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n
DIE MUSIK
ILLUSTRIERTE HALBMONATSSCHRIFT
HERAUSGEGEBEN VON KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
DRITTER JAHRGANG
ERSTER QUARTALSBAND
BAND IX
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
BERLIN UND LEIPZIG
1903—1904
Music
V. ?
^
{/'!)
INHALT
Seite
Rudolf M. Breithaupt, Ein Richard Wagner- Denkmal 3
E. van der Straeten, Mendelssohns und Schumanns Beziehungen zu J. H. LQbeck und
Johann J. H. Verhulst 8. 94
Dr. Max Graf, Gedanken Ober das Moderne in der Musik 21
Hans von Mflller, Zwei unvollendete Singspiele von E. T. A. HofTmann 27
Dr. Paul Marsop, Vom Allgemeinen Deutschen Musikverein: Ortsgruppen 41
O. G. Sonneck, Hie nationale Tonsprache — Hie Volapflk 47
Dr. Gustav Karpeles, Heine in Russland 54
Hermann Teibler, Herman Zumpe f 60
Dr. Arthur Sei dl, „KOnigsschlOsser'* und «Wagner- Festspiele* 83
Paul Ehlers, Zur Konzertreform 103
Prof. Josef Sittard, Theodor Kirchner f 115
Dr. Leopold Schmidt, Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert (Max Friedlinder). ... 118
Max Steuer, Caroline Unger 126
Bernhard Ziehn, Ober die KirchentOne 163
Dr. Erich Urban, Die Wiedergeburt der Operette 176.269
J. G. Prod'homme, Die Hugenotten-Premiere 187
Max Steuer, Marie Geistinger f 201
Dr. Paul Marsop, Vom Musiksaal der Zukunft (Zweites Erginzungsblatt: Heidelberg) . 243
Prof. Hermann Ritter, Ober Volksmusik und Volksgesang in alter und neuer Zeit . . 258
Dr. Wilhelm Altmann, Joseph Mayseder 282
Amödöe Boutarel, Berlioz und seine «architecturale Musik* 323
Dr. R. Pissin, Hector Berlioz der Mensch 332
Kurt Mey, Berlioz als Dramatiker ... 338
Gertrud Saviö, Berlioz und die Frauen 348.415
Tom S. Wotton, Einige Missverständnisse betreffs Berlioz' 358
Dr. Edgar Istel, Berlioz und Cornelius 366
Prof. Dr. Richard Sternfeld, Ist der «Lello* von Berlioz auffOhrbar? 373
Dr. Adolph Kohut, Johann Gottfried von Herder und die Musik 403
Dr. Alfred Chr. Kalischer, Ludwig van Beethoven (A. B. Marx) 424
Dr. Georg MQnzer und Dr. Oscar Grohe Musikalische Zitate und Selbstzitate . . . 430
Theodor Von Frimmel, Zum Beethoven-Medaillon von Jacques Edouard Gatteaux . . . 434
Besprechungen
Revue der Revueen .....
Umschau
Eingelaufene Neuheiten . .
Anmerkungen
Vorlesungen Ober Musik an Universiti
Semester 1903/4 .
62. 128. 202. 284. 376. 436
. . 65. 136. 207. 288. 441
. . 68. 141.210.291. 445
79. 158.238.318
80. 160. 240. 320. 400. 480
en und Hochschulen im Wlnter-
i 73
INHALT
S«it«
Aachen 380
Amsterdam . .149. 207. 450
Berlin 450
Braunschweig . . . 210. 451
Bremen 210. 380
Breslau . . .140. 207. 451
BrOnn 381
Budapest 220. 452
Buenos-Aires 452
Bukarest 140
Charlottenburg .... 75
Danzig 381
Darmstadt .... 220. 453
Dessau 381
Dresden 1 50. 22 1 . 207. 38 1 . 453
Düsseldorf 208
Elberfeld . .151. 200. 454
Essen 381
Kritik (Oper).
Seite
Frankfurt a.M. 151.290.382.454
Freiburg i. B 454
Genf 455
Haag 221. 300
Halle 221. 455
Hamburg 151. 222. 382. 455
Hannover .... 222. 382
Karlsruhe .... 222. 382
Kassel 456
Köln . .152. 223. 383. 457
Königsberg 300
Kopenhagen ... 153. 457
Krakau 153
Uipzig . 153. 300. 383. 457
Lemberg 458
Madrid 458
Magdeburg . . . .301. 450
Mainz 223
S«lte
Mannheim 301
München . . 75. 223. 301
NQmberg 450
Paris 450
Petersburg .... 224. 383
Prag 302. 460
Riga 224. 461
Rostock 383
Schwerin 224. 461
Stettin 383
Stockholm 302
Strassburg 302
Stuttgart • 224
Warschau 302
Weimar 384
Wien .... 225. 303. 461
WQrzburg 461
Zflrich 225. 461
S«it«
Aachen 384
Amsterdam . .154. 303. 462
Barmen 462
Basel 303
Bayreuth 462
Berlin 154.226.304.384. 463
Birmingham 300
Braunschweig 467
Bremen 231. 380
Breslau . . . 155. 310. 468
Brflnn 380
Budapest 468
Bukarest 156
Chemnitz 380
Danzig 300
Darmstadt .... 231. 468
Dessau 300
Dortmund 300
Dresden .231. 310. 300. 460
Elberfeld 311. 460
Essen 301
Frankfurt 1 56.232. 3 1 1 .39 1 . 470
Freiburg i. B 470
Kritik (Konzert).
S«lt«
Genf 471
Glasgow 302
Grenoble 77
Haag .... 233. 311. 471
Halle 233. 471
Hamburg .... 233. 302
Hannover .... 234. 302
Heidelberg 303
Karlsruhe .... 234. 303
Kassel 311
Köln . . 235. 312. 304. 472
Königsberg 313
Konstantinopel .... 157
Kopenhagen . . .313. 472
Krakau 472
Krefeld 304
Uipzig 235. 313. 305. 473
Liverpool 305
London 236. 474
Magdeburg . . . .314. 474
Mainz 475
Manchester 314
Mannheim 315
S«it«
Metz 475
München 315
New-York 475
NQmberg 476
Paris 477
Petersburg 306
Posen 306
Prag 316. 477
Riga 237. 477
Rostock 307
Rotterdam 478
Saragossa 478
Schwerin 237
Stettin 307
Stockholm 316
Strassburg 316
Stuttgart 237. 307
Warschau 316
Weimar 308
Wien . . . .317. 308. 478
Wiesbaden 317
WOrzburg 470
Zürich 237. 470
Reproduktionen im Text.
Karikatur auf Beriioz von Marcelin 1863
Berlioz-Karikatur von Cham 1862 . .
Berlioz-Karikatur von Nadar 1852 . .
Berlioz-Karikatur von Cham 1855 . .
Seite
337
372
375
300
REGISTER
ZUM BAND IX DER
MUSIK
Oktober bis Dezember 1903
NAMEN- UND
SACHREGISTER
ZUM I. QUARTALSBAND DES DRITTEN
JAHRGANGS DER MUSIK (1903/4)
Abendroth, Irene, 224. 298.
461.
AbrAnyi, Emil, 220. 452.
Abt, Franz, 267.
Ackt6, Aino, 302. 454.
Adam, Ad., 181. 182. 272.
324.
Adam, AI., 471.
Adam, Gertrud, 151.
Adam-Salomon 400.
V. Adelburg, Aug., 282.
Adolph!, Heinr., 461.
AdorjAn, Eugen, 148.
Agobard 262.
Agricola 122.
de Ahna, H., 283.
Ahnert, Bruno, 300.
Aichele, Rieh., 219.
V. Aist, Dietmar, 263.
Alabiefr 107.
d' Albert 392 f. 455. 460. 472.
473. 474.
Alberti, Werner, 157. 389.
Alboni, Mme., 195.
Alenew 56 f.
Alferaki 56 f. 57 f. 58.
AlfOldy 461.
Alkuin 262.
AUgem. deutscher Musiker-
Kalender fQr 1904. 72.
Allgem. deutscher Musikverein
(Ortsgruppen) 41 fT.
AUgem. deutscher Musikverein
(TonkQnstlerversammlung) 7 1 .
Alnoes, Eyvind, 386.
Mc. Alpin 392.
Alt, Anna, 315.
Alten, Bella, 152. 454.
Altmann, Wilhelm, 480.
Amato, Pasquale, 297.
Ambros-Kade 167. 169 f.
172 f.
Ancona 458.
Andersen, Joachim, 452. 472.
d'Andrade, F., 455.
Andr6, 1. A., 122.
Andrei, V., 311. 479.
Angerer, Gottfr., 237.
Ansorge, Conrad, 43. 463. 465.
466.
Anthes, Georg, 220. 468.
Anzelmi 303.
Aranyi, Desider, 461.
Arcadelt, J., 438.
Archangelsky 56.
Ardito 458.
Argamakow 56.
Argiewicz, Eugenie, 306. 466.
Ariost 323.
Arlberg, Hjalmar, 230.
Armbrust 397.
Arminius 261.
Amal 365.
Arnold, Hans, 151.
Arnold, Richard, 476.
Amoldson, Sigrid, 151. 203.
297. 298. 300. 380. 455.
Aron, P., 168.
V. Artner, Josefine, 152.
Artur, Ernst, 308.
Artur, Jella, 308.
Artzybuschew, N., 55. 56 f. 57.
AschaffSenburg, Alice, 311.
Atkinson 314.
Attenhofer, K., 268.
Auber 107. 181. 182. 183. 272.
273. 324. 452. 454.
Audran, E., 185. 270. 320.
454.
V. d. Aue, Hartmann, 263.
V. Auer, Leopold, 157. 218.
(Jubilium) 396.
Augustus 2Cio.
V. Aumale, Herzog, 190.
Aurelius 261.
Auspiu, Sofie, 399. 478.
Bach, Joh. Chr. Friedr., 408.
Bach, Joh. Seb., 22. 23. 25. 50.
51. 101. 107. 112. 113.
128. 130. 132r. 147. 166. 168.
173. 226. 228. 229. 236. 244.
252. 255. 287. 310. 312. 313.
314. 323. 361. 387. 389 f.
390. 391. 394. 397 f. 398.
436. 466. 469. 470. 471 f.
472. 476. 477. 478.
V. Bach, K., 55. 56 f. 57 f.
58.
Bach, Ph. Em., 22. 122.
ßicker, Vilma, 308.
Backhaus, Wilh., 396.
V. Baden, Grossherzog, 256.
V. Baden - Baden, Markgraf,
130.
V. Baden-Baden, Markgrifin
Elisabeth, 130.
Baikow, Mme., 57.
Bailet, Adeline, 465.
Baini, G., 163.
Bake, Otto, 155. 387.
Balakiew, M., 56. 58.
Balder, Rieh., 461.
Baldreich, Gottfir., 151. 454.
Balducci 342.
Ballabene 246.
Balzac 192.
Banasch, R., 455.
Band, Erich, 383.
Bandler, Heinr., 228.
V. Bandrowski, Alex., 153. 447.
458.
Bands 270. 272.
Barbier, Auguste, 326. 342.
Barblan, Otto, 471.
Barclay Squire, W., 438.
Bar6, Emil, 220.
Barrientos, Maria, 458.
Barkowska-Fischer, Elsa, 386.
Barron-Berthald 219.
Bartek, B61a, 399.
Barth, Hans, 305.
Barth, Rieh., 234.
Barth-Schirmer 473.
V. Bary 221.
Basil, Hans, 225.
Bassermann, Florence, 311. 385.
Basset, Urbain, 77.
Bassi 458.
Batka, Rieh., 150. 281. 380 f.
Bauberger, Alfred, 76.
Bauer, Harold, 476.
Baumann, Emma, 300.
Bausewein, Kaspar, 449.
V. Baussnern, Waldemar, 295.
474.
V. Bayern, Prinzregent, 147. 256.
Beck, Ellen, 386. 466.
Becker, Carl, 313.
Becker (Danzig) 390.
Becker, Frl., 390.
Becker, H., 311. 315. 472.
Becker, Otto, 466.
Becker, V. E., 268.
Becker - Samolewska, Bianca^
466.
Beebe, Caroline, 227.
tv
NAMENREGISTER
Beel, Antonia, 395.
van Beethoven, Ludwig, 22. 23.
49. 51. 61. 62. 96. 101. 106.
109. 112. 127. 128. 155. 156.
226 227. 229. 230. 231. 232 f.
233 f. 234. 235. 236. 248. 253.
254. 255. 256. 282. 300. 304.
306 f. 308. 310. 31 1. 312.313r.
315. 316f. 317. 323. 331. 332f.
333. 338. 339. 341. 359. 363.
368 f. 370. 372. 380. 384 f.
386 f.. 388. 389. 390. 393 f.
894 r. 395 r. 396. 397 f. 398.
399. 422 fr (Buch von A. B.
Marx). 433. 434 f. 451. 462.
463. 465. 467. 468. 471 f.
472. 474. 475. 476. 478. 480.
Behm, Ed., 155. 465.
Behncke, Gustav, 424 fr.
Behr, F., 468.
Behr, Therese, 305. 313. 314.
386. 468. 469. 475. 477.
Behrens, Max, 389.
Beier, Franz, 311. 457.
Beines, Martha, 462.
Belgardt 56.
Belin, J., 193.
Beling, Helene, 307.
Belisar 261.
Bellermann, H., 169 f., 172 f.
Bellini. V., 126. 192. 339. 458.
459.
Bellwidt, Emma, 462.
Bellwidt, Frau, 312.
Bellwidt, Klara, 298. 462.
Benazet 343.
Benda, Willi, 122. 380. 387. 388.
Bender, Marie, 76. 388.
Bendix, Victor, 288 f. 306.
308.
Benoni 461.
Berber, Felix, 472.
Bercht, Julius, 465.
Berchthold, Alexis, 351.
Bergen, Franz, 237. 470. 471.
473.
Berger, Fedor, 154.
Berger, H., 467.
Berger, Ludw., 268.
Berger, Wilh., 315. 473.
Berger-Bruck, Marie, 225.
Berggruen, Julius, 385.
Berggruen, O., 296.
Berghof, Friu, 383.
de B6riot, Ch. A., 283.
Berlioz, Hector, 77 ff (Hundert-
jahrfeier in Gr6noble und La
C6te-Saint-Andr6). 78 (Mu-
seum). 107. 111. 116. 128.
156. 173. 191. 192. 206. 218.
222. 225. 226. 248. 301. 304.
310. 317. 323 fr (B. und
seine architecturale Musik).
332 ff (B. der Mensch). 337
(Karikatur). 338 fr (B. als Dra-
matiker). 348 fr (B. und die
Frauen). 358fr (Einige Miss-
verstindnisse betreffs B.) 366fr
(B. und Cornelius). 373 fr (Ist
der »Lelio* aufTQhrbar?). 376fr
(Besprechungen Musikalien).
385. 390. 396. 400 (Por-
träts, Karikaturen, Bilder, Fak-
similes, Bild des Geburts-
hauses). 415fr (B. und die
Frauen. Schluss). 451. 452.
453. 467. 470. 473. 474. 476.
477 f. 478. 479.
Berlioz, Henriette, 416. 418.
Berlioz, Louis, 375. 415. 419.
Bemard 56.
Bemheimer, Gaston, 467.
Bemy, Elsa, 389.
Bertram, Heinrich, 449.
Bertram, Th., 155. 234. 393 f.
470. 476. 477.
Berwald, Frau, 237.
Berwald, Prof., 237.
Berwin 246.
Besekirsky 473.
Besnard 48.
Beuer, Elise, 152. 300.
Bevignani, E. M., 148.
Beyer-Han6, Hermann, 470.
Beyme 28.
Bianchini-Capelli 458.
Biel 458.
Bierbaum, O. Jul., 220. 383.
440. 451. 457.
Binder, Fritz, 390.
Birgfeld, Clara, 473.
Biring, Maud, 389.
Birmingham festival 309 f.
Birrenkoven, W., 152. 382. 454.
456. 457.
Bizet 53. 183. 273. 390. 396.
476.
Blanc, Eleonore, 77. 78.
Blancherau 455.
Blanck- Peters, Marie, 304. 306.
475.
V. Blankenburg-Driese, Anna,
464.
Blaramberg, P., 56 f.
Blaze, C, 187. 195.
Blaze, H., 192.
Blech, Leo, 150 f. 220. 221. 302.
316. 382. 455. 461. 469. 477.
Bleichman 55. 56. 58.
Bleichmer 57.
Bleiden 75.
Blochscher Gesangverein 387.
Bloch-Jahr, Berta, 467.
Blockx, Jan, 149. 299 f. 450.
Blumenfeld, S., 56. 57. 58.
Biathner, Julius, 296, 447.
Bobrow 55. 56.
Boccherini 388.
Bochnicek, Hr., 452.
Bockholt, Wilh., 225.
Boehe, Ernst, 227. 228. 233 f.
240. 395. 475.
Boehm, Josef Daniel, 434.
Böhm 477.
Böhm, Julius, 296.
Böhme, F. M., 165. 168. 265.
Bohuss-Helleräva, Irene, 153.
Boieldieu 181. 182. 220. 272.
de Boigne 188.
Bolz, O., 223.
Bonci, Alessandro, 150« 458.
468.
Bonaparte 330.
V. Bongardt, Paul, 222.
van Boos, M., 306.
Borgmann, Emil, 151. 454.
Borisch, Franz, 306.
Borissi, Frl., 303.
Bomemann, Alex., 465.
Bomschein, C, 301.
Borodin 55. 56. 310. 465.
468.
Borwick, Leonard, 472.
van Bos, C, 308. 465. 466.
V. Böse, Fritz, 473.
Bosetti, Hermine, 154. 476.
Bossenberger, Marie, 224. 397.
Bosse-Sommer, Frau, 149. 297.
Bossi, Enrico, 312. 468.
Bottesini 479.
Brahms, Johannes, 22. 26. 51.
53. 98. 107. 111. 114. 116.
124. 128. 131. 132. 133. 147.
155. 156. 173. 206. 226. 227.
230. 233. 234. 253. 296. 305.
310. 311.312. 314f. 315. 316.
384. 385. 386 r. 387. 380 f.
390. 391. 393. 394. 395. 396.
397. 398 f. 431. 432. 462. 464.
465. 467. 468. 471 f. 472. 473.
476. 477. 478.
Brambach 395.
Branchu 335.
Brandes, Marg., 152. 301.
Brandt, M. D., 474.
Brandts Buys, Jan, 133.
Brauer, Elisab., 230.
Braun 56.
Briunig, Grete, 451.
Brecher, Gustav, 152. 222. 234.
311. 399. 456.
Breitenfeld, R., 151. 300.
Breithaupt, Rud. M., 358.
Breitkopf & Hirtel 154. 296.
367. 376. 420. 422. 425. 44&
Brema, M., 391. 394.
Bremer, Annie, 308.
V. Brenner 420.
V. Brennerberg, Irene, 310.
Brennert, Hans, 301. 459.
Breu, Simon, 268.
V. Breuning, Eleonore, 426.
NAMENREGISTER
Briansky 56.
Brieger, Eugen, 306. 310. 387.
388.
Briesemeister 76. 302.
BrifTod, E., 471.
de Brizeux, Marie, 400.
Brode 313.
Brodersen 76. 223.
Bromberger 389.
Bronsgeest, Cornelius, 152.
Bruch, Max, 303. 306. 313. 315.
462. 476.
Bruch, W., 476.
Brück, A., 164. 166.
Brückner, Anton, 24. 42. 44. 1 1 1 .
114. 232. 240 (Bild). 246 fr
(IX. Symphonie). 253. 206.
304 r. 310. 320. 301. 392. 399.
431. 477.
Brunei, A., 164.
Brune 312.
Brünette, Alma, 230.
Bru netto, Kpm., 458.
Brflnner, Marianne, 467.
Brunnow, Marg., 224.
van der Bruyn 384.
Bucar, Franz, 152.
Buchmayer, Richard, 147.
Bucksath, Max, 151. 301.
Buers, Willy, 151.
Buff-Hedinger, Emilie, 395.
BQhnenl^stspiele, Bayreuther,
147.
BOhnen-SpielpIan 1902/03, Deut-
scher, 448.
Bulachow 57 f.
V. BOlow, Hans, 112. 116. 246.
285. 388. 429.
Bungert, August, 298 f. 381.
Buongiorno, Crescenzio, 449.
480.
Burnitz, M., 470.
BQrger, Anton, 151.
Barger, G. A., 124.
Burgk, J., 173.
Burgstaller, A., 295.
Burk-Berger, M., 462.
Burmester, Willy, 313. 316.
479.
Burrian, Karl, 76. 220, 298.
Burrian-Jelinek, Franziska, 383.
Busoni, Ferruccio, 234. 235. 236.
316. 385. 474 f.
Busse- Palma, Georg, 134.
Bussard, Hans, 222.
Busser 477.
Bussius, Mimy, 470.
Buths, Jul., 255.
Butkewitsch, Sig., 465.
Battner, Max, 222. 382.
Byron, Lord, 369. 440.
Cabezon, A., 166.
.Cacilia** 171.
Caecilia Melodia 388.
Carreno, Teresa, 313. 316. 385.
394. 466.
Cahn-Poft 470.
Caldara, Antonio, 273.
Capet 477.
Carducci, G., 51.
Carelli 458.
del Carril, Hugh, 471.
Carlen, Friedr., 301.
Carmena 458.
Carpentras 166.
Casals, Pablo, 154. 462. 471.
Cassirer, Fritz, 151. 454.
Castellano 157.
van Cauveren 149.
de Cave, Suse, 466.
Celle, Jean, 78.
Cellini, Benvenuto, 342. 343.
Chabrier, Em., 302.
Cham 372.
Chamberlain, H. S., 62. 63 fr.
,Le Charivari« 193. 195.
Charpentier, Gustave, 44. 156.
182. 300. 302. 461.
Chaumet, W., 296.
V. Chavanne, Irene, 151. 298.
Cherubini, Luigi, 253. 273. 305.
310. 326. 362. 368.
Chessin, Alex, 396.
Chevillard 477.
Chew, Otie, 228. 306.
Chopin, Fr6d6ric, 101. 107. 128.
155. 156. 234. 317. 389. 392.
394. 395. 436. 465. 471.
472.
Christianowitsch 57.
„Chronique de Paris*" 192 f.
Cil^a, Francesco, 455. 456.
Cimarosa, Domenico, 192. 273.
Clapisson, A. L., 324.
Clarus, M., 467.
Classen, Jos., 382.
Claudius, M., 124.
Clemens non papa 399.
Clementi, Muzio, 389. 436.
Clerc, A., 193. 195.
Clothar II. 262.
Coini 149. 450.
Coini, Frau, 221. 450.
Colautti 455. 456.
Cole, Kellcy, 476.
Colonne, Edouard, 330. 476.
477.
Commune 78.
Consolo 471.
Conrad, M. G., 86.
«Le ConstitutionneP 183.
Copony, Hans, 382.
Cordelas, Alonso, 478.
Cornelius, C, 367.
Cornelius, Peter, 60. 155. 218.
305. 366 if (Berlioz u. Cor-
nelius). 397. 454. 474.
479.
Correggio 370.
Cortolezis, Kpm., 397.
Coryn, Corinne, 229.
Cossmann, Bernhard, 400.
Courbet, G., 400.
Crajkowski 302.
Cr6billon 194.
Cremieux 280.
Croissant, Erna, 302.
CrOger, J., 167.
Cuecha 278.
Cui, C^sar, 55. 56 f. 57 f. $8. 224.
COi-Rubetz 57.
Culp, Julia, 305.
Czartoryski 282.
Czelaiiski, Ludwig, 153. 478.
Czibulka, A., 277.
Daehmke, Robert, 155.
Dahn, Felix, 468.
Dalamo 149.
Dalayrac, N., 181. 184. 272.
St. Damian, Leo, 467.
Damr6mont 326.
Dang^s 77.
Danilewska, Mme., 56.
Dankmann 57.
Dante 472.
Dargomyzski, A., 56, 383.
David, Ferdinand, 14. 16. 17.
283. 370. 398.
David, Sophie, 76.
Davidsohn 390.
Dawison, Max, 152.
Dawydow, A., 56. 57. 58 f.
Day 462.
Dazara, Francis, 381.
Debussy, Claude, 385.
Decarli, Ed., 296.
Dechert, Hugo, 155. 306. 465.
Decker 167.
Dehmel, Richard, 234.
Dehmlow, Hertha, 305. 306. 308.
395.
Delaroche, P., 193.
Delavigne, C, 193.
DelgoufTre, Ch., 471.
D^libes, L6o, 182. 183. 220. 224.
273. 455.
Delisle, Hansi, 464. 473.
Dellinger, Rudolf, 221. 277.
Demantius, C, 170.
Demidow 55 f., 56 f., 57 f. 58 f.
Demuth, Leopold, 76.
Denissow 55.
Deppe, A., 155.
Deppe, Ludwig, 429.
Derfeldt 56 f., 57 f. 58.
D6rivis 190.
Deschamps, E., 187. 189. 200.
Deschamps-Jehin, Frau, 77.
Desnoyers, L., 193.
Desplöchin, E., 189. 194.
Dessau, Bernhard, 226. 465.
Dessoir, Susanne, 305. 315.
VI
NAMENREGISTER
Deutscher Mnsiker-Kmlender fOr
1904. 02.
Diamant, Bernard, 418.
Didur, Adam, 153.
Dieckmann, Ernst, 218.
Diedicke, Ferdinand, 440.
Diteric, J., 100. 104.
Dietrich, Fr., 380.
Dietsch 341.
Dillmann, Alex., 303. 476.
Dinico 156. 157.
Dliisaky 56. 57.
Dmitriew 56. 57 f.
Doebber, Johannes, 222. 234.
DoengeSy Paula, 153. 300. 383.
V. DohnAnyi, Ernst, 226. 301.
465. 475. 478.
Dohm, Georg, 310. 468.
Dolina, Mme., 157.
Domeneso, Melanie, 152.
Donizetti, Gaetano, 106. 126.
301. 383. 454. 457. 458.
450.
Dor6, Gustave, 400.
Dom, Heinrich, 17.
Dor-s-Gras, Mme., 100.
Doxat-Krzyzanowski, Ida, 462.
Draeseke, FeUx, 204 ff (Christus).
231.
Drechsel, Karl, 220.
Drechsler, Herm., 231.
Dreier 57.
Drewes, Otto, 461.
Drewett, Norah, 305.
Drews, Martha, 386.
Dreyssig 310.
Droucker, Sandra, 388.
Drzewiecki 153.
DObOque (DabOc) 57 f.
Ducas, Paul, 317.
Ducr«, Pierre, 360.
Dumas, A., 447.
Dumky 156.
Duni, E. R., 181. 184. 272.
Dünn, J. P., 305.
Duponchel 188. 180. 100. 104.
Pupont, A., 190.
DQrer, A., 102.
Durosoir, Luden, 387.
Dfltsch 55r. 56r. 57 f.
Duvemoy, Alphons 232.
van Duynen 140. 207. 450.
Duysen, J. L., 148.
DvorAk, Anton, 40. 306. 315.
386 r. 300. 302 f. 305. 300.
476. 470.
Dykerhoff, Rud., 80.
Eberlein, Gustav, 80. 86.
Eccsrd, Joh., 164. 166r 160.
170. 172.
Edwanis, Bella, 386.
Egidi, Arthur 465.
Ehban 56.
Eibenschfltz, Riza, 151. 208.
Eichberg, R. I., 387.
Eickemeyer, Willy, 300.
Elsenbei^r, Severin, 467.
Eitner, Robert, 166. 428.
Elchowsky 56.
Eidering, Bram, 154. 312. 462.
Elgar, Edward, 206. 300. 316.
308 468. 470.
Ellis, Ashton, 203.
Elizza, Elise, 225.
Eisner, Wilhelm, 148. 302.
Emerson, R., 52.
Enchiridion, Erfurter, 168 173.
Engel, E., 56.
Engelen-Sewing 140.
Enesco 156.
Enns, August, 153.
Epp, A., 470.
Erben, Rob., 236.
Ercolsni 458.
Erk, Ludw., 166. 267.
Erkel 107.
Erlebach, Phil. Heinr., 121.
Erienmeyer, Tilly, 386.
Erier, Hermann, 14. 16. 17. 10.
04. 101.
Erier, Klara, 227. 305.
Ernst, Alfred, 340 342.
Ernst, H. W., 304.
Erythrios 167. 170.
Eschelbach, Hans, 456.
V. Eschenbach, Wolfram, 263.
Eschke, Max, 388.
Ethofer, Rosa, 222.
Espenhahn 465.
Ettinger, Rose, 311. 301. 462.
Engen IV , Papst, 262. 264.
Eulenburg, E., 235. 236. 314.
305. 477.
Eussert, Margarete, 234. 305.
386.
Evers, E., 234.
van Eweyk, Arthur, 305. 312
313. 314. 386. 307. 468. 477.
d'Exiles, Privost, 450.
Exner, G., 155.
van Eyken, Heinr., 230. 314.
Eysler, R., 277. 301.
Fabozz! 470.
Faisst, Immanuel, 307.
Falcon, MUe., 188. 190. 400.
Faliero • Dalcroze, Nina, 471.
470.
Falke, Gustav, 80.
Fsntin-Latour 400 f.
Fameti, Fri., 453.
Farrar, Geraldine, 451.
Fasch, Joh. Friedr., 132.
Fassbender, Zdenka, 222.
Fauvre, G., 471.
Feigen, Rud., 301.
Felix, H., 277.
Felser, Frieda, 152.
Fellowes, Horace, 302.
Feltzer, W. H^ 228. 387.
Fenten, Wilhelm, 312.
Ferchland, HeL, 228.
Ferdinand 11. (<ysterreich) 264.
Ferrand, Humbert, 323. 326.
348. 353. 355. 376. 415. 421.
Ferrar (Singer) 77.
Ferrari, Fri., 453.
Ferrari, Kpm., 458.
Fesca, A. F.., 267.
Fdtis, F. J., 126.
Feuchöres, L., 180. 104.
Fenchtinger 301.
Fenge, Emilie, 381.
Fevin, A., 173.
Fiedler, Max, 234. 206. 314.
302.
Fiedler, Oskar, 208.
V. Fielitz, A., 154. 315.
Finck, H., 168. 170. 175.
Finkenstein, Jettka, 468.
Fischer, Franz, 147. 223. 463.
Fischer, Georg, 285.
Fischer, Joh. Caspar F^rd., 120 ff.
Fischer, Psul, 317.
Fischer, Richard, 227. 302. ^
Fischei^Frey, Frau, 302.
Flachsland, Caroline, 404.
Fleisch, Msximilian, 448.
Fleischer-Edel, Kath., 152.
Flesch, Cari, 154. 302. 462.
Flockenhaus 470.
Florian 78.
Florjanski 153.
V. Flotow, F., 224.
FlOgel, Ernst, 147.
Foerster, Anton, 205. 471.
Foerster, Georg, 151. 200.
Foerster - Lauterer, Bertha, 225.
Fohström, Ossian, 466.
Fomier, Estelle, 421.
Fomier, Kitty, 422.
Forchhammer, E., 151. 382. 302.
Förster, Em., 282.
Förster, Hermine, 208.
V. Fossard 300.
Franceschini 458.
Francis, Rose, 400.
Frinkel-Claus, Mathilde, 152.
456.
Franck, Cdsar, 156. 234. 385.
301. 438. 461. 462. 468.
477.
Franck, R., 287.
Franz, Rob., 116. 171. 380. 464.
471.
Frederigk, Hans, 451.
Fremd, A., 204. 480.
Fremsttdt, Olive, 76.
Frenklöwna 153.
Freund, A, 217.
Fridrichowicz, Agnes, 307.
Friedberg, Cari, 232. 234. 237.
311. 386.
NAMENREGISTER
Vll
Friedenthal, A., 157.
Fdedlinder, Max, 118 ff (Das
deutsche Lied). 218.
FHedmaon, Ignacy, 472.
V. Frimmel, Th., 480.
Fritz, Fri., 75.
Fröhlich, Alfired, 298.
Froneck, Franz, 219.
Frotzler 389.
Fuchs, Alb., 389. 469.
Fuchs, Anton, 71. 223.
Fuhn 400.
Fuhrer, Anna, 314.
Fuhrmeister, Fritz, 387.
FOrst, Helene, 395.
Furtwingler, Wilhelm, 468.
Fux, J. J., 273.
Gabel 56 f.
Gabor, Hr., 452.
Gabrieli, A., 170. 172.
Gabrilowitsch, Ossip, 396.
Gade, Niels W., 15. 308.
Galkin 56.
Galston, Gottfried, 227.
Gandolfl, Ettore, 395.
Ganne 270. 272.
Gantenberg, Heinrich, 294.
Gardini, Alda, 457.
Garrett 396.
Garrick 365.
Girtner, Eduard, 317.
Gflrtner, Heinr., 298.
Gastonö, Eduard, 155.
Gatteaux, Jacques Eduard, 434.
435. 480.
Gausche, Hermann, 311. 462.
Gautier, Estelle, 349. 422.
„Gazette musicale" 189. 191.
Gebhardt, Beuy, 155.
Gebrath, E, 301.
Gehrer, Fri., 301.
Gehwald, Bernhard, 306. 465.
Geibel, E., 55.
Geipelt, Hertha, 229.
Geissler, Paul, 396.
Geistinger, Marie, 148. 201 ff
(Gedenkblatt). 240 (Bild).
Gelimer 261.
Geller-Wolter, Luise, 474.
Geliert 124.
Gembarzewska, Frau, 458.
Gente, R., 274 f. 280.
Gerboth, Paul, 219.
Gerhardt, Elena, 395.
Geriach, Rosa, 389.
Gerlach, Th., 380 f.
Gemsheim, Fr., 304. 411. 476.
Gersticker, Frl., 467.
Geselschap, Marie, 308.
Gesius, B., 166 f.
Gessner, Franz, 221.
Geyer, Marianne, 308. 467.
Geyer, Meta, 468.
GiacominI, Anna, 458.
Giessen, Hans, 232.
Gilbert 400.
Gille, Garl, 152. 456.
Gimckiewicz, Fri., 315.
Giotto 23. 24.
Girod, Abb6, 362, 365.
Glazounow, A., 6. 44. 56. 57.
388. 397. 475. 477. 478.
Gleim 124.
Gleitz, Karl, 395.
Gliöre 465.
Glinka, M., 224. 383. 478.
Gloyen, Rieh., 313.
V. Gluck, Chr. W., 107. 122.
128. 181. 220. 225. 233. 235.
236. 314. 329. 333. 346. 372.
380. 385. 395. 396. 406. 408.
410. 459. 475.
Glflck, J. L. F., 267.
GmQr 478.
Godebski, Gyprien, 400.
Godowsky, Leopold, 156. 157.
392. 465. 468. 474.
Goethe, Wolfgang, 23. 25. 28.
123. 124. 176. 331. 333. 339 f.
340. 341. 342. 359. 369.
373. 380. 395. 403. 414. 426.
431.
Goette, Elfriede, 467.
Goetzl, Gsmilla, 461.
Gogel 56.
Göhler, Albert, 130.
Göhler, Georg, 62. 473. 477.
Goldberg, Jacques, 151. 299.
454.
Goldmark, Karl, 220. 221. 316.
394. 454. 476.
Goldstein 57.
Göllerich, Aug., 301.
Göllrich, Jos., 459.
Goodson, Miss, 462.
Goritz, Otto, 218.
van Gorkom, Jan, 219.
V. Gorlenko-Dolina, Frau, 396.
Görner, Joh. Val., 122.
Gorter, Albert, 382.
Gossec 360.
Gottlieb- Noren, H., 465.
Götz, Hermann, 465.
Götze, Marie, 381.
Goudimel, C., 172.
Gounet 415.
Gounod, Charles, 160 (Bild).
187. 222. 224. 273. 341. 450.
459.
Grabbe, Chr. b., 24.
Grabofsky 398.
Grahl, Max, 451.
Grandaur 454.
Grandville 400.
Grashof 56.
Grasse, Edwin, 476.
Graun 122. 312.
Greder, Emil, 151.
de Greef, Arthur, 310.
Greff-Andriessen, Pelagie, 454.
Gregor, Hans, 151.
Greif, Martin, 480.
Greiter, M., 175.
Grell, Eduard, 469.
Gr6try, A. E. M., 181. 184. 212.
281.
Greulich, Pastor, 397.
Grieg, E., 156. 230. 385. 395.
396 r. 471 f.
Griepenkerl 370.
Grigorjew 56.
Grillparzer, Franz, 427.
Grimm, Carl, 313.
Grimm, J. O., 386.
Grimm (Mohrungen) 406.
Grimm, Moritz, 383.
Grisar, A., 183.
Gritzinger, Leon, 451.
Gröbke, Adolf, 152. 457.
Grodsky 57 f.
Gross, Carl, 457.
Gross, Kpm., 383.
Grossheim, G. C, 429.
Grotefend, Julie, 467.
Groth, Klaus, 386.
Grub, Valentine, 219.
Gnimbacher-de Jong 313. 314.
386. 397. 477.
Grflndahl, Hanna, 229.
GrQnfeld, Alfr., 389. 472.
Granfeld, A., (Budapest) 468.
Grflnfeld, Emil, 220.
Grflnfeld, Heinr., 386.
Grunsky, Karl, 248.
Gruselli, Fritz, 455.
Gruselli-Böer, Frau, 221.
Grflters, August, 470.
Grfltzmacher, F., 392.
Gratzner, Gurt, 381.
Guammi, G., 165.
Guerrini, Frl., 453.
Gutcciardi, Giulia, 425. 429.
Guilmant, Alex., 437. 438.
Guimera 460.
Guiraud 306.
Gumbert, Fr., 267.
Gumpeltzhaimer, A., 168.
Gungl, J., 276.
Gamher 123.
Ganzburg, Mark, 229. 388.
Gura, Eugen, 227.
Gura, Herm., 397. 461.
Gurilew 56. 57. 58.
Gutheil- Schoder, Marie, 218. 461.
Gutzkow, Karl, 25.
de Haan, Willem, 231. 295. 468.
de Haan-Manifarges, Frau, 464.
Haas, Emanuel, 148.
Haas, Mathilde, 312.
Haase, P., 462.
Haasters-Zinkeisen, Anna, 390.
395.
VlII
NAMENREGISTER
Habeneck, F. A., 189. 190. 368.
Hickel, Fritz, 313.
Hackenbergcr, Osktr, 396.
Haenleio 315.
Hafgren, Ulli, 231. 393.
Hageman 149.
Hagedorn 122. 124.
Hagel, Rieh., 153.
Hagin, Heinr., 461.
Hahn, Reynaldo, 315.
V. Haken, Max, 295.
Hal6vy, J. F. E., 181. 187. 189.
225. 273. 274. 280. 324.
Halir, Kari, 155. 226. 304. 306.
Hall, Marie, 396.
Hall6 314.
Hallwachs, Karl, 231. 312.
Hamacher, Kzm., 467.
Hindel, Georg Fr., 22. 50. 06.
128. 226. 253. 256. 391. 398.
406. 437. 467. 468. 471. 475.
Hanke 121. 454.
Hansen, Roh., 473.
Hansen, Wolfgang, 472.
Hanslick, E. 273.
Hanssens, Gh., 10.
Harb, Grischa, 308.
Hariacher, Aug., 294.
Hirtel, Dr., 18 f.
Hartkopf, Frida, 389.
Haiti, B., 476.
Hartmann, Artur, 387.
Hartmann, Fri., 100.
Hartmann, Hedwig, 305.
Hartmann, Josephine, 389.
Hasenciever, Dr., 95.
Hassler, H. L., 165 fr. 169 fr.
Hauptmann, Gerh., 25.
Hauptmann, Moritz, 148. 171.
Hauschild, Prof., 86.
V. Hausegger, Sigm., 44 f. 232.
311. 315. 391. 476.
Hauser, M., 283.
Hausmann, Rob., 305. 306. 385.
Hiussermann, H., 479.
ten Have, Jan, 471.
Haxthausen, William, 151.
Haydn, Joseph, 22. 101. 112.
122. 128. 132. 133. 155.201.
226. 229. 235. 251. 267. 305.
311. 312. 315.317.397.398.
406. 425. 462. 468. 471. 478.
Haym, Hans, 311. 469.
Heermann, Hugo, 311. 315.316.
384. 394. 468. 474. 475.
Hegar, F., 227. 237. 268. 395.
479.
Hegar, Johannes, 386.
Hegar, Julius, 232. 311.
Hegner, Otto, 305.
Heidelberger Musikfest 243 fr.
Heinecke, M., 229.
Heine, Heinrich, 54 fr (H. in
Russiand). 325. 357. 380.
Heinemann, A., 306. 384. 468.
Heinemann, Hans, 389.
Heinemann, M., 467.
Heinemann, Wilhelm, 134.
Heinrichs, Kzm., 452.
Heinze, B., 229.
Hekking, Anton, 154. 229. 386.
Helbing, Willy, 390.
Held 280.
Heimholtz, Hermann, 414.
Helmrich - Hofineister, Cassie,
307. 398. 473.
Helstedt, Gustav, 472.
Heller, Am6Iy, 307. 389.
Heller, Ludwig, 153.
Hellmann 295.
Hellmesberger, Josef, 218. 295.
398.
Henderson, Mr., 392.
Hennig-Zimdars 227.
Henry VI. 164. 166.
Henschel, Georg, 474.
Hensel-Schweitzer, Elsa, 154.
300. 454. 471.
V. Herder, Emil Gottfir., 403.
V. Herder, Joh. Gottfir., 403 fr
(H. und die Musik).
V. Herder, Maria Caroline, 405.
Herma, Sonja, 389.
Hermann, Agnes, 302.
Hermann (Breslau) 468.
Hermann, Hans, 154.
Herms-Sandow, A., 154.
Herold, Georg, 306.
H6rold, L.J. F., 181. 273.
Herold, Wilhelm, 457.
Hertzer-Deppe, Marie, 305. 465.
Herv6, Frl. R., 183.
Herzog, Emilie, 227. 391. 465.
474.
V. Herzogenberg 397.
Hesch, Wilh., 225.
Hess, Ludwig, 313. 314. 386.
398. 463. 470. 476. 477.
Hess, Willy, 312.
V. Hessen, Moritz, 167.
Heuberger, Richard, 106. 277.
465.
Heubner, Konrad, 314.
Heyde 313.
Heydenbluth 398.
Heymann-GOttinger, Luise, 389.
Hielscher, Hans, 310.
Hieser, Helene, 76.
Hiller, Ferdinand, 96. 353 f. 354.
355. 357. 417.
Hiller, J. A., 122. 169.
Hiller, Katarine, 310.
Himmel, Heinr., 267.
Himmelstoss, Rieh., 468.
Hindermann, Pauline, 152. 237.
Hinken - Cahnbley, Tilly, 235.
475.
Hinlopen, Caroline 233.
Hinze-Reinhold, Bruno, 305.
315. 386. 390. 398. 464.476.
Hippeau 348.
Hippel, Th. G., 27f. 28.
Hitzig, J. E., 27. 28.
Hierstedt, Ebba, 229.
Hlawacz 57 f. 58.
Hobrecht, J., 164. 167.
Hock, Hermann, 311.
Höeberg, G., 472.
van der Hoek 149. 450.
Hofkcker, Martha, 221.
HOfbr, Louise, 224. 461.
HofThaimer, P., 173. 175.
HofTknann, Baptist^ 450. 451.
HofTknann, C, 306.
Hofhnann, E. T. A., 27 ff. 80.
194.
HofTknann, Karl, 385.
HofTknann, Oskar, 389.
HofTknann, Reinh., 233.
Hofkapelle, Sachsen-Altenburgi-
sche, 71.
Hofknann, Anna, 152.
Hofinann, Heinr., 389.
Hofinann, Josef, 154. 236. 396.
474.
Hofknann, Julius, 152.
Hofknann, Pauline, 465.
Holdack, Otto, 302.
Hollander, Benoit, 387.
Hollinder, G., 387. 465.
Hollinder, V., 280.
Hollenberg, Otto, 393 f.
V. Holstein, Franz, 116.
HOlty 124.
Holy, Karl, 461.
Holzapfel 149.
Homer 233. 344. 409.
Honigberger, Frl., 151.
Hopfb, C, 462.
Hopfer 233.
Hoppen 312.
Homung, Hans, 390.
Hösel 310.
Hösl (Quartett) 315.
HOvelmann-Tomauer, Louise,
308.
Hrodgar 261.
Hubay, J., 107. 148. 468.
Hubenia, Frau, 219.
Huber, Annemarie, 388.
Huber, Hans, 471. 479.
Hubermann, B., 316. 468. 477.
Hubert, 307. 475.
HQbner, Dorothea, 389.
Hughes 53.
Hugo, Viktor, 266.
van Hülsen 149.
V. Halsen, Intendant, 450.
Hummel, F., 465.
Hummel, J. N., 282.
Humperdinck, Engelbert, 253.
281. 302. 380. 447. 453. 46]l.
NAMENREGISTER
IX
Hunold, Erich, 461.
HQttner, G., 390.
Ibach, M., 72.
Ibsen, H., 301.
Imberd 56.
International Copyright Bureau
(London) 71.
Irrgang, Bernh., 154.
Isaac, H., 167 f.
Uouard, N., 181. 272.
Istel, Edgar, 218.
Ivanovici, J., 156.
Iwanow, Th., 56 f. 57.
Iwansky 57.
Jacob-Anspach, Hedwig, 389.
Jadlowker, Herrn., 461.
Jiger, Rud., 151. 298.
Janin, J., 190. 191 fT. 336.
Janke, G., 429.
Janke, O., 424.
Jansen, Gustav, 15. 17. 101.
Janssen (Dortmund) 390.
Jaques-Dalcroze, E., 287. 471.
Jlrneffelt 296.
Jehni 77.
Jellouschegg, Adolf, 451.
Jeral, Wilh., 399. 478.
Jessen, Herrn., 461.
Joachim, Joseph, 96. 101. 109.
132. 148. 229 f. 305. 306. 312.
385. 462. 467. 472. 474. 480.
Jobst, Heinr., 217.
de Jonciftres, Victorin, 296. 477.
480.
Jones, Henrica, 229.
Jones, Sidney, 278 f. 320 (Bild).
Joosten, D. H., 149.
JOrn, Carl, 392.
Josephine, Kaiserin, 335.
Josquin, Deprfts, 167 f. 173.
ijournal des D^bats*" 190. 191.
Juferow 56 f. 58 f.
JuUien, Adolphe, 376. 377 f.
Jungblut 235. 462.
Jungren, Anna, 155.
Juon, Paul, 160.
jQrgens, Emmy, 229.
Kaatz, F., 310.
Kachanow 56 f.
Klhler, W., 301.
Kainz, J., 374.
Kaletsch 312.
Kaiisch, Paul, 462.
Kalischer, A. Chr., 285.
Kaliina, Alice, 151. 299. 454.
Kallinikow 57. 58.
Kamensky, Boris, 465.
Kimpf, Karl, 307. 387.
Karl der Grosse 262.
Karl IV., Kaiser, 264.
Karl IX. (Frankr.) 194.
Karenin, W., 55. 58.
Kasjarowicz, Frau, 458.
V. Kaskel, Karl, 221. 300. 453.
Kasperow 57.
Kastner, Emerich, 296. 434.
Kauer, Ferd., 267.
Kauffmann, Musikdir., 474.
Kaufmann, Hedwig, 154. 383.
386. 450.
Kaun, Hugo, 154. 228. 305.
Kawelin, Mme, 56 f.
I Keller, Hans, 222.
Kellermann, Berthold, 463.
Kennerly-Butt 396.
Kepler, Johannes, 361.
Kemer, Kpm., 452.
Kernic, Beatrix, 300.
Kes, Wilhelm, 448.
Kessel, Franz, 440.
Kessler-Obermeyer, Cateau, 388.
Kienzl, Wilhelm, 115. 135. 147.
I Kiess, August, 381.
Kilian (Quartett) 315.
King, Roxy, 75.
Kirchl, A., 268.
Kirchner, Theodor, 14. 114 ff
(Gedenkbl.). 160 (Bild). 237.
306. 389. 451. 471.
Kiriakow 56.
Kimberger 122.
Kistler, Cyrill, 151. 268. 298.
461.
Kittel, Hermine, 303.
Kleeberg, Clotilde, 392. 393.
Kleefeld, Wilhelm, 301. 383.
457. 459.
Kleffcl, Arno, 152. 457.
Klein, Erna, 309.
Klein, Joseph, 9.
Klemm 56 f. 57. 58.
Klengel, Julius, 135. 313.317.
Kliebert, Dr., 479.
Klinckerfuss, Johanna, 294. 480.
Klindworth, Karl, 375.
Klingenfeld, Emma, 328.
Klinger, Max, 7.
Klingler, Fridolin, 385.
Klingler, Karl, 306.
Kloos, Frl., 149. 221.
Klopfer, Victor, 76.
Klose, Fr., 44. 111.
Klosseck-Mflller, Luise, 308.
I Klughardt, August, 72. 311.
I Knauff, Margarethe, 464.
; Kneisel-Quartett 476.
Kniese, Julius, 463.
Knoch, Kzm., 233.
Knote, Heinrich, 76. 223.
Knflpfer-Egli, Marie, 308. 392.
\ Koboth, Irma, 76.
Kocyan, J., 316.
Koennecke, Richard, 227. 466.
Koessler, Hans, 133. 228. 438.
Kogel, Gustav, 72.
Kopier, Hermann, 307.
' Köhncmann 56.
, Kfhnemann-Zinnow, Frau, 237.
Kolbe, Alexandra, 298.
Könecke 465.
König 56.
V. Königswinter, Wolfgang Malier,
440.
Konrad, Theodor, 456.
Kopecky, Ottokar, 473.
Kopylow, A., 56. 476.
Korb, Jenny, 153.
Korb, Laurenz, 228.
Korestschenko 56.
Korganow 56 f. 57. 58.
Körner, Theodor, 266.
Korolewicz, Frau, 458.
Kosleck, Prof., 218.
Kosman 301.
Koster 149. 450.
Kott 57.
Kotzky 392.
Kovrovic, Kpm., 461.
Kranz, Naum, 465.
Krasselt, Alfred, 398.
Kraus, Ernst, 76.
Kraus, Felix, 390. 462. 475.
Kraus, Gabriele, 148, 296.
Kraus-Osborne, Adrienne, 154.
Krause, Caesar, 298.
Krause, Chr. G., 122.
Krause, Emil, 436.
Krause, Ferdinand, 307.
! Kreibich 56.
Kreisler, Fritz, 305.
Kremser, E., 268.
Kretschmer, Edmund, 391.
Kretzschmar, Hermann, 122.
Kreutzer, Konradin, 220. 227.
267. 268.
Kriehuber 240.
Krimow 56 f.
Kroger 296.
Kronen, Franz, 383.
Kronenberg, E., 148.
Kronke 398.
Kroyer, Theodor, 438.
Krueger-Nystedt, Franz, 387.
Krug, Georg, 448.
Krug-Waldsee, A., 314.
Krflger, G., 229.
Krull, Annie, 151.
Kruse, Joh., 237.
Kruse, W., 237.
Kruse-Konzerte 474.
Kubelik, Jan, 236. 462. 471.
474.
Kücken, F. W., 106. 267. 268
Kuffner, Christoph, 427.
Kuhlo, Franz, 228. 387.
Kuhnau, Johann, 173.
Kflhnau, Joh. Chr., 160 (Bild).
Kunwald, Ernst, 151.
Kunz, Toni, 308.
Kunze, Albert, 300. 457.
KOnzel, Richard, 397.
Kunzen, F. L. A., 122.
NAMENREGISTER
Kurz, Selma, 218. 461.
Kurzöwna, Frl., 153.
Kussewitzky, Sergei, 466. 469.
477.
Kutkln 55.
Kattner, Frl., 397.
Kwast, James, 155. 308. 386.
470.
Kwast, Kpm., 140.
Kwast-Hodapp, Frieda, 392. 468.
Labitzky, August, 148.
Lachner, V., 268.
Laffitte 77.
de Lajarte 109.
Lalo, E, 389. 399. 476.
Lambert 460.
Lambrino, Telemaque, 390.
Lamond, Frederic, 109. 230. 309.
392. 465.
Lamoureux, Chariest 330. 477.
Landesberg 280.
Landi, Camiiia, 471. 473.
Lang, Kari, 224. 461.
Langbein, G., 314.
Lange, G., 429.
Lange, H., 229.
de Lange, S., 397.
Lange-Aranyi, Emmi, 307.
Lange-MQller, P. E., 472.
Langen han-Hirzel, Anna, 315.
476.
Lanner, J., 276.
Lasso, Oriando, 22. 165. 169 f.
172.
Laube, Fri., 219, 380.
Laube, Heinrich, 25.
Laurischkus, Max, 386
Lautenbacher, Auguste, 219.
Lawrow 56.
Lazarus, Gustav, 466.
Leborae 200.
Lechner, A. C, 381.
Lecocq, Charles, 270 f, 271 f.
272. 320 (Bild).
Lederer-Schiesti, Therese, 305.
LelHer-Burckard, Martha, 154.
300.
Legouv6, Ernest, 333. 348. 358.
417. 418.
Lehar 277. 300.
Uhmann, Lilli, 201. 315. 385.
391.
Leissek 56.
LejdstrOm 463.
Lenau, Nikolaus, 127. 385.
Lenk, Olga, 305.
Lenz 107.
V. Lenz, Wilh., 424.
Leon, Ferry, 385.
L6on, V., 280.
Leray, C, 401.
Leschetizki 472.
Lessing, G. E., 124.
Lesueur 360. 365. 376.
Levasseur 190.
Level, Math., 225.
L6vy, Calman, 341.
Lewinger 391.
Leydemer, Hans, 383.
Leydhecker, Agnes, 467.
Liadow, An., 55.
Lichtmann, J. J., 434.
Lieban, Julius, 76. 387. 450.
Lieban-Globig, Helene, 387. 467.
Liebermann, E., 254.
Liebeskind, Antonie, 461.
Liebeskind, Ernst, 461.
Liebig, Cari, 429.
V. Liechtenstein, Ulrich, 263
Liepe, Emil, 307.
van Lier, Jacques, 228. 306.
388. 465.
Lincke, Paul, 280, 320 (Bild),
van der Linden 149.
Lindlofr, H , 80.
Linew 58.
Lingenfeider, Ada, 315.
Lippold 56.
Lischin, G., 57. 58.
Liska, Carl, 306.
de Lisle, Rouget, 332.
Lissenko 56.
Lissowsky 57.
Liszt, Franz, 42. 59. 62. 63. 75.
107. 111. 116. 128. 156.204.
229. 234. 235. 244. 253. 305.
309. 310. 311. 314. 315.
316r. 317. 341. 342. 357
366. 367. 371. 372. 379.
384 f. 385. 388. 389 f. 390 f.
391. 392. 394. 396. 397 f.
399 f. 415. 420. 430. 451.
462 r. 464. 465. 468. 470. 471.
472. 474. 475. 476. 477. 478
Liszt- Denkmal (Stuttgart) 217.
294. 480.
Lisztverein 42. 43.
Litolff, H., 154.
Litvinne, F61ia, 154.
Lochheimer Liederbuch 227.
du Locle, C, 296.
Lodyschensky 56.
Loewe, Ferdinand, 317. 478.
Loewe, Karl, 122. 305. 307.
380. 439. 474.
Loewenthal, Sophie, 127.
LOffler, A., 229.
Löffler, Mathilde, 148.
Lohflng, Max, 152. 295.
Lohse, Otto, 302. 393.
Lomakin 56.
de Lorbac, Charles, 148.
Lorentz, Alfred, 382. 393.
Lorenz, Frl., 225.
Lorenz, Julius, 476.
Lorenz, Prof., 397.
Loritz, Joser, 227. 395. 474.
de Lorma 458.
Lortzing, A., 222. 299. 387.
(Denkmal-Fonds).
Lothar, Rud., 460
Louis, Rud., 437.
Louis Philipp (Frankreich) 187.
Lovy, J , 193.
Lowell, J. R., 52.
Lozin 149.
Lübeck, J. H., 8 fr. 95 If.
Lucky, Gertrude, 230. 315. 395.
467.
Ludwig, Frl., 153.
Ludwig L (Bayern) 85.
Ludwig n. (Bayern) 83 fr.
Ludwig 111. (Ludwigslied) 262.
Lully 380.
Luther, Martin, 191. 196. 198.
266. 410.
LQtschg, Waldemar, 391. 466.
469. 473.
Lutter, Pror., 237. 393.
Luze, Karl, 205.
Maal 140.
Madenski, Eduard, 479.
Mader, Raoul, 220.
Maeterlinck, Maurice, 186.
Maggini-Coletti 303.
Mahler, Gustav, 108. 111. 147.
152. 154. 218. 225. 303 f. 308.
456.
Mähler, G., 426.
Maillart, L. A., 183.
Mainzer, J., 193.
Makarow 55. 56 f. 57 f. 58 f.
Makart, Hans, 21.
Malaschkin 57.
Malata, Oskar, 219. 387.
Malherbe, Charles, 376.
Malkin, Josef, 386.
Mailing, Otto, 472.
Malten, Therese, 221. 381.
Mllzel 428.
MamontofT, Sergei, 466.
Mampel, Ida, 155.
Manasterio, J., 206.
Mandelstamm 56.
Mandyczewski, Eusebius, 439.
Manet 24.
Mangold, C. R., 468.
Manns, Augustus, 448.
Mannstidt, Franz, 317. 429.
V. Manof, August, 223.
Maurice, Alfons, 392.
Manthey, Franz, 309.
Manzer 470.
Marchesi, M^e., 315. 316.
Mar6chal, Henri, 77.
Marek, Fri., 153.
Marenitsch 56.
Marie, Gabriel, 306.
Marignan, Mme.^ 300.
de Maringa, Mariane, 230.
Marion, Georg, 154. 300.
Mariotte 78.
NAMENREGISTER
XI
Markewitsch 57.
Markus, Desider, 220.
Manik 156.
Marsop, Paul, 103. 317.
Marteau, Henri, 316. 471.
Martin, Mr., 377.
Marty 77.
Marx, Ad. Bemh., 424.
Marx, Carl, 301.
Marx, Marie, 152.
Marx-Goldschmidt, Berthe, 303.
467.
Mascagni, Pietro, 273. 460.
Masse, Victor, 181.
Massenet, Jules, 156. 182. 183.
273. 298. 302 f. 384. 451. 453.
454. 460.
Massol 190. 196.
Matema, Hedwig, 223.
V. Matthisson, Friedrich, 425.
Matura 461.
Maurina, Fri, 397.
Mayer, Karl, 237. 398.
Mayerhoff, Franz, 389.
Mayer-Mahr, Moritz, 466.
Mayr, Ludwig, 380.
Mayseder, Joseph, 282fr (Gedenk-
blatt). 480 (Bild).
Mechler, Fritz, 381.
Mteourt, Middha, 229.
V. Medici, Katharina, 194.
M6hul, E. N., 225. 360. 382.
Meilhac 280.
V. Meissen, Heinr. (Frauenlob),
263.
Meissner 56.
Meissner, Arthur, 461.
Meissner, August, 148.
Melna, Adele, 387.
Melville, Marguerite, 468.
Melzer, Jos., 468.
Mendel, H., 168.
Mendelssohn, Arnold, 231. 387.
469.
Mendelssohn - Bartholdy , Felix,
8 ff (Beziehungen zu Lübeck
und Verhulst). 22. 80 (Bild).
98. 101. 111. 128. 156. 227.
233. 234. 267. 268. 304. 308.
313. 370. 384. 388. 395. 396.
397. 466. 468. 471. 476.
•Le Menestrel* 193.
Menter, Sqfie, 477.
Menzinsky, Modest, 151. 454.
Meredith, Miss, 315.
M6rO, Jolanda, 388. 395. 466.
Merten 56 f. 57.
Messager, Andr6, 182. 183. 270.
271 f. 272. 320 (Bild).
Messchaert, Johannes, 154. 304.
313. 390. 464. 470.
Methflessel, A. G., 268.
Mettemich, FQrst, 360.
Metzdorf, Adeiine, 386.
Metzger-Froitzheim, Ottilie, 76.
152. 310. 382.
Meyer, Conr. Ferd., 134.
Meyer, Gustav, 152.
Meyer, Hedwig, 466. 468.
Meyer, Oskar, 231.
de Meyer, Pierre, 225. 462.
Meyer, Waldemar, 229. 386. 397.
467.
Meyerbeer, Giacomo. 26. 1 82. 1 84.
187 ff (Hugenotten premi^re).
224. 240 (Bild). 274. 324. 341.
456.
Meyer-Oibersleben, Max, 268.
309. 461.
Meyroos 228.
Michalke, Eise, 307.
Michaiowicz, M., 389.
Michelangelo 23. 323 f. 331 f
Micucci 458.
Miklaschewsky 57 f. 58
Mikorey, Franz, 381. 390. 473.
Miider^Hauptmann, Frau, 426.
Millevoye 447.
Millöcker, Karl, 275 f. 320 (Bild).
Missa, E, 455.
Miynarski, Emil, 316. 472.
V. Moeliendorff, W., 154.
Moers, Andr., 153, 300.
Mohr, Theodor, 218.
Moke, Camilla, 323. 327. 353 f.
355.
Moke, Frau, 354.
Mönch 149.
»Le Monde dramatique" 193.
Monhaupt 312.
Monick, Emma, 237.
Moniuszko 302.
Monsigny, P. A., 181. 184. 272.
Montaiivet 195.
de Montjau, Frau Madier, 450.
Moore, Thomas, 326.
Moran-Oiden, Fanny, 155. 234.
Moreau, L6on, 471.
Morel 417.
Morena, Bertha, 76 f. 394.
Morley 477.
Morosow, S, 56. 57.
Morphy 296.
V. Morungen, Heinr., 263.
Moscheies, Ignaz, 148. 282.
Mosel-Tomschick, M., 461.
Moser, Anton, 219.
Mosoczy 458.
Moszkowsky, Moritz, 389.
da Motta, Vianna, 385.
Mottl, Felix, 43. 222. 224. 295.
301. 316. 343. 382.
Mottl, Henriette, 382.
Moussorgsky 48.
Mozart, Wolfgang Amadeus, 22.
23. 26. 48. 49. 50. 101. 106.
107. 112. 113 122. 128. 155.
181. 185. 187. 192. 229. 233.
253. 254. 273. 302. 303. 310.
314. 315. 360. 380. 381. 389f.
390. 391. 394. 395f. 398. 399.
406. 412. 413. 463. 470. 471 f.
472. 475.
Muck, Karl, 385. 451.
Mudocd, Eva, 386.
MuflPat, Georg, 130.
Mflhldorfbr, Wilhelm, 152.
MOhlfeld, Richard, 385. 398.
Malier, Adolf, 155. 273.
Malier, Job. Georg, 405.
Mailer (Leipzig) 395.
Maller, Robert, 223.
Mailer, Wenzel, 267, 273.
Mailer-Berghaus 397.
Mailer-Hartung, Julie, 309.
Maller- Reuter, Theodor, 218.
394.
V. Mumm, W., 471.
Manchhoff, Mary, 233. 307. 313.
390 391 393. 479.
Musiol, Robert, 296.
Mysz-Gmeiner, Luis, 226. 396.
469. 477.
Nadar 375.
Nagel (Kammermusiker) 312.
Nagel, W., 429.
NIgeli, H. G., 268.
Napoleon 1. 25. 377.
Napoleon III. 330. 378.
Naprawnik, E., 56.
Narbal 345. 346.
Nardini, P., 392.
Nast, Minna, 151. 314.
.U National de 1834** 193.
Naval, Franz, 156. 314. 398.
451. 469.
Navratil, K., 147.
Nebe, Carl, 450.
Nedbal, Oskar, 225. 306.
Neefe 122.
Nef, Karl, 130.
Neff, Fritz, 440.
Neithardt, Aug., 267.
Neitzel, Otto, 308.
V. Nemours, Herzog, 190.
Nekrassow 57.
de Nerval 330.
Nessler, Victor, 299. 382.
Neugebauer, Carl, 225.
Nichols, Marie, 306
Nicking 465.
Nicod«, L., 173.
Nicolai, Friedrich, 122. 124.
Nicolai, Otto, 163.
Nielsen, Karl, 313. 385.
Nieratzky 470.
V. Niessen-Stone, Frau, 237.
Nietzsche, Friedrich, 91.
Nikisch, Arthur, 43. 153. 154.
156. 226. 227. 233 f. 236 f.
300. 303. 304 f. 384. 392.
395. 429. 458. 464.
XII
NAMENREGISTER
Nikober 56.
Nohl, L., 427.
Nöldechen, Berah., 451.
Nordica, Lilian, 76. 147.
NoskowskI 472.
NOssler, Ed., 389.
Nottebohm, M. G., 147. 425.
426. 428.
Nourrit, Ad., 187. 188 f. 190.194.
Novak 233.
Novalis 25.
Nowa, Alice, 454.
de la Nux, P. V., 302.
Oberstadt, Max, 233.
Ochs, Siegfried, 304.
Olfeobach, Jacques, 180. 181 ff.
183ff. 201. 240. 269ff. 272.
273. 276. 279. 280. 302. 324.
382. 456.
Offenberg, Helene, 382.
Ofrossimow 55. 56 f. 58 f.
V. Olterdingen, Heinr., 263.
Ohlhoff, Elisab., 227.
Ohnesorg, Carl, 461.
Okeghem, J., 164. 167.
Oldenboom-Latkeman,Alida,307.
478.
V. Oldenburg, Herzogin, 147.
Olitzka, Rosa, 230.
Ollner, Elsa, 381.
Olshausen, Paula, 230. 467.
Ondrioek, Franz, 154. 156. 477.
Ordenstein, H., 234.
Orelio 140. 221. 450.
V. Orleans, Herzog, 190.
Orlow 56.
Ortigue 352.
de Orto, M., 175.
Ossipow 57.
V. d. Osten 151.
V. Othegraven, A., 395.
Otto, Frl., 153.
Otto, J., 268.
van Overelm 149.
Pacary, Lina, 77.
Pachelbel, Joh., 131.
de Pachmann, W., 236.
Paderewski, Ignaz, 140. 472.
Paer, Ferdinand, 301. 455. 459.
Paganini, Niccolo, 307. 314. 306.
415. 416. 471.
Pahnke, W., 471.
Paisiello, Giovanni, 273.
Palestrina, G. P., 169. 170. 175.
Palm, Margarete, 387.
Pankenin, Alma, 387.
Panofka, H., 282.
Pantschenko 57.
Panzner, Carl, 154. 231. 300.
389.
Papperitz, Robert, 147 f.
Parello 458.
Parry, Hubert, 395. 470.
Parsi, Frl., 458.
Patti, Adelina, 475.
Pauer, Ernst, 315.
Pauer, Max, 156. 311. 398.
Paufler 56 f.
Paul, Jean, 404.
Paul, Oskar, 168. 174.
Pauli, Max, 222.
Paur, Emil, 464.
Pauwels 149. 221. 450.
Pax, K. E., 267.
Pekschen, Mme., 157.
Pennarini, A., 152. 222. 456.
Pergolese, G. B., 407.
Perleberg, Arthur, 154.
Perron, Carl, 151. 154. 300. 316.
Pessard 272.
Pester-Prosky, Bertha, 457.
Peters, Verlag, 154. 173.
Petit, Pierre, 400.
Petri, Henri, 254.
Petri-Quartett 232.
Petschnikoff, Alexander, 234.
306. 312. 308. 466. 471.
Petschnikoff, Ulli, 234. 466.
Petzet, Walter, 234.
Pewny, Olga, 452.
Pfannschmidi'scher Chor 466.
Pfeil, H., 268.
Pfeilschmidt, Hans, 80.
Pfltzner, Hans, 43. 44. 75. 111.
231. 253. 301. 315. 384.
Phidias 323.
Philidor, F. A. D., 181. 184. 272.
Philipsohn, Dr., 228.
Phlippeau 450.
Picani, Nicola, 459.
Pieczonka, Kite, 467.
Pieper, Cari, 218. 394.
Pieper, Willy, 468.
Piern« 477.
Pierson 434.
Pinks 305.
Pinto, Frl., 303.
Plaichinger, Thila, 153. 223.
Planche, G., 102 f.
Planquette, Robert, 270. 272.
320 (Bild). 461.
Plant6, Francis, 154.
Plato 260.
Play fair, Elzie, 311.
Plestschejew, A., 58.
Pleyel, Marie, 323. 355.
PlQcker, Herrn., 152.
Piaddemann, Martin, 398.
Plutarch 260. 409.
Podesti 302.
Poe, E. A., 52.
Pohl, C. F., 434.
Pohl, Luise, 341.
Pohl, Richard, 339. 343. 363.
Pohle, Max, 389.
Poblig, Cari, 224. 294. 310. 397.
Poldini, Eduard, 220. 452.
Polese liO.
Polyklet 323.
Pomasansky 55.
de Pommaume, P., 400.
Popper, David, 468.
Popper, Dora, 386.
Porst, Bemh., 153.
Porth, Viktor, 155.
Portmann, J. G., 167.
Posener Orchestervereinigung
396.
V. Possart, Ernst, 60. 93. 147.
223. 248. 305. 448.
Potpeschnigg, Heinrich, 467.
Pottgiesser, Cari, 457.
Pougin, Arthur, 126.
Pouill6 78.
Pracher, Fanny, 45.^.
Prager Streichquartett 399.
Prasch, Aloys, 75.
Prätorius, M., 167. 168.
Pregi, Maroella, 470. 478.
Preiss, Mme. 57.
de Prte, Josquin, 399.
Presuhn 397.
Preuss, Arth., 225.
Preusse, C, 385.
Pr6v6st 190. 193. 196.
Prevosti, Franceschina, 473.
Prigoschy 57 f.
Prill, Emil, 295.
Prill, Karl, 389.
Prod'homme, J. G., 240. 371.
Proksch, J., 147.
PrOU, Rudolf, 151.
Propertius 261.
Proteininsky 56.
Prüfer, A., 62. 296.
Prüfer, H., 155.
Prusse, Theodor, 467.
Prüwer, Jul., 451.
Puccini, Giacomo, 220. 455 460.
461 f.
Puchat, Max, 147.
Pugno, Raoul, 396.
Purcell, H., 50.
Purschian, Otto, 152. 223. 383.
Putiata 57.
V. Putkammer, Frau, 383.
Quantz 122.
Quicherat, L., 188. 189. 190.
Raabe, Peter, 315. 470. 477.
Rabl, Walter, 154. 298.
Rabonato 458.
Rachmaninow 56 f. 57 f. 58.
Radecke, Robert, 94.
Radig, Paul, 257. 393.
Radnitzky, C, 435.
Radö, Frl., 151.
Radow, Rieh., 219.
Raff, Joachim, 72. 173. 395. 466.
Rahter, D., 154. 308.
Raimund, Ferdinand, 150.
Rains, L6on, 314.
Rajchmann, Alexander, 472.
NAMENREGISTER.
XllI
Rameau, J. ?., 312. 459.
Rampelmann, W,, 465.
Rarael 23. 254.
Rappert 56. 57.
Rappoldi-Kahrer, Laura, 232.
Rasmadse 56 f. 57.
Ratschinsky 58.
Raven, Dagmar, 308.
Raven, Theo, 455.
Ravoth, Klthe, 467.
Raymond, E, 471.
Reber, N. H., 368.
Rebicek, Josef, 72. 228. 232.
387. 397.
Rebner, Adolf, 311. 386.
Reclo, Marie, 400 (Bild). 417 f.
Recio, Mme., 423.
Redlich, Karl, 410.
Regan, Anna, 126.
Reger, Max, 43. 44. 131. 231.
253. 438.
Regneas 151.
Rehberg, Willy, 471.
Reicha, Anton, 363.
Reichardt, Joh. Fr., 122.
Reichenberger, Hugo, 72. 301.
Reicher, Thea Dora, 309.
Reichhardt, Gust., 267.
Reichmann, Theodor, 72.
Reimann, Heinrich, 296. 475.
Reinecke, Carl, 387. 395.
Reinhardt, H., 277.
Reinisch, Anna, 301.
Reinmar der Alte 263.
Reisenauer, Alfred, 227. 236.
310. 317. 389. 395. 465.
Reiaamann, August, 449.
Reiter, Josef, 134.
Rellte, Leonore, 459.
Reman, Ida, 389.
Remmert, Martha, 473.
R6mond, Fritz, 222. 382.
de R6musat, Comte, 416.
Renaud, W., 478.
V. Rennes, Catharina, 296.
Renz, Willy, 323.
Rettich, Rieh., 315.
Reubke, Julius, 438.
Reucker, Alf^., 225.
Reuschy Karl, 464.
Reuss, August, 315.
Reuss, Eduard, 465. -
Reuter, Hedw., 228.
Reuther, Carl, 235.
»Revue des Deux Mondes^ 192.
«Revue du Thöätre" 193.
Reyer, Emest, 296. 358.
V. Reznioek, E. N., 464.
Rheinberger, Josef, 217. 255.
287. 392. 438 f.
van Rhyn, Sanna, 473.
Richard, Hans, 479.
Richter, C. F., 471.
Richter, E. F. E., 148.
Richter, Hans, 249. 309. 398.
474.
Richter, Ludwig, 240 (Bild).
Riedel, Hermann, 448 f. 451.
Riemann, Hugo, 127. 132. 166.
218.
Ries, Antonie, 461.
Ries, Ferdinand, 434.
Ries, Marie, 304.
Rietsch 477.
Rietz, J. 18 f.
Rihl 472.
Riller, O., 234.
Rimsky-Korsakow 55 f. 56 f. 383.
389. 469. 478.
Ripper, Alice, 316. 395.
Risler, Edouard, 109.
Ritter, A. G., 166. 168 f. 438.
Rittershaus, Alfr., 237.
Robinson, Ada, 222. 382.
Roediger, Karl, 453.
Roediger, Klara, 231.
Roger 272.
Roger-Miclos, Marie, 303. 311.
Romaneck, Maria, 230.
Romberg, Bernhard, 97.
ROmhild, Alb., 469.
ROntgen, J., 388. 462.
Ros«, A., 389.
Rose, Francis, 297.
RosenmQUer 170.
Rosenthal, Moriz, 156. 477.
Rössel, W., 467.
Rossini, Giacomo, 26. 106. 126.
181. 185. 195.273.301. 324.
336. 390. 458.
Roth, Bertrand, 72.
Roth, Fr., 277.
RothenbQcher, Max, 467.
Rother, Anna, 389.
Rothwell 149. 297.
Rotschild 418.
Rottenberg, L., 391.
Rousseau, J. J.» 131. 380.
Rüben, M., 477.
Rubetz, A., 56.
Rubinstein, Anton, 56 f. 57 f. 58 f.
128. 224. 229. 383. 390. 394.
466. 470.
Rflbner, Cornelius, 466.
RQbsam, Rieh, 221.
Rflckauf, Anton, 147. 160 (Bild).
RQdel, Hugo, 229. 386.
Rflders, Anny, 381.
RQdiger 151.
de la Rue, P., 175.
Ruegger, E., 393. 466. 470.
RQhlscher Gesangverein 391.
Ruinen 228.
Rflsche, Clcllie, 312. 313.
v. Russland, Grossfflrstin Helene,
423.
Rust, F. W., 473.
Ruzek, Marie, 451.
Ruzicka 470.
Rybakow 57.
Ryken, Georg, 478.
S., J. A., 129 ff.
Sabatier 126.
Sabellier 150.
Sachs, Hans, 168. 343.
V. Sachsen-Weimar, Anna Amalie,
414.
Saenger-Sethe, Irma, 315. 398.
Safönoff, W. J., 478.
Sahla, Rieh., 312.
Saint-Saens, Camille, 77. 112.
155. 156. 183. 233. 302. 316.
317. 358. 393. 438. 459. 471.
474. 475.
Saitzew 58.
Salcher, Joseph, 453.
Salewski 312.
Salieri, Antonio, 273.
Salomon, H., 296.
Salter, Norb., 206.
Salvi, Elsa, 223.
Samuel, Adolphe, 419.
Sand, Georges, 55.
Sandow, Eugen, 465.
Sandow-Herms, Adelina, 387.
465.
de Sarasate, P., 393. 467. 472.
Sarti, J., 459.
Sass, Arthur, 396.
Sattler, Heinz, 461.
Sauer, Emil, 236. 31 1. 399. 467.
468. 478.
Sauer, Kpm., 299.
Sauret 307.
Sauset 311. 470.
Sauvan, Martha, 386.
Saviö, Gertrud, 400.
Savine, M™«*, 300.
Sayn-Wittgenstein, FQrstin, 371.
420. 421. 422. 423.
Scandellus 169.
Schäfer 55.
Schiffer, J., 166 f., 268.
Schaljapin 383.
Schalk, Josef, 320.
Schantzberg 57.
Schapira, Wera, 478.
Schapitz, O., 397.
Scharwenka, Ph., 306.
Scharwenka, Xaver, 234. 310»
387.
Schauer, Alfred, 155.
Schauer-Bergmann, Martha, 310.
V. Schaumburg-Lippe, Maria, 407.
V. Schaumburg-Lippe, Wilhelm,
407. 408.
V. Scheele, Ida, 219.
Scheffels, Walter, 462.
Scheidemantel, K., 151. 298.398.
472.
Schein, Joh. Herm., 296.
Scheinpflug, Paul, 307. 389.
XIV
NAMENREGISTER.
Scheinann 234.
Schenk, Frl., 398.
Schenk (Russland) 56 f. 57.
Schenker, H., 385.
Schicht, Joh. Gottfried, 72.
Schiller, Friedrich, 23. 105 f.
124. 254. 403. 463.
Schillings, Max, 44. 60 80. 1 1 1.
248. 316. 391.
Schillings-Ziemsen, Hans, 383.
Schindler, Anton, 424.
Schink, J., 224.
Schirmer, Robert, 222. 382.
Schlegel (GebrOder) 25.
Schlesinger 154.
Schlesinger (Paris) 356.
Schlick, A., 165r. 169. 175.
Schloss, Chariotte, 222.
Schmidt, Alma Johanna, 389.
Schmidt (Elberfeld) 470.
Schmidt, Felix, 227.
Schmidt, Hans, 234.
Schmidt (Kassel) 312«
Schmidt (Strassburg) 316.
Schmidt-KOhne, Frau, 237.
Schmierer (Schmlcerer), J. A.,
130.
Schmitt, Phil., 231.
Schmitz- Pollender, Elisabet, 465.
Schnabel, A., 305. 306. 307. 386.
464. 467.
Schnabel (Trio) 397.
Schneider, Friedrich, 447. 480.
Schneider, Kart, 369. 370.
Schollmeyer, Ad., 205.
Scholz, Bernhard, 133.
Schönberg, Arnold, 385.
Schonfeld, Paula, 219. 451.
Schonherr, A., 71.
SchOrg-Quartett 396.
Schott, B., 154.
Schramm, Hermann, 454.
Schreider, K., 57.
Schreier, Fri., 237.
Schreiter, Hertha, 468.
Schröder, Hans, 470.
Schroeder, Alwin, 476.
Schroeder, Johannes, 229. 387.
SchrOdter, Fritz, 461.
Schröter, L, 170.
Schröter, O., 219.
Schubert, Franz, 22. 59. 107.
122. 127. 128. 147. 156. 171.
228. 229. 232. 268. 305. 311.
314. 316. 384 f. 386. 389. 390.
303 f. 394. 395 f. 439. 463.
464. 468. 470 f. 471. 473. 476.
477. 479.
Schubert, O., 72. 229. 307.
V. Schuch, Ernst, 151. 218. 232.
298. 398.
Schuchardt, F., 286.
Schulgin 55.
Schnitze 149.
Schulz, Erna, 306.
Schulz, J. A. P., 122. 380.
Schulz (Rostock) 397.
Schulze-Erier 465.
Schumann, Clara, 15. 16. 96.
160 (Bild).
Schumann, G., 227. 306. 307.
439. 463.
Schumann, Robert, 8 ff. 94 ff. (Be-
ziehungen zu J. H. Lübeck
undj. J. H.Verhulst). 22. 51.
59. 80 (Bild). 115. 116. 128.
156. 160 (Bild). 195. 226.
227 f. 228. 230 f. 234. 306.
308. 311. 313.314. 316.324.
325. 341. 361. 388. 389. 390.
392. 393. 394 f. 395. 463.
464. 465. 467. 468. 477. 478.
Schumann-Heink, Ernestine, 76.
153. 218. 310. 313.314.381.
382. 383. 389. 390. 393 f
394. 399. 461. 477.
Schuppanzigh, J., 282.
Schuster (Quartett) 315. 316.
SchOtz, Hans, 153. 300. 385.
Schatz, Heinr., 22. 170.
Schwab, Carl, 381.
Schwarz, Blanche, 388.
Schwarz, Max, 388.
Schwendler 233.
Schwickerath, Prof., 384 f.
Scomparini, Maria, 220.
Scribe, E., 187. 188. 190. 194.
200. 342. 455. 456.
Sebald 313.
S6chan 189. 194.
V. Seebach, Graf, 218.
Seegert, Ida, 307.
Seidel 390.
Seidl, Anton, 463.
Seidl, Arthur, 147.
Seifert 56.
Seiffert, Marie, 219.
Seiffert, Max, 130. 437.
Seim, Rob., 461.
Seitz, Prof., 297. 397.
Sekles, Bemh., 231.
Seligmann, A., 452.
Senfl, Ludwig, 266.
Sengem, Leonore, 153. -300.
Serato, Arrigo, 133. 303. 311.
Serda 190.
Seret, Marie, 230. 314.
Serpette 272.
Seuffert 465.
Severin, Emil, 228. 308.
Servius TuUius 260.
SeyflTardt, E. H., 397.
Seyfried, J., 434.
Sgambati, G., 396.
Shakespeare 254. 331. 333. 338.
339. 346. 349. 350. 355. 356.
369. 370. 373. 374. 408. 420.
Shedlock, J. S., 8.
Sibelius, Jan, 53. 63. 469.
Sieder, Alfr., 301.
Siegmann-Wolff, Philla, 461.
Siewert, Hans, 149. 297. 451
Signol 400.
Sucher, Friedr, 227. 267.
Siloti, Alex., 396.
Simon, Kommerz.-Rat, 56. 457.
Simrock, N., 154.
Sinding 232. 233 386. 389. 390.
392.
Singakademie, Robert Schu-
mannsche, 469.
Singer, Edm., 397.
Singer, Richard, 227.
Sinigaglia 391.
Sistermans, Anton, 227.
Sitt, Prof., 295. 395.
Sittard, A., 226.
Sittard, Joseph, 449.
Sjögren 86.
Skenn-Gipser, Else, 469.
Skopas 323.
Skvor, Max, 306.
Slaviansky, Nadina, 57. 156.
Slezak, Leo, 76. 225. 461.
Slivinski, Jos., 310. 397.
Smeuna 75. 147. 302. 384. 390.
396. 432. 433. 462.
Smithson, Henriette, 336. 349 AT.
354 ff. 400 (Bild).
SOchting, Emil, 134.
Sokalsky 56. 57 f. 58.
Sokolow, V., 56 f. 57 f. 58 f.
Solovjew 56 f. 57 f.
Sommer, Curt, 304.
Somow 56. 57 f.
Sondermann 474.
Soomer, Walter, 221. 455.
Sophokles 346.
Sorani, Emil, 151. 299. 454.
Sousa, J. Ph., 278
Speltrino 303.
Spendiarow 57.
Sperontes 122.
Spett, Joh., 130.
Spiess, Hans, 151.
Spiess, Prof., 86.
Spiro 56.
Spitta, August, 160.
Spohr, L., 128. 307. 391. 397.
Spontini 329. 334. 335.
Sporck, Graf, 378.
Sseroff 383.
Ssobinoff, Leonid, 224.
Sude, D. F., 12.
Staegemann, Helene, 235. 314.
478.
Stamitz, Joh., 132.
Stammer 75.
Stanford 310.
Surk, Lodovica, 309.
Starke, Kpm., 155. 471.
Surtzow 55. 56 f. 57.
NAMENREGISTER
XV
V. Stitzer, Joseflne, 151.
Sttvenhagen, Agnes, 309.
Staveohmgen, Bernhard, 147.
Steffto, Anton, 122.
Steffens, Herrn., 151.
Stein 257. 280.
V. Stein, H., 284.
Steinbach, Emil, 233. 475.
Steinbach, Fritz, 147. 224. 235.
312. 394. 472.
Steindel-Quartett 234. 386.
Steinen, Ad., 223.
StennebrOggen 316.
Stephan, Anna, 236.
Stephanesco. G., 149.
Stephan!, Alfred, 453.
Stermicz 302.
Stern, A., 367.
Stern, Antonie, 230.
Stern, J., 429.
Stemfeld, Richard, 430.
Steuerlein 168.
Stoblus, J., 168r. 172.
Stockhausen, Kpm., 116. 234.
316.
StoU, Lisbeth, 221. 455.
Stoltz, Eugenie, 386.
Stoltzer, Th., 170.
Stolzenberg, C, 224.
Stoye 394.
Stradal, Aug., 379. 439.
Straesser, Ewald, 385.
Stransky, Jos., 222. 382
Straube, Karl, 295. 395.
V. Strassburg, Gottfr., 263.
Strauss, Johann, 179. 275. 276fr.
320 (Bild).
Strauss, Job., jr., 156.
Strauss, Richard, 21 f. 43. 44.
107. 110. 112. 113. 154.206.
228. 232. 236. 245 246. 253.
256. 309. 311. 314.315.317.
384. 389 r. 391. 393. 447.
452. 459. 468. 470. 472. 474.
478.
Streicher, Th., 305. 310.
Streichorchester Berliner Ton-
kOnstlerinnen 387.
Streitenfels, Irene, 387.
Stronck, R., 462.
Stscherbatschew, A., 58.
Stscherbatscbew, N., 58. 173.
Stschurowsky 56. 57 f.
Stuck, Fr., 48.
Sturm, Wilhelm, 465.
Stury, Max, 219.
Suchanek, Elis., 301.
Sucher, Rosa, 447.
Sudermann, Herm., 25.
SuUivan, Arthur, 278 T 320 (Bild)
454.
Suphan, Bernhard, 410.
V. Supp^, Franz, 221. 274 f. 302.
320 (Bild). 453.
Süsse, Otto, 231. 462.
Suter, Hermann, 304.
Svendsen 234. 310. 476.
Sweelinck, F., 399.
Sybin, Mmc, 57.
Szabados, Prof., 220.
SzAntö, Ulli, 220.
Szendy, Prof., 220.
Szer6mi, Gustav, 468.
Szika, Ida, 381.
Szirowatka 221.
Szopski, Felicyan, 472.
Szoyer, Frl., 452.
Szymanski 153.
Tacitus 261.
Taglioni 189. 194.
Tanajew 465.
Tlnzler, Leo, 381.
Tappcrt, Wilh., 436.
Taskin 57.
Taubert, E. E., 134. 387.
Taubert, W., 368.
Taubmann, Otto, 376. 379 f.
Tausch, Julius, 95.
Telemann 121.
Tenger 426.
Terminska, Alma, 56.
Terrasse 270.
Tester, Emma, 237.
Thaycr, A. W., 425. 426. 427.
428.
Thibaud, Jacques, 109. 154
156. 303. 313. 475. 476.
Thierfelder, Prof., 397.
Thode, H , 294.
Tholfüs, Toni, 470.
Thomas, A., 183. 273.
Thomas, Eugene, 398.
Thomas, Fra, 166.
Thomas-St. Galli, Frau, 471.
Thornberg, Julius, 472.
Thuille, Ludwig, 133. 220. 224.
231. 301. 317. 440. 451. 465.
Tieck, Ludwig, 25.
de Tiftre, Nestor, 299.
Tierie, A., 149. 221. 462.
Tiersot, Julien, 77.
Tijssen, Jos., 151. 152.
Tintoretto 23.
Titow, A., 56 f. 57.
Tittel, Bernh., 221. 455.
Tizian 23. 25.
Toggart, Miss, 392.
Toller, Georg, 383.
Tolstoi 56. 57.
TonkQnstlerverein, Niederlindi-
scher 71.
Tordek, Ella, 476.
Tornelli, Giovanna, 155.
Toscanini 453.
Townshend 396.
Trebess-Reucker, Bertha, 226.
Tregler, Ed., 306.
i Tr6vaux 190.
de Treville, MUe, 224.
Trienes, H , 393.
Troitzsch 381.
Tschaikowsky, P., 48. 53. 56.
57 f. 156. 224. 234. 240 (Bild).
254. 306. 308. 310. 312. 313.
314. 315 383. 384. 385. 389.
390. 391. 392. 393. 394. 395.
396 f 464. 466 473. 475. 478.
Tschirch, F. W., 268.
Tuma 477. .
Uhland, Ludwig, 98. 256.
Uhlmann, Eva, 389.
V. Ulmann 300.
Ulrich, H., 368.
Ulsacker, A., 392.
Unger, Caroline, 126 ff. 160
(Bild).
Unger, Walther, 475.
Urana 458.
Urban, Erich, 240. 320.
Urhan 190.
Urlus, Jacques, 153. 300. 457.
473.
Ussatow 56 f. 57 f. 58.
Vaillant 199.
Valentin, Marie, 151.
Vamey, L., 270. 272.
Vasquez, Frau, 452.
Vavra, Udalrich, 306.
Vecchi, O., 438.
V. Vecsey, Franz, 220. 306. 307.
314. 382.
van Veen, Jos. M., 228. 306.
387. 465.
Veit 389. •
Verdaguer 458.
Verdi, G., 51. 64. 80. 106. 220.
232. 273. 206. 380. 381. 385.
394. 454. 455. 460. 463. 464.
468. 475.
Verhulst, Job. J. H, 8ff. 80
(Bild). 94 ff.
Vemet, Horace, 355. 356.
Vemet, Louise, 356.
Vernet, Mme., 356.
V«ron, Dr., 187. 188 ff.
Versel, Theresa, 155.
Vetter, Else, 467.
Viardot, Pauline, 200.
Vidron, Ang61e, 152. 394.
Vieuxtemps, H., 399. 471.
Villebois 57 f.
Violin, Moriz, 317.
Viotti, G. B., 312.
Virgil 331. 339. 344. 347. 420.
Vischer, F., Th., 23. 24.
Vogel, E., 130.
V. d. Vogelweide, Walter, 263.
Vogler, Abt, 168.
Volbach, Fritz, 475.
Volkmann, Robert, 135 233.389.
395.
Vollerthun, Georg, 307.
XVI
NAMENREGISTER
Voltaire 25.
de Vo8 149.
Voss, J. H., 124.
de Voss 297.
Vuipius, M., 168.
Wachmann, Ed., 156.
Wackenroder 25.
Wagner, Elsa, 232.
Wagner, Richard, 3 AT (Ein R.-W.-
Denkmal). 22. 26. 43. 44. 80
(Bild vom W.-Denkmal). 51.
61. 62. 6'. 75 ff. 80 (Wohn-
haus in Biebrich, Bild). 83 fr.
106. 110. 112. 116. 128. 164.
187. 203. 204. 206. 217. 220 f
222. 231. 235. 245. 247 f. 256.
274. 281. 283. 284. 286. 298.
299. 300. 304. 310. 323. 339.
341. 343. 346. 347. 358. 366.
372. 377. 385. 390. 391. 393.
397. 408. 409. 413. 418. 430.
431. 436. 447. 451. 452. 453.
455. 457. 458. 460. 462. 472.
473. 477.
Wagner-Festspiele 83 fr.
Wagnerverein, Allgemeiner, 43.
Wagner-Verein, Berliner, 375.
Wagner-Verein (Berlin und
Berlin-Potsdam) 385.
Wagner-Verein (Darmstadt) 231.
Wagner, Siegftried, 281. 294.
397. 463.
de Wailly, Leon, 342.
Waldeck, Rudolflne, 149.
Waldmann, Dr, 171.
Walker, Edith., 231. 234 f. 310.
311. 315. 385.393.395.399.
475.
Walle-Hansen, Dagmar, 313.
Wallaschek, Rieh., 202 f.
WallnOlbr, Adolf, 459.
Walter, Marie, 397.
Walter, Raoul, 478.
Walter (Strassburg) 316.
Walter-Choinanus, Iduna, 227.
309.
Walther, Gust., 229.
Walther, Joh., 165 IT. 170. 172.
175. 266.
Walther, Madeleine, 229.
Wambach, Emile, 478.
Warlamow 57.
Wamay, Rosa, 152.
Wartel 190. 196.
Waschow, Gustav, 298.
Wasielewsky 94. 97.
Webber, A., 316.
Weber, Anselm, 267.
V. Weber, E., 284.
Weber, J. J , 435.
V. Weber, K. M., 22. 128.
195. 224. 227. 233. 267. 306.
310. 329. 368. 389 f. 395. 454.
465. 473.
Weckerlin 377.
Weckmann, Matthias, 147.
Wedekind, Erika, 381. 383. 454.
472.
Wegeier 434.
van de Weghe, Dirx, 149.
Wegmann, M., 467.
Weger, A.. 320.
Weichsel, Oskar, 227.
Weidenbrflck 57.
Weigmann, Fr., 459.
Weil, S., 471.
Weimam, P, 57 f.
Weingarten, Hedwig, 219.
Weingartner, Felix, 43. 77 f. 226.
235. 236f. 311. 315. 330.
374. 375. 376. 378. 384 385.
389. 395. 397. 463. 470. 474.
476. 479. 480.
Weisse, M., 168.
Weisse, Christian, 124.
Weissleder, Franz, 152.
Wekschin 56.
Wend, Otto, 471.
Wendung, Cari, 397.
Wenzel, E. J., 15.
Wermann, Oskar, 134.
Wermez 150.
Wernecke 390.
Werner, Max, 236. 305. 39 1 . 465 f.
V. Werra, Ernst, 129 ff.
Wesendonck 391.
West 280.
Wetzler 475. 476.
Wever, Franziska, 236.
Weweler, August, 456.
Whistling 99.
Whitehill, Clarence, 151. 454.
Whitman, Walt, 52.
Whittier 52.
Wibbels 149.
Wiborg, Elisa, 294.
Wicke, O., 462.
Widmann, K., 470.
Widor, C. M., 438.
Wieck, Friedrich, 15
Wieland 403.
Wienbarg 25.
Wieniawski,H., 2 1 8. 234.3 1 4.466.
Wihan 385.
V. Wildenbruch, Ernst, 234. 248.
Wilder, M., 419.
Wilhelm III. (Holland) 8.
Wilhelm, Kari, 267.
Wilke, Theodor, 383.
Willamow 55. 57.
Wille, Marie, 383.
Winderstein, Hans, 233. 235.
236. 314. 473.
V. Winterfeld, K., 168.
Wirth, Prof., 305.
Wissiak, Wilhelm, 151. 299.
V. Wistinghausen, R., 307.
Witt 166 ff.
Witte 391.
Wittekopf, Rud., 450.
Wittenberg, Alfred, 386.
WitUch, Marie, 295. 381.
Wittkowsky 477.
Wohlgemuth 395.
Wolf, Hugo, 21. 42. 43. 44. 72.
155. 227. 230. 284. 302. 305.
307. 309. 311. 315.393.397.
399. 431. 432. 465. 467. 470.
472. 473. 476. 477.
Wolf-Ferrari 154. 472.
Wolff, Charies, 148.
WolfT, Hermann, 148.
Wolft-am, Carl, 447.
Wolfrum, Kari, 287.
Wolfrum, Philipp, 243 ff (Heidel-
berger Musikfest). 287. 320
(Bild). 479.
Wolkonsky, FQrst, 56.
Wollgandt 393. 395.
V. Wolzogen, Elsa Laura, 472.
V. Wolzogen, Ernst, 447. 472.
V. Wolzogen, Hans, 294.
Wood, Henry, 236.
Woyrsch, Felix, 231. 307.
Wranitzky 282.
Wflilner, F., 390.
Wailner, Ludwig, 235. 305. 310.
393. 397. 454. 467. 468. 470.
Wurm, Mary, 393. 467.
Wurmser, L., 156.
Ysaye, Eugene, 236. 315. 389.
399. 477.
Zacharewitsch, Michael, 307. 387.
Zador, Desider, 76.
V. Zadora 386.
Zajic, Florian, 387. 393. 466.
Zalsman, Gerard, 307.
Zander, A., 465.
Zarest, Julius, 383.
Zarlino, G, 168.
Zawitowski 458.
Zelenski 472.
Zell 280.
Zeller, Karl, 179. 277. 300.
Zelter, K. F., 23. 1 22. 267.339.426.
Zemaneck, W., 316.
Zepler, Bogumil, 280. 320 (Bild).
Ziehrer, C. M., 277.
Zilcher, Hermann, 313. 398. 466.
Zimmer, Margarethe, 306.
Zimmermann, Ludwig, 298
Zitelmann, Valerie, 229.
Zöllner, Auguste, 469.
Zöllner, H., 220. 224. 396.
Zöllner, K., 268.
Zuccalmaglio 122. 124.
Zumpe, Herman, 60 fT. 80 (Bild).
224. 231. 277. 397. 447.
Zumsteeg, R., 122.
V. Zur-MQhlen, Raim., 228. 236.
304. 311.312.395.468.
Zuschneid, Kari, 440.
REGISTER DER BESPROCHENEN BÜCHER UND MUSIKALIEN XVH
REGISTER DER BESPROCHENEN BÜCHER
Orpe, Adolph: Der Rhythmus.
129.
Degner, E. W.: Anleitung und
Beispiele zum Bilden von
Kadenzen und Modulationen.
203.
Fischer, Georg: Hans von BQlow
in Hannover. 2S5.
Haberlandty M.: Hugo Volf,
Erinnerungen und Gedanken.
284.
Hartwich, Otto: Richard Vagner
und das Christentum. 437.
Kalischer, Alfir. Chr.: Die Macht
Beethovens. 284.
Keller, Otto: Illustrierte Ge-
schichte der Musik. 437.
Krause, Emil: Neuer Gradus ad
Pamassum. 436.
Lamprecht, Karl : Deutsche Ge-
schichte. Erster Erglnzungs*
band: Tonkunst etc. 62 ff.
Leighton Cleather, Alice and
Crump, Basil: The Ring of
the Nibelung. 203.
Levy, Gustav: Richard Wagners
Lebensgang in tabellarischer
Darstellung. 284.
Riemann, Hugo: Grosse Kom-
positionslehre. II. Bd. 128.
Ritter, Hermann: Allgem. illu-
strierte Enzyklopidie der
Musikgeschichte. 128.
Tappert, Wilhelm: Richard
Wagner im Spiegel der Kritik.
436 r.
Wallsschek, Richard: Anfingt
der Tonkunst. 202 f.
REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKALIEN
Ashton, Algemon: Sonate in
es-moll fQr Piaooförte. op. 101.
439.
Barclay Squire, W.: Ausgewihlte
Madrigale und mehrstimmige
Gesinge. 438.
Berlioz, Hector: Resurrexit fUr
Chor und Orchester. Klavier-
auszug mit Text von O. Taub-
mann. 376. 377. — Religiöse
Betrachtung. Klavierauszug
mit Text von O. Taubmann.
377. — Heroische Szene.
Klavierauszug mit Text von
O. Taubmann. 377. — Der
fOnfte Mai op. 6. Klavieraus-
zug mit Text von O. Taub-
mann. 377. 378. — Kaiser-
hymne op. 26. Klavierauszug
mit Text von Ph. Scharwenka.
378. — Neue Bearbeitungen
zu zwei und vier Hinden von
O. Taubmann. 378. 370. —
Bearbeitungen fQr Pianoförte
A 2 ms. von Aug Stradal. 370.
Blech, Leo: Zwei Quartette in
oberbayerischer Mundart (fQr
gemischten Chor) op. 8. 286.
Brandts Buys, Jan: Quintett. 132
CoUegium musicum (Hugo Rie-
mann)» 132.
Denkmäler deutscher Tonkunst.
Erste Folge. 10. Band:
Orchesterwerke des 17. Jahr-
hunderts. 120.
v. Dohnanyi, Ernst: Quartett
op. 7. 132.
Draeseke, Felix: Christus. Ein
Mysterium in einem Vorspiel
und drei Oratorien. 203 ff.
Flflgel, Ernst: Drei KlavierstQcke
op. 60. 430.
Franck, Richard: Sonate No. 2
fflr Violoncello und Klavier
op. 36. 135. — Sonate No. 2
fQr Violine und Planoforte op.
35. 287.
Guilmant, Alexandre: Siebente
Sonate fQr Orgel op. 80. 437 f.
Hindel, G. F.: Konzerte fOr
Orgel und Orchester. Heraus-
gegeben von M. Seiffert. 437.
Hausmann, Robert: J. S. Bach.
Drei Sonaten fQr Violoncello
und Pianoforte. 287.
Heinemann, W.: Klavierstflcke
zu 4 Hinden. — 6 Klavier-
stflcke op. 2. — Sechs Lieder
op. 6. — Sechs Kinderlieder
op. 7. — Sechs Kinderlieder
op. 8. — Kinderlieder op. 0-
— 4 Gesinge op. 12. 134.
Henschel, Georg: Requiem, op.
50. 64.
Hollinder, Alexis: Sechs Charak-
terstücke fflr Violine und
Violoncello mit Klavierbe-
gleitung. 287.
Jaques • Dalcroze, E. : Trois
morceaux pourVioloncelle avec
accompagnement du piano,
op. 48. 287.
JImefelt , Armas : Korsholm,
symphonische Dichtung. 63 ff.
Kessel, Franz: Kain. Phan-
- tastische Tondichtung fflr
grosses Orchester. 440.
Kienzl, Wilhelm : Drei Gesinge
op. 66. 135.
Kiengel, Julius: Konzert No. 4.
Kadenz und Schluss zum
Violoncellkonzert op. 33 von
R Volkmann. — Technische
Studien. — Suite No. 2 op.
40. 135.
Koch, Friedr. E : Halleluja! Fest-
kanute op. 27. 286.
Koessler, Hans: Der 46. Psalm
133. — Kol Nidre fflr Solo-
stimme und gem. Chor. 286.
— Altdeutsehe Minnelieder.
438.
Liszt, Franz: Eine Symphonie zu
Dantes Divina Commedla.
Arrangiert von August Stradal.
430.
Loewe, Karl: Balladen und Lieder.
Fflr Pianoforte flbertragen von
Karl Reinecke. 430.
Neff, Fritz: Schmid Schmerz.
Fflr gemischten Chor und
Orchester op. 6. 440.
Reger, Max: Monologe, op. 63.
— ZwOlf Stflcke; op. 65. —
Zweiundfflnfzig Vorspiele, op.
67. — Zehn Stflcke. op. 60.
131 f.
Reiter, Josef: Des Singers Fluch.
— Frau Hitt. 134. — Klavier-
gedichte, op. 57. 439.
Rheinberger, Josef: Zwei Lieder.
438.
Röntgen, Julius: Sonate fflr
Violoncello und Klavier op. 4 1 .
135.
Salter, Norbert: Orchesterstudien
fflr Violoncello. 206.
Sauret, E.: Gradus ad pamassum
du Violoniste. 286.
Scholz, Bernhard: Deutsches
Flottenlied op. 86. 133.
Schuchardt, Friedrich : Petrus
Forsche^rund. Oratorium. 285«
Schulz - Beuthen, Heinrich:
Harald. Ballade fflr Mlnner-
chor, Baritonsolo, grosses
Orchester und Klavier op. 46.
440.
Schumann, Georg: Drei geist-
liche Gesinge fflr gemischten
Chor op. 31. 430.
Sinigaglia, Leone: Konzeh fflr
Violine u. Orchester op. 20. 1 33.
Sflchting, Emil: Weihnachtslied
op. 31. 134.
XVlll REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAU FSÄTZE
Taubert, E. E : Vier Lieder^op.
62. — Vier Lieder op. 64.
134.
Thuilley Ludwig: Traumsommer-
nachtop. 25. 133. — Sonate
Ar Violoncello und Klavier
op. 22. 135. — Drei Lieder
op. 24. 440. — Traumsommer-
nacht. Fflr vieratimniigen
Frauenchor, Solovioline und
Harfe op. 25. 440.
Wermann, Oskar: Neun Gesinge
op. 125. 134.
Woirkiim, Karl: Sonate fflr Orgel
op. 4. — Sonate fflr Orgel
op. 15. 287.
Zuachneid, Karl: Melodische-
Studien fflr Klavier op. 60.
440.
Zweig, Otto: Suite In E fflr
Pianoförte op. 6. 439.
REGISTER DER BESPROCHENEN ZEITSCHRIFTEN-
UND ZEITUNGSAUFSÄTZE
Adam, Adolphe: Lettres sur la
musique frangaise 444.
Adler, Felix : Herman Zumpe f
207.
Baltzeli,W.J.: Theyoungwoman
In music her opportunities 208.
Batfca, Richard: Gerhard Schfel-
demp, der Musikdramatiker
Norwegens 136.
— Wunderhomkllnge 200.
Battke, Max: Jugend-Konzerte
130.
Baur: Zumpes Sawitri 200.
Bellaigue, Camille: Der Esprit
in der Musik 137.
Berdenis v. Berlekom, Marie:
Seleneia 67.
Blaschke, Julius: Ein Dutzend
Tonmeister im Lichte Grill-
parzers 280.
Bouyer, Raymond : Schumann
et la musique A Programme 200.
— Berlioz |ug6 par Wagner 200.
Boutarel, A.: Werther 200.
Brandes, Fred: Dr. August
Friedrich Manns 136.
Braungart, Richard : Herman
Zumpe t 138.
Cametti, Alberto: Un nuovo
documento suUe origini dl
Giovanno Pierluigi dePalestri-
na 441.
Conrat, Hugo: Kunst und Ge-
schäft 207. 288. 442.
Deutsches Volksblatt (Wien):
Vom Komponisten desPostillon
von Lonjumeau 66.
— Beethoven und seine Arzte
207.
Deutsche Wacht: Zur Parsifkl-
. Aufrohrung in Amerika 130.
Diemberger, J.: Eine Erinnerung
an Beethoven 137.
Dom, Otto: Zwei ungedruckte
Briefe Richard Wagners 442.
Dubitzky, Franz: Kein Loblied
207.
— Musterprogramme und Muster-
aufrohrungen unserer Militir-
kapellen 280.
Eitner, Robert: Musik in Hanno-
ver 280.
Eisner, Oscar: Musikalische Er-
innerungen 65.
Enders: Der Choralstrelt 441.
L*Etoile Beige : ZurVorgeschichte
der Familie Beethovens 207.
Evans, Edwin: The other side
of music study at Paris 137.
F.W.: Musikalische Erinnerungen
67.
Fliegende Blätter für Katholische
Kirchenmusik: Papst Plus X.
200.
Friedrichs, Elsbeth: Der Jto-
thetische Wert der Elementar^
grossen in der Musik 138.
Gigault, Nicolas: Un organiste
au 17. sitele (von Andr6 Pirro)
200.
Gilman, Lawrence: Richard
Strauss, Tschaikowsky and
the idea of death 137.
Goetschius, Percy: Lessons in
music form 208.
Grassi-Landi, B.: Genesi della
musica 441.
Grunsky, Kari: Hugo Wolf als
Lyriker 136.
Hahn, Arthur: Mflnchener
Wagner-Festspiele 280.
— Herman Zumpe f; Zumpe
in Manchen 200.
Hamann, Ernst: August Klug-
hardt 65.
dMndy, Vincent: C«sar Franck
200.
Istel, Edgar: Goethe und J. F.
Reichardt 137.
Jansen, F. Gustav: Ungedruckte
Briefe von Robert Schumann
442.
Johannes, Eugen: DieMOnchener
Wagnerfestspiele 444.
Joss, Viktor: Die Malfestspiele
in Prag 280.
— Prager Unterrichtswesen 280.
Kalischer, A. Chr. : Ungedruckte
Briefe Beethovens an die Fa«
milie Brentano und an andere
66.
Kerst; Maurice-L6on: L'teole de
la musique et la musique
i l'teole 67.
Kessler, Adolf: Eduard MOrike
136.
Kistler, Cyrill: Die Missa Salvr
Regina von Stehle 65.
— Kommentar und Fflhrer zur
Neubearbeitung der Beethoven-
sehen Symphonie «Wellingtons'
Sieg' 66.
— Kritik und KOnstlerruhm 208.
Klein, Hugo: Hugo Wolf als-
Kritiker 136.
— Die Beethovenhiuser In Wien
200.
Kling, H.: Grillparzer et Bee-
thoven 441.
Kohut, Adolph: Ein Doppel-
ginger Otto Nicolais 280.
— Wilhelm Berger 280.
KOnig, Albert: Forsten als-
KQnstier 208.
KOstlin, O.: Jahresbericht 137.
KumpfmQIIer, J.: Katholischer
Kirchenmusik 441.
Laloy, Louis: Ambroise Thomas
200.
Lessmann, Otto: Wagner-Fest-
spiele 137.
— Herman Zumpe f 207.
— Die Wagner-Festspiele Im
Prinz-Regententheater zu Mün-
chen 288.
Lorenz, M. : Henry Puroell, der
englische Orpheus 280.
V. Lflpke, G.: Hugo Wolfs-
MOrike-Lieder 136.
Lusztig: Moderne Opemstoflfe 66
LOstner, Karl: Totenliste deS'
Jahres 1002, die Musik betr.
280.
Marsop, Paul: Mflnchener Fest-
aufröhrungen 140.
Mauclair, Camille: Richard
Strauss und die Musik seit
Wagner 136.
Mello, Alfred: Franz Schuberts
Klaviersonaten 280.
Merkel, Paul: Das moderne
Orchester 442.
Mey, Kurt: Zum Gedächtnis
Friedrich Wiecks 200.
Molitor, Rafiel: Josef von Rhein-
berger 444.
REGISTER DER ANGEZEIGTEN NEUEN OPERN
XIX
Müller, Hermann: Zur Ge-
schichte des deutschenKirchen*
gesanges 207.
Musica Sacra: Wer stehet, der
sehe zu, dass er nicht falle 441 .
Muslol, Robert: Eine neue Kom-
position zu Schillers Braut
von Messina 444.
Nagel, Wilibald: Goethe und
Mozart 209.
Neruda, Edwin: Das Pyrmonter
Schubert-Llszt-Fest 289.
Oppenheim, Adolf: Frau Cosima
Wagner als Regisseurin 208.
Ott, Karl: Der Entwicklungs-
gang der mittelalterlichen
Choralmelodie 444.
Pascal, Jean: Le nouveau pape
et le chant gr^gorien 67.
Patrizi, M. L.: La nuova flsio-
iogia della emozione musicale
441.
Popper, Josef: Einige Gedanken
Aber Kant, Goethe und Richard
Wagner 67.
V. Prochäzka, Rudolf: Der Leip-
ziger Riedel -Verein in Prag
289.
Prod'homme, J. G.: Briefe von
Minna Planer 140.
Prout, E.: Grauns Passion-
Music 139.
Pudor, Heinrich: Die Entstehung
der Kammermusik 209.
Puttmann, Max: Johann
Christoph Bach 138.
— Johann Pachelbel 289.
Rabich, Ernst: Heinrich von
Herzogenberg 137.
Reimann, Heinrich : Orgel-
Zwischenspiele beim Choral-
gesang der Gemeinde 441.
Richard, August: Erinnerungen
an H. Zumpe 290.
Robinson, Frances J.: Artistic
Performance 208.
Rosegger, Peter: Von der Ver-
nachllssigung unseres alten
Volksliedes 290.
Runge, Paul: Der Minnesang
und sein Vortrag 289.
Rutz, Ottmar: Die Rutzschen
Tonstudien und die Reform
des Kunstgesangs 289.
Schmidkunz, Hans: Musik-
schulen 138.
— Der Unterricht in der Musik
442.
Schmidt, Kari Wilh.: Goethe
und Beethoven 66.
Schmitz, Eugen: Giurrentabula-
turen 289.
Schflz, A.: Wer ist der KOnstier?
290.
Segnitz, Eugen: Johann Gottfried
Schicht 442.
Seidl, Arthur Meine Erinnerungen
an Heinrich Porges 137.
— Die Münchner Wagner-Auf-
fQhrungen 140.
— Die Münchner Wagner-Auf-
führungen 209.
— Ketzer-Betrachtungen 209.
— Ein Tonkflnstlerfest 443.
— Vita nuova 444.
Smolian, Arthur: Parsifal in
New York 140.
— Herman Zumpe f 209.
Solerti, Angelo: PrecedenH del
melodramma 441.
Spanuth, August: Moderne
Programm-Musik und Richard
Strauss 288.
Spencer, Vemon: Die Klavier-
bearbeitun^nLiaztscherLieder
von August Stradal 289.
Stellmacher, KIte: Vor Klingers
Beethoven 289.
Sundard: Till Eulenspiegel (R.
Strauss) 139.
Storck, Karl: Musik und Drama
208.
— Die Musik und die christliche
Kirche 443.
— Allerlei Musikfeste 443.
-— Hausmusik 443.
-- Wie ist Richard Wagner vom
deutschen Volke zu feiern?
443.
— E. T. A. HofTknann als Musik-
schrifteteller 443.
Stumm, H.: Die Wagner-Pest-
spiele im Mflnchner Prinz^
regententheater 288.
Tägliche Rundschau: Neue Bei-
trige zur Parsifelfrage 139.
Teibler, Hermann: Herman
Zumpe t 209.
— Herman Zumpe f 442.
— Die MOnchener Wagner-Fest-
spiele 442.
Tommasini, Vincenzo: Di uns
Vera cultura musicale Italiana
441.
Tower, John: Singing soldier»
208.
Valetta, J.: I muslclsti compo-
sitori francesi airacademia di
Francia a Roma 441.
Wallberg, Max: Herman Zumpe t
444.
Weimar,G.: Ein geistiicfaer.Ring*
288.
Weingartner, Felix: Die Cente-
narfeier fOr Hector Berlioz in
Grenoble 138.
Wirth, Moriz: Ernst von Possart
und die Matthiuspassion 442.
Wolir, Karl: Arno Kleffel 200.
Zakone, Constant: J. Ph. Ramemi
290.
REGISTER DER ANGEZEIGTEN NEUEN OPERN
Blockx: De Kapel 141.
Burkhardt, Max: König Drossel-
bart 08.
Caryell, Ivan: Die Herzogin von
Danzig 08.
Catölla, Roberto: Der Glocken-
guss von Groningen 445.
Debussy, Claude: Der Teufel in
der Turmuhr 445.
Dluffski, C: Die Frau mit dem
Dolche 141.
Erlanger, Camille: Aphrodite 141.
Baron Erlanger, Ludwig: Ritter
Olaf 291.
Fiks, Alexander: Totentanz 291.
Gerlach, Th.: Liebeswogen 141.
Gilson, Paul: Princes Zonnen-
schijn 141.
Kreglingen : Der Christbaum 29 1 .
Lazarus, Gusuv: Tftte-d'or 68.
Mönch: Das Paternoster 68.
Neitzel, Otto: Barbarina 141.
PaCr, Ferdinand: Der Herr
Kapellmeister 141.
Podbertsky, Theodor: Des Liedes
Ende 141.
Pottgiesser, Kari: Die Heimkehrl
291.
Samara, Spiro: Storia d'amore
141.
Sayn-Wittgenstein, Graf: An-
tonius und Kleopatra 291.
Schattmann, Alfred: Die Freier
210.
Schroter, Oscar: Jodocus der
Narr 68.
Schuchardt, Fr.: Die Berg-
mannsbraut 210.
Stelzner, Alfred: Swatowits Ende
445.
Vogrich, Max: Der Buddha 141.
Zumpe, Herman: Savitri 68. 291,
Ftlr den I. Quarulsbind des
Ill.Jtbrgaagt der .MUSIK*
ÄAI-scitPk
Rudolf H. Breithaupt
Ein Rlcbird Wigner-DenkniKl.
E. van der Straeten
Mendelssohns and Schumuins Beziehungen zu
J. H. LBbeck and Johann J. H. Verhulst. I.
Dr. Max Graf
Gedanken Über das Moderne In der Musik.
Hans von Müller
Zwei unvollendete Sinjcspiele von E. T. A. Hoffmann.
Paul Harsop
Vom allgemeinen deutschen Masikvereln: Ortsgruppen.
O. G. Sonneck
Hie nationale Tonsprache — hie Volapük.
Dr. Gustav Karpeles
Heine in Russland.
Hermann Teibler
Hennan Zumpe f.
Besprechungen (Bücher nod Musikalien), Revue der
Revueen, Umschau, Vorlesungen Qber Musik an
UnlversitXten und Hochschulen, Kritik
(Oper und Konzert), Eingelaufene Neuheiten,
Anmerkungen, Kunstbeilagen,
Musikbellage, Anzeigen.
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DIE MUSIK CTVChdiii nonullcli ml Md. AbaDMmcDM- |
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Jiilir(ui( 15 Mirk. Pnsti dn elnuliiBii Hiftei 1 Mark.
VicmltihnelBtiand decken \ I Mark. SunmelkutBa lOr dit
XuniibelUceB du IUI« lihnun ZJOMirk. AbonBecifiiii
durch jede Bach- und MBilkalliuihudlDni, Kr kUlae Plloe
ebu BuetUDdler Ban( aordi die EVxi: Mo. SOb»
EIN RICHARD WAGNER-DENKMAL
I^Von Rudolf M. Breitbaupt-Berlin
e Geschichte des ersten Richard Wsgner-Denkmals ist lehrreich,
— eine Lehre für uns als Volk. Sie hat die Frage beantwortet,
[ wie Denkmäler entstehen und werden, an denen die Gesamtheit
I sIs solche keinen inneren Anteil hat. Die Leichnersche Kom-
position war im ganzen zu künstlich, die Dissonanzen im einzelnen zu
grell, die Instrumentation zu überladen, als dass eine harmonische Wirkung
aller Kräfte hätte erreicht werden können. Dabei war die Inszenierung
so grotesk, die Absicht so kleinlich und voll menschlicher Schwächen, dass
man mit Lächeln über die , Berliner Posse" hinweggegangen wäre, wenn
die Ehrung nicht gerade Richard Vagner betroffen hätte. Statt . faden
Witz und seichten Spott ins Gefecht zu führen, war es jedenfalls an-
gemessener, mit grSsstem Ernst und ruhiger Würde zu handeln. Vor-
nehmes Schweigen und weises Lächeln waren ebensowenig am Platze,
Dazu feblte der Komödie der Witz und der Narretei eines Einzelnen die
Spasshaftigkeit. Die leitenden Kreise, besonders das preussische Kultus-
ministerium mussten mit Nachdruck dafür sorgen, dass die Grenze sach-
lichen Ernstes innegehalten wurde. Die stumme Reaktion einiger Wenigen,
wenn auch der besten, der vertrautesten Freunde des Meisters, der Protest
der Familie Wagner und aller einsichtigen Künstler von Geschmack kam
zu spät und war zu schwach. Das bat uns aufrichtig leid getan. Möglich,
dass in letzter Minute noch eine erfreuliche Wendung eintritt, und der
deutsche Kaiser gemeinsam mit der Familie Wagner vor den Stufen des
Denkmals zusammentrifft: das Spiel bleibt verloren.
Andererseits war der Denkmalswitz des vielen Geschreis nicht
wert; denn das Recht der Öffentlichen Lächerlichkeil steht einem Jeden zu.
Gewiss, die Lebenstragödie Richard Wagners, die die erschütterndsten Akzente
aufweist, der Titanenkampf einer Kunst, die nur auf das Hoheitsvolle und
Erhabene gestellt ist, hätte zu einer gewissen schuldigen Achtung zwingen
müssen. Aber ich meine, das Berliner Denkmal bat mit Richard Wagner
überhaupt nichts zu tun. Es ist ein äusserliches, fremdes Ding, ein Denk-
mal, wie so viele andere, an denen man .vorübergeht". Vielleicht bedeutet es
DIE MUSIK III. 1.
Sl
9m
die Einleitung zu einem grossen Denkmalsfinale, das heisst, der Ära der
offiziellen Denkmalsschenkungen wird vielleicht eine Ära privater Denk-
malsstiftungen folgen. Weiter will es nichts besagen. Das Volk mag sich
mit ihm abfinden. Eine jede Zeit verdient just das, was man ihr bietet.
Die Moral ist die: Man soll nie aus einer res curiosa eine res severa
machen, und nie einem Grossen, sei er Künstler oder Volksheld, zur
unrechten Zeit und am unrechten Ort ein Denkmal setzen.
Im einzelnen war es von vomherein'verfehlr, der Feier einen inter-
nationalen Charakter zu geben, und sogar mit einem Musik-Kongress
und anderen mit der Wagnerschen Kunst unvereinbaren Dingen zu ver-
quicken^ Die beabsichtigte Ehrung Wagners scheiterte an ihrer Veräusser-
lichung. Statt sie zu verinnerlichen, und- sie im Geiste des grossen
Tondichters selbst zu gestalten, legte man sie auf ein dekoratives Programm
fest mit offiziellen Empßngen, Reden, Festessen u. dergl. m. Das ging
nicht an. Der Geist des Gesamtkunstwerks selbst verbietet solche Stil-
und Geschmacklosigkeiten.
Jedoch, diese undeutsche Enthüllungsfeierlichkeit und Denkmals-
entweihung hat einen ernsten Hintergrund; denn die, die den Meister und
seine Kunst ehrlich lieben, ohne von ihrer Neigung gross Aufhebens zu
machen, bewegt ein Anderes, ein Grösseres. Die Frage der Ehrung
und Würdigung Richard Wagners tritt zurück vor der Sorge um
die Zukunft Bayreuths. Die Parsifalenqu6te eines gewissenlosen
amerikanischen Spekulantentums, die beginnende Baufälligkeit des Festspiel-
hauses in Bayreuth, der nahe Ablauf der Schutzfrist, all das gibt Stoff
genug, ein einfach Gemüt zu bewegen. »There are more things between
heaven and earth ..."
Die Sicherung und Erhaltung Bayreuths will wohl erwogen sein;
denn diese Kunst lässt sich weder kommandieren noch mit Bachus oder
im Hurrahurraton feiern, — sie will vom Geist der Liebe allein getragen
werden. Ein fester Zusammenschluss aller Wahrhaften und Besonnenen,
aller künstlerisch Gebildeten und Empfindenden tut da not. Zehn Jahre
sind im Schwung der Zeit wie zehn Tropfen im Meere! Es heisst also
schon heute Vorsorge treffen, dass der Tempel auf dem Festspielhügel an
dem Tage, da sein Schöpfer vor 30 Jahren die Augen schloss, oder besser
noch an dem Tage, da er vor 100 Jahren in diese Welt trat, fester gefügt
dastehe.
Die Verlängerung der Schutzfrist, die »lex Cosima", ist nicht vonnöten.
Auch den .Parsifal*^ zum Imponderabile zu stempeln, und durch Reservat-
*) Inzwischen ist es den künstlerischen Gegenströmungen gegen die Form der
Denkmalsentbfillung geglückt, den »Kongress* zu vertagen.
5
BREITHAUPT: EIN RICHARD WAGNER-DENKMAL
rechte zu schützen, hat gemeinhin keinen Anklang gefunden. Alle Ein-
sichtigen stimmen darin überein, dass der ParsiFalflut nach der Freigabe
des Werkes eine Ebbe herbster Enttäuschung folgen wird. Klingt .Provinz
und Parsifal" schon paradox, so wird die Wirkung dieses Bübnenweihe-
Festspieles, als der reinsten Verkörperung des Wagnerischen Kunstideals,
überall ausserhalb Bayreuths keine andere als eine »langweilige*
sein. Es passt in den Rahmen eines Repertoires mit »Martha**, »Mignon",
»Cavalleria rusticana** usw. wie eine praeraphaelitische Madonna in ein gut
bürgerliches Wohnzimmer. Die Furcht einer Parsifal- Verschleuderung oder
-Entwertung fällt in dem Augenblick, wo man sich die Ungeheuerlichkeit
und Unmöglichkeit provinzieller Bearbeitung vor Augen hält. Das sagt
uns die einfache Vernunft; davon, glaube ich, ist auch heute Bayreuth und
seine ehrwürdige Leiterin überzeugt. Mag Herr Conried die zweifelhafte
Ehre eines Rechtsbruches geniessen, — der »Parsifal** wird sich selbst
»drüben** nicht als »great attraction** profanieren lassen.
Eines Ausnahmegesetzes bedarf es also nicht: Dem Werke selbst
wohnt das Gesetz der Ausnahme inne. Es ist wohlweislich und in
der sicheren Voraussicht der ablaufenden Schutzfrist für Bayreuth allein
von Wagner gedacht und geschrieben, als ein Werk, das im Geiste heiliger
Weihe wurzelnd, in sich selbst den Schutz gegen jede Entheiligung birgt.
Diese Sphärenklänge können irdische Reflexe nicht ablenken. Sie werden
zurückschweben nach »Walhall** und heimkehren an den Herd des ewigen
Feuers, an die Stätte heiligen Friedens und reinen Glaubens.
Eines Anderen bedarf es: Die Denkmalsstunde sei die Stunde der
Wiedergeburt des einstigen Bayreuther Geistes, der alten flammenden Be-
geisterung und Liebe zu der Zeit, als die ersten Hammerschläge der
Gründung erklangen. Wir wollen uns aufs neue einen und wie in den
Tagen der aufgehenden Sonne mit dem Herzen seiner gedenken. Der
Geist des Kunstwerkes sei der Geist der zukünftigen Bewegung.
Der Möglichkeiten, Bayreuth zu schützen und zu schirmen, sind
unzählige, — die einfachste Lösung aber die schwierigste. Die Unwahr-
scheinlichkeit einer Unterstützung von Reichs wegen ist sehr wahrscheinlich.
Die Volks Vertretung bewegt sich im ewigen Eiertanz kleinlicher Parteiinteressen.
Von ihr ist wenig zu erhoffen; denn es fehlt der Blick für das Allgemeine,
das Grosse und Völkische. Dem Gedanken, dass, wie das politische Be-
wusstsein eines Volkes zur Erhaltung des Reiches zwingt, so sein künst-
lerisches Bewusstsein zur Erhaltung und Förderung seiner höchsten Kunst-
schöpfungen zwingen muss, — mangelt zur Zeit noch die politische Reife
und Freiheit. »Die Griechen haben den Traum dieses Lebens am schönsten
geträumt.** Näher liegt die Möglichkeit, dass die Masse selbst ähnlich wie
zur Zeit der grossen Bismarckehrung, der Sammlungen für das Völker-
6
DIE MUSIK III. 1.
schlachtdenkmal, die deutsche Flotte usw. die Bayreuther Sache zur ihrigen,
und damit zu einer deutschen, mache. Jedoch auch dieser Wunsch wird
bestenfalls ein Traum bleiben. Der Geist der Einzelnen, der Getreuen
und Freunde ist derselbe geblieben, aber der Geist der Zeit ist ein anderer
geworden. Das moderne Theater ist ein Gesellschaftstheater, kein Volks-
theater, der moderne Wagnerkult ein Gesellschaftsbedfirfnis, kein esoterisches
Verlangen, kein inbrunstiges Sehnen, kein Erfassen des tiefsten Kerns.
Wo echte Liebe und Begeisterung fehlt, fehlt auch die Opferwilligkeit.
Und doch, trotz sozialer Wirren, trotz Reichstag und Reich, Hofkunst und
Mäcenatentums, — ein grosser alles umspannender Wagnerbund wäre
wohl möglich. Der Wahn des grossen Toten vom .Tempel für jeder-
mann*^ bleibt immer und ewig ein Wahn. Aber auf der Grundlage
eines Massenbundes Bayreuth zu erhalten, als eine Stätte innerer
Sammlung, tiefster Kunstbetrachtung und Kunsterlösung, würde
leichter zu verwirklichen sein. Der Wille derer, so noch reinen
Herzens sind und glauben, ist entscheidend. Das Verlangen, fem vom
Beruf, von bürgerlichen Geschäften und alltäglichen Sorgen sich innerlich
zu fassen, sich zu vertiefen und Geist zu werden, ist in uns allen lebendig,
die wir nicht hören, sondern lauschen, die wir nicht sehen, sondern
schauen, die wir nicht gemessen, sondern erleben wollen. Im Gefühl, dass
wir nichts sind, und doch im Gefühl, dass Menschen wir sind, wollen wir
einer inneren Auferstehung durch die Kunst teilhaftig werden.
So, unter der Annahme eines geistig-künstlerischen Mittelpunkts,
wäre für Bayreuth die Richtung gegeben, die alle ernsten Bestrebungen im
Sinne Wagners selber zu nehmen hätten. Wir Alle, die wir deutsch fühlen,
d. h. etwas um der Sache willen zu tun vermögen, stehen vor einer ein-
fachen aber herrlichen Aufgabe. Vielen sogar, die letzthin des eigentlichen
Lebenswertes entbehrten, erwachsen neue und dankbare Zwecke. Ich meine
die akademischen und städtischen Wagnervereine, und was mit ihnen
zusammenhängt. Die unabweisbare Pflicht der aktiven Betätigung zu einem
alles umspannenden Wagnerbund und zu einem grossen nationalen Fond
hätten auch die, die von Bayreuth leben: die deutschen Bühnen. Auch
alle musikalischen Verbände, Orchestervereinigungen, Gesang-
vereine u. dgl., die deutschen Tonkünstler, und die Genossenschaft
des .Allgemeinen deutschen Musikvereins* sollten die Ehrenschuld
auf sich nehmen. Der Wohltätigkeit mit ihren so oft unnützen Festlich-
keiten und unwürdigen Zielen eröffnete sich ein reiches Feld der Betätigung.
Jede Sammlung von Kunstfreunden, von Schulen und Privaten, jede Stiftung
und Schenkung usw. brächte uns dem Ziele näher: „Bayreuth nicht nur
zu erhalten, sondern auch der Allgemeinheit gegen ein geringeres
Entgelt alljährlich und regelmässig zugänglich zu machen." Mit
BREITHAUPT: EIN RICHARD TAGNER-DENKMAL
^
Denkmälern ist's nur za oft wie mit Festgeschenken, — min entledigt sich
einer Verpflichtung, — man schenkt um des Geschenkes, selten um der
Liebe willen. Ein wahres Denkmil liegt in der Pflege des Geistes unserer
Grossen. Monumente fSrdem und nützen herzlich wenig. Ob In Btyreuth,
in Leipzig oder in der NShe der Wartburg und des HSrselberges, muss
es denn ein Süsseres, sichtbares Denkmal sein? Sind die .Nobelstiftung*
und die vielen hunderte von wissenschaftlichen und künstlerischen Stir-
tungen nicht tausendmal wertvoller? I Wahrlich, es wXre besser, wir täten
etwas um der Sache willen, wir sorgten Für stilgemässe gute Wagnei^AuF-
führungen, an denen auch eine grössere und breitere Masse Teil hat.
Sei darum der Denkmalstag der Tag eines neuen geistigen Bundes,
der neben der allgemeinen Pflege des .Gesamtkunstwerkes* die be-
sondere Pflege Bayreuths sich angelegen sein lässt. Aus einer Familien-
tradition werde eine Volkstradition. Mag inzwischen noch manch Stein
behauen, mag noch manch Denkmal in totem Marmor oder prunkender
Bronze erstehen: das einzige wahre Denkmal, das unser Volk vollen-
den kann, und das dem Geiste der Sache entspricht, ist und bleibt
Bayreuth. Den provisorischen Bau zu stützen, und einen neuen Tempel
au^uführen, der als ein Wahrzeichen unserer geistigen Macht und als ein
Sinnbild unserer inneren Einheit und Freiheit durch die Jahrhunderte
dauert, sei unsere heiligste Pflichtl Dort, in einer architektonisch-grandiosen
Vorhalle, die das Wesen des .Gesamtknnstwerks' zum Ausdruck brächte,
mag dann auch in einer Mittelnische neben Bacb und Beethoven, neben
Gluck und Weber sein Monument von einem «Künstler* von der Kraft
eines Klinger seinen Platz haben.
Bayreuth werde Eigentum des deutschen Volkes und ein
Heiligtum der deutschen KunstI
MENDELSSOHNS
UND SCHUMANNS BEZIEHUNGEN
ZU J. H. LÜBECK UND
JOHANN J. H. VERHULST
AUS MEIST UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEKEN
Erläutert von E. van der Siraeien-
London
Bor einiger Zeit übergab mir der verdienstvolle Musikscbrifisteller
I Herr J. S. Sbedlocli in London eine Anzahl bisher unveroffent-
' lichter Briefe von Mendelssohn und Schumann nebst wertvollen
: eigenen Notizen mit dem Ersuchen, sie in geeigneter Weise
dem grösseren Publikum zugänglich zu machen. Mit um so grösserer
Freude entledige ich mich dieses Auftrages, als das Verhältnis zwischen
den genannten Künstlern in keiner der bekannten Btograpbieen ganz klar-
gestellt worden ist, and weil diese Briefe der beiden grossen Meister uns
ihre Charakiereigentümlichkeiten so recht lebhaft vor Augen führen.
In Mendelssohn wiegt das wohlwollende, stets besonnene, stets er-
wägende Element vor; in Schumann finden wir in erster Linie den stürmisch
leidenschaftlichen, rückhaltlos sich hingebenden Freund und Menschen.
Verhulsts Briefe fehlen leider, doch geht aus Schumanns Schriften (Bd. 11)
deutlich hervor, dass auch Verfaulst ein tief und lebhaft empfindendes
Gemüt besass.
J. H. Lübeck erscheint in diesen Briefen meist als der Vermittler.
Im Jahre 1827 wurde er als Direktor der neubegründeten Musikschule im
Haag angestellt, die unter seiner Leitung zu einem hervorragenden
KuDstinstitut heranwuchs, was ihm die Freundschaft und Hochachtung
Mendelssohns und Schumanns erwarb. Johann J. H. Verhulst war einer
der ersten Schüler der erwähnten Schule, und seine bedeutende musi-
kalische Begabung erweckte in Lübeck den Wunsch, seinen künstlerischen
Bestrebungen in jeder Weise förderlich zu sein. Er hatte ihm vom König
ein Stipendium von 1000 Gulden erwirkt, damit er imstande sei, im Aus-
lande seine Studien zu vervollkommnen.
Es herrschten damals am holländischen Hofe wie in den massgeben-
den gesellschaftlichen Kreisen jenes Landes starke Sympathieen für fran-
zösische Oberflächlichkeit und Eleganz, besonders in der Musik.*) Diesem
*) Diese Vorliebe wir zumal bei Wilhelm 111. so stark ausgcprigt, dias er
einem seiner Pensionire, der jetzt eine hocbangesehene Stellung in DcutscbUod be-
kleidet, jede Uniersiüiiung eniiog, weil er die deutschen Meister über die französischen
stellte.
9
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
Umstand ist es auch wohl zuzuschreiben, dass in dem jungen Verhulst
der Wunsch sich regte, in Paris seine Studien fortzusetzen.
Der ernste Lübeck widersetzte sich diesem Vorhaben und verweigerte
ihm jede Unterstützung, falls er darauf bestehe. Verhulst, der im Sommer
1837 in Köln unter Joseph Klein (dem Bruder Bernhard Kleins) studiert
hatte, beschloss trotzdem in jugendlichem Übermut fast mittellos nach
Paris zu gehen. Weniger als vier Wochen genügten jedoch, um den von
Natur ernsthaft beanlagten jungen Künstler zu überzeugen, dass diese
Schule ihm keine Befriedigung gewähren könne. Er wandte sich nun an
Lübeck mit der Bitte, ihn an Mendelssohn zu empfehlen. Diese Bitte
wurde bereitwilligst erfüllt, wie aus folgendem Brief ersichtlich, der hier
mit Bewilligung der noch lebenden Tochter Mendelssohns (in deren Besitz
sich das Original befindet) der ÖflPentlichkeit übergeben wird:
Hage, 22. XU. 37.
Hochverehrter Herr Musikdirektor!
Sie werden sich gewiss gewundert haben, dass ich Ihren so freundlichen Brief
vom 3. April aus Leipzig datiert unbeantwortet gelassen. Die Hauptursache ist wohl
die Unbestimmtheit des jungen Mannes, welcher Ihnen jetzt diese Zeilen überreichen
wird, andernfalls wollte ich Sie auch nicht unnötig mit Schreiben belästigen.
Verhulst wollte erst zu Ihnen, dann wieder nach Paris. Seine Vorliebe für
Paris ging so weit, dass er ohne Unterstützung (die wir ihm für dort weigern, aber
für Deutschland, namentlich zu Ihnen zugestehen) es wagte hinzugehen. Jetzt ist er
seit vier Wochen in Paris, findet dort keine Befriedigung und verlangt wieder zu
Ihnen. Er bittet gelegentlich um einen Brief an Sie, den ich ihm gern gebe, denn
ich wünsche nichts lieber, als dass er in Ihrer Nähe sein Talent weher ausbildet.
Diese Andeutungen werden hinreichend sein, mein Stillschweigen bei Ihnen zu recht-
fertigen, sowie auch, dass ich nicht vorher anfrage, ob Verhulst zu Ihnen kommen
darf, wodurch ja zuviel Zeit verloren wurde. Nehmen Sie sich jetzt seiner an, ich
hoffe, dass er Ihnen gefillt und folgsam sein wird. Er hat während der Sommer-
monate bei Jos. Klein in Cöln noch gearbeitet, finden Sie nun, dass ihm noch irgend
ein Unterricht nöthig ist, den Sie nicht selbst übernehmen wollen, so rathen Sie ihm
wohl, zu wem er in Leipzig gehen soll, die Hauptsache ist aber immer Sie selbst —
Ihren Rath — damit er eine gute Richtung bekommt Seine Hochachtung für Ihr
Talent ist gross, ich theile mit ihml Seine Mittel sind nicht bedeutend, er muss sich
einschränken. Könnten Sie auch in dieser Beziehung ihm rathen? Ich bin wohl un-
bescheiden, dieses von Ihnen zu verlangen, nehmen Sie mir's nicht übel, ich nehme
grosses Interesse an dem jungen Mann. Erlaubt es Ihnen Ihre Zeit, so würde mir
eine kurze Anzeige, nachdem Sie ihn gegrüsst, angenehm sein.
Wir sind hier in musikalischer Beziiehung recht thätig. Ihr Paulus wird hier,
in Amsterdam, Rotterdam und Utrecht fleissig geübt und wir hoffen, denselben im
Lauf des Winters noch zu geben. Ein herrliches Werk, das uns allen viel Freude
macht. Entschuldigen Sie meinen in aller Eile schlecht geschriebenen Brief, aber
genehmigen Sie die Versicherung der vollkommensten Hochaefatung von
Ihrem ergebenen
J. H. Lübeck.
10
DIE MUSIK III. 1.
Wie aus diesem Brief ersichtlich, hatte Lfibeck bereits früher mit
Mendelssohn über den jungen Verhulst und dessen sich rasch und kräfdg
entwickelndes Talent korrespondiert. Auch erinnert sich Schreiber dieses,
einen noch unveröffentlichten Brief Mendelssohns an Lübeck gesehen zu
haben, aus Speyer datiert, wo er sich im April 1837 auf der Hochzeits-
reise befand. Lübeck hatte ihm danach bereits eine Ouvertüre in h-Moll^
von Verhulst unterbreitet und daran die Hoffinung geknüpft, dass Mendels-
sohn sich seiner annehmen möge. Mendelssohn äussert sich lobend über
das Werk und erklärt sich auch nicht abgeneigt, dem jungen Komponisten
Rat und Hilfe zu Teil werden zu lassen. Bemerkenswert sind dabei seine
Äusserungen, dass es in der Musik so weniges zu lehren gebe und es ihm
scheine, als ob alles von selbst gelernt werden müsse. Das Lehren sei
meist auf die Kritik beschränkt, und auch diese helfe nichts, wenn man
sie nicht selbst ausüben könne. Er erklärt sich selbst für einen schlechten
Lehrer, da er sich zu regelmässigen Unterrichtsstunden nur schwer ent-
schliessen könne, und wohl wisse, dass schwer mit ihm auszukommen sei.
Anscheinend hatte Lübeck seinen Rat über einen in der Zwischenzeit zu
wählenden Lehrer erbeten und dabei Lindpaintner und Lachner erwähnt.
Mendelssohn stellt in seiner Antwort den ersteren als Komponisten wie als
Dirigenten und gründlichen Theoretiker entschieden über Lachner. Er
teilt ihm auch mit, dass er gegen Ende September mit seiner Frau wieder
in Leipzig sein und dass Verhulst ihm alsdann willkommen sein werde, Ealls
er noch an seinem Plan festhalte. Dass dieser wirklich ausgeführt wurde,*^
ersehen wir aus obigem Briefe von Lübeck, während der folgende Brief von
Mendelssohn an Lübeck uns über den weiteren Entwickelungsgang Verhulsts,
sowie über das Urteil seines Meisters über ihn in Kenntnis setzt:
Leipzig, 28. Februar 1838.
Lieber Herr Kapellmeister!
Entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt Ihnen wegen des jungen Verhulst schreibe.
Viele Arbeiten und Geschifte hindern mich am Briefechreiben und ich hoffe, dass
Sie auch deswegen mein langes Stillschweigen und diese wenigen Zeilen entschuldigen
werden. Ich habe mich sehr geft-eut, Herrn Verhulsts persönliche Bekanntschaft zu
machen, in allem, was ich bis jetzt von ihm gehört und gesehen habe, scheint sich
mir ein augenscheinlich glückliches Talent für Musik auszusprechen : was in meinen
Kräften steht, um ihn in dessen Ausbildung zu unterstützen, halte ich daher für
Fflicht zu tun. Er hat auf meinen Wunsch bereits zwei einstimmige Gesangsstücke
gemacht, in denen ich seine Kenntis des reinen Satzes prüfen wollte; beide sind eben-
falls zu meiner vollkommenen Befriedigung ausgefallen. Jetzt hat er sich vorgenommen,
*) Komponirt 1836, in welchem Jahr er unter Gh. Hanssens studierte. Die
Ouvertüre wurde auf Kosten der niederländischen Gesellschaft zur Beförderung der
Tonkunst gedruckt.
**) Und zwar im Januar 1838.
n
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
einen Psalm für Chor und Orchester zu schreiben, von dem bereits einige Nummern
fertig sind, ich habe sie aber noch nicht gesehen. Im ganzen scheint er mir wie ge-
sagt ein höchst hoffhungsvoller junger Mann, der es, wenn er Fleiss und Ernst genug
hat denselben Weg eifrig zu verfolgen, ohne Zweifel weit bringen und seinen Freunden
und Landsleuten zur Freude und Auszeichnung dienen wird. Ich wollte nicht ver-
fehlen, Ihnen diese meine aufrichtige Meinung über ihn zu schreiben; bitte Sie meine
FlQchtigkeit zu verzeihen und bin mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen,
Ihr ergebener
Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Verhulst machte so schnelle Fortschritte, dass er bald darauf zum
Direktor der Euterpe-Konzerte ernannt wurde.
Das ernste Streben des jungen Künstlers erweckte in Schumann,
der sich bekanntlich zu jener Zeit in Leipzig aufhielt, Sympathieen, die zu
einem dauernden Freundschaftsbündnis heranreiften, das erst der Tod
des letzteren löste. Leider ist uns von den Zeitgenossen fast nichts darüber
mitgeteilt worden, was bei der wachsenden Bedeutung Verhulsts erstaun-
lich scheinen muss.
Die nachfolgenden Briefe Schumanns bilden das einzige Material,
das uns ein Bild der gegenseitigen Beziehungen dieser hervorragenden
Künstler gibt. Die Korrespondenz beginnt aber anscheinend erst in den
vierziger Jahren. Vor dieser Zeit aber geben uns verschiedene Briefe
Mendelssohns an seinen Schüler Aufschluss über Verhulst. Im Jahre 1839
hatte er zwei Streichquartette komponiert, die sich des Beifalls seines Lehrers
zu erfreuen hatten, und Mendelssohn nahm deren Dedication an, wie aus
dem folgenden Brief ersichtlich:
Leipzig, d. 14. Oktober 1839.
Lieber Verhulst
Für Ihre freundliche Absicht mir Ihre beiden Quartetten zuzueignen sage ich
Ihnen meinen Dank und nehme mit vielem Vergnügen die Dedication derselben an.
Sie wissen, dass mir gerade die Quartetten schon viele Freude gemacht haben, und
mit welcher Theilnahme ich Ihre Arbeiten überhaupt verfolge, so dass es mir nur an-
genehm sein kann, meinen Namen mit einer derselben verbunden zu sehen. Mögen
Sie Ihr Talent stets weiter entfolten und es so unablässig fortbilden, wie Sie es sich
selbst, Ihrer Kunst und den Hoffnungen, die wir alle auf Sie setzen, schuldig sind.
Herrn Ihr hochachtungsvoll ergebener
Job. Verhulst Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Wohlgeboren.
Verhulst nahm sich die in diesen Zeilen enthaltenen Ermahnungen
und Aufmunterungen Mendelssohns augenscheinlich zu Herzen. Er arbeitete
ruhig und ständig weiter, und wir erfahren nicht mehr viel über den in
Zurfickgezogenheit lebenden jungen Musiker, als dass er dauernd in gutem Ein-
vernehmen mit seinem Vorbild und Meister verblieb, wie nachstehender
Brief zeigt:
12
DIE MUSIK III. 1.
3l
Leipzig, 26. Dezember 1840.
Verehrter Herr!
Da es mir erst beut möglieb gewesen ist, meinem Versprechen gegen Ibren
Landsmann nachzukommen, so furchte ich fast, mein Brief möge ihn nicht mehr
in Dresden treffen, was mir um so mehr leid thftte, als die Direktion sich dafür ent-
schieden hat, ihm einen Platz im Neujahrskonzert offen zu halten, und ich ihn also
um schleunige Antwort und Angabe des zu spielenden Stückes gebeten habe. Sollte
er nun vielleicht wieder hier durchkommen, ehe er meinen Brief dort von Kotte er-
halten hat, so sind Sie wohl so gefällig, ihm diese Nachricht gleich mitzutheilen; Sie
verbinden mich sehr dadurch. Mit vollkommener Hochachtung
Herrn Verfaulst ergebenst
Wohlgeboren F. M. B.
Hier.
Auf meine Anfrage wegen dieses Briefes hatte Herr D. F. Stade,
Sekretär der Gewandhaus-Konzert-Direktion, die Güte, mir mitzuteilen, «dass
die Programme weder des Neujahrskonzertes 1841 noch der darauf folgenden
4 Konzerte den Namen eines holländischen (sei es ausübenden oder schaf-
fenden) Künstlers aufweisen. Die Annahme liegt nahe, dass Mendelssohns
Absicht nicht zur Ausführung gekommen ist."
Im Verlauf seiner Studien wandte Verfaulst sich mehr und mehr der
Kirchenmusik zu, die auch später den Schwerpunkt seines Schaffens bildete.
Wir finden in den folgenden Zeilen bereits eine Andeutung dieser Richtung:
Hochgeehrter Herr!
In dem Briefe, welchen mir Herr Bastlaans vor einiger Zeit schrieb, erwähnt
er mehrerer Orgelstücke, welche ich von Ihnen erhalten sollte. Wenn Sie dieselben
mir auf einige Tage durch den Oberbringer zuschicken wollten, würden Sie mich sehr
dadurch verbinden. Hochachtungsvoll
ergebenst F. M. B.
Leipzig, d. 28. Febr. 1841.
Herrn J. H. Verfaulst
Woblgeboren
Hier.
Anfang August des Jahres 1841 ging Mendelssofan nach Berlin, und
da scheint auch die Korrespondenz mit Verfaulst, der kurz darauf nacfa
dem Haag zurückkehrte, ins Stocken geraten zu sein, wenigstens ist kein
Brief zwischen dem letzten Schreiben und dem in der Gesamtausgabe ent-
haltenen Briefe vom 17. November 1844 bekannt. Er ist „An den Professor
Verfaulst, Tonkünstler im Haag" adressiert. Verfaulst war damals also noch
nicfat Musikdirektor. Mendelssohn versichert ihm^von Berlin aus, dass
er Fortschritte in seinen Arbeiten sehe. Auch ermutigt er ihn in
seinem Bestreben, den Gesang in seiner Muttersprache zu verbreiten.
.Ich wüsste kein edleres Ziel, was sich einer vorstecken könnte, als das,
dem Vaterlande und der eigenen Sprache Musik zu geben, wie Sie es getan
13
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
haben und zu thun beabsichtigen. Diese Werke sind ein schöner Anfang
dazu; aber damit er nicht für Ihre Landsleute ungehört verklinge, gehören
viele, viele immer wiederholt fortschreitende dazu.*^ Dass Verhulst diese
Worte beherzigte, ersehen wir aus dem folgenden Brief. Er ist etwas
über 6 Monate später datiert und bespricht vierstimmige Lieder, die
einen tieferen Eindruck auf Mendelssohn gemacht zu haben scheinen; denn
er geht hier auf Einzelheiten ein, wie er es in früheren Briefen nicht
getan. In einem Punkt aber irrten beide, und dies war Verhulsts
dramatische Begabung. Zum Opemkomponisten war Verhulst nicht be-
rufen, während seine Kirchenmusik sich bis auf den heutigen Tag frisch
erhalten hat, obwohl sie über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus wenig
bekannt geworden ist.
Der Brief lautet:
Frankfurt a. M., 28. Mai 1845.
Lieber Herr Verhulst!
Für Ihren freundlichen Brief vom 27. März und die schöne Sendung Ihrer drei neuen
Kompositionen sage ich Ihnen meinen besten Dank. Ich wollte erst warten, bis auch
das Quartett von Leipzig gekommen sein wurde, von dem Sie mir sprachen, aber da
es bis heute nicht da ist, so will ich einstwellen mein Schweigen brechen und Ihnen
für die drei schönen Sachen danken, die mir viel Freude gemacht haben. Die vier-
stimmigen Lieder sind das einfachste, was ich bis jetzt von Ihnen kennen gelernt
habe, und doch denke ich mir, sie müssen sehr erfreuliche Wirkung machen, wenn
sie rein und gut gesungen werden, besonders möchte ich gern das erste, dritte und
fünfte hören — ich weiss nicht, ob mir das dritte oder fünfte lieber ist; am meisten
Wirkung macht wohl das letzte? In dem Gesang der barmherzigen Brüder aus Zell
gefällt mir der eigentliche musikalische Gedanken gar sehr: dass der ganze Anfang
nachher in fls-moll kommt und doch wieder so natürlich in das eintönige f zurück-
fällt, und die ganze breite Anlage (die Begleitung ist doch wohl für Blech und Posaunen
namentlich gedacht?). Das liebste ist mir dies Stück, obwohl ich glaube, dass die
Hymne »König und Vaterland* viel mehr Wirkung macht; die ist ein rechtes Effekt-
stück, frisch und lebendig, und so gefällt mir denn jedes Ihrer Stücke in seiner Art.
Ich glaubte Ihnen ausführlich über op. 9 geschrieben zu haben und erinnere
mich wohl, dass mir vieles darin besonders zugesagt hat. Die einzelnen Details fcann
ich in diesem Briefe nicht anführen, weil ich alle meine Musikalien in Berlin in eine
Kiste gepackt und nichts hier bei mir habe; so geht's mir auch mit dem Album des
Musikvereins, das ich seiner Zeit richtig empfing.
Wie Sie selbst sagen, so möchte auch ich jetzt von Ihnen am liebsten eine Oper
sehen und hören. Ich glaube, Ihr ganzes Talent und Ihre Neigung spricht am meisten
dafür. Aber wäre es nur mit holländischem Text möglich! Erstlich gefiele mir es
besser, weil Sie doch ein Holländer sind und sich dadurch ein doppelt grosses Ver-
dienst erwürben — schon des neuen ungebahnten Wegs halber — und dann ist es
wenigstens eben so schwer, hier einen guten Text zu finden, als irgendwo und in irgend
einer Sprache.
Schliesslich noch vielen Dank für die interessanten Details über das Konzert
mit meinem Lobgesang. Wie gern hätte ich das mit angehört! Ist denn aber irgend
ein grosses Musikfest in Ihrer Gegend während dieses Sommers?
Venn das der Fall wire, so lassen Sie mich's doch wissen, denn es wire sehr
möglicby dass ich in die Gegend käme and dann möchte ich's gern so einrichten, dass
ich es nicht zu versäumen brauchte. Leben Sie recht wohl.
Stets Ihr hochachtungsvoll ergebener F. M. B.
Schumann, der verschlossene, schweigsame, der wenige zu Freunden
machte, schloss sich an diese Wenigen um so inniger an. Mendelssohn
war ein Mann der Welt, Schumann zog sich so weit er konnte von ihr
zurück. Die rauhe Wirklichkeit verletzte sein kindlich zartes Gemfit,
und so finden wir ihn »den Kopf in die Hände gestützt* (wie er selber
zu sagen pflegte), in seiner Lieblingsecke in Poppes Kaffeebaum in der
Fleischergasse zu Leipzig^ mit seinen Freunden, den Davidsbündlem.
Zu diesen gehörte Verhulst schon sehr bald nach seinem Erscheinen in
Leipzig, wie aus einem Brief an O. Lorenz vom 27. Oktober 1838 von
Wien aus hervorgeht. Es heisst darin: .Grüssen Sie die mir wohlwollen
— Verhulst wie die ganze Tischgesellschaft*. Auch in Schumanns Wohnung
hatte Verhulst bereits Eintritt gefunden und spielte vierhändige Klavier-
sachen mit ihm, oder sang ihm seine Lieder aus dem Manuskript vor.
Das der Duette op. 34 überreichte ihm Schumann mit folgender Aufschrift:
Komponiert im Sommer 1840 als Bräutigam, Leipzig, 9. Mai 1841. An
seinen treuen Freund Verhulst zur Erinnerung an trauliche Stunden und
an Robert Schumann.
Im Oktober 1842 wurde das Freundschaftsbündnis auch äusserlich
beschlossen. Es waren bei David an einem Vormittag Schumanns neue
Streichquartette zum ersten Mal gespielt worden. Als Schumann nachher
mit Verhulst, der noch voller Begeisterung für die eben gehörten Werke
war, spazieren ging, traten sie in einen Weinkeller ein und tranken Brüder-
schaft mit einem Glas Champagner.
Wie sehr er dessen Abwesenheit nach der 1842 erfolgten Rückkehr
nach Holland empfand, geht aus dem von Erler mitgeteilten Brief vom
19. Juni 1843 (Schumanns Leben aus seinen Briefen geschildert von Hermann
Erler, Band I, Seite 298) hervor: „Endl ich, mein lieber Verhulst. Hundert
und mehrmal habe ich Deiner gedacht; aber Du weisst, der Musiker schreibt
lieber Noten als Buchstaben .... Auf Dein neues Quartett freue ich mich;
sieh zu, dass wir es bald einmal auf der Inselstrasse (Schumanns Wohnung)
zu hören bekommen. Schreibe mir bald einmal von Deinen Plänen und
ob Du glaubst, bald wieder nach Leipzig zu kommen. Wie oft habe ich
Dich vermisst — bei Poppe — auf meinen Spaziergängen. Es ging doch
niemand so leicht in meine Gedanken und Urtheile ein als Du. So sitze
ich denn oft stundenlang schweigend an jenen Abenden, ohne mich so mit-
theilen zu können, wie ich's gegen Dich that. In Kirchnern allein find' ich
*) Das Haus existierte noch 1883 als No. 3.
15
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
eine warme Musikseele — der ist nun aber zu jung noch, dem man nicht
so viel sagen darf als einem Älteren; es würde ihm mehr schaden als
nfitzen.*
Er spricht dann über sein Klavier-Quintett und -Quartett, sowie über
die Phantasiestücke für Trio op. 88 und Variationen für zwei Klaviere, so-
wie besonders auch über »Paradies und Peri". Dann folgen Familien-
Nachrichten ; die Geburt von Schumanns zweiter Tochter und die Aussöhnung
Claras mit dem alten Wieck. Von Mendelssohn sagt er, dass er ihn .manch-
mal oft, manchmal selten sähe*, da sie beide sehr beschäftigt seien. Zum
Schluss schreibt er: .Bald hoffe ich wieder von Dir zu hören, mein lieber
Verhulst; den innigsten Antheil nehme ich an allem, was Dich betrifft, und
mit mir noch manche Deiner Freunde hier. Bringt es Dich nicht zurück
in Deiner Stellung für Deine Heimath, so komme doch ja im nächsten
Winter nach Leipzig. Ich grüsse und küsse Dich in herzlicher Freundschaft.*
Das Wiedersehen der beiden Freunde sollte sich aber noch weiter
hinausschieben. Schumann erwähnt auch noch ein Bildnis, das ihm Verhulst
gesandt und das ihm den Freund recht deutlich vergegenwärtige.
Am 5. Januar 1844 schrieb er wieder an Verhulst, dass er ihm ein-
gehender von seiner .Lappländischen Reise* schreiben würde (eine pro-
jektierte Kunstreise nach Russland). .Dein Quartett hab' ich Wenzel*) ge-
geben; es ist mir das Liebste von Musik, was ich von Dir kenne. Deine
Dedikation hoffe ich bald erwiedem zu können.* Diese Dedication erfolgte
mit dem op. 52, Ouvertüre, Scherzo und Finale. Dann teilt er ihm die
weiter unten folgenden Takte mit, die er an jenem Tage in Gades Stamm-
buch geschrieben, der ein prächtiger Kerl sei. Sie waren in einem,
im Kaffeebaum geschriebenen Sammelbriefe enthalten, dem Reuter,
Willkomm, der Geiger Bezeth, Thorbeck und Whistling je einige Zeilen
beigefügt hatten. Er war Wenzel zur Besorgung übergeben, wurde
1882 in dessen Nachlass gefunden und von Jansen an Verhulst gesandt.
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auf Wie-der-
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auf Wie-der- sehn
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*) E. J. Wenzel, Lehrer des Pianofortespiels am Leipziger Konser?atorium und
Freund Schumanns.
16
DIE MUSIK III. 1
»Auf Wiedersehen auch mein lieber Verhulst*.
Am 5. Juni desselben Jahres schrieb Schumann an Verhulst, dass er
und seine Clara wohl und gesund von der russischen Reise zurückgekommen
seien, und dass sie in Moskau im Theater einen Contrabassisten gesehen
hätten, der Verhulst so ähnlich gewesen, dass er ihn gleich hätte umarmen
mögen. Ein Brief von Verhulst vom Ende Februar, den er bei der Rück-
kehr vorgefunden, habe ihm „Lust gemacht, einmal nach Holland zu kommen,
vielleicht schon im nächsten Januar . . . Von Holland möchte ich dann nach
England, wohin ich mich schon lange sehne. Dann bringe ich auch die Peri
mit, und Ihr studiert Euch vielleicht schon vorher ein wenig ein . . . Es
scheint Dir gut zu gehen, mein lieber Verhulst! Hast du keine Zeit, wieder
einmal zu uns zu kommen? Wie schön sind die Zeiten des jugendlichen
Zusammenlebens und Strebens; Leiden und Freuden, es kennt sie doch
niemand so gut als der Künstler. Arbeitest Du fleissig? Dein Quartett
hab' ich eigentlich nur oben am Rand gekostet; Du scheinst mir an Kraft
und Anmut gewonnen zu haben . . . Meine zwei Mädchen sind kleine liebe
Engelskinder, meine Frau das alte gute. Und Du willst Junggeselle bleiben?
Schreibe mir doch auch darüber einmal! Ich grüsse und küsse Dich;
denke so gern an mich wie ich an Dich!"
Im Oktober 1844 siedelte Schumann nach Dresden über und hier
entwickelten sich die ersten Symptome des furchtbaren Leidens, das ihn
zehn Jahre darauf der Welt entriss. Am 28. Mai 1845 schreibt er an
Verhulst (Erler, Band I, p. 323): «Ich war oft sehr krank. Finstere Dämonen
beherrschten mich. Jetzt geht es etwas besser . . . Deine beiden Briefe mit
Musik haben mich und Clara innig gefreut, namentlich der letzte, wo Du
uns Hoffnung auf Deinen Besuch gibst. Komme doch ja — sobald als
möglich . . . Verschiebe aber Dein Kommen nicht zu lange hinaus,
mach' Dich gleich auf. Wir wollen die alten Zeiten wieder erneuen;
es würde eine grosse Freude für mich sein.*" Aus diesen Worten
geht deutlich hervor, wie ihn nach dem Anblick und der Gesellschaft des
Freundes verlangte. Er spricht auch von den Kompositionen, von denen
die vierstimmigen Lieder ihm besonders gefielen, die Mendelssohn, wie
oben bemerkt, ebenfalls gerühmt hatte. Der in Aussicht gestellte Besuch
Verhulsts fand aber erst gegen Ende des Jahres statt, wie folgender Brief
Mendelssohns beweist, der uns auch erzählt, dass Verhulst auf der
Reise Leipzig berührte, wo er Mendelssohn nicht zu Hause fand. Wir
erfahren auch daraus, dass das dritte Quartett von Verhulst Anfang
Januar an einem Kammermusikabend unter Davids Leitung zur Aufführung
kam, während Mendelssohn sein Bedauern ausdrückt, dass eine ebenfalls
eingesandte Symphonie von Verhulst in dem Winter nicht mehr könne
aufgeführt werden.
17
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
Leipzig, d. 26. Dezember 1845.
Hochgeehrter Herr!
Auch mir hat es sehr leid gethan, als ich bei meiner Ruckkehr jetzt Ihre Carte
fand und erfuhr, dass Sie schon wieder abgereist waren. Desto lieber wird es mir
sein, wenn Sie Ihren Entschluss ausfuhren, und jetzt noch einige Zeit für Leipzig er-
übrigen können.
Herr Hofmeister hat mir zwar bis jetzt das 3. Quartett nicht geschickt; doch
erhielt ich vorgestern die Partitur davon und habe sogleich mit Herrn C»M. David
darüber gesprochen. Er freut sich darauf, das Quartett in einer der nichsten Ver-
sammlungen zu spielen, und es wird also in der kommenden Woche, oder in der
darauf folgenden bestimmt zur Aufführung kommen. Der Tag lisst sich leider nicht
vorher festsetzen, weil er immer vom Theater abhängig ist; doch glaube ich wird es
wohl Sonnabend den 3. oder Dienstag den 6. Januar sein. Hoffentlich kommen Sie
dazu her, wir freuen uns darauf, wieder ein neues Werk von Ihnen kennen zu lernen.
Die Aufführung der Symphonie war hingegen für diesen Winter in den Abonnements-
Konzerten nicht mehr möglich zu machen. Die Direktoren erwiderten auf meine
Anfrage deshalb, dass sie keine Abinderung in den bereits entworfenen Programms
und den dafür vorgeschlagenen neuen Symphonieen wünschten, und so muss ich also
bedauern, dass ich Ihren Auftrag nur teilweise habe erfüllen können.
Ober die Symphonie selbst und das Quartett und vieles andre sprechen wir dann
hoffentlich mündlich ein Mehreres und Ausführlicheres, wenn Sie Ihren Plan nach
Leipzig zu kommen verwirklichen. Einstweilen leben Sie wohl und grüssen Sie
Schumanns, wenn Sie sie sehen, Ihrer Adresse nach müssen Sie ja wohl Nachbarn
sein? Auf Wiedersehen also. Stets Ihr Hochachtungsvoll
ergebener
F. M. B.
Ob Verhulst Mendelssohns Wunsch, ihn auf der Reise (die bis
Italien ausgedehnt wurde) in Leipzig aufzusuchen, erfüllt hat, erfahren wir
nicht, obwohl es anzunehmen ist.
Mendelssohns Korrespondenz mit Verhulst findet mit obigem Brief
ihren Abschluss. Auf derselben Reise besuchte Verhulst auch Heinrich
Dorn in Köln und machte für des Freundes Werke Propaganda, wie aus
einem Brief Schumanns an Dorn vom 1. Dezember 1845 hervorgeht:
„Verhulst sagte mir, dass Sie ihm mit Theilnahme von meiner Peri ge-
sprochen und vielleicht eine Aufführung in Köln beabsichtigen. *" Nach
Verhulsts Rückkehr geriet die Korrespondenz zwischen den beiden Freunden
augenscheinlich ins Stocken, wenigstens sind aus den Jahren 1846 und 47
keine Briefe Schumanns an Verhulst vorhanden.
Der erste Brief, dem wir wieder begegnen, ist vom 4. November 1848.
Er ist sowohl von Jansen als von Erler mitgeteilt und enthält dieselbe Ent-
schuldigung für langes Schweigen wie der Brief vom 19. Juni 1843: .Wir
schreiben ja nun einmal lieber J j j — als Lettern." Er spricht darin die
Hoffnung aus, dass seine eben beendigte Oper Genoveva noch im
kommenden Winter zur Aufführung gelange und: .Dann kommst Du her
IIL 1. 2
18
DIE MUSIK III. 1.
— nicht wahr?" — Wie sich übrigens die Auffuhrung der Oper verzögerte,
erfahren wir unter anderem durch folgenden bisher unveröffentlichten
Brief Schumanns an Rietz:
Kapellmeister J. Rietz in Leipzig.
Dresden, den 3. Februar 1849.
Geehrter Freund!
Dr. Reuter schreibt mir von einer ferneren Verzögerung der Aufführung.
Schreiben Sie mir mit einem Paar 2^ilen (grosse Länge von Ihnen, einem so viel-
beschäftigten, verlange ich nicht) wie die Sachen stehen. Meine Abreise nach L. war
schon auf Montag über acht Tage festgestellt Es schadet mir doch sehr viel, wenn
die Zeit der Auffuhrung immer weiter hinaus gerückt wird. Im April Angt es an zu
blühen; da geht niemand mehr ins Theater. Ich bin sehr traurig darüber. Also bitte
um eine Nachricht, wann das Einstudieren wirklich beginnt, und wann Sie glauben,
dass meine Anwesenheit in L. von Nutzen sein könnte.
Ihr
R. Schumann.
Soll ich dem Theaterdirektor vielleicht selbst schreiben?
Nachdem Schumann vergeblich auf Antwort gewartet, schrieb er am
27. Februar an Dr. Härtel: . . . .Weder von Herrn Rietz, noch vom
Direktor des Theaters kann ich etwas vom Stand meiner Opemangelegen-
heit erfahren . . . Würden Sie vielleicht von Herrn Rietz — doch nicht in
meinem Namen, also wenn Sie die Güte haben wollten, quasi sub Rosa —
herausbekommen können, wie es mit meiner Oper steht, so Hesse sich der
Tag [eines geplanten, aber nicht zur Ausführung gekommenen Orchester-
Konzerts Schumannscher Kompositionen] und die ganze Sache gleich fest-
setzen. An Herrn Rietz mag ich aber deshalb nicht schreiben, weil er
mir Antwort schuldig ist, mich gewöhnlich sehr lange auf Antwort warten
lässt, und ich nicht gern zudringlich erscheinen möchte.* Mittlerweile
fand sich ein Zwischenträger, der Schumann mitteilte, dass Rietz die Auf-
führung zu hintertreiben suche. Rietz, dem dies zu Ohren gekommen,
schrieb direkt an Schumann, der am 20. Mai von Bad Kreischa bei Dresden
aus antwortete: . . • .Als mir das gemeldet wurde, weshalb Sie zuletzt an
mich schrieben, ut ich nichts, als dass ich den Brief meiner Frau gab
mit den Worten ,das ist eine Lüge^ und gedachte der Sache nicht weiter.*
Wie viel Arger und Aufregung dem Komponisten noch aus der Auf-
führung seiner Oper erwachsen sollte, ersehen wir aus einer Reihe von
Briefen Schumanns an Dr. Härtel. Die Premiere fand erst am 25. Juni 1850
statt. Dieser folgten noch zwei Vorstellungen in Leipzig am 28. und
30. Juni, sowie eine in Weimar, eine bei einer Tonkünstler- Versammlung
in Leipzig und einige wenige in den 90er Jahren in Köln. Ob Verhulst
der Erstaufführung beiwohnte, scheint nicht bekannt zu sein.
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
Im September 1850 erfolgte Schumanns Übersiedlung nach Düssel-
dorf, wodurch die beiden Freunde nun häufiger Gelegenheit fanden, sich
wiederzusehen. Leider entwickelte sich bald Schumanns schreckliches
Leiden in bedenklicher Weise. Auch Verhulst scheint hier und da
von selbstquälerischen Gedanken nicht frei gewesen zu sein, wie aus
Schumanns Brief vom 9. März 1851 hervorgeht, in dem es heisst: .Dann
wollen wir uns Deines heiteren, frischen Geistes wieder erfreuen, hoffent-
lich Dich auch von Deinen hypochondrischen Gedanken zurückbringen,
als wärst Du nicht der tüchtige Künstler, der Du bist.*'
Dieser Seelenzustand war wohl dem «Langen und Bangen in schweben-
der Pein** zuzuschreiben, das seiner bald darauf stattfindenden Vermählung
mit der Tochter des Malers Rochussen voranging.
In dem angeführten Brief vom 9. März (Erlerp. 138) sagt Schumann,
dass er zu unwohl sei, ihm alles zu schreiben, wie er es wohl möchte.
.Meine Frau wird so gut sein, noch Einiges hinzuzufügen über Kunst und
Leben, wie sie sich hier so freundlich für uns gestalten. ** Dieser sehr
interessante, bisher unveröffentlichte Brief soll nun folgen:
Dusseldorf, den 9. Mirz 1851.
Lieber Herr Verhulst!
Recht herzlich haben wir uns gefreut, einmal wieder von Ihnen zu hören,
möchten Sie aber auch gerne wieder sehen! wollen Sie uns nicht einmal hier besuchen?
Kimen Sie einmal zu einem unserer Konzerte, da wollten wir Ihnen schon ordentlich
etwas vormusizieren. Wir haben hier schöne Kräfte im Orchester, und — gute
Programms! Darin sind wir den Leipzigern noch voraus, die doch oft auch schlechtes
italienisches Zeug zu hören geben. Sie können aber wohl nicht gut von Holland fort?
Haben Sie viel zu thun? Am Donnerstag gibt mein Mann sein eigenes Konzert, dessen
Programm Sie gewiss interessieren wird, daher ich es Ihnen schreibe:
1. Ouvertüre zur Braut von Messina.
2. Konzertstück für Klavier (von mir gespielt).
3. Gartenscene »Duett** und »Scene im Dom** aus dem ersten Theile des
»Faust** für Chor und Orchester.
4. Nachtlied für Chor und Orchester. (Dichtung von Hebbel.)
5. Symphonie (Es-dur No. 3) auf Verlangen zum zweiten Male.
Alles dies sind Manuskripte ^on meinem Robert, und welche Schitze von
Poesie darin! Lachen Sie mich nicht aus, dass ich selbst es sage, doch ist wohl
kaum einer in der Welt, der dies tiefer empfände als ich! Soll ich es also nicht
gegen einen so theilnehmenden Freund, wie Sie es sind, aussprechen? —
Es wire gar freundlich von Ihnen, überraschten Sie uns hiereinmal! Jedenfalls
aber warten Sie nie wieder auf Geschäfte, um an Robert zu schreiben, sondern thun
Sie es, wenn Sie Ihr Herz dazu treibt, und lassen Sie dies bald geschehen. Schreiben
Sie doch auch von Ihrer Braut, das interessiert mich sehr -< ist es eine Holländerin?
Gewiss ist es nur Theilnahme, die mich dies fragen lässtl
Schliesslich noch einen recht freundlichen Gruss von Ihrer ergebenen
Clara Schumann.
2*
20
DIE MUSIK III. 1.
Sie wollten von unseren Kindern wissen: es sind f&nf, drei Midcben und zwei
Knaben. Die zwei Ältesten verrathen hübsches musikalisches Talent, es bleibt mir
nur leider zu wenig Zeit, sie selbst zu unterrichten, doch haben sie Unterricht und
spielen z. B. aus Roberts Album einiges recht nett.
Ich schime mich sehr, Ihnen so eilig und zerstreut geschrieben zu haben,
jedoch wollte ich mir einige Zeilen nicht nehmen lassen, und dringt doch der Brief
wegen der Stimmen [?]. Verzeihung deshalb!
Am 8. August schreibt Schumann wieder, dass er eine Einladung zum
Gesangsfest in Antwerpen zum 17. August bekommen habe und fügt
hinzu: , Vielleicht bist Du auch da, oder wir geben uns, wenn irgend
möglich, ein Rendezvous in Rotterdam. ** Schumann war von den deutschen
Vereinen zum Schiedsrichter des Wettsingens erwählt worden. Als aber
die deutschen Vereine nachmittags an die Reihe kamen, fehlte Schumann,
den wahrscheinlich die Vormittags -Aufführungen zu sehr ermüdet hatten.
Verhulst antwortete auf obigen Brief, dass die Entfernung von Rotter-
dam ihm den Besuch nicht möglich mache, worauf Schumann ihm folgende
Zeilen sandte:
Düsseldorf, den 13. August 1851.
Lieber Verhulst I
Dein Brief hat uns köstlich amüsiert, wir haben ungeheuer gelacht über die
Verse Deiner Frau. Das ist ganz wie in Hamlet. Du der Hamlet, und Deine Frau
Polonius — Sans comparaison. Könnten wir Dich und sie doch hier sehen I Aber
Du hast auch wieder Recht mit Deinen Gründen. Ich dachte mir Antwerpen viel
niher an Rotterdam; jetzt erst erfahre ich, dass es eine Tagereise ist.
Also lieber Verhulst, kimest Du, so würden wir uns sehr freuen.
Wo nicht, so wollen wir uns auf spitere Zeit vertrösten. Wir reisen den 16.,
sind hoffentlich abends in Antwerpen, bleiben den 17. und 18. dort, und wollen, wenn
Du nicht kommst, den 19. vielleicht nach Brüssel und den 20. nach Düsseldorf zurück.
Wo wir wohnen, weiss ich noch nicht. Das wird aber leicht zu erfahren sein. Aber
wie gesagt, nachdem ich mir die Landkarte angesehen, glaube ich selbst nicht, dass
Du kommst. Du möchtest dann dennoch kommen! Da wollten wir uns freuen.
Dann bringst Du aber auch deine Frau mit! Es wire wohl ein Spass, wenn Ihr
so plötzlich herein tritet. So denn auf Wiedersehen, wenn es vielleicht auch noch
zweifelhaft ist. Ich grüsse Euch
herzlich
R. Schumann.
Schumann führte seine Absicht, Brüssel zu besuchen, aus und kehrte
am 22. August nach Düsseldorf zurück. Am 23. August ernannte ihn die
Association Royale de Soci6t6 lyrique d'Anvers zum Ehrenmitglied.
Schluss folgt
i empfinden wir in der Musik als modern? Im Liede, so wird
I man vielleicht antworten, ein zartestes Vibrieren und Zittern
der Empfindung, oder ein Feines Mitschwingen der Nerven; das
i Gerühl für die Abwandlungen der Stimmungen, das vielfach ge-
brochene und reßektierte Licht derselben. Man wird an einzelne Lieder
Hugo Wolfs denken, wo mit der empfindlichen Chromatik der melodischen
Linie, mit den reich nuancierenden Schatten alterierter Akkorde die kleinsten
Zwischenstufen der EmpHndungcn musikalisch wiedergegeben werden, wie auf
einer leicht pendelnden Wage der Zeiger durch die geringsten Gewichtsver-
InderuRgen zum Ausschlag gebracht wird. Oder man wird Richard Straussens
aTraum durch die Dämmerung" nennen mit seiner eigenartigen Magie der
Stimmung, seinem merkwürdigen halben Licht, dem leise aufsteigenden be-
täubenden Duft. In den Orchesterwerken wird man als modern vor allem den
Glanz und die Pracht des Kolorits empfinden. Die Kunst der orchestralen
Farben, berauschender, betäubender, blendender und gedämpfter, verblassen-
der, hinsterbender; Makartischer Orgien und der Luft- und Lichtzaubereien
französischer Landschaftsmalerei. Man wird die Möglichkeit rühmen, mit
den Mitteln des heutigen Orchesters jedem Ding eine tönende Seele geben
zu können, und vielleicht auf die Schlachtschild ernng im „Heldenleben*
von Richard Strauss hinweisen. Hier werde nicht eine Schlacht, sondern
der männermordende Kampf überhaupt geschildert, das Wüten, Tosen,
Stürmen gewaltiger Massen, die eiserne Umklammerung von Heeren, das
Würgen, Vernichten. Es würden hier förmlich alle Eingeweide des modernen
Orchesters aufgerissen ... In der Oper vereinigten sich die moderne
orchestrale Technik mit der beweglicheren Art der musikalischen Linie,
also reiche Farbe und f^tne Zeichnung. Zum Vergleich wird man die
übrigen Künste herbeiziehen, in denen ein gleicher Geist zu wallen scheint.
Die zeitgenössische Malerei mit ihrer Licht- und Farbenfreude, ihrer Kunst
der Stimmung und die zeitgenössische Literatur, deren feinfühlige Psycho-
logie die kleinsten Adern und das zarteste Nervengeflecht blosslegt. Und
wenn wir alles zusammennehmen, so rühmt man als modern: die reicheren
Mittel, die das Prunkvolle und das Zarteste gleich sicher wiedergeben; die
22
DIE MUSIK III. 1.
Si
erhöhte seelische Empfindlichkeit, die den Kreis des künstlerisch Darstell-
baren erweitert; die freie Form. Also grösseren technischen und grösseren
differenzierten seelischen Reichtum.
Man wird vielleicht diesem Gemälde der modernen Kunst seinen
grösseren Hintergrund geben. Die gewaltigen technischen Errungenschaften
der neuen Zeit. Die grosse Arbeit der Forscher und Gelehrten. Die be-
zwungenen irdischen Kräfte, welche die Erdteile gleichsam näher an ein-
ander gerückt haben. Die Gedanken, die im elektrischen Strome rund um
die Erde dahinfliegen. Den modernen Verkehr, der auf den Wegen übers
Meer, durch die Wüsten, die Gebirge auf- und abwärts dahinsaust. Man
wird die Wunder der Maschinen rühmen, die für den Menschen von heute
Sklavenarbeit verrichten. Und was sonst noch der Ingenieur, der Arzt,
der Gelehrte ersonnen und erfunden. Kurz alles, was in unserer Welt
geholfen hat, den Raum zu verengen, die Zeit zu beschleunigen, die Kräfte
zu verdoppeln, oder richtiger: zu verhundertfachen.
Sagt man, dass alle diese Leistungen ein Werk der exakten Wissen-
schaften sind und, was ein Künstler schafft, ein anderes ist, als was ein
Forscher denkt, so ist dies wohl nicht richtig. Im einen, wie im anderen
wirkt die Phantasie. Sei es nun, ob sie die kühnen Wölbungen einer
neuen Brücke entwirft, ob sie chemische Elemente trennt und neu verbindet,
ob sie einer Maschine erhöhte Schnelligkeit gibt, Mittel gegen Krankheiten
findet oder ein Drama entwirft und einen Symphoniesatz baut. In allen
technischen Errungenschaften der neuen Welt waltet der alte Phantast im
Menschen, der Dichter, der Künstler. Da die Grösse der modernen Phan-
tasie in den Werken der Technik jedem sichtbar ist, hofft man von
hier aus auch auf die Grösse einer modernen Kunst, worin dieselben
Kräfte wirkten. Dass einer so grossen Zeit eine grosse Kunst, neuen
Lebensformen eine neue Kunst entsprechen müsste, ist wohl allgemeines
Empfinden.
Wenden wir den Blick von dieser grösseren Welt zum begrenzteren
Gebiete der Musik. Wie ein mächtiges Gebirge, das Berggipfel an Berg-
gipfel aneinanderreiht, zieht sich bis zu unserer Zeit eine ununterbrochene
Kette von grossen deutschen Musikmeistern. Von Orlando Lasso zu Heinrich
Schütz, von Schütz zu Johann Sebastian Bach und Händel, von diesen über
Philipp Emanuel Bach zu Mozart, Haydn und Beethoven, zu Schubert,
Mendelssohn, Schumann, Weber und endlich zu Wagner und zu Brahms.
Selbst der Dreissigjährige Krieg, der Deutschland verwüstete, der die Ent-
wickelung einer Nationalliteratur für lange hinaus hemmte, vermochte diese
stolze Reihe nicht zu unterbrechen. Er trieb in Deutschland alles geistige
Leben tief ins Innere zurück; gerade dies musste der Musik als jener Kunst,
die mit ihren Wurzeln zu tiefst greift, nützen. Dieser stolzen Reihe ge-
23
GRAF: Ober das moderne in der MUSIK
waltigster Musikgeister, die mit dem Druck ihres kleinen Fingers förmlich
Himmel und Erde in Bewegung setzen, könnte man einzig und allein den
Höhenzug italienischer Maler von Giotto bis Raphael und Michelangelo,
Tizian und Tintoretto vergleichen, wo sich Schüler an Meister, Meister an
Meister schliessen und der Malergeist immer neuen Körper findet. Doch
fehlt hier, wenn wir Mozart mit Raphael, Beethoven mit Michelangelo,
Wagner mit Tintoretto vergleichen, gleich am Anfang schon eine Gestalt,
nein, eine Welt, wie Joh. Sebastian Bach, von dem Zelter das schöne Wort
gesagt hat, dass wir alle äusserlich auf diesem Globus umherwandelten und
grasten. Es wäre leicht möglich, dass diese unvergleichliche Reihe grosser
Meister als Last empfunden würde, als niederdrückende Verpflichtung für
die nachgeborenen Künstler. Denn was könnte es Herrliches und Grosses
geben, was nicht hier schon gesagt und gesungen worden wäre? Und doch
empfindet man nicht so. Man betrachtet wohl diese geoffenbarte Fülle
musikalischer Kräfte als Verheissung für die Zukunft. Wie man von einem
Acker, der reiche Ernte trug, weiter auf neue Früchte hofft. Aus der
Grösse der Vergangenheit schöpft man den Glauben an die Grösse der
musikalischen Zukunft und könnte es kaum fassen, dass die Reihe musikalischer
Geister in Deutschland plötzlich abbrechen könnte. Was auch Mächtiges
und Tiefes gesagt worden ist, jede Generation glaubt ein Recht darauf zu
haben, dass sich das Gemüt ihrer Zeit in neuen künstlerischen Schöpfungen
ausspricht. Sie wird grösste künstlerische Vergangenheit für ein Werk
hingeben, das ihre eigene Blutsfarbe trägt und das von jenen Kräften be-
wegt wird, die der Zeit ihr besonderes Gepräge gaben. Denn in einem
Werke von schwächerer künstlerischer Kraft, worin Zeitelemente irgendwie
wirksam sind, wird etwas sein, was das Gemüt der Leute unmittelbarer
ergreift als das mächtigste Werk einer anderen Zeit.
Was wir heute klassische Kunst nennen und aus Raum und Zeit
hinausheben, war einmal „moderne Kunst**, worin der Empfindungsgehalt
einer Zeit Form gewonnen hat. «Kein Dichter ist gross geworden, der
nicht vom Pathos seiner Zeit ergriffen den Grundgehalt seines Werkes mitten
aus der Gegenwart nahm" (Friedrich Theodor Vischer). Deshalb wurden die
Bilder italienischer Maler in festlicher Prozession in die Kirche getragen:
unter Glockenschal], mit brennenden Kerzen geleitet, unter Vorantritt der
geistlichen und weltlichen Obrigkeit. Deshalb war jede Aufführung eines
neuen Schillerschen Dramas ein bejubeltes Fest. Goethes „Werther** war
das Buch ä la mode, der „demier cri**, der Gipfel der Modernität. Die
Aufführungen von Mozarts „Entführung*, „Don Juan," „Zauberflöte" sind
die echten Sensationserfolge gewesen. Man denke bei der „Zauberflöte"
an die bekannten Verse in Goethes „Hermann und Dorothea". Beethovens
Werke, mit Ausnahme jener der letzten Periode, waren das moderne
24
DIE MUSIK III. 1.
Bildungsgut der Musiker jener Zeit. Alle jene Werke grosser Meister
haben die geistigen Strahlen ihrer Zeit in einem Brennpunkte gesammelt
und was sie von den Eintagserfolgen in Novellistik und auf Bühnen unter-
scheidet, war, dass sie alle Strahlen ihrer Zeit aufgefangen, die Werke
der kleinen modernen Talente, einen oder wenige Strahlen gesondert in
ihren Brennspiegel geleitet haben. Wie alle grossen Kunstler standen
unsere Klassiker in Mitte des geistigen Lebens ihrer Zeit; sie waren Moder-
nissimi. An Stelle des akademischen Begriffes von klassischen Künstlern
und klassischer Kunst, der nach der Studierstube und der Lehrkanzel
riecht, wollen wir lieber einen lebendigen Begriff setzen: wir denken uns
unsere Klassiker als Künstler, die ihrer Zeit und ihrer Generation die
Zungen gelost, die für das Grundgeffihl ihrer Zeit das rechte Wort, das
rechte Bild, die rechte Weise gefunden haben, die rerum novarum cupidi
das Neue durch ein Neueres zu überbieten im Sinne hatten.
Auch im kleinsten Talente einer Zeit ist etwas von ihren Grund- und
Triebkräften wirksam. Das Genie fasst alle zusammen. Jene bereiten vor;
dieses schliesst ab. Nicht immer ist der Wert, den wir einem Künstler geben,
weil in seinen Werken Stimmungen, Strebungen der Zeit zuerst und eigen-
artig Form gewinnen, gleich mit dem ästhetischen Wert dieser Werke. Für
diesen sprechen nur die Geschlossenheit des Baues, die Kraft der Erfindung,
die Harmonie aller inneren Kräfte. Sie können auch fehlen und der Künstler
erhält Rang und Würde, weil er zuerst einen neuen Weg betreten, einen neuen
Blick eröffnet. Wir ehren den gewaltigen Geist, die Kraft und die Danteske
Erfindung Giottos, wenngleich er in Zeichnung und Komposition auch hinter
kleineren Talenten der späteren Zeit zurückstehen mag. .Fragmentarische
Genies' — um ein schönes Wort Vischers zu gebrauchen — wie Grabbe
oder Brückner schätzt man der eigenen Kraft wegen, von der sie beherrscht
werden, die sie nicht beherrschen. Die Kunstgeschichte ist voll von
Talenten, die für ihre Zeit nicht durch ästhetische Vollendung, sondern
durch Modernität, durch einen neuen Klang, eine neue Farbe wichtig ge-
worden sind. Man denke in der Geschichte des Sturm und Drangs an
Klinger, in der Geschichte der modernen Malerei an Manet. Man wird
diese Art von Talenten, Anreger, nicht Vollender, in allen Frühlingsstürmen
einer neuen Kunst am Werke finden. Gerade bei Künstlern dieses Schlages
schwankt das Urteil der Zeit. Die einen, denen das Gewürz der Moder-
nität scharf auf der Zunge brennt, die Feinschmecker artistischer Genüsse,
die an allen primeurs Freude haben, rühmen die Neuheit und Originalität
dieser Künstler aufs höchste; die anderen, ästhetische Richter, die vom
Begriff des Kunstwerkes innere Geschlossenheit und Vollendung nicht
trennen können, urteilen scharf und abRllig. Jene preisen das Moderne,
Neue, diese tadeln das ästhetisch Unvollkommene. Beide bedenken meist
25
GRAF: Ober das moderne in der MUSIK
nicht, dass es nur dem grossen Genie gegeben, ein Auszug, die Schluss-
summe seiner Zeit, ein Inbegriff aller Modernität und zugleich die höchste
künstlerische Vollendung in einem zu sein. Mehr Dank wird meist jenen
Talenten zuteil, deren Werke eine gewisse ästhetische Vollendung und
Rundung aufweisen, ohne dass vom Blutkreislaufe der Zeit ein einziges
Äderchen ihren Werken ein Tröpfchen Blut zuführte. Jene früher ge-
schilderten Künstler haben Gehalt, aber keine Form; diese Form, aber keinen
Gehalt. Diese schildert Goethe mit den Worten : „ Es werden jetzt Produktionen
möglich, die Null sind ohne schlecht zu sein: Null, weil sie keinen Gehalt
haben; nicht schlecht, weil eine allgemeine Form guter Muster den Verfassern
vorschwebt. *" Sie haben die Form des Künstlers, ohne die künstlerische Person-
lichkeit. Ästhetische Schwäche; jene anderen beseelt ungebundene Kraft.
Es ist wohl die Regel, dass die geistigen Kräfte einer Zeit, die sich
in den Werken der modernen Talente zerteilen, oft auch bekämpfen, von
grossen genialen Persönlichkeiten zusammengefasst und vereinigt werden.
Aller Farbenzauber, aller sinnliche Reiz, alle poetische Kraft der vene-
zianischen Malerschule haben schliesslich die Werke Tizians zusammen-
geballt. Alle Kunst der deutschen Organisten, alle Herrlichkeiten der
Choral- und Passionsmusik hat sich in Joh. Sebastian Bach eingefleischt.
Der Geist der französischen Aufklärungs- und Encyklopädistenzeit in Voltaire.
Der Geist der französischen Revolution in Napoleon. Sturm und Drang
haben zu unseren Klassikern geführt. Aber es ist auch möglich, dass
eine Reihe kleinerer Talente sagt, was eine Generation fühlt und denkt
und die Zeit doch nicht Kraft genug findet, den grossen Zusammenfasser,
das Genie, zu zeugen. So haben die literarischen Bestrebungen einer so
reichen Zeit, wie es die Renaissance war, schliesslich in keiner genialen
Persönlichkeit ihre letzte Ansprache gefunden. Die deutsche Romantik
hat ihre Gebrüder Schlegel, ihren Tieck, Novalis, Wackenroder; aber
keinen, in dem alle Zuflüsse dieser Zeit sich wie in einem starken Strome
vereinigt hätten. Eine Generation später hat das junge Deutschland seinen
Gutzkow, Laube, Wienbarg, aber keinen abschliessenden Geist. Wieder eine
Generation später eine neue literarische Umwälzung, Sudermann, Haupt-
mann; und dürfen wir es aussprechen, dass auch hier alle geistigen Be-
strebungen wieder auseinanderdrängen, ohne den gemeinsamen Halt einer
grossen genialen Persönlichkeit gefunden zu haben? Es ist wie ein Feuer-
werk, das unregelmässig Feuer fängt: Raketen sausen in die Luft, Räder
glühen, feurige Schlangen zischen. Bald lodert es hier, bald dort auf,
zischt und glüht durcheinander, aber aller Feuerzauber fügt sich nicht nach
dem Plane zur Figur.
Zu allen Zeiten der Kunstgeschichte finden sich Klagen der Künstler
und der Männer vornehmen Geschmacks über sogenannte « falsche I^ichtungen
26
DIE MUSIK III. 1.
der Kunst*. Über künstlerische Strömungen, die ernsthaftere und tiefere
Bestrebungen verdrängen. Die Italienerherrschaft zur Zeit Mozarts, der
Rossinitaumel zur Zeit Beethovens sind Beispiele davon.
In allen solchen geistig-kfinstlerischen Bewegungen steckt aber immer
doch ein echtes bewegendes Prinzip. Irgendwie müssen die neuen Be-
strebungen, der neue Empfindungsgehalt einer Zeit hier ihre Farbe zurück-
gelassen haben. In ihrem Wesen haben alle sogenannten falschen Richtungen
etwas mit der Art der Maximen und Paradoxen gemein. Wie diese mischen
sie Teile des Wahren und solche des Falschen; sie sagen die Wahrheit in einer
Art, die an die Lüge streift; sie blenden durch eine geistreich vorgebrachte
Wahrheit und durch eine geistreich verschwiegene Unwahrheit. Rossini warf
alles durch seine blühende Sinnlichkeit nieder; aber die Sinnlichkeit ist ein
echtes Kunstelement, da jede Kunst durch Sinnliches auf Geistiges** wirkt.
Es ist leicht, über diese „falschen Richtungen* zu jammern. Schwerer
ist es, die neuen, modernen Elemente darin aufzufinden, zu sammeln
und in^l^grosse, echte Kunst zu verwandeln: wie es Mozart mit der
italienischen Oper, wie es Wagner mit Meyerbeer getan hat. Auch Zeiten
künstlerischer Reaktion sind ebenso zu betrachten. Jede neue, geistige
Mode ist tyrannisch und einseitig. Indem sie einen Teil der Elemente
einer Zeit an sich zieht und ihnen einen eigentümlichen künstlerischen
Ausdruck gibt, vernachlässigt sie andere Elemente der Zeit, deren Wichtig-
keit^für das Kunstschaffen sie unterschätzt. Dafür, dass diese im geistigen
Haushalte der Kunst nicht verloren gehen, sorgen Künstler, die sich schein-
bar ihrer Zeit entgegenstellen, und doch für künftige Geschlechter sorgen.
In der Geschichte der neueren Musik ist Johannes Brahms ein solcher
Mann. Immer aber ist daran zu erinnern, dass die grossen Genies, die
erst die Zeiten beherrschen, den ganzen Grundgehalt ihrer Epoche aus-
schöpfen, mit allem Gegensätzlichen und einander widersprechenden
Elementen. So findet sich bei Bach und Beethoven der ganze Formen-
gehalt ihrer Zeit und der kühnste neue Geist: Konservatives und Revolu-
tionäres. Sie sind die kühnen, verwickelten Rechenexempel, die höhere
Mathematik der Natur. In so vielfachen Verhältnissen können die modernen
künstlerischen Bestrebungen zu den geistigen Strömungen einer Zeit er-
scheinen. Sie können sie ganz zusammenfassen, in Teilen enthalten, sie
können Widersprechendes mischen und so immer zu neuen Bildern zu-
sammenfiiessen. Der Reichtum an künstlerischen Individualitäten stammt
hieraus. Und wie alle Farben aus den vielfachen Spaltungen eines Licht-
strahles entstehen, alle Töne aus den vielfachen Schwingungen eines und
desselben Mittels, sind alle künstlerischen Ausdrucksformen einer Zeit nur
Varianten ihres geistigen Gehaltes.
^s ist den Freunden Hoffmanns bekannt, dass nach seinem Tode
1822 sein gesamter literarischer, musikalischer und künst-
\ leriscber Nacblass an den damaligen Kriminalrat Julius Eduard
I Hitzig übergeben worden ist. Die Musikalien habe ich in Heft 18
des I.Jahrgangs der , Musik" verzeichnet (S. 1664 — 1666); über die sonstigen
Papiere findet man das Nlhere im .Euphorion' Bd. IX, Heft 2/3 (S. 360
bis 372). Über eins der wichtigsten Manuskripte konnte ich damals jedoch
noch keine Auskunft geben, da es offenbar frühzeitig von der übrigen Nach-
lassmasse getrennt worden ist. Es ist das eine allgemeine Kladde Hoff-
manns, deren Einträge vom 9. August 1803 bis zum 1. September 1808
reichen; neben den Briefen an Hippel ist dieses Buch die Hauptquelle für
die letzten fünf Jahre vor dem Beginn von Hoifmanns ernsthafter Schrift-
siellerei. Ich habe es vor kurzem aus Joseph Kürschners Nachlass er-
worben und gebe in diesen Wochen im .Euphorion' eine genaue Inhalts-
angabe davon, auf die ich die Liebhaber verweisen muss.
Unter anderem enthSIt diese Kladde ein Tagebuch Hoffmanns aus
dem Winter 1803/4. Hoffmann war damals Rat an der Regierung (=^ Ober-
landesgericht) in Plock; er ist aber einen Monat lang auf Reisen. Am
21. Januar 1804 ßhrt er ab nach Königsberg, um Verwandte zu besuchen;
am 24-, seinem 28. Geburtstage, kommt er an, und am 8. Februar schreibt
er ins Tagebuch: .Einen sehnlich von Hippel erwarteten Brief erhielt Ich
Nachmittags und antwortete auf der Stelle, dass ich den 15. d. M. ab-
reisen würde.* Unterm 15. lesen wir dann: .Abreise von Königsberg Morgens
9'/, Uhr;" am 16.: .Morgens halb4 Uhr in Preulssi]sch Mark — fand Pferde
vor von Hippel — um 1 Ubr Mittags angekommen;" dann: .d. 17., 18.,
19., 20. in Leistenau [Hippels Gut], d. 21. Abends um 11 Uhr in Plock.*
Am 28. berichtet er Hippeln in einem Briefe von köstlicher Laune
über die Rückreise, die Nachhausekunft und seine Beschäftigungen in den
acht Tagen seitdem. .Auf mich," heisst es, .hat unser Beysammenseyn
diesmahl mit besondrer energischer Kraft gewirkt; ... es ist als müsse sich
bald was grosses ereignen — irgend ein KunstProduckt müsse aus dem Chaos
hervorgehen! — ob das nun ein Buch — eine Oper — ein Gemähide
seyn wird — quod diu plaeebü — meinst Du nicht, ich müsse noch ein-
28
DIE MUSIK 111. 1.
mahl den GrossKanzler [Beyme] fragen, ob ich zum Mahler oder zum
Musikus organisirt bin? — Aber — um dem Dinge näher zu kommen —
gestern habe ich eine komische Oper gemacht und heute Morgen — es
war noch finster — ungeRhr 5 Uhr — die Musik dazu — Aufgeschrieben
ist noch nichts, das wird wohl auch noch etwas länger dauern. — ... Nun
[noch] ein Plänchen! — Der Riese Gargantua muss ausgearbeitet werden . .*
Am 10. März erhält er das lang ersehnte Reskript, das ihn an die
Regierung (Oberlandesgericht) in Warschau versetzt. Von dort schreibt
er Hippeln am 14. Mai: ^Ich bin in Warschau angekommen . . . und schwitze
jezt über Vorträgen und Relationen I Sic eunt fata hominum! — Schrift-
stellern und komponiren wollte ich . . . und nun? — Erschlagen von acht
und zwanzig voluminibus ConkursAkten wie von Felsen, die Zeus' Donner
herabschleuderten, liegt der Riese Gargantua, und der Renegat ächzt unter
der Last dreyer Todtschläger, die zur Festung bereit noch den lezten ffirchter-
lichsten Todtschlag begehen." — Zu dem Worte «Renegat* setzt Hoifmann
die Fussnote: „Der Renegat — eine komische Oper, die der geistvolle Verfasser
des Riesen Gargantua mit unerschöpflicher Laune dichtet und die, wird
sie wills Gott im Jahre 1888 vollendet, alles übertreffen wird, was der
Stümper Goethe jemahls in dieser Art schrieb! — *
Das Jahr 1888 ist seitdem verstrichen, aber Gott hat die Vollendung
nicht gewollt, ja selbst die Anfänge sind bis jetzt unbekannt geblieben.
Hoifmann hat nämlich im März die ersten vier Scenen und den Anfang
der fünften in unsere Kladde hineingeschrieben; später, als er die Vollen-
dung aufgegeben, hat er angefangen, dahinter ein neues Singspiel „Faustina*
zu schreiben, das aber noch weniger weit gediehen ist. Als Hitzig 1832
aus den ihm vorliegenden Aufzeichnungen Hoifmanns und den reichhaltigen
Mitteilungen Hippels seine Sammlung „Aus Hoifmanns Leben und Nachlass*
kompilierte, gab er auch verschiedene Proben aus unserem Buch, darunter
den Inhalt des „Renegaten* und das Personate der „Faustina* (er sagt
aber keineswegs, wie man seltsamerweise allgemein aus seinen Worten
herausgelesen hat, dass HofTmann die Stücke auch komponiert habe).
Seitdem ist nichts mehr von diesen Versuchen Hoifmanns verlautbart; da
es aber die einzigen Fälle sind, in denen der Komponist Hoffmann es unter-
nommen hat, sich einen Text zu schreiben, wird es wenigstens ein Kuriositäts-
interesse haben, die Fragmente kennen zu lernen. Es sind zugleich ausser
der „Prinzessin Blandina* die einzigen dramatischen Versuche Hoffmanns,
deren Text auf uns gekommen ist; man wird die Verwandtschaft zwischen
der gleichfalls unvollendeten „Blandina* und dem „Renegaten* nicht ver-
kennen. Wir geben die Stücke, wie sie in der ersten und einzigen Nieder-
schrift dastehen, nur in der Interpunktion ist nachgeholfen; vorher erinnern
wir den kritischen Leser noch daran, dass der unruhige Ehrgeiz des
20
MÖLLER: SINGSPIELE VON E. T. A. HOFFMANN
7.
Introduzzione
(Gegend an
28jährigen Universaldilettanten in erster Linie auf Malerei und Musik, erst
danach auf literarische Produktion gerichtet war.
Der Renegat.
Ein Singspiel in zwey Aufzögen. Mira 1S04.
Personen:
Der Dey von Algier. Elisa, St. Cyrs Gattin.
Ebn Ali, Renegat, Franzose von Geburt. Bellora, Ebn Alis Tochter.
St. Cyr. Sklavinnen im Serail des Deys
Joseph. Wachen.
Die Handlung ist in Algier.
Erster Aufzug.
Erste Szene.
den Gärten des Harems — Aussicht nscb dem Meer.) St. Cyr sizt In
Gedanken vertieft unter einem CypressenBsum.
Rezitativ.
Sie zu verliebren! ^ sie nicht wiedersehn!
Entsezlicher Gedanke! — Quaal die mich
Mit nahmenloser Folter ingstigtl
Soll ich verzweifeln? — Soll ich hoffen? —
A tempo.
Himmlische Ahndung
Lindert die Schmerzen.
Wecket im Herzen
Göttliche Lust!
Wiedersehns Wonne
Trockne die Thrinen
Stille das Sehnen
Klopfender Brust!
Doch wie wenn jezt aufs neue mich
Das Schicksal grausam tauschte — wenn auch hier
Zu meiner Marter mich der Ozean
Ans Land gespien! —
(hervortretend) Triumph mein Freund !
Gewonnen ist das Spiel — gefunden!
Wie — Freund -- Elisa, meine Gattin? — sprich!
Glaub mir mein Freund! sie ist nicht fem
Wo — wo?
Wir sind am Harem hier des Dey's
Dort wo der Palmbaum seine lange Schatten
Ins Thal wirft. Dort erklimte ich die Mauer
Gesang — der Schall von Instrumenten lockte mich
Lustwandelnd gingen Weiber auf und ab —
Und unter ihnen eine
St. Cyr Wie — Elisa? — O!
Joseph Sie glich ihr ganz an Wuchs und Stellung,
Sie war's!
St. Cyr O Himmel!
Joseph
St
Cyr
Joseph
St.
Cyr
Joseph
30
DIE MUSIK III. 1.
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
» zu zwey
Duett.
Sie hab ich gefunden
Die Gattin, die holde!
Es heilen die Wunden,
Es endet der Schmerz!
Voll trunknem Entzucken
Werd ich sie umfkssen,
Sie feuriger drficken*)
Ans pochende Herz!
Du hast sie gefunden
Die Gattin, die holde!
Es heilen die Wunden,
Es endet der Schmerz!
Voll trunknem Entzücken
Wirst Du sie umfassen,
Sie feuriger drücken
Ans pochende Herz!
Aber lass mich meinen Rausch missigen — sage mir,
Joseph, sollte Elisa wirklich im Harem des Deys seyn?
Ach, nur zu sehr fürchte ich den bittern Schmerz der
neuen Täuschung!
Freund! — die augenscheinliche Gewissheit dass Elisa hier
seyn rouss brachte uns ja her, hast Du das vergessen?
Aber! —
Als kaum aus dem Hafen von Toulon ausgesegelt uns der
Caper aufstiess, schrien nicht alle Matrosen: »Ein Algierer
— ein Algierer!* — Die Bauart des Schiffs ~ die Flaggen
— das Geschrey beym Entern —
O Joseph, es war ein schrecklicher Moment. Nur vor
wenig Tagen auf den höchsten Gipfel des Glücks empor-
gehoben — im Genuss der süssesten Freuden des Lebens
— O Barbaren! —
Aber geschlagen haben wir uns wie die Löwen — kam
nur die Fregatte fk^her zu Hülfe! —
Ach zu spit — der blutdürstige Geyer flog ja schon, die
schuldlose Taube in den Klauen, mit rauschendem Fittig
davon !
Pah! — wir wollen ihm schon wieder die Beute entreissen;
das müssten wir denn doch bleiben lassen, bitte Sir Elwis
nicht ein gut Wort für uns eingelegt!
Was?
Ich meine in Sir Elwis ZwölfPfündem lag eine über-
redende Kraft die den Muselmann von unsem Ansprüchen
auf die Freiheit bald überzeugte!
O wir ich mit dem Sibel in der Faust gesunken, was ist
der Tod gegen die Marter, von Elisan getrennt zu seyn!
Aber beym heiigen Petrarcha dem Schutzpatron winselnder
*) [daneben Korrektur:] Und feurig sie drücken.
31
MÜLLER: SINGSPIELE VON E. T. A. HOFFMANN
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
Inamoratos, eine lumpige Mauer, kaum zwanzig Fuss hoch,
trennt Dich von Elisan und Du verzweifelst?
Was sagst Du? — Ja sie ist hier — sie ist mir nah! —
in dem melodischen Sausein des Abendwindes hör* ich
ihre Seufzer — ich sehe sie — ihr Bild schwebt mir ent-
gegen — ich komme, Elisa, ich komme! — Von jenem
Palmbaum sagtest Du? — Fort — herüber zu ihr!
Schön — das ist unternehmend! — so lieb ich's ~~ Doch
lass uns eins bedenken!
O bedenken — bedenken! — Du hast nie geliebt.
Doch ist es wichtig.
Nun so sage. —
Der Dey hat es nicht gern, wenn ihm fremde Leute in den
Garten springen!
Was thut das zur Sache?
Noch weniger lieb ist es ihm, wenn sie seine Weiber stehlen!
Seine Weiber — ist Elisa sein Weib?
Die Begriffe mein und dein drehen sich hier um einen
Beutel Zechinen I
Du durchbohrst mir das Herz!
Will nichts bedeuten, ist nur eine Redens Art dagegen, wie
es der Dey mit dem Durchbohren hilt!
Du machst mich ungeduldig!
Es komt auf einen kleinen Verzug nicht an — in der
nächsten Minute springen wir über die Mauer, in der folgen-
den fangen uns die Schwarzen, und in der dritten sind wir,
hohl mich der Teufel, beyde gespiesst.
O süss — willkommen ist der Tod für die Geliebte!
Schön gesagt — eine von den Phrasen die in jedem empfind-
samen Roman immer mit demselben Glück wiederholt
werden — indessen — so am Pfahle ändert sich denn
doch die Ansicht der Dinge.
Prosaischer Mensch!
Die poetischte Poesie reicht oft nicht aus gegen die fatale pro-
saische Wirklichkeit — ein durch den Magen gejagter Pfahl —
brrr — verdammte Situation der allerfatalsten Wirklichkeit !
Aber für Elisa sterb—
(ihm ins Wort fallend) Leben sollst Du. Hier meine Hand, ich
fahre Dich durch hundert Pfihle mit gesundem Magen in
Elisa's Arme!
O Freund, Du warst schon einmahl der Retter meines
Lebens, jezt erst wirst Du Deinem Geschenke unnennbaren
Werth geben!
Also vor der Hand springen wir nicht über die Mauer?
Aber lass uns eilig berathschlagen! —
Das ist der Punkt wo ich Dich hin haben wollte
Allso — vor allen Dingen müssen wir uns darüber voll-
komne Gewissheit verschaffen, dass Elisa wirklich hier ist
— dann ^ (man bdrt einen seltsamen klagenden Gesang) ^ Horcl^
32
DIE MUSIK III. 1.
U, Duetio.
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Beliora
Ebn Ali
Beliora
Ebn Ali
Beliora
Ebn Ali
Beliora
Ebn Ali
Beyde
Joseph
Ebn Ali
St. Cyr
Joseph
St. Cyr
Joseph
Beliora
Ebn Ali
was ist das fOr ein Singsang — (der Gesang bebt wieder an) I Do
mein Gott •— ich glaube sie halten einen Umgang gegen
alle Ratten und Mause in ganz Algier!
Sieh da — ein alter Muselmann windet sich aus dem
Gebüsch !
Ha — ein allerliebstes bildschönes Mädchen hinter ihm
— Aurora und Thiton!
Lass uns bey Seite treten — (Sie entfernen sich)
Zweite Szene.
Ebn Ali, Beliora, die Vorigen.
(Ebn Ali hat eine auffemachte Rolle vor sich)
Duett.
Hihi — hi — ahi — ahi —
Still! — halte ein
Kannst du durchaus den Ton nicht Ikssen?
Ach lassts genug für heute seyn,
Ich kann nicht mehr!
Bey meinem Bart
Man hört den Sang auf allen Strassen,
Und mein gelehr'ges Töchterlein,
Die kan durchaus den Ton nicht fassen!
Mein guter Vater, seyd nicht hart!
Ich will ja singen, nur gelassen
Hört mich jetzt an!
Fort dann!
Hihi — ahi — ahi — ahi
Schön — gut jetzt geht es besser schon
Du wirst die erste, ich will wetten
— Nur mehr geschluchzt! — Ha, beym Propheten,
Das ist fürwahr der rechte Ton!
Hihi -- hi — ahi — ahi ahi
(St. Cyr und Joseph treten hervor.)
Nun möcht* ich in aller Welt wissen —
Was für Fremdlinge!
— Joseph — das ist der Corsar, der uns alles raubte!
— Beym Himmel! — nun der Kerl hat zwey Leben, sank
er nicht unter meinen Streichen! —
(auf Ebn All, der Im Begriff war fortzugehen, mit gezogenem Stilef los-
stQrzend) Halt — Barbar — Gieb mir Elisa wieder! — wo
ist sie — mit deinem Leben sollst du den Raub büssen
— Gieb mir Elisa wieder!
(zieht sein Stiiet) Unsere Diamanten — unsere Stoffb — unser
Gold, oder Du bist des Todes!
(wirft sich vor Ebn All) Mein Vater — haltet ein!
(sie wegschiebend) Fort da! — Nun — stossetzu, Fremdlinge,
mordet einen wehrlosen Mann — ihr werdet viel dabey
53
MÜLLER: SINGSPIELE VON E, T. A. HOFFMANN
Joseph
St. Cyr
Joseph
St Cyr
Josejph
St Cyr
Ebn Ali
St Cyr
Ebn Ali
Joseph
St Cyr
Ebn Ali
III. I.
gewinnen! — eure Diamanten, euer Gold, eure Weiber zwar
nicht, die sind in Sicherheit, aber dem Block, dem könt
ihr nicht entgehen! — ein Schrey, und ihr seyd von den
Wachen des Deys umringt — Nun, was stdht ihr so un-
entschlossen da? —
(zu St. Cyr) Das war dumm !
(zu Joseph) Wir müssen ihn besänftigen — (Uu^ zu Ebo Ali) Du
warst es, unmenschlicher Barbar, der mir meine Elisa, mein
Alles geraubt hat —
(zu St. Cyr) Zum Henker, was willst Du mit diesem barschen
Ton, denke an den Block!
Ich denke an Elisa!
(zu Ebn AU) Mit Erlaubniss, irr' ich nicht, so machte ich schon
an einem ziemlich heissen Tage Ihre werthe Bekanntschalft
Rede — sprich — Du warst es, der mir Elisa raubte!
(kalt) Ich war's!
O, wo ist sie, wo ist sie — ich beschwöre dich!
Hast du scharfe Augen, Fremdling? ~ Komm her — steir
dich auf diese Anhöhe, kanst du mit deinem Blicke die
dreylkcbe Mauer des Harems durchdringen^ so wirst du
deine Angebetete sehen, wie sie berausgepuzt, wie es der
Favorite ziemt, weint und schluchzt und zwiiichen ein die
Conflturen in den Mund stekt, welche der verliebte Dey,
vor Lachen Ikst berstend, ihr selbst reicht! :
Nun? — hab ich Recht!
Du hast mir mehr als das Leben geraubt, aber freilich den
Sinn für diesen Schmerz hat längst dein unmenschliches
Gewerbe verhärtet!
Derley Reden bringen mich nicht auf, die Menschen sprechen
gern über die Dinge ab, so nach der Art, wie sie ihnen ge-
rade erscheinen — Unmenschliches Gewerbet (mit steigendem
Affeckt) Ha sag mir doch wer ist unmenschlicher — eure
Anwälde, die Harpyen gleich auf die arme Clienten, welche
kamen um des Rechtes Beystand wie eine Krämerwaare
zu erhandeln, lossstürzen und nicht ablassen,' bis der lezte
Heller in ihre Tasche, weit wie ihr Gewissen, rinnt, eure
Mäkler, die den Bedürftigen mit tausend Fäden umranken
und ihn, wie Spinnen die gedörrte Fliege, ai^sgesogen aus
ihrem Netze fallen lassen, eure ewig zögernden Richter, eure
schwelgenden Geistlichen, eure Schmarotzer, eure kleine
Despoten aus jedem Stande, die den Unterdrückten um
den erworbnen Heller prellen, die mit lachbndem Hohn
ihrem mühevoll hingeschlepptem Daseyn die lezte Hoflbung
rauben — Ha was ist unmenschlicher, sie oder ich, der
ich in oflber Fehde mit dem Säbel in der Faust um Leben,
Freiheit, Güter kämpfe — Hast du den Löwen auf meiner
Flagge gesehen? •— er kämpft um sein Daseyn — auch
ichl schleichen, um mich aus meinem Nichts empor zu
winden, wie jene Tyrannen, kann ich nicht! —
3
34
DIE MUSIK IIL V
Joseph Was ist das?
St Cyr — Ich erstaune — du bist nicht was du scheinsti
Ebn Ali —Nicht was ich scheine?— Ich bin Muselmann^ weil ich
die Christen, die mich hämisch verfolgten, die mir mehr
raubten als ein schönes Weib und Gold — weil ich sie
hasse — ich bin Corsar, weil ich kimpfen muss um meine
Existenz — weil ich — doch genug, (kaii) Dein Weib ist
im Harem des DeysI — Dein Gold habe Ich! — Leidest
du Mangel, so soll dir mein Diener Ibrahim einen Beutel
Zechinen reichen — Gehab dich wohl! — komm Bellora! —
(Ehe er abfehc wirft er noch einen Blick nnf St. Cf r uad bleibt bcttoaiM»
•tehen — er ftMf Ihn noch einmahl schlHiBr ins Aufe and feht dann ab)
St. Cyr (vie ans dem Traume ervacbend) Ach, Joseph, alle Hoffhung iSt
▼erlohren!
Joseph — Ein Terfluchter determinirter Keri. Die Tochter — ein
himmlisches Mädchen
Ebn Ali (zurfickkehrend, Bellora folct ihm) (zu St. Cyr) Dein Schmon Scheint
gross zu seyn — zudem ist etwas in deinem Gesichte! -
hm! —
Bellora Sey nicht so hart, mein Vater, die Fremdlinge sind un-
glficklich!
Ebn Ali Ihr seyd Franzosen? — hm!
Joseph (zu Bellora) Schöncs Mädchen, sey du uns wenigstens holdt
Ebn Ali Sieh da — eine Antwort auf meine Frage! — bedeutet Ja!
Nun — was kan ich für euch thun, Messieurs?
Joseph — Uns Elisa wiedergeben! — das Gold behalt, wir haben
neuen Vorrathl
St Cyr Mir Elisa!
Ebn Ali Verdammt wenig und verdammt viel gefordert — Elisa ist
Favorite.
St. Cyr O Himmel!
Ebn Ali Sie hat sich das durch ihr Weinen und Schluchzen zu-
gezogen !
Joseph Wie das?
Ebn Ali Ja seht, unser Dey hat einen wunderlichen Geschmack.
Seine Liebe richtet sich nach dem Talent des Weibes zu
schluchzen — ein lachendes WeiberGesicht ist ihm ein
Palliativ gegen alle zärtliche Empfindungen, ein Mhlicher
Gesang verursacht ihm Krämpfe.
Joseph Sonderbar!
Ebn Ali So wie der Dey sich sehen lässt^ bricht der ganze Harem
in Heulen und Schluchzen aus, dann will er vor Lachen
bersten, das hat der dicke Mann gern — Nun, ihr habt Ja
schon die Melodie gehört!
St Cyr Wann?
Ebn Ali Vor wenigen Minuten, ich fibte mit Bellora des Deys
LieblingsMelodie. Bellora ist für den Harem l>estimt
Joseph Wie — Eure Tochter f&r den Harem?
Ebn Ali Für den Harem bestirnt
St CJyr (mit dem Tone dea Vorwurfa) CorSSr!
35
MÜLLER: SINGSPIELE VON E. T. A. HOFFMANN
Ebn Ali
niQmirtäto
Joseph
Ebn Ali
St. Cyr
Ebn Ali
St. Cyr
Ebn Ali
St. Cyr
Ebn Ali
Joseph
Ebn Ali
St Cyr
Joseph
Eb
Be
n Ali\
llora j
St Cyr \
Joseph )
Ebn Ali
Bellora
St Cyr
Joseph
Ebn Ali
Bellora
Heisst so viel als anedler niedriger Mensch — nicht wahr?
— Du bist sehr vorlaut, junger Mensch! — Der Dey hilt
eine Liste über alle aufblühende Mädchen in Algier! —
Bellora ist jetzt vierzehn Sommer alt, stelle ich sie ihm
nicht vor, so wird sie geholt, und ich erhalte hundert Hiebe
«ff die Fusssohlen richtig zugezählt — schluchzt Bellora
nicht gehörig — abermals hundert ffir meine wenige
Attention f&r des Deys Wunsche
(Die FOsse hebend) Puh! — ich f&hle Sie! —
(mit Ironie) Mitleidge Seele — (zu St. Cyr) wie heisst du?
St Cyr.
Gebfirtig?
Aus der Provence.
(bey Seite) Alles trifft ZU — (laut) Mein Freund, Hinsicht deines
ehrlichen Gesichtes will ich glauben, du seyst besser als
viele deines Gleichen (auf josepii zeigend) diesen ausgenommen
(zu josepii) Da hast du meine Hand löwenkfihner Jfingling
— (sicii ans Hinteriiaupt fasaend) 's war eine verteufelte Kopfwunde
— nun sie ist geheilt — (zu st. Cyr) Du sollst Elisa sehen
— sie sprechen
Gott!
Alles fibrige sey in deine Hand gelegt — ich werde dich
als einen französischen Schauspieler bey dem Dey ein-
führen! —
Ha, er wird dem Charakter Ehre machen, solche schmachtende
Inamoratos sind Schauspieler von selbst!
Wahr gesprochen — nun in einer Stunde siehst du Elisa! •—
Quartett
Sie sehn! — welch ein Gedanke! —
(zu joaepii) O Freund, ein neues Leben
Durchströmt mit sanftem Beben
Die hoflbungsvolle Brust!
(zu St. Cyr) Jezt Isss uns alles wagen!
Den Sieg davon zu tragen
Ist hohe Götterlust!
(bd Seite) Wie borg* ich die Bewegung?
Des Herzens sanfte Regung
Zieht mich zum Fremdling hin!
Welch Flfistem, welche Blicke?
Hat schon des Schicksals Tücke
Geändert seinen Sinn?
(zu St. Cyr) Hör Froundl —
(zu Joseph) Du lieber Fremdling
(zu Ali) Mein Freund, mein Retter!
(zu Bellora) Holde —
Wir woirn
(zu joMph) Was spricht dein Blick —
3»
36
DIE MUSIK III. 1.
Joseph
St Cyr
Bellora
Joseph
St Cyr
Ebn Ali
Alle
Zu Vier
(ztt BeUorm) Dass Ich
(za Eba Ali) wss stafTt dein Aug*
Mich an
Wie pocht mein Herz —
Belloral
Seltner Mann
Ha welcher Starm im Innern
O seltsame Empfindung!
Ahndungsvoll auf Zephyrschwingen
Strömen holder Geister Stimmen
Durch die Lüfte, wehn dem Herzen
Nie gefühlte Wonne zu
Ebn Ali und
St Cyr
Joseph uad
Bellora
Lass uns nicht länger weilen I
Zum Harem woll'n wir eilen.
Eh' schnell die Zeit entfliehtl
rV. ArvL
Lass sie zum Harem eilen!
die 1
. I mein Busen glüht!
(St. Cyr, Joseph, Bellora ab.)
Für {
Dritte Szene.
Ebn Ali (zurfickkommead.)
Er ist es! — Kein Zweifel! — welch ein Geschick —
O Bertrandy Bertrand, sind deine Manen versöhnt! — Was
soll ich thun? — Darf er wissen, wer ich bin? ~ darf ich?^
ihm entdecken — — Nein! — der Zuftdl mag meine
Handlungen leiten! — (Ab.)
VierteSzene.
(Bosket im Garten de« Harems.)
Rezitativ.
Elisa (tritt aufj.
Naht keine Hülfe — keine Rettung,? —
Schwand mir der Hoffnung lezter Strahl? —
Unglückliche, wohin führt dich die Macht
Des Schicksals! ^ unerbittlich reisst
Es dich hinab — Du bist verlohrenl —
Doch — ist's sein Geist^ der mich umschwebt? —
Isf s seine Stimme, die mir ruft
Im Säuseln sanfter Abendwinde? —
Er lebt — auf Fittigen der Liebe
Eilt er zu mir — löst meine Ketten
Belreyt flieg ich in seinen Arm
Und lass' ihn nimmer! —
37
MÜLLER: SINGSPIELE VON E. T. A. HOFFMANN
Arie.
Hoffnung, holde Himmelstochter,
Schweb herab mit leisem Flügel,
Zeig in deinem Ztuberspiegel
Mir des theuem Gatten Bild !
Nimmer werd' ich ihn vergessen —
Mit ihm starben meine Freuden,
Nimmer enden meine Leiden,
Bis das Grab die Sehnsucht stillt t
(Wihrend der lezten Strophen de« Gesufet Ist der Dey berelntetreten and
hat stark grimsssirend und sieb die Selten vor Lachen haltend seinen
Beyfiül zu erkennen cegeben.)
Der Dey — Ha ha ha — schön ~ herrlich, Liebchen — ha ha, zum
EntzQcken !
Elisa Unmensch — Barbar! — Kannst du unger&hrt meine
Thränen sehen — meine Seufzer hören?
Der Dey Ha ha ha — du sollst die erste seyn und bleiben, Liebchen
— das nenn' ich doch den Dey zu amusiren wissen —
nicht so wie die andern Salzsiulen — die schluchzen nur
a Tempo — du verstehst das besser, 's geht dir so von der
Hand!
Elisa Bey den ewigen Mächten, bey allem was deiner Seele je
heilig war beschwör* ich dich — gieb mir die Freiheit! —
lass mich von hinnen eilen, um ihn —
Der Dey — Wie? was? — he? — dich gehen lassen, Liebchen, dich
gehen lassen, das hiess ja 'ne Perle ins Meer werfen —
dich die mir alle Tage verweint^ dass mir das Herz im
Leibe lacht — (Elisa macht eine schmerzvolle Pantomime) ha ha
ha ha — ja ja, das Gesicht, das isf s eben — ha ha ha —
bravo — bitte noch 'n mahl!
Elisa Welch ein Geschöpf!
Der Dey — Ich sage dir, mein Sorbet schmeckt mir f&nfmahl so
gut seit dem du hier bist — meine zwölf Stündchen schlaf
ich hintereinander weg dass es pufft, ha ha ha — Du mein
Stern, mein GoldEngel schluchzest gar zu prächtig — Dich
geben lassen? — nein nein, 'ne Welt für deinen Besitz!
Elisa (bey Seite) O Himmel, wir* er der grausamste Tyrann, die
Quaal könte nicht grösser seyn!
Der Dey Ha ha ha, was für ein Gesicht — was für Thrinen — das ist
herrlich I — Sieh Liebchen, der Dey von Algier, (sich in die
Brust werfend) der grosse Dey — vor dem die Völker der
Erde zittern wenn er nur sein Haupt bewegt — er ist dein
Sclave, er küsst deiner Ffisse Staub — Aber, ha ha ha —
schluchze immer noch ein wenig —
Fünfte Szene.
(Ebn Ali — nachher St. Cyr — die Vorigen.)
Ebn Ali Herr — dein Sclave beugt sich vor deiner strahlenden
Hoheit!
38
DIE MUSIK IIL 1.
Der Dey
Ebn Ali
Elist
Ebn Ali
Der Dey
Ebn Ali
Der Dey
Ebn Ali
Der Dey
Ebn
Ali
Elist
Der
Dey
Elist
Ebn
Ali
St Cyr
Der
Dey
Ebn
Ali
Der
Dey
St Cyr
Ebn
Ali
Der
Dey
Ebn
Ali
Der Dey
Ebn Ali
— Nun gnt schon — gut schon, Ebn Ali — wie ist's?
Beate? — 'ne weinende Prinzessin — Ltss es gnt seyn —
seit dem ich diese htbe, trtchte ich ntch keiner tndem —
will die mthl sehn, die besser schlndizen ktnn!
Nein Herr — keine neue Beote — tber ein Frtnzose ist
hier der dir seine Dienste tnbietet
(bcftio ein Frtnzose?
(giebt ihr doen bedcuieadcB Wink)
— Ht ~ wts will er — wts ktnn er — ein Gärtner, eia
Btnmeister? —
Es ist ein Singer und Schtuspieler, Herr — Torzfiglich toC
trtgische Sitnttionen eingenbt — er spielt den tollen Prinzen
Htmlet — den rtsenden Orest^ den weinenden Feldherm
Ttrtr, den wuthenden Achill dem mtn seine Briseis ge-
rtubt — kurz tlle Helden und Seitdons, die —
O htlt ein mit dem Schnickschntck —
Er spielt mit wthrem Gef&hl — Seine Rollen pressen ihm
Thrinen tus — er schluchzt dtss mtn es auf dreissig
Schritte hört —
Wts stgst Du? — Ht! — dts ist it'n Mtnn für mich — er
soll meinen Weibern vorschluchzen — Ltss ihn kommen —
— (bei Seife) Köut ich Elist'n einen Wink geben! —
Himmel — welche Ahndung durchbebt mich! —
— Nun wts ztuderst du ? — bring ihn her, bring ihn her —
(Ebn Ali geht in die Coulisse und tritt mit St. Cyr hervor, der, EllM'n nicht
gleich gewthr werdend, sich vor dem Dey beogt)
Himmel — er ist es — St Cyr — mein Gttte
(leise and rasch zu Elisa) — Missigung, Oder dein Tod und der
seinige ist gewiss! —
(Elisa erbiicicend) — Himmel — meine Gtttin — O I —
— Ht, wts will er — wtrum thut er so, Ebn Ali? —
Er empfiehlt sich mit einer tragischen Exkltmttion deiner
Hoheit^ Herr
Ht — ht ht — närrischer Mensch! — Nun gut so, gut so
(zu Ebn Ali) — Ich ertrtgc den Anblick nicht — ich stürze
zu ihr hin — willkommen soll mir der Tod seyn! —
Du vergiltst schlecht mein Zutrauen —
— Wts murmelt ihr? -—
Herr — der Frtnke will dir eine Probe seines Ttlents
geben - Der Liebhtber findet seine ihm geraubte Geliebte
in der Gewtlt eines mächtigen Tyrtnnen wieder — es ist
eine Szene tus einer neuen Oper! — der Dichter heisst
Wthrheit, der Komponist Täuschung, die Oper Gelungene
List
— Ht ht ht — Ltss ihn mtchen, ltss ihn mtchen —
komm — setz dich zu mir, Elist — (Er wendet sich zu einer
Rasenbanlc, SIclaven springen liervor und schieben ein Poister unter — der
Dey sezt sich, die SIclaven verschwinden)
— Herr — zur Dtrstellung der Szene gehört such die
t'^ 39
MÜLLER: SINGSPIELE VON E. T. A. HOFFMANN
F. Qwurtetio.
Geliebte. Dem Glänze der strahlenden Schönheit ist die
Oper bekannt — wenn deine Hoheit erlaubt —
Der Dey Ha ha ha — versteh' schon, Elisa soll mitschluchzen —
nun — so — so — fangt nur an — fangt nur an —
Rezitativ.
St. Cyr Dich so zu finden — velche Pein!
Jfo.l Aridta.
Faustina.
Ein Singspiel in einem Aufzuge.
Personen:
Faustina. Terradeljas.
Hasse. Abbate Piccioli.
Leonardo Leo. Mehrere Giste.
Francesco Majo.
Die Szene spielt in Venedig ums Jahr 1720.
Erste Szene.
(Kleines Zimmer in Hassen« Wohnung. Rechts ein FlQgel, mit aufgeschlagenen Partituren
vad BOcbem bepackt. Daneben ein Icleiner Tisch, vor welchem H a S S e sizt und componlrt.
Die Overtura ist in ein schwermQthiges Andante fit>ergegangen ; als die Töne erstorben sind,
springt Hasse rasch suf, mscht einen Gang durchs Zimmer und bleibt dann vor dem Tische
stehen, an welchem er componirte.)
(einen tiefsinnigen Bück In die Partitur werfend)
Bin ich das? — Bin ich das wirklich? — Ha wie schaal,
wie kraftlos scheint mir das alles was ich jezt mache! —
Gedanken auf Gedanken durchglühen einem Feuerstrome
gleich mein Gehirn, aber schnell erkaltet und roh wie ein
MetallGuss stehen sie auf dem Papiere da! — Welche un-
bekannte Gewalt droht mich zu vernichten? — Darf ich —
darf ich's mir gestehen? Im Theater San Marco — ja —
seit jener Nacht, als ein nie gekannter Himmel voll wonniger
Töne auf mich hinabsank, als alles um mich her ver-
schwand — als ich nur sie hörte — nur sie sah! — Heilige
Musik, Sie ist Du und in Dir wohnt mein Leben! —
(Er eilt an den FlQgel, und nachdem er wie In Fantasien verlohren einige Akkorde aa-
gescblsgen hat, folgt die)
Arie.
Heilige Kunst,
Neige dich zu mir, lohne mein Streben
Lass mich auf deinen Fittigen schweben
Tröste mich, tröste mich, heilige Kunst!
Heilige Kunst,
Nagende Quaalen trag ich im Herzen,
Habe nicht Rast mehr, gefoltert von Schmerzen,
Tröste mich, tröste mich, heilige Kunst.
^Se
40
DIE MUSIK 111. 1.
Zweite Szene.
Hasse, der Abbite PiccloIL
(Dir Abbele Piccioli
n Snibl gCMbllcbCD und raft Bnn lu :)
Bravo — bravinimo, mio cariärimo Signon, (H*mc iprinp
Mvu noviiut »0 Aber — verzelbt — blechen in trocken —
zu eniai — lu — lu — kurz mit elaem Torte — sn
teutscb I
Venelbt Herr Abbete — ich korapoalrte and Beii{ dies mshl
nur fDr tenUche Ohren — fQr meine eigenen —
Ha ba ba ha — gut gegeben — )a ja ibr gebts mir gut —
wolltet sagen, hifle mich nicht hereinschl eichen aoUen —
ja seht ihr, das Ist nun so mein foibU — bin ein Eothoslast
r&r die Musik — gehe zu allen Maestros, kenne sie alle —
kenne ihre Manier — Ihre Art und Teise so komponiren
in und auswendig —
Vabrlich, Herr Abbate, um diese rdche Keontnlss beneide
icb euch —
Ja seht ibr — zum Beispiel der Scsrlatt) —
n dem Labyrinth weitilufiger AuBelatndersetzuagen uDd verzwtckter
' Bestimmungen, das die alten Statuten des Allgemeinen Deutschen
Musikvereins daistelllen, fand sich an verstecktem Platze ein
i schüchterner Hinweis auf die Möglichkeit, dass es den in einer
Stadt wohnenden Vereinsmitgliedern nicht verwehrt sei, sich zu einem Orts-
verbande zusammenzuschliessen. Welchen Daseinszweck eine solche Ver-
einigung zu erfüllen hatte, darüber schwieg sich jenes ritselvoUe Gesetz-
büchlein feierlich aus. Hatte also vordem jemand einmal Lust, sich tapferen
Mutes durch das Dickicht des dem heiligen Bureaukratius geweihten Para-
graphenWaldes einen Teg zu hauen, und übersah er ausnahmsweise jene An-
deutung nicht, so stand er einen Augenblick .scheu und staunend', auch wohl
kopfschüttelnd da, worauf er sich eilig in die Büsche schlug. Die Folge
war, dass wihrend einer stattlichen Reihe von Jahren 1, geschrieben ein
Zweigverein, nämlich der westßllsche gegründet wurde. Wer ihm an-
gehörte, der wurde auf den Tonkünstler- Versammlungen halb mit Ehrfurcht,
halb mit Misstrauen betrachtet.
Doch es kam anders. Böse Menschen, die nicht nur Lieder, sondern
auch Logik haben, arbeiteten eine neue .Satzung" aus und räumten mit
allem, was einer scharfien Prüfung nicht Stich hielt, unbarmherzig auf.
Zweigvereine? Vielleicht auch nur ein fiberflüssiger dekorativer Aufputz,
vielleicht auch nur eine klingende Redensart? Nicht doch. Da war ein-
mal jemand auf einen guten Gedanken gekommen. Die anderen aber hatten
die Anregung verkümmern lassen, weil sie es sich nicht klar machten, dass
hier eine Idee von bedeutender Tragweite aufgetaucht war.
Auch im Wege lokaler VereinstiHgkeit wfirde man während der letzten
Jahrzehnte einem gesunden Fortschritt in der Musik zweckmässig haben vor-
arbeiten können, wenn die Krilfte nicht verzettelt worden wären. Die seit undenk-
lichen Zeiten in germanischen Landen grassierende Vereinskrankheit forderte
Anmerkung: Die neue .Satzung" des Allgemeineii Deutschen Musikvereins
liegt jetzt im Druck vor. ScbrifirGhrer des Vereins Ist Herr Kapellmeister Friedrich
Rdich, Beriin, KBolggrltzerstrasie 21; Schatzmeister Herr Gustav Rissow, Bremen,
Dombalde 4.
42
DIE MUSIK III. 1.
nicht zum wenigsten auf diesem Gebiete ihre Opfer; wer irgendwo ein paar
neudeutsche Glöcklein in übermässigen Dreiklängen läuten gehört hatte,
verspürte den Ehrgeiz, ein Genie zu entdecken und einem in der Eile ge-
stifteten Bund den Namen des annoch Verkannten zu geben — wofern er
nicht, als Mann von grösserer Bescheidenheit, sich mit dem Amte des
»Festordners" in einem Wagner- oder Lisztverein begnügte. Freilich mangelte
es auch nicht an Mutigen und Opferwilligen, die sich ehrlich und eifrig
für ernste Zukunftsaufgaben einsetzten. Aber wieviel Zeit und Mittel wurden
verschwendet, indem man, wenn beispielsweise an einem Ort die Propa-
ganda für die Werke Liszts zu den erwünschten Ergebnissen geführt hatte
und es alsdann rätlich erschien, für den ebendort noch wenig gewürdigten
Hugo Wolf eine Gemeinde zu werben, die ganze schwerfällige Maschinerie
der Vereinsgründung von neuem in Bewegung setzen musstel Verfocht eine
rührige Genossenschaft, wie der Wiener akademische Wagner- Verein, gleicher-
weise die Sache Anton Brückners mit Entschiedenheit, so war das eine
rühmliche Ausnahme. Unsere verehrten Konservativen und Rückständigen
erwiesen sich als die besseren Taktiker, da sie in ihren geschlossenen
0 Hochschulkreisen ** heute für diese, morgen für jene orthodox gesinnte
Persönlichkeit eintraten, und auf diese Art noch Boden behaupteten
und behaupten, der ihnen von Rechtswegen schon seit längerem hätte ab-
gestritten werden sollen.
Das Geheimnis starker und dauernder Erfolge ruht heutzutage in einer
weitverzweigten, festgefügten, auf Jahre und länger hinaus gesicherten
Organisation. Wir kennen die politischen Parteien, die just durch plan-
mässig geförderten, emsigen Ausbau einer solchen Organisation zu gewaltiger
Machtstellung emporgewachsen sind. Ähnlich im sozialen, im industriellen
Leben Europas und Amerikas. Was den einzelnen zurückwirft, was kleine
Gruppen nicht besiegen, das bezwingt die Genossenschaft, die dadurch er-
starkt, dass die ihr zugehörigen lokalen Verbände verschiedener Orte sich
wechselseitig stützen.
Warum von derartigen Vorbildern nicht lernen, warum sich beachtens-
werte Erfahrungen nicht zu Nutze machen?
In jeder einigermassen grösseren Stadt Deutschlands, Deutsch-Öster-
reichs und der deutschen Schweiz müsste sich eine Ortsgruppe unseres
«Musikvereins" bilden, die als Zentrum der fortschrittlich musika-
lischen Bestrebungen des betreffenden Ortes, beziehungsweise der
um diesen geistigen Kern gelagerten Provinz zu gelten hätte. Denn in
einem „Allgemeinen deutschen Musikverein" ist für jedwedes Wirken
Raum, das ein Vorwärtsgehen bedeutet und eine Entwicklung verheisst.
Mit Rücksicht auf ein notwendiges Einsparen und Zusammenfassen der
Kräfte sind somit die Ortsvertretungen dazu berufen, alle noch bestehenden,
43
MARSOP: ORTSGRUPPEN
vom Fortschrittsgeist durchdrungenen Sonderverbände gewissermassen in
sich aufzusaugen, und die Erbschaft der Vereine anzutreten, die mit der
Durchfuhrung der ihnen ehedem gestellten, durch ihren Namen bezeichneten
Teilaufgaben im wesentlichen zu Ende gekommen sind und daher gegenwärtig
nur noch ein Scheindasein fähren: der Wagner- und der Lisztvereine. Frau
Wagner hat es scharf zutreffend mit klaren, überzeugenden Worten aus-
gesprochen, dass den Mitgliedern des Allgemeinen Richard -Wagner -Vereins
kaum noch etwas anderes zu tun übrig geblieben sei, als die Schriften des
Meisters recht eingehend zu studieren, und unbemittelten Künstlern und
Kunstfreunden den Besuch von stilgerechten Festspiel-Aufführungen zu er-
möglichen. Dazu braucht man jedoch den nicht leicht im Gang zu haltenden
Apparat, die weitschweifige Geschäftsführung eines Vereins keineswegs.
Für die , Bayreuther Blätter", die just die Idealisten unter uns Musikern
am wenigsten missen möchten, die man schon deshalb nicht eingehen lassen
darf, weil sie ein bedeutsames Vermächtnis Wagners sind, könnte ferner-
hin der Allgemeine Deutsche Musikverein einen angemessenen Zuschuss
aufwenden. Auch Lisztvereine fänden jetzt nur noch einen sehr einge-
engten Wirkungskreis. Die monumentale Ausgabe der Tondichtungen des
Meisters wird allgemach ihrer Vollendung entgegenreifen. Die Leiter der
ständigen grossen Konzertinstitute, Richard Strauss wie Mottl, Weingartner
wie Nikisch sind überzeugte Lisztianer. Ganz abgesehen davon, dass der
Allgemeine Deutsche Musikverein es stets als seine Ehrenpflicht ansehen
wird, die Verdienste seines Stifters durch mustergültige ' Aufführungen
Lisztscher Werke dankbar zu feiern.
Hinwiederum ist es im Sinne Wagners wie Liszts gehandelt, dass
man begabten Tonsetzern, die neue Pfade suchen, es ermögliche, sich
durchzuringen, sich bei der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Und viel
energischer als ein auf schmale Einkünfte und auf eine mehr oder weniger
bescheidene Teilnehmerzahl angewiesener Hugo Wolf- oder Ansorge-,
Pfitzner- oder Reger -Verein kann dazu die grosse Genossenschaft des
Allgemeinen Deutschen Musikvereins mithelfen. Denn sie verfügt über
verhältnismässig ansehnliche materielle Mittel, sie erfreut sich mannigfacher,
ausgebreiteter, gesellschaftlicher Verbindungen, sie ist fähig, in der Ver-
wertung des weitreichenden Einflusses der im Vereine tätigen Tonsetzer,
Dirigenten, ausübenden Musiker und Kritiker gar vieles durchzusetzen, und
sie wird schliesslich bei ergänzendem, wohl geregeltem Zusammenwirken
des Vorstandes, des Musikausschusses und der Ortsgruppen eine Macht
verkörpern, mit der in Zukunft die eigenwilligsten Bühnenleiter und die
geldgierigsten Musikagenten im guten oder im schlimmen zu rechnen haben.
Wie sich die Tätigkeit der einzelnen Ortsgruppen gestalte, dafür lässt
sich kein Schema festsetzen. Im Gegenteil: es walte die denkbar grösste
44
DIE MUSIK III. 1.
Freiheit bei der Inangriffnahme zweckdienlicher, von fortschrittlichem Geiste
beseelter Arbeit! Nur auf die Vertreter frivoler Brettlkunst und anderer
musikalischer Gelegenheitsmacherei darf keinerlei Rficksicht genommen
werden. Ebensowenig auf die Quadratur-Komponisten und akademischen
Leisetreter. Die Herren sorgen schon selbst in ausreichendem Masse ffir
ihr gegenseitiges Wohlbefinden. Schliesslich noch ein Wort zu einem wich-
tigen Kapitel: keine Ausländerei! Wir sind ein Allgemeiner deutscher
Musikverein ! Wer Charpentier oder Glazounow ein Denkmal errichtet wissen
will, der mag auf seine eigenen Kosten Sammelbogen drucken und hemm-
schicken.
Im übrigen: sehe jeder, wie er's treibe! Hier wird es erspriesslicher
sein, vorerst Brückner oder Hugo Wolf gegenüber noch bestehende Schulden
abzutragen. Dort ist für die beiden Genannten bereits manches geschehen;
somit empfiehlt es sich, den ortsansässigen Kunstfreunden eine eingehende
Bekanntschaft mit Reger, mit Hausegger, mit den jüngsten Symphonikern,
mit eben erst auf den Plan tretenden, sich in neuen Tönen und Weisen
versuchenden Gesangskomponisten zu vermitteln. In der einen Stadt ist
es um die Konzertverhältnisse relativ besser, um die musikalisch-dramatische
Scene schlechter bestellt: da müssen sich die Hauptanstrengungen der Orts-
vertretung auf eine Hebung der heimischen Theaterzustände konzentrieren,
da soll, in Verbindung mit einer liebevollen Pfiege von Wagners Schöpfungen,
den Bühnenpartituren von Pfitzner, Richard Strauss, Schillings, Klose und
Hausegger ihr Recht werden. Anderswo wird füglich besonderer Nachdruck
auf die verständige Förderung neuzeitlicher Symphonik zu legen sein. Für
die Errichtung von Theaterbauten nach dem Bayreuther Vorbild ist um
so eifriger einzutreten, je mehr unsere heutigen Dramatiker, wie ich schon
oft darlegte, ,mit dem Klang des versenkten Orchesters im Ohr* schreiben
und, dem Entwicklungsgesetz zufolge, schreiben müssen. Insgleichen ist
es an der Zeit, die brennenden Fragen der » Konzertreform* allerorten mit
gebührendem Ernst zu behandeln. Anzustreben sind kurze Programme
einheitlichen Charakters; zu wirken ist für die Verdeckung des Musik-
apparates, für die Erbauung von Musiksälen, die nur mehr einer vornehmen
Kunstausübung dienen und mit gesellschaftlichen Zerstreuungen, Mode-
Unterhaltungen und ähnlichem nichts zu tun haben.
Vor einem möchte ich noch eindringlich warnen: nicht zu rasch mit
grösseren, womöglich namhafte Ausgaben erheischenden Unternehmungen
ins Zeug zu gehen. Die neue Vereinssatzung sieht vor, dass der Mitglieder-
beitrag unverkürzt an die Zentralkasse abgeführt werde. Da erscheint es
denn zweckmässig, wenn die Ortsgruppen während des ersten Jahres ihres
Bestehens noch keine besonderen , Umlagen* erheben. Haben sie sich
innerhalb ihres Wirkungskreises eingebürgert, sind sie einmal zu einem
45
MARSOP: ORTSGRUPPEN
bedeutsamen Faktor im Musikleben dieser und jener Stadt geworden: dann
dfirfte man vorerst an die Opferwilligkeit einzelner begüterter Mitglieder
appellieren, und sodann auch einen bescheidenen Ortsgruppen-Beitrag fest-
setzen. Vielleicht ist es rätlich, die Tätigkeit einer Ortsgruppe im ersten
Arbeitswinter mit einem Cyklus von Vorträgen einzuleiten, an die sich
Verhandlungen in parlamentarischer Form knüpfen mögen. Wer als Künstler
des Wortes mächtig, wer auf musikästhetischem oder verwandtem Gebiete
tätig ist, wird sich fraglos gern bereit zeigen, im Interesse der guten Sache
solche Vorträge zu halten, ohne auf ein Honorar Anspruch zu machen. Die
Anregung durch das lebendige Wort, die Klärung der Ansichten durch
Rede und Widerrede vor der Öffentlichkeit sind wahrlich nicht gering an-
zuschlagen. In den drangvollen Tagen der grossen festlichen Frühjahrs- oder
Herbstaufführungen des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, im Wirrwarr
von Proben, Besprechungen und Wahlvorbereitungen bringt man für noch so
gediegene theoretische Erörterungen weder Zeit noch Stimmung auf. Umso-
mehr läge es den in stetiger, über das Jahr hin verteilter Tätigkeit ruhig fort-
schaffenden Ortsgruppen ob, jenes bisher brachliegende Feld zu bebauen. Thema
des ersten Vortrages: »Was will unsere Ortsgruppe?"^ Ist durch diese Ver-
anstaltungen das allgemeine Interesse geweckt, dann finden sich wohl einige
Künstler bereit, einen »neuzeitlich gerichteten' Lied- oder Kammermusik-
Abend für die ortsansässigen Vereinsmitglieder und die von diesen ein-
zuladenden, oder gegen Erlegung eines massigen Eintrittsgeldes zuzulassenden
Gäste zu geben — eben auch, ohne Honorarforderungen zu erheben. Nach
ein- bis zweijähriger fruchtbarer Arbeit ist dann auch unschwer ein massiger
Garantiefonds für ein den Vereinszwecken dienendes Orchester- oder Chor-
konzert, beziehentlich für die Wiedergabe eines gut modernen musikalischen
Dramas, zusammenzubringen, vielleicht gar eine Beihilfe für rührige, fort-
schrittlich gesinnte Bühnenleiter kleinerer oder mittlerer Städte zu er-
möglichen. So stecke man sich mit allmählich wachsendem Einfluss nach
und nach das Ziel höher und höher.
Es fehlt nicht an rührigen, Hhigen Männern, denen es eine Freude
und eine Genugtuung- sein wird, eine Ortsgruppe zu begründen und sie
bedachtsam, aber mit gleichmässig regem, fürsorglichem Eifer zu idealen
Erfolgen hinzulenken. Die Notwendigkeit, die bisher schier bis ins Fabel-
hafte verschachtelte Geschäftsführung der Vereinsleitung zu vereinfachen,
bedingte schlechterdings eine ansehnliche Herabminderung der Zahl der
^) Auch Vorträge Qber Ziele und Kämpfe der oeueren Malerei, Plastik und
Architektur, über die Dichtung unserer Tage, vor Allem über Wechselwirkungen
und -Strömungen im modernen Entwicklungsleben der verschiedenen
Künste wären begrfissenswert. Der Musikant hat abgewirtschaftet: der Musiker, das
helsst der Mann von freier, umfassender Bildung soll überall an seine Stelle treten.
46
DIE MUSIK III. 1.
Vorstandsämter. Es wäre hoch dankenswert, wenn vor allem bewährte
Männer, die sich in früheren Jahren als Vorstandsmitglieder verdient
machten, sich mit ihrer Erfahrung und mit ihrer Autorität den Ortsgruppen
zur Verfugung stellen wollten. Auch die Jüngeren, denen man es zuzutrauen
hat, dass sie dereinst so manchen Gipfel erklimmen werden, mögen ihr
Können und ihre Tatenfreudigkeit Innerhalb der Ortsgruppen frisch und
wohlgemut einsetzen und sich dort die schwere Kunst zu eigen machen,
einen lediglich künstlerischen Zwecken dienstbaren Organismus auszurunden
und fest zusammenzuhalten.
Und nun ans Werk! Fröhliche Arbeit und schönes Gelingen!
HIE NATIONALE
TONSPRACHE — HIE VOLAPOk'^
i^
O. G. Sonneck-Wasbington
^as Durchschimmern eines Volkscbinkters ergibt das, was wir
.musikalische Nationalität* zu nennen gewohnt sind. Sie unter-
I scheidet sich wesentlich von der sogenannten .LokalFarbe".
I Diese ist oft nur eine absichtliche Würze und ein wirkungs-
volles Kunstmittel, auch in der Hand des Ausländers. Jene dagegen liegt
einem Künstler im Fleisch und Blut. Sie gibt seiner Eigenart, ohne sein
Zutun, eine allgemeinere Färbung und entzieht sich lusserlicher Nach-
ahmung. Denn die Musik ist kein kosmopolitisches Gewächs, das jenseits
von Zeit und Raum steht. Auch der Musiker wurzelt in .Mutter Erde'.
Er ist, wie Jedes Individuum, das Ergebnis von Umgebung und Erziehung,
der mehr oder minder ausgeprägte Vertreter seines Volkes. Zwischen den
Völkern aber, noch weiter gefasst, zwischen den Rassen bestehen typische
Unterschiede.
Die tägliche Erfahrung und die vergleichende Volkskunde lassen
darfiber keinen Zweifel aufkommen. Die Gebärden des Italieners stechen
von denen des Deutschen auf viele Schritte ab. Ihre Affekte, deren Reflex
die Gebärden sind, haben nicht minder unterschiedliche Merkmale. Der
deutsche Schwung z. B. deckt sich durchaus nicht mit dem italienischen
slancio, und beide entfernen sich deutlich vom £lan des Franzosen oder
dem kaltblütigen dash and go des Amerikaners. Der seltsame Vechsel
von Schwermut zu Wildheit im russischen Volkscharakter mag in anderen
Völkern ein Pendant finden, aber eine völlige Gleichung wüsste ich nicht.
Mao beliebt nun diese Erfahrungen mit dem Hinweis zu entkräften,
dass kein Volk rassenrein geblieben, und dass innerhalb der Völker selbst
merkwfirdige Charakterunterschiede bestehen. Sicherlich, ein echter Bayer
wird nicht leicht mit einem Pommer verwechselt, oder gar ein Irländer
mit einem Engländer, aber mit solchen Hinweisen ebnet man das Problem
nicht, sondern vertieft es mit alt seinen Folgerungen. Im allgemeinen
haben doch wohl politischer Zusammenschluss, eheliche Vermischung, ge-
meinsame Sprache, Erziehung, Interessen den Nationen unterschiedliche
48
DIE MUSIK III. 1.
Stempel aufgedrückt, so dass Unähnlichkeiten innerhalb der politischen
Kombinationen nur noch, möchte ich sagen, wie Dialekte des Volkscharakters
wirken. Dass solch ein Volkscharakter sich auf eine Mischung von Charak-
teren zurückfuhren lässt, verschlägt wenig. Er wird von Aussenstehenden
nicht als eine Mischung empfanden, sondern als Einheit, eben so wie Grün
psychologisch eine eigene Farbe ist und nur für den analysierenden Ver-
stand eine Mischung von Gelb und Blau. Der schliessliche Eindruck hingt
natürlich von der stärkeren oder schwächeren Beimischung der einzelnen
Farben ab, wie denn der nordamerikanische Volkscharakter angelsächsisch
wirkt, aus dem einfachen Grunde, weil unter den heterogenen Elementen
das angelsächsische bei weitem überwiegt.
' Wenn diese Dinge für das gesamte Innen- und Aussenleben der
Völker Bedeutung haben, dann auch für die Musik.
• Es geht nicht an, von einer internationalen Musiksprache zu reden,
nur weil die Völker, die für unser Musikleben in Betracht kommen, sich
derselben Instrumente, derselben Tonstufen, kurz desselben Klangmaterials
bedienen. Auch die Maler arbeiten überall mit gleichem Material, und
doch drückt sich ein Franzose anders aus wie ein Deutscher. Die Ge-
mälde eines Besnard würden auch ohne seinen Namenszug nicht ihren
fi*an'z5sischen Ursprung verleugnen können, und die eines Franz Stuck
würden unverkennbar den Stempel tragen: made in Germany. Nicht
einmal eine ähnliche Technik oder eine ähnliche Gestaltung kann den
V^sdiarakter, der die Persönlichkeit des Künstlers durchtränkt, ver-
wischen.
: . Man deutet, und nicht unsere schlechtesten Kunstkenner haben es
getan^ auf eigentümliche Charakterzüge in den Werken unserer semitischen
Meiäteir. Manche Leute lächeln über diese Beobachtung und wollen sie
schlankweg auf spintisierenden Rassenhass zurückführen. Sie spötteln
mit Unrecht. Wenn die tönenden Symbole des Innenlebens, also Melodik,
Rhythmik, Harmonik u. s. w. aus der Volksseele der Magyaren in Gebilden
hervorquellen, die psychischen Gesetzen zu gehorchen scheinen, welche
der ;Germane oder der Romane als fremdartig empfindet, warum nicht auch
bei den Semiten? Mag Umgebung und künstlerische Erziehung diese Farbe
übertüncht haben, es wäre seltsam und bedauerlich, wenn sie nicht doch
zuweilen durchschimmerte.
> Die Neurussen werfen Tschaikowsky Ausländerei vor. Sie sehen
ia ihm. keinen reinen Vertreter ihres Volkes, im Gegensatz zu Moussorgsky
und anderen. Nun war Tschaikowsky kein musikalischer Hurra-Patriot,
kein Problematiker, er kehrte den Russen nicht absichtlich heraus, und
doch vermag seine Vorliebe für die Italiener und Mozart uns Occidentalem
seinen russischen Ursprung nicht zu verdunkeln. Uns ist er, wie
4d
SONNECK: NATIONALE TONSPRACHE — VOLAPÜK
sich ausdruckt, eine lyrisch beanlagte, echte Musikernatur, zugleich aber
gut nationaler Russe.
Das Böhmische Streichquartett bietet ein anderes Beispiel. Es ist
schon vielhch aufgefallen, dass die vier Künstler allen Werken, die sie
spielen, eine slavische Färbung geben. Während sie böhmische und
russische Meister unnachahmlich echt und originalgetreu wiedergeben, wirkt
ihr Vortrag unserer Klassiker, sozusagen, wie eine hervorragend schöne,
reizvolle Übersetzung aus dem Deutschen ins Slavische. Beethoven wird
unter ihren Händen zu einer Art Dvor&k. Sie sind sich dessen wahr-
scheinlich nicht bewusst. Sie können nicht anders und jeder Versuch
zu deutschtümeln würde an Naturgesetzen scheitern, über die sie nicht
Herr sind. Das gleiche gilt natürlich vom Vortrag italienischer oder
russischer Werke durch Deutsche.
Man würde sich zum Apostel von Binsenwahrheiten machen, wollte
man, soweit heterogene Rassen in Betracht kommen, das Problem in die
Breite treten. Die Verfechter einer internationalen Musiksprache müssen
sich also, wenn ihre Theorie, die zugleich ihr Ideal ist, einen Sinn haben
soll, auf Mittel- und Westeuropa beschränken. Also auf die Länder, die
seit Jahrhunderten unablässig ihre musikalischen Gedanken ausgetauscht
haben.
Es kann nun nicht geleugnet werden, dass England, die Niederlande,
Frankreich, Italien, Deutschland u. s. w. so sehr bei einander in die Schule
gegangen sind, sich gegenseitig so befruchtet haben, dass sie ihre Eigenart
nicht unvermlscht aus der vielfachen Wechselverbindung gerettet haben.
Aber zwischen Vermischung von Charakterzügen und ihrer Vernichtung
liegt eine Kluft. Solange die Völker sich in allen anderen Künsten unter-
scheiden, ist nicht daran zu denken, dass die Tonkunst ihre unterschied-
liche Physiognomie verlieren wird. Besonders nicht, solange die Volkslieder
so von einander abstechen, wie es der Fall ist. Was wirklich international
geworden, scheint mir, im Grunde genommen, nur die Technik unserer
Kunstmusik zu sein. Darüber hinaus gebe man sich keiner akustischen
Täuschung hin. Und wie wenig zuweilen diese internationale Technik im-
stande ist, die Gegensätze und Unähnlichkeiten in den Volksseelen zu über-
brücken, dafür bietet Mozart ein Beispiel.
Sein Entwickelungsgang macht ihn in vielen technischen Dingen zu
einem Abkömmling italienischer Meister, weshalb gar kluge Leute ihn einen
italienischen Komponisten nennen. Aber wie kommt es denn, dass er in
Italien bis heute noch nicht rechten Fuss gefasst hat, trotz seiner italie-
nischen Attitüden? Liegt es daran, dass er es nicht wert war sieghaft über
die Alpen zu dringen? Liegt es daran, dass er ein echter Deutscher in
italienischem Gewände ist, dass die Italiener die teilweise Verkleidung
JH. 1. 4
50
DIE MUSIK III. 1.
merken, fühlen, dass er nicht einer der ihrigen ist, dass er Saiten anschlägt,
die ihrem Charakter fernab liegen? Ich glaube das letztere, ich glaube,
dass der auffallende Widerspruch zwischen äusserem und innerem Ausdruck
zumal in seinen italienischen Opern, Mozarts Stellung in Italien bedingt hat.
Man mag sich also drehen und wenden, die Theorie einer inter-
nationalen Musiksprache ist nicht haltbar. Damit schwindet zugleich ihre
Berechtigung als Vorbild und mithin auch ihre Nutzanwendung für
unser zukünftiges Musikleben. Wird aber die Musikgeschichte als Stütz-
punkt herangezogen mit der Behauptung, die musikalische Pfropfkultur
habe während der letzten fünf Jahrhunderte so viele guten Früchte gezeitigt,
dass sie die Trägerin des musikalischen Fortschrittes bleiben müsse, so
heisst das auf Wolken wandeln. Denn diese Pfropfkultur hat mindestens
ebensoviel Schaden gestiftet wie Segen. Dieser besteht, wie betont wurde,
in dem Austausch technischer Errungenschaften, jener aber in einer alles
zersetzenden Ausländerei.
So bietet das deutsche Musikleben des achtzehnten Jahrhunderts ein
erbärmliches Schauspiel. Die Italiener waren Herren im Lande. Musiker
und Publikum mussten nach ihrer Pfeife tanzen. Es war das goldene Zeit-
alter für Komponisten, die nicht nur von den Italienern lernten, sondern
ihnen nachäfften. Deutsch gedachte Musik lebte nur ein Aschenbrödel-
dasein. Aber es ging wie im Märchen. Jene verschwanden mit der Mode,
während die Meister, die sich in technischen Dingen befruchten Hessen,
ohne dabei dem Mutterboden entwurzelt zu werden, langsam aber sicher
ihre Auferstehung feiern. Allen voran Johann Sebastian Bach! Aber auch
seine Werke sind nicht immer stilrein. Auch er gab der Mode zuweilen
allzuviel nach. So sehr seine Arien z. B. von seinem Genius durchhaucht
sind, sie sind nach italienischer oder französischer Manier zugestutzt. Das
raubt ihnen ein gut Stück ihrer Lebenskraft. Sie bilden die — verhältnis-
mässig — schwächeren Teile in seinen gewaltigen Werken. Sie wirken
weniger befriedigend, weil weniger echt, als die Arien mancher zeit-
genössischen Italiener, die im übrigen sich neben Bach fast wie Zwerge
ausnehmen. Das sollte doch zu denken geben!
Dann betrachte man die Geschichte der englischen Musik. Bis zu
Purcell eine Periode der Blüte, während der die englischen Meister trotz
italienischer Einflüsse den Charakter ihres Volkes wiederspiegeln. Darauf
setzt der Händel-Kultus ein, und seitdem Hess sich England am Gängel-
bande aller möglichen fremdländischen Idole führen. Fast zwei Jahrhunderte
eines beispieUosen Musikschwelgens, aber zugleich zwei Jahrhunderte,
während derer die schöpferische Kraft englischer Komponisten brach liegt.
Sollte zwischen beiden Momenten kein innerer Zusammenhang bestehen,
kein Sichauslösen von Ursache und Wirkung? Ist es nicht bezeichnend^
5t
iSONNECK: NATIONALE TONSPRACHE - VOLAPÜK
dass, nachdem sich diese Erkenntnis in den letzten Jahrzehnten Bahn ge-
brochen, die Anzeichen eines schöpferischen Aufschwunges sich in England
deutlich gemehrt haben?
Seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts kämpften Italiener
und Deutsche um die Vorherrschaftin musikalischen Dingen. Die Deutschen
haben seit den letzten fünfzig Jahren zweifellos auf der ganzen Linie gesiegt.
So sehr, dass Italien, das bereits von den Franzosen abhängig geworden,
sich noch dazu unter deutsches Joch beugte. Viele italienischen Musiker
kennen ihren Wagner und ihren Brahms, ganz zu schweigen von Bach,
Beethoven, Schumann, so gründlich, dass sie ihre deutschen Kollegen in
gelindes Erstaunen setzen könnten. Doch glaube man nur nicht, dass diese
Musiker in der Nachahmung der Deutschen ihr Heil erblicken. Nur als
Mittel zum Zweck! Ihr Ziel ist, die italienische Musik aus einer veralteten
und verBachten Formgebung wieder bergan zu führen. Verdi's berühmtes
und erlösendes Wort: Torniamo all' antico ist der Wahlspruch aller ver-
ständigen Italiener. Wer diese ihre Sehnsucht nach einer Erlösung von
der durch zeitliche Umstände bedingten Deutschtümelei für eine Eitelkeits-
pflanze ansieht, irrt sich sehr. Sie drängen auf die Pflege der altitalienischen
Meister in Haus, Schule, Konzertsaal als auf einen unversieglichen Jung-
brunnen. Sie sehen ein, dass diese alten Meister ihrem Naturell viel
näher liegen als die zeitgenössischen Meister jenseits der Alpen. Auch
hier also die Erkenntnis, wie Kosmopolitik nur für die Technik eine Quelle
des Fortschrittes ist, für den Inhalt aber ein Siechbett. Sie wollen über-
haupt für die Musik nur eine ähnliche Kur von innen heraus, wie die
jungitalienische Dichterschule, die unter der Führung des grandiosen Giosuft
Carducci mit Feuereifer die Dichter des Trecento und Quattrocento
studiert, um endlich die italienische Literatur von Gallicismen und sonstigen
Unreinheiten zu säubern. Und zweifellos sind diese Anstrengungen bereits
von Erfolg gekrönt geworden.
Wer nun schliesslich die Augen auf die Vereinigten Staaten lenkt,
dem wird die Richtigkeit all dieser Ausführungen peinlich klar vor Augen
treten.
Die Vereinigten Staaten sind seit über hundert Jahren der Tummel-
platz europäischer Musiker. Nicht nur solcher, die hierher auswanderten,
sondern auch derer, die ein oder mehrere Jahre im Lande bleiben, um
Geld und Ehren einzuheimsen. Englische, französische, italienische, deutsche
Musiker haben mehr als die einheimischen hier in überraschend kurzer
Zeit ein reiches Musikleben zur Entfaltung gebracht, nicht nacheinander,
sondern nebeneinander wirkend, höchstens dass sich der Schwerpunkt des
Einflusses von Zeit zu Zeit verschob. Sie spielen noch heute die Haupt-
rolle und haben ihre eingeborenen Kollegen in den meisten Zweigen der
4*
52
DIE MUSIK III. 1.
Tonkunst arg in den Hintergrund gedringt. Insonderheit haben die Musik-
lehrer ihr europäisches Wesen der musiktreibenden Jugend eingeimpft.
Nicht nur das, Legionen junger Amerikaner pilgern zu den europäischen
Musikschulen, und zwar meist in einem Alter, wo, musikalisch wenigstens,
ihr Volkscharakter noch ausgerottet werden kann und wird. Was ist die
Folge? Die Vereinigten Staaten sind in musikalischen Dingen noch immer
vorwiegend eine Kolonie Europas. Die Theorie einer internationalen Musik-
sprache ist also hier in die Praxis umgesetzt worden. Wäre sie nun A
und O der Musik der Zukunft, so hätte man hier bereits einen Prüfstein
ihrer Vorteile und die Amerikaner müssten allen Grund haben, mit ihrem
Musikleben zufrieden zu sein.
Sie sind es aber durchaus nicht. Unsere Musiker, soweit sie nicht
selber Europäer sind, seufzen unter dem europäischen Joch. Sie sehen
mit Schrecken, was die planmässige Transfusion europäischen Blutes
geschaffen hat: ein krüppelhaftes Musikleben unter einer glänzenden
Schale.
Unsere Architekten, Maier und vornehmlich unsere Bildhauer haben
sich in der ganzen Welt Hochachtung erzwungen, weil ihre Meisterschaft
sich von der ihrer Berufsgenossen jenseits des Ozeans wesentlich unter-
scheidet.
Unsere Dichter, wie Edgar Allan Po€, Emerson, Whittier, James
Rüssel Lowell, Walt Whitman bilden typisch amerikanische Zierden der
Weltliteratur und wirken ihrerseits schon auf europäische Dichter be-
fruchtend ein.
Diese Künstler haben in der Volksseele mächtig Wurzeln geschlagen
und gelten den Amerikanern als fernhin sichtbare Warten ihres Volkslebens.
Ganz anders die Musiker. Das Volk bringt ihnen nicht die gleiche Achtung
entgegen. Die Musik ist ihm mehr ein importierter Modeartikel als eine
Kunst, die so gut wie die Poesie ein Volk veredeln, bilden, stärken kann
und soll.
Es wird einem Europäer kaum glaubhaft scheinen, dass die wenigsten
unserer Sänger imstande sind, geniessbar in ihrer Muttersprache zu singen.
Wie sollten sie es auch können? Sie sind ja meist nur auf Italienisch,
Französisch oder Deutsch eingedrillt worden. Das Gesetz von Angebot und
Nachfrage verlangte es so. Denn unsere Oper zumal ist ein kosmopolitisches
Sammelsurium. Wer englischen Sang hören will, ist auf die Operette an-
gewiesen. Alle Versuche einer englischen Oper aber sind entweder ge-
scheitert, oder wurden auf ein mittelmässiges Niveau geschraubt, weil es
dem grösseren Teil unseres Publikums weniger darauf ankommt zu ver-
stehen, was gesungen wird, als sich vom Klangreiz teuer bezahlter Stimmen
berauschen zu lassen.
53
$ONNECK: NATIONALE TONSPRACHE — VOLAPÜK
Was aber viel schlimmer ist, wir haben keinen Komponisten, den
wir stilistisch als echten Amerikaner bezeichnen dürfen, keinen, der die
Ideale seines Volkes in Musik setzt, wie es die Poeten für die Dichtkunst
getan. Wenn aber einige Leute es doch behaupten, wie Mr. Hughes in
seinem fesselnden Buche „Contemporary American Composers*", so ist ihr
Wunsch der Vater ihres Gedankens. Unsere Komponisten stehen in Wirk-
lichkeit technisch zwar vollkommen auf der Höhe der Europäer, aber nur
zuweilen merkt man an der Art und Weise, wie sie ihre Themen und
deren Verarbeitung anpacken, dass sie nicht Sklaven Europas sind, sondern
selbständig und natürlich sich gebärdende Amerikaner. Ihre Partituren wimmeln
von internationalen Reminiszenzen, und ihre dann und wann aufbäumende Per-
sönlichkeit kämpft vergebens gegen den Wust angelernter Formeln. Nicht
Mangel an Talent, sondern die unglückselige, Blut zersetzende Einimpfung
einer internationalen Musiksprache hat die Amerikaner vorläufig ausser
Stand gesetzt, der Welt Meister zu schenken wie Brahms, Bizet, Tschai-
kowsky, Sibelius. Die Europäer haben Recht, wenn sie unsere Kompo-
nisten über die Achsel ansehen. Eklektisches Gut ist nun einmal Diebs-
gut. Es demoralisiert, trägt nicht weit, und ist darum kein Element der
Stärke, sondern der Schwäche.
Das wissen unsere Musiker und Musikschriftsteller recht gut. Ihr
Kampfruf: Los von Europa! stammt nicht von heute oder gestern. Er
tönt bereits seit mehreren Jahren und schwillt immer mächtiger an. Genau
wie in Italien ist diese Sehnsucht nach einer volkstümlichen Tonkunst
keine Ausgeburt nationaler Hysterie, sondern die Frucht ernster Gedanken,
das Ergebnis vergleichender Musikgeschichte, ein aus Schaden Kluggeworden-
sein. Italien ist aber besser daran. Es kann aus seiner glorreichen Ver-
gangenheit neues Leben schöpfen, während die Amerikaner ohne eine
solche ihre fraglose Machtstellung in der Musik der Zukunft vorbereiten
müssen.
Die Nutzanwendung all dieser Erwägungen? Sie ist einfach und all-
gemein gültig. Man pflege die guten neuen Meister aller Völker, um nicht
abzusterben; die guten alten Meister, um sich bei Zeiten aus etwaigen
Sackgassen zu retten, und man wurzle im Mutterboden, um zu wachsen
und die Tonkunst dem Herzen seines Volkes so nahe zu bringen, dass es
über sie wacht, wie eine Mutter über ihr Kind. Geniessen, vergleichen,
lernen! Einer kosmopolitisierenden Tonkunst aber planmässig den Nähr-
boden nehmen. Denn sie ist nur die Götzin charakterloser Mittelmässigkeit.
e\a Lebtag vergesse ich die Aufregung nicht, die «uf der Grenz-
I sution zwischen Deutschland und Russland — in Alexandrowo
I — bei der Durchwüblung meines Köfffcrchens ein Band der
I Gedichte von Heinrich Heine bervorgeruFen bat. Die nächste
Folge war, dass der Koffer bis auf den Grund durchsucht wurde, dann
eilte der Zollrevisor mit seinem Fund in das Bureau zu dem wachthabenden
Kapitin. Dort wurde in aller Eile eine Konferenz der Zollbeamten improvi-
siert und die Folge war, dass man mir den Band konfiszierte, um ihn der
Zensurbehörde nach Warschau zu schicken, von wo ich mir denselben, wie
mir gesagt wurde, nach einigen Wochen abholen könnte, „Falls er über-
haupt frei gegeben wird', bemerkte mit pfiffigem Ucheln der eine der
russischen Zollbeamten, ein Kurlioder, in deutscher Sprache.
Der Mann hatte sich geirrt. Der Warschauer Zensor war barmherziger
als der Zollrevisor von Alexandrowo, und so erhielt ich nach vierzehn
Tagen mein Heine-Exemplar zurück, allerdings wiederum mit einer sehr
pfiffigen Bemerkung des Zensors: .Ich setze voraus, dass Sie es zu Studien-
zwecken brauchen t'
Man sieht, dass es nicht leicht ist, sich in Russland Heines Gedichte
zu verschaffen, und doch werden sie dort gelesen and zwar viel gelesen
und gekauft und übersetzt und gesungenl Man weiss eben der Zensur auf
jede mögliche Weise ein Schnippchen zu schlagen, und alle literarischen
MIchte sind dort im Bunde, um dies zu ermöglichen.
Die Scenen, die ich hier schilderte, haben sich allerdings vor zwanzig
Jahren zugetragen, aber viel besser ist es in dieser Beziehung auch heute
noch nicht geworden. Die Übersetzungen, die im Russischen und Polnischen
von Heines Liedern und Prosascbriften herausgegeben worden, erscheinen
selbstverständlich mit Zensurerlaubnis. Es sind also tugendhafte Ausgaben
seiner Werke, in denen man wohl alle Cynismen bat stehen lassen, dafür
aber alle Anspielungen auf politische und soziale Verhältnisse sorgsam
ausgemerzt hat. Dies alles konnte aber nicht verhindern, dass Heine In
Russland sehr populär geworden ist. Es besteht zwischen Heine und
S5
KARPELES: HEINE IN RUSSLAND
Russland das Verhältnis, wie zwischen dem Spielmann und seinem Mädchen
in dem bekannten Liede von Geibel:
„Und legt Ihr zwischen mich und sie,
Auch Strom und Tal und Hfigel,
Gestrenge Herrn, Ihr trennt uns nie,
Das Lied, das Lied hat FlQgell'*
Auf diesen vielberufenen Flügeln des Gesanges sind auch Heines
Lieder vor allem in Russland populär geworden. Es ist das eine in der
musikalischen Welt bisher noch nicht beachtete Tatsache, die ich aber
authentisch belegen kann. Seit längerer Zeit habe ich mich bemüht, ein
Verzeichnis der Gedichte Heines, die von russischen Komponisten in Musik
gesetzt sind, zu erlangen, aber alle meine Bemühungen waren vergeblich,
bis ich vor einiger Zeit in literarische Beziehungen zu einem in Russland
lebenden tüchtigen Kenner der modernen Literatur und warmen Verehrer
Heines kam, der mir ein solches Verzeichnis anfertigte. Es ist dies Herr
Wladimir Karenin, der ausgezeichnete Biograph der Georges Sand, der
wohl von der berühmten französischen Schriftstellerin auch die Vorliebe
für Heine geerbt hat. Das Verzeichnis ist ein sehr genaues. Es fehlen
aber trotzdem noch 15 Lieder, von denen man vermuten kann, dass sie
zu Heineschen Texten geschrieben worden sind. Diese Lieder sind aus
dem nachfolgenden Verzeichnis ausgeschieden; andererseits fehlen darin
einige Übersetzungen, die den Originaltitel nicht ganz genau angeben. Ich
habe die Aussicht, auch über beide Kategorieen noch einen Nachtrag bringen
zu können. Zunächst folgt hier das Verzeichnis, für das alle Leser dieser
Zeitschrift mit mir Herrn Wladimir Karenin zu herzlichstem Dank ver-
pflichtet sind:
VERZEICHNIS
Heinescher Gedichte, die von russischen Komponisten in Musik
gesetzt worden sind.
A.
(Mit russischem Text, meist von den besten russischen Dichtern
übersetzt.)
1. An mein Lied: »Mir träumte einst von wildem Liebesglfibn**, von
N. Rimsky-Korsakow.
2. «Lieb' Liebchen, leg's Händchen aufs Herze mein*, von Dfitsch,
Pomasansky.
3. Bergstimme: »Ein Reiter durch das Bergtal zieht*, von Bobrow.
4. Die Botschaft: „Mein Knecht, steh auf und sattle schnell*, von
Makarow, Ofrossimow, N. Rimsky-Korsakow.
5. „Im wunderschönen Monat Mai", von K. von Bach.
6. „Aus meinen Tränen spriessen*, von N. Artzybuscbew, A. Borodin,
Caesar Cui, Demidow, Denissow, Kutkin, An. Liadow, N. Rimsky-Korsakow, Startzow,
Schäfer, Schulgin, Willamow.
7. „Wenn ich in deine Augen seh'*, von Bleichman, Demidow, Dfitsch,
56
DIE MUSIK III. 1
Glazounowy Gnshof, KrimoWyOfrossimow, N. Rim8ky-Kor8akow,N.SoIovjew,V.Sokolow,
A. Titow.
8. »Lehn' deine Wang' an meine Wang'% von Alenew, Demidow» Galkin,
Kiriakow, Korganow, Makarow, Meiasner, N. Rimsky-Korsakow, A. Rubetz, N. Solovjewy
Sokolow.
9. »Ich will meine Seele tauchen*, von Caeaar Cui, Mm« Startzew.
10. »Auf Flögein dea Geaangea*, von P. Blaramberg, Dluasky, Gurilew,
Uaaatow.
11. Die Lotoablame: »Die Lotoablume ingstigt", von K. von Bach,
Iwanow, Juferow, Köhnemann, Leiaaek, Makarow, Orlow, Ant. Rubinstein, Schenk,
Sokolow, Solovjew.
12. »Du liebst mich nicht, du liebat mich nicht*, von Alferoki, Caesar Gui.
13. »O, schwöre nicht und kfiase nur", von Alferoki, Kopylow.
14. »Ja, du bist elend und ich grolle nicht", von Startzow.
15. »Das iat ein Flöten und Geigen", von Somow.
16. »Und w&ssten's die Blumen, die kleinen", von Alenew, Bemard,
Dütsch, Klemm, Kreibich, Proteininsky, Seifert, M»« Terminska, Ussatow.
17. »Warum aind denn die Rosen so blaas?", von Bleichman, Caesar Cui,
Gabel, Mm« Kawelin, Klemm, Simon, Tschaikowsky, Tolstoi.
18. »Die Linde blQhte, die Nachtigall sang", von Merten.
19. «Ein Fichtenbaum steht einsam", von Archangelsky, Argamakow,
M. Balakirew, Belgardt, Briansky, Braun, Dawydow, A. Dargomyschsky, Derfeldt,
Dmitriew, Gabel, Iwanow, Mme Kawelin, Krimow, Lomakin, Makarow, Mandelstamm,
Marenitsch, Ofrossimow, Ant. Rubinstein, N. Rimsky-Korsakow, Rachmaninow, Sokolow,
Titow.
20. »Aus meinen grossen Schmerzen", von Caesar Cui, M«« Danilewska,
Juferow, Merten, Raamadse.
21. »Hör' ich das Liedchen klingen", von K. von Bach, Demidow, Grigor-
jew, Lawrow, Merten, Paufler, Raamadse, Sokalsky, Sokolow, Spiro, Stschurowsky,
Wekschin.
22. »Mir triumte von einem Königskind", von K. von Bach, Ofrossimow.
23. »Ich hab' dich geliebt und liebe dich noch", von Fürst S.Wolkonsky.
24. »Sie haben mich gequilet", von Imberd, Kachanow, Korestschenko.
25. »Es liegt der heisse Sommer", von Alferoki, Kachanow.
26. .Wenn zwei von einander scheiden", von Ehban, Krimow, Lissenko,
Merten.
27. »Vergiftet sind meine Lieder", von Alferoki, N. Artzybuschew, A. Boro-
din, Merten, Raamadse.
28. »Ich hab' im Traum geweinet", von N. Artzybuschew, Caeaar Cui,
Demidow, Dfitsch, Elchowsky, Krimow, König, Lodyschensky, Makarow, S. Morosow,
E. Naprawnik, Nikober, Ofrossimow, Paufler.
29. »Allnichtlich im Traume seh' ich dich", von Korganow, Lippold.
30. »Das ist ein Brauaen und Heulen", von P. Blaramberg.
31. »Es fillt ein Stern herunter", von Artzybuschew, Merten.
32. »Am Kreuzweg wird begraben", von Rapport
33. »In mein gar zu dunkles Leben", von Sig. Blumenfeld, Sokolow.
34. »Du schönes Fischermidchen", von Bobrow, Derfeldt, Gogel, Makarow,
Schenk, Ussatow.
35. »Die Jungfrau schüft in der Kammer", von L. Engel.
57
KARPELES: HEINE IN RUSSLAND
36. »Ich stand in dunkeln Triumen", von Alferaki, Sig. Blumenfeld,
Demidowy Dfitsch, Makarow, Morosow.
37. »Was will die einsame Trine?*, von Bulacbow, Derfeldt, Dtibfique (oder
Dfibfic), Guiilew, Hlavacz, Korganow, Malaschkin, Merten, Schenk, Sokolow, Tolstoi.
38. »Der bleiche herbstliche Halbmond*, von Kasperow.
39. «Deine weissen Lilienfinger", von Prigoschy.
40. „Sie liebten sich beide, doch keiner*, von Caesar Cui, Dmitriew,
Grodsky, Nekrassow, Putiata, Spendiarow.
41. „Werdet nur nicht ungeduldig*, von Sokolowsky.
42. „Nun ist es Zeit, dass ich mit Verstand*, von Alferaki.
43. „Herz, mein Herz, sei nicht beklommen*, von Derfeldt
44. „Du bist wie eine Blume*, von Artzibuschew, Christianowltsch, Dank-
mann, DQtsch, Iwansky, Lischin, Lissowsky, Rachmtninow, Rybakow, Schantzberg,
Sokalsky, Somow, Villebois, Warlamow, Willamow.
45. „Kind, es wire dein Verderben*", von Grodsky.
46. „Wenn ich auf dem Lager liege*, von K. von Bach, Weidenbrfick.
47. „Midchen mit dem roten Mundchen*, von Stschurowsky.
48. „Mag da draussen Schnee sich tärmen*, von Caesar Cui, P. Weimarn.
49. „Saphire sind die Augen dein*, von Stschurowsky.
50. „Ich wollt', meine Schmerzen ergössen*, von Grodsky, V. Sokolow,
Taskin, Titow, P. Tschaikowsky.
51. „Du hast Diamanten und Perlen*, von Bulachow, Hlavacz, Ossipow,
Prigoschy, Somow.
52. „An deine schneeweisse Schulter*, von Alferaki, Glazounow, Kalinni-
kow, Rasmadse.
53. „Es blasen die blauen Husaren**, von Makarow, Mme Slawianska.
54. „Dimmernd liegt de.r Sommerabend*, von Miklaschewsky.
55. „Der Tod, das ist die kühle Nacht*, von K. Villebois.
56. „Ich bin die Prinzessin Ilse*, von Th. Iwanow.
57. „Das Meer hat seine Perlen*, von Dmitriew, Somow.
58. „Aus den Himmelsaugen droben*, von N. Solovjew.
59. Aus dem Rabbi von Bacharach: „Brich aus in lauten Klagen*,
von Alferoki.
60. Fruhlingslied: „In dem Walde spriesst und grünt es*, von Ant.
Rttbinstein.
61. „Die schönen Augen der Fruhlingsnacht*, von Bleichmer.
62. „Ich lieb eine Blume, doch weiss ich nicht welche*, von
Bleichman, Klemm, Ussatow.
63. „Gekommen ist der Maie*, von Caesar Cui, Cüi-Rubetz, Dutsch.
64. „Leise zieht durch mein Gemüt*, von Ant. Rubinstein.
65. „Die blauen Frühlingsaugen*, von Demidow, Dübüque (DQbuc), Ant.
Rubinstein, P. Tschaikowsky.
66. „Die schlanke Wasserlilie*, von K. von Bach, Caesar Cui, K. Dawydow,
Dlnssky, Goldstein, Hlavacz, Kott, Markewitsch, Miklaschewsky, Pantschenko, M^«
V. PreisSy Rachmaninow, Rappert, Ant. Rubinstein, K. Schreider, V. Sokolow, N. Solovjew,
Stschurowsky, M™« Sybin.
67. „MitdeinenblauenAugen*, von Mme Baikow, Caesar Cui, Dreier, Sokolow,
Starzowy Ussator, P. Weimarn.
68. „Ich wandle unter Blumen*, von Dubuque (Dübüc).
58
DIE MUSIK in. 1
60. i,Wie des Mondes Abbild zittert^ von Sokolowsky.
70. „Es war ein alter König", von K. Dawydow, Gurilew, luferow, Kalinnikow,
Ofrossimow, Ratscbinsky, Ant. Rubinstein.
71. »Meinen schönsten Liebesantrag*', von Caesar Cui.
72. „Ein schöner Stern geht auf in meiner Nacht", von Bleichman,
K. Dawydow.
73. «Das gelbe Laub erzittert*, von Derfeldt, Klemm.
74. »Mir träumte von einem schönen^Kind, sie trug das Haar in
Flechten", von M. Balakirew, A. Dawidow, Makarow, Sokolow.
75. »Ich hatte einst ein schönes Vaterland", von K. von Bach, Hlawacz,
Demidow, Korganow, Miklaschewsky, Rachmaninow, Saitzew, Sokolow.
76. Tragödie: »Entflieh mit mir und sei mein Weib", von Alferoki,
Demidow, Ant. Rubinstein, Ussatow.
77. Ein Weib: (»Sie lachte" — Ballade) »Sie hatten sich beide so
herzlich lieb", von G. Lischin.
78. »Ritter Olaf", von Sig. Blumenfeld.
70. »König Harald Harfagar", von Makarow.
80. Der Asra: »Tiglich ging die wunderschöne", von Linew, Juferow,
Ant. Rubinstein.
81. »Wo wird einst des WandermGden letzte Ruhestitte sein? Unter
Palmen, in dem SQden", von Ant. Rubinstein.
B.
(Mit deutschem Originaltext.)
1. »Es fällt ein Stern herunter", von Caesar Cui.
2. Sechs Lieder: 1. »Der kranke Sohn", II. , Der Tod das ist die
kühle Nacht", IlL »Der Asra", IV. »Der Schncidergeselle-, V. »Vergiftet
sind meine Lieder", VI. »Ich bin die Prinzessin Ilse", von N. Sischer-
batschew.
3. »Sag', wo ist dein schönes Liebchen", von Andreas Stscherbatschew.
Ehe ich auf dieses Verzeichnis näher eingehe, will ich nur noch der
Vollständigkeit halber erwähnen, dass der bekannte russische Komponist
Caesar Cui das Drama Heines »William Ratcli£P" schon in den sechziger
Jahren, wie mir Wladimir Karenin schreibt, »zu einer höchst originellen
und talentvollen, vom grossen Publikum aber wenig geschätzten Oper ver-
arbeitet hat". Der Text ist beinahe wörtlich von dem angesehenen russischen
Dichter Alexei Plestschejew übersetzt worden. Die Oper wurde im Sommer
1868/9 im Kaiserlichen Theater zu Petersburg mit grossem Beifall aufgeführt.
Was nun das Verzeichnis anbelangt, so staunt man über die grosse
Zahl der Kompositionen zu Heineschen Liedern in Russland, die allein
schon einen Rückschluss auf die Popularität Heines im weiten Zarenreiche
gestatten, und die der gewiss nicht geringen Zahl von Kompositionen
deutscher Tondichter zu Heineschen Liedern zuweilen fast gleichkommt.
Ein Vergleich dürfte nach dieser Richtung hin nicht uninteressant sein. Das
Lied aus dem Lyrischen Intermezzo: »Aus meinen Tränen spriessen" ist
in Deutschland 21 mal, in Russland 12mal komponiert; »Wenn ich in deine
59
KARPELES: HEINE IN RUSSLAND
Si
Augen seh'* ist in Russland ebenso oft komponiert wie in Deutschland;
das Lied vom Fichtenbaum und der Palme ist 23 mal in Russland, aber frei-
lich 77 mal in Deutschland in Musik gesetzt worden. «Ich hatte einst ein
schönes Vaterland* ist in Russland 8 mal, in Deutschland aber nur 7 mal
vertont worden. Es scheint, als ob die Sehnsucht nach einem schönen
Vaterland in Russland grösser sei als bei uns.^
Man ersieht schon aus dieser kleinen Zusammenstellung, dass Heine
zu den am meisten komponierten Dichtern gehört; aber am Ende kommt
es, wie jeder Musikkundige weiss, ja nicht auf die Zahl der Kompositionen
an. In jedem Fall haben die besten russischen Komponisten all ihren Eifer
und die Fülle ihrer Sympathie Heine zugewendet. Seine pointenreiche Lyrik
musste ihrem Geschmack ja ganz besonders entgegenkommen, weil sie die
wichtigsten Stimmungen des Lebens in engem Rahmen zusammen fasst.
Allerdings huldigten sie dabei mehr der Weise Robert Schumanns als der
Franz Schuberts, dessen mehr rezitierender Liedstil der russischen Musik
nicht entsprechen konnte, während das grosse Obergewicht der Klavier-
begleitung, das die Lieder Heines durch Robert Schumann erfahren haben,
den russischen Tondichtern eher zusagen musste.
Vielleicht liegt darin auch der Grund, dass Heine in Deutschland so
gut wie in Russland, ja fast in allen Ländern der Kulturwelt so viele Ton-
dichter in den Bann setner Poesie gelockt hat. Er selbst hat bekanntlich
von Musik so gut wie gar nichts verstanden und gelegentlich sogar den
Generalbass mit dem Kontrabass verwechselt — von wegen seiner statt-
lichen Grösse. Aber er hatte mehr als die Kenntnis der Musiktheorie.
Franz Liszt hat dies einmal in einem Briefe an mich sehr tre£Pend in
dem einen Satze zusammengefasst: «Er war Musiker als Dichter!*
Sein Geist war aus Scharfsinn und Phantasie geknetet. In ihm hatten sich
hellenischer Schönheitssinn, deutsche Empfindung und semitischer Scharfsinn
harmonisch vereinigt. Und so erriet er förmlich auch die tiefsten Geheimnisse
der Musik. Er war Musiker als Dichter! Und kein neuerer Poet hat den
Zauber der Lorelei, die tönenden Gluten, in denen Frau Mette untergeht,
das Langen und Bangen, das Himmelhochjauchzend und Zu Tode betrübt
im Menschenherzen mit grösserer Gewalt zum Ausdruck gebracht als er.
*) Vielleicht wird es bei dieser Gelegenheit die Leser dieser Zeitschrift inter-
essieren, zu erfkbren, welche Lieder Heines am biuflgsten vertont worden sind: „Du
bist wie eine Blume" 160 mal, ,Ich hab' im Traum geweinet* 83 mal, »Leise zieht durch
mein Gemüt" 83 mal, »Ein Fichtenbaum" 77 mal, »Und wQssten's die Blumen, die
kleinen" 74 mal, »Im wunderschönen Monat Mai" 61 mal, »Es war ein alter König"
SOmal, »Wenn ich in deine Augen seh'" 54mal, »Du schönes Fischermidcben" 51 mal,
»Ich stand in dunklen Träumen" 49m'al, »Mädchen mit dem roten Mündeben" 46mal,
»Die blauen Frühlingsaugen" 42 mal.
■enn der Tod auf der TaUtan als das elScUtcbste Ende des Helden ge-
j priesen wJrd, dann starb sucb Hennan Zumpe einen seligen Tod. Er
hatte, als er den Taktstock zum letztenmal blnlegte, einen gllnienden
I Sieg erklmpft, er batte nocb mit hsler Hand das Verk seines Lebens
* gekrSnt mit der Tat, die seiner idealen Geslnnunt eines Lebens voll
ArMt wert schien, utid mitten in Glanz und Jubel schenkte ihm der Tod ein sanftes
Steiten. TIe ein trfibes Mircben flog am Morgen des vierten September die Kunde
von Mund zu Mund: Hermsn Zumpe ist nicht mehr — erst Uoglsubeo, dann fassungs-
lose Bestüriung und liefe Trauer verbreitend. Dann aber folgte das Erkennen dessen,
was er für seine letzte Heimat getan — und in den Schmerz um den Verbliebenen
mischte sich die Erhebung, die die Erkenntnis seines von reinem Herzen gekommenen
Scbsffens gsb.
Zumpe war ein Mann der Arbelt. Ein weiter, veiter 7eg lag hinter dem Fünfzig-
jlbrigen, als er zum ersten Male am Dirigenten pult unseres Prinz- Regententtaesters
stand mit der Aufgabe, das Riesenwerk seines Meisters und Förderers in seinem
ganzen Glanz und unter Voraussetzungen, die redlichem Fleiss auch die Vollendung
verbürgten, neu erstehen zu Isssen. Tas der ideal angelegte Lehrer In einem weit*
fernen slchslscben Geblrgsdorf, was der Musikscbüler in einem letzten TInkel des
Leipziger Tbeaterorcheslers ertriumte, — hier sah es der ErfDIIung entgegen.
Uns MGnchnera schied in Zumpe der Reorganlsator unserer Hofoper, der
SchBpt^r des musikalischen Teils unserer Tagnerftistspiele, der zusammen mit Ernst
von Possart den Ruf unserer Hofb&fane zu fast ungeahnter HShe hob. Und doch Ist
damit das Lebenswerk Zumpes zwar gekrOnt, aber nicht in seiner Bedeutung erschSpft
— denn man gedachte nicht seiner selbstschaffenden Kraft, und nicht seiner reorgsnl-
satorischeu Arbeit, die er auch dem Konzertsaal In gleich treuem Eifer gewidmet hatte.
Es würde viel zuweit fuhren, bler dem Komponisten Zumpe gerecht werden zu
wollen. Dsss er in den letzten Jahren so wenig genannt wurde, war sein eigenes
Verschulden — er halte in sich selbst den sIlerschlechteBten Anwalt seiner Sache.
Die Toolyrlk seiner Lieder und Gesinge wird aber in ihrer poetlscben, sbgeklirten
Schfinheit noch jene Stellung finden, die Ihr zukommt: in ihrer zarten Reinheit darf
sie sich sn dem Besten des von Peter Cornelius auf diesem Gebiet Geschaffenen
messen. Und auch was er im Bereich der beute so tief gesunkenen Operette schuf,
wsr retOrmatorlscben Plinen entsprungen; such hier erstrebte er die kfinstterische
Hebung des ganzen Genres und der Erkenntnis, dass hier alle Mühe vergeblich sei,
machte er oft in blttem Vorten Luft
Sein ganzes Inneres Tesen, sein Charakter sprach sich aber in seiner Dirigier-
kunst aus. Da ward ihm die Werkstsn zum Tempel, und er ging vjtllig auf In dem
nfc^--5 TEIBLER:j!HERMAN ZUMPE f q'^^F^
Villen des Meisters dem er diente — einerlei ob er dleBcn Oienat In Gecenwart eines
tausendkSpflgen Publikums oder in einer stillen Piirtt-Kltvlerprobe betitigle. Die
ginze ungetaeure Senalblllilt seines EmpHndens, der Tast unglaubliche innere Auf-
schwung seines Vesena tat aicta dann kund. In seiner begeisterten Art des Nach-
scbalTens lag ein so grenzenloses Sich aufopfern, dasa die Bewunderung seiner Kunst
fast ein Gefühl des Schmerzes mit sich führte. Und wer mit Zurape einmal unmittel-
bar nach einer seiner Orchesiertaten zusammentraf, der konnte sehen, wie er die
geistige Erhebung mit der tlehien körperlichen Erschöpfung bezahlte, wie das Erlebnis
nacbzitterte In seinem begeisterten. In weite Fernen irrenden Blick.
Zumpe war kein Schnellsrbeiier, seine Authssung fand nie ein Ziel, sondern
scbof immer auf dem einmal Erreichten weiter — für Ibn war jedes wahre Kunstwerk
grenzenlos und ein Born stetiger neuer Erkenntnis. Er war kein vielseitiger Mode-
dlrlgent, kein duldsamer Kompromissler — er zog an oder stiess ab. Ihm war die
ganze Ausübung seiner Kunst Charaklersacfae. Sein Geist war modern im besten
Sinne des Wortes; sein Herz aber gebSne Im Konzertsaal Beethoven, im Theater
Vagner und Schillings, der ihm der beratene Nachfolger des ersteren war. Die in
ihm lebende stille Begeisterung wsr stets flugberelL Er sprach von den Meistersingern
nie anders, wie von dem .vom Himmel gehllenen Wunderwerk".
Und doch geriet dieser reine Ideallsmus nie in uferlose Empfindelei; denn
Zumpe hatte In einem Leben der Arbeit gelernt was Selbstzucht ist; vielleicht hstte
er such vom einstigen Lehrberuf jene prachtvolle Besonnenheit sich bewahrt, die mit
dem Schwung seines Empfindens so reine abgeklirte Konturen schuf und seiner
Individualltit das seltene Geprige gab.
So war uns Zumpe ein ganzer Mann, wie ein ganzer Künstler. Sein grOsstes
Terk, dem er seine volle Oberieugung und sein Leben opferte, schenkte er München,
und München betrauert in ihm einen der muligsten Mitarbeiter an seinem künst-
lerischen Veitruf. Sein Denicmal hat er sieb In unseren Festspielen selbst mit fester
Hsnd gesetzt Und sein Ende war schfin wie sein Virken, und eine letzte Bestidgung
der Vorte, die er einst in ein Stammbuch schrieb: .Selig sind, die musikalischen
Herzens sind, denn sie kOnnen Gott schauen I"
BÜCHER
1, Karl Lamprecht Deutsche Geschichte. Eratet Etginzunfsband : Ton-
kunst — bildende Kunst — Dichtung — Velt4n Bebauung. Verlag:
R. Gaertner, Berlin.
Seinem grossen deuiscben Geschicbrswerk fügt Lainprectat zwei Ergin zu ngsbinde:
.Zur jüngsten deutschen Vergangenheit* bei. Im ersten spricht er über Kunst und
Veltanscbiuung. Dem Mittelalter mit seinem gebundenen typischen Seelenleben steht
die neue Zeit mit den rrei gewordenen individuellen SeelenktiFten gegenüber. Von 1750
ab beginnt das subjeklivistische Zeltalter mit drei Entwicklungsstuten : Empfindsamkeit,
Romantik, Relzsanikeit. .Das jüngste grosse Zeitalter deutseben Seelenlebens' setzt ein
mit der EmpRndaamkelt und geht durch die Jahrzehnte der Romantik hindurch zu den
modernen Zustinden über, die psychisch lingst als die der Nervosltit erkannt sind. Man
darf dabei mit dem Torte .NerTOSilif nicht ohne weiteres den BegrilT des krankhaften
verbinden: es handelt sich nur üin ein uns In verstirkter Teise bewusst gewordenes
Leben der Nerven, das man vielleicht besser, da einmal das Tort .Nerven* bestimmte
Neben Vorstellungen erweckt, för den hier gemeinten Sinn mit dem Worte .Relzsarokeit"
vertauschen wird. Die .Reiisamkeit", die Lamprecht aufstellt, entbllt also keinen Tadel,
bedeutet weder Entartung noch krankhaftes ÜberreJitseln. Ist doch für Lamprecht das
relisame Gesamt kunstwerk aller Künste ein eigenartiges Merkmal der Urzeit und des
subjektlvlstlschen Zeitalters. „Die illere Kunst richtete sich mit ihren Spannungsgefüblen
im allgemeinen an die oberen Empfindungen, an das Gemüt, an die Gefühle ... Ste grub
also bloss bis ins Stockwerk der Gefühle herunter ; die darunter liegende mehr primire,
nervSse Scbicbt erreichte sie nicht oder doch nicht unmittelbar.' Die Tonkunst aber
.mit'' vor allen andern „auf die Nerven'. Ihre Ausdrucks mittel sind Im 19.Jabrbandert
ungemein gesteigert worden. Die Aufnahmefiblgkelt für musikalische Eindrücke ist bei
den ZuhSrern illmihlich entsprechend gewachsen. .Tausend neue Empfind ungsnuanceti
vor allem, und namentlich wieder Nuancen Im Gebiet des Seh webend- Ätherischen, Ge-
heimnisvollen, Abnungsreicben, NervCs-ScbmerzIlcfaen sind uns zuglnglich geworden.
Hier liegen die Kaupitrümpfe der neuen Kunst.' Ein Abschnitt über die Entwlcklungs-
geschjchte der deutschen Musik vom Mittelalter ab und über den technischen Charakter
der neuesten Musik, kurz und klar geschrieben, nur die Umrisse, aber diese um so
schirfer zeichnend, zeigt das Werden und Wachsen dieser neuen Ausdrucksmittel. .Ntcbl
ein Endiger, ein ErCfFner neuer Zeit war Beethoven, so betrachtet." Und nun werden
Liszl und Wagner als die Meister der neuen Kunst, der symphonischen DIcbtung und
des Wort-Ton- Dramas geschildert, wie durch sie die Musik zur Dichtung und Welt-
anschauung sich erhebt. Unnachahmlich schSn hat Wagner selbst (Ges. Schriften X,
188 IT. und Chamberlaln, Richard Wagner, kleine Ausgabe S. 264 fT.^ im Bild vom Seher,
Dichter und Künstler diesen Vorgang geschildert Wagner entdeckte eben in der Musik
die tBnende, unmittelbar gestaltungsHbige Seele aller Kunst und des deutschen Dramas
im besonderen. Lamprecht dankt im Vorwort unter andern den Herren GSbler und
Prüfer für ihren Rat. Er folgt guten Gewihrsleuten, und so fiel die Darstellung auch
63
BESPRECHUNGEN (BÜCHER UND MUSIKALIEN)
schön und richtig aus. Die Schilderung Wagners lehnt sich an Chamberlains Werk an.
Wir erfahren also zwar Qber unsere Meister selbst nichts Neues. Aber im Zusammen-
hang des Ganzen behauptet Lamprechts psychologische Auffassung und Behandlung
doch ihren eigenen Wert, indem sie Liszt und Wagner in den Mittelpunkt der geistigen
Kultur rückt und nachweist, dass die Musik der allgemeinen geistigen Bewegung und
der Entwicklung der anderen Kfinste sich anschliesst, ja sogar in neuester Zeit die
Führung übernahm. Der Historiker übertrifft an Wissen, Urteil und Kenntnis der
Fachschriften weit die Literaturhistoriker, die [mit wenigen Ausnahmen von Wagners
Grösse immer noch keine Anschauung, oft überhaupt noch keine Ahnung haben. Und
er zeigt uns das Kunstwerk Wagners im bedeutungsvollen Zusammenhang mit dem
ganzen Geistesleben der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. .Es war die erste
Errungenschaft der neuen Zeit: tausend annoch vereinzelten Tendenzen verhalf es zu
einem einzigen Ausdruck, den grossen Bruch schuf es in den Damm der Zeit, durch
den die Wasser eines neuen Seelenlebens unaufhaltsam einströmten.* »Wagner ist die
repräsentative Persönlichkeit der Anfinge der reizsamen Periode überhaupt.* Wir be-
grüssen es mit Freuden, wenn ein so einflussreicher und angesehener Geschichtsschreiber
wie Lamprecht seinen Lesern Wagners Bedeutung vor Augen führt. Und doch befriedigt
seine Darstellung in einem wesentlichen Punkt nicht ganz. Lamprecht unterschätzt bei-
nahe die geniale Persönlichkeit^des Künstlers, die ich mir so vorstelle, wie Chamberlain in
den Grundlagen 1,26 andeutet, vor lauter Entwicklungslehre und Form Psychologie. „Das
Gesamtkunstwerk Wagners ist also nicht ein persönlich-schöpferischer Gedanke, es ist
der Gedanke vielmehr eines bestimmten Zeitalters, einer Epoche.* Aber der Schöpfer
war ebenso nötig und ebenso persönlich wie etwa Bismarck fürs Deutsche Reich. ,Im
Anfang war die TatI* Richard Wagner in Bayreuth — der Künstler und sein
Werk, das deutsche Drama und sein weltentrückter Schauplatz, die ethisch-symbolische
Bedeutung dieser unvergleichlichen Tat — alles das muss im Mittelpunkt und Vordergrund
jeder wahrheitsgetreuen Schilderung des Bayreuther Meisters stehen, sonst wird die Betrach-
tung falsch oder doch nur sehr einseitig und auf Nebensachen, vom Gehalt zur Form gerichtet.
Richard Wagner ist in der Geschichte deutscher Kunst und Kultur eben doch noch etwas
anderes als ein Einiger, Mehrer und Verfeinerer psychophysischer, künstlerischer Aus-
drucksmittel, eine jener seltenen hohen,^ schöpferischen Heldengestalten, in denen der
deutsche Geist vollkräftigst auflebt und durch die Geschichte weithin leuchtet. Bei
Lamprecht fehlt aber das Wort „Bayreuth* überhaupt ganz. Er geht an der lebendigen
Anschauung vorbei und spricht dafür in geistvollen Begriffen von Formen, die ohne Liszt,
Wagner und einigen wenigen Auserwähiten leer und nichtssagend sind, die sogar zu ^
üblen Unarten missbraucht werden können, sobald sie nicht im Dienst der Idee, sondern
nur als Selbstzweck auftreten. Allerdings will Lamprecht die Entwicklung der neu-
deutschen Tonkunst, nicht die Geschichte der Kunst Liszts und Wagners behandeln.
Aber gerade die scheinbar abstrakte, formale und begriffliche Darstellung hat im Grunde
doch nur von diesen beiden Meistern, von der durch sie vollzogenen Neugestaltung der
Idee und der Ausdrucksformen der Kunst und von der Stellung anderer Musiker zu
ihnen zu berichten. Darum war auch ihre geniale Persönlichkeit, die Idee ihrer künst-
lerischen Taten noch mehr zu betonen. W. Golther.
MUSIKALIEN
2. Armas Järnefelt: Korsholm. Symphonische Dichtung für grosses Orchester.
Partitur. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Nach dem grossen Aufheben, das man vor einigen Jahren von Berlin her mit der
neuflnnischen Musik machte, bedeuteten die Werke von Sibelius, dem anerkannten
64
DIE MUSIK III. 1.
Meister dieser Schule, soweit man sie in Deutschland kennen lernte, eine schwere Ent-
täuschung. Und auch Järnefelts yKorsholm*, furchte ich, wird kaum geeignet
sein, uns eine bessere Meinung von den Leistungen der modernen Finnlinder auf dem
Gebiet der Orchestermusik beizubringen. Korsholm heisst der Ort am bottnischen
Meerbusen, wo das erste Kreuz in Finnland von schwedischen Kreuzfahrern aufgepflanzt
wurde. Der Kampf der christlichen Schweden mit den heidnischen Finnen, der endliche
Sieg der ersteren, die Unterwerfung Finnlands unter schwedische Herrschaft, die An-
nahme des Christentums durch die Finnen, ihr Eintritt in die abendländische Kultur
und ihr lebhafter Anteil an der Glanzepoche der schwedischen Geschichte, das will
von Jämefelt in seiner Symphonischen Dichtung musikalisch illustriert sein. So be-
hauptet wenigstens die der Partitur vorgedruckte programmatische Erläuterung. Rein
musikalisch hat das Werk ausser einer klangvollen, aber wenig intimen und gar keine
individuellen Reize aufweisenden Instrumentation kaum eine wertvolle Qualität In for-
maler Beziehung ein missverstandener Liszt, im motivischen Material dürftig und wenig
anziehend, in seiner Verarbeitung ohne jegliches Interesse und in Bezug auf Ausdrucks-
und Stimmungsgehalt ganz und gar äusserlich, dürfte diese Musik ein deutsches Publikum
kaum begeistern können. Wogegen sich sehr wohl denken lässt, wie in Finnland —
zumal in gegenwärtiger Zeit, wo die Not des hartbedrängten, an den Wurzeln seiner
nationalen Existenz angegriffenen Volkes einem Appell an das patriotische Empfinden
verdoppelten Wiederhall erwecken muss — das Sujet für sich allein einen Enthusiasmus
wecken könne, der dann unverdienterweise der Musik Järnefelts zu gute kommen mag.
3. Georg Henschel: Requiem für Chor, Solostimmen und Orchester, op. 50.
Klavierauszug mit Text. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Der Baritonist Georg Henschel gehört zu der Klasse der komponierenden
Sänger, die in jüngster Zeit wieder etwas zahlreicher geworden ist. Erfreulicherweise.
Denn wenn auch bei diesem Komponieren gerade nichts von hervorragender Bedeutung
herauskommen sollte, so beweist es doch zum mindesten, dass der betreffende Sänger
wenigstens jenes Minimum an musikalischer Bildung sich angeeignet hat, das auch zum
schlechtesten Komponieren erforderlich ist, und das der Durchschnittssänger unserer
Zeit bekanntlich nicht zu besitzen pflegt. Henschel gehört jedenfalls zu den begabteren
und auch gebildeteren unter den komponierenden Sängern. Er hat gute Studien gemacht
(in Leipzig bei Richter und in Berlin bei Kiel) und seine Werke werden vielfach auf-
geführt Trotzdem wird sich das dem Andenken an Henschels Frau, der bekannten
Sängerin Lillian Henschel, gewidmete Requiem in Deutschland wohl kaum allzu viele
Freunde erwerben. Dass man dieses Werk nicht ohne Recht mit Verdis Totenmesse
hat vergleichen können, kennzeichnet die kirchenmusikalische Richtung, der es angehört
Aber während des grossen Italieners riesenhaftes Genie damit versöhnt, dass er keine
geistliche Musik in unserem Sinne gibt, fehlt bei Henschel die Genialität ganz und gar.
Gut für die Singstimme geschrieben, äusserlich effektvoll, ohne jegliche Vertiefung und
oft trivial in einem Masse, wie wir es uns selbst in einem weltlichen Werke ernsten
Charakters nicht würden gefallen lassen, ist dieses Requiem für Deutschland so ziemlich
wertlos. Einzig und allein der Umstand, dass es der Aufführung keine allzngrossen
Schwierigkeiten bietet, könnte vielleicht hier und da einen Dirigenten reizen, bei einem
weniger anspruchsvollen Publikum einen Versuch damit zu wagen.
Dr. Rudolf Louis.
r><i»>R
BERLINER TAGEBLATT 1903, 9. 8. — Wirklich interessant ist das Feuilleton
JMusikalische Erinnerungen* von Oskar Eisner. Wir erftthren hier viel von der
Konstfreundlichkeit und künstlerischen Betätigung des 1893 verstorbenen Herzogs
Ernst II. von Koburg-Gotha, der als Komponist vorwiegend das Gebiet der Oper,
und zwar im Meyerbeerschen Stile, pflegte. Der Ruf des Herzogs als Protektors
der Musik zog unter andern auch Richard Wöerst aus Berlin, der damals seine
erste Symphonie komponiert hatte, Rudolf Bial und Heinrich Hofmann, die
beide zu Jener Zeit auf dem Operetten wege wandelten, nach Koburg; Eisners Er-
innerungen an die drei Kfinstler bergen manche hübsche Anekdote.
ANHALTISCHER STA ATS ANZEIGER (Dessau) 1903, 2. 8. - Ein Gedenkblatt
jpAugust Klughardt* hat Ernst Hamann auf Grund der Tagebucher und Briefe
Klnghardts geschrieben. Das hier veröffentlichte Material lässt Klughardt als herzens-
tiefien, begeisterungsfreudigen Menschen und als gewissenhaften, schaffensdurstigen
Künstler erscheinen. Wie gut lässt sich die Entstehungsgeschichte seiner Opern
jplwein** und ,»Gudrun* und seines Oratoriums »Judith* verfolgen! Ein paar Stellen
von besonderer Schönheit seien angeführt. 1883 verlor er Gattin und Vater und
blieb allein mit seinem zehnjährigen Töchterchen und seiner Mutter. Da schreibt
er nun: ,»Ein ernstes Jahr für mich. Die nun mit Macht anrückende Arbeit lenkt
mich wieder in die Lebensbahn und durch meine Fassung erhält auch meiner
Mutter Gemüt die Ruhe wieder. Gretchen muss früh lernen, was die Menschen
Schicksal nennen; möge der Sonnenschein nun ungehindert auf das liebe Kind
herableuchten. Den Kopf oben zu behalten, scheint mir das Notwendigste für
mich, damit die andern nicht verzagen.* In dem Tagebuch einer Gebirgsreise
von 1886 steht die Stelle: „Aber beute war's habschl O Salzburg, du wunder-
schöne Stadt! O grossartige Erinnerungen! Ein eigentümlicher, heiliger Hauch
umweht uns hier. Mozart, Mozart, Mozart! Was hast du aus deiner Vaterstadt
gemacht! Der Geist Gottes schwebte über diesen Mauern, als du geboren wurdest!
Salzburg wäre auch ohne Mozart eine schön gelegene Stadt, aber mit ihm ragt sie
hoch empor über die andern Städte der Welt. Ein Zauber liegt über diesem
Fleckchen Erde . . .* Und 1891, vor den Dessauer Nibelungentagen, schreibt er:
ipWas ich Dir sonst noch sagen kann, fasst sich am klarsten und am kürzesten
zusammen in zwei Worte: Rheingold — Walküre! Wir wollen sie in der zweiten
Hüfte des Januar geben; danach kannt Du bemessen, wie mir zu Mute ist. Im
Wachen und Träumen, immer wühlt Wotan, wuchtige Wogen wälzend, mir mächtig
mein M&nnerherz. Eine ungeheure Aufgabe, ja eigentlich ein grausames Ansinnen
ist es, dieses Riesenwerk innerhalb eines laufenden Repertoires zu studieren, wo
einem die Stimmung immer und immer wieder zerstört wird; aber eine ebenso
grosse Freude ist mir's, dem Geiste des Unsterblichen auf weltentlegene Pfade
folgen zu dürfen.*
TAGESFRAGEN (Bad Kissingen) 1903, No. 8. — Cyrill Kistlers Notiz »Die
Missa Salve Regina von Stehle* weist auf bedeutsame Einflüsse des gregorianischen
Clionüs auf den »Parsifal* hin. Interessant ist der dem Heft beiliegende
HL I. 5
66
DIE MUSIK III. 1.
jyKommentar und Ffihrer zur Neubearbeitung der Beethoyenschen Symphonie
Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei ViUoria* von Cyrill Kistler. Er
hat dieses Weric neubearbeitet und neuinstrumentiert. Seiner wohldisponierten
kritischen Analyse geht eine Einleitung yoraus, welche die Entstehungsgeschichte
von Beethovens Komposition behandelt und auf den grossen Wert dieses viel ver-
kannten Werkes hinweist. «Ein ganzer Beethoven steht vor uns. Ja, ein Prophet
spricht zu uns. Die Harmonieen in diesem Werke greifen 50 Jahre seinem Leben
voraus. In keinem Werke Beethovens ist der harmonische Gehalt so gewaltig und
so reich . . . grandios sind die polyphonen Geflechte des Werkes . . . Gerade als
Harmoniker zeigt sich uns Beethoven in diesem Werke in seiner universellen Grösse.
Die Ausdrucksmittel seines Orchesters vermögen aber nicht die tiefen harmonischen
Wendungen unseren verwöhnten Ohren so recht zum Bewusstsein zu bringen.*
DEUTSCHES VOLKSBLATT (Wien) 1903, 22. 7. - Das Gedenkblättchen »Vom
Komponisten des Postillon von Lonjumeau* sei deswegen erwähnt, weil es den
Gedanken festhält, Adam sei als der Sohn eines Strassburgers wahrscheinlich ein
Deutscher gewesen.
VOSSISCHE ZEITUNG, Sonntagsbeilage, 1903, No. 30 u. 31. — Wertvolles neues
Material bietet Alfr. Chr. Kalischer der Musikgeschichte durch die Veröffentlichung
«Ungedruckter Briefe Beethovens an die Familie Brentano und an andere*. Die Briefe,
die durch die hinzugefugten Erläuterungen doppelt wertvoll werden, enthalten viel
zur Erkenntnis von Beethovens Wesen; aber seine Werke ist (ausser der missa
solemnis) nicht viel in ihnen enthalten; einiges erfahren wir Qber seinen Gesund-
heitszustand, namentlich über die Brustgicht — ein Übel, das mit Beethovens seit
seiner Jugend datierenden Engbrüstigkeit zusammenhing.
— 15. 8. — Das oft behandelte Thema „Goethe und Beethoven* ist der Gegenstand eines
Aufsatzes von Karl Wilhelm Schmidt. Frei von jeglicher einseitigen Auffassung
tut der Verfasser dar, welch ein Unterschied im Wesen zwischen Beethoven und
Goethe besteht und worin die beiden andererseits wiederum einander ähnlich sind.
Namentlich wird schön gezeigt, wie Goethe, wenn er auch nicht die Möglichkeit
besass, Beethovens Musik nachzuempfinden und zu verstehen, dennoch in diesem
Komponisten den grossen Meister geahnt hat, der seiner Zeit mit mächtigen Schritten
vorauseilte und dessen volle Bedeutung sich erst einer späteren Zeit in hellstem
Glänze enthüllen werde.
NATIONAL- ZEITUNG (Berlin) 1903, 13. 8. — Eine schwerwiegende Besprechung
der Schattenseiten in unserem modernen Kunstleben ist Lg's Feuilleton „Moderne
Opemstoffe*. Da wird gezeigt, wie unser Theaterpublikum, durchdrungen von der
„Furcht vor der Wahrheit*, lieber die unmöglichsten Situationen der romantischen
Epoche hinnimmt, um nur nicht Spiegelbilder seiner eigenen Zeit zu sehen. Unsinn
mit »Kostüm" und Schaugepränge umkleidet, das wollen Publikum und Bühnen-
leiter; daher verunglücken die Versuche einzelner wenigen Komponisten, das moderne
Leben musikdramatisch zu behandeln. Der Weg, den der italienische Verismus
anbahnte, hätte vielleicht zum Ziel geführt; aber Mascagnis Nachfolger haben das
durch eigene Schuld verscherzt. Im übrigen trägt die Schuld an der Geschmack-
losigkeit des Publikums nichts anderes, als die gänzlich im Argen liegende gegen-
wärtige musikalische Erziehung. Trotzdem wird die Zeit für eine moderne Oper
gewiss kommen. Es sei gestattet, die folgenden sehr richtigen Bemerkungen des
Verfassers zu wiederholen: »Wir haben uns nun einmal daran gewöhnt, die Zeiten
des Mittelalters und auch der ihm nachfolgenden Epochen als die Periode des
67
REVUE DER REVUEEN
Prunks und der PrachtentAiltung zu betrachten. Der Opembesucher, für den
13 Opern auf ein Pfund gehen, sucht vor allem die Gelegenheit, sein Auge an den
Wundem der dekorativen Kunst zu ergötzen. Schauen, bewundem, anstaunen, das
ist leider für viele Menschen ausschliesslicher Kunstgenuss, und man muss es unseren
Operahäusera zugestehen, sie kargen nicht mit den äusseren Mitteln, durch die
die Menge gefesselt werden kann. Das Leben der Gegenwart aber ist nüchtern,
einförmig und eine grausame Zeit harter Arbeit. Eine Oper aus dem Jahre 1903
kann keine Turniere auf die Bühne bringen; sie müsste zeigen, wie die Menschen
sich abmühen und quälen, um das tägliche Brot sich zu verschaffen, und da auch
unsere Zeit den Wundem und Zeichen abhold geworden ist, so kann der Text-
dichter von heute kein anderes Rüstzeug von überzeugender Kraft auf die Zuhörer
wirken lassen als die Ergebnisse vemünfdgen Denkens, und dies verlangt eine
Mitarbeit von ihrer Seite, die sie am späten Abend, in festlichen Gewändem zu
leisten nicht gewillt sind.*
NEUE FREIE PRESSE 1903, No. 13995. — Josef Popper nimmt in seinem Artikel
»Einige Gedanken über Kant, Goethe und Richard Wagner" ein Buch von Bölsche
zum Ausgangspunkt, um Wagner mit anderen MUniversalmenschen* zu vergleichen.
Der Vergleich fällt übel für Wagner aus. Man höre: »Der Ring der (I) Nibelungen
ist nichts als die Vorfühmng einer Kette von Betrug und Gewalttaten, eine Con-
tinuität von Lumpereien von Menschen verschiedenen Formats oder, mit einem
philosophisch klingenden Ausdmck, des Willens zur Macht.* Popper, der den «Ring*
nur von der philosophischen Seite betrachtet, findet in ihm nur »eine in die Länge
und ins kleinste Detail hinein entwickelte Darstellung des Verlaufes eines Haupt-
vorganges, der eigentlich gar nicht ein Problem genannt werden kann. Nur die
Lindwurmszene als solche erhebt sich in philosophische Höhe.*
LA VIE MUSICALE (Paris) 1903, No. 26 u. 27. — Jean Pascal erwartet in dem
neuen Papst («Le nouveau pape et le chant gr^gorien*) einen definitiven Reformator
der religiösen Musik. Eine ausführliche Abhandlung («Seleneia*) von Marie
Berdenis vonBerlekom befiisst sich mit Emil von Brucken-Focks musikalischem
Drama j^Seleneia*, von dem unter anderem gesagt wird: »c'est une source sans
cesse jaillissante de beaut6s, une ,mer d'azur* qui reflöte id^alement les plus pro-
fondes 6motions humaines*. Eine aktuelle Frage behandelt Maurice-L6on Kerst
in seinem Artikel »L'^cole de la musique et la musique ä l'^cole*.
NEUES WIENER TAGBLATT 1903, U. a — Lesenswert und inhaltlich sehr be-
deutend sind mit W. F. unterzeichnete |»Musikalische Erinnerangen*. Einige recht
amüsante Zensur- Anekdoten werden uns hier erzählt; wichtiger aber ist, was der
Verfasser im allgemeinen sagt, ausgehend von dem Bayreuther Ausdrack ^heiligste
Empfindungen*. Sehr schön beweist uns der Aufsatz durch den Hinweis auf zahl-
reiche Beispiele aus der Geschichte des geistigen Lebens auf Erden, dass »Geduld
und Zeit* das probateste Mittel sind »gegen die nationalen Empfindlichkeiten in
der musikalischen Kunst*. Besonders dankbar wird mancher Musikf^und sein
für die herrlichen Worte, die dem auch in der Gunst der Zeiten bald steigenden,
bald sinkenden, von so vielen als weinerlich, süsslich und überwunden verschrieenen
Mendelssohn zu Ehren gesagt werden.
5*
NEUE OPERN
Max Burkhardt: .KSnig Drosielbart,* eine vol kB tüm liebe Oper des in KSIn
als Dirigent mehrerer GeunKvertine und als Musikiehrer iebenden Ver-
hssers soll Im dortigen Sudtthealer im Lauf dieaer Salioa ihre UraufTGIining
erieben.
Ivan Caryll: »Die Herzogin von Daniig" betitelt sieb ein Teric dea eng-
lischen Librettisten Hamilton, der mit Eriaubnls Victorien Sardoa's dessea
.Madame Sans-Gtoe* an einer Operette zurechtatuUte.
Gustav Lazarus; .TCIe-d'or' lautet der Titel eines Einakters, den der Kom-
ponist vollendet bat
Höncli: .Das Paternoster," eine Oper des niederiindlscben Komponisten (nach
der Dichtung von Francois Coppte) ist von der Neuen Nlederlindiscben
Operndlrektlon Orelio zur Auffilhning angenommen worden.
Oesar Schröter: .lodocus der Narr," eine dreiaktige Oper, zu der der Kom-
ponist selbst den Text verhsst bat, der sich auT ein dem Sachsenspiegel
entnommenes kulturhistorisches Kuriosum stfitzt, soll Ende September am
Bremer Stadttbeater zum eratenmal aufgeführt werden.
Hemian Zompe: aSawitri." Der Teict dieses nach gelassenen bis auf die In-
strumentation vollendeten dramatischen Terkes iai vom Grafen Sporck nach
dem gleichnamigen Mlrcben Kalldasa's verfasst
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
BrOflsel: Folgende neuen Opern gedenkt das Monnaie-Tbeater In der kommenden
Spielzeit herauszubringen: „Die Kapelle" von Jan Blockz, .Le roj Arthur"
von ChauBSon, aGid" und „Sapho" von Massenet, aTosca" von PaccInI, .Lea
Barbares' von Saint-SaCns, .La belle au Bois-dormant* von SUver.
Dfisseldoif; In der kommenden Saison sollen an Neuheiten zur Auff&hrung
gelangen: .Daa Midchen von Navarra", .Der Gaukler unserer lieben
Frau" von J. Massenet, „Das war ich" von Leo Blecb, .Die verBunkene
Glocke' von Heinrieb Zflllner, .Fausts Verdammung' von Hector Berlloz
(BGhnenbearbeltung von Gunibourg), .Tosca" von Giacomo Puccinl, .Rfislein
Im Hag" von CyriU Kistler.
Haag: Als Novititen hat die KSnigl. franiOsiscbe Oper In Aussicht genommen:
.Die Meeresbraut" von Jan Blockx, .Djamlleh* von Blzet, „Beatrtce und
Benedikt" von Berlioi und Puccinis .Toaca".
Kdln: Die neue Direktion des Stadtlhestera {Otto Purschian) verhelsst folgende
neuen Terke: „Faust" und .Benvenuto Cellini" von Berlloz, „Verther' von
Massenet, .Rose vom Liebesgarten" von PBtzner, .Corregidor* von Hugo
Toir. Neueinatudiert werden .Fedora" von Giordano, beide .Iphigenieen'
von Gluck, sowie .Abu Hassan" von Teber.
New York: Der Spielplan der Metropolitan Opera wird In der Tiniersaison nm-
fassen: Lohengrin, Tannhiuscr, Die Meistersinger, Rheingold, Valk&re, Sieg-
69
UMSCHAU
fried, Götterdlmmening, Tristan und Isolde, Fidelio, Don Juan, Zauberflöte,
Figaros Hochzeit, Faust, ATda, la Boheme, Barbier yon Sevilla, Cavalleria
ratticana, Liebestrank, Tosca, Maskenball, Trayiata, Troubadour, la Somnam-
bula. Die verkaufte Braut, Hugenotten, Carmen, Romeo und Julie, Glöckchen
des Eremiten, Weisse Dame.
Petersburg: Im national-russischen Operntheater werden im Laufe der kommen-
den Saison u. a. zur AuffQhrung kommen: »Judith* von Sserow, «Der Papagei*
und j^Die Makkabäer* von Rubinstein, |«Antonius und Kleopatra* von Inferow,
«Die versunkene Glocke" von Dawidow (Text nach dem Drama G. Haupt-
manns), femer Werke von Rimski-Korsakow und Iwanow.
KONZERTE
Aachen: Städtische Abonnementskonzerte. Im kommenden Winter werden
im grossen Kurhaussaal sieben Konzerte unter Leitung des stidtischen
Musikdirektors, Hm. Prof. Schwickerath, stattfinden. Zur Auffuhmng
sind folgende Werke in Aussicht genommen: 1. Chorwerke: Wolff- Ferrari,
Vita nnova (zum erstenmal); Brahms, Ein deutsches Requiem; Bach, Die
hohe Messe, sowie kleinere Werke (teilweise a cappella) von Mendelssohn,
Schumann, Scholz, Urspruch und Verdi. 2. Orchesterwerke: Symphonieen
von Beethoven (eroica), Brahms (e-moll), Brückner (d-moll, zum erstenmal),
Haydn, Strauss (aus Italien, zum erstenmal), Tschaikowsky (e-moll), sowie
Werke von Leo Blech (Waldwandemng, zum erstenmal), Elgar (Variationen,
zum erstenmal), C6sar Franck (Der wilde Jäger, zum erstenmal), Schillings
(Vorspiel aus »Der Pfeifertag*, zum erstenmal) u. a. m. Als Solisten haben
ihre Mitwirkung zugesagt: die Damen: Behr, Gmeiner, Gmmbacher de Jong,
Hattingen, Noordewier-Reddingius, Philippi, Playfair (Violine); die Herren:
Bronsgeest, van Eweyk, Ettore Gandolfl, Prof. Heermann (Violine), Heine-
mann, Kammersänger Hess, Jungbluth, Prof. Pauer (Klavier), Sistermans.
Berlin: Der Philharmonische Chor (Dir. Prof. Siegfried Ochs) wird in
dieser Saison das Requiem von Berlioz, Bachs h-moll Messe, von Brahms
i^in deutsches Requiem" und »Schicksalslied* und als Neuheit Chorstücke
von Hugo Wolf zur Aufffihmng bringen.
Der Sternsche Gesangverein (Prof. Fr. Gernsheim) hat u. a. fQr
den kommenden Konzertwinter folgende Werke zur Aufführang in Aussicht
genommen: «Paulus* von Mendelssohn (zum Sterbetag des Komponisten);
Cantate „Eine feste Burg* von J. S. Bach; „Das hohe Lied" von E. Bossi;
JVlissa solemnis* von L. van Beethoven.
Die Trio-Vereinigung der Herren Professoren Georg Schumann,
Carl Halir und Kammervirtuos Dechert veranstaltet in diesem Winter ihre
vier Kammermusik- Abende im Saal der Sing -Akademie.
Das „Holländische Trio* wird im kommenden Winter, diesmal
nur im Beethovensaal, unterstfitzt von hervorragenden Gesangskräften, seine
populären Sonntagskonzerte veranstalten.
Breilau: In den zwölf im Winter unter der Leitung Dr. Dohrns stattfindenden
Konzerten des Orchestervereins und der Sing-Akademie werden neben
Sirmphonieen von Haydn, Mozart, Beethoven (3., 4. und 7.), Brahms aufgeführt
werden: drei Sätze aus „Romeo und Julie* von Berlioz, Bmckners neunte
Symphonie, Dante- Symphonie von Liszt und eine ungedrackte Symphonie
von Wilhelm Purtwängler. Mit Ouvertüren werden vertreten sein: Beethoven
70
DIE MUSIK III. 1.
(»Leonore* No. 2 und 3 und „Weihe des Hauses*), Mozart (»Idomeneo* und
«Zauberflöte"), Weber (.Preciosa*), Cherubini und Berlioz (»Rob-Roy*, zum
erstenmal). Ferner gelangen zur Aufführung zwei neue symphonische
Dichtungen: »Odysseus' Ausftüirt* von Ernst Boehe und »Eine Steppenskizze*
von Borodin, die A-dnr-Serenade und die Variationen über ein Haydnscbes
Thema von Brahms, „Romeo und Julie* von Tschaikowsky, »Till Eulen-
spiegel* von Richard Strauss und zwei Tonsitze von Wagner (Schluss des
ersten Aktes aus der »Walkfire* und Schluss des dritten Aktes aus der
»Götterdämmerung*). Unter Mitwirkung der Singakademie werden aufgeführt
«Chorphantasie* und einzelne Sitze aus den »Ruinen von Athen* von Bee-
thoven, »Rhapsodie* von Brahms, Wagners Kaisermarsch und Hugo Wolf^
»Elfenlied* und »Fenerreiter*. — Die Sing-Akademie bringt in ihren beiden
Konzerten Verdis Requiem und Bachs h-moll-Messe zu Gehör. Für das
Verdische Requiem sind die Damen Meta Geyer und Jettka Finkenstein,
sowie die Herren Raimund von Znr-Mfihlen und Arthur van Eweyk engagiert;
in der Bachschen Messe werden Frau Laporte-Stolzenberg, Frau Luise Geller-
Wolter und die Herren Robert Kaufmann und Rud. von Milde mitwirken.
Der Orchesterverein hat sich fQr seine Auffuhrungen vorlluflg der Singerinnen
Marie Götze, Anna von Mildenberg, Thila Plaichinger und Emestine Schu-
mann-Heink versichert. Es sind femer zu erwähnen: Fr6d6ric Lamond, Josef
Sliwinski, Marie Soldat-Röger, Bram Eidering. — Ausserdem veranstaltet der
Orchesterverein unter der Leitung von Hermann Behr acht volkstümliche
Konzerte und sechs Kammermusikabende.
Essen: Der Musikverein veranstaltet sechs Konzerte und gedenkt zur Auf-
führung zu bringen: Symphonische Phantasie »Aus Italien* von Richard
Strauss, «Von Spielmanns Leid und Lust* von Max Schillings, fünfte
Symphonie und Coriolanouvertüre von Beethoven, den »Barbier von Bagdad*
von Peter Cornelius (Konzertaufführung), fünfte Symphonie von Raff, Ouver-
türe Michel Angelo von N. W. Gade, Tranerchöre von A. von Othegraven,
»Paradies und Peri* von Schumann, »Schön Ellen* von Bruch, »Elfenlied
und Feuerreiter* von Hugo Wolf, Konzerte von Tschaikowsky und Witte,
Chöre aus der biblischen Oper »Das verlorene Paradies* von Rubinstein,
Tragische Ouvertüre von Brahms, Requiem von HenscheL Als Solisten
wirken mit: Alexander Kosman (Violine), Alida Oldenboom, Agnes Leydhecker,
Franz Litzinger, Gustav Nieratzky (Gesang), CIcilie Rüsche, Marie Craemer-
Schleger, Richard Fischer, Georg Walter, Prof. Messchaert, Willy Metz-
macher (Gesang), Julius Klengel (Violoncell), Katharine Goodson (Klavier),
Frau Noordewier- Reddingius, Anna von Nieveit, Willy Schmidt und Paul
Haase.
Frankfurt a.M.: Das Programm der in der kommenden Saison stattfindenden
sechs Abonnements-Konzerte im Opernhaus ist wie folgt festgesetzt
worden: I. Dirigent Arthur Niki seh. Beethoven: Egmont-Ouvertüre, Brahms:
erste Symphonie, Tschaikowsky: Francesca da Rimini, Wagner: Vorspiel und
Liebestod aus «Tristan und Isolde*. II. Dirigent Dr. Ludwig Rotten borg.
Brückner: IX. Symphonie (d-moU), zum erstenmal, Bruch: Schottische Phan-
tasie für Violine, Wagner: »Eine Faust-Ouvertüre'', Solistin: Elsie Play fair.
IIL Dirigent Gustav Mahl er. Symphonie No. 3 (d-moll) von G. Mahler (zum
erstenmal). IV. Dirigent Dr. Ernst Kun wald. Haydn: Symphonie in B-dur,
Mozart: Klavier-Konzert in c-moll, Schumann: Manftvd-Ouvertüre, Beethoven:
71
UMSCHAU
Sechste Symphonie, Solistin: Paula Szalit. V. Dirigent Fritz Steinbach.
Beethoven: Fünfte Symphonie, Schillings: Vorspiel zum 2. Akt der Oper
«Ingwelde* und Vorspiel zur Oper »Der Pfeifertag*, Liszt: Tasso. VI. Dirigent
Arthur Niki seh. Beethoven: Dritte Symphonie, Schubert: Unvollendete
Symphonie (h-moll), Berlioz: Tanz der Irrlichter, Sylphentanz und Ungarischer
Marsch aus »Fausts Verdammung**, Wagner: Tannhäuser-Ouvertüre.
Leipzig: Im Zentraltheater finden auch in diesem Winter zehn Philharmonische
Konzerte des Winderstein-Orchesters statt. Das zehnte wird Mascagni
leiten, die übrigen unterstehen der Direktion des Kapellmeisters Winder-
stein. An grösseren Orchesterwerken verheisst die Vorankündigung Sym-
phonieen von Haydn (Oxford), Mozart (Jupiter), Beethoven (No. 3 und 6),
Schubert (h-moll), Schumann (C-dur), Berlioz (Romeo und Julie) und
Tschaikowsky (Manfred); femer Werke von Liszt (Orpheus), R. Strauss
(Ein Heldenleben), Hans Pfltzner (Vorspiel zu Fest auf Solhaug), C. Gleitz
(Fata Morgana) usw. Als Solisten werden genannt die Sängerinnen
Mariane de Maringh, Marie Münchhoff, Franceschina Prevosti, Therese Behr,
der Tenorist Franz Naval, ferner Elsa Ruegger (Violoncell), Felix Berber
(Violine), Jolanda Merö, Ferruccio Busoni und Fritz von Böse (Klavier). —
Die Eulenburgschen Neuen Abonnementskonzerte in der Alberthalle
werden teils von der Dessauer Hofkapelle, teils von der Chemnitzer städtischen
Kapelle unter abwechselnder Leitung von Felix Weingartner (4 Konzerte),
Max Fiedler, Hofkapellmeister Franz Mikorey, Max Pohle und Prof. Karl
Panzner bestritten werden. Diesem Cyklus sind wieder 4 Kammermusik-
aufführungen des „Böhmischen Streichquartetts" angegliedert.
TACESCHRONIK
Die nächste Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musik-
vereins findet 1904 in Frankfurt a. M. statt, während für 1905 bereits eine Ein-
huliing von Graz vorliegt.
Der Niederländische Tonkünstlerverein hat einen Preis von 1000
Gulden für ein Oratorium (Soli, Chor und Orchester) über niederländischen,
deutschen oder lateinischen Text ausgeschrieben. Auch Niederländer, die im
Aasland wohnen, können sich an diesem Wettbewerb beteiligen. Die Manuskripte
müssen vor 1. September 1904 franko an den Sekretär, Herrn Ackermann, s'Graven-
bage, Konigin Emmakade 105, eingeschickt werden, der auch nähere Auskunft erteilt.
In London ist unter dem Namen „International Copyright Bureau, Ltd.,
for Are, Drama, Literature and Music* (Bureau: London, 4, Eastcheap, E. C.) ein
Unternehmen ins Leben getreten, das es sich zur Aufgabe macht, allen in- und
aoslindischen Schriftstellern, Bühnenautoren, Komponisten usw. in den oft recht
strittigen Copyright-Fragen kompetente Auskunft zu erteilen, die Erlangung der
Copyrights und Aufführungsrechte für sie zu besorgen, sowie die Obersetzung und
Piazierong ihrer Werke zu übernehmen und die Interessen aller nach England
Kommenden Künstler und Autoren zu wahren.
Klangausgleich nennt sich eine vom Musiklehrer A. Schönherr in
Müscben gemachte Erfindung, die bei Geigen, Bratschen und Cellos bezweckt,
4m8 die Kreuz- und B-Tonarten in ihren Klangverhältnissen ausgeglichen werden.
Das Königl. Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
Migelegenheiten Hess die Schönherrsche Erfindung durch die Königl. Akademie der
Tonkunst unter Beiziehung von Fachlehrern prüfen. Das amtliche Gutachten
72
DIE MUSIK III. 1.
besagt, jydass es Herrn Sctaönherr gelangen ist, die akustischen Gesetze, welche
für Entstehung und Verbreitung gleichmissiger Schwingungen von Saiten und
Luftraum der Streichinstrumente bestimmend sind, f&r seine Zwecke zu verwerten
und somit einem oft empfundenen Obelstande, mit wenigen Eingriffen, abzuhelfen.*
Für einen Witwen- und Waisenfond der Hofkapelle stiftete der Herzog
von Sachsen-Altenburg die Summe von 20000 M.
Anton Fuchs tritt am 1. August 1904 von seiner Tätigkeit als Buhnensinger
zurück, bleibt Jedoch in seiner Stellung als Oberregisseur der Münchener Hoftheater.
Musikdirektor Gustav Kogel, der bisherige Leiter der Museums-Konzerte
in Frankfurt a. M., hat die ihm angetragene Leitung des Cäcilienvereins in Wies-
baden angenommen.
Wie die Münchener Hoftheaterintendanz mitteilt, ist für den laufenden Opem-
dienst aushilfeweise der bisherige Stuttgarter Hofkapellmeister Hugo Reichen-
berger kontraktlich verpflichtet worden.
In Reichenau L S., dem Geburtsort des namhaften Kirchenkomponisten und
Kantors an der Thomasschule in Leipzig Johann Gottfried Schicht, wird im
September die 150. Wiederkehr seines Geburtstags festlich begangen werden.
In Lachen (Schweiz), dem Geburtsort Joachim Raffs, haben Musikfreunde
eine darauf bezugnehmende Gedenktafel errichten lassen.
Am 7. September wurde in Windischgraz die vom Hugo Wolf-Verein
in Wien dem Andenken des Tondichters gewidmete Gedenktafel enthüllt
Auf der Grabstätte des früheren Dessauer Hofkapellmeisters Dr. A. K 1 u g h a r d t
wurde ein von Bildhauer Semper geschaffenes stimmungsvolles Denkmal des
Komponisten errichtet
Das Grab des verstorbenen Kammersingers Theodor Reichmann auf
dem alten Jerusalemer Kirchhof in Berlin erhielt einen Gedenkstein aus weissem
Marmor mit der kurzen Inschrift: Theodor Reichmann. 1003.
Der Dirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters, Königl. Musik-
direktor Josef Rebicek, erhielt von der Königin von Holland das Offizierkreuz
vom Oranien-Nassau-Orden.
Bertrand Roth in Dresden ist vom König von Sachsen der Professor-Titel
beigelegt worden.
Der Königl. Kammervirtuos Oscar Schubert ist zum Königl. Professor
ernannt worden.
Dem Pianofortefabrikanten M. Ibach, Mitinhaber der Firma Rud. Ibach Sohn
in Barmen, wurde das Offizierkreuz des fürstlich-bulgarischen Zivilverdienstordens
verliehen.
Der 26. Jahrgang des Allgemeinen deutschen Musiker-Kalenders
für 1904 (Raabe und Plothow) behandelt nunmehr 371 Stidte in ihren musika-
lischen Verhältnissen. Bremen, Kassel und Stuttgart sind mit genauen Adressen-
angaben versehen worden. Max Hesses Deutscher Musiker-Kalender für
1904 enthält einen umfassenden Musiker-Geburts- und Sterbekalender und ein
alphabetisches Namensverzeichnis der Tonkünstler Deutschlands. Beide altbe-
währten, unentbehrlichen Nachschlagebficher sind in der bekannten gediegenen
Ausstattung soeben erschienen.
VORLESUNGEN ÜBER MUSIK
^AN UNIVERSITÄTEN UND
HOCHSCHULEN IM WINTER-
SEMESTER 1903/1904
Basel. Docent Nef: Obersicht fiberj^dieji^Geschichte der Musik. — Musikgeschichtliche
Übungen.
Berlin. » Fleischer: Musikgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. — Geschichte
der Notenschrift. — Musikwissenschaftliche Übungen.
^ jp Fried Und er: Allgemeine Geschichte der neueren Musik. — Mozart. —
Musikwissenschaftliche Übungen,
jp „ Wolf: Geschichte der Musik im 15. Jahrhundert. — Evangelische Kirchen-
musik. — Musikwissenschaftliche Übungen.
9 (Lessinghochschule) Docent MOnzer: Richard Wagners „Meistersinger von
Nürnberg". — Beethoven.
Bern. Docent Hess-Rfietschi: Harmonielehre. — Kontrapunkt. — Erklärung be-
deutender Hauptwerke der Musikliteratur.
Bonn. jp Wolff: Harmonielehre. — Geschichte der Oper: Mozart und seine
Zeit — Unterricht im Orgelspiel.
Breslaa. Docent Bohn: Über Beethovens Symphonieen. — Harmonielehre. — Orgelspiel.
Darmstadt. Docent Nagel: Geschichte der Musik vom Beginn der christlichen Zeit-
rechnung an bis auf Beethoven. — Die geschichtliche
EntWickelung der Klaviermusik. — Harmonielehre. —
Die Formen des Kanons und der Fuge. — Gesangsübungen.
F^ibarg 1. B. Docent Hoppe: Harmonie- und Instrumentationslehre. — Virgiltechnik-
klavier. — Orgelpedal und Harmonium. — Kammer-
musikübungen.
Gieieen. Docent Trautmann: W. A. Mozart und seine Werke, mit Beispielen am
Klavier. — Elementartheorie und Harmonielehre. —
Übungen in Partiturspiel, Klavier, Violine, Gesang.
Göttingen. Docent Freiberg: Ensemblespiel. — Harmonielehre. — Chorgesang.
Greiliiwald. ^ Reinbrecht: Allgemeine Musikgeschichte. — Theoretisch-prakti-
scher Unterricht im liturgischen Kirchengesang. —
Harmonielehre.
Halle- Wittenberg. Docent Abert: Carl Maria von Weber und Richard Wagner..—
Geschichte der protestantischen Kirchenmusik.
9 jp „ Reubke: Harmonielehre und Kontrapunkt. — Unterricht
im Orgelspiel. — Akademischer Kirchenchor.
Heidelberg. Docent Wolfrum: Evangelisches Kirchenlied in musikalischer Beziehung,
besonders des 16. Jahrhunderts. — Elementarmusik-
lehre. — Harmonielehre. — Instrumentationskurs. —
Orgelspiel.
74
DIE MUSIK 111. 1.
Si
Helsingfors. Docent Krohn: Das evangelische Kirchenlied. — Das wohltemperierte
Klavier von J. S. Bach.
Jena. Docent Naumann: Liturgische Übungen.
Kiel. Docent Stange: Harmonielehre. — Liturgische Übungen. — Akademischer Ge-
sangverein. — Übungen im Ensemblespiel. — Kammermusik.
Königsberg. Docent Berneker: Orgelseminar (Orgelspiel, Orgelstruktur). — Übungen
im liturgischen und Choralgesang.
» „ Brode: Allgemeine Musikgeschichte. -- Harmonielehre.
Leipzig. Docent Kretzschmar: Geschichte der Oper. — Musikwissenschaftliche
Übungen. — Liturgische Übungen.
« » Prüfer: Ludwig van Beethoven. — Richard Wagner im Zusammen-
hang mit der Kunst- und Weltanschauung des 18. und 19.
Jahrhunderts. — Musikwissenschaftliche Übungen.
„ » Riemann: Geschichte der Instrumentalmusik im 17. und 18. Jahr-
hundert. — Harmonielehre. — Kontrapunkt — Kammer-
musikübungen.
Marburg. Docent Jenner: Deutsche Instrumentalmusik nach Beethoven. — Harmonie-
lehre mit praktischen Übungen.
Mflnchen« Docent Sandberger: Geschichte der Oper und des musikalischen Dramas
seit Mozarts Tod bis zur Gegenwart — Geschichte
des weltlichen musikalischen Kunstliedes (vornehm-
lich in Deutschland) von den Anfingen bis zur
Gegenwart. — Musikwissenschaftliche Übungen.
» » Kroyer: Die Vokalformen des 16.Jahrh. mit Demonstr. am Klavier.
„ „ Muncker: Richard Wagners Schriften und Dichtungen.
» » Frhr. vonderPfordten: Entwickelungsgeschichte der Oper von
ihrem Ursprung aus der klassischen
Tragödie bis zum modernen Musikdrama.
„ ^ Borinski: Das deutsche Volkslied.
Prag. Docent Rietsch: Die Theorieen vom Ursprung der Musik. — Franz Schubert
und das deutsche Lied des 19. Jahrhunderts. — Musikwissen-
schaftliche Übungen.
» » Schneider: Musiktheorie. — Besprechung ausgewählter Stellen aus
Musikwerken. -— Singschule für Minnerchor.
RoBtock. Docent Thierfelder: Die Musikreste des klassischen Altertums. — Ge-
schichte der Liturgie in musikalischer Beziehung. —
Harmonielehre. — Liturgische Übungen für Mit-
glieder des theologischen] Seminars. — Leitung der
Übungen des akademischen Gesangvereins.
Strassburg. Docent Jacobsthal: Geschichte der Musik vom 16. bis zum la Jahr-
hundert. — Übungen in der musikalischen Kom-
position.— Leitung des akademischen Gesangvereins.
Tübingen. Docent Kauffmann: Leitung der Vokal- und Instrumentalmusik.
Wien. Docent Adler: Richard Wagner. — Erklären und Bestimmen von Kunstwerken.
— Übungen im musikhistorischen Seminar.
» » Dietz: Das Tondrama von seiner Entstehung bis zur Neuzeit (mit vielen
Musikbeispielen). — Ästhetische Untersuchungen auf dem Ge-
biet der neueren Instrumentalmusik.
n 9 Wallaschek: Psychologische Prinzipien des Musikunterrichts.
OPER
CHARLOTTENBURG: Tbe«(er des Testens. Oalibor, grosse taeroiscbe Oper
von Friedrich Smetana (ErfiffnungsTorslelluDg der Direktion Aloys Prsscb). —
Eine heroiscbe Oper von Friedricta SroeUni, du Ist ein TJdersprucb in sieb. Smetua
bat oft den Ehrgeiz gehabt, sein grosaes KSnnen in ein grdsserea Vollen einzuspannen.
Oder richtiger; er hat nicht Immer den passenden Rahmen gewIhlL Ein künstlerisches
Temperament, das so organisch aus seiner nationalen Kultur heraus sich entfaltet, hat
gant gewiss keinen Vergleich xu scheuen. Nur da, wo ibm die Oberlieferung seiner
Heimatknnst nicht genügt, wo aus dem guten Tschechen ein scbiecbter Europier wird,
da gebt ein Sprung durch seine Terke. Deckt sich schon bei den nach Llszts Ruhm
geizenden symphonischen Dichtungen Smetanas nicht Inhalt und Form, so Ist vollends
der grosse Vnrf missglSckt, der in dieser heroischen Oper gewagt wurde. Das ist tflnende
Pilotyacbule, Historienmalerei nach Noten, nichts welter. Man erschrickt, über welche
5den Cemeinplltie Smeiana hier mit aller Grandezza hinwegschreitet, nur um an sein
eingebildetes Ziel zu gelangen. Marsch rhythmen und Fanfaren begleiten den Helden, in
verminderten Sepukkorden mscbt das tragische .Ha!" oder .Teh!' sich Luft, bebende
StreicheTtremoli als Seiltativunteriage bilden das Klebemittel zwischen den einzelnen
Nummern, und was dergleichen Kapel Im eiste rhieroglyphen mebr sind. Und dann wieder,
zwischen all den heroiscben Redensarten, plfttzlicb (meist im rein instrumentalen Teil)
ein paar Takte, die ganz Smetana sind, prickelnd, temperamentvoll, von freiem und reinem
Klang. Aber es sind ihrer zu wenige, sie ersticken in der Tbeatermuslk, die sie über-
wuchert und die jeden Kontakt mit wahrer künstlerischer Kultur verloren hat. — Über
die AuRühmng dieaes Verkes am Theater des 7estens gebietet die Gerechtigkeit, sich
nacbaicbdg zu inasem. Eine neue Direktion, ein neues Personal, und alt nur der Zwang,
mit bescheidenen Mitteln zu arbeiten, das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen,
an einem so gut wie verlorenen Terk die Rettung zu versuchen. Die musikalische
Leitung hatte Hans Pfltzner. Er hielt sich sehr wacker, und einige übertriebenen
Scfairtfen in der Rbytbmialerung mochten geboten sein, um das noch nicht ganz durch-
gearbeitete Ensemble fest lusammeniuhalten. Im Solisten personal boten die erfreulichsten
Leistnngen H^rr Stammer ala Kerkermeister und Fri. Roxy King als Miiada. Dagegen
reichten Herr Bleiden und Frl. Fritz in keiner Veise für ihre Aufgaben aus. Aber
wie gesagt, es soll darüber beute nicht im einzelnen geurteilt werden. Eine ^zweite
Oper" kSnnte uns in Berlin wahrlich nietat schaden, und namentlich nicht eine solche
Oper, deren Besuch auch den unteren Zehnmilllonen mSglicta ist. Hoffen wir, dasa die
neue Direktion es weiter bringt als die alte! Tilly Pastor.
MÖNCHEN: Unsere Sudt steht wieder im Zeichen Richard Tagners. Seit Woctaen
ist es dranssen auf den sogenannten .Bogen hausener Lüften' wieder lebendig ge-
worden. Das Prinz regententheater bat seine Tore geoniet, die Festspiele haben be-
gonnen. Damit ist jenes merkwürdige Bild internationaler Typen, das man sonst nur in
Bayreuth in sehen gewohnt war, wieder entrollt. Ter an den Spielnacbmittagen binaus-
pUgert in die Bstllchen Vorstidte, muss wihnen, in eine VSlkerwanderung geraten lu
sdn: In endloser Flucht rollen Karossen und Tagen dahin, in dichten Scbaren atrOmen
Fest- und ZaungXite hinaus, alle gangbaren Sprachen werden gesprocben, alle denkbaren
76
DIE MUSIK III. 1.
Gestalten lassen sich sehen, es ist, als ob alles, was nur irgend Beziehungen zur Kunst
pflegt, sich hier zusammengefunden hitte zur gemeinsamen Feier, es herrscht allenthalben
eine Bewegung, Spannung, Erwartung, deren sich selbst die sonst so gleichgültig ein-
gefleischten Ureinwohner nicht ganz erwehren können. Ich übertreibe nicht, wenn ich
feststelle, dass die Festesfreudigkeit lebhafter, die Beteiligung allgemeiner ist, als in
früheren Jahren. Wir haben heuer den .Ring" im Festprogramm ; überdies waren auch
Wunder von Scenenkünsten verheissen worden. Ich habe die ersten Aufführungen nicht
gehört, nach einwandfreien Beurteilem sollen sie vortrefflich gewesen sein. Auch die
spiteren Hessen nur wenig zu wünschen übrig. Namentlich von den technischen Wundem
hatte man nicht zuviel versprochen. Um einige zu nennen : Im .Rheingold* schwimmen
die Rheintöchter aufe natürlichste mit richtigen Fischschwinzen (früher hatten sie nur
zusammengebundene Röcke an), das Wasser, durch ein sinnreiches Verfahren maskiert,
fliesst in den oberen Schichten täuschend dahin; die Walhalla im letzten Bild ist neu
entworfen, ein geradezu bezaubernder Anblick, Farben, Lichteffekte, wie sie die Natur
nicht schöner hervorbringt In der .Walküre* ist das wilde Felsengebirge von imposanter
Perspektive; auch die Bilder im .Siegfried* haben manche wirksame Bereicherung er-
fahren. Nur in der .Götterdimmerung* scheinen mir die Uferszenen (ausgenommen die
prachtvollen Hintergründe) stark verkünstelt, am Schluss wird der wildwogeode Rhein
durch überschnell aufündniederhopsende Versatzstücke dargestellt und die lodernde
Brunst von einem grellen Feuer unterstützt, so dass man Dinge sieht, die man nicht
sehen durfte. In den übrigen Werken, .Meistersinger*, .Tristan und Isolde*, .Lohen-
grin*, .Tannhiuser*, ist für den Fremden des Sehens- und Staunenswerten nicht weniger:
die Strasse von Nürnberg mit ihren zart verschmelzenden Firbungen, die glanzerfüllte
Festwiese, die spannende Landung des Tristanschiffes, die imposante BurghofBzenerie,
die zauberhafte Wartburglandschaft im herbstlichen Abendglanz — solche Eindrücke
müssen sich jedem EmpSnglichen unauslöschlich in die Seele senken. Ober den Ver-
lauf der Aufführungen, über die musikalischen und darstellerischen Leistungen muss ich
mich leider kurz fassen. Zahlreiche Gäste waren und sind noch hier. Frau Lilian
Nordica . sang die Brfinnhilde hoheitsvoll, in der .Walküre*, die mit Ernst Kraus als
Siegmund und Frl. Morena als Sieglinde überhaupt zu einer der abgeklärtesten, ge-
waltigsten Aufführungen sich gestaltete; im .Siegfried* überlegen, aber kühl, um erst
in der .Götterdämmerung* ihre ganze Grösse der Auffassung zu entftilten. Dr. Briese-
meisters Loge war fein und geistreich, sehr charakteristisch der Alberich Desider Zadors,
ganz vortrefflich der Mime Julius Liebans, einer der wenigen, die nicht bloss krächzen,
sondern auch rechtschaffen singen, wo's nötig ist. Frau Schumann-Heink brachte die Erda
mit sonorer Tongebung und deutlichster Accentuierung zu Gebor; ebenso auch die
Magdalene in den .Meistersingern*. Den Sachs gab ein Wiener Gast, Leopold Demuth,
recht schusterlich-unpoetisch; im .Tannhäuser* sang dieser Herr den Wolfram technisch
vollendet. Zu nennen sind noch Slezak als Tannhäuser, Burrian als Tristan, Olive
Fremstad als Fricka, Ottilie Metzger als Waltraute, die Damen David und Hieser als
Rheintöchter — sorgflUtig durchgearbeitete, tüchtige Darbietungen. Von den, bis auf
einige, vollzählig vertretenen einheimischen Künstlern sind zu erwähnen: Knote, der als
Siegfried und Lohengrin mit seiner urfrischen, kräftig zupackenden Art erquickte, eine
tiefempfundene Elisabeth des Frl. Bertha Morena, Brodersens Günther, die beiden
schreckhaften Riesen Bender und Klopfer, Frl. Koboths Gutrune, Baubergers Kurwenal,
Gestalten, an denen man seine Freude haben konnte. Das sind freilich nur die wichtig-
sten Namen; noch vieles Hesse sich sagen. Dieser schier unerschöpflichen Fülle t>e-
merkenswerter Erscheinungen gegenüber ergeht es dem Referenten, wie Goethe einmal
gesagt hat: sitzt im Rohr und kann vor Pfeifenschneiden nicht zum Pfeifen kommen.
77
KRITIK: KONZERT
d. b. er mass auf Einzelheiten wohl oder fibel verzichten. Aber es mag schon aus dem
Angedeuteten klar geworden sein, dass die heurigen Festspiele bisher Erfolge aufzuweisen
haben, wie man sie im Interesse des künstlerischen Rufes unserer Stadt nur wfinschen
kann. Mag auch nicht alles und jegliches untadelhaft ausgefdlen sein, so trug doch das
Ganze stets den Stempel zielbewussten Strebens. Man hat unlängst geäussert, dass den
Festspielen heuer auch ein materieller Erfolg gesichert sei, dank der gfinstigen Verhält-
nisse. Das mag sein. Man darf aber nicht vergessen, dass v<lie andauernd stattliche
Frequenz, namentlich der »Ring^-Auffuhrungen, nicht möglich wäre, wenn nicht eben
wirklich Positives, Bedeutendes geleistet wfirde. Dr. Theodor Kroyer.
KONZERT
GR£N0BLE und LA CÖTE-SAINT-ANDR£: Die Hundertjahrfeier von Berlioz.
Obwohl Berlioz erst am 19. Frimaire des Jahres XIII, d. h. am 11. Dezember 1803^
geboren ist, feierten die Städte Gr6noble und la Cdte*Saint-Andr6 bereits im August den
hundertsten Geburtstag Ihres berühmten Landsmanns. In Gr6noble fielen die Festlichkeiten
für Berlioz mit einem internationalen Wettbewerb für Bläserchdre, Liedertafeln usw. zu-
sammen, der mit dem Komponisten nur schwache Beziehungen hatte. Man weihte eine
vom Bildhauer Urbain Basset, einem Kind der Dauphin6e, verfertigte Statue ein, die den
Meister darstellt, wie er den Stimmen der künstlerischen Eingebung lauscht; die Feier
ftmd Sonnabend den 15. August unter dem Vorsitz des Komponisten Henri Mar6chal bei
entsetzlichem Wetter in Gegenwart einiger hundert teilnahmsloser Personen statt. Das
wenig interessante Werk des Bildhauers Basset bedeutet für das Genie des Meisters nur
eine schwache Huldigung. Glücklicherweise hat dieser am 16. und 17. August volle
Genugtuung erhalten. Im Theater von Gr6noble, wo man nie etwas anderes zu hören
bekam als Schauspiele und bedauerliche Operetten, brachte das Orchester von Aix-les-
Bains am ersten Tag zur Aufführung: »La damnation de Faust*, unter der Leitung seines
gewohnten Dirigenten Jehin; tags darauf den »Römischen Kamaval*, Fragmente aus
»Romeo und Julie*, den Pilgermarsch aus .Harold in Italien", zwei Lieder (.Absence*;
ale jeune Pätre breton*) und die Ouvertüre zum .Korsar*, unter der Leitung des Herrn
Marty; den Schluss bildete die »Symphonie fantastique* unter Weingartner. Die Solisten
des ersten Tages waren Frau Lina Pacary und Herr Laffitte, beide vortrefflich in ihren
Rollen als Faust und Gretchen; Herr Dangfts war ein mittelmässiger Mephisto und Herr
Ferrar aus Bordeaux ein sehr schlechter Brander; auch die Chöre klangen nicht besonders
gut, dagegen spielte das Orchester, das Jehin mit imponierender Überlegenheit
dirigiert, tadellos und trug hauptsächlich zur befriedigenden Ausführung der Berliozschen
Partitur bei. Marty errang denselben Erfolg wie sein Kollege Jehin; er musste
den Pilgermarsch wiederholen, gleich wie Eleonore Blanc das Lied »Absence* und
das Duo-noctume aus »Beatrice und Benedikt*, das sie bewunderungswürdig mit Frau
Deschamps-Jehin sang. Vor der Aufführung der Phantastischen wurde ein Gedicht
Camille Saint-SaCns' zu Ehren Berlioz' recitiert; hierauf hielt der Bibliothekar des Pariser
Konservatoriums, Julien Tiersot, einen kurzen Vortrag, den er mit der Bitte schloss, man
möchte die sterblichen Oberreste des Meisters anlässlich der im Dezember in Paris statt-
findenden Berliozfeier in das Pantheon überführen lassen. Endlich erscheint Weingartner
am Dirigentenpult. Der einzige Vertreter Deutschlands bei diesem Fest wird von der
Gesamtheit des Orchesters und Publikums mit einer Begeisterung empfangen, die nach
der Ausführung jedes einzelnen Satzes der Symphonie noch wächst. Noch niemals wurde
übrigens dieses so romantische, so echt Berliozsche Werk mit grösserer, sich allen mit-
teilender Wärme zu Gehör gebracht. Die »Marche au supplice* musste wiederholt werden
78
DIE MUSIK 111. 1.
und das Poblikam, aberwiegend aus Bewohnern der Dauphin^e bestehend, d. h. nicht eben
sehr mosikalisch, wire trotzdem mit dem zweimaligen Anhören des ganzen, in unserer
Musikliteratur einzig dastehenden Werkes einverstanden gewesen. Die Vorf&hning
gestaltete sich zu einem unerhörten Triumph fQr Weingartner, der unter allgemeinem
Beifell die Ehre auf Berlioz übertrug, indem er die auf dem Pult liegende Partitur
mit einem Lorbeerzweig bekrinzte. Diese beiden Konzerte waren Berlioz' wfirdig
und werden den Schatten des Meisters mit dem schlechten Denkmal, das ihm seine
Landsleute gesetzt, versöhnen, ebenso wie mit den minderwertigen musikalischen Auf-
fQhrungen, die mit der EnthQUung verbunden waren. Am 23. August wurde in la Cöte-
Saint-Andr6, einem kleinen zwischen Lyon und Gr6noble gelegenen Städtchen der Dauphin6e,
Berlioz' hundertster Geburtstag ebenso wie in letzterem Orte gefeiert, wenn auch in etwas
intimerer Art. Es wurde im Geburtshaus des Komponisten ein Berlioz-Museum ein*
geweiht, das bereits zahlreiche interessante Stucke enthält: einen Brief von Berlioz aus
dem Jahr 1830 von Paris an seinen Vater, Lieder mit Guitarre-Begleitung (sie!), von denen
mehrere, nach Worten von Florian, sicherlich die ersten Kompositionen des Meisters
darstellen; Flöten und Klarinetten aus seinen Kinderjahren; mehr als hundert Porträts
aus allen Lebensabschnitten; seine vollständigen musikalischen und literarischen Werke;
der massive silberne Kranz, der dem Verfasser des Rakoczymarsches 1861 von der
Jugend von Gior verehrt wurde; die Partitur von «Romeo und Julie*, die der Komponist
dem König von Preussen überreichte, ein Geschenk Felix Weingartners. Der Organisator
des Museums, Jean Celle, beabsichtigt, nächstens eine vollständige und detaillierte Be-
schreibung zu liefern, in der Hoffnung, dass die Berlioz-Anhänger aus aller Herren Ländern
es besuchen oder ihm ein Geschenk oder eine Erinnerung an den Meister, felis sie welche
besitzen, zuwenden werden. Später will die Stadt La Cöte-Saint-Andr6 das Haus ankaufen,
in dem sich heute ein unbedeutender Laden befindet, und man wird es so gut wie möglich
wieder in den Zustand zu setzen suchen, in dem es sich befand, als es der Arzt Louis
Berlioz bewohnte. Die Einweihung des Berlioz-Museums bildete indessen nicht die
einzige Anziehungskraft des 23. August. Was in la Cöte noch aussergewöhnlicher, noch
schwerer zu verwirklichen war als in Gr6noble — man führte Beriiozsche Werke in
seiner Geburtsstadt auf. Ein Teil der ungeheuren Markthalle war zum Konzertsaal
umgewandelt. Die «Symphonie lyonnaise" spielte unter der Leitung ihres Kapell-
meisters Mariotte die Ouvertüre zum «Camaval*, drei Fragmente aus »Harold in Italien*,
den Trauermarsch aus «Hamlet*, Fragmente aus der «Kindheit Christi* (mit den Herren
Commune, PouilI6 und Frl. E. Blanc, die überdies unter grossem Beifall noch «l'Absence*,
«le jeune Pätre breton* und Gretchens Arie «D'amour Tardente fiamme* aus der «Dam-
nation de Faust* sang). Das Musikkorps des 140. Infanterieregiments endlich begleitete
die «Marseillaise*' von Berlioz und spielte die Ouvertüre zu den «Vehmrichtern*. Trotz
des schlechten Wetters und der mangelhaften Akustik der Halle fanden die Berliozschen
Fragmente, die für die meisten eine Offenbarung bedeuteten, bei der zahlreichen, aus
allen benachbarten Ländern herbeigeeilten Zuhörerschaft starken Beifall; der Erfolg der
Feier hat bereits den Gedanken gereift, womöglich jedes Jahr in Berlioz' Geburtsstadt die
schöne Kundgebung zu wiederholen, die noch keine Vorläuferin gehabt hat.
J. G. Prod' homme.
EINGELAUFENE NEUHEITEN
BÜCHER
Allgcnielaer Deutscher Musiker-KaleDder für 1904. Verlag: Rübe & Ploibo«,
BeriiD.
R. Bctks: Kranz. Gesammelte Butler über Musik. Verlag: Lauterbacb & Kubn, Leipzig.
Oentseher Maslker-Kaleader für daa Jabr 1604. Verlag: Max Hesse, Leipzig. (M. 1,50.)
MUSIKALIEN
Volfgang Hickel: Gedicbte von Goetbe für eine Singstimme und Klavier. No. 1—4.
Selbstverlag des Komponisten, München.
Tllhelm Merer: Minnercbflre im Volkston, op. 53, 66, 70, 77, 78, 79 (i M. I). Veriag:
Chr. Frledr. VIeweg, Berlin.
Albert Lenz: Lieder Für eine SingsUmme mit Pisnotbrtebegl eilung op. 20. No. 1 .Und
wQsBten'a die Blumen* für hohen Sopran. No. 2 aErinaeTung* für Sopran.
9 M. 1,20.) Kommissionsverlag von Bernhard Siege), Berlin.
M«K Peters: Ad astra. Orgelflnale. op. 48. <M. 3.) Verlag: Carl Giessel jun., Bayreuth.
Angast Klughardt: 5. Symphonie (c-moll) op. 71. Klavieriuszug zu vier HInden be-
arbeitet von Jobannes Doebber. (M. 10.) Ebenda.
Tilhelm Dfilb: .Holdes Mlgd lein weine nicht*. Lied für eine SingsUmme mit Klavier*
begleitung. op. 47. <M. 1,50). .Tel b nachts friede'. Poetisches Tongemilde
fSr Pianotorte. op. 49. (M. 1,50). Telbnscbtssymphonle für Pianotorte zu
vier Binden mit Kinderinsirumenten. op. 50. (M. 2,ia) Verlag: Eisoldt &
Rohkrimer, Berlin.
T. Herrmann; Zwei Lieder für vierstimmigen Minnercbor. No. I: O weh, du arger
Tirt; No. 2: Der fahrende Musikant, op. 50. {k M. 0,80.). Vier Lieder für
eine Singstlmme mit Klavierbegleitung, op. 60. Nol: Sicheres Merkmal;
No.2: In der Feme; No. 3: Begegnung; No.4: Du riefst. (No. 1 M. 1,20;
No. 2, 3, 4 ft M. 0,80.). .Unter den blühenden Linden.' Lied für eine Sing-
sUmme mit Klavierbegleitung, op. 61. Ebenda.
M. von Kehler: Sechs Lieder für eine mittlere Stimme mit Begleitung des Pianoforte.
op. 22. No. I: Heilige Nicht; No. 2: Vas geht dss ^mde Lied mich anP;
No. 3; Maiennacht; No.4: An eine Verlorene; No. 5: Die Trauernde; No. 6:
Branilted. (No. 1—4 i M. 1,20; No. 5 M. 1,30; No. 6 M. 1,50.) Ebenda.
Vsither Mlekley: F6nf Lieder für eine Singstlmme mit Klavierbegleitung, op. 1.
No. 1: Taldeinsamkeii; No.2: Vie gerne dir zu Füssen; No. 3: DOrpertani-
welse; No.4: AbendÜed; No. 5: Das GIfick. (No. 1 und 3 Jt M.0,80; No.2,
4 und S t M. 1,20.) Ebenda.
H. Gottlieb Noren: Suite in e-moll für Violine und Klavier, op. 16. <M. 7,50.). Drei
Lieder für I Singstlmme mit Klavierbegleitung, op. 17. No. 1—3. (M. 1,50.)
Ebenda.
Leopold Schmidt: Sechs Debesiieder aus dem 16. Jahrhundert für 4stlmmigen
gemischten Chor. Panitur, op. 3. (M. 1,50). Sonate, f-rooll, für Violine und
Klavier, op. 4. (M.5) Ebenda.
t RedmklioD lu adnuiercn. BeipRchiini ciniElDer Wcike vDcbttiMllcB. P« dU
!r Buchet usd Muiilulicn. dEren Rüduenduni kcinuUll lUttSadM, Übw
CD Reduktion UDd VcrUg keine Gutnüe.
lin Aotctalnss äa den ersten Artikel bringen wir eine Abbildung des viel umstrittenen
Berliner Vsgnerdenkmala von Prof. GobUt Bberlein.
Unsern Plan, im Lauf der Zeil die Ansicbten aller Tehnbiuser, (n denen Tagner ge-
wellt. Im Bild wiederzugeben, setzen wir heute fort Die dargestellte sctamacke
Villa, seit langem dem Fabrikbeiiuer Rud. Dykerboff In Blebricb am Rbein gebOrig,
ist ein musikgescblcbtllcb lusaerst denkwardiges Gebinde: die Geburtaititte
der „Meistersinger*. Von drei Selten durch habe Biurae tut verdeckt und
nur vom Rhein aua deutlich sichtbar, diente das .Bibemeaf, wie er es nannte,
1862 dem Meisler zum AuTenthalL Von einigen kleinen banllcben Verilndernngen
an der VorderAttnt abgeaeben, stellt das Bild die treue Wiedergabe des historischen
Hauses dar, an dem der Eigentümer demnichst eine Erinnerungsufel anzubringen
gedenkt. Das wohlgelungene Aquarell, von dem unser C1ich£ stammt, ist eine
Arbeit des Herrn Hans Pfellscbmldl in Prankfurt a. M^ unseres gescbltiien
Mitarbeiters. Es Ist u. V. noch keine ReprodukHon bisher erschienea.
Zorn Aubati von van der Stneten gebSren die Portrilts von Mendelssohn (nach dem
Stich von Th. und A. Wtger len. In Leipzig), Schumann (nach dem Limmelscben
Stich) und Verbullt. Bild und Namenazug des n lederl In d Ischen Ton dl cbtera ver-
danken wir dem Entgegenkommen seiner Tochter, Madame Eilseber VerbulsL Von
dem auf S. 11 mitgeteilten MendelsBobnscben Brief bringen wir ein Facsimlle.
Die charakteriitticben Z6ge des DJctalera und Musikers E. T. A. Hoffmsnn, dessen
Kapellmeister Kreisler In seinem «Kater Murr* Schumann zu seinem op. IB anregte,
m&gen zur Illustration des von MQIlerschen Artikels dienen. Unsere Reproduktion Ist
nach dem kfistllchen Original in der Mendela lohn sehen Portrttsammlung angefertigt.
An den 90. GeburtaUg (9. Oktober) Altmeister Verdis erinnert ein Bild, zu dessen
Tledergsbe uns eine wenig bekannte Zeichnung von Camlile Gilbert gedient hat.
AnTderHObeaelnei künstlerischen SchaBbns undTlrkens IstHerman Zumpe in München,
der hervorragende Dirigent des Prinzregententheatera, der veratiüidnlsvolle Schfiler
und begelstene Interpret des Bsyreuiber Meisters, plötzlich am 4. September bin-
weggerafft worden. Tle er aufstrebenden Talenten Förderung und Unterstütiung
angedelhen Hess, davon Hefen sein Eintreten für Max Scbilllnga einen voll-
gültigen Beweis; wir bringen von letzterem in unserer
Musikbeilage die Vertonung eines wundervollen Gedichtes .Aus dem Takt* von Goatar
Falke, daa uns der Komponiat zum ersten Abdruck überlassen hat. Das vornehm
gehaltene, packende Musikstück verleugnet den Verhsser der alngwelde* nicht.
Zum Scbluas dedicleren wir unseren Lesern das neue Exlibris für den ersten Quartals-
band des dritten Jahrgänge nach einer atimmu nga vollen Zeichnung von H. Lind] off.
k lU* VuUfw ■■•
Pono briLut OlnniiBai di* RadakttoB Iibih Guancw.
Verantwonlicher ScbrifÜeiter: Kapellmeister Berahuil Scbuster
Berlin SV. II, Luckenwnlderatr. I. 111.
(^<. /^'
^- ^^c^i^tJ-
BRIEF MENDELSSOHNS AN VERHULST
ULI
E. T. A. HOFFMANN
GIUSEPPE VERDI o
^9. OKTOBER 1813
HSprner «i Pitpcrhoff, H.llc phoi.
HERMAN ZUMPE o
t4. SEPTEMBER 1903
X
Massiges Hauptzeitmass.
all mein hol - der Kreli^
mein
Kind
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S: iLir f
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und
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Steigernd und drängend.
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E. T, A. HOFFMANN
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Tod Pflicht.
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Stleh u. Druckt Berliner MnaUcallen Druckerei O.oi.b. H. ClubrlotleDbvrff.
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Höprocr & Pi^P""""- """ P""-
HERMAN ZUMPE o
t 4. SEPTEMBER 1903
|ur manchen vielleicht eine seltsame Zusammenstellung, dieses:
«Königschlösser* und „Wagner Festspiele!" Wenn man aber
zufllHgy wie Verfasser dieses, die Tage unmittelbar vor Eröffnung
der Festspielreihe am Münchner „Prinz- Regenten-Theater* mit
seinem Rade «freiweg* durch den Schwangau und den Ammerwald ge-
hhren ist, von den Bergen und Schluchten, Seen und Wäldern, Giessbächen
und Wasserfillen der Hochalpenwelt eben herkommt und ca. 60 bezw.
36 Stunden vor Beginn des „Nibelungen-Ringes* noch auf Neu-Schwanstein
und in der «Hunding- Hütte* (zwischen Plansee- Linderhof) geweilt hat,
dann erlebt man so mancherlei merkwürdige persönliche Eindrücke. Die
eigenartige Kombination setzt sich als Erlebnis fest, klingt noch lange nach
in der angeregten Seele und führt schliesslich sogar zu allerhand inter-
essanten Ergebnissen, wo nicht gar zu neuen ästhetischen Erkenntnissen.
Ein Problem ist da mit einem Male klar aufgegangen, ein Problem, das
nur sehr unvollständig mit „König Ludwig — Wagner* zu bezeichnen ist,
nnd das hier nur eben als Skizze leicht angerissen, nicht aber irgendwie
erschöpft werden kann. Oder vielmehr gleich ein ganzes Bündel von
Problemen! • . •
Man sieht den herrlichen Schwangau mit seinen darüber schimmernden
Borgen, erlebt die „Waldesmorgenpracht* mit dem köstlichen Durchblick
auf den poetischen „Alp-See*, auf dessen spiegelglatter, in der Sonne er-
llinzender Fläche weisse Schwäne in majestätischer Ruhe silberklare
Sparen ziehen. Unwillkürlich fragt man sich: „Sind die Tiere hier nicht
heilig?* Das waren des phantasievollen Königs erste Natur-Eindrücke
in seiner frühesten Jugend, zu denen ihm der „Lohengrin* (alsbald) und
der «PftrsihI* (später) durch die Kunst noch die Verklärung bringen
sollten. Man wendet sich sodann zum steilen Anstiege gen „Neu-Schwan-
steltt* zu, und bald wie die Wart-, bald wie die Gralsburg scheint der
Ban den Wanderer traulich - traut durch den Bergwald herabzugrüssen
oder aber ihm als ein fernes Wunder dieser Welt, „unnahbar euren
Schritten*, von schroffem Gestein entgegenzuwinken. Bis hierher wäre
also alles ganz richtig und in Ordnung. Nun aber kommt der offizielle
«Fflbrer durch das Schloss* dazwischen und er preist mit begeisterten
6*
84
DIE MUSIK III. 2.
Reden und flammenden Worten die hier gelungene .himmelanstrebende,
imposante Verwirklichung* jener Wagnerschen Verse:
»Vollendet das ewige Werk; auf Bergesgipfel die Gdtterburg,
Prachtvoll prahlt der prangende Bau!')
Wie im Traum ich ihn trug, wie mein Wille ihn wies,
Stark und schön steht er zur Schtu, hoher herrlicher Btu! . . ,*
und er spricht davon: »gleich als ob Zyklopenhände dieses Mauerwerk,
diese mächtigen Türme und diese ragenden Zinnen und Giebel aufgetürmt*
hätten — denkt sonach offenbar an das »Walhall "-Gebilde im »Rheingold*
selber. Hier jedoch stimmt die Sache ganz und gar nicht mehr. Oder aber,
stimmte sie am Ende doch, teilweise wenigstens, und würde sogar brenzelig-
anzüglich, wenn wir im Texte weiterlesen: »Nur Wonne schafft dir, was
mich erschreckt? Dich freut die Burg, mir bangt es . . . Achtloser,
lass dich erinnern des ausbedungenen Lohns! Die Burg ist fertig, ver-
fallen das Pfand: vergisst du, was du vergabst?* »Wohl dünkt mich*s,
was sie bedangen, die dort die Burg mir gebaut; durch Vertrag zähmt'
ich ihr trotzig Gezücht, dass sie die hehre Halle mir schufen; die steht
nun — Dank den Starken — [kein Stein wankt im Gestemmi]: um den
Sold sorge dich nicht!* »O lachend frevelnder Leichtsinn! Liebelosester
FrobmutI* . . . »Sanft schloss Schlaf dein Aug': wir beide bauten Schlummers
bar die Burg. Mächt'ger Müh' müde nie, stau'ten starke Steine wir auf;
steiler Turm, Tür und Tor, deckt und schliesst im schlanken Schloss den
Saal. Dort steht's, was wir stemmten; schimmernd hell bescheint's der
Tag: zieh nun ein, uns zahl' den Lohn!* »Seid ihr bei Trost mit eurem
Vertrag?* . . . Sollen wir dabei etwa die ergreifenden Nöte unseres edlen
Königs wie sein unseliges Ende in Schauern bedenken und gleichzeitig
unsere Blicke sogar auch mit schweifen lassen bis zu Ernst von Possarts
kühnem, »prachtvoll-prangenden Bau* auf die Bogenhausener Höhe zu
München hinan, bei welchem Bauwerke durch spekulativer »Verträge
trügenden Bund* ja auch klingender »Lohn* ausbedungen ward, wiewohl es
zweifelhaft erscheinen kann, ob er sich je vollauf bezahlt machen wird. —
Doch, wir lassen den eben aufgenommenen Faden lieber zunächst
noch fallen und gehen hier weiter, ins Innere der Schlossgemächer hinein.
»Regin schmiedet Sigurd das Schwert Gram*; »Tristan reicht Isolde
unbewusst den Liebestrank*; »Parzivals Hochzeit mit Condviramur*
und so weiter mit viel steifer »Professoren*-Grazie bis zu den »Nibelungen*
in der falschen Betonung des erklärenden Kastellans! Also nichts hinzu-
gelernt, und was gewusst — vergessen; im Grunde nur wieder die alte,
herkömmliche Sagenkunde vor dem Auftreten eines Richard Wagner, die
^) Der Führer schreibt lustig „prunkvoll prankt [I] der prächtige Btu'^ — daher
der Name „FQhrer^^
8S
SEIDL: KÖNIGSCHLÖSSER U. WAGNERFEStSWELE
reinen Stoff- Gebiete daran allein, unbearbeitet, hergenommen — und der
neue Ideenkem darin gerade wieder total verfehlt! (Im übrigen genau
so, wie auch schon durch König Ludwigs I. , Walhalla"- und Viktorien*-
Gestalten das germanische Volksbewusstsein ungeweckt über «Walhall''
und die »Walküren* geblieben!) Wozu also nur all dieser Aufwand?
War dies etwa der „Zweck der Übung''? Dazu dann angemalte „Sänger-
lauben*, vWaldesschweigen'-Prospekte und „Venusberg^-Kulissen auf Sack-
leinewand in künstlichen Grotten — alles das inmitten einer selbstherrlich-
ragenden, erhaben -unvergleichlichen Natur, dicht zudem, und überaus
störend, neben dem solidesten Baumaterial und massivsten Edelmetalle!
Wie, dieser Freund Wagners und vielgerühmte Kunstkönig hatte ein so
zweifelhaftes künstlerisches „Stilgefühl'', dass ihn dies fatale Nebeneinander
nicht im geringsten mehr störte? Dass er, die konventionelle Tapezier-
Arbeit mit Beleuchtungs-Effekten dem Urwüchsig-Elementaren gegenüber-
zustellen, nicht verschmähte, ja es sogar dem Organisch -Kongruenten
beherzt vorziehen konnte? Er besass im Grunde nicht den ästhetischen
Feinsinn, von dem Poetisch-Malerischen statt des öden und blöden „Was*
das »Wie* streng künstlerisch zu nehmen? — mit einem Worte: er
stand nicht an, mit der unbestechlichen Natur Theater zu spielen und die
grossartige Alpen -Wirklichkeit in illusionäre Dekoration alsbald wieder
umzusetzen? Er wäre also — wie weiland sein Grossvater König Ludwig I.
ein „sogenannter* Dichter — auch nur der soidisant-Künstler gewesen? . . .
Man betrachte sich doch einmal, wie idyllisch und traulich-anheimelnd,
wie eine Verkörperung der ganzen Landschaft, die romanische Wartburg
in Thüringen den Fussgänger beim sanften Laubwald-Aufstiege zum Wart-
beige hinan anmutet, und schaue dann, wie scharf und zackig-brüsk dieses
Neu-Schwanstein durch den hochragenden Berg-Nadelwald mit wohlgepflegter
Fremden-Fahrstrasse, ebenso verwegen als übertrieben, herausspitzt. Von
unten sieht sich die Sache ja noch verhältnismässig harmlos und gemütlich
an, so lange man zwischen den Bäumen der Hof-Chauss6e auf der Ebene
von Füssen herkommt; von oben herab, z. B. der „Marienbrücke* besehen,
ist es aber mit seinem felsigen Hintergrunde geradezu unheimlich anzu-
schauen, mit seinen tiefen, zerklüfteten Schluchten wahrhaft zum Schluchzen.
Ein neuartiger, organisch - ausladender, zupassend - grandioser Alpen - Stil,
mit mächtigen Zyklopen-Quadern, von derb-elementaren Formen und in
herb-strengen Grundlinien (so etwa, wie sich Prof. Fritz Schumacher gewisse
Monumental-Architekturen aus Felsen denkt) hätte das vielmehr werden
müssen: just wie man Wagner-Wotans „Walhall *-Traum, von schwieliger
Riesenhand aufgeführt, an unsren Bühnen (selbst zu Bayreuth und am
Prinzregenten-Theater) — gar niemals leider zu sehen bekommt; eine neue,
produktive Bau-Idee also und ein typisch-petrefaktes Urbild; nicht aber ein
66
DIE MUSIK 111. 2.
auf einen schroffen Felsen aufgesetztes Schmuckkästchen nur, nach be-
kanntem Mittelgebirgs-Modelle, dessen Nachbildung in solcher Umgebung,
darinnen es keinerlei Wurzel hat, allein eine leere Nachahmung bleiben
muss. Und, wenn es doch wenigstens heissen dürfte: «Ober Gestein zu
Gestirn*! Welche erschfittemde Tragik aber des Königsgedankens, wenn
schliesslich eine solche stolze „Burg* nicht wirklich zugleich my Castle
sein kann? Wenn ein königlich-absoluter Wille sich darin dem ersten
Diener blind ergeben muss und gerade hier in die Gefangenschaft der
Suats-Raison gerät, statt «seines Willens blind wählende Kfir", den un-
botmässigen Minister-Knecht, dafür lieber in das finstere Burg-Verlies zu
stossen oder vom steilen Turmfenster in die Kluft einfach jählings hinab-
zustürzen? Gerade hier ja sollte den Höhensinnigen sein Geschick er-
reichen — er fiel, und nicht der Staatsdiener, der ihn einzuholen hatte!
Nicht nur vom Erhabenen zum Lächerlichen ist oft nur ein Schritt (vgl.
die «Professoren" Hauschild, Spiess, Eberle usw. und ihre z.T. «unsterblich*
blamablen Kunstwerke!), sondern auch vom Erhabenen zum Schwindelhaft-
Verstiegenen. Hier wird das «Erhabene* denn in der Tat das «auf die
Spitze Getriebene*: Hohen -Schwangau — «Neu-Sch wanstein* — Ruine
Falkenstein — excelsior, immer höher hinauf ... bis wir selber stürzen.
Wahrlich, nirgends wohl lässt sich die alte Ikarus -Lehre angehenden
Menschen von ihren Lehrern und sittlichen Führern anschaulicher ad oculos
vordemonstrieren, als an dieser beklemmenden, keineswegs erhebenden
Stätte! Das «Baumeister Solness*- und das moderne Nietzsche-Problem
meldet sich: die Höhe als Abgrund-Tiefe; von dem ästhetischen treten wir
hier bereits ins pathologische Gebiet über, und Freund Dr. M. G. Conrad,
der mit seinem «Majestäts*-Roman diese dunkle Psychiatrie bis zur Ver-
stiegenheit der Ich-Anbetung, Selbst-Heiligsprechung und Eigen-Vergottung
uns aufdecken sollte, untersuchen musste und nicht zu alledem Ja! sagen
durfte — er hat sich meines Dafürhaltens, als Ästhetiker wie als Psycho-
loge, als ehemaliger Führer des deutschen Naturalismus wie als belle-
tristischer Realist, in unseren Augen ganz ausserordentlich mit diesem
Werke diskreditiert. Freilich, auch sonst finden wir ja nirgends noch diese
Töne darüber angeschlagen, und doch würde uns nicht wenig, vielmehr
äusserst interessant zu wissen sein, welche Beobachtungen etwa ein fein-
fühliger Psychiater an diesen Orten im stillen wohl anstellen möchte. Wahr-
haft gespenstisch, wie der Schatten Klingsors nächtlicherweile über der
Wartburg, scheint des Königs Geist, brütend über seinen Bauträumen, über
dieser seiner Burg zu schweben — das bewusste Bild im Innern wird so
zum grausigen Symbol für das Äussere: D6cadence! das ist es, wonach das
ganze, so hochragende Gebilde förmlich schreit. Aussen: viel herbe SUicken
und Zinnen — im Innern dagegen: die weichliche, oder doch mimosenhafte
87
SEIDL: KÖNIGSCHLÖSSER U. WAGNERPESTSPIELE
Sentimentalität einer katholischen Romantik, bei komfortabelstem Luxus.
Und dicht wiederum neben Marmor, Eisen und Eiche usw., mit köstlichen
Türbeschlägen, kunstvollsten Schnitzarbeiten und reichen Stickereien eine
grenzenlose Geschmackarmut im Kunstgewerblichen (Vasen, Tintenzeug,
Krfige usw.) „auf den Thron erhoben"; Wintergärten mit exotischen Palmen
und gemachten Kaskaden, sowie orientalische Kioske mit fremdfarbigen
Fenstern in unmittelbarer Umgebung einer lebendigen Natur samt den
majestätischen Schönheiten schroffer Bergriesen und tosender Gebirgsbäche
voll eruptiven Steingerölles — wie Mahnung aus einer ungebrochen-kraft-
vollen, germanischen Urwelt. Gewiss, feenmässig — aber doch mehr
«Feerie*; zauberhaft wohl — doch im Grunde mehr , Theater-Zauber*;
eine unerschöpfliche Phantasie — aber mehr die einer krankhaft über-
spannten «Phantastik**; mit seinen vielen, allzubunten, ewig nur fabu-
lierenden, in den dunklen Gängen und lichtlosen Alkoven zudem meist
färben- unwirksamen Wandgemälden zuletzt mehr fabelreich als gerade
»fabelhaft'' zu nennen. Dass ihn nicht gefroren hat in dieser seiner
Alleinsamkeit — im hochgetürmten Pallas, mit einer ^^ Kemenate* zur Seite,
der das sein Wesen ergänzende Weib fehlte! . . . Kurz: ,Ich seh' dich
an, und Wehmut schleicht mir ins Herz hinein* — das ungefähr ist
doch wohl die Grundstimmung aller wahrhaften Ästheten beim Anblicke
dieser, nicht aus der gewaltigen Umwelt selbst heraus geborenen, sondern
ihr höchst-eigenwillig oktroyierten, nicht gewachsenen, sondern gemachten
und aufgeklebten Stammburg ohne «Stammhalter*. Incipit tragoedia hu-
mana, und das Glaubensbekenntnis des Wagnerianers über diesen «Sonnen-
König*, Ideal-Jüngling wie Schirmherm seiner Meisterkunst, es hat ein für
allemal nun seinen Stoss erlitten ...
Tiefbekümmert im Herzen über ein zerstörtes «Ideal* wenden wir
unsere Schritte bedachtsam von dannen und gelangen, uns dem Ammer-
walde zuwendend, alsbald zu dem versteckten Linderhof-Winkel. Auch da
wieder ein fremdes, auf diesem Boden nicht bodenständig gewordenes
Element! Das befremdende Sonnen-Königtum mitten unter bayrischen
Naturburschen; die eingezwängte, beschnittene Natur einer französischen
Garten-Zucht und romanischen Parkett-Kultur neben wilden Hochwald-
Gebilden von lapidarer Eigen-Faktur. Dekoration und Kostüm, Maske,
Requisit und Theaterspiel allüberall, wo Elementargewalten Ereignis und Ur-
wüchsigkeit Wachstum, lebendiger Ausdruck werden sollten : die ästhetische
Dissonanz abermals stellt sich ein. Und wie verstimmend vollends wirkt
hier, in diesem vornehm-feinen Milieu des zeremoniellen Zwangs wie der
streng-höfischen Weltmanns-Sitte, das Herumtrampeln all der gemeinen
Herdentiere unter der Leithammelei eines besoldeten, ungebildeten Führers,
die doch alle seinem weltfernen Geist — odi profanum volgus, et arceol
88
DIE MUSIK III. 2.
•~ bei Lebzeiten niemals zu nahen hätten wagen dürfen. Dieser vorlaute
Lärm heute durch die weiten Hallen und stillen Gemächer; diese zudring-
lichen Beine und indiskreten Hände, die ihre staub-schmutzigen Schuhe
nicht erst aus-, die Handschuhe nicht erst anziehen, um heiliges Gebiet zu
betreten oder zu berühren, die alles brutal betasten und begreifen müssen I
Auch hier, hinsichtlich der Schlossverwaltung, liegt ja doch schliesslich —
wie bezüglich der Erhaltung des «Parsifal* für Bayreuth! — ein ausdrück-
licher Meisterwille und ein klares Königs-Testament vor uns, das es pietät-
voll zu respektiren gälte: ^Erlöse, rette mich aus schuldbefleckten
Händen f* Aber weit gefehlt I Das .Volk«, der Alltags-Tourist und Fremden-
Verkehr, trampelt darauf und darin wie mit Elefanten-Tritten weihelos um-
her; für sein Geld muss ihm auch das zu seiner . volkstümlichen« Er-
götzung — panem et circenses! — unbedingt ,»zugänglich« sein. Sie tun
ganz so, als wenn sie bei sich „zu Hause« wären I Und, wenn darüber
auch ein Herz in Krämpfen blutet, wenn durch seine neugierig-sensations-
lüsterne Anwesenheit das Geheimnis, der Genius loci, . erst «profanirt«
wird — tut nichts, ein König wird verhöhnt, eine Psyche nicht ästhetisch,
sondern stofflich genommen, ein Kranker ex profundo ac professo miss-
kannt und missverstanden I — ,Die Wagnerschen Opern sind ja sehr schön,
aber mir sind die eigentlichen Volksstücke doch lieber — die haben doch
etwas so Humorvolles an sich, man könnte sagen: die rechte Zerstreuungl«
So sagte mein Barbier — nicht von Bagdad, sondern von München-Solln
— später, während der Aufführungen am i^ Prinzregenten-Theater«, gelegent-
lich höchst naiv zu mir und meinte mit diesem Gemeinplatz des ober-
flächlichen Alltags-Bedürfnisses wahrscheinlich noch Wunder welch tiefe
Lebensweisheit ausgekramt zu haben. Das mag denn so ungefähr auch
die landläufige „Ästhetik« unsres begehrlichen Durchschnitts - Publikums
wohl sein, das sich — geschmeichelt als „Volk«, das ein Recht auch auf
die idealen Lebensgüter für sich in Anspruch nehmen dürfe — von seinen
Organen der „öffentlichen Meinung« und „privaten Faulheit« immer die
„Freigebung des Parsifal für die grosse Allgemeinheit«, das „Los von
Bayreuth!« bis zum Wahnwitze vorschreien lässt. Und ich fürchte sehr,
dass auch die Kunsterkenntnis des scharfsichtigen Herrn „Beobachters« an
der Spree nicht allzu weit von dieser Trivialität zuletzt entfernt sein
möchte, der sich neulich („Tag« vom 2. August) für einen „populären«
Wagner gar so sehr ereifert hat. Diese guten Leute, aber schlechten
Musikanten und für das Ideal ganz verdorbenen Spiessbürger — sie sind
nun einmal die grosse Majorität im Leben, „an ihr wirst du nichts ändern !«
— sie wird der Bayreuther Meister mit seinen Werken und werden wir mit
unserm Ruf nach einer „Kunst des Ernstes und der Sammlung« doch kaum
jemals anderen Sinnes machen, eines Besseren belehren noch zu unseren
89
SEIDL: KÖNIGSCHLÖSSER U. WAGNERFESTSPIELE
»ideologischen* Ansichten bekehren können — man steht nicht ungestraft
bereits 20 Jahre in der Wagner-Bewegung, um sich hierüber ein für allemal
.auszukennen*. Der vollendete Trugschluss obendrein, sich einzubilden,
dass diese Dinge alsdann, preisgegeben, jemals in der bisherigen Güte zu
»zivilen* Preisen dem »schlichten Mann aus dem Volke* allenthalben er-
reichbar sein würden I Wohl stets werden solche Dinge 20 bezw. 3 Mk.
kosten und die great-attraction der haute-saison für ein internationales Mode-
und Fremdenwesen im Grunde nur bilden. Ganz abgesehen auch noch
davon, dass die Wagner- und »Parsifal*-Schreier schliesslich doch auch die
Besichtigung all der königlichen Bauwünder und Schlossträume, etwa durch
hydraulische Transferierung, in den grossen Centren des Verkehrs: München,
Berlin, Wien, Paris, London, New- York energisch einmal heischen könnten!
Warum wohl haben sie das noch nie getan, sich vielmehr zur Reise an
Ort und Stelle selbst bequemt ? . . .
Dementgegen nun die »Hunding-Hütte*, der wir noch unseren schuldigen
Besuch abstatten — nur scheinbar haben wir unser Thema nämlich mit
obigem verlassen: »wie anders wirkt dies Zeichen auf uns ein*! Vor
allem herrschte hier endlich die grösste Ruhe und zurückgezogene Stille;
keine Menschenseele an diesem lauschig-beschaulichen Orte, verborgen
im Waldesdickicht, kein Führer-Trott, der den von den offiziellen Touristen-
Leitfaden so vielbesungenen, nachgerade aber nur mehr ironisch zu fassenden
»Waldesfrieden* turbulenter durchkreuzt. Und, während wir dort all-
überall an den von uns verlassenen Plätzen mit den Spuren königlicher
Herrlichkeit, bei aller Pracht und Würde des verwendeten Materials usw.,
das Gefühl der Inkongruenz, einer unwahren, nicht einverleibten Kulissen-
Dekoration: Simili, Talmi oder gar Pappe — nirgends recht los werden
konnten, hier zum aller erstenmal auf dieser Rundfahrt haben wir den
entschiedenen Eindruck einer adäquaten Einheit und harmonischen Ver-
schmelzung zwischen Lokal und Milieu. Und das geht so weit, dass man
Bauzimmerung wie innere Einrichtung dieser groben, altechten Blockhütte
unseren berufenen Wagner-Regisseuren geradezu als mustergültig zur
sorgBltig-genauen Nach-Inszenierung mit gutem Gewissen anempfehlen
dürfte, wo man »Neu-Schwanstein* doch vielmehr als abschreckendes Bei-
spiel gegen die Gestaltung von »Walhall* vorzuhalten hätte. Hier, mit
der »Hunding-Hütte*, ward etwas geschaffen, oder doch freischöpferisch
gebildet, das mit seiner primitiven Umgebung vollkommen übereinstimmt,
ja diese ebenso poetisch zu verklären wie urtümlich zu rechtfertigen scheint,
und das darum auch retrospektive das früher Geschaute nun doch wieder
in etwas versöhnlicherem Lichte uns noch erscheinen lässt: Hat es viel-
leicht nur an den verständnislosen »Handlangem* der königlichen Bau-
pläne und Kunst-Entwürfe gelegen?
90
DIE MUSIK 111. 2.
Und jetzt erfahren wir an uns etwas ganz merkwfirdiges, indem wir
darauf hin die schöne Gebirgs-Fahrstrasse in der kräftig-freizugigen, tief-
erfrischenden Höhenluft mit unserem Rade, einsam für uns selbst, schwirrend
dahinsausenl Während wir uns kurz vordem noch auf die grosse Kunst
Wagners und die echte , Kultur ''-Wirkung seiner Schöpfungen gegenüber dieser
unschöpferischen Pseudo-Kunst aufrichtigst gefreut hatten, beginnen wir in
dieser unserer Körper- wie Geistes -Verfassung, unter dem freien Himmel,
den innerhalb 24 Stunden schon bevorstehenden Besuch der Vorstellungen
im gedeckt-geschlossenen „ Prinzregenten-Theater* der Grossstadt bereits
als lästige Einengung unserer entbundenen Phantasiekräfte zu empfinden
und uns vor diesem kaudinischen Joche für unseren aufrechten Nacken, je
näher wir ihm kommen, nunmehr fast zu graulen. Während wir uns dort,
in den Schlössern und Burgen, über das viele romantische Theaterspielen,
die dekorativen Kulissen-Launen usw. innerhalb einer gewaltigen Wirk-
lichkeits-Grösse grämten und ärgerten zumal, tun wir es nun, im Vor-
geschmack des Kommenden schon, mit dem Hinblick auf die bei Wagner so
aufdringlich-realistische Akzentuierung eines freien Spieles mit elementaren
Naturvorgängen und entfesselten Naturgewalten (im «Nibelungen*-Ring vor
allem I) — eines „Spieles*, das doch unausbleiblich an eine gewisse Bühnen-
Konvention und Maschinen-Technik gebunden bleibt und uns fortwährend
nur wieder an die Leinwand-Kulissenwelt eines täuschungsvollen Rampen-
Lichtscheines unliebsam gemahnen muss. (Vgl. meine tiefer eindringenden
Ausführungen zu diesem aktuellen Problem: „ Phantasie oder Illusions-
bühne?* — ,25 Jahre Bayreuth und 24 Stunden München*, aus dem
Jahre 1901, in meinem Buche »Kunst und Kultur* S. 441—486.) Un-
willkürlich ertappen wir uns bei der Frage: Wohnt der Wagnerschen Musik,
konform mit ihren grandiosen poetischen Vorwürfen, implicite auch jenes
beseligende Moment nervenstärkender , Frigidität* inne, wie wir es im
Vorbilde solcher freien, unverfälscht ozonreichen und wasserstoff-haltigen
Höhen-Natur draussen mit vorfinden, als notwendigen Grund-Bestandteil
und wichtigen Koeffizienten (assoziativen Faktor) einer ganz unvergleich-
lichen Gesamtwirkung? Ohne Frage: in der Musik zum «Rheingold*
herrscht es z. B. gßnx vorwiegend, und es ist sicherlich kein Zufall, dass
ich beim Erschauen eines Sonnenaufgangs von hoher Bergspitze herab, mit
all seinen erhabenen Schauem, von dem .Erlebnis einer wahren Rheingold-
Stimmung* in der Natur ins dort aufliegende Fremdenbuch schreiben konnte.
Auch in der »Walküre* (IL und IlL Akt) ist jenes frigide Moment ganz
zweifellos, charakteristisch mitwirkend, gar heilsam inbegriffen. Selbst im
«Siegfried* wie in der «Götterdämmerung* noch klingt unserem aufmerksamen
Empfinden diese herbe Kühle streckenweise wohl aus den Tönen der Partitur
auffrischend entgegen, und von gewissen Stellen im I. Akte des «Tristan*
DIE MUSIK
Die Kunst kann niemand fördern als
der Meister. Gönner Fördern den
Künstler, das ist recht und gut; aber
dadurch wird nicht immer die Kunst
gefördert.
Goethe.
III. JAHR 1903/1904 HEFT 2
Zweites Oktoberheft
Herau^egeben
von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & LoefHer
Berlin und Leipzig
92
DIE MUSIK IIL 2.
von Oberammergau-Brixlegg mit Haut und Haaren danach uns nun zu
verschreiben und somit auch für die Wagner-Aufführungen statt des (immer-
hin noch gut ventilirten) Bayreuther Festspielhauses oder Prinzregenten-
Theaters irgend ein Freiluft- wie Freilicht-Theater gleich zu fordern. Aber
da kommt die unberechenbare Witterung unserer so schön „ gemässigten **
Zone uns arglistig in die Quere und erinnert uns empfindlich genug daran,
dass wir weder im Amphitheater zu Orange in der warmen Provence
sitzen, noch auch der »ewig heitere Himmel Griechenlands'' über unseren
armen, deutschen Gefilden blaut. ,Jupiter pluvius* als Zutreiber und Fest-
spielschlepper I Ex est cantus: das i^hohe Lied** nämlich von der Plein-air-
Dramaturgie eines letzten, höchsten und wahrhaft idealen Gesamtkunst-
werkes der Zukunft für alle regen Sinne des Total menschen — die
Gegenwart fordert gebieterisch ihre Rechte, indem wir in die Stickstoff-
Atmosphäre unserer bayrischen Residenz soeben einlenken. Und die Ver-
gangenheit will uns sogar schon wieder hinabsinken in die nächstbeste
Theater- Versenkung, da wir uns — seufzend ob all der menschlichen Unvoll-
kommenheiten im Angesichte der hohen Vollkommenheit. unserer grossen
Nährmutter «Natur* — anschicken, unseren Freiplatz im modernen Amphi-
Theater der Münchner Festspiele einzunehmen. Doch halt, nicht ganz!
Denn kurz vor Eintritt fällt unser (durch die Naturreize im Freien nun
einmal gewecktes) Auge noch auf eines der offiziellen Plakate der Fest-
spiel-Leitung mit Theater-Guirlande im guten deutschen Biedermanns-
Ton, dessen Stil uns wie eine nachklingende Reminiszenz an unseren
inneren Konflikt der letzten Tage gar seltsam wiederum berührt: unecht,
durch und durch, vom modernen Wesen wahrhaft dekorativer Kunst doch
weit entfernt und kaum nur den Schein geborgt; zu einem R. Wagner
»stimmend* wie die „Gartenlaube" zur «Edda*! —
Und das geistige Resultat dieser unserer hochnotpeinlichen „Sitzung*
in der momentphotographischen „Dunkelkammer* mit .Sphärenharmonien*
aus „mystischem Abgrunde*? Eine Formel: Durch seinen »Parsifal* zog
der gewaltige „Zauberer von Bayreuth* eine Art von Idealkreis der „Tempel-
weihe* um seine geliebte Kunst, wie Göttervater Wotan mit seinem hl. Speer
einen Feuerring von wabernder Lohe um den Brfinnhilden-Felsen, den er
selbst verlassen musste, damit kein Unwürdiger je diesem weihelichen
Bezirke nahen sollte; der Zweck jedoch dieses also eingefriedeten
Reiches der Höhenkunst und seines eigenen Tagewerkes einer Höhenkultur
auf dieser Erden, ist und bleibt doch nun einmal der „Ring*, als das natio-
nale Weihefest und feierliche Volksspiel naturfrohen, kraftvollen Ariertums,
gleich jenem bei den vornehmen alten, „klassischen* Griechen. Und weiter-
hin: Diese „Nibelungen*, als Gesamtzyklus (nicht nur zu Bayreuth —
sondern auch in München nunmehr) wiederholt ausverkauft und als ein
IBSEIDL: KÖNICSGHLÖSSBR U. TAGNER FESTSPIELE
a^
zasammenhingvoltes Ganzes genossen, wenn auch heute noch nicht durch-
aus erfasst und verstanden (denn die «Walküre* und .Götterdlmmerung*
bilden leider immer noch die besonderen Lieblinge unserer .Musik- und
Opern Freunde*, vie .Rheingold' und .Siegfried' ebenso bedauerlicherweise
die Stiefkinder unserer Theater-Habitu£s bleiben I) . . . das ist nun einmal
eine grosse, nicht genug zu rühmende, künstlerische Errungenschaft gegen
frühere deutsche Gepflogenheiten! Und endlich: Ernst Ritter von Possart,
als Inszenator sowohl des Prinzregenteo-Theaters selbst, als such der Auf-
führungen darin, vielleicht doch eine Art von .Reprisentanz' der beiden
genannten Grossen, Richard Wagners und König Ludwigs II. zusammen,
in seiner peisSnlichen Mischung nimlich von Natur dicht neben vollendeter
Unnatur, von wahrer, idealer Bühnenkunsl und theatralischer Künstelei.
Qn. e. d. — schon an anderen Orten.
WM^'^^M\
MENDELSSOHNS
UND SCHUMANNS BEZIEHUNGEN
ZU J. H. LÜBECK UND
JOHANN J. H. VERHULST
AUS MEIST UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
Ertäuieri von E. van der Straeten-
London
manns Gesundbeitszustand fing von dieser Zeit an sich stetig
verschlimmern. Schon der Vorfall in Antwerpen scheint
[ damii in Zusammenhang gebracht werden zu müssen. Bereits
II. Juni 1851 schrieb er an Wasielewsky: , Sonst sind wir
Alle leidlich wohl, ich nur manchmal von nervösen Leiden afflcirt, die
mich manchmal besorgt machen j so neulich nach Radecice's Orgelspiel, dass
ich beinahe ofanmäcbtig wurde."
Im Verlauf der Krankheit stellten sieb Halluzinationen und ein ge-
IXbmtes Empfindungsvermögen ein, was auch die Sprache scbwerfillig machte
und seine Haltung gedrückt erscheinen Hess.
Im Sommer 1852 besuchte ihn Verhulst mit seiner jungen Frau und
sie machten zusammen eine Vergnügungsreise am Rhein, nach Rolandseck
und Bonn, wo Schumann zum erstenmal das Beethoven-Denkmal sah. Er
ging von hier aus nach Godesberg, wo er sieb einige Zeit zu seiner Er-
holung aufhielt und wohin ihm Verhulst und seine Frau kurz darauf folgten.
Die vom Arzt verordneten kalten Rbeinbäder vermochten nicht,
Schumanns Leiden zu verscheuchen; nach dem vom 1. bis 4. August in
Düsseldorf stattfindenden Mlnnergesangfest, an dem er nur geringen Anteil
nehmen konnte, begab er sich mit seiner Frau nach Scheveningen, das er
anfangs September wieder zu verlassen gedachte. Er war wahrend dieser
Zeit viel mit Verhulst zusammengekommen, der nun Hofmusikdirektor
im Haag war. Am 8. September schrieb er ihm (siehe Erler): «Lebe wohll
Es hat mich gefreut, Dich in alter Rüstigkeit zu finden. Vielleicht bringen
die guten Genien auch jene mir wieder. Auch dass Du eine so liebe Frau
errungen, freut mich. Darin haben wir gleiches glückliches Loos.* Die
Abreise sollte aber einen unerwarteten Aufschub erleiden. Am nlcbsten
Mittag schon erhielt Verhulst folgende Zeilen:
Lieber Verhüllt,
Meine Fraa b>t ein bedeutendes Unwotalseio behllen. Ich kann Dir dis Nihere
nur mflndllch mititaellen. Beaucfae uns bald; Freundesanblfck lat Immer ein Tn»t.
Tir rafistcn wenigaieoi noch 4 — 5 Tage bleiben.
05
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
Grusse Deine Hebe Frau und sei Du selbst herzlich gegrüsst
von Deinem
R. S.
Bringe uns, lieber Verhulst, noch ein ptar deutsche Bficher mit!
d. 9. Sept. 52 früh 11 Uhr.
Auch an Lübeck schrieb er am 7. September, dass sein Gesundheits-
zustand ihm leider nicht gestatte, ihm persönlich für die Teilnahme zu
danken, die er seinen Werken schenkte. Der Aufenthalt zog sich noch
einige Tage länger hinaus, als Schumann annahm. Nachstehender Brief
setzt uns hiervon in Kenntnis:
Lieber Verhulst,
Vielen Dank für Deine CompositionI Sie war mir noch wohl erinnerlich von
Deinem Vorspielen in Düsseldorf. Es ist ein ganz effectvolles Stück (an das eine
Motiv in G dur stoss ich mich etwas).
Von Deinem »Kinderleben* hoffe ich auch bald zu sehen.
Morgen früh 3 Uhr reisen wir ab, im Haag, das wir passiren, wibrend Du wohl
noch schüfet, wollen wir Deiner recht gedenken. Habe Du und Deine Frau noch-
mals Dank für alle Freundschaft, die Ihr uns bewiesen!
Dein
d. 16. Sept. 52. R. Seh.
[Am Kopf des Briefs in umgekehrter Richtung befinden sich noch die Worte:]
»Mit den 40 Gulden, die ich Dich mir noch zu schicken bitte, erhältst Du nun im
ganzen 150 fl."
Der Brief war durch einen Boten abgeliefert, da er keinen Post-
stempel, wohl aber in Verhulsts Schrift mit Blaustift das Wort «pScheve-
ningen" unter dem Datum enthält.
Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf besserte sich Schumanns Zu-
stand allmählich, obwohl er noch nicht imstande war, die Direktion der
Konzerte zu übernehmen. Die beiden ersten Winterkonzerte wurden auf
seinen Wunsch von Julius Tausch geleitet.
Der Arzt, Dr. Hasenclever, hatte, vermutlich um ihn zu beruhigen,
seinen Zustand als ein Hämorrhoidal-Leiden erklärt, wie aus einem bisher
unveröffentlichten Brief an Verhulst hervorgeht. Er lautet:
Düsseldorf, den 5. November 1852.
Lieber Verhulst,
Gern hätte ich Dir gleich geschrieben, aber allerhand hinderte mich daran. Und
nun kann ich Dir doch nicht die Orchesterstimmen zum Adventlied schicken! Der
Himmel weiss, wo sie hingekommen sind; der Bibliothekar sagt mir, er habe die ganze
Bibliothek durchsucht und schickt mir nichts als ein paar elende Violhidoubletten.
Es ist mir ganz fatal, dass ich Dir auch diesmal nicht dienen kann. Und mit der
Partitur allein, die ich habe, ist Dir wohl nicht genutzt? -^
96
DIE MUSIK III. 2.
Oft denken wir Eurer! Es geht mir viel besser jetzt, muss aber noch alle grösseren
Anstrengungen, wie das Dirigtren, meiden. Mein Leiden bat sich jetzt als ein sehr
vulgaires herausgestellt (als ein haimaroidalisches) und, nachdem der Arzt dagegen
Mittel ergriffen, sich schnell gemildert. Dagegen wurde meine liebe Klara (noch in
Folge des Unfalles in Scheveningen) vor einigen Tagen wieder sehr unwohl und muss
noch jetzt das Bett hüten. Dies Alles hat nun die Antwort an Dich verzögert und
Du wollest auch, lieber Verhulst, deshalb entschuldigen.
Noch habe ich Dir auch zu danken für Dein freundliches und reiches Geschenk
an Musik, das Du mir noch vor unserer Abreise gemacht. Du bist Dir Deines Zieles
bewusst; die Kränze werden nicht ausbleiben.
So viel hätte ich Dir noch zu sagen; doch wartet heute noch Manches auf
mich und ich will Dir und Deiner Frau von mir und meiner nur noch herzlichen
Grnss senden. Dein
alter Freund
R. Seh.
Lieber Verhulst — noch etwas prosaisches! Ist die Summe auf dem Wechsel
in Richtigkeit? Wir wissen es beide nicht mehr genau.
Wir ersehen aus den obigen Zeilen auch, dass Verhulst eine Auf-
führung des Adventliedes beabsichtigte und dass Schumann ihm die leih-
weise Überlassung der Partitur und Stimmen dazu versprochen hatte. Auch
erfahren wir daraus, dass die arme schwergeprüfte Gattin des Meisters
durch eine Wiederholung des Leidens, das sie in Scheveningen befallen,
ans Bett gefesselt war. Die Folgen jenes Unfalles machten sich noch
späterhin bemerkbar, so auf der holländischen Reise im November 1853.
Im Januar spielte sie wiederum in Holland, aber ohne ihren Mann, wie
ein vom 23. Januar 1853 von Leyden aus an Lübeck gerichteter Brief be-
kundet, in dem sie ihm ihre Abreise nach dem Haag mitteilt, wo sie unter
seiner Leitung das Beethovensche Es-dur-Konzert spielen sollte. Im selben
Jahre fand das Niederrheinische Musikfest Mitte Mai in Düsseldorf statt.
Schumann, Hiller und Tausch waren die Festdirigenten. Am 25. April
schrieb Schumann an Hiller: „Es ist Dir doch Recht, dass ich das Ora-
torium (Messias von Händel) und meine Symphonie (D moll). Du Alles
Andere dirigirst?* — Joseph Joachim entzückte bei dieser Gelegenheit
zum ersten Male das rheinische Publikum durch seine unnachahmliche
Wiedergabe des Beethovenschen Violinkonzerts, und Beethovens Neunte
Symphonie unter Hillers Leitung bildete den Gipfelpunkt des Festes.
Schumann fühlte sich den bevorstehenden Anstrengungen wenig gewachsen.
Am 20. April schrieb er an Hiller: »Eben da meine Kräfte noch nicht
ganz die alten, dachte ich an eine Theilung der Direction in der Art, wie
ich Dir schrieb. Es sind die Proben, die am meisten anstrengen, und auf
diese Weise hätte ich nur am Freitag die anhaltendste, die am Sonnabend
nur theilweise zu halten, und wäre am Sonntag ganz frei.*
Die Mutter des Verfassers dieses Aufsatzes, Schülerin von Tausch
97
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
und mit Clara Schumann befreundet, wohnte jenen Proben, sowie der Auf-
führung bei und erzählte folgendes: »Schumann war sehr zerstreut beim
Dirigieren; manchmal Hess er den Taktstock sinken und hörte zu. Seine
Frau half bei den Proben an allen Ecken und Enden aus, besonders bei
seiner Symphonie, die eine sehr harte Nuss fürs Orchester war. Der erste
Violoncellist hatte sich längere Zeit vergebens abgemüht, seine Stimme zu
spielen, als er endlich ausrief: ,Der Teufel mag das Zeug spielen,^ sein
Instrument hinlegte und verschwand.'^) Schumann erwartete nicht allzuviel
von der Aufführung, wie ein Brief an Verhulst vom 3. Mai zeigt, in dem
er diesen zum Besuch des Musikfestes willkommen heisst: «Von den
musikalischen Aufführungen darfst Du Dir übrigens nicht zu viel ver-
sprechen. Es ist zu wenig Zeit zum Probiren* heisst es darin. Das Fest
war ein besonders glänzendes; man hatte im Geisslerschen Garten eine
geräumige „Tonhalle" aus Holz erbaut, um Raum für die zahlreich von
allen Gegenden herbeiströmenden Künstler und Gäste zu gewinnen.
In dem vorerwähnten Brief erteilt Schumann Verhulst den Rat, es
sei „am Besten, dass Du Donnerstag hier einträfest. Schreib mir, ob ich
Dir eine Wohnung besorgen soll und auf wie lange! Das Fest wird, wie
ich glaube, zahlreich besucht, und es ist diese Vorsorge nöthig . . • Deinen
Kleinen hoffe ich doch auch vielleicht in nicht zu femer Zeit zu sehen."
Dieser Kleine war Schumanns Patenkind.
Drei Tage später schrieb er wieder:
Lieber Verhulst,
Es trifft sich zufällig, dass in unserem Hause in der 2. Etage ein Zimmerchen
leer ist Es ist freilich sehr bescheiden, hat aber eine hübsche Aussicht in's Grüne
und nach dem Rhein hin. Es soll (die Bedienung einbegriffen) täglich 1 Thlr. kosten,
was um diese Zeit, wo die Miethspreise um das 3 und 4 fache steigen sehr billig ist,
und dann sind wir ja auch recht nahe beieinander. Schreibst Du mir also nicht ab,
so nehme ich an, dass Du es beziehen willst. Von Mittwoch Abend kannst Du es haben.
Mit herzlichem Gruss
Dein
Freund
Düsseldorf, d. 6. Mai 53. R. Schumann.
Das Briefpapier zeigt in der linken Ecke die Initialen RS, die mit
einem Stempel eingepresst sind. Auf der als Umschlag dienenden Aussen-
seite steht: «Wir wohnen jetzt Bilkerstrasse No. 1032." Die Häuser-
nummern zu jener Zeit waren durchlaufend für die ganze Stadt, nicht, wie
jetzt, für jede einzelne Strasse. Das Haus war so gelegen, dass es von
^) Dies erinnert sehr an Bernhard Romberg, der beim Spielen des ersten
Rasoumoffski-Quartetts von Beethoven eine ähnliche Bemerkung machte, die Stimme
auf die Erde warf und sie mit Füssen trat.
111 2 7
08
DIE MUSIK HI. 2.
der Rückseite den Speeschen Graben und Park überschaute, sowie in
einiger Entfernung die Berger Allee und den Rhein. Diese Wohnung war
es, in der sich die traurige Katastrophe im Februar 1854 ereignete.
Wasielewsky sagt, da^s Schumann bei der Gelegenheit «noch einen ent-
schiedenen Triumph mit seiner D moll Symphonie feierte*. — Von anderen
Zeitgenossen hat der Vf. gehört, dass in jenem Winter je eine Symphonie
von Mendelssohn, Hiller und Schumann zur Aufführung kam. Mendels-
sohn entzückte und begeisterte durch Klarheit und melodischen Reiz.
Hillers Frfihlings-Symphonie bezeichnete man als Pariser Frühlingsluft
(er war damals noch nicht lange von Paris zurückgekehrt). Schumanns
Symphonie erweckte das Gefühl, dass man vor etwas Bedeutendem stehe,
dessen verschleierte Grösse sich erst bei näherer Bekanntschaft enthüllen
werde. Überhaupt wurden seine Werke noch lange danach, ganz so wie
in jüngerer Zeit noch vielfach die Brahmsschen, als Mysterien betrachtet,
zu denen nur Geweihte den Schlüssel besftssen. Als jüngere Kräfte an-
fingen, sich mit Ernst und Eifer dem Studium derselben, namentlich der
Kammermusikwerke, zu widmen, wurde ihr Bestreben häufig als freche
Anmassung von den älteren verhöhnt und verlacht! Die Lieder und Chor-
werke, bei denen der Text den musikalischen Gedanken erläuterte, errangen
sich zuerst allgemeine Anerkennung. Verhulst kämpfte tapfer für den
Ruhm seines Freundes.
Schumann hatte im Juni 1851 mit der Komposition des Uhlandschen
«Königsohns* den ersten Versuch gemacht, der musikalischen Produktivität
ein neues Feld zu eröffnen. Er baute grosse Hoffnungen darauf, die sich
nicht erfüllen sollten. Für das Düsseldorfer Musikfest hatte er das Werk
in Vorschlag gebracht und bereits die Chorstimmen dazu beschafft, als
das Komitee ihn veranlasste, lieber die d-moll-Symphonie statt des neuen
Werkes aufzuführen. Verhulst hatte nun, wahrscheinlich auf Schumanns
Vorschlag hin, den «Königssohn* für die Maatschapij tot bevordering von
Toonkunst in Rotterdam in Aussicht genommen, und darauf beziehen sich
die beiden folgenden Briefe:
Lieber Verhulst!
Der Königtsohn eignet sich gut zu einer Massen-Aufnihrung; er besteht meistens
aus Volkschören. Die Solopartien sind im Alt, im Tenor und zwei Bassstimmen. Das
Ganze dauert, so viel ich mich erinnere, gegen 28 Minuten. Du kannst Dir übrigens
den Clavier-Auszug in Rotterdam gewiss verschaffen; denn er ist schon vor einigen
Wochen erschienen, auch die Chorstimmen. «Israel in Egypten* würde ich für so
grosse Besetzung als für das geeignetste halten. Mit den »Jahreszeiten* geschähe
wohl nur dem älteren Theil des Publikums ein Gefallen; sie dauern über 3 Stunden
und man wird ganz müde davon. Doch das weisst Du ja Alles selbst. Sonst gefällt
mir, den »Israel* vorausgesetzt, das Programm sehr gut, zwischen 3 und 4 wäre
od
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
▼iellcicht ein InstrumentalstQck (Ouvertüre) anzubringen, da sonst drei Chorstficice
hintereinander folgten und das Ganze doch auch mit Chor (in der 9.) schliesst.
Wir freuen uns bei dem Feste anwesend zu sein. Vielleicht sehen wir auch
uns schon vorher.
Grfisse Deine liebe Frau von mir und Klara und sei Du selbst herzlich gegrfisst
von deinem
alten Freunde
Düsseldorf, den 23ten Juli 1853. R. Seh.
Herrn
Hofmusikdirector Verhulst
in
frei. Rotterdam.
Einige Tage darauf schrieb Schumann wiederum mit Bezug auf das
erwähnte Konzert:
Lieber Verhulst!
Eine Anfrage und Bitte auf besondere Veranlassung! Hat sich Euer Musik-
festcomit^ noch für den Königsohn entschieden, so habe ich einen Vorschlag wegen
Beschaffung der Chorstimmen, muss aber, um ihn Dir klar zu machen, etwas weiter
ausholen, ich hatte zum letzten hiesigen Musikfest den »Königssohn* zur Aufführung
vorgeschlagen und, da das Comit6 stillschweigend einwilligte, die Chorstimmen be-
stellt und mir schicken lassen. Dann bestürmten mich die Herren vom Comit^ ich
möchte lieber die j^Symphonie* in Dmoll auffuhren, wozu ich bereit war, wenn sie
die bereits bestellten Chorstimmen übernehmen wollten. Dies gingen. sie ein. Nach
dem Ausweis des Budgets hat sich nun ein (sehr kleines) Defizit ergeben, und es
hatte sich ein Hr. Regierungsrath erboten, den Betrag für die Stimmen zur Ballade
aus seiner Tasche zu bezahlen. Dies ist mir nun etwas faul. Nun fiel mir ein, ob
Ihr die Stimmen nicht zu dem Musikfest verwenden könntet. Ihr würdet sie, glaub'
ich, billiger auf diese Weise bekommen, als durch Beziehen von Leipzig, nämlich
mit 50 pr. c. Rabbat, das uns Hr. Whistling aus besonderer Rücksicht bewilligt Frei-
lich sind es nur 70 Sopran-, 60 Alt-, 60 Tenor- und 70 Bassstimmen, und würdet
Ihr noch den Rest von Leipzig beziehen müssen. Aber es wäre doch der bef
weitem grosseste Theil, den Ihr brauchtet. Im Uebrigen sind diese Zeilen im Ver-
trauen an Dich gerichtet und ich bitte Dich vor Allem, Deine Privatansicht darüber
zu hören. Mich bewegt nichts dazu, als dem Regierungsrath, der sich so honnett
gezeigt, die Ausgabe zu ersparen.
So schreibe mir bald und sei freundlich gegrüsst von
Deinem Freund
Düsseldorf, den 28ten Juli 1853. R. Schumann.
Ob die Auffuhrung stattgefunden, erfahren wir leider nicht. Während
Schumanns Aufenthalt in Holland erlebte der »Königsohn'' eine solche nicht.
Am 27. November teilte Schumann von Utrecht aus Verhulst mit,
dass seine Frau infolge des Missgeschickes, das sie seiner Zeit in
Scheveningen betroffen, plötzlich wiederum erkrankt sei, so dass die
Weiterreise zweifelhaft geworden. Sie hatte am Abend irorher trotzdem
7*
100
DIE MUSIK III. 2.
gespielt » — und wie schon! Es war ein grosser Enthusiasmus über das
Publikum gekommen".
Aus einem Brief von Clara Schumann an Lübeck vom 10. November
erfahren wir, dass Fräulein Hartmann aus Düsseldorf, die durch ihren
vortrefflichen Vortrag Schumannscher Lieder sich auszeichnete, an der
Konzertreise teilnahm. Von Utrecht gingen sie nach Arnheim und von
hier nach Rotterdam, wo am 1. Dezember das Konzert der j^Eruditia
musica* stattfand, in dem Clara spielte und Robert seine Es-dur-Symphonie
dirigierte. Nachdem sie dort einen wahren Triumph gefeiert, reisten
sie nach dem Haag, wo Clara in Lübecks Konzert (für ein Honorar von
200 Gulden) zu spielen hatte. Am 8. Dezember sandte Schumann von
Rotterdam aus einen Abschiedsgruss an Lübeck; er spricht darin mit Be-
geisterung von dessen ausgezeichnetem Chor und Orchester.
Mittlerweile muss wohl der König den Wunsch ausgesprochen haben,
Clara zu hören, denn am 11. Dezember schreibt sie von Utrecht aus an
Lübeck mit der Bitte, den Tag festzustellen, da sie im Begriif seien,
nach Amsterdam zu reisen. Die Aufnahme, die das Schumannsche Ehe-
paar im Lübeckschen Hause gefunden, scheint eine besonders herzliche
gewesen zu sein, da beide ausdrücklich in ihren Briefen versichern, dass
sie )ene Abende zu den schönsten Erinnerungen ihrer Reise zählten. Am
15. gingen sie noch einmal nach dem Haag, wie wir aus folgendem Brief
an Verhulst erfahren, der auch von einem weiteren Konzert in Rotterdam
spricht :
Amsterdam, den 15. Dezember 1853.
Lieber Verhulst!
Wir haben Sehnsucht nach Hause und möchten bald abreisen. Wäre die Soirie
in Rotterdam noch bis auf Sonnabend zu arrangiren, so wtirden wir gern kommen,
vorzüglich um noch mit Dir und Deiner Frau einige Stunden zusammen zu sein und
Deinen prächtigen kleinen Stammhalter zu sehen. Wäre dies aber nicht möglich und
die Soir6e erst Dienstag, so mössten wir drei Tage (von Sonnabend— Dienstag) hier
mussig zubringen, was bei dem theuren Leben im Hotel doch auch Kosten verursacht.
Schreibe mir also sobald als möglich, dass wir morgen (Freitag) früh, wenn wir
aus dem Haag zurückkommen, eine bestimmte Nachricht vorfinden. Wir reisen in
einigen Stunden nach dem Haag, wohin eine eben erhaltene telegraphische Depesche
zu einer Soir6e bei der Princessin Friedrich meine Frau berufen. Morgen spielt sie
noch in Felix Meritis. Die Soir6e hier ist sehr ergiebig ausgefallen.
Grfisse an Deine liebe Frau wie an Dich.
R. Seh.
Eben erhalten wir von Herrn Smalt einen Brief und freuen uns, dass unsere
Gedanken zusammentreffen. Da nun keine Zeit zu vielem Probiren ist, so haben wir
das Programm so geindert:
101
STRAETEN: AUS UNVERÖFFENTLICHTEN BRIEFEN
I.
1. Sonate quasi Fantasia (Cis moll) von Beethoven.
2. Gesang?
3. Variations sMeuses von Mendelssohn-Bartholdy.
II.
4. Preludium und Fuge (A moll) von J. S. Bacb.
5. Quartett von Mozart oder Haydn.
6. Etudes en forme de Variations von R. Schumann.
7. Gesang?
8. a) Notturno von F. Chopin,
b) Etüde 9 » .
Am 20. Dezember schrieb Schumann von Amsterdam aus fiber eine
verloren geglaubte Brieftasche. Der Brief ist von Erier und Jansen mit-
geteilt, nicht aber das Postskriptum, das folgendermassen lautet: ,»Ich
furchte, dass das Pacquet vielleicht richtig hier im Hotel des Pays-bas
abgegeben und von Irgend Jemanden unterschlagen worden ist. Forsche
nach!" Mit diesem Brief, dem einzigen, der mit lateinischen Buch-
staben geschrieben, sandte er einen gereimten „Abschiedsgruss* für die
Mttsikzeitung »Cäcilia*. Verhulst riet von der Veröffentlichung ab, als
Schumanns unwürdig. Gleichzeitig teilte er ihm mit, dass die Brief-
tasche sich bei ihm befinde. Es zeigt Schumanns grosse edle Natur, dass
er die Zurückweisung seines Gedichts Verhulst in keiner Weise übel
nahm. Am 23. Dezember schrieb er ihm von Düsseldorf aus: „Es freut
mich, dass Du mir über den Abschied eine so starke Wahrheit sagst.
Fadheit ist sonst eigentlich nicht mein Talent Mir lags daran, einfach
zu sein. Aber Du hast Recht, man kann in so kurzer Weise nicht Allem
und Allen genügen. Vielleicht dass ich Zeit finde, über die Musikzustände
Holland's im Allgemeinen etwas aufzusetzen, wo ich Deinem Vorwurf der
Fadheit zu entgehen hoffei — *
Dazu sollte es leider nicht mehr kommen. Nachdem er noch seine
Freude fiber die wiedergefundene Brieftasche ausgedrückt, schliesst er:
Leb wohl lieber Verhulst! Du bist ein braver Mann! Grüsse Deine Frau
herzlich.
Düsseldorf, d. 23. Dec. 1853. R. Seh.
Es waren die letzten Worte, die er an Verhulst schrieb. Von Endenich
aus sandte er ihm noch mehrmals Grüsse, aber wiedergesehen haben sich
die beiden Freunde nicht mehr nach jenen letzten glücklichen Stunden.
Am 31. Juli 1856 wurde die sterbliche Hülle des grossten Meisters
jener Zeit der alliebenden Mutter Erde wieder anvertraut und zwei Tage
darauf sandte Joseph Joachim im Auftrag von Clara Schumann an Verhulst
folgende Zeilen:
^c
102
DIE MUSIK III. 2.
^
Dasseldorf, am 2. Augusi I8S6.
Hocbgeebner Herr,
Ala wir vor einigen Jahren In DQsseldorf lUMmmen das Mualkfest fdenen
and Scbumaons Tlerte Sinfonie zuerst bSrten, uns an den krifrigen Geist in ibr er-
Mscbien, als Sie nacbher iuiserten: wie docb die tücbtige, minnllcbe BQstc den
bedeutendea Menacben in Schumanns Gestall auch andeutete, da ahnten wir wohl
Beide nichts von der erschfitteraden Krankheit des Meisters, die uns sobald betrüben
sollte. Und jettt haben wir erlebt, was alle noch Hebend gehegte Hoffnung auf immer
du rchscb neidet I Gewiss haben Sie seinen Tod In Ihrem Land bereits vernommen;
aber Frau Schumann wünscht, dass Sie, der im Leben Ihrem Robert so berreundet
waren, nicht nur durch die fremd-kalten Zeitungen den Tnuerflill hSren mBcbten —
eine nlhere wirmere Hand aoll in ihrem Namen Ihnen von des gellebten Meisters
Ende sprechen. Ea war mild und ruhig. In den vorletzten Tagen zwar hatte er viel
gelitten; denn zu den bdngstlgenden Fantasien, die wiedergekommen waren, hatte sich
eine Lungenlihmung gesellt — doch konnte die Pflege der Gattin, die ihn da zuerst
wiedersah, die Schmerzen llndeni; das freundlich beredte Licheln auf dem Gesicht
sagte hiuflg, dasa Schumann die Toblthat der Nifae seiner Frau empfand I Jetzt ruht
der sterbliche Theil des Verehrten auf dem Friedbof zu Bonn. Frau Schumann Ist
nach Dfiaseldorf zurückgekehrt; sie sendet Ihnen die rreuadscbsfElicbsten Empfeblnngen
durch mich, der Ich in aulricbtlgsler Hochachtung verbleibe
Ihr ergebener
Joseph Joachim.
ffUt
Deformation des Konzertes an Haupt und Gliedern — so klingt
es immer vernehmlicher in den letzten Jahren. Und bedeutsam
I scheini es mir, dass diese Forderung nicht ein Einzelner auf-
I fesiellt hat, dem es nun andere nachplapperten, sondern dass
sie bald hier, bald dort von Menschen, die von einander unabhingig sind,
als etwas ganz Neues der Öffentlichkeit vorgetragen vurde.
Voher kommt die plötzliche Wut, zu erneuem, was schon begann,
das Alter ehrwQrdlger und unantastbarer Heiligkeit zu erlangen ? Die
Verdeckung der Ausführenden, besonders des Orchesters, die Verdunklung
der RInme, eine andere Anordnung des Orchesters und der Chöre, diesem
allen entsprechend ein verinderter Bau des Konzertsaales, die Abschaffung
des Beifalls und des Zischens, die Verminderung der Solisten-Konzerte,
die Umgestaltung der öffentlichen Kritik, die Verbesserung der Programme
— mich dünkt, das ist eine stattliche Reihe von mehr und minder ein-
greifenden Vorschlagen, deren Ausführung die bekannte Physiognomie
unserer Konzerte gar sehr verändern müsste. Selbst die iHajestiten des
Publikums und der Kritik werden dabei scharf aufo Korn genommen I
Und die ausGbendea Künstler — müssen die nicht erst recht dann den
alten iHenschen ausziehen, der durch Beihllsgelüste im Irrtum eigner Ehre
sich verderbet?
Einiges aus dieser Liste ist gelegentlich schon durch beherzte Künstler
zur Tat geworden. Aber: alles überall I — das ist die Losung, die wir
ausgeben müssen, soll anders es wirklich besser werden mit den Zucht-
ansulten eines gedankenlosen Musik-Geniessens, das zum Kunst-Er-
Aamerknng: DIeier Auhaiz war schon verhuat, ehe Paul Marsop seine vor-
trefflichen pnktlschea Vorachlige für die Arcbitektur des sMuslkiules der Zukunft'
In dieser ZeltachriR TcrfifTeotlichte; ich ervlbne dies, weil sich manctaea mit seinen
Gedanken bernbTt. Meine Ausführungen Ober die Abfassung der Programme werden
fDr eine ganze Reihe von Astheilkem und Kßnailem Bekanntes enthalten. Mögen
diese trotidem die kleine Arbeit gelten lassen In der Erwigung, dass das ,Dn moast
es dreimal sagenl" immer noch lu Recht besieht, wenn man einer Sache Elniais
Willi
104
DIE MUSIK III. 2.
leben erst den Vorhof bildet und leider die bequemen Meisten bei sich
zurückbehält.
Es berührt auf den ersten Blick verwunderlich, dass wir erst in der
jüngsten Zeit eine energischere Bewegung bemerken, das Konzertwesen
zu erneuern. Die Geschmacksläuterung in ästhetischen Dingen geschieht
indessen langsam, langsamer noch bei der Allgemeinheit, als beim Ein-
zelnen. Denn allerdings sehe ich es als das Zeichen eines höheren
ästhetischen Standpunkts an, nicht als ein Merkmal des Niedergangs, wenn
man wegen der Konzerte und der Konzerträume heutzutage empfindlicher
wird, an der Stelle kalten Prunkes oder nüchterner Kahlheit ein Interieur
verlangt, das schon in sich selbst sozusagen musikalisch wirkt, seinen
einzigen Zweck, der Musik zu dienen, in jedem Detail verrät, und wenn
man auch in allem übrigen eine Veredlung wünscht.
Und nicht nur das durch die Verschärfung des kritischen Verstandes
verfeinerte ästhetische Gefühl fragt nach den Neuerungen, sondern noch
etwas anderes: das Streben nach Exklusivität, das wiederum nur eine
Notwehr des Feinfühligen gegen die soziale Nivellirung ist. Wie die
Künstler und die Konzerte, so haben auch die Hörer an Zahl zugenommen.
»
Die kleine Gemeinde echter Musikliebhaber, die ein geheimer, ahnungs-
voller Zug miteinander und mit den Künstlern verbunden hatte, ging in der
breiten Masse unter, die von den verschiedensten Interessen in die Konzerte
getrieben wird. Da nun aber alle Musik ein Fest für die Seele ist, so
mussten die, die sie ganz innerlich geniessen möchten, irgend ein Mittel
finden, das sie von einer Umgebung, mit der sie nicht die geringste
Sympathie verband, ablöste. Diesen kam nun zum Beispiel die Idee der
Verdunklung gerade recht, die ihnen schon die ästhetische Empfindung
als notwendig bezeichnet hatte. Das vorläufig unvermeidliche, aber trotz-
dem abscheuliche Übel der musikalischen Massenfütterung, das nur zu
sehr mit dem Geruch des Geschäftsmässigen behaftet ist, konnten sie
hoffen, dadurch abgeschwächt zu sehen.
Müssen nicht ausserdem die ungeheuer gesteigerten Anforderungen
an die Musikaufnahme dazu führen, Verhältnisse zu schaffen, die Körper
und Seele am schnellsten für die Empfängnis der Musik bereiten? Die
Nerven werden im Leben und in der Kunst gegenwärtig so bedeutend
angespannt, dass man ihnen jede unnütze Tätigkeit („Depotenzierung des
Gesichts*, Anstrengung der Augen durch das Blenden des grellen
Lichtes etc.) ersparen sollte.
Ich habe in einem Aufsatz in der inzwischen eingegangenen Seidischen
„Gesellschaft* versucht, die Gründe für die Verdunkelung der Konzerträume
und eine Verdeckung der Ausführenden aufzuzählen; wer sich für die Sache
interessiert, sei bescheidentlich auf das 5. Heft des vorigen Jahrgangs der
105
EHLERS: ZUR KONZERTREFORM
Zeitschrift verwiesen. Etwas, das ich darin zu erwähnen unterlassen habe,
wirenoch hinzuzufügen: die Einwirkung der modernen Orchesterkomposition
auf das Problem. Wenn wir glauben, die Wirkung des Wagnerschen Orchesters
erst durch die terrassenartige Anordnung, mit dem schweren Blech- und
Schlagzeug unten, und durch die Schalldecke in idealer Schönheit herbei-
führen zu können,^) so werden ganz bestimmt auch die Tonschöpfungen
unsrer Neuen und Neuesten nur unter denselben Voraussetzungen das
richtige Klangverhältnis empfangen. Dass hier gar oft eine Inkongruenz
zwischen Absicht und Wirkung besteht, die von den Blinden nur zu gern
der Absicht zur Last gelegt wird, dürfen wir nicht leugnen. Es wäre
anmassend, wollte man vom Komponisten verlangen, sich bei grossen
Plänen von den Zauberfarben des modernen Orchesters zu emanzipiren.
Dem .Herrentum* des Genies darf kein Damm gesetzt werden; er würde
ja auch nur ein Maulwurfshügel sein. Versuchen wir es also auf
andere Art!
Es ist klar, dass die Vorschläge der Verdunklung des Raumes und
der Verdeckung der Ausführenden, zusammen mit der neuen Bauart des
Konzertsaals, die früher oder später folgen muss, am tiefsten in die ge-
wohnten Verhältnisse einschneiden. Äusserlich weniger bemerkbar, aber
im Zwecke ebenso bedeutend ist die Reform „von innen **, die wir mit
dem Worte .Verbesserung des Programms" bezeichnen. Diese wollen wir
etwas eingehender betrachten.
Schiller sagt bekanntlich in seinem Vorworte zur »Braut von Messina":
.Es ist nicht wahr, was man gewöhnlich behaupten hört, dass das Publikum
die Kunst herabzieht; der Künstler zieht das Publikum herab, und zu allen
Zeiten, wo die Kunst verfiel, ist sie durch die Künstler gefallen. Das
Publikum braucht nichts als Empfänglichkeit, und diese besitzt es.** Setzen
wir die Umkehrung hinzu: .Es ist auch nicht wahr, dass das Publikum die
Kunst hinaufhebt!* dann haben wir die Wahrheit, die der grosse Idealist
meinte. Schiller weist mit Recht die Verantwortung dem Künstler zu;
denn ebensogut wie jeder sittlich verantwortliche Mensch zur Ehrenhaftig-
keit selbst unter bitterer Entsagung verpflichtet ist, hat der Künstler die
Pflicht, die Kunst rein zu erhalten. Er muss für sein Ideal sterben können,
wozu ihm in Deutschland ja von Zeit zu Zeit noch Gelegenheit geboten
^ Diese Erkenntnis ist ganz besonders wichtig wegen der Parsifal-Frage; wollte
man von der spezifisch-religiösen Stimmung, die nun einmal ^.Parsifal" erfüllt, und
ihn vielleicht aus der Reihe der rein ästhetischen Kunstwerke heraushebt, ganz
absehen, so mfisste man doch aus praktisch-künstlerischen Gründen gegen die Frei-
gabe des Werkes an solche, vorläufig also fast alle Buhnen, protestieren, die kein
iiberdecktas Orchester haben.
106
DIE MUSIK III. 2.
wird. Das einzige Recht, das er hat, ist das, überhaupt keine Kunst zu
haben, falls die erhabene Kunst nicht aufgenommen wird; für niedrige
Kunst gibt es keine Entschuldigung. Schiller legt den Hauptakzent auf
die «Empfänglichkeit* des Publikums; es ist nur fraglich, ob er nicht ihr
Dasein als gar zu sicher angenommen hat. Es gibt Zeiten im Völkerleben,
wo die Not und politische Aufgaben die Rezeptibilität für Kunst voll-
ständig unterdrucken. Ist freilich Empfänglichkeit vorhanden, so ist das
Publikum ziemlich leicht zu lenken, nur darf man nicht glauben, dass es
sich im Handumdrehen zu einem ästhetischen erziehen Hesse; denn seine
Sonne scheint fiber Gerechte und Ungerechte, und es jubelt eben Trivi-
alitäten mit derselben Lust, ja! noch mit einiger Bevorzugung zu, wie den
gottlichsten Schöpfungen der grössten Meister.
Wir, die wir mit der Kunst zu tun haben, wollen uns also den
Schillerschen Spruch gefallen lassen und darnach handeln auch in der
Programmfrage. Wenn wir die Programme alter und neuer Zeit ansehen,
können wir überdies einen Fortschritt konstatieren, der uns sogar ein
wenig anspornen könnte, sollten wir eines Reizmittels im Kunstdienste
bedürfen.
Die brutale Zerstücklung einer Mozartschen Symphonie durch banale
Musikpi^cen, wie sie ein in Richard Heubergers hübscher Monographie
.Franz Schubert* mitgeteiltes Programm aus dem Jahre 1820 dartut, würde
heutzutage kein Dirigent seinen Hörern mehr bieten dürfen. Die Auf-
fassung, dass eine Symphonie ein organisch entwickeltes Kunstwerk, keine
wahllose Zusammensetzung schöner, aber einander gleichgültiger Sätze sei,
mag allerdings nur dem kleinen Teil Geistesaristokraten eigen sein und
der Menge völlig fehlen; denn sonst könnte nicht der wüste Lärm des
Händeklatschens, untermischt mit dem Geklapper sprechhungriger Mäuler,
zwischen Beethovensche Töne hineinfahren. Aber die Gewöhnung durch
gute Erziehung würde das Publikum gegen derartige Programme, die zwar
noch gegenwärtig bei Wohltätigkeitskonzerten und Festvorstellungen ent-
fernte Verwandtschaft finden, protestiren machen.
Auch Bereicherungen eines vornehmen Konzertes durch Variationen
für die Gitarre, oder eine Kömleinsche Polonaise für Hom dürften jetzt
nur noch einem ganz .unbefangenen* Auditorium munden; als Richard
Wagner während seines Zürcher Exils in einem Konzerte der Allgemeinen
Musikgesellschaft Beethovens A-dur-Symphonie dirigierte, musste er, neben
Rossini, Verdi, Donizetti, Kücken (!) usw., diese Stücke in der Nachbar-
schaft Beethovens dulden. Im Münchener Hoftheater kamen im Anfang
des vorigen Jahrhunderts Gastspiele von Feuerschluckern, Akrobaten und
Athleten vor; es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden
Vorgängen.
107
EHLERS: ZUR KONZERTREFORM
Si
Die Gitarre ist als anspruchsvolles Soloinstrument aus dem Konzert-
saal verschwunden, doch täten wir Unrecht, wollten wir nur unsem
Vätern die Virtuosität zugestehen, merkwürdige Programme zusammenzu-
stöppeln. Ich werde einige Vortragsordnungen aus der letzten Zeit vor-
legen, die die Ahnungslosigkeit unserer gegenwärtigen Konzertgeber ebenso
klassisch dokumentieren. Sehr hübsch war ein Konzert eines vor wenigen
Jahren abgehaltenen Musikfestes; wir bekamen damals zu hören:
1. Quintett für Klavier und Blasinstrumente von Mozart. — 2. Landsknechts-
lieder von Lenz. — 3. Lieder von Mozart und Beethoven. — 4. a) Sonate von Mozart,
b) Intermezzo von Brahma, c) Ballade von Chopin. — 5. Arie aus »Hunyadi Liszlo*
von Erkel; Lieder von Schubert und Hubay. — 6. Lieder von Mozart und AlabiefT. —
7. Trio f&r Klavier und 2 Violinen von J. S. Bach.
Natürlich war dieses Konzert der Tummelplatz der Solisteneitelkeit;
man pflegt ja den bei solch einem Musikfeste mitwirkenden Künstlern
zu Gage und Applaus ein Extravergnügen zu bieten, ladet, um den
Glanz des Festes zu erhöhen, womöglich noch besondere Magneten der
Kunst, die nicht just immer Magnaten sind, dazu ein. Wie köstlich machen
sich die Landsknechtslieder zwischen den Stücken Mozarts I Wie fein em-
pfunden ist die Vereinigung dreier so heterogenen Stücke, wie sie No. 4
zeigt! Wie edel nehmen sich Erkel und Hubay in ihrer vornehmen Um-
gebung aus! Die Perle aller Geschmacksverirrungen war aber doch Ala-
bieffs geistlose Trillerei i,Die Nachtigall* unmittelbar vor Bach. Und leider
lernten wir die « Empfänglichkeit" des Publikums dabei in pessimistisch
stimmender Weise kennen. Sie meinen: der Umstand, dass die ver-
schiedenen, aus allen Gegenden stammenden Solisten dieses Programm
zufällig verbrochen hätten, entschuldige die Verwaltung des Konzertes
und das Konzert selbst? Ich muss widersprechen, und zwar ganz
energisch, weil ich in dieser Solistenwillkür eine der schädlichsten Ur-
sachen des Stilmangels unserer Programme sehe, die wir ganz besonders
bekämpfen müssen. Die Freiheit, womit die Solisten unter unserer stillen
Zustimmung ihre Stücke auswählen, ist in den meisten Fällen schon mehr
■
Freizügigkeit; man vermisst in ihren Programmen jedes Programm, wofern
wir nicht etwa in ihrer Bewertung der Stücke nach der »Dankbarkeit* so
etwas wie ein Prinzip erblicken wollen.
Wahrscheinlich ebenfalls durch die Wünsche der Solisten ist der
folgende musikalische Regenbogen entstanden; er ging an dem Konzert-
himmel irgend einer süddeutschen Hauptstadt auf:
1. Ouvertüre zu den aPemrichtem* von Berlioz. — 2. Arie aus j^Alceste*
von Gluck. — 3. Klavierkonzert in e-moll von Chopin. — 4. Symphonie in g-moll
von Mozart. — 5. Lieder von Richard Strauss. — 6. Klavier-Tarantella nach Auber
von Liszt. — 7. Ouvertüre zur „Zauberharfe* von Schubert.
108
DIE MUSIK III. 2.
Klassisches und Modernes ist darin in aller Unschuld vermengt;
friedlich schlägt das Pendel hin und her : neu — alt — neu — alt I Gegen
den Wert der einzelnen Stücke brauchen wir nicht zu schelten; alle sind
sie, für sich betrachtet, einer HoFkapelle wohl würdig. Aber fühlt man
denn nicht den Widersinn, der sich in einer solchen „Vortrags-Ordnung"
breit macht? Die Verdeutschung des Wortes Programm ist recht fein
gewählt, sicherlich unbeabsichtigt; man wollte die «Folge* der Vortrags-
stücke bezeichnen und geriet dabei auf die „Ordnung", die ihrem Wort-
sinne nach eine kritische Arbeit einschliesst. Es wäre zu wünschen, dass
die „Vortrags-Ordnung* als Wort und Sinn überall angewendet würde!
In jenem Konzert gab es schlechte „Programm '-Musik. Man hatte nicht
bedacht, dass der unablässige Wechsel der Stilarten eine ruhige Aufnahme
der Musik verhindern müsste, dass jeder, der sich in die Chopinsche
sentimen talische Romantik eingesponnen hatte, für die Mozartsche Symphonie
mit ihrem gänzlich verschiedenen harmonischen, melodischen und geistigen
Inhalt so schlecht wie nur denkbar vorbereitet wäre. Hätte man mit
Mozart begonnen, darauf Gluck und Schubert folgen lassen, um mit Auber-
Liszt, Berlioz, Chopin und Richard Strauss fortzufahren, so hätte man
zwar noch lange kein untadeliges Konzert bekommen, aber mit einiger
musikalischen Vernunft Ordnung geschaffen. Jedoch ! eine derartige Reihen-
folge hätte der unverletzlichen Gewohnheit widersprochen, die nach einem
kurzen Einleitungstücke die beiden Solisten erst ihre Paradepferde in
Freiheit dressirt vorführen lassen musste.
In ein Symphonie-Konzert gehören von Kunstrechts wegen überhaupt
keine Solisten, weil sie seinen Charakter stören. Während bei den
symphonischen Werken jeder einzelne im Dienste des Ganzen steht,
bringen sie ein Virtuosentum hinein, das den Künstler und sein Instrument
unverhältnismässig in den Vordergrund drängt. Konzerte für Klavier,
Violine, Violoncello oder andere Instrumente bilden eine besondere Gattung,
ebenso die Konzertarien oder die Gesänge mit Orchester; sie wären also
auch besonders aufzuführen und nicht mit rein symphonisch gedachten
Werken zu vermischen. Selbstverständlich gehören zu diesen „Konzerten*
nicht Schöpfungen wie Mahlers zweite Symphonie, auch nicht Berlioz'
„Harold in Italien* oder Straussens „Don Quixote*, obgleich bei dem
ersten Werke ein Gesangsolo einen ganzen Satz bildet, bei dem zweiten
die Bratsche, bei dem dritten das Violoncello durchgehends als Solo-
instrument erscheint; denn bei ihnen sind die Soli nicht Hauptzweck,
sondern integrirende Teile. Ich sehe gar nicht ein, warum man nicht
die Instrumentalsoli mit Orchesterbegleitung in besonderen Konzerten
geben sollte, anstatt sie zwischen die symphonischen Werke einzuzwängen.
Sie würden ungleich stärker und reiner zur Wirkung kommen, als jetzt.
100
EHLERS: ZUR KONZERTREFORM
WO sie sich mit ganz ungleichartigen Tonstücken ums Interesse der Hörer
streiten müssen.
Will man sie indessen während der Übergangszeit noch in dem
Rahmen der Symphoniekonzerte behalten, so befolge man doch zwei
Grundsätze. Erstens wähle man sich die Solisten nach ihrer Eigentümlich-
keit aus, das heisst: man bedenke, dass, allgemein gesprochen, Joachim
Beethovens Violinkonzert am besten vorträgt und somit nicht in ein Kon-
zert lisztischer Richtung hinein passt, wogegen wir in Jaques Thibaud den
Meister der französischen Eleganz und Charme haben, der vor allem in
einer französischen Nachbarschaft am Platze ist, dass Fr6d6ric Lamond
im Bach- und Beethovenspiel sein Schönstes gibt und Edouard Risler be-
sonders Liszt vorzüglich spielt. Man füge sie also nur in Ordnungen ein,
die ihrer Art entsprechen. Zweitens — und dies ist ganz besonders
wichtig! — beschränke man ihre Willkür in der Wahl ihrer Vortragstücke;
die beiden erwähnten Programme zeigen, zu welchen heillosen Kunst-
stücken die Solistenfreiheit führen kann. Wenn man sich früh und höflich
mit ihnen verständigt, so gehen sie, soweit sie ernsthafte Künstler sind,
gern auf die Vorschläge ein. Hat man es einmal mit einem ganz Grossen
zu tun, dem man nicht mit Vorschriften kommen zu dürfen glaubt, so
suche man eben in des Himmels Namen die übrigen Stücke zu seinem
Vortrage passend aus. Jedenfalls muss der Stilmischmasch, der durch die
Solisterei gezüchtet wird, endlich einmal abgeschafft werden.
Ganz unbedingt notwendig ist es aber, die lyrischen Solostücke aus
den Symphoniekonzerten durchaus zu verbannen. Es gehört die ganze
Ünempfindlichkeit unsers ästhetischen Sinnes dazu, nach grossen Orchester-
Stücken ein Klavier- oder Violinsolo oder Lieder mit Klavierbegleitung
anzuhören, ohne dass wir unserm Formgefühl einen Ruck geben müssten.
Diese Kompositionen sind auf intime Räume und intime Wirkungen an-
gelegt und ausgearbeitet; ihre musikalische Struktur unterscheidet sie
ebensosehr von den symphonischen Werken, wie die Vortragsart, die sie
fordern« Wie häufig kann man beobachten, dass z. B. Sänger, die im
Zimmer durch die Feinheit ihres Vortrages entzückten, im grossen Konzert-
saale gerade durch ihre echte, zarte Kunst unterlagen! Das ist etwas
ganz Natürliches, weil die Kammermusik andere Mittel zur tönenden Dar-
stellung ihrer Ideen verwendet, als die Konzertmusik; sie wirkt mehr
durch die Subtilität der Zeichnung, die Konzertmusik durch Farben und
Plastik« Wer eine Radirung zwischen zwei Gemälde von Stuck und
Uhde hängen wollte, würde als Unkünstler verschrien werden. Aber
unsere Musiker begehen aus Gewöhnung jahraus, jahrein diese ungeheure
Gedankenlosigkeit, ohne dass sie ihnen gross angerechnet würde.
Die aus ästhetischer Unkenntnis erblühende Milde gegen die Lyrik
110
DIE MUSIK in. 2.
in Symphonie- Konzerten suchte man durch um so grössere Strenge gegen
die Opern-Arien im Konzertsaale wett zu machen. Von einem Erfolg der
Mahnungen an die Sänger ist bisher nicht viel zu merken gewesen. Man
hatte eben die Sache verkehrt angepackt. Anstatt mit dem ganzen System
aufzuräumen, verlangte man Besserung, ohne anzugeben, was denn nun
die Gescholtenen singen sollten. Was es an Konzertsoli mit Orchester
gab, war einesteils zu gering an der Zahl oder für unsere Zeit nicht mehr
geeignet, andemteils zu wenig bekannt, als dass es hätte vorgeschlagen
werden können. Die Gegenwart hat von Richard Strauss und^ anderen
modernen Komponisten Gesänge für eine^Stimme und Orchester empfangen,
die für die Arien aus Opern genommen werden können, um so mehr, als
diese Tondichter, wie schon Berlioz in seinen »Sommernächten", die^ Sing-
stimme nicht in dem virtuosen Sinne, sondern sozusagen als erste unter gleich-
wertigen benutzen, um ihren Text auszudeuten. Das ist ausser aller Frage,
dass die Opern-Arien, losgelöst aus ihrem natürlichen Zusammenhange, kein
Recht auf einen Platz in einem stilvollen Konzert haben, jedenfalls nicht
in einem Symphonie-Konzert und noch viel weniger mit Klavierbegleitungs-
surrogat in einem Liederabend. Man könnte^vielleicht dafür plaidiren,
schöne Arien aus solchen Opern, die wir wegen ihrer dramatischen Un-
möglichkeit nicht mehr aufführen, in KonzertenJ^vorzutragen, um sie nicht
ganz untergehen zu lassen; aber auch sie gehörten dann in besondere
Gesangskonzerte und dürfen nicht dazu dienen, für Fräulein X. oder Herrn
Y. einen Vorwand für ihre Applausabsichten^ abzugeben. Den grössten
Unfug begeht man jedoch damit, Gesangstücke aus Wagnerschen Dramen
in die Konzerte zu verpflanzen. Gewiss hat es einmal eine^Zeit gegeben,
wo es zur Pflicht gegen die deutsche Kunst wurde, Wotans Abschied oder
Isoldens Liebestod in Konzerten zu singen, damals, als es den Theatern,
die jetzt von Wagner leben, noch nicht konvenabel schien, die Dramen
des Meisters zu spielen. Jetzt aber gebietet dieselbe*[Pflicht, Wagners
Werke nur dort zu geben, wo^sie nach des Meisters Willen zum Leben
erwachen sollen: auf der Bühne und zwar auf der Wagnerschen Bühne.
Empfinden wir schon die Arien alter Opern als deplaziert^auf dem Konzert-
podium, so verschärft sich^diese Empfindung bei^^Fragmenten von Wagners
Dramen. Denn die alten Arien waren nach einem architektonisch sym-
metrischen Schema in sich abgeschlossen gebaut, sie waren ausserdem nur
mehr allgemeine Stimmungsbilder des Textes, wogegen die'^Wagnerschen
Gesangstücke eben immer »Fragmente* einer grösseren Form bleiben,
deren Musik nicht allein die Worte^ interpretirt, sondern auch an der
Szene und der Handlung hängt. Es ist wohl unnötig zu sagen, dass aus
ähnlichen Gründen Instrumentalstficke aus den Wagnerschen Dramen im
Konzertsaal nichts mehr zu suchen haben. An Wagners Stelle dürften
111
EHLERS: ZUR KONZERTREFORM
endlich einmal überall Berlioz, Liszt, Brückner, Brahms, Strauss, Schillings,
Arnold Mendelssohn, Mahler, Pfitzner, Fr. Klose und eine ganze Reihe
anderer treten.
Haben wir erst einmal die Solisten aus den Symphonie-Konzerten
ausgeschieden, so sind wir der Aufgabe, eine richtige Vortragsordnung zu
machen, um ein gut Stück näher gekommen. Es ist uns möglich ge-
worden, Programme zu schaffen, die nur Werke des symphonischen Prinzips
enthalten; zugleich haben wir eine neue Gattung von Konzerten, die
Solistenvorträge mit Orchester, gewonnen, die wiederum für sich einheit-
lichen Programmen folgen können. Diese Solisten-Abende kann man recht
wohl in den Kranz der regelmässigen Symphonie-Konzerte, die in jeder
grossen Stadt im Abonnement gegeben werden, verflechten, um den Hörern
zu ersparen, ihr Konzertbudget erhöhen zu müssen.
Man hat vielleicht dem Gesagten schon entnommen, wohin die Re-
form der Programme will: Einheitlichkeit anstatt einer bunten Menge,
Organisches für das durcheinander Geworfene, Erhebung an die Stelle der
Unterhaltung — das ist ihr Ziel. Was bisher mehr zufällig wohl einmal
zum Segen der Kunst geschehen ist, will sie zur überall befolgten Regel
machen; nicht nur das «interessante'' sondern das ästhetisch schöne Programm
soll, ihrem Wunsche nach, den Konzertgebern das Zeichen sein, worin sie
siegen werden.
Besondere Zwecke haben von jeher besondere Programme gezeitigt.
Wenn Tondichter wie Beethoven oder Wagner Konzerte gaben, in denen nur
ihre eignen Schöpfungen vorgetragen wurden, so erhielten diese Konzerte
nicht nur durch die Schönheit der einzelnen Werke einen hohen Wert,
sondern auch dadurch, dass alle Stücke einem Geiste entsprungen waren,
dass die Besucher in das Innere nur eines Menschen schauen, dieses aber
auch grundlich kennen lernen konnten. Bei den beliebten Potpourri-
Programmen — und etwas anderes geben uns die landläufigen Konzerte
ja nicht — ist es ganz unmöglich, die musikalische Seele eines Kompo-
nisten wirklich zu verstehen. Die Musik ist eine flüchtige, schnell ver-
rauschende Kunst, die nicht wie die bildenden Künste erlaubt, ihre Er-
zeugnisse ruhig zu betrachten, und die darum den Hörern auch keine Zeit
lässt, die Persönlichkeit eines Tonsetzers vollständig zu erfassen, wenn sie
nicht ausgiebig zu Worte kommt.
Deshalb wäre es das beste, das Prinzip der „Einer-Ausstellungen*
auf das Konzert zu übertragen, jedesmal nur einen Tondichter zu wählen,
von dem man Werke vortragen will. Bei den Königen der Musik sollte
man immer nur einem einzigen zur Zeit huldigen. Ausserdem ist dieser
W^ ein Musikkaleidoskop zu vermeiden, wie es uns das vorhin erwähnte
Muaterprogramm bescherte, dann zu empfehlen, wenn man einen un-
112
DIE MUSIK. III. 2.
bekannten oder wenig bekannten, noch umstrittenen Komponisten, besonders
unter den lebenden, dem Publikum zu Gemüte führen möchte. In solchen
Fällen, wie den letzten, dürfte man mit weiser Anordnung auch das sonst
streng zu erfüllende Gesetz umgehen, das eine Vermengung der ver-
schiedenen Kompositionsgattungen in ein Programm verbietet. Denn mancher
Tonsetzer wäre vielleicht als Lyriker bedeutend, den man als Epiker ab-
lehnen müsste, und um über seinen musikalischen Charakter mit seinen
Vorzügen und seinen Schwächen ganz klar zu werden, muss man ihn als
Ganzes vor sich haben. Vielleicht gehen wir aber auch mit solchen
exzeptionellen Vortragsordnungen schon über das Ästhetische hinaus und
folgen einer pädagogischen Absicht, wie wir sie auch bei jenen Programmen
als bestimmend empfinden, die die historische Entwicklung einer Kom-
positionsgattung, zum Beispiel der Symphonie oder der Sonate, zeigen wollen.
Ich habe ein Programm im Sinne, das die D-dur Suite von J. S. Bach, die
Symphonie «La Reine*" von Haydn, die Es-dur Symphonie von Mozart und
die achte Symphonie von Beethoven umfasste. Es stammt von Hans von
Bfilow, der, wie in vielen andern Dingen, so auch im Programm-Machen
unser Lehrmeister ist und uns praktisch schon das meiste vorgemacht hat,
worüber wir theoretisiren. Unzweifelhaft muss es höchst interessant und
belehrend gewesen sein, ein derartiges Konzert zu hören, zumal wenn es
der Universalist Bülow dirigierte. In »Hochschulkursen* der Musik wäre
es auch immer am Platze, dagegen will es mir, so sehr ich es natürlich
den prinzipienlosen Programmen der herrschenden Gewohnheit vorziehe,
in die vornehmsten Konzene, die nur der Schönheit folgen sollen, nicht
recht hineinpassen; hier dürfte sein Gesetz erst als Leitstern zweiter
Ordnung beachtet werden.
Jedenfalls müssen, will man die .Einer-Konzerte'' aus irgend einem
Grunde nicht zur Richtschnur nehmen (oftmals reicht auch wohl die Poteiiz
eines Komponisten nicht aus, einen ganzen Abend lang zu fesseln), die
Zahl der Komponisten beschränkt und die Stile der Zeitperioden und
der Nationalitäten scharf gesondert werden. Die Wichtigkeit der ersten
Forderung näher zu belegen, kann ich mir wohl ersparen; es ist einfach eine
Erweiterung des Grundsatzes von der Einheitlichkeit. Die zweite Forderung
soll die erweiterte Einheit regeln und vor falschen Programmbauten be-
wahren. Denn es ist ein stilistischer Unsinn, wenn man ein Konzert aus
Mozart und Richard Strauss zusammensetzt. Oder auch, wenn man Bach,
Saint-Sa€ns und Richard Wagner in einem Programm vereinigt. Beiden
Stilungeheuem bin ich in den letzten Jahren begegnet. Die Zahl der zu-
sammengekoppelten Tondichter wäre schon recht gewesen, aber ihre
Musiknaturen sind so verschieden, dass sie sich nicht mit einander ver-
tragen. Selbst, wenn die historische Folge beobachtet wird, passen sie
113
EHLERS: ZUR KONZERTREFORM
nicht zusammen, der apollinische Mozart und der dionysische Richard Strauss^
der Umwerter aller Werte.
Und wie sich die Stile der verschiedenen Zeitabschnitte nicht amal-
gamiren, so sträuben sich auch die Nationalitäten gegen eine allzu innige
musikalische Ehe. Mit dem berühmten allverständlichen Volapük der
Musik ist's nicht gar so weit her^ wie man meistens annimmt; die Ver-
wandtschaft geht bei den Völkern, deren Musik uns einigermassen geläufig
ist, nicht viel über den gemeinsamen Besitz der zwölf Töne und der Aus-
dracksmittel hinaus; es ist mehr ein Verständnis der Sinne, als des Herzens,
das sie verbindet. Und müssen wir schon wegen der Stilunterschiede
unserer deutschen Meister auf eine sorgfältig bedachtsame Programm-
Aufstellung halten, so wird unsere Pflicht, die Stile reinlich zu scheiden,
natfirlich noch zwingender, wenn Musik, die nicht Geist von unserm Geiste
ist, aufjgeffihrt werden soll.
Es ist eine wohl zu beachtende Tatsache, dass eine Vortragsordnung,
die sich streng nach den Entstehungsdaten der Werke richtet, nicht immer
auch schon ästhetisch wirksam ist. Am eigentümlichsten ergeht es uns
mit J. S. Bach ; der kann als Anfänger eines Programms für eine ganze
Reihe der folgenden, insbesondere — um einen Grossen zu nennen —
für Mozart, verhängsnisvoll werden. Bach war trotz des strengen Stils
eigentlich ein Anachronismus ; wir begreifen die meisten seiner Werke mit
unserer Beethoven -Wagnerischen Auffassung besser, als aus seiner Zeit
heraus. Mozart dagegen ist bei all seiner Göttlichkeit und der innigen
Grösse seiner ewigen Melodie, die alle Sterne mit der Erde zu verbinden
scheint, der getreue Ausdruck seiner Zeit; den «Meister des Rokoko"* hat
ihn Marsop ja mit vollem Rechte genannt. Bach bannte nur den Geist
der Musik mit gewaltiger Hand und ging oft mit seinen Gedanken über
die Mittel hinaus, Mozart beachtete schon viel sorgsamer zugleich den
Körper, worin er den Geist der Welt geben wollte. Um Mozart mit allem
Reize vorzutragen, muss man ohne Schulmeisterei und Pedanterie ein
wenig historisch verfahren, das heisst bei seinen Klavierwerken z. B. den
Klang des Spinetts nicht ganz aus dem Ohre verlieren, wogegen wir Bach
trotz alles allein «Echten und Wahren *" erst dann ganz gerecht werden,
wenn wir ihn als «allgegenwärtig* betrachten. Ich bitte jedoch ergebenst,
meine «historische* Auffassung Mozarts nicht so auszulegen, als ob ich
seine Werke trocken und dünn gespielt wünsche; Mozart kann nur einer
verstehen, der das Leben versteht und in sich fühlt; aber man braucht
nicht das Donnerblech zu rasseln, wo er nur mit zarten vollen Glocken
gelintet hat Was ich mit alledem sagen will, ist, dass man den Inhalt
und ebenso die Ausdrucksmittel der Werke recht prüfen soll, ehe man
ihre Reibenfolge bestimmt.
III. 2 8
114
DIE MUSIK III. 2.
Denn zu der ästhetischen Wirkung eines Konzertes gehört, dass die
einzelnen Nummern einander in einer steten Steigerung folgen; die Steigerung
kann innerlich durch den musikalischen und metaphysischen Inhalt, oder
äusserlich durch die Mittel geschehen, — am besten ist es natürlich, wenn
die Steigerung innerlich und äusserlich ist. Daneben sorge man für künst-
lerische Kontraste. Ein ganz hübscher Gegensatz ist es zum Beispiel ge-
wesen, ein Programm aus je einer Symphonie von Brahms und Brückner
zu machen; das Konzert war sogar etwas für Feinschmecker wegen des
Antagonismus der beiden Tondichter, der übrigens auch klar beweist, dass
die Musik nicht ohne weiteres international genannt werden darf. Stösst doch
Brückner im Norden, Brahms im Süden bei den deutschen Stammesbrüdern
auf Hindernisse im Verständnis!
Man kann die Regel, auf die es bei jeder Art Konzerte ankommt,
sie seien Symphonie- oder Kammermusik-Konzerte, Klavier- oder Lieder-
abende oder was immer, kurz fassen: gestaltet die Programme stilrein und
einheitlich! Stilrein in der Wahl der Kompositionsgattungen, stilrein in
der Wahl der Tondichter. Dies ist das wichtigste Gebot.
Ein zweites Gesetz steht daneben: macht keine allzu langen Pro-
gramme, macht dafür zwischen den einzelnen Stücken, sofern sie nicht
zu einem Werke gehören, genügend lange Pausen, damit der Hörer Zeit
habe, das Empfangene zu verarbeiten und sich für das Neue zu bereiten.
Dieses Gebot gilt vor allem auch für die Kammermusik, die fast überall
zu viel auf einmal bietet. Grosse und mächtige Schöpfungen, wie Beethovens
»Neunte*, gebt allein für sich, ohne musikalische Vor- und Nachspiele;
denn sie dulden keine andern Götter neben sich und wollen in aller
Reinheit und Kraft auf die Gemüter wirken.
Und zum Schlüsse noch ein drittes: seid Menschen der Gegenwart
und vergesst nicht über euerm schönen Recht, die alten Meister an-
zubeten, eure ernste Pflicht, die Lebenden und Kämpfenden zu unter-
stützen. Beweist, dass ihr ihre Mit-Menschen und keine Nachtrotter seid,
auf die eine Zukunft Steine werfen müsste. Und folgt nicht nur der
Mode, die von allen Komponisten nur ganz wenige bestimmten Werke
kennt, sondern forscht und breitet den ganzen Schatz unserer deutschen
Musik vor der Welt aus!
bli dem am 19. September faochbengl und nach langem Leiden gestorbenen
n rheodor Kirchner ist ein Künstler von uns geschieden, der die vielen
I jm Hsupiesllnge überrsgie, die Ihm den Vorwurf micliten, dass er es
inils vermocht habe, grCssere Formen zu beherrschen und in ihnen
' Hervorragendes zu schaffen. Darin liegt aber für mich die Bedeutung
eines Komponisten nicht; Ich halte es vielmehr mit Goethe, der einmal meinte, dass
In der Beschränkung sich erst der Meister zeige. Theodor Kirchner kannte ganz
getuiu die Grenzen seines Könnens, seines künstlerischen Wesens, und so Hess er,
der Musiker mit dem scharFen durchdringenden Verstand und der unerbittlichen
Selbstkritik sich niemals auF \Pege locken, die ihm zu steil erschienen. Er bat niemals
das Masa seines KSnnens überschätzt und keinen Ikarusflug unternommen, sondern
sich suF Jenes Gebiet beschrankt, auf dem er Werke von bleibendem Wert schaiTen
■ollle. Theodor Kirchner gehörte nicht zu den Grossen, aber er war ein Meister der
Kleinkunst, des musikalUcben Miniaturbildes, und hier steht er in seiner Art einzig
da, Und wenn man Ihm Femer vorgeworfen hat, dass er hier auF den Schultern
Robert Schumanns stehe, so gereicht es ihm nur zum Vorteil, sich einen so guten
Meister zum Vorbild gewlhlt zu haben. Kirchner beaass übrigens eigenes Kapital
genug und brauchte nicht von den Zinsen anderer zu zehren. In allen seinen
Schöpfungen für Klavier lebt eine warme Musikseelc, ein vornehmes EmpHnden. Wir
hSren aus ihnen und aus so manchen Liedern die Stimme eines fein besaiteten Ton-
dichters, vernehmen die Sprache eines innigen Gemüts, es klingt uns der Ton einer
trtamerlacben und welchen Seele entgegen. Durch fast alle zieht dieser Ton, der
UBS ein Empfinden icündet, das nur sinnigen Naturen eigen Ist.
Ich erinnere nur an die Skizzen op. 13, «n die Phantasiestücke op. 14, an die
.Stillen Stunden" op. 56, die neuen Davidsbündlertinze op. 18, die ein würdiges Seltenstück
tn Schumanns gleichnamigem Werk bilden. Ferner an die .Nachklänge' op. 53, die
an der Spitze des Titelblails die Namen Florestan und Euseblus tragen, die dann wieder
Ihre gegensltzllche Stimmung in den Klavierstücken op. 24 mit der OberschHFt .Still
und bewegf finden. Zu den schönsten Eingebungen seines Künstlergelstes gehSren
aber die „Nacblbilder" op. 25 und die .Romantischen Geschichten" op. 73, die manchen
(cmetassmeD Zug mit Schumanns Novelletten aufweisen. Den zebn Klavierstücken
.Ant trCben Tagen* op. 32 stehen dann wieder die bellen, heiteren, neckischen
Humoresken op. 48 und die graziSsen Capricen op. 27 gegenüber. Lauter Dichtungen,
die XU lUn empfunden, zu vornehm In ibrem ganzen Habitus waren, um Im vulglren
Sinne popollr zu werden. Kirchner sprach sich selbst einmal In einem Brief an
Tiltaelm Klenil über sein Schaffen aus: .Nur so viel kann Ich Ihnen sagen, dass ich
lUle meine kleinen Sachen wirklich empfunden und nicht geschmiert und oft mehr
116
DIE MUSIK III. 2.
Zeit dazu gebraucht habe, ein kleines StuclEchen fix und fertig hinzustellen, als es
nachtriglich erscheinen mag.*
Als LiederlEomponist hat uns Kirchner auch manchen liostbaren Schatz hinter-
lassen. Ich rechne dazu nicht gerade die Gesinge op. 1 und 3, aber die Lieder op. 40
und 50, von denen die ersten seinem Freunde Franz v. Holstein gewidmet sind, sowie
das herrliche als op. 67 erschienene .Liebeserwachen*. Weniger bedeutsam sind die
Novelletten op. 59 fQr Klavier, Violine und Cello, die beiden Trio-Serenaden, das
Streich-Quartett in G-Dur op. 20 wie seine übrigen Klaviermusik -Werlie, wenigstens
zeigen sie uns Kirchner nicht auf der Höhe seines Schaffens. Schreibt er doch selbst
einmal: «Ob besondere Neigung und Faulheit oder Ungeschicklichkeit mich immer
wieder aufe Klavier hinweisen, und für dieses hauptsichlich in kleinen Formen mich
bewegen Hessen — wer weiss es genau?* Er wusste es aber ganz genau, warum er
es ut, warum es ihn immer wieder zum Klavier hinzog, zum kleinen Genrestück, zum
«liedmissig gegliederten* Charakterstück für Klavier. In diesen kleinen Formen hat
Kirchner nach Schumann das genialste und bedeutendste geschaffen. Und im Kleinen
gross zu sein, ist nur ein Vorrecht des echten Künstlers.
Doch noch eine Seite von Kirchners künstlerischer Titigkeit möchte ich hervor-
heben: seine Klavier-Arrangements von Schumannschen, Brahmsschen und Franzschen
Gesingen, die Transcriptionen der Symphonien Schumanns und der Klaviermusik-
werke zu vier Hinden für die Edition Peters; femer die ausgezeichnete Umarbeitung
der beiden Streich-Sextette von Brahms für Klavier, Geige, Cello, die Transcription
des Schumannschen Faust und des Deutschen Requiems von Job. Brahms für Klavier
allein. In diesen und andern Bearbeitungen steht Kirchner einzig da.
Der Verstorbene war in der Schule der grossen Meister aufgewachsen, und in
ihnen wurzelte er mit allen Fasern seines musikalischen Empfindens; eine innere
Fühlung vermochte er mit jener Richtung niemals zu finden, die sich an Berlioz, Uszt,
die Weimarer Schule und ihre Nachfolger sowie an Richard Wagner anschloss. Nur
für Richard Strauss bezeugte er ein lebhaftes Interesse, und wenn er sich auch gerade
nicht intimer mit seinem Schaffen befreunden konnte, so sprach er doch, wenigstens
mir gegenüber, stets mit grösster Anerkennung über ihn. Für Kirchner war mit
Johannes Brahms das letzte Glied der Kette eingefügt, die mehr als zwei Jahrhunderte
die ruhmreichste und bedeutendste Periode deutscher Musikgeschichte umschloss. Mit
diesem Meister verband Kirchner eine innige Freundschaft, fand er doch auch bei
Brahms ein volles Verstindnis für seine Schumannverehrung. Im Sommer 1865
lernten sich die beiden Manner in Baden-Baden kennen, und bald wurden sie intime
Freunde. Und Kirchner hat ihm die Freundschaft treulich gehalten und ist für die
Werke von Brahms überall und zu jeder Zeit mit Wort und Tat eingetreten. Er war
auch einer der ersten, die das d-moIl-Konzert op. 15 öffentlich vortrugen. Ober das
Klavier- und Orgelspiel Kirchners habe ich kein Urteil; ich lernte ihn als Pianist zu
einer Zeit erst kennen, da er als ausübender Künstler wohl nicht mehr auf der Höhe
stand. Minner wie Stockhausen und Brahms scheinen aber auch den ausübenden
Künstler in Kirchner sehr geschitzt zu haben, der in den fünfziger Jahren mit Franz
Liszt, der zum Besuche seines Freundes Wagner in Zürich eingetroffen war, in vier-
hindiger Bearbeitung dem Meister die Manfred-Ouvertüre und die d-moll-Symphonie
vorspielte, um ihn für Schumann zu gewinnen; es gelang ihnen aber nicht, die Anti-
pathie Wagners gegen seinen Landsmann zu überwinden. Auch ein Hans von Bülow
schitzte Theodor Kirchner hoch, der ausserdem einen seltenen Verstand, ein immenses
Wissen, eine oft imponierende Offenherzigkeit, die gründlichste Kenntnis der Literatur
und eine Schirfe der Kritik besass, die zuweilen die ganze Umgebung verstummen
117
SITTARD: THEODOR KIRCHNER
macbte. Er nahm kein Blatt vor den Mund und war ein Freund der |oldenen
Rficksichttlosigkeltes. Kirchner war fiberbaupt kein Mann der Kompromiise und ein
Hofmann vollends nicht.
In Hamburg landete er 1890 nach langer Irrfahrt, denn vom Jahre 1872 an
begannen tir ihn die Zeiten unruhigen Tandema nnd schwerer Sorgen um die Existenz.
Tie viel er selbst veracbaldct, dies zu erSrtem Ist nicht meine Au^abe. In der alten
Hsnsestadt wsr nsn )n den kunatft«un dllchen Kreisen bemüht, dem Greise die letzten
Lebensjahre sorglos lu gestalten. Trotzdem der hst Achtiigjihrige durch mehrere
Schlsganfllle geschwicht und der Sprache hat ginillch beraubt war, sah man noch
Im vergangenen Frühjahr in den grossen Konzerten die hohe Gestsit mit dem
charakteristisch CO Beethovenkopf Im Ssal des Konventgarten sitzen und den Auf-
fObrungen mit Interesse ttolgen. Wer dss GIQck hstte, dem vom Schicksal stieftnfltterlich
behandelten Künstler niher zu treten, seiner geistreichen Unterhaltung und dem oft
scharfen, mit Bülowscher Ironie und einer starken Dosis Ssrkssmus gewfinten Urteil
zu lauschen, wird dem Dahingeschiedenen ein fteundllches Andenken bewehren, und
such die Musikgeschichte wird seinen Namen festhstten.
DAS DEUTSCHE LIED IM 18. JAHR
HUNDERT
QUELLEN UND STUDIEN VON MAX PRIEDLÄNDER
Besprochen von Dr. Leopold Schmidt-Berlin
l^em lebhafteren und allgemeineren Interesse, das im Vergleich
früheren Zeilen das 19. Jahrhundert der Tonkunst ent-
I gegengebracht hat, ist es zu danken, dass den übrigen Kunst-
vissenscbaften als jüngste nun auch die Musikforschung sich
zugesellt hat. Freilich, sowohl die Musiktheorie vie die musikalische
Ästhetik stecken noch gar sehr in den Annngen, und besonders die histo-
rische Forschung, die in streng wisseoschaftlicher Weise Icaum länger als
einige Jahrzehnte betrieben wird, hat weile und wichtige Gebiete noch un-
berührt gelassen. Das gilt nicht nur vom Mittelalter, aus dessen erster Hälfte
die Überlieferungen überdies nur spärlich Blessen; auch unsere Kenntnis der
neueren Musik ist in vielen Beziehungen eine lückenhafte. Dieser Obel-
stand ist oft mit Recht beklagt worden; der Mangel an Vorarbeiten macht
sich dem Spezial forscher überall empfindlich bemerkbar. Viel zu vieles
wird ungeprüft nachgesprochen, und jeder Schritt vorwärts in das Docb
unbebaute Land lehrt uns, dass wir unsere Urteile modifizieren müssen.
Diese Sachlage gibt einem Buch, wie dem von Max Friedländer um
die Jahreswende veröffentlichten,*) eine alle kritischen und ästhetislerenden
Schriften überragende Bedeutung. .Quellen und Studien" sind vorläufig
das, wessen wir am dringendsten benötigen. Nur durch Erweiterung und
Veniefung der faistoriscben Kenntnis können wir auch in der Kritik
fortschreiten und uns davor schützen, im Phrasentum und in vorgefassten
Meinungen befangen zu bleiben.
Friedländer hat, wenn man will, sich ein bescheidenes Ziel gesteckt:
dem Liede des 18. Jahrhunderts gelten seine Untersuchungen. Gegenüber
der Blüte des deutschen Liedes im 16. Jahrhundert bedeutet allerdings die
geschilderte Zeit einen Tiefetand; auch an den Aufechwung, den die
>) Vfrlig: J. G. Conuche Buchhandlung Nichfolger, Stuten and Berlin, 1902.
119
SCHMIDT: DEUTSCHES LIED IM 18. JAHRHUNDERT
■i
S
lyrische Produktion seit Schubert genommen hat, darf man nicht denken,
wenn man jener gerecht werden will. Aber für die geschichtliche Betrach-
tung ist die Entwicklung eine kontinuierliche, und wo es sich darum
handelt, sie unsrer Kenntnis zu erschliessen, gibt es keine verschiedenen
Grade der Wichtigkeit. Und dann: jene Zeit mit ihren bis zur Dürftigkeit
einfachen, oft zopfigen und trockenen Weisen war ein notwendiger Über-
gang, sie hat den Boden bereitet und den Keim gelegt der üppigen Blüte,
zu der das klavierbegleitete einstimmige Lied bei modernen Tonsetzern
sich entfaltet hat. Friedländer ist es nun geglückt, diese hundert Jahre
vorbereitender Entwicklung in ein helles Licht zu rücken. In jahrelanger
Sammelarbeit hat er das Material zusammengetragen, das bisher in alle
Winde verstreut, zum grössten Teil so gut wie unbekannt war, über das
selbst jede Übersicht, von dem jede zusammenhängende und ordnende
Darstellung gefehlt hat. In der Vermittlung der Quellen, die wir ihm
danken, in der klaren Abgrenzung und sorgfältigen Durcharbeitung des
Ganzen erblicke ich die Hauptvorzüge und den eigentlichen Wert des Buches.
Der behandelte Stoff brachte es mit sich, dass nicht die musikalische
Entwicklung allein in den Bereich der Untersuchung gezogen wurde. Wie
Oper und Oratorium nur im Zusammenhang mit der Literaturgeschichte
eine erschöpfende Darstellung erfahren, so ist auch eine Geschichte des
Liedes nicht von der der zeitgenössischen Lyrik zu trennen. Ihre Doppel-
natur macht die Aufgabe besonders schwierig, aber auch um so reiz-
voller. Die Verbindung von Dicht- und Tonkunst im Licdc bedingt es,
dass weder der Musiker noch der Literaturhistoriker für sich allein diese
Aufgabe lösen kann. Nur ein auf beiden Gebieten Bewanderter durfte
sie in Angriff nehmen. Die äussere Form der Darstellung konnte von
verschiedenen Gesichtspunkten gestaltet werden; Friedländer hat sich für
eine gesonderte Abhandlung beider Faktoren, des musikalischen wie des
literarischen, entschieden. Eine Verschmelzung beider wäre denkbar und
hätte den Reiz der Lektüre erhöht, wohl auch manche Punkte wirksamer
hervorgehoben. Indessen die gewählte Zweiteilung des Stoffes hat ihrerseits
zweifellos viel Praktisches für sich. Das Raisonnement ist — abgesehen
von dem einleitenden Essay, auf den wir noch zu sprechen kommen — auf
einen bescheidenen Raum beschränkt; einzelne Teile des Werkes sind von
lexikalischer Knappheit. Wo aber der Verfasser sich reflektierend äussert,
geschieht es in der ihm eigenen vornehmen Weise und in echt wissen-
schaftlichem Geist, der aus den Tatsachen allgemeine Gesichtspunkte zu
gewinnen weiss.
Gibt der bibliographische Inhalt dem Buche seine Bedeutung, und
war seine Aufstellung die leitende Absicht des Verfassers, so ist damit
keineswegs gesagt, dass wir es hier lediglich mit einem mit Rand-
120
DIE MUSIK 111. 2.
bemerkungen versehenen Queilenwerk zu tun haben. Dem Leser wird
darüber hinaus noch etwas wesentlich anderes geboten. Wie der zur
Untersuchung stehende Zeitabschnitt nicht losgelöst von seiner Umgebung,
sondern im Zusammenhang mit der gesamten Entwicklung behandelt wird,
indem eine ausgedehnte Einleitung und viel verstreute historisch-kritische
Bemerkungen das Bild ergänzen, so werden auch die reichen Ergebnisse
der Forschung nicht leblos ausgebreitet. Dadurch, dass alles, was zu den
verschiedensten Zeiten und an den verschiedensten Orten über die Lieder
und ihre Komponisten gesagt worden, auf das sorgfSltigste zusammen-
getragen ist, erfahren wir zugleich Wissenswertes fiber ihre Wirkungen
auf Zeitgenossen und spätere Generationen; der Bericht gibt femer Aus-
kunft fiber die Lebensschicksale und die ästhetischen Anschauungen der
Autoren; indem endlich die Lieblinge der Zeit an uns vorfiberziehen,
wird das musikalische Treiben unsrer Vorfahren und das milieu, das ihm
entsprach, geschildert und ein Bild von kulturhistorischem Interesse ent-
rollt. So wird die Chronik häufig zur lebendigen Geschichte, zur Ge-
schichte des deutschen Liedes, wie sie so eingehend und vollständig, so in
inniger Verbindung mit den literarischen Bewegungen der Zeit bisher noch
niemand zu schreiben versucht hat. Dieses Ergebnis liegt freilich nicht
an der Oberfläche; man muss durch wiederholte Beschäftigung mit dem
Werke, mit allen Einzelheiten der Darstellung vertraut sein, um sie in
dem angedeuteten Sinne auf sich wirken zu lassen.
Von der Reichhaltigkeit des Materials kann man sich einen Begriff
machen, wenn man den Umfang der zwei Bände betrachtet. Der erste
umfasst 744 Seiten, von denen 384 auf die Bibliographie, 360 auf die
Musikbeispiele entfallen; der zweite, der die Dichtungen behandelt, ist
632 Seiten stark. So gross war immerhin die Ernte aus einem Jahrhundert,
dessen Stärke nicht einmal auf dem Gebiet der Liedproduktion lag.
Dem ersten Band vorausgeschickt ist der schon erwähnte einleitende Essay.
Dieser «vorbereitende Versuch*, wie ihn Friedländer vorsichtig nennt, ist
mit der* interessanteste Teil des ganzen Werkes, ein Abriss der Geschichte
des deutschen Liedes von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegen-
wart. Immer auf Grund der Quellen, die freilich für die ersten 100 Jahre
viel spärlicher fliessen als für die spätere Zeit, entwirft Friedländer ein
Bild der Entwicklung und reiht die Ergebnisse der einzelnen Speziai-
forschungen zu einem fesselnden Ganzen aneinander. Auf die Zeit der
Madrigalisten, auf das geistliche Lied und die Choralkomposition, auf die
Wechselwirkung zwischen kirchlicher und weltlicher Musik wird im Ver-
lauf der Darstellung näher eingegangen; dabei wirft manch scharfsinniges
Urteil neues Licht auf diese Dinge, die schon durch die hier zum ersten-
mal erfolgte Zusammenstellung ihre Beziehungen aufdecken und dem Ver-
121
SCHMIDT: DEUTSCHES LIED IM 18. JAHRHUNDERT
ständnis näherrflcken. Auch in dieser allgemeinen Übersicht sind die
wichtigsten Vorginge in Poesie und Literatur, soweit sie sich in der musi-
kalischen Bewegung widerspiegeln oder sie beeinfiusst haben, stets mit
einbezogen. Der Anlage entsprechend endet die Einleitung in einem kurzen
Ausblick auf das Schaffen der Neueren bis in unsere Zeit hinein.
In der ersten Abteilung des ersten Bandes folgt nun das Hauptstück
der Arbeit, die Bibliographie. In ihr haben wir ein Verzeichnis der
zwischen 1689 und 1709 im Druck erschienenen deutschen Liederkompo-
sitionen, soweit sie der Nachforschung erreichbar waren. Es sind 489, mit-
unter umfangreiche Sammlungen, von denen jede einzelne hier genau be-
sprochen wird. Natürlich kann auf Vollständigkeit kein Anspruch erhoben
werden; vermutlich wird aber nur sehr weniges späterhin nachzutragen
sein. Welche Mühe es machte, das alles zu sammeln und zu sichten,
kann man sich denken. Alle Bibliotheken Deutschlands, auch einige aus-
ländische und mancher Privatbesitz haben Beiträge zu diesem Quellenwerk
geliefert, das an Reichhaltigkeit und Zuverlässlichkeit seinesgleichen in der
musikalischen Literatur sucht. Der Bericht gibt Auskunft nicht nur über
Titel und Publikationszeit und Ort der wichtigsten Auflagen aller Werke,
sondern auch über die äussere und innere Gestalt der einzelnen Gesänge,
über ihre Texte, ihre Schicksale, über allerlei Wissenswertes, das auf sie
Bezug hat. Kurz, eine Unsumme von minutiösester Arbeit ist hier ge-
leistet und ein Material gesammelt, wie wir es wohl auf keinem anderen
Gebiete der Musikgeschichte besitzen.
Ein interessantes Bild gewinnt man aus dem Vergleich der Ziffern,
die sich für die verschiedenen Abschnitte des 18. Jahrhunderts aus der
Anzahl der Drucke ergeben. Ein stetiges Anwachsen der Produktion lässt
sich verfolgen. Aus den Jahren 1689 — 1710 sind uns nur 6 Publikationen
erhalten. Bis 1727 folgt dann ein Zeitraum, in dem das Lied zu schlummern
scheint; aber es scheint nur so, denn wahrscheinlich lässt es sich in der
noch undurchforschten Literatur der Solokantaten, der Opern und Oratorien
nachweisen. 1750 — 60 verzeichnet der Bericht bereits 44 Sammlungen,
bis 1780 ist die Zahl auf 106 angewachsen, und für die letzten beiden
Jahrzehnte möchte der Verfasser nicht annähernd mehr für Vollständigkeit
einstehen, so sehr geht die Entwicklung ins Breite.
Aus der Fülle des Materials heben sich durch ihre Bedeutsamkeit oder
durch die liebevollere Behandlung, die sie erfahren, einzelne Erscheinungen
heraus. Auf den wenig bekannten Philipp Heinrich Erlebach wird als einen
verdienstvollen Vorgänger Bachs hingewiesen, auch für den wahrschein-
lich lange nicht nach Gebühr geschätzten Telemann eine Lanze gebrochen.
In ihrer Zeit weitverbreitete Sammlungen, wie das „Augsburger Tafel-
konfect* (1733) oder Sperontes' , Singende Muse an der Pleisse* (1736—45)
122
DIE MUSIK III. 2.
werden eingehend erörtert, ihr Wesen und Einfluss klargelegt. War
Sperontes' Werk eine Sammlung beliebter Kompositionen (zum Teil sogar
instrumentaler Herkunft), denen neue Texte untergelegt sind, so schlug
Gräfe in seinen beifällig aufgenommenen Liederbüchern den umgekehrten
Weg ein: er sammelte beliebte Gedichte und setzte sie im Verein mit vier
anderen Komponisten in Musik. Eine dritte, sehr wichtige Sammlung ist
die von Hagedorn-Görner. Man muss es Friedländer Dank wissen, dass
er auf das sinnige Kompositionstalent Joh. Valentin Gömers wieder auf-
merksam gemacht hat. Die Gesänge dieses zarten Tonpoeten sind mit das
Erfreulichste, was die vorklassische Epoche des Liedes hervorgebracht hat.
Traurig dagegen ist der Eindruck, den das Schaffen der sogenannten Berliner
Schule macht, obgleich diese über die Theorie des Liedes manches Zutreffende
aufgestellt hat. Die Werke der Krause, Quantz, Agricola, Graun, Kirn-
berger und Genossen zeichnen sich meist durch phantasielose Trockenheit
und philiströses Wesen aus. Trotzdem weiss der Verfasser auch hier
freundliche Zfige hervorzuheben, weil er überall das Gute liebevoll auf-
sucht und sich der historischen Bedeutung bewusst ist, die ein Kunstwerk
unabhängig von der rein artistischen besitzen kann. Im weiteren Verlaufe
der Darstellung ziehen u. a. Ph. Emanuel Bach, Hiller, Reichardt, Andr6,
Neefe (der Lehrer Beethovens), J. A. P. Schulz, der jüngere Kunzen, Benda,
Gluck, Haydn, Mozart, Zumsteeg und Zelter an uns vorüber. Auf die
Berührungspunkte zwischen Zelter und dem Balladenmeister Loewe wird
feinfühlig hingewiesen. Friedr. Nicolai ist ausführlicher behandelt um
seines »feinen kleinen Almanachs** willen, der auf dem Umweg über
Kretzschmar und Zuccalmaglio bis in die Neuzeit hinein seinen Einfluss
geübt hat. Als einer der wichtigsten Vertreter Österreichs, wo das Lied
wesentlich später, dann aber um so üppiger zur Blüte gelangte, ist der
liebenswürdige Anton Steffan genannt, in dessen Musik man schon mit der
Schuberts verwandte Züge zu entdecken glaubt. Endlich sind auch einige
französischen Chansons mit einbezogen, die zwar nicht zu unserer Lied-
literatur gehören, aber in Deutschland so verbreitet waren, dass sie hier
nicht fehlen durften.
Die Bibliographie findet ihre Ergänzung und gewissermassen ihre
Illustration in der zweiten Abteilung des ersten Bandes, in der die Musik-
beispiele untergebracht sind. Natürlich konnten nicht annähernd alle
Autoren berücksichtigt, vielmehr konnte nur eine gedrängte Auslese dar-
geboten werden. Die Zusammenstellung ist jedoch so geschickt, dass die
236 Nummern eine ziemlich klare Obersicht über die Liedproduktion des
18. Jahrhunderts gewähren. Das subjektive Moment, das sich auch sonst
bei dieser Arbeit nicht völlig ausschalten Hess, macht sich naturgemäss
bei der Auswahl der Beispiele am meisten geltend. Wer das gesamte
123
SCHMIDT: DEUTSCHES LIED IM 18. JAHRHUNDERT
Material kennt, wfirde vielleicht hier und da andere Stücke bevorzugen ; das
bleibt eben Sache des individuellen Geschmacks. Im ganzen neigt Fried-
lander zur Überschätzung ; der weitaus grösste Teil dieser Gesänge ist für
unser Empfinden nicht mehr zu retten. Für praktische Zwecke würde es
sich empfehlen, aus dieser Literatur eine Anthologie nach rein musikalischen
Kriterien herzustellen. Die gebotene Sammlung von Beispielen hat meines
Erachtens mehr den Zweck eines wissenschaftlichen Belegs und kommt als
solcher dem Buche zu statten, weil die Ergebnisse historischer Forschung
durch lebendige Kunstanschauung nur gewinnen können. Ihren Wert er*
höht noch der Umstand, dass fünf Sechstel der Lieder hier zum erstenmal
im Neudruck erscheinen. Die ursprüngliche Fassung ist dabei gewahrt;
nur hier und da sind in diskreter Weise durch den Druck kenntlich ge-
machte Mittelstimmen hinzugefügt. Wenn Friedländer dagegen sich für
die Übertragung in moderne Schlüssel und Schreibweise entschlossen hat,
so wird man das im Hinblick auf den Leserkreis, an den er sich wendet,
gerechtfertigt finden.
In dem umfangreichen dritten Teil, der den zweiten Band füllt, tritt
das kunstgeschichtliche Interesse hinter das philologische ganz erheblich
zurück. Der Verfasser beschäftigt sich eingehender als irgend ein Musik-
forscher vor ihm mit der Literatur und kommt zu Resultaten, die haupt-
sächlich für Germanisten von Wichtigkeit sind. Es ist ihm gelungen,
Irrtümer aufzudecken und den Stand der Kenntnisse durch neue Ergebnisse
seiner Studien zu fördern. Von den wichtigsten Texten, die eine Rolle
in der Geschichte des Liedes spielen, wird der Ursprung nachgewiesen und
der Wortlaut der Varianten angeführt. Das Interessante liegt hier in der Fülle
des Details. Darüber hinaus scheint mir die Bedeutung dieses Teiles, der
vorwiegend statistischen Charakters ist, nicht zu gehen. Im Grunde ist
die Kenntnis, wie oft und von wem ein Text komponiert worden ist, so
willkommen sie für praktische Zwecke sein kann, doch, schon weil sie
nie vollständig ist, von untergeordneter Bedeutung. Von Günther bis
Goethe sind viele hundert Texte, chronologisch geordnet, in dieser
Weise behandelt, wobei allerdings die Charakterisierung der Kompositionen,
die Friedländer an dieser Stelle bis in die Gegenwart verfolgt, und die
daran geknüpfte Kritik die Darstellung lebendig erhalten. Einzelne Unter-
suchungen treten bedeutsam heraus: so die Abschnitte über «Erwache
Friedrike* oder «Ich liebte nur Ismenen*, über «Gott erhalte*, über
«Freude, schöner Götterfunken* und die Geschichte des Grossvater-
tanzes. Vielleicht liegt der grösste Wert dieser Ermittelungen darin, dass
wir die Schicksale der deutschen Dichtung in der Musik verfolgen und
erkennen können, wie das Fortleben der Poesie oft allein der Ton-
kunst zu verdanken ist. Zugleich haben wir hier eine Art Lexikon,
124
DIE MUSIK III. 2.
das über die Beziehungen der Dichter zur Musik erschöpfende Auf-
klärung gibt.
Eine Reihe von Registern vervollständigen den zweiten Band. Von
allgemeinem Interesse ist die Statistik über die Kompositionen, die von
den Liedern jedes Dichters bis 1800 nachweisbar sind. Aus diesem Anhang
ergibt sich ein Bild, das für den Geschmack der Zeit bezeichnend ist
Während Lessing 119 mal, Schiller nur 43 mal in Musik gesetzt ist, finden
wir 185 Vertonungen Goethescher Lieder. Überflügelt aber werden diese
von Claudius (194 mal), Holty (188 mal) und Voss (186 mal). Noch Aus-
gangs des Jahrhunderts sind nicht die Klassiker die Lieblinge der Musiker,
sondern Geliert, Weisse, Gleim, Bürger, Hagedom usw.
Wir sind am Ende unserer Betrachtung. Für die Allgemeinheit bietet
die Lektüre des Werkes ohne Zweifel eine Steigerung. Die Beispiele der
musikalischen Entwicklung wirken lebendiger als ihre Chronik, und die
vielen interessanten Untersuchungen des dritten Teiles sind einem weiteren
Kreise als dem der Musiker und Musikgelehrten zugänglich. Bei einer
wissenschaftlichen Bewertung stellt sich jedoch das Verhältnis umgekehrt
dar: da steht der erste Teil mit seinem reichen Quellenmaterial obenan.
Der vornehme Geist, der in dem Buche herrscht, verleugnet sich auch
darin nicht, dass der Verfasser, obwohl Autorität auf seinem Gebiete, sich
nie zur Polemik verleiten lässt — oder doch fast nie. Nur einmal — um
auch diesen Punkt zu erwähnen — wo es sich um das ihm teure Volks-
lied handelt, wendet er sich gegen vermeintliche Fälschungen, deren
sich, auf Nicolai-Zuccalmaglio fussend, Brahms in seinen Bearbeitungen
schuldig gemacht haben soll. Friedländer vertritt dabei den Standpunkt
derer, die für die Definition des Volksliedes auf negative Merkmale, auf
das Fehlen der Autorschaft, nicht verzichten wollen. Man kann aber sehr
wohl dieser Definition eine andere, positive, entgegensetzen, die sich nur
an die artistischen Werte hält, Werte, die auch ein lebender, wohlbekannter
Komponist prägen kann. Die eine Definition fliesst aus philologischem
Geiste, die andere aus künstlerischem Empfinden. Nach der einen würde
ein Volkslied aufhören Volkslied zu sein, wenn nachträglich der Autor
bekannt würde; nach der andern ruht sein Wesen in ihm selber unab-
änderlich begründet. Legt man diese künstlerische Definition des Volks-
liedes seiner Kritik zugrunde, so fallen die gegen Brahms — in aller Ehr-
erbietung — erhobenen Vorwürfe, denn wie wenige hatte gerade dieser
Meister ein feines und sicheres Empfinden für das Volkstümliche und
Nationale in der Musik.
Solche oder ähnliche Ausstellungen betreffen jedoch nur Unwesent-
liches und tun der Wertschätzung des Buches keinen Abbruch. Die «Quellen
und Studien ** gehören zu den Werken, die es vertragen, dass man auch
—^ 125
C^PO SCHMIDT: DEUTSCHES LIED IM 18. JAHRHUNDERT Q^^J
ihre vielleicbt anfechtbaren Punkte diskutiert. Nach Form und Inhalt sind
sie eine vereinzelte Erscheinung in der noch jungen musikgeschichtlichen
Literatur. Erst wenn in «leicher Weise weitere Gebiete bearbeitet sind, wird
der eingangs beklagte Missstand zu schwinden beginnen. Deshalb ist es zu
wünschen, dass Friedländer auf dem betretenen Wege weiterschreiten und
andere ihm folgen mögen. Für das moderne deutsche Lied ist die Grund-
lage geschaffen. Fallen die hier gegebenen Anregungen auf fruchtbaren
Boden, so ist dem Verfasser am besten gedankt für die rastlose Mühe und
Arbeit, die er der Erreichung seines Zieles gewidmet hat.
■enn eine deutscbe Musikzeitactarift des 100. Geburtstages einer Sio{eria
1 gedenkt, die, veno auch deutschen Ursprungs, doch In enter Reibe
aur der italiealactaen Bühne gevlrkt hat, so darf angenommen «erden,
dass dieser Kfinstlerln nicht nur gani exieptlonelle Ehren-Qualitiien
I eigen gewesen, sondern dsss auch einige Tatsachen vorhanden sind,
die die Künstlerin mit deutschem Musik- und Geistesleben in mehr oder minder
innige Beziehuag bringen. Diese Tlelleichl nicht allgemein bekannten Momente einem
weiteren Leserkreise nitaer 2U bringen, soll in erster Reihe Zweck dieser Zeilen sein.
Caroline Unger — sie nannte sich spiterhln Ungber, well die Itsliener sie ja
sonst Undscher genannt haben würden ~ wurde am 28. Oktober IS03 In Stuhl-
welssenburg geboren und bat Ihre gesangliche Ausbildung von Domenico Ronconl In
Mailand erhalten. Die Bühne hat sie zuerst 1819 in Tien als Cherubim in Bplgaros
Hocbielt" betreten und dann bis 1825 dem dortigen Kirnmertbor-Theater angehOrt.
Obwohl, wie gesagt, deutschen Ursprungs und deutscher Musik in technischer wie
Intellektueller Beziehung durchaus nicht ternstehend, ist sie um diese Zelt lur
italienischen Oper Gbergegsngen, die damals allerdings bei weitem bessere Aussichten
bot, hat an grossen lisllenischen Opembühnen und an der Salle Ventadour In Paris
gesungen und sich auf dem Gebiet hochdramstlscher Sopran-Partieen eine erste
Stellung errungen. Sie hat zweifellos eine grosse, umfsngrelctae, wenngleich von
Schirfe nicht freie Stimme besessen, die sie auch zur Bewilligung von Meizosopran-
Panleen beflhlgte. in welch hoher Gunst sie mit Ihrer künstlerischen Intelligeni
und dramatischen Schlagkrafi bei den damaligen Italienischen Komponisten gestanden
haben muss, geht am besten daraus hervor, dass, um nur einige Namen zu nennen,
Doniietti für sie die weiblichen Hauptpartieen in Parisina, Belisario (Antonlna) und
Maria dl Rudenz, Bellini für sie La Straniera und Pacinl für sie die Nlobe geschrieben
hat. Eine Rosslnische Kriillc, die Arthur Pougin In seinem Supplement zur Fälisscben
.Biographie universelle des Muslclens" anführt, Ist ein wahrer Panegyrikus. .Ardeur
du Sud,' heisst es da, .Energie du Nord, poltrine de bronze, rolx d'argönt, tslent d'or."
Tir werden spiterhln noch sehen, dass dieser Hymnus doch in Tlrklichkelt von den
Tatsschen nicht allzu weit entfernt gewesen sein muss. Anhng der 1840er Jahre
hat die Singerin sich wieder der deutschen Bühne zugewendet, sie hat von 1840 bis
1842, bereits mit dem rranzaslschen Schriftsteller Ssbailer verheiratet, der Dresdener
Hofbüfane angehart und dort am 5. September 1843 zum letzten Male die Bretter
betreten. Gestorben ist sie im Frühjahr IST7 als Rentiere In ihrer Villa in Florenz.
Kinder hat sie nicht gehabt; ihr Adoptivkind war die llteren Konzertbesuchem noch
In angenehmster Erinnerung stehende feinsinnige Konzertsingerin Anna Regan.
Tenn leb zunlcbst der Beziehungen der Künstlerin zur deutschen Tonkunst
gedenke, so Hegt hier wieder einmal einer jener nicht seltenen Fille vor, wo der
nach schaffende Künstler von dem schaffenden gewissennassen per Oberfracbt mit
127
STEUER: CAROLINE UNGER
in die Unsterblicbkeit spediert wird. Es war am 7. Mai 1824. Ort der Handlung
Das Kirtnertbor-Tbeater in Wien. Ein tauber Tondichter, Ludwig van Beetboven,
fQbrte seine neueste Sympbonie — es war ^die Neunte** — auf; er stand mit dem
RQcken gegen das Auditorium und borte somit nicbt, was hinter ibm vorging. Und als
nacb dem Scbluss des vierten Satzes der unglucklicbe Künstler den überströmenden
Enthusiasmus des Publikums nicbt hören konnte, da packte die resolute Altistin des
Solo-Quartetts, Caroline Unger, den tauben Meister beim Arme, drehte ihn um, damit
er das Hindeklatschen der Aufgeregten wenigstens sehen konnte. Ein volles halbes
Jahrhundert hat Caroline Unger diesen erschütternden, wahrhaft kunsthistorischen
Moment überlebt Ob sie ihn jemals vergessen hat?
Aber auch die deutsche Literatur bat Ursache, der genialen Künstlerin in
Dankbarkeit zu gedenken; hat sie doch Rosen auf den Weg eines Dulders gestreut,
dem der Dichtung Merkmal ein Kainsstempel gewesen ist, der sich an der Flamme
des eigenen Genies verzehrt hat, an Nikolaus Lenau. Ende der 1830 er Jahre hat der
unglückliche Dichter die Singerin kennen, schltzen und — lieben gelernt Unter
dem 25. Juni 1830 schreibt er: »Caroline (das ist eben Caroline Unger) sang V0|.
Tische den ,Wanderer* und das ,Gretchen^ von Schubert hinreissend schön. Es
rollte wirklich tragisches Blut in den Adern dieses Weibes. Sie Hess in ihrem Ge.
sänge ein singendes Gewitter von Leidenschaft auf mein Herz los. Sogleich erkannte
ich, dass ich in einen Sturm geraten; ich kimpfte und rang gegen die Kraft ihrer
Töne, weil ich vor Fremden nicht so gerührt erscheinen mag, umsonst, ich war ganz
erschüttert und konnte es nicht verhalten. Da fasste mich, als sie ausgesungen, ein
Zorn gegen das sieghafte Weib und ich trat ins Fenster zurück; sie aber folgte mir
nach und zeigte mir bescheiden ihre zitternde Hand, wie sie selbst im
Sturm gebebt** ... Und an anderer Stelle beisst es: »Caroline ist ein wunderbares
Weib. Nur am Sarge meiner Mutter habe ich so geschluchzt, wie an jenem Abend,
als ich die herrliche Künstlerin in ,Belisario' gehört hatte ... Ich freue mich ihrer
Freundschaft, denn sie ist, was ich ihr auch sagte, eine der höchsten Naturen, die
wir auf Ehren zu verehren haben ... Ich wünsche, dass sie, wie sie sich vorgenommen,
in einigen Jahren sich dem deutschen Schauspiel zuwendete; da wire es eine Freude,
ein Trauerspiel für sie zu scbreiben.** Der Dichter hat die Singerin auch heiraten
wollen. Sophie Loewenthal, seine verheiratete Freundin, hat ihm die Sache aus-
geredet und obwohl die Singerin den Dichter geliebt hat und die seine werden wollte,
Hess sich der haltlose Dichter von seiner Freundin doch zum Verzicht bewegen.
Zwei Lieblinge des deutschen Volkes haben den Lebenspfad der genialen Frau gekreuzt,
wenngleich der bedeutendere nur flüchtig, und doch wird es genügen, um das An-
denken an die geniale Frau wachzuhalten. So lange die Welt sich an der »Neunten
Symphonie* begeistern wird, wird man auch der Frau gedenken, die dem Schöpfer
derselben ermöglicht hat, wenigstens zu sehen, welchen Eindruck sein Werk auf die
Zeitgenossen ausgeübt hat
BÜCHER
4. Hugo Riemana: Grosie Kompotliionilebre. II. (votleiiier) Band. Der
polyphone Sitz. (KontTapualcl, Fuge, Kidod). Verlag: Speroann 1903, Berlin
und Stuttgart.
Daa Von von ^vlel Liebt und viel Schatten" mu« man auch für dleaea Buch
Riemanna Indern In: ein Meer von Licht und eioielne, f&r daa Game belangloae,
achvarze Punkte. Zu den letzteren lible Ich, wie in den meisten seiner Terkc, einige
PhraaierungsbeieichnuDgen, in denen kongruente Stellen so verachleden anfgefaut sind
(statt gleichfalls kongruent), dass Ihre Richtigkeit vohl keinem zweiten Menschen auf der
ganzen Telt einleuchten mag. Befremdend wirkt der heftige Ausfall gegen die Stelle aus
Brückners Tedeum .In te dominum". Teno sie gegen alle Regeln der Fuge verstSsst, so
ist eben es keine Fuge; die Etikette Ist doch bei einer so wundervollen Tirkung benllch
gleichgültig. Und Im übrigen ist RIemaan auch gerade dadurch so gross, dass er trotz
seiner Immenien Gclehnbelt fast nie zum Schulmeister wird. Die Inanspruchnahme der
ausschliesslich ungeraden Taktart für die Psssacaglla dürfte sich nicht festhalten lassen.
Das Buch iit auch für interessiene Nlchtmualker eine Gabe ersten Ranges. Tenn
sie einzelne didaktischen Detail-Exkurse auslassen, so haben sie eine Reibe Intimer
zwangloser .conf6rences' aua der Musikgeschichte, die an Reiz schwerlich Ihresgldcben
Bnden. Dass auch der Fachmann unendlich viel aus Ihnen lernen kann, Ist selbstve^
sUndlicb. Aub Innigste zu wünschen aber ist diese Lektüre besonden lenea Vllden, für
die die wahre Musik erat mit der neunten Symphonie beginnt. Dr. M. Stelnltier.
5. Herniann Ritter; Allgemeine Illustrierte Eniyklopldle der Musik-
geachichte. Band 3, 4, 5 und 6. Verlag: M» Schmilz, Leipzig.
Von Ritters Enzyklapidle liegen nunmehr alle sechs Binde vor. Das Terk Ist
vollstiodig. Zunichst eine Obersicht über den Inhalt des 3. bis 6. Bandes : Der dritte
Band behandelt .Die Musikcotwicklung auf dem Boden von Italien, hervorgerufen durch
die Renaissance" (Rom, die zwei ven et i mischen Schulen, Florenz, die beiden neapolita>
n Ischen Schulen, Italleoiscfae Theoretiker vom 15.— 17. Jahrb., Entwlckclung der sbsoluien
Instrumentalmusik vom 16. Jahrhundert an, Teltherrschaft der Italienischen Oper und
der italienischen Musik überhaupt bis ins 19. Jahrhundert). Der vierte Band befsssl
sich mit der Entwicklung der Musik In Deutschland: er behandelt zunichst die Ent-
wicklung der deutschen Musik von der Refonnatioo bis zu J. S. Bach und in einem
zweiten Teil Bach, Hindel, Gluck, Haydn, Mozart und Beethoven. Ein Anhang birgt
die Namen von Theoretikern des 17. und IS. Jahrhunderts und von narohatlen
Musikern der zweiten Hlifte des 18. und der ersten Hüfte des 19. Jahrhunderts. Im
fünften Band werden behandelt die Hauptvertreter der Musik des 19. Jahrhunderts auf
deutschem Boden (Schubert,Spohr, \Feber,Mendelssohn, Schumann, Brabms, Chopin, Rubin-
stein, Berlioi, Liszt, Tagner); femer ,Das deutsche Lied und das Melodrama*; auch hier
ein Anhang, der namhafte Musiker des 19. Jahrhunderts enthilt. Endlich der sechste
Band: .Die Musikentwicklung ausserhalb Deutschlands und Italiens". TIr erhalten hier
die Hauptdaten der Mnsikentwicklung in Frankreich, Britannien, Polen, Russlaod, BShmen,
129
BESPRECHUNGEN (BÜCHER UND MUSIKALIEN)
__. u
Skandinavien, Ungarn (dabei die Zigeunernittsik), Holland, Spanien und Portugal. Zwei
recht interessante Abschnitte handein ferner fiber die Musik in den Alpen und über die
Musik der Chinesen. Ein Anhang entfallt Schlussfragen und Antworten und eine Schluss-
betrachtung: »Ober Musik und Musikentwicklung**. Jeder Band entfallt eine ausfufar-
licfae, sefar reicfafaaltige und übersicfatlicfa angeordnete Bibliograpfaie am Scfaluss; der
seefaste Band besitzt ausserdem ein sorgflltig angelegtes Gesamt-, Namen- und Sacfa-
register über den Infaalt aller secfas Binde. — Von wenigen Einzelfaeiten abgesefaen, llsst
sicfa über das Werk nur Lobendes und Anerkennendes sagen; es wire kleinlich, wollte
man dem Verfasser Vorwürfe machen, weil er bei der Bearbeitung des ungeheuren
Stoffes ein oder das andre mal zu kurz dargestellt oder geurteilt hat. Das ungefaeure
Material ist übersicfatlicfa befaandelt, die scfawierige Form der katecfaetiscfaen Frage und
Antwort mit Gescfaick und Erfolg gefaandfaabt worden; was nicfat ausfüfarlicfa in den Haupt-
abscfanitten befaandelt wurde, hat wenigstens in den Anhingen Aufnahme gefunden und das
Generalregister ermöglicht jederzeit ein rasches und sicheres Sicfazurecfatfinden. Viel inter-
essante Einzelfaeiten faaben ifar Plltzcfaen in den einzelnen Kapiteln gefunden und man
kann wofal sagen: die Enzyklopidie wird dem Scfaüler zu Zwecken des Studiums, dem
Lefarer als Lefar- und Hilfsbucfa beim Unterricfat, dem Musikfreund als erftriscfaende
Lektüre, dem gebildeten Laien als Orientieningswerk gleicfa grosse Dienste leisten. Wie
das Gescfaick, so ist aucfa der Fleiss des Verfassers bedingungslos anzuerkennen: er bat
eine Bienenarbeit vollbracfat, die ifam nicfat jeder nacfamacfaen kann. — Die Ausstattung
der Binde ist ganz besonders zu loben; sie sind elegant und faandlicfa; der Reicfatum an
Illustrationen und Scfarift- und Notenbeilagen ist verblüffend; namentlicfa die Titelbilder
der einzelnen Binde sind gut ausgewifalt und verleifaen der Arbeit aucfa den Wert
eines an Anscfaauungsmaterial reicfaen Werkes. Dr. Egon von KomorzynskL
6b Adolph Carpe: DerRfaytfamus. Sein Wesen in der Kunst und seine Bedeutung
im musikaliscfaen Vortrage. Verlag: Gebrüder Reinecke, Leipzig.
Der Titel verspricfat mefar als das Bucfa entfallt. Es faltte etwa benannt sein
können: Der Rfaytfamus in der Klaviermusik und im KlavierspieL Die allgemeinen
theoretiscfaen Ausfüfarungen des Verfassers sind etwas weitscfaweifig und nicfat ftrei von
überflüssigen Polemiken gegen ungenannte »Herausgeber* oder »Pianisten**. Entweder
man nennt das Kind beim recfatea Namen, oder man nennt*s gar nicfat. Gern folgt man
dagegen dem Verfasser überall, wo er sicfa an das praktiscfae Beispiel fallt. Er zeigt sicfa
faier als ein gediegener Kenner der Klaviermusik und seine Bemerkungen sind zutreffend
und feinsinnig. Aucfa die rfaytfamiscfaen Übungen, die er angibt, sind sefar gut. So darf
das Bucfa als ein rfaytfamiscfaes Vademecum für Pianisten empfofalen werden. Sie werden
vieles darin finden, was ihnen für die Praxis nützlich sein wird. Dr. G. Münzer.
MUSIKALIEN
7. Orehesterwerke des 17. Jahrhunderts. 1. Journal du Printemps von J. C.
F. Fischer. 2. Zodiacus von J. A. S.*) Herausgegeben von Ernst von
Werra. Denkmiler deutscher Tonkunst. Erste Folge. 10. Band. Verlag:
Breitkopf & HIrtel, Leipzig.
Dem oft beklagten Mangel, dass unter den neueren Publikationen literer Tonwerke
gerade die historiscfa so wicfatige Instrumentalmusik der zweiten Hllfce des 17. Jafar-
faunderts bisher so dürftig vertreten war, hilft die Verüffentlichung des Journal du
Printemps von Jofaann Caspar Ferdinand Fiscfaer und des Zodiacus von J. A. S.
durcfa Ernst von Werra im 10. Band der ersten Folge der Denkmiler deutscher Tonkunst
*) Nicfat D. A. S., wie irrtümlicfaerweise auf dem Titelblatt des Bandes stefat.
III. 2. 9
130
DIE MUSIK III. ^
in dankenswert erfreulicher Weise ab. Wihrend bis vor kurzem einzig Georg Muflbts
Florilegien (Denkmiler der Tonkunst in Österreich 1,2 und 11,2) an Streich-Instrumental-
musik aus jener Zeit im Neudruck vorlagen, lernen wir jetzt zwei neue wichtige Ver-
treter der Vor-Bachischen Orchestersuiten-Komposition kennen. Biographische Daten
Qber J. C. F. Fischer fehlen fast vollständig. 1605 ist er bereits Hofkapellmeister des
Markgrafen von Baden-Baden (Titelblatt des Journal du Printemps). Sein »Musikalischer
Pamassus'' ist der 1726 geborenen Markgrifin Elisabeth gewidmet, also wohl kaum vor
das Jahr 1738 zu setzen. 1606 weilt Fischer mit dem durch die Franzosen (1680) aus
seiner Residenz vertriebenen Markgrafen zu Seh lacken werth in Böhmen (Titelblatt der
„Pikees de Claressin"), wo er, wie es scheint, bis in das erste Dezennium des 18. Jahr-
hunderts geblieben ist. 1720 und 1733 finden wir ihn in Rastatter PfarrbOchern als
Trauzeugen verzeichneL Am 27. Mirz 1732 stirbt seine Gattin, und noch 1738 taucht
sein Name ohne den Zusatz p. m. (piae memoriae), also als der eines noch Lebenden
auf. Sein Todestag ist vielleicht der 27. Mirz 1746 (Casparus Fischer ohne weitere
Notiz im Sterberegister). Das ist alles. Noch dürftiger ist es um die Biographie des
Anonymus J. A. S. bestellt. Die Vermutung Dr. E. Vogels, dass sich hinter den drei
Buchstaben der Autor der »Ars magna consoni et dissoni" (1603; Johann Speth verberge,
hat sich als unbegründet herausgestellt. Dagegen wurde wenigstens der Name des Kom-
ponisten J. A. Schmierer oder Schmicerer neuerdings durch Dr. Albert Göhler aus gleich-
zeitigen Frankfurter und Leipziger Messkatalogen eruiert. Der 2. Teil des Zodiacus, den
der Frankfurter Fastenmesskatalog von 1710 anzeigt, ist bis heute nicht wieder aufgefunden
worden. Dr. Göhlers Schluss aus der Angabe von Augsburg als der Verkaufsstelle fQr
den Zodiacus auf Augsburg als die Heimat bezw. den Wohnort Schmierers vermag Ernst
von Werra bei der damaligen Wichtigkeit der Fuggerstadt für den süddeutschen Musik-
bandel und Musikverlag nicht beizutreten. Fischers »Journal'' ist geschrieben für Streich-
quintett (2 Violinen, 2 Violen, Bass) und 2 Trompeten ad libitum, der »Zodiacus" für
Streichquartett (Violine, Violetta, Viola, Violone). Ersteres enthilt 8 Suiten (Partien)
von 4 bis zu 8 Sitzen, letzteres deren 6 von 8 Sitzen (mit Ausnahme der 7 sitzigen No. 3).
Bei Fischer wie bei Schmierer wird die Suite regelmässig eröffnet durch eine Ouvertüre.
Ober den musikalischen Wert der beiden Werke sei es mir gestattet, Dr. Karl Nef, einen
der besten Kenner der Instrumentalmusik dieser Periode, zu zitieren. Er sagt über das
Journal (Zur Geschichte der deutschen Instrumentalmusik in der 2. Hüfte des 17. Jahr-
hunderts): »Frische und Natürlichkeit sind seine Hauptvorzüge. An musikalischer Be-
deutung kommt das Journal du printemps den Florilegien MufTats zum mindesten gleich.
Muifat schreibt kunstvoller, Fischer ist ihm überlegen in prägnantem und charakteristischem
Ausdruck. Erst kürzlich hat M. Seiifert Fischer als einen unmittelbaren Vorläufer Job.
Seb. Bachs in der Klavierkomposition nachgewiesen. Mit gleichem Recht kann man ihn
auch einen Vorläufer des grossen Thomas-Kantors in der orchestralen Suitenkomposition
heissen.* Und über den Zodiacus (a. a. O.): ajedenfalls war der Autor ein bedeutender
Komponist. Sein Werk ist reich an musikalischer Erfindung und birgt eine Menge echter
Charakterstücke in gefälliger Form. Man wird hier, wie bei Fischer, an den später
lebenden Job. Seb. Bach erinnert . . . Auch die Ouvertürenform behandelt J. A. S. geist-
voll und mit künstlerischer Freiheit ... Ich glaube, dass das Werk heute noch lebens-
fähig wäre, ganz abgesehen von seinem grossen historischen Werte.* Wenn Nef demnach
den J. A. S. fast über Fischer setzen zu wollen scheint, so ist dem gegenüber mit dem
Herausgeber zu betonen, dass schon in bezug auf Gewandtheit, Reinheit und Klangfülle
des Satzes der badische Hofkapellmeister seinem Zeitgenossen weit überlegen ist. Die
Unsauberkeit und Nachlässigkeit im Satze, die für unsere modernen Ohren bei J. A. S.
doch recht fühlbar hervoitritt, könnte sogar auf die Vermutung hinleiten, dass er kein
Fachmusikery sondern ein besserer Dilettant (etwa vom Schlafe Ronsseaus) gewesen sein
möchte. Die Herausgabe der beiden Werlce bat Ernst von Werra, soweit sich ohne
deuillierte Nachprüfung urteilen lisst, mit Sorgfalt und guter Sachkenntnis besorgt
Druckfehler sollten in Monumentalausgaben, wie den Denkmilern deutscher Tonkunst,
nach Möglichkeit vermieden werden. Dass gar das Titelblatt des Bandes beim Autor
des Zodiactts die Initialen falsch (D. A. S. statt J. A. S.) angibt, bitte nicht vorkommen
dQrfen. Dr. Rudolf Louis.
8. Max Reger: op.63. Monologe. (ZwölfStQcke für Orgel.) Verlag: E. P.C. Leuckart;
op. 65. Zwölf Stücke für Orgel. Verlag: E. F. C. Peters; op. 67. Zwei-
undfünfzig leicht ausführbare Vorspiele für die Orgel zu den
gebriuchlichsten evangelischen Chorilen; op. 60. Zehn Stücke für Orgel.
Verlag: Lauterbach & Kuhn, Leipzig.
Max Reger. Freilich wird seine künstlerische Betitigung in ihrem gesamten
Umfang noch nicht allgemein anerkannt. Doch seine Orgelwerke gewannen ihm die
Anerkennung und Bewunderung der Besten unserer Zeit. Die drei Sammlungen von
Orgelstücken (op. 63, 65 und 60) beweisen wiederum und im verstirkten Masse die nicht
mehr abzuleugnende, schier unübertreffliche Meisterschaft seiner kompositorischen
Technik. Ist an und für sich diese Tatsache ein erfreuliches Moment, so wichst die
Bewunderung für solches Können mit der Erkenntnis, dass hier die schwierigsten Formen
allein als Mittel zum Ausdruck, nicht als Selbstzweck angewandt sind. Nicht der .Ton-
Setzer*, sondern der Stimmungskünstler in Reger zwingt zur Bewunderung. Das
psychische Empfinden, das in diesen Tönen zum Ausklang kommt, ist fk^ilich für
unsere Tage so unzeitgemiss, als eben möglich. Ein Revenant aus jener Zeit, da nach
den Greueln des dOjihrigen Krieges unser Volk das Lachen verlernte, spricht in einer
schwermütig lastenden Sprache zu uns. Will er die Schönheit des Lebens schildern, so
geschieht es in schwerer Grandezza; ein letzter Schimmer von der güldenen Pracht des
firfihen Barock leuchtet auf. Vill er scherzen, so verzerrt bittere Ironie den Scherz zur
grimmen Satire. Von ringenden Mühen und schmerzenden Kämpfen sprechen herbe
Klinge, mühvoll schleichende Melismen, wie sie ihnlich kein andrer vordem gefunden
hat. Die Erfüllung des Daseins kann ein solcher Geist in diesem Leben nicht erblicken.
Ein Jenseits voll seliger Freude, wie es Christi Kirche verspricht, gibt den Bedringten
dieser Erde himmlischen Ersatz. Das eigene Innenleben führte den Künstler immer
wieder dazu, nach seinem Vermögen dem religiösen Gedanken zu huldigen, der Kirche,
dem Triger solcher Welunsicht, zu dienen. So entstanden die „52 Chocalvorspiele*
(op. 67)! — Reger übergibt den deutschen Organisten mit dieser Sammlung ein Choral-
werk, wie es seit dem Jahrhundert Johann Pachelbels, seit dem Wirken Job. Seb. Bachs
nicht wieder geschrieben worden ist. Trotz Brahma I — Die »Elf Choralvorspiele* in
hohen Ehren, — jedoch es sind religiöse Studien eines Weltkindes, hochbedeutsame
Versuche des grossen Meisters auf einem der Gesamtrichtung seiner Entwicklung femer-
Megendem Gebiete. Regers Vorspiele dagegen, herausgewachsen aus dem kirchlichen
Empfinden, gehören in den sonniiglichen Gottesdienst. Erst an solcher Stelle, in solcher
Anwendung, wird der Stimmungsreiz dieser wundervollen Kunstwerke zum vollen Erblühen
gelangen. Was Reger sagen will, das bringt sein Stil restlos zur Darstellung. Wie stets
in seinen Orgelkompositionen benutzt er die Formengebung der ilteren Meister. Nur einmal
könnte an eine Kopie von: »OWelt ich muss dich lassen** in Brahma' Fassung gedacht
werden. Es ist deshalb wohl notwendig, ausdrücklich festzustellen, dass Regers Vorspiel
zu dem gleichen Choral vor der Hetausgabe des Brahmsschen Werkes konzipiert und
niedergeschrieben war. Jedes einzelne der ^orliegetden Werke ist neuer Beweis für
die eine Tatsache, dass fA^x Reger unstreitig der erste unter den modernen Oigel-
9»
132
DIE MUSIK 111. 2.
komponisten ist. Es ist Pflicht, insbesondere der deutschen Orgsnistenwelt, durch ein
gründliches Studium der Werke, durch ein liebevolles Einleben in des Meisters Wesensart,
sich dieser imponierenden Kunstlererscheinung würdig zu erweisen.
Karl Straube.
9. Collegium musicuin. Auswahl ilterer Kammermusikwerke für den praktischen
Gebrauch bearbeitet und herausgegeben von Prof. Dr. Hugo Rie mann.
Nr. 1—6, 8 und 19. Verlag: Breitkopf & HIrtel, Leipzig.
Die sechs ersten Hefte dieser Sammlung, deren Klavierstimmen je 3 Mk., Streich-
stimmen je 60 Pf. leider kosten, bilden die 6 Orchestertrios fQr 2 Violinen, Violoncello und
Basso continuo op. 1 von dem Mannheimer Johann Stamitz (1717—1757), den Riemann
sehr verdienstlicherweise als Vorläufer Haydns als Symphoniker aus der unverdienten
Vergessenheit gerissen und auch in seiner grossen Kompositionslehre vielfach zitiert hat.
Diese Orchestertrios, die sich auch zur Not von 3 Streichinstrumenten allein ohne den
nach dem Continuo vom Herausgeber mit bekannter Sorgfalt bearbeiteten Klavierpart
spielen lassen, enthalten fast durchweg ganz prichtige Sitzchen, die für erste En-
sembleübungen wie geschaffen sind und bei ScbüleraufFubrungen ganz vorzüglich ver-
wertet werden können. Weit interessanter und musikalisch wertvoller erscheint mir
No. 8, ein viersitziges Trio in d-moll für Violine, Viola und Basso continuo in Kanon-
form von Johann Fried r. Fasch (1668—1758), keine blosse Spielerei mit der Form,
sondern ein Musikstück, das sehr wohl unter der Flagge Joh. Seb. Bachs segeln könnte
und das auf weitere Werke Fascbs, die Riemann in Aussicht genommen (darunter ein
Streichquartett!), sehr gespannt macht Dagegen kann ich nicht finden, dass die Heraus-
gabe des zweisitzigen D-dur-Trios für Klavier, Violine und Violoncello von Joh. Chr.
Bach (1735—1782) unbedingt notwendig war; die Violoncellstimme dient übrigens hier wie
auch noch in den Haydnschen Klaviertrios nur zur Verstirkung des Klavierbasses, so dass
das Werk als Duo für Klavier und Violine gespielt werden kann.
10. Ernst von Dohnanyit op. 7. Quartett (A-dur) für 2 Violinen, Viola und Violon-
cell. Verlag: L. Doblinger, Wien.
Als seinerzeit dieses Quartett von Joachim aus dem Manuskript gespielt wurde,
habe ich nicht (vergl. »Die Musik** Jahrgang 1, 1504) denselben günstigen Eindruck gehabt
wie jetzt, nachdem ich das Werk wiederholt selbst gespielt habe; möglich, dass der
Komponist es mittlerweile umgearbeitet hat. Dass er unter dem besonders im ersten
Satz bemerkbaren Einfluss von Brahma schreibt, mache ich ihm nicht zum Vorwarf,
um so weniger, als er auch viel Eigenartiges gibt; so ist z. B. das reizende Intermezzo
in bezug auf Harmonik und Klangwirkungen ein Unikum. Auf letztere versteht sich der
Komponist überhaupt sehr; trotzdem er Klavierspieler ist, weiss er die Streichinstrumente
aufs beste auszunutzen. Der langsame, gedankenreiche Satz ist von edler Melodik. Der
erste zeichnet sich durch vortreffliche Stimmführung aus; interessant ist gegen den
Schluss die Stelle, wo der 3/4 Takt stindig mit dem 4/4 wechselt. Den letzten Satz kann
nur ein Ungar geschrieben haben; famos macht sich der öfters angewandte Orgelpunkt.
Hinsichtlich der kontrapunktischen Arbeit ist dieses Quartett sehr gelungen. Wegen seines
Gedsnkeninhalts und seiner prichtigen Klangwirkungen sei es aufs nachdrücklichste allen
Quartettfreuoden und vor allem auch zur öffentlichen Vorführung empfohlen.
11. Jan Brandts Buys: Quintett (D-dur) für Flöte, zwei Violinen , Viola und
Violoncell. Verlag: Ludwig Doblinger, Wien.
Kein Satz dieses in klanglicher Hinsicht wohllautenden Quintetta trigt eine
Tempobezeichnung, Jeder eine Oberschrift, nimlich Satz 1 : „Und es waren Hirten auf
dem Felde, die hüteten dea Nachts ihre Herde; 2: Und siehe I Diesen erschien ein
Engel des Herrn; ein göttlicher Lichtglanz umleuchtete sie; 3: Und es kamen die Weisen
133
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
vom Morgenlande, um das Kindlein anzubeten; 4: Ich verkündige euch eine grosse
Freude, denn heute ist euch der Heiland geboren.** Was Haydn seinerzeit fQr die Passion
Christi (Streichquartett: Die sieben Worte des Erlösers) versucht hat, unternimmt
Brandts Buys also für die Geburtsgeschichte des Heilands. Am wenigsten ist ihm dieser
Versuch im Finale gelungen, das sehr wenig innerlich und beinahe gewöhnlich in der
Melodik ist Gut getroffen ist der pastorale Charakter des ersten Satzes, der freilich
keine Probe eines starken Talents ist. Ein hübsches, durch Klangelfekte ausgezeichnetes
Scherzo ist der zweite Satz, aber von einem göttlichen Lichtstrahl ist nicht allzuviel zu
verspüren. Ebenso ist der dritte (langsame) Satz an sich ein schönes Musikstück, das
auch den ersten Teil des Programms durch eine Art Marsch deutlich illustriert.
12. Leone Sinigaglia: op. 20. Konzert für Violine und Orchester. Ausgabe für
Violine und Pianoforte. Verlag: Breitkopf & HIrtel, Leipzig.
Gelegentlich der Vorführungen dieses Konzerts aus dem Manuskript durch Arrigo
Serato ist es von verschiedener Seite in der »Musik** rühmend erwähnt worden. Es
ist jedenfalls ein in grossem Zuge und symphonischem Stil angelegtes Konzert, nicht
übermissig schwer und durchaus vioiingerecht geschrieben. Dadurch, dass es in die
Volksausgabe Breitkopf au^enommen ist und nur 6 Mk. kostet, dürfte es der Verbreitung
sicher sein. Seine Vorführung wird immer Interesse erwecken. W. A.
13. Ludwig ThuiUe: Traumsommernacht, für 4stimmigen Frauenchor, Solo-
Violine und Harfe (oder Klavier) op. 25; Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
Das Bierbaumsche Gedicht ist schon halb Musik und wenn ein Musiker wie Thuille
die Noten dazu setzt, dann kann der Erfolg nicht ausbleiben. Das prächtige Stimmungs-
bild, nur durch die systematischen Wiederholungen der zweitaktigen Motive etwas all-
zusehr erweitert, wird viele Verehrerinnen finden. Thuille ist durch sein Bliser-Sextett
und mehrere Opern rasch zu einiger Berühmtheit gelangt. Möchte er in ruhigem Schaffen
und wohlerwogenem Herausgeben nur seiner besten Schöpfungen bald in die erste Reihe
unserer Tonkünstler treten — fembleibend den spekulativen, nur die rasche Ausbeutung
ins Auge nehmenden Anerbieten einiger Verleger, wodurch schon mancher den höchsten
Zielen zuschreitender Gutschreiber zum Vielschreiber geworden ist.
14. Hans Koesslerx Der 46. Psalm (Gott ist unsre Zuversicht und Stirke) für
Doppel-Soloquartett und Doppelchor (16 stimmig, a cappella); Verlag: Süd-
deutscher Musikverlag, Strassburg i. E.
Hans Koessler — laut Aufdruck auf den uns vorliegenden drei Werken „ordent-
licher Professor an der Königl. Musikakademie in Budapest" — (auf Brahmsschen und
sonstigen Meisterwerken fanden wir Ihnliche Personalien just nicht!) — wird in letzter
Zeit als Verfasser von Kirchen- und Kammermusik oft genannt. Mit der Herausgabe
seines „46. Psalm'' hat die Verlagsflrma dem Autor wohl eine Freude bereitet, und zu-
gleich ein grosses finanzielles Opfer gebracht, da erfahrungsgemiss solche Werke, auch
wenn sie noch so vortrefflich sind, keinen nennenswerten Absatz finden. Die Erfindung
in diesem 46. Psalm dünkt uns hinter der Mache erheblich zurückgeblieben zu sein und
wenn bei einer, nur mit immensen Schwierigkeiten verbundenen Aufführung, sich die
vom Autor erhoifte Wirkung auch tatsichlich ergibt, so verdankt er das wohl haupt-
sichlich seiner unverkennbar dramatischen Begabung. Erstklassige Vereine, die einen
Versuch wsgen sollten, wollen sich vorher an die Verlagshandlung wenden mit der An-
frage, ob auch Stimmen des Werkes zu haben sind — die Partitur enthält diesbezüglich
keinerlei Vermerk.
15. Bernhard Scholz: Deutsches Flottenlied für Minnerchor op. 86; Verlag:
Gebrüder Hug & Co., Leipzig und Zürich.
Das 9 Deutsche Flottenlied" von B. Scholz (dem Kölner Minnergesangverein ge-
134
DIE MUSIK III. 2.
widmet), den charmanten Text musikalisch in vortrefflichster Weise illustrierend, wire
als Meistersang, als aufgegebener Chor beim Franl^furter Kaiserwettstreit der Aufführung
wert gewesen. Technisch nicht leicht, aber auch die Grenzen der Leistungsflhigkeit
nirgends überschreitend, wire dieser Komposition, bei obigem Feste gewihlt — mm
mindesten bitte der genannte Verein die Verpflichtung zur Aufführung gehabt — ein
dauernder Repertoire-Erfolg beschieden gewesen. Fritz Baselt
16. Ernst Ed. Taubert: Vier Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des
Pianoforte. op. 62. — Vier Lieder für eine Singstimme mit Begleitung
des Pianoforte. op. 64. Verlag: Ries & Erler, Berlin.
Als op. 62 und 64 hat E. E. Taubert eine Anzahl klangschöner Lieder heraus-
gegeben. Wenn auch an Erfindung nicht durchaus gleichwertig, haben diese Gesinge
doch so viele Vorzüge, dass wohl Jedes einzelne des Empfehlens wert ist. Besonders
glücklich war der Komponist in der Vertonung der Dichtungen »Das Lied vom deutschen
Schmied** von Conrad Ferdinand Meyer und „Weltflucht* von Georg Busse- Palma.
Kraftvolle Erfindung, sowie technische Ausarbeitung vereinigen sich mit der poetischen
Grundstimmung in glücklicher Weise.
17. W. Heinemaiin: Spazierginge durch Wald und Flur. Klavierstücke zu vier
Minden für die Jugend. — Sechs Klavierstücke, op. 2. — Sechs
Lieder für eine mittlere Singstimme mit Begleitung des Pianoforte. op. 7.
— Sechs Kinderlieder mit Klavierbegleitung, op. 8. — Dieselben zwei-
stimmig. — Sechs Kinderlieder für Mezzosopran mit Klavierbegleitung,
op. 6. — Kinderlieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, op. 9.
— Vier Gesinge mit Klavierbegleitung, op. 12. Verlag: Heinrichshofen,
Magdeburg.
Wilhelm Heinemann kultiviert mit Vorliebe das leicht graziöse Genre. Mit seiner
flüssigen Melodik, seinem vortrefflichen und wohlklingenden Klaviersatz, seiner formalen
Geschicklichkeit eignet er sich hier ebenso gut wie für den tindelnden Ton der Kinder-
lieder. Manch glückliche Eingebung ist ihm da gekommen. Die paar Anliufe,*auch mit
Ernst und sogenannter geistigen Vertiefung aufzuwarten, stehen ihm nicht zu Gesicht
Wozu denn die Selbstverleugnung?
18. Emil S^hting: Weihnachtslied für eine Singstimme mit Klavier oder Har-
monium, op. 31. — Dasselbe für zwei Singstimmen mit Klavier. Verlag:
Carl Simon, Berlin.
Söchtings »Weihnachtslied* trifft in seiner natürlichen Anspruchslosigkeit den
schlichten Volkston sehr gut.
19. Josef Reiter: Des Singers Fluch. Ballade für eine mittlere Stimme mit
Pianoforte. — Frau Hitt. Ballade für eine mittlere Stimme mit Pianoforte.
Verlag: Th. Rittig, Leipzig.
Josef Reiter versucht in diesen Balladen Loewesche Pfade zu wandeln. Vergeb-
liche Liebesmühe. Weder bezüglich der melodischen Erfindung noch der musikalischen
Charakterisierung des Stoffes weiss er zu interessieren. Mit dem »wie er sich riuspert
und wie er spuckt* ist es noch lange nicht getan. Zu solchen Aufigaben gehört doch
mehr Talent, als es Josef Reiter aufzuweisen vermag.
20. Oskar Wermann: Neun Gesinge für eine Singstimme mit Begleitung des
Pianoforte. op. 125. Verlag: J. Rieter-Biedermann, Leipzig.
Die Bahnen, auf denen sich Oskar Wermann in seinem op. 125 bewegt, sind von
altersher schon so weit ausgetreten, dass man sich unmöglich an irgend einer Ecke oder
sonstigen Holprigkeit stossen kann. Die Lieder sind mit ihrer glatten Faktur gut gemeint
und wohlklingend, ohne jedoch ein tieferes Interesse zu erregen. Adolf Göttmsnn.
135
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
21. Julius Klengel: Konzert No. 4 (h-moll) für Violoncell und Klavier; Kadenz
undSchiusa zum Violoncell-Konzert op. 33 von Robert Vol km an n; Tech -
nische Studien durch alle Tonarten für Violoncell; Suite No. 2 (a-moll)
op. 40 für Violoncell und Pianoforte. Verlag: Breitkopf & HIrtel, Leipzig.
Wie die anderen Konzerte des berühmten Cellomeisters bietet auch dieses vierte
dem Spieler schwierige, aber nicht unlösbare technische Probleme und Gelegenheit zur
Entfialtung eines gesangvollen Tones. Noblesse, Formenschönheit und flüssige Arbeit
zeichnen dieses Werk in jeder Hinsicht aus. Dass Klengel sich zur Herausgabe der
Kadenz zum Volkmannschen Konzert entschloss, kann nicht hoch genug angerechnet
werden, denn die Kadenz ist ein Meisterstück in ihrer Art. Zu ihrem Ruhm brauche
ich nichts mehr zu sagen, denn ihre Vorzüge sind schon seit Jahren durch den prak-
tischen Gebrauch bekannt. Die zweite Suite wahrt gleich der ersten op. 1 die antike Ein-
fiichheit und kann zum Studium empfohlen werden. Ebenso die «Technischen Studien**,
die Tonleitern durch ein, zwei und drei Oktaven, nebst Akkorden und gebrochenen
Terzen enthalten und dem Fleisse des Spielers die mannigfaltigsten Variationen bieten.
22. Riehard Franck: Sonate No. 2 (es-moll) für Violoncello und Klavier, op. 36.
Verlag: Schlesingersche Buchhandlung (R. Lienau), Berlin.
Diese Sonate bedeutet einen unverkennbar grossen Fortschritt gegen seine erste,
an dieser Stelle besprochene. Es ist ein tiefempfundenes Werk, das überall ernst zu
nehmen ist Die ersten beiden Sätze enthalten das Wertvollste, der letzte Teil verliert
sich allzusehr ins Chromatische, abgesehen von einem reizenden kleinen, hinein-
geworfenen Andante. Oberall zeigt der Komponist sich als ein Meister des Ausdrucks
und der Technik, und überall bemerkt man eine selbständige Natur. Freilich leicht ist
das Werk nicht zu spielen, die zum Studium aufgewandte Mühe wird sich aber lohnen.
23. Julius Röntgen: Sonate (a-moll) für Violoncello und Klavier, op. 41. Verlag:
A. A. Noske, Middelburg.
Der Sonate ist in erster Linie nachzurühmen, dass sie den Cellopart in dankbarster
Weise behandelt. Der Spieler kann in Tongebung schwelgen, nirgends stört eine spröde
Technik den Wohlklang des Ganzen. Das ist viel wert bei einem Instrument, das in
der Technik so schwer zu wirklichem Klingen zu bringen ist, wie das Violoncell. Auch
sonst bietet die Sonate neben aller flüssigen Arbeit viel melodische Schönheiten und
echte Musik. Temperamentvoll und empflndungswarm gespielt muss sie grossen Ein-
druck machen.
24. Ludwig Thuille: Sonate (d-moll) für Violoncello und Pianoforte. op. 22. Süd-
deutscher Musikverlag, Strassburg i. E.
Ein gross angelegtes Werk. Unverkennbar ist der Schwung, der den beiden Eck-
tltzen innewohnt. Im übrigen werden die guten Einfälle durch allzu verzwickte rhyth-
mische und harmonische Kombinationen leicht verdeckt. Oberall zeigt sich aber der
ernste, dem Trivialen und Gewöhnlichen abholde Musiker. Hugo Schlemüller.
25. Wilhelm Kienzl: Drei Gesänge für eine Singstimme mit Klavierbegleitung.
op. 66. Verlag: Rob. Forberg, Leipzig.
Die drei Gesänge Kienzls sind edel und fein empfunden, zeigen eine glückliche
Verschmelzung des melodischen und deklamatorischen Prinzips und tragen ein vornehmes
harmonisches Gewand. In »Ekstase" ist der dithyrambische Ton der Dichtung recht gut
getroffen. In dem reizvollen „Wiegenlied'' wäre etwas weniger unruhige Modulation zu
wfinschen. Bei dem mehr rezitativisch gehaltenen „Meine Mutter** fällt der Schwerpunkt
in die Klavierbegleitung, die den schmerzlichen Ernst des Gedichts in sprechenden
Harmoniefölgen zum Ausdruck bringt. Dr. A. Schüz.
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart) 1903, No. 19 u. 20. — Ein Aufsatz von Fred
Brandes behandelt das abenteuerreiche Leben des Kapellmeisters und Reformators
des englischen Musiklebens ,Dr. August Friedrich Manns". Originell und in-
teressant sind Camille Mauclairs Gedanken über »Richard Strauss und die Musik
seit Wagner*. Mauclair sieht in dem weit mehr von Liszt und Berlioz als'von
Wagner beeinflusstcn Symphoniker Strauss den Mann der Zukunft; er nennt ihn
»den ersten Deutschen, dessen Name aus dem ungeheuren Schattenkretse hervor-
gegangen ist, den Bayreuth auf das musikalische Deutschland geworfen*. Neue
Wege muss die deutsche Musik wandeln, die wohl am Fuss des Wagnerschen
Kunsttempels vorüber wandeln, aber sich von diesem entfernen. »Das Wagnertum
hat aufgehört, die erste Rolle zu spielen und gehört von jetzt an der Geschichte
an. Ein neues Leben beginnt für die ,men8chliche^ Musik: denn so gross ein
Mensch auch ist, er ist nie eine ganze Kunst für sich allein, und es ist gut, dass
er das nicht isti* Eine kleine gehaltvolle Studie Karl Grunskys behandelt »Hugo
Wolf als Lyriker*; in seinem Artikel ,Hugo Wolf als Kritiker* nimmt Hugo Klein
eine Ehrenrettung vor, indem er zeigt, wie ungerecht es ist, Wolf als Kritiker nur
gehässige Leidenschaftlichkeit zuzuschreiben. Sehr stimmungsvoll ist Adolf Kess-
lers Skizze »Eduard Mörike*, an die sich eine Analyse »Hugo Wolfe Mörike-Lieder*
von G. V. Lüpke anschliesst Ein bisher unbekannter Brief von Wolf an den
ihm befreundeten Rechtsanwalt Faisst in Stuttgart (Wien, 21. April 1808) wird ver-
öffentlicht, in dem es u. a. heisst: »Was die »Verstimmung* anlangt, so steckt
dahinter nichts anders als mein stilles, ruhiges Wesen, was manche Leute be-
fremdend anmutet und als Verstimmung ausgelegt wird. Dass ich Besuche ungern
empfange und Einladungen fast regelmässig ausschlage, auch Besuche in seltensten
Flllen erwidere, das irgert die meisten. Aber ich denke denn doch einmal leben
zu dürfen in der Weise, wie es mir und nicht wie es andern behagt, zumal,
wenn ich mich dabei völlig reserviert halte, um ja niemandem nahezutreten.
Weniger kann man von seinen Mitmenschen denn doch nicht verlangen, als dass
sie einen ungeschoren sein lassen sollen I*
DIE ZEIT (Wochenschrift, Wien) 1903, No. 403. — Batkas Aufeatz »Gerhard
Schjelderup, der Musikdramatiker Norwegens* enthilt einen bedeutenden Hinweis
auf diesen Künstler, von dem Batka u. a. sagt: »Ein Künstlertypus, wie man ihn
sonst kaum findet. Ein tiefer, eingefleischter Idealismus, eine hohe Auffassung
des Kfinstlerberufes ist ihm eigen. Jeder Satz, den er dichtet, jede Note, die er
komponiert, ist mit Herzblut geschrieben, ist Ausdruck des eigenen, bewegten
Seelenlebens ... Er schafft seine Opern nicht als Marktware, sondern für künst-
lerischCy mitempfindende Menschen, er ist ein Aristokrat der Bühne, er hat nichts,
was Massengefühl weckt; und man möchte zuweilen staunend fragen, was einen
so innerlichen Tondichter gerade zur dramatischen, zur theatralischen Gattung
drängte ... Dass er ein echter Künstler ist, dafür möchte ich mich nach dem,
was ich von ihm kenne, verbürgen ... Ich selbst verehre in Schjelderup eine
der reichsten und eigenartigsten künstlerischen Persönlichkeiten der Gegenwart*
137
REVUE DER REVUEEN
ÖSTERREICUISCHE VOLKSZEITUNG (Wien) 1903, No.230. — Ein AuMtzlein
»Eine Erinnerung an Beethoven** von J. Diemberger weist auf das nieder-
österreichische Dörfchen Gneixendorf hin, wo Beethoven Ende 1826 wohnte und
das letzte seiner Streichquartette schrieb. Sein damaliges Wohnhaus ist noch
wohl erhalten, die Gegend einsam und naturprichtig. Der vor wenigen Wochen
in Wien verstorbene »Kaltenbrunner Poldl**, ein Bauer, der als Knabe Beethoven
oft auf Spaziergingen das Notenpspier hat nachtragen dürfen, erinnerte sich bis
in sein Alter noch gar wohl an den Meister.
KORRESPONDENZBLATT DES EVANGEL. KIRCHENGESANGVEREINS
FÜR DEUTSCHLAND igoa, No. 9. — Aus dem Inhalt des Heftes ist be-
sonders der sehr interessante, von O. Köstlin erstattete Jahresbericht des Vor-
sitzenden für das Jahr 1902/3 hervorzuheben.
ALLGEMEINE MUSIKZEITUNG 1903, No. 34/35. - Nach geistvoller Behand-
lung der Musik Aubers und Rossinis und des HierhergehOrigen bei Haydn,
Mozart und Beethoven bricht Camille Bellaigue in dem Schluss seiner Ab-
handlung „Der Esprit in der Musik** in die Klage aus: «Geist Mozarts und Haydns!
Esprit Aubers, Rossinis, ja und auch OfTenbachs! Geist der Verwicklung und
Intrigue, der Beobachtung, der Psychologie und Karikatur; Esprit, der nur ein
Spiel der Töne ist, ein glückliches Schauen der Wesen und Dinge, warum drohst
du in all deinen Formen aus unserer Kunst zu verschwinden?... Die Musik
quilt sich und quilt uns täglich mehr; immer mehr straft sie das Wort des Philo-
sophen Lfigen: ,Was schön ist, ist leicht, und der Genius hat beschwingte SohlenM**
Ausserdem enthält das Heft einen ausfuhrlichen Bericht Ober die MQnchener
Wagner-Festspiele von Otto Lessmann-
PRAGER TAGBLATT 1903, No. 231 und 232. — Hier veröffentlicht Arthur Sei dl
sehr lesenswerte Reminiszenzen unter dem Titel »Meine Erinnerungen an Hein-
rich Porges*. Mehrere Briefe von Porges werden hier gedruckt, aus denen zum
Teil ersichtlich ist, welch ein wagnertreuer Idealist Porges war und wie tiefen
Gemüts.
THE MUSICAL WORLD (London) 1903, No. 8. — Aus dem reichen Inhalt des
Heftes sei ganz besonders der Aufsatz »Richard Strauss, Tschaikowsky and the
idea of death** von Lawrence Gilman hervorgehoben — ein geistvoller Vergleich
zwischen »Tod und Verkllrung" von Strauss und Tschaikowskys »Sinfonie path^-
tique^ Im übrigen enthilt die Nummer die Artikel: „The recent R. Strauss festi-
val in London* von Edwin Evans, »The other aide of music study at Paris* von
Fannie Edgar Thomas und einige bedeutende Aufsitze von aktueller Firbung.
FRANKFURTER ZEITUNG 1903, No. 238. — Edgar Istel handelt hier über »Goethe
und J. F. Reichardt*. Interessant ist es, die ganz verschiedenen Ansichten Goethes
und Schillers in bezug auf Reichardt mit einander zu vergleichen. Goethe war
von Reich rdt entzückt; Schiller sagte von ihm: »Dieser Reichardt ist ein unerträg-
lich aufdringlicher und impertinenter Bursche, der sich in alles mischt und einem
nicht vom Halse zu bringen ist.*
BLÄTTER FÜR HAUS- UND KIRCHENMUSIK 1903, No. 9. - Das Heft ent-
hilt einen gehaltvollen Aufsatz über »Heinrich von Herzogenberg* von Ernst
Rabich, der Herzogenbergs an Leiden reiches Dasein voll Mitgefühls darstellt
und seine Schöpfungen mit Verstindnis würdigt. Einen »Reichen* nennt ihn Rabich:
»Reich an Schaffen, reich an Wissen und Können, reich an Freuden, reich an
138
DIE MUSIK in. 2.
Leiden.** Er stellt sein kirchenmusikalisches Schaffen ganz besonders hoch und
vergleicht seine Lieder sehr hübsch und wohlbegrQndet mit der duftigen Lyrik
Eichendorffs. — Im selben Heft befindet sich eine wertvolle Abhandlung von Els-
beth Friedrichs: „Der ästhetische Wert der Eiementargrössen in der Musik^
In ausfuhrlicher Darlegung wird hier das Wesen der Konsonanz und der Disso-
nanz erörtert. Die Verfasserin emanzipiert sich von der formalistischen Anschauung,
die besagt, durch die erklingende Dissonanz werde die Konsonanz schon in der
Erwartung angeregt. Sie sagt, wenn auch die Konsonanz zweifellos sinnlich an-
genehmer sei als die Dissonanz, so würden für den reflektierenden Geist Konso-
nanz und Dissonanz zu Symbolen eines charakteristischen Wohls und Wehes.
9 Alles Leid, das aus dem Zank, dem Hader, dem Nichtfibereinstimmen mensch-
licher Verhiltnisse entspringt, kann zu einem Gefühl der Bitterkeit und tiefen
Trauer namenlos die Seele füllen — keine Worte, keine Darstellung vermag diese
Stimmung auszudrücken, nur die Dissonanz gibt ihre Eigentümlichkeit wieder.
Für das unnennbare Wohlbehagen und den Frieden, der das menschliche Innere
füllen kann durch völlige Obereinstimmung menschlicher Zustinde, durch gegen-
seitige Zustimmung, durch einigende Versöhnung, ist die Konsonanz das einzige
treffende Ausdrucksmittei. Nicht den einzelnen Vorgang, nicht das einzelne iussere
Ereignis oder das einzelne innere Gefühl stellt sie dar, sondern die mit solchen
Erlebnissen zusammenhingenden Stimmungen regt sie an.** Ausserdem enthilt
das Heft einen Jubillumsartikei Johann Christoph Bach" von Max Pütt mann
und einen Aufsatz über ,,Musikschulen*' von Hans Schmidkunz.
FRANKFURTER ZEITUNG 1903, No. 240. — Felix Weingartners Feuilleton «Die
Zentenarfeier für Hektor Berlioz in Grenoble** enthielt die schönen und wahren
Sitze: ,,E8 ist nun wirklich gut, dass wir Menschen, obwohl die Zeit nach Kants
Lehre nur eine aprioristische Denkform unseres Gehirns sein soll, doch so fest
an der Vorstellung der Zeit hangen, dass der Ablauf eines Sikuiums immer sehr
vernehmbar an unseren Verstand, aber auch an unser Herz und Gewissen klopft.
Minner, deren wir selten oder nie gedenken, werden uns plötzlich lebendig, wenn
ein Gedenktag an sie erinnert, und wir überlegen, wie wir sie feiern sollen.
Empfinden wir nur schuldigen Respekt vor ihrem Wirken, so gleicht die Feier
einer Seifenblase, die uns für eine kurze Spanne Zeit leuchtende Farben vortiuacht,
um nachher in graues Geriesel zu zerstieben. Sind aber lebendige und Leben
spendende Werke vom Gefeierten ausgegangen, denen keine Spur des Alters an-
haftet, so glinzt ein flammendes Feuerzeichen weithin hell durch die Lande und
Tausende blicken staunend darauf hin.**
OSTDEUTSCHE RUNDSCHAU (Wien) 1903, No. 247. — Der Aufeatz »Herman
Zumpe t* von Richard Braungart lobt namentlich Zumpes »angeborene Neigung
zum Pathetischen und zum Grosszügigen** und seine ,,al fresco-Gestaltung'' und
verbreitet sich besonders über Zumpes kompositorische Titigkeit.
BRESLAUER ZEITUNG, 1903, No.628. — .Herman Zumpe f« von Eduard Engels
— eine ergreifende Darstellung des Ringens und Kimpfens dieses Lebens. »Sicher
ist, dass Zumpe sich nie mit einer Leistung zufriedengegeben hat, die zu über-
bieten noch innerhalb des Bereiches seiner oder seiner Mitarbeiter Krifte lag.
Er verlangte von sich und anderen das Höchste und das trug eine Weihe in seine
Aufführungen, die nur für ganz feine Sinne von der echten Weihe des Genius zu
unterscheiden war.**
DEUTSCHE WACHT (Dresden), 1903, 27. & — Ein G. unterzeichneter kurzer Auf-
139
REVUE DER REVUEEN
8atz »Zur Parsifal-Auffubning in Amerika* klingt in die Worte aus: »Parsifal ist
das tiefete Werk Wagners, in dem er sein aus der Vereinigung von Siegfried und
Christus hervorgehendes Ideal des Zukunftsmenschen enthüllt hat. Diese Idee
wird ihrem ganzen Wesen nach nur in Deutschland auf Verständnis zu rechnen
haben; für die Amerikaner bleibt ,Parsifal< selbst bei der besten künstlerischen
Wiedergabe ein sensationelles Schaustück.*
STANDARD (London), 1903, 4.9. — Ein kurzer Bericht über „Promenaden- Konzerts*
befiisst sich mit Strauss' „Till Eulenspiegel*, der „a gigantic humoresque* genannt
wird.
MONTHLY MUSICAL RECORD (London), 1903, Nr. 393. - Bringt den Schluss
von E. Prouts Analyse „Grauns Passion Music*, in der „Der Tod Jesu* „a work
of very considerable musical value* genannt wird, und mehrere anderen wertvollen
Aufsitze und Berichte.
TÄGLICHE RUNDSCHAU (Berlin), 1903, No. 201. - „Neue Beiträge zur ,Parsifal*-
Frage*: Die VerOfTentiichung der interessanten Zuschrift eines Musikers, Rud. M. Br.,
die ohne Zweifel allgemeine Verbreitung verdient. Der Verfasser weist einleitend
auf „Weimar* und „Bayreuth* als zwei kunstgeschichtliche Tatsachen hin, die im
deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts zwei Marksteine von ewiger Bedeutung
darstellen. Näher eingehend auf die unvergleichliche Willcnsleistung, die sich dem
In- und Ausland in der Wagnerschen Schöpfung von Bayreuth kundgibt, verlangt
er von uns, den Nutzniessem des dort aufgespeicherten künstlerischen Kapitals,
das Gefühl der Verpflichtung, des Dankes. Und diesen Dank sollten wir, meint
er, abtragen, indem wir — das deutsche Volk — in würdiger Weise auf die Er-
haltung von Bayreuth bedacht sind und diese Pflicht von den Wagnerschen Erben
übernehmen . . . „Man spricht von Eigennutz der Familie Wagner, von ungeheuren
Tantiemen, goldenen Bergen, und von Rieseneinnahmen in Bayreuth. Wie töricht
und erbärmlich zugleich! Nur leichtfertige Oberflächlichkeit oder nichtsnutzige
Bosheit vermag die 13 mageren Jahre voll bitterster Sorgen uud Nöte zu über-
sehen, die Zeiten, da wohlgezählt ein paar Dutzend Zuhörer im Bayreuther Haus
Sassen, zu vergessen. Wenn jetzt fette Jahre kommen und hier und da gar eine
gute Ernte verzeichnet werden darf (die nur wieder der Festspielkasse zufliessti),
so isfs den Säern und Schnittern zu gönnen, das ist nicht mehr wie recht und
billig. Wahrlich, wäre die Familie Wagner nicht uneigennützig, handelte sie nicht
im Sinne des grossen Toten, sie könnte Bayreuth Bayreuth sein lassen und die
Hallen schliessen. Jeder Apotheker, der eine neue Pille, jeder Chemiker, der ein
neues Kopfschmerzenpulver oder ein helleres Licht erfunden hat, darf reich werden;
der Familie Wagner gönnt man's nicht . . . Das Haus Cotta kann mit den ,Memo-
iren Bismarcks^ Millionen verdienen, aber die Familie Wagner darf nicht 20000 Fr.
Tantiemen aus Frankreich oder sonst irgendwoher erhalten, ohne dass es der Welt
hämisch verkündet wird. Es ist Zeit, das Volk über ein solch beschämendes Ge-
baren aufzuklären und eine Sache mit dem ruhigen Takt zu behandeln, der ihr
gebührt 1*
NEUE MUSIKALISCHE PRESSE 1903, No. 17. - Aus Max Battkes Artikel Jugend-
Konzerte* ist ersichtlich, dass für den nächsten Winter wieder 1 1 solcher Konzerte
für Berlin geplant sind. Die 11 Konzerte des verflossenen Winters wurden ins-
gesamt von etwa 25000 Kindern besucht, von denen viele weniger Bemittelte Frei-
karten erhielten. Ist das immerhin auch nur ein Kömchen des Guten, wenn man
bedenkt, dass Berlin mit den Vororten ca. 400000 Schaler aufweist, so wurde doch
140
DIE MUSIK III. 2.
wenigstens ein Anfang gemacht und Sache der leitenden Persönlichkeiten muss es
sein, die Idee weiter auszubauen, wenn sie sich segenspendend über ganz Deutsch-
land ausdehnen soll. — Arthur Smolians Aufsatz .Parsifal in New- York* klingt
aus in die Worte: »Mögen uns Deutschen denn ,Parsifar und die ,Bayreutber
Bühnen festspiele* noch langehin ein unantastbares, weihevolles Erbgut bleiben, und
jeder Deutsche betitige bei seiner Stellungnahme gegenüber der New- Yorker Parsihl-
angelegenheit dankestreu die Sieglindenworte: für ihn, den wir liebten, ~ rett' ich
das liebste!'' — Über „Die MGnchener Wagner-Aufführungen'' spricht Arthur Seidl
und schickt seiner Besprechung der Verdienste der beteiligten Persönlichkeiten
einen kurzen Vergleich zwischen Bayreuth und München voraus, dessen Grund-
gedanke der ist: in Bayreuth wird uns ein Gesamtkunstwerk geboten und herrschen
Wagners Ideen, in München haben wir „Star-Aufführungen* und herrschen klein-
liche Rücksichten auf Virtuosen und Publikum.
WEEKLY CRITICAL REVIEW bringt die Veröffentlichung von Briefen Minna
Planers durch J. G. Prod' homme. Von Interesse ist insbesondere ein Brief
Minnas an ihre Mutter, in dem es heisst: „Ich bin traurig und krank infolge
zweier Sachen und werde mich nur langsam erholen, vielleicht auch nie. Mein
armes Herz schiigt noch heftig. Der htale Tristan, den ich deshalb gar nicht
liebe, scheint erst nach langen Unterbrechungen und Mühen ins Leben gerufen
werden zu können. Wer weiss, was noch alles passieren wird! Ich glaube, dass
es für derartige Arbeiten kein Glück gibt Vielleicht tiusche ich mich aber. Wir
wollen sehen, wie das Ende sein und ob diese Oper dem Publikum gefallen wird.
Ich wünsche es von ganzem Herzen . . . Richard schreibt mir viel und herzlich,
auch ich schreibe, aber ich wünsche doch, dass eine Anniherung zwischen uns
noch in weiter Feme liegen möge. Es schnürt mir die Kehle zusammen, aber ich
kann nicht anders! . . ."
NATIONAL-ZEITUNG (Beriin) 1903, No. 468. — „Münchener Festaufführungen« von
Paul Marsop. Der Aufsatz gibt eine zusammenfassende Übersicht über die
heurigen Erfolge des Prinzregententheaters. „Das in allem Wesentlichen gemäss
den Absichten Wagners errichtete Haus mit amphitheatralisch ansteigendem Zu-
schauerraum und verdecktem Orchester'* hat teil an dem grossen Erfolg, aber ebenso
auch „die überaus gewissenhaft durchgeführte, auf Klarlegung jedwedes scheinbar
noch so geringfügigen szenischen Vorganges gerichtete Regiearbeit": „Noch nie ist
die vielverftstelte ,Intrigue' der Tetralogie bis in jede Faser so zum Greifen deutlich
ausgelöst, noch nie der Gesamtbau des Riesenwerkes in so übersichtlicher per-
spektivischer Aufzeichnung hingestellt worden, wie nunmehr in München. Ein
Triumph der szenischen Deutlichkeit, ein Sieg des Fleisses und der Energie."
Marsop betont namentlich das Verdienst Possarts und schliesst mit einem Vor-
schlag künftiger Erweiterung des Spielplanes: „Soll das Prinzregententheater ein
Zukunftstheater sein, das heisst, will sich sein Leiter die Zukunft sichern, so
muss er über Wagner hinausgehen und den Werken der begabtesten unter den
lebenden, für die Bühne schreibenden Tonsetzer, vornehmlich also denen von
Richard Strauss, Max Schillings und Hans Pfltzner, die gebührende Berücksichtigung
schenken. Nicht in etwelchem Opemhause, sondern in einem deutschen Spiel-
hause, wie es zu München steht, wird man darüber volle Klarheit gewinnen
können, was die an Wagner herangebildeten Dramatiker unserer Tage beabsichtigen
und vermögen. Die Aufgaben, welche die Zeit stellt, recht begreifen, das betagt,
sie bereits zur Hilfre itelöst zu haben."
NEUE OPERN
Jan Blockx: .De Kapel', eine Oper, derea Libretto von^Nestor de*Tlire herrührt,
wird an der ßlmlscben Oper in Antwerpen ihre Urauffübrung erleben.
C. Dluffski: .Die Frau mit dem Dolche" (nach dem gleichnamigen Stück voa
Arthur Scbnitzter) vird in St. Peteraburg lum erstenmal über die Bretter gehen.
Caiuille Erlanger: .Aphrodite* heisst der Titel einer Oper, zu der L. de
Grammont nach dem Roman von Pierre Louys den Text geschrieben hat.
Theodor G«rlach: .Liebes wogen", eine .gesprochene''Oper wurde vom Bremer
Siadttbeater tur Aufführung angenommen.
Paul GUson: .Prinzea Zonnenschijn", Text von Pol de Mont, helast ein
dramatisches Terk des flimischeo Komponisten, das an der Oper in Ant-
werpen das Licht der Rampen erblicken wird.
Otto Neitzel: „Barbarloa', eine aua 3 Akten und einem Nachspiel bestehende
Oper, zu der der Komponist das Libretto verhisste, wird am Wiesbadener
Hoftheater lur ersten AuRührung gelangen.
Ferdinand Paer: .Der Herr Kapellmelster",elnekomlscheOper, neubearbeitet
in der von Dr. Kleefeld herausgegebenen Sammlung .Opem-Renalssance*
(Verlsg von Schlesinger- Berlin), wird ihre Uraufführung am Magdeburger
Stadtttaeaier erleben.
Theodor Podbertgky: .Des Liedes Ende" heisst ein einaktiges dramatisches
Terk, lu dem der Komponist selbst das Buch geschrieben hat.
Spiro Samara: .Storia d'amore', eine Oper des italienlacben Komponisten
wird am Teatro llrlco lu Mailand zur ersten AuffDhrung kommen.
Max Vogrlch: .Der Buddha" wird zum erstenmal sm Hoftheater zn Weimar
in Scene gehen.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Dessau: Die herzogliche Hofhühne erSlfnet die Spielzelt mit einer Gesamt-
aufführung des .Rings des Nibelungen*, wobei die Tieferlegung und Ver-
grSsserung des Orchesterraums zum erstenmal praktisch erprobt werden
soll. Von Novltiien sind vorliuRg In Aussicht genommen: .Holfmanns Er-
ilblungen' von Offenbach und .Samson und Dalllk" von Saint-Saens. Neu-
einstudiert werden: .Maskenball' von Verdi, .Schwarzer Domino* von Auber,
.Hinsei und Crctel' von Humperdinck.
Hamburg: Von Neuheiten sind vorgesehen: .Corregidor' von Hugo Wolf, die
deutseben Uraufführungen der italienischen Oper .Adrieone Leeouvreur"
von Franceaco CiKa, der franzAsiscben .Muguette" von Edmond Missa.
Neueinsiudiert werden .Hoffmanns Erzihlungen' von Offbnbach, .Atrafil'
von Franchetti, .Undlne* von Lortilng, ausserdem Werke von Berlloi und
Gluck.
Lübeck: An Novltlten verspricht die Spielzeit: .Fedora' von Giordano, .Vasanta-
sena" von Reicbwetn, .Corregidor" von Hugo Wolf, .Das Andreasfesf von
142
DIE MUSIK III. 2.
Grammtnn, die „Oresde des Äscbylot* mit der Musik von Schillings und
«Faust* 1. und 2. Teil mit der Musik von Bungert; an Neueinstudierungen:
«Oberon* von Weber in der Einrichtung des Wiesbadener Hoftbeaters, »Ent-
führung aus dem SeriiP, »Heimchen am Herd**, »Die Stumme von Portici*,
»Robert der Teufel*, »Othello* (Verdi), »Maurer und Schlosser*, »Jessonda"
(Spohr).
Malland: Im Teatro Lirico werden im Laufe des Winters aufgeführt werden:
»Thais* von Massenet, »Chopin* von Oreflce, »Louise* von Charpentier,
»Storia d'amore* von Spiro Samara, femer La Bohdme, Norma, Traviata,
Gioconda und Lohengrin.
Mannheim: An neuen Opern hat das Hoftheater in Aussicht genommen: Pfltzner
»Die Rose vom Liebesgarten* und Massenet »Der Gaukler unserer lieben
Frau*. Berlioz' hundertster Geburtstag wird durch die Neueinstudierung
von „Benvenuto Cellini'^ begangen; auch Schillings' „Ingwelde^ erscheint
demnächst wieder auf dem Spielplan.
Weimar: »Der Cid* von Peter Cornelius, der 1865 zwei Darstellungen erlebte,
wird vom Hoftheater in der neuen Spielzeit wieder aufgenommen werden.
Wien: Die Hofoper rerheisst folgende Neuheiten: „Bohdme" von Puccini,
„Corregidor^ von Hugo Wolf, „FalstafP^ von Verdi und „Götz von Berlichingen*'
von Goldmark.
KONZERTE
Augsburg: In den acht Abonnementskonzerten des Oratorienvereins unter
Leitung von Prof. Weber werden u. a. aufgeführt: J. S. Bach (h-molI-Messe),
Enrico Bossi (»Das verlorene Paradies*, symphonische Dichtung in einem
Prolog und drei Teilen, Text nach John Milton von L. A. Villaris; Urauf-
führung), Brückner (8. Symphonie, Te Deum), Carl Pohlig (Per aspera ad
astra). Zwei weitere Symphoniekonzerte werden vom Kaimorchester unter
Weingartner bestritten. — Ausserdem findet ein Kammermusikabend des
Böhmischen Streichquartetts, sowie ein Beethoven • Abend von FtidMe
Lamond statt
Basel: Die Allgemeine Musikgesellschaft veranstaltet im Winter zehn
Symphoniekonzerte unter Leitung von Kapellmeister Suter. Es kommen zur
Aufführung: J. S. Bach (Brandenburgisches Konzert No. 1), Beethoven
(Ouvertüre zu Egmont, Violinkonzert, Romanze für Violine, 3. und 4. S)rm-
phonie, Klavierkonzert Es-dur), Brahma (Violinkonzert, D-dur-Symphonie,
Klavierkonzert d>moll), Brückner (8. Symphonie c-moll, zum erstenmal), Ber-
lioz (Symphonie fantastique, Nuits d'6t6, La mort d'Oph^lie, Duett aus »Bea-
trice und Benedikt*, Ouvertüre zum Cmmavai romain), Gluck (Ouvertüre zu
Alceste, zum erstenmal), Hindel (Concerto grosso h-moU für Streichorchester,
zum erstenmal), Haydn (Symphonie c-moU, Violoncellkonzert), Jaques-Dai-
croze (Ouvertüre zu »Sancho*), d'indy (Symphonie sur un chant montagnard,
neu), Joachim (Violinkonzert), Uszt (Ungarische Phantasie für Klavier und
Orchester, Prometheus), Mendelssohn (Ouvertüre zur »Fingalsböhle*), Mozart
(Ouvertüre zur »Zauberfiöte*, Notturno für vier Orchester, zum erstenmal,
Violinkonzert, Symphonie g-moll), Schubert (b-moll-Sympbonie), Schumann
(Es-dur-Symphonie), Smetana (Ouvertüre zu i» Verkaufte Braut*), R. Strauss
(Don Quixote, Liebesscene aus »Feuersnot*), Wagner (Vorspiel und Liebestod
aus »Tristan und Isolde*, Ouvertüre zum »Fliegenden Hollinder*), Weber
(Freischfitzouvertüre). Femer Lieder und Arien von Brahms, Uszt, Mozart,
143
UMSCHAU
Schubert, Vtccti. Von Solisten sind angemeldet die Damen Hermine Bosetti,
Julia Culp, Teresa Carefio, Anna Hegner, Ida Huber-Petzold, Berta Morena,
Maria Philipp, Ernestine Schumaon-Heinlc sowie die Herren Leopold Auer,
Robert Freund, Karl Halir, Hans Kötscher, Egon Petri und Willy Treichler.
Ausserdem finden sechs Kammermusikabende statt, an denen Werke von
Beethoven, Brahms, Dvorak, Haydn, Mozart, Schubert, E. Straesser (neu) und
Schumann zur Aufführung kommen.
Berlin: Die Singakademie (Dir. Prof. Georg Schumann) veranstaltet sechs Kon-
zerte, in denen zur Aufführung gelangen: Paradies und Peri von R. Schu-
mann, NXnie von Brahms, Missa solemnis von Beethoven, Judas Maccabius
von Händel, Totenklage von G. Schumann (zum erstenmal), Requiem von
Verdi, Weihnachtsoratorium und Matthiuspassion von Bach.
Bremen: Die Philharmonische Gesellschaft gedenkt im kommenden Winter
aufzuführen: Beethoven (5., 7. und 9. Symphonie), Haydn (Symphonie No. 13),
Mozart (Symphonie C-dur), Schubert (Symphonie h-moU), Mendelssohn
(Ouvertüre Hebriden), Schumann (Symphonie Es-dur), Weber (Ouvertüre
Freischütz und Euryanthe), Brahms (4. Symphonie, akademische Festouver-
türe), Wagner (Tannhiuser-Bacchanal, Faust-Ouvertüre), Liszt (Faust-Sym-
phonie, Les Pr6ludes), Cornelius (Ouvertüre Barbier von Bagdad), Volkmann
(Ouvertüre Richard 111.), Rieh. Strauss (Heldenleben). Von Neuheiten sind
in Aussicht genommen: Rieh. Strauss (Don Quixote), Brückner (Symphonie
No. 3), Elgar (Londoner Volksleben), Schillings (Meergruss), Pfitzner (Fest
auf Solhaug), Boehe (Odysseus). Von Chorwerken kommen zur Aufführung:
Bach (Kantate), Haydn (Schöpfung), Brahms (Deutsches Requiem), Berlioz
(Fausts Verdammnis), letzteres unter Beteiligung des Lehrer-Gesangvereins,
zur Feier des hundertjährigen Geburtstags von Berlioz. Als Solisten sind
gewonnen worden: Gesang: Edith Walker, Marcella Pregi, Julia Culp, Jean-
nette Grumbacher de Jong, Helene B6rard, Antonie Stern, Marie Seyff-Katz-
mayr, Johannes Messchaert, Dr. Ludwig Wüllner, Hans Giessen, Dr. Felix
Kraus, Raimund von Zur-Mühlen, Ludwig Hess, Jos. Loritz, Anton Sister-
mans. Klavier: Paula Szalit, Eugen d' Albert. Violine: Eug&ne Ysaye, Fritz
Kreisler, Ferd. Schleicher. Cello: Hugo Becker.
BrftsBtfl: Die Concerts populaires unter der Leitung von S. Dupuls kündigen
vier Konzerte an, deren erstes Berlioz gewidmet ist. Als Solisten für die
übrigen sind genannt: F. Kreisler, A. de Greef und J. Hofmann. — Eug&ne
Ysaye, veranstaltet sechs Konzerte im Th^ätre de TAlhambra. Es wirken
darin mit: Eugdne Ysaye, Raoul Pugno, J. Gerardy, A. Silsti, sowie die
Singerinnen Lula Mysz-Gmeiner und M. Gay.
Budapest: In den zehn Philharmonischen Konzerten werden folgende
Neuheiten zur Aufführung gelangen: B61a Bartök (Kossuth-Symphonie),
Berlioz (Symphonie fundbre et triomphale), Gluck-Mottl (Balletsuite), Herz-
feld (Suite), Händel (Ouvertüre), Kajanci (finnische Rhapsodie), Kössler
(Sylvesterglocken), Massenet (Scönes pittoresques), Mozart (Serenade für
Bliser), R^kai (Ouvertüre), Szer6my (Suite). Femer Symphonieen von:
Beethoven (2., 8. und 9.), Brückner (4.), Brahms (2.), Schubert (h-moU),
Tschaikowsky (5.) Ausserdem: Beethoven (Egmontouvertüre, Klavierkonzert
Es-dur), Bach-Abert (Präludium und Fuge), Dvo^k (Slavische Rhapsodie),
Goldmark (Frühlingsouvertüre), Liszt (Tasso), Mendelssohn (Die Hochzeit
des Camacho), Saint-Sains (Danse macabre), Svendsen (Karneval von Paris),
144
Wagner (Karfreitagsztuber). Von Solisten wirken in diesen Konzerten mit:
Luis Gmeiner, Victoria Bartoluca, Bertha Morena, Margit Tessönyi, Grifin
Idalia Vasquez-Molina, sowie die Herren Georg Antbes, Emil Bar6, Franz
Broulik, E. von Dohnäoyi, Hugo Heermann, Henri Marteau, David Ney,
Anton Sistermans, Stephan Tbomän.
Darmstadt: Die Grossberzoglicbe Hofkapelle veranstaltet in diesem Winter
sechs Symphoniekonzerte im Hoftheater. Zur AufTührung gelangen von
Symphonteen Beethoven (1. und Q.), Haydn (Es-dur No. 3), F. Mendelssohn-
Bartholdy (a-moll), Brahms (e-moll), Mabler (D-dur), ferner kleinere Werke,
darunter Mozart (Serenade für vier kleine Orchester), Smetana (Visegrad),
Leo Blech (Waldwanderung), Saint-SaSns (Pbaeton), Berlioz (Ouvertüre zu
Benvenuto Cellini). Von Solisten wirken mit die Damen Kapust, Tolli,
Frieda Kwast-Hodapp, Marcella Pregi, Irene Pewny, Else Berny, Hedwig
Kirsch und die Herren Otto Wolf, Kammersinger Weber, Hofkonzertmeister
Havemann, James Kwast, Julius Klengel, Miroslav Weber, Dr. Felix Kraus.
In den vier Konzerten des Musik- Vereins werden aufgeführt werden :
Willem de Haan (Harpa), Edward Elgar (Traum des Gerontius), F. Mendels-
sohn-Bartboldy (Elias), R. Schumann (Paradies und Peri), J. S. Bach (Mat-
thiuspassion). Als Solisten wirken mit die Damen Minna Obsner, Else Bengell,
Alida Oldenboom, Emma Schudt, Agnes Leydhecker, Helene Staegemann,
Martha Stapelfeldt, Emma Rückbeil-Hiller, sowie die Herren Oscar No€,
Alexander Heinemann, Otto Wolf, Arthur van Eweyck, Heinrich Bnins,
Franz Harres, Nikola Doerter, Gerard Zalsman.
Dresden: Die Symphoniekonzerte der Hofkapelle werden folgende Neuheiten
aufweisen: Berlioz (Harald-Symphonie), Draeseke (Serenade D-dur), DvoHk
Symphonie (d-moll), Volbacb (Ouvertüre), ZolötareflT (Rhapsodie h^braique),
Sgambati (Symphonie D-dur), Fried (Priludium und Fuge für grosses Streich-
orchester), Pohlig (Symphonie „Per aspera ad astra^), Sibelius (Symphonie),
Rimsky-Korsakow („Sadko^, symphonisches Gemilde), Lully (Balletsuite),
Glazounow (Symphonie No. 6), G. Schumann (Variationen), Reuss (sym-
phonischer Prolog).
Elberfeld: Für die sechs Konzerte der Konzert-Gesellschaft sind in Aussicht
genommen: J. S. Bach (Brandenburgisches Konzert No. 3), Berlioz (Fausts
Verdammung), Brahms (Parzenlied), Delius (Lebenstanz), Haydn (Jahres-
zeiten), Parry (Holde Sirene), Schubert (Stindchen), Tschaikowsky (Symphonie
path^tique), Verdi (Requiem).
Frankfurt a« M.: In den Freitags- und Sonntagskonzerten der Museums-
gesellschaft werden in kommender Saison u.a. gespielt werden: H. BischoflT
(Pan), Brückner (vierte und neunte Symphonie, Tedeum für Soloquartett,
Chor und Orchester), Ph. E. Bach (Symphonie No. 3), Dohninyi (Symphonie
d-moll), Ducas (L'apprenti sorcier), Franck (Symphonie d-moll), Hausegger
(Wieland der Schmied, symphonische Dichtung), H. Goetz (Symphonie
f-moll), H. Pfltzner (Vorspiele zu »Das Fest auf Solhaug*), A. Reuss (sym-
phonischer Prolog zu H« von Hofmannsthals »Der Tor und der Tod*),
Rameau (Fragmente aus »Castor und Pollux"), A. Ritter (Ouvertüre und
Monolog aus der Oper »Der faule Hans*), Smetana (Die Moldau), Sibelius
(»Der Schwan von Tuonela* und »Lemminkalnen zieht heimwirts*,
Legenden für Orchestei), R. Strauss (»Till Eulenspiegel', »Ein Helden-
leben*, »Don Juan*, »Tod und Verklimng*), H. Wolf (»Penthesilea*,
145
UMSCHAU
symphonische Dichtung, Vor- und Zwischenspiel aus der Oper »Der Corre-
gidor*). Die Konzerte stehen unter der Leitung von Siegmund von
Hsusegger. — Als Solisten wirken mit: Gesang: die Damen Brems, Foster,
Holmstrsnd, Kraus- Osborne, Lehmann, Morena, Pregi, sowie die Herren
Forchhammer, Hess, Dr. Kraus, Loritz, Lang; Klavier: die Damen Careno
und Ripper, sowie die Herren d'Albert, Busoni und Dohninyi; Violine: die
Herren Heermann, Ysaye, Ahner; Violoncell: die Herren Becker und
Klengel. — Ausserdem finden noch zehn Kammermusik-Abende statt.
Hamburg: Max Fiedler veranstaltet in der Wintersaison acht Orchesterkonzerte.
Es kommen u. a. zur Aufführung Beethoven (1 , 7. und 9. Symphonie),
Berlioz (Carnaval romain), Brahma (1. Symphonie, Variationen über ein
Haydnsches Thema), Grieg (Konzertouvertüre), Haydn (Oxford-Symphonie),
Liszt (Tasso), Mozart (D-dur-Symphonie), Schumann (d-moU-Symphonie),
Tschaikowsky (Romeo und Julie, Symphonie path6tique, Ouvertüre »1812*,
Variationen aus der Orchestersuite G-dur, „Nussknacker'-Suite), Weber
(Jubelouvertüre). Von Novitäten sind in Aussicht genommen: Glazounow
(Moyen-ige, Suite für Orchester, erste Aufführung in Deutschland; 7. Sym-
phonie), Elgar (»Cockaigne* [Londoner Leben], Konzertouvertüre), d' Albert
(3 Gesinge mit Orchester), Sibelius (2. Symphonie), Tschaikowsky (Röves
d'enfant), A. Krug (Eine Faustscene), Jaques-Dalcroze (Tableaux romands,
Suite). Ferner kommen zum Vortrag Arien und Lieder von Brahms, Mozart,
Fiedler, Schillings. Solisten sind die Damen Schumann-Hein k, Hermine
d'Albert, Paula Szalit, Lula Mysz-Gmeiner und die Herren Henry Marteau,
Emanuel Stockhausen, Eugen d' Albert und Pablo de Sarasate.
Karlsruhe: Von dem Konzert-Zyklus des Hoforchesters wird in der bevor-
stehenden Spielzeit von Felix Mottl infolge seiner Übersiedelung nach
Amerika nur das erste Konzert dirigiert werden; 5 Konzerte werden unter
Leitung des Hofkapellmeisters A. Lorentz» 2 unter auswärtigen Dirigenten
und zwar Hans Richter und E. v. Schuch, stehen. Zur Aufführung sind
u.a. in Aussicht genommen: Beethoven (7. und 8. Symphonie, Violinkonzert),
Haydn (Vier Jahreszeiten), Schubert (h-moll-Symphonie), Schumann (Sym-
phonie B-dur), Berlioz (Fausts Verdammung), Liszt (13. Psalm), Wagner
(Eine Faust-Ouvertüre, Gebet aus Rienzi), V. d'lndy (La for6t enchant^e),
Smetana (Phantasie über die »Verkaufte Braut* für Violine und Orchester),
Rieh. Strauss (Zarathustra). An Solisten sind ausser Ondricek bisher noch
Klotilde Kleeberg, Bertha Morena und Karl Burrian gewonnen.
Kopenhagen: An Neuheiten im Konzertsaal sind vorgesehen »Helios-Ouvertüre**
von Carl Nielsen, Symphonie von Ludolf Nielsen, »Gurresange* (Gurrelieder)
von Gustav Heisted, nach einem Gedicht von J. P. Jacobsen für Soli
und Chor.
Lftbeck: Als Solisten wirken in den acht Symphoniekonzerten unter Ugo
Afferni mit: Ettore Gandolfl, Lula Mysz-Gmeiner, Emma Holmstrand,
Emilie Herzog, Teresa Carreno-Tagliapietra, Raoul Pugno und Henri Marteau.
Das siebente Konzert dirigiert Arthur Nikisch. Unter den angenommenen
Novitäten sind besonders erwähnenswert: Brückner (Symphonie B-dur),
Hausegger (Barbarossa), Sibelius (König Christian) und Richard Strauss
(Also sprach Zarathustra).
Magdeburg: In den Abonnementskonzerten des stidtischenOrchesters unter
Krug-Waldsee werden zur Wiedergabe gelangen: Beethoven (Vierte und
IlL 2. 10
146
DIE MUSIK III. 2.
Fünfte Symphonie), Mozart (D-dur), Mendelssohn (a-moil), Brshms (D-dur),
Berlioz (fantasdque), Knig-Wtldsee (C-dur), ferner Tschaikowsky (Francesca
dt Rimini), Cbarpentier (Impression d'Italie), G. Schumann (LiebesfrQhling),
Boehe (Odysseus' Ausfahrt und Schiffbruch), Handel (Konzert D-dur für zwei
oblig. Violinen, oblig. Cello und Streichorchester).
Mannheim: Das Kaimorchester unter Weingartner reranstaltet vier Konzerte
im Museumssaal des Rosengartens. Der Musikverein begeht sein 75jihriges
Jubiläum durch eine Auffuhrung von Bachs h-moil-Messe und gedenkt des
Geburtstages Berlioz' durch die Wiedergabe seines Requiems. — Unser ein-
heimisches Quartett bringt u. a. auch einen Pfltzner-Abend. Das Frankfurter
Quartett Heermann und Genossen wird dreimal spielen. Zu erwähnen ist
noch das neugegründete Trio: Schuster, MQUer und Bopp.
München: Für die zwölf Kaimkonzerte unter Leitung von Felix Weingartner
sind in Aussicht genommen : Bach (Brandenburgisches Konzert, Konzert für
zwei Violinen), Beethoven (Dritte Symphonie, Fünfte Symphonie, Neunte
Symphonie, Ouvert&re und Zwischenakts-Musik aus »Prometheus*, Violin-
konzert), Berlioz (Harald-Symphonie, Phantastische Symphonie), Brahms
(Zweite Symphonie, Haydn-Variationen), Dohnanyi (Symphonie d-moll, zum
erstenmal), Eigar (Variationen), Handel (Konzert für zwei Blasorchester, zum
erstenmal), Haydn (Oxford-Symphonie), loimpe (Tragisches Tongedicht, zum
erstenmal), Liszt (Orpheus, Mazeppa, Klavier - Konzert Es-dur, Toten-
tanz, Adagio aus Beethoven -B-dur-Trio, instrumentiert), Mendelssohn
(Ouvertfire und Scherzo aus »Ein Sommemachtstraum'), Mozart (Konzert
für vier Orchester, Deutsche Tinze, beide zum erstenmal, Violinkonzert),
Pfltzner (Vorspiel zum dritten Akt aus Ibsens »Das Fest auf Solhaug*, zum
erstenmal), Pohlig (Symphonie Per aspera ad astra, zum erstenmal),
Schubert (Symphonie C-dur), Schumann (Ouvert&re Manfred, Symphonie
d-moU), Thuille (Romantische Ouvertfire), Hugo Wolf (»Penthesilea', sym-
phonische Dichtung, zum erstenmal). Als Solisten wirken mit: die Damen
Lula Mysz-Gmeiner, Jeanette de Jong, Emma Hiller, Elisabeth Sendtner-
Exter, Tilly Koenen, Anna loingenhan-Hirzel, Marcella Pregi, Frida Scotta-
Kaulbsch, sowie die Herren Fritz Kreisler, Jan Kubelik, Alfred Reisenauer,
Herrmann Ritter, Eugdne Ysaye, Albert Jungblut und Rudolf von Milde.
PariB: Die Leitung der Colonne-Konzerte veröffentlicht ihr Programm ffir die
Saison 1903/1904. An grossen Werken werden zur Aufführung gelangen:
Beethoven (Neunte Symphonie), Charpentier (Leben des Dichters), Schumann
(Manfred), Berlioz (Romeo und Julia, Requiem, Die Kindheit Christi, Pausts
Verdammnis, Symphonie fantastique). Neben ilteren Werken von Pranck,
Holmda, d'lndy, Lalo und Saint-SaSns sind Novititen von Debussy, Paurd,
Glazounow, Massenet, d'OUone, Widor und Paderewsky vorgesehen. Einen
hervorragenden Platz in den Programmen werden Werke Richard Wagners
einnehmen. Von Solisten werden genannt: die Damen Carefio, Litvinne,
Schumann-Heink und die Herren van Dyck, Diemer, Pugno, Risler und
Sal^za.
Wien: Der Konzertverein unter Leitung von Ferdinand Löwe veranstaltet
12 Konzerte im Grossen Musikvereinssaal. Zur Aufführung werden u. a.
gelangen: Werke von Bach, Haydn, Handel, Mozart, Beethoven, Schubert,
Mendelssohn, Schumann, Cherubini, Weber, Volkmann, Berlioz, Brahma,
Liszt, Wagner, Brückner (Neunte Symphonie), R. Straust und Tschaikowsky.
141
UMSCHAU
An Novitäten: d*Albert (Ouvertüre zu »Der Improvisator*), Borodin
(Symphonie h-moll). Brüll (Serenade F-dur), Dukas (L'apprenti sorcler),
Elgar (Ouvertüre), Jaques-Dalcroze (Violinkonzert), A. Ritter (Symphonische
Dichtung), H. Wolf (Italienische Serenade).
TAGESCHRONIK
Die Bayreuther Buhnenfestspiele im Jahre 1904 werden in der Zeit
vom 22. Juli bis 20. August stattfinden und aus zwei Aufführungen des »Ring
des Nibelungen*, sieben AufTQhrungen des „Parsifsl* und fünf AuffOhrungen des
i»Tannhiuser* bestehen.
Die Leitung der diesjährigen Odeons-Konzertein München wurde General-
musikdirektor Fritz Steinbach, Direktor Bernhard Stavenhagen, Hofkapellmeister
Franz Fischer und Professor Erdmannsdörfer Qbertragen.
Der deutsche Musik- Verein zu Milwaukee hat zum Dirigenten den Musik-
direktor Max Puchat, bisher in Paderborn, gewählt.
Der Schriftsteller Dr. Arthur Seidl aus Manchen ist als dramaturgischer
Sekretär an das herzogliche Hoftheater in Dessau berufen worden.
Prof. Richard Buchmayer aus Dresden hat die Musikabteilung der Lfine-
burger Stadtbibliothek einer Durchsicht unterzogen, die eine musikgeschicht-
lich äusserst interessante Ausbeute lieferte. Sie besteht aus sechs bisher unbekannten
Sammlungen von Werken der Orgel-, Klavier-, Kammer- und Vokalmusik, zumeist
aus dem 17. Jahrhundert. Sie sind besonders auch für die Bacbforschung von
unschätzbarem Wert und bedeutsam för die Entwicklung des Orgel- und Klavier-
stils. Am wichtigsten ist der fünfte Band, denn er beschert uns die seit zwei
Jahrhunderten verschollenen Klavierwerke des Mathias Weckmann, eines seiner
Zeit hochangesehenen Musikers, der von 1655—1674 als Organist an der Jakobi-
kirche in Hamburg wirkte.
In Horitz (Böhmen) wurde ein Smetana-Denkmal enthüllt
In Waizenkirchen fand am 13. September die Wilhelm Kienzl-Feier statt;
am Geburtshaus des Komponisten wurde eine Gedenktafel enthüllt.
Kaiser Wilhelm hat dem Direktor der Wiener Hofoper, Gustav Mahler,
den preussischen Kronenorden II. Klasse verliehen. ■
Prinzregent Luitpold von Bayern verlieh Ernst von Possart für das Ge-
lingen der Festspiele das Komturkreuz des Verdienstordens der bayrischen Krone.
Frau Lillian Nordica erhielt vom Prinzregenten für ihre Mitwirkung an
den Wagnerfestspielen die Ludwigsmedaille für Kunst und Wissenschaft.
Der seit 23 Jahren bestehende Flügeische Gesangverein i» Breslau ist
von seinem Gründer, Professor Ernst Flügel, aufgelöst worden.
TOTENSCHAU
Im Schloss Alt-Erlaa zu Niederösterreich, das ihm die Herzogin von Olden-
burg zur Verfügung gestellt hatte, starb am 10. September Anton Rückauf.
Geboren zu Prag am 13. März 1855, Schüler von Proksch, Nottebohm und Navratil,
hat er sich besonders als Lyriker einen Namen gemacht. Ein geschmackvoller,
feingebildeter Tonsetzer schloss er sich in seinen Liedern hauptsächlich an
Schubert und Brahms an. Neben Kammermusikwerken und Klavierstücken (er
war selbst ein tüchtiger Pianist) schrieb er auch eine Oper „Die Rosenthalerin*,
die in Dresden, Prag und anderwärts mit freundlichem Erfolg zur Aufführung kam.
Am 29. September früh verschied in Leipzig nach langem, schweren Leiden
Prof. Dr. Robert Papperitz, ein vorzüglicher Musiktheoretiker und Orgelspieler,
10»
148
DIE MUSIK III. 2.
der seit 1851, wo er seine Studien bei Hauptmann, Richter und Moschelea be-
endet hatte, dem König!. Konservatorium zu Leipzig als Lehrer für Harmonie und
Kontrapunkt angehörte und seit 1868 auch den Organistenposten an der Nikolai-
kirche bekleidete. Papperitz wurde am 4. Dezember 1826 zu Pirna i. S. geboren
und hat noch bis ror kurzem — also bis in sein 77. Lebensjahr hinein gelehrt,
gewirkt und geschaffen. Er schrieb mehrere gediegenen Kompositionen für ein-
und mehrstimmigen Gesang und für die Orgel, sowie auch musiktheoretische
Studienwerke.
Cavaliere Enrico Modisto Berignani, 25 Jahre lang Kapellmeister an Covent
Garden, der sich in englischen Musikkreisen ausserordentlicher Beliebtheit er-
freute, ist am 29. August in Neapel gestorben.
In Reichenhall starb der deutsch-böhmische Komponist August Labitzky,
der 50 Jahre lang der Karlsbader Kapelle angehörte.
Die KönigL sichs. Hofopemsingerin a. D. Mathilde Löffler ist im Alter
von 51 Jahren in Heidelberg gestorben.
Der Heldentenor des Prager deutschen Theaters Wilhelm Eisner ist einem
Nierenleiden erlegen.
Aus Oedenburg wurde die Nachricht von dem Ableben des Musikprofessors
Emanuel Haas gemeldet
In Elberfeld verschied der Heldentenor des Stadttheatera E. Kronenberg im
Alter von 40 Jahren.
Der Königl. Kommerzienrat J. L. Duysen, Pianofortefabrikant, ist am
30. August in Berlin verstorben.
Einer der frühesten französischen Wagnerianer, Charles de Lorbac, der
bereits 1861 eine Lebensbeschreibung des Meisters herausgab, ist in Villiera sur
Marne aus dem Leben geschieden.
Der Orchester-Dirigent und Komponist August Meissner, ein Deutscher,
starb im Alter von 70 Jahren in Stockholm.
Der ungarische Violinvirtuose Eugen Adorjän, Schiller Hubays und
Joachims, 1897—99 in Lübeck, später in Düsseldorf als Konzertmeister titig, ist,
erst 30 Jahre alt, in Gödöllö gestorben.
Am 24. September verschied in seinem 46. Lebensjahre Charles Wolff,
der jüngere Bruder des vor ca. 2 Jahren verstorbenen Konzertdirektors Hermann
Wolff. Er war Mitbegründer des bekannten Beriiner Instituts.
Im Alter von 62 Jahren ist in Paris Gabriele Krauss gestorben. Geborene
Wienerin, Schülerin des dortigen Konservatoriums, 1860—68 Mitglied der Wiener
Hofoper, war sie in den 70 er und 80 er Jahren eine Hauptstütte der Pariser
Grossen Oper, nachdem sie in der Zwischenzeit den Bühnen in Mailand und
Neapel angehört hatte. Die vielgefeierte Primadonna, besonders ausgezeichnet auf
dem Gebiet der grossen dramatischen Rollen der fhmzösischen Oper, wurde seiner-
zeit sogar zum Offizier der Ehrenlegion ernannt.
Auf ihrer Besitzung Rastenfbld bei Klagenfurt starb am 29. September Marie
Geistinger im Alter von 67 Jahren. Die nichste Nummer der »Musik* wird
einen kurzen Artikel zu ihrem Gedächtnis bringen.
ff4^'i^
OPER
AMSTERDAM: Dai Erbe des Herrn tbq der Linden, der nach berGbmtem Musler den
Amerikanern den Panlhl vorführen vfrd, und ivar In Koniertform durch eise
reisende Geeellacharr, haben zwei nieder). Opcmgesellschirtea an|etretea: die frühere
Nederl. Opera und die Sezeasion, die Nieuwe Neder). Opera. Direktor der crtteren lat
Herr D. H. Joosteo, ala Kapellmeitter tind litlg die Herren Hagcman und Rothwell und
lu den bewihrten Krifteo, den Damen Engelen-SewJng, Bosae-Sommer, Loiln, Hageman
und den Herren de Vos, van Duynen, van der Hoeck Bind u. i. hinzu gekommen die
dramatische Singerin Frau van Hülsen und der Ijrrische Tenor Dalamo. Um das Banner
der Secession, der Nieuve Nederl. Opera, und ihre Führer, die beliehten Singer Oreüo
und Pauwels und den geschickten Regisseur Coini, scharten sich die Damen Colnl, Kloos,
DIrx van de Veghe, Vlbbela und van Overelm, sowie die Herren Schulde, van Cauveren,
Koster und Maal, als Kapellmeisier die Herren Kwast, TJerie und MOnch. TIe zwei
Feldlager stehen sich beide Opern 'gegenüber und haben den grossen Kampf ums Dasein
begonnen, der, ohne Subvention von Stadt oder Staat, mit dem Untergang der einen oder
anderen enden muss. Die Nederi. Opera brachte bisher Herodiade, Faust, Lobengrln,
Cavallerla und Bajaizo, der junge, feurige Kapellmeister Rothwell erwies sich als Kraft
ersten Ranges. Die Nieuwe Nederl. Opers, gestützt auf ein voriügliches Orchester, gab
Carmen, Teil, MIgnon und tat sich besonders hervor durch eine von Kapellmeister TlerJe
Insserst sorgflltlg vorbereitete Tannhiuser- Aufführung, Als Neuigkeiten sind In Vor-
bereitung hei der Stamrooper Paderewskis Manru, bei dem neuen krinig emporstrebenden
Unternehmen aHerbergsprinzess' und .Braut der See' von Biockx.
Hans Augustin.
BRESLAU: Die junge Saison hat bisher nur Neueinstudierungen bekannter Repertoire-
Opern, zumeist In der vertrauten Besetzung früherer Jahre gebracht. Es gab, da
unsere Personal -Verhiltnisse In der Oper erfreulicherweise ziemlich stabile sind, nur
wenige Debüts. Den Talter von der Vogelwelde im .Tannhiuser' und den Radames
in der .Aide' sang Herr HolzspFel sus Graz, der bereits in seinen Anfingen der Bres-
Isuer Bühne angebSrt hat. Er hat sich seither zu einem geschmackvoll vortragenden
lyrischen Tenor entwickelt, dessen Krifie freilich fUr den Elan Verdiseber Helden nicht
annibemd ausreichen. Als Brünnbilde In der „Talküre" debütierte Rudolflne Waldeck.
Sie bot Gutes und Unzullnglicbes in buntem Gemisch. Ihr Mezzosopran Ist umfingllch
und Borgnitlg gebildet. Einen sehr sngeaehmen Gewinn bedeutet das Engsgement des
In Breslau ausgebildeten, In KOIn und Hamburg rasch zu betrilchtl Icher Theater- Routine
gelangten Hans SIewert. Er besitzt eine der leichtesten und höchsten Tenorstimmen,
die man auf deutschen Bühnen hAreo kann. Er scbllgi ein hohes D ganz sicher an.
Dabei ist er kein Schreihals und kein Protzer mit seinen Glanznoten, sondern er phrasiert
durchaus gescbraackTOll und spinnt Ksntilenen, wie ein Franzose oder Italiener.
Dr. Erich Freund.
BUKAREST: Die ruminische lyrische Gesellschaft, gegründet und geleitet von dem
ausgezeichneten Musiker C. Stephanesco Ist aus den bedeutendsten Kriften der
ruminischen Oper zusammengesetzt. Lucia, Maria de Roban, Faust, Traviata, CsTalieria,
Crispino von Ricci, die Reise nach China a. a. wurden gut aufführt; auch eine
Ori^naloperette von Stephanesco ,Dle Schwiegermutter" ttai vielen Beifall. Die Italienische
150
DIE MUSIK 111. Z
Oper gab Lobengrin, Carmen, ATda, die Jüdin, Lucia, Barbier von Sevilla, Dinorab, Travi-
ata, ]a Bob6nie, Troubadour, Zaza, Pagliacci, Faust u. a. Der ausgezeichnete Tenor Bonci
wirkte in Gemeinscbaft mit der. Primadonna Wermez, dem Bariton Polese und dem
Bassisten Sabeliier in den Puritanern, Rigoletto und Faust mit. Die Truppe der Prager
Oper vermittelte uns die Bekanntschaft mit der cbarakteristischen tschechischen Musik.
Sie spielte Smetanas »Verkaufte Braut*; ihr Persona] besteht durchaus nicht aus Kräften
ersten Ranges, aber ihr Zusammenspiel ist tadellos. Jean Schorr«
DRESDEN : Nachdem die ersten Wochen der neuen Spielzeit lediglich der Einarbeitung
zahlreicher neuen Mitglieder gegolten und keine Neuheit oder Neueinstudierung
gebracht hatten, kam am 1. Oktober im Königl. Opernhaus Leo Blechs dreiaktige Oper
i»Alpenkönig und Menschenfeind* zur Oberhaupt ersten Auffuhrung. Den Text hat
Richard Batka nach dem bekannten gleichnamigen Zauberstück von Ferdinand Raimund
verfasst Der Textdichter hat bei dieser Novität kaum die Stellung eingenommen, die
man von einem so begeisterten Wagnerianer in diesem Falle wohl bitte erwarten dürfen.
Er hat sich vollständig dem Bedürfhis des Komponisten angepasst und diesem den Text
sozusagen »auf den Leib geschrieben*. Die Leser erinnern sich, dass ich, als vor
Jahresfrist Blechs Einakter »Das war ich*, hier aufgeführt wurde, auf das Missverhiltnis
hinwies, das aus dem Bestreben Blechs sich ergab, volkstümliche, harmlose Musik zu
schreiben und sich dabei doch als modemer Musiker und Dramatiker zu betitigen.
Dieser Zwiespalt ist auch in »Alpenkönig und Menschenfeind* noch nicht behoben,
wohl aber wieder zum Teil dadurch verdeckt, dass der Textverfasser dem Komponisten
reichlich genug Gelegenheit gibt, pathetisch zu sein und ihn nicht mehr nötigt, seine
Vorliebe für diese Schreibweise an dem unrechten Orte zu betätigen. In seiner neuen
Oper kann Blech einerseits in der Schilderung häuslicher Verhältnisse sich einer harm-
losen, liebenswürdigen Ausdrucksweise befleissigen und andererseits seiner Neigung zum
grossen Stil ebenfalls Rechnung tragen. Da aber diese beiden Arten der musikalischen
Betätigung des Blechschen Talentes so sehr von einander verschieden sind, so vermisst
man immer noch die Einheitlichkeit des Stiles schmerzlich und wird die Empfindung
nicht los, es mit einem Werke zu tun zu haben, dem trotz zahlreicher Schönheiten und
feinster kompositorischen Arbeit doch die Geschlossenheit des organischen Kunstwerkes
mangelt. Die Sätze in geschlossener Form stehen musikalisch der Art und Weise, in
der Blech den Dialog komponiert, vollständig fremd gegenüber und die verstandes-
mässige Arbeit, die auf den Effekt ausgehende Berechnung, tritt so stark hervor, dass
man sich ihrem abkühlenden Einfluss nicht entziehen kann. Im einzelnen hat man
indessen genug Gelegenheit, das reiche Können Blechs zu bewundern, der übrigens
dort, wo er sich natürlich gibt, weit mehr Erfindung beweist, als an den pathetischen
Stellen, bei denen sich ziemlich viel »Nachempflndung* bemerkbar macht. Ein grosses
Wollen offenbart auch das neue Werk Blechs ganz deutlich und, da sich dieses Wollen
mit einem so tüchtigen Können paart, so verdient es alle Hochachtung. Aber den er-
hofften Fortschritt bedeutet die neue Oper nicht, ja es dürfte nicht an Stimmen fehlen,
die »Das war ich* noch als einheitlicher im Stil und echter im ganzen künst-
lerischen Wesen bezeichnen werden. Dass der Textdichter das romantische Element so
stark beschnitten hat und uns, statt uns im Märchenreiche heimisch werden zu lassen,
die Raimundsche Fabel in ziemlich rationalistischer Form vorführt, hat vielleicht den
Komponisten in einigen Fällen um ein paar besonders schöne Musikstficke gebracht, aber
auch ohne dies hätte er auf Innerlichkeit mehr Wert legen sollen, als auf die Häufung
von Schwierigkeiten und den oft ftist nervösen Wechsel von Rhythmen und Tonarten.
Der Erfolg war anftinga nicht unbestritten, später aber ungeteilt und stark, ohne indes
aassergewöhnlich zu sein. Am besten wirkte der zweite Akt mit der in Wahrheit ent-
151
KRITIK: OPER
zückenden ersten Szene ror dem Huttchen des Tischlers und Dorfmosikanten. Unter
Leitung von Genertlmusikdirektor r. Schuch verlief die Aufführung glinzend. Die
Herren Scheidemantel, Perron, Rüdiger, Jiger und Greder sowie die Damen Krull, Nast,
V. Charanne, Eibenschütz und r. d. Osten leisteten in den Hauptrollen durchweg Vor-
zügliches. Der Komponist konnte nach dem zweiten und dritten Akte zahlreichen
Henrorrufen Folge leisten. F. A. Geissier.
ELBERFELD: Zur neuen Spielzeit bat die Direktion Gregor mit frischer Kraft ein-
gesetzt. Nachtlager, Bajazzo, Wildschütz, Margarethe, Troubadour, Lohengrin, Martha
gingen bis jetzt über die Bühne und befriedigten Kritik und Publikum in gleicher Weise.
Neben bewihrten ilteren Kräften, wie Menzinsky, ron Haxthausen, Foerster, Whitehill,
Spiess, Arnold, Wissiak, Valentin führten sich als neugewonnene Mitglieder die Damen
Adam, Kaliina, Honigberger, Radö und die Herren Sorani, Regneas, Hanke recht günstig
ein. In den szenischen Arrangements erweist sich Jacques Goldberg als ein sach- und
fticbkundiger Regisseur, während in Fritz Cassirer ein routinierter, temperamentvoller
Kapellmeister neben Baldreich getreten ist. Der erste Gast wird Sigrid Amoldson als
»Mignon' und i^Trariata*, die erste Novität »Röslein im Hag* von Cyrill Kistler sein.
Ferdinand Schemensky.
FRANKFURT A. M.: Ein Richard Wagner-Cyklus von Rienzi bis zur Götter-
dämmerung hat hier viel Anteil gefunden, da die Rollenbesetzung gegen früher ein
vielfach stark verändertes Bild ergab. Das Jugendwerk kam neueinstudiert zum Vorschein;
unser Forchhammer repräsentiert den letzten der Tribunen sehr würdig, noch heldischer
als den Siegfried am Schluss der Trilogie; Kapellmeister E. Kunwald lässt in jugend-
lichem Eifer manchmal noch agogische Gegensätze schroflT hintereinander eintreten.
Eine noch jüngere Kraft, der Baritonist Buers, der hier vor 2 Jahren von der Pike auf
l>egann, ist nunmehr bis zum Holländer, Wotan und Wanderer avanciert und entledigt
sich der Aufgaben gesanglich sehr schön, indessen das Spiel noch oft der fesselnden Eigen-
schaften entbehrt. Als Erik trat Emil Borgmann (ein Bayreuther Erik) sein hiesiges
Engagement verheissend an, aber auch er muss noch arbeiten, um für seinen Amtsvor-
^nger Tijssen, der jüngst seine hiesige, rasch befestigte Position verliess, durchaus Ersatz
zu bieten. Tijssens Stolzing steht namentlich im guten Andenken. Im Tristan musste
Anton Bürger aus München in der Titelrolle beispringen, in der Walküre Bucksath aus
Mannheim als Wotan; besonders angenehm ward Dr. Prölls Kurwenal vermerkt, weil er
hierzu auch die nötige Reckenhaftigkeit in Erscheinung und Spiel besitzt. Die Mitwirkung
eines Frl. v. Statzer, die ohne besondere Ankündigung als Fricka im Rheingold und
Götterdämmerungs-Nome auftrat, fand bei Kennern Beachtung. In den Alberich teilen
sich jetzt Breitenfeld und Steffens; von letzterem hörte ich die Szene mit Hagen so
packend und so klar in der Sprache, wie ich sie seit Bayreuth nicht gehört.
Hans Pfeilschmidt.
HAMBURG: Unter Bedingungen, die bei ehrlichem künstlerischem Wollen an leitender
Stelle einen recht günstigen Verlauf der neuen Spielzeit verbürgen könnten, hat am
1. September mit dem «Fidelio' unsere Oper ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Freilich
wird man gut tun, auf ein wirklich planvolles künstlerisches Arbeiten nicht allzu fest
zu bauen, denn unser Theater, ein reines Geschäftsunternehmen, das sich bei vielen
guten Momenten doch von einem durchaus merkantilen Betrieb niemals entfernte, dies
Theater ist nun einmal in einer Weise aufgezogen, die immer zuletzt von der Kunst
wegführt. Damit hierin eine Änderung eintreten könnte, müssten nicht nur unsre auf
ihre Art wirklich recht tüchtigen, fleissigen und betriebsamen Herren Direktoren sich
ändern — auch das in seiner Majorität leider recht undisziplinierte und bei allem En-
thusiasmus so recht konfuse Publikum, müsste im Theater etwas anderes sehen, als es
152
DIE MUSIK III. 2.
bisher in ihm erblickte. Das Material, mit dem unsere Oper in ihr neues Arbeitspensum
hineingeht, ist, wie eingangs erwähnt, gut, ja glänzend. Zu Birrenkoven und Pennarini,
zu Frau Fleischer-Edel, Frl. Beuer, Frl. v. Artner, Frau Hindermann, zu Dawison und Lobflng
— Künstlerinnen und Kfinstlem von verbreitetem Ruf sind Frau Metzger-Froitzheim, die
berühmte Altistin, Frau Fränkel - Claus, die grossartigste lebende Isolde, Herr Tyssen,
ein junger Tenorist van Dykschen Genres, und der Baritonist Bronsgeest, ein talent-
voller Schiller Stockhausens, gekommen — ein Opemensemble, wie ein Stadttheater
sich's wahrlich nicht besser wünschen kann. Und an die Spitze dieses Ensembles ist
jetzt neben Carl Gille, den genialen Instinkt- und Temperamentsdirigenten, in Gustav
Brecher ein bewusstes Dirigenten phänomen von eminenter Bedeutung getreten. Brecher
leitet heute, ein Jüngling von knapp 24 Jahren, Wagnerscbe und Mozartsche Werke in
einer Weise, die an die gewaltige schöpferische Dirigeotentatkraft Gustav Mablers heran-
reicht. Der Musiker darf sich den Namen Brecher, ganz i»fremd vorm Ohr* klingt er
ihm schon ohnehin nicht, merken. Heinrich Cbevalley.
KÖLN: Das »Ereignis* des diesjährigen Herbstes ist die Einführung des von Graz
gekommenen neuen Leiters der Vereinigten Kölner Stadttheater, Direktors Otto
Purschian. Hat der neue Pächter des grössten rheinischen Tbeaterinstituts hier eine
durch ein gewisses Missverbältnis zwischen der Zahl der ernsten Kunstfreunde und dem
umfassenden Betriebe der beiden Häuser bedingte einigermassen schwierige Situation
angetreten, so kann man sich andererseits nicht der Einsicht versch Hessen, dass Purschian
während der jetzt abgelaufenen ersten 4 Wochen das immer Mögliche getan hat, um
durch künstlerische Mittel seine Chancen zu verbessern und sich weitere Kreise des
etwas zurückhaltend gewordenen Theaterpublikums zu erobern. Die Zurückhaltung hat
nichts mit den Leistungen des frühem Bühnencbefs Julius Hofmann zu tun, sie datiert
vielmehr seit der vorjährigen Eröffhung des neuen Theaters, an das sich die Kölner nur
langsam gewöhnen, während sie sieb dem alten Hause bei der Umwälzung der Verbältnisse
entfremdet haben. Um nun zunächst wenigstens seinen Leistungen eine rege Auf-
merksamkeit und in deren Gefolge eine tatsächliche Anteilnahme von selten des Publikums
zu sichern, hat Direktor Purschian sich vor allem bemüht, das Repertoire in beiden
Häusern so reich an Abwechslung, wie nur möglich, zu gestalten, wobei hüben und drüben
Oper und Schauspiel, so weit es angeht, bunte Reihe zeigen, während immerhin nach
Beschaffenheit der äusseren Vorbedingungen der Schwerpunkt der Oper, und zumal der
grossen, auf dem neuen Hause beruht. In 28 Tagen wurden unter den Kapellmeistern
Prof. Arno Kleffel, Gustav Meyer, Wilhelm Mühldorfer und Franz Weissleder
20 verschiedene Opern herausgebracht und, was mehr gilt als die Ziffer, diese den ent-
ferntesten Zeitepochen, allen möglichen Nationalitäten und mosikaliscben Richtungen
angehörenden Werke zeigten durchweg bei stilgerechter Herausarbeitung ihrer Cha-
rakteristiken eine sehr würdige Gesamtaufführung. Ein Teil des frühem solistischen
Stammes ist dem Institut verblieben, dann aber bat die Direktion bei der Anwerbung
einer grossen Zahl neuer Kräfte, an deren Spitze der hervorragende Dirigent Weissleder
zu nennen ist, eine glückliche Hand gehabt. So gefielen in erster Linie die Altistin
Anna Hofmann, die jugendliche Sängerin Marie Marx, die dramatische Singerin Marie
Brandis, die Soubretten Bella Alten und Rosa Waraiy, die Koloratursängerinnen Melanie
Domenego und Angdle Vidron; dann ftinden die Tenöre Bucar und PIficker viele Be-
achtung. Weniger minder glückliche Engagements können das aussichtsvolle Gesamt-
bild nicht trüben. Besonderen Erfolg erzielten die nach sorgAltiger Neueinstudierung
erfolgten vortreflPlichen Aufführungen von Giordanos .Fedora' (mit Frida Felser und Adolf
Gröbke), von «Evangelimann* und »Tannhäuser*. Da Direktor Purschian auch eine grössere
Anzahl Novitäten erworben hat, darf man der weitem Entwicklung der Dinge mit Ver-
trauen auf gut künstlerische Ergebnisse der Saison entgegensehen. Paul Hiller.
153
KRITIK: OPER
KOPENHAGEN: Die Opernsaison der Kgl. Bübne wurde tm 2. September mit einer
Aaffühning ron AugustEnnas frfiber scbon in Aarbus und von der hiesigen Volksoper
gespieltem musikalischen Mürchen »Die Erbsenprinzessin" (nacb Andersen) eröffnet.
Das kleine Werk hatte nicht eben grossen Erfolg, wurde aber freundlich, teilweise mit
Heiterkeit, aufgenommen. Ohne besonders originell zu sein, verrit die Musik die sichere
Hand des Komponisten; der mit Vorliebe verwendete, nur nicht streng eingehaltene
Rokokostil verdeckt nicht den Mangel an wirklicher Märcbenstimmung und Fröhlichkeit.
Ennas bekannter Klangsinn, wie seine Kunst, dankbare Gesangspartieen zu schreiben,
verleugnet sich auch in dieser Oper nicht. Dr. William Behrend.
KRAKAU: Zur Jahreszeit, um welche in aller Herren Lindern die Opembübnen noch
feiern, pflegt in der Jagellonenstadt seit einigen Jahren eine Opern-Stagione zu be-
ginnen. Bis vor kurzem waren es minderwertige, italienische Ensembles, die fast aus-
schliesslich italienische Opern zur Aufführung zu bringen pflegten. Erst Ludwig Heller,
der Gründer der Lemberger Philharmonie, mit dessen Namen die Hebung des musi-
kalischen Niveaus Galiziens für immer verknüpft ist, rief durch Vereinigung der hervor-
ragendsten polnischen Opemkräfte das erste rein polnische Opern-Ensemble ins Leben,
mit welchem er. Dank dem prachtvollen, unter Leitung des Kapellmeisters Ludwig
Czela^ski stehenden Lemberger Philharmonie-Orchester, dem hiesigen Publikum zum
erstenmale das europäische Opern-Repertoire in polnischer Sprache darbot. Als grösstes
Verdienst rechnen wir Herrn Direktor Heller einwandfreie Wiederholungen von Lohengrin,
Tannhiuser und Walküre an, welch letzteres Werk zum überhaupt erstenmale in
polnischer Sprache zur Aufführung gebracht wurde, und zwar in der Übersetzung des
auch in Deutschland als Wagnersänger bestbekannten Heldentenors Alexander v. Band-
rowski, der als Lohengrin, Tannhäuser und Siegmund prachtvolle Leistungen bot und
in der Elsa, Elisabeth und Sieglinde der Primadonna Irene Bohuss-Hellerava eine
ebenbürtige Partnerin fand. Unter den übrigen Sangeskräften des Ensembles verdienen
lobend hervorgehoben zu werden: der phänomenale Warschauer Bassist Adam Didur,
femer die Tenöre: FlorjaiSski und Drzewiecki, die Baritone: SzymaiSski und Ludwig und
die Singerinnen: Frenklöwna, Kurzöwna, Otto und Marek u. a. Zum Schluss möchten
wir noch an dieser Stelle einigen hiesigen »Musikrezensenten'' den wohlgemeinten Rat
erteilen, vor der »Kritisierung'* Wagnerscher Meisterwerke diese etwas gründlicher zu
studieren, um nicht Inhaltsangaben der „Walküre** z. B. ihren Lesern aufzubinden, die
einen deutschen Statisten erröten machen würden. Bernard Scharlitt.
LEIPZIG: Von den August- und Septembervorstellungen der hiesigen Oper heben sich
bedeutsamer ab die Neueinstudierungen von Meyerbeers »Der Phrophet* und Webers
»Euryanthe* — erstere von Kapellmeister Hagel, letztere von Kapellmeister Porst mit
vollem künstlerischen Ernst besorgt — sowie die von Prof. Nikisch geleiteten Auf-
führungen von »Siegfried* und „Walküre**, die gleichsam als Vorproben zu einer für die
Zeit vom 4. bis 21. Oktober angekündigten zyklischen Vorführung aller Wagner-Dramen
vom i»Rlenzi* bis zur „Götterdämmerung** gelten konnten. In den erwähnten, neuein-
ttudierten Opemvorstellungen leisteten sehr Erfreuliches Jacques Urlus als Johann,
Frl. Sengem als Fides und als Eglantine, Frl. Korb als Bertha, Herr Moers als Adolar,
Herr Schütz als Lysiart und last not least die vortreffliche Paula Doenges, die glücklicher-
weise für 20 Gastspiele an der hiesigen Bühne verpflichtet wurde, als Euryanthe. In
einer späteren Wiederholung der Meyerbeerschen Oper sang lebhaft umjubelt die grosse
Meisterkfinstlerin Frau Schumann-Heink die Partie der Fides. Weniger erfolgreich ver-
lief das Gtstspiel einer anderen Berliner Hofopernsängerin, der Frau Plaichinger, die
als Brünnhilde in der „Walküre** doch nur eine stimmlich mittelgute und darstellerisch
konventionelle Leistung zu bieten vermochte. Vorzüglich gaben Herr Moers und
154
DIE MUSIK 111. 2.
Frau Doenges das leidvoll liebende WUsungenpaar wieder, und Tüchtiges leisteten
Urlus als Siegfried, Schutz als Wotan und Wandrer und Marion als Mime. Die
Auffühningen unter Prof. Nikitch brachten viel Feines im Orchester, ermangelten aber noch
der temperamentvollen Grosszugigkeit in der Interpretation, deren gerade die Nibelungen in
hohem Grade bedürfen. Für den Wagner-Zyklus stehen ausser Arthur Nikiscb, der die
Nibelungen-Abende und »Tristan und Isolde* dirigieren soll, noch einige anderen Giste
in Aussiebt: Prof. Panzner als Dirigent der Meistersinger- Aufführung, Frau Leffler-
Burckard als Isolde, und Perron als Wolfram und als Wandrer. Als Norititen
werden für das Spieljahr 1003/1904 versprochen: »Domröschen* von Humperdinck, »Don
Pasquale* von Donizetti (in der Bierbaum-Kleefeldschen Bearbeitung), »Der Dusle und
das Babeli* von Kaskel und »Tosca* von Puccini — als weitere Neueinstudierungen
aber »Robert der TeufeP, »Teil**, »Der Vampyr*, »Cosi fan tutti*, »Der schwarze Domino',
»Des Teufels Anteil* und »Genovera*. Auch in der Operette stehen einige Novititen —
»Bruder Straubinger* von Eysler, »Frühlingsluft* von Reiterer, »Florodora* von Stuart
und »Der Rastelbinder* von L6har in Sicht. Möchte mit dem vielen Neuen auch ein
neuer künstlerisch gewissenhafterer Arbeitsgeist, wie ein solcher an den beiden ersten
Neueinstudierungen unverkennbar sich betitigt hatte, dauernd der hiesigen Opembfihne
wiedergewonnen werden. Arthur Smolian.
KONZERT
AMSTERDAM: Das Konzertgebouw mit seinem glinzenden Orchester, das sich vor
kurzem erst beim R. Strauss-Festival in London reiche Lorbeeren erworben, stellt
eine ganze Reihe erlesener Genüsse in Aussicht Als Solisten werden erscheinen u. a.
F^lia Litvinne, Adrienne Kraus-Osbome, Hermine Bosetti, Elsa Hensel, sowie Messchaert,
Thibaud, Ondricek Carl Flesch (Nachfolger am hiesigen Konservatorium von Bnun
Eidering), Casals, Jos. Hofmann und Francis Planta. Im Oktober wird Gustav Mahler
seine dritte Symphonie aufführen, welchem Ereignis mit allgemeiner Spannung entgegen-
gesehen wird. — Als Bewerber bei dem kürzlich hier abgehaltenen Gesangwettstreit trat
als einziger deutscher Verein der Minnergesangverein Köln-Nippes auf. In einem Mittags-
konzert stellte er sich unter Prof. Fedor Bergers schwungvoller Leitung als fein geschulter
Chor vor und am Abend holte er sich den dritten Preis. Hans Augustin.
BERLIN: Bernhard Irrgang priludierte. Die einleitenden Klinge galten ihm selbst
In den 300 Orgelkonzerten liegt eine grosse Kulturarbeit Solche Pioniere sind
wertvoll. Auch um den Kirchengesang ist es etwas Schönes, wo Seele und Musik, Stil
und Technik vereint sind, was weder bei Fri. Kaufmann, noch bei Frau Herms-
Sandow zutrifft Hekkings Kantilene ging tiefer als ihre Stimmen. — Ein Verleger —
D. Rahter — gab den Kindern seines Verlsges ein Fest Die Rahtersche Idee ist gut,
Mls sie ideelle Zwecke verfolgt Nur eins: Kunst lisst sich nicht machen! Wer mit
ihr hausieren geht, muss schon Genieware haben. In dem »modernen Liederabend*
gab's nur »Halbftibrikate*. Von den: Walter Rabl, Ermanne Wolf- Ferrari, Alex,
von Fielitz, Willy von Moellendorff, Hugo Kann, Hans Hermann, können nur
»Steigende Nebel* (op. 10 und 1 1 von W. von Moellendorff) und Hans Hermanns graziös-
koketter »Frühling* und das frech-frumbe Rauf- und Sauflied »Vor der Schenke* als
gangbare »Artikel* gelten. Der Griechen- und Kreterwein mundete schlecht, und was
sonst an bunten Bindern und Glassichelchen vorhanden, nahm wenig für sich ein« Aber
die Rahtersche Idee ist kühn und keck. Ein Breitkopf & Hirtel-, Schott-, Simrock-» Utolff-,
Schlesinger-, Peters-Abend — die Kunst nicht auf staubigen Böden und als wertiote
Makulatur, sondern als klingende Ware auf offienem Markt und in freiem Wettbewerb —
nicht übel! Es Hesse sich schnell die Spreu vom Weizen sondern. — Arthur Perleberg
155
KRITIK: KONZERT
teilt das Schicksal der vorigen. All den Kompositionen fehlfs an Kern und Charakter,
an Temperamentsdurchschuss. Oder soll man die «Berceuse* vom Prinzesschen mit den
Sternenkrönchen, oder das schummerige ^^Abendlied** von Hugo Kaun (mit obligater
Violine — con sordino) und deriei Zuckerblckerware etwa für Kunst halten? Wiege-
weiche-Wasserrosenpoesie und Oberfllchenkunst — was soll's?! Echte Perlen und Lieder
haben Meerestiefe und -Grund. — Eduard Gaston6 (Bass-Bariton) wirkte statisch. Musik
und Seele: marmorkalt und tot. Wo die Rohmittel schwerer wiegen als die Kunstmittel,
ist das Spiel verloren, das Organ hat keinen Kunstwert. — Giovanna Tornelli würde
fester dastehen, wenn sie weniger Flackerung und mehr Stauung bitte. Die Partie
.hinterm Segel" liegt brach. Es fehlt an Knochenresonanz. Vortrag und Temperament
würden bei stehendem Tone an Tiefwirkung gewinnen. In Betzy Gebhardt sehe
ich ein pianistisches Volltalent, das der nachdrücklichsten Förderung bedarf. War der
GriflP der Es-dur-Polonftse-Chopin auch verfehlt, so war Ton und Technik doch von un-
gemeiner Ursprünglichkeit und natürlicher Rundung. Der Deppesche Satz: Schöne Be-
wegung — schöner Ton war hier praktisch verwirklicht. Aber eins: Der Charakter der
Polonäse liegt im blitzenden Rhythmus, in einem «rhythmischen Pathos*. Die Begleitung
hat Hauptwert, keinen Nebenwert. Also die Bisse marcato, und die ersten Achtel an-
geschleift! Der Rhythmus muss tanzen. Rudolf M. Breithaupt.
Die Herren Halir, Exner, Ad. Müller und Dechert boten an ihrem ersten gut
besuchten populären Quartettabend Mozart F-dur, Beethoven e-moll, dessen langsamer
Satz herrlich wiedergegeben wurde und Haydn D-dur op. 76; so sehr die Leistungen
dieser Quartettvereinigung im allgemeinen anzuerkennen sind, so darf doch nicht ver-
schwiegen werden, däss in den Schlusssitzen der beiden ersten Quartette der Primgeiger
mitunter unrein und unsauber gespielt hat. Die Geigerin Theresa Versel genoss bei
ihrem Debüt den Vorzug, mit Herrn Prof. James Kwast nicht nur die Brahmssche
d-moU-Sonate zu spielen, sondern auch von ihm ihre Solls begleitet zu erhalten; in
Saint-Saöns' erstem Konzert kam ihr prichtiger voller Ton, ihre solide Technik und ge-
sunde Auffassung aufs beste zur Geltung. Noch weit günstiger führte sich ihre Konzert-
partnerin Anna Jungren ein; ihr wundervolles, künstlerisch ausgebildetes Organ, ihr
warmes Empfinden und ihr anmutiger, keuscher und schön durchdachter Vortrag gewann
ihr im Sturm den Beifall der Zuhörer; mit grösstem Genuss, an dem auch Eduard
Behm als Begleiter einen grossen Anteil hatte, hörte ich Cornelius' Brautlieder und
einige Wolfsche Perlen. Frl. Jungren darf getrost ihrer künstlerischen Zukunft entgegen-
sehen! Ob dies bei der etwa 14jlhrigen IdaMampel der Fall sein wird? Sie hat eine
ganz respektable Technik, aber ihr Klavierspiel schmeckt noch zu sehr nach der Schule,
der sie noch lange nicht entwachsen ist. Ein Vortragskünstler von Intelligenz ist der
stimmgewaltige Baritonist Viktor Porth, der trotz einiger Übertreibungen besonders
Schumanns Belsazar gut zur Geltung brachte, von Otto Bake vortrefflich begleitet.
Dr. Wilh. Altmann.
BRESLAU: Fanny Moran-Olden und Kammersinger Bertram gaben im Börsensaal
ein Konzert zum Besten der Oberschwemmten in Schlesien. Wlhrend Bertram
gUnzend disponiert war und mit bekannten Opernarien grosse Wirkungen erzielte, wurde
seine Frau durch eine aufftillend starke Gemütsdepression an der vollen Entfaltung ihrer
noch immer betrlchtlichen Mittel gehindert. Mit gutem Erfolg konzertierte unter Prüfers
Leitung der Königliche Domchor aus Berlin. Oberorganist Starke hat seine jlhr-
lichen Gratis-Orgelkonzerte wieder aufgenommen. Unter den von ihm zur Belebung der
Konzerte herangezogenen Vokal-Solisten trat bedeutsam Robert Daehmke hervor,
ein aus der Schule Alfred Schauers hervorgegangener hoher Bass mit ungewöhnlichen
Stimmmitteln. J. Seh in k.
156
DIE MUSIK III. 2.
BUKAREST: Die Saison 1902/3. Ein trauriges Ereignis leitete unsere diesjlbrige
Spielzeit ein: der Tod des aucb im Ausland wohlbekannten ausgezeichneten
rumlnischen Komponisten J. Ivanovici. Er starb in der Bifite seiner Scbaffenskrafr und
hinterliess eine Menge Kompositionen, besonders Tlnze; seine Walzer sind voll Zartheit
und Eigenart. — Die Konzertsaison begann unter den lockendsten Aussichten. Johann
Strauss jr. eröffnete sie mit seiner in vielen Beziehungen trefflichen Kapelle. — Einer
der besten Tenoristen unserer Tage, Franz Naval, errang bei uns schöne Erfolge. Er ist
ein Kunstler ersten Ranges, auf jedem Gebiet des Gesanges bewandert. — Der russische
Vokalchor der Frau Nadina Slaviansky, aus Mlnnem und Kindern bestehend, machte
uns mit der nationalrussischen Musik und ihren grossen Meistern bekannt. Wir be-
wunderten die Eigenart des Volkslieds mit seinem unbeschreiblichen Reiz, die Abwechs-
lung feiner und fröhlicher Accente mit ernsten und rauhen, die dem Ganzen einen solch
pittoresken Zauber verleiht. Am Ende des Konzerts produzierten sich die Balalaika-
spieler. — Zu den bedeutendsten Ereignissen der Saison gehörten unstreitig die Konzerte
von Moritz Rosenthal; er fand beim Publikum, das von diesem phänomenalen Kfinstler
geradezu enthusiasmiert war, ausserordentlichen Beifall. Ahnliche Triumphe feierte
Leopold Godowsky. Als Virtuose Rosenthal gleich, übertrifft er ihn als Musiker.
Ausser in Beethovenschen Sonaten zeigte er seine einzig dastehende Virtuosität
besonders in den von ihm arrangierten Chopinschen Etüden. — Von Geigern sind
zu nennen Thibaud, Ondricek und Enesco. Ersterer, ein treflPlicher Interpret klassischer
Musik (Kreutzersonate, mit dem hervorragenden Klavierspieler L. Wurmser) glinzte
besonders auch in der Wiedergabe modemer französischen Stficke. Unser einheimischer
Violinvirtuose Enesco, frfiher der deutschen Schule zugehörig, hat sich jetzt ganz
der französischen zugewendet. Zuletzt Schüler Marsiks, liat er viel von der Art
seines Lehrers fibernommen: den vielleicht etwas zu sehr vibrierenden und sfissen, an-
sprechenden Ton, die reiche Farbe, die Gewandtheit und Prizision in der technischen
Bravour. ~ Prof. Dinico, der erste rumlnische Violoncellist, zeigte seine Meisterschaft
in der Sonate op. 69 No. 3 von Beethoven und im schwierigen Konzert von Saint-Saöns.
Er ist der Begrfinder des „Carmen Sylva'-Quartetts, dem Enesco als Primgeiger an-
gehört. Ihr Programm enthielt u. a.: Trio H-dur von Brahms; Dumky, Klaviertrio; die
Quartette No. 4 op. 18 von Beethoven und das in a von Schubert. Das Quintett von
C. Franck wurde tadellos zu Gehör gebracht. Am dritten Kammermusikabend spielte
Enesco eine eigene Sonate, die viele harmonischen und polyphonen Schönheiten ent-
fallt — Von grossem Interesse waren diesmal die Symphonischen Konzerte. Mit dem
zweiten feierte man ein Jubilium; es war das 150. unter Leitung des Dirigenten
Ed. Wachmann. Zur Aufführung gelangten: Die Jahreszeiten, Ouvertfire zu den »Fehm-
richtem" von Berlioz, Symphonie B-dur von Schumann, Pastoralsymphonie von Beethoven,
eine Suite und zwei Rumlnische Rhapsodieen von Enesco, Tannhiuserouvertfire, .Traum
der Jungfhtu" von Massenet, Symphonie No. 3 von Mendelssohn, .Sigurd Jorsalfar* von
Grieg, «Impressions de ritalie" von Charpentier. Das 5. Konzert ftind unter Mitwirkung
Max Pauers statt, der das g-moll-Konzert von Mendelssohn und das erste Lisztsche vor-
ffibrte. Jean Scborr.
FRANKFURT a. M.: Den Anfang im Konzertleben machte diesmal das Opernhaus,
das ffir seine sechs Abonnementskonzerte viermal auswärtige Dirigenten stellt.
Diesmal war es Niki seh, der abermals stfirmischen Beiftill davontrug, der ihm
namentlich um seine ungemein interessante Leitung der symphonischen Dichtung
»Francesca da Rimini* von Tscbaikowsky und des Tristanvorspiels vollauf zu gönnen
war, wogegen in der ersten Symphonie von Brahms einige Nuancen etwas ft«md und
gekfinitelt berfibrten und das Orchester nicht immer edel klang. Die Ankfindigungen
r^ KRITIK: KOHZERT Q^Q^
verheisscD eine HocbBut Ton Konterten, man iltalt jetzt schon etva 40 grosse Orchester*
und Ontorieoabende und 35 Kammermusik- Produktionen.
Hans Pfellaclimfdt
KONSTANTINOPEL: Die ruaslaclie Pianistin Mad. Pekachen gsb mit gutem Erfolg
im Saal der russischen Botschaft iwei Konzerte. Sie ist eine Tortreiriicbe Pianistin
und erfreute durch poetische AuFhssung und saubere Technik. Zvel andere russischen
KGuBtier lleasen sich gleichfalls hSren; sie hatten auch die Ehre, vor S. M. dem Sulun
tu spielen. Frau Dolina glinzte durch ihr prichtiges, fein geachuliei Organ, und durch
ihre vollendete AuRassung. Prof. Auer entzückte durch klassische Ausfiihrung, reifste
Technik mit Immer noch jugendlicher Begeisterung in Spiel und Auffassung. Auch der
Ritter vom hohen C, Vemer Albertl, hnd viel Belhll. Der Pianist Friedenihal gab nur ein
Konzert. Sein Nacbfblger, der Hexenmeister Godovskr» erregte durch seine pblnomenale
Technik, seine vortreffliche Interpretation auch klassiscber Stücke allgemeine Bewunderung.
In aelnem Partner, Prof. Dlnico aus Bukarest, lernten wir einen vorzGgllchen Violon-
cellisten mit prichtlgem Ton und feuriger Auffassung kennen. Eine Italienisch- russische
Opemtruppe unter dem Impresario Casteliano bietet seit drei Monaten dem Publikum
wlbrend der konzcrtiosen Zeit angenehme Unterhaltung durch annehmbare AufTChningen
mli guten Solisten, ChSren und reichhaltigem Repertoire. Vas unsrer TQrken-Haiipntadt
nun der Tinter und der Frahllng bringen wird — wissen allein die Gatter!
Paul Lange.
EINGELAUFENE NEUHEITEN
bOcher
Ernst Hirscbberg: PublikMioaeo der internatiooalen Mnslkgeiellicbaft BefhetI X.
Die EncyklDpidistCQ und die rranzSslscbe Oper Im 18. Jsbrbundert. V«rlac:
Breltkopr & Hlrtel, Uipilg.
Auguit Iffert: Allgemeine GeHngicbule. A. TbeoreHsclier Teil. 4. AuH. Ebeadi.
Iwin Knorr: Aufgaben für den Untenicbt in der Harmonielebre. Ebendt.
Hngn Rleminn: System der musiksUscben Rbyttamlk und Metrik. Ebenda.
Dr. F. A. Stelnbausen: Die Pbysiologie der Bogenfübrung auf den Slrelcblnsiruinenien.
Ebenda.
Mejrers Grosses Konversailons-Lexikon. Ein Nacb seh läge werk des allgemeinen
Tissens. Sechste, ginillch neubearbeltele nnd vermehrte Auflage. Band IV.
(M. lOv) Verlag: BIbIfograpbiscbes Institut, Leipzig and Wien.
R. Schulivelda: ,Tie soll icb singen?" Gemelnnnuiger Vortrag, gebsltea allen Ge-
sangstudierenden und Slngem. 3. Aufl. (M. 0,00.) Im Selbstverlag.
Dr. L. Mfiffelmann: Richard Wagner und die Entwlckelung lur roenscbllchen Freiheit.
(M. 1.) Verlag: Richard Schr&dcr, Berlin.
Dr. Karl Siorck: Das Opembucb. Ein Führer durch den Spielplan der deutschen
Opembübnen. 3. Aufl. (Geb. M. 3.) Mntbacbe Verlagshandlung, Stuttgart.
Max Reger; Beltrlge zur Modulation sieb re. (M. 1.) Verisg: C. F. Kahnt, N^ Leipzig.
MUSIKALIEN
J. F. Reicbardt: Goethes Lieder, Oden, Balladen und Romanien. Zum Teil neu
herausgegeben von Hermann Wetiel. Verlag; Eisoldt & Rohkriraer, Berlin.
Engen Teizel: Neuer Lehrgang des Klavienpiels mit einer Begleltbrosctaiire. <M.3,30.>
Amsdena Wandelt: Walser tfir Pianoforte. op. 20. Eigentum des Komponisten.
Joh. Seb. Bach: Toten priludium. Ffir Posaunen, Pauken und Orgel bearbeitet von
O. Wangemann. (Partitur und Stimmen M. 1^) Vertag: Eisoldt & Roh-
krlmer, Berlin.
E. Wooge: aLyrische Weisen". Drei Klavieraificke. op.'il. (Preis komplett M. 1,2a)
Zwei Weihnachtslieder mit Klavierbegleitung, op. 12. No. I: Weihnachtslied;
No. 2: ChristnacbL (k M. 0,6a) Ebenda.
Nicolai TOD Wllm: op. 191. Intermezzi für Pianotbrt«; No. 1; Intermezzo giojoso;
No.2: Intermezzo «chersando (it M. 1,50). op. 188. Six Bagstelles ffir Pleno-
tbrte. (M. 1,20^) Verlag: Bosworth & Co., Leipzig.
Oscar Beringer: Neue Sonatlnen für Planotbrt«. No. i: Soaedne Pastorale; No.2:
Sonatine Martlale. (k M. 2.) Ebenda.
Rud. Weinwurm: Potmes (Stimmungsbildar). 12 Klavierstücke. No. I: Am Kamin;
No. 2: Faacbinga-Nacbkiinge; No. 3: Frühlingslied; No. 4: Frühlings Er>
wachen; No.5; Poime de Mai; No.6: Wanderlled; No.7: Friscbar Hauch;
No. 8: Ernte Lied; No.O: Jagdlied; No. 10: Welkes Laub; No-il: Dahin;
No. 12: Wlnterlaune; (No. 1, 4, 7, S, 9 nnd 12 k M. i;», No. 2, 3, 5, 6, 10
und 11 k M. I.) Ebenda.
A. Tellier: ComposMons modernes tSr Pianoforte, No.O: Plainte d'Amour. (M. L)
Ebenda.
159
EINGELAUFENE NEUHEITEN
Herman Zumpe: Zwei Gesinge für gemischten Chor. No. 1: Der 91. Psalm;
No. 2: Der 23. Psalm, (ä M. i;aO.) Weitanachtslied von Peter Cornelius
fQr 1 Singstimme mit Begleitung des Pianoforte. (Orgel, Harmonium. M. 1.)
Verlag: Gebr. Hug & Co., Leipzig.
Friedrich Smetana: Dalibor, Oper in 3 Akten von Josef Wenzig; Klavierauszug mit
Text Deutsche Buhnenbearbeitung von Max Kalbe ck. Verlag: Hermann
Seemann Nfg., Leipzig. (Universal-Edition.)
Georg Friedrich Haendel: 10 Altarien aus Opern und Oratorien mit Begleitung
des Klaviers. Bearbeitet von Otto Dresel. (M. 4). 13 Sopranarien aus
Opern und Oratorien mit Begleitung des Klaviers. Bearbeitet von Otto
DreseL <M. 5.) Verlag: Max Brockhaus, Leipzig.
Ernst Otto Nodnagel: Gesinge mit Begleitung des Orchesters, op. 16 „Neurotika^
vier Liebesgesinge für Bariton und grosses Orchesternach Felix Dorm an n;
Klavierausgabe. I. Heft. No. 1: Sei mein! No. 2: Stumme Liebe. (M. 2,10.)
IL Heft. No. 1: Vergieb! No. 2: Niemals. No. 3: Epilog. (M.2,40.) Gesinge
mit Begl. des Orchesters, op. 18. „Impressionen"; acht lyrische Skizzen
ffir eine mittlere Singstimme und Orchester. Klavierausgabe. I. Heft. No. 1:
»Traumelf" von W. Valloth; No. 2: „Glfick* von K. Busse; No. 3: „Flocken-
fall" von F. Dörmann; No.4: „Morgenstimmung* von K. Bleibtreu. (M.2,40.)
IL Heft No. 5: .Nordwind" von F. Ddrmann; No. 6: .Es ist ein Flfistem*
von Th. Storm; No. 7: »Die Regenströme rauschen" von F. Ddrmann;
No. 8: «Einsam" von F. Dörmann (M. 2,10). Lieder und lyrische Rezitative.
Gedichte von Goethe und Richard Dehmel. op. 26. Drei Gedichte von
Richard DehmeL No. 1: Klage; No. 2: Ernte; No. 3: Die Reise. (M. 2,10).
op. 27. Fünf Gedichte von Goethe. No. 1: An die Entfernte; No. 2:
Ernster Verlust; No. 3: Hoflfhungslos ; No.4: Erinnerung; No. 5: Am Flusse.
(M. 3,00.) op. 28. »Kamilla." Drei lyrische Rezitative. No. 1 : Einzig dein
(Goethe); No. 2: Der Sturm (R. Dehmel); No. 3: Sehnsucht (Goethe).
(M. 2,10.) op. 29. Traugesang nach Th. Kerner. (M. 1,50.) op. 32. Vier
lyrische Rezitative. No. 1: »Frage nicht" von N. Lenau; No. 2: «Ach wirst
du niein" von N. Lenau; No. 3: «Deine Stimme" von A. v. Platen. No.4:
«Lobgesang" von R. Dehmel. (M. 3.) op. 34. Fünf Lieder. No. 1: «Liebchen
im Garten" von J. Marbach. No. 2: «Das BlQmchen" von J. Marbach; No. 3:
«Volkslied" von Fr. Held; No.4: «Idyll" von L. Dombrowsky; No. 5: «Lied
des Fischermldchens" von J. Wefte. (M. 3,60.) op. 36. «Chrysis." Vier
lyrische Rezitative. No.l: «Der Asra" von H. Heine; No.2: «Alte Geschichte"
von H. Heine; No. 3: «Viel zu lieb" von H. Heine; No. 4: «Mignon" von
Fr. Rfickert (M.3,60> Verlag: Drei Lilien, Berlin, op 33. Vier Gedichte von
Richard Dehmel, fOr eine Singstimme und Klavier. No. 1: Die stille Stadt;
No.2: Heimat; No. 3: Waldseligkeit; No.4: Viegenlied. (M. 1,50.) Verlag:
Ostpreussische Druckerei und Verlagsanstalt Akt-Ges., Königsberg i. Pr.
Frank L Limbert: op. 20. Ffinf Gesinge mit Begleitung des Pianoforte. No. 1: Lied
eines wahnsinnigen Mldchens; No.2: Mysterium; No.3: Pyrenaeen am Abend
(erste Fassung); No.4: Pyrenaeen am Abend (zweite Fassung); No.5: Goldene
Sonne. (No. 1, 4 und 5 1 M. 1,20, No. 2 M. 1, No. 3 M. 1,50.) Verlag:
Ernst Germann & Co., Regensburg.
BioMadiiiigen lind nur an die Redaktion su adretsieren. Betprechunf eimelaer Werke Torbehalten. Ffir die
Pmfti chiim uaTerlaagt eiafesaadtcr Bücher und Musikalien, deren Rücksendung keiaetfidU ttattfiadef, fibff-
aahmea Redaktion und Veriag keine Oanati«f
Zu ForUetiung und Scbluti dei Artikel« Ton E. vui der Straeieo bringen wir heute iwei
Jugeodblldoisse too Robert (nacb dem Stieb von Krlebnber) und Ciara
Schumann, sowie die Reproduktion einer lebensvollen Bütte der Grelain nacb
dem Original von Fr. Hauamaon-
Dea Nacbruf Josef Siitards mSge daa Bild von Tbeodor Kirchner Illustrieren, das die
luasere Äbnllcbkelt des Tondichters der klavierlati sehen Miniaturen mit Beethoven
sprechend veranscbaullcbt
Zum Cedenkblati Max Steuers gehört das Bild der seinerzeit in Italien wie In Deuisch-
Isnd gefeienea Bfibnenslngerin Caroline Unger.
Aa die Tiedetkebr des Todestages eines bedeutenden frantSsiscben Meisters (f am
17. Oktober 1893) erinnert das Bild von Charles Gonnod. Der liemllch seltene
Stich lelgt den Komponisten des sFaust" in der Vollkraft seiner Jabre.
Den unliogst verstorbenen, hsuptslchlicta auf dem Gebiet des Liedes auageiei ebneten
sympsthischeo Komponisten Anton RückauT (cf. Totenschau) führen wir unsem
Lesern im Bild vor.
Berichtigung: Von geschlttter Seite werden wir darauf antaietksam gemacht, dass das
Bild In Heft 23 nicht den Vor^nger Job. Seh. Bachs im Thomasksntorat,
Johann Kuhnau (1667—1722), sondern den verdienten Musiker und Schulmann
Jobann Christoph KShnau (1735—1805) daralelll. Der Herr Einsender besitzt
die Vorlage unaerer Reproduktion, einen Stablsticb, der auf die Utelaelte folgenden
Terks gedruckt ist: .Alte und neue Choralgesinge vierstimmig ausgeaetit von
Jobann Christoph KChnau gewesenem Kantor und Mntikdirektor bei der Dreifsltig-
keitsklrche II. Aufl. herausgegeben vonjobsnn Friedrich Vllbelm Kfibnau. Berlin,
Im Verlag des Heranagebers 1817'. Jedenfalls wird die Vorlage des Herrn August
Spiita heran sgescbnitten sein, so dass ein Versehen leicbt möglich war.
Die heulige Musikbeliage fSr Klavier zu vier HInden ist dem op. 24 dea russischen
Tensetzers Paul Juon entnommen, der uns das interessante, durch den unge-
wohnten, konsequent durchgeführten Vecbsel des Rhythmus in jedem Tskt be-
tooders^reli volle Stück zum ersten Abdruck freundlichst überlassen hat
Verutvortlicher ScbrifUeiter: Kapellmeltter Bernhard Scbntter
Berlin ST. 11, LnckenwBldentr. 1. III.
/>
,f€k.^^^/-'
.^-v/-,.
(«fcU^-V!',^^.
CLARA SCHUMANN o
EOSTE von KK. HAUSMANN
THEODOR KIRCHNER
-j-19. SEPTEMBER 1903
CAROLINE UNGER
«28. OKTOBER 1803
ANTON ROCKAUF o
flu. SEPTEMBER 1903
2. Spieler.
Allegretto.
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Stieb «. Druck« Berliner BinsikaÜen Dmekeret Q.a.b. R. Ch*rlotleiibvr?f.
_3»A/-~itt5F_TS..
„Ober die allen' Tonarten srudiert, die mir immer un-
klarer werden. Abends Stunde bei Baini, dem es aucb nur
balbdunkel oder balbbell zu sein scheinti
Einen Tag in der Vocbe muss leb docb den alten Ton*
arten widmen. Ich arbeitete bierin, wiewobl leb glaube, dass
es liemllcli nutzlos ist. Ein Gegenstand, der vor300Jabren
scbon nicht mebr klar war, hat durch den Verlauf dieser
Zwischenzeit an Klarheit natürlich nicht zunebmen kSsnen."
Otto Nicolai, Tagebücher, 8. und 21. Juli 1835.
Ijoll eine Lehre verstanden werden, so muss sie verständlich sein;
I Nutzen wirken, so muss sie wahr sein. Die bisherige
, Lehre von den Kirchentönen ist leider sehr unverständlich und
' häufig auch unwahr. Hier Wandel zu schaffen, ist der Zweck
eines Aufeatzes, der im Auszug folgt.
Die Kirchentöne scheiden sich in drei Dur- und drei Molltonarten.
Dem Ionischen, Mixolydischen und Lydischen Hegen die Töne einer
Dnrtonleiter zugrunde, nur dass das Mixolydische eine kleine Septime, und
das Lydiscbe eine übermässige Quarte aufweist. Z. B.
Ionisch mlxolrdisch lydiscb
cdeTgabc gahcdefg fgahcdef
Dem Äollschen, Doriseben und Phrygischen liegen die Töne einer
Molltooleiter mit kL Septime zugrunde, nur dass das Dorische eine grosse
Seite, und das Phrygische eine kl. Sekunde aufweist. Z. B.
ioliscta dorisch phrygisch
ahcdefga defgahcd efgabcde
Den Tönen der genannten Reihen gesellte sich friihzeitig der Ton b,
und zwar mehr als leitereigener, denn als chromatischer Ton. Dazu traten
noch die durch die ersten drei Kreuze bezeichneten Töne: fis, eis, gis —
so dass also für jede Tonart elf Töne vorhanden waren.
C lonlscta A aolisch ,_ G mixolydJBcb
164
DIE MUSIK III. 3.
D dorisch F lydisch E phrygisch
Ausser den sieben Stammtönen finden wir also nocli im
Ionischen: Ob. 1 üb. 4 üb. 5 kl. 7
Mixolyd.: üb. 1 kl. 3 üb. 4 gr. 7
Lydischen: üb. 1 fib. 2 r. 4 Ob. 5.
Demnach unterscheidet sich
das Mixolydische vom Ionischen und Lydischen dadurch,
dass es kl. 3, aber nicht üb. 5 haben kann;
das Lydische vom Ionischen und Mixolydischen,
dass es üb. 2, aber nicht kl. 7 haben kann;
das Ionische vom Mixolydischen und Lydischen,
dass es weder kl. 3, noch üb. 2 haben kann.
Mit anderen Worten: durch Anwendung
einer üb. 5 in einem mixolydischen Satze,
einer kl. 7 in einem lydischen Satze,
einer kl. 3 oder einer üb. 2 in einem ionischen Satze
wird das Wesen der betreffenden Tonart zerstört.
Ausser den sieben Stammtönen finden wir noch im
Äolischen: kl. 2 gr. 3 gr. 6 gr. 7
Dorischen : gr. 3 üb. 4 kl. 6 gr. 7
Phrygischen : gr. 2 gr. 3 verm. 5 gr. 6.
Demnach unterscheidet sich
das Dorische vom Äolischen und Phrygischen dadurch,^
dass es üb. 4, aber nicht kl. 2 haben kann;
das Phrygische vom Äolischen und Dorischen,
dass es verm. 5, aber nicht gr. 7 haben kann ;
das Aolische vom Dorischen und Phrygischen,*
dass es weder üb. 4, noch verm. 5 haben kann.
Mit anderen Worten: durch Anwendung
einer kl. 2 in einem dorischen Satze,
einer gr. 7 in einem phrygischen Satze,
einer üb. 4 oder einer verm. 5 in einem äolischen Satze
wird das Wesen der betreffenden Tonart zerstört.
Keine Durtonart hat kl. 2, kl. 6 oder verm. 5.
Keine Molltonart hat üb. 1, üb. 5 oder üb. 2.
Unter simtlichen Tonarten bat nur das Lydische keine kl. 7,
und nur das Phrygische keine~gr. 7.
»Der Regel Güte daraus man erwägt, dass sie auch mal 'ne Ausnahm^
verträgt'', singt Hans Sachs bei Wagner. In mehr als tausend Sätzen des
15. und 16. Jahrhunderts traf Verf. d. A. nur sechs Ausnahmen von diesen,
aus den Werken der Meister (nicht der Schulmeister) gezogenen Regeln
an: eine übermässige Prime im Dorischen bei Henry VI.; eine kleine
Sekunde im Dorischen bei Okeghem, Hobrecht und Brumel; eine kleine
165
ziEHN: Ober die kirchentöne
Sexte im Mixolydischen bei Brück; eine grosse Septime im Phrygischen
bei Eccard.
Im mehrstimmigen Satz dienten fis, eis und gis meistens als Dur-
Terzen oder als Grundtöne verminderter Dreiklänge. Als Quinten von
Moll- und übermässigen Dreiklängen sind sie selten, noch seltener freilich
als Bestfmdlfi^ille von Septimenakkorden. B erscheint als Grundton eines
Dur- Dreiklanges, als Terz eines Moll -Dreiklanges und kleinen Moll-
Septimenakkordes, sowie als Quinte eines verminderten Dreiklanges und
kleinen Septimenakkordes.
Jeder oben angeführten Tonart standen folgende Dur- und Moll-
Dreiklänge zur Verfügung. (Die letzten drei sind Seltenheiten.) Nach
F. M. Böhme waren es »im Ganzen nur sechs*".
^
it
\H I
Bei der gebräuchlichen Transposition in die Oberquarte erhielt jede
Tonart ein |? Vorzeichnung, und die in jeder Tonart möglichen Töne und
Dur- und Moll-Dreiklänge waren dann folgende
^^F
l>»t]« *4g
l?.
B^^Ej^T^i^T^^F^^TCflA
t
Bei der ebenfalls nicht seltenen Transposition in die grosse Unter-
sekunde erhielt jede Tonart zwei wesentliche 1?. Doch wurde häufig,
namentlich in einzelnen Stimmen, nur das erste vorgezeichnet und das
zweite zufällig gesetzt. Die hier verwendbaren Töne und Dur- und Moll-
Dreiklänge waren
i
Belege für das Vorkommen der selteneren Moll-Dreiklänge.
H-m. in C ionisch: Hobrecbt, geb. c. 1430, „La TortorelU*.
9 9 G mixol.: Wtlther, 1524, No. 15.
Fis-m. in A iolisch: Gutmmi, f 1501, Canzona fQr Orgel.
H-m. in D dorisch: Hassler, 1601, Lustgarten, No. 13.
« „ E phryg.: Lassus, Busspsalmen, 111,6.
H-m. in F ionisch: Schlick, 1512, Tabulaturen, No. 6.
E-m. in G dorisch: » » » No. 1 und 9.
Fls-m. in G dorisch: . . • No. 2 und 14.
166
DIE MUSIK III. 3.
H-m. in C dorisch: Henry VI, f 1471, «Et in terra*.
« „ G lolisch: Cabezon, geb. 1500, Orgel Vorspiel.
H-moll in Tonarten mit einem |? entspricht Fis-moll in Tonarten ohne Vorzeichnung.
E-moll „ „ » » » » H-moll » » » »
Fis-moll » , 9> » » » Cis-moU » » » »
H-moll » » » «wei t? , » » » » »
Ziemlich seltene Erscheinungen sind auch der As-dur- und der F-moU-Dreiklang.
Beide werden angewandt in dem oben angeführten C dorischen Satze von Henry VI.
und in den B ionischen Lamentationen von Carpentras (1532); der As-dur-Dreiklang
von Schlick, Tabulaturen No. 13, G iolisch; der F-moU-Dreiklang von Brück (1534)
und Fra Thomas (1565).
In Beziehung auf die Vorzeichnung ist
Ionisch » Dur;
Mixolyd. = „ mit 1 ^ weniger oder 1 f mehr;
Lydisch «, »It^ » »lj|»
Äolisch » Moll;
Dorisch -B « mit 1 [? weniger oder 1 | mehr;
Phrygisch =,,lj| , ^ ip n
Sätze in Kirchentonarten haben nicht immer die richtige Vorzeichnung.
Was in deutscher Tabulatur geschrieben wurde, hatte überhaupt keine, und
wird auch oft so in unsere Notenschrift übertragen. Um da die Tonart
zu erkennen, muss man sämtliche Töne in ihrem Verhältnis zur Tonika
betrachten, was auch bei Sätzen, die schon ursprünglich in Notenschrift
stehen, nie aus dem Auge gelassen werden darf.
In Schlicks Tabulaturen ist No. 11 D dorisch, No. 13 G äolisch. Eimer
setzt beiden Sätzen ein [? vor, während der erste keine Vorzeichnung haben
dürfte, der zweite dagegen zwei [? haben müsste.
A. G. Ritter lässt den D äolischen Satz „Erhalt uns Herr*, aus dem
Tabulaturbuch von Paiz, ohne Vorzeichnung, so dass er dorisch aussieht.
Mit einem t' statt mit zweien schreibt Hassler das B ionische „Es
spricht der Unweisen Mund wohl*; ebenso Gesius das D phrygische »Da
Jesus an dem Kreuze stund*.
„Nun bitten wir den heiligen Geist*, in F ohne Vorzeichnung, also
lydisch, im Strassburger Kirchenampt 1525 — in G ohne Vorzeichnung,
also mixolydisch, bei Witt 1715 — erscheint ionisch bei Walther, Eccard,
Hassler u. a. bis herauf zu Schiffer.
Das dorische „O Rosa bella* von Dunstable steht in Dr. Hugo Rie-
manns Illustrationen zur Musikgeschichte in D mit einem (f.
In Erks Sammlung der Bachschen Choralgesänge ist die Vorzeichnung
von 17 dorischen und 3 phrygischen Melodien äolisch, von 3 äolischen
und 1 phrygischen Melodie dorisch, von 2 lydischen und 1 mixolydischen
Melodie ionisch, zweier ionischen mixolydisch, und einer äolischen phrygiscb.
No. 185 bei Bach-Erk wird schwerlich als modernes Dur empfunden
167
ziEHN: Ober die kirchentöne
werden, doch lässt sich der Satz auch nicht einem bestimmten Kirchenton
zuweisen. Die Melodie enthält keine Septime, wohl aber eine übermassige
Prime; in den anderen Stimmen erscheinen noch kleine und grosse Septime
und übermässige Quarte; es sind Schlüsse im Mollton der Dominante und
im Durton der kleinen Septime vorhanden. Alles das kann sowohl im
Ionischen als im Mixolydischen vorkommen. Eine übermässige Quinte würde
den Satz zum ionischen stempeln, eine kleine Terz zum mixolydischen.
Nicht die Vorzeichnung (hier ist sie mixolydisch), sondern die Anwendung
gewisser Intervalle ist massgebend. Folgende Beispiele mögen zur Klärung
dieser Frage dienen.
Besondere Töne in
C ionisch C mixol. C lydisch
Gemeinsame Töne in C ionisch,
C mixolydisch (1» und C lydisch (l)().
m
(Im gleichnamigen Mixolydisch und Lydisch finden wir denselben Ton auf
verschiedenen Stufen: kl. 3 = üb. 2.)
Gemeinsame Töne in A äolisch,
A dorisch (l||) und A phrygisch (l|;^).
Besondere Töne in
A äolisch A dorisch A phrygisch
(Im gleichnamigen Dorisch und Phrygisch finden wir denselben Ton auf verschiedenen
Stufen: üb. 4 ~ verm. 5.)
Von zehn Melodien ist durchschnittlich eine nicht genau bestimmbar
in Beziehung auf die Tonart. V. d. A. fand unter 500 Melodien (Choräle,
Volkslieder und einige Meistersingertöne), vor 1600 komponiert, 38 in Moll
mit grosser Sekunde, doch ohne Sexte (also dorisch oder äolisch), und 12
in Dur mit reiner Quarte, doch ohne Septime (also mixolydisch oder ionisch).
Die Melodie „Nun bitten wir den heiligen Geist*, während des 16.
und 17. Jahrhunderts in F, entbehrt der Quarte im Strassburger K. A.,
bei Walther, Resinarius, Eccard, Gesius, Decker, M. Prätorius (1607),
Erythräus, Moritz von Hessen, Crüger, Witt (1715), Portmann und Schäffer,
und dürfte wohl ursprünglich lydisch gemeint sein. Mit einer Quarte fand
ich sie nur bei Hassler, M. Prätorius (1609) und Bach. Soweit meine
Kenntnis reicht, hat der Choral bisher noch keine lydische Behandlung erfahren.
Einige alte Meister gaben zuweilen äolischen und mixolydischen Sätzen
ein besonderes Zeichen: ein alleinstehendes |? auf der obersten Linie des
Diskantsystems (gelegentlich kommt es auch in anderen Stimmen vor).
Dieses [^ deutete in Moll die kleine Sexte und in Dur die kleine Septime
an. Beispiele aus Ambros-Kades „Auserwählten Tonwerken** (2. Auflage):
für Moll S. lO(Okeghem) und S. 29 (Hobrecht); für Dur S. 16 (Okeghem),
S. 67, 60, 120 (Josquin), S. 351 (Isaac). (Kades Fussnote auf S. 29 passt
108
DIE MUSIK III. 3.
nicht dahin.) Josquins Stabat mater, von Zarlino F ionisch, von Pietro
Aron F lydisch genannt, ist weder dieses noch jenes, sondern C mixolydisch ;
was durch die gelegentliche kleine Terz, sowie durch die besondere Vor-
zeichnung bewiesen wird. Der Cantus firmus ist allerdings F ionisch, aber
der Satz nicht; und in F lydisch gibt es kein es. Das Amen am Schluss
auf dem F-dur-Dreiklang ist als Anhängsel zu betrachten. In dem oben
angeführten Beispiel von Isaac steht der grössere erste Teil in G mixolydisch,
der Schlussteil in C ionisch.
Wenn zwei so berühmte Theoretiker des Mittelalters, wie Zarlino
und Aron, die Tonart eines Satzes nicht mit Sicherheit feststellen konnten,
so braucht man sich nicht zu wundem, dass auch in unserer Zeit noch
Verwirrung herrscht.
Die ioliscben Melodien „Christ unser Herr zum Jordan kam* und «leb ruf
zu dir* sind dorisch nach Mendel;
das äolische «Durch Adams Fall* ist dorisch nach Mendel und Böhme;
das ionische «Komm heiliger Geist, Herre Gott* ist dorisch nach Mendel und
mixolydisch nach Böhme:
das ionische «Gott hat das Evangelium* ist phrygisch nach Winterfeld und
äolisch nach Böhme;
das phrygische «Christus, der uns selig macht* ist äolisch nach A. G. Ritter;
das phrygische «Es weil uns Gott* ist äolisch nach Oskar Paul;
das phrygische «Christum wir sollen loben schon* ist phrygisch nach Böhmes
«Kursus in Harmonie*, dorisch nach dem dazu gehörigen «Aufgabenbuch*;
das äolische «Mag ich Unglück nicht widerstan* ist äolisch nach Böhmes
«Kursus*, phrygisch mit iolischem Schluss nach Böhmes Altdeutschem
Liederbuch, das überhaupt, was Tonarten anbetrifft, die spassigsten Angat>en
darbietet
Als Tonika ist der Schluss der Melodie anzusehen. Einige seltene Ausnahmen:
Der melodische Scblusston ist die Quinte der phrygiscben Tonart:
H. Sachs, 1519, «Der kurze Ton*;
M. Weisse, 1531, .Der Tag vertreibt die finstre Nacbt.*
Der melodische Schlusston ist die Terz der pbrygischen Tonart:
Steuerlein, 1588, «Das alte Jahr vergangen ist*.
Gumpeltzhaimer, 1619, «Wie lang*, o Gott*.
Der melodische Schlusston ist die Terz der ionischen Tonart:
Walter, 1548, «Gott hat das Evangelium*;
Hassler, 1601, «Mein G'müt ist mir verwirret*.
Manche Melodieen wechselten im Lauf der Zeiten die Tonart Im
Erfurter Enchiridion, bei Walther und Finck, ist die Melodie «Es ist das
Heil* mixolydisch, und «Diess sind die heil'gen zehn Gebot* dorisch. Erstere
kennen wir seitdem nur als ionisch, und letztere als mixolydisch. Das
dorische «Ach Gott, thu dich erbarmen* wurde bei Stobäus mixolydisch.
Dieselbe Veränderung erfuhr «Erschienen ist der herrlich Tag* durch
Gesius. aJesu, nun sei gepreiset*, dorisch bei Vulpius, M. Prätorius und
Witt, wird bei Bach und Vogler ionisch.
169
ziEHN: Ober die kirchentöne
Die Einfügung des b in die Tonarten ohne Vorzeichnung (oder des
es in die Tonarten mit einem l', usw.) wurde bisher allgemein nur für das
Dorische und Lydische angenommen.
In dem „Cursus'' von Böhme liest man, dass „im Mixolydischen zu-
weilen eine kleine Terz vorkomme, wodurch es sich ins Dorische um-
wandele«. A. G. Ritter berichtet, dass Adam Hiller, 1791, den Dur-Dreiklang
auf der erniedrigten Septime kurz vor der Dominante im Ionischen als
unleidlich bezeichnet habe. Er selbst nennt diesen Dreiklang eine «har-
monische Auffälligkeit, die im 15. Jahrhundert gebräuchlich wurde, um
1570 im Choralsatz aber bereits Mode geworden war*". Die kleine Terz
im Mixolydischen, sowie die kleine Septime im Ionischen (diese als Grund-
ton eines Dur-Dreiklanges), sind demnach nur als Ausnahme bemerkt worden.
H. Bellermann führt als Regeln auf: „Wenn eine dorische Melodie
von d aus sich bis zur Sexte erhebt und dann wieder abwärts nach a zurück-
geht, so muss das h in b verwandelt werden; geht sie jedoch weiter in
die Höhe nach c und darüber hinaus, so bleibt h. — Steigt eine lydische
Melodie nach der Quinte hin und darüber hinaus, so muss es h heissen,
geht die Melodie aber abwärts, namentlich zum Schluss, so wird b gesetzt.
— In den anderen Tonarten, der ionischen, phrygischen, mixolydischen
und äolischen, ist die Anwendung des b nicht zulässig, am allerwenigsten
aber in der phrygischen, deren Dominante h ist.*" (Beiläufig: Im Phrygischen
ist die Quinte nicht die Dominante; und nach unseren heutigen Begriffen
von der Dominante hat das Phrygische überhaupt keine.)
Die kleine Septime im Ionischen findet man u. a. an folgenden Stellen:
Schlick, Ttbulaturen, No. 6 (der einzige ionische Satz);
Lassus, Busspsalmen, in 16 aus 30 Sätzen;
Eccard, Geistl. Lieder „
Hasaler, Lustgarten, ^
« Kirchengesinge «
Stobius, Preuss. Festl., „
Kade, Auserw. Tonwerke, ,
Die kleine Sekunde im Äolischen:
Schlick, Tabulaturen, No. 13;
Lassus, Busspsalmen, in 11 aus 21 Sätzen;
Scandellus, «Auf dich trau ich" und „Lobet den Herren, denn";
Eccard, Geistl. Lieder u. Preuss. Festlieder, in 9 aus 17 Sitzen;
Hassler, Lustgarten, in 7 aus 12 Sitzen;
Stobius, Preuss. Festl. in 4 aus 5 Sitzen;
Kade, Auserw. Tonwerke, in 13 aus 22 Sitzen.
19
» 32
11
» 15
16
» 22
8
» 13
19
. 28
r»
Die kleine Terz im Mixolydischen:
Lassus, .Domine in auxilium* -~ „Parce mihi Domine* — Ut queant laxis*;
9 Busspsalmen, in 14 aus 22 Sitzen;
Palestrina, «O Domine Jesu Christe' (bei Bellermann I);
170
DIE MUSIK III. 3.
18 \
' > «Mitten wir im Leben sind*;
Palestrina, «Agnus Dei", 5 st. Doppellcanon;
« „Et in terra* a. d. Missa Papae Marcelli;
A. Gabrieli, 12st. Magnificat;
L. Schröter, «Veni creator spiritas*;
Heinr. Finck, .Es ist das Heil";
Hassler, Lustgarten, in 4 aus 6 Sätzen;
Ktde, Auserw. Tonwerke, in 13 aus 22 Sitzen;
Die verminderte Quinte im Phrygiscben:
Ltssus, Busspsalmen, in 16 aus 31 Sätzen;
Walther, 1524, «Christum wir sollen loben schon* (enthält die verm. Quinte 16mal).
Eccard, Geistl. L. u. Preuss. Festl., in 12 aus 16 Sätzen;
Demantius,
Erythräus,
Hassler, »Ach Gott vom Himmel* u. „Chr. wir sollen loben schon*;
H. Bellermann! 3 st. Fuge (Kontrapunkt, S. 313).
Kade, Auserw. Tonwerke, in 6 aus 22 Sätzen.
Die übermässige Quarte ist im Dorischen so gewöhnlich, dass
es kaum besonderer Angaben bedarf. Unter den 26 dorischen Sätzen der
Busspsalmen von Lassus ermangeln nur 4' dieses Intervalls, unter 20
dorischen Sätzen Eccards nur 6.
Die übermässige Sekunde ist im Lydischen fast allgemein an-
zutreffen. So in den beiden einzigen lydischen Sätzen der Busspsalmen
von Lassus; dem Qu! tollis a. d. Missa de beata Virgine von Heinrich
Finck (Kade hat die betreffende Stelle nicht bemerkt); dem 5 st. B lydischen
Choral «Welt ade* von Rosenmfiller; dem Choral »Wer Gottes Marter*
von Heinrich Schütz.
In den Tonarten ohne Vorzeichnung sind Teilschlusse auf dem H-moll*
oder H-dur-Dreiklang unmöglich; dagegen können solche auf dem B-dur-
und G-moll-Dreiklang stattfinden. Allgemein ausgedrückt: Teilschlüsse sind
unmöglich möglich
im Ionischen auf Moll u. Dur der gr. 7 auf Dur der kl. 7 und Moll der 5;
. Mixolyd. »«»»«gr. 3 ««» kl. 3« »»1
« Lydischen » »»»»üb. 4 «« « r. 4« „«2
« Äolischen « »»««gr. 2 «» « kl. 2« « ,7
« Dorischen « «««»gr. 6 »» « kl. 6« ««4
« Phrygiscben « ««««r. 5 «« « verm. 5 « « « 3.
F. M. Böhme sagt: «Das Dorische moduliert niemals ins Phrygische.*
Das bedeutet, ein dorischer Satz moduliert nicht in die Tonart der Wechsel-
dominante. Die Behauptung ist vollständig aus der Luft gegriffen. Phrygische
Modulation im Dorischen kann V. d. A. an 20 alten Choral- und Volks-
melodieen nachweisen. Man findet sie femer z. B. an folgenden Stellen:
Th. Stoltzer, 1526, der 12. Psalm, 2. Teil;
LassuSy Busspsalmen I. 2^ 6. u. 9. Satz, IL 3., 5^ 13. und 16. Satz, VII. 2. und 9. Satz;
Hassler, Lustgarten, No. 15, 17, 18, 28, 30;
Eccard, ebenCiüls in fünf Sitzen.
171
ziEHN: Ober die kirchentöne
Die Möglichkeit der Modulation eines Mollsatzes in die Tonart der
grossen Obersekunde ist ein Unterscheidungszeichen des Dorischen vom
Äolischen und Phrygischen.
F. M. Böhme: i,Dem Äolischen ist die Modulation nach dem Dorischen
versagt. ** Also ein äolischer Satz moduliert nicht in die Tonart der Unter-
dominante. Beweise des Gegenteils:
Hassler, Lustgarten, No. 8, 10, 25, 30, 37 (mit 9 dorischen Schlüssen),
43, 45, 50. V. d. A. vermag noch an mehr als 50 Sätzen und Melodieen,
die meistens sogar mehr als zweimal ins Dorische gehen, das Unhaltbare
der Behauptung Böhmes zu zeigen.
M. Hauptmann: »Bei den Schlüssen der Choräle und Volkslieder aus
alter Zeit schliesst die Melodie nicht aus dem Leitton, sondern aus der
Dominantquinte nach dem Grundton. ^ Entweder kannte Hauptmann nur
wenig Choräle und Volkslieder aus alter Zeit, und zwar zufälligerweise nur
solche, die seiner Behauptung den Schein der Berechtigung gaben, oder
er Hess unbeachtet, was seiner Meinung widersprach. Dutzende von Bei-
spielen »aus alter Zeit^ entziehen jenem Satze den Boden.
Robert Franz: «Der erste, der von der Art des alten Satzes abwich,
ist eigentlich Franz Schubert; bei ihm findet man zuweilen Akkorde, von
denen man gar nicht weiss, wo sie auf einmal herkommen; bei Schumann
findet sich das noch mehr. Diese Abweichungen liegen zum Teil darin,
weil die Alten das Verhältnis des 7. zum 8. Tone, die Septime, den Leitton,
der doch ein halber Ton ist, nicht kannten; die 7. bis 8. Stufe ist bei den
Alten immer ein ganzer Ton ; deshalb vermochten sie auch nicht aus einer
Tonart in die andere überzugehen.^ Eine der vielen unglaublichen
Äusserungen, die Meister Franz im Verkehr mit Dr. Waldmann von sich
gegeben haben soll. Das 8 st. dorische Stabat mater von Palestrina enthält
20 Abschlüsse (8 äolische, 5 dorische, 4 ionische, 2 lydische, 1 mixoL),
die sämtlich mit der Dominante gemacht sind. Das genügt wohl.
Nach einem Bericht in der Cäcilia, 1864, den Böhme in seinem
»Cursus* abdruckt, wurde von Rom aus bestätigt, „dass nach Tradition
und Gewohnheit der römischen Kirche im diatonischen gregorianischen
Gesang hinzugefügte Halbtöne bei Schlüssen und Einschnitten zulässig
seien.* Das hindert Böhme nicht, in demselben Kapitel seines Werkes
u. tu folgenden Satz niederzuschreiben: „In der mixolydischen Tonart wird
der tonische Ganzschluss stets mit Hilfe des Unterdominant-Dreiklanges
gebildet, ist also Plagalschluss (Kirchenschluss); einen authentischen Schluss
(Dominante-Tonika) hat sie nicht, weil ihr dazu der Leitton fehlt. "* Dass
dieser Ausspruch nicht auf Wahrheit beruht, dürfte aus nachstehenden
Angaben zu ersehen sein.
172
DIE MUSIK III. 3.
Unter den 11 mixol. Sätzen Walthers, 1524, befinden sich nur 2 mit
Plagalschluss, die übrigen 9 schliessen authentisch.
Der mixol. VII. Busspsalm von Lassus hat 1 1 mixol. Abschlüsse, von
denen 7 authentisch sind, nur 3 plagal, und einer wird mit der Wechsel-
dominante gemacht. Der ionische V. Busspsalm hat ebenfalls 11 mixol.
Abschlüsse, von denen 6 plagal sind, 4 werden mit dem Leitton und dessen
Terz oder mit dem verminderten Dreiklang auf dem Leitton gemacht, und
einer mit der Wechseldominante. Ausser diesen zweimal 1 1 mixol. Schlüssen
kommt in den Busspsalmen kein weiterer vor.
A. Gabrieli schliesst sein mixol. 12 st. Magnificat authentisch, dagegen
die ionische Fantasia Allegra für Orgel plagal.
Authentisch schliessen sämtliche mixol. Sätze Eccards in den „Geistl.
Liedern* u. den i,Preuss. Festl.**; die sämtlichen mixol. Sätze von Stobäus im
letztgenannten Werke; die sämtlichen mixol. „ Kirchengesänge ** Hasslers; in
Hasslers , Lustgarten* schliessen 2 mixol. Sätze plagal, die anderen 4 authentisch.
In Ambros-Kades i, Auserwählten Tonwerken* stehen 22 mixol. Sätze,
davon 4 mit plagalem Schluss, doch 18 ohne diesen.
Der ivphrygische* Schluss (z. B. in E: Dm. Ed., oder Dm. Em.) ist
dem Phrygischen ebensowenig eigentümlich wie der Kirchenschluss dem
Mixolydischen.
H. Bellermann lehrt in seinem „Kontrapunkt* für das Phrygische nur
den phrygischen Schluss, schliesst indessen die erste seiner beiden 3 st.
Fugen, desgleichen die 4 stimmige, mit Unterdominante-Tonika.
Goudimels 5 st. O crux benedicta und Vittorias 5 st. Agnus Dei, beide
abgedruckt in Bellermanns »Kontrapunkt*, schliessen ebenfalls plagal.
Walthers Wittemb. Gesangb., 1524, enthält 8 phryg. Sätze, 5 derselben
ohne phryg. Schluss. »Mitten wir im Leben* hat nur beim ersten Einsatz
des Tenors einen solchen Schluss, obwohl im ganzen sieben möglich wären.
Lediglich »Mensch, wiltu* und »Vivo ego* schliessen Dm. Em. (E-dur ist
hier undenkbar).
Die 14 phrygischen Abschnitte des phrygischen III. Busspsalms von
Lassus endigen sämtlich mit dem Kirchenschluss; und von den 16 phryg.
Abschnitten des phryg. IV. Busspsalms endigen nur 3 »phrygisch*, die
übrigen 13, darunter der letzte, ebenfalls mit Unterdominante-Tonika.
Eccard, 1507 u. 1508, schliesst von 16 phryg. Sätzen nur einen
phrygisch, alle übrigen plagal.
Hassler hat 1608 unter 11 phryg. Sätzen 2 mit phrygischem und 0
mit Kirchenschluss.
Stobäus bringt in den Bearbeitungen der Melodieen »Mein G'mfith ist
mir verwirret*, 1630 u. 1634, und »O Herre Gott, begnade mich*, 1644,
gar keinen phrygischen Schluss an.
173
ziEHN: Ober die kirchentöne
Es gibt phrygische Melodieen, bei denen ein phrygischer Schluss gar
nicht stattfinden kann, weil die beiden Schlusstöne eine fallende Terz bilden:
«Durch Adams Fall«, Walther, 1524, No. 17 — ^Erbarm dich mein«,
Erfurter Enchiridion — „Es woll uns Gott*" und «Ich hab geruft*, Strassb.
K. A. — «Ich weiss, dass mein Erlöser lebt**, Burgk — «So wolt ich gerne
scherzen (singen)«. Dahin gehört auch die Melodie «Herzlich thut mich
verlangen«, sobald man sie phrygisch auffasst, mit der seit Joh. Kuhnau
gebriuchlichen Schlusswendung, die wohl dem Tenor des Originalsatzes
von Hassler entnommen sein wird.
Von den 22 phrygischen Sätzen in Ambros-Kades «Auserwählten
Tonwerken« schliessen 5 phrygisch und 17 nicht phrygisch.
Unzähligemal tritt der phryg. Schluss in nichtphrygischen Kom-
positionen auf.
Der Schluss: Dm. Em., in alter Zeit nicht gar selten (besonders schöne
Beispiele: Josquin, «Pleni sunt« a. d. Missa Fange lingua; Fevin, «Descende
in hortum meum«; HofThaimer, «Meins Traurens ist«) und noch bei Bach
einigemal vorhanden (Erk, No. 213, 1. Zeile; Orgelwerke V, No. 36, Peters),
kommt in neuerer Zeit wieder zur Geltung, allerdings meistens als Halb-
schluss in Moll. Einige Beispiele: Brahms, op. 1, Scherzo; Raff, «Lenore«,
Fart. S. 220; Nicod6, op. 25, Klavier-Violoncello -Sonate, 1. Satz, Takt
120—133; StscherbatschefF, op. 15, No. 4, Takt 1 u. 2, 5 u. 6, 13 u. 14.
Andere Beispiele von Bach, Berlioz und Nicod6 sind in meiner Harmonie-
und Modulationslehre, S. 55, angeführt.
H. Bellermann behauptet, Sept. 1876, dass am Schluss mehrstimmiger
Gesinge in phrygischer Tonart die grosse Terz statt der kleinen seit dem
15. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag ohne Ausnahme gesetzt worden sei.
Im Mixolydischen sind nur Modulationen möglich in die Dur-
Tonarten der 4. und 7. Stufe, sowie in die Moll-Tonarten der 2., 5. u. 6. Stufe;
femer Teilschlfisse auf dem Dur-Dreiklang der 2., 5. u. 6. Stufe und der
kleinen Terz, sowie dem Moll-Dreiklang der 1. Stufe.
Im Lydischen sind nur Modulationen möglich in die Dur-Tonarten
der 2. u. 5. Stufe, sowie in die Molltonarten der 3., 6. u. 7. Stufe; femer
Teilschlfisse auf dem Dur-Dreiklang der 3., 6. u. 7. Stufe und der reinen
Quarte, sowie dem Moll-Dreiklang der 2. Stufe.
Im Dorischen sind nur Modulationen möglich in die Dur-Tonarten
der 3., 4. u. 7. Stufe, sowie in die Moll-Tonarten der 2. u. 5. Stufe; femer
Teilschlfisse auf dem Dur-Dreiklang der 1., 2. u. 5. Stufe und der kleinen
Sexte, sowie dem Moll-Dreiklang der 4. Stufe.
Im Fhrygischen sind nur Modulationen möglich in die Dur-Tonarten
der 2., 3. ii. 6. Stufe, sowie in die Moll-Tonarten der 4. u. 7. Stufe; femer
174
DIE MUSIK III. 3.
Teilschlüsse auf dem Dur-Dreiklang der 1., 4. u. 7. Stufe und der verm.
Quinte, sowie dem Moll-Dreiklang der 3. Stufe.
Zur Unterscheidung des mittelalterlichen Ionisch vom neuzeitlichen Dur.
Im Ionischen können ausser den sieben Stammtönen nur noch vor-
kommen: üb. 1, üb. 4, üb. 5 u. kl. 7; nur Modulationen stattfinden in die
Dur-Tonarten der 4. und 5. Stufe, sowie in die Moll-Tonarten der 2., 3.
u. 6. Stufe; femer Teilschlüsse auf dem Dur-Dreiklang der 2., 3. u. 6. Stufe
und der kleinen Septime, sowie dem Moll-Dreiklang der 5. Stufe.
Zur Unterscheidung des mittelalterlichen Äolisch vom neuzeitlichen Moll.
Im Äolischen können ausser den sieben Stammtönen nur noch vor-
kommen: gr. 3, gr. 6, gr. 7 u. kl. 2; nur Modulationen stattfinden in die Dur-
Tonarten der kl. 3, kl. 6 u. kl. 7, sowie in die Moll-Tonarten der reinen
Quarte u. Quinte; femer Teilschlüsse auf dem Dur-Dreiklang der 1., 4.
u. 5. Stufe und der kleinen Sekunde, sowie dem Moll-Dreiklang der kleinen
Septime.
Nach Oskar Paul bilden dorische und äolische Melodieen ihre Schlüsse
auf Prime, Terz und Quinte der Tonika. Das stimmt nicht. So bildet z. B.
Der Bruder Veiten Ton \ ^^^j ^^^^ ^^^ ^^^ ^^^. g^^j ^^^ ^^^ ^^^^^ ^ "
mit 8 Schlüssen J 9-^9
«Singen wir .us Herzensgrund« J
mit 7 Schlüssen j ^ '
* *^. „ «*w?« \ 2wei Sohl, auf der 2, einen auf der 7, einen auf der 4;
mit 7 Schlüssen | * > 9
Jesu, nun sei gepr.« l^,et.i m a n b ^ *%
, -Ä o .-t^ i fünf Schi, auf der 7, zwei auf der 2;
mit 10 Schlüssen J ' '
.Kommt her zu mir* |,ot.i «^^i » ^ »
, « o ..1- ) vier Schi, auf der 2, einen auf der 7;
mit 6 Schlüssen | ^ '
" ^ . *, o «.!>- \ zwei Schi, auf der 7, einen auf der 2, einen auf der 4;
mit 7 Schlüssen | > -» »
»Von üppiglichen Dingen- 1
mit 9 Schlüssen j '
-Wo soll ich mich hinkeren* 1 .«ui » a a t «^o
mit 6 Schlössen J '*•* ^"- •"' ^" *' *'"*" "" *" ^^
* "'f A o V?:f ? zwei Schi, auf der 4, einen auf der 7, einen auf der 6;
mit 6 Schlüssen j » > »
»Diess sind d. h. 10 Geb.* ) ,ot.i p ^ a x p ^ n
, ^ ^ ^,. \ zwei Schi, auf der 4, einen auf der 7;
mit 5 Schlüssen | ' '
i zwei Schi, auf der 2, einen auf der 4;
„Hilf Gott, wie ist« \
(Zinkeisen) \ fünf Schi, auf der 4, zwei auf der 7, einen aaf der 6.
mit 11 Schlüssen i
Allgemein wird gelehrt, dass die Alten weder Septimenakkorde noch
Quartsextakkorde anwandten. Auch dieser Satz ist unrichtig, wie u. a.
folgende Beispiele beweisen.
«Warum betrübst*
mit 5 Schlüssen
(^
ziEMN: Ober die kirchentöne
Du ■cbtatlratnjge dorische StabKt mater von PaleWrina birgt vleneha Quartgextaccorde,
Um diese Auszüge nicht allzusebr aDzuschwelleo, sind manche An-
gaben nur allgemein gehalten oder wurden stark verkürzt. Vieles blieb
unberührt, z. B. Aufdeckung weiterer Irrtümer, Umfang und Anfang der
Melodleen, Veränderung der Melodieen, der Untergang der Kircben-Tooaiten,
Bach und die Kirchen-Tonarten, die harmonische Behandlung gewiaser
Melodieeo bei verschiedenen Meistern und zu verschiedenen Zeilen, u. s. f.
DIE WIEDERGEBURT DER OPERETTE
von Dr. Erich Urbin-Berlin
•cjirr.^rirh''Rr
„Keine Gtttung 1» (erinc lu achten; jede iit
erfreulich, sobald ein grosses Talenr darin den Gipfel
erreichte." Goethe.
dem ernsten, strengen, tiefen Deutschland über die
\ Operette reden, ist eine heikle, zuweilen auch nicht ungeßhr-
' liehe Aufgabe. Dieses Deutschland ist so tier, stets so be-
: strebt, in jedem Ding die Abgründigkeit anzutrefTen, dass es für
eine Kunst der liebenswürdigen Oberfläche nur ein leichtes Achselzucken
übrig hat, den aber, der an solcher Kunst Gefallen findet oder gar ihren
Anwalt macht, sogar strenge straft. Es siebt in der Operette, diesem
heiter-lockeren Wesen, nur das Unwesen, das wie ein büser Traum gaukelnd
die Geister verwirrt, das den Geschmack des Publikums in die Tiefe zieht,
wo es ein Aufblicken zu hoher, echter Kunst nicbt mehr gibt. Sie ist
ihm ein Parasit an dem gesunden Leib des Schaffens. Eine schidlicbe
Giftpflanze aus sumpfigem Boden, da gestürzte Ideale modern. Sie ist
ihm im ganzen ein kulturfeindliches Etwas, das ertragen, seufzend ertragen
werden muss, weil es nun einmal existiert.
So eifert das sehr tugendhafte, sehr klassische Deutschland. Und ich,
obwohl ich sehr tugendhaft und sehr klassisch gern nur da bin, wo es
sich wirklich lohnt, eifere mit. Soweit nlmlich der Eifer gegen das geht,
was aus dem ursprünglich Gewollten geworden ist. Was sich heut so
»Operette* nennt. Mit einem Vort; was sich als Orif^nal ausgibt, wahrend
es doch nur fible Nachbildung, schlechtes Clicbi ist. Das .Clichi", die
handwerksmXssige Nachahmung künstlerischer Absichten, hat die ganze
Gattung durchdrungen. Es sitzt nicht nur in den beiden deutlich sicht-
baren und unterschiedlichen Teilen der Operette, im Libretto und in der
Musik. Es hat sieb glelchermassen in Stück, Liedertext, Musik, Orchester
Gesang, Vortrag, Darstellung, Kostüm, Dekoration, Regie wie ein schXd-
ticber Pilz eingefressen und überall ein Absterben der Motive und Formen
verursacht. An schlagenden Beweiaen solcher Verflizung und Verpilzung
177
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
ist kein Mangel. Wenn man will, sind — von wenigen rühmlichen Aus-
nahmen abgesehen — ein einziger grosser schlagender Beweis sämtliche
Operetten, die in den letzten zwanzig Jahren erschienen sind. Die i, Hand-
lung* einer Clich6-Operette -- soweit deren überhaupt vorhanden ist,
also besser der sogenannte „rote Faden** — wird dadurch angeknüpft,
dass ein Mägdlein einen Jüngling zum Ehegemahl begehrt, der seinerseits
das Mägdlein nicht nehmen mag oder durch ein zweites böses Mägdlein
daran gehindert wird, bis — ja, bis die Operettenmoral und das drohende
Ende des dritten Aktes eine Vereinigung des Mägdleins mit dem Jüngling
herbeiführen. Die anfänglich geplanten, dann heimtückisch hintertriebenen,
zum Schluss feierlich besiegelten Heiraten machen ungefähr die Hälfte
aller Fälle aus. In die andere Hälfte teilen sich friedlich die ausgesetzten,
schrecklich gepeinigten, im dritten Akt an Muttermalen, Medaillons, Notiz-
büchern, Dokumenten, Taufscheinen erkannten Kinder diskreter Herkunft
und die in Kleidern anderer herumlaufenden, mit ihnen zum allgemeinen
Gaudium verwechselten, gestossenen, geschlagenen, geprügelten, zer-
knitterten, zerknautschten Individuen. Soweit die „Handlung**, die «Idee*,
der »rote Faden*, der nun ganz einfach dadurch in Wirksamkeit gesetzt
wird, dass man sie — oder ihn — an einer beliebigen Anzahl von »Trägem*
— .Menschen* wäre zuviel gesagt — aufhängt. Das Arsenal der Glich 6-
Operette weist einen ganz stattlichen Vorrat an solchen » Trägern* auf. Da
ist der schmachtende, zumeist Tenor singende Liebhaber, in allen Jahr-
hunderten und Zonen anzusiedeln. Da ist die sopranierende, ebenfalls an
kein Klima und keine Zeit gebundene Liebhaberin. Da ist der Bösewicht,
die Inkarnation des Schlechten und Malitiösen, ausgestattet mit einem
knarrenden Bass. Da ist der Bariton, dem die Absolvierung »des Lieds*
— le lied, the song — obliegt. Da ist der Komiker, der im dritten Akt
»das Couplet* angetan mit den beliebten »aktuellen Strophen*, zum Ent-
zücken und unter lautem Jauchzen der Galerie zu singen hat. Da sind
— beherzt im ganzen sei's gesagt — all die lieben Gestalten, die uns so
vertraut erscheinen. Die wir freundlich grüssen, wenn wir ihnen begegnen.
Die wir kameradschaftlich mit »du* anreden. Die wir Bruder und
Schwester nennen. Hat der »Wortdichter* alles das getan, was meine
schwachen Kräfte nur anzudeuten vermögen, hat er sich zum Oberfluss
auch noch nach einem pittoresken Milieu umgesehen — seit »Mikado*
und »Geisha* spielt das Milieu eine grosse Rolle — , so trägt er das Werk,
den Abglanz seines strahlenden Innern, zum »Tondichter*. An dem ist
es jetzt, über den schönen Körper ein schimmerndes Gewand zu werfen.
In die güldene Krone die Perlen und Edelsteine zu fügen. Er macht die
Musik. D. h. nach dem Wörterbuch der Clich6-Operette : er stellt ein
Potpourri von Tänzen zusammen, von denen er annimmt, dass sie das
in. 3. 12
178
DIE MUSIK III. 3.
Publikum befriedigen und später zum kräftigen Kaufen der einzelnen
«Nummern** anregen werden. Mögen auch Situation und seelische Stimmung
mit nichten einen 7«- oder */^-Takt heischen. Das tut nichts. Er schreibt
munter seinen Walzer, seine Polka, seine Mazurka, seinen Rheinländer,
seinen Marsch. Einem Liebesduett hängt er unversehens einen Polka-
Schluss an. Und ein Couplet lässt er flugs in einen Walzer einmünden.
Denn er kennt sein Geschäft. Als kluger Mann sorgt er vor. Er blickt
in die Zukunft. Er sieht schon im Winter vor seinem Geiste — den
Sommergarten. Das Konzertpodium. Darauf die Militärkapelle. Vom den
ersten Bläser mit dem blankgeputzten Comet ä piston. Unten die atemlos
lauschende Menge. Darum schreibt er auch ein Potpourri von Tänzen.
Schliesst vor den dramatischen Forderungen einfach die Augen. Und noch
eins schreibt er. Und dies vorzfiglich. Den .Schlager'. O wunder-
sfisses Ding! Den »Schlager"! Wer ihn fände, dem gehörten die Schätze
der Welt! Der verstünde, wie Siegfried, den Gesang des Waldvögleins I
Was sind doch unsere alten Meister so gar bescheiden und dumm gewesen!
Sie . schwitzten noch nicht um den »Schlager". Sie sangen, wie's ihnen
um's Herze war. Und wenn's ihnen recht wohlig war, so wurde es eben
etwas, das nachher sich listig in aller Herzen schlich. So naiv sind wir,
Gott sei Dank, heut nicht mehr. Heut giert der Komponist nur noch
nach dem Einen. Dem »Schlager". Er ist das Loch in der Partitur, auf
das der Tondichter unverwandt starrt. Aber mit der Erfindung des
»Schlagers' allein ist es nicht getan. Wo er steht, wann und wie oft er
wiederkommt, das verursacht oft noch grössere Kopfschmerzen. Jeder
neue Operettenerfolg schafft neue »Schlager-Theorieen" und stürzt alte zu
Boden. Wenn es nicht so traurig wäre, lachen könnte man über das
fieberhafte Bestreben des Epigonen, dem Meister gleich- oder doch wenigstens
nahe zu kommen. Nach der »Fledermaus" und »Mamsell Angöt" war es
eine Zeitlang Mode, den Finalwalzer des zweiten Akts zum »Schlager" zu
stempeln. »Vogelhändler" und »Obersteiger" verwiesen ihn dann in den
zweiten Akt, wo er als »Lied mit Chor" erschien, um als Entreeakt vor
dem dritten Akt wiederzukehren. Die jüngste Manier stammt aus »Madame
Sherry". Hier taucht das »Youp-lä Catarina" zum erstenmal im zweiten
Akt auf, wird im Finale des zweiten Akts repetiert, liefert das Vorspiel
zum dritten Akt und beschliesst endlich die ganze Operette. Kaum hatten
nun die fingerfertigen Verhsser von „Cupido & Co/* gesehen, dass diese
Methode gut und zu loben sei, dass da wieder einmal das Urbild zu einem
herrlichen Clich6 vorlag, als sie behende es ebenso zu machen beschlossen.
Und wirklich steht der „Schlager** in beiden Operetten genau an derselben
Stelle. Er ist hier wie dort auch die einzig gute Nummer. Nur heisst
er dort „Youp-lä Catarina** und hier »Das Lied vom Titicacasee". Die
179
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE'
von der Fälle der auf sie losstürzenden Ereignisse gepeitschten Nerven
des Publikums reagieren in unseren Tagen nicht mehr auf eine schlichte,
schöne, gut gemachte Musik, wie sie die alten Meister schrieben. Schliess-
lich geht ihnen auch das Gleichgewicht und die Ruhe ab, um eine solche
ehrliche Kunst auf sich wirken zu lassen. Auch ist man ja zu unserer
Zeit so vergesslich. Man soll so viel behalten — und hat so wenig im
Kopf. Da braucht man einen Haken, an den man den Faden der Erinnerung
knfipft. Und diesen Haken — eben den „Schlager^S den „scenischen Tric** —
liefern Wort- und Tondichter in fröhlichem Verein. Man kann es nicht
leugnen: sie kommen damit einem Bedürfnis des Tages entgegen. Sie
kommen ihm aber leider auch allzu weit und allzu bereitwillig entgegen.
Sie machen sich das Leben zu leicht. Wenn das Ziel nicht mehr ist,
eine gute ebenmässige Musik zu schaffen, sondern nur ein Stück, das den
Leuten sozusagen ins Gesicht springt, so handelt es sich auch nicht mehr
um Produktion, sondern um das rein technisch glückliche Erfassen eines
günstigen Augenblicks. Das Komponieren ist kein heiliges Empfangen
mehr, sondern ein schlaues Auffangen, gleichviel von welcher Seite das
Resultat kommt, und so entflieht ungenützt die Stunde, die allein etwas
Künstlerisches hervorzubringen fähig war. Denn an das, was nachher ge-
schieht, wenn Wort- und Tondichter ihre Feder beiseite gelegt haben,
klammert sich keine Hoffnung. Die Kunst verhüllt ihr Antlitz. Das Hand-
werk triumphiert. Was Librettist und Komponist so fein ersonnen, so
klug begonnen, so listig gesponnen, wird nun rasch instrumentiert. Rasch
und roh, aus vollen Backen blasend, die Melodie dick unterstreichend.
Instrumentiert zumeist nicht einmal vom Komponisten selbst. Johann
Strauss (in seinen Anfängen), Carl Zeller und die kleineren alle haben
sich ihre Operetten instrumentieren lassen. Nach dem Instrumentator
kommt der Regisseur. Er setzt die Clich6-Operette in Scene. In die
Soene» die sie verdient. Natürliches Sprechen, natürliche Stellungen sind
dieser Scene fremd. Ungeniert und unbekümmert um den Sinn der
Situation und der Worte wird alles ins Publikum hinein gesagt. Der
höchste Gipfel aber ist dann erreicht, wenn im Finale was Beine hat,
nmrauscht von den Tonfluten des unisono arbeitenden Orchesters, an die
Rampe läuft. Soll ich noch etwas von dem Gesang sagen? Von den
mittelmissigen, mangelhaft gebildeten Stimmen? Von dem angeblich
»fbachen*, in Wahrheit unsäglich unfeinen Vortrag? Von den subtileren
Dingen? Von Kostümierung, Dekoration und Beleuchtung? Ich soll es
nicht! Ich bitte nur eins zu überlegen: nun sitzt der deutsche Kritiker
in dieser Vorstellung, vor dieser Clich6-Operette. Darf man es ihm da
fibel nehmen, wenn er bitter böse wird? Wenn er schreibt: „Diese Operette
Ist eitel Ohrenschinderei! Dieses Textbuch ist eine Ansammlung von Un-
12»
18Ö
DIE MUSIK 111. a
gereimtheiten I Diese Masik wiegt mich nicht in Träume, sie schaukelt
mich seekrank! Meine Meinung ist, die Operette starb!**? Er muss,
meine Freunde! Er muss! Aber —
Aber er hat nicht das Recht zu schreiben: «Die Operette ist ein
Unwesen, das wie ein böser Traum gaukelnd die Geister verwirrt! Die
Operette zieht den Geschmack des Publikums in die Tiefe, wo es ein Auf-
blicken zu hoher, echter Kunst nicht mehr gibt! Die Operette ist ein Parasit
an dem gesunden Leib des Schaffens! Die Operette ist eine schädliche Gift-
pflanze aus sumpfigem Boden, da gestürzte Ideale modern! Die Operette
ist im ganzen ein gewisses kulturfeindliches Etwas, das ertragen, seufzend
ertragen werden muss, weil es nun einmal existiert!" So zu schreiben, so
im allgemeinen zu schreiben, hat er nicht das Recht. Er muss wissen,
dass man das Genre nicht dafür verantwortlich machen darf, was in dessen
Namen, unter dessen Schutz gesündigt wird. Ist das historische Drama
darum schlecht, weil — ? Ist der Vers darum von der Bühne zu ver-
bannen, weil — ? Ist die Dialog- Oper darum ein Verbrechen, weil — ?
Die Operette hat ihre Berechtigung, ihre Bedeutung, ihre Ge-
schichte genau wie jede andere Kunstgattung. Nur muss man
auf ihre Anfänge zurückgehen. Unter dem vielen Schutt und Unrat,
den die Zeitläufte auf sie geschichtet haben, muss man sie hervorgraben.
Ihren Sinn muss man von neuem entdecken. Ihn deuten. Ihn beleben.
Und, ich versichere es, man wird seine kleine Freude haben. Die Schul-
weisheit lehrt, dass die Operette auf dem fauligen Boden der französischen
Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs gediehen sei. Dass sie rein musikalisch
sich als ein Produkt der Zersetzung, der Zersetzung der französischen
komischen Oper, darstelle. Darf man ihr daraus einen Vorwurf machen?
Ist nicht jedes Neue das Produkt einer Zersetzung? Setzt nicht alles
Werden und Entstehen ein Vergehen voraus? Ist nicht Wagners Musik-
drama ein Produkt der Zersetzung ebenso gut wie Ibsens modernes Schau-
spiel? Die Operette ist, so lehrt die Schulweisheit, nur in einem Organis-
mus möglich, dessen Glieder sich untereinander befehden. Gewiss. Aber
sagt man damit etwas nur der Operette Eigentümliches? Allerdings war
die korrupte französische Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs für die
Operette mit ihren vorwiegend satirisch-parodistischen Tendenzen der denk-
bar fruchtbarste und ergiebigste Nährboden. Aber darf man daraus eine
Schuld der Operette konstruieren? Allerdings lag die Operette fertig aus-
gebildet vor, als die komische Oper zerfiel. Aber in ihren Anfängen ist
sie ebenso alt wie die komische Oper selbst. Als die komische Oper
geboren wurde, regten sich bereits die ertten Keime der Operette. Und
es bedurfte nur eines günstigen Augenblicks, eines äusseren Anlasses, um
diese Keime zum jähen Aufechiessen zu bringen. Der OffSenbach der
181
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
ersten Periode knfipft an Duni, Philidor, Monsigny, Gr6try, DaUyrac
an. Und das Singspiel dieser Meister ist auch die Grundlage des späteren
Offenbach geblieben, als er immer breiter in den Formen, immer quellender
im Inhalt, immer üppiger in den Farben wird. Man erinnert sich, dass
die französische komische Oper ihre Entstehung der italienischen Opera
buflk verdankt. Oder vielmehr dem Bestreben französischer Musiker um
die Mitte des 18. Jahrhunderts, etwas der Opera buffa gleiches zu schaffen
und mit diesem Erzeugnis des Landes die verhassten Italiener aus Paris
zu vertreiben. Der Italiener Egidio Romoaldo Duni (seit 1757 in Paris)
schreibt französische Singspiele, darunter das bekannte ,Les chasseurs et la
laiti^re". Der Reihe nach treten auf Philidor (,Le soldat magicien" u. a.),
Monsigny («Le cadi dup^"* u. a.), Gr6try (»Le Huron" u. a.), und Dalayrac
(,Les deux petits Savoyards** u. a.). Eine deutliche Vorstellung dieses
musikalischen Lustspiels des 18. Jahrhunderts gewinnt man am besten aus
den kleinen einaktigen Singspielen, mit denen Offenbach im Jahre 1855
die «Bouffes Parisiens" eröffnete und die ihm ob ihrer Anmut und Melodieen-
frische von seiten Rossinis den Beinamen eines , Mozart des Champs
Elys^es" einbrachten. Auch Glucks ^Betrogener Kadi**, den die Wiener
Hofoper im Jahre 1881 erfolgreich auffrischte, ist ein instruktives Beispiel
fOr diese Gattung. Victor Mass6's einaktige Opern ^La chanteuse voil6e",
„Les noces de Jeannette** und »Galat^e* sind dagegen schon zu bewusst,
zu pointiert, zu süss in der Kantilene, zu hüpfend in den schnellen Zeit-
massen. Man kann sich die Gaben aus dem Frühling der komischen Oper
nicht anspruchslos, nicht heiter und naiv genug denken. Schlichte Natürlich-
keit bei Verwendung bescheidenster Mittel ist ihr am meisten hervorstechen-
des Kennzeichen. Sie leben vom Strophenlied und von der Romanze. Das
wird erst in der Folge anders, als die reicheren Talente Isouard, Boiel-
dleu, Auber, Adam sich der Gattung bemächtigen und sie auszubauen
beginnen. Heissere Sinnlichkeit durchdringt die sentimentalen Melodieen.
Straffere Rhythmen beleben die eiligen Stücke. Glühendere Leidenschaft
zittert in den dramatischen Sätzen. Tollere Lustigkeit kichert in den
heiteren Quiproquos. Die Ensembles werden kunstvoller. Die Finales
wuchtiger und komplizierter. Verschlungene Koloraturen zieren die Solo-
geslnge. Das Orchester redet eine eindringlichere und farbenreichere
Sprache. Die ganze Mache wird eleganter, glänzender, geistreicher. Niccolö
Isouard gehört zur Hälfte noch der alten Zeit an. Sein „Cendrillon" kommt
uns heut schon recht verstaubt und blutleer vor. Boieldieu mit der
»Weissen Dame" und dem » Rotkäppchen", Adam mit dem «Postillon von
Lonjnmean* leben noch frisch und ungebrochen unter uns. H6rold mit
seinem <in Frankreich sehr geschätzten) »Pr6 aux clercs", Hal6vy mit dem
(sehr zu Unrecht vernachlässigten) , Blitz" fallen bei der Betrachtung der
182
DIE MUSIK III. 3.
ganzen Art nicht allzu sehr ins Gewicht. Mit Auber aber befinden wir
uns schon mitten in der Operette. Dieser Meister — von allen Mit-
bewerbern unstreitig der erfindungsreichste und fruchtbarste — beginnt
nach einem schwachen Versuch, Boieldieu nachzuahmen (in der «Berg^re
chfttelaine**), als unbedingter Anhänger Rossinis (1823 «La neige"), erreicht
dann im «Maurer" und «Fra Diavolo* seinen Höhepunkt («Die Stumme
von Portici" steht als Einzelerscheinung vollkommen abseits) und endet
kaum einen Schritt vor der Operette. Man hat Auber im Gegensatz zu
den national - französischen Boieldieu, H6rold, Adam einen Pariser Kom-
ponisten genannt. Mit Recht. Nur das letzte Werk des 86 jährigen Ton-
dichters, »Le Premier jour de bonheur", weist noch einige liebenswürdige
Zfige des französischen Nationalcharakters auf. Vom «Schwarzen Domino"
(1837) an ist seine Musik eminent pariserisch. Das musikalische Gewebe
wird lockerer. Hier und da fällt eine Masche unbemerkt zur Erde. Tanz-
rhythmen werden bevorzugt, verhfillte und unverhüllte. Mit einem Wort:
wir sind mitten im Pariser Gewimmel. Den ländlich -heiteren Reigen der
Musen löst der Chahut der Montmartre -Schönen ab. Der Weg, den die
komische Oper von diesem Punkt nimmt und der schliesslich zu einer
reinlichen Scheidung in das führt, was heute «Op6ra Comique" heisst, und
in die Operette, ist unschwer aufzufinden. Auf der einen Seite Auber, der
die heiteren Elemente der komischen Oper immer mehr zur musikalischen
Burleske drängt. Auf der anderen Seite die Männer, die die ernsten
Bestandteile im «Drama lyrique" sammeln, das sich von der «Grand Op6ra"
nur durch die Anwesenheit des Dialogs und das Fehlen des Ballets unter-
scheidet. Es braucht nur jemand aufzutreten, der beherzt den entschei-
denden Schritt tut, und die Trennung ist endgültig vollzogen. Dieser Jemand
ist Jacques Offenbach. Das Signal zur Bildung der modernen «Op6ra
Comique" hat Meyerbeer mit seinen angeblich «komischen" Opern «Dinorah"
und «Nordstern" gegeben. Gefolgt sind ihm D61ibes mit «Jean de Nivelle",
«Lakm6" und «Kassya", Bizet mit «Die Perlenfischer", «Das hübsche Mädchen
von Perth" und «Carmen", Massenet mit «Don C6sar de Bazan", «Manon"
und «La Navarraise", Cbarpentier mit «Louise", Messager mit «Le Chevalier
d'Hermenthal". Die Titelheldin der Meyerbeerschen «Dinorah" ist eine
geisteskranke Ziegenhirtin; ihr als Begleiter beigegeben sind teils idiotische,
teils niederträchtige Individuen. Im «Nordstern" erfüllen wildes Kriegs-
geschrei, Rache, Wut, Verschwörung, Wahnsinn die Scene. In »Jean de
Nivelle" sind politische Intriguen die Triebfeder der Handlung; der Kavalier
Saladin wird im Zweikampf erschlagen, die Zauberin Simone übt ihr
dunkel-verbrecherisches Handwerk, im dritten Akt werden wahrhaft shake-
spearesche Schlachten geschlagen. Die Inderin Lakm6 in der gleichnamigen
Oper stirbt an Gift; durch die ganze Oper zuckt ein meuchlings ge-
183
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
Bchwungener Dolch. Die »Kassya'' durchtobt zigeunerische Ruchlosigkeit.
Am Schluss der »Perienfischer*' lodert wieder der Scheiterhaufen. Ohne
einen kleinen Wahnsinnsausbruch geht es auch in dem „ Hübschen Mädchen
von Perth" nicht ab. Carmen endet unter den Dolchstichen des rasenden
Jo86. »Don C6sar de Bazan" bringt die Verurteilung Don C6sar8 zum
Tode und die Anstalten zu seiner Hinrichtung. Manon stirbt an der
Landstrasse nach Havre. Die einaktige „Navarraise' wartet gleich mit
zwei Todesfallen auf und einem Lärm, von dem ein Dutzend dreiaktiger
Opern leben könnten. Der „ Louise' liegt eine teils schwül-sinnliche, teils
realistisch-krasse Handlung zu gründe. Messagers »Chevalier d'Hermenthal*'
gleicht in seiner Zusammensetzung dem Massenetschen »Don Cösar**. Die
Liste macht auf Vollständigkeit keinen Anspruch. Sie verzeichnet nur die
markantesten Beispiele und kann nach Belieben fortgesetzt, erweitert,
bereichert werden. Eins ist aber all diesen Werken gemein: sie sind ohne
Ausnahme leidenschaftlich -heroisch -blutrünstig. Heiterkeit, Grazie, Froh-
sinn gehen ihnen vollständig ab. Komisch ist einzig und allein nur noch
— die Titulatur. Durch den energischen Ruck, den die komische Oper
mit Mey erbeers »Dinorah*' nach der grossen Oper hin macht, entsteht
eine empfindliche Lücke. Und diese Lücke füllt ganz folgerichtig die in
Auber vorbereitete Operette aus. Die komische Oper alten Stils gleitet in
die Archive, von wo es keine Wiederkehr mehr gibt. Freilich, ausgestorben
ist die Gattung in Frankreich auch heut noch nicht ganz. Sie hat noch
einen späten, einen zweiten Frühling gezeitigt, dessen duftigste Blüten
Thomas' »Mignon"*, Maillarts »Glöckchen des Eremiten**, Camille Saint-
Safos' »Phryne«, Delibes' »Le roi Ta dit**, Bizets »Djamileh«" (fast fehlen
mir schon die Namen) sind. Allein — diesen Blüten fehlt die tauige
Frische, der starke Erdgeruch, das Unberührtsein.
Die Musikgeschichte nennt Auber den Grossvater, Florimond
Ronger-Herv6 den Vater, Jacques Offenbach den Vollender der
Operette. Ich füge dieser Ahnentafel noch den Namen Albert Grisars
za, der von 1808 — 1869 lebte, nette musikalische Dinge — halb komische
Oper, halb Operette — schrieb und mit Fug der Vetter der Operette
Messe. Wenn reiche Gaben, umfassendes Können und stattliche Erfolge
den Begriff »Vater** ausmachen, so ist in Wahrheit Offenbach der .Vater
der Operette**. Irgendwo habe ich einmal einen hübschen Ausdruck ge-
lesen, der das Verhältnis von Herv6 zu Offenbach sehr glücklich bezeichnet.
Herv6, so stand da, habe die Tür aufgemacht, Offenbach sei eingetreten.
Sehr richtig. Vielleicht hat Herv6 manche ansprechende Partitur ge-
schrieben. Aber derjenige, der zuerst mit Bewusstsein und Genie die
Operette pflegte, war nicht er, sondern Offenbach. Was ich von Herv6
kenne — «Chilperic", „Petit Faust, «Mamzelle Nitouche** — vermag an
184
DIE MUSIK IIL 3.
diesem Urteil nichts zu ändern, bestätigt es vielmehr. Eine ganz nette
Musik, niedliche Einfälle. Es reicht eben gerade aus, um «die Tflr zu
öffnen", durch die Offenbach auf eine glänzende Bahn tritt. Offenbachl
Ein sonderlicher Name! Viel genannt und viel gemissbraucht. Viel be-
wundert und viel geschmäht. Hoch gepriesen und tief in den Schmutz
gezogen. Für viele der Inbegriff des Genialisch-Kecken. Für ebenso
viele die Zentrale alles Frech-Lasterhaften. Nicht ein »Mann* in des
Wortes edelster Bedeutung. Aber sicherlich ein Genie. Ein Genie des
Witzes, der Laune, der Ausgelassenheit, der göttlichen Frechheit, des
Leichtsinns. Das musikalische Seitenstück zu Heinrich Heine, mit dem
er Talent, Schicksal, Geburt und — Erfolg teilt. Während seines Lebens,
das 61 Jahre währte, hat Offenbach 102 Operetten geschrieben, einschliesslich
der «Lurette", die — soviel ich weiss — bisher noch nicht aufgeführt ist
In seiner ersten Periode, die die fünfziger Jahre umfasst, kultiviert
er jenes einaktige Singspiel, das wir als eine Wiederbelebung und Fort-
führung der von Duni, Philidor, Monsigny, Gr6try, Dalayrac gepflegten
Gattung kennen gelernt haben. Ihr gehören an »Les deuz Aveugles",
«Le Violoneux", »Ba-ta-Clan", «Croquefer", »Les Dames de la Halle*,
»La Chanson de Fortunio* und die übrigen allerliebsten Kleinigkeiten,
in denen der unerschöpfliche Quell reizvoller Melodik am reinsten sprudelt
Eine gleichmässige, naive Fröhlichkeit erwärmt und vergoldet die Musik.
Die Komik ist unwiderstehlich, überschlägt sich aber noch nicht, wie in
den späteren parodistischen Werken, zu greller Clown-Spassigkeit Wer
den Offenbach der «Schönen Helena" und des «Pariser Leben" nicht
goutiert, mag sich an diese einfachen Stückchen halten. Hier wirkt Offen-
bach am unmittelbarsten und erfreulichsten. Sprudelnder, toller, launiger
und geistreicher aber ist er sicherlich in den Operetten seiner zweiten
Periode, die mit dem «Orpheus" anhebt und kurz vor der «Prinzessin von
Trapezunt" zu Ende geht. Was wir als spezifisch «Offenbachisch" kennen,
was ihn zum unbestrittenen Herrn und Meister der Operette macht, woran
wir ihn sofort im Gedränge rekognoszieren, das findet sich in den
Schöpfungen seiner zweiten Periode. Nach einer Reihe von Jahren, in
denen er ruhelos produziert, ist seine Fähigkeit, spielend leicht zu der
einfachsten Begleitung die reizvollste Melodie zu finden, ungeschwächt
erhalten. Sie ist sogar gesteigert und verdoppelt durch einen eminenten
Kunst verstand, der mit rhythmischen und dynamischen Hilfsmitteln die
Melodie an sich hebt, sie bedeutungsvoller erscheinen lässt Ich brauche
nur an ein paar der populärsten Stücke zu erinnern, um noch einmal
diese oft gerühmten, oft aber auch schmählich verkannten Vorzüge in das
glänzendste Licht zu rücken. An den ganzen «Orpheus*. An den zweiten
Akt der «Schönen Helena". An das Auftrittslied der Grossherzogin und
185
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
den Schlachtbericht aus der ^ Grossherzogin von Gerolstein"*. Mit einer
unerhörten Melodieenfreudigkeit und Melodieenfrische verbindet sich eine
scharfe Rhythmik. Das Orchester ist sehr einfach behandelt, klingt aber
stets nobel. Weniger bedeutend ist die Harmonik. Auf diesem Gebiet
beschränkt sich Offenbach auf das Allemotwendigste. In zart-sentimentalen
and pikant-rhythmischen Partieen ist er am glücklichsten. Ffir die ersteren
bieten die Eingangsscenen aus , Orpheus", die lyrischen Gesänge aus der
«Schönen Helena"* und der «Grossherzogin von Gerolstein"" eine Fülle
von Beispielen. Berühmt resp. berüchtigt geworden sind seine »Cancans",
die er mit grossem Geschick nnd ungeheurem Erfolg von den Ballhäusern
auf die Bühne verpflanzte. Dem Walzer hat er keine neue Note abzu-
gewinnen vermocht; das blieb Edmond Audran vorbehalten. In allen
Operetten zusammen findet sich höchstens ein Dutzend Walzer. Die aber
sind ersten Ranges. Unter ihnen ist der schönste derjenige, den Metella
im letzten Akt des » Pariser Leben"" singt und der mit den einfachsten
Mitteln geradezu verblüffend echt das Hasten und Rauschen des Pariser
Lebens charakterisiert. In seiner dritten Periode gelingen Offenbach noch
einige wirkungsvollen Stücke. Er verlässt den gefährlichen Boden der
Parodie und gibt in bunter Reihe Operetten, Singspiele, Possen, Opern.
Immer noch trifft man hier und da Nummern an, die von einer un-
gebrochenen Schöpfungskraft zeugen. Allein, sie werden seltener. Sie
stehen weiter auseinander. Zwischen unfehlbaren Treffern lagert viel
Gleichgültiges, Halbgelungenes, Müdes. Kein Wunder bei einem Mann,
der sich nie auch nur eine Minute Ruhe gönnte. Der im Bett, bei Tisch,
auf der Reise unaufhörlich produzierte. Was in ihm noch steckt, das
spart er sich für ein Werk auf, an dem er mit der ganzen Kraft seines
kindlichen Herzens hängt. Für die phantastisch-komische Oper , Hoffmanns
Erzählungen*. Er ist darüber hinweggestorben, ehe er die Instrumentation
vollenden konnte. Die Oper, die Offenbach von einer ganz neuen Seite
zeigt, ist in den letzten Jahren wieder erweckt worden. In Berlin, Dresden,
Stuttgart, Wien. Überall mit dem ausgezeichnetsten Erfolg. Stücke wie das
Lied Hoffmanns vom ,Klein-Zack" im ersten Akt, die Tanzscene im
zweiten und das Terzett im dritten beweisen, dass Offenbach doch etwas
mehr war, als ein »Cancan- Komponist"" und genialer „Bänkel-Sänger*. Dass
Rossini mit seinem Wort vom »Mozart der Champs Elys6es"" Recht hatte.
Sie öffneten übelwollenden Kritikern, die ihn gleich Donizetti, Auber,
Verdi mit unverhohlenem Misstrauen empfangen hatten, die Augen. Diese
fingen an, das Zeitlich-Vergängliche in Offenbach zu trennen von dem
Unverwelklichen, als das sie einmütig eine geniale Begabung für fröhliche
Kunst erkannten und festsetzten.
Mit Offenbach trat die Operette ihren Siegeslauf durch die ganze
186
DIE MUSIK III. a
Welt an. Überall mit offenen Armen aufgenommen und freudig begrüsst
als ersehnte Spenderin lang entbehrten musikalischen Frohsinns. Man
liess den Komponisten nicht entgelten, was der Textdichter gefehlt Man
sah über eine holprige Obersetzung und eine stimmungslose Aufffihrung
gern hinweg. Man kümmerte sich auch nicht um die geheimen politisch-
dynastischen Anspielungen, die in Paris das schmackhafte Gericht noch
fiberpfeffen hatten. Man hielt sich einzig und allein an die so unendlich
viel Freude, Heiterkeit und Wohlklang ausströmende Musik. Daneben
erhoben sich allerdings Stimmen, die vor einer Überschätzung und ttber-
triebenen Pflege dieses Genres dringend und vernehmlich warnten. Die
auf die Gefahren aufmerksam machten, die aus einer blinden, kritiklosen
Hingabe an diese Gattung für die öffentliche Moral und den Geschmack
erwachsen könnten. Die die Lust des Publikums an einer gewiss liebens-
würdigen, aber doch oberflächlichen und hinter einer schillernden Aussen-
seite Untiefen bergenden Kunst einzudämmen sich bemühten. In Deutsch-
land schwoll solcher Stimmenklang, dem auswärts die scharfe Nuance ge-
fehlt hatte, sofort zu einem wahren Stimmorkan an. Während das deutsche
Publikum die Operette in seinen besonderen Schutz nahm, machte die
deutsche Kritik ziemlich einmütig und energisch gegen sie Front. Der
deutschen Kritik, der Maurice Maeterlinck eben erst wieder das Zeugnis
unerbittlicher Strenge und Objektivität ausgestellt hat, musste nun freilich
ein Widerstand gegen die Operette unmittelbar aus dem Herzen heraus-
wachsen. Diesem Herzen, das erst recht warm wurde, wenn es die gute
Begabung mit ausgezeichnetem Ernst und peinlichem Fleiss gepaart fühlte.
Das da klagte, alles sei viel zu leicht, viel zu wenig gewichtig. Das da
frohlockte, so etwas könne jeder beliebige Notenklexer, wenn er nur wolle.
Gewiss. Die Operette hat im weiten Reich der Kunst nur ein niedriges
und bescheidenes Amt Aber dieses Amt füllt sie aus« Wer dafür noch
keine Meinung hat, der sehe sich einmal in der Kunst um, was nach der
Operette gekommen ist Welche Kunstinstitute prosperieren, nachdem die
Operette aus Gründen, die noch klar zu legen sein werden, degenerierte.
Die Vari6t6s sind es. Die Singspielhallen. In sie drängt Abend für
Abend die Menge. Das Volk verlangt nach musikalischer Heiterkeit Es
lechzt nach sinn- und ohrenfälligen Melodieen. Findet es seinen Drang
nicht in der komischen Oper befriedigt, so wendet es sich zur Operette.
Sieht es sich auch da betrogen, so wirft es sich skrupellos und un-
bekümmert um die Finessen der Kritik dem Gassenhauer in die Arme.
Wer die Operette bekämpft, befördert das Aufblühen des Gassenhauers.
Feine Klugheit also sollte ihm allein schon von seinem heiligen Krieg gegen
die Operette abraten. Wenn dies nicht die Worte des Olympiers ver-
mochten, die ich als Leitspruch vor diesen Aufsatz stellte.
Ein zweiter Artikel folgt
DIE HUGENOTTEN-PREMifiRE
von J. G. Prod'bomme-Paris
4
[ie Pariser Oper hat in diesem Jahre die tausendste Aufffihning der
«Hugenotten" (Ende März) herausgebracht. Das Meyerbeersche
Meisterwerk, das am 29. Februar 1836 zum erstenmal auf der
Bühne der königlichen Akademie ffir Musik aufgeftihrt wurde,
hat in den zwei Dritteln des Jahrhunderts, so zu sagen ohne Unterbrechung,
einen der glänzendsten Siegeszüge erlebt, den die Theater- Annalen jemals zu
verzeichnen hatten. Die «Hugenotten* teilen mit dem «Faust* von Gounod
(der sich seit 1860 der dreizehnhundertsten Aufführung nähert) den Ruhm,
auf derselben Bühne der Oper die Ziffer einer tausendsten Aufführung
erreicht zu haben.
Es scheint uns der Moment gekommen, dreiundsechzig Jahre zurück-
zugreifen, in die Zeit der Regierung des Bürgerkonigs Louis Philipp, und
sich den Rahmen zu veranschaulichen, in dem sich die Hugenotten-Premiere
damals abgespielt hat. Um so mehr, als das Meyerbeersche Werk trotz
des immer wachsenden Erfolges der Wagnerschen Musik- Dramen in Frank-
reich noch ziemlich zahlreiche und treue Anhänger aufzuweisen hat, für
die die Form des lyrischen Dramas eines Scribe, Meyerbeer, Hal6vy und
ihrer Nachahmer, die gegebene zu sein scheint. Welche Auffassung man
übrigens auch vom lyrischen Drama haben mag, so wird man sich doch
nicht verhehlen können, dass die «Hugenotten" in ihrer Art ein bedeutendes
Werk sind, und ohne Zweifel einen Teil ihrer bis in die heutige Zeit noch
währenden Popularität ihrem eigenen künstlerischen Wert verdanken.
Mehr als vier Jahre waren seit dem Erscheinen von «Robert der Teufel"
an der Pariser Oper (23. November 1831) vergangen. Diese Bühne hatte
mit wechselndem Glück in dieser Zeit mehrere Opern und Ballets, darunter
den «Don Juan" von Mozart (von Emil Deschamps und Castil Blaze fünf-
aktig arrangiert!), und am 23. Februar 1835 die «Jüdin" von Hal6vy gebracht.
Dr. V6ron zog sich am Schluss dieses Jahres, nach einer Wiederaufnahme
der «Belagerung von Korinth," von der Bühne zurück.
«Man hielt allgemein," schrieb der Biograph des berühmten Singers Adolphe
Nourrit, «Herrn V^rons Rücktritt, zu der Zeit da die ,Hugenotten* schon so weit
188
DIE MUSIK 111. a.
vorgeschritten waren, für eine Unklugtaeit und glaubte, dass er ihn lebhaft bedauert
haben rouss, als er den grossen Erfolg dieses Werkes sah. Das ist ein Irrtum: Herr
V^ron trat von seinem Unternehmen erst zurück, als es für ihn bereits unwider-
ruflich verloren war. Bekanntlich war Meyerbeer schwer umginglich, sehr penibel
und anspruchsvoll, sobald er an einem Werke arbeitete, und da der Komponist
das Herausbringen der ,Hugenotten* verzögerte, und das Werk zu der durch kontrakt-
liche Bestimmung festgesetzten Zeit nicht fertig hatte, rousste er eine Entschidigungs-
summe von 30000 Franks zahlen, von denen Scribe 10000 Franks bekam. V^ron
strich die 20000 Franks ein, sah aber damit die Quelle seiner Einnahmen versiegen.
V^ron hat es nie begreifen können, dass Kunstwerke nicht wie Handelsware zu be-
handeln sind . . . Meyerbeer machte sich nicht viel aus den 30000 Franks, war aber
fiber Verona Rücksichtslosigkeit empört Er schwor, dass dieser Direktor die »Huge-
notten^ niemals bekommen wfirde. Man sieht also, dass V^ron ohne Bedauern einem
Theater den Rficken kehren konnte, in dem er sich ein Vermögen erworben hatte —
und in dem es für ihn nichts mehr zu verdienen gab."^)
»An dem bestimmten Tage*, fSgt ein Chronist der Oper hinzu, «waren die
,Hugenotten< nicht zur Stelle, dafür aber die Abstandssumme. Meyerbeer entschuldigte
sich und bezahlte die 30000 Franks, deren Annahme zu verweigern richtiger und
vernünftiger gewesen wire . . . Herr Duponchel hatte mit diesem kleinen Staatsstreich
nichts zu schaffen, hatte nur seine Folgen zu tragen.")
Duponchel, ein tatkräftiger, praktischer Mann, der Nachfolger des
Dr. V6ron in der Leitung der königlichen Akademie der Musik, hatte
nichts eiligeres zu tun, als mit dem Komponisten zu verhandeln und den
schweren, von seinem Vorgänger begangenen Fehler wieder gut zu machen.
Es gelang ihm, Meyerbeer von seinem Entschluss, die «Hugenotten* niemals
der Oper zu übergeben, welcher Direktor sie auch leiten würde, zurück-
zubringen, und gab ihm die 20000 Franks zurück, die V6ron eingesteckt
hatte. Es muss ausserdem zu Ehren Meyerbeers bemerkt werden, dass
die Verzögerung, die die Fertigstellung der «Hugenotten" erlitt, nicht in
seiner Schuld lag; der Scribesche Opemtext hat verschiedentlich umgeändert
werden müssen, so dass auch die Musik eine vollständige Umarbeitung
erfuhr. Der vierte Akt missfiel Nourrit; der Schluss brachte eine so fatale
Situation, dass der Künstler um eine Änderung der Scene bat, ja sie
energisch verlangte. Auch Fräulein Falcon erklärte, in einer solchen Scene
nicht auftreten zu wollen. Es gab für Scribe nichts Unangenehmeres, als
auf ein Stück zurückkommen zu müssen, wenn nach seiner Fertigstellung
die Keime zu mehreren anderen in ihm bereits zu spriessen anfingen. Als
Nourrit ihm eine Art Ultimatum gestellt hatte, machte er aus seiner Un-
zufriedenheit kein Hehl.
Eines Tages kam ein Schauspieldirektor zu Scribe und bat ihn um ein Stück.
«Wie soll ich Ihnen liefern, was Sie verlangen?" rief Scribe aus. «Ich bin augec-
1) L. Quicherat: Adolphe Nourrit (Paris 1867) I, S. 195.
*) De Boigne: kl. Memoiren der Oper. S. 121.
189
PROD'HOMME: HUGENOTTEN-PREMIERE
blicUIch zu sehr mit den Hugenotten beschifdgt. Man hat ja keinen Begriff davon,
was das heisst» eine Oper zu scbreiben: zuerst muss man sie fQr Herrn Duponchel
schreiben, dann fiir Herrn Meyerbeer; und jetzt, wo ich alles fertig zu haben meinte,
muss Ich den ganzen vierten Al^t fQr Herrn Nourrit umarbeiten. Können Sie es sich
vorstellen, dass ich den ganzen vierten Akt für Herrn Nourrit umzugesuiten habe?"
Und doch hat Scribe recht getan, sich den Wünschen des Künstlers zu fügen, denn
der vierte Akt, so wie Scribe ihn verfasst hat, bitte die «Hugenotten* sicherlich nicht
auf diesen Höhepunkt ihres Ruhms gebracht, zu der Nourrits Ideen, im Verein mit
Meyerbeers Inspirationen ihm verhelfen haben.^)
Es lässt sich nicht leugnen, dass die , Hugenotten*' von Anbeginn an
den grössten Teil ihres Erfolges dem vierten Akt zu verdanken hatten, der
damals den einmütigsten Beifall fand. Es wurde also ein neuer Entwarf
vereinbart zwischen dem Dichter und dem Sänger; dieser hatte z. B. die
Idee zu dem grossen Duett am Schluss des vierten Aktes. Aber Scribe
weigerte sich energisch, an die Arbeit zu gehen und auch nur einen einzigen
Vers zu schreiben. Und so beauftragte er Emil Deschamps damit. Es war
Meyerbeer gar nicht recht, dass er sich wieder an die Arbeit machen
musste, aber in anbetracht des glänzenden Rahmens, der seinem Talent
geboten wurde, gab er schliesslich nach.^ Meyerbeer hatte hierin eine
gimz andere Anschauung als Scribe: er hielt es für keine Zeitvergeudung,
wenn durch neue Wirkungen eine sichere Garantie für Erfolg und Ruhm
geboten würden.
Die Proben zu den »Hugenotten*" waren sehr anstrengend und zahlreich
— etwas zu jener Zeit ganz ungewöhnliches.') Habeneck dirigierte das
Orchester, Meyerbeer und Hal6vy die Chöre, Taglioni übernahm den
choreographischen Teil der Oper. Die «Gazette musicale" kündete anfangs
fQr Ende Januar die erste Aufführung von der , Bartholomäus-Nacht" an.
So lautete der ursprüngliche Titel, der erst im Laufe der Proben geändert
wurde/)
Am 10. Januar war die erste Probe der ersten drei Akte, acht Tage
darauf die des fünften. Am siebenten Februar wurde in derselben Zeitung
angekündigt, dass die Oper nicht vor dem 22. oder 24. herausgebracht
werden könne, und zwar durch die Schuld der Dekorateure. Die in diese
Affaire hineingezogenen Herren S6chan, L6on Feuchöres, E. Despl6chin
^) Quicherat, S. 197.
*) Quicherat, S. 19S. Dr. V6ron schreibt in seinen Memoiren des Bürgers
von Paris (Band 111, S. 178), dass der Singer Nourrit ein gutes Urteil habe, passende
Ratschläge zu erteilen wisse und dass seine eigenen Rollen, durch die Änderungen,
die er vorschlage, nur gewinnen. Auch in den Hugenonen hatte er die Idee mit
dem Duett am Schluss des vierten Aktes.
*) Die erste Aufführung war seit dem Monat August 18^ angekündigt.
*) Während der Proben wurden noch zwei andere Titel vorgeschlagen: »Leonore*
und »Valentine*.
100
DIE MUSIK III. 3.
und Jules Di6teric, die Dekorationsmaler der Oper, veröffentlichten einen
Protest in der «Gazette", der mit den Worten schloss: «Sie können gar nicht
ahnen, mein Herr, was für Gründe das Hinausschieben der Probe nötig
machten, über die öffentlich zu sprechen wir nicht das Recht haben." Die
„Gazette" blieb jedenfalls bei der Behauptung, dass die Dekorationen zum
1 9. nicht fertig waren. Kurz, die Premiere fand am letzten Tage im Februar,
am 20. um sieben Uhr abends statt. «Um 7Vs Uhr beehrten Ihre Majestät
die Königin, die königlichen Hoheiten: der Herzog von Orleans, der Herzog
von Nemours, der Prinz von Joinville, die Prinzessinnen Marie und
C16mentine und der Herzog von Anmale die Vorstellung mit ihrer Gegen-
wart." 0 Am nächsten Morgen berichtete das Journal des D6bats" in
einigen Zeilen, dass die beiden letzten Akte einen ungeheuren Jubel hervor-
gerufen hätten. Der Komponist von «Robert der Teufel" hätte sich noch
niemals bis zu solcher Höhe erhoben.
«Alle Schönheit dieser grossen Partitur wurde durch eine, in allen Teilen
wunderbare Darstellung noch erhöht, so dass man vergebens sonst so neue und
pikante Wirkungen suchen kann, wie sie hier durch luxuriöse und geschmackvolle
Inscenierung erzielt worden sind. Herrn Duponchels Ruf eines versierten und be-
gabten Mannes bat sich bei dieser feierlichen Gelegenheit wieder vollauf bewährt.
Die »Hugenotten^ scheinen dazu ausersehen, einen ebenso langen und ruhmreichen
Weg zu nehmen wie ,Robert der Teufel^*)"
Die Aufführung, welche die besten Kräfte der Königl. Akademie für
Musik vereint hatte, lag in den Händen der Damen: Frl. Falcon, Frau
Dor-s-Gras, Frl. F16cheux und der Herren Adolphe Nourrit, Levasseur,
Serda, D6rivis, Alexis Dupont, Wartel, Massol, Pr6vöst, Tr6vaux usw.
Habeneck dirigierte. Im ersten Akt begleitete Urhan auf der Viola d'amour
die rasch berühmt gewordene Romanze.
Das Sujet der «Hugenotten" ist allgemein bekannt; es ist der Ge-
schichte der religiösen Kämpfe entnommen, die in Frankreich im 16. Jahr-
hundert wüteten; der ursprüngliche Titel «Bartholomäusnacht" beweist zur
Genüge, an welche Ereignisse der Textdichter hat anknüpfen wollen. Der
Scribesche Text wurde mit Recht vom ersten Moment an sehr scharf
beurteilt. Jules Janin geisselte ihn u. a. in dem «Journal des D6bats" in
einer beissenden, geistreichen Kritik, in der er sich über die dramatische
Handlung ausliess.
«Der Dichter," sagte Quicherat an einer Stelle, «hat das Geschichtliche in einen
banalen Roman umgewandelt, die unzulässigen Voraussetzungen und das Unzutreffende
in Sprache und Handlung nur noch vermehrt; mit einem Wort, das Libretto der
«Hugenotten" ist nichts weiter als die alltägliche Dichtung eines zu fruchtbaren
Schriftstellers. Aber Scribe weiss seinen Vorteil zu wahren, wenn er dieses Gedicht
>) Journal des D«bats 2. März 1836.
>) Journal des D«bats I. März 1830.
191
PROD'HOMME: HüGENOTTEN-PREMifeRE
nur alt den Rahmen zur Musik gibt; allerdings hat diese Dichtung eine Interesse
erregende Handlung, bietet eine Menge abwechslungsreicher Situationen und gibt
Gelegenheit» Grazie, Grösse und Pathos zu entfalten; mit einem Wort, sie erfüllt die
wesentlichsten Ansprüche, die man an einen Operntext stellt . . . Scribe suchte in erster
Reihe schöne Stimmungen und hat damit dem Musiker die Quelle der Phantasie er-
schlossen; die Partitur Meyerbeers beweist das.**^)
Was der Komponist aus den drei kläglichen ersten Akten der «Huge-
notten" gemacht hat, ist bekannt. Die Teile, die rasch populär geworden,
sind zahlreich, von der bereits erwähnten Romanze bis zu dem berühmten
Duell-Septett. Aber trotzdem mehr als die Hälfte des Textes minder-
wertig ist, gelang es Meyerbeer doch, dem sehr wenig anregenden Entwurf
ein lebhaftes Kolorit zu geben, und in erster Reihe erhält die blasse
Gestalt Marcels durch die Wucht des Lutherischen Chorals etwas gewisser-
massen Obermenschliches.
•
»Dieser Lutherische Choral," schreibt Jules Janin, »dieses Lied, dieser Marcelsche
Talisman, ist auch der Talisman, mit Hilfe dessen Meyerbeer einen dramatischen
Helden, und was für einen Helden! aus dem hugenottischen Figaro, wie er Scribe
Torgeschwebt, geschaffen hat. Diese Arie ist das protestantische Gepräge, das mit
unverwischbaren Lettern diesem farblosen Libretto aufgedrückt wurde. Das pro-
testantische Kolorit, auf das er ganz von selbst gekommen ist, ist mitten in der
grossen Verwilderung die gewaltige Einheit, auf die der Musiker mit unerbittlicher
Logik immer wieder und wieder zurückkommt, und mit der er der katholischen
Einheit in ,Robert der Teufel' ein würdiges Gegengewicht hält." — «Geht und hört
euch diesen vierten Akt an," sagte Janin weiter. »Geht und seht die hochklopfenden
Herzen und die fliessenden Tränen ; seid Zeuge dieser Bewunderung, die sich sowohl
dureh begeistertes Zurufen, wie durch Schweigen kundtut, und ihr werdet das Wort
verstehen, das die Welt bewegt: ,ErfoIg<. Keines der früheren Werke Meyerbeers
kann mit diesem gewaltigen vierten Akt verglichen werden . . . Scribe hatte ihm ein
Gerippe gegeben. Meyerbeer hat ihm seinen Odem eingeblasen ... — Wenn man mich
jetzt nach dieser höchsten Leistung eines genialen Mannes, der als der grösste
seiner Kunst dasteht, fragen würde, welches die Zukunftsmusik sein wird [nebenbei
bemerkt: man achte auf diesen Ausdruck, der ein halb Jahrhundert später soviel
Tinte cum Fliessen gebracht hat bei den berühmten Tannhäuser-Aufführungen in
Parial], mfisste ich sagen, dass, meiner Ansicht nach, die Musik hier an ihren Höhe-
punkt gelangt ist, und dass neben solcher Verwertung aller Kräfte, aller Intelligenz,
aller Instrumente und Stimmen, bei der Vollkommenheit dieses Werkes sich das
Hirn eUies Menschen nicht vorstellen kann, was hierauf noch folgen sollte, wenn
überhaupt etwas folgen kann. Aber was tut das? Die Zukunft gehört Gott, der die
Meisterwerke schafft. Also überlassen wir uns ohne weiteres Grübeln ganz dem
Genuas der augenblicklichen Stunde.**^)
Hector Berlioz war in der »Gazette musicale* voller Begeisterung
für das neue Meyerbeersche Werk, kritisierte die „Hugenotten** mehr in
technischer Hinsicht, konstatierte einen „kolossalen, ganz ungewöhnlichen
0 L. Quicherat, S. 199-200.
*) Journal des D^bats, 7. März 1836.
192
DIE MUSIK III. 3.
Erfolg dieser musikalischen Enzyklopädie, auf die die Kunstfreunde so
grosse Hoffnungen gesetzt und in die Meyerbeer so viel musikalische Reich-
tümer gelegt hatte, dass zwanzig Opern davon gespeist werden könnten.*
«Der dramatische Ausdruck ist darin stets wahr und tief, das Kolorit frisch,
die Abwechslung reich und die Form vornehm. Als Instrumentation, als vokale
Massenwirkung übertrifft diese Partitur alles bisher dagewesene. Marcels Rolle ist
Im ganzen musterhaft; es gibt nichts Originelleres und Wahreres als diese halb
komisch, halb puritanisch gehaltene Figur* . . .
Und Berlioz' dritte Besprechung des Meyerbeerschen Meisterwerkes
schliesst mit den Worten:
»Ich bleibe bei meiner Behauptung; die Hugenotten sind besser als Robert
der Teufel und bleiben deshalb Meyerbeers Meisterwerk.* ')
Kurze Zeit nach der ersten Aufführung der Hugenotten widmete
Henry Blaze Meyerbeer eine lange Studie, in der er am 15. März schrieb:
»Der Stil, dieser schöne Teil des Meyerbeerschen Talentes erinnert an den
der Euryanthe, von der er die mysteriösen Quellen und michtigen Wirkungen, aber
auch die Trockenheit und strenge Schmucklosigkeit hat • . . Es liegt in dem all-
gemeinen Entwurf dieses Werkes etwas Trockenes, das der Malerei Albrecht Durers
und der ersten protestantischen Meister anhaftet . • . Melodieen sind in den yHuge-
notten* nur selten . . . Meyerbeer beherrscht die Instrumentation vollauf . • • Bellini
singt mit dem Herzen, Meyerbeer mit dem Kopf • . . Bellini singt weit mehr als er
komponiert, Meyerbeer komponiert immer, singt aber selten.*
Und in seinem Vergleich zwischen dem italienischen und dem deutschen
Meister fortfahrend, setzt Blaze hinzu:
»Dort, ein wundervoller, in feinem Silber- und Goldfiligran gearbeiteter KIflg;
aber er ist leer, der Vogel fehlt, der schöne Vogel, der so herrlich singt im Garten
von Cimarosa und Mozart*
Die Instrumentation der «Hugenotten" ist das Produkt eines geüb-
teren, bewussteren Kunstverstandes, als die von «Robert der Teufel*. Nach
einer scharfen Kritik des Scribeschen Opemtextes kommt Blaze wieder
auf die Instrumentation der neuen Partitur zurück, und behauptet, dass
die Kraft Meyerbeers in erster Reihe in der Beherrschung der Massen-
wirkungen liege, und dass er mehr als jeder andere Gefühl für Klangeffekte
habe. Er hat im Orchester überraschende Klangkombinationen erzielt, und
auch bei den Stimmen Wirkungen, an die vorher niemand gedacht hatte, ^)
In der «Chronique de Paris", deren Begründer und Chefredakteur
Balzac war, kritisierte Gustave Planche auch das Textbuch der «Hugenotten*
in ganz unerbittlicher Weise. «Ich glaube nicht," schrieb er, «dass man
auf dem Gebiet des Absurden noch mehr leisten kann." Den beiden letzten
Akten spricht er seine Bewunderung zu, behauptet aber, dass Meyerbeers
Können grösser wäre als seine Inspiration.
>) Revue des Deux Mondes, 15. MIrz 1830. S. 678 -71^.
PROD'HOMME: HUGENOTTEN-PREMifeRE
» . . . Die einzeloen Teile sind mit Sorgfalt und eioer klösterlichen Geduld ge-
schriebeuy die sich in Einsamkeit gefillt, die aber keinen individuellen Wert hat . . .
Sie folgen aufeinander, fugen sich aber nicht ineinander . . . Meyerbeer ist ein Mann
von Talent, aber kein Genie, mit Casimir Delavtgne und Paul Delaroche vergleichbar.
Sein Wappen gehört allen Rassen. Er hat sich ganz plötzlich geadelt, hat nur ver-
gessen, sich Ahnen zu geben.* ^)
„Le m6nestrel", den Jules Lovy, »Le Monde dramatique", den J. Mainzer
redigierte, lobten den Musiker gleichfalls, tadelten aber den Scribeschen
Text. Einer der Redakteure der „Revue du Th6fttre", Jules Belin war der
Ansicht, dass das Meyerbeersche Werk «durch seine Tendenz berufen sein
könnte, neu belebend zu wirken". Sein Mitarbeiter Pr6vöst, der die Partitur
besonders studiert hatte, wollte, dass man das Drama an zwei Abenden gäbe,
um die Striche vermieden zu sehen, die er für nachteilig hielt. Und im
Gegensatz zu Gustave Planche ist er der Ansicht, dass alle Teile des Werkes
sich logisch aneinander fügen. Eine Fortlassung kann oft alles in Frage
stellen.^
Louis Desnoyers war im «National von 1834'* viel eher der Ansicht
von Gustave Planche, als er sagte, dass Meyerbeer Genie zur Bearbeitung,
zur Nachahmung hätte, mit einem Wort, dass er das Genie hätte, keines zu
haben. Meyerbeer macht weder französische, noch italienische, noch deutsche
Musik. Das ist das Geheimnis seiner Popularität. Was man aber nicht
genug loben kann, ist seine unermüdliche Geduld, mit der er Note für
Note den dramatischen Ausdruck sucht. Man hat viel zu ausschliesslich
die Kunst seiner Instrumentation betont, in vielen Teilen scheint uns der
Stil der Hugenotten im Verhältnis zu dem Stil der grossen Meister, und
zur reinen und einfachen Musik das zu sein, was das Diorama für die
grosse und schöne Malerei ist, die ihre Wirkungen aus sich selbst zieht.")
Der Sieg war vollständig, grossartig, schrieb der Redakteur des
«Constitutionnel", obgleich nach den drei ersten Akten nur Beifalls-
bezeugungen und schweigendes Zögern zu verzeichnen waren, was weder
ein Erfolg noch eine Ablehnung genannt werden kann.^)
Nachdem wir die hauptsächlichsten, ernsthaften kritischen Stimmen
vernommen haben, wollen wir dem .Charivari", dieser für die Geschichte
der Gesellschaft und für den französischen Geist seit 70 Jahren so wert-
vollen Sammlung, einige Eindrücke und Anekdoten entnehmen.
«Eine der glänzendsten Gesellschaften" schrieb Albert Giere am 1. März »war
gestern in der Oper vereint, um der ersten AufTührung der ,Hugenotten^ beizuwohnen.
Die Toiletten erstrahlten. Eine Menge Neugieriger hatte selbst die Korridore über-
^) Ghronique de Paris, 1. Jahrg., 3. März 1836, S. 250, 252.
^ U Revue du Th6ätre von 1836, S. 316, 317, 364-67 und 306-97.
>) U National de 1834, 3. und 16. März 1836.
«) Le Gonstitutionell 2, März 1836.
III. 3. 13
194
DIE MUSIK UL a
schvemiDt WUtfend des paatn Abeads hallte es tvo DiifillilM HBftMy
Die Oper, die am 7 Uhr anfioc war erst um MHtemadit tu Eade, «ad adnea ia die
Salven hellster Beyistcnmg hioeia hatte Noorrit Giacomo Mcyerbeer für die Maaüc
genannt, Engine Scribe für den Text, sogar Taglioni für das BaDet, aad SMMa,
FenchWes, Diaeric und Despidchin für die Dekoratioaea. Der Sieg war YoOstiadig
nnd ^inzend, nnd wenn der Ernst des FenUleton rin Wortspiel gestattete, oifchiea
wir behaupten, dass die ,Hagenotten' nicht einen einzigoi Protestanten ioi Saal ge-
funden haben ... All die glinzenden Eigenschaften, die Meyerbeer einen so hohen
musikalischen Ruf eiagebracht haben, finden sich hier vereint; Farbe aad
Reichtum der lastrumentation, grosse und erhabene Inspiratioiien, Origiaalitit des
Stils und des dramatischen Ausdrucks. Aber es liesse »di vielleicht dagegen ein-
weadea, dass die beiden letzten Eigenschaften bia ins Extrem getrieben sind, so dass
die Origiaalitit ins Bizarre hinuberspielt, und der dramatische Ausdruck dem Reiz
und der Klarheit der musikalischen Durchführung schadet . . . Wenn wir Meyerbeer
einen weiteren Vorwurf macheu mnssten, der übrigens nach Ansicht gewisser Modernen
für ihn rin Vorzug ist, so ist es der, dass er der Melodie keinen genügend grossen
Raum eingeiiumt oder sie zu oft unvermittelt abgebrochen hat Wir erwihnen nur
diese KritilKen mit iusserstem Misstrauen und sind überzeugt, dass dieser Mangel bei
dem berühmten Komponisten mit seinem System zusammenhingt^ das wir für irrig
halteti, und nicht mit seinem Mangel an Können und musikalischer Inspiration.*
Vierzehn Tage später warf der Redakteur vom «Charivari* wieder einen
Blick in die Oper. Er verglich Meyerbeer mit Hofhnann tind Cr6billon
und riet dem Komponisten, die beiden ersten Akte, die jeder Lddenschaft
bar wären, in einen zu verschmelzen und lobte die drei letzten. Er sdiloss
dann mit einer lustigen Anekdote, die, abgesehen davon, dass sie ein Bild
von der Zaghaftigkeit der Zensur unter der Herrschaft der Revolution von
18J0 zeigt, uns auch beweist, dass der Textdichter der »Hugenotten* nicht
allein Nourrit und Duponchel, sondern auch der öffentlichen Moral zu ge-
horchen hatte.
»Maa weiss schon, wie unsere modernen Pdres-Loriquet das Königreidi von
Salnt-Bris mit dem von Karl IX. identifizierten >) und erUirt hatten, die Monarchie
wire biossgestellt, wenn man Katharina von Medid ihre Partie in o>moll mit den
Verschwörern der blutigen Bartholomius-Nacht singen liesse. Die Königin verschwand
also von den Brettern und bescbrinkte sich darauf, die Buhne wihrend der Schluss-
scene in einer oflbnen Sinfite zu passieren, ohne ein Wort zu sprechen, mit tiefem
Mitgefühl auf den Zügen beim Anblick der gemordeten Ketzer auf dem Strassen-
pfiaater. Die modernen Pdres-Loriquet, die sich einer ausserordentlichen Toleranz
ziehen, behaupteten, daas die Ehre der Monarchie auch noch durch eine stumme
Miene des Mitleids kompromittiert wire. Sie verlangten das vollstindige Verschwinden
Katharinens und ihrer Sinfte. Dagegen Einspruch des Direktors, der wenigstens die
Sinfte als Schaustuck nicht aufgeben wollte. — Endlich nach vielen Strdtigkeiten
haben die Paschas der schönen Kfinste einen glficldichen Ausweg gefunden: sie haben
geruht darein zu willigen, dass die Sinfte blieb, verlangten aber unerbittlich, dass sie
geschlossen wire. Sie brauchteti, um diesen sinnreichen Ausweg zu finden, erzihlte
^) Ursprfinglich hat Scribe den König Karl IX. in eigener Person auf die Bfihne
gebracht; er muaste ihn dann aber dureh Saint-Bria ersetzen.
105
PROD'HOMME: HUGENOTTEN-PREMIJ^RE
nun, nicht weniger als den Geist von sieben Zensoren und acht königlichen Beamten
und den des neuen Ministers Montalivet Das ist übrigens das zwölftemal, dass
diese Herren die Monarchie an der Hand der „Hugenotten*' retteten, und dabei sind
wir erst bei der sechsten Aufführung. Voraussichtlich werden sie aber dabei nicht
stehen bleiben.*)
Ausserdem sei noch die Ansicht des Geschichtsschreibers der
Kdniglichen Akademie der Musik Castii Blaze erwähnt, der dem Meyer-
beerschen Meisterwerk mehrere Seiten widmete.
»Bedeuten die Hugenotten für Meyerbeer einen Fortschritt? Ja, wenn man an
die Schwurscene, das glanzvolle Ensemble der Verschwörer und das geheimnisvolle
und düstere Finale denkt. Nach dieser, von einer Schar von Künstlern ausgeführten
leidenschaftlichen Scene musste er den Akt mit zwei Personen beschliessen : er
mnsste die Zuhörer interessieren und in Erregung versetzen, zu rühren versuchen
mit den geringen Mitteln eines Duetts. Das war gewissermassen die Herausforderung.
Meyerbeer hat sie mutig 'aufgenommen. In der Partitur »Robert der Teufel'' findet
sich nichts, was sich bis zur Höhe des vierten Aktes erhebt; aber das Ensemble
im Robert ist wertvoller, und der Erfolg der zweiten Oper hat den der ersten in keiner
▼eise beeintrichtigt. Der Text der »Hugenotten* hat einen Oberfluss an unzusammen-
hingenden Scenen, die den Musiker nicht inspirieren konnten. Das Werk verdankt
den grössten Teil seines Erfolges seinem vierten ;Akt. Weshalb ist man nicht auf
den Gedanken gekommen, dieses herrliche Fragment aus seiner Umgebung zu lösen?
Wenn man ohne Vorspiel bis zum vierten Akt der „Hugenotten** gelangen und mit
seinem Schluss aufhören könnte, das wXre ein musikalisches Ereignis gewesen, das
das Publikum zu schätzen verstanden hXtte. Eine solche glückliche Verkürzung bitte
die »Hugenotten* zu einem Meisterwerk gemacht. Durch seinen herrlichen vierten
Akt würde Meyerbeer zum würdigen Nebenbuhler von Weber und Rossini geworden
sein. Man würde ohne Zweifel einige kostbaren Bruchstücke vermisst haben, aber die
Kritik bitte vergebens gesucht nach den Gemeinplätzen, nach den Lückenbüssem
und diesem leeren Klingklang, die von der Trockenheit und dem schöpferischen
Unvermögen des Meisters Zeugnis ablegen. »Robert* und die »Hugenotten* bedeuten
eine BarthoIomXus- Nacht für die Singer.*')
Nach der Pariser Oper eroberten die »Hugenotten* siegreich die
Provinz und das Ausland. Die strenge Kritik Robert Schumanns über die
»Hugenotten* ist bekannt. In London wurden sie im Covent Garden-
theater am 20. April 1842 und am 20. Juli 1848 italienisch mit Madame
Alboni gegeben, für die Meyerbeer eine neue Arie geschrieben hatte.
Aber es war nur unsere Absicht/^Erinnerungen an die erste Vorstellung
wachzurufen, nicht aber die Geschichte dieser Oper zu schreiben. Es
bleibt uns nur noch, über eine gewisse Zahl unveröffentiicher Fragmente
') Feuilleton aus dem »Charivari* vom 15. MXrz 1836, S. 2, 3 und 6: »Neues
zu den Hugenotten. — Die Ultra-Meyerbeeristen. — Engel oder DXmon. — Die
schwere Musik. — Die beiden ersten Akte. — Dekorationen und Kostüme. — Die
Monarchie zum 13. mal gerettet*. Das einfache Aufzihlen der Titel dieses Feuilletons,
von dem wir nur den letzten Paragraphen wiedergeben, genügt, um darauf hinzuweisen,
wqlche Fragen sein Verfasser Albert Clerc darin behandelt hat.
^ C. Blaze, Königl. Akademie f. Musik Band II S. 248.
13*
DIE MUSIK III. a.
zu sprechen, die in den Archiven unserer National-Akademie für Musik
aufgehoben werden.
Die Bibliothek der Oper in Paris besitzt eine Anzahl unveröffent-
lichter Fragmente der »Hugenotten''. Die meisten von ihnen, Autographen
Meyerbeers, sind in der veröffentlichten Partitur nicht aufgenommen und
geben deshalb einige deutlichen Hinweise auf die Arbeit des Komponisten
vor dem Stich der Partitur.
Man hat es oft bedauert, dass Meyerbeer zu den »Hugenotten*
keine Ouvertüre geschrieben hat, sondern nur ein Vorspiel. Zwei
Ouvertüren-Skizzen befinden sich unter den Manuskripten in der Bibliothek
der Oper. Die erste, die 15 Seiten umfasst, viel ausführlicher als die
zweite, ist gewissermassen der erste Entwurf zu dem Vorspiel. Er besteht
aus einem Andante in Es-dur im 4/4 Takt, auf das ein Allegro in 6/8 in
D-dur folgt; danach kommt ein anderes Tempo im 4/4 Takt und in Es-dur
wie am Anfang. In dieser Ouvertüren-Skizze findet man schon den
Lutherischen Choral: »Ein' feste Burg ist unser Gott.*
1. Akt
Zum ersten Akt existiert ein Scenen-Fragment, das in Scene II oder
Scene III gehört. Es heisst Coral und Lied (nach der Introduktion)
und umfasst sechs Seiten. Hier die Worte:
Nevers:
Wein her für diesen Diener I
Marcel:
Dank, man nehm ihn wieder forti
Ich trinke nicht mit Minnem dieser Art.
(Als ob er ein Kirchenlied rezitierte)
Denn Gott sagt (mit halber Stimme): Mit Gottlosen meide das Mahl!
Ferd. Pr^vöst (lachend):^)
Er ist ein Heiliger Israels I
Marcel:
Unter den Philistern!
Massel:
Ein Priester Luthers. Wessen Bote mag er sein?
Wartel:
Predigen will er uns hier! Potzblitz! . . .
Marcel:
Warum nicht? (Mit halber Stimme) Als Kind lernt ich dich kennen . . .
(zurückhaltend)
Verfluchte . . . Verfluchte! (wider Willen fortgerissen)
^) Meyerbeer bezeichnete die Personen mit den Namen der Darsteller. Pr^vöst,
Massel und Warte! spielten die Rollen der katholischen Edelleute de Re% Tavanses
und Thor6.
197
PROD'HOMME: HUGENOTTEN-PREMifeRE
Stets seh ich nnser brennendes Haus.
Es sterben die Schwestern, die Mutter,
Und kimpfend fiel mein greiser Vater.
Kimpfend f&r seinen Gott.
Und ich, ich armes Kind,
Ich irrte in der Schlacht,
Da zeigte mir sich ein Engel Gottes.
Die sieben Edlen (ohne Chor):
Ein Engel, ahl hört ihr, ha, hal
Marcel:
Ein Engel war's von Wuchs und Miene,
Er war der Ahne meines edlen Herrn.
(Bewegt durch die Erinnerung)
Er hob mich armes Kind zu sich aufs Ross,
Und stimmte an den Sang der Zuversicht,
Das heil'ge Lutherlied, da wuchs die Kraft des Glaubens;
Und diese Töne hab' ich treu bewahrt,
Sie sind mir Waffen gegen alle Bösen!
(Folgt der Choral.)
Nach einem andern Manuskript, das gleichfalls nicht zur Verwertung
gelangte, trat Marcel schon Scene II auf, wahrscheinlich nach dem Gelage.
Das Manuskript trägt den Titel:
Fortsetzung der Scene.
(Marcel tritt auf, er sucht Raoul.)
Marcel (schüchtern zu Raoul):
Verzeiht, ich bin's.
Die sieben Edlen (allein):
Welch verwittert Antlitz seh ich hier?
Ha, (zwölfmal).
Marcel:^)
Mein alter Diener ist's, mehr noch mein Freund!
Was kommst du melden mir?
Marcel:
Der Admiral verlangt nach euch u. s. w.
Raoul geht kurze Zeit darauf fort, um sich zum Admiral Coligny zu
begaben. Diese fortgelassene Stelle umfasste 68 Takte.
Nach dem Choral und Marcels Lied kam dann noch eine andere
Scene zwischen den Edlen:
Nevers:
Gebt acht, Marcel bringt uns in böse Hindel!
Sein Glaubenseifer treibt ihn oft zu weit.
Raoul:
Mein strenger Ahne nahm sich seiner an,
^) Hier mfisste Raoul stehen anstatt Marcel.
198
DIE MUSIK IIL 3.
Er zog ihn auf im Glanben an die Bibel
Und hiess ihn fluchen Hölle, Papst und Liebe.
Marcel (mit Befriedigung):
So ist esl
Raoul:
Doch treu, ein Held und voll Empfinden,
Ein ungeschliffner Diamant gefasst in Eisen.
Nevers:
Was wollte doch der Admiral?
Raoul:
Ein trefflich Abenteuer, nichts' vom Admiral!
Nevers:
Wie?
Raoul:
Ihn glaubte ich zu flnden und ich ftind
Dies hübsche Band undjeine iunge Schöne.
Nevers (ironisch):
Die Ihr wohl kennt?
Wartel:
Was tut's? Wer ist sie?
Massol:
Ihr Name, sprecht!
Raoul:
Ich kenn' ihn nicht.
Die sieben Edlen :
Wie?
Nevers:
Und was soll dieses Band von dieser Schönen?
Lasst hören uns von eurem Abenteuer.
(Dann Scene und^Romanze.)
Hier folgte darauf der ganze Schluss der Scene II, während der
Anfang der jetzigen Scene III (Marcels Auftritt und der hugenottische
Gesang) mitten in dieser Scene lagen. Es ist wahrscheinlich, dass der
Komponist es vorzog, den Diener Raouls später erscheinen zu lassen,
weil er eine grössere Wirkung erzielen, und nicht zu früh die ernste
Färbung hineinbringen wollte, die der Choral Luthers dem ganzen ersten
Teil des ersten Aktes verleiht.
Das folgende Fragment (21. Seite) heisst: Arie Valentinens. Scene VI.
Rezitativ (nach dem Ensemblesatz) und fängt so an:
Nevers:
Ich kann noch nicht daran glauben.
Nach diesem Recitativ erscheint Valentine, deren Arie, die im späteren
Teit ausgelassen wurde, mit diesen Worten anflbigt:
Im dunklen Schoss des Klosters
Verbracht bis Jetzt ich einsam meine Tage.
199
PROD*HOMME: HUGENOTTEN-PREMlfeRE
Meyerbeer versuchte zwei verschiedene Melodieen zu diesen Worten.
Auf diese Romanze folgte dann: Chor hinter der Bühne.
2. Akt.
Meyerbeer hat eine Scene geschrieben zwischen St. Bris und seiner
Tochter Leonore (der späteren Valentine), ein Manuskript von 18 Seiten,
das eine Arie enthalt in Es-dur allegro con spirito mit Begleitung des
Streichquartetts, die der Gouverneur des Louvre singen sollte. Hier sind
die ersten Worte:
Leonore (mit flehender Stimme) :
Mein Vater I Mein Vater I
St. Bris:
Ich hab's gesagt, ich wilPsI Du musst gehorchen I
Das Auftreten St. Bris' sollte, wie es scheint, vor dem Auftreten
der Edlen, Scene VII, stattfinden, damit man nicht eine Unterhaltung
zwischen St. Bris und seiner Tochter voraussetzt, sei es vor, sei es nach
der ersten Scene.
Zwei andere autographischen Fragmente beziehen sich auf den zweiten
Akt: ein Instrumental -Nachtrag zu den „Hugenotten** (Schwur; Quartett
2. Akt) von sechs Takten und ein Tanz „Pas de six" mit Violin-Solo
(vier Seiten).
3. Akt.
20 Manuskriptseiten beziehen sich auf den dritten Akt, sie sind be-
zeichnet mit: 5. Monolog und Choral (nach dem Abendläuten) 3. Akt.
Marcel erwartet Raoul.
Die folgenden Bezeichnungen stammen von Meyerbeers Hand:
»Coral; dieses Stück nicht abschreiben. Folgt Erzählung und Duett, der
Coral bleibt fort.
Behuf uns grosser Gott im Himmel,
Errett* uns, Herr, du unser Gott.
sagt Marcel. Dann Rezitativ und Duett.** ^)
4. Akt.
Die Opembibliothek. hat sicherlich nur eine sehr kleine Zahl un-
veröffentlichter Stücke, die sich auf diesen vierten Akt beziehen, der wie
man weiss, vollständig umgearbeitet wurde. Dieser Akt sollte, allem An-
schein nach, mit einer Scene zwischen Valentine im Kreise ihrer Ehren-
damen und ihrer »ersten Dame* beginnen. Hier sind die ersten Worte
dieses Fragmentes (4 Seiten):
*) Dieses Stück wurde mit grossem Erfolg in den Salons des Marschall
Vaillant, Ministers des kaiserlichen Hauses, 1865 aufgef&hrt. (De Lsjarte, Catal.
de la Bibl. de Fopöra II. S. 252.)
200
DIE MUSIK III. 3.
Valentine:
Was seht ihr dort?
Erste Dame:
Ein glinzend schöner Zug ist hier zu sehen,
Man sagt, es sei der Admiral von Coligny,
Der aus dem Louvre sich nach Haus' begiebr.
(St Bris kommt zum Schluss dieser Introduktion.)
St. Bris:
Du wirst die Frau des Grafen von Nevers,
Noch heut, heut Morgen, unsere Ehre heischt esl
„Darauf folgt Arie," heisst es im Manuskript. Diese Arie ersetzt
die vorhandene Romanze: Meiner Liebe traurig Opfer . . .
Von Meyerbeer sind davon mindestens zwei Fassungen aufgezeichnet.
Die eine fängt mit den Worten an:
Ach, das Bild, das ich im Herzen trage,
Unvergessen ruht's in mir.
Achl nicht kann ich ihm entrinnen.
Die andere, in D-dur mit deutschem und italienischem Text, ist nur
eine Kopie, der die Orchester-Stimmen, die zur Aufführung nötig, bei-
gefugt sind. Sie trägt oben den Namen der Frau Pauline Viardot, die sie
wahrscheinlich in ihren Konzerten sang. Der erste unvollendete Vers
lautet im Französischen:
Parmi les plenrs mon röve sera [?]
Der deutsche Teit fängt an:
Er f&llt allein mein Herz mit sfisser Liebe.
Die meisten der hier aufgezählten Stücke stammen vom Kopisten
Lebome,^) aber weder das eine noch das andere hätten der endgültig ab-
geschlossenen Partitur der »Hugenotten* einen grösseren Wert verleihen
können. Sie beweisen nur, welche minutiöse Sorgfalt Meyerbeer der
Durcharbeitung seines Werkes angedeihen Hess, einer Durcharbeitung, die
deshalb so schwierig war, weil der Text, den Scribe ihm geliefert hatte,
nichts weniger als zum Komponieren geeignet war. Aber ebenso wie die
Zeitgenossen sollten wir bei unserm Urteil über die » Hugenotten" die
larmoyante Dichtung Scribe's, die Emil Deschamps so gut als möglich
durcharbeitete, berücksichtigen, denn der Komponist würde wohl zweifellos
eine bedeutendere Partitur geschrieben haben, wenn sein Mitarbeiter ihn
hätte besser inspirieren können.
^) In dem Katalog der Opembibliothek (1878) weist Lajarte noch anf ein unver-
öffentlichtes Fragment der »Hugenotten* hin, das hierzu gehören soll und das in
Wirklichkeit nicht dabei ist. Beim ersten Akt wurde nämlich eine Chorpartie bei
der Aufführung ausgelassen. Die Herren spielten Ball and da Meyert>eer verlangte,
dass der Ball taktmissig anfjiefingen würde, musste man einsehen, dass das scenisch
unmöglich war. (Katalog II Seite 152.)
„Musik" ist ein sehr ernsttasfies Blatt und oacb Lage der Dlnge^kann
i die lelcbtgesctaDrite Operette In Ifar nur einen verfaittnismtssig kleinen Platz
1 t>ean Sprüchen; aber, wenn die «KOnigin der Operette*, obvobl der Gegen-
I vart seit langer Zeit fremd geworden, aus diesem Leben scbeldet, so ioll
1 doch aucb an dieser emstbaflen Stelle mit einigen Worten von dem die
Rede sein, was die Tonkunst und vor sltem die Muse des Gesanges an Ibr ver-
loren bat.
Ter beansprucben will, über die G es angskSns tierin Marie Geistlnger ein
Urteil abiugeben, der muas sie zum mindesten Ende der iseoer, spitcsiens Anfang
der 1870er Jahre kennen und lieben gelernt haben. Was die KüDSlIerin damals rein
vom Standpunkt des bei canio geboten bat, das stellt sie den ersten Gesangs-
kfinstlerinnen der damaligen Zeit (und das will etwas sagen 1) an die Seite und be-
rechtigte sie, mit allen tecbniscben Schwierigkeiten ihrer mitunter recht saspmcbs-
TOlIen Partleen spielend fertig zu werden. Frei von jeder gesanglichen Untugend —
mnsterbaft waren Intonation und Aussprache — reibie sie die TSne wie Perlen
sneinander; die feinsten Künste des Ziergesanges standen ihr zu Gebote; kein ge-
•cbrieener Ton siBrte die reizvolle Harmonie des Ganzen. Wer sie damals als
sSchBne Helena*, .Grossberzogin von Gerolstein", als .Rosalinde' (Fledermaus)
gebBrt bat, wird diese Eindrücke niemals vergessen. Keine Bravoursingerln von
Fach wird Ihr jemals den .Czardas* aus der „Fledermaus" nachzusingen rermfigen.
UanStlg zu sagen, dats ihr die feinste detikatesie Kunst der Charakterisierung zu
Gebole stand, dass ihre Palette einen Farbenreichtum aufwies, der ans UnerscbSpfllche
grenzte, dass die Fülle ihrer geistvollen und pikanten Nuancen staunenerregend war,
dtM sie — vielleicht Ibre grösste Kunst — aus dem Nichts Etwas lu gestalten ver>
mocbie, Vle Haydn gesagt hat, dass ein rechtschaffener Komponist die Speisekarte
In Musik tu seaen verstehen müsse, so schuf sie aus den oft dürren Noten Otfenbachs
dl« reltvolUten Kleingebilde, leb erinnere mlcb so einer Drölerie aus „Frau Erz-
henog"; sie sang — das Alphabet; aber was sie mit Ihrer entzückenden Grazie aus
dem Offenbach scheu Scherz machte, das war eben bei allem Unsinn ein musikalisches
Kunstwerk. Sie war eben die alles Kennende und so sehr Vergleiche hinken: ich
weiss ihr aus einer nahezu 40iihrlgen Vergangenheit nur eine an die Seite zu setzen,
die ebenso In allen SItteln gerecht war: Lilll Lehmann, die gleichfalls Universale.
Ab dem Sarge der Geisdnger trauert nicht die Operette; denn diese Ist ihr Im
Tode schier voran gegangen. Was sieb beute in produktiver wie reproduktiver Be-
siehung aOperette" nennt, das ist eine halb traurige, halb Widerwillen erregende
Kulkatttr von dem, was ein früheres Geschlecht so nennen durfte. Schon lingst
■lud die Grellen aus dem unwirtlichen Gebiet geflohen ; übrig geblieben sind bSchstens
die Mlnaden. So lange aber Können, Geist, Witz, Grazie, kurz: alle guten Geister der
Kon« nicht von der deutschen Bühne verbannt sein werden, wird man auch In
Dukbarkeii derer gedenken, auf deren blondem Scheitel sich alle diese Ebrenqualititen
verrinicten: Marie Gelstingers.
BÜCHER
26. Richard WeIleBcbek:ADringederTi>nkuo8t. Verlag: J.A. Barth, Uipzig 1903.
Du wenvolle Bucb Ist die dentscbe Ausgabe des vor ecwa lebn Jabren in London
erschienenen Terkea: .Primitive Muslc". Mit der Übertragung ins Deulscbe wurde
eine teilweise Umarbeitung des Stoffes verbunden, welche die neusten Errungenschaften
und Ergebnisse der Foracbnng benutzte. Es Hegt so ein Terk vor, das über Ursprung,
▼esen und Bedeutung der Tonkunst bedeutaame Auftcblüsse gibt. Der Verfasser
uniernimmi es zum erstenmal auf Grund eingehender ethnologischen Forschungen,
das Teseo der lltesteu Tonkunst ffesizu steilen. Phantasiert lat darüber allerband worden.
Positives ergibt aicfa erst aus Valiascbeks Untersuchungen. Mit staunenswertem Fleiase
ist innichsl alles zuaammengetragen, vaa uns Über die Musik der Naturvölker bekannt
ist. Es ergibt sich dabei als erstes Resnliai, dass das Hauptelemenl der lltesien Musik
lediglich der Rhythmus war. Melodie und Harmonie sind untergeordnet. Eng verbunden
mit der Musik Ist stets der Tanz. Aus der Gemeinsamkeit von Musik and Tanz ergibt
sich ihr eminent sozialer Charakter, im gemeinsamen Tanze lernt der Einzelne sich
dnem Ganzen fügen. Aus dem Cbor des tanzenden Summes treten mit der Zeit Solisten.
Vlelhch Ist der Klupitlng auch der Vortinzer, Vorsinger und Sollst Wallaschek gebt
sodann auf die Geschichte der Instrumente und der Tonsysteme ein. Das ilteste
lostniment ist nicht, wie man glaubt, die Trommel, sondern die Knochenpfeife des
JIger* gewesen. Auch so mancher andere liebe alte Glaube über Alter und Ursprung
der Instramente wird zeratSrt Tlchtlg sind sodann Nachweise fiber die Entwicklung
der Skala. Die viel tlderten VIcrteltfine beruhen nach Tallascbek bei gewissen VSlkem
einfach auf falacber Intonation, dem UnvermBgen primitiver Unger, das reine Intervall
lu treltfen. Für die Frage nach dem Alter der Harmonie Ist überaus Interessant die
Taiiacbe, dass manchen Raasen das Gefühl dafür seit Anbeginn innewohnte. Alles was
TaliMchek vorbringt, vermag er durch ein überaus relchea Beweis material zu belegen.
E« ergeben sich nun aber bei der Eigenart seiner Untersuchungen und dem ihm eigenen
weiten Blick aus den Forschungen über die Vergangenheit überraschende Resultate für
wichtige Fragen der Gegenwart So ist von Bedeutung ^r die Kritik der Theorie des
Musikdramas die durch ethnologische Forschung offenbar tfeatgestelite Tatsache, dass die
erste masikslische Melodie sich nicht ana dem Tonhll der Sprache entwickelt hat, da
die iltesten Gesinge gar keinen Text hatten, sondern nur artikuliert wurden. Die Utesie
Vokalmuaik iat nach Valiaachek durchaus nicht eine Verbindung von Poesie und Musik
gewesen, schon deshalb nicht, weil es erstere nicht gsb. Nur die Vereinigung von Tanz
und Musik ist Immer vorhanden. Die Entwlcldnng der Künste aber war gleichbedeutend
mit Selbstlndigkeit deraelben. Man mfisate selbst wieder ein Buch schreiben, um
alle Teile dieses Buches zu würdigen. Nur auf die Untetsuchungen über den .Ursprung
der Tonkunst' und auf die Kapitel von der »Entwicklung* und »Vererbung* aei noch
hlngewieaen. Ala beaonderer Vorzug von Tallaseheka Werk aber muaa bei der
Schwierigkeit der erSnerten Materie die Klarheit und Versilndllchkelt der Darstellung
gerühmt werden. Der Stil Ist im besten Sinne ffenllletonistlscb. Beigegeben sind zahl-
203
BESPRECHUNGEN (BÜCHER UND MUSIKALIEN)
roiche Abbildungen undüNotenbeispiele, sowie ein Literaturverzeichnis, das von der
stapenden Belesenheit und Gelehrsamkeit des Autors auch dem berichtet, der bei der
interessanten, geistvollen Darstellung ganz vergessen, dass er eigentlich kein unterhalten-
des sondern ein gelehrtes Buch vor sich hatte. Dr. G. Münz er.
27. Alice Leighton Cleather and Basil Crump: The Ring of the Nibelungan
Interpretation embodying Wagner's own explanations. Verlag: Methuen&Co.,
London 1003.
Das B&chlein sucht in gefilliger Form zum gründlichen Verstlndnis der Ring-
dicbtung anzuleiten. Einer kurzen allgemeinen Vorbemerkung folgt eine Inhaltsangabe
der Ringdramen, die den Ideengehalt heraushebt und dabei auch auf die musikalischen
Motive kurz eingeht. Die Auslegung geschieht möglichst durch Wagners eigene Aus-
sprüche. Das Büchlein ist also kein landliuflger »Opernführer*, weist vielmehr, gestützt
auf gute Quellen, namentlich auf das Buch von Ashton Ellis, den Leser zur Hauptsache,
zum deutschen Drsma, das im Ring seinen Höhepunkt erreicht, wie einst das griechische
in der Trilogie des Äschylos. W. Golther.
28. E« W. Degner: Anleitung und Beispiele zum Bilden von Kadenzen und
Modulationen, zum Harmonisieren gegebener Melodieen und Bisse am Klavier
und an der Orgel. Verlag: Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1002.
Der erste Teil dieses Werkes, der die Übungen am Klavier umfasst, liegt vor uns
and lisst sich im Anschlusa an jeden theoretischen Unterricht mit grossem Nutzen ver-
werten. Ausgehend von der Bildung der einfachen Dur- und Moll-Kadenzen und deren
Erweiterungen durch Anwendung von Nebendreiklingen und Umkehrungen der betreffen-
den Akkorde wird dem Lernbegierigen das Aneinanderreihen logisch zusammenhiogender
Akkorde nach den Regeln des vierstimmigen Satzes gelehrt. Die weiteren Ausführungen
über die Mehrdeutigkeit der Akkorde, die zu Anknüpfungspunkten für neue Harmonie-
folgen umgedeutet werden, leiten die Modulationslehre in die richtigen Wege. Die nun
folgenden Paragraphen über das Vorkommen und die Anwendung harmoniefremder Töne
(Durchginge, Wechselnoten, Vorhalte, Antizipationen und Orgelpunkt) geben ein sehr
klares Bild von dem Ausbau des vierstimmigen Satzes zu freier mehrstimmigen Melodik
und Figuration. Beschlossen wird das Werk mit den Regeln über die Anwendung der
Fünfklinge (Dominant-Septimen -Akkord und seiner Umkehrungen), wihrend sich durch
simtliche Kapitel hindurch das Bestreben zeigt, einer Elementar- Formenlehre gerecht
zu werden, die es dem Leser ermöglicht, das gelernte Harmonieen-Material ebensowohl
in einzelnen Takten, als auch in Taktgruppen, Halbsitzen und Sitzen, gipfelnd in der
dreiteiligen Liedform, nach den Regeln der Kunst zu verwenden. Die Art und Weise
der Darstellung des Lehrstoffs und der notwendigen Erklirungen ist iusserst klar und
übersichtlich. Die einer jeden Regel, Besprechung oder Anmerkung in reicher Aus-
wahl beigegebenen Beispiele sind vorzüglich gewihlt und übersetzen nicht nur die
Theorie in sehr bequemer Weise in die Praxis, sondern geben auch jedem, der das Buch
zum Selbststudium verwenden möchte, eine ausgiebige Kontrolle seiner praktischen Ver-
suche. Man kann nach diesem in jeder Hinsicht empfehlenswerten ersten Teil vom
zweiten nur das allerbeste erwarten. Adolph Pochhammer.
MUSIKALIEN
20. Felix Draeseke: Christus. Ein Mysterium in einem Vorspiel und drei
Oratorien. Vorspiel: Die Geburt des Herrn. Erstes Oratorium: Christi
Weihe. Zweites Oratorium: Christus der Prophet. Drittes Oratorium: Tod
und Sieg des Herrn. Klavierauszüge mit deutschem und englischem Text,
Verlag: Hermann Seemann Nachfolger, Leipzig.
204
DIE MUSIK III. 3.
Felix Draeseke ist beute ein Mann von fast 70 Jahren. Er blickt nicht nur auf
ein langes Leben, sondern auch auf eine reiche künstlerische Entwicklung zuriick. Er
begann in der zweiten Hilfte der 50er Jahre als begeisterter Anhinger Franz Liszts und
Richard Wagners und galt als einer der radikalsten Verfechter der künstlerischen Prin-
zipien der neudeutschen Schule. Wie bei so vielen anderen, die in der Periode jugendlich
ungestümen Sturms und Drangs sich für eine neue, Herkommen und Oberiieferung
revolutionierende künstlerische Richtung begeisterten, wich auch bei ihm der anfingliche
Enthusiasmus einer allmihlich, aber unaufhaltsam eintretenden Ernüchterung. Draeseke
wurde immer mehr zum retrospektiven Klassizisten, der zwar für Wagner sich seine
glühende Bewunderung bewahrt hat, der von Liszt beeinflussten Entwicklung der neueren
Konzertmusik aber um so fremder gegenübersteht. Für ihn selbst wurde diese Wandlung
zum Verhängnis. Denn so lange um die moderne Musik noch gekimpft werden musste,
und die Verfechter des Alten noch an der Herrschaft waren, galt Draeseke immer noch
als der tolle Umstürzler von anno 60. Wogegen jetzt, wo diese Geltung eher eine
Empfehlung als einen Nachteil bedeuten würde, man lingst erkannt hat, dass Draeseke
alles andere eher denn ein modemer Musiker ist. So blieb er eigentlich immer unauf-
geführt: damals weil er zu modern erschien, heute aus dem entgegengesetzten Grunde.
Dabei ist das merkwürdige, dass nicht etwa Draesekes Name selbst unbekannt geblieben
oder wieder in Vergessenheit geraten wire. Nein, jedermann kennt ihn und nennt seinen
Namen mit Respekt und Hochachtung. Nicht nur als gelehrter Kontrapunktiker und
bedeutender Lehrer erfreut er sich eines grossen und weitverbreiteten Rufes. Auch dass
seine schöpferische Bedeutung nicht gering zu veranschlagen sei, steht in der allgemeinen
Meinung fest. Und trotzdem wird man seine Werke vergeblich auf unseren Konzert-
programmen suchen! ^ Wenn ein solcher Mann mit einer grossen vierteiligen Oratorien-
schöpfung vor uns tritt, die man sehr wohl als ein ^»Lebenswerk* tMzeichnen kann, und
die dazu noch einem Gegenstande gewidmet ist, der trotz allem modernen Anti-Christia-
nismus einem jeden von uns ein kostbarstes und erhabenstes seelisches Besitztum bleibt,
so haben wir die Gabe, die er uns bietet, zum mindesten mit jenem Gefühle der Ver-
ehrung entgegenzunehmen, die jedes ideale, auf ein hohes und ernstes Ziel gerichtete
künstlerische Streben erwecken muss, wenn es nicht mit ganz unzureichenden Kräften
verwirklicht wird. Und dass davon bei einem Musiker wie Draeseke, der zum mindesten
in technisch-formaler Hinsicht ein Meister seiner Kunst ist, keine Rede sein kann, ver-
steht sich von selbst. Aber auch noch ein anderes dürfte kaum zu bestreiten sein. Dass
man nimlich von dem Kritiker, der ein solches Werk nicht von dem lebendigen Eindruck
einer Aufführung her kennt und in seiner eigentlichen Wirkungsfihigkeit erprobt bat,
sondern mit dem toten Studium der Noten — und dazu nur des Klavierauszuget, nicht
einmal der Partitur — sich hat begnügen müssen, dass man von ihm nicht etwa ein
irgendwie massgebliches oder gar abschliessendes Urteil wird verlangen dürfen. Ich
beschränke mich auf einen rein tatsächlichen Bericht über Art und Anlage des Werkes,
dem ich nur einige ganz kurze, den ersten persönlichen Eindruck widerspiegelnde sub-
jektiv kritische Bemerkungen t>eifügen will. Draeseke hat sich über seine Christus-
Schöpfung selbst in einem Vorworte ausgesprochen. Danach nennt er sein Werk nur
deshalb ein »Mysterium*, weil es drei Oratorien nebst einem Vorspiel enthält und für
sich als Ganzes eine eigene Benennung erforderte. Im Oratorium erkennt er ein
wesentlich dramatisches Kunstwerk. Oratorien sind ihm Opern mit geistlichen Stoffen.
Er glaubte also auch in seinem »Christus* durchaus des dramatischen Stiles sich bedienen
und alles Epische unbedingt vermeiden zu müssen. Wobei er aber im entferntesten
nicht an eine scenische Aufführung gedacht hat. Eine solche würde sich nicht nur durch
die Heiligkeit des Gegenstandes, sondern auch technisch-praktisch durch die grosse Aus-
205
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
dehnong nod Schwierigkeit vieler Chorpartieen verbieten. Während der Komponist sparsam
gewesen ist in der Verwendung eigentlicher Leitmotive, hat er sich sowohl des gregoria-
nischen Chorals (insbesondere in dem Johannes den TXufer behandelnden Oratoriumteile)
als auch der evangelischen Choralmelodie (aber nur instrumental, indem sie neben der
Handlung begleitend hergeht, manchmal aber auch in grossen Chören dominierend durch-
kliogt) in ausgedehnterer Weise bedient. Auch hat er in beabsichtigter Nachfolge Richard
Waguers den strengen Abscbluss der einzelnen Abschnitte vermieden und, wie jener
jeweils einen Aufzug, so jeweils einen ganzen Oratorienteil in ein ununterbrochen fort-
laufiendes Ganzes zusammengefasst, das denn auch sehr wohl selbständig für sich allein
zur Aufführung gelangen kann. Als den für die Wiedergabe seines Werkes passendsten
Raam und Rahmen bezeichnet Draeseke die Kirche. Der Text ist fast ausschliesslich
der Heiligen Schrift entnommen. Bei dessen Zusammenstellung hatte sich der Verfasser
der wirksamen Hilfe des bibelkundigen Pastors Adolf Schollmeyer zu erfreuen. Das
Ganze gliedert sich folgendermassen : 1. Vorspiel. Die Geburt Christi: Israels Er-
wartung des Messias (Eingangschor), Verkündigung der Geburt durch die Engel, Anbetung
der Hirten, Lobgesang der Jungfrau, Huldigung der heiligen drei Könige, Darbringung
Jesu im Tempel, Mahnung des Engels zur Flucht nach Ägypten. 2. Erstes Oratorium.
Christi Weihe: a) Johannes der TXufer in seiner Begegnung mit dem Volke, den
Pharisiem und Jesu, der von ihm getauft wird; b) der Sohn Gottes, zum Erlösungszwecke
in die Welt hinausgesandt, wird vom Satan versucht, und überwindet ihn. 3. Zweites
Oratorium. Christus der Prophet. Das Wirken des Heilandes unter dem jüdischen
Volke: a) Hochzeit von Kana, Bergpredigt mit den Seligpreisungen, Heilung des Gicht-
brüchigen, Einladung an die Mühseligen und Beladenen; b) Vaterunser, Erzihlung vom
bannherzigen Samariter, Auferweckung des Lazarus, c) Scene im Hause Simons» wo Jesus
von Lazarus' Schwester Maria gesalbt wird, Einzug in Jerusalem, Wehklage über die Stadt und
Vertreibung der KrXmer und Wechsler aus dem Tempel. 4. Drittes Oratorium. Tod und
Sieg des Herrn: a) Fusswaschung, Abendmahl, Jesu Rede und Anfechtung in Gethsemane,
Verrat und Gefangennahme, b) Jesus vor Kaiphas und Pilatus, Gang zum Kreuze,
Kreuzigung, Tod mit den ihn begleitenden Zeichen, c) Chor der GrabeswXchter (Auf-
erstehung), die verschiedenen Kundgebungen des Heilandes vor Frauen und Jüngern,
Himmelfahrt. Schlusschor (Hinweisung auf das zu erwartende Weltende). — Dem durch
die ganze Anlage des Werkes bedingten, namentlich im zweiten Oratorium empfindlichen
Mangel an weiblichen Solopartieen hat der Komponist durch möglichste Verwendung
weiblicher Stimmen für Gesäuge der Engel einigermassen abzuhelfen gesucht. Jesus —
Bariton; Simeon, Satan, Kaiphas, Judas Iscbarioth — Bass; Johannes der TXufer, Pilatus
— Tenor. Für die Chorbesetzung gibt Draeseke als Minimum 150—200, als Maximum
400 Stimmen an. Das Orchester verlangt Streichquartett, zwei Harfen, eine kleine und
zwei grosse Flöten, zwei Hoboen, Englisch Hörn, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, Kontra-
figotty vier Hörner, drei Trompeten, vier Posaunen, ein Paar Pauken und Tamtam; dann
noch an einigen Stellen zwei lan^e Trompeten, Orgel und in der Versuch ungsscene
eine Kontrabass-Posaune, sowie Becken und grosse Trommel. Soweit Draeseke selbst.
Nun noch einige Worte über den ersten Gesamteindruck, die, wie gesagt, nichts weniger
als eine abschliessende Beurteilung darstellen wollen. Hohes, ernstes Wollen und ein
meisterhaftes technisches Können, das sind die sofort in die Augen springenden grossen
Hauptvorzüge der Draesekeschen Schöpfung. Dann kommt noch etwas von nicht zu
unterschitzender Bedeutung: grosse Einheitlichkeit und Geschlossenheit in der Gesamt-
haltung. Der Draesekesche Christus hat Stil. Es ist eine abgerundete, reife und in sich
fertife Persönlichkeit, die dahinter steht. Und diese Persönlichkeit ist sympathisch, ja
verehmngswürdig. Demgegenüber darf nun freilich auch nicht verschwiegen werden,
206
DIE MUSIK III. a.
dass diesen Vorzfigen bedeutende Mingel gegenüberstehen, und dass beinahe zu be-
f&rchten ist, diese Mingel mussten — soweit es sich um die allgemeine Schitxung und
die Verbreitung des Draesekeschen Mysteriums handelt — schwerer in die Wagschale
fallen als jene Vorzfige. Zunichst fehlt es bei Draeseke durchweg an der eigentlichen
Inspiration. Wenn man von den Chören absieht, die sich überall durch meisterhaft
klangvollen Satz, an einzelnen Stellen, wo sie wie im Eiagangschor, dem auf die Auf-
erweckung des Lazarus folgenden grossen Tripelchor und dem Schlusschor breitere
Dimensionen annehmen, durch imposanten Aufbau, und hier und da — z. B. in dem
Engelchor zu Anfang des a. Oratoriums: As- Dur 9/4, Kl.-A. S. 20 ff. — auch durch
poetischen Stimmungszauber auszeichnend hervorheben, ist alles andere in der Wirkung
fast ohne jegliche Ausnahme reizlos, trocken, nfichtem, ja oft geradezu öde und lang-
weilig. Nun ist es ja an und für sich schon schlimm, dass das Hauptgewicht bei einem
Werke, das — wie Draesekes Mysterium — ausgesprochenermasscn Drama sein will,
gerade auf die Chöre, d. h. diejenigen Partieen fillt, in denen der Komponist zu gunsten
rein musikalischer Wirkungen vom dramatischen Stil mehr oder minder stark abgewichen
ist. Überdies scheint es mir von vornherein ein Missgriff gewesen zu sein, dass
Draeseke seine Schöpfung gerade als geistliches Drama intentioniert hat. Und zwar
aus folgenden Gründen: Jene bekannte Verurteilung der ganzen Gattung des
Oratoriums durch Richard Wagner ging — ganz allgemein und ohne Einschrinkung
ausgesprochen — vielleicht wohl zu weit Aber dass sie für den Fall, dass ein
Oratorium Drama sein will — ohne es doch seinem Wesen nach ganz und voll-
kommen sein zu können -- durchaus berechtigt ist, leidet keinen Zweifel. Sodann
haben gerade wohl seine pseudodramatischen Velleititen Draeseke zu jenem »Durch-
komponieren* verleitet, das ihm gerade so zum Verhingnis geworden ist, wie so
manchem Opern komponierenden Wagner-Epigonen. In der Tat kann ich mir nicht vor-
stellen, wie man diese zum Teil recht ausgedehnten Oratorien-Abschnitte, die auf weite
Strecken in einem zwar sehr korrekt deklamierten, aber leblos starren, einer wahrhaft
von innen heraus beseelten Accentuierung entbehrenden Rezitativ und dazu noch meist
in langsamem Tempo sich endlos dahin schleppen, über sich ergehen lassen kann, ohne
sich tödlich zu langweilen. Einzig in England, wo man das Anhören geistlicher Musik
nicht sowohl als künstlerischen Genuss, denn als einen Akt religiöser Askese ansieht,
scheint mir das möglich zu sein. Alles in allem : dass Draesekes »Christus* ein in vieler
Hinsicht imponierendes Werk ist, das einem Respekt und ehrfurchtsvolle Hochachtung
abnötigt, ist gewiss. At>er es lisst kalt und spricht weder zu unseren Sinnen noch zu
unserem Herzen die machtvoll überredende Sprache des Genies. Es wird viel gelobt,
aber, wie ich fürchte, sehr wenig aufgeführt werden. Dr. Rudolf Louis.
30. Norbert Salter: Orchesterstudien für Violoncello. 2. Binde. Verlag: Stein-
griber, Leipzig.
Für angehende und auch für bereits im Amte titige Orchesterspieler sind die
Orchesterstudien von Salter ein Bedürfnis. Sie enthalten grosses Material. Ausser dem
klassischen Konzertprogramm auch Stellen aus Werken von Berlioz, ferner aus 38
Repertoire-Opern. Die Fingersitze und Bogenstriche sind sorgfiltig bezeichnet. Dass
Brahma, Wagner, Richard Strauss etc. nicht in die Sammlung auf|genommen werden
konnten, ist sehr bedauerlich, da die moderne Technik noch ganz andere Ansprüche an
den Spieler stellt. Die fleissige Arbeit Salters hilft ihnen aber schon über viele
Klippen hinweg. Hugo Schlemfiller.
DEUTSCHES VOLKSBLATT (Wien) 1903, 2. 9. — H. A. S. berichtet über „Beethoven
und seine Ärzte** Neues auf Grund von Material des Wiener Stadtarchivs. Ver-
öffentlicht wird eine Honorarforderung des Arztes Johann Seibert, der neben
Wawruch und Malfatti Beethoven während seiner letzten Krankheit behandelte.
Er fordert 195 fl. R. M. für „vier chirurgische Operationen, 90 Krankenvisiten und
mehrere ärztliche Beratungen während des Zeitraums vom 21. Dezember 1826 bis
26. März 1827.'' Wawruch fordert „für geleistete Beratschlagungen und Operations-
beiwohnungen* 270 fl., ein Dr. med. Johann Wagner, der den Leichnam Beethovens
obduzierte, will „hierfür den Betrag von 20. fl. ins Verdienen gebracht* haben.
WISS. BEILAGE ZUR GERMANIA (Berlin) 1903, No. 36. — „Zur Geschichte
des deutschen Kirchengesanges* liefert Hermann Müller einen Beitrag, indem
er die erste allgemeine Verordnung veröffentlicht, durch welche der letzte Kurfürst
von Köln Maximilian Franz (1784—1801) den deutschen Kirchengesang beim Hoch-
amte in seiner Diözese einführte. Der Erlass trägt das Datum: Bonn, 29. Juli 1793
und es heisst darin u. a.: „Es ist eine auffallende Wahrheit, dass es zur Erbauung,
Belehrung und Besserung des Betenden weit mehr beiträgt, wenn er in einer
ihm bekannten Sprache, als wenn er in einer fremden, ihm unverständlichen,
weiters nicht einmal richtig ausgesprochenen Sprache betet.*
L'BTOILE BELGE bringt wertvolle Mitteilungen über die Vorgeschichte der Familie
Beethovens. Beethovens Urahne war der Schneider Heinrich Adelhard van Beethoven,
der seit 1713 das zur „Sphaera mundi* genannte Haus in Antwerpen besass. Dieses
Haus wurde im Jahre 1753 infolge des Konkurses seines Besitzers herrenlos und
1754 gerichtlich versteigert. Adelhards Kinder, zwölf an der Zahl, vertrugen sich
schlecht untereinander und einer von den Söhnen namens Ludwig wanderte im
Jahre 1761 nach Bonn aus, wo er kurfürstlicher Kapellmeister wurde. Er war der
Grossvater Beethovens.
FREISTATT (München) 1903, No. 37. — „Herman Zumpe f* von Felix Adler.
Der Nekrolog feiert Zumpe als „keinen Sieger, aber dennoch einen Helden, der
buchstäblich sein Herzblut für das, was ihm heilig war, hergegeben hat,* und sagt
u.a.: „Seine bedingungslose Hingabe an die gute Sache, der er bis ans Ende mit
einem glühenden Enthusiasmus diente, sein strenges Pflichtbewusstsein, das mit
der Kraft des nimmer ruhenden glaubensstarken Fanatismus keine Lässigkeit,
keine Erschlaffung duldete, das waren die Eigenschaften, die ihm die unbedingte
Hochachtung aller erzwingen musste.*
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG 1903, No. 37. - In dem Heft beginnnt ein Artikel
»Kunst und Geschäft* von Hugo Conrat, der sich zunächst mit dem Verhältnis
Schuberts zu seinen Verlegern befasst. Peters machte tausend Schwierigkeiten;
Probst bemängelt den „mitunter etwas seltsamen Gang seiner Geistesschöpfungen*.
— Otto Lessmann schliesst seinen Nekrolog Herman Zumpe mit den Worten:
»Fortleben wird die dankbare Erinnerung an das, was er seiner Ktinst zu Preis in
^inem arbeitsreichen Leben gewirkt hat.* — „Kein Loblied* nennt Franz Dubitzky
208
DIE MUSIK III. a.
seinen Aufsatz „Muster- Programme und Muster - Aufführungen unserer Militir-
kapellen*', der ebenso scharfe wie wahre und berechtigte Klagen enthilt und in
der Forderung nach jährlicher Verteilung des Repertoires an die einzelnen Kapellen
und nach Einsetzung einer staatlichen »Kunstkommission* ^ die Repertoire und
Programme alljährlich zu prüfen bitte — gipfelt.
BRESLAUER ZEITUNG ]g03, No. 634. — Hier handelt Adolf Oppenheim über
»Frau Cosima Wagner als Regisseurin'' und stellt deren Verdienste um die Bay-
reuther Festspiele, namentlich um die Parsifal- Aufführungen im Jahre 1883, ins
rechte Licht. Aus dem Aufsatz geht hervor, dass Frau Wagner die Intentionen
ihres Gatten verstindnisvoll und bei aller Ruhe mit eiserner Beharrlichkeit
durchführte.
HAMBURGER FREMDENBLATT 1903, 30.8. - Albert Königs Artikel »Fürsten
als Künstler* gibt eine Obersicht über die künstlerische Betitigung gekrönter
HXupter, angefangen von den römischen Kaisern. Interessant Ist namentlich, was
über das Lautenspiel Friedrichs des Schönen gesagt wird. Heinrich V. von England
sang Couplets, Karl VI. von Österreich war ein guter Opemkomponist und war
stolz darauf, dass er Jeden Augenblick Kapellmeister werden könnte*. Auch unter
den jetzt lebenden Potentaten befinden sich viele Musiker, selbst ein trefflicher
Pfeifer: der König Karl I. von Portugal.
MUSICAL RECORD AND REVIEW (Boston) 1903, No.500. - Aus dem reichen
Inhalt dieses Heftes seien die folgenden Aufsitze hervorgehoben: John Towers
Artikel »Singing soldiers**, der auf General Corbins Vorschlag zurückgeht, man
solle im Heer den Gesang pflegen, da dadurch die Disziplin verbessert werde;
W. J. Baltzells Studie »The young woman in music — her opportun ities"; die
sehr hübsche Notiz »Where do old planes go?*, die Abhandlung »Artistlc Per-
formance* von Frances J. Robinson und Percy Goetschius' Aufsatz über die
Kadenzen (»Lessons in music form*).
HOCHLAND 1903, No. 1. — »Musik und Drama* ist der Titel einer lingcren geist-
vollen Arbeit von Karl Store k. Der Verfasser scheidet zunächst die Begriffe Oper
und Musikdrama von einander: bei der ersteren hat die Musik die Prioritit und
das Drama tritt hinzu; beim Musikdrama tritt zum Drama die Musik. Der weitere
Gang seiner Darlegung führt zu der Notwendigkeit, an die Stelle der Wagnerschen
Gegenüberstellung »Oper und Drama* den Gegensatz »Musik und Drama* zu
setzen. Storck stellt fest, dass Wagners Wort, Musik und Poesie seien wie Mann
und Weib, nicht zutreffe; jede dieser beiden Welten ist für sich ausreichend und
nur dort, wo sie sich berühren, bedeutet ihre Vereinigung an sich eine Steigerung.
Der Aufsatz, der eine sehr schöne knappe Übersicht über die Entstehung und
Entwicklung der Oper bei den verschiedenen Nationen enthilt, liuft In eine Spitze
gegen die Ästhetik Wagners und der Wagnerianer aus. Da schon die nationalen
Vorbedingungen eine verschiedene Entwicklung hervorrufen, führt die Entwicklung
naturgemiss nach verschiedenen Gipfeln und der Glaube an Begriffe wie »Das
Allkunstwerk* und gar »Das Kunstwerk der Zukunft* führen zur Einseitigkeit und
bedeuten ein »Festlegen auf einen Punkt*.
TAGESFRAGEN (Kissingen) 1903, No. 9. — Aus dem Inhalt verdienen hervor-
gehoben zu werden: Kistlers Auf^tz »Kritik und Künstlerruhm* und die zur
Diskussion anregende Studie »Die Wirkung des musikalischen Tones und musi-
kalischer Werke*.
209
REVUE^DER REVUEEN
NEUE MUSIKALISCHE PRESSE (Leipzig) 1903, No. 18. — Der knappe Artikel
»Die Entstehung der Kammermusik von Heinrich Pudor gibt eine schöne Dar-
stellung des Entwicklungsganges von Gabrieli's Sonaten über J. H. Scheins Suiten
und Corelli's Violinsonaten zu Scarlatti, Kuhnau, Bach und Haydn. — Arthur Seidl
bespricht ausführlich „Die Münchner Wagner-Aufführungen*; Arthur Smolian
widmet (Herman Zumpe f) Zumpe einen warmen Nekrolog.
BLÄTTER FÜR HAUS- UND KIRCHENMUSIK (Langensalza) 1904, No. 1. -
Auch hier ein Zumpe-Nachruf (Herman Zumpe f) von Hermann Teibler. »Er
aber errang einen grossen Sieg und gewann sanft den Schlaf, der alles Strebens
Ende bedeutet. Den Besten seiner Zeit hat er genug getan. Er war ein ganzer
Mann und ein ganzer Künstler. Er gehörte zu den wenigen, die in der Er-
innerung nicht nur Trauer, sondern auch Erhebung wachrufen.* Der Aufisatz
»Goethe und Mozart** von Wilibald Nagel enthilt im Anschluss an die Er-
wähnung von Goethes Theaterleitung in Weimar einen wertvollen Exkurs über
die gleichzeitige Entwicklung der Musik; in Nord- und in Süddeutschland. Ein
Prachtstück ist Nagels Besprechung von Mozarts »Veilchen*, die zeigt, wie
Mozart ebenso sorglos und arglos das Gedicht komponierte, wie er andererseits
unbewusst das Lied mit warmem dramatischen Leben erfüllt hat. Goethe war
ein Gegner »durchkomponierter Lieder*; 1801 sagt er in den »Annalen*, das
»Studieren des eigentlichen Ausdrucks* bestehe darin, »dass der Singer nach
einer Melodie die verschiedenste Bedeutung der einzelnen Strophen hervor-
zuheben und so die Pflicht des Lyrikers und Epikers zugleich zu erfüllen weiss*.
Und so hat denn Nagel gewiss recht, wenn er schreibt: »Goethe hat in Mozart
in erster Linie den Dramatiker der Musik kennen gelernt, d. h. Mozart als Schöpfer
des ,Don Juan^ der ,Zauberflöte< hat sich ihm innerlich erschlossen und ist für
seine Anschauungen massgebend geworden.* — »Ketzer-Betrachtungen* nennt
Arthur Seidl seinen auf die Enthüllung des Berliner Wagner-Denkmals sich be-
ziehenden »Monumentum aere perennius* überschriebenen Aufsatz, der nach
einer Zusammenstellung denkwürdiger Stellen aus Wagners Briefen als wichtigsten
Schluss daraus den Gedanken zieht, »dass das einzig richtige, allein ^adiquate*
und wahrhaft nationale Wagner-Denkmal unserer Zeit eben vor allem darin bitte
bestehen müssen, dass das deutsche Volk in seiner Gesamtheit einhellig den
Manen des geschiedenen Meisters ein massiv und künstlerisch ausgeführtes
Monumentalgebiude, an Stelle des bisherigen ,Not- und FachwerkbauesS auf
dem Bayreuther Hügel als dauergründiges ,Wagner-Theater' und nationales ,Fest-
splelhaos* nunmehr errichtet haben würde.* Als weitere Schlüsse zieht Seidl
aus den Äusserungen Wagners die Notwendigkeit der Begründung jener von
Wagner geforderten »Stilbildungs- oder musikdramatischen Gesangsschule*, ferner
»die Bewahrung des Parsifal-Mysteriums, als Ausnahmeerscheinung wie un-
anterbrochen auf alle Zeiten, allein für das Bayreuther Festspielhaus; zu all-
jihrllcher National-Gedenkfeier künstierischen Hochsinnes, bei der den Manen
des SchöpfSers selbst wie allen guten Geistern unseres Volkes in isthetischer
Kultur firendvoU-dankbar geopfert würde* — endlich die Ausgestaltung des »Fest-
spiel-Stipendienfonds* zu voller Leistungsfihigkeit. »Dann, und auch nur dann
erat, stünde das unser einzig würdige National-Denkmal auf R. Wagner vollendet,
hitte und besisse der unermesslich grosse Meister das seiner Bedeutung und
seinem Idealwerte für uns allein angemessene Monumentum aere perennius . • .
nimllch im Herzen und Bewusstsein seines liebenden Volkes selber . . •*
HL a. 14
NEUE OPERN
Alfred Schattmann: »Die Freier*, ein einaktiges musikalisches Lustspiel
(Text nach dem FrQhlingsspiel »Im Stöckelschuh" von Gustav Klitscher vom
Komponisten bearbeitet) wird am Stuttgarter Hoftheater zum erstenmal auf-
geführt werden.
Fr. Schuchhardt: »Die Bergmannsbraut" wurde vom Hoftheater in Koburg
zur UrauffQhrung angenommen.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Braunschweig: Das Hoftheater bereitet für die nichste Zeit vor: »Trisun und
Isolde* von Wagner, »Der Maskenball** von Verdi und »Benvenuto Cellini*
von H. Berlioz.
Brüssel: Das Monnaletheater hat bis jetzt folgende Opern zur AuffGhrung ge-
bracht: Lohengrin, Prophet, Stumme, Rigoletto, Barbier, Manon, Aida, Re-
gimentstochter, Noce de Jeanette. Unter den neuengagierten Künstlern sind
vor allem zu nennen der Spieltenor Delmar und Mme. Brdjean-Silver (Sopran).
München: Die Festspielsaison 1004 umfasst im ersten Teil zehn Fest-
auffQhningen Mozartscher Werke (Figaros Hochzeit, Entführung aus dem
Serail, Don Giovanni, Cosi hn tutte, Zauberflöte) im Residenztheater und
Hoftheater vom 1. bis 11. August Der zweite Teil besteht aus zwanzig Fest-
auffQhrungen Wagner scher Werke im Prinzregenten-Theater: Tristan und
Isolde (zweimal). Die Meistersinger (zweimal), Der Fliegende Hollinder
(zweimal). Der Ring des Nibelungen (dreimal). Die Spielzeit ist vom
12. August bis 10. September.
Schwerin: Als Opem-Novititen sind in Aussicht genommen: »Der Dusle und
das Babeli* von Karl von Kaskel, »Die Glocken von Comeville** von Plan-
quette, »Die Nonne von Ghirceni* komische Oper von Konrad Schröder,
»Die Tante schüft* Operette von Henri Casper. Neueinstudierungen:
Stumme von Portici, Vampyr, Wassertriger, Rienzi, Rigoletto, Joseph und
seine Brüder, Barbier von Bagdad, Jüdin, Maskenball (Verdi).
KONZERTE
Berlin: Der Pftmnschmidtsche Chor (Dirigent: Heinrich Pfannschmidt) in
Pankow führt am Busstag in der Gamisonkirche das Deutsche Requiem
von Brahms und die Bacbsche Kantate »Wer weiss, wie nahe mir mein
Ende** auf.
Bielefeld: In den Konzerten des Stidtischen Orchesters unter Traugott Ochs
kommen in der Saison 1003/04 folgende Novititen zur Aufführung: Wilb.
Berger (Symphonie B-dur), Brahms (Symphonie F-dur; Variationen über den
Choral St Antoni), Berlioz (Benvenuto Cellini; König Lear; Harold in Italien),
Borodin (h-moll-Symphonie), DvoHk (E-dur-Serenade), Gluck (Alceste, mit
Schluss von Weingartner), Guiraud (Danse Persane), Kaun (d-moU-Sym-
phonie), Kistler (Bearbeitung der j^Schlacht von Vittoria*), LAngenbeck (An
211
UMSCHAU
der Schicksalswende), Liszt (13. Rhapsodie, bearbeitet von Hutschen-
ruyter; Bergsymphonie), Noetzel (Symphonie), Rufer (Rubens - Ouver-
türe), Saint-SaSns (PhaSton), Schillings (Vorspiele zu Ingwelde und
Pfeifertag; »Hexenlied*, mit Ernst von Possart), Suk (E-dur-Symphonie),
AI. Ritter (0er faule Hans), Thomas (Ouvertüre »Une nuit d'6t6"). Volkmann
(Ouvertüre Richard 111.), Wagner (Karfreitagszauber; Isoldens Liebestod;
Siegfrieds Rheinfahrt; Tannhäuser- Bacchanale), Weingartner (Bearbeitung
der »Aufforderung zum Tanz" von C. M. von Weber), Hugo Wolf (Penthesilea),
Otto Wolf (Suite; Symphonia appassionata).
Braunschweig: An wichtigen Konzerten sind angekündigt: vier der Hofkapelle,
fünf Abende des Vereins für Kammermusik, sowie acht populäre Konzerte
des Direktors Wegmann, der wiederum erstklassige Kräfte, z. B. Lula
Gmeiner, Minette Wegmann, Dr. L. Wüllner, Emil Sauer, das Böhmische-
und Waldemar Meyer- Streichquartett u. a. gewonnen hat. Am 25. Oktober
waren es 50 Jahre, dass H. Berlioz mit der Hofkapelle ein Konzert gab und
aus Dankbarkeit für die vorzügliche Wiedergabe seiner Werke, wie der
freundlichen Aufnahme seitens des hiesigen Publikums den bedeutenden
vollen Ertrag als Grundstock einer Witwen- und Waisenkasse für die Hof-
kapelle bestimmte. Letztere wird z. T. dieselben Werke wie damals,
u. a. die «Symphonie fantastique* aufführen. Der Chorgesang-Verein be-
reitet unter Hofmusikdirektor Clarus «J^^Ias Makkabäus** von Händel und
die grosse Messe (h-moll) von Bach vor.
Breslau: In den vier Kammermusik-Vereinigungen des Konservatoriums werden
zur Aufführung gelangen: Klaviertrios von: Heubner, Arensky, Scharwenka,
Sinding; ferner Rheinberger (Klavierquartett), Thuille (Cello-Sonate), Gold-
mark (Violinsuite), Saint-Saens (Klavierquartett). Die Vereinigung besteht
aus den Herren: Ludwig Forste!, Willy Pieper, Dr. Felix Rosenthal und
W. Trappmann. — Der Bohnsche Gesangverein veranstaltet vier
historische Konzerte. I. Die romantische Oper in Deutschland (E. T.
A. Hoffknann, C. M. von Weber, Marschner, Spohr, Reissiger, Lindpaintner,
Kreutzer). II. Weihnachtsgesänge (16. bis 19. Jahrhundert). III. und IV. Die
Zigeuner in der Musik.
Dortmund : Der Musikverein veranstaltet unter Janssens Leitung fünf grosse
Konzerte, in denen u. a. folgende Chorwerke zur Aufführung gelangen: Bach
(Matthäus-Passion), Berlioz (Fausts Verdammung), W. Berger (Der Totentanz),
Bruch (Gruss an die heilige Nacht), Doret (Die sieben Worte des Erlösers,
erste Aufführung in Deutschland). Neben Symphonieen von Beethoven und
Brahms ist die Instrumentalmusik vertreten durch d'Alberts Cello-Konzert,
Solist Hugo Becker. Ausserdem sind zur Mitwirkung gewonnen : das hiesige
philh. Orchester, das Böhmische Streichquartett, die Damen: Stephanie
Becker, Luise Hövelmann und Sophie Hiller, Marie Rost und Luise Geller-
Wolter, die Herren: v. Fossard, Prof. Messchaert und A. Sistermans, G. A.
Walter und Fr6d6ric Lamond. — In den jährlich von Kapellmeister Hüttner
veranstalteten Solisten-Konzerten des philharm. Orchesters sind in
Aussicht genommen: Instrumentalwerke von: J. S. Bach, Mozart, Beethoven,
Liszt, Wagner, Tschaikowsky, Rieh. Strauss (Tod und Verklärung) ; femer das Vor-
spiel zu »König Ödipus** und zu »Ingwelde** und das »Hexenlied** von Max
Schillings. Letzterer wird seineWerke persönlich dirigieren und die Rezitation zum
„Hexenlied" liegt in den Händen von Ernst v. Possart. Als Solisten wirken
14*
212
DIE MUSIK III. 3.
in den Konzerten mit: Waldemar Lutschg (Es-dur-Konzert von Beethoven),
Willi Eickemeyer (A-dur-Konzert von Liszt), Dr. Felix Kraus, Mary Munch-
hoff und Frau Cahnbley- Hinken. — Direktor Holtschneider veranstaltet
wiederum drei grosse Orgelkonzerte und bringt durch das Konservatorium
»Der Rose Pilgerfahrt* und den »Elias* zur Wiedergabe. Des weiteren findet
in Anlehnung an das Konservatorium ein Weingartner-Konzert (Dirigent
Felix Weingartner) und ein Rieh. Strauss-Abend statt. In jenem kommt des
Dirigenten d-moll-Streichquartett zu Gehör, in diesem Strauss' Sonate für
Violine und Klavier, op. 18, mit dem Komponisten am Klavier, und eine
Anzahl seiner Lieder, gesungen von Pauline Strauss-de Ahna. — In den von
der Konzertagentur der Köppenschen Buchhandlung (Hans Homung) ver-
anstalteten Kunstler-Konzerten sind für diesen Winter verpflichtet
worden: Mary MQnchhoff, Ernestine Schumann -Heink, Ettore Gandolfi,
Anna Haasters-Zinkeisen, Josephine^ Hartmann, Otto Voss, Jos. Hofmann
und Marie Soldat-Roeger.
Dresden: In den Konzerten der Gewerbehauskapelle unter Willy Olsen
sollen u. a. aufgeführt werden Symphonieen von : Beethoven (erste bis achte),
Brahms (vierte), Tschaikowsky (fünfte). Raff (Im Walde), Mendelssohn (dritte),
Schumann (vierte), ferner von Haydn, Mozart und Schubert. Symphonische
Dichtungen von: Smetaoa, Svendsen (Romeo und Julia), Liszt (Ideale),
R. Strauss (Tod und Verklirung), Geisler (Rattenfinger von Hameln); Suiten
von: Grieg (Holbergsuite), Bizet (L'Arlösienne). Ouvertüren von: Schumann
(Genoveva), Berlioz (Camaval Romain), Kempter (Gott Pan), Cherubini
(Anakreon), Saint-SaSns (Die Sintflut).
Essen: Hier hat sich eine Musikalische Gesellschaft gebildet, die es sich zur
Aufgabe stellt, im Theater und Konzert Aufführungen zu veranstalten, wie
sie in dem üblichen Rahmen meist nicht zu erzielen sind. Der Haupt-
zweck ist vor allem die Förderung der modernen Tonkunst (die Komponisten
führen ihre Werke selber vor) und die Interpretation von Schöpfungen älterer
Meister durch bedeutende Dirigenten. Erster Grundsatz ist die Verwirklichung
der Forderung nach Einheitlichkeit des Programms. Demgemiss
werden an einem Abend nur Quartette modemer russischen Meister auf-
geführt, ein weiteres Konzert bringt ausschliesslich Beethovensche Sonaten
und ein drittes ist Kompositionen von Hans Pfitzner gewidmet Das
Pfitznerkonzert wird im Stadttheater gegeben, und zwar bei verdunkeltem
Zuhörerraum und unsichtbarem, auf der Bühne aufgestelltem Orchester.
Für die russischen Quartette ist das Quartett Kamensky und Genossen aus
Petersburg gewonnen, für den Beethoven-Abend Eugen d' Albert, für das
Pfitzner-Konzert das auf 60 Musiker verstärkte Städtische Orchester, sowie
Hermann Gausche, Konzertsänger aus Kreuznach. Hans Pfitzner hat die
Leitung des Konzertes selbst übemommen. Als Berliozfieier wird eine
scenische Aufführung von Fausts Verdammnis vorbereitet, für die sowohl
In musikalischer Hinsicht wie In bezug auf eine aus dem Geist der Musik
heraus schaffende Regie ganz besondere Anstrengungen gemacht werden.
Frankfurt a. M.: Die Herren J. Wolf (Klavier), Konzertmeister Post (Violine),
H. Schmidt (Viola) und H. Schlemüller (Violoncello) veranstalten im Winter
sechs populäre Kammermusik-Matineen im Saal des Hochschen Konser-
vatoriums.
213
UMSCHAU
Hamburg: In den zehn philharmonischen Konzerten unter Leitung von
Professor Rieh. Barth kommen in dieser Wintersaison u.a. zur Auffuhrung:
Beethoven (II. Symphonie; Pastoral-Symphonie), Brahms (Rhapsodie für Alt-
stimme und Minnerchor; Klavierkonzert d-moll ; Symphonie e-moll; Akadem.
Festouvertüre), Brückner (IX. Symphonie mit Te Deum für Soli, Chor und
Orchester), Dvoi^k (Symphonie G-dur), Haydn (Violoncell-Konzert; Sym-
phonie C-dur), Joachim (Ouvertiire zu einem Gozzischen Lustspiel), Locatelli
(Violoncell-Sonate), Loewe (Archibald Douglas), Mozart (Grosse Messe in
c-moll; Ouvertüre zu „Die Entfuhrung^Oi Mendelssohn-Bartholdy (Scherzo aus
dem „Sommernachtstraum''), Smetana (Wallensteins Lager, symph. Dichtung),
Rieh. Strauss (Symphonie f-moll), Tschaikowsky (»Der Sturm'S Phantasie f&r
Orchester), E.Wolf-Ferrari („Das neue Leben^, für Soli, Chor und Orchester),
Schillings („Das Hexenlied''). Solisten: Emestine Schumann-Heink, Elsa
Ruegger, Artur Schnabel, Joseph Joachim, Dr. Ludwig Wüllner.
Heidelberg: Die der Leitung von Prof. Dr. Wolfrum unterstehenden Bach-
verein-Konzerte werden u. a. zur Auffuhrung bringen: J. S. Bach (h-moll
Messe), Charpentier („La vie du podte'S unter Leitung des Komponisten),
Mahler (dritte Symphonie, unter Leitung des Komponisten), ferner Werke
von: Beethoven, Brahms, Schubert, Wagner und H. Wolf. — In den
populären Symphonie-Konzerten unter Leitung des Musikdirektors
Paul Rad ig werden auftreten: Alfred Krasselt, Elly Bern, Elsa Ruegger.
Kiel: Im kommenden Winter werden drei Abonnementskonzerte unter Leitung von
Hans Sonderburg gegeben werden. Die Programme bringen sieben Werke,
die ihre Erstaufführung in Kiel erleben, darunter Bizet (Suite Jeux d'enfants),
Spohr (Nonett F-dur), Max Schillings (»Das Hexenlied'') und Tschaikowsky
(Orchesterphantasie „Der Sturm").
Leipzig: Der Riedel -Verein (Dirigent Dr. Georg Göhler) veranstaltet in der
kommenden Konzertzeit fünf Aufführungen. Zum Gedächtnis an den
100. Geburtstag Hektor Berlioz' kommt sein Requiem nach der Original-
partitur zur Auffuhrung. Einem a cappella-Konzert folgt Bachs Hohe Messe.
Im Mai 1004 begeht der Verein durch die Auffuhrung von Händeis Messias
und Liszts Christus die Feier seines 50jährigen Jubiläums. Ausserdem ist
er eingeladen, zu Pfingsten in zwei grossen Chorkonzerten mit Orchester zu
Reichenberg in Böhmen mitzuwirken.
London: Die unter der Leitung von Prof. Johann Kruse stehenden Populären
Konzerte in St. James' Hall veröffentlichen ihr Programm. Es handelt
sich hierbei ausschliesslich um Kammer- und Vokalmusik. Neben Werken
von: Bach, Beethoven, Bottesini, Boccherini, Brahms, Chopin, Cornelius,
Dittersdorf, Dvoi^k, Ernst, Grötry, Grieg, Haydn, Henschel, Joachim, Liszt,
Locatelli, Loewe, Mendelssohn, Mozart, Paganini, Parry, Rachmaninoff, Rubin-
stein, Saint-SaSns, Schubert, R. Schumann, Sinding, Spohr, Stanford, Tartini,
Tschaikowsky, Valentini-Piatti kommen folgende Novitäten zur Auffuhrung:
d'Albert (Streichquartett op. 7), Ariosti (Sonate für Viola d'amore und
Clavicembalo), J. S. Bach (Sonate C-dur für zwei Violinen; Doppelkonzert
für zwei Violinen; Chaconne; Gavotte d-moll für Clavicembalo), Wilhelm
Berger (Streichquartett; Sonate für Pianoforte und Violine), Rutland Boughton
(Drei Lieder von Rudyard Kipling), Busoni (Sonate No. 2, op. 36a für
Pianoforte und Violine), Couperin («Petit carillon** für Viola da Gamba und
Clavicembalo), Fran^ois Couperin (Drei Soli für Clavicembalo), Jaques-
214
DIE MUSIK III. 3.
Dalcroze (Drei Vokalduette), Dandrieu (Zwei Soli für Clavicembalo), Daquin
(»Der Kuckuck", für Clavicembalo), Alexander von Fielitz (Liederzyklus),
Glazounow (Variationen fls-moll f&r Klavier), Hindel (Sonate für zwei
Violinen; Thema f&r Viola da Gamba und Clavicembalo), Gaix d'Hervelois
(»Le Papillon**, für Viola da Gamba und Clavicembalo), Josef Holbrooke
(Streich Sextett op. 19), Robert Kahn (Sonate f&r Violine und Pianoforte
op. 5; Klavierquartett op. 41), Lorenzin (Menuett f&r Viola d'Amore und
Doppelbass), Martini («Plaisir d'Amour*, Solo für Viola d'Amore), Norman
O'Neill (Klavierquintett op. 10), Rameau (Trios f&r Clavicembalo, Viola
d'Amore und Viola da Gamba), Georg Schumann (Klavierquintett op. 18;
Klavierquartett op. 29), Cyril Scott (Klavierquintett op. 8), Sgambati (»M^lodies
Po^tiques** f&r Klavier), R. Strauss (Sonate f&r Violine und Pianoforte),
D. F. Tovey (Streichquartett), Richard H. Walthew (Trio f&r Pianoforte,
Klarinette und Violine), Weingartner (Quartett op. 26). — Femer Lieder
von: d'Albert, Bach, Beethoven, C. Böhm, Wilhelm Berger, Bizet, Borodine,
Brahms, Bruneau, Carissimi, Cesti, Coster, Hamish MacCunn, L^on D61ibes,
Denza, Elgar, Robert Franz, B. Godard, Gordigiani, Edvard Grieg, Hindel,
Hamilton Harty, J. Haydn, Georg Henschel, Jensen, Samuel de Lange, Otto
Lessmann, Franz Liszt, Loewe, Massenet, Mozart, Walter Rabl, Catharina
von Reims, Rubinstein, Camille Saint-SaSns, Franz Schubert, R. Schumann,
Sinigaglia, R. Strauss, F. Paolo Tosti, Tschaikowsky, Vidal, Wagner, Hugo
Wolf. — Ausserdem wirken mit: das Kruse-Quartett (Johann Kruse, Haydn
Inwards, Altrtd Hobday, Percy Such), das Grimson-Quartett (Jessie Grimson,
Frank Bridge, E. Tomlinson, Edward Mason), die Vereinigung f&r alte
Instrumente (Prof. Louis Ditoer [Cembalo], M. van Waefelghem [Viola
d'Amore], Jules Papin [Viola da Gamba]), M. Casadesus und Ed. Nanny
(bei Duos f&r Viola d'Amore und Doppelbass). — Von Solisten werden
aufgezihlt: Violine: Johann Kruse, Marie Hall, Hugo Heermann; Violon-
cello: Jean G6rardy; Klavier: die Damen Teresita Carefio-Tagliapietra,
Fanny Davies, Sandra Droucker, Muriel Elliot, Polyxena Fletcher, Marie
Fromm, Johanna Heymann, Tora Hwass, Janotha, Grace Smith, Norman
O'Neill, Margaret Wild, sowie die Herren: d' Albert, Backhaus, W. Berger,
Borwick, Herbert Fryer, Percy Grainger, Robert Kahn, Fr6d6ric Lamond,
Max Mayer, Wladimir von Fachmann, Egon Petri, Edouard Risler, Willibald
Richter, Georg Schumann, Donald Francis Tovey; Gesang: die Damen
Julia Culp, Susanne Dessoir, M. Fordham, Muriel Foster, Allis von Gelder,
Helen Henschel, Katherine Jones, Grumbacher de Jong, Grainger Kerr,
Yvonne Kerval, Lucie Lenoir, Eva Lessmann, Hope Morgan, Lula Mysz-
Gmeiner, Agnes Nicholls, Rose Relda, Agnes Witting, sowie die Herren:
Fr^d^ric Austin, Gervase Elwes, Ffhmgcon - Davies, Ettore Gandolfl,
Plunket Greene, Francis Harford, Alexander Heinemann, Hugo Heinz, Theo
Lierhammer, Johann Messchaert, Raimund von Zur Mfihlen; f8r Duette
femer Herr und Frau Dulong.
Mainz: In den zehn Symphoniekonzerten werden von Solisten mitwirken : Klavier:
Eugen d' Albert, Emst von Dohninyi, Katharina Goodson, Joseph Hofmann«
Otto Voss; Violine: Joseph Joachim, Fritz Kreisler, Altrtd Stauffbr, Mirot-
law Weber, Anton Witek; Gesang: Karl Burrian, Stephanie Becker, Jeanette
Grambacher de Jong, August Leimer, Thea Dora Reicher, Edyth Walker.
New-Tork: Die Philharmonische Gesellschaft veranstaltet acht Konzerte
215
UMSCHAU
in der Caraegie Hall und hat dazu folgende Dirifenten verpflichtet: Edouard
Colonne (Paris), Gustav Kogel (Frankfürt a. M.)» Henry Wood (London), Victor
Herbert (Pittsburg), Felix Weingartner (München), W. von Safonoff (Moskau)
und Richard Strauss (Berlin).
Nikmberg: In den Konzerten des Philharmonischen Vereins unter W. Bruch
werden aufgeführt: Mendelssohn (Hebridenouverture), Tschaikowsky (Mozar-
tiana), Beethoven (Eroica), Mozart (B-dur-Symphonie), Wagner (Waldweben),
DvoHk (In der Natur, Ouvertüre), Schumann (Manft-edouvertüre), Beethoven-
Liszt (Adagio aus dem B-dur-Trio),d'Indy (Wallenstein-Symphonie). Von Solisten
werden bis jetzt genannt Hermine Bosetti und Anna Langenhahn-Hirzel.
Paris: Die Direktion der Lamoureux-Konzerte (unter Leitung von Camille
Chevillard) veröffentlicht ihr Programm: Beethoven (neun Symphonieen),
Schumann (vier Symphonieen; Ouvertüre, Scherzo und Finale), Brahma
(vierte Symphonie), Mozart (die letzten fünf Symphonieen), Liszt (Orpheus;
Les Pr61udes), R. Strauss (Tod und Verklirung), Borodin (zweite SymphonieX
Lalo (zweite Orchestersuite aus Namouna), Wagner (Fragmente aus Parsifal
und Götterdimmerung), Berlioz (Fausts Verdammung; Symphonie fantastique).
Femer Novit! ten von: de Br^ville, Busser, Erlanger, Le Borne, Levad6,
Lutz und Witkowski.
Petersburg: Die Konzertsaison wird, wie es scheint, eine Reihe besonders in-
teressanter Musikaufführungen bieten und eine Reihe der hervorragendsten
Künstler hierher führen. Für die dieswinterlichen Symphonie-
konzerte der KaiserL russischen Musikgesellschaft, die den
Mittelpunkt des Konzertlebens bilden, kündigt das Programm folgende
Novititen an: Sibelius (Symphonie e-moll), Saint-SaSns (c-moll-Symphonie
mitOrgel),TanSieff (II. Symphonie b-moll), Glasunoff (Suite), Richard Strauss
(Also sprach Zarathustra). Ferner sollen folgende grösseren Werke zur Auf-
führung gelangen: Beethoven (V. und VII. Symphonie), Brahms (I. Sym-
phonie), Berlioz (Te deum), Wagner (Verwandlungsmusik und Schlussscene
aus Parsifal), Liszt (Faust-Symphonie), Tschaikowsky (V.Symphonie; Romeo
und Julie), Schumann (Manfred), Rubinstein (Ouvertüre „Antonius und
Cleopatra^') und noch Werke von Grieg, Rimsky-Korsakoff, Cui, Borodin,
Napravnik u. a. Paderewsky, Reisenauer, Sapellnikoff, Auer, Fiedelmann,
Bramsen, Wierzbilowicz u. a. sind als Solisten gewonnen. Generalmusik-
direktor Fritz Steinbach, A. Kajanus aus Helsingfors, Alexander Chessin
und Felix Blumenfeldt sind als Dirigenten vertreten.
Prag: Die Philharmonischen Konzerte unter Leo Blech bringen neben
klassischen Werken zur Aufführung: Max Schillings (Vorspiel zum II. Akt
,Ingwe]de*<), Hugo Wolf (Penthesilea), Gluck-Mottl (Ballet-Suite), Georg
Göhler (Symphonie No. 1), Gustav Mahler (Symphonie No. 3). Von Solisten
werden genannt: Ernestine Schumann-Heink, Karl Perron, Moriz Rosenthal,
Jean G6rardy.
Reichenberg i, B.: In der Wintersaison sind an Konzerten vorgesehen: Ernestine
Schumann-Heink (Liederabend mit der Pianistin Jessie Hartmann), C6sar
Thomson (Violine), Georg Schumann, Karl Halir und Hugo Dechert (Trio-
Vereinigung), Agnes Bricht-Pyllemann, Rechtsanwalt Falsst und Karl Fried-
berg (Gedenkfeier für Hugo Wolf), Leopold Godowsky (Klavierabend). Femer
plant der Musikverein ein »Nordböhmisches Musikfest*, der Minnergesang-
verein ein grösseres Chorkonzert.
216
DIE MUSIK III. a
Rotterdam: Das Utrechtsche Stadtorchester hat in seinen Programmen
für die Abonnements-Konzerte mehrere Novititen auf||enommen : »Don
Juan* von Rieh. Strauss, Konzertouverture .Jugend* von Kor Kuiler,
lyDramatische Phantasie* von Ph. Scharwenka, Vorspiel ,Saint-Foix* von
Hans Sommer und Wagners ,Faostouvertüre*.
Strassburg: In der Konzertsaison 1003—1904 werden wie bisher acht Konzerte
des stidtischen Orchesters unter Prof. Stockhausen stattfinden,
ausserdem ein Chorkonzert zur CentenarfSeier von Hektor Berlioz. Femer
finden vier Kammermusikabende statt Die Programme yerheissen eine
Reihe interessanter Werke und namhafter Solisten; wir werden sehen, was
davon in die Erscheinung treten wird. — Wihrend anderswo der Kunstsinn
immer mehr für die ästhetische Ausgestaltung der Konzertsäle tut, löst
man bei uns diese Fragen auf weit einfachere Weise, nämlich auf dem Wege
des — Kuhhandels! Wir haben einen herrlichen Konzertsaal im »Sänger-
haus*, nehmen ihn aber nicht, sondern der Gemeinderat votiert ffir den
bisherigen, wiewohl er akustisch ganz ungeeignet, feuergefährlich usw.
ist — da er 600 M. weniger kostet! Manche behaupten sogar, seine Lage
im .katholischen Vereinshaus* habe auch dabei mitgespielt, da ja im Reichs-
land — wie anderswo — katholisch Trumpf ist! Und so etwas in einer
rein musikalischen Frage! Dr. G. Alt mann.
Waracliaii: Die Philharmonie gedenkt in der Wintersaison u. a. zum Vortrag
zu bringen: Bach (Weihnachtsoratorium), Beethoven (9. Symphonie), Berlioz
(Fausts Verdammung), Brahms (Schicksalslied), Mendelssohn (Antigene;
Oedipus auf Kolonos), Schumann (Paradies und Peri), Strauss (Also sprach
2Umithustra). Man gibt zehn grosse Symphonie-Konzerte, sechs Kammer-
musik-Abende, zwölf Jugendkonzerto usw. Als Dirigenten sind vorgesehen:
Mlynarski, NiUsch, R. Strauss, Humperdinck, d'Indy, Moskowski, Damrosch,
Orefice. Von Solisten werden genannt: Klavier: Paderewski, Hoftnann,
Carefio, Busoni, Schelling, Scharwenka, Dohnänyi, Wurmser, Michalowski,
Horszowski, Growlez, Mark Hambourg. Violine: Kubelik, Sarasate, Kocjan,
Barcewicz, Burmester, Halir, Berber. Cello: Hugo Becker. Orgel: Clarence
Eddy. Gesang: Act6, Pregi, Litvinne, Edyth Walker, Nina Faliero Dalcroze,
Battistini, Marconi, d'Andrade, Bellincioni, Prevosti, Bandrowski.
Wien: Zur Leitung ihrer acht Konzerte haben die Philharmoniker folgende
Dirigenten eingeladen: Ernst von Schuch (Dresden), Arthur Nikisch (Leipzig),
W. von Safonoff (Moskau) und Dr. Karl Muck (Berlin). — Die Gesellschafts-
Konzerte bringen zur AufTOhrung: Beethoven (Missa solemnis), Berlioz
(Fausts Verdammung), Josef Reiter (Requiem, zum erstenmal), femer Werke
von: Bach, Beethoven, Brahma, Händel, H. Schenker und H.Wolf. — Das
Ros6-Quartett fQhrt neben älteren Werken von Haydn, Mozart, Beethoven,
Schumann, Brahma, DvoMk Novitäten auf von: Buonamici, Scontrino, Bergh
und Bruno Walter.
Wiesbaden: Die Kurverwaltung veranstaltet zwölf Symphoniekonzerte, für die
als Dirigenten neben dem Kapellmeister Louis Lfistner gewonnen sind:
CamiUe Saint-Saöns, der bei dieser Gelegenheit sein neuestes Werk ,AfHka*,
symphonische Dichtung ffir Klavier mit Orchester, zum erstenmal in
Deutschland zur Aufführung bringen wird, Ernst von Schuch, Arthur Nikisch,
Fritz Steinbach. Der solistische Teil weist folgende Namen auf: Emestine
Schumann-Heink, Erika Wedekind, Berta Morena, Karl Burrian, Fritz Fein-
217
UMSCHAU
hals, Victor Klopfer, Eugen d' Albert, Mark Hambourg, Eugene Ysaye,
Alexander Petschnikoff, Henri Marteau.
Winterthur: Wie alljährlich veranstaltet das Musikkollegium sieben Abonne-
mentskonzerte unter Leitung des Musikdirektors Dr. Ernst Rad ecke; sechs
davon sind Orchesterkonzerte, eines ist der Kammermusik gewidmet. Als
Novititen für Winterthur sind auf das Programm gesetzt: Berlioz (drei
Instrumentalsätze aus Romeo und Julia), Bizet (rArl^sienne-Suite), Smetana
(Die Moldau), Rob. Radecke (Konzertouvertüre „Am Strande^'), Schubert
(Balletmusik aus Rosamunde), J. S. Bach (Konzert für Violine, Flöte, Oboe,
Trompete), Wolf-Ferrari (Kammersymphonie op. 8), Brahms (Trio H-dur),
Richard Strauss (Sonate Es-dur für Klavier und Violine). Von klassischen
und schon früher gespielten modernen Werken werden aufgeführt die
Symphonieen: Mozart (D-dur, ohne Menuett), Beethoven (vierte), Brahms
(zweite); die Ouvertüren: Schumann (Manfred), Volkmann (Richard III.),
DvoMk (Husitska), Wagner (Der fliegende Holländer) und Beethoven (Fidelio).
Ausserdem gelangen Notturno aus »Sommemachtstraum* von Mendelssohn,
Präludium und Fuge aus der I. Suite von Franz Lachner und ein Trio von
Haydn zum Vortrag. Als Solisten werden auftreten: Raoul Pugno (Klavier),
Franz Ondricek (Violine), Jean^ G6rardy (Violoncello), Marcella Pregi,
Muriel Fester (Mezzosopran), Richard Breitenfeld (Baryton) und zwei
junge aus Winterthur gebürtigen Künstler: Oscar Studer (Violine), Schüler
von Hubay, und Robert Spoery (Tenor), Schüler von Vidal und Stockhausen.
Die Kammermusikwerke werden von der hiesigen Trio- Vereinigung der
Herren Dr. Radecke (Klavier), Konzertmeister Bach (Violine) und W. Düwell
(Cello) vorgetragen. — Ausser den Abonnementskonzerten werden 5 populäre
Konzerte ebenfalls unter Leitung von Dr. Radecke stattfinden. In ihnen
werden vorzugsweise junge schweizerische Künstler als Solisten zur Mit-
wirkung herangezogen. — Der unter derselben Direktion stehende »Ge-
mischte Chor Winterthur** gibt ein Konzert, in dem kleinere Chor-
werke zur Aufführung gelangen: Gade (Erlkönigs Tochter), Mendelssohn
(Loreley-Finale) und als Novität „Der gefesselte Strom** von Friedrich
E. Koch. Die Sopransoli in diesem Konzert singt Johanna Dietz.
TAGESCHRONIK
Für die in Berlin geplante Errichtung eines den Zwecken der Musik und
der bildenden Künste dienenden Palastes, der einem bisher allgemein empfundenen
Mangel eines für musikalische Aufführungen grösseren und grössten Stils geeig-
neten Raumes abhelfen soll, ist ein Ehrenkomitee sowie ein geschäftsführender
Ausschuss gebildet worden.
Nach einem Vergleich zwischen Wagners Erben und der Münchener Hof-
theaterintendanz werden nächstes Jahr sowohl in Bayreuth wie in München
Aufführungen vom „Ring des Nibelungen'* stattflnden.
Ein Denkmal von Liszt, eine Schöpfung des Bildhauers A. Freund, wurde
in Stuttgart enthüllt. Die Kosten sind durch freiwillige Beiträge und Konzert-
veranstaltangen aufgebracht worden, den Platz in den Anlagen stellte der König
zur Verfügung. Am Abend ftind eine Festaufführung der »Heiligen Elisabeth* statt.
Wir werden im nächsten Heft ein Bild des Denkmals bringen.
Auf dem südlichen Friedhof in München wurde ein Grabdenkmal für Josef
von Rheinberger enthüllt. Das in edler Einfachheit gehaltene Denkmal i$t ein
Werk des Bildhauers Heinrich Jobst.
218
DIE MUSIK III. 3.
Am IS. Oktober feierte die Kammersiogerio Emestine Schumann-Heiok ihr
ZSjähriges Buhnenjubilium. Am 15. Oktober 1878 trat die Kfiostlerin in den
Verband der Dresdener Hofoper.
Der Professor am Kaiserl. Konservatorium in St. Petersburg Leopold von
Auer feiert am 1. September sein 35jähriges Jubiläum in dieser Stellung, in die
er 1868 als Nachfeiger Henry Wieniawskis eintrat
Der PriTatdozent für Musikgeschichte an der Berliner Universitit, Dr. phil.
Max Friedlinder, ist zum ausserordentlichen Professor ernannt worden.
Opemsinger Otto Goritz in Neu-Strelitz wurde zum grossherzogl. mecklen-
burgischen Kammersinger ernannt.
Der Kaiser von Österreich hat die Opemsingerinnen Marie Gutheil-Schoder
und Selma Kurz zu Kammersingerinnen ernannt und dem Hofopemdirektor
Gustav Mahl er den Orden der eisernen Krone 3. Kl. verliehen.
Kaiser Wilhelm dekorierte den Grafen vonSeebach, Generaldirektor der
musikalischen Kapelle und der Hoftheater zu Dresden, mit dem roten Adlerorden 2. Kl.
mit dem Stern in Brillanten.
Generalmusikdirektor von Schuch in Dresden erhielt den preussischen
Kronenorden 2. Kl. in Brillanten.
Prof. Kosleck von der Königl. Hochschule für Musik zu Charlottenburg
erhielt den preussischen roten Adlerorden 3. Kl.
Hofkapellmeister Josef Hellmesberger in Wien ist plötzlich von seiner
Stellung als Dirigent des Philharmonischen Orchesters sowie als Hofkapellmeister
zurückgetreten.
Der Minnergesangverein «Rottes Mannenkoor* in Rotterdam wird sein
50jlhriges Jubillum mit einem »internationalen Gesangwettstreit* feiern. Das Fest
soll vom 15.— 25. Juli 1004 suttfinden.
Anllsslich seines Jahresfestes führte der Niedersichsische Kirchenchor -Ver-
band (Zweigverein des Allgemeinen deutschen Kirchengesangvereins) in Verden
(Aller) im Dom 4 — 8 stimmige Chorgesinge niedersichsischer Meister auf unter
Leitung des Domorganisten Ernst Dieckmann.
Dem uns zugegangenen Bericht des Konservatoriums der Musik zu Krefeld
(Direktorium: Th. Müller- Reuter und Carl Pieper) über das siebente Unterrichts-
jahr entnehmen wir, dass die Anstalt von 360 Schülern und Schülerinnen besucht
war. 29 Lehrer und Lehrerinnen leiteten den Unterricht Es fenden fünf Schüler-
konzerte, dreizehn Vortragsabende und fünf Kammermusik-Konzerte statt
Herr Prof. Dr. Hugo Riemann (Leipzig, Promenadenstrasse 11) ist mit der
Fertigstellung der sechsten Auflage seines Lexikons beschlftigt und fordert alle
Interessenten auf, Erginzungen, Berichtigungen und Mitteilungen aller Art direkt
an seine Adresse gelangen zu lassen.
Von Hector Berlloz' gesammelten Schriften erscheint demnichst eine neue,
auf zehn Binde berechnete Gesamtausgabe. Der erste Band wird die seither in
deutscher Sprache noch nicht erschienenen ^Memoiren* enthalten. Auch
der Dichter-Komponist Peter Cornelius wird demnichst in einer von Dr. Edgar
Istel besorgten Gesamtausgabe seiner poetischen Werke einem grösseren Publikum
nihergebracht werden.
TOTENSCHAU
Der langllhrige erste Chordirektor des Pforzheimer Gesangvereins, Bundes-
chormeister des badischen Singerbundes und Musikdirektor Theodor Mohr ist
im Alter von 77 Jahren gestorben.
BRAUNSCHWEIG: Unsere Hofoper bat seit Beginn der Spielzeit erst 3 kleinere
Werke neu einstudiert: „Stradella^, „Die Glocken von Corneville'S „Maurer und
Schlosser'*; diese Auswahl entsprang wohl mehr persönlichen als sachlichen Gründen:
die neuengagierten Krifte sollten sich in möglichst vorteilhaftem Lichte zeigen, und
dieser Zweck wurde vollständig erreicht. An Frl. Lautenbacher vom Hoftbeater zu
Dresden haben wir eine hoffnungsvolle jugendlich-dramatische Sängerin und an Frl.
Schönfeld eine tfichtige Soubrette gewonnen. Ernst' Stier.
BREMEN: Dass die Bremer Oper auch den Nibelungenring mit 43 Musikern (inkL der
von Fall zu Fall aushelfenden Basstuba) und den Doppelcher der Brabanter zur
Begrfissung Elsas vor der Kemenate ebenso wie den Pilgerchor im Tannhäuser mit
ganzen 19 Herren bestreitet, ist eine magere Wahrheit, die seit etwa dreissig Jahren
fieststeht. Der frische Impuls, den die neue Direktion vor fünf Jahren wenigstens dem
Dekorativen und dem Ensemble brachte, ist längst und gründlich verbraucht. Die
Seoatsbehörde ist zum Umbau und zur Vergrösserung des Orchesters erbötig, aber
die Theaterleitung verschliesst sich dem Fortschritt, der doch sicher in ihrem eigenen
Interesse liegt. Wenn nun die Ergänzung und Ersetzung des Ensembles wenigstens
künstlerischen Ersatz für das dünne Orchester und Chormaterial böte, wäre der Schmerz
leichter zu ertragen. Aber auch hier haben wir die Anforderungen von Jahr zu Jahr
stetig hinabschrauben müssen. Seit des trefflichen Jan van Gorkom und seit Herrn
Mosers Fortgang ist das Fach des lyrischen Baritons nicht mehr vollgültig besetzt.
Neben Frau von Scheeles Mezzosopran ist keine echte Altistin, ebensowenig wie neben
Herrn Gerboth ein genügender zweiter Bassist vorhanden; der lyrische Tenor (Herr
Aichele) ist noch ganz in der Entwicklung und für die hohe künstlerische Intelligenz
des durch ihre Verheiratung der Bühne entzogenen Frl. Grub vermag Frau Hubenia,
bei aller Anerkennung ihrer in der Aufwärtsentwicklung begriffenen Kunst, nicht
vollen Ersatz zu geben. So bleiben nur das stimmgewaltige Frl. Seiffert als Brfinn-
hilde und Isolde, die ausgezeichnete Frau von Scheele (Carmen und Ortrud) und die
Herren Stury (dramatischer Bariton), Barron-Berthald (Heldentenor) und für die komischen
Basspartieen Herr Radow als vollwertige Kräfte übrig, neben denen sich die jüngeren
Damen Frl. Weingarten und Frl. Laube, letztere eine besonders sorgsam geschulte Sängerin,
günstig weiter entwickeln. Im Repertoire ist ausser der Uraufführung von O. Schröters
Jodocus, wenn man von den, dank der Umsicht des Kapellmeisters Jäger und dank der
frischen Kraft des jugendlich energischen Kapellmeisters Oskar Malata etwas sorg-
Altiger herausgebrachten Walküre, Holländer, Carmen und dem neuinscenierten Zar und
Zimmermann absieht, nur höchst mittelmässige Repertoirearbeit geliefert worden. Darin
vermochte selbst die anfangs scharf einsetzende Konkurrenz der neuen von Franz Froneck
geleiteten Oper im Deutschen Theater (früher Tivoli), die sich inzwischen klugerweise
auf die Operette und das Volksstück zurückgezogen hat, nur ganz vorübergehend eine
Besserung zu erzwingen. Und über die Zukunft schweigt man sich ganz aus. Das ist
immerhin noch besser, als hohe Versprechungen, die, wenn sie nicht gehalten werden,
nur bittere Enttäuschung erzeugen. Das Erstlingswerk des einheimischen Musikers Oscar
Schröter erzielte einen hübschen Erfolg. Der grosse Vorzug der Oper ist, dass der
Komponist sein eigener Dichter ist und dass sowohl in dem Komponisten, wie in dem
Dichter ein feinsinniger Poet, besonders ein zarter Lyriker steckt. Das Missgeschick des
220
DIE MUSIK III. 3.
Werkes ist, dtss es eine Lobetanz-Variante bringt und ihm also die Herren Tbuille und
Bierbaum die eisentliche Originalitit der Idee vorweggenommen haben. Der Lobetanz
heisst hier Jodocus und ist ein Goldschmiedgeselle, der sich von fibermütigen Midchen
Kfisse schenken lisst, wie die Lobetanz-Midchen den Fiedler mit Rosen bestecken. Und
Jodocus gewinnt seine Prinzessin als Narr, und anstatt vom Galgen befreit sie ihn vom
Stricktod aus Feindes Hand. Leider fehlt der Liebe der Prinzessin die nötige psychologische
Vertiefung, die in Lobetanz' sympathetisch-musikalischer Heilung so sinnig symbolisiert
wird. Doch verrit die ganz moderne Behandlung des Orchesters und der Singstimmen, die
kunstvolle, polyphone Verwebung der leicht und klar geprigten Motive, wodurch der Text
seelische Wirme und blähende Farbe erhält, besonders in den lyrischen Höhepunkten
zu Schluss des zweiten und zu Beginn des dritten Aktes (ein reizvolles, duftiges Liet>es-
duett) soviel echte Poesie, dass man von dem Dichterkomponisten noch viel schönes
erwarten darf. Dr. Gerh. Hellmers.
BUDAPEST: Die diesiihrige Opernsaison wurde am 15. September mit einer gerundeten
Aufführung von Goldmarks »Götz von Berlichingen* in vielverheissender Weise
eröffhet. Der Verlauf der ersten Wochen zeigte, dass das Institut unter Raoul Maders
Leitung sicher seiner kfinstlerischen Klirung entgegen geht, und dass auch das Publikum
dem Theater abermals seine volle Gunst zuwendet. Eine überaus glfickliche Acquisition
scheint man in dem ftüheren sächsischen Kammersinger Georg Anthes gemacht zu
haben, der sich gleich mit seinem Debüt als Lohengrin die volle Gunst aller Kunstver-
ständigen im Sturm eroberte. Steht auch Anthes in Hinsicht der sinnlichen Schönheit
und des Glanzes der Stimme hinter Carl Burrian, den er zu ersetzen berufen ist, etwas
zurück, so überragt er doch den letztgenannten bedeutend an Noblesse, Reife und Ge-
klärtheit der Künstlerschaft, und auch an edlem Ernst hingebungsvoller Pflichterfüllung.
Verstärkt wurde noch der Eindruck, den das Debüt des Künstlers erzielte, durch seinen
grandiosen Tannhäuser, den Anthes vor kurzem sang. Eine zweite auagezeichnete Kraft
wurde der Oper in der Person des Kapellmeisters Desider Markus erworben, eines
hochbegabten jungen ungarischen Künstlers, der nach erspriesslichen Lehr- und Wander-
jahren in Deutschland und Holland wieder den Weg in die Heimat gefunden hat Mit
dem Beginn der Saison sind auch in den Verband des Kunstinstitutes getreten: Maria
Scomparini, eine Altistin von prächtiger stimmlicher Begabung, Lilli Szäntö, eine talentierte
Vertreterin des Mezzosopranfeches und der als Virtuose rühmlich ^kannte Geiger Emil
Bar€, der in Zukunft im Verein mit unserem vielbewährten Wilhelm Grünfeld als
Konzertmeister an dem ersten Pult im Orchester fungieren wird. — Das Novitäten-
programm, das sich Direktor Mader für heuer gesetzt hat, umfesst: Puccinis »Tosca*,
Glucks »Orpheus*, Wagners »Rienzi*, Leo Blechs^Das war ich*, von Werken heimischer
Autoren Emil Abranyis einaktige Oper .Der Nebelkönig*,^ Eduard Poldinis Einakter »Der
Vagabund und die Prinzessin*, ein grosses dramatisches Werk der Prof. Szendy und
Szabados »Maria*, endlich eine Anzahl kleinerer*Balletdivertissements. Dazu tritt noch
eine Reihe von interessanten Reprisen älterer Werke — fest fürchten wir, der Arbeit zu
viel für eine Saison von acht Monaten. Indessen sind ja Programmversprechungen nicht
klagbar, und wir werden es zufrieden sein, wenn uns das quäle für das quantum Ent-
schädigung bietet. Dr. B^la Diösy.
a ARMSTADT: Die am 0. September mit Verdi's »ATda* eröffnete Hoftheater -Saison
brachte bereits eine Reihe von Neueinstudierungen, wie Kreutzers »Nachtlager*,
Boieldieu's »Weisse Dame*, D^libes' »Lakm6*, und Zöllners »Versunkene Glocke*, welch
letztere sich bei uns, dank einer trefflichen Besetzung der Hauptrollen, auf dem Spiel-
plan halten zu können scheint Besonderen Erfolg hatten wieder Wagners »Meistersinger
von Nürnberg*, die, im Gegensstz zu fHiher, in den letzten Jahren auch hier stets vor
221
KRITIK: OPER
ausverkauftem Hause gegeben werden und in ihrer hochkünstlerischen Gesamtwiedergabe
— namentlich auch nach Seiten der Inscenierung — den Vergleich mit den Auffuhrungen
der grössten deutschen Buhnen wohl aushalten können. In einem ebenso stimmungs-
schönen wie prunkvollen und glinzenden äusseren Rahmen erschienen anlässlich der
am grossherzoglichen Hofe stattgehabten Vermählungsfeierlichkeiten vor einem »Parterre
von Fürsten* als offizielle Festvorstellungen die beiden fremdländischen Opern »ATda*
und ,Lakm6*. Von Neuengagements sind zu verzeichnen das von Martha Hofacker für
das Fach der jugendlich-dramatischen Sängerin und des lyrischen Baritons Franz Gessner,
seither am Stadttheater in Königsberg. Als nächste Novitäten sind „Der Dusle und das
Babeli* von Kaskel und — Supp6*s .Boccaccio" angekündigt. H. Sonne.
DRESDEN: Leo Blechs phantastische Oper ,Alpenkönig und Menschenfeind* erhält
sich trotz (oder vielleicht gerade infolge) ihrer Schwächen in der Gunst des Publikums
und macht volle Häuser. Im übrigen hat die Saison bisher ausser einer Gesamt-
aufführung des »Ring des Nibelungen* wenig Bemerkenswertes gebracht Ein Ereignis
war der Abend, an dem das Ehrenmitglied der Hoftheater Therese Malten zum ersten
Male seit ihrem Ausscheiden aus der Aktivität wieder die Bühne betrat. Sie sang die
Titelrolle in Goldmarks j^Königin von Saba* unter dem stürmischen Beifall des aus-
verkauften Hauses. Ihr Auftreten in einigen anderen Rollen ist für uns um so wichtiger,
als wir jetzt bedauerlicherweise für gewisse Rollen, z. B. die Isolde, keine ständige Ver-
treterin haben. Erwähnt sei noch, dass der Tenorist v. Bary mit überraschendem Erfolg
den Siegmund gesungen und damit seine Eignung für Wagnerpartieen glänzend bewiesen
hat; er ist denn auch bereits für die nächsten Bayreuther Festspiele verpflichtet worden.
Im Residenztheater, wo Rudolf Dellinger als Kapellmeister wirkt, hat ein Zyklus älterer
Operetten grossen Anklang gefunden und die Sehnsucht nach einer wirklich guten Neu-
heit auf diesem Gebiet wieder rege gemacht. F. A. Geissler.
HAAG: Die ,Neue niederländische Oper* eröffhete die Saison mit Wagners »Tann-
häuser*. Sowohl Direktion als auch Regie hatten für eine würdige Aufführung
Sorge getragen. Kapellmeister A. Tirie errang mit der Wiedergabe der Ouvertüre einen
glänzenden Erfolg. Von den Sängern sind zu nennen: Frl. Kloos (Elisabeth), Frau Cofni
(Venus), die Herren Pauwels (Tannhäuser) und Orelio (Wolft-am). Otto Wernicke.
HALLE a. S.: Am 20. September erschloss unser Stadttheater der Oper seine Pforten
und Hess zuerst mit allem Pomp und Gepränge »Die Hugenotten* passieren, um
den neugewonnenen Kräften Gelegenheit zu geben, den Beweis für ihre Daseinsberech-
tigung zu erbringen. Wenn unser neuer Heldentenor Szirowatka als Raoul und Herr
Rübsam als Nevers zu schönen Hoffnungen zu berechtigen schienen, so wurden sie in
der folgenden Tannhäuser-Vorstellung auf ein Mindestmass zurückgeführt: weder Sziro-
watka, dem sein Ausländertum Schwierigkeiten bereitet, noch Herr Rübsam (Wolfram)
vermochten ihre Aufgaben auch nur einigermassen erschöpfend zu lösen. In aufsteigen-
der Linie bewegte sich dagegen unser Baritonist Soomer. War er als St Bris in Meyer-
beers Oper fehl am Ort, so interessierte er umsomehr als Graf Luna im Troubadour,
fand sich recht brav mit dem Wolfhim in einer zweiten Tannhäuser-Aufführung ab und
Hess als »Holländer* die Gewissheit zurück, dass er vielleicht schon bald eine der besten
Stützen unsrer Oper abgeben wird. Zu diesen gehören bereits Lisbeth Stoll, die als
»Valentine* und »Venus* höheren Ansprüchen vollauf genügt, Frl. Ekeblad, eine der
besten DarsteUerinnen der Elisabeth, die ich je gesehen habe, und Frau GruselH-Böer,
unsere geschätzte Koloratursängerin, die als Margarethe von Valois entzückte und als
»Rosine* im Barbier von Sevilla auf der Höhe ihrer Aufgabe stand. Mit unserem ersten
Kapellmeister, Bemh. Tittel, ist im Orchesterraum ein neuer Geist eingezogen, dessen
belebender und erfrischender Hauch sich angenehm bemerkbar macht Martin Frey.
222
DIE MUSIK III. a
HAMBURG: Mit ihrem prichtigen Ensemble leistete die Oper bisher an Neuheiten
nichts, an Neueinstudierungen Gounods »Romeo und Julia* und Lortzings »Undine".
Die Preisfrage zu lösen, welche von beiden Opern wässriger ist, ist hier nicht der Ort.
Jedenfalls braucht die Direktion auf diese Taten nicht allzu stolz zu sein, denn auch der
Umstand, dass man aus der „Undine** durch hübsche neue Dekorationen, die ein Heiden-
geld gekostet haben mögen, eine Sehenswürdigkeit machte, kann uns nicht an der Be-
merkung hindern, dass die Aufgaben des grössten deutschen Stadttheaters weder durch
Auffuhrungen Gounodscher noch Lortzingscher Werke gelöst werden. »Romeo* wurde
überdies, mit Pennarini und Frl. Scbloss in den Hauptrollen, ziemlich missig gegeben,
die »Undine* brachte man dagegen gut heraus. Dem vorigen Bericht über die neue
Zusammensetzung des Ensembles habe ich nachzutragen, dass ausser dem genialen
Gustav Brecher, den wir, wenn nicht alle Anzeichen trügen, leider nicht lange den
unseren werden nennen dürfen, noch Josef Stransky aus Prag als Kapellmeister bei uns
funktioniert. Er machte in den bisher von ihm geleiteten Aufführungen den Eindruck
eines tüchtigen, routinierten und vom besten Willen beseelten Musikers, der über viel
Verstand, aber etwas weniger Wirme verfügt. Heinrich Chevalley.
HANNOVER: Im Kgl. Theater gab es zwei Engagementsgastspiele des Herrn Schirmer,
der sich um das freiwerdende Heldentenorftch bewarb. Schirmers Organ, kein
eigentlicher Heldentenor, ist, bis auf die etwas flache Höhe sehr sympathisch, seine
musikalische und darstellerische Befihigung' hochanerkennenswert. Er gastierte als Lohen-
grin und Tristan, vornehmlich in der letzten Partie mit schönem Erfolg. Im übrigen
gab es, abgesehen von einer unter Doebbers Leitung stattgefundenen, erfolgreichen Neu-
einstudierung des »Tristan** nichts Bemerkenswertes, da das Repertoire sich in den ge-
wohnten Geleisen bekanntester Opern bewegte. Als nichste Neueinstudierung wird Lortzings
»Wildschütz** genannt, an Novititen zu denken wire Vermessenheit L. Wuthmann.
KARLSRUHE: Das Grossherzogliche Hoftheater stand in den letzten Wochen unter
dem Einfluss des inzwischen erfolgten Abschieds des Generalmusikdirektors Felix
Mottl von dem Schauplatz seiner 20 Jährigen Titigkeit als Opemleiter. Wohl versichert
Mottl, dass er nach seiner siebenmonatlichen Kontraktserfüllung in Conrieds Metropolitan
Opera House zu New- York wieder nach Karlsruhe zurückkehren würde, aber hier und
da wird doch ein leiser Zweifel laut, ob sich nicht die Verhiltnisse stirker erweisen
werden, als Mottls guter Wille. JedenMls weiss man hier wohl zu schätzen, was für
eine hohe Bedeutung der Name Mottl für die Karlsruher Oper hat, der er namentlich
in den Aufführungen der Werke Richard Wagners und in der Wiedergewinnung der
Werke Hector Berlioz' den Ruhm früherer Tage erneute. Mit der Gesamtaufführung
des »Ring des Nibelungen** und einer wiederholten Aufführung der »Meistersinger* fand
dss letzte Abschiednehmen statt Sänger und Orchester wetteiferten, abgerundete
Leistungen herauszubringen und mit voller BefHedigung darf man deshalb auf die
giänienden Tage zurückblicken, in denen unter Mottls begeisterungsvollem Dirigenten-
stabe Hr. Büttner einen mit Fortschreiten der Tetralogie immer eindrucksvolleren Wotan
gab, Hr. R6mond namentlich als SiegfHed an den beiden Abenden eine geradezu ideale
Leistung bot, Hr. Bussard seinen unübertrefflichen Mime, Hr. Keller seinen machtvoll
dfistem Hagen vor uns erscheinen Hess, Frl. Fassbender eine in vieler Hinsicht geradezu
ausgezeichnete Brünnhilde und Frl. Ethofer als Fricka wie als Waltraute durch den Wohl-
klang ihres Organs erfreute. In den Meistersingern genügt zwar unser augenblicklicher
Stolzing (Hr. Pauli) darstellerisch nicht und Hr. v. Bongardt als Beckmesser outrierte
vielfach noch. Aber der prachtvolle Hans Sachs Büttners, das mit jugendlicher Frische
gesungene Evchen Ada Robinsons vom Wiesbadener Kgl. Theater, der brillante David
des Hm. Bussard und die vorzüglichen Ensemblescenen machten, zugleich mit den
223
wundersamen Orchesterleistungen den Thesterabschiedssbend Mottls zu einem hohen
Genuss. Albert Herzog.
KÖLN: Im neuen Stadttheater gab es am 1. Oktober gelegentlich der Enthüllung von
Denkmälern für Kaiser Friedrich III. und die Kaiserin Augusts eine Festvorstellung,
die die Verwsndlung des zweiten Aids-Akts und den dritten Sommemachtstrsum-Akt, von
Direktor Purschisn glänzend inscenierr, mit Mendelssohns Musik brschte. Pur eine
Wiederbelebung der «Iphigenie in Aulis* sind wir sehr dsnkbsr, wenngleich die sushilfsweise
die Titelrolle singende Frau Rusche nicht recht erwärmen konnte. Paul Hiller.
MAINZ: Die neue Theaterssison ist mit seltener Spsnnung erwsrtet worden. Nicht
nur, dass ein neuer Direktor an die Spitze unserer Bühne trst, dieser brschte such
ein fsst vollständig neues Bühnenpersonsl mit. Die Aufgabe, die der neue Leiter, Direktor
Steinert, der aus Bsrmen zu uns ksm, durchzufühlen übernommen, ist keine leichte.
Sein Vorgänger Hofrst Emil Steinbsch hst es während seiner dreijährigen Direktions-
fühning verstsnden, die künstlerischen Leistungen, besonders in der Oper, suf einem
hohen Standpunkt zu halten, und durch Vorführung interessanter Novitäten oder be-
deutender Gäste dss Interesse des Publikums stets neu zu beleben. Er ist nun wieder
zum Kapellmeisterstnhl zurückgekehrt So Isnge er den Tsktstock führt, wird nicht
nur dss Publikum, sondern such der Direktor suf seine Kosten kommen. Die Direktion
hst eine Reihe interessanter Genüsse in Aussicht gestellt, eine Reihe bedeutender Novitäten.
Was er bis Jetzt geleistet hst, zeigt ihn uns sls einen Mann von ruhigem, sicherm und
zielbewusstem Handeln. Machte er seinem Ruf als Schsuspielregisseur gleich bei der
ersten Vorstellung sUe Ehre, so bewies er tags darauf bei der Walküre, dass ihn such
bei der Oper ein sicherer Bück leitet, der sich besonders bei den Ensemblescenen sufs
sngenehmste bemerkbsr mschte. Der gute Eindruck dieser ersten Vorstellungen hat
sich such bis jetzt erhalten bei den folgenden Vorstellungen, unter denen ich Lohengrin,
Jüdin, Freischütz nenne. Die neu gewonnenen Bühnenkräfte scheinen sich fast durch-
weg zu bewähren, so der neue Heldentenor O. Bolz, der Heldenbsriton August von Manof,
Frl. E. Salvi, die jugendliche Sängerin. Besonders aber ragt Hedwig Matema, unsere
Primadonna, hervor, das einzige Mitglied der Oper, das aus der vorhergehenden Ära vom
Direktor Steinert herübergenommen worden. Sie bildet nach wie vor eine der Haupt-
stützen des Instituts. Prof. Fritz Volbach.
MÖNCHEN: Der Schluss unserer Richsrd Wsgner-Festspiele nshm mit einer Ring-
auffühning, die viel Anregendes brachte, einen recht würdigen Verlauf. In der
i^Götterdämmerung* sang ein neuer Gast, Thila Plaichinger aus Berlin die Brunn-
bilde; eine temperamentvolle Künstlerin, die über unverbrauchte Stimmmittel verfügt
imd sehr gewandt spielt. Von den einheimischen Kräften wsren Knote sls Siegfried und
Brodersen als Günther vorcrefflich. Ober das Scenische ist dem im vorigen Bericht ge-
sagten nichts hinzuzufügen. Am Schluss wurden den Mitwirkenden, insbesondere dem
Intendanten von Possart und seinen hsuptsächiichsten Mitsrbeitem Fischer, Fuchs und
Müller vom vollbesetzten Hsuse ehrender Dsnk. An die Festspiele im Prinzregenten-
theater reihte sich nsch einer Ruhepause von 8 Tsgen ein Mozartzyklus im wunder-
lieblichen Residenzthester: »Figsros Hochzeit*, »Cosi fsn tutte*, j^Don Giovanni* und
92Uiuberflöte* zur Erinnerung an das 150jährige Bestehen des Königl. Residenzthesters, —
Aufführangen, die schon ihrer einzig dsstehenden Regie und Maschinerie wegen zu den
Wundem der Bühnenkunst zählen. Ich habe eine ungemein adrette ,,Cosi fan tutte".
Wiedergabe genossen. War das ein Leben, ein Humor, eine Anmut — völlig stumpf
hätte einer sein müssen, um nicht im innersten erquickt und zu herzhafter Fröhlichkeit
mitförtgerissen zu werden. Auch die übrigen Aufführungen wsren, nach verbürgten
Nachrichten, in diesem Sinne susserordentlich. Es hsben die diesjährigen Unter-
224
DIE MUSIK III. 3.
nehmun{en unserer Tbeaterleitung sonach reichlich Gluck und Erfolg gehabt, was ihr
nur zu gönnen ist. — Inzwischen sind wir schon mitten in der Saison und nähern uns
den in Aussiebt gestellten Uraufführungen. Die Lücke, die Zumpes Jiher Tod in die
musikalische Direktion der Hofbuhnen gerissen hat, ist noch nicht ausgefiUlt, die
Generalmusikdirektorfrage noch ungelöst. Man sprach von Steinbach, und spricht von
Mottl. Dr. Theodor Kroyer.
PETERSBURG: Das kaiseriich russische Marientheater hat im ersten Monat der
neuen Saison schon erhebliche Resultate seines Wirkens aufzuweisen. Seit Beginn
der laufenden Theaterzeit, vom 1. September an, haben wir bereits eine ganze Reihe be-
deutender Buhnenwerke herauskommen sehen. Nach altem Herkommen wurde die
Spielzeit mit Russlands populärster Oper ,Das Leben für den Zar* von Glinka eröffnet.
Darauf folgte eine neue Oper »Der Saracene** von C6sar Cui. Nur die wertvolle Musik
sicherte der Auffuhrung einigen Erfolg, der jedoch hinter der Erwartung zurfickblieb.
Zu einem kurzen Gastspiel traf die Koloratur-Sängerin Mlle. de Treville von der Pariser
Op6ra Comique hier ein und debütierte mit grossem Erfolg in der D^libesschen Oper
»Lakm^** und in Gounods »Romeo und Julia**. Aus dem abwechslungsreichen Repertoire
seien noch gelungene Aufführungen von »Tannhäuser'', »Hugenotten* (zum 160. mal),
»Dämon* von Rubinstein, »Mazeppa*, »Eugen Onegin* und »Piquedame* von Tschai-
kowsky erwähnt. In »Eugen Onegin* sang der bekannte lyrische Tenor Leonid
Ssobinoff aus Moskau den Lensky; er dürfte in diesem Part kaum einen Rivalen finden,
so ausserordentlich weiss er das Charakteristische dieser Figur hinzustellen und das
Musikalische darzulegen. Bernhard Wende L
RIGA: Im Wirken unserer Oper herrscht vorläufig noch beschauliche Windstille. Mit
Ausnahme der Eröffhungsvorstellung von »Lohengrin*, in welcher der Tenorist
Stolzenberg erfolgreich auf Engagement gastierte, ist kaum etwas sonderlich Bemerkens-
wertes zu notieren, denn eine überflüssige Neueinstudierung von Meyerbeers trostloser
Oper »Robert der Teufel* kann unmöglich als Bereicherung künstlerischer Taten be-
zeichnet werden. Infolge der Erkrankung unserer dramatischen Sängerin Frau Bninnow,
sowie durch das Engagement mehrerer unerfahrenen Kräfte musste das Repertoire von
Beginn der neuen Saison an ins Stocken geraten und man erwartet sehnsüchtig den
Moment, der einen vorteilhaften Umschwung herbeiführen solL Carl Waack.
SCHWERIN: Die Spielzeit der Hofbühne begann am 17. September mit einer trefflichen
Aufführung von Webers herrlicher »Euryanthe* in der gewohnten bewährten Be-
setzung. In der 75. Aufführung von Flotowa »Martha* traten zwei neue Mitglieder
erfolgreich ihr Engagement an, die Damen Irene Abendroth (in der Titelrolle) und Höfer
(Nancy). Neben Fidelio, Don Juan, Der polnische Jude, Der OberMl (Zöllner), Carmen
und Faust erschien als Novität »Lobetanz* von Ludwig Thuille. Um die Aufführung,
die viel Beifall fand, machten sich besonders Fri. Abendroth und Herr Lang verdient.
C. Burmeister.
STUTTGART: Dss Wichtigste scheinen seit Anfang September die klassischen Auf-
führungen gewesen zu sein. Besonders der »Don Juan*, der als Don Giovanni,
nicht ungekürzt, aber neu ausgestattet und einstudiert auferstand. Die unrichtige Reihen-
folge mancher Arien und einiges, was offenbar die Regie angeht, hätte bei dieser Ge-
legenheit auch noch verbessert werden können. Pohligs temperamentvolle Leitung gab
sich mehr durch intensive Belebung als durch getriebene Zeitmasse zu erkennen. Frao
Bossenberger, die als Donna Elvira glänzte, bedeutet einen entschiedenen Gewinn für
die Stuttgarter Oper. Zum Gala - Figaro, von Schink dirigiert, konnte ich keine Karte
mehr erhalten. Dr. K. Grunsky.
225
KRITIK: OPER
TU7IEN: Als erste Neuheit entpuppte sieb Osksr Nedbsls Bsllet „Der ftiule Hans* in
W unserer Hofoper. Seine weiteren Novitätensbsicbten bullt Direktor Msbler in
tiefes Geheimnis. So wenig freilieb versprochen wird — immer gelingt es der Direktion,
npch weniger zu halten. Für Nedbsls Balletpsntomime wurde tief in den Sickel gegriffen
and mit diesem den Abend ausfüllenden, die weitestgehenden Anforderungen der Schau-
last befriedigenden Ballet den Freunden der Theatertanzkunst von heute Rechnung ge-
tragen. Die Ba]let>dichtung* vom ftuilen Hans ist im höchsten Grade naiv und prätentiös.
Sie macht sogar dramatische Ansprüche, bietet einen Drachenkampfund kindliche, leicht
JVL übersehende tschechisch-nationale Symbolik. Nedbals Musik verrit einen geschickten,
nicht gerade originell erfinderischen Musiker. Einzelne Tänze sind charakteristisch und
temperamentvoll und in der Begleitung der Pantomime treffen wir auf Stellen, denen
ein starker und bezeichnender Ausdruck nicht abzusprechen ist. Die Aufführung solcher
Werke bedeutet natürlich kein Kunstereignis, sondern ist lediglich Sache der Spielplan-
|>Qlitik. Als Ausfluss der letzteren muss auch die mit grossem Arbeitsaufwand, in
mehrfticher Besetzung vorbereitete und nun erfolgte Wiederaufnahme von Hal6vys
jjfidin** gelten. Das Werk erscheint zwar noch heute als Produkt einer hervorragend
tedentenden dramatischen Begabung, edler und stilreiner als Meyerbeers Opern und
Inam entbehrlich im Repertoire einer täglich spielenden Oper. Daneben aber verlangt
tnan Wiederaufnahmen von Werken, die denn doch in der Geschichte der Oper einen
höheren Rang einnehmen, wie Glucks oder M6huls, oder die endliche Einführung einer
'der Opern von Berlioz, die bereits Zugang zu fast allen grossen deutschen Bühnen
gefunden. Man verlangt die Aufführung einer Neuheit, die unabhängig vom [Horoskop,
■das die Praktiker ihrem Kassenerfolg stellen, einem rein künstlerischen Interesse zu
dienen bestimmt ist. Solches darf man von einem Hoftheater, das ja ein Kunst-
-institut sein will, billigerweise erwarten. Die Aufführung der ,Jüdin* gelang übrigens,
-trotz der gewaltigen, die Kräfte des Instituts durch Wochen in Anspruch nehmenden
Vorbereitungen, nur halb. Wie im Vorjahre durch die Aufführung der „Hugenotten*
wollte Direktor Mahler durch seine Art der Wiedergabe des Werkes den Beweis
'erbringen, dass man es in der ,Jüdin* mit unverfälscht dramatischen Wirkungen
zu tun habe, dass diese «»grosse Oper** at>er auch durchaus musikalisches Drama
«ei. Die Unmöglichkeit, diesen Beweis zu führen, liegt auf der Hand. Das Unreine
4er Kunstgattung vermag auch die vorsichtigste Künstlerhand nicht daraus zu entfernen.
HaldFys Werk wurde in früherer Zeit an der Wiener Hofoper weit besser gesungen und
«dessen spezifischen Wirkungen viel eindringlicher zur Geltung gebracht. Herr Slezak,
4er den Eleazar gab, hatte glänzende Momente. Es fehlt ihm weder an glanzvollem
Material noch an Gesangskunst und schauspielerischem Talent. Die Vollendung und
völlige Sicherheit in der Beherrschung der Rolle wird sich erst in der Zukunft ein-
stellen. Frau Foerster-Lauterer (Recha) ist eine der routiniertesten Sängerinnen. Stellen-
weise erhob sie sich zu poetischen Wirkungen. Herr Hesch imponierte durch Stimme
«nd machtvollen Vortrag als Kardinal. Frau Elizza und Herr Preuss opferten sich mit
Anstand auf den verlorenen Posten der Prinzessin und des Prinzen. Künstlerisch
^beglückende Taten ist uns Direktor Mahler schon allzulange schuldig geblieben.
Gustav Schoenaich.
ZÜRICH: Vier Wochen einer angestrengten Tätigkeit haben die solide Durchführung
eines reichen Materials und die flotte Einrangierung neuengagierter Kräfte ergeben.
Von ihnen kann allerdings die Koloratursängerin Frl. Lorenz noch nicht et>enbürtig dem
übgegangenen Frl. Level genannt werden, da es an künstlerischer Freiheit und Ver-
wendung der recht braven Mittel fohlt Mehr Glück hatte Direktor Reucker mit dem
itiefen Bass. Herr Neugebauer ist eine markante Persönlichkeit mit schöngebildeter, um-
HL 3. 15
226
DIE MUSIK III. a.
fangreicher Stimme und auch als Darsteller das Mittelmass übersteigend, dazu durcb
Fleiss ausgezeichnet Solcb eine Erwerbung ist dreifach zu begrfissen, da die Frfichte
der letzten Saison ein Defizit sind, die Zfircher Buhne mit ihrer diirfttgen stidtiscben
Unterstützung also riskieren muss, eines schönen Tages dem indifferenten Publikum
geschlossene Läden zuzukehren, jedenfalls aber nur Verträge auf zwei Jahre abgeschlossen
werden können. Einstweilen rechnet man auf private Spenden der Millionäre und kultiviert
mit Eiför jedes dramatische Genre, wobei namentiich das jetzt zur Frau Brück gewordene
Frl. Berger (Primadonna), Herr de Meyer (Heldentenor), die beiden Baritonisten Basilio
und Bockholt, sowie das Frau Direktor Reucker gewordene Frl. Trebers wacker helfen.
W. Niedermann.
KONZERT
BERLIN: Unter den sechs Werken, die das Programm der ersten beiden Symphonie-
Abende der König]. Kapelle unter Felix Weingartner enthielt, beftinden sich
zwei Neuheiten. Eine alte und eine ganz frische. Beide in d-moll: J. S. Bachs Konzert
für zwei Violinen und Symphonie (op. 9) von Ernst von Dohnänyi. Das Bachsche Werk,
das im Rahmen dieser Konzerte zum erstenmal zum klanglichen Leben erweckt wurde,
strömt förmlich über in seiner sprudelnden Spielfreudigkeit und beglückenden Naivität.
Der zweite Satz, ein Largo, ma non tanto, ist ein Stück von niederzwingender Schönheit.
Die beiden Solo-Violinen ergehen sich hier in einem Dialog, der durchtränkt ist von
goldigster Poesie. Ein wundersames Gewebe herrlicher, melodischer Linien, das vod
den Konzertmeistern Halir und Dessau mit föinem Stilgefühl und tiefer Verinnerlichung
blossgelegt wurde. Ernst von Dohnänyis Partitur verdankt ihr Entstehen einem grossen,
ehrlichen Wollen. Sein technisches Rüstzeug ist glänzend, vollzählig und vom besten
Kaliber und wird bereits mit erstaunlicher Souveränität gehandhabt Was seinem Werk,
noch mangelt ist der straff^ gerade Wuchs seiner Glieder aus einer kraftvollen, leben-
spendenden Wurzel heraus. Das löblichp Bestreben, eine «eigene Handschrift*' zu
schreiben, verleitet den jungen Tonsetzer nur zu oft, seinen wenn auch noch so reiz-
vollen Gedankensprfingen allzu nachgiebig zu folgen. So entsteht ein buntes, sich immer
wieder ablösendes Nebeneinander der Gedanken an Stelle eines innigen, logiseben
symphonischen Zusammenschlusses. Die kontrapunktische Ehe, die seine Themen wohl
hier und da eingehen, ist mehr auf das Konto der Freude an der gewonnenen technischen
Fertigkeit zu setzen und mehr eine äusserliche, wenn auch kunstvolle Verschachtelun^
der Motive. Die unsymphonische Buntheit des Werkes wird auch noch durch ein kurzes
«Intermezzo* betiteltes Sätzchen gesteigert, das der Komponist zwischen dem dritten
und dem Schlusssatz eingefügt hat Am einheitiichsten wirkten das wundervoll instru-
mentierte Molto adagio und das keck dahinstürmende Presto-Scherzo. Jedenfalls präsentiert
sieb die Symphonie als das Werk eines ungewöhnlich reich begabten jungen Musikers.
Im übrigen bekam das das Haus bis unters Dach füllende Stammpublikum dieser
Konzerte Haydn, Beethoven und Schumann in der bekannten, teilweise unerreichteir
Vollendung zu hören. — L Philharmonisches Konzert Dirigent: Arthur Nikisch»
Mit Händeis viertem Konzert (F-dur) für Orgel und Orchester wurde die Serie dieser
zehn Abende würdig eingeleitet Alfred Sittard sass an der Orgel. Imponierend über
der Sache stehend, war er dem Werk in musikalischer, wie technischer Hinsicht ein.
überaus geschmackvoller, gediegener Interpret Luis Mysz-Gmeiners Alt reichte nicht
ganz für die Wiedergabe des Arioso aus Cantata con stromenti von Händel aus. Da»
Strahlende, Leuchtende in diesem wunderbaren Stück kam nicht recht zur Geltung..
Um vieles besser gelang ihr dagegen die Brahmssche Rhapsodie, bei der ihr der Berliner
Lehrer-Gesangverein wirksam sekundierte. .Aus Odysseus' Fahrten« op. 6; No. 1 : Ausfahrt
227
KRITIK: KONZERT
und Schiffbruch von Ernst Boebe war die Novität des Abends. Dem freundlichen Beiftül,
den das angeregte Publikum einmfitig spendete, kaun man unbedenklich zustimmen. Ist
auch Torderhand die Technik noch zu sehr Selbstzweck, betrachtet resp. verwechselt der
Komponist sein Programm noch zu ängstlich mit einer Vorlage, die er möglichst treu
und realistisch im Orchester nachzuzeichnen bestrebt sein mfisse, wobei er sich den
Sfimpfen der Reflexion schon bedenklich nähert, so sind das doch alles nur Ausstellungen,
die bei der Jugend des Tonsetzers noch nicht schwer wiegen. Auf alle Fälle haben wir
berechtigten Grund, auf das nächste Orchesterwerk Boehes gespannt zu sein. Mit der
vPastorale** klang der Abend aus, der uns Prof. Nikisch und sein herrliches Orchester
wieder in glänzendster Disposition gezeigt hat. Bernhard Schuster.
^ Unter den Klavierabenden der ersten Oktoberwochen sei an erster Stelle genannt
der Alfred Reisenauers, der besonders Schumanns Davids -BQndlertänze wundervoll,
ganz im Geiste dieser Tondichtungen, spielte. Als weit Qber das Durchschnittsmass der
Pianisten herausragend zeigte sich Gottfried Galston, der ein Riesenprogramm, u. a.
Liszts h-moll-Sonate und die d-moll-Chaconne von Bach-Buseni mit erstaunlicher
Virtuosität in technischer Hinsicht, künstlerischer Intelligenz und Grösse des Stils, vor-
trug. Die Herren Oskar Weichsel und Richard Singer spielen vor der Hand
noch mehr mit den Fingern als mit Empfindung und Kunstverständnis; doch haben sie
beide eine gute technische Grundlage und lassen weitere Entwicklung hoffen, was man
von Caroline Beebe nicht sagen kann, die ohne technisches Können, ohne Sinn und
Verstand an den Beethoven, Brahms und Schumann herumhaspelte. Einen sehr vorteil-
haften Eindruck hinterliess mit ihrem Liederabend Elisabeth O hl hoff, deren hoher
Sopran trefflich geschult ist und die mit feinem Geschmack vorträgt Katharina
Hennig-Zimdars empfahl sich durch lebendiges Empfinden im Vortrag und den
sympathisch weichen Klang des dunkelgeftrbten Mezzosoprans. Hugo Wolf gelang ihr
vielleicht diesen Abend am besten im Ausdruck. Richard Fischer erfreute diesmal
durch schlackenfreie Tongebung seines männlich -kräftig klingenden Tenors, fein aus-
gearbeitete Textaussprache und klug zusammengestelltes Programm, das zur Hälfte aus
Gesängen von Hugo Wolf bestand. Josef Loritz sollte sein Organ, das mühelos aas
der Bassregion hoch in die Tenorlage hinaufreicht, noch geschmeidiger schulen; es klingt
noch zu robust, was er singt. Bisweilen erinnert er klanglich an Eugen Gura, an den
er aber noch nicht in der plastischen Gestaltung hinanreicht Richard Koennecke
hat sich bedeutend zu seinem Vorteil entwickelt; er singt jetzt mit weniger Kraftentfaltung
und fbinerem Schliff; sein Vortrag klingt nicht mehr so äusserlich auf den Effekt an-
gelegt, wie firfiher. Der Berliner Lehrer-Gesangverein (Professor Felix Schmidt)
hatte für sein erstes grosses Konzert das Programm nach den Intentionen des Kaisers
zusammengestellt; der Erfolg des Abends bewies, dass ein Männerchor auch mal ohne
Hegars Totenvolk konzertieren darf. Die volkstümlich kräftige Art Webers (Lfitzows
wilde Jagd), die gemütvollen Weisen Kreutzers, Mendelssohns, Suchers, ältere Stücke aus
dem Lochheimer Liederbuch u. a. wurden mit vollendeter Schönheit des Ausdrucks
und des Gesamtwohlklanges, tadellos klarer Textaussprache dargeboten. Die Sing-
akademie hat in ihrem ersten Abonnementskonzert «Das Paradies und die Peri**
Roh. Schumanns mit Emilie Herzog als Peri, Klara Erler (Jungftrau), Frau Walter
Cholnanas, den Herren Fischer und Anton Sistermans aufjgeführt. Prof. Georg Schu-
mann gab sich ersichtlich Mühe, das Werk seinem poetischen Gehalt nach lebendig
zu machen; er detailierte aufe feinste die zarte Farbe der Tondichtung, für die wir
alle In der Jugend geschwärmt haben und die wir jetzt zu unserm Kummer immer
blasser werden sehen. Der kräftige Aufechwung In der modernen Kunstentwicklung
läset das Schnmannsche Werk zur Zeit etwas gestalt- und farblos, gar zu klein und
15*
228
DIE MUSIK III. a
weichlich erscheinen — möglich, dass eine spätere Zeit es wieder mit andern Ohren
anhört Die Schumannsche Klaviermusik seiner ersten Schaflfensperiode rückt dagegen
immer höher in ihrer Bedeutung, sie und die Liederfülle aus den ersten Jahren er-
scheinen immer nachhaltiger wirkend über ihre Zeit hinaus, während seine Chor- und
Kammer-Musik bereits von ihrem Reiz einbüsst, den sie einst unleugbar ausübte.
Victor Ben d ix hat in der Singakademie eine Reihe seiner Orchesterstücke, zwei
Symphonieen und einige kleineren Werke mit dem philharmonischen Orchester auf-
geführt, ausserdem eine längere Liederreihe von Raimund von Zur-Mühlen singen
lassen. Das Orchester ist ftirbenreich behandelt, doch fohlt es im ganzen den Motiven
an plastischer Kraft und der Satz entbehrt des polyphonen Reizes. Auch die Lieder
scheinen etwas altmodisch in der Art der Stimmführung wie der Begleitung. Muss
man übrigens Gedichte, die Schubert, Schumann und andere Meister komponiert haben,
immer wieder in Musik setzen? Besser als die machfs doch kaum jemand. Herr
Bendix dirigierte selber mit Sicherheit; mir schien er als Dirigent bedeutender denn als
Komponist. E. E. Taubert.
Erst mit der Rückkehr des Philharmonischen Orchesters aus Scheveningen
beginnt die eigentliche Musiksaison; in dem Eröffhungskonzert bot Herr Rebicek, dem
vom Publikum eine überaus herzliche Begrüssung zuteil wurde, mit seiner treflPlichen
Künstlerschar u. a. eine brillante Wiedergabe des »Don Juan* von Richard Strauss. Auch
der TonkünstUr-Verein hat mit seinen dem Schaffen der Lebenden gewidmeten Vor-
tragsabenden begonnen und zwar in äusserst glücklicher Weise. Zur Aufführung gelangte
das im achten Bande der »Musik** S. 382 warm empfohlene, hochbedeutende Sextett
von Hans Koessler, das eine tiefb Wirkung auf den leider nicht sehr zahlreichen
Zuhörerkreis ausübte. Vielleicht noch mehr Eindruck machte das hier einmal vor elf
Jahren gespielte Streichquintett (mit zwei Cellis) op. 26 von Hugo Kann, eine Perle
der Kammermusikliteratur, der weitesten Verbreitung würdig. Das Scherzo kann geradezu
als genial bezeichnet werden. Beide Werke wurden von dem Holländischen Streich-
quartett der Herren van Veen, Feltzer, Ruinen und van Lier unter Zuziehung
der Herren Dr. Philipsohn (2. Bratsche) und Meyroos (2. Violoncell) vorgetragen, das
Quintett weit besser als das Sextett, in dem namentlich der erste Geiger manches schuldig
blieb. Dazwischen versuchte E. Severin zwei Gesängen (Oktoberlied und der Land-
streicher) von Ernst Boehe zur Anerkennung zu verhelfen^ trefflich von Herrn Dr. Kuhlo
am Klavier unterstützt; aber trotz aller Sympathieen für den jungen Komponisten des
»Odysseus* muss diese bombastische Vertonung einfticher Texte als verfehlt bezeichnet
werden. Unter Begleitung des philharmonischen Orchesters konzertierten ein Geiger
und zwei Geigerinnen. Ein hervorragender Vertreter seines Instruments ist der auch
musikalisch feingebildete Hamburger Konzertmeister Heinrich Bandler, dessen nament.
lieh in den langsamen Sätzen sehr ausdruckvolles Spiel mit Recht grossen Beifall fknd«
Helene Ferchland, deren grosses Talent schon vor zwei Jahren anerkannt wurde, hat
solche Fortschritte gemacht, dass man jetzt getrost sagen kann: sie gehört zu den Be-
rufenen. Dem bestrickenden Liebreiz ihres Tones wird man sich ebenso wenig entziehen
können wie ihrem temperament- und seelenvollen Vortrag; sie geht geistig ganz in dem,
was sie vorträgt, auf. Otie Chew gehört zu den recht tüchtigen Geigerinnen, wie sie
heutzutage nicht gerade selten sind; gesunde musikalische Auffassung und eine energische
Bogenführung sind an ihr zu rühmen. Zu Violinspiel und Gesang hatten sich viermal
Paare von Konzertgebem zusammengetan. Immer erwies sich der geigende Teil als der
schwächere. So versündigte sich Laurenz Korb geradezu an Bachs Ciacona. Seine
Partnerin Hedwig Reuter litt anfänglich unter starker Befkngenheit, die sie an der
Entfaltung ihres reichen Stimmmaterials hinderte und ihren Vortrag noch zu unfrei er-
220
KRITIK: KONZERT
scheinen Hess. Ungeheure Fortschritte hat' Madeleine Walther gemacht; sie ist jetzt
nicht bloss eine Koloratursängerin par excellence, sondern behandelt ihre auch voller
gewordene Stimme in feinster, künstlerischer Weise. Ihr Bruder Gustave Walther
ist ein sehr gediegener Geiger. Valerie Zitelmann (Mezzosopran) wusste besonders
durch ihr schönes Programm und ihren geschmackvollen Vortrag zu interessieren; wie
sie wurde auch ihre Partnerin Ebba Hjertstedt mit Beifall überschüttet; die Jugend,
liehe talentvolle Geigerin wird sich hoffentlich dadurch nicht verleiten lassen, die ihr
noch sehr nötigen Studien (Intonation!) vor der Zeit abzubrechen; der Öffentlichkeit sollte
sie vorläufig ganz fem bleiben. Auch Henrica Jones muss dieser Rat erteilt werden;
den nicht ungünstigen Eindruck, den sie anfänglich mit Vfeuxtemps' Fantasia appassionata
erweckt hatte, verdarb sie dann völlig mit der Bachschen g-moll-Fuge. Eine grosse
Künstlerin ist dagegen ihre Genossin Hanna Gründahl; ihr Alt ist von einer ent.
zückenden Weichheit und Rundung, ihre Atembehandlung eine künstlerische, ihre ganze
technische Ausbildung einwandfrei. Ihr Vortrag ist lebensvoll und von einer überzeugen-
den Reife der Auffassung. Hertha Geipelts hoher, in Koloraturen gewandter Sopran
wird immer durch seine Lieblichkeit und Süsse gefallen, aber er muss noch voller, der
Vortrag vor allem viel lebendiger und freier werden, wenn man auf die Dauer gefesselt
sein soll. Anton Hekking, der Frau Geipelts Vorträge durch Solis ergänzte, wollten
die Flageolettöne wunderbarerweise dabei nicht gelingen. Gut gefiel namentlich
wegen seines schönen Tones und seiner geschmackvollen Vortragsart der Geiger Johannes
Schroeder, der mit Mark Günzburg, dem gediegenen, nur allzu sehr das Peda|
liebenden Pianisten, u. a. auch Beethovens F-dur-Sonate so schön spielte, dass man es
ihm beinahe verzeihen konnte, dass er eine Sängerin wie Emmy Jürgens zu seinem
Konzert zugezogen hatte. Einen überwiegend günstigen Eindruck hinterliess der Bari-
tonist Karl D rech sei, der sich besonders bemüht, den geistigen Inhalt der vorgetragenen
Kompositionen zu erschöpfen und über ein sympathisches, klangvolles, sorgfältig aus-
gebildetes Organ verfügt, aber leicht in seinem Vortrag monoton wird. Er hatte sich
der Beihilfe der hier genügend bekannten Geigerin Corinne Coryn versichert. Endlich
konzertierte ein von Hubay ausgebildeter zehnjähriger Geiger Franz von Vecsey,
schon jetzt ein Künstler ersten Ranges; es ist fabelhaft, was der Knabe auch in musi-
kalischer Hinsicht leistet. Seine Vorträge, denen bis zu Ende Altmeister Joachim
und viele hervorragenden Musiker andächtig lauschten, erregten einen kolossalen, durchaus
berechtigten Enthusiasmus. Da der junge Künstler körperlich gut entwickelt ist, wird er
voraussichtlich die Gefahren, die einem Wunderkind immer drohen, siegreich bestehen.
Waldemar Meyer gebührt das Verdienst, mit seinen Quartettgenossen M. Heinecke,
B. Heinze und A. Löffler sowie den Herren Prof. Schubert (Klarinette), H. Lange
(Fagott), H. Rudel (Hom) und G. Krüger (Kontrabass) Franz Schuberts melodieen-
r^iches Oktett wieder einmal vorgeführt zu haben. Das grösste musikalische Ereignis
aber war die wahrhaft ideale Interpretation des Beethovenschen cis-moll-Quartetts durch
das Joachim -Quartett, und dabei spielten es die Herren nach Mozart und Haydn in
einer solchen Temperatur, dass schon den Zuhörern der Angstsch weiss auf der Stirn
stand. Die hygienischen Zustände in der überfüllten Singakademie sind unglaubliche.
Wann wird hier endlich Remedur eintreten, zum mindesten für ausreichende Ventilation
gesorgt werden! Dr. Wilhelm Altmann.
Quantitäten und Memorierleistungen ergeben noch nicht den Begriff Kunst. Klavier-
konzerte mit Orchester beweisen dem Kenner nur das Gegenteil vom Können. Anflhiger
Unreife und Temperamentlose wie Middha M6court sollten keine Rekordkünste treiben
und auf ein d-moll-Konzert von Rubinstein nicht das Es-dur von Liszt setzen, da jedes
für sich, auch ohne Patzereien und die bösen Lapsus' im Finale des ersteren, einen
ganzen »Kerl* verlangt Zwischen beiden noch Griega a-moll zu spielen, war ebenso
wahnwitzig wie scherzhaft. Im ganzen eine lappige, pappige Aaffusttng. Der Ton ohne
Kern und klingende Rundung; Rhythmus matt; Phrasierung beherrscht vom Geist des
^4 Taktes, und Passagen und Kantilene vom Pedal erstickt Dagegen nötigt Elisabeth
Brauer zu grosser Achtung. Gebrach's der Schumann-Phantasie auch an Grösse und
Klarheit, so steckte doch Ernst und Arbeit darin. Das polyphone Spiel verriet moderne
Nuancen, durchdachte Stimmführung und klares Eriksson der Gliederung. Die
Hollinderin Maria Seret hat angenehm fiberrascht Zwar, das Organ ist ängstlich hell,
der piano-Ansatz unsicher und flach, die Hauptresonatoren nicht volltitig, aber sie hat
Empfindung und Vortrag, Anmut und Liebenswürdigkeit Zur dramatischen Deklamation
fehlt Tiefipiff und Brustresonanz: Konsonantik. Sie sang Lieder von Heinrich van Eyken:
»Schmied Schmerz*, »Idylle*, »Unser Glück*, „Prinzessin^ die sicher im Griff,
von strafPer Gliederung, logischer Kadenzierung und musikalischer Einheit eine
Sangeszukunft haben. Rosa Olitzka leidet am Tremolo, sicherlich ein Produkt
„italienischer** Methode. Aber das Organ hat einen sinnlichen Reiz, einen Schleier und
eine gewisse Sittigkeit, die bei grösserer Beherrschung des Inneren und noch grösserer
Konzentration fkszinierend wirken könnte. Dem Vortrag föhlf s an wahrhaft seherischem
Gestaltenkönnen. Ein raffinement du sentiment und virtuose Berechnung beherrschen
Rasse und Temperament Schwüle Seele — Parfümkunst Gertrude Lucky steht
noch unter dem Zwange guter Schulung. Die ängstliche Sucht zur Korrektheit verdirbt
vieles. Das gebundene Temperament, das ewige, gieichmässige, fadige Legieren und
Bel-cantieren ergibt notwendigerweise Monotonie. Mal-canto, mal-cantol Mehr Ecken
und Kanten, mehr Physiognomie und Seele! Es ist die Kraft des Tiefinnerlichen, des
Geheimen und Wunderbaren, die Mariane de Maringa in die erste Reihe der jüngeren
Darstellerinnen stellt „Frauenliebe und Leben**, das war schumannische Poesie, und
Geist von s einem Geist Die Atmung einer weichen Seele und die schlichte Hingabe
des Herzens, jene feine Rieselkraft, weckt auch das Kleinste zum Leben und Licht Die
Einheit zwischen Wille und Psyche, die Verschmelzung von Kunst und Ausdruck, Seele
und Gesang wird kommen. Wo die Macht der Suggestion, da ist Kunst Auch das Intime,
Kleine ist gross! Stil ist mehr als Persönlichkeit, und Frederic Lamond hat Stil. Sein
Beethoven (Sonne und Humor abgezogen) hat in Wahrheit etwas t>eethovenisches. Auch
Brahma kommt er nahe. Aber er bedarf der völligen Hingabe und ernster geistiger Konzen-
tration. Gemischte Programme liegen ihm nicht Ich habe die Waldstein-Sonate besser
von ihm gehört Die klavieristischen Eigenheiten, Härten und Absonderlichkeiten spielen
bei dem geistigen Konto eine nebensächliche Rolle. Paula Olshausens umfang-
reichen und guten Mittel stehen in keinem Verhältnis zu der mangelhaften Beherrschung
derselben. Sie staut schlecht, fksst nicht und lässt Luft durch, infolgedessen kein
Pianoansatz, ein heuliges Ziehen und ein fortwährendes Wanken und Schwanken auf der
Tonhöhe. Mehr »Atempresse* und ihre wirklich schönen Mittel würden der Kunst ge-
rettet Auch bei Alma Brünette und Hjalmar Arlberg muss man über viele
stimmlichen Mängel hinwegsehen. Aber sie wissen zu musizieren und verraten eine
gewisse Energie des Ausdrucks. Wann werden die Stimmen kommen, die Hugo Wolf
zu fassen vermögen? Der immense Erfolg des: »Nachtzauber*, »In der Frühe*, »Mögen
alle bösen Zungen* spricht doch für ihn. Oder reizen seine Tief^ Grazie und Liedkraft
so wenig? Antonie Stern kann einer ernsten Kunstbetrachtung nicht mehr stand-
halten. Die Vokale stecken wie in Sacktaschen und der Vortrag leidet an einem Mangel
an Stimmbeherrschung. Der grosse Ernst und die musikalische Empfindung wurden
durch gewisse Sentimentalität und ein fortwährendes zitteriges Flackern des Organs
wesentlich t>eeinfius8t. Maria Romaneck besitzt Routine und singt mit Geschmack.
231
KRITIK: KONZERT
Zwar, die Koloraturen sind schon etwas ausgekugelt, aber sie versteht doch wenigstens
ihr Organ zu handhaben und weiss die Pointen herauszuholen. Ober die Ungleichheit
der Lagen schweigt man besser. Rudolf M. Breithaupt.
BREMEN: Am 13. d. M. nahm hier das winterliche Konzertleben mit dem ereten Abend
der Philharmonie einen vielveraprechenden Anfting. Die Orchestergaben boten zwar
nichts neues, aber nur goldene Äpfel in silbernen Schalen: Euryanthen-Ouvertüre, Tann-
faäuser-Bacchanal und Beethovens Siebente, von denen besondere das Wagnereche Ton-
stuck Panzners geniale Interpretationskunst wiederum in glänzendem Lichte zeigte.
Als Solistin des Abends liess sich Edyth Walker zum ereten Male hier hören, die ihren
t>edeutenden Ruf vollauf rechtfertigte. Im Besitz ganz hervorragender, vorzüglich
geschulten Stimmmittel und einer allerdings mehr auf das Virtuose gerichteten bedeutenden
Vortragskunst dürfte sie auf dem ihrer Eigenart entsprechenden Gebiet dramatischer
Leidenschaft einen sehr hohen Rang einnehmen. Prof. Kissling.
DARMSTADT: Die neue Konzertsaison wurde eingeleitet mit dem alle zwei Jahre
wiederkehrenden grossen Prüflingskonzert der hiesigen, jetzt 52 Jahre lang bestehen-
den Akademie für Tonkunst, die Prof. Philipp Schmitt seit ihrem Bestehen ununter-
brochen leitet Die gebotenen, fkst durchweg künstlerischen Massstab vertragenden
Leistungen zeigten das bewährte Institut auf seiner vollen Höhe. Das Gleiche gilt von
der hiesigen Schwesteranstalt der Akademie, dem Süssschen Konservatorium für Musik,
das die Feier seines 25]ihrigen Jubiläums beging und bei dieser Gelegenheit das von
schönem Erfolg begleitete Experiment wagen konnte, ausschliesslich Kompositionen
(Kammermusikwerke, Klavier- und Violinstücke) früherer und jetziger Lehrer der Anstalt
zu Gehör zu bringen. Als erater unserer musikalischen Vereine trat auch heuer wieder
der Richard Wagner- Verein auf den Plan, der in den letzten beiden Jahren eine Mit-
gliedenunahme von über 100 Peraonen zu verzeichnen gehabt hat und sich mit seinen
im besten Sinne des Wortes fartschrittlichen Tendenzen mehr und mehr eine führende
Stellung im Darmstidter Konzertleben erringt. Auf seinem diesjährigen »Novititen-
Abend« führte er dem hiesigen Publikum Schöpfungen von nicht weniger wie fünf, ihm
bis dahin noch völlig unbekannten lebenden Liederkomponisten (Hermann Drechsler,
Uli E. Hafgren, Oskar Meyer, Max Reger und Bernhard Sekles) vor. Auch andere
mehr oder weniger schon bekannten »Lebende*, wie Karl Hallwachs, Arnold Mendelssohn,
Hans Pfltzner, Ludwig Thuille und Felix Woyrach, fehlten nicht in dem Reigen, und
dem Andenken Herman Zumpes, des allzu Mh Verblichenen, wurde gleichftills gehuldigt.
Schliesslich sei noch das alljährlich wiederkehrende, von Mitgliedern unserer Hofoper
im grossen Stil arrangierte Wohlthätigkeitskonzert zum Besten der hiesigen barmheraigen
Schwestern erwähnt, auf dem sich Klara Roediger als Liedereängerin par excellence
bewährte. Die nächsten Wochen werden nun unter dem Zeichen der Feier des
25jährigen Dienstjubiläums unseres verdienten Hofkapellmeistere Willem de Haan
stehen. H. Sonne.
DRESDEN: Die Neuheit des ereten Symphoniekonzerts im kgl. Opernhaus stammte
aus der Feder unseres heimischen Meistere Felix Draeseke, dessen Kunst er-
freulicherweise immer mehr allgemeine Würdigung findet, obwohl sie sich dem ober-
flächlichen Hörer nur schwer erechliesst und nur dem ernsten Musikfreund die ganze
Fülle ihrer Schönheit offenbart Diesmal aber hörten wir ein leichteres^Werk des
Meisters, nämlich eine Serenade D-dur für kleines Orchester. Aus fünf Sätzen bestehend
besticht die Serenade ebenso durch den Reichtum ihrer Melodik, wie durch die vornehme,
von allem Konventionellen sich weit entfernt haltende Harmonik und die klare, durch-
sichtige Arbeit. Dabei erfüllen sonniger Humor und inniges Empfinden, welch letzteres
•ich in den zahlreichen Kantilenen des Solocellos äussert, das ganze Werk, das unter
232
DIE MUSIK III. 3.
Generalmusikdirektor v. Scbucb von der kgl. Kapelle binreissend gespielt wurde und
dem anwesenden Komponisten einen von Satz zu Satz sieb steigernden und in mebr-
facben Hervorrufen am Schluss gipfelnden Erfolg eintrug. Kammervirtuosin Laura
Rappoldi - Kabrer, die mit der sebr talentvollen Geigerin Elsa Wagner ibren ereten
Sonatenabend gab, bracbte eine neue Violinsonate C-dur von Cbristian Sinding zu recht
guter Wirkung, obwobl sieb diese Komposition mebr durch Absonderlichkeit als lebendige
Eigenart auszeichnet. Das Petri-Quartett, das zwei Jahre lang nur Beethoven spielte und
keinen Lebenden zu Worte kommen Hess, hat sich erfreulicherweise seiner Pflichten
gegen die zeitgenössischen Tonsetzer erinnert und verbeisst fOr jeden seiner dies-
winterlichen Abende eine Neuheit. Die des eraten Abends war ein Streichquartett
d-moH von Alphons Duvemoy, einem Pariser Komponisten. Das Werk birgt viel
Schönes in Erfindung und Technik, leidet aber an einem Missverhältnis zwischen der
Länge der weit ausgesponnenen Sätze und der geringen Ergiebigkeit des thematischen
Materials. Der erate Satz ist der weitaus einheitlichste, in den drei anderen finden sich
neben grossen Schönheiten recht öde Partieen, die den kfinstleriscben Gesamteindruck
wesentlich beeinträchtigen. Von den weiteren Konzerten der beginnenden Saison sei
nur noch ein Liederabend von Kammereänger Hans Giessen hervorgehoben, der den
glucklichen Gedanken hatte, in den zwei Teilen seines Programms Schubert und Richard
Strauss einander gegenüber zu stellen und dadurch den veretändnisvollen Hörer zu der
Erkenntnis zu bringen, dass gerade die späteren, selten gesungenen Lieder Schuberts
deutlich in das moderne Gebiet hin überweisen, aus dem Strauss seine schönsten Lieder
geholt hat, und dass in der Einheitlichkeit der Erfkssung des Textes und in dem grossen,
zusammenfkssenden Zug ihres Liederatils beide Komponisten einander sebr ähneln.
Hans Giessen bewährte seinen grossen Ruf als Sänger und Vortragskünstler an diesem
Abend aufe neue und Richard Strauss sass selbst am Flügel, so dass der Abend ein
höchst genussreicher war. F. A. Gei ssler.
FRANKFURT a. M.: Mit den ereten beiden Konzerten der Museumagesellscbaft hat
Siegmund von Hausegger sein hiesiges Kapeil meisteramt angetreten. Man kannte
ihn hier schon als Komponisten ; trat er uns da als Anhänger einer modernen, in freien
Formen und prangenden Farben sich ergehenden Kunst entgegen, so war sein Auftreten
als Museumsdirigent vielmehr vorwiegend dem Klassischen und der Romantik älteren
Stils zugewandt, und, um das gleich zu sagen, liebevoll zugewandt Nicht minder wie
in der Wahl seiner eraten Programme aber bekundete sich auch In der Art der Inter-
pretation ein sozusagen diplomatischer, voreichtig das Terrain sondierender Geist. Es
gab keinen Sturm und Drang, wie man ihn vielleicht von der Jugend des Dirigenten hier
und da erwartet hatte, keine Oberplastik der Daratellung — z. B. Im eraten Satz der
c-moU-Symphonie von Beethoven, wo oft die Fermaten Im Obereifer allzu „furcbtt)ar*
ausfallen — wohl aber spürte man aus diesem Juste milieu* die klare Beherrachung
des Stoffes und eine mit einem gewissen Schicklichkeitsgefübl gepaarte Begeisterung, die
bald auch auf das anfänglich reservierte Publikum überging und beifsllsfreudige Stimmung
weckte. Seinem Münchener Brauch gemäss band Hausegger In der erwähnten Symphonie
den c-moll-Aufstieg der Bässe und Celli im Scherzo fkst unmittelbar an den As-dur-
Schluss des vorhergegangenen Satzes, was sich hier wirklich gut und bedeutsam aus-
nimmt. AufftUende Nuancen wurden vermieden, auch in Brucknera Es-dur-Symphonie,
wo der Reiz dazu näher liegt; Im Meistereingervoraplel waren die Zeltmaase sogar mehr
ausgeglichen, als man jetzt meist hört. Der Dirigent hat sich gut eingeführt. Das
Kammermusikquartett des Museums brachte an seinem Eröffhungsabend, der auf Verdi*»
Geburtstag fiel, das e-moll-Quartett dieses Meistere und bereitete mit dieser reifen und
geniligen Schöpfung viel Freude. Auch eine andere Kammermusikvereinigung, das Trio
233
KRITIK: KONZERT
der Herren C. Friedberg, A. Rebner und J. Hegar, machte einen guten Anfang, wiewobl man
sich an der Novität, einem d-moll-Trio von Novak, nicht erbauen konnte. In einem
Satze «quasi una ballata** verfliesst das Werk doch nicht recht in einem Guss, nur ein
starkes Pathos bindet die «Gedanken«' aneinander. Aber der Vortrag war brillant studiert
and wurde, wie auch der von Saint-SaSns* op. 92 und von Mendelssohns op. 66 nach
Gebfihr mit vielem Beifall ausgezeichnet. Hans Pfeilschmidt.
HAAG: Das erste Konzert in dieser Saison bestand in einem Sonatenabend von
Caroline Hinlopen (Klavier) und Max Oberstadt (Violine). Brahms op. 100, Beethoven
op« 96 und Sinding op. 12 standen auf dem Programm. Otto Wernicke.
HALLE a. S.: Das Vorpostengefecht lieferte mit glQcklichem Ausgang unser im ver-
gangenen Jahre gegründetes Streichquartett (die Herren: Konzertmeister Knoch,
Reinh. Hoffmann, Hopfer und Schwendler), das sich zur Aufgabe gemacht hat, unsere
Kammermusik in populären Konzerten zu niedrigen Eintrittspreisen den breiten Schichten
unserer Stadt zugängig zu machen. Das Unternehmen dürfte umsomehr Aussicht auf
Erfolg haben, als zur Mitwirkung stets eine Gesangskraft herangezogen wird, um zwischen
die instrumentalen Vorträge Liedersträusschen einzuflechten. Nur mfisste man zielbe-
wusster vorgehen in der Programmaufstellung und nicht auf ein Mozartsches Streich-
qnintett (C-dur) die Brahmsschen Gesänge mit Viola folgen lassen. Um derartige Kost
aufzunehmen, muss das Ohr erst geschult werden. Die erste Hauptschlacht schlug Kapell-
meister Winderstein-Leipzig mit seinem Philharmonischen Orchester, mit dem er Bee-
thovens A-dur-Symphonie, Volkmanns C-dur-Serenade und drei Ouvertüren (Glucks Iphi-
genien-, Mozarts Zauberflöten- und Webers Freischutz- Ouvertüre) zu Gehör brachte.
Beethovens „Siebente** bedurfte noch in den Ecksätzen der Ausfeilung, und das AUegretto
hätte recht gut ein etwas lebhafteres Tempo vertragen. Im übrigen gelang alles aus-
gezeichnet bis auf die Webersche Meisterouvertüre, deren poesiegetränkte Waldschilderung
durch die Homer mit ihren schlechten Einsätzen in der Wirkung beeinträchtigt wurde.
Etwas mehr von Wagners Geist hätte nichts geschadet. Mary Münchhoff riss wie aller-
orten das Publikum zur lautesten Bewunderung hin. Martin Frey.
HAMBURG: Den ersten Akkord in der neuen Saison Hessen unsere Liebliogsgäste,
die Berliner Philharmoniker, erklingen. Wie seit sechs Jahren standen sie unter
der Leitung Arthur Nikischs. Das sagt genug über den Geist des Programms, über die
Ausführung und über die Physiognomie des Abends. Es wird Nikisch, der mit der
Leitung unserer, immer seinen Gewandhauskonzerten in Leipzig nach 24 Stunden folgen-
den philharmonischen Konzerte direkt seinen hiesigen Freunden ein Opfer bringt, eine
Genugtuung bereitet haben, zu sehen, dass auf Grund seiner Persönlichkeit diese Konzerte
wenigstens pekuniär nunmehr vollkommen gesichert sind: der Konzertsaal ist annähernd
durch Abonnenten ausverkauft. Für den künstlerischen Erfolg bürgt sein Name und
seine Gesinnung. Im ersten Konzert brachte Nikisch gleich eine höchst beachtenswerte
Neuheit: Boehes „Ausfahrt und Schiffbruch des Odysseus.* Gerade in Hamburg, wo die
Musik, die Bungert dem edlen Dulder Odysseus angetan hat, ziemlich bekannt geworden
ist, Interessierte Boehes Werk stark. Mich fesselte an seiner Musik in erster Linie der
eigenartige Stil, der, namentlich in der ganz aparten Harmonik, deutlich Boehes Streben
verrät, die Kongruenz zwischen der musikalischen Tondichtung und der Dichtung her-
zustellen. Nach der überall und nirgends hinpassenden Musik Bungerts, einer Art in
Musik gesetzten Restaurationssauce, wirkte Boehes symphonische Dichtung ausgesprochen
In einer auf den geistigen Anschluss an Homer hinarbeitenden und individualisierenden
Art und Weise. Aufgenommen wurde die Novität, die oftmals herb im Klang anmutet
und billige Kompromisse konsequent verneint, respektvoll. Dem äusserst talentierten,
jungen Münchener, fast noch Münchener Kindl, hätte ich einen wärmeren Em-
234
DIE MUSIK III. a.
pfang in unserer Hansestadt schon gegönnt. Als Solistin trat mit enormem Erfolg Editb
Walker auf, die wirklieb in grosser Art, mit gewaltigem Schwung und in plastischer
Rhythmisierung zunächst die Arie der Eglantine und später Lieder sang. Unter letzteren
eine der Beachtung sehr wfirdige Komposition unseres genialen Gustav Brecher »Der
Arbeitsmann", eine musikalische Schöpfung, die den sozialen Unterton des Dehmelscben
Textes michtig zum Mitklingen bringt und die den Beweis liefert, dass Gustav Brecher,
der für unsere Oper fast zu künstlerisch ist, der auch als Begleiter am Klavier Vorzfig-
liches leistete, gleicbftüls auf die Liste derer zu setzen ist, deren ScbafPien wir unsere
Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. An Orchesterwerken brachte Niklsch in herrlichster
Wiedergabe die Euryanthen-Ouverture und die Pastoral-Symphonie. Die einheimischen
Kunstinstitute haben ihren Veranstaltungen ein dissonanzenreiches Präludium voran-
geschickt: um die Erstaufführung von Wildenbruchs ,,Hexenlied* mit der Musik von
Schillings hat sich zwischen den Herren Fiedler und Stockhausen einerseits, Prof. Barth
andererseits ein Streit entsponnen, der sich coram publice in ZeitungsveröfPentlichungen
abspielte. Viel Sympathieen dürfte sich dabei die Leitung der Philharmonie nicht erworben
haben, wenn auch juristisch in diesem Falle das Recht natürlich bei denen um Barth
und Schemann war. Heinrich Chevalley.
HANNOVER: Ausser dem ersten Abonnementskonzert unseres Königl. Orchesters,
das unter Doebbers umsichtiger Leitung Beethovens Pastoralsymphonie, Svendsens
j, Karneval in Paris*, sowie die Hebriden-Ouvertüre von Mendelssohn in gediegener
Vorführung brachte und das femer durch die Mitwirkung des ausgezeichneten Pianisten
Busoni t)esonderen Glanz erhielt, gab es noch mehrere bedeutenden Solisten-Konzerte.
Zweimal besuchte uns der durch seine mächtigen Stimmmittel sowie grosszugige Vor-
tragskunst hervorragende Baritonist Th. Bertram, das erstemal mit seiner Gattin Fanny
Moran-Olden, das anderemal mit der Pianistin Margarethe Eussert, deren Spiel sich durch
Feinheit und Sinnigkeit, weniger durch Kraft und Temperament auszeichnete. Einen
glänzenden Erfolg hatte die Kammersängerin Edith Walker aus Wien, in der wir eine
der allerersten Grössen der Gegenwart bewundem. Dann wäre noch der erste Kammer-
musik-Abend des Rillerquartetts zu nennen, der wie immer anregend und genussreich
verlief. Als Novität gab es eine interessante Senate von C6sar Franck, die in den Herren
Riller und Evers zwei kongeniale Erwecker gefunden hatte. Das hiesige Konservatorium
der Musik vollendete mit einem treflPlich gelungenen Prüfüngskonzert sein sechstes
Schuljahr. Für die Bedeutung der hiesigen Anstalt spricht es, dass sie bei einem Lehrer-
personal von 42 Mitgliedem von über 000 Schfilem besucht wird.
L. Wuthmann.
KARLSRUHE: Das Konzertleben hat gerade in den letzten Tagen hier in blühender
Fülle begonnen. Den Anfeng machte der Pianist Walter Petzet, Lehrer am Grotsb.
Konservatorium hierselbst, der, auf das Vomehmste unterstützt von dem Direktor der
Anstalt, Prof. Ordenstein, am zweiten Flügel, Schumanns a-moll-Konzert, alsdann vor
allem Brahma' zweites Konzert in B-dur ungemein ausdracksreich spielte, sowie in
Scharwenkas drittem Konzert cis-moll sich von wohltuender Frische und Gefälligkeit
zeigte. Zwei Konzertabende veranstaltete des femeren das bekannte Stuttgarter Steindel-
Quartett, das auch hier durch die Sicherheit und geistige Beherrschung, mit der
9— 13]ährige Knaben Beethoven, Chopin, Liszt usw. in reifen Leistungen vorführen,
Staunen erregte. Als erstes Künstlerkonzert des Zyklus Hans Schmidt schuften Herr
und Frau Petschnikoff mit dem prächtigen Vortrag des Violinparts in Bachs C-dor-
Sonate, wirkungsvoll begleitet von Karl Friedberg am Klavier, mit dem Wieniawsklschen
d-moU-Konzert No. 2, mit Tschaikowsky's »Melodie* und dem rassischen Tanz des
Violinisten selbst, einen beifallgetragenen Abend. Albert Herzog.
255
KÖLN: Die von Berlin ausgegangene Institution der Jugend-Konzerte hat nun
aach bei uns einen ersten löblichen Schritt nach dieser ideellen Seite der Kinder-
erziehung hin gezeitigt, und zwar wurde er von den berufensten^ Kreisen aus unter-
nommen. Der Kölner Lehrer- und Lehrerinnen-Gesangverein versammelte Sonntags
nachmittags etwa 1500 Kinder beiderlei Geschlechts im grossen GOrzenich-Saal, und hier
war es denn ein Vergniigen für uns alten Stammgäste des Hauses, zuzusehen, welche ge-
spannte Aufmerksamkeit die jüngste Generation zunächst dem »Milieu*, dann aber den
Vorträgen zuwandte, und wie sie jeden einzelnen derselben mit einheitlich jubelndem
Beifall lohnte. »Erziehung der Kinder durch die Kunst* lautet die Parole. Wie weit
sich der Erfolg der Methode bei dem Kinde einstellt, wird ja immer bis zu wesentlichem
Grade von der individuellen Beanlagung und Empfänglichkeit, dann aber nicht zum
mindesten von den äusseren Lebensverhältnissen abhängen; sicher aber ist, dass die ge-
botene Anregung durch edle Kunst und die Befruchtung der jugendlichen Phantasie
niemandem Schaden bringen, wohl aber einen guten und entwicklungsflhigen Keim in
manches Kindergemüt legen können. Die gesamten Kosten der Konzerte trägt der Verein
selbst und das Resultat ist, dass die jungen Gäste sich kostenlos an erhebender Musik
erfreuen und beobachten können, wie Musik und vornehme dichterische Sprache sich in
wechselseitiger Ergänzung zu bedeutenden Werken im Grossen, zu Ohr und Gemüt
bildenden Gesängen im Kleinen verschmelzen. In jedem Falle handelt es sich um einen
rühmlichen erzieherischen Akt, der nicht nur des Versuches, sondern auch jeder Unter-
stützung wert ist An dem gut gewählten Programm waren solistisch mehrere bewährten
Kölnischen Kräfte mit Instrumental- und Gesangsvorträgen beteiligt. Das Beste aber
bot der Verein selbst, indem er unter seinem trefflichen Dirigenten Carl Reuther eine
Anzahl Chöre der verschiedensten Komponisten, darunter Reuthers stimmungsreiches
«Sonntags am Rhein*, in virtuoser Weise sang. — Es hat einigermassen eigentümlich
berührt, dass man, um Geld zu einem Grabdenkmal für den verstorbenen städtischen
Kapellmeister Dr. Franz Wüllner aufzubringen, ein Konzert veranstalten musste. Wollte
man den Toten ob seiner Verdienste ehren, so hätten, wie man doch denken sollte, die
Mittel zu einem Monumente zur Verfügung sein müssen, ohne Appell an das Mitmachen
des Publikums. Die Vorstände der drei Korporationen, denen Wüllner hier diente,
nämlich der Konzert-Gesellschaft, des Konservatoriums und der Musikalischen Gesell-
schaft, hatten das Konzert im Gürzenich veranstaltet und der Besuch war ein ziemlich
zahlreicher. Haydns »Schöpfung* fand unter Fritz Steinbach eine namentlich im Orchester
ausgezeichnete Aufführung. An der Spitze der Solisten stand der meisterliche Messchaert,
während die Sopranistin Frau Hinken-Cahnbley ihre gutgeschulte Stimme allzu monoton
und ohne Gemüts-Anteilnahme verwendete, und der Tenorist Jungblut dartat, dass seine
ansprechenden Mittel noch weiterer künstlerischen Feilung bedürfen. Paul Hiller.
LEIPZIG: Wie bei Bamum und Bailey zu gleicher Zeit in drei Arenen gearbeitet wird,
so haben hier im grossen Musikzirkus Leipzig fast gleichzeitig die drei grossen
Orchesteruntemehmungen ihre Winterspiele aufgenommen; dem ersten Philharmonischen
Konzert (Winderstein), das im Saal des Zentraltheaters stattfand und das Beethovens
Siebente, Wagners Kaisermarsch und Liszts A-dur-Konzert und Totentanz, meisterhaft
interpretiert von Femiccio Busoni, gebracht hatte, folgte das erste Gewandhaus-Konzert
mit Zauberflöten-Ouvertüre, Tanzsätzen aus Glucks »Orpheus*, der siebenten Symphonie
▼on Beethoven und solistischen Vorträgen von Helene Staegemann, deren zarttonig
distinguierte Liedergaben lebhaften Beifall fanden, und nun hat auch das erste der
»Neuen Orchester-Abonnementskonzerte* (Eulenburg) in der Alberthalle stattgefunden
und mit schönen Vorführungen dreier Beethoven -Werke, der dritten Leonoren-Ouvertüre,
der dritten Symphonie und des vierten Klavierkonzertes durch die von Felix Weingartner
236
DIE MUSIK III. 3.
geleitete Chemnitzer Kapelle und durch Alfred Reisenauer sehr lebhaft angesprochen.
Im Gewandhaus-Konzert unter Nikisch gelangen besonders schön die Gluckschen Tanz-
sitze und die Beethoven - Symphonie, deren Allegretto Prof. Nikisch allerdings in ein
Larghetto umkomponiert, während die Wiedergabe der einleitenden Ouvertüre hinter be-
rechtigten Gewandhausansprüchen zurückblieb. Gegenüber Nikischs geistvoller aber häufig
auch blasiert-kraftloser Interpretationsweise musste Weingartners enthusiastischeres, ener-
gischeres Zupacken einigermassen erfrischend wirken, wobei es allerdings nicht ver-
schwiegen sein mag, dass auch bei Weingartner des Gedankens Blässe und ihre Folge-
erscheinung, die Pose, oftmals recht aufnilig zu Tage tritt. Der moderne Reisedirigent
muss eben das ganze Publikum für sich gewinnen, und da unter diesem viele Taube
sind, die Musik mit den Augen zu geniessen pflegen, so ist ein bisschen Schauspielerei
eben unerlässlich geworden. Schade, dass bei den drei Konzertuntemehmungen nicht
das Bestreben vorwaltet, durch eine gewisse Gegensätzlichkeit in der Aufstellung der
Programme die musikalische Erziehung und Heranbildung des Publikums gemeinsam zu
fördern, was eher geschehen könnte, wenn beispielsweise einem klassischen Gewand-
hausprogramm von Seiten der Herren Eulenburg und Winderstein Kompositionen der
Frühklassiker und der Romantiker, sowie neuestes von Strauss und anderen gegenüber-
gestellt würden, und umgekehrt, als wenn Leipziger Musikfreunde und vornehmlich die
Musikstudierenden eine ganze Woche lang fast ausschliesslich mit Beethoven und gar
mit Wiederholungen desselben Werkes in ungleichwertiger Ausführung regaliert werden.
Bei dem reichen Konzertleben Leipzigs müsste jede Woche gleichsam einen kleinen
Oberblick über die Gesamtentwickelung der Tonkunst — nicht aber nur über einen
engeren, sei es auch den wichtigsten Abschnitt der Musikgeschichte geben. Vor dem
Wagner-Zyklus im Stadttheater, über den im nächsten Heft berichtet werden soll, trauen
sich die kleineren Solo-Konzertabende noch nicht so recht hervor; doch hi^t es immerhin
bereits einige derartigen Ereignisse gegeben, von denen ein beifällig aufgenommener Lieder-
und Deklamationsabend des Baritonisten Max Wever aus Wiesbaden und seiner Gattin
Franziska Wever, sowie das Konzertdebut der von Kapellmeister Robert Erben begleiteten
Gertrude Lucky, die mehr mit ihrem Stimmmaterial als mit ihrer Stimmbehandlung zu
interessieren vermochte, erwähnt sein mögen. Arthur Smolian.
LONDON: Von dem Zwang, den die Mode hier übt, kann sich einen Begriff machen,
wer die einfache Tatsache verzeichnet, dass im Monat September nicht eine einzige
musikalische Veranstaltung, mit Ausnahme der Promenaden-Konzerte in Queens Hall
stattftind, für die nächsten vier Wochen aber allein in St. James Hall, also einer einzelnen
unter den vielen grossen Konzerthailen, 45 grosse Aufführungen angekündigt sind. Es
fehlt natürlich kaum ein einziger namhafter Virtuose: Kubelik, Sauer, de Fachmann,
Josef Hofmann, Busoni, Ysaye h tutti quanti stehen auf dem Programm. Einen
späteren Kulturhistoriker mag die interessante Tatsache beschäftigen, dass sämtliche
Konzerthallen Londons jetzt in das Eigentum oder die Verwaltung von Pianoforte-
febrikanten übergegangen sind. Die Firma Chappell hat Queens Hall und St. James*
Hall, Bechstein- und Steinway Hall bezeichnen schon durch ihren Namen ihre Eigen-
tümer, ebenso die Brinsmead Rooms und die Salle Erard. Bleibt nur noch die Gros-
venor Galerie und auch diese ist von einer Klaviervertriebsgesellschaft, die die «Weber
und Wheelock Pianos* herstellt, für die kommende Saison gepachtet worden. Über die
Promenaden-Konzerte in Queens Hall, die auch in diesem Jahre unter Leitung Henry
Woods ihren guten Ruf bewährt haben, wird nach dem bald eintretenden Schluas
einiges anzumerken sein. Nur heute schon soviel, dass der durch den starken natio-
nalen Impuls aufgenötigte beträchtliche Kultus der »rein englischen* Komponisten mit
einem noch grösseren künstlerischen Defizit abschloss, als die früheren Versuche. A. R.
237
KRITIK: KONZERT
RIGA: Ständige Giste haben uns bisher im Konzertsaal besucht: Raimund von Zur-
Mühlen, Anna Stephan und Frau von Niessen-Stone gaben in kurzer Aufeinander-
folge mehrere Liederabende, ein jeder von ihnen nach seiner Art die Vorzüge seiner
Kunst wirksam zur Geltung bringend. Zum erstenmal bei uns erschien der Tenorist
Alfred Rittersbaus. Er hatte sein Auftreten mit der denkbar energischsten Reklame
insceniert, seine Bekanntschaft brachte aber durch die unmusikalische Art seines Singens
und durch ein Programm, das einem das Gruseln lehren konnte, allgemeine Ent-
tioschung. Ich glaube, wenn dieser Tenorist Frau Venus die Worte zurufen würde:
»O, Königin, Göttin, lass mich zieh'n!*' sie hätte keinen Grund, ihm sein Abschieds-
gesuch zu verweigern. Carl Waack.
SCHWERIN: Herr W. Kruse vom Stadttheater in Mainz gab einen Lieder-Abend und
errang mit seiner schönen Baritonstimme grossen Erfolg. Prof. Berwald und Frau
aus Syrakuse (New- York) und der hiesige Konzertmeister Meyer veranstalteten ein Konzert,
in dem mehrere Kompositionen Berwalds (darunter eine Violinsonate) verdientes Interesse
fknden. Kammersänger Karl Mayer hatte mit einem Lieder-Abend den gewohnten Beifall,
aufe beste unterstützt von der Hofpianistin Emma Monick. In einem Konzert, das Frau
Prof. Schmidt-Köhne und Prof. Lutter veranstaltet hatten, erregte der letztere wegen seiner
ausgezeichneten pianistischen Leistung Bewunderung. C. Burmeister.
STUTTGART: Bis jetzt nur eine Flut von Solistenkonzerten! Als einheimische
Künstler nenne ich: Prof. Seitz, der das 25jährige Jubiläum des Dienstes in der Hof-
kapelle mit einem Violoncellkonzert feierte; Frau Tester, eine Sopranistin von grosser
Stimme und ebenso grossem Können; den Pianisten Dünn, Lehrer am Konservatorium,
dessen Streben zu den besten Hoffnungen berechtigt. Der Baritonist Reusch (von
Friedberg begleitet und durch selbständige Vorträge abgelöst) scheint nicht nach Gefühls-
tiefe zu graben. Ein Konzert der Frau von Rhyn und des Tenoristen Bergen flösste
Hochachtung vor der zwar kühlen, aber vornehmen und doch sehr sympathischen
Sopranstimme ein und zeigte Bergens Kunst von der besten Seite; das Programm war
bemerkenswert und für Bergens Idealismus bezeichnend. Frau Köhnemann-Zinnow
entwickelte eine schöne, nur durch knappen Atem gehinderte Altstimme, vielseitiges
Vortragstalent, berücksichtigte dabei mehr den Geschmack des Salons. In einem
Konservatoriums konzert trat die Sopranstimme von Frl. Schreier hervor als für die
Öffentlichkeit reif an Schönheit und Gewandtheit. Dr. K. Grunsky.
ZORICH: Die Anfänge der Tonhallevorführungen schlössen sich an die guten Orgel-
konzerte von Hindermann im Grossmünster an; dann begrüsste man als Introduktion
Angerers Prüfungen seiner Musik-Akademie, deren Besuch alljährlich mehr zur fashionabeln
Pflicht wird, allerdings auch höchst interessant ist. Dass zu Kirchners Andenken, der
doch fast ein viertel Jahrhundert in Winterthur gewirkt hat, kaum Stimmen in den Tages-
blättem sich zu dürftigsten Epilogen regten, wurde arg beklagt und nun steht ein würdiges
Erinnerungskonzert in Aussicht. Die Saison der grossen Konzerte brachte frisch und
ewigjung unsern Hegar, dem namentlich die Interpretation der „Siebenten*' hinreissend
gelang. Daneben bewunderte man den Geiger Prof. Kruse aus London, dem das Epitheton
Virtnose in seiner herabsetzenden Nebenbedeutung absolut nicht zukommt. Der un-
weigerlich ausverkaufte Saal macht sich kurios neben den leeren Häusern der dramatischen
Kunst. Auch das Streichquartett gab bereits den ersten seiner soliden Kammermusik-
abende. Wi Niedermann.
EINGELAUFENE NEUHEITEN
MUSIKALIEN
Hecior Berliot: Ouvertiires, bearbeitet t&r n«oofOrte zu 2 Hindea von Otto Taub-
mann. No. 1: »Taverley-; No. 2: JtSmUcher KarnaTal*; No. 3: .Beatrice
uod Benedict*; No. 4: »Sylpbeo-Tani* und No. 5: .Tanz der Irrlictatei*
ans .Fansts Verdammung". (No. t bis 3 i M. 2; No. 3 und 4 li M. 1.)
Verlag: Breitkopf & Hirtel, Ulpzig.
G. F. Hindel: Terice für Kammermusik; Kammenonate No. 6 fBr Cembalo und Flauto.
Bearbeitet von Max Seiffert. (M. 1,80.) Ebenda.
F. Teingartner: op. 34. Quartett No. 3 in F-dur fQr 2 Violinen, Bratsche undViolon-
cell. Partitur und Stimmen. (M. 3.) Ebenda.
Pb. Schirwenfca: op. 113. An den KSnig; 4a Ode von F. G. Klopslock Rir Chor,
Sopranaolo, Orchester und Orgel. Klivierausiug. (M. 2.) Ebenda.
Bach: ,Tlr eilen mit schwachen, doch emsigen Schrlnen', Duett aus der Kantate No. 78;
,Jesu, der du meine Seele'. Bearbeitet von Siegfried Ochs. (M. 1.) Ebenda.
Anton Megner: op.20. Suite fQr Vloloneell und PlanofOrte. (M. 3.) Klassische Stücke
fQr Unterrichts- und AuffQbrungszvecke der Mltlelschnlen, sowie zum Ge-
brauche In Orcbesterverelnen. Bearbeitet von Dr. Heinrich Schmidt. Heft 4.
(M. 3.) Ebenda.
A. Bird: op. ^. No. 2: Valse menuet, tDr Streichorchester. (M. 1.) Ebenda.
Friedrich Gernsheim: op. 74. Ffinf Gedichte von Otto Julius Bierbaum. No. I:
Letzte Bitte; No. 2: Frauenhaar; No. 3: Abend; No. 4: Flieder; No. 5: Stnm-
lled. (No. I bis 4 k M. 1, No. 5 M. 2; zusammen M. 3.) Verlag: Chr. Priedr.
Vleweg, Beriln-Groas-Llchterfelde.
Otto Teber: .Mir Ist, als wehe es über mich bin . . .", Lied für eine Slagstlmme mit
Klavierbegleitung. (M. 1.) .Auf Gassen der Heimat." Gedichte von A. Lobsien,
ffir eine Singstimme mit KlavJBri>eglaltung- (M. I.) .Ich glaub*, lieber
Schatz . . .', Gedicht von Anna Ritter, fQr eine Singstimme mit Klavlef
begleimng. (M. 1.) Vertag: K. Perd. Heckel, Mannhelm.
Richard Kahn: .Die Verwaisten", zwei Lieder für eine Singstimme mit Bereitung des
Planobrte. No. t: .Leise klagt der Soeenbusch', Gedicht von R. Volker
(M. 1,20); No. 2: .Tenn der Schwermut Schatten lauem", Gedlcbi von Thekla
LIngen. (M. 1,50.) Ebenda.
Ernst Heuser: op.40. Drei KlavieratScke. No. 1: Intermezzo. <M. 1,50); No. 2: Impromptu.
(M. 1^; No. 3: Csnzonetta. (M. 1,25.) Vertag: Julius Hainauer, Breslau.
Ludwig Schf tte: op. 128. Scinea de Pantomimca für naao. No. I bis 3. (No. 1: M. I,
No. 2: M. 1,50, No. 3: M. 1,25.) Ebenda.
Eraat Flfigel: op. 61. Talzer In C-dur. (M. 1,50.) Ebenda.
Ed. Poldlnl; op. 38. .Dekamsron." Novellen und Novelletten fOr Klavier. No. 5:
Phantaatlschea Stück In E. T. A. Hoffimanna Manier. (M. 3.) op. 30. .Blumen*
(nach Sprüchen von Fr. Rücken) für Klarler. (M. 2,sa) Ebenda.
Carl Reinecke: op. 2B4. Trio für PlanofOrte, Klarinene und Viola. (M. 7.) Veriag:
Banbelir Senf, Leipzig.
W. Junker: op. 42. Denxitme Fantasie pour Piano. (M. 2.) Ebenda.
Ferd. Tblerlot: op. 78. Okten für 4 Violinen, 2 Bratachen, 2 Violoncelle. (M. 12.)
op. 79; Vier Motetten für Sopran, Alt, Tenor und Baas. (No. I bis i
230
EINGELAUFENE NEUHEITEN
ä M. 1^ No. 4 Mk. 2^.) op. 80. Quintett in a-moll für Pianoförte, Hoboe^
Klarinette, Hom und Fagott. (M. 10.) Ebenda.
Carl Piepe: op. 20. Drei Lieder nacb Texten von Otto Julius Bierbaum und Arno
Holz für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. No. 1 bis 3. (M. 1,50.)
Verlag: Mano Naerger, Berlin-Friedenau.
Emil Magnus: op. 12. Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. Heft 1^
No. 1 bis 3. (M. 1,80.) Ebenda.
Joh. Seb. Bach: Klavier-Werke. Band XIL 16 Konzerte. Mit Fingersatz und Vortrags-
zeichen versehen von Carl Reinecke. . 2. Abteilung No. 9—16. (M. 2.>
Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Hector Berlioz: op. 6. »Der fünfte Mai,*' Gesang auf den Tod des Kaisers Napoleon.
Deutsch revidiert von Felix Weingartner. Klavierauszug mit Text von
Otto Taubmann. (M. 1,50.) op. 26 »Kaiserhymne*' für 2 Chöre. Deutsche
Übertragung von Emma Klingenfeld. Klavierauszug von Philipp Schar-
wenka. (M. 3.) »Resurrexit* für Chor und Orchester. Klavierauszug mit
Text von Otto Taubmann. (M. 1^.) »Religiöse Betrachtung* für Chor und
Orchester. (Aus »Tristia* op. 18 No. 1.) Klavierauszug mit Text von Otto
Taubmann. (M. 1.) »Heroische Scene** (Der Aufstand der Griechen).
Deutsche Obersetzung von Emma Klingenfeld. Klavierauszug mit Text von
Otto Taub mann. (M. 3.) Ebenda.
N. Paganini: Sechs Capriccios und Thema mit Variationen für Violine mit hinzu-
komponierter Begleitung von Otto Singer. (M. 3.) Ebenda.
Ferd. David: 60 Duette für 2 Violinen. Bearbeitet von Dr. H. Schmidt Heft I u. II
(ä M. 1,50). Ebenda.
J. L. Nie od 6: op. 22. Ein Liebesleben. 10 Poesien für Pianoforte. (M. 4.) Ebenda.
X. Scharwenka: op. 77. Heft 2. Beiträge zur Fingerbildung. Technische Klavier»
Studien. (M. 3.) Et>enda.
Augost Stradal: Sechs Gedichte von Carl Stieler für eine Singstimme mit Klavier-
begl. (M. 2,50.) Drei Gedichte von Hildegard Stradal für eine Singstimme
mit Klavierbegl. (M. 1,50.) »Wegewart*' von S. Volff. Lied für eine Sing-
stimme mit Klavierbegl. (M. 0,60.) „Auf der Puszta* von Hildegard Stradal
für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 1.) Vier Gedichte von H. Stradal
für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 2.) «Versunken**, Gedicht von
Carl Stieler für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 1.) Drei Gedichte
von H. Stradal für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 1,50.) Drei Ge-
dichte von C. Stieler für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 1,50.>
vSchwanenlied,* Gedicht von E. Grifln Ballestrem für eine Singstimme
mit Klavierbegl. (M. 0,80.) Zwei Gedichte von H. Stradal für eine Sing*
stimme mit Begleitung des Pianoforte. (M. 1,50.) »Vidmung,** Gedicht von
Carl Stieler für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 0,80.) Zwei Gedichte
von H. Stradal für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 1,20.) Drei Lieder
für eine Singstimme mit Klavierbegl. (M. 2,50.) Verlag: J. Schuberth & Co.,.
Leipzig.
£• Hamperdinck: „Unter der Linde^ (M. 1,20.) Gesang der Rosenmidchen aus „Dom-
röschen* für Sopran und Alt. (M. 1,50.) Verlag: Max Brockhaus, Leipzig..
Gonnar Foss: op. 5. Drei Tonstücke für die Orgel. Verlag: Wilhelm Hansen, Leipzig.
Fred« Matth. Hansen: Choral med Variationes for Orgel. Ebenda.
fiDMuduögtB fiiMi nur an die Redaktion m adressieren. Besprechung einselner Werke vorbehalten. Fär dlr
Suprfirhiiin UBTerlangt eingesandter Bücher und Musikalien, deren Rücksendung keinesfiJls stattfindet, fib«r>
nehmen Redaktion und Verlag keine Garantie.
Du Bild von Jmcques Offenbach, dem sVoUender der Operette', wie ihn der Inier-
esunte Auhati Ton Erleb Urban taeUit, du den Komponliten im Alter von
28 Jahren daratellt, iat nach einem ultenen franiBilichen Stich antetbrtict
ElBen nicht minder bekannten *f£ Prankreich natarallaierten deutschen Tenietier, der
wie Offenbach VergStterunf und Unterachltznnf In (leichem Muae erhhren hat,
zeigt ala IlluatraHon des Artikels von Prod-hömme du wohl|elnngene Portrll de*
mnaikalischen Kosmopoliten Glacomo Meyerheer nach dem trefflichen Krlehuber-
schen Stich. Eine Schriftprobe stellt der beigefOKte knne Brief dar, den wir im
Faksimile wfederseben.
Die I>hatocrapfaie von Marie Geiatlnfcr, der eminent vlelsellI(eD, auf dem Gebiet
der Operette Ihr HBchates bietenden kDnÜch verstorbenen Kfinstlerin fehflrt mm
Gedenkblatt von Max Steuer.
An den sehnjlhrigen Todeslaf des bedeutendsten russischen Komponisten der Gegen-
wen mSfe die Abbildung des Tschaikowsky-Denkmals erinnern, du im Peters-
burger Konservatorium seine Helmstitte hat
Von Ludwig Richter, dem gem&tvollen, nnübeRrefflictaen Schilderer deutschen Volks-
tums, dessen hundertster Geburtstag neulich b^angen wurde, bringen wir die
Reproduktion eines lithographierten Titelblatts, du er 1840 zu Schumanns op. 79
entworfen hat.
Die Bruckner-Plakette von Tantenhayn-Tlen, d)e nur In wenigen Exemplaren seprlgt
worden ist, atammt aus der Zelt der Tlener Denkmala-Bnihflllung.
Unsere diesmalige Muslkbelisge hat inm Verfsaser den In jüngster Zeit vielgenannten
erst 23 Jshre slten MQnchener Komponisten Ernst Boche. Du drollige
Buuesche Gedicht „Du Kitzchen" Ist von dem begabten Künstler In lasserst
lustiger Telse vertont worden.
Verantwoitllcber ScbrlMelter: KapellmoiMer Bernhard Schtuter
Beriin SW. 11, Lnckeswalderttr. 1. 111.
JACQUES OFFENBACH
mar^t-o
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a^^ay^U /rP^rtcx- tn^iUot.
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BRIEF VON MEYERBEER
III. 3
MARIE GEISTENGER o
t29. SEPTEMBER 1903
o DAS DENKMAL TSCHAIKOWSKYS o
IM PETERSBURGER KONSERVATORIUM
TITELBLATT VON LUDWIG RICHTER
ANTON BRUCKNER.PLAKETTE
VON J. TAUTENHAYN JUN. o
Sehrrasdi.
Immer mit Pedafgthrauck,
^
ein Kall . chen an-gespnuigen
an-ffespnuuren so den Wie - - sen-rain eot-lai
T=T
j' J, j^ ji^iJ. Ir Jii r |i \^ M
hört es ei-nes Ice - cken Jnn - - gen seiimet - temd liel-len Lost -
8acli4e soldea - nigst dann das Wei - -te links vom grfi-nenWie- - sen-
imin.
Etwas langsamer.
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Korn ein Häd - - chen an - ge-^En-%en
JEtioas langsamer.
Bosch.
gani ge - nan denselben Steg,
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brau-nes Haar, ver-brannte Wan-gen,
Rasch.
bestimmt
^* J^it ii i'fj^
TTistfer €tu>aa ruhiger.
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trat der Bursch ihr in den Weg..
Wieder etwas ruhiger.
iff j>Tr|»r?,fr|»rfr?T^
molto
Fanden bald ein heimlich Pläts - eben, o du wunderschöner Mail.
Wieder sehr Mha^ft.
Wieiier sehr lebhaft.
f^f
Ja, das Mädel war kein Katsehen
Pi iTHilM 1)1
deshalb '^*^*" esnichtvor-
Rtlch v.Dmckt Bariin^r MmlkAUea Drvokerel 6.B.lkH. CkArl«ttMkari|.
DIE MUSIK
Der feinste Verstand ist ntcbt vermOgend,
ein wahres Kunstweric hervorzubringen; oder
M wird immer das Büd des Unlebendigen,
des Tolen m sich tragen. Jedes wahrhaft
lebendige, jedes aus dem Geiste gebt
Veik entslehi aus der Vollkraft des Lebens,
und entwickeil sieb nach äusseren und
Bedingungen durch sich selbst, durch untere
und obere Einflüsse. Es ist Natur und Gnade.
Ludwig l
chier
IM. JAHR 1903/1904 HEFT 4
Zweites Novemberheft
Herausgegeben
von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig
jgas Fest des masikaljschen Fortschritts, das uns der wagemutige
\ Volfnim, der Mann der eisernen Energie, in Heidelberg be-
I leitete, ist glänzend verlaufen. Um so schwerer wiegt der Erfolg,
er von einer sehr häkltgen Zuhörerschaft bekräftigt warde:
seit 1882, dem unvergesslichen ersten Jahre der Parsifal-Auff&hningen,
aab man nie so viele Kritiker and Füllfedern beisammen als jetzt in der
Denen Stadtballe am Neckar. Wer ausblieb und nicht gegen seinen Willen
znräckgehallen wurde, hat alle Veranlassung, es zu bereuen : denn schon
heute bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass das Heidelberger Fest einen
Wendepunkt in unserem gesamten Konzert- und ÖfFentltchen Musikwesen
bedeutete.
Was ist als Hauptergebnis jener an edlen Genüssen wie an belehr-
tamen BrMintngen Überreichen Tage anzusehen?
Dass selbst in einem Räume, der nichts weniger als einen echten
und rechten Musiksaal darstellt, durch zweckvolle, mit Takt und Geschmack
getrofhne Vorkehrungen, durch Tieferlegung des Orchesters, beziehungs-
weise durch Verdeckung des ganzen Musikapparates sich ausserordentlich
bedeutende Ideale Wirkungen erzielen lassen.
Wer vor dem Beginn der ersten Festaufführung die Halle betrat, hatte
ein Gefühl der EnttXuschung niederzukämpfen. Das war ja wiederum der
Gesellschafts-, der Kasinosaal ohne bestimmte architektonische Physlo-
gnomie, wie man ihn so ziemlich In allen deutschen Residenzen und mittleren
Stidten findet: rechteckiger Grundplan, breite umlaufende Galerieen im
ersten Stock; am Mittelbalkon die landläufigen Stuckverzierungen im Kondltor-
stll; in den Oewölbekappen gleichförmige, riesige Reichsadler mit aus-
gerenkten FIngeln; an der Decke spielerisch angebrachte rote, blaue und
gelbe Glühlichter. Unwillkürlich sucht der Blick nach der üblichen, wie
aus einem Kinderbaukasten herausgepackten, vom grellen Schein der Bogen-
lampen fiberfinteten Estrade, auf der das theatralische Gebahren von Diri-
genten mit der Byron-Locke und dem .süssen* Augenauhchlag, die Ver-
rahrungskünste der Solistinnen, die für ein hochmodernes Schnelderatelier
Reklame machen, und die akrobatiscben Obnngen sämtlicher Instnimen-
16»
244
DIE MUSIK 111. 4.
talisten das rechte Relief erhalten. Doch Ungewohntes zeigt sich unseren
Blicken. Wir gewahren eine weite Nische, vor der sich eine ziemlich
hohe, auf einen dunkelroten Ton gestimmte, oben am Rande nach innen
umgebogene Wand hinzieht. Dahinter, zu Beginn des Rundes, rechts
und links ein Boskett hochstämmiger, grüner Pflanzen. Tribünen, Pulte,
Musiker sind nicht zu sehen. Im Hintergrunde die Reihe der Orgel-
pfeifen, von schlichtem, dunklem Holzwerk umrahmt. Ein Vorhang in der
gleichen Farbe und ebenso gemustert wie jene Schallwand wallt von der
Brüstung einer unter dem gewaltigen Instrumente befindlichen Galerie
herab und verdeckt die Sängerinnen, die den abschliessenden Chor in
Liszts Dante - Symphonie auszuführen haben. Und nun wird, in wohl-
geregelten Abstufungen, die Halle soweit verdunkelt, dass nur noch ein
massiges Dämmerlicht herrscht. Das in seiner monumentalen Einfachheit
grandiose Thema der Bachschen Orgelfiige in Es-dur erklingt : verschwunden
ist alles Kleinliche, Weltliche, der ganze Trödelkram und Markt der Eitel-
keiten rings um uns her. Befreit atmen wir tief auf: wir sind im Heilig-
tume der grossen Kunst, die uns ans Herz greift wie nie zuvor. Still,
ehrfurchtsvoll lauscht die gesamte Gemeinde, die Ungläubigen, die Zweifler,
die sich willig Hingebenden der Stimme des Genius.
Solches habt ihr im Gotteshause auch an euch erfahren, hör' ich
sagen. Recht wohl; wem gereicht es zum Leide, wenn uns auch jeweilig
im Profanbau religiöse oder dem Religiösen verwandte Stimmungen um-
fangen? Nach einer kurzen Pause setzen die Instrumente mit dem
Abendmahls-Thema des Vorspiels zum «Parsifal** ein. Welches Wunder
begibt sich? Sind wir wie mit einem Zauberschlage an die Weihestätte
von Bayreuth versetzt? Vieles klingt ähnlich, wie man es dort im Amphi-
theater hört, wenn auch ein völliges Ineinanderaufgeben der Streicher-
und Bläserchöre nicht zu ermöglichen ist, wie es die Gesamtanlage und
die unvergleichliche Akustik des Festspielhauses bewirken. Doch der
relative Gewinn gegenüber Aufführungen mit offenem Orchester ist so
gross, dass man sich sagt: begehen Wagnerianer einmal die Inkonsequenz,
dass sie das herrliche Stück, den Absichten seines Schöpfers zuwider, von
der Bübnenhandlung loslösen, so können sie es allein in einer der Heidel-
berger Einrichtung analogen Art zur Aufführung bringen. Wie weit hier
die Illusion, in die Sphäre eines feierlichen Dramas einzutreten, durch die
Verdunkelung des Raumes genährt wird, das bedarf keines umständlichen
Nachweises.
Es war ein feinsinniger Gedanke Wolfrums, diesem Vorspiele Liszts
Symphonie zu Dante's «Divina commedia" folgen zu lassen. Von den
jedem modernen Musiker geläufigen thematischen Wechselbeziehungen zu
schweigen: wohl in keiner anderen Tondichtung Liszts nähert sich seine
245
MARSOP: VOM MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
Instrumentation, vornehmlich in der Behandlung der tiefen Holzbläser bei
rezitativischen Stellen, so beträchtlich der wagnerischen. Läuterung und Ver-
klärung ist ferner der Grundgedanke beider Werke; auch der «Parsifal*
führt uns von der Hölle durch das Fegefeuer — Einleitung zum dritten
Aufauge — in den Himmel. Ich muss bekennen, durch die Heidelberger
Wiedergabe zur Symphonie Liszts in ein weit innigeres Verhältnis getreten
zu sein ; nicht wenige derer, die dem ersten Festkonzert beiwohnten, teilten
mit mir die Empfindung, dass wir ihr erst jetzt völlig gerecht werden
können. Liszt zog es seiner Zeit in Erwägung, die Vorführung der beiden
Sätze mit Dioramen-Bildern begleiten zu lassen. Sollte er überhaupt an
dieser Idee festgehalten haben, so würde er sicherlich von ihr zurück-
gekommen sein, wenn es ihm beschieden gewesen wäre, eine Wiedergabe
des Werkes mir verdecktem Orchester und bei Verdunkelung des Saales
zu erleben. Um wie viel stärker arbeitet unter solchen Gegebenheiten
die Phantasie des empfänglichen Hörers! Und es ist ja der sehnliche
Wunsch nicht nur des wahrhaften Tondichters, sondern jedes echten
Künstlers: dass der Mitgeniessende gleichsam zum NachschafFenden, also
im hohen Sinne zum künstlerischen Genossen werden möge. Mühelos fanden
wir zu Heidelberg den Zugang in die Stimmungswelt Liszts. Alles schien
mit verdoppelter Bildkraft sich darzustellen; die Sologeige, die Klarinetten
dfinkten uns wie lebende Wesen zu reden. Es war, wie wenn uns ein
Riesenvogel auf seine Fittiche genommen hätte und mit uns durch die
Kreise des Inferno auf- und niedergeschwebt wäre. Niemand brauchte
noch einen Kommentar, niemand dachte mehr an ein Diorama. Auch die
Dehnungen und Wiederholungen im zweiten Teile kamen uns als solche
kaum zum Bewusstsein. Es ging uns ähnlich, wie wenn es uns in einer
Galerie ein Gemälde besonders angetan hat und wir von einem unwider-
stehlichen Drange getrieben werden, immer wieder davor zu treten, es uns
von neuem einzuprägen. Wundervoll war am Schluss die Wirkung des
«Magnificat* — auch da ertönten, wie im Weihefestspiel, „Stimmen aus
der Höhe.«
Konnte neben jenen Tonschöpfungen Wagners und Liszts am gleichen
Abend einer der Lebenden mit einer symphonischen Dichtung zu Worte
kommen, so war es Richard Strauss mit „Tod und Verklärung.« So fasst
ein Moderner, der etwas zu sagen hat, den Kampf mit der Welt und mit
den allzu ungestümen Trieben in der eigenen Brust auf, so schildert er
das letzte Ringen mit dem Schicksal, das Hinüberschweben ins Nirwana,
80 symbolisiert er in aufsteigenden Klängen den immer heller erschimmem-
den Strahlenkranz des Nachruhmes. Auch zu Strauss konnten wir an
jenem Abend sagen : wir brauchen kein Programm. Nie zuvor ist uns deine
Linienführung so logisch, deine Architektur so übersichtlich erschienen. Wie
246
DIE MUSIK 111. 4.
aber der Polyphonie von Strauss, so kommt auch der Klangpracht seiner
Partituren das stufenweise abfallende, verdeckte Orchester und seine Idea-
lisierung durch die Schallwand zustatten. Freilich werden für eine Wieder-
gabe des „Heldenleben*, auch des «Zarathustra* innerhalb dieser An-
lage die einzelnen Instrumental-Familien anders zu gruppieren sein, wie
für die von „Tod und Verklärung".
Just durch die Heidelberger Erfahrungen ist mir's vollkommen deut-
lich geworden, dass die symphonischen Dichtungen unserer Tage ebenso-
sehr einer neuzeitlichen Orchesteranlage bedürfen, wie ein «Guntram*,
eine „Ingwelde*, eine „Rose vom Liebesgarten" des „mystischen Abgrundes"
zwischen Scene und Amphitheater. Die Schulmeister klagen gar beweglich
über die, wie sie sagen, übermässige Häufung der Bläser in den Instru-
mentalwerken von Strauss. Nun denn: wem Fortschrittsohren gewachsen
sind, der wird sich über jede ausgiebige Bereicherung der Darstellungs-
mittel freuen. Andererseits jedoch: je gewaltiger die dynamischen Ex-
plosionen im Musiksaal krachen, je mehr Systeme sich in der Partitur
übereinander auftürmen, je verwickelter sich das Gewebe der Stimmen
ausnimmt, um so notwendiger erscheint es, ein gelegentlich hervortretendes
Obermass von Tonfülle zu neutralisieren und es auch dem weniger Ge-
übten zu ermöglichen, das Miteinander ohne Anstrengung zu überschauen.
Mein verstorbener Freund Berwin legte mir einmal in der Bibliothek von
S. Cecilia zu Rom eine zweiundvierzigstimmige Messe von Bailabene vor.
Kaum dass ich hineinblickt, traten mir die Schweisstropfen auf die Stirn.
Dann aber wurde mein Angstgefühl wenigstens insoweit gemildert, dass
ich mir ins Gedächtnis rief, wie gut man in einer dämmerigen Kirche,
bei verdecktem Musikapparat, die Stimmen „übereinander" hört. Im
Konzertsaal kommen uns die Verdunkelung und die Schallwand zu Hilfe.
Wer sich ehedem in den von Hans von Bülow geleiteten Aufführungen
zum rechtschaffenen Zuhörer erzog, dem wird die kristallklare Orchester-
diktion des Meisters der Meister vom Stabe unvergesslich bleiben. Ich
hatte das Glück, gegenwärtig zu sein, als Bfilow einmal „Tod und Ver-
klärung" über alle Beschreibung schön herausbrachte. Dennoch habe ich
selbst damals Einzelheiten nicht oder doch nicht so deutlich gehört, die
mich zu Heidelberg in helles Entzücken versetzten. Die Folgerungen
liegen auf der Hand.
Wie Bülow, so ist auch Richard Strauss nur in sehr bedingtem Grade
Brucknerianer. Aber er bat es mit dem grossen Verewigten gemein, dass
er für jedes Werk, das auf seinem Dirigentenpult liegt, mit seiner ganzen
Persönlichkeit einsteht. So erzielte unter seiner Führung insbesondere
der erste Satz von Brückners „Neunter" zu Heidelberg eine tiefgreifende
Wirkung. Ein Staatsgeheimnis verrate ich nicht, wenn ich berichte, dass
247
MARSOP: VOM MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
Strattss in die liebliche Neckarstadt mit der Absicht kam, die Tonschöpfung
«offen* zu dirigieren, dass er jedoch, nachdem er mit der Einrichtung
'Wolfrums Fühlung gewonnen hatte, zum Entschluss gelangte, die Auf-
f&brung «gedeckt* zu leiten. Zum Heile des Wiener Symphonikers.
Auch fiber Brückner dürften wir unser Urteil in manchem umzurevidieren
haben, sobald erst sein gesamtes symphonisches Lebenswerk in Auf-
führungen mit unsichtbarem Orchester an uns vorübergezogen sein wird.
Schon in Heidelberg lernten auch die, welche ungefähr seit Anfang oder
Mitte der achtziger Jahre Bruckner-Propagandisten sind, nicht weniges hinzu.
Vor allem, wie tief Brückner in Richard Wagner wurzelt. Nicht auf Anklinge
an Themen der „Faust-Ouverture*, des „Tristan*, des »Parsifal*, wie sie
sich im dritten Satz der unvollendeten „Neunten* finden, sei damit hin-
gedeutet — dergleichen hört auch ein kleiner Konservatorist heraus.
Ebensowenig spiele ich auf die Verwendung der Tuben bei Wagner und
bei Brückner oder auf Ähnliches an. Vielmehr möcht' ich sagen: wir er-
fassen erst jetzt, wie stark der Dramatiker in der Seele des Symphonikers
reflektierte, der mehr oder weniger an den überkommenen Formen seiner
Kunst festhielt. Findet das von Wagner ausgehende glühende Licht in
Brückner sozusagen ein hinreichend grosses und reines Stück Spiegel-
fläche, dann entsteht Stimmungsmusik von einer Intensität des Ausdrucks,
von einer Wärme des Lokaltones, dass wir bald im Innersten erschüttert,
bald förmlich berauscht werden. Stösst jedoch jener Lichtstrom bei
Brückner auf Hemmungen, als da sind: Entwicklungsgesetze einer wenn
auch noch so ausgeweiteten Sonatenform, Grenzen der ästhetischen Kultur
und Auffassung, Brüchiges, Unausgereiftes, Unausgeglichenes in einer an
sich mächtigen Persönlichkeit, dann stockt die Produktion bei Brückner,
4ann gibt es für den anteilvoll Zuhörenden jene leeren Stellen, in denen
fortmusiziert, aber nicht fortgeschritten wird, dann klaffen Risse im Auf-
hau. Ober beides: über das reich und kühn Romantische in dem Brückner,
in welchem wir fast ein individuelles Stück Wagner verehren, und ebenso
fiber das unrettbar Fragmentarische in ihm erhalten wir erst vollen Auf-
achluss, wenn wir den gewohnten Mechanismus des Orchesters nicht mehr
Tor uns arbeiten sehen, uns nicht mehr einzureden vermögen, dass eine
solch ungeheure Mühle nicht leer gehen könne. Das Tragische in Brückners
Tondichtungen — ich möchte seine letzte Symphonie schlechthin «die
tragische* nennen — es kündet einerseits fraglos sein hartes Lebensgeschick,
sein Ringen mit sich, mit dem, was ihm Versuchungen zu sein dünkten, mit
Not und der sich feindlich gegen ihn kehrenden Aussenwelt. Es deutet
aber auch zum anderen auf das Kunstwerk, die Tragödie Wagners, ihren
Stimmung^kreis und Gefühlsinhalt. Der lyrisch-symphonische Strom fiiesst
tBMt immer aus diesen beiden Quellen zusammen. So auch in der «Neunten*,
248
DIE MUSIK III. 4.
will sagen in ihrem ersten und dritten Satze — dem ich nicht das «Tedeum*
des Meisters angereiht wissen möchte. Denn hier ist augenscheinlich Be-
jahung, in der Symphonie strikte Verneinung des Willens zum Leben, in-
soweit sie durch die Kunst und ihre Mittel ausgesprochen werden kann.
Der zweite Satz und sein Trio muten mich an wie zwei Totentanz-Blätter
voll grimmigen, verzweifelten Humors, die Orchestrierung durch Berlioz
befruchtet, die Form von Beethovenscher Straffheit, wie stets in den
Scherzi Brückners. Im übrigen sei auf die liebevoll und erschöpfend
durchgeführten Erläuterungen des Werkes verwiesen, die Karl Grunsky
in dieser Zeitschrift (IL Jahrg. Heft 11) und anderen Orts gegeben hat.
Vom genialsten aller Fragmentaristen zur problematischen Kunst an
sich, zum Melodram. Das .Hezenlied'* gewann sich beim Heidelberger
Fest noch stürmischeren Beifall, machte hier einen noch stärkeren Eindruck
als gelegentlich der Wiedergabe, die uns die Baseler Tonkünstlef"- Ver-
sammlung gebracht hatte. Ganz rein freilich war auch dieser Eindruck nicht,
konnte er nicht sein. Soweit ein Ineinanderaufgehen von Rezitation und
symphonisierender Darstellung überhaupt möglich ist, halfen dazu ebenso-
sehr Schillings, der im verdeckten Orchester aus seiner überaus reizvollen
Partitur als ausgezeichneter Dirigent die feinsten Abschattierungen des
clair obscur entwickelte, wie Ernst von Possart, der, frei über den Instru-
mentaiisten stehend, mit seinem über zwei Oktaven umfassenden Organ
wieder neue klangliche Wunder wirkte. Doch wenn selbst zwei Engel
Ton zu Ton, aber in verschiedenen Sprachen, fügten, ergäbe sich ein
Erdenrest, zu tragen peinlich. Dazu drängte sich zwischen den geistvollen
Sprecher und den selten feinfühligen Tondichter des öfteren jemand störend
hinein. Nämlich Ernst von Wildenbruch, der Verfasser des Textes. Ich
bin nicht Politiker, nicht einmal Demokrat, erfreue mich also harmlos
an den vortrefflichen Scenen in den HohenzoUemdramen des kurmärkischen
Schiller. Insgleichen schätz' ich ihn als gestaltungskräftigen Novellisten.
Aber für die tränenselige Pathetik seines Hezenliedes hab' ich nicht
allzuviel übrig. Wozu benötigt auch Schillings eines Wildenbruch ? Er ist
Manns und Poet genug, um aus Eigenem eine runde Dichtung zu Papier
zu bringen. Und zwar für ausgeführte Gesänge mit Instrumentalbegleitung,
wie just die neuen Heidelberger Einrichtungen und die an sie sich an-
schliessenden, aus ihr weiterhin sich entwickelnden sie zeitigen werden.
Solches und ähnliches war aus den Vorführungen zu lernen, die uns
bei völlig verdecktem Orchester zu Heidelberg geboten wurden. Jetzt
bitte^ich den Leser, durch eine der an den beiden Enden des Schallschirms
249
MARSOP: VOM MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
angebrachten Türen mit mir zu sclilfipfen und sich die Anlage in der Nähe
zu betrachten.
Als vor ffinfzehn Jahren die erste Aufführung der «Meistersinger*
im Festspielhause stattfand, wollte es mir, ungeachtet der ausgezeichneten
Leitung des damals noch jugendfrisch empfindenden Hans Richter und
seiner Getreuen, unbeschadet meiner bayreuthfesten Gesinnung doch
dünken, dass unter anderem im Vorspiel und während der Scenen auf
der Festwiese die Trompeten, in der Einleitung zum zweiten Akt die hohen
Holzbläser nicht ganz zu ihrem durch die Partitur gewährleisteten Rechte
kämen. Wie da Abhilfe schaffen? Ich schlug vor, die einzelnen Podien
der Orchesterterrasse derart von einander abzulösen, dass jedes von ihnen,
unabhängig vom anderen, durch hydraulische oder elektrische Kraft beliebig
hoch oder tief gestellt werden könnte — wobei dann natürlich über dem
Ganzen genügend freier Raum geschaffen werden müsste. Unsere Mechanik
wäre derart entwickelt, dass ein Druck auf einen am Dirigentenpult
befindlichen Knopf genügen würde, um eine «Etage* geräuschlos hinauf
oder hinunter zu bewegen. Beim Vorspiel zu den „Meistersingern^^ stünde
dann beispielsweise das Teilpodium, auf dem Trompeten und Posaunen
untergebracht wären, ziemlich hoch, würde aber sodann, sobald der Vorhang
sich teilte, abwärts gesenkt. Es wurden dazumal über diesen Vorachlag
allerhand Scherze gemacht — was mich nicht abhielt, ihn von Zeit zu
Zeit zu wiederholen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich mit ihm auch
im Theater durchdringen werde. Wagners Erfindung der verdeckten
Orchesteranlage, wie er sie im Festspielhaus ausgestaltete, ist sicherlich
eine geniale, aber recht wohl der Verbesserung fähige.
Wie ich mir eine ungefähr analoge Einrichtung für den „Musiksaal
der Zukunft^* denke, das habe ich in dieser Zeitschrift eingehend beschrieben,
und bitte die Gesinnungsfreunde, die sich mit unseren Reformfragen ernst-
lich beschäftigen, die hierauf wie auch die auf die ganze Konstruktion und
Ausschmückung des Saales bezüglichen Darlegungen freundlichst durch-
sehen zu wollen. („Die Musik,'' erstes Oktoberheft 1902 und erstes Juni-
heft 1003.) Aus Raumrücksichten habe ich hier Wiederholungen zu ver-
meiden. Im Musiksaal der Zukunft soll sich die veränderte Or-
chesteranlage als Kern, als Hauptbestandteil eines logisch
durchgeführten Bau-Organismus darstellen. Bis es jedoch soweit
käme, gälte es, in Räumen, wie sie einmal vorhanden sind, annehmbare
Provisorien zu schaffen, deren ich eine Anzahl skizzierte.
Nicht Reden, Taten sind entscheidend. Philipp Wolfrum bleibt das
Verdienst gesichert, die erste durchgreifende Reformtat auf dem viel-
umstrittenen Gebiete vollbracht zu haben. Einen idealen Saal, wie auch
er ihn sich erträumte, vermochte ihm keine gütige Fee aus dem Boden
250
DIE MUSIK III. 4.
hervor zu zaubern. Was er jedoch mit unerhörter Energie ungünstigen
Umständen abrang, das ist wahrhaft bewunderungswert. Sehen wir uns
seine Einrichtung an.
Die Mitte einer grossen, nischenförmigen Einbuchtung nimmt ein
ungefähr quadratisches Podium ein. Es zerfällt in vier Teile. Jeder ist
vom anderen völlig unabhängig und kann mit Hilfe einer Kabelwinde
beliebig hoch oder tief gestellt werden. Man vermag also alle vier Teil-
podien auf das Niveau des Saales zu bringen, daher für Feste, bei denen
die Musik nur gefällig Hilfsdienste leistet, den Nischenraum im Zusammen-
hang mit dem Saalparkett zu benutzen. Man ist imstande, selbige Teil-
podien von der Saalebene aus terrassenförmig aufsteigen zu lassen — die
bisher übliche Disposition — oder Stufe für Stufe abfallen zu lassen —
Anlage des Orchesterraumes im Bayreuther Festspielhause und im
Münchner Prinzregenten-Theater. Je nach Charakter und Instrumentierung
der wiederzugebenden Tondichtung ist somit der Dirigent fähig, die ihm
gut dünkende Anordnung zu treffen. Nun bedingten es die Rücksicht auf
die in Heidelberg für gewöhnlich zu Gebote stehenden Kräfte und der
haushälterische Sinn der Stadtväter, dass das Podium nur für einige fünfzig
Musiker berechnet wurde. Wolfrum brauchte aber diesmal eine ungewöhn-
lich starke, eine Musikfest-Besetzung — er hatte die „Meininger^^ und
Militärbläser der vortrefflichen Karlsruher Regimentsmusik Boettges zur
Mitwirkung eingeladen. Demgemäss sah er sich genötigt, einen Teil der
Streicher sowie die Harfen noch auf dem Niveau des Saales unterzubringen,
den Schallschirm, der sonst unmittelbar vor den allmählich abfallenden
Teilpodien steht, um ein massiges Stück in die Saalebene hinauszurücken
und ihn bis auf 2,40 Meter zu erhöhen. Dieser Schallschirm besteht aus
leichtem, gebogenen Holz und ist nach aussen zu mit einer tapetenartig
bemalten Leinwand verkleidet; er lässt sich durch Anwendung eines ein-
fachen Mechanismus um etwa dreiviertel Meter herunterschrauben. Auch
ist an ihm eine Art gleichfalls nach innen zu überhängender Kappe anzu-
bringen; man befestigt an seinem oberen Rande ein leichtes Reifengesteil
und überdeckt es mit einem weichen Tuch. — Von drei Seiten, rechts,
links und im Hintergrunde läuft um das Podium eine breite Estrade: sie
nimmt, wie das bei der Wiedergabe der Wolfrumschen Festmusik und des
„Taillefer^* geschah, die Chöre und die Gesangs-Soiisten auf. Sollen, wie
für die Aufführung der „Schöpfung^* durch den „Voikschor^S grössere
Massen untergebracht werden, dann ziehen sich die Teilpodien gegen die
Orgel zu aufwärts und bilden mit den umlaufenden Estraden eine die
gesamte Nische ausfüllende, ansteigende Sängerbühne.') Bei dieser Gelegen-
') Auch dieser Volkschor ist durch den unvergleichlichen Organisator Wolfrum
ins Leben gerufSen worden. Etwa fünfhundert Minner ond Frauen, denen man zum
251
MARSOP: VOM MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
beit musste das ganze, dem Haydn-Stil entsprechend verhflltnismässig
schwach besetzte Orchester auf der Saalebene Unterkunft finden, war aber
durch den Schallschirm gedeckt. Wer in Zukunft ein Podium nach dem
Vorbild des Heidelberger konstruiert, wird es ansehnlich geräumiger an-
tuen mfissen, damit auch ein modern ausgestattetes Orchester und eine
Anzahl Sflnger auf den absteigenden Flächen unterzubringen sind. Zu
erwähnen ist noch, dass der nach Wolfrums Angaben gefertigte, mit den
Pfeifen durch ein elektrisches Kabel und einen Luftschlauch verbundene
Spieltisch für die Orgel an jede beliebige Stelle, also auch unmittelbar
neben das Pult des Dirigenten gerückt werden kann.
Treten wir jetzt wieder in den Saal zurück. Wie nimmt sich das
Gesamtbild der Nische bei verdecktem Apparat und stark eingezogener
Beleuchtung aus?
Vom Parkett aus gewahrt man weder die Ausführenden noch den
Dirigenten. Ebensowenig vom Mittelbalkon. Hingegen sieht man von
einer Anzahl Plätze der Seitengalerieen die tief sitzenden Bläser, das
Schlagzeug, schliesslich auch den Kapellmeister. Wird demnach ein Saal
von herkömmlicher Bauart mit der Wolfrumschen Orchesteranlage versehen,
so ergibt sich folgerichtig die Notwendigkeit, ähnliche Seitengalerieen etwa
zu drei Fünfteln abzusperren.
Brennen im Zuhörerraum nur noch die sogenannten Notlampen —
die übrigens bei unruhigem Flackern der Flämmchen wunderliche Schatten-
bilder an der Wand hervorrufen und somit besser durch Kerzen zu
ersetzen wären — , ist also dort die Decken- und die seitliche Beleuchtung
durch Ampeln und Wandarme abgestellt, so erhält der Saal immer noch
soviel indirektes Licht von der Musiknische her, dass nicht nur die Form,
sondern auch die Farben des Schallschirmes deutlich zu unterscheiden sind.
Vom Balkon aus gesehen, nahm er sich gar nicht übel aus: er schien da
gleichsam als Unterbau für die im Hintergrunde aufragende Masse der
Orgel zu dienen. Weniger gut Hess er sich für die Zuhörer an, welche
die ersten Reihen im Parkett inne hatten, also dicht davor sassen. Indessen
ist billigerweise zu bedenken, dass in Heidelberg nur sehr bescheidene
Mittel zur Verfügung standen; für bare 500 Mark lässt sich eine solche
ausgedehnte, zerlegbare Holzwand, zumal wenn sie haltbar gearbeitet sein
soll und bei der Verlässlichkeit unserer durch sozialpolitische Angelegen-
heiten so stark in Anspruch genommenen Handwerker erst in der letzten
guten Teü den Kampf um das tägliche Brot ansah, standen vor uns und taten dem
Meisterwerke Haydns alle Ehre an: herzhaft sichere Einsätze, gute Aussprache,
IrtMndiger Vortrag. In einzelnen Gruppen, zu je fünfzig oder sechzig, waren sie von
Schttllefarem vorbereitet worden; manche kennen die Noten nicht und singen nach
dem Gehör.
252
DIE MUSIK III. 4.
Stunde fertig wird, beim besten Willen nicht noch mit erlesenem Ge-
schmack dekorieren. In Kunststädten wie München, Karlsruhe, Dresden,
Düsseldorf würde es den jungen Architekten und Malern weder sonder-
liche Mühe machen, noch viel Zeit kosten, einem solchen leichten Einbau
eine gefällige Linienführung zu geben und die Fläche zwischen Sockel und
der nach innen zu überhängenden Kappe in Zeichnung und Farbe derart
zu beleben, dass die Hauptmotive der Innen-Architektur und Ornamentik
des Saales wieder zur Verwendung gelangen. Verhängte man noch die
blank herausstechenden Orgelpfeifen und mit ihnen den ganzen Hintergrund
der Nische durch einen Prospekt, der in geschickter perspektivischer Malerei
gleichfalls die Säulen- und Pfeilerstellungen des Saales und seine koloristischen
Hauptwerte wiederspiegelte, so würde bei gedämpftem Licht im Hörer die
Illusion erweckt werden, dass er etwas einigermassen organisch Durch-
geführtes vor sich habe. Auch möchte ich vorschlagen, den Schallschirm
völlig mit lebendigem Grün einzuhüllen: Grün bietet stets den wohltuendsten
Ruhepunkt für das Auge. Ganz befriedigend ist, wie ich bei früheren
Gelegenheiten hervorhob, das Problem natürlich nur in einem Raum zu
lösen, der eigens als Musikhalle im Sinne der Reformfreunde gebaut wird
— ich verweise auf den Entwurf zu einem Saal in gotischem Charakter,
den ich in der oben angeführten Studie mitteilte. Der ebendort entwickelte
Gedanke eines Rundbaus mit dem unsichtbaren Musikapparat als Zentrum
wird von Wolfrum in der fesselnd geschriebenen, sehr lesenswerten Ein-
leitung zu seinem Heidelberger Programmbuch wieder aufgenommen.
Architekten, die dieser Idee näher zu treten Lust hätten, sei empfohlen,
sich vorerst mit der Einteilung des grossen Pariser Trocad6ro-Saales, so-
wie der Londoner Albert-Hall vertraut zu machen, sich auch den ungefähr
im Halbrund aufsteigenden Zuschauerraum des Teatro Famese in Parma
durch ein gleichartiges Halbrund zum Kreise ergänzt zu denken.
Femer erheischt in Rücksicht auf die zu Heidelberg gemachten Er-
fahrungen die Frage eine Beantwortung, ob auch die Chöre und die Solisten
zu verdecken seien. Es sieht in der Tat für die in der vorderen Abteilung
des Parterres Sitzenden wunderlich aus, wenn nur eine Reihe von Köpfen, viel-
leicht auch einige Hände mit weissen Notenblättern über dem Schallschirm
auftauchen. Gar zu hoch darf man die Chöre nicht über das Orchester
stellen, damit die Einheitlichkeit der Klangwirkung gewahrt bleibe. Wenn
wir nun die einschlägige, für unsere Zeit in betracht kommende Literatur
durchmustern: wie vielen Standard works ist denn wirklich damit gedient,
dass man die Chöre sichtbar aufstellt? Der «Schöpfung* und den »Jahres-
zeiten*, ohne Zweifel. Den Kantaten, den Passionen Bachs? Ganz gewiss
nicht. Sie sind für die Kirche geschrieben, wo die Ausführenden der Ge-
meinde ganz oder fast ganz verdeckt blieben, und erheischen, wenn sie heute
253
MARSOP: VOM MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
im Musiksaal zur Wiedergabe kommen sollen, einen Aufführungsmodus,
der alles störend Weltliche mit Strenge ausschliesst. Ebenso die h-moll-
Messe. Händel? Was an ihm für unsere Anschauung noch gross ist, nämlich
seine gewaltigen Chorfugen, wäre nach Analogie bedeutender Orgelmusik
zu behandeln. Die Requiems eines Mozart, eines Cherubini, die Missa
solemnis Beethovens? Das dünkt mich Gottesdienst, wie der Bachs —
nur mit veränderter ästhetischer Liturgie; es ist eine unsägliche Profanation,
beim weihevollen «Incarnatus*", wo die Musik nicht nur das Wunder an-
deutet, sondern selbst zum Wunder wird, den Anblick einiger Hundert
meist unfreiwillig verzogenen Gesichter mit aufgesperrten Mündern zum
Besten zu geben. Gehe ich zur ernsten grossen Chormusik unserer
Zeit über: wie sehr kämen dem »Deutschen Requiem*" und dem «Schick-
salslied* von Brahms, Liszts „Christus* und 13. Psalm, der f-moll-
Messe und dem «Tedeum* Brückners eine Unterstützung durch stimmung-
fördemde Einrichtungen zu statten! Auch glaube ich, dass just die Mög-
lichkeit, die Chormassen im Musiksaal verdeckt singen zu lassen, die fort-
schrittlich wirkenden Tonsetzer unserer Zeit dazu anregen wird, religiöse
Musik zu schaffen. Richard Strauss ist es Liszt, Max Reger ist es Bach
schuldig, eine Messe zu schreiben; der erstere hat vielleicht 'in seiner
herrlichen 16 stimmigen Hymne seinen kirchlichen Stil schon gefunden. Von
Schillings wäre ein »Requiem*, von Humperdinck und Wolfrum neue Oster-
und Pfingstkantaten, von Pfitzner eine „Asfeunta", eine Verklärung Maria
zu erwarten — er hat sich dazu im Vorspiel seiner „Rose vom Liebes-
garten* bereits vorbereitet. Gewiss wird es gelegentlich aus besonderen
Rucksichten erwünscht sein, dass sich die Chöre dem Publikum zeigen,
zum Beispiel wenn dem Landesherrn eine musikalische Huldigung dar-
gebracht werden soll. Es ist unnötig, weitere Ausnahmen auszuklügeln,
die nur die Regel bestätigen würden.
Dass bei der Aufführung von Oratorien und anderen ernsten Chor-
werken auch die Gesangs-Solisten unsichtbar bleiben müssen, ist selbst-
verständlich. In Kostüme können wir sie nicht stecken; einen mythischen
Helden oder gar einen Apostel in Frack und weisser Weste zu verkörpern,
ist der Gipfel des Unsinns. Darauf bedacht sein, den Gesichtsausdruck,
das Mienenspiel eines Konzertsängers zu verfolgen, das heisst doch wohl,
den Musiksaal mit der Scene verwechseln. Schlimm genug für einen
Künstler, wenn er in ersterem nicht durch seinen Gesang restlos aus-
zuschöpfen vermag, was der Komponist an Seele in ein Tonstück hinein-
legte. Hingegen nehmen wir selbst ein geringes Vibrato der Empfindung,
jede kleine Ton- und Vortragsfärbung viel deutlicher wahr, wenn, unter
allgemein günstigen akustischen Bedingungen, der Sänger verborgen bleibt.
Es ist erstaunlich, wie feinöhrig auch der Laie unter solchen Umständen
254
DIE MUSIK HI. 4.
wird. Er erfasst den Text schneller; er ist föhig, auch einen verwickelten
thematischen Aufbau leichter zu überschauen; er deklamiert und fühlt mit
dem Charakter 9 den der Tondichter zeichnet; er folgt als Psycholog.
Er wird sich auch durch die Schallwand mit dem Künstler besser ver-
stehen, der eine lyrische Gesangsscene vorträgt. Eine Trennung, welche
die Intimität steigert. Den Künstler, der ein derartiges Stück vorzutragen
hat, erkennbar, aber in matter Beleuchtung singen zu lassen, das war eine
Verlegenheits-Bestimmung, wie man sie in Heidelberg noch wohl oder
übel treffen musste. Es schien nicht rätlich, dem grösseren Publikum alle
Vorurteile auf einmal abzuschminken; man hatte überdies mit den zu
Gebote stehenden Kräften zu rechnen. Somit erschien auch der aus-
gezeichnete Violinist, Professor Petri, in ganzer Figur auf einer kleinen
Bühne hinter und über dem verdeckten Orchester. Auf den sonst so
feinsinnig zusammengestellten, nur etwas zu lang geratenen Reform-
programmen hätte man das Mozartsche Konzert nicht ungern vermisst.
In grossen Aufführungen symphonischen Stiles benötigen wir keine Virtu-
osenmusik, selbst wenn sie ein Mozart geschrieben hat. Soll Beethovens
Violinkonzert, das bekanntlich eine Symphonie ist, zum Vortrag gelangen,
so wird ein vornehm empfindender Vertreter der Prinzipalstimme in
Zukunft darauf verzichten, von den Hörern gesehen zu werden. Hat
etwa jemand den Wunsch, bei einer Aufführung von „Harold in Italien"
die Bogenführung des Solo-Bratschisten zu beobachten? Im übrigen schlage
ich vor, dass die Besitzer unserer Warenhäuser, die ja neuerdings ihre
Kunden mit kleinen Kunstausstellungen ä la mode regalieren, auch eine
Halle für peripatetische Musikfreunde errichten, in der vom Morgen bis
zum Geschäftsschluss Darbietungen von Phonographen, Klavierpaukern,
stark dekolletierten Koloratursängerinnen und Flageoletpfeifern ununter-
brochen aufeinander folgen. Wer dann eine Petroleumkanne gekauft hat,
dem stünde es frei, mit einem Lachsbrötchen in der einen und einem Glas
Pilsner in der anderen Hand abwechselnd eine Radierung von Liebermann
zu kritisieren und einen Schnitt Tschaikowsky zu geniessen.
Bleibt dabei die ernste Kunst aus dem Spiel, so mag sich nur die breite
Masse mit leichten Zerstreuungen vergnügen, wenn's ihr gerade darum zu
tun ist. Jeder nach seiner Art. Unsere Art aber wäre es, Rafael zu ver-
ehren, ohne dass ein beliebiger Reisehanswurst dazu mit knarrendem
Organ aus dem Bädeker vorliest, uns von der Tragik Shakespeares und
Schillers durchschauem zu lassen, ohne dass uns der Opemhaus-Humbug
aus der Stimmung wirft, im Allerheiligsten Beethovens vor den Offen-
barungen seiner letzten Quartette niederzuknieen, ohne das Menschliche
einer Toiletten-Parade und das Allzumenschliche im Gebaren erhitzter»
transpirierender Musiker mit in den Kauf nehmen zu müssen. Der kleine
255
MARSOPrIVOM MUSIKSAAL DER ZUKUNFT
Saal der Heidelberger Stadthalle wäre für ideale Kammermusik-Aufführungen
wie geachaffen. Nur müsste in der Dekoration, von deren D6tails ich
lieber nicht reden will, und in den Beleuchtungsverhältnissen noch einiges
geändert werden: das durch eine Decken-Rosette einfallende Tages-Ober^
licht wirkt zu nüchtern. Der Zuhörerraum ist in Form eines Halbrundes
sehr glücklich angeordnet. Davor liegt die Musiknische ; sie hat gewisser-
massen ein Untergeschoss und darüber eine Art Balkon, beide mit ge*
wSlbten Decken, was vorderhand noch eine zu starke Resonanz verursacht:
man vernimmt jedes leise Anschwirren der Saiten. Ein dicker Filzbelag
über dem Fussboden der Loggia würde vielleicht gute Dienste tun. Wird in
der oberen Abteilung gespielt oder gesungen, so sind die Ausführenden
den Hörern nicht sichtbar. Auf diese Art gelangte Beethovens a-moll-Quartett,
Werk 132, zum Vortrag. Solcher transzendentalen Musik lauschen zu können,
ohne die vier Fiedelbogen exerzieren zu sehen, das ist wahrlich auch eine
Befreiung! Leider wurde der himmlische, langsame Satz von den ausgezeich-
neten Künstlern der Dresdener Vereinigung zu derb angefasst. Eine Leistung
allerersten Ranges war hingegen die stilgetreue, kraftvolle, plastische Wieder-
gabe von Bachs Goldberg-Variationen in der meisterlichen Bearbeitung Rhein-
bergers durch Wolfrum und Julius Buths. Ein Vorschlag: wird oben ge-
spielt, 80 wäre füglich die untere Nische durch einen nach Massgabe der
Ornamentik des Saales in Applikationsarbeit zu dekorierenden Vorhang
abzuschliessen. Hat man einen leeren, bühnenartigen Raum vor sich, so
erwartet man in jedem Augenblick, Personen auftreten zu sehen.
Noch einige Worte über die beiden Heidelberger Uraufführungen:
die von Wolfrums Festmusik zur Zentenarfeier der Ruperto-Carola, und
die des «Taillefer* von Richard Strauss. Jene ist ein klar gegliedertes
Programm-Stück, mit charakteristischen Original-Themen und geistvoll aus
der Intonation des alten «Te deum laudamus" entwickelten Motiven und
fignrativem Beiwerk. Herolde schmettern Fanfaren; eine Fakultät nach
der anderen zieht auf und wird in der Eigenart ihrer Vertreter wie in
ihrer Bedeutung für die allgemeine Geistesgeschichte abkonterfeit. Als-
dann feiert ein Männerchor mit Bariton-Solo den Landesfürsten. Sinnvoll
hat Wolfrum Zitate eingewoben: der Hauptgedanke des «Kaisermarsches*,
«Alt-Heidelberg*, auch die »Wacht am Rhein* — sie tauchen als jedem
Hörer vertraute Symbole auf. Die Instrumentation ist gut modern und
abwechselungsreich. — Der »Taillefer* tritt uns als ein ganzer, vollwertiger
und vollwichtiger Richard Strauss entgegen. Zugleich als verheissungs-
voller Igrstling: der Tonsetzer hat mit ihm ein für ihn neues Gebiet er-
obert, das der Chorballade. Doch er wäre nicht Strauss, wenn er sich
256
DIE MUSIK III. 4.
nicht auch hier sein eigen Formgerüst gezimmert hätte. Nicht, dass er
die Grenzen der epischen und der dramatischen Darstellung verwischte;
aber er erweitert unsere Anschauung vom Wesen der musikalischen Epik,
wie Wagner und vor ihm Weber den Zeitgenossen neue Einsichten in die
Natur der musikalischen Tragödie und Komödie erschlossen. Wie er die
Solostimmen aus dem Uhlandschen Gedicht in ungezwungen flüssiger
Deklamation auslöst, wie er den Chor an Erzählung und Handlung be-
teiligt, das ist genial. Es verschlägt wenig, dass die zugleich grosszügige
und packend realistische Instrumental-Schilderung der Schlacht bei Hastings
nicht völlig in der Ökonomie des Ganzen aufgeht. Viel ist darüber ge-
stritten worden, ob die frische, volkstümliche Melodik, wie sie das Werk
durchzieht, zur kühnen, neuzeitlichen Harmonik und zu dem kolossalen
Aufgebot der orchestralen Mittel im rechten Verhältnis stände. Warum
nicht? Wenn nur die Kunst ihren Segen dazu gibt und das Temperament
Populäres und fein Ersonnenes in Eins verschmilzt. Hat nicht schon
Händel, sofern es darauf ankam, schlichte Weisen mit einem schweren
Prunkgewand umkleidet? Trägt Beethoven, wenn das als naives Lied
geborene Freudenthema später «wie ein Held zum Siegen" einherschreitet,
etwa Bedenken, Tamtam und Triangel kräftig zu rühren? Von Wagner
und den im polyphonen Überfluss schwimmenden, einfach klaren Meister-
singer-Motiven gar nicht zu reden. —
Mit einer Ovation für den Ehrendoktor Richard Strauss, als princeps
der modernen Musik, endeten die Heidelberger Festtage. Begonnen hatten
sie mit einer Huldigung für den greisen, verehrungswürdigen Grossherzog
von Baden, der herbeigeeilt war, um seine Sympathieen für die fortschritt-
lichen Bestrebungen in der Kunst zu bekunden. Erwägt man, dass auch
das neuere Musikdrama seit einer Reihe von Jahren in Karlsruhe liebe-
voll gepflegt wurde, dass die Münchener , Sezession" durch den Prinz-
regenten von Bayern die wärmste Förderung erfuhr, dass heute die Pforten
des Stuttgarter Hoftheaters den Gerhart Hauptmann und Max Halbe offen-
stehen, so tröstet man sich darüber, dass anderswo nach wie vor ein ab-
gestandener Konventionalismus sich breit machen darf.
Auch das Oberhaupt einer Republik der freien Geister, der Prorektor
der Heidelberger Hochschule, hat in ritterlicher Weise der Kunst unserer
Zeit salutiert, und denen, die mit dem Reformbanner in den Kampf ge-
zogen sind, ein hell klingendes »Glückauf* zugerufen. Den Dunkelmännern,
den trockenen und den winselnden Schleichern, so da vermeinen, das Rad
der Zeit aufhalten zu können, blieb es stets verwehrt, sich am Neckar-
ufer einzunisten. Jetzt hat man uns anders gearteten »viri obscuri", die
wir aus der Dämmerung das Licht der grossen Kunst in seinem^ vollen
Glänze entwickelt wissen wollen, dort aufs gastlichste aufgenommen. Viel
^
MARSOP: VOM MUSIKSAAL DER 2UKUNPT
a^
lernten vir, mit einem reichen Schatz gewonnener Erkenntnis kehrten wir
beim. Herzlichen Dank jedem, der Für die gute Sache eintrati Dank vor
allem dir, du lieber, streitbarer, treuer Philipp Wolfntmt Du faast's ge-
wagt und du hast gesiegt! Dein Name wird in den Annalen des Fort-
schritts einen Ehrenplatz erhalten.
Anmerkunc. Tolfrnm hat In der HeMelberjer Stadtballe so mannlgrache An-
retangeD t^boten, dasi es BChtechterding« nnaiStllch war, sie im Rahmen dei oblten
Anbatie« limillch nach GebQtar zu wQrdfgen. leb bebalte mir vor, auf einifes bei
Gelegenbeit zarfickiukommen — bCBOndeTS auf das Beleucbtungsproblem und den
aVolkacbor*. — Eine Reibe von DliigeDieo sprach leb, die vortaabes, wlbrend des
bevorstehe öden Tinter* ibniicbe VerinBtaltungen Ina Terk zu setzen. Ich erneuere
meine Bitte: der verehrllchen Redaktion der .Musik' oder mir allea auf Tleferie|nn|
und Verdeckung des Orchesters im Musiksaale, Verdunkelung des ZtibSrerraumea
etc. etc. bezDgiiche Material freundlicbtt zugeben zu lassen. Ober die betreffenden
Aaff&brnogen und die daraus gewonnenen Ergebnisse werde ich weiterbin von Zeit
XU Zeit Im Zuiammenbange berichten. — Noch zu erwibnen bleibt mir, dass sich
die Herren Musikdirektor Radig und Fritz Stein unter der Oberieltung Tolfmma um
das scbftne Gelingen des Heidelberger Festes ausserordentlich verdient machten.
lusik, aufgefesst als Sprache des tiefinneren Empfindoagslebens,
I ßnden wir, ebenso wie des religiöse GeHihl, bei tllen VSlkern
I der Erde. Tir dürfen hierbei nicht nur die Kunstmusili ins
I Auge hsscD, die sieb im Verlauf der Kulturgeschichte bei
einzelnen Völkern ganz besonders entwickelte, sondern wir haben auch
jenen ungeschminkten, d. h. natürlichen, ohne ii^endwelche künstlerische
Absicht hervorquellenden Ausdruck dessen, was das Volk im Innern fühlt,
zu beobachten. Die Volksseele kommt musikalisch Im Volkslied zum
Ausdruck. Selten entsteht ein Volkslied ohne Singweise und diese ist es,
die das Lted weitertiügt bis in ferne Zeilen und oft, wenn die Worte längst
verloren gegangen sind, noch lebendig bleibt. Letzteres beobacbtMi wir
z. B. an den altgaelischen Volksliedern in Schottland.
Der Schöpfer eines Volksliedes ist wohl meist ein Einzelner gewesen
und da das Volkslied in Absicbtsloslgkeit und NaivetSi entstand, so weiss
man höchst selten den Namen des Autors. Ein äusseres Kennzeichen des
Volksliedes ist, dass es Stropbenlied und nicht, wie die meisten Kunst-
lieder, durchkomponiert ist. Das Volkslied steht demnach im Gegensatz
zum Kunstliede, gleichwie die Volksmusik zur Kunstmusik. Das Volkslied
wird ohne Unterschied des Standes von allen Mitgliedern einer zusammen-
gehörigen Menge (Nation) gesungen und ist so der getreue Spiegel des
Empfindungslebens eines Volkes. In ganz alter Zeit verhielt es sich aller-
dings anders. Wir wissen, dass hellenische Rhapsoden und nordische
Skalden die Ereignisse ihrer Zelt besangen, wie sie es überhaupt waren,
die durch ihre Gesinge die Erinnerung an altgeschichtliche Vorzüge ihres
Volkes in demselben wach erhielten. Das Gleiche gilt auch von den alt-
deutschen Barden, den indischen und baktriscben, den finnischen und
faröriscben Sängern. Ihr Mund ist längst verstummt, den Zauber und den
Reiz, den ihre Erzählungen durch das musikverklärte Wort gehabt haben
mögen, können wir nur noch ahnen; jedoch die geschichtlichen und heiligen
Sogen, die sie besangen, llias und Odyssee, Mahabharta, Schahnahme, Kale-
wala, die Sigurd - Lieder auf den Farörinseln, sind durch die Tradition
259
RITTER: VOLKSMUSIK UND VOLKSGESANG
noch lange frisch geblieben, bis der Mensch die Fähigkeit erlangt hatte,
sie aufschreiben zu können.
Die Entwicklung der Musik hält mit dem Fortgange der Gesittung
der Völker steten Schritt und wir sind durch das Mittel der Musik im-
stande, einem Volke ins Herz zu schauen und so dem Pulsschlag seiner
inneren Empfindungen zu lauschen. Nicht immer erblicken wir auf solche
Weise hohe und edle Regungen eines Volkes. So war z. B. in Alt-Klein-
asien die Musik der Stachel der Zügellosigkeiten oder auch: es kamen
diese durch die Musik zum Ausdruck, denn es gab kein Gastmahl, an
dem die Trunkenheit und Sinnlichkeit nicht angeregt und gesteigert wurde
durch musikalische Instrumente und obszöne Gesänge, sowie durch Tänze
liederlicher Dirnen. Dass dies auch stellenweise heute noch im Orient
der Fall zu sein scheint, beweist eine Schilderung, die ich vor nicht
langer Zeit von einem Bekannten aus der Oase Biskra in der algerischen
Wüste erhielt. Dort treffen sich die Bewohner abends in einer elenden
Spelunke; die Männer lagern auf Bänken, nehmen Haschisch zu sich und
lassen sich nun durch tanzende Frauenzimmer bei einer Musik, die einem
chaotischen Gelärme gleicht, in einen Rausch bringen, der viel zur
Degeneration dieser Leute beiträgt. Kinder und Frauen schauen in stoischer
Ruhe diesem verderblichen Treiben ihrer Familienväter zu.
Im Altertum erwähnt schon Hiob, ein Zeitgenosse Jakobs, den
Missbrauch der Musik auf Harfen und Pfeifen bei häuslichen Festen in
Syrien. Welche Rolle die Musik bei den Juden des Altertums spielte,
ist durch das Alte Testament genügend bewiesen. Jubal galt bei den alten
Juden als Erfinder der Musik. Dass der Musik im Tempelkultus der Juden
des Altertums ein wichtiger Platz eingeräumt war, ist bekannt, ebenso,
dass sie im gesellschaftlichen Leben eine grosse Bedeutung hatte. Die
Psalmen Davids wurden zur Harfe gesungen. Heute finden wir in den
Gegenden, wo sich früher die altjüdische Kultur ausbreitete, den Mohamme-
danismus. Die Musik der Mohammedaner hat für uns etwas Monotones,
scheinbar Unrhythmisches, Klangfarbenloses; sie hat den Charakter der
Rezitation. Gesang und Musik in unserem Sinne kennt man bei den
beutigen Völkern des Orientes nicht; eine mit näselndem Tonfall vor-
getragene Verherrlichung eines Helden, eine Tat oder eine melodramatisch
erzählte Anekdote bilden fast den ganzen Musikschatz des Volkes. Dem
entsprechen die Instrumente: Trommeln und Pfeifen, sowie die primitive
Harfe und primitive Geige, die Rebek oder Rebäb heisst, die Stamm-
mutter unserer heutigen Geige. Diese Instrumente begleiten den Gesang;
in den seltensten Fällen hört man dort ein selbständiges Musikstück auf-
führen. In Kairo und Chartum begegnet man öfters Strassensängem, die
auf einer mit geschabter Kamelblase überspannten durchschnittenen Kokus-
17*
DIE musK m. 4.
dss HtffSß uMd TitMiad ircttiwigjL
Bd dem Altgriechen war die Mvsik
der ErgidiOTifc obwoU zaletzt Philosopheo wie Pleto «ad Plalarch nrf die
Verwetdilscliitiig der Jogead dlirdb iber^Maate vad ibemizte Masik Ida-
deatetea. Bei iliaea ist Ori^ieas die Penoaifikadoa der Macht der Marik,
wie ja Fiaalaad «Kalewala* aad Deutsdiland dai «Ratteafi^er Toa Haaela'
als Uniliclie Figarea aaCmweitea babea. Kitbaia aad Flöte erscballtea
bei feierlidiea Umzagea aad dea Aafahrer der Maaea« Apollo, stellte
aan hinlig aiit der Kitfaan dar. Etazdae Hjaisea, die aas etbahea
Wf^ben^ liefera dai Beweis Toa bober Feiafabli^ot des griechiscbea
Volkes ia musikalischer Bezsehuag.
Bei dai Römera des Altertums giag das ibaea Toa dea Grieciiea
fiberlieferte Sameakora der Musik aicht soaderlicb auf, obwohl im alt-
rtatscbea Volkslebea Tielfiicb Musik aazutrelfea ist. Die Musik galt im
allceaieiaea als eiae dem Measdea verweichlicfaeade Besdiifriguag tiad
wurde eigeatlicfa aur bei Sklavea tiad Freigelasseaen geduldet. Die Lfra
und die lydtscfae Fldte werdea als die erstea von Griediealaad aach
Italiea febracbtea lostrumeate bezeichaet. Vorher kaante man bei dea
Römern nichu als eine Schiferpfeife. In der VerherrUchung von TriumfA-
zfigea, Schauspielea, Gastmahlen und Ldchenbestattungen Euid bd den
Römern die Musik ihre Anwendung. TInzer waren gewöhnlich Etrurier
und bei ausserordentlicfaen Festen liess man auch aus Griedienland
Musiker kommen. Flötenspieler waren bei Opfern sowie bei allen gottes-
dienstlichen Festen unentbehrlich. Bd den Römern g^ es zum ersten
Male ofBzielle Militirmusiker; diese rekrutierten sich aus der durch
Senrius TuUius (578 v. Chr. G.) bei der Einteilung des Volkes in Klassen
und Centurien bestimmten Musikerklasse. Die Militirmusiker wurden ein-
geteilt in tubidnes (Trompeter), tibidnes (Hötenspieler) und comicines
(Hombliser). So war es bd den Römern Gebrauch, bei Leicfaenbestattungen
der Erwachsenen Trompeter und bd Bestattung von Jfinglingen Flötenbliser
herbeizuziehen. Sehr lange aber währte es bei den Römern, bis sie den
Gesang mit Sdteninstrumenten begldteten. Erst am Ende des zweiten
Jahrhunderts v. Chr. G. zog man Frauen herbei, die ihren Gesang bei
Gastmahlen auf Saiteninstrumenten begleiteten. Nach ihren Instrumenten
nannte man sie «psaltriae* und «sambucistriae*. Diese Frauen waren
jedoch Personen, die kein sonderliches Ansehen genossen. Denkwürdig
ist, dass das Händeklatschen und Pfeifen als Ausdruck des Beifalles und
Missbehagens fiber musikalische Leistungen zuerst bei den Römern aufkam
und zwar soll es aus der Zeit des Kaisers Augustus herrfifaren. In den
261
RITTER: VOLKSMUSIK UND VOLKSGUSANG
zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden in Herkulanum antike
Papyrusrollen aufgefunden , die interessante Aufschlüsse über das römische
Theater liefern. Unter anderem enthielten sie bemerkenswerte Notizen über
den Beifall, den die Römer den Schauspielern zu erteilen pflegten. Anfangs
war dieser ohne Mass und Ordnung; in der Folge hielt man es aber für an-
gemessen, in dieser Beziehung eine regelmässige Methode einzuführen und
nach gewissen Abstufungen die geringere und grössere Zufriedenheit des
Publikums mit den Schauspielern zu erkennen zu geben. Im ersten, dem
mindesten Grade schnalzte man mit dem Mittelfinger und dem Daumen ; im
zweiten wurden die ausgestreckten Finger der rechten Hand auf die der linken
Hand geschlagen, welche Art des Beifalles den Namen «testae* erhielt.
Im dritten Grade (imprices) wurden die Hände flach und im vierten
(bombus) gewölbt aufeinander geschlagen. Die letzte und grösste Gunst-
bezeugung bestand darin, dass die Zuschauer einen Zipfel ihrer Toga
gegen den Schauspieler bewegten, zu welchem Behufe der Kaiser Aurelius
an die niedere Volksklasse, die keine Toga tragen durfte, kleine Stückchen
Zeug verteilen liess. Die Römer bedienten sich zuweilen auch der
Stimmen, um ihren Beifall laut werden zu lassen, aber so, dass die
hervorgebrachten Töne eine gewisse Melodie bildeten; daher auch
Propertius und Tacitus ihren Zeitgenossen über deren ungeordneten und
kadenzlosen Beifall bittere Vorwürfe machten.
Nun zu den Deutschen. — Aus den Annalen des Tacitus erfahren
wir, dass die Germanen Lieder zum Preise Armins, ihres Befreiers vom
Römerjoche, sangen, Lieder beim fröhlichen Mahle, um die Feuer des
Lagers geschart, bei Leichenbestattungen ihrer Fürsten und Heerführer.
Im angelsächsischen Epos »Beowulf*" wird von einer fröhlichen Ver-
sammlung berichtet, die sich täglich bei König Hrodgars Metmahle ver-
einigte:
Da war Sang und Klang im Saale vereinigt
Hier vor Healfdones Heerführern;
Die Saite ward gerührt, gesagt manch Spruch,
Da Hrodgars Sänger in der Halle die Freude
Längs den Metbänken ermuntern sollte.
Auch die Goten und Vandalen begleiteten ihre Lieder mit der Harfe;
selbst Könige übten diese Kunst. Als Gelimer, der König der den Goten
nabestehenden Vandalen, von Belisar 533 n. Chr. G. eingeschlossen war,
erbat er von seinem Besieger drei Dinge : ein Brot, einen Schwamm und eine
Harfe. Auch die Prosa wurde bei den Goten gesungen, d. h. so melodisch
vorgetragen, dass nur das fehlende Saitenspiel sie von dem Gesang des
Liedes unterschied. Sigvan war das allgemeine Wort für Singen und
Lesen, während Singen mit Harfenbegleitung «liuthon* hiess. Mit dem
262
DIE MUSIK III. 4.
Untergang des oströmischen Reiches und mit der Völkerwanderung starb
die gotische Sprache allmählich aus.
Nur wenige Zeugnisse von weltlichen Liedern oder Volksgesängen
besitzen wir aus den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung.
Hinderlich für die Entstehung sowie Verbreitung solcher Gesänge waren
die Wirrsale der Völkerwanderung. Besonders gilt dies von den ger-
manischen Volksstämmen, die wir in den ersten Jahren christlicher Zeit-
rechnung in einem Zustand gänzlicher Verwilderung antreffen, bedungen
durch den Druck der Völkerschiebung von Norden und Osten her. In
solchem Gewirre ging, wie selbstverständlich, alles Traditionelle zugrunde;
Barbarei war die Folge, aus der die ganz verwilderten Menschen erst
wieder die Kulturmacht des Christentums erlöste. Auch musste die
durch die Vermischung der Völker herbeigeführte Sprachen-Verwirrung
schwinden, bis ein neues Bardentum im Volksliede entstehen konnte. Aus
dem siebenten Jahrhundert ist uns ein Gesang auf den Sieg Clothars II.
(584—628) erhalten, den dieser über die Sachsen erfocht; aus dem neunten
Jahrhundert das Rolandslied, Gesang auf die Schlacht bei Fontenay (842);
aus demselben Jahrhundert das Ludwigslied, gesungen zur Ehre Ludwigs III.,
als dieser 882 über die Normannen bei Saucourt siegte. Dieses Ludwigs-
lied ist ausser dem Hildebrandslied (achtes Jahrhundert) das erste Lied in
deutscher Sprache.
Aus der Zeit Karls des Grossen wird von Lob- und Ehrenliedem,
Liebes- und Spottgesängen, sowie von Teufelsliedem, die auf den Gräbern
der Verstorbenen gesungen wurden, berichtet. Aus der Zeit Karls des
Grossen datieren auch die ersten Zeugnisse für die Existenz fahrender
und umherziehender Musikanten. Der Schriftsteller Alkuin, ein Gelehrter,
der aus dem Ausland an eine von Karl dem Grossen gegründete Kloster-
schule berufen war, berichtet 791 in einem Briefe von Histrionen, Mimen
und Tänzern und sagt: »Wer Histrionen, Mimen und Tänzer in sein Haus
aufhimmt, der weiss gar nicht, welch eine Menge unreiner Geister diesen
folgt." Auch Agobard, Erzbischof von Lyon, eifert gegen die Leute, die
den umherziehenden Musikanten stets zu essen und zu trinken geben,
während sie die Armen der Kirche zu speisen vergessen.
Die fahrenden Spielleute des Mittelalters waren von der Kirche
in den Bann getan, der erst im späteren Mittelalter (unter Papst Eugen IV.)
aufgehoben wurde. Sie trieben Gesang und Spiel auf Instrumenten aller
Art, sowie Tanz als Profession und waren bei allen Volksbelustigungen.
Diese fahrenden Musikanten waren es nun, die uns manche Gesänge
(dem Inhalt nach der altgermanischen Volkssage entnommen) aufbewahrt
haben; sie teilten diese dem Volke mit, das sie noch lange sang.
Spiellente solcher Art treffen wir auch bei den Troubadours und Minne-
263
RITTER: VOLKSMUSIK UND VOLKSGESANG
singern in der Periode des ritterlichen Minnesanges, die vornehmlich in
die 21eit der Kreuzzüge fällt. In Frankreich, Italien, Spanien, England und
Deutschland zeitigte diese Epoche manch schönes Lied, das noch heute
gesungen werden kann. In Frankreich waren es besonders die provenzalischen
Troubadours, die mit ihren Spielleuten die Feste der Grossen verherr-
lichten; durch diese gewann der ritterliche Sang auch in Italien festen
Boden, wo sich die Trovatore bildeten, die in provenzalischer Sprache
dichteten und sangen, weil die damalige italienische Sprache für die Poesie
eine sehr ungefüge war.
In Deutschland blühte der Minnesang durch Männer wie Reinmar
der Alte, Heinrich von Morungen, Heinrich von Meissen (Frauenlob),
Reinmar von Zweter, Hartmann von der Aue, Wolfram von Eschenbach,
Heinrich von Ofterdingen, Walther von der Vogelweide, Gottfried von
Strassburg u. a. m.; einer der letzten Minnesänger war Oswald von Wolken-
stein. Die Lieder der Troubadours und Minnesänger wurden meist mit
Begleitung eines oder mehrerer Instrumente vorgetragen und zerfielen in
Dienst- und Huldigungslieder, in Klagelieder, in Streit-, Abend- und Morgeo-
lieder. Aus den Tageliedem gingen die sog. Wächterlieder hervor, von
denen sich sehr schöne bei Walther von der Vogelweide, Wolfram von
Eschenbach und Dietmar von Aist vorfinden. Auch den Rundgesang so-
wie das Ringeltanzlied finden wir bei den Minnesängern. Viele Belege in
Schriften und bildlichen Überresten aus der Zeit des Minnesanges sind
für Ausübung von Musik, wenn auch in primitiver Weise, in allen Volks-
schichten vorhanden. So berichtet die Braunschweiger Stadtchronik vom
Jahre 1203, dass ein Pfarrer zu Ossemer bei Stendal seinen Bauern zum
Tanze aufspielte. Gottfried von Strassburg lässt seinen Tristan die Fiedel
und die Rota (Drehleier) erlernen. Auch über die Besetzung eines Or-
chesters bei feierlichen Aufzügen und bei Turnieren gibt uns Ulrich von
Liechtenstein in seinem „ Frauendienst' Aufschlüsse Bei Gelegenheit des
Neuburger Turniers 1228 wird von ihm zweier reitenden «Posauner*, eines
Fldtenbläsers, der auch Pauke schlug und zweier Fiedler, die eine fröh-
liche Reisenote (Marsch) spielten, Erwähnung getan.
Auf die Zeit des Minnesanges folgte in deutschen Landen der zünftige
Meistersang. Er hatte seinen Grund im Bürger- und Handwerker-
tum deutscher Städte des Mittelalters. Die Gesamtdauer des Meister-
sanges umfasst etwa 400 Jahre und zwar vom 14. bis ins 17. Jahrhundert.
Kaiser Karl IV. verlieh den Meistersingern Zunftrechte. Die Gründung
der ersten Meistersingerschulen fand im 14. und 1 5. Jahrhundert in Mainz,
Frankfurt a. M., Strassburg, Augsburg, Nürnberg, Zwickau und Prag statt.
Späterhin kamen Gründungen in Kolmar, Breslau, Danzig, Görlitz, Heil-
bronn, Regeosburg und Ulm zustande. Der Süden Deutschlands hatte
264
DIE MUSIK III. 4.
mehr Meistersingerscbulen als der Norden aufouveisen. Gewöhnlich fanden
an den Nachmittagen der Sonn- und Festtage nach den Nachmittags-
gottesdiensten entweder in der Kirche oder auch auf der Herberge oder
Zeche der Gewerke ein Preis- oder Schulsingen statt. In solcher Weise
erblicken wir bei den ehrsamen deutschen Bürgern und Handwerks-
meistern des Mittelalters das Streben nach einer idealen Pflege der
Dicht- und Sangeskunst nach der Tages- oder Wochenarbeit. Bei
dem damaligen Drange der Zeit, die den Zunftzwang entwickelte und
zur Reife brachte, wird es begreiflich erscheinen, wenn wir auch die
fahrenden Musikanten zu Innungen, zu Brüderschaften, sich konsoli-
dieren sehen. Der Oberdruss am unsteten Leben, die Verachtung, die
ihnen die Gesellschaft im allgemeinen zollte, der Bann, der von selten
der Kirche auf ihnen lastete, sowie die nach Ordnung ringenden Zeit-
verhlltnisse mögen auch sie gezwungen haben, nach Art der Handwerker-
zünfte Vereinigungen zu bilden. Als älteste bekannte Bruderschaft von
Spielleuten ist die St. Nikolaibruderschaft in Wien bekannt. Am Ende des
16. Jahrhunderts gab es in allen Länderbezirken Deutschlands Korporationen
von Spielleuten; in der Schweiz, Frankreich und England ebenfalls. Solche
Korporationen oder Brüderschaften wählten gewöhnlich einen Fürstlichen
oder Adeligen zu ihrem obersten Schirm- und Gerichtsherrn und dieser
wählte sich wieder einen «Vikarius*, der auch Pfeiferkönig genannt wurde,
als Beihilfe. So wurden z. B. im Elsass die Herren von Rappoltstein
durch Lehnsbriefe von Ferdinand II. mit dem Königstum über die fahren-
den Spielleute betraut. Vom Jahre 1400 an wurde in der Stadt Rappolts-
weiler ein Pfeifertag abgehalten, zu dem früher die Spielleute aus dem
ganzen Lande herbeiströmten, um neben Beratung ernsthafter Geschäfts-
angelegenheiten und Zahlung der Steuer grosse Feste zu feiern. Mit dem
Dreissigjährigen Kriege ging das stolze Geschlecht der Rappoltsteiner, das
Leben auf den Burgen Hochrappoltstein, Hoheneck am Eingange des
Mfinstertales, Thannenkirch, Bergheim, Geroldseck, ein Bild voll echter
ritterlicher Romantik, im Sturm der Zeiten unter.
Aus diesen Korporationen gingen im Laufe der Zeit die Zünfte der
Musiker, denen Stadtpfeifer vorstanden, hervor. Kaiser Karl IV. ver-
lieh 1355 bei seiner Anwesenheit in Mainz den Spielleuten ein Wappen
und Papst Eugen IV. (1437 — 1447) erteilte Trompetern, Pfeifern, Lauten-
Schlägern sowie anderen Spielleuten das Recht, als ehrliche Leute zum
Abendmahl gehen zu dürfen. Diese Leute waren es, die bei Volks-
belustigungen aller Art aufspielten; Märsche und Tänze sowie Begleitung
zu Volksgesängen bildeten die Aufgaben ihres Berufes.
Losgelöst von den »Brüderschaften* der Spielleute standen im Mittel-
alter in den deutschen Landen die gleichfalls zusammengehörigen Spiel-
265
RITTER: VOLKSMUSIK UND VOLKSGESANG
leute des Reichsheeres: die Hof- und Feldtrompeter und Heerpauker.
Sie standen unter der Schutzherrlichkeit des Kurfürsten von Sachsen und
verrichteten ausser Musik auch Kurierdienste, begleiteten die Fürsten auf
ihren Reisen und hatten täglich zu gewissen Stunden ihre Fanfaren er-
tönen zu lassen, z. B. als Signal zum Mittagstische und zu anderen Ge-
legenheiten. Eine ähnliche Stellung hatten noch bis vor wenigen Jahren
in Schottland die bagpipers (Dudelsackbläser).
Fragen wir, wann denn eigentlich in deutschen Landen jene vielen
alten Volkslieder, an denen unser Volk so reich ist, entstanden, so ist es
gerade in jener Zeit, in der ein Rückschlag vom höfischen ins volks-
tümliche Leben stattfand. Es war dies der Fall nach der Zeit des Minne-
sanges, als sich in kräftigem Streben ein Volksleben und Bügertum in
deutschen Städten entwickelte, — vom Beginn des 14. bis zum Ende des
16. Jahrhunderts. Der Grundzug des Empfindens jener Zeit war Ge-
sundheit und Natürlichkeit auf Grundlage der eigenen deutschen Natur,
die später durch mannigfache fremde Einwirkungen, durch romanische
Bildungselemente, — Renaissance (Humanismus) und Einfluss von Frank-
reich (Französelei) umgebildet wurde. Das reiche Gefühlsleben dieser echt
deutschen Zeit war anfangs rauh und derb, wird aber im Verlaufe zart
und innig, wie es die vielen Volkslieder dieser Epoche zeigen, in der
die Einheitlichkeit des deutschen Volkes in gleichem Denken und Fühlen
bei hoch und niedrig deutlich zutage tritt. ^)
Die neue Zeit hat in Deutschland auf dem Gebiet der Volksmusik
auch neue Erscheinungen ins Leben gerufen. Nicht mehr treffen wir den
Meistergesang an, wohl aber den Männergesang, der in vielen Vereinen
gepflegt wird. Den Meistersinger-Schulen folgten die Männergesang- Vereine*
Wenn letztere auch nicht immer direkt aus den ersteren hervorgingen, so
ist doch das Männergesang- Vereinsleben nur eine neue Form der Idee der
Meistersinger-Zünfte. In Ulm fand erst im Jahre 1839 die dortige Meister-
singer-Zunft ihr Ende, indem die letzten vier Zünftler ihre Bücher, Fahnen,
Innungszeichen, kurz all ihr Inventar dem dortigen «Liederkranz" urkundlich
vermachten. Waren die Meistersinger des Mittelalters eifrige Vorkämpfer
der Reformation und Erhalter der deutschen Sprache, so haben die heutigen
Männergesangvereine das Verdienst gehabt, die Gemüter für Vaterlands-
liebe entflammt zu haben zu einer Zeit, in der Deutschland zerrissen und
in grosser Erniedrigung daniederlag. Viel, ja sehr viel hat der deutsche
Männergesang zur Verbrüderung der deutschen Männer aus allen Gauen
beigetragen. Möge er seinen ursprünglichen volkstümlichen Charakter
^) Siehe F. M. Böhmes Liederbücher, die die Volkslieder des Deutschen aus
der Vorzeit und Gegenwart nach Wort und Weise enthalten. Sie erschienen in
4 Binden bei Breitkopf & Hirtel in Leipzig.
266
DIE MUSIK 111. 4.
stets bewahren und nicht in Künstelei ausarten, d. h. keine Gebiete be-
bauen, die seinem Wesen widersprechen.
Wir wissen von altdeutschen Skalden und Barden. Skalden heisst
in der altdeutschen Sprache auch so viel als laut, rauschend, fröhlich sein.
Von demselben Worte im allgemeinen Sinn haben bekanntlich die nordischen
Skalden ihren Namen. Bar (Baren = Bar = Töne) war das Lied bei den
Meistersingern. Dieses Wort ist wohl schon in dem bekannten Barritus
bei Tacitus enthalten, wiewohl noch etwas birenmässig und so hat ohne
Zweifel die Silbe «bar* den Barden ihren Namen gegeben. Deutschlands
Barden stehen heute nicht mehr ausserhalb des Volkes, sondern jeder
stimmbegabte Deutsche ist heutzutage ein Barde, wenn er Mitglied eines
Männerchores ist, und diese zählen nach hunderten im deutschen Reiche.
Im Gesänge, in seinen Volksliedern befreit sich der Deutsche und
mit seinen kräftigen Volksgesängen half er auch sein Vaterland vom
fremden Joch befreien. Der lutherische Choral war volkstümlicher
Gesang. Viktor Hugo nennt sogar »Ein' feste Burg ist unser Gott* die
Marseillaise der Deutschen. Und wahrlich, von der Zeit der Entstehung
dieses Volksgesanges bis zu den Liedern aus Körners: «Leyer und Schwert*
sowie zur «Wacht am Rhein* liegt die Befreiung deutschen Wesens von
den ihm aufgedrungenen fremden Einflüssen.
Der erste grosse Mann, der fremden Einfluss mit Erfolg bannte, war
Luther; er verlangte, dass das deutsche Volk in deutscher Sprache
seinem Gott Lob- und Danklieder singe. Martin Luthers gedankenvollen
und sinnreichen Kemsprüche über die von ihm so hochgehaltene Kunst der
Musik sind mehrfach gesammelt worden. Ebenso ist sein Gedicht »Frau
Musica*, das Johann Walter in seinem 1538 in Wittenberg erschienenen
«Lob und Preis der löblichen Kunst Musica* zuerst mitteilte, bekannt
Wenig verbreitet ist aber ein Brief Luthers an Ludwig Senfl, in dem er
schöne und wahre Worte vom Wesen der Tonkunst mitteilt. Dieser Brief,
der von Koburg d. 4. Oktob. 1530 datiert, schliesst mit den Worten: «Aber
was lobe ich jetzt die Musik? Was versuche ich, auf so kleinen Blättchen
solch eine grosse Sache zu schildern oder vielmehr zu entstellen? Indes
das Herz ist mir so voll und schwillt über, weil sie mich so sehr oft
erquickt und von grossen Lasten befreit.* Hüten wir darum den Volks-
gesang, dieses Juwel des Deutschen, vor Entartung und musikalischer
Blasiertheit.
Das Volkslied ist vorherrschend einstimmig, wobei Männer- und
Frauen- oder Kinderstimmen in Oktaven gehen. Ein sicheres Kenn-
zeichen eines echten alten deutschen Volksgesanges ist der Kehrreim,
Kehrvers (Refrain) anzusehen, den meistens der Chor, als die den Solo-
sänger umstehende Menge sang. Die meisten deutschen Volkslieder be-
267
RITTER: VOLKSMUSIK UND VOLKSGESANG
ginnen mit einem Auftakte im Gegensatz zu den romanischen und
slawischen: Der Jambus w ~ ist vorherrschend, selten findet sich der
Trochäus - ^ . Der Schatz älterer deutschen Volkslieder zerfällt in Balladen
und Romanzen, Tage- und Wächterlieder, Liebeslieder, Abschieds- und
Wanderlieder, Rätsel-, Wunsch- und Lügenlieder, Tanz- und Kranzlieder,
Trinklieder, historische Lieder, Landsknechtlieder, Jägerlieder, Lieder auf
die verschiedenen Stände, Scherz-, Spott- und Schandlieder, geistliche
Volkslieder und Kinderreime. So tönen uns wie früher auch noch heute
alle Empfindungen der Volksseele aus den deutschen [Volksliedern ent-
gegen: Hoher Ernst, sanfte Schwärmerei, Liebesglück, Liebesklage, Wander-
lust, Heimatsehnsucht, Zecher j übel, Jugendlust, Vaterlands- und Freiheits-
gefuhl.
Auch das 19. Jahrhundert brachte Volkslieder aller Art, sowohl
friedlichen als auch kriegerischen Charakters hervor. Die Jahre 1813 bis
1815, 1848 sowie 1870 schenkten uns z. B. eine Menge begeisterter pa-
triotischen Gesänge, Kriegs- und Freiheitslieder. Nennenswerte Komponisten
für das einfache Volkslied des 19. Jahrhunderts waren Wenzel Müller („ Ich
bin der Schneider Kakadu**; »Kommt ein Vogel geflogen*; «Wer niemals
einen Rausch gehabt*; »So leb' denn wohl du stilles Haus* u.a.m.) [Er wirkte
mit Ferd. Kauer in Wien Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts.
Wenzel Müller ist bekannt durch sein Hauptwerk »Die Teufelsmühle*, Ferd.
Kauer durch »Das Donauweibchen*. Die moderne Zeit hat die harmlose, naive
Musik dieser Tondichter vollständig unmöglich gemacht. Die damalige Volks-
oper bildete das Entzücken des Publikums; die Melodieen fassten Fuss bei
alt und jung; arm und reich sang sie. Sie mussten aber sehr bald
der Musikfiut der italienischen Oper weichen.] Heinrich Himmel (»An
Alexis send' ich dich*; »Es kann ja nicht immer so bleiben* u.a.m.).
Karl Maria von Weber (Lieder aus Körners »Leyer und Schwert*, sowie
die Volksweisen aus »Freischütz* und »Euryanthe*). Glück (»In einem
kühlen Grunde*). Gustav Reichardt (Melodie zu Arndts »Was ist des
Deutschen Vaterland?* »Das Bild der Rose*). Zelter (»Es war ein König
in Thule*; »'s war Einer, dem's zu Herzen ging*). Anselm Weber (»Mit
dem Pfeil und fiogen*). Joseph Haydn (»Gott erhalte Franz den Kaiser*).
Konradin Kreutzer (»Das ist der Tag des Herrn*). Felix Mendelssohn-
Bartholdy (»Es ist bestimmt in Gottes Rat*; »Wer hat dich du schöner
Wald*). Fesca (»Heute scheid' ich, morgen wandr' ich*). Abt (»Wenn
die Schwalben heimwärts ziehn*). Kücken (»Wer will unter die Soldaten*).
Fax (»Du, du liegst mir am Herzen*). Karl Wilhelm (»Es braust ein
Ruf wie Donnerhall*). Ludw. Erk (»Zu Mantua in Banden*). Fr. Gumbert
(»Morgen kommt der Weihnachtsmann*). Aug. Neithardt (»Ich bin ein
Preusse, kennt ihr meine Farben*). Friedr. Sucher (Ȁnnchen von
CC^PO DIE MUSIK III. 4. Q<^T^
Tharau*; .Morgen muss ich Tort von faier*; .Es ritt ein Jiger vohlgemnt";
älch hau' einen Kameraden"; .Ade, es muss geschieden sein*; Jetzt
gang i ans Brünnele*; .Ich weiss nicht, was soll es bedeuten*). W. Heiser
(.Nur einmal blüht im Jahr der Mai*) u.a. m.
Dem einfachen Volksgesang tritt der kunstgemisse Volksgesang
gegenOber. Er verdankt, wie schon vorhin bemerkt, seine Ent-
wicklung ganz besonders der Bildung von Minnergesangvereinen. Die
Zahl der Komponisten für Männergesang ist heute Legion und es gibt
wohl keinen Ort in Deutschland, in dem sich nicht ein MSnnerchor be-
fände. Als erste Gründer solcher MSnnergesangverelne sind der Berliner
Berger und der Schweizer NSgeli zu nennen, in den ersten Jahrzehnten
des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland Männercbdre, sogenannte
.Liedertafeln', von denen sich dann später wieder eine Anzahl zu einem
grösseren Singerbunde zusammentat, wie wir dies heute im .Mir-
kischen Sängerbünde*, .Schwibischeo Sängerbunde*, .Fränkischen Singer-
bunde* u. a. m. erblicken. Schubert, Mendelssohn, Kreutzer, Methfessel,
Silcher, J. Otto, Zfillner, Tschirch, Kticken, ScbSITer, V. Lachner, V. E. Becker,
Attenhofer, Hegar, Kremser, Kistler, Kircbl, Meyer-Olbersleben, Breu, Pfeil
u. «. m. sind als Komponisten für den Männergesang ganz besonders za nennen.
Das deutsche Lied, wie es in den Männerchören unserer Zeit be-
steht, ist eine Macht geworden, und diese heisst Volksbewusstsein.
Seitdem dieses erwachte, ist auch in die Kunst jener volkstümliche Zug
gekommen, den wir in der Mänoergesangsbewegung erblicken. Vie die
gewöhnlichen, wöchentlichen Gesangsübungen die Mitglieder der vielen
Gesangsvereine erfreuen, angenehm und veredelnd unterhalten, so tun dies
in grösserem Massstabe die grossen Sängerfeste, die in verschiedenen
deutschen Gauen oft Tausende von SSngern und Gästen versammeln zar
Verherrlichung deutschen Wesens und deutscher Lust.
Dass solche Siogerfeste viel zur Einigung der verschiedenen deutschen
Stimme beigetragen haben, ist bekannt genug, — eine wunderbar schöne
Eigenschaft der Musiki Möge sie auch in dieser volkstümlichen Weise
weiterbIQhen zu Nutz und Frommen unseres gellebten Vaterlandes.
DIE WIEDERGEBURT DER OPERETTE
von Dr. Erich Urban-Berlin
CJirr^rirpra
Streng genommen: Offenbach hat die Operette begonnen. Voll-
1 endet. Und abgeschlossen. Er ist zugleich ihr Anfang. Höhe-
punkt. Und Ende. Was ihm vorausgeht, ist nar ein Auftakt
zu ihm. Was ihm nachfolgt, nur ein Nachklang an ihn. Hier
und dort natürlich schon viel Hübsches und noch viel Anmutiges. Aber
vas im besten Sinne den „Meister' macht, den „Kerl", dem etwas Rechtes
einnilt, der eine eigene Hand schreibt, der auch dann noch immer originell
bleibt, wenn er ganz gleichgültig ist: das bat nur Offenbach. Eine seiner
ganz schwachen Partituren ist z. B. die der , Banditen". Ein famoses Buch.
Und dazu eine, von dem berühmten , Stiefel-Chor* abgesehen, erstaunlich
müde, stimmungslose, missmutige, fibellaunige Musik. Trotzdem: Offen-
bach. Man sieht von ihm zwar nur die „Stiefel". Aber: Olfeobachs
Stiefel. Was man leider nur von den wenigsten sagen kann, das trilTt bei
Offenbach zu: man erkennt ihn nach den ersten drei Takten. An dem
schnellen FIuss der Melodie. Am Rhythmus. Am Brio. Überall. In
seinen Werken. Und — in denen der anderen.
Streng genommen also sollte eine Geschichte der Operette nur eine
Geschichte Offenbachs sein. Die vor ihm waren, sollten in einem Vor-
wort behandelt, die nach Ihm kamen, in einem Anhang abgetan sein. Aber
mit dieser Strenge, mit dieser grausamen Hirte gelangt man nicht weit
Abgesehen davon, dass man einer Anzahl reizender Talente bitter Unrecht
tut. Schliesslich ist ja auch das weite Gebiet der Operette nicht nur von
Parks bestanden, in denen es so stark und eigen rauscht, wie in der
aDomäne Olfenbach". Wo die Bäume fest im Ur-Erdreich wurzeln. Wo
die Blumen ihren süssesten Duft ausstrdmen. Da gibt es auch GXrten
und Girtlein, in dem majestätischen Einerlei ein lieblich-bunter Wechsel.
Sonne und gut Wetter locken manch anmutiges Pflänzlein aus dem Boden.
Und zuweilen weht auch Irgend ein günstiger Wind ein Samenkorn vom
Nachbar herüber. So finden wir die Operettenkomponisten zu Lebzeiten
Olfenbacbs und nach seinem Tode eifrig bemüht, im Geiste des Meisters
270
zu schaffen und sich da anzusiedeln, wo er eine Lücke gelassen. Denn
wie jedes grosse Werk weist auch das Offenbachs Stellen auf, die — iin-
bewusst aus übergrosser Fülle oder absichtlich übersehen — noch des
Ausbaues fähig sind, ja, geradezu nach ihm verlangen. Offenbachs un-
vergleichliche Spezialität ist der Zweivierteltakt. Wo in der weiten Welt
jemand im Zweivierteltakt zu reden beginnt, verfällt er unweigerlich in den
Offenbachschen Jargon. Anders ist es mit dem Dreivierteltakt und mit
der Lyrik. Obgleich Offenbach auch hier unvergänglich Schönes geschaffen
hat Auch im Walzer und in lyrischen Partieen, so oft er Gelegenheit
dazu findet, verleugnet er sein Genie nicht. Aber er findet sie eben
nicht häufig. Oder vielmehr, er sucht sie nicht allzu eifrig. Hier gibt es
wirklich etwas nachzuhelfen, zu bessern und neu zu bilden. Das haben
Offenbachs Nachfolger getan. Jeder dieser Nachfolger hat seine grössere
oder kleinere Spezialität, die seiner Musik die Marke aufdrückt Lecocq's
Partituren zeichnen sich durch die saubere, korrekte Arbeit aus. Au dran
ist der Schöpfer des modernen französischen Walzers. Message r ver-
einigt Lecocq und Audran mit der Besonderheit in sich, dass er auf die
altfranzösische Musik zurückgeht. Varney pflegt mit Vorliebe den Cancan
in starker Anlehnung an sein grosses Vorbild. Planquette bevorzugt
Stoffe mit düsterem, oft grausigem Einschlag. Terrasse scheint ein neues
Genre, das der musikalischen Groteske, ausbilden zu wollen. Ban6s gibt
sein Bestes in der Erfindung weicher, wiegender Walzerthemen. Ganne
endlich wendet eine besondere Sorgfalt auf die Ausarbeitung des har-
monischen Details. Im einzelnen betrachtet, nehmen Lecocq, Audran und
Messager in der zeitgenössischen Operettenproduktion den ersten Rang
ein. Charles Lecocq (geb. 1832) nähert durch seine sorgfiUtige Schreib-
weise, die sich selbst in dem jüngsten Werk des 7 1 jährigen » Yetta* nicht
verleugnet, die Operette wieder mehr der komischen Oper. Nach den
Exzessen des späteren Offenbach ein wohltuendes Beginnen. Es ist viel-
leicht nicht nur der blanke Zufall, der ihn bei seinem ersten Auftreten
(1857 ,Le docteur Miracle'') mit Bizet zusammenführt und ihn im Alter
ein Ballet für die Oper schreiben lässt. In Wahrheit hat er stets
innerlich zwischen Oper und Operette geschwankt. Nicht stark und
eigen genug für die Oper begabt, nicht leichtsinnig und keck genug
für die Operette, hat er es sich gefallen lassen müssen, dass man seine
Opern zu Operettenhaft und seine Operetten zu opemhaft fand. Mit einem
Werke hat er sich die Welt erobert, mit der »Fille de Madame Angot"»
der sich in einigem Abstand „Girofl^-GirofU" und »Le petit duc*
anschliessen. Zu Recht. Denn die «Mamsell Angot* ist ein aus-
gezeichnetes Stück. Zu Unrecht. Wenn man an die anderen, unbekannt
gebliebenen Operetten denkt, die eigentlich viel hübscher, viel reicher
271
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
sind. Was uns in der »Mamsell Angot" entzückt, die Introduktion, die
Legende von der Madame Angot, das Duett der beiden Frauen im zweiten
Akt, der Final walzer, der Brief im dritten Akt: das alles ist noch über-
treffen in „Fleur de th6«, ,La petite marifee«, „Le jour et la nuit*,
,Le coBur et la main*" u. a. Seinen Höhepunkt hat Lecocq ums
Jahr 1870. Die neue Zeit, mit ihrem Verlangen nach stärkeren Würzen,
nach Pikanterie, Eleganz und Mondainität, findet zu ihm kein rechtes Ver-
hältnis mehr. Er ist bei seiner ersten Manier stehen geblieben. Seine
,Yetta", die kürzlich in Brüssel, der Geburtsstadt der „Mamsell Angot",
ihre erste Aufführung erlebte, zeigt dieselbe dünne Begleitung, die-
selbe Keuschheit in der Harmonie, allerdings, auch dieselbe Feinheit
in der Melodie. Ungleich bedeutender — im Operettensinne natürlich —
als der sympathische, aber etwas indifferente Lecocq ist Audran. Edmond
Audran (1842—1902) hat zeit seines Lebens keine Skrupel gekannt. Er
ist — soweit dies bei einem Franzosen, der als oberstes Gesetz stets den
guten Geschmack anerkennt, überhaupt möglich ist — immer rücksichts-
los «aufs ganze" gegangen. Bei Audran kommt man nie ohne eine Stelle
weg, über die man sich ärgert. Einen gemeinen Augenblick hat er immer.
Irgend einen Cancan, einen Marsch, eine Polka, die das Ohr beleidigt. Ein
Beispiel aus ^.Gillette de Narbonne*. Dem knatternden, krachenden
Refrain ,En avant Briquet*" hängt Andran flugs einen ordinären Schwanz
an. Und kaum haben sich zu einer süssen Liebesmelodie über Roger und
Gillette die Vorhänge des Zeltes geschlossen, so stürzt sich der Chor in
den Kampf und zugleich in einen Marschcancan von ausgesuchter Ge-
meinheit. Dies alles von der Summe des Audranschen Schaffens abgezogen,
bleibt doch noch genug des Bedeutenden, frisch und unmittelbar Erfundenen
übrig, das Audran in die engste Nähe des Grossmeisters der Operette
rückt Nichts reizenderes als ein Audranscher Walzer! Eine Fülle solcher
leichtbeschwingten Melodieen, die sämtlich eine nur ihm eigentümliche
Linie zeigen, hat Audran angefangen bei der „Mascotte* und endend bei
der i^Puppe* über seine Operetten ausgestreut. Er ist für den französischen
Walzer dasselbe, was Johann Strauss für den Wiener Walzer ist. Mit dem
Unterschied allerdings, dass sein Walzer stets dramatisch, Straussens da-
gegen immer reine Tanzmusik ist. Andr6 Messager ist in erster Reihe
der feine Musiker. Kein gewöhnlicher Operettenschreiber. In Berlin
kennt man ihn von der reizenden „Basoche" her. In Paris gilt er als
einer der fähigsten Köpfe. Er ist der Begabteste unter den Jungen. Für
die Komische Oper komponierte er den „Chevalier d'Hermenthal*", für
die Grosse Oper ein Ballet „Les deux pigeons*. Seine «Madame
Chrysantheme"* hat nicht weiter gewirkt. Jetzt ist er Kapellmeister der
Komischen Oper. Und als Komponist befindet er sich auf der rechten
272
Bahn, wie sein jüngstes Werk „Vdronique* beweist. Er setzt die
französische Operette dort fort, wo Audran ermattet Halt gemacht. Man
vergleicht ihn mit Lecocq, findet jedoch, dass er jenem an Erfindung nach-
steht. Die solches sagen, wissen es nicht besser. Lecocq ist die gute
alte Zeit. Seine Melodieen sind leicht verständlich. Man behält sie be-
quem. Sie erfreuen sich eines gesunden, normalen Wuchses. Das Or-
chester ist ganz einfach. Die Harmonisierung beschränkt sich auf das
Nötigste. Bei Messager ist das anders. Zwischen ihm und Lecocq liegt
Audran. Messagers Musik ist bewusster, raffinierter. In seinem Raffine-
ment ist Messager ein grosser Erfinder. Und ein wahrer Künstler oben-
drein, den nie der auserlesene Geschmack verlässt. Messagers Partituren
sind bis in die geringsten Kleinigkeiten fein, geistreich und mit einem
grossen technischen Können gearbeitet. Überall reizende Einfälle, denen
eine pikante Harmonie, eine instrumentale Finesse hilfreich zur Seite steht.
Nirgends drängt sich etwas grosstuerisch hervor. Nichts Brutales oder
gar Sentimentales findet sich in der Musik Messagers. Messager steht auf
dem rechten Flügel der modernen französischen Operette, deren linken die
Gruppe der Vaudevillisten bildet. Wie nämlich aus der alten komischen
Oper der Duni, Philidor, Monsigny, Gr6lry, Dalayrac, Isouard, Boieldieu,
Adam und Auber die moderne komische Oper und die Operette hervor-
gegangen sind, so hat sich die Meisteroperette Offenbachs in die Operette
der Lecocq, Audran, Messager, Vamey, Planquette, Pessard, Serpette,
Ganne und in das Vaudeville der Ban6s, Roger usw. gespalten. Diese
jüngste Entwicklung geht dahin, die breit ausgeführten Ensembles, die
kunstvoll aufgebauten Finales beiseite zu schieben und die Musik mehr
diskret begleiten, den Dialog pikant unterstreichen, als ein selbständiges
Dasein leben zu lassen. Das moderne Vaudeville, ein Schwank feinerer
Haltung mit eingestreuten Musiknummem, legt das Hauptgewicht auf das
Stück, das sich in kräftigen Situationen entwickelt, und weist der Musik
eine untergeordnete Stellung an. Träger des Vaudevilles sind Schauspieler,
nicht Sänger. Mancherlei Umstände zeigen die Zukunft des Vaudevilles
im günstigsten Licht. Darsteller mit guten und wohlgebildeten Stimmen
werden immer häufiger der Operette untreu und gehen zur Oper über.
Die Operette mit ihrer ansprechenden, aber an Sensationen armen Hand-
lung behagt einem modernen, nach Überraschungen lechzenden Publikum
längst nicht mehr. Andererseits siecht der französische Schwank an Über-
spannung der Situationen langsam dahin. Welcher Gedanke also liegt
näher, als diesen Schwank mit der Operette zu verquicken? D. h. ihm
durch Zuführung von Musik neues Leben einzuflössen? Mit einem Wort:
die Operette durch den musikalischen Schwank, das Vaudeville, abzulösen?
Seit Menschengedenken ist Wien für romanische Kunstprodukte
273
URBAN: VIEDERGEBURT^DER OPERETTE
Durchgangstation nach dem deutschen Norden. Seit jeher hat es welsche
Gäste mit offenen Armen aufgenommen. Italien und Frankreich haben
dort an der schönen blauen Donau für ihre Kunstschätze gleichsam ein
Emporium errichtet. Antonio Caldara, durch seine Kirchenkompositionen,
Kammermusik und Opern berühmt, hat in Wien lange Jahre neben Fux
gewirkt. Den Schöpfer des ersten «Barbiere di Seviglia*, Giovanni Paesiello,
führen ausgedehnte Reisen nach Russland und Wien. Domenico Cimarosa,
der Komponist der «Heimlichen Ehe^, weilte in Wien. Antonio Salieri,
Mozarts Rivale, ist in Wien gestorben. Cherubini ist 1806 in Wien und
bringt dort seine »Fanisca* heraus. Rossini, Verdi, Mascagni haben sich
in Wien fast das Heimatsrecht erworben. Nicht schlechter ist es Frank-
reich ergangen. Stets hat man in Wien eifrig gespäht, was an der Seine
Mode ist. Auber, H6rold, Hal6vy, Thomas, Gounod, D61ibes, Bizet sind
in Paris und Wien beinahe gleichzeitig erschienen. Die Wiener Hofoper
ist das erste und einzige Institut grossen Stils, das Massenetsche Werke
Aut dem Spielplan hält. So oft welsche Komponisten nach Wien kommen,
werden sie herzlich empfangen. Papa Hanslick gibt seinen Segen dazu.
Kurz, Italiener und Franzosen fühlen sich in der österreichischen Kaiser-
stadt wie zu Hause. Die Wurzeln dieser Romanenliebe sind nicht schwer
Aufzugraben. Einmal ist die ganze Denkungs- und Gemütsart des Wieners
der romanischen ungemein nahe verwandt. Dann schliesst die fast groteske
Buntheit der Völkermischung ein stark nationales Empfinden so gut wie
ganz aus. Und endlich wirkt die Erinnerung an alte politischen Bande noch
heut nach. Wenn also Wien um das Jahr 1860, das Offenbach auf der
Höhe zeigt („Orpheus^ ist erschienen und »Die schöne Helena* folgt vier
Jahre später nach), geblendet und gierig zugleich auf die Operette blickt,
so bleibt es damit — weit davon entfernt aus der Rolle zu fallen — nur
streng im Stil. Man kann ihm — zuerst wenigstens — nicht einmal den
Vorwurf machen, dass es den bunten Schmetterling, der von der Seine
zum staunenden Ergötzen der ganzen Welt aufflattert, ruchlos eingefangen
und ihm den zarten Schmelz von den schimmernden Flügeln genommen
Jiabe. Wenn eine Stadt der neuen Kunstart sich zuwenden durfte, so war
es sicherlich Wien, und einzig und allein Wien. Aber nun macht man
gleich im Anfang einen furchtbaren Fehler. Anstatt die Pariser Pflanze
mit allen ihren Fasern aus dem gallischen Boden zu heben und in das
heimische Erdreich zu setzen, raubt man ihr hastig die Blüten und putzt
4iamit inländisches Gewächs bunt aus. Die Wiener Operette, sollte sie
überhaupt einen Sinn haben, musste sich aus dem national-österreichischen
Singspiel entwickeln, wie es in den 20er Jahren in Wien gedieh, wie es
Wenzel Müller und Adolf Müller schrieben. Eine lustige Geschichte, der
auch das bischen Sentimentalität nicht fehlt. Eine heitere Gegend. Die
III. 4 18
274
DIE MUSIK III. 4.
schöne blaue Donau. Die schönen blauen österreichischen Berge. Diese
Scenerie anmutig belebt mit heiteren Menschen» die singen, tanzen und
springen. Auch Offenbach hat an das Singspiel angeknüpft, das ihm sein
Bestes gegeben hat. Das war der Weg für die Wiener Operette. Und
was bieten uns die Wiener Operettenkomponisten statt dessen? Einen
schwachen Abklatsch der Pariser Operette. Karikaturen. Zerrbilder. Mario-
netten. Da erscheinen wieder die oft gesehenen Figuren der Offenbach-
sehen Groteske. Der trottelige König mit seinem idiotischen Minister.
Die verbuhlte Königin. Der gerissene Oberpriester. Der irrsinnige Hof-
arzt. Die lange Kette parodistisch verrenkter Gestalten, die im Lande Offen-
bachs hinzielend auf wirklich vorhandene Personen und Zustände einea
kleinen versteckten Sinn haben, taucht plötzlich an der Donau auf. Nie-
mand weiss, woher sie kommen. Was sie bedeuten. Geheimer Sinn wird
zu offenbarem Unsinn. Die Tatsache allein, dass Dreiviertel aller Wiener
Operetten — darunter die deutsche Meisteroperette „ Fledermaus" — textlich
aus dem Französischen herrühren, beweist, wie völlig unselbständig, wie
vorbehaltlos abhängig von ihrem Vorbild die Wiener Gattung ist. Doch —
dass mir keiner vorwerfe, ich sei gegen Wien ungerecht, ich streue gar
das Gerücht aus, die Wiener Operette lebe und sterbe mit der Ausnützung
des Pariser Modells! Etwas haben die Wiener allerdings getan. Sie haben
den feinen, leichten, heiteren Geist aus der Operette ausgetrieben. Sie
haben verdickt und vergröbert, wo sie nur konnten. Sie haben dem perlen-
den Mousseux einen kräftigen Schuss Sirup zugefügt. Das Erklecklichste
in dieser Verdickung und Vergröberung, in lärmender Instrumentation, in
pomphaft aufgedonnerten Finales ä la Meyerbeer und Hal6vy haben Supp6
und Gen6e geleistet. Supp6, der dem rein technisch begabten Gen6e
gegenüber den Ruhm eines reichen musikalischens Erfinders für sich in
Anspruch nehmen darf, beginnt sehr frisch, munter und harmlos mit kleinen
Possen wie „Das Pensionat**, „Zehn Mädchen und kein Mann"»
„Flotte Bursche*, »Die schöne Galath6e", »Leichte Kavallerie"
u. a. Alsbald aber genügt der enge Rahmen seinem Ehrgeiz nicht mehr»
Er wird der Begründer der sogenannten »grossen Operette*, die unver-
hohlen mit dem pathetischen Stil der »grossen Oper* liebäugelt. Meyerbeer,
Verdi und Wagner nachäfft und sich nicht genug tun kann in Riesenauf-
zügen, gespreizten Ensembles, auf Stelzen gehenden Arien, brutalen Unisono-
effekten und einem immer aus vollen Backen blasenden Orchester. »Fati-
nitza,* »Boccaccio* und »Afrikareise* sind solche »grossen Operetten*.
Sie sind uns erträglich, ja, lieb geworden durch das unleugbare Talent»
das sich darin ausspricht, durch die Fülle einschmeichelnder und effekt-
voller Melodieen, hauptsächlich Marschmelodieen. Als Typus Supp6scher
Manier erscheint mir stets die allen vierhändig spielenden Klavierschulen!
275
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
ans Herz gewachsene, auf dem Programm jedes Gartenkonzerts prangende,
ungeheuer populäre und riesig beklatschte Ouvertüre zu «Dichter und
Bauer*. Ein Monstrestück I Eine wahre Ausstellung von Knalleffekten und
Überraschungen! Und trotzdem — das Erzeugnis einer mühelos schaffen-
den Phantasie und eines grossen technischen Vermögens. Gen6e verdient
kaum den Namen eines Operetten- »Komponisten*. Trotz seiner »Nanon",
die ihn in allen Zonen bekannt gemacht hat. Er ist vielmehr der «ge-
treue Ekart* der Wiener Operettenschreiber. Der zuverlässige Helfer in
allerhand instrumentalen und satztechnischen Nöten. Heut, wo er nicht
mehr ist und wo es dem nichts mehr schadet, dem er einst so grosse
Dienste geleistet, kann man es ja offen aussprechen. Gen6e hat nicht bloss
alle Operetten des beginnenden Strauss instrumentiert. Von ihm stammt
auch der ganze Satz, das gesamte Gefüge, zu dem er von Strauss nur die
Themen, sozusagen die Bausteine, erhielt. Bei dieser Tätigkeit kam ihm
seine textdichterische Begabung vortrefflich zu statten. Sagte ihm jemand
die Melodieen an, so konnte dieser jemand in drei Monaten bestimmt auf
die ganze Operette rechnen. Das »Sich-Ansagen-Lassen*' war Gen6e so
zur zweiten Natur geworden, dass er es selbst bei eigenen Werken nicht
missen mochte. So hat ihm z. B. Planquette den berühmten Walzer «Anna,
zu dir ist mein liebster Gang*" Note für Note „angesagt*'. Supp6 und
Gen6e füge ich gleich hier den zwar weit jüngeren, aber innerlich zu
ihnen gehörigen Karl Millöcker an. Millöcker ist gleichsam die Synthese
der beiden. Von Supp6 hat er die Melodieenfreudigkeit. Von Gen6e die
technische Solidität. Sein Bestes und Reifstes hat er im i» Bettelstudent"
gegeben. »Der Vizeadmiral, ** „Gasparone,** »Der arme Jonathan"
und .Das Sonntagskind" zeigen bei sicherer Mache schon eine leichte
Ermüdung. Leider ist er auf dem von Supp6 und Gen6e betretenen ver-
hängnisvollen Wege nicht stehen geblieben. Er hat denen in die Hände
gearbeitet, die später der Wiener Operette einen weiteren Stoss nach unten
versetzen. Immerhin sichern ihm so reizend erfundene Stücke wie der
Walzer »O, du himmelblauer See" aus dem „ Verwunschenen Schloss",
wie der 9Apajune"-Marsch, wie das »Ach, ich hab' sie ja nur* aus dem
»Bettelstudent", wie der »Traum-Walzer" aus dem «Feldprediger", wie das
»Komm mit mir in den Garten" aus dem » Vizeadmiral", wie das »Ich bin
der arme Jonathan" aus dem »Armen Jonathan" und noch vieles andere
das Andenken eines sympathischen Musikers, dem etwas einfiel, der das
Gefundene auch ansprechend und selbst künstlerisch zu gestalten wusste . . •
In eine andere Sphäre gelangen wir sofort mit Johann Strauss. Kurz
herausgesagt und ohne den übrigen etwas von ihrem Wert nehmen zu
wollen: vom Handwerk in die echte Kunst. Johann Strauss (1825 — 1800)
hat im Jahre 1871 seine erste Operette (»Indigo") herausgebracht. Er ist
J8»
276
DIE MUSIK III. 4.
als Mann von 46 Jahren an die Operette herangetreten. Nachdem er ein
Vierteljahrhundert hindurch ungefähr 300 TInze geschrieben. Aus der
nackten Feststellung dieser Daten springt ins Auge, was Strauss ffir die
Wiener Operette hätte werden können, und was er für sie — bei der rück-
haltlosesten Bewunderung seines Genies — schliesslich geworden ist Wer
seine besten Jahre darauf verwendet hat, mit leichter Hand Tanzmusik —
und sei es selbst die genialste — aufs Papier zu werfen, der wird nicht
plötzlich als dramatischer Komponist entdeckt, der ist nicht von heut auf
morgen der Bühne gewonnen, die über den blanken Einfall hinaus scenischen
Instinkt, polyphone und kontrapunktische Fähigkeiten verlangt. Sollte Strauss
also wirklich den Konzertsaal mit dem Theater vertauschen — ich weiss
nicht, was ihn dazu trieb, Ermüdung und Ekel vor dem Tanz oder die
Sucht nach breiteren Erfolgen — , so musste man ihm textliche Unterlagen
geben, in denen der Tanz — und zwar der unverhüllte, offenbare Tanz —
dominierte. Stücke, die seinem heiteren, leichten, sonnigen, eines warmen
Herzenstones nicht entbehrenden Temperament entgegenkamen. Und vor
allem: in denen getanzt wurde. Das hat man nicht getan. Sehr zum
Schaden der Sache. Denn man liess die vielleicht einzige Gelegenheit,
zwischen dem komischen Singspiel und der Operette eine Brücke zu
schlagen, ungenützt vorübergehen. Und zum Schaden von Strauss selbst.
Denn er wurde dadurch in eine Richtung gedrängt, die abseits seiner
ursprünglichen Begabung und abseits auch seines gesteckten Zieles lag.
Er, bei dem sich jede Vorstellung, jeder Gedanke, jede Empfindung sofort
in einen Tanzrhythmus auflöste, für den das Leben ein Tanz war, sah
sich plötzlich vor dramatische Aufgaben gestellt. Ratlos stand er zuerst.
Aber bald wusste er sich zu helfen. Vor allem spürte er die Stellen auf,
die einen Tanzrhythmus verlangten oder wenigstens leidlich vertrugen.
Und dann setzte er überall, wo es anging und wo es nicht anging, Walzer-
und Polkamotive schnell entschlossen als Lichter auf. So sind die Potpourri-
Operetten entstanden, die man heut mit dem Namen „Wiener Operette*
deckt, und über denen man sogar eine Zeitlang Offenbach vergessen konnte.
Wenn dies geschah, so lag es daran, dass diese Potpourris eben von
Johann Strauss waren, einem der genialsten musikalischen Erfinder über-
haupt, der in seinen schwächsten Werken soviel Reichtum nutzlos ver-
geudete, dass ein sparsamer Komponist unserer Tage ein halbes Dutzend
Operetten davon anständig ausstatten könnte. Strauss' unvergleichliche
Spezialität ist der Walzer, in dessen modemer Ausgestaltung er die Tradi-
tion Lanner-Gungl-Strauss Vater fortsetzt. Der alte Wiener Walzer ist das
behagliche Geniessen einer harmlosen, heiteren, spiessbürgerlichen Gene-
ration. Der Walzer von Strauss Sohn ist das bebende Entzücken einer
wissenden, leidenschaftlichen, modernen Jugend. Er hat nicht mehr den
277
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
kurzen Atem und den trippelnden Schritt Alt -Wiens. Er strömt aus voller
Brust. Seine Linien sind schön und lang geschwungen. Er ist nicht allein
ein Vergnügen des Tanzbodens. Er ist eine starke heimliche Macht. Eine
Zeit hat es gegeben, da Strauss nach dem Ruhme geizte, nicht ein Pot-
pourri-Komponist, sondern ein deutscher Offenbach zu werden. Das waren
die Tage des ^^ Prinz Methusalem^. Hier steht er noch im Bann Meister
Jacques'. Französisch ist die Rhythmik. Von melodischen Anlehnungen
abgesehen, die bei einem Anfänger selbstverständlich sind. Französisch
ist auch die Unterdrückung der reinen Tanznummem zu Gunsten einer
liebevolleren Ausarbeitung des Scenischen. Die grossen Tanzwalzer
(„Suites de valses** nennt sie der Franzose richtiger), wie sie jetzt
in den Konzerten gespielt werden, folgen nicht nacheinander in der
Operette. Die einzelnen Teile setzte man beliebig zusammen und gab
ihnen ein Vorspiel, in dem zumeist das Hauptthema anklang. So sind
die „Rosen aus dem Süden* aus dem „Spitzentuch der Königin"
und der « Lagunenwalzer ** aus der „Nacht in Venedig** gezogen.
Später, ungefähr vom „Lustigen Krieg** an, kümmert sich Strauss kaum
noch um die Technik der Franzosen. Tänze konnte er nur geben. Tänze
um jeden Preis wollte man von ihm haben. So bietet er sie denn in
Oberfülle. 2/4 Takt und 3/4 Takt in lieblichem Wechsel. Dazwischen
eine jener berühmten sentimentalen Nummern, um die die Wiener das
Genre angeblich bereichert hatten. Im „Zigeunerbaron** noch im Voll-
besitz seiner schöpferischen Kraft, bringt Strauss an der Schwelle des
Greisenalters nach mehreren Fehlschlägen den „Waldmeister" fertig, bei
einem Mann von seiner Produktion eine erstaunliche Leistung. Zu
welchem Ausgang Strauss — ohne sein Wollen freilich — die Wiener
Operette gedrängt hat, wird an ihren letzten Ausläufern jetzt klar, wo die
glänzende Gestalt des Walzerkönigs das Auge nicht mehr blendet. Czibulka,
Dellinger, Roth, Zeller, Ziehrer, Zumpe: sie alle haben an dem lächerlichen
Gerücht, dass die Operette tot sei, mitgearbeitet. Erst die junge Generation
fängt wieder an, sich auf sich selbst zu besinnen. An erster Stelle steht
Richard Heuberger, der ein sehr feiner Musiker, aber leider nicht
stark genug in der Erfindung ist, um dem Untergang der Wiener Operette
dauernd steuern zu können. Sein „Opernball** ist immerhin ein durch-
aus vornehmes, sehr respektables Werk. Hugo Felix hat mit der pi-
kanten, fein gearbeiteten „Madame Sherry** einen verdienten Erfolg ge-
habt. Von L6har und Eysler spricht man augenblicklich sehr viel. Und
Heinrich Reinhardt hat in dem „Süssen Mädel** und dem „Lieben
Schatz* den an sich schon lobenswerten Versuch gemacht, von der
Operettenschablone loszukommen und einen spezifisch österreichischen
Stoff zu komponieren. Vielleicht schenkt er uns das Wiener Singspiel.
278
DIE MUSIK III. 4.
m
Vor wenigen Jahren noch gab es ausserhalb der Linie Paris — Wien,
die eine gebundene Marschroute bedeutete, für die Operette keine
beachtenswerten Punkte. Italien deckt seinen Bedarf an Operetten in
Paris und Wien. Französische Truppen bringen in jeder Saison das
Neueste vom Pariser Markt. Was etwa in italienischen Komponisten an
Hang oder Talent für die Operette vorhanden ist, macht sich in Gassen-
hauern und vor allem in den berühmten „Canzoni di Piedegrotta* Luft.
Mehrere solcher italienischen Gassenhauer sind auch bei uns populär
geworden. Ich erinnere nur an «Anne Marie, mein Engel, ich verehr'
dich*, an „Man munkelt allerlei* und an „Youp-lä, Catharina*. Spanien
hat eine reichere Produktion auf dem Gebiet der Operette. Unter den
spanischen Operetten („Zarzuela* genannt) befinden sich viele sehr reizende,
textlich und musikalisch anmutige und ansprechende. Wie es bei Spanien
nicht anders sein kann, dreht sich in einer »Zarzuela* alles um Liebe,
Frauenverehrung, Entführung und Rache. Der Liebhaber singt unter dem
Fenster der Angebeteten eine Serenade. Die Angebetete wird von einem
alten Vormund bewacht, der dem Amoroso nicht hold ist. Zwischenfälle,
Hindemisse, Überraschungen treten ein. Bis zum Schluss die Liebenden
vereint sich in die Arme sinken und der geprellte Oheim seine Zustimmung
gibt. Das sceniscbe Gefüge ist sehr locker. Die Musik setzt sich aus
Liedern und Couplets zusammen. Als das Meisterwerk der spanischen
Operette gilt ^^Gran Via" von Cuecha. Die Melodieen sind Gemeingut
des spanischen Volkes geworden. Sie dringen auch in andere Länder und
werden dort wegen ihrer prickelnden Leichtigkeit, ihrer rhythmischen und
melodischen Frische gern gehört. Möglich, dass sich aus der Zarzuela
noch einmal etwas Fruchtbares entwickelt. Vorläufig jedenfalls zählen nur
Wien und Paris. Oder vielmehr, sie zählten, als plötzlich die englische
Operette mit einigen erfolgreichen Schöpfungen auf den Platz trat. Mit
einem Schlage veränderte sich das Bild. Die Pariser und die Wiener
Manier waren in den Hintergrund gedrängt. Arthur Sullivan mit seinem
„Mikado* und Sidney Jones mit seiner „Geisha* hatten ihnen eine
neue, eine dritte hinzugefügt, die englische. Diese neue englische Manier
— zurückgehend auf die Maskenspiele und Interludes des 17. Jahrhunderts
— vernachlässigt das Stück, den Text. Sie verzichtet auf eine vernünftige
zusammenhängende Handlung und bringt nur Musik, Ausstattung und Tanz.
In der Musik wechselt der »Song* (meist sentimental, im Stil der alten
«ballads*) mit dem Couplet ab. Der Refrain fast jeder Nummer wird zur
Pianissimo-Begleitung des Orchesters getanzt. Als die Engländer plötzlich
anfingen, im musikalischen Leben eine Rolle zu spielen, mögen sie selbst
nicht am wenigsten erstaunt gewesen sein. Wie, dieses musikarme, mit
einem unsicher tastenden Allerweltsgeschmack begabte, von deutschen.
279
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
italienischen und französischen Meistern abhängige, rein reproduktiv aus-
gestattete Volk sollte der Musik Propheten geboren haben? Nimmermehr!
Sullivan war ein hübsches Talent, das mit seinen Gaben gut Haus zu
halten verstand. Jones hatte eine volkstümliche, frisch sprudelnde Ader,
mehr nicht. Aber damit macht man keine Welterfolge. Und in Wahr-
heit hat der englischen Manier etwas ganz anderes zum Siege verholfen.
Das ist der groteske Rhythmus. Diese schlenkernden Rhythmen, diese
Synkopen, diese verrenkten Betonungen trafen das Ohr des Kontinents wie
Stachelhiebe. Sie brachten den erschlafften Nerven Europas die langersehnte
neue Sensation. Wem das nicht sofort einleuchtet, der werde nachdenklich
an dem fast gleichzeitig auftretenden Amerikanismus. Von welchen
Kräften geht dessen Wirkung aus? Ebenfalls und einzig nur vom Rhythmus.
Und wie Amerika im geschäftlichen und politischen Leben das Land des
schnellen, rücksichtslosen Entschlusses ist, so überbietet es auch schnell
England, indem es den »Nigger-Song^ kulturfähig macht. John Philipp
Sousa's famose Märsche mit ihren genialen aber brutalen rhythmischen
Effekten, der Boston, der Cake-Walk . . . bedarf es da noch eines Beweises?
Ohne Zweifel; noch schwimmen wir mitten im Anglo-Amerikanismus.
Aber jeden Augenblick kann sich die Flut verlaufen und wir sitzen am
trocknen Land. Denn darüber wollen wir uns ja nicht täuschen. Die
anglo-amerikanische Mode, die uns jeden Tag mit neuen juckend-zuckenden
Rhythmen überschüttet, ist eben nur eine Mode, ein äusserer grotesker
Aufputz, keine von innen kommende Bewegung. Und dann? Dann gilt
es, die Faktoren zu sammeln, zu prüfen und zu ordnen, die eine Wieder-
geburt der Operette herbeiführen könnten. »Die Operette ist tot.**
So wiederholt man immer und immer zum Überdruss. Die Operette, wie
sie heut in Paris und Wien in spärlichen Resten existiert, die erstarrte,
mumifizierte Operette, die Schablonen- und Clich6operette, die ist tot.
Richtig. Und ich füge hinzu: Gott sei Dank. Aber die Operette im all-
gemeinen, das Genre, die Kunstart, die wir als eine durchaus berechtigte,
musikalisch und dichterisch reizvolle, liebenswürdige und sympathische
kennen gelernt haben: die lebt. Vorläufig freilich nur in den Gedanken
und Hoffnungen derjenigen Kunstfreunde, die von heiterem Frohsinn
eben so viel Erbauung erwarten, wie von strenger Grösse. Damit nun
diese Hoffnungen und Träume zu lebensvoller Wirklichkeit werden, muss
man auf den Zeitpunkt zurückgehen, da die Operette geboren wurde. Da
das Erzeugnis geschmackvoller und erfindungsreicher Menschen noch nicht
verdorben war. Also auf die Anfänge Jacques Offenbachs. Denn das
halte man sich vor Augen: nur wenn wir den guten Willen, den Geist
und die Erfindungskraft jener Offenbachschen Zeit besitzen und aufbieten,
kann aus der Operette noch etwas werden. Die neue Operette, wie sie
280
DIE MUSIK 111. 4.
erst geschaffen werden soll, die «Operette der Zukunft** — wenn man
so sagen darf — , muss sich zu der Höhe einer musikalischen Charakter-
komödie erheben. Offenbachs Operetten waren in der Anlage, und so
lange sie nicht mit dem Ballast possenhaften Unsinns fiberladen wurden,
musikalische Charakterkomödien. Die Operette der Zukunft besteht aus
zwei gleichwertigen Bestandteilen. Aus der Komödie. Und aus der Musik.
Mit dem Axiom, dass für die Operette der grösste Blödsinn gerade gut
genug sei, muss aufgeräumt werden. Die Komödienschreiber machen vor
den Herren Zell, Gen6e, West, Held, L6on, Stein, Landesberg Kehrt und
schliessen sich den Meilhac, Hal6vy, Cremieux an. Die Komödie selbst
stellt Menschen auf die Beine, keine Puppen. Sie bringt eine mensch-
liche, logisch entwickelte Handlung. Die Musik bricht mit der Wiener
Gewohnheit, jedem Musikstuck einen Tanz-, vor allem einen Walzerschluss
anzuhängen. Der Walzer ist ein lyrisches, kein dramatisches Moment.
Es ist eine Widersinnigkeit, Versen, die nicht den Dreivierteltakt in sich
oder an sich tragen, Walzerthemen unterzulegen. Im zweiten und fünften
Akt von «Margarete*, im „Hans Heiling**, in der „Fledermaus**, in der
«Mamsell Angot* ist der Walzer dramatisch verwendet. Die Musik also,
sage ich, hat vier Eigenschaften: sie ist einfach, sie ist melodisch, sie ist
charakteristisch, sie ist dramatisch. Die Musikstücke fliessen ungezwungen
aus der Handlung und münden ebenso zwanglos wieder in sie ein. Har-
monie, Instrumentation, Polyphonie, Kontrapunktik sind die Hilfsmittel
dieser Musik. Text- und Tondichter ergänzen und korrigieren sich.
»Dichter und Komponist, ** bemerkt Offenbach einmal, „müssen in geistiger
Ehe mit einander leben . . .'^ Und sehe ich mich, da bisher nun einmal
die Stationen der Operette an eben so viele Städte gebunden waren, für
den neuesten Haltepunkt nach einem Ort um, so — meine ich — könnte
das Berlin sein. Nach der Pariser und Wiener die Berliner Operette.
Zwar haben wir schon eine Operette, die die „Berliner* heisst und deren
Schöpfer Paul Lincke ist. Aber von ihr rede ich hier nicht. Ich nehme
den Geist, der seit Jahrhunderten in Berlin lebt. Den heiteren, kecken,
satirischen Geist. Er soll ja auch die „Operette der Zukunft* durch-
dringen. An Berliner Komponisten wäre schon jetzt kein Mangel, wenn
man nur recht zu suchen wüsste. Bogumil Zepler hat seit den Tagen
des Überbretti wiederholt Proben eines feinen graziösen Talentes gegeben.
Victor Holländer sind zwei Stücke von der populären Schlagkraft des
„Nord-Express* und der „Kleinen süssen Mägdelein* gelungen. Paul
Lincke könnte mittun, wenn er zu den reichen musikalischen Gaben auch
noch die reife musikalische Kultur erwürbe.
Und mag dem einen oder dem anderen der Ernst und der Eifer, mit
dem ich ein so leichtes Ding, wie die Operette ist, anfasse, übertrieben
281
URBAN: WIEDERGEBURT DER OPERETTE
erscheinen: ich berufe mich aufGr6try, der da sagt: ,In der Opemmusik'
ist nichts so schwer wie das Leichte.* Ja, ich 'gehe sogar noch einen
Schritt weiter. Ich halte nicht nur an der „Operette der Zukunft" fest.
Ich denke mir sogar, dass sie die Opemform der Zukunft werden kann,
wenn die richtigen Leute an die Sache herankommen. Ohne etwas davon
nehmen oder etwas dazusetzen zu wollen: in fünfundzwanzig Jahren ist
uns die Gewissheit geworden, dass auf dem Weg, den Wagner mit genialer,
gewaltiger Kraft und Rücksichtslosigkeit sich geebnet hat, kein Fortschreiten
möglich ist. Auf der ganzen Linie wird zum Rückzug geblasen. Humper-
dinck, Batka, Siegfried Wagner wollen zur Volksoper zurück. Man strebt
los von Wagner. Wäre da die neue, die „Operette der Zukunft" nicht ein
brauchbares Hilfsmittel? Ein Segen für den, der sie schriebe? Ein
Segen für sie selbst? Etwa: die simplifizierte «Feuersnot"? Weniger
Pathos? Und mehr Erfindung?
JOSEPH MAYSEDER
(t 21. November 18631
Von Dr. Tilh. Altmann, Friedenau- Berlin
er heutiten Generation Ist der Name Maf aeder') ao gut wie unbekannt.
I Und doch war dieser KQnstler einst ein als Virtuos und Quartettspieler
I gleich ceschitzter Geiger, haben sich seine Kompositionen einst einer
I ungemeinen Beliebtheit erfreut Er iat freilich als ausCbender KQnstler
s nur eine lokale GrSsse gewesen, da er sich nie zu einer Koniert-
reise hat enischllessen kdnnen, und selbst, als er 1820 dnen seiner Schüler nach
Paris begleitete, hat er dort nur zweimal, allerdings vor den musikalischen GrSasen,
aber In Privatzlrkeln gespielt. Er war ein eingefleischter Tiener Zelt seines Lebens
and mit dem Tiener Musikleben aufs innigste rerwacbsen.
Gebaren am 26. Oktober 1789 als Sohn eines nicht mit Glücksgütern gesegneten
akademischen Malers wurde er 1708 Schfiler des Gelgera Trsnltiky und trat schon
im Jahr 1800 In dem berühmten Auganen dreimal mit grossem Erfolg öffentlich auf.
Klavier- und Theorieanierricht nahm er von 1802 an bei Emannel Purster und wurde
etwa gleichzeitig, um sein Geigenspiel in rertlefen, Schüler des mit Beethoven eng
befreundeten Ignaz Schuppanzigh; dieser nahm Ihn dann 1804 als zweiten Geiger in
sein bald berühmt gewordenes Streichquartelt auf. Als Solist und Vorgeiger wurde
Mayseder, der unabllssig an seiner Vervollkommnung gearbeitet hatte, beteits 1810
in die Kaiserl. Theaterkapelle aufgenommen; 1816 Slhiete sich ihm die Kaiserl. Hof-
kapelle, In der er 1835 zum Kammervirtuosen und allmihllch zum Kapellmeister
avancierte; daneben gehSrte er auch dem musikalischen KSrper der Stefanskirche an,
fBr die er 1846 eine noch jeUt gebriucbliche Messe komponierte. Etwa bis 1840 liess
er sich fiffentllch, auch in eigenen Konzerten, als Solist bSren und galt in Tlen
durchaus fBr einen in jeder Hinsicht ausgezeichneten Vertreter seines Instruments,
der keinen Rivalen zu scheuen brsuchte; auch veranstaltete er Kammermusik-Abende
(die sogen. Dukaienkonierte), wobei Ihn Hnmmel und splter Moacbeles auf dem Klavier
unterstQtiten. Besonders geschitit war er als Quartettapieier; als solcher hat er sich
um die AuffGbrung der letiten Quartette Beethovens, der Ihn auch seiner Preund-
achaft würdigte, besondere Verdienste erworben; von 1843—1856 war er Führer des
Privatsirelcbqnartetts des Fürsten Czartorfskl. In behaglichen Verbiltnissen Boss der
Rest seines Lebens dahin. Nicht nur als Musiker erfreute er sich bis an sein Lebens-
ende der allgemeinsten Spmpathieen, sondern auch als Mensch. Bereits 1817 wurde
er zum Dank dafür, dass er seine Kunst unermüdlich in den Dienst der Tohllitig*
keit stellte, Ehrenbürger seiner VaterstadL
Als Lehrer war er sehr beliebt und namentlich von den aristokratischen Kreisen
gesucht; von seinen Scbülem seien hier Heinrich Panofka, Aug. von Adelburg,
<> Ein Bild Marsedera wird die aMusik" im II. Deiembertaett bringen.
283
rfoo_ ALTMANN: JOSEPH MAYSEDER qC^^T^
Mlslcm Hiuser und vor allem Heinrich de Atana, der in Berlin eine relcbe Tirksam-
keit gehinden hat und hier noch lange unvergessen sein wird, namhaft gemacht.
Einige 60 Terke hat Mayseder, der dem aufkommenden Talente Richard Tagnen
gegenüber sich gleJchgSlilg verhielt, verSfFentlicht, recht gute soll attch sein Nachlass
geborgen haben. Zu nennen sind sieben Streichquartette, drei Streichquintene, vier
KlaviertrioB, ein Trio für Harfe, Violine und Hom (wer denkt da nicht an das Brabms-
sche Homtrio?), drei Violinkonzerte, zwei Konzertinoa, sechs Polonaisen, zwanzig
Variationen werke u. dergl. für Violine, meist mit Orchesterbegleiiung. Seine Solo*
werke, die vielleicht am besten mit denen de Bfriois und ferd. Davids verglichen
werden können, waren so beliebt, dass sie mit Hinwegiassung der Begleitung in einem
stattlichen Gesimtbande bei Albl in München verSfFentlicht worden sind. Als kürzlich
In Tien die .Unlversal-Editlon" ins Leben gerufen wurde, da entsannen sich deren
Leiter auch des Komponisten Ma^seder und veranstalteten Neuausgiben von einigen
seiner Terke, die in rousikaliscber Hinsicht ansprechend, nicht zu veraltet und vor
allem als Obangsstücke von Vert sind; es sind dies die drei Violinduette op. 30, 31
und 32, von denen namentlich das mittlere auch heute noch mit Vergnügen gespielt
werden wird, die sechste Polonaise op. 38 und das iweite Concertlno op. 53, die beide
lur Erlangung einer eleganten Technik des Bogens sehr verwertbar sind, und vor
allem die sechs ausgezeicbneien Etüden op. 29, die übrigens auch wie die Variationen
op. 40 in die .Kollektion Litoilf Aufnahme gefunden haben; zu der letzten Etüde
bat Qbrigena Helinesberger eine in Talzerform gehaltene Klavierbegleitung hinza-
komponiert und damit ein dankbares Vortragsstück geschaffen.
Mag man auch heute über die Mafsederschen Kompositionen liebelnd zur
Tagesordnung übergehen, in der Geschichte des Violinspiels muss jedenhlls sein
Name immer mit Ehren genannt werden.
BÜCHER
31. H. Uaberlandt: Hugo Volt, Erinnernngeii und Gedanken. Verlaf: Lauterbacb
& Kuhn, Leipzig.
Ein lilelnea Buch, aber ein wertvolles Bncb. Preundachaft hat ea entworhn, and
Liebe hat ea durchwirmt. Anspruchslos wirkt es um so Üefer, je persSnlicher es Ist.
Es tat keine Biographie, kein Ceachlchtawerk, kein Liedeirerzelchals voll Namen and
Daten, auch keine kritisch-istbetlache Analyse, sondern ein einhch Buch, vom Freunde
dem Freunde geschrieben. Die Schlichtheit und Natfirllchkeii dleaer Erinnerungen de«
Vorsitzenden vom .Tiener Hugo Tolf-Verein" sichern ihnen einen hSberen Tert, als
der kommende Hugo Woll-Follant. Der Zauber des Persönlichen, die Kraft des (Ut
GegenirilTtigen und Greifbaren, der Duft des Schlich i-Menscb liehen gehen tiefer als alle
Asibetlcismen. Vom Gefühl der ausserordentlichen PersCnlichkeit Hugo Tolfs getragen
haben die kurzen Gedanken Tagebuchkrafi und -Bedeutung. Ter der Kunst dieses
unseres letzten lyrischen Genies nahe steht, der greife lu dem kleinen Büchlein; denn
es ist in Tahrhelt a^in Kram, von der Hand der Freundschaft auf sein kaum ge-
schlossenes Grab gelegt' Rudolf M. Breiihaupt
32. Gustav Levy: Richard Tagners Lebensgang in tabellarischer Dar-
stellung. Verleg: Harmonie, Berlin 1904.
Es ist doch etwas Scbfines um den Enthusiasmus der Jugend, und wenn man
durch wfiste Orgien der Eitelkeit und Mode irre werden kfinnie an der Zukunft, so
irtchst eine Generation heran, deren Begeisterung für den Genius Trost und Holbung
gibt. Solche Gedanken weckt wohl dies Büchlein, dessen Vorrede uns einen JGnger
Richard Tagners zeigt, der In helsser Verehrung des Meisters und eifrigem Studium
seiner Biographen den Antrieb erhalten hat, nun auch selbst fOr die Erkenntnis des
Lebenaganges Tagners etwaa TQcbtfges lu wirken. Und so hat er In der Tat mit diesen
biographischen Tabellen etwas Tretnicbes und Brauchbares gegeben , das In seiner
scbelnbaren Trockenheit doch auch einem tieferen Bedürfnis entspricht. Tagners Leben
In chronologiachen Daten: wir blittem, und die Zahlen werden lebendig und erziblen
nna eine ergreifende Odyssee! Dadurch aber, dass der Verf. die gute Idee gehabt hat,
überall kurze, prigoanie Stellen aua Tagnera Brieten und Schriften einzustreuen, tritt
uns ein Innen-Leben entgegen, vom iusseren bedingt und doch so ganz frei, selbsdindig
und gegen sitil Ich. Die Einteilung der Lebensabschnitte ist durchaus richtig, nur bitte
leb Venedig und Luxem (1858/9) schon lur zweiten Tanderzeit gezogen. Berichtigungen
werden bei der ungeheuren Masse von Zahlen nicht ausbleiben. Der Brief vom 31. Jan.
1883 Ist an H. v. Stein, nicht an E. v. Teber gerichtet; die Briefe an v. Teber in Sachen
des Tierschutzes hllen zu 1879 bis 1881. S. 40 Anm. muss es 1861 statt 1859 beissen.
Dass am 5. Mai 1849 ein Konzert unter Tagner durch die hereindringende Revolution
abgebrochen wurde, scheint mir ein Irrtum. R. Sternfeld.
33. Alfr. Chr. KaUacher: Die Macht Beethovens. Eine Erdblung aus dem
Musikleben unserer Zeil. Verlag: Selbstverlag, Beriln.
285
BESPRECHUNGEN (BÜCHER UND MUSIKALIEN^
JedenAillt ein seltsames Bucb, dessen Wert fQr viele nicht auf den ersten Blick
ersichtlich sein wird. Den Kern der Handlung bildet die Geschichte einer Liebe; aber
wie der idealistisch gesinnte Philologe und Musiker Edgar Wittig die junge Griechin
£ithemia Palleukos kennen und lieben lernt, bis er sich endlich am Grabe Beethovens
mit ihr verlobt, das wird gar mancher als unnatürlich und mit vieler Überspanntheit
erzihlt bezeichnen. Eine gewisse exaltierte Färbung der Erzählung wird auch derjenige
zugestehen müssen, der die glQckliche Art des Verfassers, die Macht von Beethovens
Kunst und Persönlichkeit — die beide eng miteinander verbunden und in gleichem
Mass unsterblich sind — zum Leitstern und zur Grundlage für das Geschick zweier
Menschenkinder werden zu lassen, verstehen und schätzen kann. Die Handlung bildet
in gewissem Sinn nur den Rahmen für eine Würdigung, Rettung und Analyse von
Beethovens Persönlichkeit, die ihre Macht auf die Herzen derer, die Beethoven verstehen
und verehren, unwiderstehlich äussert. Die zahlreichen Gespräche über Beethoven,
fiber Musik und Kunst, die in den Gang der Handlung eingestreut sind, enthalten
gar viel des Schönen und des Wahren und bilden in ihrer Gesamtheit gewiss den besten,
stärksten und wirkungsvollsten Teil des Buches. Die Erzählung selbst kann nahezu nur
als Rahmenerzählung Geltung haben : Personen, die sich so ausschliesslich dem Idealen
hingeben, erscheinen uns nicht glaubhaft und wir können infolgedessen kein wahres
Interesse an ihnen empfinden; Begeisterung, die nicht nur auf den Höhepunkten des
Lebens als seltener königlicher Gast sich einstellt, sondern zur ständigen Begleiterin
des Lebens geworden ist, muss den Eindruck des Eingebildeten oder gar des Falschen
machen. In Kleinigkeiten muss sich der Wiener verletzt fühlen: Kalischer gebraucht
von dem modernen Wien noch die Strassen und anderen lokalen Bezeichnungen, wie
sie im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bestanden haben. An einzelnen Scenen
in der Erzählung aber kann man seine helle Freude haben: die Liebesscene am Schluss
Ist gewiss erhebend und weihevoll zu nennen. Der Wert der ästhetischen Wechselreden
4es Buches soll auch durch die vorstehenden Bemerkungen keineswegs geschmälert
werden. Der Musiker und auch der Musikfreund wird wohltuend berührt werden von
der glühenden Verehrung Beethovens, die das ganze Buch erfüllt und die mitunter einen
^rklich schönen Ausdruck gefunden hat.
34. Dr. Georg Fischer: Hans von Bülow in Hannover. Verlag: Hahn, Hannover
und Leipzig.
Zum Teil auf gedruckt vorliegende Quellen, zum Teil auf ungedruckte Briefe
BQlows und auf die Akten des kgl. Theaters in Hannover zurückgehend, entrollt dieses
Büchlein ein ansprechendes Bild von Bülows Wirksamkeit als Dirigent in Hannover
seit 1853; insbesondere die Jahre 1877—1879 erfahren eine sehr gründliche Behandlung.
Mehrere Zusammenstellungen, Listen von Programmen und Repertoires u. ä. m. bilden
jeine angenehme Zugabe zu der recht lebensvoll gehaltenen Darstellung Fischers.
Dr. Egon von Komorzynski.
MUSIKALIEN
35. Friedrich Schuchardt: Petrus Forschegrund. Oratorium in drei Teilen
für Soli, Chor, Orchester und Orgel, op. 4. Verlag: Carl Giessel jun.,
Bayreuth.
Es handelt sich hier um ein mit grosser Reklame angekündigtes Werk, das at>er
keineswegs den Erwartungen entspricht, die man an dasselbe zu stellen berechtigt ist.
Unter einem Oratorium verstand man bisher ein grösseres, in einheitlichem Stil ge-
haltenes Werk, das u. a. breit angelegte Ensemblesätze enthielt und vor allen Dingien
polyphone Chor- und Orcbesterbehandlung darbot. Von alledem ist hier nichts zu finden,
286
DIE MUSIK IIL 4.
der Chor singt regelrechte vierstimmigen Chorile und Gesinge, und sutt kontrapunktischer
Stimmführung dienen zerlegte Akkordflguren oder, noch schlimmer, Akkordtremoli dazu,
um Bewegung in der Begleitung zu erzielen, so dass man sich streckenweise in eine
lltere italienische Oper versetzt glaubt Es ist deshalb ein grosser Irrtum, wenn Herr
Schuchardt sich mit so geringen kontrapunktischen Kenntnissen berechtigt wihnt, seine
Hand nach derartig hohen Zielen auszustrecken, deren Erreichung zum mindesten eine
absolut sichere Behemchung aller technischen Schwierigkeiten voraussetzt Im Qbrigen
soll gern anerkannt werden, dass die Harmonik zwar ihren Wagnerechen Ureprung
nicht verliugnen kann, aber durch aparte und vornehme Behandlung angenehm auffillt,
und die Singstimmen geschickt und wirksam geschrieben sind. Gleicherweise scheint
die Instrumentation dankbar und farbenreich zu sein, soviel sich aus dem Klavlerauszug
ersehen lisst Hoffentlich dienen diese Zeilen dazu, den noch jugendlichen Autor
zu veranlassen, durch emsiges Studium und gründliche Selbstkritik seinen hohen Zielen
niherzukommen, oder sie aber etwas niedriger zu schrauben, falls ihm die Lust dazu
fehlen sollte. Seine Zukunft wird sicherlich von dieser Entscheidung abhingen!
Karl Kimpf.
36. Leo Blech: 2 Quartette in oberbayrischer Mundart (für gemischten Chor).
op. 8. Verlag: Süddeutscher Musikverlag, Strassburg i. E.
Der Komponist hat mit seinem op. 8 wohl ein Gelegenheitswerk veröffentlicht
Moderne Opemschöpfungen und Lieder in oberbayrischer Mundart — welche Kluft!
Indessen sind die Sichelchen durchaus frisch und keineswegs langweilig. Im Chor
au^ef&brt wird der Dirigent gut tun, im Tenor und im Bass einige unbequemen und
sprunghaften Intervalle seinen Singem durch kleine Änderungen sangbarer zu machen.
Auch Quinten sind im a cappella-Satz zum mindesten nicht schön, unbedingt aber
entbehrlich.
37. Hans Koessler: Kol Nidre, nach zahlreichen Ausgaben kritisch revidiert und
gesetzt für eine Solostimme und gemischten Chor. Verlag: Süddeutscher
Musikverlag, Strassburg i. E.
Die altehrwürdige Melodie des jüdischen Veraöhnungsfestes Kol Nidre ist für
Tenor-Solo mit gemischtem Chor nach zahlreichen Quellen vortrefflich bearbeitet worden.
Bei weiteren Ausgaben wire die Beifügung eines deutschen Textes erwünscht und da-
durch die Möglichkeit gegeben, das herrliche Werk in den Konzertsaal, besondere für
historische Abende, zu verpflanzen.
38. Friedr. E. Koch: H allein ja! Eine Festkanute nach Worten der Bibel für
Chor, Einzelstimmen und Orchester, op. 27. Klavierauszug. Verlag: Chr.
Fr. Vieweg, Gr. Lichterfelde.
Kunstvoll, ohne Künstelei, technisch ohne nennenswerte Aufführungsschwierit*
keiten — auf Soloquartett, Halbchor, Ganzchor abwechselnd und steigernd aufgebaut,
wird das ,Halleluja% wenn an richtiger Stelle aufgeführt, gute Wirkung machen. Dass
der Autor als Schluss des Werkes, mehr als 100 Takte, den ganzen Anfangschor nur
wörtlich wiederholt und keinerlei abschliessende Steigerung hier mehr bringt, will uns
bei der sonstigen lot>enswerten Knappheit des Werkes als unvorteilhaft erecheinen.
Fritz Baselt.
39. Emile Säuret: Gradus ad Parnassum du Violoniste. Lehrgang für das
virtuose Violinspiel, op. 36. Heft 1 und 2. Verlag: Rob. Forberg, Leipzig.
Die t>este Empfehlung dieser ausgezeichneten Virtuosenschule ist, dass die beiden
1806 erst erschienenen Hefte schon jetzt in neuer vermehrter Ausgat>e vorliegen. Ich
weiss nicht, was ich mehr bewundem soll, die Fülle des Materials oder den hohen
287
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
pädagogischen Wert der Übungen: sie fuhren mit Sicherheit zur Erlangung einer grossen
Virtuositit
40. Alexis HollAnder: Sechs Charakterstücke für Violine und Violoncello (auch
Klarinette und Viola) mit Begleitung des Klaviers in Kanonform. op. 53.
Verlag: Schlesingersche Buchhandlung (Rob. Lienau), Berlin.
Hübsch klingende Stücke. Der Komponist ist offenbar in der Kanonform sehr
zu Hause und handhabt sie mit Geschmack. Auch als Ensembleübungen für die Jugend
gut zu verwenden.
41. Richard Franck: Sonate No. 2 (c-moll) für Violine und Pianoforte. op. 35.
Verlag: Schlesingersche Buchhandlung (Rob. Lienau), Berlin.
Im sechsten Bande der »Musik** S. 43 habe ich eine Anzahl Kammermusikwerke
von Richard Franck t>esprochen, seine gewandte Schreibart gelobt, aber auf seinen Mangel
an Erfindung hingewiesen. Auch über diese neue Sonate, deren 2. Satz, eine Art Inter-
mezzo, wohl am gelungensten ist, kann ich nicht anders urteilen. Der Klavierpart ist
wieder mit Passagen überladen; die Violinstimme ist namentlich im Finale nicht ohne
Intonationsschwierigkeiten. W. A.
42. £• Jaques-Dalcroze: Trois morceaux pour Violoncello avec accompagnement
du piano, op. 48. 1. Lied romantique. 2. Serenade. 3. Bagatelle. Verlag:
Süddeutscher Musikverlag, Strassburg i. E.
Rhythmisch-harmonisch allzu gesucht, hinterlassen die drei Stücke von Dalcroze^
die ausserdem zu lang ausgesponnen sind, einen wenig befriedigenden Eindruck.
43. Robert Hausmann: J. S. Bach. Drei Sonaten für Violoncello und Pianoforte»
Verlag: Steingriber, Leipzig.
Verdienstvoll bleibt eine jede Neuausgabe der drei Gambensonaten von Bach»
Wird doch dadurch neue Hoffnung erregt, dass die schönen Stücke öfter gespielt werden.
Hugo Schlemüller.
44. Karl Wolfrum: Sonate in f-moll für Orgel, op. 4. Sonate in F-dur für OrgeL
op. 15. Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
Karl Wolfrums f-moU-Sonate erschien, wenn ich nicht irre, vor etwa zehn Jahren
und erweckte damals in den beteiligten Kreisen ein starkes Interesse für den Schöpfer,,
wie für sein Werk. Der Ernst dieser Tonsprache, das beträchtliche kontrapunktische
Können des Komponisten, die geschickte formale Gestaltung der einzelnen Sitze Hessen
die schönsten Hoffnungen für kommende Taten erblühen. Freilich durfte dabei eine
schulgemisse Abhängigkeit des ersten und letzten Satzes von den gleichen Teilen der
Pastoral- und der vierten Orgelsonate Rheinbergers nicht übersehen werden. Karl
Wolfhim ist leider ein Epigone der EpigonitSt geblieben. Die dritte Sonate erbringt den
Beweis: auch hier klangschöne, emstempfundene Musik, aber ohne jede Eigenart der
Tontprache. Die Ecksitze weisen wiederum auf Rheinbergers musikalische Art hin. Das
Adagio sostenuto kann eine innere Verwandtschaft mit dem langsamen Satz der ersten
Sonate des grösseren Bruders Philipp Wolfrum nicht verleugnen. Und während wir ea
bei op. 4 mit einem organisch gewachsenen Kunstwerk zu tun haben, ist die dritte Sonate
lediglich eine iusserliche Kompilation von vier einzelnen Stücken. Bei dem Mangel an
wirklich schöpferischen Talenten auf dem Gebiete der Orgelkomposition ist es bedauerlich,
dass Karl Wolfrums schönes Beginnen eine solche weniger erft^uliche Fortsetzung
gefunden hat. Hoffen wir für die Zukunft! Karl Straube.
BASLER NACHRICHTEN 1903, No. 256—258. — H. Stumms Artikelserie ,Die
Wagner-Festspiele im MQnchner Prinzregenten-Theater* gibt eine ausf&hrliche
kritische Darstellung des Verlaufe der Spiele, die »eine grossartige künstieriscbe
Tat, die man gleich den Bayreutber Festspielen als einen Markstein in der Ge-
schichte der musikalisch-dramatischen Kunst bezeichnen muss*, genannt werden.
Namentlich die grossen bübnen-tecbnischen Leistungen werden gebfibrend ge-
wfirdigt und zum Scbluss die MQnchner Festspiele als eine würdigere Ehrung
Wagners bezeichnet, als das Berliner Wagner-Denkmal.
NEW-YORKER STAATSZEITUNG 1903, No.36. — Der Artikel .Moderne Programm-
Musik und Richard Strauss* von August Spanuth gibt eine Schilderung der Ent-
wicklung der Programmmusik von ihren Anfingen Qber Beethoven zu den
Romantikem, Berlioz und Liszt Spanuth zeigt, wie Strauss als erster an Liszt
anknöpfte und Qber diesen hinausging, während die meisten anderen Programm-
musiker der neueren Zeit, wie Tschaikowsky, Smetana u. a. m. es verschmiht
haben, mit der rein musikalischen Architektur tabula rasa zu machen. Er sagt:
.Auch Richard Strauss steht auf den Schultern anderer und die anderen sind vor
allem Liszt und Richard Wagner. Kann auch Wagner nicht als eigentiicher
Programmmusiker in betracht kommen, so hat er doch der Tonmalerei eine neue
Farbenpalette dargereicht und ihr neue Perspektiven eröffnet.* Und: .Strauss ist
kein enger Geist; er hat sich kein begrenztes Feld vorgenommen, um es abzugrasen;
er tragt vielmehr seine Eigenart in die heterogensten StoflSe hinein. Er modelt sie
nach seinem Willen, sie mQssen sich ihm beugen.*
KORRESPONDENZBLATT DES EV ANGEL. KIRCHENGESANGVEREINS
FÜR DEUTSCHLAND (Leipzig) 1903, No. 10. - Unter dem Titel »Ein geist-
licher Ring* analysiert hier G. Weimar Felix Draesekes Mysterium «Christus*:
»Schitze musikalischen Goldes sind hier angehäuft . . . Wahrlich, es steht noch
nicht schlecht um die deutsche Tonkunst und die Kirchenmusik, wenn noch solche
Werke geboren werden, in denen die urewigen Gesetze wahrer Musik mit freiester
Harmonie und StimmfQhrung so berzerfreuend vereinigt sind. Aber am besten
wird man das Lebenswerk eines deutschen Meisters wie Draeseke ehren, wenn
man es auffQhrt nach seinen Intentionen.*
ALLGEMEINE MUSIKZEITUNG (Charlottenburg) 1903, No. 36-38. — Hugo
Conrat setzt seine interessanten Betrachtungen Qber »Kunst und Gescbift* fort
RQbrend sind die Einzelheiten, die der Verfasser zu Beethovens Geschifts-
kenntnis beibringt; erschQttemd ist die Zusammenfassung alles dessen, was über
Schuberts finanzielle Verhiltnisse bekannt ist; Mozarts herzliche Naivität und sein
edles KQnstlertum haben etwas Erhebendes. Auch die seit Handel datierende
Praxis, dass Musiker zur Besserung ihrer EinkQnfte England bereisten, wird be-
leuchtet durch die Zusammenstellung der hierher gehörigen Namen und Tatsachen.
Otto Lessmann berichtet Qber «Die Wagner-Festspiele im Prinz-Regenten-Theater
zu MQnchen*. Der [Scbluss von^FranzJDubitzkys anj wertvollen Wahrheiten
289
REVUE DER REVUEEN
reichem Artikel «Muster-Programme und Muster-AufTfihrungen unserer Militir-
kapellen* beschäftigt sich hauptsichlich mit den abscheulichen Missgriffen in der
Temponahme. Die zahlreichen Notenbeispiele erliutem das Gesagte vorzuglich.
MONATSHEFTE FÜR MUSIKGESCHICHTE (Leipzig) 1903, No. 6-9. - Ausser
dem Nachtrag «Der Minnesang und sein Vortrag** von Paul Runge verbindet
Robert Eitner mit der Besprechung des Fischerschen Werkes in dem Aufsatz
«Musik in Hannover* eine Zusammenfassung von biographischen und historischen
Daten, die eine wertvolle Ergänzung zu seinem Quellenlexikon bildet. Ein
interessanter Artikel von Eugen Schmitz behandelt die ^^Gitarrentabulaturen*
auf Grund von Montesardo's Werk und bringt in der Einleitung eine vorzügliche
l^^PP gehaltene Geschichte der Entwicklung der Gitarre. Eine umfangreiche,
gründliche .Totenliste des Jahres 1902, die Musik betreffend*, von Karl Lüstner
und der als Beilage gegebene Katalog der Musikwerke in der Westminster-Abtei
in London von Wm. B. Squire vervollständigen den reichen Inhalt der Hefte.
NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK (Leipzig) 1903, No. 29-36. — Von den aus-
führlichen Rezensionen und Berichten seien erwähnt: „Die Klavierbearbeitungen
Lisztscher Lieder von August Stradal* von Vemon Spencer, „Das Pyrmonter
Schubert- Liszt- Fest* von Edwin Neruda, „Die Maifestspiele in Prag 1903* von
Viktor Jo SS, „Prager Unterrichtswesen* von Viktor Joss. M. Lorenz behandelt
in einer musikgeschichtlichen Skizze „Henry Purcell, den englischen Orpheus*.
Kite Stellmacher lässt ihre Studie „Vor Klingers Beethoven* in die Worte aus-
klingen: „Hier schuf, wie er ihn sieht, wie er ihn fühlt, ein grosser schaffender
Mensch das Bild — eines Schaffenden!* Adolf Kohut macht zum Helden seines
Artikels „Ein Doppelgänger Otto Nicolais* den musikalischen und schriftstellerischen
Stümper Gustav Nicolai, der in den dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts viel
von sich reden machte und mit dessen Worten, Schriften und Taten sich die
damaligen Zeitungen eingehend befassten. Otto Nicolai hat sogar gegen seinen
listigen Doppelginger einen ihn vernichtenden offenen Brief geschrieben. Ein
ausführlicher Aufsatz von Ottmar Rutz handelt über „Die Rutzschen Tonstudien
and die Reform des Kunstgesangs*.
NEUE MUSIKZEITUNG (Stuttgart) 1903, No. 21-23. — Eine Biographie Wilhelm
Bergers („Wilhelm Berger*) liefert Adolf Kohut. Eine sehr hübsche und gründ-
liche Analyse „Franz Schuberts Klaviersonaten* von Alfred Mello ISufc durch die
Hefte hindurch; wir entnehmen ihr die kennzeichnenden Sätze: „Simtlich sind
sie klangschön; alles ist edel und tief empfunden darin! In seinen langsamen
Mittelsitzen, die ihm wieder Anlass gaben, sich in reichstem Masse als Lyriker
zu betitigen, bringt uns der Meister entzückende Genrebilder stiller, märchenhafter
Triumereien. Oft glaubt man Prinzen und Prinzessinnen aus dem Mirchenlande
vor sich zu sehen; bald wieder befinden wir uns auf mondscheinbeglinzter Wald-
wiese und sehen die Elfen und Kobolde beim zierlich schwebenden Reigen;
wiederum lauschen wir, in stilles Sinnen versunken, dem echt kindlichen Sanges-
gemüt unseres echt deutsch fühlenden Schubert, dessen herzinniges Gefühlsleben
sich bald in schmerzlich klagender, bald zart lieblicher Melodik offenbart.* ijohann
Pachelbel* betitelt sich ein Gedenkblatt zu Pachelbels 250. Geburtstag von Max
Puttmann. „Der Leipziger Riedel -Verein in Prag* erhilt einen Bericht von
Rudolf von Prochäzka; von den „Münchener Wagner-Festspielen* handelt Arthur
Hahn; „Ein Dutzend Tonmeister im Lichte Grillparzers* ist eine hübsche Zu-
sammenstellung von Julius Blaschke. Mit Zumpe beftisst sich eine Reihe
III. 4. 19
290
DIE MUSIK III. 4.
von Artikeln: „Herman Zumpe f*, «Zumpe in Miinchen* von Arthur Hahn;
j^Zumpes Sawitri* von Baur; »Erinnerungen an H. Zumpe* von August Richard:
«mit der wunderbaren Neueinstudierung des Nit>elungenring8 für die diesjährigen
Festspiele bat Zumpe sein Meisterwerk gekrönt Ein beneidenswerter Tod hat ihn
hinweggeralft. Unverginglich aber bleibt sein leuchtendes Beispiel in unserer
Dankbarkeit!*. Interessant beantwortet A. Schüz die zum Thema eines Artikels
gemachte Frage: »Wer ist der Künstler?* Noch seien erwähnt: die Studie »Die Bee-
thoven-Hiuser in Wien* von Hugo Klein, Karl Wolffs biographische Skizze »Arno
Kleffel* und der Aufeatz »Zum Gedächtnis Friedrich Wiecks* von Kurt Mey.
FLIEGENDE BLÄTTER FÜR KATHOLISCHE KIRCHENMUSIK (Regens-
bürg) 1903, No. 8—9. Ausser zahlreichen Vereinsberichten enthalten die Hefte
einen Aufeatz »Papst Pius X.^, in dem der neue Papst als »leuchtendes Vor-
bild und fester Anker f&r die kirchlichen Grundsatze in betreff der heiligen Musik*
gefeiert wird.
DER KUNSTWART (Leipzig) 1904, No. 1. — Richard Batkas Artikel »Wunderhom-
klinge* befasst sich mit den Liedern Theodor Streichers, den Batka als Nachfolger
Wolfs betrachtet, nur dass wir bei ihm keinerlei subjektive Ich-Lyrik finden, son-
dern einen epischen Grundzug, eine „Gegenstindlichkeit des Stils*.
Le M£NESTREL (Paris) 1903, No. 36-38. — Den Hauptinhalt der Hefte bildet die
gründliche Untersuchung »Werther* von A. Boutarel; femer mögen genannt
werden die Aufeitzchen »Schumann et la musique ä programme* (auf Berlioz
bezQglich) und »Berlioz jug6 par Wagner*; beide von Raymond Bouyer.
LA RfVUE MUSICAL (Paris), 1903, No. 7. — Ein sehr stimmungsvoller Artikel von
Louis Laloy gilt »Ambroise Thomas*, der zum Schluss sehr hQbsch mit Auber,
Adam und Bizet verglichen wird. Vincent d'Indy's Aufsatz »C6sar Franck* be-
handelt hauptsichlich »Psycho*, »Redemption* und »Les B6atitudes*, von denen
u. a. gesagt wird: »Les B6atitudes n'en restent pas moins le monument musical le
plus consid^rable qui alt 6t6 6difi6 depuis la messe solennelle de Beethoven,
et cette haute et expressive musique console des emphatiques boursouflures que
des compositeurs tans croyances et sans convictions artistiques ont accumul6es
en vue de l'effet, tans pr6texte de drame sacr6*. Die Studie »Un organiste au
17. sidcle* von Andr6 Pirro behandelt Nicolas Gigault Endlich sei noch eine
Arbeit »J. Ph. Rameau au thdfttre* von Constant Zakone erwähnt.
DAS DEUTSCHE VOLKSLIED (Wien) 1903, No. 8. - Von grösstem Interesse
ist ein hier wieder abgedruckter, aus dem Jahre 1884 stammender Aufsatz von
Peter Rosegger, betitelt: »Von der Vernachlässigung unseres alten Volksliedes*.
Rosegger beklagt die Geschmacksverirrung der Gegenwart, die sich von den
Schitzen des Volksliedes — des echten Volksliedes, dessen Dichter und dessen
Komponist gleich unt>ekannt sind — abwende und allerhand Raffiniertes vorziehe.
Er sagt weiter: »Ich wQnsche eine Gesellschaft zur Pflege des alten Volksliedes.
Man sollte wenigstens In der grossen Stadt, die ein Archiv f&r alle Zweige der
Kultur sein soll, wissen, wohin man zu gehen hat, wenn man die alten Volks-
lieder hören will, die unsere Ahne und Mutter gesungen, nach denen unser
Grossvater geworben, gejubelt, gelitten, gestritten hat, an welchen den meisten
Menschen süsse Erinnerungen hingen. Es wQrde sich Ar diese Lieder ein grosses
Publikum finden und es wQrden diese Lieder allmählich eine Läuterung des
Geschmacks vollbringen. — Auch die mit zahlreichen Notenbeispielen ausgestattete
Fortsetzung des Aufsatzes »Das Alpbacher Almlied und seine Abarten*.
NEUE OPERN
Baron Ludwig Erlanger: » Ritter Olaf,* ein dreiaktiges drmmatitches Werk,
zu dem der Komponist nach der Heineschen Ballade gleichen Namens das
Buch geschrieben, wurde von Direktor Angele Neumann in Prag zur Auf-
führung angenommen.
Alexander Fiks: „Totentanz,* eine einaktige Oper von Marg. Möller, wird
an der Hofoper in Dresden aufgeführt werden.
Kreglingen: „Der Christbaum,* zu dem der niederlindische Komponist selbst
den Text verftisste, wird von der Neuen niederlindischen Oper herausgebracht
werden.
Karl Pottgiesser: «Die Heimkehr* will die Direktion des Kölner Stadttheaters
zur Uraufführung bringen.
Graf Sa3m- Wittgenstein: „Antonius und Kleopatra,* grosse Oper in vier
Aufzögen und einem Nachspiel von S. H. Mosenthal, hat im Metzer Stadt-
theater eine beißllige Aufnahme gefunden.
Herman Zumpe: „Sa vi tri,* die nachgelassene Oper des jungst verstorbenen
Generalmusikdirektors, soll von Max Schillings vollendet werden.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Darmstadt: An Novitäten sind für diesen Winter vorgesehen: Karl von Kaskel
(Der Dusle und das Babeli), Saint-SaSns (Samsoo und Dalila), Leopold
Reichwein (Vasantasena).
Dfisseldorf : Direktor L. Zimmermann hat das Musikdrama „Kunihild* von C3rriU
Kistler erworben und sich auch die Uraufführung von „Baldurs Tod*, des-
selben Autors jüngerem Drama in Wagners Stil, gesichert — Zur Berlioz-
Feier (am 11. Dezember) bereitet die hiesige Bühne eine scenische Auf-
fuhrung von „Fausts Verdammung* vor.
Leipzig: Eugen d'AIberts dreiaktiges realistisches Musikdrama „Tiefland* — Dich-
tung nach A. Guimera von Rudolph Lothar — ist von der Direktion des
Stadttheaters zur Aufführung angenommen worden.
KONZERTE
Brflssel: Das Programm der Ysaye-Konzerte enthalt: Beethoven (Eroica;
Violinkonzert), Bizet (Roma-Suite), Corelli (Violinkonzert), C. Franck
(Balletmusik aus „Hulda*; Lieder), Hindel (Concerto grosso), Liszt (Faust-
Symphonie), Mozart (g-moll-Symphonie), Schumann (Ouvertüre zur „Braut
von Messina*; Klavierkonzert). Novitäten: d'Indy (Symphonie), Debussy
(Drei Notturnos), Rachmaninof (Klavierkonzert), Tan6ielf (Vorspiel zu
„Orestes*), Glazounow (Variationen für Klavier), Rimski-Korsakolf („Schehe-
razade*), Tscherbatchef (Serenade für Orchester), Dupuis (Symphonische
Dichtung), Jongen (Violoncellkonzert), Vereuls (Symphonie für Orchester
und Solovioline). Ausserdem: Lekeu (Phantasie), Rasse (Rhythmische
Symphonie), Caetani (Priludium für Orchester).
19*
202
DIB MUSIK IIL 4.
I>ariiistadt: Du Darmttidter Streichquartett (die Herren: Fr. Mehmei,
Gatt Spohr, Rieh. Senff ond Aug. Weynt) spielt an seinen vier Kammer»
maailuibenden: Beethoven (Quartett op. 18 No. 6; Serenade op. 25^ D-dor,
für Röte^ Violine ond ViolaK Brahma (Zwei Gesinge mit Viola- und Klayief^
begleitanii op. OIK Haydn (Quartett op. 50 No. 3K Moiair (Quartett C-dnr;
Klavierquartett Ea-dur)» Schubert (Quartett d-moU)» Schumann (Quai^
tett op. 41 No. 1; Liederayklua »Frauenliehe und -leben*), Grieg (Sonate
fttr Klavier und Violine op. 45), Iwan Knorr (Klavierquartett), Saint-SaSas
(Variatioiien Aber ein Thema von Beethoven fir twei Klaviere), Tschai-
kowshy (Quartett op. 30). Mitwirkende: Klara Forbach (Klavier), Iduaa
Walt•^Choiaanna (Gesang), August Kdhler (Fldte), Karl Friedbeig (Klavier),
Prits Rehboch (Klavier), Ludwig Weber (KUvier).
Mrankfürt «% IL: Die Kammermnaikvereinigung fir Blaaiaatrumeate
(Plorence Baasermaaa und die Herren Kdnits, Müns, Mechler, Preusse, Tnrfc)
wird in ihren drei Konterten tum Vortrag bringen: Beethoven (Quinteoe
op. 16 und op. 71)^ BrahSM (Sonaie op. 120 No. 2), Hnber (Sextett op. 114)^
Klughardt (Quintett op. 79^ Rheinbetger (Nonett op. 13^ Rubinstein (Quintett
op. 5S|^ Voiboch (Quintett op. 2H» Zemlinskf (Trio op. ^
Hngott L W«: MusiMirekior Robert Lange hat fir aeiae tiaf Abonnements-
konaerte, die die Konaertgesellachaft nter Mitwirkung des Stidtiechen
Gesangveieini^ des Hager Minneifesaatvefcias, des Lehiergessngverens
und des Hitmeischm PIrfttarieaischgn Orchesters aas Dectmaad
aMMHe^ lir dienen Winter ibigenda Werke aur Aullihruag
HiaM (MossissK Schuaaaui (Msnfredmnsik)^ Brahms (Rhapsodie fir Attsolo
und Minnsrcheij^ Schüben (Plranenchifc); an Oithnttiutikrin; Dttiheitn
(Paateralsi mphonit ; Leeneisasuvaitire No. 3), Schumann (Erste Sfas-
phenl^ RidMttd Sinmss (Tod und Verkünmg), Smusns (Die Mtliisj^
Unat (Las FtOtndas)» SibcHus (Der Sdnmn), Mman (Ouvciiiie iwr
laubtHUtat RidMttd Wiener (Verspisl an PhniMt, H. Deriioa fOuvcisiffe
RiSL Kai«avi4^ Grieg (Ihssr Gfn^Snit^ Biaet(L*Ari<riiiinnr)| W^erBcrinc
(Antfciitiung sna Tan^^ An SoUsten sini gtastintn; Mary Minrhhsg,
293
UMSCHAU
GerttnergeIeiteteKaininerma8ikyereinigangwird4Abonnement8-Abeiide
geben und neben Klassischem noch Werke von: Brmhms, DvoMk, Henbner,
Geoff Schumann, Sgambati, Tscbaikowsky, Volkmann zum Vortrag bringen,
lllknchen: Von vier der acht Abonnements-Konzerte der Musikalischen
Akademie ist das Programm festgesetzt: Beethoven (Eroica; 7. Symphonie),
Berlioz (Ouvertfire zu «Benvenuto Cellini*), Brabms (3. Symphonie; Variationen
Qber ein Thema von Haydn ; Akademische Festouvertfire), Liszt (Die Ideale),
Schumann (2. Symphonie), R. Strauss (Don Juan), Wagner (Faust-OuvertQre;
Parsifttl-Vorspiel), Weber (Euryanthe-Ouvertüre). Dirigenten: Max Erd-
mannsdörfer, Fritz Steinbach, Franz Fischer. — Ein neues Unter-
nehmen plant die Veranstaltung von drei grossen Orchester-Konzerten
(Kaim-Orchester unter Bernhard Stavenhagen), in denen ausschliesslich neue
Werke mit besonderer Berücksichtigung einheimischer Komponisten zum
Vortrag kommen sollen. In Aussiebt sind genommen: Brückner (Q.Symphonie),
Strauss (Taillefer), Boche («Kirke% Uraufführung), Kl. Pringsheim (Das Meer),
Edgar Istel, Schirach (Gesinge mit Orchester), Joseph Schmid (Ouvertüre^
Gustav Mahler (3. Symphonie), Schillings (Hexenlied).
New«Tork: Zu einem wichtigen Faktor im hiesigen Musikleben werden sich in
dieser Saison die Wetzler-Symphonie-Konzerte gestalten, vor allem
deshalb, weil Richard Strauss sich im fünften derselben zum erstenmale
einem amerikanischen Publikum präsentieren wird. Dieses Konzert findet
am 25. Februar statt, ist das letzte der regulären Wetzler^Konzerte und
gleichzeitig das erste des aus vier Konzerten bestehenden Strauss-
Festivals. Frau Strauss-de Ahna wird in allen Konzerten als Singerin
auftreten. Hermann Hans Wetzler wird folgende Werke auffuhren: Beethoven
(Symphonie A-dur und Ouvertüre Leonore III), Scbut>ert (Symphonie C-dur),
Brahma (Symphonie c-moll), Tschaikowsky (Symphonie Path6tique), Bach
(Suite in Es; orchest. von Wetzler), Liszt (Mazeppa), Claude Debussy (Drei
Nocturnes), Glinka (La Jota Aragonesa), Mozart (Bllser-Serenade). Solisten:
Susan Metcalfe (Sopran), Jacques Thibaud, L. Lichtenberg, M. Banner (Violine),
Harold Bauer (Klavier) und Frau R. Strauss.
Teplitz: In den sechs philharmonischen Konzerten unter Leitung von
Musikdirektor Franz Zeischka werden zur Aufführung kommen: Beethoven
(2. Symphonie; Romanze G-dur), Berlioz (Symphonie fsntastique; Sylphentanz
und Ungarischer Marsch; Les nuits d'6t6; Ouvertüre zu Rob Roy), Boehe
(Odysseus' Ausfahrt und Schilfbruch), Brahma (3. Symphonie), Brackner
(k Symphonie und Tedeum), Dohninyi (Klavierkonzert e-moll), Dvottk
(Ouvertüre op. 91), Ernst (Notturno E-dur), Hindel (Arioso mit Orchester,
Harmonium und Harfe), Haydn (1. Symphonie Es-dur; Violoncellkonzert
D-dur), Hubay (Seines de la Czarda), Liszt (Mephisto-Walzer), R. Strauss
(Violinkonzert d-moll; Don Juan), Tschaikowsky (4. Symphonie), Wagner
(Arie aus «Der fliegende Holländer*; Trauermarsch aus der »Götterdimme-
rang"; Preislied aus »Die Meistersinger von Nürnberg*). Als Solisten sind
au^Ahrt Lula Mysz-Gmeiner und die Herren: Hugo Heermann, Einst
von Dohnänyi, Theodor Bertram, Jean G6rardy und Hans Giessen. — In
den drei Konzerten des Vokal- Quartetts Jeanette Grambacher de Jong,
Therese Behr, Ludwig Hess und Arthur van Eweyk kommen Werke von
Brabms, Haydn und R. Schumann zum Vortrag. — Die Gedenkfeier für Hugo
Wolf (22. Febraar) unter Mitwirkung von Agnes Bricht-Pyllemann und dem
Kurorchester bringt: Penthesilea, Italienische Serenade, sowie Lieder. — Das
Brüsseler Streichquartett (Franz Schörg, Hans Daucher, Paul Miry und Jacques
Gaillard) führt vor: Beethoven (op. 59 e-raoll), Glazounow (op. 64 a-moll),
' Haydn (Kaiserquartett). — Im April veranstaltet der Dresdener Mozart-Verein
zum Besten des Mozart-Denkmals ein grosses Konzert.
Würzbarg: Die Musikschule unter Leitung von Direktor Dr. Kliebert bringt
in ihren sechs Abonnements-Konzerten u. a. zur Auffuhrung: Beethoven
(Eroica), Berlioz (Carnaval Romain), Brahms (c-moll-Symphonie), Poblig (Per
asperaad astra), Haydn (Oxford-Symphonie), Wolfrum (Weibnachtsmysterium),
femer Orchesterwerke von : Brahms, Mendelssohn, Liszt und Kammermusik-
werke von: Beethoven, Haydn, Schubert u. a.
TAGESCHRONIK
Am 28. Oktober wurde in Stuttgart das Liszt-DenkmaP) des Bildhauers
A. Fremd — das zweite in Deutschland — von zahlreichen Verehrern des Meisters
begrüsst; die Hülle war schon am Abend vorher gefallen. Das Schöne an der
Feier lag gerade in ihrer Zwanglosigkeit. Um die Mittagsstunde pilgerte man hinaus
in die Königl. Anlagen, fiber die Eberhardsgruppe bis zum Rosenhfigel, in dessen
Nähe, vor einer Gruppe mehrerer AhombSume und einer Silberpappel das Denkmal
steht, etwas abseits vom Wege, damit das Auge im idyllischen Anblick ruhen kann.
Der Kopf ist nicht bloss herrlich gelungen, sondern sogar bedeutend aufgefasst. Die
BQste von weissem Marmor ist uberlebensgross; wirkungsvoll hebt sie sich vom
grauen, ins rötliche spielenden Sockel ab (aus bayrischem Muschelkalk), an dessen
Seiten ein weitistiger Lorbeer, vorn mit der Gestalt des lyraspielenden Orpheus,
herausgearbeitet ist. Der gesenkte Kopf des letzteren bildet einen bedeutsamen
Gegensatz zu dem etwas zurückgeworfenen Haupte des Tondichters. Ausser von
den Begrüssenden — darunter Siegfried Wagner und den Familien Tbode und
Wolzogen — find das Denkmal auch seitens der Unbeteiligten aufrichtige und warme
Anerkennung. Nachdem die Stifterin, Frau Hofrat Klinckerfuss, eine Schülerin
Liszts, in der Öffentlichkeit genannt wurde, müssen wir auch hier der hochherzigen Frau
gedenken. Am Abend des 28. wurde im Interimstheater die ,»Heilige Elisabeth* gegeben.
Es war eine Festvorstellung, wie man sie weihevoller und künstlerisch wirksamer
nicht wünschen konnte. Die zurückhaltende und feinsinnige Regie Harlachers,
das stimmungsvolle Orchester unter Pohligs Leitung, die Vertreterin der Elisabeth
(Frl. Wiborg), die tadellosen Chöre — kurz, alle Mitwirkenden wetteiferten im
Strebon nach stilvoller Wiedergabe. Am 29. dirigierte dann Siegfried Wagner noch
Im ersten Abonnementskonzert (Symphonieabend) der Hofkapelle und wurde freund-
lich, ja mit einer gewissen Herzlichkeit vom Publikum aufgenommen. Das Denkmal
Liszts, umgeben von zahlreichen Kränzen zum teil aus weiter Feme (seltsamer-
weise fehlt gerade das Stuttgarter Konservatorium), bildete in den letzten Tagen
einen wahren Wallfthrtsort und kann als schöne, stille Sühne betrachtet werden
für manches, was hier Unschönes gegen den Meister gesprochen und gehandelt
worden ist Dr. Karl Grunsky.
Am 29. November wird der Berliner Altmeister des Flötenspiels, Professor
Heinrich Gantenberg sein 80. Lebensjahr in verblltnismissig grosser körper-
licher Rüstigkeit vollenden. Lange Zeit war in Berlin kein Konzert, in dem eine
Soloflöte gebraucht wurde, denkbar, ohne dass Gantenberg auf dem Podium er-
schienen wire; war doch sein edler Ton und seine geschmackvolle Vortragskunst
V Das Bild des Denkmals wird im II. December-Heft veröffentlicht werden.
295
UMSCHAU
ebenso rQbmlichst bekannt wie seine unfehlbare Tecbnik. Wurden im Operabaus
,Die Hugenotten*, »Lucia*, »Orpbeus* oder sonst eine mit einem grösseren Flöten-
solo ausgestattete Oper gegeben, so durfte Meister Gantenberg jedesmal Qber
rauschenden Beifall quittieren. Als Accessist oder Hülfsmusiker war er schon
mit 16 Jahren in die Königl. Kapelle getreten, um anderthalb Jahre später bereits
den ersten Flötisten posten im Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiment zu über-
nehmen. Hier blieb er, nachdem er 1848 mit nach Schleswig und 1849 nach
Dresden zur Niederwerfung der dortigen Revolution gezogen, bis 1. Januar 1860,
an welchem Tage er die erste Soloflotistenstelle in der Königl. Kapelle übernahm
und neben dem Oboer Wieprecht und dem Klarinettisten Pohl der Stolz der
Holzbläser wurde. Als 1872 die Königliche Hochschule für Musik auch eine
Flötistenklasse errichtete, wurde Gantenberg zum Leiter derselben erwihlt. Diese
Stellung an der Hochschule behielt er auch bei, als er, der mittlerweile
Königl. Kammervirtuos geworden und sowohl den Kronen- wie den roten Adler-
orden erhalten hatte, am 1. September 1892 aus dem anstrengenden Operndienst
schied. Er war ein begeisterter Lehrer und hat, bis er, durch Verleihung dss
Professortitels ausgezeichnet, am 1. April 1903 zugunsten seines Lieblingsschulers
Emil Prill von seinem Lehramt zurücktrat, eine überaus stattliche Schfilerschar
herangebildet. Er hielt übrigens stets an der alten Flöte fest und vermochte sich
nicht zur Böhmflöte (1847 bereits vollkommen hergestellt) zu bekehren. W. A.
Zuverlässiger Mitteilung zufolge ist das Engagement von Felix Mottl als
Generalmusikdirektor der Münchener Hofiheater perfekt. Er wird schon die nächsten
Wagner- Festspiele leiten.
Nach 18 jähriger Tätigkeit hat Prof. Sitt sein Amt als Dirigent des Leipziger
Bach- Vereins niedergelegt; als Nachfolger ist der Organist an der Thomaskirche
Karl Straube gewonnen worden.
An Stelle Hellmesbergers wurde der Solokorrepetitor und Chordirektor des
Wiener Hofopemtheaters Karl Luze zum ersten Dirigenten und Leiter der Wiener
Hofmusikkapelle (für den Kirchendienst) ernannt.
Als Nachfolger von Waldemar von Baussnem wurde der bisherige Leiter des
Mozartvereins in Dresden, Kapellmeister Max von Haken, zum Dirigenten des
Dresdener Chorvereins ernannt.
Der Klaviervirtuose Anton Förster, bisher Lehrer an den Ausbildungs-
klassen des Stemschen Konservatoriums in Berlin, ist vom 1. Oktober 1904 an
in gleicher Eigenschaft dem hiesigen Konservatorium Klindworth-Scharwenka ge-
wonnen worden.
Das Musikbureau der Ausstellungsleitung für die Weltausstellung in
St Louis 1904 veröffentlicht die Bedingungen für den Wettstreit von Gesang-
vereinen, die während der Dauer der Ausstellung sich am Wettsingen beteiligen
wollen. Die Preise bewegen sich zwischen 4- und 18000 Mark.
Auf Anregung eines Wagnerverehrers in Halberstadt hat dort eine Auf-
führung des ersten Aktes der „Walküre* stattgefunden mit den Herren Burgstaller
(Siegmund), Lohfing (Hunding) und Frau Wittich (Sieglinde) unter Leitung von
Kapellmeister Hellmann. Die Scenerie war eigens nach Bayreuther Muster
angefertigt, auch die Tieferlegung des Orchesters fehlte nicht. Der interessante,
sehr anerkennenswerte Versuch ist, wie uns mitgeteilt wird, vollständig geglückt.
Anlässlich seines 25jährigen Dienstjubiläums erhielt der Dannstädter Hof-
kapellmeister Willem de Haan vom Grossherzog das Ehrenkreuz in Gold und
den Titel Hofrat
296
DIE MUSIK III. 4.
Am 7. November wurde in Leipzig unter allseitiger Teilnahme das fOnfzig-
jahrige Besteben der Hof-Pianofortefabrik Julius Blütbner gefeiert. Der Gründer
der Firma, Kommerzienrat Julius Blütbner, bat sich ganz aus eigener Kraft, mit
eisernem Fleiss und genialer Begabung vom schlichten Instrumentenscbreiner zum
Inhaber eines Weltgescbifts von unbestrittener Bedeutung emporgearbeitet
Aus dem reichen Inhalt von No. 75 der Mitteilungen der Musikalien-
handlung Breitkopr& Hirtel sind hervorzuheben: praktische Einzelausgaben
von Berlioz, Johannespassion (H. Reimann), Gesamtausgabe von Job. Herrn. Schein
(A. Prüfer), Morphy (spanische Lautenmeister des 16. Jahrb.); femer Lebens-
beschreibungen von Elgar, Fiedler, Jimefelt, Kroger, Catbarina von Rennes.
Neu ist ein Verzeichnis der wichtigsten kircbenmusikalischen Werke eigenen und
fremden Verlages, Konzerthandbuch Vll.
Zu einer literarischen Arbeit bedarf Herr Emerich Kastner (Wien VIII,
Lammgasse 9) der Titel aller jener Werke, die Brahms gewidmet wurden und
erbittet gefl. Mitteilungen von selten der Musikalienverleger Deutschlands und des
Auslands an seine Adresse.
Die auch von uns fUschlicberweise totgesagte Opemsingerin Gabriele Kraus
ist, wie wir zu unserer Freude vernehmen, von ihrer Krankheit genesen und nach
Paris übergesiedelt. Möge sich auch bei der eh6dem so gefeierten Künstlerin der
alte Erfahrungssatz glänzend bewahrheiten!
TOTENSCHAU
Am 7. Oktober verschied plötzlich in Mödling bei Wien der Vizehofkapell-
meister der kaiserl. und königl. Hofmusikkapelle Karl Brückner. Zu seinem
Nachfolger wurde Kapellmeister Julius Böhm berufen.
Auf Capri verstarb im Alter von 71 Jahren der französische Librettist Camille
du Locle, Mitart>eiter von Verdi und Emest Reyer.
Der ausgezeichnete spanische Violinist Jesus Manasterio, Gründer der
Madrider Quartettgesellschaft, ist t>ei Santander gestorben.
Im Alter von 61 Jahren starb der französische Opemkomponist William
C bäum et. Am bekanntesten sind geworden «Bathyle*, »Hdrode'' und vor allem
i^Mamz'elle Pioupiou*.
Der Bassist Eduard Decarli, von 1872—1901 dem Verband der Dresdener
Hofoper angehörig, ist in Radebeul einem Herzleiden erlegen.
In Paris starb der Redakteur und Musikschriftsteller Dr. Oskar Berggruen,
früher Advokat in Wien.
Am 19. Oktober verschied in Fraustadt der bekannte Musikschriftsteller und
Komponist Rot>ert MusioL
Der Komponist Victorin deJonci6res (geb. 1839) ist in Paris gestorben.
Anhinger Richard Wagners hat er unter den neuzeitlichen fhtnzösiscben Ton-
setzem eine hervorragende Stellung eingenommen. Von seinen Opern sind haupt-
sicblich zu nennen: «Die letzten Tage von Pompeji*, ,»Sardanapal*, ,»Dimitri* und
Johann von Lothringen*. Er schrieb femer eine Musik zu «Hamlet*, Symphonieen,
ein Violinkonzert u. a. Dreissig Jahre lang war er Musikkritiker der «Libert6*.
Die «Musik* wird Im II. Dezember^Heft ein Bild des Künstlers bringen.
Am 4. November starb in Berlin der unvergessene fHibere Regisseur und
Bassist der Berliner Hofoper Heinrich Salomon im Alter von 78 Jahren.
OPER
AMSTERDAM: Das Hauptereignis bildete das Gastspiel von Sigrid Arnoldson, die bei
der .Neuen Niederländischen Oper** als Mignon, Carmen, Margarete und Trtviata
auftrat. Der Zauber ihrer Persönlichkeit, die eigenartige, reizvolle Ausgestaltung ihrer
Rollen und ihre bedeutende Gesangskunst gewannen der Künstlerin aller Herzen. Das
Bestehen der Niederlindischen Oper (Stadttbeater) ist durch das hochherzige Eintreten
von Kunstfreunden bis zum Ablauf der Spielzeit gesichert und die Oper kann nun mit
Ruhe an die Lösung ihrer Aufgaben herantreten. Als schöne Frucht der neuen,
glucklicheren Periode brachte der energische, junge Kapellmeister Rothwell, dem jetzt
die künstlerische Leitung der Oper übertragen ist, eine sorgßltige Neueinstudierung
von Fidelio, bei der sich besonders Frau Bosse-Sommer als Leonore, de Voss als
Florestan und van Duynen als Rocco auszeichneten. Hans Augustin.
BRESLAU: Aus der Fülle der „Neustudierungen«, mit denen wir allwöchentlich über-
flutet werden, einzelne besser gelungenen herauszugreifen, hätte wohl keinen Zweck.
Der Tatsache gegenüber, dass die Direktion bisher in 47 Tagen der Spielzeit 63 Opem-
und Operetten-Aufführungen auf ihren drei Bühnen (NB. mit einem Chor, einem
Orchestf.r) veranstaltet hat, bedarf es keines Beweises, dass in dieser Theaterlotterie
die Aufführungsnieten überwiegen, grosse Treffer kaum je vorkommen. Von unseren
Solisten wäre zu berichten, dass sich Hans Siewert, unser junger, lyrischer Tenor, mit
Lyonel und Manrico noch fester der Gunst der Hörer versichert hat, und dass Francis
Rose mit bestem Erfolg zum ersten Male an die Senta herangetreten ist. Dann ge-
niessen wir gegenwärtig ein auf längere Zeit berechnetes, nicht alltägliches Gastspiel,
das eines jungen, italienischen Baritonisten, Pasquale Amato, von dem sein Vater-
land noch wenig weiss, der sich aber in Breslau einen künstlerischen Spezialkredit ver-
schafft hat. Herr Amato war im Sommer mit einer italienischen Truppe bei uns und
glänzte dort mit starker Spielbegabung, anständiger (für italienische Verhältnisse aber
nicht hervorragender) Gesangskunst und schönen hohen Brusttönen im Kreise massiger
Landsleute als Stern. Die hiesige Direktion hat ihn darauf zu einem Wintergastspiel
eingeladen und Herr Amato singt jetzt Rigoletto, Luna, Alfio, Tonio und dergleichen
italienisch inmitten unserer deutschen Sänger. Um einen derartigen Sprachmischmasch
halbwegs zu rechtfertigen, ist aber Herr Amato doch wohl nicht bedeutend genug. Die
Direktion soll die Absicht haben, Herrn Amato deutsch lernen zu lassen und dauernd
zu verpflichten. Ich glaube, beide Teile würden sich schlecht dabei stehen. Gerade
ein italienischer Sänger schlüpft nicht in eine deutsche Haut, ohne bei dem Wechsel
seine besten und eigentümlichsten Vorzüge einzubüssen. Dr. Erich Freund.
DRESDEN: Im königlichen Opemhause machte man am 16. Oktober den Versuch,
Aubers dreiaktige komische Oper »Der schwarze Domino* dem Spielplan nach
langer Pause wieder einzufügen, aber das Ergebnis war wenig befriedigend. Der allzu
ausgedehnte Dialog ermüdete die Hörer und Hess den musikalischen Teil so zerrissen
erscheinen, dass man zu keinem einheitlichen Genuas kommen konnte. Soll diese
graziöse, leichte und farbenprächtige Musik der Zukunft erhalten bleiben, so muss eine
geschickte Hand das Textbuch so umarbeiten, dass der Dialog wesentlich verkürzt und
die ganze Handlung stärker konzentriert wird. Die hiesige Neueinstudierung wurde auch
durch die nicht sehr glückliche Besetzung der Rollen beeinflusst und so ist «Der schwarze
298
DIE MUSIK III. 4.
Domino* bereits wieder vom Spielplan verschwunden. Am 30. Ol^tober erlebte die Musik-
tragödie .Odysseus' Tod** von August Bungert, das mit Spannung erwartete Schluss-
werk der Odysseus-Tetralogie, ihre Uraufführung. Der Erfolg blieb nicht unwesentlich
hinter dem zurück, den Bungerts frühere Odysseus-Dramen in den letzten Jahren hier
gefunden haben. Das Publikum spendete wohl nach jedem Fallen des Vorhangs Beifall,
aber die Wärme und Begeisterung wollte sich nicht einstellen und erst am Schlüsse des
ganzen Werkes konnte der Dichterkomponist mit den Darstellern und Generalmusik-
direktor von Schuch zahlreichen Hervorrufen Folge leisten. Die Mingel des Textbuches,
das trotz vieler dichterischen Einzelschönheiten wohl das schwächste der Tetralogie ist,
erklären manches. Der Autor hat eine an sich kurze Begebenheit durch allerlei sym-
bolische Zutaten so stark verbrämt, dass sich der Hörer nur schwer zurechtfindet. Be-
sonders erdrückt die Breite des ersten Aktes die lebendige Wirkung. Unstreitig ist vieles
an der Symbolik Bungerts tief und schön ersonnen, aber der dramatische Fluss leidet
erheblich unter all den dunkeln Dingen, die da «hineingeheimnist* worden sind. Dazu
kommt noch, dass die Handlung starke Anklänge an Wagners «SiegfHed* und «Götter-
dämmerung* aufweist, was zu Vergleichen Anlass gibt, die naturgemäss nicht zum Vor-
teil für Bungert ausschlagen. Musikalisch erscheint mir «Odysseus' Tod* dagegen als
das reifste der vier Dramen des Zyklus. Es steckt sehr viel Erfindung in dieser Partitur,
die düstem Stimmungen werden sicher getroffen und in den Liebesscenen walten Feuer
und eindringliche melodische Schönheit. Auch das Orchester ist meinem Empfinden
nach weit modemer und ausdrucksvoller behandelt als in den vorhergebenden Werken,
ohne dass Bungert dabei den eigenartigen, herben, durch die starke Ausnützung der
Trompeten bewirkten ehern-bebenden Klang aufgegeben hätte, der ihm zur musikalischen
Charakterisierung seiner altklassischen Heroenzeit dient Weiter muss dem Komponisten
auch der Widerstrebende zugestehen, dass ein grosser Zug sein Werk durchweht Es
ist ein grosses, ernstes Wollen, das auch aus ^Odysseus' Tod* zu uns redet und das zu
verkennen oder gering zu schätzen um so ungerechter wäre, je weniger wir seit dem
Auftauchen Bungerts als Dramatiker Opemneuheiten gehabt hat>en, die auf dauernde
Bedeutung irgendwie Anspruch erheben können. Die Aufführung war mit der erdenk-
lichsten Sorgfalt vorbereitet; neben Herrn von Schuch, in dem Bungert einen geistvollen
und begeisternden Interpreten fknd, seien als Vertreter der Hauptrollen die Damen
Abendrotb, von Chavanne und Eibenschütz sowie die Herren Scheidemantel, Burrian
und Jäger genannt F. A. Geissler.
DÜSSELDORF: Am 1. September öffneten sich wieder die Pforten des Stadttheaters.
Zugleich begann die Ära des neuen Direktors Ludwig Zimmermann. Neue
Oberleitung, neue Besetzung aller Hauptfächer, in denen mehrere, meist begabte jungen
Kräfte miteinander alternieren, ein vorzüglicher Oberregisseur, Oskar Fiedler, zwei erste
Kapellmeister, Alfred Fröhlich und Dr. Walter Rabl, endlich ein wesentlich verstärkter
Chor, ein ausreichendes Balletensemble erwarben sich rasch das unbedingte Vertrauen
der Theaterfreunde. Zwanzig verschiedene Werke kamen bis heute heraus. Eine aus-
gezeichnet arbeitende Regie ermöglichte abgerundete, harmonisch wirkende Vorstellungen.
Als Novität fand das »Mirakel": »Der Gaukler unserer Lieben Frau" von Massenet
bei geradezu glänzender Inscenierung grossen Beifall. Caesar Krause (Gaukler), Gustav
Waschow, ein hervorragend stimmbegabter Bariton (Bonifacius), Heinrich Gärtner, ein
famoser Bassist (Prior), zeichneten sich dabei besonders aus. Die »Engel* sangen
Hermine Förster und Klara Bellwidt entzückend. Im Engel-Chore wirkten alle Solisten mit
Regle und Ausstattung waren mustergültig. Durch Stileinheit und vortreffliche Inscenie-
rung ragte auch die Neueinstudiening von Mozarts »Figaros Hochzeit* hervor. Das
Orchester verdiente stets hohes Lob. A. Eccarius-Sieber.
299
KRITIK: OPER
ELBERFELD: Sigrid Arnoldson konnten wir als «Mignon* und «Traviata* bewundern. —
Cyrill Kistler hat mit seiner Volksoper .Röslein im Hag% die hier ihre Ur-
aufführung erlebte, einen Achtungserfolg errungen. Die teils recht flache, teils recht
niedliche Dichtung entstammt der Feder der Munchener Hofschauspielerin Alexandra
Kolbe. Die einfache Handlung spielt in einer kleinen Stadt um 1500 und wie in den
^Meistersingern'' erwirbt schliesslich ein Minnelied dem rechten Sänger die Braut, »Das
Röslein im Hag*. Wenn Kistler hier auch unter dem Einfluss Wagners, Lortzings, ja
Nesslers steht, so weiss er doch auch eigene Wege zu gehen. Seine Musik ist äusserst
melodiös und ansprechend, die Instrumentation aber für diese Operngattung und den
volkstumlichen Stoff im allgemeinen zu stark und massig; die ihr anhaftende Monotonie
hätte durch eine lebhaftere Mischung der Klangfarben vermieden werden können. Die
Verwendung des Volksliedes, wie die Charakteristik der an die „Meistersinger'* erinnern-
den handelnden Personen ist nur teilweise gegluckt. Im zweiten Akt nimmt der Komponist
einen bemerkenswerten Aufschwung, um im dritten Akt, der namentlich herzhafte Striche
verträgt, wieder abzufallen. Um das Gelingen der Aufführung machten sich mit Chor
und Orchester Kapellmeister Sauer, ein Schüler Kistlers, und Oberregisseur Goldberg,
besonders durch das geschickte Arrangement der zahlreichen Volksscenen, verdient,
ausserdem Alice Kaliina (Rose) und Emil Sorani (Spielmann), ferner Wilhelm Wissiak
als drolliger Schmied und plumper Freiersmann und Georg Förster als dürrer, auf-
geblasener Stadtschreiber Florian. Der anwesende Komponist wurde gerufen.
Ferdinand Schemensky.
FRANKFURT a. M.: Ihre erste deutsche Aufführung erlebte am 20. Oktober an unserer
Bühne die Oper «Die Meeresbraut", Text des Originals von Nestor deTidre,
Musik von Jan Blockx. Der Komponist war anwesend und konnte mit der Auf-
nahme, die sein Werk und er fanden, recht zufrieden sein, aber noch bedeutend mehr
mit der Güte der Darstellung, dem schönen Wetteifer aller Beteiligten, ihr Bestes mit
in die Wagschale des Erfolges zu werfen. Wirklich, unsere Oper konnte mit dieser
Wiedergabe Staat machen. Die Handlung ist eine vlämische Fischerdorftragödie; im
Mittelpunkt steht ein armes, schwärmerisch und träumerisch beanlagtes Mädchen, das
sich nicht in den Gedanken finden kann, dass sein Schatz im Meere ertrunken ist.
Die Eltern drängen sie aus Egoismus zur Heirat mit einem anderen, braven und vor
allem reicheren Freier; eine Rivalin, ihres Handwerks MG&rnaalmeisje" d. i. Krabben-
flscherin, missgönnt ihr den neuen Bräutigam und verfolgt die ohnehin schon von Ge-
wissensqual Bewegte mit einer düsterschauerlichen Ballade, bis sich Kerlien — so heisst
die leidende Heldin des Stücks — im Wahnsinn ins Meer stürzt, just zur Stunde, als
die jährliche Zeremonie der «Meeressegnung " vorgenommen wird; gleichzeitig wird
aber auch die böse Gameelenflscherin von einem eifersüchtigen Strandläufer erstochen:
nach gemächlich vorschreitender Handlung eine starke Anhäufung von Effekten am
Schluss, welcher doch der Effekt nicht ganz entspricht. Der Stil der musikalischen
Komposition ähnelt dem des italienischen Verismus, steht aber höher in der leit-
motivischen Durchbildung, die von vielem Geiste zeugt, aber allerdings aufs grosse
Publikum weniger Eindruck macht als die gelegentlich eingeflochtenen «geschlossenen
Melodieen*, die wohl dem Volkstone entlehnt sind. So die alte Ballade von den zwei
Königskindem, die bedeutungsvoll die Handlung eröffnet und später noch öfter hinein-
klingt, ein Fischerliedchen der koketten Rivalin mit einer Grazie vom massiveren, nieder-
deutschen Schlage, und die düstere Ballade in äolischer Tonart „Vom gebrochenen Eid^'.
Künstlerisch wohl noch anziehender und mehr aus dem Eigenen des Tonsetzers heraus-
entwickelt ist die Art, wie das reich bedachte, aber nicht aufdringliche Orchester die
wachsende Verdüsterung im Gemütsleben Kerliens andeutet Manches andere ist im
300
DIE MUSIK III. 4.
Ausbau etwas kfihl und verstandesmässig ausgefkllen , einiges, wie das Liebesdnett
Kerliens mit ihrem ersten Freier streift leicht ans Banale. Die Intentionen des schaffen-
den Kunstlers unterstfitzte Elsa Hensel durch ihre Wiedergabe der Hauptrolle vortrefflich ;
temperamentvoll und tonschön gab Frau Kemic die Gameelenflscherin« den Strandlinfier
schilderte Richard Breitenfeld comme il f^ut als einen gefihrlichen aber ganzen KerL
Das Stuck wird sich hier kaum lange halten, aber nach Erfolgen wie z. B. von Charpentier's
i^Louise* wire es nicht ausgeschlossen, dass es anderswo noch festeren Fuss fasste.
Hans Pfeilschmidt
HAAG: Die französische Oper eröffnete die Saison unter günstigeren Umständen als
im vorigen Jahre. Von den Solisten gefielen Mme. Marignan als Traviata; Mme.
Savine als Carmen genfigte weniger. — Die «Neue niederländische Oper* (Palaisoper)
brachte .Mignon* mit Sigrid Amoldson in der Titelrolle. Auch bei diesem Unternehmen
muss man das ernste Streben der Direktion anerkennen. — Weniger glficklich war die
Direktion der zweiten niederländischen OpemgesellschafI (Stadttheater von Amsterdam)
mit der Aufführung von Beethovens «Fidelio*. Otto Wernicke.
KÖNIGSBERG i. Pr.: Die bisherige Tätigkeit unserer Oper in der neuen Spielzelt
kann nicht zu Lobliedern begeistern. Die neuengagierten Kunstler bedeuten keine
Verbesserungen ihrer Fächer gegen das vorige Jahr. Die Direktion macht auch keine
Anstrengungen, eine höhere Kunststufe mit ihren Opemtaten zu gewinnen. Das beste
war eine Auffuhrung von »Figaros Hochzeit*, die schon im vorigen Winter mit dem
köstlich vornehmen Grafen v. Ulmanns einen Glanzpunkt in dem Gran trüber Stadt-
theateralltäglichkeit bildete. Das Publikum sagt und schreibt oft seine Unzufriedenheit
mit den Zuständen, hat aber gleichwohl um die Abonnements gekämpft und bereitet
schlechte Auffuhrungen, z. B. des »Lohengrin*, vom Wagnerschen Geiste fortgerissen,
mit Beifall. Daher sich denn auch die Direktion nicht bewogen ffihlt, Besserung zn
schaffen. Premieren gab es von Lehärs militärmusikantischer Operette «Der Rastelbindet*
und letzhin von Kaskels »Dusle und Babeli*'. Paul Ehlers.
LEIPZIG: Abgesehen von dem dankenswerten Einspringen des Kammersängers Zeller
aus Weimar ffir die Partie des Junker Stolzing und der Frau Bener aus Hambnif
als Götterdämmerungs-Brunnhilde hat sich der Wagner-Zyklus im hiesigen Stadttheater
ganz programmgemäss abgespielt. Wirkliche Wagner- Festspiele hatte man trotz der
mehreren Gastkunstler und Gastdirigenten nach Lage der Dinge hier nicht erwarten
können, und so nahm man denn dankbaren Sinnes die im ganzen besser vorbereiteten
tmd zum Teil wfirdig l>esetzten Reproduktionen entgegen, zumal in dem um der sensa-
tionellen Dirigentengastspiele willen meist ausverkauften Hause viel guter Begeistenings-
wUle vorhanden war, der sich betätigen wollte und mnsste. Die Meistersinger-Auffuhrnng
unter Prot Panzner war ein wenig Schnellmalerei, die Wiedergabe der Nibelungentetralogie
tmd des Tristan unter Prof. Nikisch schon eher das Gegenteil; doch hat man bei den
letzterwähnten Auffuhrungen sich hat durchweg an äusserst feinen und klangschönen
Orchesterleistungen erfreuen können. Neben den Gastleistnngen auf der Buhne, dem
edel tifflbrierten Wolfram und Wanderer des Dresdener Kammersängers Perron tmd der
stimmhaft grosszugigen Isolde der Frau Leffler-Burckard vom Königl. Theater in Wies-
baden, taten sich vom einheimischen Personale besonders hervor Herr Urins als RienzI,
Siegfried und Tristan des dritten Anfenges, Fran Doenges als Irene iwd Sieglinde, Herr
Moers als Loge und Siegmund, Frl. Sengem als Adriano, Herr Schfitz als Hans Sachs,
Herr Kunze als Alberich und Beckmesser und Herr Mari n als unverwüstlicher Re-
pfisentant des Mime nnd des David. Nach Schlnss des Wagner-Zyklus hat die Oper
mit »AIHkanerin*, .Der Widerspänstigen Zähmung", »Die lustigen Weiber* (Gastspiel
der Kammersängerin Banmann von hier), .Hansel nnd Gretel« und .Bajazzo« wieder
301
KRITIK: OPER
ins Repertoire-Fahrwasser eingelenkt und vor der ersten Novität wird es wohl kaum
mehr etwas Wichtigeres zu berichten geben. Übrigens ist Eyslers Operette «Bruder
Straubinger* nun auch hier mit recht gutem Erfolge in Scene gegangen.
Arthur Smolian.
MAGDEBURG: Der Spielplan unserer Oper hat bisher dem Stadttheater noch keinen
«grossen Abend* gebracht; er blieb in bekannten Grenzen des Herkömmlichen.
Die Personalfragen sind noch nicht alle gelöst, erst der Monat November wird eine er-
wünschte Stetigkeit bringen. Unter dem neuen Kapellmeister August G öl 1 rieh nimmt
das Institut aber einen starken inneren Aufschwung. Dieser mittelgrosse, bewegliche
Mann mit den blitzenden Augen, gehört mit in die erste Reibe derer vom Taktstock.
Vom Handwerker, vom »Ruderknecht* ist hier nichts mehr vorhanden; seine Darbietungen
tragen einen eminent künstlerischen Zug. Dabei umfasst sein Blick mit der gleichen
Liebe Vergangenheit und Gegenwart. Solche stilreinen Aufführungen von «Figaros
Hochzeit*, vom „Holländer^S von „Romeo und Julia'' und „Carmen*' hat das hiesige
Theater vorher kaum gekannt. In Aussicht steht der „Ring" und „Fausts Verdammnis''
von Berlioz. An diesen Abenden wird der Dirigent wahrscheinlich auch diejenigen
trigeren Geister und langsamer Denkenden von seiner grossen Befähigung fiberzeugen,
die sich gestutzt auf einige Kenntnis des Violin- und Bassschlussels „gute alte Zeiten"
zurfickwfinschten. — An kleineren Werken erlebte Paörs Oper „Der Herr Kapell-
meister" in der Bearbeitung von W. Kleefeld und H. Brenn ert eine erfolgreiche
Auffuhrung unter demselben Dirigenten. Max Hasse.
MANNHEIM: Ibsens „Fest auf Solhaug" mit der Musik von Hans Pfitzner er-
öffnete am 1. September die neue Spielzeit. Seit der Ur- Aufführung des Werkes
in dieser Gestalt (Mainz 1895) ist Mannheim die erste Bühne, welche die nun bei
Feuchtinger- Stuttgart verlegte Musik mit dem Drama zur Aufführung brachte. Der
Komponist, dessen „Rose vom Liebesgarten" demnächst herausgebracht wird, wohnte
der Eröffnungsvorstellung bei und hatte die Freude, zu sehen, wie seine Jugendarbeit
hier sehr gut gefiel. Als erste Opern -Novität ging Donizetti's „Don Pasquale" über die
BGhne, und das reizvolle Werk, das Rossini's „Barbier" nicht so sehr weit nachsteht,
gefiel ganz ausserordentlich. Carl Marx ist allerdings ein köstlicher Vertreter der Titel-
partie, und Elisabeth Suchanek gab die ungezähmte widerspenstige Norina in jeder Hin-
sicht gut. Die erste „Ring"- Aufführung wurde ausschliesslich durch einheimische Kräfte
bestritten. Margarethe Brandes (Brunnhilde) ist tief in den Geist ihrer Rolle eingedrungen,
und Friedrich Carl6n bot als Loge, Siegmund und Siegfried eine brillante Leistung. In
Alfred Sieder hat unsere Bühne einen ausgezeichneten Minie erhalten. Max Bucksath
als stimmgewaltiger Wotan hielt sich sehr tapfer wie das übrige Ensemble. Die Auf-
führungen fanden in Willibald Kahler einen berufenen musikalischen und in Eugen
Gebrath einen gediegenen scenischen Leiter. K. Eschmann.
MÖNCHEN: In der jüngsten „Zauberfiöte"- Aufführung sangen zwei Gäste, FrL
Reinisch aus Berlin die Königin der Nacht und Frl. Gehrer die Papagena. Erstere
ist im Koloraturfach bewandert, aber ohne ausreichend frische Stimmmittel; sie macht
den Eindruck einer Sängerin, die den Höhepunkt ihrer Leistungsßhigkeit bereits über-
schritten hat. Etwas mehr Glanz hat der Sopran Frl. Gehrers, die ihre Rolle mit
technischem Geschick, doch geringem Reiz durchführt. Sonst ist nichts Besonderes zu
berichten. Hugo Reichenberger hat mit Thutlles „Lobetanz"^ den er im verflossenen
Jahr an der Spitze des Stuttgarter Hoforchesters hier dirigierte, sein neues Kapellmeister-
amt erfolgreich angetreten. Man bringt ihm Sympathieen entgegen, die sicher nicht bloss
dem Sohn des verstorbenen Magistrats- und Kommerzienrats gelten. Die Generalmusik-
direktorenfrage ist anscheinend noch in der Schwebe. Das Gerficht aber, dass Mottl
302
DIE MUSIK III. 4.
der kommende Mann sein werde, tritt immer bestimmter auf; sogar die näheren Be-
dingungen, unter denen der Karlsruher Dirigent fOr unsere Hofbfihne verpflichtet worden
sei, sind heute bekannt. Es wird aber wohl einige Zeit verstreichen bis zur offiziellen
Bestätigung. — Die erste der angekündigten Premieren, Hugo Wolfs „Corregidof^ steht
unmittelbar bevor. Dr. Theodor Kroyer.
PRAG: Weniger interessant als sonst hebt diesmal die Saison an. Im Neuen deutschen
Theater bildet die Suche nach einem Wagnertenor fOr den plötzlich verstorbenen,
trefflichen Eisner das erregende Moment. Holdak (Hannover) vorsang als Tristmn*
Briesemeister begeisterte als Loge, gefiel als Siegmund, holte sich als Evangelimann
eine Schlappe und eine Niederlage als Siegfried. Ober den Mangel an Stimmreiz hebt
die geistvolle Darstellung eben nicht immer hinweg . . . Unglück hatte die Oper mit
ihrer ersten Neuheit, „Zaire^' des Franzosen P. V. de la Nux. Die noble, aber in kon-
ventioneller Gesangspose einherschreitende, auf die Dauer langweilige Musik erzielte
trotz einer vorzuglichen Aufführung nur ein flasco d'estime. Wo Massenet's, Chabrier*s,
Charpentier's Muse nicht zu Worte kommt, durfte um so mehr auf Mr. de la Nux ver-
zichtet werden. Der Lichtpunkt des Spielplans war bisher Humperdincks „Hinsei und
Gretel**, das Leo Blech mit ungemeiner Liebe von Grund auf neustudiert hat Auch
hebt sich die Operette und die neue Diva, Frau Fischer-Frey, bringt Offenbach und
Supp6 zu neuen Ehren. — Das tschechische Nationaltbeater führt noch ein Wiederkiuer-
dasein. Wirklich „neue Taten^ soll auch hier erst der November zeitigen.
Dr. R. Batka.
STOCKHOLM: Einige hervorragenden auswärtigen Singer und Singerinnen haben
hier Gastrollen gegeben, darunter die berühmte finnische Singerin Aino Ackt6, die
mit ihrer Elsa (Lohengrin), Elisabeth (Tannhiuser) ganz Stockholm bezaubert hat.
Tobias Norlind.
STRASSBURG: Das erste Ereignis der Saison war der Rücktritt des bisherigen
Direktors infolge verschiedener unliebsamer Vorkommnisse. Warum die Kunst an
diesem „gefallenen Engel* nichts verliert, habe ich in den Vorjahren manchesmal niher
begründet. Der Spielplan pendelt derweil in den gewohnten Bahnen weiter — ein paar
klassische und Wagnerwerke, sonst zumeist «welscher Tand". Die einzige wertvollere Neu-
einstudierung war die «Verkaufte Braut*, der allerdings die hiesige Presse dieselbe Ver-
stindnislosigkeit entgegenbrachte, wie im Vorjahre «Hoffmanns Erzihlungen*. Im
Ensemble glinzt wie bisher der bei canto von Agnes Hermann; in Erna Croissant ist
eine stimm- und spielbegabte Soubrette gewonnen. Das beste ist noch immer das
Orchester und sein Leiter Lohse; Smetana und Mozart passen allerdings weniger zn
seiner musikdramatischen Faust, die das zierliche Filigran einer Figaro-Ouvertüre zu
einem unförmlichen Tonklumpen zerknautscht! Gustav Altmann.
WARSCHAU: Um sich im Repertoire unserer Oper orientieren zu können, muss
man das System kennen lernen, mit dem sie geführt wird. Die kaiserl. Oper ist
eigentlich polnisch, obwohl die beiden Kapellmeister (Podesti und Stermicz) Italiener
sind und das Prisidium durch hohe russischen Beamten vertreten wird; nach einer alt-
hergebrachten Mode aber werden für die Hauptsaison italienische Singer engagiert und
mit diesen müssen unsere hiesigen, also polnischen, Künstler italienisch singen. Es gibt
demnach abwechslungsweise polnisch und italienisch gesungene Oper. Bis jetzt wurde
polnisch ausser den üblichen Moniuszko-Werken „Die verkaufte Braut^ von Smetmna
gegeben, die zur Saisoneröffnung zum ersten Male mit missigem Erfolg in Scene ging.
Die Italiener führen alte und genug abgespielte Werke auf wie: Rigoletto, Wilhelm Teil,
Gioconda a. dergl. Von neueren werden bloss „Werther^ und „Manon^ von Massenet»
»Onegin^ von Crajkowski, und „Samson und Dalila^ (die Premiere der vorigen Saison)
303
KRITIK: KONZERT
von Saint-SaSns gegeben. Sonst sind die gastierenden Kräfte (die Herren: Anzelmi,
Maggini-Coletti, Giüon, die Damen: Pinto und Borissi] sehr gut, besonders der aus-
gezeichnete Tenor Anzelmi. H. Opiensl^i.
WIEN: Donizetti's .Lucia von Lammermoor^ sollte derzeit ein grosses, sub-
ventioniertes, den Rang eines Kunstinstitutes beanspruchendes Hoftheater billig
reisenden Gesangsvirtuosinnen überlassen, die gegen ein grosses Abendhonorar ihre
Fertigkeit auf einer Privatbfihne gerne glänzen lassen. Diese Drehorgeloper, gegen die
sich zu erhitzen heute die Muhe wahrlich nicht lohnt, trägt gar zu deutlich den Stempel
einer Zeit, da der Theatersaal die Hauptsache war und die Bühne nur durch die Kehlen-
virtttosität des Sängers Leben gewann. Dennoch glaubte Direktor Mabler den kapita-
listischen Logenbesitzem und Auslagenarrangeuren der Galerie dieses zweifelhafte Ver-
gnügen nicht vorenthalten zu dürfen. So horten wir die Lucia unter der Leitung
des für das italienische Opernrepertoire engagierten Kapellmeisters Speltrino mit Selma
Kurz in der Titelrolle. Ihre für eine spezifische Koloratursängerin fast zu kemsaftige
Stimme und teilweise vortreffliche Gesangstecbnik vermochten nicht ganz darüber
zu täuschen, dass die Künstlerin mit den grossen Meisterinnen des Ziergesanges nicht
in die Schranken zu treten vermag. Die Herbeiziehung eines Italieners zur Leitung
italienischer Opern ist unbedingt zu billigen, um so mehr als Herr Speltrino sich als
ebenso feuriger wie musikalischer Dirigent erwies. Freilich — je mehr Tempo und
Rhythmik des Orchesters von italienischem Operngeist erfüllt sind, desto greller tritt
hervor, dass unsere deutschen Sänger für den Abend nicht auch in Italiener sich ver-
wandeln können. Gustav Schoenaich.
KONZERT
AMSTERDAM: Im Konzertgebouw erschien als erster Solist Jacques Thibaud, der
jedoch mit den Konzerten von Mozart und Bruch nicht den gewöhnlichen Erfolg
erzielte, da sein Spiel an Gleichgültigkeit litt und der Wärme ermangelte. In hohem
Masse ist diese dem feurigen Geiger Serato zu eigen, der im Verein mit Mme. Roger-
Miclos, einer sehr begabten Pianistin, konzertierte und sich als Künstler ersten Ranges
erwies. Ein Riesenerfolg wurde Gustav Mahler zuteil, der auf Einladung des
Konzertgebouw-Vorstandes seine dritte Symphonie vorführte. Beim ersten Teil des
einen ganzen Abend füllenden Werkes war das Publikum ziemlich zurückhaltend, als
sich jedoch die reiche Gedankenwelt des Werkes stets grossartiger in leuchtender
Schöne entfaltete, als sich zu den Tonfiuten des herrlichen Orchesters die fröhlichen
Kinderstimmen mit den Glockenklängen gesellten, der auserlesene Frauenchor einfiel,
Hermine Kittels ergreifende Altstimme Nietzsches tiefen Weisheitsworte verkündete, da
kannte das begeisterte Publikum keine Grenzen mehr und brachte dem Schöpfer des
grossartigen Tongemäldes und eminenten Dirigenten seinen Dank in einer Huldigung
voll seltener Wärme zum Ausdruck. Hans Augustin.
BASEL: Unter aussergewöhnlich reger Anteilnahme seitens des Publikums ist mit dem
ersten Abonnementskonzert die Serie der Symphonie-Konzerte eröffnet worden. Wenn,
ganz im Gegensatz zu früher, schon das erste Konzert vor nahezu ausverkauftem Saale
stattfand, so ist die Tatsache auf Rechnung der im Juni in Basel abgehaltenen Ton-
künstler-Versammlung des A. D. M. V. zu setzen, die — gewiss eine sehr erfreuliche
Erscheinung — unserem hiesigen musikalischen Leben reiche und nachhaltige Anregung
und Förderung gebracht hat. Durch das Tonkünstlerfest ist — ich betone dies an dieser
Stelle gerne — in weiten Kreisen unserer Bevölkerung neues und lebhaftes Interesse
an allen unseren musikalischen Bestrebungen geweckt worden, und insbesondere sind,
was bei uns sehr nötig war, der neuen und neuesten Richtung in der Musik und ihren
304
DIE MUSIK III. 4.
Vertretern viele Freunde zugeführt worden. Die Hauptnummer im ersten Abonnements-
konzert bildete die Eroica, die unter Hermann Suters hervorragender Leitung in glän-
zender Weise wiedergegeben wurde. Als Solist wirkte Karl Halir mit
Dr. H. Stumm.
BERLIN: In der Philharmonie hat Prof. Siegfried Ochs an der Spitze seines phil-
harmonischen Chores die grosse Totenmesse von Berlioz wieder zur Auf-
führung gebracht. Es ist das sechstemal, dass der Verein das Riesenwerk vorführt,
das stets, wenn die erschütternden Klangmassen im dies irae oder lacrymosa herein-
brechen, den Hörer mächtig anpackt; auf feiner organisierte Naturen wird allerdings der
acappella-Satz »quaerens me* mit seinem blühenden Wohllaut, das Sanctus mit seiner
reizvollen Melodik und den aufe zarteste vibrierenden Schlaginstrumenten noch nach-
haltigere Wirkungen ausüben. Hier im Sanctus erscheint alles, der Solotenor, die Chor-
und Orchesterstimmen wie von transzendentalem Licht durchstrahlt. Der Dirigent führte
seinen Chor und die verstärkte philharmonische Kapelle wie zu einem glänzenden Siege;
alles griff mit wunderbarer Sicherheit ineinander. Schade, dass Curt Sommer nicht
gut disponiert war und durch unreine Intonation das Solo im Sanctus nicht zur gehörigen
Geltung zu bringen vermochte. Der Sternsche Gesangverein hat in seinem ersten
Abonnementskonzert den Mendelssohnschen Paulus zum Gedächtnis des in den ersten
Novembertagen 1847 verschiedenen Komponisten aufgeführt und damit einen traditionellen
Akt der Pietät vollzogen, denn seit den ersten Jahren seines Bestehens hat der Verein
stets mit besonderer Vorliebe Mendelssohns Chorwerke gepflegt. Professor Gernsheim
dirigierte mit Lust und Liebe, ebenso sang der Chor mit voller Hingabe, so dass das
Werk zu schöner Wirkung gelangte. Unter den Solisten zeigte sich Herr Messchaert
wieder als Meistersänger; die übrigen Kräfte, die Damen Blanck-Peters, Marie Ries
fügten sich geschickt ein, nur Herr von Zur-Mühlen, wohl indisponiert, sang beharrlich
unrein und seine Vortragsweise passte nicht in den reinen Stil Mendelssohns. In dem
zweiten Nikisch-Konzert dieser Saison stand in der Mitte des Programms die un-
vollendete neunte Symphonie in d-moll von Anton Brückner. Es wäre ver-
messen, wollte man nach einmaligem Hören das in grossartigen Verhältnissen angelegte
Werk mit seiner komplizierten echt symphonischen Polyphonie beurteilen, es wird seinen
Weg zum Herzen der Musikfreunde gewiss ebenso finden, wie die anderen Symphonieen
Brückners. Von entzückender Wirkung war auch bei erstmaligem Anhören das Scherzo
mit seinen frappierenden kühnen Harmonieen, seinen leicht dahinschwebenden Klängen.
In wanderlwrer ruhiger Schönheit tönte das Adagio aus; vieles in dem ersten düsteren
Ailegro imponierte durch den tiefernsten Ausdruck. Dass Brückner von der Musik
Wagner« und Beethovens durch und durch imprägniert ist, dass er seine reiche Ge-
staltungskraft dazu zwang, im kühnen Flug der Phantasie diesen Vorbildern nachzufolgen,
diesen Gedanken wird man allerdings nicht los, wenn man dem geheimnisvollen Anfang
und Ausgang des ersten Satzes lauscht, wenn zum erstenmal das Motiv des Adagio auf-
tritt, das wie ein Zitat das Hauptthema aus der Faustouvertüre Wagners bringt. Klänge
ans Beethovens Neunter, aus dem fliegenden Holländer umschwirren unausgesetzt unser
Ohr, doch über den Apell an unser Gedächtnis hinaus erscheint dann doch wieder der
Charakterkopf des alten Brückner mit seiner Naivität, mit der tieftragischen Grund-
stimmung, mit seiner Fülle eigenartiger Gedanken, mit seiner Beherrschung der
Orchestertechnik, dass man gern sich bescheidet und t>eschliesst, das Werk sich zu
Hause vorzunehmen zu genauer Durchart>eitung und dann erst auf die nächste Orchester-
aufführung zu warten, um sein Urteil zu klären. Dem Dirigenten, den Orchester-
mitgliedem ist keine leichte Aufgabe gestellt; dass aber Arthur Nikisch der Mann dazu
ist, solch eine Orchetterpartitur zur Geltung zu bringen, dass unsere Philharmoniker
305
KRITIK: KONZERT
unter solcher Fuhrung wunderbar leistungsAhig werden, weiss jeder, der Nikischs Art
zu studieren, zu dirigieren kennt. Der übrige Teil des Programms brachte Cherubini's
Ouvertüre zum i» Wasserträger* und Haydns Abschiedssymphonie in fls-moll mit dem
rührend humoristischen Ausgang in Fis-dur, wo nach dem allmählichen Verstummen
der Instrumente nur noch zwei Geigen eine Weile erklingen, ehe auch sie schliessen.
Fritz Kr eis 1er spielte mit vorzüglichem Gelingen das Brahmssche Violinkonzert. —
Aus der Fülle der Liederabende sei an erster Stelle der von Dr. Ludwig Wüllner in der
Philharmonie genannt. Der Sänger, der nach wie vor einen fascinierenden Eindruck auf
die Hörer ausübt, überraschte seine Verehrer diesmal dadurch, dass er sein Organ von
der Tenorhöhe zu der Klangfarbe eines Bassbariton heruntergeschraubt hatte, er sang
z. B. den Legenden zyklus «Gregor am Stein" von Loewe in der Original tonart. Erspart
wurden dem Hörer diesmal die unschön gellenden hohen Töne; Herr Wüllner singt
jetzt in der Tat, er deklamiert nicht nur. Ausser Schubert, Brahms und Loewe brachte
er neun Gesänge von Theodor Streicher zu köstlich erfrischender Wirkung. Lieder,
die mit ihrer geistvollen Begleitung, ihrem natürlich melodischen Fluss der Singstimme
und meisterhaft sicheren Deklamation allgemeinen Anklang fanden, zudem der meist
humoristische Inhalt von dem Sänger zu schlagendem Ausdruck gebracht wurde.
Therese Behr, wie stets von Artur Schnabel vortrefflich begleitet, hatte sich für
ihren Liederabend Gruppen von Schubert, Cornelius, Brahms und Hugo Wolf aus-
gewählt und erfreute wie sonst durch feine Ausarbeitung des Stimmungsgehalts,
diesmal auch noch durch frischen Vollklang des Organs. Klara Erler zeigte wieder
ein sicher durchgebildetes Organ, dessen Register vollkommen ausgeglichen sind,
dazu eine feine abgeschliffene Koloraturfertigkeit, die selbst minderwertige Musik
durch ihren Vortrag schmackhaft zu machen versteht. Reizend trägt sie einfache
Lieder naiven Inhalts vor. Meister Joachim unterstützte die Konzertgeberin durch seine
Mitwirkung. Marie Hertzer-Deppe singt mit Anmut, vielleicht noch zu geschäftig
im Detail des Ausdrucks, dagegen Hertha Dehmlow fast zu ruhig; aber ihr Organ
klingt wundervoll, durchaus sympathisch und die talentvolle Künstlerin reift zur Meister-
schaft. Schönes z. T. hochbedeutendes Stimmmaterial zeigten Therese Lederer-
Schiestl und Olga Lenk, doch bedarf es bei beiden Damen feineren Schliffes; Julia
Culp, diesmal weniger glücklich disponiert, sang zwar ihre Schubertgmppe interessant,
doch versagte der warm sympathisch anklingende Alt im Verlauf des Abends allzu oft
Ungenügend vorgebildet für die Öffentlichkeit zeigten sich Hedwig Hartmann und
Max Wewer, doch das Material wäre eingehender Schulung wert. Arthur van Eweyk
sang zu Beginn des Programms merkwürdig unruhig; seinen Schubertliedem mangelte
es an dem ruhigen Fluss der Kantilene. Erst bei Brahms sammelte er seine Kraft und
die letzten Gesänge von Hugo Kann und Hugo Wolf glückten ihm so, wie wir es von
dem treiftichen Künstler gewohnt sind. — Aus der Reihe der Klavierabende sei der von
Margarete Eussert als bedeutend genannt: wer Liszts h-moll-Sonate so durchgeistigt
vorzutragen vermag, ist mehr als eine gute Pianistin, der rangiert in der Reihe der
wahren, echten Künstler. J. P. Dünn spielt nicht übel, vor der Hand aber mehr mit
wohldressierten Fingern als mit Kopf und Herz. Norah Drewett hat entschieden
Talent, auch bereits anerkennenswerte Technik erworben, es fehlt aber noch an der
plastischen Gestaltungskraft, sie fasst alles zu willkürlich an. Ein beachtenswertes
Unternehmen war der Lisztabend von Hintze-Reinhold, der dabei von der geist-
vollen Susanne Dessoir und seinem Kollegen Otto Hegner wirksam unterstützt wurde.
E. E. Taubert
Beim ersten populären Kammermusikabend der Herren Professoren Barth, Wirth
und Hausmann war der grosse Saal der Philharmonie^ lange nicht so gefüllt wie in
III. 4. ~ 20
306
DIE MUSIK IIL 4.
den Vorjahren, ein Beweis, dass das Bedürfnis nach KammermusilL jetzt mehr als gedeckt
ist; Brabms' C-dur-Trio fand eine vortreffliche Wiedergabe; Webers As-dur-Sonate spielte
Prof. Barth gllnzend. Tüchtige Leistungen wies der KammermusilE-Abend der Pianistin
Margaretbe Zimmer auf, die von dem Geiger Bernhard Gehwald und dem temperament-
vollen Violoncellisten Franz Borisch unterstfitzt wurde. Das famos eingespielte Hol-
lindische Trio der Herren van M. Bos, van Veen und van Lier begann seine
populären Soireen mit Beethoven op. 97 und Ph. Scharwenka op. 112; Alexander Heine-
mann sorgte für vokale Abwechslung. Die Triovereinigung Prof. Georg Schamann,
dessen Klavierspiel hervorragend ist, Carl Halir und Hugo Dechert brachte den Manen
Tb. Kirchners durch Vorführung einiger seiner Novelletten ein wardiges Totenopfer.
Nur mit grösster Hochachtung kann ich des Kammermusik-Abends gedenken, in dem
Victor Bendix, übrigens ein hervorragender, äusserst temperamentvoller Klavierspieler,
nur eigene Werke zur Aufführung brachte. Von seiner Klaviersonate op. 26 hörte ich
leider nur das gewaltig dahinbrausende Finale. Wertvoll erschien mir der Liederkreis
»Welke Blätter*, der in Hertha Deh ml ow eine durchaus geeignete Interpretin f^nd und
hoffentlich in weitere Kreise dringt. Dies ist vielleicht noch in höherem Grade dem
hier schon durch das Holländische Trio erfolgreich eingeführten Klaviertrio op. 12 zu
wünschen, das der Komponist mit Karl Klingler und Prof. Hausmann ausgezeichnet
vortrug; es ist unstreitig eines der besten Trios der Neuzeit, nach Form und Inhalt
gleich ausgezeichnet. Eine ebenbürtige Konkurrenz scheint dem Böhmischen in dem
Prager Streichquartett entstanden zu sein; ich sage scheint, weil das von den Herren
Georg Herold, Carl Liska, Udalrich Vavra (der die äusserliche Kopie des Herrn
Nedbal lieber unterlassen sollte) und Max Skvor gewählte Programm kein definitives
Urteil gestattet Würden die Herren jedes Streichquartett so fein abgetönt, so klang-
schön, so jeden Wunsch des Komponisten restlos erfüllend, so vornehm und technisch
vollendet spielen, wie DvoHks F-dur-Quartett op. 96, so wären sie als eine geradezu ideale
Quartettvereinigung zu bezeichnen. Leider beschränkten sich die Herren aber auf dieses
eine Quartett, vereinigten sich freilich schliesslich noch mit dem gediegenen Pianisten
Ed. Tregler zu Schumanns Klavierquintett; dazwischen aber boten die beiden Geiger
eine Probe ihrer grossen Meisterschaft in einem leider völlig veralteten Doppelkonzert
von C. Hoffmann, tischte der Cellist einige Stückchen von Gabriel Marie auf! Mein
kürzlich über die Geigerin Otie Chew ausgesprochenes günstiges Urteil wurde durch
den Sonatenabend bestätigt, den sie im Verein mit Artur Schnabel gab; er ist ihr
freilich an Innerlichkeit überlegen. Der kleine Geiger Franz vonVecsey übt eine
Anziehungskraft auf das Publikum aus, um die ihn die reifeten Künstler beneiden
können. Alexander Petschnikoff hat diesmal drei Konzerte (ohne Orchester) an-
gekündigt; im ersten fehlte die sonst von ihm immer mitgebrachte grössere
Novität; wieder entzückte sein herrlicher Ton und seine gediegene Künstlerschaft.
Drei Geigerinnen erschienen in eigenen Konzerten in Begleitung des Philharmonischen
Orchesters. Die Krone gebührt Erna Schulz, der zu Liebe ihr Lehrer Joachim
dirigierte und Engen Brieger einige Lieder beisteuerte. Die hohen Erwartungen, zu
denen Erna Schulz berechtigte, hat sie noch übertroffön: wie eine Offenbarung er-
schien mir ihr Vortrag von Beethovens Konzert Ihr Ton ist von seltenem Adel^
ihr Strich kraftvoll, ihre seelische Anteilnahme vollkommen. Diese vermisste ich
bei Marie Nichols, einer bedeutenden Technikerin, besonders in Bruchs grosser
Serenade; ihr Bestes gab sie in Guiraud's hier noch unbekannter Kaprice, deren
zweiter Satz ein brillantes Virtuosenstück ist Enttäuscht hat mich Eugenie Argiewicz,
die vor zwei Jahren weit besser gefallen hat Sie hat technisch viel zugelernt,
ohne freilich Tschaikowsky's Konzert schon ganz bewältigen zu können, spielt aber zu
307
KRITIK: KONZERT
gleichgültig ihren Part herunter; auch entbehrt ihr Ton zu sehr der Rundung und Ffille.
Die in ihren Leistungen hier zur Genüge bekannte Frau Marie Blanck-Peters ver-
anstaltete einen Liederabend; sie sang u. a. die schönen, von ihr schon öfters vor-
getragenen Lieder von Spohr mit Klarinette (Kammervirtuos O. Schubert). Trotz ihres
geringen Erfolges in der vorigen Saison will die Koloraturslngerin Mary Munter- Qu int
diesmal mehrere Liederabende veranstalten; der erste bitte wohl genügt. Mit beneidens-
wertem Mut, aber ohne jede Berechtigung, betrat die Sopranistin Else Michalke das
Podium; ihre Partnerin, die Altistin Helene Beling, interessierte wenigstens stimmlich.
Das Konzert der Sopranistin Emmi Lange-Aranyi ist nur erwibnenswert, weil darin
eine blutjunge Wiener Violinistin, Amelie Heller, ein eminentes Geigentalent, mitwirkte.
Sie spielte zunichst Paganint's D-dur-Konzert mit ziemlicher Nonchalance und einer
zigeunerhaften Liederlichkeit, fesselte aber bereits durch Sauret's grosse sehr schwierige
Kadenz. Darauf aber trug sie die Moses-Variationen von Paganini auf der G-Saite so
vollendet vor, wie ich dieses schwierige Virtuosenstück vielleicht noch nie gehört habe;
besonders exzellierte sie im Flageolett und Ponticello. In einigen Zugaben erbrachte
sie dann den weiteren Beweis ihrer ganz hervorragenden virtuosen Beanlagung; sie
durfte gut tun, sich noch in strenge Schulung zu begeben, um zu einer Meisterin heran-
reifen zu können. Wäre sie hier ebenso eingeführt worden wie der Wunderknabe Vecsey,
so bitte sie sicherlich denselben Erfolg gehabt. Dr. Wilh. Alt mann.
Neue Lieder, neue Klänge! Man sollte nicht müde werden, die Kunst der Gegen-
wart zu pflegen, sofern das Neue auch neu. Unter den Modernen, die Emil Liepe sang^
war nur Hugo Wolf „neu**. Woyrscb, Scheinpflug, Kämpf: alte Klänge — »Raritäten*!
Schnabels i^Waldnacht** op. 1 1 dagegen echt, wenn auch zu viel Mondschein «drüberhin*.
Kühnere Ansätze verraten Georg Vollertbun und R. v. Wistinghausen (Der «Musikant**).
Ober die Ausführung soll man nicht rechten. Karola Huberts Sopran sprach jedenfialls
an. — Agnes Fridrichowicz bewies die Halbheit unserer stimmlichen Organe. Es
hapert immer an etwas. Aber dieses „Etwas'' genügt, um die Vorzüge zu entwerten.
Hier war's die Unausgeglichenheit der Lagen, ein trüber Schleier in der Tiefe, und das
Mitgehen klangloser Luft. Form ist da, aber der Ton fängt sich im weichen Gaumen,
klingt hohl, ohne Hartmetall, und beginnt schon jetzt zu flackern, so dass Musik und
Vortrag zu kurz kommen. Prof. Georg Schumann war ihrer Tüchtigkeit ein vorzüg-
licher Begleiter. Die „Harzbilder* klangen bedeutsam musikalisch, aber unklavieristiscb.
^ Gewisse Dinge dieser Welt sind undiskutabel: so die Gesangsembryonik von Cassie
Helmrich- Hofmeister. Der Geiger Michael Zacharewitsch war solider. Die
Technik, ohne grossen Ton und besonderen Schliff, muss ausreifen. — Ein Loewe- Abend!
Eine künstlerische Idee ist eine gute Einführung, vorausgesetzt, dass man berufen ist.
Aber Ferdinand Krause und Ida Seegert (die besser als der Herr) passten nicht zu
Loewe, oder besser, Loewe passte nicht zu ihnen. — Hermann Köglers Kompositionen
darf man nicht mit absolutem Mass messen. In der F-dur Sonate und Grand Phantasie
fls-moll steckt ein guter Wille und ein gut Teil Können. Aber es war Schulmusik,
zweckvolles Tonspiel und Formenkunst, ohne sonderliche Tiefe und irgend welchen eigenen
Zug. Der Klaviersatz veraltet, die Melodik sentimentalischsüsslich, und die Begleitung
von erstaunlicher Harmlosigkeit. Die Einseitigkeit des Gefühlsinhaltes, eine Monotonie
unfruchtbarer, unkünstlerischer Gedanken berührt nicht sympathisch. Bei aller Hoch-
achtung vor ihrem meist grossen Können und Empfinden und alle Rücksicht auf ihr Leid:
Blinde sollten sich nicht selbst interpretieren. — Gerard Zalsmans Mittel kann man
nicht anders als glänzend bezeichnen. Ein tenoraler Bariton von grosser Weichheit und
schmetternder Höhe, ein Naturalist, der in manchem gar viel, und in vielem gar wenig
besitzt. Dazu Alida Oldenboom als sonderbarster Kontrast: ein Vogelstimmchen mit
20*
308
DIE MUSIK III. 4.
jesem indifferenten GlocIcenlElangy der nicht menschlich zo sein scheint. Solch hohe
natfirlicben Kopfetimmen haben etwas unindividuelles. Undehnbar, unbiegsam und
modulationsarm. Die Ausdruckskunst daher sehr beschrinkt, — doch »die Schule ist zu
loben". — Das Mfinchener Damen-Terzett: Wilma Bäcker, Grischa Harb und Annie
Bremer ist, glaube ich, an der Isar besser aufgehoben; denn Teczett heisst: Dreiklang,
nicht Schreiklang; Reinklang, nicht Missklang. — Luise Klosseck-Mfillers Alt ist
brfichig. Er hat wunde Stellen. Bei solch flacher Mitte, offher Mundbildung und brach-
liegender Brustresonanz tut der Vonrag nur wenig, obwohl er der bessere Teil. — Der
Leipziger Verleger D. Rahter setzte im Stemschen Konservatorium seine Bemfihungen
für seinen Verlag durch einen Vortrag fiber Klaviermusik mit •Illustrationen* von Prof.
Kwast fort Er sprach flott und anregend fiber altes Gerfimpel und wertlose Scharteken.
Auch Neues gab's — »ffir die Kleinen* im Hause geeignet — Schade um Marie Gesel-
schap: Kapitale Mittel, kernlose KunstI Cantilene und Vortrag sentimentalisch-verzerrt,
Rhythmik schlapp und die Tongebung — bei vollkommener Ungleichheit der Hände —
iusserlich, hart, ohne Rundung. — In Toni Kunz könnte man eine »schöne Stimme*
wittern, wenn . • . Mehr Bruststfitze, wuchtigere Konsonantik, sichere Atemfunktion und
eine Knospe wfirde zur BlQte. Herr van Bos gab sich als Solist Der Begleiter ist mir
lieber, weil feine Korrektheit und saubere Flüssigkeit, Poesie und Anmut sich in der
Seele Raum nicht stossen. — Das zweite Konzert von Victor Ben d ix bestätigte das all-
gemeine Urteil: ein Stilgemisch ohne Stil, fremde Säfte ohne Eigensaft und -kraft. Der
Dreiklang: Mendelssohn- Schumann -Gade klingt durch alles hindurch. Fehlt die Kunst
individueller Umwertung. Im Klavierkonzert g-moll spuken Puck und die Elfen, nicht im
▼ald von Athen skizzenhaft, im Husch, sondern materialisiert in der gröblichen Be-
leuchtung elektrisch-greller Instrumentation. Und in der D-dur Symphonie: »Sommer-
klänge aus Sfid-Russland* Beethoven plus Tschaikowsky. Aber die Melodik ist hier
(wie das Pinalthema des Klavierkonzerts) nicht anoriginell, und die Scenerie dieser
Programmkunst voll Leben and Farbe, Rhythmik und Harmonik gleichwertig gut Aber
sein Lyrismus: »Tulipa mendelssohniana* in nordischer Färbung. Seine Lieder samt
dem Andante sostenuto: archaistisch. Andere Zelten — andere Themen I Die Solistin
Hertha Dehmlow erweckte noch grössere Bedenken wie im Vorjahre. Sollte ihre
Einsicht ebenso sorglos sein wie ihre Kunst? Wie tfichtlg and sattelfest dagegen
die Pianistin Dagmar Ravenl — Emil Severin ist als solider und braver Vortrags-
kfinstler bekannt Seinem Bariton fehlt viel, aber man muss halt mir seinem Musizieren
snfHeden sein. Gewisse Forderangen liegen ausserhalb des Bereiches stimmlicher Mög-
lichkeiten. Als ein Nichtersatz ffir die erkrankte Frau Knfipfer-Egli versuchte Marianne
Geyer einige Lieder zu singen, deren Zweck nur anklar aus der Nacht ihrer Stimme
lieraastrat ^ Jella and Ernst Artur: Die Kunst der Unvollkommenheit Das
Orpok der Dame hohl, glasig und brfichig mit ausgiebiger Höhe, aber völlig schwacher
Tiefe. Und der Herr? Den Winden sei's geklagt — Dr. Otto Neitzel ist ein zusammen-
gesetzter Begriff: ein CoUectivam. Man scheide also mit Bedacht aus der Vielheit den
Schriftsteller und kfinstlerisch Nachempfindenden vom Virtuosen und kfinstlerisch Vor-
aosempfiiidenden. Sein »Kreisler* war geistig originell, mehr Hoffmannisch-excentrisch
und toll, denn Schamannlsch-wUd-phan'sstisch. Der Satiriker gut, der Träumer herzlich
schlecht Obrigens: wir sind sinnlich geworden and Klavieristen und wollen leben von
Licht und Färb«. Fingerigkeit und Stöckerigkeit, Ecken und Kanten, Holz und Härte,
wer freut sich des? Und die Lieder und Kompositionen: »Lee Vaguesde Torquay* u. s. w.?
Kondensierte Melodik mit begrifflicher Begleitung die einen, ^ »Les annöes de pölerinage*
die anderen, nur verblasst, well durcbgepaustl Louise Hövelmann-Tornauer stand
dem »trlplez* in Treuen aar Seite: eine tflchtige Sängerin, ehrliche Musikantin und
309
KRITIK: KONZERT
Herrin über Ausdruck und Phrase. — Bestimmte Nuancen und EffSekte lassen Franz
Manthey schon heute fOr die Kunst verloren erscheinen. Er neigt zur Bravour und
hat vielleicht, falls der Ton an klingender Kraft gewinnt, und der Anschlag ,ein
sluselnder Hauch*, als „Virtuos*' gunstige Chancen. — In Thea Dora Reicher
haben die Seh wichen statt der Vorzüge überhand genommen. Das Organ beginnt zu
flackern, die Stimme wird schepperig, und der Knödel wichst, aber Einsicht
und künstlerischer Geschmack nehmen ab. — Fredenc Lamond grösser denn je. Das
Rondo G-dur spielerisch duftig und der Appassionata erster Satz gross im GriflT und
vollendet im Aufbau. — Erna Klein ist kein Wunderkind, sondern ein Produkt gediegener
pianistischer Durchbildung: keine Vecseynatur, eher tüchtig und musikalich-zuverlissig,
als rassig und triumensch tief. Aber ihr Liszts Es-dur-Konzert zu geben, heisst Hirten
gross züchten, statt sie auszumerzen. — Kammersängerin Müller-Hartungs Stimm-
mingel traten im Bechsteinsaal nackt zutage. Schade um ein herrliches Organ, das
schon jetzt rissig. Auch der Vortrag war farblos, müd und matt. Oder lag's an den
Liedern von Meyer-Olbersleben, dass ihre alten flammenden Mittel und ihre Liebens-
würdigkeit versagte? — Lodovica Stark war in mehr wie einer Beziehung interessant.
Vorzügliche Mittel und »künstlicher** Stützpunkt. Alles festgeschraubt am weichen Gaumen
mit gutem Nasalklang, aber unbiegsam und für die Kunst des legato und portato zu dick.
— Zum Schluss, ein Genuss: Agnes Stavenhagen und Iduna Walter-Choinanus:
Duette und Lieder in guter Fassung und Form. An Hugo Wolf und Richard Strauss
bitte man manches auszusetzen, aber das Echte überwog, und der musikalische Geschmack
glich vieles aus. Nur die Kunst der Begleitung konnte sich hier und da mehr von
pianistischer Exaktheit abheben. Sie war zu klar, zu partiturgemiss.
Rudolf M. Breithaupt.
BIRMINGHAM: Das Triennial Birmingham festival nimmt unter allen Musik-
festen Englands seit Jahrzehnten den vornehmsten Platz ein. Stets sind es Erst-
Attfführungen von Werken hervorragender Komponisten, die diesen musikalischen
Zusammenkünften einen ganz besondern Reiz verleihen. Das diesmalige, das vom
13. — 17. Oktober unter Hans Richters Leitung abgehalten wurde, brachte nur eine
grosse Novität; es war der Teil I und II des mit grosser Spannung erwarteten
Oratoriums: »Die Apostel** unseres El gar, der nun wohl unbestritten seinen Platz
in den vordersten Reihen aller lebenden Tonkünstler behaupten darf. Es ist unendlich
schwer, nach dem ersten Hören eines in so kolossalen Dimensionen angelegten Werkes
ein Urteil abzugeben, das den Versuch macht, einer eingehenden Besprechung nahe zu
kommen. Das Werk verdient vollauf eine gründliche Analysierung an der Hand der
Partitur. Aber so viel darf ich wohl feststellen, dass es im Vergleich mit dem vor
3 Jahren an gleicher Stelle aufgeführten „Gerontius* einen wesentlichen Fortschritt be-
deutet. Eine höher entwickelte Technik ist unverkennbar; die Homogenitit im Stil ist
vollkommener ausgebildet und Elgar hat von der durch die Wahl und Verarbeitung des
Stoffes gebotenen Gelegenheit zu einer reicheren Individualisierung den herrlichsten
Gebrauch gemacht. Allerdings scheint die Einheit des Bildes zuweilen durch den allzu
hiuflgen Scenenwechsel in Gefahr zu geraten, das Interesse des Hörers zu zersplittern.
Die Aufeinanderfolge von Scenen, die unter sich nur einen sehr losen Zusammenhang
haben, ist einem ruhigen Ausgeniessen nicht sonderlich förderlich. Ich nehme an, dass
der III. Teil, den wir nicht zu hören bekamen, ein strafferes Gepräge tragen, und
uns so den Vollgenuss des grandiosen Werkes erleichtern wird. Den Chören ist eine
ausserordentlich schwierige Aufgabe zugeteilt, die aber glänzend gelöst wurde. Ausser
Christus sind Minner-Partieen nur für drei Apostel geschrieben: Petrus, Johannes und
Judas; Maria Magdalena und die Stimme des Engels sind die beiden Damenrollen.
310
DIE MUSIK III. 4.
Sonst bot das »Fest* — der Name hat eigentlich heutzutage nur noch eine sehr geringe
Bedeutung bei den auch ausserhalb der Musikfeste stattfindenden Massendarbietungen
von Konzerten — nichts Besonderes, was man nicht bei weniger feierlichen Gelegen-
heiten ebenso leicht zu hören bekommt. Berlioz' «Harold in Italien* und Brückners
»Te Deum*, Bachs «h-moll-Messe* und Beethovens «Neunte*, Stanfords „The Voyage
of Maeldune* und Liszts »XIII. Psalm*, Tschaikowsky's »Hamlet*, Cherubini's »Anacreon-*
und Webers »Freischütz-Ouvertüre*, Mozarts g-moll- und Brahms' 4. Symphonie sind
eigentlich alles sattsam bekannte Dinge. Dass der »Elias* und »Messias* in einem
englischen Musikfest nicht fehlen durften, versteht sich von selbst. H. J. C.
BRESLAU: Die beiden ersten Abonnementskonzerte des Orchestervereins brachten
die Symphonie No. 4 von Beethoven, eine vollendete Wiedergabe der zweiten
Symphonie von Brahms und eine interessante Gegenüberstellung der zweiten und dritten
Leonoren-Ouvertüre. Was Dr. Dohm von alten Ouvertfiren ausgrub (»Idomeneo* und
»Preciosa*) konnte ebenso wenig auf unbedingte Anerkennung rechnen wie die Borodinsche
»Steppenskizze aus Mittelasien*. Im ersten Konzert wirkte Frau Schumann-Heink, im
zweiten der Pianist Sliwinski mit. An der Singerin war die Wahrnehmung zu machen,
dass ihr die Kleinkunst nicht ebenso liegt, wie die grossen Aufgaben dramatischen
Charakters. Sliwinski spielte Chopins e-moll-Konzert ein wenig farblos. Registriert
sei ein Konzert des Baritonisten Eugen Brieger unter Mitwirkung von Xaver Scharwenka,
ein Konzert der Violinvirtuosin Irene von Brennerberg, ein Liederabend des vornehm
gestaltenden Baritonisten Hans Hielscher und ein Richard Wagnerabend von F. Kaatz,
bei dem das Harmonium geschickt als Konzertinstrument verwertet wurde. Mit ganz
t>esonderem Nachdruck muss der Liederabend von Martha Schauer- Bergmann erwähnt
werden. Eine wunderbar timbrierte Stimme, die das ganze Feld der Lyrik und der
Dramatik gleich vollendet beherrscht, im Bunde mit einer starken Gestaltungskraft
weisen der Kfinstlerin ihren Platz neben den besten deutschen Singerinnen zu.
J. Schink.
DRESDEN: Im ersten Symphoniekonzert der Serie B. im kgl. Opernhaus vermochte
es die symphonische Dichtung „Per aspera ad astra^ von Karl Pohlig zu keinem
rechten Erfolge zu bringen. Man würdigte das Werk wohl als die tüchtige Arbeit eines
guten Musikers, aber der Mangel an Originalität und innerer Wärme machten sich zu
stark bemerkbar, als dass das mehr aus verstandesmässigen Erwägungen, als aus künst-
lerischem Zwang entstandene Werk einen tieferen Eindruck hätte erzielen können.
Solist des Abends war der Brüsseler Pianist Arthur de Greef, der sich eines starken
Erfolges zu erfreuen hatte. — Im ersten Philharmonischen Konzert sprang für die erkrankte
Frau Scbumann-Heink Frau Metzger vom Hamburger Stadttheater ein und erzielte viel
Beifall; der zweite Solist war Alfred Reisenauer, der anfangs nicht recht bei Stimmung
war, aber dann seinen alten pianistischen Ruhm aufs neue bewährte. Die orchestrale
Neuheit des Abends war eine symphonische Dichtung „Romeo und Julia'' von Johann
Svendsen, ein schwungvolles, farbenreiches Tonstück, das eine sehr freundliche Aufnahme
fiand. — Die Dreyssigsche Singakademie unter Kapellmeister Hösel veranstaltete eine
Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion im Konzertsaal, die zwar, was die Chor-
leistung anlangt, volles Lob verdiente, aber doch Grösse und religiösen Ernst teilweise
vermissen Hess. Die Bachschen Passionsmusiken gehören nun einmal in die Kirche,
zum mindesten darf man nicht, wie es Herr Hösel getan hatte, die Orgel fortlassen,
deren Klang zur Erzielung der rechten und von dem Altmeister beabsichtigten Wirkung
mir unerlässlich scheint — Von Solistenkonzerten seien die Liederabende von Edyth
Walker, Katarina Hiller und Dr. Ludwig Wüilner hervorgehoben. Letzterer führte eine
lange Reihe von Kompositionen von Theodor Streicher ein, die mir allzu zerplittert in
311
KRITIK: KONZERT
der Konzeption, übergeistreich im Ausdruck und viel zu gekünstelt im Verhältnis zu de»
einfichen Texten aus »Des Knaben Wunderhom'* erscheinen wollen, zumal da die Er-
flndung bei Streicher sehr spärlich fliesst Auch der Klavierabend Emil Sauers sei
nicht vergessen; er bildet alljährlich eine besondere Freude f&r die musikalischen Fein-
schmecker. F. A. Geis sl er.
ELBERFELD: Mit der Aufführung von Haydns Jahreszeiten« ist hier die Saison durch
die Konzert-Gesellschaft eröflfiiet worden. Unter Leitung des Kgl. Musikdirektors
Dr. Hans Haym leisteten Chor und Orchester Vorzugliches. Die dankbaren Solopartieen
der Hanne, des Lukas und Simon waren nicht durchweg glücklich besetzt. Rose Ettinger
sang mit recht angenehmer, aber wenig kräftiger Sopranstimme. Raimund von Zur-Mühlen
weiss durch Kunst des Vortrags zu ersetzen, was ihm schon seit Jahren in der Höhe
an Stimme gebricht. Am wenigsten konnte Hermann Gausche befriedigen, dessen Stimme
und Vortrag vielfach zu hausbacken erschien. — Im ersten Sausetschen Künstierkonzert
machte die Kammersängerin Edyth Walker durch ihre phänomenale Altstimme und ihren
den Empfindungsgehalt einer Reihe von Liedern von Schubert, Schumann, Brahms,
Wolf, Brecher, Strauss völlig erschöpfenden Vortrag grossartigen Eindruck. Neben ihr
präsentierten sich Elzie Play fair als ausserordentiich temperamentvolle jugendliche
Violinistin französischer Schule und Prof. Karl Friedberg als ein Klaviervirtuose von
klassischer Vornehmheit. Ferdinand Schemensky.
FRANKFURT a. M.: Wieviel Kammermusik wir in diesem Winter zu gewärtigen
haben, wurde schon früher angedeutet. Das ist einerseits ein schmeichelhaftes An-
zeichen für den Musikgeschmack des Frankfurter Publikums, und man wird andererseits,
wenn man den Nachdruck aufs richtige Wort legt, auch nicht behaupten können, dass
wir hier zuviel des Guten haben. Ein oder das andere Unternehmen will eben erst
noch werden, lässt noch zu wünschen übrig, sei es im Zusammenspiel, sei es in den
einzelnen Elementen. Zu den Gewordenen dürfen sich ausser dem klassischen Museums-
quartett und dem Trio Friedberg-Rebner-Hegar auch die Mitglieder des Hermann Hock-
sehen Quartetts zählen, das wieder sehr einladend und erfreulich begann und auf dessen
erstem Programm sich eine anregende neue Gabe fand : eine Violinsonate des Schweizers
Volkmar Andrea. — Die von der Pianistin Florence Bassermann und fünf Bläsern
unseres Opernhausorchesters gebildete Genossenschaft brachte als Novum ein Bläser-
quintett von Aug. Klughardt op. 79 heraus, dem man wenigstens in den Mittelsätzen
gut sein muss, wenn es auch nicht zu viel besagt. — Der neue Dirigent der Museums-
gesellschaft, Siegm. V. Hausegger, befestigte den guten Eindruck seiner Debüts stark
in einem nur Beethoven gewidmeten Abend, wo u. a. auch das Tripel-Konzert op. 86
von Friedberg, Heermann und H. Becker ganz meisterlich gespielt ward. — Felix Wein-
gartner rückte mit dem Kaimorchester am 29. Oktober wieder in die bevorzugte Stelle
ein, den diese Gastkonzerte von je in unserm Kunstleben einnahmen. Die Hauptstficke
waren Brahms' zweite Symphonie und Liszts »Mazeppa*, der vorzüglich geriet — Be-
sondere Anerkennung gebührt schliesslich noch einem Klavierabend Max Pauers und
dem Auftreten der sympathischen Mezzosopranistin Alice Aschaffenburg als Liedersängerin.
Hans Pfeilschmidt
HAAG : Die zwei Konzerte des Künstierpaares Marie Roger-Miclos und Arrigo Serato
boten sehr viel Interessantes. Serato bewies, dass er in der vordersten Reihe unserer
Geigenvirtuosen steht Der Künstier verfügt über eine eminente Technik; sein temperament-
voller Vortrag, seine hervorragende Treffoicherheit auch in den Flageoletttönen riss das
Publikum zur Begeisterung hin. Otto Wernicke.
KASSEL: Das erste Konzert der kgL Kapelle unter Dr. Beier brachte Beethovens
o-moU-Symphonie und »Tod und Verklärung' von Strauss in schönster Wiedergabe;
312
DIE MUSIK III. 4.
Petschnikoff spielte trefflichst das Tschtikowsky- Konzert und zwei Stöcke eigner Kom-
position. — In der ersten Kammermusik der Herren Hoppen, Ktletsch, Schmidt, Mon-
haupt fanden ein Haydn, Beethovens e-rooU-Quartett und das köstlich-frische B-dur-Sextett
von Brabms eine woblbefriedigende Darbietung. — Im Verein mit seiner Gattin, einer
schltzenswerten Liedersingerin, und dem Kammersinger Brune bot einen sehr genuss-
reichen Abend der Geigenvirtuose Professor Sahla. — Zu erwlbnen sind femer die
Leistungen des Pianisten Salewski, der über eine fein durchgebildete Technik verfugt
und mit dem Vortrag von 16 Nummern (in historischer Folge) ein bedeutendes Gedächt-
nis bekundete. Besonders klar und fesselnd gestaltete er die Ilteren Werke von Bach,
Rameau usw. Pur die Neueren fehlt seinem Spiel noch vielfach der Ausdruck
warmer Leidenschaft. — Eine wohlgelungene Auffuhrung von Grauns »Tod Jesu*^ durch
den Damenchor der Hof- und Garnisonkirche und den Minnergesangverein „Harmonie^
unter dem kgl. Kammermusiker Nagel befriedigte mehr das historische Interesse des
Publikums, dem zumeist das Werk unbekannt war, als die Ansprüche, die wir heutzutage
an Kirchenmusik stellen. — Zum Schluss sei die Aufführung des ,Judas Maccablus^
durch den Oratorien-Verein unter C. Hallwachs erwähnt. Die Chöre waren festgefügt
und klangen prlchtig. In der Sopranpanie zeigte Frau Bellwidt durchweg feines Em-
flnden, nicht immer aber rhythmische Ruhe. Vertreterin der Airpartie war Mathilde
Haas. Sie, wie auch der Mannheimer Bassist Wilhelm Fenten wurden ihren Aufgaben
völlig gerecht, wlhrend Raimund von Zur-MGhlen sich etwas Mässigung in der Entfaltung
seiner Stimmmittel hätte auferlegen dürfen. Dr. Brede.
KÖLN: Der Eintritt Fritz Steinbachs in das Kölner Musikleben macht sich auch in
den äusseren Betriebsverhältnissen der von ihm geleiteten Institute bereits vorteilhaft
geltend. Wie neues Leben in die musikalische Gesellschaft eingezogen ist und das
Konservatorium erhöhten Zuspruch erfahren hat, so ist die Zahl der Abonnenten für die
Gürzenich- Konzerte derartig gestiegen, dass überhaupt kaum noch ein paar Saalkarten
für die einzelnen Abende zu haben sind. Im ersten Konzert hatte man die Freude,
wieder einmal Altmeister Josef Joachim als Solisten zu begrüssen, der, vortrefflich dis-
poniert, Giovanni Battista Viotti's gesangreiches a-moll-Konzert spielte, das als No. 22
unter 28 ähnlichen Werken figuriert und, nach den Mitteln wie dem Geschmack der in
die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts fallenden Entstehungszeit, orchestral in
schlichten Farben gehalten, zumal in den Ecksätzen eine eigenartige Originalität der
Musiksprache beobachten lässt. Dann spielte Joachim noch zusammen mit dem als
Nachfolger von Willy Hess hier eingetretenen Konzertmeister Bram Eidering Bachs
d-moll- Konzert für zwei Violinen und wurde selbstverständlich herzlich gefeiert. Das
Hauptwerk des Abends war des Italieners Enrico Bossi „Canticum canticorum** (Das hohe
Lied) für Bariton- und Sopransolo, Chor, Orchester und Orgel, das, da es bereits genugsam
bekannt geworden ist, verhältnismässig spät an dieser Stätte erschien. Unsere Gürzenich-
Chöre bedürfen, um die volle mögliche Leistungsfähigkeit zu erreichen, einiger Auf-
frischung und des Ausgleichs in den Beständen der Stimmgruppen; gleichwohl lösten
sie ihre so schwierige wie charakteristische und schöne Aufgabe mit viel Aplomb, während
Steinbach mit seinem Orchester eine geradezu virtuose Leistung erzielte. Die Bariton-
partie sang Arthur van Eweyk in der bei dem Sänger bekannten weniger bestechenden,
als gediegenen Weise und mit der Sopranaufgabe war die hiesige Sängerin Frau Rüsche
betraut. Um den Erfolg wurde das Werk Bossi's bis zu wesentlichem Grade durch die
übertriebene Länge des Konzertprogramms gebracht, das ihm seinen Platz in der zweiten
Hälfte anwies; so verliessen schon vor dem dritten Teile des Werkes zahlreiche Hörer
den Saal und die Stimmung der übrigen wurde dadurch naturgemäss abgeflaut. Ober
den Eindruck des in Uraufführung gebrachten Max Bruchschen Werkes „Damajanti"*»
313
KRITIK: KONZERT
Scenen aus der indischen Dichtung „Nalt und Dtmtjtnti^ f&r Sopransolo, Chor und
Orchester, ist nicht viel gGnstiges zu berichten. Technisch ist im Orchester wie in den
Chören alles säuberlich gearbeitet und die Stimmführung bestätigt hier wie in der
dominierenden Solopartie den bestbewanderten Tonsetzer, aber Kraft der Empfindung
und Originalität fehlen in so auffallendem Masse, dass es nicht zu tieferen Eindrficken
auf den Hörer kommt. Die Wahl von Cicilie Rösche als Vertreterin der Solopartie,
konnte die Wirkung auch nicht gerade heben und so kam es fQr den Komponisten
lediglich zu einem Achtungserfolg. Den wertvollen Anfang des Konzerts hatte eine aus-
gezeichnete Wiedergabe von Beethovens zweiter Leonoren-Ouvertüre gebildet.
Paul Hiller.
KÖNIGSBERG i. Pr.: Das erse Symphonie-Konzert führte Meister Johannes Messchaert
wieder zu uns; reinste Kunsterfreuung war das Ergebnis seines Gesanges. Das
Orchester unter Brodes Leitung beteiligte sich u. a. mit einer braven Aufführung der
»Eroica* am Erfolge. Das erste Hübnersche Künstlerkonzert brachte uns die sehr will-
kommene Bekanntschaft mit dem Vokalquartett Grumbacher-de Jong, Therese Behr,
Ludwig Hess, Arthur Eweyk und dem zierlich begleitenden Pianisten Hermann Zilcher.
Kleinere Konzerte von Fritz Hlckel, Carl Becker, Richard Gloyen, Carl Grimm ver-
TOllatindigten den annoch magern Kranz von Konzerten. Paul Ehlers.
KOPENHAGEN: Obschon das Konzertleben hier seit mehreren Wochen sehr rege
gewesen ~ wie es scheint allzu rege für die Kopenhagener Ökonomie, geldlich
wie geistig — habe ich doch nicht viel darüber zu berichten. Denn die meisten Konzerte
gaben fremde,^ hier öfters erscheinende Virtuosen oder hiesige Musikanten von nicht
besonderer Bedeutung, und nur ein Konzert grösseren Stils: das der kgl. Kapelle hat
stattgefunden — leider zu einem Zeitpunkt, wo ich nicht in Kopenhagen war. Hierbei
wurde als Novität eine Ouvertüre „Helios^' von dem öfters in diesen Berichten genannten
Karl Nielsen aufgeführt. Das gross angelegte Werk scheint beim Publikum eine mehr
unbedingt freundliche Aufnahme als bei der Kritik gefunden zu haben. Bei diesem
Konzert wirkte Jacques Tbibaud mit. Er gab auch ein eigenes Konzert, ohne doch
diesmal besonders stark zu ziehen. Mehr Glück hatte Willy Burmester, der mehrere
vollen Häuser und eine sehr begeisterte Zuhörerschaft vorfand. Teresa Carefio kon-
zertierte mit grossem Erfolg und sehr freundlich wurde die Pianistin Dagmar Walle-
Hansen aufgenommen. William Bohrend.
LEIPZIG: In dem von der Wasserträger- Ouvertüre und Schumanns B-dur-Symphonie
umrahmten dritten Gewandhauskonzert fand neben Mary Münchholf, die mit ihren
sehr tonklaren und tonlieblichen Gesangsvorträgen neuerdings entzückte, Edgar WoU-
gandt, der neue Konzertmeister des Gewandhauses Gelegenheit, sich mit einer sehr
respektablen Wiedergabe des Beethovenschen Konzertes dem Leipziger Publikum als
tüchtiger Geiger vorzustellen, wie er sich denn auch zwei Tage später in der ersten
Gewandhaus-Kammermusik als neuer Primgeiger des Quartetts ganz erfreulich bewähren
konnte. Vom alten Gewandhausquartett ist jetzt eigentlich nur noch Prof. Julius Kiengel
am Platze, — Herr Sobald (Bratsche) spielt erst seit wenigen Jahren mit, Herr Heyde
(2. Violine) ist erst vor Jahresfrist dazugekommen, und am ersten Geigenpult trat eben
der Wechsel ein — und von ihm wird wohl die Heranbildung des neuen Quartettes zu
alter Meisterschaft ausgehen müssen. Da heisst es also zunächst abwarten und sich des
allmiligen Fortschreitens in der Beherrschung und Durchgeistigung des Zuaammenspieles
erfreuen. Auch das vierte Gewandhauskonzert hatte mit Bachs h-moll-Suite für Flöte
und Streichorchester und Mendelssohns schottischer Symphonie eine klassizistische
Fassung, barg aber in seiner Mitte Tschaikowsky's „Romeo und Julia'^ als modern-
funkelnden Halbedelstein und Gesangsvorträge der Frau Schumann-Heink (Alt-Rhapsodie
314
DIE MUSIK III. 4.
▼on Brmhms nod Lieder ron Schobert und Ltszt). — Im zweiten PhUharmonischen Konzert
(l^inderstein) sang zwischen Mozarts g-moU-Symphonie, Glucks Iphicenien-OoTertfire nnd
der Peer Gynt-Suite Kammersincer Narai die Tamino-Arie und Lieder nnd rief mit setner
kunstreichen Stimmbehandlnng begeisterten BeifidJ herror. — Das zweite Abonnements-
Konzert (Enlenburg) vermittelte den Leipzigern eine neue sehr erfreuliche Dirigenten-
bekanntschafty die von Max Fiedler aus Hamburg, der mit der Chemnitzer Kapelle in
recht herrorragender Weise Tschaikowsky's „Path^que^ und in tüchtiger Art „Tod nnd
Verkllmng^ von Stranss und das Meistersinger -Vorspiel interpretierte. Solistin des
Abends war Helene Staegemann, deren feinsinnige Ltederspenden immer wieder die freund-
lichste Aufriabme finden. — Mit einem eigenen Liederabend stellte sich unter sehr schätzens-
werter Mitwirkung der Dresdener Hofopemsingerin Frl. Nast der gleichfells an der
Dresdener Buhne engagierte Bassist Lten Rains hier erstmalig vor und erweckte mit
seinem vollen und sehr sympathisch klingendem Organ bei vorläufig noch mangelnder
Herrschaft über die Aussprache schöne Hoffkiungen. Ltedervortrige einer Knnstnovize,
FrL Anna Führer, muteten freundlich an; einen stürmischen Begeisternngserfölg er-
spielte sich schliesslich aber auch hier der zehnjihrige Geigenkünstler Franz v. Vecsey,
ein wahrhaftig sehr ernst zu nehmender Wunderknabe, der durch seine technische
Beherrschung des Wieniawski-Konzerts nnd des Hexentanzes von Paganini nnd mehr
noch durch seine geistige Beherrschung Bachscher Sitze für die Solovioline staunende
Bewunderung hervorrief. Arthur Smolian.
MAGDEBURG: Im zweiten Stadttheater-Konzert des stidtischen Orchesters frmd eine
neue Manuskript-Symphonie unseres Konzertdirigenten Krug-Waldsee viel
Aufmerksamkeit und BeiftlL Die Themen des Werkes regen das Interesse lebhaft an, die
polyphone Arbeit fesselt: gesund und munter stand die Symphonie da. Ein gewisser
Eklektizismus macht sich nicht in störender Weise breit Ein allegro vivo von Fühligkeit
und Orchesterglanz. Die Musik des Adagio etwas nordisch fremdartig, Klagen des eng-
lischen Homs, triumerische Sordinen-Stimmungen, sanftes Entschlummern des Tags,
schliesslich eine Nacht, wie sie Grieg liebt Das Scherzo von halb übermütigem, halb
groteskem Rondotoo, das Finale mit grossen Steigerungen noch zuviel Wirkung ohne
Ursache, aber gleichwohl ein beredtes Zeugnis von der ausgesprochenen grossen
kompositorischen Begabung des Dirigenten. Das Orchester spielte das Werk mit
grosser Bravour. In den Konzertsälen bekannte Erscheinungen. In diesem Konzert
die Schumann-Heink; im Konzert des Kaufmännischen Vereins das Berliner Vokal-
quartett de Jong^ Therese Bebr, Hess und Eweyk mit prachtvoll gesungenen Lieder-
cyklen von Brahma und Schumann. Im Kasinokonzert, das der hier mit Recht sehr
angesehene Dirigent Hans Winderstein leitet, Marie Seret und van Eyken; im Ton-
könstlerverein, der in bezng auf die Frequenz-Ziffer ein sehr kummerliches Dasein
fristet, endlich ein Quartett von Konrad Heubner, ein tüchtiges Gesellenstück. Daneben
anhörenswerte Liedervorträge von Frl. G. Langbein — nicht ohne Unglücksfälle. Sie
sind in diesen Konzerten nichts seltenes, da der Verein angehenden Sängerinnen vielftch
den Weg in die Konzertsäle ebnen möchte. Max Hasse.
MANCHESTER: Vom Konzertleben im Oktober ist nicht viel zu berichten. Die
erste Woche hatte unser Hall6-Orchester mit Proben für das Birminghamer Musik-
fest zu ttm, die zweite Woche gehörte dem Feste selbst an, und das erste (einzige)
Konzert des Winters brachte als hervorragendste Nummer nur die |,Harold-Symphonie*.
Nun gehen unsere Künstler für die erste Novemberhälfte nach London zu einer Serie
von 4 Konzerten. Etwas mehr Adhäsion an den Heimatsboden unserer Stadt wäre zu
wünschen. — Dagegen habe ich über einige interessanten Solistenabende zu berichten.
In erster Reihe verdient der «Liederabend' des Herrn Atkinson lobend erwähnt zu
315
KRITIK: KONZERT
werden; ein anderer Singer vom WGIlner-Typus erfreute ans mit den besten Schöpfungen
deutscher Tonsetzer: Hugo Woli; Riebard Strauss, Berger, Pieütz, Reynaldo Hahn; ein
wohlgeschttlter Baritonist von nicht gewöhnlicher Intelligenz. Ebenso Ist das Recital von
Miss Meredith hervorzuheben; die Dame, eine Schfilerin von Mme. Marchesi brachte
Stficke leichterer Gattung (Haydn, DvoHk, Tschaikowsky) mit grossem Erfolg zur Geltung.
— Ein Musik-Abend, der nur Blas-Instrumental-Musik gewidmet war, rief mich nach unserer
Nachbarstadt SheflReld; ausser Mozarts (Köchel 452) Quintett für Oboe, Klarinette, Hom,
Fagott und Klavier kam auch nach Pauers Quintett (op. 44), Beethovens Quintett (op. 16)
und desselben Meisters Trio (Flöte, Fagott und Piano) sehr wirksam zur Geltung. H. J. C.
MANNHEIM: In 2 Akademieen des Hoftheaterorchesters wurden als Novitäten gebracht:
»Die Ideale* von Liszt, »Don Quixote* von Rieh. Strauss sowie die Liebesscene
aus dessen »Feuersnot*; die beiden letztgenannten Werke dirigierte der Komponist Als
Solisten wirkten Frl. Walker und Hugo Becker mit, Musikdirektor Haenlein spielte auf
der neuen Orgel des Musensaals Liszts Präludium und Fuge Qber B, A, C, H.
Felix Weingartner hatte fQr sein 1. Kaimkonzert ein sinniges Programm zusammengestellt:
Ouvertüre und Scherzo aus dem .Sommemachtstraum*, Ouvertüre zu »Manfred*, Brahma'
2. S3rmphonie und Liszts »Mazeppa*. Die Ausfuhrung war eine brillante. Das Frank-
furter Quartett (Heermann und Genossen) spielte das lang entbehrte Quartett in c-moll
von Verdi, und auch unser einheimisches Quartett Schuster errang einen sehr schönen
Erfolg. K. Eschmann.
MÜNCHEN: Die Saison hat, heuer etwas später als im Vorjahr, mit dem ersten
Volkssymphoniekonzert ihren Anfang genommen. Peter Raabe, der an Stelle
Hauseggers gewonnene Dirigent dieser Veranstaltungen, führte sich mit einer Haydn-
Symphonie und Beethovens Achter als erfahrener Orchesterleiter ein; er scheint berufen,
Hausegger, dessen Fortgang ja einen Verlust bedeutet, in der Tat zu ersetzen. Auch
sein zweites Konzert hinterliess einen verheissenden Eindruck. — Das erste Abonnement-
konzert des Kaimorchesters unter Weingartner brachte uns die D-dur-Sympbonie von
Brshms in sehr feiner, durchgeistigter Ausführung. Als Solist des Abends spielte der
gefeierte Eugene Ysaye Bruchs d-moll- Konzert und die Romanzen in G und F von Bee-
thoven; er spielte mit berfickender Sfissigkeit. — Einige Tage vorher brachte unter Mit-
wirkung des Kaimorchesters ein anscheinend junger Komponist, August Reuss, zwei
symphonische Dichtungen und Lieder zu Gehör. Seine Schöpfungen bekunden Phantasie
und höhere musikalische Bildung. Die Dichtungen »Der Tor und der Tod' und
ajohannisnacht** sind mit Sorgfalt instrumentiert; aber es mangelt ihnen an scharfer
Charakteristik, an innerer Spannung. Auch den Liedern. Reifer ist der Gesang mit Orgel
und Geige »Melodie* op. 17, in den der Komponist so etwas wie Unendlichkeitsstimmung
hineinzttweben wusste. — Von Novitäten ist Pfitzners Streichquartett op. 13 zu erwähnen,
das uns von zwei Kammermusilcvereinigungen, dem Hösl- und Kulan- Quartett ftist
unmittelbar hintereinander vorgeführt wurde. Wie in seiner flüssig geschriebenen Cello-
sonate op. 1 zeigt Pfltzner auch in dem Quartett eine nicht geringe Fähigkeit im Bilden
und Formen; es Ist gesundes Leben in diesem Werk, Begeisterung. — An Kammer-
musikabenden scheinen wir heuer keinen Mangel zu haben; von Mitte Oktober bis heute
fast ein volles Dutzend und darunter recht tüchtige, ausser den genannten besonders die
Sonatenabende der Frau Langenhan-HIrzel und des Herrn Rettich, die sich durch Stil
auszeichneten. — Am zahlreichsten waren wie immer die Solistenabende. Lili Lehmann-
Kaiisch gab ein glänzendes Wohltätigkeitskonzert, die virtuose Geigerin Saenger-Sethe
mit dem mnskelbegabten Klavierspieler Hinze-Reinhold eine anregende Soiree, ausserdem
sangen die Damen Dessoir, Lucl^, Anna Alt, Ada Lingenfelder, Gimckiewicz.
Dr. Theodor Kroyer.
316
DIE MUSIK HL 4.
PRAG: Die Konzerttalson besinnt unter cnten Anzeichen. Die Pliillimmionitcliea
Konzerte im Neuen denttchen Tbeater, die Leo Blech dirigiert, setzten mit Schnbertt
C-dar, Schillingt* «IngweldenTortpiel« und «Tasso* ron Liszt bei massenhaftem Zolaiir
flinzend ein. Als Solist sang Perron Tomehm, allzu Tomehm f&r Prag^ das mehr die
Entzngelung als die Bändigung des Temperamentes liebt, Schnbertsche Arien und Lieder.
-- Die tschechische Philharmonie hat ihren Fortbestand nun doch wieder glnddich
gesichert und weiss unter ihrem fortschrittlichen und Torurteilslosen Dirigenten
Dr. W. Zemanek die Aufmerksamkeit aller Musikkreise auf sich zu ziehen. Er spielt
jetzt sämtliche symphonischen Dichtungen Liszts. — Ein Ereignis bildeten die zwei
Konzerte von Hubermann, des einzigen Künstlers, der es hier wagen kann, selbstindi^
ohne Anschluss an die bestehenden Konzertinstitate, auCsutreten und der sogar mit
klassischen Programmen das Publikum in Entzficken geigt. — In den Kammerkonzerten
hat das Frankftirter Heermannsche Quartett durch sein fein nuanciertes Zusammen-
spiel sich Anerkennung erworben, die in der Heimat der «Böhmen* schon etwas bedeuten
wilL Dr. R. Batka.
STOCKHOLM: Zwei Orchesterkonzerte von «Konsert-Föreningen* und das erste
Symphoniekonzert sind besonders zu erwähnen. Die Neuheit im erstgenannten
Konzert waren Bruchstucke aus Edward Elgars .The Dream of Gerontius*. Das gewaltige
Präludium mit mächtiger Orchesterwirkung achlug besonders ein. Solistenkonzerte sind
ausserdem von Willy Burmester, Teresa Carrefio und Henri Marteau mit mehr oder
weniger Erfolg gegeben worden. Tobias Norlind.
STRASSBURG: Das erste Abennementskonzert (Stockhansen) brachte Beethovens VIII.,
fast nicht minder gut wie im Sommer unter Mottl, eine recht zahme .Prometheus*-
Ouvertüre des grossen Universalanlehners Goldmark, als Solisten Busoni. Seine Technik
ist gewiss unbestritten; manches subjel^tive, selbst manierierte im Vortrag wfirde man
ihm gern nachsehen, wenn er nicht gar zu oft durch die brutale Härte eines unelastisch-
hackenden Anschlags jedes Feingefühl verletzte. Wie sich volle Kraftentwicklung mit
Elastizität einen kann, zeigte Alice Ripper (im Tonkfinstlerverein); Schumannsche Poesie
mtiss sie allerdings noch lernen. Ebendaselbst entzückten unsere ersten Bläser durch
Beethovens op. 16. Nicht ohne politischen Beigeschmack war der 9Bombenerft>lg* von
Saint-SaSns, der zugleich wiederum die prächtigen Konzert-Qualitäten des Sängerhaussaales
erwies. Gewiss ist der .Französische Brahma* eine der sympathischeren Erscheinungen
des zeitgenössischen Miuildebens; aber die keineawegs geschickt ausgewählten Kom-
positionen und die mehr an Kunst als an Stimme reiche Partnerin Marchesi (London)
vermochten die Begeisterung der sonst so kühlen Strassburger doch kaum allein zu er-
klären: so ein bischen Ausländerei ist doch halt gar zu schön ! Zu erwähnen ist noch
ein hübscher Trioabend der Vereinigung Stennebrüggen-Walter-Schmidt, und ein Lieder-
abend dea bis atif manchea in der Aussprache stets sympathischen Sistermans; den
städtischen (Schuster-) Quartetten drängt sich die Kritik nicht mehr auf!
Dr. Gustav Altmann.
WARSCHAU: Nach einem glänzenden Erfolg, den sich unsere Philharmoniker unter
Leitung von E. Mlynarsld in Krakau und Lodz erapielt hatten, wurde die hiesige
Saison mit der IX. Symphonie von Beethoven eröflPhet Die zwei nächstfolgenden Dienstags-
konzerte brachten die auagezeichnet gespielte D-dur-Symphonie von Brahms und eine
Symphonie von A. Webber, einem jungen, englischen Komponisten, ein Erstlingswerl^
das von Talent und ernsten Studien des Autors zeugt Als Solist liess sich zweimal
der Geiger J. Kocyan hören, dessen verblüffende Technik, aber ziemlich geistloses
Spiel, einen grossen Erfolg bei unserem Publikum geftinden hat. Die grossen symphoni-
schen Konzerte beginnen am Ö. November mit Liszts Fauat-Symphonie. H. OpienskL
317
KRITIK: KONZERT
WIEN: Die grossen FiGgel zur Wiener Konzertstison eröffnen sich erst tm 1. No-
Tember. Wenige Unternehmungen und Konzerristen, die es sehr eilig haben,
dringen sich durch Seitenpforten schon in den letzten OIctobertagen auf den Plan. Der
19 Wiener Konzertrerein*, dessen erste Produktion von seiner die besten und weitesten
musikalischen Kreise umfassenden Zuhörerschaft mit besonderer Wlrme aufgenommen
wurde, machte den Anfang. Dieses Orchester hat seit seinem Entstehen einen mächtigen
AufiBchwung genommen. Ferdinand Lowes nach jeder Richtung unermfidlich nach-
bessernder Arbeit ist es gelungen, von dieser Instrumentalistenvereinigung unsern auf
ihren altererbten Ruf etwas allzu leichtsinnig vertrauenden Philharmonikern viel Wind
aus den Segeln zu nehmen. Die Neuheit des Abends — des Parisers Paul Ducas*
Scherzo »Der Zauberlehrling* — hatte einen durchschlagenden Erfolg und wird zweifel-
los in unserer, der Orchestervirtuositlt zugeneigten Zeit ihren Weg machen. Die Ober-
raschungen, die Saint-SaSns' «Danse macabre* dem Hörer vor dreissig Jahren be-
reitete, sind hier verzehnfacht. Ein nicht geringes Mass charakteristischer Erfindungs-
kraft und des Komponisten Fähigkeit, mit den Forderungen des Programms zugleich dem
Formenbedfirfnis des Zuhörers gerecht zu werden, machen für die Wunder seiner
stupenden Orchestertechnik um so empfinglicher. Sehr glücklich führte sich eine Trio-
vereinigung der Herren Moriz Violin (Klavier), Paul Fischer (Violine) und Prof. Julius
Kiengel (Cello) aus Leipzig an einem Abend ein, der nur exquisite und selten gehörte
Stücke der grossen Musikliteratur bot. Im Programm ragte Beethovens Sonate für
Klavier und Violoncell op. 102 D-dur wie ein Monolith hervor. Beethoven hat darin
Allergeheimstes aus den tiefsten Erfahrungen seiner letzten Schaffenszeit mitgeteilt. Ein
Trio von Haydn führte zu Gemüt, wieviel dieser alte, musikalisch überreiche Meister zu
sagen hat, was man heute im musikalischen Lirm des Tages überhört. Moriz Violin
bewihrte sich als hervorragend musikalischer Kammermusikspieler, Paul Fischer als
vortrefflicher Geiger. Ober Kiengels vollendete Meisterschaft ist ja nichts weiter zu
sagen. Sehr Interessante, selten gehörte Lieder von Hector Berlioz steuerte der tüchtige
Konzertsinger Eduard Gärtner bei. Gustav Schoenaich.
WIESBADEN: Den Reigen der grossen Orchester-Konzerte eröffnete die Hofkapelle
unter Prof. Mannstädts Leitung mit einem Symphonie-Abend, der die Wieder-
holung des schon früher an gleicher Stelle gehörten «Heldenleben* von R. Strauss be-
scherte. Der Erfolg war diesmal noch allgemeiner als bei der Premiere — doch noch
lingst nicht allgemein. Reisenauer errang mit Liszts Es-dur-Konzert und dem poesie-
ToUen Vortrag Chopinscher Stücke grossen Erfolg. Dass er die letzteren oft etwas kühn
modulierend untereinander verknüpfte, fand verschiedene Beurteilung. Er scheint
mir ganz der Mann, die von früheren Klaviermeistem geübte Kunst der «freien
Konzert-Phantasie* wieder zu Ehren zu bringen. — Im Kurhaus erschien als Gast Camille
Saint-SaSns — wohl etwas angegraut, doch immer noch elegant und elastisch trotz seiner
last 70 Jahre I Seine Phantasie »Afrika* für Klavier und Orchester war das Hauptwerk
des Abends, — nicht gerade eine seiner bedeutendsten Emanationen, wenn es auch die
Vorzüge seiner Kunst: Glanz und Glitte der Arbeit, eine oft geistvolle Ausnutzung der
zum Teil fremdlindisch angehauchten Themen bekundet. Das Spiel des liebenswürdigen
Tonmeisters fesselte mehr als das Gespielte: es klang alles so sauber und aufgeriumt
Zwei iltere Kompositionen, die Saint-Saöns selbst dirigierte, waren übel gewihlt: »Jeunesse
d'Hercule* ist wohl das schwichste seiner symphonischen Gedichte; ein «Marsch der
Synode* aus Henri VIII. — tönendes Erz — klingende Schellel Nun, ein Saint-Saöns
darf sich so etwas schon einmal gestatten. Derselbe Konzert-Abend wurde mit der
«Romanfischen Ouvertüre* t. L. Thuille eingeleitet: recht hübsch, recht hübsch . . . aber
Thuille durfte sich so etwas eigentlich noch nicht gestatten. Otto Dorn.
EINGELAUFENE NEUHEITEN
BÜCHER
Otto Keller: Illustrierte Geschichte der Mu*lk. 2. Aufl. Llerenmi 1. (M. I.) Verisf:
Eduard Koch, M&ncheu.
Tilbelm Tappert: Richsrd Tagner im Spiegel der Kritik. Zweite bedeutend vermehrte
und umgearbeitete Autlage des Wagneriexikons. Verlag: C. F. T. SIegri,
Leipzig.
Dr. Theodor S. Flatsu: Das habituelle Tremolieren der Slagstlmme. 2. Aufl. (M.O^ia)
Intoaationastömngen und StlmmverluiL Beitrige zur Lehre ren den Stimm-
itBruDgen der Singer. 3. Aufl. (M. 0,40.) Verlag: Albert Stahl, Beriin.
T. Alfred Parr: Chronologlache Oberslcht Sber die Entvickinng der Muiifc. Tabellariacb
zusammengeBtellt (M. (^50.) Ebenda.
Richard Hermann: Die Mualklnstnimente, Ihre Beichrdbung und Verwendung. (Tebera
Illustrierte Katecbiimen Bd. 47.) Sechste ToUsHbidig neu bearbelteie Auflage.
(M. 4.) Verlag: J. J. Teber, Ulpiig.
Karl Fischer and Rudolf Krauaa: Eduard MSrlkes Briefe. Bd. 1. Veriag: OtM
Elaaer, Berlin 1903.
Irene Wild: Ein Llebesschicksal in Liedern. Verlag: E. Piersons Verlag, Dreaden 1004.
Nana Teber-Bell: Natonrlsaenachaft und Stimmenleb ung. Materialprinzipien (Br Pida-
gogen und Singer. Verlag: Max Schmitz, Leipzig.
Carl Hunnlus: Gedichte. 2. Aufl. Verlag: C. F. Amelang, Leipzig 1003.
Dr. G. Terntck: Znr Parcholog^e dea lathetiachen Gennisea. (M. 2,4a) Veriag: Vilhelm
Engalmann, Leipzig 1003.
MUSIKALIEN
Ludwig Schytte: op. 107. Kleine Klarleratecke mit Mottls. Heft I und II. Veriag:
Tilhelm Hansen, Leipzig.
Christian Slndlng: op. SO. Serenade Kr zwei Violinen und Piano. Ebenda.
Peter Cornelina: op. 1. No. 5: .Nschta", Gedicht (Cr zwei Singstimmen und KUTier,
ungerichtet von P. Volbach. <M. 1.) Verlag: B. Schotts SSbne, Mainz.
Edward Elgar: .Liebeagmas" fGr eine SingsHmme mimanofortebegleltung. Nach dem
Engllscben Ton E. Kllngenfbld. (M. 1.) Ebenda.
Ernat Ludwig, Grosabenog von Hessen: Zwei Gedichte von Olaf (6r eine Singstimme
und Klavier; zwei Lieder (6r eine Slagstlmme nnd Klavier. Ebenda.
Martin Jacobl: op. 33. Drei Lieder fGr eine Singstimme mit KlavlerbegL No. 1—3.
(k M. 1.) Ebenda.
Felix Draeaeke: op. T7. Quintett fBr zwei Violinen, Bratachen nnd zwei Violoncelle.
(Partitur M. 3, Stimmen M. IOl) Verlag: N. Slmreck, Beriin.
Max Bruch: op. 70. Lieder und Tinze nach nisalaeben und schwedischen Volksmelo-
dieeo nr Violine und KUvIer. Heft 1 und 2. » M. 4.) Ebenda.
Alexla Hollaender: op. 58. Secha Cbarakteratflcke fBr Violoncello und Klavier.
No. 1—3. (No. 1 und 3 k M. 1, No. 2 M. Z) Ebenda.
Edouard ScbBtt: op. 8B. Pages intimes. Stx morceanx ponr Piano. (M. 3.) Deox
InlermMes ponr Piano No. 1 und Z (k M. 2,50.) Ebenda.
Arnold Krug: op. 119. Romanzen. 4 KlavIerttOcke No. 1 — *. (M. 3.) Ebenda.
319
EINGELAUFENE NEUHEITEN
Frtnz Bölsche: »Frühlingsweben^ Gedicht von Josef Haggenberger ffir eine Sing-
stimme mit Begleitung des Planoforte. (M. 1.) Ebenda.
Richard Rössler: .Wir Drei"*, Duett f&r Sopran und Alt Gedicht von Hans Eschel-
bacb. (M. 1^.) Ebenda.
Louis R6e: op. 29. Fünf Lieder mit Begleitung des Pianoforte. No. 1—5. (No. 1 u. 3
ä 80 Pf., No. 2, 4, 5 ä M. 1.) Ebenda.
Victor Rosenberg: »Capriccio« f&r Pianoforte. (M. 1,50.) Ebenda.
Paul Zilcher: op. 28. Lieder und Tlnze, kleine Trios für Klavier, Violine und Cello.
(M. 4.) Ebenda.
G. Capellen: op. 14 No. 1. .Mutter, o sing mich zur Ruh"* für eine weibliche Stimme
mit Klavierbegl. 4. Auflage. (M. 0,75.) Verlag: H. R. Krentzin, Beriin.
Carl Ta'usig: Zwei Sonaten für Pianoforte von Domenico Scarlatti. Für den Konzert-
vortrag bearbeitet. Verlag: Gebrüder Hug & Co., Leipzig.
P. Ploridia: op. 15. Compositions pour Piano No. 1—6. (No. 1,2. 4 ä M. 1. No. 3^5^6
ä M. 1,50.) Ebenda.
Hans Pfitzner: op. 13. Quartett in D für 2 Violinen, Viola und Violoncello. (Partitur
M. 4,50 und Stimmen M. 7,50.) Verlag: Julius Feuchtinger, Stuttgart
Niels W. Gade: Holger Danskes Sänge for Klaver (bearbeitet von Ludwig Schytte).
Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenhagen, Leipzig.
Ludwig Schytte: »Piazza del Popolo^ Kleine italienische Suite für Klavier, op. 110.
(Serenade, Romanze, Barcarole, Tarantella.) Ebenda.
Emil Sjögren: Sonate für Klavier, op. 35. Ebenda.
Eilerjensen: Tarantelle op. 4. Rastlos (Scherzo) op. 5. R6verie op. 6. Pour Violon-
cello avec Piano. Ebenda.
Johan Halvorsen: Andante Religiöse pour Violon solo avec Orchestre. (Für Violine
und Klavier [oder Orgel] bearbeitet von Nicola] Hansen.) Ebenda.
Corelli: Sonate pour Violoncelle. Bearbeitet von Jacques van Li er. Ebenda.
Gustav Hollaender: Bunte Blätter. Sechs Vortragsstücke für die Violine mit Piano-
fortebegleitung, op. 61. Ebenda.
L. Birkedal-Barfod: Skizzer for Klaver. op. 20. Ebenda.
Christian Sinding: Album. L Teil: Zehn ausgewählte Lieder. IL Teil: Zwölf aus-
gewählte Lieder. Verlag: Robert Forberg, Leipzig.
A. H. Amory: Angelus. Ballade für eine tiefere Stimme mit Klavierbegleitung, op. 48.
Verlag: Gebr. Wagenaar, Amheim (Hol)and).
Georg Pittrich: Drei Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegl. op. 39. (ä M. 1.)
Drei Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegl. op. 43. (No. 1 ä M. 1,
No. 2 und 3 ä M. 0,60.) Verlag: J. Schuberth & Co., Leipzig.
Gustav Baldamus: .Das deutsche Volkslied" für Mlnnerchor. op. 74. (Partitur M. 1.)
Zwei Minnerchöre, op. 75. (Partitur ä M. 0,40.) Ebenda.
Hector Berlioz: »Die Trojaner in Carthago." Vorspiel für Klavier, bearbeitet von
Otto Taubmann. — Ungarischer Marsch aus Fausts Verdammung. Desgl.
Verlag: Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
Anton Brückner: Neunte Symphonie für grosses Orchester. Herausgegeben von
Ferdinand Löwe. Partitur (M. 30.) Klavierauszug zu vier Hinden. (M. 6.)
Verlag: Ludwig Doblinger, Wien.
limxMliimnn nad nur an die Redaktion su adressieren. Bespredmng einselner Werke vorbehalten. FSr die
fietpfednaia unverlangt eingesandter Bücher und Musikalien, deren Rficksendung heineefcHs stattündef, fiber-
aehoMn BiMJwIrtfon und Verlag keine Oarantieb
Im AaKbluss an den .MnBiksaal der Zukunh* (iwejtes Er{lninDpb]an) betitelten Auf-
aalt von Paul Maraop veranschaallcben wir heute nnaem Leaem die Rlume, In
denen das tat die EatvicUunc nnaere« Koniertlebena ao bedeutaame, für die
Rebrni des KoDzeriaaals in mancher Hinsicht hoffenttich roTbildlicbe Heldel-
berger Musikfeai siatt(ehtndeD hat Blatt 1 zelct nni die Anordnnnf des ver-
deckten Orchestern, Blatt 2 den Konzertsaal der Stadthalle, sowie die .Mnslk-
nisctae'. Hinter der ersten (niedereren) Scbailvand befindet sich das verdeckte
Orchester, hinter der iweiten (hSheren) der nnsichtbare Chor; auf Blatt 3 erblicken
wir daa PortriU des verdienitvoUen Leiten and Oriaolsators der ganzen Ver-
anstaltung, Herrn Universliltamusikdirekiors Praf. Dr. Philipp Toirrnm.
Fortsetzung und Scbluaa des Urbanscfaen Artikela illustrieren die rolgenden vier Blitter,
auf denen wir Photograph leen der Koryphlen der leicht geschürzten Mnse sehen,
die Franzosen Charles Lecocq, Robert Planquette, Edmond Audrao und
Andr6 Mesaater, die Eogllnder Arthur Sullivao nod Sldney Jonea, endlich
die Deutschen Johann Stranas, Franz von Snpp«, Karl MillScker (beide
letzteren nach Stieben von A. Teger), Paul LIncke und Bogumil Zepler.
Bmcknera Meisterwerke beginnen erfreulicherweise in unseren Koniertallen langsam
festen Fuaa zu hasen. Unaere dleamallge Masikbeiiage bringt daa herrliche
Adagjo aus dem Streich -Quintett F-dur, dem einsigen Kammermnsikwerk de*
Meiaiers, in der ganz ausgezeichneten Obertragnng fGr Klavier von Josef Schalk.
ItwRUkripn. Ute llBMa alekt g • ■ fl g • a 4
Venntwoitlicher SchrifUelter: Kapellmeist«- Beinbard Sclmster
Beriio SW. II. Lackeowaldeivtr. 1. III.
PHILIPP WOLFRUM
DER KONZERTSAAL DER STADTHALLE IN HEIDELBERG
BLICK AUF DAS VERDECKTE ORCHESTER UND
PODIUM IN DER HEIDELBERGER STADTHALLE
JOHANN STRAUSS
FRANZ VON SUPP£ CARL MILLÖCKER
Aus dem Muilkhiatorlsclieii MuMum d
Herrn Fr.Nicol«» Mlnskopf, FrinkfUrt ...
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AKTHUR SULLIVAN
SIDNEY JONES
PAUL LINCKE
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iAKioCR,.
BERLIOZ UND SEINE
„ARCHITECTURALE MUSIK'
von
Ained6e Boutarel-Paris*)
der Musik des 19. Jahrhunderts nimmt Berlioz etwa die
' Stellung ein , wie Michelangelo unter den KUostlern der
Renaissance: ohne Jünger, ohne Schule, ohne Nachahmer.
I Man bat von ihm behauptet, er habe nicht zu komponieren
verstanden, seine Schöpfungen seien masslos, ungeheuerlich, sie entbehrten
des inneren Gleichgewichts; man bat ebenso Michelangelo Unkorrektheit der
Zeichnung, übertriebene Darstellung der Muskulatur, bedenkliche Proportions-
fehler vorgeworfen. Michelangelo und Berlioz bieten uns fast nichts
von dem, was den Wert geruhigen Lebens im Schoss häuslicher Verhlltnlsse
ausmacht; dies ist der Grund, warum ihre Zeitgenossen sie nicht ver-
standen, wenn sie ihnen auch Genie, Ruhm und Ehren zuerkannten.
Mag man sich diesen Meistern gegenüber in fanatischer Anbetung gehllen,
mag man zu ihren Werken eine gezwungene Haltung einnehmen, die es
einem nicht ermSglicht, sie zu lieben, weit man sie als übermenschlich
empfindet — immerhin wird man zugestehen müssen, dass es auf musi-
kalischem Gebiet niemand gibt, der streng genommen mit Berlioz zu ver-
gleichen wire, in der plastischen Kunst niemand, der als Massstab für die
Abschätzung der Grösse Micbelangelo's dienen könnte. Pbidlas, Polyklet,
Skopas, Bach, Beethoven, Vagner waren anders — sicherlich nicht weniger
bedeutend — aber die Schöpfer der .Totenmesse* und des jüngsten Ge-
richts' gehören zum Geschlecht der Titanen, zu den «pollinischen Geistern,
zu den .Übermenschen'. .Michel piü che mortale, enget divinot' sagte
Ariost von Michelangelo; ein junges Mädchen, Camitia Moke (spiter als
Pianistin unter dem Namen Marie Pleyel berühmt), nannte in ähnlicher
Weise, als sie den Sabbat aus der .Fantastischen' gehört, Berlioz ,mon
eher Luclffcr, mon beau Satan l**)
Berlioz ist zugleich ein aristokratisches und ein demokratisches Genie;
') Aus dem Fraozftsiichen von TUly Rem.
*) Brief an Humbert Femnd vom 12. Deiember 1830. Hector Berlloi, Lettre«
iotimes, I^rls 1S82.
324
DIE MUSIK IIL 5.
in gewissen Kreisen ausgesprochen erzeugte sein Name die eigentümliche
Wirkung, die ehrenwerten Leute der bürgerlichen Gesellschaft in Erbitterung
und Bestürzung zu versetzen, sie ausser sich geraten zu lassen. Anderer-
seits fand er gewichtige Verteidiger unter Künstlern und Schriftstellern;
er hat die Massen zu packen verstanden, wenn es ihm vergönnt war, sich
an sie zu wenden; dann bezwang er die Geister, riss sie mit sich fort wie
ein siegreicher Titan, aber ohnmächtig blieb er dem eingewurzelten Spiess-
bfirgertum gegenüber, das im Grund genommen einzig und allein den
Theatern Gesetze vorschreibt. Und von 1830 — 1860 zfthlte in Frankreich
nur das Theater mit; ausserhalb konnte sich musikalisches Leben auf die
Daner nicht halten. Zudem wurde Berlioz um diese Zeit für eine Art geflUir-
lichen, umstürzlerischen Mephistopheles' gehalten ; die wackem Dilettanten
erblickten in ihm einen Spross der Hölle, einen Todfeind ihrer Götter
Rossini, Auber, Hal6vy und Meyerbeer; sie zogen ihm Adam und Clapisson
vor. Oifenbach entrüstete sich darüber und verspottete ihre Torheit 0
Berlioz seinerseits hüllte sich in stolzes, verächtliches Schweigen.
Noch heute traut man ihm nicht recht, man befürchtet Blitz und
Donner, wenn man ihm auf seinen Sinai folgt. Und doch ist sein Werk
nicht mörderisch, wie das Feuer des heiligen Bergs; es handelt sich nur
um das Wagnis, sich dem verzehrenden Feuer zu nähern, der blendenden
Atmosphäre Trotz zu bieten. Hauptsächlich muss man den groben Fehler
vermeiden, Berlioz' Schöpfungen vom engen Professorengesichtskreis aus zu
betrachten: die Prüfung seines technischen Verfahrens, das minutiöse
Studium seiner Schreibweise, die kritische Obduktion mit einem Wort —
sie darf erst an zweiter Stelle kommen. Wie dies Schumann wahrhaft
intuitiv gezeigt hat, handelt es sich in erster Linie um folgende Fragen:
Ist der Zweck erreicht? Ist der Intellekt befriedigt? Das Ideal — fast
immer figürlich, beschreibend, dramatisch, folglich ausserhalb des rein
Musikalischen stehend — ist es realisiert? Nun, die Antworten werden,
um es oifen zu sagen, immer bejahend ausfallen. Man braucht mit der
Musik Berlioz' nicht zu sympathisieren, aber man wird sich schwerlich
der Erkenntnis verschliessen, dass er das Endziel — in grandioser oder
schlicht-ergreifender Weise — immer meisterhaft erreicht hat. In seiner
schönen Analyse der »Fantastischen Symphonie* hat Schumann die darin
*) cf. L'Artiste, Jahrgang 1855, Seite 40. Offenbach macht sich besonders über
die musikalische Inkompetenz der Mitglieder des »Institut de France" lustig, die, in
die Notwendigkeit versetzt, einen Kollegen wählen zu müssen, Berlioz zuerst Ad. Adam,
den Komponisten des »Postillon von Longjumeau" vorzogen, dann Clapisson, der
gleichfalls einen Postillon (von B^ranger) in Musik gesetzt hatte. »Clapisson,* meinte
Offenbach, »hat denselben Rang wie Adam erhalten, nftmlich des Postillons halber,
was beweist, ,que TAcademie est k cheval sur les principes de l'arf."
325
BOUTAREL: BERLIOZ' ARCHITECTURALE MUSIK
enthaltenen Stellen aufgedeckt, die den Vorschriften der Schule zuwider-
laufen, hütet sich aber sehr wohl, sie zu verurteilen und versichert sogar,
»dass einige ganz prächtig klingen*". Das war 1835.^) Inzwischen sind
wir etwas beherzter geworden; wir denken heutzutage kaum mehr daran,
die Kühnheiten im .Te Deum*^ zu kritisieren.
Die Werke von Berlioz, die er selbst als .Musique architecturale*^)
bezeichnet hat, haben ihren Ursprung in der Literatur, in der Politik, in
den grossen Erinnerungen der Menscheit, in allem, was einen nachhaltigen
Eindruck auf Seele und Herz auszuüben vermag. Die drei bedeutendsten
Partituren dieser Art, die .Totenmesse^, die «Trauer- und Triumph-
Symphonie^ und das «Te Deum**, sind oft der Klasse der Gelegenheits-
kompositionen zugezählt worden. Sie erklangen in der Tat bei festlichen
Anlässen, Gedenkfeiern von Ereignissen aus dem national-französischen Leben,
sind aber nicht für diesen Zweck geschaffen worden. In Berlioz' Seele
vibrierten nicht dieselben Schwingungen wie bei den andern Neuerem
seiner Generation. Hierin lag ein verhängnisvolles Moment für seine
künstlerische Existenz; dies war auch die Ursache, dass seine herrlichsten
Schöpfungen, nach dem fast stets sich einstellenden ersten lauten Erfolg,
in tiefe Vergessenheit gerieten. Der politische Zustand Frankreichs in den
Jahren 1830 — 1860, der unüberbrückbare Gegensatz zwischen einer
reaktionären Regierung und den beständig unterdrückten Unabhängigkeits-
bestrebungen des Volkes legten der künstlerischen Entwickelung Fesseln an,
der Musik insbesondere. Ein überzeugter Apostel der neuen musikalischen
Religion Liszts und Wagners war Berlioz durch die Macht der Verhält-
nisse, in Ermangelung von Nachfolgern, gezwungen, vor dem höchsten
Aufschwung Halt zu machen. Der Möglichkeit beraubt, sich über seine
Ideen mit seinen Zeitgenossen zu verständigen, wurde er, wie wir
^) cf. Schumann, Gesammelte Schriften I. Seite 08. Symphonie von H. Berlioz.
') cf. die Partitur des .Te Deum*. No. 1 : dritter Akkord B-dur, vierter Akkord
a-moU; am Schluss die Akkordfolge: c-moll, B-dur, a-moll, G-dur, fis-moll. No. 7:
Judex crederis: Fortschritt von B-dur zu a-moll durch die Tonarten H und C; die
zehnmalige Wiederholung der Stelle in Des-dur in dem Augenblick, wo die Bisse des
Chors singen: Per singulos dies. Endlich das Einsetzen der Trommeln, die den
Rhythmus markieren, und das mächtige Spiel der Orgel. Das ist schwindelerregend
und entspricht vollkommen der Empfindung des Schreckens und der Majestät, die
ausgedrückt werden sollte.
*) cf. M^moires de Hector Berlioz, IL Seite 362. Paris 1878. .Es empfiehlt sich,
Ihnen den Gedankengang kenntlich zu machen, in dem ich so ziemlich als einziger
unter den modernen Komponisten mich bewege . . . Ich meine die Kompositionen,
die von manchen Beurteilem mit dem Namen architecturale oder monumentale
Musik bezeichnet worden sind und die den deutschen Dichter Heinrich Heine ver^
anlassten, mich eine ,kolossale Nachtigall, einen Sprosser von Adlersgrösse^ zu
nennen . . .'^ usw. (cf. Henri Heine, Lutdce, S. 387 f. Paris, nouvelle Edition, 1878).
326
DIE MUSIK III. 5.
sehen werden, in die Notlage versetzt, seine ungeheuren Entwürfe zu opfern
und die, immerhin noch kolossalen, Bruchstficke zur Feier von Ereignissen
zu verwenden, für die er sich in Wirklichkeit herzlich wenig interessierte.
War er etwa ein Freund der Freiheit im Sinn der Revolutionäre von 1793?
Keineswegs. Er machte sich gern fiber die Republik und die Demokratie
lustig. Trotzdem sang er die Marseillaise und schenkte ihr eine breite,
leidenschaftliche Neuorchestrierung. Verspfirte er vielleicht 1830 eine
Art heroischen Empfindens, als das Volk die alte Monarchie im Namen
neuer Grundprinzipien umstürzte? Nichts weniger als das. Die Opfer des
Strassenkampfes sind für ihn keine Märtyrer; er begeistert sich nicht für
sie — und doch ist er der Schopfer des »Requiem*, das zur beabsichtigten
Totenfeier im Invalidendom bestimmt war, der Schöpfer der »Trauerklage*
und der .Apotheose*, die vor dem Mausoleum (1840 auf dem Bastillen-
platz errichtet und überragt von der Juli-Säule, wie man sie heute sieht)
ausgeführt wurden.
Berlioz feiert so auf doppelte Weise die .Helden* des Juli und die
»Sonne* des Juli. Erinnern wir uns bei dieser Gelegenheit, dass er zum
Mitarbeiter am »Benvenuto Cellini* den Verfasser der »Jamben*, Auguste
Barbier, hatte, der zum Gedächtnis Napoleons sang:
O Corse ä cbeveuz plats, que ta France 6tait belle,
Au beau soleil de Messidor! . . .
Diese Mitkämpfer von 1830 nun, die in den drei Tagen des Auf-
standes vom 27., 28. und 29. Juli gefallen waren (504 an der Zahl),
deren Überreste zehn Jahre später gesammelt und deren Namen auf der
Säule verewigt wurden, hat Berlioz bei zwei Gelegenheiten unsterblich
gemacht. Seine »Totenmesse* ist in der Tat auf Verlangen der fran-
zösischen Regierung geschrieben worden, um am 28. Juli 1837, aus An-
lass des siebenten Gedächtnistages zur Aufführung gebracht zu werden.
Sie fand nicht an diesem Tag statt. Berlioz' Requiem, für das man sich
in Unkosten gestürzt hatte, diente dazu, den Eindruck des Gottesdienstes
zu erhöhen, der am 5. Dezember zu Ehren des Generals Damr6mont und
der Soldaten, die bei der Einnahme von Constantine gefallen waren, im
Invalidendom abgehalten wurde. Diese Bestimmungsänderung war eine ganz
zufällige.
Vom Jahre 1836 etwa liegt ein Skizzenentwurf für eine Chor-
komposition vor, deren Inhaltsangabe sich bereits in einem Brief an
Humbert Ferrand findet, datiert aus Rom, 3. Juli 1831:
»Ich hatte einen grossen Plan, den ich gern mit Ihnen vollendet hätte; es
handelte sich um ein kolossales Oratorium, das bei einer musikalischen Feierlichkeit
in Paris aufgeführt werden sollte ... im Hof des Louvre. Es hätte sich betitelt »Der
jQngste Tag"... Die Menschen, auf der untersten Stufe der Verderbtheit an-
327
BOUTAREL: BERLIOZ' ARCHITECTURALE MUSIK
gelangt, giben sich allen Schftndlichkeiten hin, eine Art Antichrist beherrschte sie als
nnumschrinkter Gebieter . . . Eine kleine Anzahl Gerechter, unter der Führung eines
Propheten, Stiche wohlthuend von dieser allgemeinen Verkommenheit ab. Der Despot
sachte sie zu umgarnen, entführte ihre Jungfrauen, beschimpfte ihren Glauben . . .
Der Prophet hielte ihm seine Verbrechen vor und kündigte ihm das bevorstehende
Ende der Welt an, das jüngste Gericht. Der gereizte Despot Hesse ihn ins Geftngnis
werfen und, sich aufs neue ruchlosen Lüsten überlassend, würde er inmitten eines
Festes durch die schrecklichen Trompeten der Auferstehung überrascht. Die Toten
verlassen ihre Griber . . . ausser sich vor Entsetzen stossen die Lebenden gellende
Angstrufe aus ... die Welten stürzen krachend zusammen. . . die himmlischen Heer-
scharen donnern in den Wolken — das wäre der Schluss dieses Musikdramas . . .
Ausser den beiden Orchestern gibe es noch vier Gruppen von Blechinstrumenten, in
den vier Hauptecken des Aufführungsraums verteilt . . .^
Die Trauer- und Triumphsymphonie steht in einem weit engeren
Zusammenhang mit der Erinnerung an die Helden vom Juli 1830 als
die »Totenmesse**. Sie ist speziell zu einem solchen Zweck geschrieben
worden: Zur Einweihung der Bastillensäule. Die Einzelheiten der Feier-
lichkeit waren derartig geregelt, dass Berlioz in der behördlichen Vorschrift
geradezu die Unterabteilungen seines musikalischen Vorwurfs fand und
damit die Möglichkeit, sich der Ausdrucksweise zu bedienen, die er jeder
anderen vorzog: in Tönen zu schreiben und zu sprechen. Sein Werk
wurde am 28. Juli 1840 aufgeführt. Die wiederaufgefundenen Skelette
der Opfer vom Juli 1830 waren in 50 Särgen geborgen, von denen jeder un-
gefähr zehn enthielt. In der Kirche Saint-Germain-FAuxerrois, derColonnade
du Louvre gerade gegenüber, waren die Särge aufgebahrt. Nach einer
Festmesse von Cherubini wurden sie auf einen sechsräderigen, über 7 m
hohen, 20 m langen, 4 m breiten Wagen getragen, den 24 mit reichen
Decken geschmückte und zu vier nebeneinander angeschirrte Pferde
zogen. Der Zug bewegte sich über die Quais der Seine ent-
lang, erreichte den Konkordienplatz, die Madeleine, die Boulevards.
Der erste Teil der Symphonie, der Trauermarsch, wurde während des
Umzuges gespielt; der zweite und dritte, die Leichenrede und die Apo-
theose, Hessen ihre beredten Melodieen, ihre Fanfaren und den donnernden
Schluss auf der Esplanade de la Bastille, der Säule gegenüber, erschallen,
während der Klerus die Gräber einsegnete.
Die Erinnerungen an 1830 blieben in Wirklichkeit in Berlioz' Geist
sehr lebendig: im Juli dieses Jahres erhielt er den Rompreis, was für ihn
von ausserordentlicher Bedeutung war; es war gerade auch um jene Zeit,
als seine Liebe zu Camilla Moke^) am feurigsten loderte. Während jener
Sommertage lebte er in einem Zustand ungewöhnlicher Nervenanspannung
^) Marie F61icit6 Denise Moke (1811—1875). Berlioz nennt sie seine ^angebetete
Camilla", seinen ^zarten Ariel". Er bezeichnet sie als »das grösste Talent Europas".
Sie spielte ihm Beethovensche Adagios vor.
328
DIE MUSIK IIL 5.
und die aufregende Wirkung, die die doppelte Krönung seiner Wünsche
— durch die Musik und durch die Liebe — auf sein Gemüt ausübte»
wurde verzehnfacht durch den verzehrenden Gluthauch, der von der Strasse
her zu ihm drang. Man sang in Paris gerade einen Chor^) von ihm»
dessen Text (von Thomas Moore) trefflich auf die Verhältnisse passte:
Vergesset nicht die Felder, die getränkt
Von unserer Krieger Blut, das Boss im Streit!
Und bei der Edlen Staub mit Tränen gedenkt:
Durch sie, die nih'n, ist Haus und Herd befreit!
Sie sind dahin! Ruhm über sie, die schlafen!
Doch uns wird schöner die Zukunft erstehn:
Es sollen gleich sich Herren sein und Sklaven!
Glückliche Zeit, mögest du nie vergehn!
Heil dir, o Volk, das wahret seine Rechte
Auch ohne Kampf und nimmer lässt davon!
Nie galt die Freiheit höher dem Geschlechte
Als wenn sie kam segnend herab vom Thron!*)
Mit diesem Stück und mit der Bearbeitung der Marseillaise scheint
Berlioz in prophetischer Vorausahnung die berühmten Juli-Tage gefeiert zu
haben, die er später mit seiner .Totenmesse* und der «Trauer- und Triumph-
Symphonie*" verherrlichen sollte. Ein Beweis, welch' hohen Grad von
Initiative er besass. Ihm war eine tiefe Empfänglichkeit für jeden feurigen
Hauch, der die Welt durchbebte, zu eigen und dann geriet sein Innerstes
in zitternde Erregung, sein Geist entzündete sich mählig: er schien
über der Erde zu schweben. Er träumte von einer anderen Welt, von
Sälen, die 20000 Hörer zu fassen imstande waren, von Orchestern mit
1500 Musikern, von gigantischen Chören, und danach verbreiterte, er*
weiterte und vergrösserte er seine Ausdrucksweise und seinen Stil. Man
hat ihn mit einer stark elektrisch geladenen Wolke verglichen; wenn er
mit der materiellen Welt in Berührung kam, gab es Blitz und Donner.
Zorn, Enttäuschung, Niedergeschlagenheit, Ekel vor der Arbeit — alles
überwältigte diesen neuen Prometheus. Selbst seine Freunde, über den
Umfang seiner Entwürfe bestürzt und am Erfolg verzweifelnd, wagten nicht
immer seine Verteidigung. Niemand sollte die Tatsache vergessen, dass
man, um einem ähnlich kühnen und gewagten Werk wie der . Fantastischen
Symphonie* zu begegnen, mehr als 30 Jahre überspringen muss, bis man
^) Op. 2. Chant guerrier.
*) Deutsche Obersetzung von Emma Klingen feld. Wir verdanken sie dem
liebenswürdigen Entgegenkommen der Firma Breitkopf & Hftrtel, Leipzig» die uns einen
Sonderabzug des in der Gesamtausgabe demnächst erscheinenden »Kriegslieds" bereit-
willigst zur Verfügung gestellt hat Anm. der Redaktion.
329
BOUTAREL: BERLIOZ' ARCHITECTURALE MUSIK
Zu »Tristan und Isolde"" gelangt, und dass «Tannhäuser** erst volle sieben
Jahre nach »Benvenuto Cellini'' erschienen ist.
Dem Theater durch den skandalösen Misserfolg dieses Werkes ent-
fremdet, musste Berlioz sich auf die Komposition von Symphonieen und
Chorwerken beschränken. Als er gegen Ende seiner Laufbahn die
«Trojaner** und .Beatrice und Benedikt" schrieb, hatte sein dramatisches
Ideal eine starke Herabminderung erfahren. Trotz herrlicher, genialer
Stellen lehnen sich diese beiden mächtigen Entwürfe an eine rühmliche
Vergangenheit, an Gluck, Spontini und Weber an, aber in eine bereits
dem Verfall geweihte Form eingeengt weisen sie keine neuen Pfade. Und
doch — wie wenige von den beliebtesten Beherrschern des modernen
Repertoires sind ihm ebenbürtig! Eine seltsame Antithese übrigens! In
Berlioz' Musik ist alles Drama, alles Gemälde. Sein «Te Deum*" (1849
beendigt) ist eine Tonschöpfung, die an «Babylon und Ninive'^ gemahnt,
die umfangreichste sicherlich von allen; und doch nicht ganz so, wie er es
gewünscht hatte. Der originale liturgische Text genügte ihm nicht. Es
macht einen eigentümlichen Eindruck, wenn man sieht, wie er die Worte
stellt, sie wiederholt, die Folge des lateinischen Textes ändert, ein Wort
hinzufügt, ein anderes weglässt, einzig und allein zu dem Zweck, der Musik
plastische Darstellung, dramatischen Ausdruck und lebendig fortschreitende
Handlung zu ermöglichen. Denn das ist sicher — Berlioz hat im Geist
den Zug der Engel, der Cherubim und Seraphim wirklich geschaut, wie er
beim Näherkommen an Gottes Thron singt: Tibi omnes angeli!...; er
hat den ungeheuren Chor der Apostel, die dichten Scharen der Propheten,
die gewaltige Men^e der Märtyrer vor sich gesehen, wie sie die Herrlich-
keit Gottes verkünden: Te gloriosus apostolorum chorus! . . .; seine
Augen erblickten schliesslich die „ecclesia militans'S ^i^ sie auf den Knieen
den Sohn des Allerhöchsten in seinem Glänze preist: Te per orbem
terrarum! . . . und er hat im Geist diese riesige Heerschau von himmlischen
und irdischen Wesen wie die Personen auf einer das Weltall darstellenden
Bühne sich entwickeln lassen, während die überwältigende Hymne lang-
sam anschwellend ihr furchtbares Crescendo erschallen lässt: Pleni sunt
coeli et terra majestatis gloriae tuae!... Weiterhin will uns
Berlioz den ergrimmten Richter zeigen, wie er aus den Wolken hernieder-
steigt: Judex crederis esse venturus! . . . dem Zorn des mosaischen
Jehovah stellt er kontrastierend das demütig in den Staub niedergestreckte
Volk gegenüber: Domine salvum fac populum!... dann, inmitten des
triumphalen Pomps einer Fahnenweihe, vernehmen wir das Wirbeln der
Trommeln, die Klänge eines religiösen und eines Militärmarsches, den
Choral des Te Deum, der wie ein Kampfruf die Luft durchschneidet,
übertönt von den zermalmenden Akkorden der Orgel, die von der Tribüne,
gleichsam vom hohen Himmel herab, erbrausen: Coeli enarrant! . . •
330
DIE MUSIK IIL 5.
Es ist dies nur eine schwache Andeutung dessen, was Berlioz in
Wirklichkeit gewollt hat. Das .Te Denm* ist nur das Fragment eines in
noch weit kolossaleren Dimensionen geplanten Werkes, das nie vollendet
wurde, einer epischen Komposition zu Ehren Bonaparte's, des ersten Konsuls.
Der Titel lautete .Rückkehr aus dem italienischen Feldzug«. So
erklären sich die durchaus kriegerische Pracht verschiedener Nummern
und die schrillen Klänge des Saxhoms während der Fahnenweihe. Das
Werk hat zum Schauplatz den Mailänder Dom. Im Augenblick, wo der
Held von Arcole und Rivoli das Gotteshaus betritt, donnern die Kanonen,
neigen sich die Fahnen, die Tambours schlagen an, die Luft erdröhnt von
stürmischen Zurufen und siegreichen Hurras, das gesamte Volk b^rnsst
den jungen General. Es erwartet von ihm den so lange entbehrten Frieden,
das Glück und dankt dem Himmel, weil es an die Zukunft glaubt: Te
Deum laudamus!^)
Als das Werk auf den Umfang eines Tedeums reduziert war, be-
mühte sich Berlioz vergeblich um die Ehre einer Aufführung in Notre-
Dame zu Paris gelegentlich der Salbung Napoleons III. Ein musiklieben-
der Priester, der Pfarrer von Saint-Eustache, stellte ihm hierauf seine
Kirche zur Verfügung und dort wurde das Werk am 30. April 1855 auf-
geführt, einige Tage vor der Eröffnung der Weltausstellung. Acht Monate
später diente die Kantate .rimp6riale* als dekorative Musik bei der
Preisverteilung am Schluss der Ausstellung.
Die «Totenmesse", die «Trauer- und Triumph-Symphonie*, das »Te
Deum*" und «l'Impdriale* bilden das, was man die «architekturale Musik*
Berlioz' zu nennen übereingekommen ist. Doch wäre hierher noch der
Trauermarsch in der letzten Szene im «Hamlet*^ zu rechnen, der sicher-
lich neben der Trauermusik aus der «Götterdämmerung* mit zum Eindrucks-
vollsten gehört, was die symphonische Kunst geschaffen hat.^
Berlioz' Werke sind nicht der Kategorie zuzuzählen, die man als
«absolute Musik* zu bezeichnen pflegt; die Ausdrücke, die gewöhnlich zur
^) Das Original-Manuskript des «Te Deum* befindet sich in der Bibliothek in
St Petersburg; es enthält ein Stuck (No. 3), das in die Ausgabe für Klavier und Ge-
sang (Paris und London 1885) nicht aufgenommen ist Berlioz schrieb eigenhändig
in die Partitur: ^^Diese Nummer soll nur aus Anlass einer Siegesfeier auljgeführt
werden oder bei anderen Gelegenheiten, die mit militärischen Dingen irgend welche
Berührungspunkte gemein haben *
*) Was eine ^^ideale Auffuhrung* betrifft, so ist die Interpreution dieses Stückes
ausserordentlich schwierig. Lamoureuz in Paris hat den Werken Berlioz' niemals
ihren wahren poetischen Zauber zu verleihen verstanden, am wenigsten diesem.
Colonne dagegen erzielte mit dem Marsch einen betrichtlichen Erfolg und musste
ihn jedesmal wiederholen. Die vollendetsten Aufführungen der „Fantastischen
Sfmphonie* und von »Harold in Italien* habe ich unter Felix Weingartner gehört.
331
BOUTAREL: BERLIOZ' ARCHITECTURALE MUSIK
Benennung der Werke anderer Komponisten dienen, reichen zur Charak-
terisierung der seinen nicht aus. Daher der Name „architekturale
Musik*, der sofort an die gewaltigsten, am längsten der Verwitterung
und Zerstörung trotzenden Bauten denken lässt, an Parthenon und Kolos-
seum . . . Leider hat Berlioz seine hochfliegenden Ideen nicht verwirklichen
können und von zwei Denkmälern einer Kolossalkunst, die er mit Hilfe
seiner klanglichen Ausdrucksmittel auftürmen wollte (»Das jüngste Gericht*
und «Rückkehr vom italienischen Feldzug*), hat er uns bloss zwei Bruch-
stücke hinterlassen: die „Totenmesse* und das »Te Deum*. Auch Michel-
angelo musste vieles unvollendet lassen, darunter bekanntlich das Grabmal
von Julius IL, von dem uns der „Moses* von S. Pietro in vincoli und
die «Sklaven* im Louvre erhalten sind. Beide haben sich schriftstellerisch
betätigt; Berlioz mit Musikkritiken, Novellen und humoristischen Phanta-
sieen, Michelangelo mit Sonetten. Eine merkwürdige Erscheinung — so
umfassend sich Berlioz' geistige Kultur erweist, sobald es sich um Shake-
speare, Goethe, Virgil, Beethoven handelt, sie versagt völlig der Bibel,
der bildenden Kunst, Joh. Seb. Bach gegenüber, was indessen nicht aus-
schliesst, dass das „Dies irae* in der „Totenmesse* das breitest aus-
geführte apokalyptische Bild ist, das musikalisch wiedergegeben worden ist.
In bezug auf Berlioz habe ich wohlgefällig den Namen Michel-
angelo's meiner Feder entschlüpfen lassen. Ich will damit keine buch-
stäbliche Ähnlichkeit konstruieren und weiss sehr wohl, dass es der
Sanktionierung von Seiten ganzer Jahrhunderte bedarf, um einem Mann
neben der ragenden Höhe des grössten Künstlers der Renaissance seinen
Platz anweisen zu dürfen; Berlioz kann eine solche für sich noch nicht
in Anspruch nehmen, da gerade erst ein Säkulum seit seiner Geburt ver-
strichen ist. Gleichwohl hat ein Vergleich Berlioz' mit Michelangelo in
mancher Beziehung seine Berechtigung: beide haben ihre Kunst von tat-
sächlich vorhandenen Vorurteilen befreit, beide haben sich ihre Un-
abhängigkeit gewahrt und beide sind gestorben, ohne das volle Mass
dessen auszuschöpfen, was sie hätten leisten können, wenn ihre Zeit-
genossen sie besser verstanden und wirksamer unterstützt hätten.
Es ist wahrlich keine Kleinigkeit, das von zwei Meistern sagen zu
können, von denen der eine uns die „Erschaffung der Welt*, die „Pro-
pheten und Sibyllen* der sixtinischen Kapelle hinterlassen hat, der andere
die „Totenmesse*, die „Trauer- und Triumph-Symphonie* und das
„Te Deum*.
i/it\
Es JBt elD Vorrecht der Grossen am Geist
slleln SU sein, such wean sie mitten unter
MeoBCtaen sind.
jRer stärkste Anreiz menschlicher Nerven und Herzen ist Musik.
Nicht alle trifft dieser Satz, sofern aber Menschen überhaupt
I einer Erregung durch Tongebilde ßhig sind, bewirkt sie in ihnen
i den gewaltigsten Aufruhr. Das gilt, in verminderten Ver-
hiltnissen, für die Jahrtausende unserer Kultur. Seit der Wende des
19. Sikulums ist die Empflndungsmdglichkeit zu einer Höhe und Feinheit
gesteigert, der in ihrem ganzen Umfang gerecht zu werden schaffende wie
empfangende Menschheit noch Jahrhunderte zu arbeiten hat. Das ist das
Werk eines Mannes, dessen Schöpfungen mit der Kraft des Blitzes fernste
Horizonte erhellten, eine neue Weil offenbar machten. In ihm wurzelt das
Fühlen der Grössten unter den nachfolgenden Künstlern, von seinen Taten
strahlt eine Wirme aus, die Generationen erfüllL In dem Hymnus seiner
Verehrung vereinigt sich, was höchster Erregung zuginglicb ist. Noch
wächst sein machtvolles Brausen, dem Strom gleich, der von den Beigen
herab unaufhaltsam sich ergiessend Wässerchen und Flüsse autaimmt, bis
er länderbeherrschend und fruchtbar durch die Ebene rollt. Den Musikalischen
unter den glücklichen Bewohnern dieser reichen Ebene — ich spreche von
einer fernen Zukunft — werden die letzten Sonaten, ja die letzten Quartette
Beethovens Gemeingut sein.
Seiner Apostel Arbeit aber wird niemals aufhören. Derer, die seinen
Geist verkünden; derer, die in seinem Geist der eigenen Natur Ausdruck
geben. Unter denen — soweit fremde Nationen in Betracht kommen — steht
Berlioz obenan, ein Mann, der Beethoven wesenverwandt ist: seinem Fühlen
in der Verinnerlicbung, in der trotzigen Wahrhaftigkeit, in der Innigkeit;
seinem Denken in der Entschiedenheit, in der schroffen Rücksichtslosi^eit,
im lakonischen Sarkasmus; seiner Musik, so verschieden Technik und Ge-
halt sind, in der Übereinstimmung des letzten Zweckes: Ausdruck zu sein,
Ausdruck einer originalen Persönlichkeit; Leidenschaft entfesselt, gebändigt
darzustellen. Rouget de Lisle sagt von Berlioz, was auch auf Beethoven
333
PISSIN: BERLIOZ DER MENSCH
passt: ySein Kopf war ein immer tätiger Vulkan." — Dass er ein Romane,
bezeugt die explosive Gewalt seiner Leidenschaft, ihre wirbelnde Heftigkeit,
ihr Tränenreichtum; und dennoch ist seine nachhaltige Ergriffenheit in
künstlerischen Angelegenheiten, die tiefe, beharrliche Glut seines Wesens,
das mit unbeugsamer Entschlossenheit für seine hohen Ziele kämpft, dem
Typus des Franzosen mit seiner leichtherzigen, liebenswürdig-gefälligen
Oberflächlichkeit, seiner graziösen Laune, seinem vergänglichem Gepackt-
werden entgegengesetzt. Wie Berlioz sich .als Musiker von dreiviertel
deutscher Art und Weise'' fühlt, sehnt er als Mensch sich nach Verständnis
in diesem Lande, in dem es noch ein Leben der Seele gäbe, wo noch
Begeisterung zu finden sei. „Woran dachte der liebe Gott, als er mich
hier geboren werden liess?*" Im Grunde ist dieser Südfranzose aus dem
d6partement de Tlsöre dem Ethos der germanischen Nationen verwandt:
den Engländern im Hageren, Eckigen des Leibes wie in den weltschmerz-
lichen Regungen seiner vielgestaltigen Seele, welche die Qualen der
Mutlosigkeit, ja Verzweiflung, der Unrast, mit einem Worte der «Philosophie
noire* so gut kennt und zu schildern weiss, den manchmal eine Wollust
der Selbstqual überfällt; den Skandinaviern in den oft grotesken, oft gi-
gantischen Ausgeburten einer stürmischen Phantasie, deren Entwicklung
die einsame Majestät der Fjorde gleicherweise begünstigt, wie die erhabene
träumerische Ruhe der Bergtäler zwischen Vienne, Grenoble und Lyon;
den Nachkommen der Wikinger vielleicht auch in der Abenteuerlust, in
der Sucht fremde Länder zu sehen, die dann bei seinem Sohn durchbrach,
der ein Seemann ward. Und dann zeigt sich der grübelnde Melancholiker
wieder als echter Landsmann Tartarins de Tarascon in seiner Liebe zur
Hyperbel. Alles in allem aber überwiegt das menschlich Allgemeine die
ausgeprägten Stammeseigentümlichkeiten; Berlioz darf zu jener kleinen
Schar Erwählter gerechnet werden, die jenseits von Zeit- und Volksgrenzen
unter den Menschen den Adel repräsentieren. So sind denn Beethoven,
Gluck, Goethe und Shakespeare seine Götter. „Beethoven ist ein Titan,
ein Erzengel, ein thronender Herrscher l*"
Emest Legouv6, ein späterer treuer Freund Berlioz', schildert an-
schaulich die typische Situation, in der er den jungen Enthusiasten kennen
lernte. Eine Aufführung des „Freischütz^. Mitten im Ritomell des Liedes
von Kaspar erhebt sich, zitternd vor Wut, Legouv6's Nachbar. „Es sind
nicht zwei Flöten! Es sind zwei kleine Flöten! Zwei kleine Flöten!
Plccolo! O, diese Heupferde!^ Mit blitzenden Augen stand er da, und
seine gewaltige, rötlich-blonde Mähne ragte wie ein bewegliches Schutzdach
über einem Raubtierschnabel. Den markanten Eindruck der mittelgrossen
Gestalt vollendete die breite Stirn, das vorspringende Kinn. So löste immer
die Musik, ob er pries, ob er verdammte, heftige Erregung in ihm aus.
534
DIE MUSIK IIL &
Er besass jene „anseriesene Empfindsamkeit*, Um erfollfe jene »onb^rriffidie
Exaltation', die er in seiner Novelle »Der Selbstmörder ans Entfansiasniiis*
zur Charaktersmndlage des Helden, eines Mnsikers, madit. Dieser er-
schiesst sich nach einer Anffohrnns der von ihm yeigotterten »Vestalin*
Spontini's, weil ein erhabenerer Gennss ihm nidit denkbar ist, die Ohren
aber, die so Heili^^ vernahmen, durch proftme Klinge nicht mehr «t-
weiht werden sollen. Ober die physisdien Wiitangen der Musik anf
seinen Orguiismos — von den snbtilen seelischen Affekten zn schweigm
— macht Berlioz, ein scharfer Beobachter auch seiner sdbst, wiederholt
Gestindnisse. Das ansfohrlichste und merkwürdigste ist dieses:
»Beim Anhören gewisser Musikstäcke scheinen gleich anCtngs meine Lebens-
geister sich zn verdoppln; ich empfinde eine nnveri^eidiliche Wonne, der aDe
VerMandeskIngelei nichts anhaben kann; die Gewohnheit xn analysieren mfl sodaan
an nnd fnr sich schon die Bewnndemng hervor; die Gemfitsbcwegimfc die im
direkten Verhllmis mit der Gewalt und Grösse der Ideen der Komponisten wichst
erzengt bald eine seltsame Aufregung meines Bluts; die Pulse schlagen heftig; Trinen,
die für gewöhnlich das Ende des Paroxysmus ankündigen, sind oft auch nur die
Vorllufer eines noch um vieles gesteigerten Anftlls. In letzterem Falle tritt eine
krampfhafte Zusammenziehimg der Muskdn ein, ein Zittern an allen Gliedern, ein
völliges Absterben der Hinde und Fasse, eine teilweise Lihmimg der Gesiclits- und
Gehörnerven; ich sehe nichts, ich höre nur wenig mehr . . . Schwindel . . . halbe Be-
wnsttlotigkett . . .*
Wenn er bei einer Anffnhmng seines Requiems an die Stelle „Iudex
ergo cum sedebit^* gelange, »dann wird alles schwarz um mich her; ich er*
blicke nichts mehr, ich wähne in ewige Nacht zu versinken*, schreibt er
einmal. Begreiflich, dass er die Ansicht äussert, die Musik bringe die
charakteristischsten Wahnsinnserscheinungen hervor.
Immer war er den grossartigen, auch rein körperlich überwältigenden
Effekten am geneigtesten. Man erinnere sich, um nur dies eine anzuführen,
seines Jugendwerkes, der phantastischen Symphonie und ihres Programms»
So reift z. B. der unerhörte Eindruck, den das Unisono-Singen von
6000 Armenschulkindem in der Sankt-Paulskirche zu London ihm macht,
in seiner berauschten Phantasie den Plan zu einer ähnlichen Massenauf»
fnhrung, deren Stätte das Pantheon sein sollte. Wurde aus diesem flüchtigen
Projekt auch nichts, so wissen wir doch von manchem »Festival*, dessen
gewaltige Instrumental- und Chormassen sein Wille belebte. Und er ver>
stand es, seine Begeisterung einem Orchester zu übertragen, sein Feuer
in die Scharen überzuleiten, dass sie in einen geschmeidigen Körper
zusammenglühend jedem Wink des Meisters folgten. Berlioz ist recht
eigentlich der Stammvater der Dirigiervirtuosen unserer Tage. Er wusste
aber auch, sich rasch Respekt zu verschaffen; Nachlässige oder Wider»
willige bekamen seine Gereiztheit zu spüren.
335
PISSIN: BERLIOZ DER MENSCH
„Wenn die Stunde zum Anfangen geschlagen hat und das Chorpersonal nicht
durchaus vollständig ist oder nur das Geringste mangelt, so gehen Sie um das Piano
herum, wie der Löwe in seinem Käfig; Sie brummen dumpf vor sich hin, indem Sie
Ihre Unterlippe kauen, Ihre Augen schiessen fahle Blitze; man grüsst Sie, Sie wenden
das Haupt ab; von Zeit zu Zeit schlagen Sie heftig auf dem Klavier dissonierende
Akkorde an, die Ihren innem Zorn kundgeben und uns deutlich zeigen, dass Sie
imstande wären, die Nachzügler, die Ausgebliebenen zu zerreissen, wenn sie gegen-
wärtig wären,**
lässt Berlioz im Prolog zu seinen „Musikalischen Grotesken** die Choristen
von der Grossen Oper ihn anreden. Aber sie schliessen:
»Wir ertragen dies alles, und lieben Sie deshalb nicht weniger, weil Sie uns,
wie der Augenschein lehrt, zugetan sind und, wie das Gefühl sagt, die Musik anbeten."
Gerade diese Heilighaltung der Musik, dieses feiertägliche Gefühl
ihr gegenüber, von der er mit Recht sagt, sie sei nicht bestimmt, zu den
täglichen Genüssen des Lebens zu gehören, vermehren seine Qual, wenn
er z. B. ein eigenes Werk einstudiert. „Der Komponist, genötigt, zu 2 bis
300 Mittelspersonen seine Zuflucht zu nehmen, ist ein zum Leiden aus«-
erkorener Mensch.** In einer biographischen Skizze Spontini's schildert
Berlioz die Schwierigkeiten, die der geniale Mann trotz des hohen Schutzes
der Kaiserin Josephine zu überwinden hatte, um sich durchzusetzen. Es
galt, die «Vestalin** einzustudieren. Welche Plage da der Neuerer ohne an-
erkannte Autorität durchzumachen hatte:
wdem das ganze Personal der Ausführenden natürlicher und systematischer Weise
feindlich gesonnen war; überall Kampf gegen übelwollende Gesinnungen, ingrimmige
Anstrengungen, um beengende Schranken niederzureissen, Eisschollen zu erwärmen,
mit Toren vernünftig zu sprechen, von Liebe mit Verschnittenen, von Kunst mit
Handwerken, von Aufrichtigkeit mit Lügnern, von Enthusiasmus mit Neidischen, von
Mut mit Feigen zu reden.**
Da ist die Summe der eigenen schmerzlichen Erfahrungen gezogen,
die Berlioz während einer langen Künstlerlaufbahn so oft gemacht, so oft
verwünscht hat. »In Deutschland, in Italien, in Frankreich, allenthalben
hat in den Theatern jedermann ohne Ausnahme mehr Verstand als der
Autor.* Die Komponisten laufen Gefahr, von aller Welt umgebracht zu
werden, und nicht zuletzt von den Claqueurs, den »Römern**, wie sie der
Pariser nennt. Sie, ihren «Kaiser", den Chef des Erfolges, hat er mit
seinem galligsten Hohn bedacht. Er hat an sich selbst die Wahrheit eines
Wortes der grossen Sängerin Branchu erproben können, die zu ihm —
er war »fast noch ein Kind" — sagte, in Frankreich sei das grösste musi-
kalische Verdienst für den, der es besitze, fast wertlos; zu wenige ver-
möchten es zu erkennen, zu viele hätten ein Interesse daran, es zu leugnen
und zu unterdrücken.
Trotz aller Mühsal aber ist es ihm eine Lust und ein Bedürfnis zu
komponieren; eine natürliche Funktion. Hätte er ihr nur jederzeit und
536
DIE MUSIK III. 5.
80, wie es ihn trieb, treu bleiben können I Aber die leidige Not des
Lebens — besonders in den ersten Jahren seiner Ehe mit Henriette
Smithson, die dann so wenig glucklich endete — zwang ihn, Prosa zu
schreiben, und das war ihm eine Qual, wie er selbst gesteht. Längere
Zeit war er Kritiker am »Journal des D6bats*, mit dessen damaligem
Herausgeber, Jules Janin, ihn nahe Freundschaft verband, und Mitarbeiter
anderer angesehenen Zeitungen und Zeitschriften. Aber diese Tätigkeit
lag auf ihm wie ein Joch, das er mit Grollen und Seufzen trug. Wie
manches Mal unterdrückte er andrängende schönen Pläne zu symphonischen
Werken. Er wusste, wenn er der Verfuhrung nachgab und einmal anfing,
gab es kein Aufhören: im Eifer des Schaffens hätte er alles vergessen . . .
er hatte aber keine Zeit. Ein Artikel musste geschrieben werden. Dann
ging er zähneknirschend in seinem Arbeitszimmer auf und ab; oft kostete
ihn ein einziger Artikel mehrere Tage. Man sieht diese mfihselige Arbeit
seinen geistvollen Aufsätzen kaum an, die Witz und Bosheit, Ironie und
sprühende Laune vereinen. Sie bezeugen seine hohe natürliche Begabung
auch auf diesem Gebiet. Berlioz' eigene Versicherung, er sei kein Schrift-
steller — tatsächlich ein Irrtum — ist nur insoweit aufrecht zu er-
halten, als dieser Mann allerdings einem grösseren Herrn zu dienen be-
rufen war. Und bedauernswert und armselig musste er sich vorkommen,
wenn es ihn trieb, ihm frei zu huldigen, dass er dem Kleineren zu
fronen gezwungen war. Dann fühlte er sich als Galeerensklave. Was
für zerreissende Schmerzen, für tiefen Ekel, für schaudernden Widerwillen,
für unterdrückten, ingrimmigsten Zorn diese Rezensierarbeit verursache,
sei nicht zu ermessen. »Wie viele verlorenen Kräfte I wie viele verschleuderte
ZeitI wie viele erstickten Gedanken I" Den Aufsatz, der diesen Schmerzens-
ruf enthält, „Klagen des Jeremias" betitelt, durchzieht gleich einem Refrain
folgende Periode:
„Elende Kritiker! f&r sie hat der Winter kein Feuer, der Sommer kein Eis.
Immer frieren, immer brennen. Immer hören, immer leiden. Immer den Eiertanz
aufffihren, zitternd eins zu zerbrechen, sei es mit dem Fuss des Lobes, sei es mit
dem des Tadels, wenn sie Lust hätten, mit beiden Füssen zugleich in diese Masse
von Truthahn- und Pfaueneiem zu treten, ohne grosse Gefahr für die Nachtigalleier,
so selten sind sie heutzutage Und nicht einmal ihre mfide Feder an den
Weiden des Flusses zu Babylon aufhängen und sich am Ufer niedersetzen zu können,
um nach Müsse zu weinen! "
Er war ein strenger Kritiker, der stets das höchste Mass anlegte,
dessen scharfen Blicken nicht leicht eine Schwäche entging, dessen ge-
schärfte Zunge nicht leicht einen Fehler ungeahndet Hess. Er war gerecht
in seinem Denken und Urteilen; es bereitete ihm Freude, einen würdigen
Gegner zu loben. So bewunderte er aufrichtig den «Barbier* Rossini's,
den er sonst, wie überhaupt die italienische Schule seiner Zeit, verurteilte.
^
337
PISSIN: BERLIOZ DER MENSCH
Seinem lebhaften Selbstbewnsstsein hielt eine unbarmherzig richtende
Selbstkritik die Vage. Die allermeisten seiner Jugendkompositionen ver-
brannte er entweder auf der Stelle oder bald danach. .Ein kurzer, kühler,
kritischer Blick genügte, mich zu belehren, dass auch diese Komposition
an dem Antodaffi teilnehmen durfte," berichtet er einmal sarkastisch über
solch ein Gericht.
Man darf nicht, und kennt man sie, so will man nicht mehr Berlioz'
Prosaschriften entbehren, denn in ihnen lebt ein Teil seiner feurigen Per-
sönlichkeit und wird, wenn auch auf andere Weise, durch sie nicht weniger
eindringlich als durch die Musik. Das Werk, aus dem sie am reinsten
hervortritt, das am machtvollsten den Eindruck gibt, dass ein Edler und
ein KImpfer mit uns spreche, sind die beiden Binde seiner Memoiren,
an denen er bessernd und langsam vorschrettend das letzte Drittel seines
Lebens geschrieben bat: 1848 im Londoner Exil begann, 1854 beendete
er sie vorläufig. Vier Jahre später entstand eine erste Nachrede, die
zweite trägt das Datum: 1. Januar 1865. Es stimmt wehmütig mit zu
erleben, wie diese reiche Natur vom Schicksal schliesslich zermürbt wird;
wie Einsamkeit und Immer erneute furchtbare neuralgischen Anfälle seine
Widerstandskraft lähmen.
aM> caniftre est flnie, Otbello's occupaiiODs gone. Je ne compose plus de
musiqne, )e ne dlrige plus de coDceris, je n'^cris plus nl vers ni prose, — j'ai ionni
ma dtmiBsion de ciitique; lous les trsvaux de musique que j'iviis entrepria sont
termlnfis; je ae veux plus rien hire, et je ne his rleo que lire, in£dlier, Inner ivec
trn mortel ennu), et soufTrir d'une Incurable ndvralgie qui me torture null et jour."
Mtreelin. 1803.
■eno man Betrachtungen überHector Berlioz als dramatischen
~ Komponisten anstellt, so müsste man eigentlich alle Verke des
rranzösfschen Tondichters dabei beninzieben, wenigstens alle
1 grösseren. Denn sie alle durchweht ein starker dramatischer
Zug. Ihr Schöpfer ist immer bestrebt, menschliche Gestalten, ihre Hand-
lungen und Stimmungen durch seine JHusik darzustellen, und zwar stets
bestimmte und möglichst scharf begrenzte Gestalten. Oft ist er selbst in
seinem Ringen und Leiden der Gegenstand seiner Vertonung. Dies ist
ganz besonders in seiner ersten grossen Symphonie, der .Symphonie fan-
tastique", der Fall. Aber auch seine nächste grosse Symphonie «Harotd
en Italic muss in einem gewissen Sinne eine dramatische genannt werden.
Die Bratsche stellt in ihr den durch Italiens Auen streifenden Künstler
dar, welcher die verschiedenen menschlichen wie Naturszenen nicht einfach
an sich als Beschauer vorüberziehen Usst, sondern welcher sich auch redend
hineinmischt. Berlioz lisst die Natur z. B. nicht nur zu sich sprechen»
wie Beethoven im zweiten Satz der Pastoralsymphonie, sondern er ant-
wortet ihr wieder und kritisiert sie sogar. Er geht nicht liebend in ihr
auf, sondern er empfindet sich als ausser ihr stehend, d. h. er betont
immer seine Individualitit und fasst die Welt ausdrücIcHch als seine Vor-
stellung auf. Vir werden sehen, dass diese charakteristische Eigenschaft
in Berlioz' eigentlichen dramatischen Werken, also in seinen Opern, nicht nur
auch zur Geltung kommt, sondern dass sie ihn unwillkürlich dazu führt, auf
die Darstellung des Reinmenscbtlchen als inneren Urgrundes der szenischen
Handlung zu verzichten und sich mit dieser allein zu bescheiden. Niher
dem wirklichen Bübnendrama aber stehen jedenfalls diejenigen Symphonieen
von Berlioz, deren Kompositionen durch Dramen angeregt wurden. Es
sind dies die .Dramatische Symphonie' (nach des Komponisten eigener
Benennung), .Romeo et Jnliette* und die .Damnation de Faust",
zwischen welchen beiden die .Symphonie funibre et triomphale"
ti^, die wir indessen unberücksicht lassen dürfen. Die ,Romeo'-Sym-
pbonie, welcher die Oper .Benvenuto Cellini* zeitlich voraufgeht, wurde
im Jabre 1830 vollendet und war durch Aufführungen des gleichnamigen
Dramia Shakespeares angeregt worden, vielleicht wohl auch mit durch
339
MEY: BERLIOZ ALS DRAMATIKER
Bellini's nach diesem geschaffene Oper, die Berlioz' höchstes Miss fallen
erweckte, so dass er wohl zeigen wollte, wie man Shakespeare vertonen
müsse, wenn man seinem Genie wahrhaft gerecht werden wollte. Zu
diesem Zwecke griff Berlioz aus dem Drama einige Szenen heraus, welche
ihm zur musikalischen Darstellung besonders geeignet erschienen und zum
grossen Teil auch wirklich wesentliche Bestandteile im Drama bildeten.
Nach dem kühnen Beispiele des von ihm höchst verehrten Beethoven
begnügt sich aber Berlioz diesmal nicht mit rein instrumentaler Dar-
stellung, sondern er verwendet auch menschliche Solo- wie Chorstimmen.
Von grösseren symphonischen Kompositionen Berlioz' haben wir noch
die »Damnation de Faust^ zu betrachten. Dass diese gewaltige, 1846 erst-
malig aufgeführte musikalische Schöpfung in höchstem Grade dramatisch ist,
beweist am besten die Tatsache, dass sie in allerneuster Zeit in mehreren
Städten zur szenischen Aufführung gekommen ist, und zwar mit ungeheurem
und erschütterndem Erfolge. Wir müssen deswegen bei ihr etwas länger
verweilen.
Vorausschicken wollen wir dabei, weil es wohl kaum allgemein bekannt
ist, dass Berlioz schon als Jüngling einige Stücke aus Goethes „Faust^ kom-
poniert hat, den er in der französischen Übersetzung de Nervals kennen ge-
lernt hatte und der ihn auf allen Wegen begleitete. Er sandte die Kompo-
sitionen (es waren der Osterchor, die Lieder Branders und Mephisto 's in Auer-
bachs Keller, der Soldatenchor, ein Sylphenchor, der König von Thule,
Gretchens Lied und die Serenade) sogar an Goethe; dieser hat ihm indessen
nie darauf geantwortet, vermutlich (wie Pohl meint), weil ihm Zelter Berlioz
als schlechten Komponisten hingestellt hatte. Einiges aus diesen Jugend-
kompositionen ist sogar in die grosse Faustsymphonie übergegangen . Auch
der junge Wagner hat ja fast zu derselben Zeit einzelne Nummern aus »Faust*
komponiert, schon bevor er seine gewaltige Faustouvertüre in ihrer ersten
(Pariser) Gestalt schuf. Es ist schade, dass diese Kompositionen bisher noch
nicht veröffentlicht worden sind; denn es wäre doch zweifellos interessant, sie
mit denen von Berlioz zu vergleichen. Goethe gehörte zu den drei von
Berlioz höchst verehrten Dichtem. Die beiden anderen waren Virgil und
Shakespeare. Auch aus »Faust* nahm Berlioz scheinbar beliebig, aber doch
gewiss nicht willkürlich, einzelne Szenen heraus, um ihnen musikalische Ge-
stalt und Farbe zu geben. Wir begleiten Faust auf seinen Fahrten, zuletzt
auch auf seiner Höllenfahrt. Denn bei Berlioz verfällt Faust dem Teufel; er
übergibt ihm zuletzt durch Vertrag seine Seele, damit Gretchen gerettet wird.
Von den vier Teilen des Werkes »spielt* der erste in Ungarn. Nun, das ist
nicht von Goethe; aber warum soll der zauberkundige Faust nicht auch das
Land des Schwarzkünstlers Klingsor aufsuchen? Indessen tut er's eigentlich
nur, weil Berlioz den Rakoczymarsch, also ungarische Nationalmusik ver-
22^
340
DIE MUSIK III. 5.
arbeitet hatte und möglichst wirkungsvoll anbringen wollte. Doch bildet der
Marsch keineswegs die Hauptsache, sondern nur eine der beiden Episoden
(Nahen von Bauern und dann von Soldaten) dieser Szene, die vielmehr Fatist
in der Einsamkeit darstellt. Der zweite Teil schildert Faust in seinem Studier-
zimmer, seinen Wissens- und Lebensüberdruss. Die Osterhymne wird natür-
lich g^ungen, wie denn auch Faust und die andern Personen immer singend
(nicht etwa nur im InstmmentalrezitativI) auftreten. Mephisto kommt
hinzu und verspricht ihm Freude und Lebensgenuss. Die Szene in Auer-
bachs Keller folgt, musikalisch bis ins Detail wunderbar und charakteristisch
geschildert. Dann kommt eine Szene am Eibufer, wo Faust von tanzenden
und singenden Sylphen umringt wird und wo der Sylphenchor von früher
(wie auch in der Kellerszene die Spottlieder) Verwendung findet. Im
Traume erblickt Faust hier Gretchen; und nach dem Erwachen muss ihn
Mephisto sofort zu ihr fuhren, wobei ihnen unterwegs prächtig singende
Soldaten und Studenten begegnen (kontrapunktierter Doppelchor). Im dritten
Teil des Werkes befinden wir uns in Gretchens Zimmer, wo Faust eine
sehnsuchtsvolle Arie singt, da die Bewohnerin abwesend ist. Bei ihrer
Rfickkehr gedenkt sie ihres zukünftigen Geliebten, den sie gleichfalls im
Traume erschaut hat, und singt darauf das erwähnte Lied vom König von
Thttle. Mephisto, der sich mit Faust in ihrem Zimmer versteckt hält,
sucht ihre Sinne durch einen Irrlichtertanz zu verwirren und singt zu
dem Chor der Irrlichter ein Ständchen. Dann folgt eine Liebeszene des
Paares, bis Mephisto zum Aufbruch mahnt. Im vierten Teil hören wir
zunächst das vom Geliebten verlassene Gretchen klagen; Bilder des ent-
fiohenen Glückes ziehen in ihrem Innern vorüber (was natürlich zu längeren
orchestralen Reminiszenzen Veranlassung gibt). Mephisto sucht den in
einsamer Natur grübelnden Faust auf und erzählt ihm von Gretchens Haft
und Verurteilung. Um den Preis von Fausts ewiger Seligkeit muss
Mephisto sie retten. Die Höllenfahrt ist ein schauriges Tongemälde von
ungeheurer Gewalt und Plastik, kühnster Phantasie und wildem Leben.
Jubelchöre der Höllenbewohner empfangen Faust. Dann verkündet ein
Epilog auf der Erde Fausts furchtbares Schicksal, worauf im Himmel
Engelchöre die Verklärung Gretchens besingen, wobei die Verwendung von
Kinderstimmen besonders tiefen Eindruck macht.
Wir haben uns bei dem poetischen Inhalt der »Damnation de
Faust* besonders lange aufgehalten, damit man sie mit Goethes drama-
tischem Gedicht vergleiche. Man wird nicht verkennen, dass auch bei
Berlioz die Dichtung einen logischen Zusammenhang aufweist, ohne dem
grossen Vorbild mit sklavischer Treue zu folgen. Ist doch aus dem ganzen
zweiten Teil Goethes nur Gretchens Verklärung entnommen, und auch diese
keineswegs in Einzelheiten. Alfred Ernst, der früh verstorbene französische
341
MEY: BERLIOZ ALS DRAMATIKER
S^
Musikschriftsteller, sagt^) mit grossem Recht, Berlioz sei nicht, wie z. B.
Schumann, durch die Grösse der Dichtung Goethes angezogen worden,
sondern mehr durch die darin herrschende Mannigfaltigkeit. Also wiederum
reizte ihn weniger das Reinmenschliche oder gar das Erlösungsproblem (wes-
halb er seinen Faust ohne künstlerische Gewissensbisse, ja selbst ohne Mit-
leid in die Hölle fahren lässt), als vielmehr das einzelne, bestimmte Individuum
im Lichte der verschiedenartigen Erscheinungen des Lebens. Allerdings ist
die Nebeneinanderstellung von Hölle und Himmel von grandioser Wirkung,
zumal in musikalischer Hinsicht: aber Berlioz ist als Musiker kein Philo-
soph, was wiederum gerade viele Musikgelehrte für einen grossen Vorzug
halten, die vielleicht sonst nicht unbedingte Verehrer seiner Muse sind.
In den bisher besprochenen musikalischen Schöpfungen hatte Berlioz,
vom «letzten" Beethoven ausgehend, sich ganz selbständig ein Orchester von
ausserordentlicher Ausdrucksfähigkeit geschaffen, ganz gewiss unabhängig von
dem Richard Wagners und wohl auch von dem Franz Liszts. Wir haben nun zu
untersuchen, wie Berlioz dieses Orchester (dessen Zusammenstellung er für
jedes seiner Werke bis auf die Anzahl jedes Instrumentes immer genau
zu bestimmen pflegte, und worin besonders die Harfen und die Pauken
eine ungewohnte Rolle spielen), wie er dieses Orchester in seinen Opern
verwertete, denen wir uns nunmehr zuwenden, besonders ob er es zu einem
ähnlichen szenischen Ausdrucksmittel wie Richard Wagner erhob. — Das
zwischen Oratorium und Oper stehende, in den Mitteln auffällig einfache
Werk «Die Kindheit Christi" übergehen wir dabei; ebenso einige
Jugendversuche auf dem Gebiete der Oper und die unvollendete Oper
«La nonne sanglante". Von dieser sei nur erwähnt, dass ihre Vollendung
nur wegen gemeiner Theaterkabalen und Intriguen unterblieb, unter denen
Berlioz zeitlebens ebenso zu leiden hatte wie Richard Wagner, sowie dass dieses
Werk schliesslich von Gounod komponiert wurde, wie einst der erste Entwu rf des
«Fliegenden Holländer" von Wagner durch den Pariser Kapellmeister Dietsch,
der übrigens auch Berlioz' Leben als rechter Durchschnittsmensch durchkreuzt
hat. Andre in Paris lebende namhafte Komponisten, darunter sogar Meyer-
beer, hatten wegen Berlioz' Verunglimpfung die Komposition der «Nonne sang-
lante" aus Taktgefühl abgelehnt. Es bleiben dieOpem «Benvenuto Cellini",
«Beatrice und Benedikt" und die zwei Abende füllenden »Trojaner".
^) In seinem Buche: «L'oeuvre dramatique de H. Berlioz.* Dieses im Jahre lä84
bei Calman L^vy in Paris erschienene Buch von massigem Umfange ist noch heute
sehr aktuell, so dass eine deutsche Ausgabe zu empfehlen ist, zumal es der Berlioz-
Biographie von Luise Pohl keine Konkurrenz macht, jene vielmehr in ausgezeichneter
Weise ergänzt Der Verfasser des vorliegenden Aufeatzes besitzt durch den ver-
storbenen Alfred Ernst das alleinige Obersetzungsrecht ins Deutsche und wäre
bereit, von diesem Rechte Gebrauch zu machen, wenn sich ein Verlagshaus fQr das
Werk interessieren wurde.
342
DIE MUSIK III. 5.
Man könnte meinen, Berlioz sei zur Komposition der Oper »Ben-
venuto Cellini'', welche 1838 vollendet wurde, durch Goethe angeregt
worden, doch scheint dies nicht der Fall zu sein. Das Neue, die gewaltige
Schöpferkraft des berühmten Goldschmieds und Giessers zog ihn an. Das
Libretto ist von L6on de Wailly und Auguste Barbier, deren ungeschickte
Manier und schlechte Verse (Dramenfabrik der Scribeschen Schule) Berlioz
scharf tadelt. Der Inhalt ist kurz folgender:
Cellini liebt Teresa, Tochter des päpstlichen Schatzmeisters Balducci und Vei^
lobte des Bildhauers Fieramosca. Balducci ist gegen Teresas Liebe zu Cellini, der
als Abenteurer bekannt ist Cellini benutzt die Verwirrung und Maskerade des
römischen Karnevals, um die Geliebte zu entfuhren, in Begleitung seines Schülers
und Freundes Ascanio, wobei Cellini Pompeo, den Begleiter Fieramoscas, niedersticht
Zwar gelingt die Flucht und die Vereinigung der Liebenden; aber Balducci und Fiera-
mosca eilen ihnen nach und erreichen sie in Cellinis Atelier. Der Kardinal, welcher
bei Cellini eine Perseusstatue bestellt hat, kommt hinzu und sieht mit Zorn, dass der
Künstler mit seinen Liebeständeleien die Arbeit vernachlässigt hat In der Bedrängnis
will Cellini trotzig sein Modell mit dem Hammer zerschlagen. Der erschreckte
Kardinal verspricht ihm Gnade und den Besitz der Geliebten, wenn er sofort die
Statue vollende; andernfalls werde er sofort gehenkt werden. Beim Guss zeigt sich,
dass zu wenig Metall vorhanden ist In höchster Not kommt Cellini der rettende
Gedanke, seine sämtlichen bisherigen Kunstwerke ins Feuer zu werfen, um Metall
für die Statue zu gewinnen. So gelingt der Guss, und das Drama nimmt einen glück-
lichen Ausgang.
Man sieht: ein sehr wohl brauchbarer Stoff für ein Drama, zumal
für eine Oper, wenn ihn nur die Librettisten verständnisvoller behandelt
hätten. Berlioz Hess sich denn auch die Gelegenheit nicht entgehen, im
Karneval und in der Gussszene musikalische Meistergemälde zu schaffen;
und auch sonst gelangen ihm manche Nummern, während andere von
Ernst (a. a. O.) getadelt werden. Dieser nennt das Werk im ganzen
minderwertig im Vergleich mit den andern grösseren Werken seines
Schöpfers. Liszt, der allerdings mehr auf die Musik als auf das Drama
sah, war aber begeistert davon und führte es in Weimar später häufig auf,
von wo es auch auf andre Bühnen Deutschlands kam, ohne sich indessen
dauernd zu halten. Bei der Uraufführung in Paris, an der Grossen Oper,
1838, war es vollständig durchgefallen und wurde nach drei Vorstellungen
für immer abgesetzt. Auch hier waren niedrigste Intriguen massgebend.
Ut den Proben hatten Orchestermitglieder in der Kamevalsszene statt ihrer
Stimme frech einen Gassenhauer gespielt, um den Berlioz feindlichen
Dirigenten zu erfreuen (III); auf der Bühne hatten sich Tänzer und Tänze-
rinnen gegenseitig gekniffen und während des schwierigen und lauten
Ensembles gelärmt und geschrieen. Der Opemdirektor, bei dem sich
Berlioz beschweren wollte, war aber nicht für ihn zu sprechen! — Neue
Formen hat Berlioz in dieser Oper nicht geschaffen; wohl gibt es eine
343
MEY: BERLIOZ ALS DRAMATIKER
Art Cellinimotiv und andere musikdramatischen Reminiszenzen darin: im
übrigen ist das Werk eine Oper alten, fast italienischen Stils. Nur die
Deklamation ist bei Berlioz besser und sinngemässer behandelt. Ausser
den gerühmten Szenen ist die Ouvertüre (G-dur) das beste; sie ist von
prächtiger Klarheit und Farbenfülle. Nicht musikalisch, wohl aber inhalt-
lich erinnert die Oper mehrfach an die «Meistersinger''. Fieramosca ist ein
boshafter und alberner Tropf wie Beckmesser, wie dieser der verschmähte
Liebhaber und gehässige Nebenbuhler. In beiden Werken wollen die
Liebenden einen nächtlichen Strassentumult zur Flucht benutzen — nur,
dass dies bei Berlioz gelingt, bei Wagner nicht. Es gibt noch mehr
verwandte Züge, die aber aufzuzählen kein Raum vorhanden ist. In Cellini
ist der von Neidern und Mittelmässigen umgebene grosse und seiner Ge-
nialität sich stolz bewusste Berlioz wohl mit Absicht verkörpert; in
Walter, aber auch in Sachs, erkennt man Wagner wieder, den Schöpfer
einer neuen, vom Unverstand bekämpften und gehinderten Kunst. Doch
soll man mit solchen Behauptungen vorsichtig sein : das echte Kunstwerk ist
kein Tendenzwerk, sondern ein Abbild des Lebens, und zwar ein typisches;
nur weil man aus dem Leben Sentenzen (eben Lebenswahrheiten!) heraus-
lesen kann, kann man es auch aus dem Kunstwerke, welches das Leben
darstellt. Aber man soll keine Tendenz von vornherein hineinlegen!
Mit «Beatrice und Benedi kt** können wir uns kürzer fassen.
Es ist gleichfalls eine komische Oper, die Berlioz auf Bestellung des Kur-
direktors Benazet von Baden-Baden schuf und 1862 zur Eröffnung des
neuen Kurtheaters mit ausserordentlichem Erfolge leitete. Das Werk,
welches Ernst in seinem angeführten Buche merkwürdigerweise nur kurz
erwähnt, aber nicht behandelt, ist später von Felix Mottl, dem eifrigsten
Förderer der Kunst Berlioz', auch in Karlsruhe mehrfach aufgeführt
worden. Es ist aus Shakespeares »Viel Lärm um nichts*" entnommen, be-
handelt indessen nur die durchaus komische Episode, welche dort neben
der für eine Komödie viel zu ernsten Haupthandlung herläuft, nämlich die
Liebesgeschichte des Paares Beatrice und Benedikt, zweier lustigen Leut-
chen, die erstens prinzipiell nicht, zweitens speziell nicht sich gegenseitig
heiraten wollen, sich aber schliesslich doch, zur grössten «Schadenfreude^
der andern „kriegen^. Berlioz hat sich hier seinen Text selbst gedichtet,
und zwar mit gutem Geschick. Die Oper besteht wieder aus einzelnen
Nummern, welche Mottl später durch Rezitative zum Vorteil des Werkes
und stilgemäss verbunden hat. Pohl findet die Ouvertüre schwach und
nennt ihre Motive zu unbedeutend, mit Ausnahme der rhythmisch prächtigen
Einleitung. Im übrigen ist die Musik vorzüglich, charakteristisch und stark
komisch, wo der Text es rechtfertigt. Von besonderer Schönheit ist ein
Duett (Notturno in cis-moll und E-dur); auch andere Nummern haben stets
344
DIE MUSIK III. 5.
Beifall gefunden; hervorragend auch in musikalischer Beziehung ist der
witzige und schlagfertige Dialog zwischen Benedikt und Beatrice, in welchem
sich Beriioz möglichst genau an sein dichterisches Vorbild anl ehnt. Alles
in allem kann man sagen: ^ Beatrice und Benedikt* ist eine Gelegenheits-
Oper, aber die eines grossen Meisters, mit welcher jede gute Buhne noch
heute vollen Erfolg erzielen wird.
Es bleiben uns nunmehr noch die »Trojaner** übrig, Beriioz' theatra-
lisches Meisterwerk, das er nachträglich seiner grossen Länge wegen in zwei
Teile gespalten hat, in welcher Form es 1890 in Karlsruhe seine fiberhaupt
erste Gesamtauffuhrung, unter Felix Mottl, erlebte, dessen kühnem Beispiel
bisher nur ganz wenige Bühnen zu folgen den Mut und das Verständnis hatten.
Der erste Teil behandelt und heisst »Die Einnahme von Tro ja*, der zweite
»Die Trojaner in Karthago*. Die Dichtung (denn eine solche und kein
gewöhnliches Libretto ist das Buchl) ist von Beriioz selbst, aber nicht nach
Homer, sondern nach Virgil bearbeitet. Bei der geringen Verbreitung des
Meisterwerkes dürfte sich eine Skizzierung des Inhaltes empfehlen.
Der erste Abend besteht aas drei Akten. Im ersten Aufzug kommen die Trojaner
in das von den listigen Feinden verlassene griechische Lager und staunen das kolossale
hölzerne Pferd an, das jene zurückgelassen haben. Die Seherin Kassandra, im Traum
von Hektors Geist gewarnt, ermahnt die Obermütigen und Sorglosen vergebens und
weissagt mit Prophetenstimme Troja's nahen Untergang. Fruchtlos versucht ihr Ver-
lobter Choröbus sie zu trösten: Kassandra verkündet ihm und sich den Tod für den
kommenden Tag. Im zweiten Akt feiern die leichtfertigen Trojaner bereits unter
Spiel und Tanz ein Friedensfest. Äneas eilt herbei und erzählt, dass zwei grosse
Schlangen sich vom Meere aus auf den Priester Laokoon gestürzt und diesen ver-
schlangen hätten, weil dieser gewagt habe, mit seinem Schwert an den Bauch des
Pferdes zu klopfen. Um die erzürnte Göttin Pallas zu versöhnen, beschliesst man,
eine Bresche in die Stadtmauer zu legen und das hölzerne Pferd unter feierlichem
Jubel nach Troja hineinzuziehen. Trotz Kassandra's Verzweiflung geschieht dies, und
selbst Waffengeklirr im Innern des Kolosses vermag die rasenden Trojaner nicht zur
Vorsicht zu veranlassen. Im dritten Akt sind die Griechen bereits nachts in die Stadt
eingedrungen, Mord und Brand verbreitend. Der schlafende Äneas wird von Hektors
Geist zur Flucht ermahnt; denn schon brennt der Königspalast Die Szene verwandelt
sich und stellt die trojanischen Frauen vor Cybeles Tempel dar. Kassandra kommt
zu ihnen: Äneas hat den Staatsschatz gerettet und wird die überlebenden Trojaner
nach Italien führen; aber Choröbus ist gefallen. Kassandra ermahnt die Frauen, trotz
der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage keine Sklaverei zu dulden, sondern sich im Augen-
blicke höchster Gefahr selbst zu töten. Mit Ausnahme einiger Feigen stimmen alle
Frauen dem heroischen Entschluss bei. Schon ersteigen die Griechen die Tempel-
umwallung. Kassandra ersticht sich zuerst, nachdem sie den Feinden verkündet hat,
dass die Nachkommen der Trojaner in Italien einst mächtiger sein würden als die
Griechen. Die Frauen folgen Kassandra's Beispiel und stürzen sich mit dem Rufe
„Italia" in den Abgrund hinab.
Diese wahrhaft tragische Schlussszene ist Beriioz' freie Erfindung,
während er sonst getreulich seinem geliebten Vorbilde Virgil gefolgt ist.
345
MEY: BERLIOZ ALS DRAMATIKER
Der zweite Abend besteht aus fünf Akten. Der erste Akt spielt bereits in
Karthago. Vorher ertönt ein grossartiges Instnimental-L4iniento, und ein Rhapsode
singt bei verschlossener Szene von der trojanischen Katastrophe. Dann sieht man
Dido's Palast, wo ein Friedensfest die Königin mit ihren Untertanen vereint. Mit ihrer
Schwester Anna allein, gesteht Dido, dass sie sich doch nicht glucklich fühle; sie
schwört zwar, Witwe bleiben zu wollen, verschweigt sich selbst aber ihr erneutes
Liebesbedurfais nicht. Der Hofdichter Jopas meldet, dass Abgesandte einer fremden,
vom Sturme nach Karthago verschlagenen Flotte vorgelassen zu werden wünschen.
Unbestimmte Ahnungen erfassen Dido; doch lässt sie die Fremden vor: den Priester
Pantheus, Äneas' Sohn Askanius und Äneas selbst, als Matrose verkleidet Der
junge Askanius bittet um Asyl und bringt als Geschenke Helena's Schleier und Hekuba's
Krone. Die Fremden werden gastlich aufgenommen. Dido's Minister Narbal meldet
das Nahen eines feindlichen numidischen Heeres. Äneas gibt sich zu erkennen und
bietet seine Hilfe an, bricht auch sofort zum Kampfe auf. Der zweite Akt enthält
die berühmt gewordene Jagdsymphonie. Dido und Äneas werden auf der Jagd vom
Gewitter überrascht und flüchten in eine Grotte, wo sie sich in Liebe zu einander
finden. Geheimnissvolle Stimmen rufen: «Italia!*, um Äneas an seine Pflicht zu er-
innern. Sonst stockt die Handlung, die im ganzen zweiten Teil überhaupt nur lang-
sam vorschreitet: die Szene ist einzig von Naturfrieden und Menschenglück erfüllt.
Der dritte Aufzug bringt abermals ein antikes Fest, diesmal eine Siegesfeier, bei welcher
Jopas die Segnungen der Ceres und des Friedens besingt. Auch diesmal bleiben Anna
und Dido schliesslich allein zurück und vereinigen sich zu einem herrlichen Duett.
Nachdem sie auch die Bühne verlassen haben, kommt Merkur, berührt die an einer
Säule hängenden Waffen des Äneas und ruft: »Italia'*! Der vierte Akt führt den
Hafen mit den Schiffen und Zelten der Trojaner vor. Sehnsüchtig singt ein Matrose
im Mastkorb von der Heimat. Unbekannte Stimmen erschrecken die Trojaner durch
abermalige Rufe: .Italia'*! Sie fordern Äneas zur jähen Abreise auf. Äneas allein
beklagt sein Geschick, der Liebe zu Dido entsagen und die Anker nach Italien lichten
zu müssen. Ein edler Heldentod sei ihm zwar beschieden, doch fürchte er den Ab-
schied von Dido. Die Schatten des Priamus, Choröbus' und Hektors erscheinen und
ermahnen ihn, seine Schwäche zu überwinden; Kassandra's Schatten gesellt sich hinzu:
Äneas soll abfahren, siegen und gründen. Vor seinem Geiste steigt Roms künftige
Grösse auf und begeistert ihn zum Entschlüsse sofortiger Abfahrt nach der Götter
BefehL Heimlich, ohne Abschied will er Dido verlassen. Er ruft: »Italiaf* und die
Trojaner, die sich zur schnellen Abreise rüsten, antworten ihm mit dem gleichen Rufe.
Da kommt — es ist Morgengrauen — Dido hinzu und überschaut sofort die Vor-
bereitungen der Trojaner. Vergebens fleht sie und schilt den Geliebten; die Italia-
Rufe übertönen ihre Rufe, und beim ersten Schein der Morgenröte sind die Trojaner
bereit, die Taue zu kappen. Auch Dido's Geständnis, dass sie ein Liebespfand von
Äneas berge, vermag diesen nicht mehr umzustimmen. Er versichert ihr seine un-
vergängliche Liebe, doch sei die Trennung göttlicher Befehl. Im fünften Akt klagt
Dido auf ihrem Lager im Palaste vor Anna und Narbal ihr Los; Verzweiflung wechselt
noch immer mit Hoffnung: Äneas könne noch nicht fort sein, Narbal solle ihn um
einige Tage weiteren Verweilens anflehen, Liebe müsse selbst Jupiters Willen trotzen.
Anna macht sich Vorwürfe, den Liebesbund zwischen Dido und Äneas begünstigt zu
hat>en. Da meldet Jopas die bereits erfolgte Abfahrt der Trojaner. Dido ruft die
Tyrier zu den Waffen und zur Verfolgung der Entflohenen auf, widerruft aber diesen
Befehl sofort wieder. In einem Auftritt von echt antiker Grösse beklagt sie ihr un-
glückseliges Los und verflucht die Trojaner, die das Meer zerschellen und deren Schiffe
346
DIE MUSIK III. 5.
das Feaer zerstören möge. Grissliches Unheil wünscht sie Äneas und bittet die
Götter, sie einen furchtbaren Hsss gegen den Geliebten zu lehren. Sie will Pluto ein
Opfer weihen; man solle einen Holzstoss errichten, auf dem sie des Geliebten Ge-
schenke verbrennen wolle. Dann sagt sie Lebewohl dem Lande, der Stadt, ihrem
Volke, ihrer Liebe. — Die Szene wechselt In Dido's Garten am Meer ist der Scheiter-
haufen auflgeschichtet, wie Dido es beföhlen. Pluto^s Priester Terrichten in dfisterer
Grösse die Trauerzeremonieen. Anna und Narbal bitten um einen niedrigen Tod für
Aneas; wilde Tiere sollen seinen unbestatteten Leib verzehren. Dido erhebt sich am
Scheiterhaufen. Prophetisch verkündet sie ihrem Volke zukünftige Heldengrösse; in
Hannibal werde aus ihm ein Rächer an den treulosen Trojanern erstehen. Sie aber
wolle stolz in die Unterwelt hinabsteigen, worauf sie sich mit Äneas* Schwert ersticht
Schreckvoll schreit die Menge auf; Anna stürzt sich auf die Sterbende. Diese erhebt
sich in visionärem Zustande und weissagt Karthago's einstigen Untergang durch Feindes-
wüten. Rom aber werde unsterblich sein und ewig herrschen. Dido stirbt. Am Himmel
erglüht das Kapitel, und die Siegeshymne der ewigen Stadt erklingt und fibertönt den
furchtbaren Rache- und Hassesschwur des tyrischen Volkes in siegenden Klängen.
In der Musik zu den »Trojanern* wendet Berlioz seine giuize
und höchste Meisterschaft an. Dennoch bleibt er zu sehr Musiker, um
mit den herkömmlichen Opemfonnen und Einzelnummern zu brechen.
Daher scheint manchmal die alte Opemmanier stark durch, zum Schaden
der dramatischen Situation, welcher er auch sonst meist nur äusserlich —
im theatralischen Effekte — gerecht wird. Es gibt allerdings auch echt
dramatische Stellen, ja Szenen in dem Riesenwerke; besonders die Rollen
der Kassandra und Dido sind dadurch ausgezeichnet. Wie die »Trojaner
in Karthago* durch die »Einnahme von Troja* infolge der in letzterer
vorherrschenden, knappen Dramatik und rüstig vorwärtsdrängenden Hand-
lung ziemlich weit überragt werden, so ist auch Kassandra's Gestalt be-
deutender als Dido's. Wohl zeigt auch Dido erschütternde und wahrhaft
antike Grösse; wohl singt sie in Rezitativen von Gluckscher Erhabenheit:
aber Kassandra reicht an die allerersten tragischen Gestalten heran; in
ihr scheinen sich Shakespeares und Sophokles' Schöpferkraft zu ver-
einigen, und ihre Gesänge ertönen mit Wagnerischer Wucht. Berlioz
scheint die Notwendigkeit einer einheitlichen Musik für das musikalische
Drama ziemlich deutlich geahnt zu haben; zwar findet sich bei ihm
kein Motivgewebe wie bei Richard Wagner, wohl aber einige Motive. So
zieht sich ein trojanischer Triumphmarsch durch beide Teile des Werkes.
Er erklingt, als die betörten Trojaner das hölzerne Pferd festlich in die
Stadt geleiten ; wir hören ihn im Lamento um Troja's Fall am Beginn des
zweiten Teiles in gedämpften und getrübten Klängen; er begleitet die
Ankunft und Vorstellung der Trojaner in Karthago; er kehrt ganz oder in
einzelnen Teilen wieder und erstrahlt endlich zu der Schlussapotheose als
römischer Trinmphgesang. Von einzelnen Nummern wären zahlreiche
ihrer musikalischen Schönheiten und Feinheiten halber besonders hervor-
347
MEY: BERLIOZ ALS DRAMATIKER
zuheben, während bisweilen allerdings auch Berlioz' musikalische Kraft
und dichterische Begeisterung zu erlahmen scheinen. Ganz besonders
schön sind das Duett zwischen Dido und Anna, femer Kassandra's und
Dido's, zum Teil auch Äneas' Einzelgesänge (teils Rezitative, teils Arien),
das Lied des Matrosen Hylas, sowie vor allem die Jagdsymphonie und die
darauf folgende Liebesszene zwischen Dido und Aneas.
Mit den »Trojanern* hatte Berlioz ähnliche Nöte wie Richard Wagner mit
dem »Ring des Nibelungen". Aber während der deutsche Meister sich nicht
mit einer mangelhaften Aufführung von Bruchteilen seines Werkes («Rhein-
gold* und »Walküre* in München, 1869) begnügte, sondern siegreich in Bay-
reuth durchdrang, verzagte und versagte Berlioz und musste sich mit der
unvollkommen einstudierten und jämmerlich zerstrichenen Aufführung der
»Trojaner in Karthago* im Th6ätre Lyrique zu Paris zeitlebens begnügen;
er hörte nie die »Einnahme von Troja*, so dass sich seine Befürchtung
erfüllte: »Oh ma noble Cassandre, mon h6roique vierge, je ne t'entendrai
Jamals*.
Der Umstand, dass Berlioz die »Trojaner* für sein hervorragendstes
Werk hielt, der »Ring des Nibelungen* andrerseits aber doch Richard
Wagners hauptsächliches Meisterwerk ist, um das sich die andern gleich-
sam gruppieren, drängt zu allerhand Vergleichen, die zum Schluss hier
noch kurz berührt werden sollen. Virgil hat in seinem Epos mehr die
Römer verherrlichen wollen als ihre sagenhaften Urahnen, die Trojaner.
Berlioz tat dies vielleicht in noch höherem Grade; wenn er sich in seinen
Schriften nicht darüber ausspricht, so redet er doch in der »Trojaner*-
Dichtung um so deutlicher davon. Er feiert darin nicht nur das antike und
kaum das katholische Rom, wohl aber das romanische Rom (sit venia verbot),
die Stammutter aller romanischen Völker, als deren grösstes natürlich die
Franzosen angesehen werden sollen. Berlioz' »Trojaner* sind also auch
ihrer innerlichen Entstehung nach ein französisch-nationales Kunstwerk. Die
französischen Ideale sind Tamour und la gloire; und Liebe und Ruhm sind
denn auch das Höchste in den »Trojanern*. Dadurch, dass die Liebe dem
Ruhm geopfert wird, entscheiden sich hier Völkerschicksale: die Lösung des
Konfliktes der Handlung ist somit eine nationale. Auch Wagners Kunst-
werk entspringt aus den tiefsten und kräftigsten Wurzeln der deutschen
Nation. Jedoch strebt der deutsche Künstler über sein Volk hinaus und
wird übernational. Dido stirbt freiwillig vor dem Scheiterhaufen und ver-
kündet die zukünftige Grösse und ewige Macht Roms; Brünnhilde stürzt
sich in die Flammen des Holzstosses und erlöst durch ihren Tod Götter und
Welt vom Fluche der Lieblosigkeit. Berlioz bleibt der nationale Künstler;
Wagner umfasst mit seiner Kunst zugleich die höchste Philosophie ; sein Werk
wird weltbedeutend, übernational.
Die Liebe und die Mnaik tind
die beiden Flfigel der Seele.
f|ie Memoiren tod Berlioz geben jnns kein ganz vollstXndiges
[ Bild von dem Leben des Künstlers. Auch sind es nicht im
I eigentlichen Sinne Memoiren, sondern nur eine Zusammeo-
l Stellung und Er^zung der bereits veröffentlichten auto-
biographischen Fragmente aus früheren Schriften und Artikeln. Wenn
man die Süsseren Umstände in betracbt zieht und die geistige Verfassung,
in der Berlioz sich befand, als er seine Memoiren schrieb, so begreift man,
dass sie nicht immer so genau sein können, wie man es wünschen möchte.
Er verfasste diese Autobiographie in einem kritischen Augenblick ;
sein Lebensglück war zerstört, ernste pekuntlre und künstlerische Sorgen
bedrückten ihn. Auch sah er die Ereignisse seines Lebens aus einer Rückerlnne-
ning von zwanzig, dreissig und vierzig Jahren. Überdies, und das ist das
wesentliche, sagt er selbst in dem Vorwort zu seinen Memoiren, dass er
keine Beichte ablegen, sondern nur sagen werde, was ihm beliebe. Er
erklärt, dass ihm daran liege, unsem Beihll zu erringen, und dass er daher
alle kompromittierenden Geständnisse vermeiden werde. Das bat er
allerdings getan. Seine Memoiren sind ein glänzendes Plaidoyer, aber
nicht die getreue Wiedergabe seines Lebens. Aucb aus der .Correspon-
dance intdile* tritt uns sein Bild nicht klar entgegen, selbst die .Lettres
intimes' enthatten manche Lücken. Sie geben uns wohl eine Obersicht
seiner künstlerischen Karriere; sein Streben und Ringen, seine Erfolge und
Enttäuschungen sind getreulich aufgezeichnet, der Künstler gibt sich hier
frei und ganz, aber nicht der Mensch, mit Ausnahme der ersten Briefe an
Humbert Ferrand. In diesen vertraulichen Mitteilungen, die in die Epoche
seiner grossen Leidenschaft hllen, endiüllt Berlioz dem glelchgesinnten
Freunde seine Seele schrankenlos.
Die Frauen nehmen eine zu bedeutende Rolle in Berlioz' Leben ein, als
') Nach Legnuyi, Hippeau und Berlioz' Scbriflen.
349
SAVIC: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
dass man dies Thema mit ein paar Worten flüchtig berühren könnte. Zum
Schluss seiner Memoiren sagt er: „Die Liebe und die Musik sind die
beiden Flügel der Seele. "^ Die Liebe und die Musik erschütterten schon
die Seele des Knaben. Er erzählt uns, wie bei seiner Erstkommunion eine
Hymne ihn so tief ergriff, dass er den mystischen, leidenschaftlichen Auf-
ruhr in seiner Seele kaum zu verbergen vermochte.
9E8 schien mir,** so sagt er, ,»als öffne sich der Himmel, ein Himmel der Liebe
und der keuschen Wonnen, ein Himmel, der tausendmal schöner und reiner war als
der, von dem man mir erzählt hatte . . .''
Mit zwölf Jahren sieht er zum erstenmal die schöne Estelle Gautier,
yla Stella Montis*, die spätere Freundin seiner alten Tage. Von dieser
ersten Begegnung sagt Berlioz in seinen Memoiren:
«... als ich sie sah, durchfuhr mich ein elektrischer Schlag. Mich fasste ein
Schwindel, den ich nicht überwinden konnte. Ich hoffte nichts ... ich war wie von
Sinnen ... ich fühlte einen tiefen Schmerz im Herzen. Ganze Nächte verbrachte ich
in Verzweiflung, und wihrend des Tages verbarg ich mich in den Maisfeldem oder
verkroch mich still mit meinem Leid wie ein verwundeter Vogel in die Schlupfwinkel
von meines Grossvaters Garten. Die Eifersucht, die bleiche Geßlhrtin der reinsten
Liebe quälte mich bei dem geringsten Wort, das ein Mann an mein Idol richtete • . ,*
Diese ausserordentliche Empfindsamkeit, die er schon als Kind hatte,
verlor Berlioz nie. In allen Abschnitten, in allen Lagen seines Lebens
treiben ihn die seelischen Erregungen zum Paroxysmus. In seiner Leiden-
schaft verfällt er beständig von einem Extrem ins andere. Er kennt keine
Mässigung, keine Kaltblütigkeit oder Zurückhaltung, er ist stets ungestüm
in seinen Gefühlen. Seine Liebe verwandelt sich in Hass, seine Be-
geisterung in Wut, seine Freude ist zügellos, seine Verzweiflung furchtbar,
und sie folgen einander oft unmittelbar. Die entsetzlichste Nieder-
geschlagenheit übermannt ihn plötzlich inmitten der überströmendsten
Begeisterung. Nie leiten ihn Vernunft und Überlegung, er lässt sich stets
von seinem zügellosen Temperament, von seiner phantastischen Natur hin-
reissen. Ohne Kenntnis von Welt und Wirklichkeit stürzt er sich als
23 jähriger Jüngling in den Roman seines Lebens. Und doch sind die Entstehung
und Entwicklung dieser grossen phantastischen Liebe und die Jahre seines
ehelichen Glückes die schönste Periode in dem Leben des Künstlers.
Das Ereignis, das eine so ungeheure Umwälzung in seinem Herzen und
später auch in seiner ganzen Existenz hervorbrachte, fällt in das Jahr 1827.
„Ein englisches Theater führte in Paris die Dramen von Shakespeare auf, die
dem französischen Publikum dazumal völlig unbekannt waren," schreibt Berlioz in
seinen Memoiren. „Ich wohnte der ersten Hamlet-Vorstellung im Od6on bei. In der Rolle
derOpheliasah ich Henriette Smithson, die funfjahredaraufmeine Frau wurde. Die
Wirkung, die ihr wunderbares Talent oder vielmehr ihr dramatisches Genie auf meine
Phantasie und mein Herz ausübten, kann ich nur der Erschütterung vergleichen, die
mich der Dichter, dessen würdige Darstellerin sie war, empfinden Hess. Mehr vermag
ich nicht zu sagen.^
350
DIE MUSIK OL 5u
Die EindnckCy die Berlioz bei dieser Hamlet-Vofst^img empBag,
sind nur ein Prolog zn seiner verzweifelten Liebe. Sdbon nm niclislca
Tsg kauft er sich für die Aufführung von «Romeo und Julie* ein BilleC»
aus Furcht, dass der Direktor über seinen Freiplatz anders ▼erfügen könnte.
Im dritten Akt ^leidet er, als ob eine eiserne Hand sein Herz unddanunert
hielte. Ich bin verloren* ruft er in Verzwriflung.
Dieser Abend entsdieidet über sein guizes Leben. Der S^laf flieht
ihn fortan, er hat nicht mehr die frühere Geistesfrische, seine Lieblings-
studien machen ihm keine Freude mehr, er ist unfihig zur Arbeit. Ziellos
irrt er in den Strassen von Paris umher, ganze Tage lang streift er durch
die Felder. Ermattet von den seelischen Erregungen und von körperlidien
Anstrengungen schüft er eines Abends auf einer ^ese ein, ein anderes
Mal auf freiem Felde zwischen den Garben, dann im Schnee am Seineufer
und schliesslich sogar an einem Tisch im Caf6 Cardinal, wo die er-
schrockenen Kellner ihn für tot halten und nicht wagen, an ihn heran-
zugehen. Mehrere Monate vergehen in einem verzweifelten, geisttötenden
Zustand, er «denkt nur noch an Shakespeare und an die schöne, geistreidie
Schauspielerin, the fair Ophelia, über die ganz Paris ausser sich vor Ent-
zücken ist*. In tiefster Niedergeschlagenheit vergleicht er seine obskure
Existenz mit der ruhmvollen Laufbahn der gefeierten Künstlerin, dann
aber rafft er sich auf, entschlossen, alles zu wagen, sein ,Name^, den
sie nicht kennt, „soll bis zu ihr ,erstrahlenS^ er wird versuchen, was
bisher noch kein Komponist in Frankreich gewagt hat Im Konser-
vatorium soll ein Konzert stattfinden, das einzig aus seinen Kompositionen
zusammengestellt sein wird. „Ich will ihr zeigen, dass auch ich ein
Maler bin!''
Das Konzert fand auch wirklich nach grossen Schwierigkeiten statt;
es war für den jungen Künstler entschieden von grossem Nutzen, aber den
Hauptzweck erfüllte es nicht. Berlioz erfuhr später, dass Miss Smithson
weder von ihm, noch von seinem Konzert und Erfolg etwas gehört hatte.
Obendrein wollte es das Unglück, dass Berlioz bei dem Wettbewerb im
Institut nur den zweiten Preis errang und nicht den ersten noch die damit
verbundene Pension, wie er erhofft hatte. Er verfillt in einen Zustand
gänzlicher Untätigkeit. Die Liebe martert sein Herz, er wird träumerisch
bis zum Stumpfsinn, menschenscheu, vernachlässigt sein Äusseres, ist reizbar
und unausstehlich. Dann setzt er sich in den Kopf, seinen Namen neben
dem der Tragödin prangen zu sehen. Von dem Direktor der Op6ra-
Comique, in dessen Theater zwei Akte von Hamlet aufgeführt werden,
mit Miss Smithson als Ophelia, erreicht Berlioz die Erlaubnis, eine Ouver-
türe seiner Komposition spielen zu lassen. Er war nicht mehr ein gänz-
lich Unbekannter für die Schauspielerin, er hatte ihr geschrieben:
351
SAVIC: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
»Wenn Sie nicht meinen Tod wollen, so lassen Sie mich aus Mitleid wissen
(icn wage nicht zu sagen aus Liebe), wann ich Sie sehen darf.
Auf den Knieen flehe ich schluchzend um Gnade!!
O, ich Unglückseliger, ich glaubte nicht all dies Leid verdient zu haben, aber
ich segne die Schläge, die von Ihrer Hand kommen.
Ich erwarte Ihre Antwort wie das Urteil meines Richters.*)
H. Berlioz."
Aber seine Briefe blieben unbeantwortet. Sie hatten die Schau-
spielerin eher beunruhigt als gerührt, so dass sie ihrer Kammerfrau verbot,
weitere Briefe anzunehmen.
Von der Ouvertüre und ihrem Autor erfuhr Miss Smithson nichts.
Sie reiste tags darauf nach Holland ab. Berlioz wohnte in der Rue
Richelieu und, wie er sagt, aus reinem Zufall gerade der Wohnung der
Schauspielerin gegenüber. Bis um drei Uhr nachmittags lag er nach der
Vorstellung des vorhergehenden Abends „gebrochen und sterbend' auf
seinem Lager. Er steht auf, nähert sich mechanisch dem Fenster und ein
«feiges, grausames Schicksal** fügt es, dass Miss Smithson gerade in diesem
Augenblick in den Wagen steigt, um nach Amsterdam abzureisen.
„Der Schmerz, den ich empfand/^ sagt Berlioz in seinen Memoiren, „ist gar
nicht zu beschreiben. Diese Herzenspein, dies Gefühl der Vereinsamung, diese ent-
setzliche Leere, diese Qualen, die das Blut in den Adern erstarren machen, dieser
Lebensfiberdruss und die Unmöglichkeit sterben zu können! Selbst Shakespeare hat
nie versucht, das zu schildern. Im Hamlet beschränkt er sich darauf, diesen Schmerz
zu den grausamsten zu zählen, die das Leben uns bringen kann.
Ich komponierte nicht mehr, meine Intelligenz schien in demselben Masse
abzunehmen, wie meine Sensibilität sich steigerte. Ich konnte nichts tun, als leiden.^
Hier hören die Geständnisse in den Memoiren auf, aus den Briefen
an Humbert Ferrand können wir sie ergänzen. Am 29. November 1827
erwähnt Berlioz zum erstenmal dem Freunde gegenüber die Leidenschaft,
die ihn beherrscht. Einige Monate später schreibt er voll Verzweiflung:
„Wie einsam bin ich! Alle meine Muskeln zittern, wie die eines Sterbenden I
O mein Freund, geben Sie mir etwas zu tun, werfen Sie mir einen Knochen zum
Nagen hin . . . Wie schön ist es draussen auf dem Lande! Welch eine Oberfülle an
Licht! Die Menschen, die von dort zurückkamen, sahen alle so glücklich aus. Die
Bäume rauschten sanft und ich war allein, allein in der weiten Ebene . . . nur um-
geben von Unendlichkeit, Entfernung, Vergessen, Schmerz und Wut. Trotz all meiner
Anstrengungen entschlüpft mir das Leben, ich halte nichts als die Fetzen davon!..."
Er bittet den Freund, niemandem zu sagen, in welcher Verfassung
er ist, damit sein Vater, der ihm seit kurzem die Zulage verweigert hat,
nichts davon erfährt, denn das würde ihm die letzte Ruhe rauben.
„Mir vermag niemand Ruhe zu geben, alles was ich tun kann, ist in Geduld leiden
und hoffen, dass die Zeit, die vieles ändert, auch mein Schicksal ändern wird."
') Dieser Brief ist von Alexis Berchthold mitgeteilt worden.
352
DIE MUSIK III. 5.
Zu Beginn des Jahres 1829 kehrt Henriette nach Paris zurück und
es scheint, dass sich die Verhältnisse günstiger für Berlioz gestalten sollen.
Eine Annäherung ist ihm noch immer nicht gewährt,
»aber sie bat gesagt**, schreibt er dem Freund, »wenn er mich wirklich Hebt,
wenn seine Liebe nicbt der Art ist, dass ich sie mit Verachtung zurückweisen muss,
80 wird seine Beständigkeit während weniger Monate des Harrens nicht erschlaffen."
Aus diesen wenig verheissenden Worten schöpft Berlioz neue Hoff-
nung und Mut, er gerät in Ekstase, »die Liebe Ophelias hat seine Kräfte
verhundertfältigf .
»Sollte es mir wirklich gelingen, Ophelias Liebe zu gewinnen, oder könnte
ich wenigstens erreichen, dass meine Liebe ihr schmeichelt, ihr gefällt? Mein Herz
schwillt mächtig an und meine Phantasie macht verzweifelte Anstrengungen, um die
Unendlichkeit eines solchen Glückes fassen zu können. Wie? ich soll leben...
soll schreiben . . . soll meine Flügel ausbreiten . . . ? O dear friend! o my heart!
o lifel love! All! AllI . . .«
Zum Schluss des Briefes schreibt Berlioz:
»Lassen Sie sich nicht erschrecken durch meine Freude, sie ist nicbt so blind,
wie Sie furchten, ich blicke in die Zukunft; ich habe nichts, worauf ich rechnen kann,
ich erbebe in Furcht wie in Hoffhung."
Miss Smithson reiste ab und hinterliess ihm die Nachricht, dass er
nichts zu hoffen habe. Berlioz ist in furchtbarer Verzweiflung, er trägt
sich mit Todesgedanken, aber kurz darauf scheint er wie durch ein Wunder
von dieser todbringenden Liebe geheilt zu sein. «Schreckliche Wahrheiten,
an denen gar nicht zu zweifeln ist, haben mich auf den Weg der Ge-
nesung gebracht", schreibt er an den Freund; allerdings erfahren wir nicht,
welcher Art diese Verleumdungen sind, aber seine Gefühle für Henriette
sind ins Gegenteil umgeschlagen:
»Ich beklage und verachte siel sie ist nur eine ganz gewöhnliche Frau, mit
einem instinktiven Genie begabt, um Seelenqualen auszudrücken, die sie selbst nie
empfunden bat. Sie ist nicbt fähig die grossen Gefühle zu hegen, wie ich irrtümlich zu
ihrer Ehre angenommen habe. Sie bat kein Talent, sie ist unbedeutend und herzlos."
Nicht aus Berlioz' Briefen, aber aus einer Biographie seines ver-
trauten Freundes Ortigue, erfahren wir, dass er einer ganz abgeschmackten
Verleumdung leichtfertig Glauben schenkt und ohne Überlegung opfert»
was ihm teuer ist. Während zweier Tage ist Berlioz verschwunden, seine
Freunde glaubten bereits an einen Akt der Verzweiflung, aber es scheint,
dass der Schlag doch nicht vermochte, seine robuste Natur zu fällen.
Der Wunsch, sich zu rächen, ist in ihm erwacht und mit Wollust stürzt
er sich in dies Gefühl. Die »Symphonie Fantastique", in der Berlioz
schildert, wie die geliebte Frau vor dem Manne bei der »Ronde du
Sabbat" als Buhlerin erscheint, »die unwürdig ist, an einer solchen Orgie
teil zu nehmen", soll ein Akt der Rache werden . . .
353
SAVI6: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
»Ich hoffe, die Unglückliche wird an dem Tage bei der Vorstellung sein, aber
wenn sie das Programm meines instrumentalen Dramas liest, so ist es unmöglich,
dass sie sich nicht darin wiedererkennt, und dann wird sie sich hfiten zu kommen . . .'^
Berlioz ist also geheilt von dieser Liebe und noch mehr, er hat sich
getröstet, denn bereits zwei Monate später beichtet er wiederum dem Freunde:
»Ich habe alles, was die Liebe an Zärtlichkeit und Zartheit zu bieten vermag.
Meine reizende Sylphide, mein Ariel, mein Leben scheint mich mehr als je zu lieben;
ihre Mutter wiederholt mir wieder und immer wieder, wenn sie in einem Roman die
Schilderung meiner Liebe läse, so würde sie es nicht für möglich halten."
In seinen Memoiren nennt Berlioz diese neue Liebe eine »heftige
Abschweifung, eine Sinneserregung** und erzählt uns, wie Ferdinand Hiller
seiner schönen Freundin Camilla Moke gegenüber von ihm und seiner fana-
tischen Schwärmerei spricht und die Unvorsichtigkeit begeht, ihr zu sagen:
»Auf den werde ich nie eifersüchtig sein, denn ich bin sicher, dass er Sie
nicht lieben wird**. Und Berlioz fügt hinzu: »Man begreift, welche Wirkung
ein so ungeschicktes Geständnis auf eine Pariserin haben musste. Sie
dachte nur noch daran, ihren allzuvertrauenden, platonischen Freund Lügen
zu strafen.*" Der Zufall fügt es, dass Camilla Moke in derselben Pension
Klavierstunden gibt, in der Berlioz Unterricht in Gitarre erteilt. Das
Mädchen scherzt über seine traurigen Mienen und gibt zu verstehen, dass
sie bereit ist, ihn zu trösten. Nach kurzem Widerstand erliegt Berlioz
und lässt sich, wie er sagt, »in seinem Kummer mit einer Hingabe, einer
Leidenschaft trösten, die sehr begreiflich erscheinen, wenn man mein
jugendliches Feuer und Camilla's berückende Schönheit bedenkt . . .**
»Hiller,'' wie Berlioz erzählt, »dem ich die Wahrheit schuldig zu sein glaubte,
vergoss zuerst einige bittere Trinen, dann ergriff er in einem Gefühl der Dankbar-
keit meine Hand und druckte sie konvulsivisch, denn im Grunde hatte ja nicht ich
die Treulosigkeit gegen den Freund begangen. Würdig nahm er sein Schicksal auf
sich und reiste nach Frankfurt ab, indem er mir viel Vergnügen wünschte.**
Ferdinand Hiller hat diese Episode in seinem »Künstlerleben* eben-
falls geschildert, allerdings in etwas anderer Weise. Wie dem auch sei,
»fair Ophelia" und die ganze unglückselige Leidenschaft ist zu dieser
Stunde vergessen. Es handelt sich nicht nur um eine »starke Abschweifung
und um eine Sinneserregung*, denn Berlioz trägt sich mit ernsten Heirats-
gedanken und hofft, alle Hindemisse besiegen zu können. Er hat einen
einflussreichen Fürsprecher gefunden, der Camilla's Mutter für ihn zu ge-
winnen hofft. Berlioz hat inzwischen im Institut den »Prix de Rome* er-
rungen; am 28. August schreibt er an Ferrand:
»O mein Freund, welch ein unbeschreibliches Glück ist es, einen Erfolg zu
erlangen, der ein geliebtes Wesen entzückt. Meine angebetete Camilla starb vor Un-
geduld, als ich ihr gestern, Donnerstag, die so sehnlich erwartete Nachricht brachte.
O mein Ariel, mein schöner Engel, deine Flügel waren ganz zerknittert, die Freude
hat sie wieder entfaltet . . .*
111 5 23
354
DIE MUSIK III. 5.
Ophelia ist nicht länger die Muse des Künstlers, denn in einem
neuen Brief an den Freund spricht er von einer Ouvertüre, die er ver-
Cftsst hat und fügt hinzu:
»Mit welch glühender Anbetung habe ich meiner vergötterten Camilla gedankt,
daas sie mich zu dieser Komposition inspiriert hat! Ich sagte ihr kürzlich, dass
mein Werk aufgeführt werden soll; sie zitterte vor Freude. Nach verzehrenden
Küssen und feuriger Umarmung habe ich ihr das Geständnis ins Ohr geflüstert^ wie
,wir* die grosse poetische Liebe verstehen."
Einen früheren Brief schliesst er mit den Worten: «Die Smithson,
diese elende Dirne, ist noch immer in Paris."
Am 5. Dezember veranstaltete Berlioz ein Konzert im Konservatorium-
Saal, wo zum erstenmal die «Symphonie Fantastique" angeführt wurde, denn
das früher geplante Konzert war nicht zustande gekommen. Ein seltsamer
Zufall fügte es, dass Henriette Smithson gerade am Konzerttag in der Op^ra
als Fenella in der „Stummen von Portici** auftrat. Während ihr Stern im
Sinken begriffen ist, hat Berlioz einen glänzenden Erfolg, er ist auf dem
Gipfel des Glücks. Seitdem Camilla ,1a Ronde du Sabbat" gehört hat,
nennt sie ihn nur noch «ihren teuren Lucifer, ihren schönen Satan". Die
Musik hat gesiegt, Frau Moke gibt endlich ihre Einwilligung. Die Hoch-
zeit wird für das Osterfest 1832 festgesetzt, unter der Bedingung, dass
Berlioz auf ein Jahr nach Italien geht und dass er die Pension, die ihm das
Institut zahlt, nicht verliert. Herzzerreissender Abschied von der Ge-
liebten, dann verbringt er einige Wochen im Kreise seiner Familie in La
Cöte Saint-Andr6 und in Grenoble. Interessant ist der Briefwechsel mit
Hiller aus dieser Zeit. Am 9. Januar schreibt er ihm, wie furchtbar er
unter der Trennung von der Geliebten leide und bittet ihn zum Schluss,
Camilla einen einliegenden Brief zu übergeben. Der Auftrag war sehr
delikater Natur und fraglos sehr unvorsichtig, denn Hiller war keineswegs
nach Frankfurt abgereist und hätte sich leicht für den ihm gespielten
Streich rächen können, statt dessen warnt er den glücklichen Rivalen,
nicht zu fest auf Camilla's Treue zu bauen. Berlioz' Antwort ist stürmisch:
»Was mit Ihnen ein, mir zu sagen, dass ich mir in einer Verzweinung gefeUe,
für die mir niemand Dank weiss, am wenigsten die Leute, denen sie gilt Erstens
sage ich Ihnen, dass ich über ,Leute' nicht in Verzweinung gerate, und wenn Sie
ernste Gründe haben, die Person, um derentwillen ich verweifelt bin, hart zu be-
urteilen, so habe ich die meinen, um Sie zu versichern, dass ich ihren Charakter
besser kenne als irgend jemand. Sie wissen nicht, was sie denkt und fühlt Wenn
Sie sie in einem Konzert vergnügt und zufrieden gesehen haben, so ist das noch kein
Grund, um daraus für mich fktale Schlussfolgerungen zu ziehen."
Aber Berlioz sollte sehr bald in seiner stolzen Zuversicht getäuscht
werden. Am 9. Februar 1831 schifft er sich in Marseille nach Civita
Vecchia ein und geht von hier aus nach Rom. Die Villa Medici nimmt
ihn gaatlich auf, ein alter Palast aus dem Jahre 1557, den die Pensionire
SAVIC: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
der französischen Akademie und ihr Direktor Horace Vemet bewohnen;
aber es wird ihnen kein Zwang auferlegt, sie geniessen völlige Freiheit.
Die Pensionäre sind allerdings verpflichtet, jedes Jahr ein Bild, eine Zeichnung,
eine Bronze oder eine Partitur nach Paris an die Akademie zu senden,
aber wenn diese Arbeit eingereicht ist, so können sie ihre Zeit gebrauchen,
wie es ihnen beliebt. Die Aufgabe des Direktors beschränkt sich auf die
Leitung des Instituts, auf das Studium selbst hat er keinen Einfluss, aus
dem einfachen Grund, weil die 22 Schüler sich mit fünf verschiedenen
Künsten beschäftigen, und es unmöglich ist, dass ein einziger Mann in
allen kompetent sein kann.
Die Briefe, die Berlioz bei seiner Ankunft in Rom zu finden hofft,
bleiben aus. Drei Wochen vergehen in vergeblichem Warten und wachsender
Unruhe. Endlich vermag er den Zustand der Ungewissheit nicht mehr zu
ertragen und beschliesst trotz aller Vorstellungen seiner Freunde und aller
Ermahnungen des Direktors, nach Frankreich zu gehen, um die Ursache
dieses mysteriösen Schweigens zu erfahren. In Florenz erkrankt er und
muss während acht Tage das Bett hüten. Sein erster Ausgang ist zur
Post, das Paket, das man ihm aushändigt, enthält einen Brief von Camilla's
Mutter, worin sie ihm die Verheiratung ihrer Tochter mit M. Pleyel^) mitteilt.
»Etwas furchtbares geschab da in mir, zwei Tränen der Wut entfielen meinen
Augen, mein Entscbluss war gefasst. Ich musste sofort nach Paris eilen, um dort
zwei schuldige Frauen und einen Unschuldigen zu töten; dass ich mich hinterher
selbst töten musste, versteht sich von selbst, wie man sich denken kann."
Er reist auch in der Tat nach Paris ab, um blutige Rache zu nehmen,
nachdem er sich zuvor ein vollständiges Frauengewand hat anfertigen lassen,
lim verkleidet in Camilla's Wohnung einzudringen. Aber unterwegs erwacht
von neuem die Liebe zum Leben. Ein gesunder Hunger meldet sich, nach
tagelängem Fasten fordert die Natur ihre Rechte. Die laue, warzige Luft
in Nizza erffiUt ihn mit Entzücken, er atmet sie in vollen Zügen. Einen
ganzen Monat bleibt er hier, durchstreift die Orangenwälder, begeistert sich
an Shakespeares König Lear, der ihn zu seiner gleichnamigen Ouvertüre
inspiriert und kehrt «voll AUegria* nach Rom zurück, wo der Direktor
und die Freunde ihm ein Fest bereiten. Camilla's Treulosigkeit, die eine ge-
rechte Strafe für seinen doppelten Verrat an Henriette und Hiller war, hat
er überwunden, denn schon nach zwei Monaten schreibt er an Ferrand:
.Camilla ist mit Pleyel verheiratet, ... ich bin heute sehr froh darüber,
denn ich lerne dadurch die Gefahr kennen, der ich entgangen bin. Welche Gemein-
heit l welche Gefühllosigkeit! welche Schlechtigkeit! ... O, es ist ungeheuerlich, es
ist fiut erhaben in seiner Schändlichkeit, wenn der Begriff des Erhabenen vereinbar
ist mit der ,Ignoblerie' (ein neues, treffendes Wort, das ich Ihnen gestohlen habe)."
Es scheint, ein neuer «graziöser Ariel" hat die Sympathieen des jungen
. . ^) Der bekannte Pariser Klavierbauer.
23*
ise
DIE MUSIK IIL S.
Künstlers emmgen, denn nachdem er definitiv nach Frankreich zurück-
gekehrt ist, schreibt er während eines Aufenthalts bei seinen Eltern in
La Cöte Saint- Andr6 am 25. Juli 1832 an Madame Vemet und entschuldigt
sich, dass er nicht eine kleine Komposition, wie Frl. Louise sie liebt, bei-
fügt, »denn, was ich geschrieben hatte," sagt er, «erschien mir nicht würdig,
ein Beifallsllcheln des graziösen Ariels zu erringen". Allerdings fehlen die
sicheren Belege, um behaupten zu können, dass Louise Vernet, die
schöne Louise, wie Berlioz sie zu verschiedenen Malen nennt, ihm mehr
als eine gute Freundin gewesen sei.
Dank einer besonderen Ermächtigung von Horace Vemet durfte Berlioz
sechs Monate vor Ablauf der beiden vorschriftsmässigen Jahre nach Frankreich
zurückkehren. Die erste Hälfte dieses Urlaubes verbrachte er in seiner
Familie, dann ging er nach Paris, um hier ein oder zwei Konzerte zu ver-
anstalten, bevor er seine Reisen ins Ausland antrat. Als er sein früheres
Zimmer besetzt findet, treibt ihn eine geheime Macht, sich in dem Hause
g^enüber, wo ehemals Henriette Smithson wohnte, einzuquartieren. Hier
erfthrt er, dass die Schauspielerin wieder in Paris weilt und noch bis vor
zwei Tagen ihre alte Wohnung inne gehabt hat Die Nachricht von diesem
unglaublichen Zubdl ergreift Berlioz aufs heftigste. Er fühlt, wie die alte
Liebe mit aller Kraft erwacht. Um nicht alle Herrschaft über sich zu
verlieren, beschliesst er, Henriette nicht wiederzusehen, bevor nicht sein
Konzert stattgefunden hat Aber durch eine wohlgemeinte Intrigue des
Musikhändlers Schlesinger geschieht es, dass die ahnungslose Henriette
diesem Konzert beiwohnt. Erst auf dem Wege zum Konservatorium erfährt
sie, dass Berlioz dies Konzert veranstaltet Sie ist tief ergriffen von dem
leidenschaftlichen Ausdruck der «Symphonie Fantastique" ... bei der Stelle,
,0 warum kann ich sie nicht finden . . . Ophelia . • . Julia . . . sie,
die meine Seele ruft", fühlt sie einen heftigen Schreck, es ist ihr, als drehe
sich der Saal mit ihr, sie vermag nichts mehr zu hören und wie eine
Nachtwandelnde kehrt sie nach Hause zurück. Berlioz erzählt dies zu
verschiedenen Malen mit sichtlicher Genugtuung.
Dieser Abend wird entscheidend für die beiden Künstler. Beriioz
erhält endlich die Erlaubnis, sich Henriette vorstellen zu dürfen. Zwar
erreicht er nicht viel dadurch, denn sowohl seine Familie, wie Henriettens
Mutter und Schwester widersetzen sich der Heirat
Ein Jahr vergeht unter Hoffen und Zweifeln, zwischen bündiger Zu-
versicht und bangem Zagen. Henriette hat ihr Vermögen verloren, ihre
firüheren Erfolge sind vergessen, Shakespeare ist nichts Neues mehr für die
Pariser. Zudem hat sie das Unglück, das Bein zu brechen und muss ihren
Beruf zeltwellig aufgeben. Trotz aller Misslichkeiten drängt Berlioz zur
Heirat, in freudiger Zuversicht auf sein künsderisches Können und seine
357
SAVIC: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
Erfolge. Henriette schiebt in banger Furcht vor den unsicheren Ver-
hlltnissen den Termin ihrer Vereinigung immer wieder hinaus. Es kommt
zo heftigen Szenen, und infolge von Verleumdungen zu ernsten Zerwürfhissen.
Berlioz zieht sich von ihr zurück, aber Henriette fleht ihn an, zurückzukommen
. . . neuer Zwist . . . neue Versöhnung. Henriettens Schwester sucht die
Heirat zu hintertreiben, da macht Berlioz einen Vergiftungsversuch vor
den Augen der Geliebten, worauf sie endlich verspricht, alles zu tun, was
er verlangt; als sie dennoch kurze Zeit wiederum schwankt, die Hochzeit
festzusetzen, droht Berlioz, dass er nach Berlin abreisen werde, denn es ist
sein Recht, als Laureat des Institutes ein Jahr in Deutschland zuzubringen.
Wirklich bereitet er alles zur Reise vor. Ein reizendes, exaltiertes Mädchen
von 18 Jahren, eine Sängerin, die ihren Eltern davongelaufen ist und sich
ihm an den Hals geworfen hat, wird ihn begleiten. Sein Pass ist bereit,
nur einige Dinge sind noch zu ordnen, und er wird abreisen:
»Henriette soll die Folgen ihres unseligen Charakters büssen, der sie unfSbig
macht für alles grosse Gefühl und jeden energischen Entschluss. Sie wird sich trösten
und mir die Schuld zuschieben. So ist es immer. Aber ich muss vorwärts, ich darf
nicht länger auf die Stimme meines Gewissens hören, das mir beständig zuscbreit, wie
unglücklich ich bin und wie grausam das Leben ist. Aber ich werde taub sein.*
Doch schon nach drei Tagen grosse Umstimmung. Henriette ist zu
ihm gekommen . . . Berlioz bleibt, die Freunde übernehmen die Sorge ffir
die junge Sängerin und das Aufgebot wird bestellt.
Am 3. Oktober findet die Trauung in der Kapelle der englischen
Gesandtschaft statt. Hiller, Liszt und Heine sind zugegen.^) Dann zieht
sich das junge Paar mit seinem. Glück in die Umgebung von Paris zurück.
Berlioz sagt in seinen Memoiren: «Nun ist sie mein, ich trotze allem!*
und dem Freunde, gegen den er früher seine ganze Verachtung für die
Geliebte geäussert hatte, macht er mit inniger Freude das Geständnis, dass
die Verleumdungen, die man zwischen ihn und seine Braut gestreut hatte,
wirklich nichts als erlogene Verleumdungen gewesen seien:
„Ihnen als meinem besten Freunde darf ich es sagen und mit meinem Ehren-
wort bestätigen, dass ich mein Weib so rein und jungfräulich, wie nur möglich ge-
funden habe. Es ist kein geringes Verdienst^ dass sie in der sozialen Stellung, in
der sie bisher lebte, den schlechten Beispielen und den Versuchungen, die Gold
und Ehrgeiz ihr boten, siegreich widerstand. Sie können sich denken, welche Sicher-
heit mir das für die Zukunft gewährt^
^) Nach dem Register der englischen Gesandtschaft in Paris und Ferdinand
Hillera »Künstlerleben« S. 87.
Scbluss folgt
jeder ist deoi Scbickstü nntenrorfen, seiae Handluogeo |oder Ideea
I seiner eigeDen nmoittellwrea Umgebung missTersluiden xa
J sehen. Es darf uns daher nicht weiter Tnnder nehmen, dass
I die Grossen dieser Erde gleichblts in einem noch stlrkeren
Grade daran leiden, da ihr Kreis nur vom Äquator begrenzt viid. Zd-
weilen haben diese MissverstXndnisse in Lögen ihren Ursprung, die, von
den Gegnern des Genies vobl ervogen, schliesslich, weil es keine Lost
hat, derartigen Absurdititen zd widersprechen, sogar von seinen eigenen
Frenndeo geglaubt weiden. Aber ebenso hXnflg entstehen sie ans einem
atrop de zile" seiner Paneiglnger, die in Ihrer stürmischen Begeisterung
eilfertig dabei sind, der Welt Tbeorieen und Gedanken ihres Meistert zn
verkfinden, die sie selbst nur nnvollkommen verstanden haben.
Glücklich, wer lange genug lebt, die Schmitaungen seiner Gegner
und den noangebrachten Eifer seiner Sdiäler zu widerlegen, wie es z. B.
Tagaer konnte I Aber der arme Berlioz starb, ehe sdne Stellung genügend
gesichert, oder seine Kompositionen und Schriften hinlinglich bekannt
waren, um die Welt zn zwingen, der Wahrheit über ihn grösseres GehSr
zu schenken alt der Lüge.
Die MissverttindDisse über Beriioz' persSnlichen Charakter brauchen
uns nicht aubuhalten: sie sind bereits von Legouvt, Reyer nnd Saint-
SaCns, lauter intimen Freunden , bekämpft worden , und vir kSniien
wiildlch den Worten des letztgenannten*) Glauben schenken, dass Beilioz
a6tait uD itre bon, affectuenx, tris original, saus doute sarcas-
tlqne k l'occasion, mais appelant irr6tittiblement la Sympathie
de qui poovait l'apprficier.' Die scharfe Feder des Franzosen ruht,
nod wenn auch einige von unserer Generation Gegner seiner Musik sein
mfigen, so kSnote doch keiner von denen, die unter seiner Geissei litten,
den Wunsch h^en, seinen privaten Charakter auf den W^e der Wieder-
Vergeltung anzutasteiL
Wir kSnnen beinahe ebenso die AngrlBlB, die gegen seine Itlusik als dne
') Aas dem EagUichaa voa Rnd. M. Brelttaanpt
^ GeacbrMan ffir die Berlies-Feler In GrenoUe, Angnst 1903.
359
WOTTON: MISSVERSTÄNDNISSE BETREFFS BERLIOZ'
regellose, bizarre, exzentrische vorgebracht sind, entkräften. Dieselben An-
griffe sind gegen jeden anderen grossen und schaffenden Künstler gerichtet
worden, aus dem einfachen Grunde, weil die Welt es nicht zugeben will, dass
das, was sie nicht verstehen kann, möglicherweise aber sie kommt. Um daher
ihre eigne Eitelkeit zu retten, brandmarkt sie das Werk als das eines Wahn-
sinnigen und beglückwünscht sich höflichst zu ihrem ganz vorzüglichen
und gesunden Menschenverstände. Dass Berlioz — selbst vom Standpunkt
vieler übermodernen Werke aus betrachtet — von einem gewissen Teil
des Publikums noch für überspannt gehalten wird, erklärt sich aus der
besonderen musikalischen Sprache, die er spricht: dem Franzosen ist er
oft zu deutsch, während er den Deutschen oder Engländern zuweilen zu
romanisch erscheint, als dass er mit ihrer Denkweise vollständig überein-
stimmen könnte. Die Musik drückt ebenso den Geist eines Volkes aus,
wie es die Sprache jener Völker tut, und es ist für einen Italiener ebenso
unmöglich, im Geiste Beethovens wie im Geiste Goethes zu denken. Die
Musik ist keineswegs jene universale Sprache, wie uns manche glauben
lassen wollen.
Gleichwie das
^^
von den Franzosen ut, von den Italienern
do, und von den Engländern und Deutschen c genannt wird, so charak-
terisiert eine ganze Phrase, und noch mehr eine ganze Komposition, jedes
Volk in ganz verschiedener Weise. Berlioz wird oft einfach deshalb für
exzentrisch gehalten, weil seine musikalische Phraseologie vielen fremd
ist: er spielt ein wenig die Rolle des Vogel Strauss in der Schlacht
zwischen den Vögeln und wilden Tieren, dessen Dienste von den ersteren
verspottet wurden, weil er nicht fliegen könnte, und von den letzteren
zurückgewiesen wurde, weil er Schwingen besässe.
Mit dieser sogenannten Überspanntheit verbindet sich der landläufige
Gedanke, dass er beständig von Riesenorchestern Gebrauch mache, und
sich ausserordentlicher Mittel bediene. Dafür, muss man zugeben, ist
allerdings der Meister grossenteils selbst verantwortlich; denn er be-
wunderte Orchester von grossartigen Verhältnissen, da er nur in einem
grossen Streichkörper vollkommene Reinheit oder ein wahres pianissimo
fand. Aber er wusste sich den jeweiligen Verhältnissen anzupassen, z. B.
als er bei einer Aufführung seiner «Trauer- und Triumph-Symphonie*
in Lille, für welche die gedruckte Partitur 191 Musiker angiebt, ein
Orchester von 70 Mann — eingerechnet etwa 20—26 Militärmusiker — in
Vorschlag brachte. Und oft sehen wir, wie in Riga, dass ihm ein Orchester
von nur 50 Mann vollständig genügte. Dass dem Publikum seiner eigenen
Zeit seine Orchester möglicherweise riesenhaft erschienen sind, können wir
leicht verstehen, obwohl die Pariser von 1837 von seinen fünf Orchestern
360
DIE MUSIK III. 5.
des Requiems nicht so ängstlich bedrückt zu sein brauchten, seitdem sie
vorher die beiden Orchester Gossec's, die drei Möhul's und die vier
Lesueur's gehört hatten. Aber sehr häufig gründet sich die Behauptung,
dass er beispiellose Mittel verlangt habe, auf Forderungen, die an eine
alltägliche Erscheinung rütteln. So versetzte er z. B. bei seinem ersten Be-
such die guten alten Leipziger dadurch in Schrecken, dass er statt 16 Vio-
linen, an die sie gewöhnt waren, ihrer 24 forderte.
Nimmt man seine Werke als ein Ganzes, was uns dank der neuen
und vollständigen Ausgabe heute ermöglicht ist, so ist man über die Zurück-
haltung, die er in seiner Orchestration im allgemeinen beobachtet, betroffen.
Er benutzt nicht nur häufig ein kleines oder unvollkommenes Orchester,
und erhöht sorgfältig die Wirkung irgend einer charakteristischen Tonftu-be,
wie z. B. die des englischen Homs, mit dessen Verwendung er lange Zeit
sehr vorsichtig war, sondern er bereitet seine Ausbrüche mit dem «Blech*
gleichsam systematisch vor. In der Anwendung der Posaunen ist er relativ
ebenso zurückhaltend wie ein Mozart. Und nur der starke und plötzliche
Gegensatz zwischen seinen lauten Stellen und den vorhergehenden zarteren
mag wahrscheinlich auf das Publikum den Eindruck gemacht haben, dass seine
Musik geräuschvoller und sein Orchester grösser sei, als es wirklich der
Fall. Gleich dem Fürsten Mettemich leidet es an der Einbildung: «C'est
vous, monsieur, qui composez de la musique ponr cinq cents
musiciens?" Wir kennen Berlioz' ironische Antwort: »Pas toujours,
monseigneur, j'en fais quelquefois pour quatre cent cinquante!"
Sonderbar, dass diejenigen, die am meisten und ohne Zaudern Ber-
lioz' Musik für nichts weiter als einen «Furienklang" halten, zu allererst
den vollklingendsten Stellen Beifall zollen — wie der Kritiker bei einer
neulich stattgefundenen Aufführung des «Requiem", der seinen Artikel
mit einer Fehde gegen den Komponisten, der mit einem Orchester von
der Grösse, die einem Mozart genügte, nicht zufrieden wäre (wer könnte
nicht 16 Posaunen bekommen, wenn er sie nötig hätte!) begann, und mit
dem naiven Zugeständnis schloss, dass er — der Kritiker — die Sätze
vorgezogen, in denen das Orchester seine volle Kraft entwickelt habe.
Leider gleichen noch viele jenem Menschen, neben dem ich einst bei einer
Aufführung der »Symphonie hntastique* sass. Er hörte das Werk zum
ersten Male, und ich, der ich ganz Auge ond Ohr war, hatte wegen der
frostigen Abneigung meines Nachbars meine Begeisterung etwas berab-
gescbraubt Nach den ersten drei Sätzen war er beinahe sanft entschlafen;
sogar der Zauber der «Ballszene", die ihn, der sie zum ersten Male hörtet
doch hätte ansprechen müssen, vermochte seinen trägen Puls nicht zu be-
schleunigen. Erst nach der »Scdne auz champs" (Szene auf dem L4mde) ent-
deckte ich die Ursache seiner mangelnden Würdigung. Als er nämlich
361
WOTTON: MISSVERSTÄNDNISSE BETREFFS BERLIOZ'
die Trommel und zwei Tuben bemerkte, die sich für den Marsch vorbereiteten,
und die Posaunisten die Züge ihrer Instrumente lockerten, wachte er auf
und flüsterte mir erregt zu: »Ah! das war's, was ich hören wollte, und
wofür ich mein Geld bezahlte!" — Er war offenbar ein Posaunenbläser
oder ein Blasinstrumentenmacher, daher sein Interesse! Jedoch, da seine
Stellungnahme mit der eines grossen Teils des Publikums zusammenfällt,
so habe ich wahrscheinlich recht, wenn ich ihn für eins von den beiden
halte, besonders als ich zufällig hörte, dass er die Nachahmung des Donners
gegen Schluss des langsamen Satzes als zu »undeutlich' verwarf. Für so
viele klingt Berlioz' Donner zu «undeutlich"! Gleich Elias achten sie
auf den Geist im Sturm und Erdbeben und sind verhältnismässig ent-
täuscht, dass sie nichts hören.
Es ist paradox, dass wir, die wir Berlioz' Ideen ebenso auf die
Vergrösserung des Streichkörpers als auf die Erhöhung der Anzahl der
Blasinstrumente und die Verdopplung und Verdreifachung unseres Orchesters
bei einer Festaufführung übertragen, wie Papageien noch dieselben Vor-
würfe gegen den französischen Meister wiederholen, die fünfzig Jahre
vorher gegen ihn gerichtet wurden. Es wäre beinahe dasselbe, als wenn
Astronomen, die täglich in ihrem Leben die Keplerschen Gesetze anwenden,
sich mit feierlicher Würde versammeln wollten, um den grossen deutschen
Astronomen — in efflgie — zu verbrennen.
Aber von allen seinen Ideen ist besonders und ganz allgemein seine
Stellungnahme gegenüber der Fuge missverstanden worden, und zwar selbst
von denen, die offenbar Berlioz' eigenem Wunsche gefolgt sind, sein Glaubens-
bekenntnis »in dem zu suchen, was er getan hat, und in dem, was er
nicht getan hat". Freund und Feind sind sich gleicherweise in der Meinung
einig, dass Berlioz die Fuge hasste. Sie haben dies mit solch unveränder-
licher Hartnäckigkeit behauptet, dass ein vorurteilsloser Zuhörer halb
geneigt ist, die Wahrheit einer so fortwährend emphatisch verkündeten
Tatsache zu glauben. Sie haben ebenfalls über den schreienden Wider-
spruch eines Komponisten gejammert, der die Fuge so heftig zu hassen
eingestand, und noch dazu die Unverfrorenheit besass, in seine nicht
einmal sehr zahlreichen Werke 15 oder 16 Fugen einzustreuen, die, »wenn
auch keine Bachsche*, wie Schumann vom Finale der »Fantastique"
meinte, so doch »von schulgerechtem und klaren Baue" sind.
Berlioz hasste die Fuge keineswegs — und es lässt sich in seinen
Kompositionen oder veröffentlichten Schriften auch nichts finden, was
eine solche Behauptung rechtfertigte.
Er hasste nicht den Gebrauch, sondern den Missbrauch der Fuge.
Und in unserer Zeit, wo die Wahrheit des Ausdrucks gleichsam als con-
ditio sine qua non der Musik betrachtet wird, ist es befremdlich, dass
362
DIE MUSIK 111. 5.
die wahre Bedeutung seiner Ideen in diesem Punkte schändlich, um nicht
zu sagen absichtlich missverstanden werden konnte.
Berlioz hasste keineswegs die Fuge trotz Cherubini's Bonmot: „Parce
que la fugue ne l'aime pas!* — eine Bemerkung, die der Leiter des
Konservatoriums, der Berlioz viermal übergangen hatte, trotzdem er sehr wohl
kompetent war in dieser Form zu schreiben, in böswilliger Absicht fallen Hess.
Was er hasste, war der Gebrauch von schnellen Fugen in Kirchenkompo-
sitionen (ausgenommen ganz seltene Fälle), da sie allen wahrhaft religiösen
Gefühlen und Empfindungen vollkommen widersprechen. Es ist ebenso
unlogisch, ihn als einen Feind der Fuge zu brandmarken, weil er dieser
nur eine beschränkte Verwendung zuerkannte, wie etwa einen Dichter als
einen Feind von Sonetten hinzustellen, weil er die Zweckmässigkeit der
Sonettenform als eines Mittels zur getreuen Darstellung eines epischen
oder erzählenden Stoffes bezweifelte.
In den «Grotesques de la Musique" berichtet Berlioz als einen ent-
zückenden Scherz die Geschichte eines Dresdener Musikliebhabers, der nach
einer Aufführung von «Fausts Verdammnis" ängstlich den Komponisten
ausforschte, ob die burleske Fuge über das Wort »Amen" als eine Ironie
beabsichtigt wäre. «11 n'en 6tait pas sürü!..." schliesst Berlioz mit
blitzenden Ausrufungszeichen und Punkten. — Jetzt, nach über einem
halben Jahrhundert, sind nicht nur Musikliebhaber «pas sür", sondern auch
sehr viele andere, von denen man hoffen darf, dass ihr musikalisches Ver-
mögen auf einer höheren Stufe steht als ihr Humor. In diesen Tagen der ge-
heimen Deutungen mag die Verwirklichung des Gedankens für manche Geister
möglicherweise schwierig sein, dass irgend eine Musik wirklich genau das
ausdrücken kann, wozu sie sich bekennt, und gerade aus diesem Grunde
scheint es kaum möglich, des Komponisten Absicht misszuverstehen, oder
seinen wilden Zecherchor in « Auerbachs^Keller" für etwas anderes zu halten,
als er in Wahrheit ist: eine Parodie auf die traditionelle Fuge über das
Wort »Amen*, — nichts mehr und nichts weniger! Nichts kann jeden-
falls die Meinung rechtfertigen, dass sein Autor im allgemeinen Fugen
hasste, oder gar Fugen in kirchlichen Werken. Selbst der Umstand, dass
er die Möglichkeit einer Fuge über das Wort «Amen", die alle Merkmale
eines aufrichtigen religiösen Gefühles besitzen würde, verneinte, gibt keine
Berechtigung zu solcher Annahme.
Über diesen letzten Punkt spricht er sich selbst in einem Brief an
den Abb6 Girod^) sehr deutlich aus: «Zweifelsohne könnte man", sagt er,
«eine glänzende Fuge schreiben, die den frommen Wunsch: «Amen" aas-
zudrücken vermöchte, aber sie müsste langsam im Tempo, voll Zer-
>) Correspondance in6dite, Lettre LXXXIII.
363
WOTTON: MISSVERSTÄNDNISSE BETREFFS BERLIOZ'
knirschung und sehr kurz sein. Während man nämlich den Sinn eines
Wortes wohl auszudrücken vermag, kann dieses Wort nicht oftmals wieder-
holt werden, ohne dass es lächerlich würde. ** Beide Male, in diesem
Briefe und in einem Artikel über Beethovens Messe in D, den er
zwanzig Jahre vorher geschrieben,^) greift er die überlieferte Fuge über
das «Amen* an, die er als im Gegenteil für „rasend, gewalttätig und
stürmisch* brandmarkt, und die „nichts weiter zu sein scheint als ein Chor
von Zechern, in den sich donnerndes Gelächter mischt, da jede Stimme
auf der ersten Silbe des: „a...a — a — a — amen* vokalisiert und
dadurch eine sehr groteske und unfeine Wirkung hervorruft.* Er bemerkt
sehr richtig, dass, wenn der Chor statt 200 Takte lang „Amen* zu jauchzen,
sich plötzlich auf den Ausdruck seiner Gefühle auf französisch (oder
deutsch) besänne und im allegro furioso die Silben „So — so — so — so —
ist — ist — es — * sänge, die meisten, die nur irgend ein musikalisches
Empfinden besitzen, doch wohl eingestehen müssten, dass das eine Karikatur
jeder religiösen Empfindung sei. Und in der Tat, gerade diese sinnlose
Wiederholung desselben Wortes rief weit eher als die musikalische Form,
in der sie dargestellt war, seinen Unwillen hervor und Hess sie ihn (in
den Worten seines Mephistopheles) als die „bestialit6 dans toute sa
candeurl* bezeichnen. Und dieser sein Unwille muss wirklich sehr
heftig gewesen sein, dass er es ertrug, Flecke auf seiner Sonne „Beethoven*
zu finden. „Ist der Gedanke nicht herzzerreissend, dass Routine genug
Macht sich bewahrt hat, um zu sehen, dass sich selbst ein Beethoven einen
Augenblick vor ihr verneigt?* Ja, er bemerkt bei Gelegenheit der Auf-
nahme Reicha's, des Freundes und Genossen des Bonner Meisters, dass
„les amen vocalis6s* ein Barbarismus wären, der nur bestände, weil er
Gewohnheit sei.
Der Humor der burlesken Fuge in: „Beatrice und Benedikt" ist
feiner als der im „Faust*, aber er illustriert Berlioz' tiefwurzelnde Über-
zeugung im diesem Punkte besonders augenscheinlich, — nämlich, dass die
blosse Form ohnmächtig ist, irgend etwas auszudrücken und dass „der
bestimmte Ton einer musikalischen Komposition weder machtvoller noch
wahrhafter ist, weil sie z. B. in einem unendlichen Kanon geschrieben.*^
Die sinnlosen Worte^ dieses grotesken Epithalams (Hochzeit-
') Journal des D6bats, 25. Januar 1855.
«) Mömoires, eh. XXXIX.
*) O sterbt, ihr holden Gatten,
Von Liebe ganz berauscht!
Ihr dQrft nicht überleben
Der Stunde höchstes Glück!
ObersetzuDg nach Richard Pohl, siebe: „Gesammelte Schriften*, Bd. 111, S. 104.
564
DIE «MUSIK IIL 5.
gedichtes) in Fugenform zu behandeln, ist so ungeRbr das letzte, wovon
ein Komponist, der nur eine Idee von der Zweckmässigkeit der Dinge bat,
träumen würde. Aber natürlich, das ist dem Kapellmeister Somarone (einer
Figur der Oper) vollkommen gleichgültig. Er will lieber seine eigene Geschick-
lichkeit leuchten lassen, als irgendwie eine Anpassung an die Worte in Erwägung
ziehen. Überdies sucht er seinen Gebrauch von der scbulmässigen Form
absolut damit zu rechtfertigen, dass er erklärt: .Das Wort ,Fug^ kommt her
von fuga:- Flucht; ich habe deshalb eine Fuge mit zwei Subjekten gewählt,
um das junge Ehepaar an die Flucht der Zeiten zu erinnern I Beide Sub-
jekte haben einen ganz verschiedenen Charakter, — das eine lacht, das
andere weint, — Tod und Leben — alles ist darin! I"^)
Können die glühendsten Verehrer der Fuge für sie eine grössere
Ausdruckstiefe verlangen? Jedoch, es ist kaum zu hoffen, dass diese ent-
zückende Ironie allgemein gewürdigt werden wird, da ja die offenkundige
Parodie des burlesken Amen noch immer missverstanden wird.
Die strengen Fugen über das »Kyrie Eleison" waren Berlioz eben-
falls ein Greuel, und zwar aus demselben Grunde, den er den Fugen über
das Wort «Amen* vorgeworfen hatte.
Wir wissen aus seinem: Trait6 dMnstrumentation, dass er schnelle
Fugen verwarf, da sie «dem sanften Charakter frommen Gebetes, tief-
innerster Betrachtung oder gar religiöser Scheu und Furcht" widersprächen*
Berlioz hasste die Fuge nicht, aber er verwarf ebenso vollständig
und schroff ihre unangebrachte Einführung in kirchliche Werke, wie er
unter den gleichen Bedingungen den Walzerrhythmus verabscheut haben
würde. Ihm unterzuschieben, dass er andererseits in die Fugenform »an
sich* gerade besonders verliebt gewesen wäre, wäre ebenfalls gehässig.
Er missbilligte Virtuosität in jeder Gestalt und rechnete die Akrobaten-
künste der Kontrapunktiker unter dieselbe Kategorie wie solche von Sängern
oder Instrumentalisten. »Ars est celare artem," war sein Motto, und
er hasste alles, was nur irgend die Geschicklichkeit des Komponisten oder
Ausübenden auf Kosten der ausdrücklichen Vorzüge der Musik ins Licht
setzte.
Kurz und gut, mag man Berlioz auch nicht für einen grossen
Harmoniker und Kontrapunktisten halten, so wusste er doch in dieser
Hinsicht mehr, als seine Gegner behaupten, und sicherlich entstanden
einige Vorwürfe, dass er die Fuge hasse, keineswegs daraus, dass er
irgendwie zu ungeschickt war, in dieser Form zu komponieren. Seine
Regellosigkeit war hier nicht grösser als in seiner symphonischen Musik.
Dass er an den Gebrauch der Fuge in ihrer etwaigen Ausdehnung auf die
«) Pohl. A. a. O.
<^
(^ WOTTON: MISSVERSTÄNDNISSE BETREFFS BERLIOZ' ^
Klrcheomusik glaubte, ist nicht nur durch seine eigenen Fugen in seinen
drei grossen Kirchenwerken und in seinem Hymnus der .Elevation' für
Hannoninm bewiesen, sondern auch durch seine Preisfuge Lesueurs über:
Qais enarrabit coelorum gloriam, in der die Fugenform vollkommen
den Ausdruck erhöht. Dass er ferner sogar ein Fugiertes Amen für mög-
lich hielt, ist, wie oben erwähnt, durch seinen Brief an den Abb£ Girod
erwiesen. Dass er an beides, an die Fuge wie an ein Fugato, für all-
gemeine Zwecke glaubte, erhellt aus den meisten seiner Kompositionen.
Unter anderem sind auch Berlioz' Gedanken über die Programm-
musik gewöhnlich missdeutet oder missverstanden worden. Viele glauben
wirklich an Amals Karikatur von Berlioz auf einem Maskenball in der
Pariser Oper, wo er eine komische Ansprache an das Orchester richtet, in
der er verkündet, er beabsichtige eine Symphonie über den „Code civile"
aufzuführen, und erklärte, dass die Musik alles mögliche ausdrücken könne,
.selbst die Kunst, jemandes Krawatte zu binden".
Berlioz kannte tatsächlich die Grenzen der Musik vielleicht besser
als mancher seiner Nachfolgerl In seinem Vorwort zur „Fantastique"
legte er die goldene Regel nieder, dass die Programmmusik — .ganz ab-
gesehen von einer dramatischen Absicht des Autors", genug des Inter-
essanten in sich selbst bergel Und in der „Romeo und Julie-Symphonie'
zeigte er deutlich, dass er nicht an eine Musik glaubte, die etwa die Kraft
besass, dass man beim Anhören schon auf eine Szene oder Situation, mit
der man nicht vertraut war, schwur. Und diese Meinung vertritt er auch
In einer Fussnote zu dem Satze, in dem er — ganz nach Garricks An-
schauung von der Tragödie — den Tod der beiden Liebenden schildert,
und der nach seiner Angabe ausgelassen werden könne — ausgenommen
fSr diejenigen Zuhörer, die mit Garricks Auffassung vertraut, .was wohl
QQmal von 100 der Fall". — Das Gesetz, dass die Musik keine un-
bekannten Vorgänge schildern, sondern bloss bereits bekannte illustrieren
könne, verbunden mit dem Gesetz, dass die Musik, ohne Rücksicht auf
ein Programm immer ein inneres Interesse hervorrufen müsse, lässt sich
im allgemeinen trotzdem nicht als Norm für Berlioz' Schaffen aufstellen —
aber gewiss sollten beide Gesetze mehr als Regel, denn als Ausnahme
respektiert werden.
An Hector Berlioz.
Tic (roii itt nicht^dein Zanber, grünes
Rei*,
Daia mich dein Anblick so erhebt und
rührt.
Obwohl ich deutlich kaum lu »ceo veiss,
Wu als lebend'ten Hauch die Seele spürt.
GlücUich der Vsodrer, deo vor Sonneaglui
Beschirmt der Linde siuselnd Scbatten-
dscta.
Sanft ruht er unter ihrer Zveige Hnt,
Vertriumei süss des Vegea Ungemach,
Docb drdroal glücklich, wer den stellen Fels
Des Helikon erklommen, unermattet,
Deas Fuaa sich aetit am Rand des ew'gen
Quells,
Deas helaae Schüre Lorbeer kühl um-
schattet.
Dmm steh leb gern vorMarmorbildem atill.
Vor Geistesbelden mit bekriniteo Stirnen,
Teil sieb mein Hen den Kram hst
deuten «rill
Wie MorgenglÜbn um höbe AlpenflraeB.
Doch doppelt freudig bin Ich heut bewegt,
Weil mir vor Augen, lebend nod rer-
kllrt,
ElDstoliesKOnstlerbsupt den Lorbeer trilgt,
Den ich Im Geist ihm tauaendmal gewihrt.
Seht ber, Ibr JGoger echten Künsdertsma,
Hier einen Kimpfer aua der ersten Reih'I
Freut euch dea Meiaiera, Freni euch seines
Ruhms,
Der euch ein Sporn in kühnem Streben seil
Sieb ber, da mfias'ger Haufen, feUerTross,
Der flüchtig bublt um Hfichtiges Geniessen,
Hier einen Reiter auf dem Rfigelross,
Hier eine Stirn, um welche Larbeem
apriessen.
Frankreich, sieb her auf delnea Künsders
Haupt,
Für den du keinen Ehreasessel bast;
Mao bat sich scbücbteni den Versal
eriaubt.
Ob ihm vielleicht ein deutscher Lorbeer
passt
Und wenn ein Denkmal einst btA dir ihm
glinit,
Tenn spit dein Herz sich seiner Kunst
erschloss.
So haben wir den Lebenden bekrinzt
Und nannten atoli ihn unareo Berlloit
So sang einst «hnuagsvollen Geistes ein deutscher Dichter und Ton-
dichter, und der dies sang, er selbst bat wahrlich lange genug darauf
warten müssen, bis sein Vaterland, das des grossen Franzosen Genie so
frGhe jubelnd anerkannt, auch ihm schüchtern den deutschen Lorheer
reichte. Doch darum bangte er nicht: dem gewaltigen Beherrscher des
Orchesters den Pfad in Deutschland zu ebnen, war er neidlos stets freudig
besorgt, nod wie er apiter für Vagner kimpfte, da er diesen noch deo
pbantastjscben Gallier überragenden deutschen Meister nilier kennen lernte,
•0 leuchtete neben Liszt, dem edlen Freunde, der Name Berlioz nicht
<\
367
ISTEL: BERLIOZ UND CORNELIUS
minder hell im Herzen unseres Peter Cornelius, der sich stolz -be-
scheiden einen
blassen Lisztianer
Bis zum letzten Ton und Hauch,
Berlioz-y Wagner-, Weimarianer
Einen Comelianer auch
einst nannte. «Ich komme nach Weimar,^ erzählt er in seiner liebens-
würdigen kleinen Autobiographie, „ich höre Berlioz, stürze über seine
Partituren her, studiere Tag und Nacht darüber — und war ganz verliebt
in diesen Benvenuto Cellini. ** Das war im Frühjahr 1852. Im November
veranstaltete dann Liszt in Weimar eine Berliozwoche, die zwei Auf-
führungen des Benvenuto Cellini unter Liszt und ein von Berlioz selbst
geleitetes Konzert (Romeo und Julie vollständig, sowie die zwei ersten Teile
des Faust) umfasste. Aber Cornelius, der gern dabei gewesen wäre, war
gerade in Soest (Westfalen) und scheute die Kosten der weiten Reise.
Doch hatte er dann im Oktober 1853 gelegentlich des von Liszt geleiteten
Karlsruher Musikfestes Gelegenheit, wenigstens den zweiten Teil der
Romeo -Symphonie zu hören. Persönlich lernte er den verehrten Meister
erst am 12. Dezember 1853 gelegentlich einer »Kunstfahrt nach Leipzig"
kennen — und just unter diesem Titel hat Cornelius dann seine Erlebnisse
in einem entzückenden Capriccio beschrieben, das er in der ersten Nummer
des Jahrgangs 1854 der Berliner Musikzeitung »Echo", die heute kaum
mehr dem Namen nach bekannt ist, veröffentlichte.^) Berlioz selbst, der
es zu Gesicht bekam, schrieb am 15. Januar 1854 darüber an Liszt:
»Remercie mille et mille fois Mr. Cornelius ... de son charmant et spiri*
tuel article de la gazette musicale de Berlin", und scherzend setzt er
hinzu: »II me comble; tu communiques tes mauvaises qualit6s ä tout ce
qui t'entoure." Doch lassen wir nun Cornelius selbst das Wort ergreifen.
...In Leipzig ziemlich erstarrt angekommen, hatten wir den guten Einfall,
uns aus dem Waggon in mehrere Droschken zu begeben und so nach dem Hotel
de BaTidre zu fahren, wo auch Hector Berlioz einstweilen abgestiegen war, da er in
der Pariser Akademie keinen Platz finden konnte. — - Jal keinen Platz finden konntet
Dies leichtsinnig hingesprochene Witzwort hat schwermütigen Ernst genug in sich,
und dieser Ernst ist ersichtlich genug in den von bittern Erfahrungen gefurchten
Zügen des Meister Berlioz ausgedrückt. Mag augenblickliches Unwohlsein immerhin
zu seiner Verstimmung beigetragen haben, ich schiebe dieselbe rücksichtslos und mit
dem herzlichsten Ärger auf die ewige alte Komödie, in welcher ein verkanntes Genie
') Die gesammelten Aufeitze von Peter Cornelius, die auch diesen hier nur
auszugsweise mitgeteilten Artikel vollständig enthalten, erscheinen demnächst von mir
herausgegeben bei Breitkopf & Hirtel. Eine Neuausgabe der Gedichte (von Prot
Dr. A. Stern redigiert) und eine erstmalige Sammlung der Briefe (besorgt von Prof.
Dr. C. Cornelius) wird sich daran anschliessen.
368
DIE MUSIK HL S.
die Hauptrolle spielt und ein Haufen feiler Rezententen den Chor bflden. Vird man
diese Kunstlertra^ie auch in Deutschland, auch bei dem dritten Versuch des fran-
zösischen Tonkunstlers, seine wohlerworbenen Heimatsrechte bei uns geltend zu
machen, ohne weiteres bis zum letzten Akt durchfahren, um spiter, wenn der Voi^
hanf gefallen ist, den Helden henrorzurufen? Lassen wir doch der Pariser Akademie
ihren Reber,') dem ich ja seinen wohlverdienten Platz von Herzen gönne, aber
nehmen wir doch dagegen Berlioz in die grosse unsichtbare Loge unsrer unsterblichen
Meister auf; wie er es verdient Möge doch endlich auch Ber 1 i n [den Stidten] We i m a r und
Braunschweig nachfolgen, möge dem Franzosen Hector ein deutscher Habeneck*)
erstehen, der ungeachtet des Gelichters unwissender Musiker seinen Beethoven
durchsetzte. Ihr Berliner Symphonie-Dirigent Taubert*) sollte sich eine
Ehre daraus machen, statt aus altem Partiturenkram Werke, wie den »Beherrscher
der Geister* von Weber, oder «Lodoiska* von Cherubini hervorzusuchen,
sich mit Fleiss und Aufopferung in Berliozsche Partituren hineinzustudieren, um
sie dann nicht etwa mit zwei Proben, sondern mit so vielen, als nötig sind, um auch
den unflhigsten Orchesterspieler in das richtige Verstindnis derselben einzuweihen, vor
das Publikum zu bringen. Sprecht mir nicht von dem Geschmack des Publikums;
wenn irgendwo, so wird Berlioz in Berlin verstanden werden, und der Dirigent,
welcher dort Berlioz siegreich zur Geltung bringt, wird eine entschiedene Majoritit
für sich haben. Wo Bach und Beethoven oben auf sind, wird auch das dritte
grosse B am ersten Anerkennung finden.^) Sputet euch deshalb, ihr Berliner Kapell-
meister, heraus mit Berlioz! Stellt ihn mit Fleiss und Beharrlichkeit auf das gttnzeade
Piedestal der Berliner Kapelle, und er wird kühn und ebenbürtig neben euren Herren
stehen! Sputet euch, wenn ihr nicht wollt, sind andere da. Ich kenne dort den Preis-
Ulrich,*) der mit Monstre-Partituren umzugehen versteht, wenn der den Taktstock
einmal schwingt, wird's an Berliozschen Werken nicht fehlen. Heraus mit Berlioz
also^ nicht erst warten, bis die Leute tot sind! Munter, Kinder! Munter! Morgen,
morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute! Also frisch drauflos! B—- B— B— I
Halten Sie mir diesen ermunternden Zuspruch an Ihren Symphonie-Dirigenten zngut
und folgen Sie mir ducch ca. 12 Grad Kilte in die Riume des Gewandhauses, wo
Berlioz nach zehn Jahren zuerst wieder vor das Leipziger Publikum trat Vater
Beethoven nahm ihn mit seiner heitersten jovialsten Miene an der Hand (man spielte
die achte Symphonie zu Anfuig) und sagte: sieh, liebes Leipzig, dies ist mein Sohn
Berlioz. Wie man denn auch, wenn man eine alte Tante besucht, nicht gleich durdM
Zimmer springt und mutwillig an die Fenster trommelt, so nahm Berlioz auch ganz
bescheiden Platz und fing ein Gesprich an, wie es f&r gesetzte Leute passt Er be-
gann die Reihe seiner Kompositionen nimlich mit der »Flucht nach Ägypten*,
1) Napoleon Henri Reber (1807—1880), Elsisser von Geburt, als Instrumental-
komponist lange über Berlioz gestellt, war damals (1853) gerade an Stelle Onslows in
die französische Akademie gewihlt worden.
*) Fran^ois Antoine Habeneck (1781—1840), ebenfidls deutscher Abstammung^ ent-
fidtete als Leiter der durch ihn berühmt gewordenen Pariser Konservatoriums-Koiizerte
eine segensreiche, auch von Wagner in Paris bewunderte Wirksamkeit
*) WUhelm Taubert (1811—1801).
*) Das Wort von den »drei grossen B* wurde spiter durch Bülow neu geprigt
und zum geflügelten gemacht; freilich setzte er statt Berlioz Brahma ein!
*) Huge Ulrichs zweite Symphonie (Symphonie triomphsle) war 1853 von der
belgischen Akademie preisgekrönt worden«
369
ISTEL: BERLIOZ UND CORNELIUS
deren Entstebung ich als Ihnen bekannt voraussetze. Der Komponist Berlioz wett-
eifert hier mit dem Kritiker und Feuilletonisten desselben Namens, der hohen Kritik
ein Schnippchen zu schlagen und den Verehrern der guten alten Zeit eine geniale
Notlfige als Wahrheit anzubinden. Er schreibt diese modernste Komposition, welche
in jedem Ton die naivste Frömmigkeit atmet, einem fingierten französischen Kom-
ponisten^) zu, der vor fast 200 Jahren gelebt habe, und führt damit die Pariser auf die
liebenswürdigste Weise hinters Licht. Nennen Sie mir ein Mitglied der Pariser Akademie,
welches versteht, einen ihnlichen frommen Witz zu machen, zu lügen, indem man die
lauterste Wahrheit sagt, und ich will mich nicht länger irgern, dass man einem Berlioz
den Ehrenplatz in diesem Institut versagt Man wird dies Werk noch in späten Zeiten
im Familienkreise zur Weihnachtszeit singen und sich wundern über die Frömmigkeit
des verschrieenen 19. Jahrhunderts. Das Orchester besteht aus einem Quartett von
Streichinstrumenten, aus Flöten, Oboen, Klarinetten und Englisch-Hom. Der Text wird
von einem gemischten Chor und einem Solo-Tenor vorgetragen, welch ersterer in
Leipzig durch Dilettanten und Thomasschüler befriedigend, letzterer aber von Herrn
Schneider*) ganz vortrefflich und in der edelsten Weise ausgeführt ward. — Tante
Leipzig hörte ganz andächtig zu und freute sieb, in dem jungen Hector, von dem es
nur wilde Streiche vermutet hatte, einen so gesitteten Mann kennen zu lernen, der mit
wenig Mitteln trefflich hauszuhalten wusste. Sparsamkeit ist bei haushälterischen Leuten,
die gegen pietätloses Wirtschaften mit teuren Ersparnissen empört pro-
testieren, immer eine gute Empfehlung. Nun aber folgten die drei ersten Sätze der
Harold-Symphonie. Berlioz knüpft hier unmittelbar an Beethoven an, wo er in
der Pastoral-Symphonie eine Reihe von Bildern vor die Augen der Seele stellt,
in welchen er das empfindende Herz über dem Gegenstand schweben lässt und es mit
seligem Jubel durch die von Menschen und Kreaturen belebte Natur leitet Berlioz
aber stellt auf den glutf^rbigen Hintergrund italischer Landschaft ein sebnsfichtig auf-
blickendes Menschenbild. Fühle ich es recht heraus, so ist es der polyphone spezi-
fische Musiker, welcher den Poeten Berlioz zwingt, für die Fülle seines vielstimmigen
Ausdrucks eine dramatische Gestalt innerhalb der Symphonie zu schaffen, damit das
Weben der Natur und der über ihr waltende Geist nicht mehr allein sei, sondern,
dass die fühlende Menschenseele dazutrete, um im Ringen nach dem Verständnis
beider beide ergänzend zu verstehen und zu geniessen. Diesem Drange verdankt die
Solo-Bratsche dieser Symphonie ihr Dasein. Es ist nun nicht mehr eine Reihe von
Naturbildem, wie sie in ihrer Wirkung auf das Gemüt in der Pastoral-Symphonie
dargestellt sind, sondern das Gemüt selbst ist hier der Held und die Beziehungen
dieses besonderen Gemütes zu den wechselnden Scenen der Natur sind der Gegen-
stand der Berliozschen Tondichtung. Haben wir also wirklich neben dem spezifischen
Musiker einen Dichter vor uns, so erhöben sich plötzlich die Ansprüche, die wir nun
an beide zu machen haben. Wir verlangen von dem Dichter einen logischen Zu-
sammenhang, die Begründung einer Innern Notwendigkeit in der Folge der einzelnen
Teile seines Gedichts. Wir wünschen, Zeugen einer handelnden Innerlichkeit zu sein,
sie fortschreitend sich entwickeln, untergehen oder sich verklären zu sehen. Hier
«her, wo wir diese erhöhten Anforderungen an Berlioz stellen, die sein eignes Be-
ginnen in uns steigernd hervorrief, befriedigt uns Berlioz nicht, oder nur halb. Doch
müssen wir bedenken, dass Berlioz, welcher den Impuls zum musikalischen Schaffen
meist durch poetische Grössen, wie Shakespeare, Goethe, erhält, hier durch
») „Pierre Ducr«.«
*) Karl Schneider (1822—1862), renommierter Tenorist
HL 5. 34
370
DIE MUSIK III. 5.
Byron angeregt ist. Auch Byrons Harold ist kein handelnder, sondern nur ein
wandelnder Held, dessen erhabene Trauer über die Verginglichkeit alles Grossen und
Irdischen, kontrastiert durch die Schilderung der unverginglich schönen Natur, auch
in diesem Gedicht zu keiner Spitze sich emporringt, sondern in Wellenwindunfon sich
fortbewegend, im selben Niveau bleibt. — Ich fühle, dass ich zu weitschweifig werde,
und möchte es doch gern bei weitem mehr sein. Doch daher erzlhle ich Ihnen so-
gleich, dass Herr David') in jenem Konzert das Bratschen-Solo mit tief eingehendem
Verständnisse spielte, so wie auch diesem Künstler Anerkennung für das echt künst-
lerische Entgegenkommen gebührt, welches er Berlioz gegenüber ausserhalb des
Konzertsaals einhält. Tante Leipzig aber rückte verlegen an ihrer Gewandhaushaube,
als der Andächtige so modern schwärmte.') Nun aber kam die »Fee Mab*. Als
nach dem Vorüberrollen dieses Nussschalen-Feenwagens voll Quintessenz Shake-
spearschen Humors eine kleine, aber sachverständige Partei zu applaudieren wagte —
machte sich der Arger darüber in Zischen Luft, welchem dann aber die kleine, aber
sachverständige Partei ein durch manche andre Stimme verstärktes, sonores, leiden-
schaftliches Bravo entgegenstellte, worauf der zu neuem Zischen zusammengepresste
Luftvorrat sich bestürzt zurückzog und anderweitige Auswege suchte, auf welchen wir
ihm nicht folgen wollen. — Dem zarten Vortrag des Tenoristen, Herrn Schneider,
gelang es mit dem »Schäfer aus der Bretagne*') wieder etwas Öl auf die von
den vollen Backen des humoristischen Aolus zu stürmischem Widerstreit aul|geregten
Wogen zu giessen. Sie legten sich dann auch, denn hier konnte man sich Gott sei
Dank wieder einmal sagen: wie einfach! — Es folgte nun die Scene aus »Faust*, in
welcher Mephisto ihn »einsingen* lässt So einzig auch in dieser Komposition das
magisch Einschläfernde dieses wunderbaren Sandmanns, die schwer niedersinkenden
Augenlider, die vom Sehauen des Schönsten ermüdet sich schliessen, um noch viel
herrlicheres im Traume zu schauen, geschildert sind, so sehr das Werk von Schön-
heiten träuft, war es dennoch für heute fast zu viel, wenn man bedenkt, dass dem
Publikum alles neu, und ausserdem die achte Symphonie von Beethoven voran-
gegangen war. War die Tante also vielleicht unter dem magnetisch sie bestreichenden
Blicken des dunkeläugigen Hector sanft eingenickt, so konnte sie nun doch seinen
lustigen Geschichten vom »Römischen Karneval* ein Lächeln nicht versagen, und
der letzte Applaus nach dieser Ouvertüre klang etwa wie ein gnädiges: «Sprich einmal
wieder vor, wenn du vorbeikommst.*^) Mir aber gönnen Sie zum Schluss für meinen
modernen Lieblingsmeister, für den stolzen und kühnen Helden Hector, für den viel-
stimmigen Komponisten und vielseitigen Schriftsteller Berlioz, für den grossen
') Ferdinand David (1810—1873), der berühmte Violinist.
*) Berlioz sagt in seinen Memoiren 11, 344 darüber (Paris, 18. octobre 1854):
»A Leipzig aussi, bien qu'on entende aujourd'hui ma musique avec d'autres oreilles
qu'en temps de Mendelssohn (ä ce que j*al pu voir, et ä ce que m*assure Ferd. David),
il y a encore quelques petits fknatiques, 61^ves du Conservatoire, qui me regsrdent, ssns
ssvoir pourquoi, comme un destmcteur, an Attils de Tart musical, m'honorent d'une
hsine forcen^e, m*to1vent des injures et me font des grimsces dans les corridores de
Gewandhaus quand ]*ai le dos toum^.*
^ »Le jenne pätre breton* von Berlioz (No. 5 der »Flears de landes*).
*) Berlioz selbst schrieb aus Leipzig an seinen Apostel Griepenkerl, den Vei^
fiasser der Brochüre »Ritter Berlioz in Braunschweig* : Tout le monde dit que j'y
si obtenu an grand snccds. II laut bien le croire malgr6 le flroidear de ce public que
je ne poovsis m'empöcher de comparer ä Tardear da public de Brunswick.
371
Humoristen des 19. Jahrhunderts, eine kleine Linnfttnfare anzustimmen. Wie sein
grosser Liebeskanon in der Karneval-Ouvertüre, diese eines Co rreggio würdige
Umarmung zweier Liebenden, von dem Gewüble und Lirm des Karnevals verschlungen
wird, um die Getrennten durch hunderterlei Hindemisse und Masken-Missverstind-
nisse sich durchwinden und wiederfinden zu lassen, so umarmt der liebevolle Ton-
Genius Berlioz die Muse und sieht lächelnd auf das wogende Treiben, versunken in
trunkne Umarmung. Da werden Stimmen laut, «Seht da,* ruft ein Polichinell auf die
Liebenden deutend: „Amor und Psyche!* Und der grosse Haufen bildet ehrfurchts-
voll Spalier vor der Gruppe, in welcher er die Statuen seiner grossen Meister, in
blühendes Leben verwandelt, erkennt und bewundert.
Von nun an wurden die Beziehungen zwischen Berlioz und Cornelius
immer reger:^) Cornelius, der schon den „Benvenuto Cellini** und »La fuite
en £gypte* für Weimar und Leipzig übersetzt hatte, übertrug nun noch
den Rest der „L'Enfance du Christ* sowie ferner „L61io*, »Les Nuits
d'£t6* und «La Captive* ins Deutsche zur höchsten Zufriedenheit von
Berlioz, der, unserer Sprache trotz seines langen Aufenthaltes in
Deutschland nicht mächtig, einmal an Liszt schreibt (14. November 1854):
«On me dit que la traduction allemande est trös bien faite et je te prie de
remercier trts particuliörement mon exact et spirituel traducteur.* Und
ein halbes Jahr früher (31. März 1854) heisst es: «Remercie de ma part
Mr. Cornelius pour la peine qu'il s'est donn6e et qu'il se donne, je ne sais
comment reconnaitre de telles marques d'int6r6t et de Sympathie*, und
stets fügt der Meister in seinen Briefen an Liszt einige liebenswürdigen
Worte für seinen deutschen Apostel bei. In der Tat, es hat vielleicht
zur Verbreitung der Berliozschen Vokalwerke bei uns kein Umstand mehr
als die trefflichen, gleich einem Originalgedicht erscheinenden Übersetzungen
von Cornelius beigetragen. Wenn unser gesamtes ausländisches Opem-
repertoire in so mustergültiger Weise übersetzt würde, dann könnte ein
guter Teil der jetzt so berechtigten Klagen über die Stillosigkeit romanischer
Opern auf deutschen Bühnen verstummen. — Schade nur, dass die direkte
Korrespondenz beider Männer nicht mehr vorhanden ist; sie Hesse, wenn
sie auch wohl kaum umfangreich wäre, da fast alles durch Liszts Hand
ging, doch interessante Schlüsse auf das Verhältnis dieser so verschieden
gearteten und doch durch die begeisternde Macht der Musik so eng ver-
bundenen Naturen ziehen. Der Einfluss, den Berlioz auf Cornelius übte,
*) Einen zweiten aus der Weimarer Zeit (also 1853—58) stammenden Artikel
über Berlioz hat Cornelius laut Angabe in seinem grossen Arbeitsbuch in der
Pariser »Gazette musicale* veröffentlicht ~ wahrscheinlich in einer von der Fürstin
Wittgenstein herrührenden fhinzösischen Obersetzung. Der bekannte Berliozschrift-
steller J. G. Prod'homme in Paris, der sich auf meine Anregung hin einer Nach-
forschung widmete, hat ihn leider nicht entdecken können. Vielleicht ist einer der
Leser dieses Aufeatzes so glücklich, ihn zu finden und mir näheres durch die
Redaktion der „Musik*^ mitzuteilen.
24*
fe;
372
DIE MUSIK m. 5.
a^
hatte zweifellos etwas DImonisches, dem Einfluss Wagners tat ihn eng
Verwandtes; und wie er diesem bei aller Selbstlndigkeit der Empflodong
und Erfindung im ,Cid' und in der «Gunlfid* Tribut zollen musste, so
war sein erstes eigenstes Werk, der .Barbier von Bagdad', wie er selbst
zugab, nicht frei von Berliozscben Einfiüssen. .Das tut aber nichtsi
Das Ganze ist doch eigentSmllcb und gehört mein,* setzt er diesem Be-
kenntnis an Liszt (12. Oktober 1855) hinzu. Und damit hat er Recht be-
balten: so organisch wie Berlioz das deutsche Musikempflndeo mit seinem
eigenen verschmolz, in dem Maasse hat Cornelius die Anregungen, die der
ausIXndische Meister ihm gab, als Eigentümliches in sich aufgenommen.
Und so schliesst er einen schönen Artikel über das Fest des .Allgemeinen
deutschen Musikvereins' im Jahre 1867 mit den Worten: .Das fühlen wir
alle: was wir Deutschen den Franzosen von unserem Gluck lassen müssen,
der nur auf dem von ihnen bebauten Boden der grossen Oper sein Höchstes
erreichen konnte, das müssen sie uns in Berlioz reichlich wiedergeben,
der nur an Beethoven, nur an der deutschen instrumentalen Durch-
bildung zur vollen Reife und zur vollen Wirkung gelangte.* ,In diesem
Sinne" brachte auch Cornelius in Wien 1866 auf Berlioz seinen schönen
Toast aus, der mit den Worten scbloss;
Du ritterlicher Singer, Teil reich Im Fenerceltte
Da Kflntller grou nod kfitan, Ihr Bild dch Dir erachlos*.
Dir soll ans dentsctasm Herien Hoch an Germanlas Hersen,
Ein Kraai der I.lebe blfifan! Hoch Hector Berlloil
ilio oder die Rückkehr ins Leben* ist die 1831 entstandene Fort-
setzung der „Symphonie Fantastique*. Während diese jetzt wohl das am
häufigsten gehörte Werk von Berlioz ist, blieb „Lelio* fast unbekannt.
Der Grund dafür wird aus dem folgenden hervorgehen.
Die „Fantastique* schildert mit orchestralen Mitteln die Traumbilder
eines durch Opium berauschten Künstlers. Im „Lelio* ist dieser „Artiste* wieder er-
wacht; er tritt als handelnde Person auf und zwar als die einzige dieses «Monodrame
Lyrique*. Wir haben es somit mit einer ganz besonderen Schöpfung des ebenso
genialen wie bizarren Franzosen zu tun, die gewiss in kein ästhetisches Schubfach
unterzubringen ist. Hier soll nur kurz erörtert werden, ob eine wirkliche Darstellung
möglich ist, die ohne Frage ein interessantes Werk wiederbeleben könnte.
Die Handlung vollzieht sich im Proszenium einer Bühne vor einem geschlossenen
Vorhang, hinter welchem Chor, Soli und Orchester stehen und sämtliche Musikstücke
(bis auf das letzte) unsichtbar ausführen.
1. Monolog: Lelio tritt ins Proszenium, schwach und wankend: »Gott, ich
lebe noch!* Der ganze schauerliche Traum der „Fantastique* zieht an ihm vorüber.
Dann gedenkt er seines Freundes Horatio und dessen Lieblingsliedes:
1. Musikstück: Goethes »Fischer*, von einem Tenor (Horatio) hinter dem
Vorhang gesungen. Zwischen der 1. und 2. Strophe spricht Lelio nur wenige Sätze;
zwischen der 2. und 3. spielen die Geigen die »Id6e fixe* aus der »Fantastique*, wozu
Lelio ruft »Sirene! Sirene! Mir bricht das Herz!*
2. Monolog: Lelio denkt an Hamlets Monolog »Sein oder nicht sein*; dann
an die Szene, wo der Geist von Hamlets Vater erscheint: sie hat ihn schon lange
zur Komposition gereizt. Er hört das Stück gleichsam von seinem Innern vorgetragen,
während er sich auf ein Ruhebett streckt.
2. Musikstück: Geisterchor, unisono mit Orchester.
3. Monolog: Lelio preist Shakespeare, dessen Verächter die verständnislosen
Routiniers und Theoretiker sind, die in der Kunst nur den Schlendrian, den Sinnen-
kitzel wollen. Ans dieser konventionellen Gesellschaft will Lelio fortstürmen: »in die
Abruzzen zu den Banditen, das ist Leben!*
3. Musikstück: Räuberlied. Männerchor mit Bariton-Solo des Hauptmanns.
4. Monolog: Lelio's Extase geht in Wehmut über, er weint Er sieht die
Geliebte, HoflPhung auf Glück zieht in sein Herz. Er hört sich selbst zur Harfe singen.
4. Musikstück: Hymnus des Glücks, von einem Tenor gesungen, gleichsam
-Lelio's eigene Stimme.
5. Monolog: Lelio beklagt, dass ihm wahre Liebe nie zuteil geworden. Dann
374
DIE MUSIK III. 5.
würde er in den Armen der Geliebten sterben und eine AolsharfSe Ober seinem Grabe
die Erinnerung früheren Glückes verhauchen.
5. Musikstück: die Äolsharfe. Zartestes Orchesterstück, dessen Klari-
nettenmelodie den Gesang des Glücks-Hymnus wiederholt
6. Monolog: Lelio (lebhaft) verscheucht alle schmerzlichen Erinnerungen und
Träume: die Musik soll ihn trösten» er will ausführen, was ihn lange beschiftigt bat:
die Komposition zu Shakespeares »Sturm*: Fernando seufte, Miranda lieble, der
wilde Caliban brülle und tanze, und Prospero gebiete den Geistern. Da gerade eben
sich Lelio's Schüler (Singer und Spieler) versammeln, will er von ihnen die Skizze
vortragen lassen. Er geht ab, der Vorhang erhebt sich, auf der Bühne sieht
man Chor und Orchester. Lelio tritt wieder auf. Nach einer Ansprache an die
Ausführenden dirigiert er das
6. Musikstück: Die Phantasie über Shakespeares »Sturm*. Chor (ohne Bisse)
und Orchester (nebst Klavier).
7. Monolog: Lelio entlisst dankend die Musiker. Der Vorhang schliesst
sich wieder. Lelio allein. Das »ideale* Orchester spielt noch einmal die »Id6e
fixe* der »Fantastique*. Lelio (schmerzlich): »Nochmals I* Tremolo der Streicher.
Schlussakkord der Flöten, dazu Lelio: »Nochmals — und für immer!* Er geht ab. —
So der Inhalt des »Lelio*. Er enthält Stücke, die zu den besten Eingebungen
von Berlioz gehören. Der Geisterchor ist voll düsteren Schauers, die »Aolsharfe*
mit ihrer in einen Sack gesteckten Klarinette und den Arpeggien der Harfb und
Streicher epochemachend für Instrumentation, vor allem die »Sturm-Phantasie* ein
weitausgeführtes Stück voll Leben und Poesie, reizvoll in der Firbung des Chors und
Orchesters, in der ganz italienischen Chor-Melodie, in der Episode des Caliban, der
ein Vetter des Polyphem, Osmin, Fafher ist, wenn auch nur instrumental dargestellt
Interessant hier die Verwendung des Klaviers (zwei Spieler) als Orchesterinstrumentes,
was erst in neuester Zeit wieder versucht worden ist
Aber nicht um die einzelnen Stücke handelt es sich hier, sondern um die
Möglichkeit der Aufführung so, wie Berlioz sie gedacht hat Nur eine gute Dar-
stellung kann praktisch Vert und Eindruck des seltsamen Werkes erweisen. Das
Problem reizt zur Lösung gerade jetzt, wo Experimente mit Chor und Orchester hinter
einer Schallwand wieder an der Tagesordnung sind: auch für diese Reform erscheint
Berlioz also als Bahnbrecher, die Wirkung des »Lelio* ist darauf basiert.
Ich wende mich an Felix Weingartner. Für ihn liegt die Aufführung des »Lelio*
am günstigsten. Er hat einst mit der »Fantastique 'Bresche gelegt in die Berlioz-Ver-
achtung seines Publikums. Er setze sie wieder auh Programm und füge, nach der
ausdrücklichen Vorschrift des Autors, als zweiten Teil den »Lelio* hinzu. Seiner
Begeisterung kommt das Lokal zu Hilfe. ^Sein Orchester spielt ja auf der Bühne,
der Vorhang (eine Zwischenakts-Gardine I) ist schon vorhanden, der schmale Raum
davor genügt für die wenigen Requisiten des Monologlsten. Einen guten Darsteller
des Lelio zu finden (Kainz wäre der geeignetste) wird nicht schwer halten; dieser darf
sich l>eUeibe nicht ironisch nehmen, sondern muss sich mit dem überschwinglichen
Geist des jungen Berlioz erfüllen, um dss Publikum mitzureissen.
Nun aber die einzige Schwierigkeit: Lelio hat auch die »Sturm-Phantasie* zu
dirigieren. Wir haben wohl Dirigenten, die Schauspieler sind, aber keine Schau-
spieler, die dirigieren können. Indes gibt es eine Aushilfe: man lasse die Worte
einfach fort, die der Dirigent vor und nach dem Stück zu seinen Musikern und
Slngem zu sprechen hat Seine Mahnungen, nicht zu schleppen, nicht die Noten
vor den Mund zu halten, auf den Taktstock zu sehen, wirken ohnehin nur störend
^
375
to-5 STERNFELD: IST DER .LELIO" AUFFOhRBAR?
und komlscb. Es muBS iber allea vennjedeti werden, was einer ernsten Silmmung
Eintraf tut Also der Dirigent spreche überhaupt nicbt. Er muss allerdings von der
RGcIcseite In Kleidang und Haartractai so susseben, wie der Scbauspleler, denn die
lUusIoQ, dass Lello der Dirigent ist, darf nicht fehlen. Lello hraacht ja olcbt vor
der .Phantasie* einiutreteo, sondern der Dirigent steht schon vor dem Pult, wenn
der Vorbang auseinandergeht, der sich am Schlüsse des StQckes sofort schliesst. So
wird die einzige Klippe vermieden, an der die Ausführung scbeiiern kSnnte.
Beriioz bat den HLelio* sehr ernst genommen; er hat ihn seinem Sohne Louis
gewidmet. Er hat sein Terk vermutlich nie so gesehen, wie es gedacht war; denn
«b die erate, 24 Jahre nach der Vollendung in Weimar am 21. Februar 1855 von
Berlioi selbst dirigierte Auff&brung nach dem Original inszeniert war, scheint mir
zwelfelhan. Möge uns Teingartner in Berlin') den Ur- und Original- Lello bescheren.
*) Karl Kljndwonb, der Urheber der unvergesslicben Aufführung der .Dam-
nation" hat im Berliner Wagner-Verein ebenfalls am 4. Nov. 18S9 die „Aolsharfe-
und die ^Sturm-Phantasie' mit grossem Gelingen zu Gehör gebracht.
MUSIKALIEN
45. Hector B«rU(u: ReaarrexitfQrCboruadOrchrater. Klavlerausiug mit Text ran
O. Tanbrnami. Verlag: Breltkopr&Hinel, Leipzig (VolkaaasgatM No. 1965.)
Die (rosse moaumentale GeMmtaasgabe der Berllouchen Verke, die, bearbetlet
von Felix Teiatartaer und Cbarlea Malberbe, bei Breitkopf & Hirtel eracheint, hat
alcbt nur das Verdienst, dass sie das gesamte Scbaihn des genialen Franzosen, sovelt
es bisber bekannt var, zum erstenmal zusammenfasst nnd in einem krlliscb revidierten
autbeatlBcben Text hstlegt, sie bringt aucb verscbledeoes vieder ans Tagesllcta^ das
man ginilicb verloren geglaubt batte, oder vaa doch, wenn man es scbon vorhanden
wuaste, lUTor fiberhaupt nocb nicht durch den Dmck pnbliiiert worden war. Zu diesen
wieder aurgehindenen Stücken, die nach des Komponisten eigener Angabe Temlctatel
worden sein sollten, gebort auch das Resurrexlt fSr Chor und Orchester. Es war ein
Teil der Messe, die Berlloz gant im Anfang seiner Laufbahn geschrieben hatte, und die
er selbst «une Imitation maladroite da atyle de Lesueur* (seines Lehrers} nennt (MÖ*
moires 1, 36). Am 28. Dezember 1824 (danach ist die Angabe des Taubmannschen
Klavierausings : komponiert 1825, su berichtigen) wurde das Werk unter sehr unglGck-
licben Umstinden in der Kirche St Roch probiert, daraufbin vom Komponisten ginzlicb
umgearbeitet und dann in derselben Kirche am 10.JulllS25uod tum iweilenmal amCicilien*
tage (22. November) 1827 In Sl Euatache zur Aufführung gebracht. Offenbar hielt Berlloz
selbst das Resurrexlt fGr das beste St&ck der ganzen Messe. Denn er hat noch in wleder-
holtenmalen (lulelil in Rom 1831) die bessernde Hand daran gelegt, und wir begegnen
Ihm nocb zweimal auf Programmen Berlloischer Konzerte: am 26. Mal I82S nnd unter
dem Titel „Le Jugement demier" am 1. November 1829. In aelner definitiven Gestalt
hat es der Meister nach seiner eigenen Angabe (M<molres I, 243), die von Adolphe
Jalllen allerdings bezweifelt wird, an die Pariser Akademie als sogensnnten .Envot de
Rome" geschickt und damit den , Unsterblichen" einen flbeln Possen gespielt (Der
aEnvol de Rome' aollie nimllch eine neue, wihrend des rSmlseben Auhnthalts selbst
gefertigte und die Fortschritte des jungen Kfinstlera bezeugende Arbeit sein!) Ffir uns
hat daa Resurrexlt bauptalchlich bistorisch-blographiscbei Interesae. Nsmentlich zwei
Stellen sind merkwfirdlg. Znnicbat das Andante maestoso [K1.<A. S. 4f.) vor dem .Et
Iteniro veotums est". In ihm fcCndlgen sich nimllch scbon deutlich erkennbar die be-
rühmten grossen Es-dur- Fanfaren des Requiem an. Nor daae aus den aechs Trompeten,
vier HSmem, drei Posaunen und zwei Opbicielden der Messe in dem spiteren Terke
die micbtlgen vier Nebenorcbester geworden sind, die eine so unglsubllche VIrknng
machen, und dssa das Ganze weiter ausgeführt erscheint Tenn Beriloz von einem seiner
Jugendwerke sagt, dass er es vemicbtei habe, so helsst daa meist nicht mehr, als dass
er es sIs nicht vorhanden angesehen wlsaen wollte, well er Teile oder einzelne Modve
aus ihm In spitere Tei^c herfibergenommen hatte. So sehen wir denn anch, wie das
Resurrexlt vom Komponisten für das erste Pinsle seiner Oper sBenvenuto Cellini' ver-
wendet worden Ist. Die michlige Unlaono-Slelle .Et exapecto*, die er In einem Briete
vom 29. November 1827 seinem Freunde Humbert Ferrand mittdit mit dem Bemerken,
377
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
dass sie bei der Auffiihrung »une impression terrible* bervorgebracht habe (Lettres intimes
S. 5 f.), sie findet sich notengetreu in der Oper (»Ah! eher canon du fort St. Ange*).
46. Heetor Berlioa: Heroische Szene (Der Aufstand der Griechen). Dichtung
von Humbert Ferrand. Deutsche Übersetzung von Emma Klingenfeld.
Klavierauszug mit Text von Otto Taubmann. Verlag: Breit]copr& Hirtel,
Leipzig. (Volksausgabe No. 1961.)
Auch die .Heroische Szene* gehört zu den vor Erscheinen der Gesamtausgabe
nicht allgemein bekannten Werken des Meisters. Sie ist nach Jullien 1825 oder 1826
komponiert (der Klavierauszug gibt das Jahr 1828 an) und kam in dem gleichen Konzert,
auf dessen Programm auch das Resurrexit figurierte, am 26. Mai 1828 zur ersten Auf-
führung. Das Manuskript befand sich später im Besitz von Mr. Martin, dem Direktor
des Marseiller Konservatoriums. Als nach dessen Tod im Jahre 1885 seine grosse
Musikaliensammlung in Paris versteigert wurde, erstand Weckerlin, der Bibliothekar des
Pariser Konservatoriums, die Handschrift um 72 Frs. (A. Jullien, H. Berlioz S. 35 Anm.).
Berlioz selbst sagt, dass diese Komposition den Einfiuss Spontini's verrate (M6moires
I, 55). In der Tat ist ihr »heroischer* Charakter ganz von der Art, wie der Meister der
»Olympia* diesen Begriff fiuste: kriegerisch-militärisch. Harmonisch sehr einfach und in
der Erfindung wenig eigenartig, zeigt diese Jugendarbeit doch schon einen prächtig ent-
wickelten Sinn für den Aufbau in grossen, kontinuierlich sich steigernden Linien, ein
Vorzug, der ihr auch heute noch eine gewisse äussere Wirkung sichern könnte.
47. Heetor Berlioz: Religiöse Betrachtung (Meditation rdligieuse). Nachworten
von Th. Moore. Deutsche Obersetzung von F. Graf Sporck. Klavier-
auszug mit Text von Otto Taubmann. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
(Volksausgabe No. ig7&)
Diese kleine Komposition für sechsstimmigen gemischten Chor und Orchester ist
eine der wenigen Früchte von Berlioz' an neuen Arbeiten so wenig ertragreichem
italienischen Aufenthalt (1831—1832). Das Manuskript ist datiert vom 4. August 1831.
Späterhin (1854) hat der Meister den Chor als erste Nummer in sein op. 18 (Tristia,
drei Chöre mit Orchesterbegleitung) aufgenommen. Hier haben wir nun schon den
ganzen und echten Berlioz. Mit seiner mächtigen Ausdrucksgewalt, mit seiner er-
greifenden Stimmungspoesie, aber auch schon mit all den Eigenheiten seiner oft so
seltsam anmutenden und doch so wirkungsreichen Technik. Wie er z. B. in seinem
Chorsatz unbekümmert um alle Satzbedenklichkeiten einzig und allein den Klangeflfekt
im Auge hat und was dergleichen mehr ist Es wäre sehr zu wünschen, wenn diese
Neuausgabe Veranlassung würde, dass man diesem wehmütig ernsten Tongedicht, mit
dem sich allerdings keine populären Wirkungen erzielen lassen, das vielmehr durchaus
nur ein Bissen für den Kunstgourmet ist, auch im Konzertsaal häufiger begegnen würde.
48. Heetor Berlioz: Der fünfte Mai. Gesang auf den Tod des Kaisers Napoleon.
Opus 6. Dichtung von P. de B oranger. Deutsch revidiert von Felix
Weingartner. Klavierauszug mit Text von Otto Taubmann. Verlag:
Breitkopf & Härtel, Leipzig. (Volksausgabe No. 1975.)
Man weiss, wie gross die Schwärmerei Berlioz' für den ersten Napoleon gewesen
ist, in dessen Glanzzeit des Meisters erste Jugend fiel. In der Komposition des Fünften
Mai hat diese Begeisterung ihren künstierischen Niederschlag gefunden. 1834 (nach
Jullien; der Klavierauszug gibt 1832 an) geschrieben und am 22. Nov. 1835 zum ersten-
male angeführt, gehört diese Kantate, in der das Bass-Solo die Hauptsache ist, während
der Chor mehr nur eine untergeordnete Rolle spielt, zu jenen im edelsten Sinne des
Wortes volkstümlichen Werken, die wir bei Berlioz immer dann entstehen sehen, wenn
er sich als national empfindender Franzose an das allgemeinsame Fühlen seines Volkes
378
DIE MUSIK UL S.
weadec Was Richard Wagner einmal von der JaU-Symphonie gesagt, dass jeder Gaaaia
mit Mauer Blase and roter Mfitze sie bis aaf den Grand Terstehen mnsse, and dass
sie existieren and begeistern werde, solange eine Nation ezistien; die sich Franzosen
nennt, — es gilt in etwas anch von dem Fünften MaL Gelegentlidi seiner Kanst-
reisen hat Beriioz dieses Stock aach mehrmals mit grossem Erfolg in Deots^-
land anfjiefahrt, wobei man allerdings bedenken mnss, dass in den 40er Jahren
der Zanber der Napoleonischen Legoide auch in dentschen Herzen noch aaf Wider-
hall rechnen konnte, woran heate nicht mehr zu deaken ist Und gewiss kann
nar ein Franzose die elegische Wehmat dieser Traaer am den gestorbenen Hdden-
Icaiser gtnz nachf&hlen. Aber ein Versach, wie weit die künstlerische Wirkung der
Kantate aach ohne diese nationalen Vorbedingnngen geht, würde sich immerhin Ter-
li^men. Während die dentschen Übersetzungen der Heroischen Szene und der Kaiser-
hymne (s. u.) im grossen Ganzen recht tüchtig sind, und die Sporcksche Obersetznng
der Meditation r^ligieuse sogar vorzüglich genannt werden kann, bitte Felix Weingartner
bei dem Fünften Mai yielleicht besser getan, statt die Übersetzung nur za reridieren,
sie gtnz neu zu machen, was ihm bei seiner in eigenen Textdichtungen schon oft be-
währten grossen sprachlichen Gewandtheit gewiss nicht schwer gefallen wire.
40. Hector Beriioz: Kaiserhymne (L'Imp^riale) für zwei Chöre und zwei Orchester,
op. 26. Dichtung Ton Capitaioe La fönt Deutsche Übertragung Ton Emma
Klingenfeld. Klavierauszug mit Text von Philipp Scharwenka. Verlag:
Breitkopf & Hirtel, Leipzig (Volksansgabe No. 196^.
Im Jahre 18S5 fknd in Paris die erste kontinentale Weltausstellung statt Vom
Prinzen Napoleon (Plon-Plon), dem Generalprisidenten der Ausstellung, beauftragt, den
musikalischen Teil der am 15. November erfolgenden feierlichen Preisverteilung zu
organisieren, schrieb Beriioz die Gelegenheitskomposition, die er an diesem und am
folgenden Tage mit ungeheuren Mitteln, einem Chor von 600 Stimmen und einem wahren
Monstre-Orchester, zur Aufffihrung brachte und später dem Kaiser Napoleon UL widmete.
Es ist natürlich, dass ein solches nicht aus innerem Antrieb entstandenes Werk — wie
Julllen sich ausdruckt — »ne marque gu^re dans sa carri^re*. Aber es ist brillant ge-
macht, und wurde sich, wenn man den Text den veränderten Umständen adaptierte, sehr
wohl dazu eignen, bei einer ähnlichen festlichen Gelegenheit wieder einmal hervorge-
zogen zu werden. Ober die Güte der Klavierauszuge dieser Werke (45—40) kann ich, da
die Partituren mir augenblicklich nicht zur Hand sind, kein Urteil abgeben.
50. Heetor Beriioz' Werke: Neue Bearbeitungen f&r Klavier zu zwei Händen
von Otto Taubmann, a) Waverley, Ouvertüre, op. l^: b) Rob. Roy,
Ouvertfire (bisher unveröffentlicht), c) Der Korsar, Ouvertüre, op. 21. d)
Benvenuto Cellini, Ouvertüre, op. 23. e) Römischer Karneval,
Ouvertfire, op. 0. f) Ungarischer Marsch aus Fausts Verdammung, op. 24.
g) Sylphen tanz aus Fausts Verdammung, op. 24. b) Tanz der Irrlichter
aua Fausts Verdammung, op. 24. I) Beatrlcejund Benedict, Ouvertüre,
k) Beatrice und Benedict, Ouvertüre, vierhändig. 1) Die Trojaner In
Karthago, VorspleL Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Beriioz ist unter den grossen neueren Komponisten vielleicht der einzige, der
ganz und gar unabhängig vom Klavier geschaffen hat In keinem Stadium des Kompo-
nierens, weder bei der Konzeption, noch bei dem Skizzleren, noch auch bei dem Aus-
arbeiten seiner Gedanken nahm er die Taaten zu Hilfe. Ja, wenn er es auch gewollt
hätte, so wäre es ihm unmöglich gewesen: denn das Flageolett, die Flöte und die Gultarre
waren bekanntlich (ausser der Pauke) die einzigen Instrumente, die er spielte. Damit
hängt ea nun ganz zweifellos zusammen, dass seine musikalische Ausdnickswelse un-
379
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
kUviermässiger ist als die jedes anderen Komponisten. Und wie seine Gedanl^en in
keiner Weise aus dem Klavier herausgewachsen, ja nicht einmal in irgend einer Weise,
wenn auch nur nebensächlich, durch die Klangwelt dieses Instrumentes beeinflusst sind,
so lassen sie sich auch nicht fürs Klavier übertragen. Das Pianoförte-Arrangement eines
Berliozschen Orchesterwerkes ist — von wenigen Ausnahmen abgesehen — immer ein
Versuch, das Unmögliche möglich zu machen, ein Versuch, der niemals gelingen kann,
sondern bei dessen Beurteilung es einzig und allein darauf ankommt, ob er mehr oder
minder missgluckt ist Otto Taubmann hat sich in seinen Bearbeitungen ersichtlicher
Weise vor allem bestrebt, möglichst einfach und leicht spielbar zu schreiben. Dass
dabei nicht immer ein sehr klangvoller Klaviersatz herausgekommen ist, lisst sich
denken. Ja, man kann kaum von einem einzigen dieser Stücke — die vierhindige Bea-
trice und Benedict-Ouvertüre vielleicht ausgenommen — sagen, dass die Bearbeitung
auch nur einen ungefihren Begriff von dem vermittle, was in der Partitur steht Aber,
wie gesagt, das liegt mehr in der eigentümlichen Schwierigkeit der in idealer Weise
überhaupt unlösbaren Aufgabe begründet, als dass dem Bearbeiter daraus ein Vorwurf
zu machen wire. Manchmal ist freilich auch e r nicht ganz glücklich gewesen. Die Ober-
tragung des Vorspiels zum zweiten Teil der Trojaner — um nur eins herauszugreifen —
bedeutet z. B. nicht durchweg eine Verbesserung gegenüber dem alten dürftigen Arrange-
ment in dem in Paris erschienenen Klavierauszug der Oper. Auch wimmelt's da von
den entsetzlichsten Druckfehlem. Wie denn überhaupt auch für die andern Stücke zu
bemerken ist, dass auf die Korrektur etwas mehr Sorgfalt hätte verwendet werden können.
51. Hector Berlioz' Vl^erke: Bearbeitungen für Pianoforte ä 2 ms. von August
Stradal. Drei Stücke aus der Symphonie .Romeo und Julie*, a) Fest
bei Capulet b) Adagio (Liebesszene), c) Fee Mab, Scherzo. Verlag:
J. Schuberth & Co., Leipzig. (Edition Schuberth No. 7428—7430.)
Eine ganz andere Absicht als Taubmann verfolgt Stradal mit seinen Klavier-
bearbeitungen. Während jener die Technik des Durchschnittsklavierspielers im Auge
hat und vor allem leicht spielbar übertragen will — ohne es freilich immer und überall
auch erreichen zu können — , denkt der Lisztschüler an den Virtuosen und scheut vor
keiner Schwierigkeit zurück. Dadurch ist die Aufgabe des Übertragers natürlich leichter
geworden. Und trotzdem kommen bisweilen noch unmögliche Dinge heraus. Es gibt
da eben Klippen, an denen selbst der beste Wille und das tüchtigste Können scheitern
müssen. Die liebevolle Begeisterung und der emsige Fleiss, die Stradals Arbeiten doku-
mentieren, sie verdienen alle Anerkennung. Aber, so muss man sich doch fragen, wem
soll mit diesen Bearbeitungen gedient sein, für welches Publikum sind sie berechnet?
Vortragsstücke, die der Virtuos im Konzertsaal gebrauchen könnte, sind sie nicht, für den
gewöhnlichen Dilettanten sind sie zu schwer, und jene Musiker und besseren Dilettanten,
die sie technisch bewältigen könnten, sind doch wohl meistens auch imstande, die
Partitur zu lesen und dadurch sich von einem Orchesterstück ein so deutliches An-
schauungsbild zu verschaffen, wie es keine Bearbeitung, auch nicht die beste, zu geben
vermag. Haben überhaupt Klavierübertragungen von ernsten und komplizierten Instru-
mentalwerken heute noch einen Sinn? Wäre es nicht zweckdienlicher, statt des Klavier-
auszugs eine Art von übersichtlicher, aber keinerlei Prätention auf „Spielbarkeit" er.
hebender Particeila zu veröffentlichen? Oder aber — um einen radikalen Vorschlag zu
machen ~ das Partiturlesen und Partiturspiel durch Abschaffung des ganzen Trans-
positionswesens, das auch höherstehende Dilettanten so oft abschreckt und heute doch
nicht viel praktischen Sinn mehr hat, so zu erleichtem, dass die Verleger mit einem
Massenabsatz der Orchesterpartituren rechnen und darnach die Verkaufspreise wesentlich
wohlfeiler ansetzen könnten? Ein Ziel, aufe innigste zu wünschen! Dr. Rudolf Louis.
OPER
AACHEN: Eine ziemliche Anzahl landliuflger Opern kam im ganzen sorgfiltig vor-
bereitet auf die Bretter. Sigrid Amoldson mimte Mignon und Carmen in bekannter
Gfite. Als Novitit stellte sich Verdi's ,,Othello* vor, ein Werk, das besonders im vierten
Akt an Schönheiten reich ist. Wie es sonst mit Urauff&hrungeny Novititen, Cyklen aus-
sieht, von denenfman in den Nachbarstidten allerlei redet? In dieser Beziehung gehöre
ich leider nicht mehr zu den Optimisten. Jos. Liese.
BREMEN: Die Urauff&hrung von zwei kleineren musikdramatischen Werken, Th. Ger-
lachs Melodram (Sprechoper nennt er es selber) j^Liebes wogen* und Rieh. Batkas
Schiferspiel »Der Kuss*, folgte Oskar Schröters Jodocus nach kurzem Zwischenraum.
Beide, Gerlach und Batka, wollen unser Publikum aus dem Oberpathos des modernen
Musikdramas in die vormozartliche Zeit zurückretten. Der erste im Ernst, der zweite
im Scherz. Th. Gerlachs, des Komponisten des Matteo Falcone, neues Werk, ignoriert
leider die ganze musikdramatische Entwicklung der Oper seit mehr als einem Jahr-
hundert und knfipft — es gehört wirklich Mut dazu — an Bendas Ariadne und Medea
wieder an. Gerlach will, fireilich mit Hilfe einer ganz modernen, anerkennenswert dis-
kreten, leider die iusseren Vorginge mehr, als die innere Stimmung malenden sym-
phonischen Orchesterbegleitung das Ideal des schon von J. J. Rousseau ertriumten
Melodrams erreichen. Statt aber ein kleines Drama zu geben, wenn auch nur ein intim
psychologisches Monodram (Psychodram nannte man es auch), bleibt er bei einer Art
von lebendem Bilde mit viel pathetischen Deklamationen, einem kurzen Chorsatz und
einigen kurzen liedartigen Sitzen stehen. Der Text Gerlachs zeigt den Dichter der
Heineschen Nordseebilder an Bord seines auf der Fahrt begriffenen Schiffes; hier
deklamiert er auf- und niederwandelnd, im engsten rhythmischen Anschluss an das Or-
chester, mit vorgeschriebenem Tonfell einen aus Kraftstellen der Nordseebilder (Thalatta,
Thalatta!) bunt zusammengewürfelten weltschmerzlich erregten Text. Dieser Text findet
erst ein unnatürliches, aber nicht unerwünschtes Ende, wenn der deklamierende Dichter
im Leidens-Paroxysmus über Bord stürzt Kein: Doktor, sind Sie des Teufels I rettet ihn»
noch auch, so fürchte ich, die Sprechoper, die trotz Gerlach und Humperdincks „Königs-
kinder* nichts anderes, als das alte Zwitterding ist, das man Melodram nennt — Richard
Batka ist auch ein ganz Modemer und doch Reaktionir, aber glücklicherweise ein viel
nngefihrlicherer und unterhaltenderer als Gerlach. Er hat die Rokokograzie einer
hübschen Auswahl von Melodieen von Gluck, Mozart, Beethoven und J. A. P. Schulz
(die bekannte Gavotte von Lully leitet das Schiferspiel ein) zur Veredlung des sorglosen
Oberbrettlsingspiels benutzt Ein gewiss nicht schlechter Gedanke. Leider ist ihm aber
der Text seines Schiferspiels (Der Kuss), das sich ihnlich wie Goethes „LAune des
Verliebten* mit einem doppelten Liebespaar begnügt, aber leider durchaus nicht die
Goethesche Charakteristik hat, allzu ferblos geraten; für das Oberbrettl zu wenig pikant
und für die anspruchsvollen Weltbretter zu harmlos, um mehr als ein fiüchtiges, aber
nicht nnfireundliches Liebeln hervorzurufen. Um die schwierige Deklamation der Ger-
lachschen Sprechoper machte sich unser tüchtiger Heldendarsteller, Herr Mayr, verdient,
und die liebenswürdige Wirkung des Batkaschen Kusses musste Frl. Laube durch ihren
381
KRITIK: OPER
sauberen Gesang und ihre Schelmerei ftist allein bestreiten, da die drei anderen eifer-
sfichtig Verliebten des Kussquartetts besonders gesanglich sehr fehl am Orte waren.
Dr. Gerh. Hellmers.
BRONN: Eine der erfreulichsten Errungenschaften der Direktion Lechner ist die Auf-
nahme der ,piMeistersinger% die früher nur ab und zu auftauchten, in das stindige
Bfihnenrepertoire. Auch heuer erschienen sie wieder, und mit ihnen der «Tristan* in
recht gerundeten Aufführungen. Im übrigen bewegt sich der Spielplan in ziemlich aus-
gefkhrenen Geleisen, nur kann man erfreulicherweise feststellen, dass sich das Niveau
der Aufführungen in qualitativer Hinsicht allmiblich hebt, was wohl der grösseren Sorg-
falt, die man jetzt der Oper widmet, zuzuschreiben ist. Die neuengagierten Krifte» und
zwar das jugendlich-dramatische Frl. Szika, die Opemsoubrette Frl. Rüders und der Bariton
Mechler wissen sich gut dem Ensemble anzupassen. Siegbert Ehrenstein.
DANZIG: Unter günstigem Stern erschienen zehn bekannte Werke gut, zum Teil vor-
züglich. Hervorragend wirkten Schwab (Dirigent), Tinzler (Tenor), Grützner (Bariton),
Ollner (Koloratur), Marie Götze dreimal als Gast (Orpheus). Dr. C. Fuchs.
DESSAU: An den Anfang der dieswinterlichen Saison stellte sich unter Franz
Mikoreys Direktion eine geschlossene Aufführung des Nibelungenringes. Im »Sieg-
fried* und der »Götterdimmerung" gastierte Frau Schumann-Heink als Erda bezw.
Waltraute mit grossem Erfolg. Auch im „Tannbäuser* wie im «Zar und Zimmermann*
wurde die Tugend der Gastlichkeit geübt. In ersterem sang Frl. Dazara die Elisabeth,
in letzterem Herr Troitzsch den Zaren. Beide befriedigten nach der gesanglichen Seite
hin. Ausser den genannten Werken erschienen auf dem Repertoire »Der Zigeuner-
baron*, jyMargarete*, „Die lustigen Weiber von Windsor* (Frau Feuge war eine treffliche
Frau Flutb), «Bajazzo* und «Cavalleria rusticana*. Eine Neueinstudierung von Verdi's
«Der Maskenball* bildete das jüngste Ereignis. Ernst Hamann.
DRESDEN : Im königlichen Opemhause gab es in den letzten zwei Wochen nicht viel
Bemerkenswertes. Die Tatsache, dass «Odysseus' Tod* von August Bungert trotz
der darauf verwandten künstlerischen Mühen beim Publikum nicht viel Anklang findet,
wirkte naturgemiss lähmend auf den Spielplan ein. Hervorzuheben wiren nur eine teil-
weise Neueinstudierung von Mozarts «Figaros Hochzeit*, wobei Erika Wedekind als
Susanne und Emil Greder als Figaro neu waren, und eine Aufführung von
«Tristan und Isolde*, die sich nur durch ein Gastspiel des Ehrenmitgliedes Tberese
Malten ermöglichen Hess, da wir infolge des schwankenden Gesundheitszustandes der
Frau Witticb, die schon lingst die Isolde singen sollte, keine stindige Vertreterin dieser
Rolle in unserm Ensemble haben. Frl. Malten riss bei ihrem Gastspiel die Hörer wieder
zu den stürmischsten Begeisterungsausbrüchen bin. Den Kurwenal sang mit recht gutem
Erfolg zum ersten Male Herr Kiess, ein junger Baritonist, der zu Beginn der Saison
erst hier eingetreten ist, aber bereits zahlreiche Beweise eines auf schöne und wohl-
gebildete Stimmmittel sich gründenden Talents erbracht hat. F. A. Geissler.
ESSEN : In unserm Stadttbeater wirft die mit nicbstem Winter eintretende Vereinigung
der Essener mit der Dortmunder Bühne schon ihre Schatten voraus. Zunichst hat
die Leitung einige für die vereinigten Theater gewonnenen Krifte schon für dies Jahr
verpflichtet und dadurch das Ensemble gegen früher erheblich verbessert und dann führt
sie uns eine Reihe der in Aussicht genommenen Künstler schon jetzt in Probegastspielen
vor. So hat man denn alle Ursache, mit dem Gebotenen zufrieden zu sein, denn die
Aufführungen stehen auf einer hier firüher nicht gekannten Höhe. Tannhiuser, Meister-
singer, Königin von Saba und Oberen, die bisher den Spielplan beherrschen, bekommt
man an Bühnen gleichen Ranges schwerlich in solcher Güte zu hören.
Max Hehemann.
DIE MUSIK IIL 5u
FRANKFURT A. JUL: Fnui Scfatmumii-Heiiik liane naserer B&kae, mnf der sie noch sie
gesehen wurde, ein Gastspiel als Fides Im »Prophef* xofessgty mscirte aber die
Sache wieder rnckcinps. An ihrer Scdle erschien einife Tafe ^iier Qttilie Jüetzfer-
Fnritzheim, die fnr die berfihmte Altpartie eine nmfaigreidie, wohlcd^üdele StianM sowie
ein fsnzes Empfinden mitbmchte and sdiUesslich anch als geborene Frankfdrterin ein
kleines Obergewicht in die Wagschale des Erfolges werfen konnte. Unser Heldentenor
Forchhammer war an dieser Anffohrong nidit nnr als Darsteller des Johann Ton Leiden,
sondern anch als teilweiser Oberarbeiter des einer Nadhnlfe gewiss sehr bedfirftigea
Textes beteiligt, ebenso rührten einige praktischen Massnahmen in der scenischen Ein-
richtnng des 3. Anfzoges von ihm her. Hans PfeilschmidL
HAMBURG: In den letzten Wochen zehrte die Oper in der Hanptsadie Ton Vieder-
holnngen der im ersten Monat in den Spielplan an^goioinmenen Verke, nnd nnr
bedichtig erweiterte sie den Kreis ihrer Anffahrnngen« Erwibnenswert ist allenCdls eine
Neneinstndientng von M^hnls aJosef, einem Werke, das man eigentlich nicht imgem
dem Konzertsaal fiberlassen wurde, in den es, seinem StO nach, anch vid besser passL
Trotz einer recht gnten Anffohning unter Kapellmeister Stransky war der Erfolg misslg
und trotz der als wundervoll bekannten Leistung Birrenkovens in der Titrirolle hatte die
Ankfindigung des aJosef" genfigt, um die Hamburger am Theater vorbetzutreiben. Auch
Blechs „Das war ich* erschien wieder im Repertoire, leider in einer ziemlich tm^nck-
lichen Aufbssung und einer reichlich verwischten Aufffihnmg unter dem Chordirektor
Kittel. In der „Aida* begann lud schloss Frl. Olfenberg vom KOlner Stadttheater ein
Gastspiel. Da die junge Dame indisponiert war, konnte mau zu einem abschliessenden
Urteil nicht gelangen. Aber dass dramatische Rollen, wie die der Aida, ihr nicht liegeti,
Hess sich doch mit Sicherheit feststellen. Zwei Konzerte Franz von Vecseys haben dem
kleinen Wundermann auch bei uns allgemeine Bewunderung lud stürmische Ovationen
eingetragen. Heinrich Chevalley.
HANNOVER: In der kgl. Oper wurde weiter gastiert. Ausser dem schon genannten
Herrn Schirmer, der noch im „Prophet* nnd in „Cavalleria nuticana* mit
gleich gutem Erfolge wie s. Z. in „Lohengrin* und „Tristan* auftrat, bewarb sich noch
Herr Classen aus Köln um das Heldentenorfuch. Als Tamino und Lyonel gastierte
femer als Bewerber um das ebenftlls freiwerdende Fach des zweiten lyrischen Tenors
Dr. Coppony aus Freiburg i. B., nnd zeigte sich hierin als stimmbegabter, intelligenter
Singer, der besonders auch ffir kleinere Spielpartieen (David) eine sehr branchbare Kraft
bedeuten wfirde. — An Novititen zu denken ist immer noch Vermessenheit
L. Wnthmann.
KARLSRUHE: Die Karlsruher Oper hat gleich nach dem Ausscheiden Felix Mottis,
der nun nach seiner Rfickkehr von Amerika definitiv an die Mfinchener Oper fiber-
siedelt, eine Premiere und zwar die hier noch neue phantastische Oper Oflfonbachs „HofT-
manns Erzählungen* unter Leitung von Hofkapellmeister Lorentz herausgebracht nnd
in der Feinheit der Einstudierung und der wirkungsvollen Darstellung gezeigt, dass
sie gesonnen ist, nach wie vor unter den deutschen Opembfihnen eine erste Stelle
zu behaupten. Vielleicht noch dentiicher ging das aus der AuffGhrung des „Lohengrin*
unter Hofkapellmeister Gorter hervor, so prachtvoll abgerundet und so musikalisch
plastisch trat das hehre Werk in der Ffille seiner Schönheit vor uns hin. Nur die
Chöre wollen, wie schon frfiher, hierbei nicht recht mittun. In Fri. Robinson vom
Königl. Theater zu Wiesbaden, die vom nichsten Herbst ab die Nachfolgerschaft Frau
Mottis fibemimmt, ward uns eine schitzenswerte Elsa beschert Eine Neueinstudierung
des Kienzischen „Evang^limann* zeigte die Herren Ramend und Bfittner als ungleiches
Bruderpaar abermals von vollendeter Anschaulichkeit in Spiel und Gesang. In Nesslers
383
KRITIK: OPER
j^Trompeter von Sikkingen** bat Herr Schillings-Ziemsseiiy bektnnt durch seine Kompo-
sitiooen vom letzten Basler Tonkünstlerttg, den ersten Beweis seiner Tüchtigkeit tls
umsichtiger Opemdirigent Albert Herzog.
KÖLN: In den Vereinigten Stsdtthestem wird ungemein fleissig gearbeitet und die in
fast ubergrosser Zahl herausgebrachten Opern der verschiedensten Genres zeigen
durchweg eine so gute künstlerische Abrundung und soviel Wechsel in ihrer solistischen
Besetzung, dass das zunehmende Interesse des Publikums an der ganzen Art und Weise
der Direktion Purschian sehr gerechtfertigt erscheint. Ober den Beginn einer Serie von
UraufTühningen wird demnichst zu berichten sein. Paul Hill er.
LEIPZIG: Von der hiesigen Oper, in deren Spielplan Don Juan, Hinsei und Gretel,
Bajazzo, Louise, Prophet, Fidelio, Rigoletto, Carmen, Troubadour und Euryanthe,
einander ablösten, gibe es für diesmal kaum etwas besonderes zu bemerken, wenn nicht
in einzelnen Vorstellungen mehr oder minder berühmte Gastsingerinnen sich bitten hören
lassen. Nach Erika Wedekind, die sich mit Erfolg als Gilda vernehmen Hess, kam Frau
Burrian-Jelinek, deren Carmen vorwiegend als Darstellung interessierte, und schliesslich
Frau Schumann-Heink, die als Azucena trotz wahrnehmbaren temporiren Ermüdetseins
der Stimme bedeutend zu wirken vermochte. In der Fidelio-Aufführung erwarb sich
Frau Doenges mit ihrer gesanglich und darstellerisch bedeutenden Gestaltung der Leonore
sehr herzlichen Beiftill. Für die allemichsten Tage steht die Aufführung von Donizetti's
liebenswürdig launiger Buffo-Oper „Don Pasquale'' bevor, die auch hier nach Otto Julius
Bierbaums und Dr. W. Kleefelds Neubearbeitung neueinstudiert worden ist
Arthur Smolian.
PETERSBURG: Im grossen Saale des Konservatoriums haben im Oktober die Vor-
stellungen einer neuorganisierten russischen National-Oper begonnen. „Russlan und
Ludmilla**, „Das Leben für den Zar** von Glinka, „Russalka* von Dargomyzski, „Rogneda*
von Sseroff, „Opritschnik**, „Pique-Dame* und „Eugdne Onegin** von Tschaikowsky,
„Dimon", „Nero** und „Makkabier* von Rubinstein und andere Werke russischer Ton-
dichter bildeten bis jetzt das Repertoire. — Im Hofopemtheater gastierte jangst der phi-
nomenale Bassist Schaljapin aus Moskau. Ganz Petersburg war versammelt, uni den
populirsten Singer Russlands in Rimsky-Korsakoflfe Oper „Pskowitjanka'' (Das Midchen
von Pskow) in der Rolle des grausamen Zaren Iwan zu hören und zu sehen.
Bernhard WendeL
ROSTOCK: Unsere Oper ist mit mehreren neuen Kriften besetzt; die Herren Gross
und Band sind als Kapellmeister neu eingetreten. Eine sehr gute Lohengrin-
aufführung eröffnete die Spielzeit, deren Hauptereignis, eine strichlose Ringaufführung
im engsten Anschluss an Bayreuth, mit dem „Rheingold* glinzend begann. Tollers
meisterhafte Spielleitung waltete über dem Ganzen, die Herren Kronen (Wotan), Berghof
(Alberich), besonders aber Wilke (Loge) boten hervorragend gute Leistungen. Kapell-
meister Gross dirigierte mit künstlerischem Verstindnis. Prof. Dr. Golther.
STETTIN: Es war ein iusserst geschickter Schachzug unserer Opernleitung, dass sie
die neue Spielzeit nicht mit naturgemiss halbfertigen Wagnerauffahrungen, sondern
mit harmlosen Spielopem wie „Wildschütz*, „Waffenschmied* und „Glöckchen des Ere-
miten* eröffhete. Auf diese Weise konnten die unvermeidlichen Personalerginzungen
in aller Stille bewerkstelligt werden. Die böse Kritik ging meist spazieren. So gelangten
wir ohne Ärgernis zu einer auf festen Füssen stehenden Othello-Erstaufführung. Frau
von Putkammer (Desdemona) und Herr Leydemer (Mohr) leisteten Wertvolles. Die Stützen
der letzten Spielzeit, Kapellmeister Grimm, Heldenbariton Zarest und die erste dramatische
Singerin Frl. Wille sind uns zum Glück geblieben. Heddi Kaufmanns viel bewundertes
Gastspiel als Traviata und Carmen bildete bis jetzt den Höhepunkt.
Ulrich Hildebrandt.
384
DIE MUSIK III. 5.
WEIMAR: Die Vorstison des Grossherzoglichen Hoftheaters wurde unter günstigeo
Auspicien mit einer Reihe von Neueinstudierungen eröffnet Die j»Lustigen Weiber*^
jyFigaros Hochzeit*, ,,Lohengrin'' (tus Anlass der in Weimar tagenden Association
Litt^raire et artistique internationale) und Liszts ,,Heilige Elisabeth* (als Erinnerungs-
feier zu des Meisters Geburtstag) kamen in rascher Folge heraus; Als Novititen ge-
langten .Daa Midchen von Navarra*, lirrische Episode in zwei Aufcfigen (hier wurde das
Werk in einem Aufzuge gegeben) von Massenet und .Oor hiusliche Krieg* von Schubert
zur wohlgelungenen AuffQhrung. Massenet hat sich leider, einem Modegeschmack
huldigend, von dem Erfolge der j^Cavalleria rusticana* so verblenden lassen, dass er fiber
Nacht Verist geworden ist. Dazu fehlt ihm jedoch das Feuer des lulieners. Geschickte
Mache allein tut's nicht Ungleich günstiger wirkte Schuberts zu neuem Leben erwecktes
Opus. Quellende Melodik und gesundes natfirliches Empfinden zeichnen dieses heitere
Werkchen aus. Die fibrigen Opernabende brachten zum grossen Teil recht gute Wieder-
holungen der vorigen Saison, so: „Fra Diavolo* (mit entzfickenden Dekorationen), „Waffen-
schmied*, den „Fliegenden Hollinder* und „Fidelio*. Carl Rorich.
KONZERT
AACHEN: Man muss es dem Leiter der stidtischen Abonnementskonzerte Prof.
Schwickerath nachrühmen, dass er die Programme vielgestaltig und interessant zu
machen weiss. Um die Abonnementsftiulen ein wenig zu kitzeln, ist diesmal eine un-
gewöhnlich grosse Anzahl von Solisten gewonnen. Im ersten Konzert eröffhete der hier
etwas wenig gespielte Brahma mit seiner vierten Symphonie den Reigen. Ganz wunder-
voll ausgearbeitet waren die a-cappella Chöre Mendelssohns (Auf dem See, Tragödie, Jagd-
lied). Ich bin überzeugt, dass man ähnlich vollendete Darbietungen in Deutschland nur
selten hören kann, im Rheinland sicher nicht Hugo Heermann (Geige) spielte ein Jugend-
werk von R. Strauss vornehm und tonschön. Heinemann sang unter steigendem Beifall
Balladen von Schubert usw. — Die erste Kammermusikaufführung (Prof. Schwickerath,
Konzertmeister van der Bruyn usw.) war sehr gewissenhaft vorbereitet Die Klaviertrios
Es-dur von Beethoven und Schubert sprachen mehr an als Smetana's düsteres Streich-
quartett: „Aus meinem Leben.* Die Ausführung war hinreissend, der Besuch leider nur
fiau, da man hier den Wert der Kammermusik noch nicht erkannt hat Jos. Liese.
BERLIN: Der dritte Symphonieabend der Königlichen Kapelle unter Weingartners
Leitung brachte als Hauptwerk Liszts Dante -Symphonie, die wie im vergangenen
Winter die Faust-Symphonie, zu glinzender Wirkung gelangte. Nur mit höchster An-
erkennung kann über die Aufführung der Lisztschen Tondichtung gesprochen werden,
jedes einzelne Instrument kam den Anforderungen des Werkes nach, das wohl selten so
vollendet erklungen ist Der Eintritt der Menschenstimme nach dem Purgatorio wirkte
so befreiend, geradezu beseligend wie der Erlösungschor in der letzten Szene des Parsiftl.
Dass die doch vorwiegend klassischer Musik zugeneigten Besucher dieser Konzerte dem
Lisztschen Werke gerade so wie einer Beethovenschen Symphonie zujubelten, sei hier-
mit ausdrücklich konstatiert Zu Beginn des Programms wurden zwei Orchesterstücke
von Hans Pfltzner gespielt: Vorspiele zu verschiedenen Akten von Ibsens „Das Fest auf
Solhaug*. Das erste, ein feineres Gebilde voll kontrapunktischer Finessen, erzählt uns
von der Sehnsucht der gefengenen Margit nach Licht und Freiheit; das zweite ist ein
fiotter, fröhlicher Walser. Pfltzner erscheint hier natürlicher Im Ausdruck, aber nicht
nit dem stark individuellen Zug wie sonst — Arthur NIkIschs Programm zu dem
dritten philharmonischen Konzert enthielt als [Novltit die Symphonie In D-dur von
Tschaikowsky, die nur kleine genrehafle Sitze, sogar fünf oder elgentiich sechs enthilt
Manche feinen vom Dirigenten sorgflUtig ausgefeilten Klangwirkungen konnten nicht über
385
KRITIK: KONZERT
den kleinlichen Stil des ginzen Werkes hinwegtiuschen. Mir scheint überhtupt der Enthu-
sitsmus für den Russen etwas sbzufltuen, der RQcIcschlag nach der Überschätzung mehrere
Jahre hindurch musste notwendig eintreten. Glucks Alceste-Ouvertüre mit einem knapp-
geformten stilvoll von Weingartner gesetzten Abschluss» die Orchestersuite aus der Musik
zu jyPeer Cynt'' von E. Grieg — als Huldigung für den nordischen Tondichter, der
€0 Jahre geworden ist — bildeten den anderen Teil des Programms. Die Solistin Edith
Walker sang eine Arie der Eboli aus Verdi's »Don Carlos" und die Rezia-Arie aus dem
«Oberon* mit wundervollem, in seinem ganzen Umfang gleich klangreicbem Organ. — Zu
dem Programm des Konzertes der beiden Wagner -Vereine Berlin und Berlin-Potsdam,
das von Dr. Muck dirigiert wurde, könnte man als Motto ein paar Worte aus einem
Briefe Wagners an Liszt setzen: „In dieser Gegenwart gehören eigentlich nur wir drei
Kerle zu uns, weil nur wir uns gleich sind, und das sind du — er — und ich.* Mit
»er* war Hector Berlioz gemeint Es wurde Wagners Kaisermarsch und die Gralsfeier
aus dem ersten Parsifalakt, zwei Episoden aus Lenaus Faust „Nächtlicher Zug* und
„Tanz in der Dorfschenke* von Liszt und der „Harold in Italien* von Berlioz mit Herrn
Fridolin Klingler am Pult der Solo- Bratsche gespielt. Das Orchester, erbeblich ver-
stärkt, auch die Chöre mit den Solisten (Hans Schütz sang den Amfortas) leisteten treff-
liches. — Weniger glücklich fiel der Orchesterabend Ferruccio Busoni's aus, der, wie
im vorigen Jahre, unberücksichtigt gebliebene Komponisten bekannt machen will, aber
in seiner Auswahl keine glückliche Hand, keinen Geschmack bekundet, dazu jedenfalls
besser vor dem Flügel sitzt, als mit dem Taktstock das Orchester dirigiert. Vincent
d'Indy war mit der symphonischen Introduction des zweiten Aktes zu TEtranger ver-
treten, Claude Debussy mit einem Pr6Iude ä Taprös-midi d'un Faune, Hector Berlioz
mit seiner Marche troyenne, C6sar Franck mit der symphonischen Dichtung Les Djinus
<Vianna da Motta spielte die Klavierpartie). C. Nielsen aus Kopenhagen dirigierte eine
viersitzige Tondichtung „Die vier Temperamente* und schliesslich wurden „Syrische
Tinze* von H. Schenker, instrumentiert von Arnold Schönberg, gespielt Entweder
war es unbedeutende Musik oder das Werk kam unter der wenig geschickten Leitung
nicht zur Geltung. — Die Böhmen gaben ihr erstes Konzert. Sie spielten ein neues
Quartett in e-moll von Ewald Straesser, das einen guten Eindruck hinterliess. Die
Themen sind geschickt verarbeitet, die Sätze fest geformt, mancher, wie der dritte, wies
einen geistreichen, durchaus individuellen Zug auf. Wer dies Quartett gebort hat, wird
sich den Namen des jungen Komponisten merken. Mit Frau Carreüo spielten die
Herren Hoffmann und Wihan Tscbaikowsky's Trio in a-moll, das mir nie so unerträg-
lich monoton durch seine Wiederholungen von unbedeutenden Phrasen, so abspannend
<erschien wie diesmal; die Pianistin kam mir ausserdem nicht gut disponiert vor, ihr
Anschlag klang gar zu hart — Frau Florence Bassermann aus Frankfurt a. M. gab
«inen Brahmsabend, für den sie die Mitwirkung Meister Joachims, Rob. Hausmanns,
Richard Mühlfelds und des Hornisten C Preusse gewonnen hatte. Sie zeigte sich
als eine gewandte Kammermusikspielerin, die sich in Brahma völlig heimisch fühlte:
das Trio in a-moll für Klavier, Klarinette und Cello hat mir noch niemals einen solchen
Eindruck wie in diesem Zusammenspiel gemacht; das Werk klang durchaus nicht so
apröde wie früher, der Gedankengehalt, die formelle Ausgestaltung hat mich diesmal
vollständig gewonnen. Die Violinsonate in d-moll, das Trio in Es-dur mit Cello und
Hom wurde meisterhaft ausgeführt. — Unter den Liederabenden sei der Lilly Leh-
manns zuerst genannt; trefflich disponiert stand sie wieder als die grosse Vortrags-
kfinstlerin da und elektrisierte ihre Gemeinde, die ihr zujubelte. — Von sonstigen
Liederabenden ist nicht viel gutes zu berichten: Julius Berggruen, Dr. Ferry Leon
iiaben kaum das Recht, sich schon auf das Podium zu stellen, der Vortrag ist noch viel
IIL 5. 25
386
DIE MUSIK UL 5u
zu oniiidiTidiiell, das Orpoi bei beiden Herreo zu trogen, zu ftrblos. Tflly Erlen-
meyer hat erhebliche Fortschritte femacht^ sie sinft ruhiger, wenicer nerrös anfj^erecjl
und das Orfan, ein sympadüscher Alt, Uin^t }etzt aosgiebifer. — Das Qnartett der
Damen Grambacher und Behr, der Herren Hess und Tan Ewejk, die ni^t ndn*
von Artnr Schnabel, sondern Ton Hinze-Reinhold begleitet wurden, gßben ihr
erstes Konzert mit Brahma und J. O. Grimm, dessen Liederfcranz ans Klans
Groihs Qnickbom indessen gtgtn die Brahmaache Mnsik recht abfleL Gar zu diirftis
iat die KlaTierbesleitnng^ zn eintönig der Anadmck in der langen Reihe der Ueiaea,
feingeformten Stucke. — Ala KlsTierspieler liess si^ Herr tou Zadora hören, der eine
reich entwickelte Technik, aber einen harten Anschlag hat Audi Dora Popper sdieint
anzmrid Freude an übertriebener Kraftinaaening zu haben; die Grazie flirte diesem
KlaTierspiel durchana. B. E. Taubert
Vorteilhaft f&hrte sich daa Damentrio Margarete Eussert (KlsTier), Martha Drews
(Violine) und Eugenie Stoltz (Violoncdl) ein; Brahma* o-moU-Trio wurde gediegen,
DroiAks Dumka ganz anagezeidinet, besonders in bezug auf Zuaammenspiel und Ab-
tönung wiedergegeben. Weniger vollkommene Leistungen wies ein zweites, aus den Damen
Mardia Sanvan (KlaTier), Elaa Barkowska-Fischer (Violine) und Adeline Metzdorf
(Violoncell) bestehendes Trio aul^ da die temperamentvolle Pianistin zu robust spielte und
daa Pedal zu viel gebrauchte; auch fend daa Konzert, in dem die Sopranistin Hedwig
Kaufmann (Begleiter Max Lau rischkus) mitwirkte, in einem akustisch ni^t gfinstigen
Saal atatt Sehr interessant Tcrtief ein skandinaTischer Kammermnsikabend, den die etwas
reichlich stark spielende Pianistin Bella Edwards mit der Geigerin Ets Mudocci, einer
editen Künstleiin, Teranstahete. FrL Mudocd's Spid muss immer fesseln, auch wens
sie die Grenzen der Ausdrucksllhigkeit streift und In der Erregung den Adel der Ton-
bildung Temachliaaigt Mit dem Tortrefllichen Violoncellisten Josef Mal kin spielten die
Damen zunichat SIndings erstes ferbenprichtiges KlaTlertrio, aodann eine originelle Suite
f&r Violine und Klavier von dem hier noch völlig unbekannten Efvind Alnoes und Sjögrens
beste, d. h. zweite Violinsonate. Die auagezeichnete Trio-Vereinigung der Herren Artur
Schnabel, Alfred Wittenberg lud Anton Hekking begann ihre populiren Abende
mit Beethoven D-dnr .und Brahma C-dur; die mitwirkende Kopenhagener Singerin EOen
Beck aang^ wie mir berichtet wird, mit wohlklingender, umfengreicher Stimme eine An-
zahl meiat unbedeutender Lieder, deren Gattung Ihrem von Manier nicht freien Vortrag
zuaagte. Seit Jahren aind bei una die Herren Adolf Rebner (Violine) und Johannes
Hegar (Violoncell) aufe vorteilhafteste bekannt; statt des Prot Kwaat bildet jetzt
Carl Friedberg mit ihnen daa Frankfurter Trio, ein ganz hervorragender Pianiat,.
dem vl^elcht mitunter nur eine Dosis Robustheit fehlt; es war ein Hochgennss, von
diesem Trio Schubert zu hören. Beethovens Es-dur-Quartett op. 127, insbesondere der
Variadonenaatz, liegt dem Waldemar Mofer-Quartett ni^t, dagegen soll es DviMks
C-dur<)uartett trefllidi gespielt haben, wie auch Brahma* Homtrio von Herrn Meyer
mit Bruno HInze-Relnhold und Hugo Rfidel zu gelungener Wiedergabe ge-
bracht aein solL Bewundenmgswert sind die Leistungen des Stelndel-Quartetts, daa
Vater Steindti mit aeinen Söhnen Bruno (12 Jahre, Klavier), Max (Wh J^hre» Cello) und
Albin (B*/t Jahre, Violine) bildet; die Technik der beiden Streicher iat achon eine aehr
grosae, der Violoncellist sieht sogiu* schon einen sehr schönen Ton, der Klavierspieler
ist mtwikalisch am relfeten, zeigt aber schon eine gewisse Blaaiertheit; der Vater, der die
Kinder aetbat unterrichtet^ musa ein auageseichneter Pldagoge tmd Musiker sein; hoffsut*
lieh werden die sehr ndentierten Kinder hervorragende Kfinsder. Anlisslich des 25 jährigen
Bestehens der AbounementskmzerteHeinridiGrfinfelds war ganz Berlin G. herbeigeeilt
tmd iberschittete seinen erkUrlMi Liebling mit Huldigungen. An den Ehren des Abend»
387
KRITIK: KONZERT
hatten auch Xaver Scharwenka und Gusuv Hol lind er, die Mitbegründer dieser Kon-
zerte nnd Grünfelda jetziger Partner Florian Zajic reichen Anteil. iVlit dem phil-
harmonischen Orchester anter Rebicek konzertierten drei Geiger. Weiuus der bedeutendste
war Artur Hartmann, der jetzt zu den glinzendsten Geigern zu ziblen ist» da er an
geistiger Vertiefung wesentiich gewonnen, seine Tonbildung sehr veredelt und seine firfiher
nicht angenehmen Manieren völlig abgelegt hat. Der als Mitglied des hollindischen Trios
und Führer des hollindischen Quartetts geschitzte Joseph M. van Veen hatte dem nicht
gerade diskret begleitenden Orchester gegenüber einen schweren Stand; auch liegt ihm
Solospiel nicht. Anerkennung verdient sein Streben, in das ziemlich gleichmissige Re-
pertoire der Geigerkonzerte Abwechslung zu bringen; leider vermochte das ca. 15 Jahre
alte Konzert von Benoit Hollander, das der Komponist selbst dirigierte, mit Ausnahme
des Finale nicht zu interessieren; der erste Satz erwies sich als eine Nachbildung des
Brahmsschen Konzerts, mit dem der Konzertgeber begonnen hatte. Ein glücklicher Fund
war die Vorführung eines Violinkonzerts von Bach in g-moll, das W. H. Feltzer nach der
nur vorliegenden Klavierbearbeitung Bachs in f-moll rekonstruiert hat, was nicht schwierig
war, da die im Original vorhandenen Violinkonzerte Bachs auch in einer Klavierbearbeitung
(immereinen Ton tiefer) vorliegen; besonders der langsame Satz ist eine echte Bachsche Perle.
Dass ein Franzose sich an Brahms' Violinkonzert wagt, ist sehr löblich, aber er muss
dann doch ein anderer Geiger sein als Lucien Durosoir. Zusammen Hessen sich Alma
Pankenin, eine Altistin von hervorragenden Stimmmitteln und ansprechender Vortrags-
art, und die junge Prager Geigerin Irene Streiten fels, von Otto Bake vortrefflich be-
gleitet, hören. Aus der für das rein Technische ganz hervorragend begabten Geigerin
kann eine grosse Künstierin werden; sie wird gut tun, noch einmal in strenge Schulung
anderer Richtung sich zu begeben. Mit Unterstützung des vortrefPlichen Geigers Michael
Zacharewitsch konzertierte Adele Meina, der die Aussprache des Deutschen, wie mir
berichtet wird, noch grosse Schwierigkeiten macht; die technische Behandlung ihrer
Stimme und auch die Phrasierung Hessen namentiich in den französischen Gesingen
eine gute Schule erkennen. Das Streichorchester Berliner Tonkünstlerinnen
gab sein erstes diesjihriges Konzert unter Mitwirkung von Karl Kimpf (Harmonium)
nnd des rasch zur Beliebtheit gekommenen Duettpaares Margarete Palm und Eugen B rieger.
Wenn doch die Damen sich mehr nach den Intentionenen ihres das Beste wollenden
Dirigenten Willi Benda richten wollten I Im Tonkünstierverein konnte ich leider nur
einige, von Frau Sandow-Herms mit der ihr eigenen Anmut vorgetragenen Lieder von
Fritz Fnhrmeister hören, dem doch manchmal auch etwas Wertvolles (z. B. Traumsommer-
nacht) einfillt Unbedeutend sollen Lieder von R. J. Eichberg und auch eine Manuskript-
sonate für Fagott und Klavier von O. Malau gewesen sein, die Franz Krueger-Ny stedt
und Dr. Franz Knhlo vortrefflich vortrugen. Endlich unterzog sich Herr Joh. Schroeder
nnd Dr. Kuhio der undankbaren Auflgabe, drei Stücke für Violine und Klavier von Arnold
Mendelssohn lebensfihig zu machen. Noch immer werden Konzerte für den Lortzing-
Denkmal-Fonds veranstaltet; wieder hatte sich der Blochsche Gesangverein dieses
guten Zweckes angenommen; er erzielte mit E. E. Tauberts stimmungsvollem .Du Abend-
klang* und Reineckes »Der verratene Freier* eine schöne Wirkung; den Hauptbeifall aber
heimsten Frau Lieban-Globig und Julius Lieban ein. Dr. Wilh. Altmann.
Die kfinstierische Ausbeute der letzten Wochen war nur gering. Viel Fallobst und
wucherndes Unkraut, viel Mühe und Krafftverschwendung um — nichts I Ein reproduk-
tiver .Durchschnitt*, nicht nhig zum Leben und zum Sterben, ein Sklaventum der Un-
kunst nnd technischer Unfertigkeit ohne Mass nnd Einsicht, ohne Achtung nnd heilige
Scheu, ohne Priesterweihe und -Würde. Kunst ist ein Kulturbegriff und ein ethisches
Gesetz sagt: .Du soUst die Wege siubem und den Boden lockern.* .Du sollst die Pilze
25*
388
DIE MUSIK III. 5.
bekimpfen und die Engerlinge zertreten, auf dtss das Schöne spriesst und der gute
Baum Frucht trigt nach aetner Blüte.« Wer aeinen Garten wahrhaft liebt, wer auf Hoch-
kulturen sieht, muaa jiten und harken um der — Blumen willen. Was da atichlich-suchlich
wie Distel und Dom, waa da wickentoll zum Himmel schiesst, und wie Quecken und
Kuhblumen zu Häuf sich brüstet und breitet: das hat keinen Platz im Garten der Kunst
Dass sie es nicht wahr haben wollen, dass Schönheit und Zweck unlösbar! Wir kranken
an zweckloser Kunst Und der Fluch der Reproduktion ist der Mangel an Reife und
künstlerischer Berechtigung. — Sympsthisch berührten Margarete Palm und Eugen
Br leger. Beiden wünschte man mehr Kern und Schlagkraft, Konaonantik und Hart-
metall. Der Dame eine plastischere Aussprache, ssttere Tiefe und festgefssstere Höhe;
dem Herrn eine bessere Atemftinktion und grössere Gestaltungskraft. Das Beste haben
aie: Weichheit und Klang, Liederluat und Sangesftvudigkeit — Cateau Keasler- Ober-
meyer: ein Mezzosopran mit auagiebiger Tiefe, hohlklingender Höhe, aber von be-
deutender Kraft und Spannung. Der Mangel an einheitlichem Klang, gewiase Sprödig-
keiten und Unvollkommenheiten, achwichliche Vortragskunst drücken das Gute auf ein
Niveau herab, daa weit unter der atimmlichen Beanlagung liegt. Eine Cello -Sonate
op. 41 von J. Röntgen hielt aich als solide tüchtige Arbeit auf der mittleren Linie, trotz
Jacquea van Liers bedeutenden Au^utzes. — Ein Sonnenblick inmitten trüber Finsternis:
Jolanda M6rö. Das erste wshrhafte Talent unter den Jüngern und Jüngsten. Ein Voll-
blut, rassig und sprühend, voll unbindiger Kraft und achiumendem Temperament, ehern
im Anschlag, und doch weich wie Trsum, eine Pianiatin und Klavieristin zugleich. Die
.Davidsbündler« waren ein wilder Pusztsunz, kein Schumann, aber Ton für Ton originell,
voll Physiognomie und Charakter. Man achaute neues, fremdes und seltsames, jihe
Tiefen voll Inbrunst und Leidenschsft und den süssen Zauber echter Poesieen. Fehlt
zur Reife eine natürliche Auagleichung der Gegenaitze, die dynamischen Mittelstufen,
und jenes weise Mass der Würde, das der Zukunft vorbehalten. — Ala klassischer
Gegensatz: Sandra Droucker. Zweifelaohne eine hochbegabte pianistische Intelligenz
und glinzende Musikerin. Die Technik znverlissig und klar, ohne Wucht und Grösse,
aber zart im piano und flüssig im Pssssgenwerk. Aber Kunst und Seele ohne Blut und
sinnliche Glut: ein Gemisch virtuoser Brillsnz und ungeheuerer Kühle. „Kreissler"
surb sn Monotonie. Statt toller Ironie phanustischen Spuks: Grabesstille und Marmor-
kilte. Dagegen Glazounow'a Variationen, welch apielerlach interessante Klavierleiatung: wie
durchdacht, fein und sauber ausgesrbeiteti — Dszu Mark Günzburg: ein ezcellenter
Techniker und Geschwindspieler. Dss Lsrgo e mesto Beethoven op. 10 No. 3 flüssig und
klar gespielt, ohne Schluchzen und Trinen, so recht ohne slle Aufiregung und qualvolle
Tiefe. Und die Schumann- Sonate Liszts? Wsrd sie der Grösse gerecht, und den süssen
Augenblicken? — Sodann die „Caecilia Melodie* unter der Leitung Max Eschkes:
Hochachtbare Leistungen und exakt ausgearbeitete Chöre. Das Bassfundament besonders
gut Jacques van Lier im leidigen Boccherini elegant und graziös. — Zuletzt Annemarie
Httber, wohl eine der beaten Stimmen, ala Material gefesat, unter den bisher vergeblich
Ringenden. Hilt die Entwicklung des Organea und die Zucht der Mittel (mehr Griff und
massiveres Anpacken der Konsonanten, vollendetere Atempresse) nur annihrend Schritt mit
ihren Vortragsgaben, so ist eine Sangeszukunft gewiss. Max Schwarz und Frau, Blanche,
bitten das Allegro brillant von Mendelssohn sich und uns besser ersparen können: die Kom-
poeition passt füglich nicht mehr für unsere 2^it Der Künstier spielte op. 1 1 1 von Beethoven
akademisch kühl und in Jener mehr objektiv historischen Auffsssung^ für die Bülow zu-
wetten schwirmte. Ich glaube, man kann aie auch anders spielen. Wenigstens hörte ich
sie grandioser, kühner und leidenschaftlicher, rhythmischer und polychromer. — Wss
sich sonstens vernehmen Hess, steht ausserhalb isthetischer Gesetze. Nur Marie Bender
389
KRITIK: KONZERTi
^
sei um der guten Grundlagen und ihres Temperamentes willen erwihnt Auch der blinde
Planist Michel Michalowicz darf mit Rficksicht auf die physische Behinderung mit
Achtung genannt werden. Der Reat: Alma Johanna Schmidt, Ida Reman, Louise
Heymann-Göttinger, Dorothea HQbner, Hedwig Jacob-Anspach, Anna Ro ther,
Elsa Berny kommt teils aus technischen, teils sus musikslisch-kQnstlerischen Gründen
im einzelnen nicht niher in Betracht. Rudolf M. Breithaupt
BREMEN: Das Hsuptereignis der letzten Wochen bildete die erstmslige Auff&hrung
des^Don Qulzote*, von Richsrd Strauss, dem das Phiihsrmonische Orchester unter
Panzners genialer Leitung eine meisterhafte Wiedergsbe zu teil werden Hess. Kaum
irgend ein anderes Werk des grossen Symphonikers erweckt solche Bewunderung seiner
unvergleichlichen Charakterisieningskunst, ksum eines sber such solches Bedsuem fiber
seine Neigung, dss Gebiet der Tonkunst zu erweitem durch Überschreitung ihrer natür-
lichen Grenzen. — Stürmischen Erfolg erzielte die Phiihsrmonische Ksmmermusik
(Klavier: Bromberger) mit dem jungst in Basel schon gebrachten Klavierquartett unseres
Konzertmeisters Psul Scheinpfiug. Das glänzend gesrbeitete, unerhört schwierige Werk
trigt trotz eines gewissen jugendlichen Oberschwanges und übergrosser Kühnheit das
Gepräge echter, ernster Künstlerschsft und bedeutenden Könnens. — Von suswirtigen
Solisten feierte Yssye mit dem Bachschen E-dur-Konzert und mit Lalo's j^Symphonie
Espagnole** wohlverdiente Triumphe, von einheimischen hatte der Pianist Hsns Heinemann
erfreulichen Erfolg mit einem »Liazt-Abend**. Ehrenvolle Erwähnung verdient endlich
ein Unionskonzert der »Neuen Singakademie" unter ihrem verdienstvollen Dirigenten
Ed. Nössler, wobei seine nsch längerer Psuse mit prächtigen Liedervorträgen wieder an die
Öffentlichkeit tretende Gsttin nsch Gebühr gefeiert wurde. G. Kissling.
BrONN: Mit einem flotten Tempo hat die Konzertssison eingesetzt. Sowohl die Phil-
harmoniker (Veit) als auch das Musikvereinsorchester (Frotzler) haben schöne Erfolge
zu verzeichnen. Ersteren gelang besonders Rimsky-Korsskows «Scheherezsde*, letzteres
lieferte durch die Vorführung der Hsrold-Symphonie (Solo-Viols A. Ros6) einen neuen
Beweis seiner Entwicklungsfähigkeit Von den zshireichen Versnstaltungen des .Deut-
schen Hsuses** seien u. s. gensnnt die Konzerte von: Alfred Grünfeld, Sonjs Herms,
Karl Prill, Am61y Heller und Werner Alberti. Siegbert Ehrenstein.
CHEMNITZ: In fünf Symphonie-Konzerten und einem Abonnement-Konzert der Stadt-
kapelle (Max Pohle) dominierte das symphonisch -orchestrale Moment neben der
Mozartschen Klassik des Spätrokoko mit Tschsikowsky's grosszügiger „Pathötique**, Sindings
interesssnter d-moll-, Brahma' wunderbarer D-dur- und Alb. Fuchs' volkstümlich wsrmer
Es-dur-Symphonie, wobei Programmmusik von Volkmann, Weber, Liszt, Heinrich Hof-
mann, Rieh. Strauss u. a. die wertvolle, in hervorragender Ausführung gespendete Kost
vervollständigte. In einem Beethoven-Abend (Stadtkapelle, Felix Weingartner ala Gast-
dirigent) feierte Alf^^ Reisensuer mit des Alltitanen G-dur-Konzert einen namhaften
Triumph, während als weitere Solisten Fr. Dietrich (Violin-Konzerte von Brshms und
Tschalkowaky), Max Behrens (Klsviersoli von Bsch, Chopin, Schumann und Moazkowsky)
und Josephine Hartmann starke Erfolge hstten. Auf dem Gebiet des Liedes und der in
den Konzertsaal verpflanzten Arie sammelten Frau Schumann -Heink, Maud Biring,
Frida Hartkopf und Eva Uhlmann reichliche und wohlverdiente Lorbeeren. — Ein neues
Blatt fügte seinem Ruhmeskranze der Musikverein (Franz Mayerhoff) durch die tadelloae
Vorbereitung und musterhafte Aufführung von Liszts „Legende der heiligen Elisabeth*
bei. — Lebhsftes Interesse und beifällige Aufnahme fand ein Kammermuaikabend für
Originalwerke für 2 Klaviere (Mozart, Clementi, Th. Kirchner, O. Hoffmann) und Lieder
(Loewe, Franz, Schubert, Weber) von Unterzeichnetem und Rose Gerlsch, die mit
Temperament und Geschmack sehr anerkennenawerte Proben musikalisch gut fundierter
pianlatischen und gessnglichen Leistungsfähigkeit sblegte. Osksr Hoffmann.
390
DIE MUSIK III. &
DANZIG: Der erste Ktmmermusik-Abend von Binder (Klavier), Davidsohn (erste
Geige), Wemicke (zweite Geige), Seidel (Bratsche), Becker (Cello) brachte das ideen-
reiche, formenschöne g-moll-Klavierquintett von Brahma in schwungvollster Ausf&hning»
nnd das doch schon sehr „romantiach'-monologiache, rhapsodische f-moU-Quartett op. 96
von Beethoven, vorher Haydn op. 77, 1; der zweite das bis auf ein etwas zu echt
Schumannisches langes S^mkopengeschiebe wenig originale Quintett op. 41 von R. Scha-
mann, und das wenig Beethovensche op. 18, VI; dann aber, glinzend ausgef&hrt, das
Trio op. 50 von Tschaikowsky, j^zum Andenken eines grossen Künstlers.* Willy
Helbing gab ein zweist&ndiges Klavierkonzert im Raum von Bach bis Brahma,
Bach klar aber atarr, Mozart und Beethoven modern textwidrig, alles neuere aus-
gezeichnet durch feine Klangwirkung und hohe Virtuoaitit; auch innerlich interessant
— Im Orchesterverein bewies Hinze-Reinhold, indem er das mit Recht vergessene A-dur-
Konzert von Mozart und das mit Unrecht unvergessene A-dur-Konzert von Liszt spielte,
dass im Sinne des Autors und der Zeit zu spielen Mozart schwerer ist, als bei höchster
Virtuositit Liszt Das Orchester spielte die Ouvertüre in D von Mozart in Wfillners
Arrangement vortrefflich, die Symphonie in F von Brahma anerkennenawert Dr. C. Fuchs.
DESSAU: Das erste Konzert der Herzoglichen Hofkapelle bot in vorzüglicher Wieder-
gabe Mozarts Jupitersymphonie und Smetana'a Ouvertüre zu „Die verkaufte Braut*.
Die Gesangssolistin war Frau Schumann-Heink, die mit der Vitellia-Arie aus Titus und
mit Liedern am Klavier sich als eine unserer hervorragendsten Gesangskünslerinnen
erwies. Im zweiten Konzert gelangte Bizets Suite »Roma* und Beethovens „Achte*
zu Gehör; ausserdem stellte sich Konzertmeister Bruno Ahnert mit dem A-dur-
Violinkonzert von Sinding und kleineren Stücken von Bach und Schubert ala vor-
züglicher Geiger vor. Das Programm des ersten Kammermusikabenda füllte Beethovens
Streichquartet op. 18 No. 6 und das Klaviertrio von Rubinstein op. 52, in welch letzterem
Franz Mikorey den* Klavierpart zu hervorragender Geltung brachte. Erwihnenswert ist
noch ein Philharmoniaches Konzert des Windersteinorchesters. In dem Solisten des
Abends, Telemaque Lambrino, lernten wir einen Pianisten von bedeutenden künstlerischen
Qualititen kennen« Ernat Hamann.
DORTMUND: Der lOOjihrigen Geburtstagsfeier von Hektor Berlioz war das erste
Musikvereins*Konzert gewidmet „Fauats Verdammung* gelangte unter Janssens
impulsiver Leitung zu erfolgreicher Aufführung. Unter den Solisten ragte Prof. Mea-
schaert als Mephisto hervor, der eine Cbarakterzeichnung von unwiderstehlicher Gewalt
schuld iHUirend v. Fossard (Fauat) und Frl. Becker (Gretchen) Durchachnittsleistungen
nicht überschritten. — Das erste Solistenkonzert des philharm. Orchesters gestaltete si^
zu einem Wagner-Liazt-Abend. Hüttner wuaste im Vorspiel zu den „Meistersingern*
und zum „Lohengrin* in der kunstvollen Stimmenverwebung die klarlkssliche Abtönung
und den charakteristischen Ausdruck darzulegen, und Liazts „Mazeppa* gestaltete sich
zu einem Glanzpunkt technischer Ausführung. Als stimmgewaltiger dramatischer Singer
bewihrte sich Dr. Felix Kraus, und Willy Eickemeyer offenbarte im Klavierkonzert
A-dnr und einigen selten gehörten Soli von Liszt ein glinzendes Rüstzeug technischer
Fertigkeit — Ein von echt weiblicher Gewissenhaftigkeit und poetischem Dufte getragenes
Spiel bot die Pianistin Anna Haasters-Zinkeisen im ersten Homungschen Künstler-
konzert^ und ein schimmernder Glanz technischer Bravour durchflutete die von Mary
Mfinchholf gesungenen Arien „No che non sei capace* von Mozart und „Una voce
poeo li* von Rossini, denen die auf einen aeelischen Gnindton gestimmten Lieder
nachstanden. Heinr. Bfille.
DRESDEN: Im zweiten Symphoniekonzert (Serie A) der Königt Kapelle erzielte Anton
DvoMks JL Symphonie (d-moll) eine überaus starke Wirkung^ die sie sowohl ihrem
391
KRITIK: KONZERT
Reichtum an edler, schöner Melodik, als auch der knappen und prägnanten Form sowie
der künstlerisch bedeutenden Arbeit zu danken hatte. Die für Dresden neue Symphonie
«rginzte das Gesamtbild dieses hochbedeutsamen, reifen JMusikers um so glücklicher, als
«r hier auf die Verwendung slawisch-nationaler Weisen verzichtet. Sehr interessant ver-
lief ein historisches Posthomkonzert, das der Orchesterverein «Philharmonie'' veranstaltete.
Dieser Verein setzt sich lediglich aus Postbeamten zusammen und das über 70 Mann
starke Orchester besteht aus ehemaligen Militärmusikem, die jetzt im Dienste der Reichs-
post stehen; Dirigent ist der frühere Militirkapellmeister C. Bornschein. Das Pro-
gramm wies lediglich Stücke auf, in denen das Posthorn Verwendung gefunden hat.
Bach und Hindel sprachen da zuerst mit, dann folgten Werner und Spohr. Besonderes
Entzücken erregten die drei deutschen Tänze von Mozart, von denen der dritte mit den
«inander antwortenden Homrufen der Postillone geradezu stürmische Begeisterung er-
weckte. Ein Marsch von Edmund Kretschmer mit einem vierstimmigen Chor von
chromatischen Ehrenposthörnem der Reichspost schloss, vom Komponisten selbst dirigiert,
das Konzert ab, in dessen Verlauf Emilie Herzog eine Anzahl von Liedern sang, die
auf die Post Bezug haben. — Von den Solistenkonzerten stand der Liederabend von
LiUi Lehmann obenan, deren bewundernswerte Kunst wieder einen uneingeschränkten
Triumph feierte. Dagegen vermochte Mary Münchhoff nicht alle Hoffnungen zu erfüllen, die
man nach auswärtigen Berichten auf sie gesetzt hatte. Ein einheimischer junger Künstler,
Rudolf Feigerl, führte sich in einem eignen Klavierabend als tüchtiger, mehr solider als
hinreissender Pianist ein. Der erste Quartettabend der von Hofkonzertmeister Lewinger
geführten Kammermusikvereinigung brachte als Neuheit ein schönes Variationenwerk von
Sinigaglia und als pianistiscben Gast Waldemar Lütscbg. F. A. Gei ssler.
ESSEN: Unter Wittes Leitung brachte uns das erste Musikvereins-Konzert das Vorspiel
zum dritten Akt aus dem „Pfeifertag" von Max Schillings und Straussens sym-
phonische Phantasie »Aus Italien*". Rose Ettinger bewies ihre staunenswerte Virtuosität
in der Arie aus Mozarts „11 t6 pastore", wandte ihre Kunststückchen aber leider auch
bei verschiedenen alten Volksliedern und Gesängen von Brahms an. Der neue Konzert-
meister des städtischen Orchesters, Herr Kosman, führte sich mit dem Violinkonzert
von Tschaikowsky glänzend ein. Max Hehemann.
FRANKFURT A. M.: Von Anton Brückner ist nun auch die neunte, die „gotische**
(weil aus der Betrachtung des Wiener Stephansdoms inspirierte) Symphonie in Frankfürt
«ingeführt worden, und zwar in einem Opemhauskonzert durch Kapellmeister Dr. Rotten-
berg, der schon bei zwei früheren Gelegenheiten tatkräftige Bruckner-Propaganda betrieben
hat. Diesmal schien sie besonders erfolgreich; das von fast dämonischem Geist erfüllte
Scherzo hat sicherlich- Eindruck hinterlassen. — Eine andere d-moll-Symphonie, komponiert
von dem ungarischen Musiker E. v. Dohnanyi, präsentierte zuerst der Museumskapell-
meister S. von Hausegger; das Werk redet auch von grossen Absichten, besitzt gleichfalls
ein anziehendes Scherzo, lässt aber im übrigen auf nicht allzuviel schöpferische Kraft
schliessen. Der Komponist trat gleichzeitig als Pianist in Liszts Es-dur-Konzert auf, hier
mit unfraglichem Erfolg. Noch freudiger denken wir eines anderen Museums-Abends,
wo der neue Dirigent sich in Wagners Faust- Ouvertüre und Siegfried -Idyll sowie in
Liszts Dante-Musikdichtung aufe Schönste bewährte und namentlich den Ausdruck er-
achüttemder Wahrheit in der Ouvertüre fand. Frau Brema sang bei dieser Gelegenheit
Wagners Kompositionen der Wesendonckschen Lieder mit Orchesterbegleitung, durch
welche diese Lyrika stark dem Dramatischen angenähert werden. — Rühls Gesangverein
brachte in seinem ersten Abonnementskonzert eine Wiederholung der von ihm hier ein-
^führten „Seligkeiten* C6sar Francks in einer soliden, nur bei Einzelheiten nicht ganz
zulänglichen Darstellung. — Originell machte sich ein skandinavischer Liederabend,
392
DIE MUSIK III. 5.
gegeben von Frtu A. UUtcker und Tenor Ejnar Forchhammer. Das Programm sehdpfte
ganz aus der musikalischen Produktion des Nordens und befreundete den Hörer besonders
mit der Kunst Chr. Sindings. — Auch der Tenorist Richard Fischer gab einen in Prosramm
wie in Ausführung Beachtung verdienenden Liederabend. — Am Klavier waren nach
einander zwei Meisterinnen zu bewundem: Clotilde Kleeberg und Frieda Kwast-Hodapp.
Hans Pfeilschmidt.
GLASGOW: Unser „Palette Club'S ^^^ ^^^ edelsten Typus populärer Musik unserer
Stadt reprisentiert, erfreute tms in seinem ersten Monats -Konzert mit DvoFnks
Neuer Welt- Symphonie, der sich die „Rienzi-Ouverture*' und Violin-Soli von Horace
Fellowes wirksam anreihten. Frederic Lamond, unser auch im Ausland rühmlichst
bekannter Landsmann, erzielte — nach fünfjähriger Abwesenheit vom heimatlichen
Podium — mit einem Recital (Chopin -Polonaise in As» Liszts Tarantella etc) grossen
Erfolg. Auch ein anderer Glasgower hat die Aufmerksamkeit der musikalischen Welt
in der letzten Zeit auf sich gelenkt, das ist Mr. McAlpin mit seiner Preis-Oper: ,,Krenz
und Halbmond^. Die Mood-Manner-Company brachte das Werk hier zur Auffühmng.
Ungenügende Proben haben leider diese unzweifelhaft bedeutende Schöpfung hier um
einen vollen Erfolg gebracht Eine ganze Reihe von Solisten-Konzerten hat uns dieser
erste Wintermonat auch schon beschert. Ich hörte Miss Toggarts Vortrag von Nardini's
Violin-Sonate in D, und Rheinbergers Duo-Sonate in Es. Künstlerisch bedeutender er-
schienen mir Mr. Hendersons Solo-Vortrige: besonders D'Alberts Gavotte und Musette
aus der Suite in d-moll, und Schumanns Romanze in Fis. H. J. C.
HAMBURG: Arthur Nikisch wird einen netten BegriflP von den getreuen Besuchern
der philharmonischen Konzerte bekommen haben. Als er nimlich neulich den
Versuch machte, in unsrer Brahminenstadt den hat gänzlich unbekannten Brückner zu
Worte kommen zu lassen, indem er die neunte Symphonie des viel Geschmihten auf-
führte, rührte sich nach dem ersten Satz keine Hand, da das p. t. Publikum einfich
nicht gemerkt hatte, dass der Satz zu Ende war. Erst als Nikisch gar keine Miene
machte, weiter zu dirigieren und man sah, dass die Musiker ihre Instrumente bei Seite
legten, roch man Lunte und nach einer Pause von vielleicht zwei Minuten setzte der
BeiftU ein, für den Nikisch denn auch die entsprechende Dankadresse bereit hatte in
einem vielsagenden Blick. Ich habe mir in dieser Pause geschworen, nie wieder ein
Wort des Vorwurf^ an Nikisch zu richten, wenn er für Hamburg bei dem engen Kreis
»altkreditierter'' Symphonieen und Ouvertüren bleibt Die Beurteilung, die Brückners
Werk in der Presse gefunden hat, empfahl sich durch Ruhe, Vornehmheit und das Be-
streben, abweichende Ansichten würdig zu iussem. Nur eine unwürdige Stimme trug
eine Dissonanz in die Debatte. — Max Fiedler hat zwei seiner schönen, anregenden Kon*
zerte hinter sich und namentlich mit seinem Tschalkowsky-Abend sich und dem Meister^
den der Abend ehren sollte, ein den Moment überdauerndes Denkmal gesetzt. — Der
Kompositionsabend, den Alphonse Maurice veranstaltete, trug den Interpreten seiner Lieder».
Frau Knüpfer-Egli und Herrn Jörn rauschende Ehren ein, und dem Schöpfer der Gesinge
blieb die Anerkennung der Wissenden nicht vorenthalten. Heinrich Chevalley.
HANNOVER: Das zweite Abonnements-Konzert des Königl. Orchesters bescherte uns
unter Kotzkys energisch-temperamentvoller Leitung eine restlos gelungene Vor»
führung von Tschaikowsky's «Symphonie path^tique'' sowie hochachtbare Darbietungen
von dem Vorspiel zu d'Alberts „Rubin* und dem Scherzo aus der „Wallenstein-
Symphonie" von Rheinberger. Mitwirkend war der Violoncellist Grützmacher aus Köln^
der mit DvoHks Konzert, weniger mit den zu sentimental angefsssten kleinen Soli einen
hübschen Erfolg erzielte. — Aus der Flut der vielen sonstigen Konzerte seien erwfthnt:
das des Pianisten Leopold Godowsky und Violinvirtuosen Flesch, mit dem diese mit
303
KRITIK: KONZERT
phlBomenaler Technik bezw. kfinstlerisch-tiefer Auffassung ausgerüsteten Künstler aber-
mals einen bedeutenden Erfolg erzielten; das erste Konzert des Hofpianisten Prof. Lutter»
n dem der Konzertgeber, unterstfitzt von dem trefflichen Violinisten Zajic und der grossen
Edith Walker ein hochgediegenes Programm vorführte. In einem eigenen Konzert spielte
die einheimische Pianistin Mary Wurm Tschaikowsky's b-moll- und Schumanns a-moU-
Konzert mit ausgezeichnetem Gelingen. Unterstützt wurde sie wesentlich von Kapell-
meister Trienes, der das begleitende Orchester mit viel Routine vorbereitet hatte und
auch mit einer eigenen Ouvertüre guten Erfolg erzielte. Von auswärtigen Künstlern
besuchten uns noch die entzückende Koloratursängerin Mary Münchhoff gelegentlich des
vorzGglich gelungenen Lehrergesangverein-Konzerts, Dr. WüIIner sowie das Künstlerpaar
Sarasate und Berthe Marx-Goldschmidt. L. Wuthmann.
HEIDELBERG: Nach den Anstrengungen unseres Musikfestes, das mit zwei ausver-
kauften Volksaufführungen der »Schöpfung** beschlossen wurde, musste eine
Ruhepause eintreten. Von grösseren Veranstaltungen ist nur das erste der unter
Paul Radigs Leitung stehenden «Populären Symphoniekonzerte" zu verzeichnen mit
Schumanns B-dur-Symphonie und Elsa Ruegger (Cello) als Solistin. — Die beängstigend
lange Reihe der Solistenkonzerte eröffnete Theodor Bertram im Verein mit L. E. Hafgren
(Klavier) und dessen sympathischer, vielversprechenden Schwester Lilli Hafgren (Sopran).
Der bedeutende Bühnensänger enttäuschte leider sehr im Konzertsaal. War es schon eine
Geschmacklosigkeit, die Holländer-Arie im grossen Saal mit Klavierbegleitung zu singen,
so spottete der nach plumpen Effekten haschende Vortrag der unvermeidlichen «beiden
Grenadiere* und des «Prinz Eugen** jeder Beschreibung. Nicht mit Unrecht nannte
jemand Bertram den «Tenor unter den Baritonen*, zum feinsinnigen Liedvortrag ist
Bertram zu sehr «Natursänger**. — In erfreuliebem Gegensatz zu diesem Stimmathleten
stand Dr. Arno Hollenberg (Bariton), der trotz nicht gerade bedeutender Stimmmittel mit
einem sehr interessanten und stilvollen Programm meist weniger bekannter Lieder von
Schubert, Schumann, Brahms und Wolf eine tiefe Wirkung erzielte. Als Klavierspieler
von gediegenem Können erwies sich Otto Hollenberg. Fritz Stein.
KARLSRUHE: Die Konzertveranstaltungen gingen diesmal hintereinander her wie ein
Walkürenritt Kein Wunder, wenn sie da Tote im Sattel tragen. Schon mussten
wegen mangelnder Überflutung der Konzerträume einige Unternehmungen in letzter
Stunde abgesagt werden. Und auch die, welche unter Aufbietung allererster künst-
lerischen Kräfte vor sich gingen, suchten vergebens nach dem berühmten Apfel, der
nicht zur Erde ftillen kann. Ein halb leeres Haus sah Saint-Saöns, der mit dem
Strassburger Orchester im Schmidtschen Konzertcyklus herüberkam. Trotz allen Bei-
falls, den der französische Meister für die Vorführung seiner Phsntasie für Klsvier und
Orchester «AfHks**, für den „Msrsch der Synode* aus seiner Oper «Heinrich VIII.*, für
die symphonische Dichtung »Jugend des Herkules* und seine Orgelpräludien bei dem
über eine gewisse Einförmigkeit hinwegsehenden Publikum fand, und trotz der fbinen
Darbietungen des Strassburger Orchesters unter seinem ausgezeichneten Dirigenten Lohse
erfüllte das Konzert nicht alle Erwartungen. Vielmehr war das der Fall an den zwei
Konzertabenden unseres Hoforchesters unter der vorzüglichen Leitung von A. Lorentz,
der u. s. Richard Strauss' «Also sprach Zarathustra* wirkungsvoll sufbaute und mit
Beethovens schter Symphonie durch die Frische und Lebhsftigkeit der Ausführung einen
besonderen Erfolg erzielte. Im ersten Konzert tat sich dabei das Hofbrchester in dem
von Clotilde Kleeberg glänzend gespielten Schumannschen a-moll- Konzert, und am
zweiten Abend in dem von Franz Ondricek ausserordentlich feinfühlig dsrgebotenen
Beethovenschen Violinkonzert durch treffliche Ausarbeitung hervor. Ein zumeist aus
Wagner-Vorträgen bestehendes Konzert Theodor Bertrsms brachte dem Sänger grosse
394
< DIE MUSIK III. &
Orstionen, obwohl seine gesanglichen Unarten nicht allen behaften. Sein Begleiter
Alezander Dillmann verblfiffle durch die Selbstherrlichkei^ mit der er als solistischer
Partiturspieler das Klarier die Stelle des Orchesters Tortreten Hess. Albert Herzog.
KÖLN: Im zweiten Gürzenich-Konzert gelangte der Abaage-Tenfel, der dem Programm
seine Marke aufgebrannt hatte, erst im zweiten Teile, dann allerdings um so nach-
drficklicher, zu Einfluss. Das den Abend beginnende Hauptwerk, Beethovens Pastoral-
symphonie, fuid durch Fritz Steinbach eine in allen Details wunderbar klare, dann wieder
im grossen Zuge des Ganzen so überzeugende und iusserlich gllnzende Auslegung^ daas
eine grosse Wirkung nicht ausbleiben konnte. So wurde auch die Trauermuaik zum
Tode Siegfrieds in ergreifender Weise vom stidtischen Orchester zu Gehör gebracht.
Teresa Carrefio bewies durch den Vortrag von Rubinsteins Klavierkonzert d-moll und
kleinerer Stficke von Beethoven, Schumann und Chopin, daas sie nach wie vor über
jedes immer gewünschte Schattierungsvermögen des Anschlags und eine Jedem Tempo
mit Leichtigkeit entsprechende Geliuflgkeit verfugt Den zweiten Teil des Abends sollte
ursprünglich die dramatische Singerin Bertba Morena gesanglich bestreiten, indes kam
einige Tage vor dem Konzert die Nachricht dass sie krankheitshalber den ganzen No-
vember pausieren müsse. Die zum Ersatz verschriebene Singerin Marie Brema sang
auf der Generalprobe drei altdeutsche Gesinge und die Schlussszene aus der Götter-
dimmerung bei schlechter Disposition, um dann am Konzerttage selbst noch nach 5 Uhr
abends wegen Halsentzündung abzusagen. Das Pech der einen Singerin l>edeutete die
glückliche Chance einer andern, die nicht daran gedacht haben mochte, sobald das
Gürzenich-Podium zu betreten, nimlich des als Koloraturspezialitit ein gewisses begreif-
liches AufMhen erregenden Friulein Vidron vom hiesigen Stadttheater. Durch ihr Ein-
treten in die Lücke des Programms musste dessen Physiognomie natürlich eine ganz
andere werden und der Begabungseigenart der jugendlichen Singerin Raum gewihren.
Sie sang unter virtuoser Geltendmachung ihres abnorm hohen Soprans und dessen aus-
gezeichneter Schulung eine Mozartsche Konzertarie und dann die allerdings hier recht
gewaltsam, weil als unpassend eingezwingte Arie der Gilda aus Rigoletto. Es kann leider
kaum einem Zweifel unterliegen, dass der nichts weniger als kunstisthetisch empfindenden
Majoritit des Gürzenich-Publikums der Tausch in den musikalischen Genüssen sehr will-
kommen war; denn nach der Ankündigung hellten sich viele Gesichter ganz eigentümlich
auf und nachher überschüttete man die in der dreigestrichenen Oktave heimische Verdi-
singerin mit jubelndem Beifall. Arme Frau Schumann-Heink, bedauernswerte Meisterin
vornehmer Kunst, die man an der gleichen Stitte im vorigen Jahre mit ihren wunder-
vollen Vortrigen ausgesuchter Gesinge von Brahma, Liszt und Schubert einftch „ab-
ftllen* Hess, und — armes Publikum I Paul Hill er.
KREFELD: Die Kammermusik-Konzerte des Konservatoriums eröflfaeten in diesem
Winter den Reigen. Die Programme dieser Veranstaltungen sind unter der neuen
Leitung Müller-ReutefPieper stilvoller geworden, das ganze Unternehmen erscheint in
ematerem Gewände. Ein immer beklagter Mangel unseres Musiklebens, daa Fehlen
eines anaiaaigen Streichquartetts, ist endlich behoben. Spielt sich das aus den Lehrern
des Konservatoriums bestehende Krefelder Streichquartett mehr und mehr zusammen
und vereinigt sich Konzertgesellschafit und Konservatorium zu gemeinaamem Tun, dann
erscheint die Heranziehung fremder Quartettgenoaaenschaften in Zukunft überflüssig.
Als Gaat erschien Huge Heermann, der mit den einheimischen Quartettisten und Herrn
Stoye am Klavier Goldmarka Klavierquintett zu Gehör brachte und auaaerdem Soli
von Bach, Emat imd Tachalkowsky in bekannter meisterhafter Weise spielte. Herr Stoye
vervoUstindlgte mit Schumanns Symphonischen Etüden in geschmsckvollster Weise daa
Programm. Die Koniortgesellschaft schonte in ihrem ersten Abonnementskonzert ihren
395
KRITIK: KONZERT
Chor und fOhite daf&r zwei Solisten, Frau Haasters-Zinkeisen und Ettore Gandolfl, vor.
Entere spielte technisch gewandt Schumanns a-moll-Konzert, ohne dessen poetischen
Gehalt zu erschöpfen. Gandolfl vermochte die auf ihn gesetzten Erwartungen nicht vollauf
zu befriedigen. An Orchestervorträgen bot Mfiller-Reuter geistvolle Wiedergaben von Raffs
Ouvertfire »Ein' feste Burg ist unser Gott* und Schuberts C-dur-Symphonie. A. Z.
LEIPZIG: Im Gewandhause (V. und VI. Konzert) gab es neben vielerlei junggebliebenem
und mancherlei altgewordenem Alten (Symphonieen von Volkmann B-dur, Mozart
g-moll und Beethoven B-dur; Vorspiel aus Reineckes «König Manfred* und Peer-Gynt-
Suite von Grieg) eine veritable Novität: Ernst Boches symphonisches Odyssee-Fragment
»Ausfahrt und SchiflTbruch*, das hier als eine starke Talentprobe aufgefasst und um
mancher bedeutenden Einzelzuge in der gefestigteren ersten Hälfte und um der sehr
wirksamen Instrumentation willen mit lebhaftem Beifall beantwortet wurde. Als Solistinnen
hörte man im fünften Konzert Alice Ripper, ein junge Bravourspielerin, der fQr das
e-moll-Konzert von Chopin allerdings noch die geistige Reife uud die rechte Innerlichkeit
fehlten, und im sechsten Edith Walker, deren prächtiges Organ neuerdings zu lauter
Bewunderung stimmte. — Im vierten philharmonischen Konzert erklangen Teile der
Sommemachtstraummusik, Tschaikowsky's G-dur-Klavierkonzert und Klaviersoli, gespielt
von Jolanda M6rö, einer talentvollen und kraftgesegneten sechzehnjährigen Zukunfts-
pianistin, und die symphonische Dichtung «Fata Morgana* von Karl Gleitz, der sein geist-
voll kombiniertes, üppig geßrbtes Tongemälde selbst dirigierte und reichen, zum Teil
allerdings grösseren Vorgängern gutzuschreibenden Beifall fand. — Ober dem dritten
Eulenburg- Konzert walteten Unheilsmächte, da der angekündigte Geiger wenige
Stunden vor Konzertbeginn krankheitshalber absagen musste (Herr Reisenauer, der in
liebenswürdigster Weise einsprang, spielte als Ersatz das Es-dur-Konzert von Beethoven)
und da Herr Weingartner, nachdem er mit der Chemnitzer Kapelle drei Ouvertüren
von Gluck, Mozart und Weber so ganz vorzüglich interpretiert hatte, dass die Oberon-
Ouvertüre sogar wiederholt werden musste, sich mit der Ausführung der D-dur-Symphonie
von Brahma auf ein ihm augenscheinlich allzufernliegendes Gebiet begab. — Im Kauf-
haussaal drängten sich die Erscheinungen: Ernst von Possart rezitierte, Reisenauer gab
einen Klavierabend, an dem er besonders durch eine wundervolle Wiedergabe der Davids-
bündlertänze entzückte, Herr von Zur-Mühlen erwies seine hohe Kunst am Vortrag
Goethe-Schubertscher Gesänge, und von Prof. Nikisch begleitet, debütierte Elena Ger-
hardt, eine vortrefflich gebildete, sehr anmutige Liedersängerin, der man eine erfolgreiche
Konzertlaufbahn prognostizieren konnte. Helene Fürst spielte drei Violinkonzerte, ohne
dafür schon die volle Reife zu besitzen, und unfertig wirkten auch die Liedervorträge der
Damen Antonia Beel und Gertrude Lucky. Ernsten Genuss bereitete das erste Orgel-
Konzert von Karl Straube, der in meisterhafter Weise Kompositionen von Meistern des
17. und 18. Jahrhunderts spielte. Der Leipziger Lehrer-Gesangverein unter Prof. Sitt
löste in seinem ersten Winterkonzert schwierige Aufgaben wie Brambachs »Meeresstille
und glückliche Fahrt* und Hegars ,Johannesnacht* in rühmlichster Weise und sang zudem
in buntem Wechsel mit Sologesängen des Herrn Pinks und Geigen vortragen des Herrn Woll-
gandt manche zum Teil von A. von Othegraven trefflich gesetzten Volkslieder, während die
Leipziger Singakademie unter Wohlgemuth und unter solistischer Mitwirkung der Damen
Buff-Hedinger (Leipzig) und Dehmlow (Berlin) und der Herren Müller (Leipzig) und Loritz
(München) Mendelssohns »Paulus* wieder einmal zu Ehren brachte. Arthur Smolian.
LIVERPOOL: Die 65. Saison der Philharmonischen Gesellschaft wurde durch ein den
|Traditionen des Institutes würdiges Konzert eröffhet. DvoHks Ouvertüre »Mein
Heim* und Parrys »Ode an die Musik* bildeten Anfang und Schluss des Programms; in
der[Mitte stand Mozarts Symphonie in Es. Den Hauptanziehungspunkt für einen grossen
396
DIE MUSIK IIL 5.
Teil des Pablikums aber bildete Marie Hall mit der erstaunlichen Wiedergabe vonlPaph
nini's Konzert in D; auch Gesangs-Vortrice des Ehepaares Kenneriy-Batt erzielten ge-
bfihrenden BeifUL — Zwei fiberall gefSeierte Pianisten gaben viel besachte Rezitals:
Wilhelm Backhaas (Brahma' Variationen fiber ein Thema von Paganini und Uszts
Arrangement von Mendelssohns Hochzeitsmarsch) and Josef Hoftnann mit einem um-
fimgreichen Programm. In St. George Hall hörten wir den »Elias* and in einem Kirchen-
Konzert Garretts Ernte-Kantate. Auch ein sehr interessantes Orgel-Konzert, das Mr.
Townshend gab, verdient rfihmend hervorgehoben zu werden. Conrat
FiTERSBURG: Als erstes bedeutsames Lebenszeichen unserer musikalischen Saison
muss das Konzert der hiesigen Hofopemslngerin Frau von Gorienko-Dolina be-
zeichnet werden. In ihm trat Giovanni Sgambati zum erstenmal vor das hiesige
Publikum, das selbstverstindlich diese Gelegenheit benutzte, den Komponisten mit Be-
zeugungen aussergewöhnlicher Sympathie zu überschütten. Das Programm enthielt fkst
nur Werke von Sgambati, darunter das Quartett op. 17, das Quintett op. 5. Die »Böhmen'
waren zur Unterstfitzung dieses interessanten Konzerts herangezogen worden. — Das
erste Symphonie-Konzert der Kaiserl. Russischen Musikgesellschaft war im Hinblick auf
den zehnjährigen Todestag Tschaikowsky's ginzlich diesem Meister geweiht; es kamen
die V. Symphonie und »Francesca da Rimini" unter Alezander Chessin's Leitung in
höchster Vollendung zur Ausf&hrung. In die solistischen Vorträge teilten sich die Hof-
opemslngerin Frau Friede und der gefeierte Klaviervirtuose Ossip Gabrilowitsch.
Letzterer Hess sich auch in zwei eigenen Konzerten hören und erntete f&r sein
bewunderungswfirdiges Spiel rauschende Beifiülsovationen. Nicht minder animiert ver-
lief auch ein Liederabend der bedeutenden Vortragskünstlerin Luis Mysz-Gmeiner. —
Zwei Konzerte sind zu erwähnen, die unser einheimischer Geigenmeister Leopold Auer
in Gemeinschaft mit Raoul Puguo gab. Sollten wir einem der beiden Kfinstler den
Preis zuerkennen, so fiele die Wahl auf Auer, da ihm das Musikalische zumeist am
Herzen liegt, während Pugno in der Technik und im Gebrauch des Pedals vollständig
aufgeht — Alexander Siloti eröffnete den Cyklus seiner angekfindigten fünf grossen
Orchesterkonzerte mit Liszts »Faust-Symphonie", dem «Meistersinger^-Vorspiel, und
Griegs Klavierkonzert (Raoul Pugno). — Um nun schliesslich noch über unsere Kammer-
musik-Abende zu berichten, mfissen wir der vier Soireen des Brüsseler Schörg-Quartetts
gedenken, das von der Kaiserlichen Musikgesellschaft eingeladen wurde.
Bernhard WendeL
POSEN: Der Beginn der diesjährigen Saison hat in das Posener Konzertleben einen
neuen Faktor eingeführt, der seinen Aufgaben und Leistungen nach wohl bald der
bedeutendste werden dürfte: es handelt sich um die neu gegründete »Posener Orchester-
vereinigung*, die aus ca. 70 Berufemusikem besteht und es sich zur Aufgabe gesetzt
hat, einem möglichst grossen Publikum zu billigstem Eintrittspreise die Bekanntschaft mit
den Meisterwerken alter und neuer Orchestermusik zu vermitteln. Die Programme zu
den ersten drei Konzerten brachten: Die Ouvertüren «Iphigenie in Aulis" von Gluck,
und iplm Herbst* von Grieg; die Symphonieen No. 4 und 8 von Beethoven, sowie
die Symphonie No. 6 (path6tique) von Tschaikowsky; die symphonischen Dichtungen
9 Waldphantasie" von H. Zöllner, »Vysehrad* von Smetana, «Rattenfänger von Hameln"
von Paul Geiasler; die beiden L'Arl6sienne-Suiten von Bizet, das »Fest bei Capulet" aus
der dramatischen Symphonie »Romeo und Julie" von Berlioz und den »Karfireitagszauber"
aus Wagners ParsifeL Als Dirigenten füngieren .abwechelnd die Kapellmeister: Paul
Geiasler, Arthur Sass und Oskar Hackenberger. Die trefflichen Leistungen des
neuen Orchesters unter ihrer hervorragenden Leitung berechtigen zu den besten Hoff-
nungen für eine gftnstige Fortentwicklung dieses neuen Konzertinstitutes. Sonst regte
r-
397
KRITIK: KONZERT
•ich bisher das Konzertleben nur spärlich. Als einzige Grosstat ist zu erwähnen die
wohlgelungene AuffQhrung des Herzogenbergschen Oratoriums »Die Erntefeier" seitens
des Kreuzkirchenchors unter Leitung des Pastors Greulich. Auch diesmal hinterliess
das gewaltige Werk, wie bei seiner ersten AuffQhrung im Jahre 1901, allgemein einen
Qberaus ergreifenden und nachhaltigen Eindruck. Das Schnabel-Trio aus Berlin kon-
zertierte mit grossem Erfolg, ebenso der Pianist Josef Slivinski, der hier zum erstenmal
eine Klavier-Sonate von Glazounow zu Gehör brachte, die jedoch wenig Beifall fand.
Gustaf Richter.
ROSTOCK : Musikdirektor Schulz brachte in einem Wagner-Lisztabend zum erstenmal
die Bergsymphonie und Wagners As-dur-Sonate in der Orchesterbearbeitung von
MQller-Berghaus. Im Konzertverein führte er als Neuheit die Cidouverture von Cornelius
auf. — Prof. Dr. Thierfelder brachte mit der Singakademie und mit Solisten Spohrs
Weltgericht — Herman Gura gab einen wundervollen Liederabend, dessen erster Teil
dem Andenken Zumpes gewidmet war. Kapellmeister Cortolezis (aus Schwerin) erwies
sich dabei als feinsinniger Begleiter sowie, mit der Verwandlungsmusik aus Parsifiü I,
als Meister des Partiturspiels. Im Konzertverein sang Frau Grumbacher de Jong, im
Wagner- Liszt- Abend Frl. Marie Walter. Prof. Dr. Golther.
STETTIN: Dem aufmerksamen Beobachter kann es nicht entgehen, dass sich in unsrem
Musikleben jetzt ein Zug zum Modernen regt; und zwar trifft dies (ein bemerkenswerter
Umstand) gerade auf die Konzerte von rein lokaler Bedeutung zu. Man singt Hugo
Wolf allenthalben, selbst in den Kirchenkonzerten, die übrigens in letzter Zeit ihre
künstlerischen Ziele erbeblich höher stecken als ehedem. Neben den historischen Kon-
zerten in der Schlosskirche erfreuen sich namentlich die Veranstaltungen in der herrlich
restaurierten Jacobi-Kirche grosser Anziehungskraft. Prof. Dr. Lorenz spielte dort un-
längst eine seiner neuen Orgelkompositionen, eine kraftvoll erfundene, geistreich durch-
geführte Phantasie f-moll. — Die dünngesäten Konzerte auswärtiger Kunsterscheinungen
eröffneten keine neuen Gesichtspunkte. Wüllners Vortragskunst, Waldemar Meyers
Raffiniertheit und Manieriertheit und die Grosstaten des zu drei Symphonie-Konzerten
verpflichteten Philharmonischen Orchesters unter Rebiöek, das alles hat man hier letzthin
wieder nach Gebühr würdigen können. Ulrich Hildebrandt
STUTTGART: Die Abonnementkonzerte der Hofkapelle, jetzt unter einheitlicher Leitung
Pohligs, teilen sich verständigerweise nunmehr in reine Symphonieabende und in
Solistenkonzerte. Bachs D-dur-Suite (mit der Arie), Beethovens siebente Symphonie,
Liszts Tasso und Stücke aus Herzog Wildfang von Siegfried Wagner wurden prächtig
vorgetragen; als Solisten erschienen der neue Konzertmeister Wendung und Frl. Bossen-
berger vom Hoftheater für Frau Schumann-Heink. Herr Wendung, der sich auch mit
seinem Quartett vorteilhaft einführte (Künzel, Presuhn, Seitz), ist ein würdiger Nachfolger
Singers, womit sehr viel gesagt ist Bei Weingartner im Kaimkonzert gab es Mendelssohn-
Schumann, Brahma und Liszt zu hören; Mazeppa und Manfred-Ouvertüre waren am
schönsten. Der Liederkranz hatte fürs erste populäre Konzert Frl. Maurina aus Moskau
(Klavier), Herrn van Eweyk aus Berlin (Bariton), Herrn Armbrust aus Leipzig (Orgel)
Terschrieben; letzteren, als Enkel Faissts, empfing man mit besonderer, nicht getäuschter
Teilnahme. Der neue Singverein unter Prof. E. H. Seyffardt trat mit einer Aufführung
von Haydns Schöpfung hervor. Am ersten Konzert des Vereins für klassische Kirchen-
musik (Prof. S. de Lange) ist rühmenswert die Einfügung zweier für Stuttgart neuer Bach-
kantaten: »Nach dir, Herr, verlanget mich", mit dem interessanten Tannhäuser- Bussmotiv
(als Viertel gleichmässig rhythmisiert) und «Jauchzet Gott*, worin Frl. Küttner trotz
glänzender Stimme nicht recht genügte. Ein zielbewusstes und sinnvolles Programm
hat wiederum Herr Schapitz aufgestellt: das erste Konzert mit Beethovens cis-moU-
308
DIE MUSIK UL 5.
Quartett gelang ausgezeichnet. Von den Solisten erwibne Ich Irma Singer-Sethe, derea
wunderbarem Violinspiel man zweimal lauschen durfte, Ludwig Hess, der im ersteo
Konzert absagte, und den Pianisten Hinze-Reinhold, der u. a. die (von David henosc»-
gebene) c-moU- Violinsonate Bachs in einer pietitvollen und glinzenden Klavierfibertragmif
spielte; die Arbeit des Virtuosen sollte durch den Druck zuginglich gemacht werden.
Die grossartigste Leistung, vor allem was Gedichtnis und Ausdauer betrifft, vollbriiig:!
auf pianistischem Gebiet diesen Winter Prof. Pauer, indem er, »die Entwickelung der
Klavierliteratur^ In acht Konzerten vorf&hrt; im ganzen Plan, wie in der Vortragsweise
fiberwiegen die Lichtseiten. Sobald das Unternehmen beendigt Ist, folgt eine abwigende
Wfirdigung. Dr. K. Grunsky.
WEIMAR: Die Saison erOffheten FrL Schenk und Herr Heydenbluth mit einem schönen
Liederabend. Ihnen folgte Karl Scheidemantel mit giinzendem Vortrag meist moderner
Lieder, u. a. "Plfiddemannscher Balladen; sein Begleiter, Herr Kronke, zeigte auch als
Solist hohe Technik und feine Phrasierung. Ein Konzert von Frau Helmrich-Hofkneister
und Alezander Petschnikoff gipfelte in des letzteren intimer Ausf&hrung von Brahma*
d-moll-Sonate und Mozarts A-dur-Konzert bei innigster Fühlung mit seinem Partner,
Herrn Zilcher; die geschulte, doch wenig gereifte Singerin trat dagegen sehr zurfick.
Im ersten Theaterkonzert (Eroica, Pr61udes) sang Herr Naval mit fast vollendeter Kunst
neben Liedern die Bildnisarie. Das Krasseltsche Quartett bot mit Herrn Mfihlfeld
höchsten Genuss in Brshms' und Mozarts Klarinettenquintetten, Schönes endlich noch
Karl Mayer mit Begleitung des Herrn Grsbofeky. Prof. Bachmann.
WIEN: Durch dreiundzwanzig Jahre meisterte Hans Richter das edle Instrument :
die Wiener Philharmoniker. Da gab es nur volle, den besten Musikgeist aus-
strömende Klinge. Drei Jahre lang verstand es Gustav Mahler, ihm das Geprige seines
interessanten, wenn auch oft zum Widerspruch herausfordernden Geistes aufeudrficken,
zwei Jahre Josef Hellmesberger, zu beweisen, dass, je besser das Instrument, es um
so schonungsloser die Unzulinglichkelt des Spielers verrate. Heute f&hrerios, gerieten
die Philharmoniker auf den Einfill, durch Ladung von Gastdirigenten ihre geschwichte
Anziehungskraft zu stirken. Man verzichtete darauf, durch eine bestimmte, ernste
Farbe zu wirken und sucht durch deren chamileonartigen Wechsel das Interesse des
Publikums zu erregen. Oss bedeutet seitens einer so berfihmten Körperschaft nicht
weniger als Verzicht auf den Charakter, ffir das Publikum eine bedenkliche Steigerung
des Interesses an der Dirigentenleistung dem beabsichtigten Eindruck des Werkes gegoi*
fiber. Glficklicherweise haben viele Absagen und Hindemiase die vorgesehene Zahl der
Steine In diesem Dirigentenkaleidoskop verringert und werden vier vor den acht
Abonnementskonzerten von Ernst von Schuch geleitet Ihm wurde gebfihrend der
Vortritt eingeriumt und er ffihrte die Philharmoniker zu einem schönen Erfolg. Schuch
ist kein Wanderdirigent Sein schöner Vorzug, dass er musiziert, wie es ihm ums Hers
ist, gewinnt ihm sofort Sympathieen. Feinheit wird bei ihm nicht zum Raffinement,
Energie nicht zum Krampt So gelang vortrefflich der Vortrag einer Symphonie Haydns
und das Concerte grosso f&r Streichinstrumente von Hindel. Die o-moll-Symphonie
zeigte nach unserer Empfindung einige Beethovenwidrigkeiten. — Der Wiener Konzert-
verein brachte kfirzlich Edward Elgars Ouvertfire »Cokaigne' (Londoner Leben), deren
vortreffliche Ausffihrung namentlich die Musiker von der hervorrsgenden Begebung des
englischen Komponisten fiberzeugte. — Als ernstes und ffir das Wiener Musikleben be-
sonders wichtiges Unternehmen t>ewihrte sich sogleich bei Beginn der Saison der »Wiener
i cappella Chor" unter der Leitung von Eugöne Thomas. Die kleine, aber durch schönes
Material und grosse technische Fertigkeit ausgezeichnete Schar bot mit Bachs Motette
«Der Geist hilft unserer Schwachheit auP<, kirchlichen und weltlichen Chören der
^Ss-
399
KRITIK: KONZERT
grouen Nied«rilnder (Joaquiii de Ptha, Swsellnck, Clemena non papi> und modernen
a eappella-Kompoaltloaen von Anton Brückner and Hugo Volt eine Reihe lUMfleaener
Genfiaae. Ala Solistinnen traten nacheinander zwei Kfinatlerlanen faerror, die ea den
Nacb kommenden schwer machen, die Erinnemag an Ihre groaaen Lelatnngen «ett.zn
machen: Emeatine Seh u mann- Hein k und Edith Talker. Das Konzert der lettteren
dlriglene Cuatav Brecher aus Hamburg, dessen geniale Leitung der groaaen Leonoren-
envertfire und des „Tasso" von Llait Aufsehen erregte. Den grossen Meisterinnen der
Getangakunat achlosa aich Eugine Ysaye an, dem unter den Konzertgelgem heute der
erste Rang gebShrt Er entzQckte durch seinen Vortrag des Es-dur- Kon zartes von
Mozart, feaselte und Qberraschte durch die Ausführung von Lalo's geistreicher „Symphonie
Eapagnole" und bewies, dass selbst der Bogen des ersten Meisters ein Konzert von
Vieuztemps heute nicht mehr ertriglich machen kann. Dem „Böhmischen StraicV
qnartetf sucht das „Prager Streichquartett" den Wind aus den Segeln zu hngen. VorlluBg
Ist Ihm daa noch nicht völlig gelungen. Aber Beethovens c-m oll- Quartett op. 18 wurde
von der Vereinigung sehr sauber, Dvol^ks P-dur- Quartett op. 96 sehr schwungvoll go-
apielt — B£la Bartek, ein sehr Junger ungarischer Musiker, der als Klavierspieler her-
vorragende nhlgkelten besitzt und dessen noch nicht veröffentlichten Komposliooen
von kompetenter Seite eine starke produktive Kraft nachgerühmt wird, sfdeite im
Koniertverein Beethovens Es-dur- Konzert. Er blieb durch allerlei widrige iussere Um-
adUide behindert etwas hinter den Erwartungen zurück. — Sofle Auspitz, eine der be-
gabtesten Wiener Pianistinnen, eine eminent musikalische Natur, trat in einem eigenen
Konzert hervor. Brahma' ganz eigenartige, spiritualla tische Melodik ausatmende Sonate
für Klarier und Violoncell spielte sie mit Wilhelm Jerai sehr feinsinnig. Emil Saners
neue Klaviersonate bot ihr Gelegenheit, den bfibschen vom Virtuosen Sauer eraonnenen
Klangwirkungen des Stfickea mit Ihrem ungewöhnlich gesangvolien Anschlag gerecht »
werden tmd Im Vortrag von Llszts „Don Juan -Phantasie" bot sie alles, waa eine Fnm
ans diesem fibermlonllchen Stück herauszuholen vermag. Gustav Schoenaicb.
BtrllH-KirlkiiHr von CIubi,
Tir bcijnnen die Reibe noserer BeUicen xam Berilos-Hefl mit der 1
«iner OrlciDalzeicliDtiiig nmch dem MlmmaotsToilen Cemilde .L'AnnlTerssIr« t*
Betliot' Ten FuUo-Latoar, du ISW im .Salon' «nsfcstellt w«r. In dM kMoe SMi-
etaen Le CMe-Saint-Andr£ renetzt mu du zweite Bild, du nn« du Gebartska««
(No. 83 der rae Nationale) du Meisten, der bier am 11. Dezember 1803 du Lkfet dir
Telt erblickte, in seinem nrsprfio^chen Znaiand zeift Die Anbuhme stammt ae^
aas der Zeit ror der Reatanriemni, die 18S5 angebrmctate Gedicbtnistaflel iat nicht danaf
zu seben. Von den zvei fallenden Portrits stellt du eine den Kfinsder Im AHsr na
28 Jahren dar (Slgnol malte e« in Kom 1831), du andere ist nach einer Mlnlatiir na
P. de Pommanme um das Jahr 1830 gehTti|;L Die beiden Frauen, die eine so boieal-
ume, eatscbeidende Rolle im Leben dea Icichtentzfindlicben fenricen ToDdlcblers iplaHa«
nnd deren Namen aach In dem Anihatx von Gertmd San£ hioflg enrthal aaidiia,
erblicken wir fHedlicb nebeneinander (wu in Vlrkllchkelt ana Itecreilllchea Grtedaa
nicht (ans der Fall war) auf dem nictaatea Blatt: die fefeierte Scbaospielerla Mian
Henriette Smittaaon, Berlioz* erste Frau (aach einer LidiOfr^ihie Ton Fraads 1827)
and Marie Reclo* ihre weatg sympatbiscbe Nachfolgeria (nach einer in Paria a»
leltolclm Photograpble). Eine echt frantSsische Karikatur stellt du fbifonde BiMt
dar: Un concert de la aociM pbilbannoniqne ron Gnatare Dori, dem cetotreichea Mit-
arbeiter dea Journal ponr rlre* (I850>. Dm dreinndfanhidihrlfea Berlioa sel(t om
du nicbate PortriL Die eractafittemden Klinge des Taba mirum aus dem „Renalem"
Tcrsinnblldllcfat der Abdruck einer gleichnamlfen Ori|jaalllthograpble Ton PaaUa-Laloar.
Die Gilbertsche Radierung nach dem wnadenrollen Gemilde Ton G. Conrbet zeigi om
die edlen feingeschnittenen Zfige dea Berilouchen CharakKrkopfes. Seine HaadaAlift
sehen vir auf den beiden folgenden BUttem, einem faksimilierten Notenblatt nod dem
Brief, den er irthrend der Weimarer Berlloz-Voche I8S5 an Bembard Coumaoa, den
bekannten Cello-Virtuosen, ilctattte. Die Afflche fGr die .Trojaner In CarthagB'
Mammt voa C. Leray (1883). Ein aoaserordentlicb interessantes Porlrlt ist anch du
Mgeade, du dea Meister um du Jahr I8B3 darstellt; u wurde nach einer PhotograpUa
Ton nerre Petit roo Fnhn lithographiert Die Karikatur tou GrandTille (1848)
penifllert In ergSizlicber Weise die Vorliebe BeiUoz' fBr Muaenwirknagen and Moiwtre-
Konzerte („Heorensement la aalle est solide . . . eile r£ststeI-0- Zum Schlau die 1
gäbe eines Reliefs In Gips von Adam-Salomon aas dem Jahre 1852 and die /
des Medaillons aaf dem Grabmal Berllos* voa Crprien Codebskl (1884). Ala Mnalk-
bellage bringen wir die Romanze „Le Jeane PItre breton", Fragment eiau GedlcMu
Ton Marie de Brizenz, komponiert 1834 fSr eine SlagaHmme mit Klavietbegleitaag nad
Hora ad llblinm. Du ganz einhch gehaltene reiiende Stfick wurde ron FrL Palcoa
am 23. November 1834 zum erstenmal Torgetragen und fand auch bei der CentenarMar
in Grenoble und La Cdte-5aInt-Andr4 verdienten BeihlL
kl .■■... Id. I
^M dl* BidtKioi
Venutwortllcher ScbriMelttr: Kap^meister Bernhard Schlüter
Berlin SW. 11, Lockenwaldentr. 1. III.
GEDÄCHTNISBLATT AUF BERLIOZ
VON M. FANTIN-LATOUR o o o
BERLIOZ' GEBURTSHAUS
IN LA CÖTE-SAINT-ANDRfi
KARIKATUR AUF BERLIOZ VON GUSTAVE D0R£. 1850
A*f-''
HECTOR BERLIOZ
IM JAHRE 1856
Nach einer Photograpbie
O O TUBA MIRUM o o
Gedenkblin auF Berlloz' Requiem
O O von M. Fintin-Utour O O
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{jj^£j^
jLi^l'le.u/^Jt\i — ^ /^/L l>^ ^^iuuu Cv yiviS- J/Li<4 ^x^ ^xT^Ua' ^ta.'qpl
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BERLIOr NOTENSCHRIFT o
Orifinal im Besitz der Pariser Oper
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Cn^uJH Q^ iX/dii^u^ U-
•^ ViflA4 ^^ Oa/C^ ^'h. ^A
BRIEF VON BERLIOZ AN
BERNHARD COSSMANN
III. 5
PLAKAT DER .TROJANER". 1863
'ict;^Ö/0/A
KARIKATUR AUF BERLIOZ
oVON CRANDVILLE. 1846 O
^ Aü^retto sempMoeim pooo lento.(J>sM.)
Com© in E8.(Jff^).^ 8 ~ I "
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1
NaTvement.
Einfach.
Naive
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II ' I ' II "ij Alf jM ik' f'"u^;i^
DesQue la nireest^- veiU^ - e. ^^Snreel.^
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Pianoforte.
qiue la grhre est 6 - veiHe - e^
DieDros9el istnoehkaumer.wacht,.
Atmorn^Rviienall the birds are sing-ing, My alp-honi
, AUegretto sempUoe im poco lento. (J-s 56.)
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„SsimKMeimhaUihmtntf derWei . de'' ha!
''Blessmelthatbqydoeelove his cat . Üel" Oh!
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Strophe II. ^p)
jij J'ir Jij J'ir r'iji^Jrt-
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r Aii-tia,iiiaMtii-pa . Kn», CoD-dultiMT-rle . re la mdn-ta - giie,_
NurAn-iia,m«i.nt! süsse KM - w^ ßArtik-reSA^kkanü-bemSü- g*l,—
ForAnne^the mlU.er^lovBjyiUa^-er, Wba oft-eD lead9berK<Mtsto mt-er,
Tempo 1.
f j',rf-j4(^^f^i\j u y\sv rp\uJlf^\T&T^
^ Pl'i- her I siRh tbeHholpilfly longl
Sl la iDOiitaeni< ou Jp m'c $
TTndS/'»W.vie sei. Scrauc^T'er.b'ir . gen,—
AI tiinEH tbGUUiluitailnlie.4 be-tw^en Tis,
igrandmn^iioiiss^ - pa • re, S» dorn -
MumkrmtfdM Qt'9tm^;eM Flu - gel, die SHm-
— Attünestlie wood-ed uplandssereen ob, Yet fiur,...
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3. Couplet. To be sung and aeeooqpaiüed
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M yi ■ I - I* j» j J>ir J' j ^
Oh! sur an alr |iUiii-tif et
ifitf solekemsm^'Umf ifl wei
0U8weettte8Qi«tl»t 4» is
/-^ Tempo I.
%6. •
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plus piano que lee pr^eteeiit8.(M«ia d« H.B«rUoBj
tmd k€gMiei wie die verkm'gek^mdem.
«nnewliat more piano thaa tlie f oregoing-
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QiAl est doiui an loln de sWi-ten • dre,.
sieh iei-me Zie-be mu ge-wU - km,.
Strange M-laee to mjfond beartMng- ii«».
flantimemea^wir Uhear de so
wieiti ee eüee mtehum-ge
Fat Abb» is all tlieworid to
1^
I)n lu mon-tOKne a, la, val > le
BaFtidayto mn NtaegrowclhilFar -
La voix tat In volx ap-p«-
die Jdäti -ge at^fund «fe-Är
Ahlwouldtbat I were ul-ways
- henund Seiff zer lauf misch/ ■•rüAtkal'reudeJirldtigcn traitt.-
berlBut ohl a - lasl a-lasl for that mayncv-er bat
L« Cor dnns un appart«in«nt im peu Jlolgnc du Piano. (N>ia de II.BnUi
Daa Hont in einem Zimmer ein wenige entfernt vom Pümo/brte.
Tbe hom La a rooni) somewbat awi^ from the piano.
Tempo I. (ppp)
^
^^'11 [tj
4^ Couplet. l>'a<wompagnemeiit dolt s'^telndre Icl tout-B-falt,et le ebaiit devenlr
4.Stropke. Die Begieiiitng musa hier ganx xurüdttrtU» vnd der Oeemmg eo
4>Couplet. Tbe aeeonpanimeiit here must b« entlrely J9 tbe voloe part belng
pppaottovoee
[^
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^ Tenqio I.
Aht re - te - nez blen nitre ha - lel - . .
Oapartden A-tem U . te Win . de,
Obl barkltbe ootes are dy - Ing, dy - lBgl_
riwiJ'M'^'
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1
aussl dOUX que pOSSible. (Note de H.BerllosJ
leise wie nwglich werden.
sung as softly as possible.
di-e, et, daas la plai ^ ne^-
wil-demFluchtge -dräu . ge —
with thebreez-e^s sigh - Ing,
Par-mi Ics bles Cou-rez, vo - lezl
weitjitrt zu je - nem Fkl - de hin,^
Theyfloat a - far a-crossthe piain $.
¥ j'i j'i
j'i j.".i I i'i J'i
• %». * %&.
• 9a.
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4^^ < j>»j^r -^ J ^T r~if»'^' 'i F'r
X ij ^' i'i
poco cresc.
Dieul la me-chantea sur son al - le
Weh* ohn'Br'har-men habt ihr Lo - sen.
Tbougbwoods di -vide^andmountains sev - er, .
Em-por-te la voixdou^eet tr^ - le, La
enf/^hrtmir je -ne hol- den Klan - ge, die
Yet in my heart I hear for ev - er> I
ft t*^ JÜ- J.^' I J
1^
I I' JiJ LU UM C^f Ij^f IjJ ^JÜ'-I Üü I U i
J0OC0 ereeo.
poco rit.
rr »Ml ■ I
atleh «. Druckt Berliner ManIkaHeii Druckerei 0.».b. H. Ckarl»He»l»T>.
DIE MUSIK
Das geistige Ohr will etwas Ganzes sehen, eine
Tongestall mit einem Gesichte, dass es auch der
Fremde wieder erkenne und unter dem Gewühle
finde, hat er es einmal gesehen.
Karl M«rU von Weber
III. JAHR 1903/1904 HEFT 6
Zweites Dezemberheft
Herausgegeben
von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig
J^^ Mtmii "wier Elemente unserer National-Literatur, innig gesellt, bilden das
igeistige Leben des deutschen Volkes im IS. Jahrhundert und
bauen die Welt unseres Deniiens und EmpÜndens auch noch
der Gegenwart. Ich rede hier von dem klassischen Vier-
gestirn von Weimar: von Goethe, Schiller, Wieland und Herder.
Hit such der letztere als schöpferischer Genius keine so berechtigte An-
wartschaft auf die Unsterblichkeit wie das Dioskurenpaar der deutschen
Dichtung Schiller und Goethe, so gehört er doch zu unseren hervor-
ragendsten und einßussreichsten Schriftstellern und Denkern. In Wort
und Schrift hat er unendlich viel Segen gestiftet, sich auf den mannigfachsten
Gebieten der Intelligenz durch seine bahnbrechende Wirksamkeit aus-
gezeichnet und so seinen Namen für ewige Zeiten mit goldenen Lettern
in die Annalen des menschlichen Fortschritts eingeschrieben.
Das Grabdenkmal Johann Gottfrieds v. Herder in der Weimarer
Sttdtkirche trägt die Aufschrift: .Licht, Liebe, Leben," und diese Devise
versinnbildlicht so recht eigentlich das bewunderungswürdig vielseitige
Schaffen dieses gottbegnadeten Genius. Unvergleichlich reich an eignen,
grossen und ursprünglichen Gedanken, voll höchsten Schwunges und
schSrfster Einsicht, anregend und befruchtend an überraschenden Ideen in
seinen zahllosen Schriften hat er in die grosse Umwandlung des deutschen
Lebens am Ende des 18. Jahrhunderts mächtiger und entscheidender ein-
gegriffen als einer seiner Zeitgenossen, und die leuchtenden Spuren seines
Geistes lassen sich überall nachweisen. Wie er durch die verschwenderische
Fülle seiner Anschauungen, die kühne Genialität seiner Ideen und die
hohe Begabung seiner geradezu wunderbaren Anempflndung die Dichtkunst,
Ästhetik, Kritik, Ethik, das Volkslied, die Religions-Philosophie und auch
noch andere geistige Gebiete mit dem frischen und gesunden Odem seiner
in ihrer Art einzig dastehenden Individualität belebt hat, so ist sein grund-
legendes kultui^scbichtliches Auftreten auch im Reiche der Musik be-
deotongavoll und in vielbcher Beziehung von grosser Tragweite gewesen.
Mit Recht schildert einmal sein LieblingssohD Emil Gottfried v. Herder
404
DIE MUSIK HL 6.
in dem »Lebensbild", das er seinem berühmten Vater gewidmet, diese
geistige Eigenart unseres Klassikers mit den Worten:
»Du wandelst hier entlang den Ufern einet schönen Lebensstroms, der — ihnlich
unserm edlen Rheine — in seinen Anfilngen die härtesten Felsen mit seiner Fener-
kraft durchbricht und in den Spiegeln seiner Katarakte das Bild der ihm inne-
wohnenden Gottessonne lin wunderschönen Farben widerstrahlt; darauf vereinigt mit
deinem xweiten edlen Ich das schöne blumenreiche Land der Liebe beseligend-beseligt
dnrchwallend • . • Deutschland, Geburtsland von so vielen edlen Menschen, wenn du
dich Jetzt mit Mutteretolz und Freude in der Erinnerung alles dessen>rhebst, was
Herder dir gewesen, unterlasse nicht, auch daran zu denken, was>r dir*und der Welt
bitte werden sollen][und in angemesseneren günstigeren Verhältnissen werden können!
▼erde deinen edlen Kindern eine menschliche Mutter! O, Deutschland, wint du
Jemals dahin^gelangen,» den Gottesfunken in den Talenten deiner Söhne zur rechten
Zeit zu kennen*ttnd zudachten, ihn, wie eine Mutter ihr Kind, zu lieben, zu pflegen,
zu entwickeln und ihm Raum zu geben zur ganzen beseligenden Entfaltung seiner
göttlichen Leuchtkraft?«
War auch Herder kein schSpfbrischer Tonkünstler, der die Musik mit
eigenen Kompositionen oder neuen .Formen bereichert hfttte, so ist er
doch ein leidenschaftlicher, schwärmerischer und begeisterter Verehrer der
Frau Musika gewesen, der schon frühzeitig klar erkannte, welchen Einfluss
die Musik auf das Gemüts- und Gefühlsleben ausübe, und welche Be-
deutung ihr in der Kirche, in der Gesellschaft im allgemeinen und im
Leben des Einzelnen insbesondere innewohne. Was Jean Paul über
seinen Freund und Bruder in Apollo gesagt hat, kann man auch auf
Herder in seiner Beziehung zur Musik anwenden:
«Er war ein Gedicht, ein indisch-griechisches Epos von irgend einem reinsten
Gott gemacht. Wie soll ich*s anseinandereetzen, da in seiner schönen Seele eben
wie in einem Gedicht alles zusammenfloss und das Gute, das Wahre, das Schöne
unteilbar in ihr war? . . . Wenige Geister waren auf die grosse Weise gelehrt wie er.
Die meisten verfolgen nur das Seltenste, Unbekannteste einer Wissenschaft. Er hin-
gegen nahm nur die grossen Ströme, aber aller Wissenschaften, in sein himmel-
spiegelndes Meer auf. Viele werden von der Gelehrsamkeit umschlungen wie von
einem austrocknenden Epheu, er aber wie von einer Traubenrebe. Oberall das Ent-
gegengesetzte, Organisch-Poetische sich anzueignen, war sein Cnarakter . . . Wie
herrlich unversöhnlich entbrannte er gegen jede kriechende Brust, gegen Schlaffheit,
Selbstzwist, Unredlichkeit und dichterische Schlammweiche, sowie gegen deutsche
kritische Roheit und gegen jedes Zepter in einer Tatze, und wie beschwor er die
Schlangen der Zeit! Aber willst du die süsseste Stimme hören, so war es seine in
der Liebe: es sei gegen ein Kind, gegen ein Gedicht oder die Musik.*
Herder hat nicht allein in vielen Stellen seiner Schriften, sondern
auch in Privatbriefen, die keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmt
waren, seiner leidenschaftlichen Liebe für die Musik Ausdruck gegeben.
In den Zuschriften, die er als glücklicher und liebender Briutigam an
seine Verlobte, Caroline Flachsland, richtete, unterhUt er sich aufs
405
KOHUT: HERDER UND DIE MUSIK
angelegentlichste von der Tonkunst. So schreibt unterm 20. September
1770 der damals 26 jährige Jüngling an seine Braut :^)
«Ich liebe die Musik unaussprechlich. Nur bin ich so sehr versiumt: ich bin
früh in so schlechte Hinde gefallen: ich bin bald in so viele verwickelnde Geschifte
geraten: und dann endlich, ich bin so fluchtig und ungeduldig bei allem, was viele,
lange mechanische Obung fordert — dass ich bei der empflndlichsten Seele die un-
geschicktesten Hinde zum Klavier habe. Die Musik ist für empflndllche Herzen und
feine Seelen ein so unentbehrliches Vergnügen! Die Gedanken des blossen Kopfes
ermatten so leicht; die Sprache des blossen Mundes wird hier und da so unkriftig,
dass ein Saitenspiel mit einem Liede beseelt gewiss in die Ökonomie eines glQcklichen
Lebens als tigliches Hausgerit gehört.**
Im »musikalischen Magazin** hat der Dichter in einer Rhapsodie
die Tonkunst auch im Vers verherrlicht. Ich entnehme diesem langen
Poem nur die nachstehende Stelle:
,,Die du droben den Reigen der Sterne
Und der Unsterblichen führst,
In ewig-jungem schwebenden Jubeltanz
Nah und niher hinan des Allvollicommenen Thron,
Und tief hinieden im Erdental
Unter des Himmels heiligem Blau
In leisen Tönen, im verlorenen Laut
Der Ahnung, unser Herz
In die Chöre der Himmel erhebst:
Ewige Harmonie!
Kling* in meine Saiten,
Heilige Harmonie!
Kling* in meine Seele.
Sie fühlt dich, sie will, sie wird dich fühlen.
Des Wohllauts ewige Kette zieht
Auch meinen Geist. Es wallt mein Herz
Im Strome der Melodie zum hallenden Ozean
Der All Vollkommenheit.
Wach auf in mir, du leiser Himmelston,
Der meine Seele ward.
Aus keiner Engelsharf entquollst du. Dich hauchte
Der Ewige selbst mir ein.
Und bist mir Ewigkeit,
Bist Gottesgefuhl in mir, der unendlichen Harmonie
Vorahnende VerkQnderin.
Wenn einst mein Geist
Vom Erdenstaube sich hebt empor
^) Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben J. G. v. Herders; gesammelt und be-
schrieben von Maria Caroline v. Herder geb. Flachsland. Herausgegeben v. Job. Georg
Mfiller, Dr. der Theologie u. Professor zu Schaffhausen." 2. Teil. Tfibingen 1820.
Seite 164.
406
DIE MUSIK III. 6.
Und seiner Fesseln sanft sich windet los,
Zu Hilfe komm' ihm dann, du heiiger Strom
Von Tönen andrer Welt,
Umström' ihn ganz, und trag* ihn sanft hinüber . . .*
Herder war der Sohn eines Kantors in der kleinen ostpreussischen
Stadt Mohrungen, und der kirchliche Vortrag des biederen Mannes machte
auf das Gemüt des Kindes schon einen tiefen Eindruck. So kam es, dass
Musik und Gesang bereits im zartesten Alter Johann Gottfrieds für ihn
einen hohen Genuss bildeten. Wie uns seine Witwe in ihren schon ge-
nannten »Erinnerungen"^) mitteilt, erlernte er das Kiavierspiel in der
Schule seines Heimatortes mit vielen anderen Schülern zusammen; und
diese hatten ein einziges kleines, armseliges Instrument, das sie jedesmal
aus einer Schulstube in die andere schleppen mussten. Wie wenig Unter-
richt konnte bei einer solchen Menge auf den Einzelnen kommen! Der
Rektor der Mohrunger Stadtschule, Grimm, ein trefflicher Musiker und
gediegener Schulmann, aber ausgemachter Pedant, an dem sein Schfiier
übrigens Zeit seines Lebens mit grosser Liebe hing, hatte ihm die ersten
Anweisungen im Kiavierspiel gegeben. Die ungewöhnliche Begabung des
Kleinen erkennend, unterwies er ihn auch in den Anfangsgründen des
Generalbasses und der Harmonielehre, wobei er das musikalische Interesse
des Kantorsöhnchens noch durch mancherlei Übungen rege zu halten wusste.
Die Liebe für die einfachen und erhabenen Töne der Kirchenmusik, die
Herder allezeit erfüllte, prägte ihm der genannte Rektor ein, der selbst
aus Neigung und Liebhaberei das Studium des reinen Kirchengesanges
eifrig hegte und pflegte.
Die Erinnerungen und Anregungen aus der Jugendzeit setzte Herder
in seinem späteren Leben, namentlich in seiner amtlichen Stellung als
Oberhofprediger, Oberkonsistorialrat und Generalsuperintendent in Weimar,
in Taten um, indem er als Reformator des öffentlichen Gottesdienstes auf-
trat, ihm Erweckung, Teilnahme und Innigkeit speziell durch die Kirchen-
musik zu geben suchend, wobei er bestrebt war, die einfach-erhabenen
Melodieen der alten Kirchenmusik zur vollen Geltung zu bringen. Er ver-
Aisste zu diesem Behufe auch Kantatentexte für die wichtigsten Festtage,
Hess den Händeischen »Messias", Haydns »Schöpfung* und noch andere
Oratorien dieser Meister und ebenso manche Kirchenkompositionen Glucks
und Mozarts in der Hofkirche zu Weimar aufführen.
Seine Verehrung namentlich für Händel und dessen Oratorien hat
er in zahlreichen begeisterten Aufsätzen seiner Feder ausgesprochen. So
heisst es z. B. in seiner Abhandlung: »Das Oratorium und die Kantate"
0 A. a. C, Seite la
407
KOHUT: HERDER UND DIE MUSIK
u. a.: „Der ,MessiasS dieses grosse Stück, auf einfachen biblischen Worten
beruhend, ist wert zu dauern so lange eine Saite gerührt, so lange ein
Instrument angehaucht wird.**
Nie versäumte er in seinen Wirkungskreisen zu Riga, Bfickeburg
und Weimar ein Konzert, wo Oratorien aufgeführt wurden, ebenso besuchte
er auf seinen Reisen in Italien und Frankreich fleissig die Kirchen, wo er
den Klängen der Musik lauschen konnte. Als Superintendent am kleinen
Hofe des Erbgrafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe und dessen kunst-
sinnigen und frommen Gemahlin Maria bildete das musikalische Leben
einen Hauptreiz für ihn, der ihn magisch fesselte. In den Briefen an
seine Braut gibt er wiederholt seiner Befriedigung und Freude über die
gelungenen Aufführungen derartiger Kirchenwerke Ausdruck. So schreibt
er ihr einmal im Juli 1771:
yPergolese's ,Stabat mater* hat mich sehr gerührt, noch mehr aber eine andere
Arie von Pergolese aus einer Oper, die mir noch immer in der Seele weint. Es iti
die Sprache zweier Gatten, die sich im Gefängnis vor ihrem Tode als Geschwister
finden und ihr armes Kind anreden: ,misero Pergoletto!* — o, warum kann ich Ihnen
nicht Ton und Empfindung ganz herzaubern !**
In der schon erwähnten Abhandlung „Das Oratorium und die Kantate **
entwickelt er seine Ansichten über diese Musikgattungen in eingehender
Weise. Seinen Ausführungen sei nur die nachstehende schwungvolle Stelle
entnommen :
„Das Oratorium ist eine reine Kunstgattung, vom Ton und Gebirdestreit sowohl,
als von der Oper gesondert. Sein Vorbild ist der reine griechische Chor oder der
Psalm und Hymnus. Ein viel in sich fassendes Vorbild! Hoch wie der Himmel der
Phantasie, tief und breit und felsenreich wie das Meer der Empfindung, zugleich auch
ein Land voll Tiler und Höben, voll Mondesberge und Mondesgrfifte ist sie. Die
lyrische Komposition begreift alles in sieb, was Gesang und Ton ausdrücken können,
ohne Gebirdung. Durch diese Trennung von der Gebärde wird ihr freies Reich ge-
öffnet, denn so viel ausdrückend die theatralische Deklamation sein mag, so weiss
man doch, wie viel sie auch ausschliesst. Da in ihm alles der Aktion angemessen
werden muss, so gebietet diese. Und mit ihr gebieten die Töne; unter beider Herr-
schaft müssen die Worte sich fugen. Wie nun? Hat die Musik sich ein eigenes
freies Feld in Ouvertüren, Sonaten usw. eröffoen dürfen, wo sie, unbehindert von jeder
anderen Kunst, ihre Flügel ausbreitet und oft den höchsten und wildesten Flug nimmt,
warum sollten Poesie und Musik, zwei Schwestern, sich nicht auch gesellen, um ge-
meinschaftlich, ohne Rucksicht des Zwanges einer dritten Kunst, ihre Krifte zu üben?
So wird das Oratorium, die Kantate. Es kommt vom Himmel ohne zerstreuenden
und das Auge fesselnden Theaterschmuck, verhüllt gleichsam wie eine Vestalin, oder
vielmehr unsichtbar fiiessen nach und nach Stimmen und Töne in unsere Seele, vom
zartesten Tropfen bis zum wildesten Strom, ah keinen Faden gereiht als an den leisen,
aber mächtigen, unzerreissbaren der Empfindung. In diesen Ufern oder auf diesem
hohen Meere leitet und regiert das Schaffen der Meister.*
In einem anderen Aufsatz, betitelt ,Cäcilia", stellt er die Bedingung
auf, dass der Kirchengesang vom Anfang bis zu Ende eines Gottesdienstes
408
DIE MUSIK III. 6.
oder Festes ein Ganzes sein mfisse. Diese Einheit sei in den protestantischen
Kirchen jedoch ziemlich verschwunden. Die Grundlage der heiligen Musik
sei der Chor. Arien, Duette, Terzette könnten nicht der Hauptzweck
einer kirchlichen Musik sein, und nur auf dem Wege des Chors gelangte
man zu jener Bewegung und Rührung, die diese Musik erforderte. Dass
die Chöre von Hymnen und Liedern unterbrochen oder gleichsam auf
genommen, besänftigt, oder beflügelt werden, liege in der Natur der Sache.
»Sehen wir nicht," sagt er wörtlich, »dass ausser der Kirche die Musik er-
staunende Fortschritte gemacht hat, dass durch diese selbst das Ohr des Volkes
vieltöniger worden ist, und dass wir folglich nicht mehr wie unsere alten Vorfahren
leiern und singen können, weil wir nicht mehr wie sie akzentuieren, sprechen und
leben? Eine Reformation des Kirchengesangs dönkt mich also ein väterliches Er-
fordernis der Zeit zu sein.*
Wie man sieht, war Johann Gottfried von Herder in musiktheoretischer
Beziehung vielfach ein Vorläufer Richard Wagners, und es ist in hohem
Grade wahrscheinlich, dass der unsterbliche Schöpfer des Musikdramas
von Bayreuth nicht allein von der Gluckschen Musik, sondern auch von
den Ansichten des Weimarer Klassikers vielfach beeinflusst worden ist.
Durch die musikalischen Unterhaltungen im Hause seines Herrn,
des regierenden Erbgrafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe zu Bfickeburg,
wurde Herder veranlasst, die erwähnten Kantaten zu dichten, zu denen
der Kapellmeister des genannten Grafen, der sogenannte «Bückeburger
Bach*, Johann Christoph Friedrich, der dritte Sohn Johann Sebastian
Bachs (geboren 21. Juni 1721 in Leipzig und gestorben als gräflich lippischer
Kapellmeister zu Bückeburg am 26. Juni 1795), berühmt als Komponist
von Kirchen- und Kammermusikwerken, von sechs Quartetten für Flöte
und Streichinstrumente, der Oper: «Die Amerikanerin*, einer vierhändigen
Klaviersonate usw., die Musik geschrieben hat. Diese Kantaten sind u. a.
die folgenden: «Die Kindheit Jesu* und «Michaels Sieg. Der Streit des
Guten und Bösen" usw. Auch schrieb Herder einen Operntext: «Brutus",
gleichfalls von Bach komponiert. Über das Libretto dieser Oper äusserte
er sich einem Freunde gegenüber:
«Sie wissen, dass dieser edle Römer, der um nichts und wieder nichts umkam,
einer meiner Lieblingshelden ist, wenigstens habe ich über ihn etwas von meiner
Lieblingsphilosophie ausgeschüttet; er ist ohne Musik nur Fachwerk und Netz. Dazu
sind die besten Züge nicht mein. Geschichte und Shakespeare. Ich habe diese
Kantate auch eigentlich nur für mich geschrieben, um die Lieblingssitnation darzu-
stellen, dass fast nichts in der Welt recht gut sei, alles von aussen Farbe erhalte,
die beste Tat auf dem Rade des Schicksals liege, und wie es denn wohl ein Brutus
sein müsse, wenn das Rad sich umkehrt; und er sehe, es sei gut von hinnen zu
gehen.*
Diesen ursprünglichen Text arbeitete Herder später etwas um, indem
er auch die Figur der Portia, der Frau des Brutus, hinzunahm. Ein Zug
409
KOHUT: HERDER UND DIE MUSIK
von ihr bei Plutarch hatte ganz besonders sein Interesse geweckt. Dort
las er, dass sie, als sie beide von einander Abschied nahmen, tränenlos
hinweggehend, plötzlich das Gemälde erblickt: „Der Abschied Hektors von
der Andromache* aus dem Homer; da bricht sie in Tränen und die Worte
Homers aus: «Hektor, du bist mir Vater und Mutter und Bruder, du mein
geliebter Gemahl. "* Auch die Wunde, die sie sich selbst gab, deutet Herder
ganz anders, wie andere Erklärer. Er meint, dass sie sich diese nicht
deshalb beibrachte, um vom Manne das Geheimnis zu erzwingen und da-
mit zu paradieren, sondern nur um für sich erst zu erfahren, wie weit
sie Schmerzen ertragen könnte und also fähig wäre, an irgend einer
grossen Tat teil zu nehmen. Dieser grosse und starke Zug hatte für den
Dichter etwas ungemein Anziehendes. In diesem »Musikdrama" wollte
Herder, ähnlich wie später Richard Wagner es ausführte, dass der Text
in der Oper nur das sein solle, was die Unterschrift an einem Gemälde
oder an einer Bildsäule sei:
»Erklirung und Leitung des Stromes der Musik durch dazwischen gestreute
Worte; er soll nicht gelesen, er soll gehört werden. Die Worte sollen nur den
rührenden Körper der Musik beleben, und diese soll sprechen, bandeln, rühren,
fortsprechen nur dem Geiste und dem Umriss des Dichters folgen.*'
So viel mir bekannt, ging dieses Musikdrama 1774 über die Bühne
von Bückeburg, doch konnte ich über seinen Erfolg aus den zeit-
genössischen Blättern nichts Positives feststellen.
Die Grundzüge seiner musikalischen Ästhetik spricht Herder auch
in seiner «Kalligone'' aus; dort finden wir unter anderem eine Abhandlung
von ihm unter dem Titel: «Ob Malerei oder Tonkunst eine grössere
Wirkung gewährt ?** Statt jedoch diese Frage durch kritische Betrachtungen
zu lösen, nimmt der Verfasser zu einer geistreichen mythologischen
Allegorie seine Zuflucht, indem er uns Vater Apollo vorführt, wie er
unter seinem geliebten Lorbeerbaum sitzt und die jüngste und schönste
seiner Töchter, die Poesie, im Schosse hat, zur Rechten und zur Linken
derselben ihre beiden älteren Schwestern, sich über diese aufgeworfene
Frage unterhaltend. Der Malerei, die sich der bestimmtesten, klarsten
und dauerndsten Wirkungen rühmt und behauptet, dass die Töne der
Schwester nur die verworrene Sprache der Halbempfindung rede, erwidert
die Tonkunst:
»Glaubst du, meine Schwester, der Klumpen von Farben, der auf der Palette
liegt, könne mit der Natur wetteifern? Geschweige, dass er ihre allmichtige Fülle
und Wahrheit fibertrefPen sollte? Im Gewühl deiner Farben und Gestalten verint
sich die edle Menschennatur nie und hat gar noch etwas nötig, was über alle Erd-
gestalten hinausgeht, um sich nur einigermassen gegen das leere Wiederkommen
derselben zu sichern. Bei mir hat sie dies nicht nötig: meinen Empfindungen bleibt
jede Erdennatur unendlich nach, und sie wird von Stufe zu Stufe steigen, ehe sie
410
DIE MUSIK III. &
das Tongebiude der allgemeinen Vollkommenheit nur in einigem Umfkngey mit
einiger Fortdauer seiner ewig steigenden Melodie, empfindet.* Nach langem Streit,
den Apollo vergeblich zu schlichten sucht, übernimmt die Poesie das Schiedsrichter-
amt, indem sie sagt: »Du, Malerei, wirkst mehr auf die Phantasie als auf das Herz,
aber die Phantasie kann auch zum Herzen kommen, und wenn sie dahin reicht, ist
sie gemeiniglich desto näher dem Verstände. Also sind deine Darstellungen klarer,
aber wie du, Tonkunst, meinst, auch kilter. Das ist der Malerei keine Schande,
sondern mag eben ihr Vorteil werden, denn Richtigkeit und Wahrheit sind die Haupt-
mittel ihrer Wirkung, die sie mit Schönheit und Annehmlichkeit nur bekleidet Du,
Tonkunst, bist mir mehr, als mir die Malerei sein kann, denn wie du recht gesagt
hast, bist du der harmonische Grund, und die melodische Begleiterin aller, selbst der
malerischen, Schönheit. Du wirst mir aber zugeben, dass ohne meine Worte, ohne
Gesang, Tanz und andere Handlungen für Menschen deine Empfindungen immer im
Dunklen bleiben ... Ich werde gelesen, du wirst gehört, bei mir tadelt und gihnt
man, bei dir spielt oder plaudert man, und zuletzt schüft man bei uns beiden ein.
Und käme man nicht wieder zu der alten und grossen Wirkung, meine Schwester,
wenn deine Kunst sich mit der meinigen näher zusammenfände?* Die Poesie
willigt mit Freuden in den Bund, denn sie meint : »Der Tonkfinstler dichtet, wenn er
spielt, sowie der echte Dichter singet, wenn er dichtet.* Während sich die Tonkunst
und die Poesie in die Arme sinken, haben sie die Malerei ganz vergessen; nun
erhebt Vater Apoll seine Stimme zu dem Rufe: »Ihr seid beide meine Töchter, du,
Malerei, die Zeichnerin für den Verstand, du, Tonkunst, die Sprecherin zum Herzen
und du, meine liebe jugendliche Dichtkunst, du die Schülerin und Lehrerin beider.*
Wie im Oratorium, der Kantate und der Kirchenmusik, so liebte
Herder auch im Lied das Schlichte, das Einfache, das zum Herzen
Gehende. Zu den Volksliedern sammelte er die Original-Melodieen und
würde, wenn er die berühmt gewordene Sammlung: «Stimmen der Völker
in Liedern* noch selbst hätte ordnen können, wahrscheinlich jene damit
verbunden haben, denn Lied und Melodie waren für ihn unzertrennlich.
Er fühlte bei dem Inhalt und Metrum eines Liedes von selbst die dazu
passende Melodie und wusste mit Bestimmtheit anzugeben, wenn der
Dichter und der Komponist nicht harmonierten oder der erstere die Melodie
nicht selbst in seiner Seele gesungen hatte.
In seinem «Zeugnisse über Volkslieder" ^) zitiert er mit Vorliebe aus
den Tischreden Martin Luthers den Ausspruch: «Musika ist eine holde
Disziplin und Zuchtmeisterin, so die Leute milder und sanftmütiger, sitt-
samer und vernünftiger macht. Die Musika ist eine schöne, herrliche Gabe
Gottes und nahe der Theologie*; auch bemerkt er dort, auf Gluck hin-
weisend, dass, als dieser grosse Meister die Wahrnehmung machte, dass die
simple Stelle die meiste Wirkung auf die Seele und Empfindung des Zuhörers
ausfibe, habe er sich seit jener Zeit beständig befiissen, für die Singstimme
mehr in dem natürlichen Ton der menschlichen Empfindungen und Leiden-
^) «Herders ausgewählte Werke, herausgegeben von Bernhard Suphsn und Karl
Redlich*, Berlin 1885, xweiter Band, Seite 2.
411
KOHUT: HERDER UND DIE MUSIK
Schäften zu schreiben, als den Liebhabern tiefer Wissenschaften oder grosser
Schwierigkeiten zu schmeicheln. Es sei anerkennenswert, dass die meisten
derselben in seiner Oper „ Orpheus ** so klar und simpel seien, wie die
englischen Balladen; er sei dafür, die Musik zu simplizieren und statt mit
grenzenloser Erfindungskraft und Fähigkeit die eigensinnigste Schwierigkeit
hervorzubringen und seine Melodieen mit wählerischen Zieraten zu ver-
brämen, tue er alles Mögliche, seine Muse nüchtern und keusch zu er-
halten. Noch deutlicher spricht sich Herder über diese seine Vorliebe für
das Keusche und Simple im Volkslied in der Einleitung zu: „Stimmen der
Völker in Liedern*" aus. Dort heisst es:
„Das Wesen des Liedes ist Gesang, nicht Gemälde. Seine Vollkommenheit
liegt im melodischen Gang der Leidenschaften oder Empfindung, den man mit dem
alten treffenden Ausdruck: „Weise" nennen könnte; fehlt dies einem Liede, hat es
keinen Ton, keine poetische Modulation, keinen gehaltenen Gang und Fortgang der-
selben; habe es Bild und Bilder und Zusammenhang und Niedlichkeit der Farbe, so
viel es wolle, es ist kein Bild mehr."
In der Abhandlung über „Volksgesang" in der Abteilung seiner Werke:
„Zur schönen Literatur und Kunst" geht er dem Grunde nach, warum Volks-
lieder ein so gewaltiges Mittel seien, aufs Herz zu wirken und der Sprache
des Herzens einen so unverhohlenen Ausdruck zu geben, und er findet den
Grund dafür in dem Schönen und Edlen der Melodieen unserer alten Volks-
lieder. Eine Musik, wenn sie eine wirklich gemeine, das heisst triviale und
ekle, Volkspoesie mit Saitenspiel, Trommel und Pfeifen vertone, sei un-
anständig und nicht imstande, unser Gemüt zu erheben und das Leben zu
verschönem.
„Der Maestro ist hier ein Knabe worden; der Dichtungsart, die eigentlich ganz
Herz sein sollte, wird das Herz genommen, es wird damit gespielt. In unserer
stillsten Kammer hat Adrastea Zepter und Wage verloren, sie wird verspottet, mit
ihr wird kunstmissig gegaukelt."
Herder verlangte die Gründung einer neuen, echt deutschen
Oper nach seinen Grundsätzen, ohne französischen Schnickschnack, Augen-
täuschungen und verwirrenden äusseren Kram. Was er unter einer neuen
„deutschen Oper" versteht, darüber spricht er sich in folgender Weise aus:
„Auf menschlichem Grunde und Boden, mit menschlicher Musik und Dekla-
mation und Verzierung, aber mit Empfindung. Empfindung, o grosser Zweck, grosses
Werkl Sprechen, wo man spricht, singen, wo man singt! Oder nein, statt sprechen, ganze
Auftritte durch nur Pantomine, und dann singen, wo man empfindet — das ist eine Operl
Der Plan muss einfach sein: keine Verkleidung, keine Verwicklung, keine Geschichte
und Novelle und Romane, keine Handlung, die das Auge auch ohne Ohr nicht sehen,
erkennen, übersehen, verfolgen, beurteilen könnte. Der Taube muss die Oper ver-
stehen können I Tiefo Allegorie und tiefe Geschichte werden gleich ausgeschlossen,
und die Frage fällt weg, die beide unterscheidet Der Plan muss Empfindung sein;
nur diese spricht durch Mienen und diese durch Liederl Nichts also als menschliche
412
DIE MUSIK III. e.
Szenen; alle Spielereien durch Worte fielen weg. Die Dekoration mata menachlich
aein. Die Schürze der Mannaperaonen und ihre SchnQrbr&ate aind unleidlich« Ein
elendea Ballet in der franzdaiachen Komödie, — wie weit natfirlicher! Die Tänze
mfiaaen Empfindung aein. Nicht bloaa Fiiaae apielen und Hinde auaatrecken oder
Nacken beugen, sondern mit dem ganzen Körper aprechen, und ea wird von aelbat,
wenn Gebirden die elenden Rezitative eraetzen aollen. Getanzt muaa nur werden,
wenn getanzt werden aoll, und dann Tanz der Freude, Oberraachung, Erachrecken,
Wut, Zwietracht, Rache, Furcht, Neckerei uaw. Den Inhalt auadrfickend, muaa die
Empfindung dem Tanz gezeichnet und die Muaik dazu geaetzt und die Gebirden
gebildet haben. Oper iat Bild fura Auge, Ton fürs Gehör. Ei, füra Gefühl? Un-
mittelbar füra Gefühl? Wo aind die Bewegungen in den Tinzen, die unmittelbar
blind tiuachen? Wo aind die Töne dea Gesangea, die unmittelbar erachüttem? Und
die Gebirden der Deklamatoren, die atumm die grösste Wirkung tun müaaten? —
Und aiehe, daa lebte bei den Alten! Unaere Musik malt, unaere Deklamation ficht
und malt, unaere Tinze malen in Linien, — die Kraft iat weg! Wie sind die Kfinate
entatanden? Sieh' eine lebendige Schönheit! Reizende Stellungen werden dir im
Gedichtnis bleiben, — ein Ideal davon: Tanzkunat Nimm eine Stellung deraelben,
die du verewigt wünachest, — Bildhauerei. Halte für dieaea Kunatatfick ein Glaa,
— Gemilde; Gemilde iat alao Fliehe; Bildhauerei ^ Körper, Tanzkunat von Körpern.*
Mit der bestehenden deutschen Oper seiner Zeit war Herder in
keiner Weise zufrieden; wie er gegen die franzosische Oper ankämpfte,
so eiferte er auch gegen ihre deutsche Kollegin, und in scharfen Worten
geisselt er ihren schlechten Geschmack. Bedauerlich ist es nur, dass er,
gar zu grosses Gewicht auf gute Texte legend, die Musik zu den schlechten
gleichfalls verdammte und deshalb sogar mit dem unsterblichen Genius
eines Wolfgang Amadeus Mozart zu Gericht ging. Man höre nur die
nachstehenden kritischen Ausführungen Herders:
9W0 die Oper jetzt steht, wissen wir: auf dem Kunstgipfel der Tonkunst und
Dekoration, fkat mit Vemachliaaigung dea Inhalta und der Fabel. Den Opemdichter
nennt man jetzt kaum; aeine Worte, die man aelten verateht, und noch aeltener dea
Veratehena wert aind, geben dem Tonkünatler nur Anlaaa zu aeinem (wie er'a nennt)
muaikaliachen Gedanken, dem Dekorateur zu aeinen Dekorationen. Muaikaliache
Gedanken ohne Worte, Dekorationen ohne eine veratindige Fabel aind freilich aonder-
bare Dinge; wir denken aber einmal in der Oper reinmuaikaliach. Sie Iat der Ort:
,Wo wie vor aüaaen Zaubereien
Der Bürger aeinen Gram vertriumt.
Den Krieg vergiaat und Plackereien,
Und waa er aelbat an Pflicht veraiumt.
Auch Vaterland und Schurkereien
Dea Rechte, Auflagen — ach, er triumt
In einem trunknen Augenblick
Sich aeinea Lebena — Opemglück.'
Hat der Tonkünatler durch dieae Zurückaetzung dea poetiachen Stoffea ge-
wonnen oder verloren? Für aeine Kunat glaubt er gewonnen zu haben; er darf
aeine Arien drehen und wenden nach Herzenaluat; höchatena paaat er aie der Kehle
an, die aie hinwirbelt Ala Tondichter aber, ala Sprecher und Wirker der Empfindung
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KOHUT: HERDER UND DIE MUSIK
hat er gewiss verloren. Spazieren seine Töne in der Luft, verschlingen sie sich nicht
unmittelbar mit Worten und Szenen der Empfindung, so dringen sie nie ans Herz,
sie bleiben im Ohre. Bearbeitet er einen unwürdigen, gar schindlichen Stoff, muss
er seine sfissen Töne an Laffereien, an eine Persiflage alles Grossen, Guten und
Schönen verschwenden. O, wie bedauern wir den Tonschöpfer I Wie bedauern wir,
zauberischer Mozart, dich in deinem »Cosi fan tutte*, .Figaro*', »Don Juan* usw.!
Die Töne setzen uns in den Himmel, der Anblick der Szenen ins Fegefeuer, wo nicht
gar tiefer. Lisst der Tonkunstler sich gar hinreissen, seiner musikalischen Drehbank
zu gefallen die Empfindungen zu zerstückeln, zu kauen und wiederzukäuen, zu kaden-
zieren, Unmut .erregt er, statt Dank und Entzückung in unserer Seele! Schnürt er
endlich seine Kunstmaschinen Sängern und Sängerinnen so an die Kehle, dass Held
und Heldin darüber zu Spott werden, folgt er dem Trödelkram sogenannter weicher
Empfindungen bis zu Szenen ausgelassener Frechheit, — wie hätte er gewonnen?
Und nicht vielmehr das Beste, den Zauber seiner Kunst, die höchste Einwirkung auft
menschliche Gemüt verloren? Der Fortgang des Jahrhunderts wird auf einen
Mann führen, der diesen Trödelkram wortloser Töne verachtend, die
Notwendigkeit einer innigen Verknüpfung rein menschlicher Empfindung
und der Fabel selbst mit seinen Tönen einsieht. Von jener Herrscherhöhe,
auf welcher sich der gemeine Musikus brüstet, dass die Poesie seiner Kunst diene,
stieg er hinab und lieh, soweit es der Geschmack der Nation, für die er Töne dichtete,
zuliess, den Worten die Empfindung, der Handlung selbst mit seinen Tönen nur
dienend. Er hat Nacheiferer; vielleicht eifert ihm bald jemand vor, dass
er nämlich die ganze Bude des zerschnittenen und zerfetzten Opern-
Klingklangs umreisse, und ein Odeum aufrichte, ein zusammenhängendes
lyrisches Gebäude, in welchem Poesie, Musik, Aktion, Dekoration eins
sind.«
Das Wort, dass der Dichter ein Prophet sei, bewahrheitet sich auch
bei Herder, er ahnte den Zukunftsmusiker vor, der mit dem Schnickschnack
der französisch-italienischen Oper endlich einmal gründlich aufräumen und eine
neue deutsche Oper auf nationalen Grundlagen schaffen werde! Nur kam dieser
Messias nicht so rasch, nicht am Ende des 18. Jahrhunderts, wie Herder
glaubte, sondern erst ein Jahrhundert später. Er hiess Richard Wagner.
Zweifellos übertrieb Herder in seinem Reformfanatismus die Zustände,
die auf den deutschen Opembühnen herrschten, indem er gar zu sehr grau
in grau malte, aber in seinen beissenden und ätzenden Kritiken traf er
oft den Nagel auf den Kopf, wie z. B. in den nachstehenden Zeilen,
die sich gleichfalls mit Mozart und seinen Opemtexten beschäftigen:
»In wie anmutreichen Zeiten leben wir! In züchtig-unzüchtigen, musikalisch-
theatralischen Zeiten, da der Tonkünstler seine musikalischen Gedanken und Empfind-
ungen mir nichts dir nichts jedem Unsinn anpasst, und der dekorierte Schauspieler sein :
,Gib mir ein Scbmätzchen,
O du mein Kätzchen,
Gib mir ein Mäulchen,
O du mein Eulchen'
ohne alles Erröten singt, indes Parterre und Galerien in Empfindungen lieblicher
Töne zerschmelzen. Wie wäre es, wenn wir eine Alla Potrida solcher musikalischer
414
DIE MUSIK III. 6.
Gedanken und Empflndungen unserer neuesten deutschen Oper zur Probe ^ben!
Gross kann sie nicht werden, denn in jeder sind fkst dieselben Worte, dieselben
Reime.*
In Buckeburg, sowie in Weimar spielte Herder, aber nur auf stfirmisches
Verlangen seiner intimen Freunde oder der Hofkreise, am Klavier oder
sang mit seiner sympathischen Stimme das eine oder das andere Lied, spez.
ein Volkslied. Zu den wärmsten Bewunderem seines musikalischen Talents
gehörte besonders die Herzogin-Mutter von Sachsen- Weimar, Anna Amalie,
die bekanntlich selbst sehr musikalisch war — sie komponierte u. a. für
die herzogliche Kapelle und das Theater, z. B. die Musik zu Goethes
Singspiel: „Erwin und Elmire"* — und sich mit ihrem Hofprediger gern
über theoretische Fragen der Tonkunst eingebend unterhielt und sich an
seinen klaren, treffenden Urteilen zu erfreuen pBegte.
Nicht soll noch unerwähnt bleiben, dass der grosse Physiker Helm-
holtz zu vielen seiner Lehren und Theorieen der Mechanik der Tonkunst
durch jene Abhandlungen angeregt wurde, die Herder in seinem vierten
»kritischen Wäldchen* ^) über die Ästhetik des Gehörs und Tons veröffent-
licht hat. Allen denjenigen, die sich über diesen Gegenstand genau orientieren
wollen, empfehlen wir das Studium dieser grundlegenden Untersuchungen
des ausgezeichneten Weimarischen Ästhetikers und Kritikers. Ein Vergleich
seiner Ausführungen mit denjenigen von Helmholtz wird sicherlich für jeden
Freund der Tonkunst von hohem Interesse sein.
Wie haben sich seit einem Jahrhundert die Zeiten geändert I Wo gibt
es noch heutzutage Konsistorialräte und Superintendenten und Oberkirchen-
räte, die sich so mit der Musik beschäftigen, das Wesen derselben zergliedern
und in Wort und Schrift die heilsame kulturgeschichtliche Bedeutung der
Frau Musika zu erläutern suchen? Ehre und Ruhm daher dem Genius
dieses Unsterblichen, dessen Manen zu huldigen an seinem Säkulartage
auch die Musik berufen ist!
.\ y.^) Herders Lebensbild, 3. Band, zweite Hilfte, Seite 352 ff.
^nde Oktober [kehrt Berlioz mit seiner jungen Frau nach' Paris
zurück und sie richten sieb so gut es gebt in seiner früheren
\ JuDggesellenwohnung ein. Die Sorge zieht mit ihnen, denn
I Berlioz' ganze Barschaft besteht in 300 Francs, die sein Freund
Gounet ihm geborgt hat und auf weitere 8 Monate bezieht er die Pension
vom Institut; die Schulden seiner Frau aber belaufen sich auf 14000 Francs.
Mit bevunderungswürdigem Mut nimmt er diese Last auf sich in freudiger
Zuversicht auf die Zukunft. Liszt ist ein bäußger Gast in dem Hause und
Zeuge ihres jungen Glücks.
Berlioz' Leben ßngt an ruhiger zu werden. Wohl werfen die Sorgen
manchen Schatten hinein, aber das Lächeln seines Kindes zerstreut sie wieder.
„Der kleine Louis', so schreibt er lo Feirand, ,tsi das niedlichste Kind, das ich
ie gesehen habe. Meine Frau und ich füblen uns so einig und glücklich wie nur
mSgllch, trotz alter materiellen Sorgen."
Die diskrete Hilfe guter Freunde und der Ertrag seiner Konzerte
reichen jedoch nicht zum Unterhalt des Hausstandes aus. Berlioz sieht
sich genötigt, Feuilletonist zu werden, um die Bedürfnisse des täglichen
Lebens bestreiten zu können. Er hat diesen Frondienst, wie er seine
schriftstellerische Tätigkeit nennt, sein Lebelang verwünscht ; erst nach
dreissig Jahren ermdglichte ihm der Verkauf von der Partitur der „Trojaner"
sein Amt als Feuilletonisl niederzulegen.
Trotz aller Kämpfe und Sorgen ist Berlioz in den ersten Jahren
seiner Ehe künstlerisch sehr produktiv. In dieser Periode entstehen:
Harold, das Requiem, Benvenuto Cellini und Romeo und Julie.
Am 10. September 1838 findet die erste Aufführung von ^Benvenuto
Ceillni* statt. Trotzdem die Oper durchfällt, feiert Berlioz' Ehrgeiz einen
grossen Triumph. Paganini hatte der Vorstellung beigewohnt und war
empört über die Niederlage:
„Tire Ich Direktor der OpJra", sagte er, .^0 würde ich nicht verfehlen, diesen
jungen Mann lu veranlassen, mir drei weitere Partituren lu schreiben, ich würde ihm
den Preis im vorsus zahlen, Sberteugt, dass ich damit einen goldenen Handel ab-
sckllesien vürda."
>
416
DIE MUSIK III. a
Ein Konzert, das drei Monate spiter stattftmd und bei dem
«Harold* und die «Symphonie Fantastique* ausfuhrt worden, gab dem
grossen italienischen Geiger Gel^enbeit, seine Begeisterung dnrch dn
grossmfitiges Geschenk zu betätigen. Berlioz erzählt uns diese Szene in
den Memoiren. Es ist am Tage nach dem Konzert, ein Brief von Paganini
wird ihm im Bett fiberbracht; seine Frau tritt ins Zimmer und findet ihn
bleich mit verstörten Mienen, angstvoll ruft sie:
«Was gibt et wieder? ist ein neues Unglfick geschehen? Verzage nicht, wir
haben so manches ertragen . . . Nein, nein, im Gegenteil! — Was denn? — Paga-
nini ... — Nun? — Schickt mir . . . 20000 Francs! ... — Louis! Louis! ruft
Henriette ganz verwirrt und läuft, um den Kleinen, der im anliegenden Zimmer spidt^
zu holen, dann kniet sie mit dem Kinde am Bette nieder und ftütet seine kleinen
Hände zum Gebet*
Berlioz konnte nun nicht nur alle seine Schulden bezahlen, er behielt
noch eine stattliche Summe in Händen, die er zu musikalischen Zwecken
verwenden wollte. Er fühlte das dringende Bedurftiis, durch eine grosse
musikalische Tat Paganini zu beweisen, dass er seine vertrauende Be-
geisterung keinem Unwfirdigen geschenkt hatte. So entstand seine grosse
Symphonie «Romeo und Julie*. Er arbeitete sieben Monate, ft»t ohne
sich eine Ruhepause zu gönnen. Von dieser Zeit sagt Berlioz:
»Mit welchem Feuereifer habe ich gearbeitet, mit vollen Zfigen schwamm Ich
in diesem gewaltigen Meer von Poesie, umschmeichelt von dem kräftigen Windhauch
meiner zügellosen Phantasie, unter den heissen Strahlen der Liebessonne, die Shake*
speare entzfindet hatte, im VoUgefiihl der Kraft, jene Wunderinsel zu erreichen, wo
der Tempel der reinen Kunst sich erhebt*
Im nächsten Mai (1840) schreibt Berlioz auf Verlangen von M. de
R6musat^) seine «Symphonie fundbre et triomphale* für die Überführung
der Opfer der Julirevolution und die Einweihung der Säule auf der Place
de la Bastille. Der Plan zu dieser Komposition bestand seit langem.
Aber Berlioz ist nicht mehr der stürmische Romantiker, der er war,
der glfihende Apostel einer reformatorischen Musik.
»Können Sie sich denken,* schreibt er an Ferrand, »meine musikalische Be-
geisterung ist einer Art resignierter Kalü>lfitigkeit und Verachtung gewichen . . . mir
scheint, ich steige mit ungeheurer Geschwindigkeit den Berg hinab; das Leben ist so
kurz, ich spfire, wie seit einiger Zeit oft der Gedanke an das Ende an mich
herantritt«
Der häusliche Friede ist schon gestört, aber Berlioz macht darfiber
dem Freunde keine Geständnisse, er sagt nur : „wenn Sie in diesem Winter
kommen, so werden wir uns viele Dinge zu sagen haben, die man beim
Schreiben schlecht erklären kann.^
') Comte de R^musat (1797—1875) Minister des Innern.
417
SAVIC: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
Legouv6,^) einer der intimen Freunde des Künstierpaares, erzählt in
seiner Biographie:
Als Berlioz Henriette heiratete, liebte er sie wahnsinnig; »sie hatte ihn gern",
um ihre eigenen Worte zu gebrauchen. Es war eine »blonde Liebe**, die Oberschwäng-
lichkeiten des exaltierten Mannes hatten sie erschreckt, sie gewöhnte sich aber all-
mihllch daran und fand schliesslich einen grossen Reiz darin. Aus der kalten Eng-
Underin wurde eine feurig liebende Gattin, unglücklicherweise war Berlioz schon er-
nüchtert. Seine Liebesfiamme hatte in freier Luft gebrannt und sich zu früh verzehrt.
In dem Grade, in dem das Thermometer Smithson stieg, ging das Thermometer Berlioz
zurück. Zuhause war er nur noch der gute Freund, sehr korrekt und ruhig, wihrend
draussen immer neue Gelegenheiten, wie sie das Künstlerleben bietet, ihn so oft in
Versuchung führten, dass er ihnen schliesslich erlag. Seine Widerstandskraft war
nicht so beschaffen, dass er sich gegen Versuchungen, die so nahe an ihn herantraten
und seiner Eigenliebe schmeicheln mussten, schützen konnte. — Frau Berlioz suchte
in den Feuilletons ihres Mannes die Spuren seiner Untreue, sie suchte sie überall:
Bruchstücke aufgefangener Briefe, auf indiskrete Weise geöffnete Schubfächer brachten
<hr unvollstindige Enthüllungen, die wohl hinreichten, dass sie ganz ausser sich
geriet, die sie aber nur halb aufklärten. Berlioz' Herz ging so schnell, dass sie
ihm nicht folgen konnte. Wenn sie durch Nachforschungen den Gegenstand seiner
Leidenschaft entdeckt hatte, so hatte diese Leidenschaft schon ihren Gegenstand
gewechselt, er liebte schon wieder eine andere, und da er dann leicht seine Unschuld
nachweisen konnte, so blieb die arme Frau auf falscher Fährte wie ein Spürhund,
der eine halbe Stunde lang einer Fährte nachgelaufen ist und endlich an das Lager
kommt, von dem der Vogel schon aufgeflogen ist. Freilich Hessen andere Ent-
deckungen sie bald wieder neuen Spuren folgen und darüber gab es dann entsetzliche
häusliche Szenen.
In der Tat tritt bald die Katastrophe ein. Durch einen Staatsstreich,
wie er es in seinen Memoiren nennt, gelingt es Berlioz, seine Freiheit zu
gewinnen und seine Reisen ins Ausland unternehmen zu können, woran
seine Frau ihn um jeden Preis hat hindern wollen, »eine törichte, während
langer Zeit unbegründete Eifersucht war das Motiv ihrer Opposition*.
Heimlich lässt Berlioz seinen Koffer und seine Noten aus dem Hause
schaffen. Ein Brief unterrichtet die arme Henriette von seiner Flucht.
Berlioz reist nicht allein. Eine junge Sängerin Marie Recio begleitet ihn
auf allen seinen Reisen. Eine bequeme und angenehme Gefährtin muss
sie ihm nicht einmal in der ersten Zeit gewesen sein. Legouv6 sagt von
ihr: »Sie war eine hübsche Person mit einer schönen, aber schwachen
Stimme, nichtsdestoweniger war sie sehr singwütig". Berlioz bestätigt dies
Urteil in einem Brief an Morel:
»Bedauern Sie mich, mein Lieber, Marie hat in Mannheim, in Stuttgart und in
Hechingen singen wollen. Die beiden ersten Male war es noch erträglich, aber das
letzte Mal! • . . und schon der Gedanke an eine andere Sängerin empört sie.*'
Hiller erzählt zu diesem Fall in seinem Künstlerleben eine sehr
*) Emest Legouv6« französischer Schriftsteller.
IlL 6 37
418
DIE MUSIK III. 6.
amüsante Episode. Er hatte in seiner Heimatstadt Frankfurt ein Konzert
vorbereitet und lud Berlioz, der von Karlsruhe zurfickkehrte, dazu ein.
»Unmöglich, lieber Freund,* antwortet dieser, »Du weisst, ich reise in Begleitung
einer Sängerin. Sie singt wie eine Kitze, aber dtrin liegt das UnglQck nicht, das
Schlimme ist, sie will in allen meinen Konzerten auftreten. Ich gehe von hier nach
Weimar, es ist unmöglich, dass sie mich begleitet, aber mein Plan ist gemacht Sie
glaubt nimlich, dass ich heute Abend bei Rotschild eingeladen bin. Um sieben Uhr
verlasse ich das Hotel, mein Platz im Postwagen ist bestellt, meine Koffer sind bereit,
ich reise ab, und zwei Stunden später erhält sie durch den Hotelbesitzer den Brie^
der sie von meinem Ausflug unterrichtet.*
Hiller drängt Berlioz nicht zum Bleiben, aber als er zwei Tage
darauf sich erkundigt, wie die Geschichte abgelaufen ist, hört er, dass
Mlle. Recio sich am nächsten Morgen sofort auf der Post, wo man da-
zumal noch seinen Namen einschreiben musste, erkundigt und erfahren
habe, wohin Berlioz sich gewandt hatte. Sie war alsbald dem FIfichtling
nachgeeilt.
Hiller sagt von Berlioz' Gefährtin: „Sie war eine kluge Person, die
es verstand, ihren Mann zu behandeln.'' Dennoch war Berlioz nicht
glücklich an ihrer Seite. Anlässlich einer traurigen Szene schüttet er
Legouv6 sein Herz aus und macht ihn zum Vertrauten seiner Sorgen. Er
klagt ihm, welche Schmach es für ihn sei, den Direktoren schmeicheln zu
müssen, um für die Recio eine gute Rolle zu erlangen, welche Pein er
leide, wenn er in seinen Kritiken ihre Misserfolge bemänteln und zu Er-
folgen stempeln müsse, wie er gezwungen sei, nachdem sie endlich, sehr
gegen ihren Willen, auf das Theater verzichtet hatte, sie in seinen Kon-
zerten singen zu lassen, seine eigenen Melodieen falsch gesungen zu
hören, und wie er als Kapellmeister selbst die Stücke dirigieren müsse,
in denen sie ihn als Komponisten vernichte.
Trotzdem vermochte Berlioz nicht, sich von der unwürdigen Fessel
zu befreien. Legouv6 erzählt uns eine traurige Begebenheit, die den
Charakter der Marie Recio in seiner ganzen Niedrigkeit zeigt:
Eines Tages hört Henriette, die sich mit ihrem Gram in eine armselige Wohnung
nach Montmartre zurückgezogen hatte, klingeln und geht, um zu öffnen:
»Ich möchte Madame Berlioz sprechen.*
»Ich bin es, Madame.*
»Sie irren sich, ich frage nach Madame Berlioz.*
aja, die bin ich, Madame, wie ich schon sagte.*
»Nein, Sie sind es nicht! Sie sprechen mir von der alten Madame Berlioz,
von der Verlassenen! Ich meine die Junge, die Schöne, die Vorgezogene, und sehen
Sie, das bin ich!*
Darauf ging sie fort und schlug die Tfir hinter sich zu.
»Wer hat Ihnen das berichtet?* rufl Legouv^ empört, als Beriioz ihm dies
4id
SAVIC: BERLIOZ UNO DIE FRAUEN
erzihlty vObne Zweifel hat sich die Titerio noch dieser hisslichen Handlung gerühmt,
und Sie haben sie nicht aus der TGr geworfen?"
«Wie hätte ich das gekonnt?* erwiderte Berlioz mit gebrochener Stimme, »ich
liebe sie jal«'
Trotz aller Schmach und Bitterkeit, die Henriette ertragen musste,
willigte sie nie in eine völlige Trennung ein. Eine schwere Krankheit
fesselte sie in den letzten acht Jahren ans Bett, sie war schliesslich ganz
gelähmt und hatte die Sprache verloren. Berlioz sah seine Frau nur noch
in langen Zwischenräumen, ein glücklicher Zufall fügte es, dass er gerade
in Paris war, als Henriette 1854 am 3. März starb. Der letzte Sonnen-
blick für die arme Ophelia war ein Besuch ihres Sohnes kurz vor ihrem
Tode. In seinem Beruf als Seeoffizier hatte er nur selten Gelegenheit, die
Heimat und seine Angehörigen zu sehen.
Henriettens Tod war für beide Gatten eine Erlösung. Berlioz
schien die traurige Vergangenheit so schnell als möglich verwischen zu
wollen, denn im August desselben Jahres verheiratete er sich wieder.
Allerdings erfüllte er dadurch, dass er Marie Recio zu seiner legitimen
Frau machte, nur eine gesetzliche Formalität. Das Bedürfnis, ein Heim
zu haben und wohl auch die Macht der Gewohnheit, veranlassten ihn zu
diesem Schritt, den seine Familie sowie seine Freunde aus Schicklichkeits-
rücksichten billigten. Er hatte vor seiner Wiederverheiratung die Inter-
essen seines Sohnes sichergestellt, trotz dieser Rücksicht scheint Berlioz
zu fürchten, dass sein neues Bündnis von dieser Seite gemissbilligt werden
könnte. Er schreibt an den Sohn:
lylch bin wieder verheiratet. Dies Verhältnis war auf die Dauer, wie Du
Dir wohl denken kannst, unlösbar geworden. Ich konnte nicht mehr allein leben
und auch die Person, die seit vierzehn Jahren mit mir lebt, nicht verlassen! Meine
Stellung ist auf diese Weise geregelter und schicklicher Ich glaube wohl, dass Du
noch unliebsame Erinnerungen hegst und Marie Recio nicht wohl geneigt bist, aber
ich zweifle nicht, dass Du diese Regungen mir zu Liebe in Deiner tiefsten Seele ver-
bergen wirst Wenn Du mir darüber schreibst, so erwähne nichts, was ich meiner
Frau nicht zeigen könnte, ich gebe viel darum, dass kein Schatten in unser Heim
fällt ... Ich überlasse es Deinem Herzen, Dir zu diktieren, was Du zu tun hast . . .*
Die Schatten blieben nicht aus, aber sie kamen nicht von dieser
Seite, denn Louis bewahrte dem Vater die zärtlichste Anhänglichkeit.
Die acht Jahre seiner zweiten Ehe waren für den Künstler die
schwerste Prüfung seines Lebens. In den Memoiren finden wir kein Wort
darüber, aber man errät die traurigen Verhältnisse aus einer Stelle in den
Briefen an Adolph Samuel, die M. Wilder 1879 im „M6nestrel* veröffent-
lichte. Der Brief ist datiert vom 29. Juni 1860:
»Ich bin immer krank,*' schreibt Berlioz, „und zudem ist mein Geist verwirrt
und unruhig. Ich lebe draussen, denn mein Heim ist ermüdend, aufregend und hsi
ZI*
42Ö
DIE MUSIK III. 6.
unertriglich. Es gibt keinen Tag, Iceine Stunde, wo ich nicht bereit wäre, mein Leben
zu riskieren und den verzweifeltsten Entschluss zu fassen . . .*
Den Sohn warnt er verschiedene Male vor der Heirat, in der er
die furchtbarste Kette sieht, die ein Mensch zu tragen verurteilt ist.
Glücklicherweise machte sich die Leere seines Heims in den ersten
fünf Jahren dieser Ehe nicht so fühlbar. Berlioz war fast beständig auf
Konzert -Reisen im Ausland, und überdies ging er ganz auf in seiner
Dichtung zu den Trojanern.
Eine hochgesinnte geniale Frau, die Fürstin Sayn-Wittgenstein, die
treue Freundin Liszts, hatte den Keim zu diesem Werk in ihn gelegt.
Bei einem Besuch in Weimar im Februar 1856 hatte Berlioz eines Tages
seine lebhafte Bewunderung für Virgil geäussert und seine Überzeugung,
dass das erste und vierte Buch der Äneide einen wundervollen Vorwurf
zu einem musikalischen Drama im Shakespeare-Stil bieten müsse.
«Sicherlich,* hatte die Fürstin geantwortet, «und Sie müssen diese Oper, dieses
lyrische Drama schreiben. Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber machen Sie sich an
diese Arbeit und vollenden Sie sie.*
Als Berlioz noch zögert angesichts dieser gewaltigen Aufgabe, fügt
sie mit freundlicher Beharrlichkeit hinzu:
»Wenn Sie vor der Mühe zurückschrecken, die dieses Werk Ihnen geben wird
und muss, wenn Sie nicht den Mut haben, für Kassandra und Dido alles zu wagen,
so kommen Sie nie mehr zu mir, ich will Sie dann nicht wieder sehen.*
Mehr bedurfte es nicht, um Berlioz anzuspornen. Kaum aus Weimar
zurückgekehrt macht er sich ans Werk. Aus seinen Briefen an die Fürstin^)
geht hervor, dass die edle Frau einen regen Anteil an seiner Arbeit nimmt.
Schritt für Schritt verfolgt sie sein Werk und lässt nicht nach, ihn zu
ermutigen und anzufeuern. Berlioz ist schon sehr leidend in dieser
Zeit, ihre liebevolle Teilnahme richtet ihn wieder auf:
»O wie Sie alles verstehen," schreibt er, «aber ich kann nicht nach Weimar
kommen, um mich in Ihrer Sonne zu wirmen . . . Nur die Frauen finden so be-
zaubernde Worte, die den Schmerz besänftigen, wenigstens für kurze Zeit Aber auch
nur hochgesinnte Frauen, wie Sie es sind, finden solche Ausdrücke. Sie haben viel-
leicht einen Hintergedanken bei den Trojanern, Sie glauben, die geheime Ursache
meines Kummers zu sein, weil Sie mich veranlasst haben, dies Werk zu schreiben.
Glauben Sie das nicht, es ist nicht der Fall, ich bin Ihnen im Gegenteil grossen
Dank schuldig für dies tatkräftige Leben, das ich in den letzten beiden Jahren während
meiner Komposition geführt habe."
In einem späteren Schreiben sagt er:
»Ihre Briefe, teure Fürstin, versetzen mich in grosse Erregung. Ihre Ideen,
Ihre Träume wirken auf mich, wie das Pulver auf^ Feuer! Wenn ich zwanzig Jahre
^) Die Briefe von Berlioz an die Fürstin Wittgenstein erscheinen im Dezember
in deutscher Obersetzung im Verlag von Breitkopf & Härtel Jn Leipzig.
^
421
SAVIÖ: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
jünger wire^ so würden Sie etwas aus mir machen. Aber was wollen Sie? Die
Ruhe, die Heiterkeit des Geistes fehlen mir, um etwas zu unternehmen und zustande
zu bringen ..."
Am 4. November 1863 gelangen die «Trojaner'^ endlich nach grossen
Schwierigkeiten zur Aufführung. Der Erfolg ist ein glänzender. Berlioz
schreibt an die Fürstin:
»Endlich ist Robinsons grosses Canoe vom Stapel gelaufen. Sie haben mich vor
fünf Jahren veranlasst, den Baumstamm auszusuchen und mir Mut eingeflösst, ihn
auszuhöhlen ... Ich will mich Ihnen zu Füssen werfen, will Ihre beiden Hinde er-
greifen und Ihnen danken für Ihre sympathischen Worte, Ihre freundschaftlichen
Mahnungen, für Ihren hochherzigen Sinn, Ihr harmonisches Mitempfinden der fernen
Echoklinge »unseres Werkest Dank, Dank, hochverehrte, intelligente Freundin,
glauben Sie mir, dass ich aufs tiefste ergriffen und von Dankesgefühlen bewegt bin .. .*
Berlioz war ein Jahr vorher zum zweiten Male Witwer geworden.
Marie Recio starb am 13. Juni 1862 im Alter von 48 Jahren. Aber der
Roman des Künstlers ist damit nicht beendet. Beständigkeit lag nicht in seinem
Charakter, schon während der ersten Jahre, als er mit Henriettens glück-
licher Rivalin Europa durchstreifte, hatte er es möglich gemacht, beide zu
täuschen, jetzt, da sie tot waren, trieb ihn sein leidenschaftliches Temperament
den Frauen immer wieder zu. Zwei Monate nach Marie Recio's Tod ist
Berlioz bereits in den Banden einer neuen Leidenschaft:
„Lächelnd und lockend** — so schreibt er an Humbert Ferrand — »trat eine neue
Liebe an mich heran. Ich hatte sie nicht gesucht und widerstand der Versuchung
kurze Zeit, aber die Vereinsamung, in der ich lebe, und das unauslöschliche Bedürfhis
nach Liebe, haben mich besiegt. Ich Hess mich lieben, dann habe ich selbst noch
mehr geliebt, und dann wurde eine Trennung nötig, eine völlige, unerbittliche Trennung
absolut, wie der Tod.**
Wir erfahren nicht viel über diese neue Liebesepisode. Legouv6
war Zeuge dieser Leidenschaft, die in Baden-Baden entstand, in der Zeit,
als Berlioz hier die Proben zu «Beatrice und Benedikf* leitete. Das
Mädchen ist 26 Jahre alt, der 60jährige Künstler klagt dem Freunde voll
Verzweiflung:
»Sie kann mich nicht lieben, sie liebt mich nicht! O, mein Freund, welche
Qualen! Ich schafTe mir eine Hölle mit diesem Paradies . . .«
Ans einem Brief an die Fürstin Wittgenstein hören wir, dass sie
Am alle heisst und dass Berlioz ihren Tod erst nach sechs Monaten erfährt.
Berlioz hat sich bereits freiwillig in neue Leiden gestürzt. Die Ver-
einsamung seiner alten Tage, wie er an Ferrand schreibt, das Martyrium,
das er jeden Tag von vier Uhr früh bis vier Uhr nachmittags erdulden
muss, haben den Traum seiner Jugend, das Bild der schönen Estelle, der
Stella Montis, der späteren Madame Fomier, die das Herz des Knaben
bezaubert hatte, wieder wachgerufen.
Diese Wiederatiferstehung der Vergangenheit ist in der Tat nichts als
422
DIE MUSIK III. &
ein Traum. Mit seiner romantischen, sentimentalen Natur lebt er sich mit
einer solchen Leidenschaft in die Erinnerung hinein, dass ihm der Traum
zur Wirklichkeit wird.
Trotz Alter und Krankheit reist Berlioz 1864 nach Meylan, um die
Stätte wiederzusehen, wo das junge Mädchen in den roten Lederstiefelchen
sein Kinderherz in Aufruhr versetzt hatte. Schon im Jahre 48 hatte er
eine Pilgerfahrt nach Meylan unternommen, und der Geliebten seiner Jugend
in einem Briefe, den wir in den Memoiren finden, seine leidenschaftliche
Verehrung gestanden. Noch häufig in seinem Leben steht die ^^Stella
Montis* vor seiner Seele, so in der Zeit, als er das Requiem verfasst.
Im Traum glaubt er mehrere Male wieder in Meylan zu sein, an ihrer
Seite die alten Wege zu wandeln und ihre Stimme zu hören. Ober seine
letzte Pilgerfahrt nach Meylan schreibt Berlioz an die Fürstin Wittgenstein:
„O, Sie Herzensgute, Sie haben alles erraten. Ja, ich habe die Schwiche ge-
habt, eine Wanderung nach Meylan zu machen, und diesmal habe ich alles gesehen.
Ich habe um die Erlaubnis gebeten, den Garten, das Haus zu betreten. Ich habe das
Zimmer gesehen, das sie mit achtzehn Jahren bewohnte. Alles ist in demselben Zu-
stand ... die EigentQmerin war erschQttert über meine Bewegung . . . und ich habe
ihr nur sagen können: ,Ich kam hierher . . . das sind nun 49 Jahre her^ . . . dann lief
ich seufzend davon ... Ich ging nach Lyon, ich kannte ihre Adresse ... Sie hat
mich empfangen ... ich habe sie gesehen. Es ist mir ganz unmöglich, Ihnen diese
Zusammenkunft zu beschreiben, welcbe Verwüstung die Zeit angerichtet, wie mein Herz
diese Schönheit wiederherzustellen suchte; ihre ruhige Würde, meine halbe Bewusst-
losigkeit, als sie mir auf meine Bitte die Hand reichte; meine trostlose Rückftihrt nach
Paris . . .•
In einem späteren Briefe heisst es:
»Die grossen Leiden sind überwunden, ich darf ihr schreiben, ich werde zu-
weilen Briefe von ihr erhalten, mein Himmel ist fortan nicht mehr dunkel . • .*
Dies sind auch die letzten Worte in den Memoiren, der letzte Wunsch,
den Berlioz ans Leben knüpfte.
Vier Briefe hat er selbst in seiner Autobiographie wiedergegeben,
die andern (es sind 36) wurden heilig aufbewahrt. Sie sind im Besitze
eines Patenkindes von Berlioz und Enkelin der schönen Estelle. Madame
Kitty Fomier, die letzte ihres Namens, ist eine geschätzte Portrait-Malerin
in Paris. Dank ihrer gütigen Bereitwilligkeit war es mir gestattet, die
Briefe zu übersetzen und' zu veröffentlichen.^)
Es geht aus diesen Briefen hervor, dass Berlioz, dieser leidenschaft-
liche Phantast, den Wunsch gehegt hatte, die 72jihrige Frau Fomier, in
der er noch immer die schöne Estelle Gautier sah, durch eine Heirat an
sich zu fesseln:
0 Berlioz' romantische Uebe, Briefe an Estelle Fomier. Verlag: Breitkopf
& Hirtel, Leipzig.
423
SAVIC: BERLIOZ UND DIE FRAUEN
»Ist es meine Schuld, wenn sich der keusche Ehrgeiz in mein Herz gestohlen
hatte, den Rest meines Lebens an Ihrer Seite zu verbringen? Der Rausch, den Ihre
Gegenwart auf mich ausübte, gebar diesen Wunsch; ich bin es noch nicht gewohnt,
Sie zu sehen, und die Furcht vor dem Augenblick des Abschiednehmens machte mich
vollends verwirrt. Aber nun ist es aus.
Lesen Sie die letzten Seiten meiner Memoiren, dort werden Sie sehen, dass
meine süssesten Hoffnungen seit langem in den Grenzen eingeschlossen sind, die Sie
selbst ihnen neulich angewiesen haben: Sie zuweilen sehen, einige Briefe mit Ihnen
tauschen dürfen, mir Ihr Interesse, Ihr Wohlwollen zu bewahren . . . das ist alles
(und das sind Ihre eigenen Worte).
Ich werde nie mehr aus diesem Kreis heraustreten, zweimal oder dreimal im
Jahre werde ich kommen und Sie in der Nähe verehren und während 24 Stunden
Sie sehen, Sie hören, dieselbe Luft mit Ihnen atmen, dann werde ich nach Paris
zurückeilen, stolz und glücklich wie eine Biene, die ihre Beute heimträgt, und dazu
von zärtlicher Dankbarkeit durchdrungen . . .
Versuchen Sie, ich bitte Sie darum, in Ihrer Antwort, die ich mit Sehnsucht
erwarte, nicht mehr strenge und unzufrieden zu sein, damit die Wunde heile, die
noch blutet.**
Allerdings reisst er selbst beständig diese „Wunde*" wieder auf . . .
Doch ein wirklicher, grosser Schmerz trifft ihn noch vor seinem Ende: Sein
einziger Sohn stirbt in Havanna im Alter von 33 Jahren.
Noch einmal rafft Berlioz sich auf, im Dezember geht er auf eine
Veranlassung der Grossfürstin Helene nach Russland. »Die Geldfrage und
der Wunsch, etwas angenehmer leben zu können,** wie er an die Fürstin
Wittgenstein schreibt, veranlassen ihn zu dieser anstrengenden Reise. Im
Februar kehrt er reich an Ehren und Geld zurück, doch sein Leiden hat
sich sehr verschlimmert. Die Sehnsucht, „in der Sonne zu liegen und in
Veilchen zu baden**, treibt ihn nach dem Süden. Aber in Nizza stürzt er
und kehrt nach 8 Tagen schwer verwundet nach Paris zurück. Unter der
liebevollen Pflege seiner Schwiegermutter, Madame Recio, erholt er sich
so weit, dass er sein Lager verlassen kann, aber er ist an Leib und Seele
gebrochen. Trotzdem lässt er sich einen Monat später nach Grenoble
führen, wo seine Freunde und Landsleute ihm zu Ehren eine Feier ver-
anstalten. Nur die Heimat hatte bisher mit Ruhmesbezeugungen für den
Künstler gegeizt, nun sollte ihm auch dieser Triumph zuteil werden.
Wie ein Schatten, wie ein Gespenst wohnt Berlioz geistesabwesend
der eigenen Apotheose bei, und unter dem begeisterten Jubel der Menge
drücken ihm die Freunde voll Trauer den goldenen Kranz auf das greise
Haupt.
Bald darauf, am 8. März 1869, stirbt er. Seine letzten Worte sind:
,,Endlich wird man meine Musik aufführen.^^
Dieses wehmutsvolle Abschiedswort hat sich in reichem Masse erfüllt,
des Meisters Ruhm geht durch alle Lande.
.s?*a^t«^'
LUDWIG VAN BEETHOVEN
LEBEN UND SCHAFFEN VON ADOLF BERNHARD MARX
besprochen von Dr. Alfr. Chr. Kalischer-Berlin
>^^^j^^^t ■.^;^£ixr^^^;«^^:-^.fV ' ' -' ' ^ ^^¥«öWVC?iy|öf^^^S<^3^;^^^
|iir die Erkenntnis des Beethoven sehen Genius haben nach dem Er-
scheinen der Anton Schindle rschen Beethovenbiographie in demselben
Sinne und Geiste zwei Männer das Hervorragendste geleistet: Wilhelm
von Lenz und Ad. Bernh. Marx;^) letzterer ist jedoch der grössere
von beiden. Tiefstes allseitiges Musikwissen, hohe ästhetisch-philosophische
Durchbildung und energisches begeisterungsvolles Versenken in die Mysterien des
Beethovenschen Schaffens treten zusammen, um der Musikwelt ein unvergleichliches
Beethovenwerk zu übergeben. Eine eigenartige höhere Weihe ruht auf dem Beethoven-
buche von Adolf Bernhard Marx. Der Ästhetiker und Musiker geht hier mit dem
dichterisch schauenden Psychologen Hand in Hand. Darum hat es von jeher, nament-
lich auf die studierenden KunstjQnger, eine befreiende, fast erlösende Wirkung aus-
geübt Wie manch ein Musenjfinger, selbst ein solcher rauheren Gepräges, dem das
erleichternde Salz der Tränen nur spärlich beschieden ist, wird die beglQckende
Erfahrung gemacht haben, dass ihm auch gerade die Darstellung von der Tragik des
reinen Beethovenschen Lebens, zumal der Schilderung des allzufrOhen Todes, Tränen
entlockten. Kurz und gut: Marx hat es verstanden, den Kunstjüngem die hehre Er-
habenheit Beethovens ins Herz zu schreiben. Man kann im Laufe der Zeiten hin-
sichtlich des Menschen und des Künstlers Beethoven im Einzelnen zu VoUkommnerem
gelangen: allein das Ganze bleibt einzigartig, gross und t>ewundemswert Und so
muss das Werk seinen lebendigen Wert behalten, wie viel auch sonst die Beethoven-
forschung Neues in der Geschichte Beethovens aufgestellt hat Würde dem Marxschen
Beethoven nicht eine so unverwelkliche Weihe innewohnen: dann wäre es beim
Anwachsen der Beethovenliteratur nicht gut zu begreifen, dass ein so ernstes, um-
fassendes Werk so viele neue Auflagen erleben konnte.
Marx selbst war es beschieden, im Jahre 1863 die 2. Auflage seines Meister-
werkes zu veröflTentlichen; seitdem ist die Pflege desselben in der Familie verblieben;
sein Schwiegersohn Dr. Gustav Behncke ward der Hüter und Fortpflanzer dieser
Geisteserbscbaft.
Von Prof. Behncke ist auch — nicht lange vor seinem Tode — die vorliegende
fünfte Auflage dieses grandiosen Werkes veröffentlicht worden.
Der Hauptruhm des Herausgebers liegt darin, dass er dem Schöpfer dieses
Beethovenbuches die tiefete Pietät bewahrt und dass er sich demzufolge nach der Seite
des Marxschen Hauptvorzuges in Beethoven — ieh meine nach der poetisch-ästhetischen
Seite hin, keinerlei Änderungen oder Zutaten gestattet; er hält es vielmehr in weiser
Selbsterkenntnis lediglich für seine Aufgabe: die Errungenschaften in der reinen
Lebensgeschichte des Tonmeisters zu t>entttzen und dem Ganzen einzufügen.
*) Fünfte Auflage, mit Berücksichtigung der neuesten Forschungen durchgesehen
und vermehrt von Prof. Dr. Gustav Behncke, Berlin 1902 (Verleg O. Jankey. 2 Bde.
425
KALISCHER: BEETHOVEN VON A. B. MARX
Und in dieser Beziehung hat Behncke auch im grossen und ganzen An-
erkennenswertes geleistet: so dass der Marxsche Beethoven in seiner vorliegenden
Gestalt den Anforderungen der Gegenwart wohl genfigen mag. Eines muss freilich
im allgemeinen ausgestellt werden. Der Pfleger des Manschen Werkes berficksichtigt
gerade im Gegensatz zu seinem grossen Vorginger die philologische Seite der
Beethovenforschung zu einseitig. Der Nottebohmschen Regenwürmerherrlichkeit
in Beethoven wird ein gar zu grosser, ich möchte sagen, fast ausschliesslicher Altar
errichtet Und so hört die Berücksichtigung der »neuesten Forschungen*, genau ge-
nommen, bei Nottebohm und Thayer auf. Hier wird denn ein späterer Neubearbeiter
viel Versäumtes nachzuholen haben. Das wird sich noch deutlicher aus manchen
Einzelheiten erkennen lassen, denen wir uns nunmehr zuzukehren haben.
Wenn sich der Herausgeber in aestheticis auch Schranken oder Stillschweigen
auferlegt hat, so durfte das doch nicht so weit gehen, dass er sich nicht hier und da
bei manch einer offenbaren ästhetischen Ungereimtheit sub linea ein bescheidenes Veto
einzulegen veranlasst sehen müsste. So gebraucht z. B. Marx (I, S. 86), wo er von
der schönen Haydnschen Sonate in D (7. Sonate, Heft I der Breitkopf & Härteischen
Ausg.) spricht, Ausdrücke, wie diese, dass er (Haydn) »gleich vom vierten Takt mit
solcher Hohlheit (1 1 1), wie hier
fortAhrt* Das soll hohl sein? Das ist feierliche Friedensstille. Hier hätte der
Herausgeber entgegentreten müssen. — Bei der Darstellung der Adelaide-Komposition
gibt Behncke diese Fussnote: »Matthisson fügte, wie Thayer aus seinen 1825 heraus-
gekommenen Schriften anführt, der Adelaide folgende Bemerkungen hinzu: Mehrere
Tonkünstler beseelten diese kleine lyrische Phantasie durch Musik; keiner aber
stellte, nach meiner innigsten Oberzeugung, gegen die Melodie den Text in tiefere
Schatten, als der geniale Ludwig van Beethoven in Wien.** Konnte Behncke das
nicht selbst aus Matthissons Schriften entnehmen? Eine tadelnswerte Bequem-
lichkeit, selbst bei ganz erreichbaren Dingen einen anderen allein für sich arbeiten
zu lassen! Hätte sich Behncke der notwendigen Aufgabe unterzogen, Matthissons
Gedichte, bezw. Schriften selbst zu durchblicken, dann hätte er hierbei gleich Herrn
Thayer in einigen Punkten rektiflzieren können. Erstens sagt das nicht Matthisson
etwa erst in seinen 1825 herausgekommenen Schriften. Mir liegt eine Ausgat>e der
Gedichte von Friedrich von Matthisson bereits aus dem Jahre 1815 vor. Und
diese in Wien erschienene Ausgabe besagt sogar: «Neueste, sehr vermehrte und voll-
ständigste Ausgabe.* Und zweitens lautet daselbst (I, S. 266) der Schluss satz nicht
der geniale usw., sondern »der genialische Ludwig van Beethoven zu %ien.** —
Dass der Herausgeber sein Eigenes gewöhnlich in den Marxschen Text hineinwebt,
ist vom Obel, oft hat man grosse Mfihe, den Marxschen Ideengang vom Behnckeschen
zu scheiden. Das Allt besonders bei den Darlegungen von der Guicciardi-Angelegen-
heit auf, wo ja der Herausgeber nur so herumirrlichteriert, — in der einen Ausgabe
hat er diese, in einer anderen Ausgat>e wieder eine ganz andere Anschauung. — In
426
DIE MUSIK III. &
dieser neuetten Atttgtbe huldigt Betancice wanderlicher Weise wieder dea Thsyer-
Tengerschen Phantssmagorieen.
Manche positive Marztche Irrtümer schleppt Bebncke aas einer Auflage in die
andere fort — unentwegt, obgleich er auf den einen oder anderen Fehler bereits
aufmerksam gemacht worden ist. Hier ein Beispiel aus den Beziehungen zwischen
Beethoven und Goethe-Zelter:
Marx schreibt (1, 275, 5. Aufl.): »Wenn es wahr ist, dass Goethe von Beethoven
gesagt: es komme ihm beim Anhören Beethovenscher Musik vor, als ob dieses
Menschen Vater ein Weib, seine Mutter ein Mann gewesen sein mSsse; so hat der
sonnlugige Dichter wieder einmal klar und tief geblickt Der Vater, der Geist, hat
ihn in die Musik gewiesen, die ist in ihm Mann — Geist — geworden.* Und dazu
von Marx selbst sab linea: Gewährsmann und Anreger ist Zelter, der mit der
ganzen plumpen Frechheit eines Berliner Philisters (den er ,unser Zelter' hiess) von
Beethoven gessgt: er gebe ihm den Namen eines Tiers, das man lieber gebraten, als
lebendig im Zimmer suche.* Bereits in meiner Studie »Beethoven und Zelter*
(im »Bir* vom 2. Oktober 1886 (f.) wies ich darauf hin, dass jene Worte fiber
Beethoven nicht von Goethe, sondern von Zelter herrühren (cf. Briefwechsel
zwischen Goethe und Zelter II, 30, vom 14. September 1812>. Ich fugte hinzu, dass
Marx mit obigen Worten wider sein Wissen und Wollen Zelter ein hohes Lob
gespendet habe. Und so wfirde, wenn man jenen als von Zelter stammenden Aus-
spruch fiber Beethoven als ein besonders »sonnlugiges* Schauen anerkennt: nicht
Goethe, sondern Zelter der sein, der »als sonnlugiger Dichter wieder einmal klar
und tief geblickt hat*. Wo fibrigens Marx das in seiner Fussnote gegebene »Philister-
wort* Zelters fiber Beethoven her hat, verrät er uns nicht Jedenfalls kommt es
nicht in der Korrespondenz zwischen Goethe und Zelter vor. Ich selbst machte
noch in meinem oben erwähnten Aufsatze die Randglosse: »Auch nach dem Tode des
geistvollen A. B. Marx sind von dessen Beethovenbiographie zwei neue Ausgaben
durch Herrn Dr. G. Bebncke, die letzte im Jahre 1884, besorgt worden. Dieser
Herausgeber hat nun diese Zelter-Geschichten ganz unverändert stehen lassen, nichts
hinweg- und nichts hinzugetan. Vielleicht holt derselbe in einer 5. Auflage das Ver-
säumte nach.* Nun — er hat es nicht getan.
Es ist bereits erwähnt, dass Bebncke seine Ergänzungen zur Marxbiographie
zumeist aus philologisch-kritischen Gesichupunkten gibt Umsomehr ist es da zu
verwundern, dass er nicht selten die Quellenangaben unterlässt; wie beispielsweise
da, wo Bebncke vom Finale der Eroica spricht, das Beethoven seinem Landsmann
G. Mäh 1er im Herbst 1803 vorspielte (1, 313). Ebendort lässt Behncke auch er-
kennen, dass er in betreflTder Leonore-Schöpfung seine Hauptquelle Nottebohm nicht
genfigend gewfirdigt hat; sonst wfirde er fiber die Kompositionszeit der Beethovenschen
Oper Exakteres angegeben haben; siehe hier des Verf. Aufsatz in der »Musik*
(2. Dezemberheft 1901) fiber Frau Milder-Hauptmann und Fidelio. — Auch sonst ist
in der Geschichte der Fidelio-Oper vieles nur kritiklos nachgebetet, was Thayer vor-
zutragen ffir gut fand (man vergl. Marx-Behncke I, 345 tf, mit den Resultaten des
Verliusers in der Milder-Hauptmann-Studie). — Ober Eleonore v. Breuning und
Beethovens Briefe an diese sind hier die alten Irrtfimer vorgetragen: da ja
Behncke trotz seiner Versicherung die neueren Forschungen — nach Nottebohm
und Thayer — fast ganz unberficksichtigt lässt
Dass Behncke sich in Sachen der vier Leonoren-Ouvertfiren , besonders fiber
die Entstehung der I. Leonoren-Ouvertfire gegen Nottebohm und Thayer wendet
(I, 328 f.), ist löblich, besonders darin, was fiber »den gerade in dieser Frage so
427
KALISCHER: BEETHOVEN VON A. B. MARX
siegesgewissen und schulmeisterlichen Thayer* (S. 329) vorgebracht wird. Allein die
Literatur darfiber ist wieder sehr mangelhaft berücksichtigt: sonst mfisste die ganze
Art der Betrachtung doch noch anders ausfallen. Vgl. hier des Verfassen Aufsatz:
»Die Anzahl der Leonoren (Fidelio)-Ouvertfiren Beethovens* in den
Sonntagsbeilagen zur «Voss. Zeitg.* vom 8. Juni 1890. — Wo in Anknfipfung daran
von der geplanten Komposition der Grillparzerschen Melusine die Rede ist (I,
395 f.) werden viele Mitteilungen aus den «Konvereationsheften* gegeben. Behncke
sagt in margine nur kurz und bGndig ,,a]les Nachfolgende aus den Konvenations-
heften*, wobei Behncke die Leser vollständig im Unklaren darüber lässt, ob er selbst
sich die Mühe genommen hat, die Konvereationshefte zu studieren, oder ob er nur
die Mühen anderer benutzt habe, ohne diese namhaft zu machen. Das letztere ist
augenscheinlich der Fall. Denn Behncke gibt niemals an, in welchem Hefte er diesen
oder jenen Ausspruch aufgefunden habe. — Es ist alles kunterbunt durcheinander
geworfen und zumeist den Mitteilungen des Referenten aus dessen umfangreichen
Beethovenstudien in «Nord und Süd** und in anderen Zeitschriften wie auch wohl
noch den Mitteilungen L. Nohls entnommen, ohne dass diese Autoren dabei namhaft
gemacht werden.
Bei Betrachtung der grossen f-moll-Sonate, op. 57 macht Marx einige nicht
zuverlässige Bemerkungen über den von Beethoven benutzten Umfang der Tastatur
(II, 31), Behncke lässt das alles unverbessert passieren. Marx betont, nachdem er
erat unrichtig erklärt hat, dass die Oberstimme den Satz bis zum höchsten g hinauf-
führt, — in Wahrheit nur bis g''', nicht bis g"", — darnach betont also Marx, dass
Beethoven in den Sonaten op. 2, 7, 10 und 13 im alten Umfang der Tastatur von F
bis f" blieb, obgleich ihm in der D-dur-Sonate op. 10 fis'" zur Vollendung des Haupt-
satzes evident fehlt. In der Sonate bis op. 31 überschreitet er die alten Grenzen
ebenfalls nicht; in der Sonate op. 53 geht er bis zum dreigestrichenen g und a, aber
ohne wesentlichen Einfluss usw. Das ist tatsächlich unrichtig. Bereits in op. 7
(Es-dur-Sonate) gibt es im Largo das dreigestri ebene g, ebenso im Finale-Rondo der-
selben Sonate; op. 10, No. 1 (c-moll) bat im Durchführungsteil des 1. Satzes bereits
ges'''; op. 3t No. 3 (Es-dur) hat im IL Sat2 g''' und sogar as" (im Allegretto scherzando).
In op. 57 geht es nun freilich nicht bis zum höchsten g (g""), aber doch bis zum
höchsten c, (namentlich c"")*
Hinsichtlich des Textes zur Chorphantasie (op. 80): «Schmeichelnd hold und
lieblich klingen* usw., als dessen Autor Christoph Kuffner gilt, habe ich in meinem
Aufsatze: Christoph Kuifners Gespräche mit Beethoven (Euphorien 1897, III. Er
ginzungsheft) eingehende Beweisführung unternommen, dass Kuifner trotz der Aus-
führungen Nottebohms in seiner »Zweiten Beethoveniana** (S. 503 f.) doch wohl
dieser Textdichter sein konnte (Euphorion a. a. O. S. 169 f.). Behncke macht sich die
Resultate der Nottebohmschen Argumentation (II, 91, Fussnote) zu eigen, ohne irgend
seine Quelle anzugeben.
Wenn nun noch auf weiteres kritisch auftnerksam gemacht wird, so geschieht
das im Interesse des so wichtigen Marxschen Beethovenwerkes, damit der spätere
wohlausgerüstete Neubearbeiter mancherlei erfährt, was er zu verbesssem und um-
zugestalten haben wird.
Bei der Betrachtung der Pastoralsymphonie gibt der Herausgeber (II, 98)
folgende Anmerkung: Auf Skizzenblättem, die jetzt in der Kgl. Bibliothek zu Berlin
aufbewahrt werden, stehen zwischen zwei Entwürfen zur Pastorale folgende hierher
gehörige Bemerkungen eigener Hand: »Jede Malerei, nachdem sie in der Instrumental-
musik zu weit getrieben, verliert. — Sinfonia pastorella. Wer auch nur je eine Idee
428
DIE MUSIK III. 6.
vom Laodleben erbalten, kann sich ohne viele Oberschriften selbst denken, was der
Autor (will). — Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, welches mehr Em-
pfindung als Tongemllde, erkennen!*
Hier möchte man den alten Denkvers anwenden: Quis? quid? ubi? quibus
aoziliis? cur? quomodo? quando? — Heisst das wissenschaftlich zitieren? Wo hat
denn Behncke diese Skizzenweisheit her, wo soll sie darnach ein anderer finden,
der Lust und Neigung verspürt, solche Urskizzen und Urideen Beethovens nach-
zustudieren? Nun habe ich unter grossester Mühe und Anstrengung vor einigen
Jahren sämtliche Beethoven-Autographen der Königlichen Bibliothek zu Berlin auf-
genommen und beschrieben. Das Ganze ist in zahlreichen Nummern in den »Monats-
heften für Musikgeschichte* unter dem Titel: »Die Beethoven-Autographen der
Königlichen Bibliothek zu Berlin« (No. 10-12 1885 und No. 1—7 inkl. 1896) er-
schienen. Ffir einen Mann wie Behncke existieren solche Arbeiten nicht; obgleich der
Herausgeber der Monatshefte, Prof. Rob. Eitner, durch ein sorgfiltiges Register die Be-
nutzung dieser Forschungen wesentlich erleichtert hat Unter »Pastoralsymphonie**
konnte also jeder leicht finden, was die Autographen in Wahrheit darüber enthalten.
Da kann jeder leicht in No. 2 vom Jahre 1896 finden: Autograph No. 32. Ein Skizzen-
heft 44 Blatt stark, Qu.-Fol. Skizzen zur Phantasie mit Chor, op. 80. Und da
steht nun in Wahrheit folgendes über die Pastoralsymphonie auf Bl. 16: »pastoral
Sinfonie. Keine Malerei, sondern worin die Empfindungen ausgedrückt sind, welche
der Genuss des Landes im Menschen hervorbringt, wobei einige [innige?] Gefühle
des Landlebens geschildert werden. Ruhm sei Gott in der Höh im Kirchenstil heilig
— Kirchenstil statt pleni sunt coeli: Es jauchzen die Himmel, die Erde, statt
osanna: amen. Gellerts Lieder können dabei gute Dienste tun.*
So ist in Wahrheit diese ganze Seite von Beethoven ausgefüllt Ich habe auch
in meinen Autographen-Studien auf Nottebohms »Zweite Beethoveniana* (S. 504)
hingewiesen, der diese Beethovenschen Worte fast ganz korrekt wiedergegeben hat —
nach einem Skizzenbuche aus dem J. 1808. Die oben von Behncke ohne Quellen-
angabe mitgeteilten Beethoven werte sind ebenfalls aus diesem Nottebohmschen
Beethovenbuch (S. 375), wo ebenfalls von einem »unvollständigen Skizzenbuche aus
dem Jahre 1808** die Rede ist (S. 369) und von »einzelnen Bogen und Blättern, die
in der königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt werden*. Nun, diese Blätter mit den
von Nottebohm vermerkten Beethoven- Wortenbefinden sich nicht unter den Beethoven-
Autographen der königl. Bibliothek.
In betreff der Thayerschen Methode macht Behncke (II, 193), nachdem er in Sachen
der Lebewohl-Sonate (op. 81 a) Marx salviert, Thayer aber vortrefflich ad absurdum geführt
hat, schliesslich diese sehr zutreffende Bemerkung: »Der Fall selbst aber ist ein
redendes Beispiel davon, dass die Beweiskraft äusserer Tatsachen ihre Grenzen hat,
ferner dass derjenige, der sich auf sie stützt, wenigstens alle äusseren Umstände
kennen und berücksichtigen muss, wenn er ein richtiges Urteil aus ihnen gewinnen will.*
Herrn Behncke muss man es fernerhin zu hohem Lobe anrechnen, dass er —
der im übrigen Thayers Verdienste voll und neidlos anerkennt — im Streitfall
Beethoven-Mälzel in begreiflichster Entrüstung Gelegenheit nimmt, eine ebenso
scharfe als umfangreiche Philippika gegen A. W. Thayer in Szene zu setzen, der ja
stets gar zu gern befiissen ist, in Streitpunkten stets gegen Beethoven zu zeugen.
Dieser Abschnitt, von II, Seite 211 ab, gereicht dem Buche zur besonderen Zierde.
Behncke gelangt, nachdem er auch von einem kleinen Fehlgriff Beethovens dabei
gesprochen, zu diesem Resultate (II, 227): »Beethovens Verhalten in dem weiteren
Verlauf der Sache ist vollkommen vorwurfsft^i, ja es verdient, groeemfitig genannt
zu werden.*
429
KALISCHER: BEETHOVEN VON A. B. MARX
Von der Kapelle des Musikdirektors Carl Liebig, die sich um die Popttlarisfeniiig
Beethovenscher, wie der klassischen Symphonieen überhaupt unvergängliche Verdienste
errungen hat, merkt der Herausgeber an (II, 240): „Später hat sich diese Kapelle
allmählich zum heutigen Philharmonischen Orchester entwickelt, das mehrere
Jahre lang MusterauifGhrungen der Beethovenschen Symphonieen unter Bfilows hin-
reissender Leitung veranstaltete und heute unter Niki sc h.** Das ist nicht zutreffend.
Die Liebigsche Kapelle ward zur „Berliner Sinfonie-Kapelle^' unter den verschiedensten
Dirigenten, wie Prof. J. Stern, Ludwig Deppe, G. Janke, Mannstädt und von
Brenner. Sie loste sich schliesslich in Wohlgefallen auf.
In der wichtigen Streitfrage um Beethovens „Unsterbliche Geliebte" (II, 279 ff.)
macht Behncke gegen seine frühere Auffassung in dieser Ausgabe Rückschritte. Er
wandelt nun mit einemmale im Tenger-Tbayerschen Irrgarten. Behncke berück-
sichtigt hierbei wohl meine Abhandlung darüber in der „Voss. Zeitung** 1891, aber
weder die daraus hervorgegangene erweiterte, selbständige Schrift über die Unsterb-
liche Geliebte Beethovens und ebensowenig die weiteren neuen Arbeiten darüber in
„Beethovens Frauenkreis** (Neue Berliner Musikzeitung 1893). Ich verweise bei dieser
Gelegenheit nur auf den dort abgedruckten Brief des Dr. phil. G. C. Grossheim
an Beethoven aus Kassel vom 10. November 1819. Bekanntlich ist dies der
Brief, den Thayer wiederholt als starkes Geschütz gegen meine Auffassung in der
Guicciardi-Frage zu benutzen liebte. Wie unsterblich sich Thayer damit kompromit-
tiert hat, das ist in jener Studie Neue Berl. Musikzeitung, besonders 7. u. 14. Dezember
1893 nachgewiesen worden. — In dieser Sache hat sich ja fast die gesamte Kritik
auf meine Seite gestellt, in allerneuester Zeit auch W. Nagel im I. Band seiner
»Sonaten Beethovens.**
Noch auf mancherlei anderes wäre einzugehen, doch es dürfte zu weit führen.
Es sei nur erwähnt, dass auch die Darstellung der Bettina-Angelegenheit nicht frei
von Inkorrektheiten ist. So hat sich z. B. Thayer nicht für die Echtheit aller drei,
sondern nur der zwei ersten Bettinabriefe ausgesprochen. Das ist mit besonderer
Deutlichkeit im Meinungsaustausch zwischen Thayer und meiner Wenigkeit in der
musikpädagogischen Zeitschrift „Der Klavierlehrer** 1879 und 1880 ausgesprochen
worden. — Es werden auch noch weiterhin (z. B. II, 404—405) Proben aus den Skizzen-
bfichem — ohne jede Quellenangabe — mitgeteilt, natürlich nicht selten inkorrekt,
weil ja die Autopsie dabei ebensowohl fehlt wie die Berücksichtigung der neuesten
auf Autopsie beruhenden Forschungen. Und dieser Mangel der Berücksichtigung
neuester Beethovenforschungen macht sich noch an vielen anderen Fragen in der
Geschichte Beethovens geltend.
Vortreffliche Beigaben des Werkes bilden das Verzeichnis der Werke
Beethovens und das Register. — Im Verzeichnis ist so ziemlich alles aufgeführt,
was Beethoven in Notenzeichen aufgeschrieben hat, auch kleine und kleinste Bruchstücke.
Um so erstaunlicher ist es, dass die gewiss hochinteressanten allerletzten Noten
Beethovens nicht vermerkt sind. Diese sind zum ersten Male in den Monatsheften
für Musikgeschichte (Autographe Beethovens No. 11, 1895) vom Verfasser mitgeteilt
worden; danach, aber auch unter selbständiger Prüfung des Autographs von Prof*
G. Lange im Programm des Humboldt-Gymnasiums 1900. Und — sollte man't
glauben — - Behncke zitiert hier dieses selbe Programm Langes (11, 491): allein die
allerletzten Noten Beethovens finden keine Berücksichtigung.
';3ri»v>
Noch ein Selbstzitat bei R. Wagner
von Dr. Georg Münzer-Berlin
üa seinem vortrefflichen Aufsalz .Musiktlische Zitate und Selbst-
' Eiuie" (Musik II, 24) bespricht Sternffeld auch einige Fälle von
Selbstzitaten bei Wagner. Es mag hier — um der freundlichen
, AufforderuDg des geehrten Herrn Verhssers, andere derartigen
FXlIe zur Mitteilung zu bringen, nachzukommen — noch an ein bemerkens-
wertes Selbstzitat Wagners erinnert werden, das sicherlich allgemeines
Interesse verdient. Es findet sich ebenhlls in den Meistersingern. David
erklärt dem Ritter, wer ein »Meister" genannt würde: .der Dichter, der
aus eig'nem Fleisse, zu Wort' und Reimen, die er erhnd, aus TSneo auch
fügt eine neue Weise, der wird als .Meistersinger' erkannt." Diese Stelle
illustriert im Orchester zunächst eine Vorahnung der seligen Morgentraum-
Deutwelse. Das Motiv setzt bei den Wonen ,aus Tönen auch fügt* ein,
und wird von der Flöte (dolce p.) gesungen. Aber bei den Worten eine
.neue Welse", da wendet es sich wundersam, indem es zugleich In die Oboe
Qbeigeht und wir hören:
Oboe
Was ist das? — Ein Zitat aus den Nibelungen, das Minnemotiv aus
der Walküre I Wahrlich der Künstler, der diese neue Weise erfunden, er
durfte nach der Meisterkrone greifen! Die Stelle erhält durch dieses Selbst-
zitat eine tiefe Bedeutung. Freilich geht sie dank der routinierten Taktier-
knnat unterer Dirigenten im Theater meist unbemerkbar vorüber, da man
das vorgeschriebene rallenundo übersieht, statt es — wo möglich — ein
Viertel schon vorher anzudeuten. Wer aber einmal auf die Stelle anf-
mericsam gemacht wurde, dem drängt sie sich immer wieder auf. Ganz
Q^^^^ MONZER U. GROHE: MUSIKALISCHE ZITATE ^^^jj
wundersam aber berührt uns der klagende Ton der Oboe In diesen beiden
so vielsageaden Takten. Kein Jubel über die errungene Meisterschaft!
Die Welt weihte dem Künstler kein .Blumenkrinzlein aus Seiden fein'.
Die Meisterkrone ward ihm zur Dornenkrone. Es verschwinden an dieser
Stelle David und Valtber und vor unserm geistigen Auge erscheint das
ernste Bild des Meisters, auf das ein schweres Geschick seine Schatten
warf.
So ist dieses Nibelungenzital in den Meistersingern wohl noch be-
merkenswerter, weil von allgemeinerer Bedeutung als jene Tristan-Reminis-
zenz. Ja, es dürfte das bedeutsamste musikalische Selbstzitat sein, das wir
kennen und so durfte bei dieser Gelegenheil darauf hingewiesen werden.
Zu Dr. Stemfelds Aufsatz: „Zitate und Selbstzitate"
von Dr. Oscar Grohe-Mannheim
^er Verfasser hat mit Recht in einer Fussnote zu seinem Artikel
I auf die Möglichkeit hingewiesen, es möchte ihm das eine oder
] andere Zitat entgangen sein und hat sich bereit erklärt, weitere
, Zitate von Zitaten" entgegen zu nehmen. Anknüpfend hieran
möchte ich meinerseits seine interessanten Ausführungen durch einige
Zitate aus meiner Erinnerung ergänzen.
Da wäre zuvörderst des Meistersinger<Themas im Gesellenlied von
Hugo Wolf zu gedenken, wie es im sechsten bis neunten Takt sich im
Bass ankündigt. Wolf selbst hat mich einst darauf aufmerksam gemacht.
Sodann lässt Wolf im Gesang: .Gränzen der Menschheit' <Goetheband)
zu der Stelle: „Ein kleiner Ring begrenzt unser Leben' die Erda-
Harmonieen aus dem Wagnerschen .Ring' erklingen.
Beillu&g sei bemerkt, dass die Bäcker auf der Festwiese (dritter
Aufzug der Meistersinger) in der .abgeschiedenen Vielfrassweis" singen I
Auch Brückner citiert sich gelegentlich selbst. Ein solches Cltat
findet sich in der Zweiten Symphonie im letzten Teil des zweiten Satzes
<Andante), woselbst plötzlich ein Thema der f-moll-Messe einsetzt
Im Zusammenhang mit diesen Bemerkungen möchte ich noch etwas
.Reminiszenzen-Jagd" ausüben und zwar auf dem Gebiet eines Künstlers,
dessen Schaffen sonst an Reminiszenzen nicht eben reich ist. Ich meine
Brahms. Es handelt sich um Anklänge an die Meistersinger — ein Werk,
das Brahms, wie verlautet, hoch geschätzt bat.
432
DIE MUSIK III. 6.
Bekannt mag der Anfang der A-dur- Violin-Sonate in seiner Verwandt-
schaft mit dem Preislied Walthers sein; weniger bekannt die Überein-
stimmung des Schlusses des Intermezzos No. 2 op. 119 mit dem Ausklang
des zweiten Aufzugs der Meistersinger. Die Tonart und der ganze
Charakter der beiden Stellen stimmen überein. Hier wie dort wird
letzterer durch die Noten eis» gis, h bedingt.
Als die auffallendste Reminiszenz, die fast wie ein Zitat wirken
könnte, erscheint mir aber das Thema des letzten Teiles des Andante der
f-moII-Sonate op. 5 im Vergleich mit dem Gesang Hans Sachsens im
zweiten Aufzug: .Dem Vogel, der heut sang*" usw.
Man vergleiche:
Wagner:
Sacht
^
«
Dem
^=f^
Vo - gel, der heut'
r vJ' p g
saog, dem war der
Brahms:
Andante molto.
4h
Beide Themen klingen ihrerseits wieder an das Volkslied an: »Steh ich
in finstrer Mitternacht.^
Ober das Kapitel .Reminiszenzen* sprach sich Wolf in einem Briefe
an mich vom 17. Februar 1896 aus, der zum Schluss auszugsweise
hier folgen möge. Ich hatte ihm zuvor mitgeteilt, mir falle eine Ähnlich-
keit des obrigkeitlichen Motivs im zweiten Aufzug seines Corregidors —
als welches, beiläufig bemerkt, im ursprünglichen Entwurf das Motiv der
Bischohmusik am Schluss des ersten Aufzugs fungieren sollte — mit
dem ersten Thema des Finales des Smetanaschen Streichquartetts «Aus
meinem Leben* auf. Hierauf hat Wolf sich wie folgt geäussert:
«Eine Ähnlichkeit meines obrigkeitlichen Motivs mit dem Smetanaschen
mONZER U. GROHE: MUSIKALISCHE ZITATE
s^
aus seinem Streichquirtett kann icb nicht vorfinden. Der Schwerpunkt
meines Motivs beruht doch ganz nur auf dem Vordersatz desselben
I und die Figur
verbindet gewissermassen das vorhergehende Motiv mit den Folgenden
Takten, die nach ihrer rhythmischen sowohl wie nach ihrer melodischen
Seite hin den Charakter des Vordersatzes tragen. Hingegen fällt mir die
Ähnlichkeit des Smetanaschen Motivs mit einem solchen aus einer
Beethovenschen Sonate op. 31 No. 3 auf. Dort heisst es im Verlauf des
Finales
in Smetanas Weise übertragen
Bei Reminiszenzen kommt es nicht sowohl auf die gleichlautende
Tonreihe als vielmehr auf die Struktur an, auf den Periodenbau und vor
allem auf den Charakter. Die ÄbnUchkeit zwischen dem Beethovenschen
und dem Smetanaschen Motiv ist entschieden vorhanden. Deshalb aber
möchte ich nicht gesagt haben, dass Smetana ein Plagiat verübt hat. Vas
speziell die Figur
anlangt , ist dieselbe sozusagen
musikalisches Gemeingut geworden, fast schon wie Skalenllufe und
Mordente.'
ME
ZUM BEETHOVEN-
MEDAILLON VON JACQUES
EDOUARD GATTEAUX
von Theodor v. Frimm el-Wien
^ai abgebildete') StDck tauchte vor einiten Jahren In Wien auf, ea war bei
I dner Versieicerang aua alt-adellsem Bcsiti, die nicht mehr mit Beathnmt*
I beit in emittelo Ist S|dter kam es lum Sammler J. J. Lichtmann In
[ Vlen, und {egenwirtlK gchOrt ea dem bekannten Muilkachrifiateller
• Emerlch Kaatner ebendorl, der eine trenicfae Pbotographie nach dem
interessanten Werke berfestellt hat. Wir haben eg mit einem GlpBabguss zu tun, der
offenbar nach einer VacbsboBslening angefertigt Ist Ein Künatleroame Ist darauf
nicht vorgefunden worden. Trotidem ist die Frage nicht zu unterdrücken: wer hat das
vorliegende Medaillon boaalert? Zuschnitt und Stil weisen die Arbelt etwa In die Zelt
zwlachan 1815 und 1830, um weite Grenzen ftei zn lassen. Dann mit alsbald eine
gewisse allerdings recht allgemeine Ähnlichkeit mit dem BeetbovenmedaUlon von
Josef Daniel Boebm auf nnd eine noch viel grossen mit dem Beethovenkopf snf der
Medalll« von Jacques £donard Gatteauz aua dem Jahre 1827. Von Gatteaux*
Beethovenkopf unterscheidet sich der vorliegende nur durch wenige Einzelheiten, be-
aondera Im Schwung der Haarbüschel. Es sind Kleinigkeiten, die wohl bei Vollendung
dea Medaillen Stempels gelodert worden sein mOgen. Deshslb vermute leb, dass das
BeetbovenmedaUlon bei Kasraer nach einer Bosalemng von Gatteaux hergestellt Ist,
die all Vorarbeit ffir die Medaille gedient bat Die Medaille von Ganeaux, dem
ehedem vielgenannten Plaailker und Kunatsammler Ist erat nach Beethovena Ableben
ausgegeben, wohl aach geformt worden. Sie darf nicht mit der goldenen Medaille
(ohne Bildnis Beethovens) verwccbselt werden, die noch den lebenden Beethoven er-
freute.*) Auf welchen Grundlagen die Gatteanxscho Arbeil ruht bezQgllch der, Ich
aage es sogleich, geringen Portriiihnlfchkcl^ ist bisher nlcbt klar gestellt worden.
MSgllckerwelae hat ein Abguss der Boeh machen Bossiemng dem franzQalachen
KQnader die allgemeine Anregung ffir seine Medaille abgegeben. Ter Gaiiesnx'
Medaille nicht kennt, Badet eine leidliche Abbildung derselben in J. Seffrleds Buch
»Boeihovana Studien im Generalbasa", fbrner In der von Pierson herausgegebenen
englischen Auagabe dieses Terkea, Oberdiea ala Titelvignette fiber einem Fakalmlle
eines Beethovenbrlofes Im .Album cosmepolltt' (1848). Was die J. D. Boehmsch«
*} »ehe die Kunatbellage.
■) Dieao wird von der Gesellachatl der MusIkfreuDde In Wien verwahrt
C. F. Pohl hat sie beschrieben im Jabreabericht dea Wiener Konaorvatorlnma von
1870, S. 19. Ver^. auch Wegeier u. Ries, Biographische Notizen S.51 und Seyfrlcd,
Studien Im Generalbasa, Anhang S. 11. Dort die Verwechslung der beiden bo-
■chrfebenen Medaillen.
r^O— FRIMMEL: BEETHOVENMEDAILLON VON CATTEAUX q^^J
VBctasbossIerung betrifft, so wurde sie vor Jataren in J. J. Vebers llluBtrierter Zeitung
veröffentlicht. Die viel spiler entstandene C. Radnitzkyscbe Beethoven medallle hat Blch
ziemlich eng an den Boehmschen Beethoven -Typus angeschlossen. Sie bat weile Ver-
breflung gefunden. Die ursprüngliche Bosslerung Boebms aber, die Ich noch bei Rad-
nlliky gegen ISSO kennen gelernt habe, ist seither verloren gegangen und ein Glpi-
abguss danach In meinem Besitz bildet gegenwirtig die einzige plastische Erinnerung
an das Boehmsche Beetbovenblldnis, das In den IS^er Jahren nach der Natur modelliert
worden Ist. Ich meine, annehmen zu dürfen, dass fSr den Gatteauxschen Beethoven
keinerlei, Naiuraufnahme von Galleaux selbst gefertigt worden ist, da von einem
Aufenthalt des franzCsischen Medailleurs in Wien zur Zeit als Beethoven noch lebte
nichts verlautet. Gatteaux wird sich eben einen Behelf aus Vien verschafft haben.
Und da Hegt es denn gar nahe, an die Boehmsche Bosslerung zu denken, die einzige,
die vor 1827 einen Profllkopf Beethovens in Relief aufzuweisen hatte. Damit irtre
die Tahrscheinlichkeit skizziert. Für hartgesottene Zweifler muss aber auch der
Verdacht erOrtert werden, ob es sich nicht etwa um eine durchtriebene niacbung
handle. Ich meine, dass folgende Feststellung eine FÜscbung als unwahrscheinlich
dartDD wird: das Medaillon ist, soweit ich ermitteln konnte, als unbenannies gering
getchitztes BeeihovenbildnJs auf den Markt gekommen. Keineriel Spur ist zu Bnden
von Irgend welcher Anpreisung, die darauf hinaus gelaufen wire, das Stück entweder
als Kunstwerk oder als Bildnis Beethovens zu einer unverdienten Stufe der Tert-
schltzung hinaufzuschrauben. So wüssle Ich denn nicht, was für Beweggründe
einer Fälschung anzugeben wiren. Weder ist eine kunstgescbichtllche Bedeutung er-
strebt worden, noch hat man sich mit der Angelegenheit des Preises aufMlend«
Mühe gegeben. Die Sache dürfte sich aber so verhalten, wie sie oben dargestellt Ist
BÜCHER
52. Emil Krautie: Neu>r Gradus ad Parnasauro. EInhunden Studien ffir Piano-
föne, Bd. 1—4, Verlag: C. F. V. Siegele Mualkbdlg. (R. Llnnemann), Lelpilg.
Dies Terk kann al< eine künstleriacbe Tat angeseben werden. Knnstvert UDd
Nutzwert decken sieb derart, dass die Zweckbarmoole fast rollkommen erscheint Eine
tüblbare LQcke ist ausgerülll, und der bisher unvermittelte Obergang zu Bach blermii
Termlitelt. Kann für Bach Oberhaupt nie zu viel geUn werden, so ist such technisch
die Idee, einen Gradus der Polyphonie geschaffen zu haben, Ton bedeutendem Tert.
Die Grundlage Jedes Klavlereplels bildeten bisher die 2- und 3-stlmmlgen Inveotlonen
TOn Bach. Krause hat zu diesen im 1. Heft eine Vorschule gescbileben, deren man
dilngend bedurfte. Zeichnen sich diese Studien schon durch klingenden Gebalt, lecb-
niscbe Feinbelien und einen welchen melodiösen Fluss sus, so muss man die Thematik
des 11. und 111. Teils und ihre Bearbeitung als ungemein anregend und bildend an>
erkennen. Nicht nur der Pianist, sondern auch der, Denker erhalten Ihre Nabmng.
Flngersplel, Tonspiel und Formenspiel gteifen Ineinander. Der polyphone Sinn wird
geweckt und ao das Geistige In den Vordergrund gerückt Ganz abgesehen von der
knnstToUen DurcbfQbrung der Themen In Bd. IV (erat 2-, dann 3- und scbllesslicta
4-stimmig}, möchte ich den Tcrt der Studien In den echt modernen Modulstlonen und
dem wirklich Musikalisch- KI lügenden erblicken. Der singende Fluss der Stimmen llsst
die Hemmungen der durch die Polypbonle bedingten anormalen Bewegungen nur noch
als ganz unmerkllcb erscheinen. TIhrend der Anflnger bei Bach immer einer gewissen
.Knobelel* unterworfen ist, gebt ihm hier die Mehrstimmigkeit wie von selbst in Sinn
und Finger. Das will viel besagen. Der technische Nutzen kann vom modernen Stand-
punkt des Gewlchtaspiels (Polyphonle ist nichts welter sls GewlcbUTerteilungl) bestritten
werden. Aber der polyphone Sati iwlngt an sich schon jede Hand zu eelbsilndlger
Tiilgkelt Die Studien nfitzeo alao tausendmal mehr, als slle Etudenbinde zussmmen-
genommen. Daa Krauaescbe Terk darf daher, ganz abgeseben von dem polyphonen
Zweck, ala eines der vorzüglichsten (echnlscbeo Scbnlwerke betrachtet werden. Es
steckt so viel gesunde Musik, so viel Tlssen und Können, so viel Modem- KIsvieristisch es
darin, dass es in den slten, snerkannieo, eisernen Bestand als ein geistig hervorragendes
Material mit einbezogen werden sollte. Der bschlacbe Geist, ist der Geist der Zukunft
Fehlt Kr den plsnlstlscben Zweck nur noch die Oberbrückung der Klnft: Clementi—
Chopin (Etfiden)! Rudolf M. Brelthaupt
53. WlUielm Tapport: Richard Tagner Im .Spiegel der Kritik. Veriag:
C. F. W. Siegels Muaikhsndlung (R. Llnnemann), Leipzig.
Ein guter sller Beksnnter prisentlert slcb hier In neuem Gewsnde: Tapperts
aTagnerlezlkon*, das sich nsch durchgreifender Umarbeitung und reicher Vermehrung
eines neuen und beasereo Titels erfreut Dleaea aTfirterbuch der Unböfllcbkeif ist
heute nicht mehr .aktuell", wie es damals war, sls der treue Gumemsnz die groben,
geblsalgen und verleumderlschen.Ausfltle, dle^ gegen Tagser, seine Kunst nnd seine
Fteuode gesclileudert wurden, in einem Strausa plodtvoll band. Heute trennt nna «in
437
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
Zeitabstand von fast einem Lebensalter von jenen Sommertagen, an denen der »Ring*
auf dem Bayreutber Hügel der Welt die neue Kunst verkündete. Heute liebeln wir
Qber den unsiglicben Missverstand, die bornierte Robeit und den mageren Witz, durcb
den sieb jene Skribentlein von damals ein unrubmlicb Denkmal für alle Zeiten, solange
man Wagner ebrt und liebt, setzten. Und so trifft denn beute die Absicht des Heraus-
gebers, sein Lexikon möge uns in müssigen Stunden gemutlicb ergötzen, weit eber zu,
als in den Tagen des brandenden Für und Wider, da mancher Ehrliche die Faust gegen
solche Niedrigkeiten der Gesinnung, des Geschmacks und der Empfindung geballt hat.
Heute betrachten wir diese «Anthologie** als ein Zeitdokument, ein kunst- und kultur-
historisches. Nicht wegen der Namen der Kläffer, deren Zöpfe zumeist schon eingesargt
sind; nicht deshalb, weil ein Teil der Saulusse zu Paulussen geworden ist, sondern
darum, weil diese Ohnmichtigen eine Zeitlang kritische Machthaber spielen durften
und sich unterfingen, dem Riesenrad ihre Knüttel zwischen die Speichen zu werfen.
Nun, das Rad ist über sie hinweggerast. Wer überhaupt hätte es aufzuhalten vermocht!
Richard Wanderer.
54. Otto Hartwich: Richard Wagner und das Christentum. Verlag: Georg
Wigand, Leipzig.
Dies Büchlein ist jedem ernstlich zu'empfehlen, der zu einem wirklichen, tieferen
Verständnis der Dramen des Meisters von Bayreuth durchdringen will. Der Verfasser
betont scharf — fast zu scharf — den Antagonismus zwischen Natur- und Vertragsrecht,
der für Wagners Weltanschauung bedeutsam wurde. Zur Ergänzung lese man das treff-
liche Buch von Louis, Wagners Weltanschauung. R. Petsch.
55. Otto Keller: Illustrierte Geschichte der Musik. Zweite stark vermehrte
und neubearbeitete Auflage. 1. Lieferung. Verlag: Eduard Koch, München.
Wie das Vorwort besagt, ist der Zweck dieser Musikgeschichte nicht, ,,neue Ge-
sichtspunkte und neue selbständige Forschungen** zu bieten, sondern ,,nur ein leicbt-
fasslicbes, nicht allzu umfangreiches Kompendium für Musikstudierende und Dilettanten.*
Diesen Zweck scheint sie erfüllt zu haben, denn sie wird jetzt nach 10 Jahren in einer
zweiten Auflage herausgegeben, welche wie die vorliegende 1., die Musik des Altertums
behandelnde Lieferung zeigt, in bezug auf die Ausstattung ganz bedeutend gegenüber
der darin ziemlich armseligen ersten Auflage verbessert worden ist. Auch die neuere
Literatur ist vielfach berücksichtigt. Inwieweit die getroffene Auslese und ihre Zu-
sammenstellung den billigen Anforderungen entspricht, wird sich wohl erst am Schlüsse
des ganzen Werkes beurteilen lassen. Dr. MaxVancsa.
MUSIKALIEN
56. G. F. Händel: Konzerte für Orgel und Orchester, für den praktischen Gebrauch
herausgegeben von Dr. Max Seiffert. Verlag: Breitkopf & Härtel, Leipzig.
Max Seiffert gibt Händeis Orgelkonzerte in einer Ausgabe für den praktischen
Gebrauch neu heraus. Zunächst ist das erste (g-moll) Konzert veröffentlicht worden,
nach Erscheinen der übrigen wird über diese Ausgabe des weiteren zu sprechen sein.
Schon jetzt ist klar ersichtlich, dass hier eine Musterarbeit vorliegt, die den dringenden
Wunsch nach einer Renaissance dieser Kompositionen G. F. Händeis der Erfüllung
nahe bringt.
57. Alexander Guilmant: Siebente Sonate (Suite pour Orgue). op. 89. Verlag:
Otto Junne, Leipzig.
Es gab eine Zeit, in der Guilmant zu den Grössten unter den Orgelkomponisten
gezählt wurde. Bald wird der Rückschlag eintreten, schon jetzt mehren sich dafür die
438
DIE MUSIK III. 6.
Zeichen, und sein gesamtes Schaffen wird als ein Nichts angesehen werden. Beide An-
schauungen sind falsch. Ein wirklich Grosser kann Guilmant nicht sein, denn dazu
fehlt seiner Kunst jegliche persönliche Note. Gegen das absprechende Urteil müsste
ihn sein gediegenes Können, seine grosse Bedeutung als reproduzierender Kfinstler
schützen. In der vorliegenden Sonate sind alle positiven und negativen Eigenschafren der
Kunst Guilmants zu finden. Von seinem kontrapunktischen Geschick zeugt der vierte
Satz, »Tempo di Minuetto*, von seinem konstruktiven Talent der erste und letzte,
von seiner Begabung, klanglich schöne Wirkungen dem Instrumente abzugewinnen,
namentlich die Mittelsitze. Dagegen beweisen die Hauptthemen der Ecksitze einen
Mangel an wirklicher Grösse der Erfindung, die sogenannten kantabilen Themen einen
wenig entwickelten Sinn fQr Adel des Ausdruckes, die Gesamtfolge der Sitze ein geringes
Empfinden fQr Stil. Weder mit den Franzosen: C6sar Pranck, C. Saint-SaCns und
C. M. Widor, noch mit den Deutschen: A. G. Ritter, Julius Reubke, Josef Rheinberger
und Max Reger kann Guilmant gleichgestellt werden. Er ist und bleibt in seinem
Schaffen ein Eklektiker, der das Gute nimmt, wo er es finden kann. Karl Straube.
58. W« Barclay Sqnire: Ausgewihlte Madrigale und mehrstimmige Ge-
singe berühmter Meister des 16.— 17. Jahrhunderts. In Partitur gebracht
und mit Vortragszeichen versehen. Neue Polge. No. 22. Jacob Arcadelt.
II bianco e dolce Cigno. Der Schwan, im Tode klagend (1539) No. 23.
OrazioVecchi. II bianco e dolce Cigno. Leis' singt der Schwan im Tode
(1589). Verlag: Breitkopf & Hirtel, Leipzig.
In seiner grundlegenden Studie »Die AnAnge der Chromatik im italienischen
Madrigal des 16. Jahrhunderts« (Leipzig, Breitkopf & Hirtel 1902) hat Th. Kroyer die
für die Geschichte der Harmonie höchst wichtige Entwicklung des Madrigals eingehend
erliutert Squire hat nun eine Reihe der schönsten Madrigale ausgewihlt und in
moderne Partitur gebracht. Arcadelts (eines der früheren Madrigalisten) »il bianco e
dolce Cigno«, das in zweifacher Bearbeitung (vierstimmig und von O. Vecchi fünf-
stimmig arrangiert) vorliegt, wird mit seinen überraschenden harmonischen Feinheiten
und seinem zarten Stimmungszauber manchen Laien einmal wieder darüber aufkliren,
wie sehr zu Unrecht viele der angeblich »antiquierten* Schitze alter Vokalmusik in
Vergessenheit geraten sind.
59. Hans Koessler: Altdeutsche Minnelieder in Madrigalenform für
Minnerchor nebst Gaudeamus igitur als Kanon für vier Minnerchöre gesetzt
Verlag: Süddeutscher Musikverlag, Strassburg L E.
Koessler versucht mit viel Glück die Form des Madrigals zur Komposition mittel-
alterlicher Minnepoesie neu zu beleben. Wie sehr er sich die verwickelte Polyphonie
der Madrigalisten zu eigen gemacht hat, beweisen besonders No. 2 (»Lieblich hat sich
gesellet*) und No. 4 (»Gesegne dich Gott, du reines Weib*). Auch sonst scheint er die
gleiche Vorliebe für artistische Pormkunststücke zu haben, wie manche alten Vokal-
komponisten; den prichtig gearbeiteten Kanon »Gaudeamus igitur* für vier Minnerchöre
macht ihm nicht so leicht jemand nach!
60. Josef Rheinberger: Zwei Lieder »Die Moos-Rose*, »Janna coeli*. Mit
Klavierbegleitung. Aus dem Nachlass nach der im Besitze der Königl.
bayerischen Hof- und Staatsbibliothek in München befindlichen Handschrift
revidiert und herausgegeben von Louis Adolphe Coerne. Verlag:
P. £• C. Leuckart, Leipzig.
In der rührenden Innigkeit ihrer Empfindung, in der Schlichtheit ihrer klaren
Harmonik zeigen uns diese Lieder Meister Rheinberger kurz vor seinem Tode noch auf
voller Höhe des Schaffens.
439
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
61. Georg Schumann: Drei geistliche Gesinge für gemischten Chor. op. 31.
Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
Echt protestantische Glaubensstrenge spricht aus Schumanns edlen Chören; die
spielende Beherrschung des Chorsatzes, der durch kanonische und andere flgurale
Omamentierung bereichert ist, verraten den gefestigten Musiker; besonders tief em-
pfunden ist No. 3 »Herr, wie lange*. Arthur Neisser.
62. Franz Liszt: Eine Symphonie zu Dantes Divina Commedia. Arrangiert
von August Stradal. Verlag: Breitkopf & Härte], Leipzig.
Lange hat man die Bedeutung des Komponisten Liszt unterschätzt, bis doch eine
würdigere Auffassung Platz griff. Die verdiente Wertung der Lisztschen Tondichtungen
ist jQngsten Datums, aber sie kam nicht plötzlich, wie sie auch keiner Propaganda zu
▼erdanken ist; allmählich lernte man die Schöpfungen des grossen Neuromantikers nach
Gebühr beurteilen, und kein anderer als die Zeit selbst hat ein Verdienst um diese
Wandlung: das Publikum musste erst zum Verständnisse reifen, und die oft abstrusen
Bestrebungen der »Allermodernsten* haben diesen Vorgang beschleunigt. Die Symphonie
zu Dantes Divina Commedia ist eine der gehaltreichsten und gewaltigsten Schöpfungen
des Meisters. Stradal, der bereits eine grosse Zahl Lisztscher Orchesterwerke für
Klavier transskribiert hat, beweist auch in dieser Übertragung sein eminentes Verständnis.
63. Karl Loewe: Balladen und Lieder. Für Pianoforte mit Hinzufugung des
Gesangstextes übertragen von Karl Rein ecke. 2 Bände. Verlag: Gebruder
Reinecke, Leipzig.
Wer die Sonderart des Balladenmeisters Loewe kennt, der wird vergeblich nach
dem Grunde einer solchen Publikation suchen. Man wende mir nicht ein, dass auch
Liszt Lieder von Schubert und anderen für Klavier übertragen hat; denn hier handelt
es sich jedesmal um eine Neugestaltung, nicht um eine blosse Einflechtung der Sing-
stimme in den Klavierpart. Die zwei Bände enthalten die Gesänge: „Die Uhr*, .Prinz
Eugen*, „Glockenturmers Töchterlein**, „Edward«, „Tom der Reimer«, „Der Wirtin
Töchterlein«, „Niemand hat's gesehn«, „Archibald Douglas«, „Erlkönig«, „Der Nöck«,
„Die Glocken zu Speier« und „Heinrich der Vogler«.
64. Algemon Ashton: Sonate in es-moll für Pianoforte, op. 101. Verlag: Mozart-
haus, Wien.
Eine vornehme, formvollendete Tondichtung, die sich aller Vorzuge der Muster-
stQcke ihrer Gattung rühmen kann.
65. Josef Reiter: Klaviergedichte, op. 57. 1. Lebenskämpfe. 2. Weihestunde.
3. Excelsior. 4. Im Mondenschein auf Waldeswegen. Drei Klavier-
gedichte, op. 58. 1. In stiller Abendstunde. 2. Kräftiger Entschluss.
3. Gedanken. Verlag: Mozarthaus, Wien.
Sinnige Tonpoesieen, die sich durch eine dem jeweiligen Sujet angepasste Form
und gewandten Klaviersatz auszeichnen.
66. Otto Zweig: Suite in E für Pianoforte. op. 6. Verlag: Fr. Kistner, Leipzig.
Eine ernste, gediegene Arbeit, die fQr das reife Können des Komponisten zeugt,
wenngleich kein Kunstwerk. Die Suite ist in sechs Sätze gegliedert: Präludium, Toccata,
Scherzo, Tema con Variazioni, Intermezzo, Rondo. Der Name des angesehenen Musik-
gelehrten Dr. Eusebius Mandyczewski, dem sie gewidmet ist, bedeutet einen vertrauen-
erweckenden Geleitbrief fQr den Tondichter.
67. Ernst Fltlgel: Drei Klavierstücke, op. 60. Verlag: Julius Hainauer, Breslau.
Kleine melodiös-gefällige Programmkompositionen, die auch einer zutreffenden
Charakteristik nicht entraten.
440
DIE MUSIK III. 6.
68. Karl Zuschneiet: Melod i sehe Studien f&r Klavier. op.50. Verlag: Ebnersche
Musikalienhandlung, Stuttgart.
Melodische Studien — das sagt wohl viel, aber Zuschneid erreicht das Ziel,
das er sich mit dem Titel selbst gesteckt; die kleinen Kompositionen sind belehrend
und melodiös ansprechend. Dr. Viktor Joss.
69. Ludwig Thuille: Drei Lieder f&r eine Singstimme mit Klavierbegleitung.
Op. 24. Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
70. Ludwig Thuille: Traumsommernacht für vierstimmigen Prauencbor, Solo-
violine und Harfe. Op. 25. Ebenda.
Die neuerscbienenen op. 24 und op. 25 des sympathischen Ludwig Thuille sind
nicht gleichwertig. Von den drei Liedern dQrfte das erste den Vorzug verdienen. Das
ganze Opus macht keinen allzugGnstigen Eindruck und wird von seinem jüngeren Ge-
schwister um viele Haupteslingen überragt. Das op. 25 ist so recht aus der geistes-
und gemütstiefen Lobetanzstimmung berausgeboren und gehört wohl zu dem Peinsinnig-
sten, was seit Jahren auf dem Gebiet des weiblichen Chorgesangs geschaffen wurde.
Hier lösen sich Dichtung und Musik wahrhaft aus. In einen süssen Zauber duftiger
Harmonieen hat Thuille die wunderliebliche Dichtung Bierbaums getaucht. Melodik,
Chorsatz, dazu die sommerAdenfeinen Klinge von Harfe und Violine, alles vereinigt sich,
dies Werkchen zu einer der lieblichsten Errungenschaften der Chorliteratur zu stempeln.
71. Fritz NefT: Schmied Schmerz, für gemischten Chor mit Orchester. Op. 6.
Verlag: F. E. C. Leuckart, Leipzig.
Zu Bierbaums viel komponiertem Stimmungsbild »Schmied Schmerz* hat Neff
einen acbtstimmigen Chor und grosses Orchester mobil gemacht Die Masse der auf-
gebotenen Mittel steht zu dem kleinen Stoff in gar keinem Verhiltnis, umsomehr als dies
jüngste Kompositionsprodukt Neffs nicht gerade durch einen besonderen Erfindungswert
besticht. In dem Bestreben, viel dramatischen Ausdruck aus der kleinen in ihrer kon-
zentrierten Form doppelt eindringlichen Dichtung herauszuholen» zerrt er das knappe, viel-
sagende Stimmungsbild durch unsinnige Wonrepetitionen voUstindig auseinander. An
Anwendung extremer Kraftmittel lisst das Werk nichts zu wünschen übrig.
72. Heinricli Schulz-Beuthen: Harald. Ballade für Mionerchor, Baritonsolo,
grosses Orchester und Klavier. Op. 46. Verlag: F. E C. Leuckart, Leipzig.
Die Harald-Ballade von Wolfgang Muller von Königswinter hat durch Schulz-Beuthen
eine im ganzen gute Vertonung erfahren. Kraftvolle Charakteristik der einzelnen
Themen, sowie ein wohlklingender, wenn auch hier und da etwas dumpfer Chorsatz zeichnen
das knappe, für einen halbwegs leistungsAhigen Minnerchor nicht schwierige Stück
aus. Die Solopartie verlangt einen sehr stimmbegabten, hohen Bariton. Die Behand-
lung des Orchesters ist, soweit der Klavierauszug einen Schluss zulisst, sinngemiss.
73. Franz Kessel: Kain. Phantastische Tondichtung für grosses Orchester.
Verlag: Louis Oertel, Hannover.
Das in seiner poetischen Kraft so unendlich grosszügige Mysterium »Kain* des
Lord Byron zum Vorwurf einer Tondichtung zu wihlen, war nicht klug. Franz Kessel
ist ein ernst strebender Musiker, der viel gelernt hat. Für diese Aufgabe hat er jedoch
seine Krifte üt>er8chitzt Stoff und tonale Ausdeutung stehen sich in seiner Komposition
allzusehr gegenüber. Den Themen, die an und für sich gut erdacht aind, f^hlt die
glaubhafte Grösse; dadurch erscheint das musikalische Kleid, das Franz Kessel dieser
Dichtung angezogen, für diese Riesengestalten eines Byron an allen Ecken su kurz.
Solch inkommensurable Dichtung eines Genies lisst sich nicht mit sogenannter Wohl-
anatindigkeit abspeisen, da gehört eine andere, eine congenialere Phantasie dazu, als sie
das Talent Kessels besitzt Adolf Göttmann«
RIVISTA MUSICALE ITALIANA (Turin), 1903, Fase. 3. — Das Schlusskapitcl
von B. Grassi-Landi's Arbeit „Genesi della musica'' .handelt über die Be-
gleitung der Melodie. Angelo Solerti bringt als Anhang zu seinem Aufsatz
»Precedenti del melodramma* einen Neudruck der favola pastorale »I fidi atnanti*
von A. Ordei, in Musik gesetzt von Guasparri Torelli (1600). Die Studie »Grillparzer
et Beethoven* von H. Kling enthält die französische Obersetzung von Grillparzers
Grabrede und den hierher gehörigen Stellen aus der Selbstbiographie, voran geht
eine sehr hübsche Einleitung, die zeigt, welche Rolle die Musik in Grillparzers
Leben und Dichten gespielt hat. Von J. Valetta bringt das Heft den ersten Teil
einer gross angelegten Arbeit „I musicisti compositori francesi all' accademia di
Francia a Roma*. Alberto Cametti veröffentlicht „Un nuovo documento sulle
origini di Giovanni Pierluigi da Palestrina*, das aus dem Jahre 1527 stammende
Testament der Jacobella Pierluigi, der Grossmutter Palestrinas. Von den der
zeitgenössischen Kunst gewidmeten Arbeiten seien erwähnt: Die ausführliche
Untersuchung «La nuova fisiologia della emozione musicale* von M. L. Patrizi und
der patriotisch gefärbte Aufsatz „Di una vera cultura musicale Italiana* von
Vincenzo Tommasini, der in den Wunsch ausklingt, es möge einstmals der
Tag kommen, an dem dem italienischen Volk der Mann ersteht, der ihm gibt
»il nuovo canto atteso e invocato, un canto di fusco e di vita, un canto di gioja e
d'amore, un canto di giustizia e di forza.*
MUSICA SACRA (Regensburg) 1903, No. 8 und 9. — Ausser dem gegen den Rück-
fall des Cäcilien-Vereins sich richtenden Artikel »Wer stehet, der sehe zu, dass
er nicht falle* und den Vorträgen „Der Choralstreit* von Endres und „Katholische
Kirchenmusik* von J. Kumpfmüller ist namentlich der hier abgedruckte Hirten-
brief erwähnenswert, den der jetzige Papst 1894 als Kardinal Joseph Sarto und
Patriarch von Venedig anlässlich der Neueinweihung der Markuskirche nach ihrem
Umbau erlassen hatte. Der Brief beschäftigt sich mit der echten Kirchenmusik,
die drei Haupteigenschaften besitzen müsse: Heiligkeit, künstlerische Güte und
Allgemeinheit; demgemäss werden drei Arten der geistlichen Musik unterschieden:
der gregorianische Gesang, die klassische Polyphonie und der theatralische Stil.
Da der letztere zur Übertreibung, Süsslichkeit und Leichtfertigkeit hinneigt, ist
das Verbot der profanen Gesangs- und Instrumentalmusik in der Kirche not-
wendig. In sehr sachlicher und durchaus nicht parteiischer Weise werden die
möglichen Einwände überlegt und es heisst da u. a.: „Man sage nicht, dass
Palestrina eine ganz andere Musik schreiben würde, wenn er in unseren Tagen
lebte. Pier Luigi aus Palestrina könnte uns, auch wenn er unserer Zeit angehörte,
als vollkommener Kenner der liturgischen und künstlerischen Regeln keine andere
Musik geben, als eine der Heiligkeit des Ortes entsprechende und jenen ewigen
Quellen jeder Kirchenmusik, dem Choral, entsprechende*.
MONATSSCHRIFT FÜR GOTTESDIENST UND KIRCHLICHE KUNST
(Göttingen) 1903, No. 9. — Der interessante Aufsatz .Orgelzwischenspiele beim
Choralgesang der Gemeinde* von Heinrich R e i m a n n verdient besondere Erwähnung.
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DIE MUSIK IIL 6.
ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG (Charlottenbnrs) 1903, No. 30. - Der Sdünss
▼on Hu^ Conratt Aafoatz «Kimst and Geschift* entbilt noch Interessantes
aber BeetfaOTens cescbifUlche Scbicksale and bebandelt dann K. M. von Weber,
der in seiner lundlicben Treaberzigiceit die Chance, dnrch den ungeahnten Erfolg
seines «Freischatz* reich zu werden, nicht ansnfitzte. «Johann Gottfried Schicht*,
der Sachse, als Oratorienlcomponist (Die Feier der Christen anf Golgatha), als
Violinist des Gewandbaasorchesters and als Gesangslehrer gleich bedeutend, wird
von Engen Segnitz in einer biographisch-loitischen Skizze behanddt Ein Schlass-
wort Ton IL Teibier bespricht «Die Münchener Wagner-Festspiele*.
MUSIKALISCHES WOCHENBLATT (Leipzig) 1903, No. 33-30. — Eine nmfkng-
reiche Arbeit fiber «Das moderne Orchester* von Panl Merkel befosst sich mit
dem Werden and den Eigenschaften des modernen Orchesters and den Vorzagen,
mit denen der moderne Dirigent aasgestattet sein mnss. Der Verfosser will das
Orchester nicht in sklavischer Abbingigkeit vom Dirigenten wissen, die Ansdracks-
fihigkeit wird sicher darch eigenes Ffihlen verstirkt werden. Er sagt: «Der
moderne Dirigent muss für das moderne Orchester ein Gef&hlsregnlator and nicht
Geffiblsttsarpator sein*. — Der Aafoatz von Moriz Wirth «Ernst von Possart and
die Matthiaspassion* preist die Knnst Possarts als die einzige, die imstande sei,
in Bachs Werk das Drama ans der es umgebenden Musik herauszuschilen und
eindrucksvoll zu gestalten. — In dem Nachruf «Herman Zumpe* von H. Teibier
heisst es: «Jugendlicher Eifer, besonnene Gelehrsamkeit, sensible Empfindung ver-
banden sich in ihm und standen im Dienst seines eisernen, keine Grenzen
kennenden, auch das Letzte freudig opfernden idealen Pflicbtgef&hls*. — «Zwei un-
gedruckte Briefe Richard Wagners* verölTentlicht Otto Dorn: beide (Paris 20. S. 1800
und Biebrich 13. 2. 1862) sind an Wagners Freund Scbindelmeisser gerichtet —
Köstliche Perlen sind die von F. Gustav Jansen publizierten «Ungedruckte Briefe
von Robert Schumann*. Der erste, an Jobann Nepomuk Hummel in Weimar ge-
richtet und «Leipzig, 20. August 1831* datiert, entbilt eine bescheidene und treu-
herzige Schilderung von Schumanns musiludiacbem Entwicklungsgang und es
heisst dann weiter: «An den Meister wend' ich mich nun vertrauensvoll, ob er
mir vielleicht eine Zeitlang den Genuas seines Unterrichts gewähren wolle. Eine
alte, vortreffliche Matter, die gern möchte, dass etwaa Rechtea aus mir würde,
spricht mit mir diese Bitte aua und aetzt ihr ganzes Vertrauen in den Mann, den
die Welt als so liebreich und ft^undlich gegen Kunstjunger schildert*. Und am
Schluss sagt Schumann: «Beschloss ich je einen Brief mit den Gef&hlen einer
wahren Verehrung, ao ist es heute*. Der zweite, an Hauptmann von Fricken in
Asch gerichtete Brief (Zwickau, 28. 11. 1854) entbilt ein paar von Mitgefühl er-
füllte Sitze über das bevorstehende Ende des unglücklichen Schunke. Der letzte
Brief endlich ist an Schumanna Bruder Carl gerichtet und trügt das Datum
«Dresden, 10. Juni 1848*. Mit rührender Ergebung und kindlichem Frohmut
schreibt Schumann, wie er nur mit seiner Oper beschiftigt sei und wie zugleich
leider das Geld immer weniger werde; von Clara, die «gute Stunden* hat, muaste
er sich schon einen Vorschuss geben lassen; nicht weiss er, wober die drohende
Wohnungsmiete zu bezahlen, und wenn nicht Fortuna plötzlich einen Sack Geld
beschert, können sie den Bruder nicht besuchen!
NORD UND SÜD (Breslau) 1003, No. 317. — Ausführlich und sehr beherzigens-
wert sind die Darlegungen, die Hans Schmidkunz unter der Oberschrift
«Der Unterricht in der Musik* bietet Er bespricht den Musikunterricht nach
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REVUE DER REVUEEN
drei Richtungen hin: Praxis, Kritik und Theorie und historische Erforschung
und Darstellung. Mit allen diesen Zweigen ist es in dem Musikunterricht, wie er
gegenwärtig allenthalben betrieben wird, höchst schlecht bestellt. Schmidkunz
deckt nun nicht bloss die herrschenden Übelstände auf, sondern er stellt ihnen
auch positive Vorschläge zu einer Verbesserung gegenüber und gibt auch im
Umriss die Wege an, die zu einer Verwirklichung dieser Vorschläge fuhren
könnten.
WESTERMANNS MONATSHEFTE 1903, No. 565. - Kari Storcks Aufsatz »Allerlei
Musikfeste* enthält wichtige prinzipielle Gedanken über den Begriff des Musik-
festes. Storck nennt das Musikfest eine heutzutage veraltete Erscheinung, stammend
aus einer Zeit, in der man, um ein Oratorium oder ein grösseres symphonisches
Werk auffahren zu können, eine Menge sonst zersplitterter Kräfte vereinigen
musste. Heute, wo dieselben Werke überall mit Leichtigkeit aufzuführen sind,
sind solche Musikfeste nichts Aussergewöhnliches und haben auch nichts Segens-
reiches mehr, die Unmasse von Musik, die sie mit sich bringen, ermüdet eher,
als dass sie erhebt. Die Musikfeste könnten erst dann wieder eine Berechtigung
finden, wenn für ihr Programm Kompositionen gewählt würden, die nur durch das
Zusammenwirken bewältigt werden könnten.
DER TÜRMER 1903, No. 10-13. - Die ständige Rubrik „Hausmusik« in dieser Zeit-
schrift enthält eine Reibe wertvoller Artikel, die alle durch Lebensfülle und einen
populären Zug ausgezeichnet sind. Karl Storck gibt in seinem Aufsatz «Männer-
chorgesang und Musikpflege** einen Oberblick über die geschichtliche Entwicklung
des Chorgesanges und schliesst mit einem sehr aktuellen Gedanken: dem der
Beteiligung der Frauen, die ja gegenwärtig eine ganz andere Rolle im Leben
spielen als ehedem, am Chorgesang, wodurch eine Hebung des mehrstimmigen
Gesanges mit gemischten Stimmen angebahnt würde. „Die Frauen bewahren ihre
Lieder besser; sie singen sie nicht bloss im Verein, sondern auch daheim im
Hause; sie lehren sie ihren Kindern. Ich will den Männergesang keineswegs
verbannen, aber wichtiger ist der Volksgesang. Zu diesem gehört das ganze
Volk. Die Frauen tragen ihr gutes Teil an des Lebens Last, so mögen sie auch
teilhaftig sein an des Lebens Schmuck. Ein solcher ist der Gesang; ein Schmuck,
der nicht nur verschönt, sondern auch veredelt.« — Ein Aufsatz von Arthur Seidl
(»Ein Tonkünstlerfest«) behandelt das Baseler Musikfest; Karl Storck be-
spricht in einer knappen Abhandlung „Die Musik und die christliche Kirche«
und preist in dem Artikel „Heinrich von Herzogenberg als Liederkomponist«
ganz besonders die Männlichkeit des Empfindens, die, obschon innerlich von
Leidenschaft durchglüht, äusserlich als Kühle erscheint. — „Wie ist Richard
Wagner vom deutschen Volke zu feiern?« Diese Frage beantwortet Storck in
einem anderen Aufsatz mit den Worten: „Muss es denn wirklich immer ein
Denkmal aus Erz oder Marmelstein sein? Könnte man für einen Geisteshelden
nicht einmal eine geistigere Form der Verehrung finden?!« Storck macht den
Vorschlag, man möge ein Kapital sammeln, durch das alljährlich Unbemittelten
der Besuch vom Theater ermöglicht werden könnte. Daran könnte sich jeder,
der Millionär wie der Minderbemittelte, mit einem Beitrag beteiligen; es gäbe also
eine Mitwirkung des ganzen Volkes. — Noch ein Artikel von Karl Storck sei
erwähnt: .E. T. A. Hoffmann als Musikschriftsteller.« „Nicht zum Musiker, zum
Musikschriftsteller war er berufen!« — mit diesen Worten kennzeichnet der Ver-
fasser Hoffmann, und er sagt, Hoffmann sei durch seine theoretischen Kenntnisse,
durch seine musikalische Ausbildung und durch seinen geläuterten Geschmack
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DIE MUSIK III. 6.
einerseits zum Musikisthedker geschsffen gewesen, andererseits habe er infolge
seiner schöpferischen Begabung und seiner StimmungsfQlIe das innerste Wesen
der Musik in seinen Dichtungen mitunter verkörpern können. Es folgen abgedruckte
Stellen aus Hoffmanns Werken: .Gedanken über den hohen Wert der Musik** und
»Höchst zerstreute Gedanken**.
LA R£VUE (Paris) 1903, No. 16—19. — Durch die Hefte zieht sich die amftmgreiche
Reihe der »Lettres sur la musique fran^aise* von Adolphe Adam, die aus den
Jahren 1836—1850 stammen und eine Menge des Wichtigen und des Interessanten
enthalten.
NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK (Leipzig) 1903, No. 37-39. - Die Besprechung
von G. F. Seiles Chören aus der «Braut von Messina* gibt Robert Musiol (»Eine
neue Komposition zu Schillers Braut von Messtna*) Gelegenheit, die zu diesem
Trauerspiel geschriebenen Musiken seit den ersten von F. S. v. Destouches n.
Siegmund R. v. Neukomm komponierten zusammenzustellen. — Der verstorbene
Zumpe wird von Max Wallberg («Herman Zumpe f*) »Ein Dirigent von un-
gewöhnlicher Spannkraft des Willens, von einer glühenden Begeisterung für die
Kunst, von einer leuchtenden Begabung für seinen Beruf* genannt. — Ober .Die
Münchener Wagnerfestspiele* schreibt Eugen Johannes. — Den Kern eines aus-
gedehnten Artikels von Arthur Seidl bildet die kritische Besprechung von Ermanne
Wolf-Ferrari's Oratorium nach Dante's »Vita nuova*. Der Aufsatz entbilt eine
Kette schöner und in der Anwendung gewiss fruchtbarer Gedanken. Die Besprechung
des Textes nimmt Seidl zum Anlass, sich über Charakter und Wert des Danteschen
Epos knapp auszusprechen. Zur Besprechung der musikalischen Seite des Werkes
übergehend, sagt er: »Wie wir sozusagen eine nördliche und eine südliche Drama-
turgie — dort des In- und Durch-, hier des Neben- und Nacheinander — deutlich
unterscheiden können, die in Hebbel und Anzengruber als Gegenpolen etwa kul-
minieren, so ergibt sich auch wieder innerhalb der Tonkunst eine Art von nord-
deutscher und süddeutscher Symphonik; jene wire durch Brahms, diese durch
Brückner ungefähr charakteristisch vertreten. Desgleichen aber wird germanischer
Geist in der Musik mit Vorliebe auch ,mehr Ausdruck der Empfindung* geben,
wo der Romane ohne weiteres Situation sd ras tik, dekorative Plastik, das Stimmungs-
gemilde und die Tonmalerei suchen und betonen wird, ohne dass man dabei von
,innerlfcher' und ,ausserlicber* Kunst im lobenden oder tadelnden Sinne schlechthin
wird reden dürfen. Es sind schliesslich National-Eigentümlichkeiten, die — wenn
man nur recht zusehen will — beide Male etwas Inneres, nimlich ,Natur* (natura
naturans — nicht natura naturatal) bedeuten. Und ebenso mag der Nordlinder
nach seiner Organisation ganz unwillkürlich für das wandlungsfihige ,Leit-Thema'
einer vielgestaltigen Verwebung und intrikaten Verknüpfung sich entscheiden,
wahrend der naivere Südlinder das einfachere, stereotype ,Reminiszenz-Motiv* leicht
bei sich vorziehen dürfte.* Seidl findet in Wolffs Musik eine südliche Naturanlage
vertreten, die sich aber immer mit germanischem Ernst paart.
GREGORIANISCHE RUNDSCHAU (Graz) 1003, No.9. — Es beginnt in dem vor-
liegenden Hefte eine gross angelegte Abhandlung von Karl Ott: »Der Entwicklungs-
gang der mittelalterlichen Choralmelodie*. — Rafael Moli tors Aufsatz über aJosef
von Rheinberger* beschifcigt sich insbesondere mit Rheinbergers Orgelkomposi-
tionen, deren Wert nach jeglicher Richtung hin gewürdigt wird.
NEUE OPERN
Roberto Catdlla: ,Der Glockenguss von Groningen', Text von Eugenio
de Lupl und Artur Belloitl (deutsche Oberseliung von Tllly von Timetal)
wird seine Uraurrübrung sm Stidtibeater zu Sietiln erleben.
Claude Debussy: .Der Teufel In der Turmuhr* beisst eine Oper (Text
nich Edgsr A. PoS), an der der Komponist gegenvirtig arbeitet.
Alfred Stelzner: .Svatowlls Ende", ein einaktiges Masikdrama, la dem der
Komponist aucb das Buch schrieb, wird am Hoftheaier zu Kassel zum
erstenmal aufgeffihrt werden.
AUS DEM OPERNREPERTOIRE
Aachen: Die Spielzelt begann am 16. September. Als Heldentenor ist E. Voss,
als dramatltcbe Stagerinnen die Damen Stelgerwald und Sorelll verpflichtet.
An Neuheiten verspricht Direktor Schrfitler den Abonnenten: Goldroarks
aGStz von Berllchingen', Verdi's aOibello* und Tagners .Siegfried'. .In
Aussiebt genommen" sind drei Terke von Masaenel: .Terther*, .Der
Gaukler unserer lieben Frau* und .Das Midcben von Navarra'.
Brl«g: Die Brlegcr Singakademie brachte unter Leitung von Musikdirektor
Hlelscherdas Chorwerk .Sulamit' von Ermanne Tolf>Ferrari erfolgreich
zur Aufrfihrung. Es war die erste in Deutschland.
Frankfurt a. H.: Gelegentllcb des Musikfestes des Allgemeinen DeuUchen
Musikvereins Anfoog Juni 1904 wird die Uraufführung des dreiaktigen
Muaikdramas .Der Bundschuh* (Dichtung von Otto Erler) von Taldemar
von Baussnern siatiflnden.
Mailand: Die Scala eröffnet ihre Tinlersplelzeit mit ,Rheingold" und — eine
sonderbare Zussmmensiellung — mit der .Puppenfee*. Zur AuffQtarung
gelangen u. a.: Umberto Giordano (Sibirien, zum erstenmal), Franchettl
(Germania), Verdi (Rlgoletio), Puccinl (Madame Buiterfly), Gounod (Faust),
Dilibes (Lakrai), Massenet (Griselidls), ferner dss Bsilet .Das Spinnerlled'
von Carlo Coppl.
Wiesbaden; Victor von Toikovsky-Biedaus Oper .Helga', die von der
General-Intendani fQr das KSnigllcbe Theater angenommen worden Ist,
wird ihre ErstauffQbrung am 29. Dezember d. J. erleben.
KONZERTE
Aachen: Die Musikalische Gesellschaft veranstaltet vier Kammermusik-
Abende, wobei neben dem Brflsseler und dem BOhmischen Si reich qusrtett
Agnes Leydhecker, Julia Culp, Leopold Godowsky und Henri Martesu mit-
wirken. Ausserdem flnden noch drei weitere KammermnsikauffQh-
rungen, die wScbentlichen Konterte des Inatrumenlalverelns, sowie
die Volkssymphonle-Konzerte statte letztere erfahren in diesem Tinter
eine grosse Mannigfaltigkeit ihres Programms durch Heranziehung von Vokal-
nnd Instrumentalsolisten. Prof. Schwickerath leitet alle musikalischen
Veranstaltungen.
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DIE MUSIK III. 6.
Berlin: Die Barthscbe Madrigal Vereinigung, ein unter Leitung von Arthur Barth
aus den Damen Geipelt, Kaufmann, Schott (Sopran), Bremer und Martus
(Alt) und den Herren Weiss und Michel (Tenor), Harzen-Muller und Lederer-
Prina (Bass) bestehendes Vokaldoppelquartett, wird Mitte Dezemt>er ihr
erstes Konzert geben, in dem eine ganze Reihe von italienischen, fran-
zösischen, niederlindischen, englischen und deutschen Madrigalen des
15. bis 17. Jahrhunderts zum Vortrag gelangen.
Brieg: Die Singakademie (Dirigent: Musikdirektor Hielscher) eröffnete ihre
diesjährige «Saison mit einer AufTOhrung von »La Sulamite* von Wolf-Ferrari,
unseres Wissens der ersten in Deutschland. Das Werk, dessen Text dem
Hohenliede Salomonis entnommen ist, gibt in allen seinen Teilen einen
grossen Liebeszwiegesang zwischen Sopran und Alt, unterbrochen von
wunderbar fein gearbeiteten Chorsitzen. Als Solisten wirkten mit: Anna
Münch aus Gera (Sopran) und Hofopemsinger H. Wolff aus Koburg (Tenor).
Die beiden Regimentskapellen (156. und 157. Inftmterie-Rgt.) haben sich für
diesen Winter zusammengetan und veranstalten drei Symphoniekonzerte.
Es kommen u. a. zur Aufführung: Brahma' vierte Symphonie und zur Feier
von Berlioz' hundertjihrigem Geburtstag »König I^ar* und andere Werke
des Meisters.
Halle a. S.: In dieser Saison scheint das Leipziger Philharmonische
Orchester (Leiter: Hans Winderstein) das Konzertfeld allein beherrschen
zu sollen. Angekündigt sind sechs Symphonie-Abende mit Solisten
wie Mary Münchhoff, Felix Berber, Leopold Godowsky u. a. — Genüsse
erlesener Art versprechen die Herren Arno Hilf, Alfr. Wille, Bemh. Unkenstein
und Georg Wille in ihren vier in Aussicht gestellten Kammermusik-
abenden. — Die Singakademie (Dirigent Prof. Otto Reubke) rafft sich zu
einer grossen Tat empor, indem sie Bachs .Weihnachtsoratorium* zur
Aufführung vorbereitet.
Hannover: Die Hannoversche Musikakademie begeht den lOOjihrigen Geburtstag
Berlioz' mit einer Aufführung von dessen »Requiem*; die aus gleichem An-
lass im Königl. Theater in Aussicht genommene Neueinstudierung der Oper
.Benvenuto Cellini* ist wieder ad acta gelegt; dafür ist eine Aufführung der
geistlichen Trilogie: .Kindheit Christi* vorgesehen. Für das nächste Abonne-
mentskonzert des Königl. Orchesters ist Hugo Wolfs .Penthesilea* als
Novitit in Aussicht genommen.
Innsbruck: In den Musik verein-Konzerten gelangen zur Aufführung: Bach
(Air für Violine mit Orchester; Praeludium und Fuge für Orgel), Beethoven
(fünfte Symphonie), Brahma (vierte Symphonie), Brückner (zweite Symphonie;
der 150. Psalm), Cornelius (Die Vitergruft), Elgar (Variationen für Orcheater),
R. Fuchs (Andante gracioso für Streichorchester), Gluck-Mottl (Balletstücke),
Guilmant (Symphonie für Orgel und Orchester), Handel (Arie), Liszt (Mephisto-
Walzer; Die Legende von der heiligen Elisabeth), Mendelssohn (Die schöne
Melusine), Mozart (g-moU-Symphonie; Arie aus «Cosi fkn tutte*), Neff(Chor
der Toten), Pembaur (Thermopylae), Pfltzner (Vorspiele aus «Das Fest auf
Solhaug*), Stehle (Arie aus dem Oratorium .Fritjofs Heimkehr*), Schjelderup
(Vorspiel zu »Norwegische Hochzeit*), Schubert (Lieder), Strauss (Tod nad
VerkUntng ; Lieder), Svendsen (Romanze für Violine), Tschalkowsky (Scherzo
für Violine), Vieuxtemps (Konzert d-moU), Wagner (Tannhiuser-Ouvertfire;
Verwandlungsmusik und Schlussszene des ersten Aktes aus Parsiftü), Wicken-
447
UMSCHAU
bausen (Suite), Wolf (Der Feuerreiter). Solisten: Johanna Dietz, Ada Jahn,
Maria Pbilippi (Gesang), Issay Barmas (Violine), Karl Pembaur (Orgel), Alfred
Reisenauer (Klavier), Josef Loritz, Karl Senn, Hans dessen. Albert Reitter
(Gesang). Femer findet ein Kammermusik- Abend des Streichquartetts
Miroslav Weber statt.
Königsberg i. Pr.: Ernst Wendel wird mit dem Königsberger Musikverein
in diesem Winter Brückners neunte Symphonie aufführen.
Mfllheim (Ruhr): Unter Leitung von Musikdirektor Karl Diehl veranstaltet der
Gesangverein vier Abonnements-Konzerte und bringt zur Aufführung:
Bach (Matthäus-Passion), Berlioz (Fausts Verdammung), Beethoven (Klavier-
konzert c-moll), Mozart (Symphonie Es-dur), Schumann (Paradies und Peri),
R. Strauss (Wanderers Sturmlied). Solisten: die Damen: Emma Ruckbeil-
Hiller, Natorp, E. Diergardt, Carola Hubert, Adrienne Kraus-Osbome, Martha
Beines, sowie die Herren: Nicola Dörter, P. Baum, Max Pauer, Franz
Litzinger, Dr. Felix Kraus, Adolf Bachem, Raimund von Zur-MQhlen,
Job. Messchaert, H. Steg.
TAGESCHRONIK
In einer Auffuhrung der ,, Walküre* am 3. November im Königlichen Opern-
haus zu Berlin nahm Rosa Sucher, die bis heute unerreichte Sieglinde und
Isolde Abschied von der Biihne.
Richard Strauss ist mit der Komposition einer einaktigen Oper beschiftigt,
deren Text abermals von Ernst von Wol zogen stammt.
Engelbert Humperdinck arbeitet an einer neuen Oper, deren Libretto er
selbst verfasste. Der Stoff ist dem Lustspiel »Das Fräulein von Saint-Cyr* von
Dumas entnommen.
Carl Wolfram, Kapellmeister der Frankfurter Oper, ist vom Winter 1004 ab
fQr eine Reihe von Jahren als 1. Kapellmeister an die Vereinigten Stadttheater von
Essen und Dortmund verpflichtet worden.
Die französische Kammer hat mit grosser Mehrheit den Antrag Millevoye
angenommen, die Theateragenturen in gleicher Weise wie die Stellenver-
mittlungsbureaux für Arbeiter zu behandeln, die erlangten Konzessionen abzulösen
und keine neuen mehr zu erteilen. Die Kammer vertrat die Anschauung, dass die
Theateragenturen die dramatischen Künstler und Künstlerinnen ungebührlich aus-
beuten. Wenn der Senat dem Gesetz zustimmt, wird es in kurzer Zeit keine
Theateragenturen mehr in Frankreich geben.
Der gegenwärtig in Krakau lebende Heldentenor Alexander von Bandrowski,
der als erster Pionier der Wagnerschen Muse in Polen das Publikum mit der
.Walküre* bekannt machte, hat vor kurzem das Kunstwerk einer vollendeten Ober-
tragung der »Meistersinger* in die polnische Sprache zustandegebracht.
Am Grabe Dr. Friedrich Schneiders, des ehemaligen Dessauer Hofkapell-
meisters und Komponisten des »Weltgerichts* fand am 23. November, dem
50. Todestage des Tonsetzers eine Gedenkfeier statt
Für Herman Zumpe soll in München ein grosses kunstvolles Grabmal er-
richtet werden.
Bei der Gelegenheit des 50jährigen Bestehens seiner Fabrik erhielt Kom-
merzienrat Blüthner folgende Auszeichnungen: Vom König von Sachsen Rang
und Titel eines Geheimen Kommerzienrates, vom König von Württemberg den
Titel eines kgi. Hoflieferanten, vom Fürst von Reust j. L. das Ebrenkreuz 2. Klasse
und vom König von Rumänien das Offlzierskreus des Ordens der rumänischen Krone.
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DIE MUSIK IIL 6.
Intendant Ernst von Possart hat vom König von Dinemark das Kommandenr-
krenz des Danebrog-Ordens ertialten.
Der seit über fQnfoig Jahren in England titige deutsche Mnsikdirigent Dr.
Aagnstns Manns wurde in den Rttterstand erhoben.
Dem Generalmusikdirektor Wilhelm Kes in Mosksu ist wegen seiner Ver-
dienste um das russische Musikleben der Stanislaus-Orden Terliehen worden.
Im Verlag von Breitkopf & Hirtel, Leipzig, ist ein Verzeichnis «Die grossen
Meister* erschienen, das alle im Verlag erschienenen und zum Vertrieb über-
nommenen Gesamtausgaben der grossen Meister der Musik enthilt. Zugleich
werden auch alle für den praktischen Gebrauch erschienenen Einzelausgaben
genannt, so dass es nicht nur bei Anschaffung von Werken der klassischen und
romantischen Meister dienen, sondern über jedes einzelne ihrer Orchester- und
Instrumentalwerke in Partitur und Stimmen, Original und Bearbeitung erwünschten
AuÜBchluss geben kann.
Anfing Dezember beging in Prankfurt a. M. der Singerchor des Lehrer-
vereins, der mit seinen mehr als 200 Stimmen den quantitativ wie qualitativ
ersten Minnerchor der Stadt bildet, das Fest seines 25jihrigen Bestehens mit
einer akademischen Feier, einem Festkonzert und der weiteren Veranstaltung, die
der Devise »cantores amant humores* Rechnung trigt Georg Krug, jetzt Dirigent
des Frankfurter katholischen Kirchengesangvereins, war der Gründer und erste
Dirigent, der mit 16 Aktiven den Anfang machte; seit 1880 wird der Verein vom
jetzigen Prof. Maximilian Fleisch geleitet, und zwar in einem künstlerischen Geist,
der nicht nur hier, sondern auch an aus wirtigen vom Verein bereisten Orten
(u. a. Berlin, Hamburg, Amsterdam, im Haag, London) anerkannt worden ist In
der Heimatstadt konzertiert der Verein jihrlich zweimal öffentlich, wobei er sich
an die kompliziertesten Aufgaben der Minnergesangsltteratur wagen darf, aber
auch mit seiner höchst subtilen Ausführung von Volksliedern den Beiftül von
Laien und Kennern erwirbt.
Am 1. November feierte Hermann Riedel sein fünfündzwanzigjihriges
Jubilium als Hofkapellmeister in Braunscbweig.
Nach dem Register des Deutschen Bühnen-Spielplans erlebten in der
Spielzeit 1002/3 Aufführungen: Opern: Adam, Der Postillon von Lonjumeau 83^
d'Albert, Die Abreise 13, Kain 5, Auber, Fra Diavolo 100, Die Stumme von Por-
tici 48» Beethoven, Fidelio 167, Bizet, Carmen 203, Blech, Das war ich 74, BoUdieu,
Die weisse Dame 75, Brüll, Das goldene Kreuz 34, Charpentier, Louise 91, Donizetti,
Die Regimentstochter 03, Enna, Das Streichholzmidel 5, Flotow, Stradella 50,
Manha 173, Goldmark, Die Königin von Saba 49, Gounod, Margarete (Faust) 173;
Romeo und Julie 45, Hal^vy, Die Jüdin 94, Humperdinck, Hinsei und Gretel 129;
Kienzl, Der Evangelimann 59, Kreutzer, Das Nachtlager in Granada 77, Leoncavallo,
Der Bajazzo 189, Loruing, Undine 150, Der Waffenschmied 139, Der Wildschütz 97,
Zar und Zimmermann 165, Maillart, Das Glöckchen des Eremiten 77, Marschner,
Hans Helling 37, Mascagni, Cavalleria rusticana 225» Meyerbeer, Die Afrikanerin 68»
Die Hugenotten 119, Der Prophet 64, Robert der Teufel 21, Mozart, Don Juan 99,
Figaros Hochzeit 121, Die Zauberflöte 138» Nessler, Der Trompeter von Sikkingen
135» Nicolai» Die lustigen Weiber 141» Offenbach, Hoffmanns Erzihlungen 184»
Rossini» Der Barbier von Sevilla 105, Teil 36, Saint-Saöns, Samson und Dalila 76^
Smetana» Die verkaufte Braut 42» Strauss» Feuersnot 30^ Thomss» Mignon 210»
Verdi» Aida 123» Der Maskenball 61, Othello 35» Rigoletto 70, Violetta (U Tra-
vlata) 70^ Der Troubadour 225» Wagner» Der fliegende Holunder 187» Die Götter-
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UMSCHAU
dimmeruog 97, Lobengrin 284, Die Meistereinger von Nfirnburg 176, Das Rhein-
gold 82, Rienzi 21, Siegfried 115, Tannhiuser 283, Tristan und Isolde 60, Die
Wallcfire 148, Weber, Der Freischütz 234, Oberon 34, Weingartner, Orestes 11, Weis,
Der polnische Jude 67, Zoellner, Der Oberfall 14, Die vereunkene Glocke 45. —
Operetten: Audran, Die Puppe 107, Bands, Pick und Pocket 43, Dellinger, Don
Cesar 55, Jadwiga 74, Eysler, Bruder Straubinger 44, Felix, Madame Sherry 287,
Hervd, Mam'zelle Nitouche 80, Heuberger, Der Opernball 49, Jones, Die Geisha
165, L6har, Der Rastelbinder 198, Wiener Frauen 58, Miilöcker, Der Bettelstudent
136, Gasparone 66, Offenbach, Orpheus in der Unterwelt 94, Die schöne Helena 47,
Planquette, Die Glocken von Corneville 44, Platzbecker, Der Wahrheitsmund 59,
Reinhardt, Der liebe Schatz 112, Das süsse Mädel 323, Strauss, Die Fledermaus
355, Der lustige Krieg 56, Wiener Blut 196, Der Zigeunerbaron 199, Sullivan, Der
Mikado 63, Supp6, Boccaccio 100, Fatinitza 59, Die schöne Galath6e 56, Zeller,
Der Kellermeister 83, Der Obersteiger 76, Der Vogelhändler 144, Ziehrer, Die drei
Wünsche 48, Die Landstreicher 154. — Ballet und Pantomime: Bayer, Die
Puppenfee 100, Sonne und Erde 20, Wiener Walzer 24, Berdny, Die Hand 77, Seine
Puppe 40, Hellmesberger, Die Perle von Iberien 19, Hertel, Slawische Brautwerbung
13, Saint-Saöns, Javotte 18, Steinmann und Graeb, Phantasieen im Bremer Rats-
keller 12, Wormser, Der verlorene Sohn 13.
Die von der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer gegründete Anstalt für
musikalisches Aufführungsrecht hat durch ein am 1. Dezember in Kraft
getretenes Übereinkommen die ausschliessliche Vertretung der Österreichischen
Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger übernommen. Diese
letztere Gesellschaft hat demzufolge ihre Tätigkeit in Deutschland nunmehr voll-
ständig eingestellt. Da die deutsche Anstalt neben ihrem eigenen Bestände auch
über das österreichische Repertoire verfügt, ist den Veranstaltern von Aufführungen
in Deutschland die Möglichkeit geboten, für die Werke beider Anstalten die ge-
setzlich erforderlichen Aufführungsgenehmigungen von einer einzigen Stelle zu
erlangen. Wegen Abschlusses eines ähnlichen Vertretungsverhältnissea sind mit
den entsprechenden Vereinigungen in Frankreich und Italien Verhandlungen im
Gange.
TOTENSCHAU
Ein gelegentlicher Mitarbeiter unserer Zeitschrift, der hervorragende Musik-
schriftsteller Joseph Sittard, langjähriger Musikkritiker des »Hamburger Korre-
spondent* ist am 24. November im 58. Lebensjahre in Hamburg einem Herzschlag
erlegen. In Aachen geboren, studierte er am Stuttgarter Konservatorium, an dem
er später als Lehrer wirkte, bis er der Redaktion des Hamburger Blattes beitrat.
Neben zahlreichen Referaten, Kritiken und kleineren Studien verfasste er eine
»Geschichte der Kirchenmusik*, »Geschichte des Konzertwesens in Hamburg* und
die »Geschichte der Musik am württembergischen Hofe*.
Kammersänger Kaspar Bausewein (geb. 1838), von 1858—1901 Mitglied der
Münchener Hofoper, ist in München gestorben.
Geheimer Intendanzrat Ferdinand Diedicke, Intendant des Herzoglichen
Hoftheaters, ist am 17. November infolge eines Schlaganfalls plötzlich verachieden.
Crescenzio Buongiorno, Komponist der Opern »Michel -Angelo*, »Das
Erntefest* und »Ein Mädcbenberz* ist am 7. November im 40. Lebensjahr zu Dresden
nach langem Leiden gestorben.
Der Komponist und Musikscbriftsteller Dr. August Reistmann vertchled
bei Wiesbaden im 78. Lebensjahre.
IlL 6. 2Q
OPER
AMSTERDAM: Bei der »Niederländischen Oper« (Stadttheater) kehrte ein beliebter
Gast ein: Frau Madier de Montjau. Mehr durch ihre einnehmende Persönlichkeit
und ihr reizvolles Spiel, als durch ihre Stimmmittel wusste sie die schwirmerische Tochter
Capulets in Gounod's etwas zu süsslicher Oper » Romeo und Julie« ergreifend darzu-
stellen. Von den übrigen Mitwirkenden seien noch hervorgehoben: Phlippeau (Romeo),
van der Hoek (Capulet), van Duyren (Pater). Die »Neue Niederlindische« Oper (Paleis)
hatte weder Muhe noch Kosten gescheut, die »Herbergsprinzess* von Jan Blockx glanzvoll
aufzuführen. Das viele Schönheiten enthaltende Werk hatte unter der Leitung des Kom-
ponisten einen grossen Erfolg. Von den Hauptdarstellern verdienen besonderes Lob Frau
Coini (Rita), Orelio (Rabe), Pauwel (Merlyn), Koster (Bluts); ein grosses Verdienst an dem
glänzenden Erfolge ist dem Regisseur Coini zuzuschreiben. Hans Augustin.
BERLIN: .Der Waffenschmied.« Das Premieren publikum war mobilisiert worden, weil
in dieser Oper Frl. Kauffmann von Wiesbaden als Waffenschmieds -Töchterlein
debütieren sollte. Der Erfolg war spirlich. Frl. Kauffmanns Stimme fühlte sich anscheinend
wenig heimisch im weiten Raum des Opernhauses, zudem machte sie beim Vortrag einen
so ausgiebigen Gebrauch vom portamento, dass alle feinere Charakteristik verloren ging.
Herr Wittekopf als Waffenschmied war gleichfalls von einer sehr summarisch allgemeinen
Art. Die Herren Nebe und Lieban machten wohl in den beiden humoristischen Rollen
ihre Sache ausgezeichnet, und Herr Hoffmann charakterisierte seinen Ritter und Schmiode-
gesellen fest und markig wie immer — aber alles in allem blieb es ein matter, eindrucks-
schwacher Abend. Das ist unzweideutig auszusprechen, doch nicht minder unzweideutig
abzuweisen sind die Folgerungen, die das geschwitzige, geschiftige Vorurteil daran an-
knüpft. Was Frl. Kauffmann anlangt: vederemo; ein Debüt beweist nichts, und in Wies-
baden soll sie sich bewihrt haben. Wichtiger sind die Folgerungen, die mit Fingern
auf die »neue Ära« weisen. Wer, wie der ergebenst Unterzeichnete, nach gewissen
Symptomen gegen Herrn von Hülsen voreingenommen war, und dann nach der Meister-
singer-Aufführung, deren Spiritus rector der neue Herr war, zugeben musste: hier zeigt
sich ein Regie-Talent von nicht gewöhnlicher Art — der wird auch diesmal vorsichtig sein.
— »Manon.« »Und das ist die Geschichte — von Manon Lescaut«: sie ist eine Magdalena,
eine schöne Sünderinne, die ins französische 18. Jahrhundert hineingeraten ist, jene Rokoko-
kultur, die alles verzierlichte, verniedlichte, die selbst Leidenschaft und Liebe nur in
Diminutivform gelten Hess. Dass diese Manon viele Amouren hat, würde man ihr nicht
verübeln ; aber sie weiss die Reihenfolge ihrer Amouren so zu ordnen, dass sie dabei Karriere
macht, und daa ist fatal. Doch man wird versöhnt, als im Zenith ihres Reichtums die
wirkliche Magdalenanatur in ihr wach wird. Sie sucht wieder ihre reinste, leidenschaft-
lichste Liebe auf: einen Chevalier, der sie einst vom Kloster gerettet hat, und den sie nun
ihrerseits, da er Abb6 werden soll, der Kirche nicht gönnt. Das wird ihr Verhingnis.
Die Verwandten des Chevaliera retten diesen vor seinem lasterhaften Liel>chen und setzen
es durch, dass die gefihrliche Kleine als Verbrecherin deportiert wird. Auf dem Wege
zur Galeere stirbt sie, aber sie stirbt in den Armen ihres Chevaliers, der einen letzten
Versuch zu ihrer Beft^iung machte. Den Stoff gab ein Roman des 18. Jahrhunderts.
Der Abb6 Prdvost d'Fxiles hat ihn geschrieben. Es steckt noch viel Rousseauscher Idealis-
451
KRITIK: OPER
mus in der .hittolre du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut*, und mindettent
ebenso wichtig wie das süsse Luderchen Manon ist dem alten Abb6 der schwirmerisch
gute Chevalier des Grieux. Der Operntext ist einer anderthalb Jahrhundert späteren
französischen Kultur angepasst: die kleine Grisette ist in den Mittelpunkt gerfickt, der
Chevalier wird blosse Dekoration. Die Musik, die Massenet zu diesem Text geschrieben
hat, ist in gewisser Hinsicht wirklich sehr stilgerecht. Sie Hebelt nimlich ebenso stark
und ebenso vielseitig wie die leichtsinnige Manon. Bald geht sie alten Suiten nach, bald
hilt sie es mit der jungen Italieneroper, bald mit einem deutschen Klassiker. Nur die
Leidenschaft, die Manon doch schliesslich beherrscht, die fehlt ihr. Nie wird Massenet
so flach, so banal, als wenn er Seelisches darstellen soll. Nie aber wird sie auch unter-
haltender, als wenn sie tänzeln und graziös sein darf. Der Massenet dieser Oper ist
ein Causeur, ein Mann von gesellschaftlichen Talenten, ein Salonfranzose von Geblfit
Man begreift sehr wohl, dass diese Manon in Paris entzücken konnte, in Berlin aber
wird sich schwerlich eine Filiale für Massenet gründen lassen. Unseren Opemkfinstlem
fehlt die Leichtigkeit zur Darstellung solcher Figuren, und es ist eigentlich ein Kompliment,
wenn man Frl. Farrar (Manon), Herrn Naval (Chevalier), Herrn Hoffmann (Lescaut) und
den andern nachsagt, dass sie künstlerisch zu schwerfällig sind für Aufgsben, wie sie
sie an diesem Abend hatten. Hervorzuheben ist an der musikalischen Leitung (Dr. Muck),
dass sie die Einzelkräfte straffer als früher zusammenhielt. Es fehlt uns noch immer
an einem wirklich organischen Ensemble auf der Bühne, und wenn zu dessen Heraus-
bildung die Einstudierung der »Manon* auch nur einiges beigetragen hat, dann wollen
wir uns ihrer gern noch lange erinnern. Willy Pastor.
BRAUNSCHWEIG: Die Hofoper bot in den letzten Wochen als glänzendes Dreigestim
»Tristan und Isolde* von Wagner, den wirklichen und den zweiten »Fidelio*, wie
Liszt pBenvenuto Cellini" von Berlioz nennt; derjenige Beethovens gestaltete sich su
einer aussergewöhnlichen Festvorstellung, weil an dem Tage (1. Nov.) Hofkapellmeister
Riedel auf eine 25jährige hiesige Dirigenten-Tätigkeit zurückblicken konnte; er wurde
mehr als irgend ein Künstler während des letzten Jahrzehntes gefeiert. Berlioz war oft
und gern in Braunschweig, da seine Werke durch die Hofkapelle eine vorzügliche Wieder-
gabe erfuhren und vom Publikum günstig aufgenommen wurden. Als Vorfeier für den
100jährigen Geburtstag des Meisters wurde die genannte Oper einstudiert und fand am
28. Nov. eine geradezu glänzende Wiedergabe. Die Herren Oberregisseur Frederigk und
Riedel hatten das Werk gewissenhaft vorbereitet. Für die erkrankte Kollegin Schönfeld
sprang Frl. Bräunig (Ascanio) ein und lieferte damit einen vollgültigen Beweis musikalischer
Schlagfertigkeit. Die Damen Ruzek und Bräunig, sowie die Herren Gritzinger, Grahl,
Jellouschegg und Nöldechen boten vorzügliche Leistungen. Ernst Stier.
BRESLAU: Nach mehr als zweimonatlicher fieberhafter, aber recht oberflächlicher musi-
kalischer Tätigkeit brachte die Oper ihre erste Novität heraus und zwar an Stelle der
ursprünglich in Aussicht genommenen italienischen Sensation «Tosca* das zahme deutsehe
Bühnenspiel .Lobetanz*, Text von O. J. Bierbaum, Musik von Ludwig Thuille.
Von dem Buche dieses Werkes hatten wir vor der unmittelbaren Bekanntschaft viel
Wundersames vernommen. Daher gab es eine Enttäuschung durch das wenig dramatische,
in der Personen-Charakteristik ganz skizzenhafte, nur im sprachlichen Ausdruck von der
Schablone abweichende Libretto. Thuilles Partitur ist vornehm, beredt, nicht arm an
Ijrrischen Schönheiten, von einem Meister der Kunst instrumentiert, aber die Herzen zu
zwingen, fehlt ihr die eigene Kraft ursprünglicher Melodieen-Erfindung. Die Aufführung —
Kapellmeister Prüwer, Regisseur Kirchner — war sorgsam. Den unzählige Lieder singenden,
viel Monologe sprechenden, fieissig turnenden Titelhelden vertrat Herr Siewert mit einer in
allen diesen Disziplinen gleich angenehmen Gewandtheit. Als Geiger sekundierte ihm Herr
29^
452
DIE MUSIK III. 6.
Henorichs. Der bleicbsüchtigen, Prinzessin gab die gesangliche Meisterschafc von Frl.
Pewny mehr Relief, als dem .Midel von 16 Jahren« zustand. Dr. Erich Freund.
BUDAPEST: In der Aufrollung des diesjährigen Novitäten program ms gab es in der
königlich ungarischen Oper gleich an dem ersten Premierenabend eine kleine Sen-
sation. Ein junger ungarischer Komponist erzielte mit seiner Erstlingsoper einen Erfolg,
wie er hier seit .Hansel und Gretel« keinem Werke beschieden war. Der geniale
Autor heisst Eduard Poldini und sein kleines JMeisterwerk, ein knapper Einakter von
kaum einer Stunde Spieldauer, führt den Titel »Der Vagabund und die Prinzessin*.
Der Oper liegt als Libretto das Andersensche (von A. Seligmann auf gefällige Verse ab-
gezogene) Märchen »Der Schweinehirt* zugrunde. Der Prinz wirbt mit Rosen und
Liedern um die Prinzessin. Das hochmütige kleine Ding weist ihn ab. Da erscheint
etir fahrender Spielmann mit einem Marionettentheater. Die Püppchen spielen so ent-
zueilend, dass die Prinzessin den hübschen Kram um jeden Preis haben möchte. Der
Spielmann — natürlich der Prinz — stellt den Preis freilich hoch: hundert Küsse von
der Prinzessin will er haben. Die stolze Schöne willigt nach einiger Entrüstung ein.
Der prinzUche Vagabund küsst die Holde über den Rhythmen einer entzückenden Ga-
votte, indes die Hofdamen schnatternd die Küsse zählen. Der Lärm weckt den König,
der mit seinem Hofstaat herbeieilt und das ungeratene Kind von Haus und Hof jagt
Noch ist aber ihre Strafe nicht voll, denn auch der Prinz gibt sich ihr nun zu erkennen
und verlässt sie zur selbigen Stunde. Die Musik, die Poldini zu diesem reizvoll-naiven
Text komponiert hat, ist die feinste, duftigste, poetischeste und — witzigste, die wir seit
vielen Jahren gehört haben. In dem kleinen Werk kichert und kost der Esprit,
die Grazie Aubers, blüht und schmachtet die süsse Sinnigkeit Schumanns. Die geist-
volle Persiflage, die der Komponist überdies in seine Partitur schmuggelt, bietet für den
Kenner eine ergötzliche Pikanterie für sich. Leider verbietet uns die Enge des uns zur Ver-
fügung stehenden Raumes ein näheres Eingehen auf die einzelnen Details des bewunderungs-
würdigen Werkchens, doch glauben wir uns der Mühe entheben zu dürfen, da das Werk
ja zweifellos sich binnen kurzem alle Bühnen Mitteleuropas erobern dürfte. Die von Kapell-
meister Kemer einstudierte Oper erzielte, wie erwähnt, einen stürmischen Erfolg, der sich in
nicht weniger als fünfzehn Hervorrufen der Hauptdarsteller — des FrL Szoyer und des
Herrn Gabor — manifestierte. — An demselben Abend gelangte gleichfalls als Novität
die einaktige dramatische Oper »Der Nebelkönig« von dem jungen Komponisten Emil
Äbränyi zur Aufführung; ein Werk, das in Stil und Technik über Wagner hinaus zu
Richard Strauss hinüberstrebt, aber bei aller Massloaigkeit des WoUens in seinem melo-
4i8chen wie dramatiachen Gehalt von einem bedeutenden, kraftvoll-eigenartigen Talent
Kunde gibt Der Komponist, der sich in der Leitung des Werkes auch als hochbegabter
Dirigent erwies, wurde mit den Vertretern der Hauptpartieen — Frau Vasquez und Herrn
Bochniiek — gleichfalls durch vielfache Hervorrufe geehrt Dr. B61a Diösy.
BUENOS-AIRES: Der Erfolg von Berlioz' »Pausts Verdammung« in seiner Fassung
als Bühnenwerk ist andauernd. Es wurde ungefähr acht Mal aufgeführt. Die Abon-
nenten, die im allgemeinen mehr Geld als Verständnis für Kunst ihr eigen nennen,
sträuben sich gegen Wiederholungen: eine für den Impresario bedenkliche Tendenz, in-
sofern — bei dem System der alljährlich frisch importierten, mit verschiedenem Re-
pertorium ausgestatteten Sänger» dem ebenso fremden Chor und Orchester, und bei der
Verpflichtung, während der nur dreimonatlichen Spielzeit drei oder vier völlig neuen Werke
einzustudieren — eine derartige Abwechslung zur Unmöglichkeit wird, zumal, wenn der
gleichfalla importierte Kapellmeister.eher seinem künstlerischen Gewissen ais materiellen
Interessen zu genügen bestrebt ist In der Ausflndigmachung einer tüchtigen Kraft, die
einigermassen nach jeder Seite hin zu befriedigen imstande ist, liegt denn auch der
453
KRITIK: OPER
Schwerpunkt der Weisheit des Unternehmers. Man hat es hier verstanden, in einer
Saison sechs völlig neuen und drei Reprisen längst vergessener, nebst zehn allerseits be-
kannter Opern auf die BQbne zu bringen. Die Abonnenten waren befriedigt uhd die
Kunst trauerte. ~ Von allen in den letzten Jahren hier engagierten Dirigenten hat
Maestro Toscanini, vom Mailänder Scalatheater, am besten das schwierige Amt auszti-
füllen verstanden, indem er für die aufzuführenden Neuheiten auf Verpflichtung der
Hauptkunstler, sowie teilweise des Chors und Orchesters bestand, die die betreffenden
Werke in Mailand mit aus der Taufe gehoben hatten. Dadurch war viel gewonnen und
wenn nicht im Moment der Einschiffung eine Primadonna untreu geworden wäre, so
hätte man fast das ganze Repertoire flx und fertig gehabt. — Als zweite Neuheit ging
Humperdincks »Hansel und Gretel" in Szene. Es war ein WagstOck, vor diesem
nüchternen, der Poesie unserer gemutvollen Märchen- und Sagenwelt so fem stehenden
Kreolen-Publikum, ein derartiges urdeutsches Werk zur Auffuhrung zu bringen. Hatte
doch ein vielgelesenes Blatt schon vorher von »kindischer Albernheit* gesprochen, was
allerdings kaum zu verwundern ist in einem Land, wo man in Mephisto nur die Kari-
katur und in Hans Sachs nur den Schuster sieht! Dank der durchaus stilvollen Dar-
stellung und wunderbaren Musik hat denn doch der intelligentere Teil des Publikums
begriffen, dass er sich vor ein, in seiner Eigenart kostbares Kleinod gestellt sieht, wozu
allerdings das Verhalten unseres europäischen Publikums viel beigetragen hat. .Hansel
und Gretel", von ersten Kräften gegeben, gelang prächtig. Frische, gutgeschulte Stimmen,
natQrliches Spiel, passende Gestalten und überzeugender Vortrag machen aus den Damen
Ferraris, Farneti und Guerrini Interpreten, wie man sie schwerlich auf italienischen
Bfihnen heute zusammenfinden durfte. Die ganze Auffassung und szenische Aus-
stattung ist eine ideale, erfüllt uns Deutschen mit Stolz und macht uns den befremdenden
Sprachwechsel fast vergessen. Die wärmste Aufnahme fand das wundervolle Werk begreif-
licherweise in einer speziell der deutschen Kolonie gewidmeten sogenannten populären Vor-
stellung zu erniedrigten Preisen (immerhin 14 Mark für den Parkettsitz!), wo All-Deutsch-
land in Jugenderinnerungen schwelgte. Während man im Abonnement den Abend mit
Wagners Waldweben, Vorspiel und Liebestod Isoldens ausfüllte, die befriedigend ausgefl^hrt
wurden, zog man für diese Extravorstellung\die beiden ersten Akte von Berlioz' »Fausts
Verdammung* hinzu. Man kann behaupten, dass seit dem Erscheinen der »Meistersinger*
(1888) und des »Tristan* (1901) kein Buhnenwerk die kleine Schar von Kunstverständigen
so hingerissen hat, wie Humperdincks »Hansel und Gretel*. F. G. Hartmann.
DARMSTADT: Während die hiesige Konzertsaison in den Monaten Oktober und No-
vember eine hier noch kaum dagewesene numerische und kfinstlerische Höhe er-
reichte, ist von den Vorstellungen unseres Hoftheaters wenig von allgemeinem Interesse
zu melden. Eine Reibe von Auffuhrungen galten Gastspielen auf Engagement, die zum
Resultate hatten, dass Fanny Pracher für das jugendlich-dramatische Fach, Alfred Stephani
als seriöser Bass und Joseph Salcher als Tenorbuffö von der nächsten Saison ab fQr
unsere Hofoper verpflichtet wurden. An Premieren gab es zwei: Supp^'s »Boccaccio*, der
in lebensprühender Inszenierung und glänzender Ausstattung fast wie eine Novität wirkte,
und Karl von Kaskels Volksoper »Der Dusle und das Babeli*, der auch hier,'dank der präch-
tigen Leistung Klara Roedigers als »Babeli* und der historisch-treuen Inszenesetzung, der
verdiente Erfolg treu blieb. Ende November begann mit »Rienzi* ein Richard Wagner-
Zyklus, der bei aufgehobenem Abonnement und zu ermässigten Preisen in den Monaten
Dezember und Januar sämtliche auffuhrbaren Werke des Meisters in chronologischer
Reihenfolge und strichlosen Aufführungen bringen soll. H. Sonne.
DRESDEN: Massenet's vieraktige Oper »Manon* war, obwohl sie schon in vielen
deutschen Städten aufgeführt worden ist, für Dresden noch neu und wir lernten sie
.'
454
DIE MUSIK 111. 6.
am 28. November kennen. Der Erfolg war freandlich, ohne durchschlagend zu sein.
Dass die Hofoper ihre besten Krifte dafür einsetzte, war selbstrerstindlich, aber Frau
Vedeldnd liess in der Titelpartie allzu sehr jene Anmut und Schönheit vermissen, durch
welche die ganze Handlung erst wahrscheinlich wird. Die Musik selbst geht trotz vieler
Feinheiten, die sich besonders in den Tanzsfltzen zeigen, zu wenig in die Tiefe, um auf
die Dauer fesseln zu können; sie ist zu sehr dem Kopfe, zu wenig dem Herzen ent-
sprungen. Ein interessantes Gastspiel absolvierte Frau Aino kkt€ von der Pariser Oper
als Elsa und Margarete. Die in Finnland geborene Künstlerin sang die erste Rolle
deutsch, die zweite französisch und erwies sich als Sängerin von sehr schöner und aus-
gezeichnet geschulter Stimme, zu der eine treffliche Textaussprache und ein ausdrucks-
volles Antlitz sich gesellen. Bei aller Vertschitzung ihrer Kunst und Kunstbegeisterung
vermisste man aber in ihrem Gesang und Spiel die innere Vflrme, den Herzenston, ohne
die wir uns gerade 'die von Frau Akt6 gewählten Rollen nicht vorstellen können. Das
Haus war beidemal trotz wesentlich erhöhter Preise ausverkauft und die Gastin hatte
sich Sber mangelnden Beiftill sicher nicht zu beklagen. F. A. G ei ssler.
ELBERFELD: Die respektable Höhe, die unsere Oper in dieser Saison gegenüber der
letztverflossenen bisher erreichte, wurde auch bei den November-AuffQhrungen l>e-
hauptet. In der nach jeder Richtung hin gelungenen Aufführung der »Meistersinger*
unter Baldreich trat neben dem herrlichen Hans Sachs Whitehills noch der Valter
Stolzing Menzinsky's, der David Sorani's und das Evchen Alice Kallina's hervor. Der
Beckmesser Haukes war gesanglich noch nicht genug auf den Beckmesserton gestimmt.
Die Regie Goldbergs bot in den Volksszenen buntbewegte, farbenbreiche Bilder.
Villi Birrenkoven, der Hamburger Heldentenor, bot als »Tannhfluser* eine durch
Manieriertheit und Outriertheit minderwertige Leistung. Unter Cassirers Leitung gab es
eine würdige Aufführung der «Zauberflöte* in prunkvoller Ausstattung. Zur Abwechslung
war auch die französische und engliche Operette auf dem Spielplan vertreten; mit Alice
Nowa als reizender Darstellerin der Titelrolle erwarb sich Audran's »Puppe* und in
glinzender Ausstattung Sullivan's »Mikado* viele Freunde. Ferdinand Schemensky.
FRANKFURT a. M.: Vebers »Oberen* wurde nach jahrelanger Ruhe dem Spielplane
wieder zugeführt, diesmal in der textlichen Bearbeitung von Grandaur, die dem
Verke unbedingt zu gute kommt, und mit den Rezitativen von Franz Wüllner, der mit
seinem treuen Bettreben, das Hinzugeschafliene im Geiste Vebers zu halten und damit
das stilistische Niveau des Ganzen zu heben, gewiss Anerkennung verdient, dabei aber
doch auch in den ohnehin gemichlichen musikalisch-dramatischen Dahinfluss der Oper
noch einige weitere Breiten hineingetragen hat, die sich namentlich im dritten AufiEug
fühlbar machen. Die Neustudierung geschah mit Liebe und Fleiss, auch mit möglichstem
Aufwand von Prospekten und Maschinen. Herr Borgmann ist ein guter, jugendlich-
sympathischer Hüon; aber Frau Greflf-Andriessen, die Rezia, hfltte wohl mit Frau Hentel-
Schweitzer, welche die Roschana gab, die Rollen tauschen sollen. Dabei bitte die Ozean-
Arie an stimmlicher Vucht verloren, im übrigen wflren die Krflfte besser balanziert ge-
wesen. Sehr gut macht sich Herr Schramm als Scherasmin; dessen Partnerin gab ein
Gast aus Braunschweig, FrL Alten, schlicht und recht. Hans Pfeilschmidt
FREIBURG i. B.: Am 15. September eröffnete unser Stadttheater seine Pforten; die
Opemauffühningen bewegten sich so ziemlich in den üblichen, zum Teil recht aus-
getretenen Repertoiregeleisen; neueinstudiert erschienen Cornelius' feingearteter »Barbier
von Bagdad*, Auber's »Stamme von Portid* und Verdi's stets gern gehörter »Falstaflf".
Im Lauf der Saison seilen noch Massenet's »Gaukler unserer lieben Frau*, Goldmarks» Götz
von Berlichingen* und Donizetti's »Don Pasquale* in neuer Bearbeitung herauskommen.
Der Theatemeubau schiebt sich aus hier nicht zu erörternden Gründen etwas hinaus
doch hofft man im kommenden Frühjahr damit beginnen zu können. V i c t. Aug. Loser.
455
KRITIK: OPER
GENF: Der Spielplan unseres stidtischen Theaters zeigt ungefähr dasselbe Bild, das
wir seit langer Zeit zu sehen gewohnt sind. Von Opern Icamen zur AufPfihrung:
.Margarethe*» „Die Hugenotten*, «Afrikanerin*, «Lakm6*, «Teil*, »Die Favoritin*, »La vie
de Bohtae* (Puccini), »Samson und Dalila*, »Der Herr Kapellmeister* (PaSr), »DieJQdin*, »Die
Glocken von Corneville*, »Miss Helyett*, »La Poup6e* usw. Aus dem Bereich des Ballets
ist»Coppelia* von D6Iibes, sowie »Le Printemps* von Blanchereau, zu erwähnen. Als Novität
gelangte die komische Oper »Muguette* von E. Missa zur Auffuhrung, deren Ausstattung
und Vorführung vortrefflich war. Der Komponist leitete persönlich die Vorstellung und
wurde lebhaft gefeiert. Sämtliche Darsteller, Chor, sowie Orchester leisteten durchweg
Tfichtiges. Was die Musik anlangt, so bekundet der Komponist in der Verwendung der
Orchestermittel reiche Erfahrung und grundliche Einsicht. Prof. H. Kling.
HALLE a. S.: Provinzbuhnen und Opern-Novitäten stehen meist miteinander nicht auf
gutem Fusse. Auch f&r Halle trifft dieser Satz zu. Die beiden Opern von Leo
Blech und d'Alberts »Abreise* werden für uns wohl noch auf längere Zeit »mehrere
Unbekannte* bleiben, mit denen wir gern »rechnen* möchten, doch unsere ffirsorgliche
Theaterdirektion versagt uns bis auf weiteres jede Anstrengung und schwere Kost.
»Madame Sherry* allein ward bisher für geniessbar befunden und erfreute sich einer
freundlichen Aufnahme. Nur Neueinstudierungen beherrschen das Repertoire. »Die Stumme
von Portici*, Verdi's »Maskenball* nötigen Achtung ab; »Mignon* und »Carmen* gaben
Sigrid Amoldson Gelegenheit zu zeigen, dass mit des Geschickes Mächten kein ewiger
Bund zu flechten ist. Das Unglück, die Abnahme der Stimmmittel, schreitet auch in
diesem Falle schnell. Gesanglich wie darstellerisch soll dagegen Fr. d'Andrade als Don
Juan noch ganz auf der Höhe seiner Kunst gestanden haben. Ein bedeutsames Ereignis
bildete die Siegfried-Aufführung mit Dr. Banasch als Gast auf Engagement in der Titel-
rolle. Da sich unser neuer Heldentenor trotz seiner glänzenden Höhe als nicht be-
sonders geeignet erweist für Wagners Tondramen, so erregte das Gastspiel natürlich
lebhaftes Interesse. Der Gast blieb als Sänger uns so manche Feinheit in den lyrischen
Episoden des zweiten und dritten Aufzuges schuldig, traf aber sonst so vortrefflich den
rechten Ton und wusste durch sein wohldurchdachtes Spiel so lebhaft zu interessieren»
dass sein Engagement schon jetzt so gut wie sicher sein dürfte. Die Herren Soomer
(Wandrer), Gruselli (Mime) und Raven (Alberich) und Lisbeth Stell (Brünnhilde) entsprachen
im allgemeinen höheren Anforderungen, und vor allem trug unser ausgezeichneter Kapell-
meister Bernhard Tittel wesentlich dazu bei, die Aufführung zu einer der besten zu
machen, die Halle je gesehen hat. Martin Frey.
HAMBURG: Eine Menge kostbarer Zeit und sehr schätzbaren Talentes wurde an die Ein-
studierung einer neuen Oper »Adrienne Lecouvreur* vergeudet, ohne dass auch
nur irgend wer, sei es das Publikum, oder die Sänger, oder die geschäftlichen Leiter des
Theaters, oder gar die Kunst, von diesen Opfern den geringsten Vorteil gehabt hätte.
Mit drei Aufführungen war der Fall erledigt, wie so viele seiner Vorgänger. Und es
musste so kommen — das sagte dem einigermassen Kundigen schon ein flüchtiger
Blick in das dramaturgisch entsetzlich ungeschickte Textbuch, in den kläglich hohlen
Klavierauszug dieser »Adrienne Lecouvreur*. Dass dies Werk, in dem zwei Männer, die
beide vom Wesen der Bühne keine Ahnung haben: Colautti, der Librettist, und Gilda,
der Komponist, sich die Hand reichen, zur Ehre einer deutschen Uraufführung in Hamburg
kam, gehört zu den Unbegreiflichkeiten. Der Textdichter ist von den beiden der Schlimmere.
Denn schon, dass er auf das Rezitations-Drama »Adrienne Lecouvreur*, ein Drama, das
vom Wesen des deklamierten Wortes existirt, verflel, war ein ästhetischer Missgriflf.
Fragen über pathetische oder realistische Deklamation lassen sich in einer Oper nun
einmal nicht anstragen. Ausserdem beging er den Fehler, den Scribe in den komplizierten
456
DIE MUSIK III. 6.
Texten glücklich vermieden hat: Scribe, der Tbeaterkenner, legt die Intriguen in sicher
verständlichen Dialogen offen hin; Colautti versteckt sie in musikalische Ensemblesfltze
und vernichtet damit eine Grundbedingung der theatralischen Wirkung: die Deutlichkeit
Cilda's Arbeit vermehrt die grosse Zahl der vollkommen Qberflussigen Partituren. Seine
Musik ist nicht einmal schlecht, aber erst recht nicht gut. Die armseligen Kinder seiner
Melodie y die im Klavier- Auszug so pauvre anlassen, erscheinen in dem orchestralen
Gewände ja ganz passabel, denn »Kleider machen ;Leute* auch in der Musik. Scheinbar
wenigstens. Aber diese Musik Cilda's, die so absolut unvertieft neben den Worten und
den Situationen herrennt, ohne sichj dem Drama zu amalgamieren, bringt es Qber das
fatale „in den Ohren krabbeln* nirgends. Sie sagt dem Musikdramatiker nichts und
dem absoluten Musiker -— der Oberhaupt besser gar nicht ins Opernhaus gehen sollte —
recht wenig. An Cilda's Kunst ist die Zeit vorübergegangen, ohne ihr irgend ein Merkmal
aufgedrückt zu haben. Wo Gilda beute steht, stand Meyerbeer schon vor 70 Jahren. Und
dann machte er das alles viel impulsiver und mit einem brutalen Instinkt, der wenigstens
ein Ziel erreichte. So kommt es, dass Gilda mit einer ganz anständigen, homophon-primi-
tiven aber gut klingenden Musik uns den ganzen Abend stört, indem er sich zwischen uns
und die Klarheit des Dramas stellt. Der echte musikalische Dramatiker, der Gharaktere
vertiefr, stellt Brücken zwischen uns und dem Innersten des Dramas her — Gilda be-
müht sich, mit Ausdauer und Erfolg, sie abzubrechen. Was sollen wir mit solchen Werken,
wenn sie auch noch so gesinnungsbrav sind! Die Aufführung, von Gille einstudiert und
mit Elan geleitet, stand hoch über dem Werke. Frau Frflnkel-Glaus sang die Titel-
rolle, Pennarini den Moritz von Sachsen. — Neueinstudiert erschien auf dem Spiel-
plan OflPenbachs phantastische Oper „HoflPmanns Erzflhlungen^S Mir will scheinen,
dass mancher durch eine Dberschitzung dieses Werkes gut zu machen sich bestrebt,
was er vielleicht durch Unterschfltzung des Oprettenkomponisten Offenbach gesündigt
hat. Dass der „maltre suprdme du genre cochon^^ in dieser Oper aus seiner Haut gefahren
sei und etwas von ihm nicht zu Erwartendes in ihr geleistet habe, kann ich nicht
recht einsehen. Es ist guter, zum Teil bester Offenbach in diesen^ „HofTmanns Erzählungen*^.
Aber die „Helena*^ oder die „Gerolstein^ sind mir musikalisch ebenso lieb und textlich
unendlich lieber. Gustav Brecher dirigierte die Oper meisterhaft, wie alles, was er anfasst.
Als Gast machte der Tenorist Theodor^Konrad von der Breslauer Oper seine Aufwartung
und dokumentierte, bei bescheidenen stimmlichen Mitteln, als „Tannhfluser^ und „Samson**
soviel überzeugende und mitreissende darstellerische Schwungkraft, dass die Direktion sich
zu einem Probe-Engagement entschloss. Konrad tritt 1905 an die Stelle des von Mahler
nach Wien entführten Willi Birrenkoven. Heinrich Ghevalley.
KASSEL: Zu einem hocherfreulichen Ereignis gestaltete sich die Uraufführung der
Märchenoper «Dornröschen* im Königl. Theater. Hans Eschelbach hat nach
dem allbekannten Märchen, unter szenisch sehr wirksamer Benutzung von dessen Haupt-
momenten, ein prächtiges Opernbuch geschrieben, das ein Vorspiel und drei Akte ent-
hält und sich durch poetisch wertvollen Gehalt an Gedanken und Sprache auszeichnet
Was wusste man bisher von dem Musiker August Weweler? Mit um so lebhafterem
Interesse wurden in den letzten Tagen sein Name und musikalisches Gredo in den Kreis
der Betrachtung gezogen. Ein innigerer Zusammenhang von Musik und Text ist kaum
zu denken, als Weweler ihn schuf, so ganz und überzeugend bringt er die Märchen-
stimmung zum Ausdrucke, so treffsicher sehen wir die zahlreichen Personen charak-
terisiert Weitgehende Satz- und Harmonisieningskunst im Sinne unserer Tage, blühen-
des Kolorit der Instrumentiening, kurz, eine aus dem Vollen schöpfende Orchestertechnik,
bildet die solide Grundlage seines Schaffens. Von dieser ans schlug er mit seltenem
Geschick zurück ins Märchenreich die Brücke; deren Pfeiler aber sind Melodieen, fast
457
KRITIK: OPER
unübersehbar an Zahl, sehr verschieden in Gestalt und AusschmQckung, mit einander
verwandt in reizvoller Originalität. Die wesentlichen Figuren Domröschens, der Liebe,
der Sorge und des Prinzen haben sinnige Motive erhalten. So erscheint das Ganze als
eine in echte Opemform gebrachte überaus glückliche Illustrierung eines urdeutschen
Märchens. Die Aufführung war unter Dr. Beier eine recht gute. Paul Hiller.
KÖLN: Das neue Stadttheater brachte als Uraufführung eine der Opern, die bei der
von Kommerzienrat Simon in Königsberg vor einiger Zeit ausgeschriebenen Volks-
oper-Konkurrenz das negative Resultat der Nichterteilung des ausgesetzten Preises ge-
zeitigt haben: »Heimkehr*, Oper in zwei Akten von Carl Pottgiesser. Der Komponist
hat sich selbst nach einer alten und schon in allen möglichen Formen variierten Idee das
schwache Textbuch zurechtgemacht. Es handelt von einem aus der Kriegsgefangenschaft
heimkehrenden und zu Hause bereits totgeglaubten jungen Bauer, dessen Braut sich
eben mit einem andern Manne verheiratet hat. Resultat: Drei geknickte Herzen und
zwei Leichen. Die Musik zeigt Pottgiesser als gemässigten Modernen. Es fehlt nicht
an frischer Erfindung, solange er ganz schlicht bleibt und auch Sinn für gute Klang-
wirkungen ist zu beobachten. Wenn auch nicht bedeutend, so doch vielfach ganz inter-
essant, ist die orchestrale Arbelt; die Instrumentierung verweist durchweg auf den
gediegenen Techniker, der allerdings zeitweilig in Widerspruch mit dem Szenisch-
Charakteristischen gerät. Bei den Sängern findet, abgesehen von einer Anzahl geschlossener
Nummern, die dialogisierende Form reichliche Anwendung, während das Orchester sich,
zumeist begleitend, ergänzend oder reflektierend, im Abhängigkeitsverhältniss zu den
Sängern befindet. Es fehlt Pottgiesser nicht an melodischem Flusse, aber dieser führt
keine sonderlichen Schönheiten mit sich, die man festhalten möchte. Die einzelnen
Personen reden viel, haben uns aber herzlich wenig zu sagen. Das Schlimmste aber
ist, dass des Komponisten Kraft durchaus nicht zur Wiedergabe der im Textbuch aufs
Programm erhobenen Tragik ausreicht. Obgleich von selten des Dirigenten Kleffel und
einer Schar leistungsfähiger Solisten, weiter an wirksamer Ausstattung das immer Mög-
liche getan worden war, kam es nur zu einer sehr kühlen Aufnahme. — Wagners „Tristan
und Isolde* ging nach längerer Pause neu einstudiert in Szene und zwar zeigte die Bühne
den Schmuck stilvoller Dekorationen allerjüngster Beschaffung. Für den indisponierten
ersten Tenoristen Gröbke trat Herr Birrenkoven als Tristan ein, stimmlich nicht mehr auf
der Höhe, sonst aber das Rüstzeug zu wirksamer Durchführung der Rolle aufweisend.
Frau Pester- Prosky war eine grosszügige Isolde von edler Plastik. Paul Hiller.
KOPENHAGEN: Die Vorsaison beherrschte der erste Tenor unserer königL Bühne
Wilh. Herold. Er Ist nicht fest engagiert, sondern tritt nur ein paar Monate als
Gast auf, um sich nachher anderswo engagieren zu lassen (für diese Saison in „Covent-
garden*). So lange Herold und seine Bravourrollen auf dem Theaterzettel stehen, macht
das Theater gute Geschäfte — während es um die Kunst im allgemeinen ziemlich
miserabel aussieht. Jetzt nach seinem Fortgang bringt das Repertoire als Neueinstudierung
nur — die alte „Mignon* sogar in nicht ganz gelungener Aufführung. Ohne Herold und
mit einem recht mageren Repertoire macht unsere Oper augenblicklich nicht eben einen
aufmunternden Eindruck und wird vielleicht auch geschäftlich schweren Stand haben —
bis einmal wieder ein glücklicher Griff gelingt. William Bohrend.
LEIPZIG: Donizetti's „Don Pasquale* ist in der die Handlung und den Text wirksamer
ausgestaltenden Neubearbeitung von Dr. Wilh. Kleefeld und Otto Julius Bierbaum
nun auch hier aufgeführt worden und hat dem Publikum viel Freude t>ereitet Kapell-
meister Hagel hatte die Oper gründlich einstudiert und die wesentlicheren Partieen wurden
durch Frl. Gardini (Norina) und die Herren Urlus (Emesto), Kunze (Don Pasquale) und
Gross (Doktor Malatesta) recht ansprechend wiedergegeben. Arthur Smolian.
458
DIE MUSIK III. 6.
LEMBERG: Die Philharmonie stnlc nach kurzem Dasein unter dem Druck der Schulden
und — der kurzsichtigen Presse, die, statt sich mit den Leistungen zu beschiftigen,
stets die hierorts unbeliebte Direktion in ihre Kritik hineinzog. Aus selbstverstindlichen
Gründen stieg nun das Barometer im Stadttheater. Die Saison wurde mit der »Walküre*
erölfhet. Orchester (Kapellmeister Brünette), Sänger: Bandrowski (Siegmund), Zawitowski
(Wotan), Mosoczy (Hunding), Frau Korolewicz (Sieglinde), Frau Gembarzewska (Brünnhilde),
Frau Kasjarowicz (Fricka) und die Direktion boten alles auf, um die Sachkundigen zum
Schweigen zu bringen; dies ist ihnen jedoch nur teilweise gelungen. Dr. N. Hermelin.
MADRID: Seitdem im vorigen Jahr der bisherige Unternehmer von Stiergefechten
Urana sich als Meistbietender zum Pächter des Teatro Real aufgeschwungen hat,
ist es, wie es nicht anders zu erwarten war, mit der Oper in Madrid rapid bergab ge-
gangen. Während einer ganzen Saison Bellini und Donizetti zu hören, das hilt heut-
zutage selbst der eingefleischteste Anhänger des sogenannten Belcanto nicht mehr aus,
um wieviel weniger musikalisch Gebildete! Letztere haben sich denn auch rechtzeitig
in der Presse gegen die Wiederholung eines solchen Unfiigs gewehrt. Nur ein gewisser
Carmena, angeblich »künstlerischer* Beirat des Impresario, hatte den Mut zu erklären,
dass Bellini doch einige Pesetas mehr als Wagner einbringe und dass so unendlich
langweilige Opern wie »Tristan und Isolde*, die »Meistersinger*, »Siegfried*, die
»Walküre* usw. doch noch das Rossinische .Aschenbrödel, dem er offenbar die
Rolle des Clous der Saison zugedacht, vorzuziehen sei. Von „Fidelio** behauptet er
nebenbei, dass er nirgends gefalle. Diese jeder musikalischen Intelligenz Hohn
sprechenden Äusserungen stiessen dem Fass den Boden aus, und es wurde nicht nur
nachgewiesen, dass gerade die Wagnerschen Opern sich für einen Impresario, der sein
Handwerk versteht, am besten rentieren, sondern dass auch das künstlerische Leben
einer modernen Opernbühne ohne sie eigentlich undenkbar ist. Die Freunde eines
Fortschrittes auch in der Tonkunst nahmen sich vor, dem neuen Pächter die Hölle heiss
zu machen, wenn er seine Drohung ausführen und dem Publikum wiederum ausschliess-
lich Opern vorsetzen sollte, die vielleicht ein gewisses historisches Interesse haben, die
aber weder dem modernen Geschmack mehr zusagen noch den heutigen Ansprüchen
genügen können. Herr Urana macht indes seine Drohung wahr, wie aus seiner
Abonnementsankündigung hervorgeht. Das Programm enthält in erster Linie: „Norma",
„Die Puritaner'S „Die Favoritin^, „Der Liebestrank", „Lucia", »Lucrezia Borgia*,
»Emani*, »Rigoletto*, »Troubadour*, »Maskenball*, »Force del Destino*, »Barbier von
Sevilla*, »Afrikanerin*, »Prophet*, »Hugenotten* und dann »Toska*, »Bohdme*, »Aida*,
»Mephistofeles* und „Samson und Dalila". Nicht eine neue, hier noch nicht gehörte
Oper! Da die Mehrzahl dieser Werke die Mitwirkung sogenannter stars erfordert, be-
hauptet der Impresario zu dem Zweck u. a. folgende „erstklassigen* Künstler auf längere
oder kürzere Zeit engagiert zu haben: Als Sopranistinnen: Maria Barrientos, die
Bianchini-Cappelli, Carelli, de Lorma und Micucci. Als Altistinnen: Anna Giacomini
und die Parsi. Als Tenöre: Biel, Boncl, Bassi und Franceschini. Als Baritons: Ancona,
Ardito und Rabonato. Als Bassisten : Ercolani, Parello und Verdaguer. Dazu als Orchester-
leiter Ferrari. — Es ist danach zu erwarten, dass es diesmal zu einem Zusammenstoss
zwischen den Anhängern der alten und neuen Richtung kommen wird, die sich von dem
in Kunstsachen völlig laienhaften Impresario nicht gänzlich kalt stellen lassen will, die
vielmehr entschieden verlangt, dass man dem Musikdrama und der modernen Oper die
ihnen gebührende Stellung einräumt. Allerdings fordert man auch, dass die Intentionen
der Komponisten dabei auch wirklich zur Geltung kommen und die Werke nicht auf der
Bühne und im Orchester verballhornt werden. »Lieber gar nichts als eine Profanierung,*
denken viele. Seitdem die Berliner Philharmoniker mit Nikisch hier gewesen sind und
459
KRITIK: OPER
gezeigt haben, wie Künstler spielen, ist man aucli hier in musilcalischen Kreisen sehr
anspruchsvoll geworden. Der Impresario stützt sich bei seinem Vorgehen auf die
anderen Kreise, namentlich auf die leider einen so grossen Teil des Publikums aus-
machenden reichen Modedamen, die nur in die Oper gehen, um ihre Kleider und
Diamanten auszustellen und sich während der Vorstellung Neuigkeiten zu erzählen,
während die Gatten nach dem üppigen Diner sich nach einem Schläfchen im Hinter-
grund der Loge sehnen. Dazu eignet sich allerdings die Bellinische und Donizettische
Musik besser! Diese Leute huldigen noch der Ansicht, dass sie dadurch, dass sie über
eine Sache nachdenken und sie mitzuempfinden suchen, ein Opfer bringen. Und in der
Alternative: Neues in sich aufzunehmen, es geistig zu verarbeiten und sich wo möglich
darüber zu äussern oder in bequemer Gleichgültigkeit das tausendmal Gehörte noch
einmal an sich vorbeiziehen zu lassen, optieren sie für das letztere. Dem Obelstand
kann nur dadurch abgeholfen werden, dass das Teatro Real nicht mehr wie der erste
beste Kartoffelacker an den Meistbietenden verpachtet, sondern wie eine Kulturstätte
behandelt wird, zu deren Unterhalt umgekehrt der Staat selbst beiträgt (anstatt Nutzen
daraus zu ziehen), um dann natürlich auch ein gewichtiges Wort bei der Zusammen-
stellung des Repertoires mitzusprechen. F. Matthes.
MAGDEBURG: Unser Stadttheater brachte jüngst des alten Pagrs längst vergessenes
Opernwerk: »Der Herr Kapellmeister** in modernisierter Fassung heraus, die ihm
die Herren Kleefeld und Brennert gegeben haben. «Le maitre de chapelle* ist für die
damalige Zeit ganz gewiss ein liebenswürdiger Einfall und ich stelle mir vor, wie die
Zuhörer in der grossen Soloscene des Kapellmeisters gelacht haben, als er seine grosse
Parodie auf die damaligen Opernkomponisten losliess. Aber gerade in dieser Szene
stiess das Werk auf wenig Verständnis. Was sind dem heutigen Theaterpublikum Sarti,
Rameau, Piccini, was ist ihm vielfach selbst Gluck? Wo damalige Kenner hell auf-
gelacht haben mögen, weil sie den musikalischen Witz verstanden, herrscht heut zu Tage
berechtigtes Schweigen. In der Uminstrumentierung haben die Bearbeiter des Guten fast
zu viel getan. — Eine andere Aufführung eines altern Opern werkes zog viel mehr an.
Die Einrichtung der taurischen »Iphigenie* von Gluck durch Richard S trau ss. Sie ver-
stösst nicht gegen den Geist dieses Dramas und erfolgte in Bewunderung für den
monumentalen Stil des Werkes und mit der klugen und sicheren Hand eines Meisters
der Instrumentationskunst, die hier eine Linie deutlicher macht, dort eine Farbe auf-
frischt, hier kürzt und unnötiges, die Handlung hemmendes weglässt, dort schneller und
entsprechender verbindet. Ein besonderer Vorzug der Partitur sind ihre Vortrags-
zeichen. Wie ergreifend kam, um nur eins zu erwähnen, das berühmte Bratschen-a des
Andante in der Orestszene des zweiten Aufzuges heraus. Das Orchester unter Josef
Göllrichs Leitung leistete Ausgezeichnetes. Ein Schmuck der Aufführung war die
Iphigenie des Frl. Re]]6e, einer Altistin mit umfangreichen und bedeutenden Mitteln und
von bester Schulung. Max Hasse.
NÜRNBERG: Man kann nicht sagen, dass unsere Oper in diesem Winter besser ge-
worden ist. An musikalischer Intelligenz und an gesanglichem Können ragt unser
Heldentenor Wallnöfer um mehrere Haupteslängen über seine Kollegen und Kolleginnen.
Das Repertoire bewegt sich in ausgefahrenen Geleisen ; neu einstudiert wurden „Die beiden
Schützen" und Gounods „Romeo und Julie". Eine wirkliche Neuheit brachte der ehr-
geizige Kapellmeister Weigmann in Saint SaSns' „Samson und Dalila". Chor und Orchester
stehen noch immer unter dem Durchschnitt der Mittelmässigkeit. Dr. Flatau.
PARIS: Die wichtigste Novität auf theatralischem Gebiet ist eine dritte Opernbühne,
die eine neue Direktion in der „Gait6" errichtete und welche bezweckt, nebst Novitäten
vernachlässigte Werke zur Aufführung zu bringen. So haben wir eine seit 20 Jahren
460
DIE MUSIK III. 6.
nicht gegebene Oper von Massenet »Herodiade* und eine Novität von Lambert .Flamenea*
zu hören bekommen. Ist* dem Massenetscben Jugendwerke, in dem sich bereits die Vor-
zuge und Mängel seiner Manier kundgeben, ein warmer Empfang zuteil geworden, so
kann man der Novität kaum ein langes Leben prophezeien. Dem Komponisten sind Be-
gabung und Geschick nicht abzusprechen, doch ist die Musik recht bunt und der an
Carmen sich anlehnende Text ungQnstig. Unterdessen huldigen die ständigen Buhnen
den Italienern. Während in der grossen Oper der Verdische .Othello* erfolgreich wieder
aufgenommen wurde, verlieh Puccini's Anwesenheit der ErstaufPQhrung seiner »Tosca* in
der Op6ra-Comique besonderen Glanz. Kommt in der Zunft der Kritiker manchem das Werk
zu äusserlich vor, so scheint die Teilnahme des Publikums desto lebhafter zu sein. Nennens-
wert ist noch die Reprise des Massenetschen »Werther*. Sigismund StojowskL
PRAG: Das Ereignis des November war im neuen deutschen Theater die UrauffQhrung
von Eugen d'Alberts „Tiefland* am 15. November, worin der Komponist zur all-
gemeinen Überraschung auf den Wegen des italienischen Verismo wandelt, die Orchester-
polypbonie, die thematische Arbeit preisgibt und nach welschem Muster den Text gern
auf einem Tone abrezitiert. Was konnte d'Albert in diese nun schon innerlich über-
wundene Richtung treiben, ihn, dessen polyphones Können und sprachgemässe deutsche
Deklamation durch frühere Werke über jeden Zweifel erhaben ist? Offenbar die Be-
schaflPenheit des Lotharschen Libretto's, das wie die meisten modernen Bücher Italiens
mehr literarisch als musikalisch konzipiert eigentlich auch ohne Musik als wirksames
Theaterstück gespielt werden könnte und oft nicht mehr vertrug als musikalische Unter-
malungen. Das hat d'Albert mit feinem, künstlerischen Instinkt herausgefühlt und daraus
erklärt sich das «neue Gesicht*, das der Schöpfer von «Gemot*, »Kain* und «Abreise*
hier darbietet. Den StoflT holte Rudolf Lothar von dem Dramatiker Guimera aus dem
Sumpfe hispanischen Volkslebens: man lockt den braven Hirten Pedro von den Pyrenäen
herab und verehelicht den Ahnungslosen mit der Müllerin Martha, der Maitresse des
Gutsherrn Sebastiano, den missliche Umstände zu einer reichen Heirat drängen. Die
neuen Gatten entbrennen in echter Liebe zu einander und entfliehen, nachdem Pedro
den Herrn, der das Verhältnis zu dem früheren Liebchen fortsetzen wollte, mit eigener
Faust erwürgt hat, aus der Stickluft des Tieflandes in ,'die reine Atmosphäre der freien
Berge. Der Aufbau der Handlung ist nicht sehr glücklich. Es ermüdet etwas, dass ein
szenisches Vorspiel in den Bergen durch ein symphonisches Tonstück unmittelbar (wie
in der «Götterdämmerung*) an einen langen ereten Akt gekoppelt eracheint und dass der
letzte Akt nur eine Verzögerung der unvermeidlichen, schon am Schlüsse des zweiten
erwarteten Katastrophe bringt. Dagegen muss die geschickte Führung der einzelnen
Szenen anerkannt werden. d'Alberts Musik kristallisiert sich in einigen schönen, teils
schwungvollen, teils zarten Melodieen, rührt zuweilen an Mascagni, selten an Wagner und
bannt den Hörer vorzugsweise durch die zwingende Kraft der Stimmung. Wundervoll
ist gleich der Beginn, die von einer einsamen Klarinette durchklagte Mondnacht auf der
Hochalp, und der Ausklang des ersten Aktes. In den leidenschaftlichen Szenen der Neu-
vermählten trifft d'Albert als geborener Dramatiker stets den Rhythmus der seelischen
Bewegung; zuletzt in dem Duo «Wir wollen hinaus, hinaus in die Berge* gestattet er
sich sogar einen veritablen «Reisser*, wogegen die wenigen liedartigen Stellen recht
flüchtig behandelt sind. Mit Unrecht. Die «geschlossene Form* ist die Blüte der Musik,
die wir nicht missen mögen, wenn wir auch durch Wagner gelernt haben, Blatt, Stengel
und Wurael als notwendige Bestandteile eines rechtschaflTenen Opern-Gewächses zu
schätzen. Die skizzenhafte Technik des Verismo schliesst liebevolle Durcharbeitung des
Details aus. d'Albert wollte einfach sein und wurde zuweilen primitiv. Ich möchte
wirklich nicht, dass seine Methode, die als eine, durch die Art des Textes bedingte Aus-
461
KRITIK: OPER
nähme gelten mag, viele Nachahmer finde und^ei ihm, dem Proteus des Musikdramts,
der in jedem Werk dank einer ungewöhnlichen Anptssungtflihigkeit als ein anderer er-
scheint, ist ein Festrennen in der hier eingeschlagenen Richtung ohnehin ausgeschlossen.
Die von Leo Blech dirigierte Oper hatte dank der vortrefflichen Aufführung (AlfSldy «=
Martha, Hunold «= Sebastiane und Aranyi =' Pedro) einen starken, bei den Wiederholungen
bestätigten Erfolg und trug Meister d'Albert und Lothar zahlreiche Hervorrufe ein. —
Im tschechischen Nationaltheater brachte man als erste Neuheit Puccini's „Tosca*. Der
StoflP stiess ab, die Musik interessierte, die sehr gute Auffuhrung (Matura = Tosca,
Benoni ^ Scarpia) unter Kovrovic gefiel. Dr. R. Batka.
RIGA: Als erste Novität ging jungst Charpentier's vielbesprochener Musikroman »Louise*
in Szene. Das in vielen Teilen interessante, aber dennoch abseits vom Wege einer
hohen Kunst liegende Werk hat dank einer vortrefflichen Einstudierung von selten unseres
Kapellmeisters Ohnesorg und Direktors Balder eine bemerkenswerte Zugkraft ausgeübt.
In den Hauptrollen waren die Damen Goetzl (Louise), Mosel-Tomschick (Mutter) und die
Herren Jadlowker (Julien) und Jessen (Vater) erfolgreich beschäftigt. Carl Waack.
SCHWERIN: Unsere Hofbühne brachte zur Auffübruog: «Oberon* in der Wiesbadener
Bearbeitung und früheren Besetzung, »Barbier von Sevilla" (Irene Abendroth),
»Cavalleria rusticana* (die Damen Abendroth und Höfer, Herr Seim), »Undine* (Frau
Ries), »Freischütz" (Herr Lang) in trefflichen Vorstellungen. Die Novität bildete
Planquette's amüsante Operette »Die Glocken von Corneville", die unter Meissners
Leitung und mit den Damen Siegmann-Wolff, Ries und den Herren Gura, Sattler, Holy
grossen Erfolg hatte. Es sind noch zu erwähnen die Neueinstudierung von »Hans Helling*
(die Damen Friede, Höfer, Liebeskind, die Herren Seim, Liebeskiod, Drewes und Sattler)
und Aufführungen von »Tannhäuser*' und „Zauberflöte". Carl Bur meisten
WIEN: Als erste Opemnovität brachte die Hofoper Puccini's »Bohdme* zur Auf-
führung. Das Werk ist allbekannt, auch in Wien schon gegeben und im künst-
lerischen Sinne schon halb veraltet. Durch ein Aufgebot fast aller ersten Kräfte, durch
doppelte Besetzung auch der Nebenrollen wurde dem Ereignis dieser Spätgeburt der
jetzt übliche Aplomb verliehen. Wenn die Wiener Hofoper acht Wochen konzentrierter
Arbeit daran wendet, Puccini's »Bohdme* herauszubringen, so muss die Aufführung
selbstverständlich gut werden. Die Herren Schrödter und Slezak waren vorzügliche
Rudolfe. Frl. Kurz entzückte stimmlich |und durch Gesangskunst als Mimi. Frau Gutheil-
Schoder setzte ihre Genialität an zwei Abenden für die beiden weiblichen Hauptrollen
ein. In der eraten Vorstellung eine durch dramatisches Temperament fast versengende
Musette, erschien sie bei der zweiten als rührend innige, von poetischem Reiz umfiossene,
ergreifend sterbende MimL Gustav Schoenaich.
WORZBURG: Ein neuer Herr ist in das alte Würzburger Theater, das heuer übrigens
das 100. Jahr seines Bestehens vollendet, eingezogen, nachdem der frühere Direktor
Adolphi im vorigen Frühjahr plötzlich die Flinte ins Korn geworfen — wegen »Unrenta-
bilität des Unternehmens" und »Gleichgültigkeit des Publikums*. Der neue Direktor Hagin
scheint rechnerisch bessere Erfolge zu erzielen, teils durch Eröffnung einer »Filiale* in
Schweinftirt, teils wohl auch durch billigeren Gagen-Etat. Beides geht ft-eilich teilweise auf
Kosten der Qualität, was sich namentlich in der Oper zeigte. Weit besser ist die Operette
besetzt, die fiott und zügig geht, auch treflPliches Personal aufweist Prächtige Vorstellungen
waren z. B. »Boccaccio*, »Fledermaus*, »Schöne Helena*, in der Spieloper »Lustige Weiber*.
In Vorbereitung sind die Opern »Der Haubenkrieg von Würzburg* von Meyer-Olbersleben
und »Röslein im Hag* von Cyrill Kistler. Dr. Kittel.
ZORICH; Das epochemachende Ereignis war Frau Schumann-Heinks Gastspiel mit dep
bekannten drei Schlagern, die leider nicht den der Behandlung würdigen Stoff bieten.
462
DIE MUSIK III. 6.
Die srandiose Fides der Künstleriii ist Iflngst gewertet, ihre Grifln im .Vildschfitz« im-
poDierte selbstverständlich, tber chtrakteristisch für Publilcaai wie Presse bei uns wmr
dts geringe Verständnis rQr ihre vornehme Auffsssung der Amneris. Man wagte sogar,
die allerdings mit vorzuglichen Mitteln ausgestatteten Vertreter des Radames und der
Aida, Frau Burk-Berger und Pierre de Meyer, neben, wo nicht Ober Jene zu stellen, weil
sie dem Temperament die Zügel schiessen Hessen. Im allgemeinen hebt sich das Per-
sonal der Oper über das des Schauspiels, nur dass der lyrische Tenor ohne dramatische
Begabung und die Koloratursängerin ohne Charakterisierungsgabe sind, was sie einiger-
massen durch musikalische Tüchtigkeit ausgleichen. Infolge guter Regie sind die Gebrechen
weniger spürbar, so dass das Ensemble Vorstellungen ersten Ranges erzeugt Hierzu dürfte
neben der „Aida* namenlich Lortzings „Wildschüu* zu rechnen sein. Oberhaupt wirkt
die Vielseitigkeit des Repertoires günstig und es ist erstaunlich, wie mit teilweiser AnfiUiger-
schaft dieser Reichtum geschaffen werden kann. Schon steht «Tristan und Isolde" vor
der Tür, längst begehrt und seit etwa 5 Jahren nicht gegeben. W. Niedermann.
KONZERT
AMSTERDAM: In der letzten Kammermusik-Soiree von „Tonkunst* stellte sich der an
Bram Eiderings Stelle an das hiesige Konservatorium berufene Geiger Carl Flesch
dem Publikum als Solist in C6sar Francks Sonate und als Kammermusikspieler In
Röntgens neuem interessanten Klavierquartett vor. Er erwies sich als bedeutender
Techniker mit edlem, warmem Ton. Pablo Casals erzielte mit Haydns Cellokonzert einen
grossen Erfolg im Abonnements-Konzert des .Konzertgebouw*. — Jan Kubelik erregte
auch hier grosses Aufsehen durch seinen schwindelerregenden Vortrag von Paganlnl-
Verken. Miss Goodson, die als Pianistin Im Kubelik-Konzert mitwirkte, erspielte sich
mit Schumanns Faschingsschwank und erster Liszt-Polonaise grossen Belfkll. — Der
Oratorienverein führte unter A. Tierie's Leitung zweimal „Die Jahreszeiten" auf. Beide
Volks- Konzerte waren ausverkauft Hans Augustin.
BARMEN: Der allgemeine Konzertverein „Volkschor" eröffhete unter Hopfes temperament-
voller Leitung die dieswinterliche Konzeruaison dadurch in glänzender Welse, dass
er in seinem 71./72. Stadthallen - Abonnementskonzert Haydns ewig jugendfrlsche
„Schöpfung" mit dem gutgeschulten Volkschor, einem auserlesenen Orchester und den
erstklassigen Solisten: Rose Ettinger, Jungblut und Dr. Kraus zu tadelloser Wiedergabe
brachte. Die Barmer Konzertgesellschaft bescherte in ihrem ersten Konkordiakonzert
Beethovens „Fidelio", der unter Stroncks feinfühliger Direktion durch den städtischen
Singverein, das verstärkte städtische Orchester und die Solisten: Ida Doxat-KrzyzanowskI
(Titelrolle), Kaiisch (Florestan), Martha Beines (Marzelline), Gausche (Pizarro), Day
Oacquino) und Haase (Rocco) in vollendeter Form zur Aufführung gelangte. Im
Mittelpunkt des 73./74. Stadthallenkonzerts standen die Darbietungen Joachims, der mit
bekannter Meisterschaft Konzert und Romanzen von Beethoven zur Wiedergabe brachte.
Das aus 65 Künstlern gebildete Orchester interpretierte In einwandfreier Welse die tragische
Ouvertüre von Brahms, die symphonische Tondichtung „Moldau" von Smetana, sowie als
Uraufführung eine Suite für grosses Orchester von Bruch, die thematisch treflPlich durch-
geführt und originell instrumentiert ist» in den beiden letzten Sätzen aber verflacht Der
Barmer Quartettverein brachte unter Wickes Leitung „Die Legende von der helligen Elisa-
beth" von Liszt unter Mitwirkung der Solisten Emma und Klara Bellwidt, Otto Süsse und
Walter Scheffels als dieswinterliche Erstlingsgabe. Heinrich Hanselmann.
BAYREUTH: Am Sonntag, den 22. November, ftmd im hiesigen alten markgräflichen
Opemhause, diesem Musterban des feinsten Barockstils, wo vor 31 Jahren die
IX. Symphonie unter Rlchanl Wagner erklungen war, das als Jubiläumsfeier besonder«
463
KRITIK: KONZERT
festlich gestaltete 200. Konzert des Bayreuther Musikvereins sutt, den in früheren
Jahren Junge musikalische Helfer des Meisters Torübergehend geleitet hatten, die später
als reife Künstler zu Namen und Ehren kamen, wie Anton Seid], Franz Fischer, Benhold
Kellermann, Engelbert Humperdinck, und der sich zu seiner jetzigen sehr achtungs-
werten künstlerischen Höhe aufgeschwungen hat unter der Leitung des ausserordent-
lichen Chordirektors der Festspiele Professor Julius Kniese. An dem festliche Tage
Hess dieser in seinem Verein die grossen grundlegenden und zielweisenden Meister
Beethoven, Liszt und Wagner zu Worte kommen, den ersteren durch das schon
öfter mit ihm verbundene, hier verstärkte philharmonische Orchester von Nürnberg (A-dur-
Symphonie), den zweiten durch die ausgezeichneten Solisten und echten Künstler Conrad
Ansorge (A*dur-Konzert) und Ludwig Hess (Lieder: »Ich möchte hingehn% .Ah, quand
Je dors*, »Kling leise, mein Lied"), Kunstdarbietungen der besten, vornehmsten Art, und den
letzten, den Bayreuther Meister, durch die Tannhäuser-Ouvertüre und den ganzen
Schluss der »Meistersinger** vom Auftritt der Meister an. Ohne den »Beckmesser*,
versteht sich, der hier mit vollem Recht zu schweigen hatte! Die Ouvertüre, ein herr-
licher Vorklang zu nächstem Sommer, dirigierte Siegfried Wagner sieghaft im Geiste
seines Vaters. Er, der Erbe von Bayreuth, und — da es sich hier doch um ein Lokal-
ereignis handelte — mit gutem Fug als »Komponist vom Ort** dazu eingeladen,
brachte auch den stimmungsvoll innigen Gesang des Reinhart aus »Herzog Wildfang*
zu Gehör, in zarter, sympathischer Weise vorgetragen von Herrn Lejdström aus der
Bayreuther Schule, der auch neben dem »Walther* des Herrn Hess als »Hans
Sachs* in den »Meistersingern* trefflich seinen Mann stand. Hier muss man aber vor
allem die Männer und Frauen samt den tapferen Fräuleins alle aufrichtig rühmen, die
als musterhaft geschulte Armee Knieses die grosse Aufgabe der Chöre jener Szenen,
auch im Kampfe mit einem stark besetzten Orchester, derart lösten, wie man es von
ihnen seit Jahren aus den verdienstvollen Konzertleistungen des Vereins gewöhnt ist, die
nun zu einem solchen, ihrer würdigen Jubiläum gefuhrt haben. H. von Wol zogen.
BERLIN: Im vierten Symphonie-Abend der Königl. Kapelle unter Felix Weingartner
umrahmten die C-dur-Symphonie Schumanns und die Freischütz-Ouvertüre zwei alte
Neuheiten: Drei deutsche Tänze von Mozart in der Besetzung eines Serenaden-Orchesters
und Schuberts selten gehörte zweite Symphonie (B-dur). Mozarts Tänze sind köstliche
Kleinigkeiten, die so lecker dargeboten wurden, dass sie wiederholt werden mussten;
am liebsten hätte man sich gleich einen ganzen Tisch voll dieser entzückenden Nippes
gewünscht. Schuberts B-dur-Symphonie hält freilich keinen Vergleich mit der himmlisch
langen in C-dur und der so bedauerlich kurzen h-moll aus, zeigt uns aber doch des
jungen Schubert erstaunliche Formengewandtheit und die fabelhaft leicht gestaltende
Hand des Liederkönigs. Die in jeder Beziehung tadellose Wiedergabe sämtlicher Werke
machte diesen Abend zu einem überaus genussreichen. — Am Totensonntag brachte die
Singakademie Verdi's Requiem und eine Neuheit von Georg Schumann »Totenklage*
op. 33 für Chor und Orchester zu Gehör. Als Textunterlage für sein Stück bediente
sich Georg Schumann Schillerscher Worte aus dessen »Braut von Messina* (Durch die
Strassen der Städte, Vom Jammer gefolget usw.). Das Werk will sich nach meinem
Gefühl nicht zu einem Ganzen runden, es erschien mir wie ein herausgerissener Teil
aus einer grösseren Komposition und so erklärt sich auch wohl das Gefühl des nicht
voflständig Befriedigtseins am Schluss, der mir überdies wie ein nicht ganz geschickt
aufgepfropftes allerdings in prachtvollen Farben blühendes Reis erschien. Jeder Takt
der Totenklage zeugt von dem ernsten, hohen Streben seines Schöpfers. De^r höchste
Massstab ist deshalb hier geboten. Ein Sichnichtgenugtunkönnen im Harmonischen in
diesem Werk ist femer einem ruhigen Geniessenwollen nicht förderlich, zumal diese
464
DIE MUSIK 111. 6. Q^Ol3
Neigung des Komponisten bisweilen sogar etwas flusserlich anmutet. Dass dafür wieder
viele reizvolle melodische Wendungen und sogar bedeutende Momente namentlich in
dem dQster-schaurigen ersten Teil des Werkes den Hörer entschädigen und Alles klingt,
sei hiermit gern konstatiert. Der vollen Wirkung des Werkes tat auch die keineswegs
auf der Höhe stehende Leistung des Chors wesentlich Einbusse. Der erste Schritt auf
ein ihm noch nicht heimisches Gebiet ist dem Chor der Singakademie jedenfalls nicht
ganz geglückt Eine Auffuhrung des von süssesten Melodieen durchfluteten Verdischen
Requiems ist für einen, der sich in den Romanismus des genialen Werkes hineinzufühlen
versteht, jedesmal ein Fest. Die Aufführung gelang hervorragend. Von den Solisten
genügten leider nur Frau de Haan-Manifarges und Johannes Messchaert, der eine nicht
zu überbietende Meisterleistung bot. — Emil Paur gab an der Spitze des philharmonischen
Orchesters in Monumental werken von Brahms und Tschaikowsky als Kapellmeister und
mit der Interpretation des Lisztschen Es-dur-Konzerts als Pianist in Berlin seine Visiten-
karte ab. Wir haben allen Grund, ihm für seinen Besuch zu danken. Er ist als
Orchesterleiter eine in sich gefestigte, scharf profilierte Persönlichkeit, die mit allen
Fasern ihres Seins in und mit dem aufzuführenden Werke lebt. Sein mitreissendes
Temperament ist so recht geeignet, einen Orchesterkörper aufzurütteln. Unser wunderbar
elastisches Philharmonisches Orchester spielte unvergleichlich unter seinem Stabe an
jenem Abend. Der Klavierspieler Paur schnitt nicht so glücklich ab, sein loderndes
Temperament verleitete ihn hier zu einem al fresco-Stil, der sich nicht zu der diesen
Stil rechtfertigenden Grosszügigkeit auszuwachsen vermochte. Infolgedessen Hess sein
Spiel Abgeklflrtheit vermissen. Herr Paur hatte einen starken ehrlichen Erfolg. — IV.
Philharmonisches Konzert Dirigent: Arthur Nikisch. Solist: Artur Schnabel. Das
Brahmssche erste Klavierkonzert (d-moll) war das geeignetste Betätigungsfeld für die
staunenswerten Fähigkeiten dieses musikalisch wie technisch eminent begabten jungen
Pianisten, dem für seine imposante Leistung rauschender Beifall gespendet wurde. Der
Majestät des ersten Satzes wurde mit etwas zu breiten Tempi gehuldigt, die ihn unver-
hältnismässig dehnten. Eine „Idyllische Ouvertüre* von E. N. v. Reznicek wurde
darauf aus der Taufe gehoben. Sie repräsentiert sich als eine kleine Orchesterhumoreske
über den Schlag des Gold-Pirols. Auf den echt Reznicekschen Till Eulenspiegelton
gestimmt, interessierte sie vornehmlich ihrer überaus raffinierten Faktur wegen. Nikisch
brachte das Werkchen zu virtuoser Darstellung. Mit einer' Vorführung der Schumann-
schen Genoveva-Ouvertüre, wie sie eben nur Nikisch zu bieten vermag, begann und
mit der Achten, die charakteristischer in Ton und Tempo hätte ausfallen können, schloss
der genussreiche Abend. Bernhard Schuster.
Eingedenk des Franz Schubertschen Todestags, der mit dem Datum ihres Lieder-
abends zusammenfiel, hatte Susanne Dessoir ihr Programm ausschliesslich mit Schubert-
schen Gesängen ausgefüllt, und zwar waren es, mit Ausnahme einiger bekannteren, meist
wenig gesungene, dem Nachlass entnommene Lieder. Der Vortrag fesselte durch den
surk individuellen Zug der Gestaltung, durch das schöne Ebenmass künstlerischer
Intelligenz und warmer Empfindung. Bruno Hinze- Reinhold begleitete mit feinem Ge-
schmack. — Karl Reusch zeigte einen wohlgeschulten, nur in der Höhe noch nicht
willig gehorchenden Bariton sympathischen Klanges, treffliche Aussprache und natürliches
lebhaftes Empfinden; eine grössere Gruppe Franzscher Gesänge gelangen dem Sänger
recht glücklich. — Margarethe Knaufts Alt ist ganz unfertig in der technischen Aus-
bildung; der Vortrag war langweilig, das Auftreten mithin verfrüht — Hansi Delisles
Wollen ist interessanter, als ihr Können. Der Vortrag zeugt von Geist und Gestaltungs-
talent, doch klingt das Organ ungenügend vorgebildet. — Frau von Blankenburg, als
Anna Driese einst eine anmutige Soubrette unserer Königlichen Oper, trat nach längerer
465
KRITIK: KONZERT
Pause mit einem Liederabend vor das Berliner Publikum. Das Organ ist etwas scharf
geworden und klingt nicht mehr geschmeidig genug fOr die Nüancierung verschieden-
artiger Gesflnge, doch fühlt man an dem lebendigen Vortrag, der musterhaft deutlichen
Aussprache die Intelligenz der Sängerin heraus. Ihr Begleiter spielte die Klavierbegleitung
zu der Gruppe Hugo Wolfscher Gesänge ganz verständnislos. — Julius Bercht Hess
durch Marie Hertzer-Deppe eine Reihe seiner Lieder singen. Unglaublich, wie töricht
die Musik in der Erfindung, in der Melodieführung wie Begleitung erschien, wie weit
das Missverhältniss zwischen den Gedichten und der musikalischen Fassung auseinander-
klaffte! — Unter den Pianisten -Abenden steht der Leopold Godowsky's voran. Man
wird dem Flügel wieder innerlich zugetan, wenn man diesem Spieler zuhört mit seiner
unfehlbaren technischen Sicherheit, der vollendeten Klangschönheit, die alles materielle
der Tonerzeugung überwunden hat. Die Hörer hingen mit angespannter^Aufmerksam-
keit an dem poetischen Vortrag der Chopin -Sonate in b-moll und jubelten nach der
Paraphrase des Donauwalzers von Schulze - Erler mit ihren kolossalen technischen
Schwierigkeiten. — Conrad Ansorge, Alfred Reisenauer, Fr6d6ric Lamond be-
schlossen ihre über mehrere Abende sich ausdehnenden Vorträge und Jeder bewährte
die Eigenart seiner festabgeschlossenen KQnstlerindividualität. Beethoven, Schumann,
Chopin, Liszt, diesmal auch mehr Schubert als sonst füllen die Programme dieser
Pianisten. — Adeline Bailet zeigte wie die meisten in Paris gebildeten Pianisten
korrekte flüssige Technik und feste Rhythmik. Der Klavierton ist etwas klein, der Vor-
trag aber anmutig belebt. Im Zusammenspiel mit dem Orchester bewies sie musikalische
Durchbildung. — Pauline Hofmann, die u. a. Beethovens Es-dur-Konzert mit unsem
Philharmonikern und Schumanns Karneval spielte, gelang mancherlei und zwar gerade
schwierigere Partieen überraschend klar und sicher; im ganzen ist der Vortrag noch
geistig zu unbedeutend, das Klavier wird auch nach selten der Tonfärbungen hin zu
wenig ausgebeutet. — In der Philharmonie gab die Berliner Liedertafel (Chormeister
A. Zander und Max Werner) ein überaus erfolgreiches Konzert. Im Programm standen
die Preislieder des Frankfurter Sängerfestes, ausserdem Chorstücke von Thuille,
Heuberger, Wilhelm Sturm, F. Hummel, Brahma, die klangschön, rhythmisch fest ge-
staltet und vollendet klar in der Textaussprache dargeboten wurden. Als Solistin trug
Emilie Herzog u. a. eine Serie volkstümlicher Lieder von C. M. v. Weber vor, die be-
sonders dankbar aufgenommen wurden. E. E. Taubert.
Von den Kammermusik Vereinigungen, die während des letzten Halbmonats
konzertierten, ist an erster Stelle das durch Klangschönheit, und höchst ausgeglichenes
Zusammenspiel ausgezeichnete Petersburger Streichquartett der Herren Boris Kamensky,
Naum Kranz, Alex. Bornemann und Sig. Butkewitsch zu nennen. Diese hervor-
ragenden Künstler boten freilich nur russische Werke (Borodin A-dur, Tanejew b-moll,
sehr wertvoll, und das Bd. 8, 379 gerühmte Quartett von Glidre), doch ist nicht zweifel-
haft, dass sie auch die Werke unserer Klassiker vollendet wiedergeben werden. Das
einheimische Quartett Dessau, Gehwald, Könecke und Espenhahn brachte unter
Zuziehung des hervorragenden Dresdener Pianisten Eduard Reuss [das Bd. 7, 367 ff.
analysierte eigenartige Klavierquartett von Scheinpflug zu wundervoller Wiedergabe. Prof.
G.Holländer spielte mit seinen Quartettgenossen Nicking, Rampelmann, Sandow
Dohnanyi's wertvolles (vgl. S. 132) op. 7 und mit Elisabet Schmitz-Pollender die
interessante Suite op. 16 von H. Gottlieb-Noren (vgL Bd. 7, 155); Frau Adelina Sand ow-
Herms steuerte Lieder bei. Das Klavierquartett Egidi, Seuffert, Werner und
Dechert entriss das prächtige Klavierquartett von Hermann Götz der unverdienten Ver
gessenheit. Von dem Holländischen Trio der HH. Bos, van Veen und van Lier
hörte ich eine famose Wiedergabe des gar nicht üblen Trio's von Ed. Behm; in demselben
III. 6. 30
466
DIE MUSIK IIL e.
Konzert kam Conrad Antorge als Komponist and Begleiter einiger von Richard
Koennecice vorgetragenen Gesinge zur Geltnn^ — Nur ein Geiger konzertierte mit dem
Philharmonischen Orchester: Florian Zajic, der am hosten in Bachs Ciaconna gefiel,
er spielte ansserdem Rafis wirkungsvolle Suite und das hier noch unbekannte Konzert
op. ao von Cornelius Ruhner, ein langatmiges, mit Schwierigkeiten überladenes, wenig
Eigenart zeigendes Werk. Ein grosser Genuss war es, von dem Ehepaar Petschnikoff
die eigentlich für F15te und Violine geschriebene Sonate aus Bachs musikalischem Opfer,
gediegen von Hermann Zilcher begleitet, dessen leider noch ungedrucktes Deppelkonzert
fGr 2 Geigen (vgL Bd. 5, 230) das Programm vervollstindigte. Eugenie Argiewicz Hess
sich nochmals, aber nur mit Klavierbegleitung (Herr Boa) hören: Vieniawaki's d-moU«
Konzert liegt ihr besser als Tschaikowsky. Die Geigerin Bianca Becker-Samolewska
wird von ihrem Gemahl, dem soliden Pianisten Otto Becker immer mehr auf klassisches
Gebiet gedriogt, das ihr aber vorläufig noch fem liegt; ihre Konzertpartneriu Suse de
Cava besitzt einen prachtvollen Kootra-Alr, aus dem noch viel werden kann, aber
ihr Vortrag muss noch impulsiver werden; Ossian Fohström meistert das Violoncell
mit grosser Eleganz und brillanter Technik; aein Ton ist einschmeichelnd, aber nicht so
gross, um sich gegen das Orchester immer zu behaupten. Ein Hocbgenuss war der
Vortragsabend der VioloncellkQnstlerin Elsa Ruegger, die nach längerem Zwiachenraum
sich hier wieder einmal, von Hermann Zilcher begleitet, hören Hess. Endlich konnte
man den grossartigen Kontrabassvirtuosen Sergei Kussewitzky bewundem, der wie im
Vorjshr mit dem Pianisten Sergei Mamontoff konzertierte. Dr. Wilh. Altmann.
Ein Wunder ist Jolaada M6rö: In Wahrheit ein Geschenk des Himmels, in jeder
Fingerspitze ein Genie und zum Kunstspiel geboren! Die Kleine hat im 5. Finger mehr
als ein Dutzend FingerkGnstler in klapperdürren 10 und Chaos genug, um eine grosse
Kunst gebären zu können. Hut' sie ihr GIQckI . . . Neben dem wilden Schössling ein
Produkt intensivster Kultur: Waldemar Lfitschg. Die Kunst der sammetnen Weichheit
und schmerzlichen Resignation. Ein feines Spiel der zarten und weichen Töne, der
anaprachslosen und keuschen Farben. Die Poesie der verechleierten Stimmung und
der leise fiutenden Dämmemng. Zwar ohne monumentale Wucht, ohne das Spiel
der „grossen Flächen^, ohne sprühenden Rhythmus und deklamatorisches Pathoa,
aber alles klingend und singend, von einer klavieristisch- formalen Tonschönheit,
die mit Rubinstein starb. — Und dann eine dritte: Hedwig Meyer. Eine
klavieristische Vollnatur vom Schlage der Carrefio mit jenem grandiosen Schmiss und
jenem echten Temperamentsdurchbracb, der grosser Begabung zu eigen. Nur eins, wozu
die bratalen Stechakkorde in der Bockstellung und im falschen, zu winkligen Auffall?
Ist's so schwer, derlei Härten zu mildem? — Im grossen Abstand folgen zwei kleinere:
Moritz Mayer-Mahr und Gisela Springer. Eraterer ein Geschwindspieler mit kleiner
Technik und kleinem Ton, aber flüssiger, sauberer und klarer Spielart. Im übrigen
ateraotyp, ohne Wärme und künstlerisches Temperament, ohne Stil und belebenden Witz.
Ein Musiker schlechthin. Der ^Liederkomponist^ entspricht dem Pianisten. Der jungen
Wienerin steht man wärmer gegenüber. Ein tüchtiges Talent mit ausgefeilter kugeliger
Passagentechnik und einem Gestaltungsvermögen, das Hoffnungen wachraft. — Bleiben:
ein Buaatagskonzert des Pfannschmidtschen Chores. Gewiss, „der Fleiss ist zu
loben^y aber dem „Deutachen Requiem^* ward wenig Ehre. War* nur der Rahmen besser
und die orchestrale Seite vornehmer, man würde es gem zufrieden sein und über dem
kulturallen Zweck der Vermittlung die Ausführung vergessen. — Dann ein Kompositions«
Abend von Gustav Lazarua, der wenig zu denken gab. Ein feines Formtalent mit jener
seltenen Liebenswürdigkeit, die Mendelssohn, den „guten*^, auszeichnet. Vor allem:
sinnliche Muaik voll klanglicher Reize und melodischer Weichheit. Zumeist echte
467
KRITIK: KONZERT
Lieder, Sangeslieder, keine Kunstlieder, — niclit gross, aber aucli niciit klein, gefällig
und angenehm, fQr den Geschmack der Anspruchslosen und Liederfrohen, mit einem
Stich ins Leichtfassliche und VolkstQmliche. Da, wo die Originalität beginnt, hört seine
Kraft auf, und wo sich Tiefen und Grazien zu klingenden Wundern und Werken formen,
ist seine Kunst zu Ende. Aber es ist Musik, Musik eines Musikers, wohlgestaltet,
blühend, nicht ohne Geistreichelei, aber zum Glück ohne dekadente Gehimfloskeln und
schwimmende Mondscheinlyrik, mit orchestral-farbigem Durchschuss. — Das Stimm*
material bewies den Niedergang der „Systeme*'. Vielleicht mag Ellen Beck um des
Metalles und der grossen Spannung willen zu erwähnen sein. Aber der nasale Knödel
drückt die Vorzüge herab, und ihr virtuoser Charme ist nur Gift für die Kunst der Tiefb.
— Allein Käthe Ravoth darf auf den Weg wirklicher Arbeit zurückblicken. Es ist mit
das einzigste Organ, das merklich vorgeschritten. Der Klang hat mehr Kern, da die
hinteren Nasenresonanzen ausgenutzt. Stünde nur Temperament und Ausdruck im
gleichen Verhältnis! Else Vetter leidet am „Gegenteil*^ Timbre und Klangweichheit,
Temperament und Ausdruck deuten auf Kunst, aber die Tragik der absolut falschen Atem-
funktion wirft tiefe Schatten auf die Zukunft. Mit der Oberzeugung oder Nicht-
überaeugung von der absoluten Notwendigkeit der Atempresse steht oder fällt das an
sich schöne Organ. — Zum Schluss die Zuvielen: Die mit dem technischen Gepäck,
denen die leichten Sonnenschwingen fehlen, oder die Kunst des Unvermögens, der
Anfängerschaft, oder der verwehten Blüte: Theodor Prusse, Severin Eisenberger, Gastone
Bemheimer, Marianne Brünner, Max Rothenbücher, Paula Olshausen, Anna Leydhecker,
Elfriede Goette, Marianne Geyer, Helene Lieban-Globig. Zuletzt etwas für den „Aus-
hängekasten*': Leo St. Damian: das Spiel der melodiscnen Grimasse und rhythmischen
Paralyse. Rudolf M. Breithaupt
Im Oberlichtsaal der Philharmonie konzertierten Julie Grotefend (Sopran) und
Käte Pieczonka (Violoncello); eine jener musikalischen Veranstaltungen, über deren
Veranlassung und Zweck man sich nicht klar wird. Was bewegt solch' blutigen Dilet-
tantismus zur Flucht in die Öffentlichkeit? — Herta Bloch-Jahr gab, von Dr. Heinrich
Potpeschnigg als Begleiter wirksam unterstützt, einen Liedtrabend in der Singakademie.
Das eben nicht umfangreiche, indessen sympathische Organ der Künstlerin ist Aufgaben
wie Schumanns Frauenliebe und Leben nicht gewachsen, wurde aber kleineren, ein-
ziehen Liedern von Brahms und Wolf gerecht. W. R.
BRAUNSGHWEIG: Aus der musikalischen Fülle mögen nur die Höhepunkte erwähnt
werden. Die Hofkapelle gab ein Berlioz-Konzert aus Dankbarkeit für die vor 50 Jahren
von dem Meister gegründete Witwen- und Waisenkasse. Das Programm war nahezu das-
selbe wie damals, auch derselbe Sollst Prof. Joachim wirkte wieder mit; mit einem seiner
frühesten Schüler, Symphoniedirektor A. Schulz, der ebenfalls auf eine 50]ährige Tätig-
keit zurückblicken konnte, wurde er ausserordentlich gefeiert. Im ersten Abonnements-
konzert erspielte sich A. Schnabel mit dem Klavierkonzert (d-moll) von Brahms einen
schönen Erfolg, während Gertrude Lucky mit ihren Liedern weniger gefiel. Die populären
Konzerte üben die gewohnte Anziehungkraft aus, bis jetzt boten sie einen Klavierabend
von Em. Sauer, einen Liederabend von Dr. L. Wfillner und einen Abend für Kammer-
musik (Waldemar Meyer-Quartett und Frl. H. Berger). Frau M. Wegmann spielte mit
Prof. Meyer an zwei Abenden alle 10 Violinsonaten Beethovens unter wachsendem Interesse
des Publikums. Der Chorgesang- Verein brachte Judas Maccabäus* von Händel, die
Liedertafel «Orpheus* zum Jubiläum ihres 25jährigen Bestehens ein neues Werk des
Dirigenten, M. Clarus „Auf dem Felde der Ehre" zu erfolgreicher Aufführung. Von Virtuosen
mit eigenen Konzerten seien noch erwähnt: Sarasate mit B.Marx-Goldschmidt, eine hiesige
talentvolle Pianistin M. Heinemann, ein hoffnungsvoller Baritonist W. Rössel mit Konzert-'
meister Hamacher und FrL Geratäcker mit Mary Wurm. Ernst Stier.
30^
4tt
DIE MUSK m. €L
Y^KESLAU: fiae
die SolopMtkc«
▼Ml Ewerk. Zi
Bcdhorea op. 132; Sdivaaaa op. 41, H«fda G-dv (No. 58) «ai mter BeteOignf
Dr. Dohras drei Verfce mit Klairier: C^sar Fmcks f-aoD-Qnstett, S^abeits ForeOes-
qoiaiett «ad Brabas* e-BoU-Sonife op. 38; aDes stü- «ad siaac^aiss. Die Kamaer-
Baatkreretaigaof des Breslaaer Konaerratomms beracksi^tigt mter Leitung des
Direktort Willy Pieper die neaerea ErKiieiaaBgea. Voa SoUsteakoateitea seiea er-
wikat die LicdendieBde vea Wnllner, Tbereae Bekr, Heineaiaaa nadjettka Fiakeasieia,
die Koazerte tob Godowsky, Habermaaa (zweiaul) Hertba Streiter (Violiae) oad eia
iateressaaier Klaner- nad Kompositioasabead tob Marpierite MelTüle. J. Schiak.
BUDAPEST: Dea ofBziellea Beglaa naserer Koazertsaisoa bedentet jeweflif der erste
Prodaktioasabead der Philbanaoaiker. Vor ibaea wagt sieb keia Solist aof das
Podlaai, daaa aber begiaat die wflde Jagd am Gold nad BeifdL Die PbObanaooiker,
die beaer ia das rweite Halbjabrbnndert ibrer knitnrellea Wirksamkeit treten, eröffneten
die Saisoa im Zeichea Beetboireas: aiit der acbtea Sjmpboaie des Meisters. Der erste
Abead bracbte ancb dea Karfreitagszanber ans .Parsilid* und znm Scblnss Liszts
»Tasso*. Der Solist des Abends war Georg Andies, der seine Toraebaie, getstr^^e
Kfiasdersebaflt ancb als Liedersinger bekundete. Am rweiten Abend gab es der NoTititen
gar drei: Onirerture in D Ton Hindel, eine dreisitzige redit bnbscbe Streicbserenade von
dem jungen nngariscben Komponisten Gnstair Szer6mi und als die vielleicbt willkommenste
Riebard Strauss* Violinkonzert, das in der mnsterbaften Interpretation dnrcb Professor
Heermann stfirmiscben Beifill fend. — Ancb unsere Quartettvereinigungen sind in Toller
Titigkeit und würzen uns die edle Konkurrenz dnrcb zabireicbe Auffubrungen Ton No-
Tititen. So borten wir jungst bei Hnbay-Popper ein Streicbquartett in D Ton C6sar Franck,
ein sieb interessant gebinlendes Werl^ aus dessen geistroUer Verlogenbeit uns jedocb
bloss das Scberzo — ein secessionistiscb nacbempfnndenes Stuck Mendelssobnscben
Elfenzaubers — wirmer anspracb; bei Grnnfeld ein überaus woblanstindiges Quartett des
russiscben Komponisten Borodin. Die Höbepnnkte der Solistenkonzerte bildeten ein Arien-
abend des italieniscben Wnndertenors Alessandro Bond, wobi des süssesten Singers der
Jetztzeit und ein KlsTierkonzert des genial-koketten Emil Sauer, der dnrcb sein Spiel selbst
eine .grosse* Sonate eigener Faktur künstleriscb zu adeln Termocbte. Dr. B 6 1 a D i 6 s 7.
DARMSTADT: Das bissige Musikleben stand in den letzten Wocben eine Zeit lang
ganz unter dem Zeicben des Jnbiliums des um seine Entwicklung bocbirerdienten
Hofkapellmeisters Willem de Haan, der jetzt seit 25 Jahren unsre Hofoper und die
Sirmpboniekonzerte der Grossberzoglicben Hofmusik leitet Den Anfeng macbte der
Musikrerein, dessen Dirigent de Haan seit C. R. Mangolds Tode ebenfeUs ist, Indem er
seine vor 20 Jahren entstandene Komposition der Dahnscben Ballade »Harpa* (für ge-
mischten Chor, Soli und Orchester), eine edd und Tomehm empfundene Tonschöpfüng,
erneut zur AufTfibrung brachte. Es folgte das Hoftheater selbst mit dner Neueinstudierung
sdner in den 80 er Jahren wiederholt gegebenen romsntischen Oper »Die Kdsertochter*,
460
KRITIK: KONZERT
welche die Sage von Eginbard und Emma in sehr glfickiicher Weise musikalisch ver-
wertet hat, und sodann die grossherzogliche Hofkapelle, die mit der Feier zugleich das
Jubilium des 50jihrigen Bestehens der Symphoniekonzerte zum Besten des Witwen-
und Waisenfonds der Hofmusik verband. Den Bescbluss machte dann der Mozartverein,
als dessen Leiter de Haan s. Zt. hierher berufen wurde, mit einer AufTQhrung einiger
seiner grossen Balladen fQr Minnerchor. — Aus der OberfQlle der sonstigen Konzert-
Veranstaltungen, bei denen Minderwertiges erfreulicherweise nur ganz selten anzutreffen
war, mögen um ihrer Programme wie ihres künstlerischen Erfolges willen zwei Klavier»
abende hervorgehoben sein: Hedwig Meyer aus Köln spielte im Wagner* Verein eines
ihrer aus Sonate op. 10, No. 3, Sonate op. 90, den Sechs Variationen op. 34 und der
Hammerklaviersonate bestehenden Beethoven-Riesenprogramme mit erstaunlicher Kraft,
wihrend Frieda Kwast-Hodapp sich als eine Chopinspielerin ersten Ranges erwies. Neuheiten
waren für hier das von dem Musikverein aufgeführte Oratorium „Der Traum des Gerontius"
von Edward Elgar, das aber nur einen matten Achtungserfolg erzielte, und Leo Blechs
hübsche orchestrale Ton- und Stimmungsmalerei «Wald Wanderung*, die eine freundliche
Aufoahme fand. Auch zwei besonders interessante Kirchenkonzerte verdienen Erwihnung:
eine erfolgreiche Aufführung der beiden selten gehörten Bachschen Kantaten: „Der Hirte
Israel" und »Halt* im Gedächtnis Jesum Christ* durch ein von Arnold Mendelssohn ge-
leiteten Evangelischen Kirchengesangverein der Stadtgemeinde und ein in der Hofkirche
gegebenes Konzert der berühmten Singer der kaiserlich russischen Hofkapelle, das einen
sehr instruktiven Einblick in die moderne russische Kirchenmusik gewihrte. Kunstgenüsse
reinster Art endlich vermittelte uns Therese Behr mit ihrem im Wagnerverein gegebenen
vierten Liederabend, sowie das Böhmische Streichquartett. H. Sonne.
DRESDEN: Im zweiten Symphoniekonzert der Serie B brachte die königliche Kapelle
zwei Neuheiten auslindischer Komponisten mit ungleichem Erfolge zu Gehör. Eine
viersitzige Symphonie d-moll des Finnlinders Jan Sibelius vermochte infolge der in ihr
herrschenden künstlerischen Unruhe keinen Erfolg zu erzielen. Der Komponist setzt
viele Male zu symphonischer Ausdrucksweise an, verliert sich aber ebenso oft wieder
in ein unzugingliches Gewirr von Motiven, so dass es weder melodisch noch architek-
tonisch zu Klarheit und Bestimmtheit kommt. Dagegen tat N. Rimsky-Korsakoffis farben-
prichtige und klangschöne Tondichtung „Sadko* eine sehr gute Wirkung und wurde
überaus freundlich aufgenommen. Solistin war Lula Mysz-Gmeiner, die in dem grossen
Hause weit weniger zu packen wusste, als einige Tage spiter in einem sehr genussreichen
eignen Liederabend. Im zweiten philharmonischen Konzert waren Solisten Franz Naval
und der Kontrabassvirtuose Sergei Kussewitzky. Ersterer war leider durch eine starke
Indisposition an der Entfaltung seiner Mittel behindert, letzterer dagegen ftind für seine
in Wahrheit staunenswerten Leistungen stürmischen Beifall. Der Busstag brachte eine
höchst lobenswerte Aufführung der Bachschen Johannes-Passion durch die Robert
Schumannsche Singakademie unter Albert Fuchs und der Totensonntag erhielt eine
besondere Weihe dadurch, dass Kantor Römhild mit dem von ihm in unablissiger Arbeit
auf eine hohe Stufe erhobenen Kirchenchor der Martin Luther-Gemeinde Eduard Grells
a cappella-Messe für 16 Solo- und 16^Chorstimmen in geradezu vollendeter Weise auf-
führte. Von Solistenkonzerten sei zunichst der Klavierabend von Waldemar Lütschg
hervorgehoben; man lernt diesen hochbegabten und mit ernstem Wollen den höchsten
Zielen zustrebenden Künstler immer höher schitzen. Mit vielem Glück führte sich in
einem eignen Klavierabend der hiesige junge Komponist August Zöllner ein. Weniger
glücklich war Else Skenn-Gipser in einem Konzert mit Orchester. F. A. Geissler.
ELBERFELD: Das Konzert des Lehrer-Gesangvereins unter Dr. Haym setzte die
Leistungsnhigkeit und das Stimmmaterial des Vereins in das günstigste Licht.
470
DIE MUSIK III. 6.
Durch ausdrucksvollen Liedervortrag zeichnete sich der Baritonist Nieratzky and in
Violinduos Konzertmeister Schmidt und Manrer aus. — Im zweiten Sauset-Konzert hatten
Mimy Bussius (Violine) und Toni Tholfus (Klavier) vermöge ihrer ausgereiften, abge-
klirten Kunstlerschaft bedeutenden Erfolg, weniger der Tenorist Franz Bergen, der in
seiner Vortragsweise den Gesangsdeklamator Dr. Wfillner kopierte. ~ Im zweiten Konzert
der Konzertgesellschaft spielte das städtische Orchester unter Haym Schuberts h-moll-
Symphonie vollendet schön. Als Solisten wirkten Elsa Ruegger und Professor Messchaert
mit. Infolge der Vorbereitung von Berlioz' „Fausta Verdammung* für das nichste Konzert
war der Chor nur mit »Holde Sirenen" von Hubert Parry vertreten. — Neben virtuosen
Vorträgen des Organisten Flockenhaus und a cappella-Chören unter Hayms Leitung
machte der ergreifende Gesang von Frau Cahn-Poft das Busstagskonzert in der Stadt-
halle zu einem hohen Genuas. Ferdinand Schemensky.
FRANKFURT a. M.: Auf die Hundertfahrfeier des Geburtstages von Hector Berlioz
sind wir schon einige Zeit vor Erfüllung des richtigen Datums mehrfach durch
Konzertereignisse nachdrücklich hingewiesen worden. Sogar der Zufall beteiligte sich
an der Herstellung eines Festprogramms. Der neue Museumsdirigent wurde unpisslich;
Richard Strauss kam beim fünften Freitagskonzert zum Ersatz her und setzte ein halbes
Berlioz-Programm an, aus welchem durch Erkrankung der Solistin Pregl noch in letzter
Stunde ein ganzes ward. Da hörte man u. a. die Ouvertüre zu »Roh Roy* und Stücke
aus »Romeo und Julie*; die hist geisterhafte Schönheit bei der Entwicklung der Liebes-
szene und der köstliche Orchesterspuk der »Fee Mab* geriet unter Strauss' Szepter so
vollendet wie selten. — Tags vorher hatte das Kaim-Orchester einen Berlioz-Abend mit
»Harold* und der »Fantastischen Symphonie* geget>en; Weingartner dirigierte (ebenMIs
wegen Unpisslichkeit, die er sich aber wahrlich nicht merken Hess) nur das letztere
Werk, das andere wurde von Peter Raabe geleitet. Es war keineswegs ein Unglücksrabe. —
Noch einen dritten, schönen Berliozabend gab der »Cicilien verein* am Busstag: er
brachte die fesselnde, wenn auch teilweise ans schreckhafte heranreichende »Grosse
Totenmesse*, die er hier innerhalb eines Jahrzehnts noch zweimal aufgeführt hat, doch
nicht so vollkommen, so gleichmässig tonschön und erhaben im gesamten Ausdruck,
wie jüngst. Prof. Aug. Grüters war auch diesmal der verstindnisinnige Leiter des Werkes,
dessen erster Satz mit seiner die ganze Luft trinkenden Klage uns beinahe noch ge-
waltiger erscheint als die riesenhaften Tonfluten der Weltgerichts-Schilderung. Mit der
noch ausstehenden Konzertaufführung von »Fausts Verdammung* im Opernhaus werden
wir eine Berliozfeier von grosser Vollständigkeit haben. — In Kürze gedenke ich noch
eines gelungenen Museumsabends mit ausschliesslichen Seb. Bach-Vortrigen, eines weiteren,
wobei Rubinsteins vortreffliches Bliserquintett op. 55 ausgezeichnet gespielt ward, und
einer Reihe tüchtiger Leistungen, die bei sogen. »Privat-Konzerten* herauskamen. Da
Hessen sich u. a. hören: Hans Schröder als Liedersinger, die hier schon vorteilhaft bekannte
Violinkünstlerin M. Bumitz, die Pianisten und Pianistinnen Ruzicka, K. Widmann, Frieda
Kwast-Hodapp und Gemahl, der Cellist Hermann Beyer-Han6 u. a. Die Konzertereignisse
dringen einander in verwirrender Reichhaltigkeit, und ich würde kaum die Kühnheit be-
sitzen, den aus der Mozart-Geschichte bekannten Einwand: »Sehr viel Noten!* mit den
Worten za parieren: »Nicht mehr, als nötig sind!* Hans Pfeilschmidt
FREIBURG i. B.: Im Gegensatz zu den Vorjahren hielt sich unsere Konzertsaison bis
Jetzt in missigen Grenzen. Unter den Solisten-Abenden: A. Epp, Fabozzi, Th. Bertram
und L. Hess waren nur die zwei letzteren von Interesse; insbesondere hat der Tenorist
Hess mit Schubert und Wolf ganz hervorragende Proben einer absolut individuellen
Künstlerschaft an den Tag gelegt — Die zwei ersten Stidtischen Symphoniekonzerte
standen diesmal unter dem Zeichen Liszts; ebenso der erste Musikvereins- Abend. Busoni
471
KRITIK: KONZERT
spielte das A-dur-Konzeit mit staunenswerter Bravour; bedeutender noch wirkte als «Novitit*
die in monumentaler Grosszfigigkeit erklingende Faustsymphonie, prichtig exekutiert unter
Starkes Leitung. — Die Wiederholung der Elisabeth -Legende durch den M.-V. gelang
in allen Teilen vorzQglich, gehoben durch ausgezeichnete Vertretung der Hauptpartieen :
Elsa Hensel-Schweitzer und des Landgrafen S. Weil; als Dirigent fungierte AI. Adam.
Des letzteren Kammermusik-Abend eigener Kompositionen stellte seiner bedeutenden
Beanlagung von neuem ein glinzendes Zeugnis aus. Die Kammermusikvereinigung des
Sfiddeutschen Streich - Quartetts brachte ausser einem Mozart- Beethoven Abend aua-
schliesslich Brahma; die Ausfuhrung mit Frau Dr. Thomas-St. Galli am Klavier war durch-
weg vollsten Lobes würdig. Vict. Aug. Loser.
GENF: Den Reigen der dieswinterlichen Veranstaltungen eröffnete der Pianist Hugh
del Carril mit einem R^cital de Piano, in dem er Werke von Bach-Liszt, Bee-
thoven, Mendelssohn und Chopin zum Vortrag brachte. Auf diesen folgte ein Concert
k deux Pianos von W. von Mumm und Ch. Delgouffre; zur Aufffihrung kamen Werke
von J. S. Bach, Mozart, Liszt, Hans Huber und Saint-SaSns. — Das zur Feier des Re-
formationsfestes von Domorganist Otto Barblan in der Kathedralkirche Saint-Pierre ver-
anstaltete Konzert, unter Mitwirkung der hiesigen Konzertsingerin Faliero-Dalcroze, brachte
Werke von Saint-SaSns, J. S. Bach, C. F. Richter, E. Jaques-Dalcroze, Th. Kirchner und
Schubert Desgleichen gab Organist Otto Wend ein geistliches Konzert; als Gesangs-
solistin fungierte Camilla Landi. Zur Auffuhrung gelangten Werke von Bach, Hindel
und Beethoven. — Das erste Abonnementskonzert war Haydn gewidmet. Einen hfibscben
Erfolg hatte Frl. E. Briffod, die die wenig bekannte Arie aus »Orph^e et Eurydice",
einer unvollendeten Oper Haydns, nebst einer Reihe von Liedern am Klavier, die hier
zum ersten Male zur Vorführung kamen, sang. In dem Konzert für Violoncell und
Orchester glänzte Pablo Casals durch schöne Tongebung und seelenvollen Vortrag.
In der Sonate für Violoncell und Piano zeigte der Künstler echte Virtuosentechnik. Am
Klavier wirkte der Dirigent Prof. Willy Rehberg sehr verdienstvoll. — Der Violinvirtuose
Henri Marteau veranstaltet diesen Winter zehn Konzerte zu volkstümlichen Preisen.
Das erste, ein Grieg-Abend, hat schon stattgefunden. Das Programm brachte: Streich-
quartett in g-moll, op. 27 (die Herren H. Marteau, E. Raymond, W. Pahnke und A. Reb-
berg), Sonate in a-moll für Piano und Violoncell, op. 36 (die Herren Consolo und Rehberg),
Sonate No. 3 in c-moll, op. 45 für Piano und Violine (die Herren Consolo und Marteau).
Die Vortrige waren sehr interessant und genussreich. Prof. H. Kling.
HAAG: Wo so viel Kammermusik geboten wird, wie hier, ist es ein Ereignis zu
nennen, dass das «Pariser Quartett'' drei Konzerte mit steigendem Erfolge geben
konnte. Vor allem wird die Wiedergabe Mozartscher Kompositionen sehr gepriesen. —
Das grOsste Interesse in dieser Saison hat bis jetzt der junge Violinvirtuose Jan Kubelik
auf sich zu lenken gewusst. Ich habe den Virtuosen mehr bewundert» als den denken-
den Künstler. Kubelik spielte: Sonate in C von Grieg, das fünfte Konzert von Vieuxtemps,
Campanella und Variationen über „Nel cor'' von Paganini. Ein interessantes Programm
brachte das Konzert von L6on Moreau (Pianist-Komponist) und von Jan ten Have (Violine).
G. Fauvre's Sonate op. 13, Bachs Violinsonate in g und vier Kompositionen für
Klavier von Moreau. Beide Künstler hatten viel Erfolg, besonders sprachen die Kompo-
sitionen Moreau's sehr an. Otto Wernicke.
HALLE a. S.: Der treffliche Mfinchener Singer Franz Bergen hatte den Mut, einen Roh.
Ftanz-Liederabend zu veranstalten und kam in der Geburtsstadt*des Komponisten gerade
noch auf seine Kosten. Alex. Petschnikolf trug in einem Solistenkonzert die d-moU
Violin-Sonate von Brahma mit herzlich wenig Stilgefühl vor, entschidigte aber dafür hinter-
her durch die exzellente Wiedergabe von Mozarts A-dur-Konzert. Anton Foerster ent-
472
DIE MUSIK III. 6.
zackte an einem eignen Klavierabend durch sein echtes Chopinspiel und' faszinierte mit
Liszts Legende ,,Der heilige Franziskus über die Wogen schreitend*, der f-moll-Konzert-
etude und E-dur-Polonaise Zuhörer und Kritik. Jos. Joachim und Eugen d' Albert gaben
einen Sonaten-Abend, an dem Seb. Bach mit der E-dur-Sonate, Mozart mit der zweiten
in A-dur, Brahma mit der^G-dur und Beethoven mit der c-moll-Sonate op. 30 zu Worte
kamen. Das Publikum brachte beiden Kfinstlem stürmische Ovationen dar, obgleich
Joachim in rein technischer Hinsicht längst nicht mehr genügt. Im zweiten Philh.
Konzert erlebte Hugo Wolfe symphonische Dichtung „Penthesilea* für Deutschland die
UraufTQhrung. Vieles hslte ich im 1. und 2. Satz für gelungen, über den 3. möchte ich
mich erat nach wiederholtem Anhören äussern. Felix Berber spielte ganz unvergleichlich
Beethovens Konzert fQr Violine. Martin Frey.
KÖLN: im dritten Gfirzenich- Konzert interessierte Wolf-Ferrari's Werk .Das neue
Leben* in lebhafter Weise und eine vortreffliche Auffuhrung unter Steinbach Hess
die erfinderische Eigenart des jungen Tonsetzers, sein kühnes Anstreben neuer Klang-
wirkungen, wie seine geschickte Weise, sich dem Danteschen Dichtungsgehalt anzupassen,
zu klarer und vollständiger Wirkung kommen; dass aber Wolf-Ferrari's Charakterisierungs-
kunst vorwiegend einen mehr äusserlichen Eindruck macht und somit beim Hörer nicht
sehr tief greift, kann nicht verachwiegen werden. In der Baritonpartie schuf Karl Scheide-
mantel eine glänzende Leistung, während die kleine Sopranaufgabe durch Erika Wede-
kind bestens zur Geltung gebracht wurde. Paul Hiller.
KOPENHAGEN: Für unsere Hauptstadt war der November eine musikalisch sehr leb-
hafte Zeit. Obschon besondere Neues oder Hervorragendes nicht geboten wurde,
war die Ausbeute doch im ganzen eine sehr schöne. Der Musikverein brachte P. E. Lange-
MüUera ältere, teilweise etwas locker aufgebaute, aber poetische Symphonie .Herbst*,
später, als schon fest veraltete Neueinstudierung »Die Walpurgnisnacht*; der Cäcilienverein
Bachs Johannes-Passion; Wolfgang Hansens «Philharmonische Soireen* das beliebte,
leicht zugängliche Quintett von Otto Mailing, ein älteres Klaviertrio von Gustav Helstedt,
ein stimmungsvolles Werk von etwas nordischem Ton, und, ziemlich erfolglos, eine neue
Cello-Sonate von G. Höeberg. — Sonst gab es jedenfalls mit Ausnahme von den immer
guten «Palaiskonzerten* (Joachim Andersen) meistens Solistenkonzerte. Von Ausländem
konzertierten: Hugo Becker und Borwick mit viel Glück, ferner Sarasate bei spärlich
besuchtem Haus. — Bei den Voratellungen des »Oberbrettls* des Baron v. Wolzogen
muteten die fein abgetönten und sicher pointierten Gesangsvorträge der Frau v. Wolzogen
künstlerisch an. — Von unseren eigenen Solisten machten sich besonders bemerkbsr ein
debütierender Klavierapieier Herr Rihl und der noch jugendliche Violinist Julius Thomberg,
der wirklich das Zeug zu einem bedeutenden Virtuosen bat. William Behrend.
KRAKAU: Die neue Saison nahm einen vielveraprechenden Anfang. In zwei Gast-
Konzerten der unter Leitung Alexander Rajchmanns stehenden Warachauer Phil-
harmonie ward dem hiesigen Publikum zum ersten Mal die Gelegenheit geboten, diese
hervorragendste polnische Musikkörperachsft sowie deren Dirigenten, den in jeder Hin-
sicht modernen, bedeutendsten polnischen Pultvirtuosen Emil Mlynaraki kennen zu lernen.
Unserem durch europäische Philharmonie-Konzerte verwöhnten Ohr dünkte die Wieder-
gabe der polnischen Werke, wie Noskowski's nicht ganz origineller Variationen „Zzycia*
(worunter die beste «Die Elegie*), Paderewski's feininstrumentierter, echt sarmatische
Schwermut atmender «Melodie** und Zelenski's.^Zwischenakt* aus dem Drama «Wit Stwosz*
weit vollendeter, als jene Beethovens, Wagners und Richard Strauss'. — Den Reigen der
Konzert-Grössen eröffnete Alfred Grünfeld, der uns insbesondere durch die prachtvolle
Wiedergabe von Wagner-Brassins «Feuerzauber* entzückte. Ihm folgte der hiesige viel-
veraprechende Leschetizki- Schüler Ignacy Friedmann, in dessen Programm uns eine
Komposition des hiesigen Prof. Felicyan Szopski angenehm auffiel. Bernard Scharlitt.
473
KRITIK: KONZERT
LEIPZIG: Das eigentliche Musikereignis der letzten Wochen und wohl tucb der gtnzen
bisherigen Konzertsaison bildete die vom Riedel -Verein unter Hofkapellmeister
Dr. Göhler unternommene Busstags -AuffQhrung der «Grande Messe des morts* von
Hector Berlioz. Schon abends zuvor bei der Generalprobe war die weite Thomaskirche
bis auf den letzten Platz besetzt — und bei der Auffuhrung standen die Hörenden dicht-
gediüngt selbst in den Gingen noch. Göhler brachte das imposante Werk in der
originalen Instrumentenbesetzung mit den vier Nebenorchestern, mit einem Chore von
nahezu 500 Stimmen und mit Herrn Urlus als vortrefflichem Interpreten des Tenorsolos
sicher, ziemlich ausdrucksvoll und wirklich wirksam zur Wiedergabe, und wenngleich
einzelne Details der Aufführung und die vom Dirigenten für die Programme geschriebene
Einführung eine rückhaltlosere künstlerische Hingabe an das eigenartig-kühne Werk ver-
missen Hessen, so muss doch die in ihrer Gesamtheit schöngelungene Tat Göhler
und dem Riedel-Verein mit vielem Dank und zu höchstem Ruhm angerechnet werden.
Es war da doch endlich wieder einmal etwas „Unbeschreibliches* getan gegenüber dem
allzuvielen «Verginglichen** und „Unzulinglichen** unseres sonstigen Konzertlebens. Das
Böhmische Quartett, das in Gesellschaft einer minderwertigen Gesangssolistin Catsie
Helmrich-Hofmeister und der vortrefflichen Martha Remmert konzertierte, spielte nicht
so sauber und tonschön als sonst; die sehr begabte Klavierspielerin Clara Birgfeld, die
im Verein mit der werdenden Sängerin Barth-Schirmer debütierte, und der technisch
hochentwickelte Pianist Waldemar Lütschg, der den anspruchslosen Liederabend
von Hansi Delisle verschönte, stellten den Hörenden gute Wechsel für die Zukunft
aus; Sanna van Rhyn und Franz Bergen brachten in gut künstlerischer Weise weniger
bekannte Lieder und Duette älterer Meister und jüngster Gesellen zum Vortrag; Fritz
von Böse machte in rühmenswerter Ausführung mit Wilhelm Bergers etwas zer-
pflückter H-dur-Klaviersonate op. 76 bekannt und hatte zu trefflichen Mitwirkenden
für F. W. Rusts d moll-Sonate und für Schuberts Es-dur-Trio den Hamburger Konzert-
meister Ottokar Kopecky und den einheimischen Violoncellisten Robert Hansen ge-
wonnen, und begeisterte Aufnahme fand rechtens wieder Camilla Landi, die dies-
mal an einem eigenen Liederabend ihre schöne Gesangskunst offenbarte. Tiefste
künstlerische Freude rief eine Gewandhaus - Kammermusik hervor, in der nur
Werke von Brahms erklangen und das herrliche Hörn - Trio und das g - moU - Klavier-
quartett mit Eugen d' Albert als berufenstem Brahms - Interpreten am Flügel des
Meisters allermenschlichstes a - moll - Streichquartett umschlossen. Im vierten Phil-
harmonischen Konzert, dessen Solistin die gefeierte Franceschina Prevosti war,
gelangte unter Windersteins Leitung Hugo Wolfs »Penthesilea* zur Uraufführung
und wurde mit berechtigtem Interesse aufgenommen. Schlimm war es um das
siebente Gewandhauskonzert bestellt, in dem man sich nicht nur einen ganz ge-
wandhausunreifen Petersburger Geiger, Herrn Besekirsky, gefallen lassen musste,
sondern auch bei den Orchestervortrilgen kleine Versehen und eine wohl mit durch
die beängstigenden Vorkommnisse beim Tschaikowskyschen Violinkonzert hervor-
gerufene Nervosität und Derbheit der Ausführung zu bemängeln hatte. Webers
Euryanthen - Ouvertüre und Wagners „Eine Faust - Ouvertüre* verkümmerten unter
solcher Behandlung, und erst bei den drei letzten Sätzen der e-molI-Symphonle von
Brahms standen Dirigent und Orchester wieder auf Gewandhaushöhe. Das Auftreten des
Hofkapellmeisters Franz Mikorey und der Dessauer Kapelle im vierten Eulenburg-Konzert
brachte namentlich hinsichtlich des im vorigen Jahre mit so grosser Reklame in Szene
gesetzten jungen Dirigenten eine grosse Enttäuschung! Herr Mikorey scheint einer jener
Kapellmeister zu sein, die nicht die Partitur im Kopfe, sondern den Kopf in der Partitur
haben und denen somit eine geistig-freie Interpretation versagt bleiben muss. Das Orchester
474
DIE MUSIK III. 6.
war zu dfinn fQr die Alberthalle, und Cornelius' «Barbier-Oaverture", Liszts .Tasto" nnd
Beethovens »Siebente* blieben daher ziemlich eindruckslos. Herr Loritz trug dazwischen
mit sympathischem Stimmklang den »Schiller-Hymnus* von Richard Strauss und Loewes
Balladen-Cyklus »Gregor auf dem Stein" vor. Arthur Smolian.
LONDON: Es geht ein Singen und Klingen durch die Riesenstadt. Die grossen f&r
die grellftrbigen Plakate bestimmten Mauern, Giebel und Dicher sind so voUstindig
bedeckt mit Lockungen, Musik zu hören, dass, wenn der italienische König mit seiner
Gemahlin in diesen Tagen durch London ziehen wird, er die britische Metropole schier
als Polyhymniens Winterpalast ansehen msg. »Die Masse muss es bringen,* dieses
Motto scheint bei unseren Entrepreneuren das wichtigste künstlerische Stichwort. Durch-
schnittlich laden zwei Konzertgeber die Freunde der Kunst täglich in je eine der grossen
Musikhallen der Hauptstadt, das macht per Tag mindestens acht bis zehn Veranstaltungen.
Kein Wunder, dass mit Ausnahme wirklich hervorragender Dsrbietungen das Freibillet
in Permanenz erkürt ist. Tout comme chez nous! Von den Veranstaltungen, die der
Erwähnung wert erscheinen, sei diesmal eines Konzertes gedacht, das zwei deutsche
Mftnnergesangvereine zum besten des deutschen Hospitals in dem vornehmsten Konzert-
saal Londons, der St Jsmes's Hall darboten. Der materielle Erfolg war dank dem un-
erschöpflichen Wohltitigkeitssinne der deutschen Kolonie ein glinzender, der kfinst-
Jerische ein sehr befriedigender. Die beiden Chöre, »Freundschaft* und »West London*
genannt, zeigten unter ihrem tfichtigen Leiter, Herrn Sondermann, eine löbliche kSnst-
lerische Disziplin und eine nicht geringe Intelligenz. Man darf das soziale Moment nicht
ausser acht lassen, wenn man den Leistungen gerecht werden will. Die Mitglieder sind
meist Handwerker und junge Kaufleute, die sich die wenigen Stunden zur Obung mit
Mühe und strenger Selbstzucht absparen müssen. Der Vortrag, namentlich der Volks-
lieder, erinnerte an die besten Muster. — Die Richter- Konzerte haben wieder begonnen
und dieselbe freudige Teilnshme gefunden, die ihnen nun all die Jahre hindurch treu
blieb. Auch die Kruse-Konzerte, die im vorigen Jahre einen künstlerischen, sber sehr
geringen geschiftlichen Erfolg finden, scheinen diesmal einen grösseren Kreis anzuziehen.
Berlioz ist unter der Ägide von Richter wie von Weingartner die Mode des Tsges.
Freilich nur die Mode, denn so recht tief gehen die Spuren des französischen Meisters
in die grosse Masse nicht. Es war übrigens interessant, die beiden deutschen Orchester-
leiter zu vergleichen; für den gesunden Dr. Richter schien Berlioz weniger zu taugen,
als für seinen feinfühligen Kollegen Weingartner. — Kubelik, Busoni, Leonard Borwick,
Josef Hofmann und ein ganzes Heer von kleineren Göttern und Götzen stehen auf
dem tSglichen Programm und verheissen bis in die Weihnachts-Woche ein singendes,
klingendes Heer von grossen, mittleren und kleinen'Genüssen. A. R.
MAGDEBURG: Der Monat November lieferte eine reiche Ausbeute an geistlicher
Musik. Der Brandtsche Gesangverein führte unter Musikdirektor Brandt mit der
Herzog in trefflicher Weise Haydns Schöpfung suf und der Kirchengesangverein unter
Musikdirektor Kauffmann mit der Geller- Wolter und anderen Solisten das Requiem von
Georg Henschel: ein geist- und gemütvolles, grosszügiges Werk, tiefergreifend in
seinen Einzelheiten. Auch hier war ein voller Erfolg festzustellen. — Im »Kauf-
männischen Verein* hörte man u. a. ein neues kleineres, lustiges Werk von Waldemar
von Baussnem (noch Manuskript), eine Ouvertüre nach dem Motto: »Treibt der
Champagner das Blut erst im Kreise*. Eine feurige vino d'Asti spumante Melodie taucht
inmitten übermütig witziger Orchesterklinge auf, ein Symposion bildet den Schluss:
eine feine und geistvolle Arbeit. — Godowsky sass am Flügel wihrend des Konzertes
von Saint-Saöns. Im letzten Harmoniekonzert hörte man Prof. Heerman das Violin-
konzert von Strauss spielen: eine Meistergeige und ein Meistergeiger. — Joachim nnd
d'Albert gaben einen Sonatenabend und wurden sehr gefeiert. Max Hasse.
475
KRITIK: KONZERT
MAINZ: Wie auch anderwärts bat unter Konzertleben in der neuen Saison wieder
eine quantitative Steigerung aufzuweisen. In Zahl und Gestalt gleich geblieben
sind eigentlich nur die stidtischen Symphoniekonzerte, während die Zahl der grossen
ChorauffOhrungen der Mainzer Liedertafel auf sechs gestiegen ist, drei Konzerte fOr
die Mitglieder und drei Volkskonzerte. Zu den sechs Kammermusikveranstaltungen der
Liedertafel, die teils durch das Heermannsche Quartett, teils durch die hiesige Quartettver-
einigung ausgeführt werden, sind noch zwei Abende Kammermusik für Bläser hinzugekommen.
Rechnet man dazu nun noch die Fülle von Solisten-, Kirchen-, Männerchor- und sogar Pianola-
konzerten, so kann man sich immer nur wundem, woher alle die Leute kommen, die
diese FClIe der Musik auf sich wirken lassen, denn über schlechten Besuch der meisten
dieser Konzerte kann man nicht klagen. Aber auch qualitativ kann ich gutes berichten.
Die drei bisher stattgefündenen Symphoniekonzerte unter Emil Steinbachs Leitung
brachten neben bewährten Werken unserer Grossmeister auch verschiedene moderne und
zwar mit bestem Erfolg; so neben der bereits früher aufgeführten cmoll-Symphonie von
Glazounow, Tschaikowsky's leidenschaftliche und glühende Tondichtung „Francesca da
Rimini*. Einen sehr guten Eindruck machte auch Boehes Odysseus (I). Das klangschöne
und von natfirlichem Empfinden getragene Werk fand eine ganz vortreffliche Wiedergabe.
Dasselbe gilt auch von Dohnanyi's Symphonie, die Steinbach schon in voriger Saison
mit Erfolg aufgeführt hatte. Fast noch besser gefiel der Komponist als Pianist. Er
spielte Beethovens G-dur-Konzert ganz vortrefflich. Von den übrigen Solisten interessierte
besonders Edith Walker. — Im ersten Quartettabend der Liedertafel wirkte vor allem
Verdl's Quartett durch eine geradezu meisterhafte Vorführung seitens Heermann und
Genossen; im darauffolgenden Abend der Mainzer Vereinigung trat neben dem Streich-
quartett zum ersten Male die neue Bläservereinigung erfolgreich mit Beethovens Es-dur
Sextett auf. — Das erste Chorkonzert der Liedertafel brachte Händeis F-durKonzert für
Orgel und Orchester, von Dr. Reimann (Berlin) ganz wunderbar gespielt. Glucks Orpheus,
in dem Therese Behr die Titelpartie mit dramatischer Lebendigkeit und dem ganzen
Klangzauber ihrer edlen Stimme durchführte, von Marie Blanck-Peters (Eurydice) und
FrL Hubert (Amor) aufs beste sekundiert. Als Novität erschien in diesem Konzert
Fritz Volbachs ,,Raffael* für Chor, Orchester und Orgel unter des Komponisten Leitung
zum ersten Male in all seinen Teilen. Dr. Fritz Volbach.
METZ: Der „Metzer Konzertverband* veranstaltete eine Aufführung des Verdischen
Requiems. Zweck und Ziel des Verbandes ist Metz, die westlichste Stadt Deutsch-
lands, zu einer Musikstadt von Rang und Bedeutung emporzuheben. Die begeisterte
Aufhabme dieser Idee von selten aller Bevölkerungsschichten, das freudige, opfermutige
Mitwirken der zum Teil vorzüglichen Militärkapellen, die Besetzung der Dirigentenstelle
mit einer ersten Kraft, das alles half dem Verband durch die ersten, kritischen Jahre
hindurch und verschaffte uns eine Requiemaufführung, die das Bestehen des Verbands
als zweifellos gesichert erscheinen Hess. Chor und Orchester, aus über 400 Personen
bestehend, war von grösster Reinheit und Präzision. Unter den Solisten boten Dr. Kraus
und Tilly Hinken-Kahnbley makellose Leistungen. Der Dirigent Walther Unger erwies
sich als ein durchaus sicherer, grosszügiger Führer. Otto Weih
NEW YORK: Unsere Konzert-Saison eröffnete Hermann Hans Wetzler mit seinem
ersten Symphonie-Konzert. Programm: Siebente Symphonie von Beethoven, Mazeppa
von Liszt, Violin-Konzerte von Mozart in Es-dur und Saint-Saöns in f-moll (Jacques Thibaud).
Wetzler bat ein ganz ausgezeichnetes Orchester ersten Ranges engagiert und es
durch sorgnitige Proben trefflich geschult Seine Leistungen sind viel reifer als in
voriger Saison, nur neigt er etwas zu sehr zum Verlangsamen der Tempi, besonders im
Trio des Beethovenschen Presto. Mazeppa gelang vorzüglich. Thibaud ist ein Geiger,
476
DIE MUSIK IIL a
wie] man' [ihn selten antrifft. — Die ,» Abschiedskonzerte« von Adelina Patti waren ein
kfinstlerisches Fiasko. — Das Kneisel-Qturtett spielte in seinem ersten Konzert vor aus-
▼erkauftem Hause Schuberts d-moll- Streich-Quartett und eines in G-dur, op. 15 von
A. Kopylow, dazwischen trugen Harold Bauer und Alwin Schroeder die A-dur Cello-Sonate
von Beethoven meisterlich vor. Kopylows Quartett ist eine tüchtige Arbeit, aber nicht
mehr. Es fehlt an jeglicher Inspiration. Die Themen sind nicht fesselnd. Seit die vier
Künstler aus dem Bostoner Orchester ausgetreten sind, scheinen ihre Leistungen noch
zu wachsen. — Richard Arnold spielte mit seiner Vereinigung im ersten Liederkranz-
Kammermusik- Konzert das Quartett in P-dur op. 96 von DvoHk und ein Sextett-Diver-
timento op. 53 von Gemsheim. — Einen grossen, echten Erfolg hatte der junge blinde
Violinist Edwin Grasse, der nach seinen europiischen Triumphen in der Heimat debütierte.
Er ist ein ausgesprochenes Talent. In seinem ersten Konzert mit Orchester (Wetzler)
in Carnegie Hall spielte er die Konzerte in E-dur von Bach, D-dur von Brahma und die
Schottische Phantasie von Bruch mit glänzender Technik und viel Innigkeit. — Stürmisch
gefeiert wurde Edouard Colonne, der das erste Konzert der Philharmonischen Gesellschaft
leitete. In der Ouvertüre «Patrie« von Bizet, einem, wenn auch nicht gerade hervorragen-
den, so doch äusserst interessanten Werke, und in der »Fantastischen Symphonie« erwies sich
Colonne als Dirigent ersten Ranges. Thibaud war wieder der Solist und hatte einen Riesen-
erfolg, trotzdem er das stellenweise langweilige Konzert in F-dur, op. 20 von Lalo spielte.
— Julius Lorenz brachte im Arion-Konzert die Ouvertüre ^Römischer Karneval« von
Berlioz und den »Karfreitags-Zauber« mit gutem Gelingen zur Aufführung. — Zum ersten-
mal erschienen hier auf einem Programm Kompositionen von Hugo Wolf. Der amen-
kanische Tenorist Kelley Cole sang in seinem Recital fünf Lieder des hier noch gänzlich
unbekannten Komponisten, konnte aber, obgleich er eine hübsche Stimme besitzt, infolge
vollkommener Verständnislosigkeit für den Inhalt und ungewöhnlich schlechter Aus-
sprache des Deutschen es zu keinem Erfolge bringen. Arthur Laser.
NÜRNBERG: Unser philharmonischer Verein spart, und das ist. nicht nur sein künst-
lerischer Schaden ; bei den Solisten fehlen die Namen, die bei dem »grossen Publikum«
(und das füllt doch schliesslich die Säle und Kassen) zugkräftig sind, und die Programme
entbehren jeden Reizes. Hermine Bosetti sang im ersten Konzert, sicher und gut,
aber nicht ganz mit dem Herzen, und Frau Langenhan-Hirzel meisterte in ihrer nervös-
leidenschaftlichen und persönlichen Art das Klavier. Kapellmeister Bruch konnte seine
ganze Kunst, modemer Musik eigenes Leben einzuhauchen, erst im Orchestervereins-
konzert beweisen, wo er S. v. Hauseggers »Barbarossa« technisch und geistig hervor-
ragend herausgebracht hat. J. S. Bachs Konzert No. 6 für Soli und Orchester hätte
bis auf den Schlusssatz weniger pedantisch-würdig aufgefasst werden können. Warum
so viele Dirigenten bei dem Namen »Bach« sofort eine Miene annehmen, als wenn sie
selbst Perrücken trügen und als wenn dieser Seelenmeister niemals ein herzliches, fröh-
liches Gesicht gemacht hätte! Femer sang noch Ella Tordek und ftmd dank mancher
ausserhalb der Kunst stehenden Vorzöge reichen Beiftll. An demselben Abend ver-
sündigte sich der zweite Kapellmeister unserer Oper B. Hartl an Webers Konzertstück.
Bruch spielte mit seinen Philharmonikem Svendsens frische und gut instramentierte
Symphonie in D und wusste der Goldmarkschen »Sakuntala« frischen Farbenzauber zu
schenken. Von Sängem hörten wir noch Ludwig^Hess mit einem prachtvollen Liederabend
und Bertram mit seinen grandiosen Leistungen als Wagnersänger. Von den mitwirkenden
Pianisten Bmno Hinze-Reinhold und Alex. Dillmann ist der letztere unzweifelhaft der
bedeutendere und interessantere. — Das Kaimorchester hat uns unter Weingartner
Brahms' II. gebracht. Liszts »Mazeppa« wirkte danach doch nur wie effektvolle Deko-
ration und das Publikum hat sich an Mendelssohns .Sommemachtstraum« am meisten
477
KRITIK: KONZERT
erfreut Im zweiten Konzert, einer antizipierten Berliozfeier, dirigierte Peter Raabe den
Harold und die Fantastische. Den Violapart hat Hermann Ritter wieder einmal un-
übertrefflich gespielt. Endlich noch ein Konzert des Vereins für klassischen Cbor-
gesang! Programm: zwei Kantaten von Bach und Brückners Te deum. Infolge einer unge-
schickten, akustisch unmöglichen Aufstellung in der Lorenzkirche ist ein abschliessendes
Urteil ausgeschlossen. Schade jedenfalls um die M&he und Arbeit. Gehört hat man
Organisiertes, Abgestuftes und machtvoll Hinreissendes fast gar nicht; alles wurde von den
ungeheuren Säulenwölbungen unbarmherzig verschlungen. Dr. Fla tau.
PARIS: Während bei Lamoureux, nach der hier herrschenden Unsitte, ein Akt der
Götterdimmerung die Saison eröffnete, wurde im Chatelet Berlioz gefeiert, zuerst
durch die Fantastische Symphonie, dann durch seine zum Teil uninteressanten Ouvertüren,
deren eine jedes Programm einleitet. Colonne's Reise nach Amerika gab uns Gelegenheit,
in dem bekannten Komponisten Piern6 einen schwungvollen und sicheren Dirigenten zu
erkennen. Die von ihm geleitete Symphonie von Franck war auch eine Gedenkfeier, das
Lamento für Allerheiligen Tag des eben verschiedenen Joncidres leider in doppeltem
Sinne ein Gelegenheitsstuck. Von Novitäten hörten wir bei Chevillard eine fleissig
gearbeitete Symphonie von Wittkowsky, eine nicht reizlose symphonische Dichtung von
Busser , Herkules im Hesperidengarten* ; bei Colonne das farbenreiche Tongemälde von
Glazounow „Stenka-Razin* und ein von Capet glänzend gespieltes Violinkonzert von
Gemsheim, das sich durch melodischen Reiz und solide Faktur auszeichnet. Zu erwähnen
ist, dass man hier im Begriff ist, Liszt zu entdecken: wie zuvor die Faust-Symphonie,
begegneten nun ,»Les Pr^ludes** einem warmen Empfang bei Publikum und Presse. Es
gibt wohl auch für die Toten eine Mode! Sigismund StojowskL
PRAG: Konzerte und kein Endel Die deutsche Philharmonie brachte, von Leo Blech
dirigiert, eine Programm-Symphonie in d-moll von Dr. Georg Göhler, worin sich
der zweite .Verfuhrung'' betitelte Satz, ein Walzer (statt der Menuett) und der vierte
.Trauer und Trost** als wertvoll erwiesen. Solistin war Frau Schumann-Heink. Sie lang-
weilte mit einer faden Arie von Bruch und enthusiasmierte mit „alten, lieben Liedern*.
Man sagt, sie liebe Schubert. Verleumdung! Ober den ersten Band des Schubertalbums
scheint die Liebe nicht hinauszureichen. — Von Geigern hörten wir in letzter Zeit
Hubermann, Ysaye und Ondficek. Drei »gute Meister*. — Aufsehen erregte der eminente
Kontrabassvirtuose Prof. Kussewitzki aus Moskau. — Im Schulvereinskonzert fand das
Vokalquartett Jong-Behr-Hess-Eweyk mit Schumanns „Spanischem Liederspiel* und
Brahma .Zigeunerliedem* nicht die gebührende Würdigung. — Der stark dezimierte
Singverein erfreute wiederum durch ein sehr gutes Programm (Morley, Tuma, Rietsch,
Wolf). Hugo Wolf selbst ist hier vollends Mode geworden, wie der massenhafte Besuch
des Wolfabends der „Urania* bezw. dessen Wiederholung zeigte. Als moderne, intelligente,
leider stimmlich unzulängliche Liedersängerin stellte sich M. Ruhen vor. Einen Riesen-
erfolg hatte das Bertram konzert, trotz des nicht sehr geschmackvollen Programmes
(Eulenburg, Böhm, Wagnerfragmente). Die Tschechen führten zur Vorfeier von Berlioz'
100. Geburtstag „Fausts^Verdammung* auf. Deutscherseits spielte man in der Philharmonie
zu seinen Ehren die „Fee Mab* und den Rakoczymarsch. Dr. R. Batka.
RIGA: Ein mächtiger Ansturm von Konzerten hat sich hier in den letzten Wochen
vollzogen [und zwar gab es nicht nur Lieder- und Klavierabende, unter denen
namentlich die von Lula Mysz-Gmeiner, Sofie Menter und des in seiner Art unübertreff-
lichen Moriz Rosenthal intereasierten, sondern auch Kammermusik- und Orchester-
konzerte waren in reichem Masse vertreten. Leider aber musste dat][Brfisseler Streich-
quartett mit seinem wundervoll abgeklärten Ensemble vor leerem Hause spielen und auch
die vorzüglichen orchestralen Darbietungen der Lemberger Philbarmonikerjeroberten sich
478
DIE MUSIK III. 6.
erst nach und nach die Gunst unseres Publikums. Unter Leitung ihres Dirigenten Czelansky
veranstalteten die demnichst wiederkehrenden Lemberger etwa 10 Konzerte und brachten
Tondichtungen von Beethoven, Tscbaikowsky, Beriioz, Wagner und Strauss mit durch-
schlagender Wirkung zu Gehör. Das Programm wurde zuweilen durch ungereimte Ein«
Schaltung minderwertiger Kompositionen nachteilig beeinflusst Carl Waack.
ROTTERDAM: Haydns Jahreszeiten* fanden durch den gemischten Gesangverein
i^Exceisior* eine vortreffliche Wiedergabe. Musikdirektor Bernard Diamant hatte sie
mit grosser Sorgfalt vorbereitet und leitete die Aufführung mit imponierender Sicherheit
Von den Solisten zeichneten sich besonders aus: Alida Gldenboom-Lfitkeman und
W. Renaud (Tenor). «Gemengd Koor* (Dirigent Georg Ryken) hat mit Erfolg Emile
Wambachs ,»Yolande* zur Auffuhrung gebracht. Otto Wernicke.
SARAGOSSA: Unter der trefflichen Leitung von Kapellmeister Alonso Cordelas, der
seine musikalische Ausbildung in Deutschland erhalten hat, fand ein Konzert sutt,
bei dem u. a. das Vorspiel zu ^Lohengrin* und die «Jota Aragonesa* von Glinka unter
grossem Beifall zu Gehör gebracht wurden. R. W.
WIEN: Die Wiener Philharmoniker haben sich entschlossen in dieser Saison auch
einmal russisch zu kommen. Sie beriefen dazu den Direktor des Moskauer
Konservatoriums, W. J. Safönoff zur Leitung ihres zweiten Abonnementskonzertes. Er
stellte ein Programm von durchweg russischen Kompositionen zusammen. Eine c-moll
Symphonie von Alezander Glazounow machte den Anfang. Sie zeigt in allen Sitzen
konstant nach Westen, ist eine vortreffliche Arbeit und enthält Erfindung genug, um das
Interesse während des Hörens nicht erlahmen zu lassen. Einen tieferen Eindruck, der
als gewonnene innere Erfahrung dauernd nachwirkt, wird niemand von ihr empfangen.
Individueller, wenn auch weniger msgistral, voll hfibscher Klangwirkungen und
Berliozscher Orchesterscherze ist Rimsky-Korsakoffs „Scheherazade*. Sowohl das un-
gewohnte aber fesselnde Programm als der Dirigent erregten das Interesse des Publikums.
Safönoff ist als Orchesterleiter eine Charakterfigur, ausgezeichnet durch Temperament,
Prignanz der Rhythmik und imperatorische Macht über den Instrumentalkörper. —
Im übrigen signalisieren die Programme das Herannahen des hundertsten Geburtstags
Berlioz'. Der Wiener Konzertverein bot eine vortreffliche Aufführung der Fantastischen
Symphonie, die Gesellschaft der Musikfreunde brachte «Fausts Verdammung* mit
Marcella Pregi als Margarete, Raoul Walter als Faust und Gmür als Mephisto. Beide
unter der Leitung Ferdinand Loewes, dessen Gewissenhaftigkeit und Verständnis sich in
der Darstellung beider Werke wieder bewährte. — Virtuosenproduktionen werden in einer
fast beklagenswerten Oberzahl geboten. Erfreuliches findet sich freilich darunter. Wenn
Ernst von Dohnänyi am Klavier sitzt, ist man sicher, Musik aus erster Quelle zu hören.
Seine von jedem Raffinement und aller Manier freie, geniale Spielweise entzückte denn
auch die Hörer. Liszt's B-a-c-h-fuge, Schumanns „Kreisleriana* erklangen wie an ihrem
Geburtstage in der musikalischen Verstell ungs weit ihrer Schöpfer. Emil Sauer ver-
sammelte seine grosse Gemeinde und erfocht für Liszts erst in den letzten Jahren ge-
bührend gewürdigte h-moU-Sonate einen grossen Sieg. Sofie Auspitz, wohl die begabteste
unter den Wiener Klavierspielerinnen, legitimierte sich als vortreffliche Kammermusikerin
in der Violoncellsonate von Brahms, die sie mit Wilhelm Jeral zu vollendetem Vortrag
brachte, und glänzte durch ihren schönen, gesangvollen Anschlag in Sauers musikalisch
glatter Klaviersonate. — Wera Schapira, die vor zwei Jahren als Wunderkind viel ver-
sprach, hat bei ihrem Wiederauftreten in einem eigenen Konzert noch mehr gehalten.
Es bleibt nur zu sagen, dass das fünfzehnjährige Mädchen Bachs grandiose Goldberg-
variationen nicht nur mit nie versagender Gedächtnistreue, sondern auch rythmisch lebendig,
das Stimmengewebe mit voller Klarheit biossiegend spielte. Als Liedersängerin fknd
47&
KRITIK: KONZERT
Helene Staegemann auch in diesem Jahre viele Sympathieen. Ober ihren feinen Vortrags-
gescbmack hinaus trftgt sie ihre Begabung bis zu tieferen Wirkungen, die sie mit
Liedern wie Cornelius' «Untreu* und Schuberts »Nacht und Träume* erzielte. — Willy
Burmester gewinnt in immer höherem Grade die Gunst der Musikfreunde durch seine
Meisterschaft und Virtuosität auf der Geige. — Als halbes Kuriosum ist das Konzert
des Kontrabassvirtuosen Eduard Madenski zu erwähnen. Dieser Nachfolger Bottessini's ist
ein grosser Meister auf seinem Instrument und als solcher in der Lage, ihm auch
Wirkungen abzunötigen, die seiner Natur nicht gemäss sind. Es ist schwer, Grund-
mauern ohne Oberbau zu architektonischer Wirkung zu bringen. Der Reichtum seines
Programms an2Serenaden, Pastoralen, Souvenirs undReverieen Hess schliesslich den Wunsch
aufkommen, zur Abwechslung einen Elefanten weinen zu sehen. Gustav Schoenaich.
WORZBURG: Das musikalische Leben Wfirzburgs ist unbedingt beherrscht von der
Kgl. Musikschule, die ihren Ruhm, trotz bester alter Traditionen den akademischen
Zopf nicht aufkommen zu lassen, bewahrt. Den besten Beweis hiefur liefert der Leiter
des Instituts Hofrat Dr. Kliebert wieder eben mit einer Auffuhrung von Wolfrums »Weih-
nachtsmysterium*, wobei die moderne Anordnung des Klangkörpers mit verdecktem
Orchester erfolgreich zur Anwendung kommt. In einem früheren Konzert spielte das
hier sehr beliebte Böhmen-Quartett. Von Privatkonzerten wirbelte ein Symphoniekonzert
Weingartners etwas Staub auf, da er am Konzertabend den wochenlang vorher bestimmten
Saal ref&sierte und einen anderen Raum wählte. In der Sache hatte Weingartner wohl
Recht, die Form veranlasste aber bittere Kritik. Dr. Kittel.
ZÜRICH: Ob wohl irgendwo bei 150000 Einwohnern eine grössere Interessenlosigkeit
Konzerten gegenüber zu finden ist, wie in Zürich? Wenn der akkreditierte Häuser-
mannsche Privatchor neben andern Delikatessen Hans Hubers Liederzyklus »Sangeslust*,
also einheimische Vertonung bester einheimischer Dichtung, vor leeren Bänken singen
muss, so charakterisiert das die Situation. Der sich sehr schön und vielseitig ent-
wickelnde Organist Isler konnte von Glück sagen, dass die Kirche, in der er uns
mit mehreren [selten gehörten Werken bekannt machte, leidlich gefüllt war, und den
Vogel schoss in dieser Hinsicht der Liederabend von Nina Faliero-Dalcroze ab, in dem
uns die geschickte Sängerin speziell durch Interpretation französischer graziöser Kompo-
sitionen ihres Gatten entzückte. Natürlich ist das Stammpublikum der Tonhalle-Symphonie-
konzerte stets in alter Vollzahl vorhanden und fand sich auch zum Teil bei der Wieder-
gabe von Berlioz' »Totenmesse* ein, mit der der junge Berner Andrea als Nachfolger
Hegars in der Leitung des gemischten Chors Triumphe feierte. Ferner kann hier noch,
da wir nun einmal die patriotische Saite erklingen Hessen, Hans Richard erwähnt werden,
ein Klaviervirtuos von zweifellos grosser Zukunft. Dagegen konnten trotz Hegars genialer
Interpretation weder Dvoräks Symphonie »Aus der neuen Welt* noch Weingartners raffinierte
zweite Symphonie Erfolg erzielen. Einen reicheren errang'sich die Sopranistin Münchhoff,
deren frische wohlgebildete Stimme lebhaften Eindruck machte. W. Niedermann.
Als Illustratioii zur Studie Th. von Frimmels bringen wir die Abbildung des
Beethoven-Medeillonsy daa Tennutlich Ton Jacques Edouard Gatteaux herrührt
Das folgende Blatt zeigt uns das Schwarzspanierhaus in Wien, das Beedioven
vom Oktober 1825 an bewohnte. In dem von spanischen Benediktinermönchen einst
erbauten Hause hind der Meister, der allein von 1822 bis Oktober 1825 nicht weniger als
acht Mal die Wohnung gewechselt hstte, endlich ein ihm zusagendes Heim, in dem er
auch am 26. Mirz 1827 gestorben ist. Erfreulicherweise verwirklicht sich der an-
fängliche Plan, das Gebftude abzubrechen, anscheinend nicht; das Stift Heiligenkrenz
als Eigentümer des Hauses will die darin enthaltenen Bestandteile der ehemaligen
Wohnung Beethovens der Gemeinde Wien zur Errichtung eines Beethovenzimmers über-
geben; ein anderer Plan geht dahin, den Teil, der die Wohnung enthielt, beim Neubau
in unverändertem Zustand zu erhalten. Einstweilen hat am 15. November im Schwarz-
spanierhaus eine von der Gemeinde Wien veranstaltete Gedenk- und Abschiedsfeier
stattgefunden.
Auf der nächsten Beilage erblicken wir das Stuttgarter Liszt- Denkmal von
A. Fremd (cf. die Notiz von Dr. Karl Grunsky Heft IV, Seite 294) nach einer Photographie,
die uns die Stifterin, Frau Johanna Klinckerfuss, in liebenswürdiger Weise zur Ver-
fQgung gestellt hat.
Zum Gedenkblatt von Dr. Wilhelm Altmann (Heft IV, Seite 282 u. 283) gehört das
Porträt Joseph Mayseders.
Den Namen eines anderen, noch unter uns weilenden Meisters der Geige lesen
wir auf der Reproduktion eines alten Programms: am 16. November 1843 trat »Herr
Joseph Joachim aus Wien" zum erstenmal vor das Publikum der Gewandhauskonzerte.
Am 23. November waren fünfzig Jahre seit dem Ableben von Friedrich Schneider
vergangen. Wir veröffentlichen einen Brief im Faksimile, der sehr interessante
Streiflichter auf den Charakter des Schöpfers des ftüber so hochgestellten Oratoriums
»Das Weltgericht** wirft.
Zwei unlängst verstorbene Komponisten führen uns die folgenden Blätter im Bild
vor: den Franzosen Victorin de Jonciöres und den Italiener Crescenzio Bnongiorno.
Unsere diesmalige Musikbeilage hat Felix Weingartner zum Autor. Das hübsche
Lied nach den Worten von Martin Greif ist dem Cyklus »Mädchenlieder" op. 32 ent-
nommen.
Nachdruck nur mit aosdrScklicher Xilaubiiit des Verkges g«itatt«t
Alle Rechte, iasbesondere des der Obcrsetsunf , Toibehelten.
fBr die ZoffickseiiduDg nnTerlangter oder nicht angemeldeter Mannskripte, falls ihnen nicht genflgend
Porto beiliegt, übernimmt die Redaktion keine
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schnster
Berlin SW. 11, Luckenwalderstn 1. III.
BEETHOVEN -MEDAILLON
vermutlich von Jacques Edouard
O O O Gaireaux o O O
DAS STUTTGARTER LISZT-
DENKMAL VON A. FREMD
JOSEPH MAYSEDER
fZI. NOVEMBER 1863
'üBümii
Siebentes
ABOMEMENT-CONCERT
im Saale des Geir^andhauses zu Leipzig,
Donnerstag, den 16. November 1843.
Mlrster Theii.
Militär^Symphonie von Jos. Haydn.
Recilaliv und Arte aus der ScliöpfuDg v. J. llaydn , gesungen
von Miss Birch.
And God said :
Leth ihe earth bring forth grass , Ibe herb yielding seed, and ihe fruil tree
]ielding fruit , afler bis lünd , wbose seed is in itself upon tbe eartb , and it was so.
Witb verdure clad Ihe Gelds appear,
DeligbtfuI to Ihe ravish'd sense;
By flowers sweet and gay
Enbanced is tbe charming sight.
Here breathe their sweets the fragnaot herbs
Here sboots tbe bealing plant
By loads of fruit th'expauded boughs are presscd.
To sbady vaults are beut tbe tufty gi*oves
Tbe mountains brow is crown'd witb closed wood. —
Fantasie über Motive aus Othello für die Violine von Ernst,
vorgetragen von Herrn Joseph Joachim aus Wien.
^iia^Bgiilillllgi^
PROGRAMM MIT DER ANZEIGE DES ERSTEN AUF-
TRETENS VON JOSEPH JOACHIM IM GEWANDHAUS
III. 6
Aus dem Musikhiscorischen Museum des
Herrn Fr. Nicolas Manskopf, Frankfurt a. M.
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VICTORIN DE J0NC1£RES
t 26. OKTOBER 1903 o o
CRESCENZIO BUONGIORNO
fV. NOVEMBER 1903
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Prof. Dr. Behncke. der Schwiegersohn von Marx, hat die 3., 4., 5. Auflage dieses Werkes bearbeitet und
vermehrt. Ausser zahlreichen Noten im Text enthält das Werk 9 autographische Beilagen, nebst einem autographischen
Briefe Beethovens an Bettina von Arnim-Brentano. Ein Sachregister, das bisher fehlte, ist dieser Auflage beigefügt.
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Beethovens, 1872. Stuttgart bei Cotta, folgendermassen.
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wandlerin)
Boito« Meßstofele
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liche Ehe)
Donizetti» L'Ajo neirimbarazzo
— Anna Bolena
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Regiments-Tochter) ....
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— Lucia dj Lammermoor ....
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— Maria di Rohan
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— La Regina di Golconda . . .
— Roberto Devereux
Floridia« La Colonia Libera . .
Flotow, Martha . .
Franchetti, Asrael
— Cristoforo Colombo
— Germania
Gastaldon, Mala Pasqua . . .
Gluck, Alceste
— Armida
— Orfeo ed Euridice
Hal6vy, UEbrea (Die Jüdin) . .
Herold» Zaropa
Marchetti, Ruy Blas
Mascagni, Iris
Mascheroni, Lorenza ....
Mercadante, II Bravo ....
— 11 Giuramento
Meyerbeer, Dinorah
— 11 Profeta (Prophet)
— Roberto il Diavolo (Robert der
Teufel)
— Gli Ugonotti (Hugenotten) . .
Mozart, Don Giovanni (Don Juan)
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— Le Nozze di Figaro (Fig. Hochz.)
Nicolaj, Le vispeComari di Windtor
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PonchielU, La Giooonda . . .
Puccini, La'Ek>h6me
— Manon Lescaut
— Tosca
■^^ LtC w 1111 ..•......«
Ricci, (FraL) Grtspino e la Comare
Rossini, L'Assedio di Corinto .
— II Barbiere di Siviglia ....
— La Cenerentola
— II Gonto Ory
— La Gazza ladra ( Diebische Elster)
— Guglielmo Teil (Wilhelm Teil)
— L'ltaliana in Algeri
— Mosö
— Otello
— Semiramide
Spinelli, A Basso Porto . . .
Spontini, Fernando Gortez . .
— La Vestale
Verdi, G., Oberto Conte di San
Bonifacio
— II flnto Stanislao (Der falsche
Stanislaus)
— Nabucodonosor
— I Lombard! alla prima Crociata
(Der Lombarden 1. Kreuzzug)
— Ernani
— I dueFoscari(Die beiden Foscari)
— Giovanna d'Arco
— Alzira
— Attila
— I Masnadieri (Die Rtuber) . .
— II Corsaro .
— La Battaglia di Legnano (Die
Schlacht am Legnano) . .
— Luisa Miller
— Rigoletto
— II Trovatore (Troubadour) . .
— La Traviau (Violetta) ....
— Traviata, Miniatur- Ausgabe 16®
— I Vespri Siciliani (Sicilianische
Vesper) •
— Aroldo ....
— UnBallo in Maschera (Maskenball)
— La Forza del Destino (Die Macht
des Geschickes)
— Macbeth
— Don Cario
- Aida
— Aida, Miniatur-Ausgabe 16® .
— Simon Boccanegra
— Otello
— Falstaff
Weber, Der Freischütz ....
dtsch.
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No. i. Bittlied (H. Erier). Pr. 80 Pf. — No. 2. Osterlied (Oskar IL
V. Schweden). Pr. 80 Pf. — No. 3. „Wer weiss, woher das Brünnlein
quillt* (P. Heyse). Pr. 60 Pf.
— op. 28. Drei Ueder für eine Singstimme mit Pianoforte.
No. 1. Rispetti (P. Heyse). Pr. 60 Pf. — No. 2. Mausefallen-
Sprüchlein (Ed. Mörike). Pr. 1 M. — No. 3. Das Kind und
die Fliege (Ida Hahn). Pr. 1,20 M. — No. 4. Eislein (H. Erler).
Pr. 80 Pf.
Roth» Bcrtrand» op. 5. Seohs Oedlohte von Peter Cornelius,
für eine Singstimme mit Pianoforte. Heft i: Einsamkeit. —
,Ich stand am Fenster in der Nacht. ** — „Ich lag im stillen
Zimmer.* Pr. 2 M. — Heft II. „Wenn ein Kind im Dunkeln bang.*
— „Blume im Verwelken spricht.* — Versteckte Liebe. Pr. M. 1,80.
Bei Oswald Mutze in Leipzigs erschien soeben:
Moritz jfn W8|«(r(icnl(iiul$trdt
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Mit einem Bilde des Wagner-Denkmals.
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gezeichneten Wolfram darstellend.
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Der Verfasser verteitigt Leichner, den Errichter des
ersten deutschen Denkmals und Organisator der ersten
Weltfeier für Richard Wagner, der monatelang den
Schmähungen einer gewissen Presse ausgesetzt war,
mit Grundsätzen und Aussprächen Wagners, und weist
nach, dass die Leichnerhetze nur als letztes Glied
eines langen Sündenregisters Bajreuths gewesen ist.
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nachts-Albums und sonMigcn, planlo« /usammenKcstellten Weihnachislieder-Sammlunfsen nichts weiter K«niäinsamf als
höchstens und das nur zufällig hier und da den Titel einzelner Stücke. In allem übrigen ist das Werk als etwas
ganz vereinzelt in dietier Gattung der Musikliteratur Dastehendes zu be/ciohncn. Wiewohl von vornherein als ein
zusammengehöriges Ganzes gedacht, kann dennoch jeder ein/eine Teil davon herausgenommen und gespielt oder
gesungen werden. Die Kipkeschen nChristfcstbilder" bestehen aus den beiden Hauptabteilungen „V'or dem Feste"
und ^Der heilige Abend*^. Die erstere versinnbildei in kleinen Klavierstücken und Liedern die Festvorfreudcn und
führt uns in die Spinnstube, in der Grossmuttcr den lauschenden Kleinen die (icschichte von der Geburt Christi
erzählt. Auch der Knecht Ruprecht hat sich eingestellt. In der zweiten Abteilung nimmt das Kapitel „Was das
Christkindchen alles brachte" begreiflicherweise den breitesten Raum ein; hier hatte der Autor Gelegenheit, die tausend
Kleinigkeiten, an denen ja das Rinderherz hängt, in einigen charakteristischen Vertretern musikalisch zu illustrieren.
Trotzdem sind aber dabei die beiden vorangehenden Gruppen ^Morgen und Abend, Vurbcrcitung zur Bescherung'^ und
,«Die Bescherung*^ keineswegs /u kurz gekommen. Auch in ihnen hat Kipkc eine Fülle des Anregenden angehäuft.
Das ganze Werk, dem als Anhang noch ein paar Neujahrslieder beigegeben worden sind, lässt uns in seinem Autor
ebensowohl den erfahrenen Musikpädagogen, wie den warmherzigen Kinderfreund erkennen; die durchaus sinngemässe
und wohldurchdachte Anordnung des gesamten Stoffes in den „Christfestbildern** interessiert aber auch den Erwachsenen
aufs lebhafteste, wiewohl das .«tchmuck ausgestattete Heft zunächst wohl für die Hand der Kleinen bestimmt sein mochte.
Wer sich einmal mehr als bloss nur Hüclitig durchblätternd mit ihnen abgegeben hat, wird die ,, Christfestbilder** der
ganzen übrigen Weihnachtsmusik-Litcratur mit ihren stets wiederkehrenden ,, Stille Nacht**- und ,,0 du fröhliche^^-
Transkriptionen und -Paraphrasen vorziehen. Haus und Schule seien nachdrücklichst auf das Werk hingewiesen.
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5 ä M 1.50.
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op. 52. M. 2.25.
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M. 1.5". 3. Serenade. M. 1.25. Cah. l d -IV), Cah. 2 iV-VII)
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Peter Cornelius
Friedrich von Hausegger
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Richard Stcrnfcld
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Edgar Istel
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XVII
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Kunst und des Theaters ü ü jj^ jdi
sind die nachfolgend beschriebenen Bilderwerke
* ^ ^ ^ zu den Schöpfungen Richard Wagners:
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG.
Von Richard Wagner. Mit Bildern und Buchschmuck ausgestattet von Georg Barlosius.
Ein kostbar ausgestatteter Folioband, gebunden in Schweinsleder mit Metallbeschlftgen
und Schliessen; derselbe enthält eine übergrosse Zahl von Bildern und Vignetten,
darunter viele mehrfarbige Vollbilder. — Im ganzen ein monumentales Verk, wie es
unter den Erscheinungen der letzten drei Jahrhunderte kaum seinesgleichen hat.
Preis M. 75.
TRISTAN UND ISOLDE.
Zwölf Bilder zu Richard Wagners Tondichtung von Franz Stassen. Mappe in Imperial-
Folio mit 14 Bildern (bildgeschmückter Titel, Index und 12 Bilder) auf echtes Japanpapier
gedruckt und in Passepartout gelegt. Preis M. 75. — Luxusausgabe auf Atlas gedruckt
in prächtiger Kalbledermappe M. 500. Von dieser nur in ganz geringer Anzahl gedruckten
Luxusausgabe sind nur noch wenige Exemplare verfügbar. — ... »Ein zusammenfassendes
Urteil aber kann nur aussagen, dass zartes Gefühl, dichterische Phantasie und feiner
Geist in ihrer gegenseitigen Durchdringung ein Werk geschaffen haben, welches in seiner
Art einzig genannt werden darf, so urteilt Prof. Henry Thode über dieses Werk.
PARSIFAL.
Fünfzehn Bilder zu Richard Wagners Bühnenweihfestspiel von Franz Stassen. Eine
kostbar ausgestattete Kunstmappe in Gross-Folio-Format. Jedes der fünfzehn zweifarbigen
Bilder ist auf Japanpapier, aus der kaiserlich japanischen Papierfabrik in Tokio, also auf
das kostbarste aller Papiere gedruckt und auf tiefroten stumpfen Karton aufgelegt; zu
jedem Bilde gehört ein vom selben Künstler im romanischen Stile gezeichnetes, schwarz
und rot gedrucktes Textblatt. Für die Mappe wurde der beste und vornehmste erreich-
bare Stoff verwendet, das reich in Gold und Farbe gedruckte allegorische Vorsatzpapier
wurde vom Künstler besonders für diese Mappe gezeichnet. Preis der Mappe M. 80. —
^ Prof. Henry Thode schreibt in seinem grossen Aufsatze über das Werk u. a.: Wer alles
dies zu schildern wagen durfte, musste inbrünstigen Ernstes In sich gewiss sein. Stassen
ist es gewesen. Aus jedem Blatte spricht Versenkung. Man wird in manchem seiner
Konzeption nicht folgen können, die Schöpfung als ein Ganzes ist doch so reich an
Erfindungskraft, an Gefühl und Geist, dass sie, wie des Künstlers »Tristan und Isolde*,
lebhafte Teilnahme und Bewunderung bei allen Fühlenden und sinnig Betrachtenden
^ finden wird.
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