Presented lo ihe
LIBRARY o/f/ie
UNIVERSITY OF TORONTO
by
Canada Council Special
Grant - History of
Science 1968
DIE MEDIZIN IN DER
KLASSISCHEN MALEREI
In glehheiii Verlcii,'c sind \(>ii clcniselhcn Herrn Verfasser in den
lehlen |<iliren erschienen :
Die Karikatur und Satire in der Medizin
Mcdikokunsiliislorisrhe Sliidie
\ on
Prof. Dr. EUGEN HOLLÄNDER
Mii 10 Idrbitjen Tafeln und 225 Texlabbildungen
hoch -1". 1^;()5. karl. M. 24.— : in Leinwand geb. M. 27.—
Plastik und Medizin
Prof. Dr. E U G E N HO LLÄN DER
Mii 1 Titelbild und 4S3 Texiabbildunpen
hoch 1". 1912. karl. M. 28.— ; in Leinwand geb. M. 30.
DIE MEDIZIN
IN DER KLASSISCHEN
MALEREI
VON
EUGEN HOLLÄNDER
MIT 272 IN DEN TEXT GEDRUCKTEN ABBILDUNGEN
ZWEITE AUFLAGE
STUTTGART
VERLAG VON FERDINAND ENKE
1913
K
H5^
Alle ßechre insbesondere das der Llhersehuni^ vorbehalten
Druck der Union Deutsche Verlaj,'syesellscb<ifl in Stnllj^art
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE
icscs Buch ist viel gelobt und stark getadelt worden, beides
wohl über (iebühr. Man hat behauptet, daß es zu den
klassischen Werken tür alle Dauer der Zeiten rechnen wird*),
und man hat tranzösischerseits arg gescholten**), dal.^ in demselben
zu wenig die Verdienste der Pariser Schule \ (.mi Charcot betont werden.
Man hat dies Ruch als ganzes wie im einzelnen von seltener lir-
freulichkeit genannt, das trotz seiner außerberut liehen Entstehung
geeignet sei, als edelste Erholung Berulstreudigkeit zu erwecken***).
Ein Teil der Tadler rügten die ganze Tendenz des l^uches. Andere
ernste und gelehrte Manner tadelten mit Recht manche Irrtümer und
Schnitzer. Es waren aber merkwürdigerweise gerade Dilettanten und
schlechte Sänger, welche die fehlende Wissenschaltlichkeit dieser
Arbeit rügten und gegen tl^jn Dilettantismus in der Historie breit-
beinig zu Eelde zogen. Doch derjenige, welcher sich längere Zeit
und gründlich mit der Geschichte der Kunst und Medizin betaßt
hat und, nicht den grünen Tisch zum Acker machend, aus drei oder
vier ähnlichen Werken ein fünftes sich aus der hohlen lland erschuf,
wird meiner Meinung sein, daß die Bearbeitung gerade dieses Stoffes
nicht das wissenschaftliche Mäntelchen verträgt, welches allzuleicht
den literarischen Diebstahl legitimiert. Es liegt leider im Wesen einer
solchen außerberuflichen Publikation, daß Entgleisungen vorkommen,
und dankbar war ich denen, die mich auf solche aufmerksam ge-
macht haben. Ich habe es versucht, solche in der Neubearbeitung
auszumerzen. Doch dafür, daß meine Absicht mit diesem Buche
voll und ganz erreicht ist, spricht neben der Anerkennung kom-
petenter P\ichmänner die Schule, die es gemacht hat; mit einem —
ich kann wohl sagen — Enthusiasmus stürzte man sich auf dieses
*) Siehe Pagel, Janus Jahrgang 9, S. 239.
**) Siehe Iconographie de la Salpetricre B. 16. 1903.
**') Siehe Sudhoff, Älitteilungcn zur Geschichte der Medizin. Heft X. 1904. S. 131.
VI jKJSSsxsJSiO-stiSiOisssiSiieiiSJK Vorwort zur zweiten Auflage äKS*s><ci!ie>!C>!0>iK'C!!«iS'«iO«iCi!C!!5>!K=«
tür Deutschland wenigstens neu enldeekte dren/gebiet zwischen Kunst
und .Medi/in. Medi/inartistische Kalender erschienen, Wuchenschrilten
brachten und bringen ilhisirative IV'ihi^en aus der Geschichte der
Medizin. Die Medizin in der Malerei ist eine beinahe ständiue Kapitel-
überschritt in den l\ataK\i;en der Kunsthändler geworden und in di^n
Mappen der Antiquare; l^ilder aus der (ieschichie der Medizin wurden
und werden als Beilagen lür pharniazeiuische Präparate und lür Zeit-
schriften verwandt, und selbst der üble Ansichtspostkaitenruniniel
nahm sich der Konjunktur .ui. iünnial in Mode, land man ( iefallen
daran, die Menükarlen ärztlicher (iesellschatten nnt den Illustrationen
dieses Buches zu schmücken. Weit ernsthaltere Bestrebungen gipfelten
in Ausstellungen, von denen die Berliner''^') im Jahre 1906 ein
schwaches Unternehmen gegenüber der großartigen Leistung aut der
internatiiMialen 1 Ivgieneausstelhmg in {Dresden war. liier wurde der
erstaunten Welt \-on einem .Manne, der den Dämon der .Medizin-
geschichte in sich trägt, gezeigt, bis zu welcher Höhe die Übjekt-
kunde und ihre bildliche Vorführung der Geschichte der Medizin
nutzbar gemacht werden kann. Iirtolgreicheii Pionierdienst aut diesem
Neulande der Forschung, wo man die (ieschichte der Medizin in ihrer
zahllosen Beziehung zur Kunst kultiviert, leistete demnach dies l^uch**^).
Die weitere Kntwickhing dieser mediko - historischen Studien hat
durch die Mitarbeit von P'achgenossen und durch die l'ortsetzung
eigener Arbeit so an Tiefe und Breite gewonnen, daß die Neuauf-
lage des vorliegenden Jkiches eine Umarbeitung desselben not-
wendig machte.
Nach Gebühr versuchte ich Versäinntes nachzuholen und die
historische Kntwicklung der .Mediko-Kunsthistorie zu skizzieren, so-
weit diese für den ("praktischen Arzt von Interesse ist. (lelegentlich
der Herausgabe der »Plastik und .NK'dizin«***) habe ich diese \'or-
arbeit bereits gewürdigt. Hs hat sich nämlich herausgestellt, daß
schon lange vor Virchow und (^harcot hervorragende Arzte syste-
*) Ausstellun}; der Geschichte der Medizin in Kunst und Kunsthanducrk. Der wissen-
schaftliche Katalor; hierzu bei Ferdinand Enke erschien 1906.
"1 .Mitteilungen zur Geschichte der Medizin 1906, S. 334.
**•; Stuttgart 191 2 bei Ferdinand Knkc.
S5!SStiO>iCi-C>>KiC*«!<0!!K!vi!5!)CtJOtiKSi!5 NoRWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE 3JiSKJßJ5!0>!K!C>!eiiO!iOi!0!S>!Ci!0!!CS\'II
matisch die Erzeugnisse des Kunsthandwerks mit Ik'zug aut die
Heilkunst sammelten und studierten. Doch ging hei ihnen der Reiz
zu Schlehen Studien von grund\'erschiedener Stimmung aus.
Wenn auch das Verdienst der Clurcotschen Schule ungeschmälert
sein soll, aus dem Edelmetall dieser Materie die schönsten Münzen
geprägt zu hahen, die schon zu einer Zeit im Kurs waren, als wir
noch sammelten, so ist es doch ohne jeden Zweifel, daß es dem
Gc)ttinger Gelehrten, dem Protessor der Pharmakologie Karl l'riedrich
Heinrich Marx, vorbehalten war, in einer Akademieschritt über die
»Beziehungen der darstellenden Kunst ziu- Heilkunst« im Jahre i86i
prinzipiell und programmatisch das ganze Material swstematisch
2:eordnet zu haben. Es ist dabei ziemlich "leichgültig, daß Marx
sich sein Material im Kunterstichkabinett suchte und nicht durch
Anschauung die Originale in denW'eltmuseen kennen lernte. H. Kohlts
beansprucht tür »Marx dien Einzigen«, wie er diesen originellen und
ideenreichen Eorscher, der in (jöttingen auch in 'Fracht und Umgangs-
tormen eigene und sonderbare Wege ging, nennt, das Prädikat des
Begründers der ethischen Medizin. Mit demselben Rechte konnte
man ihn als den J3egründer der mediko-artistischen Bestrebungen
hinstellen, wenn seine fleißige Arbeit nicht im rein Theoretischen
stecken geblieben wäre. \'ergleichen wir seine übrigen Streitzüge in
der Geschichte der Medizin und seine ott geistreichen, meist durch
gesuchte Antithesen aber verschnörkelten Schritten dieser Gattung mit
der Sammlertätigkeit des l.eibmedikus des Joachimsthaler Gvmna-
siums, Moehsen*), so tinden wir, daß beide Arzte, heseelt \on
gleicher Liebe zur Kunst und zur Medizin, beide tätig als Sanmiler,
Ästheten und Medizinhistoriker, sich fremd gegenüberstehen. Bei
gleicher Ilingabe an denselben Gegenstand betreten beide grund-
verschiedene Wege. Das tührt zu einer vollkommen divergenten
Bearbeitung desselben Stoft'es. Der Berliner Sammler illustriert sein
*) J. C. W. Miiehsen, Beschreibung einer Berliner Medaiilensammlung, die vorzüglich aus
Gedächtnis-Münzen berühmter Arzte besteht. Berlin 177,,.
J. ('. W. Moehsen, Verzeichnis einer Sammlung von Bildnissen größtenteils berühmter
Ärzte sowohl in Kupferstichen, schwarzer Kunst und Holzschnitten, als auch in einigen Hand-
zeichnungen. Diesem sind verschiedene Nachrichten und Anmerkungen vorgesetzt, die sowohl zur
Geschichte der Arzneigelahrtheit. als vornehmlich zur Geschichte der Künste gehören. Berlin 1771.
\'III •«ss-otJSiieiJOiiSiSiSJSSiSiiSJCi \'or\vort zur zweiten Auflage StStietJSiO'jSJCii'CiiSiCitieiiCi-CüSiJSiStiSiJt
Verzeichnis der l^ildcrsaninilung bcrülinitcr Arzte, wie auch die
BeschreibuHi; seiner .Medaillensaninihini; mit wert\olleii himdeii zur
Geschichte der Xaturwissenschatt, aber er Melk sein medizin-hislo-
risches Wissen vollkommen in den Dienst der Kiaist, und zwar
nicht einer allgemeinen Kunstanscliauung, sondern vornelnnlich der
Geschichte der Graphik und der Xumismalik. Das erstrebenswerteste
Ziel seiner Darstellunuen ist eine vollkonnnene Aulzahlung aller
Varianten vorhandener Stiche. Bei dem Hildnisse des llippokrates
zum Beispiel beschättigt er sich mit der .\rbeit der \ erschiedenen
Stecher, die alle das (iemalde des Rubens zum \'orbilde haben,
welches dieser wieder nach einer antiken JKiste gemalt hat.
Wir zeigten*), daß die \ erbindung reiner hiunanistischer Cie-
lehrsamkeit und theoretischer Ausbildung die Arzte der süddeutschen
Kulturzentren im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert aul die
Grenzgebiete der .Medizin gewiesen hat. Die scholastischen .Studien
nährten die Neigung zu Betätigungen, welche xon praktischer Heil-
kunde weit abliegen. Wir nannten die Xamen, \()r allen den des Xürn-
bergers Michael l.ochner xon IIunmielstein**J, der als .Stadt u'zt lür
seine pharmakologischen Studien Anregung in den Kunsterzeugnissen
der antiken \\\-lt suchte***). Ahnliches gilt \on dem Ifelmstedter
Professor Heinrich .Meibom.
X'ergleichen wir mit diesen Bestrebungen, die W'rbindung suchten
zwischen Medizin und Kunst zum b'rommen und zur l-orderung
real ärztlicher und naturwissenschaltlicher Kenntnisse, und den rein
philosophischen, ethischen und ästhetischen .Motiven eines .Marx
unsere modernen Arbeiten, so linden wir bald auch diesseits und jen-
seits vom Rhein eine charakteristische kleine Nuance. Die leinen Bei-
träge der französischen Schule, die im wesentlichen in der Nouvelle
Iconographie de la Salpetriere niedergelegt sind, lassen eher dem
rein Künstlerischen den X'orrang. Die Kunstgeschichte steht dort
'o-
breit im \'ordergrunde. Der große .Meister C^harcot treut sich, ein
*) Siehe «Plastik und Medizin« und siehe Münchner medizinische Wochenschrift 1904, Nr. 22.
**) Zu Fürth 1662 geboren.
**•) Papaver ex omni antiquitatc erutum, yemmis, numinis, statuis et marmoribus aere
incisis illustratum, Nürnberg 1715.
Jv!i0>!Ki0i!j>J0>S!J0ii0!J0iSi!C>!0(iKJ5:i0i!K:<5t VoKWOU I /L K ZW l-ITEN AUFLAGE JCiSiiJtiKiCiStiC^JOiJviSiJßiOiSiJCiiK IX
grundlegendes Material gesammelt zu haben als Beweis dafür, daß
»la grande nevrose hvsterique«, ein medizinischer Begrifl neueren
Datums, schon aul disn alten ivunstwerkeii naturgetreu geschildert ist.
Mit Sorgfalt und Liebe werden die Dokumente gesammelt. Der
künstlerische Teil, die Studienzeichnungen, lintwürle des Malers,
Kopien und die Zugehörigkeit des Malers zu einer Schule, seine
sonstigen Leistungen, die Deutung des l^ildes im Detad, die Zu-
sammenstellung der Larben werden mit fachmannischer Kenntnis ge-
schildert, kurz, die Kunst ist im wesentlichen der empfangende Teil ;
die Künstler müssen diesen Ärzten dankbar sein, welche ihre großen
und intimen Kenntnisse ihnen zur \'erfügung stellten. Ls ist das-
selbe Wrhaltnis wie beim Anatom, der den Künstler mit seiner
medizinischen L'achkeniitnis über die Schönheiten des Körpers und
die Proportionen der 'Leile autklärte, so daß sie ihm jetzt erst Be-
sitz werden, obwohl der Maler sie schon der Xatur abgestohlen und
richtig auf die Leinwand gebraclit hatte. Der führende Arzt und
Gelehrte Richer ist selbst ein anerkannt grol.k'r ausübender Künstler.
Demgegenüber zielen unsere Bestrebungen nach der rein medizin-
historischen Seite. Wenn wir heute die voraussetzungslos gemalten
Krankheitsschilderungen betrachten, so erwarte man keine Bilderfibel
tür Medizinstudenten; wir sammeln bloß Anschauungsmaterial für
die Geschichte der lleilkunst und des Heilstandes, Dokumente,
deren Wert unersetzlich ist, und welche in das Ödland und die
Moränen medizinischen Geschichtsunterrichts neues sprießendes Leben
bringen sollen imd gebracht haben.
So hat denn dieser frohe Abstecher in das schöne Land der
Künste, den ich vor lo Ldiren als einfacher Tourist ohne L'ührer und
Ikich, und wie ich gerne zugebe, auch ohne genügende Ausrüstung
unternahm, trotzdem für uns ein Neuland erschlossen. Denen, die
mir folgen wollen, rule ich glückliche L'ahrt zu.
if:<f.<^:<i<:i<f.<^:<i<i<;i<ii<i<f:<>:<^^^^^^
VORWORT DER ERSTEN AUFLAGE
'.Altem 11(111 iiilit iiisi iyiiariis.«
ics Buch, ein trchcs Werk aiilkTbcrut lieber 'l"äli_nl<eil, \"er-
dankl sein Mnlslehen der N'orliebe des Vertassers lur die
Sebc>ptuni;en der holländischen und llaniischen ( lenreschule,
die er seit den Ta^en seiner Schulzeit betätigte. Es war mir, .ils
eiirigeni Besucher der (jalerien und auch der Kunstauklionen, aut-
gcfallen, daß Gemälde aus dem debiete der .Medizin ziemlicli zahl-
reich auch noch im Kunslbandel vorkamen, und daß der (ieschmack
der Zeit dieses einst si) beliebte (jenre vernachlässigte. Ich ling dann
an, scilche zu sammeln und die in den dalerien der Alten Welt
befmdlichen Werke dieser Art in pliotographischen Abbildungen zu
erwerben; es bot das große Schwierigkeiten, da einerseits diese
Nebenwerke nicht photographiert waren, anderseits die Irüliere
'I'echnik, alte .Meister zu photographieren, so ungenügend war, daß etwa
vorhandene Reproduktionen nicht zu verwerten waren. So mußte
denn ein großer Teil der wiedergegebenen Photographien besonders
autgenommen werden; es hat zum Teil der Photograph des Alten
Museums diese Aulgabe würdig gelost, lis ist mir auch eine an-
genehme Plhcht, das Entgegenkommen vieler .Museumsdirektoren an
dieser Stelle dankbar zu quittieren, und nenne ich besonders die
Galeriedirektionen Berlin, .Mannheim, Schweiin, Köln a.Kli., Aachen,
Breslau, Gral Xostizsche Sanmihing (Piag), Dresden, Paris, .Mont-
pellier, .Madrid (Prado), .'\msterdani (Keichsnuiseiuu), Si\' (iaierie,
Delft (Direktion des Krankenhauses), Eondon (Direction Harbers
iEill, Societv of Antiquaries). Berlin (Kunstgewerbenurseiim und
Kupferstichkabinett etc.). Daneben stellten \iele Pri\atsaininler mir
ihre Kollektion zin' X'erfügung, und es sind im Text einige glückliche
Funde in solchen erwähnt. Selbstverständlich war es nicht möglich,
alle in Betracht kommenden Geiualde wiederzugeben , die N'erlags-
ißjS'OtSiiSJSSiißXüJüiSiOiißJKiJX'CfSiiS Vorwort der ersten Auflage !(5tJC«JS!0!!Ci!«s>*ss>s>!etiKjS<j>!ß!5i XI
anstalt von Ferdinand l:nkc zeigte dabei schon ein das gewohnte
Maß weit überschreitendes lintgegenkommen; es wurden nur Haupt-
bilder reproduziert, die aus einer lUahe ähnlicher durch ihren Kunst-
wert oder ihr medizinisches Interesse hervorragten.
Während der Herausgabe des Werkes erschien Dr. Paul Richers:
L'Art et la Medecine, ein Werk, welches auf Grund der Arbeiten
der Charcotschen Schule eine ziemlich unilassende Zusammenstel-
limg dieser Dinge gibt. Ware meine Arbeit dem Abschluß nicht
schon so nahe gewesen, so hätte dies Buch meine Autgabe mir
wesentlich erleichtern kimnen. So kommt jedoch dieser Umstand
der Originalität desselben zugute.
Aus dem am Schlüsse beigetugten Literaturverzeichnisse ergeben
sich die Quellen, die dieses eigenartige Grenzgebiet von Malerei und
Medizin berühren.
Erwähnen will ich auch noch besonders, daß vielfach Mediziner
eitrige Sammler derartiger Kunstwerke und ihrer Reproduktionen sind;
so hat Exzellenz \on Bergmann der Deutschen Gesellschatt tür
Chirurgie vor einigen Jahren eine medizinische Bildersammlung ge-
schenkt, Professor Klein in München sammelt alte gynäkologische
Drucke, Professor G. Meier solche Abbildungen, die sich auf das
Rettungswesen beziehen, Dr. Müllerheim \\\)chenstu.bendarstellungen,
und in Fachkreisen bekannt ist die medizinische Kupferstich- und
Medaillensammlung von Dr. |. Brettauer in 'l'riest*). Wie das
Germanische Museum in Xürnberg bestrebt ist, das Rüstzeug und
historische Urkunden aus dem Leben des alten deutschen Arztes zu
sammeln, so wäre es, glaube ich, wichtig und lehrreich zugleich,
Kunstgegenstände dieser Art in einer Hand und an einer Stelle zu
vereinigen**).
*) Mittlerweile nach dem Tode Brettauers verteilt. Die iMedaillensammlung ist im Wiener
Münzkabinett, die graphische Sammlung im Besitz vim Dr. C). Bernheimer.
") Dieser Wunsch ist seitdem an mehreren Stellen in Erfüllung gegangen, so im Kaiserin-
Friedrich-Haus in Berlin, im medizinisch-pharmazeutischen Museum in Amsterdam (Danielsi,
in Henry S. Wellcome's Museum in London und anderswo.
!5!Ci!S!Ot!Cii«jß!0i:«!C>i(S?S!0i!0iiSiS-K<S<S?KX^SiKXiS!S<SS?!K^
INHÄLT
Seite
Vorwort zur zweiten Auflage V
\'orwort der ersten Aufl.ioe X
Verzeichnis der Abbildungen XV
Einleitung i
Kunst und Medizin, Kiuistler und Mediziner im alluenieinen. — Grenzgebiete.
Das Anafomicbiid 4
Historische b.ntwicklung der Darstellung von Sektionsbildern in den Manu-
skripten und frühen Holzschnitten. — Die Geschichte der Skelettdarstel-
lung. — Die Darstellung des nackten Körpers. — Die Muskelmanner. —
Michelangelo. — Raflael und I.ionardo da Vinci. — Mondino de I.uzzi. —
Guv de Chauliac. — Ketham. — Vesalius und Calcar. — Die hollandischen
Anatomiegenialde. — Die englischen Anatoniiegenialde. — lün japanisches
Anatom leg eni aide.
Medizinische Gruppenbilder 87
Ein englisches (jruppenbild.
Das ärztliche Porträt 107
Vesalius.
Der Körperbau und seine Darstellung im Wechsel von Mode und
Künstlerstil 114
Der Kanon des Polvklet. — Der Infantihsmus der primitiven Malerei. — Der
Einfluß der Schuhe auf die Korperhaltung. — Tradition und Mode.
Schwangerschaft und Geburt 124
Die Nymphe Kallislo. — Der Besuch der Maria bei I-disabeth. — Die Bal-
dachinsäulen in San Pietro. — • Leda mit dem Schwan. — Die religiösen
Einlegeblätter. — Sanctus Expeditus. — Der Geburtsakt. — Die antike
Darstellung. • — Die Geburt der Päpstm Johanna. — Die Zwillingsgeburt
der Rebekka. — Die Geburt des Adonis. — Die italienischen Frauenschalen.
Kaiserschnitt 144
Die Wochenstube.
Der Tod in der Geburt 147
Massengeburt. — Abort.
XI\" !5ss<s»:?>ss!KS>«t<s?>iss><C!tJ(>:!0'ißi««?siCiiS>i« Imiai T io«sci!e>JSiSiSiKiK<«JSie>!Ois*iKS!?ss>!C>::«iS!C>::«jSssi>:'«
Seite
Lcprd 152
Hiob und der arme Lazarus. — Die Heilung des Aussätzigen. — Der bild-
nerische Ausdruck für Lepra bis zum fünfzehnten Jahrhundert. — Die
Syphilis. — Das Reinigungsopfer des Aussätzigen. — Die heilige Klisabeth
mit den .Aussätzigen. — Der Isenheinier Altar.
Lues 193
Pest 201
Rochus und Sebastian. — Die geistigen 1-pideniien. — Tanzwnt. — Dämonische
Krankheiten.
Zwerge und I^iescn 219
Krüppel 229
Blindheit 235
Geisteskrankheiten.
Gesichtstumoren 256
Varia.
Innere Medizin 267
l-.inleitung. — Uroskopie und Pulsfühlcn. — Homunkulus, — Der .Xrzt zu
Hause. — Arztlicher Besuch.
Chirurgie 327
lunleitung. — Die CJhirurgie in der antiken Kunst. — Bader und Badewesen. —
Schröpfen, Aderlall, Haarseil. — Kauterisation.
Steine 365
Blasensteine und Nierensteine.
Die Amputation 379
Fußoperationen 388
Beschneidung 39. 1.
Narrenschneiden 398
Zdhnopcrdtiüiien 418
Hospitalwesen 43»
Laicnbehandlung. Heilige — Könige 440
Allegorien und Kmblemc 455
Schlul^wort 467
<i<i<f/<^}is<i<f:<f:<f:<>:<>.'ff^^^^^
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Seite
Fig. I. Holhein d. J. Arzt und 'I'od 5
„ 2. Zimmerscher Totentanz 6
„ 3. Scliedelscher Totentanz 7
„ 4. Holbein d. J. Zeichnung S
„ 5. Kvosai. Zeichnung 9
„ 6. Marco Dente da Ravenna. Der IViedhof oder die Skelette 11
„ 7. Apollo schindet Marsyas 13
„ 8. Die Eva des Jan van Eyck 14
9. Domenico del Barbiere genannt D. l'iorentino sc. Aus einem anatomischen
Zeichenbuche .... 15
,, 10. Raflaello Santi. Studienblatt 16
„ II. Michelangelo. Studienblatt 17
„ 12. Skizze: Michelangelo und Antonio della Torre bei einer heimliclien Sektion 19
„ 13. Lionardo da \'inci. Handzeichnungen 21
„ 14. Lionardo da \'inci. Handzeichnungen 23
,, 15. Initiale aus dem Dresdener Kodex 28
„ 16. Miniatur aus der Prachtausgabe der Chirurgia magna des Guv de Chauliac,
.Montpellier 29
„ 17. .\us Johannes de Ketham 30
„ iS. Titelblatt aus Mondinos Anatomie 32
„ 19. Bordüre aus dem »Kanon« des Avicenna, Venedig 1323 53
„ 20. Aus dem Steinschnittbuch des Georg Bartisch 35
„ 21. Jan van Calcar. Anatomie des .\ndreas \'esalius 37
„ 22. Jan van Calcar. Initialen aus \'esals Fabrica 58
„ 23. Jan van Calcar. Initialen aus Vesals Fabrica 38
„ 24. Jan van Calcar. Initialen aus Vesals Fabrica 39
„ 25. Jan van Calcar. Initialen aus Vesals Fabrica 40
„ 26. Gerard Dou. Vesalius' Anatomie in einem Stilleben 41
„ 27. Albrecht Dürer. Studienblatt 42
„ 28. Albrecht Dürer. Anatomische Studie 43
,, 29. Das Theatrum anatomicum in Leiden 45
„ 30. Pieter Pavius im Leidener Theatrum anatomicum 47
., 51. Amphithe.itre des Fcoles de St. Cosme zu Paris 50
„ 32. Arend Pietersz. Anatomie des Doktor Sebastian Egberts 32
Thomas de Kevser. Die Anatomie des Doktor Egberts 55
Michiel Janszon van Miereveit. Die Anatomie des Doktor W. van der Xeer 55
Xicolaas Elias. Die Anatomie des Doktor Johann Holland (genannt Fontevn) 37
Rembrandt Harmensz van Rijn. Die .\natomie des Doktor Tulpius ... 59
Nicolaas Elias. Bildnis des Xicolaas Tulp 61
Rembrandt. .\natomie des Doktor Johan Devuian 62
Erster Entwurf Rembrandts zu derselben 65
35
34.
35'
36,
37
38,
39'
XVI äOSJKS>iC!iOii5JSJOt!ßS><S'«iSSSS55 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN SS!K<ßiK!0iS><>S>iß<5S>'C»iSS>SiS>:<S!0!
Seite
Fig. 40. Andrea .M;intcgna. Toter Christus 64
41. Adriaen Biicker. Die Anatomie des Doktor I-redcrik Ruyscii .... 65
42. Johan van Neck. Die Anatomie des l^oktor l'rederik Ruysch .... 67
45. Jurriaen Pool. C. Boekelmann und J. Six 69
44. Cornelis de Man. Die Anatomie des Cornelis s'Gravesande 70
45. Cornelis Troost. Die .\natoniie des Professor Roell 71
46. Thomas van de Wilt. Die Anatomie des Doktor Abraham Cornelis van
Blevswvck 73
47. Tibout Reglers. Die Anatomie des Doktor Petrus (Camper 75
48. Wandelaar. Vignette zur Neuau.sgabe des Vesalius vom Jahre 1723 . . 77
49. John Banister. Die Anatomie des Barber-Surgeon 78
50. Greenburv. Die .\natomie des Sir Charles Scarborough 79
51. William Hogarth. Eine anatomische Vorlesung 1750 in )3arbershall . . 81
52. HolLindischer Arzt, eine Japanerin sezierend ■. 85
53. Radierung einer .Medaille auf Johann Bapt. Morgagni 87
34. Werner van Vakkert. Die \'orsteherinnen des Lepraspitals 89
55. Jan de Brav, ^■orsteher des Lepraspitals 91
56. .\ussatzattest vom Jahre 1608 93
57. Xicolaes Maes. Die Chefs der Chinirgengilde 95
38. Cornelis Troost. Drei Chefs der (^hirurgengilde 97
59. J. M. Quinckhard. \'orsieher der Chirurgengilde 99
60. Hans Holbein d. J. Heinrich VIII. Farlamcntsakt 103
61. Hans Holbein d. J. Sir John Chambers 105
62. Portrat des \'esalius 109
63. llolbein d. J. Baseler Bürgerin 113
64. Cornelisz Engelbrecht. Johannes der Taufer und Magdalena .... 117
63. Nicolas Manuel Deutsch. Das Parisurteil 119
66. Nicolas Manuel Deutsch. Weiblicher .\kt 120
67. Vittore Carpaccio. Die Kurtisanen 121
68. Ratfaello Santi. La donna gravida 125
69. Tiziano Vccellio. Diana und Kallisto 127
70. Geburtszene 130
71. Rebekka gebiert Jakob und Lsau 131
72. Geburtsdarstellung 133
75. Geburt der Minerva 134
74. A. L. Gibelin. Die Nicderkunt't 135
75. Die Geburt der Papstin Johanna 157
76. Abraham Bosse. Lit de misere 139
77. .Abraham Bosse. Wochenbettbesucli nach der Taufe 141
78. Barthel Beham. Die unzeitige Geburt 142
79. iMajolikaschale aus Urbino 143
80. Kaiserschnitt '44
81. Die Geburt Cäsars im Suetonius von 1506 145
82. Robusti Tintoretto. Die Wochensiube der .Mutter Anna 149
83. Vierlingsgeburt 1)'
84. Miniatur aus dem Prachtkodex der »Chirurgie des Bischofs Theoderich« 132
85. Lepröser aus der Kährie-Moschec in Stambul 135
86. Mosaikschmuck des Mittelschiil's des Doms von Monreale 156
87. Albrecht Dürer. Hiob 159
J5S!JKS<!O!St<K<0iiKSi!K:«SiS>S!<C«S>>0> VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN JKiKi«iSS!!Ot<SiSi>:!S>SJ«««iei XVII
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Seile
Hans Scliäutclcin. Iliob 161
Albrecht Dürer, lliob 163
Botticelli. Das Opter des Aussätzigen 165
Botticelli. Der Aussätzige mit der mutilietten Hand 167
BotticelH. Der heilige .Martin 16S
Pietro de! Ddnzello. Der heilige Martin mit einem Leprösen .... 169
l'eter Paul Rubens. Der heilige Martin 172
Andrea di Cinne. Gruppe von Leprosen im Triuniplizug des 'I'odes . . 175
Taddeo Gaddi. Wunder des heiligen Domenico 175
Heiliger mit Aussätzigen 177
Gosimo Rosselli. Die Bergpredigt 179
Holbein d. j. Sancta Llisabet 180
Holbein d. 1. Hlisabetb mit einem Leprosen 185
Ausschnitt aus des Nikolaus Manuel Deutsch .^nrulung der heiligen Anna
selbdritt 184
Burgkmair. Line Heilige einen .\ussatzigen badend 185
Matthias Grünewald. Ausschnitt aus der Versuchung des heiligen Antonius 186
Murillo. Die heilige Elisabeth 187
Umgang der (jilden und Leprösen 189
Rembrandt. Der Leprose 191
Cornelis Matsvs. Aus der Kruppelserie 192
Albrecht Diirer. l'rste Darstellung der Syphilis 197
Joseph Grünpeck. Kranke mit »wilden Wartzeu" 199
Rembrandt. Porträt 200
Mignard. Die Pest 205
Micco Spadara. Die Pest in Xeapel i6;6 20 >
iXücffo Spadara. Pest von Neapel 16)6 209
Francesco Garotto. Der heilige Rochus 210
Francesco Carotto. Der heilige Rochus 211
.\us dem Fasciculus medicinae von Johann de Ketham 212
Hondius. Tanzwütige nach Pieter Breughel d. .\ 217
Albrecht Dürer. Holzschnitt 221
Velasquez de Silva. Fl Bobo de Goria 225
\'elasquez. Sebastian de Morra 224
Peter Paul Rubens. Grat Thomas Arundel mit einem Hotzwerg . . . 225
Jan Molenar. Die Werkstatt des Malers 227
luan Gareno de Miraiula. Adipöse Zwergin 228
Ribera. Halbseitige Kinderlähmung 230
Hieronvnuis Bosch. Krüppelprozession 231
Velasquez. Der Idiot 252
Gornelius Matsys. Die Krüppel 255
Pieter Brueghel d. A. Amputierte und Krüppel 234
Rembrandt. Homer 236
Rembrandt. Der blinde Geiger 237
Rembrandt. Tobias heilt seinen Vater 238
Rembrandt. Die Heilung des 'Fobias 239
RatVael. Porträt des Tommaso Inghirami 240
Petrus Brandet. Die Heilung des blinden Tobias 241
Peter Brueghel. Die Blinden 242
XVIII 3S!S!ß<Si'«<Ci'iSS>iiS!KS5S>!iSiS VhKZKH..HM.s 1)1 K AbiuI 1)1 NGHX SCHSSöKiOiiCSJRKlSSSSSiCSSiCtJßSiiS?»»!
St, IC
56. Lukas van Leiden. Der Blinde von Jericho 24;
57. C. \V. H. Dietrich. Der Okuhst 2-|.i
58. Piet. Ant. Mezzasti. Die Wunder des San Antonius von Padua 2 17
59. Peter Paul Rubens. Ignatius von Lo\ola Besessene und Kranke lieileiid 2)8
(o. Peter l'aul Rubens. Ignaiius von Lovola Bese.ssene heilend .... 251
41. Ausschnitt aus der 'Lranstiguration 25;
42. Ghirlandajo. Porträt 257
45. Holbein d. J. Porträt 258
4.(. Bildnis eines Unbekannten 259
4 ). Rötelzeichnung angeblich des Lionardo da Vinci 260
46. Simon Vouet. Hin Fall von Knochenvereiterung 261
47. Parasitäre Hauterkrankung 262
48. .\nton J. Wiertz. Wahnsinn 265
49. Gabriel Metsu. I^ie Kranke 264
50. Gabriel Metsu. Das liebernde Kind 26)
51. Der Arzt. Freske vom alten Baseler Totentanz 267
)2. Rembrandt. Pulsfühlen 269
j3. Pieter Brueghel. Satirische Darstellung der Uroskopie 271
54. Seite aus dem Pergamentprachtkodex des AI Havi von Rhazes vom
Jahre 1466 275
55. Seite aus dem ))Canon« des Avicenna (Ibn SinaJ 275
56. Adrian van Ostade. Der Arzt zu Hause 277
57. Gerard Dou. Die Urinprobe 281
)8. Gerard Dou. Die Urinprobe 285
59. Gerard Dou. Beim Arzt 284
60. Adriaen Brouwer. Bittere Arznei 285
61. David Teniers d. 1. Beim Dorfarzt 287
62. David Teniers d. J. Der Dorfarzt 288
63. David Teniers d. 1. Arzt im Studierzimmer 289
64 Gerard Terborch. Beim Arzte 290
65. J. Ohlis. Konsultation 291
66. David Teniers der Altere. Beim Arzt 292
67. (iilles van Tilborgh. Arztliche Konsultation 293
68. David Ruvkhaerdt. Homunculus 295
69. Gottfried Schalken. Die Keuschheitsprobe 297
70. Rembrandt. Der Tod Marias 299
71. Quirin Brekelenkam. Das Pulsfühlen 300
72. Gabriel Metsu. Der ärztliche Besuch 301
75. Gerard Dou. Die wassersüchtige F'rau 502
74. Franz van Mieris. Die kranke Frau 505
75. Samuel van Hoogstraaten. Die Bleichsüchtige 304
76. Jakob Toorenvliet. Ärztliche Visite 503
77. Franz van Mieris. Der Arzt bei einer Melancholischen 307
78. Jan Steen. Der ärztliche Besuch 509
79. Jan Steen. Der ärztliche Besuch ; 1 1
80. Longhi. Arztliche Krankenvisite. (Venetianische Schule) 512
81. Gerard Dou. Das liebeskranke Mädchen 513
82. Jan Steen. Arzt bei einer Liebeskranken 314
83. Jan Steen. Arzt und Liebeskranke 515
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251.
Jan Stcen. Licbuskrank
Jan Stcen. Liebestoll
Gabriel iMetsu. Febris aniatoria
Jan Steeii. Zu spat
William Hogarth. Aus »The Mamille a la niode«
Zum Pariser Antimonstreit
Miniature aus der Chirurgie des Theodericus Cerviensis
Die Chirurgie der Meister Roland \on Salerno
Dresdener Prachtausgabe des Galen
Initial aus dem Werk des Vesalius
Initialen aus dem Werk des Vesalius
Aus der Chirurgia Rolandi. Steinschnut
Aus der Chirurgie des Meisters Roland. Leistenhruehoperation . . .
Schale des Sosias, etwa H'o v. (^hr
Aneas und Japis
.\ryballos Pevtel, Aderlal)
Knieellenbogenlage beim Fingull
Hans StbalJ Behani. l'rauenbad mit Schriipfszene
Hans Sebald Beham. Schwitzbad
Cornelis van Holstein. Badstube
Quirin Brekelenkam. Das Schröpfweib
Cornelis Dusart. Das Schröpfweib
Peter Paul Rubens. Der Tod des Scneca
Antike Plastik
Abraham Bosse, Aderlali
David Teniers d. J. Kopfoperation
Franz van Mieris. Kopfoperation
Malor Kopfoperation
Adriaen Brouwer. Rückenoperation
Adriaen Brouwer. Operation am .\rm
.\driaen Brouwer. Rückenoperation
Adriaen Brouwer. Rückenoperatiou
Adriaen Backer? Setaceumoperation
Jan de Doot mit dem von ihm selbst sich 16 ji exstiipierten Blasenstein
Blasenstein des M. Johannes Saubert
Blasenstein der Anna Maria Löflelholziu
Steine, so bey Paul Loersch (-j- 1681) Handelsmann in Nürnberg nach
seinem Tode gefunden \vorden
Blasenstein, durch Benedikt Wideman geschnilten
Nierenstein des Matthias Sebastian Lang
Francken. Das Wunder der Heiligen Kosmas und Damian
Das Wunder der Heiligen Kosmas und Damian
Beato Angelico. Das Wunder der Heiligen Kosmas und Damian . . .
David Teniers. Flandrische Barbier-Chirurgenstube
Adriaen Brouwer. Fußoperation
Adriaen van Ostade. F'ußoperation
Johann Hooremans. Pedicure
David Ruyckhaerdt. Beim Dorfbader
Willem van der Porten. Die Beschneidung
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XX !äJCiiS!:>i«stiK^s>s>i«JSätäOtäK Verzeichnis der Abbildukgen sssüSsssiJSiSiKiKStSiiSäKiKisstjjiJS
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Seite
52. Die Bcschncidung 595
Pictro Feriii;ino. Die Bcsdineidung des Sohnes von Moses durch Zippora 397
25.). Hieronvmus Bosch v.ni Aken. »Das Schneiden von dem Key« . . . 599
255. Art des Hieronvmus l?osch. Das Narrenschneulen 401
236. Pieter Hrueghel d. A. Das Narrenschneiden }03
257. Pieter Brueghel d. A. Karii<atur auf die Steinschneider 105
258. Jan Steen. i)as Xarrenscimeiden 407
239. Jan Steen. Das Xarrenscimeiden 408
240. .\driaen Brouwer. Der fahrende Schnittarzt 109
2(1. Jan van lleemesseti. Die Steinoperation jn
242. l'ranz Hals d. |. Das Narrenschneiden I15
245. Weydmans. Das Narrenschneiden |i I
244. Operationsszene I17
245. Carlo Dolci. Die heilige ApolK)nia (20
2.(6. Adriaen von Ostade. Der Dorfzahnbrecher )2i
247. Gerard van Honthorst. Die Zahnoperation 12;
248. Gerard Dou. Der Zahnarzt 424
249. David Teniers. Der Zahnarzt 425
250. David Teniers. Der Zahnarzt 426
251. Rombouts. Der Zahnarzt (27
232. Johannes Lingelbach. Der Zahnarzt zu Pferde 129
253. Burgkmair. Inneres eines Krankenhauses (35
254. Bartolo di Domenico. Hospital Santa Maria dell.i Scala ^54
255. Abraham Bosse. I.'inlirmerie de l'lliipital de la (^harite de Paris . . .(35
256. Andrea del Sarto. Frauenklinik (57
257. Lepraschauzettel vom Jahre 1632 für die Sebalduskirclie in Nürnberg . 439
2 58. Joachim Buckelaer. Die Apostel Petrus und Johannes, Kranke heilend . 441
259. Kosmas und Damian (43
260. Roger v. d. Wevden. Kosnias und Daunan 1.45
261. Burgkmair. Ixiuard der Bekenner (49
262. Bernaert van Orley. Salbung eines französischen Königs (51
263. Baron Gros. Napoleon im Pesthospital in Jatl'a 453
264. Der .Arzt als Gott 456
265. Der Arzt als Kugel 457
266. Der Arzt als Mensch 458
267. Der Arzt als Teufel 459
268. Holbein d. J. Allegorie auf die arztliche Kunst 461
269. Solis. Porträt des Jakob Baumann (65
270. .'\nton Mozart. Allegorie auf die ärztliche Tätigkeit ^64
271. Rückseite des vorigen Gemäldes (65
272. Zeichnerischer Krankheitsbericht Albrecln Dürers an seinen .\rzt . . . 471
{SLr:i<iii}ff.<:)i<f:<>:<>.iy.?^^^^^^
EINLEITUNG
alerci und Medizin was soll die Geijenüberstelluni; zweier
so entfernter Begritle, zwischen denen man zunächst vergeb-
lich Brücken sucht? Wer möchte wi)hl diesen Gedanken-
spruni; mitmachen? ja, hieße die Umdernishürde: Kunst und Medizin,
über diesen nächsthöheren Bei^rifl käme man schon leichter hinweg;
will doch die Medizin selbst eine Kunst sein; freilich, je näher man
in unseren Tagen dem ideal kam, aus der lieilkunst eine exakte
Wissenschaft zu machen, desto mehr entfernte man sich von der
künstlerischen (jenossenschatt , die bei allen X'olkern im Urbeginn
eine göttliche war. Denn von den Göttern l<am die »stille« Kunst
auf die Halbgötter und \'on diesen und den Helden zu den gewöhn-
lichen Sterblichen. Der Musengott ApolU)n, gleichzeitig Künstler
und Arzt, \ersclienkte seine Gottesi^aben gleichwertig:
An nun langte des Pliöbus erkorner Liebling lapyx,
lasiis' Sohn, dem Apoll von inniger Liebe geleitet
Froli einst jegliche Kunst anbot, die er selber verleihn kann,
Kitharaspiel, weissagende Kraft und flüchtige Pfeile.
jener, damit er die Tag' aufhalte dem sterbenden Vater,
Wollte vielmehr der Kräuter Gewalt und die Wege der Heilung
Hinschn und ungerühmt die stilleren Künste betreiben.
l'irgil, Ai'iieis.
Und vergessen wir nicht diese Schwagerschaft mit jeglicher
Kunst aus den Tagen des Mittelalters. \\'enn wir auch noch so
gerne möchten, wir können von unseren akademischen Rockschößen
nicht die Heilkünstler abschütteln, die in jenen vergessenen Zeiten
auf den Märkten herumzogen und ihren Karren neben den der'Fhespis
stellten und selbst Theater spielten unA Kunststücke zeigten.
Und heilt nicht auch noch heute der Arzt am besten, der der
beste Lebenskünstler ist? Doch genug des Persönlichen, denn sonst
Holländer, Die Medizio in der klassischen Malerei. 2. Auf läge. I
2 3C«{äMS3KSKSBXäS3WSSöWWCöKäC«Kä«««£ EINLEITUNG äCöSäKJKiKi«JSi«ie><5-S>:i5iO>!C«iiSSiiC>»>)(>SiiSi«Si
vertührte mich dieser Gedanke, die Arzie autzu;?ählen, die in ihren
Mußestunden teils selbst künstlerisch tätig waren oder doch als
Liebhaber und Sammler die Kunst KM'derten*). So werden wir
sehen, daß ein Teil der schiMisten Schöpfungen Renibrandts Aut-
träge von Ärzten waren, und daß scluui der berühmte Bologneser
Chirurg Berengar von Car|M. aus dem Anlange des sechzehnten Jahr-
hunderts (der erste, der das Quecksilber gegen die Sv(ihilis wissen-
schaftlich eniptahl). als Honorar für die Heilung des Kardinals Colonna
Raffaels Ciemälde »Johannes der Täuler« verlangte, das jetzt sich in
der Tribuna von llorenz betindet.
Und der l^vangelist J.ukas! ist nicht dieser Schüler des Paulus
der gegebene Patron mediko- artistischer Bestrebungen? Nach alt-
historischer Tradition war er Maler und nach der Stelle Kolosser
4, i-i war er auch Arzt. Nachweisbar vom zehnten Jahrhundert ab
übernahm die abendlandische Kirche die Legende. Dargestellt wird
Lukas, wie er die Madonna malt, oder wie er vor einem Madonnen-
bilde sitzend, sein Lvangelium schreibt. Linige in bvzantinischem
Stile gemalte Ahtdonnenbilder, so das in der Santa ALiria in \"ia lata
und in Ära C^oeli in Rom werden ihm selbst zugeschrieben. Der
18. Oktober ist der Tag dieses Heiligen.
Kunst als höherer Begrifl hat mehr mit der .Medizin gemein,
als daß es dieses Buch hissen koiuile. gibt es doch selbst manche
Berührungspunkte zwischen .Medizin und .Musik! L'nd .Malerei und
Medizin treffen sich n(K"h aut einem (jebiete, welches seit 500 Jahren
durch eine große Reihe von Lehrbüchern und Scliritten die X'orstufe
künstlerischen Bildens geworden ist: die Kunstanatomie. Diese Lehre
verfolgt de]i /weck-, dem schadenden Kunstler die wissenschaftliche
Grundlage zu geben bei der Nachbildung der .Menschengestalt, imd
trennt sich im Prinzip von den Anforderungen der wissenschaftlichen
Anatomie. Denn letztere sucht dvn wahren Bau zu anaKsieren und
gibt in schematischen oder absolut natiirlichen .\bbildungen die
•) In Berlin besteht eine .Arzlckapcllc und um .Uztcchoi. — In I'aris wurde der dritte
Salon des Medccins, in dem nur Arzte ihre Kunstschöpfungen ausstellten, günstig beurteilt.
Abbildungen siehe .Aesculape 19 12, Nr. 4.
iO!XiS>iCt!ß!SSK<o><^JS«i!Oti«>>5i!OiS!!SSK!>:iSS>St!l«S! Hinleitung äiStJSStSt!KiS<!t!Ci!!K!C>!C*!C>S!>iO>iO><K!5tSS!j!<K!K 3
Resultate, während die Kiinstanatoniie die schone Mittehorni anstrebt.
Und deshalb sind auch die zahlreichen lainstlerischen Abbildungen,
welche den Zweck vertoli;en, dein Maler und Bildhauer aul diesem
Gebiete ein Vorbild zu sein, tür dieses Buch ohne Interesse.
Nur die freien Kunstwerke, die voraussetzunnslosen aus dem
Gebiete der Malerei, sollen einer sammelnden historischen IV'trach-
tung unterzogen werden. Mit den Augen des Mediziners sollen die
Gemälde aus der guten Zeit einmal betrachtet werden; nicht aber
mit der Kritik eines Anatomen, der gelungene Kt)rpertorm lobt und
schlechte tadelt, sondern \dm Standpunkte des Medizinhistorikers.
äK5l!iCB5!!^!5i!C?<O>!KiKiKiK<?JC5i0HK!K3S!KiCHK!05:«iS<CS!Ki0ä5CBK!Ot
DAS ANATOMIEBILD
^ ist eine stindcrbarc Erscheinung;, daß das Anatomiebild,
welches doch so recht ei.^enthcli die hikarnation des Grenz-
L;ebietes zwischen Medizin und Kunst bildet, bis aul diesen
ly noch nicht Ausgangspunkt oder doch Reiz tür historische Studien
war. Mag sein, daß das berühmte und so oft zitierte Werk des königl.
Sachs. Geheimrates Ludwig Choulant*) den Gegenstand zu erschöpfen
schien. Doch zeigt schon der Titel, daß hier nur die anatomisch-
medizinische Darstellung in ihrer Ik'ziehung zur Kunst geprüit wird.
Betrachtet wird da der Revers jener .Münze, welche die Kunstanatomie
heißt. Der Anatom lehrt den Künstler äußere Bildung und Gestalt.
Choulant dagegen untersucht historisch die l])ienste, die der Bildner
und der /eichner der anatomischen Wissenschaft geleistet hat. Wahr-
lich ein schöner Wirwurt, dessen \'erfolgung für beide Teile wichtige
Ergebnisse brachte. Uns interessiert dagegen in vorliegender Arbeit
ein noch anderer Begrifl. W'w wollen das Doktrinäre und rein
wissenschaltliche Produkt, das legale Endergebnis einer \'erbindung
von -Medizin und Kunstfertigkeit: die anatomische Zeichnuni; hier
ganz beiseite setzen und das nur einer historischen Betrachtung
unterziehen, was gewissermaßen in freier Liebe zwischen diesen beiden
medizinisch Interessantes geschaffen wurde. Den ersten Anfängen
der anatomischen Zeichnung ist neuerdings Sudhoft nachgegangen
und hat imposantes .\Luerial herbeigebracht, welches einigermaßen
die verloren gegangene Kontinuität der l'orschuni; im Mittelalter
wiederherstellen sollte**). Die schönsten Muskelmanner des Meisters
Stephan aus der Eabrica des anatomischen Reformators Vesalius, so
•| L. Choulant, Geschichte und BibHouraphic der anatomischen Abbildung nach ihrer
Beziehung auf anatomische Wissenschaft und bildende Kunst, Lcii)zig 1852.
••) Karl Sudhoff, Ein Beitrag zur Geschichte der Anatomie im Mittelalter, speziell der
anatomischen Graphik. Studien zur Geschichte der Medizin, Heft 4. Leipzig 1908.
iK>St>KSit'C>S>)K<!X'«iöS>!C<äiKX<!t)K<SS>iSS><S!KiOt!C? ANATOMIE 55!e!S?)C(J>iO>iS!0>S>S(ißiS!C!»;!C?!0!JßSt!S!C?>K)0>iC5 5
künstlerisch sie auch L;cstcllt sind, i;chi)rcn nicht hierher, ehensowenig
wie die beiden nackten Körper seiner Hpitonie, denn sie dienten
Lehrzwecken. Aber die zufälHg aur Gemälden inid Stichen vor-
kommenden Muskel- und Knochenmänner, wie sie zum J3eispiel
häufiger zur Anschauung kommen bei der Schilderung der Bestrafung
des ungerechten Richters oder der Schindung des Marsvas können
wir kritisch studieren. Wir müssen diesen (jedanken, um nicht ins
Uferlose zu gelangen, recht präzis erfassen. Wir wollen aber insofern
einen Schritt weitergehen als (ruber, und auch aus Lehrbüchern der
Anatomie das rein künstlerische Beiwerk gelegentlich betrachten, wenn
wir damit iür die Geschichte der Medizin
eine kleine Lrucht pflücken können.
Die Geschichte der Renaissance der
Anatomie ist wohl ohne Zweifel die
wichtigste und interessanteste historische
Aufgabe, und manche Rätsel, manche
Unstimmigkeiten sind hier noch lösbar.
Wir haben in »Plastik und Medizin«
zur antiken Skelettdarstellung des Kör-
pers interessantes Material gesammelt,
und erst in diesen Tagen fand ich auf
einer antiken Keramik ein so hervor-
ragend schön und richtig erfaßtes Skelett,
wie es kaum bis in die modernste Zeit
hinein die Töpferkunst oder die Reliefkunst überhaupt wieder hervor-
gebracht hat. Die Skelette auf den Silberbechern des Schatzes von
Boscoreale werden durch dieses in den Hintergrund gestellt. Ich
erwähne dies nur, um die Wege zu zeigen, auf denen durch unsere
Bestrebungen die Geschichte der Heilkunst gefordert werden kann.
Eine Spezialuntersuchung über die anatomischen Verhältnisse, über
Schematismus und miserable Formengebung in der Skelettdarstellung,
die in der moderneren Kunst beinahe mit der Todesdarstellung über-
einstimmt, würde zum mindesten dasselbe Literesse erwecken, wie
die von LessiniJ behandelte LTage nach der Todesdarstellung der
Fig. I. Arzt und Tod.
Hans Holbeins Totentanz 11538).
6 äK!K?K!e>!«iC!S>;<S<KJj!!SJSS><O!iCiiCöK?K3IHK30«CHCS AnaTOMH; iCSiS<5><5iSStJS!0;S>iJtSi!5!!5tS?!5iiKSC!!>:!Jti0t!e!!y!iCi!C5!0t
Alten ubcrhaiiin. |-s ist seit den Taigen dieser Debatte*) viel neues
Material aus der l-rde gehoben worden**).
Viel Anregung bietet auch nach dieser Richtung die Totentanz-
idee und die 'rotentan/darstehung. i'iniges Material hierzu lindet
man in meiner »Karikatur und Satire«***). l:in Witz der Historie ist
es dabei, daß in der W'eltchronik des Arztes Schedel ( Nürnberg 1493)
(.icrtn. Mitst:um, .\ iittil'crg.
J lg. J. /.imnicrsclier Totentanz.
Handschrift des sechEehnten Jahrluiiiderts. ( )nginal Königsegyische Bibliothek
zu Aulcndorf.
seine befreundeten Zeichner gerade das phantastischste Skelett zum
Druck-e brachten (siehe bigur 5). Die nicht zu Lehrzwecken
dienenden Skelettdarstellungen wiu-den einen 13and Itir sich ergeben.
\\'as wir aber als Fazit aus einer solchen Skelettbetrachtung in der
*) Lessing: -Wie die Alten den Tod gebildet«, 1769.
••) Siehe auch antike Skelettmarionetten, Plastik und Medizin. S. 425.
•*•) Die Karikatur und .Satire in der Medizin, Stuttgart 1905, S. 21 ff.
Kunst von der antiken Zeit bis in die (iegenwart ziehen können,
das gleicht den Ergebnissen der neuen Blutprobe nach Wassermann.
Eine schone tehlerlose Zeichnung und Darstellung in Proportion
und Anordnung der Einzelknochen erlaubt einen Rückschluß im
positiven Sinne. Grobe kehler aber und anatomisch-orthographische
Schnitzer, die heute so gut vorkonunen wie zu Holbeins und Rethels
Zeit, geben ein negatives Resultat, das heißt sie erlauben durchaus
Fig. 3. Totentanz.
Aus der Weltchronik von Doktor Schcdel.. Nürnlierg 1493.
keinen Rückschluß aut den jeweiligen Stand der anatomischen
Wissenschaft.
Das Gebiet der Skelettdarstellungen ist grenzenlos. Es muß
sich verfolgen lassen bis in die allerersten Anfange menschlicher
Kunstfertigkeit, und es wäre nicht zu verwundern, wenn wir aus
der Urzeit der bildenden Kunst, aus alter oder jüngerer Steinzeit
Skelettdarstellungen fänden; denn auch den Naturvölkern und gerade
ihnen bot sich Gelegenheit, den knöchernen Rest von dem, was
8 äCBKS(i5!!S!Ki5!!SS>Si!S5ti«!«Ü>JKjiSJKiSS<iet!0«i<0> ANATOMIE SOEi^^i^iOiiKiCiiOi^iCEiOiiSS^iiOiiSS^siStiKi^iivt^iCSiOiiCiii^
einst ein Mensch w.ir, vor Aui;cn zu haben. — Wir wollen aus der
ungeheuren .\hisse der Kni)chendarslelluni;en in der reinen ixunsl zu-
nächst zwei künstlerische Leistungen Norlühren, welche die extremsten
Grenzen zeichnerischer Kunst zeigen. Das eine ein Menienlo niori
Hoil'nn der yrntgcre
Fi.iJ. -I.
JiiJSt'i.
von Holbeins Hand aus dem Basler Museum. Zweifelsohne hat hier der
Meister verwitterte Schädel als Vorlage benutzt und sie mit künst-
lerisch erlaubtem Schematismus verwertet (l'i^ur 4). Solche Studien
finden wir massenhaft, da in iler Kirchemnakrei der Schädel ein not-
wendiges Requisit war. Ich erinnere nur an das Ciemälde llolbeins
des Jüngeren in der IMnakothek zu München, aul welchem hinter dem
!ßiKS>«>iJt>OääK3O«53OHKX55KSÖKiKJK5CeK3SSIöKS0iSSS5 Knochex iSSXiKJSSiiOiiJ-iCiJJtiSiKiOtJSiCiiKSiiOiiKißiSJCiiKJK 9
treftlichcn Kopte des Sir Brvan 'l'ukc ein Schädel hervorkt)mnit. Wer
eine Magdalena in der Buße malt, braucht einen solchen. x\ndrea
del Sartos Rötelzeichnungen in ^\iJn llorentiner Uthzien sind alle
ohne Unterkieter, wie auch aul Dürers Wappen ein solcher lehlt.
Die andere Darstellung stammt \'on dem Japaner Kvosai und
ist eine Originalzeichnung, deren technische Meisterschatt nicht zu
verkennen ist. Um zwei Skelette herum, welche vielleicht nach der
\atur Gezeichnet und im ganzen wohl betroffen, im Detail aber
Flg. 5.
Originalzeichnung von Kyosai (1831 — Sg).
durchaus fehlerhaft sind, linden wir kleinere Skelette in akrobatischen
Verrenkungen, wie sie bei den ikarischen Spielen vorkommen. Die
Wirkung ist eine groteske (siehe Figur 3).
Als weiteres Beispiel gelegentlicher Skelettdarstellung aus früher
Zeit bringen wir den Stich des Marco Dente von Ravenna nach
einer Zeichnung des Baccio Bandinelli, des Schülers und Gegners
des großen Michelangelo (siehe Ingur 6). Man beachte auf ihr die
für die damalige Zeit auffallende Zeichnung der unteren Brustapertur.
lo SKStiCtJSSiiCiSisci-iSJKißSiSiätißiöJissiJßiSißiftäs Anatomie sKiKiSSiJöiKiS-öStJSStiSiOtJOiSiOiJKiöSüStißJKJöJßSt
Duicli die i;an/c Kunstgeschichte aber reitet der Sensenmann,
meist auf diirltigem Klepper. Zeichnerisch und auch lür unsere
Betrachtung von größerer Wichtigkeit wie zum Beispiel jener beriihmte
Dürersche Kupferstich vom Jahre 131 > ist desselben Meisters wohl-
gelungene Skizze in London vom Jahre 1503. Auch diese Zeichnung
des großen Künstlers dtikumentiert die Schwäche seiner anatomischen
Kenntnisse. Meist machen die Kimstler es sich bequem, und dort,
wo die richtige Vorstellung lehlt, stellt sich dann zur rechten Zeit
ein hetzen l'leisch oder ein ,Stück Haut als Ausrede ein. \'om künst-
lerischen Standpunkt, und wenn das (ianze skizzenhaft ist, wie aiil
dieser Dürerschen Zeichnung, wäre aber eine l^üge Pedanterie.
Cjelegentlich jirimken Künstler geradezu mit anatomischen Kennt-
nissen, und wir haben den l:indruck, daß hier dann X'ollkonnnenheit
angestrebt wird. Ihnen gilt die Mahnimg Lionardos (M.S. I-'.h'ol. I9\"):
»o .Maleranatom gib acht, aut daß nicht das Zuvielwissen um die
Knochen. Sehnen imd Muskeln Ursache werde, dich zu einem
hölzernen Maler zu machen.« Als Beispiel dieser Gattung bringen
wir den Kupiferstich des Monogramniisten M. h. vom Jahre 133(1
(siehe Figur 7). Die Darstellung ist die bereits erwähnte Schindung
des von Apoll besiegten Marsvas. Der erzürnte Gott, der in der
linken Hand das Messer hält (im Üriginalbilde natürlich in der
rechten)*), hat soeben dem unglücklichen musikalischen Konkurrenten
die Haut abgezogen, so daß wir dessen Muskulatur im Detail be-
trachten k()nnen. Es scheint beinahe, als wenn dem Künstler das
Einzelblatt des Domenico kiorentino vom Jahre 1306 als anatomische
Unterlage gedient habe (siehe Seite 13).
Solche gelegentlichen Porträtierungen des Knochengerüstes sind
aber nicht auf eine Stute zu stellen mit den eingehenden anatomi-
schen Studien, welche die italienischen Heroen der Malkunst ziel-
bewußt betrieben haben. Wir werden später versuchen, um die
Genese des Anatomiebildes historisch vor Augen zu führen, die l'nt-
wickiung der Renaissance der Anatomie kurz aufzurollen. An dieser
•) Es existiert eine spätere Radicrunt; im Siiiet;eli)ilcl. Vielleicht ist die Jahresbezeich-
nung 1536 eine Fälschung.
12 !«S*iö<SJK5C?<0?!K?S<S!S?>:?5i!K<K»>!e!Si<S<O;!>!ß«E AnaTOMH IO!iO><C*<0><KS>JOiSi!5>Si<Ji?SiO>'CiiKiK!ei!5SKiS!K!KS?S5iK
Stelle müssen wir vorgreitcn und im Zusanuncnhani; das \'crdicnsl
dieser Künstler^ruppe aus dem Quallriicentn besprechen.
Hs ist das bleibende und große \'erdienst Rallaels, Michel-
angelos und im Sinne der Steigerung l.ionardo da \'incis, daß sie
in ihren Bestrebungen die Wahrheit, die Wirklichkeit künstlerisch
darzustellen, dem Getüge des menschlichen Körpers nicht nur äußer-
lich nahezukonnnen versuchlen. \'ergessen wollen wir dabei nicht,
daß auch die erste realistische Schilderung des menschlichen Körpers
in \ ulliger Nacktheit eine kühne Tat war, welche schon ein Menschen-
alter vor diesem italienischen Dreigestirn das Brüderpaar van l:\ck
aui dem berühmten Genier Altar gewagt hatte. Wir werden später
aut die KiM-perschilderung des Jan \an Hvck, denn dieser malte
nachweislich Adam und l:va, als solche noch zurückkommen müssen.
Hier genügt der Hinweis, daß die erstaunte Christenheit zum ersten
Male zwei so nackte und natürliche Menschen vor sich sah mit allen
Haaren und Härchen, halten und hältchen und ohne jede Spur
einer Idealisierung. Auch dieses kühne W^agnis war die (Offenbarung
eines Wahrheitstriebes, der sich allerdings in den Schutz der Kirche
gestellt hatte. Um ganz die Größe dieses Mutes zu überschauen,
müssen wir daran erinnern, daß frühere Bildner die ersten Menschen
unter völliger Mißachtung natürlicher Verhältnisse schulen, und daß
die hva zum l^eispiel als Weib wesentlich nur durch ihre längeren
Haare charakterisiert wurde. Am Dom zu l^amberg stehen am süd-
lichen Portale des Ostchores, welches ungefähr um das lahr 1230
errichtet wurde, die lebensgroßen Figuren der ersten Menschen aus
Stein unter zierlichen Baldachinen; beide Körper für die damalige
Zeit in anerkennenswerter Schlankheit und l'ormenschöne, beide auch
aus religiösem Realismus ohne Nabel; aber es ist kaum möglich,
den weiblichen Körper vom männlichen zu unterscheiden. Beider
Schoß ist verdeckt durch einen Blätterwald. Allerdings macht auch
Jan van l-.vck eine Konzession nach dieser Richtung, aber er macht
sie unauldringlich, ohne dal.i der (iesamteindruck darunter leidet.
Diese detaillierteWiedergabe der Menschenkörper war eigentlich nur
eine Naturabschrift, sie war nur ein Wetterleuchten des Naturalismus.
14 55!KSi?5S>!I!S?!5!5!ß?5iK'etiK!SS«iSJ5Sti«<S<ßi« Ana lOMll JSiSiK'e-JKJS-KSKJSJKiSJKiOtSKJßiKSiiKiSiCtSSiKSKiSSS
Die beiden berühiiuen T.iteln sleheii in ileni Lebenswerke des Meisters
und ihrer Zeit isoliert da wie Wunder, die man bestaunt, aber nicht
nachni.iehen k.mn. .So ist es dijun auch verstandhch, daß dieser
ganze denter Altar trotz seiner anderen berühmten reh,i;iosen Dar-
stellungen im \'olksmunde »die Adam- und l-vakajielJe« genannt
wurde. War doch das \'olk verbiulit durch den
unglaublich kecken \'ersuch , .Menschen in ihrer
n.ickteii Wirklichkeit zu zeigen. -Später kam eine
Zeit, in der man aus Prüderie die Tafeln entternt
hielt. Zirka cSo Jahre lang versteckte man sie, weil
Kaiser Joseph I. Anstoß nahm und die Nacktheit
den Kirchenbesuchern entzogen wissen wollte.
Wie noch Dürer auf seinem berühmten Kupfer-
stich »Das dlück« einfach den Akt eines Weibes auf
eine Kugel setzt ohne jegliche Balance, ohne An-
deutung einer\\)rwärtsbewegung oder einer Flüchtig-
keit, so haben wir auch bei diesen ersten Menschen
jetzt nur den Hindruck, daß ihnen die Kleider vom
Leibe gerissen sind und daß sie in ihrer Nacktheit
geniert dastehen. Das überträgt sich auch auf L'arbe
und Beschaffenheit der LLiut, die die tvpischen Merk-
male derjenigen \-on Kleiderträgern hat.
Dagegen sind die Schilderungen der Korper-
oberHäche eines Michelangelo, RafLiel, Lionardo da
\'inci bereits anatomische Studien. Die Muskuhuur
wird detailliert behandelt und trotz erhaltener Über-
haut so herausgearbeitet, als wenn dieselbe abgezogen
ist. Die .\Linner sind mit Muskeln bepackt wie
fertige RLimpferde. imd so ist es schon aus tier Pjctrachlung der
Aktstudien dieser Korper ersichtlich, dal.^ die Kimstler auch in die
Fiele drangen und auf eigene Laust dun Knochenbau und Ljngeweide
studierten. Das Ikdürlnis ihrer Seele, das Bedürhiis ihrer Kunst nach
Wahrheit lührte sie zum Seziertisch. \'on allen dreien besitzen wir
.Studienblätter, liie den Beweis hierlür erbrinuen. Die Künstler haben
1 1-. 8.
Die \-.\:i des
Jan van Myck.
«««HKiS5KiKiKiK!«!eJäCi!K-Ot-C?S?iß:«iC5äOS!CHß30HK Raffael! o SfSCHKiKJCiHCitiOtSKSiCSStJeiJSJSJOJäKiKJCBOiäKSiili 1 5
Gelegenheit gesucht, sich anatomische Präparate zu verschaffen,
Zerghederungen heizuwohnen oder selber solche vorzunehmen.
Lionardo sagt an einer Stelle, daß er zehn menschliche Körper
zerlegt habe, nur um die Blutgefäße zu studieren. Die beigetügte
Zeichnung Raffaels (siehe Figur lo) stellt eine Studie zu seinem
jetzt im Palast Borghese befindlichen Gemälde »Die Grablegung«
dar. Die Korrektheit der Stellung seiner Figuren kontrolliert der
;^tj;,w riK-l >
Fig. 9. Domenico del Barbiere genannt D. Fiorentino sc.
.\us einem anatomischen Zeichenliuche für Franz I.
Maler durch Hinzeichnung des Skelettes. Manchmal be^nimt er
sich auch statt der Bekleideten zunächst den Entwurf als Xackt-
zeichnung herzustellen. Erhalten ist uns noch die erste \'orzeich-
nung seines letzten grandiosen Gemäldes »Die Transfiguration«.
Zu Füßen dieser eben vollendeten Meisterschöpt'ung bahrte man
des Malers sterbliche Reste. Was sich als heitere Schöpfungen und
Offenbarungen seines Genies zeigte, war demnach das Ergebnis
vorbedachter fleißiger x\rbeit.
Auch von Michelangelo besitzen wir eine Reihe anatomischer
l6 3KSKJ5öKäKäKSKSSJCÖ5:«SSStS5iKSöKSSS5äS3>:äKä>: AxATOMlE äCSiCiiOiSiSSiCiiiSSXiCSäßSiiKJOiiCiSSäKäOäSJtäeäKäOtäCSäKäKäK
/cichnunuen. Dlt hcrkuliscli gebaute Mann (siehe l'iuur i i) läßt
trotz Hervortreten der .Miiskiilaiur den Knoeheiibau an \ielen Stellen
diirchblieken. Seitwärts Inulen wir die Aiuieutun«; einer Skelett-
skizzc, welche ihm zur l'ri'portionslehre von Xiit/en war, ein ander-
nial sind (ielenke und Knochen markiert (k'ederzeichnmii; in den
Ulhzien). St)lcher anatomischen Studienblätter werden 22 angegeben,
die angeblich l^onieiiico Idorentino nach des Angelo Zeichnung in
Kupier gestochen hat (siehe
l'igur 9). Cber das seltene
Blatt des biorentino spricht
sich Moehsen sehr anerkennend
aus. lir erwähnt aber die aut-
tallenden I-ehler, welche na-
mentlich beim Becken, am büß
und auch in der Muskulatiu'
vorliegen. Üb dieser .Stecher
mm tatsächlich, wie Moehsen
glaubt, eine Zeichenvorlage des
großen Plastikers benutzt hat,
erscheint dtirchaus traglich,
wenn N'.isari und andere auch
ausdrücklich bestätigen, daß
der .Meister, angeregt durch
\'incis \'orgehen, vielfach Lei-
chen, denen die Maut abge-
zogen war, gezeichnet hätte,
und dal.^ AngeK)S übermäßige
Betonung der .Muskulatur da\'on herrühre. \ On diesem sehr seltenen
Blatt, welches übrigens von Domenico del l^arbiere recht mäßig
gestochen ist, beweist aber Clhoulant, daß es von Kosso de Kossi
herstamme, einem b'lorentiner Hotmaler, der 1496 geboren, später in
Fontainebleau als .Maler Kc'mig T*ranz" 1. endete. Es soll aus einem
unvollendeten anatoniisi.hen Zeichenbuche lür den Konig stammen.
Außer diesen Dokumenten perst)nlicher .Art besitzen wir noch
■ v \
,'iA
Fig. 10. Ratlaelio Santi. Studienlil.itt.
iOiS!iO>iSiKS>!5SiiKS>!OiS*iO>iO>iOi!0>S«St<SS>!J>!5S! .Ml( 111 I. ANGELD !C?iK!0>i>:<ß!KiC>K;iJ0tJ>'Cii0t>>:!SißS>:<Ci<0!<K<0i<5i<0i I7
die historische CherlielerunL; \Hin Michelani^elos Anatciniiestudien.
X'asari erzählt uns in seinem Werke, daß er, dann't heschätti^t tür
die Florentiner Heilii^e-Cjeistkirche das hölzerne Kruzilix im (dior
zu machen, vom Prior die Erlaubnis bekommen habe, Leichen die
Haut abzuziehen, um die bloßlie^ende Muskidatur zu studieren.
Diese heimliche Sektion des Malerbildhauers illustriert eine llüchti^e,
historisch aber interessante Skizze, die trüber dem .Michelangelo selbst
zugeschrieben wurde (siehe Fi-
gur 12). Die neuere kritisierende
Kunstgeschichte bestreitet jedtich
die Echtheit der Skizze und ver-
legt ihren Ursprung zirka hun-
dert Filire später. F. W'ickhofi
begründet diesen Zweitel in sei-
nem Katalog der Handzeich-
nungen der x*\lbertina (Jahrbuch
der österreichischen Kunstsamm-
lung, Band zwölt) durch die
Ähnlichkeit in Komposition und
Form mit zwei Pinselzeichnungen
einer Kneipgesellschalt und einer
Malergruppe, die bei kunstlichem
Lichte nach (jipsmodellen zeich-
net, von denen die eine mit
Sicherheit dem Bartolomeo ^Lln-
tredi (Ahtntua 1380 bis 16 13)
zugeschrieben wird. Offenbar
aber war ihm der Antrieb zu der »Befreiung« Michelangelos von
dieser Vaterschaft durch eine X'erkennung des Sujets gekommen.
Denn nach Beschreibimg der Zeichnung, bei der er in dem Künstler
das Porträt Michelangelos, in dem des Anatomen das Antonius della
Torres sieht, fährt er fort: »Einen Zug grimmigen Humors nennt
das Robinson, und die Szene wurde von französischen ALdern im
Bilde dargestellt, die es wahrscheinlich pikant fanden, sich Michel-
Hollander, Die -Medizin in der klassischen Malerei. 2 AiifLiee. 2
Fio;. II. Michelano;elo. Studicnblatt.
1 8 SSSKSSSKiCtiCtiKiCtStiCiiCSiCiSSiKiCSSSSäKSSißiCHCHK AxAIOMIK 3«iO««5!K3K3K?K?SSS!Oi3KäKäOE3K?CBK!CS3JS3K?K-CS!CfStSS
anirelo wie eine russische Stiulcniin vdr/ustcllcn. Unsere Albertina-
blätter werden Michelangelo V(M1 dieser /eichnuni; befreien, und sie
in den Kreis des u>llen Cara\ai4gio, zu dem sie paßt, verweisen.«
Wenn dem Kunstkritiker die (ieschichte der Medizin und der Ana-
tomie näher gelegen hätte, so würde er vielleicht nicht aul die Idee
gekonmien sein, daß es sich hier um einen burlesken Scherz gehandelt
hat, oder um eine gesuchte und ellekthaschende I.ichtwirkung. Uns
persönlich kann es ganz gleichgültig sein, ob diese anspruchs-
lose kleine Arbeit von der Hand des Meisters selbst geleistet ist,
oder von irgend einem Schüler, oder selbst ein Jahrhundert später
entstanden ist, als Reminiszenz aus den Studienlagen des (jroß-
meislers. Die Überlieferung erzählt, daß der Prior der Kirche San
Spirito zu Morenz dem jungen Künstler aus Dankbarkeit lur ein
geliefertes Kruzifix in seinem Kloster Räume zur Verfügung gestellt
habe, in denen er ungestört Leichen zergliedern konnte. Mag dies
wahr sein oder nicht! Eine absolute Tatsache ist es, daß Michel-
angelo lange Jahre hindurch anatomische Studien betrieben haben
mul,^, und aus allen seinen Studienblättern, aus der Jugendzeit wie
aus dem späteren Alter ist es ersichtlich, daß seine großen anato-
mischen Kenntnisse das Produkt langjähriger Studien waren. Solche
Früchte pflücken sich nicht in wenig Wochen. In jener Zeit aber,
in welcher diese Skizze entstand, waren Zergliederungen verboten,
und mußten heimlich und nächtens vorgenommen werden. Es war
die Zeit, in der Sixtus i\'. in einem Hreve die P.rlaubnis zu Sektionen
von einer (Genehmigung der geistlichen (jewalt abhängig machte,
und wo Leichendiebstähle zu anatomischen Zweck-en derartig an
der Tagesordnung waren, daß die benaclibarte Re|iublik \'enedig
in öffentlichen \'erordnungen die schwersten Straten über diese
Missetäter verhängte; es war auch die Zeit der kirchlichen degen-
reformation; nach jenen sonnigen Tagen der künstlerischen und
geistigen Wiedergeburt war die l.ebens\ erneinung und die .Vskese
wieder in die Welt gekommen, und der religiöse banatismus, der
aus dem zeusähnlichen Konig iler Juden wieder dun leidgequälten
Gekreuziuten werden ließ, bedrohte von neuem wieder Kunst und
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20 äKäKSKäSJaäKäOEäKäKJßSJäKäKäSJSSSiS^JSiJtiKiCiSS Ana i üMlh äSäCSäOtäSiSäKSKSiiKäSSiiKiKiKSKiSiSSiSiiKiK-OiiOiißSi
Wissenschatt. Noch l^oniitc der Mmicli \on San .Marco Sawmarola
seinen Hanntlneh i;ci:cn alles Xaekte in der Kunst werfen und die
karnevalstrohen Massen durch sein gewallines dämonisches Wort zu
religiösen Orgien hinreilk'n. In jenen Tagen mußten die W'ahrheits-
sucher mit dem l.ichle in den Keller gehen, um ihre verhotenen
Studien zu treihen, und dieser Kerzenschimmer erscheint mir viel-
mehr als lichte Gloriole um das Haupt des Kunstlers, und heleuchtet
hell die W'iedcrgeburtsstunde der Anatomie. \'on diesem Stand-
punkte aus besitzt dieses l^latt für uns ein gesteigertes Interesse, als
historische Reliquie dieser Stunde; denn darin stimmen alle überein,
daß es tatsächlich den Meister am Sektionstische darstellt. Ist das
Blatt ein Produkt der C>aravaggioschule, so könnte man annehmen,
daß es ein Entwurf zu einem größeren historischen Gemälde gewesen
ist, und dann hat sich der Zeichner lebhaft in das Milieu jener
Zeiten hineingelebt. Denn zur Zeit Amerighis war die Anatomie
bereits eine anerkannte, durch päpstliche Bullen und S\nipathien
geschützte Wissenschaft, und die Professoren der Anatomie in Rom
waren Archiatri Pontifici.
Die knieende Person mit dem Zirkel in der Hand zeigt das
charakteristische Antlitz Michelangelos mit der zertrümmerten Nase.
Am Fußende sitzt Antonio della Torre.
Dieser junge Anatom, Marco Antonio della Torre aus X'erona,
in Padua und Pavia Professor der Anatomie, hatte die Absicht, ein
großes anatomisches Werk herauszugeben zusammen mit seinem
Preunde \'inci. \'asari berichtet, daß der .Maler die Knochen und
iMuskeln zuerst mit Rotstein gezeichnet und dann mit der beder
schraffiert habe. Als nun della Torre ohne Leibeserben im Jahre
1312 an der Pest gestorben war. hat Vinci oflenbar die Zeichnungen
wieder an sich genommen, l-r erwähnt sie olt in seinem Buch von
der Malerei, hatte aber so wenig Gelegenheil, das Werk zu l-nde zu
führen, wie manches, was dieser Übermensch erdachte und begann.
Hinige wenige Blätter waren bekannt, die Mehrzahl aber verschwand.
Es ist ein Spiel des Zufalles, daß sie wieder an das Tageslicht
gekommen sind. Hin vergessener .Schrank, ein \erlorener Schlüssel
waren schuld, daß dieses kostbare Ciut in Kensini^ton zweiluindert
Jahre mit Holbeinschen Zeichnun,nen zusammen unberührt und
verbori^en ruhte, bis eines 'faires Dahon das Schloß erbrach und
■"■11""
^r-(i«-^-H ■'*'"'■ __ ,, , ,,^,, .„.«,y -
»■1 A>^Ä3^n ..Wr«t' -'H«"v: "♦-■"■
,*:^ -A..^^-
I
^
'.-A'n'ifcinP
Fis. i;. Lionardo da Vincis Handzcichnunsjen.
I'ublication honorce de la Souscription du Ministcre de rinstructioii puljl. et des Beaux Arts l'nris.
den Band ans Licht zog. Obwohl diese Handzeichnungen vom
französischen Ministerium de blnstruction publique et des Beaux
Arts in wunderbarem Faksimile herausgegeben wurden, so bedurfte
22 3KStS£SK!Ki:tiO£iCnOESiiK!$BK!SSitS;;!KS;3:«^<C$!:>%it Anatomii: SK^^StSSißSiJßJSJSJCiJe^SiiißiOiSiißiKSiJCiStJßfSiOiSiiß
es erst der \'crcini>;uni; eines kundigen Romanisten mit einem
Medizinhistorikei" und Anati'inen, um den in (ieheimsehrilt (Spiegel-
schritt) schwer leserhchen Text zu ent/.irtcrn und in der Üriginal-
sprache und in deutscher und eni;hscher Cberset/uni; zu verolfent-
lichen*). Um den Stand der anatomischen Anschauuni;en dieses
Malergenies im speziellen zu würdigen und den großen Fortschritt
zu fixieren, den er vor der (ialenschen Anatomie hatte, zu präzisieren,
hcdarl es natürlich heststellungen , die den Rahmen dieser Arbeit
überschreiten. Wir wollen nur ganz kurz den tielen Hindruck der
Bewunderung zum Ausdruck bringen, den auch nur eine obertläch-
liche Betrachtung dieser anatomischen Studien auf jeden Forscher
machen muß. \'or ims liegt da nicht der geniale \'ersuch eines
Malers, die Sektionsergebnisse hübsch und anschaulich auf das Papier
zu bringen, sondern wir blicken in die- Werkstatt eines großen
Denkers und Gelehrten. Hr offenbart sich uns als gewaltiger Geist,
der prophetengleich in einem späteren Jahrhundert dahinwandelt.
\\'enn wir bedenken, daß dieser Mann an der Wende vom vier-
zehnten zum fünfzehnten Jahrhundert sich schon zu der Frkenntnis
durchgerungen hat, daß der Mensch nur ein organisches Wesen sei,
gleichwertig dem Tier, aber an höchster Stelle stehe, und daß die
Funktionen des Leibes und die Bewegung der Gliedmaßen sich nach
den (besetzen der Dvnamik und Mechanik vollziehen, so erkennen
wir darin die imponierende Freiheit seines Blickes. Daß dieser Biologe
auch in das Wesen der Pllanzenwelt und der 'Fierwelt mit seinem
Geiste eindrang, nebenbei noch überhau[n als erster vergleichende
Anatomie getrieben hat, darf uns nicht wundern. In seinem ]k'-
streben nach Erkenntnis legte er Quer- und Serienschnitte an, nicht
nur an den Extremitäten, sondern auch an L\^:n Organen. Seine
Studien über das /entralnervensvstem, \'or allem aber auch über Herz
und f jetälk zeigen, daß er die zeitgenössischen Ansichten weit hinter
sich ließ. Es wird behauptet, daß er als erster auch den Sauersloff-
gehalt des Blutes erkannt habe und disn Unterschied /wischen arte-
•) Leonardo da Vinci. Quaderni danatomia. Ventiquattro fofjli «kll.i Royal Library di
W'indsor. Ove C. L. Vangensten, A. Fonahn, H. Hopstock. Christiania 191 2.
ä5SJCH«JKäSä5iC5S8S53C«Si«ä«3eHKäK5C5ä8SSSäiet5K3CHKäCEieiiC5 Vinci äKäKJKJKSiiiKtäiSiiKJKJKißiKSCSiKSKJKSSJKiCfSSJCSSfJK 23
riellem und venösem I^lule (W'indsor An. III, lol. 226 r.): »wie
das Hlut, welches zurückkehrt, wenn das Herz sich wieder öflnet,
nicht das ist, so die Tore des Herzens schliel.U«*). Auch üher die
Generationsvorgänge suchte er sich zu unterrichten. Unsere l'igur 13
■„,..,.,.-•*• / >/i , .
in— ■^iT-T '•/jir 1 * V"""'"''.t;,3. /^•■•■"■•■r"ia
Fig. 14. Lionardo da Vincis Handzeichnungen.
Publication honorce de la Sousciiption du Ministerc de I'Instructiun puM. et des Beaux Arts Paris.
zeigt mehrere limbrvonen in verschiedenen Lagen. Früher ist schon
als Hinzelblatt gestochen bekannt geworden der Durchschnitt eines
männlichen und weiblichen Körpers während des Koitus. Es ist
•| Dies und das nächste Zitat nach Marie Herzfeld, Leonardo da Vinci, der Denker,
Forscher und Poet. Leipzig 190-1, S. 9(1, S4f.
24 äSäOtiSSSiSiKiCiiCiJSieiStSiiJiJviiCtJSiOtJCiStiCiJCiäiiK AnaTOMH: StiKiOiKSS>!SS^iC!StS>:J5>!0tiS!C>S>!v!iCii!KJS!v>SiJ>!yt!v«v*
selbstverständlich, daß dieser £;roße Geist, dessen andere Spezialität
es noch war, nebenher Belagerungsniaschinen zu konstruieren und
mechanisch - dx-naniische Gesetze zu KVsen . der ein Meister des
Wasserbaues war, mit intuitivem Blicke nicht au der l'orm allein
Cieniige iand, sondern auch die lunktion studierte und physiolo-
gische und optische Probleme zu lösen suchte, lis ist nach allem
wolil keine übertriebene Behauptung, wenn wir sagen, dM}^ dieser
Maler die gröl.Uen anatomischen KeniUnisse seiner Zeit in sich ver-
einigte und seinen Schillern zugute kommen liel,^. Wie er ein
eigenes anatomisches Werk sich dachte, darüber boren wir ihn
selbst:
»Dies Werk muß beginnen mit der limptängnis des Menschen,
und du unüh die Art des Uterus beschreiben und wie das Kind ihn
bewohnt und in welcher Stute es sich in jenem aufhält, und die
Art, lebendig zu werden und sich zu nähren. Und sein Wachs-
tum, und welcher Intervall sei zwischen einem (irad des Wachstums
bis zum anderen, und was es hinaussteißt aus dem Leib der Mutter
und aus Welchem Grund es manches .Mal aus dem Bauche seiner
Mutter vor der gehörigen Zeit herauskommt.
Dann wirst du beschreiben, welches die Glieder seien, welche
dann, wenn das Kind geboren ist, schneller wachsen als die anderen,
und das .Maß eines Kindes von einem Jahre. Dann beschreibe den
erwachsenen Mann und die Iran und deren Maße und Natur der
Beschaftenheit, barbe und Physiognomie. Nachher beschreibe, wie
er zusammengesetzt ist, aus Adern, Nerven, Muskeln und Knochen.
Dies wirst du im letzten des Buches tun. . . . Ferner beschreibe
Stellungen und Jkwegungen; nachher Perspektive für den Dienst
und die W irkungen des Auges und dijs Ohres du wirst von
der Musik sprechen und beschreibe die anderen Sinne.
Und dann schreibe von der Natur der Sinne.
Diese instrumentale Gestalt des .Menschen werden wir in
. . . Figuren demonstrieren, von denen die drei ersten die \'er-
zweigungen der Knochen sein werden, nämlich, eine von vorn, welche
die Höhe der Lage und Figur der Knochen zeigt; die zweite wird im
SK!KiKJK5>:iKi0ti0>:SiJß!C><>:i0iJ5!<5JKJIiäK5Ci!C?!Ki0!iOtSS!Ci^ JCSSiSSiSiC?<SS??>:K>:5C?KS!0!?K:«!SSt<XSiiO>:<>:!KS!XSX!> 2 5
Profil gesehen werden und wird die Tiefe des (ianzen zeigen, und die
der Teile und ihre Lage. Die dritte i'igur sei der Demonstrator der
Knochen des rückwärtigen Teils. Hieraut werden wir drei andere
Figuren machen von gleicher Ansicht, mit durchsägten Knochen,
in denen ihre Dicke und Ihihlung sichthar sein wird; drei andere
Figuren werden wir machen mit den ganzen Knt)chen und den
Nerven, die im Nacken entspringen und in welchen (jliedern sie sich
verzweigen. Und drei andere mit Knochen und Adern imd wo sie
sich verzweigen, hieraut drei mit Muskeln und drei mit der Haut, und
proportionierte Figuren, und drei von der krau, um den Uterus zu
demonstrieren und die iMenstrualadern, die zu diju Brüsten gehen.«
Es ist tür uns ein unersetzlicher Verlust, daß des Meisters
Absicht nicht zur Ausführung kam; seine kleen , seine Kenntnisse
pflanzten sich nur von Mund zu Munde tort. Wir wissen nur, daß
die großen Lehrmeister dieser Zeit ihre Schüler in dem gleichen
Sinne anleiteten.
Wollen wir uns nun in folgendem darüber Kenntnis zu ver-
schaflen suchen, in welcher Weise die italienische Renaissance der
Malerei die Renaissance der Anatt)mie glorihziert hat! Suchen wir
nach dem großen anatomischen Historienbilde, so werden wir es
nirgends in Italien finden. Das große Ereignis der populär gewordenen
Sektion hat nur in den Titelkupfern der italienischen Anatomen
einen ziemlich unbedeutenden künstlerischen Niederschlag gefunden.
Das fünfzehnte L^hrhundert zeigt in allen Ländern und Städten, in
denen die Spuren geistiger Tätigkeit Sichtbarwerden, noch ein unglaub-
Hch geringes Interesse tür anatomische Studien. Allmählich aber brach
auch tür die Medizin die neue Zeit herein; die großen Entdeckungen
und Erfindungen bahnten die Wege für freiere Geistesarbeit. \'om
Dunkel der mittelalterlichen Finsternis hob sich ein heller Lichtschein
ab, der von Südeuropa ausging. Die ersten Nachrichten über offiziell
gestattete Sektionen stammen aus dem Anfang des dreizehnten Jahr-
hunderts. Kaiser Friedrich IL verfügte auf Antrag des Protomedikus
Marcianus, daß alle fünf Jahre eine Leiche ötientlich seziert würde
(i2 5(S). Jedenfalls aber blieben die Sektionen so selten, daß noch
26 JKJKSSäSJOiäKäKJKSBKJKäSäSäKäeäKSKäKäSäSStäSäK AkaTOMIK SSäKiSSKJKiKSKiKSöKäSiOKKKäKiKSSSIiißißSKäSiKSSäS
-Moiulinus in seinem 1,10 \crtal.Ucn l.chrbuchc der Anatomie vt)ll
Stolz erwähnt, auch zwei weibliche i.eiehen in seinem Lehen seziert
zu haben. Es lag das eben daran, dal.^ der christliche Klerus in
diesem Punkte mit den \'orschrilten des Korans übereinstinuiUe. Ja
.Mohanmied hatte diesem \ erbot einer Leichenoflnung noch die \'er-
schärtung zugeiügt: auch dann nicht, wenn der \'erstorbene zu Leb-
zeiten die köstlichste Perle verschluckt habe, die das Ligentum eines
anderen sei. lün solches \"erb(U legte die anatomischen l'orschungen
im .Morgenlanile lur alle Zeiten lahm, und erst im Jahre iN^S
erlolgte ein Irade, nach dem wenigstens die .Sektion von C'diristen und
Juden treigegeben wurde. Diese Tatsache des lehlenden anatomischen
Substrats war ollenbar der Cirund, daß der enorme Aulschwung,
den die arabische .Medizin genonuuen hatte, keiner weiteren Steige-
rung fähig war.
In hrankreich ging die Lntwickhmg dieser b'orschung ziem-
lich Hand in Hand mit Italien. K.u'l von Anjou gab den Chir-
urgen seiner Universität Montpellier die Lrlaubnis, jährlich einen
ALiIetaktor zu sezieren, ein Latent, welches 1396 von Karl IV. be-
stätigt wurde.
Li England hielt schon zu Antang des tuntzehnten Jahrhimderts
die Barbersurgeonsgilde \-iermal im lahre anatomische \'orlesungen
ab, nach deren Beendigung Iröhliche Gelage stattfanden (siehe
unten).
Lrotzdem nun der christliche Klerus zunächst der j-ntwicklung
der Anatoiuie feindlich gegenüberstand, nuil.^ die \-orurteilsfreie (jC-
rechtigkeit konstatieren, dal,^ die Läpste einen gtinstigen Einflul.^ auf"
das Studiimi der .Medizin ausübten. Schon die eine Tatsache würde
genügen, daL^ aus der Reihe der päpstlichen Leibärzte herNorragende
römische L'niwrsiiätsprolessoren hervorgingen. So .Andreas Cesal-
pino, von dem viele behaupten, dal,^ er der eigentliche Entdecker
des Blutkreis]aufe.s sei, Bartholomäus Eustachius und andere. Die
frühere Ansicht, daß Bonifatius Vlll. und Sixtus l\'. den Bannfluch
gegen die Ausführer von anatomischen Sektionen geschleudert habe,
ist durch die Untersuchungen Lhilipii Lussanas hinfällig geworden.
da sich diese berühmte Bulle vom |ahre 1303, übrigens das älteste
Dokument der Universität Rom, nur gegen die unerlaubte Aus-
grabung und den ruchlosen \'erkaut von 1-eichen wendet, ja, es
wird sogar behau[net, dal.^ Paul l\'. und Pius 1\'. die Sektionen
dadurch quasi in Mode brachten, daß sie Kardinäle, Prälaten und unter
anderen kirchlichen Würdenträgern auch den Jesuitengeneral Kealdo
Colombo sezieren ließen. Xach den historischen Berichten Corradis
erscheint es als Tatsache, dal.^ Rom mit dem Studium am Sektions-
tische allen übrigen Städten vt)ranging, i^rag und Montpellier folgten,
und erst über zweihundert Jahre später wurden solche in Deutsch-
land, brankreich, Spanien und England ausgeführt: Roma caput
mundi.
Hat die arabische Medizin zum Teil nur sich als Übersetzer
der griechischen Anatomie bewährt, teils auch den selbständigen
Versuch gemacht zu einer theoretischen Anatomie, so vermittelte
wiederum das mittelalterliche Monchtum, an erster Stelle Lsidor von
Sevilla und Constantinus Atricanus, der berühmte Benediktinerniönch
auf Monte Cassino, die Kenntnis der Araber. I:s braucht nicht
besonders betont zu werden, daß diese Kompilatoren von der Anatomie
der Alexandriner und des Galen das Ö\ zu ihrem kleinen Lebenslichte
bezogen. Der Umschwung kam durch die Salernitaner Schule.
Allerdings ist in dem berühmten medizinischen Lehrgedicht der
Schule von Salerno die I-'ars anatomica dürttig genug im \'erhältnis
zur Nosologie, Therapie und Semiotik.
»NUMERUS OSSIUM ET VENARUM ET MEMBRORU.M 0FFICL\L1U.\I.
Nervus et artcri.i, cutis, os, ciro, gl.indula, veua, —
Pinguedo, cirtilago, et uienibrana, tcnoiites:
Hae sunt consimilcs in nostro corpore partes.
Ossibus ex denis bis centenisque novenis
Constat homo, denis bis dentibus et diiodenis.
Ex tricentenis decies sex quinque venis.
Hepar, fei, stomachus, caput, spien, pes, manus et cor,
Matrix et vesica sunt officialia niembra.«
Die erste Anatomie des Kopho IL und die des Magister Richardus
basieren ausdrücklich auf der Tieranatomie — »Affen und Bären
28.'C«tJJHSäKäSäKäSäKäCSißäKä5««H5«HS3SäSäSäKiK Anaiomii JCi!S!KiKäiiKi5JCöKKHK3K5JC«5!KS?!Kiß!K<SJK<Ci!-C*.
I'i".i 5. 1 11 itialu. ins dein Dresden erKodex.
seien dem Menselieii aiilk'rlich, das
Schwein ilnii aber innerlich am ahn-
hchsten«. h^s scheinl, als cih das
Bedürhiis der C'.liirnr^ie den nach-
haltii^en AnsloL^ ,<;c^ehen hat, mit
dieser Scheinanatomie zu brechen.
Jedenlalls behandelt Wilhelm von
Saliceto in seiner 1273 oder 1279
beendeten Chirurgie ein Kapitel über
die Anatomie auf (irund wirklicher
Kenntnisse. Anderseits ist fests,estellt,
daß gleichtalls in Bologna 1 3C-2 bereits wegen einer \'ergiftung eine
gerichtsärztliche Sektion vorgenommen wurde. Um 1300 herum
entsteht hier die s|iäter immer wieder gedruckte Anatomie des Mon-
dino de l.uzzi, welche lur zweieinhalb lahrhunderte die wissen-
schaltliche Welt in ihrem anatomischen Ik'dürtnisse in 2n Ausaaben
versorgte. Im Jahre 13 13 hat .Mondino auch zwei weibliche Leichen
seziert, welche Tatsache er im Kapitel »De anathomia matricis«
erwähnt. Das Schülerkomjiendium aus dem Jahre 1316 ist ohne
Abbildung. Die späteren Buchausgaben, bis zu einer 149S in
Venedig erschienenen, sind gleichtalls ohne bildliche ]-rläuterimg.
Es ist nun klar, dal,^ die neue Krrungenschalt einer Menschen-
sektion Irüh/.eitig ihren bildnerischen Ausdruck getimden haben
muß, und aus diesem wird sich aut traditioneller (Grundlage das
Anatomiegemälde bis zu seinem stolzen Ilöheininkt in Holland ent-
wickelt haben, b.s ist eine interessante Aulgabe, den Werdegang
einer solchen Sektionsschilderung in den .Miniaturen und dem J^ild-
werke der .Manuskripte zu verfolgen. Soweit ich bisher dies tesl-
stcllen konnte, belindet sich wohl die erste Darstellung einer Sektion,
noch dazu einer brau, in tieni Prachtkodex der C.hirurgia magna
des(iuy de Ch a u 1 iac zu .Montpellier in einer lranz()sischen Über-
setzung aus dem Lateinischen vom Jahre 1363. Die schlecht
erhaltene Miniatur (siehe ligur 16) zeigt, wie auf dem in einem
Hospitalzimmer aufgestellten Tisch eine weibliche Leiche liegt, im
sKiOiiKiSJK'SJOtJCit-OiJKSi'OiiitJIiieiSiiKiKiJtJKiOtiK MixiA rVKMAl l Kl I JßiKJOiäiJOiiöJSSiSXiCSJOiiKiOiSSJOiJOtJCtSSJKSS 2(j
Hintcr^ruiiLlc sieht man das Belt der N'erstorbeneii ; eine Xonne
betet für ihre Seele, >:\vei Sekanten sind mit der Zergliederung der
Leiche beschättigt, der Professor liest aus einem Werke vor. Hs
drängen sich Schüler in die Tür hinein, vorne bemüht sich ein
' i\■n^^)a^.\i.biXA.^\ox\^on^■^8. er coxvamt\u^:'5 ;;-; Vntf cA> aii^in-cVmncvfÜ qmjjtwlcVi
I"ig. i6, MiiiLitur aus der Prachtausgabe der Chiriirgia magna des Guy de Chauliac,
Montpellier.
Gehilfe und einige Frauen werden sichtbar. Nach ihrer Kleidung
können es weibliche Doktoren der Medizin sein.
In anderen früheren Kodices mit schönen Miniaturen vermissen
wir solche Darstellungen vollkommen. So zum Beispiel in dem
Pergamentkodex der Dresdner Kgl. Bibliothek, welcher eine lateinische
Ausgabe des Galen aus dem fünfzehnten Jahrhundert enthält. In
30 äOöKäiS«ti>SiSiSöK!Kjß.'Ct!«iS353KäK!«JK»iäKJOt AnaTO.MIH äKäSäSiCtivSäSiviJJtiOJjJsäSäOiäKiOiSSiKiKiOtSSJCSJCSiKäKSKäK
diesem SchriUwLTk sind \iclc Antangsbuchstabcn in (iold und Deck-
tarbcii ausgeführte Miniaturen. Die Darstellimg ist eine sicli stets
wiederholende. Der Protessor in einem IVachtornat imd Ilermehn-
mantel, meist aui einem Thronsessel sitzend, doziert vor barhauptigen
Schülern an nackten Menschen (siehe l'igur 13). Einmal sehen wir,
daß ein stehender Mann in der
Mittellinie geöffnet ist, und
daß hier ein rotes Kartenherz
sichtbar wird*).
Diese Darstellung aber
hat mit dem Anatomie-
bilde nichts zu tun. Sie
gehört in die lintwicklungs-
reihe jener anatomischen Fi-
guren, von denen Karl Sud-
hotf**) nachgewiesen hat,
daß diese Eingeweidesitus-
bilder mit den Aderlaßhguren
in Beziehung stehen. Unter
den dort abgebildeten Illu-
strationen interessiert uns am
meisten der nackte Mann
mit geöffnetem Eeibe aus
dem Lübecker deutschen
Bartholomäus Anglicus vom
Jahre 1483. Der sichtbare
Situs erinnert an die etruskischen Eingeweidetorsos. Der Mann steht
mit ausgebreiteten Händen vor einer Burg, in dessen Hol man
(lottvater mit der I\rone aut dem Haupte damit beschäftigt sieht,
aus dem Adam die Eva herauszunehmen. Eine stetige Entwicklung
dieser Art von anatomischen Lehrfiguren geht durch die folgenden
Jahrhunderte. Wir verweisen auf Sudhofls wichtige l'orschungs-
Fig. 17. Aus Johannes de Ketham.
Fasciculus medicinae. i49ö.
*) .Abbildung siehe bei Choulant.
••) Karl Sudhoff, Studien zur Geschichte der Medizin, Hand T. Lcijjzig 1907.
JSiöJOtX^SXJÖJOiJKJSJOtieiJßiK-CiSKSiJOiiCiStiSiOtiKSiX^SSiK Ketham iß!KiKiKS>i5iS!S!CS<0>StS>JSJßS!iK>5-!5>!K!C!t!0!iO!5K 3 I
resLiltate*) und wollen nur noch erwähnen, daß ihr Ilohe[Hnila zu den
oft künstlerisch gezeichneten Fliegenden Blättern führte, die vielfach
zu Nürnberg, Straßburg und Frankfurt, meist unter dem Titel «Ab-
contratektum eines Mannsleib« erschienen, bei denen die einzelnen
Wände des Rumptes aufklappbar sind und in vielen Lagen über-
einander die Frontalschnitte des Körpers sichtbar werden.
Den ersten Holzschnitt eines wirklichen Seklionsbildes linden wir
in des Johannes de Ketham (1491 resp. 1.(93 '^"''••^ '495) '^-^^ \ enedig
erschienenem Fasciculus medicinae, in welchem Ruche übrigens die
ersten anatomischen Holzschnitte überhaupt vt)rhanden sind. Fs ist
beachtenswert, daß die Flolzschnitte, wie es scheint, verschiedener
llerkuntt sind. Die erste Ausgabe hat das größte Format und
größere und schönere Holzschnittplatten. Als Unikum besitzt das
Berliner Kupterstichkabinett ein Fxemplar, welches nicht illuminiert
ist, sondern merkwürdigerweise einen Dreilarbendruck hat**). Uns
interessiert aus diesem Werke im wesentlichen die in der Malweise
Mantegnas gehaltene Sektion. Die gemeinsame Darstellung in den
verschiedenen Ausgaben zeigt einen aut dem Katheder sitzenden
Dozenten. Die Breite des Bildes und den Vordergrund ninunt ein
aut dem 'Fisch liegender Leichnam ein, dessen untere Fxtremitäten
leicht gebeugt sind. Fin Sekant ist damit beschättigt, gerade den
Medianschnitt mit einem großen Messer zu machen. Seitwärts
belinden sich nun sieben Personen, teils bedeckten Hauptes, teils
barhäuptig. Fin Demonstrator zeigt mit dem Stocke, wt) geschnitten
werden soll. Fin anderer Anatom legt auf den Prosektor mit einer
ermahnenden Geste die Hand. Fet/terer hat seinem Stande gemäß
Kniehosen, alle übrigen sind in langem Habit und mit Sandalen
an den Füßen bekleidet. Die erste besser ausgeführte Ausgabe läßt
zur linken und rechten Seite des Hintergrundes je ein ofienes und
geschlossenes, aber zerbrochenes Fenster — Andeutung der nötigen
Ventilation — erblicken. In der späteren Ausgabe und auf einem
*) Ein Beitrag zur Geschichte der Anatomie im Mittelalter, speziell der anatomischen
Graphik, Heft 4 der Studien zur Geschichte der Medizin, Leipzig 190S.
'*) Ein weiteres Exemplar im liritish Museum.
32 30H«iC?!KSKSfS?«iiJ!?K!>:!>:S>!Oii>:!5i!K?5!K!C5?SS!!K ANATOMIE ?OSä«3K!OtS5äCi!«K3>:S««i!C«!«tSK<iiKJOi«!Ot!e>JKKX:^
öini i£nKöata
tjocto:nnclc
allen ( il.iSL;cnialdc mit derselben DarsiellunL; aus meinem l'riv.ilbesitz
sielu man dureh das oflene l-'ensier im llinieri^runde eine Landschaft
mit i^rcuk'n Baulichkeilen (sielie l-i_uur i;). In der ersten Ausgabe
memoriert der Protessor, in der /weilen hat er ein i^roßes Anatt)mie-
werk vor sich.
Hs ist nun walirscheinlich. dal.^ dieses Kethamsche Buch di:n
Titolhoizschnitt einer Anatomie des Mondino beeinflul.U hat. Denn
in einer wahrscheinlicli in Leipzig
iMii \ jno erschienenen Ausgabe:
Anatliomia Mundini eniendata per
doctorem melerstat (das ist Ahir-
linus Pollich von Meilerichstadt)
erscheint plötzlich als Titelholz-
schnitt ein Sektionsbild. Wir bilden
es nach dem illuminierten Original
aus der Sammlung Fritz Weindler,
nach dessen Reproduktion in seinem
schonen \\'erke : Geschichte der
gynäkologisch-anatomischen Abbil-
dung, Dresden 190S, ab (siehe
iigur iN). Der Anatom sitzt aut
einem großen Lehrstuhl, das ALmu-
skri[n in der ILmd und gibt Wei-
sung. Die autgeschnittene Leiche
liegt vorne aut dem 'Lisch; ein
barh;ui[itiger (Chirurg mit seitlichem
Besteck entwickelt soeben die Darme, ein sabelartiges Messer liegt
zur Seile. Statt der Hörer sieht man einige Bäume, da die Szene
sich in einer treien Gebirgslandschatt abspielt*).
Die zeitlich folgenden Bücher, die sich mit Anatomie be-
schäftigen, sind deutschen Ursprungs und Druckwerks und auch an-
gefüllt mit anatomischen Holzschnitten. Aber weder in dem Buche
l-'ig. iS. Titelblatt aus Mondinos Anatomie
Leipzig 1500.
•) In der I. .Ausgabe des Bartholomaeus Anglicus v. J. c. 1495 lieriiultt sieh aiieli eine
Sektionsdarstcllung.
iOSSCSJKSSSKJKJKäSäKJCSäKäSSKäSSSäSiKSKJSißSeSSSCSSKäK AviCEWA JOE<KSi!>:-CS!5i?Jtä{«S5!K3KäCSäK555S«äK!KJ«äK50BOH«SS 3 3
des Leipziger Professors Magnus Hundt xoni Jahre ijoi, noch in
dem Spiegel der Artznev von Laurentius l'hrvesen \on Kohiiar 131S
zu Strasburg findet sich als Buchschmuck ein solches Anatt)niiebild.
Erst die (Aimmentaria und die Isagogae des Chirurgen Jacopo
Berengario da Carpi vom Jahre 1321 und 1333 bringen wieder eine
solche Abbildinig. Die ungemein seltene Ausgabe aus Bologna
zeigt als Titelholzschnitt oben das niediceische W'apjien und unten
eine Leichenöiinimg mit dem linkssitzenden Dt)zenten, einem' bar-
haupten Sekanten und drei assistierenden Ärzten. Das Titelblatt
der Carpischen Ausgabe der Isagogae, welche 1533 in Venedig
O r ! i^ i u a iau/'n a /n/ie Koni L.,
i-ig. 19.
erschien, iiihrt unten auch eine Leichenöflnung. Es scheint beinah,
als wenn sich der Zeichner derselben das Kethamsche als Vorbild
genommen und nur die Szene von der Seite gemalt hat. Choulant,
welcher die Abbildung bringt, betont auch, daß dieses Titelbild aus
der Mantegnaschen Schule otienbar von einem anderen gezeichnet
ist als die übrigen anatomischen Abbildungen.
Eine solche Sektionsdarstellung ist unten wie ein Medaillon
einq-efügt in die Bordüre aus Portratdarstellungen berühmter xMedi-
ziner, welche die Titelbilder der großen füntbändigen am 27. Juli 1323
in Venedig von dem Mantuaner Philippus gedruckten Ausgabe des
Avicenna schmückt. Die Darstellung ist in der Form der des Beren-
garwerkes ähnlich (siehe Figur 19).
Die auf dem Titelblatt angebrachte Sektionsdarstellung wirkt
programmatisch, da dadurch zum Ausdruck kommt, daß die x-\natomie
HiilUiDder, I'ie Medizin in der klassischen Malerei- 2. Aufknie J
34 SOHOHSStSiiKiOtJCtiSäiJKieiiSißäSäOtiSiOiSiiSJKSii« Anatomie SKäKäKäKäSäCSSKiKäCSJKStStiKiOtJCSiOtiCSiKStäKäKäKiKäOiäJi
iKich der Leiche abuehandelt wird. Dieser l'urm der Anatomie
ent2;eoeno;esetzt war die Anatoinia vivoruni oder »Anatoniia tortuita«.
.Man halte dem Bereni;ar nändich den talschhchen \'orwurl gemacht,
daß er Lebende zergliedert Inibe. Er wehrt sieh in seinen »C'.ommen-
taria« gegen diese AnschuKligimg und rühmt sich, mehrere hundert
Leichen anatomisiert zu haben*).
Berengario hat als Chirurg glänzende Kuren gemacht, unter
anderem eine schwere Kopt\erletzimg des Lorenzo de' Medici, Her-
zogs \on Urbino, geheilt. Aul seinen Konsultationsreisen kommt er
auch nach Rom und tritt in Beziehung zu X'asari und Benvenuto
Cellini. Seine größten \'erdienste aber zog er aus der Kurierung
Syphilitischer. Die Behandlung dieser lag damals in den Händen der
Chirurgen und 1-allonia ist uns Gewährsmann dalür, daß Berengario
als erster das Quecksilber innerlich verabreichte. So konnte er ein
großes X'ermögen ansammeln, und aut ihn paßt auch die Anekdote,
die man von einem französisclieii Wundarzt erzählt (Idiierrv de
Herv), der eines l'ages knieend im (iebet vor der Statue Karls \'1IL
angetroffen wurde. ALm machte ihn daraul autmerksam, daß es
nicht statthalt sei, vor dem Kimige wie vor einem Heiligen zu
knieen, er aber ließ sich nicht stören und sagte: »ich knie vor dem
im Gebete, der mir eine Rente von 7000 Livres verschallt hat «
Das große (ieschehnis der nächsten Zeit (134O wuchs heraus
aus dem Bündnis eines Künstlers mit einem (jelehrlen. Die konzen-
trierte Schaft'enskratt imd das zielbewul.Ue Arbeiten des an uni-
verseller Bedeutung gegenüber Lionardo und della Torre sicher
geringeren Paares \'esal und Calcar, war doch xon unvergleichlich
größerer Durchschlagskraft. Das Anatomiewerk des Andreas X'esalius
mit dem bildnerischen Schmuck und den anatomischen Holzschnitten
des Meisters loli. Stephanus van (Calcar war von solcher geistigen
Kraft erfüllt, daß es mit einem Schlage die menschliche Zergliede-
runirskunst zu einer modernen W'issenschall machte, die nicht nur
•( Tempore enim nostio non fit anatomia in vivis, nisi toite a mcdicis, ut milii cmitingit
interdum in incidendo apostemata etc., ubi cognoscunt colligantias meiiilnorum, positiones et
operationes et omnia requisita in anatomia.
3CHKiO>SS!«StJ5tiKi0!Si<CSKS!SiKi0i<0i'Oii5iSiiß!O>S>JCSJ05!Ot Vesahus SSSKXS!0>!SS>!C*SiS>JC>>5!!C>iC!!0>S>S>iO><5->0!JO!Si<S>iK 35
an allen Uni\crsiläten gelehrt wurde, sondern die demnächst auch
breitere Schichten der L;ebildeten Welt beschättii;en sollte. Über
die anatomische Illustration und den Buchschmuck der verschiedenen
Veröffentlichungen des zu Brüssel 1314 geborenen \'esal ist viel
gedruckt worden. Man hat dieselben dem iMalerfürsten Tizian zu-
Fig. 2ü.
Aus dem Steinschnittbuch des Georg Bartisch (1575).
geschrieben, obwohl an mehreren Stellen \'esal als seinen Zeichner
den Jan van Calcar besonders nennt. \'ielleicht hat der große weib-
liche Akt in der Epitome, ganz im Stile Tizians gezeichnet, diesen
Irrtum hervorgerufen. Jedentalls beruft sich die erste deutsche
Kunstanatomie (zu Augsburg 1706 erschienen) und manche späteren
Nachdrucke der Typen aus \'esals Werken noch darauf, daß die
Figuren von Tizian gezeichnet seien. Hs ist hier nicht der Platz,
das Anatomiewerk des großen blamen im speziellen zu würdigen.
30 SKJKKit!CöK?SJC«ÖK5K?>:?>:!5»ti«S*SiS!Si«<SS5iiS Ana roMli: äSätiCSJKiKiOiäKäKJKJJtJSJKJKJSSiJßJKiOiSCiiiSiKiCHeBKäK
Es ist bekannt _L;enug, daß er der eigentliche Reformator der Ana-
tomie wurde, (ieschiclite und Legende liat alles zusammengetragen,
um die Persönlichkeit dieses Mannes /u glorihzieren. Man erzählte,
daß er, vom Drange beseelt und von dem (jedanken nach anato-
mischer Ausbildung erfaßt, zunächst helddienst nahm unter Karl \'.,
ohne aber hier so recht auf die Kosten zu kommen. Kr wandte
sich deshalb nach Italien, nacluiem er vorübergehend in i^u'is studiert
hatte. 1)37 hnden wir ihn in Padua als Professor der Chirurgie
und der Anatomie und 1338 gibt er bereits seine ersten anato-
mischen Tafeln heraus. 13 j3 erschien in Basel sein e(iochemachendes
Werk: de liumani ccirporis fabrica libri Septem und noch in demselben
Jahre die \ierzehn Blatt seiner j-pitome. Was uns an dieser ,Stelle
nun besonders interessiert, ist die Art der Illustration und der Buch-
schmuck selbst. Er erkannte, unbelriedigt von den bisherigen ]\ibli-
kationen seiner \'orgänger, den Wert des Zusammenwirkens von
Kunst und Wissenschaft und betont selbst die Mühe, die er sich
mit der Überwachung der Kunstabschrift seiner Präparate gegeben
hat. Der luiolg war der beschriebene; trotz der gesuchten und
\'iellach gesjireizten Art bedeuten seine Muskel- und Knochen-
männer eine Tat von bahnbrechender Wirkung. Aul die Vorzüge
und die l'ehler der anatomischen Darstellung einzugehen, ist hier
nicht der Ort*). Ohne Zweifel aber hat auch die rein künstlerische
Beigabe des Werkes zu dem buchhändlerischen Erfolge beigetragen.
In seinem Titelblatte wächst das bisher bescheidene Anatt)miebild
zu monumentaler Große. Dabei ist nicht in Abrede zu stellen, daß
die dramatische W'nkung des geschickt k(Mn|ionierten l^lattes eine
etwas reklamehafte Selbstverherrlichung in sich schließt. Wir sehen
da hinein in einen mächtigen Säulenhof, in dem eine vielköphge
Menge der Sektion eines Weibes zusieht, die der [lorträtähnhch
gezeichnete Vesalius auszuführen hat. Personen der verschiedensten
•) Nur aut einen Punkt sei als ein Zeugnis der nMtürlidicn He(il)achtungs^;al>c des \'csalius
hingewiesen. In seiner Zeichnung des Beckens sind deutlich die Fossae subglenoidalcs iuml)o-
sacrales markiert, die seitdem kein Anatomiewerk mehr beoliachtet und erwähnt hat. .Siehe
\V. A. Freund und Mendclsohn, Der Zusammenhang des Infantilismus des Thorax und
Beckens, Stuttgart 190S, Enke.
Fis. 2 1.
Jan van C.ilcar. Anatomie des Andreas Vesalius.
Titelljlatt aus Vesalius' Werk.
38 jKSiiKicsißicitSiiCiiKSiSiJSjCitiSiCtißäKiKjKäKJOtißsK ANATOMIE %B(eiS!ce^!asi30ii;!<ci!>:!KiO!i;sü!!:i:<!^sK!>:i:i<Cii;t!Cti9E
I-'iiJ. 22. Initialen .ins \'esals f.ibrica.
Stände drangen sich um den Tisch.
In der Mille des Raumes und oher-
halb der Leiche sieht ein Skelett.
Am[ihiiheairalisch ault;ebaule Steh-
bänke sind von Studenten dicht be-
setzt. Im \\)rderi;rund wetzt ein
Barbierchiruri; die Anatomiemesser
imd andere haken einen Hund rnid
einen Allen bereit, die vielleicht als
\ ergleichsubjekte seziert werden sol-
len. Der Titel des Werkes ist auf
einer Tafel angebracht, über welcher Putten ostentativ das Wappen
des Anatomen tragen, drei W^icsel, da die Familie aus Wesel im
Kleveschen stammte (siehe l'igur 21).
Im Gegensatz zu den früheren Darstellungen, bei denen sich
der Anatom vornehm im Hintergründe hielt inid nur aus einem
Kodex dozierte, beobachtet man, wie hier der Meister selbst das
Messer führt und den Situs demonstriert. Trt)tz mancher Schwäche
in der Zeichnung, so der mangelhaften Perspektive (die Männer im
\'ordergrunde und im Hintergründe sind zu groß geraten und \'esal
verschwindet zu sehr in der Menge), ist doch dieses Titelblatt für
die folgenden Jahrhun-
derte tonangebend ge- tm^y^^^i^^— x n^--
worden und wir werden
bei der Betrachtung der
späteren groLk'n Anato-
miegemälde die Beob-
achtung machen kt)nnen,
daß in theatralisch-
dramatischer Beziehung
diese Komposition von den folgenden nicht übertroffen wird.
im l^enaissanceslil lag es, daß man das Buch schmückte. Noch
heute bei unserer fortgeschrittenen Technik sind solche bOlianten
aus der Zeit begehrt nur wegen ihres Buchschmuckes. Die \'erleger
l-ii:
Iniiialun aus Vesals fabrica.
äKJOMßiCfSiSKSiJKSSiOiißJOtJOtiCJjeiiOtSKißieiiöJOtJCiiOtißJei Oporix SßSßS>iK!e!ij!iKiOiJCi!SJ!XJO>ietS«iiK<ßiJi>JiJj!St<K5KiK 39
und Drucker wußten die schon t;epreLUen Schweinslederbande mit
ornamentalen Schließen zu versehen. Sie benutzten farblich wirkende
Vorsatzblatter und wußten vielfach auch durch verschiedenfarbige
Lettern einen auffallenden und künstlerischen lündruck hervorzurufen.
Zu dieser äußeren Ürnamentieruni; k'am aber auch eine innere hinzu.
Der Druck war oft geteilt, die trennende Linie gelegentlich schon
verziert, der Inhalt einer Seite durch xorgerückten Druck mit Schlag-
wörtern markiert. Die Anf'angslettern waren besonders groß und
durch Arabesken verziert. Mit solchen den Manuskripten nachge-
arbeiteten Mitteln arbeitete auch die Ofhzin des Basiers Oporin.
13aß aber diese künstlerische Durch-
tränkung des realen \"orwurfes nicht
gegen den Wunsch des Anatomen
war, das geht aus der Haltung und
der Umgebung der Figuren selbst
mit Sicherheit hervor. Die Skelette
und Muskelmänner nehmen alle eine
mehr oder weniger dramatische Stel-
lung ein. Das Skelett stützt sich in
einer Alpenlandschaf't auf" eine große
Schaufel und macht mit der anderen
Hand eine demonstrative Bewegung. Ls würde eine solche Geste,
die die ausruhende Mittellage verläßt, nichts schaden, aber die ana-
tomische Lesbarkeit der Figur erleidet eine Linbuße; der zurück-
geworfene Schädel muß dadurch perspektivisch verzeichnet werden.
Andere Skelette und Muskelmänner schreiten durch heroische Land-
schaften. Hierbei fallt es dann unangenehm auf', daß der heraus-
geschnittene Kehlkopf und andere Organe im Grase liegen. Gegen-
über solcher \'ersündigung gegen die moderne rein wissenschaftliche
Auffassung ist die \'erzierung der hiitialen höchsten Lobes wert.
Van Calcar hat in geistvoller und gleichzeitig humoristischer \\'eise
im sprechenden derben Geschmack seiner Zeit und seines engeren
\'aterlandes Szenen geschildert, welche das Drum imd Dran der
Zergliederungskunst beleuchten. Da sehen wir beim Buchstaben L
Fis;. 24.
40 3CHWS!KJ»«?>S>!OtSiS5S?s5!KSSäKSC«K3C«550«S3K AxATOMIE äKSSißfKSSJKäKSiäSJCtSCiJKSKiCiißäßäSJCSSiiSJOtiOiJSJSiS
das Stehlen der Leiche vom (iali^cii, heim Riiehsiahcn C. das W'ieder-
hegrahen des Suhjecuim analomicimi. Aus dem Sart;e drängt sich die
präparierte Hand heraus. Dann tinden wir eine gan/e Reihe von l^uch-
staben in der Weise dargestelh, dal.U^ulten die anatomischen Ihnid-
werksdienste, /um IkMspiel Auskochung der 'l'eile zur (jewimiung der
Skelettknochen, Durchsägung des Schädeks, ^•errichlen; mehrlacli sind
\'ivisektionen zu sehen. Hin Schwein ist auf den Sektionstisch gefesselt
und das .\natomiehihl von Pullen amüsant geslelh. Auch Szenen aus
der übrigen .Medizin kommen zur Anschauung: eine Kathetrisation, die
Einrenkung eines zerbrochenen Ik'ines und aiulere Dinge, die wir
lieber nicht besonders beschreiben wollen. Aus diesen manchmal
derben Beigaben erkennen wir des /eichners \'erwandtschatl mil dem
alten Brueghel und den früheren holländischen Sittenschilderern *).
l:s ist nun aber durchaus nicht das originelle \'erdienst unseres
Künstlers, die Manier aulgebracht zu haben, in diesen Initialen
solche Szenen zur Anschauung zu bringen, sondern auch hier wirkt
wieder als mächtiger l'aktor die Tradition. Die llolzschnittechnik
übernahm einlach die Initialmalerei nnttelalterlicher Handschritten.
Am bekanntesten imd berühmtesten waren die Alphabete des jüngeren
Holbein. Unter diesen, welche zum Heispiel die verschiedenen Beruts-
arten, oft in Kinderspiel eingekleidet, aul kleinstem Raum drastisch
schildern, fand das Thema des Totentanzes den größten Beifall**).
Wir betonten bereits die relormatorische Krall der \'esalschen
*) .Abbildung siehe «KarilNatur und Satire«, Figur 30.
•*) Abbildung siehe 'Karikatur und .Satire«, Figur 16. — 1076 luitiakn von Hans 1 Idlljcin
wurden herausgegeben von Gustav Schneeli uiul l'ani llcitz, Straßburg 1900.
iC5!KäK5KieS50555Eiß!O!!5:«!K!0iS55K!«!«äK!OtJKiO!äKiKiC>:!K Vesalius SKSiJCtJCSäKiKjCiJKSiSSiSJKiCiJKJKiCiJOsiSiOtiKiKiKiC? 4 i
E:i^cntitni ih'r Frau Ihf'r^t A 'i' , i'f
Fig. 26. Ger.ird Dou. \'esalius' Anatomie in einem Stilleben.
Anatomie und sprachen von seinem buchhändlerischen Erfolge.
Vielmals erlebten die Einzel- und Gesamtausiraben Neuauflagen und
42 3KiC>Si!0>>CiS>!OtiCtie>iS!0«i«iSSiiKS*«!iS'«St!K!Ö5S ANATOMIE •CiSiiKSiJKXiSiJOiJOi-CiiSS'iSJSiOiiOtiSiCiiCtiCiJCiJOiSKiS
seine üriyinalluil/plattcn wurJcn in vielen Schrillen, auch in deutschen,
benutzt*). .Meist handelt es sich allerdings um s|nueie Xachahmun^en
und schlechte Kopien, wobei die 1 lerausj^eher dabei beharren, die
Illustration dem'li/ian zuzuschreiben, lünnial wurden soi;ar schlecht-
weg xon Bonavera die tihne Text herausgegebenen Illustrationen
als .Anatomie i'izians bezeichnet.
Die Kurve der l-Jitwickluni;
des Anatomiebildes, welche, wie
wir sahen, schnell /u dieser
künstlerischen Spitze i^ediehen
war, erlebte nachher einen eben-
so schnellen .Abstieg. Der Stoll
schien nicht mehr steigerungs-
laliig. Idne Reminiszenz erleben
wir noch einmal in dem nach-
gedruckten Werke des Bartholo-
mäus Hustachius. Sowohl für die
rcimisclie wie tür die Amster-
damer .Ausgabe des Anlangs des
achtzehnten lahrhunderts zeich-
nete Cdiezzi als TiteK ignette eine
Keichenöffnung. Damit war für
Italien wenigstens der Gedanke
erscho(ilt, der Stoff verbraucht.
Keiner der großen Dramatiker
der Farbe hat es unternommen, uns ein niedizin-historisches Sektions-
gemälde zu hinterlassen. I's kann kein /ulall sein, daß ein Land,
welches an die Tausend bethlehenn'tische Kiiuleiinorde hervorbrachte
und ebenso viele l'.nthau[itungen luul .\larl\rer-\'ivisektionen, lür die
innnerhin ergreifende Szenerie der (ieschichte des eigenen Leibes auch
nicht dun kleinsten j'etzen Leinwand übrii; hatte.
Fig. 27. Albrecht Dürer. Studienbl.m.
•) Das Kaiserin-Friedrich-Haus erw.irl) kür/.licli eine beni.ilte persische Leinwand aus dem
Ende des siebzehnten Jahrhunderts mit anatomischen Zeichnungen, hei (ieiieii die Skelette dem
Vesalius entnommen sind.
äOHOwKSiSiJOtiviJSS^SiS'SiJOiJKSiiO'JC^iviSiJK'ö:«)^ Dl Kl K JS!OtSiiCtiSiOtiOi*X!S!C!iCi!KiSSti«S>!0*-0>JSSii>:!CiiC>:!K 43
Der Deutsche Albrecht Dürer war um die Zeit, als die Anatomie
in Italien ihre Wiedergeburt teierte, dort anwesend. Er stand mit
Rafl'ael in freundschaftlichen Beziehungen und tauschte mit ihm
Zeichnunuen und Holzschnitte. Bei der ungewöhnlichen X'ielseitig-
Akadeiitie l'eiifdi^.
Fig. 28. .\natomische Studie von Aibrecht Dürer.
keit dieses Meisters wäre es beinahe unnatürlich, wenn wir von ihm
nicht auch anatomische Studien in Händen hätten. Als sicheres,
offenbar nach der Natur gezeichnetes Blatt aus dem Jahre 1323
bringen wir die Zeichnung eines Präparates, mit der allerdings nicht
viel anzufangen ist (siehe Figur 27). Das Ganze macht den Eindruck
einer Knochenpräparation. Das Becken und der linke Schultergürtel
sind ebenso wie der linke Überschenkel von Muskulatur schon be-
44 3K«:«iOiiOi:«!Ot?5!iKiOtSiiCii«!SS?!SißS«St!RS?!CiiC> A\ AToMil sKJOiiöSi'CiSSJC'SSJßSiiS-CiiSieiiKSiiiKiSißiCiSiJCiSSiRiK
freit. Die rechte Körpcrhälttc dagegen iiiacht einen zienilich /er-
fet/ten lündruck und scheint es beinah, als wenn ein Trannia die
rechte Brusthaltte, Oberarnikndchen und die Wirbelsäule zertrümmert
habe. Näheres kiinnte ich über dieses Blatt, welches aus der Dürer-
sammlung l\isonv in Wien st.unmt, nicht in lirtahrung bringen.
Da das Blatt fünf jähre vor dem Tode des .Meisters entstand, kann
es kaum als bloße Kor|ierstudie aufgefaßt werden, sondern muß
einem besonderen /weck gedient haben. Keine Künstleranatomie,
allerdings beinahe ausschließlich Proportionslehre, war Dürers Werk
über die \'erhältnisse des menschlichen Körpers: »Hierinnen sind
begriflen vier Bücher von menschlicher Pro|H)rtionK usw., das erst
nach seinem Tode gedruckt wurde. \'ielleicht aber ist der .Muskel-
mann (siehe bigur 2(S), der in der Akademie in \enedig aul bewahrt
und dort als »deutsche Schule« bezeichnet wird, eine Arbeit des
Meisters unter italienischem blinlluß. jedenfalls ist scluin aus der
Dürftigkeit dieses .\hiterials ersichtlich, daß Dürers rein anatomische
.Studien, die im übrigen auch in Deutschland erst mehrere Menschen-
alter später mit Eifer aufgenommen wurden, bei ihm nicht zu einer
intimeren \'erbindung von Kunst und .Medizin getührt haben.
Und nun zu fiolland. Weit mehr noch als in Deutschland
hatten die aus Italien tönenden Weckrute einen lauten Widerhall im
neuen Holland gelunden, welches damals im Zenit seines Helden-
zeitalters stand. Die freien holländischen Bürger hatten soeben die
beiden größten Mächte der damaligen Welt bezwungen : Spanien
und den Katholizismus, und in dem goldgelüllten Lande mit einer
großen Kolonialmacht erblühten schnell Kunst und Wissenschalt.
Und nicht nur im wirklichen Sinne war damals Holland mit seiner
Blumenzucht der Garten Europas, noch jetzt überstraiill die barben-
pracht malerischer Kunst dieser Zeit die folgenden Jahrhunderte.
Weshalb aber die aufblühende anatomisch-chirurgische Wissenschaft
gerade in Holland und nicht zum Beispiel in den spanischen Nieder-
landen diesen malerischen Ausdruck gefunden hat, das mul,^ beson-
dere (iründe haben. Das .\ultreten eines Genies ist sicher nicht
gebunden an eine allmählich sich steigernde 1-ntwicklung. Das
iKiCtSiSiJOiSSJOiJOiSiiJtJlisKJSSi.^JßStiCtJKSiJCiJSJCiS!!^ Hol i axd •C>!S<SJÖ!5<K'C^iOt!«<tS!JOiJSiO>Si!C>iC!JC»S>i«iSi!«i'ß45
Darwinsche Gesetz der stetigen Fortentwicklung erklärt nicht das
Emporwachsen eines Riesen aus einer Familie von Mittelmäßigkeit.
-1
Meteorgleich stieg der Übermensch Napoleon und auch Goethe
empor, aber oftmals versagt eine autsteigende kulturelle Linie, und
die Kurve erreicht keinen Gipfelpunkt. Es brauchte kein Rubens und
kein Rembrandt in den spanischen Niederlanden und in Holland zu
46 iC9Ki«!JtS*iSS?>Ki5JC*<0tSi<Si5StS>5S<ß<K<5StSßiK Ana lOMii •CSSiiSiOtiöS^iS'^iCiJSiKiSSiiSiSSiiCiSiißiSiSStiKiKJj!
entstehen, aber kamen sie hier und durt, sei mußten sie als Söhne
ihres \'olkcs und Sklaven ihrer X'crhältnisse in diametral entgegen-
gesetzte Richtunt; getrieben werden. Beide mit einzi_L;er Begabung,
räumlieh und zeitlich nahe, halten die 'l'rennung von Jahrhunderten
ertragen. Rubens, der b'lame, glücklieh unter der spanischen Gönner-
schatt, wurde der glänzendste Hofmaler, der für die katholische Majestät
das hohe Pathos des Barocks mit beis[iielloser Meisterschaft behandelte.
Das Kirchenbild und die Historie war nichts lür Amsterdam und
Rembrandt; der Bildersturm war eben verrauscht, und ein reiches,
sieggewohntes Bürgertum — vom Westfälischen Frieden anerkannt —
trug ein Selbstbewußtsein in sich, welches sich vor allem auch in
seiner Kunst ausdrückte; und Kunst war in diesem Lande nur
-Malerei. Das weite tiache W'iesenland mit seinem Steinmangel ließ
d<jn eingeborenen Sinn tür Architektur und Plastik weniger entfalten.
Statt dessen wuchs die .Malerei zu einer \'ollendung, die Meister-
hattes leistete in der Darstellung der eigenen Landschaft und des
Porträts. Der stolze, freie und reiche Bürger hatte nichts übrig für
das illusionäre Kirchenbild, er sah am liebsten sich selbst gemalt,
und dafür, daß er gut gemalt wurde, sorgten Maler wie Llias, Thomas
de Kevser, Bartholomäus van der Helst, Rembrandt, Bol, ALies, Baker
in Amsterdam, die beiden Miereveit in Delft, Ravestein im Haag und
vor anderen Frans Hals in LLiarlem.
Das druppenbild, das sogenannte Regenten- und Schützenstück,
war die natürliche Folge des Hinzelporträts.
Zuerst schon um das sechzehnte lahrhundert sehen wir, daß
städtische Kompanien sich als Erinnerung irgend einer gemeinschaft-
lichen 'Fätigkeit für ihre \'ersamndungssäle malen ließen; zunächst
ziemlich unkünstlerisch, Brust an Brust, ohne Handlung. Man ließ
sich damals malen, wie man sich heute in unseren 'Lagen photo-
graphieren läßt, bevor man auseinandergeht; jeder, der auf dem
Bilde sein w'ollte, zahlte seinen Obolus; je mehr er gab, einen desto
besseren Platz bekam er. Allmählich kam etwas Charakter und
Bewegung in die Figuren; so scheint der bärtige .Mann aul ilem
Schützenbilde von C. Tennisen 1337, mit dem Schädel in der Hand,
iO>!SiK)0>iO>!Ct<S<ßiO>S>!0><S!SKSS><0!S(K!t<SJ5*>iOiJCS!5!S^ HOLLAND !C>iItiS<S!K!Oi!Ci)5!<j!!O>iKS?»>iK!0>iJ>JO>!Ci-OiiO!!5!J0t!Ö 47
Fig. 30. Pietcr Pavius im Leidener Theatiiim anatoniicum.
Stich von Andreas Stog.
ein gelehrter Doktor zu sein. Es ent\vicl<elte sich allmählich eine
künstlerische Steigerung, die ihren Höhepunkt in Rcmbrandts be-
rühmter Nachtwache findet.
4^ Si!ß?K!5t<5S!S!iS>SStS<!0><Ki5«t<KJS!«iiSSt!0!iSi5 AXATOMIE SKiKSiSiSSiSS^St-CSiOtäSSiiKSiSSiKJßiSSiiSSiSt'eiSiJC?
Uiul wie die Kompanien sich malen lielk'n, so auch die \'or-
stehcr, die sogenannten Regenten öllentlieher gemeinnütziger (Seiios-
senschaften. /um Beispiel der Münze, des Idisabetlispitals. des Lepra-
spitals, und das anerkannt beste Kegentenstück nach so viel guten
.Mustern malte wieder der Maler aus der Judenbreitstraße: die Staal-
meesters. L"nd so malte er auch in zwingender Konsequenz das
beste Bild der dritten (iruppe, das beste Anatt)miestück : die Ana-
tomie des Dr. 'l'ulpius. Die .Vnatomiestücke entwickeln sich dem-
nach in Holland aus den kleinen Holzschnitten der italienischen
traditionellen Titelblätter in natürlicher Steigerung als Folge imd
Ergebnis freier Forschung, freien Bürgertums und treier Selbst-
schätzuns;. Ihrem künstlerischen Werte kam zuLjute die hohe l:nt-
Wicklung der Malkunst.
Aber noch ein äußerlicher Umstand war otlenbar die \'eran-
lassung, daß diese Xeigimg der Anatomen, sich in ihrer Lehrtätig-
keit zu verewigen, über hundert lahre fortdauerte und sich tort-
schleppte in die Zeit des \'erialls von l^ürgertum, F'reiheit, W'issen-
schalt und Kunst. Es war dies die Gewohnheit, die Wände des
Tlieatrum anatomicum mit diesen Anatomiegemälden zu schmücken.
Wie die Schützen ihre Kompaniesäle und die Regenten ihre Repräsen-
tationsräume mit ihren Bildern bekleideten, so schmückten die \'or-
steher der C^hirurgen ihre «Snvkamer« nut solchen.
Pieter Paaw, 1367 bis 1617 Professor der Botanik und Anatomie
in Leiden, errichtete im |ahre 1397 das erste anatomische 'Lheater
in Holland, nachdem die Sektion xon \'erbrechern seit dem |ahre 1333
bereits offiziell gestattet war und 1330 die Ghirurgengilde im
St. Ursulakonvent die erste Sektion veranstaltet hatte. Obgleich in
Frankreich schon lange Sektionen ausgetührt wurden, wurde doch
erst i6o_| in Paris in der Rue du louarre ein Ampihitheater errichtet
(siehe Figur 31). F"ür das Leidenei' Theater liel.^ sich der Anatom,
dessen Lebenswerk, »Primitiae anatomicae de Inmiani corporis ossi-
bus«, (161 3) auf uns gekommen ist, von |akob de dhein malen;
das Gemälde selbst ist verloren, ein Stich nach demselben von Andreas
Steg ist in unserem Besitz. Offenbar hat der .Maler sich \'esals Titel-
<CiiKiO>Si!Oi<J>!Oi!K<Ji!0!StiK<0><0>!0>iC>!C>!CiiO>Si Tlil MRUM ANATOMICUM JCiJKSiJß-OtiSiSiCtJOiiC^SiJOüSSiiOtJOiiKSi 49
blatt zum Muster genommen; es ist die gleiche Komposition, etwas
geschickter gruppiert. \\'ir sehen Männer jeden Standes und jeden
Alters, Ritter, Cielehrte, Bauern, Bürger, in /um 'l'eil auftauender
Kleidung. Auch die Hunde fehlen nicht. Alle iiberragt ein Skelett,
welches eine h'ahne trägt mit der Inschrift: Mors ultima linea rerum
(der Tod ist die (Frenze aller Dinge). Das Interesse und der Zu-
lauf scheint so groß gewesen zu sein, dat.^ man bald sich nach
einem größeren Raum umsehen mußte. Der Stich \-on Swanenburg
aus dem Jahre 1610 (siehe l'ig. 29) zeigt uns den bi/arr und grotesk
geschmückten neuen Saal. Die ernste Szene wird zur Schaubühne,
die Wissenschaft zur Sensationslust. Eine ganze (jesellschaft von
Skeletten garniert die äußeren Barrieren. Sie halten Fahnen in den
Händen mit Inschriften, die auf die Vergänglichkeit alles Irdischen
hinweisen. Unter anderem bemerkt man den Sündenlall, durch
Gerippe dargestellt, einen Knochenritter auf einem Fferdeskelett und
eine Unmasse von Tier- und Vogelkorpern. liin Schließer zeigt
den leeren Raum einigen Besuchern, die mit ihren brauen die
Gegenstände bewundern, l'j'nen interessanten Beleg dafür, daf,^ diese
öftentlichen theatralischen und reklamehat'ten Schaustellungen nicht
ohne liinfluß auf die \'errohung der Sitten blieben, ersehen wir
aus der rechten Gruppe des Bildes; hier trägt ein Bürger statt des
Mantels eine gegerbte Menschenhaut. Bei späteren Radierungen
fehlt diese Geschmacklosigkeit. In ihrer Übertreibung der negieren-
den Lebensautfassung kokettierte man damals mit der Todes-
verachtung.
Das Interesse der Bürgerschaft für die anatomische Wissenschaft
war ein ganz allgemeines. Man war auf seinen städtischen Anatomie-
professor so stolz wie heute auf einen wilden Kapellmeister. Das
anatomische Theater hatte damals den Wert wie heutzutage viel-
leicht ein Aquarium oder sonst ein Museum. Fremden wurde in
erster Linie das Institut gezeigt. Als Montaigne 1580 auf seiner
Badereise wegen des Steinleidens durch Basel kam, ging er zunächst
in das anatomische Theater. Auch bewunderte er im Hause des
berühmten Felix Platter (geb. 1336) die vollständig konservierten
H ol 1 a n lU-r , Die Medizin in der ULtssischcn Malerei. 2. Auflage.
!;0 3«S-0>!KS!iö!ß!Sie>S!i«'ÖiS»tSSS>JCS!SS!iC!!SSiäK ANATOMIE Sß!«iS!C(<Ci<0!iCSiCi!KSStiKS«!SiOt!«S>!CSSi!SS*<S!0>S>J0>:«
Leiclinamc. Platter, dessen kunstvolles 1 laus .M(nitaii;ne ini(xinierte,
war der trüheste \'erlreter der \'esalischen Kiehtuni; und einer der
ersten Anatomen, die in Deutschland Sektionen auslührten. Die Zahl
derselben stieg im Laule seiner lünizigjährigen Tätigkeit auf drei-
hundert.
\'ergleichen wir mm diese X'erhähnisse mit den gleichzeitigen
in einer deutschen Stadt von ähnlicher Jk'deiUung, so erkennen wir
_ daraus am besten die Pührer-
schalt Hollands aidniedizinischem
(icbiet. Erst im Jahre lötSi; füh-
len die frankfurter Barbiere das
Bedürinis nach anattimischen
Demonstrationen und bitten in
einer Eingabe tun den Kadaver
eines Delinquenten. Dieses \'er-
langen nach einer Autfrischung
des .MedizinaKvesens wird aber
erst 1729 so ak'tuell , daß die
IMivsici ein Immediatgesuch an
den K'aiser schicken, in dem die
Erbauung eines Theatrum ana-
tomiciun zur Unterrichtung der
Wundärzte gefordert wird. Trotz-
dem nun in den nächsten Jahren
mehrere kaiserliche Mahnbriefe
einlauten, geschieht nichts, und
erst im Jahre 1740 wwd im Gast-
hof zum Elefanten ein Lokal tür \ierzig 'laier als .Anatomiekammer
gemietet. Aber auch jetzt stockl der Unterriclu manchmal jahrelang,
weil trotz günstiger Senatsbeschlüsse keine Leichen zu bekonmien
waren. l:rst im Jahre 1768 wurde die Stiftung des Doktor Sencken-
berg, »der Schauplatz der Zergliederung«, eingeweiht, aber dei' l'ro-
sektor bekommt aus dem Bürgerspitale die Leichen nur unter der
Bedingung, daß er sie auf seine Kosten beerdigen lasse, obwohl die
Fig. 31.
JKiOiiOiiKiOiSiiKiCtSiSXiOtiSJKiOt-OtJJ-iStiOiiCiiSJKStSiK^ 1 kwkii im SiiKS'JßSiiO'SiJOiiOtiSJKJKSi'CiiOiJKJOiiKJSJSiSiC« 5 I
Vorlesungen gratis abzuhalten waren. Wie bittere Ironie hören sich
die unterwürfigen Worte an, die der Anatoinielehrer Dt)ktor j. Tabor
an die Stadtbonzen richtet, »brankkirts stolze Mauren prangen nun
mit dem Zergliederungssaale, den Ausländer bewundern, bdnheimische
rühmen und wünschen, daß doch jederzeit recht \iele Leichname
zerlegt werden luochten. Nützlich im Leben zu sein, ist reizend und
göttlich, nützlich durch b'ranklurter Obrigkeit werden, ist leicht,
vor diese ein anderer Kurtius werden, die größte und angenehmste
Pflicht.« Welcher Kontrast hier und in Holland! hier eine gequälte
Existenz mit dünnem Lebenslicht, welches alle Augenblicke zu ver-
löschen drohte und nur durch den Üpfermut einiger weniger wissen-
schaftlich und vornehm denkender ALmner künstlich erhalten blieb,
und dort eine Volksbewegung, die begeistert den Kulturtortschritt
aufnahm, sich persönlich an den l'orschungen beteiligte und Museen
von internationalem Ruf schuf Das Theatrum anatomicum wurde
stolz den Lrenulen gezeigt, man erhob die Anatomielehrer zu den
höchsten Bürgerstellen, die die Stadt verleihen konnte, und in Deutsch-
land verhungerte beinahe der erste Professor der Anatomie der Uni-
versität Göttingen, »der Menschenschinder« Albrecht, wie der Pöbel
ihn schimpfte, weil keiner ihn bedienen wollte. Die Geschichte des
Volkscharakters in seinen Niederungen und Lichtzeiten oftenbart sich
schleierlos beim Studium dieser Dinge, die vom Kulturstandpunkt
aus wichtiger sind, als die Kenntnis gewonnener Schlachten.
Der Erfolg des Leideners Pavius veranlaßte auch in den Nicht-
universitätsstädten die Chirurgengilde, anatomische Kurse einzu-
richten, die aber nur von Ärzten besucht wurden; es war das eine
treie Vereinigung der Chirurgen einer Stadt zu gemeinsamem wissen-
schaftlichen Studium. So sehen wir bereits 1603 Doktor Sebastian
Egberts de \'ri) in Amsterdam von einer großen Schar von Zu-
hörern umgeben. Alle diese in drei überlange Reihen gestellten
neunundzwanzig Ärzte und Chirurgen mit ihren Mühlsteinkragen
und langen Barten sehen uns an wie in das Objekti\' eines photo-
graphischen Apparates ; der \'ortragende steht vor dem Leichnam
mit einer Kornzan^e in der LLmd. Es ist ein lebloses Schützen-
52 3K3IiS!<5S?!K!5>?SiC!tS>iCSiKiKSi!SiCiS*!5!!JtS>:St!CiiK ANATOMIE iOiJJiJOiJSSiißSi'CiSSiKStiJiJSiKSiSiiOiJCiJSStißiSSiJK'Oi
bild alten Stiles. Das C,c-
maKlc staninit \on dem
Konstschilder Arend Pie-
tersz, dem Sohn des be-
kannteren Arvaensz (^t
lange Piert. Sebastian
Egberts (bis 1621) ist der
Nachfolger des ersten
Amsterdamer Praelector
chirurgiae Koster; er war
ein tüehtiger Praktiker,
der, wie es scheint, als
erster die Scarlatina be-
schrieb. Ingrassia hatte
zwar schon um das Jahr
1330 ein Ausschlagtieber
unter dem Xamen Rc\s-
sania oder Rossalia be-
schrieben, das erzwischen
Pocken und .Morbillen
klassifizierte und Balloni US
eine scharlachähnliche
Pariser l:pidemie 1 )7 |
unter dem Xamen Ru-
biohi. lirst nach Swlen-
hani unterschied man je-
doch allgemein die Febris
scarlatina von den anderen
exanthematischen Fiebern .
Unter den achtundzwan-
zig anderen (diirurgen
finde ich keine Xamen
von Bedeutung (siehe
Figur 32).
OD
o
o
Q
g
e
<
H
c
o
>
o
<
54 3KSB:sss!Ci3(esii(e^iKiCtiS3:iK!>!>:ic$iSisssiC!iKi:£!Ci Anatomii: iCi!;ii>:iO!iKi;!SSi(t^:j:ti:i!0>:!C!!y!^i$!iS£jO!!(E!$i!Oii;!i;iiSs;i
Zur tcicrlichcn liröHnuiii; eines cii^cncn AnisterJ.imcr Analoniic-
s.ialcs ließ sieh nun derselbe Doklcr I^Ljberts de \'v\'] \(u^) mit liinf
anderen ('.liiruri^en lür das (iildehaus ni.deii, und es stellt dies erste
künstlerisch hochstehende Anaioniiestuck i^leichzeitii; das älteste uns
bekannte l^ild des zu so i;roßer P>eiuhinlheit ^elan^ten 'i'hoinas de
Keyser dar. des mit Keiiibrandt erfolgreich konkurrierenden Portra-
tisten ; mit etwa siebzehn Jahren mul.'i es der junqe Meister gemalt
haben. Ist die Anordnuni; der sechs biguren auch noch etwas ge-
zwungen und s\-mmetrisch, so sind die Kopfe doch gut charakteri-
siert und das Skclell geradezu meisterhaft gemalt. Die Schwierig-
keit, die in dem leicht lacherlich wirkenden Kontrast zwischen dem
Knochenmenschen und den korpulenten Holländern lag, ist durch
die Erhöhung des Skeletts und durch die \orzügliche Pose desselben
glücklich vermieden. Ks war dies ein N'orbild, von dem auch ein
Rembrandt lernen la)nnte. Die Xamen der übrigen C'diirurgen sind
oben links eingetragen, wie auf Arend Pietersz Bild unten rechts.
Aul dem ersteren Bilde steht Doktor Egbert nur als Wissender unter
Gleichgestellten, als alterndem Meister gebührt ihm ein offenbarer
\'orrang vor den Stadtkollegen. Ein Zeichen dafür und für Holland
charakteristisch ist die Tatsache, daß er allein di:n breitkrempigen
Hut aul dem Kopie trägt. Übrigens war tler Mann i6o6 schon
Bürgermeister der Stadt gewesen. Die Xamen lier übrigen sind
nach der kleinen .Mitteikuig \on l'ilanus*): van Uvttenholl, Dirk
Koolvelt. jak-obs, (ierrit liulies und Jan de Wees. Die (ieste der
Dozenten weist auf den berühmten Streit um die zwollte Ri|ipe hin
(Figur 33).
A\'enn wir nun der Jahreszahl nachgehend die uns über-
kommenen Gemälde weiter verfolgen, so befmdet sich im Delfter
Krankenhause ein wenig bekanntes Anatomiegemälde des Michiel
Janszoon van .\Iiere\elt, welches siclier der Mühe wert ist, ilie
seine photographische Aufnahme gemacht hat. Das Bild vom Jahre
1617 besitzt hohen künstlerischen Wert, luid ist vielleicht eines der
'1 Beschrijving der Schilderijcn afkomsti^ van hct Chiruigijn.s-Gil(l, Amsterdam 1S65, S. i:
u;
2:
<
S
;6 ?5iO!JS!ß!j!Si<KStJKiOt>S<Ci!K!C?JCS?S!SS!Si!Sä!!K!C! Anatomik SOSißSi-CtSCiSiiSiSJKißJKiKSiStJCitStJCiäiiKiJiiSSiJßiSäi
bcdculciuistcn Cjcniaklc dieses bcriihiiUL'ii uiul n.inicnllich in neuerer
Zeit zu Ehren gelconinienen Porträtislen. Was aber trotz vorzüi;-
lichcr Kiinipt^sition . geschickter X'erwertung des Helldunkels und
glänzender Charakteristik der einzelnen i^'rsonen dem Bilde lehlt,
das lehrt erst die Hetrachtung von Kenibrandts .Meistersclmplung. Der
Anatom Willem van der Xeer sowohl wie seine Zuhörer sind nicht
bei der Sache. Die Sektion hat begonnen. Die Bauchdecken sind
durch einen Querschnitt zurückgeklappt, ein interessanter und wich-
tiger j-'und erwartet vielleicht seine Deutung, aber nicht ein einziger
Zuhörer ist mit dem Studium beschäftigt, alle blicken aul, wie wenn
sie durcli einen neu Eingetretenen abgelenkt werden. Und so wird
auch der Beschauer unbewui.U etwas abgelenkt von dem die breite
.Mitte einnehmenden Objectum anatomicum, dessen Gesicht und
i.eib verdeckt ist. Es könnte dies ja als ein Kunstgrift gedeutet
werden, durch den der .Maler die Blicke des Zuschauers von der
geöffneten Leiche ablenken und dadurch das Grausige des Vorwurfs
mildern wollte, aber dieser gesuchten .\utTassung widerspricht die
vergleichende Pietrachtung der xorrembrandtschen Gemälde. Das
Theatrum anatomicum scheint dem Leidener nachgebildet; aul der
Rückenlehne stehen Skelette, hinter denen jüngere Studenten sicht-
bar werden. Durch den \'ersuch des .\hilers. das Einerlei der
Kleidung durch lauter verschiedene ILdskrausen lebendiger zu machen,
kommt eine gewisse Unruhe in das Bild. L^ine .NLidistin aber kcninte
von der teingekünstelten Laltenbildung derselben Anregung lür die
neueste .Mode bekommen (l-'igur 3 ().
Das nächste Bild führt uns wieder nach .Amsterdam; es stellt die
.Anatomie des Doktor Johann Holland (gebt)ren i)74), genannt
Fontevn oder i'ontanus, des Geneesheer des Prinzen .Moritz, dar
und ist von Xicolaas Elias im Jahre 1623 gemalt. Das Bild dieses
Meisters hat bei der Restauration im Jahre 1732 so erheblich
selitten, daß es nur noch ein Bruchstück ist. \'on den früheren
zwölf Personen sind fünf durch i.kn l^rand des Jahres 1723 ver-
loren gegangen. Wir sehen aul' dem erhaltenen .Ausschnitt, wie
der \'ortragende im Begriff ist, einen Schädel zu demonstrieren.
58 ««JKjetSKSS'ösS'eiStiSiOiSSiCi'SSätiis-eijOiSiiSiittiKiß Anatomie iKißiöiOiStSiiCiStJSJS'iSiSJCijO'iKSSJSSJSiJO'JSSKieiJß«!
Die glänzend geniallen .sieben Porträts der Arzte ersclieinen aul
dem erhaltenen Torso ohne Zusammenhang, und so laßt sich der
frühere Totaleindruck des Ciemaldes nicht beurteilen (siehe l'igiir 33).
Sahen wir nun schon mehrere auch künstlerisch bedeutende
Anatomiestücke, so werden doch alle und auch die folgenden (ie-
mälde dieser Art in den Schatten gestellt durch Rembraiult van
Kijns Anatomie des Doktor Tidpius. welche jetzt im llaag ist, nach-
dem Konig Wilhelm 1. das J3ild \-on der Amsterdamer (".liirurgen-
gilde lür 52000 (ndden erstanden hatte. \'on allen Kennern der
Kunst und allen Liebhabern des wahrlialt 1-dlen und droßen ist
diese Anatomie als eines der Meisterwerke aller Zeiten bewiutdert
worden. Die sichere Ruhe des Anatomen, wie er mit der Kornzange
die Beugemuskidatur des exakt präparierten Armes anhebt, und da-
bei imwillkürlich den Beugeapparat seiner eigenen Ihmd spielen läßt
ziu- b'unktionserklärung der Muskulatur, die auls höchste gespannte
Auhnerksamkeit der Hörer, die glänzende ]-5eherrschung des ilell-
dimkels, alles das ist die gluckliche Otlenbarung eines (ienies. Das
Bild im ganzen und die einzelnen Kopie, die xiellach allein re-
produziert wurden, ist durch die zahllosen Wiederholungen jedem
Gebildeten bekannt. Es darf hier daran erinnert werden, daß es iür
den eben erst von Leiden nach Amsterdam gekommenen jungen
Maler von größtem Werte war, sich die Protektion des Doktor
'Lulp, des späteren Jku-germeisters von Amsterdam, zu erwerben;
diese Unterstützung scheint ihm in leichem .Mal'e zuteil geworden
zu sein. Wir komieii Kembrandt aus demselben Jahre allein zehn
Amsterdamer Porträtbestellungen nachrechnen.
Es ist selbstverständlich, daß Kembrandt. der sich in Leiden
als Student der schönen Wissenschalten in die Lni\ersitätslisten
hatte einschreiben lassen und dort Schuler Non |akob \an Swanen-
burch war, sowohl die Dellter als auch die .\msterd.uner Vorbilder
bekannt waren; geschickt verwendete er diese Erlahiimgen und schul
doch etwas ganz Neues und anderes, trotz mancher .\nlehnung .m
seine \'orbilder. Alle l-igm'en des i^ildes, und das gilt iVu- die
holländischen Analomiebilder überhau|n, sind Porträts. Der .Anatom
X
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6o JKStiCiJKiSJKSiJJtiOtSiiCiiiOiiKiyiJOtiKiOtSiiOtJOiißiOtäK AnatO.MIK SiJKiKiKiKißiKiOiStiOSXiii^tiliSiiviiSiiiiOiJKiOtiOiJviäSiCiili
selbst, niil Jcm Ihn aiii' dein Kopie, isl der bekannte Cbiriiri; und
Praktiker Pieter Tulp (1393 bis \(\^). ein Schüler des uns schon
bekannten Doktor Pavius aus Leiden, 'l'ulps Schriften (Observatioiuiin
medicaruni hbri tres. AmstelcKlaini ih\\) \ erraten objektive Ik'obach-
tunu und gehörten /u den belesensten Schrilten seiner Zeit. Da meist
oder last ausschließlich Sektionen nur an dehenkteii vorgenommen
wurden, so war die pathologische Anatomie den (dnrurL;en überlietert
und aul zufällige Befunde angewiesen. L'ber isierensteine, Gebär-
nnitterwirfalle, Hierstocksgeschwulste usw. werden \'on ihm kasu-
istische Mitteilungen gemacht und durch vorzügliche Radierimgen
illustriert. Nebenbei gesagt ist er der erste, der einen Schimpansen
wissenschaftlich beschrieben und abgebildet hat*). \'on Interesse
ist es, das Porträt des Cdiirurgen auf dem Rembrandtschen l'ilde
zu vergleichen mit dem, welches \on Claes lilias" Hand herrührt.
In der (ialerie Six in Amsterdam wird dieses Bild aut bewahrt, und
die Ähnlichkeit der beiden Porträts ist augenfällig. Sonderbar wirkt
auf den ersten Blick die Komposition des Eliasschen Bildes. Dem
Anatomen gegenüber steht eine zur Hallte niedergebrannte Kerze,
auf die er mit einer Handbewegimg hinweist. Der unter dem Bilde
stehende Wahlspruch des Doktor Tulpius: Aliis inserviendo con-
sunior, bringt den erklärenden Autschluß: Anderen zli Xutz verzehre
ich mich, wie die Kerze vergeht, indem sie anderen Licht bringt.
Wahrlich ein stolzer, übrigens beliebter Wahlspruch eines selbst-
bewußten Mannes (Ligur 37).
Die Xamen der Zidiörer sind in der unteren Reihe, \on Tulp
an gezählt: |akob Block, Jakob de Witt, Adriaen Slabraan , Jakob
Koolveld, Hartmansz. Kalkoen, Iran/ \an Loenen. Der Xame des
Objcctum anatomicum kaim mit Sicherheit nicht eruiert werden, da
in diesem Jahre zwei Sektionen gemacht wurden (Ligur 36).
.Mit -Medizinern blieb Rembrandt auch in dun lolgenden J.dnen
in freundschaftlichem X'erkehr und mehrlach porträtierte er solche,
ich erinnere nur an die jüdischen .\rzte l:phraiin Bonus und
•) II I. Tab. 14. Überschrift: Homo sylvestris Oranfj-outang.
Manasse bcn Israel, sowie an den Leidener l'rotessor Jan Antonisx
van der Linden.
über zwanzig Jahre spater, als schwere Zeiten liir den Meister
«jekomnien waren, bekam Renibrandt noch einmal einen Aiiltrai; von
Fig. 57. Bildnis des Xicolaas Tulp.
Viin Nicolaas Elias I1590 i)is 1656). Six' Galerie, Amsterdam.
Nach einem K-ihletlnick von Br.iiin, Clement ^c Cu, Dnrnach, P.iris, Xew Volk.
dem x\mtsnachtoIger des Doktor Tulp, tür den Amsterdamer Ana-
tomiesaal ein Bild zu malen: »Die Anatomie des Doktor Devnian«.
Von diesem Gemälde ist leider nur noch ein Bruchstück erhalten,
da es am 8. November 1725 ein Brand zum i^re^ßten Teile zer-
62 iCHK!»!s:c>'«<ßs>siiCiiß!KS>;CS<s:«:«iS!C*:«i(>jS'« Anatomie jCtSS!C*iß!K<KiK!C*iSiS!>:!K!KS!S><o>'!OtiS!0>j>:iSi«!OtS*i>
störte. Die rrumnier dieses Bildes, das I^xzellenz l^Oilc in lin«;-
land wieder autgetundeii hatte, wurden durch die Heimihun^eii des
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Herrn J. Six nach Amsterdam s^ehrachl, iiaelulem l'rotessor Il.uiser
gerettet, was noch vom I^ilde /u retten war; man ahnt jetzt nur
noch die künstlerische Größe. Der sezierende Anatom ist mit der
Brust- und l^auchsektion fertig inul jetzt nnl der Fräparation des
Gehirnes beschiUtint; mit Pinzette und Höllischere entfernt er die
weichen Hirnhaute. Wm Dol^tor Deynian ist \vein"g erliaken ; der
Kopt tehlt, die Hände sind verbrannt, man erkennt nur die Pose.
Neben dem Anatom steht, die Schadelschale in der Hand, mit dem
Ausdruck ernsten Sinnes der C'ollegienmeester Gvsbrecht Kalkoen.
Glücklicherweise besitzen wir eine kleine Skizze des Meisters, aus
Fig. 39. Erster Entwurl Rembrandts.
.Six' Galerie. Amsterdam,
der die trübere Anordnung des Bildes hervorgeht. Neun Personen
befanden sich auf demselben. Außer dem Prälektor J. \an Deyman
noch der Collegienmeester Gysbrecht Kalkoen, der Proefmeester
Dirk \'isch, die Overleeders P'ruyt, Idorianus de Lange, Augustus
Mever und die Herren Heems und kiarnv. Die Gruppierung der-
selben um den Meister herum geht aus der Rembrandtschen Skizze
(siehe Figur 39) deutlich hervor. Diese letztere wurde mir von
Herrn Six gütigst zur Reproduktion zur X'eriügung gestellt. Die
64»K?JßJK-C<iKStSiiKi««(iC*<OB»<SS>:!5!StS?<SiOtiK!CS ANATOM ll iKiC?iKJS!0t«><SS>!0!!KiKi0i!SS>JK!CS<KJKSi<5:iOtJSSiJKJß
wichtigste Pcrst)n des Gemäldes ii.ieli der /erslurunL; ist die Leiche
des am ^g. lamiar gehenkten l-onte\n. \\ as dieser Idgur zu einer
großartigen Wirkung verhiUt. ist die imgeniein kühne Xerkurzimg,
in der sie gemalt ist. Man sieiit den l.eicimani von den 1 iiLlsohlen
aus und bei verändertem Stand[iunkt des Betrachtenden scheint sich
der Körper zu strecken. Es ist viellach behauptet worden, daß
l'ig. 40. Andrei M.iiiUgna (1431 Ms i,ii()i.
Naturstudie, Toter ('hristus. Brera, Mnilaiul.
Rembrandt sich Andrea .\Lintegnas Xaturstudie: «Der tote (diristus«,
in dem Palazzo di Brera in Mailand zum \'orbilde genonunen habe,
und es zeigt tatsächlich die Betrachtinig dieses Bildes, welches Kem-
brandt auch bekannt war, eine gewisse Cbereinstinmiung (siehe
Figur jü).
Mir scheint es dabei doppelt bedeutsam, daß au! dem Gemälde
Mantegnas der Kopf des Toten wie der eines gequälten X'erbrechers
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei. =. Auflage
663SSöSS5SHCit3KäK!iSSKäKä5äKSRä>;äKSt3K!0t3KSKiK3K ANATOMIE JKäKäKäKäKäSSSSöJäJCiSiiKiß-eiStiKiKJßJOiJOtJßJKJOtJKJ«
aussieht, uiul \on Jcm Bilde des lloliandeis etwas wie der milde und
edle Schein des Dulders ausstrahlt; /u dieser Wirkuni; koiunii hinzu,
daß die seitwärts umgeschlagenen Koplschwarten und die Mcdian-
turche des (iehirns die \'ision gescheitelter Locken herwMrult (siehe
Figur 58). Auch 'rintoretto hat Manlegnas \\M-hild oiTenhar henutzt
bei seinem demälde: »Die Aullindung der Leiche des heiligen
Markus«, Mailand. l'ala//o di Hrera.
Yon dem Analunien Prolessor Irederik Ru\sch besitzen wir
zwei Anatomiestücke, aus dem Ldire 1670 und i6(S3. Das erste
Bild \on Adrian Backer (1^153 bis i('vS|), kurz nach seiner Heim-
kehr aus Italien gemalt, zeigt noch Rembrandtsche Schule. Der
muskulöse Leichnam eines Jünglings liegt in halber \'erkürzung in
vollem Lichte. Der l'leischton sticht vorteilhalt \-on der dunklen
Gewandung der Cdiirurgen ab; die Kleidung ist eine andere geworden,
die breiten Krausen sind verschwunden, weniger kleidsame weiße
Lätze bilden den Halsabschluß, die Barte sind getallen, kleine Schnurr-
barte zieren die meist pastcisen Gesichter; noch beginnt die Perücke
schüchtern ihre demnächst scheul.Uiche Rolle zu spielen. Ungünstig
beeinllussen den Hintergrund klassizistische l-'lastiken des Asklepios
und der Hvgieia. Aul dem Bilde erscheint der zweinnddreißigjährige
Ruysch, kenntlich durch den Hut, wie er nachdenklich die Leisten-
gegend präpariert (siehe Figur 41).
Das nächste Gemälde bringt einen ganz neuen (iegenstand zur
Veranschaulichung, die Sektion eines neugeborenen Kindes. Im \'cr-
hältnis zu seinen X'orgängern ollenbarl sich der ALiler lohami von Neck
(1636 bis 171 1) als der kleinere Konner. Von allen anatomischen
Zergliederungen stellt die Darstellung gerade dieses 'i'hemas die weit-
gehendsten Ansprüche an das ästhetische (iefühl. Die malerische
Schwierigkeit, die in der Darstellung eines kleinen Kinderleichnams
beruht, ersieht man auch aus (iemälden erster .Meister. Aul dem
unsrigen (siehe ligur 42) drängt sich der gedunsene kleine Korper,
im Mittelpunkte des ]3ildes liegend, zu unvorteilhaft aus seiner
dunklen Umgebimg heraus. Um diesen ]-jndruck zu mildern, umgibt
der Künstler den kleinen Korper mit vier technisch glänzend gemalten
6^ SSS?!K!«<SJ5S!iO'StiSiO!S>SiS><0t'ö<ßSi<S<S:<>i«<S Ana lOMlh JK!vtSX!ytiSSt!0!!viSi!0!iOiiKäK!«>:Jvi!Cti>:i>:äKiSSi>>!Ki>;äIi
ChiriirgcnhanLlon. (jab uns die Rciubraiullschc Olicnbaruii^ den
malerischen Ansdruck des Bei^riffs W'issenscbaltliclikeit, so beirachlen
diese Arzte das l.eiehen[ira|iai-al mit dem liebenswürdiucn Lächeln
befriedigter Neugier. \"on entzückender LiebHchkeit ist die b'igur des
kleinen Hendrik Kuysch. der hier schon abs Ivleiner Assistent das
Skelett eines Neugeborenen berbeitragt und später selbst ein tüchtiger
Arzt wiu-de. Der \'ater ist gerade dabei, allerdings mit geschlossenem
Munde, sein Lieblingsthema, den /.usammeiihang des Mutterkuchens
mit dem Kinde durch die Nabelschnur zu erklären. Die in Holland
autgekonnnene hohe Kunst der Spitzenarbeit zeigt sich jetzt an den
\'olants einiger LIeganten. \'on Ruvsch gibt es noch mehrere Linzel-
bildnisse, so eines von |. Pool im Museum Ikiymans in Rotterdam.
Der Anatom Ivuvsch ist eine interessante Persönlichk-cit; seine
Berühmtheit \erdankt er indirekt der Kunst sowohl als \'ater der
berühmten Blumenmalerin, der Rahel Ruvsch, wie auch als künst-
lerischer Techniker in der Anfertigung \nn anatomischen Präparaten.
.Seine weltberühmte Sammlung verkautte er lür 50000 Cnilden an Peter
den Großen. Wenn auch Kuvschs Zeitgenossen und Kritiker ihm
Scharlatanerie nachsagten, so hat er doch auch wissenschaltliche
Früchte geerntet, und neben großen \'erdiensten aus der anatomischen
Technik hat er auch solche um die Anatomie selbst gehabt. Seinen
Namen trägt die unter der Chorioidea gelegene Membran; er studierte
besonders die Kranzgefäße des Herzens, den Unterschied zwischen
männlichem und weiblichem Becken, er entdeckte die Arteriae imd
Venae bronchiales und hinterliel.^ tüchtige Arbeilen über den Zu-
sammenhang der mütterlichen luid kindlichen (Jetäße im Mutter-
kuchen, die CJehorknocbelchen, Zahne und anderes.
Die von Ruvsch besonders betriebene Gefäßinjektion illustriert
uns ein Gemälde von jurriaen Pool (1666 bis 1745) aus dem Jahre
169t). C. Boekelmann. Ghef der Ghirurgengilde, demonstriert ein
injiziertes Herz dem Kollegen I. Six. Das für uns Interessante an
dem Bilde ist der Gegenstand: das Herz mit den bis zu den Hals-
schlagadern injizierten Getaßen, denn das Bild als solches ist nnnder-
wertig. Der .Maler scheint den Auftrag weniger seiner Kunstlertig-
keit verdankt zu haben als der Tatsache, daß er der Schwiegersohn
von Ruysch war. ]:s liegt nahe, daß .luch er gerade \\ie Kahel Ruvsch
dem \'ater behilllich war bei der Antertigimg der Prairirate. Six
hält den Tubus in der Hand, mit dem die Injektion ausgeführt
wird (siehe kigur 43).
Das letzte Bild dieser Art aus dem siebzehnten Jahrhundert
treffen wir wieder im Deltter Krankenhaus; es ist die Anatomie des
Doktor Cornelis s'Ciravesande, von Cornelis de Man (1621 bis 1706)
Ainilträtini ,
Fig. 43. C. Boekclmann und J. Six (1699).
Von lurriacn Pool I1666 bis 1745).
gemalt, imd es muß dieses Bildnis der Tracht nach mit den Anatomien
des Professor Ruvsch zeitlich zusammentallen. Die Nachwelt denkt
über Maler und Anatom dasselbe, beide werden derselben vollkom-
menen Vergessenheit durch diese Leinwand entrissen. Es ist beinahe,
als wenn ein Rembrandt, Hals, Keyser, Miere\-elt u. a. nicht gelebt
hätten; man kehrt an den Ausgangspunkt zurück, und wenn nicht
die Perückenmähne und die Beffchen wären, man könnte in die \'er-
suchung kommen, das Bild hundertundfünfzig Jahre zurückzudatieren.
Wir sehen wieder das bekannte Deltter anatomische Theater mit
70 JKäKS«Si!>S>iOi»iiCiiSi«>»iJCltStiS!K!S<5Si!>:S?iSJK AkATOMIE SKiSJKStSSJSXSSSiß.^iKJßJSiSSiJßJCiJSiiSSiJOtiSißSiiS
den Skeletten im llintergruiul; der AiialDin dciziert an der Leiche
den Brustsitiis; bemerkenswert liir die Sektionstechnik ist die 'Tat-
sache, daß hier /.um ersten Male das Hrusthcin heraiiSi;elcxst ist. .Mit
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steifer Pose und schwacher l:rinncrun^ an Doktor lulp zeigt der
freundHch Idchehide Gelehrte am eii^enen Kor|nis die Situation. Wie
vor hundertundfünfzig Jaliren die Schützen, so halt Jeder etwas in di:n
•i-
72 3S!Sis^io>^!SiS!C$!s^'^^'):S):siS>:!!Si^!c;^^3:s Anatomie ic??>:sK<c>:!CiiKiß!K?>:si!S!Oi!C?!>:!Oi<S!KiKij!!K!C!iiK!KSiic?
Händen: ein l^uch, ein Ricelibüchschcn, einen Bleistih. und man i;uekl
wieder zum Bilde hinaus. Doch einen i^rußen lh.slt)rischen Wert
besitzt das ti^urenreiche Bild. Hinter dem Lektor steht, die Hand
im Rock, der Delfter Anton\- van I.eeuwenhoek, der 1-ntdeckcr der
Infusorien, der mit dem Zeitgenossen Johann Swammcrdam sich um
die mikroskopische Instrumentenkunde und Anatomie große \'er-
dienste erwarb. Leeuwenlmek verfertigte mit unglaublicher manueller
Geschicklichkeit Mikroskope bis zu zweihundertundsiebziglacher \'er-
größerung und machte durch diese Apparate aus (ilas, Bergkristall,
Diamant und Quarz unter anderem die lüitdeckung der Inlusorien
inid der Querstreitung der Muskulatur (l'igur 44).
So sehen wir, wie mit dem Ausgang des siebzehnten Jahr-
hunderts ein ziemlich schneller \'ert'all der Malkimst eintrat, der ja
mit der Hinbuße (■n)litischer Größe des Landes Hand in Hand ging.
Doch schleppte die stetig wachsende wissenschaftliche Bedeutung
der Anatomie die Sitte der Anatomiegemälde noch weit hinein in
das neue Jahrhundert. Die ]-ntwicklungskurven von ALilerei und
Medizin kreuzten sich jah. Denn die der Medizin stieg fieberhalt
zu ungeahnter Höhe. Die Leidener Universität förderte Manner
ersten Ranges, die Xanien des über neunzig Jahre alt gewordenen
Leeuwenhoek, von Boerhave, Albinus, Camper erklaren es schon
allein, daß der Jkenn|nmkt der Medizin in der ersten Hälfte des
achtzehnten Jahrhunderts unstreitig in den Niederlanden lag. Von
hier aus gingen die Sendboten Haller und van Swieten nach (iot-
tingen und Wien. Der objektiv reale (jeist der .Medizin begann
die Welt zu erobern. Ls flackerten bereits im stillen an \ ielen
Orten Lichter auf", die erst hundertundlunlzig Jahre später zu einem
hellleuchtenden Mammenmeer zusannnenschlugen, als Ciloriole eines
bisher nie erreichten, nie geahnten Zenites in der Medizin; erst in
unseren Tagen begann die Malerei wieder aus der dumpteii [ihili-
strösen Stubenluft imaginärer Xatur der alleren akademischen Schulen
zur freien Xaturschilderung zu erwachen. In dieser Zeit der Deka-
denz der .Malerei taucht ein begabter Lpigone aul, in malerischer
Beziehung ein Meister, aber ein Kind seiner Zeit: (".ornelis 'i'roost;
- Li!
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74 äSäSJSäeiäSSSStäSiSJKJSiSJKiKäSiKäKäKJSiKSiSSäK ANATOMIE äKSSäSäSäSäKSSäKäSiCSJOääCiäSiKSiiKJSäKäKSSiKäSäSäSä«
von ihm stanmu eine Salonanatoniie aus dem Jahre 17 28, die nur
zu gut gemalt ist, imi nicht als eine Karikatur zu gelten; im \'er-
gleich mit den Irüheren Gemälden charakterisiert dieses l^ild vor-
zügHch den Übergang vom Barock- zum Zopfstil. Um eine Leiche,
deren Kniegelenk sorgfaltig präpariert ist, so daß man die l'nter-
fläche der Kniescheibe sehen kann, sitzen drei (Chirurgen in salopper
Haltung; der jüngste derselben, Professor Roeli. sucht anscheinend
vero;eblich die Aufmerksamkeit der anderen aut das Präparat zu
lenken. Die Herren in (iala ä la l.ouis XW, in liellseidenen Röcken
und kurzen IKxschen mit seidenen Strümplen an den verlebten Beinen,
kennzeichnen vorzüglich den Geschmack der Zeit. Behielt früher der
Anatom als Zeichen seiner \\'ürde das flaupt bedeckt, so ist es jetzt
umgekehrt: die blasierten gelehrten Herren tragen den Dreimaster aut
ihren weißen, auf die Brust fallenden Allongeperücken; Professor Roell
hält in den eleganten, gepflegten Händen lange Haken, um nur ja nicht
die duftigen, feinen Spitzenmanschetten zu beschmutzen. Professor
Roell selbst war erst Assistent und dann Nachfolger Ruyschs, übergab
aber bald krankheitshalber den anatonüschen Unterricht an P. Camper.
Die Namen der übrigen sind van Brederode. Milaan und ikanardus
van X'ijve; sogar den Namen des hinten stehenden Gildeknechts
Clevering nennt die Chronik (siehe ligur 43).
Die noch übrigbleibenden .Vnatomiestücke \erdienen nur kurze
Erwähnung. Thomas van de Wilt (1692 bis 1727) malte die Ana-
tomie des Abraham Cornelis van Bleyswvck, im Jahre 1727. Der
Anatom demonstriert vor dreiundzwanzig Perücken die Armmuskulatur.
Hr, der Meister, zeichnet sich \-or den anderen dadurch aus, daß er
in der Mitte steht und seine weiße Allongeperücke beinahe den
Bauch berührt. I linier ihm, auf den .Malstock gestützt, steht der
Maler des Bildes, der übrigens auch die Illustrationen zu I.eeuwen-
hoeks \Wy]< lieferte (Figur 16).
Das letzte zu erwähnende Bild zeigt den berühmten Gelehrten
Pieter Camper in seinem achtunddreißigsten Lebensjahr und ist von
Tibout Reglers I73(S gemalt. Über dem Gemälde lici^t eine öde
tödliche Langeweile, die mit dem Honorar von 600 Gulden, das der
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/Ö JSJSJSiSiSSiStiSJKiKiSieiiCiißJSSiStiSJSiSJKiSSS Anatomie JCiiKäRjßäSäKiCiiKJCiXJiKiKSiKSäliiKiKSiiKJOtiKiKiKiKSS
Maler bekam, reichlich bezahlt isl. Die Kleidung, den schlechten
Zeiten entsprechend, ist einlach, die i'erücken sind kurz geworden.
Acht Personen gruppieren sich um einen Tisch, aul dem ein Brüs-
.seler Teppich liegt; der Anatt)m mit langem Talar. wie ein evan-
gelischer Geistlicher aussehend, hat vor sich einen wohlprä(iarierten
Halssitus. dessen Topographie er demonstriert. C^amper selbst ist
ein bedeutender Forscher gewesen. Wenn dieses Bild langst ver-
modert ist, wird sich an den Xanien dieses Leidener delehrten die
stolze Erinnerung knüpten, dal.^ er der anatomisch-phvsiologischen
Forschung die Wege geebnet hat; die Kenntnis des (iesichtswinkels,
die Lehre von der Pneumatizitat des X'ogelskelettes, von der Svm-
phvseotomie und von dem Processus vaginalis peritonei trägt den
Xamen des .Mannes, dessen Wahlspruch war: Aut bene aut non
(siehe L'igur .|6). .\uch sei erwähnt, daß er selbst gut gezeichnet
hat und daß [ilastische Studien \on ihm noch in Leiden aufbewahrt
werden*).
Der \'ollständigkeit wegen sei noch ein \iertes Anatoniiebild
in Dellt erwähnt; es stellt die Gehirnsektit)n eines unbedeutenden
Anatomen von einem last unbekannten Maler aus dem Jaiire 177^ dar.
So war Holland gewissermaßen das Mutterland tur die Ana-
tomiegemälde; es würde nun menschlicher Sitte und (jewohnheit
entsprechen, wenn dieses V'orbild in dem einen oder .uidercn Lande
Schule gemacht hätte: bisher ist es mir aber nur gelungen, in
England von solchen ,\natomiegemälden Kunde zu bekonmien.
Wir werden an anderer Stelle, bei Ik'sprechung der (jruppen-
bilder, auseinandersetzen, dal.^ es aber nicht ganz sicher ist, ob diese
Gemälde ihren Ursprung den niederländischen \'orbildern ver-
danken oder dem J-influsse eines zweihundert Jahre älteren eng-
lischen Gruppenbildes, jedenialls besteht die Tatsache, dal,^ die früh
zu Ansehen gelangte Loniloner Barbierchirurgengilde sich schon
sicher seit 1462 mit anatomischen Studien beschäftigte. Diese
Chirurgengilde besaß zwei AListers und zwei Stewards ol the .\na-
•) Siehe auch Peter Campcr's Vorlesungen in der .Amsterdamer Zeichenakademie,
unter anderem ülier die Schönheit der T'orm. Berlin i7<)j.
JOtäiSiäKiKXSiKiOtiKSXiOtJviiOsäiSXäiiKiCt'SiiviJJiJOiJK»:!^ L.NGLAND !0!SKi«!iKi«!<X!0>s:i!S!C>SX<SS><S!K<C>:i5iiC>:!0><5«!0>!K ^^
toniy, \()n denen die ersleren anatomische \'orlesiinL;en hielten,
wahrend die letzteren die Zeri^hederuni; der l.eiehe vornahmen. |edes
Jahr fanden vier otlentHche anatomische \'orlesuni;en nach Hin-
richtungen \-on Maletalaoren statt, an die sicli später ein solennes
Diner knüpfte. Neben solchen öflentlichen landen aber auch früh-
zeitig in Barbershall jirivate anatomische X'orlesungen statt, zu denen
spezielle Einladungen ergingen. Indem ntm in den Urkunden und
Rechnungsbüchern der Chirurgengilde häufiger Anatomieuemälde
Fig. 48. Vignuttc zur Xcuausgabc dus Vcsalius v.J. 1725. Von Wam.klaar.
erwähnt werden, ohne daß wir von diesen eine speziellere Kunde
besaßen, hat D'Arcv Power diese Lücke in äul.^erst dankenswerter
Weise ausgefüllt durch die Publikation des einzig bisher bekannt
gewordenen Anatomiegemäldes aus l^arbershall"'). Dies miniaturartig
gemalte Ölbild (siehe Figur 49) hat sich, wie es scheint, deshalb
erhalten, weil es in einen Band von Master John Banisters anato-
mischen Tafeln eingebunden war. Ein Blick auf die Darstellung zeigt,
daß das mediko-historische Interesse das künstlerische vollkommen
überwiegt. Denn eine schwache Hand hat hier des Chirurgen Auf-
trag ausgeführt. Dabei W(_)llen wir gerne zugeben, daß ofienbar der
•) Proceedings of the Royal Society of Mcdicinc, \'oI. 6, Section of thc History of
Medicine, p. iS — }.b (Dec. 19121.
78 JKäSäSSSSHKSSiCtJCt'CiieiiöißJßJOiStJOiiJtSiiKäK:«»? Anatomie äKJCSäKäKäSäOiäCiäSiKSKSSJCiSKiOtiOtiKStiOiiKiOiivtiKiKiCÜiK
Kopf Banisters und der des wahrscheinlichen Präsidenten der (iilde
vom lahre 13S1 Master Robert Mudesley portratähnHch ^ehini;en
ist. Die Aiinalen der Barbierehiruri^en bezeichnen als Master des
Jahres 1380 diesen, als solchen des Jahres 13S1 Bovey und als
»\\'ardens« Swaine Rankvn und (uillin. Die an der Leiche selbst
Beschäftigten haben weiße Chirurgenärniel. Der Lektor und der
Master sind im (iegensatz /u den Zuhörern bedeckten llauines.
Origiria/titi/fiii/ii/tt:.
Fig. 49. Die Anatümic des ßarber-Surgcon John Banister 1581.
Die Szene spielt in einem Räume in l'arbershall. An der A\^md
sind die Wappen angebracht luit L\^:n Sprüchen: »Tendit in ardua
\'irtus« tmd »De praescientia Deic Dieses letzte Motto erscheint
erst mit dem neuen Wappen der dilde vom Jahre 1369 und wird
noch heute von der Company of Barbers benutzt. Das erste Wappen
ist das der Lamilie Banister von Surrcv. D'Arcv Power rückt
auf Grund dieses Bildes das wirkliche deburtsjahr l^anisters aul
1533 zurück, während bisher das Jahr 15(0 daliir L;ah. Der ana-
tomische Kodex ist der 1339 zuerst in \ enedii; i^edruckle »Kealdus
Columbus«, und es beginnt die sichtbar auliieschhiuene Seite mit den
I !_;. y. ]'ic Anatomie Jts Sir Charles ScarboroUL;h,
Von Greenbury (ifi-io). London, Barbershnll.
Worten: »Intestina igitur a ventriculo cxoriuntur.« Dieser Cremoneser
Realdo Colombo war Schüler und Xaclholger des \'esahus. In
einem dem Papste Paul l\\ gewidmeten Werke: »De re anatomica«
aber gefällt er sich darin, bei jeder Gelegenheit seinen inzwischen mit
So 5SäS3SäKißäKäSäKJS!KäiiOi.«:<>;i5JSiSäIi!5i5SSäKi« ANATOMIE äRäS.<>:iKi>;!Sie!iKäKäKiS!«!K!KSiSK!0!!0>!0>Si!>;!KiSiK!C>:
ihw. veiicindclcn Lehrer nnzuurcitcn. Ranistcr selbst begann seine
Lautbahn als Krie^schirui'i; und wurde dann Praktikus in X()tlini;hani.
Dann i;ing er nach London. Durch einen noch erhaltenen llriel der
Königin Elisabeth bekam der hier /.u Ldnen und Ruhm gekonnnene
tüchtige Mann noch die elnx-nde Lizenz, auch innere Medizin treiben
zu dürfen.
Außerdem ist aut uns ein Anatomiebild gekommen, welches
im Lthre ]6|9 von Cireenburv gemalt ist imd den Doktt)r Sir Charles
Scarborough mit dem Alderman Arris darstellt. Wir wissen, daß
Doktor .Scarborough zimi Anatomical Re.ider gewählt wurde und
dal.^ der .Maler tür dieses Bild neun Li und zehn Shilling von der
(jilde bezahlt bekommen hat. Sir (Charles Scarborough war intimer
L'reund Ilarvevs; er vertal.Ue neben mathematischen Schritten auch
einen Svllabus musculorum; aui seinem Leichenstein stehen die stolzen
Worte: »Anglorum inter mcdicos Llippocrates, inter matheniaticos
Euclides.« \\'ir sehen aut diesem schlecht erhaltenen Bilde in steifer
Pose den Doktor vor einem soeben präparierten Leichnam in elegantem
Ornat dozieren, während sein Assistent den Muskelarm mit beiden
Händen umt'aßt hält; offenbar ist dieser \'orlesung bereits die Lrä-
paration der Leiche vorausgegangen und das Bild so gedacht, dal.^ die
Lektoren vor großer Korona dozieren. Die Leiche selbst ist beinahe
ganz bedeckt mit Leintüchern, und sieht man nur dijn Brustkorb,
der aut der einen Seite bis aul die Kippen prä|iariert ist.
Hine entternte Ähnlichkeit nut diesem englischen Anatomie-
gemäldc, das den Übergang zum einlachen Porträt eines Anatomen
bildet, ist ein jetzt in der medizin-historischen Sannnlung des
Kaiserin - Iriedrich - Hauses belindliches Gemälde, welches einen
Mediziner xorstellt, der in seiner rechten Hand ein großes Sezier-
messer hält. Unter seinen Lingern erscheint noch der Koji! der
präparierten Leiche; nnt der anderen llaiul weist er aul einen großen,
an der Wand hängenden /eitel, aul welchem in deutscher Sprache
und in \'ersen der Nutzen der Anatomie \ erherrlicht war. Bei der
l^estauration des P>ildes gingen jedoch diese \erloren. \'orne neben
der Leiche lie^t der Kruzitixus. Das Cjemälde. welches Iruher einmal
JSSSiSiSJOi^lJKS^JßJK'Ciä'iSiCSJSJÖSiJJiäiSiStJSiCtJCtäK England äOsiC'SiiSiOiißSiiKiOiSiJSiStiOiJßSiSiSi'OiJiiißJßStJK 8 i
im Magazin des Berüncr Alten Museums sich befand, stammt aus dem
Antani; des siebzehnten Jahrhunderts; die Züge des bartlosen Koptes
Fig. 51. Eine anatomische Vorlesung 1750 in Barbershall.
Von William Hogarth.
mit den großen Augen und dem spitzen mageren Kinn haben eine
ausgesprochene Ähnlichkeit mit denen des Paracelsus. Auch ent-
spricht die ganze x\ufmachung einem spateren Gemälde aus seinem
Holktnder, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2. Auflage. O
82 äSSSiKäiS>iSS>S>SiJ5<SiCiti>i5'«iS<SS>»!50iS!iK!K Ana I OMIH JSSSSSißjeiJKJSSii^JSiSiSSiiJSSiJCiJSiOiiKStJjiiKSiiOiiS
Salzburger Mause, welches sich jel/t in allerdings troslK.seni Ziistaiul
im dortigen stadtischen Museum belindet.
(janz aus dem Rahmen der bisher behandelten Bilder fällt ein
Tendenzstück aus der Mitte des achtzehnten laiirluiiulerls, welches
aber tiir unsere Zwecke von Bedeutung und Interesse ist, ersetzt es
uns doch gewissermalk^n die \erloren gegangenen englischen Anatoniie-
gemälde. Diese Schilderung einer Sektion in Barbershall rührt von
dem berühmten britischen Xationahnaler Lind dem kühnsten Satiriker
seines jahrhuuderls, William llogarth, her, der durch seine Radierungen
und Bilderlolgen zum Hrzieher seines\'olkes wurde*). Das Bild stamnu
aus dem Jahre 1730 und gehört als viertes und letztes zu der
Reihe: »bour Stages ot Ca'ueltv.« Die (jenieinheiten und drausam-
keiten des Tom Xero, der schon als Zögling der Saint (iiles (diaritv
School Anerkennenswertes auf diesem Gebiete leistete, lernen wir
durch die drei ersten Bilder kennen, bis er, gehenkt für seine L'n-
menschlichkeiten. aut dem \ ierten J^latt eine homöopathische Be-
handlung erfährt. Nach guter alter Sitte wird er in Barbershall
seziert. Und nun benutzt llogarth diesen X'organg, dem Chirurgen-
kollegium selbst drausanda'it vorzuwerfen. Die Art und Weise, wie
dies geschieht, ist so infam und widrig, dal,^ man am liebsten das
Blatt schon aus ästhetischen (jründen unierdrücken nn)chte, wenn
es nach Abzug dieses Personlichen nicht ein willkommenes histo-
risches Dokument wäre. Der gute Tom liegt au! dem Tische, wir
kennen ihn wieder an seiner \'erbrecherphvsiognomie und zum L'ber-
lluß noch an seiner Tätowierung am Arm. Wie aul einem Thrdn
sitzt der Lektor, mit dem langen Stabe an der Leiche demonstrierend.
Mit der Ausführung der Zergliederung selbst sind analog den aller-
frühesten Zeiten die Stewards of Auatomy beschältigl. In der ersten
Reihe sitzen die Snrgeons. dahinter die Apprentices und StudeiUen.
Zwei Anatomen sind mit der Sektion beschäftigt, \-on denen der eine
den Leib soeben geöffnet hat. während der andere mit der lauikleation
des Auges beschäftigt ist. Lin Student übt sich im Präparieren und
*) .Abbildungen 'Karikatur und Satire«, Seite 105, 118, iiy.
!OtSi!0>!Oi!KSiS!!OtJC>JKJOtiCS!K!Oi!S!S!«i!«JOt-«tiC?iCiSiiKiC? England !{><KJS>KiKSiiJ>!0>?SiK!0><0<JOt<CiiKJ5!SiiJi2i?>iC?!C>!K 83
ein Diener wäscht die Därme aus. Wahrend nun Hoi^arlh aut alle
Gesichter eine stoische Ruhe und (ileichmüti.nkeit t^elei^t hat, scheint
als einziger die (irausanda-it der Situation der Malefaktor selbst zu
fühlen. Der in Wirklichkeit durch einen Idaschenzug hochgehobene
Kadaver scheint sich vt)r Schmerz zu krümmen und schneidet dabei
eine scheußliche Grimasse. Das Ganze macht dadurch zunächst den
Eindruck einer Vi\isektion, eine Darstellung, die übrigens aucli den
zeitgenössischen Briten, wie man zu sagen [fliegt, über die Hutschnur
ging. Den Hintergrund füllen zwei Nischen aus, in denen zwei
Gerippe berühmter Verbrecher stehen. Im Vordergrunde sieht man
eine Vorrichtung zur Auskochung für I\nochenpräparation ; ein Köter
frißt das Herz des Verbrechers. Über dem Sitz des Lektors sehen
wir das Emblem des Roval College of Physicians, eine Hand, die
der anderen den Puls fühlt, und es zeigen die Totenhdnde der
Skelette darauf, als wenn sie sagen wollten, daß durch die ärztliche
Kunst überhaupt das Sterben in die Welt gekommen wäre; die
Galle des Malers verschärft noch lohn Ireland, ein Zeitgenosse und
Erklärer des Künstlers, indem er sagt, daß jener noch richtiger die
beiden Hände so gezeichnet haben würde, wie die eine der anderen
eine Guinee in die Hand steckt, da das doch die Hauptsache vom
Ganzen sei. Nehmen wir diesem Blatt die brutale und übrigens
wenig geistvolle Satire, so bleibt für unsere Zwecke ein wichtiger,
historisch interessanter Einblick in die oflentlichen Sitzungen der
Londoner Barbershall um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Einen natürlichen Anschluß an diese im wesentlichen holländi-
schen Anatomiegemälde hndet ein seltsames japanisches Aquarell,
welches ohne Zweifel als Vorlage gedient hat oder doch dienen
sollte für einen Earbdruck. Auf diesem großen, jetzt im Kaiserin-
Friedrich-Hause befindlichen Aquarell sehen wir*) die sezierte Leiche
einer Japanerin. \'or ihr sitzt ein Ahinn in halbeuropäischer Tracht,
*) Siehe auch Deutsch, med. Wochcnschr. 190.S. 47. färb. Kunstbeiblatt.
84 3KSK!«>ßSiStS!!«SSi«!CtiCiiiiKjßie!S0!iCt!SS>!«J5>KäK AnATOMIF. »tSiSXiSSiJßSiJSJKKX'CtSiSi-SiSiSißStXiiietSiiiSiOiJKS?
der aber zweitcllos ein Ausländer sein soll, mit Sicherheit ein Hol-
länder: das breite, dicke Ciesiclit mit den laiii^en sclnvar/en Locken
respektive der IV'rücke charakterisieren seine Xationalität. Das Alter
des Blattes wird iibereinstininiend \(in den Kennern ijetjen das Ende
des achtzehnten Jahrhunderts !;ele<;t. Aus der (icsichtsbildunL; der
Japanerin mit ihrem unnatürlicii kleinen Mundchen »ergebe sich,
daß der Maler des Blattes ztu' Uki\(neschule« gehört habe. Diese
Zeitbestimmung ausgangs des achtzehnten Jahrhunderts paßt aber
auch zur Kleidung des Arztes und dem sonstigen Inhalt des Blattes.
Die japanische Medizin war ein Derivat der chinesischen. Der
Einiluß, den namentlich (lortugiesische Arzte eine Zeitlang ausüben
konnten, war kein bedeutender. Nach \'ernichtung der portugiesischen
Kultiu' in Japan, der das Land die ersten Anlange der operativen
Chiriu'gie verdankte, umschloß sich Japan mit einem Stachelzaun von
Voriuleilen. Aul dieser Ringmauer klebte ein kleines Xest von
Europäern, die holländische L'aktorei Deshima bei Naga-
saki, die stets einen holländischen Arzt unterhielt. Es ist ntni klar
und historisch erweislich, daß die 'Lätigkeit dieses Arztes trotz der
peinlichen \'orkehrungen in das Land Innüberreichte. Aut den Keisen
der holländischen Gesandtschalt an den Ho! und in der Umgebung
der Laktorei wurde er konsultiert, imd es wird berichtet, dal.'i die
holländischen Arzte meist ihre Dolmetscher als Assistenten benutzten,
sie in der Medizin unterrichteten und ihnen Diplome und Zeugnisse
ausstellten. \'on diesen so geschulten Japanern wurden manche zu
Vorposten europäischer Medizin und dründer von Medizinschiden.
Wie stand es nun mit den Zergliederungen? Wenn ich hier
den |iri\aten Mitteilungen des Geheimrats Scheube ,uis Greiz lolge,
so kennt die .Medizingeschichte Japans inu' zwei ollizielle Sek-
tionen, eine aus dem Jahre 177473, die zweite xom Jahre iS^N.
Bei der ersten handelte es sich dariun, lestzustellen , ob die ana-
tomischen Abbildungen des Danzio;er Gvmnasiallehrers |ohaini Adam
Kulmus richtiger wären oder die der allen chinesischen Schule. L.s
wurde dazu der Korper einer enthau|neten X'erbrecherin bemUzt.
Die richtige Konsequenz war eine midK-volle L'bersetzung der ana-
■!>:<>:<>:<>:<>:<>:<:i<f:<;i<f:<):<>:^^^^^ Jai a\ <0!!>:'C!iS!«>StiS»:!S!ßSt»:iK<0i*>iS<K!>:<i!<0!!5t<K<iiiK 85
toinischcn Tabellen Jes l)anzii;er l'rDtessors ins japanische, lüne
weitere l'\)lL;e war die lintwicklunLi der (diirnri;ie. liier ist der
PS^
r
,,, . ,,,,,, , ,, lirrlin. K.usi-riu I ri,d,iJilLu,s
i-ig. 52. Holljiuii.sLliLi' Arzt eine J.ipaiicrin SL-zterend.
Name des Japaners Hanaoka Shin zu nennen, der i;roße Operationen
schon zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts austührte unter
86 JSSS'CSJSiiSiOiJSSiStiSiSiSiSiKS'JKißiSSiJSSiiKJCS ANATOMIE •öiSJSiSiOi.^JCtiKKi'KSiSS'iKStiJiSiJCiißStiCiiSiSSiJSSt
Anwciuluni; stark narkolischcr AMa)cliunL;cn. J^ald aber trat eine
Reaktion aul. Die chincsisclic .Medizin triuinc>liicrtc wieder eine Zeit-
lang, bis unter Hetreibuni; der hi^Handiselien Ivilonie im |ahre 1S4N
eine Medizinsehiile in Nagasaki gegründet wurde unter der Leitung
des Pompe van Mcedcrvort. Dieser lührte naeli eingeholter lalaubnis
zum ersten Male 1838, imter heftigster Aufregung des fanatischen
\'olkes, eine otlizielle Sektion aus. Diese letztere konuiit aber tür
unsere Alibildung der Zeit naeli nicht mehr in l'rage. i:s ist dem-
nach mit Wahrscheinlichkeit zu vermuten und auch st)nst nahe-
liegend, dal.!, die Sektion der Ja(ianerin vom Jahre 1771 der direkte
Anlaß zu unserem Aquarell gewesen ist. Man wird dabei nicht
fehlgehen, wenn man folgendes annimmt: den ja|ianern war es
bekannt geworden, daß die lu)lländischen Ärzte Menschen anato-
misierten. Unter X'erleugnung des Moti\es benutzte die Reaktion
diese seit 1773 allgemein bekannt gewordene Tatsache, tun Stim-
mung gegen die Fremden zu machen imd den W'rdacht zu er-
wecken, als wemi sie Menschenschlachter wären. Wohl mit voller
Absicht ist hier als Opfer ein bildschönes Mädchen gemalt. Die
Tatsache, daß der Situs der Leiche eine hohle Phantasie ist, bestätigt
die .\nnahme des nicht selbst erlebten X'organgs. Ofienbar handelt
es sich um ein imsauberes ,\Lmo\er der konkurrierenden chinesi-
schen .Medizin. Doch das intelligente \'olk ließ sich nicht lange
düpieren. Die chinesische Reaktion bekam den Todesstoß. .Mit
dent Jahre i(S7i erfolgte unter besonderer .Anlehnung an die deutsche
Medizinschule und unter Heranziehung deutscher Lehrkrälte eine
systematische Modernisierung des ärztlichen Unterrichts im ganzen
Lande, welche bald auch in medizinischer Beziehung die japanische
Großmachtstellung imd ihre asiatische \\)rherrschaft begründete.
Man wird aber nicht \ergessen dürfen, daß die llolländer es waren,
deren \'erdienste lun die .Vusbildung der .Anatomie und damit der
Medizin überhaupt unbestritten sind, die nicht nur das alte b.uropa
mit Medizinlehrern versahen, sondern die Pioniere ihrer Kunst und
der Kultur überhaupt bis in das ferne Jajian sandten. Unter den
größten Schwierigkeiten behaupteten sie zähe das einmal gewomiene
5K5CS3K5KiO!StJK!OtiCi!«JC?Si!{>SSJOiXS!Ci-««!C?JS<>:S!<KSi!Oi JAl'AX !Ci<:>!0!<0'Si-Ci<S!C>S^<«?XiS!K!KS>i5<C?iC?!Ö!«<C(<5<C>J(S 87
'l'crrain. l'ür diese schwere Zeil dus Kam|iles ist diese Zeich-
nung ein wichtiges niedizinliistorisches Dokument und gleichzeitig
ein Ruhmesblatt in der (ieschichte der holländischen Medizin.
Fig. 55. Radierung einer Medaille aul Joli.inn Piapt. Morgagni.
MEDIZINISCHE GRUPPENBILDER
Die ärztlichen (Gruppenbilder Hollands entstanden aui dem
Bt)den derselben A'oraussetzungen , dem auch die Anatomie-
bilder entwicklungsgeschichtlich ihre Entstehung verdankten. Beide
Gruppen gehen manchmal ineinander über, aber wir haben ihre
etwas künstliche Trennung absichtlich vorgenommen; jedes ein-
zelne Anatomiebild bietet etwas Neues und Bedeutungsvolles, das
medizinhistorische Interesse aber tür ein Massenporträt ziemlich un-
bekannter Personen ist nur ein geringes und wird nur gesteigert
durch zufällige, den Arzt besonders interessierende Beigaben oder
einen künstlerischen Hochstand.
Selbst die Regentenbilder ärztlicher Protession interessieren uns
nur bedingt. Zwei Korperschatten waren es im wesentlichen, deren
Repräsentationsstücke in beinahe vollkommener Reihenfolge aut uns
88 äSäSSiiCSStiSiSJSiSiSStJItiKiSiKiOs MEDIZINISCHE GRUPPENBILDER äßJOtjJiSJiJOiiOiiKiKiOiSSiöißiSiSiKJKiKiCS
gekommen sind; das Amsterdamer Lcprahospital und die Wirsielier der
dortigen Chirurgengilde; lüni/elin derartige (iemälde. meist kolossaler
Dimension und von geringerem Kuiistw erte hangen im Keiehsmuseum.
Aus der Betrachtung der Cjemälde der Amsterdamer l.eprcxserie
geht hervor, daß nicht nur Mediziner als \'orsteher dieses Hospizes
amtierten, sondern dal.^ g;Hiz wie hei uns reiche Bürger und an-
gesehene Bürgerinnen es lür eine \-ornehme und humane l'llicht
hielten, gemeinnützig tätig zu sein. Die meist in (iala imi einen
Tisch herum sitzenden Regenten sind in irgend einer bezüglichen
Ilandhmg dargestellt, etwa ein wichtiges Dokument unterschreibend
oder wie aut dem Hilde von \'alkaert mit 1-inanzgesciiät'ten für ihr
Schutzhaus beschäitigt. Neben den Alvnheeren sieht man nun oft
noch die Oberin oder den Hauswart, durch die abweichende Kleidung
imd die meist devotere Stellung erkennbar. Was uns aber am meisten
interessiert, sind die charakteristischen Nebenfiguren dieser Bilder.
Gelegentlich sehen wir aut diesen Tafeln Lepröse mit mehr oder
weniger Naturtreue abgebildet. Im Hintergrund des bereits erwähnten
X'alkaertschen Bildes (siehe Figur 54) ist aul einer Balustrade die
Mahlzeit des Reichen dargestellt; an den Tisch drängt sich bettelnd
ein .\ussätziger, der in seiner verstünmielten Klauenhand die Aussatz-
klajiper schwingt. Doch was von des Reichen Tische ablällt, das
fressen die schnelleren Hiuide vorweg.
Aut einem anderen Bilde von van C)chter\"elt führt die Haus-
mutter zwei misselsüchtige Kinder in den Saal, aut einem dritten,
von lan de Brav 1667 gemalten Bilde wird ein elender Knabe, dessen
Gesicht und Kopt aber keine charakteristischen Merkmale der Lepra
trägt, hereingeführt (siehe L'igur yy).
Es ist natürlich im Rahmen dieser Mitteilungen nicht angängig,
jedes derartige Bild Nom medizinhistorischen und kulturhistorischen
Standpunkt vollkommen zu anahsieren. Wir müssen olt uns begnügen,
nur die Anweisung hierzu gegeben zu haben. .\m Ciemälde des
Jan de Brav wollen wir einmal zu zeigen versuchen, wie wir uns
eine medikohistorische \'orlesung im klinischen Sinne denken.
Nun da ist zunächst der mittelmäßige .Maler, dei' einer bekannten
90 jCiiKJSJSiSißStöiSiiss^siSiiöSiSi Medizinische Gruppenbilder jCäiOtJßisSiSiSiSiJßiKJCiJKiCiiKJSSsiSJS
und tüchtii^cn Küiistlciiaiiiilic angehörte, die Maler, l'ornischncidLT
und Kupicrätzcr cr/cugte. X'on ihm sind mehrere (irii[ipengemälde
im 1 laarlemer Kathaus erhalten, welche die \\)r.steherinnen des Aus-
satzspitals und die männlichen und weiblichen X'orsteher des Ariuen-
kiiiderhauses verewigen.
Betrachten wir zunächst einmal unsere Wirsteher. Es sind
Männer in den besten Jahren, glall rasiert, ohne Ringe an dun
Händen, mit Perücken, die nocli dunkel und ungek'räuselt sind und
aut weil.le, schlicht gehaltene 1 lalsumschläge lallen. Die Krause ist
bereits ganz aul.^er Mode; den Übergang der gestärkten sogenannten
Mühlsteinkrause in die eintachere lorm erkennen wir auf Rem-
brandts Anatt)mie vom Jahre 1632. Aul den späteren Anatomie-
gemälden sehen wir dann die allmähliche Entwicklung zu dieser
schlichteren l-'orm, die dann später das tvpische Kleid für Gelehrte,
namentlich aus dem geistlichen und dem Kichterstand, werden sollte.
Der Kontrast des haarlosen Jünglings mit dem Perückenträger ist
in die Augen lallend. Ein Wort über die Perücke in kulturhistori-
scher und medi/inhistorisclier JV'deutung. Der (jcbrauch Irenuler
Haare war schon in der .\ntike bekannt; namentlich die gold-
gelben Maare der (jermanen wurden in Koni geschätzt und zu
I^TÜcken \erwertet. Die Epiigranune des \'alerius Martialis, eine
Fundgrube lür solche Dinge, erwähnen dun (Gegenstand mehrfach,
z. H. Marl. .\11. Buch 23:
Dcntibus atque comis — nee tc puJut — utcris cmptis;
Quid facies oculo, Laelia? non eniitur.
(»Orten schmücktest du dich mit gefälschten Zähnen und Ihuiren,
Lälia, wie mit dem Aug aber? Das kauft man docii niclu.«)
Xim, auch darüber sind wir hin\\'eg. Auch ein Auge kann die
Braut des Abends neben Ilaare, /ahne und l-Susen aul das Kom-
mödchen deponieren. Obwohl nun in den Tagen Ludwigs XI. die
Perücke wieder in Irankreich erscheint, verstohlen zimäclisl und
kunstlos verfertigt, ist es sehr wohl verständlich, tlal,^ die Svphilis
der Verbreitung dieser Methode luachiig imd mit Xaclulruck \'or-
spann leistete. Erst in der dritten Periode dieser Krankheil, mit dem
-3
O
>
92 St<ssi'C>'«'i>jßi«ci<5JC!tic>siiei!>ä5 MtDiziNiscHE Gruppenbilder äK!O!Si>X!esS>!etSSjCt!CiSKij!S>:jCiS>s*iCi<0>
Jahre 1540 ungctiihr nacli I^Vascaturi. traten mehrere S\niptoiiie der
Lustseuche, die hisher im XOrdergrunde ^estaudeii liatten, wie die
(iHedersclimer/en und die pustulosen Ihuiteruptionen, nierldieh in
den 1 Untergrund und die gummösen (ieschwülste heherrsehten das
Bild. — Am auilallendsten war aher der Auslall der Haare am Kupl,
Bart imd den \\'impern. Lalloppio setzt den Beginn dieses I)ellii\iiim
capiüorum um das Jahr 1353. Der liiniluß solchen Geschehnisses
aut die Mode ist naheliegend. L'm den X'erdacht ahzulenken, Träger
der Krankheit zu sein, ließ man sicli den Bart inoglichst lang
wachsen. Auch das frühzeitige Ergrauen und das llellerwerden der
Iris rechnete man zu den sicheren Symptomen, zu denen etwas
später noch das Auslallen der Zähne sich zugesellte. l:s wurden
aher derer, die mit langen Barten prahlen konnten, allmählich zu
wenig. Eine \'ergewaltigung der gesunden .Minorität erfolgte durch
die Mode, welche die Perücke und die glatte Kasur »kreierte«. Das
Bedürfnis nach falschen Ilaaren wurde enorm. .Man \erbarg mit
ihnen nicht nur das hehlen des eigenen llaarwuchses, sondern
steigerte die falsche Ik'haarung ins ungemessene. Die wunderliche
Ausartung schuf der Leibfriseur Ludwigs Xl\'.: die Allongeperücke
erblickte 1670 das Tageslicht, also drei lahre vor Schafking unseres
Bildes. Die folgenden (iruppenbilder zeigen schon die schnelle \ er-
breitung dieser Modetorheit. 1673 bildete sich in Baris, 1716 in
Berlin die erste Perückenmacherzunit.
Wenn man nun durch den Katalog erlährt, daß hier die \'or-
steher eines Armenkiiiderhauses oder Aussatzspitals sich porträtieren
ließen, so erscheint zunächst die Deutung des Bildes durchsichtig
genug, um der Erklärinig zu eiitraten. Da sitzen die reichen .\l\n-
heeren um den Tisch, aul welchem ein liandgeknü[ilter re|i[iicli liegt.
Bei Betrachtung des Knüptgewebes erinnere ich in Parenthese daran,
daß Bode, gleichzeitig der beste Bihler- und Teppiichkenner, die
letzteren in der ALderei studiert und damit die erste (huiullage
geschaffen hat, das Alter und die .Muster der ürientteppiiche zu er-
gründen. — Der Chef des Präsidiiuns, keimtlich auch durch die
längere Perücke, empfangt \-on einem Angestellten, \ielleicln auch
JOiJS-CiSXJKiSiKiOiJKißJOiSSStSiiSSSJOiiSJKSiiOiiK?^!!!!« HOLLAND SiiCiiCiJSiKSiJCiSKiCiKJiJOiiliiOiJKKSJOiiOtiSJC^JOiiCtJCiJOigS
dem \'atci" des Unnuindigen, eine QuilUinL; lür eiiiplan^ene ünter-
stützungsgelder. In dieser Weise deutete ich zunächst das J^ild wie
wuhl jeder Unbefangene. Doch liegt die Sache ganz anders. Der \'ov-
steher der IJaarlenier Jakobskapelle übergibt dem Vater oder Vormund
C {KtUtcli 3ti alUn lantmt/^t bat \ap Qfiittttm ofi»ft»eten ban
fitue ?arob0 Captlle äupttn ^aetlem / 0l}tmotf( enoe n\tt ailic
nactßjctjcptöefittiö^öbfn/tfti ^^-^y *vV///y Q^matmt
laf t/u)irgf!eb«!/bcfmeif«l»flfti mcf a<rjfri|f/waeromm£ -y-i
g<ien {ßimn bUeoberg/miClsp bebbenbe op br bo^S/ecnftsaces
^oecoptl)ooft/br(Imitietrei)ltDift(nban&tfonbcranberbant/
rnoe bf fenbiirf ont5f|nbMfftc3(arrn tsbooreiibe Knuc. Ju l^m>
nt(re ÖC6 ivaerbepts/fo tifbben cdp gbecnten germo^en tnoffttut»
'€tn/ btttnbtitf btitQtltmnonitn QonctuenKflbeUmcSiatrdn^
|5
■'T
inalijuf nähme Anistc-}(^afn tiiini -hist. Miist'Utn.
Fig. 56. Aussatzattest vom Jahre 1608.
ein Dokument, an dem sichtbar ein Siegel hangt, und dafür erhält der
Vorsteher ein Honorar, nicht umgekehrt. Als Gegenleistung nämlich
bedeutet dieser gesiegelte Geleitbriet das Privileg des ungestraften
Betteins. C. E. Daniels ist der ulückliche Besitzer eines solchen
94 SiSS!K!Ot!Cit!ßäS:Cit!Si«S>StSt<e!!CS!K MEDIZINISCHE GrUPPEXBILDER 3ßSiSii«i0iiS<0>iS5S<0>J0i!0t!5iS<SJßi«!5>
Leprazcltels von der Sankl Jakobskapcllc in llaarlcni, den wir durch
sein Hntgeqenkonmicn — das Original befindet sich im Amsterdamer
.Medizinisch-pharmazeutisch-historischen Museum — liier abbilden
können (siehe Figur 56). lis ist, wie man sieht, ein iVagament-
streifen mit \'ordruck. Der in altholländisch abgefaßte Wortlaut
wird dann noch, wie auch bei diesem einzigen l:xemplar, das noch
existiert, durch Schritt ausgetüllt. Der Inhalt lautet ungelähr tolgender-
maßen: »Wir*), die \'orsteher der liaarlemer Jakobskapelle, haben
— folgt der eingeschriebene Xamen - tür lepros erklart. Wir geben
ihm einen schwarzen Hut mit weißem Rand, eine Klap[ier und
diesen gesiegelten Brief, der aber nur vier Jahre Gültigkeit hat. Wir
(jeschworene haben diesen Brief gesiegelt 160S.« Ob nun einer der
Vorsteher Arzt war, ist nicht gesagt und auch unwahrscheinlich.
Wir erkennen nun aut dem Bilde das weiße Halstuch des Leprösen
und sahen auf dem Original auch den schwarzen Hut, der aber aut der
Reproduktion vor der Brust des Kranken sich nicht genügend abhebt.
Das schwarze Gewand der Misselsüchtigen trug außer anderen
Abzeichen in Holland oft das Wappen der Stadt, zu der man gehörte,
oft war es auch mit weißer Wolle mit »zwei Händen« bestickt,
auch der Hut war ott mit solchen weißen Händen dekoriert. Das
Charakteristische war nun die Klapper. Aus Abbildungen (zum
Beispiel auf der Rembrandtschen Radierung) ersieht man deren Kon-
struktion. Ein bewegliches Mittelbrett schlägt gegen zwei im Winkel
gestellte Bretter. Alle Bemühungen von zwanzig Jahren, ein Original
dieser Art aulzutreiben, scheiterten aus naheliegenden Ciründen. Denn
eine gebrauchte l.e|M-aklap[-»er ist kein Bijou, das sorgsam aul bewahrt
wird. Doch genügt als Modell vollkonuuen die Klapper, die man
heute noch bei Hasentreibjagden gebraucht. Die Ausübung der Le[ira-
schau war namentlich in Holland eine einträgliche Ptründe. Dabei
bemerkten wir schon, daß sie meist in Händen von Laien lag.
Meyer Ahrens**) berichtet, daß in der Schweiz die Leprösen selbst sich
•) Siehe auch Holländer in den Verhandlungen der Berliner dermatologischen Gesell-
schaft 1907, S. 61.
••) Geschichtliche Notizen über das erste Auftreten der Lustseuche in der Schweiz,
Zürich 1S41.
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die Ausübung der LL'[iralu'sch;ui anmaßten. Da jedenfalls ein <^erei;elter,
ärztlich uberwaeluer Dienst \ieltaeh telihe und allerlei llautkrank-
heitcn in der damaligen Zeit konkurrierten, sd kamen \iellach
unbeabsichtigte Irrtümer vor. llaeser berichtet sogar, daß die Stadt
Ilaarlem das Recht hatte, auch völlig (jesunden das i.eprosenkleid
der Bettler als Privileg zu verleihen. Im Gegensatz hierzu war
offenbar im alten Xürenberg das (iesundheitswesen trühzeitig besonders
gut geregelt, das ersieht man schon aus der großen Reihe \on sanitäts-
polizeilichen \'erordnungen des Rates vom Beginn des sechzehnten
Jahrhunderts ab, die die .Sammlung des Kaiserin -briedrich- Hauses
im Original besitzt. Unter diesen interessiert besonders ein Lepra-
schaubriei vom |alire 16^2. Derselbe*) sollte an der Sebalduskirche
angeschlagen werden. Der Inhalt ergibt, daß »eins erbarn Ratths
verordnete herrn Doctores der löblichen Artznex' und Leibaertzte im
Siechenhaus denen Bürgerskindern die einer Lepraschau dörftig
wären«, zur testgesetzten Zeit zur Vertügung ständen. Weitere Lepra-
schauzettel sind kürzlich von Sudholl publiziert worden.
Was übrigens die Entstehung dieses Bildes und ähnlicher betrifft,
so weiß man, daß ALder, welche dieWohltaten irgendeiner öffentlichen
Anstalt vorübergehend genossen hatten, gewissermaßen als Honorar
dafür ein solches \'orstandsbild anfertigten. So hängen zum Ik'ispiel
im Haarlemer Stadthause zwei Gemälde, durch die der \ierund-
achtzigjährige Frans Hals, der nach einem in dulci jubilo verpraßten
Leben im Altmännerliaus endete, als (iegenleistung die X'orsteher
verewigte**).
Ein besonderes Interesse fLißen uns die Gruppenbilder der
Amsterdamer Chirurgengilde ein. Schon h-üh vereinigten sich die
Haager Chirurgen zu der Ilaagsche Chirurgijns (jilde ^enaamd
de Cosmas en Damiani C^onirerie. In dem uns bekannten Theatrum
ofte Kamer van Anatomie wurde jährlich der b'eiertag der Schutz-
heiligen der Ärzte, der (Cosmas- en Damiani -Tag, gefeiert. Etwas
später erfolgte die Gründung der Amsterdamer Chirurgengilde, deren
♦) Abbild, s. Vcrh. der Htrl. dcrmatol. Ges. 1907, S. 61.
•*) So entstand z. B. auch der Triumpf des Todes im Spedalc firandc in Talcrino.
Gruppenbilder sich über hundert Jahre erstrecken und einen i^lück-
hchen ]3eitrai; zur deschichte des arztüclien Standes heiern. Man
muß dabei berücksichtigen, ilaß diese hohandischen Institutionen
tranzösische \'orbilder l<opierten. Schon über hundert hthre früher
I
S. Dixi t.hclb der Chirurt'cnL'ilde.
Von Cornelis Troost. Amsterdam ly.U-
hatten sich in Paris die Laienchirurgen zu der Confrerie de Saint
Cöme et Saint Damien zusammengetan.
Die ahe Sitte, den \'ersammlungssaal mit den Porträts der
»Overleeden« zu schmücken, hat auch bei uns in neuester Zeit
Nachahmung gefunden. Im l^angenbcckhaus zu Berlin hängen an
den Wänden des Sitzungssaales die Ölbilder der bedeutendsten Mit-
glieder der Deutschen (iesellschatt tür Chirurgie. Aber welcher
Kontrast hier zwischen Malerei und Medizin, zwischen Bildnis und
HoUaDder, Die Medizin in der klassischen Malerei
98 3SSS!OtS!iC£3SiS3CSSS<CiSSiSS:SiOiiS!(£ MEDIZINISCHE GrUPPEXBIIDI 1* SKSiißiOiSSiCiSJtiKJSJSJKaiSJiäSSSJCSäCSäK
Pcrsmi. Welch düiilii^c Kimsilcistungcii im Ncrlialliiis selbst zur
hi^ll.uulisclien |- piiionenzeit! Was hätte ein Hlias, 'l"r(K)st, Maes, um
niu' Meister gerillterer Qualität zu ueunen, aus den Ki)plen zeit-
genössischer Chiruri^en gemacht, auf deren männliche Züge der stete
Kampt mit dem Tode und wissenschaltliches Streben charakteristische
Marken geprägt hat.
Aus der grol.^en Reihe der aul ims gekcimmenen l^ilder wollen
wir nur einige wenige charakteristische herausgreilen. Aul dem
Bilde l'igur 37 zeigt sich der bedeutende Rembrandtschüler Xicolaas
.\hies stark beeinlUil.U durch die Antwerpener Scinde als Modemaler
des Barocks. Sechs Chirurgen sitzen um den Tisch herum, sehr
vornehm in der Pose und sehr elegant im kleidsamen Kostüm der
Zeit, mit der eben erst ertundenen Kräuselung der ]-*erückenhaare.
Hs sei daran erinnert, daß die (iewandimg bei den Cdiirurgen eine
große Rolle spielte. Nach tranzosischem \'orbilde trugen die akademisch
gebildeten Chirurgen, die Maitres chirurgiens jures, di:n langen Rock,
während 13arbierchirurgen selbst in öffentlichen Urkunden als Chirur-
giens de cüiule rohe bezeichnet wurden.
In noch illustrerer Manier wie Maes malte der uns schon durch
seine Anatomie bekannte Cornelis Troost seine drei Chirurgen-
vorsteher (l-'igur )<S). Die Meister in langen weißen Allongeperücken
und eleganten seidenen Staatsgewändern haben soeben eine wichtige
Urkunde (een heelmeesters diploma) unterschrieben, die anfängt nnt
den \\'orten: W'ij onderschrexen Overluiden \an't Chirurgi). An
der Wand befinden sich die \\'appen, die jetzt die stolzen Herren
führen, und unter denselben liieXanien: Isaac llartn)an, Klias lluyzer,
Adriaen VerduNii. Xur noch die \'ornamen erinnern an die alte Zeit.
Aus den linkelkindern steifnackiger und sieggewohnter Jiauernhelden
und Seefahrer waien mit ausländischen Allüren kokettierende und
mit aristokratischem Aussehen pirahlemle l^ankiersöhne geworden.
Xoch ein Gruppenbild dieser Reihe erregt unsere .Aufmerksam-
keit, wenn auch sein künstlerischer Werl gering zu bemessen ist.
Sieben Chels der Chirurgengilde vom Jahre ly,;. von Jan .\huirits
Üuinckard in derselben langweiligen Manier gemall, in der er noch
o
>
>
lOO 3KäSäS3Sä0t3SäC*SiS><C««5-Oi<5S>« MeDIZIKISCHE GrUPPEKBILDER JCüJSSiiJßiOi-JtiSJOS-iKJCiiOiiCiJO'S'CiSiSi
zwei weitere dcraniuc chirurgische (jruppenhilder aiislührte (vom
Jahre lys^ und i7|j), sitzen um einen Tisch herum, der nnt einem
Teppich bedeckt ist, in di^n die Brüsseler W'ehekunsl die Wappen
der Bürger eingewirkt hat. Nach den Kampleii, die den Cdiirurgen
in keinem Lande erspart geblieben waren, war t)llenb.ir auch in
Holkmd eine (ileichberechtigung der Cliirurgen und der inneren
Ärzte eingetreten. Ist dieses ]3iki doch zu einer Zeit gemah, in
der in Paris gerade die Akademie der (diirurgie gegründet worden
war, die einige Jahre später der medizinischen hakuhät völlig gleich-
gestellt wurde. Was nun diesem Bilde unser besonderes Interesse
zuführt, ist der Umstand, daß der ganze Tisch bedeckt ist mit
Instrumenten zu Blasen- und Ilarnrohrenoperationen : Katheter,
Sonden, Steinlöftel, Steinzangen, Dilatatoren usw.; Abraham Tit-
singh, der Staatssteinschneider, erklärt die Steinoperation, und \or
ihm liegt eine ganze Reilie operativ entfernter Blasensteine. Abraham
Titsingh war ein im Anfang des achtzehnten Jalirhunderts auch
literarisch produktiver chirurgischer Autodidakt. Nachdem die innere
Medizin in Svdenham und später in Boerhave mächtige l'iirderer
gefunden hatte, begann nun auch die Chirurgie an Bedeutung zu
gewinnen. Es bemächtigten sich dieser Kunst die akademischen
Chiriu'gen, nachdem sie lange Zeit ungebildeten Praktikern aus-
geliefert war. So ging es auch mit der Steint)peratit)n, die damals
die bei weitem am häufigsten ausgeführte größere Operation war. Mit
diesem Eingrifl" beschäftigte sich eine besondere Klasse \'on Wund-
ärzten seit dijn ältesten Zeiten. \'ou dem \'ater auf dun Sohn
vererbte sich diese Kunst, und in m.mchen Landein bedurfte es zu
ihrer Ausübung eines besonderen Privilegs; so besaß in Frankreich
die 1-amilie Colot eine Zeitlang das .Monopol des Steinschnittes, wie
sich in Italien in der ganzen Renaissancezeit die umbrischen bamilieii
der Xorciner und l'recianer in das l'ri\ileg dieser Operation teilten
und von Ärzten und auch den tüchtigsten Chirurgen zur Ausfuhrung
ihres Kunsthandwerkes zugezogen wurden. Der originelle Bro\encale
Pierre Pranco, einer der geschicktesten Operateure des sechzehnten
Jahrhunderts, hatte als erster den sogenannten hohen Blasenschnitt
SKiCSäOtäK!K5KSiäKiK!K3SäytiO!JOiä5SJO!!K!Ci>S!Cii5tS«S>StJ5t Hngland !0>X!iiC!iC?!SJCi!C*S>!0><>:j><0>-0>iC>-0><>.StiCiSXS>X>:S>:S> lOl
empfohlen, aber auch noch /u /eilen der linlstehunt; des vt)rHei;enden
Bildes war der Weg vcmi Danim aus der weitaus beliebtere. Daliir
sprechen auch die vielen gerillten Sonden, die aui dem 1 ische liegen
(Figur 39)*).
An letzter Stelle müssen wir jetzt des genaueren ein (Gruppen-
bild besprechen, welches das älteste der uns bekannten (iemälde
dieser Art ist und von einem in England vornehmlich schafienden
deutschen Meister gemalt wurde. Zur lirldärung dieses Ilolbeinschen
Bildes wollen wir etwas weiter ausholen und schon jetzt die Geschichte
des Entwicklungsganges des Chirurgenstandes in England
\ora US-
schicken, der in großen Zügen ein getreues Abbild \on dem der kon-
tinentalen Xachbarländer ist.
Bei dem Studium dieser Dinge konnnt uns nun ein umtang-
reiches Werk: »Annais ot the Barber-Surgeons«, als Archiv sehr zu-
statten, ein Buch, in dem unter Beibringung vieler originaler Urkunden
die Geschichte der englischen C^iirurgen niedergelegt ist**).
Auch in England lag die Ausübung der Arzneikunde zuerst in
den Händen der (jeistlichkeit, wie wir dies schon beschrieben haben.
Da ihnen aber nun bald die x'\usübung der Chirurgie durch päjist-
liche Erlasse verboten wurde, so unterwiesen sie die Barbiere, die
dann die kleine Chirurgie als ihre Domäne betrachteten, und bald
als Barbersurgeons unter Richard the Barber 1308 sich zu einer
Gilde zusammenschlössen. Ihr wachsendes Ansehen brachte bald
Streitigkeiten mit den richtigen Surgeons, die damit endigten, daß
141 3 die beiden Masters der Gilde das Recht bekamen, die große
Chirurgie zu betreiben, und den Titel erhielten: Magistri barbiton-
sorum chirurgiae facultatem exercentes. Das Ansehen dieser Gilde nun
erklärt, daß früher wie irgendwo anders die akademisch gebildeten
inneren Mediziner, meist des Lateinischen kundige Geistliche, sich
mit diesen chirurgischen Praktikern 1423 zu einer Connnonaltv ot
*) Abbild, der Steinupcration von Colut im Jahre 1474 s. • Karikatur und Satire- S. 51.
**) The Annais of the Barber-Surgeons of London, compiled from their records
and other sources , by Sidney Voung . one of the Court of Assistants of the worshipfui
Company of Barbers of London, vvith illustrations by .\ustin T. Voung. Lonilon , Blades,
East iV Blades, iS<)o.
I02 siietiS:e>:«s>:ic?JC?!K<s55<K<5:<K<c? Medizinische Gruppenbii di k jssciiKSKSKJCSssicsiKiSiOiiKiCSiOiSiiKiOis?
Phvsician.s aiul Sur^cons vereinigten, die aber leider bald sich
wieder auf löste. Auch die Streitigkeiten zwischen der chirurgischen
Brüderschatt und der eigentlichen alten Barbiergilde wuchsen in
dem Maße, wie das Ansehen der Barbierchirurgen zunahm und
den Surgeoiis erluihte Konkurrenz bereitete. In lidinburg wurde
das Kollegium der Wundärzte i)05 gegriindet, tias nur Pro-
testanten aufnahm. \'iele Mitglieder waren Barbiere, die nur Sonn-
tags nicht rasieren durlten. Ijnige ihrer Mitglieder erlangten Sitz
im Parlament.
Den lloheinmkt erreichte die Zunft im Jahre 1432, als König
Heinrich \'l. ihnen mit der Prlaubnis. ein Wappen zu führen, auch
das Recht aut die Chirurgie verlieh. Dalür hatten sie die Pllicht
übernommen, an den Stadttoren Londons Wachtposten autzustellen,
die die Stadt \oy dem Hindringen Aussatziger beschützen sollten.
\"on einer Unehrlichkeit dieser Kunsthandwerkergilden, wie in
Deutschland, ist nirgends die Rede, wenn allerdings auch in England
sich diese Barbiei Chirurgen gewissermaßen erst das Recht erkämpfen
mußten, \\'ai]en zu tragen. Charakteristisch für die Stellung der
Chirurgen ist, daß selbst pjiglands Könige sich dieser Beschäftigung
hingaben. König Heinrichs VHP Rezeptbuch enthält eigene Ver-
ordnungen, und lakob 1\'. war selbst ein so guter ^\'undarzt,
daß er in sclnvierigen Pällen konsultiert wiu'de. Die Streitigkeiten
/wischen Barbieren und (Chirurgen beendete das Jahr ij.jo. König
Heinrich \'II1. von Hngland, bekannt durch seine '■ streng anti-
protestantische Regierung (contra Ilenricum regem AP Putherus, 1522)
imd durch seine sechslache l:he mit Anna Bolevn, Johanna Seymour,
Katharina Howard usw., vereinigte durcli einen formellen Parla-
mentsakt die P'ellowship ol' Surgeons mit der Barber Surgeons (ä)m-
pany, und der erste Meister dieser vereinigten diUle wurde der
berühmte 'Phomas \'icar\-. Aus dieser glücklichen \'ereinigung, die
erst im Jahre 1715 wieder sich aufloste, entstand \iel Cutes. Den
feierHchen Parlamentsakt als (ieschenk- für den König im Bilde zu
verewigen, hatte nun Ilolbein von der (iilde den .\ultrag bekommen
(Pigur 60).
104 SKSiäiäiiSJKStSiJSiS'CiißSiSiiOt Ml-.DIZINISCHE GrUPPENBILDKK JSJSJSJSißSiSiSiJOiJCiiCtSiiCiSisSSiSiJK
Wenn man sich in der I.cndonLT Citv nach hingcni llcrnin-
suchen cndhch in die enge Silver Slreel nach der MonkweU Slreet
in der Nähe der Guildhali durchgefragt hal, so erwartet man nach
den prächtigen Illustrationen von Austin ^'oung aus den Annalen
der Barbierchirurgie etwas ganz anderes als diesen bescheidenen
Hinterbau.
Jedenfalls überragt der medizinhistorische \\'erl des hier auf-
bewahrten Clemäides seinen künstlerischen, und es ist augenfällig,
daß eine schwache Hand \'ollendete, was der Meister begonnen und
entwt)rlen. V.s befmdet sich übrigens eine llott gemalte alte Kopie
dieses Bildes in etwas anderem b'ormate in der \'orhalle des Ro\al
College ot Surgeons.
Aut dem hgurenreichen Bilde, welches noch heute in der
Barbershall hängt, sieht man den König im fünfzigsten Lebensjahr,
wie er die Urkunde den Händen \-on Thomas N'icarv übergibt. Zur
Rechten des Königs knien der königliche Leibarzt John Chambers,
der berühmte William Butts, und hinter diesem der Apotheker Aesop
in pelzbesetzten .Mantelgewändern. Zur Linken des Königs knien
fünfzehn Gildevorsteher, Members of the court, in Brokat und
glänzendem Damast als erster der Sergant Surgeon Thomas Vicarv
mit goldener Kette, als nächster der Surgeon cit the King: Sir John
Avieff, und hinter ihnen der Kingsbarber: Xicholaß Sim|ison. Was das
Bild selbst betrifft, so scheint es sicher, dal.'i dieses grolk' Repräsen-
tationsstück von dem berühmtesten deutschen Meister nur im Lntwurt
angelegt ist, und daß der kurze Zeil später erfolgte l'od ihn ver-
hinderte, das Bild ganz zu beenden, hdnige Kcipte verraten seine
Meisterschaft, und es wurde dem Bilde eine jetzt verblaßte Farben-
pracht eines l'izian und der Ausdruck eines Cerard Dou nachgerühmt.
Vollendet wurde das Bild offenbar von einem schwächeren Schüler.
Wieso der Deutsche Holbein (jelegenheit hatte, in l:ngland höfischer
iNLiler zu werden, erklären die Religionskämple und theologischen
Zankereien, die in dem sonst so leichtlebigen Basel tobten. Hol-
bein ergriff den W'anderstab und ging nach London, und damit
verlor Deutschland endgültig den größten Maler der Renaissancezeit.
iKiKS>:!SS!JjiJO!<ß!0!!«iSso>iCi!JSii>iS!K!eiS!!Ci<siS'KX!> 11(11 Kl IN •c>:<0i<ß!>»:K>;<^<K!Ci!O>iO!!OiSt!C*iK<ii!O><K!«!iO!!e«iCiäK 105
'■■■■tschcn
Die glänzenden Porträts, die er zuerst von den reichen ueu
Handelsherren des Stahlhotes, des Ouartiers der deuLscIien Hansa in
London, anlertigte, zogen die Aiifnierlvsamkeit des königlichen Hofes
aut sich. Hin Porträt von Thomas Croniwell eniptahl ihn Heinrich.
Fig. 61. Sir John Chambers.
Von Hans Holliein il. J.
der ihn diu'cli Jahresgehalt und zahlreiche Autträge dauernd an seinen
Hot fesselte, obwohl der Basler Rat, jetzt allerdings vergeblich, ihn
der Heimat wiederzugewinnen versuchte.
Als Studie zu diesem großen Repräsentationsstück sind gewisser-
maßen die Porträts der Leibärzte Thomas \'icarv und Sir John Avleft
aufzufassen, die in ßarbershall hängen, und dann noch das schöne
I06 JKiCtiKJKJiSSiiSJSStSiJÄSiiKißiO! MEDIZINISCHE GRUPPENBILDER äKißJSiS'CiS'JOiißSiJS'eiJCiiOtSiJßSi'etJS
Bild von lohn Chanibcrs. welches in der Gemäldegalerie in Wien
sich belindel. l:s ist das derselbe konii^liche Leibarzt, der znr
Rechten Heinrichs kniet, und dem man seine beinahe neunzig Jahre
kanni ansieht (i'ii^ur M ). Hin Wort noch über Thomas \'icary.
Ans den kleinsten Anlangen eines Praktikers heraus, der bereits in
Xorditalien und Aleppo mit Ivrlolg tätig gewesen war, avancierte er
bald nach seiner Aulnahme in die Londoner Rarber Snrgeons Conipanv
zum Holchirurgen I leinrichs \'lll. und spater der Konigin LIisabeth.
Als Chef des l^artholomaushospitals gab er 1348 die erste englische
Anatomie heraus, welche iiber hundertundliintzig jähre in seinem
Vaterlande maßgebend war.
Wir dürlen \on Lngland nicht Abschied nehmen, ohne einer
eigentümlichen 'Latsache zu erwähnen, die ebensi) sonderbar erscheint,
als sie durchaus unaufgekliart ist. Es ist nämlich sicher, daÜ m
lingland wirkliche Gruppenbilder, respektive Anatomiebilder ent-
standen, üb wir nun in diesen Gemälden weitere Folgen des
Holbeinschen \'orbildes haben oder ob diese Sitte von neuem aus
Holland importiert tmd nachgeahmt wurde, scheint mir zweilelhatt.
Die erste Kunde von diesen Bildern hnden wir in einer Rechnungs-
tnkunde vom |ahre 1601. Aus diesen und anderen ähnlichen Quellen
geht hervor, dail ein großes Cjruppenbild, »the table ot the anatomy«
genannt, existierte, aut dem eiiiund\ierzig ALusters ot Anatomy
und I:xaminers ot Surgeons, die sich die einundvierzig Philosophen
nannten, naturgetreu abgebildet waren. Ls war nun ollenbar eine
besondere Idire, aut diesem l)ilde [lorträtiert zu sein, und es scheint,
dal.^ man eigenmächtig sowohl, wie auch mit ik'Stinnnung des (iilde-
vorstandes alte Köpfe aut diesem Cjemälde wegwischte, und datür
den eigenen Kopl auf fremde Schultern setzte. So linden wir zum
Beispiel unter dem 29. März 1647 tolgende Xoliz: »'Lhis court doth
Order That Mr. Henrv Watsons fligure in the i^resent table ol anatomy
bc blotted out and Mr. Charlevs l-,ftigies placed in the Koome thereot
Proveded, that bis executrics pa\- bis Legac\- to this house.« Dieselbe
Urkunde bestimmt, dal.'i ein neues Anatomiegemaide angelertigt
werden sollte, auf dem alle diejenigen .Mitglieder, welche aut dem
•«JKißJJiiSJKäiißäKJOHKSOSJOSiKSKSOHOiJOtSiiKiOtäKiKiOtäK England SßiKißJOtiKSKJKiCSSKäCSäKSKäSäOiSSäKStiCiiSäJiJliiCiiK 107
alten nicht vorhanden sind, aul eigene Kosten zu porträtieren waren,
und daß Doktor Goddards aul diesem Bilde als Lektor lun<;ieren
sollte. Es scheint nun, als ob das i^rcjlk' l'euer vom Jahre 1666
bis 1667, welches das Holbeinsche Bild glücklicherweise verschonte,
diese Anatomiegemälde vernichtet hat, wenigstens habe ich keine
Spur mehr von denselben entdecken können. Das einzige, welches
in die neue Barbersurgeonshall (167..J bis 1864) übernommen wurde,
war das Anatcnniebild des Doktor Charles Scarborough, von Green-
bury gemalt; wir haben dieses bei den Anatomiegemälden bereits
ausführlicher erwähnt. Die Betrachtung des achtundachtzigjährigen
englischen Kollegen in der Tracht eines lirasnuis \'on Rotterdam leitet
uns zum ärztlichen Iiinzelpt)rträt hinüber.
DAS ÄRZTLICHE PORTRÄT
Es ist vielfach behauptet worden, daß der Berut des ALmnes auf
dessen Korper Marken zurücklasse. So wird \on berühmten
Diagnostikern erzählt, daß sie es liebten, dem ihnen nackt präsen-
tierten Kranken die Berutsart auf den Kopf zuzusagen. »Ein
Schusterbub bist du und die Kratz hast du.« Doch auch die Ent-
gleisungen sind bekannt: der emphvsematische Musiker, der aber nur
Trommel imd J-'auke bearbeitet. Wir wollen also uns beschränken
und nur behaupten, daß die nachdenkliche und ott sorgenvolle
Tätigkeit des Arztes dem Ausdruck desselben oftmals einen etwas
wehmütigen Einschlag gibt. Auch das Idealbild des hellenischen
Asklepios, vor allem zum Beispiel der schöne Londoner Kopf von
der Insel Melos, scheint mir neben aller herrlichen Innerlichkeit
diesen leicht verzichtenden Zug auf den Lippen zu haben, obgleich
das gar nicht im Sinne der Antike liegt. Wollten wir uns aus den
großen Sammlungen von Arzteporträts über diese Erage vergewissern,
so würde dieser Versuch sotcirt an der bedauerlichen Tatsache scheitern,
daß es meist größeren Künstlertums bedarf, diese phiK>sophische
io8 jjHSiCsjSiCSiCSiSSiStSt-iSJCiiStißsKjefiK Das ärztliche Porträt JCSiOüSiSJKiCiiJCSiCiiKiCiiJSiKJOiiiKSüieiJKSKiOtSj!
Nuance aul die Leinwand zu brinijen. Die Physiognomie der Hand
redet den meisten Ärzten eine bekanntere Sprache. Aber man soHte
sich auch üben, die ausgeprägten Züge richtig einzuschätzen und
das Gesicht eines temperamentN-oUen Juristen innerscheiden zu lernen
von der verinnerhchten (iesichtsmaske des Xaturertorschers.
Xamenthch in Irüheren Jahrhunderteu hebte man es, bit>graphische
und bibHographische Schriften herauszugeben und unter anderen
sogenannte (ialeriewerke von Ärzten zusammenzustellen. Das grol.V'
neue Lexikon \on August Hirsch zählt eine große Anzahl solcher
Schritten auf. Solche ärztliche Porträtwerke, die übrigens meist nou
einem nationalen Standpunkte ausgingen, sind im siebzehmen und
achtzehnten Jahrhundert mit guten Kuplerstichen versehen worden.
Dabei gehen dann die Herausgeber in der Weise vor, daß sie meistens
von ein und demselben Stecher entweder nach erreichbaren Originalen
diese Porträts nachbilden lassen, oder daß sie auch mehr oder
weniger mit reiner Phantasie arbeiten. Lin Beispiel iür diese latsache
bildet das schone und seltene ikonographische \W'rk des Sambucus*).
welches 1374 in Antwerpen erschien. Die Ptnlräts der Arzte sind
alle mehr oder weniger mit derselben Xadel gestochen und durch
ihre gemeinsame HerkLUiit von einer innerlichen Ähnlichkeit. Das
Beiwerk, der bei allen olt wechselnde Rahmen aus 'lierornamenten
und Pllanzenarabesken und der darimterstehende lateinische \'ierzeiler
von »Llollunder« bildet die Hauptsache. Aloehsen, der merkwürdiger-
weise in seinem Werke der Hildnissannnlung berühmter Arzte allerlei
hübsche X'ignetten und Stiche beiüigl, aber nicht ein einziges Arzte-
porträt, behauptet, dal,^ .Sambucus aus dem berülnnten Wiener Kodex
des Dioscorides die Bildnisse einiger antiker Arzte, wie des (jalen,
entnommen habe. Ich habe mich aber \-on einer Ähnlichkeit nach
dieser Richtung hin nicht überzeugen können. Allerdings haben
mir nur die Kupier aus dem Daniel de Xesselschen Kataloge (Wien
und Xürnberg 1690) vorgelegen.
Ls ist die Aufgabe einer medizinhistorischen Sammlung, die
*) Icones veterum aliquot ac recciitiuiii mcdicorum iiliilosüphorumque, clcgiolis suis
editae o|)era I. Sambuci. .Antwerpen 1574.
JßSKJKäKJOtäKSiSiJCJiKJK'CJJCiSJiO-SiiCiJKiKiOSSKJOiiCtSSSS Vesai.IUS !Ci!C!-<iiCi<SiK!Ot!C!XS<iK>:KSiCiS><>:!ßJOi<!i<iKX-ei!Ci?S 109
Porträts und die Auto^raphen möglichst allcT luTiihiiilcii Arzte im
Besitz zu haben, und diese lH)rderung ist leieliter zu bei;leiclien als
der lückenlose Besitz der auf Arzte geschlagenen Medaillen. Die
ärztliche Personalkunde wird dadurch erleichtert, dal,^ man es früher
Fig. 62. Vesalius.
liebte, seinen Büchern das eigene Porträt beizufügen. Oftmals umgab
man dasselbe mit allegorischem Beirat, und es gibt radierte Porträts,
welche allein vom künstlerischen Standpunkte begehrter und kostbarer
Besitz sind. Die moderne Reproduktionstechnik hat diese schwarze
Kunst beinahe verschwinden lassen. Ebenso ist es heutzutage ver-
pönt, auf seinem i\-)rträt die Profession anzudeuten. Das geht
soweit, daß zum Beispiel berühmte Chirurgen aut den (jemälden,
HO jKssssssiSiSJCiiSiJCiisSiJKSiiCiiCiSi!« Das ärztliche Porträt 3C?äiiSi!5<oi!Sis<C!i?><c><ß<oi?s>K!esstii>?SJCi!C?
welche unsere Sitzungssäle schmücken, ängstlich ihre I lande, meist
ihr Bestes, hinter dem Rücken \'erstecken. Das (iesicht ist Trumpf,
aber wo sind die Maler, welche mit den Porträtisten des siebzehnten
Jahrhunderts in lli)lland und denen des achtzehnten und neunzehnten
Jahrhunderts in England auch nur einigermaßen konkiurieren könnten?
Selbst wenn wir lür die vorliegende Betrachtung unsere Aulgabe
so beschranken wollten, nur die Originale berühmter Arzte, von
berühmten Künstlern gemalt, hier im l^ilde zu \'ereinigen, so würde
dieser Beitrag schon zu groß sein. Wir wollen uns begnügen, einiges
über das Porträt des \"esalius zu sagen.
\'on Andreas Vesalius existieren angeblich drei große Porträt-
gemälde: eins von Tizian in der (jaleria Pitti in Florenz, lerner
eins von Jan van ('alcar im l.ouvre und ein drittes in der Münchener
l'inakothek von Jacopo Robusti Tintoretto. Zu unserem Bedauern
müssen wir aber erklären, daß alle drei ihre Bezeichnung mit großer
Wahrscheinlichkeit tälschlich tragen. Das geht schini aus dem
bloßen \'ergleich derselben untereinander und mit den beiden einzigen
fraglos und einwandtrei beglaubigten Bildnissen des Reformators
der Anatomie, den Holzschnitten aus seinem eigenen Werke, hervor.
Hs ist das zunächst der bekannte Holzschnitt aus seiner P'abrica 1343,
aul dem der Anatom mit der Präparation des Armes einer weiblichen
Leiche beschältigt ist, und ferner der Profilkopl auf dem Titelblatt.
Die Xüge des jugendlichen .Meisters sind charakteristisch genug.
Ein breiter Kopt mit hoher Stirn und ausgeprägtem Gesichtsschädel
und einer leicht an der Spitze eingeknickten Nase. Eigentümlich
ist auch sein starker Haarwuchs, welcher in ilie ll(')he strebend
und leicht gekräuselt ist. Die Ilaargrenze \'erläult wellenförmig,
indem in der Mittellinie die Haare sich der Stirn nähern und zu
beiden Seiten zurückweichen. W'rgleichen wir hiermit das im übrigen
meisterhaft gemalte l.ouvrebild, so lallt ims solort eine veränderte
»~
Haargrenze auf. Die ganz glatten perückenartigen Ilaare dieses
jungen Mannes verlaufen geradlinig. lis lehlt Nollkommen die
sogenannte lliehende Stirn. Auch der I^artwuchs ist ein anderer.
Vesalius trägt auf dem Holzschnitt einen breit und viereckig zu-
JKätJSStStKSSiSiiOtJOtJCiiSißSSKXKXiOtJSSiiSiOiJSiKiCiiS \l sAI ILs i0iS!iß!C>S>S!tS!iß<SSiJ0!!KiK!SiS<C!i5ii5>!CiiCt!Cii0iiß I I I
geschnittenen Spitzbart, auf dem Louvre-Cieniäkle aber zeigt der
Jüngling einen zweigeteilten diiiinen X'ollbart. Zur \'er\vechslung
führte die Manier des Künstlers, die Augensterne noch akzentuierter
in die Lidwinkel zu stellen, als sie der Gesichtsstellung entsprechen,
ferner die gleichmäßige X'erwendmig desselben Ilabits mit dem
Blätterornament und die Tatsache, daß das angegebene Alter \-on
sechsundzwanzig Jahren und das lintstehungsjahr 1340 mit dem
Alter des W'salius übereinstimmt. Das (jemälde, welchem lange im
Katalog die Bezeichnung als Porträt des \'esalius beigefügt war, ist
jetzt richtig als das eines Venezianers del l^uono erkannt, nach dem
aut der Säule belindlichen \\^ippen (drei Ah)hnköpte aut blauem
Grunde). Der Siegelring am linken Zeigefmger trägt dieselbe \'er-
zierung. Das ^\'appen des Anatt)men war nach seiner Weseler Heimat
ein Feld mit drei Wieseln*).
Das Bildnis des Tintoretto hat eine entschieden größere mimische
Verwandtschatt mit dem liolzschnittporträt. Allerdings sind die
Schädelverhältnisse diametral verschieden. Statt des Breit- und Lang-
koptes linden wir hier einen kleinen Rundschädel. Auch die Gesichts-
knochen dieses jungen Mannes sowie der ganze Ausdruck weisen
aut einen Romanen hin. Die Behandlung des Spitzbartes ist eine
ganz andere. Es hält nun dieser junge Mann in der Rechten einen
Zirkel, in der hinken ein Gebilde, welches als Oberschenkelknochen
angesprochen wird, ohne aber mit Sicherheit einen solchen vor-
zustellen. Ich habe mich jedenfalls nicht da\'on überzeugen können
und glaube, daß hier eine Übermalung den Gegenstand unkenntlich
gemacht hat. Im übrigen finde ich die ganze Pose mit dem Zirkel
zum mindesten unglücklich für einen Anatomen gewählt.
Das letzte Bild aus der Pittigalerie stellt einen Mann \-or, dessen
verschwommene Züge mit dem langen Barte einen hohen Fünfziger
charakterisieren müssen. Seine Linke stützt sich aut einen großen
Folianten, in dem er eben studiert hat; seine Rechte hält die Brille
in der Hand. Wir haben es auch hier wohl ohne Zweifel nüt einem
*) Ein diesem Gemälde äußerst ähnliclies Porträt eines etwas älteren Mannes hängt mit
der Bezeichnung Vesalius im Royal College of Physicians.
1 1 2 iss>sii>:iO>:«i5>!StäijCi«Sie>jßs>!C(i5>äS Das ärztliche Porträt äKSüKSiißSiiOiSiiSiKiKSiSiiSieiJSJSiSiCüCS
Manne der Wissenschalt zu lun. \un ist es aber ja bekannt, dail
unser Anatom, erst neunimdvierzig Jahre ah, auf der mysteriösen
Rückreise \on Jerusalem starb, nachdem er die letzten Jahre seines
Lebens sicherlich lern von Italien gelebt hatte. Tizian aber war gegen
Ende des Lebens des Anatomen bereits ein (ireis. .Seine Riistigkeit
und hölische Lrscheinung erfüllte noch die Welt mit Glanz, inul das
Portrat des Arztes Parma (jetzt in der Kaiserlichen Gemälde-Cjalerie
Wien) — im Jahre 1360 gemalt verrät noch seine ungeschwächte
.Meisterschaft; aber in der Zeit, in welcher der Malerlürst den .Ana-
tomen hätte kennen können, kann dieser unmöglich so ausgesehen
haben. Ls ist allerdings nachgewiesen, daß Tizian auch (jemälde
von Personen entwerfen hat, die er nie gesehen, wie dieses ja auch
von van Dvck und anderen berichtet wird.
Wenn wir also auch auf dieser .Schöptung nicht sicher tußen
können, so sind wir in der Lage, ein zweifelsohne authentisches
Porträt des großen .\natomen zu publizieren, welches der hollän-
dische medizinische Historiograph C. E. Daniels ans Picht gezogen
und zuerst veröffentlicht hat. Dabei hatte Daniels die 1-reundlich-
keit, das 'l'afelgemälde für unsere Ausstellung im Jahre 1906
bereitwilligst nach Berlin zu schicken. Das Bild stanmit nach-
gewiesenermaßen aus der Familie \an Wesel. Aut der ]\ückseite i.\cs
Gemäldes steht die Xotiz, dal.'i dies Üriginalgemälde des Doktor
Vesalius dem Bürgermeister Jan Trip gehört hat, einem Deszendenten
eben dieser Familie. Daniels sucht nun in einer eingelienden Aus-
einandersetzung*) nachzuweisen, daß dieses (jemälde auch von Jan
van Calcar gemacht sei. Der längere rote Bart und der etwas
gesetztere Gesichtsausdruck veranlaßte ihn, die 1-ntsteluingszeit des
Gemäldes kurz vor das Todesjahr des .\Lilers, also i)\(\ zu legen.
Vesalius wäre damals ungefähr zweiunddreißig Jahre alt gewesen.
Wenn ich mir selbst ein Urteil erlauben dari, so ents[iricht das Bild
weder der Malweise des Calcar noch einem Alter von zweiund-
dreißig Jahren. L-h setze das Bild über zehn Jahre später an und
•) Onze Kunst (voortzettiny van Uc Vlaamschc Schoolj, mei 1905.
JKSiSSiSiiSiOtJCiißSiSiKSStiOiJSSXiOiJKSiJCiiSKSiOiiSSt ENGLAND J0tS!iCii5!iC!S!!ß<Ki«!!><>!0!Sii5!!K!0iJC!!Ci!J(SS!i:Si0i 115
glaube, daß es seine Herkuiitl einem sclnvaclieren Niederländer
verdankt, der vielleicht den Meister perscuilich gekannt und sich im
übrigen mehr an den Holzschnitt gehalten hat. l'iir letztere Aul-
tassung spricht namentlich die Zeichnung des Ühres, welches trotz
der grol.V'ren l:n-lace-Stellung des Koples die l'rotdansicht des Holz-
schnittes aulweist.
lis existieren mehrfach Kollektivsammlungen von Bildnissen
berühmter Arzte; sei es, daß der Lokalpatriotismus, sei es, daß
sonstige Beziehungen hierzu W'ranlassimg waren. So erinnere ich
an die vollständige und methodisch angelegte Sammlung der graphi-
schen Denkmäler und l:rinnerungen an Idieophrastus Paracelsus im
Salzburger Museum.
Artur Weise*) gab die zahllosen J^ildnisse Albrecht \on Hallers
heraus und die allerjüngste hochinteressante Arbeit des bekannten
Londoner Chirurgen D'Arcy Power (1^)13) behandelt die Porträts
von Harvev.
Hin Gang durch die alten kulturgesattigten Stätten englischer
medizinischer (iesellschalten und Kollegienhäuser läßt so recht den
Unterschied em|Mmden zwischen der Behausung der Medizin dies-
seits und jenseits des Kanals. Drüben blicken au( L\(:n Mediziner
von den holzgetälelten Wanden palastartiger Gebäude die klugen
und stolzen Augen der geistigen Vorlahren. Liebevolle Pilege hat
die prächtigen und reichen (iemälde seit den Tagen llolbeins rein
erhalten. Was einmal bei uns vorhanden war, das wurde geraubt
und zerstört. Die W'imden, die unserem Lande der dreil.^igjährige
Krieg schlug, sind unheilbar.
*) Artur Wfise. Die Bildnisse Altireclit von llallcrs. Bern 1909.
^:<;i■äi■<>:<i■<f:<)i■<f:<:i■<f/<^:<^/<;i■<i^^^^^^^
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2. Auf läge. ö
DER KÖRPERBAU
LIND SEINE DARSTELLUNG IM WECHSEL
VON MODE UND KÜNSTLERSTIL
c\'(ir wir uns der Ik'lraLlUunL; der Pathologie in der Malerei
hingeben, müssen wir uns lüniges überlegen über die
malerische Darstellung des Korpers überhaupt, über die
Konstitutit)n der 1, einwandmenschen. Wir müssen uns dabei ernsthalt
die l'rage vorlegen, ob lür uns diese Schilderungen dokumentarischen
Wert haben, lis ist das deshalb schon nötig, um das Interessengebiet
für die.sc Studien zwischen sichere Grenzpfähle abzusteck'en und
um uns zu vergewissern, ob solche gemalte Korper auch lür rein
wissenschaftlich - arztliche Zwecke als beglaubigtes Material \'er-
wendung linden kimnen. Diese krage ist schon einmal \or ernsten
Mäiniern zur Diskussion gestellt worden. Professor Dr. Albu hat
in der Berliner medizinischen Gesellschalt die Behauptung aut-
gestellt, daß die Hva des lan van l:vck nicht xom .Maler als ge-
schwängert dargestellt werden sollte, sondern daß sie jenen '1 vpus
repräsentiere, lier nach seiner und anderer Ik'obachtung den Habitus
der gesenkten P.ingeweide und Xieren vorstelle, l'.s liegt aul der
Hand, daß man aus solcher gemalten Xaturschilderung tiieses und
anderes schließen kann. oWenn damals schon die Schnürlurchen
am weiblichen Korpier sichtbar waren, kann unsere moderne Schnür-
brust nicht hierfür in Anklage gesetzt werden. Die geringe k.nt-
wicklung des Ikuslkorbes, die auffallenden Zeichen des Habitus
phthisicus der Botticellischen Korj^er haben schon zu mancherlei
Hypothesen X'eranlassung gegebeiT. Wenn nach der Aussage dieser
zeitgenössischen Maler die Mehrzahl der Weiber diesen inlanlilen
Körperbau hat, so lag das vielleicht an der damals leidenden sport-
lichen Betätigung der Iran, an den olt zu frühzeitigen Heiraten,
<^:<}i<>:<}:<>i<>:<>:<ii<>:<f:0:ci<^^^^^^ Mode sKs-issiJSijOiiCiiOiiSiKiKiSSiJKiKiOii^JKJKJKS^iSiOiJOt 1 1 5
an der Art ihrer Bekleidung; die Briiste, aus denen die Säug-
linge eines Roger van der W'evden, eines van l'lvck und der ganzen
primitiven Maler, der Altkolner und altitalienischen Schule trinken,
sind alle so exquisit junglräulich in hOrm und barbe, daß es nicht
lloU-ciH d y Bau/
Fig. 63. Basulur Bürgerin. (Schwan^erschattsmode.)
wundernehmen kann, wenn ihre Säuglinge atrophisch aussehen
mit Pergamenthaut und dickem Bauch. Mag sein, daß hier auch
die Franzosenkrankheit zu einer massenhatten Degeneration der Mal-
modelle geführt hat, sieht man doch in der folgenden Zeit, wie der
medizinische Hochstand an den holländischen Universitäten und das
ii6 äK!KiS!ßSii5!s<S!iSiKissii5!öi>:sii>:iSiKSS Dkr Körperbau ieiSSiS.^iiKiSiSiJ-JSißäSiOtSiiKiSiCJJKiKSiiOiJKiKJOi
goldene Zeitalter nach dem s[ianisclKii 1-rbfolgekrieg aucli /u einer
solchen Steigerung nicht nur der Fülle des (Jeldbeutels, sondern
auch des l-'ettansatzes geführt hat. wie sie Rubens und seine Schüler
verherrlichen konnte.« Solche und ahnhche l'olgerungen — wie
unsinnig sie auch immer sind - konnten mit wissenschattlicher
Begründung aus malerischem Beweismaterial gezogen werden. Aber
die Schöpfung eines Künstlers ist kein wissenschaltliches Aktenstück,
sondern sie ist getrankt mit personhcher Aultassung, erlüllt \on
persönlichem (ieschmacke. Oder glaubt ihr, daß in jenen slol/en
Tagen der perikleischen Kunstblüte .Mädchen und .Mütter durch
athenische Cjassen wandelten nnt Ktirpern, wie sie der Meister oder
seine Schüler schufen? Ilaben attische Dirnen und Idötenspielerinnen
in der Mehrzahl jenen Korjierbau besessen, den die .Marmorreliefs
aufweisen? Betrachtet euch die Hängebäuche und Schlotterbusen
auf den keramischen Erzeugnissen jener Zeit und die vielen bigurinen,
in denen die Kleinkünstler hellenischer und hellenistischer llerkunlt
das tägliche Keben und die .Menschen jener Zeit schilderten und olt
auch \-erspotteten. ]3ie Kunstler zeigten das (lOttliche im .Menschen;
doch diese göttergleiche l.inienlührung und Silhouette war keine
Kopie eines einzelnen Körpers, wie solche dutzendweise herumlieleii.
Noch heute erkennen wir nach oft geringfügigen \'erschiedenheiten
der Körperbildung, ob Alkamenes den 'l\)rso sehnt oder \ielleicht
Skopas. Der Kanon, wie er im Polvkletschen Sinne zum Ausdruck
kam und als Musterligur galt, ist nicht ein zu Stein gewtirdener
speertragender Jüngling, sondern eine ideale K'omposition, welche
aus der Summe vorautgegangener Schöpfungen und der eigenen
besonderen Aultassung vom Ki'irper sich aut baute. l:s kann mm
deshalb keine Rtjdij davon sein, daß die /eilgenossen dieses oder
jenes Künstlers mehr nach dem einen oder auileren Tx-pus gebaut
waren. Betrachten wir zum Beweise eimn.d die Scho[->tungen zweier
gleichzeitiger .Meister! Konnten sonst .Michelangelos und Ratlaels
Menschen Stralk- bei Strai,k', Haus an Haus zur selben Zeit gelebt
haben? Konnte der eine dieselben .Menschen in krattstrotzender .Muskel-
fülle ihrer kolossalen Glieder malen und bilden, und Ralhiel gleich-
■<>i<>i<ii>:<>:<>:<i<:i<f:<;iig>^^^^^^ Mode äiiOiiS!5!iSSi!S!0!iKJCi!C!<o>:siss<Si>iiSi!>:iSiKSi!0>!SiOt 117
zeitig nur das Zarte iiiul I.icbliclie an ihnen /eigen? Das SclT()nlieits-
idea! des einzelnen Künstlers ist nicht identisch mit dem Schönheits-
ideal einer gan/en Zeit, und in der Sucht und in der Betonung des
Cnrjielisz Ettgi'll'rechtsz A,uht-n, Sueriito'tdt-Mnseum .
Fig. 64. Johannes der 'J".uiter und Magdalena.
(Scluvangerschaftsinodetracht. )
eigenen Stils und eigener künstlerischer l-'reiheit wichen absichtlich
groLk' Künstler von dem ab, was Mode und (jeschmack ilu'er Zeit
war. Und sti müssen wir als zweiten l'aktor bei der Betrachtung
vt)n Leinwandmenschen die Mode in Rechnung setzen. Welche
Kontraste nach dieser Richtung hin bei den verschiedenen \'ölkern
Il8 SKSiiKSSiCiJKJSiCtiKiKiiSJSStiCiSiiSiSiKatiK Der KöRIM KHAI SSiCSiK'ftSßißiOiSiSiiSiöiSStJSSiiSäKieil^JCiJOiiSJK
bestellen, das erkennen wir eigentlich erst in unserem i;ei;"enteiligen
Bestreben, die Disseman/en bei ihnen auszugleichen. \\'ir Irenen
uns, eeleiientiiche Übereinsiininiunuen lestzuslellen. Aber auch ini
Wortbegrifl" der .Mi>de liegt schon ihr steter Wechsel begründet.
Und so iinden wir auch, daß die Körperschilderung von der Mode
abhängig ist. Hs ist der K.nii|M' der graden Linie gegen die
geschwungene, welche im grt)ßeii und ganzen die (irenzen dieser
steten Antagonistik ausmacht. |-inmal ist der Astartetvpus modern,
die enge Taille mit den ausladenilen llulteii und den starken Briisten,
wie er immer wiederkehrt und zuletzt den sogenannten Wiener
Tvpus repräsentierte, ein andermal der hermaphroditische '1'\[his oder
der infantile '1"\|his mit einer \'erneinung oder doch wenigstens
Unterbetonung der Sexualität. K'asteien sich heute wiederum die
Frauen der \erschiedensten Rassen, um den jetzt modernen englischen
und infantilen Tvpus zu markieren, und halten die naturliche Kundung
ihres Bauches mit Panzerplatten zurück, so begeisterten sich umgekehrt
die Zeitgenossen Holbeins an einem gegenteiligen Habitus. Die
Markierung des .Schwangerschaftstv|nis war nicht nur in der Kleidung
und 'J'racht. Sitte und Ideal jener Zeit (siehe die llulbeinsche Zeichung,
Figur 63); man ging darin sei weit, auch im l^ilde .\lärt\rerinnen
und Heilige hochgesegnet darzustellen (siehe b'igur 64). Die Mode
der Zeit übertrug man auf' die Schilderung des nackten Kc'rpers
überhaupt, und der sonst so s\-mpathische .Manuel Deutsch malte die
drei hellenischen (iöttinnen, wie sie x'or i\uis in Konkurrenz stehen,
in der strotzenden Leibesfülle des siebenten .Abmats (siehe l'igur 63
und 66). Und wahrend allerorten die .\hiler der primiti\en Kunst
es lieben, schlanke infantile Korper zu schildern, und namentlich den
ersten Menschen grazilen Körperbau gaben, bemalte Pietro di Puccio
die \\'ände des C^ampo Santo in Pisa nnt wahrhaften Mastmenschen.
Die Hva, welche noch mit tien l'ül.k'n in der Seile .\dams steckt,
ist ein Koloß. Beide erfreuen sich noch einer höchst unmodernen
Fettfülle, als sie von Michael aus dem Paradies vertrieben werden.
Auch hat hier der .Maler die Lva nht den ausgesprochensten
X-Beinen begabt, die aber weniger die bolge schlechten Wachstums,
SSiKStiOiJSiSiiOiKSIOiSiCJiSiOiiCiiKiSJOiiSiiSiOtKSSiJOiiSSi Modi; Si»:<K»:<5iO!iKiK!0>JSSiiS«»;iC!!0>iCiKX»ii5!SXS!ti>::« 119
als einer akut aiillreteiKleii Schainliafti^keit sind. I'ine leine Nalur-
heobachluni; des Malers ist es aucli, daß der leiste Adam, aus dein
.\7. (i/.JS Manuti Ü, J:.:sfi'
Fig. 63. Da.s Paii:>urtcil. (.Schwangerschaftsmode.)
Paradies vertrieben und der Wu iiehorchend Ackerhau treibend, jetzt
sein Embonpoint verliert und dünne Waden bekommt.
Hduard Inichs hat in seiner illustrierten Sittengeschichte darauf
hingewiesen, daß die liintührung des Absatzes am Schuh, so unter-
geordnet das zunächst erscheint, im Rahmen der körperlichen
I 20 äCSäCttSiCtjöäSiCiiSiCiSiiKiKäSSiSiiCi.'SiCSäKJK DeR KÖRPERBAU i0tiKiO!iK!K.*>;!C>JOt!C>:!K!KJSJ>:iKJ5iißJSJ5!i0J!Cii>:ißiK
Bekleidung eine re\H)lLitii)näre Tat sei; eine neue 1-poche der l'rasen-
tatiiMi des Kurpciiiehcn liahe sich hierdureh cingeleilel. Diireh den
Absatz am Schuh sei die KcirpcrhaltunL; verändert, der Raucli gehe
hinein, die Brust heraus. Um das (ileichgewicht /u erhallen, nniß
der Kucken einge>iOgen werden, und djdurcli marldcre sich das
Becken; weil die Knie durchgedruci^t werden nuissen, wird die
gesamte Haltung jugendlicher, der
vorgestreckte Busen erscheine strot-
zender. .Mit anderen Worten: der
Absatz sei eine rallinierte l-rlindung
zur Betonung und zur Bloßstellung
der Sexualität. L'nbewul.k hätten auch
schon antike l'lastiker die Absatzfuß-
stellung, das heil.U gesenkte Fußspitze,
erhobene Hacken, be\orzugt, so bei
der \'enus kallip\ge)S. Auch das Bei-
spiel der »drei Cirazien« des Rubens
luhil luchs an.
Ohne Zweifel verdient diese An-
regung des gewissenhalten und ern-
sten Autors auch vom medizinischen
Standpmikte aus eine Würdigung.
Der Absatzschuh beginnt seine Rolle
.v,-w/»j .)/«„,<,•//',■».'« // Ä,,s,/ mit dem Airsgang des sechzehnten
'^'' "■ Jahrhunderts, bis ilahin kannte man
nur die Hache Sohle. I^och auch der Absatz hat seine \'or-
geschichte. Angeschn.dlteii Untersätzen begegnete man in ver-
schiedenen Ländern. In \'enedig sollen solche nn'lunler zwi)!! bis
fünfzehn /oll hoch gewesen sein. Sie dieiUeii verschiedenen
Zwecken. Zunächst wohl um dun besser gekleideten la-auen den
Gang durch grundlosen Straßenkot iiberhaujH zu ermöglichen,
sodann aber auch naturgemäß der j-igur eine majestätische Hal-
tung zu geben. .Allmählich wuchs der Absatz zu einer Ciröße,
wie wir sie am Stockelschuh Ludwigs .W. bewundern koimen.
jCiiOiSiiKißSiJCiJJiiJtJSSiJCiJßJOiißiOtiSiOiiKJiiSiiKiOiSS Der Absatz ssssiKJßiKiKiOiJKJKiCtiJtJSiKiKiKäßiKiOiiCisessss 1 2 1
Casan(.)va wunderte sich einmal über die Ki)rperlialtung der Iranzo-
sischen liotdanien, die nielir einem Hupten in halbhockender Kan-
guruhstelluni; ähnlich sei. Mit der Inthronisation der l'rau als
t)berste Gottheit "elan^tc auch der Stöckelschuh zu seiner Höhe.
c,,,/
Fig. 67. Die Kurtisanen.
Als die Gesellschatt zusammenbrach, die dieser Religion gehuldigt
hatte, verschwinden auch die grt)tesken 1-ormen des Absatzes. Aut
unserer Abbildung sehen wir solche Stelzenschuhe (siehe Figur 67).
Das Gemälde stellt Kurtisanen vor, wie sie sich aut dem Dache ihr
Haar durch die Sonne bleichen lassen, wohl unter Einwirkung von
Henna und Q.LUttensatt. Die Revolution stellte die l'rau wieder auf
ihre natürliche Basis. Die Mode verschwand aber nicht, sie kam
122 ?S<S.«<C!<SSi«iKSiJKSiSiiiKiK!ßSiiKSiiKi« DeR KÖRPERBAU ^SOsiOiiOiiCSSCiiCiSCSiCiiKiKiSSiKiCiiK.^iSi^^iSiCSlCti:;
immer wieder, wenn die Tendenz der (jesellschall und ihie Lebens-
inleressen jener Zeit ähnellen.
Ohne Zweifel präsenlierl sieh der Körper mit beselniluen l'iilk'n
auch noch in den mäßigen (irenzen unserer jetziijen Mode und
jetzt i;erade kiMiiien wir wieder ein Ansteigen des Absatzes kon-
statieren - uanz anders wie mit nackten Solilen. Die (ileich-
sewichtslaire verschiebt sich vollkommen, und diese veränderte
Balance muß in einer veränderten Silhouette ztmi Ausdruck konmien.
Ich habe versucht, diesen dvnamisch mechanischen Waiiältnissen am
Lebenden näher zu konunen, weil jegliche wissenschaitliche \\)r-
arbeit fehlt. Die .Mechanik der Skelcttverbinduni; ist außerdem viel
zu kompliziert, um ohne weiteres den empirisch i;elimdenen An-
schauungen von buchs eine wissenscliallliche Stiitze zu i;eben.
Man wird nicht zu weit vom Ziel abkommen, wenn man diu'ch
den hohen Absatz eine scheinbare Walängerun-; und .Streckim^ der
Wirbelsäule und damit die Streckung der Wellenlinie anerkennt. Doch
dies im wesentliclien bei der bekleideten, nicht bei der nackten Iran.
Denn bei der .Mehrzahl meiner Heobachtunyen tritt der Ausgleich
der verschobenen Schwerlinie schon im Kniegelenk ein. Dies und
namentlich auch die \'erlagerung der Kichtungslinie nach vtirne gibt
dem Korper dann die getällige schwebende Haltung. Alle diese
.Momente sind auch \om Künstler intuiti\' erial.U, ebenso wie der
Turner in seiner schwebenden Haltung am Reck eine lorcierle
Streckung des Imßes anstrebt. Umgekehrt gibt der Xacktkiß der
Körperhaltung eine steife und starre Haltung. Der KorjK'r wird
getragen, er schwebt nicht. .Akzentuiert sieht man den Unterschied,
wenn eine Belastung eintritt. Bei rheinischen und italienischen Bäue-
rinnen, die schwere K()rbe aul dem KojiJe tragen, sieht man dami
die Kompression der Wirbelsäule imd ihre Folgen, X'erlagerimg
der Schwerlinie nach hinten, \'erkin-zung dei' Wirbelsäule und
namentlich ein grobes ilervorpressen des l^auches. Hin durch Gene-
rationen fortgesetzter (jebrauch des hohen Absatzes sollte geeignet
sein, am Skelett Veränderungen zu hinterlassen. W. A. Freimd
bemerkt, daß die nach ihm genannten akzessorischen delenkgruben
jKiKSiiCiSiiCiSiJCSißiJiiOiiOiSiJOtiKiviJOiiCiSiißiOiStSiiS Tkaditiox «JiSsJKJßiKJJtSiäCSiliJCiSiJOtJOiJOiiKJCiiKJKiSiOiJßJK 123
am Kreuzbein, die bei militärischer Haltung; namentlich beim Xackt-
tuß durch W'rlaneruni; der Schwerlinie nach hinten besonders in
Anspruch genommen werden, also auch namentlich beim infantilen
Körper, zuletzt von Vesalius markiert wurden. Sollte diese inter-
essante Tatsache mit den Schuliverhältnissen in Beziehung gebracht
werden können?
So sehen wir den dauernden Kampf zwischen Künstlerstil, das
heißt eigener personlicher Aullassung, und der großen Massen-
suggestion: der Mode. Zwischen diese beiden großen Gegner stellt
sich aber als leindliche Macht die 'b r a d i t i o n. Wir haben es schon
gesehen und werden es im weiteren noch vielfach erkennen können,
daß dieses Beharren der Darstellung an überkommenen Motiven,
namentlich auch in der alteren deutschen Kunst, ein Faktor ist,
welcher die Datierung von Kunstt'bjekten ott so erschwert. Heute
noch malen russische Kirchenmaler im Geschmack und Stil des alten
Bvzanz. Immer kehren einmal gegebene Motive wieder. Hin Kutteln
am Hergebrachten gilt als sündig wie der \'ersuch, kirchliche Ge-
wohnheiten zu verändern, hnmer weiter hinauf lassen sich einmal
akzeptierte Haltungen und Gebärden \erfolgen. Der Anatom Peter
Camper sagt in seinen \'orlesungen über die Schönheit der Form,
daß es keine beständige Schönheit gäbe, die sich aus der Proptnlion
der Teile ableite; sie hänge vielmehr ab von der Gewohnheit des
täglichen Lebens, von der Autorität der zünftigen Künstler und \'on
Sitte und Geschmack des Landes. An anderer Stelle tadelt er seine
Landsleute, die aus ALmgel an Erziehung allein der reihen Natur folgten.
Alle diese perstmlichen und allgemeinen X'erhältnissc, welche
eine Schöpfung aus sich selbst heraus erschweren, und die geeignet
sind, unbewußte Fehler und Korrekturen des wahrhaftigen Natur-
bildes zu veranlassen, sind für uns eine ALUinuni', solche "emalten
Dokumente nicht im rein medizinischen Smne zu verwerten. Die
positi\e medizinische Wissenschaft kcimmt bei diesem l-estschmause
zu kurz.
Ab und zu mag ja für sie auch ein Bissen vom Tisch abfallen;
alle jene Diskussionen, die oft mit erregter Stimme geführt wurden,
124 30EäS?S!K«»i«JKS«<S!S<o><OtiC><c>-s:«:«sti>:ät Dkr Körperbau äKäiiCiiKJSiSJKJSiKiciJCSiKSi-o-ißjSStJKJSiOtiO'i«-'?!
ob dieses oder jenes Bild diese oder jene Kraiiklieil sehildern solle,
sind nut/K's und hinlallii;. Derartiger Streit ist nur geeii;net, den
wirklielien Werl dieser Studien, iiainlich den rein inedizinhisloriselien,
herabzusetzen. Demi wohin käme unsere hohe diagnostische W'issen-
schalt, wohin unsere Therapie, wenn wir mit den IKnideii auf dem
Kücken unsere Diagnose stellen mül.sten ausschließlich aus dem Status
einer Mächenansicht! ballen denmach komiilizierte pathologische \'er-
änderungen \on selbst schon lort, so bleiben \ielleiclu die llaut\'er-
änderungen übrig, (iewiß. manches ist hier einwandirei diagnostizierbar.
Aber gerade dort, wo es tms darauf ankonnnt, Dillerentialdiagnostisches
zu leisten, versagt das gemalle Bild, wie ja selbst eine kolorierte
Moulage das Krankheilsbild nicht restUis auflegst. Die Palpation hat
ihr verbrieftes Recht. Hin Beispiel nur, welches \on Interesse ist
mit 13ezug auf spätere Auseinandersetzung: in den Tagen des Zustroms
Syphilitischer aus allen Weltteilen zwecks der Sierilisatio magna kam
auch ein Mann mit tmiversellem i:\anthem in meine ßehandlimg,
der schon vielfache spezifische Kiuen durchgemacht hatte. Das Aus-
sehen seiner Ilauleruplionen glich in dem MaLk' den syphilitischen
Exanthemen, datJ erst der Befund der vi)llkonniienen Anästhesie der
blecken die richtige Diagnose Lepra brachte.
Lud selbst dann, wenn die ausgesprochene Absicht des Künstlers
aus dem \'or\vurf des (jemäldes ersichtlich war, zum Beispiel einen
Leprösen zu malen, so konnte doch die Lues dem Maler Modell
gesessen haben. Das alles ist nun auch derdrund, weshalb wir in
unseren J3etrachtungen dieser gemalten Krankheiten das rein .Medi-
zinische mehr in dun 1 Untergrund treten liel.k'ii uiul den historischen
Standpunkt betonten.
SCHWA14GEKSCHAPT UND GEBURT
Durch diu Betrachtung der Mode werden wir nnwillkürlich zu
der Körperveränderung der brau hinübergefuhrt, welche xom
malerischen Standpunkte aus ohne Zweifel das J5indeglied zwischen
JOiiKSSiOtJKJKiKiCiiOiiOtSKJOtiOtSiiKSSäKJCi ScuwANt.l.KSLUAI T UND Geburt SKiStiOtSiiCiiKSiiSSiJSSiSiJSJOtJK i 25
Gesundheit und kraiikhaticr l:nlstclluni; bildcl. \\"\v sahen bereits,
daß absichtlich und auch als unbewußte Kopisten der Xatur Künstler
die ersten Monate der Schwangerschatt in der veränderten borinen-
fülle auf die Keinwand brachten. Neben van \i\ck und Manuel
Deutsch können wir noch aul" einige badende l'rauen Renibrandts
Fig. 6S. La donna gr.iviJa.
hinweisen. Wirkt hier die gesteigerte Gewebsspannung und die
strotzende Körpertülle noch ästhetisch, so ändert sich dies Bild in den
Tagen der Erfüllung. Der Kliniker, der allein W(^hl (ielegenheit hat,
die in den letzten Wochen aufs höchste gesteigerten \'eränderungen
zu studieren, welche die bevorstehende bjitbindung hervorrutt, betont
schon als b'rühsvmptonie die koloristischen Veränderungen am Korper
der Frau, die bläulichen \'eränderungen der Haut und .Schleimhaut
126 3KSJS?SS>K<5ieiiöiC>S>?>?SS?!CSSf SCHWANGERSCHAFT UND GeBLUT JKiOiSSiCiiCiiKiCiiOiSCiiSiOi^^äEiCSSCEiCSiK
durch ihre venöse CbertiiUung, und vor allem die dunklere Pi^inen-
tierung, die oft auch lleckentörniig autlriu, vor allem aber auch die
charakteristischen Veränderungen im Gesicht; diese, so geläufig sie
auch dem Mediziner sind, so schwer sind sie delinierbar. Raffael
hat in der Pittigalerie (siehe h'igur 68) das leicht \'ersch\vommene,
Nachdenkliche dieser Züge so meisterhait aut der Leinwand test-
gehalten, daß ein geübter brauenarzt sclum allein aus dem Antlitz
jener brau die Diagnose aut Schwangerschatt stellen würde. Die
linke Hand in ihrer tleischigen Fülle, ebenlalls ein iein beobachteter
Begleitzustand, bedeckt den hochschwano;eren Leib.
Die Sucht, Aut lallendes, nie (jcsehenes ans Licht zu zerren,
gab modernen Malern den Mut, gelegentlich das barbenspiel und die
Formen\eränderung dieses Zustandes zu schildern. In der klassischen
Malerei waren es \or allem zwei Motive, welche die Darstellung
der Schwangerschatt innerlich begründeten. Ls ist das der Besuch
der ALnia bei Llisabeth und die Lntdeckung der Schwangerschatt der
Xvmphe Kallisto durch Diana. Man nuU.'i vom (jeiste der klassischen
Mythologie erlüllt sein, wenn man beim dang durch die CJalerien
Italiens die \ielen Motive aus der Antike verstehen soll. Am besten
wäre schon, wenn man wie tür die Heiligenbilder einen C^ode zur
Hand hätte mit den erklärten Attributen. Es scheint mir nun den
Wert einer in sich geschlossenen Darstellung auszumachen, wenn
der \'orwurt auch ohne geschichtliche Analvse sich reizvoll gestaltet
und auch dem nicht historisch (jebildeten etwas sagt. Das ist aber
leider nur selten der ball. Und so sinkt das \'i\eau der bildhatten
Darstellung zur Illustration.
\'or und nach Tizian tinden wir vielfach solche Kallistobilder.
üvid hat nn't besonderer L'reude in seinen .Metamorphosen die
Geschichte dieser überrumpelten Dame airs dem Gett)lge der Jagd-
göttin geschildert. Daß der schlaue (iriechengott sich der im Walde
Schlafenden, übrigens in (iestalt und .Maske der herrlichen Diana
selbst nähert und sie durch Küsse und scherzhatte Spiele zunächst
geneigt macht, ist auch ein Zeichen nicht mißzuverstehen. »lila
quidem contra, t]uantum modo temina |iossit - (Aspiceres utinam.
äSJOtSKä5iß.<iiOiJOtiXiK!S.<s.<>:siSiKSS':io>iKJC>!KS>:iS!5i<c? Kallisto äOääs&iiKiK^iiKiCiSiJO'JKiOiSiiO-ic«»:»:»!!^;«!!«'«!« 1 27
Satuniia, milior esses) — lila quidcni pu^iial: scJ qiiac supcrarc
puclla, Qvisvc Kn'ciii [lotcratr supcrum pctit aclhcra \ict()r.((
Diesen Kanipt der plötzlich zum Manne erstarkten Diana mit
der auts äu(.V'rste sieh \\'ehrenden hat die Kunst uns versaut. Ahm
Phot. Haiifslaen^l
P,„,i,'. Madrid.
Fig. 69. Diana und Kallisto von Tiziano Vectllio.
(Die Entdeckung ihrer Schwanfierschaft.)
hat es vorgezogen, die Entdeckung der Kallisto imd ihre Schwanger-
schatt zu malen heim Rade in der heiligen Quelle. L'nd da es dem
Künstler in erster Kinie darauf ankam, hier in hewegter Stellung
schöne nackte Gestalten zu malen, so rückte man die Ilauptdar-
stellerin dieser TragiktMiiodie, die schwangere X'xmphe, der die
Schleier vom Leihe gerissen werden, in den Ilintergrimd. A\'ir
dürfen nim von einer klassizistischen Schule nicht erwarten, daß
der Maler bestrebt wäre, die Schwangerschaft der Nymphe durch
128 3K3SäK3KäK5Käi?ßiOi<OiiOi'«>CiSiiSi ScHWANGKKSCHAFT UND GeBURT ä0i!CiiK!0><C>iS!C>S>'Oi<5tJ0'<SS(<0><5!:«S>St
eine vcraiulcrlc Krirpciiorm zum Ausdriick /u bringen. liin
nuKlcnicr M.ilcr würde ohne /weilel im Siime realisliseher Korper-
scliikierung wenigstens andeulungsweise einen \'ersueli nach dieser
Richtung gemacht haben. Aut 'l'i/ian X'ecehios (ienudde aus dem
Pradonuiseum in Madrid und aul ahnhchen Darstehungen , wie
sie beinahe in jeder größeren (jalerie xorkonnnen, rückt der Künstler
die sich Sträubende in dun Hintergrund und zeigt ims eine \'er-
samndung üp|Mgster Weiber. Ohne bjkKirung ist somit die ganze
DarsteUung unverständhch (siehe Fig. 69).
Die charakteristischste \'eränderung erleidet in dieser Zeit die
weibliche Brust. Wo nahm aber ein Maler den Mut her, die Brüste
der Madonna so zu malen, wie sie in Wirklichkeit sind, mit
dem handfliichengroßen braunschwarzen Hole und der ausgesogenen
.Manmiilla? Wollten spätere ( jenerationen aus diesen Darstellungen
medizinische Schlüsse ziehen, so würden sie denselben beider machen,
als wenn wir aus den antiken Plastiken dun Schluß zögen, daß die
Hellenen alle Phimosis gehabt hätten.
Häufiger noch als aut realistische Schilderungen der Gravidität
stol.k'U wir auf malerische Darstellungen des ( jeburtsak tes. Es ist
nun klar, daß diese heimliche heroische Tat der brau, ins Malerische
übersetzt, nur allegorisch autgetaßt werden konnte, l's wird be-
hau(itet, daß die acht Wappenlelder an der Pilasterbasis der Säulen
des l^aldachin in San l'ietro in Rom Jk'zug nehmen aut die dauernd
wechselnde Phwsiognomie sowohl des Praueiiantlitzes als auch des
P'rauenleibes wahrend der Xiederkunit. C.urätulo"'') berichtet nach
Hare**), daß eine Nichte des i'apstes Urban \'lll. Barberini in
ihrer Schwangerschalt gelobt habe, diesen Sockel /u stilten. idne
andere \'ersion aber meldet, dal.^ der spottsüchtige Künstlerlürst
Bernini, der Schöpfer dieses berühmten Tabernakels, in großer Leiden-
schaft zu einer Xichte des Papstes L'rban aus der Pamilie der Barbe-
rini entbrannt sei uml um ihre Hand angeballeii habe. Der Papst
aber habe die eheliche \'erbindung des \on ihm zwar hochgeschätzten
•| Die Kunst der |uno I.iicina in Rom. l'criin iyo2.
•*) J. C. Haro, Walks in Korne, .S. 579.
Künstlers bürgerlicher llerkuntt mit seiner Xichte \erhindert, luul aus
Rache habe nun Hernini die natürhchen Folgen seiner Beziehungen
zu dieser Dame \'ere\vigt. Die Außenflächen der vier gewundenen
Säulen, welche den bronzenen Thronhimmel stützen das Material
nahm man einfach vom l'antheon , tragen acht \\'a[-)[-)enbilder
der Barberini. Die gewölbten Mächen dieser Schilder mit den drei
Bienen benutzte er, um die bei der Geburt sich verändernden
\W'ilbungen des Bauches zu nKU'kieren; und über diese bildete er
eine bolge von Gesichtern eines Weibes, in deren Mienenspiel sich
die jeweiligen W-ränderungen beim Gebärakt markieren. »Denn das
Antlitz der Frau ist voller Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen;
wenn sie aber das Kind geboren hat, denket sie nicht mehr an die
Angst« (Johannes Kap. 16, 21).
x^n der Stelle der Wappenunn'ahnumg, mit dem zuletzt glück-
lich lächelnden Frauenkopt, befindet sich auch zum Schluß ein kleiner
Kindskopf. Besucher der Petrikirche werden mit nur einige Schwierig-
keit haben, diesen ziemlich taktlosen Bildhauerscherz herauszulesen.
Die Abbildungen der unter ungünstiger Lichtgebung genommenen
Aufnahmen bei Curatulo versagen vollkommen.
Vor Jahren erwarb ich einmal eine Riesenleinwand, welche die
nach einem verschollenen Karton des Michelangelo gemalte Kopie
einer Leda mit dem Schwan darstellt, lüne Radierung aus derselben
Zeit konnte die Authentizität feststellen. Flier sieht man aber mehr
als bei der Plastik des Meisters und den zahlreichen antiken Arbeilen,
die nur die Schilderung des dramatischen Momentes bringen. Ähnlich,
als auf einem dem Leonardo da \'inci zugeschriebenen (jemälde in
Neuwied (im Besitz des Fürsten W'ied), sehen Kastor und Pollux,
eben geboren, diesem erneuten Akt unter verständnisvollem Lächeln
zu; vom Schwan ist nichts mehr zu sehen. Das W'iedsche Bild
zeigt das Aus-dem-Ei-Kriechen dreier Kinder, ein viertes hat die
Halbknieende auf dem Arm. Dieses vierte Kind vom Zeusschwan
habe ich mvthologisch nicht feststellen können. Aber auch auf'
meiner Leinwand wird außer den zwei sich des rosigen Lichtes
schon freuenden Kindern noch links unten ein großes, eben gelegtes
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei 2. Auflage. 9
130 äKäCSä5äSäKä«.äKS8JKJ5iäK3K!K3KäsScHWAN(;i HsrTlAlT r\n Geburt SßSiSiStJJtiKJOtäliXitäCSiKäKSSSiiSSSJCiiS
Ei siclubar, und der ZcussL'hwan cr^lu
medizinhistorischen Standpunkt aus ist
iTör füt H05 pic5$ nc Houe tmwe
l£t nniUtu natföH^rit ^crtörte
^ufqufl fong tcmpe cf a gcanf pörnc
i
^SceSotifeure t^tttfantcmcnt
,tuie
^Cuc Eomifcceöc na;
;Ccfl6eboufcucS;a^je coögnoiffartcc
In in erneuter Brunst. N'oni
nun dieses lii \on Interesse.
Wahrend Leonardo da
\'inei die nntholo^ische
Szenerie mit richtiijen
\'ogeleiern ilhistriert,
aus denen nach Art des
kleinen Hühnchens nach
geborstener Schale die
Kinder herauskriechen
und sich entwickeln,
mall Michekuigelo ein
durchsichtiges Hautei.
Die Lage des in diesem
Li eingeschlossenen
Embrvos ist einiger-
maßen naturgetreu ge-
schildert , keinesfalls
Vergleichbarden phanta-
stischen Schilderungen
etwa gleichzeitiger wis-
senschaftlicher Publi-
kationen. Betrachten
wir doch nur einmal
die Illustrationen im
berühmten »Rosengar-
ten«. Der Wormser
StadtarztLuchariusRös-
PaHs. .\anc„aii>iti.y.22.,q. jj,-, scliilderl die Kinds-
Fig. 70. Gc'burtszene.
Seite aus Passe temps de touts hommcs et de toulcs fcmmts. lagen noch ganz Uli
'^^ '■'"" Siil mittelalterlicher Per-
gamentminiaturen: die Kinder schwinmien da in dem Uterus wie
in einem Glase mit Spiritus. Xoch (jet)rg Bartisch, der verdienst-
volle Praktiker, illustriert in seinem Kunstbuche 1373 in ähnlicher
äSiOiSiJCiiKJCtiSiJtiOtiCiiKSiSXiSiOtiOtJSi'ytSiiOiSiiSiOt Gnadkmiii di k ■OiSiiSiKJOiiOiJCiSiiCiiSißJO'SiiOtJOiiOiSiSiiCiJSiK Ijl
Weise. Das Kind sit/l in seiner Hohle wie aul einer Bank nnd
hält verschämt seine Händchen \ur die Augen*).
Pachinger hat in seinen Darstellungen der Mutterschalt aus
Malerei und (iraphik**) einer ganzen Reihe Schwangerschat'tsdarstel-
lungen sein Interesse zugewandt, welche von religiösen Malern des
siebzehnten und der ersten Haltte des achtzehnten Jahrhunderts
stammen und die Heimsuchung Mariens verköriiern. Von größerem
medizinhistorischen Interesse aber sind die zahllosen kleinen Kupfer-
stiche und Holzschnitte, welche als Hinlegeblätter iür (jebetbücher.
Fig. 71. Rebekka gebiert Jakob und lisau.
Von Etienne Delanne fjcstochen.
als Titelblätter und auch als Heiligenbilder überhaupt die gnaden-
reiche gesegnete (jottesmutter darstellen. Ott sind es Kopien
berühmter Gnadenbilder, meist steht als Vordruck »ein Gebet tür
schwangere Weiber«, »ein schönes Gebet zu Unserer Lieben brau
mit dem schwangeren Leib«, oder das Gebet einer schwangeren
Mutter zu der schwanger gehenden Mutter Gottes .Maria. Auf dem
eigentlichen Bilde, das meist im prunkvollen Jesuitenstil gehalten
ist, linden wir aut der Höhe des schwangeren Leibes ott den
Namen des kommenden Lrlösers inmitten einer StrahlengK)ria. Statt
•) Geschichte der gynäl<ologisch-anat(jmischen AMiildung von Dr. Fritz Weindler,
Dresden igoS. (Figur io61j.i
**J A. M. Pachinger, Die Mutterschaft in der Malerei und Graiiliik. München 1906.
132 3K-e«!!0ti«<5SiS>!SiSJS<ß<SiC!S5 SCHWANGERSCHAFT UND GeBURT 3K!CE!Ct!Ci)Cii;t!:i!:!S>:!>:^iSii;!^iS!OE3S3K
dieses Svniboles aber lassen die tür das gemeine \'olk gearbeiteten
Blätter, wie zum Beispiel das Hinlegeblatt des Cinadenbildes zu Jkigen-
berg, statt der Inschrift einen ]<lcincn linibryc) sichtbar erscheinen.
Xacli l'achingcr gibt es sogar Darstellungen der Heimsuchung
Marias, auf denen nach des Hvangelisten Lukas Angabe (Kap. i, 41):
»und als Elisabeth den (iruß Marias hörte, hüpitte das Kind in ihrem
Leibe«, Johannes im .Mutterleibe hüpfend Geige spielt. In den Kreis
dieser Schwangerschattsdarstellungen gehl iren noch die Abbildungen der
Palrone der (iebäreiiden, zu denen in erster Linie der heilige Ignatius
von Lovola, der heilige Llvacimhus und der heilige Antonius von Padua
gehören. Sanctus Expeditus, unter dessen Statue man noch in unseren
Tagen in der Rue de Sevres Xr. 27 in Paris ein lebhaft gehendes Ge-
schäft mit Amuletten tür schwangere brauen und holiere Töchter be-
trieb, und lür dessen Wunder über Wunder die zahllosen \'otivtaieln
und Widmungen zeugen, hat mittlerweile durch Pins X. selbst ausge-
wundert, denn die Ritenkongregation hat in ihrer gründlichen L'nter-
suchung festgestellt, daß die Existenz dieses Heiligen nur aut einem
Wortspiele beruhte: expedit er bringt rasch zustande. Dargestellt
wurde er als riMiiischer Krieger, der in der Hand ein Kreuz mit der In-
schrift »Hodie« hielt, während sein Fuß einen Raben, der verzweiielt
»cras« krächzt, zertritt. Pachinger bildet Seite 187 sein ganz in der
Manier des'Liepolo gemaltes Heiligenbild ab. Zu seinen L'ülk'n sieht man
eine ganze Reihe von Koffern und Kisten, die der »l'xpedilidn« harren.
n den seltensten 1-älIen ist der dramatische
xMomein des Geburtsaktes gemalt worden.
Das ist ganz natürlich, das (iegeiiteil wäre
auttällig. Obwohl die Kirchengeschichte sonst
jede einzelne Phase des ALirienlebens zum
Beispiel illustriert und obwohl sie unzählige
^ Wochenstuben gemalt hat, ist der Moment
des eigentlichen Geburtsaktes mit Stillschweigen übergangen worden.
Erklärungen hierfür zu geben erscheint \olIkommen überflüssig. Wenn
aber einmal die lintbinduiiL; selbsl neinail wurde, so lai; immer ein
mebr oder wenii^er besonderer und eigentündicber (iruiul xor. Dieser
ist aber lür uns meist vom bisloriseben Stand|ninkte aus willisommen.
Im übrigen ist aucb in rein medizinischer Hinsicht jede alte (jeburts-
darstellung wichtig, weil wir aus ihr die Stelhmg der Gebärenden
und die eventuell X'orhandeiie Assistenz einwandlrei kennen lernen.
Im zweiten Huch Moses Kapitel i, i6 beliehk der Agvi>terkonig
den hebräischen Hebammen, die eben geborenen Sohne zu toten, die
Töchter aber am Leben zu lassen. Da-
bei wäre zunächst zu übersetzen: »Aut
die Steine sollt ihr sehen«. Hierin eine
Anweisung zu erblicken, nach der man
die männlichen Kinder von den weib-
lichen unterscheiden st)llte, wäre olien-
barer Unsinn. (iemeint ist vielmehr:
»noch aut dem Gebärstuhl (der aus stein-
hartem Nilschlamm gemacht war) sollt
ihr sie toten«*).
In der »Plastik und Medizin« habe
ich mich auch mit der Geburtsdarstellung
beschäftigt und eine antike Eltenbein-
schnitzerei, welche aus Pompeji stammt,
publiziert (Seite 270, Figur 165). Dort
ist eine auttallende Stellung der Frau geschildert: sie sitzt auf einem
Stuhl, hat den linken Arm rückwärts geschlagen und hält sich am
Halse einer hinter ihr stehenden Person lest, welche ihrerseits wieder
mit ihrem linken Arm aut den Bauch der (iebärenden einen Druck
oder eine streichende Bewegung ausübt. Eine größere plastische
Darstellung schien uns die Antike nicht hinterlassen zu haben. Ich
sprach aber die Hotinung aus, daß sich doch \ielleicht einiges
linden möchte. Aut (irund dieser Mitteilung nun hat brau |ohanna
Fpple (München) ein in ihrem Besitz betindliches hellenisches l'rag-
hu />Vi/7c rtut l'rau JippU, Mmuhen.
Fig. 72. Gebiirtsdarstellung.
Antikes hellenisches Relief.
•) Spienelbery, A^yptologischc Randglossen zum Alten Testament. Straßljui;^ 1Q04. S. 19.
1 34 ?KSiS!?>:?>:!C?iC?<?!o:-!S!0t?>!KiC!!e5 Schwangerschaft und Geburt SKiCücSiKJiüOiSiiSiCJSSXüiCisSiKiCtiSiCüK
mcnt des \icrlcn jalirluiiuicrts rkinii; erkannt und für mich phou-)-
graphiercn lassen. Die Archäologen waren sich über die Deutung der
sonderbaren Stellung nicht im klaren. Auch hier sitzt die (iebärende
ortenbar aut einem steinernen .Stuhl; die Haltung des linken nach
oben geschlagenen Armes ist nicht nur identisch mit der auf der
Elfenbeinschnitzerei dargestellten, sondern bei den Preßwehen eine
otlenbare lirleichterung und ein
\-orziiglicher Stützpunkt, lünen
weiteren in seiner Xaivität und
Selbstverständlichkeit überaus will-
kommenen Beleg für diesen Kunst-
ausdruck der Geburtshilte im Bilde
fand ich aut einem etruskischen
Spiegel, der die Geburt der Minerva
darstellt. Die (jöttin ist bereits
halb aus dem Haupte des Vaters
geboren; eine hinter dem Cjötter-
vater stehende ülvmpierin drückt
hellend dessen Leib. Genau wie
jakob Rueil in seinem schon
lustigen Trostbüchlein (Zürich
1334) es empfiehlt: »doch soll
eine geschickte Frau um diese
Zeit hinter der schwangeren h'rau
stehen, sie mit beiden Armen
umgeben, sie geschicklich und höflich drücken, solange bis dem
Kindlein von der Wn geholfen wird« (sielie Figur 72 imd 7^).
Eine Entbindung auf dem Stuhl in klassischer Zeit hat Gibelin
für die Xouvelle Fcole de Chirurgie zu l'aris gemalt. Aus unserer
Figur 74 ersehen wir die Situation. Ein beinahe nacktes Weib sitzt
auf einem Stuhl und wird xon hiiuen von ihrem Manne gehalten,
der aber selbst so entsetzt ist, daß er die heftig Gestikulierende
und Schreiende kainn beruhigen kann. Der zu I'ül.k'n knieende Arzt
entwickelt soeben gerade das Kind. I'ine .Matrone naht sich mit
I'is:. i\-
136 äKiCiSiiSäiSiiSiSSitSSiSiKiSiOtiK SCHWANGERSCHAFT UN'D GeBURT SS!CiSi<>:Sti5>S!S!i>:<l!iC>:S!iO>ißi>:iO>SiJK
I.L'inwand und l^indcn. Aul" einem Drcihil,^ wird llol/kohlc ver-
brannt. Im 1 liiuerurunde wehrt eine junge l'rau einem Mädchen
und schickt die ni)ch halh KindHclie weg.
Eine interessante Miniatur hesitzt die XationalbihHothek aus
dem Besitz der Louise \on Savoven, der Mutter l'ranz 1. Dieselbe
ist von 1:. \\'ickersheimer zum erstenmal veri)llentlicht worden*).
\\'ir entnehmen von dort die Abbildung (ligin' 70). Das etwas
groß geratene Kind ist soeben geboren worden; es befindet sich
noch in X'erbindLnig mit der .Mutter, wenn man auch den Nabelstrang
nicht erkennt. Die Mutter sitzt angezogen aul einem Stuhle und
wird von hinten gestutzt; vorn kniet eine Wehmutter. Der -Stuhl
selbst ist nicht sichtbar, wird aber mit Wahrscheinlichkeit wegen
der Stellung der Patientin Norhanden gewesen sein. Im übrigen hat
Wickcrsheimer schon darauf hingewiesen, dal,^ der Künstler, der diese
bunte Illustration zu dem Buche »Passe temps de touts hommes et
de toutes temmes« gemalt hat, auch diese ganz im Stile imd mit
der Phantasie der anderen Abbildungen komponiert hat und daß sie
deshalb wenig medizinhistorischen Wert besitzt, ledenlalls sind
tür unsere Zwecke aus dieser Zeit die bekannten Abbildimgen aus
Roslins Ilebammenbuch \'on größerem Interesse.
Dasselbe gilt von einer häufigeren (jeburtsabbildung, bei der das
historische Interesse ganz im Vordergrunde steht. Wir finden nament-
lich im sechzehnten Jahrlumdert mehrhich Bilder vom Nieder-
kommen der sogenannten Päpstin lohanna. \\'ir wollen aul den
Gegenstand als solchen nicht eingeiien, da uns nur die Darstelhmgeii
interessieren. Ihnen allen ist inniier der .Moment der Sturzgeburt
gemeinsam. Daß hier die reine Phantasie, \erlührt duvd] politische
Schmähkunst, Orgien leierte, das können wir schon aus ileni Mug-
blatt ersehen, xon dem nur noch eine Hallte erhalten ist. Der
Künstler hat es noch nicht einmal versucht, an dem soeben ge-
borenen Papstkinde die natürlichen Xabelverhältnisse anzudeuten.
Diese päpstliche Sturzgeburt war ein Lieblingsthema der satirischen
&
*) Nouvclle Iconographic de la Salpctricrc igo8.
SßiCiSiiSiKiCsiSiSiiSiSiOtiKiSiKKXJOiJOtiKSiiOiJKStJK»^ L KZGEBURTiSiSiKiKJSiCiiSJKiSSiiKiKißSiiKJSiKiSiKißiCiiOt I 3/
Holzschneidekunst in der deutschen ReUjiniationszeit. Aus der
Geschichte dieser Xiederkunit interessiert noch hesonders der resp.
die marmornen Stühle mit dem durchhrochenen Sitz (sedes ca[nens
de stercore nomen, c)der aucli kurzweg stercoraria genannt). Vs
wird nämhch behauptet, dieser Porphyrstuhl sei dazu benutzt worden,
daß jeder Papst vor seiner Weihung sich auf ihm habe niedersetzen
^raiu Gu'ii-e-rti}
Fi,
j;- /)•
n,ntsc'!CS l:i<ii'Ui!t !:eyl!?l,r K •■•..: ';,■
Die Geburt der Papstin johaniKi.
müssen, damit man sich überzeuge, daß man es eben nicht mehr
mit einer Päpstin zu tun habe. Die satirischen Gedichte der folgen-
den Zeit beschäftigen sich vieltach mit dieser Feststellung der päpst-
lichen Männlichkeit. Und unter Hinweis auf die Nepoten (das
heißt uneheliche Kinder der Päpste) dichtete ein Poet aut den Papst
Innozenz XHII. aus dem Geschlechte der Cibo:
Quid qUcieris testes, sit mas, an femina Cibo?
Respice natorum, pignora certa, gregem.
138 iCSS>!0>*>»tSiJKS!!ßjß!S)ßJKißäK ScmVAXGI Km HAI 1 l Nl) Gl lU KT •OiiSSiißSiiKiOtätJOtSSJOtiCiJOiiSJSSiSi-Ot
Dieser bei v. Spanhcini abgebildete Sessel hat zu vielen gelehrten
Abhandlungen (iclcgcnheit gegeben; nach der Abbildung zu schließen,
handelt es sich um eine andere antike hygienische l'inrichtung*)
(wie auch sein \anie sagt), nicht aber um einen (ieburtsstuhl.
Aus der biblischen Geschichte, als Illustrationen zu den dort
verewigten \ organgen, linden wir vieltach (ielnulsdarstellungen**).
Besonders die Zwillingsgeburt der alttestamentarischen Rebekka
reizte hierzu. Die Phantasien der Künstler sind aber tur uns \'eran-
lassung, ihrer nur ganz summarisch zu erwähnen. Als Tvpus dieser
meist nur noch in Stichen erhaltenen Ciemälde bringen wir die von
luienne radierte Schilderung des .Nhimentes. wo der bereits geborene
rötliche und rauhliaarige Hsau Nom naclilolgenden Jakob an der b'erse
festgehalten wird (siehe Figur 71). Was uns bei diesen Schilderungen
interessiert, das ist die Umgebung einer solchen W'ochenstube, da
diese Stiche, zum ]3cispiel von Jakob von Heemskerck (1498 — 1374)
und von .Martin de \\)ß, uns die biblischen Vorgänge im Cieschmack
der eigenen Zeit vorführen. \'on \iel größerem Naturalismus
und otlenbar auldrund eigener Anschauung hat uns der tranzosisch-
holländische Sittenschilderer Abraham Bosse ( 1610 — 1 67N) ein getreues
Hild der (ieburtsstunde in einem Iranzösischen Palrizierhause des
siebzehnten Jahrhunderts \orgeluhrt. Neben dem lodernden l'euer
des Kamins ist das Kit de misere aufgeschlagen. Im Hintergründe
steht das große mit einem Baldachin versehene eigentliche W'ocheii-
stubenbett. Das reiche Haus hält sich für solche Zwecke dieses
Möbel, ebenso wie die Hausapotheke und der \'erbandkasten, der
auf dem Stuhle sieht, nicht fehlen darf'.
\'iele brauen umgeben die (iebäreiide. .Man reibt ihr die Arme
und stützt den Oberkörper. .Man konnte auf die Idee kommen, daß
der aulfallend elegant angezogene, danebenstehende Maim der Arzt
sei, der die l-.ntbindung leitete. Die imter dem Stich stehenden \'erse
*) Siehe Merkwürdige Historie der Päbstin Johanna , aus des 1 Icnn v. .Spanheim . . .
Lateinischen Dissertation . . . gezogen und ... ins Tcutschc übersetzet, l'ranckfiirth und
Leipzig 1-37.
••) Siehe Xouvelle Iconogr. de la Salpetriere , 1903. Henri Mcige, OucIi]ues Accou-
chements bibn(|ues en images.
o
o
bD
I40 SKSäCSiSiOiiJiieiäiJCSiOtiKiKiCSSiiK Scmv ANGERSCHAFT UND GeBURT »tiS'C'iJiiSS'.SiiOiiKSi^tiSKSiSiiSfO-JOtSi
aber belehren uns, dal.'i es Jer glückliche \'aler isl. dessen ganzer
Kummer bei der Xachrichl von der deburt eines schönen Knaben
sofort verscheucht ist. Jeder der llau|nbeleilii;ten aulk'rt sich zu dem
Ereignis in N'ersen. Die 1 lau|n[K'rs(in Idagt, daß sie dem Tode nalie
ist und daß ihre (ilieder abzusterben scheinen. Die weise Frau
aber sagt :
»M;idamc, prenez patiencc
Sans cricr de cette favon.
C'en est laite cn ma conscience
\'ous accouchcz (.i'un heaii fiarcon.«
Unter den Keligionsnnthen, welche mit den Naturereignissen unseres
]:rdenlebens verwachsen sind und ihnen ihre svmbolische lintstehung
verdanken, ist die Geschichte des Adonis eine der durchsichtigsten
und eine der heblichsten. \\'ir gebrauchen heule noch gern ilen
Vergleich dieses Jünglings wegen seiner sprichwortlich gewordenen
Schönheit. Der Name des Adonis, der aut das phonizische Wort
Adon »der Herr« zurückgeht, beweist schon allein die orientalische
Herkunft der AIvthe. Die Adonisfeiern zerlallen in den Jubel über
die wieder steigende Sonne und die wiedererwachende Schoplung
und in einen trauernden Teil, wi)bei das Bildnis des (jottes, unter
großem Geleite klagender Weiber in gürtellosen Gewändern, in
das Meer versenkt wird. Die Adonisgärten sind Gefäße, in denen
man Pflanzen durch kunstliche Hitze zu schnellem Wachsen luul
X'erblühen brachte. Aus dem l-51ute des \on einem Kber getöteten
Adonis sprt)ssen die Anemonen und Rosen. Wenn so Adonis das
Sinnbild des rasch verblühenden und vergänglichen Lebens war,
so war er auch durch seine Wietlerkehr aus der Unterwelt das des
Neuerwachens der Natur. So ist auch, nameULlich unter fk'lonung
des letzteren Gedankens, es verständlich, wenn gerade die bildende
Kunst die Adonissage zu Ausschmückungen von Sarkophagen be-
nutzte, wie man solche z. J^. im l.ouxre llndet. Hier aber interessiert
uns ausschließlich die Cieburt des .Adonis. ]3ie Sage läßt den Adonis
in ])lutschande entstehen. Aphrodite aber schützt die von ihrem
eigenen A'ater schwangere .Mutter, und als dieser sie nnt gezücktem
Schwert verfolgt, verwandelt sie die assvrische Königstochter in einen
7. <
- £i
^6
14- S!!C?!C«!C?!5!C5!KiC?-Ci!K?>:?>:!KiOS!K ScmVAXGERSCHAFT UND GeBURT SiiSiCifKJOiSiJCiiCtiKJCiiCiiißSiiCiiiSJKSiiC?
Myri-hcnbauiii. Wich /chii .\li)nalcn cinsprani; aus Jcr berstenden
Rinde des Baumes das Kind. Apliri)dile übergab den Schützling in
einem Kasten der Persephcme; diese ollnet ihn und ist von der
Schönheit des Knaben si) ergrillen, daL^ sie seine Ruckgabe ver-
weigert. Zeus entscheidet den Streit der (Jottinnen dahin, daß Adonis
die eine IläUte des Jahres bei der einen, die andere Hälfte bei der
anderen (iottin verweile. Diese (ieburtsdarstehung, die übrigens auch
in anderen X'orstellungskreisen wieder-
kehrt, hat sclion die Künstler der Antike
zur Darstellung gereizt; auch die er-
wähnte (in der »l'lastik und Medizin«
als Figur 163 abgebildete) Elfenbein-
schnitzerei betrifft vielleicht diesen
Sagenkreis. Ein iiompejanisches Wand-
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rirncLG^ViVÄTi
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gemälde bringt sclum die Darstellung
des aus der geborstenen Kinde geborenen
Knaben. Die klassizistische Zeit hat
sich natürlich diese Geburtsdarstellung
nicht entgehen lassen. Pachinger bildet
in seinem zitierten Buche eine ganze
Reihe von Gemälden ab (van Swane-
leh, Jean de Pautre , sowie das des
Matthias Österreich), welche diesen
Gegenstand mehr oder weniger realistisch behandeln. Wahrend nun
die meisten noch ein \Wab malen, deien Arme erst zu Mvrrhen-
zweigen geworden sind, hält sich l'rancois Boucher mehr an (_)vids
Metamorphosendichtung. Bei ihm ist es schon ein P)aum, der
ächzt und sich krümmt, und leucht ist von lallenden Tränen.
Aphrodite-Lucina, die Heilerin, tritt an dun liauni heran, legt an
ihn die Hände und
Fig. 78. Diu unzeitigc Geburt
Radiert von B. Beham.
»Arbor agit rinias et iissa cortice vivum
Reddit onus vagitque ptier«.
(Risse bekommt der Baum und gibt aus der gespaltenen Rinde
die lebendige Last. Hs wimmert der Knabe.)
JßiOiiKiSSS-CiiKJCisß'ei'CiSiSiSiißJCSJOiJOisSißiSJSJCiiS-i«!^ SiiSiJiSiSiStiSJSJXiKJSJCi-iKJSiOiJOtSiiOiJSStiSJS'ÖSi 143
Aphrodite lehnt sich an den Myrrhenstamni, in dessen oberen
Ästen sich das Gesicht der Unglückseligen erkennen laßt. Am unteren
Stamm aber zeigt sich noch die einer \'ulva ahnliche große Öffnung.
Eine ähnliche Darstellung derCieburt des Adonis wählte Bosse witzig
als Gobelinschmuck tür das Zimmer seiner Wöchnerin (siehe Figur 77)!
Einen Kuriositätenwert nur hat die Schilderung eines x'^.bortes
durch Bartel Beham. »Von dem Geizigen spricht der weise Mann,
Bfrliii, Kiiitstge-üierbfiintS£ttiit.
Fig. 79. Miijolikaschale aus Urbino (sechzehntes Jahrhundert).
daß besser als ein solcher Mensch sei eine unzeitige Geburt. (f Den
tieferen Sinn dieses Ausspruches möge sich der Eeser selbst ent-
ziffern, wir wollen nur aut die Trefflichkeit der kleinen Szene hin-
weisen. Mit mißmutigem (jesicht betrachtet das junge Weib die
unreife Tat, die halbe \'ollendung ihrer Wünsche (siehe Figur 78).
Es war im 16. Jahrhundert in Italien Sitte, den Wöchnerinnen
Suppen und Eier zu bringen; bald wurde hei den Reichen der In-
halt das Nebensächliche und die Schale die Flauptsache. Solch
kostbare Frauenschalen, Scodelle per le donne oder auch Puerpera
genannt, waren bemalte Majoliken mit Darstellungen der Geburt
144 3K!>:äCS!Ci!>:5Ki>:iKiKäc>:iKSi!Otä>:äKS8Si!CSSKä5 Kaiserschnitt äKi>:iKiK:«iKjeiiKiyS!K:<!iiKä>:iSJöSi'Otäis>iSiCiäOtäS
und des Wochenbettes. Das ktniigliche Kunstgewerbemiiseuni in
Ik'i'lin besit/t unter mehreren solchen auch zwei mit Cieburtsszenen.
Soweit die X'erlieüini; der Schale eine phoioL;rapliische Wiedergabe
zuHeß, erkennen wir auch aul der Reproduktion (siehe 1-igur 79), daß
die (ieburl im Sleiieii \ov sich geht, wahrend die llebannne vor der
brau sitzt, welch letztere von hinten unterstützt wird. Sonderbarer-
weise verrichtet auf der zweiten Schale diese Uilte ein immer .Mann.
KAISERSCHNITT
Die Weltgeschichte, das heil.U iln'e erzahlende Form, hat von jeher
es geliebt, die Cjeburt der Helden mit dem Nimbus des Außer-
gewöhnlichen zu versehen. Hier spielt auch der Kaiserschnitt an der
Toten und an der Lebenden eine große Rolle, lirinnern wir uns nur
an die Tatsache, daß auch
der Heilgott Asklepios
selbst aus dem bereits dem
Scheiterhauten übergebe-
nen Leib der nuitterlichen
Koronis herausgeschnitten
wurde. Die D.irstellungen
dieser Art haben deshalb
schon tür uns nur ein
nebensächliches Interesse,
weil die .Maler und /eich-
ner niemals Gelegenheit
hatten , einer solchen
Szene beizuwohnen. Wir
begnügen uns, als T\'pus
n^ dieser deburtstorm dun
Holzschnitt aus dem Sue-
tonius von 1 306, die (je-
.... ... ,. burt C!asars. wiederzu-
rig. 80. Kaiserschnitt.
Primitiver japanischer Holzschnitt. Sechzehntes Jnlirhiindcrt. geben (siehe l'lgur o\J,
jOiäSJCiiviiviiCiJCSäSäKStiCiiSiOiSiJKiOiiKJJiJviJOiSiiKiß KAISERSCHNITT jKiCiSiiSiJOiSiiOiS'JCiiCiiSS'iOiS'S'iCiJO-JSJO-iO! 145
Fig. 81. ])ic Geburt Cäsars im Suetonius von 1506.
die alle möglichen Un-
möglichkeiten in noch
möglichst hilschem Ge-
wände wiedergibt. Deni-
oeiienüber mutet ein sehr
seltener primitiver Ihilz-
druck lapans beinahe wie
ein momentaner Blick in
reale \'erhältnisse an. Da
sitzt aut einer thronähn-
lichen Bank die offenbar
einem hohen Gesellschaltskreise angehörende Frau. Sie hält sich mit
beiden Händen lest an den seitlichen Säulen, welche eine Art \'on
Thronhimmel tragen, liin Operateur mit nacktem Oberkörper hat
soeben das Messer zur Seite gelegt, mit dem er den Bauch aul-
geschnitten hat und entwickelt vorsichtig das Kind. Im \'ordergrunde
kniet, wohl im (iebet, der Ehemann, die andere Seite nehmen schluch-
zende und weinende Personen ein. Hs gehört dieser japanische Holz-
schnitt in den Anlang des sechzehnten Jahrhunderts. Ob in dem 1346
von Sokan Nanjo verfaßten Buch über die Gvnäkologie der Kaiser-
schnitt schon empfohlen wurde, kann ich nicht sagen. Zehn Jahre
später allerdings begann die l'inführung der europäischen Medizin durch
Louis x\lmeida, den ersten eur(.)päischen Arzt, der als Mitglied der
portugiesischen lesuitenkommission Krankenarzt wurde. Aul Grund
der Mitteilungen von Dr. med. Y. Fujikawa*) kann ich zwar aus diesem
Buche keine Frwähnung des Kaiserschnittes vor 1-inlührung der euro-
päischen Medizin entnehmen; nur die Erzählung aus dem Jahre ,[.58
nach Christus, daß auf Befehl des Kaisers der Leichnam einer Prin-
zessin geöffnet wurde, die verleumdet worden war, in J'uhlschalt
schwanger «eworden zu sein, gehört hierher. Man land aber im
Bauche keine Frucht, sondern nur einen Stein.
Die Geburt des Cäsar, eine llolzschnittbeigabe im Suetonius
*) Geschichte der Medizin in Japan. Herausgegeben vom Kaiserlichen Unterrichtsmini-
sterium, Tokio 191 1.
Hollander, Die Medizin in der klas-ischen .Maleiei. 2. Auflage. 10
146 3»S!>:!K!K<K!K!K!C«Si?>:<S<ßSS!Ki5tSiiCi!C??S KAISERSCHNITT äSSSJCEäOSäKäSäßäCESSSKSSSßJKJSäSäOSSSSSiKiKJßJliKü
vnni Jahre i)06, bildet gewissermaßen ein IViulani /u dem bekannten
Holzschnitt in des Xenophon Kmiimentarien (1340, Auqsburi; bei
II. Steiner). liier ist mit einiger Naturtreue eine solche Szene
geschildert. Pachinger bildet auch des Ratlael Cirstos Kaiserschnitt-
szene ab. Die Tatsache, daß Hermes es ist, welcher das Kind
holt, läßt eigentlich nur die Deutung zu, daß es sich hier um die
sagenhalte K.iiserschnittgeburt des Asklepios gehandelt haben kann*).
Die W'oclienstube war ein Lieblingsthema der italienischen und
deutschen Renaissancezeit; und da es im (ieschmack jener Zeit lag,
auch X'orgänge des .\lten Testaments in die Ciegenwart zu verlegen,
so haben wir \iellach ein getreues Abbild dieser .Szenerie. Rtibert
Müllerheim hat aus diesem Stoft" alle medizinhistorisch wichtigen
Probleme geholt und den (jegenstand so erschöpfend behandelt, dal,^
wir aufsein schönes Werk gern verweisen**). Trotz der dort beinahe
erreichten Vollständigkeit finden wir immer wieder derartige neue Dar-
stellungen. War doch die Niederkunft der .Mutter Anna, die (Geburt der
(jottesmutter eines der beliebtesten Themen der italienischen Kirchen-
malerei. Um nur einige der bedeutendsten (jemälde dieser .Art zu
nennen, erwähnen wir das Meisterwerk von .Murillo im Lou\re. Die
(jrupjie der das Kind badenden Frauen ist wohl das Wahrste und
Größte, das der S[xinier geschalfen hat. 1-erner in Betracht kommt
die W'ochenstube Fra F'ilippo Lippis im Palazzo Pitti, des Domenico
(jhirlandajo in der Kirche .Maria Novella, ebenfalls Florenz, des (jirolamo
del Pacchia in Siena, Andrea del Sartos Wochensluben, .■\ltdt)rfers Werk
in .Augsburg und .Albrecht Dürers berühmter 1 lolzschnitt, der uns wie
auch die übrigen deutschen Darstellungen mehr kleinbürgerliche \'er-
hältnisse vorführt. .Als weniger bekannten Repräsentanten dieser (iruppe
bringen wir Tintorettos (jemälde aus der F.remitage. Die (irup(ie der
heiligen l:lisabetli, die das Kind der.Xmme zuhält, welche dem Kindchen
.Milch aus ihrer Brust anspritzt, ist von köstlicher Febenswahrheit.
Wie aul allen derartigen demäldeii sehen wir die Wöchnerin von
*) Siehe auch die Cklmrt des Asklcpios auf der MajoIil<aschale 1534 »Plastik und
Medizin«, S. 15.
**) Robert Müllerheim, Die Wochcnstuhe in der Kunst, l-crd. Knkc, Stuttgart. 1904.
■CiiOiiJtiOiJOiiKiSiCiiSSiiSJÖiSJSSiiOiJSiCSiOiiK Dl l< Toi) IN DER GliBUKT iOtS>!O!!O!Si!KS>i5«!S<0>Si<0i!SiSi>:Si!K 147
einer yroßcn Zahl xon iTcuiulinncii iiiul Dienerinnen unii^elien. Was
uns dieses Clemakle etwas verleidet, ist die tlieatralisehe Pose und
oftenlxu"e X'erzeichnuni; des heilii;en Joachim (siehe hi^ur (S2).
Aus der summarisclien Ik^traclituni^ aller dieser (jemalde lernen
wir im Rüde naturgetreu vori^elührt den ganzen technischen A[iparat
der W'ochenstuhe kennen. Auch die llvi;iene des Sauglinnsalters
ertahrt iieleoentlich eine bildliche Bereicherung!. Die X'orteile der
künstlichen und natürlichen l-lrnährunt; werden hier illustriert; aus
diesem Ahiterial hat der Herr Kt)lleL;e Brünin^ seine medizinischen
kunsthistorischen Betrachtungen angestellt*).
DER TOD IN DER GEBURT
Wir haben in »Plastd^ und Medizin« als plastische Denkmäler
des Todes in der Cieburt die marnK)rnen Hochrelietarbeiten
der schönsten griechischen Kunstepoche in Athen gesehen*).
Der ruhrende Abschied, den die junge brau von dem eben
geborenen Kinde, vom Manne, von den Freundinnen und von ihrem
irdischen Tand nimmt, kann keinen ergreiienderen Ausdruck linden.
Noch für die heutige Kunst sind diese Reliefs unerreichte Vorbilder.
Wir sahen auch auf Lekvthen den plötzlichen Entbindungstod dar-
gestellt**). Wir bewunderten die \'erbindung von realistischer
Wiedergabe und feinem künstlerischen Geschmack.
Natürlich hat auch die klassische Malerei sich diesen ergreitenden
Vorwurf nicht entgehen lassen, nachdem \'errocchio mit seinem
berühmten Werke in der Kirche Santa Maria sopra Minerva \'om
jähre 1477 den Gegenstand wieder in die Rennaissancekunst ein-
geführt hatte***). Der Tod der Rahel auf dem Wege nach liphratht)
ist mehrfach genialt worden. Wenn es aber als Preisauigabe gestellt
wäre, diesen historischen Gegenstand nüt möglichst geringer Sach-
*) Siehe H. Brüninj,', Geschichte der Methodik der künsthchen Sau^lingsernähruni,'.
Ferdinand Enke, Stuttgart. 190S.
**| Siehe Figur 175, 165 bis 167.
***) .Siehe »Plastik und Medizin« Figur 176.
f) Siehe das Buch Moses, Kapitel 35.
148 äSißiCiJKJOiKJCiiCSJSJOtJOiSiSiJßSiiSiSit DeR ToD IN DER GeBURT iOiißJKißJOtSiiKJSißJKJCiJOiiCiiJtSiiOtJCiiSiStS!!
kcniitnis uiul moLjlichslcr Vcrzcrruni; der dort ^cstliildcrlcn l-'aklorcii
/u malen, so hat das (ägnaroli mit seiner süßlichen platten l-pi-
gonenkunst in der venezianischen Akademie erreicht. Anl Damast-
betten unter seidenen, rauschenden \'orhängcn hci^t ein kaum zu einer
jungen l-'rau erblühtes Mädchen. Dagegen ist das Kind, ilem sie
soeben das Leben geschenkt hat , mindestens sechs Wochen alt.
Das Problem des Schmerzausdrucks allein nahm den .Maler gelangen
und bildet dijn Reiz des (jemäldes.
Unter abnormen Ik'dingungen ertolgten Xiederkiniften haben die
Ilistoriugraphen, namentlich in früheren lahrhunderten, besondere
Aulmerksamkeit zuL;e\vendet. im AnsLhluß an erfolgte Mißgeburten
prophezeite man irgendwelche schlinmie Cjeschehnisse. Solche waren
wiederum \'eranlassung zu iliegenden Blättern, die vielfach noch mit
Holzschnitten verziert waren; diese belriedigten das Sensations- und
Skandalbedürtnis hüherer (Geschlechter. Da gibt es eine plötzliche
Niederkuntt, welche die (Gemüter ganz Hollands erregt hatte. Es
ist das die berühmte Geschichte des sogenannten Stiers von Haarlem.
Am 29. August i(\\- hat ein Stier, rasend gewi)rden wie es scheint
durch einen \on Kindern hochgelassenen Drachen, einen .Mann töd-
lich \erletzt und dessen schwangere brau so in die Hohe geschleudert,
daß sie in der Lutt eine Sturzgeburt erlebte. Dieses traurige Ereignis
von des »Stiers \\'reedheid« und das (iescliehnis dieser ungewohnten
(ieburt erregte seinerzeit in Holland das größte Aufsehen. Doktt)r
H. |. .M. Schoo hat die (jemälde und die Ciedichte, die über diesen
Gegenstand gemacht sind, einer interessanten medizinhistorischen
Studie unterzogen*) und über ein Dutzend Darstellungen und Idug-
blätter publiziert, welche sich mit diesem Ereignis beschättigen und
den k.indruck schildern, welchen dasselbe aul die Zeitgenossen gemacht
hat. Aut diesen gewissermaßen gemalten Krankengeschichten erleben
wir den Vorgang selbst und seine traurigen l'olgen. ^\'ir sehen den
mit dem Iliegenden Drachen laulenden Knaben, wir sehen d^jn wütenden
Stier, der den Mann zerlleischt, wir sehen die in der Eult schwebende
Bauernfrau und das fliegende Kind; sehen dann entsprechend der
*) Dr. n.J. M. Schoo, .Stiers Wrccdhcid. < )\x-rdruk uil den Iccstliundul 1 Icctor Trcub, 191 2.
H
Q
I 50 JSSSSSSSJKüSißSSiSJSiSÜSJKJJiJßiKiOS DeR Tod IN DER GeBURT äßJCS'ßiCiJSiCSJCiJß'ö'CiJOtiCiJCiSiJSiCÜSiiS'CtiCi
dainalii;cn Siuc aul einem Hl.ill /eitlicli Aulciiiaiulciiol^ciulcs zu ver-
einigen, auch das nach Hause i;ehrachle unglückHche Ehe[iaar auf
dem Sterbehiger; der Arzt repDniert die vor^elallenen Därme, haue
Geschmacklosigkeit war es, aber doch durch den Charakter jener
Zeit entschuldbar, wenn man nut diesen Darstellungen Tee- und
Kaffeeservice schmückte und Wandteller dekorierte. Hine größere
Geschmacklosigkeit aber war es, wenn ein anonxiner Glossist, der
diese Flugblätter in der mediko-histt)rischen Ausstellung des [berliner
Kaiserin-i-'riedrich-Hauses »bewunderte«, tragt, ob etwa durch solche
Darstellungen die Studenten lernen solken, wie man Sohne verliert
oder eine (ieburt zweckmäL^ig beschleunigt").
Die \'ielheit der von einer Mutter aul einmal geborenen Kinder
hat immer die (jemüter erregt. Wenn auch der Rekt)rd von Sechs-
lingen wissenschaftlich festgestellt ist, so hat doch die Geburt von
Fi'mtlingen eine beinahe künstlerische \'erewigung gefunden durch
das t_)lgemälde tmd den Stich von der merkwürdigen (ieburt von
»vier lebendigen und einem toten Kind«. Die glückliche Mutter
war eine brau aus Scheveningen und die (ieburt tand am 3. Januar 17 19
statt. Aut dem Gemälde, welches als Beilage in der Deutschen
medizinischen W'ochenschriit koloriert erschienen ist**), blickt die
Mutler mit Stolz auf die vier lebendigen, gewickelten Kinder. Der
Moment ist geschildert, wo der Hausherr, Simon Arense Roosendaal,
ins Zimmer tritt, und xor Schreck beinahe inntalk. Die Hebamme
aber, Maria Somel, eine besonders tüchtige brau, geht ihm mit einer
Tasse heißen KafTees entgegen.
b.in kulturhistorisch interessantes Bild der Überrheinischen Schule
zeigt uns eine junge edle brau, die soeben das vierte Kind geboren
hat. Die kleine Wiege, die in der l'cke steht, genügt natürlich nicht
für die X'ierlinge, welche hübsch eingeschnürt und gewickelt aul liem
]3ette liegen. Obwohl das Xabelband in einem Kästchen mit allerlei
Verbandstoff bereit steht, hat der Maler oÜenbar aus übertriebenem
ästhetischem Gefühl den Xabelstrang nicht angedeutet. In den Wolken
*) Siehe 'März'. I. Jahrgang;. lieft S.
") Siehe 38. Beil<igc der Deutschen medizinischen Wochenschrift, Jahrgang 1908, Nr. 52.
Obcrrheimi^ht: J>. kuU .
Fig. 85. Vicrlingsgcburt.
schwebt ein Heiliger, welcher die Szene segnet. Das Bad für den
letzten Neugeborenen steht am Fußboden bereit. L'nd gleich wird
die junge Dienerin, wie wir dies aul anderen Gemälden erleben, ihren
vielleicht nicht ganz sauberen Fuß in die Wanne stecken, um den
richtigenTemperaturgrad des Badewassers festzustellen (siehe Figur 8 3).
152 iOiiCtSiStJSStssieiStiSJSijiiSJSjssiJSioiSissietiCitiS Lepra S!ie!»;«JSJS:«ic«io>!Ct!S!S<s«!ßieiiK!KJ>jßSs!O>ss!ßs>J0i
Fit;. 84. Miniatur aus dem Praclitkodcx aber siclicr zum
der »Chirursj'ie des Bischof Thcodericli«.
LEPRA
Der moderne Arzl isl bei der Ik'-
iraebtimi; der Lepra, des Aussatzes,
der .Miselsucbt, der ]\rankbeit des
liob lind des Armen Heinrich, in
einer merkwiirdii; i;UiLklichen Situa-
tion. Lr sieht namhch am Sterbe-
la^er dieser einstmals die Welt er-
schreckenden Krankheit. \\'ar dt)ch
diese Seuche das mittelalterhclie\'or-
bild tür alle schleichende, langsam
'ode führende Xot.
DitT Bibel kennt dijn Aussatz bereits
von altersher; als ein Ciegenneschenk und Andenken an die Kreuz-
züge nahm sie seitdem in Mitteleuropa epidemischen Charakter an.
Lin Arzt, der den Aussatz heute noch einmal unter seinen Händen
hat, ist stolz aut seine Diagnose, und die wissenschaftlichen Kom-
missionen in unserem \ aterlande kennen die einzelnen \H)rkoni-
niendeii balle dem Xamen nach. ALm schickte Plastiker in die
entlegenen nordischen Teile Luropas, wohin sich die Krankheit
geflüchtet hat. Von den unglücklichen letzten Opfern der Lepira
wurden dort durch Oskar Lassars AUihwaltung Abgüsse gemacht
und dieselben nach der Natur koloriert*). Es wäre nun nahe-
liegend, und ist dies ja auch viellacli unternonmien worden, auf
zeitgenössischen (jemälden und Kunstwerken die Physiognomie der
Krankheit zu studieren, inn vielleicht \ eränderungen im Krankheits-
bilde auf' diese Weise festzustellen. Weim wir auch heute durch die
Kenntnis des Lrregers die Lepra als einen einheitlichen Krankheils-
prozeß auflassen, so unterscheiden wir doch, je nach dem \ orwiegen
der einen oder der anderen S\-mptoine, die Knolenlepra \'on der
nervösen anästhetischen bcjrm. Ls wäre lum ein totales \ erkennen
der durch unsere Studien gegebenen Situation und eine KLUzsichlig-
•} Moulagen jetzt im Kaiserin-Frieiiiidi-Hause in der staatlichen Lehrmittelbammlun;;.
keit, wenn wir die Kunsl\vcrl<c siircclivii lassen uiul aus ihnen
folgern wollten, welche l'orm der l.epra in rriiheren Zeiten die
häufigere gewesen sei. Es wäre ein \'erkennen der eingangs dieses
Kapitels auseinandergesetzten \'erhältnisse, wenn wir zum Beispiel
aus der 'I'atsache, daß in der primitiven Kunst im wesentlichen die
Fleckiorm erscheint und die Mutilation erst später, hieraus irgend-
welche wissenschattlichen Schlüsse zögen.
Die Hoffnung, aus der antiken Zeit Darstellungen der Lepra zu
finden, ist sehr gering; man müßte denn einen glücklichen l'und
tun in den hellenischen und asiatischen Bezirken des lieilgottes.
Da aber schließlich der Nachweis erbracht ist, daß man dem Askle-
pios und anderen Ileilgöttern nicht nur gesunde Gliedmaßen opierte,
sondern auch das Abbild seines Schadens, so wäre es nicht unmög-
lich, auch einmal ein Votiv lepröser Mutilation zu linden. Natürlich
ist größte X'orsicht am Platze, und ich warne Phantasiebegabte, die
vielleicht schon aus dem einen oder dem anderen Hxvoto die Ähn-
lichkeit mit Aussatz herauslesen.
Der Beschreibung des Aussatzes bei den antiken Schrittstellern
zu folgen, ist deshalb schwierig, weil man vielfach in der Verken-
nung der Krankheitseinheit den einzelnen tvpischeren Svmptomen
besondere Namen gab.
Daß sich die Geschichte des Aussatzes in [irähistorische Zeiten
verliert, dafür bringt unter anderem auch scht)n Pausanius den Beweis:
Im fünften Buche seiner Beschreibung von Griechenland erwähnt er
die Stadt Lepreos im Lleischen. Diese Stadt soll ihren Namen
haben von Lepreos, des Pvrgeos Sohn. I3ieser Stadtgründer soll
sich mit Herakles in eine Wette eingelassen haben, daß er ebenso-
viel essen konnte, wie der Halbgott. Naclidem Lepreos im Fressen
nicht weniger geleistet hatte als Herakles, schwoll sein Mut imd er
wagte es, den Helden zum Waftenkampl herauszufordern ; der Lrtolg
war nicht der gleiche, denn Herakles erschlug ihn.
»Andere wieder sagen, über die ersten Bewohner des Landes
sei eine I\rankheit, die Lepra, gekcnnmen, und so habe die Stadt von
dem Unglücke den Namen erhalten. Die Lepreaten sagen, sie hätten
154 38ä5tißsSJJ^iKi«i*i^s*si^'5ssss><o*iSSi!eiiS!CiS!!SiSiS Lepra sKiCiSKötiSisssiSSiJKJSSiJCiiOiJOiieiiKiCiiSJßiKiCiiJtiKiCSiO!
in ihrer Stadt einen Tempel Zeus Leukait)S« (l.euke wie Le[ira, i;leicli
Aussatz). Jedoch hat l'ausanias /u seiner Zeit kein lleihgtuni dieser
Art mehr i^esehen.
l-rühzeitig wurden die sehweien Folgen der l.e|ira mit der Ele-
phantiasis zusanniiengeworlen. Plinius erwähnt schon im 2G. Biicli,
Kapitel 5 seiner Xaturueschichte , dal.^ die l'lephantiasis olter im
Gesicht und /war an der Xase gleich einer i.inse begönne, daß
dann später aber über i\cn ganzen Körper Mecken kämen; die Haut
würde bald an der einen Stelle verdickt, an der anderen dünn,
brandig; die Knochen druckten sich durch das Meisch. in späterer
Zeit wird die Situation schwieriger dadurch , daß andere tuber-
kuK'ise oder syphilitische schwere Allektionen mit der Lepra in
einen Hexenkessel geworlen werden. Seit dem eilten Jahrhundert
ist nun ohne jeden Zweifel eine epidemische Ausbreitung des Aus-
satzes im Abendlande bemerkbar. Diese Erscheinung wird mit den
Kreuzzügen in Zusammenhang gebracht. Tatsache ist ja, daß auch
im Orient die Krankheit sehr xerbreitet war.
Aiü der Suche nach Darstellungen der Lepra müssen wir uns
an diese historischen Daten halten und uns zunächst daran er-
innern, daß aus der ]3ibel ganz besonders zwei Aussätzige eine
Ik'rühmtheit erlangten, welche in tler Literatur sowohl wie in der
Kunst lortlebten. Ls ist das vor allem lliob und der arme Lazarus
(Lukas 16, 2t)): »Es war aber ein .Armer mit Xamen Lazarus, der
lag vor seiner Tür voller Schwären und begehrte sich zu sättigen
von den Brosamen, die von des Reichen Tische abfielen. Doch
kamen die Ihmde und lecketen ihm seine Schwären.« Und der
alttestamentarische lliob (lliob 2, 3); hA^a fuhr der Satan aus
vom Angesicht des Herrn und schlug lliob mit bösen Schwären
von der bußsohle an bis aiü seinen Scheitel. Lud er nahm eine
Scherbe und schabte sich, und sal.^ in Asche.« (JInvohl nun diese
Schilderung wenig mit der Lepra gemein hat, so wurden die beiden
doch zu Trägern des Aussatzes gestempelt, und namentlich au! (Jrund
der himmlischen Aufnahme des Lazarus die l'llege, ja die \'erehrung
der Kranken für ein gottgetälliges Handeln angesehen.
iKieiJCiiOtiCiiOiiKJOiSiiöiSüKiCJSSSCSiKJOtiKiCiiOSäSäCSiK Kuxs TAUSDRUCK 5K!CeiKiK!C!!K!CSiC>)0><ßS>:!?!iC><ß<5!S<ßO:!0i!0! 1 5 5
Es entstand der besondere Orden der I.azarusritter. Auch hat
dieser Arme des }:vani;eHsten LLil<as noch der La/arusidapper, den
Lazaretten und auch den l.az/aronis den Xamen geliehen. In der
wissenschaftlichen Diagnose Lepra bestand im frühen Miltehdter
natürHch ziemhcher Wirrwarr. Guv de Chauliac trennt die Signa
univoca von denen, die auch bei anderen Krankheiten vorkonnnen.
Allerlei schweres Siechtum segelte unter der leprösen Flagge. Da
darf man sich nicht
wundern, wenn auch
dieMaler unzuverlässig
waren, (jewiß, es kann
vorkommen, daß sich
zutällig der eine oder
der andere Naturalist
genau an die äußeren
Krankheitserscheinun-
gen eines Leprösen
gehalten hat und eine
derartig klare Xatur-
abschrift lieferte, daß
wir heute mit einiger
Sicherheit die Dia-
gnose Lepra stellen
können. Aber das sind
immerhin Ausnahmen;
unsere Fragestellung
Kitlirie-Moschce Stiimdrt/.
Fig. 83. Lcprostr.
(Mosaik des vierzehnten Jahrhunderts.)
muß deshalb eine etwas andere Richtung annehmen.
Was war das malerische Motiv für Lepra? Blieb es konstant
oder wechselte es im Lauf der Zeit? Ein solches Motiv mußte
allgemein verständlicher Natur sein, damit auch der Laie, der im
Gebete vor einem Altarbild kniete, aus diesem Abbilde das Schrecknis
der besonderen Krankheit herauslas, wie etwas später sich der Anblick
des pfeildurchbohrten Sebastian bei ihm sofort in den (bedanken
der Pest umsetzte.
1 56 äCSäKäßäßäSSOtäSJKSSSSJSiOiJSJSSKieiiKJKiCSSSiliiKäS Lepra ä5iK!C?;CiS!iKiOi>CSS5<!iß!0!«Si«iOiSiiK<K!5!«!K<K!K-5S<C!
L'ni dieses tcstzuslcllcn, ist es wicluig, i;anz Irülie Abbildungen
der Lepra zu erhallen. b.ine solche Krankheilssehilderun^ land
ich in einem Zwickel der Kahrie-.Moschec in Sianibul. Dieser
aui den Trüminern einer alten Ivlosterkirche im elUen lahrhundert
errichtete und im \ier/ehnten Jahrhundert erweiterte Bau ist mit
vorzüglich erhaltenen Mosaiken Ljeschmückt. Im h'ischen (lolde
strahlen sie, da sie bei der \eränderten Reliqionsbestinimuni; xon
den Osmanen nur iibertüncht wurden. Hier wird das Leben Cdiristi
ms m-DOHO l VIDIl.?NLIPISI>HAR'8e '
VIR' LCPSlOCCVRBfP.VTCI (5&-VTHDtTl,^^^-,
ll'S ILLVMrNATDVOS CCCO^ .SeCVK
SCl)Ct€S-7 CLAMANTCS DNe .>(IS€RtKt NRI
:i^iim^^^
'^^^M
Der W;lS^e^^ucIuige. I ■ ; Blinde.
rig. 86. Mosaikschiiiuck des Mittelschills des Doms von Mdiire.ile.
bis zu seinem Linzui; in Jerusalem L;eschildert; in den Zwickeln
ausschließlich Krankenheiluni^en. Ganz unversehrt blieb die bis aut
einen Leibschurz völlig; nackte, etwa ein Meter t;roße (iestalt eines
Leprakranken. Das Leiden ist in der Weise geschildert, daß der
ganze Kcirper, Ciesicht, Arme, lirust besät ist mit einem lleckenartigen
Ausschlag (siehe Ligur 83). \'on irgendwelchen Mutilationen sieht
man nichts.
Einen weiteren Luiid machte ich erst kürzlich in der pracht-
vt)llen Xormannenkirche in Monreale oberhalb i*alermos.
Die umfangreichen, im jähre 11N2 \-olleiideten .Mosaiken \'on
hervorragender Lrhaltimg und Leuchtkratt bilden Szenen aus dem
Alten Testament imd aus dem Leben des Ileilaiules ab. ;\ut
diesen SeitcnschifTllächen sehen wir nun mehrere Krankheitsdar-
stellungen, die tms besonders deshalb interessieren, weil tue Künstler,
JCöKiOiJKJSiKiJSiCiiCSSJSäOSJetJCSiCiiCSiKiKiKiKiKiCtJOi NoRMANNENKUNST äSäKiCtJOtiSiSiKiKißißJKJSißjaißißSiiCiJK 157
mehr wie es in der i^leichzeitiijen Kunst iiblieh, nach Realistik streben.
Das geht am deutlichsten aus der Schilderuni; des Wassersüchtigen
hervor. \'iel mehr als dies aus der schwachen, nach Zeichnungen
ausgeführten Reproduktion des Jk'uedetto (ira\ina herx'orgeht, drängt
sich der kolossale wassersüchtige Leib des ]:rkrankten vor*). Zur
Charakterisierung der Heilung der verdorrten Hand stützt der ge-
lähmte Jüngling seine schlaf! herunterhängende Hand dicht unter
dem Gelenk mit der anderen. Dieselbe Szene wird in der Kährie-
Moschee weniger naturwahr gezeigt. Hier ist eine Art von Kram|if-
stellung geschildert; die Hand hängt nicht herunter, st)ndern die
Finger der ausgestreckten Hand stehen gespreizt, die andere Hand
stützt den gelähmten Arm am Hllenbogengelenk-.
An zwei Stellen sieht man nun den Heiland vor Leprösen
Wunder tun. Linmal vi)r einem einzelnen Manne, der nackt, nur
mit einem umgeworfenen Mantel so notdürftig bekleidet ist, daß man
den mit braunen Flecken übersäten Korper genügend mustern kann.
Christus streckt heilend die Hand aus.
Schräg gegenüber an der Wand des linken kleineren Kirchen-
schifies aber behndet sich ein auffallendes und wichtiges Mosaikbild.
Wir sehen zu Jesus dem Helfer eine ganze Anzahl Leprciser aus
einem Hause herauseilen. In dichtgedrängter Schar verlassen die
über und über mit den tvpischen Flecken versehenen zehn Kranke
ihr Lepraheim. Mutilierte sind nicht darunter. Die Architektur des
Hauses läßt an ein größeres Krankenhaus denken (siehe Figur N6).
Man wird nt)ch nach frühen Mosaikbildern \on diesem Gesichts-
punkte aus suchen müssen, welche den Beweis erhärten werden, daß
der Kunstausdruck für Lepra im Mittelalter die L'leckform war.
\\'ilpert**) erwähnt drei 1-resken vt)m dritten Jahrhundert aus
den Katakomben. Die Darstellung ist stark verdorben und wir er-
sehen nur so viel, daß die Anordnung stets die gleiche ist: Christus
spricht und der Aussätzige bittet um die Gnade der Heilung. — Die
Künstler hielten sich also streng an die Fvangelisten; Markus (1,40/42),
*) Benedetto Gravina, Abbate Cassinese, II Duomo di Monreale, 1873.
**) Joseph Wilpcrt, Ein Zyklus christologischer Gemälde; 28 f. l'reiburt; iSgr.
I58 3S?SS?i»!CSiCiiS«<K!CiiJK3S?C5SKS53SäßäCSSK3«ä«5S««5 Lepra äKJC5SSäKSß!KJCSS><S!ß)CS<iS!iCi!C?!5<C?!Cii!S!Oi!K!KJC?iCi!C?J0!
Matthäus (8, 3), Lukas (3, 13), erwähnen zwar, daß C'.hrisUis den
Aussätzigen berühre, ohne aber den von ihm berührten Korperteil
näher zu bezeichnen. Uni aber eine X'erweehshuii; mit der Rlinden-
berührung zu vermeiden, maken die Künstler Clhristus nur in der
l'orm des Redenden*). Die knieenden Aussätzigen zeigen keine
Spuren der Krankheit.
Soweit ich den Bilderschmuck der Katakomben sowohl wie
der trüben Kirche überhaupt studieren konnte, befinden sich unter
diesem nur selten Darstellungen aus unserem Interessenkreise. Im
Cubiculum Santa Donutilla aus der ersten Hallte des dritten Jahr-
hunderts betindet sich Hiob zutälligerweise ganz in der Xachbar-
schatt der Heilung eines Aussätzigen. Eine besondere Charakteristik
des auf einem Erdhaufen Sitzenden findet jedoch nicht statt. Michel
(Gebet und Bild) erwähnt vier Aussätzigenheilungen. Soviel aber
scheint sicher, daß wenn eine Charakteristik der Krankheit über-
haupt erstrebt wurde, diese nur durch Flecken angedeutet wurde.
Auch die Illustratoren von Manuskriptwerken begnügen sich hiermit.
Da ihnen jedoch eine solche Charakterisierung zu dürltig erschien,
so gaben sie noch eine charakteristische, allgemein verständliche
Note gelegentlich hinzu: es war dies die Lazarusklapper. So sehen
wir aut unserer Abbildung der Miniatur aus dem chirurgischen Kodex
des Bischots Theoderich (Original in Lewlen) den Kranken mit der
Klapper (siehe L'igur S4). Der Arzt selbst im roten Talar wendet
sich von dem Kranken ab, weil er eine Ansteckung befürchtet.
Inmierhin ist diese Klapper in der italienischen Kunst auffallend selten
zur bildlichen \'erwendung gekommen. Unter den .Attributen der
Heiligen lehlt sie merkwürdigerweise ganz (siehe unten).
.Aus der Betrachtung des überall zerstreuten .Materials scheint
mir nun es sichergestellt, daß die künstlerische Marke lur den Aus-
satz die exanthematische L'orm war bis hinein in den Anhmg des
sechzehnten Jahrhunderts. Hier nämlich tritt in Konkurrenz zu der
in allmählicher Abnahme begrilVenen \'olkskrankheit eine neue Plage,
»die bösen Blattern, die l-'ranzosenkrankheil«. Da diese auch mit
*) Carl Maria Kaufmann, I landljuch ilc'r diiistliclicn Arcliäologie. Paderborn 1905.
SiKSKitJOiißJOtSiJSJOiißiOiiSiKSiJCiSitK^iß'OtJOiJCiJßJOtSi FLUGBLÄTTER iOiJßiCiJßiOiXSJSJOtJOiJßJeiSiJCiSiißJßjOiSiJOtiSiS 1 59
allgemeinen Ausschlägen einherging, so wurde das kiinsllerische Bild
verwischt und man mußte sich, wenn man eine deutliche Kunsts[irache
reden wollte, nach anderen Mitteln der Darstellung umsehen. Solche
waren nun bei dem Aussatz in der Mutilation imd den schweren
Ku/'Ji-rstithkai'int'tt Berlin .
Fig. 87. Hiob.
Farbiges Flugblatt um i soo.
Knochenveränderungen gegeben. Wir können also im großen und
ganzen die Meintmg vertreten, daß die Darstellung eines univer-
seilen Ausschlages bis zum Ende des iünfzehnten Jahrhunderts Lepra
bedeutete, daß von da an aber die Difterenzialdiagnose eine sehr
schwierige wird und tatsächlich auch zu I\\)ntroversen getührt hat.
i6o is^iCEiCs^sK^iSiCEiSiCSiSiCSsssoEiCi^ssiOiiCE^iCssK Lepra i;siCiis^!>:ic>:!>:i:ii:i!itJSiO£%»SiKicsi>:iCiiCi!0>:iOt.<>:i>:iSi>:ä!
Die Bedeutung dieser Frage vom medizin-hislorisclien Stand-
punkt aus wii'd uns klar bei der Betraelitung eines I ruhen Flug-
blattes, welches mit gruLk'r Wahrscheinlichkeit um die Wende des
fünfzehnten lahrhunderts entstanden ist (siehe Figur 8;). I's stellt
den armen lliob vor. wie er, aul dem Miste sit/end, vom Satan
gründlich vorgenonnnen wird; gewissermaßen ein unglückliches
Wettobjekt zwischen himmlischer und teul lischer Machtsphäre. Nach
der naiven Darstellungskunst jener Zeit sehen wir lliob sogar zwei-
mal in seiner mit Schwären bedeckten Nacktheit. Im Hinterplane
sieht er seine Schlösser und Ilauser in Idanunen aufgehen, dabei
schmäht ihn noch sein Weib. In \-oller Größe über und über besät
mit kreisrunden, gelbbraun gefärbten Flecken, die keine Stelle des
Körpers verschont lassen, ninniit er die Mitte des l^lattes ein. (ienau
nach biblischer Schilderung hat der Holzschneider die Fntstehung
dieser Geschwüre drastisch dadurch darzustellen gewußt, daß der
Satan ihn packt und mit einer vielköpfigen Stachelgeißel schlagt.
Dabei kann sich der naive Künstler jedoch durchaus nicht irgend-
welche \'erdienste mit Ik'zug auf eigene lü'iindung zuschreiben, denn
er verfolgte nur traditionelle Überlieferungen; wir linden dieselbe
Illustrierung der Bibelstelle nachher hauhg in gleicher ALmier. Meist
schwebt Satan in den Füften. (Siehe die Zeichnung von Hans
Schaeutelein oder die bekannte Illustration aus des IFms von (jers-
dorf: »F'eldbuch der W'undarznei«, wo außerdem noch sein höhnendes
Weib ihm den wohlgemeinten Katschlag gibt: »Segne Gott und
stirb«) (siehe Figur 88).
Dürer hat in seinem bekannten (iemälde aus dem Siädelsclien
Institut in F'rankfurt a. M. (siehe F'igur 89) mit iler \-ollendeten
Resignation, die er dem goltestürchtigeii lliob gegeben hat, eine
geringere (diarakterisierung der Krankheit verbunden. Den J^)rand
seiner Leiden erträgt er mit stoischem (Gleichmut; diese innerliche
Verklärtheit wird dadurch meisterhalt zum Ausdruck gebracht, daß
er auf die heroische Behandlung der (iattin. die ihn nüt kaltem
Wasser übergießt, auch nicht im geringsten reagiert.
Sahen wir so, tlaß die fehlende Krankheitsschilderung aul den
äC5äKä0EäC5!Cs5C?!5K!iiOt!Ci!5t!ei!5t<CiiC!!C?sK<!*!K!Oi!«5K!C!iK FlugbLÄTTI-R !0>iti<>!Ci!KKSiCi!S!0!!ßS!iOi!Ci<C><ßiC>JC><C!i<0>j«><0> l6l
trühchristlichcn (jcniäklcn, l'rL'skcn uiul Plastiken einerseits auf ilcr
rein svmbolisclien Autlassnnt; der Kunst jener Epoche beruhte, so
kommt noch ein Punkt hinzu, der uns früher Leprabilder beraubt.
Jene Zeit hebte es, die Wunder des Herrn im Momente der Betäti-
gung als schon geschehen zu schildern. Der Schlußakt des Wunders
wird geschildert; das sehen wir am deutlichsten bei der Heilung des
Gichtbrüchigen: es wird dieser immer in der Weise geschildert, daß
er geheilt, sein Bett aut dem
Buckel, nach Hause geht. Das-
selbe gilt von der Heilung der
Blutflüssigen und des Blindgebo-
renen. Dieser Standpunkt halt
sich zunächst jahrhundertelang.
Und auch in den späteren Monu-
mentalwerken wirkte die Tradi-
tion so stark noch nach, daß wir
vergeblich aut der Suche nach
Krankheitsschilderungen die
Wundertaten der Heiligen durch-
mustern. Ausnahmen bestätigen
allerdings die Regel, und das
gilt auch mit Bezug auf die
Lepra und ihre von uns behaup-
tete primäre und generelle Schil-
derung in Pleckentorm.
Wenn wir uns nun wieder der Abbildung unseres Flugblattes
zuwenden, so erkennen wir im Wirdergrunde desselben zwei Bitt-
flehende, welche derselben Hiobskrankheit Opfer sind. Die Blattern
haben auch hier die Körper ergriften, sowohl den eines ALmnes, wie
auch den eines nackten Knaben. Die Zeichnung ist eine so ober-
flächliche tmd verrät eine geringe Subtilität der Ausführung (die
Flecken stehen selbst aut den bekleideten Stellen), aber es scheint
doch so, als ob der Maler bei dem knieenden Manne hat andeuten
wollen, daß ein Haarausfall vorhanden ist und daß an der Stirn
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei, 2. Auflage. II
l-ii;. 88. Hiob.
Zeichnun" von Hans Schäufulein.
102 3Kicssii«ss!ßs»i«s>s«<sx>i!>:siiic>!S<ß<!><SiCi!iS'«5K Lepra JO>!ßiC><!iiC*!ßs?<ß«?>c?Si!SiS)Ki«ss!«!ß<)'<S!Ci'<KJOi«?iC?iC>
und am Ko[ilc solide l'ih.ibcnlicilcn , knotige Exkrcszcnzen vor-
handen sind.
Trotz alledem bin ich nicht ganz davon iiberzeugt, daß dieses
Flugblatt, bei dem leider (itUtes das Bittgebet unten abgeschnitten
ist, eine Anrufung gegen den Aussatz bezweckte, sondern ich neige
eher dazu, in ihm eins der Hrstlinge der Syphilisdarstellung zu
sehen. Hs fällt seine Entstehung in eine Zeit, in welcher der
Aussatz seine akuten Schrecknisse verloren hatte, und die ganze
leidenschaftliche Darstellung dieses Flugblattes stinniit mehr iiberein
mit der plötzlich einsetzenden »grausamliclien« Franzosenkrankheit.
Fs ist in kunsthistorischer Beziehung nicht ohne Analogon, daß
das Arbeitsgebiet eines Heiligen je nach Bedürfnis sich erweiterte und
veränderte; und so sehen wir denn auch, daß der heilige Job, der
ausschließlich zunächst ein Patron der Aussätzigen war, etwas später,
im .\ntang des sechzehnten lahrhunderts, auch vt)n den Svphilitischen
in Anspruch genommen wird, in der C'hronik meiner \'aterstadt
wird die neue Seuche schon 1499 die Sankt- Jobs-Krenckde genannt*).
Und der Pfarrer Berler von Ruflach schrieb in seiner Chronik um
i)it): )).Mit dieser Krankheit (JAies) vermeinen ettliche, haben die
Feutel den heiligen Job getroffen.«
So sclimückt zum Beispiel ein ähnliches Flugblatt (Schreiber
1374) und ein \on Sudhoff schon erheblich triiher angesetztes, bei
Johann W'interburg in Wien erschienenes Blatt**) ein beinahe
gleicher Holzschnitt mit der Überschrift: »Fuer die Platern Mala
irantzosa«.
Wir werden nun sehen, daß vom sechzehnten Jahrhundert an
mit dem großen Wirrwarr unter den \erschiedencn Ijkrankun^en
und der großen Konkurrenz der Heiligen eine einheitliche Aullassung
auch der künstlerischen Darstellung nicht mehr nu>glich ist.
Fs wäre ja nun ein bequemer .Ausweg aus dieser \'erwirrung,
wenn wir die malerische Xotierung einer leprösen K'nocheiulestruklion
•) Siehe Cronica van der hilli<jen Stat Coellen 1499; f. 344 c.
**) Graphische und typographische Erstlinge der Syphilislitcralur aus den Jahren 1495
und 1496.
3KäKiKiCS!0!iSJC<»tiKißS>ii>iKJßSi»!ißäiSiSii>JO!JKivi!KJßiCi HloH SiiCSiKiKiOiäSiKäKSSJOtSiäKäKäßiSSiiKJKJCiiKSiJOtJOiiK 163
als Folge der Konkurrenz mit der Lues statuieren könnten, aber
schon unter den Iriihesten Dokinnenten und sicherlieh vor einer noch
so früh angesetzten Lues-
epidemie Imden wir gelegent-
lich auch die bildliche Muti-
lation.
(jerade bei \WTken von
bedeutender künstlerischer
Hand, die um die Wende
des fünfzehnten zum sech-
zehnten Jahrhundert ent-
standen und doch jedentalls
Meisterwerke der Frührenais-
sance sind, liegen charakte-
ristische und unzweitelhalt
gewollte Schilderimgen der
Knochen mutihition \or.
Da wenden wir uns
zunächst einem Werk des
Botticelli zu , welches das
R e i n i g u n g s o p t e r d e s
Aussätzigen zum Inhalte
hat, und welches, wie mir
scheint, bisher trotz seines
vielversprechenden \\irwurfs
dem medikt)artistischen
Spürsinn entgangen ist.
Genau dem päpstlichen Throne gegenüber, eingefügt zwischen
der l'aute Christi von Perugino und Domenico Ghirlandajos Berufung
der ersten Jünger, befindet sich Botticellis bekanntes Meisterwerk in
der Sixtina. Der Lihalt dieses großen Gemäldes zerlällt in die
sogenannte \'ersuchung Christi mit der schließlichen Illustration des:
»Hebe dich weg von mir, Satan!« Doch diese \'ersuchung Christi
erfüllt nur den Hintergrund des hgurenreichen Gemäldes. Die ganze
Frankfurt St. K. I.
1-ig. 89. Hiob.
l64 3SäKäKäCöSi0i>S<S<S<C*i«ii><5<ßS><K»iSi<S<Ci!iC!S>iß Lepra JSiS!Ct!C>:!Ot!ßi5JXiC>:i5>»;iSSSi>:!0i!KSi!KSiS>!Ci!S<5S^S>ie>
\\)rdcrszcnc niniml eine alllestaincniarischc Darstellung ein, die
einzigartig in der ganzen italienischen Kunst ist und deshalb auch
lange unerkannt blieb*).
Zugrunde gelegt ist das Ka|Mtel 14 aus dem 3. Buch Moses.
\\'ir lassen hier zum \erstandnis des Gemaides den He^inn der vom
sanitätspolizeilichen Standpunkt interessanten Bibelstellen lolgen, um
Botticellis l'resko wenigstens einigermal.Wn dem N'erstandnis näher
zu bringen:
»Das ist das Gesetz über den Aussätzigen, wenn er soll
gereiniget werden. Er soll zum Priester kommen.
3. Und der Priester soll aus dem Lager gehen und besehen, wie
das Mal des Aussatzes am Aussätzigen heil worden ist.
4. Und soll gebieten dem, der zu reinigen ist, daß er zween
lebendige V^'jgel nehme, die da rein sind, und Zedernholz und
scharlachfitrbe Wolle und ^ sop.
3. Und soll gebieten, den einen \'ogel zu schlachten in ein irden
Getäß über frischem Wasser.
6. Und soll den lebendigen X'ogel nehmen mit dem Zedernholz,
scharlachfarbe Wolle und Ysop, und in des Vogels Blut
tunken, der über dem frischen Wasser geschlachtet ist.
7. Und besprengen den, der vom Aussatz zu reinigen ist, sieben-
mal; imd reinige ihn also, und lasse den lebendigen ^'ogel
ins treie Feld tliegen.«
Es ist natürlich kaum möglich, aul einer Ebene die \'ielgestaltig-
keit der Handlung zum Ausdruck zu bringen, und dabei hat sich der
Meister noch in vieler Hinsicht künstlerische E'reiheiten genommen.
Wir sehen da im Hintergründe zunächst einen [irächtigen Renais-
sancebau, vor welchem ein großer Altar mit loderndem l'euer errichtet
ist. Die l-'assade dieses im Hintergrunde sichtbaren Gebäudes ist
die später leider verbaute h'ront des Hospitals zum Heiligen Geist;
das in Mengen verbrannte Zedernholz reinigt die durch den Aus-
sätzigen verpestete Luft. Eine schone grolk' brau schleppt auf dem
•) Siehe Ernst Steinmann, Botticclli. Bielefeld 1904.
i66 äKssiOtSiißJSiKSiJSJßjKSitSiieiissiSisotSiSiiKStiCi Lepra ««•«•siKStJSJCiiKiSiSJKiSJSiSJKSiJöiKiOiSiJCtiCi'eiSiiKJS
Kopfe neues Malcrial hin/u. Doch nahm der Künstler statt des
alttestanientarischen ll\'St)pus mehr die myrrhenartige Mortelht, deren
reinigende Kratt behebtcr war*). Die i'rau des Aussätzigen bringt
von Hnks her mit einer irdenen Schüssel zwei lebende Hühner herbei;
sie will zum IheLVaiden Wasser, um nach der N'orschrilt das eine
schlachten, das andere tliegen zu lassen. Der Aussät/ige selbst naht,
von zwei b'reunden unterstützt, imd steigt eben zum Altar heran.
Xach der Schilderung Steinmanns trägt er noch die Spuren des über-
standenen Leidens im (jesicht.
Den \'ordergrund erfüllt nun die Entgegennahme des in goldener
Schüssel belindlichen \'ogelblutes diu-ch den Hohenpriester. Dieser
taucht eben einen Strauß Mortella mit rosafarbener Wolle umwickelt
in die Schüssel, um den Aussätzigen siebenmal zu besprengen und
ihn dann gereinigt der Welt wiederzugeben. Steinmann gibt an,
daß dieses Gemälde eine jirunkvolle Ovation für den Papst Sixtus IV.
war, dessen neuerbautes Spital auch den Oplern des schrecklichen
Aussatzes Aussiciit auf Heilung bieten sollte. Dabei gehörte Sixtus W.
dem Pranziskanerorden an, dessen (Gründer seine Laut bahn mit der
Pflege der Aussätzigen begann, nachdem er seinen l'kel gegen diese
Krankheit überwunden hatte. In der Umgebung sehen \\-ir, histo-
risch beglaubigt, den späteren Papst Julius II. und einige mehr oder
weniger sicher festgestellte Zeitgenossen porträtiert. Alle waren wohl
Mitglieder der Bruderschaft von Santo Spirito, die der Papst nach
Vollendung des Spitals gegründet hatte.
Alle zum Teil s\-mbolisch aufgefaßten Figuren des Gemäldes
richtig aufzulösen, ist bisher nicht gelungen. Ist der kleine nackte
traubenschleppende Knabe, der mit einer Schlange kämpft, und der
in seiner Stelhmg einer antiken Plastik ähnelt, nur dekorati\-e Füllung?
Uns interessiert mm in erster Linie der Aussätzige. Der \ er-
gleich mit den anderen Porlrätköpfen lehrt, dal.^ hier kaum ein beson-
derer Krankheitszustand geschildert wurde. Der Nachbar sieht
mindestens so elend und traurig aus. \'on den Zeichen dieser
*) Siehe auch I""olix Rosen, Die Natur in iKr Kunst. Studien eines Naturforschers
zur Geschichte der Malerei. Leipzig 1903.
l6S 35!5<Ci>!KSK?>:?KJK?K!K<0i!Ci!K<K!5!K<SS5!K!S!SSSSS Lepra SSSSSKiKäKSSäCSSßäiSSSKiKiCSJßiKStSKSSiJiäKSiiKißSiiKiß
PUtro dt-i Douzt-iU>.
.\fapfi, Mus. Xazioti,
Fig. 92. Der heilige Martin.
Krankheit, die sich im Gesicht itußern und die Guv de Chaiihac als
charakteristisch schildert, fehlen eii^entlich alle. An erster Stelle die
rundliche X'eränderung der Augen und Ohren statt der elliptischen
Form, die Auftreibung der Augenwimpergegend und die Haarlosig-
keit, ferner die Anschwellung und die Tortura der Xase, die fahle
Mißgestaltung der Lippen (Foeditas labiorum) und der starre wilde
Blick. Erst die genaue Iktrachtung des Details zeigt nun, daß
Botticelli wenigstens den \'ersuch gemacht hat, den Aussätzigen als
solchen zu charakterisieren, und daß er sich dabei nicht an die Bibel
gehalten hat, obwohl es koloristisch nahe lag, etwas vom Blutopfer zu
nehmen und es dem (jereinigten auf ^^:\\ KnorjK'l des rechten Ohres
und auf den Daumen seiner rechten Hand zu tun. .Auch künst-
lerisches Interesse lag \ielleicht vor, wenn Botticelli sich nicht an
das Bibelgesetz hielt: ».\m siebenten Tage soll er alle seine Haare
abscheren, auf dem Haupte, am Barte, an den .Augenbrauen.«
Der Künstler gab diese .Momente aul und charakterisierte den
geheilten .Aussätzigen ausschließlich diuch seine linke Hand. Wir
haben schon an anderer Stelle einmal aul das Figenartige der Hand-
und Fußschilderung Botticellis hingewiesen. Die Finger und Zehen
machen oft den Findruck, als wenn sie von dichtbrüchigen her-
rührten. Ostentativ aber zeigt dieser deheilte seine linke Hand, an
welcher sämtliche .Mittel- und I-'ndphalangeii lelilen. Das sciieint il^n
bisherigen Beobachtern entgangen zu sein. Wir sind nun weit entlernt,
dieses Wie-Abgescbnittensein der l-'inger als naturabstische Wieder-
gabe einer leprösen Hand anzuerkennen. \\'ir müssen aber bedenken,
daß der Künstler die Aufgabe hatte, das Wunder einer l.enrareini-
Bas^Ui j^,:.i4i- um /7j" Basel.
Fig. 93. Der heilige M.utin mit einem Leprösen.
gung zu schildern. Deshalb konnte er nicht das tvpische Krank-
heitsbild geben, sondern er wollte oflenbar ausschließlich den Defekt
zum Ausdruck bringen. Denn die Wunderkraft mochte genügen,
eine Heilung zu bewirken , nicht aber einmal verloren geyansene
Glieder neu zu ersetzen. Daß dem Maler selbst dieser Naturalismus,
170 iSJSi«iSiiS«i(>iK>KJ5!«iC>S>i'«<SSi'«S>iSiOiS!<0!'CS LePRA S5Jß<?SSS?JS!SJ5»S'«SiSS!Ci<Ci'!0t«iS<>!SS>«<Sie>S>St<ß
wie es scheint, als gewagt erschien, kann man daraus schHeßen, daß
er diese Verstünmiclung der Hand wieder durch die Fahcngebung
des Gewandes zu mildern suchte.
Im Gegensatz hierzu hat Pietrci del Donzclln aul seinem Kund-
gemaldc, das jel/l im Xationalmuseum in \ea[K'l ist (siehe higur 92),
die Hand des Bettlers in ihrer verstümmelten l'orm so in den
Mittelpunkt gestellt, dal.^ sie aul lallig genug als Zeugnis der künstle-
rischen Darstellung der .Mulilation gilt. Doch auch hier bedarf es
der lünschränkung. Der nackte Korper des Bettlers läßt alle son-
stigen K'rankheitssvmptome und Aussatzmarken \-ermissen. Die
isolierte 1 landverstümmlung könnte auch die holge etwa einer \'er-
brennuni; sein. Auch aut anderen (iemälden, aul denen der heilige
Martin mit Schwertstreich seinen Mantel teilt, haben die Künstler
die almoseniordernden l^ettler mit allerlei Äußerlichkeilen x'on Siech-
tum und lepi'oser Krü[ipelhaltigkeit begabt (siehe Figur 95).
So landen andere Autoren*) auch die Bettler aut Peter Paul
Rubens »Heiligem Martin« (siehe ligur 94) mit charakteristischen
Etiloreszenzen der Lepra bedeckt. Bekannter noch ist übrigens des
van Dvck Kopie dieses Gemäldes tür die Kirche Non Saventham.
Gegen alle diese mehr oder weniger ide.den Krankheitsschilderungen
berühren die X'erse des Konrad von Wür/burg (gestorben 12N7) wie
eine wissenschattliche Krankheitsschilderung:
Sin lip der wol gchaiuiultc
wart vil scliiere do geschlagnen
mit dem vil armen siechtagen
den da man heizet niiselsuciit.
L'nd weiter:
die hitersueze stimme sin
wart unmazen heiser,
im schuof des himeis keiser
groz leit an allen enden.
an fuezen unde an henden
waren in die ballen
so genzlich in gevallen usw.
*) .Siehe Henri Meif^c, Nouvellc Iconogr. de la Salpetricrc 1897.
Paul Richer, La Lcpre dans i'.'Vrt et la Mcdicine 274 l)is 313.
ä>;ij!i0t!>!Ci!S!0!iKSii0iiCtStivti5tS>SiiO!SSi Der Triumphzit, di-s Todes !ßS><o«;«iC>:s<s>s>S!<»s><i>s>!SiK!0! 171
Dagegen ist in liartnianns von der Aue »Armem Heinrich« nur
eine ganz oberflächliche Schilderung gegeben. Hit)bs Leiden werden
da zum W'rgleich herangezogen:
»Doch Ja man wahr die Schwären nahm,
Die SchanJ an seinem Leibe,
Da ward er Mann und Weib so sehr verhalit.
Wie ehedem er allen Menschen war genehm.«
\'on den trühzeitlichen Lcpradarstellungen ist eine zu berech-
tigtem Ruhme gelangt. Ist sie doch charakteristisch sowohl in der
Malweise als auch besonders dadurch, daß es sich hier nicht um
eine Heiligenheikmg oder etwas Ähnliches handelt, sondern eher um
eine Allegorie. Ich meine die Lepragruppe aut dem berühmten
Triumphzuge des Todes an der Längswand des stimmungsvollen
Campo Santo in Pisa. Diese herrliche und in ihrer ganzen Ursprüng-
lichkeit erhaltene Anlage nimmt aber den Besucher dermaßen gefangen,
daß die Linzelheiten der b'resken verblassen und nicht recht zur Geltung
kommen. Derjenige, der wie ich die Details aus Photographien
vorher kannte, wird demnach von den vieltach schlecht restaurierten
Gemälden arg enttäuscht sein. Der ALiler unserer (Gruppe, wahr-
scheinlich C')rcagna, hat da aut traditioneller (jrundlage den Triumphzug
des Todes gemalt. Lin jagdzug, an dem die Reichen jener Zeit
teilnehmen, stoßt plötzlich aut drei ofiene Särge; die Pterde scheuen,
der Gestank der zum Teil schon verwesenden Leichen, in denen man
noch drei Große der Lrde erkennt, verpestet die Lutt. Die obere
Haltte des Gemäldes wird von Eremiten und Anachoreten ausgetüllt,
welche inmitten einer paradiesischen Umgebung imgestort ihre Tage
verleben. Grauser Schrecken erfaßt natürlich die ganze Jagdgesell-
schaft, die P'reude ist dahin, und der entsetzliche (iedanke, daß heute
oder morgen von schmuckem Hdelträulein und galantem Ritter dieser
grausige Rest bleiben wird, läßt alles erstarren. Das ist eine in so viele
verschiedene Formen gekleidete ALihnung zu kirchlicher Askese, ein
Hinweis auf die Nichtigkeit des Irdischen. Alles in allem eine ver-
änderte Totentanzidee und eine ausgetührte Erzählung von den drei
Lebenden und den drei Toten. Doch hat der ALder die Unbegreit-
1 7 2 <i<C?!KiSS5äCSJKiCSiJt<C?SiiK!S!S!K<«?KSSi«äSi«!CS!S LePRA äKSvtJSiJSJKSit'ßSiietSSiSiiKißiJ'iKiSJÖSiSi'öiSJCitiSJSiS'ß
lichkcil, die Gölllichkcit des IukIisIch Kalschlusscs noch dadurch
gesteigert, daß er dieser (iruppe von Lebensfreudigen eine andere
gegenüberstellte von solchen, die \ergebens nach dem Vodc ver-
I-ig. 94. Der heilige Martin.
Von Pctcr Paul Rubens.
langen. Denen ist der Tod eine unerreichbare göttliche l^rophe-
zeiung, erbettelt und erstrebt, doch nicht erreicht. So triumphiert
der Tod aut der ganzen Linie. Wie konnte der Maler diese Todes-
sehnsucht. diese erhoffte h^rlösung von lebendiger Lein besser schil-
o
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J
O
1/4 äKiKJSissiSiilSiKißjSiCüiKSiSiiSissKisstSiSfSiS! LiPRA i!iiy:<f/<>:<i<i<f:<i<>:<^:i^^^^^^
dem. als iiuicin er eine Cinipiie \on Aussätzigen malte r Die Anslüh-
rung dieser (iriippe scheint mir nnn von einer vollendeten Ivealistik
im Detail sowohl als auch in der malerischen Ausdrncksweise des
Gewollten. Das Gemälde aber als (ian/es verliert durch die noch
ganz mittelalterlich gehaltene Anordnung und (Gliederung des Stoflfes.
Die Todessehnsucht dieser Krup[K'l hat ihre \'erbildlichimg gefunden
durch die parallele Stellung der ausgestreckten, zum Teil mutilierten
Arme mit der Tendenz aller, auch der gelähmten Glieder nach vorne.
Die charakteristischen Merkmale der Lepra sind in dem vielgestaltigen
Bilde wiedergegeben. Die X'erstimuiilimg der j-xtremitäten, der \'er-
lust der Xase, die Klauenhandstellung, die Erblindung, das Löwen-
antlitz und mannigiache andere Äußerungen von Lähmungen sind
charakteristische Zeichen dalür, daß hier Lepröse gezeichnet werden
sollten. Besonders der starre, wilde Blick und die Rundheit der
Augen, so wie das Schmal werden der noch erhaltenen Nase ist hier
offenbar absichtlich betont. Mit dieser ri_icksichtslosen Realistik ver-
glichen erblassen alle andere Lepradarstellungen.
Im Palazzo Scläfani in Palermo befindet sich hinter verschlossenen
eisernen Gardinen im Llote eines jetzigen Militärspitals das Riesen-
gemälde eines ALilers, dessen Name nicht bekannt ist, obwohl er
sich in der Lcke selbst deutlich genug mit .NLilstock und Farbglas
porträtiert hat. Lin Riesenroß trägt den 'l'od, der auf (ilückliche
und Unglückliche seine Pfeile schießt. Der Linlluß des Pisaner
Gemäldes ist fraglos; Jagd und IrtMilicher Gesang von Edelleuten
imd Großen der Welt ist eindrucksvoll geschildert. In der Lcke
links hinkt auf Krücken ein Mann, der die Haltung des Lepirösen und
das (jesicht der Nasenlosen von der Pisaner Freske zur Schau trägt.
Die Darstellung einer lejirösen Nasen\'erstümmlung beiludet
sich in l'lorenz in der sogenannten Spanischen Kapielle der Santa
Maria Novella (siehe Figur 96). Unter dun zahlreichen Ileilungs-
bedürftigen, welche hier zum heiligen Dominikus walllahren, ist
auch ein Lepröser. Da er nicht mehr stehen kann, hat er sich
unter seinen Sitz eine Ilolzprothese angeschnallt, mit deren liilte
und zweier Bänkchen er sich fortbewegt; dabei ist der .Ärmste
noch erblindet und zeii;t, im scharfen Prolil i^ezeichnet, den voll-
kommenen Verlust der Nasenweichteile. Henri Meii;e, der zuerst die
SaiUii J/tif/ii .\ ''r't'//i(, Ili'/tiiz
l'ig. 96. TaJdco Gaddi (?j. Wunder des heiligen Domenico.
Aufmerksamkeit auf diesen eklatanten Fall «gelenkt hat, betont auch
noch, daß die geschwollenen Füße Opfer der Mutilation geworden sind.
Ob der vollkommen an IFinden und Füßen gelähmte Knabe,
der aui dem Rücken getragen wird, auch leprös ist, kann man nicht
176 a>i5<0tJSiv>iCtiS!5<0!!O!S>iC>:StiS<K'«!O!iCiie!iC<'«<5iß Li : i;a iKStSSI^St-KSiiSSiJSJßSiSSiöiKStSiSXStiOiSSJSiSSi'StSi
sagen, jedentalls ist sein rechtes Rein unnvickelt uiul steht das GHed
in Spit/fußstellung. Seine I lande und die Kechic einer jungen l'raii
zeigen die tvpischen Zeichen einer Ixadialislahniung. L'iUer der Masse
von allerleid Leid ist nocii ein Blinder charakterisiert, dem ein
DiiniinikanernicMTch seinen Stab reicht; ein anderer Wallfahrer tragt
die in der DarsleHung beliebte l-\irni geschwollener und offener
Füße zur Schau. Im X'ordergrunde liegt eine eben zu neuem
Leben erwachte Jungtrau: ein Hinweis aut die Todeserweckung des
Heiligen, die in Bologna von Tiarini in einem besonderen Gemälde
verherrlicht ist. Unsere Freske, welche dem Taddeo Ciaddi (gestorben
1566) zugeschrieben wird, \erherrlicht den Frtolg des Ordensstifters
Dominikus. der am 4. August 1221 erst gestorben war.
Allerhand andere italienische Kunstleistungen stehen in der
naturahstischen Schilderung erheblich zuriick. Wir erwähnen unter
ihnen zwei Gemälde aus Florenz. Das eine in der Galerie Pitti von
Allori: Julianus ilospitatcir überläßt einem Leprösen sein Bett. Der
Aussätzige verkündet in Lichtgestalt entschwindend, daß diesem
christlichen Odipus (er hndet seine Litern im Bett seines Weibes
und erschlägt sie, trotzdem er wegen dieser Prophezeiung in weite
Ferne gereist war, worauf er büßend in die Wildnis flieht) seine
Sünden vergeben sind. Wir erwähnen diese und ähnliche Sagen,
um zu zeigen, daß nicht nur unsere heilige Elisabeth dem Aussatze
den (jlorienschein verdankt, sondern daß überhaupt die mittelalter-
liche Caritas in erster Linie am Probierslein Lepra ihren echten
Goldgehalt erwies.
Andrea del Sarlo malte die Szene, wie iMiili[ipus Benitius einem
Aussätzigen sein Hemd gibt und ihn dadurch heilt. \\'ir zeigen
auch noch aus den L'fhzien ein Bildnis aus der 'Loskanisciien Schule
des sechzehnten Jahrhunderts, welches einen unbekannten LIeiligen
darstellt, wie er an allerlei Sieche Almosen verteilt. Der letzte
dieser Männer sollte wohl .ds Miselsüchtiger charakterisiert werden:
er zeigt ostentativ den vollkommenen \'erlust seiner Finger. Üb
der zur Seite hängende (iegenstand eine Klapper ist, läßt sich nicht
nnt Sicherheit sagen. .\lle anderen Bettler tragen allerdings deut-
jSiK'O-KSiKißiS-OtiCiJO'iiSJOtSiJCiStJCtS-JSiSiStis 1 1 AUENiscHE Malerei äKiKiei-etiSiiOtStiOiJOtiCi'öiSJSSitJO'JS'Oiiet 177
lichcre Bcttclsäcko, auch spricht die Form mehr lür eine Tasche
(siehe l'igur 97).
Die Reihe dieser itah'enischen Aussatzschihlerim,i;eii lal.U sich
beHebiii: verlanuern. I'i'ir uns aber hat es keinen Zweck, hier den
/)V('i'z pliot-
Fig. 97. Heiliger mit Aussatzigen.
Toskanische Schule. Künlzchntes Jahrhundert.
Versuch von A'oUständii^keit zu machen, denn dem Charakter der
itahenischen Kirclienmalerei entsprechend, hattet der Zeichnung Svm-
bohsmus und Allegorie, Tradition und Schematismus an. Die ge-
legentlichen, schüchternen \'ersuche einer gesunden Realistik steigerten
sich fast niemals bis zu dem Wagnis einer Xaturabschritt.
Nachdem wir nun gesehen haben, daß die Künstler, namentlich
Holländer, Die Medizin in der klassischen Maleret. 1. Auflage. '-
1 78 JKi^JSiKJOiJCitiß.^jSiKSitStSiSitJCtiSJSieiJSiSjCsS!:« Lepra !C!«!5<>!Sii«<ss><KK>>ss*s»s>ö!JS<s<K!ß'«!C!S>;«!0!!S!S
Jcr frühen Zeit, die ndcli mehr im Banne der S\iiiln)Hk hig , die
Lepra traditionell dadurch marlsicrten, dal,^ sie über den ganzen
Körper Meeke oder (iesehwüre mallen, wertieii wir uns konse-
quenlerweise auch da/u bequemen, weniger charakteristische Dar-
stellungen in diesem Sinne aul/ulassen. St) erwähne ich den bresko
des Cosimo Rosselli in der Sixtinischen Ka[ielle aus dem Anfange
des Quattrocento (siehe b'igur 98). Der nackte Mann, der sich hier
Jesu knieend naht, ist über und über mit blecken besät. l:in ähn-
liches Bild, \ielleicht noch markanter, zeigt das (iemälde des Domizio
di I^artolo aus dem IKispitale Santa Maria della Scala in Siena.
]-in Jüngling, welcher sich im übrigen einer robusten Gesundheit
zu er! reuen scheint, zeigt den grt)ßHeckigen Ausschlag. Neben diesem
kauern am Boden noch zwei gelähmte Kranke.
Auch Rafiael Sanzit) hat der Lepra seinen Tribut gezahlt. Papst
Keo gab ihm den Aultrag, tur die Sixtinische Kapelle Ixartons zu
zeichnen, die als Modelle lür Cjobelins dienen sollten und die Taten
der Apostel verherrlichten, l's handelt sich um die Darstellung der
heilenden Apostel Petrus und Johannes an der Temiielsclnvelle; der
am Boden kauernde, durch Petrus' W'illenskralt bereits in die IJohe
strebende gelähmte Kranke zeigt namentlich am linken l'ul^ und im
Gesicht Symptome, die dem Arzte ilie X'ermutung nahelegen, dal.^
RafTael vielleicht unbewußt einen Aussätzigen porträtiert habe. Alm-
liche, weniger charakteristisclie Darstellungen werden mm noch viel-
fach beim Kapitel der l>eh.mdlung durch Heilige und Laien besondere
Lrwähnung linden.
Wenden wir uns jetzt zu der frage, ob aucli bei deutschen
Künstlern die Lep^ra .Modell gesessen hat, so genügt der Hinweis
aut die Llisabethdarslellungen. Diese Lrau, die wegen ihrer \ielen
Betätigung auf dem Gebiete der Aussatz|illege sich in dem MalW
die Ik'wunderung der Kirche und ihrer Zeitgenossen errungen hatte,
daß sie kurz nach ihrem l'ode kanonisiert wurde, schmückte im
Bilde die Wohnungen des .Mittelalters. LIisabeth , die (iemahlin
des Landgrafen \on Thüringen, die 'l'ochter des Königs Andreas
von Ungarn (1207- 1231), wurde aul der Wartburg erzogen, in-
ißiSSiißSiSiJOiJKKXiS^XsSiOtJS'CtJCiSSSiJOiiS!)! ITALIENISCHE MaLEREI iKJ0iS!SiS!i5S>!SSi<C>Si<S!C!<KK>.i5>S>:!Oi 1/9
mitten einer durchaus weltlich gesinnten L'nigebLing. Sie aber
neigte zu einer asketischen i'rönimigkeit , die später iliren Höhe-
punkt erreichte unter dem Einfluß des ihr \-oiu Papste (;rem)r IX.
empfohlenen Beichtvaters, des Ket/errichters Konrad \on W'urz-
burg. Ihre Ehe mit dem Landgrafen Ludwig war eine glückliche;
er ließ ihr freien Spielraum in den Werken der Barmherzigkeit.
Als 1227 ihr (jeniahl aut einem K'reuzzuge gestorben war, wandte
Fig. 98. Die Ik-ri^predigt. (KnieunJcr Lepröser.)
sie sich ganz in ihrem Schmerze religiösen Übungen hin. In der
Folge durch ihren Schwager, Heinrich Raspe, von der Wartburg
vertrieben, nahm sie ihren Witwensitz in Marburg. Dort stiltete
sie auch das Llospital. Die letzte Zeit ihres Lebens verbrachte
sie in Xonnentracht in kleinbürgerlicher Zurückgeze^genheit. Schon
vier lahre nach ihrem 'Lode wurde sie vom Papst Gregor heilig
gesprochen, da auch ihre Gebeine wunderbare Heilungen voll-
bracht hatten. Doch auch schon zu Lebzeiten erzählt die Legende
Wunder von ihr. Das poetischste ist das oft gemalte Rosenwunder;
sie trägt heimlich im \\'inter den Lisenacher Armen Lebensmittel
zu; ihr (jemahl, der sie in schneebedecktem \A'alde tritit, oflnet un-
i8o S!<c>is<j>;j5»;iS'SK>:«»:!öi!S<5!S><5><ß!5is>s>!0-s>:i:s Lepra sssiiCiiöSiCiKsssiss'iSiSio-KXSS'KSiiOtiöSiSiiCi'CiiCiJßss
Tig. 99. Sancta lUisabct.
Von Holbein dem Jüngeren.
gehalten den Kurh mit T.ebens-
niiueln und Inidel darin blühende
Kosen (l'ia Anj^ehco). lan ander-
mal hat sie einen zui^ereisten
Aussat/ii;en aul das Lager ihres
.\hinnes gehellel. Der I.aiid-
gral, dem diese hOrm \on
J^armher/igkeil ollenbar nichl zu-
sagte, stürzt in sein Schlafgemach
und reißt die Bettdecke w^w dem
Aussätzigen weg, findet aber statt
des Erwarteten ein ]\ruzilix.
Zahllos sind die Darstellungen
von deutschen Künstlern, welche
Non Acw Wundertaten dieser Frau
zu Kiinstschöptungen begeistert
wurden. Die berühmteste Dar-
stellung ist das Münchner Bild
von Holbein dem jüngeren. Dies
Doppelbildnis der heiligen Idisa-
beth (Figur 99) und der heiligen
Barbara erregt unser besonderes
Interesse nicht allein wegen seines
hohen künstlerischen Wertes, son-
dern auch aus medizin- histori-
schem drunde. Angeregt durch
seinen lund \'on drei Leprosen
aul dieser 'l'alel gelegentlich eines
Besuches der Linakothek, s[iann
\'ircliow solort in dem einund-
zwanzigsleii Bande seines Archivs
aus dem Lihre iNCii i\k:\\ Laden
der Ij'kenntnis weiter und betonte
den Wert alter (jemälde lür medi-
KSiß!S!«s>iei!SJCtiC><5!ii>JCi!ßjßißS><5>iO!!5i!Si«!K Deutsche Malerei iJiiOiJSißjCi'j^siJCiisSiJSiKiß'öSiSiiKiKiK i8i
zinischf und historisch-nicdi/inischc bOrsclningcn. Wir sehen auf
der Talel das hohe imd königliche Weib, wie sie von der WarUnirg
steii^t, um ihre Scluit/betolilenen zu speisen und zu Iranken. Zu
Füßen der lleiHgen konstatiert \'ircho\v drei Leprose luui ein lepröses
Bein, welches der (ielehrte in seiner pedantischen Anschauung nicht
mit Sicherheit unterzubringen imstande ist. Auf den Gesichtern findet
er braunrtite blecke, Erhabenheiten und delekte Augenbrauen, nament-
lich imponieren ihm die so tvpischen Ilauterkrankungen bei dem
Knaben, wie \'irchow sie nicht besser in norwegischen Hospitälern
gesehen hat. Auch die l'rage, ob nicht vielleicht die Svphilis zu dem
Bilde Modell gesessen hat, schneidet der (ielehrte an und \erneint sie.
Meige hat nun schon daran I hingewiesen, daß \'irchow bei
seiner Schilderung einige Irrtümer unterlauten sind. Allerdings hat
Virchow in seiner absolut genauen und zuverlässigen Beobachtung
Schwierigkeiten gehabt, das imiwickelte Knie im Viirderplane richtig
zu deuten. Und selbst Meige ist es in seiner sonst berechtigten
Korrektur wiederum entgangen, dal.', das Bein, von dem Virchow
nicht teststellen kann, wem es eigentlich gebort, sich aut der anderen
Seite betindet. \'or mir hängt eine vorzügliche Kopie in Original-
größe; es läßt sich hier konstatieren, daß zunächst der im Hinter-
grunde sichtbare Mann keine ausgesprochenen Zeichen einer lirkran-
kung hat, und daß er mit Wahrscheinlichkeit das Selbstporträt
des Malers darstellt. Zu beiden Seiten sieht man nun Gesichter
mit ausgesprochen leprösen Erscheinungen. Der Jüngling, der ein
großes Brot in Händen hält, welches er eben von der Heiligen
emptangen hat, zeigt die großtuberose l'orm des Aussatzes. Die
zweite Hauptperson, der Elisabeth in die vorgehaltene Schale Wein
gießt, hat tatsächlich ein etwas teminines Äußeres; die Hand und der
Arm gehören mehr einer Frau wie einem Manne an. Im (jegensatz
zu dem üppigen wallenden Haupt- und Barthaar des dahinter Be-
lindlichen zeichnet sich dieser Kopt durch völlige Haarlosigkeit aus.
Auch die Augenwimpern und die Augenbrauen tehlen. xA.ut dem
Kopfe trägt die Person ein großes Pflaster aus Leinen. Die Infil-
tration des Gesichtes ist durch die starre Faltenbilduni/ angedeutet.
i82 3et:«s*;<>:sti«'Ci!v(<i>-c«:«S!t!0!S>!0!S(;«'«iKS>!5tiJ!5CS Lepra äCiiOtiK-C'SXSiiCiiK.^iKStKXJCSiOiiJiiKJKJKJOtJvtJOiviOiiii^^
Der Ann, das Gcsicln und der sichtbare Xackcn ist der Sitz von gc-
schwürigen roten und braunliehen blecken. \\)n dieser Person, von
welcher man annehmen muß, daß sie sich mit der anderen Iland
aut den Hrdboden stützt, ist sonst weiter nichts zu sehen. Und
die Entscheidung, ob es eine brau oder ein Mann sein soll, lasse
ich mit \'irchow olben. \un wird aber vor der Säule noch ein
umwickeltes Knie sichtbar, welches gleichtalls eitrig und geschwürig
ist, und aul diesem Knie ruht noch eine Iland, welche keiner der
sichtbaren Personen angehört und welche olienkundig mutiliert
ist. Aut meiner Kopie sieht es aus, als wenn es eine rechte Iland
wäre, \on der man den Daumen und den vollkommen mutilierten
Zeigefinger erkennt. Der Künstler wollte andeuten, daß sich hinter
der Säule noch andere, wohl schlimmer aussehende Krüppel ver-
bergen, und hat die großen Knochendestruktionen dem Anblick aus
ästhetischem (irunde entzogen.
liine Skizze desselben Malers zeigt uns die Heilige in einem
Renaissancebau in der tvpischen Pose des Kannengusses; der ihr zu
Füßen Knieende zeichnet sich auch durch Ilaaraustall aus und hat an
seinem dürftigen Körper vieltachen Knt)tenausschlag (siehe l-'igur loo).
Die deutsche Schule hat schon vor Holbein in identischer Weise
die Milch- oder Weinspenden der l'disabeth gemalt. Im Schloß
i.ichtenstein zu Augsburg befindet sich eine Elisabeth in Xonnen-
tracht und mit der Gloriole, zu ihren büßen eine Menge von Kranken.
Auch im Kolner Museum ist der Gegenstand von altkolniscben
Meistern behandelt und unter den beschenkten Kranken sind Aus-
sätzige mit aullallenden (iesichts- und Augen\ eranderungen.
Der Reihe von Aussatzdarstellungen wollen wir hier noch ein
schönes Werk des sympathischen Nikolaus Manuel Deutsch hinzu-
fügen, welches im Basler Museum hängt und die JV'zeichung der
Anrufung der heiligen Anna selbdritt hat. Das Hild ist als großes
Kunstwerk in der Weise kom[H)niert, wie wir das von den bän-
blättern her gewohnt sind. In der oberen Hallte des Gemäldes
thront die Mutter Anna; sie sowohl wie auch die zu ihren büßen
knieende Maria haben große Folianten in den Händen, und das
sKiOtlCiiCSiOtäSiKiKSSißiKiSiCSiKI^iOi-etiOJCSSiStiK Dhitsche MalerE! äKäOsäKäSSSäKißiKSiiKJKiKSiiSiKiSiKiC!!« 1S3
Jesuskindchen weist mit dem l-inger atit" ein aufgeschlagenes I^uch.
Zu beiden Seiten stehen HeiHge. Das nackte Ik'in des einen mit
dem kleinen Hngelchen beweist, daß dieser der heilige Rochus sein
soll. Der andere Heilige ist gleichfalls als Pilger charakterisiert.
In der darunter gemalten Schweizer Landschaft behnden sich nun
Zeickuung von H. iioict-in. Originalau/nahiite Basel.
Fig. 100. Elisabeth mit einem Leprösen.
rechts und links Gruppen von Gläubigen. Rechts sehen wir mit
fröhlichen Gesichtern die Geheilten und die tür ihre lirrettung
dankenden Stifter des Bildes in der tvpischen l'racht des Anfangs
des sechzehnten Jahrhunderts. Den Gegenpart bildet eine Gruppe
von vier Kranken. Die im \'ordergrunde stehenden, eine junge
Büraerin und ein weni" bekleideter älterer Mann, sind nun in aut-
184 äKSKiöilKStSSiSiSSßSiJKJßSSSiJSiSSiißSiieiSiiKSK LliPRA SSStfSSiXSiSJSiKiKiSSiStiKiSiSiKSi'eSiSiSiSiJßSiiO'iOt
tallcndci" Weise als krank geschildert. Wir miissen dabei bedenken,
daß dem Maler eine nalürliche. realistische und \ielfach soi-ar bru-
Ofigiitalau/fttthinf Hasel.
Fig. lOl. Aussch:^.U .:„.. lIco .\:kul.iLi.. -M.HU.^i UL..l..^ii .Vii: i.lung der liciligen .-\nna sclbdritt.
tale Schilderung eigen ist. Der große Kranke trägt beide verstiini-
melten und kranken Anne in einer Art von .Mitella; beide i-'üße
sind verwandelt in eine elephantiastische .Masse, namentlich der
iO>:*SiO>s>!0>'Ci<!>!0>!0!?S50!iC!<c>tS><KK>.<S!e!'<iäK!K^ Deutsche Malerei 3KJK!855!Ci!«!C!iCi!C>iKäßs>:<s<S!0!JC>!0'!Ci5S 185
rechte zeigt kaum noch Reste einer Fußkontur. Der Kt)r[ier ist
besät mit einzehien l'lecken ; an dem Gesichte, welches die durch-
gemachten Leiden verrat, lallen die Aultreibungen an der X'orderstirn
und an den oberen Augengegenden auf. Sollte hier wohl sicher
ein Endstadium der Lepra geschildert werden, so liegt die \'ermuuing
Fia;. 102. Eine Heilige einen Aussätzigen badend.
V(in Burgkmair.
nahe, daß die junge, auffallend blasse Frau, welche ostentativ mit
der Rechten den bauschigen Putlarmel ihres linken Armes zurück-
streift, um an der Beugeseite desselben ein dem Autbruch nahes,
großes Leprom zu zeigen, das Anfangsstadium der Erkrankung an-
zeigen soll. Die im Hintergrunde Stehenden sind weniger eingehend
charakterisiert.
l86 SSi(S-«!S-e>'«!«SiiK)ßiiSXit!5SiS*SßS*!SiKSi!5)S!Ci LePRA SS-eiiSiSißJßiSSSJSSiJS'CiJOiiKJSiiSSiStSJtSiiOiiSiCiiJKSSJS
Hinein lang\vcili<;cn Schematismus wiederum \erhel ein Freund
Albrecht Dürers, der Maler, Holzschneider imd Cjraveur Hans Buri;-
maier (1473 -1321). In seinem Leben der lleilii;en mußte er eine
ganze Kollektion Aussätziger malen. Das Thema der Bilderi'olge
war bestellte i\rbeit. Zu Hhren Kaiser Maximilians 1. sollte er
die Heiligen malen, welche die Ahnen seines kaiserlichen Auf-
traggebers waren; daß er sich dabei einer Übertreibung schuldig
machte, muß ihm naturlich verziehen sein, denn er zeichnete sowohl
Heilige, die keine \'erwandten
des Kaisers waren, als auch
\ erwandte, die nicht heilig
gesprochen. Auf über einem
Dutzend Blätter unter Inm-
dertneunzehn kommen \'er-
krüppelte vor, in denen man
die Opfer der Lepra gesehen
hat und auch wohl sehen muß.
Da gibt es eine heilige Jung-
frau \'eronika , welche einen
Kranken übergießt. Der be-
kannte Thomas Recket von
Canterburv vor einem baden-
den Leprösen ; die heilige Äb-
tissin Segouleine badet einen
Leprösen; die heilige Oda verteilt ebenso wie die heilige Llisabeth
Brot an solche. Der heilige Ludwig L\. vt)n brankreich tritt an einen
'lisch, an dem eine ganze Anzahl Kranker essen. Die heilige Itte
verteilt (;eld. l:duard der Bekeiiuei' und lAlmuiui 1. von l:ngland
befleißigen sich ebenfalls dieser christlichen Kardinaltugend. Diese
zahllosen Leprösen sind nun wissenschaftlich kritisiert und sondiert
worden; doch scheint mir das eine ziemlich überflüssige gelehrt-
tiierische Arbeit, denn schon auf den ersten Blick- sieht man. dal.^
sämtliche Kranke, wenn ich so sagen darf, über denselben Kaimn
geschoren sind. .Man hat den l:indruck, daß der Künstler seiner
rig. 105. Aus Jcr \'<jrsuchimg des
ficifigen Antonius. Ausschnitt.
Von Matthias Grunewald lum 15151.
I'ig. lü). Die heilige HHsabelh.
Von Murillo (loiS bis 16S21.
Nach einem Kohledruck von Braun, Clement S: Co. Donijch, Pa^i^, New York,
i88 äSiKissiStiSStSiiissiSiSi'iSieiSiSiiS'OtJOi'ßiSiOiiCS Lepra <ii>/<^:^:<>:<^:<>:<^:<f:<i<f:<:i<^^^^^^
Phantasie freien T.auf ließ und aus Tradition und Reobaclitung ein
vielgestaltiges Bild \ou Krüp|ieltuni Irei kompDiiicrle.
Immer das gleielie Hild tritt in l'rscliciiiung : l^leine, mißgestal-
tene, mit Mecken am ganzen Körper bedeelae, lierahgekonimene
.Menschlein, deren Extremitäten teiks fehlen, teils sonderbare Stel-
lungen einnehmen. Irgendwelcher Wert ist dieser K'i-ankheitsschil-
derung nicht beizumessen (siehe h'igur 102).
Als Abschlul,^ und Höhepunkt der deutschen .Malschule wollen
wir nocii genauer ein (iemälde betrachten, welches, obwohl es aus-
gesprochen symbolischen Charakter trägt, alle anderen Krankheits-
schilderungen an Naturalistik hinter sich läl.U. Es ist das berühmte
(jemälde von .Matthias (jrünewald in Kolmar.
Eins der seltenen Bilder dieses .Meisters (1130 bis 13 50), welches den
sogenannten Isenheimer Altar (etwa 13 13) zusammensetzt, beschäftigt
sich mit einem Lieblingsthema di.r Kirchenmalerei, der sogenannlen
\'ersuchung des .Antonius. Es ist danht natürlich nicht der 1231
gestorbene berühmte E'ranziskaner Antonius \-on Padua gemeint,
sondern der Einsiedler, der Eremit, dessen Tod in der Thebaischen
\\"üste in das Jahr 336 \erlegt wird. Zahllos sind die Darstellungen
aus seinem Leben; besonders aber haben die .Maler ihre Phantasie
angestrengt bei der Darstelhmg der \'ersucluing des bdnsiedlers und
seiner Peinigung durch Dämonen. Des IliLronvmus Bosch aben-
teuerliche Halluzinationen haben da noch kmge Zeit nachgewirkt.
Manchmal erscheint ein schönes nacktes, zuweilen gehörntes \\\'ib,
die ihn verführen will. Die Bäume und l'elsen der Einöde nehmen
espenstische, geisterhake (iestalten an. Der Teulel zwickt ihn und
prügelt ihn während seines (j^beles. L'nler diesen .Schrecknissen
und phantastischen biguren, wie sie die tollste bieberphantasie nur
zeitigen kann, zieht nun eine in der linken unleren Ecke desdemäldes
befindliche Eigur die medizinhistorische .\ulnKrksand;eit aul sich.
Ein nackter Körper - eine Mönchkutte bedeckt nur noch Kopl und
Schulter — krümmt sich da neben einem grol.kai bOlianlen. Der
mit ungewöhnlichem Xaturalismus behandelte Leib ist nun der Sitz
von Pusteln, Geschwüren und Inlihraltn, die so natürlich gemalt
t5
19° SKiSiOiSiJSiKißSiSiiOtSi-iSißSiicsisSiiCiiOiSiSiiSSt Lepra P.<:ii<>:<f:<i<i<>:<f:<f:<>:<;'/<>:<>:^^^^^^
sind, als wenn sie nur auf die TTand des Cliirur^en warteten, uni
autgeschnilten /u werden. Auch im (iesiclit sind sclnvere \'erände-
rungen wahrnehmbar. .Man hat nun darüber debattiert, ist das .Sxphihs,
ist das Lepra?*). Kellei'. der wdhl zuerst die Auhiierks.unkeit aut
dieses (jemälde gelenkt hat. will aus der Heschallenheit der schweren
Ilautveränderungen die l.ues mit Sicherheit erkennen, und er sieht
in dieser Schilderung eine wertvolle Darstellung dieser Krankheit aus
dem ersten Beginne ihres Ersclieinens. (irunwaUl habe mit vollem
Recht diesen neuentstandenen Krankheilsdamon auf die Tafel ge-
worten, und um die allegorische Idee zu bett)nen, diesem Wesen
\'ogelfüße gegeben. Henri .Meiiie, der intimste Keiuier dieser N'erhalt-
nisse, behauptet wiederum, dal.^ es sich hier um eine ausgesprochene
Aussat/schilderung handle. Dalür spräche auch nut Sicherheit der
linke hochgehobene Armstumpt, der ein t\[Msches Produkt dieser
Krankheit sei. (Leider ist der Arm aut unserem Hildausschnitte in
^\'egtall gekonnnen.) Ich Ireue mich voll und ganz, mich hier mit
Richer aul dun auch schon anderweitig \'on mir verlochteiien Stand-
punkt stellen zu können, daß die Entscheidimg dieser b'rage aus der
Oberflächenveränderung des Körpers allein unlösbar erscheint. Die
Linzelellloreszenz kann im Bilde einen unbestinnnbaren (diarakter
haben , und die Körperreaktion aul ganz verschiedenartigen Reiz
können sich ähneln. Ich hatte mich trüber nut Henri .Meige \or-
bchaltlos lür den .\ussatz entschieden, wegen der .Mutilation und weil
diese Krankheit in jener Zeit noch der konkurrenzlose Ausdruck war
für allerlei Siechtum in der Kunst. Die Überlegung aber, daß dieser
Antonius gleichzeitig noch der Patron der vom Antoniusleuer, dem
Ignis martialis, Belallenen war, bildet Inr mich in der Ikanlei-
lung dieser seltsamen bigiir eine neue k'omplikalion. Das heilige
Feuer, Ignis Sancti Antonii, ignis iniernalis, \ on den romischen
Schriftstellern seit Celsus Ignis Sacer genaiml, ist wiederum eine
vieldeutige, wenig erforschte Kiankheit, welche, von gangränc)sen
HautafFektionen beirleitet, dem .Milzbrandkarbunkel ähnlich \erliel.
Die von dieser scheußlichsten aller Krankheiten l>elallenen wurden
*; Siehe Richer, 1,'Art et la Mcdeciiic S. 307.
SKiKJ^SiSiißiCiSi-OiStJOtiSJOtiCiJCSiJtJCsiSiSiJS Um I \MiiscHE Malerei ssäK-CiJCiiKiCi'CSiSiKiOiiKSiiSJOticsjKiC? 191
von den unerträglichsten Schmerzen gepeinigt, daß sie /älnieldappernd
l\)desqualen erhtten. Das l-leisch iiel \c)n den Knochen, der Geruch
der Fäuhiis umgab sie. Manchmal heilten die unglücklichen üpter,
nachdem ihnen Hände und l'üße abgetallen waren. Der Iranzösische
Arzt Read hat 1771 zuerst diese Verlaulung am lebendigen Leibe
mit dem Mutterkornbrand in Beziehung gebracht. Über die Ciründe
datür und dagegen wollen wir hier nicht verhandeln, sondern nur
darauf hinweisen, daß gerade der heilige Antonius mit dieser Krank-
heit in intensivste Beziehung ge-
bracht wurde, und daß wir noch
eine Reihe von frühesten liinblatt-
drucken besitzen, aut denen mit
dem /Vntoniusfeuer Behaftete, mit
brennend dargestellten Händen, zu
dem mit dem Antoniuskreuzstock
und der Glocke Versehenen flehen.
Hin Gemälde des Francesco Bon-
signori stellt den Eremiten dar,
wie aus der eigenen rechten Hand
b'euerflammen lodern. Mir scheint,
daß die Ideenverbindung vielleicht
Fig. lOb. Der Leprose.
den Künstler zu dieser Darstellung
veranlaßt hat, und daß er vielleicht,
da er persönlich keine Gelegenheit
mehr hatte, Kranke mit Antonius-
feuer zu sehen — die letzte große Epidemie war im Jahre 1347 — ,
schwere karbunkulose und im Aufbruch begriffene Hautafiektionen
überhaupt zur Darstellung brachte. Aucii ist zu bedenken, daß im
Volksbewußtsein überhaupt die W'rheerungen des heiligen Feuers,
die im günstigsten F'alle die Überlebenden zu Krüppeln machte,
Erinnerungsbilder hinter sich ließen, die sie nüt anderen Krankheits-
formen mischten, um dann das Bild tiefsten menschlichen Elends
zu schaffen.
Die offenbar bravourös geschilderten Schmerzparoxysmen dieses
192 SKäKSiJSSiSiSiJKSi'CiiCsisssiStssstSiSi'ßSiJßJKSS Lepra ■<f:<f:si<i<f:<f:<:>:<f:<:i<i<f.<^^^^^^
Kolmarcr Paiicnlcn stimmen aber durchaus nicht /u dem meist
schmerzlos \erhuitenden Aussat/. Auch die Hand- und FulMauhiis,
das Ablallen des lleisches \'on dun Knochen aut dem Gemälde kann
als realistische Schilderunu angesehen werden. Schwankt so die
Krankheitsätiologic, so i;ibl sie dem Medizinhistoriker eine geeignete
Unterlage für eine medizin-historische Dillerentialdiagntise.
Unter den Hlisabetlularstellnngen darl Murillos großes Werk nicht
tehlen. Allerdings enttäuscht dasselbe, vom Standpunkt der Krank-
heitsschilderung betrachtet, den .Medizinhistoriker (siehe bigur lo ().
Wohl bei keinem der Malgenies aller Zeiten kamplt die ge-
suchte Realistik des Gegenstandes so mit
einer nivellierenden Politur des gut biirger-
lichen (ieschmackes. Trotz offenbarem
Streben, \'olksszenen zu malen aus i.\tjn
vorstädtischen Seitengassen, sind doch die
Bilder salontähig und. wie Richard .Muther
trellend bemerkt, haben die ßettlerjungen
polierte bingernägel. Und so dürlen wir
.uit seinen Ilospitalbildern auch nicht eine
kritische Sonde in die Schwären der ein-
zelnen Kranken legen. Nur \erklärte und
idealisierte Cjegenstände der Harmherzig-
keit stellen seine Kranken \or.
Die llämisch-niederländische Malerei chai'.daerisierte die Leprosen
weniger durch die Korper\eränderung als durch Kleidung imd Klapiper.
Die Tatsache, daß letzteres Abwehrsignal aut allen Iriihen sud-
lichen Kimstschilderungen lehlt. spricht eine deutliche Sprache.
Wir sahen schon den Lazarus mit der Klappier sich dem Tisch der
Reichen nähernd auf dem (jemälde von \'alkerts (siehe b'igur 3 ().
Wir bringen noch Rembrandts Ivadierung vom Jahre 16^1 und
den Mönch mit der im (nirt steckenden Kla|iiK'r aus der Kruppiel-
folge von Gornelis Matsvs. Ls existiert ein sehr seltenes Xürn-
bergcr Flugblatt vom Jahre i 195 (Abbildung bei Richer bigur 186),
auf welcher Szenen aus dem Leben der »Sondersiechen« geschildert
1 ig. 107. Cornclis Matsvs
c. 1540.
Aus der Krüiipelsciic.
sind. »Nun mcrckt ir trummc Christcnlciit , ob Jas nicht etwas
Gutes bedeut, daß die von Xurembcri; Meißi.nlichen , alle Jahr den
armen Sundersiechen , so kosthcli essen und triiil<en i;eben , und
auch zu Kleiden; auch daneben gab man denselben Mann imd
Frawen zwen Doktor die sie lleil.Mg schauen, welches sei siech oder
gesund.« Aut dem Bilde sieht man den Arzt mit vorgehaltenem
Tuch, während der Prediger weniger ängstlich ist. Alle Kranken
tragen nun zur Seite eine Lepraklapper.
Den Zusammenschluß der Leprosen erkennt man aus allerlei
Veranstaltungen. So malte \'ischer i6ü.S die echt holländische Szene
des Ommegangs der Leprosen am Ivopper maandag. »Met de cla|-ipen
SV cleppen« (siehe Figur 103). Daß die aus der Ciesellschatt \'er-
stoßenen sich ihrerseits wieder zu einer Gemeinschatt zusannnen-
taten, das lehrt das belgische Banner aus der Xationalbibliothek in
Paris. In der Mitte der Seidenfahne vom Jahre 1302 steht Lazarus
mit dem Nimbus und der Kla["iper, darum eine Cüiirlande \()n
^^'ap)1en und Klappern").
LUES
Wir gaben bei der Lepra hin und wieder schon Hinweise aut
die bildnerische Darstellung der Franzosenkrankheit, und
diese wollen wir noch etwas erweitern. Es liegt aut der Hand, daß
malerische Darstellungen großen Stils kaum vorkommen dürtten.
Trotz der Sittenlosigkeit jener Zeit scheute man sich, eine Krank-
heit, die man sich aus cMlentlichen Buhlhäusern holte und dei'en
genitaler Charakter allgemein bekannt war, als malerischen Vorwurf
zu verwenden. Unter den Erstlingen der Svphilisliteratur ninnnt
die Spitze der seltene Nürnberger Druck des triesischen Doktors
Ulsenius ein, der bei Beginn der Epidemie vereidigter Stadtarzt in
Nürnberg war. Diese muß 1496, als der Dichterarzt sein aus hun-
dertzehn Hexametern bestehendes Gedicht mit der Überschritt Lichnica
Genesis verfaßte, schon eine Zeitlang grassiert haben, bevor sich
*) Alibildung bei P. Richer Figur 1S7.
Holländer, Die Medizin in der klassischen M.iletei. 2. .Auflage. 13
194 5KSKSiJSiöi«i«St'«<sst<c*<KSiissiJC>«JC*iS<ß!CSiK!K LcEs r>:<:f:<>:<i<>:<>:<i:<f:<f:<>:^^^^^
der Friese dazu aufschwang, seine Meinung über diese Krankheit
den Xürnbergern und auswärtigen Kollegen mitzuteilen. Denn eine
medizinische W'ochenschritt existierte ja damals noch nicht. Ks
datierte wohl auch eine Zeit, bis der junge Albrecht Dürer die Zeich-
nung zu diesem (jedichte gemacht hatte und das Ganze in der künst-
lerisch geschickten l'orm gedruckt war.
Von seiner italienischen Reise schrieb Dürer aus X'enedig den
1 8. August 131)6 nach Hause: »Saget nur unserm Prior mein willig
dienst. Sprecht daz er (iott vür mich [lit , daz ich neluit werd
und sunderlich vor den Frantzosen , wan ich weiß nix , daz ich
beller iürcht wan schir iderman hat sv, \'il leut h'essen sv »ar
hinweg, daz sv also sterben«*).
Außer den wenigen, meist kolorierten Nürnberger b^xemplaren
existiert noch ein späterer Augsburger Neudruck, der aber wahr-
-scheinlich nt)ch aus demselben |ahre stammt. Wenn wir uns zunächst
die Zeichnung ansehen, so erkennen wir im oberen Drittel des Holz-
schnittes eine Sphära mit den eingezeichneten Sternenbildern. Beim
näheren Betrachten hnden wir dann einen Stern im Zeichen des
Widders stehen, mehrere andere im Sternbilde des Skorpions; in
der Mitte steht die lahreszahl 1484. Diese Sternenzeichnung weist
von vornherein daraul hin, daß ein Zusammenhang zwischen der
Genitalseuche und der Sternenkonstellation angenommen wird. Die
Astralätiologie leierte damals ihre höchsten Triumphe, und schon
seit langem war auf die Konjunktion des Katharinentages des
Jahres 148 [ von den iatromathematischen Ärzten hingewiesen worden.
Sudhofl erinnert in seiner eingehenden Würdigung dieser X'erhältnisse
daran, daß, wie ja auch aus jedem Aderlaßbilde ersichtlich ist, der
■schwarze .Skorpion die Genitalsphäre beherrscht. Die Konjunktion des
Saturn mit dem Jupiter im Slernenbilde des SkorjMon wies demnach
auf eine zukünftige (jeschlechtspcst hin, und es ist von größtem
Interesse, daß der Professor der Astronomie, Magister Johannes Engel
■(Angelu.s) aus Ingolstadt, auf seinem »Laßzeddel« Noni Jahre 1484
') V. Murr, J.ihrliucli zur Kunstgeschichte und Literatur X, S. 23.
SRißSiSiiOiiKiOiiSStivSäKiKSSiKäKJKJOtiKiOiiKJSJOt Dl K JUNGE DüRER JOt-SiiSiSiCiiCSiKißSfJÄSiiOiSiiiSiiKJSJSiiSJCi 195
schon über die große Konjunkuir des Kutharincntagcs unter anderem
folgendes prophezeit: »Die Weh wird mit großem Krieg, 'l'euerung
und Pestilenz und einer Lust zu großen Widerwärtigkeiten der christ-
lichen Kirche überzogen werden. Auch wird die Neigung sein zu
einer Geburt eines falschen Propheten, der widerwärtig wird der
Lehre Christi (!). Lnid das alles soll geschehen nach Ausweisung
der Astrologen innerhalb sechzig lahre oder noch kürzer.« Das Nähere
über diese Verhältnisse ersehe man aus des Göttinger Prt)tessors C>. 11.
Fuchs Standardwerk*) und den graphischen und typographischen
Erstlingen der Syphilisliteratur, die Karl Sudhotf in ungemein les-
selnder Form und mit wissenschaftlicher Vertiefung behandelt hat**).
Unter dem Sternenkreis erblicken wir nun einen Mann, der den
Eindruck eines kranken Landsknechtes macht. Ein mächtiger,
schwarzer Hut bedeckt den Kopf, an ihm weht eine große blaue
Straußenfeder. Unter dem Schlapphut aber trägt der Kranke nach
alter Sitte noch eine rote Kappe. Lange Locken von echten Ilaaren
wallen ihm bis auf die Schultern, wobei wir uns daran erinnern
müssen, daß der Haarausfall bei der Syphilis erst in späterer Zeit
hinzukam. Ein Mantel bedeckt den Körper, doch werden die nackten
Oberschenkel sichtbar und ein l'eil der Arme. Im (Besicht, an den
Armen und an den Oberschenkeln sind nun, genau entsprechend
den früheren Aussatzschilderungen, rundliche Flecken eingezeichnet,
welche an einzelnen Stellen noch durch Auftragen xon Rot einen
offenen und geschwürigen Eindruck machen sollen. Der braune
Mantel ist inwendig mit Blau gefüttert. Zu beiden Seiten des Kopfes
belinden sich Wappen, sowohl der Jungfernadler, als auch der
halbe Kaiseradler. Zu Füßen des Befallenen liegt noch ein kleineres
Sonnenschild. Was nun diese Zeichnung betrift't, die die Kunst-
wissenschaft mit Sicherheit dem Albrecht Dürer zuschreibt, so können
wir heute noch, nach über vierhundert Jahren, die X'erlegenheit des
*) C. H. Fuchs, Die ältesten Schriftsteller über die Lustseuche in r:)eutschl;uKl I4')5
bis 1510, 1843.
**) Karl Sudhoff, Graphische und typographische Erstlinge der Syphilisliteratur aus den
Jahren 1495 "nd 1496. Siehe auch R. Blanchard, La Syphilis dans l'Art. Nouv. Icon. de la
SalpOtr. igoo.
jungen Künstlers nachemplindL'n über die ihm gestellte Aufgabe. Auch
er stand noch ganz im Banne der 'l'radition, mähe ohne irgendwelchen
\'ersuch der C'harakterisierung der neuen Krankheit, wie man im
allen Siile Aussalz und allerlei Kralze markierle. In seinem kunsl-
lerischen Dilenmia und wissenschalllichen Lneriahrenheil nahm er zu
demselben Millel seine /ulluchl. welches die Tolenlanzmaler \er-
anlaßle, in ihrer Unkenninis der Skeleltbildung, den Knochenmann
mit dem Tolenlaken zu umhüllen. Auch Dürer bedeckte seine
Unkenninis, oder wemi man will seinen Liunul, im Wagen einer
realistischen Wiedergabe nul einem großen Mantel. Der Inhalt des
klassizistischen und schwimgvollen Cjedichls ist wissenschaftlich
schon deshalb von groLk^ni Interesse, weil in ihm der erste Hin-
weis aut die Koniagiositätsquelle gegeben ist.
»Dijaculatur ovans nicntag;rani viscida lichnt,
l'ocda lues, spurco primuni contagia peni,
Crustüsi (bene nota caiio), nova scmin.i morbi.«
Der Sinn des Ganzen geht darauf hinaus, daß unser Dichterarzt
ratlos und hiltlos der neuen Sternenkrankheit gegenüberstein und
im dichterischen (beschwatz seine therapeutische Ohnmacht verbirgt.
Sudhoft betont schon, daß dieses Carmen den Lesern, Ärzten und
Patienten doch wirklich etwas zu wenig geboten habe, und so hat
Ulsenius in der x\ugsburger Xeuaullage desselben Jahres neue Schluß-
verse hinzugefügt, welche wenigstens religiöse Trostmittel an[ireisen
und einen Trunk aus dem lordan.
Bei der Diu'chmusterung der irühesten Svphilisdarslellungen,
welche als buchschnuickende Titelblätter entstanden sind, sowohl des
Sebastian Brant liulogium i \^)(-' . als namentlich auch der mehr-
fachen Zeichnungen aus der deutschen und lateinischen S\philis-
schrift des Joseph Grünpeck vom Jahre i \^)(\ Imden wir aul diesen
allen, ebenso wie aul den religiösen Mugblättern der lolgenden |ahre
keinen originellen \'ersuch, das Krankheitsbild der hosen Blattern
anders zu charakterisieren, als nach tiem alten Schem.i des armen
Hiob. Das einzige, was vielleicht erwähnenswert ist, ist eine (iesle
auf dem Titelbilde des Traktates von Joseph (h'ünpeck. Da knien
d^niM : 1 JitHtrio bdCK (hpftKj tmbc
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rif tarn/ irrfonKiti pagat Ucnj« C*n(nä
JTIfu pJDt j(i<oUe foliw btpiouft bonwe
Vülguöiiifta rcnto(dcot>oie:arcdturtiliibä
ßucfirrit3Ititonäefjaaattplnf(adöf0p
panbcTt npoLüncÄ icunauppotc {alucnn
tTlfln^ rtTÖtp '^i'uTi i ^ht& ac anmu fjno;
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Qun* pmton narocp fad* mal* (owr n("tm(
ßoob rtimwböano gnito inbuljat pwaift
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JrtT« rninoö f jlcf qi pigrdm pj'tpf lojiwiKni:
Qcilica 1U< .pcjE (^ntiDO 3'^'"^ altodonj
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ffiiirpl^tuB bü magnua jbcfl büt^attjj t^cjt
ä)njanöofTC4lfemorforqui ptnt>itttaß
auit»-tu£(mirtOiCi)q:i]0qiic CbdltajmWr
Vltofjqi n(pd nonc liPramifU Öpbtct ;
ioic tibi cigifffimt paunjt rW pocuU ponflt
in<ct''"»*"'b'0jq. \«\ü3 1 UmboTt noc/tf«,»
Jjlafadmbiguügcniromifcrter'amun
(^ogitJtTt4rKU<3[Jbtuif<budfn tbt
SxJTt^nti moio? licMt mmiirii(]c ntfdnba)
piounue igniuomä romot b*f fruit ab Jram
nigtJ<5 coting(K flewmlju p(0fut *?V^rc
rionj cominucmtbiwtua ptrlia ITUajoia
3(tj[icfm:irjQj0Jin QicfprTnimDti)liö
numimtoe pignfl -.t nofha nlwriafqiuU/t
eirifürc^ü trntcoö imci^t t^Btf CDoiUdo
i^O« Ö>*U< 0*n^ bü ctdufo mummtfli rmbw ;
Xictäo^iXc pouoJ ftoni0>ln bififl nwjptoo
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^moif 7iuU fraubomt numrrt (Lern
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Ciffdt in frtmi(nfuni:t(n<rO0 brpdfat amw
Birtfui (bitt4)tcecH5obrirt:il« omnU fbmo j
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rU ribc4t namra fagar ( bilfcnpo ctKte
ß.DÄta wDÜlbilibuÄ cama t bifc^^Ha ftbuie
Canntrubm(bito)tJ*t4|«biüM tffanos
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iDetii^ar^lnjormtrle cuim(rat(c<flb
pnt>dbat'(Cäl'paUmtUoi6< Ucncm
}>sanonu btfltnw pwmltrrofuw pocodJ
£nrtcdt*trK bul' J8 rttntie lnb< pap^Ua^
CJiiJCuWoaane^tnmwgtävtlVlba iLic^m
^fbaLuferpurccprfmüconugfapnnj
Cnif^c^t-bnitow iLonojnctw fmrtnamo^ti
nrmopmfTCfloqir'bttiTimenffdafaUi
SüKtfOttmibcwqoolÄnt Uba aftUoe
jufcabiMiponü bttJtCintbcfha mj^nnt)
"OtcnjfUtfuTft rtl'iabat Jojmlntcmib«
£)n<»na fw^Ano p(|h6 monuiii*w pianbo;
3t qirt*fwu rog« quc |u mcbtclnd bolötti
1E4 1 ICKce olof * ful^ranw in «bna f^o
pintf^rw^fcUmi inufienonvlttnuftöük
t^iut ^r^Wtö foj Hvlu ploo: turuat UofcE;
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^ .^ tufcTJtttt^^tJODSJflnjdpiflmafl^aafiS.
''!^^^I^V~^ ßiw l'^at In pccpKÖilijaö xbi faituengc^
CoUW'-t*'! fooo (ruft non(fmui Jrance^
nifnij: Vii^ncofubqtgtnönoriiJtdo-
^'-.iciBfm' bfpcfcjt cp('ii*apmdrcluptrtO
31'clfpium JfigiUüt^b.:bCHm6bignJ i^tifrto
t?aaa l'>Cft;ftitJbo b(»w i »nutsww pon4
annbot üqit'nam vicn»tni«K*atattcr
mt bi«* iitm/bn*nioi \^n bumw 4b(bi;
^nncar*:fcabt«jf<5a.itw(p"'g'"™« (oibrt j
ötbi' b«^ HlntmcffT" mÄcfd mKlUc-
Öcrrtarhui*: mon»n Ubma»am( nilnao
ßufft^ f rj )ab i^tie* fulpiüainqc amtruf
pt)iUnibürtnjtamarT*'qinb ©Äot^qD©
nin(CTÖ«a(liM(üglt?qoibf«facDlpa«r
ßui^qtmfTiBÖfbmjt (Oboer bfltpa i^oluä«
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3nfigni 3K^qanii flubfö SÄCCim?
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3ot«tpiaib«c7t^ÄMafpiütf(^iCMce
pbcbud btotno polticc bodt rbor-
&ii laput cdoeficttna pocmiJM pngfc
M9Ö
Fig. loS. Erste Durst
Fluf^blatt Ues Nürnberger Stadtmedicus riscnius,
ung der Syphilis.
Zeichnunt; von Albrecht Durer.
Berliner Kupfersiichkabinett.
19S ssJSSiSiStSitSiJKiS'CtJKiSSiiöJSissiJßJSiSjßiCiisSt 1.1 1 ^<f:<f:<:i<>:<>:<>/<f:<>:<>:<>:<>:<':<f:<>:i>:^^^^^^
zu Füßen der thronenden Madonna Kranke mit Blatternausschlag.
Das Christuskind wirft, auf dem Holzschnitt von Sebastian l^rants
luilogium. entsprechend antiker Autlassung, Sirahlenhündel von l'est-
pteilen aut die Kranken und l\)ten. In der ersten Ausgabe nun
von (irünpecks S\|ihilisschrilt liegt quer im \'ordergrunde ostentati\'
ein nackter jimgling, das Opier der pestilenzialischen Scorra sive
.Mala de kranzos. Dieser tote Jüngling bedeckt aul der ersten Aus-
gabe mit der linken llaud sein Genitale; eine lür einen Toten
immerhin autfallende (ieste, und es gehört keine zu große Phantasie
dazu, hierlür den bekannten Zusammenhang der Erscheinungen ver-
antwortlich zu machen. Auf der späteren Ausgabe dagegen liegt
die Hand seitwärts. Doch ist auch zu bemerken, daß die ganze
Austührung^des ersten Holzschnittes eine sauberere ist und daß zum
Beispiel die Pusteln an einzelnen Stellen absichtlich als koniluierend
gezeichnet sind.
Bisher ist mir nur ein Kunstwerk großen Stils aus späterer Zeit
bekannt geworden, welches auch nur annähernd die gleiche Meister-
schatt verrät, von der ein literarisches, großartiges Dokument erlüllt
ist; ich meine des Rabelais Pantagruel (13^5), das den »Spanisch-
Feuer-Leut« gewidmet ist. \\\v müssen schon über hundert Jahre
warten, um in einem Werk des großen Realisten Rembrandl eine
Beziehung zum Friumphzug der Fues zu linden.
Durcli Wilhelm Bode wurde meine Aulnierksamkeit aut ein
bisher unbekanntes (k-mälde Rembrandts gelenkt, welches kürzlich
in die Sanmilung des Herrn (Jeheinn-at Koppel gelangt ist; ein ebenso
merkwürdiges wie bedeutendes Werk aus der letzten Zeit des großen
Künstlers. Bode schildert in dem Jahrbuch der Kt)iüglich Preußi-
schen Kunstsanmdiuigen ]9o8, llelt ], dieses erschreckend häßliche
inid doch so rührende Antlitz dieses AFtnnes lolgendermal.V'n:
»Die reiche, mattfarbige Tracht, ein golddurchwirkles Wams,
die vollen goldigen Pocken (Perücke), die den Kopt innrahmen,
lassen die Unregelmäßigkeit uik! die luitstellung des (jesichts noch
stärker erscheinen. Wenigstens aut tleii ersten Blick, denn je mehr
wir uns in die Züge dieses kranken .Mannes mit dem eingelalleiien
Nasenbein, der großen leblosen Überlippe und den hohkii Augen
mit ihrem eigentümlichen Ausdruck vertieten, lun so mehr verliert
sich der abstoßende Hindruck, wir gewinnen sogar eine gewisse
Sympathie für die Persönlichkeit.« lis wird dann meine Ansicht
•'^*H^v
.'■^j- ■'
f eml)ubrd)cr 'Zi'acMt von bcm v:fp!uti«?ö«->l?otoj frar»
jpo.baa man nennet bic vpilbcn wart^cn. Such eni gry^f':^
mbwarc ert5ennevnHt)alt)cnvilööcb!^ncl<.Wicinv,i (
egircn foU in bifcr jcft-
Fiff. 109. Titelblatt aus Jos. Grünpcck.
(Zweite Ausi;abc mit veränderter Handstellung der Toten.)
Kianke mit wilden Wartzenj.
wiedcrseseben, daß es sich hier mit großer Wahrscheinlichkeit um
das Porträt eines xMannes von etwa 43 bis 48 Jahren handelt, der
ein Opfer der Lues geworden ist, und nicht nur der Krankheit,
sondern auch der Behandlung. Besonders das Ahgetressensein des
linken Nasenflügels, die geschwürigen, zum Teil noch unvollständig
vernarbten Prozesse an der linken Gesichtshälfte, die Rembrandt etwas
200 3>:jK!0>s*<s<o>si!0!<0!Siiss>ii!S!iC><SJßs><K!C>i5SiSi!Cs Lues ¥^.'!>:<>:^:<i<:f:<:i<f:<f:<:i<i<^^^^^^
durch \\)rlai;eruni; der Locken kaschierte, i^ehen dein Bild die charak-
teristische Marke. Ich schrieb damals, dal.^ das Kiiidlich-Cireisenhalle
des Gesichts besonders getrolTen sei, nnd dal,^ nur die ,i;rol.k' Kunst
Renibrandts imstande sei, ndt der \\'ahrhaltii;keit der Schilderung
i'-rrliti . Sunnillun i; Kof'/cl .
liiJ. 1 10. l'orlr.it.
der äußeren I'orm eine künstlerische Wirkinig zu \ereini<;en. Inter-
essant ist die (;eschichte dieses Gemäldes. Trotz oÜenbar echter
Bc/eichnung war das J^ild vom K'unsimarkt nicht beachtet, weil es
vollkommen verschmiert war; aus diesem meisterhalt gemalten
Krankheitsporträt eines alten Syphilitikers war der hübsch Irisierte
Kopl eines Junglini^s iKTausi^cput/t worden, liist des Kcstaiir;iU)rs
Knnst hat diese Cbermaking entternt und unsere Renibrandl-
sanimluni; um ein originelles Meisterwerk vermehrt.
PEST
Wir Aussat/ und Syphilis die ewige schwere \ot im eigenen
Lande, so brach hunnengleich von Zeit zu Zeit über Land
und W^lk eine Seuche herein, die Mensch und Tier verheerend
abwürgte, Pestilenz in jeglicher Form. Wie ein Heuschrecken-
schwarm erschien sie pl()tzlich, man wußte nicht woher, und als
sie sich wieder entfernte und man zur Besinnung kam, da sah
man, daß das große Sterben ganze Dörfer und Städte ent\-olkert
hatte. Die historische Forschung kennt eine Reih
e solc
her
'an-
demien ; die älteste ist die sogenannte attische Seuche, nach ihrem
hervorragenden Beschreiber die Pest des Tliucvdides benannt
(430 bis [2) V. Chr.). Der große Geschichtschreiber ist in seiner
exakten imd detaillierten Ausdrucksweise für uns deshalb ein be-
sonders wichtiger Augenzeuge, weil er zu den C')plern der Seuche
gehörte und das (ilück hatte, dieselbe zu überstehen. Die attische
Seuche zeichnete sich vor der tvpischen Pest dadurch aus, daß die
Anschwellung der Drüsen, die später das charakteristische Merkmal
der I^ubonenpest war, mit Sicherheit bei dieser Epidemie fehlte. Die
von dem Schriftsteller erwähnte Tatsache, daß die Seuche zuerst im
Piräus anfing und allmählich landeinwärts zog, gibt ja schon einen
Hinweis für die Vermutung einer Linschleppung. \\'ir können natur-
lich an dieser Stelle uns über die pathologischen \'erhältnisse und
über die verschiedenen Svmptome des großen Sterbens nicht ein-
lassen; das ist Gegenstand epidemi^dogischer Spezialforschung. Uns
interessieren hier mehr die Kulturfolgen dieser Epidemien und
eventuell die ALirken, die sie im literarischen und künstlerischen
Leben der \\)lker hinterlassen haben. Bei dieser Betrachtung ist die
Auflassung von Wichtigkeit, welche man von der Ursache der
202 ?KX?is<s<ß=C!i5i5<ß<s:«<s<S'CtiO!iSJSS>i«ssi5iC>s>si PisT <^:i>:<f:<>:<^:<i<i<>:<:i<i<f:<f^^^^^
lirkrankuni; hatte. ThucvJiLlcs betont das vtillkommene Versagen
menschlicher und rehgioser Betätigung. Je mehr sich die Arzte mit
den Kranken abgaben, um so häufiger erhigen sie seihst. St) viel
man sich auch /u den Temiieln wandle, ( lottesdienst, Orakel und
alles (jöttliche liel.s im Stich.
».Möge nun ein jeder Laie oder Arzt über den wahrscheinlichen
Ursprung der Krankheit reden, ich werde nur sagen, wodurch ein
jeder, wenn die Krankheit noch einmal hereinbrechen sollte, die-
selbe erkennen kann, weil ich selbst erkrankt war und andere er-
krankt gesehen habe.«
Diese Kenntnis aber der Erkrankung durch l:rtahrung am eigenen
Leibe und diese Bemerkung des I'hucvdides ist wichtig genug und
von einem großen praktischen Nutzen. — Die dem Übel Kntron-
nenen konnten sich der Kranken und Sterbenden im Getühl der
Sicherheit annehmen, denn keiner wurde zum zweitenmal von
dieser Krankheit schwer befallen. Scheut sich Thucvdides über die
eigentliche Ursache der Krankheit schon zu verhandeln, so spricht
Diodorus ausführlich über die Ursachen der Pestnot. l:s charak-
terisiert den .Stand der Kultur, welche Autlassung ein Volk \ on den
Krankheitsursachen hat. So w^erden wir sehen, daß im späten Mittel-
alter wieder die rein religiöse Auflassung von dem Schrecknis des
schwarzen Todes das wissenschattliche Gewissen einer ganzen Zeit
erstickte. Ich habe bei der Behandlung der Exvott)s in der »Plastik
und .Medizin«*) daran! hingewiesen, daß die lünl güldenen Bubonen
und die lünl goldenen Mäuse, welche die Philister, nachdem sie
den Israeliten die Bundeslade abgenommen und d.ulurch nach ihrer
Ansicht von der J5ubonenpest in Asdod, (jath und likron heim-
gesucht wurden, wohl als älteste Krankheits-l:xvoto überhaupt aul-
zufassen sind. Wir müssen aber auch an dieser Stelle uns etwas
ausführlicher mit dieser Philisterpest belassen, weil dieses Thema
besonders häufig; den .Malern .ils \'orwurl gedient hat. Wir
besitzen eine ganze Anzahl \'on demälden, Zeichnungen, Stichen,
*) »Plastik und Medizin', S. 237.
204 sssKisstiSJSStJS'^iS'öici-iOtjßJOiiSiSijefiCiSi'öSKjßSi Pi VI ■<f:<>:i>:<>:<f/<f:p:<>:<f:p:<i<;>:<>:i>:<f:^^^^^^
welche Jen Gegenstand der IMiilisterpest behandeln: sie finden ihren
malerischen liiMiepunkl in dem Gemälde des Nicolas l\)ussin.
iis bedarl nun eiuenllich nicht des besonderen Hinweises, daß
die Maler, welche an die Rew ältii;ung dieses schwierigen Stoftes
giniien, keinen Unterschied machten zwischen den einzelnen Arten
O c^
der l\'stilenz. dal,^ sie nur das groLk' Sterben aul die Leinwand
brachten; teils nach Schilderuni^en der Zeitgenossen, teils, und das
sind tür uns natürlich die wertvolleren (iahen, aul Grund eigener
Beobachtung. Die alttestamentarische Schilderung von der Philister-
pest wird olt einlach illustriert. Samuelis \'. Kapitel i : »Und da die
von Asdod des anderen Morgens irüh aulstunden, landen sie Dagon
auf seinem Antlitz liegen, aul der 1-rde vor der Lade des Herrn,
aber sie nahmen den Dagon und setzten ihn wieder an seinen
Ort. Da sie aber des anderen Morgens wieder Irüh aulstunden,
landen sie Dagon abermals aul seinem Antlitze liegen, auf der
Hrde vor der Lade des Herrn. Aber sein Maupt und seine beiden
Hände lagen abgehauen auf der Schwelle, daß der Kumpl allein da
war. Aber die Hand des Herrn war schwer über die von Asdod
rmd verderbte sie und schlug sie mit bösen Beulen.« Und später
heißt es; »Die Hand des Herrn schlug inCiath die Leute klein und
groß, und welche Leute nicht starben, die wurden geschlagen mit
Beulen, daß das (Geschrei der Stadt aul gen Himmel ging.« hii
VL Kapitel 3 heißt es aber: »So müßt ihr nun machen Bilder luircr
Beulen und lüirer .Mäuse, die Luer Land verderbt haben.«
Poussins (iemälde hält sich an diese alttestamentarische Lrzäh-
iung. Man sieht im Hintergrunde das aufgeregte Volk, welches das
Wunder des umgestürzten Ciottes zu leidenschaltlicheii Äußerungen
veranlaßt. Im Vordergrunde liegt ein Weib, die bereits ein Opfer
der Pest geworden ist. bin Zwillingspaar ist ihren .\rmen entlallen;
das eine Kind liegt auch schon \erendet am Roden, während d.is
andere noch zur j'jrust der toten .Mutter stiebt. Der \'ater sucht
es von der verderbenbringenden mütterlichen Seite zu einlernen.
Dieser rührende Zug, den schon Katfael in ganz ahnlicher Weise
benutzte, ist einem antiken .\!oti\' entnoimnen. IJei Kalfael sowohl
•
wie bei l'cHissin halten sich nun die Männer in der Ansteekuni;.s-
tureht mit Tüchern oder auch mit der bK)lk'n Hand die \'ase zu,
um den Pestleichendutt nicht einzuatmen. Cjanz im X'order^runde
aut Poussins Cjemälde sitzt aui den Stulen eines Hauses ein voll-
kommen in sich gebückter Jüngling; das Bild restloser Hollnungs-
losigkeit. Aut einer mir bekannt gewordenen Studie liegt vor dem
Mann in derselben Stellung der bereits in bäulnis übergegangene
Pestkadaver eines kleinen Knaben.
Der Zusannnenhang zwischen der Ungezieferplage und der
Pest, der ja nach moderner Ergründung zutage liegt, da die Ratten
Träger des Pesterregers sind, scheint den Alten schon visionär vor-
geschwebt zu sein. Datür ist Zeugnis der Philister Kästlein mit den
güldenen Mäusen tmd den Beulen. Die Katten, welche Asdod
überschwemmten, sind nun massenhat't auf dem j^ilde in der
Umgebung von Dagons Haus sichtbar. Dem Maler (1394 bis 1663)
— kam es bei seinem (iemälde der Philisterpest in erster Linie
darauf an, den leidenschaltlichen Ausbruch des Schreckens in jeg-
licher l'orm zu malen. Nirgends aber hnden wir Andeutung einer
wirklichen Krankheitsschilderung. Das hat sein l.andsmann, Pierre
Mignard (1610 bis 1693), bei seinem ebenbürtigen Gemälde, die
Pest von Kpiros, schon mit etwas mehr l'rfolg versucht. Die
Schilderung eines großen Sterben allein genügte ihm nicht. Kleine
Szenen losen das Bild in Hinzelabschnitte aut. Poussin grifl zu
der traditionellen Darstellimg des zur toten Mutter strebenden Säug-
lings. Mignard dagegen stellte in den Vordergrund Ausschnitte aus
dem erfolglosen Kampf gegen die Seuche. Zunächst sieht man
überall aufgestellte Keinigungsfeuer, aber deren schwache Rauch-
wolken verm()gen nichts gegen den Clualm und den stinkenden
Odem, den himmlische Abgesandte ausgießen. Im \'ordergrunde
hat ein jimger Arzt soeben den AchselbidTo eines Weibes geöffnet,
da entgleitet das Messer mul die Schale seiner Hand, und er sinkt,
selbst ein Opfer iler Krankheit, um. Zu beiden Seiten wird dvn
erkrankten Opfern stärkende Medizin eingeträufelt. Dieser luensch-
lichen Hilfe gegenüber erficht im Hintergründe die Menge die Hilfe
SKätiSSiJßiOSSisOiiKssiCiJC'StißSt'öJSiOiJSiKS'JSiCiiOiiCi Boccaccio SiiS!iCijKS>s>:siS>!S!!>!K!0>!v>:<!S!!S<Ki5s>5S<JtiK 207
der Götter. — Auf der Tempelsclnvelle wird gerade ein W^idder
geopiert. Von allen Seiten aber stürzen die \t)ni wahnsinnii^sten
Durst Gepeinigten einer heiligen Quelle /u, aus der sie gierig
trinken.
Die berühmte Schilderung der Pest von Morenz im Jahre i 5 (8
durch Bt)ccaccic) in seinem Dekameron hat eine seiner Naturschilde-
rung würdige etwa dreihundert Jahre spätere Illustration gefunden.
Beide sind von solcher Xatürlichkeit, daL^ wir jene traurige Zeit nicht
nur an uns vorbeiziehen lassen, sondern sie beinahe miterleben. Wir
meinen die (iemälde des Augenzeugen der neapolitanischen Pest vom
Jahre 1636. Im Gegensatz zu dem dramatisch angelegten und im
einzelnen durchgetührten Gemälde von Aii^nard und Poussin ergeht
sich der Italiener in einer Schilderung des Selbsterlebten in e|-)ischer
Breite, lis wird uns nicht schwer, die historische Wahrheit des
ausführlich Geschilderten anzuerkennen und zu verstehen, wenn wir
die Berichte der Tagespresse noch vor Augen haben, mit der Schilde-
rung des Choleratodes aut dem Balkanschlachtfelde. Man kann sich
nur allzugut die Schrecknisse jener Tage vorstellen in den engen
Gassen Neapels und Stambuls.
»Es waren genug derer, die auf offener StraLk- bei Tag wie bei
Nacht verschieden. Und von vielen, die in ihren Häusern den Geist
aufgaben, erfuhren es die Nachbarn erst durch den Gestank der ver-
wesenen Leichname. Meist beobachteten die Nachbarn ein und das-
selbe Vertahren, wozu sie sowohl durch die Purcht, es möchte ihnen
durch die Verwesung Getahr erwachsen, als durch die Liebe zu den
Verstorbenen bewogen wurden. Sie selbst nämlich, allein oder mit
Hilfe von Trägern, zogen die Körper der Toten aus den Häusern
und legten sie vor die Haustüren, wo man deren, besonders des
Morgens, ringsum eine zahllose Menge sehen konnte. Danach ließ
man Bahren kcmimen, und wo diese fehlten, wurden manche nur
auf irgendein Brett gelegt. Auch trug man nicht allein auf einer
Bahre zwei oder drei zugleich, sondern sehr häutig begegnete es,
daß eine Bahre Frau und Ahmn, zwei oder drei Brüder, den \'ater
und den Sohn usw. tru";.«
208 ?KJK<0t!KSi«!Si5Siie!KSi«'C!!CiJKX)''e!ie!iKJ0t'C!!JC?!KJK PlST SiS0>!C*!«JS>K<K!«!<>:!S!CSiS«iß-O><K!C>Si'-C>JCi!C><ß!O>^
Sind die Gemälde des .Mieco Spadarro*), welche die neapoli-
tanische Pest schildern, nicht lllustraliinien zu Boccaccios Schilde-
rung? Im llimmel erblicken wir auch hier den erzürnten (jott-
vater mit den Fesipleilen in der Hand. »Stralt doch der Zorn
Gottes mit der Pest die Ungerechlii;keit der Menschen.« In dem-
.selhen jähre 1636 linden wir auch die Pest in Schlesien. Zu Ciuhrau
wurden die Totengräber angeklagt, mit llilie des Teufels Brunnen
und Straßen vergütet zu haben. Aut ihr (jeständnis wurde ihnen die
Haut in Kiemen geschnitten und ihr Körper mit glühenden Zangen
verbrannt ^^). Auch aul einem unserer Gemälde (1-igur 113)
erblicken wir eine Riclustelle. In das Geschrei der an Pest Sterbenden
gellen die Angstrute der zum Rad und zum Galgen verurteilten
»Erreger« der Pest. .Aut beiden Gemälden sehen wir berittene Ärzte,
welche Anordnungen geben. Geistliche mit vorgehaltenen Tüchern
geben aut der .Straße Absolution und Abendmahl.
Es entspricht nun dem kirchlichen Charakter der Epidemiezeit,
daß nicht etwa einer der vielen Ärzte, die als Opter ihres humanen
Berufes starben, mit dem Cdorienscheine der Popularität geschmückt
wurde, sondern daß die einzige volkstümliche Persönlichkeit in diesem
wüsten ('haos ein geistlich gewordener Patriziersohn aus Montpellier
wurde — Rochus — , der, nachdem er, der Überlieterung entspre-
chend, sein reiches Gut den Armen gegeben hat, \-on Stadt zu Stadt
zog und Pestkranke pflegte. Die Rekanntschalt mit den Schicksalen
dieses frommen .\I.mnes, der einer der geteiertesten Heiligen der
katholischen Kirche wurde, ist zum \'erstandnisse der unzähligen (ie-
mälde erforderlich. Sein Leben wird in zwanzig Reliefs in der Scuola
di S. Rocco zu \'enedig geschildert. Der ganze Palast, pj'gentum
der nach ihm genannten Hruderschafl, ist ihm Stiftung und .Monument
zugleich. Unzählig sind auch die kleinen Statuetten, die ihn inmier
in der tvpischen Pose darstellen, wie er im Pilgergewande, den Stab
in der Hand, mit der anderen am Oberschenkel seinen Pestbubo
*) Das Gemälde 113 befindet sich seit längerer Zeit im Magazin des Museums.
**) Siehe: Ursachen wie, welcher Gestalt und woher die Infektion in der Niedcrschlesicn
komme. Wittenberg 1656.
zeigt. Aul seiner Pilgerfahrt erkrankte er selbst und zog sich in
die Einsamkeit zurück, um ahein zu sterben, liin ilini h'emder
Hund, nacli anderen ein Engel, kam und heilte seine Pestbubonen.
Der Hund trug ihm auch Brot zu. In seine Heimat zurückgekehrt,
starb er unerkannt im Kerker*).
Derartige Rochusdarstellunuen fehlen wohl
kaum m irueiul emer
größeren italienischen Galerie. In der .Mailänder Brera zählte icl
y'^*'- ^- —
iig. 115. Pust von Neapel 1656.
allein vier, von denen des Eombarden Borgognone Bildnis deshalb
das größere Interesse in Anspruch nimmt, weil der Hintergrund
des Gemäldes interessante Pestszenen zeigt; wir sehen da den
wandelnden Pestdoktor, den betrübt sitzenden Kranken, wie er sich
seine Pestbeule kühlt, und im Hintergrunde das Fortschaffen und
Verbrennen der Leichen und qualmende Räucherungen als Abwehr-
nhttel. Die Darstellung des Rochus ist die konventionelle, er hebt
*) Näheres siehe »Medizin und Plastik». S. 523.
IToUänder, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2. .Auflage.
2IO i«^ißjßij!!SiSSK<0*iKiK!SJKJCi>asJCi!!Sie>iS<Jt!iSSKiß!S P: s r JSiKiöiOiJSSSiCiJKJCiiiSJSK^iCSiOiiSSSSSiCii-CSJSiOtJSiKiSiCitiKJK
das Ikiiid hoch, ohne dal,^ aber die Pestbeule selbst sichtbar wird.
Das ist um S(.) realistischer der ball aul dem (iemälde des 1-rancesco
Carotti"! in X'erona (i)2S). liier betastet der i'il^er die Ik'ule, die
dadurch sichtbar gemacht ist,
daß ein Schlil/ des Ik'inkleides
die Leistengegend freilegt (l'i-
gur 114). Dieselbe Darstellung
hnden wir zum Beispiel aut dem
Bilde des P. da San Vito. Mit
einer oflenen Pestbeule als cha-
rakteristischem Krankheitssvm-
ji ptom behattete Mantegna seinen
Rochus aut dem schönen (ie-
nialde: »Jesus mit zwei Heili-
gen«, in \'enedig. üin frühes
Ciemälde dieser Art entstammt
dem Meister der heiligen Sippe;
der Kolner setzte im Gegensatz
zu den meisten derartigen Schil-
derungen wenigstens die otlene
Beule an anatomisch korrekter
Stelle (siehe Pigur 113)*).
In der Ikairteilung der Pest-
ursache des vierzehnten und
sechzehnten Jahrhunderts doku-
mentiert sich am besten die ein-
getretene Wendung in der Aul-
fassung vom Leben und der
große l'drtschritt in der Aut-
klärung des X'olkes. Der schwarze 'Pod war di:n Ärzten und den
Laien, dem Klerus und der Regierung des vierzehnten Jahrhunderts
Fig. 114. Ausscliniu aus dem Geniakic des
Francesco Carotto.
') Weitere Pestdarstcllungen: von Robusti in Vcncdij.;, G. Rcni, II. Carracci in Dresden;
P. P. Ruljcns: Die Pest von Alost, Paris, Bordone; S. Rocco, Venedig; .\ndrea del Sarto,
Palazzo Pitti, Florenz; Bassano, Mailand.
JßJKSiiO'iKSSiKSiiSSiJviiOiJOiSi'Ci'OiJviJCi'OiiKSi l\l l u.iosi: Al I l as^l \(, SSiSSiiSSiiSOlißiCiiOiSiJCiiKSiiCiSiSiiK - I 1
fast ausnahmslos noch die l'oli^c transzendentaler und astraler Ur-
sachen. Metaphysische N'orstellungen von \vidrii;en Dünsten und
Nebeln, Zorn Gottes, besondere CJestirnkonstellalioiien und ahnliche
Dinge entsprechen dem (ieiste des vierzehnten Jahrhunderts. Priester-
beichte, Ablaß. Bilderdienst, blutige Selbst-
geißelungen und vor allem Judenverbren-
nungen zum Lobe (lottes galten als wirk-
samste (iegenmittel. Der Magistrat der heim-
gesuchten Städte erließ, anstatt Pestbaracken
zu bauen, \'erbt)te gegen die Sonntagsent-
heiligung, lästerliches Muchen und Schworen,
untersagte Gastmähler, Hasardspiele und das
Anlegen von Trauerkleidern. Raub, Mord
und Verbrechen aller Art erhoben in (jegen-
wart des Todes in beispielloser Art ihr freches
Haupt, und um die Todesgedanken zu zer-
streuen oder auch in Anbetracht des unver-
meidlichen Unterganges feierte man allerorten
l^acchanalien tmd Orgien höchster Sinneslust.
Über die ärztliche Tätigkeit ist nicht viel zu
sagen. Die meisten Doktores entzogen sich
durch Mucht ihrer Pflichterfüllung, und viele
andere büßten dieselbe mit dem Tode. So
blieb Guy de Chauliac, »um der Schande zu
entgehen«, auf seinem Posten in Mont|-iellier;
es ist ein ewig grünes Lorbeerblatt der Arzte
von Perugia und Siena, daß sie damals schon
den Mut fanden, die Pestursache durch Lei-
chenöffnungen teststellen zu \vt)llen. So olien-
bart es sich, daß im vierzehnten Jahrhundert die Kontagionsidee und
dementsprechende Maßnahmen noch eine geringe Rolle spielen.
Zu Lnde des fünfzehnten und im sechzehnten lahrhundert sehen
wir nun bereits einen erbitterten Kampf der Kontagionisten mit ihren
Gegnern; und wenn auch zum Beispiel noch Martin Luther in seiner
K.'in.r Schul,-.
rig. 115.
Der heiliijc Rochus.
212 iCSäKSSSiJSSiSiJKiöieiJSiKJCt-ftiOiSiStSiiöJSJKJSJCSSi l'lM !SJßJ5!0!i0täßJSiSSi!ÖK«JKJS!SiS>i«iCiKSi5>S!S!St!CiS«ie>!Sä5t
kleinen Schritt, »ob das Sterben zu llichcn scv«. cniplichlt, die biisen
pestilcnzischen Leute, welche absichtHch die Krankheit verbreiten,
dem Meister Hansen (das ist dem Henker) zu überleben, so war
das Laienansicht. Die Arzte bemuhten sich, wissenschalthche Beweise
tür die Konta^iositat der
Seuche zu verbreiten. Der
erste Epidemiok)ge seiner
Zeit war der \'eroneser Lras-
cat(.>ri , gleich berühmt als
Dichter, Lhvsiker, Astronom
und Arzt. Aus den vielen
LluL;blattern und \'erhal-
tuni;smal.^regeln. die _L;ei;en
die Pest angeführt sind, wol-
len wir nur aus der bereits
erwähnten Anatomie des
Johannes de Ketham einen
ilnlzschnitt anlühren, der
uns die Proph\-Iaxe des Arztes
bei Seinen \'isiten zeigt. Wir
Sehen, wie der Doklor sich
einen wahrscheinlich mit
Lssig getränkten Schwamm
vor den .\hind hält, wie zwei
L'ackelträger ilm begleiten,
von denen der eine noch ein Räuchergetäß trägt. Dabei untersucht
der ängstliche Medikus seinen Patienten gewissermaßen per Distanz
(siehe Ligur ii6). Bekannt ist der Kupier von Columbina aus dem
Jahre 1636, »Der Doktor Schnabel aus Rom«. Das l'lugblatt, welches
uns wie eine Karikatur anmutete, wenn nicht der Zeichner aus-
drücklich aut demselben erklärte: »n.tch dem Leben gezeichnet«,
illustriert, wie der Pestmedikus in ein überall hermetisch geschlos-
senes, gewachstes (jewand gekleidet ist. Die Hände stecken in
Handschuhen, das Gesicht in einer \'ogelmaske, die Augen sind
lig. 116. Aus dum l-iiscicukis inudiciii.ic \on
Johann de Ketham (1491).
!C(iKi5!iO>!O>5S!OiJO!JOiiOtiS!0i!Ci!O>Si<JiiC*iCi«<0!!^^ KoNTAGIONSIDi;i, SiSiJOiJCSJSSiiKiiSSiiCi'OtStSiiSiSiOtJSJKJOt'Ci :: I 3
durch kristallene l^rillen geschützt. Der lange Schnabel ist deshalb
nötig, weil vor dem Munde ein Depot von Spezereieii sicli belindet,
eine Wirstule der Desinfektionsmittel. Üb durch diese prophv-
laktischen Maßregeln die Sterblichkeit der Ärzte selbst eine geringere
gewesen ist, scheint sehr fraglich. Bekannt ist, daß \-on den Fran-
ziskanern in der Pestptlege allein \'iele tausende gestorben sind.
Es kann das nicht wundernehmen, wenn zum Beispiel die Pest in
Florenz allein hunderttausend Menschen dahinratite und nach Petrarcas
Schilderung von tausend kaum zehn am heben blieben. Abraham
a Santa Cdara, der berühmte Kanzelredner, gibt die Zahl der Todes-
fälle der Wiener Pest von 1679 in seinem »Merk's \\'ien« auf
siebzigtausend an und betont dabei allerdings, daß von den Geist-
lichen viele, von den Ärzten nur wenige starben, ein Zeichen dafür,
daß die kontagionistische Aullassung ihre Fruchte getragen hat.
Diesen immensen Zahlen gegenüber will es nicht viel heil.V'U, daß
zum Beispiel in Main/ sich etwa zwölitausend Juden in ihren
Häusern den Feuertod gaben, und im Jahre 1298 in Nürnberg und
in Würzburg angeblich hunderttausend, weil sie »Bosheit getrieben
mit unseres Herren Feichnam« und die Brunnen vergütet hatten,
gemordet wurden. Überraschend und ganz im modernen Sinne ist
die Maßnahme der Stadt brankfurt gegen die Pest. Unter den vielen
\'erordnungen, die alle die Erkenntnis der Ansteclamgsgefahr dik-
tierte, heben wir einige heraus, die die Deputierten und C^n'atores
Sanitatis im Pestjahre 1666 lestsetzten, wenige Jahre spater, als Frank-
furts größter Maler, Adam l^lzheimer, im Schuldturm gestorben war.
1. inlicierte Bürger sollen sich bei den iniection hauslichen ein-
halten, die Besuchung ötlentlicher AFircken wie auch Irequen-
tirimg Kirchen und schulen ad tempus enteußern.
2. \},\ es vorgekommen, daß einige Verstorbene bis zum 4ten
Tage unbegraben gelegen, soll man sorgen daß alle iniicirte
Personen längstens innerhalb 2 'Fagen möchten unter die Erde
kommen.
3. Die ]3arbieren sollen jeden Pestkranken den sie in Behandlung
haben anzeigen.
214 SJJSStietiCiS'JSJOiStJOiJSJß'eiiKSiiSSiStiöiö'CiißSi'Ot l'i si <:i<f:<i<f:<f:<ii!>:i>/<i<i<i<i-^^^^^^
4. Jeder Ilausgesell soll wöchentlich einen Kreuzer _i;ehen um
davein in jedem Quarüer ein bis zwei W'arlweiber zu bestellen.
3. Die Schwein, die nicht vom Hirten L;etrieben werden, sonder-
lich der Bäcker und Bierbrauer sollen ab^eschallt werden.
6. L'm das 1-dnschleichen trenuler Persimen zu verhindern sollen
nur die llaupttore i;cöflnet und ihnen \er|ilhchtete Manner
angestellt werden, welche niemand der \-on einem inlicierten
Orte käme, einzulassen hatten.
12. W'ere der große Xumeriis der (jdst zu Hochzeiten und Kind-
betten zu verringern.
13. Der Pastor l\'Stilentiarius soll bei keinen nicht inlicierten Per-
sonen zur Beichte sitzen.
I |. Die Post welche inliciert ist, soll verlegt werden.
Alle diese recht zweckmäßigen N'erordnungen scheinen lirtolg
"ehabt zu haben, denn schon nach etwa sechs Monaten bezeu2:en
sämtliche Arzte und Wundärzte, daß sie keinen kontagiösen Patienten
mehr zur Kur haben, wozu auch das etwas später nacherlassene
Gebot beigetragen hat, »keine Kleider oder Hausrat an der Pest
Gestorbener weder selbst zu gebrauchen noch zu \erkauten, ehe
es vor der Stadt nht Strohteuer brustuliert, gewaschen und an den
ofTnen Pufft gehenckt worden«. Wir sehen den gewaltigen P'ortschritt
in der j-h'kenntnis der Dinge. Während man sich ein Jahrhundert
früher noch ganz aul Ik-ten und die Wunderkratt der Heiligen ver-
ließ, hat jetzt der Magistrat den Mut, vor dem Kirchenbesuch zu
warnen. Und ein Witz der Weltgeschichte ist es, daß es gerade
ein Kleriker gewesen, der Kardinal (ieronimo (jastaldi zu Bidogna,
der die Kontagionslehre aul lesle l-üße setzte.
Auf unserem Ausschnitt des (iemäldes von C'arotto (l'igur 11 |)
sahen wir eben noch den nackten Sebastian \ow Pleilen durchbohrt.
Dieser Heilige, der fast ausschließlich Pestheiliger wurde, ist wohl
der am häufigsten gemalte .Märtvrer. Zunächst hat Sebastian nnt
der Pest nichts gemein. .Man erinnerte sich vielleicht noch an die
antike Vorstellung von der Jüitstehung \-on Seuchen, daß der er-
zürnte Gott Pfeile auf die .NK'nschen schieße. Jedenlalls taten die
!«SiSiSi<SS>!0!!Ci!0!!0>!5-:!C!<S<>iS!>J>:S>!OiS?!C>sOt<SSSiK^ 1 ANZWUT iliJSJOtißißSiiOiJOiiKJOtJOtißiKiCiJOiiCi'CiJKiCiJOiSiiCi 215
Gebeine dieses römischen Kriegers Wunder in l'esUallen, und bald
war er der größte Konk'urrent von Kochus, niil dem /usammen er
ott auf Gemälden erscheint*).
Be\or wir das Ka|Mtel der mittelalterlichen Seuchen xerlassen,
müssen wir noch eine l:pidemie besprechen, die ebenso interessant
wie unaul geklärt ist, sowohl in historischer als auch medizinischer
Beziehung: die Tanzwut. Diese Manie, welche zu den verschie-
densten Malen in Westdeutschland, am Xiederrhein und in Holland
grassierte, gehört zu den psvchischen Epidemien, unter welchen außer-
dem noch die Geißlertahrten und die besser studierten Kinderlahrten
zu zählen sind. Die ersten sicheren Nachrichten über Tanzwütige
stammen aus dem Jahre 1575. Durch Teutelsmacht entstand am
Niederrhein eine tobende Sekte von Männern und \\'eibern, welche
aut ötlentlichen Plätzen, in Kirchen und Häusern zu springen und
tanzen aniing und dabei vorgab, unter himmlischen \'isionen, durch
diese Sprünge aus dem blutigen erdbedeckenden Schlamme zu ent-
kommen. Unter den wildesten Ausschweitungen zog eine solche
tanzende und umschlungene Menschenmasse von Ort zu Ort. Kaum
hatte der Klerus durch Exorzismen den einen Ausbruch erstickt, so
entstand ein neuer Herd. So zählte man in Metz allein eil hundert
Tanzwütige. Als im Jahre 14 ^S ein neuer großer Ausbruch im
Elsaß entstand, schleppte man die Besessenen zu büß und zu Wagen
in die Kapelle des heiligen \'eit nach Zabern, wo sie Heilung fanden.
Eine andere Gruppe dieser dem W'itstanz Ergebenen wurden als
Johannistänzer bekannt. Es scheint mm durchaus traglich, ob diese
bei einer auts äußerste erregten religionstanatischen Bevölkerung zum
Ausbruch gekommenen l:xaltationszustände rein psvchischer Natur
waren, oder ob der auch in unseren Tagen in abgeschwächter bV^rm
epidemisch aultretende \'eitstanz auf einer organischen Grundlage
basierte. Eür die erste Ault'assung sprechen die zu den verschiedensten
Zeiten bei den verschiedensten \'olkern vorgekommenen ähnlichen
*) Siehe auch Charcot c-t I'aul Richer, Lcs I'tstifcrcs de Jaffa. Xouvelle Iconogr. de
la Salpütricre, 1S91.
2i6 jKJS!>:s>)SSis>!Ci50>:ieii5iss«:«<K<ss>iß!>:'eiStjß Ta>j/\vut äK!yt<5>;«<sss<K<ss'S?i>:>>:ss!C!ie'!5<!iij!iK!i>'C('C>!K'CiSi
Zustaiulc. Ich erinnere an die Tanze der Derwische, der Schiittler-
sokten in Xordanierika und nanienihch an dcu 'l'aranlisnius in Itahen.
Als l-rinnerung an diese Tan/seiichen schlecple sich mit llilie der
Geistlichkeit bis in unsere Tai^e die Sprini; [Prozession zu i:chternach
am Rhein iort. Die Teilnahme an dieser, am Pfine:stdienstaa- statt-
hndenden Prozession, bei welcher in liu(itender Weise nach jedem
dritten Schritt einer wieder zuriick^emacht wird, yilt am Rhein als
sicheres Mittel gegen \'eitstanz und l:[Mlepsie, sicher eine merk-
würdige, unter den Klängen der alten W'illibrodmusik vor sich
gehende homöopathische Therapie. Aber außer diesem lebendigen
]{rbteil aus jenen Zeiten massenhafter \'olkshvsterie besitzen wir
auch ein künstlerisches X'ermächtnis. was die Wi'anlassung war, diese
Dinge hier zur Sprache zu bringen. Pieter J^reughel der Altere
muß Zeuge solcher Tanzszenen gewesen sein.
Allerdings handelt es sich nicht um die j-chternacher Spring-
prozession*), sondern die Üriginalzeichnungen, die in Wien auf-
bewahrt werden, fertigte Breughel für eine kleine Druckschrift
(s' Gravenhage 1642) an, lür die Ilondius die Holzschnitte lieferte.
Der Titel lautet: »\'ertooninge hoe de Pelgerimnien, op S. Jans-
dagh, büyten Brüssel, tot Meidebeeck danssen moeten; ende als sy
over dese Brugh gcdanst hebben, oite gedwongen werden op dese
volgende maniere, dan schijnen sv, voor een vaer, van de vallende
Sieckte jenesen te zijn.« Der Titel sagt alles, die Illustrationen sind
nieisterhalt; der Tv[his der hvsterisch-epileptischen Bewegungen in
der Komposition sind im Detail bewunderungswürdig. Dazu konniit
noch das intime Studium der die stoßweise Bewegung der hvsteri-
schen Weiber parierenden Bauern, und als höchster Triumiih der
Zeichnung der Schiebetanz der Dudelsackbläser. Hat man die Weiber
dann glücklich über die l^rücke, dann fallen sie erschöpit wie ein
Sack um und sind kuriert . . . lür ein Jahr (siehe bigur 117).
Das korybantische und athetotische der Bewegungen hat den
Bauernmaler sicher malerisch gereizt, und es ist ihm auch die Lösung
•) Henry Mcifjc, La Procession Dansante d Eclitcrnach. Nouvcllc Itoiiojjr. de la
Salpctricre, 1904.
Fig. 117. Tanzwütige nach Pieter Breughel d. A.
Radierung von Hondius (1642).
2lS 3K!5SiSSiS5ß?K5C?!SäSSK5KSiiK!Oi?K!KS55ß!KiCiSC!! T\\/\MT SfiSXJiSiJKStiCiJK^JSiKSSiSiKSiiKSKSSJSiliißSSSSiKSt
dieses Problems nicislerhall L;cliiiii;en. Die cliiich das Jdhlcii geschwol-
lenen ll.dsadern. das Schielen, die i^an/e horni der Be\vei;nni;en
sprechen mit Sicherheil dalür, daß es sich hier um XaUnbet)bachtungen
handeil.
Diese Zeichnungen benul/le |. M. C^harcol bereits in seiner
berühmlen Arbeil mil l'anl Ivicher: »Des Demoniaques dans l'Arl«,
Paris 1SS7. Durch Aneinanderreihen der ein/einen l^laller bekommt
die PoUe den Prozessionscharakler.
Die malerischen Niederschläge, welche die epidemischen Krank-
heilen bei allen \'ölkern hinterlassen haben, sind xon einem gewissen
kulturhistorischen Werte. Das ist bei anderen Krankheitsschilderungen
ziitälliuer An mu' in weit geringerem Mal.k' der l-'all. Gewil,^ inter-
essieren diese auch, aber der Wert ihrer wissenschalllichen Samm-
lung liegt aul anderem (jebiete, als dem rein medi/inhistorischen.
Und deshalb wollen w ir uns auch bei der Besprechung von zutalligen
Illustrationen der menschlichen Pathologie \-on Meisterhand eine
gewisse Ik'schränkung autlegen. So hat es wirklich nur Kuriositals-
werl, wenn da ein Porträt lang und breit beschrieben wird, aut
welchem der Dargestellte eine Hand zeigt, an der ein l'inger durch
Knochenpanaritium verkürzt erscheint. Wir wollen jedoch noch
einige Krankheilsgruiiiien zusanuuenlassend betrachten, welche in
ihrer Anhäutung nicht nur Zulallswei'l haben, sondern echte Ixinder
ihrer Zeit waren. In erster Linie lueine ich ^Ja die Zwerge. Daß
heutzutage weniger Zwerge herundaulen, wie Nor einigen hundert
Jahren, das wird keiner behaupten oder beweisen können. Aber das
ist sicher, sie werden heutzutage weniger gemall wie hiiher, und
das kommt daher, weil der deschmack der Zeit sich \'ollkonuuen
geändert hat. und die Rolle, die die Zwerge im oilentlichen Leben
einmal gespielt haben, (jotl sei Dank, einer \eredellen (jeschmacks-
richtung hat weichen müssen. Lst es nicht mehr als ein seltener
Zufall, daß gerade der größte .Maler, iler je den Pinsel getuhrt hat,
Velasquez, eine ganze Reihe großer demälde hinterlassen hat, aut
denen die scheußlichsteiA'erirrunuen menschlicher Gestalt mit wunder-
barer Xaturbenbachtun^ \ere\vigt sind; aber von demselben Meister,
der an der Wiedergabe dieser AlilMormen Gefallen fand, besitzen wir
kein einziges authentisches (jemalde eines schonen nackten l-'rauen-
körpers. Denn das sich s[-)iegelnde Madchen aus der Lomloner
Galerie ist doch nur diesem grolkai Kunstler zugespreichen, weil
man lür dies Wunderwerk den besten A'ater suchte.
Ein anderes umtangreiches Kapitel, die »sogenannten dämonischen
Krankheiten«, hat den großen Charcot zu seinen mediko-artistischen
Studien inspiriert. Hinter diesem \\'orte verbirgt sich der Schand-
fleck des Mittelalters. Denn diese Bezeichnung ist das Schlagwort
für jenen verhängnisvollen Wahn und Irrglauben, in bestimmten
Krankheitstormen den l'dnlluß des Teutels und satanischer Besessen-
heit zu erblicken. Auch dieses Kapitel, welches die eingehendste
Förderuns: durch die tranzösische Schule gefunden hat, und welches
beinahe den dritten 'keil des grof.kai \\\rks von Paul Richer aus-
macht, bedarf einer zusammenhängenden Besprechung. \\'ir können
un.s aber mit dem klinweis auf' die k>gebnisse dieser Schule kurz
fassen. Als trostloses Endergebnis ewigen Kampfes, ewiger Krank-
heit und geringer Heilgelegenheit und noch geringeren Heilerfolgs
werden wir dann noch die Krüppel betrachten, die massenhaft auf
den Straßen herumliefen. Aucli hier können wir die Beobachtung
machen, daß sich besonders die niederländische Scliule damit abgab,
solche elende Kornerlichueiten auf die Tafel zu bringen.
ZWERGE UND RIESEN
Das Studium der antiken Kleinkunst hat uns gelehrt, daß bei den
Alten die Zwerge offenbar eine besondere Rolle gespielt haben.
Es bildete der Zwerg, wie es scheint, ein Glied in jener Kette
von \'orstellungen, die sich alle in dem Begriffe der »Abwehr«
zusammenfassen lassen. Jedwede Mißgestalt, unter diesen der Zwerg-
220 äOtJSStSiiSS'iKJSJSiOISiJß'CiSiiOiiSJKJß ZwERGE UND RiESEN JSSiiSiSiSSiJßieiJSJS'CiiSS'iKietSiiOiiSStSii«
wuchs, hatte solche apotntplie Wirkung. Es kommt noch hinzu,
daß das Pvgniäengeschlecht durch die rehitive (iröl.V' ihres (ieiiitale
eine gesteigerte \\'irkuiig gegen den hosen BHck und andere vage
\"orstellungen transzendentaler Cielährdung ausübte. Das athenische
Nationahiiuseum ist voll \-on kleinen 'l'errakotten hellenisclien und
hellenistischen Ursprungs, welche sich mit diesen ]<leinen niensciilichen
Mißgestalten heschäftigen. Wir linden den Zwergwuchs verwendet
auch hei allerlei antikem Hausgerät; llenrv Meige*) hat dieselben
untersucht und in einzelne Kategorien eini^eteilt, je nachdem diese
Zwerge achondroplastischen oder rhachitischen Ursprungs waren oder
mikrozephalischen, h\drt)zephalischen, intantilen, adipc'isen Habitus
zeigten. Einige Prachtexempilare dieser Art bildeten wir in der
»Plastik und Medizin«, Seite ^4^, ab. Alle diese 'l'\"pen linden wir
nun gelegentlich auch porträtiert auf unseren (iemälden. Da wir
aber diese Studien nicht betreiben , um Medizin zu studieren , so
wollen wir diese rein pathologischen Dinge hier zur Seite stellen tmd
ims nur mehr der Kultiu'historie zuwenden und uns die hrage stellen:
hat hier, wie auch bei vielen anderen Gewohnheiten und (jehräuchen,
eine traditionelle \'orstellung aus dem antiken Ideenkreise nach-
geklungen, oder schul sich das neue (jeschlecht neue Begriftsbilderr
Da muß nun zunächst berücksichtigt werden, daß auch die
nordische M\lhologie vom Zwergwuchs den größten (iebrauch
macht. Sie gelten bei den (krmanen als Dämonen, die in dem
Inneren der lu'de wohnen, dabei lassen sie die Xordlandsvolker meist
als perst)niti/ierte erdständige Xaturkräüe aul. Hesonders werden sie
mit der 1-örderung und der Bearbeitung der Edelmetalle in \'erbindung
gebracht. Sie \-erlertigen Odins Speer und Thors Hammer, 'l'rotz
dieser xollkommenen neuen, den Zwergen zuges|irochenen Idgen-
schaften nähert sich die nordische der gräkolaleinischen M\thologie
doch wieder dadurch, daß der nutzbringende Zwerg auch wieder
Schaden anrichten kann, und zwar schon durch seinen Anblick: er
ruft Krankheiten hervor. Auch die sonderbare \'orstellimg muß
•) Lcs Nains et les bossus dans I'art. Nouvelle Iconogr. de la SalpOtricre, 1S96.
JviJviSiiSJSJOtiStJCiSiiS-ciiCiJOiSiiOtiiX-SiOisxssiStiOtiOiJv! Böser Blick iSäßiOiJOiiCiJSiyiiOiSiJCiiSJXSSiCiJKJOiiCiiSSiiCüJyi 22t
notiert werden, daß sie selbst es wiederum sind, die den I'ranen
Wechsel balge unterschieben.
Betrachten wir aber die Unmenge Zwergdarstellungen auf dijn
(Jemalden sowohl der italienischen wie deutschen und niederländischen
l-'it;- iit^. Holzschnitt von Albrfclit Dürer.
Schule, so linden wir zu diesem \\)rstellungskreis keine Berührungs-
punkte. Es mag ja sein, daß unbewußt auch die Abwehrvorstellung
Veranlassung war, daß sich die Großen der damaligen Welt mit
solcher minderwertigen Korperstruktur umgaben, aber diese \'or-
stellungen \-erwischten sich und es wurde gewissermaßen das Halten
von Hotzwergen eine Alodesache. Der fatalistische (jrundgedanke
wich vor dem Kuriositatenwert. Man sammelte im sechzehnten und
222 iCiJSiSJKißSiiKiSJKiCüSiSiJOijsStJCSie!;« Zwerge ukd Riesen jKäß<c>:JOiS!iSis<ß!KiO!!0!SiiOiiO!iC>:jK<s>:i«JC!>iOiJS
sich/chnlcn jahrliuiulcri iiiii X'oiiiclic alle möglichen und iiiuiu)!;-
lichen tierischen und nienschliehen W'unilerdin^e und Mißgestalten.
Fliegende J51atter mit Kalbern cider Schweinen und llaniiuel mit
zwei Kopten wurden gern gekauft. Unter den l-'ruhblattern belinden
sich solche Holzschnitte auch \-on großer Hand. Dürer zeichnete
ein \'ogelskelelt mit vier P.einen und ein Doppelschwein (siehe
l-igur iiS). Das Jirwachen der Naturgeschichte, die neuen Hnt-
deckungen, die Tag liir Tag der wissenschaftlichen Welt ein anderes
Äußere gaben, klangen beim kleinen \'olk aus in Interesse an solcher
Porträtierunii der Mißgestalt. Die (iroßen aber sammelten sie lebendig.
Sie steckten ihre Armseligkeit, um die Kontrastwirkung zu steigern,
in Samt und Seide; sie liebten es auch, ihnen großklingende Namen
zu geben, und die Zwerge selbst machten gute Miene zum bösen
Spiel; und da ihr Geist manchmal großer war als ihr Körper, so
benutzten sie gern ihre groteske Figur, um gleichzeitig das Amt und
die Würde eines Hotnarren auszuüben.
Wie jetzt die beati pt)ssidentes \ielleicht Porzellantassen oder
Gemälde und Skulptiu'en aus der Renaissancezeit sammeln, so
betriedigten die Peichen der damaligen Zeit iliren Sammeleiler nu't
der Idee, lür seltene Pulpen \'ermögen zu bezahlen und Zwerge zu
ernähren. Diese Sitte, Holzwerge als Hotnarren zu verwenden, scheint
mit den K'reuzzügen von Konstantinopel in das Abendland ein-
geschleppt zu sein, wie manche andere Sitte aus dem dekadenten
( )rient über Griechenland imd I{om nach Deutschland kam. Die
Lustigmacher und Xarren, die oll das Monoiiol des Witzes und
Esprits an den Holen besalk'U , an denen schon romische Impe-
ratoren Cjetallen getunden halten, waren sowohl zur Kaiserzeit wie
auch im .Mittelalter kaum zu bezahlen, wenn sie zwerghult ver-
wachsen waren, kür solche rhachitische .Mißgestalten win'den bis
tausend (julden bezahlt, und schon das alle Rom halte seine eigenen
Morionenmärkte. Noch im Jahre 1715 land in Petersburg die
berühmte Zwerghochzeit stall, zu der zweiundneunzig Zwerge von
Peter dem Grol.k'U eingeladen waren. Da die Knochenki-ankheil
(Achondroplasie und die Rhachitis) meist nur das Skelett verändern,
SO ist es nicht autlallciul, dal.^ hauli^ WiizboMc iinlcr ihnen waren,
echte Ilohiarren. Es scheint nun zu einer richtii^en Xarrenplage
gekonnnen zu sein; auf dem Reichstage zu Augsburg ijc.io wurde
wenigstens verordnet, daß, wo jemand Narren haken woihe, er solche
Fig. 119. El Bobo de Coria.
Von Velasquez de Silva (I5')9 bis 1660).
dermaßen hahe, daß sie andere Leute unbesucht und unbelästigt
Heßen. Die Uniiorm bestand in bunter Jacke, Halskrause und
Pritsche: die alten Abzeichen des Pulcinello.
Legion sind die Bonmots trecher und geistreicher Xarren.
»Wollen wir tauschen:« fragte Karl der Lintaltige seinen Ilohiarren.
234 35!StSiii<!SiJCit!ßS>S»<C*JßS««*SiSK!OtSit<S ZwERGE UND KlESEX iOiSitiSiCüKiOiSiSiiSiOiiKiSKSiKiOiiCSiSiCi-OiSCiiK
Als dieser den Tausch ablelinle, Ir.i^te der Konii; : »Seliamsl du dich
denn. König /u sein:« - »Xein, aber ich würde mich als König
eines solchen Xarren schämen.«
l'.in Hofnarr Konig Heinrichs 11., Brusquel mil Xamen, scheint
l'ig. I20. Sebastian de .Morra.
Von Velasquez.
als Kurpfuscher gewütet zu haben. l:r solle gehenkt werden, aber
sein gnädiger Köniir stellte ihm die Todesart anheim : »Nun, so
will ich am Alter sterben.« J-in l'ürst, dessen seltene .Sannnlung
von Hofzwergen eine internationale ßeriihmtheit erlangte, war
sssxjOiiSiXJOiiOtxsißiOtiSiSiSissiissiK^ißXitSiiCiiOiJSS» \i;las(iuez jßiSiKiSJSSiSiSiieiJSiSiOiiS'CiJSSiJSJSJOtSiSiie? -^^5
Philipp IV. von Spanien. So ist es schon erl<lai lieh, dalJ der Hof-
maler Philipps, \'elasquez, der im königlichen Schlosse sein Atelier
hatte, unter anderen .Mitgliedern des Hauses auch einmal einen Hot-
zwersi aut seine Leinwand brachte. Absonderlich ist es aber, daL^i
Fis;. 12 1. Gr.U" Thomas Arundcl mit einem Hofzwcrg.
Von l'cter Paul Rubens.
allein im Prado sieben große Gemälde solcher .Mißgestalten von
Velasquez' Hand sich befinden. Es scheint beinahe, als ob dieser
große Naturalist mit einer naturgetreuen Wiedergabe dieser Mon-
strositäten seinen konkurrierenden ralTaelitischen Kollegen ein Schnipp-
chen schlagen wollte; aber die besondere Neigung dieses Genies
Holländer, Die Medizin in der klasM-chen M.derci, 2. Aufi.iie 15
226 SKSßjßJKSiiKJOiSiiSJSSüiSiSiSSiJSJSäOE ZwERGE UND RlESEN JßJCiißSiißJSSiiSSiiKSi'CiiCitS^SiiSißiSiSiKäOt
spricht doch lür eine gewisse Perversität nach dieser Richtung hin.
Das Bi/arre und CJnneske scheint ihn als ein malerisches l'robicni
besonders angezogen zu haben.
Die drei nebeneinander im Prado hängenden Porträts beweisen
das. Fkichtig mit schnellem l'insel und dünner Farbe aulgetragen und
zum Teil nicht vollendet, wirken die lebensgroßen Bildnisse der drei
Zwerge: l'd i'rimo. 1:1 Xino de \'allecas und der Idiot von (">oria,
wie Xaturstudien eines Karitätensammlers. Dazu koiiiml, dal,^ alle
diese Bilder der zweiten .Malepoche seines Lebens entstammen. Wenn
auch manche der traurigen Burschen kecke und intelligente Gesichter
haben, so wirkt doch zum Beispiel das Porträt des Kindes \'allecas
direkt abstoßend. Der schielende Bobo de Coria scheint durchaus nicht
so albern zu sein; er reibt sich so vergnügt und maliziös die Hände,
als habe er gerade jemand ordentlich eins draulgewischt. Können wir
so annehmen, daß diese Idioten- und Zwerggesichter treie Entwürfe
eines vielleicht mit Überrealistik kokettierenden Ahdertürsten sind, so
wissen wir anderseits, daß des Meisters Hauptwerk: »Las meninas«,
Irüher »La l-amilia« genannt, ein direkter Auttrag Philiiips 1\'. war.
Für dieX'orliebe und Schwäche des .\Lilers tür abnorme (jesichts-
ausdrücke spricht das h()chst seltsame Porträt eines Idioten in der
Wiener Ciemäldegalerie. Mit merkwürdig steiler Haltung, in der
Rechten eine ]-5lüte haltend, grinst uns dieser Bursche an, mit der
Linken sich nach Art eines glücklichen Kindes aut die Brust kloplend.
Das trühalte Antlitz zeigt alle Zeichen der Degeneration an Kopl-
bildung, Zähnen, Haarwuchs usw. (siehe Figur 126).
Die oberflächliche Betrachtung dieser ZwergsammLing vom
pathologisch -anatomischen Standpunkte*) aus lehrt, daß, wie dies
natürlich, die verschiedenen F'ormen des Zwergwuchses und der Miß-
bildungen voikanien. Aut dem F)ilde des Hotzwerges Sebastian
de Morra (Figur 120) erscheint die mangelhalte achondroplastische
Extremitätenbildung, aut dem erwähnten J-Jilde von X'elasquez: »Las
meninas«, sehen wir die scheußlichen Diflormitäten, wie sie die
•) Siehe Itenry Meiye, Les Nains et le.s Bossus dan.s tArt 1896.
sßJSiOiSiJOiiOtiKJSiSiSiiSJCtStSiSiSt'OiiOiSiiK'Csss Zwerg und Hund -CisKiCiStiSiKäsSiJKSiSiJOiiOiStSiSiiCiSiSi 227
schwerste Rhachitis schallt, mit den piinzhchcn Kiiulcrii in cni^cr
Gemeinschait ; das Porträt des eleganten llolzwernes Don Antonio
el ingles*) steht eine wohliiroj-iortionierte .\Iiniaturanst;ahe eines
Menschen dar, \on W'htsquez mit großen Zü^en tarhenlreudii; i^emah.
Fio;. i:
l\iiist't -J riefit ii.h-Mu.\cnnt , Ijr-rlin.
Die Werkstatt des Malers lan Molenar.
Den adipösen-m\'xomatösen Tvp repräsentiert die von dem \>kts-
quezschüler Careno Hott gemahe Zwergin aus dem Prado (siehe
Figur 12^).
Hund und Zwerg erscheinen vielfach als gleichwertige Lieh-
haberei des Hausherrn. Der eine paßte aut den anderen aut, und
für beide gab man Unsummen her. Und die Hotmaler hatten dann
die immerhin lohnende Autgabe, beide zusammen zu porträtieren.
Peter Paul Rubens malte den Grafen .\roundeI; als P^tmilienzugehörige
sind Statisten der glatthaarige Windhund imd der mikrt)zephalische
Hotnarr (siehe Figur 121). Antonio Moro, Zwerg Karl \'., über-
Eine Wiedeiholunt; in Berlin.
228 jCtJOtißisiSiKiJiieiiSiOiSiStißiKiCiStSiiCi Zwerge und Rum \ sii0i»!Sts><5i!0t!>:!5!ißiß!S!(>!«!K!K!5!C>!5tiSiK
ragt kaum die große Dogge, die neben ihm steht, und Jan van
Kellen's Zwerge, welche einen Xcukuuilandcr als Zirlaisplcrd bc-
l'ig. 125. Ju.in (.arciio de .Mirancia.
161 4 bis 16S5.
nutzen (Abbild, bei Sicher .S. i6|), verschwinden sogar neben
Kolossaliiq;ur. Einen direkt
dessen
widerwärtigen J'.mdruck aner maclil ein
iO!!K?K!C>iO!!CtSi!5?5>Si!C?!C>!0!!>:!^iC!i5!C!JCS DEKORATIVE VERWENDUNG SOüKSKiKiKJCiiJiiKiSJCSiJtiOiiKSiSiSi 229
Gemälde des Ferraresen Jacobo Ari;eini in der Tiiriner (iaierie: ein
junger Edelmann von funlzehn Jahren, legt seine Hand auf den Riesen-
kopt eines bärtigen Zwergen, der ihm knapp bis zur liülte reicht.
Die achondroplastische l'orni der Zwerge sehen wir häuhger
als andere aut Gemälden, und das hat seinen guten (irund in der
meist normalen Schädelbildung und l'unktion. \\'ir bringen alsTvpus
dieser Art das l^ild des Jan Alolenar, welches bislang im Berliner
Museum an einer dunklen Stelle hing. Auch dieses dokumentiert
wieder die Gemeinschaft zwischen llund und Zwerg; aber der Maler
wußte dem Ganzen eine neue Seite abzugewinnen. In einem hol-
ländischen Atelier ist gerade Malpause: die Leinwand steht aufgespannt
aut der Staflelei; die Modelle sind noch in der «jewünschten Stellung;
der Musikant dreht sein Instrument und der Zwerg hopst mit einem
kleinen Hund im Zimmer herum (siehe Figur 122).
Im übrigen benutzten die großen Dekorationsmaler Andrea del
Sarto, Tintoretto, 'riept)lo und Paolo Veronese die Zwerge als F'lick-
stücke, um Lücken auszutüllen. Meist linden wir sie aut großen
Gastmählern am Tisch zu Füßen der Ciesellschatt sich herumtunuiieln
und ihre Spaße treiben.
Diese Liebhaberei der J^arockzeit hatte einen entschiedenen
philanthropischen Nebenwert, denn aut diese \W'ise waren die armen
Zwerge versorgt und autgehoben. Die moderne Zeit aber, die in ihrem
sozialen Fiter Krüppelhäuser gründet und tür alle Verstoßenen Paläste
baut, hat für diese immerhin zahlreichen verfehlten und unfertigen
Kreaturen nichts übrig. Als Schauobjekt ziehen sie nicht mehr, und
so werden sie zu theatralischer Massenwirkung verwendet.
KRÜPPEL
Viel unglücklicher wie die wegen ihrer Kleinheit doch mehr
oder minder begehrten Zwerge waren die Verkrüppelten. Sie
gehörten in viel ausgedehnterem Maße wie heutzutage zum alten
Straßenbilde. Und besonders dort, wo Zulaut war wegen irgend-
230 JKSßSßSKS^SiißSüSJesS-KJÖJSiCSJSiK-CSXSSiiOtSt KlU l'IFI !ßS!t!ß!0>iCi«i«!KSt=Ci<CtS!>!SiK<5!!SSiXiiiK!KSS<5!iCS«i!S
welcher Icstlicher \'cranstaluiiig, traten sie Jer i^roßeren Aussicht aiit
Ahiuisen halber in Massen aul. l:s ist eine der erfreulichen Hrschei-
nungen, die den Kullurlortschritt unserer /eil dokumentiert, daß
l'ig. 124. Ilalbsuitigc Kiiuierlähmung.
Von Ribera (158S bis 1656}.
diese Krüppel von der Ciasse verschwunden sind, in das Verdienst
kann sich die verbesserte 'l'herapie und die geregelte l\rii|->|K'lhirsorge
teilen, liine schwierige Aufgabe selbst lür phantasiereiche medizinische
Historiographen ist es, bei tlen \ erkru|ipellen d'jv Ursache ihrer
Körperdestruktion auf den Ciruiul zu gehen. Zu den auch heule
j(ujf. Quatrt tnnd
jA.liat ob Itn hlauwen Iru^hilfack , ffhttrnt Ittß
Gatt mteü al Crutbtlt. ob heijiit fniin ,
Litutom din Cruebeien 3ifph9}} . vttl ditnatrs Ijtiß ,
ZJie CHI ((n Ktlt bioue , dtn recnlcn phancß!^ iwjJsn
1-ig. 12). Kiüppclprozession.
Nach Hieronymus Bosch.
232 jXJSißjKSiötSüSiJKiS'öSiJCüSiieiSiSKSiJSiSJßiß Krüppel JKS>s^<KiO>s>!KSSiK!etStS!S>!KS!S><5><5iX)!io-:<ssis><ß<s
noch wirksamen Faktoren, wie KiiulerkUimuni;, Knoclicnlciden und
\'crletzungen aller Art, kam wohl in jenen Tauen noch die Neigung
der Cdiirur^en hin/u, erkrankte (ilieder abzusetzen.
Im ganzen kiinnen wir sagen, daß die darstellende Kunst mit
W^rliebe ila \'erkrüp|ielte und \'erwachsene verwandte, wo es darauf
7. Louy /.
Fig. 126. Dur Idiot.
Von Vcliisiiuez.
ankam, eine der sieben christlichen K'ardinaltugenden zu leiern. Die
nach ^\i:n Zeichnungen Rallaels angelertigten Gobelins, von denen
das Berliner Museum die zweiten Hxemplare besitzt, zeigen mehrere
solcher Gelähmten, von denen der eine sekundäre Kontrakturen hat.
Auch die Wundertaten der Apostel an der Tempelschwelle gaben
!Ci!SS>!v>iC!iO!iC>)Ö!C?!C?!C>iO>S>JS<C>iS<0>iCS<5tS>!vi<S I llERONYMUS ßoSCH SSSiJCii'eiiKiSiOiiKiSiKSiiSSiSK-ei'CiSi'CtiOi - i3
den Künstlern Gelegenheit, entweder ihrer Phantasie freien Lauf zu
lassen oder stadthekannte Originale zu porträtieren.
Albrecht Dürer radierte eine Heilung eines Lahmen, der wirklich
einen traurigsten Rest \on Menschtuni darstellt. Das Reklani'ebild
tür alle Krüppelveranstaltungen ist aher Riberas Knabenbildnis (siehe
Figur 12 i). Der Knabe zeigt eine Lähmung der rechten Körperhälfte.
Mühselig schleppt er seinen Bettelsack; der rechte b'uß ist ein Schul-
fall von Pes equint)-varus, aber auch die linke (iesichtshällle ist,
wie es scheint, gelähmt. Das Lachein des Knaben ist ein durchaus
einseitiges, auch seine Sprache ist gelähmt, denn in der Link-eii, die
gleichzeitig noch eine Krücke trägt, hält
er einen Zettel, auf dem die Inschrift sicht-
bar wird: »Da mihi elimosinam propter
amorem dei.« \\'ir haben bei diesem Kinde
einmal Gelegenheit, eine einigermaßen alle
Symptome erklärende Diagnose aus dem
Bilde ablesen zu können: kontrakte Läh-
mung der rechten Korperhältte, Lähmung
der Sprache mit l'azialisstörung. Ahm wird
Richer's Diagnose »juvenile Hemiplegie«
allgemein bestätigen. Der Künstler, wel-
cher es verstanden hat, diesen (jrad von
Naturalismus bildlich auszudrücken, tat
noch etwas hinzu und milderte durch seine Kunst den Wider-
willen des Beschauers gegen dieses Korperelend in dem Cjrade, daß
der Betrachter dieses Gemäldes unwillkürlich in die Tasche greitt,
um dem Kinde etwas zu schenken. Ak'inem Cieschmack zufolge
hat der größere Velasquez nicht soviel erreicht bei seinem bereits
besprochenen Klioten aus der Wiener Kirchengalerie. Dieser geistige
Krüppel, so vorzüglich er auch genralt ist, llößt eigentlich doch
nur Widerwillen ein. Demjenigen, der den Bauernhumor der trüben
Niederländer kennt, und namentlich die Phantasien des Hiero-
nvmus Bosch van Aken, der aus der Ak'nschengestalt die aller-
sonderbarsten und bizarrsten \'erkrümmungen und Verrenkungen
Fig. 127. Die Krüppel.
Cornelius Matsys c. 1570.
234 SKSSiSSiiCiJSiSJSiSiöiCiJSSiiKSiiKJCiSiSiStäKSi KrÜPPÜI. iKiSiSSiStißSiSiJKiSiSSSißSiSiJKiSiOtJSSitiOiiKJOtiviiK
komponierte, wird es nicht schwer, zu \erstehen, daß diese Maler
die'halben und \'iertelinenschen benutzten, lun nnl ihnen groteske
Wirkungen zu erzielen. Aul den deinalden des ßoscli sowie seinen
Zeichnungen linden wir nun (>rup[ien \-on \"erl<ru|i[iehen, die sich
in der allersonderbarsten StelUmL! lortbewe^en. L'nd "erade die
Mrtindunuskunst, mit der diese l-ortbewe^unu vermittels allerlei Iland-
/'. Bruti:lui </
liy. 12S. Amputierte und Kiuppi-l.
bänkchen, Stützen und kleiner mechanischer Hilfsmittel besorgt wird,
erregt deshalb unser Interesse, weil wir in diesen \'orrichtu ngen
die Volksorthopädie jener Zeit erblicken können. Sein Xach-
tolger ist der berühnUe Baueiii- Hrueghel. .\uch \i>n ihm besitzen
wir derartige Zeichnungen in .Masse. Das kleine Louvrebild mit der
Gruppe der gestikulierenden .\mputierten (sielie l'igur 12S) war lür
ihn eine Vorstudie für das große (jemalde in Wien: »Der Streit
des Faschings mit den Fasten.« Auf diesem Gemälde fmden wir
unsere bewegte Gruppe wieder, außerdem uoch eine ganze Kriippel-
allee, die zur Kirche tiihrt. Der Künstlcrschalt Brueghels war es
vorbehalten, nicht allein den traurigen, entsetzlichen liindruck dieser
verstümmelten und verkrüppelten Lebewesen lür den Betrachter zu
mildern, sondern mit der Lebendigkeit ihrer sonderbaren Attitüden
den Anschein zu verbinden, als wenn selbst diese Viertelmenschen
am Leben noch ganze l'reude hätten.
BLINDHEIT
Den Schwierigkeiten gegenüber, die der Plastiker hat, die Blind-
heit zur Darstellung zu bringen, sind die des ALilers verschwindend
klein. Trotz der koloristischen Mittel ist aber auch hier eine feine
Naturbeobachtung nötig, um eine reale Wirkung zu erzielen. \\'ir
haben gezeigt, bis zu welchem (jrade es der antike Künstler ver-
standen hat, den erloschenen Blick durch die Umgebung des Auges
und die Haltung des Koptes plastisch anzudeuten*). Am Beispiele
der vielfach erhaltenen Büsten von Homer konnten wir die ver-
schiedenen Auffassungen gegeneinanderhalten. Lin \'ergleich des im
Haag befindlichen Rembrandtschen Gemäldes mit der antiken Plastik
zeigt, daß Rembrandt in seinem Gemälde weit hinter diesen i^eblieben
ist (siehe Figur 129). Er hat die Kopthaltung nicht berücksichtigt,
und vor allem auch die gewaltige Faltenbildung der Stirnpartie in
ihrer Leidenschaft und als spezielles x^usdrucksmittel der J^lindheit
vernachlässigt. Möglich, daß Rembrandt eine Reproduktion des
schwächeren kapitolinischen Homers vorgelegen hat. F> malte aber
nicht den großen Epiker mit dem gewaltigen Innenleben, sondern
einen leidgedrückten, zittrigen armseligen Rabbi, vielleicht einen
Nachbarn aus der Judenbreitgasse. Auch die von Rembrandt an-
gewandten Mittel, die Blindheit zum Ausdruck zu bringen, sind an
dieser Stelle dürftig. Und doch ist es gerade einer der \-ielen Ruhmes-
titel dieses Künstlers, mit einer geradezu erstaunlichen Fülle reali-
*) Siehe Plastik und Medizin S. ,^^7 bis 391.
236 äKäCt!S:«i5!e!:«:«<K!5»:<K'O!!SSi>S>!0fS!<0!i0i<5>iCi BlINDHKIT SßiKSstiCiö-SiiO'iCitiS^SiSiKiSiSSiiSiOtSiiSSiißiKiJiiOiiOi
stischer Beobachtun<;sl<unst dieses Thema behandelt zu haben. Eine
seiner Lieblino-sautyaben war die (ieslaluini! der l\)biassaue, leider
hat er die Idee eines ]^ilderz\ldus nieht zur Austuhrung gebracht.
Xur Skizzen und vereinzelte (ieniälde sind uns erhallen. Manchmal
ist er rein konventitinell wie zum Heispiel in der kleinen Radierung
(siehe b'igur 130) des Minden Musikanten; das tastende \'orwärts-
streben ist allerdings nieisterhalt durch die Korperhaltuni; ausuedrückt.
Fie;. 12g. Homer.
Mit wenigen Strichen hat er ein andermal das Xichtsehenkonnen
auf einer kleinen Radierung wundervoll geschildert. Der alte, blinde
Tobias hört den Tritt des zurückkehrenden Sohnes; er will ihm
entgegengehen, \erlehlt aber in der Idle und Aufregung den ge-
wohnten Weg und läuft gegen den Türplosten. Sein ihm entgegen-
eilendes Hündchen zerrt den P)linden am (jewande und will ihm
den rechten Weir weisen. Hielt er sich hier an die alttestamentarische
jOiJKiCiiCtJCiJJtSi'KJCiißStJSiOiSiiKS'i^ieiiOiSiS!!^ Tobias !{!ä>:iKiSiO!S!iSKXX)!!5<Oi!0>s>:!Ci>KS>iO>!C>!OiSi!S<S!Ot 237
Erzähluno-, so ist es charakteristisch, wie er die weitere Bibel-
s:eschichte illustriert; hier wird er win einer direkt naturalistischen
Kühnheit: »Da nahm Tobias von der Galle des l'isches und salbte
dem Vater die Augen. Der litt das tast eine halbe Stunde, und
der Star ging ihm von dem Auge wie ein Ilautlein von dem bJ.«
Rembrandt aber malte unter gröL^ter Lichtenttaltung eine Starope-
ration, wobei der Engel dem Okulisten die Hand iührt. Zu diesem
Gemälde, im Besitze des Herzogs von Arenberg in Brüssel, gibt es eine
Reihe von Studien, welche Greeft'*) einer kritischen Studie unter-
zogen hat (siehe Figur 131 und 1^2).
Dieser naturalistischen Tat gegenüber
verschwindet trotz vollendeter aka-
demischer Arbeit die Malerei des Petrus
Brande] (siehe Figur 134), die die alt-
testamentarische Geschichte nach dem
Buchstaben illustriert.
Es ist ein sonderbarer Zutall, daß
die unkoordinierte Stellung der Augen,
welche dem Gesichte den unruhigen
Ausdruck verleiht, gerade von dem
Maler mit großer \'irtuosität zweimal
geschildert worden ist, der sonst vom
Naturalismus am weitesten absteht und
seine Madonnengestalten in eine poeti-
sche ^'erklärung getaucht hat. Das
Gemälde Raffaels zeigt den schielenden Kardinal 'Fommaso Inghirami
aus dem Falazzo Pitti in Florenz (siehe Figur 133). Es liegt ein
rechtseitiger Strabismus divergens vor; die Haltung, die Raflael dem
Kopf gegeben hat, mildert etwas den Krankheitszustand.
Auf seinem berühmten und letzten Kolossalgemälde, der Trans-
liguration aus dem Vatikan, hat er in dem divergierenden Schielen
<%»
Renil'mniit.
Fis. 1^0. Der blinde Geiirer.
*) Greeff, Rembrandts Darstellungen der Tobiassage nebst Beiträgen zur Geschichte
des Starstichs. Stuttgart, Enke, 1907.
238 !«j«JSJSSxsi!«>i«'«<KS><KiOtiO>S(<siOt)C>siJKiCi!:<s Blindheit äCiiSiStJSJSiSißJCiJOtJSSiSiiSiOtJSKJijSiStiCiiSXJijßsss^JCi
lies Knaben den allerdings mißglückten \'ersuch einer Kramplschil-
derung gemacht.
Es ist beinahe selbstverständlich, daß ein Mann wie der alte Rrue^hel
Kr/ic/'nuidt
1-ig. 151. Tooias heilt seinen Vater. (Starstich).
auf seinen Gemälden gelegentlich l:rblindete gemalt hat. lis ist aber
auch klar, daß er hier mit der ganzen l'einheit seines Koimcns
jOiJOtSiJOiKSJCiJöKSSiKSiSiJiKXJOtißiO'iKKSiCiJKiKiSiiKJß Rembran'dt i5!«:«!C><S!C>:<o>!S-5!SX»:iSiC>iOt!0!S>:!S«!5iS>:iS 2yj
charakterisiert, und daß er selbst diese traurigen Opier noch dazu
benutzt hat, um durch sie eine tragiiainiische Wirkung zu erzielen.
Die arößte Wirkung; erzielt er in dieser Hinsicht aul seiner Lein-
wand in Neapel
gerade die Mattiglaat der dünn aulgetragenen
/i-ü/inn>i r Z'i'n Kt'ii/'raudt.
Fig. 132. Die Heilung des Tobias.
Naturstudie eines Starstichs.
Farben steigert den Gesamtausdruck. Der Inhalt des Bildes giebt
die Illustration zu dem Wort des Evangelisten Lukas:
»Kann wohl ein Blinder einen Blinden fuhren,
fallen nicht beide in eine Grube?»
Der tastende Gang der Blinden, die Haltung des Kopfes ist
dabei meisterhaft wiedergegeben. Line vielleicht noch drastischere
Auffassung befindet sich in Basel, eine weitere im Louvre. Das
Hündchen, welches den ersten Blinden tührt, steht richtig an dem
Steg, aber den Baum, der den Tastenden den Weg zeigte, hat ein
Sturmwind über Nacht abgebrochen, und schon liegen die ersten
blinden Musikanten im Wasser.
240 äKJSStiSietJSiOiiytStSiiOiiSiKiOii^IJSSiSiStJCSiOiiK BLINDHEIT äßJSJßiCSSiiKJOiSiKSS^iKJCiSiiOiiOiiKJCiiJSiiCiißJCtSiSiJOiiK
Auch in der Serie der zwölf niimischen Sprichworte hat Hruei;hel
denselben Gegenstand ähnlich behandelt.
Die 1 lerrnwunder und \\iv allem die Ileiluni; des Blindgeborenen
£;aben die X'eranlassunii an die Wände der Katakomben Blinde zu
Fig. 133. Portriit des Tonimaso Inghirami.
(Strabismus divergens|.
malen. Hierdurch wird eine traditionelle (irundlaye gegeben, aul
der in der Folge alle Schulen stehen, üine (Charakterisierung des
Blindgeborenen lindet nicht statt. Die Szene wird in der Kegel so
gemalt, daß Christus dem Blinden die Rechte aul ^'^w KoiM oder
die Augen le<n. Oftmals erscheint dabei der IMinde mit geschlos-
Loeicy phot.
Fig. 154. Die Heilung des blinden Tobias.
Von Petrus Brandel (166S bis 17.191.
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2. Auflage,
16
244 iOtiKSiStiOt'CiiStSiSiiSJCtSiiS-Ci'OiiOiiSJOiJKißSiiK BLIXDllKn SKiKiK^iKiCiSiJOtäiiCiiSiKiOtiOiiOiiCi^SiiliieiSiJSJÖJSiß
Schwerin,
i-ig. 137. Der Okulist.
Von c;. W. K. Dietrich.
.scnen Augen; er wird zum Beispiel aul dem (jemalde des Lukas
van Leiden von einem Knaben getuhrt (siehe l'igiir 136).
C. W. I'.. Dielrieh, der s|-)äte Xaclibeler Rembrandts, malte eine
Staroperation, bei der die llakuni; der Slarnadel \\m Interesse ist
(siehe l-jgur 1 37).
jßSiiCiiOtiKSiJOissjSJOt-CiiOtJSäiSijSSSSiiO? Dämonische Krankheiti \ SüOtSiiCiiOiiS'SJSißStiiiiCiiSiSJßiK 245
Eine summarische Jk'traclitung der künstlerischen I^hndendar-
stellungen lehrt, daß man das IVoblem von zwei divergenten (je-
sichtspunkten zu lösen unternahm. Hinmal versuchte mm den
direkten Weg. Als Beispiel hierfür diene »die Charitas« von Schidone
im Xeapler Xationalmuseum. Der blinde Jüngling steht da an
seinen Wanderstab gelehnt mul schaut uns an*); seine Augen sind
weit geöffnet. Zu dem auttallenden indianerroten Kolorit seiner
Hautfarbe grifl der Maler ofienbar um des Kontrastes willen, denn
die Augen des Knaben zeigen die naturalistische Schilderung des
weißen Leukoms. Keine Pupillen, keine Iris, nur das glasig ver-
schwommene Durchschimmern der narbenverdeckten Regenbogen-
haut. Xoch kühner ging ein Moderner \or; auf der internationalen
römischen Ausstellung (1910) konnte man die Kollektivausstellung
des Spaniers Zuloaga bewundern. Der große Könner malte den
Star bei einem Zwerge in smaragdgrüner Farbengcbung. Hs bedarf
nun offenbar großer Meisterschaft, um eine solche Schilderung der
Blindheit zu wagen. Diskreter und wohl auch künstlerischer ist
die indirekte Charakterisierung. \'on dieser sahen wir auf unseren
Gemälden treffliche Beispiele.
Ein Lieblingsthema der frühen Kirchenmaler war die Darstellung
des Exorzismus, und Legion sind die Tafeln, auf denen der leib-
haftige Satan den durch Priesterhand entsühnten Menschen aus
dem Munde fährt. Diese Teufelaustreibungen verlassen bereits das
Grenzgebiet unseres Interessenkreises, und wir verweisen auf die
erwähnten Abhandlungen Charcots und iRichers über diesen Gegen-
stand. Die Kraft solcher Teutelaustreibungen, die schon Jesus den
Aposteln empfohlen, ging auf viele Heilige über. Zunächst betrachten
wir eine für die frühe Auffassung tvpische Darstellung (Figur 13X).
Den malerischen Höhepunkt solcher Teutelaustreibung durch heilige
Wunderkraft hat Peter Paul Rubens in mehreren Kolossalgemälden
geschafien und damit Ignatius von Lovola ein Denkmal gesetzt.
*) Abbildunc; siehe Plastik und Medizin S. 382
246 sssKiOtißiSissi'eiißißissoiSiiietiCtJCiiOiStiSSSJCS Exorzismus iO!!ö<ci!KiKStiCii«iss><s!OiiS!OiJC><>!Ci«jO>siJO>s>s>jC>:
Dem einen in ^^'ien hefindliclien Gemälde, wird mit Recht nach-
gerühmt, daß es die Kühnheit eines Michehmgeh) und d'jn (ieist
Shakespeares vereinigt. Und dabei ist es eine liisiorische Tatsache,
daß der llandrische Malerlürst das Bild in einem Monat \ollcndet
hat. ]:s ist das nur so erklärlich, daß Rubens die \'orstudien /u
diesem Werke bereits erledigt hatte; dalJ. er solche in eingehendster
Weise betrieb, beweisen die \ielen l'.ntwürle und Skizzen, die sich
zimi Teil in Wien, zum Teil in Privatgalerien (v. d. llevdt, Berlin)
und im l.iHivre belinden (siehe Figur 1 59 und i |()).
Gleichzeitig hatte er tür den (ienueser (iraten Palknicini ein
großes Gemälde vollendet, welches denselben (iegenstand behandelt
und jetzt in der Ambrosiuskirche zu Genua hängt. Auf beiden
Cjemälden werden Tobende, nach damaliger Auffassung Besessene,
geschildert; den lliMiepimkt der tobenden \\'ut repräsentiert ein
rasendes Weib, welches von zwei Männern festgehalten wird, so
daß eine tvpische maniakalische Stellimg eigentlich nicht zum Aus-
druck kommt. Das \\"iener Bild jedoch, welches die große Maria
I heresia 177 (_ in Antwerpen aus der Jesuitenkirche erwarb, zeigt sich
sowohl in künstlerischer Tiete als auch durch Schärte der natura-
listischen iieobachtung überlegen, liier nimmt die aus drei i'ersonen
bestehende Gruppe der Tobenden und ihrer Ik'gleiter dun grt)ßeren
Teil des Gemäldes in Anspruch und ihre Aiiordnung im Vorder-
grimde ist vollendet, lün M.uin und ein Weib sind die Opter der
dämonischen Konvulsion. Das Weib, ollenb.u- dasselbe Modell wie
aul dem Genueser Bild, befmdel sich noch aul dem Höhepunkt
der Zuckungen. Jeder ihrer Muskeln ist in leidenschattlicher Be-
wegung. Vom Brüllen ist der 1 lals mächtig angeschwollen, sie
rauft im Zwange ihre Ilaare, und Zunge und Augen belmdeii sich
noch in unkoordinierter Stellung. Der soeben aul die Krde stür-
^iende nackte Riese ist gerade in dem Losungsstadinm des Antalls
begriffen, und der .Maler hat diesen .Moment gewählt, um die Wirkung
der heiligen Fürsprache bei ihm schon zu dokumentieren: aus dem
noch offenen Munde entweicht soeben der Satan und \erläßt unter
Schwefelgestank die Kirche, in die auf Sonnenstrahlen die Fngelchen
SiS>JSS>S>SiSi!0>iO>JS<0>JSSiSiSi<C!t<0-!0><5i!C>iC> Pill i; Pal r, RuBENS iKSiiC>!C>S>::«iiS!?!'O!!0i!C>Si<J>'S<5!0tS>i0t 247
Alittart piiot ,
Fig. 13S. Die Wunder des San Antonius von Padua.
\'on Piet. Ant. Mezzasti.
einziehen. Und der Heilige selbst in o-otteroebener und gottver-
trauender lialtung, richtet das dankbare Auge nach oben und sein
Blick verheißt die Vollendung der Tat.
Unwillkürlich regt dieses Gemälde, noch mehr wie die voran-
gegangenen, die l-'rage nach der Ik'rechtigung solch krasser, realisti-
scher Darstellungen durch die Malerei an. Das ästhetische Redenken
gegen die bildliche Darstellung st)lcher das Entsetzliche und Un-
schöne in höchster Potenz repräsentierender \'orgänge wäre berechtigt,
wenn es dem Kunstler nicht gelungen wäre, das Dunkel dieser
grauenhaften Schilderung durch die siegende Kraft der Kunst zu
248 äSiOijSiSJOiSi'öiKSiJJisSJOtSKiJiSise Dämonische Krankheiten SKiSiJtSiiO'jCssiJKiOtSiSiSijCtJCtS-JOtiCiiiJiiS
verklären. \'on dem IleiÜLjen geht ein solcher Xinibus aus, daß
auch aus der tunuiltuarischen Szene heraus ihm Zuversicht und (iott-
vertrauen enti;ei;entlieut und das i;anze Werk \ersclioiu. Dasselbe
Gefiilil soll d<:n Beschauer ergreiten. \Jnd als weiteres milderndes
Moment kommt die liebevolle Sorge der An\er\vandlen um die
armen Besessenen hinzu. \\ ie durch die siegende Macht der heiligen
Persönlichkeit der ganz rechts stehende Melancholiker den Strick
sich vom Halse löst, so beh'eit das siegende (ienie des Malers uns
von den Skrupeln und Hedenken, die man von vornherein vielleicht
gegen die /ulässigkeit eines solclien Stotles in der bildenden Kunst
hegen könnte. l:s kennzeichnet die Künstlerschatt des Meisters, wie
er die Autgabe loste, traditionelle \'orschrilt, religiöses Bedürtnis
und transzendentale Illusion mit einem gewissen Naturalismus ver-
einigend, lis ist \ielleicht als Beitrag zur Schätzung zeitgenössischer
Anerkennung des Meisters interessant zu ertahren, daß er tur jeden
Tag, an dem er an diesem Bilde arbeitete, laut noch vorhandener
Urktinde zweihundert Gulden erhielt.
Mag man so diese und viele andere auf Gemälden dargestellte
Konvulsionen als die Schilderung ärztlich anerkannter Krankheits-
bilder diagnostizieren, so schallen wieder andere Künstler mit Ireier
Phantasie, oder sie verarbeiten einzelne von ihnen richtig gesehene
Krankheitssvmptome zu einem als Ganzes unmöglichen Krankheits-
bilde. So sahen wir schon in »Plastik und Medizin« S. ^78 fi".
beim Studium der Blindheit, dal,', antike Bildhauer die senkrechten
Stirnfalten mit Hebung des Koples als Blindheitsausdruck paarten,
so die Lichtscheu und I.ichthunger, Keizung und Lähmung zu einem
falschen Kunstausdruck \-ereinigend. Als 'i\v|His solcher phantasti-
scher Stellungen zu einem unwahren Kranklieilsbilde diene des
großen RafTael letztes Bild, »die IVansiiguration«. Unser Ausschnitt
zeigt den Konvulsionszustand des Knaben, lüuige noch \-orhan-
dene Nacktstudien gerade dieser Szene beweisen, daß der Kiurstler
sich die Sache wohl überlegt hat. Aber der dargestellte Krarnj^l-
zustand ist eine Unmöglichkeit. Die Haltung der überaus muskulösen
Arme lehrt das schon. \'on den Händen betindet sich die eine in
Han/staeiigl /•/toi
Fi"". 139. Ignatius von Lovola Besessene und Kranke heilend.
Von Peter Paul Rubens.
250 jKäKiCiJSJSStiSJCüStiCtSiiOt-OisKSKjet Dämonische Kraxkheitüx jssiiOiJSiOiJKjOiiOi'eiJSiJiiJisii'JiSiJOiiKiSiOi
Spasmus. Dabei h;it RafTacl offenbar absichtlich der Adduktioii des
drillen und \ierlen l'ini;ei's die lorcierle Adduklinn der andern genen-
übers2"cstelh. Die zweite Hand stein in Mittelstenuni'. Die Un-
koordinieriheil der Bulbi kontrastiert mit der vollkonnnenen L'n-
bcteiH^uni; der unleren Extreniitälen. \-.s ist kkir, daL^i eine Xicht-
achtuns:: realer \'erhaltnisse an so hervorragender Stelle den A\'ider-
spruch der Zünitigen herausgetordeil hat. Sir C>harles Ik'll, Charcot
und Kicher lassen als einwandlreie (uilachler die Verurteikuii; dieses
falschen Realismus in der Kunst in die \\'orte: \ou den Tausenden
von Stellungsmöglichkeiten des Konvulsivsladiunis hat Rallael gerade
die einzige gewählt, die unmöglich ist (siehe iMgur i|i).
C.'.harcot vmd Kiclier haben in ihrer Studie*) an 67 Gemälden
namentlich aus der trühilalieiiischen Kunst die Stellungen studiert,
welche die Besessenen einnehmen. Richer**) vermehrte das Material
noch erheblich. \'ergleichl man zum Ik'ispiel spätere Gemälde mit
d'jn Miniaturen des eilten lahrlumderts aus den Manuskripten des
Kaisers Otto (Ik'sitz der Aachener Kathedrale), so linden wir, daß
die .Maler in der Schilderung der hvsterischen Cerclestellung der
Besessenen einlach traditionellen narstdlungen lolglen ohne eigenes
Xaturstudium. Solch hvsterische Krampfstellung wird namentlich
bei brauen mit einer Geste kombiniert, als wenn sie dun Dämon
zum Munde heraus gebären. Die brauen liegen dabei in den Armen
von Personen , die sie \'on hinten stützen und das bjillahren des
Dämonen durch Druck aul den Leib beiordern.
Der große Neurologe Gharcol hat alle diese gemallen Kon\id-
sionen der grande hysterie im Detail studiert und in ihnen augen-
fällige Analogien gelunden zu den täglichen Beob.ichlungen in seiner
Krankenabteilung. Sein .Mitarbeiter Paul Kicher hat in geradezu
genialer l.inienluhrung das Gharakteristische dieser Siellungen lest-
gehalten. Wir müssen uns nun zu diesen gemalten Teufelsgeburten
noch die b.rzählungen des I lilarius. Augustin, l'aulinus hinzudenken,
w'elche das Benehmen der Ijcsesseneii in der Kirche genau beschreiben.
•) J. M. Charcot et Paul Richer, I,es DOmoniaques daiis P.Vit. IVnis 1SS7.
*') Paul Richer, L'.Art et la Müdccinc. Paris 1902.
Fig. 140. lynatius von Loyola Besessene heilend.
Von Peter Paul Rubens.
252 JSässsiCiiS'CiJSJKSiiSSiissiJK»:;« Dämonische Krankheiten StStJSJKSi'SiJiiKiKJCSisSiiKJßfKiSiSJKSi
Sie laufen in Jcr Kirche umher, unildanniiern den Ahar, schhigen
sich mit ihren Händen, drehen den l\()|i| im Kreise herum, heugen
sich rücklings mit dem Scheitel bis /ur Krde. Dieser Bewegungs-
taumel entsteht durch die Begier des gequälten Dämons, sich von
seinem \\'irte zu trennen, /ulet/t aber Imdet er den Ausweg aus
dem Körper; bald durch d^:n Mund, bald durch die Augenhöhlen
verläßt der Satan sein C^pier, aul diesem Wege noch Spuren lür alle
Zeiten zuriicklassend, indem er das Auge blendet oder den .Mund
mit Blut und Kiter lullt.
Wir haben in der »Plastik tmd .Medi/in« (Seite)!)) detailliert
zum Verständnisse des .\lärt\rerkultes aut seinen Zusanmienhang mit
der Antike hingewiesen. Wir wollten hier aber nicht, wie dies Charcot
und Richer vorbildlich getan haben, die einzelnen Phasen der epilep-
toiden Bewegungstormen schildern, sondern wir verlt)lgten dabei
den medizin-historischen Zweck und wollten aul die unglaubliche
Verkennung eines Krankheitszustandes im Mittelalter hinweisen.
Wenn wir im ganzen durch das Studium der (leschichte eine
.Abnahme der Krankheiten mit der Zunahme der Kultur und Zivili-
sation konstatieren können, so fehlt dies\'erhällnis bei der Psychiatrie.
Die Lehre von den (ieisteskrankheiten und ihrer Beiiandhmg hat
eine Sonderstellung eingenonnnen und zu ihrem eigenen Schaden
sich frühzeitig von der Medizin getrennt. So machte sie das Marsch-
tempo der allgemeinen Kulturgeschichte nicht mit. Ilippokrates
hatte bereits in seiner meisterhalten Schilderung der kqiilepsie die
Gehirnlunktion erkannt, und da lür ihn auch liir ps\chische Stö-
rungen das Gehirn bereits anerkannter Ausgangspunkt war, so war
durch die ganze spätere Medizin dieser somatische Zusammenhang
allerdings mit großen Schwankungen nachweislich. Obwohl man
hysterische und melancholische Zustände durch zum Teil genial
erdachte körperliche Behandlung zu kurieren bestrebt war (man denke
nur an den Rutus von Kphesus, der einen .Mann mit der lixen
Idee, keinen Kopf zu haben, dadurch heilte, dal,^ er ihm eine bleierne
Kopfbedeckung gab), obwohl namentlich auch wieder durch (jalen
das Gehirn zur Zentralstätte der Kmpündung und Bewegung erlu)ben
iOi!Oi<^!0>!5!<siS!0>!OiiO>KS!C»siSis><o>!C«iO!JSS5 FALSCHER Naturalismus ssiS'OiJSiKiSiöSiSüSiJKiSJSiSJeiiSi« 253
wurde, so scheint doch, daß im großen und ganzen die wissen-
schaftlichen Ärzte sich wenig um l'rkranlaingen des (iehirns ge-
Kaß'at-l Sanzio.
l'titikati, Koni.
Fis;. 141. Ausschnitt iius der l'ransliguration.
künmiert hahen. Sie konnten sich dahei sogar aui die Lehre des
Hippokrates beruten, der von der Behandlung chronischer (jeistes-
kranker abriet, da die ärztliche Kunst bei ihnen doch nichts mehr
vermöge. Solche Kranken werden dann auch die ständigen Besucher
der Asklepieien gewesen sein, und der berühmte Rhetor Aristides,
254 siS!<OtJßx«!S'Ci^iC>s><SJC*!S<siS!C> Dämonische Krankheiten iSSiJßiSJS-ssiißJS'OiJK'öißißiOtJßiii-sse
der seinen ganzen Schritten zufolge ein ausgesprochener llvsteriker
war und an schwerer Autosuggestii>n litt, ist dalür ja als chronischer
Heilstättenbesucher ein Idassischer Zeuge, l^iese Abschweiihungen
der psychisch Kranken aber aul die Seile der gDllJichen lleilinstitule
im Altertum, zu den l'riesterheihmgeii luul zu den Marivrern in
christliclier Zeit, wurde lür die Kranken \erhängnisvolL In gerader
Richtung tührle dieser WV'g zu dem heil.^en Interesse der Kirche an den
Hexen. In ihnen sah man nicht körperlich ha-krankte, sondern \'er-
irrte. die sich der la'rchlichen \'t)rscln'itt und Gemeinschalt entlremdet
hatten und satanische Bundesgenossen geworden waren, liine letzte
Konsequenz waren die beschämenden und schauderhalten Ilexen-
prozesse, die kiirperliche Tortur und die Nerbreummg armer Kranker
in majorem gloriam Dei.
l:s ist eine interessante, zu wenig studierte Frage*), wieweil die
Arzte hierbei die Schuld trillt, die Kranken der priesterlichen Macht-
sphäre nicht entrissen zu haben. Allerlei kommt hier zusanmien,
was diesen peinlichen Abschnitt in der medizinischen Kultur- und
Weltgeschichte zu einem so ekelhatleii und schauerlichen Ixapitel
macht, daL^ man diese Blätter schnell umblättern mochte. Zunächst
die schon erwähnte Tatsache, dal,^ eben die Bs\-chiatrie sich triihzeitig
von der übrigen Medizin absonderte, sodann, daß viele Mediziner
gleichzeitig (derici waren und dal.^ diese und der Kesl in meist ohn-
mächtiger Abhängigkeit \on der allmächtigen l'riesterschalt und xon
Rom war. Wer sich einmal ein Bild xon der bodenlosen Tiele
jenes geistigen Abgrundes machen will, der möge in den von den
Inquisitoren Jakob Sprenger und Heinrich Instiloris \erlaLUen Ahdleus
malcficarum**) einen banblick tim. I:s wird ihm schon bei Betrach-
tung der Kapitelüberschrillen mit den bis ins detaillierteste aus-
geklügelten erotischen bragen seekraid< zumute, und er wird den
Eindruck gewinnen, daß hier Sadismus, .Masochismus und perverses
Sexualempfinden überhaupt die Nollendetsleii Orgien geleiert haben.
*j Karl l'riedrich II. Marx, Über die Verdienste der .Arzte um das Versdnviiidcn
der dämonischen Krankheiten. Göttinnen 1.S59.
*•; Ins Deutsche übertragen von J. \V. R. .Schmidt; bei H. Barstorf 1906, Berlin.
Die Opfer solclicr kircliliclicn Jurisdiktion lieferte mit \\'ahrschein-
lichkeit in erster Linie die proteusartige Hysterie. Dalür spricht aucli
schon das Überwiegen der weibhchen Angekkigten. Doch auch
gewöhnüche kieberdehrien überHelerten gelegentlich die Cienesenen
der Inquisition und der Tortur. Und Nor allem darl man nicht ver-
gessen , daß sich unter den ewigen Anklägern wiederum allerlei
Geisteskranke befanden, die ihre Sinnestäuschungen und Wahnideen
mit Überzeugung beschworen.
So ist es kein Wunder, wenn die mittelalterlichen Kollegen ganz
im Banne dieser traurigen Verirrung, welche die Feulelseinwirkung
als Generalätit)Iogie von Erkrankung anerkannte, standen. Man stelle
sich nur vor, daß selbst Luther die W'echselbälge und Kielkröpte
aus dem Umgang der Hexen mit Dämonen hervorgehen liel.^, und
daß ein Mann wie Ambrois Pare Zauberer und Hexen noch als mit
dem 'Leutel im Ikmde erklarte, und ihre Sinnestäuschungen als
Vorspiegelung böser Dämonen.
Wilhelm Adolf Scribonius, der Helmstädter Professor, empfahl
im Jahre i3(So noch beim A'erdachte der Hexerei das l:xamen per
aquas, das heißt die Wasserprobe! Der ziemlich aulgeklärte Felix
Plater (1316 bis 1614), der den ersten \'ersuch zu einer Klassifikation
der Psvchosen gemacht hat, schrieb noch die Melancholie der Ein-
wirkung des Teufels zu. Solchen Ärzten gegenüber gab es zahlreiche
Geistliche, liberale Prediger, denen die mit \Ltchtvollkonnnenheit
ausgestatteten römischen Inquisitoren, die ihren Kirchenbezirk beun-
ruhigten, un^eleiien kamen. Beweis dafiir ist schon die \'orrede zum
Hexenhammer. »Und weil einige Seelsorger und Prediger des
Wortes Gottes (verbi dei praedicatores) öffentlich in ihren Predigten
an das V'olk zu behaupten und zu versichern sich nicht scheuten,
es gäbe keine Hexen usw.« . . .
Den Ärzten war im Gegenteil der Dämonenglauben vielfach ein
bequemer Bimdesgenosse. Gelang eine Kur nicht der allgemeinen
Erwartung entsjirechend oder passierte während der Behandlung
etwas Unvorhergesehenes, so holte man aus der Tasche die Ausrede
hervor, daß hier etwas nicht richtig sei und daß es selbst ärztlicher
256 SSiSJOtSiiKJßJSStSiiCiiiSiSJßiOiSiiSiOiJKiCi GkSICHTSTUMOREN SXiCiS'iKSiiSJCiSiiOtSiiSJCietSiSiißSi'Ci-CiiSJÖiß
Kunst nicht gelänge, gegen teuflische Tücke an/ukäinplcu. Ahcr
solche Ausrede ist bedenklich und all/.ulcicht dreht der Aberglaube
den Spieß um; bei auttallend gunstigen 1 kalerlolgcii und über-
legener ärztlicher Betätigung schnüffelte das Publikum und der
minderbegabte »Kollege« nach nekromaniischer Kunst.
Das Fiasko, welches die llexeiiprozelÄler 14S5 in Innsbruck er-
lebten, wo der Bischot von i^rixen den Heinrich Institoris, ^.Icn ver-
antwortlichen Redakteur des I lexenhanuners, energisch zum Lande
hinauskomplimentierte und ihn lür kindisch erklärte propter Senium,
schlug bald leider in einen unerhörten Kriolg um. In dem beuer-
werk \on hunderttausend Scheiterhauten ollenbarte sich bald die
Bedeutung des llexenglaubens, der wie eine Epidemie die Gemüter
inii/iert hatte.
GESICHTSTUMOREN
Auch der naive Besucher einer dalerie, aut den zuletzt soviel
Scln)nheit und barbenpracht keinen bdndruck mehr macht, bleibt
plötzlich wie angewurzelt stehen vor einem Porträt, das mit Naturalis-
mus ein schweres Gesichtsleiden schildert. Allerlei kragen und
Zweifel drangen sich zusammen imd in irgend einer Phrase macht
sich dann das Erstaunen Eul't. Weshalb lalk sich ein derartig Ent-
stellter malen, weshalb korrigiert der Maler nicht den Schaden r
Wozu diese Schaustellung: Solche Porträte mit offenkundiger Krank--
heitsschilderung (Hasenscharlen, Tumoren usw.) sind selten. Das
liegt einmal im \\T\sen des Porträts begründet. l)t)ch noch ein
Punkt von nicht zu unterschätzender Bedeutung verdient hier eine
Berücksichtigung: der Bilderhandel. Im Laufe von |ahrluuiderlen
haben die Bilder meist den Besitzer gewechselt, und da Porträte mit
Pfundnasen oder Hasenscharten schlecht verkäullich sind, so wird die
Nase oder der sonstige Schaden xom Restaurator hübsch repariert
und die medizinische Kunstgeschichte ist um ein inleressanles Ob-
jekt ärmer, (jelegentlich kommt dann beim Waschen der Tafel nüt
Alkohol das alle Original wieder zum \'orschein.
!CiSSJSi>:iItJOtiCiiCi!!XKSJSS>S!iS!0>K^JO!SXSiS!JJiiCiii5 KlHNosKi.EROM SOtKXKXißJSJKiKJOiStJOiJSJOiJOiiliSiiOiiOiieiJOtJOi 2-^7
Nach alledem erscheint es heinahe als aiillallend, daß wir trotz-
dem eine Reihe hervorragender Porträte aus der ^uten Zeit besitzen
mit rücksichtsloser Schilderunt; des Khinophvni. ])a ist zunächst
das berühmte (jemälde ( jhirlandajos (higur ip); das Schwer-
mütige im Ausdrucl'; des (iroßvaters ist durch das Leiden verstand-
Fiy. 142. Portrat (Rhiiiosklerom).
Von Ghirlaiul:ijii (1-14Q Ijis i4Q>i).
lieh, das entzückende Kinderprolil und die liebevolle llandhaltung
des l-Jikelkindes hat der Maler ot]:enbar nicht des Kontrastes wegen
auf das Bild gebracht, sondern auf \\'unsch des Alten, um anzu-
deuten, daß das Leiden nicht erblich ist. Der Knoten an der rechten
Stirn ist vielleicht als Metastase autzulassen.
Das Gemälde des Hans Ilolbein aus dem l^rado stellt einen sonst
unbekannten ALinn vor mit stark gerötetem Ciesicht, dessen lange
Holhioder, Die Medizin in der klassiichen Malerei. 2. Auflage.
17
258 sj(ä>:!C*!(Sic>s<<c>:si<c>:!ß!ßs>i>:JS<>:ißi!>:5C>:<s Gesichtstumorex äCiSiiSis^S'iOtSKSiSiJSJSiCi'OiSiJSjßieiiSiOtiCtJCt
Nase in luiollii^e 'ruinorcn aulgelöst ist; es läLk sicli nicht ent-
scheiden, oh nachher hier Retuschen angebracht sind, oder ob die
malerischen \'ersuche, durch l-'arbeiinnttel das Linästhctisciie des An-
bhcks zu mildern, vou llolbein*) SL'lbst herrühren; ich habe in der
Fig. 1.13. Porträt (Rliinophvni).
Von Hans Holbein d. J.
Nach einem Kolilcdruck von Braun, CK-mcnt i't t.'o. Doiiiach i, E., Paris, New \'ürk.
Erinnerung, als ob an dem (icmalde nachträgliche L bcrnialungen
vorgenommen sind. Das ist jedenfalls auch der lall bei dem Bilde
der primiti\eii holländischen Schule im Amsterdamer Keichsnuiseuni,
dem Porträt des Ironnnen Ritters \'on Naaldwvk'. Dagegen völlig
intakt scheint das hervorragende Porträt eines unbekannten Mannes
im Pelzmantel mit Rhinosklerom (siehe J-igur 1 | | ) in Stockholm.
*) Neuerdings wird das Gemälde Dürer zuyesclirieben.
äKS«KSii0i-C!SiS>iK!>!0»S!e!S?Si5*XS<KS><S<SSi<0t!«!C5RHIXOPHYi sOiiKJKiKSiiCtiCiJSJOiJSJOtStiOiSiiOiiOiJKSiiOiiliSeSS 259
Das Material solcher pathologischer Porträts hat sich seither
erhebüch vermehrt. Doch bin ich Jer Ansicht, daß eine Häutung
solcher Schilderungen nur einen geringen medizin-historisclien Wert
besitzt, und ich verzichte deshalb aut ihre Wiedergabe, hii übrigen
Fig. 144. Bildnis eines Unbekannten.
Holländischer Meister.
werden diejenigen Kollegen, die mit größerer Vorliebe Krankheits-
zustände auf der Leinwand diagnostizieren, später noch Gelegenheit
haben, scjlches zu tun, wenn sie sich als Konsulenten den Kranken-
besuchen anschließen. Zuvor aber zeigen wir noch die elephantiasti-
schen Hautveränderungen einer grotesken Darstellung, die angeblich
26o sßStSiJSSiiSSiStSiJSJSJßiSiOüSSi KrANKHEITSSCHILDKRUNGEN äOSäöJCiJSiKiCiJSSiStStiSJCiSKiöSiJCiüSiliJS
\(.itcl/ciclinung
der Iland des Lionardo da \'inci entstammt. Die
wurde später radiert und i;anz zweckmäßig zu eiiKin l\)rträt der
Margarete Maultasch verarbeitet (siehe iMgur i|)).
Wir besehließen dieses Kapitel mit einigen ausgesuchten (ie-
malden dieser Art. Zunächst ein J-SHck- in ein itahenisches ]\ranken-
liaus des sechzehnten Jahr-
hunderts.
l:s ist ein (iemälde des
branzoscn Simon Wniet (1382
bis 16 |i), der mit Geschick
Tizian, Waonese und Reni
nachahmte. Das Bild befindet
sich im IV'sitze des Herrn Pro-
fessor \\\ A. l'reund in Ik'rlin.
.Man weiß genau, daß Vouet
im Sankt- h)hann-Hospital in
W'uedig gemalt hat und als
Protege des späteren Papstes
Harberini eine Anzahl Kardinäle
porträtierte. Die gemalte Szene
verdankt diesen beiden Um-
ständen ihre Entstehung. Auf
einem Ruhebett liegt ein schönes Weib in gelbseidener Gewandung
in Tizians (jeschmack. Sie dreht sich aul die Seite und zeii^t einen
stark geschwollenen büß mit \ielen listelgän^en. Das Hein \er-
breitet einen abscheulichen (icruch, so daß die Pflej^crin sich die
Nase zuhält. Der Arzt, wohl ein Porträt, in griechischer (jewan-
dung mit Sandalen an den nackten 1-üßen, hat soeben seinem Pesteck
die Sonde entnonnnen. Der ominöse Gesichtsausdruck des Kollegen
bestätigt unsere Indikationsstelluni;; hier hilft nur radikales \'or-
gehen. Die uni;lückliche Iran wendet sich trostheischend an einen
GeistHchen oder an dessen lauste, welche die charakteristischen Züge
l'ig. 145. Rotulzciclinuiii^ angcbficli des
Lionardo da V'inci.
3
O
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y5
o
262 äKJSißißJSSÄäSSiiSiiS'KSiSiSiiOie'JCSißiOiiKJKäS PSYCHOSI iKSSiSiKiSStSiS'iSJOiJSiCtiSSiSiiSißiKJSJOiiS'CtSiSiäS
des Kardinals 15orrnnnius träi;t (l'igur 146). - Hs existieren Zeich-
nungen und Entwürle zu diesem Bilde, welche in der Icono^raphie
de la Salpelriere veröffentlicht sind*).
Bei dein Kapitel der (jeister- und 'reulelsbescliwörun^en werden
wir noch (ielegcnheit haben. Tobende und Rasende kennen zu lernen,
aber den .\usdruck \\)llendeister Psvchose linden wir aut dem Ge-
Fig. 1^7. P.irasit:irc Haiiierkiankung.
Schule des .Xdiian vaii (Jstade.
malde des Mystikers .\nlon Wien/ (li.^ur i pS). Wir erwähnen die
Arbeit des belgischen Malers, trotzdem sie der Zeit nach nicht hier-
her gehört, weil wir uns keines Bildes erinnern, aui dem seelische
\'ervvirrungszustände eine solch wahre Wiedergabe gefunden hätten.
Dabei ist das Bild ein Tendenzstück. da es ein gemalter Protest ist
gegen die Ablehnung des Gesetzentwurfes über die Errichtung der
Findelhäuser.
Als Reminiszenz oder als Hinweis aul die ziemliche \'erLuist-
*) Mcnry Meigc, Quelques Oedemcs dans I Art. 1903.
SiiKSi!Ci>5!i5!i0>!CiiSi0is>ssi0>i5!<Sjjii0i!C>iSJ0>:!{!Si Parasiten !KötSSißjj!!«>iKS!)etJSj«»!!5>:!0iiKiOi!ei<C!!CS!0i!0t!K 2G-^
heit, gleichzeitig auch ein Dolvunieiu des Geschiiiacl<es \'ergangener
Zeiten, möge die ake K()[iie des (jemäldes aus dem l'iado dienen.
Diese ersten Anfänge der Parasiteni<unde trafen auf ein iatro-
mechanisches Geschlecht. Sollen wir wenigstens den \iellach ge-
Fig. 14S. Walmsiiin.
Von Anton J. Wiertz.
malten Szenen, ich erinnere nur an die Gemälde von Murillo, Rem-
brandt, Ostade, Terborch, Dow usw., Glauben schenken, so war die
mechanische \'erfolgung der Parasiten eine beliebte Handfertigkeit.
Wir brachten seinerzeit das Gemälde mit der ironischen Unterschrift
und ergänzten dasselbe in der Satire (S. 141 fl.) mit dem Gedanken,
daß wir von unseren akademischen Rockschößen die Beschäftigung
264 iKiSäSi:ississiJS!Kii>ss^iS3:isi>:icsiCSiK!0ii;«iS!yi Parasiten K{!C!<oi!Cii;!iS!;!!>:^^<;ii:i<(si:siesic>!C>:iSi:;3:tiKs:s!C»:!0!iK
niil diesem kleinen Ungeziefer nicht abschülleln können. Wir Irculen
uns im stillen, aut die mechanische Therapie hingewiesen zu haben,
und sind doch schwer verkannt wurden. Dieses (iemalde soll
lig. I4y. Die Kranke.
Von G. Metsu.
Ktiisi-r-Frit-tirzcJiMusi-uni, Ilt-riin .
einer der \'ielbeweise dafür sein, daß namentlich das siebzehnte
Jahrhundert vor solchen Darstellungen nicht zurückschreckte und
daß Gemälde dieser Art gern gesehen und gekautt wurden. Hier
genügt der Hinweis, daß entsprechend ilen allgemeinen hvgienischen
Verhältnissen die \'erlaustheit eine ganz enorme gewesen ist. Es
existieren zahlreiche iunblätter mit der Übersehritt: »Der Weiber
Floh-Scharmützel«, j's sei daran erinnert, dal,^ ein Papst Sixtus das
Ungeziefer nn't dem Kirchenbann bedrohte und daß die Lebende
/Yatig-, Gaifric iVc
Fig. 150. Das hebernde Kind.
Von l'i. Metsu.
besonders unsympathische und unbeliebte Persönlichkeiten, wie den
Christenvertolger Merodes, den \'andalenkönig Hontirius, Philipp 11.,
an der Phthiriasis sterben ließ. Von diesen legendären l'odes-
arten haben später xMaler hin und wieder historische Gemälde ent-
266 jsjsstSissiSJSiCtSissißSiJSiOi'eiisieiißJSüsstiOt G. Metsu äSjßiSiKiKJSJOi^ssiSiSijßißJCiiCiiiiS'K^'CtiSiiSiSißiS'Ci
worfcn. ^^'i^ witllcn jcdocli auf diese Phantasicstückc lieber nicht
eingehen. Zum Schhiß kehren wir wieder zum Anlange zurück und
freuen uns an zwei jener einlachen, mit schh'chter Xatürhchkeit und
großer Innigkeil gemaken demäklen. die den lh)lkuulern aus dem
Herzen kamen und uns nucli heute zum Herzen sprechen.
Jüne Neuerwerbung des Kaiser-hriedrich-.Museums stelh das Bild
von Metsu dar: '>l)ie kranke Frau«. Auf ihrem l.elmstuhl sitzt sie,
so blal,^ beinahe wie die weilkMi Kissen, die Lippen etwas zyanotisch,
die Augen leicht \\irgetriehen , die Lider odematos. Die Dienerin
mit jenem tvpischen hunderttaltig gemalten Korbchen aus Bast, nach
dem ich in zwanzigjährigem Suchen vergeblich fahnde, kommt eben
vom Arzte zurück. Lud wir können aus dem ganzen Anblick sagen,
dai.'i er ebensowenig erfreulich ist, wie der Bescheid des Doktors
nach der L'rinschau.
Ein Gegen.stück hierzu bietet das kleine Gemälde desselben
Meislers aus der Galerie Sleengracht*). Mit einfachen Mitteln, ein-
tönigen Silbertarben, geringer Staffage, erreicht der Maler das Llöchsie:
den Ausdruck seelischer Erregung, lebendiger Besorgtheit und zärt-
lichster Mutterliebe. Der Knabe, der Mutter wie aus dem (lesichte
geschnitten, liegt ihr auf dem Schöße, schlaf!, ohne Lebenslust, mit
geröteten Wangen. X'orhin spielte er noch draul.'.en an der Gracht
mit Altersgenossen Seemann! Jetzt hängen die Mügel. und die
Mutter, der beste Doktor, braucht nicht erst den Puls zu fühlen:
das Kind fiebert und muß zu Bett; morgen wird es, so hdflen wir,
wohl wieder gesund sein (bigur 130).
•1 Das Bildchen wurde kürzlich lici der .\uflösun<j dieser für 350000 Mark verkauft.
■<}i<!i<f:<f/<f.<^:<f/<f/<f:<i<>ii>/<f.<^^^^^^
INNERE MEDIZIN
um W'rständnis der folgenden Gemälde ist ein kurzer Rück-
blick aul die Entwicklungskurve der ärztlichen Kunst bis
zum siebzehnten Jahrhundert, der lintstehungszeit der
Mehrzahl dieser Bilder, geboten.
Der Medizin erblühte inmitten hellenischer Kultur ein gt)ldenes
Zeitalter. Die ärztliche Wissenschaft hatte nicht nur mit anderen
' 'i^^:>iaLi!ihuiIlflit^ hlcinl'ilirlt'y Kim '^t !U
Fig. 151. Dur Arzt.
FresUenrest vom ersten Totentanz in Basel.
Künsten gleichen Schritt gehalten, sondern das frühe Auftreten
großer Männer hatte dem normalen Entwicklungsgang ein beschleu-
nigtes Tempo gegeben. Namentlich die hippokratische Schule deckte
den Tisch so reichlich, daß sich Jahrhunderte von ihm nähren
konnten. Der frühere Gladiatorenarzt \o\\ Pergamus, (jalen, faßte in
seinem großen Werke die Weisheit der Vorgänger noch einmal um
268 ssiS'CS'CSjCüJöSüJCSSiJSJSStXSJßißiCiiSiüSiSjCS Innere Medizin jßSKSiiSiSJCiiO'JKSsS'JSJCssS'CiiSJSiCiSs'JSS'Si'eiSi
die Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts zusammen. Kein
Gebiet der großen .Medizin hheh dahei unheaclitet und uni;eÜ)rdert.
Die Galenische Medizin, der l'Atrakt der Kenntnisse des klassischen
Altertums, wurde zum medizinischen Talmud lür das n.mze Mittel-
alter. Die nachualeiiischen Meisler sind im wesentlichen nur noch
cnzyklopädistisch tätii;, unter ihnen im \ierten [ahrhundert der
Pergamener Oribasius, der Leiharzt von Julianus Apostata. Das
vielleicht legendäre Geschehnis \on der Sendung des Leibarztes an
das delphische Orakel ist tur mich der s\nibolische Abschluß, das
definitive Ende der antiken Geistesrichtung.
Julianus, berauscht von der einstigen Größe der antiken Welt-
auttassung, wollte der olvmpischen Götterdännuerung Einhalt gebieten
imd d^n \"ertall der 'Lempel hindern. D,\ sandte er seinen Ireund
und Leiharzt, den Meister Ürihasius, an das delphische Orakel, wohl
weniger um Belehrung und Rat zu holen, als um weithin der Welt,
die schon in den Spuren des Menschenerlösers wandelte, ein Mammen-
zeichen zu geben daiür, daß Apollos delphische Weisheit noch
(ieltung habe. Aber der apostatische Christenkaiser holte sich statt
der erwarteten Lorderung eine unerwartete Antwort. Pvthia, welche
schon zu Llutarchs Zeiten aufgehört hatte, in Versen zu orakeln,
erk'lärte dem Oribasius rundweg, daß das Orakel von jetzt ab \er-
stummt sei. Die Tempeltür zu dem berühmten göttlichen Schlangen-
dreiluß, der einstens das wirkliche ALtchtsvmhol einer erdgeborenen
antiken Göttermacht gewesen, war auf ewig verschlossen.
Nun ging es an ein schnelles W-rgcssen. Die nächsten Jahr-
hunderte bedeuten den tiefsten Stand der medizinischen Disziplin.
Selbst die LJ'innerung an einstige (irolk' war \-ollkommen ver-
schwunden, ganz abgesehen davon, daß an einen Xeuautbau des
in Trümmern liegenden Baues gar nicht zu denken war. Der einst
so reine und reiche Quell, der durch allerlei /ulluß zu einem Strome
angeschwollen war, drohte schon ganz im Sande zu verrimien. Die
Mönchsmedizin war der letzte armselige Ausläufer der römischen
Heilkunst. Da erstand ein neues Licht in diesem Dunkel, welches
gleichzeitig aus lernem Osten und Westen aul leuchtete. Die ara-
iS?KiK!0i!Ci<S!0i<S!K<S!S<0>!C><>JC«<5>!viS>?>JC?S>S>!0>S!i><^^ Pils JSiKSiiCiiSJOiiCiiOtiCiiJiSßiSS^JOiiOtSiSXiCiSiSiSiSiiSiß 26<j
bische Medizin, die, mit Khazes beginnend, bis in das dreizehnte
Jahrhundert bhihte und im 13eginn des eh'ten Jahrhunderts imter
Abul Kasim und dem berühmten Avicennu ihre dhmzzeit erlebte,
hat das Linsterbhche W'rdienst, neben Erhaltung und erneuter Über-
mittlung der Griechenkunst an die abendländische Kultur, Diät,
Chemie, Pharmakologie gefördert zu haben, und dabei in der Oph-
thalmologie und Chirurgie erhebliche Neuleistungen aufzuweisen.
Die Schule von Salerno, eine zunächst von arabischer Medizin unab-
hängige Gründung einer Ärztegilde, die sich unter b'riedrich II. erst
zu einer richtigen Universität auswuchs,
stellte sich bald unter den dominieren-
den Einfluß der arabischen Gelehrten.
Der Mönch Kcmstantinus , mit dem
stolzen Xamen Africanus, vermittelte
durch seine eifrige Übersetzertätigkeit
die Weisheit der arabischen und grie-
chischen Schriftsteller.
Die Gründung der Salerner Schule
verliert sich in das neunte Jahrhundert;
schon in das Jahr la.Se; fallt die (Grün-
dung der Universität Montpellier, welche
von da an eine Konkurrentin Salernos
wurde.Vorher waren aber bereits 1 123 die
Universitäten Bologna und Paris gegründet worden, denen sich in dem
nächsten JahrhundertWien, Heidelberg, Würzburg, Leipzig anschlössen.
Der Born für ärztliches Wissen des Mittelalters, den der Legende
nach ein Grieche Pontus, ein Araber Abdallah, ein Jude Elinus und
ein Lateiner Magister Salernus zu einer Quelle gefaßt hatten, wurde
zur Alma mater des Mittelalters und die Arzte des Abendlandes
pilgerten dorthin, imi die arabische Weisheit zu studieren. All-
mählich verklang der Ruhm der Schule von Salerno, das einstmals
das medizinische Rom gewesen. Nichts mehr erinnert heute an
einstige Größe, und ich konnte mir nicht einmal die Stelle zeigen
lassen, wo einst die Medizin gelehrt wurde.
Fig. 152. pLilsfühlcn.
270 sß!0>ißSis>s>:!0!>K<S!0>s>s*!S!CSS>!0!iKSiiS!ß Innere Medizin JKSt-ciiß-ssiSiiSStiSiß'eiCiißiCiJOiJOiSiiSißSijjiSi
Zwei Dinge waren es, aut die die arabische Medizin last ihre
ganze Diagnoslik baute, die Lehre \om Pulse und die Urinschau.
Aus der Reschallenheit derselben erprobten sie der Kranken und
Gesunden l.ebenssalle, und aus ihnen zogen sie selbst die eigene
Lebenskralt. Das erstrebenswerte Ziel der arabischen Kunst war
die .Meisterschalt in der ärztlichen Semiotik und die .Mittel hierzu:
Pulsluhlen und L'roskopie; diese leicht darstellbaren Künste \er-
drängten "aus (iründen der Ausdruckslahigkeit die anderen beiden
Leistungen der arabischen Medizin, die Diätetik und die Arznei-
mittellehre. Die (jeste des Urinschauers in allererster Linie wurde
iür den Arzt charakteristisch. Wie der heilige Rochus nicht ohne
Pestbeule oder der heilige Laiu-entius nicht ohne Rost denkbar ist,
so war die Urinscliau Iür di^n .A.rzt ein charakteristisches Attribut,
so selbstverständlich wie dem Kinde heute das Hrtordernis erscheint,
dem .Arzte die Zunge zu zeigen. Und da innnerhin die 'Lradition
die .Menschenalter überdauert, so linden wir die Darstellung des
harnschauenden Arztes bis weit liinein in jene Zeit, in welcher
das Dogma, dal,^ der Harn, nach Aussehen, l-'arbe und Reschaiien-
heit richtig betrachtet, dem Arzte auch ohne sonstige Krankenunter-
suchung untrügliche Direktiven geben kcmne, längst seine über-
zeugende Kralt verloren hatte.
Es kam zur Popularität der Harnschau noch hinzu, daß auch
die nicht direkt medizinischen Lehrbücher, die massenhalt gelesenen
und gekauften (jesundheits- und Kräuterbucher sich mit dem degen-
Stande befal.Uen. Meist folgt in diesen »lkTbar\- oder (iarten der
Gesundheit« genannten Kräuterbuchern tlen tlierapieutischen Ab-
schnitten zum Schluß noch ein l\a[">itel \'om Harn, liier wird in
allen Xuancierungen mutig drauUos diagnostiziert und eine .Sehein-
wissenschaft autgebaut, die nur zum kleineren Leil aul nesunder
Empirie fußen konnte. Die Lanleitung zu einem solchen Ka|-)itel
sagt mehr wie alle Beschreibung (einigermaßen \erdeutscht) : »In
den vorgenannten Kapiteln lindest du Anweisung, wie man Rat mag
geben wider mancherlei Krankheit. .\ul dal.*, man erkennen möge tlie
Xatur derselbigen Krankheiten, ist not zu wissen die Xatur und
X!>!0><S!SSiJ0!!S!«!0>!S<S<>i?><SiSiK!0iS!i0!X)!SSS!!i5tS>iS UroskOIME SKiKSiSiS^S^JSSiKSStiOtJSSiiSStJß'eiiCSStieiJ^JCit 271
Gestalt des Harnes, weil daraus entsteht Erkenntnis der Krankheit.
Als Avicenna spricht: Darumh beschreihen uns die bewährten
Meister der Arznei viele gute Lehren von dem Harn, damit man
wissen mag eines jeglichen Menschen Krankheit oder C^omplexion.
Konstantinus spricht: daß ein Mensch sei zusannnengelügt und
gemacht von vier Elementen. \on der Erde hat der Mensch
Trockenheit und Kälte; von dem Wasser beuchtigkeit und Kälte;
von der Lutt Feuchtigkeit und Hitze; von dem b'euer Wärme und
Trockenheit. Hieraus merke, daß von Wärme ein Ding rot wird;
( ^ri ginalzeichnimg i'oit l*ietL-r Briii-gliel .
Fig. 153. Satirische Darstellung der Uroskopie.
von Kälte weiß; aus Trockenheit dünne; aus b'euchtigkeit dicke.
Aus diesen Worten mag ein Mensch merken, aus seinem Harn,
V(,)n was Xatur er sei und was Krankheit in ihm sündiget: Als ist
der Harn rot und dick, so ist der Mensch hitzig und von der
Complexion Sanguineus. Ist der Harn rot und dünn, so ist der
Mensch hitzig und dürre und Cholericus; in dem sündigt die Galle
und wird leichtlich in Zorn bewegt und in die Geelsucht. So der
Harn weiß und dick ist, so bedeutet es eine kalte Natur und er ist
Phlegmaticus, als daß in ihm sündiget viel wassericht Geblüte und
er oern allein ist. Ist der Harn weiß und dünn, so bezeichnet es, daß
272 JKStStiSJSiSSiSiJOiiSJOJSSiSi'CiSiJöiKJKäS InNERE MeDIZIX JSiKJ^JOt-ßiKJSiiOiSiJSJSiSJKJSiKjJiiSiS'JOiJOiSiiJiSi
der Mensch kalt \\)n Xauir isl und ein Melancluilicns ; der ist stetig-
traurig, und hat in ihm ein irdisch (ieblüte, und isl all/eit bleich
von J-'arben. Der Harn wird geteilt in vier Teile: Das erste ist der
Zirkel, der bedeutet Krankheit des llauptes. Das andere Teil ist
nach dem Zirkel und bedeutet Krankheit iler Hrust und iamuen.
Das dritte Teil oder das Mittel des Harns bezeichnet Krankheit dvs
Magens, der Leber und der Milz. Das \ierte Teil, das ist der
Roden des Harns und bedeutet Krankheit der Xieren , der J^lasen
und der .Matrizen.
Wie du die vier Teile des Harns belindest mit Materien \'er-
mischt. danach kannst du die Krankheit des Menschen aussprechen,
die in dL^n (iliedern ist, nach Ausweisung der vier l'eile des Harns.
Den Harn soll man sehen des Morgens, so er frisch gemacht
ist worden und noch warm ist.« (.A^us Herbarv, gedruckt von Johann
Prüß zum Tiergarten. Straßburg 1307.)
D.mn lolgen Anordiumgen, wie der Harn transportiert werden
muß, dal.^ er gut zugestopft ist, und dal.^, wenn er kalt geworden,
man ihn wieder ins warme Wasser setzen muß. — Es mögen einige
Diagnosen folgen :
»Der Kotharn und danach Bleilarbe und dal.^ um den Zirkel
Körner hangen, bedeutet Kungensucht, genannt l'eri-l^neumonia und
ein .Apostem um die Brust genannt Pleuresis.
Der Harn blevcli und geel und dick und sich iiber eine Stunde
nicht senket aut den drund, bedeutet Ik'stockung der Milz oder
Xieren usw.«
Zur bJdeichterung der Erkenntnis der Unzahl \'ariationcn linden
wir nun in \ielen ikichern jener Zeil Urinschaublatter, bei denen ott
die Karben mit den diesbezüglichen Diagnosen eingetragen sind.
Unsere ((cmalde aber gehen nicht so sehr aul diese literarische
Erkenntnis der (jewohnheiten und Ciebräuche der .Vledici zurück, als
auf das Gesetz, dessen Bedeutung wir schon bei anderer (ielegenheit
bewunderten, das der 'i'radition. Auch hier, ahnlich wie bei der
Entwicklung des anatomischen (iemäldes, können wir konstatieren,
daß schon der Jjuchschmuck der Pergamentkodizes viellach sowohl
(xnin<(*.-.ipoiutviioif.inf rii'K" linin
(Ti ■^^lKn■lI^c?^<c^t^^■Ua ticifi Iinnitu'
pcrhiirnn iiimicTtirHrrm m.u'Hmc mii
. lull i'indiT 4*1 r.mrrr r<iumnp-U'im
tmiiiibUiumCpfnai^iHm a-<DrpctXtni
axAiCTf' ^Ttrmpptt et de mchUcA non
^/intfftiTifnjt-rtirTrfinnVptvIiitUm
CiiiiirciiiiHnn rTCAipnt'pcTcnai tii'A dp
tr.nntnrt:it'ilirimft*nHcr^l'ilirfnmmf('i
ciinil^ rainoi dil'jvrtiir in crvrc ntinirtr
pcn*Hcii crmtnfiir* a*ifviT-*rti crinnr|v
rxAin .itc\i cfmncrit.<in a" irfTt(qiPii\4iuc»
In^niwm ffnrn,i.:^<hv'miiinn cv.HiuVul'
Intnfm urCim jxirciu'n nn im.y iHfttrHt
tn?niiin^}irirr|nil'rcrj1irTr.iiiiTn< Incrnc"
<4ccpnli*rmiiir ^"^tlinicjnitiuinniw
ciAt fvrff.ir rntifn innilpj- . uHfir- *>!<■
rtTp^<cr mir.ifTiHV vcni vt.^ir fx H'cnn
pcn4m itnAt Ivm^' in (Itcn iniuxmnc i
m«r-!f iHinp?iint crmci r.it t.^cIl' p.'rni5
ricn mcri li il jm <r jvtcni'nu'n Ti c.liScrt*-
* I circ.mttmnon mi?ri I' <bi((r ri4>n<Tn4
WM
1^
■is;. 154. Seite aus dem Pergamentpr.ichtkodcx des AI Havi von Rhazes vom Jahre 1466.
Urinschauender Arzt rot und scharlachrot, Überbringer blau. Randleiste gold und bunt.
Die Medizin in der klassischen .Malerei. 2. Auflage.
iS
274 ä0essi5'St<5t!0>i>ie!'«!e!?>s>s>ie!>(S<s<sssst!K Innere Medizin jßJSsKSt-sißiOiSiJOiSiSXJOiiCiiKSKStiOtSOi-OiiSJCiiKiCi
die Puse des Urinschaus als auch des Pulsfühlens zeigt. Eine ganze
Anzahl der Frachlkodices der Salernilaner Schule zeig! diese \'er-
hältnisse. Die Xatinnalbibliothek von Turin, Kodex 1.. IV. 23, weist
zum Beispiel in dem Tractatus de urinis eine derartige l-'rüh-
miniatur aut. Die reich illustrierte und gut erhaltene Cdiirurgia
Magistri Rolandi aus dem dreizehnten respektixe \ier/ehnten |ahr-
hundert (Kod. 1382 der Biblioteca Casanatense in Rom) bringt ein
weiteres Beispiel. Aul dem ersten Blatte sitzt llippokrates in rt)tem
(iewande. vor ihm ein Kranker, der seinen schmerzhalten Kopl
befühlt, und ein Schuler demonstriert in großer (Jlasllasche den
blutigroten Lrin in hoch erhobener Hand (siehe bigur 191).
Ahnliche Abbildungen linden wir massenhalt aus etwas späterer
Zeit. \\\v bringen als Beispiel dieser Art eine Abbildung aus einem
Prachtkodex des Khazes, welcher sich in der Turiner Xational-
bibliothek behndet und erstmalig in dem schonen Werke des Piero
(jiacosa*) publiziert ist. Die beiden i^ände sind 1460 von dem
Leibärzte Pauls iL geschrieben. Die ganze Blattgröße ist 40 26 Zenti-
meter und die der .Miniatur 16 16. Wir sehen in eine kleine
Kammer hinein, den .\rzt im priesterlichen Ornate mit scharlach-
rotem CberwurI in Betrachtung des Uringlases, in dem sich rotlicher
Lrin belindel. In devoter Stellung, entblößten Hauptes steht ihm
der Überbringer der blasche gegenüber. Die Bordüre zeichnet sich
gieichtails durch schone Austührmig aus, die aber, wie dies auch
.sonst meist üblich war, als reines Buchornament ohne Beziehung
zu tlem Inhalte ist (siehe Ligur 1 3 ().
In einem Bologneser hebräisch geschriebenen Prachtkodex des
Avicenna hnden wir ein großes, beinahe ganz ausgemaltes 'l'itel-
blalt, aiü welchem gewissermaßen die Darstellung einer llarnpoli-
klinik dargestellt ist. Hier steht eine Reihe xon .Männern und
brauen, jeder hält sein Jlistkorbchen mit der Lrinllasche. Ls war
diese Art der \'er|iackung gewählt, danül sich der Lrin möglichst
lange warm halten solle. Ls erinnert dieses Harnambulatorium an
•) Magistri Salernitani nondum editi. Turin 1901.
Uni7<crsit.-BibL Bologna.
Fio-. 155. Seite aus dem »Canon« des Avicenna (Ibn Sina).
Salernitanisches Manuskript des fünfzehnten Jahrliunderts. Orig. 40,5 X 28,2 cm.
276 jCtSiJ5iS!0ti«<ssi!:«<sstiSä0tJSißäi<SiKiC«K Innere Medizin JCSiCiiKJKStieiiSiSiKJCiiJCiJSSiiOiSiJSSsiiSiOiiKJSiOi.«
Jic Rcliclplaslik am ritircntincr Campanilc aus der Schule des
Andrea Pisaiio*).
Ein Blick in die ersten medizinischen Druckschritten zei<;t nun
die Übernahnte dieser l'ose und ihre \'er\vertung durch den Holz-
schnitt. Die Iveihe si)lcher Darstellungen selbst nur in den Inkunabel-
werken ist eine unbegrenzte.
In einem anderen hebräisch geschriebenen Kodex des Axicenna
sehen wir dann die andere uns hier interessierende Fose, die des
Pulstühlens, welche beinahe gleichzeitig mit der Urinschau autkani.
Das ist das bildliche Material, aus dem sich dann die Holländer ihre
Anregung für die unzählbaien Dt)ktorbilder holten.
Die praktische Heilkunst jener Tage stand aul wenig gesunden
l'üLk'n; i'etrarka sagt einmal in seinem Warnungsbiiet an Papst
Klemens \'l., daß die Arzte mit einem Bein aul dem blumigen Anger
der Poesie und mit dem anderen auf dem weiten leid der Rhetorik
ständen. Allerdings ist es eine schlechte Sache, durch Überredung
und Überzeugung jemandem den Schnupten zu kurieren. Der Dichter
hätte noch hinzufügen können, daß auch die \'erstellungskunst eine
Stütze der damaligen Therapie war.
Tür und Tor ist durch diese Praktiken dem Ik'trug und
Schwindel geöffnet. In dem scholastischen Montpellier, der Kon-
kurrenzschule von Salerno, lehrte um das Jahr ] 500 \'illan(n'anus:
»Weißt du bei Betrachtung des Urins nichts zu linden, so sage, es
sei eine Obstruktion der Leber; sagt nun aber der Kranke, er leide
an Koptschmerz, so mußt du sagen, sie stammen aus der Leber.
Besonders aber gebrauche das Wort Obstruktion, weil sie es nicht
verstehen, und es kommt viel daraul an, daß sie nicht wissen, wo-
von man spricht.«
Ls ist verständlich, dal.^ die Satire sich Mannern solcher Art
an die Fersen bettete, und die besten 1 L)hngedichte dieser Ait sind
mit dem Pinsel geschrieben. Aul einem Irühen Kalenderblatt sehen
wir hinter einem urinbeschauenden Arzt den Schelm nut der Xarren-
') Siehe Plastik und Medizin, Abbildung 430.
sKStiöjCiStio^'CiSiiSJSJSiCiiKSii^iCtissiJKiSiviiCtiCiJK-oi L kosküiii •öJöJCtJöiiSieiJSJSJSJKStSKJSSiiSJOi'ftJSJOiJSStJCS 277
kappe stehen*). Aber trotzdem erhielt sich diese Sitte bis tief in
das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert hinein. Hine Schrift
Thurneyssers zum Thurn, im Grauen Kloster zu Berlin 13.S7 ge-
druckt, ist eine Hvmne eines genialen Spitzbuben auf die »Aller-
Aitis Mustiitn.
Fig. 156. Der Arzt zu Hause.
Von A. van Ostade (1665).
nützlichste und dem menschlichen Geschlecht notdürftigste Kunst
des Ilarnprobierens«. Hier erfahren wir, daß es nicht beim Harn-
beschauen allein geblieben ist, sondern daß mystische Vorstellungen
zu den abenteuerlichsten Harnuntersuchungen führten.
•) Holzschnitt vum jähre 1519. Aljbildung bei H. Peters a. a. O.
2/8 äSSKSiiKieiSiiOiiKSiiSSiiSSiiSiSSiJSisSiai Innere Medizin SKSiSiJßäKiJiJSißJKSiStiSJßJOtiSiSiSJSiOtJKJOtSääK
Aul den Darstellungen, die wir in folgendeni bespi-eelien \vi)lien,
handelt es sieh zunächst um diese nachdenkliche Haltung des Ar/tes
bei der L'roskopie; da sitzt der Arzt in seinem recht behaglichen
Sprechzimmer, \ov ihm ein Ivräuterbuch und ein Salbent(i|M mit der
vcrheiLkingsvollen Inschrill: Krätzesalbe. Auf den Salbentc^[it ist ein
Totenkopt gemalt; es handelt sich wohl um eine (j^uecksilbersalbe.
und es mul,^ daran erinnert werden, dalÄ diese Quecksilber enthal-
tende Salbe mit l'rlolg auch zu antisvphilitischen Kuren seit langer
Zeit angewandt wurde und dal.^ der Begrill der Skabies im Mittel-
alter ein weit ausgedehnter war.
Der .Arzt in bequemer 1 laustoiletle, eine eigentümliche, turban-
ähnliche Ki)|M bedeckung tragend, stellt otleubar ein l\)rträt dar und
ist \()n A. \an üst.ule im Jahre 1(163 gemalt (siehe Figur 136).
in der rechten lland hebt er das Lringlas prüfend gegen das
l.icht, wobei es ein viellach gei'ibter malerischer Trick ist, die Fenster-
spiegehmg möglichst deutlich und künstlerisch aul dem Rundglase
zur (jcltung zu bringen.
Unser hier pi)rträtierter Arzt hat akademische Bildung. Fr
schreibt sogar vielleicht nicht nur Rezepte; das Bündel Ciänseledern
ist dalür Zeuge. \-.r sitzt vor dem Bucherschraid<, in dem eine ganze
niedizinische J3ibIiothek sichtbar wird; meist Werke, die in Amster-
dam und Fevden gedruckt waren, dreilen wir einmal hinein und
sehen wir uns die Fitel der Werk-e an ! Zunächst steht da als älteres
Werk des Folvhistors Dodonaeus »{-"raxis medica«, 1616, nach den
\'orlcsungen des Fevdener Frolessors, der einer der Begründer der
patliologischen Anatomie wurde, zu Amsterdam gedruckt. \'or dem
Arzte liegt gerade eines jener pharmakologischen Kräuterbücher, die
namentlich in Süddeutschland erschienen waren, in Petrus borestus"
Ende des sechzehnten lahrhunderls immer wieder neugedrucktem
Büchlein*) nährt er seine Zweitel über die alleinseligmachende I^e-
weiskralt der Urinlarbe. Doch auch des l'aracelsus Schritten besitzt er
fbensü wie die okkultphilosophischen Schriften des lleuiricii Agrip(ia
') De inccrlo et fallaci urinuium judicio. Luyd. Hat. 1593.
\on Xcttcshcim. Des KdIikt KosmosophL-n liikI l\abhalistcn Werke
waren früher zu Levden erschienen. Liui stolz ist er aiil seine
Baseler erste Ausgabe des VesaHus, die er der liohandisehen Airsgabe
des Buchhändlers Plant\n in Ant\ver|ien vorzieht. Seines berühinten
Landsmannes Beruh. Albinus Gesamtausgabe der Werke \'esals (1733)
erlebte er nicht mehr.
Drei WV'rke Gerard Dous (1615 - K^7)), des berühmten Rem-
hrandtschülers, sind tonangebend ge\vt)rden für eine ganze Reihe ähn-
licher Darstellungen. Doch ist auch diese Umrahmung der ärztlichen
Szene durch ein l-'enster, das zum Teil durch einen \'orhang ver-
hangen ist, wiederum keine originelle Hrtmdcng Dous. .Man liebte
CS damals, solche Fensterszenen zu malen, einmal wegen des hübschen
Abschlusses der Handlung, sodann wegen der glücklichen Licht-
verhältnisse, die die Tietenwirkimg der Bilder günstig beeinilußte.
\\'ir sind bei dem Petersburger (iemälde bei einem in Wurde
alt und reich gewordenen Medikus, der dasteht im grauen, violett
beschlagenen, kleidsamen Cberrock. Den Kopt bedeckt ein grün
und rotes Barett. Vov ihm steht aiü' der Balustrade eine Samm-
lung von Gegenständen des ärztlichen Berutes: vor allem das perga-
mentene Doktordiplom mit dem Lniversitätssiegel , ein zinnernes
Becken, ein kupterner Morser. ein (jlobus, ein Foliant, eine Phiole,
eine Kerze, der beliebte 'Potenkopf, und der typische Behälter mit
histrumenten für die kleine C^hirurgie. Mitten im Zimmer schwebt
als Zimmerengel ein Amor. Der Arzt selbst hält die (ilasiLische in
der Hand, in der er den rotlichen Urin prutt, den eine alte Frau
gebracht hat; beider Blicke hängen an dieser Probe, beider Ausdruck
ist ein etwas traurig resignierter. Diese alte Frau, oftenbar nur die
Überbringerin des Sekrets, meistens noch mit dem Bastkorbe am
Arme, wiederholt sich fast auf jedem derartigen Bilde. Das Bild
wurde übrigens 1772 tur die Hremitage tür 19 133 Livres erworben
(siehe Figur 137).
Line ähnliche Darstellung von demselben Meister, nicht so groß-
artig in der Gesamtwirkung, aber vielleicht noch teiner im Detail,
besitzt die Wiener Galerie. Im Gegensatz zu dem vorigen Gemälde
28o äKSüSiSSiJSiSSSJSSSStiSißiCiJCiSijeSKiSiS InNERE MedIZIN SSiOiStiSiCiiCfSiJSiSiKiO'iS'CiiSSiSiJCiJviiCtiSSiJKSS
scheint der jüngere, elegant gekleidete Kollege über seinen Befund
sehr ertreut. I:r hat gerade in Vesals Werk sludiert. Der Holz-
schnitt A2, das auf die Schaulel sich stutzende Skelett, ist uerade
autgeschlagen. Die Balustrade ziert ein l'uttenrelief, welches beim
Meister häutig wiederkehrt (siehe h'igur 138).
Solche ärztlichen Fensterbilder interessieren uns noch besonders
wegen ihrer Staflage. Das Rüstzeug des Arztes und allerlei was
hierzu gehorte, liebte der .Maler als \'ordergruuil zu verwerten. Fast
niemals tehlt der seitwärts zu tragende liistrunienlenkasten. Aus
dem Pennal der antiken Welt, der glatten bronzenen Hülse, war ein
hreitbauchiges, unten spitz zulaulendes Futteral, das »binfüterlin«,
geworden, welches oben autklappbar war. Diese früher massenhatt
vorhandenen Behälter, manchmal künstlerisch verziert, sind leider
bis aut spärliche Reste verschwunden: außer einigen leeren Hülsen
aus gepunztem Leder und einigen Renaissance-Miniaturetuis sind mir
trotz eifrigen Xachtorschens keine Originale zu Gesicht gekommen.
Die metallenen Gegenstände sind ja zum gröL^eren Teil sonst gerettet
worden und in imseren Samndungen vertreten. Fine interessante
Tatsache ist es aber, daß es \iel leichter ist, im Kimsthandel oder
auch in Privatsammlungen ein ärztliches Instrumentarium aus der
gräkolateinischen l:poche im Original zusammenzustellen, als solche
Gegenstände namentlich aus der deutschen Renaissance autzutreiben.
Auf dem Kopenhagener Bild (siehe Figur ijy) zieht unsere
Aufmerksamkeit der xerschliel.Uiare Apothekerkasten aut sich. Barbier-
und Aderlaßschalen sind wegen des iMetallglanzes beliebte malerische
Sujets, letztere sind dadurch kenntlich, daß Adam und Fva auf ihnen
dargestellt wird mit den l.aubbüschen, den Badewedeln. Diese über-
tras:ene Bedeutung; des Wedels als Bedeclami; der Scham, welche
in frühen Frzählungen auch als das einzige Kleid der i^atlenden
gelegentlich bezeichnet wird*), fuhrt dann dazu, einmal auf frühen
Darstellungen Adam und l;\a mit dem Wedel bedeckt darzustellen,
und dann diese dem Kreis der Badstidu'U entnommene \'orstellnng
als Schmuck der Aderlaßscluissel zu \erwenden.
*) Alfred Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906. S. 165.
SJBKJKSüKSiSiSiJCiiJtSiißSüOiJOiSiiviJOtiKäK ÄRZTLICHE AUSRÜSTUNG iOiäOiSiJSJCii'vtiSiCiiJOiJCtiJiJC'JCiJSJliJK'C' 28 1
Fig. 157. Die Urinprobe.
Von Gerard Dou.
Nach einem Kohledruck von Braun, CIc-ment Ä Co. Dornach, Paris.
Die Diplome, welche oftmaLs o.stentativ mit ihren Sie,ü;e]n aut
diesen Gemälden .sichthar sind, werden in den wenigsten Fällen
Doktordiplonie gewesen sein. Meistens wird es sich um Meister-
282 JöiSSiJßJßJOiSiStSiiSStiSSiiSJßSiiKiKSiiß IxNERE MeDIZIX SKiKJOiSiStSiJCiiCiiSSiiKKSStißiOiiCtJOtiO'iS'OtiC'JKiK
briefe gehandelt haben, wie wir sulchc mit schonen Miniatnren
bedeckt noch besitzen. Doch sei daran erinnert, dal,^ die Diplome
fiir akademische (irade. namentlich h-emder Universitäten, auch ant
Lmwegen /u erwerben waren.
Ahnhche Darstelluni;en nn't mehr oder wenii^er sicherer Ori^ina-
Htät i;iht es noch eine l\eihe, \on denen manclie im l'riwubesilz
sich belinden. Ollenbar hat der Uiloli;. den Don mit diesem
Sujet errungen hatte, viele Nachbestellungen ge/eitigt. sei es nun
als reine (jenredarstellimgen , sei es als l\)rträtautträge. Unter den
.Malern, mit denen wir uns in lolgenden l^etrachtungen immer wieder
von neuem hescliälligen müssen, ila sie den \'orwurl vieler ihrer
barbenideen aus dem ärztlichen Leben genommen haben, sind vor
allen Da\id 'l'eniers der lungere, Adriaen Brouwer und |an Steen
und iiire Schuler. Wie es gekommen ist, daß diese Malergruppen
gewissermaßen die .Meistermaler der Medizin wurden, dem wollen
wir doch etwas aul dun driuid zu gehen versuchen.
Da\id Teniers (]6io bis 1690) gilt als dritter Stern in dem
flämischen Malerdiadem neben Rubens und \an Dvck, und doch
trennt ihn eine A\'elt von diesen. Waren jene die genialen droß-
nialer ln)lischen tmd kirchlichen Bart)ck's. waren jene Kinder aus der
glücklichen Künstlerehe Italien und J-^rahant, waren jene die Historiker
iür Maria von Medici, die holischen l'orträtisten Unglands, Italiens,
Spaniens, so wtu'de Teniers der Jüngere der Schopler des llämischen
Sittenstücks und der Bauernmalerei par excellence. Xaciulem er, der
leine Maler und starke Konnei', sich aul allen debieten versucht,
bei seinem \'ater gelernt und des Sanmietbi-eughel Kleinmalerei
studiert hatte • — er war nnt dessen Tochter, dem .Mündel Ruhens',
verheiratet - , warl er sich aul das Bauernbild, dessen höchste
Meisterschalt er von dem vaganlen denie .\driaen J^rouwer über-
nahm. Adriaen P>rouwer ist dei' Titelheld einer 'Tragikomödie, die
noch geschrieben werden mul.'^. Ivr ist der 'i'\pus eines genialen
fahrenden Künstlers, der alles konnte, alles wollte und eigentlich
nichts erreichte, weil er ganz zulällig eines schonen Morgens, noch
nicht zweiunddreißig Jahre alt, im B)ette tot aulgelunden wurde.
J/ußl/i.l,l,ui;i /■/„•l
Fig. 1)8. Diu Urinprobe.
Von Gerard Duu.
284 SKSSiOs-öätittiSStiOiiS^SSiöiSJCtäiiSJSJSiCS INNERE MEDIZIN äKS>iC!!iKJK!SSiiSie>ißJSJSi5>JC>S>S>StSt!SiO!JC«!iS
Wäre ihm das Cireiscnallcr eines Teniers beschieden gewesen, so
hätte er seinen i;iuen l-rcund an die Wand und in die \'eri;essen-
heit gedrückt; er war von sprudelnder Geniahtät, der als glänzender
l'ig. 159. Beim Arzt.
Von Gerard Dou.
Realist nebenbei sein Hol/ in unerreichter Meisterschaft bemalte,
wenn er gerade Geld brauchte und Jaisi hatte, der sonst aber [tra-
dierte als stattlich schöner Sänger, der mit den Khelorikern und
Schauspielern konkurrierte, die spanische Soldateska zu Boden trank
JKiKJKiCiißJKiCiiSSiSKSiiS'SiiC'StiStStiKiOiiJt DiE Maler der Medi/in «CiJ^XJCtiK'CtJKJKiKieiiO-JKS'iSieiäi'CiiK 2X5
und sich mit den Bauern prügelte. Und wo er auch hinkam, alle
lernten von ihm: so in Ilaarlem, wo er Schüler des lustiuen l'ranz
ikjittijtti pki't.
lraH':turl . Stadeisckcs Kunstutstiliil.
Fig. 160. Bittere Arznei.
Von Adriaen Bruuwcr.
Hals war, ferner auch A. van Ostade, der selbst einer der berühm-
testen holländischen Bauernmaler wurde.
Es war nun naheliegend, daß ein Genie wie der Boheniien
Brouwer die Bauern nicht nur beobachtete und malte, wie sie soffen,
rauften imd Karten spielten, sondern daß er das Genre weiter zog,
und da reizte den genialen Menschendarsteller vor allem auch der
Ausdruck des Schmerzes. Und so finden wir bei ihm mit X'orliebe
286 sKJÜSSJKiKiKiOtJKStiOtJKiKiC^SiSiSSiviStiiÄSK INNERE MEDIZIN SOiiKiOiStiCtSiiKJC^iKiOiiOiiKiKStivsStiyiJCSiKSKiKiiK
dargestellt, wie Bauern Arznei trinken, sich bei ihrem Doktor ope-
rieren. Zähne ziehen, Hühneraugen entternen lassen; diese Bilder
und dieses Genre, beliebt und nekautt, ließen einen ncaien Zweig
in der Kleinnialerei entstehen (siehe bigur 160). Der kluge (jeld-
mann Teniers, dessen Ahderei zuletzt beinahe in eine Industrie
ausartete, erkannte diesen Zug der Zeit und erreichte luit ihm und
durch ihn alles das, was an Äußerlichkeiten tur den strebenden
-Menschen begehrenswert scheint. Xur eines war ihm wohl ein
tieler heimlicher Stachel. In seines breundes Peter Paul Rubens
Privatgaleric befanden sich siebzehn Brouwers und kein Teniers;
ihn mußten die Aulträge seines Statthalters Juan d'Austria und
König Philipps 1\ . Xim Spanien entschädigen. Was wir aut den
Bildern dieser holländischen und llämischen Kleinmaler und Sitten-
maler sehen, ist unverlälschte Xatur. die olt auch abstoßt und im
stärksten Kontrast steht mit holischen Manschettenmanieren, eitlem
Sichtun und aristokratischem Stolzsein. Und dann das .Milieu!
Wer in die kleinen holländischen und ilämi'schen Mäuschen hinein-
gesehen hat, weiß, daß diese kleinen Bildchen hineinpassen in diese
kajütengroßen Zimmer.
Wegen dieser Milieuschilderung vor allem beanspruchen diese
Szenen aus dem ärztlichen Leben uud Treiben \ergangener Tage
mediko-historische Beachtung. Durch Anschauung wird uns da
nahegebracht, was in so ansprechender b'orm keine andere Schilde-
rung vermag. Krankheit und Tod, Behandeln und I teilen, ärztliches
Hoffen und \erzagcn, Krankenstuben und Studierzinuuer waren
mimer in der Welt, seitdem es Kranke und 1 leilkünstler gibt; aber
den ewigen Wechsel in der äußeren Lebenslorm dieser W'rhältnisse
im Spiegelbilde der Zeiten vorgeführt zu sehen dm-ch realistische
Künstler, das ist tür uns grolk'r Gewinn.
Die beiden Dortarzte des Teniers (in Brüssel und Karlsruhe)
zeigen wir als Typen einer ganzen Reihe ähnlicher Bilder, über die
dann Fachleute streiten, ob sie von der Hand des .Meisters, ob sie
Werkstattarbeit, oder ob Kopien vielleicht verlorener Ori^inalgemäKle
sind. Uns kann dies im Augenblick gleichgültig sein, um so mehr.
jKStiOissjCiJßsssi'OiXiiJKiSKSJSKXiOiiOiJSxssiiSJCiißis Das Mii ii i JS<>»:s>:s!!CiJS«)S!C>:!C>:'e;iS!0>!Ct!>:s>:!e>iO!iO>s» 287
da wir mit l'hilippi*) glauben, dal,^ die iinvcrnrmlli^ hohe Ik'wcrlung
Teniersschcr Bilder imberechtiiit ist. Aul beiden Bildern sehen wir
in dem Mittelpunkte den x\rzt. l:ben kommt er nach Hause von
einem Ritt über Land, die hohen Reitstiefel scheint unser Kolleo-c
*l A. I'hilippi, Die Blüte der Malerei in Hollanil. Leipzig icjoi.
288 3Ks>»i!SJKötJSJCi!ß;«iCtS>s>:<><Si«i«*ss«f Innere Medizin KS-KSti^jOiiKiKJSiCiiOtSiJSiiO'iöi^iCiSiiOiiKJKJKiCiäK
nicht von den Füßen zu bekommen. F,r prüft den Urin, den ein
altes \\'eib ^ebnicht hat, das aul dem einen Bilde eine illegitime
H
-3
SC
Tochter des Ostadc zu sein scheint. Aul dem 'l'ische arztliche
Requisiten. Die malerische Schwierigkeit solcher Sceiien lag in der
Behandlung des \'ordergrundes. Teniers hilft sich dadurch, daß er
diesen ausfüllt durch Gegenstande, tlie uns besonders interessieren.
Hollander, Die Medizin in der klassischen Malerei. ;. Auflage.
19
290 JKäKäKJOtäKStSiSSSiiOtiCtJßiSiSSi'OiJCtiCiiKäK INNERE Mrni/IN !«iKä5!SK!O!S><C>S><K<C>iöi>!KißS>S>iCt!0!JK!0!JC«KiK
Töplc, Kannen, Krü_i;c und l-'laschcn, die mit Krautcrsaflcn, Salben
und Medikanienlen i;el'ulk sind (siehe l-'i^ur 162). Dazwischen
liegen dann aul der I-rde wohl auch InstiunieiUe. ]-inen i^eradezu
llaiijitafngt pitot
lig. i6.|. IJcini Arzte.
Von Gcrard Tcrborch (i6iS bis 1694).
fürchterlichen 1-indruck macht aber die Unordnung in der »Bude«
des Arztes in 1 rankfurt a. M. Seine Bücher liegen zerstreut und
durcheinander gewirbelt am Boden an tler Hrde. In der rechten
Ecke dieses Bildes sitzt eine Meerkatze, an einem dewichtstein fest-
gemacht. Es scheint, als ob Teniers sehr Irühzeilig eine \'ürliebe
für diese amüsanten Tiere "ehabt habe, und sie vielleicht zahlreich
auf seinem Gute »Zu den drei Türmen« ^epflei^t liabe; jedenfalls
porträtierte er sie spater haufii;, und brachte sie in (jru|i[ien zu-
Eru^kiuaiin pliot.
Fig. 165. Konsultation. Von J. Ohlis.
sammen, in launiger Weise irgend etwas parodierend, so auch ärzt-
liche Dinge, Konsultationen, Baderstuben usw. lis ist diese xMeer-
292 soBSStiSSiSiSiiCtieiiSiCiisS'OiJSSKJKißJOtißiot IxNERi: Medizin JOJiKäKiOiiKäSiKSiiOiSiSiiOiSiJO'SiiKSiiOiJOiSiiiiißiK
katze in der Suibc des Arztes ein llinweis anl die Liebhaberei des
niederen IJeilpersonals, dureli solche l\urit)silälen aiil das Publikum
Brrgi p/tol.
l'lorCH^, L'jjizicit.
Y-'\o. 166. David 'l'cniers dur Altere.
VW wirken, jedenlaijs waren derartige 'l'ier)iar()dien ileni C.harakler
der Zeit entsprechend. So sehen wir eine \'ers|iotluni; der ärzthchen
Tätigkeit schon aus dem Anlang des sechzehnlen Jahrhunderts auf
einem Augsburger Flugbhitte (zu einem Doktorkater mit dem Urin-
glas in der Ptotc kommt ein Zicucnbcickpaticnt!) *). L'ns darf es
bei der Einheit der Kunst nicht wundern , daß Pinsel und harben
(.ialcric: Knea Lanjranconi, l'reßburg.
Fig. 167. Ärztliche Konsultatiün. Von Gilles van Tilbor(;h (1625 bis 1678?)
das jetzt einmal erzählen, was schon seit einem Jahrhundert das
gedruckte Wort in Schwarzweiß geschildert hatte. Denn gerade
*) Abbildupf; bei Peters S. iS.
294 iCt!5ii«s*iSS><o>siJSü>:«!5!'Cii>:iKS>:iOii«)SSt Innere Medizix SKSiiCiJSJOiieijeiJSSfSiiCi-'CSJSSiiSSKSiiCiSiSiiCiSiis
nach Gent, Jcr wcltbehcrrschcndcn Kapitale riandcrns, dein nordi-
schen \cnedig, weist das lierepos. Magister \i\ardiis aus Cjent
vertaßte den Isegrinius, und die vollkommenste künstlerische Gestal-
tung des Reincke Inichs prägte der Meister ^^'iltem in Üstllandcrn
(Reinarl de \\)S um 1230), also lange bex'or lleimich der (dichesare
die erste deutsche Bearbeitung des Stolles als »Isengrimes Xot« im
Elsaß herausgab (siehe i-'igur 163).
Der Dorlar/t des Terborgh iu dem Allen iK'rliner Museum sagt
inis in medizin-historischer Beziehung nicht viel Neues; es ist nur
lür die \'erbreitimg und den (jeschmack der damaligen Zeit charak-
teristisch, daß das erste (jemälde, welches der junge Meister nach-
weislich aut den Markt brachte, ein Doktorbild war (siehe Figur i6(.).
Auch das ziemlich unbedeutende Werk des wenig bekannten 1. Ohlis
(jetzt Karlsruhe) land im wesentlichen nur Aulnahme, um die all-
gemeine Beliebtheit des Gegenstandes zu dokumentieren, liier und
dort ein Durcheinander \on Dingen, deren Anordnung konventionell
imd schülerhait ist. L'nwillkürlich hat man nn't dem alten Doktor
I erborghs Mitleid; er hat etwas Wehmütiges im Ausdruck und es
scheint, als ob er sich aus dem Walde die Kräuter und Blüten, die
er als Arzneien verwenden will, selbst gepllückt hat. lis haltet an
ihm etwas wie aus der Märchenzeit. Im Kontrast zu diesem sorgen-
\-ollen Landarzt steht der Doktor auf dem blorentiner Bilde, welches
man wohl imberechtigterweise dem älteren Teniers zuschreibt. Man
sieht: Dat Cjalenus opes. In breiter Behaglichkeit sitzt dieser Amts-
bruder aul seinem I.ehiistuhl, in lange, pelzbesetzte Kleider gehüllt
(siehe b'igur 166).
Den Beschlul.^ dieser Reihe \(>n Doktorbildern mache das J]ild
von Gilles van 'l'ilborgh, welches dadurch ein erhöhtes Interesse
beansprucht, daß es last das einzige dieser Art ist, aul welchem wir
sehen, daß der Arzt in seiner Ik'hausung den Ik'such von Patienten
erhält, lis erklärt sich tlas dadurch, dal.^ eine Bauernlamilie, in die
Stadt gekommen, die (jelegenheit benutzt, ärztlichen Rat einzuholen.
In der Behandlung des Vordergrundes und in der ganzen, etwas
steilen Wiedergabe verrät der Maler kein bedeutendes Koimen (siehe
si'OJSiiKiOi'CiSiiOiiOtSiSiiC'iK'CiSKJSJSiiO'iSStJCiSiJS^ HoMUNcuLus !ßiXJC<'C>iS<OiiSJSSts>i«s>jßiö!Ois>s>s*i«j>:!C! 295
Figur 167). Auf dem Bilde seilen wir einen Dcstillierolen , der
\'orden2"rund ist diesmal ansi^etüllt i.lurcli einen Mörser und eine
Menge Krüire und Flasclien. Der Meister betreibt emsig C:hennatrie.
Opium, Antimon, Kampier, Zimt und allerlei Spirituosen braut er im
296 JKSiSiiSieiiKiKSiicsiSiöJKiSißjKJS'CiSiissi Innkri- Medizin JKäKjKjSSiSijOiJCüSiJKiKJSissiJKSJtJßjßiKissiiCiS!
Sinne Rontekoes zu Brcclimillcln und Scliwiizniiucln. Die verschie-
Jenen Traktate des berühniten Niederländers stehen im Zinimer herum
und des Sylvius Methtidus medendi, die Idea nma und die lipistohi
apologetica desselben l'ranz de la Roe waren in dieser Zeit i;erade
erschienen und liatten ^.Icn Sieu der chemiatrisehen Richtuni;- begründet.
lün Bild von David l\u\khaerdl (1613 l"''-'' i^'??)' j^'^'^^ ''i -M-mn-
heim, zeii^t uns die utopischen (ieistesverirrun,i;en des xMittelalters.
Mit der Sucht der Alchimisten, Gold zu machen, konkurrierte
der l:ntdeckunL;s\vahnsinn nach dem Stein der Weisen. Auch die
Frage nach dem Ilomunculus spukte in allen phantastischen Köpfen
des sechzehnten Jahrhunderts. ]n der Schrift: »De L;eneratione rerum
naturalium«, die dem Paracelsus zugeschrieben wird, ist ein aus-
führliches Rezept zu seiner 1-abrikation angegeben. \\'er denkt
dabei nicht an Gt)ethes famose Schilderung?
Wagner: Nun laut sich wirklich holien,
Daß, wenn wir aus vielhundert Stoffen
Durch .Mischung — denn auf Mischung kommt es an — •
Den .Menschenstoff gemächlich komponieren.
In einen Kolben verlutieren
Und ihn gehörig kohobieren,
So ist das Werk im stillen abgetan.
Unser Doktor und .-\lchimist scheint aber über das unerwartete Ge-
lingen des I-xperimeiits mehr erschrocken als des Doktor kaust Schüler.
Glänzend hat der .Meister den freudigen Schreck in dem Ge-
sicht des alten Doktors wiedergegeben. Wenn er nur nicht aus den
vor Aufregung zitternden Händen die Retorte fallen läl,k, sonst ist
der einzige Mensch, der je künstlich gemacht wurde, dahin.
Dabei muß man sich natürlich vergegenwärtigen, in welche Zeit-
stimmung jenes Bild fiel. I:s war das Todesjahr des .Malers gleich-
zeitig das Geburtsjahr der Entdeckung der Samentierchen durch den
Leydener Studenten llam, die sofort durch Leeuwenhoek bestätigt
wurde; es nahm die gebildete holländische \W-lt i\^:n allerintensivsten
Anteil an den körderLingeii dieses Themas durch Ilarvev*), der
die alte Lehre des Fabricius von der Fntwicklunu der krucht aus
•) William Ilarvcy. Kxcrcitationes de gencrationc animaliuin etc. .Amsterdam 1651.
5Ci!iS!0!!Cst!0is>!SSiJöic><ßs><S!0iiC><c>!5t!CiiK!ß Der ÄK7.TI.ICHF. Besuch i>:!C>:si!5!Si<o>io><Ot<KSi!SiS!0''C>'C!!SJS 297
Fig. 169. Die Keusclihtitsprobe.
Von Gottfried Schalken.
Haag.
dem Ei neu hei;ründcte. Das Titelblatt der Londoner Erstausgabe
zeigt Jupiter, ein geöffnetes Ei in der Hand, aus dem allerhand
Tiere herauskommen. Reiniger de (iraat (1641 bis 167^), der hol-
ländische Anatom , hatte soeben die männlichen und weiblichen
tierischen Generationswerkzeuge (Graatsche Eollikel) beschrieben.
298 jösssiSi-CiJSiSieiSiiiSStjSiCiiKSSiCiJCtiSJKSt Inneru Medizin SRJKStJSSiJCSiSJSSssiiCiißiOiJSJöiöiOiiKjSiSJCtJOtiJi
llic Parole oinnc animal c\ üvd war in aller Muiul. IXt Könia;
Karl I. halle llar\cv lür seine 'ricruntcrsiichiini;cn den Wildpark von
\\ indstM" zur \'ertLii;ung gcstclll; man debatlierle erregl über liin/el-
heilen. Swainnierdanis und I.eeuwenhoeks Arbeilen und ihre Ent-
deckung eines neuen ungeahnlen .Mikri)kiisnuis erlullle die ganze
\W'll und uiaehlen Holland zum /enirum wissensehattlicher Arbeit.
In jene Zeil hinein lallt der lirlolg des nach altem l-'aracelsusschen
Rezept arbeitenden (ielehrten aul dem Ru\kherdtschen Bilde; das
Gemälde hat oflenbar demnach einen zeitgeschichtlichen satirischen
Charakter. Die Anwesenheil der l'rau läßt noch eine andere Deutung
des Bildes zu, die zu einer Parodie auf die Ilarnschau lührt, wenn
auch die ]3eschai1enheit der l^hiole dieser .VuHassung widerspricht.
Da besitze ich eine 1-^ederzeichntmg . die dem allen Breughel zu-
geschrieben wird; der Arzt, der die Uroskopie betreibt, sieht in
dem Harnglase den Schalksnarr (siehe l'igur ij)). Aul einem stark
nachgedunkelten Ciemälde des (Gottfried Schalken sehen wir, dal,^
der im Lringlase sichtbare Pmbrx'i.) wiederum eine andere, diesmal
nicht übernatürliche Bedeutung hat. Die 'Pochter heult, der \'ater
tobt, und lür ganz \aive macht im Hintergründe ein Kind mit aus-
gesprochen Irüher sexueller Aulklärung ein Pingerzeichen, das schon
in der antiken Welt jedermann \erslanden hat'') (siehe P'igur 169).
Ilaben wir so den Arzt in seiner Behausung gesehen und dabei
gefunden, daß genau wie auch heute noch es beati possidenles unter
ihnen gibt, gesättigte Xaturen und solche, die ringen und den bitteren
Kampt ums tägliche Leben kämplen, so wollen wir jetzt den .\rzt
aul seinen IV'suchen begleiten imd dabei gleich konstatieren, dal.^
diese Darstellung die weitaus beliebtere ist**). Ollenbar ents)iricht dies
den früheren Usancen, war es doch lür eine bessere Bürgerslrau nicht
schicklich, in des Arztes Wohnung hinzugehen, wenigstens ist aul
•) Der auf ilcm Original deutlich sichtbare Kmbryo ist auf der pliotoijraphischen l'lattc
kaum noch erkennbar.
•*) Unter dem Titel Les l'eintrcs de la Medecine hat Henry Meige in den Jahren iSi)6
bis 1899 in der Nouvelle Icimographie de la Salpetriere den Gc^jenstand erschöpfend Ijehandelt.
Siehe auch Paul Richcr, I.'.Vrt et la MOdecinc.
jSiOiJCiiiiJSSiStiSSiiK-OtSiiStSiiOiiO-iKiCiJS-Si Di:r ärztliche Besuch ■ctSKiKiKSiiKJCtSiJSi'etStsßSiJK'CiSücs 299
:ast allen mir bekannten Gemälden der Ar/t stets iler Besuchende.
In seine Behausuni; bringen nur Bediente Dini^e zur Untersuchung.
Fig. 170. Der Tod Marias.
Und dabei wollen wir gleichzeitig noch eine Tatsache festlegen:
Darstellungen aus der inneren Medizin betreffen meist das schöne
3O0 ißsSSiiCtiSSiJO-iöJSStiSStStJßJßJSSKiOiiKJS 1\N1£RE MEDIZIN iCiSKKSSiJKiSSiJKStiSXSiKiKJOiiCiiCiiJCiJOiiKSiJOiJSiS
Louvre.
I lg. 171. Das i'uisiunicu.
Von Ouirin RrckelciiUam.
Geschlecht; mir ist kaum ein ]3ild aus der guten Zeit und von
Künstlerhand in Erinnerung, aul dem ein Arzt einen innerlich
kranken Mann behandelt. Ollenbar reizte das weibliche .Modell mehr;
anderseits kenne ich nur wenige Bilder mit .Szenen aus dem Kreise
der kleinen Chirurgie, wo der Operateur eine brau unter dem Messer
hat. Da sind es wieder die .Mamier, die her miissen und deren
schmerzverzerrte Gesichter den .Malersarkasten zur Wiedergabe reizten.
;0!!v!!vi!ßS*iO>SiiKJC!JC>iOt!0>iO!!OiiS"OiiCSiCi!C!:<t Der ärztliche Besuch sssiSiS'iKJSiStJCiJCSiC'iS'CiSi-oiiS'CiJX ^oi
iig. 172. iJcr arztliciic Besuch.
Von Gabriel Metsu.
Nach einem Koliledruck von Eraun. Clement & l"o. Dornach, Paris, Xew \'ork.
Besucht der x\rzt seine Kundschaft,
so
linden wir ihn iierne
dargestelh, wie er den Puls luhlt. A\'ir lernten schon eine kleine
Studie nach dem l.ehen kennen (siehe Figur 132), die Renihrandt
für sein großes Blatt »Der Tod Marias« (siehe Figur 170) benutzte.
302 <s<siOi<ssi!SS*iO:ißiS!OtSiiCi<«si<OtiCt!S<o>i> Innere Medizik js:«i«siK>!«i«<>;<^<Ci<sißißiO>s>JC!'!Ci<C!ti5!SiiO>s>:s>
lii^. 173. Die vvasscibUijhugc 1-rau.
Von Gcrard Dou.
Nach einem Kohledruck von Braun, Clc-mcnt <S; Co. Dornach, Paris, New York.
Die P(ise der PulsbetasUint; hat eine authillendc Wrwciuhini;
gefunden aiil dem Gemälde des in letzter /eil immer beliebteren
Quirin Brekelenkam (gest. 1668). Durch die Distanz des Unter-
suchers von der breitbeinig dasitzenden Bürgersirau sind die Hände
M:,iuhtn.
. 174. Die kranke Frau.
Von Franz van Mieiis.
304 SKJKSssssijj'iStsitiS'KiCiißSiStiOtiJiiKiOtjCtJOt Inxere Medizin «KSJJSiKXS-ciKSSiSiSi^iOiSijßjS'etSiiSi'OiijiiOiiOiS*
iituiettm .
lij^. 173. Die lilciclisücluigc.
Von Samuel van Iloogslraatcn.
dem Beschauer besonders aiis,2;esctzt und befinden sich im Mittel-
punkte der Darstelluni,^; und die Hände waren des Meisters Stärke
(siehe I-igur 171).
Ein schönes, würdiges Seitenstück dazu ist das Hiki (j. Metsus,
i5i5!CiiS!0!!0>!Ci!Cti5Si<S!0>s>!C>i5iKS!SiC>iO>s>:<ss>s><ß DiK VisiTi; JviSiJSissiJO'JCiiSiiSJOiStSiiOtJö'C'JSStiS'CtiCiiOiiC! 305
ll(t}ij\titi'ji^l /'Jti't '/;<jr(- (/(-A l>r:aicxarls, Budapest
Mg. 176. Ärztliche Visite (Hanisch.ui uiui Pul^fuhlen).
Von Jakob Toorenvliet.
des Schülers von Gerard Dou, in der Lremita^e. Bei einer reichen,
vornehmen Dame steht im talarartit^en (jewande, den hreitkrempigen
Hut wie immer auf dem Kopfe, ein äherer Arzt, das Uringhis in der
Hand. Sein Gesicht ist ernst. Ein kleines Schoßhündchen kratzt
Hollander, Die Medizin in der klassischen Malerei 2. Auflag
3o6 jssüssiSiiSiKJOüsStJSSiStJOiißJKXsißjSOtXs Innere Medizin SiSKSSiSKXiSfSiSiSJßiKSiStiSiOiJOtiJtSiStsSJßStSi
liebkosend an dem rosaseidenen Rock der Kranken. Die rote Jacke
ist mit Schwanenpelz besetzt, imd lan^e goldene Dianiantohrringe
schmücken die Patrizierin (l'iuiir 172). \"on Metsu's l.chrer, dem
berühmten Cierard Dou, besitzt der 1. innre die sogenannte berühmte
Femme hvdropique. Hine der Olmmachl nahe x'ornehme Dame liegt
im Lelnistuhl, der rechte, sichtbare l-'ul.i ist deutlich geschwollen;
die Augen verglast, die Toclucr weint zu ihren büßen, die Dienerin
reicht ihr Medizin, der Doktor im langen Rock der Akademiker
prüft gegen das Licht den blutigen Urin. Die \erwendimg des
Helldunkels ist meisterhalt und gilt das Bild überhaupt als eines der
besten Bilder dieses noch heute am meisten geschätzten Rembrandt-
schülers (bigur 173).
Zwei Darstellungen aus diesem \'orstellungskreis beherbergt die
Münchener Pinakothek, die von Franz van Mieris und van der Xeer
gemalt sind. Letzteres Werk ist als Gemälde wertxoller. Aut beiden
wird eine (diarakterisierung der Krankheit \ersucht. Aut beiden
gleiten ohnmächtige brauen zu Boden. Der Körper des zu Boden
sinkenden jungen Weibes ist prachtvoll zum Ausdruck gekt^nnnen und
die Gruppe der sich um sie Bemühenden natürlich gestellt. Wir bringen
die Abbildung des Mierisschen (jemäldes, weil aut demselben der Arzt
eine größere Rolle spielt. V.r macht eine ominöse Handbewegung;
glänzend in desWortes Bedeutung ist der Atlasrock gemalt (Figur 174).
F.in entzückendes Bild beherbergt das Reicbsmuseimi in Amster-
dam \()n dem sonst wenig \erlretenen Rembraudtschuler Samuel
van Hoogstraaten (1626 bis iC-'78). Die Aullassung des Arztes ist
dieselbe geblieben: ein würdiger alter Herr, der prülend das Urin-
glas untersucht. Was das Bild auszeichnet, ist das Wagnis, einen
typisch chloroanämischen Zustand darzustellen. Die junge Frau hat
ein ausgesprochen blaßgrünliches Ciesicht und sie Iriert trotz der
Wärmkachel zu ihren Füßen. Die ganze trostiije Pose gibt dem
Bild etwas ungemein (.harakteristisches. Wohlgelungen ist auch die
Durchsicht tlurch drei Zimmer, in denen \\\i\ wie last bei allen
holländischen Interieurs, die große Liebhaberei des wohlhabenden
Bürgers für Gemälde von neuem bestätigt linden. \'.s unterliegt
<0tSiSiSiK>iS«<JiJS>KKS*SißS!!0!i0iSii5>SiS>!«>JJiSt!K Melanchoi ll XSSiißJß'OiiSJOi'CiSiiOtiKiKSiSiSiSiSiiKJSJOtS! 307
keinem Zweifel, daß dieses Bild unter dem l-influß des herülimlen
Zeitgenossen Pieter de llooch (1630 bis 1670) gemalt ist, dessen
Lowy pitot.
Fiw. 177. Der Arzt bei einer Melancholischen.
Von l'"ranz van Micris.
unerreichte Spezialität das liolländise-he Interieur mit der Durchsicht
durcli mehrere Zimmer war (siehe Figur 173)-
In Budapest belindet sich ein interessantes Werk des seltenen
5oS SiiCiJßSiJSSiiOiStJßJKJSiCSiOiJSJCli-ossjSSiiS Innere Medizin iS<s»:s!!Kj5Si<KiS<S!0>!CiiO':iK!>:S!'0!S>!Ci!>:<S!OiS*
Jakob Tdorcnvliet. Tnimcr dasselbe Tbcma mit irgend einer Variation.
Diesmal ist der reich gekleidete Ar/t besonders tüchtii;; er bewdltii^t
die beiden diagnostischen Machtmittel: das Pulslühleii und die ürt)-
skopie gleichzeitig (siehe bigur i'](^).
bjn Rild, welches bereits den Übergang zu der lolgenden Ciruppe
bildet, ist das (icmälde des Iranz \an Mieris in Wien: Der Besuch
des Ar/tes bei einer .\lel.uicholischen. Die Dame sit/t am ik'tte, xor
sich aul dem .Scln)l.k' hält sie das Neue 'restamenl, und reicht die
Hand dem Arzte mit einem Ciesichte, als wenn sie selbst das eigene
machen wolle. Der Medikus macht eine nachdenkliche Miene, den
lernst der Situation richtig erfassend. Wenn auf diesem Bild es
noch zweitelhalt sein kann, welche Rolle der Maler dem Arzte
zuschreibt, so ist das bei lau .Steen, zu dessen Bildern wir jetzt
kommeil. nicht mehr h'aglich. |an .Steen schreibt mit dem Pinsel
lustige Spottgedichte auf den Arzt und sucht ihn, wo er kann,
lächerlich zu machen. \\ äre er nicht ein so liebenswürdiger Spc'itter
und ironisierte er nicht prinzi(Mell alles, man würde versucht sein,
ihn mit l'etrarka, Erasmus, Moliere und Montaigne unter die l'einde
der Arzte zu rechnen. Um Steens Malerei zu verstehen, mul.'i man
etwas von seinem Leben, \()n seinem Char.ikter wissen. Steen, ein
Leidener Kind, wurde 1626 als Sohn emes wohlhabenden Bierbrauers
geboren. Lr, wie andere ALiler xor ihm (Rembrandt), liel.^ sich zwar
mit seinem zw.mzigsten lahre als Student der \\'issenschalten in liie
Leidener L'ni\ersitätsliste eintragen, scheint sich aber auts Studium
nicht viel eingelassen zu haben, liier entdeckte er bald seine bdgen-
schatten, die ihn zum Liebling des hollämlischen \'olkes machen
sollten; hier bildete er sich zum Rauf-, Saul- und Malgeiiie aus. Zu
seiner ]:hre wollen wir annehmen, d.il.^ er auch .uü dem debiele xon
Wein, Weib und (jesang derselbe Lebenskünstler war, wie .lul dem
Gebiete der ALilerei. 'i'rotzdem er glanzenden Lehrmeistern zu lül.^en
gesessen, trotzdem er im iranz lialsscheii ivreis, bei diesem, bei
Adrian van Ostade und seinem Schwiegervater lan van (jo\en lernte,
ist er doch immer ein i-jgner gewesen, der, erhiulungsreich wie keiner,
seinen besonderen Weg ging; er wurde der größte iluiiiorist und
jKKXißisstSiiOijSiß-OiSi-ciiCiiCi-ei-ciiKssiCiißsiiSJK Der Hausakzt ■«JOiiSjeiJSiss'iJOiiOiJSissiSiS'^i'OtJCitSiSüS 309
llaii/st.iiugi /.
Fig. 178. Di;r ärztliche Besuch.
Von Jan Steen.
Satiriker in der holländischen Schule. Jan Steen war ein unridiiger
Geist, und immer hatte er den Beutel leer wegen seines maßlos
liederlichen Lebenswandels; da/u kam, daß sein Schwieger\'ater nichts
wie Schulden hinterlassen hatte. Trotzdem Steen in der Folirezeit
310 äOtJSStäiäSißJOiStäiiöSiJSiftiOiSKSiStiSißiß Innere Medizin ssi^SiiSiSJSiiXtiO'jeiJCiJOtXüJSiOiSiSiSiiSSiiKiOiSK
immer mit vieltachcni Leid und pclaiiiiärcn Sori^cn zu kainpicn hatte,
blieb er der lachende Philosoph, der, bald nachdem er seines X'aters
Haus geerbt hatte, eine Kneipe aulniachle. in der es überlustii; her_i;ii\L;
und in der er selbst natürlich sein bester Gast war. Zwischendurch
malte er. Ihm verdanken wir nun eine ^anze Serie Doktorbilder, die
ja zu dieser Zeit besimders beliebt waren. Aber in seiner satirischen
Art sehnt er ein neues (jenre, indem er sich aul seinen 'l'ateln über
Doktor und Patienten lustig machte. Am wenigsten ist das aut
dem Haager l^ild bemerkbar, hier malt er mit breiter Behäbigkeit den
Arzt am Bett einer Kranken (siehe bigur 17N); zur Stärkung reiclit
ihm eine andere Dame ein dlas Wein. Das ganze Bild iiätte nichts
X'erdachtiges an sich, wenn nicht der Schalk Steeii im I Untergründe
ein Hunde[iaar placiert hätte, deren treundschattliche Beziehungen
einen Hinweis aul die Krankheit der Patientin erlauben. Was aut
diesem Bild die Hündchen, das ersetzten bald aut vielen lt)lgenden
Bildern andere Requisiten, von denen wir bald bei den Liebes-
bildern zu sprechen (jelegeiiheit haben. Den Schalk erkennen wir
auch an dem Bilde aus der Galerie Steengracht im Haag. Das
Bild trägt die Bezeichnung: Der Arzt im Freudenhaus. Wir sehen
ein junges hübsches Weib in liederlicher Stellung im Bette liegen.
Allzu schwer ist ihr Leiden nicht; der Arzt in langem Habit
mit einem recht vergnügten Lächeln über den interessanten lall
greitt zur Klisliers(iritze, die ihm ein altes Kuiipielweib gibt, nicht
ohne eine saftige Bemerkung zu machen, liier müssen wir uns daran
erinnern, daß die Klistierspritze sou\erän eine Zeitlang die Herrschalt
in der lleilkunst ausübte und den Aderlaß vieltach verdrängte. Sehr
witzig und boshatt bespöttelt .Moliere diese Klistierwut:
licraldc (zu seinem Bruder):
Solltest du denn nicht einen .Viii^enblick i)hne Klistiere und Medizin fertig werden?
Der Apotheker l-leurant (stets mit der Klistierspritze):
Wie kommt Ihr dazu, Euch in die ärztlichen Verordnungen zu mischen und den
Herrn zu verhindern, sich ein Klistier von mir geben zu lassen?
lier.ilde:
Macht, daß Fhr fortkommt, Herr! Man merkt, dali Ihr nicht gewöhnt seid. Gesichter
vor Euch zu haben.
<Ct!CiSSS><0><0>JCi«iS«!C>KS!C!i5iX!iiO*JC»iCiS>JC!i5>!0>!0!i5t LiEBESKRANKHl IT JOtXüiCiieiJOiSiJCi-JKiCiiOt'OiSiiSiSiKSiiKJßSi)« 3 1 I
Im lliiUcrgruiuic herrscht lauter JubeL Aus Jeiii Xehenzininier trinkt
ein Kavaher aus einem großen dhise der l'atientin /u (l'ii;in' 179).
Fig. 179. Der ärztliche Besuch.
Von Jan Stecn.
Ein ähnliches, aber feineres Bild beiindet sich in der Privatgalerie
des Earl ot Xorthbrcnik in London.
Eines der beliebtesten Sujets älterer und neuerer Zeit ist die
Darstellung der Liebeskrankheit. Hier ist dem iMaler die beste
Gelegenheit uebciten, Charaktere zu geben. Das Aiädchen, einmal
31- JSSiieiJSiKißiSic^StssstStiKSiStStJSißSiJS 1n\i:rk Medizin iKiSS>:«iß«s<K!!SiiO>iSSi<ß!K!ßJS-o>!«s>:S!!C*.iK<x
!;ii'Hn: ( iif
Fig. i8o. Ärztliche Kr.inkcnvisite.
Etwa 1 7 1 o.
von jener schwärmerischen, zärllichen \'erhebtheit, die mir Liilt und
Liebe kennt und den 'l'od tiir den (jcliebten als treudiges Opter
betrachtet und in diesem Zustand nichts \\h imd trinkt, dann im
Stadimn der hysterischen VerHebtheil mit sexuellen Krisen; imdals lohe
zu solcher künstlerischen Aulgabe der Medikus einmal der dumme
Trottel, der solche Krankheit vom .Nhigen aus kuriert, imd das .uidere
Mal der über der .Situation stehende, sou\eran lächelnde .Menschen-
kenner mit dem Wahlspruch: Tout comprendre c'est tout pardonner.
3K!0tiSJC*JKiKKSiC*KS!5>S^i0tS>-0>S>:!C*!5!<S»-S?!CiJ5--Ci
i:SKUANKHi;iT SiSiS>iOi<KS>:SiKS!RJOtKX<!i!C*!C>!0!!e><5iC>:S!i!X 3 I 3
L>iiiA'tn^'itiif!^tiuii', Li'näoll .
rig. iSi. Das licbeskr.inkc Mädchen.
Von Gerard Dem.
Jan Stecn, der Maler von »Wein, Weib und (iesang«, taßt die
Liebe auf wie ein Arzt dieser letzten Katege^rie; er kennt alles aus
eigener Ertabrung, er ist Mitglied dei- internationalen Zechergilde,
314 äSiöißXüiSsssiiSiß-oiiöJSJOi'CtjsssjOtJSSiSi Innere Medizin iOSSi-eiStSssiiOiSiJSJSSiiOiiSisSiSiißiSStSissiOtiS
.'.'W/i/i.'.iC/.',V^
rig. 182. Arzi bei einer Liebcskr;inkcii.
Von Jan Steen.
die am liebsten trinkt, wenn man eine lesche Dirne aut dem Schöße
hat, und der dann zur Laute greift, wenn er Lust hat, oder auch
zum FinseL wenn er kein (ield hat. ,So ist er natürlieh nielit
solcher zarten Eniplindungen lahig wie derard Dou, dessen Bildchen
im Buckinghanipalast der zartesten Blüte eines Ileineschen Liebes-
liedes gleichkoninU. lün junger eleganter Aledilais grübelt nacb der
Fig. 183. Arzt und Licbcskr.inke.
Von Jan Steen.
Krankheit eines bildschonen Kindes. Von ihr abgewandt i^rüft er die
Flasche, mit der anderen Hand den Puls fühlend. Das Schläfen-
3l6 StSSStiKJSSiiKSiJSiOiSi'CiiSJßiKiCÜiSiKiSSX INNERE MEDIZIN SßiKiS^lJSiSiSJCi'CiiOi-SiOiJC^SiißiSiSJSiliJßJJtiKJOt
l'ig. 1S4. Liebeskrank.
Von Jan Stecn.
plListcr*), das der lairz.sichtii;c Aiiläni;cr der Kunst des Askiila|i
verordnet, tut nicht seine Schiddii^keit; die Krankheit sit/t tiefer,
das Herzchen macht ihr Pein, ihre llehenden Au:_;en sehen zu ihm
empor, der die Ursache dieser Pein ist, und wenn sie auch mit dei-
*) Fehlt auf unserer Abbildung.
•OtStiOiic^iOiSiiSJSiOiSiiJjiiKStJSiß^sJSSiiOiSiiOiJKiCiJOi Lii;beskra>;k JK<!t:<ßio>s>K>:!Ci!0-s>:<5>>0!i«'«<oi<ss>:s>!S<siKiK uj
llari!\tiii-it'^:
J:r,i„:,,:^,-, l\lt.
Fig. 1S5. I-icbestoll.
Von Jan Steen.
Hand ihm den Weg weist, er merkt es nicht, oder will es nicht
merken (l-'igur iSi).
l'dne lustige Karik'atur des Doktors gibt uns Steen in dem
3l8 äRJSiJtäSiSiSJßSiiKSiißiJiiKiSiSJOtJOiSiiKi« INNERE MEDIZIN äKiKiKiS'etSiStiSSiiSSiSüißiSißiS'CiSiSiißJOiJßil?
rig. iS6. l'cbris amatori.i.
Von Gabriel Melsii.
Haager ]^ildc. Mit ernsthaft feierlicher l'ose untersuclit der i;eput/tc
Medikus die l'iilsqiiahlat und macht dahei das herühnile tiefsinnige
Doktorgesicht; die andere Dame lächeh dazu und Aint)r aul dem
Kaminsims scliwingt vergnügt seinen IMeil (ligur 182).
iO><KiSiO!S!iCiJOiii>i5i>!S<ssiiK!SXS!S!Ci!Ci!>:<S!0>!0>i^ Liebeskrank isSiiOtiS'OtiCiSiiCiiSS'iSiStJCiJßiSSiiJiSiiOiiKSK 319
Solche Unterstreichungen durch Beigaben von aUzu deutlichen
Attributen, wie Amor, Briete, Zettel, Wandbilder erinnern an die
naive Manier der trüben Meister, Worte in Schrittzeichen \()r den
Mund der handelnden Personen zu setzen, und bedeuten eine
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Schwäche des Bildes. In zwei Gemälden hat sich Steen über dieses
Niveau erhoben und rein durch die Pose und Auttassung uns eine
so glänzende Charakterisierung gegeben, daß jedermann weiß, wenn
ich so sagen dart, was los ist. Es ist das »Die Liebeskranke« im
Reichsmuseum und »Der ärztliche Besuch« in der Eremitaoe.
320 JOiiCiJSiOJßJOtiSiKiSJßJKStiO'S'ißSiJSSiSiäK INNERE MEDIZIN äCiiCiiCiJSX^JßSiiliJSSSiOiSiiOiiCSiKJSSiJCiiKiß-SSiiß
Auf beiden Bildern liegt das kranke .Madchen am 'i'isch und
drückt ihr Kuplchen in ein Kissen, wahrend der Arzt dabei steht
und dun l'uls liihll. Aul dem ersten Bilde sehen wir dun Zustand
schwärmerischer Liebe, die der \\'elt entsagt, und neben ihr einen
verständnisxiijl lächelnden Arzt, der auch ein Seelenkenner ist; aul
der anderen Leinwand eine dialle Dirne, deren ganze degagierte
Stellung die rein irdische Liebestollheit atmet, und neben ihr ein
Falstaff-Arzt (bigur i,S( und i N , ).
Der \'erdacht der Begehrlichkeit, der dem Kollegen aul dem
Steenschen Bilde anhaltet, kommt auf dem CiemäLle des Aletsii
nicht ziun Ausdruck (siehe bigur iS6). Der nach Iranzösischer
neuester Mode elegante Arzt hat nach Ausdruck des (iesichtes und
der Hand eine einwandireie uroskopische Diagnose lertig. Im Hinter-
gründe aber bekonuiit die wirkliche Krankheitsätiologie von der
naushälterin heltige \'orwLirle.
Xoch deutlicb.er redet das Bild Steens in der (iaierie des (jralen
Nostiz in i^rag. Hier kamt leider das Bezept, das der Kollege im
Doktt)rhut verschreibt, nichts mehr nützen. Die Kor|ierrundung
verrät dun Zustand. Wurden derartige Gemälde radiert, so gab man
gern türs \'olk noch sonst überilüssige Yursc hinzu. »Hier baet
gcen medicxm - het is der minne pivu« oder »\'ul\a dolet urina
docet« und ähnliche meist im (jeschmacl< der galanten Zeit ert)tisch
gefärbte \'erse.
Steen ist olt mit .\b)liere verglichen worden, gerade wegen
seiner Satire gegen die Arzte. Doch Steen ist in dieser Hinsicht
objektiver, j-r steht gewissermaßen über der Situation, er kari-
kiert inid mokiert sich mindestens ebenso\iel über die Kranla'n
wie über die .M-zte und hat lür beide einen liebenswürdigen Ton.
Waren es doch sicher viel lach bekannte Leidener Doktoren, die er
aut seiner Leinwand testhielt. Dabei bedurlte er olt ärztlichen Ik'i-
standes in seinem Hause; die Krankheit seiner brau hatte ihm mehr
Geld gekostet, als er begleichen konnte. Ob er die .\rzte bezahlt
hat? Sicher nicht! Aber schon damals scheinen diese ihr Humani-
tätsgefühl auch aul den Punkt der Bezahlung au.sgedehut zu haben;
JSiiS-Oi^liOtiSißiSißKXJSiß-KJKSiJSSiJCi'CtiS'OtJKSiiOi VV. HoGARTü JßiSSiSiSiSiiOtJOiSiJßiOiJCi'CiiSiOtSiiKiiSJCiiKiK 321
o
H
es war jedcntalls der Apotheker, der im Februar 1670 ihn wegen
zehn (nilden pfänden und die in der Werkstatt vorhandenen (lemälde
i)flenthch versteigern heß.
\'on diesem glänzenden Maler und geistreichen Erlinder lustiger
Holunder
Medizin in der klassischen Malerei, 2, Anfla^^e
322 äSSSäSiSStiSiSiSSiiKSiJOtJOtSiSJSStSiiKäK INNERE MEDIZIN iCSiSJSiSiCiiKißiKJKJÄStiSJSäSSiiKJßiKJOiSSSK.'KSK
Szenen aus dem lniri;erlielien Leben L;ibt es noch eine Reihe ahn-
licher Darstelluni^en . Jie nanientheh in en^hschein l'rivalbesilz
sich bctinden. Die Liebhaberei der l^riteii luv (.lerarli^c Szenen
dokuineiuiei'le sieh in ihrer Be^eisleruni^ liir W'ilhani Hogarth, der
tüntzig Jahre nach dem I'ode Steens durch seine gemahen Satiren
und scharten LendenzsUicke die Aulmerksamkeit der Well aul sich
zo". Wenn man diesen Sittenmaler den englischen Steen genannt
hat, so waren es docji mehr äußerliche \'ergleichsmomente, denn als
Mensch und Maler lag eine Klult zwischen beiden. Steen, Humorist
und Satiriker von Xatiu', lachender Philosoph \c)n Berui und ein
genialer ALder und Kolorist von Gottes Gnaden, karikierte sich und
die Schwachen seiner Zeit, Hogarth hingegen benutzte die ALderei
nur als Mittel, als Werkzeug lür die CJestaltung seiner olt gesuchten
und spitzlindigen Lendenzstucke, mit denen er weit über das Ziel
hinausschoß. L> war ein Agitator aut der Leinwand, der die Kratt
der Karikatur und ihre demagogische Bedeutung, wie einst Luther,
erkannt hatte. Erst nachdem ihm der Ruhm, der glänzendste Kari-
katurenzeichner seiner Zeit zu sein, niclu mehr genügte, grill er
selbstbewußt nach der Lahne der hohen Malkunst imd machte sich
bei diesem Wagnis selbst lächerlich und unglücklich. Daß dieser
.\Lmn mit seinem beißenden Witz die Arzte nicht unverschont ließ,
liegt aut der Hand. Doch sein Witz ging zum Hohn über. Wenn
er einen Arzt darstellte, so zeichnete er einen krummbeinigen, miß-
gestalteten Kerl, wie zum Heispiel aul dem Bilde »Der l'oil der
Kointesse«. Diese liegt im Sterben. Der Hausarzt, der sich doch
um seine alte Patientin zu künnnern die PIlicht hätte, weiß seinem
Ärger um dijn zukünttigen Verlust seiner llausarztstelle nicht besser
Luft zu machen, als daß er einem llausangeslelllen, iler die .\rznei
hat lallen lassen, mit der Laust unter das Kinn stoßt, und dabei
hat der traurige Bursche noch die ganze 'l'asche \oller .Medikamente.
Sein »Collegium .Medicum« ist die gemeinste Satire aul zeitgenössische
Ärzte, aber zu spezitisch lok'al, als dal,^ wir das Blatt hier iletailliert
wiedergeben sollten*). Die Karikatur einer Sektion in Barbershall
*) Siehe Kaiikatui und Satiic S. 179.
äsatSßjßiSsxsiSisxiOtSiJSiiOiiSiiSJöiCissiiiiCSSiSiiOtSti^ Marat ssKx<ß!0!!issiiCi!K<K.«Js:«K>:iß:«i«siiCiiK<ji!C>:!«sK 323
kennen wir bereits. Seinen ganzen beißenden Spott schüttet der
Maler in einem Bilde ans, welches »The visit to the Quackdoctor«
heißt. Dies Bild ist das dritte Blatt aus der berühmten Reihe l'he
Mariage a la mode. Wie die meisten Schöpfimgen Ili)garths, ist auch
diese nicht ohne weiteres verständlich, bunt bis sechs Versuche
existieren zur L\'utung der agierenden Personen. Lassen wir die
Details, die übrigens Zeugnis abgeben von der unglaublichen Un-
moral der guten alten Zeit, und nehmen nur an, daß die zu irgend
einem Zweck verabreichten Pillen unseres Doktors nicht den ver-
sprochenen Prtolg gehabt haben und daß der junge Baron demselben
darüber \'orhaltungen macht. Uns interessieren eigentlich nur die
Environs, wenn auch der aul dem Tisch liegende Schädel mit den
tvpischen Defekten am Stirnbein mit Sicherheit dafür spricht, daß
die in Präge stehende Krankdieit die S\'philis ist. Zunächst zum
Doktor selbst. Dieser vierschrötige Kerl trägt unzweitelhatt die Züge
und hat die Pigur Marats, der, wie bekannt, vor seiner politischen
Rolle in der Medizin gestümpert hat. Dabei ist der Doktor Monsieur
de la Pillule noch außerdem nach tranzösischem (jeschmack gekleidet.
Seine Karriere svmbolisiert sich durch die am Plafond autgehängten
Gegenstände: Aushängestock mit Rasierbecken, Uringlas, Galgen,
Doktorhut, Rittersporn; also: als Barbier anfangend, legte er sich
aufs Harnsehen, und über Leichen, die ihn selbst beinahe an d^:n
Galgen gebracht hätten, erschlich er sich den Doktorhut und macht
sich jetzt noch Ht)finung auf die Lordschatt. Das ist so der Ideengang
Hogarths, und durch diese gesuchte Allegorie unterscheidet er sich
nicht zu seinem \\)rtcil von dem größten 'Pendenzmaler der neueren
Zeit, dem Brüsseler W'ierts, den wir bereits an anderer Stelle kennen
gelernt haben. Auf der \\\inderung über die höchst abenteuerliche
Ausstellung im Lmpfangszinmier über das l"rifolium Hautmensch,
Knochenmensch und Perückenstange, die übrigens in einer ärzt-
lichen Konsultation begriffen zu sein scheinen , über Präparaten-
gläser und Mißgeburten, gleitet der Blick zu Maschinerien, die auf
die armen Leichtgläubigen einen ungeheuren Eindruck machen :
komplizierte Maschinen, um Pingernägel zu schneiden — offenbar
324 äKäSSKätittiCiiOStiCiieiJSJCS-OiJCiiCSiSSiJSiSSi INNERE MEDIZIN iSSSiöJSiiSjeiiKiSiSiOtJSSSiSiKSi'OtStStißiCtiKStäS
eine \'crluihniin,L; ar/tliclicr .Maßnalinicii. Das auti;csclila,i;cnc Werk
.s[ii'ii:lu \on einer süperben Erfindung poiir renieUre les qtaules: alles
Andeutungen aut W'rordnungen und .Maßnahmen xon Medizinern,
die nach Ilogarths Idee alle niil Kanonen nach Mücken schießen
(Figur 188).
Mit diesem TTc\i;arthsclien Phantasiestück beschließen wir die
Reihe Gemälde der inneren Medi/in und soll uns dabei die köstlich
karikierte bigur Marats, der da gesagt hat: il laut laire saigner le
genre huniain, den Übergang zur blutigen Therapie vermitteln.
Wir sahen so die Charakterisierung des Arztes im l^ilde durch
die Geste der Urinschau und des i'uislühlens. Die Tradition als
stärkste .Macht erkannte dieses galenisch-arabische Dogma zu einer
Zeit noch als vorhanden an, als die Wissenschalt längst diese simple
Diagnostik der Lebenskralt \er\vorten hatte. .-Xber neben der Uromantie
imd neben Pulsfühlen existierte noch eine dritte Pose, welche aller-
dings nur eine Nebenrolle spielte. Die Betrachtung der Täkalien ist
ein derartig undelilcates Ding, daß trotz der sou\eränen Stellung
des Klistiers und der Laxantien gerade im siebzehnten |alu-|iundert diese
ärztliche Aufgabe aut (jemälden meist nur angedeutet wurde; linden
wir aber den Doctor excrementarius dargestellt, dann meist in satirisch-
karikaturistischer .Aultassung (siehe zum Beispiel Satire und Karikatur
Figur 13) und i])). Die darstellende Kimst hat allerlei X'ersuche
gemacht, den Moliereschen (Jeist zu interpretieren: das Cdysterium
donare, purgare, repurgare et reclvsterisare ist zu allerlei künstlerischen
Darbietungen Veranlassung geworden. Die noch allgemein leidende
O Oll o
chemische Ausbildung führte aber auch die \'ertreter dieser Richtung
der rohesten l'.mpirie zu imd es ist weder unverständlich noch be-
dauerlich, daß auch die bildliche Spottsucht sich an die Sohlen dieser
Atterärzte heftete. Robert Xanteuil, ein (iünstling Ludwigs .\1\'.,
scheint auf den ersten Blick in dasselbe liorn zu blasen. Die nähere
Betrachtung des Blattes aber erweckt ein größeres mediko-historisches
Interesse. Das Fläschchen mit der Aufschrift 'Tartarus stibiatus und
iOiJSiSiJiSiißiOtiOtiOiJOiiOiJSiOtJStiCi-CiiOiXiiiOiiOiSiJS'OiiK^ Antimon JKSssiJCiiSiiOtsjtiSJKioiSi-oiiSiCsiSssiCiiOiSiäSiKJK 325
die mehr als bösartigen \'erse weisen aiit den errei;len AntiniiMi-
kampi der Pariser Fakultät hin. der i^erade 1666, also zur Zeit der
I.V. B-V^.SlN
Fig. 189. Der Pariser Anlinionstrcit ( i )60 bis 1666).
Entstehung des Bildes, wieder durch die Freigabe des Mittels nach
hundertjährii^em \'erbot aktueh ue\vc~)rden war.
326 si!Sii5tJK»iii>!SSsicS'«JS«i<5>si!<etiC('Ct:«S(St Innere Medizin jCiiSSKJSiKJCiKXiOiiSSSißiCtiSißiS-iOtiSJßStiaiCSiSJOi
AntinicMne, so genannt gegen den Benediktinermitnch Basiliiis
\'aleiitinus, der das Mittel als achtes Weltwunder gepriesen hatte,
gehörte /.u den Arkanen, die als Repräsentanten der Paraeelsisehen
Theorie im Brennpunkt des Interesses der ärztlichen Welt standen.
Die Pariser Akademie, als \'ertreterin des konser\ ati\ eii (jalcnisnuis,
hatte diese Panazee aut den Index (1360) gesetzt und nnt rücksichts-
Kxser Schärfe \ erdiente Ärzte, wie zum Ikaspiel Turquet de Maverne,
wegen ihrer \'erteidigung aus ihrer Mitte gestoßen imd mit dem
]^anne belegt und mit den gleichen Straten die Arzte, die mit ihnen
konsultierten. ]k\sonders grimnn'g ging der Pakultätsdekan (iui Patin
(gestorben i (--72) in seinem pikant und anekdotenhalt geschriebenen
».Martvrologe de l'Antimoine« dem .Mittel zu Leibe und von ihm
rührt wohl auch das Wort lier, dal,^ der Spießglanz mehr .Menschen
umgebracht habe wie der Dreißigjährige Krieg. In Klammern sei
allerdings erwähnt, daß dieser erbitterte Gegner der neuen chemi-
atrischen Richtung so iür Aderlässe und Sennestee schwärmte, daß
er zum ]k'ispiel bei einem Kranken zweiunddreißigmal diese Proze-
dur anwandte und selbst drei Tage alte Säuglinge nicht verschonte.
Der »CÄu'rus Antimonii triunijihalis« hatte durch die pj'iindung des
Tartarus stibiatus im Jahre 1651 noch eine Steigerung ertahren;
durch dieses .Medikament wurde die Antimonbutter des Mönches
beinahe verdrängt. Zu diesem Kampl nimmt unser oflenbar als
Porträt meisterhaft gezeichnetes i^latt Stellung. X'ielleicht stellt es
einen der degradierten Arzte Turquet oder Poterius dar, von dem
der verantwortliche Auttraggeber Xanteniis behauptet, dal.^ der lecker-
mäulige Doktor mit dem Leichenprediger das ILjnorar teile (siehe
Figur 189).
iX!S<i<i<f:<i'<>:<i<^<i'<i'<^.'^^^^^^
Ltldfn
Fig. 190. Miniaturc aus der Chirurgie des
Theodericus Cerviensis*^).
CHIRURGIE
\Wt die medizinische We]tü;e-
schiclne durchblättert, der muß
schon gediegene Kenntnisse haben,
nicht nur auf diesem Gebiete selbst,
sondern auch in der Kultur- und
Sittengeschichte und in allen Hilfs-
wissenschaften, wenn er sich rich-
tige Bilder rekonstruieren will. —
Was nützen die Kenntnisse von der
Technik, zum Beispiel der Blasen-
steinoperation, wenn man dem
Milieu, in dem sie gemacht wurden, ohne \'erständnis gegenüber-
steht. Die heutige Zeit teiert die Wiedergeburt der Illustration. Der
Buchschmuck der italienischen Oltizine und die ganze Ausstattung
der Bücher des Anfangs des sechzehnten Jahrhunderts ist heute
erstrebenswerte und vorbildliche Kunst. Alte, längst vergessene
Werke erleben, neu illustriert, Absatz und Interesse. Das A'olk lullt
die Schaukästen der Lichtspiele, die wie Filze nach einer warmen
Septembernacht emporschießen. Ziel ist es, im Bilde das vor Augen
zu haben, und vor Augen zu tuhren, was gestern in der Welt
geschah. Die elektrische Übermittlung des Bildes wird der Höhe-
punkt des Bildtaumels sein, und dann werden es spätere .Medizin-
historiker leicht haben, aus den massenhatt vorhandenen Mosaik-
steinen sich ein Bild des Tages zusammenzusetzen. Operateure
lassen sich im Kreise ihrer Assistenten photographieren; Operations-
säle, Krankenpersonal und jede veränderte Xeuerfindung eines bereits
uralten \'erlahrens wird uns im Bilde \orgetührt. Sanatorien, Krank'en-
*) Cyrurgia edita compiilata a domine fratre Theodorico episcopo Ceroiensi ordinis
predicatorum etwa 1275 verfaßt, zuerst 1498 gedruckt.
328 »iii>ißiRi5S><K«!<5>S>JS'«S><5>J>!C>iC><S<SSi<ß'« CHIRURGIE 3CiK!>'C>KS<S«<SiC>:»ii0i««<>:iC!'«!0>!SS!'iOiJSS!!S»iiSJ0t
häuser, Heilanstalten aller An sclnnückcn ihre Reklainelnicher mit
Abbildungen von l-inricluimgen der Liegehallen, W'dIiii- und liß-
räunie bis hinab zu den verschwiegensten C)rlliehkeilen. So wird
derjenige, der ein paar Menschenaher später den baden dieser Dar-
stellung auhiiniint, an einem Cberiluß an Material kranken, wie wir
an ihm .Mangel leiden.
Aus diesem (jrunde müssen wir dun Begrill der klassischen
Malerei etwas weiter lassen und glücklich sein, überhaupt Illu-
strationsmaterial zum Anschauungsunterricht in der Medizingeschichte
zu bekonmien. Der medizinhistorische Zweck soll uns Bilder aus
einer Zeit genehm machen, deren malerische Oualität Iragwürdig
ist. .\m meisten emjifmden wir diesen Mangel bei der Schilde-
rung der groLk'n Cdiirurgie. W'emi wir bei den Malern der Medizin
Musterung halten, so kennen diese nur die volkstündiche chirur-
gische Kleinkunst: .\derlaß, l-'ontanell und llaarseil, Pediküre und
Pflasterkimst machen den Hauptgegenstand ihier kleinen beliebten
Farbenkompositionen aus. Das akademische Cdiirurgenbild sind sie
uns schuldig geblieben. Der CJrund hierlür liegt darin, daß die
berühmten (diirurgen, gleichzeitig auch Lehrer der Anatomie, es
vorzogen, sich in der Pose des Anatomen \erewigen zu lassen.
Demi auch die akadenn'sche (Chirurgie liu muer der Siandesmiß-
achlung, der die kleinen handwerklichen \'erlreter der Bader- und
Barbierchirurgenzuntt ausgesetzt waren. Der wichtigere (irund jedoch
ist der, daß die Chirurgie des kleinen .Mannes in jenen 'bagen
triumphierte. Die kleinen operalixen Maßnahmen gehörten zu den
lieben (jewohnheiten seines täglichen Lebens, (jroße Operationen
jedoch waren relativ selten, und nur ein Reicher konnte es sich
leisten, an ihnen zugrunde zu gehen.
So dürfen wir es nicht erwarten, die große (diirurgie im Zu-
sammenhang vorgetührl zu bekonnnen, sondern nur kleine .\us-
schnitte erwarte man statt eines lilms.
Wir haben bereits in groben Zügen den Lntwicklungsgang des
ärztlichen Standes in den vorigen Kapiteln kennen gelernt. In nicht
gleichen Bahnen bewegt sich der Werdegang der ("hirurgie. Schon
StSiJSiOiiJtJCiiOi'CiiKiCiJOiSiSiSiKStJKJKiSSXiOt'CiSiißS^ Salerno JOiJßSi-OiiSJßSfiSSiJßiSißSiSiiJiiCiiOiJCiiOiSiSiiKK!! 329
im frühen Mittelalter tritt eine Trcnnuni^ ein; während die Linie
der inneren Medizin eine allmählich ansteigende ist, verlault die
Kurve der Chirui^ie in stetem Zickzack, und der Stand, der sich in
unseren Tagen gern als die Kavallerie der Medizin bezeichnet, sinkt
oftmals unter das Xiveau der kleinbürirerlichcn Gesellschaft und
AV,»V. -\' /jSj der Bibliothek Casanutcme . Rem
Fig. 191. Dit Chirurgie der Meister Roland von Salerno.
Wende des dreizehnten |alirhunderts.
wurde bald zum Tummelplatz allerhand imehrlichen, ja ehrlosen
Gesindels. Die Spaltung der gemeinsamen Disziplin in zwei so
verschiedenwertige Teile liegt nicht zum wenigsten in dem Ver-
halten der Geistlichkeit begründet. Wir haben gesehen, daß in der
ersten Zeit die Clerici sich nicht nur mit der inneren, sondern auch
mit der chirurgischen Heilkunde befaßten, und daß die Ausi.ibung
dieses humanen Berufes Lebensaufgabe ganzer Orden war. Es darf
auch nicht unerwähnt bleiben, daß die Clerici auf diesem blutigen
330 SKStiissiStißjßjßiSSiJSJCtSiiSJßSiSiiSiSSi'etäS Chirurgie ■<i<f:i>:iff:^:<>:<f:<f:<f:i:f:<f/<^/t?.-^^^^^^
Gebiete Hervorragendes leisteten uiui auch liicrariscii Erwähnenswertes
hinterließen. So scheint der J^ischot PaiiUis von Merida einen Kaiser-
schnitt ausgetührt zu liaben (630), und so gab es noch eine Reihe
von berühmten (ieisthchen, die gleichzeitig Arzte waren, so Albicus,
Professor der Medizin in Prag, später Przbischot. dann der Bischof
Aichspalt, Arzt Kaiser Heinrichs und so weiter. l;s ist verständlich,
daß auf die Dauer \ertreter einer allmächtigen Kirche und gekrönt
mit der Gloriole der Heiligkeit ein o(ieratives Handwerk nicht betreiben
konnten, ohne ihren geistlichen Stand zu kompromittieren. Der
Ximbus ihrer gottlichen X'ertreterschaft drohte in die ]-5rüche zu gehen
durch operative Mißerlolge, die bei diesem Berul nicht ausbleiben.
Und so ergingen bald viele päpst-
liche \'erbote gegen die Ausübung
der Heilkunst der Clerici, so nament-
lich unter imiocenz 111. aut dem
Konzil zu l^eims 1131 und aul dem
l.aleranischen 115^;. Die Würzburger
S\-node vom Jahre I29(S verbot so-
gar die (jegenwart der (ieistlichkeit
bei Operationen: »Xullus clericus
artem chirurgicam exerceat aut ubi
exerceatui', intersit.« Dies \'erbot
wurde mehriach wiederholt: doch
lesen wir, daß einem besonders ge-
schickten Bischof jedesmal, wenn er eine Operation ausführen wollte,
vorher die Absolutitm erteilt wurde. Zuletzt wurden sogar die Pro-
fessoren, welche McHiche unter ihren Zuhörern duldeten, mit dem
großen Kirchenbann bedroht. Die b'olge dieser Zustände war, daß
die (ieistlichkeit sich dienende Leute und Handwerker zur X'errich-
tung namentlich der kdeinen Ghirurgie heranzog, und st) geriet diese
in unwürdige Hände. Die hohe Kunst wurde zum Handwerk, und
sogar zum ehrlosen. Man warf alles in einen 'Popf, und auch die
Steinschneider und Bruchärzte wurden unehrlich. Durch das Aut-
treten der Lepra in Deutschland wurden allert)rlen Piadestuben als
Fig. 192. Dresdener Prachtausgalie des
Galen. Vierzehntes Jahrhundert.
Ol>crativcr Kingriff.
anerkannte Prtiphviaxe eingerichtet, und das Badewesen in [irivile-
gierten Stuben nahm einen ungeheuren Autschwung. In dem
Ghuibensbekenntnis vornehmer Ilildesheimerinnen kommt noch der
Spruch vor: »Wir gktuhen, dal.'i \ov die \'erstorbenen Messe lesen,
Badestuben heizen, Almosen austeilen ein loblich Werk sei.«
in Grund, daß das Handwerk der ]3ader unehrlich
wurde, lag nicht nur in ihrer Ausübung der
kleinen Ghirurgie, dem verderblichen (j^uack-
salbern, sondern auch darin, daß die Badstuben
allmählich Herbergen der Unzucht und der
Leichtlertigkeit wurden. Der Stand der l^ader,
die übrigens auch aut den Straßen nnt \'orliebe
barschenkelig, das heißt äußerst wenig bekleidet,
sich sehen ließen, war so tief in Mißkredit bei
den ehrbaren Zünlten geraten, dal.^ ihnen sogar die Schwagerschatt
eines Kaisers nicht viel liall. Der Schutzpatron der Bader sollte
Kaiser Wenzel sein. Dieser, in die Gefangenschaft seines Bruders
Geraten, wurde aus ihr durch die heroische Bademagd Susanne
irerettet, die er zur Xeben^attin nahm. Und als Ausdruck der (inade
I'ig. 193. Initial aus dem
Werk des Vesalius.
Fig. 194. initialen aus dem Werk des Vesalius.
\erlieh er allen Badern des ]\eiches den 1-reibriet vom Jahre 1406.
In diesem Privileg dekretiert der Kaiser, daß das Baderhandwerk in
allen Reichslanden den besten der anderen Handwerke völlig gleich-
gestellt sei, und allen Schmähern der Baderzuntt drohte er das
Köpfen. Und damit auch der kaiserliche Humor nicht fehlte, ver-
332 ■ö<K>K<K'(>s>JKi«!Otso>x>:)C><>:jS<s?>:s><0!!j>iC?!C!<s (Ihirurgik ■<^/<f:<:i<i<;i<i<f:<:i<f:<f:<i<:i<^:^^^^^^
lieh er den Hadern als Zuiitlwappcn ein gülden Schild, in dessen
Uinraiuliini; eine verknotete Aderlal.Uiinde sich heland, nnd als Alitlel-
punkl, eine \\il/ii;e Anspielung aut die spätere Auslei;uni; des \\\)rtes
»Salbadereien«, ein Papagei, der \'i)^el der (jeschwät/i^keit.
Das Wort Salbaderei oder auch Saalbaderei soll anL;eblich aus
|ena stainnien, wo um das |ahr 1620 \-or dem Saaltore eine Bad-
stube lai;, die einem geschwätzigen Kauz namens 1 lans Granich zu
eigen war. Tatsächlich ist das Wort \iel alter; schon in den
l:|MStolae obscurorum \irorum i)i) kommt es \-or (\etus ille Cacero
et alii salbaderi). Salbader ist iden-
tisch mit Seelbäder: \'olksbäder, die
zum Seelenheil gestiftet wurden.
(Siehe dlaubensbekenntnis vor-
nehmer llildesheimerinnen.)
L'nd dreil.^ig lahre s[xtter machte
eine zweite Bademagd ein großes
Autsehen: der ]:ngel von Augsburg.
Die (leschichte der Agnes Bernauerin,
die der verliebte Sohn Herzog Hrnsts
vcm l^avern heiratete und die am
12. Oktober i\]) zu Straubing \on
llenkershand in die Donau gestoßen
wurde, hat in Hebbel den genialen
Dichter getimden. In diesem Drama
sagt der Bader und Cdiirurg Kaspar
Bernauer zu Herzog Albrecht: »\'or lünlzig Jahren hätte sie (Agnes)
hei einem Turnier nicht einmal erscheinen dürlen, ohne gestau|n
(am Schand[ilahl mit Ruten geschlagen) zu werden, denn tlamals
wurde die Tochter des .Mannes, der dem Kitter wieder die Knochen
einrenkte und die Wunden heilte, noch zu den UneiuTchen gezählt.«
Und diese moralische Unehrlichkeit dauerte tort trotz der Keichs-
polizeiordnung x'om lahre ij^N und 1377, und sie \erschwand
erst mit dem Untergange der l-5aderzunll, mit ihrem Unterliegen in
ihrem ewigen Streit mit den F)albieren und den Bartscheicrn und
Fig. 195. .Steinschnitt. (Magister cxtr.i
iiit lapidcm.)
Illustration aus der ('hirurgia Rolandi.
JC?S><S!CtiKJS!CiSS<SStiC>SiS>S!J0tKXKS!Cii!0i<5ti«! 1]aI)IK IM> HakiuERE SSiOiJCiiSJCÜiSSiiSSiJSSiiSiCüSi'ÖSiSi'Ct 333
Chirurgen. Die Barbiere, in Kleidung und Auttreten eleganter wie
ihre Stiefbrüder, die Bader, higen in lortwähreiuleni Zwist mit ihnen
wegen des Ineinanderübergehens der hunktionen. Der L'nehrliclil^eit
entgingen sie wohl deshalb in erster Linie nicht, weil sie die \\)r-
bereitung und Zurichtung der Malehkanten und zu Richtenden zu
besorgen hatten und durch ihre Dienstleistung als Pestbalbierer.
Die Barbiere hatten lange zu lernen und bekamen den Meister-
briet*) durch Approbation der Phvsici; dabei hatten sie in Hamburg
zum Beispiel als Meisterstück l^raun-, delb-, Cirau- und (jrünptlaster
herzustellen. Die Unehrlichkeit die-
ser (jilde war eine Schande, die
sich auch aut die Nachkommen ver-
erbte, selbst wenn sie nicht solches
Gewerbebetrieben. Die anderen ehr-
samen und stolzen Züntte nahmen
keinen auf, der nicht beweisen konnte,
er sei weder Bartscherers- , noch
Badstövers-, noch Linnenwebers-,
noch Spielmannskind. Auch die Bar-
biere haben, wie der Bader, zwei be-
riihmteTiKditer autzuweisen: Rosine
iMenthe, genannt ALidame Rudoltine,
die morganatische Gattin Herzog Ru-
dolts von Braunschweig, und auch
derPrinz von Holstein- Augustenburg
treite eine Kieler Barbierstochter.
Der Streit der Bader- und Barbierchirurgen, der im sechzehnten
und siebzehnten Jahrhundert \ieltach zu richtigen Schlachten getührt
hat, ging bald aut das literarische Gebiet über. Es rasselten nur so
die Streitschritten, in denen sie sich gegenseitig Pfuscher in der
Chirurgie nannten. Amüsant ist die Schmälischritl, »die durch bessere
Gegenvorstellung entblößten J3ader, ihrer mit Feigenblattern be-
schmückten Vorstellung entgegensetzet«. Noch im Jahre 1702 tobte
i^iiniimirinin,i^'tflln"iirmrifnnf>itii ,v-
Fig. 196. Leistenbruchoperation.
(Magister incidit crepaturani.)
Bunte Illustration aus der Chirurgie des
Meisters Roland.
*) OriLjinalbriefe noch vielfach vorhanden.
334 XSiO><KJS<Si(><5!<KJSi5iCiiSi!JßiöJSiß<SS><K<ßJSiK CHIRURGIE äKJßJSiSJKJSiCtKSiOiXSiSiSiKSSiSJeiJKSiKSiSiKSiSi'CiJK
der Kampf, und es ist ein ^'eI'dienst von Jiiliann K:is[ier Schwärt/,
Rcginientsteldscher, zur liinigkeit zwischen heiden L;emahnl zu hahen
durch die Schritt: »Die verzerrte Narrenkaii[ie der Bartschererei: das
ist der Barbierer und Bader unnötiger Zwist und Zank und Malmung
zum Hauptzweck ihrer llandtierung der lullen W'und-Artznev zurück-
zukehren, da son.st .Marktschreierischem l.umpengeschmeil.'., Henker-
mäßigen Buben, alten wetterm.icherischen Weibern, und anderem
Hederlichem (iesindel m dem Cjeheunniß der Wuiulartznev zu wühlen,
Thür und i'hor angelweit geöhnet würden.« Und tatsächlich lag bei
diesem ewigen Hader die Ausübung der Chirurgie in den Händen
lahrender (ieselleii, alter \\'eiber, Henker. Quacksalber und herum-
ziehender Abenteurer, und wurde dies erst eigentlich besser durch
den Zusammenschluß der die Cdiirurgie von Lehrern ehrlich gelernt
habenden .Magistri in chirurgia in den Zünften. Berühmt ist das
Chirurgencollege de Saint Come zu Paris, dem .Vmbroise B.ue, zu-
nächst selbst Barbierlehrling, später angehorte. Dal.^ auch diese
Chirurgen höherer Ordnung einen ewigen Kampt tührten nüt der
l-'akultät um ( ileichberechtigung mit den Phvsici, ist bekannt.
Bekannt ist ierner die Sonderstellung der ßarbersurgeons in l:ng-
land , die es verstanden hatten, trotz ähnlicher Kämpfe um ihre
Stellung frühzeitig sich Achtung und Ansehen zu NerschalTen.
Die L'berh.mdnahme des irregulären HeiI|K'rsonals im lieben
deutschen \'aterlande veranlaßte mm schon ziemlich Iruhe Erlasse
der einzelnen Reichsstädte, in denen eine Ordnung lür Medikos,
tür die Aledici und Wundärzte festgestellt wurde. So bestimmt zum
Beispiel die interessante neuere Ordnung vom Jahre 1655 \ou Lim,
daß nur der Wundarzt, er sei ]3arbierer, Bader, Okulist, Schnittarzt,
sein Becken aushängen und sein ll.mdwerk treiben dürle, der sein
Meisterstück vor dem Sladtmedikus absolviert habe. Hs wurde ihm
angeraten, sich in schweren l'älleii mit den Docioribus imd anderen
Wundärzten zu beraten, dagegen sollte sich ü<j\- Wundarzt eutraten,
dem brauenvolk purgierende und truchtlreibeiule Arzneien zu ver-
schreiben, was nur einem .Medico zukomme, bs soll ihnen aber
nicht verboten sein. (Gefallenen, Gestoßenen, Gestocheneu, Im- heftig
jOtiS?S!ßjCiSX<ß!S!Ci!0>!0>!C«!etSiK>:«<i>s>S!;Oi!0><KS> Scharfrichter 3C5S>iKiß!OtiC«!ßiS!S!OiS><ß!KJS!»iS!Oti>!Cü!0! 335
^'erMuten, Gliedwasser, BianJ und so weiter innerlichen Trank zu
verschreiben (Gurlt, CJeschichte der Chirurgie II, Seite 13).
Allen diesen unglaublichen Zuständen machte der Große Kur-
türst in Preußen ein linde durch ein lidikt \'üni Jahre 161X5, welches
die Tätigkeit des gesamten Heilpersonals einschließlich Rader, Bruch-
ärzte und Schartrichter ordnete. Die neue Zeit aber beginnt mit der
berühmten Medizinalordnung Friedrich Wilhelms 1. vom Jahre 1723,
welche die Grundlage der heutigen preußischen Medizinalvertassung
abgibt. Nach dieser mußte ein Chirurg einen Lehrbriet über sieben
Jahre beibringen, als Feldscherer gedient und auf dem königlichen
Theatrum anatomicum einen Operationskursus mitgemacht haben.
Den Badern wurden getährliche Kuren verboten und mußten sie
außerdem vom Collegium medicinale approbiert sein.
Gänzlich untersagt das Edikt allen Studierenden der Medizin,
allen Predigern, Chvmisten, Laboranten, Branntweinbrennern, Juden,
Schätern, Doctoribus bullatis, alten Weibern, Segensprechern alles
innerliche und äußerliche Kurieren , Urinbesehen und so weiter.
Den Schartrichtern besonders wird ihre früher erschlichene Kon-
zession hierzu kassiert. Dagegen muß konstatiert werden, so pein-
lich das auch ist, daß vieler Schartrichter überflüssige Söhne —
die iTon vererbte sich aut den Erstgeborenen — Arzte und Chir-
urgen wurden. Der Sohn Hennings L, des Schartrichters \on Ham-
burg, wurde zum Beispiel dort Medicinae Practicus und der Senat
gestattete ihm ausdrücklich, auch »seine Geschicklichkeit in puncto
artis chirurgiae von hiesigen Barbieren , Wundärzten imd Badern
unangetochten zu exerzieren«. Auch sonst gibt es viele Beispiele,
daß Schartrichter ihr Beil Wegwarten und statt dessen zum chirur-
gischen Messer griflen. In den Stadtprotokollen werden sie Schinder-
doktor genannt.
Diese X'erhältnisse wiederholten sich ungetähr in derselben A\"eise
nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Nachbarländern. Am
besten ist die Geschichte der Barbierchirurgen in England bekannt
und durch Dokumente belegt; für Deutschland muß erst die
Standesgeschichte der Chirurgen geschrieben werden, da das unver-
5^6 jss'SiiSSi'CtiSSiSKiSSiSiisStiCiJJiiSStSiiOijßiK Chirurgie ■i>:^:i>:<i<^:^:<9:<f:<i<>:0.'^^^^^^
glcichliclie Werk Gurlts «Die Gescliiclite der (".hirurgie« diesem
Abschnill kein uesundertes Interesse zuwendet.
Kine WirausschickunL; dieser \'erliältnisse war zum \'erständnisse
der folirenden Ciemälde notwendii^', denn die 1-rwarlim^, künstlerische
Darstellungen uroL^er, blutiger l'ingrille zu Imden, erlullt sich - (iott
sei Dank - nicht. X'or solchen .Mißgrillen bewahrte das echt künstle-
rische Gefühl den .Maler; außerdem hatte er und sein Publikum auch
keine Gelegenheit, solche zu sehen; auch steht es lest, dal.^ man im
Bilde nur Bekanntes, Ciewohntes gerne sieht und durch das Unerhörte,
Ungesehene des Geschilderten die l'reude am Kunstwerk selbst \erliert.
Mehr oder weniger künstlerische Darstellungen der großen Ghirurgie
linden wir in den ärztlichen Lehrbüchern der damaligen Zeit, so in
(lersdorts beldbuch der Wundarznei der Chirurgie von della C^roce
und anderen. Was aber die Maler tesselte, das war das Leben und
Treiben in den Baderstuben, die Ausübung der kleinen C>liirurgie in
den Budiken der Barbierchirurgen, wo es meist lustig zuging und
Dinge passierten, die jedermann kannte und erlebte.
Diese Sittenschilderungen, Studien aus ilem kleinbürgerlichen
Leben waren aber vornehmlich in Holland zu linden, jener \-on
monarchisch-aristokratischen Stürmen uniHuteten Jnsel freier bürger-
licher Betätigung. ■
Bei dem Studium der antiken Medizin in ihren künstlerischen
Erzeugnissen sind wir im wesentlichen aut \\'erke der i'laslik an-
gewiesen. Aus dem ganzen Charakter des Hellenenvolkes aber kann
man schon a priori ihr großes Interesse lür medizinische Dinge
vermuten. Die breiten homerischen Schilderungen von \'erwun-
dungen und deren Heilungen durch Helden waren beliebte Sujets
für bildnerische Darstellungen, xon denen einige auf Keramiken
und Reliefs sich erhalten haben. Daremberg hat bereits i86) vier
solche X'asenbilder in seinem Buche »La Medecine dans Homere«
beschrieben. — Die Winuibehandlungskunst ist bei Homer beinahe
ein Gemeingut der Helden und Schlachtenl'ührer. Allen xoran aber
besaßen diese hohe Kenntnis des Askle[iios Sc)hne Machaon und
PodaleiriüS , von denen namentlich .Machaon der bekanntere ist.
äK5K!0t5KS>iCiJ5-Sii5iJßS!Si!«S!tSi!O':!5t!KSC!3KSSSiS?SC5äS PatrOKLOS KJiJCtiKiSiKiKiSJCiSiiaJS'CiJßiKiOiJKiOtSiiKSKiOiiCi 337
Als dieser selbst den dreischneidii^en Pieil in die reelite Schulter
erhielt, iuhr ihn Nestor mit stampfenden Rossen zu den Schiffen,
damit er den l-'einden nicht in die Hände üel :
»Denn L-in hcilenJci' Mann ist wert wie viele zu achten.
Welcher die Fteile ausschneidet, und aufleimt linilernden Balsam.«
(Ilias 9, Vers 514.)
Btitinfi- Aii/i:/!tiirtii ui.
Fig. 197. Schale des Sosias, etwa 500 v. Chr.
Achilleus verbindet Patroklos.
Auch Patroklos war nicht nur der berühmte Held des Schwertes,
sondern verstand sich auch auf das Messer:
luirvpvlos zu Patroklos:
»Aber errette du mich, zum dunkelen Schifl'e mich führend.
Schneid" aus dem Schenkel den Pleil und rein mit laulichem Wasser
Spule das schwarzliche Blut; auch lei^e mir lindernde Würz' auf.
Heilsame, welche du selbst von Achilleus, sagt man, gelernet,
Ihm, den Chairon gelehrt, der gerechteste aller Kentauren.«
Eine ähnliche Darstellung, wie sie übrigens bei Homer selbst nicht
vorkommt, besitzt das Antiquarium des Berliner Museums in der
Holl.'inder, Di<_- Mediziü in der klassischen Malerei. 2. Auflage. .2 3
33^ SKSi!K<<!S<KJ5S>!S!0«-Oi>C*»>!ÖS>ie>sSIC><SiSäKSK CHIRURGIE 3CiäKiCi:«!ßS><S!S«<K»:J0>!0>S!<0i!C*S><Ki5<KS>S<<!i<5<5i
Schale des Sosias. Wir sehen aul der aus dem lünllen Jahrluiiuleil
vor Christi (iebiirt slanimenden Keramik zwei mii Achilleus und
Patroklos bezeichnete 1 leiden in \ oller Rüstung; ; der erste \ erbindet
nun den Arm des breundes mul lei;t kunstgerechte AchlertoLiren
mit einer weißen Rinde um dessen Arm. Schon der Irüheste Be-
schreiber dieses Grübertundes, der llcrzoi; von I ,u\nes (Annali dcl-
ristit. di corresp. archeol. 11, ]N)o), konstatiert, daß Achill die zwci-
köpiige Binde verwendet inid daß die Touren im modernen Sinne
kunstgerecht liegen. I'ine N'erwundung selbst ist nicht zu sehen, und
man konnte, da eine solche Szene auch bei Homer nicht vorkommt,
an die eben zitierte Stelle denkend, vermuten, daß der Künstler die
Unterweisung des Patroklos in der ärztlichen Kunst durch Achilleus
habe darstellen wollen, wenn nicht die ganze Haltung des Patroklos
doch tür eine \'erwundung spräche. Sein linker bul.^ stemmt sich
wie im Schmerze auf, der heindose Kopt wendet sich ab, damit der
Ireund seinen Schmerzensausdruck- nicht sieht; diesen letzten hat der
Künstler durch die Sichtbarkeit der weißen Zähne angedeutet. Am
Boden liegt der Pteil, der offenbar eben erst der Wunde entrissen ist.
Befruchteten so die homerischen Schlachtgesänge das künst-
lerische l-jn[ilinden ihrer Zeit, so sehen wir, dal.^ auch Jahrhunderte
nachher noch der 'l'rojanisclie Krieg und sein erweiterter Sagenstoff
aktuelles Interesse hat und sozusagen (jemeingut der debildeten
geworden ist. Zeugnisse linden wir aul unzähligen klassischen
Kun.stprodukten. Pine (H)mjiejanische Ireske aus dem Triklinium
eines Hauses bei den Stabianischen Ihermeii, jetzt im Xational-
museum in Neapel, hat lür uns ein besonderes Interesse, stellt
sie doch ollenbar eines der ältesten Kunstwerke größeren Stiles
dar, aul dem ein operali\er Ivingrid \eranschaulicht wird. Ps
sei daran erinnert, dal.^ achtundneunzig Jahre nach dem Tode
Vergils, des Dichters der Aneis, Pompeji zerstört wurde und durch
dieses Naturereignis uns diese große Illustration zu den \'ergil-
schen Versen erhalten wurde. Die breske selbst (siehe l'igur 19N)
stellt eine Szene aus den letzten Pntscheidungskämpten der Trojaner
und Patiner dar. Aneas ist durch einen Pleil von unbekannter Hand
in den Oberschenkel schwer N'erwunJet und mit niühsain wcchsehi-
dem Schritt ins Lager zurucki^etührt.
»Schmerzvoll tobt er und ringt am gebrochenen Rohr,
Das Geschoß sich auszureilien, und er verlangt,
Dali mit dem Schwert die Wunde man aufschneide, und bis zum Innern
Ganz nachgrabe dem Pfeil und zurück ihn send' in die h'eldschlaeht.«
In dieser Situation erscheint nun der ahe Arzt japis, von dem
W'ruil nach homerischer Weise die einleitend bereits zitierten Verse
big. lyS. Aneas und Japis. Pompejanische Freske.
sagt. Und nun steht da Aneas, aut die lange Lanze gestützt imd
auf Julus, den weinenden St)hn. Der alte Arzt, nach päonischer Art
in ein hinten geschlossenes (lewand gekleidet, versucht vergeblicli
mit seiner heilenden Hand und Phöbus" gewaltigen Kräutern sein
Glück:
340 SKißJSiSSXiSJSiSißiSSiiKSiSiSiStSiJKSiJOiJSJJi ChIRURGII; JKSSäSiSiKißJKißSiSiJSSiStiKJCSiCSiKJIiS^ißiO-JCi-SiJ'SK
Umsonst an dem spitzigen Pfeile
Rüttelt er oft imd fasset mit kneipender Zange das F.isen.
(Prensat tenaci forcipe ferrum.)
In diesem luiclulrani.uisehcii Momciu, als ringsherum die leinde
schiin im \'or>;elLihl eines Sieges das Lager hart heslürmen, erscheint
dem Sohne inul auch dem Arzte als 1 lelterin A[ihi()dile; imd diesen
Moment hat der Kimstler auf seinem (iemalde lestiiehalten. Die
Paris.
Fig. 199. Aderlali. Aryljallos l'eytcl.
helfende Mutter pllückte selbst vom Berge Ida das rettende Kraut
Diktanmus, und gießt die Panacee in des Ar/tes Wundwasser.
Das hilft! Die Blutung steht, die Schmerzen schwinilen und das
Geschoß gleitet zwanglos aus der Wunde, (leschah dies alles diu'ch
göttliche Kraft, so verleugnet sich jetzt in Japis nicht der alte l^rak-
tiker: »Waffen, gebt schnell Waffen dem .Mamie!« sind Jaiiis' erste
suggerierende Worte, was in luiser modernes Deutsch übersetzt
ungefähr so lautet: So, mm sind Sie wieder völlig arbeitslähig!
Vergil hat in seinen Dichtungen solche i\'enninis in ^\izy Natur-
kunde imd den i'.rkr.mkungen \on Tier und .Mensch bewiesen, daß
manche ihn überhaupt unter die Dichterarzte zahlen. Das rettende
SiiCiSiJOiiJtStiOiJSiSiö'iSSiiOiSi'CiiJtiOiJC* Dil AMiKi Ki.i:iNE Chirurgie SKSiStSiiSSiiJiiSJSSiiSSiSiißjyS 341
Kraut, der kretische Diktaiiinus, war im Altertum hocliberüiimt.
Die alten Ärzte hielten die wür/i^en Kräuter der Insel Kreta für
besonders heilkrättit;, und (ialen erwähnt in seinem ]5uch de Anti-
dotis, daß die römischen Kaiser auf dieser Insel Kräutersammler
unterhielten, die sie und die romischen Apotheken versori^ten.
Dioskorides berichtet, man dürfe den roten Diptam nur unter die
Fußsohlen legen, so zöge er die Spitzen der Pfeile heraus; besondere
Heilkraft habe aber der in die \\'unden getröpfelte Saft der Pflanze.
Die Schrittsteller erwähnen ferner, daß selbst angeschossene Gemsen
den Diptam fressen, zur Linderung und schneller Heilung ihrer
Pf eil wunden*).
Unter den wenigen Vasenbildern, welche ihr Sujet dem ärzt-
lichen Kreise entnehmen, gibt es eine kleine Gruppe, welche sich
mit der Pflege Verwundeter beschäftigt (siehe »Plastik' und Medizin«
Seite 498). Wir erinnern hier noch einmal an die schone Vase, die
E. Pottier zuerst beschrieben hat. Da wir an anderer Stelle (siehe
»Plastik und Medizin« Seite 493) das aufgerollte Vasenbild zeigten,
so wollen wir hier nur die auch von Sudhoft beschriebene \"ase
abbilden. Ohne Zweifel handelt es sich um den Moment eines
Aderlasses.
Bevor wir nun zur Schilderung und Wiedergabe der Vorgänge
in den Badstuben kommen, müssen wir uns zunächst etwas mit den
kleinen chirurgischen Hingriflen beschäftigen, die zu den regelmäßigen
Funktionen der l^arbierchirurgen innerhalb und außerhalb der Bad-
stuben gehörten. Es setzte sich diese ganze kleinchirurgische Kunst
zusammen aus der dreifachen Tätigkeit des Klistierens, Schröpfens
und Aderlassens.
Es ist interessant, daß die Aderlaß- und Schröpfkunst als zwei
Machtmittel der chirurgischen Kleinkunst alle Stürme und Regierungs-
wechsel der .Methoden und Meinungen überdauert haben. Die Medizin-
geschichte lehrt, daß diese Mittel zwar \orübergehend einmal etwas
in Vergessenheit geraten konnten, um dann aber jedesmal wieder
zu neuer Herrlichkeit zu erstehen.
*) Siehe J, C. W. Mößen, Sammlung vnn Bildnissen usu . Berlin 1771.
34- stJSJöJSSi'CiiiSiSSiiSSSissiiKJCti^iS-SiKSiJOiiC! Chirurgie äSJSiSJSiSJOiJSJSiS^issiSJKStiSJS^iSiSStjeiiSiSiCiiK
Das unpoetischste aller Instrumente und der unästlietiscliste
aller Eini^rillc. die postcrii^re Xachliille, liat, man sollte das kaum
t;lauben, doch viellach den Künstler als Siijci i;L'rci/l. Daß es
hierbei weniijer aut rein künstlerisches Wollen ankam. lici;t aut
der Hand, namentlich wenn man sieht, daß meist ältere lran/t)sische
Autoren den Hin^rifV ilkrstrieren. .\ul den uns bereits bekannten Bildern
Jan Sleens enlschliel.U sich der Doktor otleiibar unschwer zu dieser
operativen Leistuni;. Der bekannte Iranztisische Sitten- und Kt)stüm-
schilderer, Abraham Bosse, hat uns einen
Kupierstich hinterlassen, aut dem er dem
in damaliger Zeit wichtigsten Instrumente
ein Denkmal setzt. Die Erlindun^ der
r Stempel-Klistierspritze verdanken wir dem
I" "^"^^fll^r^^i^^ J t::?1 berühmten arabischen Arzte Avicenna
(starb 1057), und (jatenaria, Professor
in Pa\-ia, scheint sich um die Populari-
sierung dieses Instrumentes verdient ge-
macht zu haben. Er gibt in seinem
Werke eine Abbildung desselben mit
folgender Beschreibung: Ilaec est forma
clvsteris, quam non intelligunt multi et quam describit Avicenna usw.
(Dieses ist die Form der Klistierspritze, welche die wenigsten kennen
und welche Avicenna beschreibt.) Dal.^ vorher statt der Klisliersfiritze
der Pinlaul in Knieellenbogenlage, die übrigens auch in unseren
Tagen neu erhmden wurde, vorgenonnnen wurde, lehrt uns eine
Miniatur des vierzehnten lahrluinderts (siehe 1-igur 200).
Aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert existieren
obszöne P'lugblätter, auf denen Weiber mit großen Brillen abgebildet
sind, wie sie beim Scheine einer Stallaterne diesen Eingrif! aus-
üben. Die Vorgeschichte des Klislieres selbst aber verläuft nach
den alten Schriftstellern (Pliuius) in die graue \'orzeit. Die
Menschen lernten den debrauch der Sage nach \()n dem ägy|i-
tischcn Weisheitsvogel, dem heiligen Ibis, von dem berichtet wird,
daß er sich selbst klistierte. Der zweite kleinchiruri'ische I land-
<:,!/,„. Pra,-htk,ul,\v Ihrstti-n
I'ig. 200.
Knicclknboffcnlasrc beim Einmili.
!C><c>!0!!C>'e!iS!C>i5t!>:i5s><sio>KXK>Jss>i>:<o>!0!!SiS!iii^^ Badstubex 50!5KSi!C>i0iSii5t:-cis>:;«<KS>:i>:i5<0iiei!ö<s<S!O'5K<!> 14;
griff war das SchröptL'H, welches meist blutig in den Baderstuben
ausgeübt wurde.
Das Baderwesen nahm im mittelalterlichen Volksleben einen so
breiten Raum ein, daß es beinahe selbstverständlich ist, daß diese
Fig. 201. l'i-;uienb.Ki mit Schrnpfszcne. Von Hans .Sebald Beham.
im Verhältnis zur Neuzeit weitverbreitete \\)lk-ssitte ihren malerischen
Ausdruck getunden hat, um so mehr, als dies Motiv den Maler durch
die Wiedergabe nackter Körper reizen mußte. So sehen wir denn
auch auf vielen Gemälden des fünfzehnten und sechzehnten Jahr-
hunderts Badeszenen geschildert; und wenn wir der Wahrheitstreue
dieser mit dem Pinsel geschriebenen Chroniken trauen dürfen, so
344 äK?SS>S>i5i«S!>iS!ßiKS>:i5<SiOt<K»iiS»iißiKiöäS ChirURGII SSSiSiiKSiiSKSJSieJö^löiißiOi.^SiSiJKSiiSSSJOiiSJCSJK
wurde trotz der Siltenx ericiluini; jener Zeit der Anbliek eines
nackten Krir[iers als nichts Unmoralisches eni|ilunden imd entbehrte
ganz des sinnlichen Reizes, dei' heutzutage in der lüilhulluni; liegt,
»nie qudd tibsccKMias in apertt) corjiore [larles viderat, in cursu qui
fuit, haesit anmr.« Diese klugen \'ersc Ovids (de rem. am. .|2t;)
haben dem Ästheten .Montaigne schon die klassische Stüi/e gegeben
lür seine .\ultassung, daß die alten .Meister der Kunst als ein Rezept
gegen die \\'ollüsligen Begierden verordnen, den Korper, auf dun
die Begierden gehen, durchaus ganz und Irei zu beschauen; um die
Liebe zu maßigen, braucht es weiter nichts, als den geliebten (jegen-
stand ohne Zwang zu sehen. .\U)ntaigne, Kssaws II, 12.
Aut Darstellungen von Kirmessen und ollentlichen Lustb.irkeiten
sehen wir in einer j-.cke .Männer und brauen ein l^ad nehmen in
einem Bache oder in gemauerten Bassins, ohne dal.^ Umstehende
gaften. In dieser P)ezieluing war jedenlalls die alte Zeit sittlicher.
Neben diesen Bädern imter Ireiem Himmel, den Cluell- und W'ild-
bädern, linden wir nun aber auch eine ungemein \erbreitete \'er-
wendung der Warm- und .Schwitzbäder. Wir sehen aus den
Gemälden und vielen Holzschnitten und Kuplern*), wie sich das Leben
in den I^ädern unter freiem llimmel meist recht gemütlich und lustig
gestaltete. Neben den ]-5adenden sieht meist ein biedelmann oder ein
Bläser, und im Bade wird gegessen und getrunken. Am bekanntesten
von diesen 13arstellungen ist Dürers Holzschnitt ;)Das .Männerbad«,
welches für eine ganze Reihe ähnlicher Darstellungen mal.^gebend
geworden ist. \'om medizinischen .Standpunkt interessanter sind die
zeitgenössischen Schilderungen der Badstuben. Aus diesen geht
hervor, daß es im weseiuliclien Schwitzbäder waren, die genommen
wurden, keine Wannenbäder, und daß die grol.Vai KachelcMeii nur
trockene Hitze lieferten; Dampfbäder wurden durch Übergießen der
glühenden Steine mit Wasser eizielt. Diese Schwitzbäder galten als
glänzendes Präser\ati\ mittel "e^eii den Aussatz und erreichten eine
große Blüte, bis das massenhafte Auftreten der Lustseuche ihre
"J Siehe das gesamte Material bei .\lfre<l .M.irtiii. Deulsclics Badcwcscn in vergangenen
Tagen. Diederichs, Jena 1906.
jS!eiJS<SiKi«S>K>!S>iOi!Ct<S«!O'!CiiC>StiS<0iSi-«!S(<SiSiOi Badstubex SSiOtSiiJiJSJSJKiKJCiSiSiiCiSiSiiCiSt-OiJOi^iKJOtäK 345
^W■itercnt^vicklung verhinckTtc. Durch die Konta^ion und durch
die Un/ucht, die sich bald in diesen Badstuben entwickelte, wiu'den
sie selbst bald zu den verrutensten x\nsteckungszentren tiir die
Syphilis. Seht)!! trühzeitig wurde die Weiterverbreitung der Lust-
seuche durch die Bader erkannt. Scht)n 1496 verbot der Nürnberger
Rat allen Badern bei einer Pön von zehn Gulden, die liisen und
Messer, die sie bei einem kranken Menschen benutzt hatten, in einer
Badstube weiter zu verwenden. Hans
Sebald Beham, der genialste und flot-
teste Miniaturist seinerzeit und wohl der
beiieutendste Schüler Albrecht Dürers,
hat uns einige Badszenen hinterlassen,
die zum Teil recht Irei sind. Das bekann-
teste ist sein Frauenbad (siehe Figur 201).
Neun Frauen, junge und alte, sitzen aut
Holzbänken, im Hintergrunde sieht man
den großen Kacheloten und am Boden
stehen kleine \\\isserkübel. Wir sehen
nun aut dem Bilde, wie ein Bader eine
Frau am Arme schroptt. Fr benutzt
dazu eine kleine spitze Fampe, die die
Form einer alten römischen hat. Genau
wie heutzutage wurde auch damals die
Schwitzkur betördert durch das Schlagen der Haut mit Laubruten,
dem Wedel, imd wir sehen diesen \\)rgang aut einer kleinen Radie-
rung desselben ALtlers (siehe F'igur 202) geschildert.
Ein ähnliches Bild, gewissermaßen eine mittelalterliche Badstube
erster Klasse, malte uns ganz in Rubensscher Manier Cornelis Hol-
stein (163 i). Das Gemälde befindet sich in Kassel (siehe Figur 205).
Wir sehen auf demselben ein Durcheinander von badenden
respektive schwitzenden AFmnern und Weibern, bedient von Badern.
Einige sitzen und stehen auf einem von durchbrochener Fk^lz-
bekleidung bedeckten Schwitzoten. Im Hintergrunde befindet sich
der große Kacheloten. Den Frauen wird Pedikür gemacht, sie werden
Fig. 202. Scliwitzbad.
Von Hans Sebald Beham.
546 3Ci!iKiK<cii5!>iK'«!Ci!ßiS!s:«siSissi5!iSSi:«Sis5t Chirurgie '<i<f:<>i<>:<f:<f:<>:<i<f:<f/<>:ci:<f:<>:<>:ff^^^^^
frottiert uiul massiert. Dies farbenprächtige (icmäkle ist eine vor-
zügliclie Sehilderung des Jamaligen Siitenlebens, da der Maler ohne
jegliche Nebengedanken, rein von der .Scluinheil der malerischen
Aufgabe gefesselt, diese .S/enen dem Leben entnommen hat.
Das Schröpfen, ein zu allen Zeiten und bei allen N'i'ilkern
beliebtes \'olksniittel, welches zuerst durch Schropllnirner, später
durch Schropl köpfe aus (jlas oder .Metall ausgeführt wurde, war
natürlich nicht auf die Badstuben allein beschränkt, und schon irüh-
zeitig erwuchsen den l^adern in der Handhabung dieses Mittels
weibliche Konkurrenten, liin solches Schrciptweib führt uns das
Gemälde des uns schon bekannten Quirin Brekelenkam in meister-
hafter Weise vor. Wir sehen wieder einmal in ein holländisches
Interieur und können wieder den Meister bewundern; die würdige
Dame scheint Reißen zu haben und hat sich die »Kopster« kommen
lassen. Die Schri^ptke^pte liegen im warmen Wasser, das Licht steht
erhöht aut dem W'ärmebänkchen, so daß die brau mit einer Hand-
bewegung das Glas über die Kerze stülpen kann. Damit das Kleid
nicht beschmutzt wird, hat die Lrau vorsorglich ein Tuch über den
Schoß gebreitet (siehe ligur 204).
In grotesker Karikierung behandelt Cornelis Dusart (1693) den-
selben Gegenstand. Zwei Weiber stehen einer Mitbürgerin bei. Die
eine schröptt sie am bul.^, und wenn es nichts nützt, so hat die andere
die .Spritze in Bereitschaft; es sei außerdem noch ausdrücklich be-
merkt, daß damals auch Weiber zur Ader liel.^en (siehe bigur 203)*).
Lernten die Menschen die Kunst des Klisiiereiis noiu heiligen
Ibis, so stammt der Aderlaß vom Xilpierd. Xacli Plinius soll
dies Tier, wenn es Kongestionen hat, sich selbst eine Ader am
Bein öffnen; jedenfalls steht die Theorie des .Aderlasses und seine
Technik seit Ilippokrates fest, der seine Ilaupistellen, die Schnür-
binde oberhalb des Linstiches und den Kompressi\ \erband, beschreibt;
und schon der Talmud empfiehlt Schonung nach demselben. .Souve-
ränes Heilmittel wurde er aber erst durch die l'mpfehlun<r der
•) über die antike Schrü]>fkunst: Siehe l'iastik und Medizin S. 125 ff. und 45S ff.
348 Si?S!Ss>?s<ssi!«is:-e><s>c?!s<o>jC(S!JO>:'e!!C?s>!«!ß ( jiirurgif. ssißi«<ß.«!0>j>io-s«JSSssssss>stiO;SiJS;«J5><K!Ss*<oiS!
l-'ig. 204. Das Schröpfweib.
Von Quirin Brekelenkam.
Mönche, die ihn als Jleilmiucl .^c^cn Kr.iiildiciicn iiiul als Scluiiz-
mittcl in gesuiulcn Ta^cn aiionlnclcn. Die Barliiere hallen von den
Clerici die kleine (diiruryie gelernt und nuil.Uen als Cici^endienste
die 'l'onsur und den Aderlaß leisten. Da man i\vu letzteren ininuere
SKSSS5tiK!«sSJC<iK!K!OiJO>K;i!5><o>:<i)CiXS!«!SKi>:sjiJS!C!!CSJK Badstuben äKJKSiiKJSiOi'CiiCstJOtiOtiCiiOiiK-cs'C'SC^iCiSi-OiiSiöiK 349
(sanguincni) nannic, so hießen die Barbiere aucli Rasorcs et Minu-
tores. Xach den Gesundheitsre"eln der Schule von Salerno sollte
"^ c j^ j' ^ <r -^
Fig. 205. Das Schröpfweib.
Von Curnelis Dusart (1695).
der Aderlaß nur an bestimmten Tagen vollzogen werden, und in
jenen Tagen besaß beinahe jedes Bäuerlein seinen Aderlaßkalender.
In einem Aderlaßbuch vom Jahre 1399 heißt es: »Es pflegte der
350 SSS!>C!iSi!S»tSiSiiß!SiS'0iJC?!KSi?5!SiiK!S!S!SäK CHIRURGIE S!KSSiiS<SS!S><S«KX<Oi:«iOt<0><SiCiiK<SSiiß'«iKiC>:S>iS
hochcrlcucluclc Mann Philippus Alclanchton olt und \icliiials seinen
Zuhörern zu sa^en: Wir Teutschen tressen und saullen uiis arm
und krank in die Helle. Wenn man also toll und voll mit selt-
samer Speise durch einander \ermiselu den i.eib bis oben an<;efüllet,
imd aul den Morgen der Kopi schwer wird, Druckuni; unib die Brust
und andere Zufälle sich zutragen, alsdann lasset man zur Ader imd
saulet wieder, dal,^ "s kracht« (II. Peters, Der Arzt und die lleilkunst
in der deutschen X'ergangenheit). So flössen damals iriedlich Hekto-
liter von ßlut und auch über dieses selbst wurden Bestimmungen
getroöen. Bei hoher Strafe durften in Holland Leute, die zur Ader
ließen, keine Schweine halten, imd in manchen Städten gab es
bestimmte Aderlal.UM'unnen (bloed-put), in die das Blut innerhalb
vierundzwanzig Stunden gegossen werden mußte.
Schröpf- imd Aderlaßszenen hnden wir nun auch schon in der
antiken Welt. \\"\r sahen, daß der Schröpf'kopf in dem Maße ein
wesentlicher Heilf'aktor war in der Hand des Arztes, daß er an Stelle
des heutigen Rasierbeckens das Wahrzeichen der antiken Clhirurgen
gewesen ist (siehe »Medizin und Plastik« Seite 43N ii'.). Wir finden
den Schr(')pfkopf' auf (jrabsteinen , ebenso wie den aufgeschlagenen
Instrimientenkasten als allgemein verständliches limblem. Helle-
nistische Badestädte zeigten auf dem Revers ihrer .Münzen den
Schröpf kopl (Seite i]] fT.), der sich allmählich unter Personi-
fikation seines Wortinhaltes ziun Heilgott Telesiiliorus als dem Gott
des technischen Prinzipes in der Medizin entwickelte. Aderlal.^ und
Schröpf kunst waren demnach schon im Altertume besonders volks-
tümlich chirurgische Maßnahmen*).
Diese chirurgischen Praktiken gehen durch das Mittelalter hin-
durch, und so bedarf es auch keines Konunentares, wenn wir beide
kleinchirurgischen Eingriffe auf den .Miniaturen der Salernei' Clodices
wiederfinden.
Künstlerische Darstellungen des Aderlasses gibt es eine ganze
Reihe. Idn oft gemalter Gegenstand, »Der Tod des Seneca«, gab
•) Siehe den Aryballos Peytel, I'ig. 199.
jC*:«i5!Ji!CiJSs>i0i<c*i0is>iOi!S!5!!0t!O>iO>!ß!0iX?<;>j5!^^ Der Aderlass ssiOiJOSiOiJSSiKSiK^iiOiJßJSiSiOt'OiJCiiO'iK'CiSiSi j 5 1
dazu häuiig Veranlassung. Die berühmtesle dieser Darstellungen
verdanken wir Peter Paul Rubens (siehe P'igur 2u6). Der Philost)ph,
M^sui^^
f.
ilan/staettgt phot.
l^ig, 206. Der Tod des Seneca (Aderlal')).
Von Peter Paul Rubens.
nach Cicero der größte römische Schriftsteller und zunächst Neros
Lehrer und Günstling, fiel bei seinen Schülern in Ungnade, und
des Kaisers Schergen brachten ihm die Todeserkläruno-. Nach
352 äiJSiKSiieisssciiö'C^iSiOtiixsiSiiiSJSiKieiißiSiKJOt Chirurgie jCtiSiSJOtSiiSts^iOtiKöiSii^SiiSJßißissiiSiOiJOtiCiiKssss
römischer Sitte suchte er denselben durch OlTneii der Adern herbei-
ZLitühren. aber seine bereits \•erl^ali^ten (letaLV' verhinderten eine
rasche \ erblutuni;, so lIaI}: der Greis sich lur eine Heschleuni^unt;
der Prozedur sorgte; er stiei; in einen Kessel mit heil.Wni Wasser.
Li'i/7'ri', /'iiris.
Fig. 207. Antike I'lastili (Marmor).
Und der große Mann, der ein Ruch geschrieben hatte über die
Seelenruhe, \erleugnete in letzter Stunde seine LebensauKassimg
nicht. \'erblutend diktiert er seinem Schüler die \'isionen des lang-
samen Todes. Diesen Ik'weis menschlicher (Jrol.W' haben viele Maler
zum \'or\vurl genommen. So steht ein (jemalde tlieses Inhaltes im
Berliner Magazin, ein Kolossalgemälde im hnijitangszimmer des
Madrider Schlosses, aber das berühmteste ist das erwähnte von
Rubens. Der Arzt hält noch in der Hand das ^Messer, mit dem
SSäKiOiiOiXSieiiCtißiOtJCiJSiCiiSSiiOiiOiiOiXSiOiSiJJiStSi^ Dl K Al)l KLAss JCtKSSiJS-ICiJCitSiSiKSSiJCi-SiißiSiCiJSSiSiiCiSiJOi 353
er eben nach Anlage einer Schniirbinde eine Annvene geöffnet hat,
und das Blut spritzt ins Becken. Interessant ist nun, dal.^ Rubens
als Modell sowohl der ganzen Stellung als auch nanienllich der
starken Getaßentwicklung eine klassische [-"lastik (jetzt im l,ou\re)
benutzt hat (siehe bigur 207).
Abraham Bosse (1610 bis 1678) hat in der bereits erwähnten
Kuptertolge an Sittenschildcrungen uns auch eine Schilderung eines
Tai
Fig. 208. Adtrlali. \'<in .Aluaham Bosse.
Aderlasses hinterlassen. Der elegante Doktor legt gerade der vor-
nehmen Dame die Schnürbinde an und sein Assistent ist nn't den
Instrumenten beschäftigt. x\lles auf dem Bilde ist schwülstig und
frisiert imd namentlich auch die Verse, welche die schon olt
»gelassene« Dame hersagt:
^iQuc hl phlclxnüiiiiL- espure les esprits
Et deschargc Ic sang de grande pourriture,
O Dicux la doucc niain l'agrcable picqiirc !
Le souvcnirL- ni'en t'aict revcnir le subriz.«
Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die
Barbierstuben auswärts k-enntlich waren durch Heraushängen des
Hollander, Die Medizin in der kla-^i>.clien MalcrL-i. j. Auflage.
23
354 JSißStiSißJSiSJSißißiOiißStStJSilKiKSiiSiCiiiKät Chirurgie JKJKJSiSSiJJiiKiCiJSissiicSiSJCtJCtJCiJSSiJOiJßiOiJCiJKSXJ^
Barbierstückes und der Schüsseln, und sicher war auch das Schild
bemalt mit bezüglichen Ciegenständen Aderlaßbinden, Schrö[it-
köpfen, Blutegeln , wie dies vielfach auch noch im (Orient, in
Spanien und anderen Landern Sitte ist.
Sieht man nun einmal hinein in die Buden, in denen die kleine
Chirurgie betrieben wurde, so hekonnnt man in seinem antiseptisch
geschulten (Gewissen einen grolk'U Schreck. Xicht nur. daß jede
Andeutung von irgendwelchen hvgienischen binrichtungen fehlt, wir
vermissen auch, doppelt in einem Lande wie 1 b)lland, jede Spur von
Sauberkeit und Ordnung. Die L'bereinstinnnung der verschiedenen
.Maler ist in diesem Punkte zu groß, als daß man an eine Über-
treibung derselben denken könnte. Es wiederholt sich mit geringen
Änderungen stets dasselbe Bild: im A'ordergrunde der Pnidiken wird
vom Meister operiert, hinten rasiert der (jeselle oder bereitet Pflaster
und Medikamente zu. Um diese .Mittelpunkte herum kreist ein 'Lohu-
wabohu von Salbentöpten, Instrumenten, irdenen und gläsernen
Behältern aller Art, Besen, Totenköpfen, Gitarren, Uten, Frink-
krügen, Glühtöpfen lür die Kauterisation, Rasier- und Waschbecken.
An den Wanden hangen rahmenlose 13ilder mit Pratzen oder obszönen
Darstellungen. Daneben odet sich eine lüde auf ihrer Stange, die so
angebracht ist, daß der \'ogel der Xacht die 'Pöpfe mit Salbe und
Mundwasser beschnnnzen muß.
l^ehlt die Pule, so finden wir Plunde in dem Raum oder sogar
Affen, und von den f)ecken hängen regelmäßig getrocknete bische
oder ausgestopfte seltene Piere. Diesem Chaos angemessen sehen die
Barbierchirurgen aus. Die Galgengesichter stecken in phantastischen
Kopfbekleidungen und ihr Anzug ist so auftallend wie abgetragen.
Die Meisterschaft in der Darstellung solcher liuerieurs besitzt un-
streitig Adriaen Brouwer; die L'nordnung der Teniersschen Stuben
macht oft den b.indruck des Gekünstelten; es wiederholen sich dabei
die einzelnen Modellgegenstände, Cjcfäße, Kupterschalen und Ofen
immer wieder. - Die Operationen selbst haben als solche nur ge-
ringeres Interesse. l{s konunen last ausschließlich nur solche Pingrifle
zur Darstellung, die der X'olkschirurgie angehören.
356 JSäK'Ciissi'S'eiStJKSiiOiiCsiSiiCiStiKiKie'SiißiKiOt Chirurgie äK-ßJCissjS'CiSSiOiSt'OiiOtXS'^SKStSiS'JSißSiißJCiStJS'ei
Tni \vcscntliclTstcn handelt es sich dabei um Ideine Eingriffe,
welche alle den /weck hallen, aiil Schmerzen und Beschwerden
dunkler Ilerkunlt ableitend zu wirken, t)der um im l\'i)rper eine
Änderung des Säftelaufes zu veranlassen. Das sind alles Mittel
und Mittelchen, die in der Alten \Wh in der einen (uler der
anderen l'oi'in seit Menschengedenken belieht waren. Manclimal
kann man aul den (jemälden nicht recht unterscheiden, welches
Kauterium speziell angew.nuil wird. Die Mienen der gepeinigten
Kranken und das versclunitzte Lächeln der Operateure bilden den
Kern der beliebten Darstellung. In gesunden Tagen lieht man es,
überstandene Getahr, erlittene Qual vor Augen zu haben. Oftmals
wenn die Abnahme eines \'erhandes oder eines Salhenpllasters
lebenswahr geschildert wurde, handelte es sich um die Ahnahme
eines Moxenpllasters. (ianz besonders bei Podagra war um die
Zeit, in der die meisten dieser Bilder ihre (jehurtsslunde erlebten
(also im letzten Drittel des siebzehnten lahrhunderts), die Moxen-
brennung beliebt. — Dieses uralte orientalische Mittel wird mit
dem Xamen »Moxe« übrigens zuerst \on Buschot (llet podagra)
1674 erwähnt, hast wie Brenneisen oder beuer wirkten die K'orrosiv-
pflaster, mit denen man Warzen, allerlei dewächse, Multerniäler
wegätzte.
Aut einigen Bildern glauben wir die Anlegung eines Ilaarseils
zu erleben. Die (beschichte des Selaceum reicht wenigstens in seiner
Anwendung bei Menschen bis zu den Salerner Cdiirurgen Roger
und Roland. (;uv de Chauliac empfiehlt es hei Augenkrankheiten
an den Schultern und am Xacken. Zur .\pplizierung eines solchen
Ilaarseils benutzte man eine llaarseilzange ('renaculum) und stach
eine rotglühende Xadel durch diese. Dann zog inan ein llaarseil
aus Rohseide oder Baumwolle hindurch.
Eine breite Anwendung und häulige Schilderung erlährt die
sogenannte »Fontanelle«. Lorenz Heister gibt als Orte, wo man
selbige macht, an: auf dem Kopie, hinten im Xacken, aut den Armen
am Ende des Musculus delloides, am lul.k% entweder an der Innen-
seite des Oberschenkels oder unter den Waden, oweil die Xalur am
JCtJvtJöivi-SJviißJCifKiS^iJviKSSiJß-JiiOiiKJCiJKäKSSiliivt FONTANELLEN JviiviiKiJiJOiJOiiviißiKSiiSiSiStiSSiiSiJiiOtiOtiOiiO! 357
öltcstcn von sclbsl hier (jcschwurc zu erregen pllci^c. IJciiii die
Mcdici haben die Natur in diesem Stücke nachahmen \vt)llen.«
/yi-r/in , Kaiserin- Frieiiricii-i lau
Fig. 2IU. Koptoperation.
Von Franz van Mieris.
Es gibt mehrere Manieren Fontanellen zu setzen; im wesent-
lichen lauten sie aber daraut hinaus, eine Inzision zu machen und
358 JKSiStSiJOiJÖJSSiißißSiiS'CiJCÜiSSiiKJKS'SKSiSS ChIRUUGU; ißSKiKiKJ^SiJOiJKSSSiJSSiiKißJßiliiCiSSKS^iSißiCiiSSS
eine Erbse in Jic llaultasche einzulegen. Fs wird clann am Morgen
und am Abend das Pllaster entlernt und ein neues aulgelegt. Ist
das Leiden geheilt, so laßt man die l'onlanelle wieder sich sehließen.
»Hort aber eine l-\)ntanelle aul zu lliel.V'U und wird am Rande blau
und schwarz, so zeigt das den l'od an. Derohalben soll mau bei
Zeiten .Medikamente einlegen, welche die beuchtigkeit wieder herbei-
ziehen; statt der j-rbse eine Kugel aus X'iolwurzel oder wnii lielle-
borus oder vom spanischen b'liegen|illaster.«
hs mag bei Betrachtung der tolgeiiden Bilder nun dem Schart-
blick des J-inzelnen überlassen bleiben, statt der bisherigen Allgeniein-
diagnose die speziellere dem j^ilde als Titel zu geben.
l:s kam dem .Maler aber weniger daraul an, irgend einen
operatixen J-ingriti subtil zu schildern, sondern das Problem, welches
er lösen wollte, war der Kontrast in den (jesichtern des janunernden
Patienten und des stoischen, gleichmütigen Operateurs. Am meisten
kommt das bei den Kopio[K'rationen zum Ausdruck, wo die beiden
Kopte mit dem verschiedenen Ausdruck dicht nebeneinander placiert
sind, so zum Beispiel auf dem 'l'eniersschen Gemälde im Prado
(siehe P'igur 209). Der Patient sitzt auf einem Bankchen in der Stube
des Dorfchirurgen. Das Aleublement in dieser ist sehr einlach. Aul
keinem der Gemälde bemerken wir ein Bett, Beweis datür, daß die
geschilderten Räume ausschliel.Mich dem Beruf dienten. Die Stühle
sind meistenteils Fässer, aus denen ein Stück herausgeschnitten ist.
Der Patient schneidet jedesmal eine scheußliche (;rimasse, aber
(jlienbar hat er dazu auch Berechtigung, da die Olfnung tles Abszesses
weh tut. l'.s lindert auch kaum die Pein, dal,^ das Pheweib sich tür
den Lingrif] sehr lebliatl interessiert. Almliche \'erliältnisse sehen
wir aut dem Bilde von kränz .Mieris im Kaiserin-briedrich-1 laus,
von dem auch ein Schabekunstblatt existiert. Pin altes Männchen der
besseren Bürgerklasse ist zu einem Ghirurgen gek'onnnen, um sich
eine kleine Operation am Kopl machen zu lassen. Wahrscheinlich
handelt es sich um einen Stirnadei'lal.^, der besonders beliebt war
bei allerlei hartnäckigen Ilaupikrankheiten: Schwindel, Melancholie,
Raserei und dauerndem Kopt'schmerz; die ak.ideuüschen Chirurgen
iO>ißJß)C>iOtißiO>SiiC>iC>!0>SiS>S>iC>i5iß!C>:jß!5!v>S>!S Sl IKXADI Kl ASS JSißJCiStJßiSiCiJOtiCSiSJÖSiSi'iOiiCiiSiiSiCiiKiSi 3 59
lig. 211. Kopfopcr.ition.
Von Malo.-
zogen in solchen schweren Fällen den Aderlaß an der \'ena jngularis
vor (siehe Lorenz Heister, Chirurgie). Der Chirurg hat sein Besteck
aut das l-enstersims gelegt und macht gerade dem Alten den liin-
stich. Der Patient kneift \or Schmerz die Hand zusammen. Im
360 -«iCiiKJCiSiStSiiJiSiiKJKiKJßiOtSiiKJCiSiSiSiiKiCt ChirURGH äßJOtJKißiKSiäßStJOtiKSiiKiKJKJKJCSieSäKäKiOSäSäOiäJiiSäK
Hintergründe reinigt eine sauber angezogene Dienerin die gebrauchten
Gerätschaften (siehe J'igur 210).
i'in ganz ähnliches Sujet sehen wir in der Cialerie zu .Mannheim.
Die gleiche l\i)iniH)sition, der (^liirurg in Ivleiduni; und llahunL!
IruKkjult.
Fig. 2 12. RückunopLTation.
Von Adri.nn Bnmwer.
derselbe, nur daß hier aulTallenderweise eine hVau operiert wird.
Der angebliche .Maler, der sich ollenbar an das deniälde von .Mieris
angelehnt hat, heißt .Malo (siehe b'igur 211).
Berühmte Pendants einer Operation am Rücken und einer am
Arm besitzt das Städelsche Institut in l'rankl'urt (siehe b'igur 212
iß!0>!0>!^S?iO!KSi«!C><KiO>!SiOtJ5-Ot!5tiSS>JK<K!0><K»!iOti^ SetacüUM äK!eiiSSS>!5!>:!S!CSS!!OtKS!5><5!!O!S>!C>:iS<0><K!0tiO> 361
und 215). Aut beiden Gemälden erreicht der Meister durch ein-
fachste Mittel die höchste Wirkuni;. Ob es bei dem l'inuriff am
Arm sich um btintanellsetzen und bei der Rückenoperation um
eine Haarseiloperation handelt, oder um «Micken« nach einer
Fig. 21;. Operation am Arm.
\'on Adiiacn Brouwer.
lustigen Raulerei und Schlägerei, ist im Cirunde ja ganz gleich-
gültig; aber die auf vielen (iemälden immer wiederkehrende Ope-
rationsstelle, die spitze Haltung der l'inger und das daneben liegende
Werkzeug spricht für einen derartigen Eingriff" um so mehr, als die
Schultergegend die Prädilektionsstelle tür die ableitende Wirkuna;
302 sßiSJSJßJKiSJOiißJOiiC^SiJCiJCSiS'CiJC^jßiKiOiiOiJCiSK Chirurgie ■<):<^:<>:<i<>:<>:<i<>:<^:<>:i>:<>:i9:<^^^^^^
dieser rcvulsionicrendcn Miiicl war. Ich weiß nicht, i.st der Ope-
rierte glänzender charakterisiert oder der die kiiilljliche Operation
l'ig. 214. Kückenoperation.
\'(>n .Xiliiacii Broiiwer.
ausübende und den .Mund zusa]niuen[iressende Jjadcr. Die l'ose
des Bildes hat Schule gemacht; wir linden diese (jrup[K' in heinahe
derselben Komposition aul manchen anderen (jeniälden aus dieser
Schule.
Auf einem anueblich von I^rouwer lluchtii; hiniicworlencn Bilde
SJsßissiSiJSiKSiiOtSiiOiJCiiKJSSiJO-siSiiSiSäiiKiK KAUTERISATION iKJSStstStiCiJßJCfJOtSiiCiStiOtiSiCiittJßiSJCit-oi 363
der Galerie Schwerin sehen wir das (düheisen in Tätigkeit treten.
Dasselbe wird von einem bebrillten alten Weibe im (Jlen i^eglüht.
Eine ähnliche Darsteilunii ist mir noch aus einer l'rivat"alerie bekannt.
Eigene Sanintlung.
Fig. 215. Rückenoperation.
Von Adriaen Brouwcr.
WO auf einem der italienischen Schule angehörenden Bilde ein alter
Arzt in den Arm einer Patientin ein (jlühcisen versenkt.
Die Kauterisation teils vermittels der Glüheisen, teils durch
Ätzmittel behandelt Abul-Kasim in seiner Chirurgie in --yd Kapiteln.
Die Bewertung dieses heroischen .Mittels durch die arabische Schule
sicherte ihm seine Bedeutung auch als Ableitungsmittel Jahrhun-
derte hindurch. So linden wir natürlich auch in Salerno, welches
364 •««^•«siiSississiKSßieiißSfiOtStiSiS'OiJSfßjetäK Chirurgif. ■i?:<i<i<f:<^:<i<:i<f:<f:<:i<>:<f^^^^
die arabischen Schriften zum 'l'eil durch die Arbeilen des ('crnstan-
tinus Atricanus kennen lernte, die ausgedehnteste Anwendun«; der
Kauterisation. Die ersten Chirurgen aus der Schule von Saleriio,
Rdi^eric) imd namentlich sein Schüler Ivoland \on ''
war, verw
Bologna tätii
arma. der m
andten das (düheisen beinahe als i'anacee.
lloUaniiisiiitt M,iil,r Aiiiiiwri lUicl;c>\) l'r. I\{t!i fiiutiin , !!antto^i-r
l'ig. 216. SctactuiiiopL-ratioii.
in dem mit vielen Miniaturen geschmückten Kodex i 582 der
Bibl. (Insanatense, der die (diirurgie des Roland enthalt, erscheint tms
aul dem Titelbilde J lippokiates in seiner babrica, der Discipulus
lüht
m der
•ornax die l-.isen und in der unleren Iveilie sehen wir
die Anwendung derselben bii l-pilepsie, Koplsclnvere und !\uminer,
Hernien und Zahnschmerz (siehe lii^ur 191). Die L'miandung der
-Miniaturen erinnert etwas an den berühmten illustrierten Kommentar
des Apolloiuus von K'ilium zu lies llippokrates" Schrilt (siehe I lernt.
Schöne's Ausgabe, Leipzig ]Ny6).
■<;i<f:<f:<f/i>:<:i<>i<:i<>i<ii<f.^^^^^^ Steine äSKS-siiSSSiSiCtiKiSKiiJSjß-eiiCiSiiiiiSiKiSiOiiöiOiiOt 365
Im LoLivre hiini^t noch ein ]-5r(Hi\vcrsches Gemälde, bei wclciiem
der Mittelpunkt das schmer/lieh verzerrte Gesicht des Operierten
bildet. Alles andere ist in Dunkel gebullt; nur bei näberem Ik'-
trachten erscheint ein Arzt hinter dem an einen Stuhl Angebundenen.
Dasselbe Bild wie das Louvregemälde, nur ganz vom Prolil aus
gesehen, zeigt Figur 213; daß es auch hier dem Meister in erster Linie
darauf ank-am, nur die schmerzverzerrten Züge zu zeigen, beweist der
Umstand, daß auch hier die Operation angedeutet und nur das
Gesicht bis ins Kleinste ausgetührt ist.
Solche Gesichtsverzerrungen zu schildern liebte Meister Brueghel,
und mit Recht schmückt sein Werk*) der famose und seltene
Kupferstich des gähnenden Bauern.
Im Gegensatz hierzu steht ein holländisches Gemälde, welches
dem Kollegen Kautmann in Hannover gehcMt. Hier sehen wir alles
gleichmäßig beobachtet und geschildert. Der Patient hat die linke
Schulter entblößt und der Doktor ist t)ffenbar im Begrifie, dem an
Neuralgie oder Gesichtslähmung Leidenden an der Schulter eine
Fontanelle zu setzen (siehe Figur 216).
STEINE
Als ein charakteristisches Zeichen für die wirtschaftliche Entwick-
lung und die praktische Auffassung der Chirurgie des Mittel-
alters darf es gelten, daß die wenigen Operationen, welche, wenn
man so sagen darf, populäre Bedeutung hatten, handwerklich von
spezialistischen Fmpirikern betrieben wurden. \'or der Ausübung
dieser Sondereingriffe hatten die gelehrten Mediziner und Universitäts-
Chirurgen dieselbe Scheu, wie eine solche schon von Hippokrates in
seinem bekannten Eide bekundet wird. Offenbar leisteten, und dies »mit
Gottes Hilfe«, die fahrenden Spezialisten, die Okulisten, Bruch- und
Steinschnittärzte in ihrem ererbten Metier mehr als die (ielehrten der
*) Les Estampes de Peter Bruegel taiicien jiar Rene van Bastelaer, Bruxelles.
366 «?<SS>SiiC!!SSi«'CiiSJC>-StJSJSJSSiJS?KJS'«S>S!!SSS StEIM StStSiStJS-StJKJSiKiSiK-CSSiiCiSi-OiXliiSiSiS-iK^lJOiieiSSJS
medizinischen l'akultät. Neben dem Aderlal.^ und den chirurgischen
sonstigen kleinen Hedürtnisscn des täghchen Lebens hat demzufolge
der Starslich und der Steinscbnitl auch in dem Kuhurleben der
XoHver sinntahige Spuren hinlerhissen. Wir haben Iruher zeigen
können, wie die Keah'slen der Ahdkunst, die liolknidischen und die
llandrischen Meister mit breitem Behagen das Tun und Treiben der
Baderchirnrgen und ärzthchen Scharhitane geschildert haben. Wir
erinnern an Rembrandts mehrlache (jennilde und Zeichnungen, der
unter der Maske der Hngelsheilung des blinden Tobias Staroperationen
malte. In folgendem wollen wir, da die Xierenchirurgie, einer der
jüngsten Triebe der modernen Cdiirurgie, leider als Par\enü noch
kein historisches Interesse beanspruchen kann, uns mit der Kunst-
historie des Blasensteins belassen. Wohl das älteste und gleich-
zeitig künstlerisch bedeutendste plastische Denkmal linden wir an
Tilmann Rienienschneider's Grabmal Kaiser Heinrichs II. im Ham-
berger Dom. bäne photographische Reproduktion der Szene bringt
Seite 47 der »Karikatur imd Satire in der Medizin«. Durch gütiges
Entgegenkommen und Verständnis des Bamberger Domkapitels konnte
ein künstlerisch ausgelührter Abguß der mediko-historischen Samm-
lung des Kaiserin-Friedrich-IIauses zugelührt werden. Wir sehen
aul dieser Skulptur, wie der Kaiser, naiverweise mit der deutschen
Kaiserkrone aut dem Ko(ile, nackt das Hemd war damals noch
nicht erfunden — in seinem Bette liegt, neben ihm ein Benediktiner-
mönch, der in der Rechten das "roße Steinmesscr, in der Linken
den eben entlernten machtigen Blasenstein hält, den er dem l^)hen
Patienten in die Hand gibt. Die edlen Züge iles Kaisers und die
gespreizten Zehen verraten die ausgestandenen Schmerzen. Zur Seite
sitzt, leid\()ll nachsinnend, eine wundervoll gearbeitete und geist-
reich konzipierte b'igur: die vergeblich auf Hilfe sinnende Medizin.
In majorem gloriam Dei verrichtete dies Wunder der heilige Benedikt
um das Jahr looo herum. Um dieselbe Zeit ungelähr, als der süd-
deutsche Plastiker für den Pjamberger Dom das (irabmal dieses deut-
schen Kaisers meißelte, wollte der lrankeid<onig Ludwig XL sich von
Germain Collot von seinem Blasenstein belreien bissen. \'orsichtig,
wie er war, ließ er sich auf dem Scverin-Kirchhcif im Januar 1.174
die Sache zunächst an einem anderen Patienten, ant^ebiich einem
zum Tode verurteilten \'erbrecher, einmal vormachen. Diese dra-
matische Szene hat Rivoulon so historisch treu, wie er das nach
vierhundert jähren einigermaßen konnte, der \'er,i;essenheit ent-
rissen. Man findet dies Bild aut Seite 3 i der genannten Arbeit. In
Parenthese muß allerdings hierzu erwähnt werden, daß der histo-
risch beglaubigte älteste Vertreter der berühmten Lithotomistenfamilie,
der Familie Collot, der Arzt Laurent Collot war, der den Mariani-
schen Apparatus magnus von seinem römischen Freunde Octa\ian
de \'ille gelernt hatte; zufälligerweise war es wieder ein Heinrich 11.,
aber von brankreich, der diesen Operateur veranlaßte, sich in Paris
als königlicher Feibchirurg dauernd niederzulassen. Diese Würde
vererbte sich aut dessen Söhne; von ihnen erzählt der berühmte
Ambroise Pare, daß sie ihm ihre ausgeschnittenen Steine für seine
Sammlung geschenkt hätten. \'on da an war das (ieheimnis, das
zeitweilig wie das italienische \'erlahren der Nasenplastik nur auf
zwei Augen geruht hatte, in allen Händen. Aut den iVFirktschrei-
zetteln der fahrenden Ärzte des sechzehnten lahrhunderts finden wir
meist vornean schon, daß sie sich rühmen, den Stein zu schneiden
»mit Gottes Hilfe«. Will man eine richtige Wirstellung haben von
der gediegenen Kenntnis und dem großen urologischen Können eines
solchen nichtakademischen, sondern zünftigen Steinschneiders, so
lese man das Kunstbuch des Georg Bartisch, ^iderinnen ist der gantze
gründliche vollkommene rechte gewisse bericht und erweisung vnnd
Lehr des Hartenn Reißenden Schmerz hafltigenn Peinlichen Blasenn
Steines«. Fs ist das derselbe Meister, der Acw berühmten »Augen-
dienst« geschrieben und dessen 1575 vollendetes Steinschnittbuch nur
im Manuskript existierte, bis der Berliner Arzt Dr. .\Ftnkiewicz \er-
dienstvollerweise es 1905 im Druck erscheinen ließ. In diesem sind
auch die vom .Meister selbst künstlerisch ausgeführten Fistrumente und
Operationsszenen wiedergegeben. Als letzte Ausläufer solch reisender
Spezialisten aus dem Faienstande finden wir auch in schwarzer und
Schwarz-W'eiß-Kunst mehrfach verewigt den Frcre Jacques genannten
368 S^JSiOiiOti^JSäOiiSiOiißJSiOisSJKiK^'viiCiiOiiKSiJOiiOt STEINE 3KäKJJ>iCiiS!SiSiKSiiCiiK!0!J«Si!SS*J>:St!KSiiSiO!!0>iSti5t!K
Stcinsclincidcr Kr\|ucs l^oilicu ani 1-iuic des siclvcliiilcn |,ihrluindcrls
in l'aris, der /uersl den späler von dem Holländer Kau vervollkonini-
neten seitlichen Selmiu aul dem i;elurclilen Katheter ans^eliihrt hatte.
Beinahe weitere hundert Jahre s[iater machte sieh ein anderer Hrere
Cosme sowohl durch das Lithotome-Cache als auch durch die kom-
binierte Sectio alta bekannt. Die Stiche dieser beiden im Monchs^ewand
wohl mehr zu Reklame/.weck'en porträtierten Steinschnittkünstler
machen durch das Kontradiktorische ihrer Darstelluni; einen i;ewissen
Kindruck. Sie stehen da im i^eistlichcn (lewande mit dem großen
Stcinniesser in der Hand. Um diese /eil herum hatte die akademische
Chirurgie in allen Kändern ihren mehr doktrinären und konser\'ati\ en
Charakter aulgegeben und war ihr durch die Aulnahnie der Bader-
chirurgen und der Kmpiriker Iruher oder später Irisches Blut zugeführt
wt)rden. Aul einem Amsterdamer großen (jemälde, von Meister
Quinckard 1737 gemall, sehen wir die \'erlreter der Chirurgengilde
versammelt; ilmen hält Abraham Tiisingh, ein chirurgischer Self-
mademan und zuletzt holländischer Slaalssteinschneider, einen \'ortrag
über diese hohe Kunst, unter Demonstratiiinen einer großen Reihe
operierter Steine und angewandter Instrumente (siehe Figur 39).
Alle s[-)itzrmdige Kunst der Kithotomisten und alle Zweilel und
Bedenken wegen Peritoneum und Blutung \ermied mit einem kühnen
Grill ein junger Holländer. Ciequält xon lurchtbaren Schmerzen,
nahm er ein Messer, stieß sich dasselbe in die Blase imd holte sich
eigenhändig den großen Stein heraus. Und dabei hatte der .Mann,
der sich selber blutig kurierte, den ominiisen Xamen »Doot«. Aber
er machte seinem Xamen keine bdire.
Das Nürnberger dernianische .\luseimi bewahrt unter seinen
Kupferstichen die Abbildung eines Messers, daneben ist ein Stein
liniiert, und in seiner Kichtung stehen einige \'erse, die imgefähr so
lauten: Anno 1651 aus Pein und Not hat |an de Doot Courage
irehabt und nicht uezuckt mit einem schmerzvollen Stich durch
seinen Leib mit (jottes .Segen den Stein durch einen Schnitt aus
seinem Leib geholt, im \ierteu .Monat am tunlteii lag. Diese Ab-
bildung ist nur ein Ausschnitt aus einem lliegenden Blatt, welches
JOiJKOiiOtSiJßKSiKiKSiJOtj^iiOiJKS^jSiSJCiißjKJSiKiOi Selbstoperation sßS'SXJCiSiJOiSi'CtJOtStSiJKJSiOiJöiO'issiiKäK 369
gewissermaßen diese historisch bcijlaubii^te Selbstoperation notifiziert;
in Leiden hängt jetzt in I^oerhaves Laboratorium das Porträt dieses
|an de Doot, welches Professor Tendeloo zum Zwecke dieser Publi-
ipMm
^
F.y. 217.
Jan de Doot mit dum von ihm seihst sich 165 1 exstirpicrten Rl.isenstcin.
kation so liebenswiirdig war, tur mich photographieren zu lassen.
Wh sehen den Holländer mit dem .Messer in der einen Hand und
den selbstexzerpierten gänseeigroik'n Stein in der anderen abgebildet.
Die Urkunde, das Messer und den Stein in einer Metallkapsel habe
ich mit photographieren lassen. Es sei noch bemerkt, daß alle diese
H'>il ander. Die -Medizin in der kla^^ische^ -Maler
.Aufl.,se.
24
370 äHK«!'«JS'«iS'«JJt<5StSi!iß!C*iö<S?XS«!0«i!CiSt!S Steink ■Ot<SiKiKi«-«SiSiS^«>:!«!iC><KS>JSStStiCt«>S>!KStie>iKSKSIi
Doot-Üriginalien von Professor van Lccrsuni aut der Ausstellung
zur Geschichte der Medizin in Kunst und Kunsiliandwcrk in Berlin
1906 ausgestelh waren (siehe Figur 217).
Es bedarf keines erneuten Beweises und jedem Gebildeten ist
die Tatsache bekannt und geläulig, dal,^ in den \ergangencn Jahr-
hunderten vor allem die Hand der romischen Kirche das Kulturleben
am Zügel hatte. Wenn einerseits der Klerus der Entwicklung der
naturwissenschaitlichen Medi/in überall dun llenniischuh anlegte und
leider da am meisten, wo es bergaut gehen sollte zu der lichteren
Höhe voraussetzungsloser Kritik, so darl anderseits nicht vergessen
werden, daß die Kirche in der Waherrlichung ihres Kultus die Aut-
traggeberin iür die sclu)nsteii Kunstwerke war und daß sie dadurch
die darstellende Kunst mit ihren reichen Mitteln torderte. In diesen
religiösen Kunstmakrokosmus hinein lügt sich als seltsame Mischung
einer religiös-medizinischen Beziehung die Sanunlung Nürnberger
'l'otenzettel, die wir in tolgendem besprechen wollen.
Unter den lliegenden Blattern und Hinblatldrucken mit Ik'zug
aul Medizin, deren .Samndung ich mir seit laliren angelegen sein
lasse, befanden sich vier mit einem ziemlich gleichlautenden Inhalt.
Zu diesen kam ein tüntter, den die Direktion des Xurnberger Ger-
manischen Museums so gütig war, mir zur Publikation zu über-
lassen. Das Gemeinsame dieser einen Zeitraum von beinahe hundert
Jahren umlassenden Blätter (\-om Jahre 1616 bis zum Jahre 1752)
ist, daß aul ihnen Blasensteine in Kupferstichen und natürlicher
Größe abkonterleit sind, welche meist durch Sektion (in einem balle
durch eine Üpieration) gewonnen wurden, bdn zweites wichtiges
Moment ist. daß alle diese Blätter aus Xurnberg und meist von
Predigern staunnen, und drittens als besonderes CharakleriNlikum,
daß das .Steinleiden in poetischer bOrm zu überschwenglichen reli-
giösen Betrachtungen benutzt wurde. Soweit ich dies konstatieren
konnte, ist von diesen Blattern nur das älteste von Hermami Peters
in seiner Monographie »Der Arzt und die lleilkunst« bisher bekannt-
gemacht, ohne aber daß diese Wiedergabe im Text eine l'rklärung
findet. Wir dürfen wohl mit Sicherheit annehmen, dal,^ es sich bei der
iKJKiKSi-jtJO-iOi'SJCiStJß-Ot-OiiKiOiiOiStiSäK SÜDDEUTSCHE ToTENZETTEL iOt!K!0>>o>!0!J^s>:!C!iO>siS><KJC>!0>!0!!« 371
Ausgabe solcher Totcn/cttcl um eine süddeutsche Sitte gehandeil haben
mag, und daß ein <.
lückhcher Zulall mir diese wenigen in die lläui
gespielt hat, während manche andere \-erldren gegangen sein mögen
w:^l'llu^vTlb^'^UJC'. Iti) vv.^nuiif <"\iiiiiint 1v11r11iLL.11; i^l-v^lc^
j(;anicipnr>Bib{iotlicc_ario.b.m.iiacb?«iitl(>öi aü(? Cvr'\>am,
^'bld^cnalti'liücni)ac(lhnittfrt iiviCirt "fm ■? Nov: A° \6^6j3^
cnJeni Civilis.
. axxXxn !^llMturncnltlt(1't<rlDldc•'lV'^IC>F<J\•r^>r;
~I?^e? jTÖtiiTncn'^cr;n5(^!,ki>uit nut lUclnui üttritniiÄn:
>*$. r licf^^ict?T»Uii^fvc)nvö iSona tvü Icn' t iixCVn,.
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'Um.
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jVcüiV PoU, r^' r fa ix lirl.vr
ixljnt für cuicXVoix lou^_tu ^f m ftunmf ( nxnitn .
Q/ c^tldctjUiüi 'i?,'harm>?tKfiflrt'i'iU(^ri'.
Fitr. 218.
Auf dem ersten Blatte (siehe Figur 218), von dem auch das (jer-
manische Museum ein Exemplar besitzt, sehen wir einen Riesen-
bhisenstein abgebildet von 9 cm Lange und 7 bzw. > cm Breite, so
daß man bei gutem Willen eine Ilerztorm herauslinden kann. Zu
diesem Steinherz, das der Prediger bei St. Sebald, Johannes Saubertus,
zu Lebzeiten bei sich trug, schrieb sein Kollege |ohann Michael
Dillherz 1646 das beigetügte Gedicht.
37- JCSSiiSi^iKXSäiieJOiSiSiSiStiOtSiJSiKiKiSJOiJSiOtji» StKINK !SS>!C>JS!0><S<ßi«!Ct<SiC><>SiiSS«^"<X!0>JSiOi<KS!<0!JS<SSt
In n.ilicii Bczul; zu diesem Irühesten niedizinisch-[H)etischen
Totenzellel wollen wir gleich den s|xite.sten l^rin^en, weil er eben-
talls einen KultusbeanUen der St. l.t)ren/.kirehe betrifft und der
Diakcin der Kirche, Alberti, die [loetische (irabsebritt dazu gemacht
hat. Dieses Doppelblatt, w^n welchem die rechte Hallte die Abbij-
dmii; von neim Blasen-, Cjallen- und Xierensleiuen auslüllt, zeigt
aul der ersten Seite gewissermaßen den wissenschaltlichen Sektions-
bericht*).
Dieser SteinbelLuid er|ireLUe aul Begehren sämtlicher hinterlasscner
luben zu letzten lihren und gutem Angedenken seinem gewesenen
Beicht\ater, dem Diakon derselben Kirche Augustus Alberti lolgendes
Poem, welches aul der Rückseite steht:
Grabschrilt des Sccligcn Herrn Cinloris l-'rcuiuis.
Es .sang Herr Cantor 1-reund recht als ein Virtuos
nach netter Kiuist-Manier türtrefflich seine Psalmen;
Trug aber in der Call der Nieren und im Schos
ein grausams Dornen Weh, jetzt tragt Kr l-'reudcn Palmen:
Der Glaube war sein Sieg, sein Heyl die Lebens Cron,
singt nach viel •'\ngst Geschrei nun stets den Jubel Ton.
Diesen Drucken reiht sich an das Doppelblatt mit dem Riesen-
blascnstein, der, 29V, Lot schwer, am 13. Juni 1727 »von Tot. Tit.
l'rauen Maria Anna LöfFclhölzin von (^olberg aul Steinach usw.
geborener Paumgartnerin von Uolenstein sei. Andenkens nach
ihrem gottseligen Abschied zu jedermanns \'erwiinderimg geschnitten
und daraul als ein des Mitleidens würdigstes Denkmal hier in seiner
Groß imd Schwere \()rgestellt, ins Kupier gebracht worden« (siehe
Figur 219). 42 . 23 cm groß.
Den Kopt des Blattes nehmen die von Palmenblätlern ein-
gefaßten \\'a[ipen der Dame ein. Die andere Seile tragt an der
Spitze einen lh)lzschnitt lier l^lasenstein ist ein Ku[ilerslich —
mit der Allegorie der schmerzgequalten Dulderin aul der einen Seite,
die aut der andern .Seite mit der Krone belohnt wird; in der .Mitte
die AuterstelumiJ mit der Cberschrilt »revocat sublimit)r aiira«. Das
*) Abbildung in der Berliner klinischen Wochenschrift 1908 Nr. 5: Holländer, Der
Blascnstein in mediko-historischer Beziehung, Tig. 3 a und 3 b.
<Ki«>SiiK>0><5>>KJ0>!ß!SS(!5iXS!0tJ0>!5!Si<0!!CS SÜDDEUTSCHE ToTENZi Tl 11 •OüSi'OiSiiKSiJSiJiJJXiSiKiKiOiJCisSiOi 373
Sollte ntcf)t^ m meinem lief)/ iud)t^ »on
meinem iammer geigen?
n)irl) Do* biefer fC^tPCrC fttcin meine
Pci)mer5enniei)erfcf)U>eiöen!
5 < ^ ..-4i
9[n. 1727. bcn 13. Sunii i(? biefcr öuiTcrorbfntlic^-grojTe unb f(^mci>
lid)c@tfin/bcr29i.£otnälr/ponTot.Tit.^tClUCn||^nilCl
iJaumgdrtiittin ^n^n .^ouniim, fcc(.iiit>cnfen^/
nad:)Sl)K"i ©otlfeliäc« ?lbfcf)icb/ p )c^ernlllmI* ajctmiiiibctuiiii aefchiiitien, imb
ijatduf alö cm bcö 9)JitUii?cii!> rcürl'Kirce? Scnfnuil , biet 111 feinet ©top unt>
<£(f)mecc uoroieilcUt/ 111? SViipfcc gebracht roorben.
XlurnbfCg, gcScucft bei) iJocciij ZSiclinij
l'ig. 219.
darunterstehcnJc mit Riescnlcttern gedruckte Cjcdiclit hat des hohen
Trauerhauses untertanii; verbundenster Diener AI. Christoph Bezzel
374 ssstJKStSiJKJSSiSiStißSiJöißStJßJXiJiötJSiCiiftSt Steine siestJSiSiKJKiCiiCitSisx-SiSiSiKSiJKJSJKStJOiSiiKSiStJOiSt
P. L. C. Pcisi. Pcringersd. einer edlen Streiterin Jesu Clhristi mitleidigst
verehrt, um dieselbe in der (lemeinde der Keehtulaubigen erbaulich
zu verewigen:
Hier Leser! siebest du den seltnen Jammer-Stein/
den Frau von Löffclholz in Lamms-Gedult getragen.
bcy so gchäutftcr Last und unerhörter Pein
inuss .Mara Sorgen-voll mit jenen Frommen tragen:
Wer wälzt den Stein hinweg? wer nimmt die Last mir ab?
zeigt sich kein Holen -Stein! mich wieder zu erholen?
wird Stein-.\ch! mir zu theil? und bleibt mir; bis ins Grab;
ein Stein mit \\'eh und Ach zu schleppen anbefohlen?
Ach ja, GOtt legt die Last mir selbst zum besten auf!
muss jener Sisyphus sich sonder Ruhe quälen?
so krönet die Geduld das Fnd von meinem Lauf/
der Grabstein läs.st mirs nicht an voller Hülfte fehlen.
Im Tod fühl ich die Last in lauter Lust verkehrt;
mein Stein bringt Jacobs-Trost: ich seh die Himmels-Leiter!
bev Salems Tempel-Bau,' wo man kein Ach mehr hört,'
bin Ich ein neuer Stein! Nur nach! gekrönte Streiter!
Bei dem Worte llolenstein wird in der Anmerkung gesagt:
»Hier wird als ein besonderes Geschick angemerkt, daß unsere
Seelige, die sich von llolenstein imd von Steinach geschrieben, auch
zu außerordentlicher Last der Steinschiiierzen ersehen gewesen.«
Das Gedicht war offenbar noch nicht deutlich genug.
Bei Sisyphus stein die .\nmerkung: »In diesem Ciedicht von un-
aufhörlicher W^älzimi; eines uroßen Steins iiaben schon die Heiden
die Unendlichkeit der ll()llischen Plagen abgebildet.«
Was nun bemerk'enswert ist an diesen kulturhistorisch so inter-
essanten Blättern, ist der Kontrast zwischen religiöser Schwärmerei
und dem staunenswerten Grade der Aul klärung, der darin liegt, daß
Angestellte imd Jk'amte der Kirche in dieser Weise öflentlich das
Recht einer wissenschaftlichen Autopsie anerkennen und daß sie
selbst in Noller Konsequenz dieser Anschauung sich selbst sezieren
ließen.
Idn weiteres Blatt (siehe l'igur 220) zeigt einen Kupferstich von
Johann Jakob Sandrart: die untere Hallte desselben lununt der weinende
kleine Johannes mit dem Kreuze und das symbolische Länuncheii
Stielt ''OH Sandrart.
FiCT. 220. Steine, so bev Paul Loersch (f 1681) Handelsmann in N'ürn-
bc'i-n; nach seinem Tode gefunden worden.
3/6 iCtJKiCiiKJSJKiCiiiKJSSKSSiOiJKStJSiKJKStJCiJSiOiJÖSK Steink jß-eiiKSiJKjSJSiOtJSittJSiKiCtiKSS'eiJSJKiKJJiiKiOiiO'iSJSJiX
mit
Icr Doriicnkrunc ein; darüber sehen
wir einen uroßen Blasen
stein in einer Kaiisel, ein umgesehülleles G
, ---- ,-^-. -.as inil einer Unmenge
von Steintragmenten und noch achl größere uiul l^leineie Nieren-
steine. Dieses l^hut trägt a tergo die /usehrilt: Steine so bev Faul
l.oerseh i6Si, Handelsmann in Xurnberg gefunden wurden. Die
Zeitangabe erscheint richtig, weil der Kuiiferstecher Sandrarl, .Sohn
des bekannteren hVanklurter loachim, id^^.S in Nürnberg starb. Das
ßui\MerSihm{riinih'in-, .UrmitbCcUnJ iicpliufirlr;-
7>ni^!^ iriirjüih hiilfc A^on Vi>n tptt .liirihjizt.-s ttanJ,
■ Ihm lai'cib Jas er muh jelüi vom tatttcf harnt
■■■.ri!,il-'V,£:mr. /■■-;f.-,'t.-;-l7vi./ur jhtn l'nd hruch Jr-k-
Fig. 221.
Aus dem Bestand des German. Natioiialmuseiims in Nürnberg.
folgende Blatt (siehe l'igur 221) ertüllt zwar mit Wahrscheinlichkeil
alle drei cliarakteristischcn Merkmale dieser Nürnberger l^lasenstein-
blälter, fällt aber doch insotern etwas aus dem Ivahmeii, als es sich
nicht um ein Sektionsresultat, sondern um das bj-gehnis einer glück-
lichen Operation handelt. Wir erwähnten bereits solche Abbildungen
von bei .Menschen getundeiien l-remdkorpern. Das Interesse an be-
sonderen Naturerscheinimgen und anderseits die Ireude an Raritäten
und Mißwuchs erklärt es, dal,^ namentlich in Suddeutschkmd eine
große Reihe solcher liinblattdrucke erschienen und gern gekaull
wurden, (jewissermaßen als gemalte Krankengeschichten und Denk-
mäler der Chirurgie kcMinen solche Abbildungen dienen, wie zum
Beispiel das Blatt aus dem (jermanischen Muscmn, auf dem ein
Gallenstein von beinahe (S cm Länge abgebildet ist und darunter
■Pi. l,Mv|t
\'xiivn (^ciii Oiann \:in]lt\'i-U te!>i' Stirn ^
-lg. 222.
3/8 äKStiSsSiSiöSiißSiSSSiSiiCtiSJCiSiliSSiStJCiStiKJß Steine 5Kißl«!KiKJKiö<KStiS!0iiCii*SiS!CiiC«ilC>iß>K!0tS>!K<KiC>J6-
die ^^'orlc: Anin) 1611 die S octub: 1-x vesica tellis Gen. Comitis Jo.
Gerardie a .Manderscheit Dum. in Gerolstein luiius hinnae lapides
cxemil Jiiannes l-abricius M. ür. Auch hierzu isl zu bemerken, daß
dieser Doktor nicht mit dem i;leichzeitii; lebenden berühmten l'abri-
cius Ilildanus, der 1(15.1 starb, verwechselt werden darl, sondern ein
Mitglied einer bekannten Xürnberger Arztiamilie gewesen ist.
l^er i6)2 durch Herrn Benedikt \\'ideman bestellten Oculist,
Stein- und Brucharzt einem 31 jährigen herausgeschnittene \ierLoth
schwere Blasenstein trägt nun die Worte aus Jesaja: Der Herr
züchtiget mich wohl, aber gibt mich dem Tode nicht. Vm] darunter
das Gedicht:
Di.s ist der Schmerzenstein, der mich so lang geplaget,
Doch aber maclite nicht, das ich an Gott verzaget,
Drunib mir auch hülti'e kam von Gott durcli Arztes band,
Ihm sev lob das er mich gelöst vom Todtes band.
Es kann nun kein Zufall sein, daß alle diese Zeichen der Aut-
klärung und der .Sitte, die Todesursache wissenschaitlich testzustellen
oder sich, wenn möglich, mit Erfolg operieren zu lassen, nach
Nürnberg hinweisen. l:s braucht nur daran erinnert zu werden, daß
diese süddeutsche Kapitale die X'orburg wissenschaftlicher b'orschung
war, und daß zu einer Zeit, in der in llohand die anatomischen
1-orschungen mit einem wahren leuerei kr betrieben wurden und
mit der Renaissance der Anatomie auch der \eid~iau der modernen
Medizin fundamentiert wurde, die deutsche Siadt sich ihre gelehrten
Stadtärzte von dort holte und dadurch die nationale Kunst förderte.
VoJcher Coiter hatte schon ijyo im Nürnberger Refektorium des
Predigerklosters imter einem derartigen öllentlichen Zuhiuf Sektionen
vorgenommen, dal,^ es zum öfFentlichen Ärgernis gekommen war;
späterhin gab der Nürnberger Senat nur noch die Erlaubnis zu
Sektionen, wenn »solche Anatonu'a in der Stille vei richtet und nicht
zu viel Eeut zusehen«, damit kein Aiülaut entstände. Ähnlich wie
in Eeiden imd Amsterdam war auch hier es gewissermaßen modern
geworden, anatomische Keiuilnisse zu besitzen, b'and man dann,
sei es durch Operatit)n oder Sektion, Bemerkenswertes, so bot der
■CtSSJStS'StS'Si-OiißiOtiOiiKiSiCi-SißiOiißS! Si iiDi i is( iiH Totenzettel ssäKiS'OiSiJßSi-SiiSJSSiSiJSiKSiiK 379
Einblattdruck die gewünschte Gelegenheit der Mitteilung. So findet
sich unter den Nürnberger Dokumenten zum Beispiel noch ein
Bhtsensteinbefund mit Abbildung und der Zuschrift: Calculus e vesica
Beati Heinnii Consiliarii Intimi Saxo-Coburg. Excisus 1689. 9 Loth
*'. Quint. Bei anderen operierten Fallen steht in schlichten Worten
notiert, wer den Stein entiernt. Man machte nicht viel davon her.
Diese Sitte der Glorifikation von Predigern, die gewissermaßen
eine innerliche Dornenkrone zu Lebzeiten trugen, der W'rqinckung
von Sektionshetunden mit malerischen und poetischen Erzeugnissen
führte zu einem graphischen Denkmal, welches ohne die voraut-
2:egangenen Notizen unverständlich ist. Ein Prediger Ursing setzte
es seinem Regensburger Kollegen Lang; unter dem übrigens vor-
züglichen Porträt, das Benjamin Bk)ck (1631 bis i6yo) aus Lübeck
gemalt hat, sehen wir einen 2', Lot schweren Nierenstein mit dem
Uretertortsatz. Im übrigen befindet sich hier der Dichter in Noten,
denn es war kein Schmerzensstein, wie in den anderen l'ällen,
sondern nur ein zufälliger Sektionsbeiund. Die Macht der Tradition
allein veranlaßte seinen Kollegen, diesen Calculus gewissermaßen
als Leistung seines Lebens unter sein Bildnis zu setzen, als seine
bedeutendste Tat. Oder sollte außer traditionellem Beweggrund
noch ein versteckter maliziöser vorhanden gewesen sein? Von einem
«Kollegen« kaum zu erwarten trotz Hesiods x\nsicht:
»Töpfer zürnet dem Tt>pfer; den Zimmerer hasset der Zimmerer;
Und so meldet der Bettler den Bettler, der Sanger den Sanger.«
DIE AMPUTATION
Die große blutige Kirnst kam bei den Leuten in Mißkredit durch
die Amputation. Das niedere \'olk grollt gedankenlos dem
Manne, der mit hilfreicher Hand dem Kranken ein Glied absetzt.
In seiner Gedankenfaulheit sieht es in dem Meister der Chirurgie
nicht den Erretter vom sicheren 'Lode, sondern nur den verstünniieln-
den Operateur. Es verwechselt Krankheitsursache und Krankheits-
38o KSjJiiöie'iS'öiöSiiSiiOtiCiiOtSXiSiß'OiSiJSiCitSit Die Amputation äKiKieiStJCiJSSiJOtJOiKXJSS'SiKXiSiCiJOiJOiSiJCtSiJCi
folsre. Vnd doch haben schnn im Altcrtumc mutige Ärzte den Ein
o*
grift gewagt. Der tmlselireitende l^raiui war hierlür zwingender
Grund. \\'egen der Blutungsgelahr, deren Beherrschung noch die
größten Schwierigkeiten machte, begnügte man sich in der lii|-)pc)-
kratischen Periode damit, den br.mdigen Teil iK)ch im Kranl<en im
(jelenk abzusetzen.
Die s[xUere Zeit erkannte das Nutzlose und Unzweckmäßige
dieses \'orgehens. Schon im ersten Jalirhundert nach Christus
empliehh Archigenes den ZirkeLschnitt im desunden, die Konstrik-
tion und die Unterbindung der Gefäße in der Kontinuität.
Mit großen Nadehi wiu-den die Gefäße umstochen und Massen-
ligaturen angelegt. Celsus liatte schon vorher den W-rsuch gemacht,
einen tragfähigen Stumpf dadurch zu erzielen, di\& er nach Abtragung
in der Deinarkationsebene die ^\'eichteile hochztig und den vor-
stehenden Knochen so hoch wie möglich durchsägte. Besonders
auttallend ist es allerdings, daß Celsus dabei gar nicht erwähnt, wie
man die Blutung beherrschen soll.
Der erwähnte Syrer Archigenes, der unter der Regierung Trajans
zu Rom lebte, erfand nicht nur die prä\entive Blutstillung, sondern
wandte auch die Kälte an. Durch diese scheint er aber im wesent-
lichen nur den Blutverlust beschränkt haben zu wollen. Die trotz-
dem eventuell entstehende Blutung stillte dieser Arzt, für dessen große
Popularität des Juvenal Satiren Zeugnis ablegen, mit dem Brenneisen.
W'w wollen an dieser Stelle bemerken, daß uns keine Säge aus dein
Altertum bekannt geworden ist, welche den Dienst zweckdienlich
erfüllen könnte. Die wenigen l{xemplare, die nach der All unserer
Stichsäge mit feiner Zähnung gebaut waren, sind so schwach, daß
die Operation eine wirkliche Tortur gewesen sein nuiß. Auf \'asen-
bildern sehen wir gelegentlich, il.il.^ auch die zweihändige große Säge,
die Bogensäge und die auch heute noch moderne Schrotsäge, aller-
dings zu anderen technischen Zwecken im (iebrauch war. Die
nächsten tausend lahre zeigen auch für die Geschichte der Ampu-
tation ein trübes Bild ohne Glanz und l.ichl: \'erlall und \'erlust.
Der Sieg der arabischen .Medizin läßt es verstehen, daß Heinrich
jOiiKSiiOtJCtiKSiiCiJCtiKiSiOiiOiiS!« Das Wunder des Kosmas und Damiax !0i!^!5!K)ßJK!5!iO!0>:i0i!ßä> 381
von Mondc\illc Jas dluh-
cisen nicht nur zur Blut-
stilluni; bcnut/t, sondern
sogar zur üurchbrcnnung
der Weichteile selbst. Abul-
Kasim führt die Amputation
mit dem Messer /wischen
zwei Konstriktionsbändern
aus, von denen er das obere
von einem Assistenten wäh-
rend der Operation an-
ziehen läßt.
Bei diesem Autor lin-
den wir nun zum ersten
Maie Blattsägen und zwar
große und kleine Bogen-
sägen abgebildet.
Botallo hatte den \"er-
such gemacht, die Abset-
zung der Cilieder, zunächst
überzähliger Finger, durch
eine Art von Guillotine zu
bewerkstelligen. Doch fand
dieses Verfahren wenig An-
klang.
Einen k'ortschritt in
dieser Technik bedeutete die
Wiederautnahme der Gefäß-
unterbindung durch Am-
broise Pare. Er emplahl das
Absetzen der Glieder im
Gesunden und die Unter-
bindung der blutenden Ge-
fäße. Mit dem Verbot der
hrancken.
Fig. 22?
Aftf-i'.'crpen-
Das Wunder des Kosnias und Daniian.
3S2 iß-KJOtStiOis-stStiCtJSSiißiSieiiCi-iSStiOiSiiJt Dm Amputation äOSKSiSiStiOjSiSiiXSiSK^iCiSiiOiStiSsssiSiiiiStiOiJS
Berührung des (Jlülicisens an den Knochen verhinderte er die lang-
wierigen Knochenabstoßungen. Die Gefäßhgierung bestand sowohl
in mehr oder weniger isolierter Unterbindung des blutenden Ge-
tanes als auch in Massenunterbindimgen; doch auch die präliminare
Unterbindung des Ilauptgefäßes nach elessen l'reilegung führte der
Meister aus.
Das sind so imgelähr die N'erhaltnisse und das wissenschaltliche
Niveau der Amputationstechnik, welche man unseren Gemälden
zugrunde legen muß. Die weitere Ausbildung durch die Erfindung
der Kompiressoren und des Tourniquets durch Petit 171S, sowie
die \'erleinerung der Stunipl behandlung durch Lappen- und Trichter-
schnitte gehören einer späteren Zeit an.
Es gibt mehrere Darstellungen einer Amputation aus Lehr-
büchern der Cdiirurgie, welche einen durchaus bilderartigen Ein-
druck machen. Das bekannteste Beispiel ist der Holzschnitt aus
dem Leidbuch der \Wmdarzenei von (lerl.'.dorfl;. Dieses wegen seiner
schönen Illustrationen gesuchte Werk führt ims den Eingrilf in dem
Momente der Absetzung des Unterschenkels vor. Wir sehen, daß
das Glied zwischen den beiden Umschnürungen soeben durchgesägt
ist. Der Eingriff wird bei einer brau gemacht, welche auf einem
Sessel sitzt. Außer dem (dhrurgen fungiert nur noch ein Gehilie,
der in die 'Lracht eines L'eldscherers gekleidet ist. -- Von Instru-
menten sieht man nur ein Messer und ein Ligaturband. Ein Bottich
tängt das herauslheßende ]3lut auf. (ierßdorff selbst betont, daß dcv
Chirurg, bevor er die Absetzung des (iliedes unterninmit, »sein
gezeug und berevtschadt beieinander haben soll, als scher, scher-
messcr, sege, blutstellung, laßbendel (Aderlaßbinde), und was dann
darzu gehört, da eins uf^ das ander gange nach den schnitt. Dan
die noturft erheischt das. Und weim du im schneiden begriffen
bist, so heiß dir einen die haut lest hinter sich streifen, und bind
dann die haut also mit deinem he\lend oder aderlaßbinde lest, und
bind dann ein einfaches band davor, dann't ein spacium zwischen
den beyden binden sev.K
Aus der weiteren Schilderunu ireht hervor, daß nach Durch-
SiSiSiJSJKJOiJCiJSStSiJKiöJviJOtiCi Das W'i \I)|:k des Kosmas und Damian SiiCSiK'yi'CtSiStJJiSiSiSiiK 383
schneidung der Weichteile und Durchsägung des Knochens die
vorgezogenen Massen nach Abnahme des oberen Icomprimieren-
den Bandes zusammengepreßt werden und nach l'inwickhmg des
Stumpfes und Bedeckung der Wundfläche mit einer Blutstillungs-
paste das Ganze mit einer angefeuchteten Rinds- oder Schweins-
blase überzogen wird. »Am liebsten mit einer Stierblase, die da
stark sei.« Won diesen Maßnahmen hat der Zeichner wenig auf
das Papier gebracht. Wir sehen aber im f^intergrunde einen Mann,
der an seiner amputierten linken Hand den geschilderten \'erband
384 SBßJK!C>ie!iSSiSß<KißißJ0>si<s>:siSi!5iSis>:ä0t Die Amputation «SiOiJCSiOiiKJCiiCiJSKSSiiKiKJOiöiiSiöJOiSiJKJK'CiiSiOi
trägt. Die Frau ist gezeichnet, als wenn sie halb ohnniäeluig
zurückgesunken daliegt.
Aul anderen Darstellungen dieser Art sehen wir die Unglück-
lichen in sclinierz\c)ller Erregung. Auf allen Darstellungen aber
sitzen die Patienten aul einer Bank oder aul einem Sessel. Denn
die meisten ("hirurgen \erschmählen es, ihren Kranken xor der
Operation schmer/slillende .Mittel zu geben, dijnn die X'erwendung
eines solchen Schlalschwammes galt tur gelahrlich. (iu\- de Chauliac
sagt darüber tolgendes: »bduige aber, wie '1'heoi.lorich, \'erordnen
einschlaternde Mittel, damit der Schniu nicht gespürt werde; wie
Opium, Succus solani, hvoscvami, Mandragorae, hederae arboreae et
imbibunt eis spongiam no\am et [KTmittunt eam ad soleni exsiccari.
Sodann wird der Schwamm in heißes Wasser gelegt und man
atmet seine Dämpie ein. -Andere geben wieder Opium zu trinken.
Hans von (jerßdorft sagt, daß er bei seinen hundertundzwei Ampu-
tationen in Sankt Anlhonienhot zu Straßburg es nie getan habe.«
Daß aber die chirurgische Anästhesie im Mittelalter eine bekannte
Sache war. dalür legen auch die Dichter Zeugnis ab. Die modernen
iranzösischen .Schwanke, welche \iellach durch l^inschlälerung einer
agierenden Person eine witzige Verwicklung herbeilühren, gehen alle
aul di^n Boccaccio zurück. In einer lirzdhlung seines Decamerone
lindet ein berühmter Operateur aus Salerno, daß bei einem Patienten
die Amputation eines Beines notig sei. |-r bereitet zu dessen An-
ästhesie die einschlaternde Müssigkeit. Das weitere kann man sich
ungefähr denken. Die (jattin des (dnrurgeii, ebenso jung wie schön
und leichttertig, benutzt dessen plötzliche Abberutung nach Amalli, um
ihren Liebhaber konnnen zu lassen. Dieser trinkt versehentlich die
Schlaftinktur aus und \ertälll in einen tieleii, todesähnlichen Schlal,
aus dem er weder durch Knciten noch Brennen nüt einer Kerze zu
erwecken ist. .Man trägt den Leblosen in einem Kasten in ein
anderes Haus, in dem er erst am anderen Tage erwacht. Die große
Gefährlichkeit eines solchen Schlattrunkes ergibt sich auch aus dem
weiteren \'erlaule dieser kulturhistorisch interessanten Lrzählimg.
Denn der unfreiwillig Narkotisierte wird beim Lrwachen gefoltert
iC?iC!!v>!virCi!S!0!Jyti5:iSiCtJ5!iv>!KJCiS!KXS>i0"!5ti0i Dl l{ S( lil AI s( iiwAMM jKSt!0i!0iiC>iKS>!C!<SiSS>JC>i5><0>!C>i0>S!!0i 3X5
und entgeht dem Hängen nur dadurLli, daß die Zc^fe der Cliirurgen-
trau, tür ihre Herrin eintretend, ihn ahs ihren Liebhaber erklärt und
die \"er\vicklung Ic^st.
Die naricotische Wirkung der .Mandragora war im ganzen Mittel-
alter bekannt genug. — Auch Shakespeare spricht von ihrer ein-
schläternden Wirkung. In den iVühen Krauterbüchern unterscheidet
man eine männliche und eine weibliche Ptlanze : »Da nach Meister
Avicena die Wurzel der Pllanze gleich einem Männchen oder bei-
nahe so formiert sei.«
»W^elcher nicht schlaten me\ge, der nehme die Rinde dieser
\Wirzel und stoße sie zu Pulver, und mische darunter Frauenmilch
und das Weiße von einem lü. Und streicht das um den Schlaf.
Der Mensch wird last schlaten.«
Datür, daß trotz des Abratens der bedeutendsten und ange-
sehensten Cdiirurgen der späteren Zeit, wie \'igo, Brunswig, Gerß-
dorft, Palloppia und der beiden babricius von solchen Schlatschwämmen
die W-rwendung derselben tortbestand, spricht ein kleines Ölgemälde
(jetzt im Besitze des Kaiserin-Friedrich-Hauses). Fs illustriert ein-
wandtrei während einer bußoperation die Anwendung des Schlat-
schwammes im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts.
Während nun die meisten dieser Drucke die Szene im Protil
abbilden, Imden wir aut einem großen Gemälde im Antwerpener
Museum, welches, wie es scheint, einmal einer der Flügel eines
Triptvchon gewesen ist, eine Amputation von V(.)rne geschildert.
Wir sehen, daß hier zwei Cdiirurgen um einen Mann bemüht
sind, dessen Bein abgeschnitten ist. Die Ligatur oberhalb hält
noch. Das gangränöse Bein liegt abgeschnitten am Boden. Der
eine der Chirurgen hält die Hand in einer Stellung, die die Bürg-
schaft datür gibt, daß der Akt wirklich mit angesehen ist. Die
Hände lassen die hochgezogenen und straft gehaltenen Weichteile
eben los, und der Knochen verschwindet gerade inmitten des
Fleisches. Am Boden liegt die große Amputationssäge. Die Vor-
schrit't, daß immer eine zweite Säge vorhanden sein muß, talls das
Blatt der einen bricht, ist bei der summarischen Behandlung des
Hollander, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2 Auf'.age. -5
386 sKiKieiJSSiiissRiKStJßiSJSiKiKJKJSiiiiOiißSi Da-: Amputation ssjßiOiJSißißJKsssiiSSXiOiiissiJSiiKiKiO-JSiSiSiOöK
Gegenstandes vergessen. Die ganze üperaiionsszene spielt sieh im
VorderliDte eines Raumes al\ der (it]ciibar zu einem Krankenhause
gehört; denn im I liiuergrundc geht die Hciiandlung ambuhmter
ehirurgiseh Kranker vor sieh. Kin Hettlägeriger, der von einer
Sehwester betreut wird, repräsentiert die innere Station. Ks gehört
schon eine intensive l^etraehtimg dieses (jemäldes, welches dem
älteren brancken zugeschrieben wird, dazu, um den Sinn der Dar-
stellung restlos zu entziffern. — Die \'er\vunderung über die Wahl
des Sujets wird uns leiten, denn trotz der realistischen Schilderung
der Nachtseite des Lebens gehört auch diese Darstellung nicht zu
den profanen. Auch dieses Bild \erdankt seine Entstehung kirch-
licher (iloritikation. Der aulmerksame Betrachter hat schon bemei'kt,
daß der zweite Chirurg in seiner bland einen schwarzen Unterschenkel
hält. Da nun bereits am Boden ein amprniertes Ik'in liegt, mit dfjn
deutlichen Zeichen von Brand, so muß dieser zweite Unterschenkel
eine andere Bedeutung als die Darstelkmg der trockenen (jangrän
haben. Die beiden Chirurgen, die hier bei blutiger Arbeit beschältigt
sind, stellen nämlich die Arztepatrone Kosmas imd Damian vor.
1-jnes ihrer 1 leilwunder bestaiid darin, daß sie einen Mann, dem sie
ein Bein absetzen mtißten, heteroplastisch kurierten; sie setzten ihm
ein der Leiche eines Mauren abgeschnittenes (ilied an. Wahrlich
eine kühne Idee, welche der modernsten Transplantationstechnik wm
Leichenteilen den transzendentalen Ximbus zu rauben scheint. Doch
auch dies Wumler christlicher Heiligen lehnt sich an antike l-rlin-
dungskunsl an. Die alten Griechenpriester logen mit kühnerer
Phantasie. Ihr Asklepios \erstand es von Lpidatu'os konnnend in
'Lrözen den abgeschnittenen Lop! iler Aristagora wieder anzuheilen.
Die Darstellung gerade dieses chirurgischen ileilwunders der
]3rüder kommt häufiger vor.
Unsere Ingur 22.| gibt die Mimatur wieder, die in dem Anti-
phonarium*) Sancti Gosmae et Damiani als llaujitwundertat der beiden
HeilJo-en ihren Ausdruck gefimden hat. Das Prachtwerk selbst ist
in den Besitz der Society tif Antiquaries in London übergegangen. Der
•) Früher im Besitz von Mr. Thos. Brooke of Armitage.
SOS'öiKiCtiStSX'CiSiSiSiJCSS'iS'OtJitiS'O-JSiJiiSiOtiK Dil I ll II 1.' MI AM Ik !«S!«!i«tJß<5»iS><C!iCi>0iS>S;!0!J5tl«StJCSiC? 387
Maler dieser Szene hat im Gegensatz zu dem Hämischen Künstler
den Moment gewählt, in dem die beiden Oiierateure mit ihrem
Eingrift fertig sind. Im \^)rdergrLmde steht das l^riiderpaar und
reinigt die eben benutzten Instrumente. Die Umstehenden betrachten
erstaunt das Wunderwerk des angeheilten Mohrenbeins. Seitlich ist
der \\)rgang geschildert, welcher die Glaubhaftigkeit des Wunders
Beato Angi'lico. Fioretiz.
Fig. 225. Das Wunder der Heiligen Kosnias und Damian.
Die Anheilun" des Araljerl^eins.
bestätigt. Man geht zum Sarge des verstorbenen Arabers, otinet
denselben und iindet ein Bein amputiert. Gott-\'ater schwebt an
der Decke, umgeben \on dem Chor von Hngelchen. Das in einem
an Mantegna erinnerndem Stile gemalte l^ild wurde erstmalig repro-
duziert mit einigen Begleitworten sow Dr. Percy Boulton unter dem
Titel »A miracle ot plastic surgery«.
Eine noch farblosere Darstellung, die neben der kühnen realisti-
schen Tat des Idämen ganz verblaßt, gibt das Florentiner Gemälde
des Beato Angelico. Nur die Lagerung des Kranken und das Milieu
seiner Krankenstube hat Anspruch auf unser Interesse (siehe Figur ii's, ).
Scheinbar denselben Gegenstand behandelt ein (iemälde von
Pietro Antonio Mezzasti in Montefalco. Hier sehen wir die Dar-
388 JSäKJKSiJSietJKSiStStSiSiiKiKSt^iöißiK FUSSOPERATIONEN jKSKittJOiiCiiSSiJSiSJKSSiOiiJtißJSiSSiiOtiSiKiKSX
Stellung der Ansetzung eines unterhalb des Knies abgeschnittenen
Beines durch einen Moncli. Das Wunder des heiligen Antonius, in
chirurgischer Beziehung beinahe gleichwertig, hat aber eine andere
\'org"eschichte; denn der Franziskaner ist nur der X'ater der Auto-
plastik, da er einem reuigen Bülk'r, der sich selbst ein Bein ab-
geschnitten hat. dieses wieder anheilte"'') (siehe Figur i ]^).
l:ine realistisch geschilderte Irakturbehandlung eines kompli-
zierten Beinbruches zeigt die rechte Seite der vier (Jeniälde von den
vier (jesiclitern des Arztes (siehe Figur 264 bis 267). Wir sind bei
der Hinrenkung und Lagerung des Unterschenkels dabei, sehen die
Abnahme des Schienenverbandes, erleben das Herumholpern mit llilte
der Krücke und zum SchluL^ das unwillige Aulstampten mit dem
wieder gesundeten Bein nach völliger Heilung bei der Präsentie-
rung der Liquidation.
FUSSOPERATIONEN
Der dramatische und peinliche Vorgang einer Amputation ist als
\'orwurl tür ein (jcmalde, wie wir es erlebten, nur verständ-
lich in rehgioser Beleuchtung. Die Frolanmalerei aber be\orzugte
die Herabsetzung solcher blutiger Geschehnisse aul das \'i\eau der
Tragikomödie. Legion sind die Bilder solchen (jenres.
Holländische Kleinmalerei \erschwägerte sich mit der Darstellung
chirurgischer Kleinkunst und schul die Pedikurgemälde. Das waren
Szenen airs dem Leben auch des Kleinbin'gers. Das schlechte Schuh-
zeug verursachte allerlei l-'ußübel, und liesondere Fußkünstler gab es
unter den Scharlatanen. Fs bestätigt sich hier von neuem das
Gesetz von dem Wiederaulleben erledigter Dinge, denn aul der
Schaubühne und aut der Leinwand ist auch die l'edikur heute
wieder in Mode gekonniien. Doch an die Stelle des Bauernliumors
vergangener Zeit mußte die erotisch parlünherte Stinmumg imserer
Tage treten.
■ ^.chc auch Plastik und Medizin, S. 509.
Der mcxicrne Maler, der sich vielleicht schon zu den Ivealisten
zählt durch die W^ihl des Sujets einer i'ußoncration, malt die Szene
ungetähr sc^: Aut einem mollii^en Diwan, in hellseidene Kissen ge-
schmiegt, ruht ein junges \W'ib. Das Batisthemdehen enthüllt mehr,
als es verschleiert. Zu ihren l-'üLk'n kniet ein xMann in schäbigem
39° 3KSS<S<5!»:iß'«i«<ßi«i«>SJK!iSiKSi!KJSS! FUSSOPERATIOXEN äRJKJKJSJKStStJSSiJSiOiiSJOiiJiiSiKJSJSJOtJßiliiK
Rock und poliert ilir die Xägcl. Zwisclicn beiden Personen beslelu
keine persönliche Be/iehung, man konnte den i'tißoperatein- weg-
nehmen, dann stellte das Bild die »Tagesriihe eines Xachtlalters«
lig. 227. l*uliupcratii)ii. \cm A. liimivver.
dar, und das Bild wäre geradeso vollendet. Wenn die alten Hol-
länder aul die Siime wirlcen wollten, so malten sie «Die \'er-
suchung des heiligen AiUonius« oder \ielleicht »Die kaudeckuiig
der Schwangerschaft der Kallisto«; aber aus diesem Stolf wul.Uen
sie so viel Humor herauszunehmen, daß sie keine Anleihe bei der
Galanterie zu machen brauchten; iQr sie war die Grimasse des
i5Si<ß»:KSKXiKiO>iO>!0>S>:JOt!Oi«>SiS>-5i!5i!OtißiSiKSiiK 1 L^M I 11)1 N igiOiiOiKSiSJOiJCiJKiOtJOiSiiOiiSSiißJCiSiSiiSsIiSiSi 39 1
gepeinigten Fußbesitzers, das maliziiKse Gesicht des Operaleurs und
der Zuschauer schon Reiz genug, und dabei treuten sie sich noch
über die \'ert'anghchla'it der Situation, die darin bestand, dal,^ sich
der nicht ganz tadellc^s dultende l'ul,^ in nächster Nähe der Xase des
Operateurs befand. Diese Szenerie und das Drum und Dran ver-
liti- Kopie, Oni^iii.ii ,)/,(.
Fig. 228. Fulioperalion. Von A. Ostade.
anschaulichen Gemälde wie das Tenierssche in Kassel (1-igur 226),
das Brouwersche in Frankfurt (Figur 227), sowie eine der zahl-
reichen alten Kopien des Ostadischen Originals im Madrider Prado
(Figur 228).
Die Charakterisierung der Patienten ist eine einlache; bald
ist es ein Bäuerlein, das aut den Markt seinen Korb mit Fiern
bringt (siehe Figur 229), oder ein Fandsknecht, oder ein Schmied,
39- äKStSiätäiiöiCiJSStißiOtJOtJCiilSJOiStiKSiSi FUSSOPERATIONEN SOiSKJOiJS-Ci'CiSiSiiOiSiiKiSäviJKSi^SiSiiKiKäKäK
der von der Arbeit koiiinu (siehe \-\i\uv 230, David Ivuxckaerl,
Berlin).
Die Operationen selbst, die an den I'üik'n viirgenonmien werden.
hi-y(iti, hm si- ritt- 1- rjnit ich Hau
Mg. 229. Pedikür.
Von Johann Iloorcmans (16S5 bis 1759).
sind allerdings auch etwas eingreilender als b'arben und Polieren der
Fußnägel; manchmal ist es die Behandlung eines eingewachsenen
jvSiOiSiStiß'OiiJiSiiJiJS^iKJl'iOiSiiOiiOt'OiSiS^SiiOiKSJ^ FUSSLEIDEN JOiSiiCiJßiCtiSiKiKiKSiSiiOiSi'OiSiiO'JOiSiS'JßiKiK 39:
Nagels, (iftmals wird der Ful^^rückcn geschropfi, manchmal IkukIcIi
CS sich um Abziehen eines W'rbandes oder Aufleuen eines Korrosiv-
oq
ptiasters. im Hintergründe sieht man dann, wie ein Lehrling die
\'erbandstofl'e präpariert.
394 äSJCtStiSiCsiOtietißJCiSiStiOtJSiji'eiJSJy-äKJviJCiiK Beschneidung sKic>!5iiO;!KS>iSiSiO>:s>iOtie>!ß!5!KS>!5iK>K)OtiSiSiKiCi
BESCHNEI DUNG
IUI auffallenden (iei;ens;Uz zu der sonstigen Prüderie, im (ie^en-
satz auch zu der (iewi^hnheit von Jahrhunderlen, eine gewisse
Ktirpergegend der Betrachtung zu entziehen, steht die so ott gemalte
Szene der Beschneidung. — Das hat ii.uürlich seinen guten (jrund.
! iitit I i.ttit'tii^i
Tig. 251. Die Bcschnciduiig
Von Willem van der Porten.
JOiStißSiStißJSiOiiSiSiöiKSiSiißSiSiiOtJOiSiKSSiSiS^ ^i li\l ll)LN(,JOiiOi!S<SiKSiS>S*SiJS!Ci<!!«!C(S>JKSiS>JSX!iSi 3<(5
Ober,-l„„t. SJ,„i,-
Fig. 232. Diu BL-schueidung.
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts.
Wie alle Phasen im Lehen Jesu einer künstlerischen Darstellung
unterlagen und in den Bereich gläubiger \'erehrung gezogen wurden,
so auch dieser Akt, welcher dem judentume des Erlösers entsprach.
Es kann nicht verwunderlich sein, daß der Reliquienkult, im größten
fundamentalen Kontrast zum antiken Gottesdienst, dahin führen
mußte, auch das abgeschnittene Präputium des Herrn in den Kreis
göttlicher \'erehrung zu ziehen.
Lukas 2: »Und da acht Tage um waren, daß das Kind be-
schnitten würde, da ward sein Xame genannt Jesus, welcher genannt
war von dem Engel, ehe denn er im Alutterleibe emptangen war.«
Manche Künstler halten sich mm bei dieser Darstellung der
Beschneidung ganz an die biblischen Erzählungen. Simeon , der
396 SßißieiSiietiJi'OiiJ'SiißiKJßStSiiCiiJOtJJtJOiiCÜSiiK BeSCHKEIDUNG JC^iOtStiOtl^S^'CiSitXitiSJOiiOtiKißiKSiSSJJiJC'iSiSSiSSSi
trommc uiul _i;intcsl'ürchtigc Mann, der \om Heiligen (jcist die
Weisung bekiimmen Inilte, er sollte den Tod iiichl sehen, er hätte
denn zuvor den Christ des Herrn gesehen, hah das Kind aut den
Armen. Der Operationsvorgang selbst entzieht sieh meist der ge-
naueren Ik'trachtung. .Man sieht nur den l'riester mit dem .Messer,
gelegentlich einem Steinmesser hantieren, (ianz in Anlehnung an
Renibrandts (iemälde »Simeon im l'empel« (Haag) ist die Leinwand
des Willem \an der Porten gemalt. Das gtddene W'aschgefäß und
die Kanne lehlen kaum aul einem der zahlreichen (iemälde dieser
Art (siehe j-igur 23 1 ).
In medizinhistorischer Beziehung sagen uns die zahlreichen
Gemälde dieser Art wenig. Kine Ausnahme macht eine frühe ober-
rheinische Tatel; denn aul" dieser sehen wir, daß der Operateur statt
der gewöhnlichen /irkumzision mit einem grol.kai .Messer nur eine
Spaltung des Präputiums vorninnnt. J-^s kann sich aber auch darum
handeln, daß als erster Akt der Operation zunächst das innere Blatt
gespalten wird; es sei daran erinnert, daß es die üble Gewt)hnheit
trüberer Beschneider war, mit dem langgewachsenen Daumennagel
das innere Blatt zu spalten. l:in nebenstehender junger .Mann, der
in ein llorentinisches Gewand gekleidet ist, hält ein kleines Gefäß
bereit, welches wohl bestimmt ist, die \'orhaut aufzunehmen (siehe
Figur 252).
Pin (iemälde des Pietro Perugino in der sixtinischen Kapelle
fällt durch die Seltsamkeit seiner Darstellung aut. Der Ausschnitt
der P'reske zeigt uns zwei von einem Kreis von l'delleuten umgebene
Frauen, von denen die eine einen nackten Knaben auf dem Schoß
hält, während die andere vor ihr kniend mit spitzen Pingern die
Vorhaut desselben festhält. Die andere Hand ist in einer Stellung,
als wenn sie gerade die gegenüberliegende Seite der N'orhaut erlassen
wollte, um sie zu zerreißen. Doch ist es auch denkbar, dal,^ die
Frau des .Moses in den Pingern ein uns unsichtbares Steinmesser
hält. Demi die ganze Szene stellt eine Illustration xor zum zweiten
Kapitel Moses 4, 23: »Da nahm Zippora einen Stein und beschnitt
ihrem Sohn die Vorhaut« (siehe Figur 2j^).
39^ iCtSiJßSiJßStSt^iSiC^SiiliSiiKiJiiOtiliJSSK NaRREXSCHKEIDEN SSSiSt<itiÖ!C*St!S!0><0!S>!0!<5t!SiSißiO!S><C>!Ot<0!>0>
NARRENSCHNEIDEN
Ein besonderes Kapitel beansprucht ein opicrativer Ein^rin am
Kopie, welclier last aiisscbb'eßlich \dn holläiuiischen Malern
mit Laune und Witz i^esehildert wurde. 13iese Operationen nennen
sich namenthch auch in den nacli den Ölgemälden xerlertigten
Stichen »Das Schneiden von dem Ke\«. V.s ist schwer, sich heut-
zutage davon ein Bild zu m.icheii. was bei diesem \'organg W'irk-
lichkeit und was lmaginatit)n war. N'ielleicht liegt diesen oiK'raliven
Eingriflen bei närrischen Leuten, Dununen und (jemütskranken der-
selbe Gedanke zugrunde, der die \'ölker der trüben Perioden ver-
anlaßte, Trepanationen vorzunehmen. Hs muß aber dieser Eingriff
nach Aussage der zahlreichen Kunstprodukte im Volksbewußtsein
eine erheblich größere Rolle gespielt haben, als wir dies aut Grund
sonstiger Überlieferung annelunen würden. Wir können hier wirk-
lieh einmal gerne konstatieren, daß diese tarbigen Denkmäler einen
großen medikohistorischen Wert haben. Sie lühren uns aul den
'Lummelplatz der Scharlatane und Afterärzte, die ihr Wesen zu
allen Zeiten getrieben haben und von der Leichtgläubigkeit der
-Menge lebten. Sie waren es, die den chirurgischen 1 landwerksstand
komiiroiuittierten. Oltmals hervorgegangen aus der Schule tüchtiger
und erfahrener Schnittarzte, benutzten sie ihre Ilandtertigkeit zu
schwindelhatten .NLuu'pulationen und zogen von .\Lirkt zu .\Lukt;
der Wahlspruch ihres Lebens und ihre (jeneralentschuldigung war
zu allen Zeiten: Mundus \ult decipi.
Aus welcher Cjesellschattsklasse sich diese aut Märkten und
Landstraßen herumziehenden Schnittarzte rekrutieren, ersehen wir
aus einer Abhandlung Ludwigs xon llornigk (]65cS, L'ranklurl). Unter
das legitime I leilpersonal zählt er; »Jlol-, Statt-, l-'eMt-, llospital-
und Pestmedici, Wimdärzt, Barbierer, L'eldtscherer, Oculisten, l^ruch-
und Steinschneider, Zuckerbäcker, Krämer und Bader, lerner die
obriste, geschwohrene, Irawen, Ilebeaiumen, L'nter-Lrawen und
Krankenpfleger«. Zu den »betrieglicheii und angemaßten« Ärzten
zählt er: »Beutelschneider, Kristallseher, Dorlgeistliche, j-insiedler,
JKiOiJSSXißJSSiiSiKJltJSiCiKSJOtiCtJJiSiiOiSiiOiiCiJK NarrENSCHNEIDEN jßiSJCiJßJOiSiJSSiSiiOtiSSiJCi-CSSiSi^iißJß mj9
Fallementierer, Gaukler, liarnprophcten, Juden, Kälbcrdrzt, Land-
streicher, Marcktschrever, Xachrichter, Otenschwärmer, Fseudoparaccl-
sisten, Quacksalber, Rattentani;er, Sei^ensnrecher, Tcufelsbandcr,
A;iistt'rciaiit.
Fig. 234. »Das Schneiden von dem Key«.
Viin Hieronymus Bosch van .\kcn IM70 bis ij.iol.
Waldheintzen (das heißt Wurzelgräber), Zigeuner und ähnliches Pack.
Alle diese Leute wollen, wenn sie das Ihrige durch die Gurgel ge-
jagt, verh'essen, versoffen und verloffen haben, sich darnach an der
Medicin wiederumb erhohlen dadurch, daß sie .Menscheniett, .Murniel-
tierschmalz. Theriak, Mithridat, Quintessenzien, Xießwurz, Sieben-
baum und so weiter \-erkauten.« Und zu diesen Pseudopanazeen
kommen noch die schwindelhatten Operationen und Operateure.
40O SKiSißiKJSJCfiSiJiJSiKiSJKJSißiSiSJC^iKiC« Narrenschneiden JßiCiißKXißißißißSiißiSißiKißJßiCiißiKJßiOiiCiJOt
Sclum Rhazcs. der arabische (jalen i;cnannl, crwähnl (830) in
dorn Kapitel »De iniposUirilnis« ärztlielie Schwindler, die aus den
verschiedenen i\iiriierhöhlen l'ienidkt)rper herausschneiden und da-
durch eine Krankheit heilen widlten. Wahrend nun in der medi-
zinischen Literatur niehrlach l'älle bekannt sind Non Unterschiebunoen
falscher Blasensteine, tand ich keine weiteien sicheren Notizen tibcr
das \\)rkonnnen von Schwindeloperationen, die von reisenden Schar-
latanen bei LeiclUL;laubii;en vorgenonmien wurden. Das einzige
sichere Zeugnis datür, dal.^ solche Eingritle im sechzehnten und sieb-
zehnten Jahrhundert wohl massenhait vorkamen, bietet die zeit-
genössische -Malerei. Man konnte nun vermuten, daß diese Opera-
tionen vornehmlich im westlichsten Europa vorkamen, wenn nicht
das Zeugnis des Hans Sachs dagegen spräche. Aus der Zusanmien-
stellung der stattlichen Reihe von ausschließlich holländisch-llämi-
schen Gemälden, die sich zum Teil in l^rivatbesitz befinden, ergibt
sich ittlgendes Gesamtbild: Meist fahrende luul mit einem Priviles;
und gesiegelten Briet versehene Chirurgen airs der l^ader- und Bar-
biergilde operierten in Otiizinen oder auch aut der Landstraße und
auf dem Marktplatze allerlei Leiden, die wohl vornehmlich nerxösen
Ursprungs waren, und heilten sie dadurch, daß sie meistens aus der
Stirn-, seltener aus der Ilalsgegend Fremdkörper entternten. Sie
machten einen Einschnitt und praktizierten in die Wunde einen Stein
(Kev), den ihnen ein Gehilfe zusteckte. Es wurde dieser Vorgang
so volkstümlich, daß er den Wert des Sprichwortes bekam. Beweis
daftir, daß auch manchmal Heilungen vielleicht aul dem Wege der
Suggestion vorkamen. Die .Malerei und die Poesie spielten später
diese Dinue auf das (iebiet des Svmbolischen, indem sie die tatsäch-
lieh oft vorgenommenen Operationen als bildlichen Ausdruck Ihr
erzieherische Besserungen oder die Selbstentwohnung von mensch-
lichen Schwächen und lügentundichkeiten verwandten. F.s ist natiu'-
lich, daß im wesentlichen es die Aulgabe der Dichtkunst wurde,
den Stoff in den Rahmen eines Tendenzstückes einzusi^annen , und
so sehen wir auch, daß Hans Sachs aus ihm einen tollen I'astnacht-
scherz gemacht hat: »Das Xarrenschneiden«. Doch auch die .Malerei
lig. 235. Das Xarrcnschnciden. Art des Hieronymus Bosch.
Holländer, Die Medizin in der klassiächen Malerei. 2. Auflage.
26
402 »isssi-cüiSJKiKJß'eiCiißSiSi'öätSSjeiSi'« Narrenschneiden aiiSiSiSiSSi'öJCiSiieiiSiJiSiieitSiStiS'eiJSiKJKiS
ging weiter und schuf aus dem burlesla'n Gegenstand moralisierende
Bilderbogen im Cjeschmaek der Zeil: l\u[ilersiiehe mit unterschrie-
benen epigranmiatischen \'eisen.
Der Fastnachtscherz »Das Xarrenschneiden« von Ilans Sachs
vom Jahre 1337 beweist, dal,^ dem Autor und seinem IJorerkreis die
\ornahme solcher Steinoperationen bekannt war. bdn Ar/t mit seinem
Knecht betritt eine i\nei(ie. zeigt zunächst seine Legitimation vor
und h'agt dann, ob Patienten da sind: »brau oder Mann mit Husten
oder Stein, taul Meisch und Zipperlein, Sehnen oder liilersucht,
Zahnweh. Kramp! oder lallende Sucht«, alle verspricht er zu heilen.
D.\ meldet sich ein Kianker:
Weil stark geschwnllcn ist nieiii Leib,
Als wäre ich ein scliwangeres Weib.
Xach vergeblichen W'rordnungen spricht der Arzt:
Knecht, i;ib das Harnglas mir ireschwinde,
Die Krankheit besser zu erkennen.
Soll ich das nicht ein Wunder nennen,
Der Mensch hier stecket voller Narren.
Mein Freund, da ist nicht lang zu harren,
•Man nnilj die Narren dir bald schneiden.
Bevor der Arzt nun das Messer in die Hand ninnnt, s|-)richt
der Knecht: Gesell, wenn m.in dich schneiden soll,
So niul'it dem Arzte du voran
l!rgeben dich als toten Mann,
Dieweil das Schneiden ist gefährlich.
L'nd mm schneidet der Arzt dem mit einem Handtuch lesl-
gehaltenen i'atienten den J-5auch aul und holt nach allerlei N'ersucheii
mit einer großen Zange einen Narren nach dem andern airs dem
Bauche heraus: dun Narren (jeiz. HolTart, Neid, L'nkeuschheit und
viele andere. Der geheilte Patient zahlt seine Kur ganz nach modernem
Rezept mit einer bmplehlung:
Welch eine Meng' in dieser Stadt
Weiß ich von armen und reichen Knaben,
Die auch meine schwere Krankheit haben.
Und selbst was ihnen doch gebricht,
Nicht wissen und emplinden's nicht,
Die will ich all zu euch bescheiden,
D.il'i sie die Narren sich lassen schneiden.
404 iSJSSiJSSiiSiS'öJCssiS'S'SissiOiieiSiJSiS Narrknschneiden sKäKJßJCüSiStJS'CiJSSiiOiJSiSiCiJCi'OiJKJSicsst!«:«
Wahrscheinlich das älteste dieser Cjemälde mit der Stirnsteinope-
ration ist die in Amsterdam behndliche 'l'afel des llieron\-imis Bosch
van Aken, des genialen Phantasten, der in der l-rlindun_i; i;rt)tesker
Gestalten tür die s[Kttere Zeit tonan_i;ebeni.l war. Anf einem sessel-
artigen Stuhl sitzt ani;ehunilen ein behäbiger Mann, der seinen 1 hit
tmd Degen an den Boden gelegt hat. I unter ihm steht aut kothurn-
ahnlicheni Schuh in seltsamem dewand, halb l'riesler, halb Narr,
ein glattrasierter .Mann mit hängender L iiterlippe und schneidet dem
ganz vergnügt blickenden Patienten einen Stein aus der Stirn. Inter-
essant ist die Zuschauergruppe, die den lisch umsteht. P^n Ptafie
betrachtet in seiner Hohlhand einen Stein, den der Operateur soeben
dem bärtigen .\hmne entternt hat. Letzterer wird gerade von einem
Gehillen verbunden. Das Interesse der Umstehenden ist gut charak-
terisiert, und auch die (jattin guckt schämig durch die l'inger. Noch
zwei Dinge weisen aut die .Satire: Der bereits verbundene .\htnn
zeigt wie zufällig mit seinem Stock nach einer ]:ule, als Illustration
dafür, daß man am hellen 'Page nicht sehen will oder kann. Die
ollene Schranktür läLk einen W'einkrug erkennen als Andeutung
dafür, da),^ nach der Operation das Honorar vertrunken wird. Das
Bild ist umgeben von einem hübschen Rande mit phantastischen
1 ierbildern, unter denen man eine APius bemerkt, die Zahnschmerzen
hat, und darunter steht; »Das Schneiden \ou dem Kev«*) (siehe
l-'igur 234).
Pine beinahe kopieähnliche Darstellung, noch burlesker, wenn
auch als P>ild\verk' weniger fein, fand ich im Prado. Die ziemlich
korrumpierte Tafel ist (»flenbar in Anlehnung an das (iemälde von
Bosch entstanden. Die Anordnimg ist dieselbe, nur fehlen die Eides-
heiter, und die Gattin trägt zum guten (jelingen noch ein medizinisches
Werk auf dem Kopf. Die Operation glückt eben inu', wemi das
Eheweib sich nicht muckst und nicht mit dem Kopte wackelt. Der
Operateur trägt als Kopf bekleidung einen W'eintrichter und am Gurtel-
haken eine Weinkanne. Auch hier ist der Sinn des J^ildes durch
•| Eine alte Kopie in etwas veränderter AuffasMinj; hclindcl sich in meiner .Sammlunt;
4o6 ssssJO-s'jSiciiS'JSiO'iissiiKißiSiSJß'OiiKJK Narrenschneidex jßiKJetJCi'OisstJSißSi-iSieiJSiSißiSiftSiißjCitiOiJSiCi
Schnörkcischritt vom Maler als Randabschlul!^ angegeben (siehe
Figur 2^3).
In der »Karikatur und Satire« besprachen wir eingehender die
operative Behandlung der Narretei. Henri Meiges Abhandlung über
diesen Stotl ist mustergültig*). Zu dein Material fügen wir noeli
eine Abbildung eines Cjcmäldes des alten l^auernbrueghel hin/u,
welches vor kurzer Zeit aul dem Berliner Auktionsmarkt war und
von den Autoritäten, natürlich ohne Kenntnis der Arbeiten der ))lct)no-
graphic« . lür ein Original gehalten wurde**) (siehe Figur 2^6).
Die Bruchstücke der Brueghelschen Originaltatel hangen in St.-Omer.
Bei der eigenartigen malerischen Betätigung des alten Brueghel, der
große Bilderbogen satirischen Inhaltes mit dein l'insel schrieb, lag
es lür ihn nahe, diesen Stoff zu verwerten; auch dieses Bild wurde
gestochen und Ausschnitte aus demselben inniier wieder verwandt.
Vergleicht man den Kupferstich vom Jahre 1339 (siehe Figur 237)
mit dem (iemälde \-om Jahre 1336, so sieht man, dal?i dem Meister
zwei total verschiedene Lösungen desselben Problems gelungen sind.
Henri Meige publiziert in der »Iconogra)ihie de la Salpetriere«
1893 einen Stich aus dem Reichsmuseum, welcher gr(.)ße Ähnlich-
keit mit unserem Gemälde hat. Bloß daß der Stuhl mit dem um-
gefallenen schreienden Klienten, der am Boden vom Operateur weiter
bearbeitet wird, noch aufrecht steht. ]3ie aul dem einen Ciemälde
am Saume des Operationsgewandes angebrachte Bezeichnung des
Dorien de Kenaix hat sich als nachträglicher Zusatz herausgestellt.
Von diesem Blatt existieren übrigens nur zwei Fxem(ilare. Aul dem
andern ist auf dem \'orhang eine Banderole angebracht, aul dem
die ungefähren Worte zu entzilTern sind: »Mämisches Xarrenliaus«.
Der Sinn aller dieser Darstellungen Brueghels ist derselbe: »(ieht
hin zu der Zauberin von Malleghem oder zum Dorien von Kenaix
oder zu irgendeinem anderen Scharlatan und laßt euch die Fliegen
und Mucken, die ihr im Kopie habt, operieren!«
•| Henri Meifjc, Lcs Operations sur In titc. >>ciuv(.llc Iccjnugrajihic de la Salpetriere
1895 u. Pierrcs de Tetcs, ibidem 1S99.
"] H. Gaudier, .A propos dun talileau du Musi'c de St.-Omer re])ri-'sentant lcs arra-
cheurs de pierrcs de tetc, ibidem 1900.
lün Scitcnhicb [ällt dabei aul die zünitigc Medizin. Aul dem
einen Stich sieht man nur noch die Reste einer verhisseiien Apo-
Fig. 23S. Das X.irrciischncideii.
Von lan Stccn.
theke. Natürhch kann die nicht bhihen und gedeihen, wenn alle
Leute zu Kurntuschern lauten.
4o8 iOt5>!SSi!C«.i«iC>:<s<c>:io>iS<i-iCitiCiieis><s;«äK Narrkxschneiden sstiCiJS'S^i^^iSiSStJKiSiJiiO'iKiCiSiJOiSiSiis
Das bekannteste dieser Xarrenschneidebilder stammt von der
Hand lan Stecns und es ist bei der ganzen RichtuiiL: des Steeiischen
OS
Humors nur wunderbar, da).^ er diesen Ciet^enslaiid niehl noch häufiger
zum \'()r\vurt "enommen bat. Hatte er docii dabei die beste (jelei;en-
4IO sßjKssiSißStiSJOiiSißißSiJßjeiiiSJSSiiß!« Narrenschneiden 5KSS!0>ssißiC?X)>iK<S!e>!Siss?iS?^iS«>retSi<C!<Si«
heit, sich über menschliche Schwachen lustii; zu machen. Jedenfalls
ist dieses Bild als Titelvignette eines Buches über die Leicbtgiaubii;-
keit und die Dummheit der Menschen bestens /u em(ilehlen. lün
Bäuerlein ist aut einem Sessel angebunden und ein Scharlatan
operiert denselben unter Assistenz einer Noinie, die das ldeali;esicht
einer alten \'ettel hat. Der Operateur zieht dem sich sträubenden
Patienten eine Unmasse Steine aus der llalswunde und wirll sie in
ein (ietiiß. Die Ilerkunit der Steine ist sonnenklar; ein Bursche reicht
sie ihm ganz offenkundig unter dem größten \'ergniigen der durch
das benster zusehenden Xachbarn. Der Patient ist der einzige aul
dem ganzen Bilde, der an den Schwindel glaubt! Schmerz, das
fließende Blut und die Autregung tun das Ihrige, und mit W'ahr-
scheinliclikeit wird der Tölpel durch den lungrill" geheilt (siehe
Figur 23S).
Meist wird nun der lirfolg nicht zu lange vorgehalten haben,
aber wenn die Wunde geheilt ist, war auch unser Operateur schon
längst außer Gesicht. Aut einer Landstraße hat er sein Atelier
autgeschlagen, und so sehen wir ihn wieder aid dem Bilde von
Brouwer in Aachen. An der liinterwand eines Hauses hängen
als Trophäen exstirpierte Steine und andere l-remdkörper , und
vor gaflendem Publikum ist der Chirurg gerade bei der Arbeit
(siehe Figur 239). \ on der Seite tührt man ihm aut einem
Schiebkarren einen neuen Klienten zu. Das Bild ist nur eine
Farbenskizze.
Die gleiche Darstellung, nur mit dem Unterschiede, daß der
Scharlatan hier eine Bühne aufgeschlagen hat, aut der er unter
großem Zulaut des Volkes operiert, stammt wieder von J.ni Steen.
Das l)ild ist durch vieltache Stiche sehr bekannt geworden. Die
ganze Haltung des gläubigen Opfers ist beinahe identisch mit der
des Rotterdamer (iemäldes (siehe P'igur 2.\o).
Eine Leinwand, welche otlenbar derselben Kategorie zugehört,
beschrieb der Pinsel des lau van lieemes.sen (1330, Haarlem). Hier
steht zur Abwechslung einmal auf ollenem .Marktplatz das Zelt des
Operateurs; unter Hüte zweier schweslerhatt gekleideter brauen
JCiSiißS'ißiSJKJS'SSiiOiJCiJOiiSißJSißJSJCiJOiSSiK Narrenschnkiden JKKÜiSKXJCiJOi'ftiS'CiJKißSiJK'ÖJSiCiiSiKSt 411
schneidet er gerade bei einem Soldaten einen grol.V'n Stein mitten aus
der Stirn. Dem bebrillten Operateur, der seinen l'reibrief aul dem
Tische liegen hat, macht otlenbar die ()|K'rati(in keine technischen
Schwierigkeiten. Neben ihm ringt die entsetzte .Mutter die Hände.
In nicht best)nders zartliihlender Weise hat der .Maler gerade an ihr
den Humor der Situation schildern wollen. Die an einer Schnur
Fig. 241. Die Steinoperation. Viui J.iii v.tii llt;cnicb.>5cn (1550).
autgehängten drei runden Korper kann man auch vor dem Original
im dunklen Saale des Prado nicht sicher klassifizieren. Sind es blut-
stillende Schwämme t)der sind es extrahierte bremdkorper? Zur
Charakterisierung des (jemäldes wäre das von Bedeutung, da man
vielleicht geneigt ist, die Tatel auch den Darstellungen seriöser
Operationen zuzuzählen (siehe l'igur 2|_i).
Das drastischste Werk dieser Richtung nht der größten Betonung
der humoristischen Seite stammt von branz Hals dem Jüngeren. Es
hängt in Rotterdam dicht neben dem Jan Steenschen. Der Operateur
mit dem Gesichte eines Beclanesser träiJt vorn aut der Stirn sein
412 äRJßSSSiiftiSiSJKS'iKiOiie'StiSSiiKSiiSJS XaKRENSCHNEIDEK StJßJKSiiOtiSSiißJCiSiiSiStSiSiSiSiiCiJOtSiS'iK'O!
Privileg. unJ an der \\'anJ hängt l'^ricf und Siegel. Sti niiil,'. die
Operation glücken. Der Patient brüllt so, dal.^ man .seine hintersten
Backenzähne sehen kann. Den \'ordergrund inninil ein Negerknabe
ein, der in einem silbernen Becken die herausgenommenen .Steine
auttängt. Aut blauem rischtuch liegen eine Reihe \on Instrumenten,
namentlich das Stilett mit !■ llenbeingrilF hebt sich wirkungsvoll vom
(jrunde ab (siehe ligur 242).
Die (leschichte dieser interessanten Operationen wird nun noch
weiter illustriert durch eine Reihe xon Kupierstichen, denen sch.irt
gewürzte \'erse beigegeben sind. Zunächst wollen wir einen Holz-
schnitt \on W'evdmans erwähnen, einm.il weil er zu den wenigen
mir bekannt gewordenen Steint)perationen an Weibern zählt, ander-
seits weil die Darstellung noch \-ollkommen mit den beschriebenen
Gemälden der Art korrespondiert (siehe ligur 2 []). Die meisten
der übrigen Stiche aber gehen nun weiter und s[iielen mehr aut das
(iebiet der nn)ralischen Schhißtolgerung hinüber, indeiu den Künstlern
ungefähr das \t)rsch webte, was Hans Sachs in seinem bastnacht-
spiel zum Ausdruck brachte. Der Begrili des Stein- oder Kev-
schneideiis bei \'erdrehten und Absonderlichen war eben im \'olks-
bewußtsein schon zum .Sprichwort geworden, wie luan zum Beispiiel
heute auch iiu übertragenen Sinn \om Stechen des Stars spricht.
Die vorhandenen Drucke gehen zum Teil aul den Pieter Brueghel
ziu'ück, respektive sind .Modifikationen seines Bildes vom Stein-
schneidemeister Doven x'on Konse, bei dem eine ganze Klinilc \ou
derartigen Operierten zu sehen ist; aul Sesseln sitzen sie angebunden
und werden vom Meister oder seinen (jesellen operiert. Unter einem
solchen Bilderbogen stehen die Worte: »Xil opus .VnticNras abeas, hie
tollitur oestruni.« D.is heilU nun zunächst den Teulel nüt Beelzebub
austreiben; oder kaiui man aiuiehnieii, dal,^ die alten Holländer bessere
Lateiner waren wie wir: .\lso; b.s ist nicht notig. daß du erst
nach Anticyrae gehst, man kann dir hier schon deinen \\'es(ienslich
heilen. Anticvrae ist eine nach deiu .\rzte des Herkules genannte
Stadt, in der viel i lelleborus wächst, ein Kraut, nut dem jener i-lun
Herkules von einer nervösen lallenden Krankheit befreite. Oeslrus ist
JCtfSiS-CiiOi-OiSS-CSJOtiOiiOtSiJKSiiOiiCiSiiOiiSiOiißiCS Narkexschneiden jßiKJSJj-iKSiiOiiSiS'CiiOiJOtSiJOiiOiSiSiiOiSi 4 I 3
Fig. 242. Das N'arrensclinL-idcn.
\'on Franz Hals dem Jüngeren.
die Schafhremse, die die Drehkrankheit hervorruft. Karolus Allaerdt
hat nun die Konsequenz am weitesten gezogen, indem er den ahen
Brueghelschen l^ildern noch eigene Dessins mitgibt und erkuiternde
414 i^iSiOiiOiJßSS'CiißjßiCiJSJSJS-öSiißjSJSä« Narrenschneiden äi!CS!Siß!C>!es!O!<0iSiS><i!iC!i!SJKiC*iC>!C>!O!<K!Ci:<ssi
an was tür ciiK'iii Stcinübcl
\'crse zuüigt. Er hat die Operierten, die aul vier Sesseln sit/en, mit
charakteristischen Attributen ausi;estattet , aus denen eri^ennhar ist,
der Patient leidet. Da ist einer durch
Weinkanne u]ui Lollel aks liesser
imd Sanier geschildert, und dar-
unter stehen ilie Worte: »Ach
lieber Meister, mache deine Sache
gut, dann trinken wir aucii nacli
der Operation eins zusammen.«
Den anderen plagt die Raullust,
den dritten die Rauchlust. Der
erstere schlägt während der Ope-
ration dem Assistenten die baust
ins Auge und trägt an seiner
Mütze und am dürtelliaken blanke
Messer. Der 'I'abaklield hat in
allen Taschen rauchende Pfeilen
stecken. Die anderen Beigaben
der armen Opfer des Doyen sind
zu obszön, als daß man sie wiedergeben kiuinte. Pincr sitzt da
melancholisch und überlegt:
Man nnili so viele Schmerzen leiden,
Läßt man sich Gebrechen schneiden.
So ist's nicht fremd, dall jnng und alt
Am liebsten seinen .Stein behalt.
Die Darstellung der .Steine in den l\orperhohlen, die auch mit
großen Zangen herausgeholt werden, übergehen wir, müssen nur
noch die bezeichnende Moral mit ihrem h'ivolen Schlußbilde anlühreii,
die dahin zielt, dal.'i ein willensstarker und zielbewtißter Mensch
seine .Steine aul normalem Wege los werden kann:
Ick sien wel die under Meesters Mande eomt, moet veel lyden.
Darum kack ick se liever uvt, so hoell men niet to snvden.
Kaiserin- Fr ifdrich-l laus
I'ig. 245. Holzschnitt von Weydmans.
Was steht mm
am
leii Zetteln, die wir so vielmals aul diesen
Bildern an A^lw Wänden angeschlagen linden? Die .\hiler benutzen
•OtJßSiJOiJCiS^JSSiK^ißißJOiiCiJß-OiSiJCiJOiißiOi'CiiCiiCS Marktschreikr SSJKSiiKiKJOiJeiiOtiKJSJß'CiJKiCiJßSiSS'SJSJOi 4 1 5
sie meist, um aut ihnen ihr W'erk zu signieren. In W'irkhehkeit aber
bedeuten sie Briet und Siegel tur herumziehende Schnittar/le oder aucli
die Speisekarte der von ihnen verzapften Wundarznei. Zwei solche
Marktschreyerzeddel aus Leipzig wollen wir hier wiedergeben. Der
erste vom Jahre 1470 berult sich in prahlerischem und wahrschein-
lich auch aufschneiderischem Tenor auf königliche Protektion.
De Cyrurgico et Oculista in Lvpzek anno Domin. 1 170 in mense
Octobris. Wissentlich sei mennigklichen, dass herkommen ist ein
bewerter Mevster genannt Herr Johann von Tokenburgh ritter der
keyserlichen Majestaet und des hevligen römischen Reichs und ist
auch des durchleuchtigen türsten und herren, her Mathias Konigks
czu Hungarn Wuntarzt gewest etzliche Jar an den genannten
Königk er dan sevn Meisterschatt hat nemlichen evnen phevl von
ihme brocht hat, den er mehr den eli jähr in seinem riigkger
tragen hat usw.
Prahlt der erste ganz unverschämt, so gibt uns ein zweiter
erhaltener derartiger Marktschreierzettel doch eine interessante Ein-
sicht in die umtangreiclie i'ätigkeit eines Chirurgen der dama-
ligen Zeit.
lirstaunt sind wir zu hören, was alles ein solcher tahrender
Geselle kann:
Czu wissen sei allermeniglich daß ein bewerter mevster her-
kommen ist in alleriey Stuken der Wundarzney von dem Haupt
bis ull die b'uße.
1. czum ersten den bruch czu schneiden mit gots hulfte.
2. Item er kann auch den bruch schnevden daß man d\ nieren
darf nit ausnemen und evnem an seinem Leben nit schadt.
3. item auch etzliche bruch czu wenden ungesnvten an Irawen
und an mannen.
4. item den steyn zu snevden.
3. item etzliche stevne ungesnvten heraus zu nehmen.
6. item Kro[it czu snevden und etzliche zu vertreiben ungesnvten.
7. item drusen und oberbein zu snevden und czu heilen, und
den Zopher.
4i6 ss-ßißißjßissi-öiOiSiSiiSiSSiijSiöißiSS! Narrenschneiden !Ci!ßJC>s>!ßS<si!C>!OiJC>;<o>ic><K!Ci:«<K<sisssjC>!C*s>
8. item die 1-istel und l\rcl\sc und die zrieri^k czu heilen, wo
das möglich zu lieilcn stellt.
9. item oueli den staar czu stechen an den Oi;en und etzhch
gebrech n an den n^en Duch zu vertreiben.
K). item hassenscharten czu snevden und czu heilen.
11. item och mancherlev hevmhche Krankheit an liaweii und
mannen wenden die nit offenberlich czu schreiben sind.
12. item ist er euch evn "uter wundartz czu ahen und czu
faulen wunden.
13. item aotich frische wunden und beinhruch zu heilen.
14. item auch mancb.e uni^estalte .\h)le von wunden die nit recht
geheilt waren wieder evn rechte (iestalt zu machen.
13. Item etzliche muttermole domit ein mensch geboren wurl
zu vertreiben.
16. item auch die Pestilenz zu vertreiben. Diese obgeschriebenen
Stuke kann der Meister mit Gods hülfe.
17. item also bedenke ein jegliche mensche das davon höret sagen
oder lesen was Krankheit er an ihm habe, die man nit alle hier
geschrieben kann. Wem etwas fehlet der nK>g zu diesem
Meister kommen und seinen rat haben so will er von niemand
kev (ield nehmen er habe es dann \-erdient.
iS. Es hat auch mancher Meister \iel Briefe ausgehenkt Dunket
mich wenn ich evnen kranken gestmd mache das sind dv
besten briei'e, wann die Briete machen niemand gesund.
19. item den Harn zu besehen tmd inwendige arcney d\- einen
leiparzt oder doctor czusteht nvmt er sich nit an.
2ü. aber was er sich ann\nipt, will er dun armen gern umb
gottes willen hellen und dem der es vermagk um evn be-
schevden gelt.
Man muß sagen, diese Anpreistmg macht einen guten l.indrtick
und man hat die Überzeugung, dal.^ der Mann viel von dem was
er da sagt, kann und kaum zu den Scharlatanen zu zahlen ist.
Schlau und dem (diarakter der Zeit ents[irechend sichert er sich bei
den uefährlichen Operationen ''öttliche Assistenz, die ihm dun Buckel
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2. Auflai^e.
41 8 <iäs:«<ß<!iisst<i!:«!CäJS!0t<Ciiiet"<cii!SX!i!KiC5 Zahnoperationek jCiiiKiSiSiSJSiSjßJCiJßißSiSiJßSiiS^XiKiS'CSJSiß
deckt: er kann diese Operation nur mit Gottes Hilfe; die anderen
Kleinigkeiten macht er auch sik beachtenswert sind die Anpreisuni^en
für kosmetische Ein^rifle.
Bevor wir uns der großen CIruppc zuwenden, welche die kleinen
und großen Leiden der Zahid^ranken behandelt, wollen wir noch
einen Blick werten auf ein ()|ierationsbild, welches das Wesen aller
dieser blutigen Szenen restlos wiedergibt.
Da sehen wir auf einem jener typischen holländischen Interieure
des Anfangs des siebzehnten lahrhunderts, die in einem goldig
fjehaltenen Tone das Innere \-on meist einlachen, scheunenartigen
Häusern wiedergeben, eine huiuoristisch aufgefaßte und mit drallem
BauernhunK)r gemalte Operationsszene. l:in wie ein Henker in
rotes Tuch gekleideter Scharlatan kniet aut der Erde und hat soeben
einer k'rau an ihrem Sitzteil einen tieien Hinschnitt gemacht (siehe
Figur 241). l:r sondiert gerade die Wunde und halt dabei das ge-
brauchte .Messer zwischen den Zähnen. Der alte l'raktiker sieht nicht
mehr gut und hat sich zu diesem lungrill die l^rille autgesetzt.
Das Blut Hießt in Strömen und ein Hund beschnuppert es nut neu-
gieriger Schnauze. In der Ecke sitzt - ein Häutchen Unglück —
ein in einer Decke eingewickelter Alter, der den j-indruck macht,
als wäre er bei einer Dorlschlägerei übel zugerichtet. Am Boden
liegen benutzte Schwämme, die L'mgebung tröstet und spt)ttel und
scherzt. Eine seltene .Mischung von HunKir und 1-rotik, X'erspottung
und Verh()hnuni;, Trost und \'erständnis lür schwerste Stunden.
histo
ZAHNOPERATI OMF.N
Dem Kapitel der Zahno|UTalionen wollen wir nur kurze
rische (jeleitworte vorausschicken.
Daß die Gemälde dieser .Art im siebzehnten Jahrhundert so
häufig waren, liegt nicht allein darin begründet, daß die Cirimassen
der Operierten ein wohltuender .Anblick sind fin- alle Betrachter,
welche zurzeit ohne Zahnschmerzen sind, sondern auch darin, daß
die Zahnextraktionen erst vom siehzehnten Jahrhundert an hesonders
modern wurden.
Die alten Arzte bis hinein in das späte Mittelalter ^ini^en nur
mit einer gewissen Schüchternheit an die Zahnextraktion heran.
Erasistratus, derselbe, der von dalenus unter die Wiederhersteller
der Anatomie gerechnet wird, eines der Häupter der Alexandrini-
schen Schule, st)ll in Delphi im Tempel des Apollo eine bleierne
Zahnzange als W'eihgeschenk autgehangen liaben, um dadurch anzu-
deuten, daß nur solche Zähne extraktionsbedürftig seien, die bereits
lose sitzen. Dieselbe Angstlichlaat beseelte die Araber, begründet doch
Abul-Kasim seine Warnung mit den Worten, »da die Zähne nicht
wieder wachsen«.
Bei dem Chirurgen Rvif (seine große Chirurgia erschien Frank-
furt 1343) gibt es schon eine Reihe von Zahninstrumenten. Unter
ihnen den l:ntenschnabel für die Stümpte, den Pelikan, die Geißtüße,
den Überwurf und fünfzehn Zahnreinigungsinstrumente. »Siilche
dienen die Zähne frisch und sauber zu halten und sind solche bei
den Welschen, die auf leiblichen Schmuck viel mehr sehen, als wir
Deutsche, noch im Brauch. c
Der Patient soll bei der Zahnextraktion niedrig sitzen, der Kopt
eventuell zwischen den Beinen des Operateurs.
Noch Lorenz Heister warnt in seiner Wundarzenei vor der
Extraktion festsitzender Zähne, »indem manchmal Leute darüber
gestorben sind«.
Vesalius erinnert daran, daß bei erwachsenen Leuten das Her-
auskommen der Dentes sapientiae mit großen Schmerzen verbunden
sei, und daß es kein besseres Mittel gebe, als das Zahnfleisch hier
zu schröpfen oder zu durchschneiden, was er selbst in seinem
sechsundzwanzigsten Lebensjahre am eigenen Leibe mit Ertolg
durchgemacht habe.
Die Patrtinin der Zahnärzte ist die Jungtrau A|-)ollonia, die ihr
Martvrium unter Decius im Jahre 230 am 9. Februar erlebte. Meist
wird sie dargestellt, wie sie an eine Säule gebunden ist und ein
420 !«t!S<0!Si!SS>S>S!<5t!OS>!5ie!Si!!C>:S>JSSi!S ZaHNOPERATIONKN SKiOtJSSiJKiC'KXSiSiiOtieiJKiSSiSiiCiiOtJSSiiKiOtJOi
Scherge ihr mit GcwmH Jic Zähne ausreil.U. ÜU .steht sie auf einem
brennenden Scheiterhaulen, aber das b'euer hatte keine (iewalt über
Cario Volci,
GalUrüi Corsini, Rom.
Fig. 24 j. Die iK'iliyc .\pollonia.
sie. l'.ines der schönsten iiiul belwUintesteii deniälde zeigt sie mit
tler i:xtral<tic)nszange und einem Zahne. Im Dom zu Maihmd steht
sie von Procaccini gemah. Auch Cjuido Keni malte sie. Sam-
mciluic Zahnärzte haben über hnndert DarsteHun^en dieser Art zu-
sanmiengebracht, olme daß wir aber solchem Bestreben ein t^rößcrcs
medizinhistorisches Interesse zusprechen können. Wir brini^en nur
das berühmte Gemälde von Carlo r3olci mit dem vollendeten Aus-
druck geduldiger Hingabe, welches in keinem stimmungsvollen
Wartezimmer eines Zahnarztes tehlen sollte (siehe Figur 243).
422 SE!«'«<Siit<0!S>"<s<Ci!!5<s»!iC>i«!SSt<ssiSi Zahnoperationen jOiJKStStStiS'eiißSiJOiSijßJO-iSSiSiißißStiOtiOiiS
Xachdem wir in Jen voraufceoanq-enen Blättern e;e.schcn haben,
welches Interesse nanientHch die llamisch-hollandischen Maler an
Darstelhmi;en aus deni (lebiete der Medi/in genommen haben und
wie ihre Behandlung und Auttassung des ( jegenstandes nut N'orliebe
in ein iragikomisches Kolorit getaucht war. kann man schon von
vornherein annehmen, daß diese dojipelle X'orliebe sie zu einer
häufigen Wiedergabe von Zahnoperationen führen mußte. Lud l,U-
sächlich gibt es eine Unmasse solcher Zahnarztszenen, die in mehr
oder weniger Anlehnung an Brouwers, Teniers' und Üstades Meister-
werke von Xach.dmiern dieses Dreigestirns geschatlen wurden. In
jenen glücklichen Zeiten, in denen das ärztliche Gewerbe von bei-
nahe jedem betrieben werden konnte, fingen die herumziehenden
Quacksalber meistens zunächst die Ausübung ihres Handwerks damit
an, daß sie den lieben Xächsten die Zähne ausbrachen, zu welchem
Eingrifl noch nicht einmal ein Privileg notig war. Solche lahrenden
Zahnkünsller tehlten kaum aut irgendeinem lahrmarkt, und neben
einem schreienden Ausrufer, dem oft phantastischen Kostüm des
Operateurs zogen eine L'nmasse als Anlockung aut dem Tische auf-
gestapelte oder in Schnürenlorm autgereihte Backenzähne die Menge
an. l-ine solche Darstellung zum Beispiel sehen wir in x^msterdam,
von Jan \'ictor 1634 gemalt; der grotesk angezogene Zahnreißer
arbeilet unter einem chinesischen Zelte. In der Ecke kämpfen zwei
Straßenköter imi eine Üchsenkinnlade , eine hübsche svmbolische
Anspielung. Die besten der holländischen und flämischen Sitten-
maler haben diesen \'organg als Interieur behandelt, wt)bei sie besser
Gelegenheit hatten, der Szene einen satirisch-humoristischen Charakter
zu geben. So treuen wir uns über die komische W'irlaing der Ope-
ration auf dem Ostadeschen Bilde aus Wien. Wenn sonst einm.d
bei einer von ihm so unübertroffen gemallen Bauernschlägerei der
eine oder der andere Zahn verloren ging, so zeigten alle (iesichter
nur die Stufenleiter der Wut und Raserei; hier aber losl der in
der Wohnung des Dorfbaders betreite Backenzahn in den Zügen
der Anwesenden ganz verschiedene Wirkungen aus. Die entsetzte
Jammermiene des knienden Hheweibes kontrastiert mit der Heiler-
424 «iie>JC>:<s<5>iß<si>S'St<sio>!K!5iSi5StiK<s Zahnoperationin jssss^iSJßiOi-OiiSiicsjeiSiisstiOtSiißiOtißJöiCi-otiK
keit der anderen, wt-ibci man unwillkiirlich an d^^n allen Spruch denkt:
»Die Schadenlreude ist di'ch die reinste l'reiide« (siehe Fimir 246).
/tf<>< Intii Km .\ rt i fij . /''it>f.
Fig. 248. Dlt Zalinaiv.t.
Von Gerard Dou.
In nicisterhah \-ollendeler Weise hat der l-'euennaler Gerard van
Honthorst das verscliiedeii nuancierte Interesse der Zuschauer zum
Ausdruck gebraclu (in der Dresdener (iaierie). Noch in später Abend-
SKJöSiJCiiSiKißStiOisSJOiSiJCiiOiiSJSJviiSJKißJOiSiJviJCS Zahnbrechf.r siJSiiKSiSiißSiisS'iSJCiiJKSiSiiCiJCi'öSiJKiftjS 425
stunde kommt ein Trupp von Leuten zum Zalmarztc damit er einem
ihrer Freunde den sclnnerzhaltcn I^ackcn/ahii cnllernc. Bei Kerzen-
Hanjstaengt piwl . K.tssei.
Fig. 249. Der Zahnarzt. \un David Ttniers.
beleuclitung vollzieht sich die (.Operation. Der weitgeötinete Mund des
Schmerzgequälten ist der Mittelpunkt des (jemiildes, der gleichzeitig
durch eine vorgehaltene Kerze den Höhepunkt des Lichtetiektes dar-
stellt. Das Mienenspiel der Beteiligten, die ganze druppierung der
Personen, die ßeleuchtungseftekte und die gute Erhaltung des Ge-
mäldes machen dieses Werk zu einem der Hauptwerke des in Italien
426 JS<ßiSS>'«!S!0>i«JSiO>i««!t'«!SS>i5iI(JSJ«E ZaHXOPERATIONEN SSißiKiSiSSiiSiOiiSiSiOiJSStiSiCiJßSiSiSiJSJKJSt
unter dem Namen Gerardo Jclla Xt)Uc beliebten und aneil<annlen
Meisters (siebe l-'igur 247).
Wcibl das bekannteste Zabnar/lbild stanmit \'(in dem von uns
schon so viellacb Ljenannten Rembrandtschüler Cierard ])ou. leb darf
wohl daran erinnern, daß. als die Deutsebe (jesellsebalt tür ("birur^ie
l-ig. 250. Der Zahnarzt. \'oii David Tciiicrs.
ibr iünlundz\vanzi,i;iäliriL;es Jubiläum leierte, dies (jemalde xon Mit-
gliedern derselben als lebendes Hild gestellt wurde. Kostlieb kommt
der Humor auf demselben /u seinem Keelite. Der l^auernbursebe
faßt mit dem l-'in^er naeb dem Platze seiner Qual, um sieb zu über-
zeugen, daß der Attentater aueb wirklieb beraus ist; dabei sind seine
Augen vom Brüllen nocb wie berausgequolleii, und der Zaimarzt
3
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ü-,
428 JKJKiJiiOiiSiSJKJCtSiiSJSiSJSiSSiSiSiiOiSt Zaiinü1'1;kationhn «tSiStiSißSiJXSi-CiKSXSißiSSiSiSiiSiOtißJKJCitSi
— zeigt triumphierend seine l^eute. Der übrige Beirat des l'enster-
bildes ist der tv|iische (siehe l-ii;ur 2 (N).
\'on Teniers dem Jüngeren besitzen wir zwei solche Darstellungen,
die eine in Kassel, mit ollenbarer Anlehnung an Dou. Wie ein
Sieger und im ( dücksgelühl des lirlolges demonstriert der junge
Zahnarzt di^n Backenzahn, wahrend sich das Opier im Hintergrund
seine gequälte Kinnlade testhält. In der Komposition des Wirder-
grundes \errat sich der routinierte Meister. Xeben seinem Instru-
mentarium liegen Molmkople und ein Kataplasma, gewissermaßen
als Reklamezeichen seiner beinaiie schmerzlosen Methode. Genau
denselben Gegenstand zeigt das Dresdener Bild, und doch welcher
Kontrast in der Auffassung! In stoischer Ruhe, ohne mit einer
Wimper zu zucken, sitzt der alte weißbärtige Scharlatan in grotesker
Kleidung, in pelzbesetztem Mantel und wallender b'eder aul dem
Barett. Er kennt keine technischen Schwierigkeiten, aber auch kein
Triumphgefühl mehr (siehe bigur 249 und 230).
Alle diese Gemälde sind \ielfach radiert und gestochen. Unter
einem solchen Schwarzkunstblatt \'on lan van der Bruggen (geb. 1649)
stehen die W'rse:
La dcnt que vous vovez luv causa de la rage
Kstant ostee, reprenJ le patient courage.
En luv faisant du mal je luy ay fait du bien
On dit qu'aprcs douleur un bonheur en revieiit.
Sahen wir bisher Zahnbrecher aus der niederen Herkunft der
Dorlbader und Scharlatane, so zeigt uns ein lamoses (jemälde von
Rombouts, einem Antwerpener Rivalen \-on Rubens (1660 bis 1690),
einen technisch und gesellschaftlich ollenbar lu)herstehenilen Dentisten.
Das geht schon aus dcv Masse von Instrumenten hervor, die er aul
dem Tische liegen hat. Wir sehen da neben dem (jeißtuß Pelikane,
Überwürfe und Kntenschnabelzangen imd auch dun Rvifschen Mund-
spiegei (».Mundstück«), dazwischen mehrtache Dipilome. Das in
der Farbe ziemlich matt gewordene Bild interessiert besonders durch
die eigentümliche Auffassung der Zuschauer. Bei dem mit gelalteten
Händen am Tische sitzenden Zuscjiauer suchte der Maler das Problem
der malerischen Darstelluni; der durelisichtigen Kornea zu lösen —
allerdini^s erlolglos (siehe h'igur 231).
Wir wollen die große Reihe dieser Zahnarzt- und Zahnbrecher-
bilder schließen mit der \'ortührung einer Spezies, welche, wie ich
annehme, ausgestorben sein durtte: des Zahnarztes zu Pierde. ^\\■lch
430 «tiOtJCiiCtJOiJSJßjßiSißiOt'eijSJSiKißjKX^JK!« Hospitalwesen äßiKJßiSiöiXsssiiSiKißiSJSJSJOiiOtJCtStSiisSiSiSi
schlauer Bursche diese Abart erfunden liat, entzieht sich der historischen
Forschung, aber man mul.'i sagen; die Idee ist nicht schlecht. Das
Rößlein verriclitct dabei das Hauptgeschäft. l-s bringt den Künstler
von Ort zu Ort, es sorgt tür die nötige Reklame und drittens ist
es der beste Assistent. Die Prtizedur ist lolgende: der Zahnreilk'r
faßt von seinem erhöhten Platze aus natürlich besonders gut mit
der Zange den Zahii; hat er ihn lest zwischen den Branchen, so
macht die Rosinanle, angeteuert durch einen saniten Sporendruck,
einen kleinen Bocksprung, und der Zahn ist heraus. Das Bild selbst
ist in der tur Lingelbach charakteristischen italienisierenden Manier
gemalt (siehe ligur232).
HOSPITALWESEN
Aut meinen Wanderungen habe ich es nicht unterlassen, alte
Hospitäler aufzusuchen, wo ich es nur konnte. Die Hollnung
führte mich dabei, außer Resten alter hvgienischer Hinrichtungen auch
dekorativen Schmuck zu linden. Die Auslese war mehr wie dürltig.
In Italien tragen manche alte Gebäude aus Irüher Zeit noch
Namen, welche auf die ehemalige Benutzung des Gebäudes sich
beziehen. Aber fast nichts erinnert an den Zweck des Hauses. Da
ist in einem venezianischen Hospital noch eine schöne Taleldecke;
in einem anderen Holztäfelungen und wundertätige Bettstellen. In
den Hospitalskirchen aber und Kapellen oder b'riedhöten finden wir
kaum etwas anderes wie in anderen Häusern mit gemeinnützigen
Bestimmungen. Und wenn wirklich einmal in trüberer Zeit etwas
dieser Art existiert hatte, so war es längst in schwerer Zeit ver-
äußert und in irgendwelche .Museen entführt. Brüderschalten, welche
schadhafte W'andbemalungen nicht mehr ausbessern widlten, über-
tünchten gelegentlich bresk-en aus aller Zeit. Selten einmal sind sie
noch vorhanden*). Dun reichen italienischen und spanisch-holländi-
schen Hospitalanlagen können wir mit unseren ärmlichen deutschen
•) Henry Meige, Les Tapisscrics de Reims igoi. Eine Ausnahme macht unter anderen
der berühmte Majolilofries vom OsiJedale del Ceppo in Pisloja.
iO!!C*!C(!SS>i«StS>iKiiSiKSi Das Heiliggeisthospital in Schwäbisch-Gmünd JCü!Oi<o>s>s«<!!S>«<K 431
\'crhältnisscn kaum etwas an die Seite stellen. Einige Stadtkraiiken-
häuser haben sich aus alter Zeit noch hinübergerettet.
Su das Ileiliggeistspital der früheren Reichsstadt Schwäbisch-
Gmünd, von dem uns zum ersten Male zwei Urkunden des Jahres
1269 melden. Wir verdanken dem Pfarrer Denkinger") eine sehr
interessante Geschichte dieses Hospitals, welches in seiner Anlage
wie die meisten, um nicht zu sagen alle, Spitaler einer klosterlich-
kirchlichen Armen- und Krankentürsorge seine Entstehung verdankt.
Diese Hospitäler waren durch Erbschalten und Stiltungen allmählich
in d^n Besitz von großen \'ermögen gekommen. Ptründnerhäuser
mit einem ausgedehnten Okonomiebetrieb ließen das eigentliche
Hospital jedoch in den Hintergrund treten.
»Seit den dreißiger Jahren des vierzehnten Jahrhunderts hatte
das Spital ein ganz anderes Aussehen gewonnen. Durch viele
Schenkungen und Käute wuchs sein (irundbesitz bei der Stadt und
in entfernteren Gegenden tmd vermehrte sich im fünfzehnten Jahr-
hundert so sehr, daß kaum ein Ort des reichsstädtischen Gebietes
war, wo das Spital nicht Besitzungen hatte. Dadurch gewann das-
selbe den (Charakter einer ausgedehnten Grundherrschatt. Ein Gang
durch das Spitalanwesen des fünfzehnten Jahrhunderts möge uns
dessen Bedeutung und Leistungen vergegenwärtigen. Unten am
Marktplatze stand die Spitalkirche. Sie war imi 1443 bedeutend ver-
größert in das Vorderpfründhaus eingebaut worden, statt des romani-
schen im deutschen, das ist gotischen Stil. Ottmaliger (Gottesdienst
versammelte hier die nichtbettlägerigen Kranken. xAn den Sonn-
und Feiertagen wurde ihnen das Evangelium verlesen, die jeweilig
fälligen Seelgeräte verkündet und die Xamen der Stifter und Wohl-
täter verlesen, damit sie derselben andächtig gedenken. \'on der
Kirche aus gelangen wir m das zweistockige vordere Pfründhaus.
,Arme Kranke, Pilgrime imd elende Perst)nen beiderlei Geschlechts
werden hier versorgt, dazu zeitlebens Autgenommene, welche allda
sanftmütig erhalten werden und dankgenehme Hülfe der Liebe erfahren.'«
*j Das städtische Hospital zum Heiligen Geist in Schwäbisch-Gmünd in Vergangenheit und
Gegenwart. \"nn Wörner u. Denkinger. Tübingen IQ05.
432 SS!5<ßi«iCÜ!SJß!C!<!tSt-C«'i><S<S'0tS>!S»iiK!S HoSPITALWESEN jßKüSKJSiKSÜJßSSJO'^iSSiiCtiSiOi'CiiKiSJCt'ÖJKJKiS
Natürlich kostete diese 1-renulenfürsorgc dem Spitale viel Geld.
Unter den gewöhnlichen Werken der Hrbarniung kommen auch vor-
übergehende Verplleger und Brotspender in Betracht. Im übrigen
verwandte man auch die Insassen zu Arbeitsleistungen. Sie mul^ten
bei ihrer Autnahme \'ersprechen. nach ihren Kräften sich zum
Krankendiensl, Wachen, lb)lztragen und allerlei Dienstleistungen in
der Spitalokonomie gebrauchen zu lassen. Auch beim Baden und
Saubern der Kranken mußten die Armen behilllich sein.
Im oberen Stockwerk des Plründhauses waren zahlende Plründner
einquartiert. Diese, »Keichenph'ündner« genaiuit, hatten ihr eigenes
(iemach, Speise und Wein. Zu diesen zwei Ftründhausern kam
noch eine Wohnung des Spilalmeisters mit der Kanzlei. berner
gehörte zum Sj-iilal eine .Mühle, eine Scheune, Stallungen, Schnüede,
Ptisterei, alles in allem ein Betrieb von 106 laudiert Ackers, 70 Tag-
werk Wiesen, 1070 jauchert Wald, tur die b'ruchtgühen und sonstige
Gefälle von gegen 230 (jütern in Stadt und Land.
Die .\nlorderungen, welche an dieses reiche, ganz aus Schenkungen
und Stiltungen autgebaute L'nterstützungsinstitut gestellt wurden,
waren aber so große, daß sich nie so viel (jelder erübrigten, um
grandiose Kunstschoplungen zu schallen, wie dieses in Italien mög-
lich war. Was jetzt noch da ist, kann nur als armselig bezeichnet
werden. Die Reichs|Hilizeiordnung \om |ahre 1 3 50 weist den Obrig-
keiten und Gemeinden die Pllicht der Unterhaltung ihrer Kranken
zu. \'on dieser Zeit an luitten nur die Bürger Ans[iruch aul soziale
l'ürsorge. Der Rat der Stadt übernahm die \'erwaltung des Spit.ds
und stellte eine Spitalordnung aul.
Dann kam der Dreißigjährige Krieg und im Jahre i6|(S klagt
der .Magistrat über den Ruin, worin Stadt- und Spilalwesen stecken,
da die Hinquartiei'ungen alles .Mark und Kralle aulgezehrt haben.
Räuberbanden hausten auf dem plallen Lande. .Allmählich geraten
die Stittungen in X'erschuldungen luuI die Stadl ist nicht mehr im-
stande, eine X'erzinsung der ,Stittungskapilalien autzubriiigeii.
in dieser Weise mag sich auch an anderen Stellen des
deutschen Landes die Kurve einer Krankenh.uisentwicklung vollzogen
iOiJOtJSiJCia'iS'ißSiJSJO'iSJS'CiJCiSiSiiKSi Diu Fesselung Geisteskranker iOiSiSi'öiKi^iC'SiiSiSiiiJßiCiiOiäCi 433
haben. Aus kleinen \'erliähnissen .illniählich wachsend, ersetzte ein
Komplex von olt malerisch wirkenden l'achwerkbaulen eine monu-
nientale Außenwirkun^;. - Liest man die Berichte und Rechnungen
solcher Häuser, die viellach auch zunächst als Zulluchtstätten der
Fig. 255. Inneres eines Krankenhauses.
\'on Eurgkmair.
Sondersiechen gegründet waren, st) ist von eigentlicher Kranken-
behandlung wenig die Rede. xManchmal hören wir von Schwer-
kranken, solchen, »die unter sich tun«, die eigene Küche und Bad-
kessel bekommen. Als Illustration diene ein Bild, welches Burgk-
mair offenbar nach eigener Ik'obachtung gezeichnet hat. In einem
solchen Krankensaal befindet sich ein Insasse, der an der Wand fest-
Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei. 2. .\uflage. -S
434 JKSfiSJS'CSiKSifeiJCiJCiSi'CiJßjßSiiOiJßJSiSSi Homtiaiwi si;\ iCiJßJSiXiSiKiiXiSJSiJÖSSJSSiiSJSStiKiOiJSSiißJSiOt
gemacht ist (sielic Fi_mir 233). Es bedeutet das nun Iceineswcqs eine
\ erbinduHi; eines Krankenhauses mit einem Gefängnis, sondern liier
ist ein (Geisteskranker inmitten anderer Siechen dadurch unschadhch
gemacht, daß er an Kelten gelebt wurde. So werden in den Gmünder
Pig. 2,1. Ilospiiai Santa Maria dflla Scala.
Freske von [Jartolo <li Domeiiico (14401.
Protokollen vom Jahre 1 (v!^ Kranke erwahiU von Mangel und (Ge-
brechen an ihren liml Sinnen. «Solche werden zwar, da es die Xot-
durtt erhirderl, mit Anlegimg oder im (jelangnis behanilell, bek-oniinen
aber wie andere arme Menschen gut Wesen, Trinken und Geld.«
1323 muß ein .Main), »der in seinem Haupte etwas enlriclu und
seiner \'ernunlt nicht gebräuchig ist«, wegen Gelahrliclikeil in hisen
gelegt werden. Das sind die Anlange unserer Irreiipllege.
436 ißStJSiCiißissiißjß'ö-ciiC'S'SiißjßiSJSißSi Hospitalwesen •ssiKXiCiiSiSSiicS'CisxsiSiiSiSiCSiKJjiSiSiJSJOije'iS
Die ältesten wirldichen Huspitaler des Abendlaiules finden sich
in Italien, uu^\ ani^eblieli das erste derartige Institut wurde in Rcmii
uni das Jahr .\oo herum xon einer Frau aus dem (jeschleciite der
1-abier nach ihrer Rückkehr aus Jerusalem gegründet. Nachdem
dann noch durch einige Patrizier zwei Ncisokdnuen entstanden
waren, übernahmen bald die l'apste die Sorge um diese W'ohlhihrts-
einrichtimgen. Das gruße Hospital San Spirito stammt angeblich
in seiner ersten Anlage aus der Angelsachsenzeit. Die jetzige Form
und (iestalt desselben begründete Innozenz III. ( i 1 9N bis 1216),
und der nach dem Hospitale benannte Orden \-om Heiligen Geiste
war von (juv von Montpellier gestiftet.
Innozenz bezweckte diu-ch die ausgebreitete Stiltung von lleilig-
geistspitälern neben der Humanität auch seiner weltimispannenden
Macht Ausdruck zu geben. Die im baute von einigen Jahrzehnten
namentlich auch in Deutschland massenhalt entstandenen Heiliggeist-
spitäler waren durch eine Organisation \erbunden, deren Zentrale in
Ivom lag. Eines der ältesten italienischen Hospitäler war das N32
gegründete Hospital Santa Maria della Scala in Siena. \'on diesem
Krankenhause besitzen wir genaue Berichte imd wissen, daß es aus
einem Kloster, einem Siechen-, Kranken- und bindelhaus bestand.
Einen Einblick in dieses Krankenhaus gibt uns die 1 ( |o gemalte
Freske von Hartolo di Domenico, dem Bruder des bedeutenderen
Rartolo di 'l'addeo. Den \'ordergrund des Bildes nimmt ein grolkT,
geräumiger uiul reich ausgeschmückter Operationsraiun ein. Von den
eigentlichen Krankenräumen ist er durch ein (ntter getrennt. In
diesem \'orderraum werden in Säniten die Kraid<en zur Jk'handhmg
hineingetragen, gebadet und umersucht. \An Teil der Behandlung
lag in den Händen der Klosterbrüder, und es wird berichtet, daß
auch ein Chirurg dauernd in der Anstalt lebte (siehe Figur 23 |).
Andere Brüderschaften imd Orden gründeten schon Irühzeitig
Krankenanstalten; so zum Ik'ispiel geht der Ursprung des Danziger
Stadtlazarettes auf den Deutschorden zurück'. Außer den Brüder-
und Schwesternhäusern der (^lollegia Begiu'narum gab es noch die
Isolierhäuser der diu'ch bürgerlichen 'l'od bestrallen Aussätzigen.
G
43^ JCääKJSißJSSiSiJCiiKietiSieiSiiOiStSiSSJSSiiß 1 IospitaLWESEX äKJKJXiOiißiOiiliSiSiiSJOiiSJSSiiKStJKSiJSJCSJJiSKJOe
Diese St.-(icori;s-lIospilälcr la^cn aiißcrlialli der Si.ull. Das Herein-
brechen der Luslseuclie und die immer wiederkehrende Pestgctahr
/wani; die lümimunen /ur l'j'hauuni; ndu L;leichlalls Nor der Stadt
gelegenen iVsthausern.
Das Berliner IV-sthaus bildete den (irund zur Charite.
Durch einen Abhil.Uiriet*) \nm Jahre 1 3 lo bekonmien wir einen
Einbhek in das I h'itel-Dieu, das große und berühmte allgemeine
Pariser Krankenhaus, welches unter dem unmittelbaren Schutze des
Königs stand und im Anlang des siebenten iahrlumderts gegründet
war. Bevor Ludwig XI \'. diju L'mbau dieser großen Krankenanstalt
ange(udnet hatte, trug es, wie wir dieser Abbildung entnehmen,
einen sclmn recht stattlichen Charakter, nachdem das Hospiz sich
allmählich um die Mitte des zwöltten Jahrhunderts in ein Spital
verwandelt hatte. Die Kranken lagen aber, wie wir sehen, durch-
einander, zum Teil mehrere in einem ]-5ette. Wenn auch im \'order-
grunde Tote in Anwesenheit der Kranken in Säcke eingenäht werden,
so macht doch das (ianze einen groß angelegten lündruck. In Wirk-
lichkeit aber müssen die Wriialtnisse furchtbar schlinnn gewesen sein.
Die Kranken lagen alle durcheinander, manchmal vier in einem Jk-tt;
andere nuil.Uen, aut Bänken sitzend, die Xacht verbringen. Der Lärm,
Schmutz und destaiik in diesem Hause spottete jeder Beschreibung.
.Saalinfektionen waren wn der 'Lagesordnung. Allerlei \'erbesserungen
zum Trotz dauerten die Zustände fort. Die lli')tel-Dieu-l\onnnission,
in l'rkenntm's der unerträglichen Situation, schlug 1 7.SS die Umwandlung
dieses einzigen Kiesensterbehauses in eine Reihe xon Linzelbauten
nach englischem N'orbilde \-or. Laxoisier, der bührer dieser Kom-
mission, starb aul der (juillotine, und so dauerte es noch mehrere
.Menschenalter, bis l'enons und Lavoisiers \'orschlage durchdrangen.
b.in Stich Non Abraham Bosse (gestorben i^J^^) zeigt uns d.is
Innere der Pariser (Charite. Xacii der ganzen bam'ichtung aber und
auch der Cberschrill kann es sich mu' um die .\bteiliuig gehandelt
haben, w(,)rin die »Keichenplründner« lagen. Wii' sehen eine lange
Reihe von über zwanzi" gegenüberstehenden Iktteii, welche durch
•) Original in Brüssel. Originalaufnahmc im Kaiscrin-l'ricdrich-l laus.
JSSSSiiSSiiKSiSSSiiOt-StißSiißJKieiiKSiiJiiOiiSiK GebäRABTEILUNGKX JCÜiKJßiOiiKSiiKiOtißSiSiJSSiilia-SiJSJOtiOe 439
Vorhänge uiui CbLTbaulcn gegen die Umgebung abschlicßbar waren.
Es ist die Zeit des Mittagsmahls und Bruder im M(Hichsge\vande
verteilen das lissen. Der ganze Saal macht einen durchairs \-()r-
nelimen Hindruck; hohe, große h'enster lassen Licht imd Lult in die
weite Halle; demälde schmücken die Pteiler (siehe bigtu' 233).
Im Ilötel-Dieu in Paris, wo iriihzeitig, wie auch zum Beispiel
im Nürnberger Krankenhause, Schwangere tmd Gebärende verptlegt
wurden, sah man sich durch schlimme lirlahrimgen \eranlal.^t, eine
eigene Gebärabteilung /.u errichten. Wenn auch nachweislich durch
Johann Jakob Fried erst im Jahre 1720 in StraLU">urg die erste wirk-
liche hjitbindungsanstalt entstanden war, so erinnert uns ein (je-
mälde von Andrea del Sarto daran, daß schon erheblich früher
isolierte Frauenspitäler in Italien existierten. Unser Bild führt uns
in einen Saal, in welchem Bett an Bett steht. In einem liegt ollen-
bar eine Wöchnerin mit einem Kinde (siehe bigtir 236).
Daß st)lche wohl auch an anderen Orten hier und da \'or-
kommende Abteikmgen für (jebärende und Wöchnerinnen aber keinen
F^influß auf die Entwicklung einer wissenschaftlichen Geburtshilfe aus-
üben konnten, das geht schon aus der Tatsache hervtir, daß auch in
der größten derartigen Abteilung, im Ilötel-Dieu in Paris, auf geist-
liche Anordnung hin AFinnern überhaupt der Zutritt verboten wurde
und die Kranken gänzlich den llebanunen ausgeliefert waren*).
*) Wolf ticcher, Entliindungsaiistalteii. Handtmch der Geschichte der Aledizin von
Th. Puschmann, Band III. |ena itjOj.
(^
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S UM|]cit fcp ntcit«ici(t((>/ ^M
eine &(\m\ ^atis^ tiTorfciKc J^am Vixta^ fcr IW>--
. li*(nClrl;iici) viitS.'cil'JrWiiliriic /iiiiffWiitTiMtii -'••'■i.'^-r «^^
.»"'v'.tt^-»—» ' i'iiil' iiviMff Vh .iiifTfdiniiitlaii piliäcr/ (ii tim
&t(hkwf! iillfiic niiff Dtin ?t(iV(iiKmvfi*i'crf.iiiil(in'nf5u|aiiiin(ii
fi'iiinitii/ l'ritcmc ortciiilKt; t'rfMir r.|: CliipMlij halben frirmnifii
l'll^^lll(ll lK^^cll. 'ö.\ mm idiuiiM i'Cii ■i''ijr,i(rii cttt 5?iira(t?.
Äiif cm l'oMxr Igifiiiic ti'rffiii! / l'll^ l'ui) imi Tir .Hr.iiicHKii ^(^; Clcil;.
fal:s kluffc ftnii i'tnnuIjKl / f criröllc fid) iiii tdü^iil Cit/ i>iiib Me !'(<
|ciinri((riunM'np5iiit!(rfliäcii/fn5iillfÄiiiini(li'cit/wit>crtniili(t!(r
©(tiiWfldvariciiK.
Fig. 257. I.cpraschauzcttcl vom Jatire 1632 tür
die Scbaldusfiirclie in Xürnliero;.
LAIENBEHÄNDLUNG
HEILIGE KÖNIGE
fxhon ein nbciilächlicliLN Ijclrachtcn und Durchblättern der
in diesen ßlättern wiedergesehenen (;eniälde lehrt, daß hei
weitem der größte l'eil derselben der holländisch-Hämischen
Kirnst entstammt. Der drund liegt in den äußeren bereits bespro-
chenen X'erhäitnissen dieses Landes, (jenau so sind nun die Gemälde,
die wir noch kurz zusammenlassend behandeln wollen, in katho-
lischen Ländern zu Hause. Der Klerus war eben dort ein beinahe
konkurrenzK)ser Mäzen und Auttraggeber, und diese dominierende
Stelhmg beeinflußte selbstverständlich auch den Charakter der Kunst-
erzeugnisse. Die Größe eines ALulNrers und Heiligen ollenbarte sich
tür den gläubigen Betrachter eines Kirchenbildes am ehesten durch
die Darstellimg einer W'underkur. Die Heilung eines durch itiensch-
liche Kunst Unrettbaren durch den Odern göttlichen Machtspruchs war
das wirksamste Objekt lür ein dramatisches Kirchenbild und so finden
wir diesen Cjegenstand bis zur Langeweile häuhg in allen Schulen
und allen (jalerien der verschiedenen italienischen Kunstepoclien.
Die zahlreichen Illustratoren des i-ebens Jesu landen im Neuen
'Lestament genügend historischen Stol1: \Jnd siehe ein Aussätziger
k'am und sprach: Herr, so Du willst, kannst Du mich wohl reinigen.
Und Jesus streclae seine Hand ans und rührete ihn an mul s[irach:
ich will es tun, sei gereinigt. Lnd alsobald war er von seinem
Aussatz rein. Unter anderen hat Cosimo Kosselli diese Szene in der
Sixtinischen Ka[ielle geschildert.
Auch andere Stellen des Lvangeliums Matthäi N, ]6 haben olt
malerische \'erwertLmg getuiulen: Am Abend aber brachten sie\iele
Besessene zu ihm und er trieb die Geister aus mit Worten, mul
machte allerlei Kranke gesimd. Und dann die liebliche Geschichte
von der Aiiterweckimg des Jünglings zu Xain und des Tochlerleins
442 jKStSiieiiKJCitSiJßStiS'ßiSiSiCi'eiiCiiOtSiiOS Laienbehandlunc <^:<^:<^:<f:<f:<ii^:<f:<>::/>^^^^^
Jairi. llaulincr m)i.:h als den WuiukTlalcn des (nntcssuhnes selbst
wurden den Werken seiner jünger, die er mit den Worten entließ:
Maeliet die Kranken i^esund, reiniget die Aussätzigen, wecket die
Toten aul und treibet die Teutel aus. tarbige Denkmäler gesetzt. Eine
solche Tätigkeit der Apostel Petrus und Johannes in den Straßen
von Jerusaleni stellt ein Irüher lälschlich Holbein zugeschriebenes
Werk des Xiederländers J^uekelaer dar. I:s handelt sich um Ahissen-
heilungen. Aul der einen .Seite kommen die Kranken aut Stelzen
und allen möglichen \'ehikeln, aul der anderen Seite ziehen sie Iroh
und lustig, Krücken und Betten aul dem Buckel, geheilt wieder ab.
Der Maler ist ein Schüler des Meisters, der das erste Anatoniie-
geniälde gemalt hat, Bieter Aertsen (siehe b'igur 238).
^\'ir haben die (leschichte der großen ]\rankenheiler und der Ileil-
patrt)ne des näheren in der »Plastik und Medizin«, Seite 300 II., verfolgt
und haben dt)rt gesehen, wie die Irühe Kirche in kluger Berechnung
und mit richtigem \'erständnisse der nach überirdischer Anteilnahme
lumgernden\'olksseele es verstanden hat, die enttlironten lleilgötter der
Antike selbst durch christliche Märtvrer zu ersetzen. Wir zeigten an
jener Stelle, daß diese Umwandlung viellach sich aul (irund eines orga-
nischen Prozesses wie von selbst vollzog, daß aber auch ad hoc ge-
schaffene Kulte von dauernder Lebenskralt erlüllt waren. Wenn wir an
dieser Stelle noch einmal kurz aul das arabische Brüderpaai' Kosmas und
Damian zurückkommen, so geschieht es deshalb, weil diese Brben der
Dioskuren ganz besonders häuhg eine bildliche Darstelkmg gefunden
haben. Die "anze Lebensgeschichte der umsonst behandelnden Brüder
ist von P'ra Angelico in einfacher aber doch rührender Weise gemalt
worden. Besonders drastisch malte er die Lpisode, wie Pleile und
Steine sich von den bekreuzigten abwenden, um aul die Häupter
derer, die sie toten wollten, als es Abend wurde, zurückzuprallen. - -
Die Münchener Pinakothek besitzt eine ähnliche Piildertoige,
von Lra Gio\anni da biesole gemalt. Selbst das letzte, etwas ge-
wagte Wunder hat Vnx Angehet) in den Ikaeich seiner Darstellung
gezogen. Weil der heilige Damian von der geheilten Palladia als
Lohn drei J:ier angenommen hatte, wollte der erzürnte Kosmas im
JOiiOiSiSiK^SiJOi'CiSiiOiJiiSiiviiOiSiiv'iKiSJSJS'C? KoSMAS UND DaMIAN «ßSiiSiS-ÖJSS'JS'iKSi'etStStSiiOtSiSiiS 443
Tode nicht neben dem Bruder liefen. Das kindlich Rührende des
primitiven (iemaldes, auf welchem ein Kamel, dazu nt)ch auf latei-
nisch, dk:n Befehl des Herrn: Nolite et)s separare, \viederi;ibt, ver-
meidet die Gefahr der Lächerlichkeit.
Allein und in \'erbindung mit anderen Heiligen erscheinen die
beiden hunderttach gemalt, gedruckt und gezeichnet auf Heiligen-
Israel -'au Mcckenen. lj<'J-
Fig. 259. Kosni.is und Damian.
bildern, aul liinzelblättern, Exlibris und als Buchillustration. Sie stehen
oder sitzen da und halten in den Händen die Insignien ihrer Tätigkeit.
Da meist der eine von ihnen ein Getäß trägt, welches einer Apotheker-
büchse ähnelt oder einem Mörser, so werden sie auch als Arzt und
Apotheker aufgefaßt. Der eine aber hält regelmäßig das L'ringlas in
den Händen als Ausdruck der diagnostischen, ärztlichen Kunst.
A\'ir haben über diesen Gegenstand schon mehrfach berichtet,
so daß wir uns hier begnügen können, im I^ilde zwei derartige Dar-
444 iCiiSiKiSJSissiJSißiei'SSiSiSiJCüiOtJCi'C«:« Laiexbehandlung iCiJOiJß'KSiiiSJßSiisstiSißiKiSJCiiSiKiCiJßJS'ö'O!
Stellungen zu zeigen. Die eine betrifft eine frühe Kiipferarbeit des
Israel van Meekenen. \ Dn besoiulerLT Selione aber ist die Tatel des
Roger van der Wcvden aus dem Städelschen Institut. Neben anderen
Heiligen sehen wir dort das iir/tliche Brüderpaar. Beide in der ärzt-
lichen Tracht des tünlzelinten Jahrlumderts (siehe Figiu' 261)).
Kt)snias halt neben dem Uringlas noch einen Zettel in der Hand;
der Bruder einen Pllasterspatel. Die klugen Kopie mit nachdenk-
lichen Gesichtern sind vielleicht bekannte Ärzte ihrer Zeit. Wir
haben schon gesehen, daß auch nocii viel später es beliebt war, sich
als Arzt in Haltung und Ciebärde dieser Heilpatrone verewigen zu
lassen, wie römische Imperatoren aut Münzen sich in der Stellung
des Asklepios prägen ließen. Es wird \on den Künstlern meist
Wert daraut gelegt, den \"on den beiden Brüdern, der einen Mörser
oder einen Salbenbehälter in der Hand hat, mit kurzem Rock dar-
zustellen. Eine Sammlung lür sich würde die Zusaiumenstellung
der Buchillustrationen dieser Art bedeuten, die namentlich im sech-
zehnten Jahrhundert tmgemein beliebt waren. In der künstlerischen
Wiedergabe der Heilpatrone überwiegen die kleineren Erzeugnisse
der Malkunst bei weitem die plastischen Kunstwerke; das hat auch
seinen Grund darin, daß die Brüder doch immerhin nur wenige
Kirchen und Kapellen besaßen, in denen sie als Hauptheilige \'er-
ehrung fanden*). Die W'rehrung und Popularität der großen Kranken-
heiler löste sich aber im .Mittelalter inmier mehr aut und zerliel in
ein Spezialistentum von Heiliggesprochenen.
Die praktische Bedeutung dieser Spezialheiligen geht aus einer
Schilderung des bedeutenden französischen C>hirurgen Henri de
.Mondeville aus dem dreizehnten Jahrhundert hervor, die in Über-
setzung ungefähr so lautet: »Die Krankheit der heiligen Maria i)der
des heiligen Georg oder des heiligen Antonius oder des heiligen
Laurentius, welches ist insgemein der Rotlauf, und die Krankheit
des heiligen Eligius, welches ist Eistel und (ieschwür und laterimg,
und die Krankheit des heiligen Macrus, welches ist der Krebs und
•) Dicht an der Vi.i .Sacra in Rom licLjt ihre Haui>lkirche, von Feli.x IV. etwa 530 erbaut,
mit den gut erhaltenen Mosaikbildern ihrer Patrone.
iOiiOiSiSiiCiJCiStJOtJCtiOiiCiSiJOiißiOtJSJOiJOtJK Die heiligen Spezialisten j>io>!C>!0>iSjji!K-0!!S!0><Ki5!iO!JO!!C><>: 445
Briukinaitn pliot.
Fig. 260. Roger v. d. Wcytlcn.
Kiisnias und Damian.
J-ranl.Jurt, St.ui.-UJm. K:iiiitiiistil:U.
lie Hämorrhoidalkrankhcit, und die des heiligen Bonus, welches ist
1er Umlaul, und die Krankheit des heiligen Clarus, welches ist ie"-
440 SiSiJSJO-JCüSt-StJCtiOiJöiSSfiet'eiiKißSiiSJOi Laienbehandlung iK«s>!CiK>»!Kss;iS!C>jO>s>s><5>s><Ot!C«S!S>iC«!KiS
liehe Augenkrankheit, und die des hciH^en T.upus, wclehes die Epi-
lepsie ist, usw.« Die AiiruluiiL; ties Heiligen niilzt nun natürlieh
gegen die Kr.uikhcil seihst und ein lürsorglieher C^iiiriirg sielierte
sieh, wenn er seinen Rüekcn dceken wollte, die Mitarbeiterschait
einer solehen bewahrten Kratt und Autorität. Wenn wir nun unter-
suehen, wodureh diese Heiligen zu ihrer Spezialität kamen, so gibt
es zwei vollkommen verschiedene Wege, liinmal haben diese Selig-
und Heiliggesprochenen in ihrem Leben sich mit der bestimmten
Krankheit beschättigt und schon zu Lebzeiten Heilungen verrichtet,
und diese interessieren uns besonders, oder durch Oflenbarungen
haben sich (jebete zu ihren Knochen und Reliquien einmal als wirk-
sam erwiesen. So hatte zum Beispiiel der heilige Bonus so olt das
Kruzifix mit dem b'inger berührt, dal,^ er eines Tages die Üften-
barung hatte, daß dieser Linger niemals verwesen würde, und seit
dieser Zeit beten auch solche mit erkrankten Fingern zu diesem
Schutzpatron. Oder der heilige L'iacrus, ein irischer Lremit, war
auf folgende \W'ise zu einer anerkannten Spezialität gegen die
llänu)rrhoiden gekommen. \W'gen Magie angeklagt, setzte er sich
in seiner Trauer aui einen Lelsblock und siehe da: der Stein schmiegte
sich seinen heiligen Ki)rpertormen so an, dal.l ein Sessel aus ihm
wurde. Dieser Stein, jahrhundertelang im Kloster des heiligen
riacrus aul bewahrt, tat nun seinerseits seine Schuldigkeit, und wurde
jeder, der sich auf d^ju Stein setzte, von peinlichen Cheln dieser
Kor[iergegend bef-eit. Idigius wurde der Schutzpatron liir Pierde,
als er einstmals einem Pierde ein abgetrenntes Rein wieder angeheilt
hatte. Die verschiedenen Wege, auf denen man zur wundertätigen
Heiligenkralt k-omnieii konnte, illustrieren am besten die so lumderte-
mal auf einem Bilde \ereinigten beiden Pestheiligen Sebastian mul
Rochus. Dcv erste ist der christliche Prätorianer, der wegen seiner
aktiven christlichen Propaganda auf Betehl des Kaisers l)it)kletian
von numidischen Bogenschützen mit l'leilen durchschossen wurde.
Böse Zungen behaupten nun, dal,^ ilie .Maler mit Rucksicht aul
schöne Frauenaugen die descliichte dieses Heiligen etwas korrigiert
hätten, denn auf den ersten romischen Mosaiken sei der Märlvrer
als Greis mit langem weißem Barte dargestellt gewesen; man habe
aber die sonst in der Kirchengeschichte so seltene (jclegenheit,
einen nackten schönen Mann bildlich darzustellen, ordentlich aus-
genutzt. Wie dem auch sei, er wurde Schutzpatron gegen die Pest,
als im jähre 680 eine l:[iidemie in Rom wütete und Gebets-
erhörungen bekannt wurden, die sich 1373 von neuem bestätigten.
Die Pest hörte in Mailand aut, als man durch eine Ofienbarung dem
Heiligen in der Kirche St. Petrus ad vincula einen Altar baute. Die
uns bei weitem mehr interessierende Form ist die bei Lebzeiten
erworbene und man kann wohl sagen sauer erworbene heilige
Kraft. Ein Tvpus hiertür ist Sebastians Hauptkonkurrent, der heilige
Rochus, den wir schon bei den Krankheitsdarstellungen kurz er-
wähnt haben. Hs ist vielleicht ein Zufall, die seinem Leben die
Richtung gegeben: er kam nämlich mit einem Blutschwanmi zur
\\'elt, der die ausgesprochene borm eines Kreuzes hatte. l:r ver-
schenkte noch als Jüngling seinen Besitz, ging nach Italien, um den
dortigen Pestkranken zu helfen, und trat in dem Spital von Aqua-
pendente als Pestkrankenwärter ein. Er erkrankte dann selbst an der
Seuche und ist auch auf allen Darstellungen mit der Pestbeule abge-
bildet. Nach wundersamer Heilung ging er zurück nach seiner \'ater-
stadt Montpellier und starb dort unerkannt im (jefängnis. Sterbend
schrieb er an die Wand seines Kerkers: Wer von der Pest ergrifien
ist und zu Rochus Zuflucht nimmt, wird Hilfe finden. Und Rubens
schrieb unter das Bild seines heiligen Rochus: Eris in Peste Patronus.
Neben diesen später Selig- oder Heiliggesprochenen, neben all
dem fahrenden \'olk und verschiedenen prixilegierten Heilkundigen
erwuchs aber den mittelalterlichen Ärzten noch die weitere Kon-
kurrenz der oesalbten Könige. Die Urgeschichte der Entwicklung
dieses Glaubens an die Heilkraft der königlichen Handberührung
verliert sich im Dunkeln. Wenn auch Andrea Laurentio (»de mira-
bili strumas sanandi vi solis (jalliae regibus Christianissimis con-
cessa etc.«), 1609, unsere Hauptquelle, geneigt ist, diese Heilkraft
auf Chlodwig zurückzuführen, so weisen doch die ersten historischen
Notizen auf Eduard den Bekenner (1066). Die Neigung zur Spe-
44'"^ issiSisssiJCs-ciStJSissiSissjßSiStiSiCiäS Laienbehaxdlung JSiCiietsssiSiS'iß'KiCiij'jSiiOiSiJCiSiSiiOtiKiOiSiJC«
zialität erfaßlc aiicli die gekrönten Meiler und sn war des Königs von
Uoi^arn Hand liegen (ielbsucht, die des Spaniers gegen Wahnsinn,
Kcinig Olals \on Norwegen Hände gegen den Kropf und die Isoniglich
englische Berührung gegen Skroleln uu^.\ l:|-)ile[isie wirksam. Und
da der Salbuni; die W'underkralt zukam, nicht der Person, so tehlle
diese Maclu <.\cu Königinnen, wie sie dagegen den enlthronlen Konig
ins I-'xil begleitete. Das Zeremoniell des «hand\- work« ging in
England in der Weise vor sich, dal,^ der Patient mit seinem Arzte
sich dem aul dem Thron sitzenden Konig näherte, woraul dieser ihn
mit den Haiulen berülirte, und zum Schlul.^ wurde ihnen eine »touch
piece« übergeben, liine Nachtorschung im Berliner Münzkabinett
ergab, dal,^ im Britischen Museum S(,)]che Münzen aul bewahrt werden,
\()n Karl 1., mit der Umschrift: Amor populi praesidiinn regis. In
der Londoner mediko-historischen Ausstellung (1911) waren eine
ganze Anzahl solcher Münzen zu sehen. Der enorme Andrang
der Patienten mit »kings evil« schlug aber ein solches Poch in die
königliche Schatulle, daß man bald \om Gold zum Silber überging,
und als überhaupit das (ieldgeschenk wegliel, halt auch dann merk-
würdigerweise noch die Berührung. So berührte allein Karl III.
92107 Patienten im Laufe seiner Regierung. Der ]k\grifl des king.s
evil schwebt in der Luft. Pänmal werden Skroleln, dann Khachitis,
dann wieder Kropfleiden als die Konigskrankheit genannt. Nächst
historischer Mitteilung zeitgenossisclier Chirurgen \'on Lach, (iale
und Banister, wollen wir noch die Zeugenschalt Shakespeares in
diesen Dingen anführen (ALicbeth Akt 4, Aultritt 5).
.Malcolm (zum Duktuij:
Sagt, koninit der König?
Doktor:
Ja Herr, dtnn eine Sclwr von Jamnierseelen
Harrt seiner Heilung; ihre Krankheit trotzt
Dem kliigsten Rat der Kunst. Denn sein Berühren —
So heilige Kraft erschuf (iott seiner Hand —
Kuriert sie augenblicklich.
Macdulf:
Welch eine Krankheit ist's?
Malcolm:
'Tis caU'd the evil.
Sii5SiiOiSiS>j:iötisSi!K!C!io>S!SiJK!5S>siStiO!!Ci Englische Königk jOtiöiKJOüS'OSiiKiSJOiiKSiiKiOiiSiCiiCi-Oiis 449
Hans Burgkmair hat, wie sclion erwähnt, auch diese heihge
Kraft lüluards des Bekenners in unhedeutenden 1 h)l/sclinitten lür
Maxiniihan I. ijeschildert , aUerdini^s mit einem derartigen Zuschuß
freier Phantasie, daß man ihnen einen historisclien Wert nicht zu-
Fig. 261. Eduard der Bekenner.
\'on Burgkniair.
schreihen kann. Wir sehen, wie der Kimig liduard in vollem Königs-
ornate vor einem oder mehreren Kranken steht und über dieselben
das Zeichen des Kreuzes macht oder ihnen eine Münze als Touch-
piece gibt (siehe hdgur 261).
Es scheint nun. daß diese Sitte der Königsberührung von Eng-
land bald nach 1-rankreich kam, denn schon Pliilipp I., 1108, übte
Holländer. Die Medizin in der klas-i>chen Malerei. 2 Auflage,
29
45° äXJKJSSSiöSiJKissiissiieiißißiSißStiOtjK Laienbehandlung äKiCtJSJCSStJKSt'CSiSiSJOtie'JCiJßSiiSJCiJKiCiiJiiKiCt
das \'crlahrcn aus. Die Zeremonie taiul nun in l-ranlu'eicli noch
Otter stau im Anschluß an die Koni^salbuni;. Die ganze Prozedur
verliet hier etwas anders. Zunächst wurden die Patienten, wie dies
Andreas Laurentius beschreibt, von Ärzten untersucht und dann dem
Könige knieiälHg. nach Xationahtäten geordnet, vorgetührt; dabei
hatten die Spanier i.]cn \'ortritt. dann die Deutschen, und die Fran-
zosen kamen zuletzt an die Keihe. Während nun die Kapitäne der
Ciarde dem i'atienten die gefalteten Hände lesthielten und der Arzt
dabeistand, schlug der König ein Kreuz oder berührte auch die
erkrankte Stelle imd sagte dabei: »Le Rov te touche et Dieu te guairitcc
Die enorme Zahl der Hilfesuchenden, die außerdem ein Almosen
empfingen, geht aus den Zahlen hervor, die Laurentius angibt. Hein-
rich I\'., dem christlichsten und unbesiegten König von Gallien und
Xavarra, wurden allein tausend Patienten zugelührt, von denen er
mehr als tünt hundert heilte. (Quibusdam ulcera siccescimt aliis
tumores mimuiiuur et intra paucos dies ex mille plusquam quingenti
pertecte sanantur.) Nach der Zeremonie kam nun ein (Gebrauch zur
Anwendung, der gewissermaßen als eine Vorahnung der Antisepsis
gelten kann. An drei Servietten, \-on denen die erste mit Essig,
die zweite mit Wasser, die dritte mit Orangenblütenessenz beleuchtet
war, mußte der Konig die durch die Jk-rührungen vielleicht inli/ierten
Hände abwaschen. Der Knabe Ludwig Xlll. mußte zehnjährig bereits
achthundert Skrolidc'ise berühren und es ist dem Konigskinde nicht zu
verdenken, wenn es dabei viermal unwohl wurde. Allmählich scheint
die W^mderkralt nachgelassen zu haben, Ludwig Xl\'. berührte aller-
dings noch vierundzwanziglumdert, von denen aber nur lünl geheilt
wurden. Ls ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß der berühmte
(diirurg Dupuvtren Anlang des neunzehnten Jahrhunderts (1824)
Karl X. noch hundertzwanzig die Berührung Begehrende \-orlühren
konnte. J-ine Schilderung dieser Zustände aus der Anfangszeit gibt
das Gemälde van Orlevs in der I'inakothek in Turin. In der ofTcncn
Säulenhalle einer Schloßkirche findet gerade die Salbung eines Inm-
zösisclien Königs statt. In dem Schloßhol, dessen Lingang von Lands-
knechten scharf bewacht wird, haben sich eine ganze Anzahl Kranker
versammelt, die .st)\volil aut die Berülirung als auch aiit das Almosen
warten. Es ist eine interessante Beobachtung, daß der Maler unter
diesen Patienten auch wieder typische Darstellungen von Lepra-
kranken gegeben hat (siehe l'igur 262).
Diese homerische Auitassun" der von den (jottern zunächst
Fig. 262. Salbung eines französisclien Königs.
Von Bernaert van Orley (y 1542).
auf die Helden und Könige kommenden Heilkraft sucht Laurentius
in seiner bvzantinischen Schreibweise noch historisch zu erhärten
dadurch, daß er des Tacitus Zeugenschait dattir anrult, daß \'espasian
einen Blinden und Lahmen geheilt habe, daß Spartianus den Kaiser
Itadrianus habe Kranke heilen sehen, daß Plinius den englischen
Königen aus dem Stamme der Andegauenser die Heilkratt gegen
die Epilepsie zuschrieb, daß Cassaneus bereits in seinem Catalogus
45- 3KSKietSt<C!S!!0i:«55je>jC>:st<s<0t<s"<KJS<ß<et Laienbehandlung i«ä5t!Ci!C>iSiKiC?s><i>!C«!0iSiS><ß!C><0!St!C>!0>-et!S!K
Muiuli d<:n Unt;arnkönii;en Ikilkrall gegen die (Gelbsucht und den
spanischen gegen die Kakudänioncn nachrühmte; auch der Ivonig
Guntchranuuis soll nach (;regi)rius TurcMiensis die l^ubonenpest
geheill haben und die Ahdaria ( Inguinariani pesleni sanasse et
quarlanani tebreni tesiatur). Laurentius möchte nun gern diesen
vorchristlichen königlichen Hellern diese bahigkeit absprechen, er
beruft sich darauf, daß diese Krankheiten auch manchmal von selbst
heilen und dA[l die dunuuen Menschen olt so leichtgläubig sind.
Bei seinem lleiiu-ich 1\'. aber sind alle derartigen X'ermutungen natür-
lich nicht stichhaltig; auch die Andeutungen gemeiner \'erleumder,
dal,^ vielleicht der veränderte Ilinunel den aus Spanien konnnenden
Kranken hätte nutzen können, weist er entrüstet zurück und schiebt
die ganze wunderbare Heilung der Kro|il leiden , die er so vielmals
bei jung und alt in wenigen Tagen hat eintreten sehen, ausschließ-
lich auf die besondere Gnade Gottes für sein Königshaus.
Alle die langatmigen, bornierten oder auch gemein erlogenen
Aussagen des Leibmedikus können uns nun weniger überzeugen, als
ein Gemälde, welches der göttlichen Macht der Persönlichkeit das
erhabenste Denkmal setzt. Und die Betrachtung dieses Kunstwerkes
gibt uns einen b'ingerzeig, wie von der Majestät eines Großen ein
suggestiver heilender l:influß auch heute noch ausgehen kann*).
Aus diesem Grunde bringen wir auch das (iemälde des 13aron
Gros noch in einer Abhandlung alter (iemälde, trotzdem es erst in
dem Pariser Salon uSo | der C)nentlichkeit übergeben wurde. Die
Szene behandelt den Ik-such Napoleons im Pesthos|Mtal zu Jaffa.
/unachsl hatte (jros, der historischen Wahrheit ents(irechend, seinen
ersten bjitwurf so gestaltet (siehe Kicher), daß Napoleon einen \-or
einer Durchgangstür liegenden Pestkranken in seinen .\rmen aullK)b
und zu seinem Lager trug.
Dann aber inspirierte d^n .Maler wohl glücklich die Lriimerung
an »Le roi te touche, Dieu te guerisse«, gleichzeitig eine ungemein leine
Ovation tür die königliche Bestinunung des (jeneral en che! Ijonaparte.
*) Der Chirury D'.\rcy l'ower in Lund(jn lial kürzlich eine ücschiclite dieser l\.ünigs-
heilunyen veröffentlicht.
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454 SSiKJßSiStiSJOiiCisKJCiSiJKSiJOiiOiJCSiSiCiiiC« LaIEK'BEHAXDLUNG SOtJKSiiKiliJKS'iCt'CiJOt'C'JKSiSiiSiOiS-iSiiOiiOiißJK
Während Jio ßoglcituni; von blasser Tnircht erschreckt ist und
man sich än<;sthch das Taschentuch vorhält, berührt Napoleon mit
nackter Hand die Pestbubonen der Achselgei;end und wie durch
überirdische Macht konnnt in die schon beinahe dem Ttjdeskampt
vertallenen Glieder wieder Leben und Kratt. Das Bild wirkte bei
seinem Erscheinen in l\u-is geradezu revolutionär tmd bedeutete den
Stur/ der akademischen Klassizisten und inaugurierte die neue Epoche
der rt)mantischen Richtung (siehe big in- 263).
■<>:i>:<f:<>:<f:<f/<f:<f/<f/<ii<f.<i<>/^^^^^^
ALLEGORIEN UND EMBLEME
as Bcdürtnis der Kunst verlani^t häulig eine Personitikation
der Materie. So linden wir oftmals das Wiesen einzelner
Künste allegorisch durch l-rauengestalten , die mit den
charakteristischen Attributen versehen sind, versinnbildlicht. Nament-
lich das sechzehnte und das siebzehnte Jahrhundert liebte es, solche
Serien herzustellen, in denen die einzelnen Wissenschaften oder das
Kunstgewerbe in seiner verschiedenen Art, die Musik, der Tanz zum
Beispiel allegorisch geschildert wurde. Die theologischen und mora-
lischen Tugenden und andere abstrakte Begriffe bekamen ein leicht
verständliches Kleid. Fast stets aber vermissen wir in einer solchen
Reihenfolge die Heilkunst. Dort, wo selbst Beredsamkeit, Jus penale,
Theologie und Musik in allegorischem Gewände erscheint, vergißt
man die Heilkunst. \'ergessen ist nicht das richtige Wort, denn die
Schwierigkeit des Ausdrucks ließ diejenige Kunst, die im Leben des
einzelnen und der \'ölker zu allen Zeiten die größte Rolle gespielt
hat, in den Hintergrund treten.
Die mißliche Aulgabe, das allegorische Bild »Die Medizin« zu
malen, harrt noch bisher vergebens der Lösung. L'nd wenn man
sich heute vor diese Autgabe gestellt denkt, nicht als technischer
Ausführer desselben, sondern als historisch geschulter Regisseur, so
bleibt die Szene unvollendet. Xur eine Reihentolge von Gemälden
aut einer Wandelbühne gäbe ein zutreffendes Bild.
Denn proteusartig ist das Aussehen der Medizin. Wie will
man auch alle Leilbestrebungen in eine Form gießen: die Xatur-
beobachtung, das Studium der großen und der kleinen Körperwelt,
liebevolle Pflege des Erkrankten, blutige, oft brutale Lingriffe, zu-
letzt die Sorge tür ein ruhiges Entschlafen.
Die \'ielseitigkeit der mit der Medizin selbst zu einem Ganzen
verbundenen Hilfswissenschaften macht es unmöglich, daß wir eine
456 äSStSiSiissiisSiJSJSiSiSJßJSJKSK Allegorien und E.mblemi jßSiiCiiSJOiSisssiSiiKiSäßJSiSssißSiiKS!
so treflfendc Allegciric lür unsere Tiiligkcit je liaben werden, wie
zum Beispiel die l\eelnsi;elahrtheit symbolisiert wird durch eine die
Wage hallende l'rau niil verbundenen Augen.
Der Maim in langem geistlichen (lewande mit dem Uringlasc,
i uöikumiter iloUtt$ider ttwu 40jij
Pii(. 264. Der Arzt als (iott.
Orii^inaiaiijjtahiHe iw/'cnkafien.
der das tausendjährige arabisch-medizinische Reich symbolisierte,
hat schon vom ästhetischen Standpunkt aus lür unsere /eil aus-
gespielt, im klassischen Altertimie symbolisierte man die ärztliche
Kunst in ziemlich einlacher Weise. Man brachte eines der liaupt-
instrumenle einlach als \\'a|-)(K'n an: die aufgeschlagene P\\is mit
den sichtbaren chirurgischen Instrumenten oder das Abbild eines
iOiJOtiOijSiKJOi-CiiS-SiKSißKS-iSKSJCiiS'O-iSS'iC^iOiJOt Antikk Symbolik SiiSiSJOiJCiiOiiOtiliJKiKSüSiStiSiS'OiiKiOiiS 457
Schröpfkopfes. Das ist die Signatur der Medizin auf hellenischen
Grabsteinen. Der Schropfkopf wurde in dem Maße der Ausdruck
des Heilgedankens, daß sich die geometrische l'orm dieses Instru-
mentes allmählich in die Silhouette eines Knaben \ erwandelte, der
L 'nbckanr.tcr Ilollaudcr.
l-ig. 265. Der Arzt als Hni^cl.
OriginalaufnaJinic Ki>penha^en.
natürlich göttlicher Ilcrkunit war und ein Sohn des letzten Ülvnipiers
Asklepios mit dem Xamen des Vollenders Telesphorirs. Auf helle-
nistischen Münzen finden wir bis spät hinein noch in die Kaiserzeit
den Gott als Münzzeichen von Städten, sei es, weil die Prägestätte
Kurstadt oder Ileilort größeren Stils war, sei es, weil allmählich in
der sinkenden Antike der i\sklepiosdienst pantheistische b'orm an-
45 8 äKJSißStSiJCiiSiCtJCiiiSiCtJKSiSiJSiK ALLEGORIEN UND EMBLEME !K!C!!0>iKiS>!5>J5i!S!0>!«t<0t!Ci<S!5!S>:i0>iC!)C*.i«
genommen liattc. Die lunbleme dieser Art sind lür die damalige
Weh in ihrer l'intaehlieil leicht \-erständlich , weil sie allmählich
entstanden waren: die Orakelstätte nder der Altar mit der sie iim-
Fi<;. 266. Der Arzi als .Munsch.
gebenden Schlange; der Schlangenstah des TIeilsgnttes allein; der
Denkmalsgott selbst auf den Schlangenstab gestützt, oder sein
zeusähnlicher Kopl, oder auch einlach der thronende CJott die
Schlange lütternd.
Unsere Zeit überspringt die zwei Jahrtausende lnter\'all: die Zeit
der Behandlung mit komplizierten elektrischen Strömen und Licht,
die Zeit der eiterlosen Operation will sich mit Kecht nicht mehr
iSiSiSiSiStißiOtiOiiSJOiiOiSiJCSjßJOiJiiiOiSiSiSiJOiiK Antike Symbolik JvtiS'viJOiSiJSiiK'e-jeiJSSiiKjßiKiKJSiS'SJOt 459
mittelalterlicher scholastischer Gelahrtheit erinnern. Sie ließ die Patrone
der Medizin mit ihren Uringläsern und Pllasterspateln, Totenschädel-
köpten und Aderlaßbinde, Kasierschüssel und Klistierspritze im Stich
Fig. lii-j. Der Arzt als Teufel.
und klammerte sich an die Trümmer penthelischen Marmors und
hellenischer Göttlichkeit.
Und diese Reste verdienen wahrlich heute noch den \'orzug
vor den Knochenreliquien Abgelebter, deren mildtätiges Erdenwandeln
einen noch so begründeten Anspruch auf Unsterblichkeit hat.
In den letzten Jahrhunderten tretlen wir den Arzt in immer
häufi2:er Gesellschatt menschlicher Knochenreste. Entweder hält er
460 äK!0!<0t<ss>iKS>ssiS!ei<s>KiK!S!et!C5 Allegorien und Embliimi issiJSiOtSSJCiJCiiSSJiieiiCiiSiSJCiJßJSiSJCiiS
einen TotL'nschädcl in der Hand, oder sein Porträt, sein \\'ap[-)en,
sein l-AÜbris ist i;eselinuickt mit Schädeln und gekreuzten Ober-
schenkelknochen. Diese \'erbindim^ und dieses linibleni war tief
in das \'oIksbe\vul.Usein eini;edruni;en. Üllenbar hat aber eine \'er-
schiebimg der (iedanicen und N'orstellun^en statt^elunden. Der Toten-
tanz stellt den Sensenmann zunächst als Leiche, später als Gerippe
dar. 13ie antiken l^arstellun^en dieser Art i^aben zum Teil hierfür
sclK)n eine Stütze. \\'enn aber kurz nach der Renaissance der
Anatomie die Arzte anhnyen sich porträtieren zu lassen mit einem
Schädel in der Hand oder auch mit einem anderen Teile des de-
rippes, so sollte damit nicht der Tod, sondern das Studium der
Anatt)mie symbolisiert werden. Aber die andere Autlassuni; hißte im
Volke schon deshalb leichter Iniß, weil ein ironischer Unterton das
(jleichnis forderte. \\\n- es nur eine Selbstironie oder nur un-
historische Verständnislosii^keit, wenn dann mit \'orliebe die Arzte
selbst den Ursprung dieses Svmbols x'ergal.W'U und lür ihr persön-
liches Wappen das Todesemblem wählten und dabei womöglich
noch aus gänzlich heterogener Auflassung heraus auf den Toten-
schädel den krähenden Hahn des Asklepios setzten, nicht das üpter-
tier, sondern den \'erkünder zukünftigen Lebens.
Eine Allegorie Holbeins ist originell und von einleuchtender
Klarlieit. Der Arzt, um dessen Schläfe sich ein Lorbeerkranz windet,
thront auf einem Prachtwagen, der gerade eben einen Renaissancebau
passiert; neben ihm sitzt die 'Lheorie, die aus einem grt)l.^en Kodex
einen \'ortrag hält, und auf der anderen Seite die harnschauende
Praxis. \'or ihnen kauert in gedrückter Stellung der gefesselte Tod.
Den Wagen ziehen drei stilisierte 'Liere, ein Hirsch, ein Panther
und ein Linhorn, welche wiederum \'on drei jungen kraftvollen
Weibern geführt werden, ilie che Heilmittel Honig, Pfeflerniinz und
W ermut versinnbildlichen; die Räder des Trium[ihwagens gehlen über
die am Boden zerschmettert liegenden Leichen von Lieber, Wasser-
sucht und Pestilenz.
Unterzieht die Holbeinsche Zeichnung mehr die ärztliche Kunst
einer allegorischen Betrachtung, so wendet sich eine beiderseitig
JKäiSKJOiSKiKiSiS'KiJiSi-CiS-iOijSiSiSS'iSSiiltJCS Neuere Symbolik jKiCiJCiStSiSiiO'.äiiSiK'eiiJ-iSiCtStiSiSiCis» 46 i
bemalte Kupferplatte des berühmten Pommersehen Kunstschrankes
(jetzt im Kunstgewerbemuseum in Berlin) mehr an die arztliche
Fisa;. ^68. Hans Holbeins AUcsroric auf die ärztliche Kunst.
persönliche Tätigkeit. Diese Platte dient als \'erschluß des in dem
Schranke befindlichen Apothekerkastens. Der Maler Anton Mozart
(1333 bis 1620) aus xAugsburg, wo der Kunstschrank auch angefertigt
wurde, ein Landschafter, welcher sich die flolländer zum \\)rbild
402 3KXiS<S>i0i<S<SS>iSie>S><5tiSS*i<SJ5! AlIliORIEN UND E.MBLEME äKiKJOtJSätJOiJSiOiSiJSStJOiSiSiSiiC*»-:«!«
nahm und namentlich Rruci^hcl imitierte, hat sich zur Lösunij seiner
Autgabe an den damaLs sehr \ ulnaren Spruch \on den drei Gesich-
tern des Arztes gehahen:
Trcs nicdicus facics liabct unani, quando rogatur
Angclicum, mox est cum iuvat ipse dcus.
Post ubi curato poscit sua pracniia morbo
HorriJus apparct tcrribilisquc Sathaii.
Diese \'erse wollen wir in der deutschen l'orm wiedergeben, in
der sie unter dem Portrat des Nürnberger Wundarztes Jakob Bau-
mann stehen (siehe Figur 269):
Der artzt dem Kranken geordnet ist,
Der darrt' keins Artzts, dem nichts gebrist.
Ein artzt aber drev angesicht hat :
Engelisch so er dem Kranken riiat.
So sich bessert des Kranken noth.
So sieht der artzt gleich wie ein Gott.
Wenn nun der artzt umb Lohn anspricht,
Hat er ein Teuli'lisch angesicht.
Das miniaturahnlich gemalte Bild Mozarts ist in drei Felder
geteilt: aut dem ersten sehen wir den Arzt bei einem bettlägerigen
Kranken in der bekannten Pose des Harnsehens und des Pulsfühlens;
aut dem zweiten plaudert der mit Engelsllügeln versehene Arzt mit
dem Patienten, und eine Magd bringt Wein herbei; auf dem dritten
hiilt die Ehegattin mit Gewalt ihren geheilten Mann zurück, damit
derselbe nicht aut den Doktor mit geballter P'aust losgehe. Der
Arzt selbst mit Teufelskrallen an den Füßen hat gerade sein Honorar
eingesteckt. Interessant ist die Ausschmückung des Ganzen. Über
dem Bau erhebt sich ein (jiebel, au! dessen einer Ecke Apollo, auf
dessen anderer Asklepios thront, Hund und Hahn ihm zur Seite.
Im Giebeldreieck sitzt Ilvgicia mul l^anacee, die 'l'ochter des Äskulap.
Auch der Hintergrund wirll ein ijutes Licht aut des Malers histo-
rische Kenntnisse. Auf der linken Seite sehen wir den trojanischen
Krieg und das trojanische Pferd; mehr im \'ordergrunde beschäftigt
sich Machaon nn't einem verwundeten Ciriechen. Aul der .mderen
Seite wollte der Maler den RegritT der inneren .Medizin verkörpern
scsjCtißißiOiSiiOijßStStSiJCiiliißiOiJOiiKiOtJK Die Gesichter des Arztes -CiiKäKieiiSiCiiSiKJOtiKiKiCiSiiSiOiJCS 463
und hat dies in der Weise getan, daß wir einen apothekerartigen
Laden sehen, vor dessen Tür ein Arzt mit einem Uringhise stellt.
Der vergoldete Rahmen des kleinen Kunstwerkes ist mit lim-
blemen der Heilkunst geschmiickt. Wir sehen in hunter Keihentolge
Heilkräuter, Destillierapparate, chirurgische Instrumente usw. in reicher
Abwechslung (siehe Figur 270).
Die Kehrseite der Platte trägt ein Bildnis, welches man als
allegorische Darstellung des Wertes der Anatomie auftassen kann.
ifa-anrimframuhioierinKill 'Är(Wtf(hii»roi-Wjr!itmrail/tTsttJnft
<tm«mm>ggr«cm86>fraiiHrrujt.3<tto-on^5ujrOf($ oipfiiSt^
Adi^ff-n/- /■ 7ieiit!.Jt' l laus.
Fig. 269. Kupferstich \o\\ Solis (1556).
Der humanistisch gebildete Maler hat seinen \'orwurf wiederum dem
griechischen Sagenkreise entnommen: Die Abderiten, die Schildbürger
der Antike, halten den Demokritos tür verrückt, da er durch Vivi-
sektion und anatomische Tierstudien das Geheimnis der Natur zu
ergründen bestrebt ist. Der von den aufgeregten Abderiten herbei-
geholte Hippokrates klärt sie über ihren Irrtum auf (siehe Figur 271).
In der Karikatur und Satire besprechen wir (S. 1S9 bis 196)
genauer die vielfachen Serien von Kupfern, welche sich mit den drei
464 JCiiJiiiiiöSiieiJOtiCiiCiJOtStsssiSiSiiyi Allegorien und Emblem i !e!iOtJ5!S<iOtißiO!ä!JO>j«i5ii5iK!vitiKij>J>iS!»t
oder vier Gesichtern des Ar/tes Gott, Engel, Mensch. Teulel be-
schäftigen*). Wir sahen da. wie die Sittenschilderer und Moral-
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richtcr einen volksluinhchen .SiolF im Geschmack der /eil zugerichtet
haben. Wir bringen hier durch das gütige lintgegenkonimeii des
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*) Siehe in erster Linie die ausführliche I'uljHUation von (". E. Daniels, Doctcurs et
malades. Janus 1900.
SKiKiKäiiKäKJKiKäSäSiKSKiCSäKiCiJOsSKiKiK DiF. GESICHTER DES Akztes !KS><C>:<5>S!i0i!C>.<5<C*.iC>O:<SJ0>Si<K!S 465
Besitzers, des [.ehns^rakn Reedtz-Tholh in Ivopeiihat^cii, die \ier
Gemälde eines unbekannten Holländers, welcher eindrucksvedl die
ü
Sentenz bearbeitete. Die Zweiteilung der Gemälde ist beibehalten und
die Mitte nimmt die wechselnde Gestalt des Arztes ein. Wenn wir
uns nach der Kleidung des Arzt-Menschen richten, so muß die Bilder-
Holländer, Die .Medizin in der klassischen Maleiei. 2. Aullage. .>''
466 JOfStSüiSSSJSieiJSJCiiSiSiiKSiSiiiSJS ALLh^OKIEN UND E.MBLEME -KiCüKSiSiSüJiiKiKiOiSSiOiSüKiCiiKiKatSK
iolgc um 1620 cnislaiuicn sein. Realistisch uiul niil großer Sach-
kenntnis ist die rechte chirurgische Seite der Cjeniälde gestellt. Da
sieht man die SchienenhehandhniL; eines l^omphzierten Beinhruchs,
von dessen l-.inrenkiinL; und \'erhandai;ierui\i; an his zinii ersten Aut-
treten imd endi;ühi,i;en Aulstaniplen bei der X'orweisuni; der Rech-
nung. Die N'orderszene ist erltilh mit (iebrauchsgegenständen des
Ar/tes und des (diirurgen. Die Parteinahme des Künstlers wird auf
(.ieni letzten (iemalde otlensichtlich. Zu l-"üLk'n des Teutelarztes neben
der zertrümmerten l-Jasche liegen autgeschlagene Bücher, aus denen
uns die berühmten Worte des Jesus Sirach entgegenleuchten; aut
dem letzten Blatt aber steht als äußerste Mahntmg an uns alle:
\'ita brevis ars vero longa.
■<f:ff:<f:<ir>:<>:<>:<i<f:<^:<>:<^.<^^^^^^
SCHLUSSWORT
ic erneute DiircharbeitunL; dieses gemalten Materials hat
mich von neuem gelehrt, Jaß dieser Stoff keine streni;e
wissenschaftliche Ikarbeitung erlaubt. Diese mediko-kunst-
historischen l-'rüchte sind eben nur schmackhaftes Dessert und für
Leute, die nur Hausmannskost lieben und eine gründliche Inanspruch-
nahme ihrer \eL;etativen Organe, nicht empfehlenswert. Trotz ihrer
Lückenhaftigkeit aber sind diese Studien geeignet, vor allem dem
Lehrer der Medizingesclhchte geeignete Unterlagen zu geben. Ge-
legentlich kann auch die (jeschichte der Medizin selbst Anregung
und Nutzen aus ihnen ziehen. Bei dieser X'erbrüderung von Medizin
und Kunst ist aber der Arzt, der Naturforscher der empfangende
Teil, und der Künstler der gebende. Denn wenn auch wirklich
einmal die Kunstgeschichte durch die L'achkenntnisse des Arztes
über das eine oder andere Cjemälde zu einer anderen Auffassung
oder auch zur richtigen Bewertung kommt, so interessiert sich be-
kanntermaik'ii im allgemeinen der Künstler und die Kunstgeschichte
ja viel mehr für die Behandlung des Stoffes als für den Stofi selbst.
Eine Schwäche und ein \'orzug unseres Lhemas zu gleicher Zeit ist
die fehlende Abgeschlossenheit. Wer sich einmal in den Gegen-
stand vertieft hat, wird selbst zum Sanniiler und sucht die Lücken
durch eigene l'unde auszufüllen.
In dieser Gemeinschaft braucht der Arzt sich nicht über Gebühr
gedrückt zu fühlen, denn wir sahen schon, dal.^ die Lehre von
der Kunstanatomie ein Geschenk der natin'lorschenden Ärzte für
die Maler gewesen ist. Und vergessen wir auch nicht, daß die
Medizin schon seit Jahrhunderten Auftraggeber und Abnehmer
von Kunstleistungen war. Die Chirurgen und namentlich die
Anatomen haben zur Ausgestaltung ihrer Werke der Mitarbeit von
Künstlern bedurft. Oftmals haben sich Arzt und ALiler zu gemein-
468 3K?S!Ct!Ci!S5iC>>SiS<S»><KiC>JKiK!5iS<C!!Sii"<SSii5 ScHLUSSWORT äJSJSSiiK'CiiSiSiKiCSjSiß'CiiSSiißJCiiOi'OiSiiKJC^iCSSiiS
schatllichcr Arbeit vci'cini^t. Ich erinnere nur an die Namen l.ionardo
da \'inei und Antonio della l'orre, Steplianus \an Clalcar und
X'esalius. Cierard I.airesse und RidK>ii, Jan W'andelaar und Albinus.
Allerdini;s darf nicht verschwiegen werden, daß bei dieser X'ereinii^ung
der ärztHche Konipaunon meistens un/ulrieden war. Am bekanntesten
ist X'esals Beschwerde darüber, dal.^ die Künstler die Wünsche der
Zergliederer nicht restlos erlüllten. Doch auch Albinus, Morgagni
und llaller klagten über die un/ulängliche Zeichenkunst ihrer Mit-
arbeiter. Da dart es dann nicht wundernehmen, daß die Ärzte selbst
den \'ersuch wagten, den Zeichenstilt in die Hand zu nehmen, um
ihre Gedanken selbst zu interpretieren. Der eine oder der andere,
ich denke dabei in erster Linie an den großen hollandischen Land-
schalter Ku\sdael, entdeckte dabei seine große Ivunst und wurde
.\Liler. Andere wieder benutzten ihre Mußestunden, um sich in
irgendeinem Zweii^e der bildenden Kunst so zu tördern, dal.^ sie als
Radierer oder Plastiker und Maler Anerk'ennenswertes nebenher
leisteten. Hs wäre imrecht, wollte ich mich an dieser .Stelle nicht
des tielen liindrucks erinnern, den die von i'aul Ixiclier mit großem
Künstlertum geschatlenen Llalcetten aiü dem diesjährigen internatio-
nalen Londoner Kongreß aul mich gemacht haben. Wenn man die
Zeichnungen Richers betrachtet, die er \on dun llvsterischen lür die
Monographie »Les Deiuoniaques dans l'art« iiSMy entworten hat, so
bedeuten die zahlreichen Schoptungen des Pariser Künstlerarztes nur
die meisterhalte \'ollendung seiner damaligen Versprechungen.
In der .Mehrzahl aber gediehen die Talente der .\rzte nicht zu
solcher Hohe. \'iele begnügten sich mit deiu Ruhm, ihre eigenen
Werke illustriert zu haben. Zunächst wundert man sich \ielleiclu
über die Häuligkeit dieser gleichzeitigen \'eranlagung . wie darüber
auch, daß .St. Lukas Arzt und Kunstler war. Hei näherer J3etrach-
tung aber ergibt sich, daß eine der hauptsächlichsten Eigenschalten
des Arztes die Beobachtungskunst ist und das richtige Sehen. Nur
technische Ausbildung braucht hinzuzukoiumen, luii das nach Kaimi
imd i'arbe l^rfaßte nachzubilden. So ist es verständlich, dal,^ die
meisten Lehrer der .Medizin diese Kunst ausüben.
SKJSiSJßSiKSiOiissssiSiiSiSSiJO'JO'iCiiS'OiiSijOtSiiCiiOi Schlusswort iSiSSiSiJCiißißSiJCitssiSS'StJSSiSiißisSi'CiSi 469
^^^ A. Freund hat an mehreren Stellen*) clarauf liingewiesen,
daß ein Lehrer der Medizin, welcher die Zeichenkunst nicht
beherrsche, eines der wirksamsten .Mittel entbehre, seine Lehren
dem Scluder eindringlich zu machen. In einer Zeit, in welcher der
Anschauungsunterricht Triumphe feiert und hoffentlich noch erheb-
lich gesteigerten entgegengeht, ist es übertlüssig, hierüber weiter zu
diskutieren. Der Kuriosität halber aber bringen wir als Illustration
des umgekehrten \'erhältnisses an dieser Stelle eine Zeichnung des
Altmeisters Albrecht Dürer, welcher seine Zeichenkunst dazu benutzte,
dem lernen Arzte seine Krankheit zu beschreiben. «Do der gelb
tieck ist und mit dem tinger daruft deutt, do ist mir we« (siehe
Figur 272).
Lin Durchblättern unseres Bildermaterials lehrt uns, daß der
größte Teil desselben holländisch-flämischen Ursprungs ist. Die
Holländer sind die ALder der Medizin. Ohne sie würde dieses
Buch nur eine tadenscheinige Lxistenz führen. Die Maler jenes
niederdeutschen \'olksstamnies wuchsen aus sich heraus zu den
Porträtisten der .Medizin. Lnd was sind diese .Maler, die mit größerer
\'orliebe als andere Künstler medizinische Sujets malten , anderes,
als die Realisten des täglichen Lebens, Künstler, die ihren Stoff in
dem Panorama des Tages fanden und lebendige Freude und Leid
nfft philosophischem Beigeschmack, aber sonst unautgeputzt auf die
Leinwand warfen: Diese herbe, oft derbe Kunst wurzelte in dem
Bauernsinn und Bauerngemüt, das von Erdgeist und kirdduft erfüllt
ist. Und inmitten des W'eltgetriebes blieb man originell und original,
wie vielleicht nur noch die Inselkunst der Japaner. Lrst als die
niederdeutschen Bauern sich vom blauen Hinnnel Italiens bräunen
ließen, verloren sie mit der frischen Farbe der See ihren großen
Stil, und die welsche Schminke verdarb die Reinheit des Charakters
und des Könnens. Und in diesem Lande, in dem die künstlerische
Befähigung beinahe einseitig in der Richtung der .\Lderei sich ent-
wickelt hatte, fehlten die großen .Auttraggeber, Fhron und Altar.
*) W. A. Freund, Zeichnen und Medizin, Kntalog zur .Ausstellung der Geschichte der
Medizin in Kunst und Kunsthandwerk. Ferdinand Enke, Stuttgart, igo6.
4/0 ißSiStJS!Ci>55<S<ß>ßi«iC!<SSS<SS!JKie>«>!ß!0tSCS ScHLUSSWOK T ißi«!C>J>:«!CiS?!>*SS?SS<KiC«iSSi!e!St<ß!SJSS>S!!OiiS
St) malte man denn keine Histciricn in [irahlcrisoli frisierter Pose,
man malte aueli keine Madonnen, sondern sieh sellxst mit Weib nnd
Kind. Und deshalb sind auch gerade diese hollandisehen Xatnra-
listen tiir uns so wertvoll, weil sie, wenn sie sich gelegentlich mit
medizinischen Sujets beschättigen, uns auch wirklichen 1*linblick' ver-
schallen in zeitgent'issische \'erhaltnisse.
Aus diesen inneren (jründen ist es verständlich, daß die Ahilerei
aller Schulen und selbst auch die der ln)lländischen uns vollkonnnen
schuldig geblieben ist dasjenige, was man an erster Stelle in einer
Sannnlung dieser Art erwarten sollte : das medizinische Historien-
bild. Kaum ein größeres Werk konnten wir vortühren, welches
irgendeinen tür unsere Kunst wichtigen Moment im Bilde testhält.
Xur das Material zu solchem liegt an den verschiedenen Stellen
versteckt. .Man muß es sich zusanmiensuchen. l:rst in neuerer
Zeit bemerkt man den \'ersuch des medizinischen Historienbildes
im akademischen Sinne; das bisher latente Ik'dürlnis tritt in |-r-
scheinung, berühmt gewordene 1-ntdeckungen , das Auftreten einer
großen Persönlichkeit und irgendwelche Wendepunkte in unserer
Geschichte monumental zu verewigen. Ich erinnere nur an die ver-
schiedenen X'ersuche Hannemans. Die Unternehmung des Malers, mit
Rembrandts Anatomie in Konkurrenz zu treten, erscheint von vorn-
herein aussichtslos, aber er leistete hierbei .Anerkennenswertes, wäh-
rend sein (lemälde ».Ambroise Pare« langweilig und minderwertig ist.
Dasselbe gilt von einem als Stahlstich in Paigland verbreiteten Bilde
von llenrv Lemon, welcher den .Moment der Demonstration der Blut-
zirkulation vor Karl I. von Ungland durch Ilarvev schildert. \'on
solchen schwächlichen \'ersuchen gibt es noch mehrere, namentlich
vom Ende des \origen Jahrhunderts.
Und doch wäre es ein schöner (iedanke, wenn wir ein der
Medizin geweihtes Haus mit Wandgemälden schmücken könnten,
welche in großen Zügen die Hntwicklungsgeschichte unserer Kunst
und unseres Standes zeigten. Die Schwierigkeit einer solchen bild-
lichen Rekonstruktion ist nicht zu unterschätzen. Der künstlerischen
Lizenz dürfte nur geringster Spielraum gewährt werden und Kanonen
JÖSiiSiX^SXICiSiiCiiSiCiiSJSiKißiSißiSiSiJOiiOiSiißiKiK ScHLUSSWORT JKSSSiißiKiliiOiSiStiOiSiiOiJCiiiSiSiCiöiJOiJCiSiJS 47 1
dürten hier keine prophetische Rolle spielen wie in Shakespeares
Heinrich I\\
In einer hügeligen Landschaft, am Rande eines Lanhwaldes mit
weitem Blick auf eine Ebene zei^t die Staflage einen Hinblick in
prähistorische Medizin. In der 1-erne sieht man die llüchtigen l-'einde.
k-iii
Bremer Kiittslli.illr .
Fig. 272. Zeichnerischer Krankheitsbericin Albrecht Dürers .in seinen Arzt.
Der listige Anschlag war mißglückt. Der Raub von Vieh oder Weib
ist glücklich verhindert, aber der Hüter seines Feuerherdes liegt be-
wußtlos am Boden. Er atmet noch; sein Weib horcht bang an
seiner Brust auf den Schlag des Herzens. Ein Medizinmann, der
sich von den mit hellen bekleideten Mannern noch durch einen
besonderen Kopfputz auszeichnet, versucht die schwere Schädelver-
472 äKJKStieiJSiKieiiOi'ttiSißJKiOiSiJSJOiJßi^-iSJKi« ScHLUSS\VORT äKißSiiKSiSiäKSSiOiiOtietiliSiiCSiKäKiCSiKäßiOiäKäOiStiK
letzung, die die Steinaxt des Gegners geschlagen, mit langen spitzen
Steininstruinenten /u lieben und mit kaltem, dem Quell entnom-
menem ^\'asser die Blutung zu stillen.
Das nächste Bild tührt uns in das Innere des alten Tempels
Epidaurcis. Wir sind im Heiligsten. Aufgestellte Dreifüße mit
loderndem l-'euer beleuchten den weißlichgelbL'U Marmor, und die
Keilexe spielen an den gtddenen Zieraten der (iold-1'lfenbein-Statue
des Ileilgottes. Aul den feilen Irisch geschlachteter Widder lagern
in Decken gehüllt die llergereisten. Eine stumme Schwüle drückt die
Schlalenden nieder. \'on der Seite naht sich, durch die Schlafenden
und sich schlalend Stellenden lautlos einherschreitend, der Priester in
Begleitung der die Asklepiostochter darstellenden l'riesterinnen. I*ane
Dienerin ist gerade damit beschättigt, aul einen seitlich stehenden
Dreituß Irisches Brennmaterial zu legen.
Inn solches Askle[iieion ist aut dem nächsten 13ilde der Hinter-
grund der blauen Insellandschalt \on Kos. Im Vordergrunde haben
sich im Kreise um einen älteren bärtigen Mann jüngere gelagert,
die den \\\)rten des Ilippokrates lauschen. Eine Platane gibt dem
Kreise Schatten. Die marmorne Bank, aut welcher der Sitzende
seine Weisheit vorträgt, lehnt sich an einen Hügel. Ihr Abschluß
ist eine glatte Tatel, aus deren Mitte ein Löwenkopit QuelKvasser
hervorspritzt. Das Äußere der dem Meister mit gespannter Aut-
merksand<eit folgenden Zuhorerzahl zeigt ein Xationalitätengemisch ;
denn \-on allen Seiten kamen auch schon ergraute Arzte, um den
Worten des Koers zu lauschen.
Zwei kleinere Zwischenbilder lühren uns in das Agvpterland.
Wir betrachten einen Schreiber, der mit gekreuzten Beinen sitzend
auf eine Pap\rusrolle medizinische Weisheit kopiiert. Die Priimerung
an den anatomischen llochstand der alexandrinischen Schule des
Ilierophilus soll ein demälde festhalten, auf dem dargestellt wird, wie
ägvptische Kultusbeamte mit der Präj-iaration und der l;.inbalsamie-
rung von Leichen beschäftigt sind. Aul einem Schemel sitzend,
die Hand sinnend an das Kinn gelegt, schaut ein älterer (jclehrter,
sagen wir l:rasistratus, mit tiefer Innerlichlait dem X'organge zu.
Delphi. — Orihasius, der Pcrganicncr, Leibarzt und l'reund des
Julianus Aj-iostata, steht auf den Stuten des im \'ertaU begriffenen
Apollotenipels. Die letzte Priesterin der Pxthia weist den (jesandten
des Kaisers mit traurig ablehnender Cieste zurück. Der antike (iral
hat seine Leuchtkraft verloren. Das delphische Orakel ist für alle
Zeiten verstummt.
In ganz veränderte Gewänder kleidet sich von jetzt ab die
.Medizin. Der Irühe katholische Klerus, der das ungeheure
Lrbe des römischen l^ciches gerite in sich autgenommen, pilegt
auch die Tradition der romischen lleilkunst. Im Schatten eines
Klosterhotes versammeln sich die Kranken der Umgebung. Man
sieht in eine geöffnete Klosterzelle, in der ein gelehrter Mönch,
umgeben von allerlei getrockneten Ptlanzen und Kräutern, Medizin
bereitet.
Der Glanz der arabischen Heilkunde aber läßt sich nicht deut-
licher svmbolisieren, wie \'ielleicht durch folgende Darstellung. Lin
arabisch-jüdischer Arzt tritt an die Lagerstätte eines erkrankten Papstes
oder hohen geistlichen Würdenträgers, prüft die soeben gereichten
Speisen und tühlt mit nachdenklicher Miene des Lrkrankten Puls.
Li der anderen Hand hält er das Uringlas. Auf dem l'isch liegt
aufgeschlagen mit ALniaturen \ersehen der Kanon des Avicenna.
Das nächste Bild führt uns die berühmte erste Medizinschule
des xA.bendlandes vor, die Schide von Salem. In einem leeren,
ungeschmückten, hallenartigen Raum mit kleinen hochgelegenen
Fenstern sitzt vor einer Anzahl verschiedenartig gekleideter Zu-
hörer, die meistens aber priesterliche Gewandung zeigen, auch
einige Frauen sind darunter, gravitätisch der Lehrer. Rein theore-
tisch, ohne jegliche Anschauung verläuft der Unterricht.
Lin großes Hauptgemälde, die Renaissance der Anatomie, wird
flankiert von zwei Seitenflügeln. Auf dem einen sehen wir den
jugendlichen Lionardo da \'inci damit beschättigt, bei Kerzenlicht
im Keller heimlich die Gefäßversorgung des Körpers zu studieren.
In der .Mitte dagegen, in Anlehnung an eines der Anatomiegemälde,
den 'l'riumph der menschlichen Zergliederungskunst, eine öffentliche
474 JKJSSiiöißiCtJSStSiiJOtJSJßSiiKiJiJßiSiSiKJKSK ScHLUSSWORT »iiO'SiiCtSiJSiöißiCiJSSiiS^iSiSSiSiJOiiJiiKiiS-SiSiiSiK
Sektion. Der andere I-lügcl zeigt die große Hntdeclumg William
llarvevs über die Bewegung des Herzens und des Blutes.
Die folgende Zeit ist schwer in umgrenzte Allegorien hinein-
zupressen, da sich die großen Hreignisse zusammendrängen und
beinahe ein jegliches nach monumentaler \'erewigung verlangt.
Galileo Galilei, der bjitdecker der ballgesetze, die Erlindung des
Mikroskops durch die beiden Janssen, die \'er\-ollkommnung dieses
tür die Medizin so lebenswichtigen Instrumentes durch Kornelius
Drebbel und andere wichtige Daten zur Geschichte der exakten
Naturwissenschatten lassen sich vielleicht am besten durch den her-
vorragenden Delfter Anthon\- van I.eeuwenhoek charakterisieren, wie
er die Infusionstierchen zum ersten Male zur Darstellung bringt.
Die N'ernnitungen des Athanasius Kircher \on den kleinsten Lebe-
wesen in der Luit als Krankheitserreger bekamen so einen einiger-
maßen realen Boden und damit wurde das erste Samenkörnchen
gepflanzt, das in unseren Tagen den Mikrokosmus der Bakteriologie
zu solch universeller Bedeutung auswachsen ließ.
Der zunächst durch die Retormatit)n der Anatomie belruchtete
Teil war die Chirurgie, und es gilt, besser wie das llanneman aut
seinem langweiligen Gemälde gelungen ist, die großen \'erdienste
des Ambroise Pare zu illustrieren. Ihn, den N'esalius der C^hirurgie,
sehen wir am besten bei der Auslührung einer seiner wichtigsten
Taten, der Ligatur eines großen (jetäßes inmitten eines K'riegsver-
bandplatzes. Gehillen mögen nu't \'erbänden und Begießung der
frischen Wunden mit t)l oder mit Ausbrennen derselben beschättigt
dargestellt werden. Das letzte Bild zeigt uns Albrecht \'on Ilaller,
den genialen PoKhistor, nicht als Anatom oder Lx|ierimentalor, nicht
als ]-"örderer der pathologischen Anatomie, sondern als den modernen
Wissenschaftler, als Begründer der Sozietät der Wissenschalten in-
mitten einer Sitzung, in welciier er vielleicht die Muskelirritabilität
auseinandersetzt.
Natürlich haben diese Bilderbogen aus der (ieschichte der
Medizin keinen ernstlichen didaktischen Wert, sondern sie nn)gen
nur gelten als Siegestrophäen und als die k'antaren gewonnener
Sl!iS!C!Si»-X>!C>Si!CSS>S>!5<K!0iJi>iSS>!S!SS!!<5!!KSi!K Si III L ss\vi uri iO'iKißiOiiSiOiißSiSiSiJOiiSiKSsSS'^iKißKXJßSi 475
Schlachten, mit denen man ein liohes Haus sclimückt. Diese
Schhichten i^ahen den Feinden der Menschheit, und L;e\vc)nnen
wurden sie ausschhelMich mit den W'atien des Geistes, der W'issen-
schatt imd des (reien Studiums. Und wenn wir uns so die obere
Halle geschmückt denken, so zieht sich unter diesen Ciemälden ein
Band von Darstellungen, welches die Geschichte der Krankheiten
zur Darstellung bringt. Denn die (beschichte der Medizin ist ja
nicht nur die (beschichte unseres Standes und unserer Wissenschatt,
sondern auch die historische Betrachtung der Krankheitserscheinungen.
Insofern sind wir hierbei günstiger gestellt, als uns die Vorlagen
tür diese Darstellung reichlicher lliel.W'ii.
Das massenhafte Dahinsterben diu'ch den Würgengel, die Pest,
hat zu allen Zeiten die Künstler zu dramatischer Gestaltung be-
geistert. Ich erinnere nur an die turbulenten Szenen, die auch
mehrfach malerisch geschildert sind, beim Ausbruch der Pest wäh-
rend eines Freudenfestes im alten Hellas. Oder man halte sich an
die Schilderungen Boccaccios von der Florentiner Pest und benutze
vielleicht die bekannte Radierung Sabatellis als Vorlage.
Diesen immerhin dramatischen Szenen gegenüber ist die Ge-
staltung der beiden großen chronischen Frkrankungen, der Fepra
und der Fues, von einer gröLk'ren inneren Schwierigkeit. Den Aus-
satz denke ich mir vielleicht mehr allegorisch autgetaßt. Durch eine
öde Winterlandschaft schreitet im Pilgergewand ein Mann im tvpi-
schen Kleide der Aussätzigen. Sein (Besicht zeigt einige der charak-
teristischen Merkmale, so vor allem die lepröse Verdickung der
Stirngegend und das Fehlen der Augenbrauen. In seiner Rechten
schwingt er die Klapper. Hinter ihm kraucht ein gleichfalls lepröses
Weib, welches im Bettelsack allerlei Kram mitschleppt. Als
Pendant hierzu muß die Fues erscheinen. Da schwebt mir immer
ein grandios gemalter Baseler Fntwurf des Nikolaus Manuel Deutsch
als \'orbild vor x^ugen , der als allegorischer Hinweis auf die
Fustseuche von mir aufgefaßt wird, ohne daß ich dafür aber kunst-
historische Beweise habe. Eine dralle Troßdirne wird von einem
Skelett, um dessen Knochen die Tracht eines Fandsknechtes schlottert.
476 jCtiCiStJSiSJSiOiStSiStJßStiSiSJßiCssiSiiSißiK Schlusswort ssiOiKss-jSjßiSiK'ö'e'issiiKSKiSissif-sstJSSiiOiiß!?!
umarmt und unzüchtii; berührt, ^^'ill man aber eine realistischere
Darstellung, so möge der Künstler eine Szene aus einer deutschen
l^adestube malen, wie sie \'irgil Solls radiert hat. Als Hinweis auf
die große Ubertragungsmöglichkeit in diesen eigentlich der Gesund-
heitspflege gewidmeten \'olksanstahen zeige man, wie an einem im
Vordergrund von einem Badermeister gerade geschniptten Manne
die deutlichen /eichen der Seuche vorhanden sind. Die \'ielzahl
der geistigen hipidemien , den I^egrill der dämonischen Krankheit
illustriert eine Hexenverbrennung. \on einer \'olksmenge umgeben,
deren (iesichter klassische Beispiele der in der Tiefe der Seele meist
verborgenen Bosheiten autweisen, eine Mischung von Sadismus,
Blutgier und verrohter Neugier, krünmit sich aut einem Holzstoß
ein junges Weib, an einen Ptahl gebunden. Hben wollen Henkers-
knechte in Anwesenheit der (ieistlichkeit und aul ihren Belehl heuer
anlegen, als Johann W'ever, der Leibarzt des Herzogs Wilhelm von
jülich-Kleve-Berg, zu der unschuldig Leidenden \ordringt und luit
seinem Getolge die der Zauberei und teullischen (lemeinschalt Be-
schuldigte betreit. Will man noch die neueren Krankheiten: Cholera,
'Luberkulose und Karzinom verewigen, so wähle man zweckmäßig
irgendwelche epochalen Momente aus ihrer Bekämptung: Kt)bert
Koch in seiner denkwürdigen 'Lätigkeit als Leiter der deutschen
Cholera-L.\pedition in Ag\'pten, die physikalische Untersuchung einer
schwindsüchtigen Xähterin durch einen berühmten Kliniker und die
Szene einer Brustoperation in einem modernen Operationssaal.
Die Anregung zur Ausführung eines solchen Gemäldezvklus
liegt schon lange zurück. Ls ist auch Aussicht imd Hoffnung vor-
handen, dal.^ namentlich einzelne dieser N'orschläge zur Austührung
kommen. Der vierhundertjahrige (ieburtslag des obenerwähnten
Johann \\'e\er im Jain'e 1913 wird \ielleicht die äul.k're N'eranlassung
sein, diesem unerschrockenen Manne und liberalen ärztlichen \'or-
kämpfer in der Nähe seiner Heimat und 'Lätigkeit ein farbiges Denk-
mal zu setzen. Ich erinnere auch gerne daran, dal,'» Lucie du Bois
Reymond im kleinen den \'ersuch gemacht hat, solche medizin-
historische IJilder zu entwerten, zum Beispiel die erste Magnet-
äKXSjSiSi'CiSiJKKXJJiSiJSiSißiSJC^SiiOiiSiSSiJßiOiS'Si ScHLUSSWORT SKiCiiSStS'iKiöJKSiiSSiJKJSiK'CiSiSiSiiOtJOtiC« 477
openuion, die Entfernung eines F.isensplitters :ius dem Auge durch
Fa'oricius ilildanus, oder die lintdeckung des Galvanisnius und ähn-
liche wichtige und interessante Momente aus der är/.tliclien (jc-
schichte. lis darf terner mit großer Befriedigung daraul hingewiesen
werden, daß Henry S. Wellcome in seinem interessanten und grol.'.
angelegten, eben erst ert)llneten medi/inhistorischen Museum in
London den \'ersuch gemacht hat, nach allerlei Vorlagen: Miniaturen,
Holzschnitten, antiken Reliefs von Künstlerhand große Ölgemälde
zu entwerten.
Wenn wir diesen Anspruch erheben und wenn vielleicht auch
eine Hoffnung auf Wawirklichung des Gedankens besteht, so stüt/en
wir uns dabei auf die unleugbare Tatsache, daß unsere Kunst und
unsere Wissenschaft eine solche Ruhmeshalle wirklich verdient.
Denn ohne Zweifel vermissen wir bisher tür die autopternde, stille
und entsagende Tätigkeit des Arztes sowohl wie des l'orschers eine
imposante und rauschende tillentliche Anerkennung. Wenn überall
die Staaten und Regierungen die Arbeitsleistung des einzelnen als
etwas Selbstverständliches nnt Recht annehmen, so iordern wir aut
der anderen Seite mit stolzem Selbstgefühl eine weit sichtbare Kund-
gebung für die ungeheure lintwicklung der ärztlichen Kunst, die im
CD c^ o •- '
letzten Menschenalter im \'erhältnis mehr gefordert wurde, als in
den letzten fünfhundert |ahren. Wir iordern aber damit nicht nur
für die Medizin ein Denkmal, sondern für die Menschheit übeihaupt.
Denn unsere Kunst und Wissenschaft ist die menschlichste von allen.
Von L'rbeginn an bestand sie, und sie wird ewig sein und hat in
letzter Linie als letztes Ziel die Erkenntnis des Guten und Rosen.
JliiviiCiSiSiSiiSStiSiSiOi-OtXSXiJSiSSi-CiSi-OiiKiSiSiSi^
VERLAGS
WERKE
äiiKiOiiKioisi Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. s>:<>;<oi-c>iSij>
Plastik und Medizin.
Von Professor Dr. med. Eugen Holländer in Berlin.
Mit 1 Tdfcl und 453 Abbildungen im Tcxl. Hoch 4". 1912.
Karlonicrt M. 2S.— , elegcint ocbundcn M. 30.—
INHALT: Allg-emeinc Einleitungf. Die
iiicdi/iiii^clic Kunslhisloric. ihre Bcdculung,
Aiili^iil)c uikI hniwickluiiL;. — Spezielle Ein-
Icituno-. Die Hcili^öiicr in der Mylhenhildunij
iler \ei^eliietleiicii Völker. — Griechisch-
römische Heiltfötter. Asitlepios. sein üc-
srhUcht iiinl seine Mythen — Die Asidepieien —
Das liildnis des I leiliiottes — Die Rundslaluen
— Der Typus seines Kopfes — Der thronende
Gott — Seine Allribule und Embleme — Der
Ntibel — Der Sldb — Die Schlange — Der
Hund — Die Ziege — Der Hahn — Die Votiv-
reliels und andere anaglyphe Darstellungen
der Asklepieien — Volivsleine mit der Dar-
Niellung der Opferszene — Der sogenannte
Krankenbesuch des Askicpios — Das Toten-
mahl — Andere Heiloölter und Heilddinonen —
Telesphorus — Hygieia — Epione — Janiscos
- Isis. Sarapis und andere Heilgotiheiten —
Hera-Arlemis-Eilythyia — Jesus Soter. — Ex-
votos. Antike Körper- und Organdarstel-
lungen - Skelett — Eingeweide — Einge-
vvcidcsilus und -Iraktus — Die ältesten Dar-
slcllungen der Leber — Körperexvoto aus
Griechenland — Die Volivopler gesunder und
kranker GlietlnialJen aus neuerer Zeil. — All-
g'emcine Körpcrdarstellungcn. Mode und
Künstlerslil — Hermaphroditen — Adam und
\-.\a. — Schwansjcrschaft. Die Geburisdar
Stellung. — Krankheitsdarstcllunijen. An-
tike E.xvotos mit Kranklieilsdarslellungen —
Brüste — Gesichter — E.xtremila'ten — Augen — Genitalien — Porträlslatuen — Böser
Blick und Buckel — Groteskköpfe — Masken — Zwergenwuchs — Bes-Pataikos — Ptah —
Satyrspiel und Komödie — Dämonische Krankheilen. Alkohol, Wahnsinn — Blindheit — Die
anthropomorphen allperuanischen Terrakoüen — Verletzungen und Verwundungen.
Instrumentenkasten und Schröpfkopf, die anfiken Wahrzeichen ärztlicher Kunst
— Heilhandlunsj, Hysjicnc, Bad Die Inkubationsheiligen und Patrone der Ärzte —
Monumente, Embleme und Krankenhausschmuck.
Asklepioskopf \on Ntelos.
Urteile der Presse:
Da rlii' Zi'it naht, wo auch in ilcn Familien iler Ai'ztc Umschau gehalten wiirl iiacji wertvollen liiich.in.
die ilen Weihnachtstisch zu scliiniicken f;ecif;"et sind, niiichti^ ich die .^utnieiUsainUeit der Kulleren auf ein
Werk lenken, das wohl ohne ('liertieiliunf; als eine der sc-hönsti-n literarischen (lalicn der neueren Zeit lic-
zeichnet werden darf. In diesem erolianffelefjten hilderreicln-n Itnche sanuiiclt und hcschreiljt HolliindGr alle
Bildwerke ver;;an{jenpr Zeiten, welche auf die Medizin Ue/.uff halien.
Unser kunst;,'ele|irler Kollege hat wohl als erster in Deutsehland das (iveuzKelpiet zwischen Kunstfjesehicht«
und Medizin in .\n^ritf Kenuninii'u: und mit Hetdit nennt ilni Sud hoff ilcn erfolgreichen Pionier auf dem Neu-
lande der Korschuns. »o man rlie Geschichte der Meilizin in ihrer zahllosen beziidiuiig zur Kunst kultiviert.
iJas uttif.in^reiehe inedizin-historisclnt Material s.uninelti' Ihdl.inder in (IriechenlantI, Kleinasien und
Italien zum Teil mit Untersiiitzuiiir des jireuliisr lien Kultministi-riunis.
Ich nnichte hotfen, dali in vielen I.escrn die Lust ei weckt wiiil. die ausgezeichneten .Miljüdunseu zu
sehen und das Huch sell.st zu studieren, welches aiilierurdentlich anziehend «i^schrielien ist und mit seini'n
zahlreichen Hinweisen auf die .Tetztzeit vielfacdi anregend wirkt Der ganze Ärztestand ist dem Vi'rfisser fiii-
sein überaus interessantes und inhaltreiches Werk zu groliem li:inke v,'r|dliehtet.
Die Therapie der Gegenwart 1912. November.
Selten liat es der Kritiken' so leicht, wie liei diesem so rcMcdihaltig und w isseuschaftliidi ausgestaltiten
Werk. Holländer meistert den StolT wie wohl selten einer Seine S|ir.o-he ist vorn'lim und, ist es mal notif;,
auch von rler ndligcn Scharfe. Samtliche .MdiildnuKcn sind vollendet sclmn : erwaline iih noch den pracht-
vollen klaren Druck auf bestem Pajiier. so ergilit sich nur das eine Schluiiiuliil : ..Kin eisiklassi^es Werk.
gleich wertvoll für den .Mtertumsforscher wie für den Kultnrhistoriker. tiir d. ii .\rzt wie für den reiiildeten
Laien.'- Tägliche Rundschau Berlin. 1912.
3KiKs><5is><o> Verlag von FERDINAND ENKE in Sfuttgart. s>s>»-s>iKs>
Die
Karikatur und Satirc in der Medizin.
Mediko-kunslhistorische Studie
von Professor Dr. med. Eugcn Holländer in Berlin.
Mit lü farbigen Tafeln und 223 Abbildungen im Text. Kart. M. 24.— Eleg.geb. M.27.—
Allegorie auf die Therapie. 176S.
INHALT: Vcrzcictinis der Abbildungen. — Literatur- und Oueilcnverzeichnis. —
Einleitung. — Karil<atur und Satirc mit Bezug auf Medizin. Die Karikaiur bis zur
Reformaiion — Sdiirc und Kdrikaiur im Rcformalionszeiialicr. — Die Karikatur der Patho-
logie. Die Gicht — Infcklionskrankheilen — Nervöse Atfeklionen — Gravidilal — Irri-
lamcnia externa und Varia. — Der Arzt als Mensch und als Stand. Das Arzthonorar. —
Die praktische Heilkunde im siebzehnten und achtzehnten lahrhundert. Der tierische
Magnetismus — lenncr und die Kuhimptung. — Die Parasiten der Heilkunde. — Die
politisch-medizinische Karikatur und Satire. — Die moderne medizinische Karikatur.
Urteile der Presse:
Vau iiiMi'(itii,'rs W'.-ilv, wie s'-lii'U '■iii''> ^ociu;ncM, aiil' 'Ihiii \\'filin;i'iit-.r isciii' tl.T Ar/,r.' zu pt,iiig.-n Mit
aul3eroideiitlii'lieui Fleiße iiu<l vor iillem mit ;iiilifroi.li-iiriiL'li.-in Kiinstvei>i,iniliiis iiat der Verlasser .ms all
den .\bt>ildun^en. die die Satire und Kavilvatur seit -lalirluiiidei ttn hIht den arztlieheu Stand geliefert halien,
das iviinstleriseli Wertvolle ausgesucht und in vorzu^^lirlnu lleprodulvtinnen . wie man sie liei dem Verlage
von Ferdinand Kuke gewulait ist. wieilergegeben. „MUnchencr mcdiz. Wochenschrift" 1905, Nr. 51.
■ So wird das Buch dem geiilagteu Arzte von heute eine sp.innungenlusenJe geistige Eniuicliung sein,
ein frischer Trunk (iuelhvassers, geschöpft aus der liöstlich sprudelnden Vergangenheit, die ihn einige Jahr-
zehnte Nichtiieachtung fast gering zu seli.itzen gewulmt halien. Unwillkürlich wird er in angenelunster Form
nicht nur eine ganze Reihe histiirischer Daten aas der Medizin früherer Zeiten in sich aufnehmen, er wird
auch von reelit historisclier Forschung einen Hauch verspürt halten, der iu immer wiederkehrender Be-
schäftigung mit dem vom Verfasser und Verleger gleich voltkommen ausgestatteten Buche sich langsam zum
unwiderstelilichen Luftstrom gestalten möge, der ihn der Geschichte seines Standes und seiner Wissenschaft
in die gerne sich ütfneuden .\rme treibeu wird. Daruur auch uusereii liesouderen Segen dem schönen Buche
auf seinen Weg! Doch auch unsere ganz unhistorische, küustlerische und menschliche Seele von heute freut
sich daran.
Mitteilungen zur Geschichte der Medizin. Karl Siidhoff, Geh. Med. Rat, Prof. der
V.Band. Nr. 1. 1906. Geschichte der Medizin. Univ. Leipzig.
Hollander hat mit diesem seinem neuesten Praehtwerk nicht nur s<dn erstes in iilealer Weise ergänzt,
sondern ancli die tiistorische Literatur mit einer weiteren Gabe vim monumentaler Bedeutung l)ereichert. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß dieses neueste Gegenstüidv zu dem alteren Werk im \"ereiu mit ihm dem Ver-
fasser einen hervorragenden und ilauernden Pl.itz iu der Literatur fler medizinischen Kulturgeschichte sichert. —
Noch mehr fast als das vor zwei Jahren erschieui^ne Werk wird die „Karikatur und s.itire iu der .Medizin" das
Entzücken der knnstfreudigen und knnstfreundlii hen KolIef^iMi erregen nnd als ulier.ius u '^riimackvolle und
passende Weiliua- iifsgalie iu ihren Kreisen weite Verbreitung linden.
Deutsche Ärzte-Zeitung 1905, Heft 24. Pagel, Prof. der Geschichte der Medizin. Univ. Berlin.
■«•«<sio>j>-^ Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. is<K<Ks;s>jK
!m Erscheinen isi besjrilTen: Vierte, umtfearbcitctc Auflage des
Handbuch der praktischen Chirurgie.
In Vcii)indii;iLr niii
V. Anijcrcr- München, weil. v. Bergmann hcriin . BorchardI Berlin, v. Bramann - Htillo. v. Brunn - Bochum.
V. f:iscIsbcrij-\Vien. Fricdrich-Köni^'sheri,'. Gratf-Bonn. Grascr-Krlan^en, v. Hackcr-dr.i/. Hcinckc-LeipziK.
Hcnlc-Dorlniund. Heiischen -/ilrich. weil. Holfa- Berlin, v. Hof meiste r-Stiill*TdrI. weil. Jordan- lleidelherj^. Kausch-
Sthüiieherg - Berlin. Kehr-Berliii. Klose - lianUfurl o. M., KÖrle-Berlin. Krause - Berlin, weil, Krönicin - Zürich,
Kümmel-Heidelher»^. Kümmell-Hainburo. KUttner-BresIdii. Lexer-jend, LotheiDcn-W'ieii. weil. v.MikuIicz-Bres-
Uiii, weil. Nasse-Berlin. Perthes- lühingcn. Rammsledt-Mütister i. \V., Rchn-hrankfurl a. M, Reichcl-Chemnitz.
Riedinycr- Würzbiiry;. Römer- SlralJburj». Rottcr- Berlin, Sauerbruch - Zürich, weil. Schede - Bonn. Schlang^c-
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III. Band: Chirurgie des Bauches. IV. Band: Chirurgie der Wirbelsäule und des
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Vollständig erschienen I.Band: Chirurgie des Kopfes.
Mii 247 ieils farbiocn 'rcxlabbildimocn. Lex. 8". 19IÖ.
Geh. M. 29.— : in Halbfrz geb. M. 32.—
II. Band: Chirurgie des Halses und der Brust.
Mit 293 teils farbigen Textabbildungen. Lex. 8". 1913.
Geh. M. 27.— : in Halbfrz. geb. M. 30.-
111. Band: Chirurgie des Bauches.
Mit 169 ieils farbigen Icxiabbildungen. Lex. 8". 1913.
Geh. M. 25.— : in Halbfrz. geb. M. 28.—
Nachdem eine fJeihe Lieteruni^cn der vierlen AulltiKc \'nrlieL:en. luil die Krilik l)eieils
äußersr günsiigc Urlelle über die neue Aullagc „des führenden deutschen Lehrbuchs
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kemiung und BiiwuiiderunK verdient.- Zeniralhlatt fUr Chirurgie 1915, Nr. 19.
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Bearbeilei von
Geh. Mcdizinalral Prof. Dr. Brieger iti Berlin, Geh. Mcdizinali-.it Prof. Hr. Damscfi in Gotlingcn, Prof. Dr. Dchio in
Dorpal, Geh. Medizinalrar Prof Dr. Ebstein in Göninsen, Prof. T)r. Edinger in Frankfurt a. M-, Prof. Dr. Epstein in
Praj, Dr. Finlay in Hjvanna, Geh. Medi:iii.ilrat Prjf. Dr. Fürbringer in Berlin, Prof. Dr. E. Grawiti in Charlonenhurä,
Geh. Medizinalrat Prot. Dr. Harnack in Halle a. S., i'rof. Dr )adassofin i[) Bern, Oberarzt Prof Dr. Kümmell in Hani=
hiirg^Eppendorf Prof. Dr. Laachc in Chi-istiania, Prof. Dr. Lenhnrtz in M.iinhur>;=[-](>pendorf, Prof Dr. Lorenz in Graz,
Stabsarzt Prof Dr. Marx in Frankfurt a. M., Geh. Medizinalral Prof. Dr. Mendel in Berlin, Prof Dr. Nicolaier in Berliti,
Prof. Dr. Obersteiner in Wien, Hofrat Prof Dr. Pribram in Prag, Prof. Dr. Redlich in Wien, Oberarzt Prof Dr. Reiche
in Hambiirg-Fppendorf, Prof. Dr. v. Romberg in Miiiichen, Prof. Cr. Rosenstein in Leiden, ['rof Dr. Rumpf in Bonn,
I'rof. Dr. Schwalbe in Berlin, Prof Dr. Sticker in Münster i. W., Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Strübing in Greifswald,
Geh. Medizinalrat Prof. Dr, Unverricht in ^^^sdebnrg. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. v. Wassermann in Berlin,
Geh. Medizinalrat Prof Dr. Ziehen in Berlin.
Unter Redaktion von
Dr. W. Ebstein und Prof. Dr. j. Schwalbe
Gfhcimcr Mcdizinalrat, o. Professor in Göningcii Hcrausgchcr der ncutsdicn med. Wodicnsdirift
hcrausi^cijcbcn \'on
W. EBSTEIN.
Zweite, vollständig umgearbeitete Auflage.
Vier Bände.
252 Bogen. Mit 261 Textabbildungen. Lex. 8". 1905,06.
Geheftet M. 77.— : in Leinwand gebunden M. 85. —
I. Band. Krankheiten der Afmiings-, der Krcislaufsorganc, des Blutes und
der Blutdrüsen. 67 Bogen. Mit 75 Textabbildungen. Lex. 8'. 1905.
Geh. M. 22.— ; in Leinw. geb. M. 24.—
II. Band. Krankheiten der Vcrdauungs-, der Harnorgane und des männliehen
Geschlechtsapparates. Venerische Krankheiten. 61 Bogen. Mit
54 Textabbildungen. Lex. 8". 1905. Geh. M. 20.— ; in Leinw. geb. M. 22.—
III. Band. Krankheilen des Nervensystems (mit Einschluß der Psychosen).
Krankheiten der Bewegungsorgane. 59 Bogen. Mit 81 Textabbildungen.
Lex. 8'\ 1905. geh. M. 20.— ; in Leinw. geb. M. 22.—
IV. Band. Infektionskrankheiten, Zoonoscn, Konstitutionskrankheiten, Ver-
giftungen durch Metalle, durch Tier- und Fäulnisgifte. 45 Bogen.
Mit 5t Textabbildungen. Lex. 8". 1906. Geh. M. 15.— ; in Leinw. geb. M. 17.—
Chirurgie des praktischen Arztes.
Mit Einschluß der Augen-, Ohren- und Zahnkrankheiten.
Bearbeitet von Prof Dr. A. Fraenkel in Wien, Geh. Medizinalrat Prof Dr. K. Garrc in Bonn, Prof Dr. H. Häckcl in
Stettin, Prof. Dr. C. Hess in Mündien, Geh. Medizinalrat Prof Dr. F.König in Grunewald-Berlin, Prof Dr. W. Kümmel
in Heidelberg, L Oberarzt Prof Dr. H. Kümmell in Hamburg^Eppcndorf, Prof. Dr. G. Ledderhose in Strallburg i. E.,
Prof. Dr. E. Leser in Halle a. S., Prof. Dr. W. Müller in Rostock i. M , Prof Dr. J. Sdieff in Wicti, Prof. Dr. O.Tilmann in Köln.
Mit 171 Abbildungen. Lex. 8". 1907. Geheftet M. 20.— ; in Leinwand gebunden M. 22.—
(Zugleich Ergänzungsband zum Handbuch der Praktischen Medizin. 2. Auflage.)
ssss Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart, skss
Neue Deutsche Chirurgie.
Herausgegeben von P. v. B R U N S.
Bisher erschienene Bände:
1. Band. DicNagelexfension der Knocticnbrüctie. Von Privaidoz. Dr. F. Stein-
mann. "Mit IÖ6 Tcxtabhildiinoen. Lex. 8". 1912. Preis für Abonnenten
g-ch. M. 6.80, in Leinw. ycb. M. 8.20. Einzelpreis <_>eh. M. 8.40. in Leinw.
<jeb. M. Q.80.
2. Band. Chirurgie der Samcnblascn. Von Prof. Dr. F. Voelci<cr. Mit46Texl-
abbildungen. Lex. 8". 1912. Preis für Abonnenlen ijfch. M. 7.80, in Leinw.
geb. M. 9.20. Einzelpreis greh. M. 9.60; in Leinw. <,'eb. M. 11. -
5. Band. Chirurgie der Thymusdrüse. Von Dr. Heinrich Klose. Mit 99 Text-
abbilduniicn, 2 Kiii-ven und ö farbiijen Tafeln. Lex. 8". 1912. Preis für
Abonnenten peh.M. 10.-40: in Leinw. oeb.M. 11.80. Einzelpreis aeh. M. 12.80:
in Leinw. oeb. M. 14.20.
4. Band. Die Verleljungen der Leber und der Galienwcge. Von Prof. Dr.
F. Thöie. Lex. 8". 1912. Preis für Abonnenten sje^h. M. 6.80: in Leinw.
geb. M. 8.20. Einzelpreis geh. M. 8.40: in Leinw. geb. M. 9.80.
5. Band. Die Allgemeinnarkose. Von Prof. Dr. M. v. Brunn. Mit 91 Texlab-
bildungen. Lex. 8'. 1915. Preis für Abonnenten geh. M. 15.--; in Leinw.
geb. M. 1t).40. Einzelpreis geh. M. 18.60: in Leinw. geb. M. 20.-
6. Band. Die Chirurgie der Nierentuberkulose. Von Privatdoz. Dr. H. Wild-
bolz. Mit 22 teils farbigen Texiabbildungen. Lex. 8". 1915. Preis für
.-Abonnenten geh. M. 7. - ; in Leinw. geb. M.8.40. Einzelpreis geh. M. 8.60;
in Leinw. geb. M. 10.—
7. Band. Chirurgie der Lebergeschwülste. Von Prof. Dr. F. Thölc. Mit
25 Texlabbildungen. Lex. 8". 1915. Preis für Abonnenlen geh. M. 12. — ;
in Leinw. geb. M. 15.40. Einzelpreis geh. M. 14.— ; in Leinw. geb. M. 15.40.
8. Band. Chirurgie der Gallenwege. Von Geh. Rat Prof. Dr. H. Kehr. Mit
157 Textabbildungen, einer farbigen Tafel und einem Bildnis Carl Langen-
buchs. Lex. 8". 1915. Preis für Abonnenlen geh. M. 52.— : in Leinw.
geb. M. 54.— . Einzelpreis geh. M. 40.- ; in Leinw. geb. M. 42.—
Demnächst werden erscheinen:
Krankheiten des Knochensystems im Kindesaiter. Von Pro!. Dr. P. Frangenheim.
Lex. 8". l'-)|,3. |4cli. und in Leinw. !.;l'I).
Epithelkörper. Von Prof. Dr. N. Guleke. Lex. 8". 1915. Geh. und in Leinw. i^cb.
Chirurgische Krankheiten des Gehirns. Pcdii,'iert von Prof. Dr F. Krause. Unter
Mihirbeil von Ohcrdrzl Dr. VV. lir.iun. Prof. Dr. K. hrodmann. Prof. Dr. L. Bruns,
Privdldoz. Dr. R. Cassirer. Prof. Dr. A. Exner, Prof. Dr. F. Haaslcr. Privaidoz.
Dr. A. h a u pl rn a n n, Privaidoz. Dr. K. Menschen. Oberarzt Dr. E. Heyinann,
Dr. T h. H o I z in a n n . r->rof. Dr. A. K n o b I a u c h . Prof. Dr. F. M ü 1 1 c r , Prot. Dr M Nonne,
Prof. Dr. K. A. Passow. Privaidoz. Dr. Schüller, Prof. Dr. Schüssler. Prof. Dr.
A. Siieda. Lex. 8". 1915. i»eh. und in Leinw. sjeb.
Der rasche Forlgang des Unternehmens ist gcwährlGislel. Seil 1 'i Jahren
sind 8 Bande erschienen, und gegenwärtig bclindcn sich wcilere 6 Bände
teils im Druck, teils in Vorbereitung für die naclistcii Monate.
Die einzelnen bisher erschienenen iKindc der,, Neuen Deutschen Chirurgie"
haben den einsliininigen Beifall der Kritik gefunden, lis wird rühtnend her-
vorgehoben das aktuelle Interesse, die praktische Wiciitigkeil und die er-
schöpfende Darstellung des Gegenstandes, bei mehreren Bänden geradezu
die KrschlieOung chirurgischen Neulands. Die Bände werden sämtlich dem
Fachmann als unenlbehrlicli, manche auch dem praklischcn Arzic angelegent-
lich empfohlen.
iKiCs Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart, ss«
Kürzlich erschienen:
Verletzungen und chirurgische Krankheiten
der Speicheldrüsen.
Von
Prof. Dr. H. Hcinckc.
Mit Qö TcxtabbilduMKCii. Lex. 8". 1915. geh. M. 18.—
(Deutsche Chirurgie. Herausy. von P. v. Bruns. Lieferung 33, II. Hälfte, 2. Teil.)
Die Chirurgie
der quergestreiften Muskulatur.
V'dii
Geh. Rat Prof. Dr. H. Kütfner und Privatdoz. Dr. F. Landois.
1. Teil. Mit 136 teils farbigen TcxIabbildLiiiHcn. Lex. 8". 1913. geh. M. 14.
(Deutsche Chirurgie. Herausg. von P. v. Bruns. Lieferung 25 a.)
Die chirurgischen Krankheiten
und die Verletzungen des Darmgekröses
und der Netze.
Von
Privaldozcnt Dr. W. Prutz.
Mit einem Beitrage von Privatdozenl Dr. E. Monnier.
Mit 66 Textabbildungen. Lex. 8". 1913. geh. M. 18.—
(Deutsche Chirurgie. Hcrtiusg. von P. v. Bruns. Lieferung 46 k.)
Orthopädische Opcrationsichrc.
Von
Prof. Dr. Oskar Vulpius, und Dr. Adolf Stoffel,
a. o. Professor der orthoptidi'Ni.lK'n Cihirurt-ic 5pc/ialarzt für orthoptidische Chirurjjie
an der Universität Heidelherü. in Mannheim.
Mit 446 zum Teil farbigen Texlabbildungen. Lex. 8". 1915.
geh. M. 24.— ; in Lcinw. geb. M. 25.60.
Geschichte der Ohrenheilkunde.
\'<in
Dr. Adam Politzer,
cm. o. ö. Professor der Ohrcnlieilkiinde an der Wiener Universilät: em. Vorstand der Universitäts-Ohrenklinik
im k. k. Alldem. Krankenhause in Wien; k. k. Hofrar.
Zwei Bände.
Band II von 1850-1911.
Unter Mitwirkung bewÄlirlcr Fachkräfte.
Mit 29 Bildnissen auf 29 Tafeln. Lex. 8". 1913. oreh. M. 2-1.— : in Leinw. geb. M. 26.—
i»» Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. ■<^.<^.
Kürzlicti ersctiienen:
Bauer. Doz. Oberarzt Dr. J., Die Methodik der biologischen
Milchuntersuchung. Nebst eiiK-ni (Jclcitwort vcm Prof. Di A Scliloßmann.
Mit 15 Tcxtabbikluiigen. S". 1913. gcli. M. 3.— ; in Leinw. geb. M. 3.60.
Fchling, Geh. Rar Prof. Dr. H., Ehe und Vererbung. Vortiag, ge-
halten im Deutschen Fraiienverein vom Roten Krciu für die Kolonien, Landesverein
Württemberg, am 30. November U)12 in Stutigart. Lex. 8". 1913. geh. M. 1.20.
Fehling, Geh. Rat Prof. Dr. H. und Franz, Geh. Rat Prof. Dr. K.,
Lehrbuch der Frauenkrankheiten, vierte, vöing umgearbeitete
und vermehrte Auflage. Mit 222 teils farbigen Textabbildungen. Lex. S". 1913.
oeh. W. 12. ; in Leinw. i^eb. M. 13.4(1.
Freund, Prof. Dr. H.. Gynäkologische Streitfragen. Lex.s . 1913.
geh. M. 1.60.
Hart, Prosektor Dr. C. und Lessing, Dr. O., Der Skorbut der
kleinen Kinder (Möller-Barlowsche Krankheit). Monographische Abhandlung an
der Hand tierexperimenteller Untersuchungen. Mit 24, darunter 14 farbigen Tafeln.
lex. S". 1913. geh. M. 16.-
Hüttemann, Stabsarzt Dr. R.. Vorschriften über die Sehschärfe
bei der Einstellung in verschiedene Berufe. Ein Nachschlage
bücliUin für Aerzte. gr, S". li)13. i^eh. M. 1(1).
Jahrbuch der praktischen Medizin. Kritischer Jahresbericht für die Fort-
bildung praktischer Aerzte. Herausgegeben von Geh. Rat Prof. Dr. J. Scliwalbe. Jahr-
gang 1913. gr. S". 1913. geh. M. 15.— ; in Leinw. geb. M. 16.—
Jahresbericht über die Fortschritte der Physiologie. Herausge-
geben von (ieh, Rat Prof. Dr. L. Hermann und Prof. Dr. O. Weiß. \X. Band. Be-
richt über das Jahr 1911. Lex. S". 1913. geh. M. 26.—
Jansen, Doz. Dr. M., Das Wesen und das Werden der Achon-
droplasie. Eine Abhandlung iiber Wachstnmsslorung embryonaler Zellgruppen,
verursacht durch Amniondruck in den verschiedenen Stadien der Skelettentvvicklung (An-
encephalie, .Nchondroplasie, Kakomelie). (.\us dem Englisciien übersetzt von Dr. G. Hoii-
mann und E. Windstoßer, München, mit Erweiterungen versehen vom Verfasser.)
Mit 35 Textabbildungen. Lex. 8". 1913. geh. M. 5.—
Laache, Prof. Dr. S., Über Schlaf und Schlafstörungen, ihre
Ursachen und ilire Behandlung. Mit 2 Textabbildungen. Lex. S . 1913. geh. M. 2.40.
Reiter, Privatdoz. Dr. li.,Vaccinetherapie und Vaccinediagnostik.
.Mit 26 Textabbildungen. Lex. S '. 1913. geh. M. S.—
Schenck, Geh. Rat Prof. Dr. F. und Gürber, Prof. Dr. A., Leit-
faden der Physiologie des Menschen für studierende der Medizin.
Zehnte und elfte Auflage Mit 37 Textabbildungen, gr. S". 1913. geh. M. 5.40: in
Leinw. geb. .W. 6 4ü!
Waldschmidt, W, Die Unterdrückung der Fortpflanzungs-
fähigkeit und ihre Folgen für den Organismus. Preisgekrönte
A r b e i t il e r ni e d i z i n i s c h e n 1 a k u 1 1 ii t d e r U u i v e r s i t ä t T ü b i n g e n. Lex. S".
1913. geh. M. 4.S0.
■si^mm^ Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. m^<^<^^^
Allgemeine Pathologie.
Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte.
Von Prof. Dr. E. Schwalbe.
Mil 591 icils tarbigcn Textabbildungen. Lex. 8". 1911. geh. M. 22.- ; in Halbfrz. geb. M. 24.—
Lehrbuch der Greisenkrankheiten.
Linier Milwirkung von
Geh. Medi^inalrat Prof. Dr. Damsch in ( iöttiiiscii, (-'•eh. Mi'liriii.ilr.u l'rof. Dr. Ebstein in Oöttinsen, Geh. Medizinalrat
Prof. Dr. Fvvald in Berlin, Geh. Medi:in.)lr.it Prof. Hr. Fiirbringcr in Berlin, l'rof. Dr. Grawitz in Charloltenburg,
Prof. Dr. Hirsch in Göttinnen, Prof Dr. Hoppe=Scylcr in Kiel, l'rof Dr. (adassohn in Bern, Prof. Dr. Baron
A. V. Koränyi in Budapest, Geh. Medizinalrat Prof. Ilr. Naunyn in Baden--Baden , Prof. Dr. Ortner in Innsbruck,
Geh. Medizinalrat Prof Dr. Siemerling in Kiel, Prof. Dr. Sternberg in Wien
herausgegeben von
Geh. Rat Prof. Dr. j. Schwalbe, Berlin.
Lex. 8°. 1909. geh. M. 26.— ; in Halblrz. geb. M. 28.—
Physikalische Therapie in Einzel-
darstellungen.
Herausgegeben von
Dr. Juh'an Marcuse und Prof. Dr. A. Strasser
Spezialarit für phvsikal. Ther.ipie ni Miiiichen .in der Uin\ersit.n W'.en
unter Mitarbeit von
Prof. Dr. A. Älbu, Berlin, Geh. Rat Prof Dr. L. Brieger, Berlin, Do:. Dr. A. Biim, Wien, Di. B. Buxbaum, Wien,
Prof. Dr. H. Determann, Freihins i. Br.--St. Blasien, Dr. O. Fellner, Wien, Dr. A. Foges, Wien, Prof Dr. F. Franken*
häuser, Berlin, Dr. R. Friedlä'nder, Wiesbaden, Prof Dr. ). Gla,\, .Xbbazia, Doz. Dr. M. Herz, Wien, Doz. Dr.
R. Kienböcli, Wien, Doz. Dr. D. O. Kuthy, Budapest, Dr. A. Laqueur, Berlin, Prof Dr. A. Martin, Zürich, Dr.
S. Munter, Berlin, Prof Dr. H. Rieder, München, Prof Dr. H. Rosin, Berlin, Prof. Dr. G. Sittmann, München,
r)oz. Dr. K. Ulimann, Wien, Hofrat Prof Dr. W. Wintcrnitz, Wien, Doz. Dr. J. Zappcrt, Wien.
26 Hefte. Lex. 8". 1906—1908. geh. M. 64.-: in Leinw. geb. M. 80.20.
Handbuch der Unfallerkrankungen
einschließlich der Invalidenbegutachtung.
Unter Mitwirkung von Sanit.itsral Dr. E. Gramer, Cottbus, Dr. W. Kühne, Cottbus,
Geh. Rat Prof. Dr. A. Passow, Berlin und Dr. C. Fr. Schmidt, Cottbus.
Von Geh. Rat Prof. Dr. C. Thiem.
Zweite gänzlich umgearbeitete Auflage. — Zwei Bände.
Mit 268 Textabbildungen. Lex. 8". 1909—1910. geh. M. 66.60; in Halblrz. geb. M. 72.60.
Sanitätsdienst und Gesundheitspflege
im deutschen Heere.
Ein Lehr- und Handbuch für Militärärzte
des Friedens- und des Beurlaubtcnstandes.
Unter Mitwirkung zahlreicher Fachmänner herausgegeben von den Generalärzten
Dr. A. Villaret und Dr. F. Paaizow.
Mit 10 Abbildungen. Lex. 8". 1909. geh. M. 26.— : in Halbfrz. geb. M. 28.—
!Ksxs»i«<Kis Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. <m<f:<m<f:
Geschichte der Medizin.
Von I^rof. Dr. M. Neuburgcr.
Zwei Bände.
I. Band. Lex. 8". 19()6. pcti. M. 9.— : in Leinvv. «cb. M. 10.40.
11. band. 1. Teil. Mit 5 Tafeln. Lex. 8". 1911. geh. M. lö.fcü; in Leinw. j,'eb. M. 15.—
Die Wochenstube in der Kunst.
Eine l<ulturhistorisctie Studie von Dr. med. Robert Müllcrheim.
Mit lös Ahbildiinycii. Hoch 4 '. l^Ol. Karlonicrt M. 16. — ; in Lcinw. yeb. M. 18.-
INHALT: Vorworl. — Eintührung. — Die Wochensliibc. — Da.s Bett. — Gehurlssluhl.—
Pflege der Wöchnerinnen. — Pflege des Kindes. — Kleidung des Kindes. — Ernährung des
Kindes. — Bell des Kindes. — Glaube und Aberglaube in der Wochenslube. — Volkstüm-
liche und gelehrte Anschauungen. — Kultus der Wöchnerin. - Ende des Wochenbetts. —
Anhang. — Quellen und Anmerkungen.
Llrt<?il der Presse ■ • ■ ^•'■^^ seinem feinentwickelten Kunstsinn lia.t der Verfasser seinem an tiultur-
tjiitii uci fiK.as'L.. gesciiifijtijciien Bemerliungen sehr inlialtreiclien Texte eine wirliliclie Vr'clit-
sammlung von lUustratinnen eingefügt, an denen der Beschauer eine lierzige Freude, der liulturgescliiehtlich
emilfindende Leser aber außerdem nocli eine lieinalie unerschöpfliclie Fundgrube zur Bereiclierung seines
Wissenstrielies finden wird. Das Buch wird sicher in weiten ärztlichen Kreisen seine Verbreitung finden.
Nicht minder willkommen wird es aber den Müttern und Gattinnen sein. Berliner Tageblatt 1905, Nr. 65.
Rembrandts Darstellungen dcrTobiasheilung.
Nebst Beiträgen zur Geschiciile des Starslictis.
Von ProL Dr. R. GrcefF.
Mit 14 Tafeln und 9 Textabbildungen. Lex. 8". 1907. Steif geh. M. 6.—
Die Küche in der klassischen Malerei.
Eine l<unstgeschichitlichie und liferarhistoriscfie Studie für Mediziner und
Nichitmediziner.
Von Dr. W. Sternberg.
Mit 50 Textabbildungen. Lex. 8'. I^)l(). Steif geh. M. 7.—
Aberglaube und Zauberei
von den ältesten Zeiten an bis in die Gegen wart.
Von Dr. Alfred Lehmann
Direktor des psychophysisdion Lal)oraloriums an der Universität Kopenhagen.
Deutsche autorisierte Übersetzung von
Dr. med. Petersen I
Nervenar/t in Düsseldorf.
Zweite umgearbeitete und vermefirtc Auflage.
Mit 2 Tafeln und 67 rextabbildungen.
Lex. 8: 1908. geh. M. 14.— : in Leinw. geb. M. 15.40.
äßss Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. s>s>
Soeben erschienen:
Plastische Anatomie des Menschen
für Künstler und Kunstschüler von Professor L. Hcupcl-Sicgcn.
Mit 1Q9 teils farbiyen Zeichnungen auf 85 Tafeln von Paul Mather, Düsseldorf,
und 8 Aktstudien.
Lex. 8". 1915. Geheftet M. 18.—. in Leinwand gebunden M. 20.—
Der Verfasser des Werkes ist darauf bedacht gewesen, die plastische Anatomie
für Künstler bei kürzester Fassung ausführlich im Inhalt darzustellen. Bei aller
Ausführlichkeil ist aber doch der Zweck, dem Künstler zu dienen, immer im Auge
behallen worden.
Trotz — vielleicht auch gerade wegen — der gegenwärtig von Stoff und der
Form losgelösten Neukunst ist das Interesse für Anatomie bei den Studierenden reger
geworden und im Wachsen begriffen. Es gibt wohl auch keinen Gegenstand, der
mehr wie der menschliche Körper in Rücksicht auf Naturwahrheit ein gründliches
Studium verlangt.
'Vie die Erfahrung lehrt, führen oberflächliche Studien in der Anatomie beim
Künstler zur Inleresselosigkeit. Anderseits fühlt er sich durch die Schwierigkeit des
anatomischen Studiums mit unzulänglichen Mitteln abgestoßen. Diesem Umstände
Rechnung tragend, hat der Verfasser die Anordnung des ganzen Stoffes übersicht-
lich nach Art des Anschauungsunterrichtes eingerichtet. Auf diese Weise ist bei
dem reichen Material auch die Möglichkeit zum Selbstunterrichte gegeben für die-
jenigen, welche bei der Ausübung der Kunst keine Gelegenheii mehr haben, an den
Kunstschulen Vorträge zu hören. Da die einzelnen Tafeln sich genau dem Lehrgang
anschließen und die darauf bezüglichen Nummern überall sorgfältig im Text einge-
tragen sind, so ist die Handhabung des Werkes eine sehr bequeme.
Außer dem für den Künstler Notwendigsten ist aber auch alles allgemein Wissens-
werte aus dem Gebiete der plastischen Anatomie dargestellt. Sowohl die Behand-
lung des Auges, als auch des Ohres in bezug auf den inneren Bau ist für den
Künstler ausführlich zu nennen; desgleichen die Tafeln mit den tiefen Muskelschichten
usw. So ist in dem Werke alles geboten, was der Studierende suchen mag.
Der Gesichtsausdruck des Menschen.
Von Dr. med. H. Krukcnberg.
Mit 205 Textabbildungen meist nach Originalzeichnungen und photographischen
Aufnahmen des Verfassers.
Lex. 8". 1915. Geheftet M. b.— , in Leinwand gebunden M. 7. -10.
INHALT: I. Einleitung. — II. Liler<ilur\'erzeichnis. — 111. Historisches. Kritik der bis-
herigen Schrillen über Physiognomik. — IV. Mimik der Tiere. — V. Entwicklung der Phy-
siognomie. Anthropologisches. Entwicklung der einzelnen Rassenmerkmaie. Entwicklung
des Individuums. Oeschlechlsmerkmale. Altersmerkmale. Pathologisches. — VI. Entstehung
des menschlichen Mienenspiels. Entwicklungsgeschichte. Physiologie. Ausfallerscheinungen.
Pathologie. — VII. Die Haut. — VIII. Das Auge. — I.X. Das Ohr. — X. Die Nase. — XI. Der
Mund. — .\11. Zusammenfassung der einzelnen Ausdrucksweisen. — Register.
ssssäKssjotSi Verlag von h'ERDlNAND ENKE in Stuttgart. <sieis>sii5>si
Soeben erschien:
Die
Schönheit des wcibhchcn Körpers.
\on l)\: C. H, Stratz.
Den Müllern, Ärzten und Künstlern gewidmet.
ZwciundzwanzitjTSte. vermehrte und verbesserte Auflage.
Mit 505 Al>bildun>,ven und 8 Tafeln. Lex. 8". 1915.
Geh. M. 18.— : in Lcinw. geb. M. 20.—
Die vorlietrcnde Aiillage ist um mehr als 30 neue Abbildungen, durchweg Photographien
nach dem Leben bereichert und auch textlich erweitert worden. Die früheren Auflagen des
Werkeshatien inder
Presse die wärmste
Anerkennung ge-
lundcn.
Es kann in sei-
nem geschmack-
sollen Gewände
iiuch zu Geschen-
ken lür Künstler.
Kunstfreunde. Ärzte
und Müller, für wel-
che Kreise es ge-
schrieben ist. wärm-
stens empfohlen
werden.
Süddcutsclie. Schöne Nackcnlinicn und Drcliuntrsfalte am Hals.
INHALT: Ein-
leitung. — I. Der
moderne Schön-
lieilsbegrilT. — II.
Darstellung weib-
licher Schönheit
durch die bildende
Kunst. — III. Weib-
liche Schönheil in
der Literatur. — IV.
Proporlionslehre
und Kanon. — V.
LintlulJder Entwick-
lung und Vererbung
auf den Körper.
VI. Einflul) von Geschlecht und Lebensalter. — VII. Einfluß von Ernährung und Lebensweise.
— VIII. Einflul) von Krankheiten auf die Körpcrlorm. — IX. EinflulJ der Kleider auf die
Körperform. — X. Beurteilung des Körpers im allgemeinen. — XI. Kopf und Hals. — XI!.
Pumpf. Schulter. Brust. Bauch. Rücken. Hüllen und Gesäß. — XIII. Obere Gliedmaßen. —
XIV. Untere Gliedmaßen. — XV. Scliönheil der Farbe. — XVI. Schönheit der Bewegung.
Stellungen des ruhenden Körpers. Siellungen des bewegten Körpers. — XVII. Überblick der
gegebenen Zeichen normaler Körperbildung. ~ XVIII. Verwerluiig in der Kunst und im
lieben. — Sachverzeichnis. — Namenverzeichnis.
Den unj;e«ohntt-ii Eifolf; errang sicli iuImu iIit ^i'^i-hiiiai kvolli'ii liililen'fichcn Aufstauung vor allem
der gesunde Gedanke, der dem Werke zugiuiule liegt. Stratz stellt den Satz auf. dali sieh Sehiinlieit der
incnschlielien Gestalt und liOchstc Gesundheit detkeu. und zwar Gesundheit vom ersten Moment emlir.voualen
Entwickclns und dureh Generationen hindurch. Um zu diesem Sehönheitsideal zu gelangi'n, geht Stratz
negativ vor und Ijehandelt vorerst eine Reihe von Fehlern und Mangeln, welche dem menschlichi'n Körper an-
zuhaften jifiegiM). unrichtige Proportionen, mangelhafte Entwicklung, ungünstige Erniihrung, naturwidrige
Leljenswcisc. schlechte Aus]irägung des liesehlechtscharakters, Alter. Erldichkeit, Krankheiten aller Art. un-
gesunde Kleidung usw. werden da ausgemerzt, ehe der Autor zu Positivem schreitet. - Der Piklerschniuck
ist, wie erwälint. ungemein reich. Stratz konnte da aus einem unifasseinleu Jlateriale wählen, und er hat
überdies geschickt und mit (ieschmack gewühlt. Das Werk ist iianientlich ilen liildenden Kiinstleni zu emp-
fehlen, welche rlaraus grolsen Nutzen und wertvolle Erkenntnis sehoplen kniimn v. Larisch
Allgemeines Liter<iliirbljlt, Wien.
jüsiicisisiioi Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. ^^^<i^^
Die Rassenschönheit des Weibes.
Von Dr. C. H, Sfratz.
Siebente, gänzlich iimcrcarbcitete und erweiterte Auflage.
Milö46Texlabbildunocii und
Lex.H". IQIl. Gch.M.lö.-; in I.cinw.ocb.M.IS.-
INHALTrEinleiiung. -
I. Rassen und Rassen-
merkmalc. — II. Das
weibliche Rassenideal.
— III. Die profomorphen
Rassen. I.Ausiralicrinncn
und Nctjrilos. 2. Papuas
und Melancsierinnen. 5.
Weddas und Dravidas. 4.
Ainos. 5. Die Koikoins und
Akkas. 6. Die amerika-
nischen Stämme. — IV.
Die mongfoiischc Haupt-
rasse. Cliinesinncn. |a-
panerinnen. — V. Dicni-
gritischc Hauptrasse.
Banlunegerinnen. Sudan -
neticrinnen. — VI. Der
asiatische Hauptstamm
der mittelländischen
Rasse. Hindus. Perse-
rinnen und Kurdinnen.
Araberinnen. — VII. Die
metamorphen Rassen.
1. Die ösilichien mittel-
iändiscli-mdngolisciien
Mischrassen: Birma.Siam,
Anam und Cochinchina.
Die Sundainseln. Ozea-
nien. — Sandwichinseln,
Carolinen, Sain<ia, Fid-
schiinseln, Admiraliläls-
inscln. Freundschallsin-
seIn,Neuseeland(Maoris).
2. Die westlichen Misch-
rassen: a) Tataren und Tu-
ranier. b) Die äthiopische
Mischrassc. — VIII. Die
drei mittelländischen
Unterrassen. 1. Die afrikanische Rasse: Ägypten
2. Die romanische Rasse : Spanien. Italien,
nordische Rasse: Niederland
dinavien.
Mcidcticn aus Sanioa.
Berberische Stämme. Maurische Stämme.
Griechenland. Frankreich. Belgien. 5. Die
,^^ . .,.^u^..^,.„. Österreich-Ungarn. Rußland. Deutschland. Dänemark. Skan-
Übersicht der wichtigsten weiblichen Rassenmerkmale.
Naturgreschichte des Menschen.
Grundril? der somalischen Anthropologie.
Von Dr. C. H. Strafz.
Mit 342 teils farbigen Abbildungen und 5 farbigen Tafein.
Lex. 8". 1904. Geh. M. 16.— : elegant in Leinw. geb. M. 17.40.
INHALT: I. Überblick Über die anthropologische Forschung. — II. Die phylogenetische
EntWickelung der Menschheit. — III. Die Ontogenese des Menschen, a) Die embryonale Ent-
wickelung. b) Das Wachstum des Menschen, c) Die geschlechtliche Enlwickelung. —
IV. Die körperlichen Merkmale des Menschen (Kraniologic, Anihropomelrie, Proportionen). —
V. Die Rasscnenlwickelung. — VI. Die menschlichen Rassen. 1. Die Australier. 2. Die Papuas.
3. Die Koikoins. 4. Amerikaner und Ozeanier. 5. Die melanoderme Hauptrasse. 6. Die
xanthodcrinc Hauplrasse. 7. Die leukodermc Hauptrasse. Schlußwort.
isißsisisisß Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. ^^^'Ci
Die Fraucnkicidung
und ihre natürliche Entwickeiung.
Von Dr. C. H. Sfratz.
Dritte völliii umgearbeitete Auflage.
Mit 269 Texlabbildungen und einer farbigen Tafel.
Lex. 8". 1904. Geheflel M. 15.— : in Leinw. geb. M. 16.40.
INHALT: Linleilung. - 1. Die Nacklheil. — II. Die Kiirperverzicrung. a) Kürper-
schmuck. I)) Klciduntr. — 111. Einflul) der Rassen, der geographischen Lage und der Kullur
auf die Körperverzierung. — IV. Der Kiirpcrschmuck. a) Bemalung. b) Narbenschmuck
und Tätowierung, c) Körperplaslik. d) Am Korper bc!csiigle Schmuckslücke. — V. Die
primitive Kleidung (Hiiflsehmuck). — VI. Die tropische Kleidung (Rock). — VII. Die arktische
Kleidung (Hose, Jacke). — VIII. DieVolksIracht auDereuropäischer Kulturvölker. 1. Chinesische
Gruppe. 2. Indische
Gruppe. 5. Indo-
chinesischeGruppe.
4. Islamitische
Gruppe. — 1.x. Die
Volkstrachten eu-
ropäischer Kultur-
völker. 1. Die eigent-
liche Volkstracht.
2,DieStandcstrach-
Icn. 3. Die Hose als
weibliehe Volks-
irachl.— X. Die mo-
derne europäische
Frauenkleidung. —
L Unterkleider.
2. Überkleider. —
XI. EinHulJ der Klei-
dung auf den weib-
lichen Körper. —
XII. Verbesserung
der Frauenkleidung.
Ar<il>erin mit \er.sclileik;rlciii Gcsichl.
Urteil der Presse:
... Das Hucli ist
li-^^i-lnil iiiiil unroKi'iid
^'i'Scliri''li'ii, von iler
VfiiaS'-l'in^t'liiiii'lliiiif,'
pleganl ausgi-stattet,
wolx'i all prägnanten
llilclinn nicht gcsiiart
wiirdi'. iiml i'in|ilielilt
sicli .jf'iien, wi'lclie i-ine
I.,iJsung der lirpnncndPn
Ii'rage der Fraiienlilei-
diing uiitor ßcrüclt-
sii'litigung derÄstlietili
rrstn-lii'n.
Zcitsclirlfl für Sozial-
wissenschaft.
iSißsiJKJ^si Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. <i^^iHi^
Die Körperpflege der Frau.
Physiologische und
ästhetische Diätetik
für das weibliche Geschlecht. Allgemeine Körperpflejjie, Kindhcil, Reife. Heirat,
Ehe. Schvvan<Terschaff, Gebiirf. Wochenbett. Wechseljahre. Von Dr. C. H.Stratz.
Zweite Auflage. Mit 1 Tafel und 79 Textabbildungen. Lex. 8". 1911. Geh. M. 8.-^0;
in Leinw. geb. M. 10.—
INHALT: Einlcilung. — 1. Der Bau des weiblichen Körpers. — II. Pflege der Körper-
form. — III. Ernährung und Stoffwechsel. - IV. Pflege der Haut. — V. Kleidung. —
Vi. Pflege der einzelnen Körperteile. 1. Pflege des Kopfes. 2. Pflege des Rumpfes. 5. Pflege
der Gliedmaßen. — VII. Das Gattungsicben des Weibes. - - Vlll. Kindheit. — IX. Reife. —
X. Heirat und Ehe. — .XI. Schwangerschaft. Vorschriften mit Rücksicht auf das Kind. Vor-
schriften für die erste Hälfte der Schwangerschaft. Vorschrihen für die zweite Hälfte der
Schwangerschaft. — XII. Geburt. Vorbereitungen für die Geburt. Natürlicher Verlauf der
Geburl. Pflege und Behandlung der Geburt. — XIII. Wochenbett und Säuglingspflege.
Normaler Verlauf des Wochenbetts. Wochenpflege. Säuglingspflege. ^ .XIV. Wechseljahre.
Diätetik der Wechseljahre. — Namen- und Sachverzeichnis."
Urteil der Presse; r*^i" ^^^ Mediziner uud Physiolnge rülimlicli^r bekannte Verfassei* Ijeschenlvt uiisltl'
Frauenwelt mit einer Galie von liolii-m Werte. Dem Beisiüel Hufelands folgend, will
Strat/, di-_- ]diy»iolugische und ästhetische Pflege der Frau unter einem neuen Gesichtspunkte, dem der Kallo-
biotik. vereinigen. Kalloliiotik nennt Stratz die Lehre, schön, d. h. gesund zu lelieu. Seiner Atisicht ist der
Verfasser im ganzen Umfange gerecht geworden. Ant lieinahe 300 Seiten bietet das Werk einen zuverlässigen
Ratgeber für die Frau zu einer harmonischen, gesundheitliciien Gestaltung ihres taglichen Lettens. I»ie .Xus-
stattung ist, wie es liei dem Kufe der Verlagshandtung Enke zu erwarten ist, eine giinz vorziiglirlic , >.o dal!
die Lelttiire des Buches auch nach dieser Seite hin einen vidlen iJenuH liietct. Frankfurter Fraucnzcifung".
Soeben erschien in vierter Auflage:
Die Frau als Mutter.
Schwangerschaft. Geburt und Wochenbett so-
wie Pflege und Ernährung der Neugeborenen
in gemeinverständlicher Darstellung
von Privatdozenl Dr. Hans Mcyer-Rüegg. Mit
4ö Abbildungen. 8". 191Ö. Geh. M. 4. — : in
Leinw. geb. M. 5. —
Urteile der Presse:
Ein ausgezei. hnetes Buch! ... Es ist mit diesem Buclie
einem dringenden Bediirlnis aligehotfen worden, uncl ich werde
hinfort jeder jüngeren Frau meiner Klienten raten: „Kaufen Sie
sich dieses Buch." Prof. Dr. J. Paget t.
Deutsche Ärzte-Zeifungf.
\"ii alt df-n \iel'ti Biuhein. die sicli dieselbe .\ufgal)e gestellt halien, wie d.tsjenige Meyer-Iiüeggs.
ist keines gleiehwerlig, keines kommt ihm nahe. Es gelmrt zu den.ienigen liueliem, welche in jede Ehe niit-
geliracht werden sollten. Icli habe das Buch vielfach empfohlen, unil wo es gelesen wurde, wo maii seinem Rate
folgte, hat es sich .Mütter und Vater erobert, die das Gedeihen ihrer .Tungni.innsihaft zu einem guten Teil dem
menschenfreundlichen .\rzte verdanken, dem die Miihe nicht zu grolS war, die Erfahrung einer reichen, praktisc hen
und wissenschaftlichen Tätigkeit in dem gebildeten Laien verständlicher Form zu Ijearbeiten. Dr M . . . r
Neue Züricher Zeiluno.
Das Geheimnis vom Ewig-Weiblichen, such^^^r
Naturgeschichte der Frau. Nach Vortragen im Wintersemester 1910 11 von
Prof. Dr. H. Scllhcim. Mit 1 farbigen Bilde von A. L. Ratzka. Lex. 8". 1911.
Geh. M. 2.—
Die Reize der Frau und ihre Bedeutung für
den Kuhurfortschritt.
Nach einem am 17. Dezember 1908 im
„Deutschen Frauenverein für Kranken-
pflege in den Kolonien" in Stuttgart gehaltenen öffentlichen Vortrag von Prof.
Dr. H. Scllhcim. Mit 1 Tafel. Lex. 8'. 1909. Geh. M. 1.60.
sKssiKssäSäK Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. -o-isis-Kic?-«
Der Körper des Kindes ""p.'.^TT"^ ^
' f"urhltcrn, Erzieher, Arzte
und Künstler. Von Dr. C. H. STRATZ, Dritte Auflage. Mit 312 in den Text ge-
drucklen Abbiidunj.;enu. -4 Tafeln. Lex. 8". 1909. üeh. M. 16.—: in Leinvv. geb. M. 17.40.
INHALT: Elnlciiung. — Allgemeiner Teil. 1. Der Liebreiz des Kindes. — 11. Die
embryonale Enlwickcluntr. — 111. Das neugeborene Kind. — IV. Wachsluni und Proportionen.
— V. Hemmende Einflüsse. — VI. Die normale Enlwickelung des Kindes im allgemeinen.
Spezieller Teil:
Vll. Das Säug-
lingsalter (bis 1
Jahr). — Vlll. Das
neutrale Kindes-
alter(l bis7|ahre).
a) Erste Fülle (1
bis 4 Jahre), b)
Erste Streckung
(5 bis 7 Jahre). —
IX. Das bisexuelle
Kindesalter (S bis
15Jahre).a)Zwcite
Fülle (S bis 10
Jahre), b) Zweite
Streckung (11 bis
löjnhre).'— X. Die
Reife (15 bis 20
Jahre). - XI. Die
Pflege des gesun-
den Kindes, a)
Körperliche Ver-
sorgung. 1. Er-
nährung. 2. Klei-
dung. 3. Lebens-
weise. 4. Körper-
pflege (Reinigung,
Bad, Luftbad,
Abhärtung), b) Er-
ziehung. 1. Indivi-
duelle Erziehung.
2. Sexuelle Erzie-
hung. — Xll. Prak-
tische Nutzanwen-
dung. — Sachver-
zeichnis. — Na-
menverzeichnis.
Es sinil viele
Büclier geschrieben wonlen Über das kranke Kind und seine PI1ep:e, über das gesunde
kaum eines." Wenigstens keines, das in so klarer, eingehender und alljjeniein verständlicher Weise und in
so gewählter, geistreieher Spraohe, wie wir sie an Stratz gewohnt sind, .lie normali' korijerliehe Kntwickelung
des Kindes bis zum .\lter der Keife zur Darstellung liringt. . . . .\n Fülle und Glanz der Illustrationen reiht
sich dieses neueste Stratzsche Werk seinen Vorgangern würdig an. Frankfurter Zeitung.
DieKörperformen in Kunst undLeben
c\oV \7\r\7\XyO\* von Dr. C. H. stratz. Zweite Auflage. IMit
Uv^I \CXyiX\\K,\ • 112 in den Text gedruckten AbbildunsTcn und Ifar-
bigen Tafein. Lex. 8''. 1904. Geli. M. 8.60: in Leinw. geb. M. 10.—
INHALT: Einleitung. - 1. Die Körperformen der Japaner. 1. Das Skelett. 2. Mal5c
und Proportionen. 5. Gesichtsbildung. 4. Körperbildung. II. Japanischer Schönhcilsbegrilf
und Kosmetik. 1. Auffassung der körperlichen Schönheit. 2. Künstliche Erhöhung der Schön-
heil. — III. Das Nackte im täglichen Leben. 1. In der Öffentlichkeit. 2. Im Hause. — IV. Dar-
stellung des nackten Körpers in der Kunst. 1. Allgemeines. 2. Ideal- und Normalgestalt.
3. Mythologische Darstellungen. 4. Darstellungen aus dem täglichen Leben, a) SlralJen-
leben. Aufgeschürzte Mädchen. Arbeiter. Ringer, b) Häuslichkeit. Dcshabille. Toilette.
Bäder. V'oshiwara. Erotik, c) Besondere Ereignisse und Situationen. Überraschung im
Bade. Nächtlicher Spuk. Beraubung edler Damen. Awabifischerinnen.
Vier Geschwister von 2, 4, 5 und b Jaliren,
Urteil der Presse: 5-^ '*' wahr, was stratz in der vorrede zu seinem neuen Buche sagt
joi:<j!<o>s><oi-o> Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart, ^^^y^^
Neue Lichtbild'Studien.
Vierzig Blätter von Alfred Enkc.
Folio. In clcyaiilcr Mappe M. 12.—
INHALT: Das Märchen. Im Frühlini,'. Des Liedes Ende. Mondnacht bei Lindau.
Heimkehr vom Feld. Bcrt;ptad in Südlirol. Die Ciehielerin. Alte SchloDlrcppe. Das Aher.
Gräberstraße bei Pompeii. Bildnis des Professors K. in Berlin. Sommerabend am Bodensee.
Luiii'ina. Campo Santo. Madonnenstudie. Arven im Hochtjebirt;. Trunkene Bacchantin.
Buchenwald im Spätherbst. Melancholie. Schlol? in den Bertren. Weibliches Bildnis. Am
Weiher. Bildnis eines juniren Künstlers. Kalvaricnberij. Lili. Sumptiges Liter. Dämmerung.
Das Plörlchen. Italienischer Dorfwirl. Nächtliche Fahr!, lunyer Südtiroler. Gelände am
Comcrsee. Heimkehr von der Alp. Lesendes Mädchen. Heucrnlc am Maloja. Sturm-
wind. Abend am Canale Grande. Die Wunderblume. Ostcria. Abendstunde.
Ästhetik und allgemeine Kunstwissenscliaft.
In den Grundzügen dargestell' von Max Dcssoir.
Mit 16 Abbildungen und IQ Tafeln.
Lexikon-Formal. IVüb. Geheltct M. 14.-; in Leinwand gebunden M. 17.—
Grundriß der Anatomie für Künstler.
Von M. Duval. Dcutsctie Bearbeilung von Prof. Dr. Ernsf Gaupp.
Dritte vermehrte Auflage.
Mit 4 Tafel- und 88 Texlabbildungen, gr. 8". 1908. geh. M. 7.— ; in Leinw. geb. M. 8.—
Über den Zweck der Kunst.
Akademische Festrede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Deutschen
Kaisers in der Aula der Universität Tübingen am 27. Januar 1912.
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Dr. Konrad Lange, ord. Prof. der Kunslwissenschaft.
Lex. 8". 1912. geh. M. 2.—
Italienische Materialstudien.
Forschungen und Gedanken über Bau- und Dckorationsstcinc Italiens.
Für Kunstforscher, Kunslfrcunde, Studierende, Architekten, sowie für Stcinindustricile.
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Direktor der Kgl. Baugewerkschule zu Kattowitz.
Mit 133 Abbildungen. Lex. 8». 1911. geh. M. 9.— ; in Leinw. geb. M. 10.—
Die Grundlagen der jüngsten Kunstbewegung.
Ein Vorlrag von Privaldozent Dr. E. Utitz.
Lexikon-Format. 1913. geh. M. 1.20.
Was ist Stil?
Von Privaldozent Dr. E. Utitz.
Mit 12 Bilderlaleln. Lexikon-Format. 1911. geh. M. 2.40.
siiSJSiK-«<ot Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. ißäs<o>!K-ci!Ci
Pi;^^ 1^1 nH ^'^'"^ körperliche und geistige Pflege von der
L/Clo rvlllLl Geburt bis zur Reife. .♦♦♦♦♦♦♦♦♦
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Lex. 8». l--)!!. Komplell in 1 Band «eh. M. 16.— ; in Leinw. geb. M. 17.40.
I. Band: Die Körperpflege und Ernährung des Kindes.
Mi! 152 Texl.ibbildungen. Lex. 8". l'-)ll. sjch. M. '-). ; in Leinw. geb. M. 10.—
II. Band: Die Erziehung des Kindes.
Mit 34 Texlabbildungen. Lex. 8". 1911. geh. M. 7.— ; in Leinw. geb. M. 8.—
Wer sich von den aiisgezeiolineten, in iliesem Biuhe ciitliiihfiicii l,';ilMlil,[(;.'n leiten IiUSt. wir^l Nii-lior ilir
hesten Kiiolge erzielen und das erreichen, was die Verfasser Ja als srlniiistrs End/i<d anstn-tM-ii, iiaiiilicli die
Heranbildung eines körperlich und geistig gesunden Kindes. Wiener klinische Wochenschrift 1911, Nr. 58.
.\lle Fragen der l'Ilege und Erziehung werden hier mit einer (jründlichlieit und Sachlichkeit, ciu.'ui Krust
und einer Warme besjn-ochen, dalt man sich keinen besseren Berater fiir .|iiui.'c Jliittcr und l'flr^'cniiittcr, fiir
Lehrer und Warterinnen denken kann. Es wäre darum vun Herzen zu wunscheu, dall das prachr i^.' . durch
viele vorzügliche Abbililungen belebte und erläuterte Buch in die Hände aller derer liauu-. dinen die l'Hege des
kostbaren kleinen Jlenscheumaterials anvertraut ist. Gartenlaube 1911, Nr. 45.
Beschäftigungsbuch
für Kranke und Rekonvaleszenten, Schonungsbedürftige jeder Art
sowie für die Hand des Arztes bearbeitet von Anna Wiest, Stuttgart.
Mil 122 Textabbildungen. Mit einer Vorrede von Prof. Dr. E. v. Romberg in München.
Lex. 8". 1912. Geh. M. 5.— ; in Leinwand geb. M. 6.—
Daraus sind einzeln zu haben: '. Teil: Fröbclarbcitcn mit 20 Textabbildungen, steif
geh. M. .80; II. Teil: Liebhaberkünste mil 55 Texlabbildungen, steif geh. M. 2.40; III. Teil:
Weibliche Handarbeiten mii 28 Texlabbildungen, steif geh. M. I. ; IV. Teil: Verschiedene
Arbeiten mit 19 Texidhbildungen. steif geh. M. 1.40.
Atlas typischer Handgriffe für Krankenptlegerinnen
von Dr. M. Friedemann
Chefarzt des Komm. -Krankenhauses zu Langcndreer, I^eiter der staatlich anerkannloii Krankenpflcyeschule
der westfal. Schwesterschaft vom I?oten Kreuz.
Mil 40 Tafclabbildungen. gr. 8". |9|?. ,Sieif geh. M. 5. -
Soeben erschienen:
Die erste Hilfe bei Unglücksfällen im Hochgebirge
für Bergführer und Touristen.
Im Auftrag des Zentralausschusses des Deutschen und Österreichischen Alpcn\crcins
und des Zentralkomitees des Schweizer Alpenklubs herausgegeben
von Dr. O. Bernhard.
Fünfte, vermehrte und verbesserte Auflage.
Mil 190 Texiabbildunu'cn. 8». 1915. In Leinw. geb. M. 3.—
Diätetische Küche.
Mit besonderer herUcksichliguny der Diiil bei inneren L.rkr.iiikungen nebst einem Anhang:
Über Kinderernährung: und Diätetik der Schwangreren und Wöchnerinnen
von Dr. L. Disqu^, Kreisarzt a. D.
Sechste, völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage.
8". 1915. geh. M. 5.— ; in Leinw. geb. M. 5.60.