKi«  DeR  KÖRPERBAU  ^SOsiOiiOiiCSSCiiCiSCSiCiiKiKiSSiKiCiiK.^iSi^^iSiCSlCti:; 


immer  wieder,  wenn  die  Tendenz  der  (jesellschall  und  ihie  Lebens- 
inleressen   jener  Zeit  ähnellen. 

Ohne  Zweifel  präsenlierl  sieh  der  Körper  mit  beselniluen  l'iilk'n 
auch   noch   in    den   mäßigen   (irenzen    unserer  jetziijen   Mode  und 

jetzt  i;erade  kiMiiien  wir  wieder  ein  Ansteigen  des  Absatzes  kon- 
statieren -  uanz  anders  wie  mit  nackten  Solilen.  Die  (ileich- 
sewichtslaire  verschiebt  sich  vollkommen,  und  diese  veränderte 
Balance  muß  in  einer  veränderten  Silhouette  ztmi  Ausdruck  konmien. 
Ich  habe  versucht,  diesen  dvnamisch  mechanischen  Waiiältnissen  am 
Lebenden  näher  zu  konunen,  weil  jegliche  wissenschaitliche  \\)r- 
arbeit  fehlt.  Die  .Mechanik  der  Skelcttverbinduni;  ist  außerdem  viel 
zu  kompliziert,  um  ohne  weiteres  den  empirisch  i;elimdenen  An- 
schauungen  von    buchs   eine   wissenscliallliche  Stiitze  zu   i;eben. 

Man  wird  nicht  zu  weit  vom  Ziel  abkommen,  wenn  man  diu'ch 
den  hohen  Absatz  eine  scheinbare  Walängerun-;  und  .Streckim^  der 
Wirbelsäule  und  damit  die  Streckung  der  Wellenlinie  anerkennt.  Doch 
dies  im  wesentliclien  bei  der  bekleideten,  nicht  bei  der  nackten  Iran. 
Denn  bei  der  .Mehrzahl  meiner  Heobachtunyen  tritt  der  Ausgleich 
der  verschobenen  Schwerlinie  schon  im  Kniegelenk  ein.  Dies  und 
namentlich  auch  die  \'erlagerung  der  Kichtungslinie  nach  vtirne  gibt 
dem  Korper  dann  die  getällige  schwebende  Haltung.  Alle  diese 
.Momente  sind  auch  \om  Künstler  intuiti\'  erial.U,  ebenso  wie  der 
Turner  in  seiner  schwebenden  Haltung  am  Reck  eine  lorcierle 
Streckung  des  Imßes  anstrebt.  Umgekehrt  gibt  der  Xacktkiß  der 
Körperhaltung  eine  steife  und  starre  Haltung.  Der  KorjK'r  wird 
getragen,  er  schwebt  nicht.  .Akzentuiert  sieht  man  den  Unterschied, 
wenn  eine  Belastung  eintritt.  Bei  rheinischen  und  italienischen  Bäue- 
rinnen, die  schwere  K()rbe  aul  dem  KojiJe  tragen,  sieht  man  dami 
die  Kompression  der  Wirbelsäule  imd  ihre  Folgen,  X'erlagerimg 
der  Schwerlinie  nach  hinten,  \'erkin-zung  dei'  Wirbelsäule  und 
namentlich  ein  grobes  ilervorpressen  des  l^auches.  Hin  durch  Gene- 
rationen fortgesetzter  (jebrauch  des  hohen  Absatzes  sollte  geeignet 
sein,  am  Skelett  Veränderungen  zu  hinterlassen.  W.  A.  Freimd 
bemerkt,   daß  die  nach   ihm  genannten  akzessorischen   delenkgruben 


jKiKSiiCiSiiCiSiJCSißiJiiOiiOiSiJOtiKiviJOiiCiSiißiOiStSiiS    Tkaditiox   «JiSsJKJßiKJJtSiäCSiliJCiSiJOtJOiJOiiKJCiiKJKiSiOiJßJK  123 


am  Kreuzbein,  die  bei  militärischer  Haltung;  namentlich  beim  Xackt- 
tuß  durch  W'rlaneruni;  der  Schwerlinie  nach  hinten  besonders  in 
Anspruch  genommen  werden,  also  auch  namentlich  beim  infantilen 
Körper,  zuletzt  von  Vesalius  markiert  wurden.  Sollte  diese  inter- 
essante Tatsache  mit  den  Schuliverhältnissen  in  Beziehung  gebracht 
werden   können? 

So  sehen  wir  den  dauernden  Kampf  zwischen  Künstlerstil,  das 
heißt  eigener  personlicher  Aullassung,  und  der  großen  Massen- 
suggestion: der  Mode.  Zwischen  diese  beiden  großen  Gegner  stellt 
sich  aber  als  leindliche  Macht  die 'b  r  a  d  i  t  i  o  n.  Wir  haben  es  schon 
gesehen  und  werden  es  im  weiteren  noch  vielfach  erkennen  können, 
daß  dieses  Beharren  der  Darstellung  an  überkommenen  Motiven, 
namentlich  auch  in  der  alteren  deutschen  Kunst,  ein  Faktor  ist, 
welcher  die  Datierung  von  Kunstt'bjekten  ott  so  erschwert.  Heute 
noch  malen  russische  Kirchenmaler  im  Geschmack  und  Stil  des  alten 
Bvzanz.  Immer  kehren  einmal  gegebene  Motive  wieder.  Hin  Kutteln 
am  Hergebrachten  gilt  als  sündig  wie  der  \'ersuch,  kirchliche  Ge- 
wohnheiten zu  verändern,  hnmer  weiter  hinauf  lassen  sich  einmal 
akzeptierte  Haltungen  und  Gebärden  \erfolgen.  Der  Anatom  Peter 
Camper  sagt  in  seinen  \'orlesungen  über  die  Schönheit  der  Form, 
daß  es  keine  beständige  Schönheit  gäbe,  die  sich  aus  der  Proptnlion 
der  Teile  ableite;  sie  hänge  vielmehr  ab  von  der  Gewohnheit  des 
täglichen  Lebens,  von  der  Autorität  der  zünftigen  Künstler  und  \'on 
Sitte  und  Geschmack  des  Landes.  An  anderer  Stelle  tadelt  er  seine 
Landsleute,  die  aus  ALmgel  an  Erziehung  allein  der  reihen  Natur  folgten. 

Alle  diese  perstmlichen  und  allgemeinen  X'erhältnissc,  welche 
eine  Schöpfung  aus  sich  selbst  heraus  erschweren,  und  die  geeignet 
sind,  unbewußte  Fehler  und  Korrekturen  des  wahrhaftigen  Natur- 
bildes zu  veranlassen,  sind  für  uns  eine  ALUinuni',  solche  "emalten 
Dokumente  nicht  im  rein  medizinischen  Smne  zu  verwerten.  Die 
positi\e  medizinische  Wissenschaft  kcimmt  bei  diesem  l-estschmause 
zu  kurz. 

Ab  und  zu  mag  ja  für  sie  auch  ein  Bissen  vom  Tisch  abfallen; 
alle  jene  Diskussionen,  die  oft  mit  erregter  Stimme  geführt  wurden, 


124  30EäS?S!K«»i«JKS«<S!S<o><OtiC><c>-s:«:«sti>:ät  Dkr  Körperbau  äKäiiCiiKJSiSJKJSiKiciJCSiKSi-o-ißjSStJKJSiOtiO'i«-'?! 


ob  dieses  oder  jenes  Bild  diese  oder  jene  Kraiiklieil  sehildern  solle, 
sind  nut/K's  und  hinlallii;.  Derartiger  Streit  ist  nur  geeii;net,  den 
wirklielien  Werl  dieser  Studien,  iiainlich  den  rein  inedizinhisloriselien, 
herabzusetzen.  Demi  wohin  käme  unsere  hohe  diagnostische  W'issen- 
schalt,  wohin  unsere  Therapie,  wenn  wir  mit  den  IKnideii  auf  dem 
Kücken  unsere  Diagnose  stellen  mül.sten  ausschließlich  aus  dem  Status 
einer  Mächenansicht!  ballen  denmach  komiilizierte  pathologische  \'er- 
änderungen  \on  selbst  schon  lort,  so  bleiben  \ielleiclu  die  llaut\'er- 
änderungen  übrig,  (iewiß.  manches  ist  hier  einwandirei  diagnostizierbar. 
Aber  gerade  dort,  wo  es  tms  darauf  ankonnnt,  Dillerentialdiagnostisches 
zu  leisten,  versagt  das  gemalle  Bild,  wie  ja  selbst  eine  kolorierte 
Moulage  das  Krankheilsbild  nicht  restUis  auflegst.  Die  Palpation  hat 
ihr  verbrieftes  Recht.  Hin  Beispiel  nur,  welches  \on  Interesse  ist 
mit  13ezug  auf  spätere  Auseinandersetzung:  in  den  Tagen  des  Zustroms 
Syphilitischer  aus  allen  Weltteilen  zwecks  der  Sierilisatio  magna  kam 
auch  ein  Mann  mit  tmiversellem  i:\anthem  in  meine  ßehandlimg, 
der  schon  vielfache  spezifische  Kiuen  durchgemacht  hatte.  Das  Aus- 
sehen seiner  Ilauleruplionen  glich  in  dem  MaLk'  den  syphilitischen 
Exanthemen,  datJ  erst  der  Befund  der  vi)llkonniienen  Anästhesie  der 
blecken   die  richtige  Diagnose  Lepra  brachte. 

Lud  selbst  dann,  wenn  die  ausgesprochene  Absicht  des  Künstlers 
aus  dem  \'or\vurf  des  (jemäldes  ersichtlich  war,  zum  Beispiel  einen 
Leprösen  zu  malen,  so  konnte  doch  die  Lues  dem  Maler  Modell 
gesessen  haben.  Das  alles  ist  nun  auch  derdrund,  weshalb  wir  in 
unseren  J3etrachtungen  dieser  gemalten  Krankheiten  das  rein  .Medi- 
zinische mehr  in  dun  1  Untergrund  treten  liel.k'ii  uiul  den  historischen 
Standpunkt   betonten. 


SCHWA14GEKSCHAPT  UND  GEBURT 

Durch    diu  Betrachtung    der  Mode    werden   wir   nnwillkürlich   zu 
der  Körperveränderung  der   brau   hinübergefuhrt,   welche  xom 
malerischen  Standpunkte  aus  ohne  Zweifel   das  J5indeglied  zwischen 


JOiiKSSiOtJKJKiKiCiiOiiOtSKJOtiOtSiiKSSäKJCi  ScuwANt.l.KSLUAI  T  UND  Geburt  SKiStiOtSiiCiiKSiiSSiJSSiSiJSJOtJK  i  25 

Gesundheit  und  kraiikhaticr  l:nlstclluni;  bildcl.  \\"\v  sahen  bereits, 
daß  absichtlich  und  auch  als  unbewußte  Kopisten  der  Xatur  Künstler 
die  ersten  Monate  der  Schwangerschatt  in  der  veränderten  borinen- 
fülle  auf  die  Keinwand  brachten.  Neben  van  \i\ck  und  Manuel 
Deutsch    können    wir    noch    aul"  einige    badende   l'rauen  Renibrandts 


Fig.  6S.     La  donna  gr.iviJa. 

hinweisen.  Wirkt  hier  die  gesteigerte  Gewebsspannung  und  die 
strotzende  Körpertülle  noch  ästhetisch,  so  ändert  sich  dies  Bild  in  den 
Tagen  der  Erfüllung.  Der  Kliniker,  der  allein  W(^hl  (ielegenheit  hat, 
die  in  den  letzten  Wochen  aufs  höchste  gesteigerten  \'eränderungen 
zu  studieren,  welche  die  bevorstehende  bjitbindung  hervorrutt,  betont 
schon  als  b'rühsvmptonie  die  koloristischen  Veränderungen  am  Korper 
der  Frau,   die  bläulichen  \'eränderungen    der  Haut  und  .Schleimhaut 


126  3KSJS?SS>K<5ieiiöiC>S>?>?SS?!CSSf  SCHWANGERSCHAFT  UND  GeBLUT  JKiOiSSiCiiCiiKiCiiOiSCiiSiOi^^äEiCSSCEiCSiK 


durch  ihre  venöse  CbertiiUung,  und  vor  allem  die  dunklere  Pi^inen- 
tierung,  die  oft  auch  lleckentörniig  autlriu,  vor  allem  aber  auch  die 
charakteristischen  Veränderungen  im  Gesicht;  diese,  so  geläufig  sie 
auch  dem  Mediziner  sind,  so  schwer  sind  sie  delinierbar.  Raffael 
hat  in  der  Pittigalerie  (siehe  h'igur  68)  das  leicht  \'ersch\vommene, 
Nachdenkliche  dieser  Züge  so  meisterhait  aut  der  Leinwand  test- 
gehalten, daß  ein  geübter  brauenarzt  sclum  allein  aus  dem  Antlitz 
jener  brau  die  Diagnose  aut  Schwangerschatt  stellen  würde.  Die 
linke  Hand  in  ihrer  tleischigen  Fülle,  ebenlalls  ein  iein  beobachteter 
Begleitzustand,  bedeckt  den   hochschwano;eren  Leib. 

Die  Sucht,  Aut  lallendes,  nie  (jcsehenes  ans  Licht  zu  zerren, 
gab  modernen  Malern  den  Mut,  gelegentlich  das  barbenspiel  und  die 
Formen\eränderung  dieses  Zustandes  zu  schildern.  In  der  klassischen 
Malerei  waren  es  \or  allem  zwei  Motive,  welche  die  Darstellung 
der  Schwangerschatt  innerlich  begründeten.  Ls  ist  das  der  Besuch 
der  ALnia  bei  Llisabeth  und  die  Lntdeckung  der  Schwangerschatt  der 
Xvmphe  Kallisto  durch  Diana.  Man  nuU.'i  vom  (jeiste  der  klassischen 
Mythologie  erlüllt  sein,  wenn  man  beim  dang  durch  die  CJalerien 
Italiens  die  \ielen  Motive  aus  der  Antike  verstehen  soll.  Am  besten 
wäre  schon,  wenn  man  wie  tür  die  Heiligenbilder  einen  C^ode  zur 
Hand  hätte  mit  den  erklärten  Attributen.  Es  scheint  mir  nun  den 
Wert  einer  in  sich  geschlossenen  Darstellung  auszumachen,  wenn 
der  \'orwurt  auch  ohne  geschichtliche  Analvse  sich  reizvoll  gestaltet 
und  auch  dem  nicht  historisch  (jebildeten  etwas  sagt.  Das  ist  aber 
leider  nur  selten  der  ball.  Und  so  sinkt  das  \'i\eau  der  bildhatten 
Darstellung  zur   Illustration. 

\'or  und  nach  Tizian  tinden  wir  vielfach  solche  Kallistobilder. 
üvid  hat  nn't  besonderer  L'reude  in  seinen  .Metamorphosen  die 
Geschichte  dieser  überrumpelten  Dame  airs  dem  Gett)lge  der  Jagd- 
göttin geschildert.  Daß  der  schlaue  (iriechengott  sich  der  im  Walde 
Schlafenden,  übrigens  in  (iestalt  und  .Maske  der  herrlichen  Diana 
selbst  nähert  und  sie  durch  Küsse  und  scherzhatte  Spiele  zunächst 
geneigt  macht,  ist  auch  ein  Zeichen  nicht  mißzuverstehen.  »lila 
quidem   contra,  t]uantum   modo  temina  |iossit  -      (Aspiceres  utinam. 


äSJOtSKä5iß.<iiOiJOtiXiK!S.<s.<>:siSiKSS':io>iKJC>!KS>:iS!5i<c?  Kallisto  äOääs&iiKiK^iiKiCiSiJO'JKiOiSiiO-ic«»:»:»!!^;«!!«'«!«  1 27 

Satuniia,    milior    esses)   —    lila  quidcni    pu^iial:    scJ    qiiac    supcrarc 
puclla,   Qvisvc   Kn'ciii    [lotcratr  supcrum    pctit  aclhcra   \ict()r.(( 

Diesen   Kanipt    der   plötzlich    zum   Manne    erstarkten   Diana    mit 
der  auts  äu(.V'rste  sieh  \\'ehrenden   hat   die   Kunst   uns  versaut.     Ahm 


Phot.  Haiifslaen^l 


P,„,i,'.   Madrid. 


Fig.  69.     Diana  und  Kallisto  von  Tiziano  Vectllio. 
(Die  Entdeckung  ihrer  Schwanfierschaft.) 


hat  es  vorgezogen,  die  Entdeckung  der  Kallisto  imd  ihre  Schwanger- 
schatt  zu  malen  heim  Rade  in  der  heiligen  Quelle.  L'nd  da  es  dem 
Künstler  in  erster  Kinie  darauf  ankam,  hier  in  hewegter  Stellung 
schöne  nackte  Gestalten  zu  malen,  so  rückte  man  die  Ilauptdar- 
stellerin  dieser  TragiktMiiodie,  die  schwangere  X'xmphe,  der  die 
Schleier  vom  Leihe  gerissen  werden,  in  den  Ilintergrimd.  A\'ir 
dürfen  nim  von  einer  klassizistischen  Schule  nicht  erwarten,  daß 
der  Maler    bestrebt    wäre,    die   Schwangerschaft    der   Nymphe    durch 


128  3K3SäK3KäK5Käi?ßiOi<OiiOi'«>CiSiiSi  ScHWANGKKSCHAFT  UND  GeBURT  ä0i!CiiK!0><C>iS!C>S>'Oi<5tJ0'<SS(<0><5!:«S>St 


eine    vcraiulcrlc    Krirpciiorm     zum    Ausdriick    /u    bringen.  liin 

nuKlcnicr  M.ilcr  würde  ohne  /weilel  im  Siime  realisliseher  Korper- 
scliikierung  wenigstens  andeulungsweise  einen  \'ersueli  nach  dieser 
Richtung  gemacht  haben.  Aut  'l'i/ian  X'ecehios  (ienudde  aus  dem 
Pradonuiseum  in  Madrid  und  aul  ahnhchen  Darstehungen  ,  wie 
sie  beinahe  in  jeder  größeren  (jalerie  xorkonnnen,  rückt  der  Künstler 
die  sich  Sträubende  in  dun  Hintergrund  und  zeigt  ims  eine  \'er- 
samndung  üp|Mgster  Weiber.  Ohne  bjkKirung  ist  somit  die  ganze 
DarsteUung  unverständhch   (siehe  Fig.  69). 

Die  charakteristischste  \'eränderung  erleidet  in  dieser  Zeit  die 
weibliche  Brust.  Wo  nahm  aber  ein  Maler  den  Mut  her,  die  Brüste 
der  Madonna  so  zu  malen,  wie  sie  in  Wirklichkeit  sind,  mit 
dem  handfliichengroßen  braunschwarzen  Hole  und  der  ausgesogenen 
.Manmiilla?  Wollten  spätere  ( jenerationen  aus  diesen  Darstellungen 
medizinische  Schlüsse  ziehen,  so  würden  sie  denselben  beider  machen, 
als  wenn  wir  aus  den  antiken  Plastiken  dun  Schluß  zögen,  daß  die 
Hellenen   alle   Phimosis  gehabt   hätten. 

Häufiger  noch  als  aut  realistische  Schilderungen  der  Gravidität 
stol.k'U  wir  auf  malerische  Darstellungen  des  ( jeburtsak tes.  Es  ist 
nun  klar,  daß  diese  heimliche  heroische  Tat  der  brau,  ins  Malerische 
übersetzt,  nur  allegorisch  autgetaßt  werden  konnte,  l's  wird  be- 
hau(itet,  daß  die  acht  Wappenlelder  an  der  Pilasterbasis  der  Säulen 
des  l^aldachin  in  San  l'ietro  in  Rom  Jk'zug  nehmen  aut  die  dauernd 
wechselnde  Phwsiognomie  sowohl  des  Praueiiantlitzes  als  auch  des 
P'rauenleibes  wahrend  der  Xiederkunit.  C.urätulo"'')  berichtet  nach 
Hare**),  daß  eine  Nichte  des  i'apstes  Urban  \'lll.  Barberini  in 
ihrer  Schwangerschalt  gelobt  habe,  diesen  Sockel  /u  stilten.  idne 
andere  \'ersion  aber  meldet,  dal.^  der  spottsüchtige  Künstlerlürst 
Bernini,  der  Schöpfer  dieses  berühmten  Tabernakels,  in  großer  Leiden- 
schaft zu  einer  Xichte  des  Papstes  L'rban  aus  der  Pamilie  der  Barbe- 
rini entbrannt  sei  uml  um  ihre  Hand  angeballeii  habe.  Der  Papst 
aber  habe  die  eheliche  \'erbindung  des  \on  ihm  zwar  hochgeschätzten 

•|  Die  Kunst  der   |uno   I.iicina  in  Rom.     l'criin   iyo2. 
•*)  J.  C.  Haro,  Walks  in  Korne,  .S.  579. 


Künstlers  bürgerlicher  llerkuntt  mit  seiner  Xichte  \erhindert,  luul  aus 
Rache  habe  nun  Hernini  die  natürhchen  Folgen  seiner  Beziehungen 
zu  dieser  Dame  \'ere\vigt.  Die  Außenflächen  der  vier  gewundenen 
Säulen,  welche  den  bronzenen  Thronhimmel  stützen  das  Material 
nahm  man  einfach  vom  l'antheon  ,  tragen  acht  \\'a[-)[-)enbilder 
der  Barberini.  Die  gewölbten  Mächen  dieser  Schilder  mit  den  drei 
Bienen  benutzte  er,  um  die  bei  der  Geburt  sich  verändernden 
\W'ilbungen  des  Bauches  zu  nKU'kieren;  und  über  diese  bildete  er 
eine  bolge  von  Gesichtern  eines  Weibes,  in  deren  Mienenspiel  sich 
die  jeweiligen  W-ränderungen  beim  Gebärakt  markieren.  »Denn  das 
Antlitz  der  Frau  ist  voller  Traurigkeit,  denn  ihre  Stunde  ist  gekommen; 
wenn  sie  aber  das  Kind  geboren  hat,  denket  sie  nicht  mehr  an  die 
Angst«   (Johannes  Kap.  16,  21). 

x^n  der  Stelle  der  Wappenunn'ahnumg,  mit  dem  zuletzt  glück- 
lich lächelnden  Frauenkopt,  befindet  sich  auch  zum  Schluß  ein  kleiner 
Kindskopf.  Besucher  der  Petrikirche  werden  mit  nur  einige  Schwierig- 
keit haben,  diesen  ziemlich  taktlosen  Bildhauerscherz  herauszulesen. 
Die  Abbildungen  der  unter  ungünstiger  Lichtgebung  genommenen 
Aufnahmen  bei   Curatulo  versagen   vollkommen. 

Vor  Jahren  erwarb  ich  einmal  eine  Riesenleinwand,  welche  die 
nach  einem  verschollenen  Karton  des  Michelangelo  gemalte  Kopie 
einer  Leda  mit  dem  Schwan  darstellt,  lüne  Radierung  aus  derselben 
Zeit  konnte  die  Authentizität  feststellen.  Flier  sieht  man  aber  mehr 
als  bei  der  Plastik  des  Meisters  und  den  zahlreichen  antiken  Arbeilen, 
die  nur  die  Schilderung  des  dramatischen  Momentes  bringen.  Ähnlich, 
als  auf  einem  dem  Leonardo  da  \'inci  zugeschriebenen  (jemälde  in 
Neuwied  (im  Besitz  des  Fürsten  W'ied),  sehen  Kastor  und  Pollux, 
eben  geboren,  diesem  erneuten  Akt  unter  verständnisvollem  Lächeln 
zu;  vom  Schwan  ist  nichts  mehr  zu  sehen.  Das  W'iedsche  Bild 
zeigt  das  Aus-dem-Ei-Kriechen  dreier  Kinder,  ein  viertes  hat  die 
Halbknieende  auf  dem  Arm.  Dieses  vierte  Kind  vom  Zeusschwan 
habe  ich  mvthologisch  nicht  feststellen  können.  Aber  auch  auf' 
meiner  Leinwand  wird  außer  den  zwei  sich  des  rosigen  Lichtes 
schon  freuenden  Kindern  noch   links  unten  ein  großes,  eben  gelegtes 

Holländer,   Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei      2.  Auflage.  9 


130  äKäCSä5äSäKä«.äKS8JKJ5iäK3K!K3KäsScHWAN(;i  HsrTlAlT  r\n  Geburt  SßSiSiStJJtiKJOtäliXitäCSiKäKSSSiiSSSJCiiS 


Ei  siclubar,    und   der  ZcussL'hwan   cr^lu 
medizinhistorischen  Standpunkt  aus  ist 


iTör  füt  H05  pic5$  nc  Houe  tmwe 
l£t  nniUtu  natföH^rit  ^crtörte 

^ufqufl  fong  tcmpe  cf  a  gcanf  pörnc 


i 


^SceSotifeure  t^tttfantcmcnt 


,tuie 


^Cuc  Eomifcceöc  na; 


;Ccfl6eboufcucS;a^je  coögnoiffartcc 


In  in  erneuter  Brunst.  N'oni 
nun  dieses  lii  \on  Interesse. 
Wahrend  Leonardo  da 
\'inei  die  nntholo^ische 
Szenerie  mit  richtiijen 
\'ogeleiern  ilhistriert, 
aus  denen  nach  Art  des 
kleinen  Hühnchens  nach 
geborstener  Schale  die 
Kinder  herauskriechen 
und  sich  entwickeln, 
mall  Michekuigelo  ein 
durchsichtiges  Hautei. 
Die  Lage  des  in  diesem 
Li  eingeschlossenen 
Embrvos  ist  einiger- 
maßen naturgetreu  ge- 
schildert ,  keinesfalls 
Vergleichbarden  phanta- 
stischen Schilderungen 
etwa  gleichzeitiger  wis- 
senschaftlicher Publi- 
kationen. Betrachten 
wir  doch  nur  einmal 
die  Illustrationen  im 
berühmten  »Rosengar- 
ten«. Der  Wormser 
StadtarztLuchariusRös- 


PaHs.  .\anc„aii>iti.y.22.,q.  jj,-,  scliilderl  die  Kinds- 
Fig.  70.     Gc'burtszene. 

Seite  aus  Passe  temps  de  touts  hommcs  et  de  toulcs  fcmmts.  lagen      noch       ganz      Uli 

'^^  '■'""  Siil  mittelalterlicher  Per- 
gamentminiaturen: die  Kinder  schwinmien  da  in  dem  Uterus  wie 
in  einem  Glase  mit  Spiritus.  Xoch  (jet)rg  Bartisch,  der  verdienst- 
volle Praktiker,    illustriert    in  seinem   Kunstbuche    1373    in  ähnlicher 


äSiOiSiJCiiKJCtiSiJtiOtiCiiKSiSXiSiOtiOtJSi'ytSiiOiSiiSiOt  Gnadkmiii  di  k  ■OiSiiSiKJOiiOiJCiSiiCiiSißJO'SiiOtJOiiOiSiSiiCiJSiK  Ijl 


Weise.     Das  Kind    sit/l    in    seiner   Hohle    wie    aul   einer  Bank    nnd 
hält  verschämt  seine   Händchen   \ur  die  Augen*). 

Pachinger  hat  in  seinen  Darstellungen  der  Mutterschalt  aus 
Malerei  und  (iraphik**)  einer  ganzen  Reihe  Schwangerschat'tsdarstel- 
lungen  sein  Interesse  zugewandt,  welche  von  religiösen  Malern  des 
siebzehnten  und  der  ersten  Haltte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
stammen  und  die  Heimsuchung  Mariens  verköriiern.  Von  größerem 
medizinhistorischen  Interesse  aber  sind  die  zahllosen  kleinen  Kupfer- 
stiche   und   Holzschnitte,    welche  als   Hinlegeblätter  iür  (jebetbücher. 


Fig.  71.     Rebekka  gebiert  Jakob  und  lisau. 
Von  Etienne  Delanne  fjcstochen. 

als  Titelblätter  und  auch  als  Heiligenbilder  überhaupt  die  gnaden- 
reiche gesegnete  (jottesmutter  darstellen.  Ott  sind  es  Kopien 
berühmter  Gnadenbilder,  meist  steht  als  Vordruck  »ein  Gebet  tür 
schwangere  Weiber«,  »ein  schönes  Gebet  zu  Unserer  Lieben  brau 
mit  dem  schwangeren  Leib«,  oder  das  Gebet  einer  schwangeren 
Mutter  zu  der  schwanger  gehenden  Mutter  Gottes  .Maria.  Auf  dem 
eigentlichen  Bilde,  das  meist  im  prunkvollen  Jesuitenstil  gehalten 
ist,  linden  wir  aut  der  Höhe  des  schwangeren  Leibes  ott  den 
Namen  des  kommenden  Lrlösers  inmitten  einer  StrahlengK)ria.    Statt 

•)  Geschichte    der    gynäl<ologisch-anat(jmischen    AMiildung    von    Dr.  Fritz    Weindler, 
Dresden  igoS.     (Figur  io61j.i 

**J  A.  M.  Pachinger,  Die  Mutterschaft  in  der  Malerei  und  Graiiliik.     München   1906. 


132  3K-e«!!0ti«<5SiS>!SiSJS<ß<SiC!S5  SCHWANGERSCHAFT  UND  GeBURT  3K!CE!Ct!Ci)Cii;t!:i!:!S>:!>:^iSii;!^iS!OE3S3K 

dieses  Svniboles  aber  lassen  die  tür  das  gemeine  \'olk  gearbeiteten 
Blätter,  wie  zum  Beispiel  das  Hinlegeblatt  des  Cinadenbildes  zu  Jkigen- 
berg,  statt  der  Inschrift  einen  ]<lcincn  linibryc)  sichtbar  erscheinen. 
Xacli  l'achingcr  gibt  es  sogar  Darstellungen  der  Heimsuchung 
Marias,  auf  denen  nach  des  Hvangelisten  Lukas  Angabe  (Kap.  i,  41): 
»und  als  Elisabeth  den  (iruß  Marias  hörte,  hüpitte  das  Kind  in  ihrem 
Leibe«,  Johannes  im  .Mutterleibe  hüpfend  Geige  spielt.  In  den  Kreis 
dieser  Schwangerschattsdarstellungen  gehl  iren  noch  die  Abbildungen  der 
Palrone  der  (iebäreiiden,  zu  denen  in  erster  Linie  der  heilige  Ignatius 
von  Lovola,  der  heilige  Llvacimhus  und  der  heilige  Antonius  von  Padua 
gehören.  Sanctus  Expeditus,  unter  dessen  Statue  man  noch  in  unseren 
Tagen  in  der  Rue  de  Sevres  Xr.  27  in  Paris  ein  lebhaft  gehendes  Ge- 
schäft mit  Amuletten  tür  schwangere  brauen  und  holiere  Töchter  be- 
trieb, und  lür  dessen  Wunder  über  Wunder  die  zahllosen  \'otivtaieln 
und  Widmungen  zeugen,  hat  mittlerweile  durch  Pins  X.  selbst  ausge- 
wundert, denn  die  Ritenkongregation  hat  in  ihrer  gründlichen  L'nter- 
suchung  festgestellt,  daß  die  Existenz  dieses  Heiligen  nur  aut  einem 
Wortspiele  beruhte:  expedit  er  bringt  rasch  zustande.  Dargestellt 
wurde  er  als  riMiiischer  Krieger,  der  in  der  Hand  ein  Kreuz  mit  der  In- 
schrift »Hodie«  hielt,  während  sein  Fuß  einen  Raben,  der  verzweiielt 
»cras«  krächzt,  zertritt.  Pachinger  bildet  Seite  187  sein  ganz  in  der 
Manier  des'Liepolo  gemaltes  Heiligenbild  ab.  Zu  seinen  L'ülk'n  sieht  man 
eine  ganze  Reihe  von  Koffern  und  Kisten,  die  der  »l'xpedilidn«  harren. 


n  den  seltensten  1-älIen  ist  der  dramatische 
xMomein  des  Geburtsaktes  gemalt  worden. 
Das  ist  ganz  natürlich,  das  (iegeiiteil  wäre 
auttällig.  Obwohl  die  Kirchengeschichte  sonst 
jede  einzelne  Phase  des  ALirienlebens  zum 
Beispiel  illustriert  und  obwohl  sie  unzählige 
^  Wochenstuben  gemalt  hat,  ist  der  Moment 
des  eigentlichen  Geburtsaktes  mit  Stillschweigen  übergangen  worden. 
Erklärungen  hierfür  zu  geben  erscheint  \olIkommen  überflüssig.   Wenn 


aber  einmal  die  lintbinduiiL;  selbsl  neinail  wurde,  so  lai;  immer  ein 
mebr  oder  wenii^er  besonderer  und  eigentündicber  (iruiul  xor.  Dieser 
ist  aber  lür  uns  meist  vom  bisloriseben  Stand|ninkte  aus  willisommen. 
Im  übrigen  ist  aucb  in  rein  medizinischer  Hinsicht  jede  alte  (jeburts- 
darstellung  wichtig,  weil  wir  aus  ihr  die  Stelhmg  der  Gebärenden 
und  die  eventuell  X'orhandeiie  Assistenz  einwandlrei  kennen  lernen. 
Im  zweiten  Huch  Moses  Kapitel  i,  i6  beliehk  der  Agvi>terkonig 
den  hebräischen  Hebammen,  die  eben  geborenen  Sohne  zu  toten,  die 
Töchter  aber  am  Leben  zu  lassen.  Da- 
bei wäre  zunächst  zu  übersetzen:  »Aut 
die  Steine  sollt  ihr  sehen«.  Hierin  eine 
Anweisung  zu  erblicken,  nach  der  man 
die  männlichen  Kinder  von  den  weib- 
lichen unterscheiden  st)llte,  wäre  olien- 
barer  Unsinn.  (iemeint  ist  vielmehr: 
»noch  aut  dem  Gebärstuhl  (der  aus  stein- 
hartem Nilschlamm  gemacht  war)  sollt 
ihr  sie  toten«*). 

In  der  »Plastik  und  Medizin«  habe 
ich  mich  auch  mit  der  Geburtsdarstellung 
beschäftigt  und  eine  antike  Eltenbein- 
schnitzerei,  welche  aus  Pompeji  stammt, 
publiziert  (Seite  270,  Figur  165).      Dort 

ist  eine  auttallende  Stellung  der  Frau  geschildert:  sie  sitzt  auf  einem 
Stuhl,  hat  den  linken  Arm  rückwärts  geschlagen  und  hält  sich  am 
Halse  einer  hinter  ihr  stehenden  Person  lest,  welche  ihrerseits  wieder 
mit  ihrem  linken  Arm  aut  den  Bauch  der  (iebärenden  einen  Druck 
oder  eine  streichende  Bewegung  ausübt.  Eine  größere  plastische 
Darstellung  schien  uns  die  Antike  nicht  hinterlassen  zu  haben.  Ich 
sprach  aber  die  Hotinung  aus,  daß  sich  doch  \ielleicht  einiges 
linden  möchte.  Aut  (irund  dieser  Mitteilung  nun  hat  brau  |ohanna 
Fpple  (München)  ein  in  ihrem  Besitz  betindliches  hellenisches  l'rag- 


hu  />Vi/7c  rtut  l'rau  JippU,  Mmuhen. 

Fig.  72.     Gebiirtsdarstellung. 
Antikes  hellenisches  Relief. 


•)  Spienelbery,  A^yptologischc  Randglossen  zum  Alten  Testament.  Straßljui;^  1Q04.  S.  19. 


1 34  ?KSiS!?>:?>:!C?iC?<?!o:-!S!0t?>!KiC!!e5  Schwangerschaft  und  Geburt  SKiCücSiKJiüOiSiiSiCJSSXüiCisSiKiCtiSiCüK 


mcnt  des  \icrlcn  jalirluiiuicrts  rkinii;  erkannt  und  für  mich  phou-)- 
graphiercn  lassen.  Die  Archäologen  waren  sich  über  die  Deutung  der 
sonderbaren  Stellung  nicht  im  klaren.  Auch  hier  sitzt  die  (iebärende 
ortenbar  aut  einem  steinernen  .Stuhl;  die  Haltung  des  linken  nach 
oben  geschlagenen  Armes  ist  nicht  nur  identisch  mit  der  auf  der 
Elfenbeinschnitzerei   dargestellten,  sondern    bei    den   Preßwehen    eine 

otlenbare  lirleichterung  und  ein 
\-orziiglicher  Stützpunkt,  lünen 
weiteren  in  seiner  Xaivität  und 
Selbstverständlichkeit  überaus  will- 
kommenen Beleg  für  diesen  Kunst- 
ausdruck der  Geburtshilte  im  Bilde 
fand  ich  aut  einem  etruskischen 
Spiegel,  der  die  Geburt  der  Minerva 
darstellt.  Die  (jöttin  ist  bereits 
halb  aus  dem  Haupte  des  Vaters 
geboren;  eine  hinter  dem  Cjötter- 
vater  stehende  ülvmpierin  drückt 
hellend  dessen  Leib.  Genau  wie 
jakob  Rueil  in  seinem  schon 
lustigen  Trostbüchlein  (Zürich 
1334)  es  empfiehlt:  »doch  soll 
eine  geschickte  Frau  um  diese 
Zeit  hinter  der  schwangeren  h'rau 
stehen,  sie  mit  beiden  Armen 
umgeben,  sie  geschicklich  und  höflich  drücken,  solange  bis  dem 
Kindlein  von  der  Wn  geholfen  wird«  (sielie  Figur  72  imd  7^). 
Eine  Entbindung  auf  dem  Stuhl  in  klassischer  Zeit  hat  Gibelin 
für  die  Xouvelle  Fcole  de  Chirurgie  zu  l'aris  gemalt.  Aus  unserer 
Figur  74  ersehen  wir  die  Situation.  Ein  beinahe  nacktes  Weib  sitzt 
auf  einem  Stuhl  und  wird  xon  hiiuen  von  ihrem  Manne  gehalten, 
der  aber  selbst  so  entsetzt  ist,  daß  er  die  heftig  Gestikulierende 
und  Schreiende  kainn  beruhigen  kann.  Der  zu  I'ül.k'n  knieende  Arzt 
entwickelt    soeben   gerade    das    Kind.      I'ine   .Matrone    naht    sich  mit 


I'is:.  i\- 


136  äKiCiSiiSäiSiiSiSSitSSiSiKiSiOtiK  SCHWANGERSCHAFT  UN'D  GeBURT  SS!CiSi<>:Sti5>S!S!i>:<l!iC>:S!iO>ißi>:iO>SiJK 

I.L'inwand  und  l^indcn.  Aul"  einem  Drcihil,^  wird  llol/kohlc  ver- 
brannt. Im  1  liiuerurunde  wehrt  eine  junge  l'rau  einem  Mädchen 
und  schickt  die  ni)ch   halh   KindHclie  weg. 

Eine  interessante  Miniatur  hesitzt  die  XationalbihHothek  aus 
dem  Besitz  der  Louise  \on  Savoven,  der  Mutter  l'ranz  1.  Dieselbe 
ist    von   1:.  \\'ickersheimer    zum    erstenmal    veri)llentlicht    worden*). 

\\'ir  entnehmen  von  dort  die  Abbildung  (ligin'  70).  Das  etwas 
groß  geratene  Kind  ist  soeben  geboren  worden;  es  befindet  sich 
noch  in  X'erbindLnig  mit  der  .Mutter,  wenn  man  auch  den  Nabelstrang 
nicht  erkennt.  Die  Mutter  sitzt  angezogen  aul  einem  Stuhle  und 
wird  von  hinten  gestutzt;  vorn  kniet  eine  Wehmutter.  Der  -Stuhl 
selbst  ist  nicht  sichtbar,  wird  aber  mit  Wahrscheinlichkeit  wegen 
der  Stellung  der  Patientin  Norhanden  gewesen  sein.  Im  übrigen  hat 
Wickcrsheimer  schon  darauf  hingewiesen,  dal,^  der  Künstler,  der  diese 
bunte  Illustration  zu  dem  Buche  »Passe  temps  de  touts  hommes  et 
de  toutes  temmes«  gemalt  hat,  auch  diese  ganz  im  Stile  imd  mit 
der  Phantasie  der  anderen  Abbildungen  komponiert  hat  und  daß  sie 
deshalb  wenig  medizinhistorischen  Wert  besitzt,  ledenlalls  sind 
tür  unsere  Zwecke  aus  dieser  Zeit  die  bekannten  Abbildimgen  aus 
Roslins   Ilebammenbuch   \'on  größerem    Interesse. 

Dasselbe  gilt  von  einer  häufigeren  (jeburtsabbildung,  bei  der  das 
historische  Interesse  ganz  im  Vordergrunde  steht.  Wir  finden  nament- 
lich im  sechzehnten  Jahrlumdert  mehrhich  Bilder  vom  Nieder- 
kommen der  sogenannten  Päpstin  lohanna.  \\'ir  wollen  aul  den 
Gegenstand  als  solchen  nicht  eingeiien,  da  uns  nur  die  Darstelhmgeii 
interessieren.  Ihnen  allen  ist  inniier  der  .Moment  der  Sturzgeburt 
gemeinsam.  Daß  hier  die  reine  Phantasie,  \erlührt  duvd]  politische 
Schmähkunst,  Orgien  leierte,  das  können  wir  schon  aus  ileni  Mug- 
blatt  ersehen,  xon  dem  nur  noch  eine  Hallte  erhalten  ist.  Der 
Künstler  hat  es  noch  nicht  einmal  versucht,  an  dem  soeben  ge- 
borenen Papstkinde  die  natürlichen  Xabelverhältnisse  anzudeuten. 
Diese  päpstliche  Sturzgeburt  war  ein   Lieblingsthema  der  satirischen 


& 


*)  Nouvclle  Iconographic  de  la  Salpctricrc  igo8. 


SßiCiSiiSiKiCsiSiSiiSiSiOtiKiSiKKXJOiJOtiKSiiOiJKStJK»^       L  KZGEBURTiSiSiKiKJSiCiiSJKiSSiiKiKißSiiKJSiKiSiKißiCiiOt  I  3/ 


Holzschneidekunst  in  der  deutschen  ReUjiniationszeit.  Aus  der 
Geschichte  dieser  Xiederkunit  interessiert  noch  hesonders  der  resp. 
die  marmornen  Stühle  mit  dem  durchhrochenen  Sitz  (sedes  ca[nens 
de  stercore  nomen,  c)der  aucli  kurzweg  stercoraria  genannt).  Vs 
wird  nämhch  behauptet,  dieser  Porphyrstuhl  sei  dazu  benutzt  worden, 
daß  jeder  Papst  vor  seiner  Weihung  sich  auf  ihm  habe  niedersetzen 


^raiu    Gu'ii-e-rti} 


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j;-  /)• 


n,ntsc'!CS    l:i<ii'Ui!t        !:eyl!?l,r    K    •■•..:     ';,■ 

Die  Geburt  der  Papstin  johaniKi. 


müssen,  damit  man  sich  überzeuge,  daß  man  es  eben  nicht  mehr 
mit  einer  Päpstin  zu  tun  habe.  Die  satirischen  Gedichte  der  folgen- 
den Zeit  beschäftigen  sich  vieltach  mit  dieser  Feststellung  der  päpst- 
lichen Männlichkeit.  Und  unter  Hinweis  auf  die  Nepoten  (das 
heißt  uneheliche  Kinder  der  Päpste)  dichtete  ein  Poet  aut  den  Papst 
Innozenz  XHII.   aus  dem   Geschlechte  der  Cibo: 

Quid  qUcieris  testes,  sit  mas,  an  femina  Cibo? 
Respice  natorum,  pignora  certa,  gregem. 


138  iCSS>!0>*>»tSiJKS!!ßjß!S)ßJKißäK  ScmVAXGI  Km  HAI  1   l  Nl)  Gl  lU  KT  •OiiSSiißSiiKiOtätJOtSSJOtiCiJOiiSJSSiSi-Ot 

Dieser  bei  v.  Spanhcini  abgebildete  Sessel  hat  zu  vielen  gelehrten 

Abhandlungen  (iclcgcnheit  gegeben;  nach  der  Abbildung  zu  schließen, 
handelt  es  sich  um  eine  andere  antike  hygienische  l'inrichtung*) 
(wie  auch   sein  \anie  sagt),   nicht  aber  um   einen   (ieburtsstuhl. 

Aus  der  biblischen  Geschichte,  als  Illustrationen  zu  den  dort 
verewigten  \  organgen,  linden  wir  vieltach  (ielnulsdarstellungen**). 
Besonders  die  Zwillingsgeburt  der  alttestamentarischen  Rebekka 
reizte  hierzu.  Die  Phantasien  der  Künstler  sind  aber  tur  uns  \'eran- 
lassung,  ihrer  nur  ganz  summarisch  zu  erwähnen.  Als  Tvpus  dieser 
meist  nur  noch  in  Stichen  erhaltenen  Ciemälde  bringen  wir  die  von 
luienne  radierte  Schilderung  des  .Nhimentes.  wo  der  bereits  geborene 
rötliche  und  rauhliaarige  Hsau  Nom  naclilolgenden  Jakob  an  der  b'erse 
festgehalten  wird  (siehe  Figur  71).  Was  uns  bei  diesen  Schilderungen 
interessiert,  das  ist  die  Umgebung  einer  solchen  W'ochenstube,  da 
diese  Stiche,  zum  ]3cispiel  von  Jakob  von  Heemskerck  (1498 — 1374) 
und  von  .Martin  de  \\)ß,  uns  die  biblischen  Vorgänge  im  Cieschmack 
der  eigenen  Zeit  vorführen.  \'on  \iel  größerem  Naturalismus 
und  otlenbar  auldrund  eigener  Anschauung  hat  uns  der  tranzosisch- 
holländische  Sittenschilderer  Abraham  Bosse  (  1610  —  1  67N)  ein  getreues 
Hild  der  (ieburtsstunde  in  einem  Iranzösischen  Palrizierhause  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  \orgeluhrt.  Neben  dem  lodernden  l'euer 
des  Kamins  ist  das  Kit  de  misere  aufgeschlagen.  Im  Hintergründe 
steht  das  große  mit  einem  Baldachin  versehene  eigentliche  W'ocheii- 
stubenbett.  Das  reiche  Haus  hält  sich  für  solche  Zwecke  dieses 
Möbel,  ebenso  wie  die  Hausapotheke  und  der  \'erbandkasten,  der 
auf   dem  Stuhle  sieht,  nicht   fehlen   darf'. 

\'iele  brauen  umgeben  die  (iebäreiide.  .Man  reibt  ihr  die  Arme 
und  stützt  den  Oberkörper.  .Man  konnte  auf  die  Idee  kommen,  daß 
der  aulfallend  elegant  angezogene,  danebenstehende  Maim  der  Arzt 
sei,  der  die  l-.ntbindung  leitete.    Die  imter  dem  Stich  stehenden  \'erse 


*)  Siehe  Merkwürdige  Historie  der  Päbstin  Johanna ,  aus  des  1  Icnn  v.  .Spanheim  .  .  . 
Lateinischen  Dissertation  .  .  .  gezogen  und  ...  ins  Tcutschc  übersetzet,  l'ranckfiirth  und 
Leipzig  1-37. 

••)  Siehe    Xouvelle  Iconogr.  de  la  Salpetriere ,   1903.     Henri  Mcige,  OucIi]ues  Accou- 
chements  bibn(|ues  en  images. 


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I40  SKSäCSiSiOiiJiieiäiJCSiOtiKiKiCSSiiK  Scmv ANGERSCHAFT  UND  GeBURT  »tiS'C'iJiiSS'.SiiOiiKSi^tiSKSiSiiSfO-JOtSi 

aber  belehren  uns,  dal.'i  es  Jer  glückliche  \'aler  isl.  dessen  ganzer 
Kummer  bei  der  Xachrichl  von  der  deburt  eines  schönen  Knaben 
sofort  verscheucht  ist.  Jeder  der  llau|nbeleilii;ten  aulk'rt  sich  zu  dem 
Ereignis  in  N'ersen.  Die  1  lau|n[K'rs(in  Idagt,  daß  sie  dem  Tode  nalie 
ist  und  daß  ihre  (ilieder  abzusterben  scheinen.  Die  weise  Frau 
aber  sagt : 

»M;idamc,  prenez  patiencc 

Sans  cricr  de  cette  favon. 

C'en  est  laite  cn  ma  conscience 

\'ous  accouchcz  (.i'un   heaii   fiarcon.« 

Unter  den  Keligionsnnthen,  welche  mit  den  Naturereignissen  unseres 
]:rdenlebens  verwachsen  sind  und  ihnen  ihre  svmbolische  lintstehung 
verdanken,  ist  die  Geschichte  des  Adonis  eine  der  durchsichtigsten 
und  eine  der  heblichsten.  \\'ir  gebrauchen  heule  noch  gern  ilen 
Vergleich  dieses  Jünglings  wegen  seiner  sprichwortlich  gewordenen 
Schönheit.  Der  Name  des  Adonis,  der  aut  das  phonizische  Wort 
Adon  »der  Herr«  zurückgeht,  beweist  schon  allein  die  orientalische 
Herkunft  der  AIvthe.  Die  Adonisfeiern  zerlallen  in  den  Jubel  über 
die  wieder  steigende  Sonne  und  die  wiedererwachende  Schoplung 
und  in  einen  trauernden  Teil,  wi)bei  das  Bildnis  des  (jottes,  unter 
großem  Geleite  klagender  Weiber  in  gürtellosen  Gewändern,  in 
das  Meer  versenkt  wird.  Die  Adonisgärten  sind  Gefäße,  in  denen 
man  Pflanzen  durch  kunstliche  Hitze  zu  schnellem  Wachsen  luul 
X'erblühen  brachte.  Aus  dem  l-51ute  des  \on  einem  Kber  getöteten 
Adonis  sprt)ssen  die  Anemonen  und  Rosen.  Wenn  so  Adonis  das 
Sinnbild  des  rasch  verblühenden  und  vergänglichen  Lebens  war, 
so  war  er  auch  durch  seine  Wietlerkehr  aus  der  Unterwelt  das  des 
Neuerwachens  der  Natur.  So  ist  auch,  nameULlich  unter  fk'lonung 
des  letzteren  Gedankens,  es  verständlich,  wenn  gerade  die  bildende 
Kunst  die  Adonissage  zu  Ausschmückungen  von  Sarkophagen  be- 
nutzte, wie  man  solche  z.  J^.  im  l.ouxre  llndet.  Hier  aber  interessiert 
uns  ausschließlich  die  Cieburt  des  .Adonis.  ]3ie  Sage  läßt  den  Adonis 
in  ])lutschande  entstehen.  Aphrodite  aber  schützt  die  von  ihrem 
eigenen  A'ater  schwangere  .Mutter,  und  als  dieser  sie  nnt  gezücktem 
Schwert  verfolgt,  verwandelt  sie  die  assvrische  Königstochter  in  einen 


7.   < 


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14-  S!!C?!C«!C?!5!C5!KiC?-Ci!K?>:?>:!KiOS!K  ScmVAXGERSCHAFT  UND  GeBURT  SiiSiCifKJOiSiJCiiCtiKJCiiCiiißSiiCiiiSJKSiiC? 


Myri-hcnbauiii.  Wich  /chii  .\li)nalcn  cinsprani;  aus  Jcr  berstenden 
Rinde  des  Baumes  das  Kind.  Apliri)dile  übergab  den  Schützling  in 
einem  Kasten  der  Persephcme;  diese  ollnet  ihn  und  ist  von  der 
Schönheit  des  Knaben  si)  ergrillen,  daL^  sie  seine  Ruckgabe  ver- 
weigert. Zeus  entscheidet  den  Streit  der  (Jottinnen  dahin,  daß  Adonis 
die  eine  IläUte  des  Jahres  bei  der  einen,  die  andere  Hälfte  bei  der 
anderen  (iottin  verweile.    Diese  (ieburtsdarstehung,  die  übrigens  auch 

in  anderen  X'orstellungskreisen  wieder- 
kehrt, hat  sclion  die  Künstler  der  Antike 
zur  Darstellung  gereizt;  auch  die  er- 
wähnte (in  der  »l'lastik  und  Medizin« 
als  Figur  163  abgebildete)  Elfenbein- 
schnitzerei betrifft  vielleicht  diesen 
Sagenkreis.    Ein  iiompejanisches  Wand- 


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gemälde  bringt  sclum  die  Darstellung 
des  aus  der  geborstenen  Kinde  geborenen 
Knaben.  Die  klassizistische  Zeit  hat 
sich  natürlich  diese  Geburtsdarstellung 
nicht  entgehen  lassen.  Pachinger  bildet 
in  seinem  zitierten  Buche  eine  ganze 
Reihe  von  Gemälden  ab  (van  Swane- 
leh,  Jean  de  Pautre ,  sowie  das  des 
Matthias  Österreich),  welche  diesen 
Gegenstand  mehr  oder  weniger  realistisch  behandeln.  Wahrend  nun 
die  meisten  noch  ein  \Wab  malen,  deien  Arme  erst  zu  Mvrrhen- 
zweigen  geworden  sind,  hält  sich  l'rancois  Boucher  mehr  an  (_)vids 
Metamorphosendichtung.  Bei  ihm  ist  es  schon  ein  P)aum,  der 
ächzt  und  sich  krümmt,  und  leucht  ist  von  lallenden  Tränen. 
Aphrodite-Lucina,  die  Heilerin,  tritt  an  dun  liauni  heran,  legt  an 
ihn    die   Hände  und 


Fig.  78.     Diu   unzeitigc   Geburt 
Radiert  von  B.  Beham. 


»Arbor  agit  rinias  et  iissa  cortice  vivum 
Reddit  onus  vagitque  ptier«. 

(Risse  bekommt  der  Baum  und  gibt  aus  der  gespaltenen  Rinde 
die  lebendige  Last.    Hs  wimmert  der  Knabe.) 


JßiOiiKiSSS-CiiKJCisß'ei'CiSiSiSiißJCSJOiJOisSißiSJSJCiiS-i«!^  SiiSiJiSiSiStiSJSJXiKJSJCi-iKJSiOiJOtSiiOiJSStiSJS'ÖSi   143 


Aphrodite  lehnt  sich  an  den  Myrrhenstamni,  in  dessen  oberen 
Ästen  sich  das  Gesicht  der  Unglückseligen  erkennen  laßt.  Am  unteren 
Stamm  aber  zeigt  sich  noch  die  einer  \'ulva  ahnliche  große  Öffnung. 
Eine  ähnliche  Darstellung  derCieburt  des  Adonis  wählte  Bosse  witzig 
als  Gobelinschmuck  tür  das  Zimmer  seiner  Wöchnerin  (siehe  Figur  77)! 

Einen  Kuriositätenwert  nur  hat  die  Schilderung  eines  x'^.bortes 
durch  Bartel  Beham.     »Von   dem  Geizigen  spricht  der  weise  Mann, 


Bfrliii,   Kiiitstge-üierbfiintS£ttiit. 

Fig.  79.    Miijolikaschale  aus  Urbino  (sechzehntes  Jahrhundert). 

daß  besser  als  ein  solcher  Mensch  sei  eine  unzeitige  Geburt. (f  Den 
tieferen  Sinn  dieses  Ausspruches  möge  sich  der  Eeser  selbst  ent- 
ziffern, wir  wollen  nur  aut  die  Trefflichkeit  der  kleinen  Szene  hin- 
weisen. Mit  mißmutigem  (jesicht  betrachtet  das  junge  Weib  die 
unreife  Tat,  die  halbe  \'ollendung  ihrer  Wünsche  (siehe  Figur  78). 
Es  war  im  16.  Jahrhundert  in  Italien  Sitte,  den  Wöchnerinnen 
Suppen  und  Eier  zu  bringen;  bald  wurde  hei  den  Reichen  der  In- 
halt das  Nebensächliche  und  die  Schale  die  Flauptsache.  Solch 
kostbare  Frauenschalen,  Scodelle  per  le  donne  oder  auch  Puerpera 
genannt,    waren   bemalte     Majoliken    mit  Darstellungen    der   Geburt 


144  3K!>:äCS!Ci!>:5Ki>:iKiKäc>:iKSi!Otä>:äKS8Si!CSSKä5  Kaiserschnitt  äKi>:iKiK:«iKjeiiKiyS!K:<!iiKä>:iSJöSi'Otäis>iSiCiäOtäS 

und  des  Wochenbettes.  Das  ktniigliche  Kunstgewerbemiiseuni  in 
Ik'i'lin  besit/t  unter  mehreren  solchen  auch  zwei  mit  Cieburtsszenen. 
Soweit  die  X'erlieüini;  der  Schale  eine  phoioL;rapliische  Wiedergabe 
zuHeß,  erkennen  wir  auch  aul  der  Reproduktion  (siehe  1-igur  79),  daß 
die  (ieburl  im  Sleiieii  \ov  sich  geht,  wahrend  die  llebannne  vor  der 
brau  sitzt,  welch  letztere  von  hinten  unterstützt  wird.  Sonderbarer- 
weise verrichtet   auf   der  zweiten  Schale  diese  Uilte  ein  immer  .Mann. 


KAISERSCHNITT 

Die  Weltgeschichte,  das  heil.U  iln'e  erzahlende  Form,  hat  von  jeher 
es  geliebt,  die  Cjeburt  der  Helden  mit  dem  Nimbus  des  Außer- 
gewöhnlichen zu  versehen.  Hier  spielt  auch  der  Kaiserschnitt  an  der 
Toten  und  an  der  Lebenden  eine  große  Rolle,    lirinnern  wir  uns  nur 

an  die  Tatsache,  daß  auch 
der  Heilgott  Asklepios 
selbst  aus  dem  bereits  dem 
Scheiterhauten  übergebe- 
nen  Leib  der  nuitterlichen 
Koronis  herausgeschnitten 
wurde.  Die  D.irstellungen 
dieser  Art  haben  deshalb 
schon  tür  uns  nur  ein 
nebensächliches  Interesse, 
weil  die  .Maler  und  /eich- 
ner niemals  Gelegenheit 
hatten  ,  einer  solchen 
Szene  beizuwohnen.  Wir 
begnügen  uns,  als  T\'pus 
n^  dieser  deburtstorm  dun 
Holzschnitt  aus  dem  Sue- 
tonius  von  1 306,  die  (je- 
....       ...       ,.  burt     C!asars.     wiederzu- 

rig.  80.     Kaiserschnitt. 
Primitiver  japanischer  Holzschnitt.  Sechzehntes  Jnlirhiindcrt.       geben     (siehe     l'lgur    o\J, 


jOiäSJCiiviiviiCiJCSäSäKStiCiiSiOiSiJKiOiiKJJiJviJOiSiiKiß    KAISERSCHNITT    jKiCiSiiSiJOiSiiOiS'JCiiCiiSS'iOiS'S'iCiJO-JSJO-iO!   145 


Fig.  81.    ])ic  Geburt  Cäsars  im  Suetonius  von   1506. 


die  alle  möglichen  Un- 
möglichkeiten in  noch 
möglichst  hilschem  Ge- 
wände wiedergibt.  Deni- 
oeiienüber  mutet  ein  sehr 
seltener  primitiver  Ihilz- 
druck  lapans  beinahe  wie 
ein  momentaner  Blick  in 
reale  \'erhältnisse  an.  Da 
sitzt  aut  einer  thronähn- 
lichen Bank  die  offenbar 
einem  hohen  Gesellschaltskreise  angehörende  Frau.  Sie  hält  sich  mit 
beiden  Händen  lest  an  den  seitlichen  Säulen,  welche  eine  Art  \'on 
Thronhimmel  tragen,  liin  Operateur  mit  nacktem  Oberkörper  hat 
soeben  das  Messer  zur  Seite  gelegt,  mit  dem  er  den  Bauch  aul- 
geschnitten hat  und  entwickelt  vorsichtig  das  Kind.  Im  \'ordergrunde 
kniet,  wohl  im  (iebet,  der  Ehemann,  die  andere  Seite  nehmen  schluch- 
zende und  weinende  Personen  ein.  Hs  gehört  dieser  japanische  Holz- 
schnitt in  den  Anlang  des  sechzehnten  Jahrhunderts.  Ob  in  dem  1346 
von  Sokan  Nanjo  verfaßten  Buch  über  die  Gvnäkologie  der  Kaiser- 
schnitt schon  empfohlen  wurde,  kann  ich  nicht  sagen.  Zehn  Jahre 
später  allerdings  begann  die  l'inführung  der  europäischen  Medizin  durch 
Louis  x\lmeida,  den  ersten  eur(.)päischen  Arzt,  der  als  Mitglied  der 
portugiesischen  lesuitenkommission  Krankenarzt  wurde.  Aul  Grund 
der  Mitteilungen  von  Dr.  med.  Y.  Fujikawa*)  kann  ich  zwar  aus  diesem 
Buche  keine  Frwähnung  des  Kaiserschnittes  vor  1-inlührung  der  euro- 
päischen Medizin  entnehmen;  nur  die  Erzählung  aus  dem  Jahre  ,[.58 
nach  Christus,  daß  auf  Befehl  des  Kaisers  der  Leichnam  einer  Prin- 
zessin geöffnet  wurde,  die  verleumdet  worden  war,  in  J'uhlschalt 
schwanger  «eworden  zu  sein,  gehört  hierher.  Man  land  aber  im 
Bauche  keine  Frucht,  sondern   nur  einen  Stein. 

Die    Geburt    des    Cäsar,    eine    llolzschnittbeigabe    im    Suetonius 


*)  Geschichte  der  Medizin  in  Japan.     Herausgegeben  vom  Kaiserlichen  Unterrichtsmini- 
sterium, Tokio   191 1. 

Hollander,   Die  Medizin   in  der  klas-ischen   .Maleiei.     2.  Auflage.  10 


146  3»S!>:!K!K<K!K!K!C«Si?>:<S<ßSS!Ki5tSiiCi!C??S    KAISERSCHNITT   äSSSJCEäOSäKäSäßäCESSSKSSSßJKJSäSäOSSSSSiKiKJßJliKü 


vnni  Jahre  i)06,  bildet  gewissermaßen  ein  IViulani  /u  dem  bekannten 
Holzschnitt  in  des  Xenophon  Kmiimentarien  (1340,  Auqsburi;  bei 
II.  Steiner).  liier  ist  mit  einiger  Naturtreue  eine  solche  Szene 
geschildert.  Pachinger  bildet  auch  des  Ratlael  Cirstos  Kaiserschnitt- 
szene ab.  Die  Tatsache,  daß  Hermes  es  ist,  welcher  das  Kind 
holt,  läßt  eigentlich  nur  die  Deutung  zu,  daß  es  sich  hier  um  die 
sagenhalte  K.iiserschnittgeburt  des  Asklepios  gehandelt  haben  kann*). 
Die  W'oclienstube  war  ein  Lieblingsthema  der  italienischen  und 
deutschen  Renaissancezeit;  und  da  es  im  (ieschmack  jener  Zeit  lag, 
auch  X'orgänge  des  .\lten  Testaments  in  die  Ciegenwart  zu  verlegen, 
so  haben  wir  \iellach  ein  getreues  Abbild  dieser  .Szenerie.  Rtibert 
Müllerheim  hat  aus  diesem  Stoft"  alle  medizinhistorisch  wichtigen 
Probleme  geholt  und  den  (jegenstand  so  erschöpfend  behandelt,  dal,^ 
wir  aufsein  schönes  Werk  gern  verweisen**).  Trotz  der  dort  beinahe 
erreichten  Vollständigkeit  finden  wir  immer  wieder  derartige  neue  Dar- 
stellungen. War  doch  die  Niederkunft  der  .Mutter  Anna,  die  (Geburt  der 
(jottesmutter  eines  der  beliebtesten  Themen  der  italienischen  Kirchen- 
malerei. Um  nur  einige  der  bedeutendsten  (jemälde  dieser  .Art  zu 
nennen,  erwähnen  wir  das  Meisterwerk  von  .Murillo  im  Lou\re.  Die 
(jrupjie  der  das  Kind  badenden  Frauen  ist  wohl  das  Wahrste  und 
Größte,  das  der  S[xinier  geschalfen  hat.  1-erner  in  Betracht  kommt 
die  W'ochenstube  Fra  F'ilippo  Lippis  im  Palazzo  Pitti,  des  Domenico 
(jhirlandajo  in  der  Kirche  .Maria  Novella,  ebenfalls  Florenz,  des  (jirolamo 
del  Pacchia  in  Siena,  Andrea  del  Sartos  Wochensluben,  .■\ltdt)rfers  Werk 
in  .Augsburg  und  .Albrecht  Dürers  berühmter  1  lolzschnitt,  der  uns  wie 
auch  die  übrigen  deutschen  Darstellungen  mehr  kleinbürgerliche  \'er- 
hältnisse  vorführt.  .Als  weniger  bekannten  Repräsentanten  dieser  (iruppe 
bringen  wir  Tintorettos  (jemälde  aus  der  F.remitage.  Die  (irup(ie  der 
heiligen  l:lisabetli,  die  das  Kind  der.Xmme  zuhält,  welche  dem  Kindchen 
.Milch  aus  ihrer  Brust  anspritzt,  ist  von  köstlicher  Febenswahrheit. 
Wie    aul    allen    derartigen   demäldeii    sehen   wir  die   Wöchnerin   von 


*)  Siehe    auch    die    Cklmrt    des    Asklcpios    auf   der    MajoIil<aschale    1534    »Plastik    und 
Medizin«,  S.  15. 

**)  Robert  Müllerheim,  Die  Wochcnstuhe  in  der   Kunst,     l-crd.  Knkc,  Stuttgart.   1904. 


■CiiOiiJtiOiJOiiKiSiCiiSSiiSJÖiSJSSiiOiJSiCSiOiiK  Dl  l<  Toi)  IN  DER  GliBUKT  iOtS>!O!!O!Si!KS>i5«!S<0>Si<0i!SiSi>:Si!K  147 


einer  yroßcn  Zahl  xon  iTcuiulinncii  iiiul  Dienerinnen  unii^elien.  Was 
uns  dieses  Clemakle  etwas  verleidet,  ist  die  tlieatralisehe  Pose  und 
oftenlxu"e  X'erzeichnuni;   des   heilii;en   Joachim  (siehe   hi^ur  (S2). 

Aus  der  summarisclien  Ik^traclituni^  aller  dieser  (jemalde  lernen 
wir  im  Rüde  naturgetreu  vori^elührt  den  ganzen  technischen  A[iparat 
der  W'ochenstuhe  kennen.  Auch  die  llvi;iene  des  Sauglinnsalters 
ertahrt  iieleoentlich  eine  bildliche  Bereicherung!.  Die  X'orteile  der 
künstlichen  und  natürlichen  l-lrnährunt;  werden  hier  illustriert;  aus 
diesem  Ahiterial  hat  der  Herr  Kt)lleL;e  Brünin^  seine  medizinischen 
kunsthistorischen  Betrachtungen  angestellt*). 


DER  TOD  IN  DER  GEBURT 

Wir  haben  in  »Plastd^  und  Medizin«  als  plastische  Denkmäler 
des  Todes  in  der  Cieburt  die  marnK)rnen  Hochrelietarbeiten 
der  schönsten  griechischen   Kunstepoche  in  Athen  gesehen*). 

Der  ruhrende  Abschied,  den  die  junge  brau  von  dem  eben 
geborenen  Kinde,  vom  Manne,  von  den  Freundinnen  und  von  ihrem 
irdischen  Tand  nimmt,  kann  keinen  ergreiienderen  Ausdruck  linden. 
Noch  für  die  heutige  Kunst  sind  diese  Reliefs  unerreichte  Vorbilder. 
Wir  sahen  auch  auf  Lekvthen  den  plötzlichen  Entbindungstod  dar- 
gestellt**). Wir  bewunderten  die  \'erbindung  von  realistischer 
Wiedergabe  und   feinem  künstlerischen  Geschmack. 

Natürlich  hat  auch  die  klassische  Malerei  sich  diesen  ergreitenden 
Vorwurf  nicht  entgehen  lassen,  nachdem  \'errocchio  mit  seinem 
berühmten  Werke  in  der  Kirche  Santa  Maria  sopra  Minerva  \'om 
jähre  1477  den  Gegenstand  wieder  in  die  Rennaissancekunst  ein- 
geführt hatte***).  Der  Tod  der  Rahel  auf  dem  Wege  nach  liphratht) 
ist  mehrfach  genialt  worden.  Wenn  es  aber  als  Preisauigabe  gestellt 
wäre,  diesen   historischen  Gegenstand  nüt  möglichst  geringer  Sach- 

*)  Siehe  H.  Brüninj,',  Geschichte  der  Methodik  der  künsthchen  Sau^lingsernähruni,'. 
Ferdinand  Enke,  Stuttgart.     190S. 

**|  Siehe  Figur  175,   165  bis   167. 
***)  .Siehe   »Plastik  und  Medizin«   Figur  176. 
f)  Siehe  das  Buch  Moses,  Kapitel  35. 


148  äSißiCiJKJOiKJCiiCSJSJOtJOiSiSiJßSiiSiSit  DeR  ToD  IN  DER  GeBURT  iOiißJKißJOtSiiKJSißJKJCiJOiiCiiJtSiiOtJCiiSiStS!! 


kcniitnis  uiul  moLjlichslcr  Vcrzcrruni;  der  dort  ^cstliildcrlcn  l-'aklorcii 
/u  malen,  so  hat  das  (ägnaroli  mit  seiner  süßlichen  platten  l-pi- 
gonenkunst  in  der  venezianischen  Akademie  erreicht.  Anl  Damast- 
betten unter  seidenen,  rauschenden  \'orhängcn  hci^t  ein  kaum  zu  einer 
jungen  l-'rau  erblühtes  Mädchen.  Dagegen  ist  das  Kind,  ilem  sie 
soeben  das  Leben  geschenkt  hat ,  mindestens  sechs  Wochen  alt. 
Das  Problem  des  Schmerzausdrucks  allein  nahm  den  .Maler  gelangen 
und   bildet   dijn   Reiz   des  (jemäldes. 

Unter  abnormen  Ik'dingungen  ertolgten  Xiederkiniften  haben  die 
Ilistoriugraphen,  namentlich  in  früheren  lahrhunderten,  besondere 
Aulmerksamkeit  zuL;e\vendet.  im  AnsLhluß  an  erfolgte  Mißgeburten 
prophezeite  man  irgendwelche  schlinmie  Cjeschehnisse.  Solche  waren 
wiederum  \'eranlassung  zu  iliegenden  Blättern,  die  vielfach  noch  mit 
Holzschnitten  verziert  waren;  diese  belriedigten  das  Sensations-  und 
Skandalbedürtnis  hüherer  (Geschlechter.  Da  gibt  es  eine  plötzliche 
Niederkuntt,  welche  die  (Gemüter  ganz  Hollands  erregt  hatte.  Es 
ist  das  die  berühmte  Geschichte  des  sogenannten  Stiers  von  Haarlem. 
Am  29.  August  i(\\-  hat  ein  Stier,  rasend  gewi)rden  wie  es  scheint 
durch  einen  \on  Kindern  hochgelassenen  Drachen,  einen  .Mann  töd- 
lich \erletzt  und  dessen  schwangere  brau  so  in  die  Hohe  geschleudert, 
daß  sie  in  der  Lutt  eine  Sturzgeburt  erlebte.  Dieses  traurige  Ereignis 
von  des  »Stiers  \\'reedheid«  und  das  (iescliehnis  dieser  ungewohnten 
(ieburt  erregte  seinerzeit  in  Holland  das  größte  Aufsehen.  Doktt)r 
H.  |.  .M.  Schoo  hat  die  (jemälde  und  die  Ciedichte,  die  über  diesen 
Gegenstand  gemacht  sind,  einer  interessanten  medizinhistorischen 
Studie  unterzogen*)  und  über  ein  Dutzend  Darstellungen  und  Idug- 
blätter  publiziert,  welche  sich  mit  diesem  Ereignis  beschättigen  und 
den  k.indruck  schildern,  welchen  dasselbe  aul  die  Zeitgenossen  gemacht 
hat.  Aut  diesen  gewissermaßen  gemalten  Krankengeschichten  erleben 
wir  den  Vorgang  selbst  und  seine  traurigen  l'olgen.  ^\'ir  sehen  den 
mit  dem  Iliegenden  Drachen  laulenden  Knaben,  wir  sehen  d^jn  wütenden 
Stier,  der  den  Mann  zerlleischt,  wir  sehen  die  in  der  Eult  schwebende 
Bauernfrau    und    das    fliegende    Kind;    sehen    dann    entsprechend   der 

*)  Dr.  n.J.  M.  Schoo,  .Stiers  Wrccdhcid.  <  )\x-rdruk  uil  den  Iccstliundul  1  Icctor  Trcub,  191 2. 


H 


Q 


I  50  JSSSSSSSJKüSißSSiSJSiSÜSJKJJiJßiKiOS  DeR  Tod  IN  DER  GeBURT  äßJCS'ßiCiJSiCSJCiJß'ö'CiJOtiCiJCiSiJSiCÜSiiS'CtiCi 


dainalii;cn  Siuc  aul  einem  Hl.ill  /eitlicli  Aulciiiaiulciiol^ciulcs  zu  ver- 
einigen, auch  das  nach  Hause  i;ehrachle  unglückHche  Ehe[iaar  auf 
dem  Sterbehiger;  der  Arzt  repDniert  die  vor^elallenen  Därme,  haue 
Geschmacklosigkeit  war  es,  aber  doch  durch  den  Charakter  jener 
Zeit  entschuldbar,  wenn  man  nut  diesen  Darstellungen  Tee-  und 
Kaffeeservice  schmückte  und  Wandteller  dekorierte.  Hine  größere 
Geschmacklosigkeit  aber  war  es,  wenn  ein  anonxiner  Glossist,  der 
diese  Flugblätter  in  der  mediko-histt)rischen  Ausstellung  des  [berliner 
Kaiserin-i-'riedrich-Hauses  »bewunderte«,  tragt,  ob  etwa  durch  solche 
Darstellungen  die  Studenten  lernen  solken,  wie  man  Sohne  verliert 
oder  eine  (ieburt  zweckmäL^ig  beschleunigt"). 

Die  \'ielheit  der  von  einer  Mutter  aul  einmal  geborenen  Kinder 
hat  immer  die  (jemüter  erregt.  Wenn  auch  der  Rekt)rd  von  Sechs- 
lingen  wissenschaftlich  festgestellt  ist,  so  hat  doch  die  Geburt  von 
Fi'mtlingen  eine  beinahe  künstlerische  \'erewigung  gefunden  durch 
das  t_)lgemälde  tmd  den  Stich  von  der  merkwürdigen  (ieburt  von 
»vier  lebendigen  und  einem  toten  Kind«.  Die  glückliche  Mutter 
war  eine  brau  aus  Scheveningen  und  die  (ieburt  tand  am  3.  Januar  17  19 
statt.  Aut  dem  Gemälde,  welches  als  Beilage  in  der  Deutschen 
medizinischen  W'ochenschriit  koloriert  erschienen  ist**),  blickt  die 
Mutler  mit  Stolz  auf  die  vier  lebendigen,  gewickelten  Kinder.  Der 
Moment  ist  geschildert,  wo  der  Hausherr,  Simon  Arense  Roosendaal, 
ins  Zimmer  tritt,  und  xor  Schreck  beinahe  inntalk.  Die  Hebamme 
aber,  Maria  Somel,  eine  besonders  tüchtige  brau,  geht  ihm  mit  einer 
Tasse  heißen  KafTees  entgegen. 

b.in  kulturhistorisch  interessantes  Bild  der  Überrheinischen  Schule 
zeigt  uns  eine  junge  edle  brau,  die  soeben  das  vierte  Kind  geboren 
hat.  Die  kleine  Wiege,  die  in  der  l'cke  steht,  genügt  natürlich  nicht 
für  die  X'ierlinge,  welche  hübsch  eingeschnürt  und  gewickelt  aul  liem 
]3ette  liegen.  Obwohl  das  Xabelband  in  einem  Kästchen  mit  allerlei 
Verbandstoff  bereit  steht,  hat  der  Maler  oÜenbar  aus  übertriebenem 
ästhetischem  Gefühl  den  Xabelstrang  nicht  angedeutet.    In  den  Wolken 


*)  Siehe  'März'.     I.  Jahrgang;.     lieft  S. 
")  Siehe  38.  Beil<igc  der  Deutschen  medizinischen  Wochenschrift,  Jahrgang  1908,  Nr.  52. 


Obcrrheimi^ht:  J>.  kuU . 


Fig.  85.     Vicrlingsgcburt. 


schwebt  ein  Heiliger,  welcher  die  Szene  segnet.  Das  Bad  für  den 
letzten  Neugeborenen  steht  am  Fußboden  bereit.  L'nd  gleich  wird 
die  junge  Dienerin,  wie  wir  dies  aul  anderen  Gemälden  erleben,  ihren 
vielleicht  nicht  ganz  sauberen  Fuß  in  die  Wanne  stecken,  um  den 
richtigenTemperaturgrad  des  Badewassers  festzustellen  (siehe  Figur  8  3). 


152  iOiiCtSiStJSStssieiStiSJSijiiSJSjssiJSioiSissietiCitiS  Lepra  S!ie!»;«JSJS:«ic«io>!Ct!S!S<s«!ßieiiK!KJ>jßSs!O>ss!ßs>J0i 


Fit;.  84.    Miniatur  aus  dem  Praclitkodcx        aber    siclicr  zum 
der  »Chirursj'ie  des  Bischof  Thcodericli«. 


LEPRA 

Der  moderne  Arzl  isl  bei  der  Ik'- 
iraebtimi;  der  Lepra,  des  Aussatzes, 
der  .Miselsucbt,  der  ]\rankbeit  des 
liob  lind  des  Armen  Heinrich,  in 
einer  merkwiirdii;  i;UiLklichen  Situa- 
tion. Lr  sieht  namhch  am  Sterbe- 
la^er  dieser  einstmals  die  Welt  er- 
schreckenden Krankheit.  \\'ar  dt)ch 
diese  Seuche  das  mittelalterhclie\'or- 
bild  tür  alle  schleichende,  langsam 
'ode  führende  Xot. 
DitT Bibel  kennt  dijn  Aussatz  bereits 
von  altersher;  als  ein  Ciegenneschenk  und  Andenken  an  die  Kreuz- 
züge nahm  sie  seitdem  in  Mitteleuropa  epidemischen  Charakter  an. 
Lin  Arzt,  der  den  Aussatz  heute  noch  einmal  unter  seinen  Händen 
hat,  ist  stolz  aut  seine  Diagnose,  und  die  wissenschaftlichen  Kom- 
missionen in  unserem  \  aterlande  kennen  die  einzelnen  \H)rkoni- 
niendeii  balle  dem  Xamen  nach.  ALm  schickte  Plastiker  in  die 
entlegenen  nordischen  Teile  Luropas,  wohin  sich  die  Krankheit 
geflüchtet  hat.  Von  den  unglücklichen  letzten  Opfern  der  Lepira 
wurden  dort  durch  Oskar  Lassars  AUihwaltung  Abgüsse  gemacht 
und  dieselben  nach  der  Natur  koloriert*).  Es  wäre  nun  nahe- 
liegend, und  ist  dies  ja  auch  viellacli  unternonmien  worden,  auf 
zeitgenössischen  (jemälden  und  Kunstwerken  die  Physiognomie  der 
Krankheit  zu  studieren,  inn  vielleicht  \  eränderungen  im  Krankheits- 
bilde auf'  diese  Weise  festzustellen.  Weim  wir  auch  heute  durch  die 
Kenntnis  des  Lrregers  die  Lepra  als  einen  einheitlichen  Krankheils- 
prozeß auflassen,  so  unterscheiden  wir  doch,  je  nach  dem  \  orwiegen 
der  einen  oder  der  anderen  S\-mptoine,  die  Knolenlepra  \'on  der 
nervösen  anästhetischen  bcjrm.  Ls  wäre  lum  ein  totales  \  erkennen 
der  durch  unsere  Studien  gegebenen  Situation  und  eine  KLUzsichlig- 


•}  Moulagen  jetzt    im  Kaiserin-Frieiiiidi-Hause  in  der  staatlichen  Lehrmittelbammlun;;. 


keit,  wenn  wir  die  Kunsl\vcrl<c  siircclivii  lassen  uiul  aus  ihnen 
folgern  wollten,  welche  l'orm  der  l.epra  in  rriiheren  Zeiten  die 
häufigere  gewesen  sei.  Es  wäre  ein  \'erkennen  der  eingangs  dieses 
Kapitels  auseinandergesetzten  \'erhältnisse,  wenn  wir  zum  Beispiel 
aus  der  'I'atsache,  daß  in  der  primitiven  Kunst  im  wesentlichen  die 
Fleckiorm  erscheint  und  die  Mutilation  erst  später,  hieraus  irgend- 
welche wissenschattlichen  Schlüsse  zögen. 

Die  Hoffnung,  aus  der  antiken  Zeit  Darstellungen  der  Lepra  zu 
finden,  ist  sehr  gering;  man  müßte  denn  einen  glücklichen  l'und 
tun  in  den  hellenischen  und  asiatischen  Bezirken  des  lieilgottes. 
Da  aber  schließlich  der  Nachweis  erbracht  ist,  daß  man  dem  Askle- 
pios  und  anderen  Ileilgöttern  nicht  nur  gesunde  Gliedmaßen  opierte, 
sondern  auch  das  Abbild  seines  Schadens,  so  wäre  es  nicht  unmög- 
lich, auch  einmal  ein  Votiv  lepröser  Mutilation  zu  linden.  Natürlich 
ist  größte  X'orsicht  am  Platze,  und  ich  warne  Phantasiebegabte,  die 
vielleicht  schon  aus  dem  einen  oder  dem  anderen  Hxvoto  die  Ähn- 
lichkeit mit  Aussatz   herauslesen. 

Der  Beschreibung  des  Aussatzes  bei  den  antiken  Schrittstellern 
zu  folgen,  ist  deshalb  schwierig,  weil  man  vielfach  in  der  Verken- 
nung der  Krankheitseinheit  den  einzelnen  tvpischeren  Svmptomen 
besondere  Namen  gab. 

Daß  sich  die  Geschichte  des  Aussatzes  in  [irähistorische  Zeiten 
verliert,  dafür  bringt  unter  anderem  auch  scht)n  Pausanius  den  Beweis: 
Im  fünften  Buche  seiner  Beschreibung  von  Griechenland  erwähnt  er 
die  Stadt  Lepreos  im  Lleischen.  Diese  Stadt  soll  ihren  Namen 
haben  von  Lepreos,  des  Pvrgeos  Sohn.  I3ieser  Stadtgründer  soll 
sich  mit  Herakles  in  eine  Wette  eingelassen  haben,  daß  er  ebenso- 
viel essen  konnte,  wie  der  Halbgott.  Naclidem  Lepreos  im  Fressen 
nicht  weniger  geleistet  hatte  als  Herakles,  schwoll  sein  Mut  imd  er 
wagte  es,  den  Helden  zum  Waftenkampl  herauszufordern  ;  der  Lrtolg 
war  nicht  der  gleiche,  denn   Herakles  erschlug  ihn. 

»Andere  wieder  sagen,  über  die  ersten  Bewohner  des  Landes 
sei  eine  I\rankheit,  die  Lepra,  gekcnnmen,  und  so  habe  die  Stadt  von 
dem  Unglücke  den  Namen  erhalten.    Die  Lepreaten  sagen,  sie  hätten 


154  38ä5tißsSJJ^iKi«i*i^s*si^'5ssss><o*iSSi!eiiS!CiS!!SiSiS  Lepra  sKiCiSKötiSisssiSSiJKJSSiJCiiOiJOiieiiKiCiiSJßiKiCiiJtiKiCSiO! 

in  ihrer  Stadt  einen  Tempel  Zeus  Leukait)S«  (l.euke  wie  Le[ira,  i;leicli 
Aussatz).  Jedoch  hat  l'ausanias  /u  seiner  Zeit  kein  lleihgtuni  dieser 
Art   mehr  i^esehen. 

l-rühzeitig  wurden  die  sehweien  Folgen  der  l.e|ira  mit  der  Ele- 
phantiasis zusanniiengeworlen.  Plinius  erwähnt  schon  im  2G.  Biicli, 
Kapitel  5  seiner  Xaturueschichte ,  dal.^  die  l'lephantiasis  olter  im 
Gesicht  und  /war  an  der  Xase  gleich  einer  i.inse  begönne,  daß 
dann  später  aber  über  i\cn  ganzen  Körper  Mecken  kämen;  die  Haut 
würde  bald  an  der  einen  Stelle  verdickt,  an  der  anderen  dünn, 
brandig;  die  Knochen  druckten  sich  durch  das  Meisch.  in  späterer 
Zeit  wird  die  Situation  schwieriger  dadurch ,  daß  andere  tuber- 
kuK'ise  oder  syphilitische  schwere  Allektionen  mit  der  Lepra  in 
einen  Hexenkessel  geworlen  werden.  Seit  dem  eilten  Jahrhundert 
ist  nun  ohne  jeden  Zweifel  eine  epidemische  Ausbreitung  des  Aus- 
satzes im  Abendlande  bemerkbar.  Diese  Erscheinung  wird  mit  den 
Kreuzzügen  in  Zusammenhang  gebracht.  Tatsache  ist  ja,  daß  auch 
im   Orient  die   Krankheit   sehr  xerbreitet  war. 

Aiü  der  Suche  nach  Darstellungen  der  Lepra  müssen  wir  uns 
an  diese  historischen  Daten  halten  und  uns  zunächst  daran  er- 
innern, daß  aus  der  ]3ibel  ganz  besonders  zwei  Aussätzige  eine 
Ik'rühmtheit  erlangten,  welche  in  tler  Literatur  sowohl  wie  in  der 
Kunst  lortlebten.  Ls  ist  das  vor  allem  lliob  und  der  arme  Lazarus 
(Lukas  16,  2t)):  »Es  war  aber  ein  .Armer  mit  Xamen  Lazarus,  der 
lag  vor  seiner  Tür  voller  Schwären  und  begehrte  sich  zu  sättigen 
von  den  Brosamen,  die  von  des  Reichen  Tische  abfielen.  Doch 
kamen  die  Ihmde  und  lecketen  ihm  seine  Schwären.«  Und  der 
alttestamentarische  lliob  (lliob  2,  3);  hA^a  fuhr  der  Satan  aus 
vom  Angesicht  des  Herrn  und  schlug  lliob  mit  bösen  Schwären 
von  der  bußsohle  an  bis  aiü  seinen  Scheitel.  Lud  er  nahm  eine 
Scherbe  und  schabte  sich,  und  sal.^  in  Asche.«  (JInvohl  nun  diese 
Schilderung  wenig  mit  der  Lepra  gemein  hat,  so  wurden  die  beiden 
doch  zu  Trägern  des  Aussatzes  gestempelt,  und  namentlich  au!  (Jrund 
der  himmlischen  Aufnahme  des  Lazarus  die  l'llege,  ja  die  \'erehrung 
der  Kranken  für  ein  gottgetälliges   Handeln  angesehen. 


iKieiJCiiOtiCiiOiiKJOiSiiöiSüKiCJSSSCSiKJOtiKiCiiOSäSäCSiK  Kuxs TAUSDRUCK  5K!CeiKiK!C!!K!CSiC>)0><ßS>:!?!iC><ß<5!S<ßO:!0i!0!  1  5  5 


Es  entstand  der  besondere  Orden  der  I.azarusritter.  Auch  hat 
dieser  Arme  des  }:vani;eHsten  LLil<as  noch  der  La/arusidapper,  den 
Lazaretten  und  auch  den  l.az/aronis  den  Xamen  geliehen.  In  der 
wissenschaftlichen  Diagnose  Lepra  bestand  im  frühen  Miltehdter 
natürHch  ziemhcher  Wirrwarr.  Guv  de  Chauliac  trennt  die  Signa 
univoca  von  denen,  die  auch  bei  anderen  Krankheiten  vorkonnnen. 
Allerlei  schweres  Siechtum  segelte  unter  der  leprösen  Flagge.  Da 
darf  man  sich  nicht 
wundern,  wenn  auch 
dieMaler  unzuverlässig 
waren,  (jewiß,  es  kann 
vorkommen,  daß  sich 
zutällig  der  eine  oder 
der  andere  Naturalist 
genau  an  die  äußeren 
Krankheitserscheinun- 
gen eines  Leprösen 
gehalten  hat  und  eine 
derartig  klare  Xatur- 
abschrift  lieferte,  daß 
wir  heute  mit  einiger 
Sicherheit  die  Dia- 
gnose Lepra  stellen 
können.  Aber  das  sind 
immerhin  Ausnahmen; 
unsere     Fragestellung 


Kitlirie-Moschce  Stiimdrt/. 

Fig.  83.     Lcprostr. 
(Mosaik  des  vierzehnten  Jahrhunderts.) 


muß  deshalb  eine  etwas  andere  Richtung  annehmen. 

Was  war  das  malerische  Motiv  für  Lepra?  Blieb  es  konstant 
oder  wechselte  es  im  Lauf  der  Zeit?  Ein  solches  Motiv  mußte 
allgemein  verständlicher  Natur  sein,  damit  auch  der  Laie,  der  im 
Gebete  vor  einem  Altarbild  kniete,  aus  diesem  Abbilde  das  Schrecknis 
der  besonderen  Krankheit  herauslas,  wie  etwas  später  sich  der  Anblick 
des  pfeildurchbohrten  Sebastian  bei  ihm  sofort  in  den  (bedanken 
der  Pest  umsetzte. 


1 56  äCSäKäßäßäSSOtäSJKSSSSJSiOiJSJSSKieiiKJKiCSSSiliiKäS  Lepra    ä5iK!C?;CiS!iKiOi>CSS5<!iß!0!«Si«iOiSiiK<K!5!«!K<K!K-5S<C! 

L'ni  dieses  tcstzuslcllcn,  ist  es  wicluig,  i;anz  Irülie  Abbildungen 
der  Lepra  zu  erhallen.  b.ine  solche  Krankheilssehilderun^  land 
ich  in  einem  Zwickel  der  Kahrie-.Moschec  in  Sianibul.  Dieser 
aui  den  Trüminern  einer  alten  Ivlosterkirche  im  elUen  lahrhundert 
errichtete  und  im  \ier/ehnten  Jahrhundert  erweiterte  Bau  ist  mit 
vorzüglich  erhaltenen  Mosaiken  Ljeschmückt.  Im  h'ischen  (lolde 
strahlen  sie,  da  sie  bei  der  \eränderten  Reliqionsbestinimuni;  xon 
den  Osmanen   nur  iibertüncht   wurden.     Hier  wird  das  Leben  Cdiristi 


ms  m-DOHO  l  VIDIl.?NLIPISI>HAR'8e  ' 


VIR'  LCPSlOCCVRBfP.VTCI  (5&-VTHDtTl,^^^-, 


ll'S  ILLVMrNATDVOS    CCCO^  .SeCVK 
SCl)Ct€S-7  CLAMANTCS  DNe  .>(IS€RtKt  NRI 


:i^iim^^^ 


'^^^M 


Der  W;lS^e^^ucIuige.  I  ■  ;  Blinde. 

rig.  86.     Mosaikschiiiuck  des  Mittelschills  des  Doms  von  Mdiire.ile. 

bis  zu  seinem  Linzui;  in  Jerusalem  L;eschildert;  in  den  Zwickeln 
ausschließlich  Krankenheiluni^en.  Ganz  unversehrt  blieb  die  bis  aut 
einen  Leibschurz  völlig;  nackte,  etwa  ein  Meter  t;roße  (iestalt  eines 
Leprakranken.  Das  Leiden  ist  in  der  Weise  geschildert,  daß  der 
ganze  Kcirper,  Ciesicht,  Arme,  lirust  besät  ist  mit  einem  lleckenartigen 
Ausschlag  (siehe  Ligur  83).  \'on  irgendwelchen  Mutilationen  sieht 
man  nichts. 

Einen  weiteren  Luiid  machte  ich  erst  kürzlich  in  der  pracht- 
vt)llen  Xormannenkirche  in   Monreale  oberhalb   i*alermos. 

Die  umfangreichen,  im  jähre  11N2  \-olleiideten  .Mosaiken  \'on 
hervorragender  Lrhaltimg  und  Leuchtkratt  bilden  Szenen  aus  dem 
Alten  Testament  imd  aus  dem  Leben  des  Ileilaiules  ab.  ;\ut 
diesen  SeitcnschifTllächen  sehen  wir  nun  mehrere  Krankheitsdar- 
stellungen,  die  tms  besonders  deshalb  interessieren,   weil  tue  Künstler, 


JCöKiOiJKJSiKiJSiCiiCSSJSäOSJetJCSiCiiCSiKiKiKiKiKiCtJOi   NoRMANNENKUNST   äSäKiCtJOtiSiSiKiKißißJKJSißjaißißSiiCiJK  157 

mehr  wie  es  in  der  i^leichzeitiijen  Kunst  iiblieh,  nach  Realistik  streben. 
Das  geht  am  deutlichsten  aus  der  Schilderuni;  des  Wassersüchtigen 
hervor.  \'iel  mehr  als  dies  aus  der  schwachen,  nach  Zeichnungen 
ausgeführten  Reproduktion  des  Jk'uedetto  (ira\ina  herx'orgeht,  drängt 
sich  der  kolossale  wassersüchtige  Leib  des  ]:rkrankten  vor*).  Zur 
Charakterisierung  der  Heilung  der  verdorrten  Hand  stützt  der  ge- 
lähmte Jüngling  seine  schlaf!  herunterhängende  Hand  dicht  unter 
dem  Gelenk  mit  der  anderen.  Dieselbe  Szene  wird  in  der  Kährie- 
Moschee  weniger  naturwahr  gezeigt.  Hier  ist  eine  Art  von  Kram|if- 
stellung  geschildert;  die  Hand  hängt  nicht  herunter,  st)ndern  die 
Finger  der  ausgestreckten  Hand  stehen  gespreizt,  die  andere  Hand 
stützt  den  gelähmten   Arm   am  Hllenbogengelenk-. 

An  zwei  Stellen  sieht  man  nun  den  Heiland  vor  Leprösen 
Wunder  tun.  Linmal  vi)r  einem  einzelnen  Manne,  der  nackt,  nur 
mit  einem  umgeworfenen  Mantel  so  notdürftig  bekleidet  ist,  daß  man 
den  mit  braunen  Flecken  übersäten  Korper  genügend  mustern  kann. 
Christus  streckt   heilend   die   Hand   aus. 

Schräg  gegenüber  an  der  Wand  des  linken  kleineren  Kirchen- 
schifies  aber  behndet  sich  ein  auffallendes  und  wichtiges  Mosaikbild. 
Wir  sehen  zu  Jesus  dem  Helfer  eine  ganze  Anzahl  Leprciser  aus 
einem  Hause  herauseilen.  In  dichtgedrängter  Schar  verlassen  die 
über  und  über  mit  den  tvpischen  Flecken  versehenen  zehn  Kranke 
ihr  Lepraheim.  Mutilierte  sind  nicht  darunter.  Die  Architektur  des 
Hauses  läßt  an   ein  größeres  Krankenhaus  denken  (siehe  Figur  N6). 

Man  wird  nt)ch  nach  frühen  Mosaikbildern  \on  diesem  Gesichts- 
punkte aus  suchen  müssen,  welche  den  Beweis  erhärten  werden,  daß 
der  Kunstausdruck   für  Lepra  im  Mittelalter  die  L'leckform   war. 

\\'ilpert**)  erwähnt  drei  1-resken  vt)m  dritten  Jahrhundert  aus 
den  Katakomben.  Die  Darstellung  ist  stark  verdorben  und  wir  er- 
sehen nur  so  viel,  daß  die  Anordnung  stets  die  gleiche  ist:  Christus 
spricht  und  der  Aussätzige  bittet  um  die  Gnade  der  Heilung.  —  Die 
Künstler  hielten  sich  also  streng  an  die  Fvangelisten;  Markus  (1,40/42), 


*)  Benedetto  Gravina,  Abbate  Cassinese,  II  Duomo  di  Monreale,   1873. 
**)  Joseph  Wilpcrt,  Ein  Zyklus  christologischer  Gemälde;  28  f.    l'reiburt;  iSgr. 


I58  3S?SS?i»!CSiCiiS«<K!CiiJK3S?C5SKS53SäßäCSSK3«ä«5S««5   Lepra    äKJC5SSäKSß!KJCSS><S!ß)CS<iS!iCi!C?!5<C?!Cii!S!Oi!K!KJC?iCi!C?J0! 


Matthäus  (8,  3),  Lukas  (3,  13),  erwähnen  zwar,  daß  C'.hrisUis  den 
Aussätzigen  berühre,  ohne  aber  den  von  ihm  berührten  Korperteil 
näher  zu  bezeichnen.  Uni  aber  eine  X'erweehshuii;  mit  der  Rlinden- 
berührung  zu  vermeiden,  maken  die  Künstler  Clhristus  nur  in  der 
l'orm  des  Redenden*).  Die  knieenden  Aussätzigen  zeigen  keine 
Spuren   der  Krankheit. 

Soweit  ich  den  Bilderschmuck  der  Katakomben  sowohl  wie 
der  trüben  Kirche  überhaupt  studieren  konnte,  befinden  sich  unter 
diesem  nur  selten  Darstellungen  aus  unserem  Interessenkreise.  Im 
Cubiculum  Santa  Donutilla  aus  der  ersten  Hallte  des  dritten  Jahr- 
hunderts betindet  sich  Hiob  zutälligerweise  ganz  in  der  Xachbar- 
schatt  der  Heilung  eines  Aussätzigen.  Eine  besondere  Charakteristik 
des  auf  einem  Erdhaufen  Sitzenden  findet  jedoch  nicht  statt.  Michel 
(Gebet  und  Bild)  erwähnt  vier  Aussätzigenheilungen.  Soviel  aber 
scheint  sicher,  daß  wenn  eine  Charakteristik  der  Krankheit  über- 
haupt erstrebt  wurde,  diese  nur  durch  Flecken  angedeutet  wurde. 
Auch  die  Illustratoren  von  Manuskriptwerken  begnügen  sich  hiermit. 
Da  ihnen  jedoch  eine  solche  Charakterisierung  zu  dürltig  erschien, 
so  gaben  sie  noch  eine  charakteristische,  allgemein  verständliche 
Note  gelegentlich  hinzu:  es  war  dies  die  Lazarusklapper.  So  sehen 
wir  aut  unserer  Abbildung  der  Miniatur  aus  dem  chirurgischen  Kodex 
des  Bischots  Theoderich  (Original  in  Lewlen)  den  Kranken  mit  der 
Klapper  (siehe  L'igur  S4).  Der  Arzt  selbst  im  roten  Talar  wendet 
sich  von  dem  Kranken  ab,  weil  er  eine  Ansteckung  befürchtet. 
Inmierhin  ist  diese  Klapper  in  der  italienischen  Kunst  auffallend  selten 
zur  bildlichen  \'erwendung  gekommen.  Unter  den  .Attributen  der 
Heiligen  lehlt  sie  merkwürdigerweise  ganz  (siehe  unten). 

.Aus  der  Betrachtung  des  überall  zerstreuten  .Materials  scheint 
mir  nun  es  sichergestellt,  daß  die  künstlerische  Marke  lur  den  Aus- 
satz die  exanthematische  L'orm  war  bis  hinein  in  den  Anhmg  des 
sechzehnten  Jahrhunderts.  Hier  nämlich  tritt  in  Konkurrenz  zu  der 
in  allmählicher  Abnahme  begrilVenen  \'olkskrankheit  eine  neue  Plage, 
»die    bösen  Blattern,    die  l-'ranzosenkrankheil«.      Da    diese   auch   mit 

*)  Carl  Maria   Kaufmann,    I  landljuch    ilc'r    diiistliclicn  Arcliäologie.     Paderborn   1905. 


SiKSKitJOiißJOtSiJSJOiißiOiiSiKSiJCiSitK^iß'OtJOiJCiJßJOtSi  FLUGBLÄTTER  iOiJßiCiJßiOiXSJSJOtJOiJßJeiSiJCiSiißJßjOiSiJOtiSiS  1 59 

allgemeinen  Ausschlägen  einherging,  so  wurde  das  kiinsllerische  Bild 
verwischt  und  man  mußte  sich,  wenn  man  eine  deutliche  Kunsts[irache 
reden  wollte,  nach  anderen  Mitteln  der  Darstellung  umsehen.  Solche 
waren    nun    bei    dem  Aussatz    in    der  Mutilation   imd  den   schweren 


Ku/'Ji-rstithkai'int'tt  Berlin . 


Fig.  87.     Hiob. 
Farbiges  Flugblatt  um   i  soo. 


Knochenveränderungen  gegeben.  Wir  können  also  im  großen  und 
ganzen  die  Meintmg  vertreten,  daß  die  Darstellung  eines  univer- 
seilen  Ausschlages  bis  zum  Ende  des  iünfzehnten  Jahrhunderts  Lepra 
bedeutete,  daß  von  da  an  aber  die  Difterenzialdiagnose  eine  sehr 
schwierige  wird   und  tatsächlich   auch    zu  I\\)ntroversen  getührt  hat. 


i6o  is^iCEiCs^sK^iSiCEiSiCSiSiCSsssoEiCi^ssiOiiCE^iCssK  Lepra  i;siCiis^!>:ic>:!>:i:ii:i!itJSiO£%»SiKicsi>:iCiiCi!0>:iOt.<>:i>:iSi>:ä! 

Die  Bedeutung  dieser  Frage  vom  medizin-hislorisclien  Stand- 
punkt aus  wii'd  uns  klar  bei  der  Betraelitung  eines  I ruhen  Flug- 
blattes, welches  mit  gruLk'r  Wahrscheinlichkeit  um  die  Wende  des 
fünfzehnten  lahrhunderts  entstanden  ist  (siehe  Figur  8;).  I's  stellt 
den  armen  lliob  vor.  wie  er,  aul  dem  Miste  sit/end,  vom  Satan 
gründlich  vorgenonnnen  wird;  gewissermaßen  ein  unglückliches 
Wettobjekt  zwischen  himmlischer  und  teul  lischer  Machtsphäre.  Nach 
der  naiven  Darstellungskunst  jener  Zeit  sehen  wir  lliob  sogar  zwei- 
mal in  seiner  mit  Schwären  bedeckten  Nacktheit.  Im  Hinterplane 
sieht  er  seine  Schlösser  und  Ilauser  in  Idanunen  aufgehen,  dabei 
schmäht  ihn  noch  sein  Weib.  In  \-oller  Größe  über  und  über  besät 
mit  kreisrunden,  gelbbraun  gefärbten  Flecken,  die  keine  Stelle  des 
Körpers  verschont  lassen,  ninniit  er  die  Mitte  des  l^lattes  ein.  (ienau 
nach  biblischer  Schilderung  hat  der  Holzschneider  die  Fntstehung 
dieser  Geschwüre  drastisch  dadurch  darzustellen  gewußt,  daß  der 
Satan  ihn  packt  und  mit  einer  vielköpfigen  Stachelgeißel  schlagt. 
Dabei  kann  sich  der  naive  Künstler  jedoch  durchaus  nicht  irgend- 
welche \'erdienste  mit  Ik'zug  auf  eigene  lü'iindung  zuschreiben,  denn 
er  verfolgte  nur  traditionelle  Überlieferungen;  wir  linden  dieselbe 
Illustrierung  der  Bibelstelle  nachher  hauhg  in  gleicher  ALmier.  Meist 
schwebt  Satan  in  den  Füften.  (Siehe  die  Zeichnung  von  Hans 
Schaeutelein  oder  die  bekannte  Illustration  aus  des  IFms  von  (jers- 
dorf:  »F'eldbuch  der  W'undarznei«,  wo  außerdem  noch  sein  höhnendes 
Weib  ihm  den  wohlgemeinten  Katschlag  gibt:  »Segne  Gott  und 
stirb«)  (siehe  Figur  88). 

Dürer  hat  in  seinem  bekannten  (iemälde  aus  dem  Siädelsclien 
Institut  in  F'rankfurt  a.  M.  (siehe  F'igur  89)  mit  iler  \-ollendeten 
Resignation,  die  er  dem  goltestürchtigeii  lliob  gegeben  hat,  eine 
geringere  (diarakterisierung  der  Krankheit  verbunden.  Den  J^)rand 
seiner  Leiden  erträgt  er  mit  stoischem  (Gleichmut;  diese  innerliche 
Verklärtheit  wird  dadurch  meisterhalt  zum  Ausdruck  gebracht,  daß 
er  auf  die  heroische  Behandlung  der  (iattin.  die  ihn  nüt  kaltem 
Wasser  übergießt,  auch   nicht  im  geringsten   reagiert. 

Sahen  wir  so,    tlaß  die  fehlende   Krankheitsschilderung  aul   den 


äC5äKä0EäC5!Cs5C?!5K!iiOt!Ci!5t!ei!5t<CiiC!!C?sK<!*!K!Oi!«5K!C!iK  FlugbLÄTTI-R  !0>iti<>!Ci!KKSiCi!S!0!!ßS!iOi!Ci<C><ßiC>JC><C!i<0>j«><0>  l6l 


trühchristlichcn  (jcniäklcn,  l'rL'skcn  uiul  Plastiken  einerseits  auf  ilcr 
rein  svmbolisclien  Autlassnnt;  der  Kunst  jener  Epoche  beruhte,  so 
kommt  noch  ein  Punkt  hinzu,  der  uns  früher  Leprabilder  beraubt. 
Jene  Zeit  hebte  es,  die  Wunder  des  Herrn  im  Momente  der  Betäti- 
gung als  schon  geschehen  zu  schildern.  Der  Schlußakt  des  Wunders 
wird  geschildert;  das  sehen  wir  am  deutlichsten  bei  der  Heilung  des 
Gichtbrüchigen:  es  wird  dieser  immer  in  der  Weise  geschildert,  daß 
er  geheilt,  sein  Bett  aut  dem 
Buckel,  nach  Hause  geht.  Das- 
selbe gilt  von  der  Heilung  der 
Blutflüssigen  und  des  Blindgebo- 
renen. Dieser  Standpunkt  halt 
sich  zunächst  jahrhundertelang. 
Und  auch  in  den  späteren  Monu- 
mentalwerken wirkte  die  Tradi- 
tion so  stark  noch  nach,  daß  wir 
vergeblich    aut    der    Suche    nach 

Krankheitsschilderungen  die 
Wundertaten  der  Heiligen  durch- 
mustern. Ausnahmen  bestätigen 
allerdings  die  Regel,  und  das 
gilt  auch  mit  Bezug  auf  die 
Lepra  und  ihre  von  uns  behaup- 
tete primäre  und  generelle  Schil- 
derung  in   Pleckentorm. 

Wenn  wir  uns  nun  wieder  der  Abbildung  unseres  Flugblattes 
zuwenden,  so  erkennen  wir  im  Wirdergrunde  desselben  zwei  Bitt- 
flehende, welche  derselben  Hiobskrankheit  Opfer  sind.  Die  Blattern 
haben  auch  hier  die  Körper  ergriften,  sowohl  den  eines  ALmnes,  wie 
auch  den  eines  nackten  Knaben.  Die  Zeichnung  ist  eine  so  ober- 
flächliche tmd  verrät  eine  geringe  Subtilität  der  Ausführung  (die 
Flecken  stehen  selbst  aut  den  bekleideten  Stellen),  aber  es  scheint 
doch  so,  als  ob  der  Maler  bei  dem  knieenden  Manne  hat  andeuten 
wollen,    daß    ein  Haarausfall    vorhanden    ist    und    daß    an   der  Stirn 

Holländer,  Die  Medizin  in  der  klassischen   Malerei,     2.  Auflage.  II 


l-ii;.  88.    Hiob. 
Zeichnun"  von  Hans  Schäufulein. 


102  3Kicssii«ss!ßs»i«s>s«<sx>i!>:siiic>!S<ß<!><SiCi!iS'«5K  Lepra  JO>!ßiC><!iiC*!ßs?<ß«?>c?Si!SiS)Ki«ss!«!ß<)'<S!Ci'<KJOi«?iC?iC> 


und  am  Ko[ilc  solide  l'ih.ibcnlicilcn ,  knotige  Exkrcszcnzen  vor- 
handen sind. 

Trotz  alledem  bin  ich  nicht  ganz  davon  iiberzeugt,  daß  dieses 
Flugblatt,  bei  dem  leider  (itUtes  das  Bittgebet  unten  abgeschnitten 
ist,  eine  Anrufung  gegen  den  Aussatz  bezweckte,  sondern  ich  neige 
eher  dazu,  in  ihm  eins  der  Hrstlinge  der  Syphilisdarstellung  zu 
sehen.  Hs  fällt  seine  Entstehung  in  eine  Zeit,  in  welcher  der 
Aussatz  seine  akuten  Schrecknisse  verloren  hatte,  und  die  ganze 
leidenschaftliche  Darstellung  dieses  Flugblattes  stinniit  mehr  iiberein 
mit  der  plötzlich  einsetzenden  »grausamliclien«  Franzosenkrankheit. 
Fs  ist  in  kunsthistorischer  Beziehung  nicht  ohne  Analogon,  daß 
das  Arbeitsgebiet  eines  Heiligen  je  nach  Bedürfnis  sich  erweiterte  und 
veränderte;  und  so  sehen  wir  denn  auch,  daß  der  heilige  Job,  der 
ausschließlich  zunächst  ein  Patron  der  Aussätzigen  war,  etwas  später, 
im  .\ntang  des  sechzehnten  lahrhunderts,  auch  vt)n  den  Svphilitischen 
in  Anspruch  genommen  wird,  in  der  C'hronik  meiner  \'aterstadt 
wird  die  neue  Seuche  schon  1499  die  Sankt- Jobs-Krenckde  genannt*). 
Und  der  Pfarrer  Berler  von  Ruflach  schrieb  in  seiner  Chronik  um 
i)it):  )).Mit  dieser  Krankheit  (JAies)  vermeinen  ettliche,  haben  die 
Feutel   den   heiligen   Job  getroffen.« 

So  sclimückt  zum  Beispiel  ein  ähnliches  Flugblatt  (Schreiber 
1374)  und  ein  \on  Sudhoff  schon  erheblich  triiher  angesetztes,  bei 
Johann  W'interburg  in  Wien  erschienenes  Blatt**)  ein  beinahe 
gleicher  Holzschnitt  mit  der  Überschrift:  »Fuer  die  Platern  Mala 
irantzosa«. 

Wir  werden  nun  sehen,  daß  vom  sechzehnten  Jahrhundert  an 
mit  dem  großen  Wirrwarr  unter  den  \erschiedencn  Ijkrankun^en 
und  der  großen  Konkurrenz  der  Heiligen  eine  einheitliche  Aullassung 
auch   der  künstlerischen   Darstellung  nicht   mehr  nu>glich   ist. 

Fs  wäre  ja  nun  ein  bequemer  .Ausweg  aus  dieser  \'erwirrung, 
wenn  wir  die  malerische  Xotierung  einer  leprösen  K'nocheiulestruklion 


•)  Siehe  Cronica  van  der  hilli<jen  Stat  Coellen  1499;  f.  344  c. 
**)  Graphische   und   typographische  Erstlinge    der   Syphilislitcralur   aus   den    Jahren  1495 
und  1496. 


3KäKiKiCS!0!iSJC<»tiKißS>ii>iKJßSi»!ißäiSiSii>JO!JKivi!KJßiCi  HloH  SiiCSiKiKiOiäSiKäKSSJOtSiäKäKäßiSSiiKJKJCiiKSiJOtJOiiK  163 


als  Folge  der  Konkurrenz  mit  der  Lues  statuieren  könnten,  aber 
schon  unter  den  Iriihesten  Dokinnenten  und  sicherlieh  vor  einer  noch 
so  früh  angesetzten  Lues- 
epidemie Imden  wir  gelegent- 
lich auch  die  bildliche  Muti- 
lation. 

(jerade  bei  \WTken  von 
bedeutender  künstlerischer 
Hand,  die  um  die  Wende 
des  fünfzehnten  zum  sech- 
zehnten Jahrhundert  ent- 
standen und  doch  jedentalls 
Meisterwerke  der  Frührenais- 
sance sind,  liegen  charakte- 
ristische und  unzweitelhalt 
gewollte  Schilderimgen  der 
Knochen mutihition    \or. 

Da  wenden  wir  uns 
zunächst  einem  Werk  des 
Botticelli  zu ,  welches  das 
R  e  i  n  i  g  u  n  g  s  o  p  t  e  r  d  e  s 
Aussätzigen  zum  Inhalte 
hat,  und  welches,  wie  mir 
scheint,  bisher  trotz  seines 
vielversprechenden  \\irwurfs 

dem    medikt)artistischen 
Spürsinn  entgangen  ist. 

Genau  dem  päpstlichen  Throne  gegenüber,  eingefügt  zwischen 
der  l'aute  Christi  von  Perugino  und  Domenico  Ghirlandajos  Berufung 
der  ersten  Jünger,  befindet  sich  Botticellis  bekanntes  Meisterwerk  in 
der  Sixtina.  Der  Lihalt  dieses  großen  Gemäldes  zerlällt  in  die 
sogenannte  \'ersuchung  Christi  mit  der  schließlichen  Illustration  des: 
»Hebe  dich  weg  von  mir,  Satan!«  Doch  diese  \'ersuchung  Christi 
erfüllt  nur  den  Hintergrund  des  hgurenreichen  Gemäldes.     Die  ganze 


Frankfurt  St.  K.  I. 


1-ig.  89.    Hiob. 


l64  3SäKäKäCöSi0i>S<S<S<C*i«ii><5<ßS><K»iSi<S<Ci!iC!S>iß   Lepra   JSiS!Ct!C>:!Ot!ßi5JXiC>:i5>»;iSSSi>:!0i!KSi!KSiS>!Ci!S<5S^S>ie> 


\\)rdcrszcnc  niniml  eine  alllestaincniarischc  Darstellung  ein,  die 
einzigartig  in  der  ganzen  italienischen  Kunst  ist  und  deshalb  auch 
lange  unerkannt  blieb*). 

Zugrunde  gelegt  ist  das  Ka|Mtel  14  aus  dem  3.  Buch  Moses. 
\\'ir  lassen  hier  zum  \erstandnis  des  Gemaides  den  He^inn  der  vom 
sanitätspolizeilichen  Standpunkt  interessanten  Bibelstellen  lolgen,  um 
Botticellis  l'resko  wenigstens  einigermal.Wn  dem  N'erstandnis  näher 
zu  bringen: 

»Das    ist    das    Gesetz    über    den    Aussätzigen,    wenn    er    soll 
gereiniget   werden.     Er  soll   zum   Priester  kommen. 

3.  Und  der  Priester  soll  aus  dem  Lager  gehen  und  besehen,  wie 
das  Mal  des  Aussatzes  am  Aussätzigen  heil  worden  ist. 

4.  Und  soll  gebieten  dem,  der  zu  reinigen  ist,  daß  er  zween 
lebendige  V^'jgel  nehme,  die  da  rein  sind,  und  Zedernholz  und 
scharlachfitrbe  Wolle  und  ^  sop. 

3.  Und  soll  gebieten,  den  einen  \'ogel  zu  schlachten  in  ein  irden 
Getäß  über  frischem  Wasser. 

6.  Und  soll  den  lebendigen  X'ogel  nehmen  mit  dem  Zedernholz, 
scharlachfarbe  Wolle  und  Ysop,  und  in  des  Vogels  Blut 
tunken,   der  über  dem   frischen  Wasser  geschlachtet  ist. 

7.  Und  besprengen  den,  der  vom  Aussatz  zu  reinigen  ist,  sieben- 
mal; imd  reinige  ihn  also,  und  lasse  den  lebendigen  ^'ogel 
ins   treie  Feld   tliegen.« 

Es  ist  natürlich  kaum  möglich,  aul  einer  Ebene  die  \'ielgestaltig- 
keit  der  Handlung  zum  Ausdruck  zu  bringen,  und  dabei  hat  sich  der 
Meister  noch  in  vieler  Hinsicht  künstlerische  E'reiheiten  genommen. 
Wir  sehen  da  im  Hintergründe  zunächst  einen  [irächtigen  Renais- 
sancebau, vor  welchem  ein  großer  Altar  mit  loderndem  l'euer  errichtet 
ist.  Die  l-'assade  dieses  im  Hintergrunde  sichtbaren  Gebäudes  ist 
die  später  leider  verbaute  h'ront  des  Hospitals  zum  Heiligen  Geist; 
das  in  Mengen  verbrannte  Zedernholz  reinigt  die  durch  den  Aus- 
sätzigen verpestete  Luft.     Eine  schone  grolk'  brau   schleppt  auf   dem 


•)  Siehe  Ernst  Steinmann,  Botticclli.     Bielefeld  1904. 


i66  äKssiOtSiißJSiKSiJSJßjKSitSiieiissiSisotSiSiiKStiCi  Lepra  ««•«•siKStJSJCiiKiSiSJKiSJSiSJKSiJöiKiOiSiJCtiCi'eiSiiKJS 


Kopfe  neues  Malcrial  hin/u.  Doch  nahm  der  Künstler  statt  des 
alttestanientarischen  ll\'St)pus  mehr  die  myrrhenartige  Mortelht,  deren 
reinigende  Kratt  behebtcr  war*).  Die  i'rau  des  Aussätzigen  bringt 
von  Hnks  her  mit  einer  irdenen  Schüssel  zwei  lebende  Hühner  herbei; 
sie  will  zum  IheLVaiden  Wasser,  um  nach  der  N'orschrilt  das  eine 
schlachten,  das  andere  tliegen  zu  lassen.  Der  Aussät/ige  selbst  naht, 
von  zwei  b'reunden  unterstützt,  imd  steigt  eben  zum  Altar  heran. 
Xach  der  Schilderung  Steinmanns  trägt  er  noch  die  Spuren  des  über- 
standenen  Leidens  im  (jesicht. 

Den  \'ordergrund  erfüllt  nun  die  Entgegennahme  des  in  goldener 
Schüssel  belindlichen  \'ogelblutes  diu-ch  den  Hohenpriester.  Dieser 
taucht  eben  einen  Strauß  Mortella  mit  rosafarbener  Wolle  umwickelt 
in  die  Schüssel,  um  den  Aussätzigen  siebenmal  zu  besprengen  und 
ihn  dann  gereinigt  der  Welt  wiederzugeben.  Steinmann  gibt  an, 
daß  dieses  Gemälde  eine  jirunkvolle  Ovation  für  den  Papst  Sixtus  IV. 
war,  dessen  neuerbautes  Spital  auch  den  Oplern  des  schrecklichen 
Aussatzes  Aussiciit  auf  Heilung  bieten  sollte.  Dabei  gehörte  Sixtus  W. 
dem  Pranziskanerorden  an,  dessen  (Gründer  seine  Laut  bahn  mit  der 
Pflege  der  Aussätzigen  begann,  nachdem  er  seinen  l'kel  gegen  diese 
Krankheit  überwunden  hatte.  In  der  Umgebung  sehen  \\-ir,  histo- 
risch beglaubigt,  den  späteren  Papst  Julius  II.  und  einige  mehr  oder 
weniger  sicher  festgestellte  Zeitgenossen  porträtiert.  Alle  waren  wohl 
Mitglieder  der  Bruderschaft  von  Santo  Spirito,  die  der  Papst  nach 
Vollendung  des  Spitals  gegründet  hatte. 

Alle  zum  Teil  s\-mbolisch  aufgefaßten  Figuren  des  Gemäldes 
richtig  aufzulösen,  ist  bisher  nicht  gelungen.  Ist  der  kleine  nackte 
traubenschleppende  Knabe,  der  mit  einer  Schlange  kämpft,  und  der 
in  seiner  Stelhmg  einer  antiken  Plastik  ähnelt,  nur  dekorati\-e  Füllung? 

Uns  interessiert  mm  in  erster  Linie  der  Aussätzige.  Der  \  er- 
gleich mit  den  anderen  Porlrätköpfen  lehrt,  dal.^  hier  kaum  ein  beson- 
derer Krankheitszustand  geschildert  wurde.  Der  Nachbar  sieht 
mindestens    so    elend    und    traurig    aus.      \'on    den    Zeichen    dieser 


*)  Siehe   auch  I""olix  Rosen,    Die  Natur    in    iKr  Kunst.     Studien   eines   Naturforschers 
zur  Geschichte  der  Malerei.     Leipzig  1903. 


l6S  35!5<Ci>!KSK?>:?KJK?K!K<0i!Ci!K<K!5!K<SS5!K!S!SSSSS  Lepra  SSSSSKiKäKSSäCSSßäiSSSKiKiCSJßiKStSKSSiJiäKSiiKißSiiKiß 


PUtro  dt-i  Douzt-iU>. 


.\fapfi,   Mus.  Xazioti, 


Fig.  92.     Der  heilige  Martin. 


Krankheit,  die  sich  im  Gesicht  itußern  und  die  Guv  de  Chaiihac  als 
charakteristisch  schildert,  fehlen  eii^entlich  alle.  An  erster  Stelle  die 
rundliche  X'eränderung  der  Augen  und  Ohren  statt  der  elliptischen 
Form,  die  Auftreibung  der  Augenwimpergegend  und  die  Haarlosig- 
keit, ferner  die  Anschwellung  und  die  Tortura  der  Xase,  die  fahle 
Mißgestaltung  der  Lippen  (Foeditas  labiorum)  und  der  starre  wilde 
Blick.  Erst  die  genaue  Iktrachtung  des  Details  zeigt  nun,  daß 
Botticelli  wenigstens  den  \'ersuch  gemacht  hat,  den  Aussätzigen  als 
solchen  zu  charakterisieren,  und  daß  er  sich  dabei  nicht  an  die  Bibel 
gehalten  hat,  obwohl  es  koloristisch  nahe  lag,  etwas  vom  Blutopfer  zu 
nehmen  und  es  dem  (jereinigten  auf  ^^:\\  KnorjK'l  des  rechten  Ohres 
und  auf  den  Daumen  seiner  rechten  Hand  zu  tun.  .Auch  künst- 
lerisches Interesse  lag  \ielleicht  vor,  wenn  Botticelli  sich  nicht  an 
das  Bibelgesetz  hielt:  ».\m  siebenten  Tage  soll  er  alle  seine  Haare 
abscheren,  auf   dem   Haupte,  am   Barte,  an   den   .Augenbrauen.« 

Der  Künstler  gab  diese  .Momente  aul  und  charakterisierte  den 
geheilten  .Aussätzigen  ausschließlich  diuch  seine  linke  Hand.  Wir 
haben  schon  an  anderer  Stelle  einmal  aul  das  Figenartige  der  Hand- 
und  Fußschilderung  Botticellis  hingewiesen.  Die  Finger  und  Zehen 
machen  oft  den  Findruck,  als  wenn  sie  von  dichtbrüchigen  her- 
rührten. Ostentativ  aber  zeigt  dieser  deheilte  seine  linke  Hand,  an 
welcher  sämtliche  .Mittel-  und  I-'ndphalangeii  lelilen.    Das  sciieint  il^n 


bisherigen  Beobachtern  entgangen  zu  sein.  Wir  sind  nun  weit  entlernt, 
dieses  Wie-Abgescbnittensein  der  l-'inger  als  naturabstische  Wieder- 
gabe einer  leprösen  Hand  anzuerkennen.  \\'ir  müssen  aber  bedenken, 
daß  der  Künstler  die  Aufgabe   hatte,    das   Wunder  einer  l.enrareini- 


Bas^Ui    j^,:.i4i-  um   /7j"  Basel. 

Fig.  93.     Der  heilige   M.utin  mit  einem  Leprösen. 

gung  zu  schildern.  Deshalb  konnte  er  nicht  das  tvpische  Krank- 
heitsbild geben,  sondern  er  wollte  oflenbar  ausschließlich  den  Defekt 
zum  Ausdruck  bringen.  Denn  die  Wunderkraft  mochte  genügen, 
eine  Heilung  zu  bewirken ,  nicht  aber  einmal  verloren  geyansene 
Glieder  neu  zu   ersetzen.    Daß  dem  Maler  selbst  dieser  Naturalismus, 


170  iSJSi«iSiiS«i(>iK>KJ5!«iC>S>i'«<SSi'«S>iSiOiS!<0!'CS   LePRA   S5Jß<?SSS?JS!SJ5»S'«SiSS!Ci<Ci'!0t«iS<>!SS>«<Sie>S>St<ß 


wie  es  scheint,  als  gewagt  erschien,  kann  man  daraus  schHeßen,  daß 
er  diese  Verstünmiclung  der  Hand  wieder  durch  die  Fahcngebung 
des  Gewandes  zu  mildern  suchte. 

Im  Gegensatz  hierzu  hat  Pietrci  del  Donzclln  aul  seinem  Kund- 
gemaldc,  das  jel/l  im  Xationalmuseum  in  \ea[K'l  ist  (siehe  higur  92), 
die  Hand  des  Bettlers  in  ihrer  verstümmelten  l'orm  so  in  den 
Mittelpunkt  gestellt,  dal.^  sie  aul  lallig  genug  als  Zeugnis  der  künstle- 
rischen Darstellung  der  .Mulilation  gilt.  Doch  auch  hier  bedarf  es 
der  lünschränkung.  Der  nackte  Korper  des  Bettlers  läßt  alle  son- 
stigen K'rankheitssvmptome  und  Aussatzmarken  \-ermissen.  Die 
isolierte  1  landverstümmlung  könnte  auch  die  holge  etwa  einer  \'er- 
brennuni;  sein.  Auch  aut  anderen  (iemälden,  aul  denen  der  heilige 
Martin  mit  Schwertstreich  seinen  Mantel  teilt,  haben  die  Künstler 
die  almoseniordernden  l^ettler  mit  allerlei  Äußerlichkeilen  x'on  Siech- 
tum  und   lepi'oser  Krü[ipelhaltigkeit  begabt  (siehe  Figur  95). 

So  landen  andere  Autoren*)  auch  die  Bettler  aut  Peter  Paul 
Rubens  »Heiligem  Martin«  (siehe  ligur  94)  mit  charakteristischen 
Etiloreszenzen  der  Lepra  bedeckt.  Bekannter  noch  ist  übrigens  des 
van  Dvck  Kopie  dieses  Gemäldes  tür  die  Kirche  Non  Saventham. 
Gegen  alle  diese  mehr  oder  weniger  ide.den  Krankheitsschilderungen 
berühren  die  X'erse  des  Konrad  von  Wür/burg  (gestorben  12N7)  wie 
eine  wissenschattliche   Krankheitsschilderung: 

Sin  lip  der  wol  gchaiuiultc 
wart  vil  scliiere  do  geschlagnen 
mit  dem  vil  armen  siechtagen 
den   da  man   heizet   niiselsuciit. 


L'nd    weiter: 


die  hitersueze  stimme  sin 

wart   unmazen  heiser, 

im  schuof  des  himeis  keiser 

groz  leit   an  allen   enden. 

an   fuezen  unde  an  henden 

waren  in  die  ballen 

so  genzlich  in  gevallen  usw. 


*)  .Siehe  Henri  Meif^c,  Nouvellc  Iconogr.  de  la  Salpetricrc   1897. 
Paul  Richer,  La  Lcpre  dans  i'.'Vrt  et  la  Mcdicine  274  l)is  313. 


ä>;ij!i0t!>!Ci!S!0!iKSii0iiCtStivti5tS>SiiO!SSi  Der  Triumphzit,  di-s  Todes  !ßS><o«;«iC>:s<s>s>S!<»s><i>s>!SiK!0!  171 

Dagegen  ist  in  liartnianns  von  der  Aue  »Armem  Heinrich«  nur 
eine  ganz  oberflächliche  Schilderung  gegeben.  Hit)bs  Leiden  werden 
da  zum  W'rgleich   herangezogen: 

»Doch  Ja   man  wahr  die   Schwären  nahm, 
Die   SchanJ   an   seinem  Leibe, 
Da  ward  er  Mann  und  Weib  so  sehr  verhalit. 
Wie   ehedem   er  allen   Menschen  war  genehm.« 

\'on  den  trühzeitlichen  Lcpradarstellungen  ist  eine  zu  berech- 
tigtem Ruhme  gelangt.  Ist  sie  doch  charakteristisch  sowohl  in  der 
Malweise  als  auch  besonders  dadurch,  daß  es  sich  hier  nicht  um 
eine  Heiligenheikmg  oder  etwas  Ähnliches  handelt,  sondern  eher  um 
eine  Allegorie.  Ich  meine  die  Lepragruppe  aut  dem  berühmten 
Triumphzuge  des  Todes  an  der  Längswand  des  stimmungsvollen 
Campo  Santo  in  Pisa.  Diese  herrliche  und  in  ihrer  ganzen  Ursprüng- 
lichkeit erhaltene  Anlage  nimmt  aber  den  Besucher  dermaßen  gefangen, 
daß  die  Linzelheiten  der  b'resken  verblassen  und  nicht  recht  zur  Geltung 
kommen.  Derjenige,  der  wie  ich  die  Details  aus  Photographien 
vorher  kannte,  wird  demnach  von  den  vieltach  schlecht  restaurierten 
Gemälden  arg  enttäuscht  sein.  Der  ALiler  unserer  (Gruppe,  wahr- 
scheinlich C')rcagna,  hat  da  aut  traditioneller  (jrundlage  den  Triumphzug 
des  Todes  gemalt.  Lin  jagdzug,  an  dem  die  Reichen  jener  Zeit 
teilnehmen,  stoßt  plötzlich  aut  drei  ofiene  Särge;  die  Pterde  scheuen, 
der  Gestank  der  zum  Teil  schon  verwesenden  Leichen,  in  denen  man 
noch  drei  Große  der  Lrde  erkennt,  verpestet  die  Lutt.  Die  obere 
Haltte  des  Gemäldes  wird  von  Eremiten  und  Anachoreten  ausgetüllt, 
welche  inmitten  einer  paradiesischen  Umgebung  imgestort  ihre  Tage 
verleben.  Grauser  Schrecken  erfaßt  natürlich  die  ganze  Jagdgesell- 
schaft, die  P'reude  ist  dahin,  und  der  entsetzliche  (iedanke,  daß  heute 
oder  morgen  von  schmuckem  Hdelträulein  und  galantem  Ritter  dieser 
grausige  Rest  bleiben  wird,  läßt  alles  erstarren.  Das  ist  eine  in  so  viele 
verschiedene  Formen  gekleidete  ALihnung  zu  kirchlicher  Askese,  ein 
Hinweis  auf  die  Nichtigkeit  des  Irdischen.  Alles  in  allem  eine  ver- 
änderte Totentanzidee  und  eine  ausgetührte  Erzählung  von  den  drei 
Lebenden   und   den   drei  Toten.    Doch   hat   der  ALder  die  Unbegreit- 


1 7  2  <i<C?!KiSS5äCSJKiCSiJt<C?SiiK!S!S!K<«?KSSi«äSi«!CS!S  LePRA   äKSvtJSiJSJKSit'ßSiietSSiSiiKißiJ'iKiSJÖSiSi'öiSJCitiSJSiS'ß 


lichkcil,  die  Gölllichkcit  des  IukIisIch  Kalschlusscs  noch  dadurch 
gesteigert,  daß  er  dieser  (iruppe  von  Lebensfreudigen  eine  andere 
gegenüberstellte    von    solchen,    die  \ergebens    nach    dem    Vodc  ver- 


I-ig.  94.     Der  heilige  Martin. 
Von  Pctcr  Paul  Rubens. 

langen.  Denen  ist  der  Tod  eine  unerreichbare  göttliche  l^rophe- 
zeiung,  erbettelt  und  erstrebt,  doch  nicht  erreicht.  So  triumphiert 
der  Tod  aut  der  ganzen  Linie.  Wie  konnte  der  Maler  diese  Todes- 
sehnsucht.  diese  erhoffte  h^rlösung  von  lebendiger  Lein  besser  schil- 


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1/4  äKiKJSissiSiilSiKißjSiCüiKSiSiiSissKisstSiSfSiS!  LiPRA  i!iiy:<f/<>:<i<i<f:<i<>:<^:i^^^^^^ 

dem.  als  iiuicin  er  eine  Cinipiie  \on  Aussätzigen  malte r  Die  Anslüh- 
rung  dieser  (iriippe  scheint  mir  nnn  von  einer  vollendeten  Ivealistik 
im  Detail  sowohl  als  auch  in  der  malerischen  Ausdrncksweise  des 
Gewollten.  Das  Gemälde  aber  als  (ian/es  verliert  durch  die  noch 
ganz  mittelalterlich  gehaltene  Anordnung  und  (Gliederung  des  Stoflfes. 
Die  Todessehnsucht  dieser  Krup[K'l  hat  ihre  \'erbildlichimg  gefunden 
durch  die  parallele  Stellung  der  ausgestreckten,  zum  Teil  mutilierten 
Arme  mit  der  Tendenz  aller,  auch  der  gelähmten  Glieder  nach  vorne. 
Die  charakteristischen  Merkmale  der  Lepra  sind  in  dem  vielgestaltigen 
Bilde  wiedergegeben.  Die  X'erstimuiilimg  der  j-xtremitäten,  der  \'er- 
lust  der  Xase,  die  Klauenhandstellung,  die  Erblindung,  das  Löwen- 
antlitz und  mannigiache  andere  Äußerungen  von  Lähmungen  sind 
charakteristische  Zeichen  dalür,  daß  hier  Lepröse  gezeichnet  werden 
sollten.  Besonders  der  starre,  wilde  Blick  und  die  Rundheit  der 
Augen,  so  wie  das  Schmal  werden  der  noch  erhaltenen  Nase  ist  hier 
offenbar  absichtlich  betont.  Mit  dieser  ri_icksichtslosen  Realistik  ver- 
glichen  erblassen  alle  andere  Lepradarstellungen. 

Im  Palazzo  Scläfani  in  Palermo  befindet  sich  hinter  verschlossenen 
eisernen  Gardinen  im  Llote  eines  jetzigen  Militärspitals  das  Riesen- 
gemälde eines  ALilers,  dessen  Name  nicht  bekannt  ist,  obwohl  er 
sich  in  der  Lcke  selbst  deutlich  genug  mit  .NLilstock  und  Farbglas 
porträtiert  hat.  Lin  Riesenroß  trägt  den  'l'od,  der  auf  (ilückliche 
und  Unglückliche  seine  Pfeile  schießt.  Der  Linlluß  des  Pisaner 
Gemäldes  ist  fraglos;  Jagd  und  IrtMilicher  Gesang  von  Edelleuten 
imd  Großen  der  Welt  ist  eindrucksvoll  geschildert.  In  der  Lcke 
links  hinkt  auf  Krücken  ein  Mann,  der  die  Haltung  des  Lepirösen  und 
das  (jesicht  der  Nasenlosen   von   der  Pisaner  Freske  zur  Schau  trägt. 

Die  Darstellung  einer  lejirösen  Nasen\'erstümmlung  beiludet 
sich  in  l'lorenz  in  der  sogenannten  Spanischen  Kapielle  der  Santa 
Maria  Novella  (siehe  Figur  96).  Unter  dun  zahlreichen  Ileilungs- 
bedürftigen,  welche  hier  zum  heiligen  Dominikus  walllahren,  ist 
auch  ein  Lepröser.  Da  er  nicht  mehr  stehen  kann,  hat  er  sich 
unter  seinen  Sitz  eine  Ilolzprothese  angeschnallt,  mit  deren  liilte 
und    zweier    Bänkchen    er    sich    fortbewegt;    dabei    ist    der    .Ärmste 


noch  erblindet  und  zeii;t,    im  scharfen   Prolil  i^ezeichnet,    den  voll- 
kommenen Verlust  der  Nasenweichteile.     Henri  Meii;e,  der  zuerst  die 


SaiUii   J/tif/ii   .\ ''r't'//i(,    Ili'/tiiz 


l'ig.  96.      TaJdco   Gaddi   (?j.     Wunder  des  heiligen  Domenico. 

Aufmerksamkeit  auf  diesen   eklatanten  Fall   «gelenkt   hat,  betont  auch 

noch,  daß  die  geschwollenen  Füße  Opfer  der  Mutilation  geworden  sind. 

Ob    der  vollkommen    an  IFinden    und  Füßen    gelähmte  Knabe, 

der  aui  dem  Rücken  getragen  wird,  auch   leprös  ist,  kann  man  nicht 


176  a>i5<0tJSiv>iCtiS!5<0!!O!S>iC>:StiS<K'«!O!iCiie!iC<'«<5iß   Li  :  i;a   iKStSSI^St-KSiiSSiJSJßSiSSiöiKStSiSXStiOiSSJSiSSi'StSi 


sagen,  jedentalls  ist  sein  rechtes  Rein  unnvickelt  uiul  steht  das  GHed 
in  Spit/fußstellung.  Seine  I lande  und  die  Kechic  einer  jungen  l'raii 
zeigen  die  tvpischen  Zeichen  einer  Ixadialislahniung.  L'iUer  der  Masse 
von  allerleid  Leid  ist  nocii  ein  Blinder  charakterisiert,  dem  ein 
DiiniinikanernicMTch  seinen  Stab  reicht;  ein  anderer  Wallfahrer  tragt 
die  in  der  DarsleHung  beliebte  l-\irni  geschwollener  und  offener 
Füße  zur  Schau.  Im  X'ordergrunde  liegt  eine  eben  zu  neuem 
Leben  erwachte  Jungtrau:  ein  Hinweis  aut  die  Todeserweckung  des 
Heiligen,  die  in  Bologna  von  Tiarini  in  einem  besonderen  Gemälde 
verherrlicht  ist.  Unsere  Freske,  welche  dem  Taddeo  Ciaddi  (gestorben 
1566)  zugeschrieben  wird,  \erherrlicht  den  Frtolg  des  Ordensstifters 
Dominikus.   der  am   4.  August   1221    erst  gestorben   war. 

Allerhand  andere  italienische  Kunstleistungen  stehen  in  der 
naturahstischen  Schilderung  erheblich  zuriick.  Wir  erwähnen  unter 
ihnen  zwei  Gemälde  aus  Florenz.  Das  eine  in  der  Galerie  Pitti  von 
Allori:  Julianus  ilospitatcir  überläßt  einem  Leprösen  sein  Bett.  Der 
Aussätzige  verkündet  in  Lichtgestalt  entschwindend,  daß  diesem 
christlichen  Odipus  (er  hndet  seine  Litern  im  Bett  seines  Weibes 
und  erschlägt  sie,  trotzdem  er  wegen  dieser  Prophezeiung  in  weite 
Ferne  gereist  war,  worauf  er  büßend  in  die  Wildnis  flieht)  seine 
Sünden  vergeben  sind.  Wir  erwähnen  diese  und  ähnliche  Sagen, 
um  zu  zeigen,  daß  nicht  nur  unsere  heilige  Elisabeth  dem  Aussatze 
den  (jlorienschein  verdankt,  sondern  daß  überhaupt  die  mittelalter- 
liche Caritas  in  erster  Linie  am  Probierslein  Lepra  ihren  echten 
Goldgehalt  erwies. 

Andrea  del  Sarlo  malte  die  Szene,  wie  iMiili[ipus  Benitius  einem 
Aussätzigen  sein  Hemd  gibt  und  ihn  dadurch  heilt.  \\'ir  zeigen 
auch  noch  aus  den  L'fhzien  ein  Bildnis  aus  der  'Loskanisciien  Schule 
des  sechzehnten  Jahrhunderts,  welches  einen  unbekannten  LIeiligen 
darstellt,  wie  er  an  allerlei  Sieche  Almosen  verteilt.  Der  letzte 
dieser  Männer  sollte  wohl  .ds  Miselsüchtiger  charakterisiert  werden: 
er  zeigt  ostentativ  den  vollkommenen  \'erlust  seiner  Finger.  Üb 
der  zur  Seite  hängende  (iegenstand  eine  Klapper  ist,  läßt  sich  nicht 
nnt   Sicherheit    sagen.      .\lle    anderen   Bettler   tragen   allerdings   deut- 


jSiK'O-KSiKißiS-OtiCiJO'iiSJOtSiJCiStJCtS-JSiSiStis  1 1  AUENiscHE  Malerei  äKiKiei-etiSiiOtStiOiJOtiCi'öiSJSSitJO'JS'Oiiet  177 


lichcre   Bcttclsäcko,    auch    spricht    die    Form    mehr    lür    eine  Tasche 
(siehe  l'igur  97). 

Die    Reihe    dieser    itah'enischen    Aussatzschihlerim,i;eii     lal.U    sich 
beHebiii:  verlanuern.      I'i'ir    uns    aber    hat  es  keinen   Zweck,    hier  den 


/)V('i'z  pliot- 


Fig.  97.     Heiliger  mit  Aussatzigen. 
Toskanische  Schule.     Künlzchntes  Jahrhundert. 


Versuch  von  A'oUständii^keit  zu  machen,  denn  dem  Charakter  der 
itahenischen  Kirclienmalerei  entsprechend,  hattet  der  Zeichnung  Svm- 
bohsmus  und  Allegorie,  Tradition  und  Schematismus  an.  Die  ge- 
legentlichen, schüchternen  \'ersuche  einer  gesunden  Realistik  steigerten 
sich   fast  niemals  bis  zu  dem   Wagnis  einer  Xaturabschritt. 

Nachdem  wir  nun  gesehen  haben,  daß  die  Künstler,   namentlich 

Holländer,  Die  Medizin  in  der  klassischen  Maleret.     1.  Auflage.  '- 


1 78  JKi^JSiKJOiJCitiß.^jSiKSitStSiSitJCtiSJSieiJSiSjCsS!:«  Lepra  !C!«!5<>!Sii«<ss><KK>>ss*s»s>ö!JS<s<K!ß'«!C!S>;«!0!!S!S 


Jcr  frühen  Zeit,  die  ndcli  mehr  im  Banne  der  S\iiiln)Hk  hig ,  die 
Lepra  traditionell  dadurch  marlsicrten,  dal,^  sie  über  den  ganzen 
Körper  Meeke  oder  (iesehwüre  mallen,  wertieii  wir  uns  konse- 
quenlerweise  auch  da/u  bequemen,  weniger  charakteristische  Dar- 
stellungen in  diesem  Sinne  aul/ulassen.  St)  erwähne  ich  den  bresko 
des  Cosimo  Rosselli  in  der  Sixtinischen  Ka[ielle  aus  dem  Anfange 
des  Quattrocento  (siehe  b'igur  98).  Der  nackte  Mann,  der  sich  hier 
Jesu  knieend  naht,  ist  über  und  über  mit  blecken  besät.  l:in  ähn- 
liches Bild,  \ielleicht  noch  markanter,  zeigt  das  (iemälde  des  Domizio 
di  I^artolo  aus  dem  IKispitale  Santa  Maria  della  Scala  in  Siena. 
]-in  Jüngling,  welcher  sich  im  übrigen  einer  robusten  Gesundheit 
zu  er! reuen  scheint,  zeigt  den  grt)ßHeckigen  Ausschlag.  Neben  diesem 
kauern  am   Boden   noch   zwei  gelähmte  Kranke. 

Auch  Rafiael  Sanzit)  hat  der  Lepra  seinen  Tribut  gezahlt.  Papst 
Keo  gab  ihm  den  Aultrag,  tur  die  Sixtinische  Kapelle  Ixartons  zu 
zeichnen,  die  als  Modelle  lür  Cjobelins  dienen  sollten  und  die  Taten 
der  Apostel  verherrlichten,  l's  handelt  sich  um  die  Darstellung  der 
heilenden  Apostel  Petrus  und  Johannes  an  der  Temiielsclnvelle;  der 
am  Boden  kauernde,  durch  Petrus'  W'illenskralt  bereits  in  die  IJohe 
strebende  gelähmte  Kranke  zeigt  namentlich  am  linken  l'ul^  und  im 
Gesicht  Symptome,  die  dem  Arzte  ilie  X'ermutung  nahelegen,  dal.^ 
RafTael  vielleicht  unbewußt  einen  Aussätzigen  porträtiert  habe.  Alm- 
liche, weniger  charakteristisclie  Darstellungen  werden  mm  noch  viel- 
fach beim  Kapitel  der  l>eh.mdlung  durch  Heilige  und  Laien  besondere 
Lrwähnung  linden. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  der  frage,  ob  aucli  bei  deutschen 
Künstlern  die  Lep^ra  .Modell  gesessen  hat,  so  genügt  der  Hinweis 
aut  die  Llisabethdarslellungen.  Diese  Lrau,  die  wegen  ihrer  \ielen 
Betätigung  auf  dem  Gebiete  der  Aussatz|illege  sich  in  dem  MalW 
die  Ik'wunderung  der  Kirche  und  ihrer  Zeitgenossen  errungen  hatte, 
daß  sie  kurz  nach  ihrem  l'ode  kanonisiert  wurde,  schmückte  im 
Bilde  die  Wohnungen  des  .Mittelalters.  LIisabeth  ,  die  (iemahlin 
des  Landgrafen  \on  Thüringen,  die  'l'ochter  des  Königs  Andreas 
von   Ungarn   (1207-    1231),    wurde  aul   der  Wartburg  erzogen,    in- 


ißiSSiißSiSiJOiJKKXiS^XsSiOtJS'CtJCiSSSiJOiiS!)!  ITALIENISCHE  MaLEREI  iKJ0iS!SiS!i5S>!SSi<C>Si<S!C!<KK>.i5>S>:!Oi    1/9 


mitten  einer  durchaus  weltlich  gesinnten  L'nigebLing.  Sie  aber 
neigte  zu  einer  asketischen  i'rönimigkeit ,  die  später  iliren  Höhe- 
punkt erreichte  unter  dem  Einfluß  des  ihr  \-oiu  Papste  (;rem)r  IX. 
empfohlenen  Beichtvaters,  des  Ket/errichters  Konrad  \on  W'urz- 
burg.  Ihre  Ehe  mit  dem  Landgrafen  Ludwig  war  eine  glückliche; 
er  ließ  ihr  freien  Spielraum  in  den  Werken  der  Barmherzigkeit. 
Als   1227  ihr  (jeniahl   aut    einem   K'reuzzuge  gestorben   war,    wandte 


Fig.  98.     Die  Ik-ri^predigt.    (KnieunJcr  Lepröser.) 

sie  sich  ganz  in  ihrem  Schmerze  religiösen  Übungen  hin.  In  der 
Folge  durch  ihren  Schwager,  Heinrich  Raspe,  von  der  Wartburg 
vertrieben,  nahm  sie  ihren  Witwensitz  in  Marburg.  Dort  stiltete 
sie  auch  das  Llospital.  Die  letzte  Zeit  ihres  Lebens  verbrachte 
sie  in  Xonnentracht  in  kleinbürgerlicher  Zurückgeze^genheit.  Schon 
vier  lahre  nach  ihrem  'Lode  wurde  sie  vom  Papst  Gregor  heilig 
gesprochen,  da  auch  ihre  Gebeine  wunderbare  Heilungen  voll- 
bracht hatten.  Doch  auch  schon  zu  Lebzeiten  erzählt  die  Legende 
Wunder  von  ihr.  Das  poetischste  ist  das  oft  gemalte  Rosenwunder; 
sie  trägt  heimlich  im  \\'inter  den  Lisenacher  Armen  Lebensmittel 
zu;  ihr  (jemahl,  der  sie  in   schneebedecktem  \A'alde  tritit,  oflnet  un- 


i8o  S!<c>is<j>;j5»;iS'SK>:«»:!öi!S<5!S><5><ß!5is>s>!0-s>:i:s  Lepra  sssiiCiiöSiCiKsssiss'iSiSio-KXSS'KSiiOtiöSiSiiCi'CiiCiJßss 


Tig.  99.     Sancta  lUisabct. 
Von  Holbein  dem  Jüngeren. 


gehalten  den  Kurh  mit  T.ebens- 
niiueln  und  Inidel  darin  blühende 
Kosen  (l'ia  Anj^ehco).  lan  ander- 
mal hat  sie  einen  zui^ereisten 
Aussat/ii;en  aul  das  Lager  ihres 
.\hinnes  gehellel.  Der  I.aiid- 
gral,  dem  diese  hOrm  \on 
J^armher/igkeil  ollenbar  nichl  zu- 
sagte, stürzt  in  sein  Schlafgemach 
und  reißt  die  Bettdecke  w^w  dem 
Aussätzigen  weg,  findet  aber  statt 
des   Erwarteten   ein   ]\ruzilix. 

Zahllos  sind  die  Darstellungen 
von  deutschen  Künstlern,  welche 
Non  Acw  Wundertaten  dieser  Frau 
zu  Kiinstschöptungen  begeistert 
wurden.  Die  berühmteste  Dar- 
stellung ist  das  Münchner  Bild 
von  Holbein  dem  jüngeren.  Dies 
Doppelbildnis  der  heiligen  Idisa- 
beth  (Figur  99)  und  der  heiligen 
Barbara  erregt  unser  besonderes 
Interesse  nicht  allein  wegen  seines 
hohen  künstlerischen  Wertes,  son- 
dern auch  aus  medizin- histori- 
schem drunde.  Angeregt  durch 
seinen  lund  \'on  drei  Leprosen 
aul  dieser  'l'alel  gelegentlich  eines 
Besuches  der  Linakothek,  s[iann 
\'ircliow  solort  in  dem  einund- 
zwanzigsleii  Bande  seines  Archivs 
aus  dem  Lihre  iNCii  i\k:\\  Laden 
der  Ij'kenntnis  weiter  und  betonte 
den  Wert  alter  (jemälde  lür  medi- 


KSiß!S!«s>iei!SJCtiC><5!ii>JCi!ßjßißS><5>iO!!5i!Si«!K  Deutsche  Malerei  iJiiOiJSißjCi'j^siJCiisSiJSiKiß'öSiSiiKiKiK  i8i 


zinischf  und  historisch-nicdi/inischc  bOrsclningcn.  Wir  sehen  auf 
der  Talel  das  hohe  imd  königliche  Weib,  wie  sie  von  der  WarUnirg 
steii^t,  um  ihre  Scluit/betolilenen  zu  speisen  und  zu  Iranken.  Zu 
Füßen  der  lleiHgen  konstatiert  \'ircho\v  drei  Leprose  luui  ein  lepröses 
Bein,  welches  der  (ielehrte  in  seiner  pedantischen  Anschauung  nicht 
mit  Sicherheit  unterzubringen  imstande  ist.  Auf  den  Gesichtern  findet 
er  braunrtite  blecke,  Erhabenheiten  und  delekte  Augenbrauen,  nament- 
lich imponieren  ihm  die  so  tvpischen  Ilauterkrankungen  bei  dem 
Knaben,  wie  \'irchow  sie  nicht  besser  in  norwegischen  Hospitälern 
gesehen  hat.  Auch  die  l'rage,  ob  nicht  vielleicht  die  Svphilis  zu  dem 
Bilde  Modell  gesessen  hat,  schneidet  der  (ielehrte  an  und  \erneint  sie. 
Meige  hat  nun  schon  daran I  hingewiesen,  daß  \'irchow  bei 
seiner  Schilderung  einige  Irrtümer  unterlauten  sind.  Allerdings  hat 
Virchow  in  seiner  absolut  genauen  und  zuverlässigen  Beobachtung 
Schwierigkeiten  gehabt,  das  imiwickelte  Knie  im  Viirderplane  richtig 
zu  deuten.  Und  selbst  Meige  ist  es  in  seiner  sonst  berechtigten 
Korrektur  wiederum  entgangen,  dal.',  das  Bein,  von  dem  Virchow 
nicht  teststellen  kann,  wem  es  eigentlich  gebort,  sich  aut  der  anderen 
Seite  betindet.  \'or  mir  hängt  eine  vorzügliche  Kopie  in  Original- 
größe; es  läßt  sich  hier  konstatieren,  daß  zunächst  der  im  Hinter- 
grunde sichtbare  Mann  keine  ausgesprochenen  Zeichen  einer  lirkran- 
kung  hat,  und  daß  er  mit  Wahrscheinlichkeit  das  Selbstporträt 
des  Malers  darstellt.  Zu  beiden  Seiten  sieht  man  nun  Gesichter 
mit  ausgesprochen  leprösen  Erscheinungen.  Der  Jüngling,  der  ein 
großes  Brot  in  Händen  hält,  welches  er  eben  von  der  Heiligen 
emptangen  hat,  zeigt  die  großtuberose  l'orm  des  Aussatzes.  Die 
zweite  Hauptperson,  der  Elisabeth  in  die  vorgehaltene  Schale  Wein 
gießt,  hat  tatsächlich  ein  etwas  teminines  Äußeres;  die  Hand  und  der 
Arm  gehören  mehr  einer  Frau  wie  einem  Manne  an.  Im  (jegensatz 
zu  dem  üppigen  wallenden  Haupt-  und  Barthaar  des  dahinter  Be- 
lindlichen  zeichnet  sich  dieser  Kopt  durch  völlige  Haarlosigkeit  aus. 
Auch  die  Augenwimpern  und  die  Augenbrauen  tehlen.  xA.ut  dem 
Kopfe  trägt  die  Person  ein  großes  Pflaster  aus  Leinen.  Die  Infil- 
tration des  Gesichtes    ist  durch   die  starre  Faltenbilduni/  angedeutet. 


i82  3et:«s*;<>:sti«'Ci!v(<i>-c«:«S!t!0!S>!0!S(;«'«iKS>!5tiJ!5CS  Lepra  äCiiOtiK-C'SXSiiCiiK.^iKStKXJCSiOiiJiiKJKJKJOtJvtJOiviOiiii^^ 


Der  Ann,  das  Gcsicln  und  der  sichtbare  Xackcn  ist  der  Sitz  von  gc- 
schwürigen  roten  und  braunliehen  blecken.  \\)n  dieser  Person,  von 
welcher  man  annehmen  muß,  daß  sie  sich  mit  der  anderen  Iland 
aut  den  Hrdboden  stützt,  ist  sonst  weiter  nichts  zu  sehen.  Und 
die  Entscheidung,  ob  es  eine  brau  oder  ein  Mann  sein  soll,  lasse 
ich  mit  \'irchow  olben.  \un  wird  aber  vor  der  Säule  noch  ein 
umwickeltes  Knie  sichtbar,  welches  gleichtalls  eitrig  und  geschwürig 
ist,  und  aul  diesem  Knie  ruht  noch  eine  Iland,  welche  keiner  der 
sichtbaren  Personen  angehört  und  welche  olienkundig  mutiliert 
ist.  Aut  meiner  Kopie  sieht  es  aus,  als  wenn  es  eine  rechte  Iland 
wäre,  \on  der  man  den  Daumen  und  den  vollkommen  mutilierten 
Zeigefinger  erkennt.  Der  Künstler  wollte  andeuten,  daß  sich  hinter 
der  Säule  noch  andere,  wohl  schlimmer  aussehende  Krüppel  ver- 
bergen, und  hat  die  großen  Knochendestruktionen  dem  Anblick  aus 
ästhetischem  (irunde  entzogen. 

liine  Skizze  desselben  Malers  zeigt  uns  die  Heilige  in  einem 
Renaissancebau  in  der  tvpischen  Pose  des  Kannengusses;  der  ihr  zu 
Füßen  Knieende  zeichnet  sich  auch  durch  Ilaaraustall  aus  und  hat  an 
seinem  dürftigen  Körper  vieltachen  Knt)tenausschlag  (siehe  l-'igur  loo). 

Die  deutsche  Schule  hat  schon  vor  Holbein  in  identischer  Weise 
die  Milch-  oder  Weinspenden  der  l'disabeth  gemalt.  Im  Schloß 
i.ichtenstein  zu  Augsburg  befindet  sich  eine  Elisabeth  in  Xonnen- 
tracht  und  mit  der  Gloriole,  zu  ihren  büßen  eine  Menge  von  Kranken. 
Auch  im  Kolner  Museum  ist  der  Gegenstand  von  altkolniscben 
Meistern  behandelt  und  unter  den  beschenkten  Kranken  sind  Aus- 
sätzige mit  aullallenden   (iesichts-   und   Augen\  eranderungen. 

Der  Reihe  von  Aussatzdarstellungen  wollen  wir  hier  noch  ein 
schönes  Werk  des  sympathischen  Nikolaus  Manuel  Deutsch  hinzu- 
fügen, welches  im  Basler  Museum  hängt  und  die  JV'zeichung  der 
Anrufung  der  heiligen  Anna  selbdritt  hat.  Das  Hild  ist  als  großes 
Kunstwerk  in  der  Weise  kom[H)niert,  wie  wir  das  von  den  bän- 
blättern  her  gewohnt  sind.  In  der  oberen  Hallte  des  Gemäldes 
thront  die  Mutter  Anna;  sie  sowohl  wie  auch  die  zu  ihren  büßen 
knieende   Maria    haben    große  Folianten    in    den    Händen,    und   das 


sKiOtlCiiCSiOtäSiKiKSSißiKiSiCSiKI^iOi-etiOJCSSiStiK  Dhitsche  MalerE!  äKäOsäKäSSSäKißiKSiiKJKiKSiiSiKiSiKiC!!«  1S3 


Jesuskindchen  weist  mit  dem  l-inger  atit"  ein  aufgeschlagenes  I^uch. 
Zu  beiden  Seiten  stehen  HeiHge.  Das  nackte  Ik'in  des  einen  mit 
dem  kleinen  Hngelchen  beweist,  daß  dieser  der  heilige  Rochus  sein 
soll.  Der  andere  Heilige  ist  gleichfalls  als  Pilger  charakterisiert. 
In    der    darunter   gemalten    Schweizer  Landschaft   behnden  sich   nun 


Zeickuung  von  H.  iioict-in.  Originalau/nahiite  Basel. 

Fig.  100.     Elisabeth  mit  einem  Leprösen. 

rechts  und  links  Gruppen  von  Gläubigen.  Rechts  sehen  wir  mit 
fröhlichen  Gesichtern  die  Geheilten  und  die  tür  ihre  lirrettung 
dankenden  Stifter  des  Bildes  in  der  tvpischen  l'racht  des  Anfangs 
des  sechzehnten  Jahrhunderts.  Den  Gegenpart  bildet  eine  Gruppe 
von  vier  Kranken.  Die  im  \'ordergrunde  stehenden,  eine  junge 
Büraerin  und  ein   weni"   bekleideter  älterer  Mann,  sind   nun  in  aut- 


184  äKSKiöilKStSSiSiSSßSiJKJßSSSiJSiSSiißSiieiSiiKSK  LliPRA    SSStfSSiXSiSJSiKiKiSSiStiKiSiSiKSi'eSiSiSiSiJßSiiO'iOt 


tallcndci"  Weise  als   krank  geschildert.    Wir  miissen   dabei  bedenken, 
daß  dem   Maler  eine  nalürliche.  realistische  und  \ielfach   soi-ar  bru- 


Ofigiitalau/fttthinf  Hasel. 

Fig.  lOl.  Aussch:^.U  .:„..  lIco  .\:kul.iLi.. -M.HU.^i  UL..l..^ii   .Vii:  i.lung  der  liciligen  .-\nna  sclbdritt. 

tale  Schilderung  eigen  ist.  Der  große  Kranke  trägt  beide  verstiini- 
melten  und  kranken  Anne  in  einer  Art  von  .Mitella;  beide  i-'üße 
sind    verwandelt    in    eine    elephantiastische    .Masse,    namentlich    der 


iO>:*SiO>s>!0>'Ci<!>!0>!0!?S50!iC!<c>tS><KK>.<S!e!'<iäK!K^  Deutsche  Malerei  3KJK!855!Ci!«!C!iCi!C>iKäßs>:<s<S!0!JC>!0'!Ci5S  185 


rechte  zeigt  kaum  noch  Reste  einer  Fußkontur.  Der  Kt)r[ier  ist 
besät  mit  einzehien  l'lecken  ;  an  dem  Gesichte,  welches  die  durch- 
gemachten Leiden  verrat,  lallen  die  Aultreibungen  an  der  X'orderstirn 
und  an  den  oberen  Augengegenden  auf.  Sollte  hier  wohl  sicher 
ein  Endstadium  der  Lepra  geschildert  werden,  so  liegt  die  \'ermuuing 


Fia;.  102.     Eine  Heilige  einen  Aussätzigen  badend. 
V(in  Burgkmair. 

nahe,  daß  die  junge,  auffallend  blasse  Frau,  welche  ostentativ  mit 
der  Rechten  den  bauschigen  Putlarmel  ihres  linken  Armes  zurück- 
streift, um  an  der  Beugeseite  desselben  ein  dem  Autbruch  nahes, 
großes  Leprom  zu  zeigen,  das  Anfangsstadium  der  Erkrankung  an- 
zeigen soll.  Die  im  Hintergrunde  Stehenden  sind  weniger  eingehend 
charakterisiert. 


l86  SSi(S-«!S-e>'«!«SiiK)ßiiSXit!5SiS*SßS*!SiKSi!5)S!Ci   LePRA   SS-eiiSiSißJßiSSSJSSiJS'CiJOiiKJSiiSSiStSJtSiiOiiSiCiiJKSSJS 


Hinein  lang\vcili<;cn  Schematismus  wiederum  \erhel  ein  Freund 
Albrecht  Dürers,  der  Maler,  Holzschneider  imd  Cjraveur  Hans  Buri;- 
maier  (1473  -1321).  In  seinem  Leben  der  lleilii;en  mußte  er  eine 
ganze  Kollektion  Aussätziger  malen.  Das  Thema  der  Bilderi'olge 
war  bestellte  i\rbeit.  Zu  Hhren  Kaiser  Maximilians  1.  sollte  er 
die  Heiligen  malen,  welche  die  Ahnen  seines  kaiserlichen  Auf- 
traggebers waren;  daß  er  sich  dabei  einer  Übertreibung  schuldig 
machte,   muß  ihm  naturlich  verziehen  sein,  denn  er  zeichnete  sowohl 

Heilige,  die  keine  \'erwandten 
des  Kaisers  waren,  als  auch 
\  erwandte,  die  nicht  heilig 
gesprochen.  Auf  über  einem 
Dutzend  Blätter  unter  Inm- 
dertneunzehn  kommen  \'er- 
krüppelte  vor,  in  denen  man 
die  Opfer  der  Lepra  gesehen 
hat  und  auch  wohl  sehen  muß. 
Da  gibt  es  eine  heilige  Jung- 
frau \'eronika ,  welche  einen 
Kranken  übergießt.  Der  be- 
kannte Thomas  Recket  von 
Canterburv  vor  einem  baden- 
den Leprösen  ;  die  heilige  Äb- 
tissin Segouleine  badet  einen 
Leprösen;  die  heilige  Oda  verteilt  ebenso  wie  die  heilige  Llisabeth 
Brot  an  solche.  Der  heilige  Ludwig  L\.  vt)n  brankreich  tritt  an  einen 
'lisch,  an  dem  eine  ganze  Anzahl  Kranker  essen.  Die  heilige  Itte 
verteilt  (;eld.  l:duard  der  Bekeiiuei'  und  lAlmuiui  1.  von  l:ngland 
befleißigen  sich  ebenfalls  dieser  christlichen  Kardinaltugend.  Diese 
zahllosen  Leprösen  sind  nun  wissenschaftlich  kritisiert  und  sondiert 
worden;  doch  scheint  mir  das  eine  ziemlich  überflüssige  gelehrt- 
tiierische  Arbeit,  denn  schon  auf  den  ersten  Blick-  sieht  man.  dal.^ 
sämtliche  Kranke,  wenn  ich  so  sagen  darf,  über  denselben  Kaimn 
geschoren  sind.     .Man    hat    den   l:indruck,    daß    der  Künstler    seiner 


rig.  105.     Aus  Jcr  \'<jrsuchimg  des 

ficifigen  Antonius.     Ausschnitt. 
Von  Matthias  Grunewald  lum   15151. 


I'ig.  lü).     Die  heilige  HHsabelh. 
Von  Murillo  (loiS  bis   16S21. 

Nach  einem  Kohledruck  von   Braun,   Clement  S:  Co.     Donijch,   Pa^i^,  New  York, 


i88  äSiKissiStiSStSiiissiSiSi'iSieiSiSiiS'OtJOi'ßiSiOiiCS  Lepra  <ii>/<^:^:<>:<^:<>:<^:<f:<i<f:<:i<^^^^^^ 


Phantasie  freien  T.auf  ließ  und  aus  Tradition  und  Reobaclitung  ein 
vielgestaltiges  Bild   \ou   Krüp|ieltuni   Irei   kompDiiicrle. 

Immer  das  gleielie  Hild  tritt  in  l'rscliciiiung :  l^leine,  mißgestal- 
tene,  mit  Mecken  am  ganzen  Körper  bedeelae,  lierahgekonimene 
.Menschlein,  deren  Extremitäten  teiks  fehlen,  teils  sonderbare  Stel- 
lungen einnehmen.  Irgendwelcher  Wert  ist  dieser  K'i-ankheitsschil- 
derung   nicht  beizumessen   (siehe  h'igur    102). 

Als  Abschlul,^  und  Höhepunkt  der  deutschen  .Malschule  wollen 
wir  nocii  genauer  ein  (iemälde  betrachten,  welches,  obwohl  es  aus- 
gesprochen symbolischen  Charakter  trägt,  alle  anderen  Krankheits- 
schilderungen an  Naturalistik  hinter  sich  läl.U.  Es  ist  das  berühmte 
(jemälde  von   .Matthias  (jrünewald   in   Kolmar. 

Eins  der  seltenen  Bilder  dieses  .Meisters  (1130  bis  13  50),  welches  den 
sogenannten  Isenheimer  Altar  (etwa  13  13)  zusammensetzt,  beschäftigt 
sich  mit  einem  Lieblingsthema  di.r  Kirchenmalerei,  der  sogenannlen 
\'ersuchung  des  .Antonius.  Es  ist  danht  natürlich  nicht  der  1231 
gestorbene  berühmte  E'ranziskaner  Antonius  \-on  Padua  gemeint, 
sondern  der  Einsiedler,  der  Eremit,  dessen  Tod  in  der  Thebaischen 
\\"üste  in  das  Jahr  336  \erlegt  wird.  Zahllos  sind  die  Darstellungen 
aus  seinem  Leben;  besonders  aber  haben  die  .Maler  ihre  Phantasie 
angestrengt  bei  der  Darstelhmg  der  \'ersucluing  des  bdnsiedlers  und 
seiner  Peinigung  durch  Dämonen.  Des  IliLronvmus  Bosch  aben- 
teuerliche Halluzinationen  haben  da  noch  kmge  Zeit  nachgewirkt. 
Manchmal  erscheint  ein  schönes  nacktes,  zuweilen  gehörntes  \\\'ib, 
die  ihn  verführen  will.  Die  Bäume  und  l'elsen  der  Einöde  nehmen 
espenstische,  geisterhake  (iestalten  an.  Der  Teulel  zwickt  ihn  und 
prügelt  ihn  während  seines  (j^beles.  L'nler  diesen  .Schrecknissen 
und  phantastischen  biguren,  wie  sie  die  tollste  bieberphantasie  nur 
zeitigen  kann,  zieht  nun  eine  in  der  linken  unleren  Ecke  desdemäldes 
befindliche  Eigur  die  medizinhistorische  .\ulnKrksand;eit  aul  sich. 
Ein  nackter  Körper  -  eine  Mönchkutte  bedeckt  nur  noch  Kopl  und 
Schulter  —  krümmt  sich  da  neben  einem  grol.kai  bOlianlen.  Der 
mit  ungewöhnlichem  Xaturalismus  behandelte  Leib  ist  nun  der  Sitz 
von  Pusteln,    Geschwüren    und   Inlihraltn,    die    so    natürlich  gemalt 


t5 


19°  SKiSiOiSiJSiKißSiSiiOtSi-iSißSiicsisSiiCiiOiSiSiiSSt  Lepra  P.<:ii<>:<f:<i<i<>:<f:<f:<>:<;'/<>:<>:^^^^^^ 


sind,  als  wenn  sie  nur  auf  die  TTand  des  Cliirur^en  warteten,  uni 
autgeschnilten  /u  werden.  Auch  im  (iesiclit  sind  sclnvere  \'erände- 
rungen  wahrnehmbar.  .Man  hat  nun  darüber  debattiert,  ist  das  .Sxphihs, 
ist  das  Lepra?*).  Kellei'.  der  wdhl  zuerst  die  Auhiierks.unkeit  aut 
dieses  (jemälde  gelenkt  hat.  will  aus  der  Heschallenheit  der  schweren 
Ilautveränderungen  die  l.ues  mit  Sicherheit  erkennen,  und  er  sieht 
in  dieser  Schilderung  eine  wertvolle  Darstellung  dieser  Krankheit  aus 
dem  ersten  Beginne  ihres  Ersclieinens.  (irunwaUl  habe  mit  vollem 
Recht  diesen  neuentstandenen  Krankheilsdamon  auf  die  Tafel  ge- 
worten,  und  um  die  allegorische  Idee  zu  bett)nen,  diesem  Wesen 
\'ogelfüße  gegeben.  Henri  .Meiiie,  der  intimste  Keiuier  dieser  N'erhalt- 
nisse,  behauptet  wiederum,  dal.^  es  sich  hier  um  eine  ausgesprochene 
Aussat/schilderung  handle.  Dalür  spräche  auch  nut  Sicherheit  der 
linke  hochgehobene  Armstumpt,  der  ein  t\[Msches  Produkt  dieser 
Krankheit  sei.  (Leider  ist  der  Arm  aut  unserem  Hildausschnitte  in 
^\'egtall  gekonnnen.)  Ich  Ireue  mich  voll  und  ganz,  mich  hier  mit 
Richer  aul  dun  auch  schon  anderweitig  \'on  mir  verlochteiien  Stand- 
punkt stellen  zu  können,  daß  die  Entscheidimg  dieser  b'rage  aus  der 
Oberflächenveränderung  des  Körpers  allein  unlösbar  erscheint.  Die 
Linzelellloreszenz  kann  im  Bilde  einen  unbestinnnbaren  (diarakter 
haben ,  und  die  Körperreaktion  aul  ganz  verschiedenartigen  Reiz 
können  sich  ähneln.  Ich  hatte  mich  trüber  nut  Henri  .Meige  \or- 
bchaltlos  lür  den  .\ussatz  entschieden,  wegen  der  .Mutilation  und  weil 
diese  Krankheit  in  jener  Zeit  noch  der  konkurrenzlose  Ausdruck  war 
für  allerlei  Siechtum  in  der  Kunst.  Die  Überlegung  aber,  daß  dieser 
Antonius  gleichzeitig  noch  der  Patron  der  vom  Antoniusleuer,  dem 
Ignis  martialis,  Belallenen  war,  bildet  Inr  mich  in  der  Ikanlei- 
lung  dieser  seltsamen  bigiir  eine  neue  k'omplikalion.  Das  heilige 
Feuer,  Ignis  Sancti  Antonii,  ignis  iniernalis,  \ on  den  romischen 
Schriftstellern  seit  Celsus  Ignis  Sacer  genaiml,  ist  wiederum  eine 
vieldeutige,  wenig  erforschte  Kiankheit,  welche,  von  gangränc)sen 
HautafFektionen  beirleitet,  dem  .Milzbrandkarbunkel  ähnlich  \erliel. 
Die  von  dieser  scheußlichsten  aller  Krankheiten  l>elallenen  wurden 


*;  Siehe  Richer,  1,'Art  et  la  Mcdeciiic  S.  307. 


SKiKJ^SiSiißiCiSi-OiStJOtiSJOtiCiJCSiJtJCsiSiSiJS  Um  I  \MiiscHE  Malerei  ssäK-CiJCiiKiCi'CSiSiKiOiiKSiiSJOticsjKiC?  191 


von  den  unerträglichsten  Schmerzen  gepeinigt,  daß  sie  /älnieldappernd 
l\)desqualen  erhtten.  Das  l-leisch  iiel  \c)n  den  Knochen,  der  Geruch 
der  Fäuhiis  umgab  sie.  Manchmal  heilten  die  unglücklichen  üpter, 
nachdem  ihnen  Hände  und  l'üße  abgetallen  waren.  Der  Iranzösische 
Arzt  Read  hat  1771  zuerst  diese  Verlaulung  am  lebendigen  Leibe 
mit  dem  Mutterkornbrand  in  Beziehung  gebracht.  Über  die  Ciründe 
datür  und  dagegen  wollen  wir  hier  nicht  verhandeln,  sondern  nur 
darauf  hinweisen,  daß  gerade  der  heilige  Antonius  mit  dieser  Krank- 
heit in  intensivste  Beziehung  ge- 
bracht wurde,  und  daß  wir  noch 
eine  Reihe  von  frühesten  liinblatt- 
drucken  besitzen,  aut  denen  mit 
dem  /Vntoniusfeuer  Behaftete,  mit 
brennend  dargestellten  Händen,  zu 
dem  mit  dem  Antoniuskreuzstock 
und  der  Glocke  Versehenen  flehen. 
Hin  Gemälde  des  Francesco  Bon- 
signori  stellt  den  Eremiten  dar, 
wie  aus  der  eigenen  rechten  Hand 
b'euerflammen  lodern.    Mir  scheint, 


daß  die  Ideenverbindung  vielleicht 


Fig.   lOb.      Der   Leprose. 


den  Künstler  zu  dieser  Darstellung 
veranlaßt  hat,  und  daß  er  vielleicht, 
da  er  persönlich  keine  Gelegenheit 
mehr  hatte,  Kranke  mit  Antonius- 
feuer zu  sehen  —  die  letzte  große  Epidemie  war  im  Jahre  1347  — , 
schwere  karbunkulose  und  im  Aufbruch  begriffene  Hautafiektionen 
überhaupt  zur  Darstellung  brachte.  Aucii  ist  zu  bedenken,  daß  im 
Volksbewußtsein  überhaupt  die  W'rheerungen  des  heiligen  Feuers, 
die  im  günstigsten  F'alle  die  Überlebenden  zu  Krüppeln  machte, 
Erinnerungsbilder  hinter  sich  ließen,  die  sie  nüt  anderen  Krankheits- 
formen mischten,  um  dann  das  Bild  tiefsten  menschlichen  Elends 
zu  schaffen. 

Die  offenbar  bravourös  geschilderten  Schmerzparoxysmen  dieses 


192  SKäKSiJSSiSiSiJKSi'CiiCsisssiStssstSiSi'ßSiJßJKSS  Lepra  ■<f:<f:si<i<f:<f:<:>:<f:<:i<i<f.<^^^^^^ 


Kolmarcr  Paiicnlcn  stimmen  aber  durchaus  nicht  /u  dem  meist 
schmerzlos  \erhuitenden  Aussat/.  Auch  die  Hand-  und  FulMauhiis, 
das  Ablallen  des  lleisches  \'on  dun  Knochen  aut  dem  Gemälde  kann 
als  realistische  Schilderunu  angesehen  werden.  Schwankt  so  die 
Krankheitsätiologic,  so  i;ibl  sie  dem  Medizinhistoriker  eine  geeignete 
Unterlage  für  eine  medizin-historische  Dillerentialdiagntise. 

Unter  den  Hlisabetlularstellnngen  darl  Murillos  großes  Werk  nicht 
tehlen.  Allerdings  enttäuscht  dasselbe,  vom  Standpunkt  der  Krank- 
heitsschilderung betrachtet,  den  .Medizinhistoriker  (siehe  bigur  lo  (). 
Wohl  bei  keinem  der  Malgenies  aller  Zeiten  kamplt  die  ge- 
suchte Realistik  des  Gegenstandes  so  mit 
einer  nivellierenden  Politur  des  gut  biirger- 
lichen  (ieschmackes.  Trotz  offenbarem 
Streben,  \'olksszenen  zu  malen  aus  i.\tjn 
vorstädtischen  Seitengassen,  sind  doch  die 
Bilder  salontähig  und.  wie  Richard  .Muther 
trellend  bemerkt,  haben  die  ßettlerjungen 
polierte  bingernägel.  Und  so  dürlen  wir 
.uit  seinen  Ilospitalbildern  auch  nicht  eine 
kritische  Sonde  in  die  Schwären  der  ein- 
zelnen Kranken  legen.  Nur  \erklärte  und 
idealisierte  Cjegenstände  der  Harmherzig- 
keit stellen  seine  Kranken  \or. 
Die  llämisch-niederländische  Malerei  chai'.daerisierte  die  Leprosen 
weniger  durch  die  Korper\eränderung  als  durch  Kleidung  imd  Klapiper. 
Die  Tatsache,  daß  letzteres  Abwehrsignal  aut  allen  Iriihen  sud- 
lichen Kimstschilderungen  lehlt.  spricht  eine  deutliche  Sprache. 
Wir  sahen  schon  den  Lazarus  mit  der  Klappier  sich  dem  Tisch  der 
Reichen  nähernd  auf  dem  (jemälde  von  \'alkerts  (siehe  b'igur  3  (). 
Wir  bringen  noch  Rembrandts  Ivadierung  vom  Jahre  16^1  und 
den  Mönch  mit  der  im  (nirt  steckenden  Kla|iiK'r  aus  der  Kruppiel- 
folge  von  Gornelis  Matsvs.  Ls  existiert  ein  sehr  seltenes  Xürn- 
bergcr  Flugblatt  vom  Jahre  i  195  (Abbildung  bei  Richer  bigur  186), 
auf  welcher  Szenen  aus  dem  Leben   der  »Sondersiechen«   geschildert 


1  ig.  107.     Cornclis  Matsvs 

c.  1540. 

Aus  der  Krüiipelsciic. 


sind.  »Nun  mcrckt  ir  trummc  Christcnlciit ,  ob  Jas  nicht  etwas 
Gutes  bedeut,  daß  die  von  Xurembcri;  Meißi.nlichen ,  alle  Jahr  den 
armen  Sundersiechen ,  so  kosthcli  essen  und  triiil<en  i;eben ,  und 
auch  zu  Kleiden;  auch  daneben  gab  man  denselben  Mann  imd 
Frawen  zwen  Doktor  die  sie  lleil.Mg  schauen,  welches  sei  siech  oder 
gesund.«  Aut  dem  Bilde  sieht  man  den  Arzt  mit  vorgehaltenem 
Tuch,  während  der  Prediger  weniger  ängstlich  ist.  Alle  Kranken 
tragen   nun  zur  Seite  eine   Lepraklapper. 

Den  Zusammenschluß  der  Leprosen  erkennt  man  aus  allerlei 
Veranstaltungen.  So  malte  \'ischer  i6ü.S  die  echt  holländische  Szene 
des  Ommegangs  der  Leprosen  am  Ivopper  maandag.  »Met  de  cla|-ipen 
SV  cleppen«  (siehe  Figur  103).  Daß  die  aus  der  Ciesellschatt  \'er- 
stoßenen  sich  ihrerseits  wieder  zu  einer  Gemeinschatt  zusannnen- 
taten,  das  lehrt  das  belgische  Banner  aus  der  Xationalbibliothek  in 
Paris.  In  der  Mitte  der  Seidenfahne  vom  Jahre  1302  steht  Lazarus 
mit  dem  Nimbus  und  der  Kla["iper,  darum  eine  Cüiirlande  \()n 
^^'ap)1en   und   Klappern"). 


LUES 

Wir  gaben  bei  der  Lepra  hin  und  wieder  schon  Hinweise  aut 
die  bildnerische  Darstellung  der  Franzosenkrankheit,  und 
diese  wollen  wir  noch  etwas  erweitern.  Es  liegt  aut  der  Hand,  daß 
malerische  Darstellungen  großen  Stils  kaum  vorkommen  dürtten. 
Trotz  der  Sittenlosigkeit  jener  Zeit  scheute  man  sich,  eine  Krank- 
heit, die  man  sich  aus  cMlentlichen  Buhlhäusern  holte  und  dei'en 
genitaler  Charakter  allgemein  bekannt  war,  als  malerischen  Vorwurf 
zu  verwenden.  Unter  den  Erstlingen  der  Svphilisliteratur  ninnnt 
die  Spitze  der  seltene  Nürnberger  Druck  des  triesischen  Doktors 
Ulsenius  ein,  der  bei  Beginn  der  Epidemie  vereidigter  Stadtarzt  in 
Nürnberg  war.  Diese  muß  1496,  als  der  Dichterarzt  sein  aus  hun- 
dertzehn Hexametern  bestehendes  Gedicht  mit  der  Überschritt  Lichnica 
Genesis    verfaßte,    schon    eine  Zeitlang   grassiert  haben,    bevor  sich 


*)  Alibildung  bei  P.  Richer  Figur  1S7. 

Holländer,   Die  Medizin  in   der  klassischen  M.iletei.     2.  .Auflage.  13 


194  5KSKSiJSiöi«i«St'«<sst<c*<KSiissiJC>«JC*iS<ß!CSiK!K  LcEs  r>:<:f:<>:<i<>:<>:<i:<f:<f:<>:^^^^^ 


der  Friese  dazu  aufschwang,  seine  Meinung  über  diese  Krankheit 
den  Xürnbergern  und  auswärtigen  Kollegen  mitzuteilen.  Denn  eine 
medizinische  W'ochenschritt  existierte  ja  damals  noch  nicht.  Ks 
datierte  wohl  auch  eine  Zeit,  bis  der  junge  Albrecht  Dürer  die  Zeich- 
nung zu  diesem  (jedichte  gemacht  hatte  und  das  Ganze  in  der  künst- 
lerisch  geschickten   l'orm  gedruckt  war. 

Von  seiner  italienischen  Reise  schrieb  Dürer  aus  X'enedig  den 
1 8.  August  131)6  nach  Hause:  »Saget  nur  unserm  Prior  mein  willig 
dienst.  Sprecht  daz  er  (iott  vür  mich  [lit ,  daz  ich  neluit  werd 
und  sunderlich  vor  den  Frantzosen ,  wan  ich  weiß  nix ,  daz  ich 
beller  iürcht  wan  schir  iderman  hat  sv,  \'il  leut  h'essen  sv  »ar 
hinweg,   daz  sv  also   sterben«*). 

Außer  den  wenigen,  meist  kolorierten  Nürnberger  b^xemplaren 
existiert  noch  ein  späterer  Augsburger  Neudruck,  der  aber  wahr- 
-scheinlich  nt)ch  aus  demselben  |ahre  stammt.  Wenn  wir  uns  zunächst 
die  Zeichnung  ansehen,  so  erkennen  wir  im  oberen  Drittel  des  Holz- 
schnittes eine  Sphära  mit  den  eingezeichneten  Sternenbildern.  Beim 
näheren  Betrachten  hnden  wir  dann  einen  Stern  im  Zeichen  des 
Widders  stehen,  mehrere  andere  im  Sternbilde  des  Skorpions;  in 
der  Mitte  steht  die  lahreszahl  1484.  Diese  Sternenzeichnung  weist 
von  vornherein  daraul  hin,  daß  ein  Zusammenhang  zwischen  der 
Genitalseuche  und  der  Sternenkonstellation  angenommen  wird.  Die 
Astralätiologie  leierte  damals  ihre  höchsten  Triumphe,  und  schon 
seit  langem  war  auf  die  Konjunktion  des  Katharinentages  des 
Jahres  148  [  von  den  iatromathematischen  Ärzten  hingewiesen  worden. 
Sudhofl  erinnert  in  seiner  eingehenden  Würdigung  dieser  X'erhältnisse 
daran,  daß,  wie  ja  auch  aus  jedem  Aderlaßbilde  ersichtlich  ist,  der 
■schwarze  .Skorpion  die  Genitalsphäre  beherrscht.  Die  Konjunktion  des 
Saturn  mit  dem  Jupiter  im  Slernenbilde  des  SkorjMon  wies  demnach 
auf  eine  zukünftige  (jeschlechtspcst  hin,  und  es  ist  von  größtem 
Interesse,  daß  der  Professor  der  Astronomie,  Magister  Johannes  Engel 
■(Angelu.s)  aus  Ingolstadt,  auf  seinem   »Laßzeddel«  Noni  Jahre  1484 


')  V.  Murr,  J.ihrliucli  zur  Kunstgeschichte  und  Literatur  X,  S.  23. 


SRißSiSiiOiiKiOiiSStivSäKiKSSiKäKJKJOtiKiOiiKJSJOt   Dl  K  JUNGE  DüRER   JOt-SiiSiSiCiiCSiKißSfJÄSiiOiSiiiSiiKJSJSiiSJCi  195 


schon  über  die  große  Konjunkuir  des  Kutharincntagcs  unter  anderem 
folgendes  prophezeit:  »Die  Weh  wird  mit  großem  Krieg,  'l'euerung 
und  Pestilenz  und  einer  Lust  zu  großen  Widerwärtigkeiten  der  christ- 
lichen Kirche  überzogen  werden.  Auch  wird  die  Neigung  sein  zu 
einer  Geburt  eines  falschen  Propheten,  der  widerwärtig  wird  der 
Lehre  Christi  (!).  Lnid  das  alles  soll  geschehen  nach  Ausweisung 
der  Astrologen  innerhalb  sechzig  lahre  oder  noch  kürzer.«  Das  Nähere 
über  diese  Verhältnisse  ersehe  man  aus  des  Göttinger  Prt)tessors  C>.  11. 
Fuchs  Standardwerk*)  und  den  graphischen  und  typographischen 
Erstlingen  der  Syphilisliteratur,  die  Karl  Sudhotf  in  ungemein  les- 
selnder  Form  und  mit  wissenschaftlicher  Vertiefung  behandelt  hat**). 
Unter  dem  Sternenkreis  erblicken  wir  nun  einen  Mann,  der  den 
Eindruck  eines  kranken  Landsknechtes  macht.  Ein  mächtiger, 
schwarzer  Hut  bedeckt  den  Kopf,  an  ihm  weht  eine  große  blaue 
Straußenfeder.  Unter  dem  Schlapphut  aber  trägt  der  Kranke  nach 
alter  Sitte  noch  eine  rote  Kappe.  Lange  Locken  von  echten  Ilaaren 
wallen  ihm  bis  auf  die  Schultern,  wobei  wir  uns  daran  erinnern 
müssen,  daß  der  Haarausfall  bei  der  Syphilis  erst  in  späterer  Zeit 
hinzukam.  Ein  Mantel  bedeckt  den  Körper,  doch  werden  die  nackten 
Oberschenkel  sichtbar  und  ein  l'eil  der  Arme.  Im  (Besicht,  an  den 
Armen  und  an  den  Oberschenkeln  sind  nun,  genau  entsprechend 
den  früheren  Aussatzschilderungen,  rundliche  Flecken  eingezeichnet, 
welche  an  einzelnen  Stellen  noch  durch  Auftragen  xon  Rot  einen 
offenen  und  geschwürigen  Eindruck  machen  sollen.  Der  braune 
Mantel  ist  inwendig  mit  Blau  gefüttert.  Zu  beiden  Seiten  des  Kopfes 
belinden  sich  Wappen,  sowohl  der  Jungfernadler,  als  auch  der 
halbe  Kaiseradler.  Zu  Füßen  des  Befallenen  liegt  noch  ein  kleineres 
Sonnenschild.  Was  nun  diese  Zeichnung  betrift't,  die  die  Kunst- 
wissenschaft mit  Sicherheit  dem  Albrecht  Dürer  zuschreibt,  so  können 
wir  heute  noch,  nach  über  vierhundert  Jahren,  die  X'erlegenheit  des 


*)  C.  H.  Fuchs,    Die    ältesten  Schriftsteller   über    die    Lustseuche   in    r:)eutschl;uKl   I4')5 
bis  1510,   1843. 

**)  Karl  Sudhoff,  Graphische  und  typographische  Erstlinge  der  Syphilisliteratur  aus  den 
Jahren  1495  "nd  1496.  Siehe  auch  R.  Blanchard,  La  Syphilis  dans  l'Art.  Nouv.  Icon.  de  la 
SalpOtr.   igoo. 


jungen  Künstlers  nachemplindL'n  über  die  ihm  gestellte  Aufgabe.  Auch 
er  stand  noch  ganz  im  Banne  der 'l'radition,  mähe  ohne  irgendwelchen 
\'ersuch  der  C'harakterisierung  der  neuen  Krankheit,  wie  man  im 
allen  Siile  Aussalz  und  allerlei  Kralze  markierle.  In  seinem  kunsl- 
lerischen  Dilenmia  und  wissenschalllichen  Lneriahrenheil  nahm  er  zu 
demselben  Millel  seine  /ulluchl.  welches  die  Tolenlanzmaler  \er- 
anlaßle,  in  ihrer  Unkenninis  der  Skeleltbildung,  den  Knochenmann 
mit  dem  Tolenlaken  zu  umhüllen.  Auch  Dürer  bedeckte  seine 
Unkenninis,  oder  wemi  man  will  seinen  Liunul,  im  Wagen  einer 
realistischen  Wiedergabe  nul  einem  großen  Mantel.  Der  Inhalt  des 
klassizistischen  und  schwimgvollen  Cjedichls  ist  wissenschaftlich 
schon  deshalb  von  groLk^ni  Interesse,  weil  in  ihm  der  erste  Hin- 
weis aut   die  Koniagiositätsquelle  gegeben  ist. 

»Dijaculatur  ovans  nicntag;rani  viscida  lichnt, 
l'ocda  lues,  spurco  primuni  contagia  peni, 
Crustüsi  (bene  nota  caiio),  nova  scmin.i  morbi.« 

Der  Sinn  des  Ganzen  geht  darauf  hinaus,  daß  unser  Dichterarzt 
ratlos  und  hiltlos  der  neuen  Sternenkrankheit  gegenüberstein  und 
im  dichterischen  (beschwatz  seine  therapeutische  Ohnmacht  verbirgt. 
Sudhoft  betont  schon,  daß  dieses  Carmen  den  Lesern,  Ärzten  und 
Patienten  doch  wirklich  etwas  zu  wenig  geboten  habe,  und  so  hat 
Ulsenius  in  der  x\ugsburger  Xeuaullage  desselben  Jahres  neue  Schluß- 
verse hinzugefügt,  welche  wenigstens  religiöse  Trostmittel  an[ireisen 
und   einen     Trunk  aus   dem    lordan. 

Bei  der  Diu'chmusterung  der  irühesten  Svphilisdarslellungen, 
welche  als  buchschnuickende  Titelblätter  entstanden  sind,  sowohl  des 
Sebastian  Brant  liulogium  i  \^)(-' .  als  namentlich  auch  der  mehr- 
fachen Zeichnungen  aus  der  deutschen  und  lateinischen  S\philis- 
schrift  des  Joseph  Grünpeck  vom  Jahre  i  \^)(\  Imden  wir  aul  diesen 
allen,  ebenso  wie  aul  den  religiösen  Mugblättern  der  lolgenden  |ahre 
keinen  originellen  \'ersuch,  das  Krankheitsbild  der  hosen  Blattern 
anders  zu  charakterisieren,  als  nach  tiem  alten  Schem.i  des  armen 
Hiob.  Das  einzige,  was  vielleicht  erwähnenswert  ist,  ist  eine  (iesle 
auf  dem  Titelbilde  des  Traktates  von  Joseph  (h'ünpeck.     Da   knien 


d^niM :  1  JitHtrio  bdCK  (hpftKj  tmbc 

ffifKirff  jlgn««  nonofocointT*  p<|li 
trUmö  fjluttfftä  ndirit  confa«  mtödinn 
3nN  rtKeabürwfhj  rotmcoitw  fcfipir\iö 
3"iptnite  pogit  itkWcv>^  comio  t^com. 
SCdliboe  m  crudOJ  ppCi  cUmonbod;(c« 
^<(l4(bpodfnäNpofcmmmibM  quifrmj 
i.fbcUfTimscU?ff><cuUantnai)eie  pbrbü 
\>ifue  jbfiTc  ^fuo  qualtö  Cumejfacrrtvoo 

nonf^Oüftrogiaboefltao  giiomint^irffue 
^RöfdtMfignifftoqtüqj  fwoicooLMtiuTi 
0(bc(rtiemftägwOibiw?ucrroi  fonbon 
^pf(briimrbfuflaT»&aJtw  tacta  laiiaw 
<Ditmirtiö  imxDofcf  {Ttqns  bqjiomo  piglrtdp 
pUcttalvw^^gTOlour»  mihi  tpa  mcrtt. 
rif  tarn/  irrfonKiti  pagat  Ucnj«  C*n(nä 
JTIfu  pJDt j(i<oUe  foliw  btpiouft  bonwe 
Vülguöiiifta  rcnto(dcot>oie:arcdturtiliibä 
ßucfirrit3Ititonäefjaaattplnf(adöf0p 
panbcTt  npoLüncÄ  icunauppotc  {alucnn 
tTlfln^  rtTÖtp  '^i'uTi  i  ^ht&  ac  anmu  fjno; 
^tbimueinajcuü  tTl^BOJtMnuplrtaula 
Qun*  pmton  narocp  fad*  mal*  (owr  n("tm( 
ßoob  rtimwböano  gnito  inbuljat  pwaift 
ffi:giTgifi  ^uba  1  ritoUe  m»m<  elynipi 
JrtT«  rninoö  f  jlcf  qi  pigrdm  pj'tpf  lojiwiKni: 
Qcilica  1U<  .pcjE  (^ntiDO  3'^'"^  altodonj 
Qjngiji(fpimwbltmmic-rm*irtipiot>aluro 
0OiWl<ßO.monfIri;cfifftft  nKbancrorbmu 
ffiiirpl^tuB  bü  magnua  jbcfl  büt^attjj  t^cjt 
ä)njanöofTC4lfemorforqui  ptnt>itttaß 
auit»-tu£(mirtOiCi)q:i]0qiic  CbdltajmWr 
Vltofjqi  n(pd  nonc  liPramifU  Öpbtct ; 
ioic  tibi  cigifffimt  paunjt  rW  pocuU  ponflt 
in<ct''"»*"'b'0jq.  \«\ü3 1  UmboTt  noc/tf«,» 
Jjlafadmbiguügcniromifcrter'amun 
(^ogitJtTt4rKU<3[Jbtuif<budfn  tbt 
SxJTt^nti  moio?  licMt  mmiirii(]c  ntfdnba) 
piounue  igniuomä  romot  b*f fruit  ab  Jram 
nigtJ<5  coting(K  flewmlju  p(0fut  *?V^rc 
rionj  cominucmtbiwtua  ptrlia  ITUajoia 
3(tj[icfm:irjQj0Jin  QicfprTnimDti)liö 
numimtoe  pignfl  -.t  nofha  nlwriafqiuU/t 
eirifürc^ü  trntcoö  imci^t  t^Btf  CDoiUdo 
i^O«  Ö>*U<  0*n^  bü  ctdufo  mummtfli  rmbw  ; 
Xictäo^iXc  pouoJ  ftoni0>ln  bififl  nwjptoo 
5Ec^cdt:tcdcctdfiii(lt4  uxinmu  tTUnnua 


^J(:xotwiiai9rir(nlmpbHriuol'n»Ma»'Cn{onfißU((rtd;rpdtT«!i{o 
tn.  ffipibtmki  je jbiem  qoe  pafTim  toto  oUx  MT'**  raoama  blcar. 


t3c;?n:iC3  <Bffinffe';5B 


VJtgrt  fqaoftWloni^drt  Cd!c4nratarinc 

^moif  7iuU  fraubomt numrrt  (Lern 
JLtÜitui  «mm  gcn^  Wufl  niqt "  ^oni  ^?i4C^: 
libod  fimpUclu)0  riiflto  fiäminc  nunWJ 
tTlifoifrinr  fupfii:  (iipoe  culpoit  qule  aofu  i 
t^miiTui  blM  moU  cotiupco  jldTwie  pmbcc 
popoJ  ^tnit^  t>is  vUi  ct)atfl  paonmi. 
^^aubffow  acfilidaaif|ufi"iimUd«UbcTU 
Ciffdt  in  frtmi(nfuni:t(n<rO0  brpdfat  amw 
Birtfui  (bitt4)tcecH5obrirt:il«  omnU  fbmo  j 
^inc  pfflia  ^tnc  faw  pluüt  poitatw  vi^ent 
miitianÖnäcriÄfcAtuttgmtwnäö  mjfltio 
rU  ribc4t  namra  fagar  ( bilfcnpo  ctKte 
ß.DÄta  wDÜlbilibuÄ  cama  t  bifc^^Ha  ftbuie 
Canntrubm(bito)tJ*t4|«biüM  tffanos 
aofd  b(a  «mait  ml>il  fob  ponbft :  Mfito 
iDetii^ar^lnjormtrle  cuim(rat(c<flb 
pnt>dbat'(Cäl'paUmtUoi6<  Ucncm 
}>sanonu  btfltnw  pwmltrrofuw  pocodJ 
£nrtcdt*trK  bul' J8  rttntie  lnb<  pap^Ua^ 
CJiiJCuWoaane^tnmwgtävtlVlba  iLic^m 
^fbaLuferpurccprfmüconugfapnnj 
Cnif^c^t-bnitow  iLonojnctw  fmrtnamo^ti 
nrmopmfTCfloqir'bttiTimenffdafaUi 
SüKtfOttmibcwqoolÄnt  Uba  aftUoe 
jufcabiMiponü  bttJtCintbcfha  mj^nnt) 
"OtcnjfUtfuTft  rtl'iabat  Jojmlntcmib« 
£)n<»na  fw^Ano  p(|h6  monuiii*w  pianbo; 
3t  qirt*fwu  rog«  quc  |u  mcbtclnd  bolötti 
1E4 1  ICKce  olof  *  ful^ranw  in  «bna  f^o 
pintf^rw^fcUmi  inufienonvlttnuftöük 
t^iut  ^r^Wtö  foj  Hvlu  ploo:  turuat  UofcE; 
acKiioautTumUrl4;(e:pbip^Bfiu6imD6 

^      .^       tufcTJtttt^^tJODSJflnjdpiflmafl^aafiS. 

''!^^^I^V~^    ßiw l'^at In pccpKÖilijaö xbi faituengc^ 
CoUW'-t*'!  fooo  (ruft  non(fmui  Jrance^ 
nifnij:  Vii^ncofubqtgtnönoriiJtdo- 
^'-.iciBfm'  bfpcfcjt  cp('ii*apmdrcluptrtO 
31'clfpium  JfigiUüt^b.:bCHm6bignJ  i^tifrto 
t?aaa  l'>Cft;ftitJbo  b(»w  i  »nutsww  pon4 
annbot üqit'nam  vicn»tni«K*atattcr 
mt  bi«*  iitm/bn*nioi  \^n bumw  4b(bi; 
^nncar*:fcabt«jf<5a.itw(p"'g'"™«  (oibrt  j 
ötbi'  b«^  HlntmcffT"  mÄcfd  mKlUc- 
Öcrrtarhui*:  mon»n  Ubma»am(  nilnao 
ßufft^  f rj )ab  i^tie*  fulpiüainqc  amtruf 
pt)iUnibürtnjtamarT*'qinb  ©Äot^qD© 
nin(CTÖ«a(liM(üglt?qoibf«facDlpa«r 
ßui^qtmfTiBÖfbmjt  (Oboer  bfltpa  i^oluä« 
tnarinMbompc:c7C3mOTÖuiif«M|Tmrm93 


3nfigni  3K^qanii  flubfö  SÄCCim? 

V^  "^mf^  c::tP<  piit4d  mcMcd  c^nai  i>(ife 
ffit  inufi«opa«n  C4onintbo(<5b«1 
null^<?P'g*ir'^wnq)lit  gloitafcvntiCJ 
tn(tt4*5fimpDbtJflKalw»  mdj 
J4lfti*;3U€m(aaptirtn)0qtritwb*Wtimt3 

rflo*  15  fa  la  tifndm  CO  nW  W  t  auoo  I  op5 
3ot«tpiaib«c7t^ÄMafpiütf(^iCMce 

pbcbud  btotno  polticc  bodt  rbor- 
&ii  laput  cdoeficttna  pocmiJM  pngfc 

M9Ö 


Fig.  loS.     Erste  Durst 
Fluf^blatt  Ues  Nürnberger  Stadtmedicus  riscnius, 


ung  der  Syphilis. 

Zeichnunt;  von  Albrecht  Durer. 


Berliner  Kupfersiichkabinett. 


19S  ssJSSiSiStSitSiJKiS'CtJKiSSiiöJSissiJßJSiSjßiCiisSt  1.1 1  ^<f:<f:<:i<>:<>:<>/<f:<>:<>:<>:<>:<':<f:<>:i>:^^^^^^ 

zu  Füßen  der  thronenden  Madonna  Kranke  mit  Blatternausschlag. 
Das  Christuskind  wirft,  auf  dem  Holzschnitt  von  Sebastian  l^rants 
luilogium.  entsprechend  antiker  Autlassung,  Sirahlenhündel  von  l'est- 
pteilen  aut  die  Kranken  und  l\)ten.  In  der  ersten  Ausgabe  nun 
von  (irünpecks  S\|ihilisschrilt  liegt  quer  im  \'ordergrunde  ostentati\' 
ein  nackter  jimgling,  das  Opier  der  pestilenzialischen  Scorra  sive 
.Mala  de  kranzos.  Dieser  tote  Jüngling  bedeckt  aul  der  ersten  Aus- 
gabe mit  der  linken  llaud  sein  Genitale;  eine  lür  einen  Toten 
immerhin  autfallende  (ieste,  und  es  gehört  keine  zu  große  Phantasie 
dazu,  hierlür  den  bekannten  Zusammenhang  der  Erscheinungen  ver- 
antwortlich zu  machen.  Auf  der  späteren  Ausgabe  dagegen  liegt 
die  Hand  seitwärts.  Doch  ist  auch  zu  bemerken,  daß  die  ganze 
Austührung^des  ersten  Holzschnittes  eine  sauberere  ist  und  daß  zum 
Beispiel  die  Pusteln  an  einzelnen  Stellen  absichtlich  als  koniluierend 
gezeichnet  sind. 

Bisher  ist  mir  nur  ein  Kunstwerk  großen  Stils  aus  späterer  Zeit 
bekannt  geworden,  welches  auch  nur  annähernd  die  gleiche  Meister- 
schatt  verrät,  von  der  ein  literarisches,  großartiges  Dokument  erlüllt 
ist;  ich  meine  des  Rabelais  Pantagruel  (13^5),  das  den  »Spanisch- 
Feuer-Leut«  gewidmet  ist.  \\\v  müssen  schon  über  hundert  Jahre 
warten,  um  in  einem  Werk  des  großen  Realisten  Rembrandl  eine 
Beziehung  zum    Friumphzug  der  Fues  zu   linden. 

Durcli  Wilhelm  Bode  wurde  meine  Aulnierksamkeit  aut  ein 
bisher  unbekanntes  (k-mälde  Rembrandts  gelenkt,  welches  kürzlich 
in  die  Sanmilung  des  Herrn  (Jeheinn-at  Koppel  gelangt  ist;  ein  ebenso 
merkwürdiges  wie  bedeutendes  Werk  aus  der  letzten  Zeit  des  großen 
Künstlers.  Bode  schildert  in  dem  Jahrbuch  der  Kt)iüglich  Preußi- 
schen Kunstsanmdiuigen  ]9o8,  llelt  ],  dieses  erschreckend  häßliche 
inid   doch  so  rührende  Antlitz  dieses  AFtnnes  lolgendermal.V'n: 

»Die  reiche,  mattfarbige  Tracht,  ein  golddurchwirkles  Wams, 
die  vollen  goldigen  Pocken  (Perücke),  die  den  Kopt  innrahmen, 
lassen  die  Unregelmäßigkeit  uik!  die  luitstellung  des  (jesichts  noch 
stärker  erscheinen.  Wenigstens  aut  tleii  ersten  Blick,  denn  je  mehr 
wir  uns  in  die  Züge  dieses  kranken   .Mannes   mit   dem   eingelalleiien 


Nasenbein,  der  großen  leblosen  Überlippe  und  den  hohkii  Augen 
mit  ihrem  eigentümlichen  Ausdruck  vertieten,  lun  so  mehr  verliert 
sich  der  abstoßende  Hindruck,  wir  gewinnen  sogar  eine  gewisse 
Sympathie    für    die    Persönlichkeit.«     lis    wird    dann    meine  Ansicht 


•'^*H^v 


.'■^j-  ■' 


f  eml)ubrd)cr 'Zi'acMt  von  bcm  v:fp!uti«?ö«->l?otoj  frar» 
jpo.baa  man  nennet  bic  vpilbcn  wart^cn.  Such  eni  gry^f':^ 
mbwarc  ert5ennevnHt)alt)cnvilööcb!^ncl<.Wicinv,i  ( 
egircn  foU  in  bifcr  jcft- 


Fiff.  109.     Titelblatt  aus  Jos.  Grünpcck. 

(Zweite  Ausi;abc  mit  veränderter  Handstellung  der  Toten.) 

Kianke  mit     wilden  Wartzenj. 


wiedcrseseben,  daß  es  sich  hier  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  um 
das  Porträt  eines  xMannes  von  etwa  43  bis  48  Jahren  handelt,  der 
ein  Opfer  der  Lues  geworden  ist,  und  nicht  nur  der  Krankheit, 
sondern  auch  der  Behandlung.  Besonders  das  Ahgetressensein  des 
linken  Nasenflügels,  die  geschwürigen,  zum  Teil  noch  unvollständig 
vernarbten  Prozesse  an  der  linken  Gesichtshälfte,  die  Rembrandt  etwas 


200  3>:jK!0>s*<s<o>si!0!<0!Siiss>ii!S!iC><SJßs><K!C>i5SiSi!Cs  Lues  ¥^.'!>:<>:^:<i<:f:<:i<f:<f:<:i<i<^^^^^^ 

durch  \\)rlai;eruni;  der  Locken  kaschierte,  i^ehen  dein  Bild  die  charak- 
teristische Marke.  Ich  schrieb  damals,  dal.^  das  Kiiidlich-Cireisenhalle 
des  Gesichts  besonders  getrolTen  sei,  nnd  dal,^  nur  die  ,i;rol.k'  Kunst 
Renibrandts    imstande    sei,    ndt    der  \\'ahrhaltii;keit   der  Schilderung 


i'-rrliti .    Sunnillun i;    Kof'/cl . 


liiJ.  1 10.     l'orlr.it. 


der  äußeren  I'orm  eine  künstlerische  Wirkinig  zu  \ereini<;en.  Inter- 
essant ist  die  (;eschichte  dieses  Gemäldes.  Trotz  oÜenbar  echter 
Bc/eichnung  war  das  J^ild  vom  K'unsimarkt  nicht  beachtet,  weil  es 
vollkommen  verschmiert  war;  aus  diesem  meisterhalt  gemalten 
Krankheitsporträt  eines  alten   Syphilitikers    war    der    hübsch    Irisierte 


Kopl  eines  Junglini^s  iKTausi^cput/t  worden,  liist  des  Kcstaiir;iU)rs 
Knnst  hat  diese  Cbermaking  entternt  und  unsere  Renibrandl- 
sanimluni;   um   ein  originelles  Meisterwerk  vermehrt. 


PEST 

Wir  Aussat/  und  Syphilis  die  ewige  schwere  \ot  im  eigenen 
Lande,  so  brach  hunnengleich  von  Zeit  zu  Zeit  über  Land 
und  W^lk  eine  Seuche  herein,  die  Mensch  und  Tier  verheerend 
abwürgte,  Pestilenz  in  jeglicher  Form.  Wie  ein  Heuschrecken- 
schwarm  erschien  sie  pl()tzlich,  man  wußte  nicht  woher,  und  als 
sie  sich  wieder  entfernte  und  man  zur  Besinnung  kam,  da  sah 
man,    daß    das    große  Sterben    ganze  Dörfer   und    Städte    ent\-olkert 


hatte.     Die    historische    Forschung    kennt    eine    Reih 


e    solc 


her 


'an- 


demien ;  die  älteste  ist  die  sogenannte  attische  Seuche,  nach  ihrem 
hervorragenden  Beschreiber  die  Pest  des  Tliucvdides  benannt 
(430  bis  [2)  V.  Chr.).  Der  große  Geschichtschreiber  ist  in  seiner 
exakten  imd  detaillierten  Ausdrucksweise  für  uns  deshalb  ein  be- 
sonders wichtiger  Augenzeuge,  weil  er  zu  den  C')plern  der  Seuche 
gehörte  und  das  (ilück  hatte,  dieselbe  zu  überstehen.  Die  attische 
Seuche  zeichnete  sich  vor  der  tvpischen  Pest  dadurch  aus,  daß  die 
Anschwellung  der  Drüsen,  die  später  das  charakteristische  Merkmal 
der  I^ubonenpest  war,  mit  Sicherheit  bei  dieser  Epidemie  fehlte.  Die 
von  dem  Schriftsteller  erwähnte  Tatsache,  daß  die  Seuche  zuerst  im 
Piräus  anfing  und  allmählich  landeinwärts  zog,  gibt  ja  schon  einen 
Hinweis  für  die  Vermutung  einer  Linschleppung.  \\'ir  können  natur- 
lich an  dieser  Stelle  uns  über  die  pathologischen  \'erhältnisse  und 
über  die  verschiedenen  Svmptome  des  großen  Sterbens  nicht  ein- 
lassen; das  ist  Gegenstand  epidemi^dogischer  Spezialforschung.  Uns 
interessieren  hier  mehr  die  Kulturfolgen  dieser  Epidemien  und 
eventuell  die  ALirken,  die  sie  im  literarischen  und  künstlerischen 
Leben  der  \\)lker  hinterlassen  haben.  Bei  dieser  Betrachtung  ist  die 
Auflassung    von    Wichtigkeit,    welche    man    von    der    Ursache    der 


202  ?KX?is<s<ß=C!i5i5<ß<s:«<s<S'CtiO!iSJSS>i«ssi5iC>s>si  PisT  <^:i>:<f:<>:<^:<i<i<>:<:i<i<f:<f^^^^^ 

lirkrankuni;  hatte.  ThucvJiLlcs  betont  das  vtillkommene  Versagen 
menschlicher  und  rehgioser  Betätigung.  Je  mehr  sich  die  Arzte  mit 
den  Kranken  abgaben,  um  so  häufiger  erhigen  sie  seihst.  St)  viel 
man  sich  auch  /u  den  Temiieln  wandle,  ( lottesdienst,  Orakel  und 
alles  (jöttliche  liel.s  im  Stich. 

».Möge  nun  ein  jeder  Laie  oder  Arzt  über  den  wahrscheinlichen 
Ursprung  der  Krankheit  reden,  ich  werde  nur  sagen,  wodurch  ein 
jeder,  wenn  die  Krankheit  noch  einmal  hereinbrechen  sollte,  die- 
selbe erkennen  kann,  weil  ich  selbst  erkrankt  war  und  andere  er- 
krankt gesehen   habe.« 

Diese  Kenntnis  aber  der  Erkrankung  durch  l:rtahrung  am  eigenen 
Leibe  und  diese  Bemerkung  des  I'hucvdides  ist  wichtig  genug  und 
von  einem  großen  praktischen  Nutzen.  —  Die  dem  Übel  Kntron- 
nenen  konnten  sich  der  Kranken  und  Sterbenden  im  Getühl  der 
Sicherheit  annehmen,  denn  keiner  wurde  zum  zweitenmal  von 
dieser  Krankheit  schwer  befallen.  Scheut  sich  Thucvdides  über  die 
eigentliche  Ursache  der  Krankheit  schon  zu  verhandeln,  so  spricht 
Diodorus  ausführlich  über  die  Ursachen  der  Pestnot.  l:s  charak- 
terisiert den  .Stand  der  Kultur,  welche  Autlassung  ein  Volk  \  on  den 
Krankheitsursachen  hat.  So  w^erden  wir  sehen,  daß  im  späten  Mittel- 
alter wieder  die  rein  religiöse  Auflassung  von  dem  Schrecknis  des 
schwarzen  Todes  das  wissenschattliche  Gewissen  einer  ganzen  Zeit 
erstickte.  Ich  habe  bei  der  Behandlung  der  Exvott)s  in  der  »Plastik 
und  .Medizin«*)  daran!  hingewiesen,  daß  die  lünl  güldenen  Bubonen 
und  die  lünl  goldenen  Mäuse,  welche  die  Philister,  nachdem  sie 
den  Israeliten  die  Bundeslade  abgenommen  und  d.ulurch  nach  ihrer 
Ansicht  von  der  J5ubonenpest  in  Asdod,  (jath  und  likron  heim- 
gesucht wurden,  wohl  als  älteste  Krankheits-l:xvoto  überhaupt  aul- 
zufassen sind.  Wir  müssen  aber  auch  an  dieser  Stelle  uns  etwas 
ausführlicher  mit  dieser  Philisterpest  belassen,  weil  dieses  Thema 
besonders    häufig;    den    .Malern    .ils    \'orwurl    gedient    hat.  Wir 

besitzen  eine  ganze  Anzahl    \'on   demälden,    Zeichnungen,    Stichen, 


*)  »Plastik  und  Medizin',  S.  237. 


204  sssKisstiSJSStJS'^iS'öici-iOtjßJOiiSiSijefiCiSi'öSKjßSi  Pi  VI  ■<f:<>:i>:<>:<f/<f:p:<>:<f:p:<i<;>:<>:i>:<f:^^^^^^ 


welche  Jen  Gegenstand  der  IMiilisterpest  behandeln:  sie  finden  ihren 
malerischen    liiMiepunkl   in   dem   Gemälde  des  Nicolas   l\)ussin. 

iis  bedarl  nun  eiuenllich  nicht  des  besonderen  Hinweises,  daß 
die  Maler,  welche  an  die  Rew  ältii;ung  dieses  schwierigen  Stoftes 
giniien,    keinen   Unterschied   machten   zwischen   den   einzelnen  Arten 

O  c^ 

der  l\'stilenz.  dal,^  sie  nur  das  groLk'  Sterben  aul  die  Leinwand 
brachten;  teils  nach  Schilderuni^en  der  Zeitgenossen,  teils,  und  das 
sind  tür  uns  natürlich  die  wertvolleren  (iahen,  aul  Grund  eigener 
Beobachtung.  Die  alttestamentarische  Schilderung  von  der  Philister- 
pest wird  olt  einlach  illustriert.  Samuelis  \'.  Kapitel  i  :  »Und  da  die 
von  Asdod  des  anderen  Morgens  irüh  aulstunden,  landen  sie  Dagon 
auf  seinem  Antlitz  liegen,  aul  der  1-rde  vor  der  Lade  des  Herrn, 
aber  sie  nahmen  den  Dagon  und  setzten  ihn  wieder  an  seinen 
Ort.  Da  sie  aber  des  anderen  Morgens  wieder  Irüh  aulstunden, 
landen  sie  Dagon  abermals  aul  seinem  Antlitze  liegen,  auf  der 
Hrde  vor  der  Lade  des  Herrn.  Aber  sein  Maupt  und  seine  beiden 
Hände  lagen  abgehauen  auf  der  Schwelle,  daß  der  Kumpl  allein  da 
war.  Aber  die  Hand  des  Herrn  war  schwer  über  die  von  Asdod 
rmd  verderbte  sie  und  schlug  sie  mit  bösen  Beulen.«  Und  später 
heißt  es;  »Die  Hand  des  Herrn  schlug  inCiath  die  Leute  klein  und 
groß,  und  welche  Leute  nicht  starben,  die  wurden  geschlagen  mit 
Beulen,  daß  das  (Geschrei  der  Stadt  aul  gen  Himmel  ging.«  hii 
VL  Kapitel  3  heißt  es  aber:  »So  müßt  ihr  nun  machen  Bilder  luircr 
Beulen   und   lüirer  .Mäuse,   die  Luer  Land  verderbt  haben.« 

Poussins  (iemälde  hält  sich  an  diese  alttestamentarische  Lrzäh- 
iung.  Man  sieht  im  Hintergrunde  das  aufgeregte  Volk,  welches  das 
Wunder  des  umgestürzten  Ciottes  zu  leidenschaltlicheii  Äußerungen 
veranlaßt.  Im  Vordergrunde  liegt  ein  Weib,  die  bereits  ein  Opfer 
der  Pest  geworden  ist.  bin  Zwillingspaar  ist  ihren  .\rmen  entlallen; 
das  eine  Kind  liegt  auch  schon  \erendet  am  Roden,  während  d.is 
andere  noch  zur  j'jrust  der  toten  .Mutter  stiebt.  Der  \'ater  sucht 
es  von  der  verderbenbringenden  mütterlichen  Seite  zu  einlernen. 
Dieser  rührende  Zug,  den  schon  Katfael  in  ganz  ahnlicher  Weise 
benutzte,   ist  einem   antiken  .\!oti\'   entnoimnen.     IJei    Kalfael   sowohl 


• 


wie  bei  l'cHissin  halten  sich  nun  die  Männer  in  der  Ansteekuni;.s- 
tureht  mit  Tüchern  oder  auch  mit  der  bK)lk'n  Hand  die  \'ase  zu, 
um  den  Pestleichendutt  nicht  einzuatmen.  Cjanz  im  X'order^runde 
aut  Poussins  Cjemälde  sitzt  aui  den  Stulen  eines  Hauses  ein  voll- 
kommen in  sich  gebückter  Jüngling;  das  Bild  restloser  Hollnungs- 
losigkeit.  Aut  einer  mir  bekannt  gewordenen  Studie  liegt  vor  dem 
Mann  in  derselben  Stellung  der  bereits  in  bäulnis  übergegangene 
Pestkadaver  eines  kleinen   Knaben. 

Der  Zusannnenhang  zwischen  der  Ungezieferplage  und  der 
Pest,  der  ja  nach  moderner  Ergründung  zutage  liegt,  da  die  Ratten 
Träger  des  Pesterregers  sind,  scheint  den  Alten  schon  visionär  vor- 
geschwebt zu  sein.  Datür  ist  Zeugnis  der  Philister  Kästlein  mit  den 
güldenen  Mäusen  tmd  den  Beulen.  Die  Katten,  welche  Asdod 
überschwemmten,  sind  nun  massenhat't  auf  dem  j^ilde  in  der 
Umgebung  von  Dagons  Haus  sichtbar.  Dem  Maler  (1394  bis  1663) 
—  kam  es  bei  seinem  (iemälde  der  Philisterpest  in  erster  Linie 
darauf  an,  den  leidenschaltlichen  Ausbruch  des  Schreckens  in  jeg- 
licher l'orm  zu  malen.  Nirgends  aber  hnden  wir  Andeutung  einer 
wirklichen  Krankheitsschilderung.  Das  hat  sein  l.andsmann,  Pierre 
Mignard  (1610  bis  1693),  bei  seinem  ebenbürtigen  Gemälde,  die 
Pest  von  Kpiros,  schon  mit  etwas  mehr  l'rfolg  versucht.  Die 
Schilderung  eines  großen  Sterben  allein  genügte  ihm  nicht.  Kleine 
Szenen  losen  das  Bild  in  Hinzelabschnitte  aut.  Poussin  grifl  zu 
der  traditionellen  Darstellimg  des  zur  toten  Mutter  strebenden  Säug- 
lings. Mignard  dagegen  stellte  in  den  Vordergrund  Ausschnitte  aus 
dem  erfolglosen  Kampf  gegen  die  Seuche.  Zunächst  sieht  man 
überall  aufgestellte  Keinigungsfeuer,  aber  deren  schwache  Rauch- 
wolken verm()gen  nichts  gegen  den  Clualm  und  den  stinkenden 
Odem,  den  himmlische  Abgesandte  ausgießen.  Im  \'ordergrunde 
hat  ein  jimger  Arzt  soeben  den  AchselbidTo  eines  Weibes  geöffnet, 
da  entgleitet  das  Messer  mul  die  Schale  seiner  Hand,  und  er  sinkt, 
selbst  ein  Opfer  iler  Krankheit,  um.  Zu  beiden  Seiten  wird  dvn 
erkrankten  Opfern  stärkende  Medizin  eingeträufelt.  Dieser  luensch- 
lichen  Hilfe  gegenüber  erficht  im    Hintergründe  die  Menge  die  Hilfe 


SKätiSSiJßiOSSisOiiKssiCiJC'StißSt'öJSiOiJSiKS'JSiCiiOiiCi  Boccaccio  SiiS!iCijKS>s>:siS>!S!!>!K!0>!v>:<!S!!S<Ki5s>5S<JtiK  207 

der  Götter.  —  Auf  der  Tempelsclnvelle  wird  gerade  ein  W^idder 
geopiert.  Von  allen  Seiten  aber  stürzen  die  \t)ni  wahnsinnii^sten 
Durst  Gepeinigten  einer  heiligen  Quelle  /u,  aus  der  sie  gierig 
trinken. 

Die  berühmte  Schilderung  der  Pest  von  Morenz  im  Jahre  i  5  (8 
durch  Bt)ccaccic)  in  seinem  Dekameron  hat  eine  seiner  Naturschilde- 
rung würdige  etwa  dreihundert  Jahre  spätere  Illustration  gefunden. 
Beide  sind  von  solcher  Xatürlichkeit,  daL^  wir  jene  traurige  Zeit  nicht 
nur  an  uns  vorbeiziehen  lassen,  sondern  sie  beinahe  miterleben.  Wir 
meinen  die  (iemälde  des  Augenzeugen  der  neapolitanischen  Pest  vom 
Jahre  1636.  Im  Gegensatz  zu  dem  dramatisch  angelegten  und  im 
einzelnen  durchgetührten  Gemälde  von  Aii^nard  und  Poussin  ergeht 
sich  der  Italiener  in  einer  Schilderung  des  Selbsterlebten  in  e|-)ischer 
Breite,  lis  wird  uns  nicht  schwer,  die  historische  Wahrheit  des 
ausführlich  Geschilderten  anzuerkennen  und  zu  verstehen,  wenn  wir 
die  Berichte  der  Tagespresse  noch  vor  Augen  haben,  mit  der  Schilde- 
rung des  Choleratodes  aut  dem  Balkanschlachtfelde.  Man  kann  sich 
nur  allzugut  die  Schrecknisse  jener  Tage  vorstellen  in  den  engen 
Gassen  Neapels  und  Stambuls. 

»Es  waren  genug  derer,  die  auf  offener  StraLk-  bei  Tag  wie  bei 
Nacht  verschieden.  Und  von  vielen,  die  in  ihren  Häusern  den  Geist 
aufgaben,  erfuhren  es  die  Nachbarn  erst  durch  den  Gestank  der  ver- 
wesenen  Leichname.  Meist  beobachteten  die  Nachbarn  ein  und  das- 
selbe Vertahren,  wozu  sie  sowohl  durch  die  Purcht,  es  möchte  ihnen 
durch  die  Verwesung  Getahr  erwachsen,  als  durch  die  Liebe  zu  den 
Verstorbenen  bewogen  wurden.  Sie  selbst  nämlich,  allein  oder  mit 
Hilfe  von  Trägern,  zogen  die  Körper  der  Toten  aus  den  Häusern 
und  legten  sie  vor  die  Haustüren,  wo  man  deren,  besonders  des 
Morgens,  ringsum  eine  zahllose  Menge  sehen  konnte.  Danach  ließ 
man  Bahren  kcmimen,  und  wo  diese  fehlten,  wurden  manche  nur 
auf  irgendein  Brett  gelegt.  Auch  trug  man  nicht  allein  auf  einer 
Bahre  zwei  oder  drei  zugleich,  sondern  sehr  häutig  begegnete  es, 
daß  eine  Bahre  Frau  und  Ahmn,  zwei  oder  drei  Brüder,  den  \'ater 
und   den   Sohn   usw.  tru";.« 


208  ?KJK<0t!KSi«!Si5Siie!KSi«'C!!CiJKX)''e!ie!iKJ0t'C!!JC?!KJK  PlST  SiS0>!C*!«JS>K<K!«!<>:!S!CSiS«iß-O><K!C>Si'-C>JCi!C><ß!O>^ 


Sind  die  Gemälde  des  .Mieco  Spadarro*),  welche  die  neapoli- 
tanische Pest  schildern,  nicht  lllustraliinien  zu  Boccaccios  Schilde- 
rung? Im  llimmel  erblicken  wir  auch  hier  den  erzürnten  (jott- 
vater  mit  den  Fesipleilen  in  der  Hand.  »Stralt  doch  der  Zorn 
Gottes  mit  der  Pest  die  Ungerechlii;keit  der  Menschen.«  In  dem- 
.selhen  jähre  1636  linden  wir  auch  die  Pest  in  Schlesien.  Zu  Ciuhrau 
wurden  die  Totengräber  angeklagt,  mit  llilie  des  Teufels  Brunnen 
und  Straßen  vergütet  zu  haben.  Aut  ihr  (jeständnis  wurde  ihnen  die 
Haut  in  Kiemen  geschnitten  und  ihr  Körper  mit  glühenden  Zangen 
verbrannt  ^^).  Auch  aul  einem  unserer  Gemälde  (1-igur  113) 
erblicken  wir  eine  Riclustelle.  In  das  Geschrei  der  an  Pest  Sterbenden 
gellen  die  Angstrute  der  zum  Rad  und  zum  Galgen  verurteilten 
»Erreger«  der  Pest.  .Aut  beiden  Gemälden  sehen  wir  berittene  Ärzte, 
welche  Anordnungen  geben.  Geistliche  mit  vorgehaltenen  Tüchern 
geben  aut  der  .Straße  Absolution   und  Abendmahl. 

Es  entspricht  nun  dem  kirchlichen  Charakter  der  Epidemiezeit, 
daß  nicht  etwa  einer  der  vielen  Ärzte,  die  als  Opter  ihres  humanen 
Berufes  starben,  mit  dem  Cdorienscheine  der  Popularität  geschmückt 
wurde,  sondern  daß  die  einzige  volkstümliche  Persönlichkeit  in  diesem 
wüsten  ('haos  ein  geistlich  gewordener  Patriziersohn  aus  Montpellier 
wurde  —  Rochus  — ,  der,  nachdem  er,  der  Überlieterung  entspre- 
chend, sein  reiches  Gut  den  Armen  gegeben  hat,  \-on  Stadt  zu  Stadt 
zog  und  Pestkranke  pflegte.  Die  Rekanntschalt  mit  den  Schicksalen 
dieses  frommen  .\I.mnes,  der  einer  der  geteiertesten  Heiligen  der 
katholischen  Kirche  wurde,  ist  zum  \'erstandnisse  der  unzähligen  (ie- 
mälde  erforderlich.  Sein  Leben  wird  in  zwanzig  Reliefs  in  der  Scuola 
di  S.  Rocco  zu  \'enedig  geschildert.  Der  ganze  Palast,  pj'gentum 
der  nach  ihm  genannten  Hruderschafl,  ist  ihm  Stiftung  und  .Monument 
zugleich.  Unzählig  sind  auch  die  kleinen  Statuetten,  die  ihn  inmier 
in  der  tvpischen  Pose  darstellen,  wie  er  im  Pilgergewande,  den  Stab 
in    der    Hand,    mit    der  anderen    am    Oberschenkel    seinen    Pestbubo 


*)  Das  Gemälde  113  befindet  sich  seit  längerer  Zeit  im  Magazin  des  Museums. 
**)  Siehe:  Ursachen  wie,  welcher  Gestalt  und  woher  die  Infektion  in  der  Niedcrschlesicn 
komme.     Wittenberg  1656. 


zeigt.  Aul  seiner  Pilgerfahrt  erkrankte  er  selbst  und  zog  sich  in 
die  Einsamkeit  zurück,  um  ahein  zu  sterben,  liin  ilini  h'emder 
Hund,  nacli  anderen  ein  Engel,  kam  und  heilte  seine  Pestbubonen. 
Der  Hund  trug  ihm  auch  Brot  zu.  In  seine  Heimat  zurückgekehrt, 
starb   er  unerkannt   im   Kerker*). 


Derartige  Rochusdarstellunuen  fehlen  wohl 


kaum  m  irueiul  emer 


größeren   italienischen    Galerie.      In    der  .Mailänder   Brera    zählte    icl 

y'^*'- ^- — 


iig.  115.     Pust  von  Neapel    1656. 

allein  vier,  von  denen  des  Eombarden  Borgognone  Bildnis  deshalb 
das  größere  Interesse  in  Anspruch  nimmt,  weil  der  Hintergrund 
des  Gemäldes  interessante  Pestszenen  zeigt;  wir  sehen  da  den 
wandelnden  Pestdoktor,  den  betrübt  sitzenden  Kranken,  wie  er  sich 
seine  Pestbeule  kühlt,  und  im  Hintergrunde  das  Fortschaffen  und 
Verbrennen  der  Leichen  und  qualmende  Räucherungen  als  Abwehr- 
nhttel.     Die  Darstellung  des  Rochus  ist  die  konventionelle,  er  hebt 


*)  Näheres  siehe   »Medizin  und  Plastik».    S.  523. 

IToUänder,   Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei.     2.  .Auflage. 


2IO  i«^ißjßij!!SiSSK<0*iKiK!SJKJCi>asJCi!!Sie>iS<Jt!iSSKiß!S  P:  s  r  JSiKiöiOiJSSSiCiJKJCiiiSJSK^iCSiOiiSSSSSiCii-CSJSiOtJSiKiSiCitiKJK 


das  Ikiiid  hoch,  ohne  dal,^  aber  die  Pestbeule  selbst  sichtbar  wird. 
Das  ist  um  S(.)  realistischer  der  ball  aul  dem  (iemälde  des  1-rancesco 
Carotti"!   in  X'erona   (i)2S).      liier  betastet    der   i'il^er  die  Ik'ule,    die 

dadurch  sichtbar  gemacht  ist, 
daß  ein  Schlil/  des  Ik'inkleides 
die  Leistengegend  freilegt  (l'i- 
gur  114).  Dieselbe  Darstellung 
hnden  wir  zum  Beispiel  aut  dem 
Bilde  des  P.  da  San  Vito.  Mit 
einer  oflenen  Pestbeule  als  cha- 
rakteristischem Krankheitssvm- 
ji  ptom  behattete  Mantegna  seinen 
Rochus  aut  dem  schönen  (ie- 
nialde:  »Jesus  mit  zwei  Heili- 
gen«, in  \'enedig.  üin  frühes 
Ciemälde  dieser  Art  entstammt 
dem  Meister  der  heiligen  Sippe; 
der  Kolner  setzte  im  Gegensatz 
zu  den  meisten  derartigen  Schil- 
derungen wenigstens  die  otlene 
Beule  an  anatomisch  korrekter 
Stelle  (siehe  Pigur    113)*). 

In  der  Ikairteilung  der  Pest- 
ursache des  vierzehnten  und 
sechzehnten  Jahrhunderts  doku- 
mentiert sich  am  besten  die  ein- 
getretene Wendung  in  der  Aul- 
fassung vom  Leben  und  der 
große  l'drtschritt  in  der  Aut- 
klärung des  X'olkes.  Der  schwarze  'Pod  war  di:n  Ärzten  und  den 
Laien,   dem   Klerus   und   der   Regierung  des   vierzehnten  Jahrhunderts 


Fig.  114.    Ausscliniu  aus  dem  Geniakic  des 
Francesco  Carotto. 


')  Weitere  Pestdarstcllungen:  von  Robusti  in  Vcncdij.;,  G.  Rcni,  II.  Carracci  in  Dresden; 
P.  P.  Ruljcns:  Die  Pest  von  Alost,  Paris,  Bordone;  S.  Rocco,  Venedig;  .\ndrea  del  Sarto, 
Palazzo  Pitti,  Florenz;  Bassano,  Mailand. 


JßJKSiiO'iKSSiKSiiSSiJviiOiJOiSi'Ci'OiJviJCi'OiiKSi  l\l  l  u.iosi:  Al  I  l  as^l  \(,  SSiSSiiSSiiSOlißiCiiOiSiJCiiKSiiCiSiSiiK  -  I  1 


fast  ausnahmslos  noch  die  l'oli^c  transzendentaler  und  astraler  Ur- 
sachen. Metaphysische  N'orstellungen  von  \vidrii;en  Dünsten  und 
Nebeln,  Zorn  Gottes,  besondere  CJestirnkonstellalioiien  und  ahnliche 
Dinge  entsprechen  dem  (ieiste  des  vierzehnten  Jahrhunderts.  Priester- 
beichte, Ablaß.  Bilderdienst,  blutige  Selbst- 
geißelungen und  vor  allem  Judenverbren- 
nungen zum  Lobe  (lottes  galten  als  wirk- 
samste (iegenmittel.  Der  Magistrat  der  heim- 
gesuchten Städte  erließ,  anstatt  Pestbaracken 
zu  bauen,  \'erbt)te  gegen  die  Sonntagsent- 
heiligung, lästerliches  Muchen  und  Schworen, 
untersagte  Gastmähler,  Hasardspiele  und  das 
Anlegen  von  Trauerkleidern.  Raub,  Mord 
und  Verbrechen  aller  Art  erhoben  in  (jegen- 
wart  des  Todes  in  beispielloser  Art  ihr  freches 
Haupt,  und  um  die  Todesgedanken  zu  zer- 
streuen oder  auch  in  Anbetracht  des  unver- 
meidlichen Unterganges  feierte  man  allerorten 
l^acchanalien  tmd  Orgien  höchster  Sinneslust. 
Über  die  ärztliche  Tätigkeit  ist  nicht  viel  zu 
sagen.  Die  meisten  Doktores  entzogen  sich 
durch  Mucht  ihrer  Pflichterfüllung,  und  viele 
andere  büßten  dieselbe  mit  dem  Tode.  So 
blieb  Guy  de  Chauliac,  »um  der  Schande  zu 
entgehen«,  auf  seinem  Posten  in  Mont|-iellier; 
es  ist  ein  ewig  grünes  Lorbeerblatt  der  Arzte 
von  Perugia  und  Siena,  daß  sie  damals  schon 
den  Mut  fanden,  die  Pestursache  durch  Lei- 
chenöffnungen teststellen  zu  \vt)llen.  So  olien- 
bart  es  sich,  daß  im  vierzehnten  Jahrhundert  die  Kontagionsidee  und 
dementsprechende  Maßnahmen  noch  eine  geringe  Rolle  spielen. 

Zu  Lnde  des  fünfzehnten  und  im  sechzehnten  lahrhundert  sehen 
wir  nun  bereits  einen  erbitterten  Kampf  der  Kontagionisten  mit  ihren 
Gegnern;   und  wenn  auch  zum  Beispiel  noch  Martin  Luther  in  seiner 


K.'in.r   Schul,-. 

rig.  115. 

Der  heiliijc   Rochus. 


212  iCSäKSSSiJSSiSiJKiöieiJSiKJCt-ftiOiSiStSiiöJSJKJSJCSSi  l'lM  !SJßJ5!0!i0täßJSiSSi!ÖK«JKJS!SiS>i«iCiKSi5>S!S!St!CiS«ie>!Sä5t 


kleinen  Schritt,  »ob  das  Sterben  zu  llichcn  scv«.  cniplichlt,  die  biisen 
pestilcnzischen  Leute,  welche  absichtHch  die  Krankheit  verbreiten, 
dem  Meister  Hansen  (das  ist  dem  Henker)  zu  überleben,  so  war 
das  Laienansicht.   Die  Arzte  bemuhten  sich,  wissenschalthche  Beweise 

tür  die  Konta^iositat  der 
Seuche  zu  verbreiten.  Der 
erste  Epidemiok)ge  seiner 
Zeit  war  der  \'eroneser  Lras- 
cat(.>ri ,  gleich  berühmt  als 
Dichter,  Lhvsiker,  Astronom 
und  Arzt.  Aus  den  vielen 
LluL;blattern  und  \'erhal- 
tuni;smal.^regeln.  die  _L;ei;en 
die  Pest  angeführt  sind,  wol- 
len wir  nur  aus  der  bereits 
erwähnten  Anatomie  des 
Johannes  de  Ketham  einen 
ilnlzschnitt  anlühren,  der 
uns  die  Proph\-Iaxe  des  Arztes 
bei  Seinen  \'isiten  zeigt.  Wir 
Sehen,  wie  der  Doklor  sich 
einen  wahrscheinlich  mit 
Lssig  getränkten  Schwamm 
vor  den  .\hind  hält,  wie  zwei 
L'ackelträger  ilm  begleiten, 
von  denen  der  eine  noch  ein  Räuchergetäß  trägt.  Dabei  untersucht 
der  ängstliche  Medikus  seinen  Patienten  gewissermaßen  per  Distanz 
(siehe  Ligur  ii6).  Bekannt  ist  der  Kupier  von  Columbina  aus  dem 
Jahre  1636,  »Der  Doktor  Schnabel  aus  Rom«.  Das  l'lugblatt,  welches 
uns  wie  eine  Karikatur  anmutete,  wenn  nicht  der  Zeichner  aus- 
drücklich aut  demselben  erklärte:  »n.tch  dem  Leben  gezeichnet«, 
illustriert,  wie  der  Pestmedikus  in  ein  überall  hermetisch  geschlos- 
senes, gewachstes  (jewand  gekleidet  ist.  Die  Hände  stecken  in 
Handschuhen,   das   Gesicht    in    einer  \'ogelmaske,    die   Augen    sind 


lig.  116.     Aus  dum  l-iiscicukis  inudiciii.ic   \on 
Johann  de  Ketham  (1491). 


!C(iKi5!iO>!O>5S!OiJO!JOiiOtiS!0i!Ci!O>Si<JiiC*iCi«<0!!^^     KoNTAGIONSIDi;i,  SiSiJOiJCSJSSiiKiiSSiiCi'OtStSiiSiSiOtJSJKJOt'Ci  ::  I  3 

durch  kristallene  l^rillen  geschützt.  Der  lange  Schnabel  ist  deshalb 
nötig,  weil  vor  dem  Munde  ein  Depot  von  Spezereieii  sicli  belindet, 
eine  Wirstule  der  Desinfektionsmittel.  Üb  durch  diese  prophv- 
laktischen  Maßregeln  die  Sterblichkeit  der  Ärzte  selbst  eine  geringere 
gewesen  ist,  scheint  sehr  fraglich.  Bekannt  ist,  daß  \-on  den  Fran- 
ziskanern in  der  Pestptlege  allein  \'iele  tausende  gestorben  sind. 
Es  kann  das  nicht  wundernehmen,  wenn  zum  Beispiel  die  Pest  in 
Florenz  allein  hunderttausend  Menschen  dahinratite  und  nach  Petrarcas 
Schilderung  von  tausend  kaum  zehn  am  heben  blieben.  Abraham 
a  Santa  Cdara,  der  berühmte  Kanzelredner,  gibt  die  Zahl  der  Todes- 
fälle der  Wiener  Pest  von  1679  in  seinem  »Merk's  \\'ien«  auf 
siebzigtausend  an  und  betont  dabei  allerdings,  daß  von  den  Geist- 
lichen viele,  von  den  Ärzten  nur  wenige  starben,  ein  Zeichen  dafür, 
daß  die  kontagionistische  Aullassung  ihre  Fruchte  getragen  hat. 
Diesen  immensen  Zahlen  gegenüber  will  es  nicht  viel  heil.V'U,  daß 
zum  Beispiel  in  Main/  sich  etwa  zwölitausend  Juden  in  ihren 
Häusern  den  Feuertod  gaben,  und  im  Jahre  1298  in  Nürnberg  und 
in  Würzburg  angeblich  hunderttausend,  weil  sie  »Bosheit  getrieben 
mit  unseres  Herren  Feichnam«  und  die  Brunnen  vergütet  hatten, 
gemordet  wurden.  Überraschend  und  ganz  im  modernen  Sinne  ist 
die  Maßnahme  der  Stadt  brankfurt  gegen  die  Pest.  Unter  den  vielen 
\'erordnungen,  die  alle  die  Erkenntnis  der  Ansteclamgsgefahr  dik- 
tierte, heben  wir  einige  heraus,  die  die  Deputierten  und  C^n'atores 
Sanitatis  im  Pestjahre  1666  lestsetzten,  wenige  Jahre  spater,  als  Frank- 
furts größter  Maler,  Adam  l^lzheimer,  im  Schuldturm  gestorben  war. 

1.  inlicierte  Bürger  sollen  sich  bei  den  iniection  hauslichen  ein- 
halten, die  Besuchung  ötlentlicher  AFircken  wie  auch  Irequen- 
tirimg  Kirchen  und  schulen  ad   tempus  enteußern. 

2.  \},\  es  vorgekommen,  daß  einige  Verstorbene  bis  zum  4ten 
Tage  unbegraben  gelegen,  soll  man  sorgen  daß  alle  iniicirte 
Personen  längstens  innerhalb  2  'Fagen  möchten  unter  die  Erde 
kommen. 

3.  Die  ]3arbieren  sollen  jeden  Pestkranken  den  sie  in  Behandlung 
haben  anzeigen. 


214  SJJSStietiCiS'JSJOiStJOiJSJß'eiiKSiiSSiStiöiö'CiißSi'Ot  l'i  si  <:i<f:<i<f:<f:<ii!>:i>/<i<i<i<i-^^^^^^ 


4.  Jeder  Ilausgesell  soll  wöchentlich  einen  Kreuzer  _i;ehen  um 
davein  in  jedem  Quarüer  ein  bis  zwei  W'arlweiber  zu  bestellen. 

3.  Die  Schwein,  die  nicht  vom  Hirten  L;etrieben  werden,  sonder- 
lich  der  Bäcker  und  Bierbrauer  sollen   ab^eschallt   werden. 

6.  L'm  das  1-dnschleichen  trenuler  Persimen  zu  verhindern  sollen 
nur  die  llaupttore  i;cöflnet  und  ihnen  \er|ilhchtete  Manner 
angestellt  werden,  welche  niemand  der  \-on  einem  inlicierten 
Orte  käme,  einzulassen   hatten. 

12.  W'ere  der  große  Xumeriis  der  (jdst  zu   Hochzeiten   und  Kind- 
betten zu   verringern. 

13.  Der  Pastor  l\'Stilentiarius  soll   bei  keinen   nicht  inlicierten  Per- 
sonen zur  Beichte  sitzen. 

I  |.   Die   Post   welche  inliciert   ist,   soll    verlegt   werden. 

Alle  diese  recht  zweckmäßigen  N'erordnungen  scheinen  lirtolg 
"ehabt  zu  haben,  denn  schon  nach  etwa  sechs  Monaten  bezeu2:en 
sämtliche  Arzte  und  Wundärzte,  daß  sie  keinen  kontagiösen  Patienten 
mehr  zur  Kur  haben,  wozu  auch  das  etwas  später  nacherlassene 
Gebot  beigetragen  hat,  »keine  Kleider  oder  Hausrat  an  der  Pest 
Gestorbener  weder  selbst  zu  gebrauchen  noch  zu  \erkauten,  ehe 
es  vor  der  Stadt  nht  Strohteuer  brustuliert,  gewaschen  und  an  den 
ofTnen  Pufft  gehenckt  worden«.  Wir  sehen  den  gewaltigen  P'ortschritt 
in  der  j-h'kenntnis  der  Dinge.  Während  man  sich  ein  Jahrhundert 
früher  noch  ganz  aul  Ik-ten  und  die  Wunderkratt  der  Heiligen  ver- 
ließ, hat  jetzt  der  Magistrat  den  Mut,  vor  dem  Kirchenbesuch  zu 
warnen.  Und  ein  Witz  der  Weltgeschichte  ist  es,  daß  es  gerade 
ein  Kleriker  gewesen,  der  Kardinal  (ieronimo  (jastaldi  zu  Bidogna, 
der  die  Kontagionslehre  aul   lesle   l-üße  setzte. 

Auf  unserem  Ausschnitt  des  (iemäldes  von  C'arotto  (l'igur  11  |) 
sahen  wir  eben  noch  den  nackten  Sebastian  \ow  Pleilen  durchbohrt. 
Dieser  Heilige,  der  fast  ausschließlich  Pestheiliger  wurde,  ist  wohl 
der  am  häufigsten  gemalte  .Märtvrer.  Zunächst  hat  Sebastian  nnt 
der  Pest  nichts  gemein.  .Man  erinnerte  sich  vielleicht  noch  an  die 
antike  Vorstellung  von  der  Jüitstehung  \-on  Seuchen,  daß  der  er- 
zürnte Gott  Pfeile  auf   die  .NK'nschen  schieße.      Jedenlalls  taten    die 


!«SiSiSi<SS>!0!!Ci!0!!0>!5-:!C!<S<>iS!>J>:S>!OiS?!C>sOt<SSSiK^    1  ANZWUT  iliJSJOtißißSiiOiJOiiKJOtJOtißiKiCiJOiiCi'CiJKiCiJOiSiiCi  215 


Gebeine  dieses  römischen  Kriegers  Wunder  in  l'esUallen,  und  bald 
war  er  der  größte  Konk'urrent  von  Kochus,  niil  dem  /usammen  er 
ott  auf  Gemälden  erscheint*). 

Be\or  wir  das  Ka|Mtel  der  mittelalterlichen  Seuchen  xerlassen, 
müssen  wir  noch  eine  l:pidemie  besprechen,  die  ebenso  interessant 
wie  unaul geklärt  ist,  sowohl  in  historischer  als  auch  medizinischer 
Beziehung:  die  Tanzwut.  Diese  Manie,  welche  zu  den  verschie- 
densten Malen  in  Westdeutschland,  am  Xiederrhein  und  in  Holland 
grassierte,  gehört  zu  den  psvchischen  Epidemien,  unter  welchen  außer- 
dem noch  die  Geißlertahrten  und  die  besser  studierten  Kinderlahrten 
zu  zählen  sind.  Die  ersten  sicheren  Nachrichten  über  Tanzwütige 
stammen  aus  dem  Jahre  1575.  Durch  Teutelsmacht  entstand  am 
Niederrhein  eine  tobende  Sekte  von  Männern  und  \\'eibern,  welche 
aut  ötlentlichen  Plätzen,  in  Kirchen  und  Häusern  zu  springen  und 
tanzen  aniing  und  dabei  vorgab,  unter  himmlischen  \'isionen,  durch 
diese  Sprünge  aus  dem  blutigen  erdbedeckenden  Schlamme  zu  ent- 
kommen. Unter  den  wildesten  Ausschweitungen  zog  eine  solche 
tanzende  und  umschlungene  Menschenmasse  von  Ort  zu  Ort.  Kaum 
hatte  der  Klerus  durch  Exorzismen  den  einen  Ausbruch  erstickt,  so 
entstand  ein  neuer  Herd.  So  zählte  man  in  Metz  allein  eil  hundert 
Tanzwütige.  Als  im  Jahre  14  ^S  ein  neuer  großer  Ausbruch  im 
Elsaß  entstand,  schleppte  man  die  Besessenen  zu  büß  und  zu  Wagen 
in  die  Kapelle  des  heiligen  \'eit  nach  Zabern,  wo  sie  Heilung  fanden. 
Eine  andere  Gruppe  dieser  dem  W'itstanz  Ergebenen  wurden  als 
Johannistänzer  bekannt.  Es  scheint  mm  durchaus  traglich,  ob  diese 
bei  einer  auts  äußerste  erregten  religionstanatischen  Bevölkerung  zum 
Ausbruch  gekommenen  l:xaltationszustände  rein  psvchischer  Natur 
waren,  oder  ob  der  auch  in  unseren  Tagen  in  abgeschwächter  bV^rm 
epidemisch  aultretende  \'eitstanz  auf  einer  organischen  Grundlage 
basierte.  Eür  die  erste  Ault'assung  sprechen  die  zu  den  verschiedensten 
Zeiten    bei    den    verschiedensten  \'olkern   vorgekommenen    ähnlichen 

*)  Siehe  auch  Charcot  c-t  I'aul  Richer,  Lcs  I'tstifcrcs  de  Jaffa.  Xouvelle  Iconogr.  de 
la  Salpütricre,   1S91. 


2i6  jKJS!>:s>)SSis>!Ci50>:ieii5iss«:«<K<ss>iß!>:'eiStjß  Ta>j/\vut  äK!yt<5>;«<sss<K<ss'S?i>:>>:ss!C!ie'!5<!iij!iK!i>'C('C>!K'CiSi 


Zustaiulc.  Ich  erinnere  an  die  Tanze  der  Derwische,  der  Schiittler- 
sokten  in  Xordanierika  und  nanienihch  an  dcu  'l'aranlisnius  in  Itahen. 
Als  l-rinnerung  an  diese  Tan/seiichen  schlecple  sich  mit  llilie  der 
Geistlichkeit  bis  in  unsere  Tai^e  die  Sprini; [Prozession  zu  i:chternach 
am  Rhein  iort.  Die  Teilnahme  an  dieser,  am  Pfine:stdienstaa-  statt- 
hndenden  Prozession,  bei  welcher  in  liu(itender  Weise  nach  jedem 
dritten  Schritt  einer  wieder  zuriick^emacht  wird,  yilt  am  Rhein  als 
sicheres  Mittel  gegen  \'eitstanz  und  l:[Mlepsie,  sicher  eine  merk- 
würdige, unter  den  Klängen  der  alten  W'illibrodmusik  vor  sich 
gehende  homöopathische  Therapie.  Aber  außer  diesem  lebendigen 
]{rbteil  aus  jenen  Zeiten  massenhafter  \'olkshvsterie  besitzen  wir 
auch  ein  künstlerisches  X'ermächtnis.  was  die  Wi'anlassung  war,  diese 
Dinge  hier  zur  Sprache  zu  bringen.  Pieter  J^reughel  der  Altere 
muß  Zeuge  solcher  Tanzszenen  gewesen  sein. 

Allerdings  handelt  es  sich  nicht  um  die  j-chternacher  Spring- 
prozession*), sondern  die  Üriginalzeichnungen,  die  in  Wien  auf- 
bewahrt werden,  fertigte  Breughel  für  eine  kleine  Druckschrift 
(s' Gravenhage  1642)  an,  lür  die  Ilondius  die  Holzschnitte  lieferte. 
Der  Titel  lautet:  »\'ertooninge  hoe  de  Pelgerimnien,  op  S.  Jans- 
dagh,  büyten  Brüssel,  tot  Meidebeeck  danssen  moeten;  ende  als  sy 
over  dese  Brugh  gcdanst  hebben,  oite  gedwongen  werden  op  dese 
volgende  maniere,  dan  schijnen  sv,  voor  een  vaer,  van  de  vallende 
Sieckte  jenesen  te  zijn.«  Der  Titel  sagt  alles,  die  Illustrationen  sind 
nieisterhalt;  der  Tv[his  der  hvsterisch-epileptischen  Bewegungen  in 
der  Komposition  sind  im  Detail  bewunderungswürdig.  Dazu  konniit 
noch  das  intime  Studium  der  die  stoßweise  Bewegung  der  hvsteri- 
schen  Weiber  parierenden  Bauern,  und  als  höchster  Triumiih  der 
Zeichnung  der  Schiebetanz  der  Dudelsackbläser.  Hat  man  die  Weiber 
dann  glücklich  über  die  l^rücke,  dann  fallen  sie  erschöpit  wie  ein 
Sack   um   und   sind   kuriert   .  .  .    lür  ein   Jahr  (siehe  bigur  117). 

Das  korybantische    und    athetotische    der  Bewegungen    hat    den 
Bauernmaler  sicher  malerisch  gereizt,   und  es  ist  ihm  auch  die  Lösung 


•)  Henry    Mcifjc,    La    Procession    Dansante    d  Eclitcrnach.      Nouvcllc    Itoiiojjr.  de    la 
Salpctricre,  1904. 


Fig.  117.     Tanzwütige  nach  Pieter  Breughel  d.  A. 
Radierung  von  Hondius  (1642). 


2lS  3K!5SiSSiS5ß?K5C?!SäSSK5KSiiK!Oi?K!KS55ß!KiCiSC!!  T\\/\MT   SfiSXJiSiJKStiCiJK^JSiKSSiSiKSiiKSKSSJSiliißSSSSiKSt 

dieses  Problems  nicislerhall  L;cliiiii;en.  Die  cliiich  das  Jdhlcii  geschwol- 
lenen ll.dsadern.  das  Schielen,  die  i^an/e  horni  der  Be\vei;nni;en 
sprechen  mit  Sicherheil  dalür,  daß  es  sich  hier  um  XaUnbet)bachtungen 
handeil. 

Diese  Zeichnungen  benul/le  |.  M.  C^harcol  bereits  in  seiner 
berühmlen  Arbeil  mil  l'anl  Ivicher:  »Des  Demoniaques  dans  l'Arl«, 
Paris  1SS7.  Durch  Aneinanderreihen  der  ein/einen  l^laller  bekommt 
die  PoUe  den   Prozessionscharakler. 


Die  malerischen  Niederschläge,  welche  die  epidemischen  Krank- 
heilen bei  allen  \'ölkern  hinterlassen  haben,  sind  xon  einem  gewissen 
kulturhistorischen  Werte.  Das  ist  bei  anderen  Krankheitsschilderungen 
ziitälliuer  An  mu'  in  weit  geringerem  Mal.k'  der  l-'all.  Gewil,^  inter- 
essieren  diese  auch,  aber  der  Wert  ihrer  wissenschalllichen  Samm- 
lung liegt  aul  anderem  (jebiete,  als  dem  rein  medi/inhistorischen. 
Und  deshalb  wollen  w  ir  uns  auch  bei  der  Besprechung  von  zutalligen 
Illustrationen  der  menschlichen  Pathologie  \-on  Meisterhand  eine 
gewisse  Ik'schränkung  autlegen.  So  hat  es  wirklich  nur  Kuriositals- 
werl,  wenn  da  ein  Porträt  lang  und  breit  beschrieben  wird,  aut 
welchem  der  Dargestellte  eine  Hand  zeigt,  an  der  ein  l'inger  durch 
Knochenpanaritium  verkürzt  erscheint.  Wir  wollen  jedoch  noch 
einige  Krankheilsgruiiiien  zusanuuenlassend  betrachten,  welche  in 
ihrer  Anhäutung  nicht  nur  Zulallswei'l  haben,  sondern  echte  Ixinder 
ihrer  Zeit  waren.  In  erster  Linie  lueine  ich  ^Ja  die  Zwerge.  Daß 
heutzutage  weniger  Zwerge  herundaulen,  wie  Nor  einigen  hundert 
Jahren,  das  wird  keiner  behaupten  oder  beweisen  können.  Aber  das 
ist  sicher,  sie  werden  heutzutage  weniger  gemall  wie  hiiher,  und 
das  kommt  daher,  weil  der  deschmack  der  Zeit  sich  \'ollkonuuen 
geändert  hat.  und  die  Rolle,  die  die  Zwerge  im  oilentlichen  Leben 
einmal  gespielt  haben,  (jotl  sei  Dank,  einer  \eredellen  (jeschmacks- 
richtung  hat  weichen  müssen.  Lst  es  nicht  mehr  als  ein  seltener 
Zufall,  daß  gerade  der  größte  .Maler,  iler  je  den  Pinsel  getuhrt  hat, 
Velasquez,    eine    ganze   Reihe    großer  demälde    hinterlassen   hat,  aut 


denen  die  scheußlichsteiA'erirrunuen  menschlicher  Gestalt  mit  wunder- 
barer Xaturbenbachtun^  \ere\vigt  sind;  aber  von  demselben  Meister, 
der  an  der  Wiedergabe  dieser  AlilMormen  Gefallen  fand,  besitzen  wir 
kein  einziges  authentisches  (jemalde  eines  schonen  nackten  l-'rauen- 
körpers.  Denn  das  sich  s[-)iegelnde  Madchen  aus  der  Lomloner 
Galerie  ist  doch  nur  diesem  grolkai  Kunstler  zugespreichen,  weil 
man   lür  dies   Wunderwerk   den   besten   A'ater  suchte. 

Ein  anderes  umtangreiches  Kapitel,  die  »sogenannten  dämonischen 
Krankheiten«,  hat  den  großen  Charcot  zu  seinen  mediko-artistischen 
Studien  inspiriert.  Hinter  diesem  \\'orte  verbirgt  sich  der  Schand- 
fleck des  Mittelalters.  Denn  diese  Bezeichnung  ist  das  Schlagwort 
für  jenen  verhängnisvollen  Wahn  und  Irrglauben,  in  bestimmten 
Krankheitstormen  den  l'dnlluß  des  Teutels  und  satanischer  Besessen- 
heit zu  erblicken.  Auch  dieses  Kapitel,  welches  die  eingehendste 
Förderuns:  durch  die  tranzösische  Schule  gefunden  hat,  und  welches 
beinahe  den  dritten  'keil  des  grof.kai  \\\rks  von  Paul  Richer  aus- 
macht, bedarf  einer  zusammenhängenden  Besprechung.  \\'ir  können 
un.s  aber  mit  dem  klinweis  auf'  die  k>gebnisse  dieser  Schule  kurz 
fassen.  Als  trostloses  Endergebnis  ewigen  Kampfes,  ewiger  Krank- 
heit und  geringer  Heilgelegenheit  und  noch  geringeren  Heilerfolgs 
werden  wir  dann  noch  die  Krüppel  betrachten,  die  massenhaft  auf 
den  Straßen  herumliefen.  Aucli  hier  können  wir  die  Beobachtung 
machen,  daß  sich  besonders  die  niederländische  Scliule  damit  abgab, 
solche  elende  Kornerlichueiten   auf  die  Tafel   zu   bringen. 


ZWERGE  UND  RIESEN 


Das  Studium  der  antiken  Kleinkunst  hat  uns  gelehrt,  daß  bei  den 
Alten  die  Zwerge  offenbar  eine  besondere  Rolle  gespielt  haben. 
Es  bildete  der  Zwerg,  wie  es  scheint,  ein  Glied  in  jener  Kette 
von  \'orstellungen,  die  sich  alle  in  dem  Begriffe  der  »Abwehr« 
zusammenfassen  lassen.    Jedwede  Mißgestalt,  unter  diesen  der  Zwerg- 


220  äOtJSStSiiSS'iKJSJSiOISiJß'CiSiiOiiSJKJß   ZwERGE   UND   RiESEN   JSSiiSiSiSSiJßieiJSJS'CiiSS'iKietSiiOiiSStSii« 


wuchs,  hatte  solche  apotntplie  Wirkung.  Es  kommt  noch  hinzu, 
daß  das  Pvgniäengeschlecht  durch  die  rehitive  (iröl.V'  ihres  (ieiiitale 
eine  gesteigerte  \\'irkuiig  gegen  den  hosen  BHck  und  andere  vage 
\"orstellungen  transzendentaler  Cielährdung  ausübte.  Das  athenische 
Nationahiiuseum  ist  voll  \-on  kleinen  'l'errakotten  hellenisclien  und 
hellenistischen  Ursprungs,  welche  sich  mit  diesen  ]<leinen  niensciilichen 
Mißgestalten  heschäftigen.  Wir  linden  den  Zwergwuchs  verwendet 
auch  hei  allerlei  antikem  Hausgerät;  llenrv  Meige*)  hat  dieselben 
untersucht  und  in  einzelne  Kategorien  eini^eteilt,  je  nachdem  diese 
Zwerge  achondroplastischen  oder  rhachitischen  Ursprungs  waren  oder 
mikrozephalischen,  h\drt)zephalischen,  intantilen,  adipc'isen  Habitus 
zeigten.  Einige  Prachtexempilare  dieser  Art  bildeten  wir  in  der 
»Plastik  und  Medizin«,  Seite  ^4^,  ab.  Alle  diese  'l'\"pen  linden  wir 
nun  gelegentlich  auch  porträtiert  auf  unseren  (iemälden.  Da  wir 
aber  diese  Studien  nicht  betreiben ,  um  Medizin  zu  studieren ,  so 
wollen  wir  diese  rein  pathologischen  Dinge  hier  zur  Seite  stellen  tmd 
ims  nur  mehr  der  Kultiu'historie  zuwenden  und  uns  die  hrage  stellen: 
hat  hier,  wie  auch  bei  vielen  anderen  Gewohnheiten  und  (jehräuchen, 
eine  traditionelle  \'orstellung  aus  dem  antiken  Ideenkreise  nach- 
geklungen, oder  schul  sich  das  neue  (jeschlecht  neue  Begriftsbilderr 
Da  muß  nun  zunächst  berücksichtigt  werden,  daß  auch  die 
nordische  M\lhologie  vom  Zwergwuchs  den  größten  (iebrauch 
macht.  Sie  gelten  bei  den  (krmanen  als  Dämonen,  die  in  dem 
Inneren  der  lu'de  wohnen,  dabei  lassen  sie  die  Xordlandsvolker  meist 
als  perst)niti/ierte  erdständige  Xaturkräüe  aul.  Hesonders  werden  sie 
mit  der  1-örderung  und  der  Bearbeitung  der  Edelmetalle  in  \'erbindung 
gebracht.  Sie  \-erlertigen  Odins  Speer  und  Thors  Hammer,  'l'rotz 
dieser  xollkommenen  neuen,  den  Zwergen  zuges|irochenen  Idgen- 
schaften  nähert  sich  die  nordische  der  gräkolaleinischen  M\thologie 
doch  wieder  dadurch,  daß  der  nutzbringende  Zwerg  auch  wieder 
Schaden  anrichten  kann,  und  zwar  schon  durch  seinen  Anblick:  er 
ruft    Krankheiten    hervor.      Auch    die    sonderbare    \'orstellimg    muß 


•)  Lcs  Nains  et  les  bossus  dans  I'art.     Nouvelle  Iconogr.  de  la  SalpOtricre,   1S96. 


JviJviSiiSJSJOtiStJCiSiiS-ciiCiJOiSiiOtiiX-SiOisxssiStiOtiOiJv!  Böser  Blick  iSäßiOiJOiiCiJSiyiiOiSiJCiiSJXSSiCiJKJOiiCiiSSiiCüJyi  22t 


notiert    werden,    daß    sie    selbst   es  wiederum   sind,    die  den   I'ranen 
Wechsel  balge   unterschieben. 

Betrachten    wir    aber    die   Unmenge  Zwergdarstellungen  auf  dijn 
(Jemalden  sowohl  der  italienischen  wie  deutschen  und  niederländischen 


l-'it;-  iit^.     Holzschnitt   von   Albrfclit   Dürer. 


Schule,  so  linden  wir  zu  diesem  \\)rstellungskreis  keine  Berührungs- 
punkte. Es  mag  ja  sein,  daß  unbewußt  auch  die  Abwehrvorstellung 
Veranlassung  war,  daß  sich  die  Großen  der  damaligen  Welt  mit 
solcher  minderwertigen  Korperstruktur  umgaben,  aber  diese  \'or- 
stellungen  \-erwischten  sich  und  es  wurde  gewissermaßen  das  Halten 
von  Hotzwergen  eine  Alodesache.  Der  fatalistische  (jrundgedanke 
wich   vor  dem  Kuriositatenwert.    Man   sammelte  im  sechzehnten  und 


222  iCiJSiSJKißSiiKiSJKiCüSiSiJOijsStJCSie!;«  Zwerge  ukd  Riesen  jKäß<c>:JOiS!iSis<ß!KiO!!0!SiiOiiO!iC>:jK<s>:i«JC!>iOiJS 


sich/chnlcn  jahrliuiulcri  iiiii  X'oiiiclic  alle  möglichen  und  iiiuiu)!;- 
lichen  tierischen  und  nienschliehen  W'unilerdin^e  und  Mißgestalten. 
Fliegende  J51atter  mit  Kalbern  cider  Schweinen  und  llaniiuel  mit 
zwei  Kopten  wurden  gern  gekauft.  Unter  den  l-'ruhblattern  belinden 
sich  solche  Holzschnitte  auch  \-on  großer  Hand.  Dürer  zeichnete 
ein  \'ogelskelelt  mit  vier  P.einen  und  ein  Doppelschwein  (siehe 
l-igur  iiS).  Das  Jirwachen  der  Naturgeschichte,  die  neuen  Hnt- 
deckungen,  die  Tag  liir  Tag  der  wissenschaftlichen  Welt  ein  anderes 
Äußere  gaben,  klangen  beim  kleinen  \'olk  aus  in  Interesse  an  solcher 
Porträtierunii  der  Mißgestalt.  Die  (iroßen  aber  sammelten  sie  lebendig. 
Sie  steckten  ihre  Armseligkeit,  um  die  Kontrastwirkung  zu  steigern, 
in  Samt  und  Seide;  sie  liebten  es  auch,  ihnen  großklingende  Namen 
zu  geben,  und  die  Zwerge  selbst  machten  gute  Miene  zum  bösen 
Spiel;  und  da  ihr  Geist  manchmal  großer  war  als  ihr  Körper,  so 
benutzten  sie  gern  ihre  groteske  Figur,  um  gleichzeitig  das  Amt  und 
die   Würde  eines   Hotnarren  auszuüben. 

Wie  jetzt  die  beati  pt)ssidentes  \ielleicht  Porzellantassen  oder 
Gemälde  und  Skulptiu'en  aus  der  Renaissancezeit  sammeln,  so 
betriedigten  die  Peichen  der  damaligen  Zeit  iliren  Sammeleiler  nu't 
der  Idee,  lür  seltene  Pulpen  \'ermögen  zu  bezahlen  und  Zwerge  zu 
ernähren.  Diese  Sitte,  Holzwerge  als  Hotnarren  zu  verwenden,  scheint 
mit  den  K'reuzzügen  von  Konstantinopel  in  das  Abendland  ein- 
geschleppt zu  sein,  wie  manche  andere  Sitte  aus  dem  dekadenten 
( )rient  über  Griechenland  imd  I{om  nach  Deutschland  kam.  Die 
Lustigmacher  und  Xarren,  die  oll  das  Monoiiol  des  Witzes  und 
Esprits  an  den  Holen  besalk'U ,  an  denen  schon  romische  Impe- 
ratoren Cjetallen  getunden  halten,  waren  sowohl  zur  Kaiserzeit  wie 
auch  im  .Mittelalter  kaum  zu  bezahlen,  wenn  sie  zwerghult  ver- 
wachsen waren,  kür  solche  rhachitische  .Mißgestalten  win'den  bis 
tausend  (julden  bezahlt,  und  schon  das  alle  Rom  halte  seine  eigenen 
Morionenmärkte.  Noch  im  Jahre  1715  land  in  Petersburg  die 
berühmte  Zwerghochzeit  stall,  zu  der  zweiundneunzig  Zwerge  von 
Peter  dem  Grol.k'U  eingeladen  waren.  Da  die  Knochenki-ankheil 
(Achondroplasie  und  die  Rhachitis)  meist  nur  das  Skelett  verändern, 


SO  ist  es  nicht  autlallciul,  dal.^  hauli^  WiizboMc  iinlcr  ihnen  waren, 
echte  Ilohiarren.  Es  scheint  nun  zu  einer  richtii^en  Xarrenplage 
gekonnnen  zu  sein;  auf  dem  Reichstage  zu  Augsburg  ijc.io  wurde 
wenigstens  verordnet,  daß,  wo  jemand  Narren  haken  woihe,  er  solche 


Fig.  119.     El  Bobo  de  Coria. 
Von  Velasquez  de  Silva  (I5')9  bis  1660). 

dermaßen  hahe,  daß  sie  andere  Leute  unbesucht  und  unbelästigt 
Heßen.  Die  Uniiorm  bestand  in  bunter  Jacke,  Halskrause  und 
Pritsche:   die  alten  Abzeichen   des  Pulcinello. 

Legion     sind     die    Bonmots    trecher    und    geistreicher    Xarren. 
»Wollen  wir  tauschen:«   fragte  Karl  der  Lintaltige  seinen  Ilohiarren. 


234  35!StSiii<!SiJCit!ßS>S»<C*JßS««*SiSK!OtSit<S   ZwERGE   UND    KlESEX    iOiSitiSiCüKiOiSiSiiSiOiiKiSKSiKiOiiCSiSiCi-OiSCiiK 

Als  dieser  den  Tausch  ablelinle,  Ir.i^te  der  Konii; :  »Seliamsl  du  dich 
denn.  König  /u  sein:«  -  »Xein,  aber  ich  würde  mich  als  König 
eines  solchen  Xarren   schämen.« 

l'.in   Hofnarr  Konig  Heinrichs  11.,  Brusquel  mil  Xamen,  scheint 


l'ig.  I20.     Sebastian  de  .Morra. 
Von  Velasquez. 


als  Kurpfuscher  gewütet  zu  haben.  l:r  solle  gehenkt  werden,  aber 
sein  gnädiger  Köniir  stellte  ihm  die  Todesart  anheim :  »Nun,  so 
will  ich  am  Alter  sterben.«  J-in  l'ürst,  dessen  seltene  .Sannnlung 
von     Hofzwergen     eine     internationale     ßeriihmtheit     erlangte,     war 


sssxjOiiSiXJOiiOtxsißiOtiSiSiSissiissiK^ißXitSiiCiiOiJSS» \i;las(iuez jßiSiKiSJSSiSiSiieiJSiSiOiiS'CiJSSiJSJSJOtSiSiie?  -^^5 

Philipp  IV.  von  Spanien.  So  ist  es  schon  erl<lai  lieh,  dalJ  der  Hof- 
maler Philipps,  \'elasquez,  der  im  königlichen  Schlosse  sein  Atelier 
hatte,  unter  anderen  .Mitgliedern  des  Hauses  auch  einmal  einen  Hot- 
zwersi   aut    seine   Leinwand   brachte.     Absonderlich   ist  es  aber,    daL^i 


Fis;.  12  1.     Gr.U"  Thomas  Arundcl  mit  einem  Hofzwcrg. 
Von  l'cter  Paul  Rubens. 


allein  im  Prado  sieben  große  Gemälde  solcher  .Mißgestalten  von 
Velasquez'  Hand  sich  befinden.  Es  scheint  beinahe,  als  ob  dieser 
große  Naturalist  mit  einer  naturgetreuen  Wiedergabe  dieser  Mon- 
strositäten seinen  konkurrierenden  ralTaelitischen  Kollegen  ein  Schnipp- 
chen   schlagen    wollte;    aber    die    besondere   Neigung    dieses  Genies 

Holländer,   Die  Medizin  in   der  klasM-chen   M.derci,      2.  Aufi.iie  15 


226  SKSßjßJKSiiKJOiSiiSJSSüiSiSiSSiJSJSäOE  ZwERGE   UND   RlESEN  JßJCiißSiißJSSiiSSiiKSi'CiiCitS^SiiSißiSiSiKäOt 


spricht  doch  lür  eine  gewisse  Perversität  nach  dieser  Richtung  hin. 
Das  Bi/arre  und  CJnneske  scheint  ihn  als  ein  malerisches  l'robicni 
besonders  angezogen  zu  haben. 

Die  drei  nebeneinander  im  Prado  hängenden  Porträts  beweisen 
das.  Fkichtig  mit  schnellem  l'insel  und  dünner  Farbe  aulgetragen  und 
zum  Teil  nicht  vollendet,  wirken  die  lebensgroßen  Bildnisse  der  drei 
Zwerge:  l'd  i'rimo.  1:1  Xino  de  \'allecas  und  der  Idiot  von  (">oria, 
wie  Xaturstudien  eines  Karitätensammlers.  Dazu  koiiiml,  dal,^  alle 
diese  Bilder  der  zweiten  .Malepoche  seines  Lebens  entstammen.  Wenn 
auch  manche  der  traurigen  Burschen  kecke  und  intelligente  Gesichter 
haben,  so  wirkt  doch  zum  Beispiel  das  Porträt  des  Kindes  \'allecas 
direkt  abstoßend.  Der  schielende  Bobo  de  Coria  scheint  durchaus  nicht 
so  albern  zu  sein;  er  reibt  sich  so  vergnügt  und  maliziös  die  Hände, 
als  habe  er  gerade  jemand  ordentlich  eins  draulgewischt.  Können  wir 
so  annehmen,  daß  diese  Idioten-  und  Zwerggesichter  treie  Entwürfe 
eines  vielleicht  mit  Überrealistik  kokettierenden  Ahdertürsten  sind,  so 
wissen  wir  anderseits,  daß  des  Meisters  Hauptwerk:  »Las  meninas«, 
Irüher   »La  l-amilia«   genannt,  ein   direkter  Auttrag  Philiiips  1\'.  war. 

Für  dieX'orliebe  und  Schwäche  des  .\Lilers  tür  abnorme  (jesichts- 
ausdrücke  spricht  das  h()chst  seltsame  Porträt  eines  Idioten  in  der 
Wiener  Ciemäldegalerie.  Mit  merkwürdig  steiler  Haltung,  in  der 
Rechten  eine  ]-5lüte  haltend,  grinst  uns  dieser  Bursche  an,  mit  der 
Linken  sich  nach  Art  eines  glücklichen  Kindes  aut  die  Brust  kloplend. 
Das  trühalte  Antlitz  zeigt  alle  Zeichen  der  Degeneration  an  Kopl- 
bildung,  Zähnen,  Haarwuchs  usw.   (siehe  Figur   126). 

Die  oberflächliche  Betrachtung  dieser  ZwergsammLing  vom 
pathologisch -anatomischen  Standpunkte*)  aus  lehrt,  daß,  wie  dies 
natürlich,  die  verschiedenen  F'ormen  des  Zwergwuchses  und  der  Miß- 
bildungen voikanien.  Aut  dem  F)ilde  des  Hotzwerges  Sebastian 
de  Morra  (Figur  120)  erscheint  die  mangelhalte  achondroplastische 
Extremitätenbildung,  aut  dem  erwähnten  J-Jilde  von  X'elasquez:  »Las 
meninas«,    sehen    wir    die    scheußlichen  Diflormitäten,    wie    sie    die 


•)  Siehe  Itenry  Meiye,  Les  Nains  et  le.s  Bossus  dan.s  tArt  1896. 


sßJSiOiSiJOiiOtiKJSiSiSiiSJCtStSiSiSt'OiiOiSiiK'Csss  Zwerg  und  Hund  -CisKiCiStiSiKäsSiJKSiSiJOiiOiStSiSiiCiSiSi  227 


schwerste  Rhachitis  schallt,  mit  den  piinzhchcn  Kiiulcrii  in  cni^cr 
Gemeinschait ;  das  Porträt  des  eleganten  llolzwernes  Don  Antonio 
el  ingles*)  steht  eine  wohliiroj-iortionierte  .\Iiniaturanst;ahe  eines 
Menschen  dar,  \on  W'htsquez  mit  großen  Zü^en  tarhenlreudii;  i^emah. 


Fio;.  i: 


l\iiist't  -J  riefit ii.h-Mu.\cnnt ,   Ijr-rlin. 

Die  Werkstatt  des  Malers   lan  Molenar. 


Den  adipösen-m\'xomatösen  Tvp  repräsentiert  die  von  dem  \>kts- 
quezschüler  Careno  Hott  gemahe  Zwergin  aus  dem  Prado  (siehe 
Figur   12^). 

Hund  und  Zwerg  erscheinen  vielfach  als  gleichwertige  Lieh- 
haberei  des  Hausherrn.  Der  eine  paßte  aut  den  anderen  aut,  und 
für  beide  gab  man  Unsummen  her.  Und  die  Hotmaler  hatten  dann 
die  immerhin  lohnende  Autgabe,  beide  zusammen  zu  porträtieren. 
Peter  Paul  Rubens  malte  den  Grafen  .\roundeI;  als  P^tmilienzugehörige 
sind  Statisten  der  glatthaarige  Windhund  imd  der  mikrt)zephalische 
Hotnarr  (siehe  Figur   121).     Antonio    Moro,    Zwerg  Karl  \'.,  über- 


Eine  Wiedeiholunt;  in  Berlin. 


228  jCtJOtißisiSiKiJiieiiSiOiSiStißiKiCiStSiiCi  Zwerge  und  Rum  \  sii0i»!Sts><5i!0t!>:!5!ißiß!S!(>!«!K!K!5!C>!5tiSiK 


ragt   kaum    die   große  Dogge,    die    neben    ihm  steht,    und  Jan    van 
Kellen's    Zwerge,    welche    einen  Xcukuuilandcr    als  Zirlaisplcrd    bc- 


l'ig.  125.     Ju.in   (.arciio  de  .Mirancia. 
161 4  bis   16S5. 


nutzen  (Abbild,  bei  Sicher  .S.  i6|),  verschwinden  sogar  neben 
Kolossaliiq;ur.    Einen  direkt 


dessen 


widerwärtigen   J'.mdruck   aner  maclil  ein 


iO!!K?K!C>iO!!CtSi!5?5>Si!C?!C>!0!!>:!^iC!i5!C!JCS    DEKORATIVE  VERWENDUNG    SOüKSKiKiKJCiiJiiKiSJCSiJtiOiiKSiSiSi  229 

Gemälde  des  Ferraresen  Jacobo  Ari;eini  in  der  Tiiriner  (iaierie:  ein 
junger  Edelmann  von  funlzehn  Jahren,  legt  seine  Hand  auf  den  Riesen- 
kopt   eines  bärtigen  Zwergen,  der  ihm    knapp  bis   zur   liülte   reicht. 

Die  achondroplastische  l'orni  der  Zwerge  sehen  wir  häuhger 
als  andere  aut  Gemälden,  und  das  hat  seinen  guten  (irund  in  der 
meist  normalen  Schädelbildung  und  l'unktion.  \\'ir  bringen  alsTvpus 
dieser  Art  das  l^ild  des  Jan  Alolenar,  welches  bislang  im  Berliner 
Museum  an  einer  dunklen  Stelle  hing.  Auch  dieses  dokumentiert 
wieder  die  Gemeinschaft  zwischen  llund  und  Zwerg;  aber  der  Maler 
wußte  dem  Ganzen  eine  neue  Seite  abzugewinnen.  In  einem  hol- 
ländischen Atelier  ist  gerade  Malpause:  die  Leinwand  steht  aufgespannt 
aut  der  Staflelei;  die  Modelle  sind  noch  in  der  «jewünschten  Stellung; 
der  Musikant  dreht  sein  Instrument  und  der  Zwerg  hopst  mit  einem 
kleinen   Hund  im  Zimmer  herum  (siehe  Figur   122). 

Im  übrigen  benutzten  die  großen  Dekorationsmaler  Andrea  del 
Sarto,  Tintoretto,  'riept)lo  und  Paolo  Veronese  die  Zwerge  als  F'lick- 
stücke,  um  Lücken  auszutüllen.  Meist  linden  wir  sie  aut  großen 
Gastmählern  am  Tisch  zu  Füßen  der  Ciesellschatt  sich  herumtunuiieln 
und  ihre  Spaße  treiben. 

Diese  Liebhaberei  der  J^arockzeit  hatte  einen  entschiedenen 
philanthropischen  Nebenwert,  denn  aut  diese  \W'ise  waren  die  armen 
Zwerge  versorgt  und  autgehoben.  Die  moderne  Zeit  aber,  die  in  ihrem 
sozialen  Fiter  Krüppelhäuser  gründet  und  tür  alle  Verstoßenen  Paläste 
baut,  hat  für  diese  immerhin  zahlreichen  verfehlten  und  unfertigen 
Kreaturen  nichts  übrig.  Als  Schauobjekt  ziehen  sie  nicht  mehr,  und 
so  werden  sie  zu  theatralischer  Massenwirkung  verwendet. 


KRÜPPEL 


Viel  unglücklicher  wie  die  wegen  ihrer  Kleinheit  doch  mehr 
oder  minder  begehrten  Zwerge  waren  die  Verkrüppelten.  Sie 
gehörten  in  viel  ausgedehnterem  Maße  wie  heutzutage  zum  alten 
Straßenbilde.     Und    besonders  dort,    wo  Zulaut   war  wegen  irgend- 


230  JKSßSßSKS^SiißSüSJesS-KJÖJSiCSJSiK-CSXSSiiOtSt    KlU  l'IFI     !ßS!t!ß!0>iCi«i«!KSt=Ci<CtS!>!SiK<5!!SSiXiiiK!KSS<5!iCS«i!S 

welcher  Icstlicher  \'cranstaluiiig,  traten  sie  Jer  i^roßeren  Aussicht  aiit 
Ahiuisen  halber  in  Massen  aul.  l:s  ist  eine  der  erfreulichen  Hrschei- 
nungen,    die    den   Kullurlortschritt    unserer   /eil    dokumentiert,    daß 


l'ig.  124.     Ilalbsuitigc  Kiiuierlähmung. 
Von  Ribera  (158S  bis  1656}. 

diese  Krüppel  von  der  Ciasse  verschwunden  sind,  in  das  Verdienst 
kann  sich  die  verbesserte  'l'herapie  und  die  geregelte  l\rii|->|K'lhirsorge 
teilen,  liine  schwierige  Aufgabe  selbst  lür  phantasiereiche  medizinische 
Historiographen  ist  es,  bei  tlen  \  erkru|ipellen  d'jv  Ursache  ihrer 
Körperdestruktion    auf   den    Ciruiul    zu    gehen.     Zu    den    auch    heule 


j(ujf.  Quatrt  tnnd 


jA.liat  ob  Itn  hlauwen    Iru^hilfack ,   ffhttrnt    Ittß 
Gatt  mteü  al   Crutbtlt.     ob    heijiit    fniin  , 


Litutom  din    Cruebeien  3ifph9}} .  vttl   ditnatrs   Ijtiß , 
ZJie   CHI  ((n    Ktlt    bioue    ,   dtn    recnlcn    phancß!^  iwjJsn 


1-ig.  12).     Kiüppclprozession. 
Nach  Hieronymus  Bosch. 


232  jXJSißjKSiötSüSiJKiS'öSiJCüSiieiSiSKSiJSiSJßiß  Krüppel  JKS>s^<KiO>s>!KSSiK!etStS!S>!KS!S><5><5iX)!io-:<ssis><ß<s 


noch  wirksamen  Faktoren,  wie  KiiulerkUimuni;,  Knoclicnlciden  und 
\'crletzungen  aller  Art,  kam  wohl  in  jenen  Tauen  noch  die  Neigung 
der  Cdiirur^en   hin/u,   erkrankte  (ilieder  abzusetzen. 

Im  ganzen    kiinnen   wir  sagen,    daß  die  darstellende  Kunst  mit 
W^rliebe  ila  \'erkrüp|ielte  und  \'erwachsene   verwandte,   wo   es   darauf 


7.  Louy  /. 


Fig.  126.     Dur  Idiot. 
Von  Vcliisiiuez. 

ankam,  eine  der  sieben  christlichen  K'ardinaltugenden   zu  leiern.     Die 
nach    ^\i:n  Zeichnungen   Rallaels    angelertigten  Gobelins,    von    denen 
das  Berliner  Museum   die  zweiten  Hxemplare  besitzt,  zeigen   mehrere 
solcher  Gelähmten,  von  denen  der  eine  sekundäre  Kontrakturen  hat. 
Auch    die  Wundertaten    der  Apostel    an    der  Tempelschwelle    gaben 


!Ci!SS>!v>iC!iO!iC>)Ö!C?!C?!C>iO>S>JS<C>iS<0>iCS<5tS>!vi<S  I  llERONYMUS  ßoSCH  SSSiJCii'eiiKiSiOiiKiSiKSiiSSiSK-ei'CiSi'CtiOi  -  i3 


den  Künstlern  Gelegenheit,  entweder  ihrer  Phantasie  freien  Lauf  zu 
lassen  oder  stadthekannte  Originale  zu   porträtieren. 

Albrecht  Dürer  radierte  eine  Heilung  eines  Lahmen,  der  wirklich 
einen  traurigsten  Rest  \on  Menschtuni  darstellt.  Das  Reklani'ebild 
tür  alle  Krüppelveranstaltungen  ist  aher  Riberas  Knabenbildnis  (siehe 
Figur  12  i).  Der  Knabe  zeigt  eine  Lähmung  der  rechten  Körperhälfte. 
Mühselig  schleppt  er  seinen  Bettelsack;  der  rechte  b'uß  ist  ein  Schul- 
fall von  Pes  equint)-varus,  aber  auch  die  linke  (iesichtshällle  ist, 
wie  es  scheint,  gelähmt.  Das  Lachein  des  Knaben  ist  ein  durchaus 
einseitiges,  auch  seine  Sprache  ist  gelähmt,  denn  in  der  Link-eii,  die 
gleichzeitig  noch  eine  Krücke  trägt,  hält 
er  einen  Zettel,  auf  dem  die  Inschrift  sicht- 
bar wird:  »Da  mihi  elimosinam  propter 
amorem  dei.«  \\'ir  haben  bei  diesem  Kinde 
einmal  Gelegenheit,  eine  einigermaßen  alle 
Symptome  erklärende  Diagnose  aus  dem 
Bilde  ablesen  zu  können:  kontrakte  Läh- 
mung der  rechten  Korperhältte,  Lähmung 
der  Sprache  mit  l'azialisstörung.  Ahm  wird 
Richer's  Diagnose  »juvenile  Hemiplegie« 
allgemein  bestätigen.  Der  Künstler,  wel- 
cher es  verstanden  hat,  diesen  (jrad  von 
Naturalismus     bildlich     auszudrücken,    tat 

noch  etwas  hinzu  und  milderte  durch  seine  Kunst  den  Wider- 
willen des  Beschauers  gegen  dieses  Korperelend  in  dem  Cjrade,  daß 
der  Betrachter  dieses  Gemäldes  unwillkürlich  in  die  Tasche  greitt, 
um  dem  Kinde  etwas  zu  schenken.  Ak'inem  Cieschmack  zufolge 
hat  der  größere  Velasquez  nicht  soviel  erreicht  bei  seinem  bereits 
besprochenen  Klioten  aus  der  Wiener  Kirchengalerie.  Dieser  geistige 
Krüppel,  so  vorzüglich  er  auch  genralt  ist,  llößt  eigentlich  doch 
nur  Widerwillen  ein.  Demjenigen,  der  den  Bauernhumor  der  trüben 
Niederländer  kennt,  und  namentlich  die  Phantasien  des  Hiero- 
nvmus  Bosch  van  Aken,  der  aus  der  Ak'nschengestalt  die  aller- 
sonderbarsten    und    bizarrsten    \'erkrümmungen    und    Verrenkungen 


Fig.  127.     Die  Krüppel. 
Cornelius  Matsys  c.  1570. 


234  SKSSiSSiiCiJSiSJSiSiöiCiJSSiiKSiiKJCiSiSiStäKSi    KrÜPPÜI.    iKiSiSSiStißSiSiJKiSiSSSißSiSiJKiSiOtJSSitiOiiKJOtiviiK 


komponierte,  wird  es  nicht  schwer,  zu  \erstehen,  daß  diese  Maler 
die'halben  und  \'iertelinenschen  benutzten,  lun  nnl  ihnen  groteske 
Wirkungen  zu  erzielen.  Aul  den  deinalden  des  ßoscli  sowie  seinen 
Zeichnungen  linden  wir  nun  (>rup[ien  \-on  \"erl<ru|i[iehen,  die  sich 
in  der  allersonderbarsten  StelUmL!  lortbewe^en.  L'nd  "erade  die 
Mrtindunuskunst,  mit  der  diese  l-ortbewe^unu  vermittels  allerlei  Iland- 


/'.  Bruti:lui  </ 


liy.  12S.     Amputierte   und  Kiuppi-l. 

bänkchen,  Stützen  und  kleiner  mechanischer  Hilfsmittel  besorgt  wird, 
erregt  deshalb  unser  Interesse,  weil  wir  in  diesen  \'orrichtu  ngen 
die  Volksorthopädie  jener  Zeit  erblicken  können.  Sein  Xach- 
tolger  ist  der  berühnUe  Baueiii- Hrueghel.  .\uch  \i>n  ihm  besitzen 
wir  derartige  Zeichnungen  in  .Masse.  Das  kleine  Louvrebild  mit  der 
Gruppe  der  gestikulierenden  .\mputierten  (sielie  l'igur  12S)  war  lür 
ihn  eine  Vorstudie  für  das  große  (jemalde  in  Wien:  »Der  Streit 
des  Faschings   mit   den   Fasten.«     Auf   diesem  Gemälde   fmden   wir 


unsere  bewegte  Gruppe  wieder,  außerdem  uoch  eine  ganze  Kriippel- 
allee,  die  zur  Kirche  tiihrt.  Der  Künstlcrschalt  Brueghels  war  es 
vorbehalten,  nicht  allein  den  traurigen,  entsetzlichen  liindruck  dieser 
verstümmelten  und  verkrüppelten  Lebewesen  lür  den  Betrachter  zu 
mildern,  sondern  mit  der  Lebendigkeit  ihrer  sonderbaren  Attitüden 
den  Anschein  zu  verbinden,  als  wenn  selbst  diese  Viertelmenschen 
am  Leben  noch  ganze  l'reude  hätten. 


BLINDHEIT 


Den  Schwierigkeiten  gegenüber,  die  der  Plastiker  hat,  die  Blind- 
heit zur  Darstellung  zu  bringen,  sind  die  des  ALilers  verschwindend 
klein.  Trotz  der  koloristischen  Mittel  ist  aber  auch  hier  eine  feine 
Naturbeobachtung  nötig,  um  eine  reale  Wirkung  zu  erzielen.  \\'ir 
haben  gezeigt,  bis  zu  welchem  (jrade  es  der  antike  Künstler  ver- 
standen hat,  den  erloschenen  Blick  durch  die  Umgebung  des  Auges 
und  die  Haltung  des  Koptes  plastisch  anzudeuten*).  Am  Beispiele 
der  vielfach  erhaltenen  Büsten  von  Homer  konnten  wir  die  ver- 
schiedenen Auffassungen  gegeneinanderhalten.  Lin  \'ergleich  des  im 
Haag  befindlichen  Rembrandtschen  Gemäldes  mit  der  antiken  Plastik 
zeigt,  daß  Rembrandt  in  seinem  Gemälde  weit  hinter  diesen  i^eblieben 
ist  (siehe  Figur  129).  Er  hat  die  Kopthaltung  nicht  berücksichtigt, 
und  vor  allem  auch  die  gewaltige  Faltenbildung  der  Stirnpartie  in 
ihrer  Leidenschaft  und  als  spezielles  x^usdrucksmittel  der  J^lindheit 
vernachlässigt.  Möglich,  daß  Rembrandt  eine  Reproduktion  des 
schwächeren  kapitolinischen  Homers  vorgelegen  hat.  F>  malte  aber 
nicht  den  großen  Epiker  mit  dem  gewaltigen  Innenleben,  sondern 
einen  leidgedrückten,  zittrigen  armseligen  Rabbi,  vielleicht  einen 
Nachbarn  aus  der  Judenbreitgasse.  Auch  die  von  Rembrandt  an- 
gewandten Mittel,  die  Blindheit  zum  Ausdruck  zu  bringen,  sind  an 
dieser  Stelle  dürftig.  Und  doch  ist  es  gerade  einer  der  \-ielen  Ruhmes- 
titel dieses  Künstlers,    mit    einer  geradezu  erstaunlichen   Fülle  reali- 


*)  Siehe  Plastik  und  Medizin  S.  ,^^7  bis  391. 


236  äKäCt!S:«i5!e!:«:«<K!5»:<K'O!!SSi>S>!0fS!<0!i0i<5>iCi  BlINDHKIT  SßiKSstiCiö-SiiO'iCitiS^SiSiKiSiSSiiSiOtSiiSSiißiKiJiiOiiOi 


stischer  Beobachtun<;sl<unst  dieses  Thema  behandelt  zu  haben.  Eine 
seiner  Lieblino-sautyaben  war  die  (ieslaluini!  der  l\)biassaue,  leider 
hat  er  die  Idee  eines  ]^ilderz\ldus  nieht  zur  Austuhrung  gebracht. 
Xur  Skizzen  und  vereinzelte  (ieniälde  sind  uns  erhallen.  Manchmal 
ist  er  rein  konventitinell  wie  zum  Heispiel  in  der  kleinen  Radierung 
(siehe  b'igur  130)  des  Minden  Musikanten;  das  tastende  \'orwärts- 
streben  ist  allerdings  nieisterhalt  durch  die  Korperhaltuni;  ausuedrückt. 


Fie;.  12g.     Homer. 

Mit  wenigen  Strichen  hat  er  ein  andermal  das  Xichtsehenkonnen 
auf  einer  kleinen  Radierung  wundervoll  geschildert.  Der  alte,  blinde 
Tobias  hört  den  Tritt  des  zurückkehrenden  Sohnes;  er  will  ihm 
entgegengehen,  \erlehlt  aber  in  der  Idle  und  Aufregung  den  ge- 
wohnten Weg  und  läuft  gegen  den  Türplosten.  Sein  ihm  entgegen- 
eilendes Hündchen  zerrt  den  P)linden  am  (jewande  und  will  ihm 
den  rechten  Weir  weisen.     Hielt  er  sich  hier  an  die  alttestamentarische 


jOiJKiCiiCtJCiJJtSi'KJCiißStJSiOiSiiKS'i^ieiiOiSiS!!^  Tobias  !{!ä>:iKiSiO!S!iSKXX)!!5<Oi!0>s>:!Ci>KS>iO>!C>!OiSi!S<S!Ot  237 


Erzähluno-,  so  ist  es  charakteristisch,  wie  er  die  weitere  Bibel- 
s:eschichte  illustriert;  hier  wird  er  win  einer  direkt  naturalistischen 
Kühnheit:  »Da  nahm  Tobias  von  der  Galle  des  l'isches  und  salbte 
dem  Vater  die  Augen.  Der  litt  das  tast  eine  halbe  Stunde,  und 
der  Star  ging  ihm  von  dem  Auge  wie  ein  Ilautlein  von  dem  bJ.« 
Rembrandt  aber  malte  unter  gröL^ter  Lichtenttaltung  eine  Starope- 
ration, wobei  der  Engel  dem  Okulisten  die  Hand  iührt.  Zu  diesem 
Gemälde,  im  Besitze  des  Herzogs  von  Arenberg  in  Brüssel,  gibt  es  eine 
Reihe  von  Studien,  welche  Greeft'*)  einer  kritischen  Studie  unter- 
zogen hat  (siehe  Figur  131  und  1^2). 
Dieser  naturalistischen  Tat  gegenüber 
verschwindet  trotz  vollendeter  aka- 
demischer Arbeit  die  Malerei  des  Petrus 
Brande]  (siehe  Figur  134),  die  die  alt- 
testamentarische Geschichte  nach  dem 
Buchstaben   illustriert. 

Es  ist  ein  sonderbarer  Zutall,  daß 
die  unkoordinierte  Stellung  der  Augen, 
welche  dem  Gesichte  den  unruhigen 
Ausdruck  verleiht,  gerade  von  dem 
Maler  mit  großer  \'irtuosität  zweimal 
geschildert  worden  ist,  der  sonst  vom 
Naturalismus  am  weitesten  absteht  und 
seine  Madonnengestalten  in  eine  poeti- 
sche ^'erklärung  getaucht  hat.  Das 
Gemälde  Raffaels  zeigt  den  schielenden  Kardinal  'Fommaso  Inghirami 
aus  dem  Falazzo  Pitti  in  Florenz  (siehe  Figur  133).  Es  liegt  ein 
rechtseitiger  Strabismus  divergens  vor;  die  Haltung,  die  Raflael  dem 
Kopf  gegeben  hat,  mildert  etwas  den  Krankheitszustand. 

Auf  seinem  berühmten  und  letzten  Kolossalgemälde,  der  Trans- 
liguration  aus  dem  Vatikan,    hat  er  in   dem  divergierenden  Schielen 


<%» 


Renil'mniit. 

Fis.  1^0.     Der  blinde  Geiirer. 


*)  Greeff,   Rembrandts   Darstellungen    der  Tobiassage    nebst   Beiträgen    zur   Geschichte 
des  Starstichs.     Stuttgart,  Enke,  1907. 


238  !«j«JSJSSxsi!«>i«'«<KS><KiOtiO>S(<siOt)C>siJKiCi!:<s  Blindheit  äCiiSiStJSJSiSißJCiJOtJSSiSiiSiOtJSKJijSiStiCiiSXJijßsss^JCi 


lies  Knaben   den  allerdings  mißglückten  \'ersuch  einer  Kramplschil- 
derung  gemacht. 

Es  ist  beinahe  selbstverständlich,  daß  ein  Mann  wie  der  alte  Rrue^hel 


Kr/ic/'nuidt 


1-ig.  151.     Tooias  heilt  seinen  Vater.     (Starstich). 


auf  seinen  Gemälden  gelegentlich  l:rblindete  gemalt  hat.    lis  ist  aber 
auch    klar,    daß  er    hier    mit    der    ganzen    l'einheit    seines    Koimcns 


jOiJOtSiJOiKSJCiJöKSSiKSiSiJiKXJOtißiO'iKKSiCiJKiKiSiiKJß  Rembran'dt  i5!«:«!C><S!C>:<o>!S-5!SX»:iSiC>iOt!0!S>:!S«!5iS>:iS  2yj 


charakterisiert,  und  daß  er  selbst  diese  traurigen  Opier  noch  dazu 
benutzt  hat,  um  durch  sie  eine  tragiiainiische  Wirkung  zu  erzielen. 
Die    arößte  Wirkung;    erzielt   er  in    dieser  Hinsicht    aul   seiner  Lein- 


wand   in    Neapel 


gerade    die    Mattiglaat    der    dünn     aulgetragenen 


/i-ü/inn>i r  Z'i'n   Kt'ii/'raudt. 


Fig.  132.     Die  Heilung  des  Tobias. 
Naturstudie  eines  Starstichs. 


Farben    steigert   den   Gesamtausdruck.     Der  Inhalt    des  Bildes   giebt 
die  Illustration  zu   dem  Wort  des  Evangelisten   Lukas: 

»Kann  wohl  ein  Blinder  einen  Blinden  fuhren, 
fallen  nicht  beide  in  eine   Grube?» 

Der  tastende  Gang  der  Blinden,  die  Haltung  des  Kopfes  ist 
dabei  meisterhaft  wiedergegeben.  Line  vielleicht  noch  drastischere 
Auffassung  befindet  sich  in  Basel,  eine  weitere  im  Louvre.  Das 
Hündchen,  welches  den  ersten  Blinden  tührt,  steht  richtig  an  dem 
Steg,  aber  den  Baum,  der  den  Tastenden  den  Weg  zeigte,  hat  ein 
Sturmwind  über  Nacht  abgebrochen,  und  schon  liegen  die  ersten 
blinden  Musikanten  im  Wasser. 


240  äKJSStiSietJSiOiiytStSiiOiiSiKiOii^IJSSiSiStJCSiOiiK  BLINDHEIT  äßJSJßiCSSiiKJOiSiKSS^iKJCiSiiOiiOiiKJCiiJSiiCiißJCtSiSiJOiiK 


Auch  in  der  Serie  der  zwölf  niimischen  Sprichworte  hat  Hruei;hel 
denselben  Gegenstand  ähnlich  behandelt. 

Die  1  lerrnwunder  und  \\iv  allem  die  Ileiluni;  des  Blindgeborenen 
£;aben  die  X'eranlassunii    an    die   Wände    der  Katakomben   Blinde  zu 


Fig.  133.     Portriit  des  Tonimaso  Inghirami. 
(Strabismus  divergens|. 

malen.  Hierdurch  wird  eine  traditionelle  (irundlaye  gegeben,  aul 
der  in  der  Folge  alle  Schulen  stehen,  üine  (Charakterisierung  des 
Blindgeborenen  lindet  nicht  statt.  Die  Szene  wird  in  der  Kegel  so 
gemalt,  daß  Christus  dem  Blinden  die  Rechte  aul  ^'^w  KoiM  oder 
die  Augen   le<n.     Oftmals  erscheint    dabei   der  IMinde    mit  geschlos- 


Loeicy  phot. 


Fig.  154.     Die  Heilung  des  blinden  Tobias. 
Von  Petrus  Brandel  (166S  bis  17.191. 


Holländer,  Die  Medizin  in   der  klassischen  Malerei.     2.  Auflage, 


16 


244  iOtiKSiStiOt'CiiStSiSiiSJCtSiiS-Ci'OiiOiiSJOiJKißSiiK  BLIXDllKn  SKiKiK^iKiCiSiJOtäiiCiiSiKiOtiOiiOiiCi^SiiliieiSiJSJÖJSiß 


Schwerin, 


i-ig.   137.     Der  Okulist. 
Von  c;.  W.  K.  Dietrich. 


.scnen  Augen;    er    wird    zum   Beispiel    aul    dem   (jemalde    des   Lukas 
van  Leiden  von   einem   Knaben  getuhrt  (siehe   l'igiir   136). 

C.  W.  I'..  Dielrieh,  der  s|-)äte  Xaclibeler  Rembrandts,  malte  eine 
Staroperation,  bei  der  die  llakuni;  der  Slarnadel  \\m  Interesse  ist 
(siehe  l-jgur   1 37). 


jßSiiCiiOtiKSiJOissjSJOt-CiiOtJSäiSijSSSSiiO?  Dämonische  Krankheiti  \  SüOtSiiCiiOiiS'SJSißStiiiiCiiSiSJßiK  245 


Eine  summarische  Jk'traclitung  der  künstlerischen  I^hndendar- 
stellungen  lehrt,  daß  man  das  IVoblem  von  zwei  divergenten  (je- 
sichtspunkten  zu  lösen  unternahm.  Hinmal  versuchte  mm  den 
direkten  Weg.  Als  Beispiel  hierfür  diene  »die  Charitas«  von  Schidone 
im  Xeapler  Xationalmuseum.  Der  blinde  Jüngling  steht  da  an 
seinen  Wanderstab  gelehnt  mul  schaut  uns  an*);  seine  Augen  sind 
weit  geöffnet.  Zu  dem  auttallenden  indianerroten  Kolorit  seiner 
Hautfarbe  grifl  der  Maler  ofienbar  um  des  Kontrastes  willen,  denn 
die  Augen  des  Knaben  zeigen  die  naturalistische  Schilderung  des 
weißen  Leukoms.  Keine  Pupillen,  keine  Iris,  nur  das  glasig  ver- 
schwommene Durchschimmern  der  narbenverdeckten  Regenbogen- 
haut. Xoch  kühner  ging  ein  Moderner  \or;  auf  der  internationalen 
römischen  Ausstellung  (1910)  konnte  man  die  Kollektivausstellung 
des  Spaniers  Zuloaga  bewundern.  Der  große  Könner  malte  den 
Star  bei  einem  Zwerge  in  smaragdgrüner  Farbengcbung.  Hs  bedarf 
nun  offenbar  großer  Meisterschaft,  um  eine  solche  Schilderung  der 
Blindheit  zu  wagen.  Diskreter  und  wohl  auch  künstlerischer  ist 
die  indirekte  Charakterisierung.  \'on  dieser  sahen  wir  auf  unseren 
Gemälden  treffliche  Beispiele. 


Ein  Lieblingsthema  der  frühen  Kirchenmaler  war  die  Darstellung 
des  Exorzismus,  und  Legion  sind  die  Tafeln,  auf  denen  der  leib- 
haftige Satan  den  durch  Priesterhand  entsühnten  Menschen  aus 
dem  Munde  fährt.  Diese  Teufelaustreibungen  verlassen  bereits  das 
Grenzgebiet  unseres  Interessenkreises,  und  wir  verweisen  auf  die 
erwähnten  Abhandlungen  Charcots  und  iRichers  über  diesen  Gegen- 
stand. Die  Kraft  solcher  Teutelaustreibungen,  die  schon  Jesus  den 
Aposteln  empfohlen,  ging  auf  viele  Heilige  über.  Zunächst  betrachten 
wir  eine  für  die  frühe  Auffassung  tvpische  Darstellung  (Figur  13X). 
Den  malerischen  Höhepunkt  solcher  Teutelaustreibung  durch  heilige 
Wunderkraft  hat  Peter  Paul  Rubens  in  mehreren  Kolossalgemälden 
geschafien  und  damit  Ignatius  von   Lovola  ein  Denkmal  gesetzt. 


*)  Abbildunc;  siehe  Plastik  und  Medizin  S.  382 


246  sssKiOtißiSissi'eiißißissoiSiiietiCtJCiiOiStiSSSJCS  Exorzismus  iO!!ö<ci!KiKStiCii«iss><s!OiiS!OiJC><>!Ci«jO>siJO>s>s>jC>: 


Dem  einen  in  ^^'ien  hefindliclien  Gemälde,  wird  mit  Recht  nach- 
gerühmt, daß  es  die  Kühnheit  eines  Michehmgeh)  und  d'jn  (ieist 
Shakespeares  vereinigt.  Und  dabei  ist  es  eine  liisiorische  Tatsache, 
daß  der  llandrische  Malerlürst  das  Bild  in  einem  Monat  \ollcndet 
hat.  ]:s  ist  das  nur  so  erklärlich,  daß  Rubens  die  \'orstudien  /u 
diesem  Werke  bereits  erledigt  hatte;  dalJ.  er  solche  in  eingehendster 
Weise  betrieb,  beweisen  die  \ielen  l'.ntwürle  und  Skizzen,  die  sich 
zimi  Teil  in  Wien,  zum  Teil  in  Privatgalerien  (v.  d.  llevdt,  Berlin) 
und  im   l.iHivre  belinden   (siehe  Figur    1  59   und    i  |()). 

Gleichzeitig  hatte  er  tür  den  (ienueser  (iraten  Palknicini  ein 
großes  Gemälde  vollendet,  welches  denselben  (iegenstand  behandelt 
und  jetzt  in  der  Ambrosiuskirche  zu  Genua  hängt.  Auf  beiden 
Cjemälden  werden  Tobende,  nach  damaliger  Auffassung  Besessene, 
geschildert;  den  lliMiepimkt  der  tobenden  \\'ut  repräsentiert  ein 
rasendes  Weib,  welches  von  zwei  Männern  festgehalten  wird,  so 
daß  eine  tvpische  maniakalische  Stellimg  eigentlich  nicht  zum  Aus- 
druck kommt.  Das  \\"iener  Bild  jedoch,  welches  die  große  Maria 
I  heresia  177  (_  in  Antwerpen  aus  der  Jesuitenkirche  erwarb,  zeigt  sich 
sowohl  in  künstlerischer  Tiete  als  auch  durch  Schärte  der  natura- 
listischen iieobachtung  überlegen,  liier  nimmt  die  aus  drei  i'ersonen 
bestehende  Gruppe  der  Tobenden  und  ihrer  Ik'gleiter  dun  grt)ßeren 
Teil  des  Gemäldes  in  Anspruch  und  ihre  Aiiordnung  im  Vorder- 
grimde  ist  vollendet,  lün  M.uin  und  ein  Weib  sind  die  Opter  der 
dämonischen  Konvulsion.  Das  Weib,  ollenb.u-  dasselbe  Modell  wie 
aul  dem  Genueser  Bild,  befmdel  sich  noch  aul  dem  Höhepunkt 
der  Zuckungen.  Jeder  ihrer  Muskeln  ist  in  leidenschattlicher  Be- 
wegung. Vom  Brüllen  ist  der  1  lals  mächtig  angeschwollen,  sie 
rauft  im  Zwange  ihre  Ilaare,  und  Zunge  und  Augen  belmdeii  sich 
noch  in  unkoordinierter  Stellung.  Der  soeben  aul  die  Krde  stür- 
^iende  nackte  Riese  ist  gerade  in  dem  Losungsstadinm  des  Antalls 
begriffen,  und  der  .Maler  hat  diesen  .Moment  gewählt,  um  die  Wirkung 
der  heiligen  Fürsprache  bei  ihm  schon  zu  dokumentieren:  aus  dem 
noch  offenen  Munde  entweicht  soeben  der  Satan  und  \erläßt  unter 
Schwefelgestank  die  Kirche,  in   die  auf  Sonnenstrahlen  die  Fngelchen 


SiS>JSS>S>SiSi!0>iO>JS<0>JSSiSiSi<C!t<0-!0><5i!C>iC>   Pill  i;    Pal  r,   RuBENS   iKSiiC>!C>S>::«iiS!?!'O!!0i!C>Si<J>'S<5!0tS>i0t  247 


Alittart  piiot , 


Fig.  13S.     Die  Wunder  des  San  Antonius  von  Padua. 
\'on  Piet.  Ant.  Mezzasti. 


einziehen.  Und  der  Heilige  selbst  in  o-otteroebener  und  gottver- 
trauender  lialtung,  richtet  das  dankbare  Auge  nach  oben  und  sein 
Blick  verheißt  die  Vollendung  der  Tat. 

Unwillkürlich  regt  dieses  Gemälde,  noch  mehr  wie  die  voran- 
gegangenen, die  l-'rage  nach  der  Ik'rechtigung  solch  krasser,  realisti- 
scher Darstellungen  durch  die  Malerei  an.  Das  ästhetische  Redenken 
gegen  die  bildliche  Darstellung  st)lcher  das  Entsetzliche  und  Un- 
schöne in  höchster  Potenz  repräsentierender  \'orgänge  wäre  berechtigt, 
wenn  es  dem  Kunstler  nicht  gelungen  wäre,  das  Dunkel  dieser 
grauenhaften    Schilderung    durch    die    siegende    Kraft   der   Kunst   zu 


248  äSiOijSiSJOiSi'öiKSiJJisSJOtSKiJiSise  Dämonische  Krankheiten  SKiSiJtSiiO'jCssiJKiOtSiSiSijCtJCtS-JOtiCiiiJiiS 

verklären.  \'on  dem  IleiÜLjen  geht  ein  solcher  Xinibus  aus,  daß 
auch  aus  der  tunuiltuarischen  Szene  heraus  ihm  Zuversicht  und  (iott- 
vertrauen  enti;ei;entlieut  und  das  i;anze  Werk  \ersclioiu.  Dasselbe 
Gefiilil  soll  d<:n  Beschauer  ergreiten.  \Jnd  als  weiteres  milderndes 
Moment  kommt  die  liebevolle  Sorge  der  An\er\vandlen  um  die 
armen  Besessenen  hinzu.  \\  ie  durch  die  siegende  Macht  der  heiligen 
Persönlichkeit  der  ganz  rechts  stehende  Melancholiker  den  Strick 
sich  vom  Halse  löst,  so  beh'eit  das  siegende  (ienie  des  Malers  uns 
von  den  Skrupeln  und  Hedenken,  die  man  von  vornherein  vielleicht 
gegen  die  /ulässigkeit  eines  solclien  Stotles  in  der  bildenden  Kunst 
hegen  könnte.  l:s  kennzeichnet  die  Künstlerschatt  des  Meisters,  wie 
er  die  Autgabe  loste,  traditionelle  \'orschrilt,  religiöses  Bedürtnis 
und  transzendentale  Illusion  mit  einem  gewissen  Naturalismus  ver- 
einigend, lis  ist  \ielleicht  als  Beitrag  zur  Schätzung  zeitgenössischer 
Anerkennung  des  Meisters  interessant  zu  ertahren,  daß  er  tur  jeden 
Tag,  an  dem  er  an  diesem  Bilde  arbeitete,  laut  noch  vorhandener 
Urktinde  zweihundert  Gulden   erhielt. 

Mag  man  so  diese  und  viele  andere  auf  Gemälden  dargestellte 
Konvulsionen  als  die  Schilderung  ärztlich  anerkannter  Krankheits- 
bilder diagnostizieren,  so  schallen  wieder  andere  Künstler  mit  Ireier 
Phantasie,  oder  sie  verarbeiten  einzelne  von  ihnen  richtig  gesehene 
Krankheitssvmptome  zu  einem  als  Ganzes  unmöglichen  Krankheits- 
bilde. So  sahen  wir  schon  in  »Plastik  und  Medizin«  S.  ^78  fi". 
beim  Studium  der  Blindheit,  dal,',  antike  Bildhauer  die  senkrechten 
Stirnfalten  mit  Hebung  des  Koples  als  Blindheitsausdruck  paarten, 
so  die  Lichtscheu  und  I.ichthunger,  Keizung  und  Lähmung  zu  einem 
falschen  Kunstausdruck  \-ereinigend.  Als  'i\v|His  solcher  phantasti- 
scher Stellungen  zu  einem  unwahren  Kranklieilsbilde  diene  des 
großen  RafTael  letztes  Bild,  »die  IVansiiguration«.  Unser  Ausschnitt 
zeigt  den  Konvulsionszustand  des  Knaben,  lüuige  noch  \-orhan- 
dene  Nacktstudien  gerade  dieser  Szene  beweisen,  daß  der  Kiurstler 
sich  die  Sache  wohl  überlegt  hat.  Aber  der  dargestellte  Krarnj^l- 
zustand  ist  eine  Unmöglichkeit.  Die  Haltung  der  überaus  muskulösen 
Arme    lehrt  das  schon.     \'on   den   Händen   betindet  sich    die  eine  in 


Han/staeiigl  /•/toi 


Fi"".  139.     Ignatius  von  Lovola  Besessene  und  Kranke  heilend. 
Von  Peter  Paul  Rubens. 


250  jKäKiCiJSJSStiSJCüStiCtSiiOt-OisKSKjet  Dämonische  Kraxkheitüx  jssiiOiJSiOiJKjOiiOi'eiJSiJiiJisii'JiSiJOiiKiSiOi 

Spasmus.  Dabei  h;it  RafTacl  offenbar  absichtlich  der  Adduktioii  des 
drillen  und  \ierlen  l'ini;ei's  die  lorcierle  Adduklinn  der  andern  genen- 
übers2"cstelh.  Die  zweite  Hand  stein  in  Mittelstenuni'.  Die  Un- 
koordinieriheil  der  Bulbi  kontrastiert  mit  der  vollkonnnenen  L'n- 
bcteiH^uni;  der  unleren  Extreniitälen.  \-.s  ist  kkir,  daL^i  eine  Xicht- 
achtuns::  realer  \'erhaltnisse  an  so  hervorragender  Stelle  den  A\'ider- 
spruch  der  Zünitigen  herausgetordeil  hat.  Sir  C>harles  Ik'll,  Charcot 
und  Kicher  lassen  als  einwandlreie  (uilachler  die  Verurteikuii;  dieses 
falschen  Realismus  in  der  Kunst  in  die  \\'orte:  \ou  den  Tausenden 
von  Stellungsmöglichkeiten  des  Konvulsivsladiunis  hat  Rallael  gerade 
die  einzige  gewählt,   die   unmöglich   ist  (siehe  iMgur    i|i). 

C.'.harcot  vmd  Kiclier  haben  in  ihrer  Studie*)  an  67  Gemälden 
namentlich  aus  der  trühilalieiiischen  Kunst  die  Stellungen  studiert, 
welche  die  Besessenen  einnehmen.  Richer**)  vermehrte  das  Material 
noch  erheblich.  \'ergleichl  man  zum  Ik'ispiel  spätere  Gemälde  mit 
d'jn  Miniaturen  des  eilten  lahrlumderts  aus  den  Manuskripten  des 
Kaisers  Otto  (Ik'sitz  der  Aachener  Kathedrale),  so  linden  wir,  daß 
die  .Maler  in  der  Schilderung  der  hvsterischen  Cerclestellung  der 
Besessenen  einlach  traditionellen  narstdlungen  lolglen  ohne  eigenes 
Xaturstudium.  Solch  hvsterische  Krampfstellung  wird  namentlich 
bei  brauen  mit  einer  Geste  kombiniert,  als  wenn  sie  dun  Dämon 
zum  Munde  heraus  gebären.  Die  brauen  liegen  dabei  in  den  Armen 
von  Personen ,  die  sie  \'on  hinten  stützen  und  das  bjillahren  des 
Dämonen   durch   Druck  aul   den   Leib   beiordern. 

Der  große  Neurologe  Gharcol  hat  alle  diese  gemallen  Kon\id- 
sionen  der  grande  hysterie  im  Detail  studiert  und  in  ihnen  augen- 
fällige Analogien  gelunden  zu  den  täglichen  Beob.ichlungen  in  seiner 
Krankenabteilung.  Sein  .Mitarbeiter  Paul  Kicher  hat  in  geradezu 
genialer  l.inienluhrung  das  Gharakteristische  dieser  Siellungen  lest- 
gehalten.  Wir  müssen  uns  nun  zu  diesen  gemalten  Teufelsgeburten 
noch  die  b.rzählungen  des  I  lilarius.  Augustin,  l'aulinus  hinzudenken, 
w'elche  das  Benehmen  der  Ijcsesseneii  in  der  Kirche  genau  beschreiben. 


•)  J.  M.  Charcot  et  Paul  Richer,  I,es  DOmoniaques  daiis  P.Vit.     IVnis  1SS7. 
*')  Paul  Richer,  L'.Art  et  la  Müdccinc.     Paris  1902. 


Fig.  140.     lynatius  von  Loyola  Besessene  heilend. 
Von  Peter  Paul  Rubens. 


252  JSässsiCiiS'CiJSJKSiiSSiissiJK»:;«  Dämonische  Krankheiten  StStJSJKSi'SiJiiKiKJCSisSiiKJßfKiSiSJKSi 

Sie  laufen  in  Jcr  Kirche  umher,  unildanniiern  den  Ahar,  schhigen 
sich  mit  ihren  Händen,  drehen  den  l\()|i|  im  Kreise  herum,  heugen 
sich  rücklings  mit  dem  Scheitel  bis  /ur  Krde.  Dieser  Bewegungs- 
taumel entsteht  durch  die  Begier  des  gequälten  Dämons,  sich  von 
seinem  \\'irte  zu  trennen,  /ulet/t  aber  Imdet  er  den  Ausweg  aus 
dem  Körper;  bald  durch  d^:n  Mund,  bald  durch  die  Augenhöhlen 
verläßt  der  Satan  sein  C^pier,  aul  diesem  Wege  noch  Spuren  lür  alle 
Zeiten  zuriicklassend,  indem  er  das  Auge  blendet  oder  den  .Mund 
mit  Blut  und  Kiter  lullt. 

Wir  haben  in  der  »Plastik  tmd  .Medi/in«  (Seite)!))  detailliert 
zum  Verständnisse  des  .\lärt\rerkultes  aut  seinen  Zusanmienhang  mit 
der  Antike  hingewiesen.  Wir  wollten  hier  aber  nicht,  wie  dies  Charcot 
und  Richer  vorbildlich  getan  haben,  die  einzelnen  Phasen  der  epilep- 
toiden  Bewegungstormen  schildern,  sondern  wir  verlt)lgten  dabei 
den  medizin-historischen  Zweck  und  wollten  aul  die  unglaubliche 
Verkennung  eines  Krankheitszustandes  im  Mittelalter  hinweisen. 

Wenn  wir  im  ganzen  durch  das  Studium  der  (leschichte  eine 
.Abnahme  der  Krankheiten  mit  der  Zunahme  der  Kultur  und  Zivili- 
sation konstatieren  können,  so  fehlt  dies\'erhällnis  bei  der  Psychiatrie. 
Die  Lehre  von  den  (ieisteskrankheiten  und  ihrer  Beiiandhmg  hat 
eine  Sonderstellung  eingenonnnen  und  zu  ihrem  eigenen  Schaden 
sich  frühzeitig  von  der  Medizin  getrennt.  So  machte  sie  das  Marsch- 
tempo der  allgemeinen  Kulturgeschichte  nicht  mit.  Ilippokrates 
hatte  bereits  in  seiner  meisterhalten  Schilderung  der  kqiilepsie  die 
Gehirnlunktion  erkannt,  und  da  lür  ihn  auch  liir  ps\chische  Stö- 
rungen das  Gehirn  bereits  anerkannter  Ausgangspunkt  war,  so  war 
durch  die  ganze  spätere  Medizin  dieser  somatische  Zusammenhang 
allerdings  mit  großen  Schwankungen  nachweislich.  Obwohl  man 
hysterische  und  melancholische  Zustände  durch  zum  Teil  genial 
erdachte  körperliche  Behandlung  zu  kurieren  bestrebt  war  (man  denke 
nur  an  den  Rutus  von  Kphesus,  der  einen  .Mann  mit  der  lixen 
Idee,  keinen  Kopf  zu  haben,  dadurch  heilte,  dal,^  er  ihm  eine  bleierne 
Kopfbedeckung  gab),  obwohl  namentlich  auch  wieder  durch  (jalen 
das  Gehirn  zur  Zentralstätte  der  Kmpündung  und  Bewegung  erlu)ben 


iOi!Oi<^!0>!5!<siS!0>!OiiO>KS!C»siSis><o>!C«iO!JSS5  FALSCHER  Naturalismus  ssiS'OiJSiKiSiöSiSüSiJKiSJSiSJeiiSi«  253 


wurde,    so    scheint    doch,    daß    im    großen  und  ganzen   die  wissen- 
schaftlichen Ärzte    sich   wenig    um    l'rkranlaingen    des    (iehirns    ge- 


Kaß'at-l  Sanzio. 


l'titikati,   Koni. 


Fis;.  141.     Ausschnitt  iius  der  l'ransliguration. 

künmiert  hahen.  Sie  konnten  sich  dahei  sogar  aui  die  Lehre  des 
Hippokrates  beruten,  der  von  der  Behandlung  chronischer  (jeistes- 
kranker  abriet,  da  die  ärztliche  Kunst  bei  ihnen  doch  nichts  mehr 
vermöge.  Solche  Kranken  werden  dann  auch  die  ständigen  Besucher 
der  Asklepieien   gewesen   sein,    und   der  berühmte  Rhetor  Aristides, 


254  siS!<OtJßx«!S'Ci^iC>s><SJC*!S<siS!C>  Dämonische  Krankheiten  iSSiJßiSJS-ssiißJS'OiJK'öißißiOtJßiii-sse 


der  seinen  ganzen  Schritten  zufolge  ein  ausgesprochener  llvsteriker 
war  und  an  schwerer  Autosuggestii>n  litt,  ist  dalür  ja  als  chronischer 
Heilstättenbesucher  ein  Idassischer  Zeuge,  l^iese  Abschweiihungen 
der  psychisch  Kranken  aber  aul  die  Seile  der  gDllJichen  lleilinstitule 
im  Altertum,  zu  den  l'riesterheihmgeii  luul  zu  den  Marivrern  in 
christliclier  Zeit,  wurde  lür  die  Kranken  \erhängnisvolL  In  gerader 
Richtung  tührle  dieser  WV'g  zu  dem  heil.^en  Interesse  der  Kirche  an  den 
Hexen.  In  ihnen  sah  man  nicht  körperlich  ha-krankte,  sondern  \'er- 
irrte.  die  sich  der  la'rchlichen  \'t)rscln'itt  und  Gemeinschalt  entlremdet 
hatten  und  satanische  Bundesgenossen  geworden  waren,  liine  letzte 
Konsequenz  waren  die  beschämenden  und  schauderhalten  Ilexen- 
prozesse,  die  kiirperliche  Tortur  und  die  Nerbreummg  armer  Kranker 
in   majorem  gloriam   Dei. 

l:s  ist  eine  interessante,  zu  wenig  studierte  Frage*),  wieweil  die 
Arzte  hierbei  die  Schuld  trillt,  die  Kranken  der  priesterlichen  Macht- 
sphäre nicht  entrissen  zu  haben.  Allerlei  kommt  hier  zusanmien, 
was  diesen  peinlichen  Abschnitt  in  der  medizinischen  Kultur-  und 
Weltgeschichte  zu  einem  so  ekelhatleii  und  schauerlichen  Ixapitel 
macht,  daL^  man  diese  Blätter  schnell  umblättern  mochte.  Zunächst 
die  schon  erwähnte  Tatsache,  dal,^  eben  die  Bs\-chiatrie  sich  triihzeitig 
von  der  übrigen  Medizin  absonderte,  sodann,  daß  viele  Mediziner 
gleichzeitig  (derici  waren  und  dal.^  diese  und  der  Kesl  in  meist  ohn- 
mächtiger Abhängigkeit  \on  der  allmächtigen  l'riesterschalt  und  xon 
Rom  war.  Wer  sich  einmal  ein  Bild  xon  der  bodenlosen  Tiele 
jenes  geistigen  Abgrundes  machen  will,  der  möge  in  den  von  den 
Inquisitoren  Jakob  Sprenger  und  Heinrich  Instiloris  \erlaLUen  Ahdleus 
malcficarum**)  einen  banblick  tim.  I:s  wird  ihm  schon  bei  Betrach- 
tung der  Kapitelüberschrillen  mit  den  bis  ins  detaillierteste  aus- 
geklügelten erotischen  bragen  seekraid<  zumute,  und  er  wird  den 
Eindruck  gewinnen,  daß  hier  Sadismus,  .Masochismus  und  perverses 
Sexualempfinden   überhaupt  die  Nollendetsleii  Orgien  geleiert  haben. 


*j  Karl   l'riedrich  II.  Marx,    Über   die  Verdienste   der   .Arzte    um    das  Versdnviiidcn 
der  dämonischen  Krankheiten.     Göttinnen   1.S59. 

*•;  Ins  Deutsche  übertragen  von  J.  \V.  R.  .Schmidt;  bei  H.  Barstorf  1906,  Berlin. 


Die  Opfer  solclicr  kircliliclicn  Jurisdiktion  lieferte  mit  \\'ahrschein- 
lichkeit  in  erster  Linie  die  proteusartige  Hysterie.  Dalür  spricht  aucli 
schon  das  Überwiegen  der  weibhchen  Angekkigten.  Doch  auch 
gewöhnüche  kieberdehrien  überHelerten  gelegentlich  die  Cienesenen 
der  Inquisition  und  der  Tortur.  Und  Nor  allem  darl  man  nicht  ver- 
gessen ,  daß  sich  unter  den  ewigen  Anklägern  wiederum  allerlei 
Geisteskranke  befanden,  die  ihre  Sinnestäuschungen  und  Wahnideen 
mit  Überzeugung   beschworen. 

So  ist  es  kein  Wunder,  wenn  die  mittelalterlichen  Kollegen  ganz 
im  Banne  dieser  traurigen  Verirrung,  welche  die  Feulelseinwirkung 
als  Generalätit)Iogie  von  Erkrankung  anerkannte,  standen.  Man  stelle 
sich  nur  vor,  daß  selbst  Luther  die  W'echselbälge  und  Kielkröpte 
aus  dem  Umgang  der  Hexen  mit  Dämonen  hervorgehen  liel.^,  und 
daß  ein  Mann  wie  Ambrois  Pare  Zauberer  und  Hexen  noch  als  mit 
dem  'Leutel  im  Ikmde  erklarte,  und  ihre  Sinnestäuschungen  als 
Vorspiegelung  böser  Dämonen. 

Wilhelm  Adolf  Scribonius,  der  Helmstädter  Professor,  empfahl 
im  Jahre  i3(So  noch  beim  A'erdachte  der  Hexerei  das  l:xamen  per 
aquas,  das  heißt  die  Wasserprobe!  Der  ziemlich  aulgeklärte  Felix 
Plater  (1316  bis  1614),  der  den  ersten  \'ersuch  zu  einer  Klassifikation 
der  Psvchosen  gemacht  hat,  schrieb  noch  die  Melancholie  der  Ein- 
wirkung des  Teufels  zu.  Solchen  Ärzten  gegenüber  gab  es  zahlreiche 
Geistliche,  liberale  Prediger,  denen  die  mit  \Ltchtvollkonnnenheit 
ausgestatteten  römischen  Inquisitoren,  die  ihren  Kirchenbezirk  beun- 
ruhigten, un^eleiien  kamen.  Beweis  dafiir  ist  schon  die  \'orrede  zum 
Hexenhammer.  »Und  weil  einige  Seelsorger  und  Prediger  des 
Wortes  Gottes  (verbi  dei  praedicatores)  öffentlich  in  ihren  Predigten 
an  das  V'olk  zu  behaupten  und  zu  versichern  sich  nicht  scheuten, 
es  gäbe  keine  Hexen   usw.«   .   .   . 

Den  Ärzten  war  im  Gegenteil  der  Dämonenglauben  vielfach  ein 
bequemer  Bimdesgenosse.  Gelang  eine  Kur  nicht  der  allgemeinen 
Erwartung  entsjirechend  oder  passierte  während  der  Behandlung 
etwas  Unvorhergesehenes,  so  holte  man  aus  der  Tasche  die  Ausrede 
hervor,  daß  hier  etwas  nicht  richtig  sei  und  daß  es  selbst  ärztlicher 


256  SSiSJOtSiiKJßJSStSiiCiiiSiSJßiOiSiiSiOiJKiCi    GkSICHTSTUMOREN   SXiCiS'iKSiiSJCiSiiOtSiiSJCietSiSiißSi'Ci-CiiSJÖiß 

Kunst  nicht  gelänge,  gegen  teuflische  Tücke  an/ukäinplcu.  Ahcr 
solche  Ausrede  ist  bedenklich  und  all/.ulcicht  dreht  der  Aberglaube 
den  Spieß  um;  bei  auttallend  gunstigen  1  kalerlolgcii  und  über- 
legener ärztlicher  Betätigung  schnüffelte  das  Publikum  und  der 
minderbegabte  »Kollege«   nach   nekromaniischer  Kunst. 

Das  Fiasko,  welches  die  llexeiiprozelÄler  14S5  in  Innsbruck  er- 
lebten, wo  der  Bischot  von  i^rixen  den  Heinrich  Institoris,  ^.Icn  ver- 
antwortlichen Redakteur  des  I  lexenhanuners,  energisch  zum  Lande 
hinauskomplimentierte  und  ihn  lür  kindisch  erklärte  propter  Senium, 
schlug  bald  leider  in  einen  unerhörten  Kriolg  um.  In  dem  beuer- 
werk  \on  hunderttausend  Scheiterhauten  ollenbarte  sich  bald  die 
Bedeutung  des  llexenglaubens,  der  wie  eine  Epidemie  die  Gemüter 
inii/iert  hatte. 


GESICHTSTUMOREN 

Auch  der  naive  Besucher  einer  dalerie,  aut  den  zuletzt  soviel 
Scln)nheit  und  barbenpracht  keinen  bdndruck  mehr  macht,  bleibt 
plötzlich  wie  angewurzelt  stehen  vor  einem  Porträt,  das  mit  Naturalis- 
mus ein  schweres  Gesichtsleiden  schildert.  Allerlei  kragen  und 
Zweifel  drangen  sich  zusammen  imd  in  irgend  einer  Phrase  macht 
sich  dann  das  Erstaunen  Eul't.  Weshalb  lalk  sich  ein  derartig  Ent- 
stellter malen,  weshalb  korrigiert  der  Maler  nicht  den  Schaden r 
Wozu  diese  Schaustellung:  Solche  Porträte  mit  offenkundiger  Krank-- 
heitsschilderung  (Hasenscharlen,  Tumoren  usw.)  sind  selten.  Das 
liegt  einmal  im  \\T\sen  des  Porträts  begründet.  l)t)ch  noch  ein 
Punkt  von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung  verdient  hier  eine 
Berücksichtigung:  der  Bilderhandel.  Im  Laufe  von  |ahrluuiderlen 
haben  die  Bilder  meist  den  Besitzer  gewechselt,  und  da  Porträte  mit 
Pfundnasen  oder  Hasenscharten  schlecht  verkäullich  sind,  so  wird  die 
Nase  oder  der  sonstige  Schaden  xom  Restaurator  hübsch  repariert 
und  die  medizinische  Kunstgeschichte  ist  um  ein  inleressanles  Ob- 
jekt ärmer,  (jelegentlich  kommt  dann  beim  Waschen  der  Tafel  nüt 
Alkohol   das  alle  Original   wieder  zum   \'orschein. 


!CiSSJSi>:iItJOtiCiiCi!!XKSJSS>S!iS!0>K^JO!SXSiS!JJiiCiii5    KlHNosKi.EROM    SOtKXKXißJSJKiKJOiStJOiJSJOiJOiiliSiiOiiOiieiJOtJOi  2-^7 


Nach  alledem  erscheint  es  heinahe  als  aiillallend,  daß  wir  trotz- 
dem eine  Reihe  hervorragender  Porträte  aus  der  ^uten  Zeit  besitzen 
mit  rücksichtsloser  Schilderunt;  des  Khinophvni.  ])a  ist  zunächst 
das  berühmte  (jemälde  ( jhirlandajos  (higur  ip);  das  Schwer- 
mütige im  Ausdrucl';   des  (iroßvaters  ist  durch    das  Leiden    verstand- 


Fiy.  142.     Portrat  (Rhiiiosklerom). 
Von  Ghirlaiul:ijii  (1-14Q  Ijis   i4Q>i). 


lieh,  das  entzückende  Kinderprolil  und  die  liebevolle  llandhaltung 
des  l-Jikelkindes  hat  der  Maler  ot]:enbar  nicht  des  Kontrastes  wegen 
auf  das  Bild  gebracht,  sondern  auf  \\'unsch  des  Alten,  um  anzu- 
deuten, daß  das  Leiden  nicht  erblich  ist.  Der  Knoten  an  der  rechten 
Stirn  ist  vielleicht  als  Metastase  autzulassen. 

Das  Gemälde  des  Hans  Ilolbein  aus  dem  l^rado  stellt  einen  sonst 
unbekannten  ALinn  vor  mit  stark   gerötetem  Ciesicht,    dessen   lange 


Holhioder,    Die   Medizin   in   der  klassiichen    Malerei.      2.  Auflage. 


17 


258  sj(ä>:!C*!(Sic>s<<c>:si<c>:!ß!ßs>i>:JS<>:ißi!>:5C>:<s  Gesichtstumorex  äCiSiiSis^S'iOtSKSiSiJSJSiCi'OiSiJSjßieiiSiOtiCtJCt 


Nase  in  luiollii^e  'ruinorcn  aulgelöst  ist;  es  läLk  sicli  nicht  ent- 
scheiden, oh  nachher  hier  Retuschen  angebracht  sind,  oder  ob  die 
malerischen  \'ersuche,  durch  l-'arbeiinnttel  das  Linästhctisciie  des  An- 
bhcks  zu   mildern,   vou  llolbein*)   SL'lbst   herrühren;   ich   habe   in  der 


Fig.  1.13.     Porträt  (Rliinophvni). 
Von  Hans  Holbein  d.  J. 

Nach  einem  Kolilcdruck  von  Braun,   CK-mcnt  i't  t.'o.     Doiiiach  i,  E.,  Paris,  New  \'ürk. 

Erinnerung,  als  ob  an  dem  (icmalde  nachträgliche  L  bcrnialungen 
vorgenommen  sind.  Das  ist  jedenfalls  auch  der  lall  bei  dem  Bilde 
der  primiti\eii  holländischen  Schule  im  Amsterdamer  Keichsnuiseuni, 
dem  Porträt  des  Ironnnen  Ritters  \'on  Naaldwvk'.  Dagegen  völlig 
intakt  scheint  das  hervorragende  Porträt  eines  unbekannten  Mannes 
im   Pelzmantel   mit   Rhinosklerom    (siehe  J-igur    1  |  | )    in   Stockholm. 


*)  Neuerdings  wird  das  Gemälde  Dürer  zuyesclirieben. 


äKS«KSii0i-C!SiS>iK!>!0»S!e!S?Si5*XS<KS><S<SSi<0t!«!C5RHIXOPHYi  sOiiKJKiKSiiCtiCiJSJOiJSJOtStiOiSiiOiiOiJKSiiOiiliSeSS  259 


Das  Material  solcher  pathologischer  Porträts  hat  sich  seither 
erhebüch  vermehrt.  Doch  bin  ich  Jer  Ansicht,  daß  eine  Häutung 
solcher  Schilderungen  nur  einen  geringen  medizin-historisclien  Wert 
besitzt,  und  ich  verzichte  deshalb  aut  ihre  Wiedergabe,     hii  übrigen 


Fig.  144.     Bildnis  eines  Unbekannten. 
Holländischer  Meister. 


werden  diejenigen  Kollegen,  die  mit  größerer  Vorliebe  Krankheits- 
zustände  auf  der  Leinwand  diagnostizieren,  später  noch  Gelegenheit 
haben,  scjlches  zu  tun,  wenn  sie  sich  als  Konsulenten  den  Kranken- 
besuchen anschließen.  Zuvor  aber  zeigen  wir  noch  die  elephantiasti- 
schen  Hautveränderungen  einer  grotesken  Darstellung,   die  angeblich 


26o  sßStSiJSSiiSSiStSiJSJSJßiSiOüSSi  KrANKHEITSSCHILDKRUNGEN  äOSäöJCiJSiKiCiJSSiStStiSJCiSKiöSiJCiüSiliJS 


\(.itcl/ciclinung 


der  Iland    des  Lionardo    da  \'inci    entstammt.      Die 

wurde    später    radiert    und    i;anz  zweckmäßig   zu    eiiKin   l\)rträt    der 

Margarete  Maultasch   verarbeitet  (siehe  iMgur    i|)). 


Wir    besehließen    dieses   Kapitel    mit    einigen    ausgesuchten  (ie- 
malden   dieser  Art.     Zunächst  ein  J-SHck-   in   ein   itahenisches  ]\ranken- 

liaus     des     sechzehnten     Jahr- 
hunderts. 

l:s  ist  ein  (iemälde  des 
branzoscn  Simon  Wniet  (1382 
bis  16  |i),  der  mit  Geschick 
Tizian,  Waonese  und  Reni 
nachahmte.  Das  Bild  befindet 
sich  im  IV'sitze  des  Herrn  Pro- 
fessor \\\  A.  l'reund  in  Ik'rlin. 
.Man  weiß  genau,  daß  Vouet 
im  Sankt- h)hann-Hospital  in 
W'uedig  gemalt  hat  und  als 
Protege  des  späteren  Papstes 
Harberini  eine  Anzahl  Kardinäle 
porträtierte.  Die  gemalte  Szene 
verdankt  diesen  beiden  Um- 
ständen ihre  Entstehung.  Auf 
einem  Ruhebett  liegt  ein  schönes  Weib  in  gelbseidener  Gewandung 
in  Tizians  (jeschmack.  Sie  dreht  sich  aul  die  Seite  und  zeii^t  einen 
stark  geschwollenen  büß  mit  \ielen  listelgän^en.  Das  Hein  \er- 
breitet  einen  abscheulichen  (icruch,  so  daß  die  Pflej^crin  sich  die 
Nase  zuhält.  Der  Arzt,  wohl  ein  Porträt,  in  griechischer  (jewan- 
dung  mit  Sandalen  an  den  nackten  1-üßen,  hat  soeben  seinem  Pesteck 
die  Sonde  entnonnnen.  Der  ominöse  Gesichtsausdruck  des  Kollegen 
bestätigt  unsere  Indikationsstelluni;;  hier  hilft  nur  radikales  \'or- 
gehen.  Die  uni;lückliche  Iran  wendet  sich  trostheischend  an  einen 
GeistHchen  oder  an  dessen  lauste,  welche  die  charakteristischen  Züge 


l'ig.  145.     Rotulzciclinuiii^  angcbficli  des 
Lionardo  da  V'inci. 


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262  äKJSißißJSSÄäSSiiSiiS'KSiSiSiiOie'JCSißiOiiKJKäS   PSYCHOSI     iKSSiSiKiSStSiS'iSJOiJSiCtiSSiSiiSißiKJSJOiiS'CtSiSiäS 


des  Kardinals  15orrnnnius  träi;t  (l'igur  146).  -  Hs  existieren  Zeich- 
nungen und  Entwürle  zu  diesem  Bilde,  welche  in  der  Icono^raphie 
de  la  Salpelriere  veröffentlicht  sind*). 

Bei  dein  Kapitel  der  (jeister-  und  'reulelsbescliwörun^en  werden 
wir  noch  (ielegcnheit  haben.  Tobende  und  Rasende  kennen  zu  lernen, 
aber  den  .\usdruck   \\)llendeister  Psvchose  linden   wir  aut  dem  Ge- 


Fig.  1^7.     P.irasit:irc  Haiiierkiankung. 
Schule  des  .Xdiian  vaii  (Jstade. 


malde  des  Mystikers  .\nlon  Wien/  (li.^ur  i  pS).  Wir  erwähnen  die 
Arbeit  des  belgischen  Malers,  trotzdem  sie  der  Zeit  nach  nicht  hier- 
her gehört,  weil  wir  uns  keines  Bildes  erinnern,  aui  dem  seelische 
\'ervvirrungszustände  eine  solch  wahre  Wiedergabe  gefunden  hätten. 
Dabei  ist  das  Bild  ein  Tendenzstück.  da  es  ein  gemalter  Protest  ist 
gegen  die  Ablehnung  des  Gesetzentwurfes  über  die  Errichtung  der 
Findelhäuser. 

Als  Reminiszenz   oder  als   Hinweis  aul   die  ziemliche   \'erLuist- 


*)  Mcnry  Meigc,  Quelques  Oedemcs  dans  I  Art.     1903. 


SiiKSi!Ci>5!i5!i0>!CiiSi0is>ssi0>i5!<Sjjii0i!C>iSJ0>:!{!Si        Parasiten  !KötSSißjj!!«>iKS!)etJSj«»!!5>:!0iiKiOi!ei<C!!CS!0i!0t!K  2G-^ 


heit,  gleichzeitig  auch  ein  Dolvunieiu  des  Geschiiiacl<es  \'ergangener 
Zeiten,  möge  die  ake  K()[iie  des  (jemäldes  aus  dem  l'iado  dienen. 
Diese  ersten  Anfänge  der  Parasiteni<unde  trafen  auf  ein  iatro- 
mechanisches  Geschlecht.     Sollen   wir  wenigstens    den    \iellach   ge- 


Fig.  14S.     Walmsiiin. 
Von  Anton  J.  Wiertz. 


malten  Szenen,  ich  erinnere  nur  an  die  Gemälde  von  Murillo,  Rem- 
brandt,  Ostade,  Terborch,  Dow  usw.,  Glauben  schenken,  so  war  die 
mechanische  \'erfolgung  der  Parasiten  eine  beliebte  Handfertigkeit. 
Wir  brachten  seinerzeit  das  Gemälde  mit  der  ironischen  Unterschrift 
und  ergänzten  dasselbe  in  der  Satire  (S.  141  fl.)  mit  dem  Gedanken, 
daß  wir  von  unseren  akademischen  Rockschößen    die  Beschäftigung 


264  iKiSäSi:ississiJS!Kii>ss^iS3:isi>:icsiCSiK!0ii;«iS!yi  Parasiten  K{!C!<oi!Cii;!iS!;!!>:^^<;ii:i<(si:siesic>!C>:iSi:;3:tiKs:s!C»:!0!iK 

niil  diesem  kleinen  Ungeziefer  nicht  abschülleln  können.  Wir  Irculen 
uns  im  stillen,  aut  die  mechanische  Therapie  hingewiesen  zu  haben, 
und    sind    doch    schwer    verkannt    wurden.      Dieses    (iemalde    soll 


lig.  I4y.     Die  Kranke. 
Von  G.  Metsu. 


Ktiisi-r-Frit-tirzcJiMusi-uni,   Ilt-riin . 


einer  der  \'ielbeweise  dafür  sein,  daß  namentlich  das  siebzehnte 
Jahrhundert  vor  solchen  Darstellungen  nicht  zurückschreckte  und 
daß  Gemälde  dieser  Art  gern  gesehen  und  gekautt  wurden.  Hier 
genügt   der  Hinweis,  daß  entsprechend  ilen  allgemeinen  hvgienischen 


Verhältnissen  die  \'erlaustheit  eine  ganz  enorme  gewesen  ist.  Es 
existieren  zahlreiche  iunblätter  mit  der  Übersehritt:  »Der  Weiber 
Floh-Scharmützel«,  j's  sei  daran  erinnert,  dal,^  ein  Papst  Sixtus  das 
Ungeziefer    nn't    dem    Kirchenbann    bedrohte    und    daß    die    Lebende 


/Yatig-,   Gaifric  iVc 


Fig.  150.     Das  hebernde   Kind. 
Von  l'i.  Metsu. 


besonders  unsympathische  und  unbeliebte  Persönlichkeiten,  wie  den 
Christenvertolger  Merodes,  den  \'andalenkönig  Hontirius,  Philipp  11., 
an  der  Phthiriasis  sterben  ließ.  Von  diesen  legendären  l'odes- 
arten  haben  später  xMaler  hin   und   wieder  historische  Gemälde   ent- 


266  jsjsstSissiSJSiCtSissißSiJSiOi'eiisieiißJSüsstiOt  G.  Metsu  äSjßiSiKiKJSJOi^ssiSiSijßißJCiiCiiiiS'K^'CtiSiiSiSißiS'Ci 


worfcn.  ^^'i^  witllcn  jcdocli  auf  diese  Phantasicstückc  lieber  nicht 
eingehen.  Zum  Schhiß  kehren  wir  wieder  zum  Anlange  zurück  und 
freuen  uns  an  zwei  jener  einlachen,  mit  schh'chter  Xatürhchkeit  und 
großer  Innigkeil  gemaken  demäklen.  die  den  lh)lkuulern  aus  dem 
Herzen   kamen   und   uns   nucli    heute  zum    Herzen   sprechen. 

Jüne  Neuerwerbung  des  Kaiser-hriedrich-.Museums  stelh  das  Bild 
von  Metsu  dar:  '>l)ie  kranke  Frau«.  Auf  ihrem  l.elmstuhl  sitzt  sie, 
so  blal,^  beinahe  wie  die  weilkMi  Kissen,  die  Lippen  etwas  zyanotisch, 
die  Augen  leicht  \\irgetriehen ,  die  Lider  odematos.  Die  Dienerin 
mit  jenem  tvpischen  hunderttaltig  gemalten  Korbchen  aus  Bast,  nach 
dem  ich  in  zwanzigjährigem  Suchen  vergeblich  fahnde,  kommt  eben 
vom  Arzte  zurück.  Lud  wir  können  aus  dem  ganzen  Anblick  sagen, 
dai.'i  er  ebensowenig  erfreulich  ist,  wie  der  Bescheid  des  Doktors 
nach   der  L'rinschau. 

Ein  Gegen.stück  hierzu  bietet  das  kleine  Gemälde  desselben 
Meislers  aus  der  Galerie  Sleengracht*).  Mit  einfachen  Mitteln,  ein- 
tönigen Silbertarben,  geringer  Staffage,  erreicht  der  Maler  das  Llöchsie: 
den  Ausdruck  seelischer  Erregung,  lebendiger  Besorgtheit  und  zärt- 
lichster Mutterliebe.  Der  Knabe,  der  Mutter  wie  aus  dem  (lesichte 
geschnitten,  liegt  ihr  auf  dem  Schöße,  schlaf!,  ohne  Lebenslust,  mit 
geröteten  Wangen.  X'orhin  spielte  er  noch  draul.'.en  an  der  Gracht 
mit  Altersgenossen  Seemann!  Jetzt  hängen  die  Mügel.  und  die 
Mutter,  der  beste  Doktor,  braucht  nicht  erst  den  Puls  zu  fühlen: 
das  Kind  fiebert  und  muß  zu  Bett;  morgen  wird  es,  so  hdflen  wir, 
wohl   wieder  gesund  sein   (bigur  130). 


•1  Das  Bildchen  wurde  kürzlich  lici  der  .\uflösun<j  dieser  für  350000  Mark  verkauft. 


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INNERE  MEDIZIN 


um  W'rständnis  der  folgenden  Gemälde  ist  ein  kurzer  Rück- 
blick aul   die  Entwicklungskurve  der  ärztlichen  Kunst  bis 
zum    siebzehnten    Jahrhundert,    der    lintstehungszeit    der 
Mehrzahl   dieser  Bilder,  geboten. 

Der  Medizin  erblühte  inmitten   hellenischer  Kultur  ein  gt)ldenes 
Zeitalter.     Die  ärztliche  Wissenschaft    hatte    nicht    nur    mit   anderen 


'  'i^^:>iaLi!ihuiIlflit^   hlcinl'ilirlt'y    Kim  '^t  !U 

Fig.  151.     Dur  Arzt. 
FresUenrest  vom  ersten  Totentanz  in  Basel. 


Künsten  gleichen  Schritt  gehalten,  sondern  das  frühe  Auftreten 
großer  Männer  hatte  dem  normalen  Entwicklungsgang  ein  beschleu- 
nigtes Tempo  gegeben.  Namentlich  die  hippokratische  Schule  deckte 
den  Tisch  so  reichlich,  daß  sich  Jahrhunderte  von  ihm  nähren 
konnten.  Der  frühere  Gladiatorenarzt  \o\\  Pergamus,  (jalen,  faßte  in 
seinem  großen  Werke  die  Weisheit  der  Vorgänger  noch   einmal   um 


268  ssiS'CS'CSjCüJöSüJCSSiJSJSStXSJßißiCiiSiüSiSjCS  Innere  Medizin  jßSKSiiSiSJCiiO'JKSsS'JSJCssS'CiiSJSiCiSs'JSS'Si'eiSi 


die  Mitte  des  zweiten  nachchristlichen  Jahrhunderts  zusammen.  Kein 
Gebiet  der  großen  .Medizin  hheh  dahei  unheaclitet  und  uni;eÜ)rdert. 
Die  Galenische  Medizin,  der  l'Atrakt  der  Kenntnisse  des  klassischen 
Altertums,  wurde  zum  medizinischen  Talmud  lür  das  n.mze  Mittel- 
alter. Die  nachualeiiischen  Meisler  sind  im  wesentlichen  nur  noch 
cnzyklopädistisch  tätii;,  unter  ihnen  im  \ierten  [ahrhundert  der 
Pergamener  Oribasius,  der  Leiharzt  von  Julianus  Apostata.  Das 
vielleicht  legendäre  Geschehnis  \on  der  Sendung  des  Leibarztes  an 
das  delphische  Orakel  ist  tur  mich  der  s\nibolische  Abschluß,  das 
definitive  Ende  der  antiken   Geistesrichtung. 

Julianus,  berauscht  von  der  einstigen  Größe  der  antiken  Welt- 
auttassung,  wollte  der  olvmpischen  Götterdännuerung  Einhalt  gebieten 
imd  d^n  \"ertall  der  'Lempel  hindern.  D,\  sandte  er  seinen  Ireund 
und  Leiharzt,  den  Meister  Ürihasius,  an  das  delphische  Orakel,  wohl 
weniger  um  Belehrung  und  Rat  zu  holen,  als  um  weithin  der  Welt, 
die  schon  in  den  Spuren  des  Menschenerlösers  wandelte,  ein  Mammen- 
zeichen  zu  geben  daiür,  daß  Apollos  delphische  Weisheit  noch 
(ieltung  habe.  Aber  der  apostatische  Christenkaiser  holte  sich  statt 
der  erwarteten  Lorderung  eine  unerwartete  Antwort.  Pvthia,  welche 
schon  zu  Llutarchs  Zeiten  aufgehört  hatte,  in  Versen  zu  orakeln, 
erk'lärte  dem  Oribasius  rundweg,  daß  das  Orakel  von  jetzt  ab  \er- 
stummt  sei.  Die  Tempeltür  zu  dem  berühmten  göttlichen  Schlangen- 
dreiluß,  der  einstens  das  wirkliche  ALtchtsvmhol  einer  erdgeborenen 
antiken  Göttermacht  gewesen,   war  auf  ewig  verschlossen. 

Nun  ging  es  an  ein  schnelles  W-rgcssen.  Die  nächsten  Jahr- 
hunderte bedeuten  den  tiefsten  Stand  der  medizinischen  Disziplin. 
Selbst  die  LJ'innerung  an  einstige  (irolk'  war  \-ollkommen  ver- 
schwunden, ganz  abgesehen  davon,  daß  an  einen  Xeuautbau  des 
in  Trümmern  liegenden  Baues  gar  nicht  zu  denken  war.  Der  einst 
so  reine  und  reiche  Quell,  der  durch  allerlei  /ulluß  zu  einem  Strome 
angeschwollen  war,  drohte  schon  ganz  im  Sande  zu  verrimien.  Die 
Mönchsmedizin  war  der  letzte  armselige  Ausläufer  der  römischen 
Heilkunst.  Da  erstand  ein  neues  Licht  in  diesem  Dunkel,  welches 
gleichzeitig   aus   lernem  Osten   und   Westen    aul leuchtete.     Die  ara- 


iS?KiK!0i!Ci<S!0i<S!K<S!S<0>!C><>JC«<5>!viS>?>JC?S>S>!0>S!i><^^  Pils  JSiKSiiCiiSJOiiCiiOtiCiiJiSßiSS^JOiiOtSiSXiCiSiSiSiSiiSiß  26<j 


bische  Medizin,  die,  mit  Khazes  beginnend,  bis  in  das  dreizehnte 
Jahrhundert  bhihte  und  im  13eginn  des  eh'ten  Jahrhunderts  imter 
Abul  Kasim  und  dem  berühmten  Avicennu  ihre  dhmzzeit  erlebte, 
hat  das  Linsterbhche  W'rdienst,  neben  Erhaltung  und  erneuter  Über- 
mittlung der  Griechenkunst  an  die  abendländische  Kultur,  Diät, 
Chemie,  Pharmakologie  gefördert  zu  haben,  und  dabei  in  der  Oph- 
thalmologie und  Chirurgie  erhebliche  Neuleistungen  aufzuweisen. 
Die  Schule  von  Salerno,  eine  zunächst  von  arabischer  Medizin  unab- 
hängige Gründung  einer  Ärztegilde,  die  sich  unter  b'riedrich  II.  erst 
zu  einer  richtigen  Universität  auswuchs, 
stellte  sich  bald  unter  den  dominieren- 
den Einfluß  der  arabischen  Gelehrten. 
Der  Mönch  Kcmstantinus ,  mit  dem 
stolzen  Xamen  Africanus,  vermittelte 
durch  seine  eifrige  Übersetzertätigkeit 
die  Weisheit  der  arabischen  und  grie- 
chischen Schriftsteller. 

Die  Gründung  der  Salerner  Schule 
verliert  sich  in  das  neunte  Jahrhundert; 
schon  in  das  Jahr  la.Se;  fallt  die  (Grün- 
dung der  Universität  Montpellier,  welche 
von  da  an  eine  Konkurrentin  Salernos 
wurde.Vorher  waren  aber  bereits  1 123  die 
Universitäten  Bologna  und  Paris  gegründet  worden,  denen  sich  in  dem 
nächsten  JahrhundertWien,  Heidelberg, Würzburg,  Leipzig  anschlössen. 

Der  Born  für  ärztliches  Wissen  des  Mittelalters,  den  der  Legende 
nach  ein  Grieche  Pontus,  ein  Araber  Abdallah,  ein  Jude  Elinus  und 
ein  Lateiner  Magister  Salernus  zu  einer  Quelle  gefaßt  hatten,  wurde 
zur  Alma  mater  des  Mittelalters  und  die  Arzte  des  Abendlandes 
pilgerten  dorthin,  imi  die  arabische  Weisheit  zu  studieren.  All- 
mählich verklang  der  Ruhm  der  Schule  von  Salerno,  das  einstmals 
das  medizinische  Rom  gewesen.  Nichts  mehr  erinnert  heute  an 
einstige  Größe,  und  ich  konnte  mir  nicht  einmal  die  Stelle  zeigen 
lassen,  wo  einst  die  Medizin  gelehrt  wurde. 


Fig.  152.     pLilsfühlcn. 


270  sß!0>ißSis>s>:!0!>K<S!0>s>s*!S!CSS>!0!iKSiiS!ß  Innere  Medizin  JKSt-ciiß-ssiSiiSStiSiß'eiCiißiCiJOiJOiSiiSißSijjiSi 


Zwei  Dinge  waren  es,  aut  die  die  arabische  Medizin  last  ihre 
ganze  Diagnoslik  baute,  die  Lehre  \om  Pulse  und  die  Urinschau. 
Aus  der  Reschallenheit  derselben  erprobten  sie  der  Kranken  und 
Gesunden  l.ebenssalle,  und  aus  ihnen  zogen  sie  selbst  die  eigene 
Lebenskralt.  Das  erstrebenswerte  Ziel  der  arabischen  Kunst  war 
die  .Meisterschalt  in  der  ärztlichen  Semiotik  und  die  .Mittel  hierzu: 
Pulsluhlen  und  L'roskopie;  diese  leicht  darstellbaren  Künste  \er- 
drängten  "aus  (iründen  der  Ausdruckslahigkeit  die  anderen  beiden 
Leistungen  der  arabischen  Medizin,  die  Diätetik  und  die  Arznei- 
mittellehre. Die  (jeste  des  Urinschauers  in  allererster  Linie  wurde 
iür  den  Arzt  charakteristisch.  Wie  der  heilige  Rochus  nicht  ohne 
Pestbeule  oder  der  heilige  Laiu-entius  nicht  ohne  Rost  denkbar  ist, 
so  war  die  Urinscliau  Iür  di^n  .A.rzt  ein  charakteristisches  Attribut, 
so  selbstverständlich  wie  dem  Kinde  heute  das  Hrtordernis  erscheint, 
dem  .Arzte  die  Zunge  zu  zeigen.  Und  da  innnerhin  die  'Lradition 
die  .Menschenalter  überdauert,  so  linden  wir  die  Darstellung  des 
harnschauenden  Arztes  bis  weit  liinein  in  jene  Zeit,  in  welcher 
das  Dogma,  dal,^  der  Harn,  nach  Aussehen,  l-'arbe  und  Reschaiien- 
heit  richtig  betrachtet,  dem  Arzte  auch  ohne  sonstige  Krankenunter- 
suchung untrügliche  Direktiven  geben  kcmne,  längst  seine  über- 
zeugende Kralt  verloren   hatte. 

Es  kam  zur  Popularität  der  Harnschau  noch  hinzu,  daß  auch 
die  nicht  direkt  medizinischen  Lehrbücher,  die  massenhalt  gelesenen 
und  gekauften  (jesundheits-  und  Kräuterbucher  sich  mit  dem  degen- 
Stande  befal.Uen.  Meist  folgt  in  diesen  »lkTbar\-  oder  (iarten  der 
Gesundheit«  genannten  Kräuterbuchern  tlen  tlierapieutischen  Ab- 
schnitten zum  Schluß  noch  ein  l\a[">itel  \'om  Harn,  liier  wird  in 
allen  Xuancierungen  mutig  drauUos  diagnostiziert  und  eine  .Sehein- 
wissenschaft autgebaut,  die  nur  zum  kleineren  Leil  aul  nesunder 
Empirie  fußen  konnte.  Die  Lanleitung  zu  einem  solchen  Ka|-)itel 
sagt  mehr  wie  alle  Beschreibung  (einigermaßen  \erdeutscht) :  »In 
den  vorgenannten  Kapiteln  lindest  du  Anweisung,  wie  man  Rat  mag 
geben  wider  mancherlei  Krankheit.  .\ul  dal.*,  man  erkennen  möge  tlie 
Xatur    derselbigen    Krankheiten,    ist  not    zu   wissen    die    Xatur    und 


X!>!0><S!SSiJ0!!S!«!0>!S<S<>i?><SiSiK!0iS!i0!X)!SSS!!i5tS>iS  UroskOIME  SKiKSiSiS^S^JSSiKSStiOtJSSiiSStJß'eiiCSStieiJ^JCit  271 


Gestalt  des  Harnes,  weil  daraus  entsteht  Erkenntnis  der  Krankheit. 
Als  Avicenna  spricht:  Darumh  beschreihen  uns  die  bewährten 
Meister  der  Arznei  viele  gute  Lehren  von  dem  Harn,  damit  man 
wissen  mag  eines  jeglichen  Menschen  Krankheit  oder  C^omplexion. 
Konstantinus  spricht:  daß  ein  Mensch  sei  zusannnengelügt  und 
gemacht  von  vier  Elementen.  \on  der  Erde  hat  der  Mensch 
Trockenheit  und  Kälte;  von  dem  Wasser  beuchtigkeit  und  Kälte; 
von  der  Lutt  Feuchtigkeit  und  Hitze;  von  dem  b'euer  Wärme  und 
Trockenheit.     Hieraus  merke,    daß  von   Wärme  ein  Ding  rot  wird; 


( ^ri ginalzeichnimg  i'oit  l*ietL-r  Briii-gliel . 

Fig.  153.     Satirische  Darstellung  der  Uroskopie. 

von  Kälte  weiß;  aus  Trockenheit  dünne;  aus  b'euchtigkeit  dicke. 
Aus  diesen  Worten  mag  ein  Mensch  merken,  aus  seinem  Harn, 
V(,)n  was  Xatur  er  sei  und  was  Krankheit  in  ihm  sündiget:  Als  ist 
der  Harn  rot  und  dick,  so  ist  der  Mensch  hitzig  und  von  der 
Complexion  Sanguineus.  Ist  der  Harn  rot  und  dünn,  so  ist  der 
Mensch  hitzig  und  dürre  und  Cholericus;  in  dem  sündigt  die  Galle 
und  wird  leichtlich  in  Zorn  bewegt  und  in  die  Geelsucht.  So  der 
Harn  weiß  und  dick  ist,  so  bedeutet  es  eine  kalte  Natur  und  er  ist 
Phlegmaticus,  als  daß  in  ihm  sündiget  viel  wassericht  Geblüte  und 
er  oern  allein  ist.    Ist  der  Harn  weiß  und  dünn,  so  bezeichnet  es,  daß 


272  JKStStiSJSiSSiSiJOiiSJOJSSiSi'CiSiJöiKJKäS  InNERE  MeDIZIX  JSiKJ^JOt-ßiKJSiiOiSiJSJSiSJKJSiKjJiiSiS'JOiJOiSiiJiSi 


der  Mensch  kalt  \\)n  Xauir  isl  und  ein  Melancluilicns ;  der  ist  stetig- 
traurig,  und  hat  in  ihm  ein  irdisch  (ieblüte,  und  isl  all/eit  bleich 
von  J-'arben.  Der  Harn  wird  geteilt  in  vier  Teile:  Das  erste  ist  der 
Zirkel,  der  bedeutet  Krankheit  des  llauptes.  Das  andere  Teil  ist 
nach  dem  Zirkel  und  bedeutet  Krankheit  iler  Hrust  und  iamuen. 
Das  dritte  Teil  oder  das  Mittel  des  Harns  bezeichnet  Krankheit  dvs 
Magens,  der  Leber  und  der  Milz.  Das  \ierte  Teil,  das  ist  der 
Roden  des  Harns  und  bedeutet  Krankheit  der  Xieren ,  der  J^lasen 
und   der  .Matrizen. 

Wie  du  die  vier  Teile  des  Harns  belindest  mit  Materien  \'er- 
mischt.  danach  kannst  du  die  Krankheit  des  Menschen  aussprechen, 
die  in   dL^n  (iliedern   ist,   nach  Ausweisung   der  vier  l'eile  des  Harns. 

Den  Harn  soll  man  sehen  des  Morgens,  so  er  frisch  gemacht 
ist  worden  und  noch  warm  ist.«  (.A^us  Herbarv,  gedruckt  von  Johann 
Prüß  zum   Tiergarten.     Straßburg   1307.) 

D.mn  lolgen  Anordiumgen,  wie  der  Harn  transportiert  werden 
muß,  dal.^  er  gut  zugestopft  ist,  und  dal.^,  wenn  er  kalt  geworden, 
man  ihn  wieder  ins  warme  Wasser  setzen  muß.  —  Es  mögen  einige 
Diagnosen   folgen : 

»Der  Kotharn  und  danach  Bleilarbe  und  dal.^  um  den  Zirkel 
Körner  hangen,  bedeutet  Kungensucht,  genannt  l'eri-l^neumonia  und 
ein  .Apostem   um   die  Brust  genannt  Pleuresis. 

Der  Harn  blevcli  und  geel  und  dick  und  sich  iiber  eine  Stunde 
nicht  senket  aut  den  drund,  bedeutet  Ik'stockung  der  Milz  oder 
Xieren   usw.« 

Zur  bJdeichterung  der  Erkenntnis  der  Unzahl  \'ariationcn  linden 
wir  nun  in  \ielen  ikichern  jener  Zeil  Urinschaublatter,  bei  denen  ott 
die   Karben   mit   den   diesbezüglichen   Diagnosen   eingetragen   sind. 

Unsere  ((cmalde  aber  gehen  nicht  so  sehr  aul  diese  literarische 
Erkenntnis  der  (jewohnheiten  und  Ciebräuche  der  .Vledici  zurück,  als 
auf  das  Gesetz,  dessen  Bedeutung  wir  schon  bei  anderer  (ielegenheit 
bewunderten,  das  der  'i'radition.  Auch  hier,  ahnlich  wie  bei  der 
Entwicklung  des  anatomischen  (iemäldes,  können  wir  konstatieren, 
daß  schon   der  Jjuchschmuck   der  Pergamentkodizes  viellach  sowohl 


(xnin<(*.-.ipoiutviioif.inf  rii'K"  linin 
(Ti  ■^^lKn■lI^c?^<c^t^^■Ua  ticifi  Iinnitu' 
pcrhiirnn  iiimicTtirHrrm  m.u'Hmc  mii 
. lull i'indiT 4*1  r.mrrr  r<iumnp-U'im 


tmiiiibUiumCpfnai^iHm  a-<DrpctXtni 
axAiCTf'  ^Ttrmpptt  et  de  mchUcA  non 
^/intfftiTifnjt-rtirTrfinnVptvIiitUm 

CiiiiirciiiiHnn  rTCAipnt'pcTcnai  tii'A  dp 
tr.nntnrt:it'ilirimft*nHcr^l'ilirfnmmf('i 
ciinil^  rainoi  dil'jvrtiir  in  crvrc  ntinirtr 
pcn*Hcii  crmtnfiir*  a*ifviT-*rti  crinnr|v 
rxAin  .itc\i  cfmncrit.<in  a"  irfTt(qiPii\4iuc» 
In^niwm    ffnrn,i.:^<hv'miiinn  cv.HiuVul' 

Intnfm  urCim  jxirciu'n  nn  im.y  iHfttrHt 
tn?niiin^}irirr|nil'rcrj1irTr.iiiiTn<  Incrnc" 
<4ccpnli*rmiiir  ^"^tlinicjnitiuinniw 
ciAt  fvrff.ir  rntifn  innilpj- .  uHfir-  *>!<■ 
rtTp^<cr  mir.ifTiHV  vcni  vt.^ir  fx  H'cnn 
pcn4m  itnAt  Ivm^'  in  (Itcn  iniuxmnc  i 
m«r-!f  iHinp?iint  crmci  r.it  t.^cIl'  p.'rni5 
ricn  mcri  li  il jm  <r  jvtcni'nu'n  Ti  c.liScrt*- 
*  I  circ.mttmnon  mi?ri  I' <bi((r  ri4>n<Tn4 


WM 


1^ 


■is;.  154.     Seite   aus  dem  Pergamentpr.ichtkodcx  des  AI   Havi  von   Rhazes  vom  Jahre    1466. 
Urinschauender  Arzt  rot  und  scharlachrot,   Überbringer  blau.  Randleiste  gold  und  bunt. 


Die  Medizin   in  der  klassischen  .Malerei.     2.  Auflage. 


iS 


274  ä0essi5'St<5t!0>i>ie!'«!e!?>s>s>ie!>(S<s<sssst!K  Innere  Medizin  jßJSsKSt-sißiOiSiJOiSiSXJOiiCiiKSKStiOtSOi-OiiSJCiiKiCi 


die  Puse  des  Urinschaus  als  auch  des  Pulsfühlens  zeigt.  Eine  ganze 
Anzahl  der  Frachlkodices  der  Salernilaner  Schule  zeig!  diese  \'er- 
hältnisse.  Die  Xatinnalbibliothek  von  Turin,  Kodex  1..  IV.  23,  weist 
zum  Beispiel  in  dem  Tractatus  de  urinis  eine  derartige  l-'rüh- 
miniatur    aut.  Die    reich    illustrierte    und    gut  erhaltene  Cdiirurgia 

Magistri  Rolandi  aus  dem  dreizehnten  respektixe  \ier/ehnten  |ahr- 
hundert  (Kod.  1382  der  Biblioteca  Casanatense  in  Rom)  bringt  ein 
weiteres  Beispiel.  Aul  dem  ersten  Blatte  sitzt  llippokrates  in  rt)tem 
(iewande.  vor  ihm  ein  Kranker,  der  seinen  schmerzhalten  Kopl 
befühlt,  und  ein  Schuler  demonstriert  in  großer  (Jlasllasche  den 
blutigroten   Lrin   in   hoch   erhobener  Hand  (siehe  bigur    191). 

Ahnliche  Abbildungen  linden  wir  massenhalt  aus  etwas  späterer 
Zeit.  \\\v  bringen  als  Beispiel  dieser  Art  eine  Abbildung  aus  einem 
Prachtkodex  des  Khazes,  welcher  sich  in  der  Turiner  Xational- 
bibliothek  behndet  und  erstmalig  in  dem  schonen  Werke  des  Piero 
(jiacosa*)  publiziert  ist.  Die  beiden  i^ände  sind  1460  von  dem 
Leibärzte  Pauls  iL  geschrieben.  Die  ganze  Blattgröße  ist  40  26  Zenti- 
meter und  die  der  .Miniatur  16  16.  Wir  sehen  in  eine  kleine 
Kammer  hinein,  den  .\rzt  im  priesterlichen  Ornate  mit  scharlach- 
rotem CberwurI  in  Betrachtung  des  Uringlases,  in  dem  sich  rotlicher 
Lrin  belindel.  In  devoter  Stellung,  entblößten  Hauptes  steht  ihm 
der  Überbringer  der  blasche  gegenüber.  Die  Bordüre  zeichnet  sich 
gieichtails  durch  schone  Austührmig  aus,  die  aber,  wie  dies  auch 
.sonst  meist  üblich  war,  als  reines  Buchornament  ohne  Beziehung 
zu   tlem    Inhalte  ist  (siehe  Ligur    1  3  (). 

In  einem  Bologneser  hebräisch  geschriebenen  Prachtkodex  des 
Avicenna  hnden  wir  ein  großes,  beinahe  ganz  ausgemaltes  'l'itel- 
blalt,  aiü  welchem  gewissermaßen  die  Darstellung  einer  llarnpoli- 
klinik  dargestellt  ist.  Hier  steht  eine  Reihe  xon  .Männern  und 
brauen,  jeder  hält  sein  Jlistkorbchen  mit  der  Lrinllasche.  Ls  war 
diese  Art  der  \'er|iackung  gewählt,  danül  sich  der  Lrin  möglichst 
lange  warm  halten   solle.     Ls  erinnert    dieses  Harnambulatorium  an 


•)  Magistri  Salernitani  nondum  editi.     Turin  1901. 


Uni7<crsit.-BibL  Bologna. 

Fio-.  155.     Seite  aus  dem  »Canon«  des  Avicenna  (Ibn  Sina). 
Salernitanisches  Manuskript  des  fünfzehnten  Jahrliunderts.     Orig.  40,5  X  28,2  cm. 


276  jCtSiJ5iS!0ti«<ssi!:«<sstiSä0tJSißäi<SiKiC«K  Innere  Medizin  JCSiCiiKJKStieiiSiSiKJCiiJCiJSSiiOiSiJSSsiiSiOiiKJSiOi.« 

Jic  Rcliclplaslik  am  ritircntincr  Campanilc  aus  der  Schule  des 
Andrea  Pisaiio*). 

Ein  Blick  in  die  ersten  medizinischen  Druckschritten  zei<;t  nun 
die  Übernahnte  dieser  l'ose  und  ihre  \'er\vertung  durch  den  Holz- 
schnitt. Die  Iveihe  si)lcher  Darstellungen  selbst  nur  in  den  Inkunabel- 
werken  ist  eine   unbegrenzte. 

In  einem  anderen  hebräisch  geschriebenen  Kodex  des  Axicenna 
sehen  wir  dann  die  andere  uns  hier  interessierende  Fose,  die  des 
Pulstühlens,  welche  beinahe  gleichzeitig  mit  der  Urinschau  autkani. 
Das  ist  das  bildliche  Material,  aus  dem  sich  dann  die  Holländer  ihre 
Anregung  für  die  unzählbaien  Dt)ktorbilder  holten. 

Die  praktische  Heilkunst  jener  Tage  stand  aul  wenig  gesunden 
l'üLk'n;  i'etrarka  sagt  einmal  in  seinem  Warnungsbiiet  an  Papst 
Klemens  \'l.,  daß  die  Arzte  mit  einem  Bein  aul  dem  blumigen  Anger 
der  Poesie  und  mit  dem  anderen  auf  dem  weiten  leid  der  Rhetorik 
ständen.  Allerdings  ist  es  eine  schlechte  Sache,  durch  Überredung 
und  Überzeugung  jemandem  den  Schnupten  zu  kurieren.  Der  Dichter 
hätte  noch  hinzufügen  können,  daß  auch  die  \'erstellungskunst  eine 
Stütze  der  damaligen    Therapie  war. 

Tür  und  Tor  ist  durch  diese  Praktiken  dem  Ik'trug  und 
Schwindel  geöffnet.  In  dem  scholastischen  Montpellier,  der  Kon- 
kurrenzschule von  Salerno,  lehrte  um  das  Jahr  ]  500  \'illan(n'anus: 
»Weißt  du  bei  Betrachtung  des  Urins  nichts  zu  linden,  so  sage,  es 
sei  eine  Obstruktion  der  Leber;  sagt  nun  aber  der  Kranke,  er  leide 
an  Koptschmerz,  so  mußt  du  sagen,  sie  stammen  aus  der  Leber. 
Besonders  aber  gebrauche  das  Wort  Obstruktion,  weil  sie  es  nicht 
verstehen,  und  es  kommt  viel  daraul  an,  daß  sie  nicht  wissen,  wo- 
von man  spricht.« 

Ls  ist  verständlich,  dal.^  die  Satire  sich  Mannern  solcher  Art 
an  die  Fersen  bettete,  und  die  besten  1  L)hngedichte  dieser  Ait  sind 
mit  dem  Pinsel  geschrieben.  Aul  einem  Irühen  Kalenderblatt  sehen 
wir  hinter  einem  urinbeschauenden  Arzt  den  Schelm  nut  der  Xarren- 


')  Siehe  Plastik  und  Medizin,  Abbildung  430. 


sKStiöjCiStio^'CiSiiSJSJSiCiiKSii^iCtissiJKiSiviiCtiCiJK-oi  L  kosküiii  •öJöJCtJöiiSieiJSJSJSJKStSKJSSiiSJOi'ftJSJOiJSStJCS  277 


kappe  stehen*).  Aber  trotzdem  erhielt  sich  diese  Sitte  bis  tief  in 
das  sechzehnte  und  siebzehnte  Jahrhundert  hinein.  Hine  Schrift 
Thurneyssers  zum  Thurn,  im  Grauen  Kloster  zu  Berlin  13.S7  ge- 
druckt,   ist   eine  Hvmne   eines   genialen  Spitzbuben  auf  die    »Aller- 


Aitis  Mustiitn. 

Fig.  156.     Der  Arzt  zu  Hause. 
Von  A.  van  Ostade  (1665). 

nützlichste  und  dem  menschlichen  Geschlecht  notdürftigste  Kunst 
des  Ilarnprobierens«.  Hier  erfahren  wir,  daß  es  nicht  beim  Harn- 
beschauen allein  geblieben  ist,  sondern  daß  mystische  Vorstellungen 
zu  den  abenteuerlichsten  Harnuntersuchungen  führten. 

•)  Holzschnitt  vum   jähre   1519.     Aljbildung  bei  H.  Peters  a.  a.  O. 


2/8  äSSKSiiKieiSiiOiiKSiiSSiiSSiiSiSSiJSisSiai  Innere  Medizin  SKSiSiJßäKiJiJSißJKSiStiSJßJOtiSiSiSJSiOtJKJOtSääK 


Aul  den  Darstellungen,  die  wir  in  folgendeni  bespi-eelien  \vi)lien, 
handelt  es  sieh  zunächst  um  diese  nachdenkliche  Haltung  des  Ar/tes 
bei  der  L'roskopie;  da  sitzt  der  Arzt  in  seinem  recht  behaglichen 
Sprechzimmer,  \ov  ihm  ein  Ivräuterbuch  und  ein  Salbent(i|M  mit  der 
vcrheiLkingsvollen  Inschrill:  Krätzesalbe.  Auf  den  Salbentc^[it  ist  ein 
Totenkopt  gemalt;  es  handelt  sich  wohl  um  eine  (j^uecksilbersalbe. 
und  es  mul,^  daran  erinnert  werden,  dalÄ  diese  Quecksilber  enthal- 
tende Salbe  mit  l'rlolg  auch  zu  antisvphilitischen  Kuren  seit  langer 
Zeit  angewandt  wurde  und  dal.^  der  Begrill  der  Skabies  im  Mittel- 
alter ein    weit   ausgedehnter  war. 

Der  .Arzt  in  bequemer  1  laustoiletle,  eine  eigentümliche,  turban- 
ähnliche Ki)|M  bedeckung  tragend,  stellt  otleubar  ein  l\)rträt  dar  und 
ist  \()n  A.   \an   üst.ule  im  Jahre   1(163   gemalt  (siehe  Figur  136). 

in  der  rechten  lland  hebt  er  das  Lringlas  prüfend  gegen  das 
l.icht,  wobei  es  ein  viellach  gei'ibter  malerischer  Trick  ist,  die  Fenster- 
spiegehmg  möglichst  deutlich  und  künstlerisch  aul  dem  Rundglase 
zur  (jcltung   zu    bringen. 

Unser  hier  pi)rträtierter  Arzt  hat  akademische  Bildung.  Fr 
schreibt  sogar  vielleicht  nicht  nur  Rezepte;  das  Bündel  Ciänseledern 
ist  dalür  Zeuge.  \-.r  sitzt  vor  dem  Bucherschraid<,  in  dem  eine  ganze 
niedizinische  J3ibIiothek  sichtbar  wird;  meist  Werke,  die  in  Amster- 
dam und  Fevden  gedruckt  waren,  dreilen  wir  einmal  hinein  und 
sehen  wir  uns  die  Fitel  der  Werk-e  an  !  Zunächst  steht  da  als  älteres 
Werk  des  Folvhistors  Dodonaeus  »{-"raxis  medica«,  1616,  nach  den 
\'orlcsungen  des  Fevdener  Frolessors,  der  einer  der  Begründer  der 
patliologischen  Anatomie  wurde,  zu  Amsterdam  gedruckt.  \'or  dem 
Arzte  liegt  gerade  eines  jener  pharmakologischen  Kräuterbücher,  die 
namentlich  in  Süddeutschland  erschienen  waren,  in  Petrus  borestus" 
Ende  des  sechzehnten  lahrhunderls  immer  wieder  neugedrucktem 
Büchlein*)  nährt  er  seine  Zweitel  über  die  alleinseligmachende  I^e- 
weiskralt  der  Urinlarbe.  Doch  auch  des  l'aracelsus  Schritten  besitzt  er 
fbensü  wie  die  okkultphilosophischen  Schriften  des  lleuiricii  Agrip(ia 


')  De  inccrlo  et  fallaci  urinuium  judicio.     Luyd.  Hat.  1593. 


\on  Xcttcshcim.  Des  KdIikt  KosmosophL-n  liikI  l\abhalistcn  Werke 
waren  früher  zu  Levden  erschienen.  Liui  stolz  ist  er  aiil  seine 
Baseler  erste  Ausgabe  des  VesaHus,  die  er  der  liohandisehen  Airsgabe 
des  Buchhändlers  Plant\n  in  Ant\ver|ien  vorzieht.  Seines  berühinten 
Landsmannes  Beruh.  Albinus  Gesamtausgabe  der  Werke  \'esals  (1733) 
erlebte  er  nicht  mehr. 

Drei  WV'rke  Gerard   Dous   (1615  -    K^7)),   des  berühmten   Rem- 
hrandtschülers,  sind  tonangebend  ge\vt)rden  für  eine  ganze  Reihe  ähn- 
licher Darstellungen.    Doch  ist  auch   diese  Umrahmung  der  ärztlichen 
Szene    durch  ein   l-'enster,    das  zum   Teil   durch  einen   \'orhang   ver- 
hangen  ist,   wiederum   keine  originelle  Hrtmdcng  Dous.     .Man   liebte 
CS  damals,  solche  Fensterszenen  zu  malen,  einmal  wegen  des  hübschen 
Abschlusses    der  Handlung,    sodann    wegen    der    glücklichen   Licht- 
verhältnisse,   die    die  Tietenwirkimg    der  Bilder    günstig  beeinilußte. 
\\'ir    sind    bei   dem   Petersburger  (iemälde  bei   einem   in    Wurde 
alt  und   reich   gewordenen   Medikus,    der  dasteht  im   grauen,    violett 
beschlagenen,    kleidsamen    Cberrock.     Den    Kopt    bedeckt    ein    grün 
und    rotes  Barett.      Vov    ihm    steht    aiü'   der  Balustrade  eine  Samm- 
lung von  Gegenständen   des  ärztlichen  Berutes:  vor  allem  das  perga- 
mentene   Doktordiplom    mit    dem    Lniversitätssiegel ,    ein    zinnernes 
Becken,  ein   kupterner  Morser.  ein  (jlobus,   ein   Foliant,   eine   Phiole, 
eine  Kerze,   der  beliebte  'Potenkopf,    und    der    typische    Behälter  mit 
histrumenten  für  die  kleine   C^hirurgie.     Mitten   im   Zimmer  schwebt 
als  Zimmerengel  ein  Amor.     Der  Arzt  selbst  hält  die  (ilasiLische  in 
der  Hand,    in   der  er  den   rotlichen   Urin    prutt,    den    eine  alte  Frau 
gebracht  hat;  beider  Blicke  hängen  an   dieser  Probe,  beider  Ausdruck 
ist  ein   etwas  traurig   resignierter.     Diese  alte  Frau,   oftenbar  nur   die 
Überbringerin    des   Sekrets,    meistens    noch    mit    dem    Bastkorbe   am 
Arme,    wiederholt    sich    fast    auf   jedem    derartigen    Bilde.      Das  Bild 
wurde  übrigens    1772   tur  die  Hremitage  tür  19  133  Livres   erworben 
(siehe  Figur    137). 

Line  ähnliche  Darstellung  von  demselben  Meister,  nicht  so  groß- 
artig in  der  Gesamtwirkung,  aber  vielleicht  noch  teiner  im  Detail, 
besitzt  die  Wiener  Galerie.   Im  Gegensatz  zu   dem  vorigen  Gemälde 


28o  äKSüSiSSiJSiSSSJSSSStiSißiCiJCiSijeSKiSiS  InNERE  MedIZIN  SSiOiStiSiCiiCfSiJSiSiKiO'iS'CiiSSiSiJCiJviiCtiSSiJKSS 


scheint  der  jüngere,  elegant  gekleidete  Kollege  über  seinen  Befund 
sehr  ertreut.  I:r  hat  gerade  in  Vesals  Werk  sludiert.  Der  Holz- 
schnitt A2,  das  auf  die  Schaulel  sich  stutzende  Skelett,  ist  uerade 
autgeschlagen.  Die  Balustrade  ziert  ein  l'uttenrelief,  welches  beim 
Meister  häutig  wiederkehrt  (siehe  h'igur    138). 

Solche  ärztlichen  Fensterbilder  interessieren  uns  noch  besonders 
wegen  ihrer  Staflage.  Das  Rüstzeug  des  Arztes  und  allerlei  was 
hierzu  gehorte,  liebte  der  .Maler  als  \'ordergruuil  zu  verwerten.  Fast 
niemals  tehlt  der  seitwärts  zu  tragende  liistrunienlenkasten.  Aus 
dem  Pennal  der  antiken  Welt,  der  glatten  bronzenen  Hülse,  war  ein 
hreitbauchiges,  unten  spitz  zulaulendes  Futteral,  das  »binfüterlin«, 
geworden,  welches  oben  autklappbar  war.  Diese  früher  massenhatt 
vorhandenen  Behälter,  manchmal  künstlerisch  verziert,  sind  leider 
bis  aut  spärliche  Reste  verschwunden:  außer  einigen  leeren  Hülsen 
aus  gepunztem  Leder  und  einigen  Renaissance-Miniaturetuis  sind  mir 
trotz  eifrigen  Xachtorschens  keine  Originale  zu  Gesicht  gekommen. 
Die  metallenen  Gegenstände  sind  ja  zum  gröL^eren  Teil  sonst  gerettet 
worden  und  in  imseren  Samndungen  vertreten.  Fine  interessante 
Tatsache  ist  es  aber,  daß  es  \iel  leichter  ist,  im  Kimsthandel  oder 
auch  in  Privatsammlungen  ein  ärztliches  Instrumentarium  aus  der 
gräkolateinischen  l:poche  im  Original  zusammenzustellen,  als  solche 
Gegenstände  namentlich  aus  der  deutschen  Renaissance  autzutreiben. 

Auf  dem  Kopenhagener  Bild  (siehe  Figur  ijy)  zieht  unsere 
Aufmerksamkeit  der  xerschliel.Uiare  Apothekerkasten  aut  sich.  Barbier- 
und  Aderlaßschalen  sind  wegen  des  iMetallglanzes  beliebte  malerische 
Sujets,  letztere  sind  dadurch  kenntlich,  daß  Adam  und  Fva  auf  ihnen 
dargestellt  wird  mit  den  l.aubbüschen,  den  Badewedeln.  Diese  über- 
tras:ene  Bedeutung;  des  Wedels  als  Bedeclami;  der  Scham,  welche 
in  frühen  Frzählungen  auch  als  das  einzige  Kleid  der  i^atlenden 
gelegentlich  bezeichnet  wird*),  fuhrt  dann  dazu,  einmal  auf  frühen 
Darstellungen  Adam  und  l;\a  mit  dem  Wedel  bedeckt  darzustellen, 
und  dann  diese  dem  Kreis  der  Badstidu'U  entnommene  \'orstellnng 
als  Schmuck  der  Aderlaßscluissel   zu  \erwenden. 


*)  Alfred   Martin,   Deutsches  Badewesen   in  vergangenen  Tagen.     Jena  1906.     S.  165. 


SJBKJKSüKSiSiSiJCiiJtSiißSüOiJOiSiiviJOtiKäK  ÄRZTLICHE   AUSRÜSTUNG   iOiäOiSiJSJCii'vtiSiCiiJOiJCtiJiJC'JCiJSJliJK'C'  28  1 


Fig.  157.     Die  Urinprobe. 
Von  Gerard  Dou. 

Nach  einem  Kohledruck  von  Braun,  CIc-ment  Ä  Co.     Dornach,   Paris. 

Die  Diplome,  welche  oftmaLs  o.stentativ  mit  ihren  Sie,ü;e]n  aut 
diesen  Gemälden  .sichthar  sind,  werden  in  den  wenigsten  Fällen 
Doktordiplonie   gewesen    sein.     Meistens    wird  es  sich   um  Meister- 


282  JöiSSiJßJßJOiSiStSiiSStiSSiiSJßSiiKiKSiiß  IxNERE  MeDIZIX  SKiKJOiSiStSiJCiiCiiSSiiKKSStißiOiiCtJOtiO'iS'OtiC'JKiK 


briefe  gehandelt  haben,  wie  wir  sulchc  mit  schonen  Miniatnren 
bedeckt  noch  besitzen.  Doch  sei  daran  erinnert,  dal,^  die  Diplome 
fiir  akademische  (irade.  namentlich  h-emder  Universitäten,  auch  ant 
Lmwegen   /u   erwerben    waren. 

Ahnhche  Darstelluni;en  nn't  mehr  oder  wenii^er  sicherer  Ori^ina- 
Htät  i;iht  es  noch  eine  l\eihe,  \on  denen  manclie  im  l'riwubesilz 
sich  belinden.  Ollenbar  hat  der  Uiloli;.  den  Don  mit  diesem 
Sujet  errungen  hatte,  viele  Nachbestellungen  ge/eitigt.  sei  es  nun 
als  reine  (jenredarstellimgen ,  sei  es  als  l\)rträtautträge.  Unter  den 
.Malern,  mit  denen  wir  uns  in  lolgenden  l^etrachtungen  immer  wieder 
von  neuem  hescliälligen  müssen,  ila  sie  den  \'orwurl  vieler  ihrer 
barbenideen  aus  dem  ärztlichen  Leben  genommen  haben,  sind  vor 
allen  Da\id  'l'eniers  der  lungere,  Adriaen  Brouwer  und  |an  Steen 
und  iiire  Schuler.  Wie  es  gekommen  ist,  daß  diese  Malergruppen 
gewissermaßen  die  .Meistermaler  der  Medizin  wurden,  dem  wollen 
wir  doch   etwas  aul    dun  driuid   zu   gehen    versuchen. 

Da\id  Teniers  (]6io  bis  1690)  gilt  als  dritter  Stern  in  dem 
flämischen  Malerdiadem  neben  Rubens  und  \an  Dvck,  und  doch 
trennt  ihn  eine  A\'elt  von  diesen.  Waren  jene  die  genialen  droß- 
nialer  ln)lischen  tmd  kirchlichen  Bart)ck's.  waren  jene  Kinder  aus  der 
glücklichen  Künstlerehe  Italien  und  J-^rahant,  waren  jene  die  Historiker 
iür  Maria  von  Medici,  die  holischen  l'orträtisten  Unglands,  Italiens, 
Spaniens,  so  wtu'de  Teniers  der  Jüngere  der  Schopler  des  llämischen 
Sittenstücks  und  der  Bauernmalerei  par  excellence.  Xaciulem  er,  der 
leine  Maler  und  starke  Konnei',  sich  aul  allen  debieten  versucht, 
bei  seinem  \'ater  gelernt  und  des  Sanmietbi-eughel  Kleinmalerei 
studiert  hatte  • —  er  war  nnt  dessen  Tochter,  dem  .Mündel  Ruhens', 
verheiratet  - ,  warl  er  sich  aul  das  Bauernbild,  dessen  höchste 
Meisterschalt  er  von  dem  vaganlen  denie  .\driaen  J^rouwer  über- 
nahm. Adriaen  P>rouwer  ist  dei'  Titelheld  einer  'Tragikomödie,  die 
noch  geschrieben  werden  mul.'^.  Ivr  ist  der  'i'\pus  eines  genialen 
fahrenden  Künstlers,  der  alles  konnte,  alles  wollte  und  eigentlich 
nichts  erreichte,  weil  er  ganz  zulällig  eines  schonen  Morgens,  noch 
nicht    zweiunddreißig    Jahre    alt,    im   B)ette    tot    aulgelunden    wurde. 


J/ußl/i.l,l,ui;i  /■/„•l 


Fig.  1)8.     Diu   Urinprobe. 
Von  Gerard  Duu. 


284  SKSSiOs-öätittiSStiOiiS^SSiöiSJCtäiiSJSJSiCS  INNERE  MEDIZIN  äKS>iC!!iKJK!SSiiSie>ißJSJSi5>JC>S>S>StSt!SiO!JC«!iS 


Wäre  ihm  das  Cireiscnallcr  eines  Teniers  beschieden  gewesen,  so 
hätte  er  seinen  i;iuen  l-rcund  an  die  Wand  und  in  die  \'eri;essen- 
heit  gedrückt;   er  war  von  sprudelnder  Geniahtät,  der  als  glänzender 


l'ig.  159.     Beim  Arzt. 
Von  Gerard  Dou. 


Realist  nebenbei  sein  Hol/  in  unerreichter  Meisterschaft  bemalte, 
wenn  er  gerade  Geld  brauchte  und  Jaisi  hatte,  der  sonst  aber  [tra- 
dierte als  stattlich  schöner  Sänger,  der  mit  den  Khelorikern  und 
Schauspielern  konkurrierte,  die  spanische  Soldateska  zu  Boden  trank 


JKiKJKiCiißJKiCiiSSiSKSiiS'SiiC'StiStStiKiOiiJt  DiE  Maler  der  Medi/in  «CiJ^XJCtiK'CtJKJKiKieiiO-JKS'iSieiäi'CiiK  2X5 

und  sich  mit  den  Bauern  prügelte.      Und  wo  er  auch   hinkam,    alle 
lernten  von   ihm:   so  in   Ilaarlem,   wo  er  Schüler  des  lustiuen  l'ranz 


ikjittijtti  pki't. 


lraH':turl .     Stadeisckcs  Kunstutstiliil. 

Fig.  160.     Bittere  Arznei. 
Von  Adriaen  Bruuwcr. 


Hals  war,  ferner  auch  A.  van  Ostade,  der  selbst  einer  der  berühm- 
testen  holländischen  Bauernmaler  wurde. 

Es  war  nun  naheliegend,  daß  ein  Genie  wie  der  Boheniien 
Brouwer  die  Bauern  nicht  nur  beobachtete  und  malte,  wie  sie  soffen, 
rauften  imd  Karten  spielten,  sondern  daß  er  das  Genre  weiter  zog, 
und  da  reizte  den  genialen  Menschendarsteller  vor  allem  auch  der 
Ausdruck  des  Schmerzes.     Und  so  finden  wir  bei  ihm  mit  X'orliebe 


286  sKJÜSSJKiKiKiOtJKStiOtJKiKiC^SiSiSSiviStiiÄSK  INNERE  MEDIZIN  SOiiKiOiStiCtSiiKJC^iKiOiiOiiKiKStivsStiyiJCSiKSKiKiiK 

dargestellt,  wie  Bauern  Arznei  trinken,  sich  bei  ihrem  Doktor  ope- 
rieren. Zähne  ziehen,  Hühneraugen  entternen  lassen;  diese  Bilder 
und  dieses  Genre,  beliebt  und  nekautt,  ließen  einen  ncaien  Zweig 
in  der  Kleinnialerei  entstehen  (siehe  bigur  160).  Der  kluge  (jeld- 
mann  Teniers,  dessen  Ahderei  zuletzt  beinahe  in  eine  Industrie 
ausartete,  erkannte  diesen  Zug  der  Zeit  und  erreichte  luit  ihm  und 
durch  ihn  alles  das,  was  an  Äußerlichkeiten  tur  den  strebenden 
-Menschen  begehrenswert  scheint.  Xur  eines  war  ihm  wohl  ein 
tieler  heimlicher  Stachel.  In  seines  breundes  Peter  Paul  Rubens 
Privatgaleric  befanden  sich  siebzehn  Brouwers  und  kein  Teniers; 
ihn  mußten  die  Aulträge  seines  Statthalters  Juan  d'Austria  und 
König  Philipps   1\  .  Xim  Spanien   entschädigen.  Was  wir  aut   den 

Bildern  dieser  holländischen  und  llämischen  Kleinmaler  und  Sitten- 
maler sehen,  ist  unverlälschte  Xatur.  die  olt  auch  abstoßt  und  im 
stärksten  Kontrast  steht  mit  holischen  Manschettenmanieren,  eitlem 
Sichtun  und  aristokratischem  Stolzsein.  Und  dann  das  .Milieu! 
Wer  in  die  kleinen  holländischen  und  ilämi'schen  Mäuschen  hinein- 
gesehen hat,  weiß,  daß  diese  kleinen  Bildchen  hineinpassen  in  diese 
kajütengroßen   Zimmer. 

Wegen  dieser  Milieuschilderung  vor  allem  beanspruchen  diese 
Szenen  aus  dem  ärztlichen  Leben  uud  Treiben  \ergangener  Tage 
mediko-historische  Beachtung.  Durch  Anschauung  wird  uns  da 
nahegebracht,  was  in  so  ansprechender  b'orm  keine  andere  Schilde- 
rung vermag.  Krankheit  und  Tod,  Behandeln  und  I  teilen,  ärztliches 
Hoffen  und  \erzagcn,  Krankenstuben  und  Studierzinuuer  waren 
mimer  in  der  Welt,  seitdem  es  Kranke  und  1  leilkünstler  gibt;  aber 
den  ewigen  Wechsel  in  der  äußeren  Lebenslorm  dieser  W'rhältnisse 
im  Spiegelbilde  der  Zeiten  vorgeführt  zu  sehen  dm-ch  realistische 
Künstler,  das  ist  tür  uns  grolk'r  Gewinn. 

Die  beiden  Dortarzte  des  Teniers  (in  Brüssel  und  Karlsruhe) 
zeigen  wir  als  Typen  einer  ganzen  Reihe  ähnlicher  Bilder,  über  die 
dann  Fachleute  streiten,  ob  sie  von  der  Hand  des  .Meisters,  ob  sie 
Werkstattarbeit,  oder  ob  Kopien  vielleicht  verlorener  Ori^inalgemäKle 
sind.     Uns  kann   dies  im  Augenblick  gleichgültig  sein,  um   so  mehr. 


jKStiOissjCiJßsssi'OiXiiJKiSKSJSKXiOiiOiJSxssiiSJCiißis  Das  Mii  ii  i    JS<>»:s>:s!!CiJS«)S!C>:!C>:'e;iS!0>!Ct!>:s>:!e>iO!iO>s»  287 

da  wir  mit  l'hilippi*)  glauben,   dal,^  die  iinvcrnrmlli^  hohe  Ik'wcrlung 
Teniersschcr  Bilder  imberechtiiit  ist.     Aul    beiden  Bildern   sehen    wir 


in    dem  Mittelpunkte    den  x\rzt.     l:ben    kommt  er   nach   Hause  von 
einem   Ritt  über  Land,    die  hohen   Reitstiefel    scheint    unser  Kolleo-c 


*l    A.  I'hilippi,   Die  Blüte  der  Malerei  in  Hollanil.     Leipzig    icjoi. 


288  3Ks>»i!SJKötJSJCi!ß;«iCtS>s>:<><Si«i«*ss«f  Innere  Medizin  KS-KSti^jOiiKiKJSiCiiOtSiJSiiO'iöi^iCiSiiOiiKJKJKiCiäK 


nicht    von    den  Füßen   zu  bekommen.     F,r  prüft   den  Urin,    den  ein 
altes  \\'eib    ^ebnicht  hat,    das  aul    dem    einen   Bilde    eine    illegitime 


H 
-3 


SC 


Tochter  des  Ostadc  zu  sein  scheint.  Aul  dem  'l'ische  arztliche 
Requisiten.  Die  malerische  Schwierigkeit  solcher  Sceiien  lag  in  der 
Behandlung  des  \'ordergrundes.  Teniers  hilft  sich  dadurch,  daß  er 
diesen  ausfüllt  durch  Gegenstande,    tlie  uns  besonders  interessieren. 


Hollander,  Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei.     ;.  Auflage. 


19 


290  JKäKäKJOtäKStSiSSSiiOtiCtJßiSiSSi'OiJCtiCiiKäK  INNERE   Mrni/IN  !«iKä5!SK!O!S><C>S><K<C>iöi>!KißS>S>iCt!0!JK!0!JC«KiK 


Töplc,  Kannen,  Krü_i;c  und  l-'laschcn,  die  mit  Krautcrsaflcn,  Salben 
und  Medikanienlen  i;el'ulk  sind  (siehe  l-'i^ur  162).  Dazwischen 
liegen  dann  aul   der  I-rde   wohl    auch    InstiunieiUe.     ]-inen  i^eradezu 


llaiijitafngt  pitot 


lig.  i6.|.     IJcini  Arzte. 
Von  Gcrard  Tcrborch  (i6iS  bis  1694). 

fürchterlichen  1-indruck  macht  aber  die  Unordnung  in  der  »Bude« 
des  Arztes  in  1  rankfurt  a.  M.  Seine  Bücher  liegen  zerstreut  und 
durcheinander  gewirbelt  am  Boden  an  tler  Hrde.  In  der  rechten 
Ecke  dieses  Bildes  sitzt  eine  Meerkatze,  an  einem  dewichtstein  fest- 
gemacht. Es  scheint,  als  ob  Teniers  sehr  Irühzeilig  eine  \'ürliebe 
für  diese  amüsanten  Tiere   "ehabt   habe,    und   sie  vielleicht  zahlreich 


auf   seinem  Gute    »Zu    den    drei  Türmen«   ^epflei^t  liabe;    jedenfalls 
porträtierte    er    sie    spater    haufii;,    und    brachte    sie    in   (jru|i[ien    zu- 


Eru^kiuaiin  pliot. 


Fig.  165.     Konsultation.     Von  J.  Ohlis. 


sammen,  in  launiger  Weise  irgend  etwas   parodierend,  so  auch  ärzt- 
liche Dinge,  Konsultationen,  Baderstuben  usw.     lis  ist  diese  xMeer- 


292  soBSStiSSiSiSiiCtieiiSiCiisS'OiJSSKJKißJOtißiot  IxNERi:  Medizin  JOJiKäKiOiiKäSiKSiiOiSiSiiOiSiJO'SiiKSiiOiJOiSiiiiißiK 


katze  in   der  Suibc  des  Arztes  ein   llinweis   anl   die   Liebhaberei   des 
niederen   IJeilpersonals,  dureli   solche   l\urit)silälen   aiil   das  Publikum 


Brrgi  p/tol. 


l'lorCH^,    L'jjizicit. 


Y-'\o.  166.     David   'l'cniers  dur  Altere. 


VW  wirken,  jedenlaijs  waren  derartige  'l'ier)iar()dien  ileni  C.harakler 
der  Zeit  entsprechend.  So  sehen  wir  eine  \'ers|iotluni;  der  ärzthchen 
Tätigkeit  schon  aus  dem  Anlang  des  sechzehnlen  Jahrhunderts  auf 
einem  Augsburger  Flugbhitte  (zu  einem  Doktorkater  mit  dem  Urin- 


glas    in    der  Ptotc    kommt    ein  Zicucnbcickpaticnt!)  *).     L'ns  darf  es 
bei    der  Einheit    der  Kunst    nicht  wundern ,    daß  Pinsel    und   harben 


(.ialcric:  Knea  Lanjranconi,  l'reßburg. 

Fig.   167.     Ärztliche  Konsultatiün.     Von  Gilles  van  Tilbor(;h  (1625  bis  1678?) 

das    jetzt    einmal    erzählen,    was    schon    seit  einem  Jahrhundert  das 
gedruckte    Wort    in    Schwarzweiß    geschildert    hatte.      Denn    gerade 

*)  Abbildupf;  bei  Peters  S.  iS. 


294  iCt!5ii«s*iSS><o>siJSü>:«!5!'Cii>:iKS>:iOii«)SSt  Innere  Medizix  SKSiiCiJSJOiieijeiJSSfSiiCi-'CSJSSiiSSKSiiCiSiSiiCiSiis 


nach  Gent,  Jcr  wcltbehcrrschcndcn  Kapitale  riandcrns,  dein  nordi- 
schen \cnedig,  weist  das  lierepos.  Magister  \i\ardiis  aus  Cjent 
vertaßte  den  Isegrinius,  und  die  vollkommenste  künstlerische  Gestal- 
tung des  Reincke  Inichs  prägte  der  Meister  ^^'iltem  in  Üstllandcrn 
(Reinarl  de  \\)S  um  1230),  also  lange  bex'or  lleimich  der  (dichesare 
die  erste  deutsche  Bearbeitung  des  Stolles  als  »Isengrimes  Xot«  im 
Elsaß  herausgab  (siehe   i-'igur   163). 

Der  Dorlar/t  des  Terborgh  iu  dem  Allen  iK'rliner  Museum  sagt 
inis  in  medizin-historischer  Beziehung  nicht  viel  Neues;  es  ist  nur 
lür  die  \'erbreitimg  und  den  (jeschmack  der  damaligen  Zeit  charak- 
teristisch, daß  das  erste  (jemälde,  welches  der  junge  Meister  nach- 
weislich aut  den  Markt  brachte,  ein  Doktorbild  war  (siehe  Figur  i6(.). 
Auch  das  ziemlich  unbedeutende  Werk  des  wenig  bekannten  1.  Ohlis 
(jetzt  Karlsruhe)  land  im  wesentlichen  nur  Aulnahme,  um  die  all- 
gemeine Beliebtheit  des  Gegenstandes  zu  dokumentieren,  liier  und 
dort  ein  Durcheinander  \on  Dingen,  deren  Anordnung  konventionell 
imd  schülerhait  ist.  L'nwillkürlich  hat  man  nn't  dem  alten  Doktor 
I  erborghs  Mitleid;  er  hat  etwas  Wehmütiges  im  Ausdruck  und  es 
scheint,  als  ob  er  sich  aus  dem  Walde  die  Kräuter  und  Blüten,  die 
er  als  Arzneien  verwenden  will,  selbst  gepllückt  hat.  lis  haltet  an 
ihm  etwas  wie  aus  der  Märchenzeit.  Im  Kontrast  zu  diesem  sorgen- 
\-ollen  Landarzt  steht  der  Doktor  auf  dem  blorentiner  Bilde,  welches 
man  wohl  imberechtigterweise  dem  älteren  Teniers  zuschreibt.  Man 
sieht:  Dat  Cjalenus  opes.  In  breiter  Behaglichkeit  sitzt  dieser  Amts- 
bruder aul  seinem  I.ehiistuhl,  in  lange,  pelzbesetzte  Kleider  gehüllt 
(siehe   b'igur    166). 

Den  Beschlul.^  dieser  Reihe  \(>n  Doktorbildern  mache  das  J]ild 
von  Gilles  van  'l'ilborgh,  welches  dadurch  ein  erhöhtes  Interesse 
beansprucht,  daß  es  last  das  einzige  dieser  Art  ist,  aul  welchem  wir 
sehen,  daß  der  Arzt  in  seiner  Ik'hausung  den  Ik'such  von  Patienten 
erhält,  lis  erklärt  sich  tlas  dadurch,  dal.^  eine  Bauernlamilie,  in  die 
Stadt  gekommen,  die  (jelegenheit  benutzt,  ärztlichen  Rat  einzuholen. 
In  der  Behandlung  des  Vordergrundes  und  in  der  ganzen,  etwas 
steilen  Wiedergabe  verrät  der  Maler  kein  bedeutendes  Koimen  (siehe 


si'OJSiiKiOi'CiSiiOiiOtSiSiiC'iK'CiSKJSJSiiO'iSStJCiSiJS^  HoMUNcuLus  !ßiXJC<'C>iS<OiiSJSSts>i«s>jßiö!Ois>s>s*i«j>:!C!  295 


Figur   167).      Auf   dem    Bilde    seilen    wir    einen    Dcstillierolen ,    der 
\'orden2"rund    ist    diesmal    ansi^etüllt    i.lurcli    einen    Mörser    und    eine 


Menge  Krüire  und  Flasclien.     Der  Meister  betreibt  emsig  C:hennatrie. 
Opium,  Antimon,  Kampier,  Zimt  und  allerlei  Spirituosen  braut  er  im 


296  JKSiSiiSieiiKiKSiicsiSiöJKiSißjKJS'CiSiissi  Innkri-  Medizin  JKäKjKjSSiSijOiJCüSiJKiKJSissiJKSJtJßjßiKissiiCiS! 


Sinne  Rontekoes  zu  Brcclimillcln  und  Scliwiizniiucln.  Die  verschie- 
Jenen  Traktate  des  berühniten  Niederländers  stehen  im  Zinimer  herum 
und  des  Sylvius  Methtidus  medendi,  die  Idea  nma  und  die  lipistohi 
apologetica  desselben  l'ranz  de  la  Roe  waren  in  dieser  Zeit  i;erade 
erschienen  und  liatten  ^.Icn  Sieu  der  chemiatrisehen  Richtuni;-  begründet. 

lün  Bild  von  David  l\u\khaerdl  (1613  l"''-''  i^'??)'  j^'^'^^  ''i  -M-mn- 
heim,    zeii^t    uns   die  utopischen   (ieistesverirrun,i;en   des  xMittelalters. 

Mit  der  Sucht  der  Alchimisten,  Gold  zu  machen,  konkurrierte 
der  l:ntdeckunL;s\vahnsinn  nach  dem  Stein  der  Weisen.  Auch  die 
Frage  nach  dem  Ilomunculus  spukte  in  allen  phantastischen  Köpfen 
des  sechzehnten  Jahrhunderts.  ]n  der  Schrift:  »De  L;eneratione  rerum 
naturalium«,  die  dem  Paracelsus  zugeschrieben  wird,  ist  ein  aus- 
führliches Rezept  zu  seiner  1-abrikation  angegeben.  \\'er  denkt 
dabei  nicht  an  Gt)ethes  famose  Schilderung? 

Wagner:  Nun  laut  sich  wirklich  holien, 

Daß,  wenn  wir  aus  vielhundert  Stoffen 

Durch  .Mischung  —  denn  auf  Mischung  kommt  es  an  — • 

Den  .Menschenstoff  gemächlich  komponieren. 

In  einen  Kolben  verlutieren 

Und  ihn  gehörig  kohobieren, 

So  ist   das  Werk   im   stillen  abgetan. 

Unser  Doktor  und  .-\lchimist  scheint  aber  über  das  unerwartete  Ge- 
lingen des  I-xperimeiits  mehr  erschrocken  als  des  Doktor  kaust  Schüler. 

Glänzend  hat  der  .Meister  den  freudigen  Schreck  in  dem  Ge- 
sicht des  alten  Doktors  wiedergegeben.  Wenn  er  nur  nicht  aus  den 
vor  Aufregung  zitternden  Händen  die  Retorte  fallen  läl,k,  sonst  ist 
der  einzige  Mensch,   der  je  künstlich   gemacht   wurde,   dahin. 

Dabei  muß  man  sich  natürlich  vergegenwärtigen,  in  welche  Zeit- 
stimmung jenes  Bild  fiel.  I:s  war  das  Todesjahr  des  .Malers  gleich- 
zeitig das  Geburtsjahr  der  Entdeckung  der  Samentierchen  durch  den 
Leydener  Studenten  llam,  die  sofort  durch  Leeuwenhoek  bestätigt 
wurde;  es  nahm  die  gebildete  holländische  \W-lt  i\^:n  allerintensivsten 
Anteil  an  den  körderLingeii  dieses  Themas  durch  Ilarvev*),  der 
die    alte   Lehre    des  Fabricius    von    der  Fntwicklunu   der  krucht  aus 


•)  William  Ilarvcy.    Kxcrcitationes  de  gencrationc   animaliuin  etc.     .Amsterdam  1651. 


5Ci!iS!0!!Cst!0is>!SSiJöic><ßs><S!0iiC><c>!5t!CiiK!ß  Der  ÄK7.TI.ICHF.  Besuch  i>:!C>:si!5!Si<o>io><Ot<KSi!SiS!0''C>'C!!SJS  297 


Fig.  169.     Die  Keusclihtitsprobe. 
Von  Gottfried  Schalken. 


Haag. 


dem  Ei  neu  hei;ründcte.  Das  Titelblatt  der  Londoner  Erstausgabe 
zeigt  Jupiter,  ein  geöffnetes  Ei  in  der  Hand,  aus  dem  allerhand 
Tiere  herauskommen.  Reiniger  de  (iraat  (1641  bis  167^),  der  hol- 
ländische Anatom ,  hatte  soeben  die  männlichen  und  weiblichen 
tierischen  Generationswerkzeuge  (Graatsche  Eollikel)  beschrieben. 


298  jösssiSi-CiJSiSieiSiiiSStjSiCiiKSSiCiJCtiSJKSt  Inneru  Medizin  SRJKStJSSiJCSiSJSSssiiCiißiOiJSJöiöiOiiKjSiSJCtJOtiJi 


llic  Parole  oinnc  animal  c\  üvd  war  in  aller  Muiul.  IXt  Könia; 
Karl  I.  halle  llar\cv  lür  seine 'ricruntcrsiichiini;cn  den  Wildpark  von 
\\  indstM"  zur  \'ertLii;ung  gcstclll;  man  debatlierle  erregl  über  liin/el- 
heilen.  Swainnierdanis  und  I.eeuwenhoeks  Arbeilen  und  ihre  Ent- 
deckung eines  neuen  ungeahnlen  .Mikri)kiisnuis  erlullle  die  ganze 
\W'll  und  uiaehlen  Holland  zum  /enirum  wissensehattlicher  Arbeit. 
In  jene  Zeil  hinein  lallt  der  lirlolg  des  nach  altem  l-'aracelsusschen 
Rezept  arbeitenden  (ielehrten  aul  dem  Ru\kherdtschen  Bilde;  das 
Gemälde  hat  oflenbar  demnach  einen  zeitgeschichtlichen  satirischen 
Charakter.  Die  Anwesenheil  der  l'rau  läßt  noch  eine  andere  Deutung 
des  Bildes  zu,  die  zu  einer  Parodie  auf  die  Ilarnschau  lührt,  wenn 
auch  die  ]3eschai1enheit  der  l^hiole  dieser  .VuHassung  widerspricht. 
Da  besitze  ich  eine  1-^ederzeichntmg .  die  dem  allen  Breughel  zu- 
geschrieben wird;  der  Arzt,  der  die  Uroskopie  betreibt,  sieht  in 
dem  Harnglase  den  Schalksnarr  (siehe  l'igur  ij)).  Aul  einem  stark 
nachgedunkelten  Ciemälde  des  (Gottfried  Schalken  sehen  wir,  dal,^ 
der  im  Lringlase  sichtbare  Pmbrx'i.)  wiederum  eine  andere,  diesmal 
nicht  übernatürliche  Bedeutung  hat.  Die  'Pochter  heult,  der  \'ater 
tobt,  und  lür  ganz  \aive  macht  im  Hintergründe  ein  Kind  mit  aus- 
gesprochen Irüher  sexueller  Aulklärung  ein  Pingerzeichen,  das  schon 
in   der  antiken  Welt  jedermann   \erslanden  hat'')  (siehe  P'igur  169). 


Ilaben  wir  so  den  Arzt  in  seiner  Behausung  gesehen  und  dabei 
gefunden,  daß  genau  wie  auch  heute  noch  es  beati  possidenles  unter 
ihnen  gibt,  gesättigte  Xaturen  und  solche,  die  ringen  und  den  bitteren 
Kampt  ums  tägliche  Leben  kämplen,  so  wollen  wir  jetzt  den  .\rzt 
aul  seinen  IV'suchen  begleiten  imd  dabei  gleich  konstatieren,  dal.^ 
diese  Darstellung  die  weitaus  beliebtere  ist**).  Ollenbar  ents)iricht  dies 
den  früheren  Usancen,  war  es  doch  lür  eine  bessere  Bürgerslrau  nicht 
schicklich,  in   des  Arztes  Wohnung   hinzugehen,    wenigstens  ist  aul 


•)  Der  auf  ilcm  Original  deutlich  sichtbare  Kmbryo  ist  auf  der  pliotoijraphischen  l'lattc 
kaum  noch  erkennbar. 

•*)  Unter  dem  Titel  Les  l'eintrcs  de  la  Medecine  hat  Henry  Meige  in  den  Jahren  iSi)6 
bis  1899  in  der  Nouvelle  Icimographie  de  la  Salpetriere  den  Gc^jenstand  erschöpfend  Ijehandelt. 
Siehe  auch  Paul  Richcr,  I.'.Vrt  et  la  MOdecinc. 


jSiOiJCiiiiJSSiStiSSiiK-OtSiiStSiiOiiO-iKiCiJS-Si  Di:r  ärztliche  Besuch  ■ctSKiKiKSiiKJCtSiJSi'etStsßSiJK'CiSücs  299 


:ast   allen    mir   bekannten  Gemälden  der  Ar/t  stets  iler  Besuchende. 
In   seine  Behausuni;  bringen   nur  Bediente  Dini^e  zur  Untersuchung. 


Fig.   170.     Der  Tod  Marias. 

Und   dabei   wollen   wir   gleichzeitig   noch    eine   Tatsache    festlegen: 
Darstellungen   aus   der  inneren  Medizin  betreffen   meist   das   schöne 


3O0  ißsSSiiCtiSSiJO-iöJSStiSStStJßJßJSSKiOiiKJS  1\N1£RE  MEDIZIN  iCiSKKSSiJKiSSiJKStiSXSiKiKJOiiCiiCiiJCiJOiiKSiJOiJSiS 


Louvre. 

I  lg.  171.     Das  i'uisiunicu. 
Von  Ouirin  RrckelciiUam. 

Geschlecht;  mir  ist  kaum  ein  ]3ild  aus  der  guten  Zeit  und  von 
Künstlerhand  in  Erinnerung,  aul  dem  ein  Arzt  einen  innerlich 
kranken  Mann  behandelt.  Ollenbar  reizte  das  weibliche  .Modell  mehr; 
anderseits  kenne  ich  nur  wenige  Bilder  mit  .Szenen  aus  dem  Kreise 
der  kleinen  Chirurgie,  wo  der  Operateur  eine  brau  unter  dem  Messer 
hat.  Da  sind  es  wieder  die  .Mamier,  die  her  miissen  und  deren 
schmerzverzerrte  Gesichter  den  .Malersarkasten  zur  Wiedergabe  reizten. 


;0!!v!!vi!ßS*iO>SiiKJC!JC>iOt!0>iO!!OiiS"OiiCSiCi!C!:<t  Der  ärztliche  Besuch  sssiSiS'iKJSiStJCiJCSiC'iS'CiSi-oiiS'CiJX  ^oi 


iig.  172.     iJcr  arztliciic   Besuch. 
Von  Gabriel  Metsu. 

Nach  einem  Koliledruck  von  Eraun.   Clement  &  l"o.     Dornach,   Paris,  Xew  \'ork. 


Besucht    der  x\rzt    seine  Kundschaft, 


so 


linden   wir    ihn    iierne 


dargestelh,  wie  er  den  Puls  luhlt.  A\'ir  lernten  schon  eine  kleine 
Studie  nach  dem  l.ehen  kennen  (siehe  Figur  132),  die  Renihrandt 
für  sein  großes  Blatt   »Der  Tod  Marias«  (siehe  Figur  170)  benutzte. 


302  <s<siOi<ssi!SS*iO:ißiS!OtSiiCi<«si<OtiCt!S<o>i>  Innere  Medizik  js:«i«siK>!«i«<>;<^<Ci<sißißiO>s>JC!'!Ci<C!ti5!SiiO>s>:s> 


lii^.  173.     Die  vvasscibUijhugc  1-rau. 
Von  Gcrard  Dou. 

Nach  einem  Kohledruck  von  Braun,  Clc-mcnt  <S;  Co.     Dornach,   Paris,  New  York. 


Die  P(ise  der  PulsbetasUint;  hat  eine  authillendc  Wrwciuhini; 
gefunden  aiil  dem  Gemälde  des  in  letzter  /eil  immer  beliebteren 
Quirin  Brekelenkam  (gest.  1668).  Durch  die  Distanz  des  Unter- 
suchers von  der  breitbeinig  dasitzenden  Bürgersirau  sind  die  Hände 


M:,iuhtn. 


.  174.     Die  kranke  Frau. 
Von  Franz  van  Mieiis. 


304  SKJKSssssijj'iStsitiS'KiCiißSiStiOtiJiiKiOtjCtJOt  Inxere  Medizin  «KSJJSiKXS-ciKSSiSiSi^iOiSijßjS'etSiiSi'OiijiiOiiOiS* 


iituiettm . 


lij^.  173.     Die   lilciclisücluigc. 
Von  Samuel  van  Iloogslraatcn. 

dem  Beschauer  besonders  aiis,2;esctzt  und  befinden  sich  im  Mittel- 
punkte der  Darstelluni,^;  und  die  Hände  waren  des  Meisters  Stärke 
(siehe  I-igur   171). 

Ein  schönes,   würdiges  Seitenstück   dazu  ist  das  Hiki  (j.  Metsus, 


i5i5!CiiS!0!!0>!Ci!Cti5Si<S!0>s>!C>i5iKS!SiC>iO>s>:<ss>s><ß    DiK  VisiTi;  JviSiJSissiJO'JCiiSiiSJOiStSiiOtJö'C'JSStiS'CtiCiiOiiC!  305 


ll(t}ij\titi'ji^l  /'Jti't  '/;<jr(-  (/(-A    l>r:aicxarls,   Budapest 

Mg.  176.     Ärztliche  Visite  (Hanisch.ui   uiui   Pul^fuhlen). 
Von  Jakob  Toorenvliet. 


des  Schülers  von  Gerard  Dou,  in  der  Lremita^e.  Bei  einer  reichen, 
vornehmen  Dame  steht  im  talarartit^en  (jewande,  den  hreitkrempigen 
Hut  wie  immer  auf  dem  Kopfe,  ein  äherer  Arzt,  das  Uringhis  in  der 
Hand.     Sein  Gesicht   ist   ernst.     Ein   kleines  Schoßhündchen    kratzt 


Hollander,    Die  Medizin   in   der  klassischen   Malerei       2.  Auflag 


3o6  jssüssiSiiSiKJOüsStJSSiStJOiißJKXsißjSOtXs  Innere  Medizin  SiSKSSiSKXiSfSiSiSJßiKSiStiSiOiJOtiJtSiStsSJßStSi 

liebkosend  an  dem  rosaseidenen  Rock  der  Kranken.  Die  rote  Jacke 
ist  mit  Schwanenpelz  besetzt,  imd  lan^e  goldene  Dianiantohrringe 
schmücken  die  Patrizierin  (l'iuiir  172).  \"on  Metsu's  l.chrer,  dem 
berühmten  Cierard  Dou,  besitzt  der  1. innre  die  sogenannte  berühmte 
Femme  hvdropique.  Hine  der  Olmmachl  nahe  x'ornehme  Dame  liegt 
im  Lelnistuhl,  der  rechte,  sichtbare  l-'ul.i  ist  deutlich  geschwollen; 
die  Augen  verglast,  die  Toclucr  weint  zu  ihren  büßen,  die  Dienerin 
reicht  ihr  Medizin,  der  Doktor  im  langen  Rock  der  Akademiker 
prüft  gegen  das  Licht  den  blutigen  Urin.  Die  \erwendimg  des 
Helldunkels  ist  meisterhalt  und  gilt  das  Bild  überhaupt  als  eines  der 
besten  Bilder  dieses  noch  heute  am  meisten  geschätzten  Rembrandt- 
schülers  (bigur    173). 

Zwei  Darstellungen  aus  diesem  \'orstellungskreis  beherbergt  die 
Münchener  Pinakothek,  die  von  Franz  van  Mieris  und  van  der  Xeer 
gemalt  sind.  Letzteres  Werk  ist  als  Gemälde  wertxoller.  Aut  beiden 
wird  eine  (diarakterisierung  der  Krankheit  \ersucht.  Aut  beiden 
gleiten  ohnmächtige  brauen  zu  Boden.  Der  Körper  des  zu  Boden 
sinkenden  jungen  Weibes  ist  prachtvoll  zum  Ausdruck  gekt^nnnen  und 
die  Gruppe  der  sich  um  sie  Bemühenden  natürlich  gestellt.  Wir  bringen 
die  Abbildung  des  Mierisschen  (jemäldes,  weil  aut  demselben  der  Arzt 
eine  größere  Rolle  spielt.  V.r  macht  eine  ominöse  Handbewegung; 
glänzend  in  desWortes  Bedeutung  ist  der  Atlasrock  gemalt  (Figur  174). 

F.in  entzückendes  Bild  beherbergt  das  Reicbsmuseimi  in  Amster- 
dam \()n  dem  sonst  wenig  \erlretenen  Rembraudtschuler  Samuel 
van  Hoogstraaten  (1626  bis  iC-'78).  Die  Aullassung  des  Arztes  ist 
dieselbe  geblieben:  ein  würdiger  alter  Herr,  der  prülend  das  Urin- 
glas untersucht.  Was  das  Bild  auszeichnet,  ist  das  Wagnis,  einen 
typisch  chloroanämischen  Zustand  darzustellen.  Die  junge  Frau  hat 
ein  ausgesprochen  blaßgrünliches  Ciesicht  und  sie  Iriert  trotz  der 
Wärmkachel  zu  ihren  Füßen.  Die  ganze  trostiije  Pose  gibt  dem 
Bild  etwas  ungemein  (.harakteristisches.  Wohlgelungen  ist  auch  die 
Durchsicht  tlurch  drei  Zimmer,  in  denen  \\\i\  wie  last  bei  allen 
holländischen  Interieurs,  die  große  Liebhaberei  des  wohlhabenden 
Bürgers    für    Gemälde    von    neuem    bestätigt    linden.      \'.s    unterliegt 


<0tSiSiSiK>iS«<JiJS>KKS*SißS!!0!i0iSii5>SiS>!«>JJiSt!K  Melanchoi  ll  XSSiißJß'OiiSJOi'CiSiiOtiKiKSiSiSiSiSiiKJSJOtS!  307 


keinem  Zweifel,    daß   dieses  Bild  unter  dem   l-influß  des  herülimlen 
Zeitgenossen  Pieter  de  llooch   (1630  bis   1670)    gemalt    ist,    dessen 


Lowy  pitot. 


Fiw.  177.     Der  Arzt  bei  einer  Melancholischen. 
Von  l'"ranz  van  Micris. 


unerreichte  Spezialität  das  liolländise-he  Interieur  mit  der  Durchsicht 
durcli   mehrere  Zimmer  war  (siehe  Figur   173)- 

In  Budapest  belindet   sich    ein  interessantes  Werk  des  seltenen 


5oS  SiiCiJßSiJSSiiOiStJßJKJSiCSiOiJSJCli-ossjSSiiS  Innere  Medizin  iS<s»:s!!Kj5Si<KiS<S!0>!CiiO':iK!>:S!'0!S>!Ci!>:<S!OiS* 


Jakob  Tdorcnvliet.  Tnimcr  dasselbe  Tbcma  mit  irgend  einer  Variation. 
Diesmal  ist  der  reich  gekleidete  Ar/t  besonders  tüchtii;;  er  bewdltii^t 
die  beiden  diagnostischen  Machtmittel:  das  Pulslühleii  und  die  ürt)- 
skopie  gleichzeitig  (siehe  bigur   i'](^). 

bjn  Rild,  welches  bereits  den  Übergang  zu  der  lolgenden  Ciruppe 
bildet,  ist  das  (icmälde  des  Iranz  \an  Mieris  in  Wien:  Der  Besuch 
des  Ar/tes  bei  einer  .\lel.uicholischen.  Die  Dame  sit/t  am  ik'tte,  xor 
sich  aul  dem  .Scln)l.k'  hält  sie  das  Neue  'restamenl,  und  reicht  die 
Hand  dem  Arzte  mit  einem  Ciesichte,  als  wenn  sie  selbst  das  eigene 
machen  wolle.  Der  Medikus  macht  eine  nachdenkliche  Miene,  den 
lernst  der  Situation  richtig  erfassend.  Wenn  auf  diesem  Bild  es 
noch  zweitelhalt  sein  kann,  welche  Rolle  der  Maler  dem  Arzte 
zuschreibt,  so  ist  das  bei  lau  .Steen,  zu  dessen  Bildern  wir  jetzt 
kommeil.  nicht  mehr  h'aglich.  |an  .Steen  schreibt  mit  dem  Pinsel 
lustige  Spottgedichte  auf  den  Arzt  und  sucht  ihn,  wo  er  kann, 
lächerlich  zu  machen.  \\  äre  er  nicht  ein  so  liebenswürdiger  Spc'itter 
und  ironisierte  er  nicht  prinzi(Mell  alles,  man  würde  versucht  sein, 
ihn  mit  l'etrarka,  Erasmus,  Moliere  und  Montaigne  unter  die  l'einde 
der  Arzte  zu  rechnen.  Um  Steens  Malerei  zu  verstehen,  mul.'i  man 
etwas  von  seinem  Leben,  \()n  seinem  Char.ikter  wissen.  Steen,  ein 
Leidener  Kind,  wurde  1626  als  Sohn  emes  wohlhabenden  Bierbrauers 
geboren.  Lr,  wie  andere  ALiler  xor  ihm  (Rembrandt),  liel.^  sich  zwar 
mit  seinem  zw.mzigsten  lahre  als  Student  der  \\'issenschalten  in  liie 
Leidener  L'ni\ersitätsliste  eintragen,  scheint  sich  aber  auts  Studium 
nicht  viel  eingelassen  zu  haben,  liier  entdeckte  er  bald  seine  bdgen- 
schatten,  die  ihn  zum  Liebling  des  hollämlischen  \'olkes  machen 
sollten;  hier  bildete  er  sich  zum  Rauf-,  Saul-  und  Malgeiiie  aus.  Zu 
seiner  ]:hre  wollen  wir  annehmen,  d.il.^  er  auch  .uü  dem  debiele  xon 
Wein,  Weib  und  (jesang  derselbe  Lebenskünstler  war,  wie  .lul  dem 
Gebiete  der  ALilerei.  'i'rotzdem  er  glanzenden  Lehrmeistern  zu  lül.^en 
gesessen,  trotzdem  er  im  iranz  lialsscheii  ivreis,  bei  diesem,  bei 
Adrian  van  Ostade  und  seinem  Schwiegervater  lan  van  (jo\en  lernte, 
ist  er  doch  immer  ein  i-jgner  gewesen,  der,  erhiulungsreich  wie  keiner, 
seinen   besonderen   Weg   ging;    er  wurde   der  größte   iluiiiorist   und 


jKKXißisstSiiOijSiß-OiSi-ciiCiiCi-ei-ciiKssiCiißsiiSJK  Der  Hausakzt  ■«JOiiSjeiJSiss'iJOiiOiJSissiSiS'^i'OtJCitSiSüS  309 


llaii/st.iiugi  /. 


Fig.  178.     Di;r  ärztliche  Besuch. 
Von  Jan  Steen. 


Satiriker  in  der  holländischen  Schule.  Jan  Steen  war  ein  unridiiger 
Geist,  und  immer  hatte  er  den  Beutel  leer  wegen  seines  maßlos 
liederlichen  Lebenswandels;  da/u  kam,  daß  sein  Schwieger\'ater  nichts 
wie  Schulden    hinterlassen  hatte.     Trotzdem  Steen  in   der  Folirezeit 


310  äOtJSStäiäSißJOiStäiiöSiJSiftiOiSKSiStiSißiß  Innere  Medizin  ssi^SiiSiSJSiiXtiO'jeiJCiJOtXüJSiOiSiSiSiiSSiiKiOiSK 

immer  mit  vieltachcni  Leid  und  pclaiiiiärcn  Sori^cn  zu  kainpicn  hatte, 
blieb  er  der  lachende  Philosoph,  der,  bald  nachdem  er  seines  X'aters 
Haus  geerbt  hatte,  eine  Kneipe  aulniachle.  in  der  es  überlustii;  her_i;ii\L; 
und  in  der  er  selbst  natürlich  sein  bester  Gast  war.  Zwischendurch 
malte  er.  Ihm  verdanken  wir  nun  eine  ^anze  Serie  Doktorbilder,  die 
ja  zu  dieser  Zeit  besimders  beliebt  waren.  Aber  in  seiner  satirischen 
Art  sehnt  er  ein  neues  (jenre,  indem  er  sich  aul  seinen  'l'ateln  über 
Doktor  und  Patienten  lustig  machte.  Am  wenigsten  ist  das  aut 
dem  Haager  l^ild  bemerkbar,  hier  malt  er  mit  breiter  Behäbigkeit  den 
Arzt  am  Bett  einer  Kranken  (siehe  bigur  17N);  zur  Stärkung  reiclit 
ihm  eine  andere  Dame  ein  dlas  Wein.  Das  ganze  Bild  iiätte  nichts 
X'erdachtiges  an  sich,  wenn  nicht  der  Schalk  Steeii  im  I  Untergründe 
ein  Hunde[iaar  placiert  hätte,  deren  treundschattliche  Beziehungen 
einen  Hinweis  aul  die  Krankheit  der  Patientin  erlauben.  Was  aut 
diesem  Bild  die  Hündchen,  das  ersetzten  bald  aut  vielen  lt)lgenden 
Bildern  andere  Requisiten,  von  denen  wir  bald  bei  den  Liebes- 
bildern zu  sprechen  (jelegeiiheit  haben.  Den  Schalk  erkennen  wir 
auch  an  dem  Bilde  aus  der  Galerie  Steengracht  im  Haag.  Das 
Bild  trägt  die  Bezeichnung:  Der  Arzt  im  Freudenhaus.  Wir  sehen 
ein  junges  hübsches  Weib  in  liederlicher  Stellung  im  Bette  liegen. 
Allzu  schwer  ist  ihr  Leiden  nicht;  der  Arzt  in  langem  Habit 
mit  einem  recht  vergnügten  Lächeln  über  den  interessanten  lall 
greitt  zur  Klisliers(iritze,  die  ihm  ein  altes  Kuiipielweib  gibt,  nicht 
ohne  eine  saftige  Bemerkung  zu  machen,  liier  müssen  wir  uns  daran 
erinnern,  daß  die  Klistierspritze  sou\erän  eine  Zeitlang  die  Herrschalt 
in  der  lleilkunst  ausübte  und  den  Aderlaß  vieltach  verdrängte.  Sehr 
witzig  und   boshatt  bespöttelt  .Moliere   diese   Klistierwut: 

licraldc   (zu  seinem  Bruder): 
Solltest  du   denn   nicht   einen   .Viii^enblick   i)hne   Klistiere  und  Medizin  fertig  werden? 

Der  Apotheker  l-leurant  (stets  mit  der  Klistierspritze): 
Wie    kommt  Ihr   dazu,    Euch   in    die  ärztlichen  Verordnungen  zu  mischen  und  den 
Herrn  zu  verhindern,  sich  ein  Klistier  von  mir  geben  zu  lassen? 

lier.ilde: 
Macht,  daß  Fhr  fortkommt,  Herr!    Man  merkt,  dali  Ihr  nicht  gewöhnt  seid.  Gesichter 
vor  Euch  zu  haben. 


<Ct!CiSSS><0><0>JCi«iS«!C>KS!C!i5iX!iiO*JC»iCiS>JC!i5>!0>!0!i5t  LiEBESKRANKHl  IT  JOtXüiCiieiJOiSiJCi-JKiCiiOt'OiSiiSiSiKSiiKJßSi)«  3 1  I 


Im  lliiUcrgruiuic  herrscht  lauter  JubeL     Aus  Jeiii  Xehenzininier  trinkt 
ein  Kavaher  aus  einem  großen   dhise  der   l'atientin  /u   (l'ii;in'  179). 


Fig.  179.     Der  ärztliche  Besuch. 
Von  Jan  Stecn. 

Ein  ähnliches,    aber  feineres  Bild    beiindet   sich   in    der  Privatgalerie 
des  Earl  ot  Xorthbrcnik  in  London. 

Eines  der  beliebtesten  Sujets  älterer  und  neuerer  Zeit  ist  die 
Darstellung  der  Liebeskrankheit.  Hier  ist  dem  iMaler  die  beste 
Gelegenheit  uebciten,    Charaktere  zu   geben.     Das  Aiädchen,    einmal 


31-  JSSiieiJSiKißiSic^StssstStiKSiStStJSißSiJS  1n\i:rk  Medizin  iKiSS>:«iß«s<K!!SiiO>iSSi<ß!K!ßJS-o>!«s>:S!!C*.iK<x 


!;ii'Hn:    (  iif 


Fig.  i8o.     Ärztliche  Kr.inkcnvisite. 
Etwa  1 7 1  o. 

von  jener  schwärmerischen,  zärllichen  \'erhebtheit,  die  mir  Liilt  und 
Liebe  kennt  und  den  'l'od  tiir  den  (jcliebten  als  treudiges  Opter 
betrachtet  und  in  diesem  Zustand  nichts  \\h  imd  trinkt,  dann  im 
Stadimn  der  hysterischen  VerHebtheil  mit  sexuellen  Krisen;  imdals  lohe 
zu  solcher  künstlerischen  Aulgabe  der  Medikus  einmal  der  dumme 
Trottel,  der  solche  Krankheit  vom  .Nhigen  aus  kuriert,  imd  das  .uidere 
Mal  der  über  der  .Situation  stehende,  sou\eran  lächelnde  .Menschen- 
kenner mit  dem  Wahlspruch:   Tout  comprendre  c'est  tout  pardonner. 


3K!0tiSJC*JKiKKSiC*KS!5>S^i0tS>-0>S>:!C*!5!<S»-S?!CiJ5--Ci 


i:SKUANKHi;iT  SiSiS>iOi<KS>:SiKS!RJOtKX<!i!C*!C>!0!!e><5iC>:S!i!X  3  I  3 


L>iiiA'tn^'itiif!^tiuii',    Li'näoll . 


rig.  iSi.     Das  licbeskr.inkc  Mädchen. 
Von  Gerard  Dem. 


Jan  Stecn,  der  Maler  von  »Wein,  Weib  und  (iesang«,  taßt  die 
Liebe  auf  wie  ein  Arzt  dieser  letzten  Katege^rie;  er  kennt  alles  aus 
eigener  Ertabrung,    er   ist  Mitglied    dei-    internationalen  Zechergilde, 


314  äSiöißXüiSsssiiSiß-oiiöJSJOi'CtjsssjOtJSSiSi  Innere  Medizin  iOSSi-eiStSssiiOiSiJSJSSiiOiiSisSiSiißiSStSissiOtiS 


.'.'W/i/i.'.iC/.',V^ 


rig.  182.     Arzi  bei   einer  Liebcskr;inkcii. 
Von  Jan  Steen. 

die  am  liebsten  trinkt,  wenn  man  eine  lesche  Dirne  aut  dem  Schöße 
hat,  und  der  dann  zur  Laute  greift,  wenn  er  Lust  hat,  oder  auch 
zum  FinseL  wenn  er  kein  (ield  hat.  ,So  ist  er  natürlieh  nielit 
solcher  zarten  Eniplindungen   lahig  wie  derard  Dou,  dessen  Bildchen 


im  Buckinghanipalast    der   zartesten   Blüte  eines  Ileineschen   Liebes- 
liedes gleichkoninU.     lün   junger  eleganter  Aledilais  grübelt  nacb  der 


Fig.  183.     Arzt  und  Licbcskr.inke. 
Von  Jan  Steen. 

Krankheit  eines  bildschonen  Kindes.     Von  ihr  abgewandt  i^rüft  er  die 
Flasche,    mit    der   anderen  Hand   den  Puls  fühlend.     Das  Schläfen- 


3l6  StSSStiKJSSiiKSiJSiOiSi'CiiSJßiKiCÜiSiKiSSX  INNERE  MEDIZIN  SßiKiS^lJSiSiSJCi'CiiOi-SiOiJC^SiißiSiSJSiliJßJJtiKJOt 


l'ig.  1S4.     Liebeskrank. 
Von  Jan  Stecn. 

plListcr*),  das  der  lairz.sichtii;c  Aiiläni;cr  der  Kunst  des  Askiila|i 
verordnet,  tut  nicht  seine  Schiddii^keit;  die  Krankheit  sit/t  tiefer, 
das  Herzchen  macht  ihr  Pein,  ihre  llehenden  Au:_;en  sehen  zu  ihm 
empor,  der  die  Ursache  dieser  Pein   ist,  und   wenn  sie  auch   mit  dei- 

*)  Fehlt  auf  unserer  Abbildung. 


•OtStiOiic^iOiSiiSJSiOiSiiJjiiKStJSiß^sJSSiiOiSiiOiJKiCiJOi  Lii;beskra>;k  JK<!t:<ßio>s>K>:!Ci!0-s>:<5>>0!i«'«<oi<ss>:s>!S<siKiK  uj 


llari!\tiii-it'^: 


J:r,i„:,,:^,-,     l\lt. 


Fig.  1S5.     I-icbestoll. 
Von  Jan  Steen. 

Hand  ihm   den   Weg  weist,    er  merkt    es   nicht,    oder    will    es    nicht 
merken   (l-'igur    iSi). 

l'dne    lustige    Karik'atur    des    Doktors    gibt    uns    Steen    in    dem 


3l8  äRJSiJtäSiSiSJßSiiKSiißiJiiKiSiSJOtJOiSiiKi«  INNERE  MEDIZIN  äKiKiKiS'etSiStiSSiiSSiSüißiSißiS'CiSiSiißJOiJßil? 


rig.  iS6.     l'cbris  amatori.i. 
Von  Gabriel  Melsii. 


Haager  ]^ildc.  Mit  ernsthaft  feierlicher  l'ose  untersuclit  der  i;eput/tc 
Medikus  die  l'iilsqiiahlat  und  macht  dahei  das  herühnile  tiefsinnige 
Doktorgesicht;  die  andere  Dame  lächeh  dazu  und  Aint)r  aul  dem 
Kaminsims  scliwingt  vergnügt  seinen   IMeil   (ligur  182). 


iO><KiSiO!S!iCiJOiii>i5i>!S<ssiiK!SXS!S!Ci!Ci!>:<S!0>!0>i^  Liebeskrank  isSiiOtiS'OtiCiSiiCiiSS'iSiStJCiJßiSSiiJiSiiOiiKSK  319 

Solche  Unterstreichungen  durch  Beigaben  von  aUzu  deutlichen 
Attributen,  wie  Amor,  Briete,  Zettel,  Wandbilder  erinnern  an  die 
naive  Manier  der  trüben  Meister,  Worte  in  Schrittzeichen  \()r  den 
Mund    der    handelnden    Personen    zu    setzen,     und    bedeuten    eine 


0 
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00 


Schwäche  des  Bildes.  In  zwei  Gemälden  hat  sich  Steen  über  dieses 
Niveau  erhoben  und  rein  durch  die  Pose  und  Auttassung  uns  eine 
so  glänzende  Charakterisierung  gegeben,  daß  jedermann  weiß,  wenn 
ich  so  sagen  dart,  was  los  ist.  Es  ist  das  »Die  Liebeskranke«  im 
Reichsmuseum   und    »Der  ärztliche  Besuch«   in   der  Eremitaoe. 


320  JOiiCiJSiOJßJOtiSiKiSJßJKStiO'S'ißSiJSSiSiäK  INNERE  MEDIZIN  äCiiCiiCiJSX^JßSiiliJSSSiOiSiiOiiCSiKJSSiJCiiKiß-SSiiß 


Auf  beiden  Bildern  liegt  das  kranke  .Madchen  am  'i'isch  und 
drückt  ihr  Kuplchen  in  ein  Kissen,  wahrend  der  Arzt  dabei  steht 
und  dun  l'uls  liihll.  Aul  dem  ersten  Bilde  sehen  wir  dun  Zustand 
schwärmerischer  Liebe,  die  der  \\'elt  entsagt,  und  neben  ihr  einen 
verständnisxiijl  lächelnden  Arzt,  der  auch  ein  Seelenkenner  ist;  aul 
der  anderen  Leinwand  eine  dialle  Dirne,  deren  ganze  degagierte 
Stellung  die  rein  irdische  Liebestollheit  atmet,  und  neben  ihr  ein 
Falstaff-Arzt  (bigur    i,S(   und    i  N  , ). 

Der  \'erdacht  der  Begehrlichkeit,  der  dem  Kollegen  aul  dem 
Steenschen  Bilde  anhaltet,  kommt  auf  dem  CiemäLle  des  Aletsii 
nicht  ziun  Ausdruck  (siehe  bigur  iS6).  Der  nach  Iranzösischer 
neuester  Mode  elegante  Arzt  hat  nach  Ausdruck  des  (iesichtes  und 
der  Hand  eine  einwandireie  uroskopische  Diagnose  lertig.  Im  Hinter- 
gründe aber  bekonuiit  die  wirkliche  Krankheitsätiologie  von  der 
naushälterin    heltige   \'orwLirle. 

Xoch  deutlicb.er  redet  das  Bild  Steens  in  der  (iaierie  des  (jralen 
Nostiz  in  i^rag.  Hier  kamt  leider  das  Bezept,  das  der  Kollege  im 
Doktt)rhut  verschreibt,  nichts  mehr  nützen.  Die  Kor|ierrundung 
verrät  dun  Zustand.  Wurden  derartige  Gemälde  radiert,  so  gab  man 
gern  türs  \'olk  noch  sonst  überilüssige  Yursc  hinzu.  »Hier  baet 
gcen  medicxm  -  het  is  der  minne  pivu«  oder  »\'ul\a  dolet  urina 
docet«  und  ähnliche  meist  im  (jeschmacl<  der  galanten  Zeit  ert)tisch 
gefärbte  \'erse. 

Steen  ist  olt  mit  .\b)liere  verglichen  worden,  gerade  wegen 
seiner  Satire  gegen  die  Arzte.  Doch  Steen  ist  in  dieser  Hinsicht 
objektiver,  j-r  steht  gewissermaßen  über  der  Situation,  er  kari- 
kiert inid  mokiert  sich  mindestens  ebenso\iel  über  die  Kranla'n 
wie  über  die  .M-zte  und  hat  lür  beide  einen  liebenswürdigen  Ton. 
Waren  es  doch  sicher  viel  lach  bekannte  Leidener  Doktoren,  die  er 
aut  seiner  Leinwand  testhielt.  Dabei  bedurlte  er  olt  ärztlichen  Ik'i- 
standes  in  seinem  Hause;  die  Krankheit  seiner  brau  hatte  ihm  mehr 
Geld  gekostet,  als  er  begleichen  konnte.  Ob  er  die  .\rzte  bezahlt 
hat?  Sicher  nicht!  Aber  schon  damals  scheinen  diese  ihr  Humani- 
tätsgefühl auch   aul   den  Punkt  der  Bezahlung  au.sgedehut  zu   haben; 


JSiiS-Oi^liOtiSißiSißKXJSiß-KJKSiJSSiJCi'CtiS'OtJKSiiOi  VV.  HoGARTü  JßiSSiSiSiSiiOtJOiSiJßiOiJCi'CiiSiOtSiiKiiSJCiiKiK  321 


o 


H 


es  war  jedcntalls  der  Apotheker,  der  im  Februar  1670  ihn  wegen 
zehn  (nilden  pfänden  und  die  in  der  Werkstatt  vorhandenen  (lemälde 
i)flenthch   versteigern   heß. 

\'on   diesem  glänzenden  Maler  und  geistreichen  Erlinder  lustiger 


Holunder 


Medizin   in  der  klassischen    Malerei,      2,  Anfla^^e 


322  äSSSäSiSStiSiSiSSiiKSiJOtJOtSiSJSStSiiKäK  INNERE  MEDIZIN  iCSiSJSiSiCiiKißiKJKJÄStiSJSäSSiiKJßiKJOiSSSK.'KSK 

Szenen  aus  dem  lniri;erlielien  Leben  L;ibt  es  noch  eine  Reihe  ahn- 
licher Darstelluni^en .  Jie  nanientheh  in  en^hschein  l'rivalbesilz 
sich  bctinden.  Die  Liebhaberei  der  l^riteii  luv  (.lerarli^c  Szenen 
dokuineiuiei'le  sieh  in  ihrer  Be^eisleruni^  liir  W'ilhani  Hogarth,  der 
tüntzig  Jahre  nach  dem  I'ode  Steens  durch  seine  gemahen  Satiren 
und  scharten  LendenzsUicke  die  Aulmerksamkeit  der  Well  aul  sich 
zo".  Wenn  man  diesen  Sittenmaler  den  englischen  Steen  genannt 
hat,  so  waren  es  docji  mehr  äußerliche  \'ergleichsmomente,  denn  als 
Mensch  und  Maler  lag  eine  Klult  zwischen  beiden.  Steen,  Humorist 
und  Satiriker  von  Xatiu',  lachender  Philosoph  \c)n  Berui  und  ein 
genialer  ALder  und  Kolorist  von  Gottes  Gnaden,  karikierte  sich  und 
die  Schwachen  seiner  Zeit,  Hogarth  hingegen  benutzte  die  ALderei 
nur  als  Mittel,  als  Werkzeug  lür  die  CJestaltung  seiner  olt  gesuchten 
und  spitzlindigen  Lendenzstucke,  mit  denen  er  weit  über  das  Ziel 
hinausschoß.  L>  war  ein  Agitator  aut  der  Leinwand,  der  die  Kratt 
der  Karikatur  und  ihre  demagogische  Bedeutung,  wie  einst  Luther, 
erkannt  hatte.  Erst  nachdem  ihm  der  Ruhm,  der  glänzendste  Kari- 
katurenzeichner seiner  Zeit  zu  sein,  niclu  mehr  genügte,  grill  er 
selbstbewußt  nach  der  Lahne  der  hohen  Malkunst  imd  machte  sich 
bei  diesem  Wagnis  selbst  lächerlich  und  unglücklich.  Daß  dieser 
.\Lmn  mit  seinem  beißenden  Witz  die  Arzte  nicht  unverschont  ließ, 
liegt  aut  der  Hand.  Doch  sein  Witz  ging  zum  Hohn  über.  Wenn 
er  einen  Arzt  darstellte,  so  zeichnete  er  einen  krummbeinigen,  miß- 
gestalteten Kerl,  wie  zum  Heispiel  aul  dem  Bilde  »Der  l'oil  der 
Kointesse«.  Diese  liegt  im  Sterben.  Der  Hausarzt,  der  sich  doch 
um  seine  alte  Patientin  zu  künnnern  die  PIlicht  hätte,  weiß  seinem 
Ärger  um  dijn  zukünttigen  Verlust  seiner  llausarztstelle  nicht  besser 
Luft  zu  machen,  als  daß  er  einem  llausangeslelllen,  iler  die  .\rznei 
hat  lallen  lassen,  mit  der  Laust  unter  das  Kinn  stoßt,  und  dabei 
hat  der  traurige  Bursche  noch  die  ganze  'l'asche  \oller  .Medikamente. 
Sein  »Collegium  .Medicum«  ist  die  gemeinste  Satire  aul  zeitgenössische 
Ärzte,  aber  zu  spezitisch  lok'al,  als  dal,^  wir  das  Blatt  hier  iletailliert 
wiedergeben    sollten*).      Die   Karikatur    einer  Sektion    in    Barbershall 

*)  Siehe   Kaiikatui   und  Satiic   S.  179. 


äsatSßjßiSsxsiSisxiOtSiJSiiOiiSiiSJöiCissiiiiCSSiSiiOtSti^    Marat  ssKx<ß!0!!issiiCi!K<K.«Js:«K>:iß:«i«siiCiiK<ji!C>:!«sK  323 


kennen  wir  bereits.  Seinen  ganzen  beißenden  Spott  schüttet  der 
Maler  in  einem  Bilde  ans,  welches  »The  visit  to  the  Quackdoctor« 
heißt.  Dies  Bild  ist  das  dritte  Blatt  aus  der  berühmten  Reihe  l'he 
Mariage  a  la  mode.  Wie  die  meisten  Schöpfimgen  Ili)garths,  ist  auch 
diese  nicht  ohne  weiteres  verständlich,  bunt  bis  sechs  Versuche 
existieren  zur  L\'utung  der  agierenden  Personen.  Lassen  wir  die 
Details,  die  übrigens  Zeugnis  abgeben  von  der  unglaublichen  Un- 
moral der  guten  alten  Zeit,  und  nehmen  nur  an,  daß  die  zu  irgend 
einem  Zweck  verabreichten  Pillen  unseres  Doktors  nicht  den  ver- 
sprochenen Prtolg  gehabt  haben  und  daß  der  junge  Baron  demselben 
darüber  \'orhaltungen  macht.  Uns  interessieren  eigentlich  nur  die 
Environs,  wenn  auch  der  aul  dem  Tisch  liegende  Schädel  mit  den 
tvpischen  Defekten  am  Stirnbein  mit  Sicherheit  dafür  spricht,  daß 
die  in  Präge  stehende  Krankdieit  die  S\'philis  ist.  Zunächst  zum 
Doktor  selbst.  Dieser  vierschrötige  Kerl  trägt  unzweitelhatt  die  Züge 
und  hat  die  Pigur  Marats,  der,  wie  bekannt,  vor  seiner  politischen 
Rolle  in  der  Medizin  gestümpert  hat.  Dabei  ist  der  Doktor  Monsieur 
de  la  Pillule  noch  außerdem  nach  tranzösischem  (jeschmack  gekleidet. 
Seine  Karriere  svmbolisiert  sich  durch  die  am  Plafond  autgehängten 
Gegenstände:  Aushängestock  mit  Rasierbecken,  Uringlas,  Galgen, 
Doktorhut,  Rittersporn;  also:  als  Barbier  anfangend,  legte  er  sich 
aufs  Harnsehen,  und  über  Leichen,  die  ihn  selbst  beinahe  an  d^:n 
Galgen  gebracht  hätten,  erschlich  er  sich  den  Doktorhut  und  macht 
sich  jetzt  noch  Ht)finung  auf  die  Lordschatt.  Das  ist  so  der  Ideengang 
Hogarths,  und  durch  diese  gesuchte  Allegorie  unterscheidet  er  sich 
nicht  zu  seinem  \\)rtcil  von  dem  größten  'Pendenzmaler  der  neueren 
Zeit,  dem  Brüsseler  W'ierts,  den  wir  bereits  an  anderer  Stelle  kennen 
gelernt  haben.  Auf  der  \\\inderung  über  die  höchst  abenteuerliche 
Ausstellung  im  Lmpfangszinmier  über  das  l"rifolium  Hautmensch, 
Knochenmensch  und  Perückenstange,  die  übrigens  in  einer  ärzt- 
lichen Konsultation  begriffen  zu  sein  scheinen ,  über  Präparaten- 
gläser und  Mißgeburten,  gleitet  der  Blick  zu  Maschinerien,  die  auf 
die  armen  Leichtgläubigen  einen  ungeheuren  Eindruck  machen : 
komplizierte  Maschinen,    um   Pingernägel   zu  schneiden  —  offenbar 


324  äKäSSKätittiCiiOStiCiieiJSJCS-OiJCiiCSiSSiJSiSSi  INNERE   MEDIZIN  iSSSiöJSiiSjeiiKiSiSiOtJSSSiSiKSi'OtStStißiCtiKStäS 

eine  \'crluihniin,L;  ar/tliclicr  .Maßnalinicii.  Das  auti;csclila,i;cnc  Werk 
.s[ii'ii:lu  \on  einer  süperben  Erfindung  poiir  renieUre  les  qtaules:  alles 
Andeutungen  aut  W'rordnungen  und  .Maßnahmen  xon  Medizinern, 
die  nach  Ilogarths  Idee  alle  niil  Kanonen  nach  Mücken  schießen 
(Figur   188). 

Mit  diesem  TTc\i;arthsclien  Phantasiestück  beschließen  wir  die 
Reihe  Gemälde  der  inneren  Medi/in  und  soll  uns  dabei  die  köstlich 
karikierte  bigur  Marats,  der  da  gesagt  hat:  il  laut  laire  saigner  le 
genre   huniain,   den    Übergang  zur  blutigen     Therapie  vermitteln. 


Wir  sahen  so  die  Charakterisierung  des  Arztes  im  l^ilde  durch 
die  Geste  der  Urinschau  und  des  i'uislühlens.  Die  Tradition  als 
stärkste  .Macht  erkannte  dieses  galenisch-arabische  Dogma  zu  einer 
Zeit  noch  als  vorhanden  an,  als  die  Wissenschalt  längst  diese  simple 
Diagnostik  der  Lebenskralt  \er\vorten  hatte.  .-Xber  neben  der  Uromantie 
imd  neben  Pulsfühlen  existierte  noch  eine  dritte  Pose,  welche  aller- 
dings nur  eine  Nebenrolle  spielte.  Die  Betrachtung  der  Täkalien  ist 
ein  derartig  undelilcates  Ding,  daß  trotz  der  sou\eränen  Stellung 
des  Klistiers  und  der  Laxantien  gerade  im  siebzehnten  |alu-|iundert  diese 
ärztliche  Aufgabe  aut  (jemälden  meist  nur  angedeutet  wurde;  linden 
wir  aber  den  Doctor  excrementarius  dargestellt,  dann  meist  in  satirisch- 
karikaturistischer  .Aultassung  (siehe  zum  Beispiel  Satire  und  Karikatur 
Figur  13)  und  i])).  Die  darstellende  Kimst  hat  allerlei  X'ersuche 
gemacht,  den  Moliereschen  (Jeist  zu  interpretieren:  das  Cdysterium 
donare,  purgare,  repurgare  et  reclvsterisare  ist  zu  allerlei  künstlerischen 
Darbietungen  Veranlassung  geworden.     Die   noch  allgemein   leidende 

O  Oll  o 

chemische  Ausbildung  führte  aber  auch  die  \'ertreter  dieser  Richtung 
der  rohesten  l'.mpirie  zu  imd  es  ist  weder  unverständlich  noch  be- 
dauerlich, daß  auch  die  bildliche  Spottsucht  sich  an  die  Sohlen  dieser 
Atterärzte  heftete.  Robert  Xanteuil,  ein  (iünstling  Ludwigs  .\1\'., 
scheint  auf  den  ersten  Blick  in  dasselbe  liorn  zu  blasen.  Die  nähere 
Betrachtung  des  Blattes  aber  erweckt  ein  größeres  mediko-historisches 
Interesse.     Das  Fläschchen  mit  der  Aufschrift  'Tartarus  stibiatus   und 


iOiJSiSiJiSiißiOtiOtiOiJOiiOiJSiOtJStiCi-CiiOiXiiiOiiOiSiJS'OiiK^  Antimon  JKSssiJCiiSiiOtsjtiSJKioiSi-oiiSiCsiSssiCiiOiSiäSiKJK  325 


die    mehr    als    bösartigen  \'erse  weisen    aiit    den   errei;len  AntiniiMi- 
kampi   der  Pariser  Fakultät   hin.  der  i^erade   1666,  also  zur  Zeit   der 


I.V.  B-V^.SlN 


Fig.  189.     Der  Pariser  Anlinionstrcit   ( i  )60   bis    1666). 

Entstehung  des  Bildes,   wieder  durch   die  Freigabe  des  Mittels  nach 
hundertjährii^em   \'erbot  aktueh  ue\vc~)rden   war. 


326  si!Sii5tJK»iii>!SSsicS'«JS«i<5>si!<etiC('Ct:«S(St  Innere  Medizin  jCiiSSKJSiKJCiKXiOiiSSSißiCtiSißiS-iOtiSJßStiaiCSiSJOi 


AntinicMne,  so  genannt  gegen  den  Benediktinermitnch  Basiliiis 
\'aleiitinus,  der  das  Mittel  als  achtes  Weltwunder  gepriesen  hatte, 
gehörte  /.u  den  Arkanen,  die  als  Repräsentanten  der  Paraeelsisehen 
Theorie  im  Brennpunkt  des  Interesses  der  ärztlichen  Welt  standen. 
Die  Pariser  Akademie,  als  \'ertreterin  des  konser\  ati\  eii  (jalcnisnuis, 
hatte  diese  Panazee  aut  den  Index  (1360)  gesetzt  und  nnt  rücksichts- 
Kxser  Schärfe  \  erdiente  Ärzte,  wie  zum  Ikaspiel  Turquet  de  Maverne, 
wegen  ihrer  \'erteidigung  aus  ihrer  Mitte  gestoßen  imd  mit  dem 
]^anne  belegt  und  mit  den  gleichen  Straten  die  Arzte,  die  mit  ihnen 
konsultierten.  ]k\sonders  grimnn'g  ging  der  Pakultätsdekan  (iui  Patin 
(gestorben  i  (--72)  in  seinem  pikant  und  anekdotenhalt  geschriebenen 
».Martvrologe  de  l'Antimoine«  dem  .Mittel  zu  Leibe  und  von  ihm 
rührt  wohl  auch  das  Wort  lier,  dal,^  der  Spießglanz  mehr  .Menschen 
umgebracht  habe  wie  der  Dreißigjährige  Krieg.  In  Klammern  sei 
allerdings  erwähnt,  daß  dieser  erbitterte  Gegner  der  neuen  chemi- 
atrischen  Richtung  so  iür  Aderlässe  und  Sennestee  schwärmte,  daß 
er  zum  ]k'ispiel  bei  einem  Kranken  zweiunddreißigmal  diese  Proze- 
dur anwandte  und  selbst  drei  Tage  alte  Säuglinge  nicht  verschonte. 
Der  »CÄu'rus  Antimonii  triunijihalis«  hatte  durch  die  pj'iindung  des 
Tartarus  stibiatus  im  Jahre  1651  noch  eine  Steigerung  ertahren; 
durch  dieses  .Medikament  wurde  die  Antimonbutter  des  Mönches 
beinahe  verdrängt.  Zu  diesem  Kampl  nimmt  unser  oflenbar  als 
Porträt  meisterhaft  gezeichnetes  i^latt  Stellung.  X'ielleicht  stellt  es 
einen  der  degradierten  Arzte  Turquet  oder  Poterius  dar,  von  dem 
der  verantwortliche  Auttraggeber  Xanteniis  behauptet,  dal.^  der  lecker- 
mäulige Doktor  mit  dem  Leichenprediger  das  ILjnorar  teile  (siehe 
Figur  189). 


iX!S<i<i<f:<i'<>:<i<^<i'<i'<^.'^^^^^^ 


Ltldfn 

Fig.  190.    Miniaturc  aus  der  Chirurgie  des 
Theodericus  Cerviensis*^). 


CHIRURGIE 

\Wt  die  medizinische  We]tü;e- 
schiclne  durchblättert,  der  muß 
schon  gediegene  Kenntnisse  haben, 
nicht  nur  auf  diesem  Gebiete  selbst, 
sondern  auch  in  der  Kultur-  und 
Sittengeschichte  und  in  allen  Hilfs- 
wissenschaften, wenn  er  sich  rich- 
tige Bilder  rekonstruieren  will.  — 
Was  nützen  die  Kenntnisse  von  der 
Technik,  zum  Beispiel  der  Blasen- 
steinoperation, wenn  man  dem 
Milieu,  in  dem  sie  gemacht  wurden,  ohne  \'erständnis  gegenüber- 
steht. Die  heutige  Zeit  teiert  die  Wiedergeburt  der  Illustration.  Der 
Buchschmuck  der  italienischen  Oltizine  und  die  ganze  Ausstattung 
der  Bücher  des  Anfangs  des  sechzehnten  Jahrhunderts  ist  heute 
erstrebenswerte  und  vorbildliche  Kunst.  Alte,  längst  vergessene 
Werke  erleben,  neu  illustriert,  Absatz  und  Interesse.  Das  A'olk  lullt 
die  Schaukästen  der  Lichtspiele,  die  wie  Filze  nach  einer  warmen 
Septembernacht  emporschießen.  Ziel  ist  es,  im  Bilde  das  vor  Augen 
zu  haben,  und  vor  Augen  zu  tuhren,  was  gestern  in  der  Welt 
geschah.  Die  elektrische  Übermittlung  des  Bildes  wird  der  Höhe- 
punkt des  Bildtaumels  sein,  und  dann  werden  es  spätere  .Medizin- 
historiker leicht  haben,  aus  den  massenhatt  vorhandenen  Mosaik- 
steinen sich  ein  Bild  des  Tages  zusammenzusetzen.  Operateure 
lassen  sich  im  Kreise  ihrer  Assistenten  photographieren;  Operations- 
säle, Krankenpersonal  und  jede  veränderte  Xeuerfindung  eines  bereits 
uralten  \'erlahrens  wird  uns  im  Bilde  \orgetührt.  Sanatorien,  Krank'en- 


*)  Cyrurgia    edita    compiilata    a    domine    fratre  Theodorico    episcopo    Ceroiensi    ordinis 
predicatorum  etwa  1275  verfaßt,  zuerst   1498  gedruckt. 


328  »iii>ißiRi5S><K«!<5>S>JS'«S><5>J>!C>iC><S<SSi<ß'«  CHIRURGIE  3CiK!>'C>KS<S«<SiC>:»ii0i««<>:iC!'«!0>!SS!'iOiJSS!!S»iiSJ0t 


häuser,  Heilanstalten  aller  An  sclnnückcn  ihre  Reklainelnicher  mit 
Abbildungen  von  l-inricluimgen  der  Liegehallen,  W'dIiii-  und  liß- 
räunie  bis  hinab  zu  den  verschwiegensten  C)rlliehkeilen.  So  wird 
derjenige,  der  ein  paar  Menschenaher  später  den  baden  dieser  Dar- 
stellung auhiiniint,  an  einem  Cberiluß  an  Material  kranken,  wie  wir 
an  ihm   .Mangel   leiden. 

Aus  diesem  (jrunde  müssen  wir  dun  Begrill  der  klassischen 
Malerei  etwas  weiter  lassen  und  glücklich  sein,  überhaupt  Illu- 
strationsmaterial zum  Anschauungsunterricht  in  der  Medizingeschichte 
zu  bekonmien.  Der  medizinhistorische  Zweck  soll  uns  Bilder  aus 
einer  Zeit  genehm  machen,  deren  malerische  Oualität  Iragwürdig 
ist.  .\m  meisten  emjifmden  wir  diesen  Mangel  bei  der  Schilde- 
rung der  groLk'n  Cdiirurgie.  W'emi  wir  bei  den  Malern  der  Medizin 
Musterung  halten,  so  kennen  diese  nur  die  volkstündiche  chirur- 
gische Kleinkunst:  .\derlaß,  l-'ontanell  und  llaarseil,  Pediküre  und 
Pflasterkimst  machen  den  Hauptgegenstand  ihier  kleinen  beliebten 
Farbenkompositionen  aus.  Das  akademische  Cdiirurgenbild  sind  sie 
uns  schuldig  geblieben.  Der  CJrund  hierlür  liegt  darin,  daß  die 
berühmten  (diirurgen,  gleichzeitig  auch  Lehrer  der  Anatomie,  es 
vorzogen,  sich  in  der  Pose  des  Anatomen  \erewigen  zu  lassen. 
Demi  auch  die  akadenn'sche  (Chirurgie  liu  muer  der  Siandesmiß- 
achlung,  der  die  kleinen  handwerklichen  \'erlreter  der  Bader-  und 
Barbierchirurgenzuntt  ausgesetzt  waren.  Der  wichtigere  (irund  jedoch 
ist  der,  daß  die  Chirurgie  des  kleinen  .Mannes  in  jenen  'bagen 
triumphierte.  Die  kleinen  operalixen  Maßnahmen  gehörten  zu  den 
lieben  (jewohnheiten  seines  täglichen  Lebens,  (jroße  Operationen 
jedoch  waren  relativ  selten,  und  nur  ein  Reicher  konnte  es  sich 
leisten,  an   ihnen   zugrunde  zu  gehen. 

So  dürfen  wir  es  nicht  erwarten,  die  große  (diirurgie  im  Zu- 
sammenhang vorgetührl  zu  bekonnnen,  sondern  nur  kleine  .\us- 
schnitte  erwarte  man   statt  eines   lilms. 

Wir  haben  bereits  in  groben  Zügen  den  Lntwicklungsgang  des 
ärztlichen  Standes  in  den  vorigen  Kapiteln  kennen  gelernt.  In  nicht 
gleichen   Bahnen   bewegt  sich   der  Werdegang  der  ("hirurgie.     Schon 


StSiJSiOiiJtJCiiOi'CiiKiCiJOiSiSiSiKStJKJKiSSXiOt'CiSiißS^       Salerno JOiJßSi-OiiSJßSfiSSiJßiSißSiSiiJiiCiiOiJCiiOiSiSiiKK!!  329 


im  frühen  Mittelalter  tritt  eine  Trcnnuni^  ein;  während  die  Linie 
der  inneren  Medizin  eine  allmählich  ansteigende  ist,  verlault  die 
Kurve  der  Chirui^ie  in  stetem  Zickzack,  und  der  Stand,  der  sich  in 
unseren  Tagen  gern  als  die  Kavallerie  der  Medizin  bezeichnet,  sinkt 
oftmals    unter    das    Xiveau    der    kleinbürirerlichcn    Gesellschaft    und 


AV,»V.    -\'     /jSj  der  Bibliothek   Casanutcme .   Rem 

Fig.  191.     Dit   Chirurgie  der  Meister  Roland  von  Salerno. 
Wende   des  dreizehnten    |alirhunderts. 

wurde  bald  zum  Tummelplatz  allerhand  imehrlichen,  ja  ehrlosen 
Gesindels.  Die  Spaltung  der  gemeinsamen  Disziplin  in  zwei  so 
verschiedenwertige  Teile  liegt  nicht  zum  wenigsten  in  dem  Ver- 
halten der  Geistlichkeit  begründet.  Wir  haben  gesehen,  daß  in  der 
ersten  Zeit  die  Clerici  sich  nicht  nur  mit  der  inneren,  sondern  auch 
mit  der  chirurgischen  Heilkunde  befaßten,  und  daß  die  Ausi.ibung 
dieses  humanen  Berufes  Lebensaufgabe  ganzer  Orden  war.  Es  darf 
auch   nicht   unerwähnt  bleiben,    daß  die   Clerici    auf   diesem   blutigen 


330  SKStiissiStißjßjßiSSiJSJCtSiiSJßSiSiiSiSSi'etäS  Chirurgie  ■<i<f:i>:iff:^:<>:<f:<f:<f:i:f:<f/<^/t?.-^^^^^^ 


Gebiete  Hervorragendes  leisteten  uiui  auch  liicrariscii  Erwähnenswertes 
hinterließen.  So  scheint  der  J^ischot  PaiiUis  von  Merida  einen  Kaiser- 
schnitt ausgetührt  zu  liaben  (630),  und  so  gab  es  noch  eine  Reihe 
von  berühmten  (ieisthchen,  die  gleichzeitig  Arzte  waren,  so  Albicus, 
Professor  der  Medizin  in  Prag,  später  Przbischot.  dann  der  Bischof 
Aichspalt,  Arzt  Kaiser  Heinrichs  und  so  weiter.  l;s  ist  verständlich, 
daß  auf  die  Dauer  \ertreter  einer  allmächtigen  Kirche  und  gekrönt 
mit  der  Gloriole  der  Heiligkeit  ein  o(ieratives  Handwerk  nicht  betreiben 
konnten,  ohne  ihren  geistlichen  Stand  zu  kompromittieren.  Der 
Ximbus  ihrer  gottlichen  X'ertreterschaft  drohte  in  die  ]-5rüche  zu  gehen 
durch   operative  Mißerlolge,    die  bei   diesem   Berul   nicht  ausbleiben. 

Und  so  ergingen  bald  viele  päpst- 
liche \'erbote  gegen  die  Ausübung 
der  Heilkunst  der  Clerici,  so  nament- 
lich unter  imiocenz  111.  aut  dem 
Konzil  zu  l^eims  1131  und  aul  dem 
l.aleranischen  115^;.  Die  Würzburger 
S\-node  vom  Jahre  I29(S  verbot  so- 
gar die  (jegenwart  der  (ieistlichkeit 
bei  Operationen:  »Xullus  clericus 
artem  chirurgicam  exerceat  aut  ubi 
exerceatui',  intersit.«  Dies  \'erbot 
wurde  mehriach  wiederholt:  doch 
lesen  wir,  daß  einem  besonders  ge- 
schickten Bischof  jedesmal,  wenn  er  eine  Operation  ausführen  wollte, 
vorher  die  Absolutitm  erteilt  wurde.  Zuletzt  wurden  sogar  die  Pro- 
fessoren, welche  McHiche  unter  ihren  Zuhörern  duldeten,  mit  dem 
großen  Kirchenbann  bedroht.  Die  b'olge  dieser  Zustände  war,  daß 
die  (ieistlichkeit  sich  dienende  Leute  und  Handwerker  zur  X'errich- 
tung  namentlich  der  kdeinen  Ghirurgie  heranzog,  und  st)  geriet  diese 
in  unwürdige  Hände.  Die  hohe  Kunst  wurde  zum  Handwerk,  und 
sogar  zum  ehrlosen.  Man  warf  alles  in  einen  'Popf,  und  auch  die 
Steinschneider  und  Bruchärzte  wurden  unehrlich.  Durch  das  Aut- 
treten   der  Lepra    in   Deutschland    wurden    allert)rlen  Piadestuben  als 


Fig.  192.    Dresdener  Prachtausgalie  des 

Galen.     Vierzehntes  Jahrhundert. 

Ol>crativcr  Kingriff. 


anerkannte  Prtiphviaxe  eingerichtet,  und  das  Badewesen  in  [irivile- 
gierten  Stuben  nahm  einen  ungeheuren  Autschwung.  In  dem 
Ghuibensbekenntnis  vornehmer  Ilildesheimerinnen  kommt  noch  der 
Spruch  vor:  »Wir  gktuhen,  dal.'i  \ov  die  \'erstorbenen  Messe  lesen, 
Badestuben  heizen,  Almosen  austeilen  ein  loblich   Werk   sei.« 


in  Grund,  daß  das  Handwerk  der  ]3ader  unehrlich 
wurde,  lag  nicht  nur  in  ihrer  Ausübung  der 
kleinen  Ghirurgie,  dem  verderblichen  (j^uack- 
salbern,  sondern  auch  darin,  daß  die  Badstuben 
allmählich  Herbergen  der  Unzucht  und  der 
Leichtlertigkeit  wurden.  Der  Stand  der  l^ader, 
die  übrigens  auch  aut  den  Straßen  nnt  \'orliebe 
barschenkelig,  das  heißt  äußerst  wenig  bekleidet, 
sich  sehen  ließen,  war  so  tief  in  Mißkredit  bei 
den  ehrbaren  Zünlten  geraten,  dal.^  ihnen  sogar  die  Schwagerschatt 
eines  Kaisers  nicht  viel  liall.  Der  Schutzpatron  der  Bader  sollte 
Kaiser  Wenzel  sein.  Dieser,  in  die  Gefangenschaft  seines  Bruders 
Geraten,  wurde  aus  ihr  durch  die  heroische  Bademagd  Susanne 
irerettet,  die  er  zur  Xeben^attin  nahm.     Und  als  Ausdruck  der  (inade 


I'ig.  193.   Initial  aus  dem 
Werk  des  Vesalius. 


Fig.  194.     initialen   aus  dem  Werk  des  Vesalius. 

\erlieh  er  allen  Badern  des  ]\eiches  den  1-reibriet  vom  Jahre  1406. 
In  diesem  Privileg  dekretiert  der  Kaiser,  daß  das  Baderhandwerk  in 
allen  Reichslanden  den  besten  der  anderen  Handwerke  völlig  gleich- 
gestellt sei,  und  allen  Schmähern  der  Baderzuntt  drohte  er  das 
Köpfen.     Und   damit  auch   der  kaiserliche  Humor  nicht  fehlte,    ver- 


332  ■ö<K>K<K'(>s>JKi«!Otso>x>:)C><>:jS<s?>:s><0!!j>iC?!C!<s  (Ihirurgik  ■<^/<f:<:i<i<;i<i<f:<:i<f:<f:<i<:i<^:^^^^^^ 


lieh  er  den  Hadern  als  Zuiitlwappcn  ein  gülden  Schild,  in  dessen 
Uinraiuliini;  eine  verknotete  Aderlal.Uiinde  sich  heland,  nnd  als  Alitlel- 
punkl,  eine  \\il/ii;e  Anspielung  aut  die  spätere  Auslei;uni;  des  \\\)rtes 
»Salbadereien«,   ein    Papagei,   der  \'i)^el   der  (jeschwät/i^keit. 

Das  Wort  Salbaderei  oder  auch  Saalbaderei  soll  anL;eblich  aus 
|ena  stainnien,  wo  um  das  |ahr  1620  \-or  dem  Saaltore  eine  Bad- 
stube lai;,  die  einem  geschwätzigen  Kauz  namens  1  lans  Granich  zu 
eigen  war.  Tatsächlich  ist  das  Wort  \iel  alter;  schon  in  den 
l:|MStolae  obscurorum  \irorum  i)i)    kommt  es   \-or  (\etus  ille  Cacero 

et  alii  salbaderi).  Salbader  ist  iden- 
tisch mit  Seelbäder:  \'olksbäder,  die 
zum  Seelenheil  gestiftet  wurden. 
(Siehe  dlaubensbekenntnis  vor- 
nehmer  llildesheimerinnen.) 

L'nd  dreil.^ig  lahre  s[xtter  machte 
eine  zweite  Bademagd  ein  großes 
Autsehen:  der  ]:ngel  von  Augsburg. 
Die  (leschichte  der  Agnes  Bernauerin, 
die  der  verliebte  Sohn  Herzog  Hrnsts 
vcm  l^avern  heiratete  und  die  am 
12.  Oktober  i\])  zu  Straubing  \on 
llenkershand  in  die  Donau  gestoßen 
wurde,  hat  in  Hebbel  den  genialen 
Dichter  getimden.  In  diesem  Drama 
sagt  der  Bader  und  Cdiirurg  Kaspar 
Bernauer  zu  Herzog  Albrecht:  »\'or  lünlzig  Jahren  hätte  sie  (Agnes) 
hei  einem  Turnier  nicht  einmal  erscheinen  dürlen,  ohne  gestau|n 
(am  Schand[ilahl  mit  Ruten  geschlagen)  zu  werden,  denn  tlamals 
wurde  die  Tochter  des  .Mannes,  der  dem  Kitter  wieder  die  Knochen 
einrenkte  und  die  Wunden  heilte,  noch  zu  den  UneiuTchen  gezählt.« 
Und  diese  moralische  Unehrlichkeit  dauerte  tort  trotz  der  Keichs- 
polizeiordnung  x'om  lahre  ij^N  und  1377,  und  sie  \erschwand 
erst  mit  dem  Untergange  der  l-5aderzunll,  mit  ihrem  Unterliegen  in 
ihrem    ewigen  Streit    mit    den    F)albieren    und    den    Bartscheicrn    und 


Fig.  195.    .Steinschnitt.    (Magister  cxtr.i 

iiit  lapidcm.) 

Illustration  aus  der  ('hirurgia  Rolandi. 


JC?S><S!CtiKJS!CiSS<SStiC>SiS>S!J0tKXKS!Cii!0i<5ti«!   1]aI)IK   IM>  HakiuERE  SSiOiJCiiSJCÜiSSiiSSiJSSiiSiCüSi'ÖSiSi'Ct  333 

Chirurgen.  Die  Barbiere,  in  Kleidung  und  Auttreten  eleganter  wie 
ihre  Stiefbrüder,  die  Bader,  higen  in  lortwähreiuleni  Zwist  mit  ihnen 
wegen  des  Ineinanderübergehens  der  hunktionen.  Der  L'nehrliclil^eit 
entgingen  sie  wohl  deshalb  in  erster  Linie  nicht,  weil  sie  die  \\)r- 
bereitung  und  Zurichtung  der  Malehkanten  und  zu  Richtenden  zu 
besorgen  hatten   und   durch   ihre  Dienstleistung  als  Pestbalbierer. 

Die  Barbiere  hatten  lange  zu  lernen  und  bekamen  den  Meister- 
briet*) durch  Approbation  der  Phvsici;  dabei  hatten  sie  in  Hamburg 
zum  Beispiel  als  Meisterstück  l^raun-,  delb-,  Cirau-  und  (jrünptlaster 
herzustellen.  Die  Unehrlichkeit  die- 
ser (jilde  war  eine  Schande,  die 
sich  auch  aut  die  Nachkommen  ver- 
erbte, selbst  wenn  sie  nicht  solches 
Gewerbebetrieben.  Die  anderen  ehr- 
samen und  stolzen  Züntte  nahmen 
keinen  auf,  der  nicht  beweisen  konnte, 
er  sei  weder  Bartscherers- ,  noch 
Badstövers-,  noch  Linnenwebers-, 
noch  Spielmannskind.  Auch  die  Bar- 
biere haben,  wie  der  Bader,  zwei  be- 
riihmteTiKditer  autzuweisen:  Rosine 
iMenthe,  genannt  ALidame  Rudoltine, 
die  morganatische  Gattin  Herzog  Ru- 
dolts  von  Braunschweig,  und  auch 
derPrinz  von  Holstein- Augustenburg 
treite    eine     Kieler    Barbierstochter. 

Der  Streit  der  Bader-  und  Barbierchirurgen,  der  im  sechzehnten 
und  siebzehnten  Jahrhundert  \ieltach  zu  richtigen  Schlachten  getührt 
hat,  ging  bald  aut  das  literarische  Gebiet  über.  Es  rasselten  nur  so 
die  Streitschritten,  in  denen  sie  sich  gegenseitig  Pfuscher  in  der 
Chirurgie  nannten.  Amüsant  ist  die  Schmälischritl,  »die  durch  bessere 
Gegenvorstellung  entblößten  J3ader,  ihrer  mit  Feigenblattern  be- 
schmückten Vorstellung  entgegensetzet«.    Noch  im  Jahre  1702  tobte 


i^iiniimirinin,i^'tflln"iirmrifnnf>itii  ,v- 


Fig.  196.     Leistenbruchoperation. 
(Magister  incidit  crepaturani.) 

Bunte  Illustration  aus  der  Chirurgie  des 
Meisters  Roland. 


*)  OriLjinalbriefe  noch  vielfach  vorhanden. 


334  XSiO><KJS<Si(><5!<KJSi5iCiiSi!JßiöJSiß<SS><K<ßJSiK  CHIRURGIE  äKJßJSiSJKJSiCtKSiOiXSiSiSiKSSiSJeiJKSiKSiSiKSiSi'CiJK 


der  Kampf,  und  es  ist  ein  ^'eI'dienst  von  Jiiliann  K:is[ier  Schwärt/, 
Rcginientsteldscher,  zur  liinigkeit  zwischen  heiden  L;emahnl  zu  hahen 
durch  die  Schritt:  »Die  verzerrte  Narrenkaii[ie  der  Bartschererei:  das 
ist  der  Barbierer  und  Bader  unnötiger  Zwist  und  Zank  und  Malmung 
zum  Hauptzweck  ihrer  llandtierung  der  lullen  W'und-Artznev  zurück- 
zukehren, da  son.st  .Marktschreierischem  l.umpengeschmeil.'.,  Henker- 
mäßigen  Buben,  alten  wetterm.icherischen  Weibern,  und  anderem 
Hederlichem  (iesindel  m  dem  Cjeheunniß  der  Wuiulartznev  zu  wühlen, 
Thür  und  i'hor  angelweit  geöhnet  würden.«  Und  tatsächlich  lag  bei 
diesem  ewigen  Hader  die  Ausübung  der  Chirurgie  in  den  Händen 
lahrender  (ieselleii,  alter  \\'eiber,  Henker.  Quacksalber  und  herum- 
ziehender Abenteurer,  und  wurde  dies  erst  eigentlich  besser  durch 
den  Zusammenschluß  der  die  Cdiirurgie  von  Lehrern  ehrlich  gelernt 
habenden  .Magistri  in  chirurgia  in  den  Zünften.  Berühmt  ist  das 
Chirurgencollege  de  Saint  Come  zu  Paris,  dem  .Vmbroise  B.ue,  zu- 
nächst  selbst  Barbierlehrling,  später  angehorte.  Dal.^  auch  diese 
Chirurgen  höherer  Ordnung  einen  ewigen  Kampt  tührten  nüt  der 
l-'akultät  um  ( ileichberechtigung  mit  den  Phvsici,  ist  bekannt. 
Bekannt  ist  ierner  die  Sonderstellung  der  ßarbersurgeons  in  l:ng- 
land ,  die  es  verstanden  hatten,  trotz  ähnlicher  Kämpfe  um  ihre 
Stellung   frühzeitig  sich   Achtung   und  Ansehen  zu   NerschalTen. 

Die  L'berh.mdnahme  des  irregulären  HeiI|K'rsonals  im  lieben 
deutschen  \'aterlande  veranlaßte  mm  schon  ziemlich  Iruhe  Erlasse 
der  einzelnen  Reichsstädte,  in  denen  eine  Ordnung  lür  Medikos, 
tür  die  Aledici  und  Wundärzte  festgestellt  wurde.  So  bestimmt  zum 
Beispiel  die  interessante  neuere  Ordnung  vom  Jahre  1655  \ou  Lim, 
daß  nur  der  Wundarzt,  er  sei  ]3arbierer,  Bader,  Okulist,  Schnittarzt, 
sein  Becken  aushängen  und  sein  ll.mdwerk  treiben  dürle,  der  sein 
Meisterstück  vor  dem  Sladtmedikus  absolviert  habe.  Hs  wurde  ihm 
angeraten,  sich  in  schweren  l'älleii  mit  den  Docioribus  imd  anderen 
Wundärzten  zu  beraten,  dagegen  sollte  sich  ü<j\-  Wundarzt  eutraten, 
dem  brauenvolk  purgierende  und  truchtlreibeiule  Arzneien  zu  ver- 
schreiben, was  nur  einem  .Medico  zukomme,  bs  soll  ihnen  aber 
nicht  verboten  sein.  (Gefallenen,   Gestoßenen,  Gestocheneu,  Im-  heftig 


jOtiS?S!ßjCiSX<ß!S!Ci!0>!0>!C«!etSiK>:«<i>s>S!;Oi!0><KS>  Scharfrichter  3C5S>iKiß!OtiC«!ßiS!S!OiS><ß!KJS!»iS!Oti>!Cü!0!  335 


^'erMuten,  Gliedwasser,  BianJ  und  so  weiter  innerlichen  Trank  zu 
verschreiben  (Gurlt,   CJeschichte  der  Chirurgie  II,  Seite   13). 

Allen  diesen  unglaublichen  Zuständen  machte  der  Große  Kur- 
türst  in  Preußen  ein  linde  durch  ein  lidikt  \'üni  Jahre  161X5,  welches 
die  Tätigkeit  des  gesamten  Heilpersonals  einschließlich  Rader,  Bruch- 
ärzte und  Schartrichter  ordnete.  Die  neue  Zeit  aber  beginnt  mit  der 
berühmten  Medizinalordnung  Friedrich  Wilhelms  1.  vom  Jahre  1723, 
welche  die  Grundlage  der  heutigen  preußischen  Medizinalvertassung 
abgibt.  Nach  dieser  mußte  ein  Chirurg  einen  Lehrbriet  über  sieben 
Jahre  beibringen,  als  Feldscherer  gedient  und  auf  dem  königlichen 
Theatrum  anatomicum  einen  Operationskursus  mitgemacht  haben. 
Den  Badern  wurden  getährliche  Kuren  verboten  und  mußten  sie 
außerdem  vom   Collegium   medicinale  approbiert  sein. 

Gänzlich  untersagt  das  Edikt  allen  Studierenden  der  Medizin, 
allen  Predigern,  Chvmisten,  Laboranten,  Branntweinbrennern,  Juden, 
Schätern,  Doctoribus  bullatis,  alten  Weibern,  Segensprechern  alles 
innerliche  und  äußerliche  Kurieren ,  Urinbesehen  und  so  weiter. 
Den  Schartrichtern  besonders  wird  ihre  früher  erschlichene  Kon- 
zession hierzu  kassiert.  Dagegen  muß  konstatiert  werden,  so  pein- 
lich das  auch  ist,  daß  vieler  Schartrichter  überflüssige  Söhne  — 
die  iTon  vererbte  sich  aut  den  Erstgeborenen  —  Arzte  und  Chir- 
urgen wurden.  Der  Sohn  Hennings  L,  des  Schartrichters  \on  Ham- 
burg, wurde  zum  Beispiel  dort  Medicinae  Practicus  und  der  Senat 
gestattete  ihm  ausdrücklich,  auch  »seine  Geschicklichkeit  in  puncto 
artis  chirurgiae  von  hiesigen  Barbieren ,  Wundärzten  imd  Badern 
unangetochten  zu  exerzieren«.  Auch  sonst  gibt  es  viele  Beispiele, 
daß  Schartrichter  ihr  Beil  Wegwarten  und  statt  dessen  zum  chirur- 
gischen Messer  griflen.  In  den  Stadtprotokollen  werden  sie  Schinder- 
doktor genannt. 

Diese  X'erhältnisse  wiederholten  sich  ungetähr  in  derselben  A\"eise 
nicht  nur  in  Deutschland,  sondern  auch  in  den  Nachbarländern.  Am 
besten  ist  die  Geschichte  der  Barbierchirurgen  in  England  bekannt 
und  durch  Dokumente  belegt;  für  Deutschland  muß  erst  die 
Standesgeschichte  der  Chirurgen  geschrieben  werden,  da  das  unver- 


5^6  jss'SiiSSi'CtiSSiSKiSSiSiisStiCiJJiiSStSiiOijßiK  Chirurgie  ■i>:^:i>:<i<^:^:<9:<f:<i<>:0.'^^^^^^ 


glcichliclie    Werk    Gurlts    «Die    Gescliiclite    der    (".hirurgie«    diesem 
Abschnill   kein  uesundertes   Interesse  zuwendet. 

Kine  WirausschickunL;  dieser  \'erliältnisse  war  zum  \'erständnisse 
der  folirenden  Ciemälde  notwendii^',  denn  die  1-rwarlim^,  künstlerische 
Darstellungen  uroL^er,  blutiger  l'ingrille  zu  Imden,  erlullt  sich  -  (iott 
sei  Dank  -  nicht.  X'or  solchen  .Mißgrillen  bewahrte  das  echt  künstle- 
rische Gefühl  den  .Maler;  außerdem  hatte  er  und  sein  Publikum  auch 
keine  Gelegenheit,  solche  zu  sehen;  auch  steht  es  lest,  dal.^  man  im 
Bilde  nur  Bekanntes,  Ciewohntes  gerne  sieht  und  durch  das  Unerhörte, 
Ungesehene  des  Geschilderten  die  l'reude  am  Kunstwerk  selbst  \erliert. 
Mehr  oder  weniger  künstlerische  Darstellungen  der  großen  Ghirurgie 
linden  wir  in  den  ärztlichen  Lehrbüchern  der  damaligen  Zeit,  so  in 
(lersdorts  beldbuch  der  Wundarznei  der  Chirurgie  von  della  C^roce 
und  anderen.  Was  aber  die  Maler  tesselte,  das  war  das  Leben  und 
Treiben  in  den  Baderstuben,  die  Ausübung  der  kleinen  C>liirurgie  in 
den  Budiken  der  Barbierchirurgen,  wo  es  meist  lustig  zuging  und 
Dinge  passierten,  die  jedermann  kannte  und  erlebte. 

Diese  Sittenschilderungen,  Studien  aus  ilem  kleinbürgerlichen 
Leben  waren  aber  vornehmlich  in  Holland  zu  linden,  jener  \-on 
monarchisch-aristokratischen  Stürmen  uniHuteten  Jnsel  freier  bürger- 
licher Betätigung.    ■ 

Bei  dem  Studium  der  antiken  Medizin  in  ihren  künstlerischen 
Erzeugnissen  sind  wir  im  wesentlichen  aut  \\'erke  der  i'laslik  an- 
gewiesen. Aus  dem  ganzen  Charakter  des  Hellenenvolkes  aber  kann 
man  schon  a  priori  ihr  großes  Interesse  lür  medizinische  Dinge 
vermuten.  Die  breiten  homerischen  Schilderungen  von  \'erwun- 
dungen  und  deren  Heilungen  durch  Helden  waren  beliebte  Sujets 
für  bildnerische  Darstellungen,  xon  denen  einige  auf  Keramiken 
und  Reliefs  sich  erhalten  haben.  Daremberg  hat  bereits  i86)  vier 
solche  X'asenbilder  in  seinem  Buche  »La  Medecine  dans  Homere« 
beschrieben.  —  Die  Winuibehandlungskunst  ist  bei  Homer  beinahe 
ein  Gemeingut  der  Helden  und  Schlachtenl'ührer.  Allen  xoran  aber 
besaßen  diese  hohe  Kenntnis  des  Askle[iios  Sc)hne  Machaon  und 
PodaleiriüS ,    von    denen     namentlich     .Machaon    der    bekanntere    ist. 


äK5K!0t5KS>iCiJ5-Sii5iJßS!Si!«S!tSi!O':!5t!KSC!3KSSSiS?SC5äS  PatrOKLOS  KJiJCtiKiSiKiKiSJCiSiiaJS'CiJßiKiOiJKiOtSiiKSKiOiiCi  337 


Als  dieser  selbst  den  dreischneidii^en  Pieil  in  die  reelite  Schulter 
erhielt,  iuhr  ihn  Nestor  mit  stampfenden  Rossen  zu  den  Schiffen, 
damit  er  den   l-'einden  nicht   in   die   Hände  üel : 

»Denn   L-in   hcilenJci'  Mann  ist   wert   wie  viele  zu   achten. 
Welcher  die   Fteile  ausschneidet,   und   aufleimt   linilernden   Balsam.« 

(Ilias  9,  Vers  514.) 


Btitinfi-  Aii/i:/!tiirtii ui. 

Fig.  197.     Schale  des  Sosias,  etwa   500  v.  Chr. 
Achilleus  verbindet  Patroklos. 


Auch  Patroklos  war  nicht  nur  der  berühmte  Held  des  Schwertes, 
sondern  verstand  sich  auch  auf  das  Messer: 

luirvpvlos  zu   Patroklos: 
»Aber  errette   du  mich,  zum  dunkelen   Schifl'e  mich   führend. 
Schneid"  aus   dem   Schenkel  den   Pleil   und  rein  mit   laulichem   Wasser 
Spule   das  schwarzliche   Blut;   auch   lei^e   mir  lindernde   Würz'  auf. 
Heilsame,  welche  du  selbst  von  Achilleus,  sagt  man,  gelernet, 
Ihm,  den  Chairon  gelehrt,  der  gerechteste  aller  Kentauren.« 

Eine  ähnliche  Darstellung,  wie  sie  übrigens  bei  Homer  selbst  nicht 
vorkommt,    besitzt   das  Antiquarium    des  Berliner  Museums    in    der 

Holl.'inder,    Di<_-   Mediziü    in   der  klassischen  Malerei.      2.  Auflage.  .2  3 


33^  SKSi!K<<!S<KJ5S>!S!0«-Oi>C*»>!ÖS>ie>sSIC><SiSäKSK  CHIRURGIE  3CiäKiCi:«!ßS><S!S«<K»:J0>!0>S!<0i!C*S><Ki5<KS>S<<!i<5<5i 


Schale  des  Sosias.  Wir  sehen  aul  der  aus  dem  lünllen  Jahrluiiuleil 
vor  Christi  (iebiirt  slanimenden  Keramik  zwei  mii  Achilleus  und 
Patroklos  bezeichnete  1  leiden  in  \  oller  Rüstung; ;  der  erste  \  erbindet 
nun  den  Arm  des  breundes  mul  lei;t  kunstgerechte  AchlertoLiren 
mit  einer  weißen  Rinde  um  dessen  Arm.  Schon  der  Irüheste  Be- 
schreiber  dieses  Grübertundes,  der  llcrzoi;  von  I  ,u\nes  (Annali  dcl- 
ristit.  di  corresp.  archeol.  11,  ]N)o),  konstatiert,  daß  Achill  die  zwci- 
köpiige  Binde  verwendet  inid  daß  die  Touren  im  modernen  Sinne 
kunstgerecht  liegen.  I'ine  N'erwundung  selbst  ist  nicht  zu  sehen,  und 
man  konnte,  da  eine  solche  Szene  auch  bei  Homer  nicht  vorkommt, 
an  die  eben  zitierte  Stelle  denkend,  vermuten,  daß  der  Künstler  die 
Unterweisung  des  Patroklos  in  der  ärztlichen  Kunst  durch  Achilleus 
habe  darstellen  wollen,  wenn  nicht  die  ganze  Haltung  des  Patroklos 
doch  tür  eine  \'erwundung  spräche.  Sein  linker  bul.^  stemmt  sich 
wie  im  Schmerze  auf,  der  heindose  Kopt  wendet  sich  ab,  damit  der 
Ireund  seinen  Schmerzensausdruck-  nicht  sieht;  diesen  letzten  hat  der 
Künstler  durch  die  Sichtbarkeit  der  weißen  Zähne  angedeutet.  Am 
Boden  liegt  der  Pteil,  der  offenbar  eben  erst  der  Wunde  entrissen  ist. 
Befruchteten  so  die  homerischen  Schlachtgesänge  das  künst- 
lerische l-jn[ilinden  ihrer  Zeit,  so  sehen  wir,  dal.^  auch  Jahrhunderte 
nachher  noch  der  'l'rojanisclie  Krieg  und  sein  erweiterter  Sagenstoff 
aktuelles  Interesse  hat  und  sozusagen  (jemeingut  der  debildeten 
geworden  ist.  Zeugnisse  linden  wir  aul  unzähligen  klassischen 
Kun.stprodukten.  Pine  (H)mjiejanische  Ireske  aus  dem  Triklinium 
eines  Hauses  bei  den  Stabianischen  Ihermeii,  jetzt  im  Xational- 
museum  in  Neapel,  hat  lür  uns  ein  besonderes  Interesse,  stellt 
sie  doch  ollenbar  eines  der  ältesten  Kunstwerke  größeren  Stiles 
dar,  aul  dem  ein  operali\er  Ivingrid  \eranschaulicht  wird.  Ps 
sei  daran  erinnert,  dal.^  achtundneunzig  Jahre  nach  dem  Tode 
Vergils,  des  Dichters  der  Aneis,  Pompeji  zerstört  wurde  und  durch 
dieses  Naturereignis  uns  diese  große  Illustration  zu  den  \'ergil- 
schen  Versen  erhalten  wurde.  Die  breske  selbst  (siehe  l'igur  19N) 
stellt  eine  Szene  aus  den  letzten  Pntscheidungskämpten  der  Trojaner 
und  Patiner  dar.    Aneas   ist   durch   einen  Pleil  von  unbekannter  Hand 


in   den  Oberschenkel  schwer  N'erwunJet  und  mit  niühsain  wcchsehi- 
dem  Schritt  ins  Lager  zurucki^etührt. 

»Schmerzvoll  tobt  er  und  ringt  am  gebrochenen  Rohr, 

Das  Geschoß  sich  auszureilien,   und   er  verlangt, 

Dali  mit  dem   Schwert   die   Wunde   man  aufschneide,  und   bis  zum   Innern 

Ganz  nachgrabe   dem  Pfeil  und   zurück  ihn  send'  in   die  h'eldschlaeht.« 

In   dieser  Situation   erscheint  nun   der  ahe  Arzt  japis,   von   dem 
W'ruil   nach   homerischer  Weise  die  einleitend  bereits  zitierten  Verse 


big.  lyS.     Aneas  und  Japis.     Pompejanische  Freske. 

sagt.  Und  nun  steht  da  Aneas,  aut  die  lange  Lanze  gestützt  imd 
auf  Julus,  den  weinenden  St)hn.  Der  alte  Arzt,  nach  päonischer  Art 
in  ein  hinten  geschlossenes  (lewand  gekleidet,  versucht  vergeblicli 
mit  seiner  heilenden  Hand  und  Phöbus"  gewaltigen  Kräutern  sein 
Glück: 


340  SKißJSiSSXiSJSiSißiSSiiKSiSiSiStSiJKSiJOiJSJJi  ChIRURGII;  JKSSäSiSiKißJKißSiSiJSSiStiKJCSiCSiKJIiS^ißiO-JCi-SiJ'SK 


Umsonst  an  dem  spitzigen  Pfeile 

Rüttelt  er  oft  imd  fasset  mit  kneipender  Zange  das  F.isen. 
(Prensat  tenaci  forcipe  ferrum.) 

In  diesem  luiclulrani.uisehcii  Momciu,  als  ringsherum  die  leinde 
schiin  im  \'or>;elLihl  eines  Sieges  das  Lager  hart  heslürmen,  erscheint 
dem  Sohne  inul  auch  dem  Arzte  als  1  lelterin  A[ihi()dile;  imd  diesen 
Moment    hat    der    Kimstler    auf   seinem    (iemalde    lestiiehalten.      Die 


Paris. 

Fig.  199.     Aderlali.     Aryljallos  l'eytcl. 

helfende  Mutter  pllückte  selbst  vom  Berge  Ida  das  rettende  Kraut 
Diktanmus,  und  gießt  die  Panacee  in  des  Ar/tes  Wundwasser. 
Das  hilft!  Die  Blutung  steht,  die  Schmerzen  schwinilen  und  das 
Geschoß  gleitet  zwanglos  aus  der  Wunde,  (leschah  dies  alles  diu'ch 
göttliche  Kraft,  so  verleugnet  sich  jetzt  in  Japis  nicht  der  alte  l^rak- 
tiker:  »Waffen,  gebt  schnell  Waffen  dem  .Mamie!«  sind  Jaiiis'  erste 
suggerierende  Worte,  was  in  luiser  modernes  Deutsch  übersetzt 
ungefähr  so  lautet:  So,   mm   sind  Sie   wieder  völlig  arbeitslähig! 

Vergil  hat  in  seinen  Dichtungen  solche  i\'enninis  in  ^\izy  Natur- 
kunde imd  den  i'.rkr.mkungen  \on  Tier  und  .Mensch  bewiesen,  daß 
manche   ihn   überhaupt   unter  die  Dichterarzte  zahlen.      Das    rettende 


SiiCiSiJOiiJtStiOiJSiSiö'iSSiiOiSi'CiiJtiOiJC*  Dil    AMiKi    Ki.i:iNE  Chirurgie  SKSiStSiiSSiiJiiSJSSiiSSiSiißjyS  341 

Kraut,  der  kretische  Diktaiiinus,  war  im  Altertum  hocliberüiimt. 
Die  alten  Ärzte  hielten  die  wür/i^en  Kräuter  der  Insel  Kreta  für 
besonders  heilkrättit;,  und  (ialen  erwähnt  in  seinem  ]5uch  de  Anti- 
dotis,  daß  die  römischen  Kaiser  auf  dieser  Insel  Kräutersammler 
unterhielten,  die  sie  und  die  romischen  Apotheken  versori^ten. 
Dioskorides  berichtet,  man  dürfe  den  roten  Diptam  nur  unter  die 
Fußsohlen  legen,  so  zöge  er  die  Spitzen  der  Pfeile  heraus;  besondere 
Heilkraft  habe  aber  der  in  die  \\'unden  getröpfelte  Saft  der  Pflanze. 
Die  Schrittsteller  erwähnen  ferner,  daß  selbst  angeschossene  Gemsen 
den  Diptam  fressen,  zur  Linderung  und  schneller  Heilung  ihrer 
Pf  eil  wunden*). 

Unter  den  wenigen  Vasenbildern,  welche  ihr  Sujet  dem  ärzt- 
lichen Kreise  entnehmen,  gibt  es  eine  kleine  Gruppe,  welche  sich 
mit  der  Pflege  Verwundeter  beschäftigt  (siehe  »Plastik'  und  Medizin« 
Seite  498).  Wir  erinnern  hier  noch  einmal  an  die  schone  Vase,  die 
E.  Pottier  zuerst  beschrieben  hat.  Da  wir  an  anderer  Stelle  (siehe 
»Plastik  und  Medizin«  Seite  493)  das  aufgerollte  Vasenbild  zeigten, 
so  wollen  wir  hier  nur  die  auch  von  Sudhoft  beschriebene  \"ase 
abbilden.  Ohne  Zweifel  handelt  es  sich  um  den  Moment  eines 
Aderlasses. 

Bevor  wir  nun  zur  Schilderung  und  Wiedergabe  der  Vorgänge 
in  den  Badstuben  kommen,  müssen  wir  uns  zunächst  etwas  mit  den 
kleinen  chirurgischen  Hingriflen  beschäftigen,  die  zu  den  regelmäßigen 
Funktionen  der  l^arbierchirurgen  innerhalb  und  außerhalb  der  Bad- 
stuben gehörten.  Es  setzte  sich  diese  ganze  kleinchirurgische  Kunst 
zusammen  aus  der  dreifachen  Tätigkeit  des  Klistierens,  Schröpfens 
und  Aderlassens. 

Es  ist  interessant,  daß  die  Aderlaß-  und  Schröpfkunst  als  zwei 
Machtmittel  der  chirurgischen  Kleinkunst  alle  Stürme  und  Regierungs- 
wechsel der  .Methoden  und  Meinungen  überdauert  haben.  Die  Medizin- 
geschichte lehrt,  daß  diese  Mittel  zwar  \orübergehend  einmal  etwas 
in  Vergessenheit  geraten  konnten,  um  dann  aber  jedesmal  wieder 
zu  neuer  Herrlichkeit  zu  erstehen. 

*)  Siehe  J,  C.  W.  Mößen,  Sammlung  vnn   Bildnissen  usu  .     Berlin   1771. 


34-  stJSJöJSSi'CiiiSiSSiiSSSissiiKJCti^iS-SiKSiJOiiC!  Chirurgie  äSJSiSJSiSJOiJSJSiS^issiSJKStiSJS^iSiSStjeiiSiSiCiiK 


Das  unpoetischste  aller  Instrumente  und  der  unästlietiscliste 
aller  Eini^rillc.  die  postcrii^re  Xachliille,  liat,  man  sollte  das  kaum 
t;lauben,  doch  viellach  den  Künstler  als  Siijci  i;L'rci/l.  Daß  es 
hierbei  weniijer  aut  rein  künstlerisches  Wollen  ankam.  lici;t  aut 
der  Hand,  namentlich  wenn  man  sieht,  daß  meist  ältere  lran/t)sische 
Autoren  den  Hin^rifV  ilkrstrieren.  .\ul  den  uns  bereits  bekannten  Bildern 
Jan  Sleens  enlschliel.U  sich  der  Doktor  otleiibar  unschwer  zu  dieser 
operativen  Leistuni;.     Der  bekannte  Iranztisische  Sitten-  und  Kt)stüm- 

schilderer,  Abraham  Bosse,  hat  uns  einen 
Kupierstich  hinterlassen,  aut  dem  er  dem 
in  damaliger  Zeit  wichtigsten  Instrumente 
ein  Denkmal  setzt.  Die  Erlindun^  der 
r  Stempel-Klistierspritze  verdanken  wir  dem 

I"  "^"^^fll^r^^i^^  J  t::?1        berühmten     arabischen     Arzte    Avicenna 

(starb  1057),  und  (jatenaria,  Professor 
in  Pa\-ia,  scheint  sich  um  die  Populari- 
sierung dieses  Instrumentes  verdient  ge- 
macht zu  haben.  Er  gibt  in  seinem 
Werke  eine  Abbildung  desselben  mit 
folgender  Beschreibung:  Ilaec  est  forma 
clvsteris,  quam  non  intelligunt  multi  et  quam  describit  Avicenna  usw. 
(Dieses  ist  die  Form  der  Klistierspritze,  welche  die  wenigsten  kennen 
und  welche  Avicenna  beschreibt.)  Dal.^  vorher  statt  der  Klisliersfiritze 
der  Pinlaul  in  Knieellenbogenlage,  die  übrigens  auch  in  unseren 
Tagen  neu  erhmden  wurde,  vorgenonnnen  wurde,  lehrt  uns  eine 
Miniatur  des  vierzehnten    lahrluinderts  (siehe  1-igur  200). 

Aus  dem  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert  existieren 
obszöne  P'lugblätter,  auf  denen  Weiber  mit  großen  Brillen  abgebildet 
sind,  wie  sie  beim  Scheine  einer  Stallaterne  diesen  Eingrif!  aus- 
üben. Die  Vorgeschichte  des  Klislieres  selbst  aber  verläuft  nach 
den  alten  Schriftstellern  (Pliuius)  in  die  graue  \'orzeit.  Die 
Menschen  lernten  den  debrauch  der  Sage  nach  \()n  dem  ägy|i- 
tischcn  Weisheitsvogel,  dem  heiligen  Ibis,  von  dem  berichtet  wird, 
daß    er    sich    selbst    klistierte.     Der    zweite   kleinchiruri'ische   I  land- 


<:,!/,„.   Pra,-htk,ul,\v  Ihrstti-n 

I'ig.  200. 
Knicclknboffcnlasrc  beim  Einmili. 


!C><c>!0!!C>'e!iS!C>i5t!>:i5s><sio>KXK>Jss>i>:<o>!0!!SiS!iii^^  Badstubex  50!5KSi!C>i0iSii5t:-cis>:;«<KS>:i>:i5<0iiei!ö<s<S!O'5K<!>  14; 


griff    war    das  SchröptL'H,    welches    meist  blutig   in   den  Baderstuben 
ausgeübt  wurde. 

Das  Baderwesen   nahm   im   mittelalterlichen  Volksleben  einen  so 
breiten   Raum  ein,    daß  es  beinahe  selbstverständlich   ist,    daß    diese 


Fig.  201.     l'i-;uienb.Ki   mit   Schrnpfszcne.     Von  Hans  .Sebald  Beham. 

im  Verhältnis  zur  Neuzeit  weitverbreitete  \\)lk-ssitte  ihren  malerischen 
Ausdruck  getunden  hat,  um  so  mehr,  als  dies  Motiv  den  Maler  durch 
die  Wiedergabe  nackter  Körper  reizen  mußte.  So  sehen  wir  denn 
auch  auf  vielen  Gemälden  des  fünfzehnten  und  sechzehnten  Jahr- 
hunderts Badeszenen  geschildert;  und  wenn  wir  der  Wahrheitstreue 
dieser   mit  dem  Pinsel  geschriebenen  Chroniken   trauen   dürfen,    so 


344  äK?SS>S>i5i«S!>iS!ßiKS>:i5<SiOt<K»iiS»iißiKiöäS  ChirURGII   SSSiSiiKSiiSKSJSieJö^löiißiOi.^SiSiJKSiiSSSJOiiSJCSJK 


wurde  trotz  der  Siltenx  ericiluini;  jener  Zeit  der  Anbliek  eines 
nackten  Krir[iers  als  nichts  Unmoralisches  eni|ilunden  imd  entbehrte 
ganz  des  sinnlichen  Reizes,  dei'  heutzutage  in  der  lüilhulluni;  liegt, 
»nie  qudd  tibsccKMias  in  apertt)  corjiore  [larles  viderat,  in  cursu  qui 
fuit,  haesit  anmr.«  Diese  klugen  \'ersc  Ovids  (de  rem.  am.  .|2t;) 
haben  dem  Ästheten  .Montaigne  schon  die  klassische  Stüi/e  gegeben 
lür  seine  .\ultassung,  daß  die  alten  .Meister  der  Kunst  als  ein  Rezept 
gegen  die  \\'ollüsligen  Begierden  verordnen,  den  Korper,  auf  dun 
die  Begierden  gehen,  durchaus  ganz  und  Irei  zu  beschauen;  um  die 
Liebe  zu  maßigen,  braucht  es  weiter  nichts,  als  den  geliebten  (jegen- 
stand  ohne  Zwang  zu  sehen.     .\U)ntaigne,   Kssaws   II,    12. 

Aut  Darstellungen  von  Kirmessen  und  ollentlichen  Lustb.irkeiten 
sehen  wir  in  einer  j-.cke  .Männer  und  brauen  ein  l^ad  nehmen  in 
einem  Bache  oder  in  gemauerten  Bassins,  ohne  dal.^  Umstehende 
gaften.  In  dieser  P)ezieluing  war  jedenlalls  die  alte  Zeit  sittlicher. 
Neben  diesen  Bädern  imter  Ireiem  Himmel,  den  Cluell-  und  W'ild- 
bädern,  linden  wir  nun  aber  auch  eine  ungemein  \erbreitete  \'er- 
wendung  der  Warm-  und  .Schwitzbäder.  Wir  sehen  aus  den 
Gemälden  und  vielen  Holzschnitten  und  Kuplern*),  wie  sich  das  Leben 
in  den  I^ädern  unter  freiem  llimmel  meist  recht  gemütlich  und  lustig 
gestaltete.  Neben  den  ]-5adenden  sieht  meist  ein  biedelmann  oder  ein 
Bläser,  und  im  Bade  wird  gegessen  und  getrunken.  Am  bekanntesten 
von  diesen  13arstellungen  ist  Dürers  Holzschnitt  ;)Das  .Männerbad«, 
welches  für  eine  ganze  Reihe  ähnlicher  Darstellungen  mal.^gebend 
geworden  ist.  \'om  medizinischen  .Standpunkt  interessanter  sind  die 
zeitgenössischen  Schilderungen  der  Badstuben.  Aus  diesen  geht 
hervor,  daß  es  im  weseiuliclien  Schwitzbäder  waren,  die  genommen 
wurden,  keine  Wannenbäder,  und  daß  die  grol.Vai  KachelcMeii  nur 
trockene  Hitze  lieferten;  Dampfbäder  wurden  durch  Übergießen  der 
glühenden  Steine  mit  Wasser  eizielt.  Diese  Schwitzbäder  galten  als 
glänzendes  Präser\ati\ mittel  "e^eii  den  Aussatz  und  erreichten  eine 
große   Blüte,    bis   das    massenhafte    Auftreten    der    Lustseuche    ihre 


"J  Siehe  das  gesamte  Material  bei  .\lfre<l  .M.irtiii.  Deulsclics  Badcwcscn  in  vergangenen 
Tagen.     Diederichs,  Jena  1906. 


jS!eiJS<SiKi«S>K>!S>iOi!Ct<S«!O'!CiiC>StiS<0iSi-«!S(<SiSiOi  Badstubex  SSiOtSiiJiJSJSJKiKJCiSiSiiCiSiSiiCiSt-OiJOi^iKJOtäK  345 


^W■itercnt^vicklung  verhinckTtc.  Durch  die  Konta^ion  und  durch 
die  Un/ucht,  die  sich  bald  in  diesen  Badstuben  entwickelte,  wiu'den 
sie  selbst  bald  zu  den  verrutensten  x\nsteckungszentren  tiir  die 
Syphilis.  Seht)!!  trühzeitig  wurde  die  Weiterverbreitung  der  Lust- 
seuche durch  die  Bader  erkannt.  Scht)n  1496  verbot  der  Nürnberger 
Rat  allen  Badern  bei  einer  Pön  von  zehn  Gulden,  die  liisen  und 
Messer,  die  sie  bei  einem  kranken  Menschen  benutzt  hatten,  in  einer 
Badstube  weiter  zu  verwenden.  Hans 
Sebald  Beham,  der  genialste  und  flot- 
teste Miniaturist  seinerzeit  und  wohl  der 
beiieutendste  Schüler  Albrecht  Dürers, 
hat  uns  einige  Badszenen  hinterlassen, 
die  zum  Teil  recht  Irei  sind.  Das  bekann- 
teste ist  sein  Frauenbad  (siehe  Figur  201). 
Neun  Frauen,  junge  und  alte,  sitzen  aut 
Holzbänken,  im  Hintergrunde  sieht  man 
den  großen  Kacheloten  und  am  Boden 
stehen  kleine  \\\isserkübel.  Wir  sehen 
nun  aut  dem  Bilde,  wie  ein  Bader  eine 
Frau  am  Arme  schroptt.  Fr  benutzt 
dazu  eine  kleine  spitze  Fampe,  die  die 
Form  einer  alten  römischen  hat.  Genau 
wie  heutzutage  wurde  auch   damals  die 

Schwitzkur  betördert  durch  das  Schlagen  der  Haut  mit  Laubruten, 
dem  Wedel,  imd  wir  sehen  diesen  \\)rgang  aut  einer  kleinen  Radie- 
rung desselben  ALtlers  (siehe  F'igur  202)  geschildert. 

Ein  ähnliches  Bild,  gewissermaßen  eine  mittelalterliche  Badstube 
erster  Klasse,  malte  uns  ganz  in  Rubensscher  Manier  Cornelis  Hol- 
stein (163  i).     Das  Gemälde  befindet  sich  in  Kassel  (siehe  Figur  205). 

Wir  sehen  auf  demselben  ein  Durcheinander  von  badenden 
respektive  schwitzenden  AFmnern  und  Weibern,  bedient  von  Badern. 
Einige  sitzen  und  stehen  auf  einem  von  durchbrochener  Fk^lz- 
bekleidung  bedeckten  Schwitzoten.  Im  Hintergrunde  befindet  sich 
der  große  Kacheloten.    Den  Frauen  wird  Pedikür  gemacht,  sie  werden 


Fig.  202.     Scliwitzbad. 
Von  Hans  Sebald  Beham. 


546  3Ci!iKiK<cii5!>iK'«!Ci!ßiS!s:«siSissi5!iSSi:«Sis5t  Chirurgie  '<i<f:<>i<>:<f:<f:<>:<i<f:<f/<>:ci:<f:<>:<>:ff^^^^^ 


frottiert  uiul  massiert.  Dies  farbenprächtige  (icmäkle  ist  eine  vor- 
zügliclie  Sehilderung  des  Jamaligen  Siitenlebens,  da  der  Maler  ohne 
jegliche  Nebengedanken,  rein  von  der  .Scluinheil  der  malerischen 
Aufgabe  gefesselt,  diese  .S/enen   dem   Leben  entnommen   hat. 

Das  Schröpfen,  ein  zu  allen  Zeiten  und  bei  allen  N'i'ilkern 
beliebtes  \'olksniittel,  welches  zuerst  durch  Schropllnirner,  später 
durch  Schropl köpfe  aus  (jlas  oder  .Metall  ausgeführt  wurde,  war 
natürlich  nicht  auf  die  Badstuben  allein  beschränkt,  und  schon  irüh- 
zeitig  erwuchsen  den  l^adern  in  der  Handhabung  dieses  Mittels 
weibliche  Konkurrenten,  liin  solches  Schrciptweib  führt  uns  das 
Gemälde  des  uns  schon  bekannten  Quirin  Brekelenkam  in  meister- 
hafter Weise  vor.  Wir  sehen  wieder  einmal  in  ein  holländisches 
Interieur  und  können  wieder  den  Meister  bewundern;  die  würdige 
Dame  scheint  Reißen  zu  haben  und  hat  sich  die  »Kopster«  kommen 
lassen.  Die  Schri^ptke^pte  liegen  im  warmen  Wasser,  das  Licht  steht 
erhöht  aut  dem  W'ärmebänkchen,  so  daß  die  brau  mit  einer  Hand- 
bewegung das  Glas  über  die  Kerze  stülpen  kann.  Damit  das  Kleid 
nicht  beschmutzt  wird,  hat  die  Lrau  vorsorglich  ein  Tuch  über  den 
Schoß  gebreitet  (siehe   ligur  204). 

In  grotesker  Karikierung  behandelt  Cornelis  Dusart  (1693)  den- 
selben Gegenstand.  Zwei  Weiber  stehen  einer  Mitbürgerin  bei.  Die 
eine  schröptt  sie  am  bul.^,  und  wenn  es  nichts  nützt,  so  hat  die  andere 
die  .Spritze  in  Bereitschaft;  es  sei  außerdem  noch  ausdrücklich  be- 
merkt, daß  damals  auch  Weiber  zur  Ader  liel.^en  (siehe  bigur  203)*). 

Lernten  die  Menschen  die  Kunst  des  Klisiiereiis  noiu  heiligen 
Ibis,    so    stammt    der  Aderlaß  vom  Xilpierd.     Xacli   Plinius  soll 

dies  Tier,  wenn  es  Kongestionen  hat,  sich  selbst  eine  Ader  am 
Bein  öffnen;  jedenfalls  steht  die  Theorie  des  .Aderlasses  und  seine 
Technik  seit  Ilippokrates  fest,  der  seine  Ilaupistellen,  die  Schnür- 
binde oberhalb  des  Linstiches  und  den  Kompressi\  \erband,  beschreibt; 
und  schon  der  Talmud  empfiehlt  Schonung  nach  demselben.  .Souve- 
ränes   Heilmittel    wurde    er    aber    erst    durch     die    l'mpfehlun<r    der 


•)  über  die  antike  Schrü]>fkunst:  Siehe  l'iastik  und  Medizin  S.  125  ff.  und  45S  ff. 


348  Si?S!Ss>?s<ssi!«is:-e><s>c?!s<o>jC(S!JO>:'e!!C?s>!«!ß  (  jiirurgif.  ssißi«<ß.«!0>j>io-s«JSSssssss>stiO;SiJS;«J5><K!Ss*<oiS! 


l-'ig.  204.     Das  Schröpfweib. 
Von  Quirin  Brekelenkam. 

Mönche,  die  ihn  als  Jleilmiucl  .^c^cn  Kr.iiildiciicn  iiiul  als  Scluiiz- 
mittcl  in  gesuiulcn  Ta^cn  aiionlnclcn.  Die  Barliiere  hallen  von  den 
Clerici  die  kleine  (diiruryie  gelernt  und  nuil.Uen  als  Cici^endienste 
die 'l'onsur  und  den  Aderlaß  leisten.     Da  man   i\vu   letzteren   ininuere 


SKSSS5tiK!«sSJC<iK!K!OiJO>K;i!5><o>:<i)CiXS!«!SKi>:sjiJS!C!!CSJK  Badstuben  äKJKSiiKJSiOi'CiiCstJOtiOtiCiiOiiK-cs'C'SC^iCiSi-OiiSiöiK  349 

(sanguincni)  nannic,  so  hießen   die  Barbiere  aucli  Rasorcs  et  Minu- 
tores.     Xach    den   Gesundheitsre"eln   der  Schule  von  Salerno   sollte 


"^  c  j^  j' ^  <r  -^ 


Fig.  205.     Das  Schröpfweib. 
Von  Curnelis  Dusart  (1695). 

der  Aderlaß  nur  an  bestimmten  Tagen  vollzogen  werden,  und  in 
jenen  Tagen  besaß  beinahe  jedes  Bäuerlein  seinen  Aderlaßkalender. 
In    einem  Aderlaßbuch  vom  Jahre    1399    heißt   es:     »Es    pflegte    der 


350  SSS!>C!iSi!S»tSiSiiß!SiS'0iJC?!KSi?5!SiiK!S!S!SäK  CHIRURGIE  S!KSSiiS<SS!S><S«KX<Oi:«iOt<0><SiCiiK<SSiiß'«iKiC>:S>iS 

hochcrlcucluclc  Mann  Philippus  Alclanchton  olt  und  \icliiials  seinen 
Zuhörern  zu  sa^en:  Wir  Teutschen  tressen  und  saullen  uiis  arm 
und  krank  in  die  Helle.  Wenn  man  also  toll  und  voll  mit  selt- 
samer Speise  durch  einander  \ermiselu  den  i.eib  bis  oben  an<;efüllet, 
imd  aul  den  Morgen  der  Kopi  schwer  wird,  Druckuni;  unib  die  Brust 
und  andere  Zufälle  sich  zutragen,  alsdann  lasset  man  zur  Ader  imd 
saulet  wieder,  dal,^  "s  kracht«  (II.  Peters,  Der  Arzt  und  die  lleilkunst 
in  der  deutschen  X'ergangenheit).  So  flössen  damals  iriedlich  Hekto- 
liter von  ßlut  und  auch  über  dieses  selbst  wurden  Bestimmungen 
getroöen.  Bei  hoher  Strafe  durften  in  Holland  Leute,  die  zur  Ader 
ließen,  keine  Schweine  halten,  imd  in  manchen  Städten  gab  es 
bestimmte  Aderlal.UM'unnen  (bloed-put),  in  die  das  Blut  innerhalb 
vierundzwanzig  Stunden  gegossen   werden   mußte. 

Schröpf-  imd  Aderlaßszenen  hnden  wir  nun  auch  schon  in  der 
antiken  Welt.  \\"\r  sahen,  daß  der  Schröpf'kopf  in  dem  Maße  ein 
wesentlicher  Heilf'aktor  war  in  der  Hand  des  Arztes,  daß  er  an  Stelle 
des  heutigen  Rasierbeckens  das  Wahrzeichen  der  antiken  Clhirurgen 
gewesen  ist  (siehe  »Medizin  und  Plastik«  Seite  43N  ii'.).  Wir  finden 
den  Schr(')pfkopf'  auf  (jrabsteinen ,  ebenso  wie  den  aufgeschlagenen 
Instrimientenkasten  als  allgemein  verständliches  limblem.  Helle- 
nistische Badestädte  zeigten  auf  dem  Revers  ihrer  .Münzen  den 
Schröpf kopl  (Seite  i]]  fT.),  der  sich  allmählich  unter  Personi- 
fikation seines  Wortinhaltes  ziun  Heilgott  Telesiiliorus  als  dem  Gott 
des  technischen  Prinzipes  in  der  Medizin  entwickelte.  Aderlal.^  und 
Schröpf kunst  waren  demnach  schon  im  Altertume  besonders  volks- 
tümlich chirurgische  Maßnahmen*). 

Diese  chirurgischen  Praktiken  gehen  durch  das  Mittelalter  hin- 
durch, und  so  bedarf  es  auch  keines  Konunentares,  wenn  wir  beide 
kleinchirurgischen  Eingriffe  auf  den  .Miniaturen  der  Salernei'  Clodices 
wiederfinden. 

Künstlerische  Darstellungen  des  Aderlasses  gibt  es  eine  ganze 
Reihe.      Idn   oft  gemalter  Gegenstand,    »Der  Tod  des  Seneca«,    gab 


•)  Siehe  den  Aryballos  Peytel,  I'ig.  199. 


jC*:«i5!Ji!CiJSs>i0i<c*i0is>iOi!S!5!!0t!O>iO>!ß!0iX?<;>j5!^^  Der  Aderlass  ssiOiJOSiOiJSSiKSiK^iiOiJßJSiSiOt'OiJCiiO'iK'CiSiSi  j  5 1 


dazu    häuiig  Veranlassung.      Die    berühmtesle    dieser    Darstellungen 
verdanken  wir  Peter  Paul  Rubens  (siehe  P'igur  2u6).     Der  Philost)ph, 


M^sui^^ 

f. 

ilan/staettgt  phot. 


l^ig,  206.     Der  Tod  des  Seneca  (Aderlal')). 
Von  Peter  Paul  Rubens. 


nach  Cicero  der  größte  römische  Schriftsteller  und  zunächst  Neros 
Lehrer  und  Günstling,  fiel  bei  seinen  Schülern  in  Ungnade,  und 
des    Kaisers    Schergen     brachten     ihm    die    Todeserkläruno-.      Nach 


352  äiJSiKSiieisssciiö'C^iSiOtiixsiSiiiSJSiKieiißiSiKJOt  Chirurgie  jCtiSiSJOtSiiSts^iOtiKöiSii^SiiSJßißissiiSiOiJOtiCiiKssss 


römischer  Sitte  suchte  er  denselben  durch  OlTneii  der  Adern  herbei- 
ZLitühren.  aber  seine  bereits  \•erl^ali^ten  (letaLV'  verhinderten  eine 
rasche  \  erblutuni;,  so  lIaI}:  der  Greis  sich  lur  eine  Heschleuni^unt; 
der  Prozedur  sorgte;    er  stiei;   in  einen   Kessel    mit    heil.Wni   Wasser. 


Li'i/7'ri',    /'iiris. 

Fig.  207.     Antike  I'lastili  (Marmor). 

Und  der  große  Mann,  der  ein  Ruch  geschrieben  hatte  über  die 
Seelenruhe,  \erleugnete  in  letzter  Stunde  seine  LebensauKassimg 
nicht.  \'erblutend  diktiert  er  seinem  Schüler  die  \'isionen  des  lang- 
samen Todes.  Diesen  Ik'weis  menschlicher  (Jrol.W'  haben  viele  Maler 
zum  \'or\vurl  genommen.  So  steht  ein  (jemalde  tlieses  Inhaltes  im 
Berliner  Magazin,  ein  Kolossalgemälde  im  hnijitangszimmer  des 
Madrider  Schlosses,  aber  das  berühmteste  ist  das  erwähnte  von 
Rubens.     Der  Arzt    hält    noch    in    der  Hand    das    ^Messer,    mit    dem 


SSäKiOiiOiXSieiiCtißiOtJCiJSiCiiSSiiOiiOiiOiXSiOiSiJJiStSi^  Dl  K  Al)l  KLAss  JCtKSSiJS-ICiJCitSiSiKSSiJCi-SiißiSiCiJSSiSiiCiSiJOi  353 


er  eben  nach  Anlage  einer  Schniirbinde  eine  Annvene  geöffnet  hat, 
und  das  Blut  spritzt  ins  Becken.  Interessant  ist  nun,  dal.^  Rubens 
als  Modell  sowohl  der  ganzen  Stellung  als  auch  nanienllich  der 
starken  Getaßentwicklung  eine  klassische  [-"lastik  (jetzt  im  l,ou\re) 
benutzt   hat  (siehe  bigur  207). 

Abraham  Bosse  (1610  bis    1678)   hat  in    der   bereits  erwähnten 
Kuptertolge  an  Sittenschildcrungen  uns  auch  eine  Schilderung  eines 

Tai 


Fig.  208.     Adtrlali.     \'<in  .Aluaham  Bosse. 

Aderlasses  hinterlassen.  Der  elegante  Doktor  legt  gerade  der  vor- 
nehmen Dame  die  Schnürbinde  an  und  sein  Assistent  ist  nn't  den 
Instrumenten  beschäftigt.  x\lles  auf  dem  Bilde  ist  schwülstig  und 
frisiert  imd  namentlich  auch  die  Verse,  welche  die  schon  olt 
»gelassene«  Dame  hersagt: 

^iQuc  hl  phlclxnüiiiiL-   espure  les  esprits 
Et  deschargc  Ic  sang  de  grande  pourriture, 
O   Dicux  la   doucc  niain  l'agrcable  picqiirc ! 
Le  souvcnirL-  ni'en   t'aict  revcnir  le  subriz.« 

Wir   werden    nicht    fehlgehen,    wenn    wir   annehmen,    daß    die 
Barbierstuben    auswärts    k-enntlich    waren    durch    Heraushängen    des 


Hollander,    Die  Medizin  in   der  kla-^i>.clien    MalcrL-i.      j.  Auflage. 


23 


354  JSißStiSißJSiSJSißißiOiißStStJSilKiKSiiSiCiiiKät  Chirurgie  JKJKJSiSSiJJiiKiCiJSissiicSiSJCtJCtJCiJSSiJOiJßiOiJCiJKSXJ^ 


Barbierstückes  und  der  Schüsseln,  und  sicher  war  auch  das  Schild 
bemalt    mit   bezüglichen   Ciegenständen  Aderlaßbinden,    Schrö[it- 

köpfen,  Blutegeln  ,  wie  dies  vielfach  auch  noch  im  (Orient,  in 
Spanien   und   anderen    Landern   Sitte  ist. 

Sieht  man  nun  einmal  hinein  in  die  Buden,  in  denen  die  kleine 
Chirurgie  betrieben  wurde,  so  hekonnnt  man  in  seinem  antiseptisch 
geschulten  (Gewissen  einen  grolk'U  Schreck.  Xicht  nur.  daß  jede 
Andeutung  von  irgendwelchen  hvgienischen  binrichtungen  fehlt,  wir 
vermissen  auch,  doppelt  in  einem  Lande  wie  1  b)lland,  jede  Spur  von 
Sauberkeit  und  Ordnung.  Die  L'bereinstinnnung  der  verschiedenen 
.Maler  ist  in  diesem  Punkte  zu  groß,  als  daß  man  an  eine  Über- 
treibung derselben  denken  könnte.  Es  wiederholt  sich  mit  geringen 
Änderungen  stets  dasselbe  Bild:  im  A'ordergrunde  der  Pnidiken  wird 
vom  Meister  operiert,  hinten  rasiert  der  (jeselle  oder  bereitet  Pflaster 
und  Medikamente  zu.  Um  diese  .Mittelpunkte  herum  kreist  ein  'Lohu- 
wabohu  von  Salbentöpten,  Instrumenten,  irdenen  und  gläsernen 
Behältern  aller  Art,  Besen,  Totenköpfen,  Gitarren,  Uten,  Frink- 
krügen,  Glühtöpfen  lür  die  Kauterisation,  Rasier-  und  Waschbecken. 
An  den  Wanden  hangen  rahmenlose  13ilder  mit  Pratzen  oder  obszönen 
Darstellungen.  Daneben  odet  sich  eine  lüde  auf  ihrer  Stange,  die  so 
angebracht  ist,  daß  der  \'ogel  der  Xacht  die  'Pöpfe  mit  Salbe  und 
Mundwasser  beschnnnzen  muß. 

l^ehlt  die  Pule,  so  finden  wir  Plunde  in  dem  Raum  oder  sogar 
Affen,  und  von  den  f)ecken  hängen  regelmäßig  getrocknete  bische 
oder  ausgestopfte  seltene  Piere.  Diesem  Chaos  angemessen  sehen  die 
Barbierchirurgen  aus.  Die  Galgengesichter  stecken  in  phantastischen 
Kopfbekleidungen  und  ihr  Anzug  ist  so  auftallend  wie  abgetragen. 
Die  Meisterschaft  in  der  Darstellung  solcher  liuerieurs  besitzt  un- 
streitig Adriaen  Brouwer;  die  L'nordnung  der  Teniersschen  Stuben 
macht  oft  den  b.indruck  des  Gekünstelten;  es  wiederholen  sich  dabei 
die  einzelnen  Modellgegenstände,  Cjcfäße,  Kupterschalen  und  Ofen 
immer  wieder.  -  Die  Operationen  selbst  haben  als  solche  nur  ge- 
ringeres Interesse.  l{s  konunen  last  ausschließlich  nur  solche  Pingrifle 
zur  Darstellung,  die  der  X'olkschirurgie  angehören. 


356  JSäK'Ciissi'S'eiStJKSiiOiiCsiSiiCiStiKiKie'SiißiKiOt  Chirurgie  äK-ßJCissjS'CiSSiOiSt'OiiOtXS'^SKStSiS'JSißSiißJCiStJS'ei 


Tni  \vcscntliclTstcn  handelt  es  sich  dabei  um  Ideine  Eingriffe, 
welche  alle  den  /weck  hallen,  aiil  Schmerzen  und  Beschwerden 
dunkler  Ilerkunlt  ableitend  zu  wirken,  t)der  um  im  l\'i)rper  eine 
Änderung  des  Säftelaufes  zu  veranlassen.  Das  sind  alles  Mittel 
und  Mittelchen,  die  in  der  Alten  \Wh  in  der  einen  (uler  der 
anderen  l'oi'in  seit  Menschengedenken  belieht  waren.  Manclimal 
kann  man  aul  den  (jemälden  nicht  recht  unterscheiden,  welches 
Kauterium  speziell  angew.nuil  wird.  Die  Mienen  der  gepeinigten 
Kranken  und  das  versclunitzte  Lächeln  der  Operateure  bilden  den 
Kern  der  beliebten  Darstellung.  In  gesunden  Tagen  lieht  man  es, 
überstandene  Getahr,  erlittene  Qual  vor  Augen  zu  haben.  Oftmals 
wenn  die  Abnahme  eines  \'erhandes  oder  eines  Salhenpllasters 
lebenswahr  geschildert  wurde,  handelte  es  sich  um  die  Ahnahme 
eines  Moxenpllasters.  (ianz  besonders  bei  Podagra  war  um  die 
Zeit,  in  der  die  meisten  dieser  Bilder  ihre  (jehurtsslunde  erlebten 
(also  im  letzten  Drittel  des  siebzehnten  lahrhunderts),  die  Moxen- 
brennung  beliebt.  —  Dieses  uralte  orientalische  Mittel  wird  mit 
dem  Xamen  »Moxe«  übrigens  zuerst  \on  Buschot  (llet  podagra) 
1674  erwähnt,  hast  wie  Brenneisen  oder  beuer  wirkten  die  K'orrosiv- 
pflaster,  mit  denen  man  Warzen,  allerlei  dewächse,  Multerniäler 
wegätzte. 

Aut  einigen  Bildern  glauben  wir  die  Anlegung  eines  Ilaarseils 
zu  erleben.  Die  (beschichte  des  Selaceum  reicht  wenigstens  in  seiner 
Anwendung  bei  Menschen  bis  zu  den  Salerner  Cdiirurgen  Roger 
und  Roland.  (;uv  de  Chauliac  empfiehlt  es  hei  Augenkrankheiten 
an  den  Schultern  und  am  Xacken.  Zur  .\pplizierung  eines  solchen 
Ilaarseils  benutzte  man  eine  llaarseilzange  ('renaculum)  und  stach 
eine  rotglühende  Xadel  durch  diese.  Dann  zog  inan  ein  llaarseil 
aus   Rohseide  oder  Baumwolle   hindurch. 

Eine  breite  Anwendung  und  häulige  Schilderung  erlährt  die 
sogenannte  »Fontanelle«.  Lorenz  Heister  gibt  als  Orte,  wo  man 
selbige  macht,  an:  auf  dem  Kopie,  hinten  im  Xacken,  aut  den  Armen 
am  Ende  des  Musculus  delloides,  am  lul.k%  entweder  an  der  Innen- 
seite des  Oberschenkels  oder  unter  den  Waden,   oweil   die  Xalur  am 


JCtJvtJöivi-SJviißJCifKiS^iJviKSSiJß-JiiOiiKJCiJKäKSSiliivt  FONTANELLEN  JviiviiKiJiJOiJOiiviißiKSiiSiSiStiSSiiSiJiiOtiOtiOiiO!  357 

öltcstcn   von    sclbsl    hier  (jcschwurc    zu    erregen    pllci^c.      IJciiii    die 
Mcdici  haben   die  Natur  in   diesem  Stücke  nachahmen   \vt)llen.« 


/yi-r/in  ,   Kaiserin- Frieiiricii-i lau 


Fig.  2IU.     Koptoperation. 
Von  Franz  van  Mieris. 


Es  gibt   mehrere  Manieren  Fontanellen  zu   setzen;    im  wesent- 
lichen lauten  sie  aber  daraut  hinaus,    eine  Inzision    zu  machen   und 


358  JKSiStSiJOiJÖJSSiißißSiiS'CiJCÜiSSiiKJKS'SKSiSS  ChIRUUGU;  ißSKiKiKJ^SiJOiJKSSSiJSSiiKißJßiliiCiSSKS^iSißiCiiSSS 


eine  Erbse  in  Jic  llaultasche  einzulegen.  Fs  wird  clann  am  Morgen 
und  am  Abend  das  Pllaster  entlernt  und  ein  neues  aulgelegt.  Ist 
das  Leiden  geheilt,  so  laßt  man  die  l'onlanelle  wieder  sich  sehließen. 
»Hort  aber  eine  l-\)ntanelle  aul  zu  lliel.V'U  und  wird  am  Rande  blau 
und  schwarz,  so  zeigt  das  den  l'od  an.  Derohalben  soll  mau  bei 
Zeiten  .Medikamente  einlegen,  welche  die  beuchtigkeit  wieder  herbei- 
ziehen; statt  der  j-rbse  eine  Kugel  aus  X'iolwurzel  oder  wnii  lielle- 
borus  oder  vom   spanischen   b'liegen|illaster.« 

hs  mag  bei  Betrachtung  der  tolgeiiden  Bilder  nun  dem  Schart- 
blick des  J-inzelnen  überlassen  bleiben,  statt  der  bisherigen  Allgeniein- 
diagnose  die  speziellere   dem   j^ilde  als   Titel   zu   geben. 

l:s  kam  dem  .Maler  aber  weniger  daraul  an,  irgend  einen 
operatixen  J-ingriti  subtil  zu  schildern,  sondern  das  Problem,  welches 
er  lösen  wollte,  war  der  Kontrast  in  den  (jesichtern  des  janunernden 
Patienten  und  des  stoischen,  gleichmütigen  Operateurs.  Am  meisten 
kommt  das  bei  den  Kopio[K'rationen  zum  Ausdruck,  wo  die  beiden 
Kopte  mit  dem  verschiedenen  Ausdruck  dicht  nebeneinander  placiert 
sind,  so  zum  Beispiel  auf  dem  'l'eniersschen  Gemälde  im  Prado 
(siehe  P'igur  209).  Der  Patient  sitzt  auf  einem  Bankchen  in  der  Stube 
des  Dorfchirurgen.  Das  Aleublement  in  dieser  ist  sehr  einlach.  Aul 
keinem  der  Gemälde  bemerken  wir  ein  Bett,  Beweis  datür,  daß  die 
geschilderten  Räume  ausschliel.Mich  dem  Beruf  dienten.  Die  Stühle 
sind  meistenteils  Fässer,  aus  denen  ein  Stück  herausgeschnitten  ist. 
Der  Patient  schneidet  jedesmal  eine  scheußliche  (;rimasse,  aber 
(jlienbar  hat  er  dazu  auch  Berechtigung,  da  die  Olfnung  tles  Abszesses 
weh  tut.  l'.s  lindert  auch  kaum  die  Pein,  dal,^  das  Pheweib  sich  tür 
den  Lingrif]  sehr  lebliatl  interessiert.  Almliche  \'erliältnisse  sehen 
wir  aut  dem  Bilde  von  kränz  .Mieris  im  Kaiserin-briedrich-1  laus, 
von  dem  auch  ein  Schabekunstblatt  existiert.  Pin  altes  Männchen  der 
besseren  Bürgerklasse  ist  zu  einem  Ghirurgen  gek'onnnen,  um  sich 
eine  kleine  Operation  am  Kopl  machen  zu  lassen.  Wahrscheinlich 
handelt  es  sich  um  einen  Stirnadei'lal.^,  der  besonders  beliebt  war 
bei  allerlei  hartnäckigen  Ilaupikrankheiten:  Schwindel,  Melancholie, 
Raserei    und    dauerndem    Kopt'schmerz;    die  ak.ideuüschen   Chirurgen 


iO>ißJß)C>iOtißiO>SiiC>iC>!0>SiS>S>iC>i5iß!C>:jß!5!v>S>!S    Sl  IKXADI  Kl  ASS    JSißJCiStJßiSiCiJOtiCSiSJÖSiSi'iOiiCiiSiiSiCiiKiSi  3  59 


lig.  211.     Kopfopcr.ition. 
Von  Malo.- 

zogen  in  solchen  schweren  Fällen  den  Aderlaß  an  der  \'ena  jngularis 
vor  (siehe  Lorenz  Heister,  Chirurgie).  Der  Chirurg  hat  sein  Besteck 
aut  das  l-enstersims  gelegt  und  macht  gerade  dem  Alten  den  liin- 
stich.     Der  Patient    kneift  \or   Schmerz    die   Hand   zusammen.      Im 


360  -«iCiiKJCiSiStSiiJiSiiKJKiKJßiOtSiiKJCiSiSiSiiKiCt  ChirURGH  äßJOtJKißiKSiäßStJOtiKSiiKiKJKJKJCSieSäKäKiOSäSäOiäJiiSäK 

Hintergründe  reinigt  eine  sauber  angezogene  Dienerin  die  gebrauchten 
Gerätschaften  (siehe  J'igur  210). 

i'in  ganz  ähnliches  Sujet  sehen  wir  in  der  Cialerie  zu  .Mannheim. 
Die    gleiche    l\i)iniH)sition,    der    (^liirurg    in    Ivleiduni;    und    llahunL! 


IruKkjult. 


Fig.  2  12.     RückunopLTation. 
Von  Adri.nn  Bnmwer. 


derselbe,  nur  daß  hier  aulTallenderweise  eine  hVau  operiert  wird. 
Der  angebliche  .Maler,  der  sich  ollenbar  an  das  deniälde  von  .Mieris 
angelehnt  hat,  heißt  .Malo  (siehe  b'igur  211). 

Berühmte  Pendants    einer  Operation  am    Rücken    und  einer  am 
Arm    besitzt   das   Städelsche   Institut   in   l'rankl'urt    (siehe  b'igur  212 


iß!0>!0>!^S?iO!KSi«!C><KiO>!SiOtJ5-Ot!5tiSS>JK<K!0><K»!iOti^  SetacüUM  äK!eiiSSS>!5!>:!S!CSS!!OtKS!5><5!!O!S>!C>:iS<0><K!0tiO>  361 


und  215).  Aut  beiden  Gemälden  erreicht  der  Meister  durch  ein- 
fachste Mittel  die  höchste  Wirkuni;.  Ob  es  bei  dem  l'inuriff  am 
Arm  sich  um  btintanellsetzen  und  bei  der  Rückenoperation  um 
eine     Haarseiloperation     handelt,     oder     um     «Micken«     nach     einer 


Fig.  21;.     Operation  am  Arm. 
\'on  Adiiacn  Brouwer. 


lustigen  Raulerei  und  Schlägerei,  ist  im  Cirunde  ja  ganz  gleich- 
gültig; aber  die  auf  vielen  (iemälden  immer  wiederkehrende  Ope- 
rationsstelle, die  spitze  Haltung  der  l'inger  und  das  daneben  liegende 
Werkzeug  spricht  für  einen  derartigen  Eingriff"  um  so  mehr,  als  die 
Schultergegend    die    Prädilektionsstelle    tür    die    ableitende    Wirkuna; 


302  sßiSJSJßJKiSJOiißJOiiC^SiJCiJCSiS'CiJC^jßiKiOiiOiJCiSK  Chirurgie  ■<):<^:<>:<i<>:<>:<i<>:<^:<>:i>:<>:i9:<^^^^^^ 

dieser  rcvulsionicrendcn  Miiicl   war.     Ich  weiß  nicht,   i.st   der  Ope- 
rierte   glänzender    charakterisiert    oder    der    die    kiiilljliche   Operation 


l'ig.  214.     Kückenoperation. 
\'(>n  .Xiliiacii  Broiiwer. 

ausübende  und  den  .Mund  zusa]niuen[iressende  Jjadcr.  Die  l'ose 
des  Bildes  hat  Schule  gemacht;  wir  linden  diese  (jrup[K'  in  heinahe 
derselben  Komposition  aul  manchen  anderen  (jeniälden  aus  dieser 
Schule. 

Auf  einem   anueblich  von  I^rouwer  lluchtii;  hiniicworlencn  Bilde 


SJsßissiSiJSiKSiiOtSiiOiJCiiKJSSiJO-siSiiSiSäiiKiK  KAUTERISATION  iKJSStstStiCiJßJCfJOtSiiCiStiOtiSiCiittJßiSJCit-oi  363 

der  Galerie  Schwerin  sehen  wir  das  (düheisen  in  Tätigkeit  treten. 
Dasselbe  wird  von  einem  bebrillten  alten  Weibe  im  (Jlen  i^eglüht. 
Eine  ähnliche  Darsteilunii  ist  mir  noch  aus  einer  l'rivat"alerie  bekannt. 


Eigene  Sanintlung. 


Fig.  215.     Rückenoperation. 
Von  Adriaen  Brouwcr. 

WO  auf  einem  der  italienischen  Schule  angehörenden  Bilde  ein  alter 
Arzt    in  den  Arm  einer  Patientin  ein  (jlühcisen  versenkt. 

Die  Kauterisation  teils  vermittels  der  Glüheisen,  teils  durch 
Ätzmittel  behandelt  Abul-Kasim  in  seiner  Chirurgie  in  --yd  Kapiteln. 
Die  Bewertung  dieses  heroischen  .Mittels  durch  die  arabische  Schule 
sicherte  ihm  seine  Bedeutung  auch  als  Ableitungsmittel  Jahrhun- 
derte hindurch.     So  linden  wir    natürlich  auch   in  Salerno,   welches 


364  •««^•«siiSississiKSßieiißSfiOtStiSiS'OiJSfßjetäK  Chirurgif.  ■i?:<i<i<f:<^:<i<:i<f:<f:<:i<>:<f^^^^ 


die  arabischen  Schriften  zum  'l'eil  durch  die  Arbeilen  des  ('crnstan- 
tinus  Atricanus  kennen  lernte,  die  ausgedehnteste  Anwendun«;  der 
Kauterisation.  Die  ersten  Chirurgen  aus  der  Schule  von  Saleriio, 
Rdi^eric)  imd  namentlich  sein  Schüler  Ivoland  \on  '' 
war,    verw 


Bologna  tätii 


arma.    der    m 
andten   das   (düheisen  beinahe  als    i'anacee. 


lloUaniiisiiitt    M,iil,r     Aiiiiiwri    lUicl;c>\)  l'r.  I\{t!i fiiutiin ,   !!antto^i-r 

l'ig.  216.     SctactuiiiopL-ratioii. 

in  dem  mit  vielen  Miniaturen  geschmückten  Kodex  i  582  der 
Bibl.  (Insanatense,  der  die  (diirurgie  des  Roland  enthalt,  erscheint  tms 
aul    dem    Titelbilde    J  lippokiates    in    seiner  babrica,    der   Discipulus 


lüht 


m   der 


•ornax   die  l-.isen    und    in   der   unleren   Iveilie  sehen    wir 


die  Anwendung  derselben  bii  l-pilepsie,  Koplsclnvere  und  !\uminer, 
Hernien  und  Zahnschmerz  (siehe  lii^ur  191).  Die  L'miandung  der 
-Miniaturen  erinnert  etwas  an  den  berühmten  illustrierten  Kommentar 
des  Apolloiuus  von  K'ilium  zu  lies  llippokrates"  Schrilt  (siehe  I  lernt. 
Schöne's  Ausgabe,   Leipzig   ]Ny6). 


■<;i<f:<f:<f/i>:<:i<>i<:i<>i<ii<f.^^^^^^  Steine  äSKS-siiSSSiSiCtiKiSKiiJSjß-eiiCiSiiiiiSiKiSiOiiöiOiiOt  365 


Im  LoLivre  hiini^t  noch  ein  ]-5r(Hi\vcrsches  Gemälde,  bei  wclciiem 
der  Mittelpunkt  das  schmer/lieh  verzerrte  Gesicht  des  Operierten 
bildet.  Alles  andere  ist  in  Dunkel  gebullt;  nur  bei  näberem  Ik'- 
trachten  erscheint  ein  Arzt  hinter  dem  an  einen  Stuhl  Angebundenen. 

Dasselbe  Bild  wie  das  Louvregemälde,  nur  ganz  vom  Prolil  aus 
gesehen,  zeigt  Figur  213;  daß  es  auch  hier  dem  Meister  in  erster  Linie 
darauf  ank-am,  nur  die  schmerzverzerrten  Züge  zu  zeigen,  beweist  der 
Umstand,  daß  auch  hier  die  Operation  angedeutet  und  nur  das 
Gesicht  bis  ins  Kleinste  ausgetührt  ist. 

Solche  Gesichtsverzerrungen  zu  schildern  liebte  Meister  Brueghel, 
und  mit  Recht  schmückt  sein  Werk*)  der  famose  und  seltene 
Kupferstich   des  gähnenden  Bauern. 

Im  Gegensatz  hierzu  steht  ein  holländisches  Gemälde,  welches 
dem  Kollegen  Kautmann  in  Hannover  gehcMt.  Hier  sehen  wir  alles 
gleichmäßig  beobachtet  und  geschildert.  Der  Patient  hat  die  linke 
Schulter  entblößt  und  der  Doktor  ist  t)ffenbar  im  Begrifie,  dem  an 
Neuralgie  oder  Gesichtslähmung  Leidenden  an  der  Schulter  eine 
Fontanelle  zu  setzen  (siehe  Figur  216). 


STEINE 

Als  ein  charakteristisches  Zeichen  für  die  wirtschaftliche  Entwick- 
lung und  die  praktische  Auffassung  der  Chirurgie  des  Mittel- 
alters darf  es  gelten,  daß  die  wenigen  Operationen,  welche,  wenn 
man  so  sagen  darf,  populäre  Bedeutung  hatten,  handwerklich  von 
spezialistischen  Fmpirikern  betrieben  wurden.  \'or  der  Ausübung 
dieser  Sondereingriffe  hatten  die  gelehrten  Mediziner  und  Universitäts- 
Chirurgen  dieselbe  Scheu,  wie  eine  solche  schon  von  Hippokrates  in 
seinem  bekannten  Eide  bekundet  wird.  Offenbar  leisteten,  und  dies  »mit 
Gottes  Hilfe«,  die  fahrenden  Spezialisten,  die  Okulisten,  Bruch-  und 
Steinschnittärzte  in  ihrem  ererbten  Metier  mehr  als  die  (ielehrten  der 

*)  Les  Estampes  de  Peter  Bruegel  taiicien  jiar  Rene  van  Bastelaer,  Bruxelles. 


366  «?<SS>SiiC!!SSi«'CiiSJC>-StJSJSJSSiJS?KJS'«S>S!!SSS  StEIM    StStSiStJS-StJKJSiKiSiK-CSSiiCiSi-OiXliiSiSiS-iK^lJOiieiSSJS 

medizinischen  l'akultät.  Neben  dem  Aderlal.^  und  den  chirurgischen 
sonstigen  kleinen  Hedürtnisscn  des  täghchen  Lebens  hat  demzufolge 
der  Starslich  und  der  Steinscbnitl  auch  in  dem  Kuhurleben  der 
XoHver  sinntahige  Spuren  hinlerhissen.  Wir  haben  Iruher  zeigen 
können,  wie  die  Keah'slen  der  Ahdkunst,  die  liolknidischen  und  die 
llandrischen  Meister  mit  breitem  Behagen  das  Tun  und  Treiben  der 
Baderchirnrgen  und  ärzthchen  Scharhitane  geschildert  haben.  Wir 
erinnern  an  Rembrandts  mehrlache  (jennilde  und  Zeichnungen,  der 
unter  der  Maske  der  Hngelsheilung  des  blinden  Tobias  Staroperationen 
malte.  In  folgendem  wollen  wir,  da  die  Xierenchirurgie,  einer  der 
jüngsten  Triebe  der  modernen  Cdiirurgie,  leider  als  Par\enü  noch 
kein  historisches  Interesse  beanspruchen  kann,  uns  mit  der  Kunst- 
historie des  Blasensteins  belassen.  Wohl  das  älteste  und  gleich- 
zeitig künstlerisch  bedeutendste  plastische  Denkmal  linden  wir  an 
Tilmann  Rienienschneider's  Grabmal  Kaiser  Heinrichs  II.  im  Ham- 
berger  Dom.  bäne  photographische  Reproduktion  der  Szene  bringt 
Seite  47  der  »Karikatur  imd  Satire  in  der  Medizin«.  Durch  gütiges 
Entgegenkommen  und  Verständnis  des  Bamberger  Domkapitels  konnte 
ein  künstlerisch  ausgelührter  Abguß  der  mediko-historischen  Samm- 
lung des  Kaiserin-Friedrich-IIauses  zugelührt  werden.  Wir  sehen 
aul  dieser  Skulptur,  wie  der  Kaiser,  naiverweise  mit  der  deutschen 
Kaiserkrone  aut  dem  Ko(ile,  nackt  das  Hemd  war  damals  noch 
nicht  erfunden  —  in  seinem  Bette  liegt,  neben  ihm  ein  Benediktiner- 
mönch, der  in  der  Rechten  das  "roße  Steinmesscr,  in  der  Linken 
den  eben  entlernten  machtigen  Blasenstein  hält,  den  er  dem  l^)hen 
Patienten  in  die  Hand  gibt.  Die  edlen  Züge  iles  Kaisers  und  die 
gespreizten  Zehen  verraten  die  ausgestandenen  Schmerzen.  Zur  Seite 
sitzt,  leid\()ll  nachsinnend,  eine  wundervoll  gearbeitete  und  geist- 
reich konzipierte  b'igur:  die  vergeblich  auf  Hilfe  sinnende  Medizin. 
In  majorem  gloriam  Dei  verrichtete  dies  Wunder  der  heilige  Benedikt 
um  das  Jahr  looo  herum.  Um  dieselbe  Zeit  ungelähr,  als  der  süd- 
deutsche Plastiker  für  den  Pjamberger  Dom  das  (irabmal  dieses  deut- 
schen Kaisers  meißelte,  wollte  der  lrankeid<onig  Ludwig  XL  sich  von 
Germain  Collot  von  seinem  Blasenstein   belreien   bissen.     \'orsichtig, 


wie  er  war,  ließ  er  sich  auf  dem  Scverin-Kirchhcif  im  Januar  1.174 
die  Sache  zunächst  an  einem  anderen  Patienten,  ant^ebiich  einem 
zum  Tode  verurteilten  \'erbrecher,  einmal  vormachen.  Diese  dra- 
matische Szene  hat  Rivoulon  so  historisch  treu,  wie  er  das  nach 
vierhundert  jähren  einigermaßen  konnte,  der  \'er,i;essenheit  ent- 
rissen. Man  findet  dies  Bild  aut  Seite  3  i  der  genannten  Arbeit.  In 
Parenthese  muß  allerdings  hierzu  erwähnt  werden,  daß  der  histo- 
risch beglaubigte  älteste  Vertreter  der  berühmten  Lithotomistenfamilie, 
der  Familie  Collot,  der  Arzt  Laurent  Collot  war,  der  den  Mariani- 
schen Apparatus  magnus  von  seinem  römischen  Freunde  Octa\ian 
de  \'ille  gelernt  hatte;  zufälligerweise  war  es  wieder  ein  Heinrich  11., 
aber  von  brankreich,  der  diesen  Operateur  veranlaßte,  sich  in  Paris 
als  königlicher  Feibchirurg  dauernd  niederzulassen.  Diese  Würde 
vererbte  sich  aut  dessen  Söhne;  von  ihnen  erzählt  der  berühmte 
Ambroise  Pare,  daß  sie  ihm  ihre  ausgeschnittenen  Steine  für  seine 
Sammlung  geschenkt  hätten.  \'on  da  an  war  das  (ieheimnis,  das 
zeitweilig  wie  das  italienische  \'erlahren  der  Nasenplastik  nur  auf 
zwei  Augen  geruht  hatte,  in  allen  Händen.  Aut  den  iVFirktschrei- 
zetteln  der  fahrenden  Ärzte  des  sechzehnten  lahrhunderts  finden  wir 
meist  vornean  schon,  daß  sie  sich  rühmen,  den  Stein  zu  schneiden 
»mit  Gottes  Hilfe«.  Will  man  eine  richtige  Wirstellung  haben  von 
der  gediegenen  Kenntnis  und  dem  großen  urologischen  Können  eines 
solchen  nichtakademischen,  sondern  zünftigen  Steinschneiders,  so 
lese  man  das  Kunstbuch  des  Georg  Bartisch,  ^iderinnen  ist  der  gantze 
gründliche  vollkommene  rechte  gewisse  bericht  und  erweisung  vnnd 
Lehr  des  Hartenn  Reißenden  Schmerz  hafltigenn  Peinlichen  Blasenn 
Steines«.  Fs  ist  das  derselbe  Meister,  der  Acw  berühmten  »Augen- 
dienst« geschrieben  und  dessen  1575  vollendetes  Steinschnittbuch  nur 
im  Manuskript  existierte,  bis  der  Berliner  Arzt  Dr.  .\Ftnkiewicz  \er- 
dienstvollerweise  es  1905  im  Druck  erscheinen  ließ.  In  diesem  sind 
auch  die  vom  .Meister  selbst  künstlerisch  ausgeführten  Fistrumente  und 
Operationsszenen  wiedergegeben.  Als  letzte  Ausläufer  solch  reisender 
Spezialisten  aus  dem  Faienstande  finden  wir  auch  in  schwarzer  und 
Schwarz-W'eiß-Kunst  mehrfach  verewigt  den  Frcre  Jacques  genannten 


368  S^JSiOiiOti^JSäOiiSiOiißJSiOisSJKiK^'viiCiiOiiKSiJOiiOt  STEINE  3KäKJJ>iCiiS!SiSiKSiiCiiK!0!J«Si!SS*J>:St!KSiiSiO!!0>iSti5t!K 

Stcinsclincidcr  Kr\|ucs  l^oilicu  ani  1-iuic  des  siclvcliiilcn  |,ihrluindcrls 
in  l'aris,  der  /uersl  den  späler  von  dem  Holländer  Kau  vervollkonini- 
neten  seitlichen  Selmiu  aul  dem  i;elurclilen  Katheter  ans^eliihrt  hatte. 
Beinahe  weitere  hundert  Jahre  s[iater  machte  sieh  ein  anderer  Hrere 
Cosme  sowohl  durch  das  Lithotome-Cache  als  auch  durch  die  kom- 
binierte Sectio  alta  bekannt.  Die  Stiche  dieser  beiden  im  Monchs^ewand 
wohl  mehr  zu  Reklame/.weck'en  porträtierten  Steinschnittkünstler 
machen  durch  das  Kontradiktorische  ihrer  Darstelluni;  einen  i;ewissen 
Kindruck.  Sie  stehen  da  im  i^eistlichcn  (lewande  mit  dem  großen 
Stcinniesser  in  der  Hand.  Um  diese  /eil  herum  hatte  die  akademische 
Chirurgie  in  allen  Kändern  ihren  mehr  doktrinären  und  konser\'ati\  en 
Charakter  aulgegeben  und  war  ihr  durch  die  Aulnahnie  der  Bader- 
chirurgen und  der  Kmpiriker  Iruher  oder  später  Irisches  Blut  zugeführt 
wt)rden.  Aul  einem  Amsterdamer  großen  (jemälde,  von  Meister 
Quinckard  1737  gemall,  sehen  wir  die  \'erlreter  der  Chirurgengilde 
versammelt;  ilmen  hält  Abraham  Tiisingh,  ein  chirurgischer  Self- 
mademan und  zuletzt  holländischer  Slaalssteinschneider,  einen  \'ortrag 
über  diese  hohe  Kunst,  unter  Demonstratiiinen  einer  großen  Reihe 
operierter  Steine  und  angewandter  Instrumente  (siehe  Figur  39). 

Alle  s[-)itzrmdige  Kunst  der  Kithotomisten  und  alle  Zweilel  und 
Bedenken  wegen  Peritoneum  und  Blutung  \ermied  mit  einem  kühnen 
Grill  ein  junger  Holländer.  Ciequält  xon  lurchtbaren  Schmerzen, 
nahm  er  ein  Messer,  stieß  sich  dasselbe  in  die  Blase  imd  holte  sich 
eigenhändig  den  großen  Stein  heraus.  Und  dabei  hatte  der  .Mann, 
der  sich  selber  blutig  kurierte,  den  ominiisen  Xamen  »Doot«.  Aber 
er  machte  seinem   Xamen   keine   bdire. 

Das  Nürnberger  dernianische  .\luseimi  bewahrt  unter  seinen 
Kupferstichen  die  Abbildung  eines  Messers,  daneben  ist  ein  Stein 
liniiert,  und  in  seiner  Kichtung  stehen  einige  \'erse,  die  imgefähr  so 
lauten:  Anno  1651  aus  Pein  und  Not  hat  |an  de  Doot  Courage 
irehabt  und  nicht  uezuckt  mit  einem  schmerzvollen  Stich  durch 
seinen  Leib  mit  (jottes  .Segen  den  Stein  durch  einen  Schnitt  aus 
seinem  Leib  geholt,  im  \ierteu  .Monat  am  tunlteii  lag.  Diese  Ab- 
bildung ist  nur  ein  Ausschnitt  aus  einem   lliegenden   Blatt,    welches 


JOiJKOiiOtSiJßKSiKiKSiJOtj^iiOiJKS^jSiSJCiißjKJSiKiOi  Selbstoperation  sßS'SXJCiSiJOiSi'CtJOtStSiJKJSiOiJöiO'issiiKäK  369 


gewissermaßen  diese  historisch  bcijlaubii^te  Selbstoperation  notifiziert; 
in  Leiden  hängt  jetzt  in  I^oerhaves  Laboratorium  das  Porträt  dieses 
|an  de  Doot,   welches  Professor  Tendeloo  zum  Zwecke  dieser  Publi- 


ipMm 


^ 


F.y.  217. 
Jan  de  Doot  mit  dum  von  ihm  seihst  sich   165 1    exstirpicrten  Rl.isenstcin. 

kation  so  liebenswiirdig  war,  tur  mich  photographieren  zu  lassen. 
Wh  sehen  den  Holländer  mit  dem  .Messer  in  der  einen  Hand  und 
den  selbstexzerpierten  gänseeigroik'n  Stein  in  der  anderen  abgebildet. 
Die  Urkunde,  das  Messer  und  den  Stein  in  einer  Metallkapsel  habe 
ich   mit  photographieren  lassen.    Es  sei  noch  bemerkt,   daß  alle  diese 


H'>il  ander.   Die   -Medizin  in  der  kla^^ische^  -Maler 


.Aufl.,se. 


24 


370  äHK«!'«JS'«iS'«JJt<5StSi!iß!C*iö<S?XS«!0«i!CiSt!S  Steink  ■Ot<SiKiKi«-«SiSiS^«>:!«!iC><KS>JSStStiCt«>S>!KStie>iKSKSIi 

Doot-Üriginalien  von  Professor  van  Lccrsuni  aut  der  Ausstellung 
zur  Geschichte  der  Medizin  in  Kunst  und  Kunsiliandwcrk  in  Berlin 
1906  ausgestelh   waren  (siehe  Figur  217). 

Es  bedarf  keines  erneuten  Beweises  und  jedem  Gebildeten  ist 
die  Tatsache  bekannt  und  geläulig,  dal,^  in  den  \ergangencn  Jahr- 
hunderten vor  allem  die  Hand  der  romischen  Kirche  das  Kulturleben 
am  Zügel  hatte.  Wenn  einerseits  der  Klerus  der  Entwicklung  der 
naturwissenschaitlichen  Medi/in  überall  dun  llenniischuh  anlegte  und 
leider  da  am  meisten,  wo  es  bergaut  gehen  sollte  zu  der  lichteren 
Höhe  voraussetzungsloser  Kritik,  so  darl  anderseits  nicht  vergessen 
werden,  daß  die  Kirche  in  der  Waherrlichung  ihres  Kultus  die  Aut- 
traggeberin  iür  die  sclu)nsteii  Kunstwerke  war  und  daß  sie  dadurch 
die  darstellende  Kunst  mit  ihren  reichen  Mitteln  torderte.  In  diesen 
religiösen  Kunstmakrokosmus  hinein  lügt  sich  als  seltsame  Mischung 
einer  religiös-medizinischen  Beziehung  die  Sanunlung  Nürnberger 
'l'otenzettel,   die   wir  in   tolgendem   besprechen   wollen. 

Unter  den  lliegenden  Blattern  und  Hinblatldrucken  mit  Ik'zug 
aul  Medizin,  deren  .Samndung  ich  mir  seit  laliren  angelegen  sein 
lasse,  befanden  sich  vier  mit  einem  ziemlich  gleichlautenden  Inhalt. 
Zu  diesen  kam  ein  tüntter,  den  die  Direktion  des  Xurnberger  Ger- 
manischen Museums  so  gütig  war,  mir  zur  Publikation  zu  über- 
lassen. Das  Gemeinsame  dieser  einen  Zeitraum  von  beinahe  hundert 
Jahren  umlassenden  Blätter  (\-om  Jahre  1616  bis  zum  Jahre  1752) 
ist,  daß  aul  ihnen  Blasensteine  in  Kupferstichen  und  natürlicher 
Größe  abkonterleit  sind,  welche  meist  durch  Sektion  (in  einem  balle 
durch  eine  Üpieration)  gewonnen  wurden,  bdn  zweites  wichtiges 
Moment  ist.  daß  alle  diese  Blätter  aus  Xurnberg  und  meist  von 
Predigern  staunnen,  und  drittens  als  besonderes  CharakleriNlikum, 
daß  das  .Steinleiden  in  poetischer  bOrm  zu  überschwenglichen  reli- 
giösen Betrachtungen  benutzt  wurde.  Soweit  ich  dies  konstatieren 
konnte,  ist  von  diesen  Blattern  nur  das  älteste  von  Hermami  Peters 
in  seiner  Monographie  »Der  Arzt  und  die  lleilkunst«  bisher  bekannt- 
gemacht, ohne  aber  daß  diese  Wiedergabe  im  Text  eine  l'rklärung 
findet.    Wir  dürfen  wohl  mit  Sicherheit  annehmen,  dal,^  es  sich  bei  der 


iKJKiKSi-jtJO-iOi'SJCiStJß-Ot-OiiKiOiiOiStiSäK  SÜDDEUTSCHE  ToTENZETTEL  iOt!K!0>>o>!0!J^s>:!C!iO>siS><KJC>!0>!0!!«  371 


Ausgabe  solcher  Totcn/cttcl  um  eine  süddeutsche  Sitte  gehandeil  haben 


mag,  und  daß  ein   <. 


lückhcher  Zulall   mir  diese  wenigen  in  die  lläui 


gespielt  hat,   während   manche  andere  \-erldren  gegangen  sein  mögen 


w:^l'llu^vTlb^'^UJC'. Iti) vv.^nuiif  <"\iiiiiint  1v11r11iLL.11;  i^l-v^lc^ 

j(;anicipnr>Bib{iotlicc_ario.b.m.iiacb?«iitl(>öi  aü(? Cvr'\>am, 
^'bld^cnalti'liücni)ac(lhnittfrt  iiviCirt "fm  ■?  Nov:  A°  \6^6j3^ 


cnJeni  Civilis. 


.  axxXxn  !^llMturncnltlt(1't<rlDldc•'lV'^IC>F<J\•r^>r; 

~I?^e?  jTÖtiiTncn'^cr;n5(^!,ki>uit  nut  lUclnui  üttritniiÄn: 
>*$.  r  licf^^ict?T»Uii^fvc)nvö  iSona  tvü  Icn'  t  iixCVn,. 


fxny 
rnnt; 

'Um. 


9^ 


jVcüiV  PoU, r^' r  fa  ix  lirl.vr 
ixljnt  für  cuicXVoix  lou^_tu  ^f  m  ftunmf  ( nxnitn . 

Q/         c^tldctjUiüi  'i?,'harm>?tKfiflrt'i'iU(^ri'. 

Fitr.  218. 


Auf  dem  ersten  Blatte  (siehe  Figur  218),  von  dem  auch  das  (jer- 
manische  Museum  ein  Exemplar  besitzt,  sehen  wir  einen  Riesen- 
bhisenstein  abgebildet  von  9  cm  Lange  und  7  bzw.  >  cm  Breite,  so 
daß  man  bei  gutem  Willen  eine  Ilerztorm  herauslinden  kann.  Zu 
diesem  Steinherz,  das  der  Prediger  bei  St.  Sebald,  Johannes  Saubertus, 
zu  Lebzeiten  bei  sich  trug,  schrieb  sein  Kollege  |ohann  Michael 
Dillherz   1646   das  beigetügte  Gedicht. 


37-  JCSSiiSi^iKXSäiieJOiSiSiSiStiOtSiJSiKiKiSJOiJSiOtji»  StKINK  !SS>!C>JS!0><S<ßi«!Ct<SiC><>SiiSS«^"<X!0>JSiOi<KS!<0!JS<SSt 


In  n.ilicii  Bczul;  zu  diesem  Irühesten  niedizinisch-[H)etischen 
Totenzellel  wollen  wir  gleich  den  s|xite.sten  l^rin^en,  weil  er  eben- 
talls  einen  KultusbeanUen  der  St.  l.t)ren/.kirehe  betrifft  und  der 
Diakcin  der  Kirche,  Alberti,  die  [loetische  (irabsebritt  dazu  gemacht 
hat.  Dieses  Doppelblatt,  w^n  welchem  die  rechte  Hallte  die  Abbij- 
dmii;  von  neim  Blasen-,  Cjallen-  und  Xierensleiuen  auslüllt,  zeigt 
aul  der  ersten  Seite  gewissermaßen  den  wissenschaltlichen  Sektions- 
bericht*). 

Dieser  SteinbelLuid  er|ireLUe  aul  Begehren  sämtlicher  hinterlasscner 
luben  zu  letzten  lihren  und  gutem  Angedenken  seinem  gewesenen 
Beicht\ater,  dem  Diakon  derselben  Kirche  Augustus  Alberti  lolgendes 
Poem,  welches  aul   der  Rückseite  steht: 

Grabschrilt   des  Sccligcn   Herrn   Cinloris   l-'rcuiuis. 
Es  .sang  Herr  Cantor  1-reund  recht  als  ein   Virtuos 
nach  netter  Kiuist-Manier  türtrefflich  seine   Psalmen; 
Trug  aber  in  der  Call  der  Nieren  und  im  Schos 
ein  grausams  Dornen   Weh,  jetzt  tragt   Kr  l-'reudcn   Palmen: 
Der  Glaube  war  sein  Sieg,  sein  Heyl  die  Lebens  Cron, 
singt  nach  viel  •'\ngst  Geschrei  nun  stets  den  Jubel  Ton. 

Diesen  Drucken  reiht  sich  an  das  Doppelblatt  mit  dem  Riesen- 
blascnstein,  der,  29V,  Lot  schwer,  am  13.  Juni  1727  »von  Tot.  Tit. 
l'rauen  Maria  Anna  LöfFclhölzin  von  (^olberg  aul  Steinach  usw. 
geborener  Paumgartnerin  von  Uolenstein  sei.  Andenkens  nach 
ihrem  gottseligen  Abschied  zu  jedermanns  \'erwiinderimg  geschnitten 
und  daraul  als  ein  des  Mitleidens  würdigstes  Denkmal  hier  in  seiner 
Groß  imd  Schwere  \()rgestellt,  ins  Kupier  gebracht  worden«  (siehe 
Figur  219).     42  .    23  cm  groß. 

Den  Kopt  des  Blattes  nehmen  die  von  Palmenblätlern  ein- 
gefaßten \\'a[ipen  der  Dame  ein.  Die  andere  Seile  tragt  an  der 
Spitze    einen    lh)lzschnitt  lier   l^lasenstein    ist    ein    Ku[ilerslich   — 

mit  der  Allegorie  der  schmerzgequalten  Dulderin  aul  der  einen  Seite, 
die  aut  der  andern  .Seite  mit  der  Krone  belohnt  wird;  in  der  .Mitte 
die  AuterstelumiJ   mit   der  Cberschrilt   »revocat  sublimit)r  aiira«.     Das 


*)    Abbildung   in   der   Berliner   klinischen  Wochenschrift   1908    Nr.  5:    Holländer,    Der 
Blascnstein  in  mediko-historischer  Beziehung,  Tig.  3  a  und  3  b. 


<Ki«>SiiK>0><5>>KJ0>!ß!SS(!5iXS!0tJ0>!5!Si<0!!CS  SÜDDEUTSCHE  ToTENZi  Tl  11    •OüSi'OiSiiKSiJSiJiJJXiSiKiKiOiJCisSiOi  373 


Sollte  ntcf)t^  m  meinem  lief)/  iud)t^  »on 
meinem  iammer  geigen? 

n)irl)  Do*  biefer  fC^tPCrC  fttcin  meine 
Pci)mer5enniei)erfcf)U>eiöen! 


5       <  ^     ..-4i 


9[n.  1727.  bcn  13.  Sunii  i(?  biefcr  öuiTcrorbfntlic^-grojTe  unb  f(^mci> 
lid)c@tfin/bcr29i.£otnälr/ponTot.Tit.^tClUCn||^nilCl 

iJaumgdrtiittin  ^n^n  .^ouniim,  fcc(.iiit>cnfen^/ 

nad:)Sl)K"i  ©otlfeliäc«  ?lbfcf)icb/  p  )c^ernlllmI*  ajctmiiiibctuiiii  aefchiiitien,  imb 

ijatduf  alö  cm  bcö  9)JitUii?cii!>  rcürl'Kirce?  Scnfnuil ,  biet  111  feinet  ©top  unt> 

<£(f)mecc  uoroieilcUt/ 111?  SViipfcc  gebracht  roorben. 

XlurnbfCg,  gcScucft  bei)  iJocciij  ZSiclinij 
l'ig.  219. 


darunterstehcnJc  mit  Riescnlcttern  gedruckte  Cjcdiclit  hat  des  hohen 
Trauerhauses    untertanii;  verbundenster  Diener  AI.   Christoph  Bezzel 


374  ssstJKStSiJKJSSiSiStißSiJöißStJßJXiJiötJSiCiiftSt  Steine  siestJSiSiKJKiCiiCitSisx-SiSiSiKSiJKJSJKStJOiSiiKSiStJOiSt 


P.  L.  C.  Pcisi.  Pcringersd.  einer  edlen  Streiterin  Jesu  Clhristi  mitleidigst 
verehrt,  um  dieselbe  in  der  (lemeinde  der  Keehtulaubigen  erbaulich 
zu   verewigen: 

Hier  Leser!  siebest  du  den  seltnen  Jammer-Stein/ 

den  Frau  von  Löffclholz  in  Lamms-Gedult  getragen. 

bcy  so  gchäutftcr  Last  und  unerhörter  Pein 

inuss  .Mara   Sorgen-voll  mit  jenen  Frommen   tragen: 

Wer  wälzt  den  Stein  hinweg?  wer  nimmt  die  Last  mir  ab? 

zeigt  sich  kein  Holen -Stein!  mich  wieder  zu  erholen? 

wird  Stein-.\ch!  mir  zu  theil?  und  bleibt  mir;  bis  ins  Grab; 

ein  Stein  mit  \\'eh  und  Ach  zu  schleppen  anbefohlen? 

Ach  ja,  GOtt  legt  die  Last  mir  selbst  zum  besten  auf! 

muss  jener  Sisyphus  sich  sonder  Ruhe  quälen? 

so  krönet  die  Geduld  das  Fnd  von  meinem  Lauf/ 

der  Grabstein  läs.st  mirs  nicht  an  voller  Hülfte  fehlen. 

Im  Tod  fühl  ich  die  Last  in  lauter  Lust  verkehrt; 

mein  Stein  bringt  Jacobs-Trost:  ich  seh  die  Himmels-Leiter! 

bev  Salems  Tempel-Bau,'  wo  man  kein  Ach  mehr  hört,' 

bin   Ich   ein  neuer   Stein!     Nur  nach!   gekrönte  Streiter! 

Bei   dem    Worte   llolenstein   wird   in   der  Anmerkung  gesagt: 

»Hier  wird  als  ein  besonderes  Geschick  angemerkt,  daß  unsere 
Seelige,  die  sich  von  llolenstein  imd  von  Steinach  geschrieben,  auch 
zu  außerordentlicher  Last  der  Steinschiiierzen   ersehen  gewesen.« 

Das  Gedicht  war  offenbar  noch   nicht   deutlich  genug. 

Bei  Sisyphus  stein  die  .\nmerkung:  »In  diesem  Ciedicht  von  un- 
aufhörlicher W^älzimi;  eines  uroßen  Steins  iiaben  schon  die  Heiden 
die  Unendlichkeit   der   ll()llischen   Plagen   abgebildet.« 

Was  nun  bemerk'enswert  ist  an  diesen  kulturhistorisch  so  inter- 
essanten Blättern,  ist  der  Kontrast  zwischen  religiöser  Schwärmerei 
und  dem  staunenswerten  Grade  der  Aul  klärung,  der  darin  liegt,  daß 
Angestellte  imd  Jk'amte  der  Kirche  in  dieser  Weise  öflentlich  das 
Recht  einer  wissenschaftlichen  Autopsie  anerkennen  und  daß  sie 
selbst  in  Noller  Konsequenz  dieser  Anschauung  sich  selbst  sezieren 
ließen. 

Idn  weiteres  Blatt  (siehe  l'igur  220)  zeigt  einen  Kupferstich  von 
Johann  Jakob  Sandrart:  die  untere  Hallte  desselben  lununt  der  weinende 
kleine  Johannes    mit    dem   Kreuze    und    das  symbolische  Länuncheii 


Stielt  ''OH   Sandrart. 

FiCT.  220.     Steine,  so  bev  Paul  Loersch  (f  1681)  Handelsmann  in  N'ürn- 
bc'i-n;  nach  seinem  Tode  gefunden  worden. 


3/6  iCtJKiCiiKJSJKiCiiiKJSSKSSiOiJKStJSiKJKStJCiJSiOiJÖSK  Steink  jß-eiiKSiJKjSJSiOtJSittJSiKiCtiKSS'eiJSJKiKJJiiKiOiiO'iSJSJiX 


mit 


Icr   Doriicnkrunc  ein;  darüber  sehen 


wir  einen  uroßen  Blasen 
stein   in  einer    Kaiisel,    ein   umgesehülleles  G 


, ----    ,-^-. -.as   inil  einer  Unmenge 

von  Steintragmenten  und  noch  achl  größere  uiul  l^leineie  Nieren- 
steine. Dieses  l^hut  trägt  a  tergo  die  /usehrilt:  Steine  so  bev  Faul 
l.oerseh  i6Si,  Handelsmann  in  Xurnberg  gefunden  wurden.  Die 
Zeitangabe  erscheint  richtig,  weil  der  Kuiiferstecher  Sandrarl,  .Sohn 
des  bekannteren   hVanklurter  loachim,   id^^.S   in   Nürnberg  starb.     Das 


ßui\MerSihm{riinih'in-,  .UrmitbCcUnJ   iicpliufirlr;- 

7>ni^!^  iriirjüih  hiilfc  A^on  Vi>n  tptt .liirihjizt.-s  ttanJ, 
■  Ihm  lai'cib  Jas  er  muh  jelüi  vom  tatttcf  harnt 


■■■.ri!,il-'V,£:mr.  /■■-;f.-,'t.-;-l7vi./ur  jhtn  l'nd    hruch  Jr-k- 


Fig.   221. 

Aus   dem   Bestand   des  German.  Natioiialmuseiims  in   Nürnberg. 

folgende  Blatt  (siehe  l'igur  221)  ertüllt  zwar  mit  Wahrscheinlichkeil 
alle  drei  cliarakteristischcn  Merkmale  dieser  Nürnberger  l^lasenstein- 
blälter,  fällt  aber  doch  insotern  etwas  aus  dem  Ivahmeii,  als  es  sich 
nicht  um  ein  Sektionsresultat,  sondern  um  das  bj-gehnis  einer  glück- 
lichen Operation  handelt.  Wir  erwähnten  bereits  solche  Abbildungen 
von  bei  .Menschen  getundeiien  l-remdkorpern.  Das  Interesse  an  be- 
sonderen Naturerscheinimgen  und  anderseits  die  Ireude  an  Raritäten 
und  Mißwuchs  erklärt  es,  dal,^  namentlich  in  Suddeutschkmd  eine 
große  Reihe  solcher  liinblattdrucke  erschienen  und  gern  gekaull 
wurden,  (jewissermaßen  als  gemalte  Krankengeschichten  und  Denk- 
mäler der  Chirurgie  kcMinen  solche  Abbildungen  dienen,  wie  zum 
Beispiel  das  Blatt  aus  dem  (jermanischen  Muscmn,  auf  dem  ein 
Gallenstein    von    beinahe    (S  cm   Länge   abgebildet    ist   und   darunter 


■Pi.  l,Mv|t 


\'xiivn  (^ciii  Oiann  \:in]lt\'i-U  te!>i' Stirn ^ 


-lg.  222. 


3/8  äKStiSsSiSiöSiißSiSSSiSiiCtiSJCiSiliSSiStJCiStiKJß  Steine  5Kißl«!KiKJKiö<KStiS!0iiCii*SiS!CiiC«ilC>iß>K!0tS>!K<KiC>J6- 

die  ^^'orlc:  Anin)  1611  die  S  octub:  1-x  vesica  tellis  Gen.  Comitis  Jo. 
Gerardie  a  .Manderscheit  Dum.  in  Gerolstein  luiius  hinnae  lapides 
cxemil  Jiiannes  l-abricius  M.  ür.  Auch  hierzu  isl  zu  bemerken,  daß 
dieser  Doktor  nicht  mit  dem  i;leichzeitii;  lebenden  berühmten  l'abri- 
cius  Ilildanus,  der  1(15.1  starb,  verwechselt  werden  darl,  sondern  ein 
Mitglied  einer  bekannten  Xürnberger  Arztiamilie  gewesen   ist. 

l^er  i6)2  durch  Herrn  Benedikt  \\'ideman  bestellten  Oculist, 
Stein-  und  Brucharzt  einem  31  jährigen  herausgeschnittene  \ierLoth 
schwere  Blasenstein  trägt  nun  die  Worte  aus  Jesaja:  Der  Herr 
züchtiget  mich  wohl,  aber  gibt  mich  dem  Tode  nicht.  Vm]  darunter 
das  Gedicht: 

Di.s  ist  der  Schmerzenstein,  der  mich  so  lang  geplaget, 
Doch  aber  maclite  nicht,  das  ich  an  Gott  verzaget, 
Drunib  mir  auch  hülti'e  kam  von   Gott  durcli  Arztes  band, 
Ihm  sev  lob  das  er  mich  gelöst  vom  Todtes  band. 

Es  kann  nun  kein  Zufall  sein,  daß  alle  diese  Zeichen  der  Aut- 
klärung und  der  .Sitte,  die  Todesursache  wissenschaitlich  testzustellen 
oder  sich,  wenn  möglich,  mit  Erfolg  operieren  zu  lassen,  nach 
Nürnberg  hinweisen.  l:s  braucht  nur  daran  erinnert  zu  werden,  daß 
diese  süddeutsche  Kapitale  die  X'orburg  wissenschaftlicher  b'orschung 
war,  und  daß  zu  einer  Zeit,  in  der  in  llohand  die  anatomischen 
1-orschungen  mit  einem  wahren  leuerei  kr  betrieben  wurden  und 
mit  der  Renaissance  der  Anatomie  auch  der  \eid~iau  der  modernen 
Medizin  fundamentiert  wurde,  die  deutsche  Siadt  sich  ihre  gelehrten 
Stadtärzte  von  dort  holte  und  dadurch  die  nationale  Kunst  förderte. 
VoJcher  Coiter  hatte  schon  ijyo  im  Nürnberger  Refektorium  des 
Predigerklosters  imter  einem  derartigen  öllentlichen  Zuhiuf  Sektionen 
vorgenommen,  dal,^  es  zum  öfFentlichen  Ärgernis  gekommen  war; 
späterhin  gab  der  Nürnberger  Senat  nur  noch  die  Erlaubnis  zu 
Sektionen,  wenn  »solche  Anatonu'a  in  der  Stille  vei richtet  und  nicht 
zu  viel  Eeut  zusehen«,  damit  kein  Aiülaut  entstände.  Ähnlich  wie 
in  Eeiden  imd  Amsterdam  war  auch  hier  es  gewissermaßen  modern 
geworden,  anatomische  Keiuilnisse  zu  besitzen,  b'and  man  dann, 
sei  es  durch  Operatit)n  oder  Sektion,  Bemerkenswertes,   so  bot  der 


■CtSSJStS'StS'Si-OiißiOtiOiiKiSiCi-SißiOiißS!  Si  iiDi  i  is(  iiH  Totenzettel  ssäKiS'OiSiJßSi-SiiSJSSiSiJSiKSiiK  379 


Einblattdruck  die  gewünschte  Gelegenheit  der  Mitteilung.  So  findet 
sich  unter  den  Nürnberger  Dokumenten  zum  Beispiel  noch  ein 
Bhtsensteinbefund  mit  Abbildung  und  der  Zuschrift:  Calculus  e  vesica 
Beati  Heinnii  Consiliarii  Intimi  Saxo-Coburg.  Excisus  1689.  9  Loth 
*'.  Quint.  Bei  anderen  operierten  Fallen  steht  in  schlichten  Worten 
notiert,  wer  den  Stein  entiernt.  Man  machte  nicht  viel  davon  her. 
Diese  Sitte  der  Glorifikation  von  Predigern,  die  gewissermaßen 
eine  innerliche  Dornenkrone  zu  Lebzeiten  trugen,  der  W'rqinckung 
von  Sektionshetunden  mit  malerischen  und  poetischen  Erzeugnissen 
führte  zu  einem  graphischen  Denkmal,  welches  ohne  die  voraut- 
2:egangenen  Notizen  unverständlich  ist.  Ein  Prediger  Ursing  setzte 
es  seinem  Regensburger  Kollegen  Lang;  unter  dem  übrigens  vor- 
züglichen Porträt,  das  Benjamin  Bk)ck  (1631  bis  i6yo)  aus  Lübeck 
gemalt  hat,  sehen  wir  einen  2',  Lot  schweren  Nierenstein  mit  dem 
Uretertortsatz.  Im  übrigen  befindet  sich  hier  der  Dichter  in  Noten, 
denn  es  war  kein  Schmerzensstein,  wie  in  den  anderen  l'ällen, 
sondern  nur  ein  zufälliger  Sektionsbeiund.  Die  Macht  der  Tradition 
allein  veranlaßte  seinen  Kollegen,  diesen  Calculus  gewissermaßen 
als  Leistung  seines  Lebens  unter  sein  Bildnis  zu  setzen,  als  seine 
bedeutendste  Tat.  Oder  sollte  außer  traditionellem  Beweggrund 
noch  ein  versteckter  maliziöser  vorhanden  gewesen  sein?  Von  einem 
«Kollegen«   kaum   zu  erwarten  trotz  Hesiods  x\nsicht: 

»Töpfer  zürnet  dem  Tt>pfer;  den  Zimmerer  hasset   der   Zimmerer; 
Und  so  meldet  der  Bettler  den  Bettler,  der  Sanger  den  Sanger.« 


DIE  AMPUTATION 

Die  große  blutige  Kirnst  kam  bei  den  Leuten  in  Mißkredit  durch 
die  Amputation.  Das  niedere  \'olk  grollt  gedankenlos  dem 
Manne,  der  mit  hilfreicher  Hand  dem  Kranken  ein  Glied  absetzt. 
In  seiner  Gedankenfaulheit  sieht  es  in  dem  Meister  der  Chirurgie 
nicht  den  Erretter  vom  sicheren  'Lode,  sondern  nur  den  verstünniieln- 
den  Operateur.     Es  verwechselt  Krankheitsursache  und  Krankheits- 


38o  KSjJiiöie'iS'öiöSiiSiiOtiCiiOtSXiSiß'OiSiJSiCitSit  Die  Amputation  äKiKieiStJCiJSSiJOtJOiKXJSS'SiKXiSiCiJOiJOiSiJCtSiJCi 


folsre.    Vnd  doch  haben   schnn   im  Altcrtumc  mutige  Ärzte  den  Ein 


o* 


grift  gewagt.  Der  tmlselireitende  l^raiui  war  hierlür  zwingender 
Grund.  \\'egen  der  Blutungsgelahr,  deren  Beherrschung  noch  die 
größten  Schwierigkeiten  machte,  begnügte  man  sich  in  der  lii|-)pc)- 
kratischen  Periode  damit,  den  br.mdigen  Teil  iK)ch  im  Kranl<en  im 
(jelenk  abzusetzen. 

Die  s[xUere  Zeit  erkannte  das  Nutzlose  und  Unzweckmäßige 
dieses  \'orgehens.  Schon  im  ersten  Jalirhundert  nach  Christus 
empliehh  Archigenes  den  ZirkeLschnitt  im  desunden,  die  Konstrik- 
tion und  die  Unterbindung  der  Gefäße  in   der  Kontinuität. 

Mit  großen  Nadehi  wiu-den  die  Gefäße  umstochen  und  Massen- 
ligaturen angelegt.  Celsus  liatte  schon  vorher  den  W-rsuch  gemacht, 
einen  tragfähigen  Stumpf  dadurch  zu  erzielen,  di\&  er  nach  Abtragung 
in  der  Deinarkationsebene  die  ^\'eichteile  hochztig  und  den  vor- 
stehenden Knochen  so  hoch  wie  möglich  durchsägte.  Besonders 
auttallend  ist  es  allerdings,  daß  Celsus  dabei  gar  nicht  erwähnt,  wie 
man   die  Blutung   beherrschen  soll. 

Der  erwähnte  Syrer  Archigenes,  der  unter  der  Regierung  Trajans 
zu  Rom  lebte,  erfand  nicht  nur  die  prä\entive  Blutstillung,  sondern 
wandte  auch  die  Kälte  an.  Durch  diese  scheint  er  aber  im  wesent- 
lichen nur  den  Blutverlust  beschränkt  haben  zu  wollen.  Die  trotz- 
dem eventuell  entstehende  Blutung  stillte  dieser  Arzt,  für  dessen  große 
Popularität  des  Juvenal  Satiren  Zeugnis  ablegen,  mit  dem  Brenneisen. 
W'w  wollen  an  dieser  Stelle  bemerken,  daß  uns  keine  Säge  aus  dein 
Altertum  bekannt  geworden  ist,  welche  den  Dienst  zweckdienlich 
erfüllen  könnte.  Die  wenigen  l{xemplare,  die  nach  der  All  unserer 
Stichsäge  mit  feiner  Zähnung  gebaut  waren,  sind  so  schwach,  daß 
die  Operation  eine  wirkliche  Tortur  gewesen  sein  nuiß.  Auf  \'asen- 
bildern  sehen  wir  gelegentlich,  il.il.^  auch  die  zweihändige  große  Säge, 
die  Bogensäge  und  die  auch  heute  noch  moderne  Schrotsäge,  aller- 
dings zu  anderen  technischen  Zwecken  im  (iebrauch  war.  Die 
nächsten  tausend  lahre  zeigen  auch  für  die  Geschichte  der  Ampu- 
tation  ein    trübes   Bild  ohne   Glanz   und    l.ichl:    \'erlall    und    \'erlust. 

Der  Sieg  der  arabischen  .Medizin  läßt  es  verstehen,   daß  Heinrich 


jOiiKSiiOtJCtiKSiiCiJCtiKiSiOiiOiiS!«  Das  Wunder  des  Kosmas  und  Damiax  !0i!^!5!K)ßJK!5!iO!0>:i0i!ßä>  381 


von  Mondc\illc  Jas  dluh- 
cisen  nicht  nur  zur  Blut- 
stilluni;  bcnut/t,  sondern 
sogar  zur  üurchbrcnnung 
der  Weichteile  selbst.  Abul- 
Kasim  führt  die  Amputation 
mit  dem  Messer  /wischen 
zwei  Konstriktionsbändern 
aus,  von  denen  er  das  obere 
von  einem  Assistenten  wäh- 
rend der  Operation  an- 
ziehen  läßt. 

Bei  diesem  Autor  lin- 
den wir  nun  zum  ersten 
Maie  Blattsägen  und  zwar 
große  und  kleine  Bogen- 
sägen abgebildet. 

Botallo  hatte  den  \"er- 
such  gemacht,  die  Abset- 
zung der  Cilieder,  zunächst 
überzähliger  Finger,  durch 
eine  Art  von  Guillotine  zu 
bewerkstelligen.  Doch  fand 
dieses  Verfahren  wenig  An- 
klang. 

Einen  k'ortschritt  in 
dieser  Technik  bedeutete  die 
Wiederautnahme  der  Gefäß- 
unterbindung  durch  Am- 
broise  Pare.  Er  emplahl  das 
Absetzen  der  Glieder  im 
Gesunden  und  die  Unter- 
bindung der  blutenden  Ge- 
fäße.    Mit  dem  Verbot  der 


hrancken. 

Fig.  22? 


Aftf-i'.'crpen- 

Das  Wunder  des  Kosnias  und  Daniian. 


3S2  iß-KJOtStiOis-stStiCtJSSiißiSieiiCi-iSStiOiSiiJt  Dm  Amputation  äOSKSiSiStiOjSiSiiXSiSK^iCiSiiOiStiSsssiSiiiiStiOiJS 


Berührung  des  (Jlülicisens  an  den  Knochen  verhinderte  er  die  lang- 
wierigen Knochenabstoßungen.  Die  Gefäßhgierung  bestand  sowohl 
in  mehr  oder  weniger  isolierter  Unterbindung  des  blutenden  Ge- 
tanes als  auch  in  Massenunterbindimgen;  doch  auch  die  präliminare 
Unterbindung  des  Ilauptgefäßes  nach  elessen  l'reilegung  führte  der 
Meister  aus. 

Das  sind  so  imgelähr  die  N'erhaltnisse  und  das  wissenschaltliche 
Niveau  der  Amputationstechnik,  welche  man  unseren  Gemälden 
zugrunde  legen  muß.  Die  weitere  Ausbildung  durch  die  Erfindung 
der  Kompiressoren  und  des  Tourniquets  durch  Petit  171S,  sowie 
die  \'erleinerung  der  Stunipl  behandlung  durch  Lappen-  und  Trichter- 
schnitte  gehören   einer  späteren   Zeit  an. 

Es  gibt  mehrere  Darstellungen  einer  Amputation  aus  Lehr- 
büchern der  Cdiirurgie,  welche  einen  durchaus  bilderartigen  Ein- 
druck machen.  Das  bekannteste  Beispiel  ist  der  Holzschnitt  aus 
dem  Leidbuch  der  \Wmdarzenei  von  (lerl.'.dorfl;.  Dieses  wegen  seiner 
schönen  Illustrationen  gesuchte  Werk  führt  ims  den  Eingrilf  in  dem 
Momente  der  Absetzung  des  Unterschenkels  vor.  Wir  sehen,  daß 
das  Glied  zwischen  den  beiden  Umschnürungen  soeben  durchgesägt 
ist.  Der  Eingriff  wird  bei  einer  brau  gemacht,  welche  auf  einem 
Sessel  sitzt.  Außer  dem  (dhrurgen  fungiert  nur  noch  ein  Gehilie, 
der  in  die  'Lracht  eines  L'eldscherers  gekleidet  ist.  --  Von  Instru- 
menten sieht  man  nur  ein  Messer  und  ein  Ligaturband.  Ein  Bottich 
tängt  das  herauslheßende  ]3lut  auf.  (ierßdorff  selbst  betont,  daß  dcv 
Chirurg,  bevor  er  die  Absetzung  des  (iliedes  unterninmit,  »sein 
gezeug  und  berevtschadt  beieinander  haben  soll,  als  scher,  scher- 
messcr,  sege,  blutstellung,  laßbendel  (Aderlaßbinde),  und  was  dann 
darzu  gehört,  da  eins  uf^  das  ander  gange  nach  den  schnitt.  Dan 
die  noturft  erheischt  das.  Und  weim  du  im  schneiden  begriffen 
bist,  so  heiß  dir  einen  die  haut  lest  hinter  sich  streifen,  und  bind 
dann  die  haut  also  mit  deinem  he\lend  oder  aderlaßbinde  lest,  und 
bind  dann  ein  einfaches  band  davor,  dann't  ein  spacium  zwischen 
den  beyden  binden  sev.K 

Aus    der  weiteren    Schilderunu    ireht    hervor,    daß  nach   Durch- 


SiSiSiJSJKJOiJCiJSStSiJKiöJviJOtiCi  Das  W'i  \I)|:k  des  Kosmas  und  Damian  SiiCSiK'yi'CtSiStJJiSiSiSiiK  383 


schneidung  der  Weichteile  und  Durchsägung  des  Knochens  die 
vorgezogenen  Massen  nach  Abnahme  des  oberen  Icomprimieren- 
den    Bandes    zusammengepreßt    werden    und    nach    l'inwickhmg    des 


Stumpfes  und  Bedeckung  der  Wundfläche  mit  einer  Blutstillungs- 
paste das  Ganze  mit  einer  angefeuchteten  Rinds-  oder  Schweins- 
blase überzogen  wird.  »Am  liebsten  mit  einer  Stierblase,  die  da 
stark  sei.«  Won  diesen  Maßnahmen  hat  der  Zeichner  wenig  auf 
das  Papier  gebracht.  Wir  sehen  aber  im  f^intergrunde  einen  Mann, 
der  an  seiner    amputierten    linken   Hand    den    geschilderten   \'erband 


384  SBßJK!C>ie!iSSiSß<KißißJ0>si<s>:siSi!5iSis>:ä0t  Die  Amputation  «SiOiJCSiOiiKJCiiCiJSKSSiiKiKJOiöiiSiöJOiSiJKJK'CiiSiOi 


trägt.  Die    Frau   ist    gezeichnet,    als  wenn    sie    halb    ohnniäeluig 

zurückgesunken   daliegt. 

Aul  anderen  Darstellungen  dieser  Art  sehen  wir  die  Unglück- 
lichen in  sclinierz\c)ller  Erregung.  Auf  allen  Darstellungen  aber 
sitzen  die  Patienten  aul  einer  Bank  oder  aul  einem  Sessel.  Denn 
die  meisten  ("hirurgen  \erschmählen  es,  ihren  Kranken  xor  der 
Operation  schmer/slillende  .Mittel  zu  geben,  dijnn  die  X'erwendung 
eines  solchen  Schlalschwammes  galt  tur  gelahrlich.  (iu\-  de  Chauliac 
sagt  darüber  tolgendes:  »bduige  aber,  wie  '1'heoi.lorich,  \'erordnen 
einschlaternde  Mittel,  damit  der  Schniu  nicht  gespürt  werde;  wie 
Opium,  Succus  solani,  hvoscvami,  Mandragorae,  hederae  arboreae  et 
imbibunt  eis  spongiam  no\am  et  [KTmittunt  eam  ad  soleni  exsiccari. 
Sodann  wird  der  Schwamm  in  heißes  Wasser  gelegt  und  man 
atmet  seine  Dämpie  ein.  -Andere  geben  wieder  Opium  zu  trinken. 
Hans  von  (jerßdorft  sagt,  daß  er  bei  seinen  hundertundzwei  Ampu- 
tationen  in  Sankt  Anlhonienhot  zu  Straßburg  es  nie  getan   habe.« 

Daß  aber  die  chirurgische  Anästhesie  im  Mittelalter  eine  bekannte 
Sache  war.  dalür  legen  auch  die  Dichter  Zeugnis  ab.  Die  modernen 
iranzösischen  .Schwanke,  welche  \iellach  durch  l^inschlälerung  einer 
agierenden  Person  eine  witzige  Verwicklung  herbeilühren,  gehen  alle 
aul  di^n  Boccaccio  zurück.  In  einer  lirzdhlung  seines  Decamerone 
lindet  ein  berühmter  Operateur  aus  Salerno,  daß  bei  einem  Patienten 
die  Amputation  eines  Beines  notig  sei.  |-r  bereitet  zu  dessen  An- 
ästhesie die  einschlaternde  Müssigkeit.  Das  weitere  kann  man  sich 
ungefähr  denken.  Die  (jattin  des  (dnrurgeii,  ebenso  jung  wie  schön 
und  leichttertig,  benutzt  dessen  plötzliche  Abberutung  nach  Amalli,  um 
ihren  Liebhaber  konnnen  zu  lassen.  Dieser  trinkt  versehentlich  die 
Schlaftinktur  aus  und  \ertälll  in  einen  tieleii,  todesähnlichen  Schlal, 
aus  dem  er  weder  durch  Knciten  noch  Brennen  nüt  einer  Kerze  zu 
erwecken  ist.  .Man  trägt  den  Leblosen  in  einem  Kasten  in  ein 
anderes  Haus,  in  dem  er  erst  am  anderen  Tage  erwacht.  Die  große 
Gefährlichkeit  eines  solchen  Schlattrunkes  ergibt  sich  auch  aus  dem 
weiteren  \'erlaule  dieser  kulturhistorisch  interessanten  Lrzählimg. 
Denn    der    unfreiwillig  Narkotisierte   wird    beim    Lrwachen    gefoltert 


iC?iC!!v>!virCi!S!0!Jyti5:iSiCtJ5!iv>!KJCiS!KXS>i0"!5ti0i  Dl  l{  S(  lil  AI  s(  iiwAMM  jKSt!0i!0iiC>iKS>!C!<SiSS>JC>i5><0>!C>i0>S!!0i  3X5 


und  entgeht  dem  Hängen  nur  dadurLli,  daß  die  Zc^fe  der  Cliirurgen- 
trau,  tür  ihre  Herrin  eintretend,  ihn  ahs  ihren  Liebhaber  erklärt  und 
die  \"er\vicklung  Ic^st. 

Die  naricotische  Wirkung  der  .Mandragora  war  im  ganzen  Mittel- 
alter bekannt  genug.  —  Auch  Shakespeare  spricht  von  ihrer  ein- 
schläternden  Wirkung.  In  den  iVühen  Krauterbüchern  unterscheidet 
man  eine  männliche  und  eine  weibliche  Ptlanze :  »Da  nach  Meister 
Avicena  die  Wurzel  der  Pllanze  gleich  einem  Männchen  oder  bei- 
nahe so  formiert  sei.« 

»W^elcher  nicht  schlaten  me\ge,  der  nehme  die  Rinde  dieser 
\Wirzel  und  stoße  sie  zu  Pulver,  und  mische  darunter  Frauenmilch 
und  das  Weiße  von  einem  lü.  Und  streicht  das  um  den  Schlaf. 
Der  Mensch   wird   last  schlaten.« 

Datür,  daß  trotz  des  Abratens  der  bedeutendsten  und  ange- 
sehensten Cdiirurgen  der  späteren  Zeit,  wie  \'igo,  Brunswig,  Gerß- 
dorft,  Palloppia  und  der  beiden  babricius  von  solchen  Schlatschwämmen 
die  W-rwendung  derselben  tortbestand,  spricht  ein  kleines  Ölgemälde 
(jetzt  im  Besitze  des  Kaiserin-Friedrich-Hauses).  Fs  illustriert  ein- 
wandtrei  während  einer  bußoperation  die  Anwendung  des  Schlat- 
schwammes  im  Beginn  des  achtzehnten  Jahrhunderts. 

Während  nun  die  meisten  dieser  Drucke  die  Szene  im  Protil 
abbilden,  Imden  wir  aut  einem  großen  Gemälde  im  Antwerpener 
Museum,  welches,  wie  es  scheint,  einmal  einer  der  Flügel  eines 
Triptvchon  gewesen  ist,  eine  Amputation  von  V(.)rne  geschildert. 
Wir  sehen,  daß  hier  zwei  Cdiirurgen  um  einen  Mann  bemüht 
sind,  dessen  Bein  abgeschnitten  ist.  Die  Ligatur  oberhalb  hält 
noch.  Das  gangränöse  Bein  liegt  abgeschnitten  am  Boden.  Der 
eine  der  Chirurgen  hält  die  Hand  in  einer  Stellung,  die  die  Bürg- 
schaft datür  gibt,  daß  der  Akt  wirklich  mit  angesehen  ist.  Die 
Hände  lassen  die  hochgezogenen  und  straft  gehaltenen  Weichteile 
eben  los,  und  der  Knochen  verschwindet  gerade  inmitten  des 
Fleisches.  Am  Boden  liegt  die  große  Amputationssäge.  Die  Vor- 
schrit't,  daß  immer  eine  zweite  Säge  vorhanden  sein  muß,  talls  das 
Blatt    der    einen    bricht,    ist    bei    der    summarischen  Behandlung    des 

Hollander,    Die   Medizin   in    der  klassischen    Malerei.      2    Auf'.age.  -5 


386  sKiKieiJSSiiissRiKStJßiSJSiKiKJKJSiiiiOiißSi  Da-:  Amputation  ssjßiOiJSißißJKsssiiSSXiOiiissiJSiiKiKiO-JSiSiSiOöK 


Gegenstandes  vergessen.  Die  ganze  üperaiionsszene  spielt  sieh  im 
VorderliDte  eines  Raumes  al\  der  (it]ciibar  zu  einem  Krankenhause 
gehört;  denn  im  I  liiuergrundc  geht  die  Hciiandlung  ambuhmter 
ehirurgiseh  Kranker  vor  sieh.  Kin  Hettlägeriger,  der  von  einer 
Sehwester  betreut  wird,  repräsentiert  die  innere  Station.  Ks  gehört 
schon  eine  intensive  l^etraehtimg  dieses  (jemäldes,  welches  dem 
älteren  brancken  zugeschrieben  wird,  dazu,  um  den  Sinn  der  Dar- 
stellung restlos  zu  entziffern.  —  Die  \'er\vunderung  über  die  Wahl 
des  Sujets  wird  uns  leiten,  denn  trotz  der  realistischen  Schilderung 
der  Nachtseite  des  Lebens  gehört  auch  diese  Darstellung  nicht  zu 
den  profanen.  Auch  dieses  Bild  \erdankt  seine  Entstehung  kirch- 
licher (iloritikation.  Der  aulmerksame  Betrachter  hat  schon  bemei'kt, 
daß  der  zweite  Chirurg  in  seiner  bland  einen  schwarzen  Unterschenkel 
hält.  Da  nun  bereits  am  Boden  ein  amprniertes  Ik'in  liegt,  mit  dfjn 
deutlichen  Zeichen  von  Brand,  so  muß  dieser  zweite  Unterschenkel 
eine  andere  Bedeutung  als  die  Darstelkmg  der  trockenen  (jangrän 
haben.  Die  beiden  Chirurgen,  die  hier  bei  blutiger  Arbeit  beschältigt 
sind,  stellen  nämlich  die  Arztepatrone  Kosmas  imd  Damian  vor. 
1-jnes  ihrer  1  leilwunder  bestaiid  darin,  daß  sie  einen  Mann,  dem  sie 
ein  Bein  absetzen  mtißten,  heteroplastisch  kurierten;  sie  setzten  ihm 
ein  der  Leiche  eines  Mauren  abgeschnittenes  (ilied  an.  Wahrlich 
eine  kühne  Idee,  welche  der  modernsten  Transplantationstechnik  wm 
Leichenteilen  den  transzendentalen  Ximbus  zu  rauben  scheint.  Doch 
auch  dies  Wumler  christlicher  Heiligen  lehnt  sich  an  antike  l-rlin- 
dungskunsl  an.  Die  alten  Griechenpriester  logen  mit  kühnerer 
Phantasie.  Ihr  Asklepios  \erstand  es  von  Lpidatu'os  konnnend  in 
'Lrözen   den   abgeschnittenen  Lop!   iler  Aristagora   wieder  anzuheilen. 

Die  Darstellung  gerade  dieses  chirurgischen  ileilwunders  der 
]3rüder  kommt   häufiger  vor. 

Unsere  Ingur  22.|  gibt  die  Mimatur  wieder,  die  in  dem  Anti- 
phonarium*)  Sancti  Gosmae  et  Damiani  als  llaujitwundertat  der  beiden 
HeilJo-en  ihren  Ausdruck  gefimden  hat.  Das  Prachtwerk  selbst  ist 
in  den  Besitz  der  Society  tif  Antiquaries  in  London  übergegangen.   Der 


•)  Früher  im  Besitz  von  Mr.  Thos.  Brooke  of  Armitage. 


SOS'öiKiCtiStSX'CiSiSiSiJCSS'iS'OtJitiS'O-JSiJiiSiOtiK  Dil    I  ll  II  1.'  MI  AM  Ik  !«S!«!i«tJß<5»iS><C!iCi>0iS>S;!0!J5tl«StJCSiC?  387 


Maler  dieser  Szene  hat  im  Gegensatz  zu  dem  Hämischen  Künstler 
den  Moment  gewählt,  in  dem  die  beiden  Oiierateure  mit  ihrem 
Eingrift  fertig  sind.  Im  \^)rdergrLmde  steht  das  l^riiderpaar  und 
reinigt  die  eben  benutzten  Instrumente.  Die  Umstehenden  betrachten 
erstaunt  das  Wunderwerk  des  angeheilten  Mohrenbeins.  Seitlich  ist 
der  \\)rgang  geschildert,  welcher   die    Glaubhaftigkeit  des  Wunders 


Beato  Angi'lico.  Fioretiz. 

Fig.  225.     Das  Wunder  der  Heiligen  Kosnias  und  Damian. 
Die  Anheilun"  des  Araljerl^eins. 


bestätigt.  Man  geht  zum  Sarge  des  verstorbenen  Arabers,  otinet 
denselben  und  iindet  ein  Bein  amputiert.  Gott-\'ater  schwebt  an 
der  Decke,  umgeben  \on  dem  Chor  von  Hngelchen.  Das  in  einem 
an  Mantegna  erinnerndem  Stile  gemalte  l^ild  wurde  erstmalig  repro- 
duziert mit  einigen  Begleitworten  sow  Dr.  Percy  Boulton  unter  dem 
Titel   »A   miracle  ot  plastic  surgery«. 

Eine  noch  farblosere  Darstellung,  die  neben  der  kühnen  realisti- 
schen Tat  des  Idämen  ganz  verblaßt,  gibt  das  Florentiner  Gemälde 
des  Beato  Angelico.  Nur  die  Lagerung  des  Kranken  und  das  Milieu 
seiner  Krankenstube  hat  Anspruch  auf  unser  Interesse  (siehe  Figur  ii's,  ). 

Scheinbar  denselben  Gegenstand  behandelt  ein  (iemälde  von 
Pietro  Antonio  Mezzasti    in  Montefalco.     Hier    sehen   wir   die  Dar- 


388  JSäKJKSiJSietJKSiStStSiSiiKiKSt^iöißiK    FUSSOPERATIONEN    jKSKittJOiiCiiSSiJSiSJKSSiOiiJtißJSiSSiiOtiSiKiKSX 


Stellung  der  Ansetzung  eines  unterhalb  des  Knies  abgeschnittenen 
Beines  durch  einen  Moncli.  Das  Wunder  des  heiligen  Antonius,  in 
chirurgischer  Beziehung  beinahe  gleichwertig,  hat  aber  eine  andere 
\'org"eschichte;  denn  der  Franziskaner  ist  nur  der  X'ater  der  Auto- 
plastik, da  er  einem  reuigen  Bülk'r,  der  sich  selbst  ein  Bein  ab- 
geschnitten   hat.   dieses    wieder  anheilte"'')  (siehe  Figur    i  ]^). 

l:ine  realistisch  geschilderte  Irakturbehandlung  eines  kompli- 
zierten Beinbruches  zeigt  die  rechte  Seite  der  vier  (Jeniälde  von  den 
vier  (jesiclitern  des  Arztes  (siehe  Figur  264  bis  267).  Wir  sind  bei 
der  Hinrenkung  und  Lagerung  des  Unterschenkels  dabei,  sehen  die 
Abnahme  des  Schienenverbandes,  erleben  das  Herumholpern  mit  llilte 
der  Krücke  und  zum  SchluL^  das  unwillige  Aulstampten  mit  dem 
wieder  gesundeten  Bein  nach  völliger  Heilung  bei  der  Präsentie- 
rung  der  Liquidation. 


FUSSOPERATIONEN 

Der  dramatische  und  peinliche  Vorgang  einer  Amputation  ist  als 
\'orwurl  tür  ein  (jcmalde,  wie  wir  es  erlebten,  nur  verständ- 
lich in  rehgioser  Beleuchtung.  Die  Frolanmalerei  aber  be\orzugte 
die  Herabsetzung  solcher  blutiger  Geschehnisse  aul  das  \'i\eau  der 
Tragikomödie.     Legion  sind   die  Bilder  solchen   (jenres. 

Holländische  Kleinmalerei  \erschwägerte  sich  mit  der  Darstellung 
chirurgischer  Kleinkunst  und  schul  die  Pedikurgemälde.  Das  waren 
Szenen  airs  dem  Leben  auch  des  Kleinbin'gers.  Das  schlechte  Schuh- 
zeug verursachte  allerlei  l-'ußübel,  und  liesondere  Fußkünstler  gab  es 
unter  den  Scharlatanen.  Fs  bestätigt  sich  hier  von  neuem  das 
Gesetz  von  dem  Wiederaulleben  erledigter  Dinge,  denn  aul  der 
Schaubühne  und  aut  der  Leinwand  ist  auch  die  l'edikur  heute 
wieder  in  Mode  gekonniien.  Doch  an  die  Stelle  des  Bauernliumors 
vergangener  Zeit  mußte  die  erotisch  parlünherte  Stinmumg  imserer 
Tage  treten. 

■     ^.chc  auch  Plastik  und  Medizin,  S.  509. 


Der  mcxicrne  Maler,  der  sich   vielleicht  schon   zu   den   Ivealisten 
zählt  durch   die  W^ihl   des  Sujets  einer  i'ußoncration,  malt  die  Szene 


ungetähr  sc^:  Aut  einem  mollii^en  Diwan,  in  hellseidene  Kissen  ge- 
schmiegt, ruht  ein  junges  \W'ib.  Das  Batisthemdehen  enthüllt  mehr, 
als  es  verschleiert.     Zu    ihren  l-'üLk'n    kniet    ein  xMann  in  schäbigem 


39°  3KSS<S<5!»:iß'«i«<ßi«i«>SJK!iSiKSi!KJSS!    FUSSOPERATIOXEN    äRJKJKJSJKStStJSSiJSiOiiSJOiiJiiSiKJSJSJOtJßiliiK 


Rock  und  poliert  ilir  die  Xägcl.  Zwisclicn  beiden  Personen  beslelu 
keine  persönliche  Be/iehung,  man  konnte  den  i'tißoperatein-  weg- 
nehmen,   dann    stellte    das   Bild    die   »Tagesriihe    eines  Xachtlalters« 


lig.  227.     l*uliupcratii)ii.     \cm  A.  liimivver. 

dar,  und  das  Bild  wäre  geradeso  vollendet.  Wenn  die  alten  Hol- 
länder aul  die  Siime  wirlcen  wollten,  so  malten  sie  «Die  \'er- 
suchung  des  heiligen  AiUonius«  oder  \ielleicht  »Die  kaudeckuiig 
der  Schwangerschaft  der  Kallisto«;  aber  aus  diesem  Stolf  wul.Uen 
sie  so  viel  Humor  herauszunehmen,  daß  sie  keine  Anleihe  bei  der 
Galanterie    zu    machen    brauchten;    iQr    sie    war    die    Grimasse    des 


i5Si<ß»:KSKXiKiO>iO>!0>S>:JOt!Oi«>SiS>-5i!5i!OtißiSiKSiiK  1  L^M  I  11)1  N   igiOiiOiKSiSJOiJCiJKiOtJOiSiiOiiSSiißJCiSiSiiSsIiSiSi  39 1 


gepeinigten  Fußbesitzers,  das  maliziiKse  Gesicht  des  Operaleurs  und 
der  Zuschauer  schon  Reiz  genug,  und  dabei  treuten  sie  sich  noch 
über  die  \'ert'anghchla'it  der  Situation,  die  darin  bestand,  dal,^  sich 
der  nicht  ganz  tadellc^s  dultende  l'ul,^  in  nächster  Nähe  der  Xase  des 
Operateurs  befand.     Diese  Szenerie   und    das  Drum    und   Dran    ver- 


liti-  Kopie,   Oni^iii.ii  ,)/,(. 


Fig.  228.     Fulioperalion.     Von  A.  Ostade. 


anschaulichen  Gemälde  wie  das  Tenierssche  in  Kassel  (1-igur  226), 
das  Brouwersche  in  Frankfurt  (Figur  227),  sowie  eine  der  zahl- 
reichen alten  Kopien  des  Ostadischen  Originals  im  Madrider  Prado 
(Figur  228). 

Die  Charakterisierung  der  Patienten  ist  eine  einlache;  bald 
ist  es  ein  Bäuerlein,  das  aut  den  Markt  seinen  Korb  mit  Fiern 
bringt  (siehe  Figur  229),  oder  ein   Fandsknecht,  oder  ein  Schmied, 


39-  äKStSiätäiiöiCiJSStißiOtJOtJCiilSJOiStiKSiSi    FUSSOPERATIONEN    SOiSKJOiJS-Ci'CiSiSiiOiSiiKiSäviJKSi^SiSiiKiKäKäK 


der    von    der    Arbeit    koiiinu    (siehe    \-\i\uv  230,    David    Ivuxckaerl, 
Berlin). 

Die  Operationen  selbst,  die  an  den  I'üik'n  viirgenonmien  werden. 


hi-y(iti,    hm si- ritt- 1- rjnit  ich  Hau 


Mg.  229.     Pedikür. 
Von  Johann  Iloorcmans  (16S5  bis   1759). 

sind  allerdings  auch   etwas  eingreilender  als  b'arben  und  Polieren  der 
Fußnägel;    manchmal    ist    es  die  Behandlung   eines    eingewachsenen 


jvSiOiSiStiß'OiiJiSiiJiJS^iKJl'iOiSiiOiiOt'OiSiS^SiiOiKSJ^  FUSSLEIDEN   JOiSiiCiJßiCtiSiKiKiKSiSiiOiSi'OiSiiO'JOiSiS'JßiKiK  39: 


Nagels,  (iftmals  wird   der  Ful^^rückcn  geschropfi,    manchmal   IkukIcIi 
CS  sich   um  Abziehen   eines  W'rbandes  oder  Aufleuen  eines  Korrosiv- 


oq 


ptiasters.     im   Hintergründe   sieht   man   dann,    wie   ein   Lehrling  die 
\'erbandstofl'e  präpariert. 


394  äSJCtStiSiCsiOtietißJCiSiStiOtJSiji'eiJSJy-äKJviJCiiK  Beschneidung  sKic>!5iiO;!KS>iSiSiO>:s>iOtie>!ß!5!KS>!5iK>K)OtiSiSiKiCi 


BESCHNEI  DUNG 

IUI  auffallenden  (iei;ens;Uz  zu  der  sonstigen  Prüderie,  im  (ie^en- 
satz  auch  zu  der  (iewi^hnheit  von  Jahrhunderlen,  eine  gewisse 
Ktirpergegend  der  Betrachtung  zu  entziehen,  steht  die  so  ott  gemalte 
Szene  der  Beschneidung.  —  Das  hat   ii.uürlich  seinen  guten  (jrund. 


!  iitit  I  i.ttit'tii^i 


Tig.  251.     Die  Bcschnciduiig 
Von  Willem  van  der  Porten. 


JOiStißSiStißJSiOiiSiSiöiKSiSiißSiSiiOtJOiSiKSSiSiS^       ^i  li\l  ll)LN(,JOiiOi!S<SiKSiS>S*SiJS!Ci<!!«!C(S>JKSiS>JSX!iSi  3<(5 


Ober,-l„„t.  SJ,„i,- 


Fig.  232.     Diu  BL-schueidung. 
Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts. 

Wie  alle  Phasen  im  Lehen  Jesu  einer  künstlerischen  Darstellung 
unterlagen  und  in  den  Bereich  gläubiger  \'erehrung  gezogen  wurden, 
so  auch  dieser  Akt,  welcher  dem  judentume  des  Erlösers  entsprach. 
Es  kann  nicht  verwunderlich  sein,  daß  der  Reliquienkult,  im  größten 
fundamentalen  Kontrast  zum  antiken  Gottesdienst,  dahin  führen 
mußte,  auch  das  abgeschnittene  Präputium  des  Herrn  in  den  Kreis 
göttlicher  \'erehrung  zu  ziehen. 

Lukas  2:  »Und  da  acht  Tage  um  waren,  daß  das  Kind  be- 
schnitten würde,  da  ward  sein  Xame  genannt  Jesus,  welcher  genannt 
war  von  dem  Engel,  ehe  denn  er  im  Alutterleibe  emptangen  war.« 
Manche  Künstler  halten  sich  mm  bei  dieser  Darstellung  der 
Beschneidung    ganz    an    die    biblischen   Erzählungen.     Simeon ,    der 


396  SßißieiSiietiJi'OiiJ'SiißiKJßStSiiCiiJOtJJtJOiiCÜSiiK  BeSCHKEIDUNG  JC^iOtStiOtl^S^'CiSitXitiSJOiiOtiKißiKSiSSJJiJC'iSiSSiSSSi 


trommc  uiul  _i;intcsl'ürchtigc  Mann,  der  \om  Heiligen  (jcist  die 
Weisung  bekiimmen  Inilte,  er  sollte  den  Tod  iiichl  sehen,  er  hätte 
denn  zuvor  den  Christ  des  Herrn  gesehen,  hah  das  Kind  aut  den 
Armen.  Der  Operationsvorgang  selbst  entzieht  sieh  meist  der  ge- 
naueren Ik'trachtung.  .Man  sieht  nur  den  l'riester  mit  dem  .Messer, 
gelegentlich  einem  Steinmesser  hantieren,  (ianz  in  Anlehnung  an 
Renibrandts  (iemälde  »Simeon  im  l'empel«  (Haag)  ist  die  Leinwand 
des  Willem  \an  der  Porten  gemalt.  Das  gtddene  W'aschgefäß  und 
die  Kanne  lehlen  kaum  aul  einem  der  zahlreichen  (iemälde  dieser 
Art  (siehe   j-igur  23 1 ). 

In  medizinhistorischer  Beziehung  sagen  uns  die  zahlreichen 
Gemälde  dieser  Art  wenig.  Kine  Ausnahme  macht  eine  frühe  ober- 
rheinische Tatel;  denn  aul"  dieser  sehen  wir,  daß  der  Operateur  statt 
der  gewöhnlichen  /irkumzision  mit  einem  grol.kai  .Messer  nur  eine 
Spaltung  des  Präputiums  vorninnnt.  J-^s  kann  sich  aber  auch  darum 
handeln,  daß  als  erster  Akt  der  Operation  zunächst  das  innere  Blatt 
gespalten  wird;  es  sei  daran  erinnert,  daß  es  die  üble  Gewt)hnheit 
trüberer  Beschneider  war,  mit  dem  langgewachsenen  Daumennagel 
das  innere  Blatt  zu  spalten.  l:in  nebenstehender  junger  .Mann,  der 
in  ein  llorentinisches  Gewand  gekleidet  ist,  hält  ein  kleines  Gefäß 
bereit,  welches  wohl  bestimmt  ist,  die  \'orhaut  aufzunehmen  (siehe 
Figur  252). 

Pin  (iemälde  des  Pietro  Perugino  in  der  sixtinischen  Kapelle 
fällt  durch  die  Seltsamkeit  seiner  Darstellung  aut.  Der  Ausschnitt 
der  P'reske  zeigt  uns  zwei  von  einem  Kreis  von  l'delleuten  umgebene 
Frauen,  von  denen  die  eine  einen  nackten  Knaben  auf  dem  Schoß 
hält,  während  die  andere  vor  ihr  kniend  mit  spitzen  Pingern  die 
Vorhaut  desselben  festhält.  Die  andere  Hand  ist  in  einer  Stellung, 
als  wenn  sie  gerade  die  gegenüberliegende  Seite  der  N'orhaut  erlassen 
wollte,  um  sie  zu  zerreißen.  Doch  ist  es  auch  denkbar,  dal,^  die 
Frau  des  .Moses  in  den  Pingern  ein  uns  unsichtbares  Steinmesser 
hält.  Demi  die  ganze  Szene  stellt  eine  Illustration  xor  zum  zweiten 
Kapitel  Moses  4,  23:  »Da  nahm  Zippora  einen  Stein  und  beschnitt 
ihrem  Sohn  die  Vorhaut«  (siehe  Figur  2j^). 


39^  iCtSiJßSiJßStSt^iSiC^SiiliSiiKiJiiOtiliJSSK   NaRREXSCHKEIDEN   SSSiSt<itiÖ!C*St!S!0><0!S>!0!<5t!SiSißiO!S><C>!Ot<0!>0> 


NARRENSCHNEIDEN 

Ein  besonderes  Kapitel  beansprucht  ein  opicrativer  Ein^rin  am 
Kopie,  welclier  last  aiisscbb'eßlich  \dn  holläiuiischen  Malern 
mit  Laune  und  Witz  i^esehildert  wurde.  13iese  Operationen  nennen 
sich  namenthch  auch  in  den  nacli  den  Ölgemälden  xerlertigten 
Stichen  »Das  Schneiden  von  dem  Ke\«.  V.s  ist  schwer,  sich  heut- 
zutage davon  ein  Bild  zu  m.icheii.  was  bei  diesem  \'organg  W'irk- 
lichkeit  und  was  lmaginatit)n  war.  N'ielleicht  liegt  diesen  oiK'raliven 
Eingriflen  bei  närrischen  Leuten,  Dununen  und  (jemütskranken  der- 
selbe Gedanke  zugrunde,  der  die  \'ölker  der  trüben  Perioden  ver- 
anlaßte,  Trepanationen  vorzunehmen.  Hs  muß  aber  dieser  Eingriff 
nach  Aussage  der  zahlreichen  Kunstprodukte  im  Volksbewußtsein 
eine  erheblich  größere  Rolle  gespielt  haben,  als  wir  dies  aut  Grund 
sonstiger  Überlieferung  annelunen  würden.  Wir  können  hier  wirk- 
lieh  einmal  gerne  konstatieren,  daß  diese  tarbigen  Denkmäler  einen 
großen  medikohistorischen  Wert  haben.  Sie  lühren  uns  aul  den 
'Lummelplatz  der  Scharlatane  und  Afterärzte,  die  ihr  Wesen  zu 
allen  Zeiten  getrieben  haben  und  von  der  Leichtgläubigkeit  der 
-Menge  lebten.  Sie  waren  es,  die  den  chirurgischen  1  landwerksstand 
komiiroiuittierten.  Oltmals  hervorgegangen  aus  der  Schule  tüchtiger 
und  erfahrener  Schnittarzte,  benutzten  sie  ihre  Ilandtertigkeit  zu 
schwindelhatten  .NLuu'pulationen  und  zogen  von  .\Lirkt  zu  .\Lukt; 
der  Wahlspruch  ihres  Lebens  und  ihre  (jeneralentschuldigung  war 
zu   allen  Zeiten:  Mundus  \ult  decipi. 

Aus  welcher  Cjesellschattsklasse  sich  diese  aut  Märkten  und 
Landstraßen  herumziehenden  Schnittarzte  rekrutieren,  ersehen  wir 
aus  einer  Abhandlung  Ludwigs  xon  llornigk  (]65cS,  L'ranklurl).  Unter 
das  legitime  I  leilpersonal  zählt  er;  »Jlol-,  Statt-,  l-'eMt-,  llospital- 
und  Pestmedici,  Wimdärzt,  Barbierer,  L'eldtscherer,  Oculisten,  l^ruch- 
und  Steinschneider,  Zuckerbäcker,  Krämer  und  Bader,  lerner  die 
obriste,  geschwohrene,  Irawen,  Ilebeaiumen,  L'nter-Lrawen  und 
Krankenpfleger«.  Zu  den  »betrieglicheii  und  angemaßten«  Ärzten 
zählt  er:    »Beutelschneider,    Kristallseher,    Dorlgeistliche,    j-insiedler, 


JKiOiJSSXißJSSiiSiKJltJSiCiKSJOtiCtJJiSiiOiSiiOiiCiJK   NarrENSCHNEIDEN   jßiSJCiJßJOiSiJSSiSiiOtiSSiJCi-CSSiSi^iißJß  mj9 

Fallementierer,  Gaukler,  liarnprophcten,  Juden,  Kälbcrdrzt,  Land- 
streicher, Marcktschrever,  Xachrichter,  Otenschwärmer,  Fseudoparaccl- 
sisten,     Quacksalber,     Rattentani;er,    Sei^ensnrecher,     Tcufelsbandcr, 


A;iistt'rciaiit. 


Fig.  234.     »Das  Schneiden  von  dem  Key«. 
Viin  Hieronymus  Bosch  van  .\kcn   IM70  bis   ij.iol. 

Waldheintzen  (das  heißt  Wurzelgräber),  Zigeuner  und  ähnliches  Pack. 
Alle  diese  Leute  wollen,  wenn  sie  das  Ihrige  durch  die  Gurgel  ge- 
jagt, verh'essen,  versoffen  und  verloffen  haben,  sich  darnach  an  der 
Medicin  wiederumb  erhohlen  dadurch,  daß  sie  .Menscheniett,  .Murniel- 
tierschmalz.  Theriak,  Mithridat,  Quintessenzien,  Xießwurz,  Sieben- 
baum und  so  weiter  \-erkauten.«  Und  zu  diesen  Pseudopanazeen 
kommen  noch   die  schwindelhatten   Operationen   und  Operateure. 


40O  SKiSißiKJSJCfiSiJiJSiKiSJKJSißiSiSJC^iKiC«  Narrenschneiden  JßiCiißKXißißißißSiißiSißiKißJßiCiißiKJßiOiiCiJOt 


Sclum  Rhazcs.  der  arabische  (jalen  i;cnannl,  crwähnl  (830)  in 
dorn  Kapitel  »De  iniposUirilnis«  ärztlielie  Schwindler,  die  aus  den 
verschiedenen  i\iiriierhöhlen  l'ienidkt)rper  herausschneiden  und  da- 
durch eine  Krankheit  heilen  widlten.  Wahrend  nun  in  der  medi- 
zinischen Literatur  niehrlach  l'älle  bekannt  sind  Non  Unterschiebunoen 
falscher  Blasensteine,  tand  ich  keine  weiteien  sicheren  Notizen  tibcr 
das  \\)rkonnnen  von  Schwindeloperationen,  die  von  reisenden  Schar- 
latanen bei  LeiclUL;laubii;en  vorgenonmien  wurden.  Das  einzige 
sichere  Zeugnis  datür,  dal.^  solche  Eingritle  im  sechzehnten  und  sieb- 
zehnten Jahrhundert  wohl  massenhait  vorkamen,  bietet  die  zeit- 
genössische -Malerei.  Man  konnte  nun  vermuten,  daß  diese  Opera- 
tionen vornehmlich  im  westlichsten  Europa  vorkamen,  wenn  nicht 
das  Zeugnis  des  Hans  Sachs  dagegen  spräche.  Aus  der  Zusanmien- 
stellung  der  stattlichen  Reihe  von  ausschließlich  holländisch-llämi- 
schen  Gemälden,  die  sich  zum  Teil  in  l^rivatbesitz  befinden,  ergibt 
sich  ittlgendes  Gesamtbild:  Meist  fahrende  luul  mit  einem  Priviles; 
und  gesiegelten  Briet  versehene  Chirurgen  airs  der  l^ader-  und  Bar- 
biergilde operierten  in  Otiizinen  oder  auch  aut  der  Landstraße  und 
auf  dem  Marktplatze  allerlei  Leiden,  die  wohl  vornehmlich  nerxösen 
Ursprungs  waren,  und  heilten  sie  dadurch,  daß  sie  meistens  aus  der 
Stirn-,  seltener  aus  der  Ilalsgegend  Fremdkörper  entternten.  Sie 
machten  einen  Einschnitt  und  praktizierten  in  die  Wunde  einen  Stein 
(Kev),  den  ihnen  ein  Gehilfe  zusteckte.  Es  wurde  dieser  Vorgang 
so  volkstümlich,  daß  er  den  Wert  des  Sprichwortes  bekam.  Beweis 
daftir,  daß  auch  manchmal  Heilungen  vielleicht  aul  dem  Wege  der 
Suggestion  vorkamen.  Die  .Malerei  und  die  Poesie  spielten  später 
diese  Dinue  auf  das  (iebiet  des  Svmbolischen,  indem  sie  die  tatsäch- 
lieh  oft  vorgenommenen  Operationen  als  bildlichen  Ausdruck  Ihr 
erzieherische  Besserungen  oder  die  Selbstentwohnung  von  mensch- 
lichen Schwächen  und  lügentundichkeiten  verwandten.  F.s  ist  natiu'- 
lich,  daß  im  wesentlichen  es  die  Aulgabe  der  Dichtkunst  wurde, 
den  Stoff  in  den  Rahmen  eines  Tendenzstückes  einzusi^annen ,  und 
so  sehen  wir  auch,  daß  Hans  Sachs  aus  ihm  einen  tollen  I'astnacht- 
scherz  gemacht  hat:   »Das  Xarrenschneiden«.    Doch  auch  die  .Malerei 


lig.  235.     Das  Xarrcnschnciden.     Art  des  Hieronymus  Bosch. 


Holländer,   Die  Medizin  in  der  klassiächen  Malerei.     2.  Auflage. 


26 


402  »isssi-cüiSJKiKJß'eiCiißSiSi'öätSSjeiSi'«  Narrenschneiden  aiiSiSiSiSSi'öJCiSiieiiSiJiSiieitSiStiS'eiJSiKJKiS 


ging  weiter  und  schuf  aus  dem  burlesla'n  Gegenstand  moralisierende 
Bilderbogen  im  Cjeschmaek  der  Zeil:  l\u[ilersiiehe  mit  unterschrie- 
benen epigranmiatischen   \'eisen. 

Der  Fastnachtscherz  »Das  Xarrenschneiden«  von  Ilans  Sachs 
vom  Jahre  1337  beweist,  dal,^  dem  Autor  und  seinem  IJorerkreis  die 
\ornahme  solcher  Steinoperationen  bekannt  war.  bdn  Ar/t  mit  seinem 
Knecht  betritt  eine  i\nei(ie.  zeigt  zunächst  seine  Legitimation  vor 
und  h'agt  dann,  ob  Patienten  da  sind:  »brau  oder  Mann  mit  Husten 
oder  Stein,  taul  Meisch  und  Zipperlein,  Sehnen  oder  liilersucht, 
Zahnweh.  Kramp!  oder  lallende  Sucht«,  alle  verspricht  er  zu  heilen. 
D.\  meldet  sich   ein   Kianker: 

Weil   stark  geschwnllcn   ist  nieiii  Leib, 
Als  wäre  ich   ein  scliwangeres  Weib. 

Xach   vergeblichen  W'rordnungen  spricht  der  Arzt: 

Knecht,   i;ib   das  Harnglas  mir  ireschwinde, 
Die  Krankheit  besser  zu  erkennen. 
Soll   ich   das  nicht   ein   Wunder  nennen, 
Der  Mensch  hier  stecket  voller  Narren. 
Mein  Freund,  da  ist  nicht  lang  zu  harren, 
•Man   nnilj   die   Narren   dir  bald   schneiden. 

Bevor    der  Arzt    nun    das  Messer    in    die   Hand   ninnnt,    s|-)richt 

der    Knecht:  Gesell,  wenn   m.in   dich  schneiden  soll, 

So  niul'it  dem  Arzte  du  voran 
l!rgeben  dich  als  toten  Mann, 
Dieweil   das   Schneiden   ist  gefährlich. 

L'nd  mm  schneidet  der  Arzt  dem  mit  einem  Handtuch  lesl- 
gehaltenen  i'atienten  den  J-5auch  aul  und  holt  nach  allerlei  N'ersucheii 
mit  einer  großen  Zange  einen  Narren  nach  dem  andern  airs  dem 
Bauche  heraus:  dun  Narren  (jeiz.  HolTart,  Neid,  L'nkeuschheit  und 
viele  andere.  Der  geheilte  Patient  zahlt  seine  Kur  ganz  nach  modernem 
Rezept   mit  einer  bmplehlung: 

Welch  eine  Meng'  in  dieser  Stadt 

Weiß  ich  von  armen  und  reichen  Knaben, 

Die  auch  meine  schwere  Krankheit  haben. 

Und   selbst  was  ihnen   doch  gebricht, 

Nicht   wissen   und  emplinden's  nicht, 

Die  will  ich  all  zu  euch  bescheiden, 

D.il'i   sie  die  Narren  sich  lassen  schneiden. 


404  iSJSSiJSSiiSiS'öJCssiS'S'SissiOiieiSiJSiS  Narrknschneiden  sKäKJßJCüSiStJS'CiJSSiiOiJSiSiCiJCi'OiJKJSicsst!«:« 


Wahrscheinlich  das  älteste  dieser  Cjemälde  mit  der  Stirnsteinope- 
ration ist  die  in  Amsterdam  behndliche  'l'afel  des  llieron\-imis  Bosch 
van  Aken,  des  genialen  Phantasten,  der  in  der  l-rlindun_i;  i;rt)tesker 
Gestalten  tür  die  s[Kttere  Zeit  tonan_i;ebeni.l  war.  Anf  einem  sessel- 
artigen Stuhl  sitzt  ani;ehunilen  ein  behäbiger  Mann,  der  seinen  1  hit 
tmd  Degen  an  den  Boden  gelegt  hat.  I  unter  ihm  steht  aut  kothurn- 
ahnlicheni  Schuh  in  seltsamem  dewand,  halb  l'riesler,  halb  Narr, 
ein  glattrasierter  .Mann  mit  hängender  L  iiterlippe  und  schneidet  dem 
ganz  vergnügt  blickenden  Patienten  einen  Stein  aus  der  Stirn.  Inter- 
essant ist  die  Zuschauergruppe,  die  den  lisch  umsteht.  P^n  Ptafie 
betrachtet  in  seiner  Hohlhand  einen  Stein,  den  der  Operateur  soeben 
dem  bärtigen  .\hmne  entternt  hat.  Letzterer  wird  gerade  von  einem 
Gehillen  verbunden.  Das  Interesse  der  Umstehenden  ist  gut  charak- 
terisiert, und  auch  die  (jattin  guckt  schämig  durch  die  l'inger.  Noch 
zwei  Dinge  weisen  aut  die  .Satire:  Der  bereits  verbundene  .\htnn 
zeigt  wie  zufällig  mit  seinem  Stock  nach  einer  ]:ule,  als  Illustration 
dafür,  daß  man  am  hellen  'Page  nicht  sehen  will  oder  kann.  Die 
ollene  Schranktür  läLk  einen  W'einkrug  erkennen  als  Andeutung 
dafür,  da),^  nach  der  Operation  das  Honorar  vertrunken  wird.  Das 
Bild  ist  umgeben  von  einem  hübschen  Rande  mit  phantastischen 
1  ierbildern,  unter  denen  man  eine  APius  bemerkt,  die  Zahnschmerzen 
hat,  und  darunter  steht;  »Das  Schneiden  \ou  dem  Kev«*)  (siehe 
l-'igur  234). 

Pine  beinahe  kopieähnliche  Darstellung,  noch  burlesker,  wenn 
auch  als  P>ild\verk'  weniger  fein,  fand  ich  im  Prado.  Die  ziemlich 
korrumpierte  Tafel  ist  (»flenbar  in  Anlehnung  an  das  (iemälde  von 
Bosch  entstanden.  Die  Anordnimg  ist  dieselbe,  nur  fehlen  die  Eides- 
heiter, und  die  Gattin  trägt  zum  guten  (jelingen  noch  ein  medizinisches 
Werk  auf  dem  Kopf.  Die  Operation  glückt  eben  inu',  wemi  das 
Eheweib  sich  nicht  muckst  und  nicht  mit  dem  Kopte  wackelt.  Der 
Operateur  trägt  als  Kopf  bekleidung  einen  W'eintrichter  und  am  Gurtel- 
haken  eine  Weinkanne.     Auch    hier    ist    der  Sinn    des  J^ildes    durch 


•|  Eine  alte  Kopie  in  etwas  veränderter  AuffasMinj;  hclindcl   sich  in  meiner  .Sammlunt; 


4o6  ssssJO-s'jSiciiS'JSiO'iissiiKißiSiSJß'OiiKJK  Narrenschneidex  jßiKJetJCi'OisstJSißSi-iSieiJSiSißiSiftSiißjCitiOiJSiCi 


Schnörkcischritt  vom  Maler  als  Randabschlul!^  angegeben  (siehe 
Figur  2^3). 

In  der  »Karikatur  und  Satire«  besprachen  wir  eingehender  die 
operative  Behandlung  der  Narretei.  Henri  Meiges  Abhandlung  über 
diesen  Stotl  ist  mustergültig*).  Zu  dein  Material  fügen  wir  noeli 
eine  Abbildung  eines  Cjcmäldes  des  alten  l^auernbrueghel  hin/u, 
welches  vor  kurzer  Zeit  aul  dem  Berliner  Auktionsmarkt  war  und 
von  den  Autoritäten,  natürlich  ohne  Kenntnis  der  Arbeiten  der  ))lct)no- 
graphic« .  lür  ein  Original  gehalten  wurde**)  (siehe  Figur  2^6). 
Die  Bruchstücke  der  Brueghelschen  Originaltatel  hangen  in  St.-Omer. 
Bei  der  eigenartigen  malerischen  Betätigung  des  alten  Brueghel,  der 
große  Bilderbogen  satirischen  Inhaltes  mit  dein  l'insel  schrieb,  lag 
es  lür  ihn  nahe,  diesen  Stoff  zu  verwerten;  auch  dieses  Bild  wurde 
gestochen  und  Ausschnitte  aus  demselben  inniier  wieder  verwandt. 
Vergleicht  man  den  Kupferstich  vom  Jahre  1339  (siehe  Figur  237) 
mit  dem  (iemälde  \-om  Jahre  1336,  so  sieht  man,  dal?i  dem  Meister 
zwei  total  verschiedene  Lösungen  desselben  Problems  gelungen  sind. 

Henri  Meige  publiziert  in  der  »Iconogra)ihie  de  la  Salpetriere« 
1893  einen  Stich  aus  dem  Reichsmuseum,  welcher  gr(.)ße  Ähnlich- 
keit mit  unserem  Gemälde  hat.  Bloß  daß  der  Stuhl  mit  dem  um- 
gefallenen schreienden  Klienten,  der  am  Boden  vom  Operateur  weiter 
bearbeitet  wird,  noch  aufrecht  steht.  ]3ie  aul  dem  einen  Ciemälde 
am  Saume  des  Operationsgewandes  angebrachte  Bezeichnung  des 
Dorien  de  Kenaix  hat  sich  als  nachträglicher  Zusatz  herausgestellt. 
Von  diesem  Blatt  existieren  übrigens  nur  zwei  Fxem(ilare.  Aul  dem 
andern  ist  auf  dem  \'orhang  eine  Banderole  angebracht,  aul  dem 
die  ungefähren   Worte  zu  entzilTern  sind:   »Mämisches  Xarrenliaus«. 

Der  Sinn  aller  dieser  Darstellungen  Brueghels  ist  derselbe:  »(ieht 
hin  zu  der  Zauberin  von  Malleghem  oder  zum  Dorien  von  Kenaix 
oder  zu  irgendeinem  anderen  Scharlatan  und  laßt  euch  die  Fliegen 
und  Mucken,   die  ihr  im   Kopie  habt,  operieren!« 


•|  Henri    Meifjc,    Lcs  Operations  sur  In  titc.    >>ciuv(.llc  Iccjnugrajihic  de  la  Salpetriere 
1895  u.  Pierrcs  de  Tetcs,  ibidem  1S99. 

"]  H.  Gaudier,   .A  propos   dun    talileau    du  Musi'c  de  St.-Omer   re])ri-'sentant   lcs  arra- 
cheurs  de  pierrcs  de  tetc,  ibidem  1900. 


lün  Scitcnhicb    [ällt   dabei   aul    die   zünitigc  Medizin.      Aul    dem 
einen   Stich  sieht    man   nur    noch   die  Reste    einer  verhisseiien  Apo- 


Fig.  23S.     Das  X.irrciischncideii. 
Von   lan  Stccn. 


theke.     Natürhch    kann    die   nicht    bhihen    und  gedeihen,   wenn  alle 
Leute  zu  Kurntuschern   lauten. 


4o8  iOt5>!SSi!C«.i«iC>:<s<c>:io>iS<i-iCitiCiieis><s;«äK  Narrkxschneiden  sstiCiJS'S^i^^iSiSStJKiSiJiiO'iKiCiSiJOiSiSiis 

Das    bekannteste    dieser    Xarrenschneidebilder    stammt    von    der 
Hand    lan  Stecns  und  es  ist  bei   der  ganzen  RichtuiiL:  des  Steeiischen 


OS 


Humors  nur  wunderbar,  da).^  er  diesen  Ciet^enslaiid  niehl  noch  häufiger 
zum  \'()r\vurt  "enommen  bat.    Hatte  er  docii  dabei  die  beste  (jelei;en- 


4IO  sßjKssiSißStiSJOiiSißißSiJßjeiiiSJSSiiß!«  Narrenschneiden  5KSS!0>ssißiC?X)>iK<S!e>!Siss?iS?^iS«>retSi<C!<Si« 


heit,  sich  über  menschliche  Schwachen  lustii;  zu  machen.  Jedenfalls 
ist  dieses  Bild  als  Titelvignette  eines  Buches  über  die  Leicbtgiaubii;- 
keit  und  die  Dummheit  der  Menschen  bestens  /u  em(ilehlen.  lün 
Bäuerlein  ist  aut  einem  Sessel  angebunden  und  ein  Scharlatan 
operiert  denselben  unter  Assistenz  einer  Noinie,  die  das  ldeali;esicht 
einer  alten  \'ettel  hat.  Der  Operateur  zieht  dem  sich  sträubenden 
Patienten  eine  Unmasse  Steine  aus  der  llalswunde  und  wirll  sie  in 
ein  (ietiiß.  Die  Ilerkunit  der  Steine  ist  sonnenklar;  ein  Bursche  reicht 
sie  ihm  ganz  offenkundig  unter  dem  größten  \'ergniigen  der  durch 
das  benster  zusehenden  Xachbarn.  Der  Patient  ist  der  einzige  aul 
dem  ganzen  Bilde,  der  an  den  Schwindel  glaubt!  Schmerz,  das 
fließende  Blut  und  die  Autregung  tun  das  Ihrige,  und  mit  W'ahr- 
scheinliclikeit  wird  der  Tölpel  durch  den  lungrill"  geheilt  (siehe 
Figur  23S). 

Meist  wird  nun  der  lirfolg  nicht  zu  lange  vorgehalten  haben, 
aber  wenn  die  Wunde  geheilt  ist,  war  auch  unser  Operateur  schon 
längst  außer  Gesicht.  Aut  einer  Landstraße  hat  er  sein  Atelier 
autgeschlagen,  und  so  sehen  wir  ihn  wieder  aid  dem  Bilde  von 
Brouwer  in  Aachen.  An  der  liinterwand  eines  Hauses  hängen 
als  Trophäen  exstirpierte  Steine  und  andere  l-remdkörper ,  und 
vor  gaflendem  Publikum  ist  der  Chirurg  gerade  bei  der  Arbeit 
(siehe  Figur  239).  \  on  der  Seite  tührt  man  ihm  aut  einem 
Schiebkarren  einen  neuen  Klienten  zu.  Das  Bild  ist  nur  eine 
Farbenskizze. 

Die  gleiche  Darstellung,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  der 
Scharlatan  hier  eine  Bühne  aufgeschlagen  hat,  aut  der  er  unter 
großem  Zulaut  des  Volkes  operiert,  stammt  wieder  von  J.ni  Steen. 
Das  l)ild  ist  durch  vieltache  Stiche  sehr  bekannt  geworden.  Die 
ganze  Haltung  des  gläubigen  Opfers  ist  beinahe  identisch  mit  der 
des  Rotterdamer  (iemäldes  (siehe  P'igur  2.\o). 

Eine  Leinwand,  welche  otlenbar  derselben  Kategorie  zugehört, 
beschrieb  der  Pinsel  des  lau  van  lieemes.sen  (1330,  Haarlem).  Hier 
steht  zur  Abwechslung  einmal  auf  ollenem  .Marktplatz  das  Zelt  des 
Operateurs;     unter    Hüte    zweier    schweslerhatt    gekleideter    brauen 


JCiSiißS'ißiSJKJS'SSiiOiJCiJOiiSißJSißJSJCiJOiSSiK  Narrenschnkiden   JKKÜiSKXJCiJOi'ftiS'CiJKißSiJK'ÖJSiCiiSiKSt  411 


schneidet  er  gerade  bei  einem  Soldaten  einen  grol.V'n  Stein  mitten  aus 
der  Stirn.  Dem  bebrillten  Operateur,  der  seinen  l'reibrief  aul  dem 
Tische  liegen  hat,  macht  otlenbar  die  ()|K'rati(in  keine  technischen 
Schwierigkeiten.  Neben  ihm  ringt  die  entsetzte  .Mutter  die  Hände. 
In  nicht  best)nders  zartliihlender  Weise  hat  der  .Maler  gerade  an  ihr 
den  Humor    der  Situation    schildern    wollen.     Die   an    einer  Schnur 


Fig.  241.      Die   Steinoperation.      Viui  J.iii  v.tii  llt;cnicb.>5cn  (1550). 


autgehängten  drei  runden  Korper  kann  man  auch  vor  dem  Original 
im  dunklen  Saale  des  Prado  nicht  sicher  klassifizieren.  Sind  es  blut- 
stillende Schwämme  t)der  sind  es  extrahierte  bremdkorper?  Zur 
Charakterisierung  des  (jemäldes  wäre  das  von  Bedeutung,  da  man 
vielleicht  geneigt  ist,  die  Tatel  auch  den  Darstellungen  seriöser 
Operationen   zuzuzählen  (siehe  l'igur  2|_i). 

Das  drastischste  Werk  dieser  Richtung  nht  der  größten  Betonung 
der  humoristischen  Seite  stammt  von  branz  Hals  dem  Jüngeren.  Es 
hängt  in  Rotterdam  dicht  neben  dem  Jan  Steenschen.  Der  Operateur 
mit  dem   Gesichte    eines  Beclanesser    träiJt  vorn    aut    der  Stirn    sein 


412  äRJßSSSiiftiSiSJKS'iKiOiie'StiSSiiKSiiSJS    XaKRENSCHNEIDEK   StJßJKSiiOtiSSiißJCiSiiSiStSiSiSiSiiCiJOtSiS'iK'O! 


Privileg.  unJ  an  der  \\'anJ  hängt  l'^ricf  und  Siegel.  Sti  niiil,'.  die 
Operation  glücken.  Der  Patient  brüllt  so,  dal.^  man  .seine  hintersten 
Backenzähne  sehen  kann.  Den  \'ordergrund  inninil  ein  Negerknabe 
ein,  der  in  einem  silbernen  Becken  die  herausgenommenen  .Steine 
auttängt.  Aut  blauem  rischtuch  liegen  eine  Reihe  \on  Instrumenten, 
namentlich  das  Stilett  mit  !■  llenbeingrilF  hebt  sich  wirkungsvoll  vom 
(jrunde  ab  (siehe   ligur  242). 

Die  (leschichte  dieser  interessanten  Operationen  wird  nun  noch 
weiter  illustriert  durch  eine  Reihe  xon  Kupierstichen,  denen  sch.irt 
gewürzte  \'erse  beigegeben  sind.  Zunächst  wollen  wir  einen  Holz- 
schnitt  \on  W'evdmans  erwähnen,  einm.il  weil  er  zu  den  wenigen 
mir  bekannt  gewordenen  Steint)perationen  an  Weibern  zählt,  ander- 
seits weil  die  Darstellung  noch  \-ollkommen  mit  den  beschriebenen 
Gemälden  der  Art  korrespondiert  (siehe  ligur  2  []).  Die  meisten 
der  übrigen  Stiche  aber  gehen  nun  weiter  und  s[iielen  mehr  aut  das 
(iebiet  der  nn)ralischen  Schhißtolgerung  hinüber,  indeiu  den  Künstlern 
ungefähr  das  \t)rsch webte,  was  Hans  Sachs  in  seinem  bastnacht- 
spiel  zum  Ausdruck  brachte.  Der  Begrili  des  Stein-  oder  Kev- 
schneideiis  bei  \'erdrehten  und  Absonderlichen  war  eben  im  \'olks- 
bewußtsein  schon  zum  .Sprichwort  geworden,  wie  luan  zum  Beispiiel 
heute  auch  iiu  übertragenen  Sinn  \om  Stechen  des  Stars  spricht. 
Die  vorhandenen  Drucke  gehen  zum  Teil  aul  den  Pieter  Brueghel 
ziu'ück,  respektive  sind  .Modifikationen  seines  Bildes  vom  Stein- 
schneidemeister Doven  x'on  Konse,  bei  dem  eine  ganze  Klinilc  \ou 
derartigen  Operierten  zu  sehen  ist;  aul  Sesseln  sitzen  sie  angebunden 
und  werden  vom  Meister  oder  seinen  (jesellen  operiert.  Unter  einem 
solchen  Bilderbogen  stehen  die  Worte:  »Xil  opus  .VnticNras  abeas,  hie 
tollitur  oestruni.«  D.is  heilU  nun  zunächst  den  Teulel  nüt  Beelzebub 
austreiben;  oder  kaiui  man  aiuiehnieii,  dal,^  die  alten  Holländer  bessere 
Lateiner  waren  wie  wir:  .\lso;  b.s  ist  nicht  notig.  daß  du  erst 
nach  Anticyrae  gehst,  man  kann  dir  hier  schon  deinen  \\'es(ienslich 
heilen.  Anticvrae  ist  eine  nach  deiu  .\rzte  des  Herkules  genannte 
Stadt,  in  der  viel  i  lelleborus  wächst,  ein  Kraut,  nut  dem  jener  i-lun 
Herkules  von  einer  nervösen  lallenden  Krankheit  befreite.    Oeslrus  ist 


JCtfSiS-CiiOi-OiSS-CSJOtiOiiOtSiJKSiiOiiCiSiiOiiSiOiißiCS   Narkexschneiden   jßiKJSJj-iKSiiOiiSiS'CiiOiJOtSiJOiiOiSiSiiOiSi  4  I  3 


Fig.  242.     Das  N'arrensclinL-idcn. 
\'on  Franz  Hals  dem  Jüngeren. 


die  Schafhremse,  die  die  Drehkrankheit  hervorruft.  Karolus  Allaerdt 
hat  nun  die  Konsequenz  am  weitesten  gezogen,  indem  er  den  ahen 
Brueghelschen  l^ildern   noch   eigene  Dessins  mitgibt   und   erkuiternde 


414  i^iSiOiiOiJßSS'CiißjßiCiJSJSJS-öSiißjSJSä«  Narrenschneiden  äi!CS!Siß!C>!es!O!<0iSiS><i!iC!i!SJKiC*iC>!C>!O!<K!Ci:<ssi 


an    was   tür  ciiK'iii   Stcinübcl 


\'crse  zuüigt.    Er  hat   die  Operierten,   die  aul  vier  Sesseln  sit/en,  mit 

charakteristischen   Attributen    ausi;estattet ,    aus    denen    eri^ennhar  ist, 

der  Patient  leidet.  Da  ist  einer  durch 
Weinkanne  u]ui  Lollel  aks  liesser 
imd  Sanier  geschildert,  und  dar- 
unter stehen  ilie  Worte:  »Ach 
lieber  Meister,  mache  deine  Sache 
gut,  dann  trinken  wir  aucii  nacli 
der  Operation  eins  zusammen.« 
Den  anderen  plagt  die  Raullust, 
den  dritten  die  Rauchlust.  Der 
erstere  schlägt  während  der  Ope- 
ration dem  Assistenten  die  baust 
ins  Auge  und  trägt  an  seiner 
Mütze  und  am  dürtelliaken  blanke 
Messer.  Der  'I'abaklield  hat  in 
allen  Taschen  rauchende  Pfeilen 
stecken.  Die  anderen  Beigaben 
der  armen  Opfer  des  Doyen  sind 

zu  obszön,    als    daß    man    sie   wiedergeben    kiuinte.     Pincr    sitzt    da 

melancholisch    und    überlegt: 

Man   nnili  so  viele   Schmerzen   leiden, 
Läßt  man  sich  Gebrechen  schneiden. 
So  ist's  nicht  fremd,  dall  jnng  und  alt 
Am  liebsten  seinen  .Stein  behalt. 

Die  Darstellung  der  .Steine  in  den  l\orperhohlen,  die  auch  mit 
großen  Zangen  herausgeholt  werden,  übergehen  wir,  müssen  nur 
noch  die  bezeichnende  Moral  mit  ihrem  h'ivolen  Schlußbilde  anlühreii, 
die  dahin  zielt,  dal.'i  ein  willensstarker  und  zielbewtißter  Mensch 
seine  .Steine  aul    normalem    Wege   los   werden   kann: 

Ick  sien  wel   die  under  Meesters  Mande   eomt,  moet  veel   lyden. 
Darum   kack  ick   se  liever  uvt,  so  hoell  men   niet  to  snvden. 


Kaiserin- Fr  ifdrich-l  laus 

I'ig.  245.     Holzschnitt  von  Weydmans. 


Was  steht  mm 


am 


leii  Zetteln,   die   wir   so   vielmals   aul    diesen 


Bildern  an   A^lw  Wänden  angeschlagen   linden?     Die  .\hiler  benutzen 


•OtJßSiJOiJCiS^JSSiK^ißißJOiiCiJß-OiSiJCiJOiißiOi'CiiCiiCS   Marktschreikr  SSJKSiiKiKJOiJeiiOtiKJSJß'CiJKiCiJßSiSS'SJSJOi  4  1  5 

sie  meist,  um  aut  ihnen  ihr  W'erk  zu  signieren.  In  W'irkhehkeit  aber 
bedeuten  sie  Briet  und  Siegel  tur  herumziehende  Schnittar/le  oder  aucli 
die  Speisekarte  der  von  ihnen  verzapften  Wundarznei.  Zwei  solche 
Marktschreyerzeddel  aus  Leipzig  wollen  wir  hier  wiedergeben.  Der 
erste  vom  Jahre  1470  berult  sich  in  prahlerischem  und  wahrschein- 
lich auch  aufschneiderischem   Tenor  auf  königliche  Protektion. 

De  Cyrurgico  et  Oculista  in  Lvpzek  anno  Domin.  1  170  in  mense 
Octobris.  Wissentlich  sei  mennigklichen,  dass  herkommen  ist  ein 
bewerter  Mevster  genannt  Herr  Johann  von  Tokenburgh  ritter  der 
keyserlichen  Majestaet  und  des  hevligen  römischen  Reichs  und  ist 
auch  des  durchleuchtigen  türsten  und  herren,  her  Mathias  Konigks 
czu  Hungarn  Wuntarzt  gewest  etzliche  Jar  an  den  genannten 
Königk  er  dan  sevn  Meisterschatt  hat  nemlichen  evnen  phevl  von 
ihme  brocht  hat,  den  er  mehr  den  eli  jähr  in  seinem  riigkger 
tragen   hat  usw. 

Prahlt  der  erste  ganz  unverschämt,  so  gibt  uns  ein  zweiter 
erhaltener  derartiger  Marktschreierzettel  doch  eine  interessante  Ein- 
sicht in  die  umtangreiclie  i'ätigkeit  eines  Chirurgen  der  dama- 
ligen Zeit. 

lirstaunt  sind  wir  zu  hören,  was  alles  ein  solcher  tahrender 
Geselle  kann: 

Czu  wissen  sei  allermeniglich  daß  ein  bewerter  mevster  her- 
kommen ist  in  alleriey  Stuken  der  Wundarzney  von  dem  Haupt 
bis  ull   die  b'uße. 

1.  czum   ersten   den  bruch  czu   schneiden   mit  gots  hulfte. 

2.  Item  er   kann   auch   den   bruch  schnevden   daß  man   d\  nieren 
darf  nit  ausnemen    und   evnem  an    seinem   Leben   nit  schadt. 

3.  item   auch   etzliche   bruch   czu   wenden    ungesnvten   an    Irawen 
und  an   mannen. 

4.  item   den   steyn   zu  snevden. 

3.   item  etzliche  stevne  ungesnvten  heraus  zu  nehmen. 

6.  item  Kro[it  czu  snevden  und  etzliche  zu  vertreiben  ungesnvten. 

7.  item  drusen   und  oberbein   zu    snevden    und  czu    heilen,    und 
den  Zopher. 


4i6  ss-ßißißjßissi-öiOiSiSiiSiSSiijSiöißiSS!  Narrenschneiden  !Ci!ßJC>s>!ßS<si!C>!OiJC>;<o>ic><K!Ci:«<K<sisssjC>!C*s> 

8.  item  die   1-istel   und   l\rcl\sc    und   die  zrieri^k  czu   heilen,  wo 
das  möglich   zu   lieilcn  stellt. 

9.  item  oueli   den    staar  czu    stechen    an    den    Oi;en   und    etzhch 
gebrech n  an   den  n^en  Duch   zu   vertreiben. 

K).   item   hassenscharten   czu   snevden   und  czu  heilen. 

11.  item  och  mancherlev  hevmhche  Krankheit  an  liaweii  und 
mannen   wenden   die  nit  offenberlich  czu   schreiben   sind. 

12.  item  ist  er  euch  evn  "uter  wundartz  czu  ahen  und  czu 
faulen   wunden. 

13.  item  aotich   frische  wunden  und   beinhruch   zu   heilen. 

14.  item  auch  mancb.e  uni^estalte  .\h)le  von  wunden  die  nit  recht 
geheilt   waren   wieder  evn   rechte  (iestalt  zu   machen. 

13.  Item  etzliche  muttermole  domit  ein  mensch  geboren  wurl 
zu   vertreiben. 

16.  item  auch  die  Pestilenz  zu  vertreiben.  Diese  obgeschriebenen 
Stuke  kann   der  Meister  mit  Gods  hülfe. 

17.  item  also  bedenke  ein  jegliche  mensche  das  davon  höret  sagen 
oder  lesen  was  Krankheit  er  an  ihm  habe,  die  man  nit  alle  hier 
geschrieben  kann.  Wem  etwas  fehlet  der  nK>g  zu  diesem 
Meister  kommen  und  seinen  rat  haben  so  will  er  von  niemand 
kev  (ield   nehmen   er   habe  es   dann   \-erdient. 

iS.   Es  hat  auch   mancher  Meister  \iel   Briefe  ausgehenkt  Dunket 
mich   wenn    ich    evnen    kranken    gestmd    mache    das   sind   dv 
besten   briei'e,   wann   die  Briete  machen   niemand  gesund. 
19.   item   den    Harn   zu    besehen    tmd    inwendige  arcney   d\-   einen 

leiparzt  oder  doctor  czusteht   nvmt  er  sich   nit  an. 

2ü.  aber    was  er    sich    ann\nipt,    will    er    dun    armen    gern    umb 

gottes   willen    hellen    und    dem    der  es  vermagk   um  evn   be- 

schevden  gelt. 

Man   muß  sagen,  diese  Anpreistmg  macht  einen  guten  l.indrtick 

und  man    hat    die   Überzeugung,    dal.^    der  Mann   viel   von   dem   was 

er    da    sagt,    kann    und    kaum    zu    den    Scharlatanen    zu    zahlen    ist. 

Schlau   und   dem  (diarakter  der  Zeit   ents[irechend   sichert   er  sich   bei 

den  uefährlichen  Operationen  ''öttliche  Assistenz,   die  ihm  dun  Buckel 


Holländer,   Die  Medizin  in   der  klassischen   Malerei.     2.  Auflai^e. 


41 8  <iäs:«<ß<!iisst<i!:«!CäJS!0t<Ciiiet"<cii!SX!i!KiC5  Zahnoperationek  jCiiiKiSiSiSJSiSjßJCiJßißSiSiJßSiiS^XiKiS'CSJSiß 


deckt:  er  kann  diese  Operation  nur  mit  Gottes  Hilfe;  die  anderen 
Kleinigkeiten  macht  er  auch  sik  beachtenswert  sind  die  Anpreisuni^en 
für  kosmetische  Ein^rifle. 


Bevor  wir  uns  der  großen  CIruppc  zuwenden,  welche  die  kleinen 
und  großen  Leiden  der  Zahid^ranken  behandelt,  wollen  wir  noch 
einen  Blick  werten  auf  ein  ()|ierationsbild,  welches  das  Wesen  aller 
dieser  blutigen   Szenen   restlos   wiedergibt. 

Da  sehen  wir  auf  einem  jener  typischen  holländischen  Interieure 
des  Anfangs  des  siebzehnten  lahrhunderts,  die  in  einem  goldig 
fjehaltenen  Tone  das  Innere  \-on  meist  einlachen,  scheunenartigen 
Häusern  wiedergeben,  eine  huiuoristisch  aufgefaßte  und  mit  drallem 
BauernhunK)r  gemalte  Operationsszene.  l:in  wie  ein  Henker  in 
rotes  Tuch  gekleideter  Scharlatan  kniet  aut  der  Erde  und  hat  soeben 
einer  k'rau  an  ihrem  Sitzteil  einen  tieien  Hinschnitt  gemacht  (siehe 
Figur  241).  l:r  sondiert  gerade  die  Wunde  und  halt  dabei  das  ge- 
brauchte .Messer  zwischen  den  Zähnen.  Der  alte  l'raktiker  sieht  nicht 
mehr  gut  und  hat  sich  zu  diesem  lungrill  die  l^rille  autgesetzt. 
Das  Blut  Hießt  in  Strömen  und  ein  Hund  beschnuppert  es  nut  neu- 
gieriger Schnauze.  In  der  Ecke  sitzt  -  ein  Häutchen  Unglück  — 
ein  in  einer  Decke  eingewickelter  Alter,  der  den  j-indruck  macht, 
als  wäre  er  bei  einer  Dorlschlägerei  übel  zugerichtet.  Am  Boden 
liegen  benutzte  Schwämme,  die  L'mgebung  tröstet  und  spt)ttel  und 
scherzt.  Eine  seltene  .Mischung  von  HunKir  und  1-rotik,  X'erspottung 
und  Verh()hnuni;,  Trost  und   \'erständnis   lür  schwerste  Stunden. 


histo 


ZAHNOPERATI  OMF.N 

Dem  Kapitel   der  Zahno|UTalionen   wollen   wir  nur    kurze 
rische  (jeleitworte  vorausschicken. 
Daß    die    Gemälde    dieser    .Art    im    siebzehnten    Jahrhundert    so 
häufig  waren,  liegt  nicht  allein   darin   begründet,   daß  die  Cirimassen 
der   Operierten    ein    wohltuender    .Anblick    sind    fin-    alle    Betrachter, 


welche  zurzeit  ohne  Zahnschmerzen  sind,  sondern  auch  darin,  daß 
die  Zahnextraktionen  erst  vom  siehzehnten  Jahrhundert  an  hesonders 
modern   wurden. 

Die  alten  Arzte  bis  hinein  in  das  späte  Mittelalter  ^ini^en  nur 
mit  einer  gewissen  Schüchternheit  an  die  Zahnextraktion  heran. 
Erasistratus,  derselbe,  der  von  dalenus  unter  die  Wiederhersteller 
der  Anatomie  gerechnet  wird,  eines  der  Häupter  der  Alexandrini- 
schen  Schule,  st)ll  in  Delphi  im  Tempel  des  Apollo  eine  bleierne 
Zahnzange  als  W'eihgeschenk  autgehangen  liaben,  um  dadurch  anzu- 
deuten, daß  nur  solche  Zähne  extraktionsbedürftig  seien,  die  bereits 
lose  sitzen.  Dieselbe  Angstlichlaat  beseelte  die  Araber,  begründet  doch 
Abul-Kasim  seine  Warnung  mit  den  Worten,  »da  die  Zähne  nicht 
wieder  wachsen«. 

Bei  dem  Chirurgen  Rvif  (seine  große  Chirurgia  erschien  Frank- 
furt 1343)  gibt  es  schon  eine  Reihe  von  Zahninstrumenten.  Unter 
ihnen  den  l:ntenschnabel  für  die  Stümpte,  den  Pelikan,  die  Geißtüße, 
den  Überwurf  und  fünfzehn  Zahnreinigungsinstrumente.  »Siilche 
dienen  die  Zähne  frisch  und  sauber  zu  halten  und  sind  solche  bei 
den  Welschen,  die  auf  leiblichen  Schmuck  viel  mehr  sehen,  als  wir 
Deutsche,  noch   im  Brauch. c 

Der  Patient  soll  bei  der  Zahnextraktion  niedrig  sitzen,  der  Kopt 
eventuell   zwischen   den  Beinen   des   Operateurs. 

Noch  Lorenz  Heister  warnt  in  seiner  Wundarzenei  vor  der 
Extraktion  festsitzender  Zähne,  »indem  manchmal  Leute  darüber 
gestorben  sind«. 

Vesalius  erinnert  daran,  daß  bei  erwachsenen  Leuten  das  Her- 
auskommen der  Dentes  sapientiae  mit  großen  Schmerzen  verbunden 
sei,  und  daß  es  kein  besseres  Mittel  gebe,  als  das  Zahnfleisch  hier 
zu  schröpfen  oder  zu  durchschneiden,  was  er  selbst  in  seinem 
sechsundzwanzigsten  Lebensjahre  am  eigenen  Leibe  mit  Ertolg 
durchgemacht  habe. 

Die  Patrtinin  der  Zahnärzte  ist  die  Jungtrau  A|-)ollonia,  die  ihr 
Martvrium  unter  Decius  im  Jahre  230  am  9.  Februar  erlebte.  Meist 
wird    sie    dargestellt,   wie    sie    an    eine  Säule   gebunden    ist    und  ein 


420  !«t!S<0!Si!SS>S>S!<5t!OS>!5ie!Si!!C>:S>JSSi!S   ZaHNOPERATIONKN    SKiOtJSSiJKiC'KXSiSiiOtieiJKiSSiSiiCiiOtJSSiiKiOtJOi 


Scherge  ihr  mit  GcwmH   Jic  Zähne  ausreil.U.     ÜU  .steht  sie  auf  einem 
brennenden  Scheiterhaulen,  aber  das   b'euer  hatte  keine  (iewalt  über 


Cario  Volci, 


GalUrüi  Corsini,  Rom. 


Fig.  24  j.     Die  iK'iliyc  .\pollonia. 


sie.  l'.ines  der  schönsten  iiiul  belwUintesteii  deniälde  zeigt  sie  mit 
tler  i:xtral<tic)nszange  und  einem  Zahne.  Im  Dom  zu  Maihmd  steht 
sie    von    Procaccini   gemah.      Auch    Cjuido    Keni    malte    sie.      Sam- 


mciluic  Zahnärzte  haben  über  hnndert  DarsteHun^en  dieser  Art  zu- 
sanmiengebracht,  olme  daß  wir  aber  solchem  Bestreben  ein  t^rößcrcs 
medizinhistorisches  Interesse  zusprechen   können.     Wir  brini^en   nur 


das  berühmte  Gemälde  von  Carlo  r3olci  mit  dem  vollendeten  Aus- 
druck geduldiger  Hingabe,  welches  in  keinem  stimmungsvollen 
Wartezimmer  eines  Zahnarztes  tehlen  sollte  (siehe  Figur  243). 


422  SE!«'«<Siit<0!S>"<s<Ci!!5<s»!iC>i«!SSt<ssiSi  Zahnoperationen  jOiJKStStStiS'eiißSiJOiSijßJO-iSSiSiißißStiOtiOiiS 


Xachdem  wir  in  Jen  voraufceoanq-enen  Blättern  e;e.schcn  haben, 
welches  Interesse  nanientHch  die  llamisch-hollandischen  Maler  an 
Darstelhmi;en  aus  deni  (lebiete  der  Medi/in  genommen  haben  und 
wie  ihre  Behandlung  und  Auttassung  des  ( jegenstandes  nut  N'orliebe 
in  ein  iragikomisches  Kolorit  getaucht  war.  kann  man  schon  von 
vornherein  annehmen,  daß  diese  dojipelle  X'orliebe  sie  zu  einer 
häufigen  Wiedergabe  von  Zahnoperationen  führen  mußte.  Lud  l,U- 
sächlich  gibt  es  eine  Unmasse  solcher  Zahnarztszenen,  die  in  mehr 
oder  weniger  Anlehnung  an  Brouwers,  Teniers'  und  Üstades  Meister- 
werke von  Xach.dmiern  dieses  Dreigestirns  geschatlen  wurden.  In 
jenen  glücklichen  Zeiten,  in  denen  das  ärztliche  Gewerbe  von  bei- 
nahe jedem  betrieben  werden  konnte,  fingen  die  herumziehenden 
Quacksalber  meistens  zunächst  die  Ausübung  ihres  Handwerks  damit 
an,  daß  sie  den  lieben  Xächsten  die  Zähne  ausbrachen,  zu  welchem 
Eingrifl  noch  nicht  einmal  ein  Privileg  notig  war.  Solche  lahrenden 
Zahnkünsller  tehlten  kaum  aut  irgendeinem  lahrmarkt,  und  neben 
einem  schreienden  Ausrufer,  dem  oft  phantastischen  Kostüm  des 
Operateurs  zogen  eine  L'nmasse  als  Anlockung  aut  dem  Tische  auf- 
gestapelte oder  in  Schnürenlorm  autgereihte  Backenzähne  die  Menge 
an.  l-ine  solche  Darstellung  zum  Beispiel  sehen  wir  in  x^msterdam, 
von  Jan  \'ictor  1634  gemalt;  der  grotesk  angezogene  Zahnreißer 
arbeilet  unter  einem  chinesischen  Zelte.  In  der  Ecke  kämpfen  zwei 
Straßenköter  imi  eine  Üchsenkinnlade ,  eine  hübsche  svmbolische 
Anspielung.  Die  besten  der  holländischen  und  flämischen  Sitten- 
maler haben  diesen  \'organg  als  Interieur  behandelt,  wt)bei  sie  besser 
Gelegenheit  hatten,  der  Szene  einen  satirisch-humoristischen  Charakter 
zu  geben.  So  treuen  wir  uns  über  die  komische  W'irlaing  der  Ope- 
ration auf  dem  Ostadeschen  Bilde  aus  Wien.  Wenn  sonst  einm.d 
bei  einer  von  ihm  so  unübertroffen  gemallen  Bauernschlägerei  der 
eine  oder  der  andere  Zahn  verloren  ging,  so  zeigten  alle  (iesichter 
nur  die  Stufenleiter  der  Wut  und  Raserei;  hier  aber  losl  der  in 
der  Wohnung  des  Dorfbaders  betreite  Backenzahn  in  den  Zügen 
der  Anwesenden  ganz  verschiedene  Wirkungen  aus.  Die  entsetzte 
Jammermiene  des  knienden   Hheweibes   kontrastiert    mit  der  Heiler- 


424  «iie>JC>:<s<5>iß<si>S'St<sio>!K!5iSi5StiK<s  Zahnoperationin  jssss^iSJßiOi-OiiSiicsjeiSiisstiOtSiißiOtißJöiCi-otiK 


keit  der  anderen,  wt-ibci  man  unwillkiirlich  an  d^^n  allen  Spruch  denkt: 
»Die  Schadenlreude   ist   di'ch   die  reinste  l'reiide«   (siehe  Fimir  246). 


/tf<><  Intii  Km  .\  rt  i  fij .  /''it>f. 


Fig.  248.     Dlt  Zalinaiv.t. 
Von  Gerard  Dou. 


In  nicisterhah  \-ollendeler  Weise  hat  der  l-'euennaler  Gerard  van 
Honthorst  das  verscliiedeii  nuancierte  Interesse  der  Zuschauer  zum 
Ausdruck  gebraclu  (in  der  Dresdener  (iaierie).   Noch  in  später  Abend- 


SKJöSiJCiiSiKißStiOisSJOiSiJCiiOiiSJSJviiSJKißJOiSiJviJCS  Zahnbrechf.r  siJSiiKSiSiißSiisS'iSJCiiJKSiSiiCiJCi'öSiJKiftjS  425 


stunde  kommt  ein  Trupp  von  Leuten  zum  Zalmarztc  damit  er  einem 
ihrer  Freunde  den   sclnnerzhaltcn    I^ackcn/ahii   cnllernc.     Bei  Kerzen- 


Hanjstaengt  piwl .  K.tssei. 

Fig.  249.     Der  Zahnarzt.     \un  David  Ttniers. 

beleuclitung  vollzieht  sich  die  (.Operation.  Der  weitgeötinete  Mund  des 
Schmerzgequälten  ist  der  Mittelpunkt  des  (jemiildes,  der  gleichzeitig 
durch  eine  vorgehaltene  Kerze  den  Höhepunkt  des  Lichtetiektes  dar- 
stellt. Das  Mienenspiel  der  Beteiligten,  die  ganze  druppierung  der 
Personen,  die  ßeleuchtungseftekte  und  die  gute  Erhaltung  des  Ge- 
mäldes machen   dieses  Werk  zu   einem   der  Hauptwerke  des  in  Italien 


426  JS<ßiSS>'«!S!0>i«JSiO>i««!t'«!SS>i5iI(JSJ«E   ZaHXOPERATIONEN   SSißiKiSiSSiiSiOiiSiSiOiJSStiSiCiJßSiSiSiJSJKJSt 


unter    dem  Namen  Gerardo   Jclla   Xt)Uc    beliebten    und    aneil<annlen 
Meisters  (siebe  l-'igur  247). 

Wcibl  das  bekannteste  Zabnar/lbild  stanmit  \'(in  dem  von  uns 
schon  so  viellacb  Ljenannten  Rembrandtschüler  Cierard  ])ou.  leb  darf 
wohl  daran  erinnern,   daß.  als  die  Deutsebe  (jesellsebalt  tür  ("birur^ie 


l-ig.  250.     Der  Zahnarzt.     \'oii  David  Tciiicrs. 

ibr  iünlundz\vanzi,i;iäliriL;es  Jubiläum  leierte,  dies  (jemalde  xon  Mit- 
gliedern derselben  als  lebendes  Hild  gestellt  wurde.  Kostlieb  kommt 
der  Humor  auf  demselben  /u  seinem  Keelite.  Der  l^auernbursebe 
faßt  mit  dem  l-'in^er  naeb  dem  Platze  seiner  Qual,  um  sieb  zu  über- 
zeugen, daß  der  Attentater  aueb  wirklieb  beraus  ist;  dabei  sind  seine 
Augen  vom   Brüllen    nocb   wie    berausgequolleii,    und    der    Zaimarzt 


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428  JKJKiJiiOiiSiSJKJCtSiiSJSiSJSiSSiSiSiiOiSt   Zaiinü1'1;kationhn   «tSiStiSißSiJXSi-CiKSXSißiSSiSiSiiSiOtißJKJCitSi 


—  zeigt  triumphierend  seine  l^eute.  Der  übrige  Beirat  des  l'enster- 
bildes  ist  der  tv|iische  (siehe  l-ii;ur  2  (N). 

\'on  Teniers  dem  Jüngeren  besitzen  wir  zwei  solche  Darstellungen, 
die  eine  in  Kassel,  mit  ollenbarer  Anlehnung  an  Dou.  Wie  ein 
Sieger  und  im  ( dücksgelühl  des  lirlolges  demonstriert  der  junge 
Zahnarzt  di^n  Backenzahn,  wahrend  sich  das  Opier  im  Hintergrund 
seine  gequälte  Kinnlade  testhält.  In  der  Komposition  des  Wirder- 
grundes \errat  sich  der  routinierte  Meister.  Xeben  seinem  Instru- 
mentarium liegen  Molmkople  und  ein  Kataplasma,  gewissermaßen 
als  Reklamezeichen  seiner  beinaiie  schmerzlosen  Methode.  Genau 
denselben  Gegenstand  zeigt  das  Dresdener  Bild,  und  doch  welcher 
Kontrast  in  der  Auffassung!  In  stoischer  Ruhe,  ohne  mit  einer 
Wimper  zu  zucken,  sitzt  der  alte  weißbärtige  Scharlatan  in  grotesker 
Kleidung,  in  pelzbesetztem  Mantel  und  wallender  b'eder  aul  dem 
Barett.  Er  kennt  keine  technischen  Schwierigkeiten,  aber  auch  kein 
Triumphgefühl   mehr  (siehe  bigur   249   und   230). 

Alle  diese  Gemälde  sind  \ielfach  radiert  und  gestochen.  Unter 
einem  solchen  Schwarzkunstblatt  \'on  lan  van  der  Bruggen  (geb.  1649) 
stehen  die  W'rse: 

La  dcnt  que  vous  vovez  luv  causa  de  la  rage 
Kstant  ostee,  reprenJ  le   patient  courage. 
En  luv  faisant  du  mal  je  luy  ay  fait  du  bien 
On   dit  qu'aprcs  douleur  un  bonheur  en  revieiit. 

Sahen  wir  bisher  Zahnbrecher  aus  der  niederen  Herkunft  der 
Dorlbader  und  Scharlatane,  so  zeigt  uns  ein  lamoses  (jemälde  von 
Rombouts,  einem  Antwerpener  Rivalen  \-on  Rubens  (1660  bis  1690), 
einen  technisch  und  gesellschaftlich  ollenbar  lu)herstehenilen  Dentisten. 
Das  geht  schon  aus  dcv  Masse  von  Instrumenten  hervor,  die  er  aul 
dem  Tische  liegen  hat.  Wir  sehen  da  neben  dem  (jeißtuß  Pelikane, 
Überwürfe  und  Kntenschnabelzangen  imd  auch  dun  Rvifschen  Mund- 
spiegei  (».Mundstück«),  dazwischen  mehrtache  Dipilome.  Das  in 
der  Farbe  ziemlich  matt  gewordene  Bild  interessiert  besonders  durch 
die  eigentümliche  Auffassung  der  Zuschauer.  Bei  dem  mit  gelalteten 
Händen  am  Tische  sitzenden  Zuscjiauer  suchte  der  Maler  das  Problem 


der  malerischen  Darstelluni;   der  durelisichtigen   Kornea   zu  lösen  — 
allerdini^s  erlolglos  (siehe  h'igur  231). 


Wir  wollen  die  große  Reihe  dieser  Zahnarzt-  und  Zahnbrecher- 
bilder schließen  mit  der  \'ortührung  einer  Spezies,  welche,  wie  ich 
annehme,  ausgestorben  sein  durtte:   des  Zahnarztes  zu  Pierde.    ^\\■lch 


430  «tiOtJCiiCtJOiJSJßjßiSißiOt'eijSJSiKißjKX^JK!«  Hospitalwesen  äßiKJßiSiöiXsssiiSiKißiSJSJSJOiiOtJCtStSiisSiSiSi 


schlauer  Bursche  diese  Abart  erfunden  liat,  entzieht  sich  der  historischen 
Forschung,  aber  man  mul.'i  sagen;  die  Idee  ist  nicht  schlecht.  Das 
Rößlein  verriclitct  dabei  das  Hauptgeschäft.  l-s  bringt  den  Künstler 
von  Ort  zu  Ort,  es  sorgt  tür  die  nötige  Reklame  und  drittens  ist 
es  der  beste  Assistent.  Die  Prtizedur  ist  lolgende:  der  Zahnreilk'r 
faßt  von  seinem  erhöhten  Platze  aus  natürlich  besonders  gut  mit 
der  Zange  den  Zahii;  hat  er  ihn  lest  zwischen  den  Branchen,  so 
macht  die  Rosinanle,  angeteuert  durch  einen  saniten  Sporendruck, 
einen  kleinen  Bocksprung,  und  der  Zahn  ist  heraus.  Das  Bild  selbst 
ist  in  der  tur  Lingelbach  charakteristischen  italienisierenden  Manier 
gemalt  (siehe   ligur232). 


HOSPITALWESEN 

Aut  meinen  Wanderungen  habe  ich  es  nicht  unterlassen,  alte 
Hospitäler  aufzusuchen,  wo  ich  es  nur  konnte.  Die  Hollnung 
führte  mich  dabei,  außer  Resten  alter  hvgienischer  Hinrichtungen  auch 
dekorativen  Schmuck  zu  linden.  Die  Auslese  war  mehr  wie  dürltig. 
In  Italien  tragen  manche  alte  Gebäude  aus  Irüher  Zeit  noch 
Namen,  welche  auf  die  ehemalige  Benutzung  des  Gebäudes  sich 
beziehen.  Aber  fast  nichts  erinnert  an  den  Zweck  des  Hauses.  Da 
ist  in  einem  venezianischen  Hospital  noch  eine  schöne  Taleldecke; 
in  einem  anderen  Holztäfelungen  und  wundertätige  Bettstellen.  In 
den  Hospitalskirchen  aber  und  Kapellen  oder  b'riedhöten  finden  wir 
kaum  etwas  anderes  wie  in  anderen  Häusern  mit  gemeinnützigen 
Bestimmungen.  Und  wenn  wirklich  einmal  in  trüberer  Zeit  etwas 
dieser  Art  existiert  hatte,  so  war  es  längst  in  schwerer  Zeit  ver- 
äußert und  in  irgendwelche  .Museen  entführt.  Brüderschalten,  welche 
schadhafte  W'andbemalungen  nicht  mehr  ausbessern  widlten,  über- 
tünchten gelegentlich  bresk-en  aus  aller  Zeit.  Selten  einmal  sind  sie 
noch  vorhanden*).  Dun  reichen  italienischen  und  spanisch-holländi- 
schen Hospitalanlagen  können  wir  mit  unseren   ärmlichen   deutschen 


•)  Henry  Meige,  Les  Tapisscrics  de  Reims  igoi.    Eine  Ausnahme  macht  unter  anderen 
der  berühmte  Majolilofries  vom  OsiJedale  del  Ceppo  in  Pisloja. 


iO!!C*!C(!SS>i«StS>iKiiSiKSi  Das  Heiliggeisthospital  in  Schwäbisch-Gmünd  JCü!Oi<o>s>s«<!!S>«<K  431 


\'crhältnisscn  kaum  etwas  an  die  Seite  stellen.  Einige  Stadtkraiiken- 
häuser  haben  sich  aus  alter  Zeit  noch   hinübergerettet. 

Su  das  Ileiliggeistspital  der  früheren  Reichsstadt  Schwäbisch- 
Gmünd,  von  dem  uns  zum  ersten  Male  zwei  Urkunden  des  Jahres 
1269  melden.  Wir  verdanken  dem  Pfarrer  Denkinger")  eine  sehr 
interessante  Geschichte  dieses  Hospitals,  welches  in  seiner  Anlage 
wie  die  meisten,  um  nicht  zu  sagen  alle,  Spitaler  einer  klosterlich- 
kirchlichen  Armen-  und  Krankentürsorge  seine  Entstehung  verdankt. 
Diese  Hospitäler  waren  durch  Erbschalten  und  Stiltungen  allmählich 
in  d^n  Besitz  von  großen  \'ermögen  gekommen.  Ptründnerhäuser 
mit  einem  ausgedehnten  Okonomiebetrieb  ließen  das  eigentliche 
Hospital   jedoch   in  den   Hintergrund  treten. 

»Seit  den  dreißiger  Jahren  des  vierzehnten  Jahrhunderts  hatte 
das  Spital  ein  ganz  anderes  Aussehen  gewonnen.  Durch  viele 
Schenkungen  und  Käute  wuchs  sein  (irundbesitz  bei  der  Stadt  und 
in  entfernteren  Gegenden  tmd  vermehrte  sich  im  fünfzehnten  Jahr- 
hundert so  sehr,  daß  kaum  ein  Ort  des  reichsstädtischen  Gebietes 
war,  wo  das  Spital  nicht  Besitzungen  hatte.  Dadurch  gewann  das- 
selbe den  (Charakter  einer  ausgedehnten  Grundherrschatt.  Ein  Gang 
durch  das  Spitalanwesen  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  möge  uns 
dessen  Bedeutung  und  Leistungen  vergegenwärtigen.  Unten  am 
Marktplatze  stand  die  Spitalkirche.  Sie  war  imi  1443  bedeutend  ver- 
größert in  das  Vorderpfründhaus  eingebaut  worden,  statt  des  romani- 
schen im  deutschen,  das  ist  gotischen  Stil.  Ottmaliger  (Gottesdienst 
versammelte  hier  die  nichtbettlägerigen  Kranken.  xAn  den  Sonn- 
und  Feiertagen  wurde  ihnen  das  Evangelium  verlesen,  die  jeweilig 
fälligen  Seelgeräte  verkündet  und  die  Xamen  der  Stifter  und  Wohl- 
täter  verlesen,  damit  sie  derselben  andächtig  gedenken.  \'on  der 
Kirche  aus  gelangen  wir  m  das  zweistockige  vordere  Pfründhaus. 
,Arme  Kranke,  Pilgrime  imd  elende  Perst)nen  beiderlei  Geschlechts 
werden  hier  versorgt,  dazu  zeitlebens  Autgenommene,  welche  allda 
sanftmütig  erhalten  werden  und  dankgenehme  Hülfe  der  Liebe  erfahren.'« 

*j  Das  städtische  Hospital  zum  Heiligen  Geist  in  Schwäbisch-Gmünd  in  Vergangenheit  und 
Gegenwart.     \"nn  Wörner  u.  Denkinger.     Tübingen   IQ05. 


432  SS!5<ßi«iCÜ!SJß!C!<!tSt-C«'i><S<S'0tS>!S»iiK!S  HoSPITALWESEN  jßKüSKJSiKSÜJßSSJO'^iSSiiCtiSiOi'CiiKiSJCt'ÖJKJKiS 


Natürlich  kostete  diese  1-renulenfürsorgc  dem  Spitale  viel  Geld. 
Unter  den  gewöhnlichen  Werken  der  Hrbarniung  kommen  auch  vor- 
übergehende Verplleger  und  Brotspender  in  Betracht.  Im  übrigen 
verwandte  man  auch  die  Insassen  zu  Arbeitsleistungen.  Sie  mul^ten 
bei  ihrer  Autnahme  \'ersprechen.  nach  ihren  Kräften  sich  zum 
Krankendiensl,  Wachen,  lb)lztragen  und  allerlei  Dienstleistungen  in 
der  Spitalokonomie  gebrauchen  zu  lassen.  Auch  beim  Baden  und 
Saubern   der   Kranken   mußten   die  Armen   behilllich   sein. 

Im  oberen  Stockwerk  des  Plründhauses  waren  zahlende  Plründner 
einquartiert.  Diese,  »Keichenph'ündner«  genaiuit,  hatten  ihr  eigenes 
(iemach,  Speise  und  Wein.  Zu  diesen  zwei  Ftründhausern  kam 
noch  eine  Wohnung  des  Spilalmeisters  mit  der  Kanzlei.  berner 
gehörte  zum  Sj-iilal  eine  .Mühle,  eine  Scheune,  Stallungen,  Schnüede, 
Ptisterei,  alles  in  allem  ein  Betrieb  von  106  laudiert  Ackers,  70  Tag- 
werk Wiesen,  1070  jauchert  Wald,  tur  die  b'ruchtgühen  und  sonstige 
Gefälle  von  gegen   230  (jütern   in  Stadt  und   Land. 

Die  .\nlorderungen,  welche  an  dieses  reiche,  ganz  aus  Schenkungen 
und  Stiltungen  autgebaute  L'nterstützungsinstitut  gestellt  wurden, 
waren  aber  so  große,  daß  sich  nie  so  viel  (jelder  erübrigten,  um 
grandiose  Kunstschoplungen  zu  schallen,  wie  dieses  in  Italien  mög- 
lich war.  Was  jetzt  noch  da  ist,  kann  nur  als  armselig  bezeichnet 
werden.  Die  Reichs|Hilizeiordnung  \om  |ahre  1 3  50  weist  den  Obrig- 
keiten und  Gemeinden  die  Pllicht  der  Unterhaltung  ihrer  Kranken 
zu.  \'on  dieser  Zeit  an  luitten  nur  die  Bürger  Ans[iruch  aul  soziale 
l'ürsorge.  Der  Rat  der  Stadt  übernahm  die  \'erwaltung  des  Spit.ds 
und  stellte  eine  Spitalordnung  aul. 

Dann  kam  der  Dreißigjährige  Krieg  und  im  Jahre  i6|(S  klagt 
der  .Magistrat  über  den  Ruin,  worin  Stadt-  und  Spilalwesen  stecken, 
da  die  Hinquartiei'ungen  alles  .Mark  und  Kralle  aulgezehrt  haben. 
Räuberbanden  hausten  auf  dem  plallen  Lande.  .Allmählich  geraten 
die  Stittungen  in  X'erschuldungen  luuI  die  Stadl  ist  nicht  mehr  im- 
stande,  eine   X'erzinsung  der  ,Stittungskapilalien   autzubriiigeii. 

in  dieser  Weise  mag  sich  auch  an  anderen  Stellen  des 
deutschen  Landes  die  Kurve  einer  Krankenh.uisentwicklung  vollzogen 


iOiJOtJSiJCia'iS'ißSiJSJO'iSJS'CiJCiSiSiiKSi  Diu  Fesselung  Geisteskranker  iOiSiSi'öiKi^iC'SiiSiSiiiJßiCiiOiäCi  433 


haben.  Aus  kleinen  \'erliähnissen  .illniählich  wachsend,  ersetzte  ein 
Komplex  von  olt  malerisch  wirkenden  l'achwerkbaulen  eine  monu- 
nientale  Außenwirkun^;.  -  Liest  man  die  Berichte  und  Rechnungen 
solcher  Häuser,    die   viellach    auch    zunächst    als  Zulluchtstätten  der 


Fig.  255.     Inneres  eines  Krankenhauses. 
\'on  Eurgkmair. 

Sondersiechen  gegründet  waren,  st)  ist  von  eigentlicher  Kranken- 
behandlung wenig  die  Rede.  xManchmal  hören  wir  von  Schwer- 
kranken, solchen,  »die  unter  sich  tun«,  die  eigene  Küche  und  Bad- 
kessel bekommen.  Als  Illustration  diene  ein  Bild,  welches  Burgk- 
mair  offenbar  nach  eigener  Ik'obachtung  gezeichnet  hat.  In  einem 
solchen  Krankensaal   befindet  sich  ein  Insasse,  der  an  der  Wand  fest- 

Holländer,   Die  Medizin  in  der  klassischen  Malerei.     2.  .\uflage.  -S 


434  JKSfiSJS'CSiKSifeiJCiJCiSi'CiJßjßSiiOiJßJSiSSi  Homtiaiwi  si;\  iCiJßJSiXiSiKiiXiSJSiJÖSSJSSiiSJSStiKiOiJSSiißJSiOt 


gemacht  ist  (sielic  Fi_mir  233).  Es  bedeutet  das  nun  Iceineswcqs  eine 
\  erbinduHi;  eines  Krankenhauses  mit  einem  Gefängnis,  sondern  liier 
ist  ein  (Geisteskranker  inmitten  anderer  Siechen  dadurch  unschadhch 
gemacht,  daß  er  an  Kelten  gelebt  wurde.    So  werden  in  den  Gmünder 


Pig.  2,1.     Ilospiiai   Santa  Maria  dflla  Scala. 
Freske  von  [Jartolo  <li  Domeiiico  (14401. 

Protokollen  vom  Jahre  1  (v!^  Kranke  erwahiU  von  Mangel  und  (Ge- 
brechen an  ihren  liml  Sinnen.  «Solche  werden  zwar,  da  es  die  Xot- 
durtt  erhirderl,  mit  Anlegimg  oder  im  (jelangnis  behanilell,  bek-oniinen 
aber  wie  andere  arme  Menschen  gut  Wesen,  Trinken  und  Geld.« 
1323  muß  ein  .Main),  »der  in  seinem  Haupte  etwas  enlriclu  und 
seiner  \'ernunlt  nicht  gebräuchig  ist«,  wegen  Gelahrliclikeil  in  hisen 
gelegt   werden.      Das   sind   die   Anlange   unserer   Irreiipllege. 


436  ißStJSiCiißissiißjß'ö-ciiC'S'SiißjßiSJSißSi  Hospitalwesen  •ssiKXiCiiSiSSiicS'CisxsiSiiSiSiCSiKJjiSiSiJSJOije'iS 


Die  ältesten  wirldichen  Huspitaler  des  Abendlaiules  finden  sich 
in  Italien,  uu^\  ani^eblieli  das  erste  derartige  Institut  wurde  in  Rcmii 
uni  das  Jahr  .\oo  herum  xon  einer  Frau  aus  dem  (jeschleciite  der 
1-abier  nach  ihrer  Rückkehr  aus  Jerusalem  gegründet.  Nachdem 
dann  noch  durch  einige  Patrizier  zwei  Ncisokdnuen  entstanden 
waren,  übernahmen  bald  die  l'apste  die  Sorge  um  diese  W'ohlhihrts- 
einrichtimgen.  Das  gruße  Hospital  San  Spirito  stammt  angeblich 
in  seiner  ersten  Anlage  aus  der  Angelsachsenzeit.  Die  jetzige  Form 
und  (iestalt  desselben  begründete  Innozenz  III.  ( i  1 9N  bis  1216), 
und  der  nach  dem  Hospitale  benannte  Orden  \-om  Heiligen  Geiste 
war  von   (juv  von  Montpellier  gestiftet. 

Innozenz  bezweckte  diu-ch  die  ausgebreitete  Stiltung  von  lleilig- 
geistspitälern  neben  der  Humanität  auch  seiner  weltimispannenden 
Macht  Ausdruck  zu  geben.  Die  im  baute  von  einigen  Jahrzehnten 
namentlich  auch  in  Deutschland  massenhalt  entstandenen  Heiliggeist- 
spitäler waren  durch  eine  Organisation  \erbunden,  deren  Zentrale  in 
Ivom  lag.  Eines  der  ältesten  italienischen  Hospitäler  war  das  N32 
gegründete  Hospital  Santa  Maria  della  Scala  in  Siena.  \'on  diesem 
Krankenhause  besitzen  wir  genaue  Berichte  imd  wissen,  daß  es  aus 
einem   Kloster,    einem   Siechen-,    Kranken-    und    bindelhaus   bestand. 

Einen  Einblick  in  dieses  Krankenhaus  gibt  uns  die  1  (  |o  gemalte 
Freske  von  Hartolo  di  Domenico,  dem  Bruder  des  bedeutenderen 
Rartolo  di  'l'addeo.  Den  \'ordergrund  des  Bildes  nimmt  ein  grolkT, 
geräumiger  uiul  reich  ausgeschmückter  Operationsraiun  ein.  Von  den 
eigentlichen  Krankenräumen  ist  er  durch  ein  (ntter  getrennt.  In 
diesem  \'orderraum  werden  in  Säniten  die  Kraid<en  zur  Jk'handhmg 
hineingetragen,  gebadet  und  umersucht.  \An  Teil  der  Behandlung 
lag  in  den  Händen  der  Klosterbrüder,  und  es  wird  berichtet,  daß 
auch    ein   Chirurg    dauernd    in    der  Anstalt    lebte    (siehe   Figur   23  |). 

Andere  Brüderschaften  imd  Orden  gründeten  schon  Irühzeitig 
Krankenanstalten;  so  zum  Ik'ispiel  geht  der  Ursprung  des  Danziger 
Stadtlazarettes  auf  den  Deutschorden  zurück'.  Außer  den  Brüder- 
und  Schwesternhäusern  der  (^lollegia  Begiu'narum  gab  es  noch  die 
Isolierhäuser    der    diu'ch    bürgerlichen    'l'od    bestrallen    Aussätzigen. 


G 


43^  JCääKJSißJSSiSiJCiiKietiSieiSiiOiStSiSSJSSiiß  1  IospitaLWESEX  äKJKJXiOiißiOiiliSiSiiSJOiiSJSSiiKStJKSiJSJCSJJiSKJOe 


Diese  St.-(icori;s-lIospilälcr  la^cn  aiißcrlialli  der  Si.ull.  Das  Herein- 
brechen der  Luslseuclie  und  die  immer  wiederkehrende  Pestgctahr 
/wani;  die  lümimunen  /ur  l'j'hauuni;  ndu  L;leichlalls  Nor  der  Stadt 
gelegenen   iVsthausern. 

Das   Berliner   IV-sthaus  bildete   den   (irund   zur  Charite. 

Durch  einen  Abhil.Uiriet*)  \nm  Jahre  1 3  lo  bekonmien  wir  einen 
Einbhek  in  das  I  h'itel-Dieu,  das  große  und  berühmte  allgemeine 
Pariser  Krankenhaus,  welches  unter  dem  unmittelbaren  Schutze  des 
Königs  stand  und  im  Anlang  des  siebenten  iahrlumderts  gegründet 
war.  Bevor  Ludwig  XI \'.  diju  L'mbau  dieser  großen  Krankenanstalt 
ange(udnet  hatte,  trug  es,  wie  wir  dieser  Abbildung  entnehmen, 
einen  sclmn  recht  stattlichen  Charakter,  nachdem  das  Hospiz  sich 
allmählich  um  die  Mitte  des  zwöltten  Jahrhunderts  in  ein  Spital 
verwandelt  hatte.  Die  Kranken  lagen  aber,  wie  wir  sehen,  durch- 
einander, zum  Teil  mehrere  in  einem  ]-5ette.  Wenn  auch  im  \'order- 
grunde  Tote  in  Anwesenheit  der  Kranken  in  Säcke  eingenäht  werden, 
so  macht  doch  das  (ianze  einen  groß  angelegten  lündruck.  In  Wirk- 
lichkeit aber  müssen  die  Wriialtnisse  furchtbar  schlinnn  gewesen  sein. 
Die  Kranken  lagen  alle  durcheinander,  manchmal  vier  in  einem  Jk-tt; 
andere  nuil.Uen,  aut  Bänken  sitzend,  die  Xacht  verbringen.  Der  Lärm, 
Schmutz  und  destaiik  in  diesem  Hause  spottete  jeder  Beschreibung. 
.Saalinfektionen  waren  wn  der  'Lagesordnung.  Allerlei  \'erbesserungen 
zum  Trotz  dauerten  die  Zustände  fort.  Die  lli')tel-Dieu-l\onnnission, 
in  l'rkenntm's  der  unerträglichen  Situation,  schlug  1  7.SS  die  Umwandlung 
dieses  einzigen  Kiesensterbehauses  in  eine  Reihe  xon  Linzelbauten 
nach  englischem  N'orbilde  \-or.  Laxoisier,  der  bührer  dieser  Kom- 
mission,  starb  aul  der  (juillotine,  und  so  dauerte  es  noch  mehrere 
.Menschenalter,   bis    l'enons   und  Lavoisiers  \'orschlage  durchdrangen. 

b.in  Stich  Non  Abraham  Bosse  (gestorben  i^J^^)  zeigt  uns  d.is 
Innere  der  Pariser  (Charite.  Xacii  der  ganzen  bam'ichtung  aber  und 
auch  der  Cberschrill  kann  es  sich  mu'  um  die  .\bteiliuig  gehandelt 
haben,  w(,)rin  die  »Keichenplründner«  lagen.  Wii'  sehen  eine  lange 
Reihe  von  über  zwanzi"  gegenüberstehenden  Iktteii,    welche  durch 

•)  Original  in  Brüssel.     Originalaufnahmc  im  Kaiscrin-l'ricdrich-l  laus. 


JSSSSiiSSiiKSiSSSiiOt-StißSiißJKieiiKSiiJiiOiiSiK  GebäRABTEILUNGKX  JCÜiKJßiOiiKSiiKiOtißSiSiJSSiilia-SiJSJOtiOe  439 

Vorhänge  uiui  CbLTbaulcn  gegen  die  Umgebung  abschlicßbar  waren. 
Es  ist  die  Zeit  des  Mittagsmahls  und  Bruder  im  M(Hichsge\vande 
verteilen  das  lissen.  Der  ganze  Saal  macht  einen  durchairs  \-()r- 
nelimen  Hindruck;  hohe,  große  h'enster  lassen  Licht  imd  Lult  in  die 
weite  Halle;   demälde  schmücken   die   Pteiler  (siehe   bigtu'  233). 

Im  Ilötel-Dieu  in  Paris,  wo  iriihzeitig,  wie  auch  zum  Beispiel 
im  Nürnberger  Krankenhause,  Schwangere  tmd  Gebärende  verptlegt 
wurden,  sah  man  sich  durch  schlimme  lirlahrimgen  \eranlal.^t,  eine 
eigene  Gebärabteilung  /.u  errichten.  Wenn  auch  nachweislich  durch 
Johann  Jakob  Fried  erst  im  Jahre  1720  in  StraLU">urg  die  erste  wirk- 
liche hjitbindungsanstalt  entstanden  war,  so  erinnert  uns  ein  (je- 
mälde  von  Andrea  del  Sarto  daran,  daß  schon  erheblich  früher 
isolierte  Frauenspitäler  in  Italien  existierten.  Unser  Bild  führt  uns 
in  einen  Saal,  in  welchem  Bett  an  Bett  steht.  In  einem  liegt  ollen- 
bar eine   Wöchnerin   mit   einem   Kinde  (siehe   bigtir  236). 

Daß  st)lche  wohl  auch  an  anderen  Orten  hier  und  da  \'or- 
kommende  Abteikmgen  für  (jebärende  und  Wöchnerinnen  aber  keinen 
F^influß  auf  die  Entwicklung  einer  wissenschaftlichen  Geburtshilfe  aus- 
üben konnten,  das  geht  schon  aus  der  Tatsache  hervtir,  daß  auch  in 
der  größten  derartigen  Abteilung,  im  Ilötel-Dieu  in  Paris,  auf  geist- 
liche Anordnung  hin  AFinnern  überhaupt  der  Zutritt  verboten  wurde 
und  die  Kranken  gänzlich   den   llebanunen   ausgeliefert   waren*). 


*)  Wolf   ticcher,    Entliindungsaiistalteii.     Handtmch    der    Geschichte    der   Aledizin    von 
Th.  Puschmann,  Band  III.      |ena   itjOj. 


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S  UM|]cit  fcp  ntcit«ici(t((>/  ^M 

eine  &(\m\  ^atis^  tiTorfciKc  J^am  Vixta^  fcr  IW>-- 

.  li*(nClrl;iici)  viitS.'cil'JrWiiliriic /iiiiffWiitTiMtii  -'••'■i.'^-r  «^^ 
.»"'v'.tt^-»—» '  i'iiil'  iiviMff Vh .iiifTfdiniiitlaii  piliäcr/ (ii tim 
&t(hkwf!  iillfiic  niiff  Dtin  ?t(iV(iiKmvfi*i'crf.iiiil(in'nf5u|aiiiin(ii 
fi'iiinitii/  l'ritcmc  ortciiilKt;  t'rfMir  r.|:  CliipMlij  halben  frirmnifii 
l'll^^lll(ll  lK^^cll.  'ö.\  mm  idiuiiM  i'Cii  ■i''ijr,i(rii  cttt  5?iira(t?. 
Äiif cm  l'oMxr  Igifiiiic  ti'rffiii!  / l'll^  l'ui)  imi Tir  .Hr.iiicHKii ^(^;  Clcil;. 
fal:s  kluffc  ftnii  i'tnnuIjKl  /  f  criröllc  fid)  iiii  tdü^iil  Cit/  i>iiib  Me  !'(< 
|ciinri((riunM'np5iiit!(rfliäcii/fn5iillfÄiiiini(li'cit/wit>crtniili(t!(r 
©(tiiWfldvariciiK. 


Fig.   257.     I.cpraschauzcttcl    vom    Jatire    1632   tür 
die   Scbaldusfiirclie   in  Xürnliero;. 


LAIENBEHÄNDLUNG 

HEILIGE         KÖNIGE 

fxhon  ein  nbciilächlicliLN  Ijclrachtcn  und  Durchblättern  der 
in  diesen  ßlättern  wiedergesehenen  (;eniälde  lehrt,  daß  hei 
weitem  der  größte  l'eil  derselben  der  holländisch-Hämischen 
Kirnst  entstammt.  Der  drund  liegt  in  den  äußeren  bereits  bespro- 
chenen X'erhäitnissen  dieses  Landes,  (jenau  so  sind  nun  die  Gemälde, 
die  wir  noch  kurz  zusammenlassend  behandeln  wollen,  in  katho- 
lischen Ländern  zu  Hause.  Der  Klerus  war  eben  dort  ein  beinahe 
konkurrenzK)ser  Mäzen  und  Auttraggeber,  und  diese  dominierende 
Stelhmg  beeinflußte  selbstverständlich  auch  den  Charakter  der  Kunst- 
erzeugnisse. Die  Größe  eines  ALulNrers  und  Heiligen  ollenbarte  sich 
tür  den  gläubigen  Betrachter  eines  Kirchenbildes  am  ehesten  durch 
die  Darstellimg  einer  W'underkur.  Die  Heilung  eines  durch  itiensch- 
liche  Kunst  Unrettbaren  durch  den  Odern  göttlichen  Machtspruchs  war 
das  wirksamste  Objekt  lür  ein  dramatisches  Kirchenbild  und  so  finden 
wir  diesen  Cjegenstand  bis  zur  Langeweile  häuhg  in  allen  Schulen 
und   allen   (jalerien    der   verschiedenen   italienischen   Kunstepoclien. 

Die  zahlreichen  Illustratoren  des  i-ebens  Jesu  landen  im  Neuen 
'Lestament  genügend  historischen  Stol1:  \Jnd  siehe  ein  Aussätziger 
k'am  und  sprach:  Herr,  so  Du  willst,  kannst  Du  mich  wohl  reinigen. 
Und  Jesus  streclae  seine  Hand  ans  und  rührete  ihn  an  mul  s[irach: 
ich  will  es  tun,  sei  gereinigt.  Lnd  alsobald  war  er  von  seinem 
Aussatz  rein.  Unter  anderen  hat  Cosimo  Kosselli  diese  Szene  in  der 
Sixtinischen    Ka[ielle  geschildert. 

Auch  andere  Stellen  des  Lvangeliums  Matthäi  N,  ]6  haben  olt 
malerische  \'erwertLmg  getuiulen:  Am  Abend  aber  brachten  sie\iele 
Besessene  zu  ihm  und  er  trieb  die  Geister  aus  mit  Worten,  mul 
machte  allerlei  Kranke  gesimd.  Und  dann  die  liebliche  Geschichte 
von   der  Aiiterweckimg   des  Jünglings  zu  Xain   und   des  Tochlerleins 


442  jKStSiieiiKJCitSiJßStiS'ßiSiSiCi'eiiCiiOtSiiOS  Laienbehandlunc  <^:<^:<^:<f:<f:<ii^:<f:<>::/>^^^^^ 

Jairi.  llaulincr  m)i.:h  als  den  WuiukTlalcn  des  (nntcssuhnes  selbst 
wurden  den  Werken  seiner  jünger,  die  er  mit  den  Worten  entließ: 
Maeliet  die  Kranken  i^esund,  reiniget  die  Aussätzigen,  wecket  die 
Toten  aul  und  treibet  die  Teutel  aus.  tarbige  Denkmäler  gesetzt.  Eine 
solche  Tätigkeit  der  Apostel  Petrus  und  Johannes  in  den  Straßen 
von  Jerusaleni  stellt  ein  Irüher  lälschlich  Holbein  zugeschriebenes 
Werk  des  Xiederländers  J^uekelaer  dar.  I:s  handelt  sich  um  Ahissen- 
heilungen.  Aul  der  einen  .Seite  kommen  die  Kranken  aut  Stelzen 
und  allen  möglichen  \'ehikeln,  aul  der  anderen  Seite  ziehen  sie  Iroh 
und  lustig,  Krücken  und  Betten  aul  dem  Buckel,  geheilt  wieder  ab. 
Der  Maler  ist  ein  Schüler  des  Meisters,  der  das  erste  Anatoniie- 
geniälde  gemalt  hat,  Bieter  Aertsen  (siehe  b'igur  238). 

^\'ir  haben  die  (leschichte  der  großen  ]\rankenheiler  und  der  Ileil- 
patrt)ne  des  näheren  in  der  »Plastik  und  Medizin«,  Seite  300  II.,  verfolgt 
und  haben  dt)rt  gesehen,  wie  die  Irühe  Kirche  in  kluger  Berechnung 
und  mit  richtigem  \'erständnisse  der  nach  überirdischer  Anteilnahme 
lumgernden\'olksseele  es  verstanden  hat,  die  enttlironten  lleilgötter  der 
Antike  selbst  durch  christliche  Märtvrer  zu  ersetzen.  Wir  zeigten  an 
jener  Stelle,  daß  diese  Umwandlung  viellach  sich  aul  (irund  eines  orga- 
nischen Prozesses  wie  von  selbst  vollzog,  daß  aber  auch  ad  hoc  ge- 
schaffene Kulte  von  dauernder  Lebenskralt  erlüllt  waren.  Wenn  wir  an 
dieser  Stelle  noch  einmal  kurz  aul  das  arabische  Brüderpaai'  Kosmas  und 
Damian  zurückkommen,  so  geschieht  es  deshalb,  weil  diese  Brben  der 
Dioskuren  ganz  besonders  häuhg  eine  bildliche  Darstelkmg  gefunden 
haben.  Die  "anze  Lebensgeschichte  der  umsonst  behandelnden  Brüder 
ist  von  P'ra  Angelico  in  einfacher  aber  doch  rührender  Weise  gemalt 
worden.  Besonders  drastisch  malte  er  die  Lpisode,  wie  Pleile  und 
Steine  sich  von  den  bekreuzigten  abwenden,  um  aul  die  Häupter 
derer,  die  sie  toten  wollten,  als  es  Abend  wurde,  zurückzuprallen.  -  - 

Die  Münchener  Pinakothek  besitzt  eine  ähnliche  Piildertoige, 
von  Lra  Gio\anni  da  biesole  gemalt.  Selbst  das  letzte,  etwas  ge- 
wagte Wunder  hat  Vnx  Angehet)  in  den  Ikaeich  seiner  Darstellung 
gezogen.  Weil  der  heilige  Damian  von  der  geheilten  Palladia  als 
Lohn   drei   J:ier  angenommen   hatte,   wollte   der  erzürnte  Kosmas  im 


JOiiOiSiSiK^SiJOi'CiSiiOiJiiSiiviiOiSiiv'iKiSJSJS'C?   KoSMAS  UND  DaMIAN    «ßSiiSiS-ÖJSS'JS'iKSi'etStStSiiOtSiSiiS  443 


Tode  nicht  neben  dem  Bruder  liefen.  Das  kindlich  Rührende  des 
primitiven  (iemaldes,  auf  welchem  ein  Kamel,  dazu  nt)ch  auf  latei- 
nisch, dk:n  Befehl  des  Herrn:  Nolite  et)s  separare,  \viederi;ibt,  ver- 
meidet die  Gefahr  der   Lächerlichkeit. 

Allein   und  in  \'erbindung  mit  anderen   Heiligen   erscheinen   die 
beiden  hunderttach  gemalt,    gedruckt   und    gezeichnet  auf  Heiligen- 


Israel  -'au  Mcckenen.     lj<'J- 

Fig.  259.     Kosni.is  und  Damian. 

bildern,  aul  liinzelblättern,  Exlibris  und  als  Buchillustration.  Sie  stehen 
oder  sitzen  da  und  halten  in  den  Händen  die  Insignien  ihrer  Tätigkeit. 
Da  meist  der  eine  von  ihnen  ein  Getäß  trägt,  welches  einer  Apotheker- 
büchse ähnelt  oder  einem  Mörser,  so  werden  sie  auch  als  Arzt  und 
Apotheker  aufgefaßt.  Der  eine  aber  hält  regelmäßig  das  L'ringlas  in 
den  Händen  als  Ausdruck   der  diagnostischen,  ärztlichen   Kunst. 

A\'ir    haben    über  diesen  Gegenstand  schon    mehrfach   berichtet, 
so  daß  wir  uns  hier  begnügen  können,  im  I^ilde  zwei  derartige  Dar- 


444  iCiiSiKiSJSissiJSißiei'SSiSiSiJCüiOtJCi'C«:«  Laiexbehandlung  iCiJOiJß'KSiiiSJßSiisstiSißiKiSJCiiSiKiCiJßJS'ö'O! 


Stellungen  zu  zeigen.  Die  eine  betrifft  eine  frühe  Kiipferarbeit  des 
Israel  van  Meekenen.  \ Dn  besoiulerLT  Selione  aber  ist  die  Tatel  des 
Roger  van  der  Wcvden  aus  dem  Städelschen  Institut.  Neben  anderen 
Heiligen  sehen  wir  dort  das  iir/tliche  Brüderpaar.  Beide  in  der  ärzt- 
lichen  Tracht  des   tünlzelinten  Jahrlumderts  (siehe  Figiu'  261)). 

Kt)snias  halt  neben  dem  Uringlas  noch  einen  Zettel  in  der  Hand; 
der  Bruder  einen  Pllasterspatel.  Die  klugen  Kopie  mit  nachdenk- 
lichen Gesichtern  sind  vielleicht  bekannte  Ärzte  ihrer  Zeit.  Wir 
haben  schon  gesehen,  daß  auch  nocii  viel  später  es  beliebt  war,  sich 
als  Arzt  in  Haltung  und  Ciebärde  dieser  Heilpatrone  verewigen  zu 
lassen,  wie  römische  Imperatoren  aut  Münzen  sich  in  der  Stellung 
des  Asklepios  prägen  ließen.  Es  wird  \on  den  Künstlern  meist 
Wert  daraut  gelegt,  den  \"on  den  beiden  Brüdern,  der  einen  Mörser 
oder  einen  Salbenbehälter  in  der  Hand  hat,  mit  kurzem  Rock  dar- 
zustellen. Eine  Sammlung  lür  sich  würde  die  Zusaiumenstellung 
der  Buchillustrationen  dieser  Art  bedeuten,  die  namentlich  im  sech- 
zehnten Jahrhundert  tmgemein  beliebt  waren.  In  der  künstlerischen 
Wiedergabe  der  Heilpatrone  überwiegen  die  kleineren  Erzeugnisse 
der  Malkunst  bei  weitem  die  plastischen  Kunstwerke;  das  hat  auch 
seinen  Grund  darin,  daß  die  Brüder  doch  immerhin  nur  wenige 
Kirchen  und  Kapellen  besaßen,  in  denen  sie  als  Hauptheilige  \'er- 
ehrung  fanden*).  Die  W'rehrung  und  Popularität  der  großen  Kranken- 
heiler löste  sich  aber  im  .Mittelalter  inmier  mehr  aut  und  zerliel  in 
ein   Spezialistentum  von   Heiliggesprochenen. 

Die  praktische  Bedeutung  dieser  Spezialheiligen  geht  aus  einer 
Schilderung  des  bedeutenden  französischen  C>hirurgen  Henri  de 
.Mondeville  aus  dem  dreizehnten  Jahrhundert  hervor,  die  in  Über- 
setzung ungefähr  so  lautet:  »Die  Krankheit  der  heiligen  Maria  i)der 
des  heiligen  Georg  oder  des  heiligen  Antonius  oder  des  heiligen 
Laurentius,  welches  ist  insgemein  der  Rotlauf,  und  die  Krankheit 
des  heiligen  Eligius,  welches  ist  Eistel  und  (ieschwür  und  laterimg, 
und   die  Krankheit    des    heiligen  Macrus,   welches  ist  der  Krebs   und 


•)  Dicht  an  der  Vi.i  .Sacra  in  Rom  licLjt  ihre  Haui>lkirche,  von  Feli.x  IV.  etwa  530  erbaut, 
mit  den  gut  erhaltenen  Mosaikbildern  ihrer  Patrone. 


iOiiOiSiSiiCiJCiStJOtJCtiOiiCiSiJOiißiOtJSJOiJOtJK  Die  heiligen  Spezialisten  j>io>!C>!0>iSjji!K-0!!S!0><Ki5!iO!JO!!C><>:  445 


Briukinaitn  pliot. 


Fig.  260.     Roger  v.  d.  Wcytlcn. 
Kiisnias  und  Damian. 


J-ranl.Jurt,   St.ui.-UJm.    K:iiiitiiistil:U. 


lie  Hämorrhoidalkrankhcit,  und  die  des  heiligen  Bonus,  welches  ist 
1er  Umlaul,   und  die  Krankheit   des   heiligen  Clarus,   welches  ist  ie"- 


440  SiSiJSJO-JCüSt-StJCtiOiJöiSSfiet'eiiKißSiiSJOi  Laienbehandlung  iK«s>!CiK>»!Kss;iS!C>jO>s>s><5>s><Ot!C«S!S>iC«!KiS 


liehe  Augenkrankheit,  und  die  des  hciH^en  T.upus,  wclehes  die  Epi- 
lepsie ist,  usw.«  Die  AiiruluiiL;  ties  Heiligen  niilzt  nun  natürlieh 
gegen  die  Kr.uikhcil  seihst  und  ein  lürsorglieher  C^iiiriirg  sielierte 
sieh,  wenn  er  seinen  Rüekcn  dceken  wollte,  die  Mitarbeiterschait 
einer  solehen  bewahrten  Kratt  und  Autorität.  Wenn  wir  nun  unter- 
suehen,  wodureh  diese  Heiligen  zu  ihrer  Spezialität  kamen,  so  gibt 
es  zwei  vollkommen  verschiedene  Wege,  liinmal  haben  diese  Selig- 
und  Heiliggesprochenen  in  ihrem  Leben  sich  mit  der  bestimmten 
Krankheit  beschättigt  und  schon  zu  Lebzeiten  Heilungen  verrichtet, 
und  diese  interessieren  uns  besonders,  oder  durch  Oflenbarungen 
haben  sich  (jebete  zu  ihren  Knochen  und  Reliquien  einmal  als  wirk- 
sam erwiesen.  So  hatte  zum  Beispiiel  der  heilige  Bonus  so  olt  das 
Kruzifix  mit  dem  b'inger  berührt,  dal,^  er  eines  Tages  die  Üften- 
barung  hatte,  daß  dieser  Linger  niemals  verwesen  würde,  und  seit 
dieser  Zeit  beten  auch  solche  mit  erkrankten  Fingern  zu  diesem 
Schutzpatron.  Oder  der  heilige  L'iacrus,  ein  irischer  Lremit,  war 
auf  folgende  \W'ise  zu  einer  anerkannten  Spezialität  gegen  die 
llänu)rrhoiden  gekommen.  \W'gen  Magie  angeklagt,  setzte  er  sich 
in  seiner  Trauer  aui  einen  Lelsblock  und  siehe  da:  der  Stein  schmiegte 
sich  seinen  heiligen  Ki)rpertormen  so  an,  dal.l  ein  Sessel  aus  ihm 
wurde.  Dieser  Stein,  jahrhundertelang  im  Kloster  des  heiligen 
riacrus  aul bewahrt,  tat  nun  seinerseits  seine  Schuldigkeit,  und  wurde 
jeder,  der  sich  auf  d^ju  Stein  setzte,  von  peinlichen  Cheln  dieser 
Kor[iergegend  bef-eit.  Idigius  wurde  der  Schutzpatron  liir  Pierde, 
als  er  einstmals  einem  Pierde  ein  abgetrenntes  Rein  wieder  angeheilt 
hatte.  Die  verschiedenen  Wege,  auf  denen  man  zur  wundertätigen 
Heiligenkralt  k-omnieii  konnte,  illustrieren  am  besten  die  so  lumderte- 
mal  auf  einem  Bilde  \ereinigten  beiden  Pestheiligen  Sebastian  mul 
Rochus.  Dcv  erste  ist  der  christliche  Prätorianer,  der  wegen  seiner 
aktiven  christlichen  Propaganda  auf  Betehl  des  Kaisers  l)it)kletian 
von  numidischen  Bogenschützen  mit  l'leilen  durchschossen  wurde. 
Böse  Zungen  behaupten  nun,  dal,^  ilie  .Maler  mit  Rucksicht  aul 
schöne  Frauenaugen  die  descliichte  dieses  Heiligen  etwas  korrigiert 
hätten,    denn    auf   den  ersten    romischen   Mosaiken  sei  der  Märlvrer 


als  Greis  mit  langem  weißem  Barte  dargestellt  gewesen;  man  habe 
aber  die  sonst  in  der  Kirchengeschichte  so  seltene  (jclegenheit, 
einen  nackten  schönen  Mann  bildlich  darzustellen,  ordentlich  aus- 
genutzt. Wie  dem  auch  sei,  er  wurde  Schutzpatron  gegen  die  Pest, 
als  im  jähre  680  eine  l:[iidemie  in  Rom  wütete  und  Gebets- 
erhörungen  bekannt  wurden,  die  sich  1373  von  neuem  bestätigten. 
Die  Pest  hörte  in  Mailand  aut,  als  man  durch  eine  Ofienbarung  dem 
Heiligen  in  der  Kirche  St.  Petrus  ad  vincula  einen  Altar  baute.  Die 
uns  bei  weitem  mehr  interessierende  Form  ist  die  bei  Lebzeiten 
erworbene  und  man  kann  wohl  sagen  sauer  erworbene  heilige 
Kraft.  Ein  Tvpus  hiertür  ist  Sebastians  Hauptkonkurrent,  der  heilige 
Rochus,  den  wir  schon  bei  den  Krankheitsdarstellungen  kurz  er- 
wähnt haben.  Hs  ist  vielleicht  ein  Zufall,  die  seinem  Leben  die 
Richtung  gegeben:  er  kam  nämlich  mit  einem  Blutschwanmi  zur 
\\'elt,  der  die  ausgesprochene  borm  eines  Kreuzes  hatte.  l:r  ver- 
schenkte noch  als  Jüngling  seinen  Besitz,  ging  nach  Italien,  um  den 
dortigen  Pestkranken  zu  helfen,  und  trat  in  dem  Spital  von  Aqua- 
pendente  als  Pestkrankenwärter  ein.  Er  erkrankte  dann  selbst  an  der 
Seuche  und  ist  auch  auf  allen  Darstellungen  mit  der  Pestbeule  abge- 
bildet. Nach  wundersamer  Heilung  ging  er  zurück  nach  seiner  \'ater- 
stadt  Montpellier  und  starb  dort  unerkannt  im  (jefängnis.  Sterbend 
schrieb  er  an  die  Wand  seines  Kerkers:  Wer  von  der  Pest  ergrifien 
ist  und  zu  Rochus  Zuflucht  nimmt,  wird  Hilfe  finden.  Und  Rubens 
schrieb  unter  das  Bild  seines  heiligen  Rochus:  Eris  in  Peste  Patronus. 
Neben  diesen  später  Selig-  oder  Heiliggesprochenen,  neben  all 
dem  fahrenden  \'olk  und  verschiedenen  prixilegierten  Heilkundigen 
erwuchs  aber  den  mittelalterlichen  Ärzten  noch  die  weitere  Kon- 
kurrenz der  oesalbten  Könige.  Die  Urgeschichte  der  Entwicklung 
dieses  Glaubens  an  die  Heilkraft  der  königlichen  Handberührung 
verliert  sich  im  Dunkeln.  Wenn  auch  Andrea  Laurentio  (»de  mira- 
bili  strumas  sanandi  vi  solis  (jalliae  regibus  Christianissimis  con- 
cessa  etc.«),  1609,  unsere  Hauptquelle,  geneigt  ist,  diese  Heilkraft 
auf  Chlodwig  zurückzuführen,  so  weisen  doch  die  ersten  historischen 
Notizen    auf  Eduard   den  Bekenner  (1066).     Die  Neigung  zur  Spe- 


44'"^  issiSisssiJCs-ciStJSissiSissjßSiStiSiCiäS  Laienbehaxdlung  JSiCiietsssiSiS'iß'KiCiij'jSiiOiSiJCiSiSiiOtiKiOiSiJC« 


zialität  erfaßlc  aiicli  die  gekrönten  Meiler  und  sn  war  des  Königs  von 
Uoi^arn  Hand  liegen  (ielbsucht,  die  des  Spaniers  gegen  Wahnsinn, 
Kcinig  Olals  \on  Norwegen  Hände  gegen  den  Kropf  und  die  Isoniglich 
englische  Berührung  gegen  Skroleln  uu^.\  l:|-)ile[isie  wirksam.  Und 
da  der  Salbuni;  die  W'underkralt  zukam,  nicht  der  Person,  so  tehlle 
diese  Maclu  <.\cu  Königinnen,  wie  sie  dagegen  den  enlthronlen  Konig 
ins  I-'xil  begleitete.  Das  Zeremoniell  des  «hand\-  work«  ging  in 
England  in  der  Weise  vor  sich,  dal,^  der  Patient  mit  seinem  Arzte 
sich  dem  aul  dem  Thron  sitzenden  Konig  näherte,  woraul  dieser  ihn 
mit  den  Haiulen  berülirte,  und  zum  Schlul.^  wurde  ihnen  eine  »touch 
piece«  übergeben,  liine  Nachtorschung  im  Berliner  Münzkabinett 
ergab,  dal,^  im  Britischen  Museum  S(,)]che  Münzen  aul  bewahrt  werden, 
\()n  Karl  1.,  mit  der  Umschrift:  Amor  populi  praesidiinn  regis.  In 
der  Londoner  mediko-historischen  Ausstellung  (1911)  waren  eine 
ganze  Anzahl  solcher  Münzen  zu  sehen.  Der  enorme  Andrang 
der  Patienten  mit  »kings  evil«  schlug  aber  ein  solches  Poch  in  die 
königliche  Schatulle,  daß  man  bald  \om  Gold  zum  Silber  überging, 
und  als  überhaupit  das  (ieldgeschenk  wegliel,  halt  auch  dann  merk- 
würdigerweise noch  die  Berührung.  So  berührte  allein  Karl  III. 
92107  Patienten  im  Laufe  seiner  Regierung.  Der  ]k\grifl  des  king.s 
evil  schwebt  in  der  Luft.  Pänmal  werden  Skroleln,  dann  Khachitis, 
dann  wieder  Kropfleiden  als  die  Konigskrankheit  genannt.  Nächst 
historischer  Mitteilung  zeitgenossisclier  Chirurgen  \'on  Lach,  (iale 
und  Banister,  wollen  wir  noch  die  Zeugenschalt  Shakespeares  in 
diesen   Dingen   anführen   (ALicbeth   Akt  4,  Aultritt    5). 

.Malcolm  (zum  Duktuij: 
Sagt,  koninit  der  König? 

Doktor: 
Ja  Herr,  dtnn  eine  Sclwr  von  Jamnierseelen 
Harrt  seiner  Heilung;  ihre  Krankheit  trotzt 
Dem  kliigsten  Rat  der  Kunst.     Denn   sein   Berühren  — 
So  heilige  Kraft  erschuf  (iott  seiner   Hand  — 
Kuriert  sie  augenblicklich. 

Macdulf: 
Welch  eine   Krankheit  ist's? 

Malcolm: 
'Tis  caU'd  the  evil. 


Sii5SiiOiSiS>j:iötisSi!K!C!io>S!SiJK!5S>siStiO!!Ci  Englische  Königk  jOtiöiKJOüS'OSiiKiSJOiiKSiiKiOiiSiCiiCi-Oiis  449 


Hans  Burgkmair  hat,  wie  sclion  erwähnt,  auch  diese  heihge 
Kraft  lüluards  des  Bekenners  in  unhedeutenden  1  h)l/sclinitten  lür 
Maxiniihan  I.  ijeschildert ,  aUerdini^s  mit  einem  derartigen  Zuschuß 
freier  Phantasie,    daß  man  ihnen   einen   historisclien   Wert  nicht  zu- 


Fig.  261.     Eduard  der  Bekenner. 
\'on  Burgkniair. 


schreihen  kann.  Wir  sehen,  wie  der  Kimig  liduard  in  vollem  Königs- 
ornate vor  einem  oder  mehreren  Kranken  steht  und  über  dieselben 
das  Zeichen  des  Kreuzes  macht  oder  ihnen  eine  Münze  als  Touch- 
piece  gibt  (siehe  hdgur  261). 

Es  scheint  nun.   daß  diese  Sitte  der  Königsberührung  von  Eng- 
land bald   nach   1-rankreich    kam,    denn    schon   Pliilipp  I.,    1108,   übte 


Holländer.   Die  Medizin  in  der  klas-i>chen  Malerei.     2    Auflage, 


29 


45°  äXJKJSSSiöSiJKissiissiieiißißiSißStiOtjK  Laienbehandlung  äKiCtJSJCSStJKSt'CSiSiSJOtie'JCiJßSiiSJCiJKiCiiJiiKiCt 

das  \'crlahrcn  aus.  Die  Zeremonie  taiul  nun  in  l-ranlu'eicli  noch 
Otter  stau  im  Anschluß  an  die  Koni^salbuni;.  Die  ganze  Prozedur 
verliet  hier  etwas  anders.  Zunächst  wurden  die  Patienten,  wie  dies 
Andreas  Laurentius  beschreibt,  von  Ärzten  untersucht  und  dann  dem 
Könige  knieiälHg.  nach  Xationahtäten  geordnet,  vorgetührt;  dabei 
hatten  die  Spanier  i.]cn  \'ortritt.  dann  die  Deutschen,  und  die  Fran- 
zosen kamen  zuletzt  an  die  Keihe.  Während  nun  die  Kapitäne  der 
Ciarde  dem  i'atienten  die  gefalteten  Hände  lesthielten  und  der  Arzt 
dabeistand,  schlug  der  König  ein  Kreuz  oder  berührte  auch  die 
erkrankte  Stelle  imd  sagte  dabei:  »Le  Rov  te  touche  et  Dieu  te  guairitcc 
Die  enorme  Zahl  der  Hilfesuchenden,  die  außerdem  ein  Almosen 
empfingen,  geht  aus  den  Zahlen  hervor,  die  Laurentius  angibt.  Hein- 
rich I\'.,  dem  christlichsten  und  unbesiegten  König  von  Gallien  und 
Xavarra,  wurden  allein  tausend  Patienten  zugelührt,  von  denen  er 
mehr  als  tünt hundert  heilte.  (Quibusdam  ulcera  siccescimt  aliis 
tumores  mimuiiuur  et  intra  paucos  dies  ex  mille  plusquam  quingenti 
pertecte  sanantur.)  Nach  der  Zeremonie  kam  nun  ein  (Gebrauch  zur 
Anwendung,  der  gewissermaßen  als  eine  Vorahnung  der  Antisepsis 
gelten  kann.  An  drei  Servietten,  \-on  denen  die  erste  mit  Essig, 
die  zweite  mit  Wasser,  die  dritte  mit  Orangenblütenessenz  beleuchtet 
war,  mußte  der  Konig  die  durch  die  Jk-rührungen  vielleicht  inli/ierten 
Hände  abwaschen.  Der  Knabe  Ludwig  Xlll.  mußte  zehnjährig  bereits 
achthundert  Skrolidc'ise  berühren  und  es  ist  dem  Konigskinde  nicht  zu 
verdenken,  wenn  es  dabei  viermal  unwohl  wurde.  Allmählich  scheint 
die  W^mderkralt  nachgelassen  zu  haben,  Ludwig  Xl\'.  berührte  aller- 
dings noch  vierundzwanziglumdert,  von  denen  aber  nur  lünl  geheilt 
wurden.  Ls  ist  eine  bemerkenswerte  Tatsache,  daß  der  berühmte 
(diirurg  Dupuvtren  Anlang  des  neunzehnten  Jahrhunderts  (1824) 
Karl  X.  noch  hundertzwanzig  die  Berührung  Begehrende  \-orlühren 
konnte.  J-ine  Schilderung  dieser  Zustände  aus  der  Anfangszeit  gibt 
das  Gemälde  van  Orlevs  in  der  I'inakothek  in  Turin.  In  der  ofTcncn 
Säulenhalle  einer  Schloßkirche  findet  gerade  die  Salbung  eines  Inm- 
zösisclien  Königs  statt.  In  dem  Schloßhol,  dessen  Lingang  von  Lands- 
knechten scharf  bewacht   wird,  haben  sich  eine  ganze  Anzahl  Kranker 


versammelt,  die  .st)\volil  aut  die  Berülirung  als  auch  aiit  das  Almosen 
warten.  Es  ist  eine  interessante  Beobachtung,  daß  der  Maler  unter 
diesen  Patienten  auch  wieder  typische  Darstellungen  von  Lepra- 
kranken gegeben  hat  (siehe  l'igur  262). 

Diese    homerische    Auitassun"    der   von    den    (jottern    zunächst 


Fig.  262.     Salbung   eines  französisclien  Königs. 
Von  Bernaert  van  Orley  (y   1542). 

auf  die  Helden  und  Könige  kommenden  Heilkraft  sucht  Laurentius 
in  seiner  bvzantinischen  Schreibweise  noch  historisch  zu  erhärten 
dadurch,  daß  er  des  Tacitus  Zeugenschait  dattir  anrult,  daß  \'espasian 
einen  Blinden  und  Lahmen  geheilt  habe,  daß  Spartianus  den  Kaiser 
Itadrianus  habe  Kranke  heilen  sehen,  daß  Plinius  den  englischen 
Königen  aus  dem  Stamme  der  Andegauenser  die  Heilkratt  gegen 
die  Epilepsie  zuschrieb,    daß  Cassaneus    bereits  in  seinem   Catalogus 


45-  3KSKietSt<C!S!!0i:«55je>jC>:st<s<0t<s"<KJS<ß<et  Laienbehandlung  i«ä5t!Ci!C>iSiKiC?s><i>!C«!0iSiS><ß!C><0!St!C>!0>-et!S!K 


Muiuli  d<:n  Unt;arnkönii;en  Ikilkrall  gegen  die  (Gelbsucht  und  den 
spanischen  gegen  die  Kakudänioncn  nachrühmte;  auch  der  Ivonig 
Guntchranuuis  soll  nach  (;regi)rius  TurcMiensis  die  l^ubonenpest 
geheill  haben  und  die  Ahdaria  ( Inguinariani  pesleni  sanasse  et 
quarlanani  tebreni  tesiatur).  Laurentius  möchte  nun  gern  diesen 
vorchristlichen  königlichen  Hellern  diese  bahigkeit  absprechen,  er 
beruft  sich  darauf,  daß  diese  Krankheiten  auch  manchmal  von  selbst 
heilen  und  dA[l  die  dunuuen  Menschen  olt  so  leichtgläubig  sind. 
Bei  seinem  lleiiu-ich  1\'.  aber  sind  alle  derartigen  X'ermutungen  natür- 
lich nicht  stichhaltig;  auch  die  Andeutungen  gemeiner  \'erleumder, 
dal,^  vielleicht  der  veränderte  Ilinunel  den  aus  Spanien  konnnenden 
Kranken  hätte  nutzen  können,  weist  er  entrüstet  zurück  und  schiebt 
die  ganze  wunderbare  Heilung  der  Kro|il  leiden ,  die  er  so  vielmals 
bei  jung  und  alt  in  wenigen  Tagen  hat  eintreten  sehen,  ausschließ- 
lich  auf  die  besondere  Gnade  Gottes  für  sein   Königshaus. 

Alle  die  langatmigen,  bornierten  oder  auch  gemein  erlogenen 
Aussagen  des  Leibmedikus  können  uns  nun  weniger  überzeugen,  als 
ein  Gemälde,  welches  der  göttlichen  Macht  der  Persönlichkeit  das 
erhabenste  Denkmal  setzt.  Und  die  Betrachtung  dieses  Kunstwerkes 
gibt  uns  einen  b'ingerzeig,  wie  von  der  Majestät  eines  Großen  ein 
suggestiver  heilender  l:influß  auch   heute  noch  ausgehen  kann*). 

Aus  diesem  Grunde  bringen  wir  auch  das  (iemälde  des  13aron 
Gros  noch  in  einer  Abhandlung  alter  (iemälde,  trotzdem  es  erst  in 
dem  Pariser  Salon  uSo  |  der  C)nentlichkeit  übergeben  wurde.  Die 
Szene  behandelt  den  Ik-such  Napoleons  im  Pesthos|Mtal  zu  Jaffa. 
/unachsl  hatte  (jros,  der  historischen  Wahrheit  ents(irechend,  seinen 
ersten  bjitwurf  so  gestaltet  (siehe  Kicher),  daß  Napoleon  einen  \-or 
einer  Durchgangstür  liegenden  Pestkranken  in  seinen  .\rmen  aullK)b 
und   zu   seinem   Lager  trug. 

Dann  aber  inspirierte  d^n  .Maler  wohl  glücklich  die  Lriimerung 
an  »Le  roi  te  touche,  Dieu  te  guerisse«,  gleichzeitig  eine  ungemein  leine 
Ovation  tür  die  königliche  Bestinunung  des  (jeneral  en  che!  Ijonaparte. 


*)  Der  Chirury  D'.\rcy  l'ower   in    Lund(jn    lial   kürzlich   eine   ücschiclite    dieser   l\.ünigs- 
heilunyen  veröffentlicht. 


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454  SSiKJßSiStiSJOiiCisKJCiSiJKSiJOiiOiJCSiSiCiiiC«   LaIEK'BEHAXDLUNG  SOtJKSiiKiliJKS'iCt'CiJOt'C'JKSiSiiSiOiS-iSiiOiiOiißJK 


Während  Jio  ßoglcituni;  von  blasser  Tnircht  erschreckt  ist  und 
man  sich  än<;sthch  das  Taschentuch  vorhält,  berührt  Napoleon  mit 
nackter  Hand  die  Pestbubonen  der  Achselgei;end  und  wie  durch 
überirdische  Macht  konnnt  in  die  schon  beinahe  dem  Ttjdeskampt 
vertallenen  Glieder  wieder  Leben  und  Kratt.  Das  Bild  wirkte  bei 
seinem  Erscheinen  in  l\u-is  geradezu  revolutionär  tmd  bedeutete  den 
Stur/  der  akademischen  Klassizisten  und  inaugurierte  die  neue  Epoche 
der  rt)mantischen   Richtung  (siehe  big  in-  263). 


■<>:i>:<f:<>:<f:<f/<f:<f/<f/<ii<f.<i<>/^^^^^^ 


ALLEGORIEN  UND  EMBLEME 


as  Bcdürtnis  der  Kunst  verlani^t  häulig  eine  Personitikation 
der  Materie.  So  linden  wir  oftmals  das  Wiesen  einzelner 
Künste  allegorisch  durch  l-rauengestalten ,  die  mit  den 
charakteristischen  Attributen  versehen  sind,  versinnbildlicht.  Nament- 
lich das  sechzehnte  und  das  siebzehnte  Jahrhundert  liebte  es,  solche 
Serien  herzustellen,  in  denen  die  einzelnen  Wissenschaften  oder  das 
Kunstgewerbe  in  seiner  verschiedenen  Art,  die  Musik,  der  Tanz  zum 
Beispiel  allegorisch  geschildert  wurde.  Die  theologischen  und  mora- 
lischen Tugenden  und  andere  abstrakte  Begriffe  bekamen  ein  leicht 
verständliches  Kleid.  Fast  stets  aber  vermissen  wir  in  einer  solchen 
Reihenfolge  die  Heilkunst.  Dort,  wo  selbst  Beredsamkeit,  Jus  penale, 
Theologie  und  Musik  in  allegorischem  Gewände  erscheint,  vergißt 
man  die  Heilkunst.  \'ergessen  ist  nicht  das  richtige  Wort,  denn  die 
Schwierigkeit  des  Ausdrucks  ließ  diejenige  Kunst,  die  im  Leben  des 
einzelnen  und  der  \'ölker  zu  allen  Zeiten  die  größte  Rolle  gespielt 
hat,  in  den   Hintergrund  treten. 

Die  mißliche  Aulgabe,  das  allegorische  Bild  »Die  Medizin«  zu 
malen,  harrt  noch  bisher  vergebens  der  Lösung.  L'nd  wenn  man 
sich  heute  vor  diese  Autgabe  gestellt  denkt,  nicht  als  technischer 
Ausführer  desselben,  sondern  als  historisch  geschulter  Regisseur,  so 
bleibt  die  Szene  unvollendet.  Xur  eine  Reihentolge  von  Gemälden 
aut  einer  Wandelbühne  gäbe  ein   zutreffendes  Bild. 

Denn  proteusartig  ist  das  Aussehen  der  Medizin.  Wie  will 
man  auch  alle  Leilbestrebungen  in  eine  Form  gießen:  die  Xatur- 
beobachtung,  das  Studium  der  großen  und  der  kleinen  Körperwelt, 
liebevolle  Pflege  des  Erkrankten,  blutige,  oft  brutale  Lingriffe,  zu- 
letzt die  Sorge  tür  ein  ruhiges  Entschlafen. 

Die  \'ielseitigkeit  der  mit  der  Medizin  selbst  zu  einem  Ganzen 
verbundenen  Hilfswissenschaften   macht  es  unmöglich,  daß  wir  eine 


456  äSStSiSiissiisSiJSJSiSiSJßJSJKSK  Allegorien  und  E.mblemi  jßSiiCiiSJOiSisssiSiiKiSäßJSiSssißSiiKS! 


so  treflfendc  Allegciric  lür  unsere  Tiiligkcit  je  liaben  werden,  wie 
zum  Beispiel  die  l\eelnsi;elahrtheit  symbolisiert  wird  durch  eine  die 
Wage  hallende   l'rau   niil  verbundenen  Augen. 

Der  Maim   in   langem  geistlichen  (lewande  mit  dem   Uringlasc, 


i  uöikumiter   iloUtt$ider  ttwu    40jij 


Pii(.  264.     Der  Arzt  als  (iott. 


Orii^inaiaiijjtahiHe  iw/'cnkafien. 


der  das  tausendjährige  arabisch-medizinische  Reich  symbolisierte, 
hat  schon  vom  ästhetischen  Standpunkt  aus  lür  unsere  /eil  aus- 
gespielt, im  klassischen  Altertimie  symbolisierte  man  die  ärztliche 
Kunst  in  ziemlich  einlacher  Weise.  Man  brachte  eines  der  liaupt- 
instrumenle  einlach  als  \\'a|-)(K'n  an:  die  aufgeschlagene  P\\is  mit 
den    sichtbaren    chirurgischen    Instrumenten    oder    das   Abbild    eines 


iOiJOtiOijSiKJOi-CiiS-SiKSißKS-iSKSJCiiS'O-iSS'iC^iOiJOt  Antikk  Symbolik  SiiSiSJOiJCiiOiiOtiliJKiKSüSiStiSiS'OiiKiOiiS  457 

Schröpfkopfes.  Das  ist  die  Signatur  der  Medizin  auf  hellenischen 
Grabsteinen.  Der  Schropfkopf  wurde  in  dem  Maße  der  Ausdruck 
des  Heilgedankens,  daß  sich  die  geometrische  l'orm  dieses  Instru- 
mentes allmählich   in   die  Silhouette  eines   Knaben   \  erwandelte,    der 


L  'nbckanr.tcr  Ilollaudcr. 


l-ig.  265.     Der  Arzt  als  Hni^cl. 


OriginalaufnaJinic  Ki>penha^en. 


natürlich  göttlicher  Ilcrkunit  war  und  ein  Sohn  des  letzten  Ülvnipiers 
Asklepios  mit  dem  Xamen  des  Vollenders  Telesphorirs.  Auf  helle- 
nistischen Münzen  finden  wir  bis  spät  hinein  noch  in  die  Kaiserzeit 
den  Gott  als  Münzzeichen  von  Städten,  sei  es,  weil  die  Prägestätte 
Kurstadt  oder  Ileilort  größeren  Stils  war,  sei  es,  weil  allmählich  in 
der   sinkenden   Antike    der  i\sklepiosdienst    pantheistische  b'orm   an- 


45 8  äKJSißStSiJCiiSiCtJCiiiSiCtJKSiSiJSiK  ALLEGORIEN  UND   EMBLEME  !K!C!!0>iKiS>!5>J5i!S!0>!«t<0t!Ci<S!5!S>:i0>iC!)C*.i« 


genommen  liattc.  Die  lunbleme  dieser  Art  sind  lür  die  damalige 
Weh  in  ihrer  l'intaehlieil  leicht  \-erständlich ,  weil  sie  allmählich 
entstanden   waren:   die  Orakelstätte  nder  der  Altar  mit  der  sie  iim- 


Fi<;.  266.     Der  Arzi  als  .Munsch. 

gebenden  Schlange;  der  Schlangenstah  des  TIeilsgnttes  allein;  der 
Denkmalsgott  selbst  auf  den  Schlangenstab  gestützt,  oder  sein 
zeusähnlicher  Kopl,  oder  auch  einlach  der  thronende  CJott  die 
Schlange  lütternd. 

Unsere  Zeit  überspringt  die  zwei  Jahrtausende  lnter\'all:  die  Zeit 
der  Behandlung  mit  komplizierten  elektrischen  Strömen  und  Licht, 
die  Zeit    der    eiterlosen  Operation   will    sich    mit   Kecht   nicht   mehr 


iSiSiSiSiStißiOtiOiiSJOiiOiSiJCSjßJOiJiiiOiSiSiSiJOiiK  Antike  Symbolik  JvtiS'viJOiSiJSiiK'e-jeiJSSiiKjßiKiKJSiS'SJOt  459 


mittelalterlicher  scholastischer  Gelahrtheit  erinnern.  Sie  ließ  die  Patrone 
der  Medizin  mit  ihren  Uringläsern  und  Pllasterspateln,  Totenschädel- 
köpten  und  Aderlaßbinde,   Kasierschüssel   und  Klistierspritze  im  Stich 


Fig.  lii-j.     Der  Arzt  als  Teufel. 

und  klammerte  sich  an  die  Trümmer  penthelischen  Marmors  und 
hellenischer  Göttlichkeit. 

Und  diese  Reste  verdienen  wahrlich  heute  noch  den  \'orzug 
vor  den  Knochenreliquien  Abgelebter,  deren  mildtätiges  Erdenwandeln 
einen  noch  so  begründeten  Anspruch  auf  Unsterblichkeit  hat. 

In  den  letzten  Jahrhunderten  tretlen  wir  den  Arzt  in  immer 
häufi2:er  Gesellschatt  menschlicher  Knochenreste.     Entweder  hält  er 


460  äK!0!<0t<ss>iKS>ssiS!ei<s>KiK!S!et!C5  Allegorien  und  Embliimi  issiJSiOtSSJCiJCiiSSJiieiiCiiSiSJCiJßJSiSJCiiS 


einen  TotL'nschädcl  in  der  Hand,  oder  sein  Porträt,  sein  \\'ap[-)en, 
sein  l-AÜbris  ist  i;eselinuickt  mit  Schädeln  und  gekreuzten  Ober- 
schenkelknochen. Diese  \'erbindim^  und  dieses  linibleni  war  tief 
in  das  \'oIksbe\vul.Usein  eini;edruni;en.  Üllenbar  hat  aber  eine  \'er- 
schiebimg  der  (iedanicen  und  N'orstellun^en  statt^elunden.  Der  Toten- 
tanz stellt  den  Sensenmann  zunächst  als  Leiche,  später  als  Gerippe 
dar.  13ie  antiken  l^arstellun^en  dieser  Art  i^aben  zum  Teil  hierfür 
sclK)n  eine  Stütze.  \\'enn  aber  kurz  nach  der  Renaissance  der 
Anatomie  die  Arzte  anhnyen  sich  porträtieren  zu  lassen  mit  einem 
Schädel  in  der  Hand  oder  auch  mit  einem  anderen  Teile  des  de- 
rippes,  so  sollte  damit  nicht  der  Tod,  sondern  das  Studium  der 
Anatt)mie  symbolisiert  werden.  Aber  die  andere  Autlassuni;  hißte  im 
Volke  schon  deshalb  leichter  Iniß,  weil  ein  ironischer  Unterton  das 
(jleichnis  forderte.  \\\n-  es  nur  eine  Selbstironie  oder  nur  un- 
historische Verständnislosii^keit,  wenn  dann  mit  \'orliebe  die  Arzte 
selbst  den  Ursprung  dieses  Svmbols  x'ergal.W'U  und  lür  ihr  persön- 
liches Wappen  das  Todesemblem  wählten  und  dabei  womöglich 
noch  aus  gänzlich  heterogener  Auflassung  heraus  auf  den  Toten- 
schädel den  krähenden  Hahn  des  Asklepios  setzten,  nicht  das  üpter- 
tier,  sondern   den   \'erkünder  zukünftigen   Lebens. 

Eine  Allegorie  Holbeins  ist  originell  und  von  einleuchtender 
Klarlieit.  Der  Arzt,  um  dessen  Schläfe  sich  ein  Lorbeerkranz  windet, 
thront  auf  einem  Prachtwagen,  der  gerade  eben  einen  Renaissancebau 
passiert;  neben  ihm  sitzt  die  'Lheorie,  die  aus  einem  grt)l.^en  Kodex 
einen  \'ortrag  hält,  und  auf  der  anderen  Seite  die  harnschauende 
Praxis.  \'or  ihnen  kauert  in  gedrückter  Stellung  der  gefesselte  Tod. 
Den  Wagen  ziehen  drei  stilisierte  'Liere,  ein  Hirsch,  ein  Panther 
und  ein  Linhorn,  welche  wiederum  \'on  drei  jungen  kraftvollen 
Weibern  geführt  werden,  ilie  che  Heilmittel  Honig,  Pfeflerniinz  und 
W  ermut  versinnbildlichen;  die  Räder  des  Trium[ihwagens  gehlen  über 
die  am  Boden  zerschmettert  liegenden  Leichen  von  Lieber,  Wasser- 
sucht  und  Pestilenz. 

Unterzieht  die  Holbeinsche  Zeichnung  mehr  die  ärztliche  Kunst 
einer    allegorischen    Betrachtung,    so    wendet   sich    eine    beiderseitig 


JKäiSKJOiSKiKiSiS'KiJiSi-CiS-iOijSiSiSS'iSSiiltJCS  Neuere  Symbolik  jKiCiJCiStSiSiiO'.äiiSiK'eiiJ-iSiCtStiSiSiCis»  46  i 


bemalte  Kupferplatte    des    berühmten   Pommersehen    Kunstschrankes 
(jetzt    im  Kunstgewerbemuseum    in   Berlin)    mehr    an    die    arztliche 


Fisa;.  ^68.     Hans  Holbeins  AUcsroric  auf  die  ärztliche  Kunst. 


persönliche  Tätigkeit.  Diese  Platte  dient  als  \'erschluß  des  in  dem 
Schranke  befindlichen  Apothekerkastens.  Der  Maler  Anton  Mozart 
(1333  bis  1620)  aus  xAugsburg,  wo  der  Kunstschrank  auch  angefertigt 
wurde,    ein  Landschafter,    welcher  sich    die  flolländer  zum  \\)rbild 


402  3KXiS<S>i0i<S<SS>iSie>S><5tiSS*i<SJ5!   AlIliORIEN   UND    E.MBLEME  äKiKJOtJSätJOiJSiOiSiJSStJOiSiSiSiiC*»-:«!« 


nahm  und  namentlich  Rruci^hcl  imitierte,  hat  sich  zur  Lösunij  seiner 
Autgabe  an  den  damaLs  sehr  \  ulnaren  Spruch  \on  den  drei  Gesich- 
tern  des  Arztes  gehahen: 

Trcs  nicdicus  facics  liabct  unani,  quando  rogatur 
Angclicum,  mox  est  cum  iuvat  ipse  dcus. 
Post  ubi  curato  poscit  sua  pracniia  morbo 
HorriJus  apparct  tcrribilisquc   Sathaii. 

Diese  \'erse  wollen  wir  in  der  deutschen  l'orm  wiedergeben,  in 
der  sie  unter  dem  Portrat  des  Nürnberger  Wundarztes  Jakob  Bau- 
mann stehen  (siehe  Figur  269): 

Der  artzt  dem  Kranken  geordnet  ist, 

Der  darrt'  keins  Artzts,  dem  nichts  gebrist. 

Ein  artzt  aber  drev  angesicht  hat : 

Engelisch  so  er  dem  Kranken  riiat. 

So  sich  bessert  des  Kranken  noth. 

So  sieht  der  artzt  gleich  wie  ein  Gott. 

Wenn  nun  der  artzt  umb  Lohn  anspricht, 

Hat   er  ein  Teuli'lisch  angesicht. 

Das  miniaturahnlich  gemalte  Bild  Mozarts  ist  in  drei  Felder 
geteilt:  aut  dem  ersten  sehen  wir  den  Arzt  bei  einem  bettlägerigen 
Kranken  in  der  bekannten  Pose  des  Harnsehens  und  des  Pulsfühlens; 
aut  dem  zweiten  plaudert  der  mit  Engelsllügeln  versehene  Arzt  mit 
dem  Patienten,  und  eine  Magd  bringt  Wein  herbei;  auf  dem  dritten 
hiilt  die  Ehegattin  mit  Gewalt  ihren  geheilten  Mann  zurück,  damit 
derselbe  nicht  aut  den  Doktor  mit  geballter  P'aust  losgehe.  Der 
Arzt  selbst  mit  Teufelskrallen  an  den  Füßen  hat  gerade  sein  Honorar 
eingesteckt.  Interessant  ist  die  Ausschmückung  des  Ganzen.  Über 
dem  Bau  erhebt  sich  ein  (jiebel,  au!  dessen  einer  Ecke  Apollo,  auf 
dessen  anderer  Asklepios  thront,  Hund  und  Hahn  ihm  zur  Seite. 
Im  Giebeldreieck  sitzt  Ilvgicia  mul  l^anacee,  die  'l'ochter  des  Äskulap. 
Auch  der  Hintergrund  wirll  ein  ijutes  Licht  aut  des  Malers  histo- 
rische  Kenntnisse.  Auf  der  linken  Seite  sehen  wir  den  trojanischen 
Krieg  und  das  trojanische  Pferd;  mehr  im  \'ordergrunde  beschäftigt 
sich  Machaon  nn't  einem  verwundeten  Ciriechen.  Aul  der  .mderen 
Seite  wollte  der  Maler  den  RegritT   der   inneren   .Medizin   verkörpern 


scsjCtißißiOiSiiOijßStStSiJCiiliißiOiJOiiKiOtJK  Die  Gesichter  des  Arztes  -CiiKäKieiiSiCiiSiKJOtiKiKiCiSiiSiOiJCS  463 


und  hat  dies  in  der  Weise  getan,  daß  wir  einen  apothekerartigen 
Laden  sehen,    vor  dessen  Tür  ein  Arzt    mit    einem   Uringhise  stellt. 

Der  vergoldete  Rahmen  des  kleinen  Kunstwerkes  ist  mit  lim- 
blemen  der  Heilkunst  geschmiickt.  Wir  sehen  in  hunter  Keihentolge 
Heilkräuter,  Destillierapparate,  chirurgische  Instrumente  usw.  in  reicher 
Abwechslung  (siehe  Figur  270). 

Die  Kehrseite  der  Platte  trägt  ein  Bildnis,  welches  man  als 
allegorische   Darstellung    des  Wertes    der  Anatomie    auftassen    kann. 


ifa-anrimframuhioierinKill    'Är(Wtf(hii»roi-Wjr!itmrail/tTsttJnft 
<tm«mm>ggr«cm86>fraiiHrrujt.3<tto-on^5ujrOf($  oipfiiSt^ 


Adi^ff-n/-  /■  7ieiit!.Jt'  l laus. 

Fig.  269.     Kupferstich  \o\\  Solis  (1556). 

Der  humanistisch  gebildete  Maler  hat  seinen  \'orwurf  wiederum  dem 
griechischen  Sagenkreise  entnommen:  Die  Abderiten,  die  Schildbürger 
der  Antike,  halten  den  Demokritos  tür  verrückt,  da  er  durch  Vivi- 
sektion und  anatomische  Tierstudien  das  Geheimnis  der  Natur  zu 
ergründen  bestrebt  ist.  Der  von  den  aufgeregten  Abderiten  herbei- 
geholte Hippokrates  klärt  sie  über  ihren  Irrtum  auf  (siehe  Figur  271). 
In  der  Karikatur  und  Satire  besprechen  wir  (S.  1S9  bis  196) 
genauer  die  vielfachen  Serien  von  Kupfern,  welche  sich  mit  den  drei 


464  JCiiJiiiiiöSiieiJOtiCiiCiJOtStsssiSiSiiyi  Allegorien  und  Emblem  i  !e!iOtJ5!S<iOtißiO!ä!JO>j«i5ii5iK!vitiKij>J>iS!»t 

oder  vier  Gesichtern  des  Ar/tes    Gott,    Engel,    Mensch.    Teulel   be- 
schäftigen*).    Wir  sahen   da.    wie    die   Sittenschilderer    und    Moral- 


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richtcr  einen  volksluinhchen  .SiolF  im  Geschmack  der  /eil  zugerichtet 
haben.     Wir    bringen    hier   durch    das    gütige  lintgegenkonimeii   des 

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*)  Siehe   in   erster  Linie    die   ausführliche  I'uljHUation    von  (".  E.  Daniels,    Doctcurs  et 
malades.     Janus  1900. 


SKiKiKäiiKäKJKiKäSäSiKSKiCSäKiCiJOsSKiKiK   DiF.  GESICHTER  DES  Akztes   !KS><C>:<5>S!i0i!C>.<5<C*.iC>O:<SJ0>Si<K!S  465 


Besitzers,    des    [.ehns^rakn   Reedtz-Tholh   in  Ivopeiihat^cii,    die    \ier 
Gemälde    eines    unbekannten   Holländers,    welcher   eindrucksvedl    die 


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Sentenz  bearbeitete.  Die  Zweiteilung  der  Gemälde  ist  beibehalten  und 
die  Mitte  nimmt  die  wechselnde  Gestalt  des  Arztes  ein.  Wenn  wir 
uns  nach  der  Kleidung  des  Arzt-Menschen  richten,  so  muß  die  Bilder- 

Holländer,   Die  .Medizin  in  der  klassischen   Maleiei.     2.  Aullage.  .>'' 


466  JOfStSüiSSSJSieiJSJCiiSiSiiKSiSiiiSJS  ALLh^OKIEN   UND    E.MBLEME  -KiCüKSiSiSüJiiKiKiOiSSiOiSüKiCiiKiKatSK 

iolgc  um  1620  cnislaiuicn  sein.  Realistisch  uiul  niil  großer  Sach- 
kenntnis ist  die  rechte  chirurgische  Seite  der  Cjeniälde  gestellt.  Da 
sieht  man  die  SchienenhehandhniL;  eines  l^omphzierten  Beinhruchs, 
von  dessen  l-.inrenkiinL;  und  \'erhandai;ierui\i;  an  his  zinii  ersten  Aut- 
treten imd  endi;ühi,i;en  Aulstaniplen  bei  der  X'orweisuni;  der  Rech- 
nung. Die  N'orderszene  ist  erltilh  mit  (iebrauchsgegenständen  des 
Ar/tes  und  des  (diirurgen.  Die  Parteinahme  des  Künstlers  wird  auf 
(.ieni  letzten  (iemalde  otlensichtlich.  Zu  l-"üLk'n  des  Teutelarztes  neben 
der  zertrümmerten  l-Jasche  liegen  autgeschlagene  Bücher,  aus  denen 
uns  die  berühmten  Worte  des  Jesus  Sirach  entgegenleuchten;  aut 
dem   letzten   Blatt  aber  steht  als  äußerste  Mahntmg   an   uns  alle: 

\'ita  brevis  ars  vero  longa. 


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SCHLUSSWORT 


ic  erneute  DiircharbeitunL;  dieses  gemalten  Materials  hat 
mich  von  neuem  gelehrt,  Jaß  dieser  Stoff  keine  streni;e 
wissenschaftliche  Ikarbeitung  erlaubt.  Diese  mediko-kunst- 
historischen  l-'rüchte  sind  eben  nur  schmackhaftes  Dessert  und  für 
Leute,  die  nur  Hausmannskost  lieben  und  eine  gründliche  Inanspruch- 
nahme ihrer  \eL;etativen  Organe,  nicht  empfehlenswert.  Trotz  ihrer 
Lückenhaftigkeit  aber  sind  diese  Studien  geeignet,  vor  allem  dem 
Lehrer  der  Medizingesclhchte  geeignete  Unterlagen  zu  geben.  Ge- 
legentlich kann  auch  die  (jeschichte  der  Medizin  selbst  Anregung 
und  Nutzen  aus  ihnen  ziehen.  Bei  dieser  X'erbrüderung  von  Medizin 
und  Kunst  ist  aber  der  Arzt,  der  Naturforscher  der  empfangende 
Teil,  und  der  Künstler  der  gebende.  Denn  wenn  auch  wirklich 
einmal  die  Kunstgeschichte  durch  die  L'achkenntnisse  des  Arztes 
über  das  eine  oder  andere  Cjemälde  zu  einer  anderen  Auffassung 
oder  auch  zur  richtigen  Bewertung  kommt,  so  interessiert  sich  be- 
kanntermaik'ii  im  allgemeinen  der  Künstler  und  die  Kunstgeschichte 
ja  viel  mehr  für  die  Behandlung  des  Stoffes  als  für  den  Stofi  selbst. 
Eine  Schwäche  und  ein  \'orzug  unseres  Lhemas  zu  gleicher  Zeit  ist 
die  fehlende  Abgeschlossenheit.  Wer  sich  einmal  in  den  Gegen- 
stand vertieft  hat,  wird  selbst  zum  Sanniiler  und  sucht  die  Lücken 
durch  eigene  l'unde  auszufüllen. 

In  dieser  Gemeinschaft  braucht  der  Arzt  sich  nicht  über  Gebühr 
gedrückt  zu  fühlen,  denn  wir  sahen  schon,  dal.^  die  Lehre  von 
der  Kunstanatomie  ein  Geschenk  der  natin'lorschenden  Ärzte  für 
die  Maler  gewesen  ist.  Und  vergessen  wir  auch  nicht,  daß  die 
Medizin  schon  seit  Jahrhunderten  Auftraggeber  und  Abnehmer 
von  Kunstleistungen  war.  Die  Chirurgen  und  namentlich  die 
Anatomen  haben  zur  Ausgestaltung  ihrer  Werke  der  Mitarbeit  von 
Künstlern   bedurft.     Oftmals   haben  sich  Arzt  und  ALiler  zu  gemein- 


468  3K?S!Ct!Ci!S5iC>>SiS<S»><KiC>JKiK!5iS<C!!Sii"<SSii5  ScHLUSSWORT  äJSJSSiiK'CiiSiSiKiCSjSiß'CiiSSiißJCiiOi'OiSiiKJC^iCSSiiS 

schatllichcr  Arbeit  vci'cini^t.  Ich  erinnere  nur  an  die  Namen  l.ionardo 
da  \'inei  und  Antonio  della  l'orre,  Steplianus  \an  Clalcar  und 
X'esalius.  Cierard  I.airesse  und  RidK>ii,  Jan  W'andelaar  und  Albinus. 
Allerdini;s  darf  nicht  verschwiegen  werden,  daß  bei  dieser  X'ereinii^ung 
der  ärztHche  Konipaunon  meistens  un/ulrieden  war.  Am  bekanntesten 
ist  X'esals  Beschwerde  darüber,  dal.^  die  Künstler  die  Wünsche  der 
Zergliederer  nicht  restlos  erlüllten.  Doch  auch  Albinus,  Morgagni 
und  llaller  klagten  über  die  un/ulängliche  Zeichenkunst  ihrer  Mit- 
arbeiter. Da  dart  es  dann  nicht  wundernehmen,  daß  die  Ärzte  selbst 
den  \'ersuch  wagten,  den  Zeichenstilt  in  die  Hand  zu  nehmen,  um 
ihre  Gedanken  selbst  zu  interpretieren.  Der  eine  oder  der  andere, 
ich  denke  dabei  in  erster  Linie  an  den  großen  hollandischen  Land- 
schalter Ku\sdael,  entdeckte  dabei  seine  große  Ivunst  und  wurde 
.\Liler.  Andere  wieder  benutzten  ihre  Mußestunden,  um  sich  in 
irgendeinem  Zweii^e  der  bildenden  Kunst  so  zu  tördern,  dal.^  sie  als 
Radierer  oder  Plastiker  und  Maler  Anerk'ennenswertes  nebenher 
leisteten.  Hs  wäre  imrecht,  wollte  ich  mich  an  dieser  .Stelle  nicht 
des  tielen  liindrucks  erinnern,  den  die  von  i'aul  Ixiclier  mit  großem 
Künstlertum  geschatlenen  Llalcetten  aiü  dem  diesjährigen  internatio- 
nalen Londoner  Kongreß  aul  mich  gemacht  haben.  Wenn  man  die 
Zeichnungen  Richers  betrachtet,  die  er  \on  dun  llvsterischen  lür  die 
Monographie  »Les  Deiuoniaques  dans  l'art«  iiSMy  entworten  hat,  so 
bedeuten  die  zahlreichen  Schoptungen  des  Pariser  Künstlerarztes  nur 
die   meisterhalte   \'ollendung   seiner  damaligen   Versprechungen. 

In  der  .Mehrzahl  aber  gediehen  die  Talente  der  .\rzte  nicht  zu 
solcher  Hohe.  \'iele  begnügten  sich  mit  deiu  Ruhm,  ihre  eigenen 
Werke  illustriert  zu  haben.  Zunächst  wundert  man  sich  \ielleiclu 
über  die  Häuligkeit  dieser  gleichzeitigen  \'eranlagung .  wie  darüber 
auch,  daß  .St.  Lukas  Arzt  und  Kunstler  war.  Hei  näherer  J3etrach- 
tung  aber  ergibt  sich,  daß  eine  der  hauptsächlichsten  Eigenschalten 
des  Arztes  die  Beobachtungskunst  ist  und  das  richtige  Sehen.  Nur 
technische  Ausbildung  braucht  hinzuzukoiumen,  luii  das  nach  Kaimi 
imd  i'arbe  l^rfaßte  nachzubilden.  So  ist  es  verständlich,  dal,^  die 
meisten   Lehrer  der  .Medizin   diese  Kunst  ausüben. 


SKJSiSJßSiKSiOiissssiSiiSiSSiJO'JO'iCiiS'OiiSijOtSiiCiiOi  Schlusswort  iSiSSiSiJCiißißSiJCitssiSS'StJSSiSiißisSi'CiSi  469 


^^^  A.  Freund  hat  an  mehreren  Stellen*)  clarauf  liingewiesen, 
daß  ein  Lehrer  der  Medizin,  welcher  die  Zeichenkunst  nicht 
beherrsche,  eines  der  wirksamsten  .Mittel  entbehre,  seine  Lehren 
dem  Scluder  eindringlich  zu  machen.  In  einer  Zeit,  in  welcher  der 
Anschauungsunterricht  Triumphe  feiert  und  hoffentlich  noch  erheb- 
lich gesteigerten  entgegengeht,  ist  es  übertlüssig,  hierüber  weiter  zu 
diskutieren.  Der  Kuriosität  halber  aber  bringen  wir  als  Illustration 
des  umgekehrten  \'erhältnisses  an  dieser  Stelle  eine  Zeichnung  des 
Altmeisters  Albrecht  Dürer,  welcher  seine  Zeichenkunst  dazu  benutzte, 
dem  lernen  Arzte  seine  Krankheit  zu  beschreiben.  «Do  der  gelb 
tieck  ist  und  mit  dem  tinger  daruft  deutt,  do  ist  mir  we«  (siehe 
Figur  272). 

Lin  Durchblättern  unseres  Bildermaterials  lehrt  uns,  daß  der 
größte  Teil  desselben  holländisch-flämischen  Ursprungs  ist.  Die 
Holländer  sind  die  ALder  der  Medizin.  Ohne  sie  würde  dieses 
Buch  nur  eine  tadenscheinige  Lxistenz  führen.  Die  Maler  jenes 
niederdeutschen  \'olksstamnies  wuchsen  aus  sich  heraus  zu  den 
Porträtisten  der  .Medizin.  Lnd  was  sind  diese  .Maler,  die  mit  größerer 
\'orliebe  als  andere  Künstler  medizinische  Sujets  malten  ,  anderes, 
als  die  Realisten  des  täglichen  Lebens,  Künstler,  die  ihren  Stoff  in 
dem  Panorama  des  Tages  fanden  und  lebendige  Freude  und  Leid 
nfft  philosophischem  Beigeschmack,  aber  sonst  unautgeputzt  auf  die 
Leinwand  warfen:  Diese  herbe,  oft  derbe  Kunst  wurzelte  in  dem 
Bauernsinn  und  Bauerngemüt,  das  von  Erdgeist  und  kirdduft  erfüllt 
ist.  Und  inmitten  des  W'eltgetriebes  blieb  man  originell  und  original, 
wie  vielleicht  nur  noch  die  Inselkunst  der  Japaner.  Lrst  als  die 
niederdeutschen  Bauern  sich  vom  blauen  Hinnnel  Italiens  bräunen 
ließen,  verloren  sie  mit  der  frischen  Farbe  der  See  ihren  großen 
Stil,  und  die  welsche  Schminke  verdarb  die  Reinheit  des  Charakters 
und  des  Könnens.  Und  in  diesem  Lande,  in  dem  die  künstlerische 
Befähigung  beinahe  einseitig  in  der  Richtung  der  .\Lderei  sich  ent- 
wickelt   hatte,    fehlten    die   großen  .Auttraggeber,    Fhron    und  Altar. 


*)  W.  A.  Freund,   Zeichnen  und  Medizin,    Kntalog  zur  .Ausstellung  der  Geschichte  der 
Medizin  in  Kunst  und  Kunsthandwerk.     Ferdinand  Enke,  Stuttgart,   igo6. 


4/0  ißSiStJS!Ci>55<S<ß>ßi«iC!<SSS<SS!JKie>«>!ß!0tSCS  ScHLUSSWOK T  ißi«!C>J>:«!CiS?!>*SS?SS<KiC«iSSi!e!St<ß!SJSS>S!!OiiS 


St)  malte  man  denn  keine  Histciricn  in  [irahlcrisoli  frisierter  Pose, 
man  malte  aueli  keine  Madonnen,  sondern  sieh  sellxst  mit  Weib  nnd 
Kind.  Und  deshalb  sind  auch  gerade  diese  hollandisehen  Xatnra- 
listen  tiir  uns  so  wertvoll,  weil  sie,  wenn  sie  sich  gelegentlich  mit 
medizinischen  Sujets  beschättigen,  uns  auch  wirklichen  1*linblick'  ver- 
schallen  in   zeitgent'issische  \'erhaltnisse. 

Aus  diesen  inneren  (jründen  ist  es  verständlich,  daß  die  Ahilerei 
aller  Schulen  und  selbst  auch  die  der  ln)lländischen  uns  vollkonnnen 
schuldig  geblieben  ist  dasjenige,  was  man  an  erster  Stelle  in  einer 
Sannnlung  dieser  Art  erwarten  sollte :  das  medizinische  Historien- 
bild. Kaum  ein  größeres  Werk  konnten  wir  vortühren,  welches 
irgendeinen  tür  unsere  Kunst  wichtigen  Moment  im  Bilde  testhält. 
Xur  das  Material  zu  solchem  liegt  an  den  verschiedenen  Stellen 
versteckt.  .Man  muß  es  sich  zusanmiensuchen.  l:rst  in  neuerer 
Zeit  bemerkt  man  den  \'ersuch  des  medizinischen  Historienbildes 
im  akademischen  Sinne;  das  bisher  latente  Ik'dürlnis  tritt  in  |-r- 
scheinung,  berühmt  gewordene  1-ntdeckungen ,  das  Auftreten  einer 
großen  Persönlichkeit  und  irgendwelche  Wendepunkte  in  unserer 
Geschichte  monumental  zu  verewigen.  Ich  erinnere  nur  an  die  ver- 
schiedenen X'ersuche  Hannemans.  Die  Unternehmung  des  Malers,  mit 
Rembrandts  Anatomie  in  Konkurrenz  zu  treten,  erscheint  von  vorn- 
herein aussichtslos,  aber  er  leistete  hierbei  .Anerkennenswertes,  wäh- 
rend sein  (lemälde  ».Ambroise  Pare«  langweilig  und  minderwertig  ist. 
Dasselbe  gilt  von  einem  als  Stahlstich  in  Paigland  verbreiteten  Bilde 
von  llenrv  Lemon,  welcher  den  .Moment  der  Demonstration  der  Blut- 
zirkulation vor  Karl  I.  von  Ungland  durch  Ilarvev  schildert.  \'on 
solchen  schwächlichen  \'ersuchen  gibt  es  noch  mehrere,  namentlich 
vom  Ende  des   \origen  Jahrhunderts. 

Und  doch  wäre  es  ein  schöner  (iedanke,  wenn  wir  ein  der 
Medizin  geweihtes  Haus  mit  Wandgemälden  schmücken  könnten, 
welche  in  großen  Zügen  die  Hntwicklungsgeschichte  unserer  Kunst 
und  unseres  Standes  zeigten.  Die  Schwierigkeit  einer  solchen  bild- 
lichen Rekonstruktion  ist  nicht  zu  unterschätzen.  Der  künstlerischen 
Lizenz  dürfte  nur  geringster  Spielraum  gewährt  werden  und  Kanonen 


JÖSiiSiX^SXICiSiiCiiSiCiiSJSiKißiSißiSiSiJOiiOiSiißiKiK  ScHLUSSWORT  JKSSSiißiKiliiOiSiStiOiSiiOiJCiiiSiSiCiöiJOiJCiSiJS  47  1 


dürten    hier    keine    prophetische    Rolle    spielen    wie    in    Shakespeares 
Heinrich  I\\ 

In  einer  hügeligen  Landschaft,  am  Rande  eines  Lanhwaldes  mit 
weitem  Blick  auf  eine  Ebene  zei^t  die  Staflage  einen  Hinblick  in 
prähistorische  Medizin.    In  der  1-erne  sieht  man  die  llüchtigen  l-'einde. 


k-iii 


Bremer  Kiittslli.illr . 

Fig.  272.    Zeichnerischer  Krankheitsbericin  Albrecht  Dürers  .in  seinen  Arzt. 


Der  listige  Anschlag  war  mißglückt.  Der  Raub  von  Vieh  oder  Weib 
ist  glücklich  verhindert,  aber  der  Hüter  seines  Feuerherdes  liegt  be- 
wußtlos am  Boden.  Er  atmet  noch;  sein  Weib  horcht  bang  an 
seiner  Brust  auf  den  Schlag  des  Herzens.  Ein  Medizinmann,  der 
sich  von  den  mit  hellen  bekleideten  Mannern  noch  durch  einen 
besonderen  Kopfputz  auszeichnet,  versucht  die  schwere  Schädelver- 


472  äKJKStieiJSiKieiiOi'ttiSißJKiOiSiJSJOiJßi^-iSJKi«  ScHLUSS\VORT  äKißSiiKSiSiäKSSiOiiOtietiliSiiCSiKäKiCSiKäßiOiäKäOiStiK 


letzung,  die  die  Steinaxt  des  Gegners  geschlagen,  mit  langen  spitzen 
Steininstruinenten  /u  lieben  und  mit  kaltem,  dem  Quell  entnom- 
menem  ^\'asser  die  Blutung  zu   stillen. 

Das  nächste  Bild  tührt  uns  in  das  Innere  des  alten  Tempels 
Epidaurcis.  Wir  sind  im  Heiligsten.  Aufgestellte  Dreifüße  mit 
loderndem  l-'euer  beleuchten  den  weißlichgelbL'U  Marmor,  und  die 
Keilexe  spielen  an  den  gtddenen  Zieraten  der  (iold-1'lfenbein-Statue 
des  Ileilgottes.  Aul  den  feilen  Irisch  geschlachteter  Widder  lagern 
in  Decken  gehüllt  die  llergereisten.  Eine  stumme  Schwüle  drückt  die 
Schlalenden  nieder.  \'on  der  Seite  naht  sich,  durch  die  Schlafenden 
und  sich  schlalend  Stellenden  lautlos  einherschreitend,  der  Priester  in 
Begleitung  der  die  Asklepiostochter  darstellenden  l'riesterinnen.  I*ane 
Dienerin  ist  gerade  damit  beschättigt,  aul  einen  seitlich  stehenden 
Dreituß  Irisches  Brennmaterial   zu   legen. 

Inn  solches  Askle[iieion  ist  aut  dem  nächsten  13ilde  der  Hinter- 
grund der  blauen  Insellandschalt  \on  Kos.  Im  Vordergrunde  haben 
sich  im  Kreise  um  einen  älteren  bärtigen  Mann  jüngere  gelagert, 
die  den  \\\)rten  des  Ilippokrates  lauschen.  Eine  Platane  gibt  dem 
Kreise  Schatten.  Die  marmorne  Bank,  aut  welcher  der  Sitzende 
seine  Weisheit  vorträgt,  lehnt  sich  an  einen  Hügel.  Ihr  Abschluß 
ist  eine  glatte  Tatel,  aus  deren  Mitte  ein  Löwenkopit  QuelKvasser 
hervorspritzt.  Das  Äußere  der  dem  Meister  mit  gespannter  Aut- 
merksand<eit  folgenden  Zuhorerzahl  zeigt  ein  Xationalitätengemisch ; 
denn  \-on  allen  Seiten  kamen  auch  schon  ergraute  Arzte,  um  den 
Worten   des   Koers  zu   lauschen. 

Zwei  kleinere  Zwischenbilder  lühren  uns  in  das  Agvpterland. 
Wir  betrachten  einen  Schreiber,  der  mit  gekreuzten  Beinen  sitzend 
auf  eine  Pap\rusrolle  medizinische  Weisheit  kopiiert.  Die  Priimerung 
an  den  anatomischen  llochstand  der  alexandrinischen  Schule  des 
Ilierophilus  soll  ein  demälde  festhalten,  auf  dem  dargestellt  wird,  wie 
ägvptische  Kultusbeamte  mit  der  Präj-iaration  und  der  l;.inbalsamie- 
rung  von  Leichen  beschäftigt  sind.  Aul  einem  Schemel  sitzend, 
die  Hand  sinnend  an  das  Kinn  gelegt,  schaut  ein  älterer  (jclehrter, 
sagen    wir    l:rasistratus,    mit   tiefer    Innerlichlait    dem   X'organge    zu. 


Delphi.  —  Orihasius,  der  Pcrganicncr,  Leibarzt  und  l'reund  des 
Julianus  Aj-iostata,  steht  auf  den  Stuten  des  im  \'ertaU  begriffenen 
Apollotenipels.  Die  letzte  Priesterin  der  Pxthia  weist  den  (jesandten 
des  Kaisers  mit  traurig  ablehnender  Cieste  zurück.  Der  antike  (iral 
hat  seine  Leuchtkraft  verloren.  Das  delphische  Orakel  ist  für  alle 
Zeiten  verstummt. 

In  ganz  veränderte  Gewänder  kleidet  sich  von  jetzt  ab  die 
.Medizin.  Der  Irühe  katholische  Klerus,  der  das  ungeheure 
Lrbe  des  römischen  l^ciches  gerite  in  sich  autgenommen,  pilegt 
auch  die  Tradition  der  romischen  lleilkunst.  Im  Schatten  eines 
Klosterhotes  versammeln  sich  die  Kranken  der  Umgebung.  Man 
sieht  in  eine  geöffnete  Klosterzelle,  in  der  ein  gelehrter  Mönch, 
umgeben  von  allerlei  getrockneten  Ptlanzen  und  Kräutern,  Medizin 
bereitet. 

Der  Glanz  der  arabischen  Heilkunde  aber  läßt  sich  nicht  deut- 
licher svmbolisieren,  wie  \'ielleicht  durch  folgende  Darstellung.  Lin 
arabisch-jüdischer  Arzt  tritt  an  die  Lagerstätte  eines  erkrankten  Papstes 
oder  hohen  geistlichen  Würdenträgers,  prüft  die  soeben  gereichten 
Speisen  und  tühlt  mit  nachdenklicher  Miene  des  Lrkrankten  Puls. 
Li  der  anderen  Hand  hält  er  das  Uringlas.  Auf  dem  l'isch  liegt 
aufgeschlagen   mit  ALniaturen   \ersehen   der  Kanon  des  Avicenna. 

Das  nächste  Bild  führt  uns  die  berühmte  erste  Medizinschule 
des  xA.bendlandes  vor,  die  Schide  von  Salem.  In  einem  leeren, 
ungeschmückten,  hallenartigen  Raum  mit  kleinen  hochgelegenen 
Fenstern  sitzt  vor  einer  Anzahl  verschiedenartig  gekleideter  Zu- 
hörer, die  meistens  aber  priesterliche  Gewandung  zeigen,  auch 
einige  Frauen  sind  darunter,  gravitätisch  der  Lehrer.  Rein  theore- 
tisch,  ohne  jegliche  Anschauung   verläuft  der  Unterricht. 

Lin  großes  Hauptgemälde,  die  Renaissance  der  Anatomie,  wird 
flankiert  von  zwei  Seitenflügeln.  Auf  dem  einen  sehen  wir  den 
jugendlichen  Lionardo  da  \'inci  damit  beschättigt,  bei  Kerzenlicht 
im  Keller  heimlich  die  Gefäßversorgung  des  Körpers  zu  studieren. 
In  der  .Mitte  dagegen,  in  Anlehnung  an  eines  der  Anatomiegemälde, 
den  'l'riumph   der  menschlichen  Zergliederungskunst,  eine  öffentliche 


474  JKJSSiiöißiCtJSStSiiJOtJSJßSiiKiJiJßiSiSiKJKSK  ScHLUSSWORT  »iiO'SiiCtSiJSiöißiCiJSSiiS^iSiSSiSiJOiiJiiKiiS-SiSiiSiK 


Sektion.     Der   andere    I-lügcl    zeigt    die   große    Hntdeclumg   William 
llarvevs  über  die  Bewegung  des  Herzens  und   des  Blutes. 

Die  folgende  Zeit  ist  schwer  in  umgrenzte  Allegorien  hinein- 
zupressen, da  sich  die  großen  Hreignisse  zusammendrängen  und 
beinahe  ein  jegliches  nach  monumentaler  \'erewigung  verlangt. 
Galileo  Galilei,  der  bjitdecker  der  ballgesetze,  die  Erlindung  des 
Mikroskops  durch  die  beiden  Janssen,  die  \'er\-ollkommnung  dieses 
tür  die  Medizin  so  lebenswichtigen  Instrumentes  durch  Kornelius 
Drebbel  und  andere  wichtige  Daten  zur  Geschichte  der  exakten 
Naturwissenschatten  lassen  sich  vielleicht  am  besten  durch  den  her- 
vorragenden Delfter  Anthon\-  van  I.eeuwenhoek  charakterisieren,  wie 
er  die  Infusionstierchen  zum  ersten  Male  zur  Darstellung  bringt. 
Die  N'ernnitungen  des  Athanasius  Kircher  \on  den  kleinsten  Lebe- 
wesen in  der  Luit  als  Krankheitserreger  bekamen  so  einen  einiger- 
maßen realen  Boden  und  damit  wurde  das  erste  Samenkörnchen 
gepflanzt,  das  in  unseren  Tagen  den  Mikrokosmus  der  Bakteriologie 
zu  solch   universeller  Bedeutung  auswachsen   ließ. 

Der  zunächst  durch  die  Retormatit)n  der  Anatomie  belruchtete 
Teil  war  die  Chirurgie,  und  es  gilt,  besser  wie  das  llanneman  aut 
seinem  langweiligen  Gemälde  gelungen  ist,  die  großen  \'erdienste 
des  Ambroise  Pare  zu  illustrieren.  Ihn,  den  N'esalius  der  C^hirurgie, 
sehen  wir  am  besten  bei  der  Auslührung  einer  seiner  wichtigsten 
Taten,  der  Ligatur  eines  großen  (jetäßes  inmitten  eines  K'riegsver- 
bandplatzes.  Gehillen  mögen  nu't  \'erbänden  und  Begießung  der 
frischen  Wunden  mit  t)l  oder  mit  Ausbrennen  derselben  beschättigt 
dargestellt  werden.  Das  letzte  Bild  zeigt  uns  Albrecht  \'on  Ilaller, 
den  genialen  PoKhistor,  nicht  als  Anatom  oder  Lx|ierimentalor,  nicht 
als  ]-"örderer  der  pathologischen  Anatomie,  sondern  als  den  modernen 
Wissenschaftler,  als  Begründer  der  Sozietät  der  Wissenschalten  in- 
mitten einer  Sitzung,  in  welciier  er  vielleicht  die  Muskelirritabilität 
auseinandersetzt. 

Natürlich  haben  diese  Bilderbogen  aus  der  (ieschichte  der 
Medizin  keinen  ernstlichen  didaktischen  Wert,  sondern  sie  nn)gen 
nur    gelten    als    Siegestrophäen    und    als    die    k'antaren    gewonnener 


Sl!iS!C!Si»-X>!C>Si!CSS>S>!5<K!0iJi>iSS>!S!SS!!<5!!KSi!K  Si  III  L  ss\vi  uri  iO'iKißiOiiSiOiißSiSiSiJOiiSiKSsSS'^iKißKXJßSi  475 


Schlachten,  mit  denen  man  ein  liohes  Haus  sclimückt.  Diese 
Schhichten  i^ahen  den  Feinden  der  Menschheit,  und  L;e\vc)nnen 
wurden  sie  ausschhelMich  mit  den  W'atien  des  Geistes,  der  W'issen- 
schatt  imd  des  (reien  Studiums.  Und  wenn  wir  uns  so  die  obere 
Halle  geschmückt  denken,  so  zieht  sich  unter  diesen  Ciemälden  ein 
Band  von  Darstellungen,  welches  die  Geschichte  der  Krankheiten 
zur  Darstellung  bringt.  Denn  die  (beschichte  der  Medizin  ist  ja 
nicht  nur  die  (beschichte  unseres  Standes  und  unserer  Wissenschatt, 
sondern  auch  die  historische  Betrachtung  der  Krankheitserscheinungen. 
Insofern  sind  wir  hierbei  günstiger  gestellt,  als  uns  die  Vorlagen 
tür  diese  Darstellung  reichlicher  lliel.W'ii. 

Das  massenhafte  Dahinsterben  diu'ch  den  Würgengel,  die  Pest, 
hat  zu  allen  Zeiten  die  Künstler  zu  dramatischer  Gestaltung  be- 
geistert. Ich  erinnere  nur  an  die  turbulenten  Szenen,  die  auch 
mehrfach  malerisch  geschildert  sind,  beim  Ausbruch  der  Pest  wäh- 
rend eines  Freudenfestes  im  alten  Hellas.  Oder  man  halte  sich  an 
die  Schilderungen  Boccaccios  von  der  Florentiner  Pest  und  benutze 
vielleicht  die  bekannte  Radierung  Sabatellis  als  Vorlage. 

Diesen  immerhin  dramatischen  Szenen  gegenüber  ist  die  Ge- 
staltung der  beiden  großen  chronischen  Frkrankungen,  der  Fepra 
und  der  Fues,  von  einer  gröLk'ren  inneren  Schwierigkeit.  Den  Aus- 
satz denke  ich  mir  vielleicht  mehr  allegorisch  autgetaßt.  Durch  eine 
öde  Winterlandschaft  schreitet  im  Pilgergewand  ein  Mann  im  tvpi- 
schen  Kleide  der  Aussätzigen.  Sein  (Besicht  zeigt  einige  der  charak- 
teristischen Merkmale,  so  vor  allem  die  lepröse  Verdickung  der 
Stirngegend  und  das  Fehlen  der  Augenbrauen.  In  seiner  Rechten 
schwingt  er  die  Klapper.  Hinter  ihm  kraucht  ein  gleichfalls  lepröses 
Weib,  welches  im  Bettelsack  allerlei  Kram  mitschleppt.  Als 
Pendant  hierzu  muß  die  Fues  erscheinen.  Da  schwebt  mir  immer 
ein  grandios  gemalter  Baseler  Fntwurf  des  Nikolaus  Manuel  Deutsch 
als  \'orbild  vor  x^ugen ,  der  als  allegorischer  Hinweis  auf  die 
Fustseuche  von  mir  aufgefaßt  wird,  ohne  daß  ich  dafür  aber  kunst- 
historische Beweise  habe.  Eine  dralle  Troßdirne  wird  von  einem 
Skelett,  um  dessen  Knochen  die  Tracht  eines  Fandsknechtes  schlottert. 


476  jCtiCiStJSiSJSiOiStSiStJßStiSiSJßiCssiSiiSißiK  Schlusswort  ssiOiKss-jSjßiSiK'ö'e'issiiKSKiSissif-sstJSSiiOiiß!?! 


umarmt  und  unzüchtii;  berührt,  ^^'ill  man  aber  eine  realistischere 
Darstellung,  so  möge  der  Künstler  eine  Szene  aus  einer  deutschen 
l^adestube  malen,  wie  sie  \'irgil  Solls  radiert  hat.  Als  Hinweis  auf 
die  große  Ubertragungsmöglichkeit  in  diesen  eigentlich  der  Gesund- 
heitspflege gewidmeten  \'olksanstahen  zeige  man,  wie  an  einem  im 
Vordergrund  von  einem  Badermeister  gerade  geschniptten  Manne 
die  deutlichen  /eichen  der  Seuche  vorhanden  sind.  Die  \'ielzahl 
der  geistigen  hipidemien ,  den  I^egrill  der  dämonischen  Krankheit 
illustriert  eine  Hexenverbrennung.  \on  einer  \'olksmenge  umgeben, 
deren  (iesichter  klassische  Beispiele  der  in  der  Tiefe  der  Seele  meist 
verborgenen  Bosheiten  autweisen,  eine  Mischung  von  Sadismus, 
Blutgier  und  verrohter  Neugier,  krünmit  sich  aut  einem  Holzstoß 
ein  junges  Weib,  an  einen  Ptahl  gebunden.  Hben  wollen  Henkers- 
knechte in  Anwesenheit  der  (ieistlichkeit  und  aul  ihren  Belehl  heuer 
anlegen,  als  Johann  W'ever,  der  Leibarzt  des  Herzogs  Wilhelm  von 
jülich-Kleve-Berg,  zu  der  unschuldig  Leidenden  \ordringt  und  luit 
seinem  Getolge  die  der  Zauberei  und  teullischen  (lemeinschalt  Be- 
schuldigte betreit.  Will  man  noch  die  neueren  Krankheiten:  Cholera, 
'Luberkulose  und  Karzinom  verewigen,  so  wähle  man  zweckmäßig 
irgendwelche  epochalen  Momente  aus  ihrer  Bekämptung:  Kt)bert 
Koch  in  seiner  denkwürdigen  'Lätigkeit  als  Leiter  der  deutschen 
Cholera-L.\pedition  in  Ag\'pten,  die  physikalische  Untersuchung  einer 
schwindsüchtigen  Xähterin  durch  einen  berühmten  Kliniker  und  die 
Szene  einer  Brustoperation  in  einem  modernen  Operationssaal. 

Die  Anregung  zur  Ausführung  eines  solchen  Gemäldezvklus 
liegt  schon  lange  zurück.  Ls  ist  auch  Aussicht  imd  Hoffnung  vor- 
handen, dal.^  namentlich  einzelne  dieser  N'orschläge  zur  Austührung 
kommen.  Der  vierhundertjahrige  (ieburtslag  des  obenerwähnten 
Johann  \\'e\er  im  Jain'e  1913  wird  \ielleicht  die  äul.k're  N'eranlassung 
sein,  diesem  unerschrockenen  Manne  und  liberalen  ärztlichen  \'or- 
kämpfer  in  der  Nähe  seiner  Heimat  und  'Lätigkeit  ein  farbiges  Denk- 
mal zu  setzen.  Ich  erinnere  auch  gerne  daran,  dal,'»  Lucie  du  Bois 
Reymond  im  kleinen  den  \'ersuch  gemacht  hat,  solche  medizin- 
historische   IJilder    zu    entwerten,    zum    Beispiel    die    erste    Magnet- 


äKXSjSiSi'CiSiJKKXJJiSiJSiSißiSJC^SiiOiiSiSSiJßiOiS'Si  ScHLUSSWORT  SKiCiiSStS'iKiöJKSiiSSiJKJSiK'CiSiSiSiiOtJOtiC«  477 


openuion,  die  Entfernung  eines  F.isensplitters  :ius  dem  Auge  durch 
Fa'oricius  ilildanus,  oder  die  lintdeckung  des  Galvanisnius  und  ähn- 
liche wichtige  und  interessante  Momente  aus  der  är/.tliclien  (jc- 
schichte.  lis  darf  terner  mit  großer  Befriedigung  daraul  hingewiesen 
werden,  daß  Henry  S.  Wellcome  in  seinem  interessanten  und  grol.'. 
angelegten,  eben  erst  ert)llneten  medi/inhistorischen  Museum  in 
London  den  \'ersuch  gemacht  hat,  nach  allerlei  Vorlagen:  Miniaturen, 
Holzschnitten,  antiken  Reliefs  von  Künstlerhand  große  Ölgemälde 
zu  entwerten. 

Wenn  wir  diesen  Anspruch  erheben  und  wenn  vielleicht  auch 
eine  Hoffnung  auf  Wawirklichung  des  Gedankens  besteht,  so  stüt/en 
wir  uns  dabei  auf  die  unleugbare  Tatsache,  daß  unsere  Kunst  und 
unsere  Wissenschaft  eine  solche  Ruhmeshalle  wirklich  verdient. 
Denn  ohne  Zweifel  vermissen  wir  bisher  tür  die  autopternde,  stille 
und  entsagende  Tätigkeit  des  Arztes  sowohl  wie  des  l'orschers  eine 
imposante  und  rauschende  tillentliche  Anerkennung.  Wenn  überall 
die  Staaten  und  Regierungen  die  Arbeitsleistung  des  einzelnen  als 
etwas  Selbstverständliches  nnt  Recht  annehmen,  so  iordern  wir  aut 
der  anderen  Seite  mit  stolzem  Selbstgefühl  eine  weit  sichtbare  Kund- 
gebung für  die  ungeheure  lintwicklung  der  ärztlichen  Kunst,   die  im 

CD  c^  o  •- ' 

letzten  Menschenalter  im  \'erhältnis  mehr  gefordert  wurde,  als  in 
den  letzten  fünfhundert  |ahren.  Wir  iordern  aber  damit  nicht  nur 
für  die  Medizin  ein  Denkmal,  sondern  für  die  Menschheit  übeihaupt. 
Denn  unsere  Kunst  und  Wissenschaft  ist  die  menschlichste  von  allen. 
Von  L'rbeginn  an  bestand  sie,  und  sie  wird  ewig  sein  und  hat  in 
letzter  Linie    als    letztes  Ziel    die  Erkenntnis   des  Guten    und  Rosen. 


JliiviiCiSiSiSiiSStiSiSiOi-OtXSXiJSiSSi-CiSi-OiiKiSiSiSi^ 


VERLAGS 
WERKE 


äiiKiOiiKioisi  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  s>:<>;<oi-c>iSij> 

Plastik  und  Medizin. 

Von  Professor  Dr.  med.  Eugen  Holländer  in  Berlin. 

Mit  1    Tdfcl  und  453  Abbildungen  im  Tcxl.    Hoch  4".    1912. 
Karlonicrt  M.  2S.— ,   elegcint  ocbundcn  M.  30.— 


INHALT:  Allg-emeinc  Einleitungf.    Die 

iiicdi/iiii^clic  Kunslhisloric.  ihre  Bcdculung, 
Aiili^iil)c  uikI  hniwickluiiL;.  —  Spezielle  Ein- 
Icituno-.  Die  Hcili^öiicr  in  der  Mylhenhildunij 
iler  \ei^eliietleiicii  Völker.  —  Griechisch- 
römische  Heiltfötter.  Asitlepios.  sein  üc- 
srhUcht  iiinl seine  Mythen  —  Die  Asidepieien  — 
Das  liildnis  des  I leiliiottes  —  Die  Rundslaluen 
—  Der  Typus  seines  Kopfes  —  Der  thronende 
Gott  —  Seine  Allribule  und  Embleme  —  Der 
Ntibel  —  Der  Sldb  —  Die  Schlange  —  Der 
Hund  —  Die  Ziege  —  Der  Hahn  —  Die  Votiv- 
reliels  und  andere  anaglyphe  Darstellungen 
der  Asklepieien  —  Volivsleine  mit  der  Dar- 
Niellung  der  Opferszene  —  Der  sogenannte 
Krankenbesuch  des  Askicpios  —  Das  Toten- 
mahl —  Andere  Heiloölter  und  Heilddinonen  — 
Telesphorus  —  Hygieia  —  Epione  —  Janiscos 
-  Isis.  Sarapis  und  andere  Heilgotiheiten  — 
Hera-Arlemis-Eilythyia  —  Jesus  Soter.  —  Ex- 
votos.  Antike  Körper-  und  Organdarstel- 
lungen -  Skelett  —  Eingeweide  —  Einge- 
vvcidcsilus  und  -Iraktus  —  Die  ältesten  Dar- 
slcllungen  der  Leber  —  Körperexvoto  aus 
Griechenland  —  Die  Volivopler  gesunder  und 
kranker  GlietlnialJen  aus  neuerer  Zeil.  —  All- 
g'emcine  Körpcrdarstellungcn.  Mode  und 
Künstlerslil  —  Hermaphroditen  —  Adam  und 
\-.\a.  —  Schwansjcrschaft.  Die  Geburisdar 
Stellung.  —  Krankheitsdarstcllunijen.  An- 
tike E.xvotos  mit  Kranklieilsdarslellungen  — 
Brüste  —  Gesichter  —  E.xtremila'ten  —  Augen  —  Genitalien  —  Porträlslatuen  —  Böser 
Blick  und  Buckel  —  Groteskköpfe  —  Masken  —  Zwergenwuchs  —  Bes-Pataikos  —  Ptah  — 
Satyrspiel  und  Komödie  —  Dämonische  Krankheilen.  Alkohol,  Wahnsinn  —  Blindheit  —  Die 
anthropomorphen  allperuanischen  Terrakoüen   —   Verletzungen  und  Verwundungen. 

Instrumentenkasten  und  Schröpfkopf,  die  anfiken  Wahrzeichen  ärztlicher  Kunst 
—  Heilhandlunsj,  Hysjicnc,  Bad  Die  Inkubationsheiligen  und  Patrone  der  Ärzte  — 
Monumente,  Embleme  und  Krankenhausschmuck. 


Asklepioskopf  \on  Ntelos. 


Urteile  der  Presse: 


Da  rlii'  Zi'it  naht,  wo  auch  in  ilcn  Familien  iler  Ai'ztc  Umschau  gehalten  wiirl  iiacji  wertvollen  liiich.in. 
die  ilen  Weihnachtstisch  zu  scliiniicken  f;ecif;"et  sind,  niiichti^  ich  die  .^utnieiUsainUeit  der  Kulleren  auf  ein 
Werk  lenken,  das  wohl  ohne  ('liertieiliunf;  als  eine  der  sc-hönsti-n  literarischen  (lalicn  der  neueren  Zeit  lic- 
zeichnet  werden  darf.  In  diesem  erolianffelefjten  hilderreicln-n  Itnche  sanuiiclt  und  hcschreiljt  HolliindGr  alle 
Bildwerke  ver;;an{jenpr  Zeiten,  welche  auf  die  Medizin  Ue/.uff  halien. 

Unser  kunst;,'ele|irler  Kollege  hat  wohl  als  erster  in  Deutsehland  das  (iveuzKelpiet  zwischen  Kunstfjesehicht« 
und  Medizin  in  .\n^ritf  Kenuninii'u:  und  mit  Hetdit  nennt  ilni  Sud  hoff  ilcn  erfolgreichen  Pionier  auf  dem  Neu- 
lande der  Korschuns.  »o  man  rlie  Geschichte  der  Meilizin  in  ihrer  zahllosen  beziidiuiig  zur  Kunst  kultiviert. 

iJas  uttif.in^reiehe  inedizin-historisclnt  Material  s.uninelti'  Ihdl.inder  in  (IriechenlantI,  Kleinasien  und 
Italien  zum  Teil  mit  Untersiiitzuiiir  des  jireuliisr  lien  Kultministi-riunis. 

Ich  nnichte  hotfen,  dali  in  vielen  I.escrn  die  Lust  ei weckt  wiiil.  die  ausgezeichneten  .Miljüdunseu  zu 
sehen  und  das  Huch  sell.st  zu  studieren,  welches  aiilierurdentlich  anziehend  «i^schrielien  ist  und  mit  seini'n 
zahlreichen  Hinweisen  auf  die  .Tetztzeit  vielfacdi  anregend  wirkt  Der  ganze  Ärztestand  ist  dem  Vi'rfisser  fiii- 
sein  überaus  interessantes  und  inhaltreiches  Werk  zu  groliem  li:inke  v,'r|dliehtet. 

Die  Therapie  der  Gegenwart  1912.    November. 

Selten  liat  es  der  Kritiken'  so  leicht,  wie  liei  diesem  so  rcMcdihaltig  und  w  isseuschaftliidi  ausgestaltiten 
Werk.  Holländer  meistert  den  StolT  wie  wohl  selten  einer  Seine  S|ir.o-he  ist  vorn'lim  und,  ist  es  mal  notif;, 
auch  von  rler  ndligcn  Scharfe.  Samtliche  .MdiildnuKcn  sind  vollendet  sclmn  :  erwaline  iih  noch  den  pracht- 
vollen klaren  Druck  auf  bestem  Pajiier.  so  ergilit  sich  nur  das  eine  Schluiiiuliil :  ..Kin  eisiklassi^es  Werk. 
gleich  wertvoll  für  den  .Mtertumsforscher  wie  für  den  Kultnrhistoriker.  tiir  d.  ii  .\rzt  wie  für  den  reiiildeten 
Laien.'-  Tägliche  Rundschau  Berlin.    1912. 


3KiKs><5is><o>  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Sfuttgart.  s>s>»-s>iKs> 

Die 

Karikatur  und  Satirc  in  der  Medizin. 

Mediko-kunslhistorische  Studie 

von   Professor  Dr.  med.    Eugcn   Holländer   in  Berlin. 

Mit  lü  farbigen  Tafeln  und  223  Abbildungen  im  Text.    Kart.  M.  24.—  Eleg.geb.  M.27.— 


Allegorie  auf  die  Therapie.     176S. 

INHALT:  Vcrzcictinis  der  Abbildungen.  —  Literatur-  und  Oueilcnverzeichnis.  — 
Einleitung.  —  Karil<atur  und  Satirc  mit  Bezug  auf  Medizin.  Die  Karikaiur  bis  zur 
Reformaiion  —  Sdiirc  und  Kdrikaiur  im  Rcformalionszeiialicr.  —  Die  Karikatur  der  Patho- 
logie. Die  Gicht  —  Infcklionskrankheilen  —  Nervöse  Atfeklionen  —  Gravidilal  —  Irri- 
lamcnia  externa  und  Varia.  —  Der  Arzt  als  Mensch  und  als  Stand.  Das  Arzthonorar.  — 
Die  praktische  Heilkunde  im  siebzehnten  und  achtzehnten  lahrhundert.  Der  tierische 
Magnetismus  —  lenncr  und  die  Kuhimptung.  —  Die  Parasiten  der  Heilkunde.  —  Die 
politisch-medizinische  Karikatur  und  Satire.  —  Die  moderne  medizinische  Karikatur. 


Urteile  der  Presse: 


Vau  iiiMi'(itii,'rs  W'.-ilv,  wie  s'-lii'U  '■iii''>  ^ociu;ncM,  aiil' 'Ihiii  \\'filin;i'iit-.r isciii'  tl.T  Ar/,r.'  zu  pt,iiig.-n  Mit 
aul3eroideiitlii'lieui  Fleiße  iiu<l  vor  iillem  mit  ;iiilifroi.li-iiriiL'li.-in  Kiinstvei>i,iniliiis  iiat  der  Verlasser  .ms  all 
den  .\bt>ildun^en.  die  die  Satire  und  Kavilvatur  seit -lalirluiiidei  ttn  hIht  den  arztlieheu  Stand  geliefert  halien, 
das  iviinstleriseli  Wertvolle  ausgesucht  und  in  vorzu^^lirlnu  lleprodulvtinnen .  wie  man  sie  liei  dem  Verlage 
von  Ferdinand  Kuke  gewulait  ist.  wieilergegeben.  „MUnchencr  mcdiz.  Wochenschrift"  1905,  Nr.  51. 

■  So  wird  das  Buch  dem  geiilagteu  Arzte  von  heute  eine  sp.innungenlusenJe  geistige  Eniuicliung  sein, 
ein  frischer  Trunk  (iuelhvassers,  geschöpft  aus  der  liöstlich  sprudelnden  Vergangenheit,  die  ihn  einige  Jahr- 
zehnte Nichtiieachtung  fast  gering  zu  seli.itzen  gewulmt  halien.  Unwillkürlich  wird  er  in  angenelunster  Form 
nicht  nur  eine  ganze  Reihe  histiirischer  Daten  aas  der  Medizin  früherer  Zeiten  in  sich  aufnehmen,  er  wird 
auch  von  reelit  historisclier  Forschung  einen  Hauch  verspürt  halten,  der  iu  immer  wiederkehrender  Be- 
schäftigung mit  dem  vom  Verfasser  und  Verleger  gleich  voltkommen  ausgestatteten  Buche  sich  langsam  zum 
unwiderstelilichen  Luftstrom  gestalten  möge,  der  ihn  der  Geschichte  seines  Standes  und  seiner  Wissenschaft 
in  die  gerne  sich  ütfneuden  .\rme  treibeu  wird.  Daruur  auch  uusereii  liesouderen  Segen  dem  schönen  Buche 
auf  seinen  Weg!  Doch  auch  unsere  ganz  unhistorische,  küustlerische  und  menschliche  Seele  von  heute  freut 
sich  daran. 

Mitteilungen  zur  Geschichte  der  Medizin.  Karl  Siidhoff,  Geh.  Med.  Rat,  Prof.  der 

V.Band.    Nr.  1.    1906.  Geschichte  der  Medizin.    Univ.  Leipzig. 

Hollander  hat  mit  diesem  seinem  neuesten  Praehtwerk  nicht  nur  s<dn  erstes  in  iilealer  Weise  ergänzt, 
sondern  ancli  die  tiistorische  Literatur  mit  einer  weiteren  Gabe  vim  monumentaler  Bedeutung  l)ereichert.  Es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  dieses  neueste  Gegenstüidv  zu  dem  alteren  Werk  im  \"ereiu  mit  ihm  dem  Ver- 
fasser einen  hervorragenden  und  ilauernden  Pl.itz  iu  der  Literatur  fler  medizinischen  Kulturgeschichte  sichert.  — 
Noch  mehr  fast  als  das  vor  zwei  Jahren  erschieui^ne  Werk  wird  die  „Karikatur  und  s.itire  iu  der  .Medizin"  das 
Entzücken  der  knnstfreudigen  und  knnstfreundlii  hen  KolIef^iMi  erregen  nnd  als  ulier.ius  u  '^riimackvolle  und 
passende  Weiliua-  iifsgalie  iu  ihren  Kreisen  weite  Verbreitung  linden. 
Deutsche  Ärzte-Zeitung  1905,  Heft  24.  Pagel,  Prof.  der  Geschichte  der  Medizin.    Univ.  Berlin. 


■«•«<sio>j>-^   Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  is<K<Ks;s>jK 


!m  Erscheinen  isi  besjrilTen:  Vierte,  umtfearbcitctc  Auflage  des 

Handbuch  der  praktischen  Chirurgie. 

In  Vcii)indii;iLr  niii 

V.  Anijcrcr- München,  weil.  v.  Bergmann  hcriin  .  BorchardI  Berlin,  v.  Bramann  -  Htillo.  v.  Brunn  -  Bochum. 
V.  f:iscIsbcrij-\Vien.  Fricdrich-Köni^'sheri,'.  Gratf-Bonn.  Grascr-Krlan^en,  v.  Hackcr-dr.i/.  Hcinckc-LeipziK. 
Hcnlc-Dorlniund.  Heiischen -/ilrich.  weil.  Holfa- Berlin,  v.  Hof  meiste  r-Stiill*TdrI.  weil.  Jordan- lleidelherj^.  Kausch- 
Sthüiieherg  -  Berlin.  Kehr-Berliii.  Klose  -  lianUfurl  o.  M.,  KÖrle-Berlin.  Krause  -  Berlin,  weil,  Krönicin  -  Zürich, 
Kümmel-Heidelher»^.  Kümmell-Hainburo.  KUttner-BresIdii.  Lexer-jend,  LotheiDcn-W'ieii.  weil.  v.MikuIicz-Bres- 
Uiii,  weil.  Nasse-Berlin.  Perthes- lühingcn.  Rammsledt-Mütister  i.  \V.,  Rchn-hrankfurl  a.  M,  Reichcl-Chemnitz. 
Riedinycr- Würzbiiry;.  Römer- SlralJburj».  Rottcr- Berlin,  Sauerbruch  -  Zürich,  weil.  Schede  -  Bonn.  Schlang^c- 
Hannover.  Schreiber- Augsburg.  Schumacher-Zürich.  Sonnenburg-Berlin.  Steinihal-Srullgart,  Stoeckel-Kiel. 
Voclckcr- Heidelberg.  Wil ms- Heidelberg.  Zuckerkandl-Wien 

|)C(irl>ciici  und  herausgegeben  von 
Geh.  Rat  Prot.  Dr.  P.  von  Bruns  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  C.  Garrc 

in    Tübingen.  j  in   Bonn 

Geh.  Rd!  Prof.  Dr.  H.  Küftner 

in  hrcsliiu. 

Fünf  Bände. 

I.  Band:  Chirurgie  des  Kopfes.     II.  Band:  Cliirurgfie  des  Halses  und  der  Brust. 

III.  Band:  Chirurgie  des  Bauches.    IV.  Band:  Chirurgie  der  Wirbelsäule  und  des 

Beckens.     V.  Band:  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Mii  ca.  1500  zum  Teil  farbiycn  Tcxiabb'Idunyen.     Lex.  8". 


Vollständig  erschienen  I.Band:  Chirurgie  des  Kopfes. 

Mii  247  ieils  farbiocn  'rcxlabbildimocn.    Lex.  8".     19IÖ. 
Geh.  M.  29.—  :   in  Halbfrz   geb.  M.  32.— 

II.  Band:  Chirurgie  des  Halses  und  der  Brust. 

Mit  293  teils  farbigen  Textabbildungen.    Lex.  8".    1913. 
Geh.  M.  27.—  :  in  Halbfrz.  geb.  M.  30.- 

111.  Band:   Chirurgie  des  Bauches. 

Mit   169  ieils  farbigen    Icxiabbildungen.     Lex.  8".     1913. 
Geh.  M.  25.—  :   in  Halbfrz.  geb.  M.  28.— 

Nachdem  eine  fJeihe  Lieteruni^cn  der  vierlen  AulltiKc  \'nrlieL:en.  luil  die  Krilik  l)eieils 
äußersr  günsiigc  Urlelle  über  die  neue  Aullagc  „des  führenden  deutschen  Lehrbuchs 
der  speziellen  Chirurgie"  gefällt. 

.E^  i~i  "in  {il'iiiz'i"!''!^  liuc  li,  ihis  lins  liii  i-  gcboti'ii  wird,  il.is  in  ;illc>ii  si'iiirii  T.'ilfn  ciii'  ;;i  cifltc  .\iut- 
kemiung  und  BiiwuiiderunK  verdient.-  Zeniralhlatt  fUr  Chirurgie  1915,  Nr.  19. 

„Das  Krolie  Werk  ist  in  sfiiier  jetzigen  reichillustrierten  Form  di-iii  ai/.tiielien  I'raktiUfr  iiielit  minder 
zu  emiifehlen  wie  dem  Faclicliirurgen,  für  welchen  e.s  laugst  unentlielirlicli  geworden  ist." 

Berliner  klinische  Wochenschrift  1913,  Nr.  38. 


Lehrbuch  der  allgemeinen  Chirurgie. 

Zum  Gcbi-aiich  t'ür  Ärzte  und  Studierende. 

Von  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  E.  Lcxcr. 

Zwei  Bände.    Sechste,  umgearbeitete  Auflage. 

Mit  404  ieils  farbigen  Texlabbildungen  und  einem  Vorwort 

von  Prof.  Dr.  E.  von  Beignuinn.    Lex.  8".    1912. 

Geh.  M.  23.60:  in   Leinw.  geb.  M.  26.— 


jKäKäKäKäKäK  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  ssssssssäKs« 

Handbuch  der  praktischen  Medizin. 

Bearbeilei  von 

Geh.  Mcdizinalral  Prof.  Dr.  Brieger  iti  Berlin,  Geh.  Mcdizinali-.it  Prof.  Hr.  Damscfi  in  Gotlingcn,  Prof.  Dr.  Dchio  in 
Dorpal,  Geh.  Medizinalrar  Prof  Dr.  Ebstein  in  Göninsen,  Prof.  T)r.  Edinger  in  Frankfurt  a.  M-,  Prof.  Dr.  Epstein  in 
Praj,  Dr.  Finlay  in  Hjvanna,  Geh.  Medi:iii.ilrat  Prjf.  Dr.  Fürbringer  in  Berlin,  Prof.  Dr.  E.  Grawiti  in  Charlonenhurä, 
Geh.  Medizinalrat  Prot.  Dr.  Harnack  in  Halle  a.  S.,  i'rof.  Dr  )adassofin  i[)  Bern,  Oberarzt  Prof  Dr.  Kümmell  in  Hani= 
hiirg^Eppendorf  Prof.  Dr.  Laachc  in  Chi-istiania,  Prof.  Dr.  Lenhnrtz  in  M.iinhur>;=[-](>pendorf,  Prof  Dr.  Lorenz  in  Graz, 
Stabsarzt  Prof  Dr.  Marx  in  Frankfurt  a.  M.,  Geh.  Medizinalral  Prof.  Dr.  Mendel  in  Berlin,  Prof  Dr.  Nicolaier  in  Berliti, 
Prof.  Dr.  Obersteiner  in  Wien,  Hofrat  Prof  Dr.  Pribram  in  Prag,  Prof.  Dr.  Redlich  in  Wien,  Oberarzt  Prof  Dr.  Reiche 
in  Hambiirg-Fppendorf,  Prof.  Dr.  v.  Romberg  in  Miiiichen,  Prof.  Cr.  Rosenstein  in  Leiden,  ['rof  Dr.  Rumpf  in  Bonn, 
I'rof.  Dr.  Schwalbe  in  Berlin,  Prof  Dr.  Sticker  in  Münster  i.  W.,  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Strübing  in  Greifswald, 
Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr,  Unverricht  in  ^^^sdebnrg.  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  v.  Wassermann  in  Berlin, 
Geh.  Medizinalrat  Prof  Dr.  Ziehen  in  Berlin. 

Unter  Redaktion  von 

Dr.  W.  Ebstein  und     Prof.  Dr.  j.  Schwalbe 

Gfhcimcr  Mcdizinalrat,  o.  Professor  in  Göningcii  Hcrausgchcr  der  ncutsdicn  med.  Wodicnsdirift 

hcrausi^cijcbcn  \'on 

W.    EBSTEIN. 

Zweite,  vollständig  umgearbeitete  Auflage. 


Vier  Bände. 


252  Bogen.     Mit  261    Textabbildungen.     Lex.  8".     1905,06. 
Geheftet  M.  77.— :  in  Leinwand  gebunden   M.  85. — 

I.  Band.    Krankheiten  der  Afmiings-,   der  Krcislaufsorganc,   des  Blutes  und 

der    Blutdrüsen.     67  Bogen.     Mit  75  Textabbildungen.     Lex.  8'.     1905. 
Geh.   M.  22.—  ;  in  Leinw.  geb.  M.  24.— 

II.  Band.    Krankheiten  der  Vcrdauungs-,  der  Harnorgane  und  des  männliehen 

Geschlechtsapparates.       Venerische    Krankheiten.      61    Bogen.     Mit 
54  Textabbildungen.    Lex.  8".    1905.    Geh.  M.  20.—  ;  in  Leinw.  geb.  M.  22.— 

III.  Band.    Krankheilen   des   Nervensystems    (mit  Einschluß   der  Psychosen). 

Krankheiten  der  Bewegungsorgane.  59  Bogen.  Mit  81  Textabbildungen. 
Lex.  8'\     1905.    geh.  M.  20.— ;  in   Leinw.  geb.  M.  22.— 

IV.  Band.    Infektionskrankheiten,    Zoonoscn,    Konstitutionskrankheiten,   Ver- 

giftungen  durch  Metalle,   durch  Tier-  und  Fäulnisgifte.     45  Bogen. 
Mit  5t  Textabbildungen.  Lex. 8".  1906.  Geh.  M.  15.— ;  in  Leinw.  geb.  M. 17.— 

Chirurgie  des  praktischen  Arztes. 

Mit  Einschluß  der  Augen-,  Ohren- und  Zahnkrankheiten. 

Bearbeitet  von  Prof  Dr.  A.  Fraenkel  in  Wien,  Geh.  Medizinalrat  Prof  Dr.  K.  Garrc  in  Bonn,  Prof  Dr.  H.  Häckcl  in 
Stettin,  Prof.  Dr.  C.  Hess  in  Mündien,  Geh.  Medizinalrat  Prof  Dr.  F.König  in  Grunewald-Berlin,  Prof  Dr.  W.  Kümmel 
in  Heidelberg,  L  Oberarzt  Prof  Dr.  H.  Kümmell  in  Hamburg^Eppcndorf,  Prof.  Dr.  G.  Ledderhose  in  Strallburg  i.  E., 
Prof.  Dr.  E.  Leser  in  Halle  a.  S.,  Prof.  Dr.  W.  Müller  in  Rostock  i.  M  ,  Prof  Dr.  J.  Sdieff  in  Wicti,  Prof.  Dr.  O.Tilmann  in  Köln. 

Mit  171  Abbildungen.  Lex. 8".  1907.  Geheftet  M. 20.— ;  in  Leinwand  gebunden  M. 22.— 
(Zugleich  Ergänzungsband   zum   Handbuch   der  Praktischen  Medizin.    2.  Auflage.) 


ssss   Neuester  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart,  skss 

Neue  Deutsche  Chirurgie. 

Herausgegeben  von  P.  v.  B  R  U  N  S. 

Bisher  erschienene  Bände: 

1.  Band.    DicNagelexfension  der  Knocticnbrüctie.  Von  Privaidoz. Dr. F. Stein- 

mann. "Mit  IÖ6  Tcxtabhildiinoen.  Lex.  8".  1912.  Preis  für  Abonnenten 
g-ch.  M.  6.80,  in  Leinw.  ycb.  M.  8.20.  Einzelpreis  <_>eh.  M.  8.40.  in  Leinw. 
<jeb.  M.  Q.80. 

2.  Band.    Chirurgie  der  Samcnblascn.   Von  Prof.  Dr.  F.  Voelci<cr.   Mit46Texl- 

abbildungen.  Lex.  8".  1912.  Preis  für  Abonnenlen  ijfch.  M.  7.80,  in  Leinw. 
geb.  M.  9.20.  Einzelpreis  greh.  M.  9.60;  in  Leinw.  <,'eb.  M.  11.  - 
5.  Band.  Chirurgie  der  Thymusdrüse.  Von  Dr.  Heinrich  Klose.  Mit  99  Text- 
abbilduniicn,  2  Kiii-ven  und  ö  farbiijen  Tafeln.  Lex.  8".  1912.  Preis  für 
Abonnenten  peh.M.  10.-40:  in  Leinw.  oeb.M.  11.80.  Einzelpreis  aeh.  M.  12.80: 
in  Leinw.  oeb.  M.  14.20. 

4.  Band.    Die  Verleljungen  der  Leber  und  der  Galienwcge.    Von  Prof.  Dr. 

F.  Thöie.  Lex.  8".  1912.  Preis  für  Abonnenten  sje^h.  M.  6.80:  in  Leinw. 
geb.  M.  8.20.     Einzelpreis  geh.  M.  8.40:  in  Leinw.  geb.  M.  9.80. 

5.  Band.    Die   Allgemeinnarkose.     Von  Prof.  Dr.  M.  v.  Brunn.     Mit  91  Texlab- 

bildungen. Lex.  8'.  1915.  Preis  für  Abonnenten  geh.  M.  15.--;  in  Leinw. 
geb.  M.  1t).40.     Einzelpreis  geh.  M.  18.60:  in  Leinw.  geb.  M.  20.- 

6.  Band.    Die  Chirurgie  der  Nierentuberkulose.   Von  Privatdoz.  Dr.  H.  Wild- 

bolz.     Mit   22  teils    farbigen  Texiabbildungen.  Lex.  8".     1915.     Preis   für 

.-Abonnenten  geh.  M.  7.  -  ;  in  Leinw.  geb.  M.8.40.  Einzelpreis  geh.  M.  8.60; 
in   Leinw.  geb.  M.  10.— 

7.  Band.    Chirurgie   der   Lebergeschwülste.     Von  Prof.  Dr.  F.  Thölc.     Mit 

25  Texlabbildungen.  Lex.  8".  1915.  Preis  für  Abonnenlen  geh.  M.  12.  — ; 
in  Leinw.  geb.  M.  15.40.    Einzelpreis  geh.  M.  14.— ;  in  Leinw.  geb.  M.  15.40. 

8.  Band.    Chirurgie  der  Gallenwege.     Von   Geh.  Rat  Prof.  Dr.  H.  Kehr.     Mit 

157  Textabbildungen,  einer  farbigen  Tafel  und  einem  Bildnis  Carl  Langen- 
buchs.  Lex.  8".  1915.  Preis  für  Abonnenlen  geh.  M.  52.— :  in  Leinw. 
geb.  M.  54.— .     Einzelpreis  geh.  M.  40.-    ;  in  Leinw.  geb.  M.  42.— 

Demnächst  werden  erscheinen: 

Krankheiten  des  Knochensystems  im  Kindesaiter.    Von  Pro!.  Dr.  P.  Frangenheim. 

Lex.  8".     l'-)|,3.     |4cli.   und   in    Leinw.  !.;l'I). 

Epithelkörper.     Von  Prof.  Dr.  N.  Guleke.     Lex.  8".     1915.     Geh.  und  in  Leinw.  i^cb. 

Chirurgische  Krankheiten  des  Gehirns.  Pcdii,'iert  von  Prof.  Dr  F.  Krause.  Unter 
Mihirbeil  von  Ohcrdrzl  Dr.  VV.  lir.iun.  Prof.  Dr.  K.  hrodmann.  Prof.  Dr.  L.  Bruns, 
Privdldoz.  Dr.  R.  Cassirer.  Prof.  Dr.  A.  Exner,  Prof.  Dr.  F.  Haaslcr.  Privaidoz. 
Dr.  A.  h  a  u  pl  rn  a  n  n,  Privaidoz.  Dr.  K.  Menschen.  Oberarzt  Dr.  E.  Heyinann, 
Dr.  T  h.  H  o  I  z  in  a  n  n .  r->rof.  Dr.  A.  K  n  o  b  I  a  u  c  h  .  Prof.  Dr.  F.  M  ü  1 1  c  r ,  Prot.  Dr  M  Nonne, 
Prof.  Dr.  K.  A.  Passow.  Privaidoz.  Dr.  Schüller,  Prof.  Dr.  Schüssler.  Prof.  Dr. 
A.  Siieda.     Lex.  8".     1915.     i»eh.  und  in  Leinw.  sjeb. 

Der  rasche  Forlgang  des  Unternehmens  ist  gcwährlGislel.  Seil  1  'i  Jahren 
sind  8  Bande  erschienen,  und  gegenwärtig  bclindcn  sich  wcilere  6  Bände 
teils  im   Druck,  teils  in  Vorbereitung  für  die  naclistcii   Monate. 

Die  einzelnen  bisher  erschienenen  iKindc  der,, Neuen  Deutschen  Chirurgie" 
haben  den  einsliininigen  Beifall  der  Kritik  gefunden,  lis  wird  rühtnend  her- 
vorgehoben das  aktuelle  Interesse,  die  praktische  Wiciitigkeil  und  die  er- 
schöpfende Darstellung  des  Gegenstandes,  bei  mehreren  Bänden  geradezu 
die  KrschlieOung  chirurgischen  Neulands.  Die  Bände  werden  sämtlich  dem 
Fachmann  als  unenlbehrlicli,  manche  auch  dem  praklischcn  Arzic  angelegent- 
lich empfohlen. 


iKiCs  Neuester  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart,  ss« 

Kürzlich   erschienen: 

Verletzungen  und  chirurgische  Krankheiten 
der  Speicheldrüsen. 

Von 

Prof.  Dr.  H.  Hcinckc. 

Mit  Qö  TcxtabbilduMKCii.     Lex.  8".     1915.     geh.  M.  18.— 
(Deutsche  Chirurgie.     Herausy.  von  P.  v.  Bruns.     Lieferung  33,  II.  Hälfte,  2.  Teil.) 


Die  Chirurgie 
der  quergestreiften  Muskulatur. 

V'dii 

Geh.  Rat  Prof.  Dr.  H.  Kütfner  und  Privatdoz.  Dr.  F.  Landois. 

1.  Teil.    Mit  136  teils  farbigen  TcxIabbildLiiiHcn.     Lex.  8".     1913.     geh.  M.  14. 
(Deutsche  Chirurgie.    Herausg.  von  P.  v.  Bruns.    Lieferung  25  a.) 


Die  chirurgischen  Krankheiten 
und  die  Verletzungen  des  Darmgekröses 

und  der  Netze. 

Von 

Privaldozcnt  Dr.  W.  Prutz. 

Mit  einem  Beitrage  von  Privatdozenl  Dr.  E.  Monnier. 

Mit  66  Textabbildungen.    Lex.  8".    1913.    geh.  M.  18.— 

(Deutsche  Chirurgie.    Hcrtiusg.  von  P.  v.  Bruns.    Lieferung  46  k.) 

Orthopädische  Opcrationsichrc. 

Von 

Prof.  Dr.  Oskar  Vulpius,       und       Dr.  Adolf  Stoffel, 

a.  o.  Professor  der  orthoptidi'Ni.lK'n  Cihirurt-ic  5pc/ialarzt  für  orthoptidische  Chirurjjie 

an  der  Universität  Heidelherü.  in  Mannheim. 

Mit  446  zum  Teil  farbigen  Texlabbildungen.     Lex.  8".     1915. 
geh.  M.  24.—  ;  in  Lcinw.  geb.  M.  25.60. 


Geschichte  der  Ohrenheilkunde. 

\'<in 

Dr.  Adam  Politzer, 

cm.  o.  ö.  Professor  der  Ohrcnlieilkiinde  an  der  Wiener  Universilät:  em.  Vorstand  der  Universitäts-Ohrenklinik 
im  k.  k.  Alldem.  Krankenhause  in  Wien;  k.  k.  Hofrar. 

Zwei  Bände. 
Band  II  von  1850-1911. 

Unter  Mitwirkung  bewÄlirlcr  Fachkräfte. 
Mit  29  Bildnissen  auf  29  Tafeln.    Lex.  8".   1913.   oreh.  M.  2-1.—  :  in  Leinw.  geb.  M.  26.— 


i»»  Neuester  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  ■<^.<^. 

Kürzlicti  ersctiienen: 

Bauer.   Doz.  Oberarzt  Dr.  J.,    Die   Methodik  der   biologischen 

Milchuntersuchung.      Nebst  eiiK-ni  (Jclcitwort  vcm  Prof.  Di    A    Scliloßmann. 

Mit   15  Tcxtabbikluiigen.     S".     1913.     gcli.  M.  3.— ;  in  Leinw.  geb.  M.  3.60. 

Fchling,  Geh.  Rar  Prof.  Dr.  H.,  Ehe  und  Vererbung.  Vortiag,  ge- 
halten im  Deutschen  Fraiienverein  vom  Roten  Krciu  für  die  Kolonien,  Landesverein 
Württemberg,  am  30.  November  U)12  in  Stutigart.     Lex.  8".     1913.     geh.  M.  1.20. 

Fehling,  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  H.  und  Franz,  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  K., 
Lehrbuch   der  Frauenkrankheiten,     vierte,  vöing  umgearbeitete 

und  vermehrte  Auflage.  Mit  222  teils  farbigen  Textabbildungen.  Lex.  S".  1913. 
oeh.  W.  12.      ;   in    Leinw.  i^eb.  M.  13.4(1. 

Freund,  Prof.  Dr.  H..  Gynäkologische  Streitfragen.     Lex.s .  1913. 

geh.  M.  1.60. 

Hart,  Prosektor  Dr.  C.  und  Lessing,  Dr.  O.,  Der  Skorbut  der 

kleinen  Kinder  (Möller-Barlowsche  Krankheit).  Monographische  Abhandlung  an 
der  Hand  tierexperimenteller  Untersuchungen.  Mit  24,  darunter  14  farbigen  Tafeln. 
lex.  S".     1913.     geh.  M.  16.- 

Hüttemann,  Stabsarzt  Dr.  R..  Vorschriften  über  die  Sehschärfe 
bei  der  Einstellung  in  verschiedene  Berufe.     Ein  Nachschlage 

bücliUin   für  Aerzte.     gr,  S".     li)13.     i^eh.  M.  1(1). 

Jahrbuch  der  praktischen  Medizin.  Kritischer  Jahresbericht  für  die  Fort- 
bildung praktischer  Aerzte.  Herausgegeben  von  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  J.  Scliwalbe.  Jahr- 
gang 1913.     gr.  S".     1913.     geh.  M.  15.— ;  in  Leinw.  geb.  M.  16.— 

Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  Physiologie.  Herausge- 
geben von  (ieh,  Rat  Prof.  Dr.  L.  Hermann  und  Prof.  Dr.  O.  Weiß.  \X.  Band.  Be- 
richt über  das  Jahr  1911.     Lex.  S".     1913.     geh.  M.  26.— 

Jansen,  Doz.  Dr.  M.,  Das  Wesen  und  das  Werden  der  Achon- 

droplasie.  Eine  Abhandlung  iiber  Wachstnmsslorung  embryonaler  Zellgruppen, 
verursacht  durch  Amniondruck  in  den  verschiedenen  Stadien  der  Skelettentvvicklung  (An- 
encephalie,  .Nchondroplasie,  Kakomelie).  (.\us  dem  Englisciien  übersetzt  von  Dr.  G.  Hoii- 
mann  und  E.  Windstoßer,  München,  mit  Erweiterungen  versehen  vom  Verfasser.) 
Mit  35  Textabbildungen.     Lex.  8".     1913.    geh.  M.  5.— 

Laache,  Prof.  Dr.  S.,  Über  Schlaf  und  Schlafstörungen,     ihre 

Ursachen  und  ilire  Behandlung.    Mit  2  Textabbildungen.     Lex.  S  .    1913.   geh.  M.  2.40. 

Reiter,  Privatdoz.  Dr.  li.,Vaccinetherapie  und  Vaccinediagnostik. 

.Mit  26  Textabbildungen.     Lex.  S '.     1913.     geh.  M.  S.— 

Schenck,  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  F.  und  Gürber,  Prof.  Dr.  A.,  Leit- 
faden der  Physiologie  des  Menschen  für  studierende  der  Medizin. 
Zehnte  und  elfte  Auflage  Mit  37  Textabbildungen,  gr.  S".  1913.  geh.  M.  5.40:  in 
Leinw.  geb.  .W.  6  4ü! 

Waldschmidt,  W,  Die  Unterdrückung  der  Fortpflanzungs- 
fähigkeit und  ihre  Folgen  für  den  Organismus.  Preisgekrönte 

A  r  b  e  i  t  il  e  r  ni  e  d  i  z  i  n  i  s  c  h  e  n  1  a  k  u  1 1  ii  t  d  e  r  U  u  i  v  e  r  s  i  t  ä  t  T  ü  b  i  n  g  e  n.  Lex.  S". 
1913.     geh.  M.  4.S0. 


■si^mm^  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  m^<^<^^^ 

Allgemeine  Pathologie. 

Ein  Lehrbuch  für  Studierende  und  Ärzte. 
Von  Prof.  Dr.  E.  Schwalbe. 

Mil  591  icils  tarbigcn  Textabbildungen.    Lex.  8".    1911.    geh.  M.  22.- ;  in  Halbfrz.  geb.  M.  24.— 

Lehrbuch  der  Greisenkrankheiten. 

Linier  Milwirkung  von 

Geh.  Medi^inalrat  Prof.  Dr.  Damsch  in  ( iöttiiiscii,  (-'•eh.  Mi'liriii.ilr.u  l'rof.  Dr.  Ebstein  in  Oöttinsen,  Geh.  Medizinalrat 
Prof.  Dr.  Fvvald  in  Berlin,  Geh.  Medi:in.)lr.it  Prof.  Hr.  Fiirbringcr  in  Berlin,  l'rof.  Dr.  Grawitz  in  Charloltenburg, 
Prof.  Dr.  Hirsch  in  Göttinnen,  Prof  Dr.  Hoppe=Scylcr  in  Kiel,  l'rof  Dr.  (adassohn  in  Bern,  Prof.  Dr.  Baron 
A.  V.  Koränyi  in  Budapest,  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Ilr.  Naunyn  in  Baden--Baden ,  Prof.  Dr.  Ortner  in  Innsbruck, 
Geh.  Medizinalrat  Prof  Dr.  Siemerling  in  Kiel,  Prof.  Dr.  Sternberg  in  Wien 

herausgegeben  von 
Geh.  Rat  Prof.  Dr.  j.  Schwalbe,  Berlin. 

Lex.  8°.     1909.     geh.  M.  26.— ;  in  Halblrz.  geb.  M.  28.— 

Physikalische  Therapie  in  Einzel- 
darstellungen. 

Herausgegeben  von 
Dr.  Juh'an  Marcuse  und  Prof.  Dr.  A.  Strasser 

Spezialarit   für  phvsikal.  Ther.ipie   ni    Miiiichen  .in  der  Uin\ersit.n   W'.en 

unter  Mitarbeit  von 

Prof.  Dr.  A.  Älbu,  Berlin,  Geh.  Rat  Prof  Dr.  L.  Brieger,  Berlin,  Do:.  Dr.  A.  Biim,  Wien,  Di.  B.  Buxbaum,  Wien, 
Prof.  Dr.  H.  Determann,  Freihins  i.  Br.--St.  Blasien,  Dr.  O.  Fellner,  Wien,  Dr.  A.  Foges,  Wien,  Prof  Dr.  F.  Franken* 
häuser,  Berlin,  Dr.  R.  Friedlä'nder,  Wiesbaden,  Prof  Dr.  ).  Gla,\,  .Xbbazia,  Doz.  Dr.  M.  Herz,  Wien,  Doz.  Dr. 
R.  Kienböcli,  Wien,  Doz.  Dr.  D.  O.  Kuthy,  Budapest,  Dr.  A.  Laqueur,  Berlin,  Prof  Dr.  A.  Martin,  Zürich,  Dr. 
S.  Munter,  Berlin,  Prof  Dr.  H.  Rieder,  München,  Prof  Dr.  H.  Rosin,  Berlin,  Prof.  Dr.  G.  Sittmann,  München, 
r)oz.  Dr.  K.  Ulimann,  Wien,  Hofrat  Prof  Dr.  W.  Wintcrnitz,  Wien,  Doz.  Dr.  J.  Zappcrt,  Wien. 

26  Hefte.     Lex.  8".     1906—1908.     geh.  M.  64.-:  in   Leinw.  geb.  M.  80.20. 


Handbuch  der  Unfallerkrankungen 

einschließlich  der  Invalidenbegutachtung. 

Unter  Mitwirkung   von  Sanit.itsral   Dr.  E.  Gramer,   Cottbus,    Dr.  W.  Kühne,   Cottbus, 
Geh.  Rat  Prof.  Dr.  A.  Passow,  Berlin  und  Dr.  C.  Fr.  Schmidt,  Cottbus. 

Von  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  C.  Thiem. 

Zweite  gänzlich  umgearbeitete  Auflage.  —  Zwei  Bände. 

Mit  268  Textabbildungen.     Lex.  8".     1909—1910.     geh.  M.  66.60;    in  Halblrz.  geb.  M.  72.60. 

Sanitätsdienst  und  Gesundheitspflege 
im  deutschen  Heere. 

Ein  Lehr-   und   Handbuch    für  Militärärzte 
des  Friedens-  und  des  Beurlaubtcnstandes. 

Unter  Mitwirkung  zahlreicher  Fachmänner  herausgegeben  von  den  Generalärzten 

Dr.  A.  Villaret  und  Dr.  F.  Paaizow. 

Mit  10  Abbildungen.     Lex.  8".     1909.     geh.  M.  26.— :  in  Halbfrz.  geb.  M.  28.— 


!Ksxs»i«<Kis  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  <m<f:<m<f: 

Geschichte  der  Medizin. 

Von  I^rof.  Dr.  M.  Neuburgcr. 

Zwei  Bände.  

I.  Band.     Lex.  8".    19()6.     pcti.  M.  9.— :  in  Leinvv.  «cb.  M.  10.40. 
11.  band.  1.  Teil.    Mit  5  Tafeln.    Lex.  8".    1911.    geh.  M.  lö.fcü;  in  Leinw.  j,'eb.  M.  15.— 


Die  Wochenstube  in  der  Kunst. 

Eine  l<ulturhistorisctie  Studie  von  Dr.  med.  Robert  Müllcrheim. 

Mit  lös  Ahbildiinycii.     Hoch  4  '.     l^Ol.    Karlonicrt  M.  16.  —  ;   in  Lcinw.  yeb.  M.  18.- 

INHALT:  Vorworl.  —  Eintührung.  —  Die  Wochensliibc.  —  Da.s  Bett.  —  Gehurlssluhl.— 
Pflege  der  Wöchnerinnen.  —  Pflege  des  Kindes.  —  Kleidung  des  Kindes.  —  Ernährung  des 
Kindes.  —  Bell  des  Kindes.  —  Glaube  und  Aberglaube  in  der  Wochenslube.  —  Volkstüm- 
liche und  gelehrte  Anschauungen.  —  Kultus  der  Wöchnerin.  -  Ende  des  Wochenbetts.  — 
Anhang.  —  Quellen  und  Anmerkungen. 

Llrt<?il  der  Presse  ■  •  ■  ^•'■^^  seinem  feinentwickelten  Kunstsinn  lia.t  der  Verfasser  seinem  an  tiultur- 
tjiitii  uci  fiK.as'L..  gesciiifijtijciien  Bemerliungen  sehr  inlialtreiclien  Texte  eine  wirliliclie  Vr'clit- 
sammlung  von  lUustratinnen  eingefügt,  an  denen  der  Beschauer  eine  lierzige  Freude,  der  liulturgescliiehtlich 
emilfindende  Leser  aber  außerdem  nocli  eine  lieinalie  unerschöpfliclie  Fundgrube  zur  Bereiclierung  seines 
Wissenstrielies  finden  wird.  Das  Buch  wird  sicher  in  weiten  ärztlichen  Kreisen  seine  Verbreitung  finden. 
Nicht  minder  willkommen  wird  es  aber  den  Müttern  und  Gattinnen  sein.     Berliner  Tageblatt  1905,  Nr.  65. 


Rembrandts  Darstellungen  dcrTobiasheilung. 

Nebst  Beiträgen  zur  Geschiciile  des  Starslictis. 
Von  ProL  Dr.  R.  GrcefF. 

Mit  14  Tafeln  und  9  Textabbildungen.     Lex.  8".    1907.    Steif  geh.  M.  6.— 

Die  Küche  in  der  klassischen  Malerei. 

Eine  l<unstgeschichitlichie  und  liferarhistoriscfie  Studie  für  Mediziner  und 

Nichitmediziner. 

Von  Dr.  W.  Sternberg. 

Mit  50  Textabbildungen.     Lex.  8'.    I^)l().    Steif  geh.  M.  7.— 


Aberglaube  und  Zauberei 

von   den   ältesten   Zeiten   an   bis   in   die   Gegen  wart. 
Von  Dr.  Alfred  Lehmann 

Direktor  des  psychophysisdion  Lal)oraloriums  an  der  Universität  Kopenhagen. 

Deutsche   autorisierte   Übersetzung   von 
Dr.  med.  Petersen  I 

Nervenar/t  in  Düsseldorf. 

Zweite  umgearbeitete  und  vermefirtc  Auflage. 

Mit  2    Tafeln  und  67    rextabbildungen. 
Lex.  8:     1908.    geh.  M.  14.—  :  in  Leinw.  geb.  M.  15.40. 


äßss  Neuester  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  s>s> 

Soeben    erschienen: 

Plastische  Anatomie  des  Menschen 

für  Künstler  und  Kunstschüler  von  Professor  L.  Hcupcl-Sicgcn. 

Mit    1Q9  teils   farbiyen  Zeichnungen   auf  85  Tafeln   von   Paul  Mather,    Düsseldorf, 

und  8  Aktstudien. 
Lex.  8".    1915.    Geheftet  M.  18.—.  in  Leinwand  gebunden  M.  20.— 

Der  Verfasser  des  Werkes  ist  darauf  bedacht  gewesen,  die  plastische  Anatomie 
für  Künstler  bei  kürzester  Fassung  ausführlich  im  Inhalt  darzustellen.  Bei  aller 
Ausführlichkeil  ist  aber  doch  der  Zweck,  dem  Künstler  zu  dienen,  immer  im  Auge 
behallen  worden. 

Trotz  —  vielleicht  auch  gerade  wegen  —  der  gegenwärtig  von  Stoff  und  der 
Form  losgelösten  Neukunst  ist  das  Interesse  für  Anatomie  bei  den  Studierenden  reger 
geworden  und  im  Wachsen  begriffen.  Es  gibt  wohl  auch  keinen  Gegenstand,  der 
mehr  wie  der  menschliche  Körper  in  Rücksicht  auf  Naturwahrheit  ein  gründliches 
Studium  verlangt. 

'Vie  die  Erfahrung  lehrt,  führen  oberflächliche  Studien  in  der  Anatomie  beim 
Künstler  zur  Inleresselosigkeit.  Anderseits  fühlt  er  sich  durch  die  Schwierigkeit  des 
anatomischen  Studiums  mit  unzulänglichen  Mitteln  abgestoßen.  Diesem  Umstände 
Rechnung  tragend,  hat  der  Verfasser  die  Anordnung  des  ganzen  Stoffes  übersicht- 
lich nach  Art  des  Anschauungsunterrichtes  eingerichtet.  Auf  diese  Weise  ist  bei 
dem  reichen  Material  auch  die  Möglichkeit  zum  Selbstunterrichte  gegeben  für  die- 
jenigen, welche  bei  der  Ausübung  der  Kunst  keine  Gelegenheii  mehr  haben,  an  den 
Kunstschulen  Vorträge  zu  hören.  Da  die  einzelnen  Tafeln  sich  genau  dem  Lehrgang 
anschließen  und  die  darauf  bezüglichen  Nummern  überall  sorgfältig  im  Text  einge- 
tragen sind,  so  ist  die  Handhabung  des  Werkes  eine  sehr  bequeme. 

Außer  dem  für  den  Künstler  Notwendigsten  ist  aber  auch  alles  allgemein  Wissens- 
werte aus  dem  Gebiete  der  plastischen  Anatomie  dargestellt.  Sowohl  die  Behand- 
lung des  Auges,  als  auch  des  Ohres  in  bezug  auf  den  inneren  Bau  ist  für  den 
Künstler  ausführlich  zu  nennen;  desgleichen  die  Tafeln  mit  den  tiefen  Muskelschichten 
usw.    So  ist  in  dem  Werke  alles  geboten,  was  der  Studierende  suchen  mag. 


Der  Gesichtsausdruck  des  Menschen. 

Von  Dr.  med.  H.  Krukcnberg. 

Mit  205  Textabbildungen  meist  nach  Originalzeichnungen  und  photographischen 

Aufnahmen  des  Verfassers. 

Lex.  8".    1915.    Geheftet  M.  b.— ,  in  Leinwand  gebunden  M.  7. -10. 

INHALT:  I.  Einleitung.  —  II.  Liler<ilur\'erzeichnis.  —  111.  Historisches.  Kritik  der  bis- 
herigen Schrillen  über  Physiognomik.  —  IV.  Mimik  der  Tiere.  —  V.  Entwicklung  der  Phy- 
siognomie. Anthropologisches.  Entwicklung  der  einzelnen  Rassenmerkmaie.  Entwicklung 
des  Individuums.  Oeschlechlsmerkmale.  Altersmerkmale.  Pathologisches.  —  VI.  Entstehung 
des  menschlichen  Mienenspiels.  Entwicklungsgeschichte.  Physiologie.  Ausfallerscheinungen. 
Pathologie.  —  VII.  Die  Haut.  —  VIII.  Das  Auge.  —  I.X.  Das  Ohr.  —  X.  Die  Nase.  —  XI.  Der 
Mund.  —  .\11.  Zusammenfassung  der  einzelnen  Ausdrucksweisen.  —  Register. 


ssssäKssjotSi  Verlag  von  h'ERDlNAND  ENKE  in  Stuttgart.  <sieis>sii5>si 


Soeben  erschien: 


Die 


Schönheit  des  wcibhchcn  Körpers. 

\on  l)\:  C.  H,  Stratz. 

Den  Müllern,  Ärzten  und  Künstlern  gewidmet. 

ZwciundzwanzitjTSte.  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Mit  505  Al>bildun>,ven  und  8  Tafeln.    Lex.  8".    1915. 
Geh.  M.  18.—  :  in  Lcinw.  geb.  M.  20.— 
Die  vorlietrcnde  Aiillage  ist  um  mehr  als  30  neue  Abbildungen,  durchweg  Photographien 
nach  dem   Leben  bereichert  und  auch  textlich  erweitert  worden.     Die  früheren  Auflagen  des 

Werkeshatien  inder 
Presse  die  wärmste 
Anerkennung  ge- 
lundcn. 

Es  kann  in  sei- 
nem geschmack- 
sollen Gewände 
iiuch  zu  Geschen- 
ken lür  Künstler. 
Kunstfreunde.  Ärzte 
und  Müller,  für  wel- 
che Kreise  es  ge- 
schrieben ist.  wärm- 
stens  empfohlen 
werden. 


Süddcutsclie.     Schöne  Nackcnlinicn  und  Drcliuntrsfalte  am  Hals. 


INHALT:  Ein- 
leitung. —  I.  Der 
moderne  Schön- 
lieilsbegrilT.  —  II. 
Darstellung  weib- 
licher Schönheit 
durch  die  bildende 
Kunst.  —  III.  Weib- 
liche Schönheil  in 
der  Literatur.  —  IV. 

Proporlionslehre 
und    Kanon.    —    V. 
LintlulJder  Entwick- 
lung und  Vererbung 
auf  den   Körper. 


VI.  Einflul)  von  Geschlecht  und  Lebensalter.  —  VII.  Einfluß  von  Ernährung  und  Lebensweise. 
—  VIII.  Einflul)  von  Krankheiten  auf  die  Körpcrlorm.  —  IX.  EinflulJ  der  Kleider  auf  die 
Körperform.  —  X.  Beurteilung  des  Körpers  im  allgemeinen.  —  XI.  Kopf  und  Hals.  —  XI!. 
Pumpf.  Schulter.  Brust.  Bauch.  Rücken.  Hüllen  und  Gesäß.  —  XIII.  Obere  Gliedmaßen.  — 
XIV.  Untere  Gliedmaßen.  —  XV.  Scliönheil  der  Farbe.  —  XVI.  Schönheit  der  Bewegung. 
Stellungen  des  ruhenden  Körpers.  Siellungen  des  bewegten  Körpers.  —  XVII.  Überblick  der 
gegebenen  Zeichen  normaler  Körperbildung.  ~  XVIII.  Verwerluiig  in  der  Kunst  und  im 
lieben.  —  Sachverzeichnis.  —  Namenverzeichnis. 

Den  unj;e«ohntt-ii  Eifolf;  errang  sicli  iuImu  iIit  ^i'^i-hiiiai  kvolli'ii  liililen'fichcn  Aufstauung  vor  allem 
der  gesunde  Gedanke,  der  dem  Werke  zugiuiule  liegt.  Stratz  stellt  den  Satz  auf.  dali  sieh  Sehiinlieit  der 
incnschlielien  Gestalt  und  liOchstc  Gesundheit  detkeu.  und  zwar  Gesundheit  vom  ersten  Moment  emlir.voualen 
Entwickclns  und  dureh  Generationen  hindurch.  Um  zu  diesem  Sehönheitsideal  zu  gelangi'n,  geht  Stratz 
negativ  vor  und  Ijehandelt  vorerst  eine  Reihe  von  Fehlern  und  Mangeln,  welche  dem  menschlichi'n  Körper  an- 
zuhaften jifiegiM).  unrichtige  Proportionen,  mangelhafte  Entwicklung,  ungünstige  Erniihrung,  naturwidrige 
Leljenswcisc.  schlechte  Aus]irägung  des  liesehlechtscharakters,  Alter.  Erldichkeit,  Krankheiten  aller  Art.  un- 
gesunde Kleidung  usw.  werden  da  ausgemerzt,  ehe  der  Autor  zu  Positivem  schreitet.  -  Der  Piklerschniuck 
ist,  wie  erwälint.  ungemein  reich.  Stratz  konnte  da  aus  einem  unifasseinleu  Jlateriale  wählen,  und  er  hat 
überdies  geschickt  und  mit  (ieschmack  gewühlt.  Das  Werk  ist  iianientlich  ilen  liildenden  Kiinstleni  zu  emp- 
fehlen, welche  rlaraus  grolsen  Nutzen  und  wertvolle  Erkenntnis  sehoplen  kniimn      v.  Larisch 

Allgemeines  Liter<iliirbljlt,  Wien. 


jüsiicisisiioi   Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  ^^^<i^^ 


Die  Rassenschönheit  des  Weibes. 

Von  Dr.  C.  H,  Sfratz. 
Siebente,  gänzlich  iimcrcarbcitete  und  erweiterte  Auflage. 


Milö46Texlabbildunocii  und 


Lex.H".  IQIl.   Gch.M.lö.-;  in  I.cinw.ocb.M.IS.- 


INHALTrEinleiiung.  - 
I.  Rassen  und  Rassen- 
merkmalc.  —  II.  Das 
weibliche  Rassenideal. 
—  III.  Die  profomorphen 
Rassen.  I.Ausiralicrinncn 
und  Nctjrilos.  2.  Papuas 
und  Melancsierinnen.  5. 
Weddas  und  Dravidas.  4. 
Ainos.  5.  Die  Koikoins  und 
Akkas.  6.  Die  amerika- 
nischen Stämme.  —  IV. 
Die  mongfoiischc  Haupt- 
rasse. Cliinesinncn.  |a- 
panerinnen.  —  V.  Dicni- 
gritischc  Hauptrasse. 
Banlunegerinnen.  Sudan - 
neticrinnen.  —  VI.  Der 
asiatische  Hauptstamm 
der  mittelländischen 
Rasse.  Hindus.  Perse- 
rinnen und  Kurdinnen. 
Araberinnen.  —  VII.  Die 
metamorphen    Rassen. 

1.  Die    ösilichien    mittel- 
iändiscli-mdngolisciien 

Mischrassen:  Birma.Siam, 
Anam  und  Cochinchina. 
Die  Sundainseln.  Ozea- 
nien. —  Sandwichinseln, 
Carolinen,  Sain<ia,  Fid- 
schiinseln, Admiraliläls- 
inscln.  Freundschallsin- 
seIn,Neuseeland(Maoris). 

2.  Die  westlichen  Misch- 
rassen: a) Tataren  und  Tu- 
ranier.  b)  Die  äthiopische 
Mischrassc.  —  VIII.  Die 
drei       mittelländischen 

Unterrassen.  1.  Die  afrikanische  Rasse:  Ägypten 
2.    Die  romanische  Rasse :    Spanien.    Italien, 
nordische  Rasse:  Niederland 
dinavien. 


Mcidcticn  aus  Sanioa. 


Berberische  Stämme.   Maurische  Stämme. 
Griechenland.     Frankreich.     Belgien.      5.    Die 
,^^ .  .,.^u^..^,.„.    Österreich-Ungarn.    Rußland.    Deutschland.    Dänemark.  Skan- 
Übersicht  der  wichtigsten  weiblichen  Rassenmerkmale. 


Naturgreschichte  des  Menschen. 

Grundril?  der  somalischen  Anthropologie. 
Von  Dr.  C.  H.  Strafz. 

Mit  342  teils  farbigen  Abbildungen  und  5  farbigen  Tafein. 

Lex.  8".  1904.  Geh.  M.  16.—  :  elegant  in  Leinw.  geb.  M.  17.40. 

INHALT:  I.  Überblick  Über  die  anthropologische  Forschung. —  II.  Die  phylogenetische 
EntWickelung  der  Menschheit.  —  III.  Die  Ontogenese  des  Menschen,  a)  Die  embryonale  Ent- 
wickelung.      b)    Das  Wachstum    des    Menschen,      c)    Die    geschlechtliche    Enlwickelung.    — 

IV.  Die  körperlichen  Merkmale  des  Menschen  (Kraniologic,  Anihropomelrie,  Proportionen). — 

V.  Die  Rasscnenlwickelung.  —  VI.  Die  menschlichen  Rassen.  1.  Die  Australier.  2.  Die  Papuas. 
3.  Die  Koikoins.  4.  Amerikaner  und  Ozeanier.  5.  Die  melanoderme  Hauptrasse.  6.  Die 
xanthodcrinc  Hauplrasse.     7.  Die  leukodermc  Hauptrasse.     Schlußwort. 


isißsisisisß  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  ^^^'Ci 


Die  Fraucnkicidung 

und  ihre  natürliche  Entwickeiung. 
Von  Dr.  C.  H.  Sfratz. 

Dritte  völliii  umgearbeitete  Auflage. 


Mit  269  Texlabbildungen  und  einer  farbigen  Tafel. 
Lex.  8".    1904.    Geheflel  M.  15.— :  in  Leinw.  geb.  M.  16.40. 

INHALT:  Linleilung.  -  1.  Die  Nacklheil.  —  II.  Die  Kiirperverzicrung.  a)  Kürper- 
schmuck. I))  Klciduntr.  —  111.  Einflul)  der  Rassen,  der  geographischen  Lage  und  der  Kullur 
auf  die  Körperverzierung.  —  IV.  Der  Kiirpcrschmuck.  a)  Bemalung.  b)  Narbenschmuck 
und  Tätowierung,  c)  Körperplaslik.  d)  Am  Korper  bc!csiigle  Schmuckslücke.  —  V.  Die 
primitive  Kleidung  (Hiiflsehmuck).  —  VI.  Die  tropische  Kleidung  (Rock).  —  VII.  Die  arktische 
Kleidung  (Hose,  Jacke).  —  VIII.  DieVolksIracht  auDereuropäischer  Kulturvölker.    1.  Chinesische 

Gruppe.  2.  Indische 
Gruppe.  5.  Indo- 
chinesischeGruppe. 

4.  Islamitische 
Gruppe.  —  1.x.  Die 
Volkstrachten  eu- 
ropäischer Kultur- 
völker. 1. Die  eigent- 
liche Volkstracht. 
2,DieStandcstrach- 
Icn.  3.  Die  Hose  als 
weibliehe  Volks- 
irachl.— X.  Die  mo- 
derne europäische 
Frauenkleidung.  — 

L  Unterkleider. 
2.    Überkleider.   — 

XI.  EinHulJ  der  Klei- 
dung auf  den  weib- 
lichen    Körper.    — 

XII.  Verbesserung 
der  Frauenkleidung. 


Ar<il>erin  mit  \er.sclileik;rlciii  Gcsichl. 


Urteil  der  Presse: 

...  Das  Hucli  ist 
li-^^i-lnil  iiiiil  unroKi'iid 
^'i'Scliri''li'ii,  von  iler 
VfiiaS'-l'in^t'liiiii'lliiiif,' 
pleganl  ausgi-stattet, 
wolx'i  all  prägnanten 
llilclinn  nicht  gcsiiart 
wiirdi'.  iiml  i'in|ilielilt 
sicli  .jf'iien,  wi'lclie  i-ine 
I.,iJsung  der  lirpnncndPn 
Ii'rage  der  Fraiienlilei- 
diing  uiitor  ßcrüclt- 
sii'litigung  derÄstlietili 
rrstn-lii'n. 

Zcitsclirlfl  für  Sozial- 
wissenschaft. 


iSißsiJKJ^si  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  <i^^iHi^ 


Die  Körperpflege  der  Frau. 


Physiologische  und 
ästhetische  Diätetik 

für  das  weibliche  Geschlecht.    Allgemeine  Körperpflejjie,  Kindhcil,  Reife.  Heirat, 

Ehe.  Schvvan<Terschaff,  Gebiirf.  Wochenbett.  Wechseljahre.    Von  Dr.  C.  H.Stratz. 

Zweite  Auflage.  Mit  1  Tafel  und  79  Textabbildungen.  Lex.  8".  1911.  Geh.  M.  8.-^0; 

in   Leinw.  geb.  M.  10.— 

INHALT:  Einlcilung.  —  1.  Der  Bau  des  weiblichen  Körpers.  —  II.  Pflege  der  Körper- 
form. —  III.  Ernährung  und  Stoffwechsel.  -  IV.  Pflege  der  Haut.  —  V.  Kleidung.  — 
Vi.  Pflege  der  einzelnen  Körperteile.  1.  Pflege  des  Kopfes.  2.  Pflege  des  Rumpfes.  5.  Pflege 
der  Gliedmaßen.  —  VII.  Das  Gattungsicben  des  Weibes.  -  -  Vlll.  Kindheit.  —  IX.  Reife.  — 
X.  Heirat  und  Ehe.  —  .XI.  Schwangerschaft.  Vorschriften  mit  Rücksicht  auf  das  Kind.  Vor- 
schriften für  die  erste  Hälfte  der  Schwangerschaft.  Vorschrihen  für  die  zweite  Hälfte  der 
Schwangerschaft.  —  XII.  Geburt.  Vorbereitungen  für  die  Geburt.  Natürlicher  Verlauf  der 
Geburl.  Pflege  und  Behandlung  der  Geburt.  —  XIII.  Wochenbett  und  Säuglingspflege. 
Normaler  Verlauf  des  Wochenbetts.  Wochenpflege.  Säuglingspflege.  ^  .XIV.  Wechseljahre. 
Diätetik  der  Wechseljahre.  —  Namen-  und  Sachverzeichnis." 

Urteil    der   Presse;   r*^i"  ^^^  Mediziner  uud  Physiolnge  rülimlicli^r  bekannte  Verfassei*  Ijeschenlvt  uiisltl' 

Frauenwelt  mit  einer  Galie  von  liolii-m  Werte.   Dem  Beisiüel  Hufelands  folgend,  will 

Strat/,  di-_-  ]diy»iolugische  und  ästhetische  Pflege  der  Frau  unter  einem  neuen  Gesichtspunkte,  dem  der  Kallo- 
biotik.  vereinigen.  Kalloliiotik  nennt  Stratz  die  Lehre,  schön,  d.  h.  gesund  zu  lelieu.  Seiner  Atisicht  ist  der 
Verfasser  im  ganzen  Umfange  gerecht  geworden.  Ant  lieinahe  300  Seiten  bietet  das  Werk  einen  zuverlässigen 
Ratgeber  für  die  Frau  zu  einer  harmonischen,  gesundheitliciien  Gestaltung  ihres  taglichen  Lettens.  I»ie  .Xus- 
stattung  ist,  wie  es  liei  dem  Kufe  der  Verlagshandtung  Enke  zu  erwarten  ist,  eine  giinz  vorziiglirlic ,  >.o  dal! 
die  Lelttiire  des  Buches  auch  nach  dieser  Seite  hin  einen  vidlen  iJenuH  liietct.     Frankfurter  Fraucnzcifung". 


Soeben  erschien  in  vierter  Auflage: 


Die  Frau  als  Mutter. 

Schwangerschaft.  Geburt  und  Wochenbett  so- 
wie Pflege  und  Ernährung  der  Neugeborenen 
in  gemeinverständlicher  Darstellung 
von  Privatdozenl  Dr.  Hans  Mcyer-Rüegg.  Mit 
4ö  Abbildungen.  8".  191Ö.  Geh.  M.  4. — :  in 
Leinw.  geb.  M.  5. — 


Urteile  der  Presse: 


Ein  ausgezei.  hnetes  Buch!  ...  Es  ist  mit  diesem  Buclie 
einem  dringenden  Bediirlnis  aligehotfen  worden,  uncl  ich  werde 
hinfort  jeder  jüngeren  Frau  meiner  Klienten  raten:  „Kaufen  Sie 
sich  dieses  Buch."    Prof.  Dr.  J.  Paget  t. 

Deutsche  Ärzte-Zeifungf. 

\"ii  alt  df-n  \iel'ti  Biuhein.  die  sicli  dieselbe  .\ufgal)e  gestellt  halien,  wie  d.tsjenige  Meyer-Iiüeggs. 
ist  keines  gleiehwerlig,  keines  kommt  ihm  nahe.  Es  gelmrt  zu  den.ienigen  liueliem,  welche  in  jede  Ehe  niit- 
geliracht  werden  sollten.  Icli  habe  das  Buch  vielfach  empfohlen,  unil  wo  es  gelesen  wurde,  wo  maii  seinem  Rate 
folgte,  hat  es  sich  .Mütter  und  Vater  erobert,  die  das  Gedeihen  ihrer  .Tungni.innsihaft  zu  einem  guten  Teil  dem 
menschenfreundlichen  .\rzte  verdanken,  dem  die  Miihe  nicht  zu  grolS  war,  die  Erfahrung  einer  reichen,  praktisc  hen 
und  wissenschaftlichen  Tätigkeit  in  dem  gebildeten  Laien  verständlicher  Form  zu  Ijearbeiten.     Dr    M  .  .  .  r 

Neue  Züricher  Zeiluno. 


Das  Geheimnis  vom  Ewig-Weiblichen,  such^^^r 

Naturgeschichte  der  Frau.  Nach  Vortragen  im  Wintersemester  1910  11  von 
Prof.  Dr.  H.  Scllhcim.  Mit  1  farbigen  Bilde  von  A.  L.  Ratzka.  Lex.  8".  1911. 
Geh.  M.  2.— 


Die  Reize  der  Frau  und  ihre  Bedeutung  für 


den  Kuhurfortschritt. 


Nach  einem  am  17.  Dezember  1908  im 
„Deutschen  Frauenverein  für  Kranken- 
pflege in  den  Kolonien"  in  Stuttgart  gehaltenen  öffentlichen  Vortrag  von  Prof. 
Dr.  H.  Scllhcim.    Mit  1  Tafel.    Lex.  8'.    1909.   Geh.  M.  1.60. 


sKssiKssäSäK  Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  -o-isis-Kic?-« 


Der  Körper  des  Kindes  ""p.'.^TT"^ ^ 

'  f"urhltcrn,  Erzieher,  Arzte 

und  Künstler.  Von  Dr.  C.  H.  STRATZ,   Dritte  Auflage.   Mit  312  in  den  Text  ge- 

drucklen  Abbiidunj.;enu. -4 Tafeln.  Lex. 8".  1909.  üeh.  M.  16.—:  in  Leinvv. geb.  M.  17.40. 

INHALT:  Elnlciiung.   —   Allgemeiner  Teil.    1.  Der  Liebreiz   des    Kindes.  —  11.    Die 

embryonale  Enlwickcluntr.  —   111.  Das  neugeborene  Kind.  —  IV.  Wachsluni  und  Proportionen. 

—  V.  Hemmende  Einflüsse.  —   VI.  Die  normale  Enlwickelung  des  Kindes  im    allgemeinen. 

Spezieller  Teil: 
Vll.  Das  Säug- 
lingsalter (bis  1 
Jahr).  —  Vlll.  Das 
neutrale  Kindes- 
alter(l  bis7|ahre). 
a)  Erste  Fülle  (1 
bis  4  Jahre),  b) 
Erste  Streckung 
(5  bis  7  Jahre).  — 
IX.  Das  bisexuelle 
Kindesalter  (S  bis 
15Jahre).a)Zwcite 
Fülle  (S  bis  10 
Jahre),  b)  Zweite 
Streckung  (11  bis 
löjnhre).'— X.  Die 
Reife  (15  bis  20 
Jahre).  -  XI.  Die 
Pflege  des  gesun- 
den Kindes,  a) 
Körperliche  Ver- 
sorgung. 1.  Er- 
nährung. 2.  Klei- 
dung. 3.  Lebens- 
weise. 4.  Körper- 
pflege (Reinigung, 

Bad,  Luftbad, 
Abhärtung),  b)  Er- 
ziehung. 1.  Indivi- 
duelle Erziehung. 
2.  Sexuelle  Erzie- 
hung. —  Xll.  Prak- 
tische Nutzanwen- 
dung. —  Sachver- 
zeichnis. —  Na- 
menverzeichnis. 

Es  sinil  viele 
Büclier  geschrieben  wonlen  Über  das  kranke  Kind  und  seine  PI1ep:e,  über  das  gesunde 
kaum  eines."  Wenigstens  keines,  das  in  so  klarer,  eingehender  und  alljjeniein  verständlicher  Weise  und  in 
so  gewählter,  geistreieher  Spraohe,  wie  wir  sie  an  Stratz  gewohnt  sind,  .lie  normali'  korijerliehe  Kntwickelung 
des  Kindes  bis  zum  .\lter  der  Keife  zur  Darstellung  liringt.  .  .  .  .\n  Fülle  und  Glanz  der  Illustrationen  reiht 
sich  dieses  neueste  Stratzsche  Werk  seinen  Vorgangern  würdig  an.  Frankfurter  Zeitung. 

DieKörperformen  in  Kunst  undLeben 

c\oV    \7\r\7\XyO\*      von  Dr.  C.  H.  stratz.    Zweite  Auflage.    IMit 
Uv^I     \CXyiX\\K,\  •     112  in  den  Text  gedruckten  AbbildunsTcn  und  Ifar- 
bigen  Tafein.     Lex.  8''.     1904.     Geli.  M.  8.60:  in  Leinw.  geb.  M.  10.— 
INHALT:    Einleitung.     -  1.  Die   Körperformen    der  Japaner.     1.  Das    Skelett.    2.  Mal5c 
und  Proportionen.   5.  Gesichtsbildung.    4.  Körperbildung.         II.  Japanischer  Schönhcilsbegrilf 
und  Kosmetik.    1.  Auffassung  der  körperlichen  Schönheit.    2.  Künstliche  Erhöhung  der  Schön- 
heil.  —  III.  Das  Nackte  im  täglichen  Leben.    1.  In  der  Öffentlichkeit.   2.  Im  Hause.  —  IV.  Dar- 
stellung des  nackten  Körpers  in   der  Kunst.     1.  Allgemeines.     2.    Ideal-  und  Normalgestalt. 
3.  Mythologische  Darstellungen.     4.  Darstellungen  aus    dem  täglichen  Leben,     a)    SlralJen- 
leben.     Aufgeschürzte  Mädchen.     Arbeiter.    Ringer,     b)  Häuslichkeit.     Dcshabille.      Toilette. 
Bäder.     V'oshiwara.    Erotik,    c)  Besondere    Ereignisse   und  Situationen.     Überraschung  im 
Bade.     Nächtlicher  Spuk.     Beraubung  edler  Damen.     Awabifischerinnen. 


Vier  Geschwister  von  2,  4,  5  und  b  Jaliren, 
Urteil    der   Presse:  5-^  '*'  wahr,  was  stratz  in  der  vorrede  zu  seinem  neuen  Buche  sagt 


joi:<j!<o>s><oi-o>   Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart,  ^^^y^^ 

Neue  Lichtbild'Studien. 

Vierzig  Blätter  von  Alfred  Enkc. 

Folio.     In  clcyaiilcr  Mappe  M.  12.— 

INHALT:  Das  Märchen.  Im  Frühlini,'.  Des  Liedes  Ende.  Mondnacht  bei  Lindau. 
Heimkehr  vom  Feld.  Bcrt;ptad  in  Südlirol.  Die  Ciehielerin.  Alte  SchloDlrcppe.  Das  Aher. 
Gräberstraße  bei  Pompeii.  Bildnis  des  Professors  K.  in  Berlin.  Sommerabend  am  Bodensee. 
Luiii'ina.  Campo  Santo.  Madonnenstudie.  Arven  im  Hochtjebirt;.  Trunkene  Bacchantin. 
Buchenwald  im  Spätherbst.  Melancholie.  Schlol?  in  den  Bertren.  Weibliches  Bildnis.  Am 
Weiher.  Bildnis  eines  juniren  Künstlers.  Kalvaricnberij.  Lili.  Sumptiges  Liter.  Dämmerung. 
Das  Plörlchen.  Italienischer  Dorfwirl.  Nächtliche  Fahr!,  lunyer  Südtiroler.  Gelände  am 
Comcrsee.  Heimkehr  von  der  Alp.  Lesendes  Mädchen.  Heucrnlc  am  Maloja.  Sturm- 
wind.   Abend  am  Canale  Grande.     Die  Wunderblume.     Ostcria.    Abendstunde. 


Ästhetik  und  allgemeine  Kunstwissenscliaft. 

In  den  Grundzügen  dargestell'  von  Max  Dcssoir. 

Mit   16  Abbildungen  und   IQ  Tafeln. 
Lexikon-Formal.     IVüb.     Geheltct  M.  14.-;  in  Leinwand  gebunden  M.  17.— 

Grundriß  der  Anatomie  für  Künstler. 

Von  M.  Duval.     Dcutsctie  Bearbeilung  von    Prof.  Dr.  Ernsf   Gaupp. 

Dritte  vermehrte  Auflage. 

Mit  4  Tafel-  und  88  Texlabbildungen,    gr.  8".    1908.    geh.  M.  7.—  ;  in  Leinw.  geb.  M.  8.— 

Über  den  Zweck  der  Kunst. 

Akademische  Festrede  zur  Feier  des  Geburtstages  Sr.  Majestät  des  Deutschen 
Kaisers  in  der  Aula  der  Universität  Tübingen  am  27.  Januar  1912. 

Gehalten  \on 

Dr.  Konrad  Lange,  ord.  Prof.  der  Kunslwissenschaft. 

Lex.  8".     1912.     geh.  M.  2.— 


Italienische  Materialstudien. 

Forschungen  und  Gedanken  über  Bau-  und  Dckorationsstcinc  Italiens. 

Für  Kunstforscher,  Kunslfrcunde,  Studierende,  Architekten,  sowie  für  Stcinindustricile. 

Von  Prof.  Dr.  H.  Scipp, 

Direktor  der  Kgl.  Baugewerkschule  zu  Kattowitz. 
Mit  133  Abbildungen.     Lex.  8».     1911.    geh.  M.  9.—  ;  in  Leinw.  geb.  M.  10.— 


Die  Grundlagen  der  jüngsten  Kunstbewegung. 

Ein  Vorlrag  von  Privaldozent  Dr.  E.   Utitz. 

Lexikon-Format.     1913.    geh.  M.  1.20. 

Was  ist  Stil? 

Von  Privaldozent  Dr.  E.  Utitz. 

Mit   12  Bilderlaleln.     Lexikon-Format.     1911.     geh.  M.  2.40. 


siiSJSiK-«<ot   Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart.  ißäs<o>!K-ci!Ci 

Pi;^^     1^1  nH     ^'^'"^   körperliche    und   geistige    Pflege   von   der 
L/Clo     rvlllLl     Geburt  bis  zur  Reife.   .♦♦♦♦♦♦♦♦♦ 

Zwcifc  Auflage. 

Unicr  Miluirkuny   hcixorrdgcnclcr  l-'cichniJiiincr  hcrciusticgcbcn  \()ii 

Prof.  Dr.  W.  Rein,  Jena  und  Prof.  Dr.  P.  Seiter,  Solingen. 

Zwei  Bände. 

Mit   186  Abbildungen  im  Texl. 
Lex.  8».     l--)!!.     Komplell  in   1   Band  «eh.  M.   16.—  ;  in   Leinw.  geb.  M.    17.40. 

I.  Band:  Die  Körperpflege  und  Ernährung  des  Kindes. 

Mi!   152  Texl.ibbildungen.     Lex.  8".      l'-)ll.     sjch.  M.  '-).     ;  in   Leinw.  geb.  M.   10.— 

II.  Band:  Die  Erziehung  des  Kindes. 
Mit  34  Texlabbildungen.     Lex.  8".     1911.     geh.  M.  7.—  ;  in  Leinw.  geb.  M.  8.— 

Wer  sich  von  den  aiisgezeiolineten,  in  iliesem  Biuhe  ciitliiihfiicii  l,';ilMlil,[(;.'n  leiten  IiUSt.  wir^l  Nii-lior  ilir 
hesten  Kiiolge  erzielen  und  das  erreichen,  was  die  Verfasser  Ja  als  srlniiistrs  End/i<d  anstn-tM-ii,  iiaiiilicli  die 
Heranbildung  eines  körperlich  und  geistig  gesunden  Kindes.  Wiener  klinische  Wochenschrift  1911,  Nr.  58. 

.\lle  Fragen  der  l'Ilege  und  Erziehung  werden  hier  mit  einer  (jründlichlieit  und  Sachlichkeit,  ciu.'ui  Krust 
und  einer  Warme  besjn-ochen,  dalt  man  sich  keinen  besseren  Berater  fiir  .|iiui.'c  Jliittcr  und  l'flr^'cniiittcr,  fiir 
Lehrer  und  Warterinnen  denken  kann.  Es  wäre  darum  vun  Herzen  zu  wunscheu,  dall  das  prachr i^.' .  durch 
viele  vorzügliche  Abbililungen  belebte  und  erläuterte  Buch  in  die  Hände  aller  derer  liauu-.  dinen  die  l'Hege  des 
kostbaren  kleinen  Jlenscheumaterials  anvertraut  ist.  Gartenlaube  1911,  Nr.  45. 


Beschäftigungsbuch 

für  Kranke  und  Rekonvaleszenten,  Schonungsbedürftige  jeder  Art 

sowie  für  die  Hand  des  Arztes  bearbeitet  von  Anna  Wiest,  Stuttgart. 

Mil    122  Textabbildungen.     Mit   einer  Vorrede   von  Prof.  Dr.  E.  v.  Romberg  in  München. 
Lex.  8".     1912.     Geh.  M.  5.—  ;   in  Leinwand  geb.  M.  6.— 

Daraus  sind  einzeln  zu  haben:  '.  Teil:  Fröbclarbcitcn  mit  20  Textabbildungen,  steif 
geh.  M.  .80;  II.  Teil:  Liebhaberkünste  mil  55  Texlabbildungen,  steif  geh.  M.  2.40;  III.  Teil: 
Weibliche  Handarbeiten  mii  28  Texlabbildungen,  steif  geh.  M.  I.  ;  IV.  Teil:  Verschiedene 
Arbeiten  mit   19  Texidhbildungen.  steif  geh.  M.  1.40. 

Atlas  typischer  Handgriffe  für  Krankenptlegerinnen 

von  Dr.  M.  Friedemann 

Chefarzt  des  Komm. -Krankenhauses  zu  Langcndreer,  I^eiter  der  staatlich  anerkannloii  Krankenpflcyeschule 
der  westfal.  Schwesterschaft  vom  I?oten  Kreuz. 

Mil  40  Tafclabbildungen.     gr.  8".     |9|?.     ,Sieif  geh.  M.  5.    - 
Soeben  erschienen: 


Die  erste  Hilfe  bei  Unglücksfällen  im  Hochgebirge 

für  Bergführer  und  Touristen. 

Im  Auftrag  des  Zentralausschusses  des  Deutschen  und  Österreichischen  Alpcn\crcins 
und  des  Zentralkomitees  des  Schweizer  Alpenklubs  herausgegeben 

von  Dr.  O.  Bernhard. 

Fünfte,  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Mil    190  Texiabbildunu'cn.     8».     1915.     In  Leinw.  geb.  M.  3.— 


Diätetische  Küche. 

Mit  besonderer  herUcksichliguny  der  Diiil  bei  inneren  L.rkr.iiikungen  nebst  einem  Anhang: 
Über  Kinderernährung:  und  Diätetik  der  Schwangreren  und  Wöchnerinnen 

von   Dr.  L.  Disqu^,  Kreisarzt  a.  D. 

Sechste,  völlig  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 

8".     1915.     geh.  M.  5.— ;  in   Leinw.  geb.  M.  5.60.