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DIEMUSIK
HALBMONATSSCHRIFT MIT BILDERN UND NOTEN
HERAUSGEGEBEN VON KAPELLMEISTER
BERNHARD SCHUSTER
SIEBENTER JAHRGANG
DRITTER QUARTALSBAND
BAND XXVII
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
BERLIN UND LEIPZIG
1907—1908
MöSC
j
or,-^
INHALT
Seite
Hugo Riemann, Beethoven und die Mannheimer 3. 85
J. Niemack, Herzschlag und Rhythmus. Ein Versuch, dem Verständnis von Beet-
hovens Werken durch das Studium seiner Ohren- und Herzkrankheit niher
zu kommen 20
Hans Volkmann, Beethoven als Epigrammatiker 26
Alfr. Chr. Kalischer, Beethovens Briefe an Bemard 32
Paul Ehlers, Die Münchner Ausstellung und der Musikerverband 67
Kaimorchester, Ausstellung München 1008 und Allgemeiner Deutscher
Musikerverband. Eine Klarlegung 75
Paul Marsop, Arturo Toscanini 81
Wilhelm Altmann, Die Notwendigkeit einer Stiftung zur Ermöglichung der Druck-
legung umfangreicher Kompositionen. Eine Anregung 98
Max Kadisch, Pauline Lucca f 101
Richard von Perger, Carl Goldmark. Eine Skizze 131
Carl Goldmark, Aus meinen Erinnerungen und Begegnungen ... 144
Richard Specht, Gustav Mabler 140
Richard Hihn, Die Stadt Düsseldorf und ihr Musikdirektor 172
Carl Fuchs, Zur Auferstehung des Chorals in der evangelischen Kirche . . 195. 323
O. Landmann, Bach-Porträts 216
Hermann Wetzet, Solisten-Konzerte. Ihr Nutzen und Zweck 220
Rudolf Louis, München 250
An der Isar: Paul Marsop, Vom Münchner Kunstgeist 268
Paul Ehlers, Glossen zur Münchner Oper 270
^ Eduard Wahl, Vom Münchner Konzertleben 276
Zum 44. Tonkünstler-Fest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins
in München 281
Eduard Platzhoff-Lejeune, Das Opernrepertoire in Deutschland und Frankreich 338
Gustav Altmann, Die Methode Jaques-Dalcroze 345
Arthur Smolian, Die Enthüllung des Bachdenkmals und das Bachfest (15. bis
18. Mai) in Leipzig 34»
Richard Specht, Zur Enthüllung des Wiener Brahmsdenkmals 353
Rudolf Kastner, Zum ersten ostpreussischen Musikfest 357
Besprechungen (Bücher und Musikalien) 37. 103. 175. 236. 360
Revue der Revueen 40. 109. 180. 241. 366
Anmerkungen zu unseren Beilagen 64. 128. 192. 319. 384
INHALT
Seite
Antwerpen 183
Augsburg 371
Berlin 44.371
Braunschweig ... 44. 372
Bremen 113.244
Breslau 44.113
Brüssel 113.244
Budapest 114.372
Colmari. E 184
Dortmund 114
Dresden . 44.114.244.373
DQsseldorf .... 45.373
Elberfeld 114.373
Essen a. R 184
Frankfurt a. M. 45. 1 1 4. 244. 373
Genf 184
Graz 374
Kritik (Oper)
Seite
Haag . « 184
Halle a. S 45. 374
Hamburg 45
Hannover 45. 244
Johannesburg 46
Karlsruhe 46.374
Köln . . . 46.115.245.374
Königsberg i. Pr 374
Leipzig 245
Lemberg 185
London 115
Luzern 185
Madrid 115
Magdeburg . . . .116.374
Mailand 46.375
Mainz 46.375
Mannheim 116.375
Seite
Manchen 46
New York 47. 245
Paris 47. 185.375
Prag 48. 186
St. Petersburg . . . 48.376
Schwerin i. M 186
Stockholm 116
StraOburg i. E. . . . 116. 186
Stuttgart 116.376
Trier 48
Warschau 117
Weimar 117
Wien . . . 48.117.245.376
Wiesbaden . . . .117.377
Zürich 49.377
Seite
Amsterdam 49
Antwerpen .... 49.246
Basel 50
Berlin . . 50.118.187.247
Boston 247
Braunschweig 53
Bremen 53. 188
Breslau 189
Brüssel 54.247
Budapest 54.248
Chicago 55
Dortmund 55. 121
Dresden. . 55.121.248.377
Düsseldorf 189
Elberi^Id 248
Essen a. R 56. 249
Frankfurt a. M. 56. 1 2 1 . 249. 378
Genf 57.249
Haag 57. 378
Kritik (Konzert)
Seite
Halle a. S 189
Hamburg 58
Hannover 190.379
Heidelberg 58
Johannesburg 249
Karlsruhe 190
Kassel 59
Köln ... 59. 122.250.379
Kopenhagen .... 190.250
Leipzig .... 122.250.380
London 251
Luzern 251
Madrid 125.381
Magdeburg 190
Mailand 190
Mainz «190
Manchester 252
Mannheim 252
Moskau 252
Seite
München . 60.125.253.381
New York 382
Paris 126.382
Philadelphia 253
Prag 191.254
Pritoria 191
Rotterdam 62
St Petersburg . . .191.254
Schwerin i. M. . . . 62. 254
Stockholm . '. 255
StraOburg 255
Stuttgart 255
Verden (Aller) 62
Warschau 62.256
Weimar 62. 127
Wien 63.256
Wiesbaden 191
Zittau i. S 191
Zürich 63
NAMEN- UND
SACHREGISTER
ZUM III. QUARTALSBAND DES SIEBENTEN
JAHRGANGS DER MUSIK (1907/8)
dalFAbtco, Feiice« 4. 5. 59.
dairAbaco, Giuseppe, 4.
Abendroth, Irene, 135.
V. Abrtnyi, Rost, 244.
Ackers, Lotte, 119.
Adamian, Eugenie, 125. 256.
Adamitn, Helene, 125. 256.
Agloda, Olga, 374.
Ahner, Bruno, 283. 319 (Bild).
Ahner-Quartett 277. 283. 319
(Bild).
Aigner, Oskar, 244.
V. Akimoff, Gregor, 381.
Alang-Egger, Bertha, 63.
Albemoni, Diane, 120.
d' Albert, Busen, 44. 45. 46. 48.
49. 55. 56. 58. 125. 186.
245. 359. 371. 373. 374. 375.
d' Albert, Hermine, 55.
Albrecht, Edith, 123.
Alda, Francte, 117.
Alezander Friedrich, Landgraf
V. Hessen, 122.
Allgeyer 360.
Altmaon-Kuntz, Margarete, 54.
255.
Alvarez, Louis, 48. 114. 116.
Amato, P., 46.
Andersen« Joachim, 250.
Andreae, Volkmar, 63. 249.
Andriano, Max, 118.
Angerer, Gottfried, 63.
Anselmi (Singer) 376.
Ansorge, Conrad, 62. 254.
Antalfly, Desider, 248.
Anton, Max, 117.
Applegate, Belle, 115.
V. Aranyi, Adila, 379.
Arbös, Femandez, 125. 381.
Arensky, Anton, 48.
Ariola, Pepito, 256.
d* Amalle, V., 123.
Amaud, Germaine, 57. 120.
V. Arnim, Achim, 155.
Arnim, Gustav, 48.
Amoldson, Sigrid, 46. 116. 245.
376.
Aron, Paul, 251.
Arragui (Komponist) 125.
ArtOt de Padilla, Lola, 372.
Aschaffenburg, Alice, 246.
Astruc & Co. 384.
Auber, D. £., 46. 116. 339.
373.
Audran, Edmond, 244.
Auer, Leopold, 252. 254.
Aulin, Tor, 255.
Aumann, Albert, 374.
Avani-Carreras, Maria, 51. 62.
124.
Averkamp, Anton, 58.
Bach, Ambrosius, 225.
Bach, Anna Carolina Philippina,
217.
Bach, C. Ph. E., 5. 6. 7. 10.
118. 217. 218.226.235.329.
384 (Bild).
Bach« Christian, 85.
Bach, E., 125.
Bach, Gottlieb Friedrich, 226.
Bach, Johann Christian, 226.
384 (Bild).
Bach, Johann Christoph, 226.
Bach, Joh. Chr. Friedrich, 225.
Bach, Joh. Seb., 3. 4. 5. 50.
51. 57. 59. 118. 119. 120.
121. 126. 133. 176. 190. 191.
206. 208. 21 6 ff (Bach-
Portrits). 233. 234. 235. 247.
248. 249. 250. 251. 252. 332.
349 ff (Die Enthflllung des
Bach-Denkmals und das Bach-
fest 15.— 18. Mai in Leipzig).
357. 358. 361. 377. 378. 379.
380. 381. 382. 383. 384.
Bach-Gesellschaft (Paris) 126.
Bach, Oscar, 57.
Bach, Veit, 225.
Bach, W. Friedemann, 5L 118.
218. 219. 225. 235. 384
(Bild).
Bach, Wilh. Friedrich Ernst,
225. 384 (Bild).
Bach, Dr., 361.
Backhaus, Wilhelm, 52. 55. 56.
123. 125. 190. 248. 240.
251. 377.
Bahling, Hans, 375.
Bain 105.
Bakaleinikow, W., 252.
Balakirew, Mili, 119. 253.
Bally-Apfelbeck, Louise, 122.
Band, Erich, 116. 376.
Bandler-Quartett 58.
V. Bandrowski, Alexander, 185.
Bantock, Granviile, 252.
Barbi, Alice, 356.
Barbier, Jules, 138.
Barblan, Otto, 251.
Barmas, Issay, 51. 191.
Bamay, Lolo, 59. 187.
Baroen, Arthur, 249.
Barrau (Posaunist) 383.
Barr6, Julius, 45.
Barron, Berthald, 375.
Barth, Richard, 58. 123. 127.
Barth, Stephanie, 123.
Barthsche Madrigalvereinigung
53. 60.
Bartsch, Karl, 103..
V. Bary, Alfred, 44.
Basler Gesangverein 50.
Bastide, Kapellmeister, 185.
Bateson, Thomas, 380.
Batka, Richard, 373.
BattalUe-Quartett 121.
Battisti, Franz, 45. 245.
Battistlni (Singer) 117. 185.
376.
Bauer, Erna, 188.
Bauer, Louia, 380.
Baumbach, Felix, 184.
Baumbach» Rudolf, 376.
V. BauOnem, Waldemar, 189.
370.
Beaumarchais 330.
Beaunier 126.
Bechstein, Carl, 52. 58.
Beck, Joh. Nep., 134.
Becker, F., 51.
Becker, Fritz, 187.
Becker, Hugo, 55 62. 189.
Becker, Ludwig, 55.
Becker, Reinhold, 121.
Becquer 125.
Beeg, Georg, 113.
Beeg, Sonja, 119.
Beer, Joseph, 11.
Beer, Michael, 186.
van Beethoven, Johann, 362.
van Beethoven, Karl, 361.
van Beethoven, Ludwig, 3 ff
(B. und die Mannheimer. I). 20 ff
(Herzschlag und Rhythmus.
Ein Versuch, dem Verstindnis
von B.'s Werken durch das
IV
NAMENREGISTER
Studium seiner Ohren- und
Herzkrankheit niher zu kom-
men). 26 ff (B. tl8 Epigram-
matiker). 3! ff (B.'s Briefe
tn Beraard). 37 ff (Beetnove-
nitna). 50. 53. 54. 56. 57.
58. 59. 60. 61. 62. 64 (Bilder).
85 ff (B. und die Mannheimer.
Schluß). 118. 120. 121. 122.
123. 124. 125. 126. 127. 133.
144. 145. 159. 162. 187. 188.
189. 190. 191.210.233.247.
248. 249. 250. 251. 252. 253.
255. 256. 334. 336. ^3. 359.
361. 376. 377. 378. 379. 381.
382. 383. 384.
Behaim, Michael, 104. 105.
Behr, Hermann, 189.
Behrens, M., 57.
Beier, Franz, 59.
Belaieff, M. P., 99. 191.
Bellini, Vincenzo, 338.
Bellmann, C. M., 123.
Bellwidt, Emma, 189.
Benda, G., 120. 124.
Bendemann 350:
Bender, Paul, 47. 253. 381.
Bendix, Frau, 250.
Bendix, Toni, 61.
Bendix, Viktor, 250.
Benedikt von Vatt 104.
Bengell, Else, 189.
Benzinger, A., 256.
Berber, Felix, 121. 122. 249.
381.
Berger, Rudolf, 183. 375.
Berger, Wilhelm, 282. 319.
Bergmann, Hans, 45.
Berheine, Franz, 48.
Berlioz, Hector, 51. 58. 61. 62.
63. 122. 161. 172. 184. 189.
249. 250. 252. 253. 254. 255.
270. 274. 275. 278. 282. 283.
314. 319. 340. 378. 384.
Bemard, Carl, 31 ff (Beethovens
Briefe an B).
Bemecker, Constanz, 125.
Bemouilli, E., 103. 104.
Berploon (Organist) 379.
Bertrand, Marcel, 47 (»Ghys-
laine*. Uraufführung in Paris).
Betz, Franz, 102.
Beyerlein, F. A., 251.
Bierbaum, O. J., 365.
Biliroth, Theodor, 360.
V. Binzer, Erika, 50.
Birgfeld, Rudolf, 62.
Birkholz, Max, 374.
Birnbaum, Alexander Z., 249.
Birrenkoven, Willi, 45.
Bischof, Georg, 184.
Bischoff, F., 38.
Bischoff, Hermann, 69. 80. 254.
256. 281. 319 (Bild).
Bischoff, Johannes, 45. 372.
Bittner, Julius, 245. 246.
Bizet, Georges, 57. 245.
B)Omson, Björn, 61.
Blackpool Glee and Madrigal
Society 252.
Bland, Elsa, 256.
Bllservereinigung, Brflsseier, 54.
Bliservereinigung der MQnchner
Hofkapelle 277.
Blech, Leo, 183. 359.
Bleyle, Karl, 63. 282. 305. 319
(Bild).
Blodgett, Elisabeth, 124.
Blumenfeld, Felix, 191.
Blumer, Theodor, 56.
BIQmle, Josef, 124.
Blflthgen, Viktor, 240.
BIQthner, Julius, 53.
BOcklin, Arnold, 151.
Bodanzky, Arthur, 191.
Bodenstein, Ernst, 279.
Boehe, Ernst, 61. 69. 80. 121.
278. 357.
Bogel, Vicky, 57.
B6hler, Otto, 192.
Böhm, Anna, 123.
B6hm, KIthe, 51.
Boehm-van Endert, Elisabeth, 45.
Bohn, Emil, 103. 189.
Boieldieu, F. A., 339.
Bokemeyer, Elisabeth, 191.
Bolte, Johannes, 103.
Bolz, Oskar, 185.
Bommer, Martha, 371.
Bonfigiio, Carlo, 249.
V. Bongardt, Paul, 245.
Bonin, Willi, 375.
Bopp-Glaser, Auguste, 116.376.
BOpple, Paul, 345.
Borchard, Adolphe, 120.
Bormann, Edwin, 216. 217. 223.
BOmer, Hildegard, 380.
Borodin, Alexander, 57. 191.
252. 254.
Boronat, Olympia, 376.
Boruttau, Alft^d, 186.
Bos, Coenraad V., 52. 378.
V. Böse, Fritz, 60. 189.
Bosetti, Hermine, 49. 57. 190.
253.
Bosquet (Pianist) 247.
Bosquet-Quartett 54.
Bossi, Enrico, 54. 55. 114.
Bossi, Renzo, 55.
Boßler, H. Ph., 5. 16.
Boucher, Emestine, 187.
Bourgault-Ducoudray, L. A., 341.
Boutarel, Am6dte, 338.
Brabms, Johannes, 51. 53. 54.
55. 57. 58. 59. 60. 63. 118.
119. 122. 123. 124. 125. 126.
127. 142. 145. 146. 172. 189.
190. 191. 208. 234. 246. 247.
248. 249. 250. 251. 252. 253.
254. 255. 277. 353 ff (Zur
EnthQllung des Wiener B.-
Denkmals). 357. 358. 360.
361. 379. 380. 381. 384 (Bild).
Brandenberger, Ernst, 371.
Brandes, Friedrich, 121.
Brandt, Marianne, 102.
Brandukow, A., 252.
Brauer, Max, 190.
Braun, Emmy, 125.
Braun, Friedrich, 115.
Braunfels, Walter, 282. 319
(Bild).
Braunhofer, Dr., 25.
Breest 51.
Brecher, Gustav, 45..
Breitkopf &Hlrt6l 6. 38. 64. 350.
Brema, Marie, 251.
Brendel, Franz, 147.
V. Brenneis, Hermine, 117.
Brenner, Ludwig, 362.
Brentano 362.
Breßler-Gianoli 47.
Breuer, Else, 373.
Breuer, Hans, 246.
V. Breuning, Christoph, 64 (Bild).
V. Breuning, Eleonore, 18.
V. Breuning, Gerhard, 64 (Bild).
V. Breuning, Helene, 64 (Bild).
V. Breuning, Stephan, 64 (Bild).
Breuning-Storm 250.
de Br6vilie, Pierre, 127.
Bricht-Pyllemann, Agnes, 191.
Brieger, Eugen, 120.
Briesemeister, Otto, 116. 245.
248.
Bright, Dora, 252.
ten Brink, Henri, 191.
Brode, Max, 357. 358.
Brodereen, Friedrich, 47. 61.
Brodsky-Quartett 252.
Brombaro (Singer) 376.
Bromberger, David, 54.
Bronsgeest, Cornelius, 378.
Brouette, Direktor, 375.
Broussan, Theodore, 126. 185.
Bruch, Max, 55. 59. 62. 118.
123. 190. 250. 251.
Brück, Boris, 45. 100. 245.
V. Brucken-Fock, Emil, 378.
Brückner, Anton, 50. 58. 60.
61. 152. 253. 254. 255. 277.
278. 357.
Bruckstein, M., 212.
Brflll, Ignaz, 355.
Brun, Fritz, 124.
Bruneau, Alfred, 341.
Brunet 249.
Brunner, Charlotte, 47.
V. Brunswick, Therese Grifln,
64 (Bild).
Buchner, E., 379.
Bück, Rudolf, 57. 123.
NAMENREGISTER
Buisson, Marie, 55.
Bfllau, Wolf^tng, 55. 119. 381.
V. BQlow, Htns, 81. 276. 277.
360.
BQltemtnn, Walter, 372.
Bungen, August, 121.
Burchardt, Marga, 45. 244.
Burchardt (Singerin) 61.
Borger, G. A., 123. 249.
Burian (Cellist) 51.
Burk-Berger, Marie, 371. 373.
Burkhardt, Max, 119.
Burmeister, Richard, 123.
Burmester, Willy, 59. 60. 124.
255. 256.
Burrian, Karl, 44.
Bflrstinghaus, Ernst, 375.
Burzio, Emilia, 46.
Buschbeck, Hermann, 47.
Busoni, Femiccio, 52. 57. 63.
119. 127. 187. 251. 252.
BueO, Eugenie, 379.
Busser, Henri, 341.
BuOmeyer, Hans, 277.
Buths, Julius, 172 ff (Die Stadt
DQsseldorf und ihr Musik-
direktor). 189.
BQttner, Max, 374.
Buxbaum, Friedrich, 118.
Buxtehude, Dietrich, 59. 189.
190.
Buysson, Jean, 56.
Byron, Lord, 189.
Cabisius, Arno, 116. 374.
Cicilia- Verein (Kopenhagen) 188.
Cacheux, E., 346.
Gabler, Charles, 256.
Cahnbley- Hinken, Tilly, 190.
381.
Caln, Henri, 375.
Caland, Elisabeth, 106.
Calderon 361.
Calzin, Alfred, 124.
del Campo, Conrado, 125. 381.
Cannabich, Christian, 3. 4. 7. 92.
Capet, Louis, 127.
Capet-Quartett 190. 383.
Caponsacchi, Marguerita, 56.
Carissimi, Giacomo, 49. 380.
Carmen Sylva 121.
Garr6, Albert, 48.
Carr6, M., 138.
Carreüo, Teresa, 124.
Garrefio-Blois, Teresita, 124.
Caruso, Enrico, 245.
Casals, Pablo, 54. 56. 127. 246.
252. 254. 378.
Casals-Snggia, Guilhermina, 54.
378.
Castelli, Ignaz, 27.
Cavaill6-Con 126.
Cernikoff, Walter, 51.
Certani, Alesaandro, 124. 189.
Chabrier, Emanuel, 191. 341. h»
Charpentier, Gustave, 46. 47.
50. 82. 113. 116. 185. 245.
341.
Chartres, Vivien, 255.
Chausson, Emest, 127.
Cherubini, Luigi, 247. 255. 338.
Chevillard, Camille, 126.
Chop-Groenevelt, Celeste, 191.
Chopin, Fröd^ric, 55. 59. 120.
123. 124. 125. 127. 187. 190.
234. 249. 251. 256. 336. 361.
379. 383.
Christian Ludwig, Markgraf von
Brandenburg, 220.
Clark, W., 252.
Clemens August, KurfOrst . von
Köln, 4. 5.
Cleve, Halfdan, 179.
CoAtes, Albert, 114. 373.
CoUin-Haberlandt, Emmy, 119.
Colonne, Edouard, 126. 127.
382. 384.
Conrad, W., 359.
Conrat, Ilse, 353.
Conried, Heinrich, 47. 84.
Converse, F.-S., 247.
Conversi, Girolamo, 380.
Coquard, Arthur, 127. 383.
Cor de Las, Alonso, 62.
Corelli, Arcangelo, 4. 59. 378.
Cornelius, Peter, 45. 57. 116.
146 ff. 189. 249. 254.
Corsi, Emilia, 376.
Cortolezis, Fritz, 61. 253. 279.
Cortot, A., 246.
Cortot, F., 54.
Corvinus, Lorenz, 255.
Coßmann, Carl, 375.
de Coulon, Dora, 122.
Courvoisier, Walter, 62. 278.
Co ward, Dr., 251.
Crickboom, Mathleu, 54.
Cronberger, Wilhelm, 44.
Crflger, Job., 109. 201.
de la Cruz-Fröhlich, Louis, 57.
378
Culp,Julia,49.55. 119.246.248.
Curci, Alberto, 51.
CuvUliis 272.
Cuypers, H., 58.
Dahn, Felix, 139.
Dallier, Henri, 127.
Dalmores, Charles, 47.
Dalossy, Ellen, 188.
Dalvarezzo, Mercedes, 48.
Damen-Vokalquartett, Berliner,
119.
Damrosch, Frank, 382.
Damrosch, Walter, 382.
Daniela, Anna, 114.
Darier, M., 249.
David, F^licien, 383.
David, Ferdinand, 146.
David, J. J., 192.
Davidoff, Karl, 59.
Davisson, Walther, 56. 249. 383.
Debogis-Bohy, Louise, 190. 240.
Debroux, Joseph, 127. 250.
Debussy, Claude, 47. 49. 245.
246. 253. 341. 343. 375. 382.
383.
Decius, Nicolaus, 196.
DecI6ry (Singer) 244.
Deiters, Hermann, 3. 5. 6. 14.
29. 36. 37.
D6joie, Marie, 373.
Delibes, Leo, 57. 114. 341. 374.
Delius, Frederick, 172. 187.282.
319 (Bild).
Delune, Louis, 54. 60.
Delvenne, Louis, 249. 250.
Demellier (Singerin) 48.
Demuth, Leopold, 49.
Dennery, Mathilde, 189.
Deppe, Ludwig, 105. 106.
Derichs, Mathieu, 45.
Dessoff, Gretchen, 122.
Dessoir, Susanne, 62. 124. 189.
378.
Destinn, Emmy, 48. 183.
Diabelli, Antonio, 17.
Diamant, Bemard, 62.
Dickens, Charles, 135.
Didur, Adam, 185.
Di6mer, Louis, 252.
Dierich, Carl, 247.
Dierich-Geyer, Meta, 247.
Dietrich, Anton, 64.
Dietz, Johanna, 55. 124.
Dinsart (Pianist) 54.
Dippel, Andreas, 47.
Dittler, Herbert, 119.
DIabal, Benno, 48.
Doebber, Johannes, 379.
Docen (Germanist) 103.
V. Dohninyi, Ernst, 50. 55. 57.
125. 190. 255.
Dohm, Georg, 189. 278.
Dolmetsch, Arnold, 247.
DOmpke, Gustav, 357.
Doenges, Paula, 115.
Donizetti, GaCtano, 81. 245. 338.
376.
Donnini (Kapellmeister) 4.
Door, Anton, 355.
Döring, Georg, 44.
Dom, Otto, 117. 374.
Dorp, Elfriede, 114.
Dörwald, Wilhelm, 113.
Dorland, John, 380.
Dreyer (Germanist) 103.
Drill-Orridge, Theo, 54. 117.
256.
Droucker, Sandra, 250. 254.
Dua (Singer) 244.
Dubois, Marie, 120.
Dubois, Theodore, 341.
Dukas, Paul, 61. 246 (»Arlane
VI
NAMENREGISTER
und Blaubart.* Deutsche Ur-
aufrohrung in Vien). 341. 343.
Dfllfer, Mardn, 277.
Dulow, Cy 252.
Duncan, Elisabeth» 251.
Duncan» Isadora, 251.
DupuiSy Sylvaln» 54. 247.
Durant, Kapellmeister, 54. 247.
Dusseau-Bormann, Eugenie, 120.
Duvernoy, V. A., 341.
Dvorik, Anton, 51. 54. 56. 57.
124. 127. 191.248.250.252.
253. 379. 384.
van Dyck, Ernst, 246.
Easton (Singerin) 371.
Ebner, Karl, 283. 319 (Bild).
Eccard, Joh., 58.
Egenieff, Franz, 183. 372.
Eggers, Max, 376 («FrauHoIda*.
Uraufführung in Wien).
Ehlers, Paul, 358.
Ehrenberg, Carl, 185. 282. 309.
319 (Bild).
Ehrlich, R., 252.
Eibenschatz, Jos6, 191.
EibenschQtz, Riza, 373.
Eichler, Hanns, 185.
Eickemeyer, Willy, 121.
Eisenberger, Severin, 120. 187.
Eisenmann, Ernst, 238.
Ekeblad, Maria, 189.
Ekenberg (Komponist) 379.
Eidering, Bram, 122.
Elgar, Edward, 54. 122. 172. 378.
Elman, Mischa, 247. 248.
Eismann, Alfred, 117.
Elwart, A. A. E., 138.
Endul6, Georges, 379.
Enesco, Georges, 126.
Engel, S., 252.
Engel, Kommissionsrat, 362.
Enna, August, 250.
Epstein, Julius, 145. 152.
Erb. Karl, 116.
Erdmannsdörfer, Max, 277.
Erdödy, Griiln, 64 (Bild).
Erlanger, Camille, 341.
Erlebacl^ Joh. Phil., 95. 120.
124.
Erier-Schnaudt, Anna, 123.
Ertel, Paul, 188. 256.
Erwin, Hans, 184.
Evers, Franz, 365.
Evers, Karl, 62.
van Eweyk, Arthur, 59. 118.
119. 246. 351. 359.
Fabozzi, Gennaro, 190.
Fahre, Gabriel, 127.
Fabry, Elisabeth, 371.
Fährmann, Hans, 363.
Faliero-Daicroze, Nina, 244.
Falk, Julius, 118.
Falk-MehUg, Anna, 50.
Falke, G., 365.
V. Falken, Frau, 114.
Fall, Leo, 244.
V. Fangh, Frieda, 49.
Fanniella (Singerin) 49.
V. Famholz, Ria, 49.
FaObaender, Peter, 251. 252. 380.
FaObender, Zdenka, 47.
Faur«, Gabriel, 127. 190. 252.
Fehling, Kari, 56.
FeinhaU, Fritz, 114. 116. 372.
374.
Felmy, Maximilian, 47.
Fenten, Wilhelm, 375.
Fest, Max, 351. 381.
Fevrier, Henry, 252.
Fiebig, Hugo, 189.
Fiebiger, Erna, 374.
Fiedler, Max, 58.
Filtz, Anton, 19. 92.
Fink, Mizzi, 45.
Fischer, Franz, 277.
Fischer, Gisela, 377.
Fischer, Jenny, 256.
Fischer, Paul, 118.
Fischer, Richard, 189.
Fischer-Maretzki, Gertrud, 50.
188.
V. Fladung, Irene, 47.
Fleisch, Maximilian, 57.
Flemming, F., 359.
Flesch, Carl, 49. 57. 378.
V. Florentin, Paula, 245.
Floresco, Silvio, 60.
Florian, J. P. C, 244.
Floris, Emil, 187.
Fokker, Mary, 53.
Folz, Hans, 105.
Forchhammer, Ejnar, 115. 375.
379.
Forkel* Nikolaus, 226.
Forseil (Singer) 116.
Foerster (Singerin) 189.
Förster, Gusti, 44.
Förster, Oscar, 44.
Foumier (Komponist) 341.
Francis, Alda, 46.
Franoes-Quartett 125.
Franchetti, Alberto, 46. 62.
Franck, C^ar, 54. 57. 60. 62.
126. 127. 246. 253. 254.
Frank, Franz, 374.
Frank, Mathieu, 114.
Frinkel, Ludwig, 372.
Franko, Sam, 382.
Franz, Robert, 126.
Robert Franz - Singakademie
(HaUe) 189.
Frauenchor, Frankfurter, 122.
Frauenlob, Heinrich, 104.
Freudenberg, Gflnther, 120.
Freudenberg, Wilhelm, 244 (»Das
Jahrmarktsfsst zu Plunders-
weilen*. UrauffDhrung in
Bremen).
Freund, Grete, 49.
Frey, Emil, 119. 252.
Fricke, A. G. L., 102.
Fricke, Richard, 363. 380.
Fricker 249.
Fried, Oskar, 51. 187. 254.
Fried, Richard, 255.
Friedberg, Cari, 125.
Friedheim, Arthur, 124.
Friedlinder, Max, 95.
Friedman, Ignaz, 55. 56. 123.
Friedmann, Meta, 189.
Friedrich Wilhelm, Prinz v.
Preußen, 350. 358.
Friedrich der GroOe 219. 329.
Friedrich August, König, 122.
Friese, P., 380.
Friese, R., 380.
V. Frimmel, Theodor, 37 AT. 64.
Frischen, Josef, 190. 379.
Frodl, K., 255.
Fuchs, Albert, 121.
Fuchs, Anton, 47.
Fuchs, Marie, 251.
Fuchs, Richard, 357.
Fumagalll, Kapellmeister, 252.
Funck (Singerin) 59.
V. Gabain, Anna, 250.
Gabrilowitsch, Ossip, 53. 125.
248.
Gade, N. W., 380.
Gadski, Johanna, 254.
Galitzin, Nikolaus FQrst, 23.
Galston, Gottfried, 191. 384.
Garden, Mary, 47. 245.
Garibaldi, L., 46.
Gaertner, Walter, 245.
Gastinel, Leon, 341.
Gastoldi, G. G., 380.
Gastone (Singer) 255.
Gatti-Casazza, Giulio, 47. 245.
Gauthier-Villars 383.
Gay, Maria, 48. 116.
Geibel, Emanuel, 122.
Geidel, Moritz, 124.
Geller-Wolter, Louise, 50. 380.
Georg Friedrich Carl, Markgraf
V. Bayreuth, 220.
Georgi, Erna, 188.
Gerhardt, Elena, 190. 191. 250.
381.
Gerhiuser, Emil, 299.
Gericke, Wilhelm, 382.
Gerlach, Luise, 381.
Gemsheim, Ella, 55.
Gemsheim, Friedrich, 119.
Gesangverein (DQsseldorf) 189.
Gevaert, F. A., 247.
Gewandhaus-Quartett 124.
Geyer, Steil, 51. 248. 252. 378.
Ghithi, Giovanni, 190.
GieOwein, Max, 190.
Gilibert 47.
Gille, Carl, 117.
NAMENREGISTER
YII
vtn GiUe, Jtn, 281. 294. 319
(Bild).
Gllson, Paul, 54.
Giordtno, Umberto, 115. 245.
378.
Girtud, A., 52.
Giraad, F., 46.
Glasneck, R^ 189.
Glazouaow, Alexander, 191.
V. Glehn, Frl., 383.
GUnka, Michail, 252.
Gluck, Chr. W., 5. 53. 94. 170.
281. 317. 319. 339.
Gluth, Viktor, 278.
Gmeiner, Ella, 190.
GmQr, Rudolf, 283.
Godelsky (Komponist) 183.
Godowaky, Leopold, 54. 63. 249.
252. 254.
Gogl, Rupert, 374.
Göhler, Georg, 46. 248. 374.
Goldenweiaer, Alexander, 52.
252.
Goldmark, Carl, 57. 114. 124.
131 ff (C. G. Eine Skizze).
144 ff (Aus meinen Erinne-
rungen und Begegnungen).
192 (Bilder). 372. 378.
Goldschmidt, Paul, 57. 125.
Goldschmidt, Richard, 123.
Göllner, August, 249.
GöUrich, Josef, 374.
Gomperz - Bettelheim, Caroline,
134.
Gonia, Marianne, 244.
Goodson, Katharina, 254.
Goosens (Direktor) 54.
Gordon, Marc, 187.
van Gorkom, Jan, 46. 57. 113.
377. 379.
Görres, Joseph, 103.
Gorter, Alf^d, 45. 116. 186
(.Der Paria.* Urauffahrung
in StraOburg). 255. 374.
Gose & Tetzlaff 152.
Goethe, Johann Volf|gang, 30.
53. 60. 102. 124. 136. 217.
244. 246. 253. 269. 271.
Goette, Elfriede, 119. 244.
Gottsched, Joh. Chr., 383.
Goetz, Hermann, 116. 250. 379.
Götz, Karl, 63. 125.
Götzl, Anselm, 373.
Gounod, Charles, 102. 124. 138.
244. 340.
Gozzi 360. 361.
Grabert, Martin, 120.
Grabitz, V7ini, 244.
Gridener, Hermann, 119.
Gräfe, Richard, 58.
Gram, Peder, 250.
Grandjean, Louise, 127.
Grassi, R., 46.
Graun (Zittau) 191.
de Greef, Arthur, 62.
Gregor, Hans, 183. 372.
Gregory (Pisnist) 252.
Grenser, Alfred, 217.
Grenser, Carl, 217.
Grosse 383.
Gr6try, A. E. M., 53.
Gretschaninoff (Komponist) 118.
Grieg, Edvard, 57. 61. 107. 188.
191. 254. 378. 380.
V. Grigorowitsch-Barsky, Val-
demar, 120. 124.
Grillparzer, Franz, 137. 157.
Grimm, Berta, 115.
Grimm, J. O., 119.
Grimm, Jakob, 103.
Grimm, Moritz, 44.
Grimm, Brflder, 284.
Griswold, Putnam, 183. 359.
Groebke, Adolf, 44. 45.
Grosch, Georg, 56. 122. 373. 377.
Grosse, J., 365.
GroOkopf, Marco, 376.
Grumbacher-de Jong, Jeannette,
118. 119. 246. 351. 359.
Grflnfeld, Heinrich, 188.
Grflnfeld-Quartett 54.
Grflning, Wilhelm, 375.
Grunow, Fr. Wilh., 216.
Gniselli-Boer, Alice, 374.
Grflters, August, 378.
Grfltzmacher, Friedrich, 122.
Guicciardi, Giulia Gräfin, 64
(Bild).
Guilmant, Alexandre, 252.
Gulbranson, Ellen, 122.
GQnther-Braun, Walter, 44. 113.
GQrzenich-Quartett 60. 122.
Guszalewicz, Alice, 46. 1 14. 245.
374.
Gutheil-Schoder, Marie, 49. 245.
246.
Haagmans, Marie» 379.
de Haan-Manifarges, Pauline,
378. 379. 381.
Haas (Sänger) 255.
Haasters-Zinkeisen, Anna, 189.
Haberl, Benno, 283.
Hadley, H., 256.
Hadwiger, Alois, 44.
Hafgren, Lilly, 379.
Haaren (Komponist) 379.
Hagedom, Th., 380.
Hagel, Richard, 245.
Hagemann, Cari, 116. 375.
Hagen, Adolf, 114. 244. 248.
373. 377.
Hagen, OttfHed, 47.
Hahn, Reynaldo, 382.
Haindl, Augu^ 283. 319 (Bild).
Hajdeckl, Alexander, 31. 33. 34.
V. Haken, Max, 121.
Hai6vy, J. F. E., 340.
Haiir, Kari, 118. 189.
HaUwachs, Carl, 59.
Haivorsen, Johan, 62.
Hamann, Hugo, 123.
Hambourg, Mark, 62, 250« 254.
Hamm, Adolf, 351.
Hammerstein, Martha, 45.
Hammerstein, Oskar, 47.
Händel, G. F., 5. 52. 59. 62.
118. 122. 124. 126. 189. 190.
234. 255. 339.
Hanliitaengl, Erich, 61.
Hanger, Ida, 117.
Hans, Annie, 117. 377.
Hanslick, Eduard, 360.
Häntzsch (Sänger) 56.
Hartleben, O. E., 52.
Hartmann, Arthur, 379.
Hartmann, Ludwig, 372.
Hartmann, Max, 219.
Hartog, Marie, 379.
V. Hase, Oskar, 219.
Hasse, Ksrl, 381.
HaOler, Alfred, 55. 252.
HaOler, Hans Leo, 58. 200. 332.
Hang, Gustav, 251.
(lauschka, Vincenz, 28.
V. Hausegger, Siegmund, 50.
58. 61. 63. 69. 70. 75. 80.
156. 278. 282. 306. 319.
Hausmann, Robert, 60.
HauOmann, E. G., 216. 217.
Haydn, Joseph, 3. 5. 6. 14. 16.
30. 50. 51. 57. 59. 60. 97.
118. 119. 123. 124. 162. 190.
234. 246. 251. 252. 253. 255.
Haym, Hans, 248. 249.
Hebbel, Friedrich, 61. 239. 299.
354.
Heckel, Emil, 192 (Bild).
Hegar, Friedrich, 52. 63. 178.
251.
Hegar, Johannes, 56. 249. 383.
Heger, R., 255.
Heinemann, Alexander, 54. 189.
Heinemann, Toni, 251.
Heinrich XXIV. v. ReuO, Prinz,
121. 122. 350.
Heibig, Musikdirektor, 56.
Hell, Roland, 62.
Hell-AchlUes, Frieda, 62.
Heller, Stephen, 234.
Helünck 58.
Hellmer, Edmund, 128.
Hellmesberger, Joseph, 133.
Hempel, Frida, 183. 359. 372.
Henke, Marie, 124.
Hennicker (Sänger) 380.
Henriques, Fini, 250.
Henschel, Georg, 54.
Hensel, Heinrich, 45. 117.377.
Hensel- Schweitzer, Elss, 45.
374.
Herbelt, Hsns, 61.
V. Herget, Leo, 352. 381.
NAMENREGISTER
Heritzt, Mini, 376.
HennuD, Hans, ISS.
HenniDii, Roben, 250.
HennuiM, Han«, 52. 248. 250.
379.
Hennannt- Stlbbe, Marie, 248.
25i. 37«.
Herold, Tilfaelm, 44, Itft.
HerrmaDO, Carl, 124.
Hemnann, Daolel, 51.
Hemninn, Gunav, 251.
Herrcl (Germinist) 103.
Herlling 95.
ütitz, Alfred, 47. 245.
Hcscb, Viltaeim, 136.
»cQ, Ludwig, 56. 01. 60. SO.
IIS. 252. 253- 2n. 2S3. 310
(Bild). 351 364.
HeQ van der Tyt, Tbeodor, 53.
Hcnbercer, Richard, 40. 123.
355.
Henbner, Conrad, 122.
Heuser, Ernst, 240.
HeuO, Airrcd, 352.
v«n den Heuvell (Singerin) 40.
Hejde, Erhird, 60,
Heyneck, Edmaod, 123.
HeyolDg, J. C, 370.
Hilf, Arno, ISO.
Hilf-Quaneti ISO.
Htlgenfeld 22Z.
HIlfenoanD, Laura, 240.
HlUemacber, L., 341.
Hillemacher, P., 341.
Miller, Job. Adim, 4. 50. 126.
101. 253.
Hinion, Ediel, 254.
Hinze- Reinliold, Bruno, 62. IS«.
Hlrach, K. Fr., 38.
Hirsch, Rudolf, 3B0.
Hirt, Fritt, 100. 370.
Hirzel, S-, 223.
Hirzel-Langenban, Anna, 58. 381 .
His. Wilhelm. 223, 352.
HI», Frl., 352.
Hoehbelm, Paul, 372.
Hofbauer, Rudolf, 40. 117.
HOhr, Loutw, 47.
Hoffmano, Baptist, 371.
HoSmanii, E. T. A., 51. 301.
Honnann, Hugo, 283. 284.
Holfmaan v. FallcrslebeD 103.
Hofkapelle, MOocbner, 283.
Hofkapelle, Srangarter, 283.
Hohnann, Anaa, 375.
HohnanD, Haoa, 123.
Hoftnann, Josef, 254.
Hohler. E. Th., 26.
Holm, Emil. 116. 376. 370.
Holmte, Augusia, 34t.
HoltBchneider, Carl, 121.
Hol^ Arno, 364.
Holz, Karl, 27.
Holzer, EroM, 175. 176. 177.
Homer 136. 315.
HSpH, Josef, 44. 1 13.
Horbell, J., 283.
Hom, Julie, Z26, 384.
Horncminn, Chiisilan, 64,
Hoeraes <L!breitist) 48.
Horzowaki, Alieclo, 100.
HOsl-Quartelt 277.
Hfivclmann, Luise, Ol.
Hoyer, B., 283.
Hubay, JenO, 55. 248.
V. Hdbbenei, Jnseflne, 373.
Huber, Ernst, 48.
Huber, Hans, 50. 370.
Hubenoan, Brooislaw, 101. 254.
358.
Hue, G., 341.
V. HQlsen, Georg. |S3.
Hummel, Job. Ncp., 20.
Hummelsbelm, Anton, 45. 244.
I Humperdlnck,£ngelbert, 55.383.
I Hur«, Jean, l27.
; HQttner, Georg, 55. 121,
Hyde (Dlrlgeni) 250,
Ihle, Job. E.. 220.
Ible, J. J., 217, 210. 220.
Illica, Luigi, 372.
d'Indy, Vincent, 54. 50. 12«.
127. 185. 248, 240.341.343.
Ingegneri. M., 58.
Ingenbovcn, Jan, Sl. 270.
IppoKiow-Iwsnow. M. M., 252.
253.
IrrgiDg, Bernhard, 50. 188,
Istcrdael, Charles, 57.
Jacobsibal, Gustav, 103.
Jidlowker, Hermann, 46. 374.
Ja«]], Marie. 105. 106.
Jlgcr, Rudolf, S5. 110.
Jahn, Otto, 27.
Jabrow, Hubert. 110.
JansB, Leopold, 132.
Janssen, Julius. 55.
Jsques-Dalcroie, £iiiile, 121. 244
(,Les jumeauK de Besame*.
UraufrahruneinBrassel).345ir
(Die Methode J.-D.).
Jlmefelt, Annas, 255.
Jlmefelt, Maikki, 53.
Jensen. Adolf. 251.
Jotcbim. Josepb, 57. 370.
Jonas, Ella, 55.
de JonciCres, Victorin, 341.
Jörn, Carl, 183.
Jourdan-Cutsingcr. Byrd, 188.
Jouiard, Flora, 119.
Jungblui, Albert, 187. 35«.
JOngsl, Hugo, 251.
Junker, K. D., 5.
Juon, Paul, 51. 118. 282. 312.
310 (Bild).
V. Haan, Albert, 254.
Kahler, Margarete, 373. 370.
Kaehler, Willibald, 255.
Kahn, Robert, 58.
KahDt Nachr., C. F., 154. 163.
Kalm, Fr* 11, 60. 61. 68. 60. 71.
76. 77. 78. 277,
Kaimache Kammermuslkver-
«Inlcnng 277.
Uos
, 48.
Kalbcck, Max, 3iS. 360. 361.
Kiilnnikow 252.
Kaliach, Paul, 377.
KallBcber, Alfr. Chr., 24. 25. 26.
27. 37. 361. 362.
Kimpf. Kart. 282. 310 (Bild).
Klmpfert, Anna, 50. 380.
Kamtscbaloff, Boris, 56. 123. 125,
Kappcl, Gertrud. 45.
Karg-Elert, SIgfrld, 107. 108.
Karpow. Michel, 108.
Kaschowska, Felicia, 382.
Kise, Alfred, 59. 123. 124.
Kauffmann, Ffnt, 100. 248.
KaDthnaan-Franilllo, Hedwig,
183.
Kauhnann, Hedwig, 123.
Kaufmann, Marie, 125.
KauD. Hugo, 54. 188. 100.240.
380.
KaysdesuE, Fran^ 252.
Kayl. A.. 380.
V. Keglevics, Babette, 22.
Keldorfer, Marie, 373.
Keller, Gottfried. «3. 23«. 282.
306.
V. Kellersperg, Anna, 40.
Kem«ny-Quartetl 54.
Kempter, Lothar, 40.
Keatev«n, Horacc, 52.
Ketten, Leopold, 249.
Kettner, Anna, 373.
V. KeuOler, Gerhard, 101.
Kiefer, Heinrich, 60. 62. 254.
283. 31Ö (BiidJ.
Kiefer, Julius, 373.
Klelarski, H., 121.
Kienzl, Vilhelra, 245.
KJUan. Tbeodor, 62. 283. 31«
(Bild).
Klmla, Ada, 377.
Kirchberg, Gustav, 188.
KlTChbolf, Walter, 371.
Kircbner, Hugo, 44. 113.
Klmberger, Job. Pb., 217, 218.
210.
Klr»:h, Hedwig, 250.
Klttl, J. F.. 222. 223.
Klauaner, Otto, 46.
Kleeberg, Clotilde, 54.
Klein, Julius, 47.
V. Klenau, Paul, 281. 286.31«
(Bild).
Kiengel, Julius, 56.00. 121. 124.
248. 351.
Ktlndworth, Karl, 51.
Kllngbammer, Erich, 40.
NAMENREGISTER
IX
Klinsler, Karl, 118.
V. Kloeber, August, 64.
Klose, Friedrich, 270. 274. 281.
283 ff. 319. 357.
Klossesk-Mflller, Luise, 52.
V. KlOsteriein, Erika, 250.
Klughardt, August, 118.
Klupp-Fischer, Olga, 255.
Knak, Gustav, 351.
Knauer, Georg, 228. 283. 310
(Bild).
Knoch, Eva, 101.
Knorr, Iwan, 125.
Knote, Heinrich, 116. 374.
KnOpfer, Paul, 183. 380.
Koch, Betty, 47.
Koch, Brunhilde, 53.
Koch, Frida, 188.
Koch, Hildur, 53.
Koch, Joh. Chr., 208.
Koch, Sophie, 53.
Koch, Geschwister, 100.
V. Koch, S., 123.
V. Köchel, Ludwig Ritter, 25.
V. Koczalski, Raoul, 251.
Kogel, Gustav F., 101. 254.
Koegel (Singer) 50.
KOhler, Franz, 114.
Kohmann, Anton, 383.
Kolkmeyer, H., 54. 188.
Koenen, Tilly, 55. 56. 60. 63.
118. 250. 381.
Konrad von Wflrzburg 104.
Konzertgesellschaft fQr Chor-
gesang 283.
Koreschtschenko 252.
Körner, Carl, 122.
KOrte, Ernst, 40.
KOstlin, H. A., 206. 207.
KOtscher, Hans, 52.
Kramer, Leopold, 55.
Kraemer, Paul, 106.
Krasa, Rudolf, 183.
Krasselt-Quartett 127.
V. Kraus, Felix, 56. 58. 61. 124.
125. 187. 247. 251.
V. Kraus-Osbome, Adrienne, 58.
124. 187. 247. 251.
Krause, Gottfried, 245.
Krein, D., 252.
Kreisler, Fritz, 254. 382.
Kremser, C, 123.
Krenn, Franz, 152.
Kreutzer, Conradin, 330.
Kreutzer, Leonid, 101.
KrOgel, Arnold, 50.
Krolop, Franz, 102.
Kromer, Joachim, 252.
Kronke, Emil, 248. 251.
Krug- Waldsee, Josef, 100. 282.
301. 310 (Bild).
Krflger, Gertrud, 183.
Kuh, Emil, 200.
Kuhn, Paul, 374.
Kflhne-Hellmessen, Minnie, 381.
Kunkel, Tina, 48.
Kuntze, Helene, 48.
Kunwald, Ernst, 110.
Kunzen, L. A., 05.
Kurz, Selma, 55.
Kussewitzky, Sergel, 53. 127.
Kuttner, Max, 44.
Kutzschbach, Hermann, 116.
252.
Kuyper, Elisabeth, 110.
Kwast, James, 118.
Kwast-Hodapp, Frida, 118. 101.
Kynast, Martha, 120.
van Laar, Louis, 240.
Labia, Maria, 183.
Lachner, Franz, 277. 278.
Laute, Karl, 48 (»Das kalte
Herz." Uraufführung in Prag.)
Lagarde 185.
V. d. Lage, Julie, 128.
LagerlOf, Selma, 312.
de Lajarte, Th. E., 341.
Lalo, Edouard, 57. 1 10. 185.247.
341. 382.
La Mara 34. 38.
Lambinon, Nicolas, 188.
Lambrino, T616maque, 240. 251.
van Lammen, Mientje, 283.
Lamond, FrM6ric, 60. 125. 180.
255. 256.
Lamoureux, Charles, 126. 382.
383.
Landauer, Gustav, 116. 374.
Landmann, O., 384.
Landowska, Wanda, 254.
Landry, Paul, 46.
Landsberg, Hans, 152.
Landshoff, Ludwig, 120. 124.
Landshoff, Philippine, 53. 60.
120. 124.
de Lange, Samuel, 255.
Lange-Mflller, P. E., 380.
Langenhahn 278.
Laparra, Raoul, 47 („La
Habanera*. UrauffQhrung in
Paris). 383.
Laube, Elsa, 58.
Laube, Julius, 58.
Lauer-Kottlar, Beatrix, 187.
Laugs, Robert, 50. 247.
Laurencin, Graf, 147. 148.
Laurischkus, Max, 110.
Lautenbacher, Auguste, 44.
Lazzari, Sylvio, 383.
Leander, Richard, 155.
Leblanc, Georgette, 127.
Lederer-Prina, Felix, 187.
Uderer, Richard, 282. 307. 310
(Bild).
Leffebre. Charles, 341.
Lehir, Franz, 244.
Uhmann, Lilli, 102. 121. 245.
Lehmann-Osten, Paul, 56.
Lehrergesangverein, Dresdener,
121.
Lehrergesangverein, Mflnchner,
61.
V. Lenbach, Franz, 260.
L6na, Maurice, 244.
Lengyel v. Bogota, Ernst, 252.
Leoncavallo, Ruggiero, 245,
378.
Leoni, Leon, 380.
Leopold, Fürst v. Anhalt-Köthen,
220.
Lermontoff, A., 101.
Leroux, Xavier, 113. 184. 185.
341.
Lessing, G. E., 210. 320.
Leßmann, Eva, 55. 187. 100.
255.
Levi, Hermann, 273. 277.
Lewandowsky, Max, 230. 240.
Lewin, G., 62.
Lewinger, Max, 121.
Leydhecker, Agnes, 124. 248.
378.
V. d. Leyen, Rudolf, 355.
Liapounow, Sergei, 110.
Lichnowski, Fflrst, 14.
Lie, J., 187.
Lie (Komponist) 50.
Liepe, Emil, 188.
Liepmannssohn, Leo, 20.
van Lier, Jacques, 110. 248.
Lietzmann, Kurt, 5.
V. Liliencron, Rochus Frhr.,
103.
Lilienthal, Herbert, 187.
van Linden van der Heuvell,
Johanna, 370.
Linkenbach, Henny, 374.
Lipiner, Siegfried, 130.
Lippmann (Singer) 100.
Limbert, Frank L., 110.
van der Linde (Singerin) 40.
Linnebach, Adolf, 116.
Lisiewsky (Maler) 217. 218.
Liszewski, Tillmann, 46.
Liszt, Franz, 37. 54. 55. 57. 58.
50. 62. 63. 113. 118. 120.
122. 123. 124. 125. 127. 145.
180. 100. 101. 240. 251. 252.
253. 254. 255. 278. 378. 381,
Littmann, Max, 260.
Lohflng, Robert, 47.
Lohse, Otto, 46. 115. 374.
Loman-v. Elischer, Rudolf, 370.
Loman-v. Elischer, Frau, 370.
Lordmann, Peter, 117. 376.
Lorentz, Alfred, 374.
Loritz, Josef, 253. 283.
Lorleberg-Schnell, Hannah, 62.
Lortzing, Albert, 44. 117. 170.
186. 330. 374.
Lossy, L., 101.
Lothar, Rudolph, 46. 48.
NAMENREGISTER
Louis, Rudolf, 60. 283.
LOventohn, Marix, 119.
Loewe, Carl, 03. 188.
Loewe, Edmund, 244.
Löwe, Ferdinand, 277. 381.
Loewe, Margarete, 189.
LOwenfeld, Hans, 116. 245.
Lucca, Panllne, 100 ff (P. L. f)*
128 (Bild).
Lucchesi, Andrea, 4.
Ludlkar, Paul, 376.
Ludwig I., KOnig, 250. 268.
Ludwig II., König, 259. 265.
272.
Lumnitzer, Magda, 57. 251.
Lunssens (Komponist) 247.
V. Luschan, Felix, 64.
Luflmann, Adolf, 256.
Lfltkemeyer, Prof., 48.
Luther, Martin, 202. 207. 325.
Lutter, Heinrich, 53.
Macchi, G., 114.
Mac Gregor, Helen, 119..
Mac Grew, Rose, 44.
Maclennan, Francis, 183.
Maggs, Dorothy, 249. 250.
Magnus, Eduard, 225.
Mahlendorff, Dina, 255.
Mahler, Gustav, 47. 84. 121.
149 ff (G. M.) 177. 192 (Bil-
der). 245. 253. 254. 256. 357.
382.
Maillart, Aim6, 114. 339.
Malata, Oskar, 244.
Malawski (Singer) 117.
Maiden, Hermann, 48.
Malischewsky (Komponist) 191.
Mailing, Otto, 238.
MaUinger, Mathilde, 102.
Milzel, Joh. Nep., 28.
Mambriny, Prof., 54.
Mandyczewsky, Eusebius, 355.
Man6n, Joan, 60. 188. 254.
Mann, Ed., 377.
Mannsfeld^ Edgar, 362.
V. Manoff, August, 187.
Mantler, Ludwig, 372.
Marak, Otto, 378.
Marchesi, Mathilde, 188.
Mar6chal 341.
Marey 105.
Mameff (Cellist) 59.
Mamer, Konratt, 104.
Marschner, Heinrich, 128. 339.
Marsop, Paul, 67. 128.
Marteau, Henri, 55. 119. 190.
249. 255. 282. 298. 319 (Bild).
345. 351. 381.
Martin, Mabel, 125.
Martini, Helene, 120.
Martucci, Giuseppe, 61.
Marty, Georges, 341.
Marx, Mizzi, 245.
Marx-Goldschmidt, Berthe, 123.
Massenet, Jüles, 121. 184. 185.
245. 340.
Matauscbka (Fagottist) 11.
Maeterlinck, Maurice, 341.
Matema, Amalie, 134. 135.
Matema, Hedwig, 375.
Mattheson, Joh., 223.
Matthieu (Maler) 226.
Mattioli (Kapellmeister) 4.
Max Franz, Kurfürst v. KOln, 4.
Max Friedrich, KurfOrst v. KOln,
4. 6.
Maximilian II., KOnIg, 259.
Mayerhofer (Singer) 135.
Mayr, J. G., 120.
Mayr, Richard, 246.
Mebus, Eduard, 117.
Medek (Singerin) 114.
Meffert, P., 359.
Mehrtens, Meta, 191.
M6hul, E. N., 340. 371.
Meitschik, M., 252.
Melcer, Henryk, 53.
Mellot-Joubert, Frau, 383.
Melms, Hans, 376.
Melville, Marguerite, 53.
Mendelssohn, Arnold, 255.
Mendelssohn -Bartholdy, Felix,
54. 57. 59. 122. 123. 132.
147. 190. 191. 228. 239. 255.
350. 378.
Mendelssohn-Quartett 380.
Mengelberg, Willem, 56. 57.
378. 383.
Menzlnsky, Modest, 116.
Mermet, Auguste, 341.
Merter, Max, 49.
Mervlola, Helene, 244.
Messager, Andr6, 126. 185. 341.
382.
Messchaert, Johannes, 49. 50.
55. 189. 383.
M^sziros, Emericb, 114. 373.
M6tra, OH vier, 341.
Metzger-Froitzheim, Ottilie, 124.
245. 374.
Metzl, Wladimir, 252. 253.
Mey, Kurt, 103. 314.
Meyder, Karl, 362.
Meyer, C. F., 239.
Meyer, Hedwig, 60.
Meyer, Louis, 45.
Meyer-Helmund, Erik, 380.
Meyerbeer, Giacomo, 48. 183.
186. 245. 339. 341.
V. Mihaiovich, Edmund, 54.
Miller, WUliam, 189.
Miller zu Aichholz, Victor, 355.
Mitnitzky, J., 51. 123.
MItterwurzer, Anton, 128 (Bild).
MOhl-Knabl, M., 61.
Mohwinkel, Hans, 374.
V. Mojsisovics, Roderich, 282.
319 (Bild).
Moll&re 373.
V. Moellendorff, Willy, 120. 125.
MOUer, Albert, 189.
MOnch von Salzburg 144.
Monich, Hermann, 254«
Monn, G. M., 97.
Monod, E., 57.
de Monsigny, J. J., 211.
Moor, Emanuel, 54. 57. 124.
252. 378.
Moreto, A., 371.
MOrike, Eduard (Dichter), 239.
Mörike, Eduard (Kapellmeister),
45. 189. 374.
Morley, Thomas, 124.
Morris, Maximilian, 372.
Morsztyn, Helene Comtesse, 62.
Mortelman, Lodevjik, 49. 246.
Mosel-Tomschik, Marie, 46.
Mosenthal, S. H., 133. 138. 139.
Moser, Anton, 246.
Moest, Rudolf, 45. 244. 374.
Moszkowsky, Moritz, 120. 250.
252.
Motti, Felix, 50. 53. 61. 82.
125. 271. 272. 273. 274. 275.
279. 283. 314. 319 (Bild).
359. 382.
Mottu, Alexander, 249.
Moussorgsky, Modest, 252.
Mozart, Leopold, 87.
Mozart, Wolfgang Amadeus, 3.
4. 5. 6. 8. 18. 19. 30. 51. 54.
55. 58. 62. 63. 85. 101. 116.
118. 120. 121. 122. 123. 124.
126. 127. 136. 144. 146. 149.
162. 171. 188. 190. 191.234.
244. 245. 247. 248. 252. 253.
254. 255. 272. 273. 275. 339.
359. 374. 376. 379. 382.
Muck, Carl, 247. 254. 382.
Mflgiin, Heinrich, 104.
Malier, A. E., 219.
Malier, Ernst, 123.
Maller, Gabriele, 244.
Maller, Georg, 64.
Manch, Ernst, 255.
Manchhoff, Mary, 55. 378.
Manzer, Georg, 103. 104. 105.
120.
Muratore (Singer) 127.
V. Mutzenbecher, Kurt, 117.
Mynotti, J. C, 125.
Mysz-Gmeiner, Lula, 53. 121.
189. 248. 256.
Nachtigall, Konrad, 105.
Nadolowltsch, Jean, 372.
Nagel (Dirigent) 50.
Nani (Singer) 376.
Napoleon I. 376.
Naprawnik, Emanuel, 255.
Nardini, Pietro, 189.
Nast, Minnie, 121. 373. 374.
Natterer, Ludwig, 56. 249. 383.
Ninert 05.
Nannuin, Hui«, 50.
Nmuduo, Otto, 53. 190.
N»v«l. fnoz, 46, 183. 372.
Navarini (Singer) 37S.
Nebuschka, Franz, 373.
Nedbal, Oskar, 4S. 252.2S4.25«.
Neefe, Chr. C, 4. 9. 120.
Neisch, Margarete, 44. 113.
NdtHl, Otto, 255. 373.
Nelle, Dr., 350.
Kenid», Fr«n7, 2S5.
Ne«cbdanowi, A., 252.
NeOler, Viktor, IS«.
Noubauer, Hana, 35. 373.
Neubeck, LudKig, 185.
NeudBrffer, Julius, HO. 376.
Neuhaus, Tali, 55.
NeamBDD, Angelo, 153.
Nenmun, Franz, 115.
NeuDhen, Jobaan, 224.
Ney, Elly, 59.
Nicolai, Otto, 133. 330. 376.
Niedennann, Gustav. 251.
Nlelaen, Ludoir, 250.
Nlenann, Albert, 102.
Nietzacbe, Friedrich, 305. 375.
mUMh, Arthur, 50. 62. 118.
123. 124. IBO. 252.380. 3SI.
383. 384.
NiklKts. Otto, 188.
Nodnagel, E.G., 163.200.358.
NobI, Ladwle, 24, 25. 27. 20.
36. 37. 362.
Noordewier-RcddingiuB, EmiDi,
378. 370.
Nordraak, Richard, lOS.
Norrie, Anna, 55.
Nottebohm, Guatav, 28. 03, 360.
Novacek, O., 56.
Novak, Viteslav, IS7.
NowowIejskI, Felix, 50.
Nultttr 185.
Nnnnenbeck 105.
NODIe, H., 56.
de la Nnx 341.
Nrrop (Komponlet) 250.
Ober, Marsarete, 183.
Obriat, Alola, 116. 2S5. 283.
3lfl (Bild). 376.
Ochs, Siegrrled, 50. 240.
ORenbacb, Jacques, 245. 343.
OUner, G. E., 56.
Ondricek, Franz, 63. 101.
Oadricek-Quartett 63.
van Oon. Hendrik, 49. 180. 37«.
Opitz, MartlQ. 106.
Orbeilini (Slngerin) 185.
Oretlo, Josef, 114. 372.
Orlik. Emil, 192.
Oertling, Jullua, 251.
Oabom, E., 82.
Oabom-Hannab, Jane, 245.
Oeaer, Auxun, 187.
NAMENREGISTER
V. d. Otten, Eva, 54. 373.
Oetierbeld, Prof., 228.
V. Oth^raven, Aapiat, 380.
Otten, Aooa, 51.
Otteobdioer, PrdI, 188. 254.
Ottermann, Luiic, Sfl.
Otto, Julius, 373.
de Fachmann, Tladlmlr, 254.
Pack, E., 248.
Paderewski, ignu, 383.
PaSr, Ferdinand, 33S.
Ptbnkc. W„ 240.
PaUdllbe, £miie, 34t.
Palestrlna 58. 1 23 ( Bild). 188. 380.
PallofTen SS.
Panihis, Marie. 49. 57.
Panier 71. 77. 70.
Paiuner, Karl, 53. 118.
Parent, Armand, 126.
Parlow, Kaihleen, 121. 1 24,
248. 378.
Pasdeloup, J. E., 341.
Paner, Max, 252. 254.
Paul, Jean, 150.
Paul. TbWHlor. 23«. 237.
Paulhan 05.
Pauli, Max, 380.
Paulaen, J., 252.
Pelaer, Oerbard, 248.
Pembaar, JoasT, 124. ISO.
Pembaur, Maria, 127.
Pennarinl, AloU, 114.
V. PerWI, Karl Frhr, 278.
Pufole«!, G, B., 4. 6. 12. 13.
PerilboD. Gabriel, 126.
Peroal, Loreitio, 61.
PerroD, Carl, 121.
Perrotn^ Jeanne, 240.
Petaud, E. L. F., 341.
Petere, C F., 154. 216. 217.
Petko, Emmy, 40.
Petrenko ^Slngerln) 101.
Petti, E^on, 252.
Petri. Henri, 118. 101.
Petri-Quanett 118, 121. 2M.
Peiachnikoff, Alexander, 255.
Petter, Ftmot, 46.
Pfano, Kart, 372.
PRuncr. Hans, 58. 60.62. 156,
240, 255. 274. 278. 357.
V. d. Pfordten, H., 39.
Philharmoniker, Berliner, 381.
3S3.
Pbilippi, Maria, 247. 351. 383.
Pick-Mangl«g«lli (Pianlat) 254.
Pickert, Adelheid, 183.
Pleme, Gabriel, 191.
Plerret, Aaguat, 377.
Pletratacbcwska (Sincerin) 40,
V. Pllrol 33.
PInfc*, Emil, 124. 352. 381.
PItteroir, Mathlac, 378,
Pittrieb, Georc 244.
PUil, BiDilio, 37£
XI
PUicbinser, Thila, 45.
Plaschke, Friedrieb, 41.373.377.
Platz, Oscar, 43.
Piatzbecker, Heinrich, 114.
Playfalr. Elaie, 252.
Pleyel, J-, 126.
van der PIOÜ, Bram, 370.
Piaddemann, Martin, 52.
PIQddemannacher Chor (Breslau)
ISO.
er, Jer
, 246.
PolUk, Robert, 252.
Pollitz, D., 57.
PonBblelll, Amilcare, 82.
Poppe (der alte) 105.
POppel, Georg, 48.
Popper, David, 55.
Porgea, Frladricb, 50.
Porgea, Heinrich, 278.
PorfM, Walter, 381.
Porpora, Nicola, 124.
Porst. Bernhard, 245.
V. Poaaart, Emat, 45. 1 14. 272.
pMt, Max, 58.
Pon, Richard, 58.
Pct^ieDer, Karl, 282. 295. 319
(Bild).
Pretl, Marcella, 57.
PreÖ, Michael, 51. 118. 283.
319 (Bild).
PreO,Joseph, 1 18.2S3.310(Blld).
PreO-Miurina, Vera, IIS. 283.
319 (Bild).
Preß-trio «2.
Preuse- Matzen «uer, Mar|arete,
Öl 252. 253. 371. 372. 380,
Prevosti, Fraoceschina, 114.
Preyer, Gottfried, 132.
Prili. Emil, 350.
Prout, Eheoezer, 121.
Prower, Julius, 44, 113.
Pacclni, Glacono, 46. 245. 342.
377.
Putno, Raonl, 57. 63. 248. 378.
Punto, Giovanni, 10.
Purcell, Henr>, 247.
Puschkin, Alexander, 101.
Puacbman, Adam, 103. 104. 105.
Puttiitz, Julius, 373.
Raabe, Peter, 63. 117. 121. 127.
184. 278. 381.
Rabaud, Henri, 382.
Rsbi, Valter, 115. 125. 380.
Rabi-Kristen, Hermine. 44.
Rabot, Vllhelm, 45.
Rachmaninoff, Sergej, 248. 252.
253. 254. 378.
Ralf, Joachim, 146. 101.
Rabter, Daniel. 125. 380,
Rains, L«on, 373.
Rajchmao, Alexander, 250.
Ranean. J. Ph-, 127. 376.
XII
NAMENREGISTER
Rampel (Kopist) 37.
Ranft, Albert, 116.
Raunay-Beaunier, Jeanne, 126.
Rauscher, Erika, 381.
Ravel, Maurice, 382. 383.
Ravn, Irma« 48.
Rebner, Adolf, 56. 1 10. 240. 383.
Rebner-Quartett 58. 60. 240. 253.
Reboux, Paul, 382.
Reclam, Philipp, 342.
Reed, G. W., 48.
Regenbogen, Bartel, 104.
Reger, Max, 50. 57. 61. 123.
124. 126. 156. 172. 188. 100.
101. 247. 251. 253. 254. 255.
351. 364. 370.
Rehberg, Ad., 240.
Rehberg, Willy, 240.
Rehkopf, Paul, 117.
Reichardt, Job. Fr., 05. 124. 217.
Reichel, Enna, 351.
Reichenberg (Singerin) 135. 136.
Reichenberger, Hugo, 121.
Reicher, Emanuel, 51.
Reichert, Fr.,-^2.
Reichwein, Leopold, 116. 375.
Reimann, Job. Balthasar, 223.
Reimers, Paul, 50. 1 18. 1 10. 246.
Reinecke, Carl, 125.
Reinhardt, Johann, 376.
Reinhold, Arthur, 123.
Reisenauer, Alfred, 350.
ReiO, Georg, 380.
Rell6e, Leonore, 44.
R6mond, Fritz, 245.
Renard, Marie, 135. 136.
Renaud, Maurice, 47.
Rentsch-Sauer, Hella, 125.
Respighl 124.
de Reszke, Jean, 24ft>
Reucker, Alfred, 377.
ReuO j. L., Erbprinz, 350.
V. Reuter, Florizel, 381.
Reyer, Emest, 341.
Reymond, L., 240.
V. Reznicek, E. N., 371.
Rheinberger, Joseph, 363.
Rheinfeld, M., 61.
Ribera, Antonio, 185.
Ribot 105.
Richepln, Jean, 113. 185.
Richter, Franz Xaver, 7. 8.
85. 02.
Richter, Otto, 377.
Rlemann, Ernst, 125. 127.
Rlemann, Hugo, 103. 175. 208.
211. 213. 328. 330.
Riepel, J., 208.
Ries, Ferdinand, 25. 302.
Righini, Vtncenzo, 17.
Rimsky-Kortsakow, Nikolai, 56.
126. 101. 248. 254. 382.
383.
del Rio, Glannatasio, 34.
del Rio, Frau, 20.
Ripper, Alice, 251.
Risler, Edouard, 252.
Riss-Arbeau (Pianistin) 126.
Ritter (Singer) 135.
Ritzinger, Joseflne, 40.
Robertine, Fernande, 46.
Rode, Minna, 50.
ROhr, Julia, 110.
V. Rokitansky, Viktor Frhr., 134.
Roel, Kapellmeister, 183.
ROmhild, Albert, 377.
Rona-Kem6nyffy, Josefa, 248.
Ronis, Maximilian, 51.
ROntgen, Julius, 40. 378.
Roosevelt, Maud, 373.
Roquette, Otto, 113.
Rose, Frances, 37 1 .
R086, Arnold, 118.
Ros6, Eduard, 118.
Ros6-Quartett, 118. 383.
Rosencrantz, J. M., 51.
Rosenthal, Moriz, 63. 256.
Rosenthal, Wolfgang, 352. 381.
ROsler (Pianist) 125.
Rossini, Gioachino, 57. 250. 338.
ROOler, Otto, 51.
Roth, Bertrand, 248.
Rother, Gotthold, 373.
Rotter, Alexander, 244.
ROthIg, Brunov 125.
ROthIg, Clara, 125.
Rousseau, S., 341.
Rubinstein, Anton, 144. 145. 146.
Rflckbeil, Hugo, 255. 256.
Rackbell-HIller, Emma, 255.
Rackert, Friedrich, 154.
Ruederer, Josef, 266.
Rüdiger, Hans, 51. 373.
Rudolf, Erzherzog, 25. 362.
RudoHf, Ernst, 50.
Ruhlmann, 48.
Rumann (Singer) 80.
Rumpel, Franz, 372.
Rumpf, F., 226.
Rumschjysky, S. G., 51.
Rung, Frederik, 188. 380.
Runge, Paul, 103. 104.
Rupprecht 05.
Rasche- Endorf, Cicilie, 45. 114.
Rust, F. W., 125.
Rust, Wilhelm, 383.
Ruzitska, Anton, 118.
Saal, Alfred, 52.
Sacchetto, Rita, 373.
Sachnowsky, J., 252.
Sachs, Hans, 103. 104. 244.
Sachs, Leo, 383.
SafonofT, Wassili, 382.
Saint-Denis, Ruth, 372.
Saint-Sa€ns, Camille, 57. 50.
121. 123. 126. 127. 186. 101.
247. 250. 252. 340. 378. 381.
382.
Salignac (Singer) 48.
Salomon, Heinrich, 102.
Salvatini, Signorina, 183.
Salvayre (Komponist) 341.
Salzwedel, Max, 350.
Sauden, AHne, 52.
Sandoz, Jobin & Co. 345.
Sangalli (Tinzerin) 185.
Sankt-Ursula-Midchenchor 110.
SapellnlkofT, Wassily, 53. 120.
Saradschew, K., 252.
deSarasate, Pablo, 123. 101. 270.
Sasse, Gertrud, 120.
Sasse, Hans, 120.
Sauer, Emil, 55. 125. 180. 270.
378.
Sauret, Emile, 250.
de Sauset 373.
Scarlatti, Domenico, 121.
Schade, Marie, 188.
Schifer, Dirk, 252.
Schifer-Bender, Franziska, 373.
374. 377.
van Schalk (Singer) 40.
Schallapln, Feodor, 375.
Schalk, Franz, 40.
Scharrer, Irene, 252.
Scharwenka, Xaver, 110. 188.
Schauer, Alfred, 44.
Schauer-Bergmann, Martha, 58.
50. 110.
Scheel, Fritz, 253.
Scheffler, Rudolf, 188.
Scheibel, Gertrud, 120.
vom Scheidt, Selma, 117.
Schein, Job. Herm., 106.
Scheinpfiug, Paul, 54.
Schelle, Henriette, 188. 370.
Schelle, Seraph ine, 63.
Schelling, Emest, 281. 201.
310 (Bild).
Schenk, Elisabeth, 62. 121.
Scheremetjew, Graf, 254.
Schereschefsky, Martha, 44. 113.
Scherrer, H., 283.
Schidenhelm (Pianist) 383.
Schiebold, C, 380.
Schierbeek (Singerin) 40.
Schilling- Ziemsen, Hans, 184
(«Sonnenwendglut*. Urauf-
fQhrung in Colmar).
Schillings, Max, 57. 61. 60. 70.
80. 187. 240. 240. 260. 270.
274. 280. 281. 282. 200 fr.
310. 357.
Schimon, Ferdinand, 64.
Schindler, Anton, 16. 33. 36. 362.
Schindler, Kurt, 282. 363.
Schioler, Axel, 250.
Schipanek (Singerin) 117.
Schirmer, Robert, 114.
Schjelderup, Gerhard, 121. 373
(»Frahlingsnacht". Urauf-
fahrung in Dresden).
NAMENREGISTER
XIII
Schkolnick (Gelger) 255.
Schlaf, Johannes, 305.
Schlar, Josef« 117.
Schlesingersche Buch- und Musik-
handlung 163.
Schloß, Lotte, 61.
Schlosser, Anton, 61. 120. 253.
Schlösser, Adolph, 362.
Schlosser, Louis, 362.
Schmedes, Erik, 40.
Schmid, H. Kaspar, 253.
Schmid-Lindner, August, 60. 61.
255. 283.
Schmidt, Lou, 120.
Schmidt, Mary, 121.
Schmidt-Badekow, Alfred, 50.
255.
Schmidt-Reinecke, 55.
Schnabel, Artur, 124. 187. 359.
Schnabel-Behr, Therese, 359.
Schneemann, Else, 125.
Schntevolgt, Georg, 60. 70. 278.
378.
Schneider, E., 352.
Schnitzer, Germaine, 248.
Schnirlin, Ossip, 51. 187.
Schnorr v. Carolsfeld, Franz,
103.
Scholander, Sven, 123. 190. 256.
Scholz, Bernhard, 59. 122. 251.
361. 374.
Scholz, Hermann, 248.
SchOnberg, Ernst, 188.
SchOnberg (Pianistin) 62.
SchOnholtz (Singerin) 255.
Schop, Joh., 214.
Schotts Söhne, B., 25. 134. 154.
Schrattenholz, Leo, 118.
Schreck, Gustav, 122. 351.
Schrecker, Franz, 256.
Schroeder, Alwin, 249.
Schroeder, Carl, 124.
Schroeder, C. M., 191. 254.
Schroeder, Emmy, 115.
Schröder, Fritz, 246.
Schrödter (Singer) 135.
Schubart, Gh. F. D., 1 75. 1 76. 1 77.
Schubert, Betty, 245.
Schubert, Franz, 49. 52. 54. 55.
57. 58.59.62. 118. 123. 126.
127. 167. 189. 191.234.235.
247. 249. 250. 251. 252. 253.
255. 354. 358. 359. 378. 379.
Schubert, Oskar, 51.
V. Schucb, Ernst, 114. 118. 121.
123. 373.
Schulz, Elisabeth, 119.
Schulz, J. A. P., 120. 124.
Schulz, P. A., 55.
Schulz-Beuthen, Heinrich, 50.
Schulze-Prisca, Walter, 248.
Schumann, Clara, 53. 356.
Schumann, Georg, 118. 187.
188. 247.
Schumann, Robert, 40. 51. 52.
53. 54. 55. 57. 59. 62. 120.
125. 161. 188. 189. 190.246.
247. 251. 252. 253. 255. 256.
360. 378. 384.
Schumann-Heink, Emestine,247.
Schflnemann, Else, 283.
Schuppanzigh, Ignaz, 27. 362.
Schuster & Loeffler 31. 128.
192.
Schott, E., 251.
Schatz, Hans, 245.
SchOtzendorf, Alfons, 45.
Schätzer, Clara, 119.
Schwabe, Emmy, 44.
Schwalm, Robert, 357. 358.
Scbwartz, Alexander, 52.
Schwartz, Heinrich, 00. Ol.
278.
Schwartz, Josef, 122.
Schwarz (Singer) 377.
Schwarz, Cicilie, 250.
Schwarz, Franz, 189.
Schwarz, Hermann, 187.
Schwarz, Josef, 117.
Schwarz, V. W., Ol.
Schwarzen bach, Onoffrius, 103.
105.
Schwarzenstein, Siegmund, 251.
Schwedler, Maximilian, 351.
Schweitzer, Albert, 383.
Schweitzer, Wolfg., 199.
Schwendy (Singer) 247.
Schwenke 28.
Sechiari, Pierre, 120. 127.
Secr&ve, H., 58.
Sebald, Alexander, 120.
Seebe, Charlotte, 184.
Seebe, Magdalena 191.
Seelig, Otto, 58.
Seffher, Karl, 228. 349. 352.
Seidl, Emanuel, 208.
Seidl, Gabriel, 208.
SeifTert, Max, 351. 381.
de Seigneux, G., 184.
Sekles, Bernhard, 02. 189. 250.
Selva, Blanche, 120.
Sembach, Johann, 44.
Sembacb, Josef, 1 1 4. 373.
Sembrich, Marcella, 382.
Senff, Bartholf, 134.
Senger-Bettaque, Katharine, 370.
Sengem, Leonore, 374.
SenilOW (Komponist) 191.
Senius, Felix, 50. 52. 02. 254.
255. 359. 378.
Seret, Maria, 379.
Sevöik-Quar^tt 49. 252.
S6veilhac (Singer) 48.
V. Seyfried, Ignaz Ritter, 38.
Sgambati, 190.
Shakespeare, William, 50. 51.
159. 317. 371.
Sherwood, Percy, 50.
Sibelius, Jean, 54. 55. 02. 252.
255.
Sibor, B., 252.
de Sicard, Michel, 00.
Siccard (Geiger) 54.
Siegel, C. F. W^ 380.
Siegmund, Theo, 244.
Siessermann, D., 252.
Siloti, Alexander, 50. 57. 118.
252. 254.
Silvestre, Armand, 375.
Simon, James, 119.
Simons, Rainer, 377.
Simrock, N., 18.
Sinding, Christian, 119.
Singer, Kithe, 114.
Singer, Richard, 254.
Sirou (Singer) 254.
Sistermans, Anton, 54. 02.
118.
Sitt, Hans, 123.
Skarbek, Pelagie Grifln, 03.
Slezak, Leo, 250.
Sliwinsky, Josef, 50. 189. 254.
Smetana, Friedrich, 121. 252.
372.
Smimow, D., 254.
Smit, Joh., 248.
Smith, Joh., 50.
Smith, Madge Shand, 119.
Smith, Nellie Curzon, 121.
Smulders, Carl, 378.
Snoer, Johannes, 123.
Sobinoff, L6onid, 53.
Soci6t6 de concerts d'instruments
anciens 55. 00.
Soloquartett fQr Kirchengesang,
Leipziger, 125.
Sommer (Singer) 135.
Son, Henry, 248.
Sondern, Olga, 110.
Soomer, Walter, 48. 59. 121.
245. 374.
Sophokles 317.
Souday 383.
Spazier, Joh. G. K., 4.
Specht, Richard, 152. 384.
Speidel, Ludwig, 300.
Spiering, Theodor, 00.
Spies, Hans, 44.
Spitta, Philipp, 223.
Spitzner, Alfred, 118.
Spitzweg, Karl, 200.
Spohr, Ludwig, 29. 122.
Spontini, Gasparo, 338.
Spoor, Andr6, 57.
Spörel (Singerin) 189.
Springfeld, Oskar, 123.
Stadler, Abb^ 28.
Stadtegger, Lia, 123.
Sugl, Gusti, 240.
Staegemann, Helene, 122. 124.
Stahr, Fritz, 122.
Staiger 104.
XIV
NAMENREGISTER
Stamitz, Johann, 3. 7. 0. 12. 14.
Stamitz, Karl, 4. 5. 02. 04. 07.
Stangen 364.
Stapelfeldt^ Martha, 118.
Stavenhagen, Agnes, 127.'
Stavenhagen, Berahard, 55. 57.
50. 122. 240. 277. ^78.
Stefkniai, Emeric, 124.
Steffen 05.
Steinbachy Emil, 100. 375.
Steinbach, Fritz, 54. 50. 122.
126. 247. 250. 370. 380.
Steindel, Bruno, 55.
Steinhausen, F. A., 105. 106.
Steinmeyer, Georg, 370.
Stenhammar, Wilhelm, 255.
Stennebruggen, H., 50.
Stephany, Alfired, 100.
Stern, Julius, 113.
Stemfeld, Richard, 51.
Steyer, Johanna, 48.
Stichling, Eugen, 352. 381.
Stieler, Josef, 64.
Stillman-Kelley, Edgar, 56.
Stock, Friedrich, 55.
Stoeber, Georg, 61.
Stöcker, Adele, 124.
StOckert, H., 52.
Stell, August, 246.
Stolle (der alte) 105.
Stolle (der |unge) 105.
Stoltz, Eugenie, 58.
Storch, Pastor, 53.
Storchio, Rosina, 376.
Storm, Theodor, 230. 364.
Stoye, Paul, 58.
Strathmann, Friedrich, 44. 117.
100.
Straube, Karl, 351. 352. 380.
Straus, Oscar, 46. 113. 115. 377.
V. Straufl, Edmund, 372.
StrauO, Franz, 277.
StrauO, Johann, 113. 128 (Bild).
StrauO, Richard, 40. 50. 52. 53.
57.60.62. 113. 117.118. 123.
126. 156. 185. 187. 180. 101.
210. 240. 247. 240. 251. 252.
253. 254. 255. 256. 268. 271.
274. 277. 286. 343. 350. 373.
378. 370. 381. 382. 383. 384.
Strawinski (Komponist) 101.
Streicher, Nanette, 124.
Streicher, Theodor, 123. 156.240.
Streichquartett, Böhmisches, 40.
51. 60. 62. 121. 124. 253.
Streichquartett, Brflsseler, 40.
51. 60. 63. 101. 255.
Streichquartett, Florentiner, 133.
Streichquartett, Frankfurter, 383.
Streichquartett, Genfer, 57. 240.
Streichquartett, Mflnchner, 60.
253. 277. 283. 310 (Bild).
Streichquartett, St. Petersburger,
254.
Stromenger, Hilde, 256.
Stronck-Kappel, Anna, 50. 247.
240.
Struensee, Paul, 184.
Stuck, Franz, 30.
Stuckey, Isabel, 127.
Stury, Max, 114.
Such, Percy, 50.
Sucher, Josef, 102 (Bild).
Sucher, Rosa, 102.
Succo, R«, 174.
V. Supp6, Franz, 46.
SaOe, Otto, 100.
Suflmann, Adolf, 117.
Suter, Hermann, 50.
SvirdstrOm, Astrid, 123.
SvirdstrOm, Olgs, 123.
SvirdstrOm, Sigrid, 123.
SvirdstrOm, Valborg, 60. 123.
100. 372.
Swirski, Georg. 252. 254.
Sylva, Margarete, 377.
Symiane (Singerin) 244.
Szanto, Theodor, 187.
Szemere (Singerin) 114.
Sztojanovics (Dirigent) 54.
Szymanowski 53.
Tagosen (Singer) 370.
Talich, Ferdinand, 51.
Tanejew, Sergei, 252.
Tango, Egisto« 183.
Tannewitz, Eugen, 125.
Tannhiuser 104.
Tinzler, Hans, 116. 374.
Tartini, Giuseppe, 50. 254.
Taubert, E. E., 120.
Taussig, Karl, 147.
Tauszky, Marie, 63.
Telemann, G. Ph., 120. 124.
Temmner (Konzertmeister) 378.
Tennenbaum, Betty, 187.
Tennyson, Alfred, 240.
Tercs, Gisella, 46.
Terry, Muriel, 375.
Tervani, Irma, 114. 244.
Terwin, Johanna, 377.
Tetrazzini, Luisa, 47. 245.-
Thal, Della, 53. 124.
Thalberg, Marcian, 127.
Thayer, A. W,, 3. 4. 5. 6. 11.
14. 17. 26. 28. 20. 36. 37.
Thelemann, Dr., 173.
Thibaud, Jacques, 51. 55. 127.
246. 247. 382.
Thiel, Arthur, 116.
Thielemann, Brlgitta, 51.
Thies-Lachmann, Ella, 251.
Thiessen, Karl, 101.
Thomas, Ambroise, 340. 341.
Thomas, Theodor, 55.
Thomas-Schwartz, Anni, 44. 45.
Thomberg (Geiger) 250.
Thomsvard, Else, 373.
Thuille, Ludwig, 61. 124. 184.
101. 305.
Thflmler- Waiden, Gustav, 110.
Thynne, R., 57.
Tietjen, Heinz, 48.
Tillier, Claude, 362.
Tillmetz, Rudolf, 250.
Tobieser, Agnete, 120.
Toch, Ernst, 60.
Toeschi, C. G., 7.
Tomaschek, Wenzel, 124.
Toscanini, Arturo, 46. 47. 81 ff
(AT.). 128 (Bild). 245. 375.
Toselli, Enrico, 256.
Toulon (Komponist) 250.
Tonmemire, Charles, 40.
Traeg (Musikalienhindler) 6.
Trelli, Madeleine, 127.
Trenkler, Albin, 46.
Tressi (Impresario) 46.
Triebel-Horsten, Margarete, 244.
Triller von Gera, Valentin, 104.
Trio, Heidelberger, 58.
Trio, Hollindisches, 250.
Trio, Russisches, 118.283.310
(Bild).
TrOndlin, Dr., 350.
Trostorff, Fritz, 44. 113.
Tscbalkowsky, Modest, 48.
Tschaikowsky, Peter, 50. 52. 53.
55. 57. 58. 60. 62. 63. 124.
125. 101. 251. 252. 253. 255.
256. 378. 370.
Turini, Fr., 05. 123.
Ucko, Paula, 100.
Ujeiski, Kernel, 123.
Ulbrig, Lisbeth, 371.
Unkenstein, Bernhard, 180.
Urbaczek, Paula, 245.
Urius, Jacques, 124. 180. 245.
251. 376. 381. 383.
Vach, Ferdinand, 384.
Vaterhaus, Hans, 51. 180. 352.
380.
Vaucorbeil (Komponist) 185.
v. Vecsey, Franz, 110. 124. 378.
Vela-Quartett 125.
Veradni, F. M., 4. 124.
Verdi, Giuseppe, 45. 81. 113.
116. 117. 183. 186.244.330.
375. 376.
Vereinigung, Deutsche, fflr alte
Musik, 270.
Verhey, Anton, 370.
Verhey, F. H. H., 255.
Verhunk, Fanchette, 44. 113.
Verlaine Paul, 126.
Verlet, Alice, 376.
Vetter, Else, 110.
Vidal, Paul, 185. 341.
Viebig, Hermann, 51.
Vieuxtemps, Henri, 57.
Vigna, Arturo, 62.
Villar (Komponist) 125.
NAMENREGISTER
XV
Vines, Rictrdo, 126.
Viotta, Henri, 57. 247. 370.
Virgil 315. 317.
Vivaldi, Antonio, 351.
van Vliet, Corneliut, 60.
Vogel, E., 216. 217.
Vogely Hans, 105.
Vogelttrom, Fritz, 375.
Vogl, Adolf, 116.
Vogl, Heinrich, 130.
Vogl, Josef, 244.
Vogt, Valentin, 104.
Vokalquartett, Beriiner, 1 10.246.
Vokalquartett Brema 54.
Vokaltrio, Nordisches, 53.
Volbacb, Fritz, 55. 216. 217.
221. 251.
Volkmann, Hans, 38. 64.
Volkmann, Robert, 62. 122. 189.
Volkmar, Tobias, 224.
Volkschor, Berliner, 110.
Vollerthun, Georg, 282. 310
(Bild).
VoUnhals, Ludwig, 283. 319
(Bild).
Vrieslander, Otto, 52. 253.
365.
Wach, Adolf, 350.
Wachsmann, Julius, 380.
Wächter, Ernst, 114.
Wagenseil, Job. Chr., 103. 104.
Waghalter, W., 255.
Wagner, Emil, 283. 319 (Bild).
Wagner, Karl, 283.
Wagner, Minna, 128.
Wagner, Richard, 44. 45. 46.
48. 49. 50. 54. 56. 58. 59.
61. 62. 81.82. 102. 103. 113.
114. 115. 116. 117. 110. 122.
123. 126. 127. 128. 131. 130.
145. 146. 147. 148. 158. 170.
183. 184. 189. 191. 192. 244.
245. 246. 247. 248. 249. 251.
252. 254. 255. 269. 271. 272.
273. 274. 275. 276. 283. 284.
286. 317. 318. 341. 354. 358.
360. 371. 374. 375. 376. 377.
378. 379. 384.
Wagner, Siegfried, 117. 186.
189.
Wahl, Eduard, 67.
Wahriich, H., 254.
Wakemann, Annie L., 120.
Walde, Doris, 377. 379.
Waldmann (Singer) 189.
Walter, Benno, 277.
Walter, Bruno, 246.
Walter, George A., 380.
Walter, Gustav, 134.
Walter, Josef, 277.
Walter-Quartett 277.
Warwas, Erdmann, 118.
Waschow, Gusuv, 373.
Wassilenko, Sergei, 252.
V. Weber, Cari Maria, 50. 53.
54. 58. 132. 136. 171. 250.
255. 336. 371. 374.
Miroslav Weber - Quartett 277.
Wedekind, Erika, 50. 116. 373.
374.
Wegeier, F. G., 24.
Wegmann 53.
Wehrenfennig, Helene, 114.
Weidemann, Friedrich, 246.
Weidinger, Lonide, 120.
Weil, Hermann, 116.
Weimar, G., 206.
Weinberger, Josef, 154.
Weiner, Leo, 54.
Weingartner, Felix, 50. 53. 55.
61. 62. 63. 70. 76. 127. 149.
187. 253. 254. 255. 278. 382.
383.
Weinmann, Rudolf, 254.
Weismann, Julius, 108.
WeiQ (Singerin) 44.
WeiQenbach, Aloys, 36.
WeiOenbom, Hermann, 247.
Weiflieder, Franz, 245.
V. Weiden, Olga, 283.
Weltmann, Franz, 51.
Weltmann, Rose, 51.
Wendel, Ernst, 357. 358. 359.
Wendel-Quartett 357.
Wendler (Komponist) 384.
Werdermann, Clara, 119.
Werte, L., 247.
Wermann, Martha, 123.
Werner, Florenz, 60.
Wesendonk, Mathilde, 252.
Wetz, Richard, 45.
Wetzel, Elise, 52.
Wetzler, H. H., 114. 254.
Weyr, Rudolf, 353. 384.
Wheeler (Impresario) 46.
Whitehill, Clarenoe, 246. 373.
Wlborg, Elisa, 376.
WickenhiuOer, Richard, 256.
Widor, Ch. M., 341.
Wiedey, Ferdinand, 117.
Wieniawski, Joseph, 188.
Wieniawski (Singerin) 382.
Wiese, Max, 364.
Wiesner, Richard, 251.
Wilde, Sebastian, 105.
V. Wildenbruch, Ernst, 57. 249.
Wildt, Hermann, 116.
Wilhelm Ernst, Herzog v. Weimar,
226. 384 (Bild).
Wilhelm!, August, 191.
WUhelmy, Julius, 45.
Wilke, Fritz, 190.
Wilke, Theodor, 116. 187.
Wille, Alflred, 189.
Wille, Georg, 118. 189. 248.
Williamson, Sidney, 251.
Willis, William C, 53.
Willner, A. M., 135. 141.
Wilt, Marie, 134.
Winderstein, Hans, 122. 124.
189. 251. 277.
Winkelmann, Hermann, 135.
Winneberger, Paul, 5.
Witte, G. H., 56. 249.
Wittekopf, Rudolf, 44.
Wittenberg, Alflred, 59. 189.
Wocke-Dowerk, Emilie, 250.
Wohlgemuth, Gustav, 380.
WOhrle, E., 279.
Wolf, Hugo, 358.
Wolf, Otto, 190.
Wolf, Sofie, 45.
Wolf-Ferrari, Ermanne, 256.
Wolff, Erich J., 119. 187. 240.
Wolfheim, M., 62.
Wolfhim, Philipp, 58.
Wollgandt, Edgar, 124. 251.
Wolter, Minnie, 44.
v. WoLzogen, Elsa Laura, 127.
Wormser, Andr6, 341.
Woyrsch, Felix, 189.
Wailner, Anna, 189.
Wflllncr, Franz, 277. 278.
wallner, Ludwig, 56. 58. 59.
123. 189. 191. 378.
Wunderlich, Otto, 56.
Wustmann, G., 216. 217. 219.
Wybauw (Singerin) 247.
V. Wym6tal, Wilhelm, 245.
Ysaye, Eugene, 54. 55. 62. 247.
248. 256. 378.
Yung 57.
Zachow, Philipp, 189.
Zalsman, Gerard, 247. 383.
Zambelli (Tinzerin) 185.
Zander, Ernst, 119.
Zec, Nicola, 376.
Zehme, Alfciertine^ 123.
Zeiller, Helene, 371.
Zelenka-Lerando, Leo, 188.
Zelenski, C, 117.
Zeller, Cari, 46.
Zeller, Heinrich, 117.
Zelter, Cari Fr., 95. 217.
219.
Zemanek, W., 191. 254.
Zemlinsky, Alexander, 246.
Zerlett, J. B., 187.
Zerlett-Olfenius, Frau, 187.
Zilcher, Hermann, 121. 255.
Zimmer, A., 248.
Zimmer, Frau, 248.
Zimmer-Quartett 54.
Zoder, Nanny, 49.
Zöllner, Heinrich, 49. 59. 255.
Zschoriich, Paul, 186 («Carmen-
ciu*. UrauffQhrung in Prag).
Zuckerman, Augusts, 51.
Zumpe, Herman, 61. 277.
Zumsteeg, Job. Rud., 120.
Zuschneid, Karl, 252. 380.
Zwintscher, Rudolf, 189.
XVI
REGISTER DER BESPROCHENEN BÜCHER UND MUSIKALIEN
REGISTER DER BESPROCHENEN BÜCHER
Beethoven-Jahrbuch. Erster Band
(1908). 38.
Eisenmann, Ernst: Das Urheber-
recht an Tonkunstwerken. 237.
V. Frimmel, Theodor: Beethoven-
Studien. II. 37.
Holzer, Ernst: Schubart als
Musiker. 175.
Jaeil, Marie: Die Musik und die
Psycho-Physiologie. (Aus dem
Französischen von Franziska
Kromayer). 105.
Kalbeck, Max : Johannes Brahms.
Zweiter Band, erster Halb-
band^ 360.
Kalischer, Alfr. Chr. : Beethovens
Simtliche Briefe. Vierter Band.
361.
Mflnzer, Georg: Das Singebuch
des Adam Puschman nebst
den Originalmelodien des M.
Behaim und Hans Sachs.
103.
Paul, Theodor: Systematische
Sprech- und Gesangstonbil-
dung. 230.
V. d. Pfordten, H.: Beethoven.
30.
Riemann, Hugo: Handbuch der
Musikgeschichte. 2. Band,
Erster Teil (3. Halbband des
Ganzen): Das Zeitalter der
Renaissance. 175.
Werdegang und Erlebnisse eines
Orchestermusikers. Von ihm
selbst erzählt. 362.
REGISTER DER BESPROCHENEN MUSIKALIEN
V. Ambros, Maximilian : op. 40.
Zwei Lieder. 240.
Ansorge, Max: Zehn Duette fflr
zwei Singstimmen und Klavier
aus dem Kinderleben. 108.
Bortkiewicz, Sergei: op. 3.
Quatre morceaux pour Piano.
— op. 4. »Impressions*. Sept
morceaux pour Piano. 107.
V. Brucken-Fock, G. H. G.:
5 Liederen voor een sopran-
stem met begeleiding van
Klavier (gedichten van J. Red-
dingius). 108.
Cleve, Halfdan: op. 0. Konzert
No. 3 in Es-dur fflr Klavier
und Streichorchester. 107.
— op. 20. FOnf Stimmungen
fflr Pianoforte. 178.
Cui, C6sar: op. 68. 2me Qua-
tuor pour 2 Violons, Alto et
Violonoelle. 170.
Fihrmann, Hans: op. 40. Sechs
Charakterstacke rar Orgel. 362.
Fricke, Richard: Fanfeig Choral-
vorspiele far Orgel. 363.
Hefl, Ludwig: op. 21. Fanf
Lieder fOr eine Singstimme
und Klavierbegleitung. 364.
Kämpf, Karl : op. 24. Suite fOr
grofles Orchester. 106.
Karg-Elert, Sigfrid: Lieder und
Gedichte far eine Singstimme
mit Klavier. 107.
— op. 50. Erste Klaviersonate
(fls-moU). 108.
Karpow, Michel: op. 2. Nocturne
pour le Piano. 108.
Kersbergen,J. W.: op. 0. Quar-
tett far Klavier, Violine, Viola
und Violoncell. 240.
Koch, Friedrich E. : op. 31.
Deutsche Rhapsodie. Konzert
fOr Violine und Orchester. 1 79.
Köhler, Emesto: op. 97. Con-
certo per Flaute con accomp.
di Piano. 240.
Kuiler, Kor: op. '30. »Een
Vinterdag", Kindercanute.
Woorden van Kath. Leopold.
363.
Lederer-Prina, Felix: Lieder.
365.
Lewandowsky, Max: op. 8.
Sonate far Pianoforte und
Violine. 170.
— op. 9—16. Lieder und Ge-
singe. 239.
Mahler, Gustav: Lieder far eine
Singstimme mit Klavier oder
Orchester. 177.
Mailing, Otto: op. 43. Konzert
c-moll far Klavier mit Be-
gleitung des Orchesters. 238.
Nordraak, Richard: Scherzo
capriccioso fOr Klavier (bearb.
von Karg-Elert). 108.
Reger, Max: Schlichte Weisen.
Band 3. 364.
Renner, Emil: Zwei Lieder. 364.
Rosenkranz, August: op. 15.
Konzerte uvertare. 178.
Schindler, Kurt: op. 8. Drei
Lieder nach Texten zeit-
genössischer Dichter far eine
Singstimme und Klavier. —
op. 9. Fanf Lieder aus »Alte
Weisen*' von Gottfried Keller
far eine Singstimme mit
Klavier. — op. 10. „From
a city Window*, Song for a
medium voice with piano
accompaniment. 363.
Schoeck, Othmar: op. 1.
Serenade far kleines Or-
chester. 178.
Sinigaglla, Leone: op. 31. Danze
piemontesi. 106.
Uhl, Edmund: op. l5. Drei
Lieder fOr eine Singstimme
mit Klavierbegleitung. —
op. 16. Vier Lieder aus »Ver-
siumter Frahling* (Jenny
Schnabel) fOr eine Singstimme
und Klavierbegleitung. —
op. 17. Slawische Intermezzi
fOr Orchester. 108.
Vrieslander, Otto: Vier Gedichte
von Theodor Storm. — Vier
Gedichte im Volkston. —
Sieben Gedichte von Gottfried
Keller. 365.
Wachmann, Eduard: Ruminische
Chorgesinge. 177.
Waghalter, Ignatz : op. 5. Sonate
fOr Violine und Pianoforte. 179.
Weismann, Julius: op. 17. Im-
promptus far Pianoforte. 108.
Wiese, Max: op. 26. Gesinge
und Balladen far eine Sing-
stimme mit Klavier. 364.
REGISTER DER BESPROCHENEN ZEITSCHRIFTEN-
UND ZEITUNGSAUFSÄTZE
Altmann, Gustav: Solisten in
Orchesterkonzerten . 111.
Andro, L.: Pauline Lucca f*
369.
Andro, L.: Kleine Studien zur
Opemdarstellung. 370.
An61y, Max: Voix mortes:
musiques maoris. 109.
Aubry, Pierre: Le folkiore
musical russe. 40.
Bachmann, Albert: Nicolo Paga-
nini, sa vie, scs ceuvres, son
REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUPSATZE XVII
influeoce sur Tart du violon
et 8ur la musique. 110.
Batka, Richard: Novitäten. 111.
— Das Deutsche Theater in
Präs. 366.
— Richard Wagner und Minna.
369.
— Wagner in Prag. 370.
Baunac][, J.: Anlilinge an des
Euripides «Iphigenie bei den
Tauriem* im Text von
Beethovens «Fidelio*. 243.
Bekker, Paul: Max Bruch. 181.
de Bertha, A.: Franz Liszt.
43. 109.
Blaschke, Julius: Zur Geschichte
des Liedes «Wer hat dich,
du schöner Wald". 112.
Boning, A. : PreOstimmen aus
Joachims „zweiter Heimat*.
110.
van den Borren, Charles: Hulda
et Ghiselle de Ctear Franck.
40.
Boutarel, Am6d6e : Historische
Portrits. 181.
Brenet, Michel: Un nouveau
document sur les commen-
cements de l*op6ra russe. 42.
— Les rousiciens de Philippe
le Hardi. 110.
Bruch, Max: Gedenkworte bei
der Gedichtnisfeier der KOnigl.
Akademischen Hochschule fOr
Musik in Berlin fflr Joseph
Joachim. 366.
Brüssel, Robert: L'op6ra russe.
40.
de Busne, Henry: Ariane et
Barbe-Bleue de Paul Dukas.
43.
Calvocoressi, M.-D.: Le r6per-
toire de la musique russe. 40.
— Esquisse d'une bibliographie
d'ouvrages sur la musique et
sur les musiciens russes. 100.
Canudo, Ricciotto: L'esth6tique
de Verdi et la culture muslcale
italienne. 43.
— Le drame contemporain.
100.
Carraud, Gaston: Un chanteur
ittlien: Delle Sedie. 42.
Chop, Max: Frederick Delius.
242.
Le Courrier Musical: Joseph
Joachim. 41.
Gramer, Hermann : Führer durch
die Literatur des Violoncellos
(Forts.). 181.
Dacier, Emile: Une danseuse
fran^aise i Londres au d6but
du sidcle. 43.
de Danilowicz, C.: La critlque
russe sur la musique russe.
40.
Daubresse, M.: De Tordre
d'acquisition des connaissances
musicales. 40.
— L*imagination muslcale. 41.
Debay, Victor: La »Salom«*
de Richard Straufl k Paris.
40.
Decsey,Emst: Ausgleich zwischen
Ton und Wort 111.
Deutsch, Otto Erich : Schumanns
erfolglose Bewerbungen in
Wien. 242.
Dietz, Max: Anton Smareglla
und seine Oper „Istrianische
Hochzeit«. 182.
Diot, Albert: Edouard Grieg.
41.
Dodge, Janet: Les airs de cour
d'Adrien Le Roy. 100.
Dollien, P.r Un th6&tre de
musique k Paris. 110.
Droste, Carlos: Willem Mengel-
berg. 112.
Dubitzky, Franz: Eine neue
Notenschrift. Fflr und Wider.
242.
Dukas, Paul: «Boris Godounoff*
de Moussorgsky. 40.
Eccarius-Sieber, Artur: Joseph
Haydn als Vater des Streich-
quartetts. 111.
— Alte, köstliche Quartette fflr
die Pflege der Kunst in Haus
und Salon. 369.
Ecorcheville, Jules: La musique
dans les soci^6s savantes de
la France. 42.
— La schola cantorum et le
style de Bach. 43.
— Les textes de musique
ancienne et leurs röödltions
modernes. 43.
-^ Wagner et Tuniversit^. 109.
Eisenmann, Alexander: Mozarts
Siebentes Violinkonzert. 180.
Erckmann, Fritz: Frflhlingslleder
und Tinze. 370.
Ertel, Paul: Das Jubilium des
Philharmonischen Chores zu
Berlin. 181.
— Fermccio Busoni. 369.
Farwell, Arthur: La musique
am6ricaine. 100.
Fiege, Rudolf: Vorliufer der
Wiener Klassiker. 370.
Freudenberg, Wilhelm: Die Auf-
gabe des Chorgesanges in der
protesuntischen Kirche. 243.
Fritzsche, Hermann: Erinne-
rungen an Felix Mendelssohn-
Bartholdy. 112.
— Die Verdienste der Hohen-
zollem um die Musik und den
Gesang. 112.
Gastou6, A.: L'ancienne musique'
byzantine et sa notation. 43.
Gauthiers- Villars, H.: Saint-
Sadns, Jean d*Udine et la
clart«. 42.
GeiOler, F. A.: Die Sehnsucht
nach den VierteltOnen. 180.
Glöckner, Willi: Gabriella Wur-
zer. 111.
Graf, H«: Schematismus in der
zeitgenössischen Opernproduk-
tion. 242.
Hackl, L. N.: L' Inauguration du
palais de racad6mie de mu-
sique de Budapest. 40.
Hihn, Richard: Der Fall Buths.
370.
Härder, Knud: Richard Wagner
und Dinemark. 182.
Harzen-Mailer, A. N.: Wilhelm
Friedemann Bach nicht Kom-
ponist von «Kein Hilmchen
wichst auf Erden*. 242.
V. Hausegger, Siegmund: Der
Allgemeine Deutsche Musiker-
verband auf Irrwegen. 370.
Helm jun., Theodor: Anton
Brückner. Neunte Symphonie
in d-moll. 180.
Hohenemser, Richard : Die Pflege
der Bachschen Musik in der
Gegenwart. 112.
Honold, Eugen: Girtner in
Stuttgart. 111.
— Ein Kapitel aber die Geige.
110.
— August Wilhelm) f. 182.
Joachim-Moser: De 1* Interpre-
tation muslcale. 41.
de Jonci&res, Victorien: Le
Premier concert donn6 par
Wagner k Paris. 41.
Karpath, Ludwig: Mahler^
Weingartner. 241.
Keller, Otto: Ernst von Doh-
nanyi. 112.
— Aus den ersten An^gen
des Konzertlebens. 112.
— Richard Wagner. 112.
Kefller, GottfHed: Der Mutter
Wiegenlied. 111.
— Joseph von Eichendorff und
die Musik. 112.
Kling, Henri: La correspondanoe
muslcale de Goethe et de
Zelter. 40.
— Mozart et Voluire. 41.
KloO, Erich: Richard Wagners
Briefe an seine erste Gattin.
370.
Knosp, Gaston: Notices sur
Richard Strauß. 42.
XVIII REGISTER DER BE8PR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZEITUNGSAUFSÄTZE
Knosp, Gaston: Un msnifeste
de R. Straufl. 43.
— Ls musique indo-chinoise. 43.
Kohut, Adolph: Msris Felidta
MaUbran. 369.
Konrath, Toni: Ffitzner als
Dirigent der Pastorale von
Beethoven. 181.
Krause, Emil: Zu Ferdinand
Thieriots 70. Geburtstag. 370.
Kritikos: Trop de concerts!
Trop d'artistes. 41.
Kruse, Georg Richard: Otto
Nicolais Beziehungen zu den
Bflbnensingerinnen seiner
Zeit. 1 10.
Laloy, Louis: Les öcoliers. 42.
— Theorie musicale. 43.
— Les id^es de Jean-Philippe
Rameau sur la musique. 109.
— La notation musicale. 110.
Laser, Arthur: Joachim und die
Berliner Hochschule far Musik.
110.
— Aus Grieg*s Leben. 110.
de la Laurencie, Lionel: Quel-
ques documents sur Jean-
Philippe Rameau et sa famille.
43.
Leriche, Paul: Les f6tes musi-
cales d'Orange. 41.
Le Roux, Jean: Une belle vente
d*autographes. 1 10.
Lewinski, Joseph : Aus der Selbst-
biographie Karl Friedrich
Zelters. 180.
— Vom Singen. Aus der Schule
geplaudert. 309.
Loisel, J.: Les origines de la
Sonate. 41.
Louis, Rudolf: Fortschritt oder
Verfall? 180.
— Zum 13. Februar 1908.
Erinnerung und Ausblick. 1 82.
V. Lflpke, G.: Joachim als Lehrer.
110.
Macler, F. : Notes d'histolre sur
Saiom6 la danseuse. 43.
Marsop, Paul: Die Anstalt fflr
musikalisches AuffOhrunga-
recht, der „Biderverband* und
eine Pflichtsversiumnis. 182.
Masson, Paul -Marie: L*huma-
nisme musicai en France
au XVI. sitele. 42.
Maudair, Camille: Causerie sur
Schubert et le Lied ailemand.
40.
— La.Libuse* deSmetana. 40.
— Lea cbapelles musicales en
France. 42.
Mercare Musical: Lohengrin k
Paris en 1881. 43.
V. Mojsisovics, Roderich: Erich
WoU Degner. Zu seinem
50. Geburtstage. 370.
V. Moisisovics, Roderich: Ein
Autographenschatz. 370.
Mortier, Alfred: La France musi-
cale d'hier et d'au]ourd*hui. 41.
Mflnzer, Georg: Obungen in
der Betrachtung musikalischer
Kunstwerke. (Kapitel 9 und
10). 182.
Musikalische Rundschau (Mfln-
chen): Philipp Volfrum. 112.
— Der Kromarograph. 112.
MusikalischesWochenblatt (Leip-
zig): Kaimorchester, Aus-
stellung Mflnchen 1908 und
Allgemeiner Deutscher Mu-
sikerverband. 370.
Neue Musik-Zeitung (Stuttgart):
Zu Joachims Tode. 110.
— Aenny Hindermann. 112.
— Enrico Caruso. 180.
— Max Schillings Stuttgarter
Hofkapellmeister. 180.
— Welche Aussichten hat eine
Musiklehrerin fOr ihr Alter?
180.
— Disharmonisches aus der
Musiksudt 181.
— Etwas von Paganini. 181.
— Im Namen der Kunst. 309.
— Die erste deutsche Grieg-
Biographie: Edvard Grieg von
Henry T. Finck, deutsch von
Arthur Laser. 369.
Neuhaus, Gusuv: Das natflr-
liche Notensystem. 182.
Niemann, Walter: Eugen d*Al-
berts Bach-Ausgaben. 180.
— Der erste Groflmeister deut-
scher Klaviermusik: Johann
Jakob Froberger. 367.
Pack, Hermann : Johannes Bartz.
112.
Perrin, Edouard: Un livre de
Lac^pMe sur la musique. 43.
Pfohl, Ferdinand: Hamburger
Oper. 306.
— Zumpes »Sawitri* im Schwe-
riner Hoftheater. 366.
Pioch, Georges : Lucienne Br6val.
42.
Pohl, Louise: Aus groOer Zelt.
110.
Poirte, Elle: La sociM inter-
nationale de musique en 1907.
110.
de Polignac, Armande: Pensdes
d*ailleurs. 42.
Pons, C. : Verialne et la musique
contemporalne. 42.
Potapjenko: Der verwflnschte
Ruhm. Erinnerungen an das
Konservatorium. 180.
Prelinger, Fritz: Tschechische
Musik. 241.
Prod* bomme, J . - G. : F61iclen
David d*apr6s sa correspon-
dance in6dite et celle de ses
amis. 42.
Reger, Max: Degeneration und
Regeneration in der Musik.
111.
Reifner, Vincenz: Max Regers
Opus 100. 369.
Richter, Georg : Amllcare Zanella.
112.
Riemann, Hugo: Die Em-
Wickelung des modernen In-
strumenulstils um 1750. 111.
— Die Melodik und Rhythmik
der Minnesinger. 242.
Ritter, William: La musique
tch^ue avant Smetana. 40.
— Notes sur Smetana. 43.
du Robec: A propos d*une robe
de Charles d'Ori6ans 109.
ROttgers, Max: Max Kalbeck,
„Johannes Brahma*. 182.
Samazeullh, Gustave: Alberic
Magnard. 40.
— Paul Dukas. 41.
Schabbel, Otto: Adolf VallnOfer.
112.
Schaub, Hans F. : Die Lage der
Orchestermusiker in Deutsch-
land. 181.
— Die Eröffnung des neuen
Hoftheaters in Weimar. 182.
Scheumanuy A. Richard: Carl
Maria von Webers Erholungs-
und Arbeitsstätte In Hoster-
witz bei Dresden. 111.
Scherber, Ferdinand : Degene-
ration und Regeneration. 368.
Schjelderup, Gerhard : Edvard
Grieg t. 1 10.
Schmitz, Eugen: -Zwischen »Mo-
nismus" und »Dualismus*.
243.
Schultz, Detlef: Edvard Grieg f.
241.
— Repertoire und Gesangsstil
der gegenwirtigen deutschen
OpembOhne. 367.
Schflz, Alfred: Das Tempo. 369.
Schwartz, Heinrich : Czemys
Schule der Geliuflgkeit und
anderes. 182.
Schwers, Paul: Josef Sucher.
370.
Schwidop: Die menschliche
Stimme und ihre Hygiene. 112.
Segnitz, Eugen: La Mara. 181.
— Alfred Reisenauer. 243.
Signale far die musikalische
•Welt (Berlin): Beriins Vertust
I— Wiens Gewinn. 241.
REGISTER DER BESPR. ZEITSCHRIFTEN- UND ZElTUNGSAUFSiTZE XIX
Sftn^e ror die m&iiktlttehe
Telt: Ver kompoalerte Mo-
zazt* SlebeniM Viollnkoniert?
3«S.
Sau», Robert: Miorice Mieter-
lincketCUadeDebnuf. 110.
Spanulh, Aagn«: Der Marktwert
■udbeDder Tonkflnitler. 241.
— Die Famillonbrlere Richard
Vipiers. 241.
— Ticner In Konzertual. 241.
— Alfred ReUenaaer t- 241.
— Germinla aon canut? 38a.
— Der krtttelerte Kritiker. 366.
— Kompaalaten nnd Gastwirte.
306.
— Joeeph JoRcb ImelnPfalnamen.
366.
— Nochmall Mourt* Siebeates
Vtoliakoiuert. 367.
— Du Obel der in bohen
SlncerttBeti. 367.
— Bla Cbor-Jublllnm. 367.
— ZnkuDflimnsIk? 368.
Stembld, Rlcbard: Ebrt eure
deuticbeD Meister. 242.
— Zu C. Fr. Giasenapp« 60, Ge-
burtstsf. 242.
Steraar, Fraocoia: Snr l'lmprC-
cldoo et le moavemcDt dam
I'art mualcal. 42.
Stier, Emit: Berlloi als Mitclled
der Akademie. 110.
de Stoecklln, Paul: La Rte de
raisoclallon de* mnilclena
■ulsaea k Lnccnie. 41.
— Mendeluobn. 42.
Stortk, Karl: Zu Edvard Cries's
Gedlchtnls. 112.
StOmcke, HelDricb: Vier Briefe
von Henriette Sontag. IM.
SymonSiAnbar: Riebard StranD.
100.
Tchobanlao, A.; La maaiqne
rustlque armtoleniie. 43.
Tbdco, Marti al: Un mariage
d'artlsia au XVIII* sitcle. 42.
Tblesaen, Karl: E. T. A. HofT-
manna Zauberoper .Undlne*.
IIa
Tbomas, Louli: Pokale et mu-
slqne. 100.
Thomaa, Voirgang A.: Glossen
zumuiIkallaefaeDKultiir. 241.
— Gloiaen lur mualkallachea
Kultur. IV: Neue Bahnen. 367.
d'Udlne, Jean: A propoa de
Cmoastlque rhytbmique. 40.
d'Udlne, Jean: Uur orellle et
leur Gtear. 40.
— Imaceaetslfnea pbonlque*. 42.
— EDCoreunmotsarlaclartfl 42.
Voelckor, C: Da* Tbeodor Tbo-
maa-OrchesterlnChicaED.370.
Vogt, Karl: Neue Bflhnenknnat
370.
Tapier, Rlcbard: Le nailcien
et la publldtc. 41.
Tallbeit, Max: Dr. Julea Slber.
112.
Veber-Bell, Nana: Dr. tbeol.
Franz Xaver Haberi. 112.
— Magr. Dr. Hennann Bluerle.
HZ.
— Wie ich Aber Sprechen und
Slncen denke. 112.
Velcl, Bruno: Eine Studie zur
Gescblebte der Hnniscben
Mnalk. 300.
TeiD, LudwiE: Die Leonoren-
OuvertQre. 112.
WIIBbrodt, Felix: Schatten- und
Lichtselten unsere* Konzert-
lebens. 360.
ZöIIaer, Heinrich: Eicbenderff
unddieMuilk. ZuraSO.Todes-
tafe de* Dichten. 112.
' ■ ■ '
DIE MUSIK
5. BEETHOVEN- HEFT
Beethoven ist die Trauer in Ihrem Hinweis
tat die Quellen ewiger Sühnen, seine
Muse die Verherrlichung des Märtyrertums
irdischen Seins, dieses Elementes des rein
Menschlicheo, aller Wonnen, aller Leiden;
der Kern der christlichen Idee vom Leben.
Vllhtlm TOB Line
VII. JAHR 1907/1808 HEFT 13
Erstes Aprilheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107
^j-a.rwQc.F«,..
gie Neubearbeitung des ersten Bandes von AI. Wb. Thayer's Beet-
n hovenbiograptaie durch Hermann Deiters ist lEtOI erschienen,
[ d. b. 1000 gedruckt und noch rrüher geschrieben, jedenralls
I vor der Wiederentdeckung des Ruhmes der um die Mitte des
18. Jahrbunderta wirkenden Mannheimer Komponisten, vor der Erkenntnis,
daß die merkwürdige Wandlung des Stils der Instrumentalmusik In der Zeit
zwischen Bach und Beethoven ihren Ausgang in Mannheim genommen und
bereits die Welt erobert hatte, ehe Haydn und Mozart bekannt wurden. So
bat denn die zweite Auflage ebensowenig wie die erste Beethovens Verbälinls
zu den Schöpfern des neuen Stils überhaupt in Frage gezogen. Man findet
zwar (auch schon In der ersten Auflage) Mannheim und sein berühmtes
Orchester ein paarmal gestreift, auch Christian Cannabich, aber nicht Jo-
hann Stamitz genannt, jedenfalls aber auch nicht die geringste Andeutung,
daß Mannhelm und seine Musik irgendwie für den Werdegang von Beet-
hovens Künstierscbaft ernstlich In Betracht kommen. Ich gebe des-
halb hier gleichzeitig eine Art Nachtrag zum ersten Bande von Thayer's
Lebenswerk und eine Ergänzung zu meiner Studie über .Stil und Manieren
der Mannheimer' {Einleitung der zweiten Auswahl von Mannheimer
Syrophonieen in den .Denkmäler der Tonkunst in Bayern', Jabrg. VII, Bd. 2),
wenn ich von den inzwischen Gemeingut gewordenen neuen Erkenntnisse^
aus Beethovens FrQbwerke einer erneuten Durchsicht unterwerfe und
nachweise, daß Beethoven in der Bonner Zeit und vielleicht darüber hinaus
doch in viel höherem Grade unter dem direkten Einflüsse der Mannheimer
gestanden hat, als Ich selbst noch in meiner genannten Studie annehmen
zu müssen glaubte. Es ergeben sich damit neue, schwerwiegende Grunde
zu den ohnehin schon vorliegenden, eine ganze Reibe wenigstens der bis
1800 erschienenen und der erst aus dem Nachlasse bekannt gewordenen
Werke Beethovens in die Bonner Zeit (vor 1792) zu setzen. Die be-
aiimmte Erweisbarkeit starker Mannheimer Einflüsse tritt aber überhaupt
als ein ganz neues Kriterium in die Betrachtung von Beethovens Stil ein
nad zwingt, vieles, was man bisher In Bausch und Bogen als Mozartisch
4
DIB MUSIK VII. la.
^JjBilt
zu definieren sich gewöhnt hat, vielmehr auf Rechnung derer zu setzen, mit
deren Musik Beethoven ebenso wie Mozart aufgewachsen ist. Nur zu leicht
vergißt man, dafi Beethoven doch nur nicht ganz 15 Jahre jünger ist als
Mozart, und daß noch ein Jahr nach Beethovens Übersiedelung nach Wies
in Bonn das Konzertrepertoire so beschaffen war, daß man .anfieng,
Haydn neben Cannabich, Carl Stamitz und Consorten zu dulden'
(Musikbrief aus Bonn vom 19. Sept. 1793 in Spazlers Berlinischer Musi-
kalischen Zeitung).
Leider ist Thayer's Ausbeute aus den Akten der kurkölnischen Hof-
haltung nur für die durchaus eine zweite Rolle spielende dramatische
Musik (Oper und Oratorium) einigermaßen ausgiebig gewesen und läßt uns
bezüglich der in erster Linie gepflegten Kammer- und Orchestermusik fast
ganz im Stich. Wir wissen aber, daß schon seit Ende des 17. Jahrhunderts
drei Dirigenten annähernd gleichen Ranges besoldet wurden, einer für die
Kirchenmusik, einer für die weltliche Vokalmusik und einer für die welt-
liche Instrumentalmusik, und daß die Stelle des Kammermusikdirektors
1738 — 65 der Violoncellist Giuseppe dall'Abaco inne hatte (der Sohn
des Münchener Kammermusikdirektors Feiice dall'Abaco), der einen hohen
Gehalt bezog. Wahrscheinlich war aber um diese Zeit die Leitung der
Vokal- und Instrumental-Kammermusik nicht mehr geschieden.
Das starke Hervortreten der Italiener unter den Bonner Kapellmeistern
und Konzertmeistern (Donnini, dall'Abaco, Lucchesi, Mattioli) macht es sehr
wahrscheinlich, daß bis über die Mitte d6s Jahrhunderts hinaus die prächtige
italienische Violinmusik (Corelli, Veracini, Abaco, Pergolesi) fleißig ge-
pflegt worden ist; dann aber wurde Bonn zweifellos mit Mannheimer Musik
fiberschwemmt. Daß Bonn bezüglich seiner Musik in höherem Grade süd-
deutschen als norddeutschen Einflüssen unterstanden hat, ist an sich nahe-
liegend, wird aber zur Gewißheit, wenn man bedenkt, daß Kurfürst Clemens
August (1723 — 61) ein bayrischer Prinz war, Max Friedrich (1761 — 84) dem
schwäbischen Hause von Königsegg-Rothenfels angehörte und Max Franz
ein österreichischer Erzherzog war. Mit dem Auftauchen von J. A. Hillers
Schüler Neefe als Hoforganist (1779) kommt wahrscheinlich zum ersten
Male die der süddeutschen Richtung zuwiderlaufende norddeutsche in Bonn
zur Geltung, aber zu spät und auch nicht energisch genug, um die süd-
deutschen Einflüsse brechen zu können. Doch hat Neefe dadurch, daß er
notorisch den jungen Beethoven mit dem (vor 1800 nur handschriftlich in
Händen der Bachverehrer befindlichen) .Wohltemperierten Klavier* Bachs
bekannt gemacht hat, sicher einen wenn auch nur sehr langsam zur Geltung
kommenden Einfluß auf Beethovens Schaffen gewonnen. Denn es
ist gewiß nur zu begreiflich, wenn der neue Stil mit seinen bestechendes
Eigenschaften zunächst ganz von der Phantasie des jungen Komponisten
5
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
Besitz nahm und daß für sein Urteil Bach doch naturgemäß nur zu Händel,
Abaco und den anderen Repräsentanten des Stils rangieren konnte, den der
neu aufgekommene so schnell zurückdrängte. Die wenigen unbedeutenden
Versuche Beethovens im fugierten Stile (zweistimmige Fugbette in D-dur
[1783], das f-moll-Präludium [1787] und die beiden im Quintenzirkel modu-
lierenden Präludien [1789?]) verraten noch recht wenig Vertiefung in den Geist
Bachs, sehen vielmehr doch ganz so aus, als verdankten sie den Ermahnungen
des wohlmeinenden Lehrers ihre Entstehung, fiber dem bestrickenden
Zauber des neuen Stils nicht das unentbehrliche Studium der älteren Manier zu
vernachlässigen; sie kommen mit anderen Worten nicht von Herzen und
schmecken nach der Schulstube. Für die Beziehungen der Bonner Kapelle zun)
suddeutschen Musikleben gibt zunächst nur der Bericht K. D Junkers (in Boßlers
Muslkidischer Korrespondenz 1791) über seinen zweitägigen Aufenthalt in
Mergentheim einen weiteren Beleg, wohin er im Oktober 1791 gereist war, um
die daselbst mit dem Kurfürsten weilende Kapelle kennen zu lernen (der Kur-
fürst hielt dort als Großmeister des Deutschritterordens ein Kapitel ab). Da
erfahren wir beiläufig, daß im Hofkonzert eine Symphonie von Mozart gespielt
wurde, ferner eine konzertante Symphonie ffir Violine und Violoncello
mit Orchester, deren Autor leider nicht genannt ist (vermutlich eine der
vielen von Karl Stamitz), und daß zuletzt eine neue Symphonie des ebenfalls
herzugereisten furstl. Wallersteinschen Kapellmeisters Paul Winneberger
zum Vortrag kam, die Tags zuvor erstmalig in der Probe angelegt
war. Bedauerlich ist, daß in der erhaltenen Ankündigung des ersten
Konzerts des achtjährigen Beethoven im Kölner Redoutensaale am
26. März 1778 nicht näher angegeben ist, was für .Klavierkonzerte* und
was für .Trios* der Knabe (er erscheint allein auf dem Zettel) zum Vortrag
gebracht bat, und noch bedauerlicher, daß sich kein Katalog und auch
keine Restbestände der Musikbibliothek der Bonner Kapelle gefunden haben,
• der im kurfürstlichen Schlosse ein besonderes Zimmer eingeräumt war,
und zwar mit strenger Scheidung der Kirchenmusik, der weltlichen Vokal-
musik nnd der Instrumentalmusik in besondere Abteilungen (Thayer I,
2. Aufl., S. 16).
Leider hatte weder Thayer noch Deiters eine zutreffende Vorstellung
von dem Repertoire der Instnimentalkonzerte in der Zeit von Beethovens
Jugend nnd der zunächst vorausgehenden Jahrzehnte, wie aus verschiedenen
Auslassangen bestimmt hervorgeht. So heißt es 1. c. S. 32 der 1. Aufl.
(S. 34 der 2.), daß während der Regierungszeit Clemens Augusts (gest
1761) »verhältnismäßig wenig Musik durch Druck bekannt gemacht wurde
nnd infolgedessen neue Formen and neue Stile nur langsam den Weg
zu allgemeiner Anerkennung fanden*. Ebenda ist gesagt, daß gegen Ende
der Regieruagueit Clemens Augusts Gluck, PhU. Em. Bach und Haydn
M
6
DIE MUSIK VII. 13.
«die Grundlage des neuen Opern-, Orchester- und Klavierstils legten, ehe
die vollständig ausgebildete Sonatenform in allen Kompositionen höherer Art
Aufnahme gefunden'*. Die zweite Auflage (Deiters) sagt S. 148 speziell
über die drei 1783 von Beethoven dem Kurfürsten Max Friedrich gewidmeten
Klaviersonaten, daß diese ihr Vorbild in den dreisätzigen Klaviersonaten
Phil. Em. Bachs haben, «welcher die Form ausgebildet hatte, welchem dann
Haydn, Mozart und andere gleichzeitige Komponisten folgten, unter diesen
Neefe.* Die Verwunderung (S. 276, 2. Aufl. 352), daß 1799 der Wiener
Musikalienhändler Traeg in seinem Kataloge 512 Symphonieen, konzertante
Symphonieen und Ouvertüren (Suiten) anzeigen konnte, würde bei Thayer und
Deiters geschwunden sein, wenn sie die Kataloge der Pariser, Londoner
und Amsterdamer Verleger aus den letzten Jahrzehnten vor Beethovens
Geburt eingesehen hätten. Die Symphonieen der Mannheimer Kompo-
nisten allein übersteigen aber schon die Zahl 500 nicht unerheblich.
Übrigens hätten aber doch die Breitkopfschen Kataloge seit 1761 schon einen
genügenden Begriff geben können von der enormen Tätigkeit der aus-
ländischen Pressen, deutsche Symphonieen auf den Markt zu bringen.
Erst 1764 taucht der Name Haydns unter den damals gefeierten auf, und zwar
zunächst ohne jedes Aufsehen. Ich will hier nicht nochmals ausführen, wie
offenkundig die allgemeine Herrschaft der Mannheimer um diese Zelt ist,
sondern verweise diesbezüglich auf meine anderweitigen Darlegungen. Es
kam mir hier nur darauf an, zu konstatieren, daß Thayer und Deiters von
der immensen Popularität der Mannheimer Orchestermusik um die Zeit von
Beethovens Jugend keine Ahnung gehabt und deshalb unterlassen haben,
ihre historische Bedeutung für die Entwickelung der Formen zu unter-
suchen, daß sie daher gar nicht auf den Gedanken kommen konnten, daß
Beethovens Frühwerke andere Muster als Phil. Em. Bach, Mozart und
Haydn gehabt haben.
Da es sich nicht um ein paar schnell erledigte Kleinigkeiten, sondern
vielmehr um einen recht erheblichen Bruchteil von Beethovens gesamtem
Schaffen handelt, so sehe ich von weiteren einleitenden Ausführungen ganz
ab und gehe direkt zur Musterung von Beethovens Frühwerken selbst über.
Dazu setze ich voraus, daß der Leser meine Einleitungen zu Band III, 1
und VII, 2 der «Denkmäler der Tonkunst in Bayern* oder doch Irgend einen
meiner sonstigen Aufsätze über den Stil der Mannheimer kennt oder
nachträglich einzusehen Gelegenheit nimmt.
Zunächst ist kurzweg zu konstatieren, daß die drei Sonaten von 1783
(in welchem Jahre Beethoven 13 und nicht, wie die Widmung besagt, 1 1 Jahre
alt war) ganz und gar im Banne der Mannheimer Manier stehen (vgl. Ge-
samt-Ausgabe, Serie XVI, No. 33—35). Gleich das Kopfthema der ersten
Sonate (Es-dur) sieht aus wie ein Stück Klavierauszug einer Symphonie
SS
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
von Stamitz, Richter, Toeschi oder Cflnnabich mit seinem zum Übermaß
von allen Mannheimern verbrauchten Emporwalzen im Akkord:
AUegro cantabile (!)
17
m
Ste
Schon Takt 4 bringt aber auch die weichliche Mannheimer Seufzer-
manier, deren besondere Bedeutung ich mehrfach hervorgehoben habe:
Wer je etwas von der Mannheimer Musik um 1750 gesehen hat, weiß,
daß das nicht der Stil Phil. Em. Bachs, sondern der von Job. Stamitz,
Fr. X. Richter und ihren Nachahmern ist. Daß Takt 10 das zweite Thema
ebenfalls im Aufputz dieser Manier erscheint, überhaupt dem ersten Thema
viel zu ähnlich ist, beweist die Unreife des AnRngers, beweist, daß ihm
der Sinn des durch J. Stamitz eingeführten Kontrastthemas noch nicht
aufgegangen ist:
Die epilogierende kleine Schlußgruppe gehört zur Kategorie der schnip-
pischen Tändeleien, wegen deren die Mannheimer so heftig von Hiller u. a.
getadelt wurden:
^ (resp. 8va basta)
Auch die stereotypen Akkordschläge des Schlusses fehlen nicht. Eine
ernstliche Durchführung ist nicht vorhanden, vielmehr setzt, wie bei
Phil. Em. Bach aber auch bei den Mannheimern, der zweite Teil einfach
mit der Transposition des Anfangs des ersten Teils in der Dominante ein und
bringt eine Art Durchführung erst nach der Reproduktion des ganzen ersten
Themas, die auch noch gleichlautend wie im ersten Teile, aber mit Halbschluß
in c-moll ausläuft. Daß der Halbschluß auf dem B-dur- Akkord eigentlich keine
Vorbereitung des Fortgangs in B-dnr ist, hat Beethoven noch nicht erkannt;
tonst hätte er im ersten Teile einen anderen Weg eingeschlagen (bekannt*
lieh hat diesen bei Mozart sehr häufigen Konstruktionsfehler auch noch
Beethovens op. 40 II). Die Einschaltung der kleinen Durchffihrung zur Wieder«
gewinnung der Haupttonart ist aber ein interessanter Beitrag zur Er-
klärung der Entwickelung der Sonatenform aus der zweiteiligen Liedform;
tatsächlich ist die wirkliche Durchfuhrung doch entstanden aus den Um-
gestaltungen, die die veränderte Modulationsordnung des zweiten Teils
bedingt (erster Teil: Tonika — Dominante bzw. Molltonika- Parallele; zweiter
Teil: Dominante — Tonika bzw. Parallele-Tonika), und die schließlich so
starke Abschweifungen machte, daß das erste Thema noch ein drittes Mal und
zwar wieder in der Haupttonart eintreten konnte (so in Pergolesi's G-dur-
Trio und Stamitz' E-dur Trio). Beethoven steht also hier noch in dem
Anfangsstadium des Verständnisses der inzwischen durch MQzart und
Haydn bereits schon weiter entwickelten Form.
Der zweite Satz ist nur mit kleineren Werten geschrieben, steckt aber
übrigens ganz im Motivischen des ersten Satzes fest, der ja (AUegro canta-
bilet) selbst andante-artig ist, bringt also ebenfalls keinen Kontrast:
Andante
^
findet auch für sein zweites Thema keine andere Ausdrucksform:
g^ ; . f-
und gipfelt in einer direkten Reminiszenz an Stamitz und Richter:
Diese «cbluchzende Septime bringt auch das sonst schlicht und ohne auf-
fallende Zfige sich abspielende Rondo (Finale):
m
t^-^r^
Bass: es
eH
Wesentlich selbständiger gibt sich die zweite Sonate (f-moU), sicher mit
zufolge der Wahl der Tonart, die dem Komponisten ernstere Töne ein-
9
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
m3SSm0
gibt. Doch zuckt in dem Andante mehrfach die Stamltzsche Liebe fQr
scharfe dynamische Kontraste auf:
^^^.iSTi'^r^
f p f p
f p
und auch der mit Pausen durchbrochene »gewundene Abstieg* ist ein echter
Stamitz:
^TTffi-?tF5-^
Es Ist wohl der Mühe wert, sich klar zu machen, was es bedeutet, daß schon
in so frfiher Jugend Beethoven die raffinierten Pausenwirkungen der
Stamitzschen durchbrochenen Arbeit so gründlich verstanden und assimilert
hat. Denn diese Stelle steht doch für:
ist also fortgesetzte Pausensynkopierung:
^^^^^ri^-tJl^pi^-^j+J-f.^^^
und steht auf dem gleichen Boden mit den berühmten .sanglots entrecoup6s*
von op. 110 (Arioso dolente), op. 131 (Thema der Variationen and Van 6),
op. 77 (Var. 1), op. 126 (No. I, IV), op. 33 (No. VII) usw.
Daß diese Wunderwirkungen auf Stamitz' Trios op. 1 zurückgehen, sei
nachdrücklichst betont; ein paar Proben aus diesen mögen dies belegen:
(C-dor, 1. Satx) (2. Sais)
Ar
^^i^j^tjja^
(A-dur, 2. Satx)
(B^or, 2. Satx) nb.
NB.
NB.
Die dritte der drei Erstlingssonaten (D-dur) erinnert mit dem Epilop
des ersten Satzes an Richters A-dur-Trio:
10
DIE MUSIK VII. 13.
i^i^^ä^
— I >: 1 MP-
und mit mehrmaliger Anwendung des gewundenen Abstiegs an Stamitz:
auch bringt das variierte Menuet ein paar Mannheimer Seufzer:
NB. NB.
Übrigens verdient die Flüssigkeit des klavieristischen Figurenwerks
des Dreizehnjährigen volle Anerkennung; man erkennt sehr wohl, wie er
sich bereits in die Rolle des Akkompagnisten einzuleben beginnt. Das
häufige Auftreten wirkungsvoller unisono-Stellen braucht durchaus nicht auf
Rechnung Phil. Em. Bachs gesetzt zu werden, findet sich vielmehr in den
Symphonieen und Triosonaten der Zeit häufig genug, um sich aus der
Bekanntschaft mit diesen zu erklären.
Ein ganz unverkennbar unter Einwirkung der Mannheimer Musik ent-
standenes Werk Beethovens ist auch das wahrscheinlich 1786 für die Familie
von Westerholt geschriebene Trio für Klavier, Flöte und Fagott
(Ges. Ausg. Serie 25 [Suppl.] No. 294). Schon die Akkord-Rakete zu An-
fang ist eine besondere Liebhaberei der Mannheimer. Trotz der gewandten
Führung der drei Instrumente, die Beethoven schon als den Durchbildner
der Ensemblekunst zeigt, steht doch die frühe Zeit der Entstehung außer
Zweifel. Das Werk ist in der Gesamtausgabe zum ersten Male gedruckt;
das autographe Manuskript bezeichnet Beethoven als kurfürstl. kölner Hof-
organisten, und der Auktionskatalog des Nachlasses Beethovens be8agt(No. 179):
«frühere Arbeit, noch in Bonn*. Der Stil bestätigt die frühe Entstehung
vollkommen; schon Takt 5 bringt auch die Seufzermanier:
NB.
die auch im Übergange zum zweiten Thema auftritt:
und dieses selbst vollständig beherrscht:
...MXHH: BBeTHOV..'i«„ O. «*».„e,«H.
(hagutt
und ibnlicb Flöte In F-dor)
NB.
NB.
^^^^^S
Auch der wenn auch etwas verschnörkelte langsame Satz weist mit Fingern
auf Mannheim:
b. CN9
(Fag.)
Auch eine nur als Fragment erhaltene Romancecantahile (Thayer I,
2, Aufl. 208) für die gleichen Instrumente mit Orchester gehört sicher in
dieselbe Zeit:
ä
i
NB.
NB.
^^^
Schwerlich hat Thayer recht, wenn er für die drei zuerst in der
samtausgabe (Serie VIU« No. 64) gedruckten Duos für Klarinette und
Fagott (Chronolog.Verz. No.70) das Jahr 1800 als Entstehungsjahr annimmt
<ffir den Klarinettisten Beer und den Fagottisten Matauschka, beide in der
furstL Liechtensteinschen Kapelle); saßen doch in der wegen ihrer Leistungen
gerfihmten Bonner Tafelmusik auch zwei Klarinettisten und zwei Fagottisten*
Gerade diese drei Duos sind so durch und durch mannheimisch, dafi man
sie anbedingt erheblich welter zurfickdatieren muß (vor 1700). Gleich der
Anfang des ersten Duos spricht deutlich genug (Klarinette):
noch deatlicher aber das zweite Thema (Fagott):
k/ ^ J^~^\\ t^ ^^ I tjE^
NB.
NB
12
DIE MUSIK VIL 13.
und auch wieder der Epilog (Klarinette):
Na
NB. NbI J^
Das nur kurze Largo beginnt:
Das zweite Duo beginnt im Fagott:
9>ö ^,
und:
^f^^^^Ff^^lSlfafep
NB. NB.
und setzt sich ähnlich in der Klarinette in C-dur fort, ist aber übrigens
freier von Seufzermanieren. Dafür bringt aber das dritte Duo (c«Qaoll) den
direkten Beweis, daß Beethoven das C-dur-Trio von Stamitz gekannt hat:
Egf^^"""^^"^"^"^
dolce cresc,
Stamitz, C-dor Trio Op. I ^*2. Satz:
^^^^/m^^
Z3p USW.
NB.
Aber auch sonst fällt noch mancherlei auf:
k^ NB,
i NB.^
NB.
\^f.:ßf\Un=S^
[^V' ' * ^UJ I (ebaaso anscbJiefiead das Fagott ifl.|*.moll)
Wenn innere Indizien mangels anderer Anhaltspunkte eti^as beweisen
können, sp wird man diese Duos gewiß der Bonner Zeit zuweisen müssen.
Die drei (laut Autograph) bestimmt 1785 geschriebenen Klavier-
quartette verraten uns zunächst, daß Beethoven auch Pergolesi's Trios
nicht unbekannt geblieben waren:
No. 1. EinleHung
Takt 15-16
osw.
13
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
Porgoletiy B^or*
Trio, 1. Satx
I ^-^ 8va basso
Auf Pergolesrs Wichtigkeit als Vorbereiter der Stilreforin der Mannheimer
habe ich bereits mehrfach aufmerksam gemacht (er ist der Schöpfer des
»AUegro cantabile'); der erste Sat7 seines G-dur Trios ist von einer ganzen
Reihe von Komponisten nachgeschrieben worden.
Doch bringt die Einleitung des ersten Klavierquartetts attch noch
ein paar Stamitziana:
Die Kadenz mit dem gewundenen Abstieg (b), mit und ohne Durchbrechung
durch Pausen, wie sie aus der Mannheimer Musik in so mancherlei
Varianten bekannt ist, spielt in den drei Quartetten eine Hauptrolle. Reicher
an Seufzermanieren ist nur das dritte Quartett (C-dur), das Im Autograph
das erste ist, aber schon in der ersten Ausgabe (1832) seinen jetzigen Platz
erhalten hat. Das zu wissen ist darum nicht ohne Interesse, weil gerade
da9 C-dur Quartett viel stärker als die anderen im Banne des Stils der
Mannheimer st^bt. Schon der Anfang ist ganz mannheimisch (vgl. oben
den Anfang der Es-dur Klaviersonate):
Die zur transponierten Wiederkehr des Anfangs in F-dur überleitenden
ersten Takte des zweiten Teils (eine eigentliche Durchfuhrung ist es nicht)
sind richtige mannheimer «Raketen*:
\^
^as
USW.
baß bei Beethovens Lebzeiten diese Quartette nicht im Druck erschienen, hat
seineü guten Grund, da er hervorstechende Partieen dieses ersten (dritten)
Quartetts in einer der Klaviersonaten op. 2 verwandt hat, nämlich zu-
14
DIE MUSIK VII. la
nächst den Übergang zum zweiten Thema und den zweiten Hauptteil des
zweiten Themas in der C-dur Sonate op. 2, III:
C\9
OfW.
Zu der merkwürdigen Modulationsordnung, das zweite Thema in der Moll-
variante der Dominante (g-moll bezw. G-dur) einzufuhren, ist auch der Hin-
weis von Interesse, daß das einer speziellen Liebhaberei Job. Stamitz* ent-
spricht (vgl. das Finale des C-dur Trios).
Das Adagio con espressione des C-dur Quartetts hat Beethoven meister-
haft umgearbeitet zum Andante der Sonate op. 2, I (f-moll). Die verzierte
Wiederkehr des Hauptgedankens hat auch im Quartett einige Mannheimiaden»
die in der Umarbeitung ausgemerzt sind(t):
a) Violine
NB.
Wir kommen zu den 1795 als op. 1 gedruckten, aber schon 1793 von
Beethoven in Gegenwart Haydns beim Fürsten Lichnowski zum Vortrage ge>
brachten drei Trios. Thayer nimmt für diese die Jahre 1791—92 in Bonn
als Entstehungszeit an; Deiters hat in der 2. Aufl. diese Ansicht fallen lassen.
Tatsächlich bekunden Skizzen, daß Beethoven sich noch 1794 mit diesen Trios
beschäftigt hat Das beweist zunächst, daß er sie für die Herausgabe nicht so
gelassen hat, wie sie 1793 beschaffen waren, schließt aber durchaus nicht
aus, daß sie in den Hauptideen noch älter als 1793 sind und tatsächlich in
die Bonner Zeit gehören. Trotz aller unverkennbaren Fortschritte in der Aus-
gestaltung, die die mächtige Einwirkung der inzwischen in Wien em-
pfangenen Eindrücke verraten, enthalten doch diese drei Trios tatsächlich
so vieles, was an seine Frühwerke erinnert, daß ich mich unbedenklich
Thayer's Ansicht anschließe. An Mannheimer Reminiszenzen ist durchaus
kein Mangel, aber sie haben doch ein anderes Aussehen bekommen
als in den Sonaten von 1783 oder den Quartetten von 1785. Sie sind^
nicht mehr gedankenlos nachgesprochene Formeln, sondern treten als or-<
ganische Bestandteile in dem Aufbau ein, sind durchempfunden, erlebt..
15
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
Das gilt zunächst für die an die Mannheimer Raketen erinnernden
Themaköpfe:
Op. in. 1. S.
Op. 1 1- 1. S.
Op. 1 ni. Finale
U =-g--|^ > •* ^ \^J< i»^ ' -
r
aber auch für die in gar nicht kleiner Zahl auftauchenden Seufzermanieren,
die manchmal starke Emphase angenommen haben (a) oder durch den Charakter
des Satzes einen Anflug von Humor erhalten (b) und nur in einigen
Fällen noch ihre Weichlichkeit, ihr schmachtendes Wesen zeigen (c):
No. I, Z S. (a)
No. 11, 1. S. (a)
^^^^
^ ^
NB.
NB.
NB.
dasselbe Violine (b)
NB.
usw.
t^i^=t^
das.(s)
das. 2. Thema (b)
f t L *■ i — l—r^ ^
USW.
usw.
das. 2. Sau (a)
(FÜUI)
^-f^p ^^tf VJß
i e
^.
NB.
dat. <a)
NB.
• M#-~.-»<el ^ g, ■ *T - — 1 — n • — f }-^-* — T
usw.
espr.
f^
dM. (Schlußsatz)
No. 111 Menuett (b)
^^Ft=f+t^rt^^
Klavier
NB.
NB.
NB.
aa. Finale (b)
Daß die drei Haydn gewidmeten Klaviersonaten op. 2 nicht nur
unter Haydns Augen in Wien entstandene Musik enthalten, ist schon oben
erwähnt; daß aber außer den Quartetten von 1785 auch noch andere ältere
Ideen Verwendung gefunden haben, scheinen noch einige weitere Mann-»
heimiaden zu verbürgen, so im Andante der A-dur Sonate das:
NB. NB. NB.
und im Finale derselben Sonate:
^^^^^
ggT^ii'^g?!^
Wie ein Scherz über den gewundenen Abstieg nimmt. sich das Rondo
G-dur für Klavier und Violine aus (Ges.-Aug. Serie XII, Nn 102),
das in der Hauptsache mit diesem (und seiner Umkehrung) bestritten ist:
r-f irrffrf
Der gewundene Abstieg ist aber auch schon dem kleinen A-dor*
Rondo von 1783 (in Boßiers Blumenlese) vertraut:
In einer entzückenden Variante erscheint er auch in dem ersten
Satze des 1830 zuerst ans dem Nachlaß herausgegebenen Es-dnr
Trios (Klavier, Violine, Violoncello), das nach Schindlers Angabe
Beethoven mit 15 Jahren komponiert hätte (d. h. -f- 2 = 1787):
t-^
i
yy <
17
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
Das unscheinbare Motiv spielt da eine merkwürdige Rolle als eine Art
beschwichtigender Epilog. Übrigens scheint die Ähnlichkeit des Scherzo
dieses Trio mit dem Diabelli -Walzer, über den die Variationen op. 120
geschrieben sind, noch nicht bemerkt zu sein:
und
Fff^pp^
Vielleicht ist aber diese Verwandtschaft mit ein Grund gewesen, daß Beet-
hoven sich für Diabelli's Walzer erwärmte.
Die Vermutung, daß das Streichtrio Es-dur op. 3 in die Bonner
Zeit gehört (Thayer P 280), wird wenigstens durch ein paar Mannheimer
Seufzer gestützt:
4. Sitz Adagio
'^ .: . CC ♦ NB. ^ ^.^ ^^ NB.
Violine f j? Jf t^^-jurggirri >._ _" TTXzf^^^^?^??^
(lachimCello)
5. Satz Menuetto
Violine
Violine
6. Satz Finale
»q^i^i: :-*-4-y-|i- =^=:qF^ " g''"T"F" ^^^^^^=??^ -^FS^^^R^ =^
usw.
Von frühen Variationenwerken führen die dem Thema fremde Seufzer-
manier ein die Variationen über Righini's „Vieni amore' (1790):
(Vsr. 4.)
~" Mi
^1
I
.--v~< — h
NB. NB. NB.
auch Var 6, 12, 23 und 24
VII. 13
18
DIE MUSIK Vll. 13.
M
Auch die wohl noch in Bonn komponierten, 1793 mit Widmung an
Eleonore von Breuning gedruckten über Mozarts »Se vuol ballare*:
(Vtr. 6) (Var. 7)
Aber auch die ganz späten (1818—1820 geschriebenen) Variationen
op. 105 und 107 greifen noch gelegentlich auf die Manier zurück:
op. 105, No. 2 (Var.)
NB.
g^^^^^
op. 107, No. 5 (TiroHscb)
— IK
^
usw.
NB.
Nb.
op. 1 17, No. 0 (Ruttitcb)
w
t=:
Das 1805 erschienene Klaviermenuett Es-dur ist wohl auch elo
altes Blättcheo gewesen:
NB.
und atKh die 1796 — 97 als op. 6 gedruckte vierhändige Klaviersonate
seufzt noch naiv:
Das nachgelassene Rondino für acht Blasinstrumente (Ser. VIII^
No. 60) ist jedenfalls für die kurfürstliche Tafelmusik geschrieben und
zwar vermutlich vor 1790:
a) NB. b)
c>
JJgg^^S^Zgig
Klavier 1«
Ob. P
Dagegen dürfte das Bläseroktett (op. 108, Ser. VIII, No. 59), be-
züglich dessen Beethoven 1794 bei Simrock in Bonn anfragt (Haben Sie
meine Partita schon aufgeführt?), zwar für Bonn, aber in Wien, also
frühestens 1792, geschrieben sein, da Mannheimer Manieren darin ganz
fehlen, wenn man nicht in der dreitaktigen Stelle:
19
RIEMANN: BEETHOVEN UNO DIE MANNHEIMER
«ine solche sehen will.
Unverkennbare Spuren früher Entstehung trägt die Hornsonate op. 17,
die angeblich Beethoven in einem Tage für Punto geschrieben haben soll
(17. April 1800); das Rätsel so schneller Arbeit, das wohl für Mozart
aber nicht für Beethoven glaubhaft wäre, erklärt sich, wenn man annimmt,
daß er alte Bonner Skizzen benutzte. Man urteile, ob das nicht sehr
wahrscheinlich ist:
(l.Satf) t,^^^
!:|F.feEii
EF#f%=j
(2. Satz) e.
(3 Satz) d.
NB.
X
-^
A y
^
ge^^
±J
Hier fällt besonders das in Filtzscher Manier in weiten Sprüngen einher-
gehende Hauptthema des Schlußsatzes auf.
Das bereits 1798 in Wien aufgeführte Klavierquartett mit Blasinstru-
menten op. 16 ist ebenfalls früh mit Benutzung älterer Ideen geschaffen.
Schon die an den französischen Ouvertürenstil anklingende Einleitung
enthält einige Seufzer:
Grave und TL
NB.
(Clarineue) NB. (Odoc)
noch deutlicher verrät aber der Anfang des Allegro frühere Entstehung:
0
f^'t, .' I r :feg:ER^g£E^
und auch aus dem zweiten $atz lugt so etwas hervor (Oboe):
EiFSEi
m
i
(Ob.)
Schluß folgt
2'--
HERZSCHLAG UND RHYTHMUS
EIN VERSUCH,
DEM VERSTÄNDNIS VON BEETHOVENS WERKEN
DURCH DAS STUDIUM SEINER OHREN- UND
HERZKRANKHEIT NÄHER ZU KOMMEN
von Dr. med. J. Niemack-Charles Cily (Jowa)
oft gestellte Frage, ob und in wieweit Beethovens Ohrenleiden
I seine musikalischen Produkte beeinflußt habe, isl in ihrer ersten
] Hälfte überflüssig, in ihrer zweiten dagegen einer sorgnitigen
Untersuchung wert und Rblg. Erzeugnisse eines Genies sind
in ihrer ersten Konzeption Immer Kinder des Augenblicks und seiner zu-
miligen Eindrücke und Stimmungen, wogegen die wissenschaftliche and
tecbniscbei Ausarbeitung als etwas Verstandes- und oft handwerksmlOiges
keiner fortgesetzten Inspiration bedarf.
Dem Künstler kommen von außen her zuerst die Eindrücke, die be-
fruchtend auf den wohlbereiteten schaffenden Mutterboden seines Geistes
fallen; sie werden oft augenblicklich, oft aber erst nach einiger Zeit des
Ausreifens geboren.
Der Schwerhörige, Taube ist eines großen Teils dieser Sinneseindrücke
beraubt und z. T. auf früher Gehörtes, z. T. auf Gesichts- und Gefühls-
eindrücke angewiesen. Dies beschrinkt und verengt notwendig den Um-
kreis seiner Gedankenwelt. Zugleich aber ist er mehi* auf sieb selbst
angewiesen, und auch im geselligen Kreise von der oberflächlichen Unter-
haltung ausgeschlossen, so daß er — falls er überhaupt eme eigene Ge-
dankenwelt besitzt — sich selbst nnd der Vertiefung seiner eigenen Ideen
überlassen bleibt. Beschränkung, Begrenzung der inspiratorischen Gedanken-
welt mit intensiver Vertiefung derselben sind notwendige Eigenheiten des
schwerhörigen Genies. Beethoven selbst drückt dies In seinem sog. Testa-
ment 1802 so aus; er sei .gezwungen, Philosoph zu werden'.
Die Untrennbarkeit seines Schaffens von seinem persönlichen
Innenleben, wie es sich im Laufe der Jabre unter freudigen und trüben
Gesctaebnissen gestaltete, ist die notwendige Folge. Seine Schicksals-
tnigödie bat es nicht mit dem König Oedipus, sondern mit Beethoven
selbst zu tun: der Dankgesang eines Genesenen im Quartett op. 132 ist
nicht einer künstlichen Vorstellung, sondern seinem eigenen Innenleben
21
NIEMACK: HERZSCHLAG UND RHYTHMUS
entspniDgen. Es ist eine eigentümliche Schicksalsfügung, daß am Beginn
des subjektivistischen Zeitalters ein vom Geschick selbst zum höchsten
Subjektivisten gestempelter Heros steht I
Zu diesen formellen Zügen kommt jedoch noch ein den Charakter
seiner Ideen inhaltlich beeinflussendes Erfahrungsmoment. Dem modernen
Ohrenarzte ist wohlbekannt die oft zu Selbstmordgedanken führende Melan-
cholie seines Patienten, das Gefühl eines Streites zwischen sich und der in ihrer
lächenden Unterhaltung des anwesenden Tauben nicht achtenden Mitwelt.
Meist wird es als „krankhafter Argwohn" — aber nicht begründet — be-
zeichnet Der Taube weiß sich außer Zusammenhang mit den Anderen,
glaubt sich in seinen besten Absichten mißverstanden, bespöttelt, hinter-
rücks bekämpft: Schicksal und Menschen haben sich gegen einen ver-
schworen. Diese Psychose der Schwerhörigen ist uns heute wohlbekannt
und sie wird regelmäßig vertieft durch die Unfähigkeit der Hörenden, sich
von dem durch Ohrenklingen und Oberempfindlichkeit der Nerven ver-
ursachten schweren Leiden des Tauben eine zu zarterer Rücksichtsnahme
führende genügend lebhafte Vorstellung zu bilden.
Seit etwa 1800 beginnt diese charakteristische Gedankenreihe des
Meisters Vorstellungen in Briefen und Kompositionen zu beherrschen. Die
Fünfte Symphonie malt sie in poetischer Riesengröße. Immer von neuem
packt uns die Vielseitigkeit in seiner Erfassung und intensiven Ausführung
dieses inneren und äußeren Kampfes. Beethovens ganze ethische und
religiöse Riesengestalt können wir erst ahnen an der Art, wie er dieser
krankhaften Monomanie Herr bleibt. Ein Schwerhöriger nur kann es nach-
fühlen, welche sittliche Höhe es bedeutet, daß dieser von seinen Dienst-
boten verspottete, von seinen Verwandten ausgenutzte und vernachlässigte
Sonderling die Neunte Symphonie mit solchem Hymnus schließt: ein
Apostel idealster Menschenliebe trotz — trotz alledem I —
Diese Dinge nun liegen verhältnismäßig auf der Oberfläche. Auf
einen weniger beachteten Punkt möchte ich aber jetzt aufmerksam machen:
das sind die bei katarrhalischer Schwerhörigkeit vorhandenen,* oft Jahrzehnte
andauernden Gehörparästhesieen (subjektive Geräusche). Teils sind
es kontinuierliche Geräusche in höchsten Tönen, Pfeifen und Zischen, oft
ausgesprochen musikalischen Charakters und lang ausgehalten, teils mehr
Sausen in dem Puls mit synchronischen Stößen. Der bei sklerotischem Mittel-
ohrkatarrh im Labyrinth vorhandene Überdruck wirkt als kontinuierlicher
Reiz auf die feinen Nervenenden ein; außerdem aber wird direkt der Puls-
schlag der größeren anliegenden Adern gehört.
Beethoven klagt über diesen Zustand, den er als »Dämon in seinen
Ohren* bezeichnet, wiederholt in den Jahren von 1800 bis 1817. Die
wahnsinnige Qual treibt ihn zu Selbstmordgedanken. Ohne subjektive
22
DIE MUSIK VII. 13.
M
Geräusche wurde Taubheit schwerlich so häufig zu schweren Geistes«
Störungen führen. Und doch werden diese von den Unbeteiligten, d. h.
von denen, die weder Arzt noch Patient sind, regelmäßig übersehen. Za
den »Unbeteiligten" gehören hier offenbar auch alle bisherigen Biographen
Beethovens, denn sonst könnte ihnen nicht entgangen sein, daß Beethovens
sog. zweite Periode musikalisch als Periode der subjektiven Geräusche
charakterisiert ist. Unter anderem ist die häufige Kontrastierung hober
Diskantpassagen gegen tiefe rollende Bässe am einfachsten zu erklären als
der unbewußte Versuch, diese aufdringlichen Geräusche los zu werden
durch musikalische Formulierung derselben. Das Largo der . Babetle
V. Keglevics dedizierten Sonate op. 7 beweist mir, daß, wie in der Majorität
der Fälle, auch bei Beethoven subjektive Geräusche existierten, ehe ihm
der Verlust des Gehörs zum Bewußtsein kam.
Die zweite Art der Geräusche, die rhythmischer Natur sind, ond
dem Herzschlage entsprechen, sind uns noch besonders wichtig, da sie die
Erklärung geben für die mehrfach hervorgehobene Tatsache, daß Beet-
hovens Tempi sich immer im Rahmen des menschlichen Pulsschlages, d. i.
60-80 Pulse in der Minute, halten. Beethoven war gezwungen, fast be-
ständig seinen Pulsschlag lauter oder leiser anzuhören.
Nun ist — besonders bei erregbaren Menschen — der Herzschlag
steten Schwankungen unterworfen : langsamer bei leerem Magen, schneller
in der Verdauung, ebenso unter dem Einfluß von Krankheiten. Das «fieber-
hafte Herzklopfen" der gespannten Erwartung, das «Fliegen der Pulse* bei
hohen Gefühlssteigerungen, das «Stillstehen des Herzens" bei plötzlichem
Schreck oder plötzlicher Freude — die Pause auf dem Klimax — sind von jeher
der Beobachtung so zugänglich gewesen, daß es sprichwörtliche Wendungen
geworden sind. Und nun denke man sich unseren Meister an seinen Dämon
gefesselt, der ihm Tag und Nacht den Takt zu seinen verschiedenen Erregungs-
zuständen in die Ohren heult und paukt ! Man muß, wie ich persönlich jahrelang,
die entsetzliche Aufdringlichkeit dieser accelerierenden und retardierenden
rhythmischen Geräusche erlebt haben, um zu begreifen, wie unmöglich es
für Beethoven war, in einem dazu kontrastierenden Tempo zu komponieren.
Wer unsem Meister verständnisvoll spielen will, darf sich diesen Tat-
sachen nicht verschließen. Hieraus erklärt sich auch Beethovens von Schindler
bezeugte Unfähigkeit, sich an eine feste Metronomisiening seiner eigenen
Kompositionen zu halten. Er mußte sich immer nach seinem jeweiligen Herz-
schlag richten, und dieser war bei ihm, als er etwas älter wurde, auch ab-
gesehen von den zufälligen Erregungszuständen, nicht so regelmäßig wie bei
normalen Menschen. Er war täglichen Schwankungen unterworfen, da der
Meister an Pulsaderverhärtung (Arteriosklerosis) und Herzfehler litt.
Zum Beweis dieser Behauptung müssen wir ein wenig in das
23
NIEMACK: HERZSCHLAG UND RHYTHMUS
medizinische Gebiet hinübergreifen. Beethoven war früh gealtert, und
«der Mensch ist so alt wie seine Arterien". In Arteriosklerosis verlieren
die Schlagadern ihre Glätte und Elastizität, werden gewunden, kalkig und
brüchig. Das Herzfleisch wird schwielig und schlaff, die Herzklappen ver-
härten und schließen nicht mehr. Seelische Erregungen, seien sie nun die Folge
von Ausschweifungen oder von Kämpfen und Sorgen, gelten als Ursache. Daß
diese Krankheit mit den fiblichen Komplikationen: Herzanfällen, Lungen-
leiden, Darmaffektionen und schließlicher Schrumpfniere Beethovens Leiden
war, daran ist meines Erachtens kein Zweifel erlaubt. Bei der Autopsie
wurden die Adern am inneren Ohr als hart und knotig, wie fiber eine
Federspnle gespannt, gefunden (Schindler). Die plötzlichen Ohnmächten
mit dem Gefühl drohenden Todes, das Bluthusten und Nasenbluten, die
wiederkehrende Atemnot, das allgemeine «rheumatische* Gefühl, der Kopf-
schmerz, der wichtige Einfluß barometrischer Schwankungen, die bis zur
Gelbsucht sich steigernde gelbe Gesichtsfarbe, das öfter erwähnte
intermittierende Fieber, die leichte Reizbarkeit mit sofort folgender Er-
schlaffung, endlich die geschwollenen Füße, die Lungenentzündung und
BiMichwassersncht, dazu der zeitweise wohltätige Einfluß der Landluft und
lauer Bäder — alle dieae sich über seine letzten 17 Lebensjahre er-
streckenden Symptome erlauben uns jetzt, die Diagnose dieser damals eben
bekannt werdenden Krankheit zu stellen.
Es ist eine trübselige Beschäftigung für den Arzt, die Briefe des
Kranken zu lesen, dessen Ärzte und Umgebung von der Ernsthaftigkeit seiner
Krankheit erst ganz gegen Ende eine Ahnung bekamen. Natürlich wurde
auch sein Ohrenleiden dadurch nur ungünstig beeinflußt, und da schon der
gewöhnliche Herzkranke die Schwankungen seines Pulses störend empfindet,
wie viel mehr der Ohrenkranke, der gezwungen ist, sie mit anzuhören.
Wir gewinnen in der Cavatina des einen Galitzinschen Quartetts
op. 130 einen interessanten Einblick, wie alle diese Umstände gemeinsam
in der Werkstätte des Meisters arbeiteten. «Adagio molto espressivo* zu
spielen und mit sehr vielen Vortragszeichen versehen, spiegelt die Cava-
tina das Gefühl unendlicher Traurigkeit wieder. Das Thema selbst gleicht
einem tiefen Stoßseufzer. Plötzlich bricht die Melodie ab, und während
die begleitenden Instrumente in leisesten Triolen den normalen Takt scharf
markieren, stößt die erste Violine eine Reihe unzusammenhängender Töne
und unrhythmischer Figuren aus. «Beklemmt" sollen diese gegen den
Rhythmus kontrastierenden, sich überstolpemden Töne gespielt werden! —
Woher hat der alternde, schwer kranke Meister die Idee zu dieser höchst
wunderlichen Kombination genommen ? Beides kommt nur an dieser einen
Stelle vor. Die Briefe aus jener Zeit sind voll schwerer Todesahnung.
Als freie musikalische Erfindung betrachtet, müßte diese Unterbrechung
M8
24
DIE MUSIK VII. 13.
des Gesanges sowohl sinn- wie geschmacklos bezeichnet werden. Das ist
also ausgeschlossen. Der Meister muß diesen sich überstolpernden Rhythmus
gehört haben, und diese Empfindung muß mit einem Gefühl tiefer Be-
klemmung verbunden gewesen sein.
Spielen Sie diese Stelle einem Arzt vor, der mit Herzkranken zu tun hat
und fragen Sie ihn, ob er solchen Rhythmus kenne. »SelbstverstAAdlich
kenne ich ihn", wird er antworten, «es ist der Herzschlag eines Arterioskle-
rotikers, dessen Herz affiziert ist im Zustande unvollständiger Kompensation.*
Wir Ärzte sprechen von einem Anfall von «angina pectoris", die Laien
von »Herz-Beklemmung*. Ein Gefühl unendlicher Todesangst ergreift den
Kranken, kalter Schweiß tritt auf seine Stirn; ihm ist, als könne er nicht atmen.
Solche Zustände werden bei Herzleidenden bestimmter Art besonders leicht
durch Verdauungsstörungen hervorgerufen. So sagen die ärztlichen Lehrbücher.
Welch eine ergreifende Bedeutung gewinnt aber für den mit diesen Kennt-
nissen ausgestatteten Beethoven- Forscher nunmehr das arhythmische Inter-
mezzo! Die Cavatina ist im Lichte musikalischer Verklärung gesehen der
Stoßseufzer elc profundis eines Menschen, dem der Sensenmann naht, an dorn
er aber noch einmal vorübergeht. Die peinvollsten Augenblicke seines
Alters hat der Meister hier in Musik gewandeil. Die angina pectoris ist
ihm zur Inspiration geworden. «Beklemmt*!! Dieses Wort ist der Schlüssel,
der uns einen erschütternden Einblick in Beethovens Gedankenwelt erlaubt.
Ich hoffe, daß bessere Beethovenkenner, als ich es bin, sich mit dies.pn
Gedanken gründlich vertraut machen werden. Ob der Ästhetiker solche
musikalische Reprodukrion von Krankheitszuständen für berechtigt hält
oder nicht: sie ist vorhanden und muß helfen, Licht in des unvergleich-
lichen Meisters letzte Werke zu werfen.
Belege aus Briefen Beethovens
an Wegeier. »Wien, am 2. Mai 1810*. (Kalischer, Beethovens Simtliche Briefe,
Bd. I, S.311, No.215.)
»Doch ich wäre glücklich, .... wenn nicht der Dimon in meinen Ohren seinen
Aufenthalt aufgescblageo. Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfe
nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, so lange er noch eine gute That
verrichten kann, längst wäi' ich nicht mehr — und zwar durch mich selbst.*
an denselben. »Wien, am 16. November [1800?]*. (Kalischer, B. S. Er., Bd. I, S. 54,
No. 38.)
i»Das Sausen und Brausen ist etwas schwächer, als sonst, besonders am liDken
Obre, mit welchem eigentlich meine Gehörkrankbeit angefangen hat, aber mein
Gehör ist gewiß um nichts noch gebessert.*
an Zmeskall. .21. August 1817*. (Kaliscber, B. S. Br., Bd. III, S. 193, No. 649.)
«.... — was mich angeht, so bin ich oft in Verzweiflung u. möchte mein Leben
endigen,. . . .•
an den Neffen. »Baden den O.Juni 1825*. (Nobi, Briefe Beethovens, 8.296, Nr. 345.)
pWie ich hier lebe weißt Du, noch dazu bei der kalten Witterung. Das be-
25
NIEMACK: HERZSCHLAG UND RHYTHMUS
stindige Alleinsein scb wacht micb nur nocb mehr, denn wirklieb grinzt meine
Scbwicbe oft an Obnmacbt. O krinke nicbt mebr, der Sensenmann wird ohne-
bin keine lange Frist mehr geben.*
an denselben. »Baden am 4ten Oktober [1825]". (Nobl, Br. B., S. 317, Nr. dd9,
^ Postskriptum.)
»Bedenke, daß ich hier sitze und leicht krank werden kann."
an Schott in Mainz. »Btden nichst Wien am 17ten Septemb. 1824^ (Nohl, Br. B.,
S. 273, No. 314.)
»Apollo und die Musen werden micb nocb nicbt dem Knochenmann überliefern
lassen, denn nocb so Vieles bin ich ihnen schuldig und muß ich vor meinem
Abgang in die Elesiiscben [sie] Felder hinterlassen, was mir der Geist eingiebt
und beißt vollenden.*
an Erzherzog Rudolf. »Baden den 23ren Aug. 1824*. (Nobl, Br. B., S. 265, Nr. 308.)
»Ich lebe •— wie?! ^ ein Schneckenleben; die so ungünstige Witterung setzt
mich immer wieder zurück *
an denselben. (August 1823). (Köcbel, 83 Originalbriefe B.'s, S. 68, No. 62.)
»Ich befinde mich wirklich sehr übel Die Stadtluft wirkt auf meine
ganze Organisation übel . . .*
an denselben. »Unterdöbling, am 18. July 1821*.(Kaliscber, B. S. Br., Bd. IV, S. 114,
Nr. 823.)
»Schon lange sehr Übel auf, entwickelte sich endlich die Gelbsucht voll-
stindig, mir eine höchst ekelhafte Krankheit auch den vergangenen
Winter hatte ich die stirksten rheumatischen Zufille.*
an F. Ries in London. »Wien, den 6. April 1822*. (Kaliscber, B. S. Br., Bd. IV,
S. 136, No. 836.)
»Schon über ein ganzes halbes Jahr wieder krinklicb, konnte ich Ihr Schreiben
niemals beantworten.*
an Erzherzog Rudolf. (1814). (Köcbel, 83 Originalbriefe Beethovens, S. 34, No. 22.)
»Ich boffe, daß das schlimme Wetter keinen bösen Einfluß auf die Gesundbeit
I. K. H. haben werde; mich bringt es aber immer ein wenig aus dem Takt.*
an denselben. (1814). (Köcbel, 83 Originalbr. B.'s, S. 33, No. 21.)
»Schon über vierzehn Tage bin ich wieder mit meinem mich plagenden Kopfweb
behaftet Doch nun mit dem bessern Wetter verspricht mir mein Arzt
baldige Besserung.*
an den Neffen. »Baden, am 16. Aug. 1823*. (Nohl, Br. B., S. 249, Nr. 278.)
». . . mit Katarrh, Schnupfen kam ich bieber, beides arg für micb, da der
Grundzustand nocb immer catarrhaliscb ohnehin ist, und ich furchte, dieser
zerschneidet bald den Lebensfaden, oder was noch ärger, durchnaget ihn nach
und nach Auch mein zu Grunde gerichteter Unterleib muß noch durch
Medizin und Diät hergestellt werden . . .*
an Dr. Braunbofer. »Am 13. Mai 1825*. (Kalischer, Neue Beetbovenbriefe S. 188.)
»— mein katbaraliscber [sie] Zustand äußert sieb hier folgender Maßen, nemlicb:
ich speie ziemlich viel Blut aus, wahrscheinlich nur aus der Luftröhre, aus der
Nase strömt es aber öfter, welches auch der Fall diesen Winter öfters war.
Daß aber der Magen schreeklicb geschwächt ist, und überhaupt meine ganze
Natur, dies leidet keinen Zweifel.*
»Tagebuch aus Wien unterm 7. — 14. August 1825."
»Beethoven befindet sich zur Herstellung seiner Gesundheit in Baden
und bat daselbst die Komposition eines neuen Quartetts für Saiteninstrumente
vollendet. Er soll jetzt vorzuglich daran Lust finden, kleine Kanons zu
komponieren, deren er schon sehr viele fertig liegen hat. ,Ich mache das,
wie der Dichter ein Epigramm macht !% also drückte er sich gegen einen
seiner Freunde aus."
Diese interessante, in der Beethovenliteratur bisher noch nicht ver-
wertete Notiz steht in der »Dresdner Abendzeitung" vom 21. Oktober 1825.
Ihr Verfasser ist vermutlich der fürstlich Schwarzenbergische Rat und
Bibliothekar E. Th. Hohler, der um jene Zeit öfter Berichte über das
Wiener Musikleben an die genannte Zeitung sandte, ein Mann, der, wie
Kalischer ^) nachgewiesen hat, und wie auch aus dem mitgeteilten Schreiben her-
vorgeht, mit Beethoven und dessen Kreise in persönlicher Berührung stand.
Der erste Teil der Notiz wird durch andere Quellen^ erläutert und
berichtigt. Nachdem Beethoven Anfang des Jahres 1825 eine schwere
Krankheit überstanden, ging er, froh der wiederkehrenden Kraft, eifrig an
die Komposition eines neuen Streichquartetts. Es war das in a-moll,
op. 132, mit dem wunderbaren »Dankgesang eines Genesenen an die
Gottheit." Nur dieses Quartett kann der Wiener Korrespondent meinen.
Er irrt aber, wenn er sagt, das Werk sei in Baden vollendet worden.
Beethoven brachte es bereits im Mai 1825 in Wien zum Abschluß. Danach
erst bezog er eine Sommerwohnung in Guttenbrunn bei Baden.
Die Mitteilung, daß Beethoven damals »vorzüglich daran Lust fand,"
kleine Kanons zu komponieren, erweist sich jedoch als zutreffend.
Zwar läßt sich der Umfang der Tätigkeit Beethovens als Komponisten selbst-
ständiger, nicht als Teile größerer Werke aufgezeichneter Kanons nicht voll-
ständig überblicken. Denn so manches Stück davon ging verloren. Beethoven
hat z. B. eine Anzahl »Kreisfluchtstücke", wie sein Neffe und Karl
') »Die Musik", V, 4, S. 240.
^ Vgl. Tbayer, Cbronologisches Verzeichnis, No. 250.
27
VOLKMANN: BEETHOVEN ALS EPIGRAMMATIKER
Holz den Namen Kanon scherzhaft verdeutschten, in ein durchschossenes
Exemplar von Castellis «Tausend Sprichwörtern" notiert, das heute ver-
schollen ist >). Auch der fQr Karl Holz komponierte Kanon «Hier ist das
Werk, schafft mir das Geld* ist verschwunden ^. Möglich, daß .die Zukunft
noch diesen oder jenen Kanon Beethovens ans Tageslicht fordert, sind
doch in den letzten Jahren verschiedene zum Vorschein gekommen, von
denen wir nichts wußten. Schwerlich aber dürften etwelche derartige
Nachzügler das Gesamtbild wesentlich verändern, das sich heute bei einer
Musterung aller gedruckt vorliegenden^) Kanons von Beethoven ergibt.
Wir besitzen deren etwa 40, von denen gegen 30 im letzten Jahrzehnt
v6n Beethovens Leben entstanden sind. In diesem Zeitraum erscheint
wiederum das Jahr 1825 mit acht Kanons als das fruchtbarste, — r was also
mit nnserm Wiener Bericht in Einklang steht.
Das Wichtigste jener Notiz ist zweifellos der an keiner anderen
Stelle gebuchte Ausspruch Beethovens fiber seine Kanonkomposition:
«Ich mache das, wie der Dichter ein Epigramm macht!"
Beethoven war nicht freigebig mit Äußerungen über seine Kunst.
Um 80 wertvoller ist jede einzelne. Auch die hier wiedergegebene enthält
viel Treffendes. Denn Beethovens Kanons haben sowohl in der Art ihrer
geistigen Konzeption wie in ihrem Inhalt und ihrer Ausgestaltung mancherlei
Verwandtes mit dem Epigramm^).
Schon die Texte zu den Kanons von Beethoven — ohne Text hat
er nur sehr wenige geschrieben, — neigen zum Epigrammatischen hinüber,
mag sie nun der Meister selbst geformt oder von anderer Stelle entlehnt
haben. Wie die Sinngedichte sind sie von großer Kürze und sprechen
einen einzigen Gedanken, aller Nebensächlichkeiten entkleidet, in knappster
Fassung aus. Oft knüpfen sie in humoristisch -satirischer Art an die
Eigentümlichkeit oder den Namen einer Person an, wie es beim «Falstaf-
ferel'-Kanon*) auf den beleibten Schuppanzigh, oder bei dem Kanon
«Kühl, nicht lau* auf den Komponisten Kuhlau der Fall ist. Andere be-
handeln in der Weise des einfachen Sinnspruches eine allgemeine Wahr-
heit, wie der Kanon «Freundschaft ist die Quelle wahrer Glückseligkeit", oder
geben eine gute Lehre, wie: «Glaube und hoffei" Wieder andere erscheinen
0 L. Nohl, Beethovens Leben, III, S. 637.
*) Ebenda, S. 050.
*) 17 Kanons befloden sich in Serie 23 und 5 in Serie 25 der Gesamtausgabe
von Beethovens Werken gedruckt Andere sind in verschiedenen Büchern und Zeit-
Schriften mitgeteilt
*) Auf die Verwandtschaft des Kanons mit dem Epigramm im allgemeinen
weist auch Otto Jahn bin (Mozart, 4. Aufl., II, S. 61).
^) 1003 von Kalischer veröfPentlicht in der .Musik*, II, 13.
28
DIE MUSIK VII. 13.
als gelegentliche Scherze, nur denen verständlich, welchen sie zugedacht
waren, wie jener für Vincenz Hauschka: »Ich bitt' dich, schreib' mir die
Es-Scala auf*. Einzelne Kanontexte haben eine verblüffende Schluß-
wendung, wie sie im Epigramm gern angebracht wirJ. Am drastischsten
wirkt sie vielleicht in dem Kanon für Abb6 Stadler, wo Beethoven zuerst
ganz fromm in italienischer Sprache bittet: ,Signor Abbate, io sono amma-
lato. Santo Padre! Vieni e datemi la benedizione!" um schließlich deutsch
herauszuplatzen: «Hör Sie der Teufel, wenn Sie nicht kommen*. Immer»
wenn Beethoven den Text selbst formte, geschah es mit großer Sorgfalt»
Die Entwürfe zu dem Hof mann- Kanon ^), in denen die Silbenquantitäten
der Namen Hofmann und HofFmann aufs genaueste abgewogen und die
Textworte wiederholt umgemodelt werden, beweisen, wie mühsam Beethoven
mitunter die Textworte seiner Kanons zurechtgezimmert hat.
So wenig wie den Text hat Beethoven auch den musikalischen
Teil seiner Kanons aus den Armein geschüttelt, mag dieser auch, wie er
fertig vor uns liegt, oft genug wie ein flüchtig hingeworfener Einfall er-
scheinen. Zahlreiche von Nottebohm*) abgedruckte oder erwähnte Kanon-
skizzen verraten, wie Beethoven auch hier probierte und feilte. Erforderte
die rein technische Anlage des Kanons schon eine besondere geistige
Arbeit, so wurde diese hier noch dadurch vermehrt, daß Beethoven im
Thema zugleich die im Text enthaltene Idee voll ins Musikalische umzü-
werten suchte. Dabei strebte er, wo immer möglich, epigrammatische
Schärfe des Ausdrucks mit epigrammatischer Kürze zu verbinden. Enthielt
der Text musikalische Anspielungen, so knüpfte Beethoven in seiner
Themenbildung unmittelbar an diese an. In dem bereits erwähnten Kanon:
«Ich bitt' dich, schreib' mir die Es-Scala auf* zog er naturgemäß die Es-
dur-Tonleiter ins Thema hinein. In dem bekannten Abschiedskanon für
seinen Freund Mälzel benutzte er als Thema das Geklapper jener Takt-
maschine, deren Erfinder Mälzel war. Und doch verleugnete sich der
Melodiker Beethoven auch hier nicht. Denn er hing dem monotonen
Geklapper eine Kantilene an, durch die das Ganze zum Keim des Alle-
grettos der 8. Symphonie werden sollte. Bisweilen leitete selbst der Klang
eines Personennamens den Meister auf ein Kanonthema hin. So ertönte
in ihm beim Namen Schwenke das schwungvolle Motiv:
f «/ .
- — ^^ — ^ — _ g — ^
usw.,
m^s^^^^^
Schwen-ke dich! Schwen-ke dich!
mit dem er den Kanon auf diesen Namen eröffnete.
') Thayer, Cbron. Vcrz. Nr. 223.
^] Zweite Beethoveniana, S. 11, 13, 120, 177,312,315,330,331,462,475,579.
29
VOLKMANN: BEETHOVEN ALS EPIGRAMMATIKER
mJBO
Auch die Kanontexte, in denen unmittelbare musikalische Anknüpfungs-
punkte nicht enthalten sind, faßt Beethoven von ihrer charakteristischen
Seite und verleiht ihnen angemessenen musikalischen Ausdruck. Wie
energievoll und glaubensfreudig schreitet das Thema »Gott ist eine feste
Burg* einher:
Moderaio.
ä^e
£
SS
-*-
t
s
^.
-a±.
t
t
£
^l
Gott ist
ei - ne
fes - te Burg, Gott ist ei - ne
Diesen interessanten, erst neuerdings ans Tageslicht gekommenen Kanon ^)
findet der Leser in Faksimile im Anhang dieses Heftes.
Bei dem Kanon «Ars longa, vita brevis" (erste Komposition, fär
Hummel)^ malt Beethoven die Länge der Kunst mit gebundenen halben und
ganzen Noten, die Kürze des Lebens mit flüchtigen Vierteln und Achteln:
poco Aüegro
p
^e
-^-
e
^E
Ars Ion.
S*
Ars loo.
ga
m^.
t
^^m
i^^^^^
-^-
^
*
Vi-ta bre-vis Vi - ta bre-vis bre-vis, Ars Ion-
K
Überhaupt liebt er, soweit es der Text gestattet, mit kräftigen Kontrasten
zu operieren. So im Kanon »Kurz ist der Schmerz, ewig ist die Freude''
(Komposition für Spohr). Hier wird der erste Teil des Textes von langen
Pausen zerrissen vorgetragen, der zweite tritt durch eine gebundene Kantilene
dazu in Gegensatz. Mittels des Kontrasts weiß Beethoven auch Schluß-
pointen herauszuholen. Nehmen wir den Kanon für Frau del Rio: «Glück
fehl' Dir vor allem, Gesundheit auch — niemalen *.^) Der paradoxe An-
fang des Textes erklingt in Noten von geringem Zeitwert, die sich meist
in Seknndenschritten bewegen. Bei dem Gedankenstrich tritt eine Pause
>) Der Kanon wurde zuerst 1906 im Katalog der 36. Autographen- Versteigerung
im Antiquariat L. Liepmannssohn zu Berlin, S. 142, in Faksimile mitgeteilt Er stammt
aus dem Album eines kurlindiscben Obersten von DQsterlobe und ist datiert: »Wien,
am 12ten Jinner 1825". — Ob durch jenen Obersten noch einmal ein Lebenszeichen
von Beethovens in Kurland aniässigem Jugendfreund Amenda an den Meister gelangt
sein mag?
') Zuerst abgedruckt in L. Nohls „Neuen Briefen Beethovens", S. 106.
^ Erst Jungst mitgeteilt im 4. Binde von Thayer-Deiters' »L. van Beethoven",
S. 521 f.
30
DIE MUSIK VII. la.
der Spannung ein. Dann erst erfolgt im Worte «niemalen" mit einem
mächtigen Oktavschritt die Aufhebung der Negation des Glückwunsches»
und eine schwer lastende halbe Note besiegelt ihn:
GlGck fehl' Dir vor al - • lern, Ge • Si-nd • beit aucb nie-ma-lcn.
Wie in Beethovens Kanonthemen, so spielt auch im Epigramm der Kontrast
eine wichtige Rolle. Die Poetik fordert sogar den Gegensatz zwischen
Spannung und Lösung als einen wesentlichen Punkt des Sinngedichts.
Der Vergleich, den der Meister selbst gezogen, ist also wohlbegründet
und zutreffend: Beethoven ist im Kanon Epigrammatiker. Und er ist's
in höherem Grade als andere Tondichter der- klassischen Zeit.- Die
Komposition von Kanons, — die ihre höchste Blüte in der Kunst der
niederländischen Kontrapunktisten des 15. und 16. Jahrhunderts erreichte»
— war noch um die Wende des 18. Jahrhunderts sehr beliebt. Haydn
und Mozart haben zahlreiche Kanons geschrieben. Beide beabsichtigten
damit vorwiegend Chorgesänge zu bieten. Demgemäß wählten sie anakre-
ontische oder derb humoristische, Mozart aber auch geistliche Texte. In
der musikalischen Ausgestaltung sind ihre Kanons reich und ansehnlich:
lange, ausgiebige Themen werden von einer größeren Stimoienanzahl auf-
genommen. Von Mozart besitzen wir mehrere grandiose Kanons — sogar
einen für drei vierstimmige Chöre. Epigrammatische Schärfe der Charak-
teristik und Knappheit des Ausdrucks sind in Mozarts wie auch in Haydns
Kanons höchst selten anzutreffen. Gerade diese Elemente herrschen aber^
wie wir*gesehen haben, in denen Beethovens vor. Unter ihnen kann sieb
wohl nur einer an Größe und Bedeutung mit den meisten von Mozart
messen, der sechsstimmige auf Goethes Worte «Edel sei der Mensch,
hülfreich und gut". Allerdings bildet dieser auch insofern eine Ausnahme
unter Beethovens Kanons, als er nichts Epigrammatisches hat. Bei ihm
allein könnte an eine Auffuhrung, etwa durch einen Männerchor, gedacht
werden, während bei den meisten anderen schon die Kürze der Themeir
und die Anlage für eine geringe Stiqimenanzahl — oft nur für zwei —
diese Möglichkeit ausschließt. Beethoven schrieb sein^ Kanons nicht für
Aufführungen, sondern für private, persönliche Zwecke, ^r wollte damit
seinen Freunden und Kunstgenossen in froher Stunde oder beim Abschied
musikalische Xenien bieten, kleine Erinnerungsgaben voll geistreichen*
Inhalts und von kunstreicher Struktur. Deshalb verschmähte er es auch,
sie „offen", d. h. in Partitur, aus der Hand zu geben. Das tat er nur bei
einigen in freier Form. Er bot sie vielmehr „verschlossen*, d. h. nur in
31
VOLKMANN: BEETHOVEN ALS EPIGRAMMATIKER
mJBO
einer Stimme notiert 0» mit den üblichen Einsatzbezeicbnungen für die
anderen Stimmen, oder selbst ohne diese als Rltselkanons, — ihre Auf*
lösung dem Geschick der Empfänger überlassend. Ganz ähnlich entläßt
bisweilen der Epigrammatiker seinen Leser mit einer gedankenanregenden
Frage.
Legten die Vorgänger Beethovens beim Kanon den Hauptwert auf
die virtuose Beherrschung der strengsten musikalischen Form, so betrachtete
Beethoven auch hier, wie in seinen großen Werken, den erschöpfenden
Ausdruck der einzelnen zugrunde liegenden poetischen Idee als seine
wichtigste Aufgabe. Das musikalisch Formale, das bei jenen dominierte^
ging bei ihm als erwas Selbstverständliches nebenher. Auch hier offen-
barte sich Beethovens fortschrittlicher Sinn, der in früher ungekanntem
Maße den vertiif^si^en und differenzierenden Einwirkungen der Poesie auf
die Musik Raum gewährte. Trotz der untergeordneten Stellung, welche
die Kanons in der Fülle der großen, in ewiger Schönheit prangenden
Tondichtungen Beethovens einnehmen, bleiben sie doch als charakteristische
Äußerungen der Eigennatur des Meisters beachtenswert.
^) In der Gesamtautaabe wurden die Kanons zum giößten Teile von dea
Herautgebern in offene Form umgesetzt.
|ohl noch nie ist in der Beethovenltteratur wegen einer Anzahl
unbekannter Briefe Beethovens dermaßen die Reklametrommel
geröhrt worden, wie über einige Dutzend Briefe des Meisters
an den Theaterdichter Carl Bernard. Der mir vorliegende
Essay von Alexander Hajdecki: «Ein neuer Beethovenschatz" beginnt
mit folgenden Worten: »Was! Sie wollen neue Beethovenbriefe noch ent-
deckt haben?!'' — ,,Ja, das habe ich und mit einem Schlage deren gleich,
wenn Sie wollen, zwei Dutzende und noch eine Zugabe dazu . . • •*
«Sie erlauben, mein Herr, daß ich, ohne Ihnen nahetreten zu wollen, vor-
läufig die Authentizität dieses Fundes in Zweifel ziehen und denselben
vorsichtshalber dem Publikum bloß als einen angeblichen ankündigen
werde.* »Warum?'' »Weil heute noch an einen unbekannten Brief
Beethovens zu denken — einfach — undenkbar ist." — Herr
Hajdecki fährt dann fort, sein »sensationelles Ereignis" vom neuen Beet-
hovenschatz zu rühmen und zu preisen. Die Quintessenz sei der Umstand,
daß die berechtigten »Zweifel an die Möglichkeit des Aufkommens von
noch unbekannt geblieben sein sollenden Beethovenbriefen" sein nach-
forschendes Interesse geweckt und ihn zu einer »kleinen Studie über
Beethoven als Briefschreiber veranlaßt" hätten. Also das Wunder
wäre, daß jetzt noch etwa zwei Dutzend unbekannter Beethovenbriefe der
Beethovengemeinde mitgeteilt werden konnten. Welch ein erstaunliches
Wunder! Weiß denn Herr Hajdecki nicht, daß im Jahre 1889 in der
»Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung" mehr als 40 unbekannte Briefe
Beethovens an Anton Schindler publiziert wurden? Weiß Herr Haj-
decki nicht, daß etwa zehn Jahre danach in vier Heften der »Deutschen
Revue" mehr als 100 unbekannte Briefe Beethovens an die ver-
schiedensten Personen veröffentlicht worden sind? Weiß Herr Hajdecki
nicht, daß alle jene Briefe mit noch vielen anderen in den »Neuen Briefen
Beethovens" (Verlag von Schuster & LoefTler) — über 160 an der Zahl —
herausgegeben wurden? Weiß denn ferner Herr Hajdecki nicht, daß in der
Ausgabe von »Beethovens Sämtliche Briefe" (Verlag von Schuster &
Loeffler) schon im ersten Band bis 1810 wohl an 100 neue unbekannte
Briefe Beethovens veröffentlicht werden konnten? Weiß Herr Hajdecki
ferner nicht, daß jeder Band dieser Ausgabe neue, ungedruckte Briefe
33
KALISCHER: BEETHOVEN AN BERNARD
darbietet? Was soll denn also das Geschrei mit 24 ungedruckten Briefen
bedeuten? — Ich kann Herrn Hajdecki sogar jetzt verraten, daß man auch
in England, in London, wo es noch erstaunlich viele ungedruckte Briefe
Beethovens gibt, die ängstlich bisher gehüteten Beethovenschätze der All-
gemeinheit zu fibergeben anfängt. Ich werde demnächst mehrere in London
vorhandene Originalbriefe Beethovens veröffentlichen dürfen. — So viel
über den Gedankengang: „daß auch die Kunstwissenschaft mit einer
Möglichkeit des Vorhandenseins von noch unbekanntem Briefmateriale
Beethovens gar nicht mehr gerechnet" usw.
; Daß Bernard zu Beethovens Freundeskreise, ja sogar zu seiner engeren
Tafelrunde gehörte, ist durch Schindler und die Konversationshefte genug-
sam bekannt. Auch Hajdecki's Aufsatz läßt es unaufgeklärt, wie es kommen
konnte, daß Beethovens Briefe an Bernard »bis heute gänzlich unbekannt
und ungeahnt bleiben konnten". Herr Hajdecki fährt fort: »Beethovens
Name, Ruhm und Größe stieg so rapid nach seinem Tode, daß jedermann,
welcher nur irgendwie mit dem großen Heros in briefliche oder persön-
liche Berfihrung kam, sich beeilte, dies in die Öffentlichkeit, eventuell die
kostbaren Reliquien an den Mann zu bringen. Die Briefe Beethovens waren
schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein gesuchter und
geschätzter Artikel auf dem europäischen Markte." Das ist alles gewißlich wahr.
Wie kommt es denn nun, daß Carl Bernard von seinen Beethovenbriefen,
die für die Seele Beethovens zeugen sollen, bei seinen Lebzeiten nichts
veröffentlicht hat, während doch Schindler seine Beethevenbriefe wenigstens
so sicher aufbewahrte, daß sie der allgemeinen Kenntnis zugänglich
gemacht werden konnten? (Siehe seine Beethovenschätze in der König-
lichen Bibliothek in Berlin.)
Von Briefen Beethovens an Bernard — so will es Herr Hajdecki
wahr haben — soll bis jetzt nichts in der Beethovenliteratur bekannt
sein. Das ist in mehrfacher Beziehung tatsächlich unrichtig.^) Herr
Hajdecki sollte sich in Schindlers Beethovenbiographie mehr umsehen, dann
wurde er eines Besseren belehrt werden. Dieser Beethovenfreund schreibt
in der dritten Auflage seines Beethovenbuchs (III, 50) also:
«Behufs Eioruckung dieser Aaszeichnung aus hohem Norden^ in deo Oest-
reichischen Beobachter und die Wiener Zeitschrift Gberschickte er mir für den ersteren
[Herrn von Pilrot] und für C. Bernard betreffs des anderen Blattes zwei Briefe
in launigster Abfassung und durcheinander geworfenen Sitzen. In einem dritten,
mir zugehörigen, spiegelte sich die Form der anderen bestens ab. Dieser Brief lautet:
^) Nach einem mir neuerdings zugegangenen Artikel Hajdeckis im »Erdgeist"
zu schließen, scheint dieser Herausgeber jetzt, etwas spät nach seinen sonstigen
Publikationen, anzufangen, Anton Schindler zu berficksichtigen.
*) Beethoven war zum Ehrenmitglied der Stockholmer Kunstakademie ernannt
worden. (Siehe des Verfassers »Beethovens Sämtliche Briefe" IV. Band, No. 877).
VII. 13. 3
34
DIE MUSIK VII. 13.
^itWt
ySehr bester L— k— von Epirus nicht weniger von Brundusium! Gebt den
Brief dem Beobachter, Es muß aber sein Name von Euch darauf gesetst werden . . .
Ich habe geschrieben »zum Ehrenmitglied^ ich weiß aber nicht, ob es so heißen soll»
ob nicht vielleicht blos »zum auswärtigen Mitglied^ unwissend und nie beachtend der-
gleichen. Fragen Sie bei beiden philosophischen Zeitungsschreibern, ob dies eine
Ehren- oder eine Schandmitglieds-Emennung sey'* usw.
Der hier erwähnte Briefzettel an C. Bernard scheint mir einer der
zwei in Faksimile in der Zeitschrift »Der Erdgeist' dargebotenen Briefe
Beethovens an Bemard zu sein. Diese zwei kleinen faksimilierten Briefe
werden denn auch von mir in meiner kritischen Ausgabe der Briefe Beet-
hovens mitgeteilt werden; sonst nur solche, die im Faksimile vorliegen.
Herr Hajdecki meint des ferneren, daß der im »Beethovenjahrbuch*
(S. 85) publizierte Brief Beethovens von Bernard seines »Wissens der
einzige bisher bekannt gewordene Brief an Bemard' sei. Hajdecki's »Wissen*
erweist sich jedoch auch hierbei wieder als Stückwerk. In ihren »Un-
gedruckten Briefen Beethovens" hat La Mara vor vielen Jahren bereits
einen Brief Beethovens an C. Bemard veröffentlicht. (Siehe »La Mara,
Klassisches und Romantisches aus der Tonwelt', Leipzig 1892, S. 99.)
Eben dieser Brief an Bemard fand auch in meiner kritischen Ausgpibe
der Briefe Beethovens nebst Erklärungen Aufnahme (als No. 612 im
IIL Bande). In meinen dort gegebenen Erklämngen verwies ich auf
einen Brief Beethovens an den Pensionatsvorsteher Giannatasio del Rio
vom 22. September 1816 (No. 522), in dem sich der Meister sehr ab-
flUlig über den Dichter und Schriftsteller C. Bemard ausspricht Da heißt
es: »Ich habe seit Sie fort von hier an Bernhardt geschrieben, damit er
sich bei Ihnen erkundigen solle, habe aber keine Antwort erhalten; denn
am Ende können Sie mich für einen halben sorglosen Barbaren halten
indem Herr B. wahrscheinlich ebensowenig bei Ihnen gewesen, als er an
mich geschrieben hat. " Femer in ebendemselben Briefe an Giannatasio :
»da ich mich nun auf einen so gemüthlosen untheilnehmenden
Freund wie Herr B.[ernard] verzichtet habe, so muß ich Ihre Freund-
schaft und Gefälligkeit in dieser Rücksicht doch in Anspruch nehmen"
Der geliebte Neffe war damals bedenklich erkrankt und mußte operiert
werden. Damit hatte also die Freundschaft zwischen Beethoven und
Bernard einen starken Riß durch des letzteren »Gemütlosigkeif erfahren.
Daß Beethoven aber auch mit Bernard als Dichter des Oratoriums
»Der Sieg des Kreuzes' nicht sonderlich zufrieden war, das geht am offen-
barsten aus dem langen Schreiben des Meisters an die Gesellschaft
der Musikfreunde in Wien hervor. Dieser Brief »vom 23. Januar 1824' ist
vielfach publiziert (u. a. in des Verfassers »Neue Beethovenbriefe'
S. 181 ff.). In ihm heißt es: » — das Oratorium betreffend, so hoffe
ich veritas odium non parit, nicht ich wählte H. v. B[ernard] das-
35
KALISCHER: BEETHOVEN AN BERNARD
selbe ztt schreiben, mir ward versichert , der Verein habe ihn hier-
zu beauftragt, denn da H. v. B. die Zeitung zu redigieren hat, so ist
es schwer, sich viel mit ihm zu besprechen. Es müßte daher eine
Lange Geschichte werden, ja sehr verdrießlich für mich, da H. v. B.
für Musik nichts als die Libussa geschrieben hatte." — Ferner heißt es
in jenem Brief: — »was mich aber angeht, so will ich lieber selbst Homer,
Klopstock, Schiller in Musik setzen, wenigstens wenn man auch Schwierig-
keiten- zu besiegen hat, so verdienen dies diese unsterblichen
Dichter" etc. etc. Es leuchtet also ein, daß Bemard dem Tondichter
weder als Mensch noch als Dichter irgendwie imponieren konnte, wenn
er ihn auch ferner als Genossen seiner Tafelrunde dulden mochte. Jeden-
falls dürfen wir ihn kaum geeignet halten, die Seele Beethovens zu er-
fassen und zur Darstellung zu bringen. — Wie dem nun auch sein mag.
Briefe Beethovens an Bernard liegen vor. Ich bin nunmehr in der Lage,
an einem dieser jüngst bekanntgegebenen Briefe nachzuweisen, daß
dieser Brief nicht von Beethoven geschrieben sein kann.
Hier stehe zunächst der fragwürdige Brief:
»MOdling, am 10. Oktober
Lieber Bemardus von Sanctusl
Ich bitte also daß Sie Mittwoche kommen wollen Karl mitzubringen lassen Sie
ihn doch seinen Mantel mitnehmen da es abends schon kühl wird — wegen Salzburg
glaobe ich, am besten sei es, daß der Verschwiegenheit wegen ich Karl selbst bin-
bricbte, nor kann dies vor Aofoogs November nicht sein, ich glaube daß er leicht
dasjenige, was dort in der Schule gelehrt wird, dort einholen kann, wir haben aber
noch vorher erst auszumachen, daß die Mutter nicht hinkann. Gastein ist deswegen
auch ein Anstoß — und dann die Schule?! Wie wenn erst ich wieder.... viel-
leicht könnte man auch einen Paß auf uns drei R. K. und mich machen lassen und
ich blieb beroach hier, so brauchten wir erst nicht wieder die Oberbinterschaft an-
zugehen und erreichten doch unseren Zweck. — Was glauben Sie, Sie können mir
dies Mittwoche in einem Augenblick was wir K. bei R. lassen sagen — Blöcblinger
hat noch einen Mantelsack da, ich bitte, bringen Sie mir diesen mit, da ich nun bald
von hier mich gedenke wegzubegeben — mit meiner Wohnung die ich verlasse, geht
es sehr gemichlich, ich kann alles dalassen noch nach der Ausziehzeit — nun handelt
es sich noch, daß die Wohnung ausgemalt werde, für die Augen durfte Hellgrün am
besten sein, wird aber wohl viel kosten, obscbon ohne alle Zierraten, Sie würden mir
eine große Gefilligkeit erzeigen, wenn Sie sehen, ob der Besitzer meiner künftigen
Wohnung schon ausgezogen? Bis 13. Dieses zur Mittagzeit muß er schon ganz ge-
riumt haben, man könnte ftüber schon die Zimmer malen, damit sie bald trocknen,
verstehen Sie sich nicht darauf, so fragen Sie bei Steiner im Paternostergissel, es
braucht aber Eile — Eile — Eile -- nicht mit Weile — Von K. noch keine Zeile als
böser Wille, wie getagt, das empfangene Geistgift der Fr. M .. . Hinterschaft steckt
noch tief. — Unterdessen werde ich ihn Mittwoche doch zu packen wissen, so, daß
er wohl bald wieder zu sich kommen wird. — Also ich erwarte Sie und Weissen-
bach mit K. gewiß, die Auslage des Fiakers werde ich Ihnen nebst den Weg-
geldern gleich hier vergüten, leben Sie wohl
Eiligst der Ihrige.«
3^
36
DIE MUSIK Vll. 13.
X
Dieser Brief kann nicht von Beethoven herrühren.
Beweis:
1. Der Brief ist von Mödling am 10. Oktober datiert.
2. Es steht unwiderlegliclPFest, daß Beethoven sich nur in den drei
Jahren 1818, 1819 und 1820 während der Sommerszeit in Mödling auf-
gehalten hat, weder vorher, noch nachher. Das steht nach allen Beethoven-
Biographen absolut fest, von Schindler an bis zu Thayer-Deiters im vierten
Band von Beethovens Leben.
3. Nun beachte man die von mir gesperrt gedruckten Worte in
diesem Briefe: »Also ich erwarte Sie und Weissenbach [!!??] mit K. gewiß."
Wie kommt das in diesen Brief?
4. Wie kommt Weißenbach nach Mödling? Dr. Aloys Weißenbach,
der herrliche Beethoven-Enthusiast, der Verfasser des Textes zu der von
Beethoven für den Wiener Kongreß 1814 komponierten Kantate »Der
glorreiche Augenblick" (op. 136) machte sich im Hochsommer 1814 von
seinem Wohnsitz Salzburg nach Wien auf, wo er die persönliche Bekannt-
schaft Beethovens machte. Die Erlebnisse und Erinnerungen seiner Reise
hat Dr. Weißenbach in einem in Wien im Jahre 1816 erschienenen Buche
unter dem Titel niedergelegt: «Meine Reise zum Kongreß, Wahrheit und
Dichtung. Von Dr. A. Weißenbach.* In diesem Buche ist ein herrlicher
Abschnitt über Beethoven enthalten. (Man vergleiche die Biographieen von
Schindler, Nohl und Thayer; dann besonders Dr. G. Nottebohm in seinen
»Beethoveniana* von 1872, Aufsatz XXVIII: Beethoven und Weißenbach).
5. Dr. Weißenbach ist aber seit dem Jahre 1815 gar nicht mehr mit
Beethoven in persönliche Berührung gekommen; er hat nur noch mit
Beethoven korrespondiert. Er lebte wieder in Salzburg und wirkte enthu-
siastisch für die Sache Beethovens. Einen Brief von ihm an den Meister
vom Jahre 1819 bewahrt das Beethovenhaus in Bonn.
6. Es müßte der Nachweis geführt werden können, daß Weißenbach
noch während der Jahre 1818, 1819 und 1820 in Wien und in Mödling
gewesen ist. Sonst kann dieser Brief nicht als von Beethoven herrührend
angesehen werden; es müßte denn also die Authentizität dieses Briefes
bezweifelt werden.
Wie dem nun auch sein mag: Mögen diese Briefe Beethovens an Bemard
echt sein oder nicht, sie tragen nichts dazu bei, das Bild von Beethoven
in irgend einer Beziehung neu zu gestalten.
Jener Brief aus Mödling müßte jedenfalls erst im Faksimile vorgelegt
werden.
116. Theodor von Frlmm«]: Beetbovea-Siudleo II. Bauileine lu einer
Lebeniteschicble des Meiflerr Verlag: GeorfMOIIer, Mflacbea and
Leipzig 1906.
Ein pomphafter Titel olinc ealsprecta enden Hintergrund. Der Verhaser bietet eine
FBlIe von Kleinigkeiten dar, die nicbia in beaagen baben. Schon Im Voivort beweist
er, daa ihm ObJekllTitit hblt, lumal In Sachen der Beetbor enbriefe. Wir lesen da:
.Ebenatt fehlt eine kriiiache Auagabe aller BeetboTeobrlefe. Die Sacbe sollte einmal
ordentllcb gemacht werden. Die Annnge iweier verschiedenen Ausgaben, die jetzt hastig
snt den Markt geworfen werden, versprechen nicht viel,' Ea felgt eine Reibe armseliger
Sklnen, bei denen ganz bciondera eine durctaaua tinwiaaenschaft liehe, geradem bis inr
Petfldle gebende Art des Zitlereni lutage ttltt. Hier einige Beispiele. Es Ist von Beet-
hovens Kopisten die Rede. Da lieat man (S 8, Note): .Der Irnum mit dem angeblichen
Kopisten kehrte aoch wieder In der ,SonnlagabeIIage' znr .Voaslacben Zeltung' vom 28. Jnli
1888 und bei Kaliscber ,Neue Beeihoveobrlefe*". Nun, die aVossIscbe Zeitung" bat nichts
dsrfiber geschrieben, sondern Dr. Ksilacber in der .Vosalscben Zeitung*, ebenderselbe
In den .Nenen Bectbovenbrlefen", — aber wo? So wie es bler zitiert erscheint, lIBt
sicta's Qberhanpt nicht kontrollieren. S. 9 ist von einem Konversationalle ft Nr. 34 die Redc^
snd dabei heiSt ea; .vgl. die ,Mnalk' 1905/S'. Nnn, die .Mnalk" hat daa Kon veraatio nabelt
licht neu heraoagc geben, sondern Dr. Ksllscber, womit Oberhaupt zum erstenmal, solange
es eine Beethoven feracbting gibt, ein solches Konversationsheft verSITentllcht wnrde
Ferner Seite 10, Notel: .Vgl. in dieser und den folgenden Stellen Nohl, ,Bricfe Beet
bovens* Nr. 25Z, 258, 266, 268, 272, 326, Gberdles Ksllscber, ,Nene Beethoven briefe* *, —
aber wo? Ferner S. 15. Es ist von einem Briefe an den Kopisten Rsmpel die Red»,
Und da lesen wir; .Der Brief Ist bSchat lückenhaft bei Nohl, besser In der Sonntag»-
bellage zur .Vosslscben Zeitung* vom 28. Juli 1889 mitgeteilt.' Nnn, die .Vossische
Zeitung" hst nichts mitgeteilt, sondern Dr. Ksllscber In der Voaaiachen Zeltnng. Bin
kraases Beispiel liefert die Skliie .Der kleine Franz Liait" (S. 93(1.}. Diese Frage (Liast
und Beethoven) habe Ich auf Grund der Konversatlonahefte znm eraten Male omA
diesen besten Quellen beleuchtet und die Resultate der Forschung in der .Neuen ZeH-
schtin ffir Musik' Im Oktober 1891 (.Der kleine Franz Liszt und Beethoven') nieder-
gelegt Frimmei eniblBdet sieb auch gar nicht, die von mir mit großer Mühe ansBndig
Cnmachien Stellen des Konversationsbeftes so auszu schreiben, ala wiren sie von tbm ent-
deckt worden, aber weder wird der Aufeatz von mir, noch ich selbst dabei zitiert, wihrend
CS bei Ptimmel beißt: .Vgl. ,Neue Zeitschrift fSr Musik* 1881, Nr. 97". Nun, die .Nene
Zeitschrift fOr Musik" hat nichts über den kleinen Liazt geschrieben, sondern Dr. Ks-
Uscher. Von solcher pciSden Art und Telse lleflen sieb noch viele Beltplele anführen.
In diesen Tagen gerade Ist der llngat erwartete IV. Band der Tbayer-Deltersachen Beet-
hoven blographle eracblenen. Und dort kann man wieder einmal die einzig richtige,
•Chi wlssenschsflllche Art des Zitierens Reden.
38
DIB MUSIK VII. 13.
Ein anderer Mißstand bei dieser langen Serie von Niaiserieen und Qulsqullien ist die
Lusty als Wiedericiuer am eigenen Stoff zu erscheinen. So wird die Sldzzö über »Kaff
Friedrich Hirsch*, die wir bereits sattsam aus desselt)en Autors .Neue BeeChOTeniana**
kennen, hier wieder dargeboten (S. 53—71), ebenso der Artllcel »Der Klavierspieler Beet-
hoven* (S. 201—272), den wir schon in den »Neuen Beethoveniana' auf 67 Seiten kennen
gelernt haben. Nehmen wir dazu noch den langen Aufsatz »Beethovens Nachlaß*, nach
von Seyfried, Thayer (S. 160—201), dann haben wir in diesem sich spreizenden Nichts
104-724-32» 123 Seiten, die ganz unnötig in diesen sogenannten Bausteinen stehen,
so daß man sich firagen muß, wozu wird denn ein drittes Buch zusammengebraut?
Dem Rest des Dargebotenen gebührt also jedenfalls nicht der anspruchsvolle Titel von
»Bausteinen*, sondern kaum von Zementkörnchen zur Verkittung bei wirklichen Bau-
steinen.
117. Beethoven« Jahrbuch. Herausgegeben von Theodor von Frimmel. Erster
Band. Verlag: Georg Mfiller, Mönchen und Leipzig 1006.
Unter den Aufsitzen dieses Beethoven-Jahrbuches sind mir zwei beachtenswetft
erschienen: 1. Beethoven und die Grazer musikalischen Kreise von Prof. Dr.
F. Bischoff in Graz. Eine Studie ihnlichen Inhalts ist bereits im vorigen Jahre von
Otto Erich Deutsch erschienen. Aufklirungen, die man bei Deutsch vermißte, finden sich
auch in diesem Aufeatz nicht. Der Artikel ist jedoch frei von den Wunderlichkeiten,
die die Deutsch*sche Arbeit entstellen. 2. Ein unausgeführt gebliebener Plan
Beethovens von Hans Voikmann. Dieser jüngste, vortreffliche Beethovenforscher
unternimmt es hier, von einem bisher völlig unbekannten Projekt Beethovens zu sprechen,
das ihm mit Recht f&r die Charakteristik des Meisters Bedeutung hat, als es Zeugnis
von seinem toleranten, von jeder konfessionellen Engherzigkeit freien Sinn ablegt: Beet-
hoven erwog im Jahre 1825 die Komposition einer Festkantate zur Einweihung eines
Judentempels in Wien. Das wird recht interessant und erschöpfend, namentlich an der
Hand der Konversationshefie, in denen Volkmann sehr zu Hause ist, ausgefShrt Beet-
hoven mußte aber schließlich den Plan aufgeben. — Ein Hauptabschnitt des Jahrbuchs
betitelt sich »Briefe", in dem ^Kl^ Herausgeber das Wort führt. Dr. Frimmel hilt sich
ja bekanntlich zur Herausgabe von Beethovenbriefen für besonders berufen. Daß ihm aber
alle notwendigen Eigenschaften dazu fehlen, das habe ich in meiner »Kritischen Ausgabe
der Beethovenbriefe* vielfach nachgewiesen. Das würde ja für jeden Einsichtigen volU
auf genügen. Da aber der Herausgeber hier den Referenten in unqualifizierbarer Weise
angreift, muß dieser noch einige Worte zur Abwehr zum besten geben. Frimmel, von
dem der Nachweis geführt ist, daß er nicht drei Zeilen von Beethoven-Originalen
diplomatisch getreu wiedergeben kann, unternimmt es gleichwohl, meine Briefpublikation
zu kritisieren (z. B. die Beethovenbriefe an das Haus Breitkopf & Hirtel). Einen Brief
an Breitkopf & Hirtel habe ich wie im vorliegenden, als Manuskript gedruckten La
Mara-Heft~»Ungedruckte Briefe Beethovens" Wien, 1& Oktober 1802 datiert (Briefe Nr. 87,
I. Band). Genau nach dem La Mara-Heft habe ich: »beyde sind auf eine wirklich
ganz neue Manier bearbeitet". Da ich, wie ich ausdrücklich bemerkt habe, diesen Brief
nicht nach der Urschrift geben konnte, trifft die sich daran reihende Frimmmelscho
Kritik nicht mich, sondern La Mars. Beim dritten Briefe aus derselben Quelle erregt
sich Frimmel, weil ich diesen Brief mit dem charakteristischen Revers von Artaria be-
schloß, das darauf noch folgende Postskriptum aber aus wohlerwogenem Grunde fortlieft.
Die zweite Seite des Briefes ist von mir nicht übersehen. In meinem Druckhefc ist
auch dieses Postskriptum mit einer Reihe von Korrekturen versehen; der Brief sollte
aber mit dem Revers (S. 103 des I. Bandes) abschließen. Nun, man kann dem Heraus^
geber diese kleine Freude als Pflaster auf die schwere Wunde gönnen, die ihm de?
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
Nictaweli elDM atwolnten FililSkats (i. die krititche Autfibe der Bsetbovenbriefe II. Band,
Nr, 481) tescblacen hat Der Heranaceber dea Jalirbucfai iit nie nm eine AnaRocbi
Torlegen: alteln hierbei — aelbat In (einem Jabrbucta — Ist aeine Zange zum Sc&weJgen
(ebracbt Den Brief aelbat, den leb, vle fiberall, aelbatvera Und lieh In Bectbovena Hand*
acbrift — aJao dentacb — wlederfegeben babe, bat Frimmel In (ani uDwiaa«nacbafiIick«r
Teisa mit lateinlactaen Typen TerbOsert nad ao daa Urbild aenlSrt Die bereila in
der varitan Reienalon ter&cte UnvIaaeDacbaflirchkeit dea Heratiacebera beim Zitieren
maebt alcb anch bler wieder breit; leb veraaia aa mir abar, taier aocbmala Belaplele
daffir aninfStaren; der Belaplele bei der vorigen Besprecbunc elnd Dbercanot-
Alfr. Cbr. Kaliaeber
118. H.Toa derPfordten: Beetbovan. (Ans: aTlsaenacbaft und Blldnng", Nr. 17).
Verlac: Quelle & Mcjer, Leipzig.
Daa Portrtt des Meisters von Franz Stnclc Ist wie ein Motto dlaaem Bficbleln
voraaceaatzt: mit aeiner erscbQttcmden Auffasausf dea K&netlertums, den wie In tin-
kelmllcbem Inneren Feuer blitzenden Aucen, dem wirren Haar, den berbea, bitteren
Zflcan nm Naae und Mund. Daa Bucb tat dieses Mottos wGrdlg; aus einer Ibsa ga-
ringelten Kette von UnlTeraltiltaTorleBungen und von popullren Vortrlgen bat der Ver-
fasser ein Games gemacbt, la dem gerade das kfinstleriscbe Tesen, der Kern der
Fenamatnr Beethovens In prlcbtlger Vollendung zum Auadmck, zur Geltung gebracht
^rd. Ein popullr gehaltenes Bucb fiber einen gewaltigen Stoff zu athreltien, iai nldit
ao leicht, wie vielleicht der Laie glaubt; um ao mehr ist von der Pftordten zn beglfick-
wflnschen: es ist ibm geinngen, wirklich für Leser ana den verschiedensten Kreisen zu
schreiben und dabei doch dem großen Stoff die Treue in halten. Und wenn aucb, wie
er In der Einleitung so beachelden veralctacrt, sein Bnch nicht dazu bestimmt war,
irfeodeln anderea, achon bestehendes Terk zu ersetzen: dne Erglnznng Im besten
Sinne ist die Arbalt wohl Im Hinblick anf die achon vorhandene Baethoven-Litaratnr zu
nennen. Vle viel Orglnalltit anch In Ibr aiackt, zeigen Abachnitte wie der Bber die
.MlB8aaoIemnla''(S. lOOffO, fiber die .Erolca"(S.45ff.), die .Pasiorals' (S. 52ff.) n. a. m.
Dar letztgenannte Abschnitt la( besoodsra reich an Anregungen, Ina Allgemeinere
aich wendenden Exkursen und voll des Hebten, verstlndnls vollsten Eingehens anf die
PersSntIchkeit dea Kfinatlera; was da Gber das Teaen und die Arten der Tonmalerei,
Aber den Zuaammentaaog der Programmnalk mit dem inneraten Seelenleben dea ScbSpfera
wie des daa Terk gcnleOenden HSrera gesagt wird, Ist vollauf bcracbtlcl und aahr
badeniaam. Jeder Beethoven freund, sowie jeder Freund der Kunst fiberbanpt kann seiaa
helle Freude an dem B&cbieia haben. Dr. Egon v. Komortynski
Aus französischen Zeitschriften (Fortseauag)
LE COURRIER MUSICAL (Ptris) 1907, Nr. 10-24. — Der Auteatz »De Tordrc d'acqul-
sition des connaissances musicales** von M. Daubresse untersucht die psycho-
logischen Gesetze, nach denen musikalische Kenntnisse erworben werden. — Victor
Debay bespricht in dem Auteatz „La Salomö de Richard Strauß k Paris" dieses
Werk und seine erste Aufführung in Paris. — Jean d*Udine bespricht in dem
Aufsatz „A propos de gymnastique rythmique** rühmend die Unterrichtsmethode
Jaques-Dalcroze's. — In Heft 11 handeln alle Aufsitze, außer den Berichten Ober
Aufführungen, von russischer Musik: Um zu beweisen, daß die russische Musik
in Frankreich schon 14 Jahre vor ihrer allgemeinen Anerkennung sehr bekannt
war und sehr gut verstanden wurde („6tait trds connue et trds comprise*y, wird
aus dem Jahrgang 1893 der „Revue Hebdomadaire" der Auteatz „Boris Godounof
de MoussorBski** von Paul Dukas wieder abgedruckt. — Robert Brüssel ver-
öffentlicht unter dem Titel „L'opöra russe** eine Geschichte der russischen Oper
bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Unter dem Aufsatz steht „A suivre*;
eine Fortsetzung ist aber nicht erschienen. — M.-D. Calvocoressi führt in
dem Aufsatz „Le röpertoire de la musique russe** (Nr. 11 und 12) die wich-
tigsten Werke der russischen Musikliteratur an. — Pierre Aubry berichtet über
das russische Volkslied („Le folk-lore musical russe**). — Jean d* Udine's Auf-
satz „Leur oreille et leur coeur'* handelt von dem russischen Volkscharakter, wie
er besonders in den Werken von Borodin, Rimsky-Korssakow und Musftorgsky
zum Ausdruck kommt — Über russische Musikschriftsteller, besonders über Stassow,
Cui und Tschaikowsky, handelt der Aufsatz „La critique russe sur la musique russe'
von C.de Danilowicz (Nr. 11 und 12). — Aus dem neuen Werke „Hulda et Ghi-
selle de C6sar Franck^ von Charles van den Borren wird ein Abschnitt über
die Stellung dieser zwei Opern im Entwicklungsgange C6sar Franck's abgedruckt
(Nr. 12). — Jean d'Udine bespricht sehr ausführlich die im Mai 1907 veranstal-
teten fünf russischen Konzerte in der Großen Oper in Paris. — Camille Mauclair
wird durch einen« Aufenthalt in Prag, wo er einer Aufführung der „Libussa" bei*
wohnt, veranlaßt, einen Aufsatz über „La ,Libuse' de Smetana" (Nr. 13) zu
schreiben. — Aus dem Werke „Smetana** von William Ritter wird ein langer
Abschnitt über „La musique tchdque avant Smetana*' abgedruckt. — Ober das
achte Schweizerische Tonkünstlerfest berichtet ausführlich Paul de Stoecklin in
dem Auteatz „La f6te de l'Association des musiciens suisses k Luceme". — Die
Kompositionen Magnard's bespricht Gustave Samazeuilh („Alb6ric Magnard";
Nr. 14). — Henri Kling veröffentlicht zahlreiche Briefe Goethes an Zelter und
Zelters an Goethe in französischer Übersetzung („La correspondance musicale de
Goethe et de Zelter*; Nr. 14—19). — Über die Eröffnung des neuen Gebindes
der ungarischen Musikakademie berichtet Louis Napoleon Hackl „L*inauguration
du palais de TAcadömie de musique de Budapest**). — Unter der Ol>erschrift
„Causerie sur Schubert et le Lied allemand** (Nr. 15—18) veröffentlicht Camille
Mauclair Teile aus zwei Vorträgen, die er in den Konzerten von Marie Mockel
in Paris, in denen diese Schubertsche Lieder vortrug, gehalten hat. — Der Auf-
41
REVUE DER REVUEEN
satz „Les F6tes musicales d'Orange'' von Paul Leriche (Nr. 15—16) bandelt von
den großen Musikfesten in dem antiken Theater in Orange in Südfrankreich, wo
auch die Neunte Symphonie von Beethoven aufgefiihrt wurde. — Kurze Nachrufe
auf Edvard Grieg und Joseph Joachim stehen in dem Doppelheft 17—18 («Edvard
Grieg'' von Albert Diot, Joseph Joachim**). — H. Kling veröffentlicht in dem
Aufsatz „Mozart et Voltaire** zwei von den Biographen Mozarts bisher nicht be-
achtete Briefe, die Voltaire 1766 an Madame d'Epinay und Damilaville richtete,
und in denen er sein Bedauern darüber ausspricht, daß er durch seine Krankheit
verhindert gewesen sei, den Besuch Mozarts während seines drei Wochen langen
Aufenthaltes in Genf zu empfangen. Vielleicht hat auch die Revolution in Genf
im Jahre 1766 ein Zusammenkommen der Familie Mozart mit Voltaire verhindert.
— Alfred Mortier sagt in dem Aufsatz „La France musicale d'hier et d'aujourd'hui",
daß vor 25 Jahren in Frankreich die Klavierwerke Beethovens und Mendelssohns
weit verbreitet, aber die Werke J. S. Bachs und Schumanns sehr wenig, die C6sar
Franck*s und Brahms' fast gar nicht bekannt waren. Um Wagner zu hören, habe
man nach Bayreuth reisen müssen. Jetzt habe die Musikpflege sowohl in Paris
wie in der Provinz einen grolkn Aufschwung genommen, und auch der Geschmack
des französischen Volkes habe sich geändert. Auch in der Literatur zeige sich
dieser Umschwung: Th. Gautier, Vigny, Musset, Stendhal und Balzac hätten noch
wenig Verständnis für Musik gehabt; heute seien aber die meisten französischen
Schriftsteller große Musikfreunde, was hauptsächlich durch den Einfluß Richard
Wagners zu erklären sei. Die musikalische Produktion in Frankreich, die früher
vornehmlich der leichten Musik sich zuwandte, sei jetzt durch Chabrier, d'Indy,
Gabriel Faur6, Bruneau, Debussy, Charpentier, Dukas, G. Hue u. a. auf eine
Stufe gehoben, daß sie mit der deutschen wetteifern könne. — Eine längere ge-
schichtliche Abhandlung von J. Loi sei handelt von dem Ursprung der Sonate
(„Les origines de la sonate**; Nr. 19—21). — Aus der „Revue et Gazette musicale"
vom 1. April 1840 wird Richard Wagners Aufsatz „Le musicien et la publicitd**
abgedruckt (No. 19). — M. Daubresse veröffentlicht einen Aufsatz über „LMmagi-
nation musicale** (No. 20). In der Einleitung sagt er, daß „die geistige Arbeit, die
dem musikalischen Schaffen vorangeht**, bisher selten von Psychologen untersucht
worden sei und daß wir die Gesetze der musikalischen Phantasie weniger kennen
als die der anderen Arten der Einbildung. Daubresse erörtert auch die Wichtigkeit
einer psychologischen Untersuchung der musikalischen Einbildung für die Musik-
geschichte, die Pädagogik und die Ästhetik. — Aus der „Revue Internationale de
Musique** wird ein Teil des Aufsatzes „Le premier concert donn6 par Wagner ä
Paris** von V. de Joncidres abgedruckt. — In dem Aufsatz „Trop de concerts! —
Trop d'artistesl* (No. 21) klagt Kritikos über die zu große Anzahl der Konzerte
in Paris, Berlin und Amerika. Der praktische Erfolg, auf den die Virtuosen bei
der Veranstaltung ihrer Konzerte hofften, werde selten erreicht. Daß in Paris das
Obel noch nicht so groß sei wie in Berlin und Amerika, rühre vielleicht daher,
daß es in Paris nicht so viele Konzertsäle gebe. Auch das Geschäft der deutschen
Konzert-Agenturen bespricht der Verfasser, auf Grund eines Aufsatzes von Spanuth
in den „Signalen**. — Unter der Überschrift „De Tinterpr^tation musicale** wird die
Obersetzung eines Abschnittes aus der Violinschule von Joachim und Moser
abgedruckt, der auch Schumanns „Haus- und Lebensregeln** enthält. — Gustave
Samazeuilh bespricht in dem Aufsatz „Paul Dukas** (No. 22) eingehend die
Werke dieses Komponisten, dessen „Ariane et Barbe-Bleue** er zu den bedeutendsten
musikalischen Werken unserer Zeit zählt. — Jean d'Udine wendet sich in dem
HL
42
DIE MUSIK VII. 13.
Artikel „Images et signes phoniques^ gegen einige der von Daubresse in dem
Aufsatz in No. 20 ausgesprochenen Ansichten. — Aus dem neuen Werke „Mendels-
sehn'' von Paul de Stoecklin wird ein Abschnitt abgedruckt, der einen kurzen
Überblick über Mendelssohns Schaffen gewährt. — H. Gauthier-Villars wendet
sich in dem Aufsatz „Saint-Saens, Jean d'Udine et la clart6'' (No. 22) gegen einige
Einwände, die d'Udine in seiner Vorrede zu den Konzertberichten dieser Saison
(No. 20) gegen des Verfassers Ansichten über moderne Musik erhoben hat —
In No. 23 wird die Diskussion fortgesetzt durch den Aufsatz „Encore un
mot sur la clart^** von d'Udine, in dem er auch zwei Briefe von Lionel
Dauriac veröffentlicht. — Michel Brenet bespricht in dem Aufsatz „Un
nouveau document sur les commencements de l'op^ra russe** das soeben von
Emest Daudet veröffentlichte Werk „Lettres du comte Valentin Esterhazy k sa
femme** und druckt einige Briefe daraus ab. Graf Esterhazy lebte von 1791 an
am Petersburger Hof. In den Briefen berichtet er über dort aufgeführte Opern.
— Ein längerer Aufsatz von Fran9oi8 Sternay handelt „Sur Timpr^cision et le
mouvement dans Tart musical** (No. 23 — 24). — Aus einem Aufsatz in der „Revue"
von Camille Mauclair wird ein Abschnitt über „Les chapelles musicales en
France** abgedruckt (No. 23), der von den Musikkapellen und der Musikkritik in
Frankreich handelt. — Gaston Carraud veröffentlicht unter dem Titel „Un chan-
teur Italien. Delle Sedie** (No. 24) eine Lebensbeschreibung des Ende 10Ö7 ge-
storbenen Sängers und Gesanglehrers. — Georges Pioch schreibt einen be-
geisterten Artikel über die Sängerin Lucienne Br6val („Lucienne Br6vtl*).
MERCURE MUSICAL ET BULLETIN de la Soci6t6 internationale de Musique,
Section de Paris (Paris) 1007, No. 2-8. — Der Aufsatz „F^licien David d'apris
sa correspondance inödite et celle de ses amis** von J.-G. Prod'homme (No. 2-3)
bringt eine Biographie des Komponisten und zahlreiche in der Bibliothdque de
l'Arsenal in Paris (Fonds Enfantin) liegende, bisher nicht veröffentlichte, sehr
interessante Briefe Davids und seiner Saint-Simonistischen Genossen.^) — Armande
de Polignac veröffentlicht einige Aphorismen .unter der Überschrift „Pensdes
d'ailleurs** (No. 2). — J. £corcheville stellt in dem Aufsatz „La musique dans
les soci6t6s savantes de la France^ die in Lasteyrie's Werk „Bibliographie gfin^nüe
des travaux historiques et arch^ologiques publikes par les Soci6t6s savantes de la
France** (1888) aufgeführten musikhistorischen Arbeiten zusammen. — C. Pons
berichtet über einen Vortrag von G.-J. Aubry über „Verlaine et la musique con-
temporaine**. — Paul Marie Masson untersucht in dem Aufsatz „L'humanisme
musical en France au XVI. sidcle^ (No 4, 5 und 7) den Einfluß, den in der Zeit der
Renaissance das Studium der alten Griechen und Römer auf die Musik und auf
die Vorstellungen der Dichter von der Musik ausübte. — Der Aufsatz „Les ^coliers**
von Louis Laloy (No. 4) wendet sich gegen einige ungünstige Urteile, die eine
Gruppe junger Musiker und Schriftsteller über Debussy ausspricht — Mar-
tial Teneo spricht in dem Aufsatz „Un mariage d'artistes au XVIIIe sidcle* die
Ansicht aus, daß das „lyrische Drama** Lulli's und Rameau's seinen Erfolg haupt-
sächlich dem Ballet („l'art chor^graphique**) verdanke und berichtet dann über das
Leben der Tänzerin Louise Madeleine Lany (1728—77), insbesondere über ihre Ehe
mit dem Tänzer G61in. — Gaston Knosp's „Notices sur Richard Strauß** enthalten
Mitteilungen über Strauß' Leben und Schaffen; am ausführlichsten handeln sie
') Vgl. Prod'homme's Aufsatz „Fölicien Davids Reise nach Deutschland** in unserer
Zeitschrift V, 23.
M
43
REVUE DER REVUEEN
von seiner «Salome*. — J. £corcbeville kritisiert in dem Aufsatz „La
scholl cantorum et le style de Bacb** die Aufführungen des Konservatorium»
Schola cantorum in Paris. — Emile Dacier veröfPentlicht in dem Aufsatz «Une
danseuse fran9aise k Londres au d6but du 18. sidcle** eine Biographie Marie
Sall^'s (No. 5 und 7). — Henry de Busne bespricht sehr lobend die Oper «Ariane
et Barbe-Bleue de Paul Dukas" (No. 5). — A. Tchobanian übersetzt eine aus-
fuhrliche, zahlreiche Notenbeispiele enthaltene Studie von Le R. P. Komitas
fiber »La musique rustique arm6nienne*. — Auf Grund von Dokumenten in
Pariser Notariatsarchiven veröffentlicht Lionel de la Laurencie in dem langen
Aufsatz „Quelques documents sur Jean-Philippe Rameau et sa fämille'' (No. 6)
Mitteilungen über Rameau's Leben von seiner Heirat (1726) bis zu seinem Tode
(1764) und fiber das Leben seiner Kinder bis zur Revolution. — F. Macler ver-
öffentlicht «Notes d'histoire sur Salom6 la danseuse". — J. £corcheville fordert
in dem Aufsatz „Les textes de musique ancienne et leurs r66ditions modernes*,
daß die musikalischen Werke früherer Jahrhunderte mit solchen Erginzungen und
Erläuterungen veröffentlicht werden, die die alte Musik dem Geschmack des
heutigen Hörers nahebringen und doch den berechtigten Forderungen nach
historischer Treue entsprechen. Der Verfasser kritisiert dann mehrere neue Aus-
gaben alter Musik und wendet sich am Schluß gegen die Auffassung Bachscher
Musik, die Eugen d'Albert im Vorwort seiner Ausgabe des „Wohltemperierten
Klaviers* ausgesprochen hat. — Louis Laloy bespricht unter der Oberschrift
«Theorie musicale* ausführlich die neuen Bücher „Les bases physiques de la
musique* von H. Bouasse und „La musique, ses lois, son Evolution* von Jules
Combarieu. — Ricciotto Ca nudo drückt in dem Aufsatz „L'esth^tique de Verdi et
la culture musicale italienne' (No. 7) zunichst seine Freude darüber aus, daß
die Italiener anzufangen scheinen, sich von dem ausschließlichen Kultus der
Opemmusik abzuwenden und die symphonische Musik mehr als bisher zu pflegen.
Dann bespricht er auf Grund einiger von Alessandro Luzio veröffentlichter Briefe
Verdi's dessen Anschauungen von der Musik. Verdi habe mit dem Rufe „Zurück
zum Alten* die Italiener in den Netzen der alten Oper festhalten wollen, als die
jungen Talente schon Neigung zeigten, sich von ihnen zu befreien. — L. William
Ritter veröffentlicht „Notes sur Smetana*, die in seinem soeben erschienenen
Werk über diesen Komponisten wegen Mangels an Raum nicht mitgedruckt wurden.
— Aus dem Werke „Catalogue des manuscrits de musique byzantine des bibllo-
thdques de France* von A. Gastouö, das die französische Sektion der Inter-
nationalen Musikgesellschaft demnächst herausgeben wird, wird das lange Kapitel
über „L'ancienne musique byzantine et sa notation* abgedruckt (No. 8). — £douard
Perrin bespricht unter dem Titel „Un livre de Lac6pdde sur la musique* das
1785 in Paris erschienene Werk „La po6tique de la musique*, das, wie Perrin glaubt,
ganz unbeachtet geblieben oder vergessen worden ist. — Der Aufsatz „Lohengrin
k Paris en 1881* besteht zum größten Teil aus Übersetzungen aus Angelo Neu-
manns „Erinnerungen an Richard Wagner*. — Gaston Knosp berichtet unter dem
Titel „Un manifeste de R. Strauß* über den in der ersten Nummer der Zeit-
schrift „Morgen* erschienenen Aufsatz von Strauß und die Polemik, die der
Artikel in deutschen Musikzeitschriften angeregt hat — No. 9 entbilt einen sehr
langen Aufsatz von Gaston Knosp über „La musique indo-chinoise*. — A.deBertha
veröffentlicht eine eingehende Studie über Liszts Charakter („Franz Liszt*; No. 9
und 10), in der er auch eigene Erinnerungen mitteilt (Schluß des Berichtes fiber
diese Zeitschrift im nichsten Heft.) Magnus Schwan tje
KRITIK
OPER
BERLIN: Das Lortzing-Theater brachte
eioe recht achtbare, von Kapellmeister
M. Grimm sorgfiltig vorbereitete AufTuhrung
von Beethovens „Fideüo', in der der Minner-
chor wesentlich verstirkt worden war. Eine in
jeder Hinsicht ausgezeichnete Leistung bot Emmy
Schwabe in der Titelrolle. Angenehm fiel der
junge Tenorbuffo Max Kuttner (Jacquino)
wieder auf. Die Aufführung der großen Leonoren-
Ouvertüre vor dem zweiten Finale ist meines
Erachtens in kfinstlerischer Hinsicht durchaus
ungerechtfertigt und auch völlig fiberflGssig.
Wilh. Altmann
BRAUNSCHWEIG: Das Hoftheater ehrte
Wagner gelegentlich seines 25jihrigen
Todestages durch die strichlose Aufführung des
Nibelungenringes unter schwierigen Verhilt-
nissen, denn infolge der grassierenden Influenza
war der rote Zettel an der Tagesordnung. So
erschien hier eine ganze Reihe von Gisten, die
ohne Proben einsprangen, sodaß das Gelingen
mehr oder weniger vom Zufall abhing. Im
.Rheingold" kam Strahtmann-Weimar (Albe-
rich), in der »Walkfire« Frau Th o m a s - S c h w a r t z -
Hannover (Sieglinde), im «Siegfried" Hadwiger-
Koburg (Titelheld) und Frl. R eil 6 e- Magdeburg
(Erda), endlich in der «Götterdimmerung*
G r o e b k e - Hannover (Siegfried). — «Tiefland * von
d*Albert «zieht* namentlich auch infolge der
trefflichen Leistungen von Frl. Lautenbacher
(Martha), Cronberger (Pedro) und Spies
(Sebastiane). Ernst Stier .
BRESLAU: Eine Auff&hrung des lieben, alten
«Wildschütz* pflegt gewiß kein besonderes
Ereignis zu sein. Aber eine Wiedergabe des
behaglichen Werkes, wie sie uns jüngst Kapell-
meister Prüwer bereitete, gehört dennoch zu
den Seltenheiten. Das musikalische Ensemble
war ebenso fein getönt, wie das schauspielerische
(Regie: Herr Kirchner) und die Mitwirkenden
(Damen: Mac Grew, Neisch, Wolter, Weiß,
Herren: Schauer, Höpfl, Günther-Braun)
überboten sich gegenseitig an munterer Laune,
die aber stets den Stil Lortzingscher Fröhlichkeit
zu bewahren wußte. So enthüllte sich der sonst
meist eilfertig und grob heruntergeleierte «Wild-
schütz" als das, was er in Wahrheit ist: das
Muster einer deutschen komischen Oper. —
Wagners 25. Todestag begingen wir mit der
«Götterdimmerung*. Ein bedauerlicher
Zwischenfall trübte den von den Herren Prüwer
und Kirchner sehr sorgfiltig vorbereiteten
Abend. Herr Trostorf f, unter normalen Um-
stinden ein Siegfried von schier unerschöpflicher
Stimmkraft, wurde im zweiten Aufzug heiser.
Im dritten Akt steigerte sich die Indisposition
so rapid, daß nach der Rheintöchter-Szene der
Vorhang fallen mußte. Die Jagdszenen und
Siegfrieds Tod blieben fort, und erst mit der
Trauermusik nahmen die Ereignisse ihren Fort-
gang. Noch ein zweites Opfer flel der Influenza.
Statt des Herrn Witte köpf, der den Hagen
verkörpern sollte, erschien unser früherer Bassist
Döring als düsterer Albensohn, der im übrigen
eine ausgezeichnete, scharf charakterisierte
Leistung Dörings ist. Hocherfreulich war die
Brünnhiide der Frau Rabl-Kristen, deren
glinzendeTi starker Sopran die gewaltige Auf|gabe
mühelos bewiltigte. Die Gutrune der Frau
Verhunk, die Rheintöchtcr der Damen Mac
Grew, Förster, Schereschefsky, die Wal-
traute des Fri. Neisch, der Günther des Herrn
Höpfl, der Alberich des Herrn Schauer waren
durchweg von hohem künstlerischen Geiste be-
seelt. Wir bitten somit eine würdige Wagner-
feier erlebt, wenn das eben geschilderte Miß-
geschick der Vorstellung erspart geblieben wire.
Dr. Erich Freund
pvRESDEN: Unser Opernpublikum ist von
'^ einem Fanatismus erfeßr, den man einmal
auch in diesen Blittem streifen muß, weil er
für die Psychologie der großen Menge sehr be-
zeichnend ist. Karl Burrian ist der Gegen-
stand dieser Begeisterung, die ja sicherlich in
den hervorragenden gesanglichen und dar-
stellerischen Eigenschaften dieses Tenoristen
ihre Erklirung flndet, aber vernünftigerweise
doch nicht soweit getrieben werden sollte, daß
das Theater leer bleibt, wenn er auf dem Zettel
fehlt, und daß andrerseits eine so wenig wert-
volle Oper wie Mandns «Acte' ausverktufle
Hiuser bringt, nur weil Burrian darin die Haupt-
rolle singt. Es ist nach alledem kein Wunder,
wenn der auf diese Weise verzogene Helden-
tenor das berechtigte Selbstbewußtsein zur Launen-
haftigkeit werden lißt und durch Absagen der
Direktton und den Theaterbesuchern kaltblütig
die größten Unannehmlichkeiten bereitet. Viel-
leicht kommt das Publikum wihrend der Amerikt-
ftihrt Burrians etwas zur Einsicht; l>esitsen wir
doch in Herrn von Bary einen Heldentenor von
hervorragenden Qualititen und wichst doch in
Herrn Sembach ein Tenorist heran, der bereits
einige Rollen Burrians mit großem Erfolge ge-
sungen hat. Die Schwirmerei der Kunstflivnnde
für einen Singer ist an sich gewiß sehr er-
fireulich, aber sie darf nicht zur Vemachlisslgung
anderer Künstler werden. — Da man eine Zeit-
lang von «Acte' zehren konnte, ist im König-
lichen Opemhause der Spielplan der letzten
Wochen sehr gleichförmig gewesen; nur ein
Gastspiel des Bassisten Herrn Förster, der
sich um die Nachfolgerschaft des leider aus-
scheidenden Herrn Wächter bewarb und als
Falstaff und Landgraf Herrmann recht gute Ein-
drücke hinterließ, brachte einige Abwechslung. —
Der Heldentenor der Königlichen Oper zu Kopen-
hagen, Wilhelm Herold, erledigte im Opem-
hause ein Gastspiel, das er mit dem Tnriddn
aufs Glinzendste einleitete. Einen so lebens-
wahren Vertreter dieser Rolle hat man hier kaum
jemals gesehen. Doch erreichte der Gast, dessen
Stimme von sympathischem Klang und wohl-
geschult, aber keineswegs groß und heldenhaft
ist, die Höhe dieser darstellerischen Leistung
nicht wieder, so daß die hohen Erwartungen, die
er zuerst erweckt hatte, sich nicht voll ver-
wirklichten. Immerhin hatte der Künstler auch
als Canio, Lohengrin (den er deutsch ssng) und
Don Jos6 betrichtlichen Erfolg. Von unseren
heimischen Kriften hat sich in letzter Zeit der
Baritonist Herr Plaschke eine erste Stellung
erobert. Ausgestattet mit einer der schönsten
Baritonstimmen, die man jemals gehört hat, ist
er neuerdings auch darstellerisch so glücklich
vorwirts geschritten, daß sein König Markig
Tonio, Kühlebom als hervorragende Knnst-
leistungen gewürdigt werden müssen. Andli
3iR_
45
KRITIK: OPER
EHMbeth Boehm-Tan Endert hat als Undine
aufi neue den Beweis dafOr erbracht, daß unser
Ensemble in ihr eine sehr schitiens werte junge
Kraft gewonnen hat F. A. Geißler
DOSS^DORF: Das Repertoire bewegt sich
seit Monden in sehr ausgetretenen Bahnen.
Nichtsdestoweniger gab es auch einige voll-
wertige Theaterabende. Vor allem kam der
«Ring des Nibelungen* zu einer wirklich
gennßbietenden Vorführung. Dabei zeigte sich
wieder Alfons Schützendorf als ganz hervor-
ragender Wotan und gewann die Brfinnhilden-
partie durch das mehrmalige Gastspiel der Hof-
opemsingerin Thila Plaichinger aus Berlin
an Reiz. Wagners Todestag wurde besonders
würdig begangen, indem Ernst von Possart
den «Parsifal* rezitierte, woran sich die Konzert-
anfführung des Vorspieles, des Charfreitags-
xaut>ers und Finales (unter solistischer Mit-
wirkung von Kriften unserer Oper) anschloß. —
Zur Erstaufführung gelangte Verdi's «Falstaff*
und zwar in geradezu mustergültiger Wieder-
gabe. Da war Gustav Waschow ein ausge-
zeichneter Falstaff, Schützendorf ein famoser
Ford und zeigte selbst die kleinste Rolle eine
tadellose Besetzung. Wie üblich, kam zur
rheinischen Karnevalszeit dann die leichtge-
schürzte Muse der Operette ausgiebig zur Be-
rücksichtigung. A. Eccarius-Sieber
FRANKFURT a.M.: Der befdedigende Verlauf
eines auf Engagement zielenden Gastspiels
von Mizzi Fink vom Wiener Jubiliumstheater
und das erste Auftreten unserer bisher nur im
jugendlich-drsmstischen Fach verwendeten Frau
Hensel- Schweitzer sls Fidelio seien kurz
verzeichnet Den etwa daraus hervorgehenden
Konsequenzen wird man im ersteren Fall mit
Vertrauen entgegensehen dürfen, falls Frl. Fink
wenigstens vorliuflg bei reinen Soubretten partieen
belassen wird. Das zweite Experiment ist ge-
teilten Meinungen begegnet; auf alle Fille würde
es verfrüht scheinen, etwa eine neue Rollen-
disposition darauf zu begründen.
Hans Pfeilschmidt
HALLE a. S. : Bisher übte die » Lustige Witwe*
in unserem Musentempel eine förmliche
Schreckensherrschaft Selbst ihre begeistertsten
Verehrer atmeten erleichtert auf, als sie eines
Tages aus dem »Walzertraum* erwachten. Spit,
doch nicht zu spit erschien Eugen d'Albert als
Hüter des Grals mit seiner liebenswürdigen
Lustspieloper »Die Abreise* und wirkte
ordentlich befreiend auf das Gemüt Herr
Bergmann bot einen prichtigen »Gilfen*.
Nicht ganz so glücklich traf den Lustspielton
Sofie Wolf; Herr Barr6 blieb mit seinem
»Trott* am weitesten zurück. Kapellmeister
Mörike leitete die geschmackvoll inszenierte
Aufführung mit feinem Stilgefühl.
Martin Frey
UAMBURG: Aus dem Stadium des »in Vor-
'^ bereitung*, in dem sie sich seit Jahren
bei uns befanden, sind endlich zwei kleine Opern
hersQS und zur Aufführung gelangt: Albert
Gorters »Süßes Gift* und »Das ewige
Feuer* von Richard Wetz. Einen Erfolg
konnten beide Opern nicht erzielen. Gorters
Werk deshalb nicht, weil weder die viel
SO breite und in possenhsften Ulk ausartende
Hsodlongi noch die sehr nachempfundene.
manchmal witzige, aber im ganzen doch un-
ergiebige Musik ein dauerndes Interesse wach-
halten konnten. Wetz' Oper hatte sehr unter
einer völlig ungenügenden Aufführung, die mit
Recht einen scharfen Protest des Komponisten
in der hiesigen Tagespresse zur Folge hatte, zu
leiden. Man hatte das doch immer hochgewollte,
auf vornehmsten künstlerischen Prinzipien
basierende Werk hier zunächst zu einem Torso
zusammengestrichen und die Einstudierung einem
jungen, unerfahrenen Dirigenten anvertraut, der
sich der nicht leichten Aufgabe in keiner Weise
gewachsen zeigte. Außerdem hatte man die
zweite Garnitur ins Treffen geschickt und damit
von vornherein beim Publikum den Verdacht
wachgerufen, daß die Direktion selbst an einen
Erfolg kaum glaube. Daß trotz alledem das
Werk einen gewissen Achtungserfolg davontrug,
spricht dafür, daß der verständigere Teil der
Zuhörerschaft sich dessen sehr wohl bewußt
wurde, daß man über einen Musiker, wie Wetz,
mag seine Erstlingsoper auch noch so unbeholfen
sein, nicht ganz ohne weiteres zur Tagesordnung
übergehen darf. — Als einzig angenehme
Erinnerung aus der Tätigkeit unserer Oper bleibt
eine Aufführung von »Tristan und Isolde* haften,
die zum Benefiz des Kapellmeisters Gustav
Brecher mit Edith Walker und Birrenkoven
in den Titelpartieen stattfand und erneut Zeugnis
dafür ablegte, welch ganz außerordentliche Kraft
unser Institut in seinem ersten Kapellmeister
besitzt Heinrich Chevalley
HANNOVER: Am 22. Februar ging nach fast
31jihriger Pause Cornelius' »Barbier von
Bagdad* in der Königl. Oper neueinstudiert
in Szene. Das von den Herren Kapellmeister
Brück und Oberregisseur Derichs musikalisch
wie szenisch mustergültig vorbereitete Werk
wurde in der vom Komponisten stammenden
Originalfassung — also nicht in der Mottlscben
Modemisation — gegeben und fand gerade in
dieser Originalgestalt mit ihrer feinen, dezenten
Instrumentation eine überaus herzliche Auf-
nahme. Die Titelrolle sang und spielte Rudolf
Moest mit der diesem ausgezeichneten Künstler
eigenen vollendeten Gesangs- und Charakte-
risierungskunst Das Liebespaar Nureddin-
Margiana fand durch Franz Battisti und Marga
Burchardt eine vorzügliche Vertretung, und
auch die Nebenrollen waren mit den Herren
Hummelsheim und Bischof, sowie Frau
Hammerstein trefflich besetzt Wundervoll
spielte das Orchester, glanzvoll, mirchenhaft
schön war die Ausstattung. — Vom 21. bis
25. Januar fand hier eine zyklische Aufführung
von Wagners »Ring des Nibelungen* statt,
die einen derartigen künstlerischen und
Kassenerfolg hatte, daß noch zwei weitere
folgen sollen. In den Hauptrollen waren die
Damen Thomas-Schwartz, Rüsche- Endorf,
Kappel, Burchardt und Hammerstein, so-
wie die Herren Gröbke, Bischof, Moest,
Hensel aus Wiesbaden, um Herrn Gröbke
zu entlasten, Hummelsheim, Wilhelmy,
Meyer und Rabot titig. Kapellmeister Brück
bewältigte die Riesenaufgabe, dieses Kolossal-
werk innerhalb fünf Tagen ohne Strich zu
leiten, mit bewundernswerter Energie und Frische,
Vorzüge, die auch der Orchesterieistung eigen
waren. L. Wuthmann
46
DIE MUSIK VIL 13.
mS30
JOHANNESBURG: Die Oper hat in unserer
Stade im vergangenen Jahre rechte Vemach-
lissigung erfihren. Wheeler ließ aus England
uns Operetteotruppen kommen, deren Reper-
toire das minderwertigste Genre repräsentierte
und nur den fadesten Geschmack hefriedigen
konnte. Mehr kGnstlerisches Streben zeigten
Theateraufführungen hiesiger Dilettanten. Diese
hielten sich zwar auch an leichte, aber doch
etwas wertvollere Stfieke wie obengenannte.
Mr. Tressi fährte mit seinen Schülern Sulli-
van'sche Operetten auf, sowie Supp^'s „Boccaccio**,
und auch die Deutschen schwangen sich zu
einer gut gelungenen Aufführung der Zellerscben
Operette «Der Vogelhindler*" auf und wurden
mit Beifall überschüttet.
M. von Trützschler
KARLSRUHE: Als wirkungsvolle Novität
brachte die Hofbühne P u c c i n i's «B o h 6 m e".
Puccini's Tonsprache besitzt wirklichen Kunst-
wert und übertrifft die seiner Landsleute Mas-
cagni und Leoncavallo, an die man, wie an
Bizets »Carmen*, des öfteren erinnert wird, zwar
nicht an dramatischer Schlagkraft, wohl aber
hinsichtlich des ganzen Aufbaus, des Strebens
nach Einheitlichkeit des Stils und des treffenden
Ausdrucks, der in der geistreichen Art der Ver-
wendung prägnanter, Personen und Situationen
charakterisierender Motive gipfelt. Manchmal
berührt die musikalische Ausdrucksweise selt-
sam; Sentimentalitit und Orchesterlirm fehlen
auch nicht, aber als Ganzes betrachtet, ist die
„Boh6me* ein effektvolles, bühnenwirksames
Werk. Die von Dr. Göhler anregend geleitete
Aufführung verlief bei vorzüglicher Besetzung
der Hauptpartieen mit Hermann Jadlowker
rRudolpb), Kithe Warmersperger (Mimi),
GisellaTercs (Musette) und Jan vanGorkom
(Marcel), sowie prächtiger Ausstattung sehr ge-
nußreich. — Sigrid Arnoldson gastierte in
„Mignon* und „Romeo und Julia* als Vertreterin
der Titelpartieen und hinterließ mit der geist-
und glanzvollen Art der darstellerischen und
gesanglichen Durchführung starken Eindruck.
Franz Zureich
KÖLN: Eine Neueinstudierung von Aubers
«Stumme von Ponici* vermochte nicht den
erhoffcen vollen Erfolg zu bringen, da einmal
Albin Trenklers Leitung eingehendere Nüancie-
rungen und das für dieses Freiheitsdrama wün-
schenswerte Temperament vermissen ließ, dann
aber die Balletmeisterin Fernande Robertine
sich für die rührende Gestalt der jugendlichen
Fenella nicht geeignet erwies, Franz Petter
als Masaniello nur bedingt genügte, Paul Landry
als Prinz schwach war und schlielilicb die Regte
bei prichtigen neuen Dekorationen einige Fehl-
griffe beging. Trefflich war Tilmann Liczewsky
als Pietro. — Als Amneris und Fides betätigte
Marie Mosel-Tomschik von Graz, daß sie
sich als die für unsere Oper gesuchte erste
Altistin nicht qualifiziert. — Otto Lohse rief
als Interpret der teilweise neu besetzten und
demgemäß neu einstudierten „Meistersinger*
Bewunderung wach und wurde vom Auditorium
stürmisch gefeiert. Fesselnder und erfri-
schender als durch Lohse kann ich mir aller-
dings den Geist und zumal auch den Humor
der Vagnerschen Partitur nicht ausgelegt denken.
Die ausgezeichnete Primadonna unserer Oper,
Alice Guszalewicz, erzielte neuerdings mit
ihren glanzvollen Darbietungen als Ortrud und
Donna Anna außerordentliche Eindrücke. Franz
Naval, der erstmalig hier gastierte, gewährte
als Romeo und Don Jo86 erfreulichen Ein-
blick in die feine und aparte Art seiner Kfinstler-
schaft. Paul Hiller
MAILAND: Es ist unbegreiflich, wie die
„Scala* eine Bum-bum-Oper des „grölten*
Stils, wie Franchetti's „Columbus*, in ihren
Spielplan aufnehmen konnte. P. Amato gab die
Titelpartie zu süß und zu verzückt; es war ein Weib
in Manneskleidern. — Charpentier's „Louise*
ist gewiß ein sehr ernstes, nicht alltäglichea
Produkt, leidet aber unter dem Gegensatz zwischen
Handlung und Musik. Eine einfache Familien-
geschichte wird gepaart mit schwerflüssiger
Wagnerischer Musik. Die Aufführung unter
Toscanini mit Alda Francis, F. Girand,
L. Garibaldi war mit Ausnahme der schleppen-
den Tempi gut ^ Eine glanzvolle Leistung bot
E. Burzio als Gioconda; ihre unbändige Spiel-
und Singweise kam der Rolle sehr zu statten;
auch R. Grassi, Amato und die Pietrat*
schewska waren gut am Platze.
Johann Blnenbatim
MAINZ: Nachdem mit „Madame Butterfly* and
„Rosalba* bereits zwei italienische Opem-
komponisten zu Wort gekommen, entschloß sieb
die Direktion des Stadttheaters, nunmehr mach
dem Werke eines deutschen Meisters bei ans
Heimatsrecht zu verschaffen. Engend 'Alberte
neueste Oper „Tragaldabas* war es, die in treff-
licher Besetzung der Hauptpartieen unter Kapell-
meister Klausners Leitung erstmalig in Szene
ging und einen, wenn auch keineswegs durch-
schlagenden, so doch sehr freundlichen, für den
liebenswürdigen, leider in letzter Stunde am Er-
scheinen verhinderten Komponisten höchst
ehrenvollen Erfolg erzielte. Die Achillesferse
des Werkes ist, wie so häufig, der Text
Die mehrfiche Aufeinanderfolge der gleichen
Situationen, der teilweise sehr derbe, den
guten Geschmack verletzende Dialog und noch
manches andere haben dem Komponisten
Schwierigkeiten in den Weg gelegt, deren er nur
sehr unvollkommen Herr zu werden vermochte.
Daß d' Albert sich, wie stets, so auch in seinem
neuesten Werke als feinfühliger, gediegener
Musiker zeigt, ist wohl selbstverständlich; leider
fließt die musikalische Erflndung so schwach, daß
selbst die geistreiche Behandlung des Orchesters
darüber nicht hinwegzutäuschen vermag. — An
sonstigen besonderen Ereignissen wäre noch zu
erwähnen ein Gastspiel von Sigrid Arnoldson
als Traviata, zwei vorzügliche Vorführungen der
„Walküre* und „Götterdämmerung* und endlich
die 25. Aufführung der „Lustigen Witwe*, die
jetzt durch Oskar Straus' „Walzertraum* ein
wenig in den Hintergrund gedrängt wird.
Fritz Keiser
\M ONCHEN : Eine Letztauffübrung fand Februar
^^^ im Hofheater statt — Erstaufführung dürfte
ein deplaziertes Wort sein bei einer Sache, die
schon über fast sämtliche Opembühnen Deutsch-
lands gegangen ist — > nämlich die von Eugen
d' Alberts „Tiefland*. Da Sie schon eine
Reihe von Berichten aus anderen Städten erhalten
haben, dürfte es sich erübrigen, hier nochmale
näher auf das Werk selbst einzugehen. Dem
47
KRITIK: OPER
•P
ReHerenten persönlich sagt die zu einem nicht
immer fibereeagenden aber gut gemachten Text-
bach von Rudolph Lothar geschriebene Musik
d'Aiberte in ihrer Mischung von Wagnerscher
I>nimatik, italienischem Verismus und — man
▼erzeihe das harte Wort — Operettenaliiiren
als Ganzes wenig zu. Was ihr berechtigten
Erfolg TerschaiTt, ist die Geschicidichkeit, mit
der sie sich allen Erfordernissen des Librettos
anpaßt, die Sicherheit und die Schlagkraft in der
melodischen und harmonischen Zeichnung, die
feinsinnige Instrumentation. All das vermag, be-
sonders im zweiten Akt, der auch weite Strecken
von echter und wirklicher Schönheit enthilt, Ober
die stilistische Inkongruenz der musikalischen
Bestandteile und ihren manchmal etwas zweifel-
haften Wert sehr wohl hinwegzutiuscben. Der
Erfolg war groß und unbestritten, dank auch einer
ganz vorzöglichen Aufführung. Pur die Martha
dfirfte schwer eine Besetzung zu finden sein, die
den ziemlich gegensätzlichen Anforderungen der
Rolle vollkommen gerecht wird. Prl. Pass-
bender arbeitete die tragische Seite der Partie
meisterhaft aus und bot auch gesanglich eine
aasgezeichnete Leistung. Den Sebastiane sang
Brodersen mit famoser Charakteristik, den
Pedro Hagen ganz überraschend gut. Als Nuri
zeichnete sich sehr Frl. Brunn er aus, als
Tommaso und Moruccio die Herren Bender und
Lohfing. Felmys Nando und die drei neu-
gierigea Frauen der Damen Koch, Höfer und
V. Fladung vervollstindigten entsprechend das
Ensemble. Ausstattung (Klein, Buschbeck)
and Inszenierung (Fuchs) ließen nichts zu
wfinschen fibrig; Qber jedes Lob erhaben war
wieder die musikalische Ausgestaltung unter
MottL Dr. Eduard Wahl
^EW YORK: Heinrich Conried wird nach
^^ Verlauf dieser Saison nicht mehr «Manager*
des Metropolitan -Opernhauses sein, weil seine
Gesundheit ganz zerrfittet ist. Unter ihm haben
»Parsifel«, »Hinsei und Gretel«, «Salome«,
»Madama Butterfly', »Pedora* ihre erste Auf-
fQhrnng erlebt; im ganzen hat er mehr für die
Italienische als für die deutsche Oper getan;
die fhmzösische ist von ihm fast ganz vernach-
lisslgt worden. Man baut große Hoffnung auf
die neuen Managers, Gatti-Casazza, der seit
fest sehn Jahren die Mailinder Scala verwaltet
hat und Andreas Dippel, der, seit 17 Jahren
hier als Tenor engagiert, mit den hiesigen Ver-
hältnissen intim vertraut ist. Gustav Mab 1er
wird ihm zur Seite stehen, wihrend Gatti-
Casazza seinen Toscanini mitbringen wird.
Wahracheinlich wird Alfred Hertz, der seit
einigen Jahren alle Wagneropern hier dirigiert
hat, auch bleiben. Er ist ein ausgezeichneter
Wagnerinterpret, nur ist unter ihm das Orchester
oft zu laut und er weigert sich, die hier aus
praktischen Gründen wünschenswerten Striche
zu machen. In diesen Punkten hat Mabler,
zur Oberraschung des Publikums und der Presse,
gleich andere Wege eingeschlagen. Er paßt sieb
den hiesigen Verhiltnissen auffallend schmieg-
sam an. Besonders haben seine «Don Giovanni*-
Auff&hrungen Anklang gefunden. In der nichsten
Saison wird der .Oberen* in seiner Bearbeitung
gesungen werden, und zwar in englischer Sprache.
— Wihrend Conried die französische Oper ver-
nachlissigt, hat Hammerstein im Manhattan
geradezu eine Spezialitit daraua gemacht
Renan d hatte er schon letztes Jahr; dazu hat
er vor zwei Monaten den „Stern" der- Opöra
Comique in Paria, die schottisch-amerikanische
Singerin Mary Garden, engagiert; die beiden
sind seither in sieben Aufführungen von
Massenet's „Thais" aufgetreten. Durch Mary
Garden, die Bressler-Gianoli, Dalmorea
und Gilibert wurde es auch möglich,
Charpentier's „Louise" aufzuführen. Mit echt
französischem Esprit gesungeh und gespielt, hat
die Oper einen wirklichen Erfolg errungen. Zur
Abwechslung bekamen wir dann Giordano's
„Siberia", eine italienische Oper, die auch ziem-
lich gefallen hat, dank verschiedenen russischen
Volksliedern, die der Komponist in seine Parti-
tur eingeflochten hat, und den pittoresken sibi-
rischen Szenen, die den Hintergrund der
Tragödie bilden. Nach dieserOper kam endlich eine
Novitit, auf die man sehr gespannt war: „Pelldaa
und M^lisande". Diese Debussy'sche Oper
war vorher nur in Paris, Brüssel und Frankfurt
aufgeführt worden. Hammerstein war klug ge-
nug, einzusehen, daß ein so außerordentlich
schwieriges und eigentümliches Werk nur durch
eine vollendete und echt französische Auf-
führung gelingen könne; er importierte daher
fast die ganze Originalbeaetzung (Mary Garden
hatte er schon), und die Oper wurde wirklich
ganz musterhaft herausgebracht Ob sie hier
populir werden wird, ist sehr zweifelhaft. Eine
Oper, aus der die Melodie absichtlich sowohl
im Gesang wie im Orchester verbannt ist, hat
hier keine Aussicht. — Neben der französischen
Oper hat Hammerstein noch die sehr profltable
Tetrazzini, die mit ihrem hohen Koloratur-
gesang hier gerade wie in London Furore ge-
macht hat. Henry T. Finck
PARIS:DieKomischeOper verdient weniger
als je ihren althergebrachten Namen, denn
die beiden Neuheiten, die sie uns am 26. Februar
bot, gehören dem Stoff und der Musik nach zum
Schwirzesten, das sich denken lißt. Im Übrigen
war der Unterschied sehr groß, denn der Ein-
akter „Ghyslaine* von Marcel Bertrand nach
einem Textbuch von Guiches und Frager ist
eine völlig unreife Anfingerarbeit, wihrend „La
Habanera" von Raoul Laparra, dem ersten
Rompreise von 1903, nicht nur große technische
Fertigkeit, sondern auch bemerkenswerte Spuren
von Originalitit aufweist. Raoul Laparra ist,
wie Charpentier, mit dem er sich offenbar am
nichsten berührt, sein eigener Textdichter. Er
erhebt sich sogar bis zum Verseschreiben und
tat sehr gut daran, so dürftig Verse und Reime
auch sein mögen, denn der Versrhythmus kommt
der Musik doch viel mehr entgegen, als derjenige
der Prosa. Als Musiker ist Laparra vor allem für
klaren energischen Ausdruck der dramatischen
Stimmung und für Bevorzugung des melodischen
Elements, nicht nur im Orchester, sondern sogar
in den meist sehr gut bebandelten Sing-
stimmen. Er wird sich darauf gefaßt machen
müssen, von den Dindysten, Debutsysten und
Ravellisten als Reaktionir verschrieen zu werden.
Wie Charpentier in der „Louise", so ist auch
Laparra von einem Tagesereignisse, dem er zu-
fillig beiwohnte, ausgegangen. Am Hochzeitstage
ermordet der eifersüchtige Bruder, ein derber
Bauer Altkastiliens,den Briutigam, ohne als Titer
48
DIE MUSIK VII. la.
entdeckt zu werden. Er schwört selbst an der
Leiche Rache. Ein Jahr später ist er auf dem
Punkte, das junge Midcben, das nun ihn liebt,
zu heiraten, aber das Gespenst des Ermordeten
erscheint ihm und befiehlt ihm, der Braut seine
Schuld zu gestehen, wenn er nicht wolle, daß er
sie ins Grab nach sich ziehe. Der sehr kurze
dritte Akt spielt auf dem Grabe des Ermordeten.
Der Mörder macht vergebliche Anstrengungen, das
verhingnisvolle Wort auszusprechen, aber das
Jahr verrinnt ungenützt und die Braut sinkt
entseelt nieder. Er entflieht in die Dunkelheit, die
auch seinen Geist umfangen hat. ,»La Habanera*
heißt dieses grausige Stück düsteren Volkslebens,
weil zur Zeit des Mordes vor dem Hause der Brüder
dieser Tanz aufgespielt wird, den das Brautpaar
zusammen eröffnen wollte. Die Gewissensbisse
des Mörders und die wehmütigen Erinnerungen
des Mädchens führen immer wieder auf das
Motiv dieser Habanera zurück, die Laparra eigens
so gebildet hat, daß sie sich leicht den düstersten
Harmonieen und Orchesterwirkungen anbequemt.
Ein neuer Bariton namens S6veilhac, der
prächtige Stimmittel mit dem Talent eines
echten Tragöden verbindet, Frl. Dem e liier,
die namentlich durch den Timbre ihres Mezzo-
soprans bestrickt, und der als Opfer weniger
begünstigte Tenorist Salignac brachten eine
hervorragende Aufführung zustande, aber fast
noch größer war das Verdienst des ungemein
energischen Dirigenten Ruhlmann und der
kunstsinnigen Ausstattung des Direktors Albert
Carr6. Nach dem bunten Sevilla der «Carmen*
wurde uns hierein fast ganz in Schwarz getauchtes
Kastilien geboten, wo die Braut selbst am
Hochzeitstage nur durch ein weißes Brusttuch
die schwarze Seide aufzuhellen wagt
Felix Vogt
PRAG: Das deutsche Theater hat mit der
Uraufführung von Karl La fites Volksoper
,»Das kalte Herz* eine Niete gezogen. Der
Textdichter (Hoernes) und der Komponist wett-
eifern in Undramatik; das freundliche lyrische
Talentchen des Musikers war dem dämonischen
Stoffe Hauffs nicht im entferntesten gewachsen.
— Interessant war ein Gastspiel von Alvarez,
der als ]o%€ nur stellenweise wirkte, hingegen
als Prophet eine hochbedeutende Leistung bot.
Ja, so müssen diese Opern gesungen werden,
wenn sie Eindruck machen sollen. Da lernt
man erst, was Meyerbeer wollte und — konnte.
Eine Festvorstellung des ^^Don Juan* zur
25. Gründungsfeier des deutschen Theatervereins
mit Soomer in der Titelrolle bewies leider,
daß man dieses Werk auch in der Stadt, für die
es geschrieben ist, nicht mehr stilgerecht auf-
führen kann.— Der Wagnergedenktag wurde
vom Theater auf besondere Weise begangen.
An ein Wagnerkonzert schloß sich ein Festspiel
(vom Unterzeichneten), das eine wichtige Episode
aus Wagners Leben behandelte und in dessen
Kontext der zu Gast geladene Josef Kainz
als Richard Wagner den Entwurf »Wieland
der Schmied* las. Natürlich ging es da hoch
her. — Im tschechischen Nationaltheater
feierte die Destinn während eines längeren
Gastspiels Triumphe. Eine große Balletpanto-
mime ,»Von Märchen zu Märchen* mit
Musik von Nedbal erwies sich bei vorzüglicher
Aufführung als ein Treffer und wird gewiß den
Weg ins Ausland finden. Der Stoff ist zum Teil
höchst originell, die Musik farbenreich, schlag-
kräftig, melodiös. Dr. Richard Batka
ST. PETERSBURG: An der Kaiserlichen Hof-
oper gab es ein gewissermaßen sensationelles
Ereignis. Zum wohltätigen Zweck gelangte die
Operette ,»Die lustige Witwe* mit ersten Hof-
theaterkräften und anderen Koryphäen zur Auf-
fuhrung. Das gab einen seit langem nicht er-
lebten Kassensturm trotz der fabelhaft erhöhten
Preise. Ferner brachte die Hofoper die mehr-
fach verschobene Aufführung der Oper »Nal
und Damajanti* von Anton Arensky. Das
Textbuch ist von Modest Tschaikowsky be-
arbeitet. — In der Privatoper im großen Saale
des Konservatoriums nimmt vor der Hand Maria
Gay das ganze Interesse des Publikums in An-
spruch. Bernhard Wendel
TRIER: In der Woche vom 18.-23. Februar
ist hier ,»Der Ring des Nibelungen*
zum erstenmal und zwar geschlossen zur Auf-
führung gekommen. Viele ängstliche Gemüter
standen diesem Unternehmen sehr skeptisch
gegenüber, zumal die Aufführung nur mit eigenen
Kräften, ohne Hinzuziehung auswärtiger Solisten
in Szene gesetzt werden sollte. Aber das Werk
ist in jeder Beziehung in hervorragender Weise
gelungen und zwar sowohl gesanglich wie dar-
stellerisch und in der Ausgestaltung der Szenerie,
die für einzelne Teile des »Ring* mit bedeutendem
Kostenaufwand von der Kunstanstalt Professor
Lütkemeyer, Koburg, in stilgerechter Weise an-
gefertigt war. Vor allem ist anzuerkennen, daß
Direktor Heinz Tietjen, der den »Ring* selbst
inszenierte und dirigierte, die Aufführungen auf
eine Höhe brachte, daß sie sich getrost den
Aufführungen an bei- weitem größeren und
bedeutenderen Bühnen ebenbürtig zur Seite
stellen können und in der Chronik Triers ganz
gewiß einen hervorragenden Platz einnehmen
werden. Die Darsteller haben sämtlich ihre
Partieen ausgezeichnet durchgeführt. Ganz
besondere Anerkennung verdienen die wunder-
vollen Leistungen von Frl. Steyer (Pricka im
»Rbeingold* und die Brünnhilden), sowie die
Herren Reed (Froh, Siegmund und beide Sieg-
friede), der seine Riesenaufgabe glänzend bestand,
und Arnim (Wotan, Wanderer und Günther), der
ebenfalls mit großer Verve seine Partieen wieder-
gab. Auch die Damen Ravn (Freie, Sieglinde und
Gutrune), Kuntze (Pricka in der »Walküre* und
Erda), Kuntze, Dalvarezzo und Kunkel
(Rheintöchter) und die Herren Dlabal (Fafber,
Hundingund Hagen), Platz (Alberich), Berheine
(Mime), Maiden (Loge), Pöppel (Fasolt) und
Huber (Donner) waren würdige Vertreter ihrer
Partieen. 'AugustusDay
WIEN: In der Hofoper d'Albert*s »Tief-
land*. Mit jener Wirkung, die das Werk
bisher auf den meisten Bühnen erzielt hat.
Eine Wirkung des Lotharschen Textes haupt-
sächlich, dessen grelle Kraßheit genügend auf
die Nerven geht, um dramatische Spannung
vorzutäuschen. Und kaum eine der Musik, die
freilich auch nur dann möglich gewesen wäre,
wenn ein wirklicher Schöpfer diesen drama-
tischen Inhalt in Töne umsetzt, — in schmerz-
lich ursprüngliche, aus Not und Tumult heraus-
geborene Akzente, die den groben äußerlichen
Vorgang ins Bereich des Menschlichen rücken
49
KRITIK: KONZERT
und seelische Beziebungeii und Mö(elicbkeiten
herstellen, die den Hörer mit einem GefQhl des
Miteriebens und nicht nur des Mitansebens um-
stricken. Wird Aber keine solche Musik dazu
gemacht, so ist es auch ganz gleicbgfiltig, welche
Klinge all diese Vorginge begleiten: es ist jede
recht, weil das bloße Dazu-ertönen, das rein
sinnliche Klingen genfigt, um den gewünschten
Effekt hervorzubringen, der dann allerdings nie
zum dramatischen vordringt, sondern im iußer-
lich-sensationellen stecken bleibt. Leider ist
d'Alberts Musik von dieser Art; außerordentlich
gewandt, genau nach bewibrtem Rezept im
Treffen der Stimmung, durchaus klug und zu-
meist mit Geschmack enge dem Szenischen
angeschmiegt,— aber verdrießlich in dieser bloßen
Fertigkeit, die alles Innerliche und Ergriffene
verweht und in dessen buntscheckigem, aus
Wagnerschen und jungitalienischen Einflüssen
gemischtem Stil sogar nichts Persönliches liegt.
Nirgends eine Spur jener Eigenart, die den
SchöpfSer der „Abreise* wert gemacht hat. Die
Anfr&hrung, unter Schalks Leitung, ist ganz
vortrefflich: die Gut heil -Seh od er erschütternd
in ihrer gemarterten Leidenschaftlichkeit,
Schmedes erfrischend in treuherzig un-
geschickter Natürlichkeit, Demuth überzeugend
in zwingender Brutalitit. Trotzdem und trotz
alles Erfolges ein betrübendes Geffibl, einen
Tondichter, von dem man neue Gestaltungen
in eigenster Art erwarten durfte und auf dem
Gebiet des Musiklustspiels hoffentlich noch er-
warten darf, jetzt auf den Wegen einer Routine
zu sehen, die es ihm bald ermöglichen könnte,
als fachkundiger Experte eine „Schule der Ge-
liuflgkeit im Opemkomponieren* herauszugeben.
— In der Volksoper eine NeuauffQbrung von
Heubergers „Opemball^ Die Vorstellung
zum größten Teil sehr hübsch: Emmy Petko als
Henry sehr zierlich, Grete Freund als Hortense
und Anna v. Kellersperg sehr angenehm,
Herr H o f b a u e r ein heiter überzeugender, manch-
mal wohl ein wenig zu chargierter Provinzler,
wihrend Fri. Ritzinger versagt und Dr. Körte
stimmliöh und gesanglich unmöglich und in der
Haltung bestenfalls schablonenhaft ist. Das Werk
selbst dagegen reizvoller, frischer, vornehmer
wirkend als je. Die geistreichste Musikkomödie
dieser Art neben der „Fledermaus*, funkelnd
von Witz, ziervoll in der Erfindung, über-
schiumend von musikalischem Mutwillen. Der
wertvollste Wegweiser ins Operettenland der
Zukunft. Richard Specht
ZÜRICH: Es war mir nicht vergönnt, den Dar-
bietungen der Zürcher Oper immer zu folgen
Aber was ich hin und wieder hörte, trug den
Stempel guter szenischer Ausarbeitung und
gewissenhafter musikalischer Titigkeit. Zum
„Benefiz* des verdienten Kapellmeisters Lotbar
Kempter hatte man zur „Versunkenen
Glocke* Heinrich Zoellners gegriffen. Wabr-
scheinlich in Ermangelung anderer guter und
hier noch nicht gehörter neuerer Opern. Die
Auffuhrung brachte indessen keinen Erfolg. Wie
die der meisten Wagner-Epigonen, so erfuhr
auch Zoellners ehrliche, aber doch nicht ganz
flfissige Musik eine ziemlich laue Aufnahme. —
Nach wie vor dfirfen die Darstellungen Wagner-
scher Tondramen als Zentrum des Spielplans
gelten« In einer musikalisch durchaus tadel-
VIL la
losen „Tristan*-Auffuhrung hatte man neuerdings
Gelegenheit, die Bfihnensicherheit und Wagner^
begabung Nanny Zoders kennen zu lernen.
Die Künstlerin, die in der nicbsten Spielzeit in
Dresden sein wird, dfirfte sich bald in Deutsch-
land unter den Isolden vorteilhaft bemerkbar
machen. Herr M e r t e r, derzeit der einzige unter
unseren Tenören, der ernstlich ffir solche Partieen
in Betracht kommt, sang den Tristan mit viel
Verstindnis und Fleiß. Zur Durchführung in
Spiel und Stimme fehlt es, wie bei Siegfried,
an der großen Heldenbewegung und am grofi^n
Organ, eine Feststellung, mit der der kfinst-
lerische Wert der Leistung nicht herabgesetzt
sein soll. Viel Freude machen unsere Anfinger:
Erich Klinghammer, ein lyrischer Bariton
mit schönen ausgeglichenen Stimmitteln und
ausgesprochener musikalischer Begabung, FrL
von Fangh, eine Altistin, und FrL von Farn-
holz, eine Koloratur-Soubrette mit selten
graziösem Vortrag und ausgezeichneter gesang-
licher Schulung. Dr. Hermann Kesser
KONZERT
AMSTERDAM: Nach der glinzenden ersten
Tournee des Sevcik-Quartetts konnte un-
mittelbar darauf eine zweite mit dem gleichen Er-
folge stattfinden. Im ersten Konzert in Amsterdam
bescherte Julius Röntgen seinen zahlreichen
Freunden ein neues Werk, ein vornehmes Kla-
vierqutntett in einem Satz, das, vom Kom-
ponisten und den vier jungen Böhmen in hin-
reißender Weise zur Geltung gebracht wurde«
Das Abscbiedskonzert des Sevcik-Quartetts im
Hollindischen Theater brachte als Überraschung
das erste Auftreten einer ganz jungen nieder^
lindiscben Singerin, FrL Fannieila, die, im
Besitz glinzender Stimmmittel, durch ihren
temperamentvollen Vortrag von Liedern von
Carissimi, Tournemire, Schubert und Schumann
einen grolien Erfolg davontrug. — Stunden reinsten
Genusses brachten dieMesschaert-Röntgen-
und Flesch- Röntgen- Konzerte. Mit großem
Erfolge konzertierten femer Julia Culp und
die alten Böhmen. — In den Abonnemenits-
konzerten des Concertgebouw traten als Solisten
auf: Hermine Bosetti — prachtvolles Organ,
aber kalt lassend — und die warmblütige Pianistin
Marie Panthds. -- Ein neues Niederlindisches
Vokal- Quartett, bestehend aus den Damen
van der Linde, vandenHeuvel und Schi er-
beek, sowie den Herren van Schalk und van
Oort stellte sich vor, dessen Leistungen durch
größeres Einanderanpassen noch gewinnen
werden. Hans Augustin
ANTWERPFN: Im Konzertsaal ging es ver-
hiltnismißig ruhig zu. Solistenkonzerte
fehlen fast ganz. Die Gesellschaft „Nieuwe
Concerten* verschaffte uns den Genul^ das
famose Brüsseler Quartett aufs neue zu be
wundem. Ganz besonders interessierte Debussy's
Quartett in G-dur, dessen letzter Satz durch
orchestrale Kraft von großer Wirkung ist. Das
dritte Abonnementskonzert derselben Gesell-
schaft bot unter der kundigen Leitung Mortel-
man's einen genußreichen Abend. Strauß'
„Tod und Verklirang* wurde wie vor zwei
Jahren dankbarst aufgenommeiL In diesem
Konzert begrüßte man als Klaviervirtuosin eine
4
m
50
DIE MUSIK VII. 13.
alte Bekannte, Anna Falk, die, als Friulein
Mehlig vor Jahren eine Zierde der deutschen
KonzertsilCy bis heute ihre bedeutende Kunst
sich erhalten bat, und der der volle Tbeatersaal
mit Recht jubelnde Anerkennung zollte.
A. Honigsheim
DASEL: Unsere letzten Symphoniekonzerte
*^ brachten unter Hermann Suters an feuernder
Leitung neben bewährtem Altem verschiedene
neuere und neueste Werke. Max Regers
^»Variationen und Fuge über ein Thema von
J. A. Hiller*, die der Komponist selbst dirigierte,
fanden beim Publikum eine verständnisvolle Auf-
nahme, während die Wiedergabe von Brückners
,»Neunter*, mit ihrem langfädigen Adagio, zwar
freundlich, aber mitKopfschütteln quittiert wurde.
Einen sehr starken Erfolg hatte Hugo Wolfs
«Penthesilea* und ebenso Hans Hubers dritte
(Heroische) Symphonie, die vor einigen Jahren
hier ihre erste Aufführung erlebte. Ferner sind
Charpentier's «Impressions d'Italie* zu er-
wähnen und eine meisterhafte Interpretation des
»Till Eulenspiegel* von Strauß, dessen Werke,
dank Suters intimer Vertrautheit mit ihnen, in
Basel immer festeren Boden fassen. Von den
mitwirkenden Solisten nenne ich neben Erika
Wedekind die Herren Ernst von Dohnänyi
und Felix Senius. Die beiden Letztgenannten
betraten zum ersten Male unser Podium, und
beide wurden mit stärkstem Beifall ausgezeichnet.
Zum Schlüsse sei noch auf ein a cappella Konzert
des Basler Gesangvereins hingewiesen, der
Siegmund von Hauseggers «Requiem* für
achtstimmigen Chor in den weiten Räumen
unseres Münsters zu schöner Wirkung brachte.
Dr. H. Stumm
BERLIN: Für sein drittes Abonnementskonzert
hatte Siegfried Ochs mit seinem Philharmoni-
schen Chore vier Bach sehe Kirch enkan taten
einstudiert, war aber durch Abssge des durch
Krankheit verhinderten Pf ofessors Messchaert ge-
zwungen worden, mit seinem Programm noch
im letzten Augenblick eine Änderung vor-
zunehmen, d. h. statt der zwei neueinstudierten
andere, früher schon gebrachte Kantaten zu
wiederholen. «Ihr werdet weinen und heulen*,
«Christ lag in Todesbanden*, «Es erhub sich
ein Streit*, «Nun ist das Heil*, diese vier
Werke wurden gesungen, und dazwischen trug
noch George Walter die Bachsche Arie «Seht,
was die Liebe tut* vor. Für die treffliche
Disziplin der Sängerschsr legte der Erfolg des
Abends ein glänzendes Zeugnis ab; so sicher
fühlt sich der Dirigent seines Chores, sobsld
es auf früher einstudierte Bachsche Musik an-
kommt, daß er getrost es wagen kann, ohne neue
eingehende Proben sein Programm zu ändern.
Im Sopran wiikte als Solistin Anna Kaempfert,
im Alt Gertrud Fischer- Maretzki mit; auf
der Orgelbank ssß Musikdirektor Irrgang. —
Den letzten Symphonie-Abend der König-
lichen Kapelle dirigierte statt des aus-
gebliebenen Weingartner wieder Robert Laugf.
Zwischen Weingartner und der Königlichen
Intendanz ist der Streit jetzt so akut geworden,
daß nur noch das Schiedsgericht zwischen Recht
and Unrecht zu entscheiden hat. Zu beklagen
ist es, daß es dahin hat kommen können.
Das Programm enthielt die «Domestica* von
Richard Strauß, Webers .Freischütz*-Ouvertüre
und Beethovens «Siebente*. Des schwierigeo
Straußseben Werkes zeigte sich Laugs vollständig
Herr, die verwickelte Thematik kam durchaus
klar heraus. Auch die Einleitung der
Beethovenschen Symphonie erfreute durch die
straffe Herausarbeitung des rhythmischen Ele-
mentes. Am wenigsten gefiel mir die Webersche
Ouvertüre, der es an Schwung in der Ausführung,
fehlte, wie denn Überhauptes Laugs an poetischer
Empfindung zu mangeln scheint. Technisch als
Dirigent steht er sicher seinen Mann. — Felix
Nowowiejski, ein junger Musiker, der bisher
viel Glück im Erobern von Konkurrenzpreisen
gehabt hatte (den großen Meyer beer- Staatspreis
von 4500 Mark hat er sogar zweimal gewonnen),,
gab mit dem Philharmonischen Orchester,
einem Männer- und Frauenchor und Frau
Geller-Wolter als Solistin einen Kompositions-^
abend. Eine Ouvertüre «Polnische Brautfahrt*,
eine Phantasie für Orchester und Orgel, eine
Symphonie in h-moll, Lieder, kleine Chöre
geistlichen und weltlichen Inhalts standen auf
dem Programm. Ein gewisses Geschick, wohl-
klingend zu setzen, soll anerkannt werden; aucli
als Dirigent zeigte sich der Komponist hin*
reichend gewandt. Dem Inhalt nach aber war
nicht viel wirkliches Talent zu spüren, überall
hörte man viel Bekanntes, wenig Eigenes. In der
Symphonie befremdete geradezu der Mangel an
thematischer Entwickelung; auch hier nichts al»
leeres Phrasengeklingel. — Felix Mottl dirigierte
in der Philharmonie ein großes Konzert an der
Spitze der Philharmoniker, die übrigens metk-^
würdig schwach in der Anzahl auf dem Podium
saßen. Von Beethoven die «Egmont*- Ouvertüre
und die Eroica, von Wagner das «Tristan*- Vorspiet
mit Isoldens Liebestod und die «Tannhäuser*-
Ouvertüre bildeten den Inhalt des Programms.
Wer gehofft hatte, in letztgenanntem Werke den
Schluß einmal ohne «Nikisch-Hörner* zu hören,
wurde enttäuscht. Sonst aber zeigte sich der
Dirigent als Meister des Taktstockes; Kraft und
Energie des Ausdrucks, feine Nuancen im
Schattieren der Dynamik wie des Zeitmaßes,
Schwung, völlige Hingabe an den poetisch-
musikalischen Inhalt der Tondichtungen, dabei
eine männliche Schlichtheit, die sich nicht ins
kleinliche Pointieren einließ, erfreuten die zahl-
reich erschienenen Hörer, die dem Dirigenten
zum Schluß stürmische Ovationen bereiteten»
E. £. Taubert
Recht mäßig war das Programm des neunten
Philharmonischen Konzerts: Arthur
Nikisch kümmerte sich wieder einmal gar
nicht darum, daß junge Talente das Recht haben,,
gehört zu werden. Er servierte uns die bekannte
B-dur Symphonie von Haydn, das Tannhäuser-
Bacchanal und das Meistersinger- Vorspiel und als
Novität Tschaikowky's 1873 entstandene, durch
Shakespeare angeregte Phantasie «Der Sturm*,
deren Bestes in der zweimaligen Schilderung der
ruhigen Wellenbewegung des Meeres besteht,
während der eigentliche Sturm schwächlich aus»
gefallen ist. Bei aller Verehrung für den großen
Russen kann ich den «Sturm*, in dem die Liet>et-
szene zwischen Fernando und Miranda ziemlich
süßlich gehalten ist, nicht gerade bedeutend
finden. Nikisch hätte uns lieber die hier noch völlig
unbekannte erste Symphonie Tschaikowsky's
spenden sollen. Solist des Abends war der viel-
WL
51
KRITIK: KONZERT
fach übertchitzte Geiger Jacques Tbibaad, der
Bruchs erstes Konzert spielte. — Ein ent-
schiedenes Verdienst erwarb sieb die Gesell-
schaft der Musikfreunde, indem sie auf
Berlioz* Phantastische Symphonie deren Fort-
setzung, den ,Lelio*y hier erstmalig auffuhren
Heß. Unsere Leser entsinnen sich wohl, daß
Richard Stemfeld im 9. Bande, S. 377 fr., f&reine
szenische Auffuhrung dieses eigentumlichen
▼erkes, von dem hier nur Bruchstücke durch
Karl Klindworth aufgeführt worden waren, ein-
getreten ist und speziell seine Anregung —
leider Tergeblicb — an Weingartner gerichtet
hatte. Leider ließ sich die szenische Aufführung
in der Philharmonie nicht ermöglichen. Aber
auf jeden Fall war auch die konzertmißige Auf-
f&hmng eine musikalische Tat, die dem Diri-
genten Oskar Fried unvergessen bleiben wird.
Der wirklich ausgezeichneten VTiedergabe der
Phantastischen Symphonie, die für den Diri-
genten wie für das Philharmonische Orchester
gleich ehrenvoll war, stand die Aufführung des
»Leiio* nicht nach. Einen besonders tiefen Ein-
druck machte auf mich der «Geisterchor*, das
orchestrale Nachspiet zum »Gesang des Glficks*
und teilweise die durch berauschenden Orchester-
klang (mit vierhiadigem Klavier) autgezeich-
nete »Sturm*- Phantasie (Shakespeare), deren
Zwischenspiele mir freilich zu lang vorkamen.
Emanuel Reicher deklamierte zu theatralisch;
derSternsche Gesangverein löste seine nicht
leichten Aufgaben durchaus trefflich; Hans
Rfidiger sang den »Fischer* und den »Gesang
des Glßcks* sehr ausdrucksvoll; fQr da«
»Riuberlied* war der Baß von Hans Vaterhaus
zu schwach. Hoffentlieh hat diese Berliner
AuffBhrung des »Lelio*, die eine begeisterte
Attfhahme fand, zahlreiche andere zur Folge.
Wie vielleicht kein anderes Werk von Berlioz,
verdient gerade der »Lelio* Beachtung; daß er
das ehrwürdige Alter von fast 80 Jahren schon
erreicht hat, ist ihm nicht im mindesten an-
zumerken. — Sehr verdienstlich war auch der
von der Gesellschaft der Musikfreunde
veranstaltete E. T. A. H o f f m ann-Abend, wenn-
gleich die Hoffnung einiger enthusiastischen
Verehrer dieses genialen Dichters, daß er auch
als Komponist der heutigen Generation etwas
bieten werde, nicht erfüllt worden ist. Wenig
oder vielmehr gar nicht phantastisch ist nimlich
der Komponist E. T. A. Hoffmann. Mozart und
Haydn sind seine Leitsterne in der Klaviersonate
In f-moll (Wladimir Cernikoff) und in einem
Quintett für Harfe und Streichinstrumente
(Klthe Böhm, Schnirlin, Mitnitzki, Breest
und F. Becker). Den verhiltnismißig größten
Eindruck hinterließ ein Duett aus der Oper
»Undine*, für deren Neubelebung bekanntlich
Hans Pfltzner eingetreten ist — Der bekannte
OnitorieBsinger George A. Walter (Tenor)
veranstaltete mit dem Geiger und Bratschisten
Daniel Herrmann (Paris) einen Bach- Abend,
an dem auch einige recht weltliche Arien von
Wilhelm Friedemann Bach neben Arien und
Inttmmentalwerken Johann Sebastians vertreten
waren. Unter diesen ragte die Sonate für
Flöte (Otto Rößler), Violine und Klavier (Elsa
Walter-Haas) aus dem »musikalischen Opfer*
hervor; die Arien waren teils mit zwei Flöten
oder Violine und Flöte, teils mit Bratsche außer
Klavier begleitet — Ein populirer Abend des'
Böhmischen Streichquartetts brachte in
ausgezeichneter Wiedergabe keine Quartette,
sondern Mozarts g-moU Quintett, das Klarinetten*
Quintett von Brahma (mit Oskar Schubert) und
das besonders in seinen national gefirbten
Mittel sitzen Eigenartiges bietende Sextett von
Dvorak (mit den Herren Talich und Burian
als zweitem Bratschisten, bzw. Cellisten). —
Von dem ausgezeichneten Brüsseler Streich-
quartett wurde zwischen dem Haydnschen
Gdur op. 77 und Beethovens Es-dur Quartett
op. 127 eine dreisitzige Rhapsodie für Klavier
(der Komponist), Violine, Bratsche und Violoncell
von Paul Juon zur Uraufführung gebracht, ein
Werk, das rhythmisch und harmonisch eigen-
artig gehalten ist, aber infolge seiner Herbheit
sich nicht ohne weiteres jedem Hörer erschließt
Die Themen, besonders des zweiten Satzes,
scheinen russischen, vielleicht auch nordischen
Volksmelodieen entlehnt zu sein. Ihre musi-
kalisch technische Verarbeitung zeigt den ge-
wiegten Theoretiker. — Die ausgezeichnete
Pianistin Maria Avani-Carreras hatte sich
mit dem jungen Geiger Alberto C urci zusammen-
getan, der sich verhiltnismißig gut aus der
Affire zog. — Entschiedenes Geigentalent haben
die Geschwister Rose und Franz Weltmann,
doch sollte man Ihnen Zeit zum Ausreifen gönnen
und das Midchen Bachs »Ciaconna* noch nicht
öffentlich spielen lassen. — Vielversprechend ist
auch die junge Geigerin Anna Otten; mehr
Innerlichkeit ist freilich ihrem Vortrag zu
wünschen. — Dem jungen Geiger Josef Meredith
Rosencrantz war in der Beethovenschen so-
genannten »Kreutzer-Sonate* seine Partnerin
Augusts Zuckerman bedeutend überlegen;
Talent hat er. Dasselbe gilt auch von Maxi-
milian Ronis, der schon mit Ausdruck und
Verstsnd spielt und sich neben seinem Lehrer
Issay Barmas In Bacbs Doppelkonzert gut be-
hauptete. Freilich, gegen Stefl Geyer stehen
alle die Genannten erheblich zurück: sie wird
mit ihrem Geigenspiel überall Furore machen.
In ihrem Konzert wirkte der Baritonist Kurt
Lietzmann, ein verstindnisvoller Singer, mit;
das noch immer im Begleiten nicht ganz zu-
verlissige Mozart-Orchester stand unter der
Leitung des bekannten Geigers Michael Preß.
— Keine Freude ist es, Brigitta Thielemann
singen zu hören. Ganz verdienstvoll wire ja
an sich der Liederabend gewesen, den sie nur
zeitgenössischen Berliner Komponisten widmete,
wenn sie nicht gar zu ersichtlich es auf meine
komponierenden kritischen Kollegen abgesehen
bitte, von denen einige freilich mit beachtens-
werten Liedern vertreten waren.
Wilb. Altmann
Der Pianist Dr. S. G. Rumschiysky ver-
fügt über das nötige Rüstzeug, um sein Augen-»
merk ganz der Interpretation zuwenden zu
können. Er ist ein intelligenter Musiker, prunkt
nicht mit Kunstfertigkeit Dafür phrasiert er
sehr deutlich, ohne in Extreme zu geraten. —
Hermann Viebig aber wire es vorteilhaft ge-
wesen, wenn er ein nach allen Richtungen
reichendes Temperament gezeigt bitte. Schu-
manns »durchaus leidenschaftlich und phan-
tastisch* vorzutragende C-dur Phantasie spielte
, er mit außergewöhnlicher Nüchternheit, ja ohne
4^
52
DIE MUSIK VII. 13.
eigentliches Verstindnis für die Art des Meisters.
Seine Konzertptrtnerin Elise Wetzel sollte die
Kritik noch nicht herausfordern. Vorerst mfißte
die zwar volle, aber rauhe Altstimme etwas kul-
tiviert und der Vortrag ein wenig belebter werden.
— Luise Klossegk-Muller legt zu viel Ge-
wicht auf das reine Singen, wodurch der Aus-
druck zu kurz kommt. Auch bei den dramatisch-
sten Stellen (wie z. B. im i,Erlk5nig*) scheint
sie nur an den »Ton*' zu denken. Schubert
liegt ihr augenscheinlich schlecht. Bedeutend
glucklicher war sie in Liedern von Franz und
in einigen, leider viel zu selten gehörten Ge-
singen von Martin PlQddemann. — Die Sopra-
nistin Leonore Wall n er sang nur LiederO.Vries-
Ianders:die von O. E. Hartleben Qbersetzten Dich-
tungen A. Girauds ^^Pierrot Lunaire*. Die Ver-
tonungen sind interessant und äußerlich teilweise
auch wirkungsvoll, aber unaufhörlich tritt die
I, Absicht* klar zutage; es ist keine empfundene
Musik, sondern gut berechnete Tonmalerei.
Weder die menschliche Stimme noch das Klavier
sind für den Zweck geeignet, daher machen die
Lieder simtlich den Eindruck des Gekünstelten,
Gequälten. Auch die Deklamation ist nicht
immer richtig behandelt. Unwichtige Worte sind
überflüssig stark betont und umgekehrt. Die
Wiedergabe war rühmenswert, besonders zeich-
nete sich C. V. Bos am Klavier aus. — Der
•Minnerchor ehemaliger Schüler des
Königlichen Domchors* bewährte sich
wacker unter seinem Leiter H. Stöckert Für
Hegars «Walpurga* war das im Tenor mangel-
hafte Stimmaterial nicht ausreichend. Immer-
hin ist die Leistung der Singer in Anbetracht
der großen Schwierigkeiten zu loben. Der mit-
wirkende Violinist Alberto Curci hat viel
Technik und Temperament; echte künstlerische
Auffassung kam nicht zum Vorschein.— Alexander
Golden weiser ist ein äußerst tüchtiger Pianist
mit zuverlissiger Technik und mit Temperament.
Besonders gut gelangen ihm die fesselnden
Variationen von Tschaikowsky, während Schu-
manns vDavidsbündlertinze* noch mehr Ab-
wechslung bedürfen, um nicht zu langweilen.
Arthur Laser
Von jeder Kunstreproduktion ist doch wohl
entschieden vor allem zu verlangen, daß sie ganz
aus dem Wesen des hervorbringenden Mittels
geschehe. Anderenfalls kann nichts Ganzes
herauskommen. Wir dürfen (meines Erachtens)
selbst dann, wenn wir einen i, Meister* wie
Busoni vor uns haben, nicht vergessen, daß
wir gerade an eine solche Erscheinung nicht nur
die höchsten, sondern mindestens doch auch
instrumenteil begründete Anforderungen zu
stellen berechtigt sind. Bei aller Glätte, relativen
großen Sicherheit, Feinheit, Kraft und i^Erfüblt-
heit* seines Spieles darf daher nicht übersehen
werden, wie unklar tatsächlich an seinem ersten
Klavierabend gar vieles herauskam. Mir scheint,
daran war vor allem eine objektiv ungenügende
Pedalbehandlung schuld. Viel zu viel ver-
schwamm Akkordisches in anderes Akkordische.
Und auch manche Passagen der rechten Hand,
zumal Oktaven, waren nicht plastisch genug zu
hören, weil sie viel zu fein hinhuschend gegeben
wurden. Was nützt da alles sonstige Können!
Ganz war die Leistung keineswegs und «wie
immer, meisterlich* nach meinem Dafürhalten
auf keinen Fall. — Wie aus dem Wesen des
Instrumentes heraus plastisch, goldklar und doch
auch eminent musikalicb gespielt werden kann,
zeigte uns Wilhelm Backhaus in einer Weise,
der ich unter allen von mir bisher gehörten
Klavierreproduktionen die Palme reichen möchte.
Was tut's denn, wenn etwa der oder jener andere
noch »titanischer* oder »sensibler* fühlt? So ganz
wie dieser junge Künstler spielt doch kaum einer
. • . Klavier. Hier paaren sich »Klavierspieler*
und »Künstler* iedenfalls in fast idealem Grade.
Richard Strauß dirigierte dies Konzert: schlicht,
künstlerisch, sachlich, wie eben nur er dirigiert.
Und seine »Burleske* strahlte in solcher Wieder-
gabe ihre ganze Laune und ihren Humor eigent-
lich schlechterdings vollkommen aus. — Ganz
und gar nicht geschah dies dagegen unter den
Händen von Hans Hermanns. Und auch kein
blühendes, säfteschwellendes Sichregen tönte
aus seinem Spiele heraus. Ein mehr trockenes,
in der Kantilene flaches Spiel, aber tech-
nisch ausgezeichnet. Und auch klar, wie es sich
eben — der zweite hier zu konsutierende Fall
— sehr wohl auf dem Klavier erreichen läßt.
— Ein Gegensatz hierzu ist anscheinend Horace
Kesteven. Da ihm, obwohl er nichts weniger
als kraftvoll in die Tasten greift, das Unglück
zustieß, mitten im Schumann-Konzert das Reißen
einer Saite des Bechstein zu erleben, läßt sich
nicht recht sagen, inwieweit dies ihn etwa irritiert
haben könne. Aber ich glaube, bei dieser Art
des Pedaltretens muß in jedem Falle manches
durcheinanderschwimmen. Als ein feiner, ge-
läuflg, wenn auch nicht immer völlig sicher, im
ganzen aber etwas unbeschwingt spielender
Pianist schien mir Kesteven nach den Eindrücken
des Abends (er spielte noch das f-moll Konzert
von Ghopin) immerhin wohl anzusprechen zu
sein. — Der Gellist Alfred Saal, der im Konzert
von Hermanns mitwirkte, hat keine allzu edle
Kantilene und erschien im Passagenwerk nicht
immer auf der Höhe. Aber er spielte tempem-
mentvoll, und ein gut Teil der Unerqaicklichkeit
der Passagen war sicher auf das Konto des an-
dankbaren Kötscherschen Gellokonzertes za
setzen, einer Komposition, die als organisches
oder irgendwie sprechendes Werk nicht bezeich-
net werden kann. Im Händel-Konzert erging es
dem Gellisten besser. — Noch zwei Komponisten
bleiben mir zu erwähnen. Alexsnder Seh war tz*
Liederkompositionsabend (unter Mitwirkung von
Felix Senius und Aline Sauden) zeigte uns
ein wohlgeschultes Talent, dem jedoch unter
17 Liedern eigentlich nur zwei: »Es ist der
Wind* und »Aufblick* als bemerkenswerte ganze
Früchte gereift sind. Die anderen Lieder kamen
teils über eine gewisse physiognomielese and
nicht immer durchaus wählerisch hervor^
gebrachte Glätte nicht hinaus, teils brachte
das Bestreben, apart zu sein. Gewohntem
aus dem Wege zu gehen, den Tonsetzer
auf nicht glückliche, nicht organisch gewach-
sene Einfälle. — Noch viel weniger war dieses
allbeherrschende Natur- und Kunstprinsip in
Busoni's sechs neuen Elegieen zu spüren, aus-
genommen in dem »Intermezzo* und teilweise
in Nr. 2, 5 und 6. Das erstgenannte Stück ist
entschieden geistreich, flüssig und hübsch. In
den anderen überwiegt aber das uferlose Spielen
mit modulatorischen und harmonischen Einnllen,
53
KRITIK: KONZERT
obD€ daß eigentlich eine künstlerisch empfin-
dende und gestaltende Hand in ihnen zu er-
kennen wire. — Sergei Kussewitzky's zweiter
Orcbesterabend zeigte, dsß der Kunstler als
Subffihrer doch eben fiber die Linie »Energie
und Rhythmus* vorerst nur wenig hinauskommt.
Die meisten feineren Fiden, die von einem
IMrigenten zum Orchester laufen mSssen« fehlen
noch zumeist. Einen Fortschritt bedeutete der
Al>end gegen den ersten aber entschieden,
namentlich in der Wiedergabe der Tscbaikowsky-
•eben Streich erserenade. Beethoven wurde
fk^ilicb mehr gespielt als ausgeschöpft. Großen
Erfolg hatte der Tenorist L6onid Sobinoff in
diesem Konzert: ein erstklassiger Singer mit
sehr schöner, auffallend hell gefirbter Stimme.
Alfred Schattmann
Ossip Gabrilo witsch ist ein markantes Bei-
spiel daför, was aus vielen unserer begabtesten
Jfingsten Konzenspieler hitte werden können,
wenn all ihre Gat>en langsam und sorgsam ge-
pflegt und zur Reife gebracht worden wären.
Aber Tag f&r Tag üben bis zum Überdruß, Tech-
nik und immer noch mehr Technik lautet die
Devise. Und wenn sie endlich da ist, dann rasch
aufs Podium, wo es vor allem Effektmachen
heißt* Was man einst still und zart empfand,
wird zum Gesiusel, ein kleiner agogiscber
Akzent wichst zum maßlosen Rubato aus,
einem Pianissimo muß stets ein Fortissimo
gegenüber stehen, sonst merkt's das über-
fütterte Publikum nicht mehr. Große Gaben,
großes Können, kolossaler Aufputz und viel
Geschmacklosigkeit vereinigen sich in Ossip
Gabrilowitsch's Spiel. — William C. Willis
spielte einzelne Partieen aus Beethovens Sonate
op. 110 so, dsß man sah, er hat Vortragstalent,
andere, wo es rhythmisch verzwickt hergeht, so,
dsß man sich klar war, f&r tiefbre derartige
Probleme fehlt instinktives wie theoretisches
Verstindnis* Brahms* Hindelvariationen paukte
er maßlos herunter. — Dells Thals technisches
Rflstzeug ist noch recht zerbrechliche Ware.
Trotzdem sie das Meiste zu vorsichtig nimmt,
will vieles nicht gelingen. — Die Barthsche
Madrigalvereinigung ist sehr zu loben. Die
neun Damen und Herren folgen ihrem Dirigenten
aufls genaueste, und singen die köstlichen alten
Sachen nicht nur technisch korrekt, sondern mit
oflPenkondiger Liebe. Etwas mehr Wohlklang
wire freilich dem Ensemble zu wQnscben.
Hermann Wetzel
Theodor Heß van der Wyk hat eine an-
genehme weiche Tiefe, der die flache Mittellage
und Höhe nicht entspricht. Sein Vortrag ist
verstindnisvoll, nicht ohne Temperament, sber
auch nicht frei von Absonderlichkeiten. — Die
Vortrige des Nordischen Vokal-Trios der
Schwestern Brunhilde, Hildur und Sophie
Koch zeugen von fleißiger Arbeit und musika-
lischer Begabung. Stimmlich Qberragt die So-
pranistin ihre Schwestern weit, sie hitte das
Zeog zu einem dramatischen Sopran.
Richard Hihn
Philippine Landshoff, eine vornehme Ge-
saagskfinstleriDy deren Atemtechnik bewunderns-
wert ist, sang nur »Gedichte Goethes in der
Matik seiner 2^lt*. Das SSße und Zarte, aber
nadi LeldentcbafUiche und Dramatische brachte
tic^ wie nur eine feine weibliche Seele es ver-
tnsS) Sut zur Geltung. Dennoch bot der Abend
mehr Belehrung als lebendigen Genuß; wir
haben seit ISOO in der musikalischen Gestaltung
unserer Gef&hle große Fortschritte gemacht. —
Wassily Sapellnikoff ist ein «natfirlicher*
Techniker ersten Ranges und ein minnlicher
Musiker. Seine «Tatzen* holen mit eminenter
Treffsicherheit aus dem Instrument — der
Bl&thner klang im Diskant störend hölzern —
wenn auch auf etwas derb-barbarische Art, aus-
gezeichnete Wirkungen heraus. Aber eben dies
robuste Empflnden verletzt oft und lißt nur bei
breit angelegten und weniger differenzierten
Stellen ein freudiges Miterleben und Mitgenießen
zusunde kommen. — Marguerite M e 1 v i 1 1 e. Un-
mittelbarkeit des Spiels, modernes Empflnden
und Unbefsngenheit kennzeichnen ihre Persön-
lichkeit. Von den zum ersten Male gespielten
Klavierstficken waren originell: das Nocturno
von Henryk Meicer und die Etfide von Szyma-
nowski. Die Sonate f-moll von Brahma war
meiner Ansicht nach ein Mißgriff der sympathi-
schen Künstlerin. — Mary Fokker war nichts
weniger als unbefangen; sie spielte nervös-
trübselig ihr konventionelles Klavierprogramm
herunter und zeigte — zum mindesten an diesem
Abend — , wie wenig sie im öffentlichen Konzert-
saale am Platze ist. Arno Nadel
BRAUNSCHWEIG: Das letzte Konzert der
Hofka pelle litt unter der Absage von Lula
Mysz - Gmeiner, denn ihre Stell Vertreterin,
Maikki Jirnefelt (Helsingfors), ersetzte sie in
keiner Weise. Beethovens «Pastorale* bildete
aber einen würdigen, glinzenden Schluß. — In
dem sechsten populiren Konzert des Direktors
Wegmann führte sich dss Sevcik-Quartett
vorteilhaft ein. — Pastor Storch -Magdeburg
hielt einen interessanten Vortrag über »Robert
und Clara Schumanns Brautzeit* mit einge-
flochtenen Bruchstücken der damals entstan-
denen Werke. — Heinrich Lutter (Hannover)
gewann sich namectiich durch die vorzügliche
Wiedergabe der Sonate (As-dur) von Weber, der
Phantasie (op. 17) von Schumann neue Verehrer.
Ernst Stier
BREMEN: Die letzten Philharmonischen
Orchesterabende brachten im wesentlichen
Altbekanntes in erfreulicher, unter Panzners
Zauberstabe immer noch wachsender TreflPiicbkeit.
Als seltenere Gaben sind zu erwihnen die f-moll
Symphonie von Richsrd Strauß, eine durch Klar-
heit und Temperament imponierende Jugend-
arbeit, die aber das spitere Haupt der «Moderne*
noch wenig erkennen lißt, ferner Glucks klas-
sisch-herbe ,Alceste*-Ouvertüre mit dem Wein-
gartnerschen Schlüsse und drei anmutige, aber
nicht gerade bedeutende Taozsiücke aus Gr6try's
i,C6pbale et Procris* in der hübsch sitzenden
Gewandung, die Mottl ihnen verlieben bat. Da-
gegen bescherte uns der Chor neben Brshms'
herrlichem «Schicksalslied* eine interessante
Neuheit in der vorher nur in Graz einmal auf-
geführten Kantate «Der Tod und das Mid-
chen* von Otto Naumann, die sehr geflel und
dem anwesenden Verfasser ebenso lebhafte wie
wohlverdiente Ehrungen eintrug. Macht sich
auch ein Mißverhiltnis fühlbar zwischen dem
naiven Charakter der, einem Andersenschen
Mircben nachgebildeten Teztunterlage und dem
micbtigen Apparat der musikalischen Ausdrucks-
M
54
DIE MUSIK VII. 13.
mittel, so hinterliflt doch die edle Haltung der
darchaus modernen, aber ebenso maßvollen wie
warmen Tonspracbe einen bedeutenden Eindruck.
In der recht guten AuffQbrung erhielt die das
Ganze tragende Sopranpartie der Matter durch
Theo Drill-Orridge eine vorzfigticbe Verkör-
perung, während Margarete Altmann-Kuntz
und Anton Sistermans den kleineren Rollen
der Grabfrau und des Todes charakteristische
Ausprägung gaben. In den übrigen Konzerten
traten als Solisten auf Eva von der Osten, deren
Lorbeeren wohl vorzugsweise auf der Bühne
gedeihen, Godowsky, der Beethovens G-dur
Konzert in wundervoller Klarheit, aber reichlich
zarten Farben spielte, und Alexander Heine-
mann, der durch die schöne Wirme seines
Vortrags entzückte, hinter dessen Versuch, den
i^Archibald Douglas* mit einer von Hugo Kann
an sich recht geschickt gemachten Orchester-
begleitung vorzuführen, jedoch ein dickes Frage-
zeichen gehört. Glänzenden Erfolg hatte end-
lich unser trefflicher Konzertmeister H. Kolk-
meyer mit einer ausgezeichneten Wiedergabe
des Brahms'schen Violinkonzertes, jedenfalls
eines Prüfsteins erster Ordnung. Im Verein
mit David Bromberger hob derselbe Künstler
ein neues, überaus günstig aufgenommenes Werk
von Paul Seh ein pflüg aus der Taufe, eine
Violinsonate (F-dur, op. 13^, die einen erheblichen
Fortschritt des begabten Tondichters zu größerer
Geschlossenheit der Form aufweist
Gust. Kissling
DROSSEL: Sylvain Dupuis hatte für das zweite
O Concert populaire Schumanns ^Paradies
und Peri*, das hier so gut wie unbekannt war,
gewlhlt. Von selten des Orchesters und des
Chors (Theaterchor) erfuhr das herrliche Werk
eine vortreffliche Aufführung. Aber die Solisten
;— Künstler des Monnaie-Theaters — standen
den zarten poetischen Ergüssen der Schumann-
fchen Muse ziemlich verstindnislos gegenüber;
am schlimmsten war die Perl. Das tat natürlich
dem Werk große Einbuße. — Ysaye, dessen
Konzerte jetzt im neuen Saal «Patria*, der at>er
nur gegen 1000 Personen faßt, suttfinden, führte
im dritten Konzert Schuberts «Unvollendete*,
und als Novität »Souvenir* von Vincent d'Indy
und die vier Jugendouvertüren von R. Wagner:
König Enzio, Kolumbus, Polonia und Ruie Bri-
tannia auf. Das Werk von d*Indy ist, wie alle Werke
dieses Komponisten, trotz des temperament-
vollen Aufschwungs, gequält; man kommt zu
keinem rechten Genuß. Gespielt wurden sämt-
liche Werke in bester Weise. Casals mit
Gattin interpretierte unter großem Beifall ein
neues Konzert für zwei Celli von Moor, das, in
ziemlich graue Farben gehüllt, nur in dem
pikanten Scherzo ansprach. Allein spielte er noch
«Waldesruhe* von DvoHk. Im vierten Concert
Ysaye schwang Fritz Steinbach aus Köln das
Szepter. Beethovens Fünfte, Brahma' Akade-
mische, und ein neues Werk «Variationen über
ein Thema von Händel* von dem Belgier De-
lune — ein recht unnötiges Werk — erfuhren
unter seiner straffen, temperamentvollen Leitung
eine vorzügliche Wiedergabe. Als Solist wurde
der Pariser Pianist Cortot — cmoll Konzert
von Beethoven und symphonische Variationen
von C. Franck — sehr gefeiert. — Das vierte
historische Konzert Duran t war Weber-Mendels-
sohn gewidmet. Refofmations-Symphonie, Scherzo
aus dem «Sommemachtstraum*, die Ouvertüren
zu «Euryanthe* und «Freischütz* wurden In
tüchtiger Weise gespielt. Das Violinkonzert von
Mendelssohn hatte in Crickboom einen aas-
gezeichneten Vertreter. — Unter den kleinen
Konzerten ist zu nennen: Konzert des Vocal-
qua rt Otts Brema (sämtlich Liebesliederwalzer
von Brahma, serbisches Liederspiel von Henschel),
ein Konzert des beachtenswerten russischen
Gelgers Siccard (Orchester unter Ysaye), die
Soireen des famosen. Zimmer-Streichqnar*
tetts unter Mitwirkung von Clotilde Kleeberg,
ein Klavierabend D i n s a r t , einer sehr talentierten
Schülerin Degreefs, sowie Konzerte der neuen
Bläservereinigung (Direktor Goosens) and
des Quartetts Bosquet (Klavierquartette).
Felix Weicker
BUDAPEST: Rasch haben wir uns zur masi-
kalischen Großstadt emporgeschwungen —
von hundert Konzerten sind sechzig leer. Und
ein zweites Hundert steht uns noch bevor. Wir
besitzen zur Stunde immer nur noch ein kleines
Konzertpublikum, und die Aufnahmefllhigkeit
und — Zahlkräfiigkeit von nur wenigen
tausend Kunstfreunden ist bald erschöpft, zu-
mal es die Mehrzahl für shocking erachtet, ein
Billet unter zehn Kronen zu benutzen. Die
Philharmoniker haben freilich ihr Stamm-
publikum; ihre letzten beiden Konzerte waren
trotz des anregungsarmen Programms — wir
hörten als Novität bloß eine belanglese Saite
von Sibelius — dicht t>esetzt, doch ein einge-
schobenes außerordentliches Konzert fand nur
einen halbgefüllten -Smsl,trotftdem Entice Boss!,
wohl der bedeutendste Orgelvirtuose der Gegen-
wart, zur Mitwirkung eingeladen war. Der
Künstler spielte auf der neuen Prachtorgel der
Musikskademie sein Konzert op. 100 und eine
Serie kleinerer Stücke mit ungeahnter technischer
Meisterschaft und unter stürmischesten BeifUlt-
kundgebungen. In demselben Konzert hörten
wir Hugo Wolfs entzückende «Italienische
Serenade* und Wagnera tonbrutale Kapellmeisier-
ouvertüre «Rule Britannia*. -^ Mit viel äußeren
Ehren hat sich das auf Anregung des um nnser
Musikleben hochverdienten Edmund von Mi-
halovich aus Professoren und Schülern der
Landesmusikakademie gegründete, neue «Aka-
demie-Orchester* in die Konzertsaison ein-
geführt. Wir hörten an Novitäten bisherMozartt
angebliches, neu aufgefundenes Violinkonzert —
in der trefTlichen Interpretation des Professors
Mambriny — , des Belgiers G Ilsen sympho-
nische Dichtung «Das Meer*, Leo Weinert
rhythmisch hochinteressante Humoreske «Im
Fasching* und Elgar's geistvoll-charakteristische
Orchestervariationen. — Von größeren Ver-
anstaltungen gab es noch eine vom Regenschori
Sztojanovics geleitete Aufführung von Lieztt
«Graner Messe* — die überhaupt zweite In
Ungarn — die jedoch nur geringen Eindruck
machte. — Von den kammermusikalischen Ver-
einigungen hat das Quartett Kem^ny-Schiffer
seinen Zyklus beendet; wir hörten am letzten
Abend ein neues Streichquartett vonLeoWeiner,
das diesen hochbegabten jungen Künstler. faet
schon in der Oberreife raffiniertester Spekniatlon
erscheinen läßt. Bei Grünfelds interessierte
die Bläserserenade von S ekles nnd durch die
55
KRITIK: KONZERT
Persdnlicbkeit des mitwirkeiidea Komponisten
«acta Felix Weingsrtners Klsvierseztett. Die
Herren Hubsy und Popper bsben ibre Trio-
abende (mit Dobnänyi, StsTonbsgen und
Bsckbsus) anter größten Ebren beendigt. —
Von Instntmenulisten erfreuten ans die Geiger
Tssye and Tbibsud durcb zwei genuflreicbe,
klsssiscbe Abende. Von Pianisten borten wir
Ssaer, der vor kuriem mit allem äußeren
Reklamepomp und reicben kfinstleriscben Ebren
seinen 50. Klavierabend in Budapest gab, den
▼irtnosen TastenstQrmer Backbaus und den
'Weit genialeren Ignaz Friedman. Von Meistern
und Meisterinnen der Gesangskunst ließen sieb
Messcbaerty Selma Kurz, Julia Culp und
Tllly Koenen boren. Der Scbweizer Baritonist
Dr. Haß 1er scbeint eine schöne Zukunft, die
sonst nicbt uninteressante scbwediscbe Diseuse
Anna Norrie eine schöne Vergangenheit zu
liaben. Zwei anziehende Abende haben wir noch
«der ,»Socl6t6 de cencerts d'instruments
«nciens* zu danken, in deren Konzerten wir
«der anmutvollen Singerin Marie Buisson gern
-wieder begegnet sind. Auf Registrierung der
Legion konzertaler Behelligungen d&rfen wir
-wohl verzichten. Dr. B6ta Diösy
CHICAGO: Die vier Konzerte des Thomas-
Orchesters, die ich in letzter Zeit be-
sttctate, haben In mir die Oberzeogung gefestigt,
daß der lunge, hochbegabte Leiter Friedrich
Stock seine Mannen fest unter Kontrolle hat, und
daß die Konzerte in Ihrer gediegenen Programm-
Aufstellung und ihrer Aasffibrung noch immer
Mut derselben Höbe wie unter Theodor Thomas
stehen« Und das will viel sagen bei den
■akustisch so ungen&genden Verhältnissen der
Halle und unter den finanziellen Schwierigkeiten,
mit denen das Management der Konzerte noch
immer zu kimpfen hat. Es gab eine große
Reihe trefflicher Solisten, meist von auswärts.
Doch auch unsere einheimischen Solisten, unter
denen die zwei Konzertmeister Leopold Krame r
vnd Ludwig Becker und der vorzfiglicbe erste
Cellist des Orchesters Bruno Steindel am
meisten In Betracht kommen, lassen in bezug
auf vollendetes, kßnstlerisch fein durchdachtes
S|riel nichts zu wßnscben fibrig. Die Novität,
die das Orchester in einem der Dezember-
konzerte brachte, die Symphonie No. 1 in e-moU
Ton Si bei ins, war hochinteressant durch den
wunderbaren Farbenscbmelz der Orchester-
iMbandlung, In der Sibelius Meister ist. Der
vehmfitig ernst gestimmte, nstional finnländiscbe
Klageton, der die anderen, bekannteren Werke
desselben Komponisten charakterisiert, gebt
anch durch dieses Werk, obwohl stellenweis
Icrifkigster Klimax die Elegie unterbricht Im
Finale ertönt nach einem sehr eigenartigen
Thema der Holzbläser, dss mit dumpfem Pauken-
wirbel begleitet ist, ein kräftig kriegerischer Ton,
gleich einer Jubelfanfsre, dem ein herrliches
CantabHe-espressivo folgt, das von den Streichern
<salG) unisono gespielt wird und sehr effektvoll
wirkt Dss wehmßtige Originaltbema der Solo-
klarinette im eraten Satz ertönt wieder, wie eine
Resignation des unterdrfickten Volksgeistes; der
Schluß mit kräftigem Ausklang Ist boflPnungs-
nkk ottd energievoll. Das Werk, 1899 ver-
IbfM^ wafde mit großem Beifall hier auf-
tenomaieB und ganz vorz&glich gespielt — Es
gebt ein opemfreundlicber Luftzug durch unsre
Stadt, ein Zeichen, dsß wir der Wirklichkeit
eines stabilen Opemensembles im Sinne der
deutschen Städte nicbt mehr fem sind. Eins
der besten Opernhäuser der Welt, unser großes
Auditorium, steht dafßr zur Verfügung. Das
Haus ist von der Vaudevilleluft, die seit Beginn
der Saison dort webte, gereinigt und wird wieder
für große Aufführungen reserviert. Conried's
Opemensemble von New York gastiert leider
nur eine Woche hier (im April), doch hatten
wir mehrere italienische Truppen hier, auch
versuchsweise eine große englische Opemgesell-
schaft Es geht also vorwärts.
Eugen Käuffer
DORTMUND: Das dritte Musikvereihs-
Konzert unter Prof. Janssen interessierte
durch die F-dur Symphonie von Tschaikowsky
und die Fantasia Sinfonica von Renzo Bossi,
dem 23jäbrigen Sohne von Enrico Bossl. An
Chorwerken kamen zu stimmuogsrelcber Auf-
f&brung Brahma' »Schicksalslied* und Volbachs
Ballade «Vom Pagen und der Königstochter*.
Solistisch wirkten mit Jobanna Dietz (Frankfurt)
und Rudolf Jaeger (Dresden), der mit glanz-
vollem, sieghaftem Tenor Waltbera Preislied und
die Gralserzäblung zu hinreißendem Vortrag
brachte. — Henri Marteau dirigierte In einem
Symphonie-Konzert eine Jugendsymphonie Mo-
zarts und eine von ihm f&r zwei Geigen und
Orchester eingerichtete Serenade von Sinding,
geistvoll ausgeführt von Schmidt-Reinecke
und Dr. Bfilau, einem Schüler Marteaus, der
sich mit dem Violinkonzert von Brabms als ge-
diegener und talentvoller Künstler einführte.
In unvergleichlicher Ausführung, mit nobler
Kfinstlerecbaft und geistreicher Oberlegenheit
spielte Marteau Bruchs g-moll Konzert, und
durcb den bestrickenden Vortrag einer Reihe
anziehender Lieder von Schubert, Humperdinck,
P. A. Schulz u. a. erschloß Mary Mfinchboff sich
auch die tonf^emdesten Herzen. — Eugen d' Al-
bert dirigierte ein Konzert eigner Werke, da-
runter die tieftragiscbe «Kain*-Ouvertüre und
das prickelnde «Improvisator*-Vorapiel. Sein
Cello-Konzert vermochte, trotz des intelligenten
Vortrags von Hugo Becker, nur zu interessieren.
Unübertrefflich bewährte er sich dagegen wieder
als ausübender Klaviermeister. Hermine d* Al-
bert sang mit hingebender Wärme einige Lieder
ihres Gatten. — Hervorragend war ein Klavier-
abend von Tala Neu haus mit Werken von
Brahma, Chopin, Liszt und den mit Prof.
Janssen gespielten Variationen für zwei Kla-
viere von Schumann. — In Hüttnera Soliaten-
konzert ssng Eva Leßmann in vornehmer Art
und feinsinniger Gefüblswärme eine Reihe in-
timer Lieder neuer Meister. — Eine Bravour-
leistung war die Wiedergabe des d'Albertschen
E-dur Konzertes seitens der bochulentlerten
Pianistin Ella Jonas. Mit jugendlicher Frische
dirigierte Prof. Gernsbeim seine viersätzige
«Mirjsm'-Sympbonie, die, motivisch an alte
Ritualgesänge erinnernd, eine glänzende Auf-
nehme fsnd. In die Orcbesterdirektlon der
Konzerte teilten sich Hüttner und Janasen«
Heinrich Bfille
DRESDEN: Im fünften Sympbonlekonzert
der Serie A fand die Orchestemenheit
«K a r n e V a 1* von dem aus unserer Stadt stammen»
m
56
DIE MUSIK VII. la
s
den und gegenwärtig am Altenbnrger Hoftheater
als Kapellmeister wirkenden Theodor Blum er
jun. eine sehr freundliche Aufhahme» die das
frische, warmblfitige und effektvolle Werk wohl
verdiente. — Im letzten Philharmonischen
Konzert lernte man als Gesangssolisten den
lyrischen Tenor der MQochener Hofoper Jean
Buysson kennen und schätzen. Neben ihm
errang sich die Cellistin Marguerita Capon-
sacchi lebhaften Beifall. Richard Wagners
Jugendouvertfire «Polonia* dagegen erschien als
die schwächste der neu aufgefundenen Ouvertüren
und wurde sanft abgelehnt, obwohl Kapellmeister
Olsen mit seinem Orchester sich die größte
Mfihe damit gaben. — Von den Solisten konzerten
der letzten Zeit war das weitaus bedeutendste
der Klavierabend von Ignaz Friedman, der
ein Riesenprogramm mit ebensoviel Virtuosität
als kfinstlerischem Ernst erledigte und sich in
Anschlag und Auffassung als ein ganz hervor-
ragender Pianist erwies. — Ein sehr guter, be*
sonders in seiner Pedalbehandlung eigenartiger
Klavierspieler ist Boris Kamtschatoff, doch
mangelt es ihm noch an Innerlichkeit der Em-
pfindung und Reife der Auffissung, während
Joseph Sliwinski diese Eigenschaften in vollem
JMaße besitzt und auch technisch auf einer hohen
Stufe steht. Ein Lieder- und Duettenabend der
Damen Luise Ottermann und Doris Walde
gesultete sich sehr genußreich, da sich hier
zwei vortreffliche GesangskQnstlerinnen zu
ernstem Tun vereinigt hatten. — Den siebzigsten
Geburtstag des hier seit dreißig Jahren schaffen-
den Komponisten Heinrich Schulz-Beuthen
beging der Kreis seiner Verehrer durch ein
großes Konzert, in dem lediglich Kompositionen
aus seiner Feder zu Gehör kamen. Sie alle
mußten auch den Widerstrebenden davon über-
zeugen, daß dieser Komponist eine weit höhere
Würdigung verdient, als sie ihm bisher zuteil
wurde. Ist es doch leider Tatsache, daß viele
seiner groß angelegten, durch reiche JMelodik
ebenso wie durch klaren Bau und charakteristische
Eigenschaften ausgezeichneten Kompositionen
noch nicht einmal einen Verleger gefunden
haben, während Tausende von geringwertigen,
halb dilettantenhaften Arbeiten kleiner Geister
längst aller Welt zugänglich gemacht sind. Aus
dem reichen Programm des Abends, der dem
greisen Meister laute und herzliche Ehrungen
einbrachte, seien vor allem die »Frühlings-
symphonie* sowie die Ouvertüre und Schluß-
szene aus der einaktigen Oper »Die Paria* her-
vorgehoben. Um die Aufführung der Werke
machten sich die Herren Häntzsch und
Nüßle (Bariton bzw. Baß), Otto Wunderlich
(Violine), Lehmann-Osten mit seinem Chor
sowie Musikdirektor Heibig verdient. Dieser
brachte mit der ihm unterstehenden Kapelle des
Königlich Sächsischen Schützenregiments den
orchestralen Teil des Abends in höchst lobens-
werter Weise zur Geltung und bewährte sich
mit der Leitung des Opemfragments als ein
Dirigent von Temperament und großer Sicher-
heit Es bleibt nur zu hoffen, daß der mit
diesem Konzerte gegebene Hinweis auf das
reiche und reife Schaffen des Meisters Schulz-
Beuthen in Zukunft auch die gewünschte
Wirkung tun wird. Oder soll sich an ihm
wieder einmal das bittere Wort bewahrheiten.
daß ein deutscher Künstler erst sterben muß,
ehe man ihm Gerechtigkeit widerfahren läßt?
— Im Aschermittwochskonzert gelangte Liszts
»Faustsymphonie*, die uns heute als ein Umssi-
sches Werk erscheint, mit Herrn Grosch als
Solotenoristen zur Aufführung. Instrumental-'
sollst war Eugen d'Albert, der lediglich eigene
Kompositionen mit großem Erfolge spielte. —
Hans Neumann erwarb sich mit einem Solo-
abend, den er im Verein mit dem trefflichen
Pianisten Karl Fehling gab, aufs neue den
Ruf eines hochbegabten, echt musikalischen
Geigenvirtuosen. Wilhelm Backhaus und Tilly
Koenen erzielten mit ihren Konzerten wohl-
verdiente große Erfolge, und auch die beiden
Dresdner Künstler Percy Sherwood (Klavier)
und Job. Smith (Cello) durften mit ihrem ge-
meinsamen Konzert ein sehr günstiges Ergebnis
verzeichnen. F. A. Geiß 1er
ESSEN: Der Musikverein führte in seinem
vierten Konzert unter Prof. Witte Woyrschs
»Totentanz* auf, in dem ein großes Thema leider
in unrechte Hände gekommen ist Ludwig Hess
und Felix v. Kraus ließen die Leere dieser
nachempfundenen Musik einigermaßen über^
sehen. Der Chor sang seine leichteren Sätze gut,
bei den komplizierten haperte es, wie auch der
Vortrag der feineren Schattierungen ermangelte.
— Vom Frauenchor war Ludwig Wfillner su
seinem Hugo Wolf- Abend geladen, zu dem
er geistliche Gesänge beisteuerte, die Wolf
nach Gedichten von Eichender ff geschrieben
hat. Sie sind für gemischten Chor komponiert
und waren vom Leiter des Chors, G. E. O isner,
für Frauenchor bearbeitet. Max Hehemann
FRANKFURT a. M.: Willem Mengelberg,
^ der seither nur den Freitagskonzerten des
Museums vorgestanden, trat jüngst auch einmal
an die Spitze des Sonntagsorchesters und hat auch
dieser andern Körperschaft den Stempel seines
aufs Frische, Gesunde und besonders rhythmisch
Ausdrucksvolle zielenden Wesens rasch auf-
geprägt. Als Solist wirkte diesmal Alexander
Siloti mit seinem wundervoll gereiften, ernsten
Klavierspiel. Im vorhergegangenen Freitags-
konzert hatte sich der ebenfalls schon bekannte
Cellist Pablo Casals in Dvoi^ak*s bedeutendem
Konzert für Violoncello großen, gerecht-
fertigten Beiftill ausgewirkt. — Casars deutscher
Kollege Julius Klengel machte sich durch
sein Mitwirken an einem Museums-Kamme r-
musikabend verdient; ein bei diesem An-
laß vorgeführtes Streichquartett op. 10 von
O. Novacek ließen die Hörer achtungsvoll
passieren, ohne tiefere Neigung zu bekunden. —
Ähnlich erging es diesmal einer Neuheit der
Hockschen Kammermusikvereinigung, einem
Klavierquintett von Edgar Stillman-Kelley..
— Stärker haftete der Bindruck eines Quartett-
abends der Herren Rebner, Davissen,
Natterer und Hegar, die nichts Neues mit-
brachten, aber höchst gehaltvolles Altes, darunter
ein Werk wie das 127. von Beethoven (Es-dur (Quar-
tett), grundgediegen wieder aufzuschließen wußten.
— Eines fünften Opernhaus-Symphonie-
konzertsgedenken wir, weil sich hier bei der Auf-
führung von Rimsky-Korssakow's Orchester^
dichtung »Antar^ wieder einmal die auftUlende,
recht beklagenswerte Anteillosigkeit zeigte, mit
der unser hiesiges Publikum dem so ungemdD
57
KRITIK: KONZERT
M
iiitere8ttxiten and poesievollen rassischen Ton-
schdpfer gegenfiberstebt Man taute erst auf,
alt der hier schon bestens eingeführte Raoul
Pugno sich an den Fl&gel setzte, den er aller-
dings wieder brillant meisterte. — Auch ein
paar neue Erscheinungen auf anderen Konzert-
podien wiren zu erwähnen, so die Singerin
Frl. Yung aus M&nchen und der englische
Pianist R. Thynne, beide noch im Werden,
aber augenscheinlich auf gutem Wege, und
die Gesangsk&nstlerinnen M. Lumnitzer und
D. FoMitz, diese, weil sie auch den Duett-
gesang nicht uneben kultivieren und damit manch
liebenswfirdige kleine Tonschdpfung, wof&r der
Modegeschmack augenblicklich nicht viel fibrig
hat, wieder einmal in Vormerk bringen. —
Glänzend gelang dem »Museum* sein
zehnter Freitags - Orchesterabend, an dem
Brahma* vierte Symphonie, «Tod und Ver-
klirang* von Strauß und Wildenbruch-Schil-
lings* »Hexenlied* aufe neue an uns vorfiber-
zogen, letzteres mit Ludwig Wül Ine r als innig-
beseeltem Sprecher. Aber noch höher in der
Bedeutung ist vielleicht ein zweiter, äußerlich
weniger ausgiebiger Abend desselben Instituts
einzttschitzen, an dem uns endlich einmal der
Wunsch erfQllt ward, Bachs «Wohltemperiertes
Klavier* vom Konzertpodium herab zu ver-
nehmen. Siloti, der Russe, spielte daraus
zwei Priludien und Fugen und darf stolz sein
auf diese Pioniertat fQr ein auserlesenes Werk
deutscher Tonkunst, das bisher von so vielen
nur als ein gediegener Turnapparat fQr Geist
und Finger angesehen war. ~ In dem wie immer
sehr abwechslungsvollen Programm, mit dem der
Singerchor des Lehrervereins bei seinem
Jflngsten Konzert auftrat, wurde die Aufmerk-
samkeit durch eine Neuheit »Die wilde Jagd*
von Rudolf Bück ungewöhnlich gefesselt; die
kräftige Eigenart der Komposition und die
brillante Ausf&hrang durch Prof. Fleisch und
seine feingeschulte Singerschar machten so viel
Eindrack, daß das St&ck da capo gegeben werden
mußte. Vortrefflich hat sich such eine neue
Pianistin hier eingefQhrt: Germaine Arnaud
aus Paris, die bei ihren blutjungen Jahren
z. B. schon der Beethevenschen Appassionata
solche bedeutende Wirkungen abgewinnen konnte,
während ihr lostrumenulkollege Paul Gold-
schmidt in dem von ihm veranstalteten Abend
sein ansehnliches Talent durch ein Obermaß
physischer Kraftentwicklung mehr verschleierte
als dartat. Hans Pfeilschmidt
GENF: Im sechsten Abonnementskonzert unter
Leitung von Bernhard Stavenhagen wurde
zuerst die l^onorenouvertfire No.3 gespielt; dann
folgte Liszt's Es-dur Konzert (Frl. Bogel). Den
Beschluß bildete die Eroika. ~ Das siebente
Abonnementskonzert bot folgendes Programm:
Brachstficke aus «Der fliegende Holländer*;
Ouvert&re zu «Tsnnhiuser*; Wotan's Abschied ;
Fragmente aus «Parsifal*. Der Solist des Abends
war der Baritonist Louis de la Cruz-Fröhlich
ans Paris. Das inhaltsvolle Programm, von
Stavenhagen dirigiert, unter dem das Orchester
simtliche technischen Schwierigkeiten mit bra-
voaröser Virtuositit bewiltigte, wurde stfirmisch
applaudiert — Prof. M. Behrens gab einen
Rlevlerabend; auf dem Programm sunden Werke
von Becl^^Bnsoni, Beethoven, Suvenhagen, Schu-
mann und Liszt. Sein temperamentvoller Vor-
trag fand dankbare Aufnahme. — In seinem
dritten Konzert bot das Genfer Quartett
ein Streichquartett von Borodine, das f-moU Trio
von Dvoi^lk und Schuberts Forellenquintett.
Prof. E. Monod hatte in den beiden letzten
Nummera den pianistischen Teil fibernommen.
Prof. H. Kling
HAAG : Auch in dieser Saison fiben die Konzerte
des Residenz -Orchesters (Dirigent:
Henri Viotta) und die des Amsterdamschen
Orchesters (Dirigent: Willem Mengelberg)
die größte Anziehungskraft aus. Das Programm
des Residenz-Orchesters unter Andr6
Spoor's Leitung enthielt ausschließlich Werke
französischer Komponisten: Bizet (Suite Roms),
Lalo (Rhapsodie norv6gienne), Marche militaire
frangaise aus Ssint-Ssöns' «Suite alg6rienne*.
Der Violoncellist Charles Isterdael spielte u. a.
Saint-Saöos' Konzert. — Unter Henri Viotta's
Leitung: Goldmark (Symphonie op. 26), Saint-
Saöns (La jeunesse d'Hercule), Tschaikowsky
(Symphonie op. 36), Brahma (Variationen fiber
ein Thema von Haydn), Haydn (Symphonie
No. 12 in G), Rossini (Tell-Ouverture), Delibes
(Balletmusik aus «Sylvia*), Grieg (Elegiache
Melodieen), Beethoven (Symphonie No. 4), Strauß
(Don Juan). Als Solisten treten- auf: Marcella
Pregi; der Großherzogiich badische Hofopem-
sioger J. van Gorkom sang u. a. Wotans Ab-
schied und Feuerzauber und Lieder von Strauß
und Schillings; der Violinist Oscar Bach aus
Br&ssel spielte Vieuztemps* Konzert No. 4 in d.
Durch Abwesenheit war ich verhindert, das
Konzert zu besuchen, in dem Ernst von Doh-
nanyi auftrat. Als Virtuose und als Kom-
ponist erzielte er einen glinzenden Erfolg mit
Brahma* Klavierkonzert No. 2 und mit seinen
Stficken «Humoreske*, „Marsch*, ^Pastorale*,
«Introduction und Fuge*. — In Willem
Mengelberg besitzt Niederland einen Or-
chesterdirigenten allerersten Ranges. Er ver-
steht, seine Kfinstlerschar außergewöhnlich zu
inspirieren und erzielt darum auch außergewöhn-
liche Resultate. Er brachte u. a« auch die an-
mutige «Rosamuodenmusik* von Schubert,
Mendelssohns i, Meeresstille und glfickliche
Fshrt* und Liszts »Faust -Symphonie*. Noch
niemals habe ich dieses Werk so prachtvoll auf-
f&hren hören, als unter Mengelbergs glutvoller
Leitung. Auch der Minnergesangverein »Richard
Hol* wurde inspiriert und löste seine Auf-
gabe glinzend. Auch in der Wiedergabe von
Brahms' zweiter Symphoniejoachims »Lustspiel-
Ouvertiire* und Richard Strauß' »Don Quixote*,
offenbarte sich Mengelbergs großes Talent.
Dirigent und Orchester ernteten stfirmischen
Beifall. Es kamen femer zur Vorführung C6sar
Francks Symphonie in d, Max Regers op. 100,
Griegs »Peer Gynt*-Suite, Liszts »Les Pr61udes.*
Mitwirkende Solisten in diesen Konzerten wsren:
der Violinvirtuose Carl Flesch (Beethovens
Konzert mit den Joachimschen Kadenzen);
Hermine Bosetti exzellierte in der Arie der
Consunze aus der »Entführung*, riß aber daa
Publikum zur Begeisterung hin mit dem Vor-
trsge von Liedern von Wolf und Cornelius. Die
Klsviervirtuosin Marie Panthia spielte u. a.
Moor's Konzert in Des. — Im Konzert des
Utrechtschen Paleatrinachorea (Dirigent:
58
DIE MUSIK ^11. 13.
H. Guy per s) hörte man Kyrie, Gloria und
Saocttta aus Palestrina's Messe »Papae Mar-
ceili% «Hodie Ghristus oatus est* von L. Mar-
enziOy und zwei Altdeutsche Weihnachtslieder.
Der Organist H. Secrdve spielte StScke von
Bach «nd Rheinberger. — Der Acappellachor
aus Amsterdam (Dirigent: Anton Averkamp)
brachte ein schönes Programm: Palestrina
(Sanctus; Benedictus), Leo Haßler (Agnus Dei),
M. Ingegneri (Tenebrae factae sunt), Brückner
(Ave Maria), weltliche Gesinge von Job. Eccard,
ein Alt-niederlindisches Lied «Hans und Grete*,
ferner Kompositionen von Hellinck, Brabms und
Robert Kahn. Otto Wernicke
HAMBURG: Das 9. Philharmonische Kon-
zert gab unserer »Philbarmonie*, die sich
lange genug gegen Wagner — und nicht nur
gegen ihn, sondern gegen alles, was Fortschritt
beißt, — gesträubt hat, die vielleicht innerlich
auch heute noch unversöhnt der Entwicklung
der Dinge gegenfibersteht und nur aus prak-
tischen Grfinden sich zu einiger Nachgiebigkeit
bereitflnden lißt, Anlaß zu einem Wagner-
Gedenkkonzert Man fiel dabei von einem
Extrem ins andere: fünf großeWagnerscheOuver-
t&ren und Vorspiele, außerdem noch das Sieg-
friedidyll, die Trauermusik aus »Götterdämme-
rung* und Liebestod waren entschieden zu viel
für einen Abend. Außerdem mußten die so
verschieden gearteten Werke sich in dieser Zu-
sammensetzung des Programms direkt erdrücken.
Unmittelbar nach der Ekstase der »Tannhiuser*-
Ouvertüre ist es eben ganz unmöglich, sich
innerlich auf den itherischen Glanz des »Lohen-
grin* - Vorspiels einzurichten. Und zwischen
dem Zyklopenbau des »Mdstersinger^-Vorspiels
und dem heroischen Pathos der Trauermusik
aus der »Götterdimmerung* ist kein Platz für
das SiegfHedidyll. Die Aufführung der Werke
bewies, daß Max Fiedler sich im Laufe der Jahre
dem inneren Wesen Wagnerseber Kunst zwar
genihert bat, aber daß er doch noch nicht eine
eigne Spräche spricht, wenn er Wagner dirigiert.
Er bat den Dialekt gut angenommen. Aber
es ist eben Dialekt. Das 10. Konzert, das
unter der Mitwirkung der Singakademie sutt-
fand, leitete Prof. Barth. Es brachte zunächst
einmal Brabms und zwar ziemlich philiströse
Wiedergaben von »Naenie* und »Gesang der
Parzen*. Die zweite Abteilung des Konzertes
wurde mit einer wesentlich höber stehenden Auf-
führung von Schumanns »Manfred* ausgefüllt,
an dessen ergreifender Wirkung nicht nur Dr.
Ludwig Wüllner als genialer Interpret der By-
ronschen Dichtung, sondern auch das unter
Barths Leitung sehr feinsinnig spielende Or-
chester und eine respektable Chorleistung ihren
Anteil hatten. -~ Das vornehmste einheimische
Quartett, das Bandler-Quartett, hatte sieb zu
seinem letzten Abend in dieser Saison der Mit-
wirkung des ausgezeichneten Klarinettisten
Richard Grife versichert und brachte mit ihm
Mozarts köstliches Klarinetten-Quintett in A-dur
in einer so tonschönen als stilistisch echten
Ausführung zu Gehör; unter solchem Beifall,
daß man eigentlich das gsnze Werk bitte da
capo spielen können. Weniger glücklich schnitt
die Korporation mit einer klanglich noch nicht
recht ausgeglichenen Wiedergabe von Brabms'
€-moll Quartett ab. — Julius Laubes alljibr-
liebes Benefiz brachte diesmal dem vorzüglichen
Dirigenten, dem Hamburg so außerordentlich
viel zu verdanken bat, ganz besondere Ebmngen,
da es sich um das Abschiedsbeneflz des Künstlers
handelte. In seiner schlichten und ehrlicben
künstlerischen Weise, der ein wirklich großer
Zug nicht abgesprochen werden kann, dirigierte
Laube die 2. Beethovensche Symphonie, die
Trauermusik aus »Götterdimmerung* und die
Ouvertüren »Rule Britannia* von 'Wagner und
»1812* von Tschaikowsky. Als Solisten wirkten
die Cellistin Eugenie Stoltz aus Berlin mit,
die vielleicht stirkeren Erfolg erzielt bitte, wenn
sie sich eine weniger undankbare Kompünitlon
als Eugen d'Alberts doch recht brüchiges Cello-
konzen ausgesucht bitte, und Elsa Laube, die
begabte, am Bremer Sudttheater wirkende
Tochter Laubes. Mit hübsch pointierten Vor-
trigen wußte die Singerin, die namentlich nnf
dem Gebiete des Heiteren und Anmutigen
Meisterin Ist, sich die Gunst der Zuhörersiebafk
im Fluge zu erobern. Heinrich Chevalley
HEIDELBERG: Das Programm des sechsten
Bachvereinskonzertes enthielt die l>eiden
In gewissem Sinne gegensitzllchen Werke: die
»Dante*-Symphonie von Liszt und die »Ptata-
stlsche* von Berlloz, die unter Philipp Wolf-
rums geistvoller und anfeuernder Leltmig vom
riesigen Instrumenulkörper vorzüglich gespielt
wurden. Der Frauenchor, hinter einem Giue-
vorhang vor der Orgel etwas erhöht plaziert oad
wie das Orchester dem Publikum nicht sichtbnr,
bot Im Magniflkat inbezug auf Reinheit und
Gestaltungskraft eine tiefergreifende LeltUing.
Im siebenten Konzert entzückte das KünetlerpMT
Dr. Felix von Kraus und Adrienne v. Krant-
Osborne durch Lieder und Duette von Sehn«
bert, Brahma, Liszt, Wolf und Weber. Dr. Wolf-
rum sang mit am Bechstein-Flügel. Das aehte
Konzert, auf den romantischen Ton gestimmt,
gab dem vielumstrittenen Tondichter Hans
Pfitzner Gelegenheit zu beweisen, daß er In
musikaliscben Dingen »etwas zu sagen habe*;
er dirigierte seine ,Christelfleln*-Ouvertüre nnd
einen Abschnitt aus der Musik zum »Kithchen
von Heilbronn*. Martha Schauer-Bergmann
(Breslau) Imponierte in zwei Arien (ans »Eury-
anthe* und »Oberen*) durch ihre aleghalio
Stimme und ihre greßsügige Art der DarMetang.
Das Konzert wurde mit Beethovens »Vierter*
eröflPoet. Im neunten legitimierte sich Anna
Hirzel mit dem B-dur-Konzert von Brahma alt
phinomenale Pianistin, und Siegmund v. Hant-
egger bewihrte sich in seinem lingtt gewür-
digten »Wieland der Schmied* ala temperament-
voller Orchesterdirigent Schuberts »Unvol-
lendete*, in kaum zu fiberbietender Art
interpretiert, und Wagners Jugendwetk »Colnm-
bus*-Ouvertüre, zur Erinnerung an den 25k
Todestag des Meisters ins Programm auf-
genommen, umrahmten das neunte Konzert. —
Die treflnichen Kammermusikkonzerte von
O. Seelig fanden durch die Münchener und
das Rebner-Quartett aua Frankfürt a. M.,
das ausschließlich Beethoven'sche Werke und
unter diesen das Sepiett opus 20 zu Gehör
brachte, ihren Abschluß. Das neue Heidel-
berger Trio: Paul Stoye (Klavier), Max Pott
(Violine) und Richard Post (Violoncello) fUrte
sich u. a. mit dem H-dur-Trio Op. 8 von
59
KRITIK: KONZERT
Bratain8 und dem B-dur-Trio von Schubert viel-
versprechend ein. In der »Musikalischen Ge-
eellecliaft" erwarben sich durch die VorfQhrung
von Sonaten alter Meister (Corelli, dair
AbacOy Hindely Buxtehude und J. S. Bach)
Anna Bai 11 o (Violoncello) und die Herren
Porges (Violine) und Hasse (Klavier) großes
Verdienst« Solisten-, Kirchen- und Minnerchor-
Konzerte füllten die noch freien Abende aus.
Karl Aug. Krause
1^ ASSEL: Das Januar-Konzert der König-
'^ liehen Kapelle unter Dr. Beier bot außer
einer Haydn-Symphonie eine in B von Rudorff, die
troti mancher Vorz&ge und Schönheiten einen
tieferen Eindruck nicht hinterließ. Begeisterung
wecloe Stavenhagen mit Liszts Es-dur Konzert
und Schumanns Papillons. Innerhalb einer
Woche kamen Mendelssohns vElias* und «Paulus*
zu Gehör, jener durch den Philharmonischen
Chor (Dirigent Nagel), dieser durch den Ora-
torienverein (Dirigent Hallwachs), beide in
chorischer wie solistischer Hinsicht höchst
lobenswert und wirkungsvoll. Die Herren Käse
und Koegel und die Damen Stronck-Kappel
und Fnnck wirkten im »Elias*, Frau Grum-
bacher-de Jong, Frau Hallwachs und die
Herren Eweyk und Reimers im »Paulus*.
Eine wertvolle Novitit bot der Lehrergesang-
verein zur Feier seines 25jihrlgen Bestehens
mit Zöllners »Bonifficius*. Der Chor stand
«ttf voller Höhe und wurde durch gute Solisten:
▼alther Soomer und Martha Schauer-Berg-
mann, die außerdem die Ozean- Arie aus »Obe-
fOB* trefflichst sang, bestens unterst&tzt. — Von
Virtuosen hatte dendenkbar größten Erfolg Bur-
mester, dessen Begleiter Schmidt-Badekow
CleichMls viel Beiffill erntete. Mit Meister
Wfillner im Bunde traten hier zuerst auf Elly
Ney und Herr Marneff. Die Leistungen der
Pianistin waren interessant, aber ungleich Im
▼ert, die des Cellisten ausgezeichnet durch Ton-
•chönhelt und Akkuratesse. Ihr altes Renommee
befestigten in einem gut besuchten Konzerte die
Geigerin Minna Rode und die Pianistin E. von
Binzer. Dr. Brede
X/^ÖLN: Hauptstucke im neunten Gfirzenich-
'^ Konzert waren zwei Beethovensche Werke:
die von Fritz Stein bach eindrucksvoll inter-
pretierte siebente Symphonie und das Violinkonzert
D-dur, für das Alfred Wittenberg mit seiner
bedeutenden Technik, seinem warmen großen
Tone ond seiner aller unzeitigen T&ftelei abholden,
Silittterten Auffassung höchst erfolgreich eintrat,
ann freuten wir uns, Bernhard Scholz von
Frankfhrt in voller Frische seine symphonische
Phantasie »Malinconia* vorfuhren zu sehen, eine
ideenschöne, in drei Abschnitte zerfallende Ton-
echöpfung, deren vornehme und wohllautreiche
Art bedauern lassen kann, daß Scholz in dis-
kreter Selbstbeschrinkung dem Werke einen
größeren Umfang nicht geben wollte. Dem
Titel entsprechend, sind es vorwiegend Gedanken
schwerm&tiger Natur, die uns in warmherziger,
schlichter Beredsamkeitvf elerlei sagen und denen
der Meister in einer stimmungsreichen, die
Instramente ohne alle moderne Anwandlungen
aufisrordentlich gewihlt behandelnden Tonsprache
edles Ausdruck gibt. Echte, reine Musik. Das
Cfirsenidipttbllinim spendete surken Beifall und
rief Sdiols mehrmals hervor. Dann hörte man
Vincent d'Indy's symphonische Variationen
«Istar*. Ich vermag eine wirkliche musikalische
Illustrierung der betreflPenden Momente des alten
babylonisch-assyrischen Heldengedichts Izdubar
in diesen Variationen nicht zu erblicken, also
die Lösung der von dem allbekannten Tonsetzer
übernommenen Aufgabe nicht als gelungen zu
betrachten. Die Erfindung d'Iody's reichte nicht
aus, und so finden wir, da er als schaffender
Musiker unsere Phantasie zu wenig unterstützt,
die einzelnen Bilder oder Geschehnisse nicht
genfigend glaubhaft geschildert. Natürlich bringt
d'lndy manches Interessante Detail, und hervor-
ragende klangliche Reize erzeugt namentlich
seine virtuose Instrumentation. Unser Publikum
traf an diesem Abend ein zweitesmal das Rich-
tige, indem es dieses Werk, dem Steinbach und
das Orchester alle möglichen Chancen geboten
hatten, recht kühl aufnahm. — Nun aber eine
Frage. Wo blieb denn Richard Wagner in
diesem (am 18. Februar abgehaltenen) Konzert,
er, dessen 25. Todestag die ganze musikalische
Welt durch Aufführungen ehrende Rechnung
trug? Wagner, von dem in diesen Abonnements-
konzerten Im Laufe langer Jahre so viel, und
so oft gänzlich deplaziert, Opembruchsiücke
gebracht wurden, mit dessen Ouvertüren man
sonst so gern die Programme bereichert?!
Dem Singer X oder der Singerln Y zuliebe ließ
man sich doch Immer ohne Murren bereit
finden, Szenen und Duette Wagnerscher Werke
aus dem Bfihnenrahmen weg In den Konzert-
saal zu zerren. Wollte die Konzertgesellschaft
durch die auffiUige Wagner-Abstinenz gersde
im Anechlusse an den jetzigen Gedenktag der
Einsicht, daß mandem dramatischen Tonsetzer
Im Gfirzenich allzu oft tönendes Unrecht getan
hat, zerknirscht schwelgenden Ausdruck geben?
— In der Musikalischen Gesellschaft
holte sich Ruth Wald au er aus Mobile einen
durchaus berechtigten starken Erfolg, indem
sie Arien und Lieder mit sehr schöner, best-
geschulter Sopranstimme höchst geschmack-
voll vortrug. Auch der Heidelberger Gelger
Friedrich Porges erzielte mit Bachs g-moll-
Konzert, das Arnold Krögel mit dem Streich-
orchester der Gesellschaft feinfühlig begleitete,
und mit Tartlni's g-moll-Sonate vorwiegend
günstige Eindrücke. — Der noch junge Cellist
Percy Such aus London setzte das Audito-
rium in Erstaunen durch seine Im ersten
Satze von DavidoflPs wenig originellem a-moU-
Konzert betitigte seltene Technik, dann durch
seine edle Kantllene bei der Bruchschen Canzone
und die hier wie bei Fitzenhagens Perpetuum
mobile dargetane vielseitige Virtuositit. — Lebhaft
interessieren konnte der Planist H. Stenne-
bruggen von Straßburg, der bei der Wiedergabe
von Saint-Saöns' c-moll-Koozert, Chopins cis-
moll-Noctume und Barkarole und Liszts Tarantelle
eine schöne Sicherheit und Glitte der tech-
nischen Ausgestaltung, aber nicht Immer die
vollgenügende Kraftentfaltung und nicht viel
Wirme des Empfindens beobachten ließ« Unter
Frlu St ein bach gelangte der orchestrale Part
zu wirkungsvoller Ausprigung. — Durch die
bedeutsame Eigenart Ihres Vortrags und die
geschickte Behandlung Ihrer Stimme begeisterte
Lola Barnay aus Berlin zumal mit dem Uede
«Schiiee* des Schweden LIe die Hörer In außer-
60
DIE MUSIK VII. 13.
gewöbnlichem Maße. — Dann lernte man in L.
Delune aus Paris einen trefflieben Pianisten
kennen, der nur in der Wahl seiner eigenen
schwachen Violinsonate einigermaßen unvor-
sichtig war. Deren Geigenpart sowie kleinere
Stucke hatten übrigens in Silvio Floresco
einen wenig bedeutenden und noch weniger
interessierenden Vertreter gefunden. — Das
G&rzenicb-Quartett brachte bei seinem
siebenten Kammermusikabend Beethovens F-dur-
Quartett und Haydns dmoll-Quartett in wunder-
vollem Zusammenspiel und stilreinster Aus-
fObrung aller Gedankenphasen zu sehr genuß-
reicher Veranschaulich ung. Ein erstmalig ge-
hörtes Quartett a-moll von Ernst Toch sprach
mehr vermöge guter Arbeit als durch Werte der
Empfindung an, die eine prignante musikalische
Physiognomie nicht erkennen lißt. Im dritten
Satze glaubte man Tschaikowsky zu hören. Am
achten Abend der Vereinigung, dem letzten der
Saison, hinterließ die ausgezeichnete Wiedergabe
dreier Beethoven- Werke: der Quartette D-dur und
cis-moll sowie des Klaviertrios Es-dur, bei dem
Hedwig Meyer höchst verdienstlich mitwirkte,
Eindrücke erhebendster Art. Paul Hiller
MÖNCHEN: Das Sprichwort vom kreißenden
Berg, der eine licherliche Maus gebiert,
ist alt, manchmal kommt es aber doch auch
vor, daß eine licherliche Maus einen Berg ge-
biert. Ich habe in meinem letzten Bericht die
Angelegenheit Dr. Kaim - Dr. Louis besprochen ;
schon damals waren aus den Bemerkungen Dr.
Kalma aufder Rückseite eines Konzertprogramms
alle möglichen Unzutriglichkeiten allmihlich
entstanden; sie haben sich nunmehr ins Grosse
und fast möchte man meinen ins Unentwirrbare
ausgewachsen. Hofrat Kaim soll, wie man
hört, die Kündigung gegenüber den Musikern,
deren Entfernung das Musikkomitee der Aus-
stellung „München 1908* verlangte, schließlich
wieder zurückgenommen haben; daraufhin löste
das Musikkomitee den mit Kaim geschlossenen
Vertrag, nach dem sein Orchester als Aus-
stellungsorchester zu fungieren gehabt bitte,
sab sich auswirts (Dortmund) nach einem Er-
satz um und wurde deshalb von der Münchener
Presse vielfach getadelt und angegriffen. Das
Kaimorchester selbst wollte infolge einer Er-
klirung, die sein Kapellmeister Schn6evoigt in
den Zettungen abgegeben hatte, unter ihm nicht
mehr spielen, streikte in Mannheim wibrend
eines Konzertes btw. leistete durch schlechtes
Spiel passiven Widerstand und wurde daraufhin
von Hofrat Kaim ganz berechtigterweise wegen
Kontraktbruches entlassen. Es gibt nun unter
einem seiner früheren Dirigenten eigene Kon-
zerte. Dr. Kaim seinerseits will ein ganz neues
Orchester sammeln und veranstaltete vor kurzem
zum erstenmal einen populiren Abend mit der
allerdings noch etwas lückenhaften neuen
Kapelle. Und so ist der ursprüngliche Grund
all dieser Schwierigkeiten so gut wie vergessen,
der Kampf wogt weiter um größere und wich-
tigere Dinge, vor allem um die Frage der
Neuschaffung des für München dringend not-
wendigen zweiten großen Konzertorchesters und
am die Frage des Ausstellungsorchesters. Was
das Ende davon sein wird, weiß heute noch
kein Mensch zu sagen. Bedauerlich ist und
bleibt nur» daß niemand sich gefunden hat, der
«i«a
M
im Interesse unseres Musiklebens zu Anfang
der Streitigkeiten eingegriffen bitte. Bei einer
gütlichen Einigung über den ersten Anlaß
wire es wobt kaum zu den beklagenswerten
Folgen gekommen, die nun die Situation für
alle Teile überaus prekir und unerquicklich
gestaltet haben. — Die Kaim- und die Pfitz-
ner-Abonnementskonzerte haben natürlich»
für jetzt wenigstens, durch die Entlassung des
alten Kaim-Orchesters ein jihes Ende gefunden.
Das vierte Pfltzner-Konzert hatte vor einem
wieder trostlos leeren Saal eine sehr schöne
Wiedergabe von C. Francks d-moll Symphonie
und eine in der Temponahme verfehlte, auf
weite Strecken zu langsame Interpretation von
Strauß' i^Don Quixote* gebracht. Sollstisch
beteiligten sich Tilly Koenen und der Meister-
Cellist Heinrich Kiefer. Das siebente Kaim-
Konzert vermittelte die Bekanntschaft mit dem
temperamentvollen Geiger Joan Man6n, im
achten errang Valborg Svirdström sehr
hübschen Erfolg. Aus dem Programm wire
noch Wolfs «Italienische Serenade* unter
Scbn6evoigts geschickter Leitung hervor-
zuheben. An Stelle der ebenMls unmöglich
gewordenen Volks - Symphonie - Konaerte
sind einstweilen Volks - Kammermusik-
Abende getreten, ausgeführt von den Herren
Hey de (Violine), van Vliet (Cello) und rep-
schiedenen Pianisten, darunter auch Prof.
Schmid-Lindner. — Alte Musik in echter
Fassung findet glücklicherweise immer mehr
Pfiege und Verstindnis. Hervorragendes leistet
darin die Soci6t6 dMnstruments anclens.
Alte Lieder (.Gedichte Goethes in der Musik
seiner Zeit* und ^.Geistliche und weltliche Lieder
des 18. Jahrhunderts*) trug Philippine Lands-
hof f in zwei Konzerten sehr verstindnisvoll
vor. Den größten Beifall fand die Barth sc he
Madrigalvereinigung, die ein eriesenes
Programm von Madrigalen, Chansons usw. zu
größtem künstlerischen Genuß stilvoll aus-
nibrte. Auch das Konzert des Mfinchene^
Chorschulvereins unter der sachverstindigen
Leitung Eugen Wöbries sei in diesem Zn-
sammenhang genannt. — Günstigen Eindruck
von seiner Dirigentenbegabung hinterließ Floren!
Werner in einem Konzen mit dem Kaim-
Orcbester, das zwei Symphonieen von Brückner
und Brabms einander gegenüberstellte. — Von
Kammermusikveranstaltungen wire eines So-
natenabends von Julius Kiengel (Cello) und
Fritz V. Böse (Klavier) zu gedenken, femer
zweier interessanter Konzerte der Münchener,
das erste in Gemeinschaft mit Heinrich Schwerts
(Klavier) und das zweite mit August Schmid-
Lindner (Klavier). Mit Robert Hausmann
(Cello) spielte Schmid-Lindner in mustere
gültiger Weise simtliche Cellosonaten von Beet-
hoven. Weniger Anklang fand das Frankfurter
Rebner-Quartett wegen seiner nicht immer
klangschönen Tongebung. Aus den Programmen
der Abonnementskonzerte der Mfinchener
und der Böhmen ist Brückners herrliches»
leider viel zu selten gehörtes Streich quintett
hervorzuheben. Auch die Brüsseler gaben
ein zweites Konzert. Lamond und Burmestet
brauchen nur erwibnt zu werden. Michel de
Sicard erwies sich als beachtenswerter Geiger,
ebenso Theodor Spiering. Von Gwumgt-
61
KRITIK: KONZERT
koBieiten hatten Bedeutung die Ton Anton
Schleeeer (Tenor), Toni Bendix (Alt), Lotte
Schloß (Sopran), F. Broderaen (Bariton),
Erich Hanfs taengl (Bariton) und der Duetten-
abend der Damen Möhl-Knabl und Rhein-
feld. — Unsere Akademie-Konzerte unter
Felix Mottl halten sich nach wie vor auf
höchater Höhe. Im dritten sang Frau Preuse-
Matsenauer vorzüglich Berüozsche Gesinge;
auch Weingartners «König Lear* wieder zu be-
gegnen, war sehr erfreulich. Im vierten fesselte
die hier fHiher schon aufgeführte Tondichtung
,»Taormina* von E. Boehe als starke Talentprobe.
Nach dem fünften mit Beethovens «Neunter*
brachte das sechste wieder eine kleine musika-
lische Sensation: Richard Wagners OuvertQre
zu «König Enzio*. Gewiß, sie ist weniger
originell wie die zu «Christoph Columbus*,
Beethovens Vorbild stark erkenntlich; trotzdem
besticht sie durch die Klarheit ihrer Form und
die immerhin nicht unbedeutende Prignanz
ihrer Thematik. Die Instrumentation läßt natfir-
lieh den späteren Meister nicht ahnen, ist aber
dennoch recht wohlklingend. Vollendet war an
diesem Abend die Ausdeutung von Brückners
dritter Symphonie durch Mottl, und Heinrich
Schwartz' Spiel in Beethovens Es-dur Klavier-
konzert — Mehrere Veranstaltungen in größerem
Rahmen sind zu erwähnen. Ein Konzert des
Lehrergesangvereins enthielt in seinem
Programm als HauptstQck einen achtstimmigen
gemischten Chor von Siegmund v. Hausegger,
«Requiem* nach einer Dichtung von Hebbel,
ein ganz hervorragendes, aber dem Chor
onendliche Schwierigkeiten bietendes St&ck«
das tiefsten Eindruck machte, auch infolge der
vollendeten Interpretation unter Kapellmeister
Cortolezis, der in gleicher Weise mit Chören
von Reger und Brückners «Germanenzug* seine
eminente Befllhigung als Chordirigent bewies.
Einen großen Erfolg errang Max Schillings
mit der Konzertvorf&hrung des ersten Aktes
seiner Oper «Moloch" (Soli: Felix v. Kraus,
Ludwig Heß, Hans Herbelt, die Damen Bur*
chardt und Hövelmann); im selben vom All-
gemeinen Deutschen Musikverein gegebenen
Konzert gelangten «Drei Hymnen an die Nacht*
für Bariton und Orchester von Siegmund v. H a u s -
egger zur Vorf&hrung, gesungen von Felix
V. Kraus, Stflcke voll Erfindungskraft und
achönater Charakterisierungskunst, auch in der
Instrumentation, die stets Rücksicht auf die
Singstimme nimmt Recht gut gefielen drei
Chöre mit Orchester von Ludwig Heß, am
besten vielleicht «Schnitterlied*. — Eine Ge-
denkfeier für Grieg nahm unter Mitwirkung
Björn Björn sons, der eine kleine Gedichtnis-
rede hielt, wfirdigen Verlauf; u. a. kam das
Streichquartett g-moll zu Gehör. — Aus einem
Modernen Abend des Philharmonischen
Orchesters unter Jan Ingenhoven ist
gsnz besonders die meisterliche Wiedergabe
von Paul Dukas' interessanter Sonate es-moll
für Klavier durch Prof. Schmid - Lindner
hervorzuheben. In Werken von Perosi und
Martucci hielt sich das verstärkte Or-
chester sehr wacker. — In einem Novitäten-
abend endlich unter V. W. Seh warz' geschickter
und sympathischer Leitung wurde nach Kom-
positionen von Georg Stoeber und einer 1880
komponierten «Frfihlingsouvertiire* von Ludwig
Tbuilleder dritte Aufzug von Herman Zumpes
nachgelassener Oper «Säwitri* aufgeführt Ein
Teil der Solisten war nicht gut disponiert, so
daß der Eindruck erheblich litt ; aber auch ohne-
dies mußre man sich darüber im klaren sein,
daß aus dieser Partitur zwar ein äußerst warm-
herziger und wahrhaft kunstbegeisterter Mensch,
aber kein wirklich originaler Künstler, kein
genialer Erfinder zu uns sprach. Wagner und
Schillings haben bestimmend auf ihn eingewirkt;
der überwältigenden Größe Wagners ist er mit
seinem eigenen Ich allzusehr unterlegen. Allein
wegen der ehrlichsten Echtheit ihres Empfindens
kann man diese Musik nur mit Ergriffenheit und
Rührung anhören. Unterstützt durch schöne
Bühnenbilder wäre sie wohl ihrer Wirkung
sicher. — Was Leute, die mit den Verhältnissen
vertraut sind, schon länger voraussahen, ist ein-
getreten. Der Allgemeine Deutsche Mu-
sikerverband beabsichtigte, wie erinnerlich,
durch Verhängung einer sachlich absolut un-
gerechtfertigten Sperre über die Ausstellung
«München 1908* die Ausstellungsleitung zu
zwingen, das von Hofrat Kaim wegen Kontrakt-
bruchs entlassene, nunmehrige Tonkünstler-
Orchester als Ausstellungsorchester zu enga-
gieren. Die Stadt wollte sich auch, gegen den Willen
des Musikkomitees natürlich, kampflos vor diesem
Terrorismus beugen, als die Presse von der
Sache erfuhr und energisch dagegen protestierte.
Daraufhin wurde von Berlin aus, «um Ver-
handlungen zu ermöglichen*, die Sperre auf-
gehoben, natürlich nur unter der Voraussetzung,
daß das Tonküostler-Orchester eben doch die
angestrebte Stellung erhielte. Da die Orcbester-
mitglieder bzw. der Musikerverhand jedocb auf
keinen der von der Au^stellungfdeitung gemachten
Vorschläge einging und auch k ine ihrer im
Interesse von Disziplin und künstlerischer
Leistungsfähigkeit gestellten Forderungen er-
füllte, entschloß sich die Stadt endlich, gar kein
Orchester zu nehmen und alle hoch strebenden
musikalischen Pläne, wie sie Siegmund von
Hausegger im Namen des Musikkomitees noch
kurz vorher veröffentlicht hatte, unausgeführt
zu lassen. Da man aber trotzdem den Zorn
der Gewaltigen im Musikerverband bzw. der zu
ihnen stehenden Gewerkschaften, die im Falle
der Ablehnung des Tonkünsiler- Orchesters offen-
bar nicht undeutlich mit der Verhängung einer
Generalsperre über die ganze Ausstellung ge-
droht hatten, fürchtete, so versprach man, das
Tonkünsiler- Oichester als eine Art «Ehren-
Orchester* zu größeren Veranstaltungen heran-
zuziehen; neuerdings heißt es, das Orchester
wolle auch auf eigene Rechnung große Konzerte
in der Ausstellung veranstalten, andere sprechen
mit ziemlicher Sicherheit dsvon, daß doch noch
ein fester Vertrag zwischen Stadt und Orchester
mit sehr günstigen Bedingungen für letzteres
zustande kommen würde. Jedenfalls — das ge-
samte Musikkomitee hat seinen Rücktritt erklärt,
das Tonkünstler-Orchester und der Allgemeine
Deutsche Musikerverband dagegen werden, wenn
nicht direkt, so doch indirekt ihren Willen durch-
setzen, und die entlassenen Kaim-Musiker werden,
sei es offiziell oder inoffiziell, das Ausstellungs-
orchester bilden. Die gewichtigen prinzipiellen
Gründe, die gegen diese Lösung der Angelegen-
62
DIE MUSIK VIL 13.
beit sprachen and noch sprechen, darzulegen
ist hier nicht der Raum. Aber es ist ein trauriges
Kapitel nicht nur in Münchens sondern in ganz
Deutschlands Musikleben, das da zur Besprechung
stünde. Erwähnt sei noch, daß die gesamte
Müncbener Presse mit Ausnahme des sozial-
demokratischen Organs in gemeinsamer Er-
klärung es abgelehnt hat, bis auf weiteres die
Vtranstaltungen des Ton künstler- Orchesters
redaktionell anzukündigen oder kritisch zu be-
sprechen. — Des Bedeutenden gab es in den
Konzertsälen letzter Zeit nicht allzuviel. An
erster Stelle müssen drei Kammermusikabende
von EugöneYsaye (Violine) und Arthur DeGreef
(Klavier) genannt werden, die ganz Außer-
gewöhnliches boten und in der Wiedergabe von
C6sar Francks A-dur Sonate sich geradezu zum
unvergeßlichen künstlerischen Ereignis aller-
höchsten Ranges steigerten. Wundervolle
Leistungen hörte man auch in dem Abschieds-
abend der Böhmen, insbesondere mit Schumann
und Mozart. Ein Kompositionsabend von Bernhard
Sekles vermittelte die Bekanntschaft mit einem
ganz originellen Liederzyklus «Aus dem Schi-
King*. Eine sehr interessante Persönlichkeit
offenbarte auch der Liederabend, in dem Dr. Walter
Courvoisier durch ausgezeichnete Inter-
preten seine Lieder zur Aufführung brachte. —
Die Pf itzn er- Konzerte schlössen vorzeitig
infolge der Orchesterschwierigkeiten mit dem
fönften Abend, an dem SistermansPfitznerscbe
Lieder sang und Pfitzner selbst mit Kilian
(Violine) und Kiefer (Cello) meisterhaft sein
ungemein interessantes und in den beiden Mittel-
sitzen unmittelbar packendes Trio op. 8 spielte.
— Ober das neunte Kaim-Konzert, das erste
wieder nach der Mannheimer Katastrophe, Be-
sonderes im guten oder schlechten Sinne zu
sagen, ist nicht möglich; das neu zusammen-
gestellte Orchester exekutierte recht wacker
unter Cor de Las (Schn6evoigt weigerte sich
zu dirigieren) ein harmloses Programm, das den
noch sehr schwachen Holzbläsern keine un-
möglichen Aufgaben stellte; als Solist fand der
feinsinnige Felix Senius (Tenor) viel Beifall.
Dr. Eduard Wahl
ROTTERDAM: Der sehr rührige, ausgezeich-
nete Konzertdirigent Bernard Diamant ver-
anstaltete mit seinem gut geschulten Gesang-
verein i^Excelsior* eine wohl vorbereitete Auf-
führung von Max Bruchs »Das Lied von der
Glocke". Otto Wernicke
SCHWERIN i. M.: Den Liebhabern von Blas-
musik bot das vierte Orchesterkonzert in
einer Serenade von Bernhard Sekles Schönes
in reichem Maße. Der Bliserchor leistete Vor-
zügliches an Klangschönheit und Akkuratesse,
im Verein mit den Streichern wirkte die Kom-
position sehr anregend. Auch Jean Sibelius'
ifValse triste**, ein Stück von stark nationaler
Färbung, wurde mit Interesse gehört. Das Or-
chester fand in den .Idealen* von Liszt eine
dankbare Aufgabe für seine bewundernswerten
Fähigkeiten. Hugo Becker spielte ein Cello-
konzert von Volkmann und entwickelte eine
Größe des Tones und edle Empfindung wie sie
nur ein wahrer Künstler zu geben vermag.
Einen außerordentlichen Erfolg hatte das russi-
sche Trio Press aus Moskau. Sein feines,
exaktes Zusammenspiel drängte nirgends die
technische Seite in den Vordergrund, überall
wurden der unmittelbar zündende Ausdruck der
Empfindung und edler Wohllaut gewahrt. Auf
Schuberts B-dur Trio op. 99 folgte Tschaikowsky's
a-moll Klaviertrio. Eine Passacaglia über ein
Thema von Händel von Halvorsen für Violine
und Violoncello war im Vortrag von frischer,
warmer Klarheit und straffer Rh3rthmik.
Fr. Sothmann
VERDEN (Aller): Im Odeon gab die Pianistin
Hannah Lorleberg-Schnell überzeugende
Proben ihrer reifen Kunst. Die Appassionata
von Beethoven erwuchs zu blühendem Leben.
Eine Romanze von Evers erwies sich als dank-
bares Vortragsstück von besserer Faktur. — Frieda
Heil-Achilles sang im Verein für Kunst
und Wissenschaft Lieder romantischer and
modemer Meister mit lieblicher Stimme und
geschmackvollem Vortrag. Ich schätze sie
namentlich als Interpretin der Weingartnerscben
und Pfitznerschen Muse. Ihr Gatte Roland Helt
erwies sich, auch im Duettgesang, als erfolg-
reicher Gefährte. Der höheren Lage seiner
Tenorstimme hat er noch besondere Sorgfalt
zu widmen. Rudolf Birgfeld wird man sich
als Begleiter zu merken haben. — Zu einer
Wagnerfeier gestaltete sich >ein Konzert des
Oratorienvereins, in dem u. a« Chöre und
Soli aus dem »Fliegenden Holländer* gesungen
wurden. — Kapellmeister Reichert aus Celle'
weiß durch Erläuterungen von Opern am Kla-
vier—bisher «Tannhäuser*, »Evangelimann* and
»Tiefland* — einen zahlreichen Zuhörerkreis zu
fesseln. Ernst Dieckmann
WARSCHAU: Ein von Arturo Vigna ge-
leitetes Symphonie- Konzert machte ans
mit einer Symphonie von Franchetti bekannt,
die jedoch außer einem gewissen melodischen
Fluß und Glätte der Form wenig Interessantes
und nichts Tieferes enthält. — Allgemeines Ent-
zücken hat wie immer hier das Auftreten von
Arthur Nikis ch hervorgerufen, der die Phan-
tastische von Berlioz und Wagner-Fragmente
wunderbar vortrug. — Als Pianistinnen traten
auf: das talentvolle Frl. Schönberg, Frau
Avani-Carrera und die technisch und musi-
kalisch hervorragende Helene Komtesse
Morsztyn. — Mark Hambourg, der mit dem
kunst- und temperamentvollen Vortrag des
Tschaikowsky'schen Konzerts immer zn ent-
zücken vermag, hat auch diesmal gefallen,
aber nicht so interessiert wie früher.
H. V. Opieüski
WEIMAR: Der leider nicht sehr zahlreich
besuchte Klavierabend Ansorges ließ anfs
neue die pianistischen Vorzüge dieses aus-
gezeichneten, im Sinne der Komponisten neu-
schaffenden Interpreten erkennen. — Einen
günstigen Eindruck hinterließ auch der Lieder-
abend von Elisabeth Schenk, die von G. Lewin
trefHich akkompagniert wurde. Das aus Schubert,
Brabms, Wolf, Strauß und Weingartner be-
stehende Programm machte dem gediegenen
Geschmack der Konzertgeberin alle Ehre.
Weniger konnte man die pianistische Mitwirkung
E. Osborns gut heißen. — Durch tadelloses
Rein singen sowie ungekünstelte, natürliche Vor-
tragsweise erfreute das beifallslustige Publikuia
Susanne Dessoir, von Hinze-Reinhold fein«
sinnig begleitet Am besten lagen der anmutigen
63
KRITIK: KONZERT
9
Kfiflstlerin die Lieder im Volkstoncharakter. —
Einen recht dilettantenhaften Eindruck hinter-
ließ der Konzertsinger Carl Götz (Mannheim),
der, von M. Wolf heim (Berlin) sehr ungenGgend
begleitet, außer drei Loeweschen Balladen eine
Reibe ziemlich wertloser, zum Teil trivialer
Lieder aus den Volkstonheften der »Woche*
sang. — Als anfeuernder, in den Werken völlig
aufgebender, vielleicht iußerlich zu lebhafter
Dirigent leitete Peter Raabe das erste Abonne-
mentskonzert des Hoftheaters und bot die
eigentlich nicht in den Konzertsaal gehörende
»Rienzi'-Ouvertfire und die Symphonie fantastique
von Berlioz. Zwischen beiden Werken spielte
Ferruccio Busoni scheinbar etwas ermüdet
das Es-dur Konzett von Liszt, vom Orchester
ztt stark begleitet. — Der letzte Kammermusik-
abend der Brfisseler bot wie immer höchste
Kunst in vortrefPlicher Ausführung.
Carl Rorich
'^^lEN: Eine neue Quartettvereinigung mit
^ Franz Ondricek an der Spitze hat sich
mit zwei Beetbovensctaen Quartetten und
einem des Primarius glficklichst eingeführt und
Beethoven im besten Stil, in ernster Weihe und
geistiger Durchdringung, vielleicht nur ein wenig
zu unsinnlich gespielt; Ondriceks Werk: eine in
ausgezeichnetem Quartettsatz gehaltene Schöpf-
ung Jener nicht allzu hiuflgen Art, in der jeder
Takt l>egründet und verantwortet werden kann,
mit frischer Verve und echter Musikanten-
fk^ttde. — Einige Singerinnen: Bertha Alang-
EcC^fff *®l)f unpersönlich, ohne rechte ge-
staltende Kraft, aber mit schönen, wenn auch
nicht mehr ganz intakten Mitteln; Seraphine
Schelle, ein zartes und anmutvolles Talent;
Grifin Pelagie Skarbek, in altitalischen Kan-
zonetten am wirksamsten, die sie sehr hübsch
»bringt*, ohne jemals zu wirklich bedeutendem
Eindruck zu gelangen. — Marie Tauszky, die
Scbfilerin Rosenthals und Godowskys, hat sich
in Berlin früher bekannt gemacht als in ihrer
Heimat. Sie gehört gewiß zu jenen, deren
Entwicklung zu verfolgen ist; vorläufig nötigt
ihr Können Respekt ab, ihre jih anpackende
Willenskraft interessiert, nur vermißt man noch
heftigere musikalische Impulse und jenes inner-
liche Mitsingen und Mitschwingen, das dem
tönenden Ausdruck erst Farbe und Leben gibt.
— Im Konzertverein: Hauseggers »Wieland
der Scbmied*, in seiner trotzigen Herbheit und
seiner verwegenen Struktur vom Auditorium so
wenig erfißt wie jüngst das edle, stimmungs-
schwere »Requiem* Hauseggers im Gesellschafts-
konzert; dann Weingartners Es-dur Sym-
phonie, gleichfalls widerspruchsvoll aufgenom-
men, obgleich die Durchsichtigkeit und Glitte
des Ganzen, seine jeder Kühnheit ferne, an-
genehm gefillige Erfindung und die Deutlichkeit
des Aufbaue zu keinerlei Erregung Anlaß boten.
Also oflTenbar eine Kundgebung, die dem Direktor
galt, der durch manche administrative Unvor-
sichtigkeit und durch allzu langes Wartenlassen
auf entscheidende künstlerische Äußerungen und
Taten verstimmt. Richard Specht
ZÜRICH: Die Grundstimmung der Konzert-
monate Dezember und Januar ist gewesen:
nicht viel Durchschlagendes und Aufregendes,
aber viel Tüchtiges. Was die Abonnements-
konzerte anbetrifft, so gehörte ein Mozartabend
mit Raoul Pugno im Dezember und ein
»russischer Abend" im Januar zu den hervor-
tretenderen Veranstaltungen. Für die Mozartsche
Tonkunst fehlte es dem Dirigenten wie dem
Orchester zwar etwas an jenem allerletzten Sinn
für das Zopfige und fein Geistreiche, den
Mozarts Kunst verlangt. Für die derbere und
erschütternde Dramatik von Tschaikowsky's
symphonischer Tondichtung «1812* dagegen fand
Volkmar Andreae wuchtige und volltönende
Vortragsformen. Der gleiche Dirigent brachte
uns in der zweiten Dezemberhilfte Berlioz'
dramatische Symphonie »Romeo und Julia", jenen
großartigen musikalischen Versuch, den niemand
ohne tiefes Empfinden für das gewaltige Wollen
und ohne Bedauern für das Unzulingliche in
sich aufnimmt. Die Leitung des sechsten Abonne-
mentkonzertes hatte Friedrich He gar über-
nommen. Brahmslieder, von Tilly Koenen ge-
sungen, und eine herrliche Wiedergabe der
c-moll-Symphonie gaben dem Abend einen Aus-
nahmeton besonderer Festlichkeit. Im übrigen
»wickeln" sich die Abonnementskonzerte als alte
und pflichtmissig vollbesuchte musikalische
Einrichtungen von kleineren unangenehmen Be-
gleiterscheinungen, wie sie vielen stidtischen
Serien konzerten anzuhaften pflegen, nicht völlig
frei, immer korrekt ab. — Auf dem Gebiet der
populiren Musik gab es im Dezember ein viel-
beachtetes Jubilium. Prof. Gottfried Anger er,
der bekannte Minnerchorkomponist und ange-
sehene Minnerchordirigent der Schweiz, ein
geborener Württemberger, feierte sein zwanzig-
jihriges musikalisches Schaffen als Leiter des
Zürcher Minnerchors »Harmonie". Dieser
Verein zihlt, wie alle Eingeweihten wissen, zu
den zwanzig besten deutschen Minnergesang-
vereinen. Das Verdienst Angerers ist es, ihn
zu jenen Leistungen befihigt zu haben, mit
denen er sich in- und ausserhalb der Schweiz
seit langen Jahren musikalischen Rufam und
Ehren holte. Aus dem Programm der Konzerte
vom 8. und 10. Dezember, mit denen das Jubilium
seinen festmusikalischen Ausdruck fand, sind
treffliche a- cappella -Chöre, Bleyles »An den
Mistral*, Hegars farbige Chöre »Schlafwandel"
(nach Gottfried Keller) und »Schön -Rothtraut"
als Bestes namhaft zu machen. — Von den
Solistenkonzerten und Kammermusikabenden zu
sprechen, ist hier nicht möglich. Daß viele der
kleineren Konzerte an Gediegenheit den Musik-
abenden in großem Stil recht wohl die Wage
halten, sei ausdrücklich betont.
Dr. Hermann Kesser
Den im Laufe der Jibre besonders den BeethOTen-Heften unserer Zeitschrift bei-
gegebenen zablrelcben Portrlts und sonsrigen luf den Meister bezüglichen bildlichen
Darstellungen lassen wir diesmal zunicbst eine Reihe der berühmtesten Beetboven-
Portrlts folgen, die in der Sammlung unserer Leser nicht fehlen dürfen. Tir (eben
hierbei chronologisch vor und beginnen mit dem Miniaturbildnis Beethovens von
Christian Hornemann vom Jahre 1802. „Das kleine Brustbild, das die Oberlieferung
als gut getroifen bezeichnet, zeigt uns Beethoven mit liemllcb vollem Gesichte, das er
ein wenig nach rechts gerichtet hat. Der Blick ist gegen den Beschauer gerichtet. Zu
beachten Ist die breite und dicke Nase, sowie daa grübchenreicbe Kinn. Das dichte
Haar Ist ungeordnet, ungepflegt, etwa ßngerlang." Diese sowie die folgenden kritischen
ErlBulerungen entnehmen wir der ausgezeichneten Schrift von Tb. von Primmel
»Bcetbovens iußere Erscheinung. Seine Bildnisse. Beethoven -Studien L München und
Leipzig bei Georg Müller, 1905." Auf dem von Ferdinand Schimon gematten cbarak-
teristlscben Brustbild (1818) haben wir „uns den Meister mit dunkelblauem Rock und
mit weißer Binde vorzustellen. Das Haar zeigt schon einen deutlichen grauen Schimmer . .
Es ist wohl das am meisten brauchbare unter den gematten Beethovn-Bildnissen.''
Daran schließen wir das weltverbreitete Portrli des Meisters nach der Kreidezeichnung
von August von Kloeber (1818), dessen Mingel Primmel darin findet, „dafi Nase und
Stirn tu hoch sind". Es folgt das nicht minder bekannte Gemilde von Josef Stieler
(1819). .Sicher lat der Nasenrücken viel zu energisch modelliert und im oberen Drittel
ganz verfehlt, waa schon allein einen fremden Zug hereinbringen würde." Das Im Besitz
des Hauses Breitkopf & HSrtel befindliche ölgcmllde von F. G. Valdmüller summt
aus dem Jahre tS23. „Ich bin der Meinung, daß wir Waldmüllers Beethovenbildnis recht
wobt als einen Behelf benützen kdnnen, den Beethoven der zwanziger Jahre vor unsenn
geistigen Auge wieder lebendig zu machen. Daß Unwille oder Zorn aus dem Antlitze
blickt, das uns Waldmüller geliefert bat, macht die Sache nur interessanter, statt ibr
zu schaden. Wir wollen den Meister nicht immer sehen, wie er sich gibt, wenn er
weiß, daß er portrltlert wird, sondern auch einmal so, wie er eben bei übler Laune ge-
wohnheitsmäßig gewesen." Ober die Zeichnung von Anton Dietrich 0826?) urteilt
Frimmet: „Zugunsten der Portritlhnlichkeii stimmt auch der Umstand, daß die Un-
gleichheit der Kinnhilften wohl beobachtet ist. Die Furchen über der Nasenwurzel sind
ausgeprägt. Ein leidender Zug ist dabei nicht zu verkennen. Die Wangen sind merklieb
eingeölten." Das nichste Blatt zeigt Beethovens Schldel von vorne nach der Auf-
nahme von Felix von Luscban. Hierbei ist nach Primmel charakteristisch „das starke
Ausladen des Hinterhauptes, die groQe Breite des SchBdels überhaupt, der Nasenwurzel
im besonderen, die seltene Form der Stirn, die auch im Knochenbau jene mittleren
Partleen besonders vorgewaibt erscheinen läßt, die sonst ßach oder gar vertieft zu sein
pflegen. Allenfalls beachten wir auch das stark entwickelte Kaugerüste."
Das Blatt .Der Breuningscbe Familienkreis- vereinigt die Portrits von
Stephan, Helene, Christoph und Gerhard von Breuning, dem verdienstvollen
Verfasser des Buches .Aus dem Scbwarispanierbause*'; das nichste zeigt uns die
Crifinnen Therese von Brunswick, ErdSdy und Guicciardi {.Die unsterbliche
Geliebte-).
Zur Vervollständigung einzelner von uns schon früher im Bilde vorgeführten
Gebrauchsgegenstände des Meisters bringen wir heute das Scbreibpuli Beethovens.
Den Beschluß bildet der Kanon „Gott ist eine feste Burg- in Faksimile,
über den der Leser im Artikel Hans Votkmanns auf S. 29 das nibere findet.
Alle Rechte, Inibeioiidere du der Oberteliont, vorbcbilien
:r SclirirtleLier: KipellmeUier Berehard Schulter, BerllD W. S7,
BEETHOVEN
nacta der Miniatur von Hornemann
(1802)
BEETHOVEN
nach dem Gemilde von Ferdinand Schimon (1818)
BEETHOVEN
nach der Kreidezeichnung von August v. Kloeber <I818)
BEETHOVEN
nach dem Gemälde von JoseF Stieler (1819)
mm
BEETHOVEN
nsch dem Gemälde von F. G.WaldmDlIer (1823)
'-nXmafM
BEETHOVEN
nach der Zeichnung von Anion Diedrich (1826?)
. ^ ««««äMAl
BEETHOVENS SCHAOEL
aacb der Aufaabme ron Felix v. Luicbit
AtM Tb. T. FrlBB«U B
9
STEPHAN VON BREUNING
HELENE VON BREUNING
9
CHRISTOPH VON BREUNING
GERHARD VON BREUNING
im Jahre 1825
DER BREUNINGSCHE FAMILIENKREIS
GRAFIN THERESE VON BRUNSWICK
GRÄFIN GUICCIARDI
GRÄFIN ERDÖDY
DIE GRÄFLICHEN FREUNDINNEN BEETHOVENS
BEETHOVENS SCHREIBPULT
n. m
ES
DIE MUSIK
1 i
Die Gesetze der Moral sind auch
die der Kunst.
Robert Schumiinii
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 14
Zweites Aprilheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffier
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107
■^TArsoEK..""
DIE MÜNCHNER
AUSSTELLUNG UND DER
MUSIKERVERBAND
Paul Ehlers-Munchen
der lebensfrofaen Slidt der Gemfitlichkeil, in München, hat
' sich kürzlich eioe sehr ungemütliche und, was mehr sagen
11, äußerst bedenkliche Sache zugetragen, die, wie es schelDt,
\ sobald noch nicht zur Ruhe kommen wird und jedenralls eine
solch aligemeine Bedeutung besitzt, daß sie auch in dieser Zeitschrift
betrachtet zu werden verlangt. In dieser Zeitschrift ganz besonders. Es
handelt sich um die Ainre des früheren Kaim -Orchesters, {etzigen
alHfinchner Tonkfinstler-Orchesters*. Die Leser der .Musik* sind über
die Angelegenheit durch die Münchner Berichte meines sehr geschllzlen
Kollegen Dr. Wahl unterrichtet, und ich will nur eine grundsitz-
licbe Betrachtung daran knüpfen, weil sie Symptome zeigt, daß unser
großes, blühendes deutsches Musikleben von einer schlimmen Gefahr
bedroht wird, wenn nicht von vornherein kräftig gegen die Schädigungen
angekimpft wird. Die VerSITenllichungen der «Deutschen Musikerzeitung"
<des Organs des Allgemeinen Deutschen Musikerverbandes) und das vom
Münchner Tonkünstler-Orchesler verschickte, an Widersprüchen reiche
Zirkular .An unsere Dirigenten", das eine Sympathiekundgebung von
82 Orchestern enihXlt, enthüllen sehr merkwürdige Anschauungen, die
■icht unwidersprochen bleiben dürfen. Die .Musik" ist aufs talkrXftigste
für die Verbesserung der Lage unserer deutschen Orchestermusiker ein-
getreten, sie hat mit den großzügigen, von lebhaftestem Mitgefühle durch-
wehten Aufsätzen Paul Marsops die Augen aller auf die in vielem
geradezu unwürdigen äußeren Verhältnisse der Musiker gelenkt. Und gerade,
weil sie in diesem Kampfe In der vordersten Reihe steht, well sie mit
dankenswertem Mute die Führung übercommen hat, deshalb muß auch
von ihr aus die Warnung gegen unerhörte Übergriffe der Musiker erklingen.
Daß der Verfasser des vorliegenden unliebsamen .Beitrages zur sozialen
Lage der deutschen Orchestermusiker" kein Anbänger der Ausnutzung
wirtschaftlich Schwacher durah gewissensarme .Kapitalisten" ist, bat er
mit seinem Aufsätze über die Chorsänger bewiesen'). Um so mehr aber
■) Vgl. JabriUK VII, Heft 4 und 6. Red.
m
68
DIE MUSIK VII. 14.
hofft er auch Gehör zu finden, wenn er an die Besonnenheit und Urteils-
fähigkeit der deutschen Musiker appelliert und diese auffordert, sich nicht
durch ein übel angebrachtes Solidaritfltsgeffihl dazu verfuhren zu lassen,
eine Sache zu unterstützen, die keineswegs so günstig für das Orchester
steht, das ihre Kameradschaft anruft. Leider hat es die berufene Ver-
tretung des deutschen Musikerstandes, der Musikerverband, an der Fähig-
keit, zwischen berechtigten und unberechtigten Ansprüchen und zwischen
berechtigten und unberechtigten Kampfesweisen zu unterscheiden, bedenk-
lich fehlen lassen und blindwütig die aufs schärfste zu verurteilenden
Verstöße eines von agitatorischen Rädelsführern mißleiteten Orchesters
verteidigt. Daß auf ihre gänzlich einseitige und darum fehlerhafte Dar-
stellung hin eine Reihe von angesehenen Orchestern und Dirigenten irre-
geführt worden sind, ist sehr zu beklagen. Diese bedauerliche Tatsache
macht es indessen noch mehr zur Pflicht aller Freunde der Ordnung und
— vor allem! — der deutschen Kunst, gegen die Mißstände aufzutreten.
Die Sache ist ziemlich verworren; die verschiedensten Geschehnisse
haben sich zu einem wüsten Weichselzopfe verknäult. Ursachen und Er-
scheinungen decken sich durchaus nicht, und es gehört einige Übung dazu,
die Dinge zu überschauen. Innere Mißstimmungen im Institute des Hof-
rates Kaim bilden die eigentliche Grundursache des Zwistes, der sich je-
doch weit über seine ursprünglichen Grenzen ausgebreitet und die Vor-
kommnisse, die hier zu betrachten sind, gezeitigt hat. Demonstrationen
gegen die Kritik, gegen den ersten Dirigenten, Kontraktverletzung gegen-
über dem Chef, Orchester-Volksversammlungen in sozialdemokratischem
Stil, Proklamationen, unsinnig in der Form, wie im Inhalt: das sind die
äußeren, wild durcheinander wirbelnden Ereignisse. Über den Streit des
Orchesters mit seinem frühern Chef soll hier nur gesagt werden, daß die
Verträge in der Tat eine Reihe sehr anfechtbarer Paragraphen haben, die
-zu beanstanden und zu bekämpfen die Musiker wohl recht hatten. In-
dessen ist dabei durchaus die Art zu verurteilen, wie das Orchester seine
guten Ansprüche zu erstreiten versucht hat, und es berührt auch sehr eigen-
tümlich, daß die Mitglieder, die doch jedenfalls beim Abschlüsse mit Hof-
rat Kaim die Verträge vorm Unterschreiben genau gelesen haben werden,
dieselben Kontrakte auf einmal für so verdammenswürdig erklären: man
möchte meinen, sie wären, anstatt frei zu handeln, gezwungen worden, ins
Kaim-Orchester einzutreten. Von Anfang an hat das Orchester, anstatt durch
ruhige, anständige Verhandlungen sein Ziel zu verfolgen, terroristische Mittel
gewählt, und keine noch so spitzfindige Auslegung hilft darüber hinweg, dafi
die Mannheimer Vorgänge zum mindesten eine Kontraktverletzung — einen
Kontrakt- Bruch möchte ich es, um alle unnötigen Schärfen zu meiden,
nicht nennen — bedeuten. Aber, wie gesagt, hiervon soll nicht gehandelt
60
EHLERS: MÜNCHNER AUSSTELLUNG UND MUSIKERVERBAND
werden; denn dies ist schließlich, wenigstens bis zu einem gewissen Grade,
mehr von lokalem Interesse. Für uns steht das Verhalten des Münchner
Tonkünstler-Orchesters und des Allgemeinen Deutschen Musikerverbandes
gegen den Musikausschuß der Ausstellung »München 1908^ zur Diskussion.-
Die Entstehungsgeschichte des ganzen Zwistes in allen seinen Haupt- und
Nebendingen ist zudem vom Musikausschusse in einer Erklärung so voll-
ständig dargelegt, daß wir sie nicht eigens zu erzählen brauchen. Nur das
durchaus Notwendige sei daher erwähnt.
Der Musikausschuß, der aus Männern wie Siegmund von Hausegger,
Max Schillings, Ludwig Heß, Hermann Bischoff und Ernst Boehe be?
stand, war der Ausstellungsleitung mit der ausdrücklichen Aufgabe, die
Musik als Ausstellungsgegenstand im Sinne des Gesamtprogramms zu be-
bandeln, angegliedert worden. Er hatte im Rahmen der Ausstellung, die
die künstlerische Kultur der bayerischen Hauptstadt auf dem Gebiete des
Handwerks, der Industrie und des Handels zeigen soll, die musikalischen
Vorträge auf künstlerisch vorbildliche Art zu gestalten und zu regeln.
Vom großen, die höchsten Güter unserer Kunst darreichenden Konzerte
bis zur reinen Unterhaltungsmusik sollte alles künstlerischen, dabei jedoch
von hyperästhetischer Engherzigkeit freien Zug haben; einige konzert-
reformatorische Ideen wollte man ebenfalls erproben; Ernstes und Leichtes,-
Strenges und Gefälliges war ausersehen worden, nach wohldurchdachtem
Plane auch in der Musik zu zeigen, wie künstlerische Kultur beschaffen
sei. Die Grundsätze, die sich der Ausschuß gestellt hatte, waren streng,
und auszuführen waren sie natürlich nur mit vorzüglichen Kräften, nament-
lich mit einem wirklich leistungsfähigen Orchester. Dem Grundgedanken
der Ausstellung entsprechend, die besondere Münchner Art hervorzuheben
und nur Erzeugnisse Münchner Herkunft — nach Idee oder Gegenstand
— zuzulassen, sah sich auch der Musikausschuß zur Ausführung seiner
hohen Pläne nach einem Münchner Orchester um; nach der Lage der
Dinge konnte er allein das Kaim-Orchester wählen, das zwar nicht den
Anspruch erheben durfte, ein Orchester ersten Ranges zu sein, aber mit
einigen Änderungen für die besonderen Zwecke herzurichten, vor allem
auch durch die Ausstattung der Streicher mit Instrumenten aus der gleichen
Fabrik klanglich bedeutend zu heben war. Nach unsäglichen Mühen kam
mit Hofrat Kaim ein Vertrag zustande, nach dem die Ausstellungsleitung
sein Orchester engagierte, und zwar mit der ausdrücklichen Bedingung,
daß verschiedene Pulte für die Dauer der Ausstellung mit besseren Kräften
zu besetzen seien — eine Aufgabe, die natürlich nur dem Inhaber des
Orchesters zukam. Das Musikkomitee behielt sich die Prüfung der neu
einzustellenden Musiker vor. Kein vernünftiger Mensch, auch kein ver-
nünftiger Musiker, der seinen edlen Beruf nicht als Handwerk betreibt.
70
DIE MUSIK VII. 14.
sondern meint, man müsse dazu wirklich »berufen* sein, wird im Ver-
langen des Ausschusses etwas Unbilliges sehen; jeder mit Verstand Begabte
muß im Gegenteil anerkennen, daß der Ausschuß geradezu verpflichtet
war, das Orchester, das sich im Sommer einer besonders scharfen Kritik
ausgesetzt sehen mußte, aufs möglichste zu vervollkommnen.
Um die Sachlage richtig zu beurteilen, muß man wissen, daß der
Glaube an die außerordentliche Vortretflichkeit des Kaim-Orchesters ein
Aberglaube war, der hauptsächlich noch aus der Zeit stammte, da Wein*
gartner mit seiner inneren und äußeren Überlegenheit die Musiker zu
Taten fortriß, die über ihre eignen Kräfte gingen; auch die starke Suggestions-
kraft des Namens Weingartner aufs Publikum ist schuld daran gewesen.
Daß manches der Besserung bedurfte, war keine Entdeckung des Musik-
ausschusses, sondern war schon vor Jahr und Tag vom ständigen ersten
Dirigenten, Herrn Schneevoigt, dem Inhaber mitgeteilt worden; schon
lange vorher hatte er, allerdings ohne Erfolg, die Entfernung der paar
Musiker verlangt, die auch dem ganz unabhängig von ihm urteilenden
Musikausschusse als ungenügend erschienen waren. Auch die Kritik hatte
mehrmals die Mängel, insbesondere der Bläser, gerügt, und zwar nicht nur
ihre Unreinheit, sondern wiederholt auch andere technische Unzulänglich-
keiten. Und die Kritik urteilte vollständig unabhängig vom Dirigenten
sowohl, als vom Ausschusse. Man möchte meinen, daß solche, von drei
untereinander freien Stellen gefällte Urteile auch für die Betroffenen etwas
Überzeugendes haben müßten. Der Verlauf der Dinge hat gezeigt, daC
diese Meinung irrig ist. Der Präsident des Musikerverbandes, der gewiC
ein persönlich ehrenwerter Mann ist und sein Amt eifrig verwaltet, dem
jedoch wohl keiner eine höhere Urteilskraft über die Leistungsfähigkeit
eines Orchesters zusprechen wird, als den Herren Hausegger und Schillings,
bestätigte dem Orchester in seiner Zeitschrift, daß es ausgezeichnet sei,
und der Vorsitzende des Münchner Ortsverbandes, ein Orchestermusiker,
erging sich dem Musikausschusse gegenüber in Lobeserhebungen des
Orchesters. Allerdings, was verstehen denn auch solch armselige Musikanten
wie Schillings und Hausegger vom Orchester? Da sind doch die Herren
Präsidenten des Musikerverbandes und seiner Münchner Ortsgruppe ganz
andere Sachverständige! Ich glaube, diese Gegenüberstellung der beiden
in Frage kommenden »Autoritäten* genügt für die Denkenden, auch unter
den Mitgliedern des Musikerverbandes, sie von der Notwendigkeit zu über-
zeugen, das Vorgehen des Präsidiums noch einmal zu prüfen, ob nicht
die Verhängung der Sperre über Kaim, vor allem aber über die Aus-
stellung »München 1908", eine frivole Überschreitung der präsidialen
Macht war, und ob nicht die so freudig und bereitwillig gesandten Geld-
spenden doch eine im Grunde unnötige Ausgabe gewesen sind.
m
71
EHLERS: MÜNCHNER AUSSTELLUNG UND MUSIKERVERBAND
Ich bin den Geschehnissen vorausgeeilt. Hofrat Kaim kundigte den
Musikern, deren Pulte neu besetzt werden sollten, auf die ausgesucht un*
geschickteste Art. (Nebenbei: die Kündigung wäre gamicht nötig
gewesen, es hätte genügt, für die als ungenügend bezeichneten Musiker
ein Sommerengagement zu suchen und die besseren Kräfte nur für die
Ausstellung zu nehmen — falls es Kaim wirklich so schwer wurde, die
Betroffenen zu entlassen.) Die nächste Folge war, im Zusammenhange
mit einer in denselben Tagen erschienenen, übrigens sehr maßvollen und
durchaus berechtigten Kritik, die bekannte Demonstration des Orchesters
gegen den Kritiker der »Münchner Neuesten Nachrichten'. Die Angriffe
des Orchesters auf Schneevoigt und Kaim folgten. Die Ausstellungsleitung
verlangte natürlich mit Recht Garantieen dafür, daß sich solche Auftritte im
Sommer nicht wiederholten. Das Orchester und der Musikerverband er-
klärten sich mit den entlassenen vier Musikern solidarisch und drohten
mit der Sperre, falls die Kündigung nicht rück^ngig gemacht würde. Der
Vertrag mit Kaim wurde gelöst, und die Sperre wurde, da Kaim die Ent*
lassenen väterlich wieder aufnahm, einstweilen nicht verhängt. Sein Edel*
mut sollte ihm wenig nützen. Das Orchester, das schon gleich nach der
antikritischen Demonstration in einer Versammlung mit der Aufkündigung
des Verhältnisses mit Kaim und Selbstverwaltung geliebäugelt hatte, wartete
auf die erste Gelegenheit, seinen Plan auszuführen. Diese fand sich auf
einer Konzertreise in Mannheim. Es spielte dort aus Ranküne gegen seinen
Dirigenten absichtlich ohne jeden Ausdruck, und Kaim sah sich veranlaßt,
dem Wortführer — einem gewissen Panzer, der sich rühmen kann, trotz
seiner jungen Jahre schon in 34 Orchestern gesessen zu haben, und der, ob-
schon erst seit Oktober 1907 in Kaims Diensten, der böse Geist des Orchesters
geworden ist — außerordentlich zu kündigen. Auch hier stellte sich das
Orchester auf die Seite des Gemaßregelten. Der Bruch des Orchesters
mit Kaim war damit besiegelt. Das Orchester fuhr nach München, über-
ließ seinen Chef seinem Schicksal und schloß sich zum Tonkünstler-
Orchester zusammen. Ober Kaim wurde die Sperre ausgesprochen.
Nicht über Kaim allein aber, sondern auch — und damit kommen wir zu
dem in seiner Unglaublichkeit interessantesten Teil der Geschichte — über
die Ausstellung! Und dieses, obgleich der Präsident des Ver-
bandes dem Musikausschusse zugestand, daß die Ausstellung
keine Schuld an den Mannheimer Vorgängen habel Was war der
Zweck der Sperre? Man wollte die Ausstellung durch dieses Mittel,
dessen Unberechtigung jedem Unbefangenen ohne weiteres einleuchtet,
gewaltsam zwingen, für die Ausstellung das Tonkünstler-Orchester zu
engagieren, dasselbe Orchester also, das in seiner Gesamtheit der Musik-
ausschuß abgelehnt hatte. Verhandlungen mit auswärtigen Orchestern
JXSg DIB MUSIK VII. 14. gHK
von Ruf, die der Ausschuß sofort nach der Lösung seines Vertrages mit
Kaim eingeleitet hatte, mußten abgebrochen werden.
Der Musikausschuß mußte einerseits die Unmöglichkeit erkennen,
seine schönen Pläne — für die, was äußerst bezeichnend für den Geist
der Herren Musikerverbändler ist, weder das Tonkünstler-Orchester, noch
der Präsident des Verbandes Verständnis besitzt — auszuführen, anderer-
seits empfand er, daß er durch eine Unterwerfung unter die Forderung des
Musikerverbandes eine Verrottung der musikalisch künstlerischen Verhält-
nisse Deutschlands sanktionieren würde. Er gab seine Entlassung, und
München wird seine Ausstellungsmusik in der herkömmlichen Weise machen.
Es hätte keinen Zweck, die weitere Öffentlichkeit mit diesem Gegen-
stande zu behelligen, deckte das Verhalten des Musikerverbandes nicht
auf, welche zersetzenden Anschauungen in aller Stille unter der Musiker*
Schaft aufgewachsen sind und mit ihrem unheilvollen Wesen die deutsche
Kunst ganz allgemein gefährden. Zum ersten Male sehen wir hier, wie
die nackte, krasseste materielle Eigensucht und die Abwesenheit jeglichen
künstlerischen Pflichtbewußtseins die Handlungsweise einer großen Künstler-
Berufsgenossenschaft bestimmen. Wäre der Streit auf München be*
schränkt geblieben, so könnte man das unkünstlerische Vorgehen des kontrakt*
brüchigen Orchesters ignorieren und im Vertrauen auf den gesunden Geist
des deutschen Musikers zur Tagesordnung übergehen. Dadurch jedoch,
daß der Musikerverband ohne die in solchem Falle gebotene Sorgfalt ein-
gehender Prüfung der Umstände die Sache des revoltierenden Orchesters
zu seiner eigenen machte, daß er das ideale Streben bedeutender Musiker
durch ungesetzliche oder doch terroristische Mittel lähmte, daß er rein
künstlerische Absichten durch Maßregeln vereitelte, die nur in Lohnkämpfen
bei Maurern und Zimmergesellen üblich, — durch alles dies hat die An-
gelegenheit ein Aussehen erhalten, das alle Musiker ohne Unterschied ihrer
Stellung zwingt, sich aufs allerernstlichste damit zu beschäftigen. Die Ge-
fahren, die in der stillschweigenden Duldung solcher Vorgänge liegen, hat
ein »offener Brief* des Musikausschusses an die Dirigenten und Orchester
überzeugend geschildert. Ich zitiere:
1. Kein Dirigent wird mehr sicher sein, ob es ihm erlaubt ist, einen als
unzulänglich befundenen Musiker zu entlassen, ohne Gewaltmaßregeln
von Seiten des mit dem entlassenen Musiker paktierenden Verbandes
zu riskieren. Die Entscheidung über die Zusammensetzung eines Or-
chesters soll künftighin nicht von den künstlerischen Erwägungen
der hierzu berufenen Faktoren, sondern von rein sozialen der Mu-
siker selbst, die in eigener Sache richten, abhängen.
2. Durch den Zusammenbruch eines Kunstinstituts kann ein anderes mit
diesem in keiner Beziehung stehendes, hochbedeutsames künstlerisches
73
EHLERS: MÜNCHNER AUSSTELLUNG UND MUSIKERVERBAND
ndHH
0mrm
Unternehmen verhindert werden, die seinen Plänen genugenden Mittel
frei zu wählen, es kann ihm ein die Protektion des Musikerverbandes
genießendes Orchester mit der Pistole in der Hand aufgezwungen
werden. Dieser Zwang wirkt in empfindlicher Weise auf die anderen
Orchester zurtick, denen ein freier Wettbewerb durch das Präsidium
einfach verboten wird.
3. Wo die künstlerische Qualität allein ausschlaggebend sein soll, läßt
der Vert)and nur soziale Erwägungen gelten. Dieser unkünstlerische
und ausschließlich sozialistische Standpunkt ist geeignet, den Orchester-
musiker in kürzester Zeit um die Früchte seines harten und mit tiefster
innerlicher Berechtigung geführten Kampfes für die Ehre seines Standes
zu bringen.
In diesen Sätzen ist klar ausgedruckt, wohin wir steuern, wenn die
Prinzipien des Musikerverbandes Gewohnheitsrecht erlangen. Wir müssen
auf Abhilfe sinnen, auf eine Scbutzmaßregel gegen willkürliche und an-
maßende Entscheidungen und Taten des Musikerverbandes. Hieran sind
alle Musiker interessiert, namentlich die guten Orchestermusiker. Denn
gerade die wirklich tüchtigen unter ihnen müssen wünschen, daß nicht
Unfähige auf ihre Kosten geschützt werden. Sollten die Anschauungen
des Verbandes Geltung gewinnen, so wird Deutschland in zehn bis fünf-
zehn Jahren mit Biermusikem übervölkert sein, und anstatt einer Hebung
ihres Standes werden die Orchester im Gegenteil eine Degenerierung er-
leben. Wohin kommen wir, wenn nicht mehr die künstlerische Tüchtigkeit,
sondern die gemeine Brotfrage den Ausschlag geben soll? Und ist es
denn auch irgendwie gerecht, schwebende Streitfragen, wie die zwischen
Kaim und dem Orchester und wiederum zwischen dem Musikausschusse
und dem Orchester durch gänzlich einseitige Beurteilungen richten
zu wollen und einfach durch eine plumpe Machtprobe zu lösen?
Dieser letzte Punkt gibt sogar die Erwägung ein, ob es nicht nötig
und richtig wäre, gegen die Entscheidung des Verbandes noch nach-
träglich zu protestieren und sie einer strengen Untersuchung durch ein
unparteiisches Kollegium zu unterwerfen. Zu den schlimmsten Folgen
dieses Falles würde es zu zählen sein, versuchte man nun, einen Gegen-
satz zwischen Dirigenten und Orchestern zu konstruieren, eine Feindschaft
zwischen den Kräften aufzurichten, die auf gemeinsames Wirken angewiesen
sind. Es ist genug an den sozialen Kämpfen in der Industrie; von der
Kunst wollen wir sie soweit wie möglich fernhalten. Ich würde es
wenigstens als sehr beklagenswert erachten, führte das unsinnige und
fiberhebende Benehmen des Musikerverbandes dazu, daß sich die Dirigenten
und die Vorstände von Konzertinstituten, die in den weitaus meisten
Fällen rein ideale Unternehmungen ohne Gewinnfiberschuß, ja, gewöhnlich
3^8^ DIE MUSIK VII. 14. gHK
mit starker Unterbilanz sind, nun zu einem «Arbeitgeber'-Verbande zu*
sammentäten. Nein, wir wollen keinen Zwiespalt; gemeinsame Arbeit
muß die Lösung finden. So wäre es denn wohl zu fiberlegen, ob man
nicht — vielleicht unter Fuhrung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins
— einen Kongreß einberufen sollte, der erstens den bedauerlichen
Münchner Fall nachzuprüfen, zweitens ein aus Vertretern der Orchester-
musiker und der Konzertgesellschaftsvorstände oder der Dirigenten be-
stehendes Schiedsgericht zu ernennen hätte, das in ähnlichen Streitfällen
bindende Urteile fällen müßte.
Inzwischen sei an die Künstler- und Standesehre der denkenden
Orchestermusiker appelliert, eine schlechte Sache nicht deswegen zu unter-
stützen, weil sie von «Kollegen* gemacht wird, und eine Klärung des
Falles zu verlangen unter der bestimmten Forderung, daß die Gegenseite
frei und ungehindert zu Worte komme und beachtet werde. Bis jetzt bat
nur die sozialdemokratische Partei aus der künstlichen Verwirrung der
Gemüter Nutzen gezogen. Es war vorauszusehen, daß sie sich bedingungslos
auf die Seite des Orchesters stellen würde, das mit der Veranstaltung von^
Streiks und Skandalszenen ganz und gar den Geschmack jener seltsamen
Weltverbesserer, die immer nur für sich Freiheiten beanspruchen, sie aber
nicht anderen zugestehen, zu treffen gewußt hat. Ihr Münchner PreS-
organ hat denn auch nicht verfehlt, die Angelegenheit parteipolitisch aus-
zuschlachten; für sie kommt die künstlerische Seite überhaupt nicht in
Betracht, sie preist es nur, daß sich das Orchester eine »demokratische'
Selbstverwaltung angeschafft habe. Die ganze Enge ihres Gesichtskreises
offenbart sich wieder in der Auffassung dieses Falles. Es mag nützlich
sein, ihr wenigstens in einem Punkte zu widersprechen: für die Öffent-
lichkeit ist es ganz fürchterlich* egal, ob ein Orchester im Solde einer
Gesellschaft oder eines Unternehmers steht oder ob es ein selbständiges
Institut mit eigener Verwaltung bildet; es kommt allein darauf an, ob es
ein leistungsfähiges Orchester ist, und ob es künstlerisches Ehrgefühl
besitzt. Auch die politische Gesinnung des einzelnen ist natürlich gleich-
gültig, solange sie die ungeschriebenen Gesetze der gegenseitigen Achtung
und der Kunst respektiert. Hiergegen aber hat das Tonkünstler-Orchester
und mit ihm das Präsidium des Musikerverbandes gesündigt. Und darum
ist es nötig, den Fall zur Sprache zu bringen und öffentlich zu prüfen.
Es gilt die deutsche Kunst, nicht die persönliche Ehre der einzelnen
in den Streit verwickelten Männer, mögen sie nun auf dieser oder jener
Seite stehen.
^*»\
Um Februar vorigeo Jahres erging von dem geschXftlichen Leiter
' der Ausstellung Müncbea 1608 an Slegmund von
Hausegger die Einladung, ein Komitee einzuberufen, mit dem
. er die künstlerische Oberleitung der musikalischen Arrangements
Qbemehmen möge. Die Tonkunst sei .mitprojeklJerter Ausstellungs-
gegenstand', besonders werde aber angestrebt, .die Münchener Ton-
kunst , , . durch die Vomebmbeit und Gediegenheit der Aufführungen
darzutUD'. In einer mündlichen Besprechung mit dem Oberbärgemeister,
dem Direktorium der Ausstellung und einer Reihe von Vertretern der
Unterausschüsse legte Hausegger seinen Standpunkt dar, der altgemeine
und bedingungslose Zustimmung fand. Entsprechend der Direktive des
geacbiftllcben Leiters, laut der die mnsikaliscben Veranstaltungen der Aus-
stellung nicht dem Geldgewinne, sondern lediglich dem Ansehen und der
Ebre des Unternehmens dienlich sein sollten, wurde aeben dem Unter-
haltungskonzert vor Restauration und der BI2sermusik im Freien eine Reihe
von Symphoniekonzerten groOen Stiles, sowie eine kleine Anzahl <5) von
Kammermusik-Abenden vereinbart. Auf Grund der hierdurch gegebenen
Dispositionen reichte Ende Mai das Musikkomitee dem Direktorium sein
Arbeitsprogramm ein. Dieses kennzeichnete die gestellte Aufgabe darin,
daß, getreu dem Sinne des ganzen Ausslellungsuntemehmens als eines
kulturellen, das kulturelle Moment der Musik in möglichster Reinheit dar-
zustellen sein werde. Die innerliche Berechtigung wird bei jeder Art von
konzertanter Darbietung durch Ihre stilistische Besonderheit erwiesen werden
müssen. Es waren demnach die stilistischen Grenzen zwischen dem, ledig-
lich einer lauten Geselligkeit als belebendes Element dienenden Bläser-
konzert im Freien und dem vornehmen Unterhaltungskonzert Im geschlossenen
Räume, zwischen dem, symphonischen Charakter tragenden Orchesterkonzert
und dem intimen Kammermusik-Abend zu ziehen. Als das gemeinsame
Gmnderfordemis jeder Darbietung wurde aber möglichste künstlerische
Vollkommenheit bezeichnet.
Auf dieser Grundlage schritt das Komitee an die praktische Aus-
führung. Zunichst galt es, ein Ausstellungsorchester zu gewinnen, das
76
DIE MUSIK VI!. 14.
allen, auch den höchsten Ansprüchen genügte. Da »München' ausgestellt
werden sollte, kam vor allem das einheimische Kaimorchester in Betracht.
Dieses genoß einen glänzenden Ruf in Deutschland, leider ohne ihn
in den letzten Jahren voll gerechtfertigt zu haben. Die vielen Schwierig-
keiten, mit denen Kaim bei Führung seines Konzertinstituts zu kämpfen,
hatte, ließen niemals, auch zu Weingartners Zeiten nicht, ein völlig
gleichwertiges, ausgeglichenes Ensemble zustande kommen. Doch war es
der genialen Dirigentenkunst Weingartners meist gelungen, diese Mängel
zu verdecken. Der anstrengende Dienst, die kleinen Gagen, sowie die tat-
sächlich sehr harten Kontraktbestimmungen, besonders bezüglich Krankheits-*
falles, einerseits, andrerseits der taktische Fehler, daß Kaim in künst-
lerischen Fragen fast stets für sein Orchester gegen den Dirigenten, sowie
gegen oft wohlberechtigten Tadel der Kritik Partei nahm, führten einen
schon zu Weingartners Zeiten beginnenden Rückgang in den Leistungen,
sowie eine zunehmende Mißstimmung des Orchesters herbei, die sich in
lässiger Pflichterfüllung, sowie in sich lockernder Disziplin äußerten.
Das alles war dem Komitee nicht verborgen geblieben. Es galt dem-
nach, sich vor Vertragsschluß den notwendigen Einfluß auf die für die
Ausstellung wünschenswerte Qualität des Mitgliederstandes, sowie auf Innd<*
haltung gewissenhafter Disziplin zu sichern. Unsere dahingehenden Be-
mühungen begegneten bei den Verhandlungen dem heftigsten Widerstände
von Hofrat Kaim, der dem Musikkomitee lediglich die Rolle eines ihm zur
Seite stehenden Badekommissariates (nach dem Muster von Kissingen) zu-
gewiesen haben wollte, was sich mit der von uns selbständig und auf
eigene Verantwortung durchzuführenden Aufgabe nicht wohl vertrug. Endlich
gelang im August der Vertragsabschluß, nach dem Kaim dem Musikkomitee
das Recht einräumte, die Entlassung von nicht genügenden Mitgliedern zu
verlangen, soweit ihm selbst dies seine Verträge mit den Musikern ge-
statteten. Am empfindlichsten waren die Mängel des Orchesters beim
Holzbläserensemble, weshalb das Komitee die Neubesetzung von vier
Holzinstrumenten für die Zeit der Ausstellung beantragte. Es wäre naturlich
Herrn Hofrat Kaim unbenommen geblieben, die vier Musiker, falls sie
nach seiner Anschauung genügten, zu veranlassen, ein Sommerengagement
zu suchen, wie es ja zahlreiche Orchestermitglieder tun, und sie im Herbst
wieder zu engagieren. Er entließ sie aber am i. Januar vollständig, hier-
durch unserem Urteil zustimmend, wälzte jedoch den Musikern gegenüber
alle Verantwortung auf uns ab. Dies war ein ebenso bequemes, wie un-
korrektes Verfahren. Die Früchte desselben zeigten sich alsobald. Eine
zur selben Zeit in den »Münchner Neuesten Nachrichten* erschienene,
die Mängel des Orchesters, die sich jedem mit Ohren begabten Hörer un-
abweislich aufdrängten, abflllig beurteilende Kritik wurde ^nzlich grundlos
WM
77
KAIMORCHESTBR, AUSSTELLUNG UND MUSIKERVERBAND
mit unserem Antrag in Zusammenhang gebracht. Das Orchester, unter
der Fiktion einer gegen es gerichteten Machenschaft stehend, ließ sich zu
einem 25 Minuten dauernden Skandal gegen den Kritiker der
«M. N. Nachrichten* hinreißen, wie es scheint, keineswegs gegen
den Willen seines Chefs. Außerdem drohte der Musikerverband aus
Berlin mit der Sperre über Kaimsaal und Ausstellung, falls die — künst-
lerisch wie formell vollkommen rechtlich gekündigten Musiker — nicht so-
fort wieder engagiert würden. Der böse Geist hatte nun von dem Orchester
Besitz ergriffen. Störendes Anzischen des eigenen Dirigenten
während der Beifallskundgebungen des Publikums, passive Re-
sistenz, Zusammenschluß zu einer gegen den eigenen Chef
gerichteten Organisation, dies alles waren Dinge, die das Orchester
als für die künstlerische Aufgabe der Ausstellung absolut ungenügend er-
kennen ließen. Dies und andere sich der Öffentlichkeit entziehende Gründe
veranlaßten die mit uns sich vollkommen solidarisch erklärende Ausstellungs-
leitung, eine gütliche Lösung des Vertrages mit Kaim herbeizuführen. Un-
mittelbar nachher wurde uns über den seit Herbst rapiden Rückgang des
Orchesters neuer Aufschluß: Kaim hatte im Oktober vorigen Jahres, also
nach Abschluß seines Vertrages mit der Ausstellung, nicht weniger
ids vierundzwanzig neue Musiker engagiert, ohne uns davon Mitteilung
zu machen, und ohne uns zu der kontraktlich ausbedungenen Teilnahme
am Probespiel einzuladen. Also fast die Hälfte des Orchesters waren gar
nicht mehr die für die Ausstellung engagierten Mitglieder!
Da Kaim sofort nach seinem Rücktritt vom Vertrage die vier
Mitglieder wieder aufnahm, kam es diesmal nicht zur Verhängung
der Sperre.
Das Musikkomitee trat nun unverzüglich mit auswärtigen hervor-
ragenden Orchestern in Unterhandlung. Es kam mit einem der ersten
Hoforchester Deutschlands fast zum Abschluß, als Ereignisse im Kaim-
Orchester eintraten, die, so unerwartet und ungewöhnlich ihre Form war,
doch sich seit langem im Schöße des Institutes vorbereitet hatten. Das
Kaim-Orchester hatte als Haupt Herrn Panzer gewählt, einen Mann von
etwa 32 Jahren, der, erst seit letztem Herbst dem Orchester angehörend,
sich seltsamerweise rühmt, schon in 34 Orchestern engagiert gewesen zu
sein. In diesem mindestens höchst unruhigen Geiste sah Kaim den Vater
der in der Verbandszeitung offen ausgesprochenen Idee einer Trennung
des Orchesters von seinem Chef und der Gründung einer Selbstverwaltung,
sowie den Anstifter der sich stets steigernden Gärung. Gelegentlich eines
Gastkonzertes in Mannheim kündigte er ihm außerordentlich, worauf das
Orchester die Rücknahme der Entlassung kategorisch forderte, widrigen-
falls mit dem Streik drohend. Kaim erklärte jeden, der nicht spiele.
78
DIE MUSIK VII. 14.
für kontraktbrüchig und deshalb entlassen, was zur Folge hatte, daß das
ganze Orchester ihm einfach nach München durchbrannte.
In dem Streit zwischen Hofrat Kaim mit seinem Orchester irgendwie
Partei zu ergreifen, liegt uns fem. Nur so viel, daß wohl auf beiden
Seiten Ursache zur Klage war. Aber der Tatbestand, der sich jedem
objektiven Beobachter bietet, ist: das Orchester, seit Jahren in Disziplin
und Leistung zurückgegangen, hat für die Kundgebungen seines Willens
Formen gewählt, die bisher in der Konzertgeschichte überhaupt
noch nie da waren, und die im Interesse des IWusikerstandes als
einer Künstlerkorporation gänzlich unwürdig, auf das aller-
schärfste zu mißbilligen sind. Es hat durch die ergriffenen Mittel
eklatant dargetan, daß es hohen Aufgaben, die durch einen ernsten künst-
lerischen Geist getragen sein müssen, in keiner Weise gewachsen ist. Die
versäumte Ablehnung eines solchen Orchesters von selten des Musik-
komitees wäre als grobe Pflichtverletzung, ja, als direkte Vereitelung des
musikalischen Planes zu bezeichnen gewesen.
Dieses Orchester schloß sich in München zu einer neuen Gründung
unter dem Namen »Münchener Tonkünstler-Orchester' zusammen.
Dies alles hätte der Ausstellung, die mit den letzten Vorgängen in
gar keiner Beziehung stand, gleichgültig sein können, wenn nicht der
Musikerverband über Kaim-Institut und Ausstellung die Sperre ver-
hängt hätte, die jedem Verbandsmitglied ein Engagement an einer der
beiden Stellen strikte verbot. Unsere Verhandlungen mit dem zum
größten Teile dem Verbände angehörenden Hoforchester wurden hierdurch
hinfällig. Diese Maßregelung der Ausstellung durch das Verbandspräsidium
geschah eingestandenermaßen nicht etwa wegen irgendeines Verschuldens
— von einem solchen sei keine Rede — , sondern zu wirtschaftlichem
Schutze des Tonkünstler-Orchesters. Denn als Ausstellungs-Orchester
dürfe niemand anderer engagiert werden als die »Tonkünstler'.
Gestützt auf diese unerhörte Repressalie des Verbandes, boten sich
diese tatsächlich der Ausstellung an, dieselben, die wegen disziplinarer
und künstlerischer Unzulänglichkeit wenige Wochen vorher abgelehnt
worden waren. Allerdings stellten sie als Gewähr dafür, daß die gerügten
Demonstrationen sich nicht wiederholen würden, eine Kaution bis zur
Höhe von 120000 Mk. in Aussicht und gestanden die Entlassung einiger
Mitglieder zu. Allein, kann es eine Sicherstellung geben gegen die
seelischen Schäden, die jahrelange Unzufriedenheit und bis zur Auflösung
aller Ordnung gesteigerte Disziplinlosigkeit hervorrufen? Kann eine
Kaution das Wunderwerk zustande bringen, daß die zahlreichen minder-
wertigen Kräfte des Orchesters nun plötzlich über ihr eigenes kfinstleriscbee
Vermögen hinauswachsen, andere Musiker werden? Ultra posse nemo
79
KAIMORCHESTER, AUSSTELLUNG UND MUSIKERV^RBAND
tenetur. Vor allem aber: durfte unter dem unwürdigen Drucke
der Sperre überhaupt verhandelt werden? Das Musikkomitee
erklärte, mit dem Tonkünstler-Orchester in keiner Weise paktieren zu
können. Die Ausstellungsleitung verlangte, daß die Sperre, sollte über-
haupt verhandelt werden, erst aufgehoben werde. Sie wurde nach persön-
licher Intervention des Oberbürgermeisters aufgehoben, aber mit der aus-
drucklichen Bedingung, daß mit keinem anderen Orchester irgend-
welche Verhandlunge n angeknüpft werden, und daß dieSperre
sofort nach etwaigem Scheitern des Engagements wieder
eintrete. De facto war mithin die Ausstellung nach wie vor
gesperrt. Sie sollte also gezwungen werden, für die Erhaltung dieses
ihr nicht genehmen Orchesters aufzukommen. Dabei veranlaßte dieses
Orchester aber keineswegs die Not, in München zu bleiben; denn in
einem Zirkular an die Orchester Deutschlands erklärte es ausdrücklich:
»Obwohl es bei unserer Auflösung jedem von uns ein leichtes gewesen
wäre, da oder dort ein Unterkommen zu finden, so haben wir doch
den schwierigen Pfad zur Konstituierung eines Orchesters mit Selbst-
verwaltung gewählt.* Uns teilte das Orchester durch seine Ver-
trauensmänner in mündlicher Besprechung mit, es könne auch ohne
das Engagement in der Ausstellung ein Jahr lang ruhig aushalten.
Das Ansinnen der Ausstellungsleitung, einen Tausch mit dem Wiener
Konzertvereinsorchester in der Weise zu versuchen, daß dieses
in der Ausstellung spiele, die «Tonkünstler" statt seiner nach Kis-
singen gingen, wurde rundweg abgelehnt. Man sieht also, nicht
eine Frage der Not, sondern eine Machtfrage bedeutete das
brüske und selbstherrliche Vorgehen des Verbandspräsidiums.
Einem solchen sich zu beugen, wäre für das Musikkomitee eine Gewissen-
losigkeit gegen die einschneidendsten Interessen des deutschen Kunstlebens
gewesen. — Aus diesen Erwägungen mußte ein Engagement des Ton-
künstler-Orchesters unseren Rücktritt zur Folge haben. Wir versäumten
aber nicht, der Ausstellung andere Wege, ein Orchester zu gewinnen, vor-
zuschlagen. Diese wurden jedoch, als für die sonstigen Interessen des
Unternehmens nicht opportun, abgelehnt. Das Direktorium versuchte einen
Kompromiß in der Art, daß 30 Mitglieder des Tonkünstler-Orchesters und
30 ausirärtige Musiker zu einem Ausstellungsorchester vereinigt würden.
Auch dies lehnte das Tonkünstler-Orchester ab; es müßten mindestens
42 Mitglieder engagiert werden, von einem Rücktritt des Herrn Panzer,
des Spiritus rector aller Skandalszenen, könne keine Rede sein. Die Un-
möglichkeit, auf derartig kategorisch gestellte Bedingungen einzugehen,
veranlaßte das Direktorium, auf das Engagement eines ständigen Aus-
stellungsorchesters und somit auf die Durchführung des musikalischen
80
DIE MUSIK VII. 14.
Programms zu verzichten. Damit war der Wirkungskreis des Musik-
komitees gestrichen, weshalb wir von unserem Amt zurücktraten.
Man will nun sich hauptsächlich mit Militärmusik und gelegentlichen
Gastspielen größerer Orchester behelfen; allerdings sollte sich unter
diesen auch das Tonkünstler- Orchester befinden. Wie richtig aber die
Öffentlichkeit in München das Verhalten dieses Orchesters beurteilt, findet
seinen Ausdruck darin, daß sämtliche Zeitungen mit Ausnahme
der sozialdemokratischen «Münchner Post* bis auf weiteres die
Veröffentlichung von redaktionellen Ankündigungen oder Be-
sprechungen des Tonkünstler-Orchesters verweigern.
Das Fazit der Begebenheiten ist: der Ausstellung «München 1008'
wurde die Durchführung eines kulturell hoch bedeutsamen Teiles
ihres Programms durch die beispiellos eigenmächtige und im
höchsten Grade ungerechte Handlungsweise des Musikerverbandes
verwehrt. Der Verband, mit dessen Bestrebungen zur Hebung der sozialen
Lage der Orchestermusiker an sich jeder Einsichtige volle Sympathie haben
mußte, hat einen Weg eingeschlagen, auf dem kein Künstler wird folgen
dürfen. Denn wenn statt der künstlerischen und im wohlverstandenen Sinne
sozialen rein sozial-parteiliche Gesichtspunkte maßgebend sein sollen, wenn
es einem Unternehmen von der Bedeutung der Ausstellung verwehrt sein
soll, ein Orchester nach seiner Qualität zu wählen, nur weil der Verband
es so will, dann wird in Bälde in unser Musikleben der Klassen-
kampf getragen, statt eines Zusammenschlusses aller Künstler werden wir
auch hier Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem die Kunst mordenden
Ringen sich gegenseitig bekriegen sehen. Die Übertragung des sozial-
demokratischen Prinzips auf die gänzlich anders gearteten künstlerischen
Verbältnisse im Interesse der Kunst mit allen Kräften zu verhindern, wird
Aufgabe aller Künstler, zuerst aber der Orchestermusiker selbst
sein. Sie hätten allen Anlaß, gegen ein Präsidium zu protestieren, das
ihre Sache so übel berät. Dem guten Musiker müssen die Wege
geebnet werden, nicht jedem Musiker schlechthin; ihn in seinem harten
Kampfe zu unterstützen wird nach wie vor Sache jedes rechtlich Denkenden
sein. Bestrebungen des Verbandes, die dahin gehen, werden jederzeit der
wärmsten Sympathie und Unterstützung sicher sein müssen. Sozial-
parteilicher Terrorismus aber hat im Bereiche der Kunst nichts
zu suchen.
Siegmund von Hausegger Professor Max Schillings
Hermann Bischoff Kammersänger Ludwig Heß Ernst Boehe
Hinnen kurzem wird die italienische Opernbüboe einen schweren
I Verlust erleiden: auch Arturo Toscaoini, zurzeit der beste
, Musiker seines Vaterlandes, folgt des Lockungen der Dollar-
' leute. Es Ist keiner da, der ihn an den Statten seiner bis-
herigen Wirksamkeit auch nur annähernd zu ersetzen vermftchte. Man
bat in ihm einen künstlerischen Erzieher von hervorragender Bedeutung
zu sehen. Mußte Italien nach dem Tode Verdi's sich mit kompositoriscbeo
Begabungen bescheiden, die nicht über die TalentbShe hinauswuchsen, so
konnte es sieb in Toscanini doch wenigstens eines Dirigenten rühmen, aus
dem hin und wieder Geniefunken sprühten. Eines, der zu den seltenen
Haturen gehört, die nachschSpferische Potenz, Energie und organisatorische
Gewalt in sich vereinigen. Intuitiv gewann er mit dem Geist der
Wagnerischen Epoche so enge Fühlung, als das einem romanischen Tempera«
ment wohl überhaupt gelingen mag. Von diesem Geiste mächtig angeregt,
begann er den Refonnhebel anzusetzen. Ein Stück Hans von Bülow, ins
Südlich- Brünette abgewandelt. Feurig, feinnervig, frauenhaft erregbar,
nnerblttlich streng gegen sich und andere, stets einen Blitz im Auge und
einen Fluch auf der Zunge, setzt er das, was früher regelmißig, heute
weniger biußg an deutschen Kapellmeistern als Gewissenhaftigkeit zu loben
war und ist, von ungeßbr in Fanatismus um. Letztbin kam ich vormittags
gegen elf Uhr in die Mailänder gScala'. Nachdem ich mir mein Billett
für die Abendvorstellung gekauft, wandle ich mich an den Hauswart mit
der Bitte, micb die unlängst veränderte Orchesteranlage sehen zu lassen.
.Bedaure sehr, im Augenblick geht es nicht: Toscanini probt. Bitte sprechen
Sie im Laufe des Nachmittags wieder vor.* Um vier war ich abermals
zur Stelle. .Tut mir ganz ungemein leid: die Probe ist noch nicht ans.'
Ab und zu leitete der Maestro eine Sugione im Turiner .Teatro
Regio", im ,Communale* von Bologna, im .Carlo Feüce' von Genua;
überall bahnte er mit seinem Können und seiner Energie dem Fortschritt
den Weg. Das Beste seiner Liebe aber wendete er an die .Scala*. Ich
hörte dort im Laufe der Jahre unter seiner Leitung fast olle Dramen
Wagners, eine ansehnliche Reihe Donizetti'scher, Verdi'scher und jung-
italienischer Opern. Nie verliefi ich das Haus, obne lebhaft angeregt zu
sdn und vornehmlich in Hinsicht auf Direktionstechnik ein gut Teil gelernt
VII. 14. 6
82
DIE MUSIK VIL 14.
ZU haben. Heuer waren mir die »Götterdämmerung*, Ponchielli's »GIo-
conda' und Charpentier's »Louise' beschieden. Meine prinzipiellen Ein-
wände gegen Aufführungen des »Ring'-Zyklus, der »IWeistersinger*, des
.Tristan' in italienischer oder französischer Vemiedlichung hab' ich —
auch an dieser Stelle — oft genug entwickelt. Die deutsche Sprache mit
ihrer Wucht, ihrer Härte, ihrer herbkräftigen Schönheit, mit ihrem ver-
sonnenen Tiefton und ihrer Bildhaftigkeit ist die Seele des Wagnerischen
Kunstwerkes; die deutsche Empfindung die Seele des Wagnerischen Orchesters.
Seelen lassen sich nicht austauschen. Und dennoch dünkt mir die Wagner-
Interpretation Toscanini's nicht nur beiehrsam, sondern in ihrer Art auch
vielfach erfreulich. Weil sie auf einer exemplarischen Genauigkeit der Vor-
bereitung beruht, die bei uns — wenn man allenfalls von den Bayreutfaer
Festspielen absieht — schon halbwegs zur IWythe wurde. Es muB der
Wahrheit gemäß ausgesprochen werden, daß der von Toscanini geschulte
Instrumentalkörper in der Präzision der Einsätze wie in der Sauberkeit
und Ebenmäßigkeit der Phrasierung das Wiener wie das Berliner, das
Münchner wie das Dresdner Hoforchester schlägt Kein Zweifel: die
Großzügigkeit der Linienführung eines Felix Mottl bedeutet für uns etwas
Höheres. Doch es gab einmal eine Zeit, in der bei deutschen Dar-
stellungen der »Götterdämmerung' bedeutende Auffassung und sorgsamste
Ausfeilung selbst der kleinsten rhythmischen und dynamischen Werte
verschwistert waren. Sie ist, so scheint es, entschwunden. Was trägt
die Schuld daran? Hauptsächlich unser sich immer mehr geschäftsmäßig
anlassender Opembetrieb: die unsinnige Häufung der Aufführungen, die,
bei täglich wechselnden Aufgaben, ein ausreichendes Vorstudieren und
Nachprüfen ausschließt, die Abwerkelung und gewerbsmäßige Ausschlach-
tung dessen, was als ausnahmsweise zu bietendes Festspiel gedacht ist,
im heruntergehaspelten Alltagsspielplan. Man kann nicht jeden zweiten
Tag begeistert sein, man kann auch nicht jeden zweiten Tag innerhalb
eines riesenweit gespannten Rahmens dreitausend technische Einzelheiten
peinlich streng nach der Vorzeichnung ausschattieren. Der Kapellmeister
wie der Instrumentalist greift schließlich gezwungenermaßen zum Maurer-
pinsel. Es ist betrüblich, daß man heute nach Mailand reisen muß, um
den Brünnhilden-Doppelschlag von Streichern und Holzbläsern gleichartig
behandelt, um die Tuben tadellos rein und haarscharf auf den Schlag ein-
setzen zu hören. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß bei der Möglich-
keit ungestörter Vorbereitung die Autorität und der schier unendliche
Probenfieiß eines Italieners sogar mit offenem, wenn auch tiefer gelegten
Orchester öfters den vollkommenen Ausgleich zwischen vokalen und
instrumentalen Faktoren zustande bringen, auf den wir mit und ohne
«mystischen Abgrund' wohl bald vollends verzichten werden.
83
MARSOP: ARTURO TOSCANINI
Doch, nicht allein den musikalischen Teil der Aufgaben, die er sich
stellt, beherrscht Toscanini meisterlich — bis zu dem Grade, daß er alles
und jedes, den „Tristan* wie die »Salome*, den »Falstaff* wie die
»Btttterfly' mit souveräner Sicherheit auswendig dirigiert. Er leistet auch
als neuzeitlich gestaltender Mann der Szene recht Beträchtliches. Allen
einheimischen Überlieferungen entgegen geht er auf einheitlich dramatische
Wirkungen geschlossener Akte aus. Als ihn der Mob einmal durch Ent-
fesselung eines Höllenlärms dazu zwingen wollte, die » Lodernden Flammen*
des «Trovatore* wiederholt aufzungeln zu lassen, warf er den Taktstock
hin, fuhr stracks ffinfiig Meilen gen Süden und kehrte nicht eher an das
Pult der .Scala* zurfick, als bis er die Zusicherung des Verwaltungsrates
in der Tasche hatte, sich in Zukunft fiber Dacapowfinsche kurzerhand
hinwegsetzen zu dürfen. Etwas Unerhörtes fOr italienische Verhältnisse!^)
Wie die Claque, so hat er auch die Snobs gebändigt. Allem Widerspruch
der erbeingesessenen Logeninhaber zum Trotz befahl er, den Zuschauer-
raum zu verdunkeln, und zwar vom ersten Takte der Ouvertüre oder des
Vorspiels ant In Deutschland wird die Ouvertüre vielfach noch .bei fest-
lich beleuchtetem Hause* gespielt, als ob sie mit der ihr folgenden Oper
nichts zu tun hätte — damit es den Zuschauem doch vergönnt ist, die
mimischen Fertigkeiten des Dirigenten zu bestaunen. Im Weiteren ersetzte
Toscanini den Vorhang durch die sich teilende Gardine, drang darauf, daS
die technischen Kräfte der »Scala* sich mit dem Dekorations-, Beleuch-
tungs- und Maschinenwesen des Bayreuther Festspielhauses, der Münchner
und Pariser Bühnen vertraut machten, drillte den Chor so lange, bis er
aus einer rohen, blöden, nach dem Lineal gerichteten Statisten masse zu
einem individuell frischen Mitspieler wurde, und gewöhnte es schließlich
den eitelsten Solisten ab, die Zuschauer en face anzusingen. Fast
trieb er den Stimmprotzen auch die landesübliche Untugend aus, auf den
Fermaten zu übernachten. Und das wesentlichste: er baut den gefühls-
mäStgen, den dramatisch belebten Vortrag stets auf der Grundlage un-
erschütterlicher Korrektheit auf. Der geringste Notenwert muß plastisch
hervortreten. Ohne Elastizität und Grazie der Stabführung irgendwie ver-
missen zu lassen, schlägt er in den breiten Kantilenen Bellini's unentwegt
die vier Viertel aus. Wehe dem, der ihm nicht gehorcht I Er duldet
keinen Widerspruch; er ist gefürchtet. Das hat in der Theatersphäre
zehnmal mehr für sich, als beliebt zu sein. Auf und vor der Bühne
setzt sich nur der durch, der mit einem eisernen Besen kehrt. Freilich
darf solch Gerät nicht ein Dilettant qua Intendant handhaben, sondern
^) Bei einer jüngst in Parna vonsutfen gegangenen .Tristan'-AuffQhrung mußte
die bereits im Liebestode dahingeschiedene Isolde künstlich wiederbelebt werden und
ihren Schwaneagesaag repetieren.
DIE MUSIK Vll. 14. Sr
klleia der leitende Künstler. Ich wünschte, wir bitten gegenwirtig bei
nns zwei bis drei solcher Aufrechter, Steirnsclilgerl Oder sollte die Eseli-
baut Basilio's die für einige Kapellmeister vorgeschriebene Hofiracbt sein?
Hatte sich Toscanini dazu entschlossen, in seiner Heimat antzn-
harren, so würde der Ernst seiner Arbeit mit der Zeit wobi ancta du
kompositoriscbe ScbafFen Italiens beeinfiuBt haben. Ähnlich wie die Pflicht-
treue Hans von Bülows und sein liebevolles Ausscbleifen Jedes DetaHi
sich noch beute in den Partituren der Besten unserer zeltgenössitcheo
einheimischen Tonsetzer spiegeln — schlechte Psychologen nennen das
Luzuswut, was teils die Fülle der naturgemäO in jedem Lenz frei aas-
schießenden Frühlingstriebkraft offenbart, teils das spezifisch Oentscb-
Dürerische Genie des Feinfleißes zeigt. JMit dem Scheiden des hoch-
begabten Italieners wird anderseits nicht wenig von seinem nachschöpferi*
sehen Verke abbröckeln. Denn in welcher Gestalt sich der Fortschritt
auch nur immer kundgebe: er ist nie der Niederschlag rein theoretiscbeo
Grübelns, sondern strahlt von der produktiven Persönlichkeit aus und
bleibt an diese gebunden. Immerhin wird die eindringlich vorgetragene
reformatorische Lehre jenseit der Alpen fortwirken. Für uns alwr ist die
Erkenntnis das Wichtigste, daß ein Toscanini aus italienischem Bod«
überhaupt hervorwachsen, und daß dieser iHusiker von unverfSlscht welschem
Blute die legitimen Erben des Wagnerischen Geistes in Manchem beschämea
konnte. Habt acht!
Unsere Blicke wenden sich der Szene zu, vor der der Rüstige, Taten-
ft-ehe demnächst sein Lebensscbitf verankern will: sie haften am .Metro-
polltan-Theater* in New-York. Dort erwartet Gustav Mahler den Kollegen.
Sofern diese zwei HarlscbSdel miteinander innere Fühlung gewannen und
sich vertrügen, hatten wir fortan noch mehr Veranlassung, auf unserer
Hut zu sein. Eine sinnlose Anhäufung von Stars, wie sie der Openi-
kramer Conried zu Markte brachte, verdroß uns wob! insoweit, als da?
durch die Tenoristeogagen zu schwindelnder Höhe emporschnellten. Doch
eine Beeinträchtigung unseres Primates in der Kunstpflege hätten wir
von derartigen Spekulantenmanövern nicht zu befürchten. Anders lige Mi
wenn die beiden erfolgreichsten, sachlich rücksichtslosesten Bübnen-
organisatoren der Gegenwart sich zu gemeinsamem Tun vereinigten.
Ioch muicbes Werk Ist zu oennen, das durch Anklinge «a dfe
Mannbeimer Minieren auf rrflhe Entslebung weist, so z. B. das
Septett op. 20 <I800 aurgeführt), dessen Kopfmotiv abermals wie
die erste Klaviersonale von 1783 und das dritte (erste) Klavier-
quartett auf die Mannbelmer Symphonieenanfange weist:
-n-nPrp-p^rr f»ri^
und weiterhin auch echte Seu^rmanieren bringt:
(KlavleO NB. ' (FiKoit)
Das Streichquintett op. 20 <I801) steht den Frühwerken In seiner
ganzen Faktur sehr ftm, bringt aber doch im Adagio das auf Fr. X. Richter
oder Stamltz zurückgehende zierliche Schlufimotiv:
das auch Christian Bach und Mozart lieben und das Beethoven auch .
Ende der vier langsamen Takle zu Anhng von op. 78 wiederbringt:
Auch noch ein anderer Anklang an Mannheim findet sich In dem zweiten
Satze des C-dur-QuIntetts:
86
DIE MUSIK VIL 14.
Stärker sind die Mannheimer Anklinge in dem Bläsertrio op. 87
(2 Oboen und Englischhorn):
(l.Stti) «) ^ NR. b)
NB«
*# ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■!
NB.
NB.
(2. Sati) d)
MB ^^
Das Bläser-Sextett op. 71 (1804?) wird nach einer Unisono-FanlSire
eingeleitet durch die Mannheimer Seufzer:
m
f^^^virr^^^-vU^
NB. NB.
bringt auch im Allegro des ersten Satzes dergleichen alte Bekannte:
[ffi^Tn=Eg=^p-^i ^■i f g Qt^^toi •
Der gewundene Abstieg tritt auch in einfacher Form im Adagio auf:
und das zweite Thema des Schlußrondos sieht so aus:
c>s
^
w
E^fe^^
Das Sextett op. 81a (Streichquartett mit zwei Hörnern) kommt
ebenfalls nicht ganz um die Mannheimer Manieren herum:
1. Satz 2. Satz
\W^^!tfj^^
(1. Vioü e)
(1. Hom>
87
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
< Rondo)
1. Hörn
Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß, was ich da an-
führe, nur Anklänge an ganz besondere Mannheimer Manieren sind, die durch
ihr gehäuftes Auftreten in Kompositionen nicht nur der Mannheimer
Schule selbst, sondern auch in denen der zahllosen Nachfolger in Deutsch-
land und im Auslande bereits 1778 so auffällig geworden waren, daß
Leopold Mozart mit Recht von einem «vermanierierten Mannheimer gofit*
sprechen konnte. Das neue des Mannheimer Stils beschränkt sich aber
nicht auf diese paar Äußerlichkeiten der Faktur, sondern besteht vor allem
in einer starken inneren Wandlung der ganzen Art der Konzeption, einem
völligen Freigeben der Individualität, einem Brechen mit der Tradition, in
einem Satze einerlei Stimmungsausdruck festzuhalten. Starke Kontraste in
kürzesten Abständen bringen Einfälle aller Art, flüsternde Liebeslaute neben
tragischen Akzenten, kurz das ganze in -der modernen Musik fluktuierende
Gemütsleben. Wenn ich trotzdem den daneben eine ganz gewiß unter-
geordnete Rolle spielenden .Manieren* hier so große Wichtigkeit beilege, so
geschieht das darum, weil sie ganz besonders geeignet sind, den direkten
Einfluß augenfällig zu machen, viel mehr als Nachweisungen innerlicher Ver-
wandtschaft das je vermöchten. Man kann bei Beethoven aber geradezu
sagen, daß seine musikalische Eigenart anfänglich durch das auffällige Bei-
werk des ihn ganz in seine Kreise ziehenden neuen Stils geradezu verdeckt
wird, und nur ganz allmählich soweit durchbricht, daß er das neue der ganzen
Ausdrucksweise zu dem macht, was zu sein es allein berechtigt ist: ein
Gewand. Als solches hat aber Beethoven die Ausdrucksweise der Mann-
heimer auch in seiner reifen, ja reifsten Zeit dauernd geschätzt.
Es ist gewiß einigermaßen überraschend, nun zu sehen, wie vollgepfropft
mit Mannheimer Manieren das c-moll Klavierkonzert op. 37 ist, dessen
Autograph die Jahreszahl 1800 trägt, was freilich zunächst nur beweist, daß
es um diese Zeit seine 1804 in Druck gegangene Gestalt erhielt. Die
Chronologie der Klavierkonzerte Beethovens ist ja keineswegs klar; wir
wissen nicht, welches die Konzerte waren, die Beethoven in den ersten
Jahren in Wien mit soviel Erfolg zum Vortrag brachte. Vielleicht liegen
die Verhältnisse so, daß das c-moll Konzert einer starken Umgestaltung
älterer Ideen seine Entstehung verdankt Auffallend ist jedenfalls, in
welchem Maße es in ihm Beethoven gelungen ist, die Manier als solche
ganz zu überwinden, sie einem aus dem Vollen schöpfenden Ausdrucke
dienstbar zu machen. Ich meine etwa so: wie im Hauptthema der c-moll
Symphonie der Rhythmus J j j | J als solcher außer den paar Stellen,
88
DIE MUSIK VII. 14.
m
wo ihn Beethoven isoliert herausstellt, gar nicht bemerklich wird,
sondern nur etwa dem Muster eines Gewebes vergleichbar ist, das die
Formen der eigentlichen Ideen umkleidet, so sind auch im c-moU-Konzert
und in anderen späteren Werken Beethovens die Mannheimer Manieren wirk-
lich nur mehr Faltenwurf der Gewandung. Die uns speziell hier inter-
essierenden Stellen (deren Wiederholungen natfirlich nicht angefBhrt zu
werden brauchen) sind:
1. Satx ^_,^^
^ I -f >. r I ^'^^^
it^
s
NB.
NB.
NB.
NB. NB.
2. Satx
08W.
NB.
jt>tfe,- tt>f
s
NB.
USW.
Im B-dur Konzert (op. 11) und C-dur Konzert finden sich Mano-
89
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
heimiaden zwar in kleinerer Zahl, daffir aber auch zum Teil in weniger
bezwungener Form des Auftretens:
(C-dur Koniert) 2. Satx
b) ♦^^^ ♦-
(Rondo)
^
tj«
USW.
(B-dur-Konzert) l.Satx
(Rondo) e)
Wenn sich aber gar herausstellt, daß der intime Reiz des G-dur
Konzerts op. 58 doch nicht zum kleinsten Teile auf der auch schon im
c-moU Konzert wiederholt hervortretenden Beseitigung der Längen der
Mannheimer Seufzermanier durch Auflösung in Kiirzen beruht:
(1. Satx)
Frtr^ [j^^jg^^
usw.
NB. NB.
daß aber daneben doch in ihm auch noch ein richtiger Seufzer mit wirk-
licher Endbedeutung und Pause vorkommt:
^ NB.
und daß sogar doch auch noch im Finale des Es-dur Konzerts (op. 73)
die Manier eine Rolle spielt:
i"j.^'i, < '{!fi^-xiI-^^ ff] f^xcif^
90
DIE MUSIK VIL 14.
SO kommt man zu der Überzeugung, daß Beethoven zwar in reiferen
Jahren den elementaren Zauber, mit dem ihn ebenso wie viele andere die
Mannheimer Melodik umstrickte, überwunden hat, darum aber doch nicht
charakteristischen Wendungen solcher Art aus dem Wege geht, wo sie
sich mit guter Wirkung in die Gestaltung seiner Ideen einfügen. Auf-
fallend selten sind sie in den Symphonieen:
I. Symphonie (1. Satz)
"^wtcrr
f9^
"^r r r i
NB.
(2. Säte) c)
d)
2. Symphonie
^ •^ (l. Satt) e)
^*i r> r^ \ r tglt^t U-y n\
(2. Säte) 0
(gewundener Abstieg)
(Finale) g)
5. Symphonie (1. Satz) h>
l^»-fo r I f II ^V i p ^
osw.
k)
NB.
i. ' U i i 4 "-
^ ^ 5: ^ 5 :jj:usw.
6. Symphonie (2. Satz) 1)
7. Symphonie
(2. Sau) m)
^^
r I f f^ i*eg I -^"1^ I ff f I
i
NB.
NB.
NB.
O)
NB, NB. Jt^^ ^*^^
91
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
8. Symphonie
(I.Satz) p)
(Pinale) q)
tesi
|>^'' r r f\^-^\\^^i^\^
9. Synphonie (Scherzo) s)
usw.
(Adagio) t)
NB.
(Finale) u)
ygf I r^fftt;j
usw.
\^ II NB. NB. ^ !l^^ .
Untersuchen wir einmal die Mannheimer Seufzermanier etwas ge-
nauer, so stellt sich heraus, daß sie etwas dem Portament nah verwandtes,
nämlich das Hinüberschleifen aus einem Vorhaltstone in den Auflösungs-
ton ist, das letzteren leicht voraus andeutet, weshalb die Manier oft
mit punktiertem, ja doppelt punktiertem Rhythmus auftritt (JisJ j..^ j)»
eine Nachbildung ist die ebenso geschleifte Endung im Akkord. Die
spezielle Mannheimer Form dieser Bildung hat aber weiter 4ie Eigentüm-
lichkeit, daß die Endnote nach dem Schleiftone lang ist, oder durch eine
Pause ähnlich einer Länge wirkt. In Fällen letzterer Art ist häufig die
Endbedeutung der Bildung gar nicht zu bestreiten; bei weitem in der
Mehrzahl der Fälle ist die (lange) Auflösungsnote aber überhaupt gar nicht
als Ende gemeint, sondern zum mindesten zugleich Ende des voraus-
gehenden und Anfang des folgenden Motivs, oft sogar überhaupt nur
emphatischer Auftakt und als solcher zweifellos charakterisiert, wo der
Ton mit sf bezeichnet ist. In den sensationellen Modellbetspielen bei
Stamitz, die die Manier in Gang gebracht haben, z. B. im B-dur-Trio
op. 1 No. 5:
92
DIB MUSIK VIL 14.
ist die Auffassung 1) direkt falsch, aber freilich durch die lange Note, die
der gemeine Hörer leicht als Ende versteht, nahe gelegt (von der noch
falscheren von Taktstrich zu Taktstrich lesenden mit Schwellung der
Länge -<=: =^ will ich schweigen); 2) ist wohl am korrektesten, jeden-
falls am emphatischsten, da es die Endungen zu Gunsten stärkerer
Auftaktwirkungen einschränkt, während 3) eine vermittelnde Stellung ein-
nimmt, die Längen als doppelt bezogene Noten deutet, statt:
aber hier so!
Man wird leicht erkennen, daß auch der Knabe Beethoven nicht dem
Schicksal entgangen ist, die Manier im Sinne von 1) mißzuverstehen,
d. h. sie als mit der langen Note endend zu empfinden, woran die nicht
unschuldig gewesen sein werden, von denen er zuerst Mannheimer Musik
spielen hörte; man überzeuge sich, daß in den eigentlichen Jugendwerken
der Seufzermanier meist ein Einschnitt folgt, sodaß eine Vorwärts-
beziehung der letzten Note ausgeschlossen ist. Es steht freilich auch
außer Frage, daß die jüngeren Mannheimer, die Epigonen von Stamitz,
Richter und Piltz, schon vielfach selbst in der Konzeption verraten, daß
sie den eigentlichen Sinn der Bildung nicht erfaßt haben; gerade darin
liegt das allzu weichliche und fade so manches Satzes von Cannabich,
Karl Stamitz usw. Bei Beethoven hat das gedankenlose Mitmachen der
Manier nicht lange gedauert, wie die bald auftauchenden «/ bei den langen
Noten beweisen. Übrigens vergleiche man das erste Beispiel aus dem
c-moll- Konzert (a) mit dem eben angeführten Stamitzschen, um sich zu
überzeugen, daß in ersterem Takt 6 genau also wie in letzterem Takt 3
der Sprung nach der Höhe die Auffassung der Länge als Schlußnote un-
möglich macht.
Der erste Satz der Es-dur-Sonate op. 31'", der die Seufzer-
manier als Devise trägt und sie fortgesetzt als Hauptmotiv festhält:
liefert den strikten Beweis, daß nach 1800 Beethoven sich von der Auf-
fassung der dritten Note als wirklicher Endung vollsrändig freigemacht hat
und vielmehr so empfindet, als wenn er etwa geschrieben hätte:
usw.
und weiterhin:
93
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
m
* - £- ^ Ali
doch muß für die späteren Werke Beethovens weiter konstatiert werden,
daß er meist vorzieht, den Gefabren der Mißdeutung der Bildung zu be-
gegnen durch Zerlegung der langen Note in Tonrepetitionen und durch Auf-
geben des Portaments. Schon in der zweiten Symphonie (1802) schreibt
er (im zweiten Satz):
_ stau:
m
W
g I r £/ 1 b^ II c I r £J M
NB.
ähnlich in der Pastoralsymphonie (zweiter Satz):
NB. sutt
^
W
^
^ßlr
NB.
und in der A-dur-Symphonie (erster Satz):
NB. statt:
u. ö.
Sehr lehrreich sind die Skizzen zum langsamen Satze der Neunten; sie
zeigen das Thema des Andante zuerst in der Rhythmisierung (Nottebohm,
Zweite Beethoveniana, S. 174 ff.):
NB.
In jüngeren Jahren würde Beethoven wahrscheinlich geschrieben haben:
die endgültge Fassung ist bekanntlich geworden:
C) NB.
Ulf
94
DIE MUSIK VII. 14.
SR
mSSO
d. h. das Portament fehlt, und die längste Note ist die zweite, die Auf-
lösungsnote des Vorhaltes; und doch wäre die Fassung b), wenn sie nur
nicht mißverstanden wfirde (die lange dritte Note' als Ende), sogar noch
emphatischer als c):
^^^r^^^g^^i^^^
was aber, verkehrt gehört, lahm und banal wird:
Man beachte aber, wie c) gegenüber a>, durch die Ligierung des vierten
Achtels stark an Emphase gewonnen hat; die dreimalige Angabe des Aaf-
lösungstones entspricht der Tempobezeichnung der zweiten Skizze «alla
Menuette* und steht der Umgestaltung der Manier nahe, die wir in
zahlreichen anderen Fällen fanden:
die nun leider nicht verhfitet, die Endung als bis zum fünften Achtel reichend
zu verstehen. Daß der spätere Beethoven ernstlich diese verkehrte Auf-
fassung zu verhüten bemüht ist, hoffe ich wahrscheinlich gemacht zu haben.
Zum Schluß möchte ich die Frage der Herkunft der Mannheimer
Seufzermanier als wirkliche Endung wenigstens streifen* Daß sie als
solche auch schon bei Stamitz vorkommt, steht fest, aber sie ist bei ihm
selten und macht sich nie so unangenehm aufdringlich bemerkbar wie bei
den Nachahmern. Ist Stamitz für diese Manier verantwortlich zu machen
oder nicht? Stammt sie vielleicht aus dem Vortrag weiblicher Reime
in der Opemmusik gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts? Glucks «Ach,
ich habe sie verloren* fällt natürlich jedem ein, der zum ersten Male die
ausführliche Bekanntschaft mit der Manier macht; das Orcbestervorspiel
der Arie bringt gleich die Gestalt:
w
m
f iff r
NB.
Natürlich kann aber der fünf Jahre nach Stamitz' Tode entstandene «Orpheus*
nicht selbst die Erklärung geben. Vielleicht schafft uns einmal einer der
Spezialkenner der Oper bestimmte Aufschlüsse, wann diese musikalisdie
Einkleidung der weiblichen Reime aufgekommen ist. Auch Herr Geheim-
95
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIE MANNHEIMER
rat Max Friedländer könnte wohl vom Liede aus den Schlüssel geben.
Aus seiner «Geschichte des deutschen Liedes im 18. Jahrhundert* ersehe
ich, dafi die Manier in frappanter Weise bereits zu Ende des 17. Jahr-
hunderts in den Liedern Job. Phil. Erlebachs auftritt:
a) Friedlinder, S. 4.
Schönstes Band ge -treu -er Sin-ne du nur hast ein Her - ze in • ne
c) S. 10.
^>\> 2 J J \T^j i 1 j^i J>^-^j4^g+f"^tf t^TftT^^
Mei-ne Seuf-
.xer
(vgl. hierzu die «rotti accenti* in Fr. Turinis «Mentre vaga Angioletta* [Blätter
für Haus- und Kirchenmusik vom Jan. 1908] v.J. 1629, die aber mit der
Seufzermanier nichts zu tun haben).
d) S. 15.
e) S. 20.
tV p li ü 6 I! i;
NB.
lafi al - les ge • henl Muß man sein Ge-lieb-en mei - den
f) S. 27.
Du bist be- sie • get, du bist be-sie - get, schwaches Herz, du bist be - siegeti
Dann scheint aber im Liede die Manier wieder gänzlich zu ver-
schwinden, um erst wieder nach der Mitte des 18. Jahrhunderts bei Kom-
ponisten aufzutauchen, deren Beeinflussung durch die Mannheimer Musik
sich in bekannten Formeln verrät, wie:
Fr. Gottl. Fleischer 1702 <Friedlinder S. 97)
NB.
Spalier 1781
<Friedlinder, S. 280)
Nun könnt nach trfi • ben Ta -
gen
Kfis - se!
VgL weiter Friedländer S. 107 (Hertling 1759), 158 (Steifen 1782), 191, 192
(L. Ä. Kunzen 1788), 207, 335 (Reichardt), 213 (Zelter), 232 (Nauert 1758),
320 (Neubauer 1788), 323 (Rupprecht 1789).
96
DIE MUSIK VIL 14.
M
Die Frage, ob für das Wiederaufkommen dieser Gesangsmanier nach
1750 die Mannheimer verantwortlich sind, oder ob umgekehrt sie die
vokale Manier ins Instrumentale hinfibergenommen haben, ist darum für
mein Thema von Bedeutung, weil Beethovens vokale Frühwerke an allen
Ecken und Enden die Bildung aufweisen. Eine kleine Auswahl mag
meine Skizze beschließen:
1. Elegie auf den Tod einet Pudels
(1787)
2. An Minna (in Op. 52) nur im Nachspiel
(1792?)
m
Zih-ren Zan-ken Ge - dan - ken
mu-de
Le - bent
^'fiwhrj tt^W^^^^^-Üd.;^
3. Man strebt die
Flamme zu ver-
hehlen. (1792?)
Lip - pe
BM - cke
4. Mit Mideln sich vertragen
(mit Orchester, 1790)
5. Primo amore (mit Orchester, 1790)
r-cl^'^ririi'^l'
er
run-gen ge - sun-gen
di - vi - sio - ne di - vi - sie -
Primo a - more
io tro - va - i coli' a - mo - re a - mo - re
6. Auf den Tod Josephs II. (Kantate, 1790)
y^
3
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jMj^|J>-^-^g|f" g tl^^Tfn^^
wei • net es wie - der dir hi - nie - den kein Rös - eben
7. Huldigungskanute ffir Leopold II. (1790)
I
hörst du nicht der £n-gel, der En-gel Gru-ße krönen wie Har-fen-lis - peln
^ 8. Adelaide (1796?)
r II ^ ^J fr I (Lf r II f-n^ri^r±scg^^
tö-nen Zih • ren fiie-ßen weil mit Se- gen
im 31u - men - gar • ten
y i si
Ff^^W3^H=^
Ta-ges Gold-ge - wöl - ke Nachti-gaMen flö - ten Nacht! - gal - lan flö - ten
m.
RIEMANN: BEETHOVEN UND DIB MANNHEIMER
Grm-bfl der Aiehe meliiet Her-iena,
Der Zweck dieser kleinen Studie ist, einen Aofug zn machen mit
dem positiven Nachweise des Einflusses, den die Mannheimer Schule auf
das Schaffen der groflen Wiener Klassiker ansgeübt bat*); bezüglich Hiydns
gibt der Dmck der rrühesten Symphonieen in Bd. I der Gesamtausgabe An-
laß zu ihnlichen Betrachtungen. Eine viel dankbarere Aufgabe ist aber
zweifdlos, nachzuweisen, worin sich auch schon in frühen Werken Beet-
hovens dessen Eigenart offenhält. Gar mancherlei Beobachlangen dringen
sieb da auf, besonders zeigt sich eine auffallende Verwandtschaft mancher
weitausgreifenden scherzoartigen Sitze in gleichen Noten ohne allen har-
monischen Apparat mit solchen aus spiterer Zeit, aber auch umgekehrt
vollblütige im wesentlichen harmonische Konzeptionen von ausnehmender
Ausdrucksliefe fallen auf. Diesen Beobachtungen kann hier nicht nach-
gegangen werden. Ich wollte aber wenigstens den Hinweis auf sie
nicht unterlassen, um jedem falschen Schein der Kleinigkeitskrämerei vor^
zubeugen, den ja wohl ein Thema, wie das dieses Aufsatzes, leicht erwecken
kann. Beethovens GröSe wird durch meine Nachweise gewiß nicht an-
getastet. Neben die Untersuchung des iufieren Lebens unserer Meister
mnfi aber nun allmShlich ein detailliertes Eindringen in ihren Stil treten,
wenn die Musikwissenschaft nicht hinter der mit der Poesie sich be-
schiftigenden Schwesterwissenschaft dauernd zurückbleiben will.
') Anm. Der soeben ausgegebene Bd. XV< der aDeskiniler der Tonkunst in
öiierrelcb" macht cum ira ac studio einen Venucta, die Mannheimer tu einem Ab-
leger einer Tiener Schule lu machen und einen gewiesen Georg Matthias Monn
gegen Siamlti aiisiuepieien. DarQber an anderer Stelle mehr.
DIE NOTWENDIGKEIT EINER
STIFTUNG ZUR ERMÖGLICHUNG
DER DRUCKLEGUNG UMFANG-
REICHER KOMPOSITIONEN
EINE ANREGUNG
1 Wilhelm Alimann-Friedenau/BerlJn
■enn man im .Allgemeinen deutschen Musiker-Kalender* die Zn-
\ sammenstellung der mancherlei Stiftungen, die für Tonkünstler
und Musiker gemacht sind, sich ansieht, so mafi man darüber
i erfreut sein, trotzdem das Kapital vieler dieser Stiftungen nicht
gerade groß ist. Eine Stiftung aber vermisse ich, die meines Eracbtens
heute unbedingt notwendig ist: eine Stiftung, die talentvollen
Komponisten die Mittel zur Drucklegung umfangreicher Werke
gewährt.
Wir haben, Gott sei Dank, in Deutschland noch immer eine groDe Anzahl
recht begabter Tonsetzer, die ideal genug gesinnt sind, uns Symphonieen,
grofie Chor- und Kammermusikwerke zu schaffen, obwohl sie wissen, dafi
es ibaen sehr schwer sein wird, für diese Werke als Vorbedingung für
eine Reihe von Aufführungen einen Verleger zu finden, der wenigstens
die Kosten der Drucklegung trägt, ohne ein Honorar zu zahlen. Zahllose
sehr wertvolle Werke bleiben im Pulte der Komponisten verschlossen,
ohne je gedruckt und aufgeführt zu werden. Mißmutig verkümmern häufig
dann selbst sehr begabte Tondichter, oft wenden sie sich von der ernsten
Musik ab und produzieren nur noch leichte Ware, weil sie dadurch allein
und ohne große Mühe sich ihren Lebensunterhalt erwerben können. Die
Folge dieser Zustände dürfte unausbleiblich die sein, dafi Deutschland die
seit wenigstens anderthalb Jahrhunderten behauptete führende Stellung auf
dem Gebiet der Komposition verlieren muß.
Die deutschen Musikverleger trilTi die Schuld nicht. Wenn man
die Summen, die sie allein in den letzten 20—30 Jahren idealen Zwecken
geopfert haben, addieren würde, so würde man allgemein über deren Höbe
staunen. Der Absatz, den sie mit größeren Werken ernsterer Art erzielen,
ist leider verschwindend gering; sogar Werke gefeierter Komponisten, die
sie mit schweren Opfern erworben haben, gehen nicht; jedes Salonstück
aber, jedes Couplet wirft sicheren Gewinn ab. Die allgemeine musikalische
Bildung oder der Geschmack des großen Publikums ist leider sehr
zurückgegangen, hat sich entschieden verschlechtert. Wer kauft heute z. B.
99
ALTMANN: EINE ANREGUNG
den Klavierauszug eines Oratoriums? Selbst KQnstlervereinigungen, die
z. B. ein neues Streichquartett aufführen wollen, sehen es als ganz selbst-
verständlich an, daß ihnen die Noten gratis zur Verfugung gestellt werden.
Dazu kommt, daß die Herstellungskosten infolge Verteuerung des Papiers
und vor allem der Arbeitslöhne in den letzten Jahren eine solche Höhe
erreicht haben, daß die Kosten der Herstellung z. B. eines Streichquartetts
in den seltensten Fällen gedeckt werden. Kann man es daher den Ver-
legern verdenken, wenn sie sich für solche Werke, besonders unbekannter
Komponisten, nicht interessieren, wenn sie zum mindesten einen Zuschuß
zu den Druckkosten verlangen, den aber der meist nicht mit Glücksgütem
gesegnete Komponist beim besten Willen nicht aufbringen kann?
Hier müßte, da eine staatliche Unterstützung wohl nicht zu erreichen
wäre, obwohl die Staaten ja für wissenschaftliche Zwecke und die bildenden
Künste viel Geld aufwenden, ein Mäcen eintreten oder vielmehr, da heute
diese Gattung Menschen doch nur sehr selten aufzufinden ist, eine Stiftung.
Deren geeigneter Verwalter wäre der «Allgemeine Deutsche Musik-
verein*, dem bereits einige den Musikern zugute kommende Stiftungen
anvertraut sind. Freilich müßte dafür gesorgt werden, daß nicht bloß
die ultramodeme, bei den Tonkünstlerfesten des „Allgemeinen Deutschen
Musikvereins* bevorzugte Richtung und die Schüler der Leiter dieses
Vereins berücksichtigt würden, sondern auch die Außenseiter. Die gewährten
Beihilfen zum Druck müßten nach einem Abkommen mit dem betr. Verleger
wieder in die Stiftung zurückfließen, sobald der Absatz des betreffenden
Werkes die Kosten gedeckt hat. Weitere Einzelheiten über die Art, wie
die Stiftung zu verwalten wäre, mache ich absichtlich nicht, wie ich denn
überhaupt hier nur eine Anregung geben will, die Berufenere weiter ver-
folgen sollen.
Woher aber sollen die Mittel zu dieser Stiftung beschafft werden?
Ich bin fest überzeugt, sobald der »Allgemeine Deutsche Musikverein* sich
dieser Sache annehmen und für sie mit Nachdruck eintreten würde, würden
von vielen Seiten Kapitalien dieser Stiftung zufließen ; es gibt ja auch unter
den Musikern reiche Leute, die keine direkten Erben haben und jene
Stiftung sehr gut testamentarisch bedenken könnten. Freilich würden
voraussichtlich Jahre vergehen, bis das Kapital so groß wäre, um nennens-
werte Unterstützungen zu gewähren.
Wenn ich recht unterrichtet bin, so hat der russische Musikverleger
Belaielf bei seinem Tode bestimmt, daß sein Verlag als Stiftung zugunsten
der jungen russischen Komponisten weitergeführt werden soll. Aus einem mir
kürzlich zugesandten Zirkular des Vereins schweizerischer Tonkünstler
ersehe ich, daß dieser jetzt, wenn auch in beschränktem Maße, dank Unter-
stützung der Bundesbehörde in der Lage ist, die Drucklegung und Ver-
« # * * *
100
DIB MUSIK VII. U.
.breituDg solcher Kompositionen schwelzeriscber Tonseizcr in die Hud zu
nehmen, für die ihre Autoren trotz gediegenen Inhaltes der Werke
keinen Verleger finden können. In diesem Zlrkulftr heifit es mit Recht:
aUnd doch sind es bXuBg gerade die bedeutendsten Werke, die . . ^ un-
begehrt von den Zeitgenossen derjenigen, die sie geschaffen haben, der
Vergessenheit anheimfallen. Dies ist das Schicksat, das schon manchen
unserer Kunstgenossen entmutigt and seine Schaffensfreudigkeit gelihmt bat.'
Sollte, was in Rußland und in der Schweiz möglich Ist, nicht auch
in Dentscbland zu erreichen sein? Die Antwort auf diese Frage wird
uns sicherlich der .Allgemeine Deutsche Musikverein' geben.
fängst entschwundene Zeilen, eine längst untergegangene und
verklungene Kunstepoche stiegen auf in der Erinnerung in dem
f Augenblicli, wo die Kunde vom Tode PauHne Luccas durch die
Welt eilte.
Man vergegenwäritgte sich schnell das Berlin der secbsziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts, -das Beilin mit seiner Ahnung von etwas Grofiem,
das da kommen sollte und mufite, das Berlin, das der SchaupIaK
hertiger parlamentarischer Kämpfe und von schweren WaiFeDgängen siegreich
heimkehrender Truppen war.
Alle diese bekannten Vorgänge erzeugten andauernd Spannung und Ner-
vosität und bereiteten gerade damit einen Nährboden für das Gedeihen eines
Talentes von der Art der Lucca, wie er geeigneter gar nicht sein konnte.
Diese merkwürdige Sängerin, deren Kunst in der Hauptsache voa
starken Impulsen des Augenblickes getragen war und wie das unausgesetzte
Improvisieren einer urwüchsig-genialen Begabung erschien, kann man nicht
treffender charakterisieren als durch zwei Teile des Wortes, das auf dem
Grabstein Mozarts zu lesen, nämlich:
«Jung grofi, (spät erkannt,) nie erreicht.*
Das erste und das letzte paßt vollkommen auf die Lucca; sonst hatte
sie gerade mit dieses Meisters in rafTaelitischer Schönheit strahlender Kunst
wenig Berührungspunkte, wenn sie auch den Cherubin im «Figaro* und die
Zerline im, Don Juan" mit größtem Erfolge in der ihr eigenen Art gesungen bat.
Jung groß war die Vielgefeierte wie nur je eine ; von ihrem zwanzigsten bis
zum dreißigsten Lebensjahr stand sie bereits als Prima donna assoluta auf
der Hofbühne Berlins, man kannte sie also in der ganzen Kullurwell. Im
vierzigsten Lebensjahr trug die kleine Frau schon die Last des nunmehr
selbsterrungenen Weltruhmes. Erreicht worden ist sie niemals wieder.
Künstlerische Individualitäten von solcher Originalität wiederholen sich nicht.
Viel gerühmt wurde die Vielseitigkeit der Lucca. Von den leiden-
schaftlichen Wallungen der Valentine und den tieftragischen Akzenten der
Selic« bis zur Schalkhaftigkeit der Frau Fiuth und der Kofcetteije der Zerline
im ,Fra Diavolo' stand ihr eine große Skala weiblicher Empfindungen in Toa
und Farbe, im Gesänge und der Darstellung zur Verfügung. In jede Rolle
102
DIE MUSIK VII. 14*
0mSBSa
wußte sieetwas rein Persönliches, nur ihr Eigenes zu legen. Und dennoch gab es
auch für diese scheinbar unendlich Wandlungsßhige eineGrenze ihres Könnens.
Das bereits damals leise, aber deutlich anpochende Kunstwerk Wagners fand in
derLucca keine Interpretin. Da, wo es hieß: Diene und sei ein Glied im Ganzen,
da wardas Endeeiner Kunst,die aufdem schrankenlosen Subjektivismus beruhte^
Das war wohl auch der tiefere Grund, daß die Lucca zuerst aus dem
Kreise ausbrach, der sich um die Wende der sechsziger und siebenziger Jahre,
von einer Anzahl auserlesener Künstler gebildet, um sie geschlossen hatte.
Waren doch allmählich die Mallinger, Brandt, Lehmann, Niemann, Betz, Fricke,
Krolop neben die so bevorzugte Sängerin getreten, neben sie, die gewohnt war,
Alleinherrscherin zu sein und nun so viele kongeniale Sänger und Sängerinnen
neben sich dulden sollte. Die bekannte Rivalität mit der Mallinger führte das
Ende herbei. Pauline Lucca ging von dannen, man ließ sie ruhig ziehen.
Ob die damals noch kleine, heftig befehdete Wagnerpartei, die begreiflicher-
weise in der Mallinger eine bessere Stütze sah als in der Lucca, nicht un-
gerecht und lieblos gegen diese war und dadurch den häßlichen Konflikt noch
verschärfte, mag unerörtert bleiben. Jedenfalls verlor die Hofoper eine
Künstlerin, wie sie eine gleiche bis zu Rosa Sucher nicht mehr besessen.
Die ein Jahrzehnt ungefähr schmollende Lucca kehrte als Gast in
den achtziger Jahren zurück und gab als Carmen und Bezähmte Widerspenstige
neue, glänzende Beweise ihrer im NachschafFen fast schöpferischen Kraft.
Aus ihrem alten Repertoire sang sie damals wieder Gounod's «Margarete*,
war von entzückendem Liebreiz im zweiten und dritten Akt und fand
erschütternde Töne für die Schmerzensakzente der Kircl»en- und Kerker-
szene, in denen sich alles in ein einziges, sanftes, großes Leiden auf-
zulösen schien. Neben dieser kleinen Margarete stand der riesengroße
Niemann als Faust, mächtig über Gounod zu Goethe hinstrebend und dazu
Salomon mit seinem eleganten, in seiner Wirkung an zweihundert Mal
erprobten Mephisto. Das war eine Aufführung von musikhistorischem
Wert, sie mutete an wie das kurze Aufflackern einer halbüberwundenen,
großen Zeit vor ihrem völligen Erlöschen.
Nach und nach wurde es still von Pauline Lucca. Sie zog sich aus der
ÖflTentlichkeit zurück, um auszuruhen von einer Laufbahn, bei der Kunst und
Gunst gemeinsam in seltener Weise den Erfolg herbeigeführt hatten.
So groß und originell diese Sängerin war, die höchste Aufgabe eines
Interpreten: eine Mission zu erfüllen, blieb ihr versagt. Pauline Lucca, ein
ragender Gipfel einer absterbenden Kunstepoche, war am Ende ihres Wirkens,
als Wagners Kunstwerk die Morgenröte einer neuen Zeit ankündigte. Ein
Schicksal, das hinter seinem Glanz doch ein wenig Tragik birgt.
• ' •,
BÜCHER
116. Das Süifiebncb des Adam Puschman nebst den Origlnalmclodlen des
M. Behalm and Hans SacbSi beransieceben von fisorg H&nzor.
Verlag: Breltkopr & HIrtel, Leipirf 1907.
Der elnitimmlKe Getug des MlrielalterB war laofe Zelt ein Stiefkind der Mnalk-
foncbunf. Die Ltterartalatorlker, welche die Lieder der Tronbadoora, Tronvfcrea, Mlnne-
■iDcer nnd Meliteraiager behandelten, gingen meist Gber die mniikalfBche Seite Ibrea
Tbenas schnell binFort oder ließen lie auch giniltch nnberfibrt, und den MuBlkblsiorikem
manfelte die nSHse Kenntnia der elBicbllKlgen band achrlftlf eben Quellenliteramr, um
ein treffendes Urteil abivgehen. Georg M&nier, der >ich bisher auf dem Gebiete
der neueren Konzert- und Opem-Geaehlcbte durch ao manchen wertvollen Beitrag be>
dllgt bat, kam ohne Zweifel durch die Frage nach den Grundlagen tob Tagners aMeister-
tinger von Nürnberg" Aber Tagesiell') auf die qaellenmißige Erfbrachnng des Meister-
gesangs. Cermaniaten wie Docen, Grimm, GSrres, Bartsch, Hertel, HoFfmann
von Falleraleben, Schnorr von Carola feld, Dreyer, Bolte hatten so manche Vor-
arbeit geleistet und auch Musikhistoriker wie Jacobs thal, R. t. Llllencron, Bohn und
bedingt Mey gar manchen Banatelo geliefert. Vor allem war der Teg durch die Publi-
kationen Paul Runges, Rlemanna und Bernoullla geebnet. Bildete doch das Col-
marer Uederbnch, daa ersterer seinem Inhalte nach erschlossen hat, eine der ilteiieB
schrifUicben Grundlagen des Meisiergesanga. Aber trotz nicht zu nntenchitzender Vor-
arbdlen blieb noch MQnier nahein alles cn tan übrig. Seine Forachung, auf breitetter
Grundlage angelegt, zeigte Ihm, dafi es vor der Hand Gber die Kraft eines einzelnen
geht, das ganze Gebiet erichSpfend zu bebandeln, daH es vor allem darauf ankommt,
die Melodien der Meistersinger lu neuem Leben lu erwecken und durch sie die auf
Tagesaell fu&ende Voratelluog von der zur Formel eraiarrlen knSchemen Melodik zu
bekimpfen. Tie das Kapitel des Melatergeaenga, ao werden noch manche andere mittel-
allcrllcbcr Mualk bis hin zum 16. Jshrhundert auf Grund des sn^edecklen praictiacben
Quallenmaieriala vfilllg nmiuachreiben sein. Als Vorlage seiner Publikation diente Mfinzer
in erster Linie das Singebucb dea Adam Puacbman ans dem Jahre 15BS, da* die
Breslaoer Bibliothek bewahrt, eine Sammlung, die einen guten Oberblick über daa Gebiet
des Melatergeaaags bis zu Pnschmana Zelt verscbsin. Adam Puschman, 1532 zu Cflriltz
geboren und Schneider von Beruf, hatte nach eifrigen Studien des Meiatergesanges bei
OnolTrius Sehwarzenbach In Augabnrg und Hans Sachs in Nürnberg seinen Bemf
aufgegeben und lebte von nun sn der edles Slngekunat, Auf seinen vielen Tander-
hbrten aammelte er, waa er von Melatergeaingen vorfand und zeichnete sie, so gut er
ea vermochte, mit den Melodien auf. Bei dem hohen Ansehen, das er allenthalben
■] Buch von der Meitier-Slnger Holdseligen KnnilAnItog, Fortübung, Nutzbarkeiten
ttsd Ubi^Sitzen. Altriorf 1697.
104
DIE MUSIK VII. 14.
Ji
in den Kreisen der Meistersinger genoß, bsben seine Niederschriften trotz msncher
Fehler der melodischen Fixierung und mancher Versehen hinsichtlich der Verfasser-
schaft ohne Frage besonderen Wert. Aber auch andere Handschriften hat Münzer znr
Ausgabe herangezogen, wie die Zwickauer Hans Sachs-Handschriften, die Aufzeichnungen
des Michael Behaim (in Heidelberg und München), die vielen Nfimberger Bestinde»
vor allem den Kodex des Benedikt von Watt, Berliner Manuskripte, die herrlich ge-
schriebene Handschrift des Valentin Vogt in Jena, Weimarer, Mfinchener und Dresdner
Manuskripte. Immer sehen wir den Verfasser bemüht, eine möglichst einwandfreie
Fassung zu gewinnen. Münzers Ausgabe der Melodien ist keine Umschrift ihrem
einstigen Vortrage entsprechend, sondern lehnt sich eng an die Vorlagen an. Die für
die Lösung der Weisen entwickelten Grundsätze sind anzuerkennen. Die Frage nach
der Notation der Meistersinger war jüngst auf dem Basler Kongreß der Internationalen
Musikgesellschaft aufgerollt worden und hatte von Runge, Münzer, Bernoulli und
S taiger Beantwortungen gefunden, die in den wesentlichen Punkten übereinkamen nnd
bis auf wenige Ausnahmen den Meistergesang als unmensuriert hinstellen. Gestützt auf
die der Publikation angehängte Tabulatur Puschmans stellt Münzer den Satz auf, daß
die Meistersinger das Prinzip der Silbenzäblung beherrschte und »die Hebungen der
Sprache gewöhnlich keine Rolle spielten". Er betont die theoretische Gleichwertigkeit
aller Silben im Puschmanschen Meistergesinge, gesteht aber zu, daß Silben mit längerer
Koloratur wohl unwillkürlich Verlängerung und mehr unbetonte Verkürznng erfkhren
haben werden. Mit großer Liebe sucht Münzer in den Geist der Meistergesänge ein-
zudringen und ihren ästhetischen Gehalt zu ergrunden. Sein allgemeines Urteil formniiert
er in dem Satz, den alle Einsichtigen unterschreiben werden : «Die Melodien der Meister-
singer sind besser als ihr Ruf*. Die vier gekrönten Töne, die nach Wagen seil alt
die bedeutendsten angesehen wurden, gehören zu den aliersch wachsten. Die merkwürdigen
Benennungen der Weisen finden durch Münzer eine natürliche Erklärung, die förm-
bildnerischen Prinzipien, vor allem das Streben nach abgerundeter Form und auch nacli
thematischer Verwebung, werden aufgewiesen, der Vorwurf der mangelnden Tonalität mit
Recht zurückgewiesen. Nicht alle Melodien beugen sich unter die Lehre von den
Kirchentonarten, das Dur- und Mollgeschlecht zeigt sich nicht selten schon klar aus-
geprägt Eine ganze Zahl der Weisen werden ihrer Tonart nach bestimmt Wertvoll
sind Münzers Hinweise auf die Beziehungen des Meistergesangs zum gregorianischen
Choral, zum evangelischen Kirchenliede und zum Volksgesange. Lag es doch nahe, mit
den kirchlichen Stoffen auch den Grundzug kirchlicher Melodik zu übernehmen nnd bei
volkstümlichen Stoffen sich volkstümlicher Weisen zu bedienen. So leiht der gregorianische
Gesang so manche melodische Formel her und klingt auch aus dem evangelischen Choral
so manches Melisma hinüber. Aber auch umgekehrt konnten sich die Sänger der Kirche
dem Einflüsse des Meistergesanges nicht entziehen; ich erinnere nur an das „Schlesich
Singebüchlein* des Valentin Triller von Gora vom Jahre 1555. Ein Verhältnis der
Reciprocität bestand ohne Frage. Hat doch auch so mancher Meistersinger, man denlw
nur an Hans Sachs, sich, in den Dienst der evangelischen Sache gestellt Eine ganse
Fülle von Parallelen ergeben sich mit »Ein feste Burg*, mit »Wachet auf, mft uns die
Stimme*, mit »Aus tiefer Not*, »Christ unser Herr zum Jordan kam*, ajessia dem
Propheten das geschach*, »Nun bitten wir den heiigen Geist*, »Vom Himmel hoch, da
komm ich her*, um nur ein paar der bedeutendsten zu nennen.
Die Auslese von Melodien, die Münzer darbietet, ist höchst wertvoll nnd
umgreift den ganzen Meistergesang von der Zeit Frauenlobs bis zum Ende des 16. Jahr-
hunderts. Es liegen Töne der alten Meister Frauenlob, Heinrich Müglin, Konratt Manier,
Bartel Regenbogen, Konrad von Würzburg, Tannhäuser, Mönch von Sslzburg, der stsrlES
105
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
Poppe, der tlte und der junge Stolle vor. Auch die jüngeren Bebtm» Machet Schmider,
Onoffrius Schwtrzenbach, Sebattitn Wilde, Konrad Nachtigall, Hana Fplz, Nunnenbeck,
Hans Sachs, Hans Vogel und Adam Puschman kommen zu ihrem Recht, zu schweigen
von einer großen Zahl weniger bedeutender Meister. Jene Periode des sich an den
Minnegesang anschließenden b&rgerlichen Meistergesangs wird wieder vor unseren Ohren
lebendig, gewinnt greifbare Gestalt Möchte die fleißige Publikation Munzers Frfichte
tragen und zu weiterer Forschung auf dem Gebiete des einstimmigen deutschen Liedes
anregen. Johannes Wolf
117. Marie Ja&Il: Die Musik und die Psycho-Physiologie. Aus dem Franzö-
sischen übersetzt von Franziska Kromayer. Verlag: Straßburger
Druckerei und Verlagsanstalt, Straßburg 1905.
Das französische Original der geistreichen Verfasserin liegt bereits zehn Jahre zurfick«
Damals, 1895, wire eine Obersetzung des treflPlichen Werkes wohl eher am Platze ge-
wesen. Heute kommt es ein wenig zu spät; denn es ist von den Ereignissen unserer
i&ngeren Forschungen bereits überholt. Wenn wir trotzdem der Obersetzerin. unseren
Dank wissen, so geschieht es aus dem Grunde, weil die Schrift auch beute noch
manches Interessante und Lesenswerte enthält. M. JaSIl war bekanntlich die Erste, di«
die Erforschung der pianistischen Spielphänomene auf psycho-physiologiacher Grund-
lage betrieb. In Anlehnung an die großen Resultate dieser jüngsten Wissenschaft, be-
einflußt durch die glänzende Empirie eines Bain (L'Esprit et le Corps), Paulhan (La
Physiologie et l'Esprit), Marey (Ls Machine animale), Ribot (La Psychologie de l' attention)
u. a. m., besonders angeregt durch ihre eigenen feinen Wahrnehmungsreize ging sie dazu
Aber, die Einheit alles Musikslischen als einer geistigen und körperlichen Vibration auf-
zuspfiren und zu begrfinden. Abschnitte wie: «Der Mechsnismus des musikalischen
Ausdruckes* oder »Die Aufmerksamkeit und der Muskelsinn*, »Der Anschlag und der
Gehörssinn* enthalten ebensoviel feinsinnige Beobachtungen, wie selbständige und feine
Gedankenreiben. M. JaSIl war auch die Erste, die das Obungsprinzip als einen geistigen
Akt erkannte und vertrat. Die Abschnitte fiber den »Vortrsg*, über »Tskt und Tempo
rnbato*, »Pedal*, »Paktoren des musikalischen Gedächtnisses* sind voll von geistreichen
Apercus und beweisen ein hohes, edles Streben, einen echt künstlerischen Sinn und
ästhetisches Feingefühl. Wenn das ganze Werk als solches heute nicht mehr die Be-
deutung für sich in Anspruch nehmen ksnn, so liegt das an der bereits oben erwähnten
Tatsache der Rfickständigkeit, wie an einer bypemervösen Reizsamkeit der Verfasserin.
Auch ist die Anlage insofern verfehlt, als die Voraussetzungen JaöH's dsmals irrige
waren, und demgemäß auch die Schlußfolgerungen jetzt nicht anzuerkennen sind. Das
habe ich bereits in meinem Werke: »Die nstürliche Klaviertechnik* nachgewiesen, das hat
auch Dr. F. A. Steinhausen in seiner vorzüglichen Schrift: »Die physiologischen Fehler
und die Umgestaltung der Klaviertechnik* des näheren kritisch dargeian. JaSll beging
den Fehler: 1. ihre subjektiven Reizempflndungen als Grundlage eines neuen Anschlsg-
systemes zu objektivieren und 2. etwss zu ergründen, was sich meiner Ansicht nach
nicht ergründe» läßt, nämlich: das speziflsch Geistig-Künstlerische, die Nervenphänomene
der Reproduktive. Im einzelnen ähnelt ihr System der Deppeschen »Lehre des
KlsTierspiels*, von der sie wohl such (trotz der Beteurung der Gleichzeitigkeit seitens
der Übersetzerin im Vorwon) nicht unbeeinflußt geblieben ist. Sie teilt den gleichen
Standpunkt wie diese und stellt sich damit in völligen Gegensau zu uns. Alles ist bei
ihr intensivste Muskelspannung, isolierte Fingerbewegung ä la Deppe und FIxität.
Da steht pag. 72: »Um also die Noten eines musikalischen Werkes zu studieren, kommt
et luertt darauf an, folgende statische Eigenschaften zu erringen: die FIxität des
Körpers, die Fixität des Armes, abgesehen Ton denjenigen Bewegungen, welche bewußt
106
DIE MUSIK VII. 14.
hertogebildet tind, die Fixität der Htnd und die Fixität der Finger, wenn sie keinen
Anschlag auszuführen haben. Auf diesen statischen Zustand der Muskeln muß eine
betrichtliche Anstrengung [??] verwendet werden, so daß im Vergleich dazu die Dyna-
mik weit weniger wichtig erscheint. [??]* Also Sberall das Prinzip des Festhaltent und
Anspannens ganz wie bei Deppe, demgegenüber wir nicht genug den Standpunkt des
Entspannens und Loslassens betonen können (Vergl. Bd. II meiner »Natfirlichen Klayier-
technik*: »Die Grundlagen der Klaviertechnik*). Oberall auch jenes unglQck-
selige «Bewußtmachen*, «Beherrschen*, jenes Explizieren und Anslysieren von Muskel-
empflndungen und Bewegungsvorgängen, die die Naivitit jedes Spielers beeinträchtigen
mfissen und zu einem völlig verkehrten Ideale rühren. JaCIl lehrt zwar schon die Be-
obachtung der Bewegnngsvorgänge, bleibt aber an der äußerlichsten und meiner Ober-
zeugung nach unwesentlichsten Bewegungserscheinung der Finger als solcher, und zwar
isolierter Form, stehen. Hier ist sie schon von E. Caland weit fiberholt worden. Die
Erkenntnis von der Bedeutung des gesamten Gelenkmechanismus ist ihr nicht auf-
gegangen. Das Prinzip der Schwere oder der Trägheit, die Schwingungsform der
frei eingesetzten Masse, die Rollfunktion des Oberarm- und des cubitalen Ellenbogen-
gelenkes, auf dem allein die naturliche Klaviertechnik beruht, fehlt vollständig. Am
schärfsten gehen wir aber auseinander in puncto «Muskelspannungslehre*. Ich stehe
mit Steinhausen, Kraemer u. a. auf dem Standpunkte der absoluten Entspannung und
Erschlaffung der Muskeln. Dafür tritt meine «Schule der Technik* Wort fQr Wort den
Beweis an. Technik ist kein «Bewußtmachen* und «Beherrschen* im JaCll-Deppeschen
Sinne, sondern ein absolutes Freimachen und Loslassen in geistiger wie in körperlicher
Beziehung. Technik ist die Befreiung von psychischen Hemmungen und physischen
Widerständen, die unbewußte Freiwerdung von Seele und Körper, nichts weiter. Darfiber
an anderer Stelle Ausfuhrlicheres. R. M. Breithaupt
MUSIKALIEN
118. Karl Kämpf: Suite für großes Orchester, op. 24. Verlag: Paul Koeppen,
Berlin.
Ein ansprechend melodisches Werk, aus romantischer Phantasie heraus geboren,
wird diese Suite für gute populäre Konzerte sehr wohl zu verwenden sein. Sie setzt
sich aus einer Reihe von Stimmungsbildern zusammen («In den Dfinen*, «Die Haff-
mficken*, «Im Meeressturm dem Tsg entgegen*, «Abendlied*, «Kirmes*), die eigent-
lich nur gsnz kurze Improvisationen, fluchtige impressionistische Andeutungen, aber, bis
suf allenfalls die beiden letzten Nummern, keine in sich geschlossenen oder gar kunst-
reicher ausgeführten Sätze sind. Melodisch und auch zumeist harmonisch ist ein ge-
wisser Landscbafcston, der entsprechende Gefuhlsverbindungen suslösen kann, wqfil
getroffen. Die Instrumentstion ist klangvoll und im allgemeinen mit sicherem Können
ausgeführt. Doch finden sich auch Reibungen, die an sich leicht zu vermeiden ge-
wesen wären und nicht nsch jedermanns Gescbmscke sein werden. Im ganzen ist dieses
Opus ein neuer Beleg für eine liebenswürdige Begabung, die, dem Gehalte nach,
Werke von nicht Qblem Durchschnittswerte zu schsffen vermsg.
119. Leone Sinigaglia: Danze piemontesi. op. 31, No. 1 und 2. Verlag: Breitkopf
& Härtel, Leipzig.
Auch diese ^ucke stellen eine gute, ich möchte fast sagen: eine bessere Unter-
haltungsmusik dsr. Sie sind mit reifem Können und manchmal interessanter kompo-
sitionstechnischer Verarbeitung der populären Themen (wohl sogenannten Volkamelodlen)
und mittels aller Vorzfige der romanischen Instrumentationsart zu einem klaren Partitar-
m
107
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
blld geformt, das koloristischer Reize nicht entbehrt. Die ansprechenden Themen
nnd die Tomehme Weise ihrer Verarbeitung machen die beiden Orchesterstficke zu sehr
feinen Werken ihrer Art.
120. Halfdan Cleve: Konzert No. 3 in Es-dur fSr Klavier nnd Streich-
orchester, op. 9. Verlag: Breiikopf & Hirtel, Leipzig.
Eine liebenswürdige^ herzhaft frische und flotte Bejahung ist dieses dritte Konzert
des schreibfreudigen Klavierkfinstlers. Stets vornehm gehalten und wohlklingend, dazu
bei seiner leichten Vorfuhrbarkeit (obwohl nicht leichten Spielbarkeit) infolge der allein
für Streichorchester geschriebenen Begleitung wird es als eine gewiß vielfach mit Ver-
gnügen anfgenommene Bereicherung seines Literaturgebietes anzusprechen sein. Eine
greifbare persönliche Note lugt zwar nicht daraus hervor, es ist alles mehr ein» aller-
dings durchaus vornehmes, SchafVen auf oft betretenen Pfaden mit oft deutlichem
nordischen Einschlage und auch manchmal darüber hinausgehender alterierter Harmonik.
Der Mangel starker Persönlichkeit ist aber ja doch in jedem Falle kein Grund, das absolnt
Gnte abzulehnen — wie es viele Beckmesser (immer noch!) nach wie vor in einiger-
maßen fragwürdiger Kurzsichtigkeit tun zu müssen meinen. Und so kann ich nur
sagen, daß mir dieses Konzert in seiner Art gefillt. Die Primeln auf der Wiese haben
ebenso ihre Daseinsberechtigung, wie die grotesk-riesigen oder überwiltigenden Felsen
und Schroffen des Hochgebirges, das Blinken eines kleinen schimmernden Sternes ist
an sich ebenso schön, wie das Leuchten ganzer Weltensysteme aus unermeßlichen
Femen, Und so braucht man keineswegs ein Reaktionir zu sein, um auch das Be-
scheidenere, sofern es an sich gut und ehrlich ist, gelten zu lassen . . .
Alfred Schattmann
121. Sigfrid Karg-Elert: Lieder und Gedichte für eine Singstimme mit
Klavier. Verlag: Carl Simon, Berlin.
Aus der umfangreichen Sammlung liegt uns zunächst »Ein jungfriulich Madrigal*
op. 63, No. 9 vor, ein einfaches, klangschönes Werk ohne hervorstechende Eigenart, aber
gesnnd empfunden. — op. 11, No. 6B. „An Dich*. Ein geschickt entworfenes, nicht einer
gewissen Innigkeit des Ausdrucks entbehrendes Lied. — op. 56, No. 9. .An eine sechs-
jihrige Schöne*. Ein scherzhaftes, hübsches Liedlein mit viel Klangreiz, der mittels
einer durchsichtigen, lebhaft dahinströmenden Begleitung noch gehoben wird. —
op. 62, No. 4. »Empor*. Recht temperamentvoll, leidenschaftlich bewegt, mit entsprechend
erregter Klavierbegleitung ausgestattet, wirkt das Lied frisch und lebendig. — op. 56, No. 4.
»Mein Esel*. Für humorvolle Vertonungen besitzt Karg-Elert viel Talent. Das zeigt
auch dieses anspruchslose und doch sehr gefällige Liedlein, das sich gewiß zahlreiche
Freunde erwerben wird. — op. 12, No. 4. »Epigramm*. Weniger gut, wie in seinem
op. 62, No. 2, »Mein Lieb ist schlafen gegangen*, trifft Karg-Elert in diesem Gesänge
den Volkston, der sich über das Niveau gediegener Unterhaltungsmusik in keiner Weise
erhebt. Artur Eccarius-Sieber
122. Sergei Bortkiewicz: Quatre morceaux pour Piano, op.3.— »Impreasions*.
Sept morceaux pour Piano, op. 4. Verlag: D. Rahter, Leipzig.
Die vorliegenden lyrischen Kompositionen geben Zeugnis von einem vielver-
sprechenden jungen Talent, das feine melodische Erflndung mit gefälliger Harmonik nnd
Rhythmik vereinigt, ohne je flach zu werden, ohne aber auch in moderne Extravaganz
zu verfallen. Die programmartigen Stücke, die sich schon im Titel als solche geben
(£tude d'oiseaux, Temp^te, Aprfts la pluie: op. 4, No. 2— 4), sind weniger gelungen als
die mehr lyrisch gearteten. Eine wahre Perle ist die Gavotte-Caprice (op. 3, No.3); auch
die No. 5 aus op. 4 (Bergers et Bergftres) sei trotz starker Griegscher Anklänge an-
erkennend hervorgehoben.
108
DIE MUSIK VII. 14.
M
123. Sigfrid Karg-Elert: Erste Klaviersonate (fls-moll). op. 50. Verlag: Carl
Simon, Berlin.
Mit dieser eigentümlich zerfahrenen und recht gehaltlosen Komposition Tormochten
wir uns nicht zu befreunden. Und ein wahrer Mißbrauch ist es, eine solche endlose
Phantasie, bei der man vergebens nach thematischer Durchbildung sich nmschaut, mit
dem Namen Sonate zu belegen. Selbst in dem langsamen Mittelsatx kommt der Ver-
fasser nicht zu einer klaren Gestaltung seiner fluktuierenden Tonmassen.
124. Michel Karpow: Nocturne pour le Piano, op. 2. Verlag: Julius Heinrich
Zimmermann, Leipzig.
125. Julius Weismann: Impromptus für Plan of orte. op. 17. Verlag: D. Rahter,
Leipzig.
126. Richard Nordraak: Scherzo capriccioso für Klavier, f&r den Kon zeityor trag
frei bearbeitet von Sigfrid Karg-Eiert. Verlag: Carl Simon, Berlin.
Obwohl etwas sehr süß und spielerig, macht das Nocturne von Karpow doch den
Eindruck eines guten musikalischen Talents, das vielleicht fQr die kleinere Sonatinen-
oder Suitenform sich eignen könnte. Die Variierung des hfibschen Themas ist fQr die
Einfachheit ihrer technischen Bauart etwas zu ausgesponnen. — Von Weismanns sehr
gefSlligen Impromptus seien No. 2 und 4 als besonders ansprechend hervorgehoben, lo
No. 1 stört das recht triviale Thema des Durteils den guten Eindruck; dasselbe kann
man von No. 3 sagen. — Wir waren nicht in der Lage, Karg-Elerts Bearbeitung von
Nordraaks Scherzo mit der Originalkomposition zu vergleichen, können aber kaum an-
nehmen, daß diese dadurch gewonnen hat. Das StQck, wie es vorliegt, ist'sprOde nnd
wenig anmutig, fibrigens mehr Caprice als Scherzo. Albert Leitzmann
127. Edmund Chi: Drei Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitnog.
op. 15. — Vier Lieder aus »Versiumter Frühling* von Jenny
Schnabl für eine Singstimme und Klavierbegleitung, op. 16. —
Slaviscbe Intermezzi für Orchester, op. 17. Ausgabe für Pianoforte
zu vier Händen vom Komponisten. Verlag: C. F. Kahnt Nach folger, Leipzig.
Die Lieder zeigen einen feinen routinierten Musiker, der zumeist mit kleinen
Mitteln hübsche Wirkungen zu erzielen versteht. Die Deklamation ist natürlich, die
Modulation apart aber unaufdringlich und die oft leicht kontrapunktische Begleitang
immer dankbar. Die etwas sentimentale Natur der Lieder ist durch Kunst gemilden.
Hervorgehoben seien »Zu spät* und »Wiegenlied* aus op. 15. — Die drei anspmcbs-
losen Klavierstückchen, die nicht sonderlich slavisch sind, sind fürs Haus wie für den
Unterricht (die Bezeichnungen sind sehr präzise, leider fehlt der Fingersatz) zn empfSehlea.
128. G. H. G. von Brucken-Fock: 5 Liederen voor een sopraanttem met
begeleiding van Klavier (gedichten van J. Reddingius). Verlag:
A. A. Noske, Middelburg.
Ein starkes Mitfühlen mit dem Dichter und Durchsichtigkeit zeichnen diese eigen*
artigen Lieder aus. Nur ist vieles im Gesänge auf Einen Ton gestimmt, sodaß die Be-
gleitung und der Rhythmus sich allzusehr vordrängen. Des Komponisten Art kenn-
zeichnet am besten das Lied: ,,Witte wijven dansen om en om*.
129. Max Ansorge: Zehn Duette für zwei Singstimmen und Klavier ans
dem Kinderleben. Verlag: C. Becher, Breslau.
Die Stückchen halten die Mitte zwischen Kunst- und Kinderlied, und das ist ihr
Böses. Wer soll sie singen und wo soll man sie singen? Der Klaviersati ist besser
als die Melodik; diese ist oft gequält- kindlich und weist manche harte Wendung snf
(No. 7 |,im Sand abgedrückt*, No. 8 »Deine feinen Flüglein schwing**). Die gelitnteastea
Liedchen sind »Das Entchen" und »Regenlied". Arno Nsdel
Aus Musikzeitschriften
MERCURE MUSICAL ET BULLETIN FRANQAIS de la Soci6t6 Internttiontle
de Musique (Section de Paris) (Paris) 1007, No.9— 12 (Fortsetzung aus Heft 13). —
J. £corcheville spricht in dem Aufsatz »Wagner et Tuniversitö" die Ansicht aus,
daß »der große Dienst, den Wagner der europäischen Kultur geleistet bat% darin
bestehe, daß er »eine freundschaftliche Verbindung der neidischen Kfinste wieder-
hergestellt* habe, und hofft, daß Prod'homme's Obersetzung der theoretischen
Schriften Wagners dazu beitragen werde, daß die Bevorzugung der Literatur an den
französischen Universitäten aufhöre und dafür die Musik mehr gepflegt werde.
Der gesamte Unterricht müsse sich mehr der Pflege des inneren Lebens zuwenaen,
das Studium der lateinischen Sprache und Literatur dürfe nicht das Studium der
Literatur der Griechen und anderer Völker zurückdrängen, und die unglaubliche
Gleichgültigkeit gegenüber der Philosophie Schopenhauers müsse beseitigt werden;
dann könne die Schule auch den musikalischen Sinn wecken. — Max An61y's
Aufsatz »Voix mortes: Musiques maoris" (No. 10) handelt von der Musik der Poly-
nesier in Neuseeland, Tahiti usw. — Der Aufsatz »Apropos d'une robe de Charles
d'0rl6ans* von Du Robec untersucht auf Grund einiger in der Leber'schen
Sammlung in Ronen liegender Dokumente aus dem Jahre 1414 die Frage, ob Karl
von Orleans die Musik ausübte, und berichtet über die i^usikpflege am Hofe
Karls VI. von Frankreich. — Der Amerikaner Arthur Farwell spricht in dem Auf-
satz »La musique amöricaine**, dem Louis Laloy ein Nachwort hinzufügt, vornehm-
lich von der Musik der Indianer und dem Einfluß, den sie auf die moderne Musik
ausüben könnte. — A. de Bert ha setzt seine Abhandlung über Franz Liszt fort
(No. 10—11). — Unter der Oberschrift »Esquisse d'une bibliographie d'ouvrages
sur la musique et sur les musiciens russes** stellt M.-D. Calvocoressi beinahe
alle französischen Werke, sowie zahlreiche Artikel aus französischen Zeitschriften
und zahlreiche deutsche und englische Werke über russische Musik zusammen. —
Louis Thomas' Aufeatz »Poesie et musique** handelt von der Stellung französischer
Dichter zur Musik und enthält einige neue französische Gedichte über Musik. —
Arthur Symons' von Edouard und Louis Thomas übersetzter Aufsatz »Richard
Strauß** (No. 11) enthält mehr ungünstige als lobende Urteile über den genannten Kom-
ponisten. — Unter der Oberschrift »Les airs de cour d'Adrien Le Roy* veröffentlicht
Janet Dodge Beispiele aus dem 1571 erschienenen »Livre d'airs de cour miz sur
le Ittth*, denen er eine kurze Einleitung voransetzt. — Aus Louis Laloy's dem-
nächst erscheinendem Werke über Rameau wird ein Abschnitt über »Les id6es de
Jean-Philippe Rameau sur la musique** abgedruckt. »Rameau's Musik wird erst
kraftvoll und eigenartig (»forte et personelle**), als das System seiner Theorie in
seinem Kopf vollendet ist . . . Die Theorie geht bei ihm der Praxis voran; der
Gelehrte herrscht über den Musiker. Man kann das schwer glauben, wenn man
von dem Zauber seiner Werke gefangen genommen ist. Aber sein eigenes Zeugnis
darf nicht als unglaubwürdig abgelehnt werden.* ~ Aus Ricciotto Canudo's dem-
nächst erscheinendem Werke »L'homme. Psychologie musicale des civilisations*
HO
DIE MUSIK Vll. 14.
Ji
wird ein Abschnitt fiber „Le drame contemporain'* abgedruckt — Der Aufsatz
^La soci6t6 internationale de musique en lOO?** (No. 12) enthält die Ansprache»
die Elie Poir6e in der letzten Generalversammlung der Pariser Sektion der ge-
nannten Gesellschaft gehalten hat, und in der er fiber die Entwickelung dieser
Sektion im Jahre 1907 berichtet. — Alberto Bach mann beginnt einen ausführ-
lichen, mit mehreren interessanten Bildern geschmückten Aufsatz über i,Nicolo
Paganini, sa vie, ses oeuvres, son infiuence sur l'art du violon et sur la musique*
zu veröffentlichen. Dem Aufsatz ist ein Brief Joseph Joachims vorangestellt, in
dem dieser sagt, daß Paganini die Technik des Geigensptels sehr vervollkommnet,
aber die Technik nur als Mittel zum Zweck betrachtet und, wie Mendelssohn ihm
(Joachim) berichtete, es verstanden habe, selbst die einfachste Melodie ergreifend
zu spielen. Auch manche der Kompositionen Paganini's bekunde echtes Genie.
Auf viele Virtuosen habe Paganini aber ohne seine Schuld einen ungünstigen
Einfluß ausgeübt, da er sie dazu veranlaßt habe, einseitig die Technik zu pflegen.
Als großen Nachfolger Paganini's nennt Joachim nur Heinrich Wilhelm Ernst —
Der Vortrag «Maurice Maeterlinck et Claude Debussy* von Robert Souza handelt
mehr von den Zwecken eines neuen Vereins, der „Union internationale des lettres et
des arts*, als von Maeterlinck und Debussy. — Nach dem ersten Bande des Werkes
«Inventaifes mobiliers et extraits des comptes des ducs de Bourgogne* etc. von
Bemard Prost berichtet Michel Brenet in dem Aufsatz «Les musiciens de Philippe
le Hardi*' über die Musikpflege am Hofe Philipps des Kühnen von Burgund
(1363—1404). — Ober die letzte große Autographenversteigerung des Musikalien-
Antiquariats L. Liepmannssohn in Berlin berichtet Jean Le Roux in dem Aufeatt
„Une belle vente d'autographes**. — Louis Laloy bespricht in dem Aufsatz „La
notation musicale** zustimmend das Notenschrift -System von Hautstont. —
P. Dollien berichtet unter dem Titel „Un th6ätre de musique ä Paris* über den
Plan, ein Theater auf den Champs-£lys6es zu erbauen, und über die Zusammen-
setzung des internationalen Komitees, dem auch mehrere deutsche Künstler und
deutsche Würdenträger angehören.
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart) 1907, No. 23—24; 1908, No. 1—4.— Der Auf-
satz „Berlioz als Mitglied der Akademie*' von Ernst Stier (No. 23) behandelt ein
interessantes Kapitel aus dem Leben Berlioz'. — Karl Thiessen weist in dem
Aufsatz „E. T. A. Hoffmanns Zauberoper Undine** zunächst auf die Bedeutung
Hoffmanns als Musikkritiker hin, bespricht dann die Oper „Undine** und zieht eine
Parallele zwischen Hoffmann und Wagner. — Georg Richard Kruse untersucht
„Otto Nicolais Beziehungen zu den Bühnensängerinnen seiner Zeit** (No. 23—24)
und veröffentlicht in diesem Aufsatz auch ungedruckte Briefe und Tagebuchblätter.
— Zu Joseph Joachims Tode werden die folgenden Aufsätze veröffentlicht (No. 23):
Ein anonymer Nachruf: „Zu Joachims Tode*; „Joachim und die Berliner Hoch-
schule für Musik* von Arthur Laser; „Aus grosser Zeit* von Louise Pohl (handelt
von dem Verkehr Joachims mit Liszt, Wagner, Schumann und Brahms); ,Joachim
als Lehrer*' von G. v. Lüpke; „Preßstimmen aus Joachims »zweiter Heimat'* von
A. Boning (enthält Auszüge aus den Nachrufen in „Daily Telegraph*, „Daily News*,
„Daily Graphic** und „Moming Leader*). — Zu Edvard Grieg's Tode werden ein
Nachruf von Gerhard Schjelderup („Edvard Griegf*) und ein kurzer Aufsatz
„Aus Grieg's Leben* von Arthur Laser veröffentlicht (No. 24). — Unter der Ober-
schrift „Ein Kapitel über die Geige** veröffentiicht Eugen Honold die Aufsitze:
„Allgemeine Obersicht über den heutigen Stand des Geigenmarktes and
Geigenbaues* (No. 24) und „Die Entstehung einer Meistergeige* (No. 1). — Hugo
111
REVUE DER REVUEEN
Riemann beleuchtet in dem Aufsatz ^^Die Entwickelung des modernen Instrumental-
stils um 1750^ (No. 1 und 2) Johann Stamitz' große Bedeutung. — In dem Aufsatz
»Novitäten" (No. 1) fordert Richard Batka, daß die neuen Werke öfter wiederholt
werden, da das Publikum ein Werk in der Regel erst nach mehrmaligem Hören
richtig beurteile. Um das Publikum zu veranlassen, auch neue, noch nicht be-
liebte Werke wiederholt anzuhören, sollte man berühmte Künstler, die die große
Masse anlocken, mehr als jetzt auch in neuen Werken auftreten lassen. — Der
Aufsatz ,»Dr. Felix von Kraus und Adrienne von Kraus-Osbome*' enthält eine Bio-
graphie des Sängerpaares. — A. Richard Scheumann beschreibt „Carl Maria
von Webers Erholungs- und Arbeitsstätte in Hosterwitz bei Dresden** und schildert
Webers Leben in Hosterwitz. — In dem Aufsatz „Solisten in Orchesterkonzerten**
*
(No. 2) tritt Gustav Altmann der in der letzten Zeit zuweilen ausgesprochenen
Forderung entgegen, die Solisten von den großen Orchesterkonzerten auszuschließen;
er wünscht sogar, daß durch die immer gut besuchten großen Konzerte auch noch
wenig bekannten talentvollen Künstlern, denen das Geld zur Veranstaltung eigener
Konzerte fehlt, Gelegenheit geboten werde, sich öffentlich bekannt zu machen.
— Ober die Komponistin Wurzer veröffentlicht Willi Glöckner einen kurzen
Aufsatz („Gabriella Wurzer''). — Gottfried Keßler bespricht in dem Aufsatz „Der
Mutter Wiegenlied** einige Gedichte über das Liedersingen der Mütter. — Max
Reger wendet sich in dem Aufsatz „Degeneration und Regeneration in der Musik**
(No. 3) gegen den von Hugo Riemann unter dem selben Titel in Hesses Deutschem
Musikerkalender für 1908 veröffentlichten Aufsatz. Er stellt fest, daß Werke leben-
der Komponisten in unserer Zeit viel mehr als in früheren auch „in den reaktionär-
sten Städten** aufgeführt werden und trotz ungünstiger Kritik in den Zeitungen Freunde
finden. Dann zeigt Reger eingehend, daß auch gegen Bach, Mozart, Beethoven,
Wagner u. a. von ihren Zeitgenossen die Vorwürfe, die Hugo Riemann gegen die
neuesten Komponisten erhebt, erhoben worden sind. Auf Riemanns Satz: „Er
(Brahms) ist als lebendige künstlerische Potenz das Komplement der historisierenden
Bestrebungen der in den letzten Dezennien aufgeblühten Musikwissenschaft**
und ähnliche Aussprüche über Brahms erwidert Reger u.a.: „Es wäre sehr traurig
um die Unsterblichkeit eines Brahms, wenn er sie in erster Linie seiner Anlehnung
an die alten Meister verdankte, wie doch Riemann glaubt . . . Was Brahms die Un-
sterblichkeit sichert, ist nie und nimmer die «Anlehnung* an alte Meister, sondern
nur die Tatsache, daß er neue ungeahnte seelische Stimmungen auszulösen wußte
auf Grund seiner eigenen seelischen Persönlichkeit! Darin ruht die Wurzel aller
Unsterblichkeit, aber niemals in der Anlehnung an die alten Meister, welche bloße
Anlehnung die unerbittliche Geschichte in wenigen Jahrzehnten zum Todesurteil
formt!** Eingehend wendet sich Reger gegen den Vorwurf, daß die modernen Kom-
ponisten nicht die alten Meister gebührend ehrten und die Arbeiten der modernen
Musikwissenschaft „mit heimlicher Sorge, die sich allmählich zu offenem Haß
steigerte**, betrachteten.— A.Eccarius-Sieber stellt „Joseph Haydn als Vater des
Streichquartettes** dar. — »Vier Briefe von Henriette Sontag** veröffentlicht Heinrich
Stümcke. Den ersten Brief richtete Henriette Sontag 1850 aus York an ihre
Mutter, den zweiten 1852 aus New York an einen Großherzog, den dritten 1854
aus Buffalo an ihren Halbbruder August und den vierten 1854 aus Mexiko an ihre
Mutter. In allen Briefen berichtet sie über Erlebnisse auf der Reise. — Eugen
Honold bespricht in dem Aufsatz „Eugen Gärtner in Stuttgart** die Verdienste
dieses Geigenbauers. — In dem Aufsatz „Ausgleich zwischen Ton und Wort**
(No. 4) wendet Ernst Decsey sich gegen „das Oberakzentuieren von Silben, das
112
DIE MUSIK Vll. 14.
M
Oberbetonen von Buchstaben*, die »einseitige Deutlichmtcherei, die zugleich
ein Mißverstehen der Absichten Richard Wagners* sei, und andere Fehler der
heutigen Opernsänger. — Gottfried Keßler zeigt in dem Aufeatz jjoseph von
Eichendorff und die Musik*, daß der Dichter „die Macht der Töne in manoig*
faltiger, aber stets wundervoller Weise verherrlicht hat. — Julius Blaschke
spricht in dem Aufeatz ,,Zur Geschichte des Liedes: ,Wer hat dich, du schöner
Wald'* über die Entstehung des Eichendorfifechen Gedichtes und der Mendelssotan-
schen Komposition. — Carlos D roste veröffentlicht einen kurzen Aufsatz über
Willem Mengelberg, K. einen über Aenny Hindermann. (Fortsetzung in der
nächsten „Revue*.)
MUSIKALISCHE RUNDSCHAU (München) 1907, No. 7-16; 1908, No. 1-9. -•
Die Hefte enthalten kurze Aufsätze über die folgenden Komponisten, Virtuosen
und Musikschriftsteller: „Dr. theol. Franz Xaver Haberl* von Nana Weber-Beil
(1907, No. 7). - „Adolf Wallnöfer* von Otto SchabbeL — „Amilcare Zanella*
von Georg Richter (No. 9—10). — „Msgr. Dr. Hermann Bäuerle* von Nana
Weber-Beil (No. 11-12). — „Dr. Jules Siber* von Max Wallberg (No. 15—1?). —
,Johannes Bartz* von Hermann Pack (1908, No. 3). — „Philipp Wolfhim* ▼on
H. M. (No. 8). — „Ernst von Dohnänyi* von Otto Keller (No. 0). — Ein
interessanter Aufsatz über „Die Pflege der Bachschen Musik in der Gegenwart*
von Dr. Richard Hohenemser (No. 8ff.) wird nicht vollständig abgedruckt In
Heft 16 steht „Fortsetzung folgt*; eine weitere Fortsetzung ist aber nicht er-
schienen. Wir werden über den Aufsatz berichten, wenn er in einer anderen Zeit-
schrift vollständig erschienen ist. — Der Aufsatz „Die Schöpfer des neuen Volks-
liederbuches* (No. 7, 9 und 10) enthält kurze Mitteilungen über Rochus von Lilien-
crons, Max Friedlaenders, Johannes Boltes und Friedrich Hegars Mitarbeit an der
Herausgabe des im Auftrage des Deutschen Kaisers veröffentlichten Volka-
Liederbuches. — Fritzsche berichtet in dem Aufsatz „Erinnerungen an Felix
Mendelssohn-Bartholdy* (No. 8—10) über einige wichtige Ereignisse aus Mendels-
sohns Leben und bespricht kurz einige seiner Werke. — Schwidop bespricht
ausfuhrlich Gerbers Werk „Die menschliche Stimme und ihre Hygiene* (No. 11 — 12);
Nana Weber-Beil das Werk von Maria Ipes-Speet: „Wie ich über Sprechen and
Singen denke* (No. 13—14). — Unter dem Titel „Der Kromarograph, automatischer
Notenschreibapparat zur Festhaltung von Improvisationen auf dem Klavier
(Harmonium)* wird über eine Erfindung Laurenz Kromars berichtet. — Ludwig
Weiß schlägt in dem Aufsatz „Die Leonoren-Ouvertüre* vor, die dritte Ouvertüre
am Schlüsse der Oper aufzuführen (No. 15—16). — Hermann Fritzsche unter-
sucht „Die Verdienste der Hohenzollern um die Musik und den Gesang* seit
dem 17. Jahrhundert (1908, No. 1-2). — „Zu Edvard Griegs Gedächtnis* veröffent-
licht Karl Store k einen Aufsatz „Vom Nationalen in der Musik* (No. 2—4). —
Heinrich Zöllners interessanter Aufsatz „Eichendorff und die Musik. Zum
50. Todestage des Dichters* (No. 4—7) bespricht insbesondere die Vertonungen
Eichendorffscher Gedichte. — Otto Keller teilt in der „historischen Skizze*
„Aus den ersten Anfängen des Konzertlebens* (No. 5—6) einige interessante Tat-
sachen aus dem Leben von reisenden Virtuosen früherer Jahrhunderte mit. —
Otto Keller regt in dem Aufsatz „Richard Wagner* (No. 8) die Schaffung einer
Wagner-Bibliographie an, in der alle Bücher, Broschüren und in Zeitschriften
erschienenen Aufsätze über Richard Wagner angeführt werden müßten. — Der
Aufeatz „Vom Küchenjungen zum General -Musikdirektor* von R. B. (No. 0)
berichtet über das Leben Lully's. Magnus Schwantje
KRITIK
OPER
Berlin und auch «onit In Denlicbland nlrgendi
reflien Fuß fuseo Uanen. Bei uns hingegen
BREMEN: Dee Hepertoiie wird nocb Immer "'««'l« •l'ä"'nel«enen Jubel E. bei den
von der -Selome- ond den -W.l.enr.nn,- Jr',"",'"' ,"';,'''' ,"°™'"''»'' ""'."?"'
allein die Plbigkeit bcciße, diesem Kleinod die
recbte rouaikaliicbe Faainng zu geben. Er
cm. »u,™u.u„, .., .^,™u. ,.,. u., ue.„g.„ S?"'»;"" "'° Or;.'«""^ »1' ™,nebmeter,
Eli..be.b-, die 'ireillcb nJr ein. kur.e R..t 'ae, , l':?"'! !" ™"''«'v "?"'. ''■■. ..'■S ?■"
^REMEN: Du Repertoire wird Docta immer
^ von der aStüome" uod dem aWalienriuni ■
behemctaL Um die Bfiboe tu reinigen, vurd?
■le mit Llflzttctaem VelbwMier besprengt durcb
eine Aufffibrung der .Legende von der beiiigen
die»D Böllern flnden »ird. D> .iebt man <s ^°"™'"'^Ä '" "*'" ,!"!,^'""^" ^" ""«»"8"
wieder, d.ß die Mor.1 mit der Kunst olch.wu '''t'°" '*'"" "" f". ^"'^"'"2 P''""'»"
lUD bat. Die Salome, dieoe .cbrecklicb Uh- 1 t""^ w. , *^ m"1 'wm " ^''!'' S"°"
mo«ll.cbe kltine PerwnjM auf der Bübne doch ;;?/„''""'' 'Lo"'«)Ne,ch(M^^^^^
mebr wert, aii dleie fromme Eliiabetb. Die ^ n " V■.^"^'^ ^u""' ^'"' P''"."''X^'I."'
Heiligkeit IM eben völlig undram.iisch. Unj I «'« Q«"ett für die H.uptch.rakteredca Werke«
die Mu.ik Lisi«, die biet g.oi in s.nhe , ""'"V /"» ^''", ''*'"'=e"" T. ?" P«/'«'
Weichheit und Lyrik, *enn auch glücklicher. 'J^T\! P^X'J^^a" ->■"""" ■'=''."«'e''rere
wei» nicht in die sfiBliebe Vcnückthelt des "''* bewundert habe, durchaus ebenbürtig war.
kraft- und lafiloaen Texidicbters Ono ßoqueit« . ^^- Erleb Freund
geraucht lii, würde, im Konzertsaal bei voliem [ «^dAccri ■ i.. ju«»«.i. Th...., »._j -ii. ..
Orcbeaier vom gutgescbuiten vollen Chor gc I B - n-V" ««""'■«-Tfeat.r fand die eraic
.uogen. .icher Tiefer und inneriicher wirkfnj "/"""^;"°K J" 'y;'""^" -L«
ali in der Theaieraufmachung bei har.ei« S^i^'"„\^1t""„*''Y J^r"' ^°f, '*''>,''*''
Rampenllcbt. Eine mualkdramafiacb wertvolle £'?', ""'^,^ *'?." ''"'" ^"P"*^ mit großem
UnterbTecbungdesfaerrscbendenStrauH-Regimc^: l''"}^, "'"; °'^ "'""'"'8 " '^''" ^'■«"de:
Riehard, Dakar und Johann <den Johann tanMe !,Vi?en ™ti. .„^.C« j,^/.h H.V''""
Rita Sacchetto) bracbio daa Gastspiel Jan r.^",'!"/.'"^Ll'."*Y 'i f.""» """k^"!"*
van Gorkom'B mit dem Rigoletto. Sonst i.t ?,?. ^"''•!?i^''"\''"u"%5°"?," ^V^Hfr"; ""t"
«i.hi. ..»!»• n, ^.,11 u.ii....r. '"" S"'" haben. Auch Toinette, eine bübicbe
nichli passiert. Dr. Gerb. Hellmers B|u/,i„^ „^bt ibo, und Meister Pierre holTt, dall
BRESLAU: Unsere Oper Rhrt fort, ihren Spiel- : sie ihn dauernd fesaeln mAge. Doch der Land-
plan vornehmlich durch gewissenhafte Neu- Streicher liehi sein ungebundenes Wanderleben
stodlemogen bekannter Schöpfungen aniiehend I einem ruhigen Glücke vor und zieht von dannen.
lu machen. Musikallscb hervorragend (auch Toinette reicht in der Veriweiflung dem vorher
wenn man .itatienlscbe' AnsprGcbe stellt) gerler von ihr zurDckgewiesenenFrancois, einem llteren
Herrn PrGwer Verdl's .ATda*, und er konnte Arbeiter, die Hand und schenkt einem Sohn das
sich indem den Luxus erlauben, die vier Haupi- Leben. Dieser, Toinei mit Namen, verliebt sich
rollen dieses Meisterwerkes doppelt zu besetzen, als 20jibrlger Jüngling in Aline, das Töchtereben
Die leitlich erste .Garnitur' — künstlerisch Meister Pierre's, der ihn, ala er von der Neigung
waren beide Besetzungen so ziemlich einander ernhrt, unter Drohungen vom Hofe weist. Hef-
gleichwertig — zeigte die rsssige Frau Verhunk liger Auftritt zwlachen den beiden VItern, bei
ala Alda. die Stlmmrieaeo Troatorff und Beeg dem Pierre den Tolnei als Bastard bezeichnet,
als Radames und Amonaaro, die tiefe Atiistin Den alten und kranken Francols trifft ein Schlag-
Scbereschefaky als Amnerli. Beider Wieder, anfall. In dieaer für die Familie so kummer-
taotnng sang die hochdraraatlsche Rabl-von vollen Zelt führt der Zufall den Landstreicher
Krietten die Aida, die Herren Günther- «ieder nach 20 Jahren an den Ort. Er (ladet
Braun nndHöpfi waren Radames und Amonaaro ! Toinette, eiAhrt, daß Tolnet sein Sohn ist, nimmt
(beide atlllstisch ausgezeichnet), und die höbe sich dessen In Liebe an und bringt es fertig,
Meiioaopranlstin Neiach vertrat die Amnerls, Pierre zu versöhnen. Und als er allea zum
Nicht auf der Höbe der muaikaiiachen Wieder- beiten gewandt und Ihm der dem Tode nahe
gäbe lieht unsere .ATda'-lnszenierung mit ihrem Pranfois sein Weib zur Lebensgefibrtla empfiehlt
buDteo, jeder Kostfimkunde hohnsprechenden - da, gerade am Weibnacbtssbend, erfaßt Ihn
Fllneikram. —Julius Stern aus Wien hat seine plötzlich wieder aein Wandertrieb. Ohne die
Opef aNarciss Rameau", die im Vorjahre hier Rückkehr aelner Liehen aua der Mitternachta-
ibre UranfrübruDg ericbte, stellenweise um- messe abzuwarten, ergreift er Hut und Wander-
gearheltet, und unsere Direktion spielte nun auch stab und eilt in die Wlntemacht binaus. Das
lum MiSrergnügen der Singer, die ihre Partieen Libretto ist wie geschaffen, um in Muaik gesetzt
ZDm Teil nmlemen mußten, den korrigierten ' lu werden; dem Komponisten bieten ilcb ganz
aNarclsa*. Daa In aelnen lyrischen Momenten wundervolle Szenen dar. Leroux Ist kein Neuerer
selir eindrucksvolle, In der Bebsndlung des <rle Debussy und d'lndy, seine Musik ist im
Rezitativs aber auch jetzt noch nicht durchweg Gegensatz zur modernenCbromalik überwiegend
tlGeUlche Werk wurde mit Frau Verbunk und diatoniach. Er benutztmit Geschick Volksweisen;
Herrn Beeg in den fSbrenden Rollen wieder seinen Leitmotiven fehlt es etwas an Cbarak-
scbr freundlich aufgenommen. — Eine wahre leristlk, aber vor allem zeigt er ein gesundes
Meistertal vollführten die Herren Prüwer und Empfinden für die lyrischen Momente, an denen
Kirchner (Regie) mit einer Neubelebung der die Handlung lo reich Ist. Zwar lit dieae«
vor sechajataren hier lusrst gegebenen a Louise' Empflnden durcbgehends eiwaa .rfihraellg", und
Ckarpeniler's. Diese elfentfimllche Schöpfung, L«roux ist In der Anwendung der Mittel nicht
die den craiM und wobl auch (trotz .Salome') besonders wlhleriacb (er schwirmt sehr Nr
•iBzlgeo Versueh bodeutet, nach Wagner der OrgeIpun1cte,Qberdencn dieMelodieabweehaelnd
Op«r dramatttcbw Neoland in gewinnen, hat In , von den CellJ ttnd Gelgen oder vom engliscb«ii
VU. 14. 8
114
DIE MUSIK VI!. 14.
Hörn gesungen wird) — tber es packt. Die Auffüh-
rung ist in jeder Hinsicht vorzfiglich, der Erfolg
bedeutend. Felix Welcker
DUDAPEST: Nach dem großen Erfolg von
^^ Mihalovich's »Eliane* hat man sich in
der königlichen Oper eine kurze Frist der Er-
holung gegönnt; aber diese ist um, und es wird
mit Feuereifer das Studium von Gold mar k*s
»Wintermärchen** betrieben. In der Zwischen-
zeit sorgt Direktor M6izäros, der die Schwierig-
keiten der Obergangsära doch siegreich zu
fiberwinden scheint, fQr erwachende Belebung
des Repertoires. Unter Mitwirkung des aus-
gezeichneten holländischen Baritonisten Josef
Orelio kam es zu vortrefflichen Reprisen der
»Walkfire*, der «Meistersingei *< und des .Hamlet* ;
auch der «Holländer", der mehrere Jahre im
Repertoire fehlte, wurde mit Herrn Szemere
in der Titelpartie und einem Gast, der stimm-
lich hochbegabten Sopranistin Medek, sehr er-
folgreich wieder in den Spielplan gestellt. —
Dem Anregungsbedfirfnis eines Teiles des
Publikums zu entsprechen, hat man nach unter-
schiedlichen Balletexperimenten zum richtigen
Mittel gegriffen und Delibe's entzuckende
«Sylvia* neu studieren lassen.
Dr. B61a Diosy
T\ORTMUND: Die Oper stand in letzter Zeit
^^ unter dem Zeichen der Gäste. Unter ihnen
bekundete Louis Alvarez-Paris als Jos6 ein
heißblutiges Temperament mit großer Ober-
zeugnngskraft, gab seiner Rolle aber im letzten
Akte eine zu reale Färbung. Fritz Feinhals-
MQpcfren war in Spiel, Stimme und Deklamation
ein prächtiger Wotan. Von den einheimischen
Kräfcen war Anna Daniela als Carmen und
Sieglinde ganz von ihrer Aufgabe erfüllt, bei
den dramatischen Höhepunkten versagt jedoch
die Stimme. Als Brunnhilde und Irene wies
Käthe Singer wertvolle Momente in der Rollen-
behandlung auf. Mustergültiges schuf Helene
Wehrenfennig als Fricka und Adriane; Max
Sturys vielseitiges Talent bewährte sich be-
sonders als Escamillo, und Robert Schirm er
bot in der Titelrolle des Rienzi und anderer
Wagnerschen Opern abgerundete künstlerische
Leistungen. Heinrich Bfille
DRESDEN: Großes Interesse erregte das Debüt
von Irma Tervani, einer jungen Altistin,
der sich, als der Schwester der Pariser Prima-
donna AToo Akt6, die allgemeine Teilnahme
zuwandte, als sie in der Rolle der Dalila in der
Saint-SaSns'schen Oper «Samson und Dalila*
zum ersten Male die B&hne betrat. Die Stimme
der jungen Dame ist noch durchaus nicht fertig
durchgebildet, so daß ihr ernsthafte Tonstudien
und Kräftigung des Organs vor allem anzuraten
sind, aber in die Augen sprangen ihre äußeren
Vorzüge und ein zweifellos ganz hervorragendes
darstellerisches Talent, das ihr zu einem sehr
herzlichen Erfolge und einem Engagement an
die Hofoper verhalf. Frau von Falken be-
festigte ihre hier rasch errungene Stellung
durch eine höchst anerkennenswerte Leistung
als Donna Anns, und Herr Sembach bewies
mit dem von ihm erstmalig hier gesungenen
Loheogrin, daß wir an ihm eine bedeutende
kfinstlerische Kraft gewonnen haben. Das Gast-
spiel des Präger Bassisten Herrn Frank als
Pasolt und Hundlng hinteiließ leider keinen
s
günstigen Eindruck, so daß man nnr wQnschen
kann, die Theaterleitung möge Herrn Wächter
nicht gehen lassen, der trotz aller seiner getang-
lichen Mängel doch noch von keinem der sabl-
reichen Bewerber um seine Nachfölgerachafl
erreicht worden ist. Als Jung-Siegfried gaftlerte
Herr PennarinI, der das, was Ihn an stimn-
licher Kraft fehlte, muH gifickllcbtte dnrch eine
überaus frische, lebendige und knabenhaft-oaive
Darstellung ersetzte, so daß Ihm besonders der
zweite Akt ganz vortrefflich gelang nnd er leb-
haftesten Beifall find. — Das 25 Jährige Jnbillnm
Adolf Hagens als Dresdner Hofkapellmeltier
gab Gelegenheit, sich einmal dessen ra erinnern»
was dieser ausgezeichnete Künstler für die Hof-
oper bedeutet. Stellt die schwierige Anf||abe,
Amtsgenosse eines Schuch zu sein, an die Hin-
gebung und Tüchtigkeit eines Dirigenten schon
große Anforderungen, so Ist es Herrn Hagen
dabei überdies noch gelungen, sich als Oiri|enc
von eigner Art zu behaupten und dttrchioaetien.
Seine Ruhe, Sicherheit und Geistesgegeowart
lassen ihn stets über der Partitur und über den
WecfaaelflUlen der Opemvorstellungen ttohen,
so dsß er als Opern- nnd Orcbesierielier das
größte Ansehen genießt. Seine Tätigkeit als
Dirigent der geistlichen Anfführungen in der
Hofkirche ist ebenfalls von starkem Einfluß auf
unaer Musikleben gewesen. Mögen dem ver-
dienten Manne noch viele Jahre künstlerischer
Arbeit beschieden sein. F. A. Geißier
ELBERFELD: Franceschina Prevostl virkle
als »Traviata* wie sonst durch ihre echte
Gessngskunst und ihre hervorragende sdian-
spielerlsche Kraft, während als Richard Wagner-
Gedächtnisfeier die Rezitation der »Parsifsl*-
Dichtung trotz der Sprechlranst Ernst v. Potsartt
und der prachtvollen Orchesterleistung im «Vor-
spiel" nur einen zweifelhaften Genoß bieten
konnte. Unter Albert Coates gab es eine
treffliche «Tristan* -Aufführung mit Alice Ga-
szalewicz (Köln) als Isolde, einer außerge-
wöhnlich beanlagten Darstellerin und vometamea
Sängerin. In Maillan's.Glöckchen des Eremiten*
gab Elfriede Dorp als Novize die Roee Priqnet
so gefällig, wie es nur ein aogel>orenes actaan-
spielerisches und musikalisches Talent vemag.
Der zum Gedächtnis des Meisters Teranttaheie
chronologiache Wagner-Zyklus brachte bis |etit
den »Rienzi* In vorzüglicher Inszenierang, den
«Fliegenden Holländer* mit der sjrmpathlschen
Senta von Cäcilie Rüsche-Endorf (Hannover)
und den »Tannhäuser* mit unserem k&aftlt*B
ersten Kapellmeister Hermann Hans Wetiler
(Hamburg), einem vorzüglichen Mnaiker, am
Dirigentenpult. — Heinrich Platsbeckers
»Wahrheitsmund* erwies sich als eine deaeate»
unterhaltende, des musikalischen Reises nidit
entbehrende Operette.
Ferdinand Schementky
FRANKFURT a. M: Eine für die Pensiossluaee
deutscher Bühnenangehöriger gegebeneWekl*
tätigkeitsvorstellung des Opernhauses bot iwel
einaktige Novitäten, von denen das mit Wohl-
gefillen aufgenommene Ballet »Rfibesahl* von
Franz Köhler mit einem kurzen Vermerk neiaer
hübschen Ausführung passieren kann. Dem
erheblich ernster zu tarierenden lyriscben Dnmt
»Der Wanderei*, Dichtung von G. Mncchi,
Musik von Enrico Bossi, begegnete man weit
115
KRITIK: OPER
Utaler ; der Beiftll reichte gerade noch, um den
•aweteoden Ktomponisfeo, fQr dessen «Hohes
Lied* nen 9. Z. im Konzertstal viel übrig hatte,
aof die Bfibne zu zitieren. Auch die Icleine Oper
stellt sein zart und vornehm empfindendes und
eiflndendet Talent, dessen nationale HerlLuori
der weiche Wohllaut fast überall verrir, und
femer seine schöne Instrumentationakunst ins
bette Licht; es fehlt nur an der dramatischen
Schneid, in der Musilc wie in der Handlung, die
einen vorchristlichen Propheten der Religion der
Liebe in die Girung des 1. römischen Sklaven-
krieges hineinstellt und aus diesem Kontrait
und den Motiven der Liebe und Eifersucht eine
ziemlich dürftige Fabel webt. Das Werk erfuhr
durch die Damen Doenges und Schroeder
sowie durch die Herren Forchhtmmer,
Brtun und Neu m tun, welch letzterer diri-
gierte, eine liebevolle Wiedergebe.
Hans Pfeilschmidt
l/'OLN: Von den beiden letzten der vielen im
'^ Opembause auf Anstellung gastierenden
Altistinnen war die allerdings zu lyrisch be-
anlagte Berta Grimm von der Wiener Hofoper
künstlerisch die reifere, gewihlt wurde aber
dorchans ohne Einverstindnis der Presse von
der Theaterleliung die mit bedeutenden Mingeln
behaftete Belle 'Applegate von New York. In
der neueinstudierten «Fedora* von Giordano
entwickelte Otto Lohse als Dirigent wieder
auBerordentliches Verstindnis für Eigenart und
Vorzüge der jungitalienischen Musik.
Paul Hiller
LONDON: Bis zum Beginn der Saison in
Covent Garden in diesem Monat war London
wieder einmal für geraume Zeit ohne Oper, und
■nr in den Vorstadttheatem konnte man ab und
zu eine der kleinen wandernden Operngetell-
•chaften, wie die von Turner, hören, auf deren
Repertoire allerdings Wagner nicht zu finden
ist, bei denen aber iltere und veraltete Repertoire-
stücke, wie die ^Nachtwandlerin", die »Regimen ts-
to^tei* usw. von dem musikliebenden Vor-
stadtpnblikum dankbar aufgenommen werden. —
Um von der Oper auf die Operette zu kommen,
so ictzt in Daly's Theater »Die lustige Witwe*
ihren erfolgreichen Lebenslauf weiter fort. In
HiciL's Theater bat sie nun seit einigen Tagen
in dem »Walzertraum" von Oskar Streu s Mit-
werbong erhalten, die ihr jedoch kaum ge-
Hbrlicb werden dürfte. Die Auftiahme war bei
4er Erstaufführung, trotz der von der Kritik
nllgefflein gelobten Musik, eine etwas kühle.
Die Schuld liegt an der Bearbeitungzdes Li-
brettos, das man dem englischen Geschmack
anpassen zn müssen glaubte, wodurch es seine
Feinten und seine Atmosphäre verlor. Der eng-
lische Geschmack wurde da wieder einmal felsch
bevrteilt. und Oskar Straus, der sich persönlich
an den Hauptproben und den eraten Aufführungen
ciageftinden hatte, ist jetzt etwas enttiuscht und
verdrossen nach Paris abgereist, um dort sein
Glück zu versuchen. a. r.
MADRID: Das künstlerische Ereignis und
zugleich der Schlnü der diesjihrigen Opern-
aaisott war die Wiederaufführung und Neu-
cioaiiidierang der »Walküre" durch den zu
diesem Zweck ans Deutschland verschriet>enen
Kapellmeister Dr. Rabl, der bisher im Rhein-
land titig war, und sich hier in solcher Weise
bewährte, daß die gesamte Presse des höchsten
Lobes voll ist. Unter solcher Leitung konnte
sogar der Versuch gewagt werden, das Werlc,
das früher stark gekürzt wurde, beinahe ohne
Striche zu geben — sicherlich ein erfreulicher
Fortachritt! Das wachsende Verständnis des
Publikums äußene sich auch während der Vor-
stellung durch große Aufmerksamkeit, durch ein
respektvolles Schweigen und eine intime
Gemütsbewegung und am Schluß durch Hoch-
rufe auf Wagner, die direkt den Charakter
einer Kundgebung annahmen. Man beginnt
eben diese Aufführungen nicht zu besuchen,
um — wie bei den alten Spielopern — einen
angenehmen »Gesellschaftsabend" zu verleben,
die neuesten Toiletten zu bewundem und
gelegentlich eine gelungene Bravourarie eines
Tenors oder einer Primadonna zu bejubeln.
Die Zuhörer geraten vielmehr unter den Bann,
den die Kunst unseres großen deutschen
Meisters auf sie ausübt. Das Werk wurde
fünfmal gegeben, und jedesmal war das Haus
ausverkauft, was seit Jahren nicht mehr der
Fall war und außerordentlich bezeichnend ist
Unter solchen Umständen darf man sich der
Hoffnung hingeben, daß die neuen Pächter ein
Einsehen haben und in ihrem eigensten
Interesse das nächste Mal den ganzen »Ring"
bringen werden, so den endgültigen Triumph
Wagners in Spanien besiegelnd. Eine Haupt-
scbwierigkeit besteht in dem Engagement
geeigneter Gesangskräfte. Jetzt hatte man sich
damit beholfen, daß man Wotan und Brünnhilde
aus Deutschland kommen ließ, so daß die
»Walküre* vor dem spanischen Publikum halb
in italienischer, hslb in deutscher Sprache
gesungen wurde, was begreiflicherweise zu
manchen Unzuträglicbkeiten führte, da die
scharfen Konsonsnten unserer Muttersprache bei
dem unmittelbaren Vergleich mit dem weichen
Wohllaut des Italienischen, an den das Publikum
gewöhnt ist, auf dieses zunächst einen befirem-
denden Eindruck mschten. Viel einheitlicher
wäre es, wenn entweder das ganze Ensemble
deutsch wäre oder die deutschen Sänger auch
italienisch sängen, da eine Aufführung dieser
Musikdrsmen in spanischer Spreche, die dem
Publikum in jedem Augenblick die poetischen
Motive der musikalischen Entwicklung ver-
mittelnwürde — wie dies wohl am meisten im
Sinne Wagners sein würde — beute wohl noch
nicht möglich ist. Femer müßte dafür gesorgt
werden, daß zu solchem Gastspiel auch Kräfte
ersten Ranges aus Deutschland herangezogen
würden, die in keiner Weise hinter den
italienischen Gesangsstemen zurückstehen.
Unsere hervorragenden Wagnersänger sind aber
natürlich nicht zu jeder Zeit, womöglich auf
telegraphische Aufforderung hin, abkömmlich.
Darum sollten die berufenen Vermittler es der
Leitung des Testro Real nahelegen, rechtzeitig
die nötigen Dispositionen zu treffen, damit
nichts den Anstrich der Improvisation erhält
und das fremde Publikum einen möglichst hohen
Begriff von dem Stand unserer musikalischen
Kultur bekommt. — Die Saison hat uns viele
Rigolettos, Lucias,Somnambulas, Marias de Rohan,
Troubadours, Othellos, Toscas,Manons, Werthers,
Hamlets und Mephistopheles gebracht, aber wie
durch einen mächtigen Zauber trat daa allea
8^
116
DIE MUSIK VII. 14.
am Schluß gegen die «Walküre* zurGck; es
war — und die spanische Kritik gibt dem auch
Ausdruck — als ob es dem Publikum plötzlich
wie Schuppen von den Augen fiele, als ob es
von der Empfindung überwältigt würde, daß
ihm hier große, erhabene Kunst entgegentrete.
Die Emphase verspricht tatsächlich, daß wir,
wenn sich der Vorhang in der nächsten Saison
hebt, die goldenen Fluten des Rheins sehen
und daß die ersten acht Vorstellungen dem
MRing** geweiht sein sollen! F. Mattbes
MAGDEBURG: In unserem Stadttbeater
geht die Saison, die eigentlich nie so recht
lebendig wurde, ihrem Ende entgegen. Nach
dem im vorigen Jahre erfolgten Tode des Päch-
ters, Hofrat Arno Gabisius, führten seine Erben
den Kontrakt weiter; mit nächster Saison, die
bereits am 1. Sept. statt am 15. beginnt, fiber-
nimmt Goßmann- Hamburg die Direktion des
Theaters. Er beginnt in der Oper mit einem
neu inszenierten »Lohengrin*'. Um einen wür-
digen Abschliß zu finden, hat die jetzige Direk-
tion noch eine «Meistersinger*-Vorstellung mit
Knote, Peinhals, der Wedekind und an-
deren ersten Kräften angesetzt und eine „Tristan-
und Isolde'-Aufführung in Bayreuther Besetzung,
mit der die Saison Ende April schließt. Vom
jetzigen Repertoire ist nichts Besonderes zu mel-
den; es kommt noch Verdi's „Othello* heraus.
Max Hasse
]i^ ANNHEIM: Des 25. Todestages von Richard
lYi Wagner gedachte das Hoftheater durch
eine Auffuhrung der Nibelungen-Trilogie. Otto
Briesemeister erfreute als Loge, Hans
Tänzler aus Karlsruhe als Siegfried in der
.Götterdämmerung*. Leopold Reich wein
dirigierte auch diesen zweiten Zyklus mit un-
bestrittenem und starkem Erfolge. Im fibrigen
kommt der Spielplan von den Alltagsrepertoire-
Opern nicht los, er bringt keine Novität, sehr
dürftige Neueinstudierungen und fast keinerlei
Anregung. Im .Freischütz* vermochte nicht
einmal die technisch -dekorative Einrichtung
Adolf Linnebachs zu genfigen. Ein Helden-
tenor ist immer noch nicht gefunden. Dagegen
wurde Olga Sondern, zurzeit an einer Wiener
Operette beschäftigt, als jugendlich-dramatische
Sängerin verpfiichtet. Mehrere junge Kräfte
haben ihre Kfindigung erhalten; sie ziehen
wieder, wie sie vor Jahresfrist kamen, und sind
so klug als wie zuvor. Der nächste Glou wird
eine Kreolin sein, die als ersten Versuch auf
der Bühne die Garmen darstellt. Intendant
Hagemann ist Optimist, vielleicht geschehen
doch noch Zeichen und Wunder. Warten wir's
ab. Das Warten und Abwarten haben wir ohne-
dies hier gelernt, leider kommt das Erwartete
aber überhaupt nicht, und doch haben wir in
H. Kutzschbach und L. Reichwein zwei
ausgezeichnete Kapellmeister. K. Eschmann
CTOGKHOLM: Das KönigK Theater be-
^ findet sich jetzt in einer Periode des Inter-
regnums, das den künstlerischen Arbeiten des
Instituts keinen günstigen Boden darbietet. Der
neuernannte Ghef, Arthur Thiel, bat schon
seinen Nachfolger gefunden, und zwar wird
Albert Ranft, schon jetzt Besitzer fast sämt-
licher privaten Theater der schwedischen Haupt-
stadt, am 1. Juli d. Js. auch die Intendanz der
Königl. Oper übernehmen. Während der
Zwischenzeit sind bisher nur einige Reprltea
zu verzeichnen, vor allem der «Othello* von
Verdi in ganz neuem Gewandyin dem Mensintky
den Mohren und Forseil einen ganz vorzüg-
lichen Jago darstellten. — Der dänische Kammer^
Sänger Herold hat gastiert Ansgar Roth
STRASSBURG: Die Klage über die Verödung
der Opernrepertoires scheint eine siemlich
allgemeine zu sein. Vielleicht, daß wir Im Ver-
gleich mit dem Ausland etwas zu anspruchs-
voll sind — nur meine Ich, daß es unseren
Direktionen nicht mehr kosten würde, die Funda-
mente ihres Spielplans mehr in der deutschen
Kunst, als beim .Troubadour*, .Faust*, bei
.Garmen*, .Mignon* e tutti quanti zu suchen,
die — mit und ohne Gäste — jetzo den
.eisernen Bestand* bilden. Dies Urteil kann
auch eine Gay oder Arnoldson, ein Alvarez
usw. nicht umstoßsn. Fast einzig Ist es
Wagner, der die Ehre der deutschen Kunst
rettet, wobei er freilich zum .Alltagskomponisten*,
sicherlich sehr gegen seine eigenen Intentionen,
herabsinkt. So wäre von erwähnenswerten Dar-
bietungen hierorts während der letzten tecbt
Wochen eigentlich nur der .Ring* zu nennen,
der unter G orters mehr korrekter alt genialer
Leitung vom eigenen Personal recht anstindig
(mit Ausnahme der Rheintöchter) herautfebracht
wurde, desgleichen die .Meistersinger*, wo-
bei nur der Wunsch nach einem Mittel flbrig-
blieb, unserm sonst vortrefflichen Heldenteaor
Wilke etwas mehr .Glanz* zu verleihen. —
Gornelius' .Barbier* leidet immer noch an sa
großer Eiligkeit, Gharpentier't .Louise* an etwas
unpariserischer Heiligkeit. Dr. Gustav Altmtnn
STUTTGART: Die erste Aufführung der
.Meistersinger* in der laufenden Spielzelt,
geleitet von Erich Band, zeugte bei allen Mit-
wirkenden vom Bestreben, das Werk In wQrdifer
Form darzubieten; Herr Neudörffer ging in
der Rolle des Sachs mehr aus sich beraua, ala
früher. Mit Ausnahme des Beckmesser (Herrn
Landauers aus Nürnberg) waren alle Partleen
von einheimischen Kräften besetzt. Als einet
herrlichen Abends gedenken wir der vereinzelten
Aufführung von Mozarts .Gosl fan tatte*;
Obrist dirigierte, Frau Bopp-Glaser, Herr
Weil, Herr Holm zeichneten sich liesondert
aus. Warum dieses Werk Mozarts so selten
und von so wenigen . gehört wird? Sollte wirk-
lich in demokratischen Zeiten der Sinn fQr
psychologisch feine musikalische Komik ent-
schwunden sein? Natürlich wird diese Frage
nicht etwa durch den Zudrang zu den »Melster-
singern* bejaht. An Königs Geburtstag hatten wir
als Festvorstellung den .Schwarzen Domino*
von Auber, von Oberregisseur Löwen feld einer
erfolgreichen Neubearbeitung unterzogen (Text-
buch im Verlag Wildt, Stuttgart). Die Maaik
zu den neuen Rezitativen schrieb Erich Band,
der das liebenswürdige Werk auch dirigierte.
Frau Bopp-Glaser und Herr Erb hatten die
Hauptrollen. Die glänzende Ausstattung war
ganz neu beschaffe. Vogls »Maja*, von deren
Uraufführung berichtet wurde, hält sich anf dem
Spielplan. .Der Widerapenstigen Zlhmiing*
kämpft offenbar mit Widerspenstigkeit Ober
die erste Wiederholung des Meisterwerkes von
Goetz kam man in diesem Winter nieht hinant.
Dr. Karl Grniisky
117
KRITIK: OPER
WARSCHAU: Die fortdauernden Gastspiele
machen jeden Spielplan unmöglich ; die ver-
sprochenen »Meistersinger* und, die polnische
Oper ,,Ein altes Märchen* vonC. Zele^ski wurden
verschohen, and wir bewegen uns in dem wohl-
bekannten Geleise des Battistini- oder Prances
Alda- Repertoires: »Maskenball*, »Pavorita*,
»Rigoletto*, »Paust* und »Traviata* wechseln
mit einander ab. Battistini bewahrt noch
immer den Glanz seiner prachtvollen Stimme;
Prances Alda hat sich als Gretchen und*Violetta
alt eine ausgezeichnet geschulte, ernste Künst-
lerin gezeigt. Ihre Stimme ist hell und schön-
klingend, doch ihre ganze etwas kühle Er-
scheinung wirkt nicht hinreißend genug. — Eine
außergewöhnliche Pestvorstellung erlebten wir
mit der »Salome*, von Richard Strauß per-
sönlich dirigiert (Salome: Prl. Schipanek,
Herodes: Malawski). H. v. Opienski
WEIMAR: Endlich eine Novität, wenn auch
eine 21 Jahre alte: Verdi's »Othello*!
Dieses in erster Linie von Wagner, in zweiter
von Meyerbeer beeinflußte, fast gar keine Ita-
lianlsmen aufweisende Werk des 74 jährigen
Meisters gelangte mit vollständig neuer Aus-
stattung an Dekorationen und Kostfimen unter
R nahes gewissenhafter Leitung und Wiedeys
sorfültiger Regie zu mustergültiger Wiedergabe.
Leider ging durch das verdeckte Orchester
mancher Klaogeifekt verloren. Hervorragende
Leistungen boten Zell er als Vertreter der Titel-
rolle, vom Scheidt als DesdemonaundStrath-
mann als Jago. Trotz dieser gfinstigen Re-
sultanten glaube ich nicht an eine längere Lebens-
dauer dieses Werkes als Repertoireoper. Ich
bin vielmehr der Meinung, daß die speziflsch
italienisches Opern Verdi's seinen im Mischstil
geschriebenen »Othello* Gberleben, trotz der
Trivialitäten. — Die fibrigen Opernabende brach-
ten dagegen zum Teil wenig befriedigende
AuflQhningen von »Hoifmanns Erzählungen*,
»Maitba* und »Wildscbfitz*, was hauptsächlich
auf die willkfirlicbe Temponahme des Kapell-
meisters Eismann zurfickzufQhren ist.
Carl Rorich
WriEN: In der Volksoper ist Siegfried
^ Wagners »Sternengebot* gegeben wor-
den, bis jetzt zweimal: wie es scheint, eine
Erst- nnd eine LetztauffQbrung. Der Eindruck
des Werkes muß wohl Qberall der gleiche sein:
der einer verschwommenen Monotonie und einer
fiut geflissentlichen Unklarheit. Nicht in der
Musik: sie ist nur allzu durchsichtig, wo sie
ein Aaldingen an jene Töne versucht, die im
»Eirenbätttei* ein Versprechen und eine Hoff-
nung bedeuteten — ein bisher uneingelöstes
Versprechen nnd eine noch unerfflllte Hoffnung;
und sie ist im Obrigen vollständig und mehr
als je im Bann der Ansdrucksweise Richard
Wagners. Die einfachsten Repliken werden in
Trisianscher Chromati k, bedeutungslose Hin- und
Widerrede wird in Parsifalscher Erhabenheit in
Klinge gebracht. Eine Abhängigkeit, die traurig
mnebt» weil man den wachsenden Einfluß eines
felseii beratenden Kreises spQrt, der ans Sieg-
fried Wagner durchaus eine Portsetzung des
viterUchen Werks herauspressen möchte, statt
ibo den Weg der eigenen Begabung gehen zu
Imra. Was die Dichtung vielleicht noch klarer
Migl ein die Mnsik: eine einfache Handlung,
aus herzlicher und ehrlicher Empfindung ent«
Sprüngen und von schöner Gesinnung getragen,
wird bis ins Unmögliche »vertieft*, zu einem
falschen Symbolismus und hypertrophischer
Mystik gebracht, — wird kunstlich verschlungen
und verknotet, dramatisch entspannt und —
wenn das Wort erlaubt ist — entproflliert, bis
jede Linie undeutlich, jedes Geschehnis unver-
ständlich wird. Ein Eindruck, den ich nur mit
Betrübnis melde. Denn Siegfried Wagner
scheint mir nicht nur durch sein Wollen, durch
den Ernst und die Vornehmheit seines nachdenk-
lichen Wesens liebenswert, sondern auch durch
seine Begabung. Es ist gewiß noch immer auf
ihn zu hoffen, trotz dieses »Sternengebots*, das in
einer tüchtigen Vorstellung, von G i II e dirigiert,
von Hermine v. Brenneis aus Prag, Prau
Drill und den Herren Anton, Lussmann,
Hofbauer, Lordmann und Schwarz mit
Eifer gesungen und dargestellt, dem verwirrten
Publikum Gelegenheit gab, dem Sohne Richard
Wagners zu zeigen, wie lieb allen seine Persön-
lichkeit ist. Jene Hoffaung braucht gar nicht
immer wieder aus dem »Bärenhäuter* geschöpft
zu werden: wer die Kapellenszene im »Bruder
Lustig* gedichtet und musiziert hat, ist eine
künstlerische Potenz. Nur, daß sie sich auf
sich selbst besinnen muli. Daß Siegfried
Wagner nicht das reizvollste an seinem Talent
unterbinden darf: die bescheidene Liebens-
würdigkeit, die innige Einfalt volkstümlicher
Kraft, die naturwüchsige Heiterkeit eines frischen
Gemüts. Wenn er statt dickleibiger Partituren
voll falschen Tiefsinns und gequälten beziehungs-
reichen Allegorieen liebe kleine Werke schaffen
wird, die deshalb nicht minder aus dem Volks-
tum und der Sage und gleichzeitig aus seinem
eigenen redlichen und frohen Naturell heraus-
geboren sein mögen, aber ohne gewollten
Bombast und pathetische Oberladung, dann
wird man sich seiner freuen dürfen. Gerade
wer ihn liebt, wird den Mut haben müssen, es
ihm zu sagen: er wird niemals ein zweiter
Richard Wagner werden. Aber er könnte ein
moderner Lortzing sein. Und das wäre am
erfrischendsten in einer Zeit, der gesunde Un-
befangenheit und herzliche Munterkeit — be-
sonders in der Musik — mehr not tut als irgend
einer Zeit zuvor. Richard Specht
WIESBADEN: Als Novität brachte unsere
Hofoper Otto Dorn's Spieloper »Die
schöne Müllerin*. Gelegentlich der Urauf-
führung in Kassel ist über das Werk schon be-
richtet. Der unterzeichnete Komponist kann an
dieser Stelle nur anerkennen, daß der graziöse
Rokokoton, der in Text und Musik der Oper
angestrebt ist, von den Darstellern mit liebe-
vollem Eingehen verwirklicht und so das leicht
und heiter gedachte Scherzspiel vor jeder derb-
komischen Nuancierung geschützt wurde. Neben
der gewandten Regie des Herrn Mebus, die
unser Intendant v. Mutzenbecher in persön-
lichem Eingreifen noch durch manche fein-
sinnigen Einzelzüge bereicherte, sei auch Prof.
Schlar*s musikalischer Leitung rühmend ge-
dacht. Annie Hans war eine allerliebste »schöne
Müllerin*; Reh köpf ein muntrer Liebhaber;
Hensel ein wahrer Schwerenöter von »Graf*
und Prau Hanger die alle Wirmia mit zarter
Hand entwirrende »Gräfln*. Die kleine Rolle
u
118
DIE MUSlfC VU. 14.
des servierenden Mohren gab unser erster
Komiker Andrisno mit der nötigen musi-
kalischen Stummheit. Prof. Otto Dorn
KONZERT
BERLIN: Leo Schrattenholz, bisher nur als
Cellist bekannt, dirigiene einen Orchester-
abend an der Spitze der Philharmoniker. Den
künstlerischen Schwerpunkt des Konzertes bildete
der Geiger Willy Heß, der sich mit dem Vor-
trag des Bruchschen d-moll Konzertes als ein
ganz bedeutender Meister seines Instrumentes
zeigte; seine Technik ist treffsicher, sein Vortrag
voll Wärme, seine Tongebung von seltener
Schönheit. Das Programm begann mit einer
Fantasie für großes Orchester von Paul Juon
Aber ein Glockenspiel mit eingestreuten Brucb-
stficken dänischer Volkslieder, die mir recht un-
bedeutend erschien, doch den Hörern so gefiel,
daß sie nach dem Komponisten verlangten. Den
Schluß des Abends machte die c-moU Symphonie
von Brahms, die von dem Dirigenten mit Hilfe
des Philharmonischen Orchesters ohne Unfall
zu Ende gefQhrt wurde; ich denke, Leo Schratten-
holz ist besser mit seinem Cello auf dem Podium
titig als mit dem Taktstock. — Das neunte
Symphoniekonzert der Königlichen Kapelle
dirigierte Ernst von Schucb. Das Programm
brachte ein Concerto grosso d-moll von Händel,
eine Haydnsche Symphonie G-dur und .Tod
und Verklärung* von Richard Strauß. Es war
ein erlesener Genuß, zu erleben, wie dieser
Meister des Taktstockes die alte und neue Musik
behandelte, geistvoll das kleinste Detail aus-
arbeitete, dabei nie die Gestaltung des Ganzen
aus dem Auge ließ, wie kraft- und schwungvoll
vor allem das Straußsche Werk aufgebaut wurde.
Solch ein Dirigent wäre dem Orchester, wäre
auch den Hörern fortan für ihre Symphonie-
Abende zu wünschen. — Das letzte Nikisch-
Konzert dieses Winters brachte nur drei größere
Orchesterwerke: ein Concerto grosso d-moll für
Streichorchester von Händel, das nämliche, das
Schuch im Opemhause dirigiert hatte, Beet-
hovens s^Pastorale* und die c-moll Symphonie von
Brahms, die unter Nikisch zu schöner Geltung
kamen. Der Dirigent brauchte diesen Abend
sich nicht mit irgend einem Solisten In die
Ehren und Ovationen zu teilen, die vom Publi-
kum zum Schluß stQrmisch gespendet wurden.
— Auch Karl Panzner, der das letzte Konzert
im Mozartsaal leitete, erntete mit vollem Recht
reichen Beifall für die Muhen, die er sich mit
dem Mozartorchester gegeben hat. Mit solchem
Klangkörper Beethovens »Eroika* und große
»Leonoren'-OuvertQre so auszuarbeiten, daß alles
Wesentliche der Werke und auch manche Einzel-
heit richtig herauskommt, will wirklich etwas
bedeuten. Tilly Koenen sang mit ihrer klang-
reichen, warmen Stimme eine Arie aus Klug-
hardts »Zerstörung Jerusalems*, sowie einige
Lieder von Schubert und Hugo Wolf. Alexander
Siloti, der sich in Berlin seit Jahren nicht hatte
hören lassen, bewährte sich mit dem Vortrag
der »Wandererfantasie* von Schubert-Liszt als
großzügiger Pianist mit nie versagender Technik
und impulsivem Temperament. — Georg Schu-
mann führte an der Spitze der Singakademie
die »Missa solemnis* von Beethoven mit den
Solisten Jeannette Grumbacher - de Jong,
Martha Stapelfeldt, Paul Rei-mertund Antoft
Sistermans auf. Vorauf hatte er ein mmtm
Werk eigener Arbeit gestellt^ ein »Preis- nad
Danklied* furgroßsn Chor und großes Orchettefp
das indessen mit seiner durchweg lirmeadeB
Satzwelse, seinem Mangel an originaler Brfln*
düng, seiner unfeinen Rhythmik keinen gaten
Eindruck von dem Komponisten Georg Scha-
mann hinterlassen hat. Ganz anders Ist dieser
Masikeran seiner Stelle, wenn er Kammermnsik
spielt, wie in dem Konzert zugunsten des Bach-
Museums in Eisenach, In dem er mit Hallr die
Bachsche E-dur-Sonate für Klavier und Violine, mit
Halir und K I i n g 1 e r eine Sonate für zwei Violioen
und »Continuo* von Ph. E. Bach vortmg. Der
Abend brachte außerdem noch ein Konzert F-dar
für zwei Klaviere von Friedemann Bach mit dem
Ehepaar Kwast vor den BlfithnerflOgaln, swei
geistliche Lieder von Seb. Bach, die PmI
Reimers sang, und zum Schluß Seb. Bachs
Kantate »Mer han en neue Oberkeef, in der
Frau Grumbacher -de Jong und Arthvr
van Eweyk als Solisten, ein paar Mitglieder
aus dem Chor der Singakademie, sowie anch
einige Herren des Philharmonischen Orchettert
mitwirkten. Ein köstlicher Ulk diese Musik,
mit der der Meister seiner eigenen Weise lu
spotten scheint. Die Komik dieser Rezltatlve
und Arien, der paar Instrumente, unter denen
die Homer sich besonders drastisch herrortaten,
die Derbheit des Ausdrucks wirkt so unwider-
stehlich auf die Lachmuskeln, daß bisweilea
lautes Lachen zwischen Hörern und ausQbendeo
Künstlern hin und her fiog. Es bitte nur noch
gefehlt, daß die Kfinstler auf dem Podivm im
Kostüm der Zeit gestanden hätten. So hersinnif
vergnügt ist man wohl selten aus der Sing-
akademie nach Hause gegangen.
E. E. Tanbert
Das Ros6-Quartett (Wien), das In nelner
neueren Zusammensetzung (Arnold Rosö, Panl
Fischer, Anton Ruzitska, Priedr. Bnzbnnm)
bei uns noch unbekannt war, spielte hier an drei
Abenden nur Haydn, Mozart, Beethoven (D-dar
und beide in Es), Schubert (d-moll und Quintett
mit Eduard Rosö am zweiten Violoneeli) mid
Brahms (a-moll), in einer wunderbar ms*
geglichenen, durch Tonschönheit wie AntfaatttBg
hervorragenden Weise; das Zusammene|iiel war
von größter Einheitlichkeit und Prliislos, der
Erfolg beim Publikum mit Recht ein allgemeiner
und sehr großer. — Hervorragende Leletnnfea
bot auch der Beethovenabend (e-moll, D-dnr nod
cis-moll) des Petri-Quartetts (Dresden); die
Herren Henri Petri, Brdmann Warwas, Alfred
Spitzner, Georg Wille sind ansgeielehnete
Musiker und Ensemblespieler, die nicht mit t^
suchten Feinheiten kokettieren, sondern, oll
unter Verzicht auf Tonschönheit, in erster Linie
den Zuhörern alles klar und deutlich machen
wollen. — Eine Zumutung eeitene des Rneel-
sehen Trios (Vera Maurina-Preee, Michael
und Josef Press) war es, zn SonQteg nachmittag
die Kritik einzuladen; trotidem ich dletai En-
semble sehr hoch schitze und anch gern das
c-moll Trio von Gretschaninoff gehört bitte. Uieb
ich doch der Veranstaltung fem. — Der Geiger
Julius Falk, der mit dem Mozart-Orchester nnler
Leitung von Ignaz Waghalter konsertlerte^ war
119
KRITIK: KONZERT
M
dem Bachschen E-dur Konxert noch wenig ge-
wechteoy gab aber dann in Lalo's F-dur und In
Geraaheims Konzert doch Beweise einer reichen
Begebang. — . Diese fehlt m. E. Dr. Wolfgang
BS lau, einem Schüler Marteaus, der ihm zu
Liebe das Mozart-Orchester dirigierte; den letzten
Satz des Brahmsschen Konzerte erinnereich mich
kaum Je so schlecht gehört zu haben; mit Lotte
Ackers, einer auch noch nicht konzertreifen
Schfilerin Marteaus, trug er ohne Schwung die
ecMlne Serenade fQr zwei Geigen von Sinding
vor, die sein Lehrer zu schwerfillig instrumentiert
hat. — TalentToll ist ohne Zweifel der noch
sehr Junge Geiger Herbert Dittler, ein kecker
Draufginger. — Nach lingerer Pause ließ sich
hier wieder einmal und zwar mit größtem Er-
folg das sehr beliebte Vokalquartett Jeannette
Grambacher-de Jong, Julia Culp, Paul
RelmerSyArthurvanEweykbören— ein wahrer
Hochgenuß, zumal auch Erich J. Wolff und
Dr. James Simon besonders In den Brahmsschen
Liebeslieder- Walzern die Klavierbegleitung pracht-
voll ausfOhrten; der viel zu wenig bekannte
Liederkranz aua »Quickbom* von J. O. Grimm
stand a. a. auf dem Programm. — In einem
Eztrakonzert des Philharmonischen Or-
chesters, dessen stindiger Dirigent Dr.. Ernst
Knnwald dabei reichlich Gelegenheit hatte,
seine ungemeine Anpassungslihigkeit und seine
Umsicht zu zeigen, wiederholte der junge vor-
treffliche Geiger Franz v. Vecsey das ihm ge-
widmete dritte Konzert von Hubay, ohne auch
diesmal damit sonderliches Interesse zu erwecken.
Sehr gefeiert wurde auch der zweite Solist,
Fermccio Busoni, der ausschließlich Werke
von Balaklrew und Liapunow, von letzterem
o. a. eine ihm gewidmete, durch scharfe Kon-
traste l>emerkenswerte ukrainische Rapsodie (mit
Orchester) vortrug. Das sehr buntscheckige
Programm enthielt auch eine wirkungavolle
Ouvertüre über spanische Themen von Balaklrew.
Wilh. Altmann
Daa aus Emmy Collin-Haberlandt, Eli-
sabeth Schulz, Else Vetter, Sonja Beeg be-
stebende «Berliner Damen-Vokalquartett*
kann gegen das Vorjahr erhebliche Portschritte
verzeichnen. Die vier Stimmen passen gut zu
einander, man hört ihnen mit Vergnügen zu.
Besondere Anziehungskraft erhielt das Konzert
durch Mitwirkung des famosen Pianisten Emil
Frey, der In allen Einzelheiten individuell ist
— Aach die Darbietungen des „St. Ursula-
Midchenchors' sind auf einer höheren Stufe
anfslangt Ea wird rein und mit hübschen
Sckattierungen gesungen. Der Vortrag trifft
allerdings nicht immer den Charakter der Lieder.
Die Koloratur-Sopranistin Elf^lede Goette würde
hei emsigem Studium sich eine angesehene Po-
sition auf der Bühne schaffen können.— Achtung-
gebietend war die Leistung des » B e r 1 i n e r Vo 1 k s -
Chor* (Dirigent Dr. Ernst Zander) an seinem
Richard Wagner-Abend. Das Programm bestand
aasLohengrin- undTannhiuser-Szenen. Chor und
Mozar^Orchester hielten sich wacker, weniger die
Solisten. Frau Schauer-Bergmann (Sopran)
verdarb die Partie der Elsa durch zu langsame
TempL Dem Tenoristen Jiger, dessen Stimme
efcsatlich mehr ein hoher Bariton ist, fillt die
H4Mie schwer, weshalb er da meistens zu tief
singr. Auch neigt er zum Schleppen und zur Sen-
m
timentalitit. — Eine hervorragende Sängerin ist
Clara Wer der mann. Sie besitzt einen Alt von
edler Qualitit, singt geschult ohne Tremolo,
spricht trefflich; der schlichte Vortrag könnte
wohl etwas vertiefter sein. Der Sopran von
Clara Schützer Ist gleichfalls sehr schön, aber
noch nicht genügend gebildet. Die Tongebung
ist gequetscht. — Die Pianistin Julia Röhr
konnte dem wundervollen c-moll Konzert von
Xaver Scharwenka nicht gerecht werden. Ihre
Technik reichte nicht aus, Gedichtnisfehler
wirkten störend, und ein Manko bei zu tem-
peramentvollen Ergüasen geradezu heraus-
fordernden Stellen war aufhillend. Lobenswert
war nur die Orchesterbegleitung unter Dr. Max
Burkhardt, der durch energische Direktion
eine exakte, wenn auch nicht individuelle
Wiedergabe der «Hebriden'-Ouvertüre erreichte.
Der als Komponist hier noch wenig bekannte
Frank L. Limbert leitete persönlich seine
«Variationen für Orchester über ein Thema von
Händel* mit grossem Geschick. Das Werk
zeigt mehr kontrapunktisches Können als Phan-
tasie. Außerdem gelangte noch ein Konzert-
stück für Klavier und Orchester desselben
Tonsetzers zur Aufführung. — Die Violinistin
Helen Mac Gregor und die Pianistin Madge
Shand Smith sind aua dem Schülerstadium
noch bei weitem nicht heraus. Ernstes Streben
soll ihnen nicht abgesprochen werden. — Der
Cellist Marix Lövensohn spielte das Konzert
von Haydn mit gefühlvollem Vortrag, jedoch
technisch nicht leicht genug. Geschmacklos
sind die zahllosen Glissandi und das Anbinden
des folgenden Auftaktes an die vorausgehende
Phrase. Von einem Cello-Konzert von Flora
Joutard kam (nach Ankündigung des Dirigenten
aus Proben-Mangel !) nur das Adagio zur Wieder-
gabe. Es scheint den Philharmonikern Überhaupt
an Zeit zu fehlen. Unentachuldbar war das Zu-
spätkommen verschiedener Mitglieder zum Beet-
hovenschen Violinkonzert, wodurch sich vielleicht
die Nervosität des ausgezeichneten Geigers Adolf
Rebner erklärt, der hier schon viel vorteilhafter
gehört wurde. — Gleich vier Cello-Novitäten
auf einmal brachte Jacques van Li er, von denen
ich leider die erste, ein Konzert In A-dur von
Hubert J a h ro w, nicht hören konnte. Ein Konzert
in g-moll von Max Laurischkus kam unvoll-
ständig zur Aufführung. Der letzte Satz blieb
fort, wohl zum Vorteil des Werkes, das schon
bis dahin recht gequält klang, alles erfunden,
nicht empfunden. Das Adagio wies einige In-
teressante harmonische und orchestrale Kom-
binationen auf. Viel höher stand ein Konzert
in e-moll, op. 45 von Hermann Grädener, das
unter vorzüglicher, ruhiger und zielbewußter
Leitung des Komponisten zu bester Wirkung
gelangte. Es enthält poetische Gedanken und
ein sehr schönes Adagio mit etwas »Parsifal*-
Stimmung. Eine Ballade von Elisabeth Kuyper
ist süßliche Salonmusik mit einigen technischen
Schwierigkeiten vermengt J. van Lier setzte
sein großes Können für alle Werke mit Be-
geisterung ein. — Gustav Tbümler-Walden
ist Besitzer eines sympathischen, ausgiebigen
Baritons ausgeprägt lyrischen Charakters. Auf
das Feld der Lyrik weist ihn auch der Charakter
aelner Vortragskunst hin. Die Aussprache Ist
vorzüglich. Arthur Laser
118
DIE MUSlfC VU. 14.
M
4e8 servierenden Mohreo gab unser erster
Komiker Andrisno mit der nötigen musi-
Icsliscben Stummheit. Prof. Otto Dorn
KONZERT
BERLIN: Leo Schrsttenholz, bisher nur als
Cellist bekannt, dirigiene einen Orchester-
abend an der Spitze der Philharmoniker. Den
kfinstlerischen Schwerpunkt des Konzertes bildete
der Geiger Willy Heß, der sich mit dem Vor-
trag des Bruchschen d-moll Konzertes als ein
ganz bedeutender Meister seines Instrumentes
zeigte; seine Technik ist treffsicher, sein Vortrag
voll Wärme, seine Tongebung von seltener
Schönheit. Das Programm begann mit einer
Fantasie für großes Orchester von Paul Juon
über ein Glockenspiel mit eingestreuten Bruch-
stficken dänischer Volkslieder, die mir recht un-
bedeutend erschien, doch den Hörern so gefiel,
daß sie nach dem Komponisten verlangten. Den
Schluß des Abends machte die c-moll Symphonie
von Brahms, die von dem Dirigenten mit Hilfe
des Philharmonischen Orchesters ohne Unfall
zu Ende geführt wurde; ich denke, Leo Schratten-
holz ist besser mit seinem Cello auf dem Podium
titig als mit dem Taktstock. — Das neunte
Symphoniekonzert der Königlichen Kapelle
dirigierte Ernst von Schuch. Das Programm
brachte ein Concerto grosso d-moll von Händel,
eine Haydnsche Symphonie G-dur und »Tod
und Verklärung* von Richard Strauß. Es war
ein erlesener Genuß, zu erleben, wie dieser
Meister des Taktstockes die alte und neue Musik
bebandelte, geistvoll das kleinste Detail aus-
arbeitete, dabei nie die Gestaltung des Ganzen
aus dem Auge ließ, wie kraft- und schwungvoll
vor allem das Straußsche Werk aufgebaut wurde.
Solch ein Dirigent wäre dem Orchester, wäre
auch den Hörern fortan für ihre Symphonie-
Abende zu wünschen. — Das letzte Nikisch-
Konzert dieses Winters brachte nur drei größere
Orchesterwerke: ein Concerto grosso d-moll für
Streichorchester von Händel, das nimliche, das
Schuch im Opernhause dirigiert hatte, Beet-
hovens »Pastorale* und die c-moll Symphonie von
Brahms, die unter Nikisch zu schöner Geltung
kamen. Der Dirigent brauchte diesen Abend
sich nicht mit irgend einem Solisten In die
Ehren und Ovationen zu teilen, die vom Publi-
kum zum Schluß stürmisch gespendet wurden.
— Auch Karl Panzner, der das letzte Konzert
im Mozartsaal leitete, erntete mit vollem Recht
reichen Beifall für die Mühen, die er sich mit
dem Mozartorchester gegeben hat. Mit solchem
Klangkörper Beethovens »Eroika* und große
»Leonoren*-Ouvertüre so auszuarbeiten, daß alles
Wesentliche der Werke und auch manche Einzel-
heit richtig herauskommt, will wirklich etwas
bedeuten. Tilly Koenen sang mit ihrer klang-
reichen, warmen Stimme eine Arie aus Klug-
taardts »Zerstörung Jerusalems*, sowie einige
Lieder von Schubert und Hugo Wolf. Alexander
Siloti, der sich in Berlin seit Jahren nicht hatte
hören lassen, bewährte sich mit dem Vortrag
der »Wandererfantasie* von Schubert-Liszt als
großzügiger Pianist mit nie versagender Technik
und impulsivem Temperament. — Georg Schu-
mann führte an der Spitze der Singakademie
die »Missa solemnis* von Beethoven mit den
Solisten Jeannette Grambacher- de Jong,
Martha Stapelfeldt, Paul Rei'mertund Antoft
Sistermans auf. Vorauf hatte er ein mmtm
Werk eigener Arbeit gestellt^ ein »Preis- und
Danklied* für großsn Chor und großes Orchester^
das indessen mit seiner durchweg lirmendea
Satzwelse, seinem Mangel an originaler Brfln*
düng, seiner unfeinen Rhythmik keinen guten
Eindruck von dem Komponisten Georg Scha-
mann hinterlassen hat. Ganz anders ist dieser
Masikeran seiner Stelle, wenn er Kamaerrnnslk
spielt, wie In dem Konzert zugunsten des Bach-
Museums in Eisenach, In dem er mit Hellr die
Bachsche E-dur-Sonate für Klavier und Violine, mit
Halir und K 1 i n g 1 e r eine Sonate für zwei Violinen
und »Continuo* von Ph. E. Bach vortrug. Der
Abend brachte außerdem noch ein Konzert F-dar
für zwei Klaviere von Friedemann Bach mit dem
Ehepaar Kwast vor den Blfithnerflügaln, nrel
geistliche Lieder von Seb. Bach, die PmI
Reimers sang, und zum Schluß Seb. Bachs
Kantate »Mer hau en neue Oberkeef, In der
Frau Grumbacher-de Jong und Arthnr
van Eweyk als Solisten, ein paar Mitglieder
aus dem Chor der Singakademie, sowie anch
einige Herren des Philharmonischen Orchesten
mitwirkten. Ein köstlicher Ulk diese Mnslk,
mit der der Meister seiner eigenen Welse lu
spotten scheint. Die Komik dieser Reiltative
und Arien, der paar Instrumente, unter denen
die Hörner sich besonders drastisch henrortaten,
die Derbheit des Ausdrucks wirkt se unwider-
stehlich auf die Lachmuskeln, daß bisweilen
lautes Lachen zwischen Hörern und ausübenden
Künstlern hin und her flog. Es bitte nur noch
gefehlt, daß die Künstler auf dem Podium Im
Kostüm der Zeit gestanden bitten. So heninnig
vergnügt ist man wohl selten aus der Sing-
akademie nach Hause gegangen.
E. E. Tanbert
Das Ros6-Quartett (Wien), das In «einer
neueren Zusammensetzung (Arnold Rosö, Paul
Fischer, Anton Ruzitska, Priedr. Buzbnum)
bei uns noch unbekannt war, spielte hier an drei
Abenden nur Haydn, Mozart, Beethoven (D-dur
und beide in Es), Schubert (d-moll und Quintett
mit Eduard Ros6 am zweiten Violoneell) und
Brahms (a-moll), In einer wunderbar aus-
geglichenen, durch Tonschönheit wie Autfaisung
hervorragenden Weise; das Zusammenspiel war
von größter Einheitlichkeit und Priiision, der
Erfolg beim Publikum mit Recht ein allgemeiner
und sehr großer. — Hervorragende Letatungen
bot auch der Beethovenabend (e-moll, D-dur und
cis-moll) des PetrI-Quartetts (Dresden); die
Herren Henri Petri, Erdmann Warwas, Alfred
Spitzner, Georg Wille sind ausgeseichiiete
Musiker und Ensembleapieier, die nicht mit g^
suchten Feinheiten kokettleren, sendem. oll
unter Verzicht auf Tonachönheit, in erster Linie
den Zuhörern alles klar und deutlich machen
wollen. — Eine Zumutung seitens des Rneel-
sehen Trios (Vera Maurlna-Press, Midiael
und Josef Press) war es, zu Sonotag nachmittag
die Kritik einzuladen; trotidem ich dleeei En-
semble sehr hoch schitze und auch gem daa
c-moll Trio von Gretachaninoir gehört bfite.Uieb
ich doch der Veranataltung fem. — Der ueifsr
Julius Falk, der mit dem Mozart-Orcheater unter
Leitung von Ignaz Waghalter konsertierte, war
119
KRITIK: KONZERT
M
dem Bachschen E-dar Konzert noch wenig ge-
wachteo, gab aber dann In Lalo'a F-dur und in
Geraahelnis Konzert doch Beweise einer reichen
Begabang. — . Dieae fehlt m. E. Dr. Wolfgang
BSIau, einem Schüler Marteaus, der ihm zu
Liebe das Mozart-Orchester dirigierte; den letzten
Satz dea Brabmsschen Konzerts erinnere ich mich
kaum je so schlecht gehört zu haben; mit Lotte
Ackere, einer auch noch nicht konzertreifen
Schfllerln Marteaus, trug er ohne Schwung die
achOne Serenade fGr zwei Geigen von Sinding
vor, die aein Lehrer zu achwerfilllg instrumentiert
hat. — Talentvoll Ist ohne Zweifel der noch
sehr Junge Geiger Herbert Dittler, ein kecker
Draufiginger. — Nach lingerer Pause ließ sich
hier wieder einmal und zwar mit größtem Er-
folg daa sehr beliebte Vokalquartett Jeannette
Grambacher-de Jong, Julia Culp, Paul
Reimers, Arthur van Eweykhören— ein wahrer
Hochgenuß, zumal auch Erich J. Wolff und
Dr. James Simon besonders In den Brahmsschen
Liebeslieder- Walzern die Klavierbegleitung pracht-
voll ausfQhrten; der viel zu wenig bekannte
Liederkranz aus »Quickbom* von J. O. Grimm
atand u. a. auf dem Programm. — In einem
Extrakonzert dea Philharmonischen Or-
cheatera, dessen ständiger Dirigent Dr.. Ernst
Kanwald dabei reichlich Gelegenheit hatte,
aehie ungemeine Anpaasungslihigkeit und seine
Umsieht zu zeigen, wiederholte der junge vor-
treffliche Gelger Franz v. Vecsey das ihm ge-
widmete dritte Konzert von Hubay, ohne auch
dieamal damit aonderliches Interesse zu erwecken.
Sehr gefeiert wurde auch der zweite Solist,
Fermcclo Buaoni, der ausschließlich Werke
von Balakirew und Liapunow, von letzterem
a. a. eine Ihm gewidmete, durch scharfe Kon-
traate bemerkenswerte ukrainiache Rapsodie (mit
Orcbeater) vortrug. Das sehr buntscheckige
Programm enthielt auch eine wirkungsvolle
Ouvertüre über spanische Themen von Balakirew.
Wilh. Altmann
Daa aus Emmy Collln-Haberlandt, Eli-
aabeth Schulz, Else Vetter, Sonja Beeg be-
atebende «Berliner Damen-Vokalquartett*
iumn gegen daa Vorjahr erhebliche Fortschritte
verzeichnen. Die vier Stimmen passen gut zu
einander, man hört Ihnen mit Vergnügen zu.
Beaondere Anziehungskraft erhielt das Konzert
durch Mitwirkung dea famoaen Pianisten Emil
Frey, der In allen Einzelheiten individuell ist
— Auch die Darbietungen des „St. Ursula-
Midcbenchora« alnd auf einer höheren Stufe
aafslangt Ea wird rein und mit hübschen
Sckatdeningen gesungen. Der Vortrag trifft
allerdings nicht Immer den Charakter der Lieder.
Die Koloratur-Sopranistin ElfHede Goette wurde
bei emalgem Studium eich eine angesehene Po-
sition auf der Bühne schaffen können.— Achtung-
gebietend war die Leistung des » B e r I i n e r Vo I k s -
Chor* (Dirigent Dr. Ernst Zander) an seinem
Richard Wagner^Abend. Daa Programm bestand
aoaLohengrln-undTannhiuser-Szenen. Chor und
Mozar^Orcheater hielten eich wacker, weniger die
Soliaten. Frau Schauer-Bergmann (Sopran)
verdarb die Partie der Elaa durch zu langsame
TempL Dem Tenoristen Jiger, dessen Stimme
eimtlich mehr ein hoher Bariton ist, fillt die
Höhe schwer, weahalb er da meistens zu tief
•iagr. Auch neigt er zum Schleppen und zur Sen-
m
timentalitit. — Eine hervorragende Singerin ist
Clara Ward ermann. Sie besitzt einen Alt von
edler Qualität, singt geschult ohne Tremolo,
spricht trefflich; der schlichte Vortrag könnte
wohl etwas vertiefter sein. Der Sopran von
Clara Schützer ist gleichfalls sehr schön, aber
noch nicht genügend gebildet. Die Tongebung
ist gequetscht. — Die Pianistin Julia Röhr
konnte dem wundervollen c-moU Konzert von
Xaver Scharwenka nicht gerecht werden. Ihre
Technik reichte nicht aus, Gedichtnisfehler
wirkten störend, und ein Manko bei zu tem-
peramentvollen Ergüssen geradezu heraua-
fordemden Stellen war aufhiUend. Lobenswert
war nur die Orcheaterbegleitung unter Dr. Max
Burkhardt, der durch energische Direktion
eine exakte, wenn auch nicht individuelle
Wiedergabe der «Hebrlden'-Ouvertüre erreichte.
Der als Komponist hier noch wenig bekannte
Frank L. Limbert leitete persönlich seine
«Variationen für Orchester über ein Thema von
Händel* mit grossem Geschick. Das Werk
zeigt mehr kontrapunktisches Können als Phan-
tasie. Außerdem gelangte noch ein Konzert-
stuck für Klavier und Orchester desselben
Tonsetzers zur Aufführung. -- Die Violinistin
Helen Mac Gregor und die Pianistin Madge
Shand Smith sind aua dem Schülerstadium
noch bei weitem nicht heraus. Ernstes Streben
soll ihnen nicht abgesprochen werden. — Der
Cellist Marix Lövensohn spielte das Konzert
von Haydn mit gefühlvollem Vortrag, jedoch
technisch nicht leicht genug. Geschmacklos
sind die zahllosen Glissandi und das Anbinden
des folgenden Auftaktes an die vorausgehende
Phrase. Von einem Cello-Konzert von Flora
Joutard kam (nach Ankündigung dea Dirigenten
aus Proben-Mangel !) nur das Adagio zur Wieder-
gabe. Es scheint den Philharmonikern Überhaupt
an Zeit zu fehlen. Unentschuldbar war daa Zu-
spitkommen verschiedener Mitglieder zum Beet-
hovenschen Violinkonzert, wodurch sich vielleicht
die Nervosität des ausgezeichneten Geigera Adolf
Rebner erklärt, der hier schon viel vorteilhafter
gehört wurde. — Gleich vier Cello-Novitäten
auf einmal brachte Jacquea van Li er, von denen
ich leider die erste, ein Konzert in A-dur von
Hubertjahrow, nicht hören konnte. Ein Konzert
in g-moU von Max Laurischkus kam unvoll-
ständig zur Aufführung. Der letzte Satz blieb
fort, wohl zum Vorteil dea Werkea, das schon
bis dahin recht gequält klang, alles erfunden,
nicht empfunden. Das Adagio wies einige In-
teressante harmonische und orchestrale Kom-
binationen auf. Viel höher stand ein Konzert
in e-moll, op. 45 von Hermann Grädener, das
unter vorzüglicher, ruhiger und zielbewußter
Leitung des Komponisten zu bester Wirkung
gelangte. Es enthält poetische Gedanken und
ein sehr schönes Adagio mit etwas »Parsifal*-
Stimmung. Eine Ballade von Elisabeth Kuyper
ist süßliche Salon musik mit einigen technischen
Schwierigkeiten vermengt. J. van Lier setzte
sein großes Können für alle Werke mit Be-
geisterung ein. — Gustav Tbümler-Walden
ist Besitzer eines sympathischen, ausgiebigen
Baritons ausgeprägt lyrischen Charakters. Auf
das Feld der Lyrik weist ihn auch der Charakter
seiner Vortragskunst hin. Die Aussprache lat
vorzüglich. Arthur Laaer
120
DIE MUSIK VII. 14.
M
Zwei zweifellos sehr bedeutende Klavier-
talente, die beide aucb technisch bereits ganz
betrichtlich reif sind, kehrten bei uns als Neu-
linge ein. Germaine Arnaud, eine noch ganz
junge Dame, ist die klarer, zuweilen aber auch
derber spielende. Adolphe Borchard wird noch
zuweilen mit der Rechten undeutlich und tritt
auch das Pedal nicht immer so, wie es getreten
werden muß, um alles klar hervorzubringen.
Aber er ist der bereits reifer Empfindende.
Aus beiden könnten wohl, wenn nicht alles
trfigt, erste Meister werden. Bereits heute ragen
sie hoch aus dem Durchschnitt heraus. —
Marie Dubois schnitt in ihrem zweiten
(Orchester-) Konzert weit weniger gut ab. Sie
greift zwar mit nicht Qbler Fertigkeit und mit
einem gewissen Aplomb in die Tasten, aber
Anschlag, Phrasierung, Disposition und gefühls-
mäßige Nuancierungen, dazu das Schmerzens-
kind Pedal — das alles läßt leider viele Wunsche
offen. Immerhin spielte sie seltenere Werke:
die Konzerte Es-dur von Mozart und E-dur von
Moszkowski, welch letzteres ja freilich nicht
allzu großen rein musikalischen Wert hat. —
Der zweite Liederabend von Pbilippine Lands-
hof f mit Ludwig Landshoff am Nanette Streicher-
Klavier interessierte nicht sehr, da unter
Gesängen von Bach, Erlebacb, J. A. P. Schulz,
G. Ph. Telemann, C. G. Neefe, J. G. Mayr,
G. Benda und J. R. Zumsteeg zu wenig
Bedeutendes ausgewählt war, um einen
günstigen Eindruck von der Lied Produktion des
achtzehnten Jahrhunderts hervorzurufen. Gesang-
lich und klavieristisch genügte die Wiedergabe
zudem nicht immer durchaus. Die Tongebung
der Sängerin ist nicht immer frei genug und oft
kehlig. Aber Atem fuhrung und Vortrag sind
gut. — Von zwei gemeinschaftlich in einem
Konzert zu Worte gekommenen Tonsetzern
kommt ernstlich eigentlich nur Willy von
Moellendorff in Betracht. Lieder, wie
»Steigende Nebel*, «Die schwarze Laute* oder
«So einer war auch er*, verdienen wohl Beach-
tung als, wenn auch nicht erfinderisch starke,
so doch objektiv gute und gewählte Gesänge.
Von Martin Grabert können hier dagegen
nur allenftills «Nächtliche Pfade*, «Wie ein
Verhängnis* und «Schließe mir die Augen
beide* erwähnt werden. Das übrige, was der
Abend bot — außer der trefflichen Gesangs-
leistung Eugen Briegers — sei schonend ver-
schwiegen. Höchstens ein Chorlied Moellen-
dorffs, «Ruhe*, kam etwas über die platteste
Liedertafelei hinaus.— Helene Martini besitzt
einen nur wenig umfangreichen Mezzosopran,
der dazu ziemlich schwach ist. Aber sie
behandelt ihr nicht mehr jugendfrisches Organ
recht sachgemäß, spricht meist gut aus (manch-
mal sind die unbetonte!^ e zu dunkel), und ihr
Vortrag ist verständnisvoll. Doch stören die
nachhelfenden Kopfbewegungen sehr.
Alfred Schattmann
Waldemar von Grigorowitsch-Barsky ist
wohl der schlechteste Klavierspieler, den ich
in diesem Winter hörte. Ein solches Unver-
ständnis für Beethoven, wie er in seinem Vor-
trage der Sonate op. 101 bewies, hätte ich nicht
für möglich gehalten. Alle Sätze wurden stark
verschleppt und kamen selbst in solchen Tempi
noch technisch äußerst mangelhaft heraus. — -
m
Annie L. Wakemaa besitzt eine Konter'
vatorlstenfertigkeit und spielt mit dieser fHscb
drauf los. Dabei greift sie, lumal sie nur eine
kleine Hand hat, tüchtig daneben und ermangelt
der persönlichen Note, über der man solche
Unebenheiten vergessen könnte. Ich hörte Bach,
Beethoven und Schumann, dann ging ich ent-
täuscht von dannen. — Auch Diane Albernoni
kann ich kein Lob spenden. Bei Beethoven
verschluckte sie ganze Zählzeiten, Mozarts a-moU
Rondo spielte sie stechend hart und poesielos.
Cbopin's Nocturne, op. 48, 1, erfördert viel
mehr Wärme und Technik, als hier aufgeboten
wurde. — Gertrud Sc hei bei ist nur berechtigt,
im Familienkreise zu spielen. — Agnete To-
biesen ist eine ernste Künstlerin. Einiges in
Beethovens As-dur Sonate phrasierte sie auf-
fallend richtig. Im allgemeinen gebricht et ihr
noch an virtuoser Technik und Routine. Immer-
hin war das Geleistete schon recht erfreulidh
und zeigte eine gute Grundlage^ von der et tich
rasch höher kommen läßt.
Hermann Wetiel
Lou Schmidt ist ein inieressantet Pertön-
chen, das leider bei schön ansprechender Höhe
in seiner Stimme kein genügendet Autdrucka-
mittel bat. — Anton Schlosser bat einen sehr
hübschen Tenor, aus dem sich viel machen
ließe, aber Temperament und Gefühl scheinen
dem Sänger ziemlich fremd sa sein. — Eagenie
Dusseau-Bormann leistet technisch recht
gutes und erfreut den Hörer mit einem kJang-
vollen, nie forcierten Ton. Aach ihr Vortrag
ist warm und intelligent — Hans Satte ver-
wendet seinen schönen Bariton nicht angetcblckt,
tut im Vortrag aber dea Guten zu riel. Eine
solche Sentimentalität läßt kaum einen Hörer
ernsthaft. Gertrud Sasse litt tichtlicb anier
Lampenfieber, aodaß sich über ihre BeanlaguBg
wenig sagen läßt. Wohltuend wirkten die ver^
einzelten prachtvoll gegriffenen hohen Tdne»
Richard Hihn
Martha Kynast (Gesang) und Lenide Wel
dinger (Klavier) gaben zusammen einen Abend
in der Singakademie. Das Msterial der SiDferin
ist gut, aber die Behandlung ihres Organt itt
eine verfehlte, daher der Quettchton; am erüreii-
lichsten ist das Piano. Die Pianistin tpielt
technisch gut, aber bia zum Geist reicbtt nicht
und bis zur Seele ganz und gar nicht — Wenn
der Pianist Günther Freudenberg Elegantep
und Effektvolles zum Vortrag bringt, wirkt er
durch seine eminenten technischen FihiflDSilta
und durch sein feinet djmamiachet GefBbl
höchst anregend, das gerade Gegenteil hber
findet statt, sobald wir ein emttet Werk Ton
ihm zu hören bekommen. So wußte er weder
mit der Taubertschen Phantasie-Sonate aech mit
der g-moll Fuge von Bach-Liszt etwas anzaflin|ea.
Dafür mußte er das Salonstück «Dante det ElÜst*
von Sapellnikoff wiederholen. — Georg Mfinser
(eigene Kompositionen und mutikalltche DIdlh
tungen) ist romantisch angehaucht; er tieckt
noch ganz im Subjektiven. Von der
Pantaaia quasi Sonata für Violine und Klavier,
in der er am meisten zu tagen hatte, geflei mir
am besten das Finale. Den tieflitea Bindraek
hinterließen seine Dichtungen. Aleuuider
Sobald und Severin Eiaenberger ißbtm sieh
die erdenklichste Mühe, der nicht gerade denk*
121
KRITIK: KONZERT
btren Violinsonate gerecht zu werden, was
Ihnen anch vollkommen gelang. — Nellie Carzon
Smith (Klavier) hat ein gutes Talent für das
Spielerische und Perlende; ein Stück wie das
Allegrissimo von D. Scarlatti machen ihr nur
wenige Pianistinnen nach. Besondere Hervor-
hebung verdienen ihre peinliche Exaktheit und
Ihre Treffsicherheit. Arno Nadel
T\ORTMUND: In einem Bungert-Abend ent-
'^ zfickte Lilli Lehmann ein mehrtausend-
köpflges Publikum durch den vollendeten Vor-
trag von Liedern der Carmen Sylva, meisterhaft
begleitet vom Komponisten, der ferner die große
Orche8terszeaesSturmmusik,Götterversammlung
und Gesang der Okeaniden* aus „Kirke* zu
Gehör brachte. — Huttner brachte u. a. Tschai-
kowsky's »Ouvertüre solenelle* zu impulsiver
Wirkung. PQrst Heinrich XXIV. von Reuß
errang mit seiner schwungvollen e-moll-Sytn-
pbonle warmen Beifall, und Julius Kien gel
bewihrte sich als Meister eines vollendeten
Cellotpieles. — Die Suite i^Les Erinnyes* und
»Sc6ne religieuse* von Massenet ergänzten das
Programm des vierten HQttnerschen Solisten-
kODzertes. — Der Konservatoriumschor ver-
mittelte unter Holtschneider eine geschicht-
liche Obersicht über den a cappella-Gesang vom
Madrigal an bis zur Gegenwart. Die von Willy
EIckemeyer eingestreuten KlaWersoli von
Scarlatti, Bach, Mozart, Beethoven, stilrein und
In gediegener Auffassung vorgetragen, bedeuteten
Ecksteine der Entwickelung dieser Kunstgattung.
Eine Reihe Intimer Lieder fanden durch Frl.
Schenk -Weimar eine vornehme und gienuß-
reiche Wiedergabe. — In einem Holtschneider-
•ehen Orgelkonzerte interessierte ein erstmalig
In Deutschland gespieltes Konzert für Orgel
und Orchester von E. Prout.
Heinrich Bfille
pvRESDEN: Im fünften Hoftheaterkonzert
'^ der Serie B machte man zwei hocherfreu-
llcbe Bekanntschaften. Zunichst mit Gustav
M-nhIers vierter Symphonie G-dur, die in ihrer
volkttfimllchen Schlichtheit so ganz verschieden
von den anderen Symphonleen dieses Kompo-
nisten, aber vielleicht gerade deshalb von so
grofter Wirkung Ist Was diesem Werke nach
neiner Oberzengung seinen großen Wert ver-
leiht, ist die Tatsache, daß darin die musikalische
Erindung endlich wieder einmal den wichtigsten
Platz einnimmt und daß hier ein Meister, der
darchans modern ist, den Mut und die Kraft
lieknndet, eine Musik des Herzens zu schreiben,
nachdem so lange die Verstsndesmusik an der
Tagesordnung war. Der Beifall steigerte sich
von Satz zu Satz und nahm nach dem Schluß-
lied «Das hlnmliscfae Leben*, das Minnie Nast
mit aamntigiter Naivitit und vollendeter Schön-
heit sang, außergewöhnlich sturmische Form an.
Die Solistin des Abends, Kathleen Parlow, ist
trotz ihrer Jugend bereits eine GeigenkQnstlerin
allerersten Ranges von blendender Technik,
groftem, edlem und ungemein tragfibigem Ton
und einer staunenswerten Reife und Wärme
des Vortrags. Mit der prachtvollen Wiedergabe
der OavertQre za Smetanas Oper »Die verkaufte
Brsat* erzielte die königl. Kapelle unter
V. Schach einen Sondererfolg. — Der Mozart-
vsrsin brachte eine Symphonie C-dur von
Rsbihold Becker zum ersten Male vollständig
zu Gehör, nachdem zwei Sätze daraus vor zwei
Jahren bereits in einem Hoftheater konzert auf-
geführt worden waren. Der lebhafte, herzliche
Erfolg dieses Werkes unter Max v. Haken war
wohlberechtigt, denn die an schönen und großen
Gedanken reiche, in der Form klare und in der
Instrumentation sehr farbenprächtige Symphonie
ist eine Schöpfung von starker Eigenart und
ergreifender Innerlichkeit, auf das alle Konzert-
leiter nachdrücklich hingewiesen seien. Die
Solistin Luis Mysz-Gmeiner bereitete mit
einer Reihe von Liedern den Hörern einen un-
getrübten Genuß. — Das »Deutsche Requiem*
von Brahms erfuhr durch die Robert Schu-
mannsche Singakademie unter Albert
Fuchs eine sehr lobenswerte Wiedergabe, da-
gegen fiel das Oratorium »Die Sündflut" von
Saint-SaSns stark ab und erzielte einen weit
geringeren Eindruck als seiner Zeit bei der
ersten Aufführung. Solisten waren die Damen
Nast, Mary Schmidt und die Herren Kie-
larski und Perron. — Das Petriquartett
beschloss seine Soireen mit einem höchst
genußreichen Beethovenabend, während infolge
der schweren Erkrankung des Konzertmeisters
Lewin ger dessen Quanettgenossen ohne ihn
einen Trioabend veranstalten mußten. — Der
DresdnerLehrergesang verein unter Friedrich
Brandes hatte für sein Winterkonzert wieder
große Anstrengungen gemacht, sich aber allzu
weit vom Volkstümlichen entfernt. »Am Sieg-
friedsbrunnen* für Männerchor und Orchester
von Fritz Volbach und Walter Moellendoiffs
»Im Nachtzug* waren die wertvollsten Dar-
bietungen des Abends, dessen Solist Walter
Soomer erst gegen Ende des Konzerts In den
Vollbesitz seiner Mittel kam. Als orchestrales
Zwischenstück interessierte »Sonnenaufgang
über Himalaya* von Gerhart Scbjeldemp durch
Größe der Empfindung und des Ausdrucks.
F. A. Geißler
FRANKFURT a. M.: Von den sechs Konzerten,
die jeden Winter im Opernhaus gehalten
werden, fand das letzte (unter Relchenberger)
noch rechten Anklang, nicht sowohl wegen der als
Neuheit dargebotenen Tondichtung »Taormina*
von E. Boehe, über deren innere Frucht-
losigkeit die raffinierten Reize der Instrumen-
tation nicht wegzutäuschen vermochten, sondern
wegen der Mitwirkung von Lula Mysz-Gmeiner,
der vorzugsweise einige Brahms-Lieder prächtig
gelangen. — Im Museum hörte man gelegent-
lich eines von Peter Raabe dirigierten Sonntags-
konzertes ein neues anspruchsvolles, aber auch
ernst anregendes Klavierkonzert von Hermann
ZI Ich er, der selbst am Flügel saß; im folgenden
Freitags-Orchesterabend war das Violinkonzert
op. 50 von Jsques-Dalcroze, von Felix Berber
sehr schön gespielt, die Novität, die nicht gleich-
mäßig ansprach, stellenweise, wie im 1. Satz
aber doch recht interessant gearbeitet ist. —
Von zwei Kammermusik-Abenden des nämlichen
Instituts geriet der eine, bei dem wieder einmal
das Böhmische Streichquartett an den
Pulten saß, ganz meisterlich, nur Beethovens Fuge
op. 133 ließ die Hörer, selbst in dieser Aus-
führung, verhältnismäßig kfihL Noch weniger
Freude erlebte man an den Produktionen des fran-
zösischen Gesangsquartetts Battaille, das
bei wenig reizvollem Stimmmaterial auch noch
IR
122
DIE MUSIK VII. 14.
mehrfach recht unrein sang. — Im Hochschen
Konservatorium gab es einen Ehrenabend für
den im Herbst von der Leitung des Instituts
scheidenden Prof. Bernhard Scholz, der hier
noch einmal als Vokal- und lostrumentalkomponist
zu Wort kam, während eine frühere Auffuhrung
von Hindels » Alexanderfest* durch konser-
vatoristische Chor- und Orchesterschfiler die
vor allem erwünschte Gelegenheit bot, in Scholz
vorzugsweise den verdienst- und erfolgreichen
Musikpidagogen und Dirigenten feiernd zu ,,be-
tonen*. — Erwähnung gebührt noch dem Auf-
treten eines von der hiesigen Musiklehrerin
Gretchen Des soff (Tochter des verstorbenen
Kapellmeisters) herangeschulten leistungsfähigen
Frauenchors, und eine Beneflzmatinee des
verstärkten Palmengarten-Orchesters, das
unter M. Kämpferts sorgsamer Hut und Pflege
zu einer künstlerisch ernst zu nehmenden Körper-
schaft ei wachsen ist. Ein »Fathume* betitelter
Gesängezyklus orientalischen Stils, vertont von
dem musikliebenden Landgrafen Alexander
Friedrich von Hessen, fand bei diesem Anlaß
beifällige Aufnahme.
Hans Pfeilschmidt
KÖLN: Im zehnten Gfirzenichkonzert ge-
langte Berlioz' Große Totenmesse unter Fritz
Steinbach zu imposanter Aufführung, wobei
eine sehr starke Besetzung der Instrumental-
gruppen im Sinne des Komponisten zumal in
den trefflich funktionierenden verschiedenen
Blasorchestern besondere Wirkungen hervorrief.
Während das gesamte Orchester die Eindrucks-
kraft des Werks voll zur Geltung brachte, wäre
das vom Chore nur in Teilen zu behaupten.
Es schien, als hätte es hier an den nötigen
Proben gefehlt, und vorweg bei den Tenören
ließen Sicherheit und Stimmenklang viel zu
wünschen übrig. Georg Grosch von der
Dresdener Oper erwies sich als ein gut musi-
kalischer, angenehm stimmbegabter und be-
trächtlich geschulter, allerdings noch nicht ganz
fertiger Sänger, der vor allem die Behandlung
seiner Tenorhöhe und seine Textaussprache wird
verbessern müssen, um einen Platz in der
vorderen Reihe der Konzerttenöre endgültig zu
belegen. Keinen bedeutenden, aber jedenAills
einen recht gefälligen Eindruck erzielte Edward
Elgar's Introduktion und Allegro für Solo-Streich-
quartett und Streichorchester, worin das nicht
sonderlich bedachte Soloquartett durch Bram
Eidering, Carl Körner, Josef Schwartz und
Friedrich Grützmacher hervorragend schön
gespielt wurde, indeß Steinbach dem im Streich-
orchester lebhaft interessierenden und durch
eine prächtige Fuge exzellierenden Tonstück ein
höchst beredter Mittler war. Conrad Heubners,
des verstorbenen Koblenzer Dirigenten, »Ge-
heimnis der Sehnsucht*, nach Geibel, für Tenor-
solo (Georg Grosch), Chor und Orchester er-
wies sich als ein sehr stimmungsvolles Werk
von schöner Erflodung, feinem Chorsatz und
sicher gestaltender Instrumentierung. Da sich
der Chor unter Steinbachs feinfühliger Leitung
hiert>ei ebenso brav hielt wie Solist und Orchester,
kam es zu sehr freundlichen Wirkungen. Zuletzt
kam noch die »Tannhäuser^-Ouvertüre. Mag
die Masse der Konzertbesucher mit dem Straßen-
publikum der Militärkapellen gemeinsam denken:
Je mehr Blechmusik, desto schöner* und darob
MS
in jubelnde Verzückung geraten; daß die Bllter^
massen zur Wagnerschen Ouvertüre berange-
zogen wurden, weil sie einmal an diesem Abend
für Berlioz engagiert waren, wollte mir nicht fe-
fallen. Pilgerchor bleibt doch immer Pilgerchor,
auch wenn er, wie hier, geblasen wird, und das
faoAirenartige Massengeschmetter tönt mdnem
Ohr nicht als Attsdmck der hier In Betracht
kommenden Stimmung.— In derMasikal Ischen
Gesellschaft gefiel die von Steinbacb ein-
drucksvollst vorgeführte Spohrsche o-moU Sym-
phonie mit Recht sehr, und auch eine Orchester-
Ouvertüre .Karneval* des hiesigen Geigers Fritz
Stahr wurde freundlich sufgenommen. Mit
Beethovens Klavierkonzert G-dur erwies Louise
Bally-Apfelbeck aus Wien weit entwickelte
Technik, aber weniger Vorzüge der AnfTassang
und Gestaltung. Die Sängerin Dora de Coalon
aus Neuchätel ließ ganz hübsche Mittel« Jedoch
noch keineswegs gesangskünstleriscbe Konzert-
reife erkennen. Paul Hill er
LEIPZIG: Das gerade auf den 13. Pebrnar
fallende 17. Gewandhauskonzert hatte
durch sehr wohlgelungene VorfQbmngen der
«Eroica*, der »Faust-Ouvertfire*, ,Tannhiate^
Ouvertüre mit Bacchanal* (zum ersten Mal an
dieser Stelle) und »Holländer-Oavertfire* den
Charakter einer schönen Wagner-Gedenkfeier
erhalten, und im 18. Gewandhauskonzerte,
bei dem der treflriich geschulte Thomanerchor
unter Gustav Schreck und die an dieaem Abend
trotz Indisposition auch zur Königiicb Sichai-
schen Kammersängerin avancierende Bayerische
und Mecklenburgische Kammersängerin Helene
Staegemann mitwirkten, ist dem mit an-
wesenden König Friedrich August mit vortreff-
licher Reproduktion der Lisztschen »Pr^ladea*,
der Volkmannschen Ouvertüre .Richard IIL*
und der Instrumentalsätze aua Mendelasobns
»Sommemachtstraum*-Musiksowie mit mehreren
Chor- und Sologesängen gehuldigt worden. —
Als eine Gedenkfeier an den Todestag Wagners
hatte auch Hans Winderstein sein oeantes
Philharmonisches Konzert angelegt, ia dem
außer den Vorspielen zu den „Meisttrsingem*
und zum „Trisun* erstmalig zwei von Waners
jüngst erst veröffentlichten Jugend-Onvertlren,
die veräußerlicht Beethovensche, lirmendo »Po-
lonia* und die durch manche Vorauadetitangen
auf den späteren »Holländer*- und »Rheiogold*-
Schöpfer interessierende »Christoph Colambns*-
Ouvertüre erklangen, und dieatimmadllgeMelatef^
Sängerin Ellen Gulbranson die Znbörorechaft
mit Isoldens Liebestod und Brünnhildea grofter
Schlußszene enthusiaamierte. — Die mit BetC-
hovens Trio-Serenade op. 8 eingeleitete finfte
Gewandhaus-Kammermuaik bracht» weiter-
hin das rühmenswert vorgetragene c-moU Streich-
quartett von Brahma und die ErstaaflObrvBg
einer vom mitanwesenden Fürsten Hoin-
rich XXIV von Reu ß komponierten MannakrtiH-
Novität, eines Oktettes op. 32 für Klarinette,
Hom, Fagott und Streicherquintett, das über alle
vom Autor auch an dieaem Werke wieder be-
währte gediegene Satzkunst hinans vomobmlicb
mit dem distinguierten Gedankenmateriale der
ersten zwei Sätze ansprechen mußte. Ein So-
naten-Abend von Bernhard Steven hegen nnd
Felix Berber, der zwiachen den trtffUcfa ana-
geführten Sonaten in C-dur von Motart nnd
123
ERITIK: KONZERT
in A-dur (Krentzer-Sonate) von Beethoven den
blesigen Musikfreunden die ganz unterhaltsame
Bekanntschaft einer b-moU Sonate op. 20 von
Richard Barth vermittelte, bildete diesmal das
einiifo kammermusikalische Seitenstfick. —
Der Leipziger Lebrergesangverein unter
Hans SItt feierte In seinem Wioterkonzerte mit
dem Orctaestervorspiel zur ,,Loreley* und dem
«Fritblof* (Solisten Hedwig Kaufmann und
V. d'Arnalle) den 70. Geburtstag Max Bruchs
nach, wiederholte Volbachs erinnerungsschweres
Stimmungsbild «Am Siegfriedbrunnen* und
brachte als Neuheiten Rudolf Bucksverkfinstelte
,WUde Jagd* und zwei hQbscbe a cappella-Cböre
«Mein Hüttlein steht im Tannengrün* und »Die
Pantoffeln** von Hugo Kann. — Recht großkünst-
leriscb hatten Max Reger und seine jungen
Singer das Winterfestkonzert des Universi-
tits*Singervereins zu St Pauli ganz auf
die Namen Brahma und Wagner gestellt, und
zwischen der ,,Akademi8chen Festouvertüre*
and dem »Meistersinger- Vorspiel*, die vom Ge-
wandhsusorcbester unter Regers energievoll-
Uarglledemder Leitung in bester Klaogplastik
vorgeführt wurden, erklangen von Brahms das
durch Heulierger für Minnercbor und Orchester
bearbeitete »Lied vom Herrn von Falkenstein*,
die Rhapsodie mit Altsolo, die a cappella-
Minnerchöre »Geleit*, »Marschieren* und »Sand-
minnchen* (letzteres in Bearbeitung von Kremser)
und die von einem hoch talentierten jungen
Midcben (Edith Albrecht) überraschend schön
SMpleltea »Variationen über ein Thema von
indel*. Dazu steuerte die etwas naturalistisch
singende Solistin der Rhapsodie, Anoa Erler-
Schnaudt, noch einige Sololieder des Meisters
Johannes bei. Die Pauliner selbst hatten eigent-
lich nicht viel zu leisten, vollbrachten das We-
nige aber auf beste Art und sind jedenfalls mit
diesem Brahms-Wagner Konzerte weit von der
Uedertifler Landstraße abgebogen. — Dem neuen
Universititskirchen Chore unter Kantor
Hans Hof mann muß man noch einige Reife-
zeit lassen; was er jetzt schon unter unermüd-
licher Mitwirkung des tüchtigen Universitits-
klrchenorganlsten und Choralkantatenkomponi-
sten (»Herzlich lieb hab ich dich, o Herr*) Ernst
Müller, der Singerinnen Martha Wer mann
nnd Lia Stadtegger, und^ der Herren Ge-
wandhansmusiker Hugo Hamann, Edmund
Heyneck und Johannes Snoer an einem
Sonntagnachmittagikonzerte dargeboten hat,
schmeckte bei sehr respektablem Vollbringen der
meisten Aufgaben doch allzusehr nach süßlicher
DUettlererei. — In langer Reihe zogen die, so
den Flügel schlagen, vorüber, voraus der mit
seinen Vortrigen noch etwas zwischen Inhalt
nnd Form eingeklemmte ziemlich virtuose Spieler
Richard Goldschmied, dann der etwas genial-
fahrlgsplelende Richard Burmeister, der sich
der Beteiligung der mit einigen sehr wobl-
gelungenen Melodramvortrigen («Fünf Dich-
tungen von Ujeiski über Kompositionen von
C hopln, für melodramatiachen Vortrag eingerichtet
von Richard Burmeister, und Bürger^Liszts
»Lenore*) sensationell wirkenden Albertine
Zehme zu erfreuen hatte, weiterhin der etwas
drauljiingerlscbe Vollblutvirtuose Boris Kamt-
scbatofr, der talentvolle, sich künstlerisch-
eigenpersdnllch aber auch etwas liederlich
gebende Oskar Spring feld, die schönbegabte
Stephanie Barth, die Liszts h-moli Sonate als
Erlebnis vorzutragen und zum Erlebnis zu
machen vermochte, Ignaz Friedman, der sein
großes technisches Können beim Interpretieren
zum Verüben unzihliger Willkürakte mißbraucht,
Arthur Rein hold, den es zu oft und zu früh
in die Öffentlichkeit binausdringt und der —
»unvorbereitet, wie er sich hat*, — ganz unfertige
Leistungen sorglos neben einiges Trefflich- Be-
herrschte (so jüngst die »B^nediction de Dien
dans la solitude*) stellt, und Anna Böhm,
deren wobigebildetes und klangpoetisches Spiel
lebhaften Beifall gefunden hat. Mit dem immer
noch jungalten Herzensstürmer Pablo de Sara-
sate kam seine langjihrige, bochscbirzungs-
werte Kunstgenossin Berthe Marx-Gold-
schmidt zu neuer Ruhmesemte hierher, und
als sehr beachtenswerter junger Geigenvirtuose
hat sich J. Mitnitzky erweisen können. Sven
Scholander und Ludwig Wüllner, denen
beiden der Erfolg linger treu bleibt als die
Stimme, siegten neuerdings durch ihre Kunst
der Ausdrucksdifferenzierung, und eine an-
genehme Ohr- und Seelenerfrischung hatte man
den vier Schwestern Val borg, Sigrid, Astrid
und Olga Svirdström zu verdanken, die
allerdings zarten Kirchengesingen von Turlni
und Mozart mit ihrem etwas realistischen plein air-
Singen nicht ganz zu entsprechen vermögen,
nordische Kunstlieder von S. v. Koch und C.. M.
Bellmann und allerlei fröhliche Volksliedlein aber
sogesundatmig und klangftisch in die Luft hinaus-
schwellen machen, daß man sich wirklich der
Enge des Konzertsaales entrückt und in die freie
Natur hinaus versetzt wihnen könnte. — In tun-
licbster Kürze soll nun ein reichlich vier-
wöchiger Abschnitt des Leipziger Konzertlebens
gewürdigt sein, und so beginne ich denn mit den
am 27. Februar, 5., 12. und 26. Mirz stattgehab-
ten leuten vier Gewandhauskonzerten. Da
gab es im 19., das ein Chorkonzert war, Erst-
aufführungen von Theodor Streichers durch
eine gewisse Stimmungseigenart intereasieren-
dem Versuchsopus »Miguons Exequien* und von
Hugo Wolfs durchaus wirksamen Geniewerken
»Elfenlied* und »Der Feuerreiter*, wozu dann
noch in etwas schwungloser Wiedergabe das
»Schicksalslied* von Brahma und in flüssiger Re-
produktion unter besonders ansprechender soli-
stischer Mitwirkung des Baritonisten Alfred Käse
die bis auf den genialen Satz »Kommt mit Zacken,
kommt mit Gabeln* fadenscheinig gewordene
Mendelssobnsche Kantate »Die erste Walpurgis-
nacht* erklangen. Im 20. umschlossen Arthur
N i k i s c h s feinzügige Interpretationen der Mozart-
schen »Figaro*-Ouvertüre, des Salnt-Saönsschen
Orchesterpoems »Le rouet d'Omphale* und der
Schubertschen C-dur Symphonie sehr beifillig
aufgenommene Lieder vortrige Alfred Käses.
Das 21. brachte dem vorzüglichen Gastdirigenten,
Generalmusikdirektor Ernst von Schuch, für
sehr schöne Vorführungen der Haydnacben
G-dur Symphonie (No. 13), der »Oberon*-Ouver-
türe und der Straußschen Tondichtung »Tod und
Verklirung*, und dem mitwirkenden aller-
vortreiflichsten Pianisten Wilhelm Backhaus
für die vollkommene Reproduktion des Beet-
hovensctaen Es-dur Konzertes stürmischen Beifall,
und im 22. ft>lgte auf Mozarts g-moU Symphonie
124
DIE MUSIK VII. 14.
m
nach altem Schlußbrauche der Gewandhaus-
direktion Beethovens »Neunte*, deren diesmalige
Wiedergabe unter Arthur Nilcisch und mit
einem in den Männerstimmen vorzüglicheren
Soloquartett (Johanna Dietz, Agnes Leyd-
heclcer, Jacques Urlus und Alfred Käse) sich
weder im Guten noch im Schlimmen wesentlich
von den in früheren Jahren stattgehabten
repertoiregemlßen Auffuhrungen des Kolossal-
werkes unterschied.— Die sechste Gewand-
haus-Kammermusik der Herren Edgar
Wollgandt, Josef Blümle, Carl Herrmann
und Julius Kien gel hat zwischen der im Klavier-
part durch Max Reger ganz außerordentlich
schön dargestellten Brahmsschen G-dur Sonate
für Klavier und Violine und Beethovens
respektabel vorgeführtem a-moll Quartett op. 132
die Uraufführung eines in e-moll stehenden,
viersätzigen Manuskripttrios op. 102 von Max
Reger gebracht, einer allerächtest-Regerschen
Komposition, die mit lebhaftem Interesse angehört
und mit der Forderung ehier Scherzo- Wieder-
holung und mehreren Hervorrufen des Autors
und seiner Mitinterpreten aufgenommen wurde,
die aber doch in den ersten zwei Sätzen ein-
heitlich geschlossenere Tonsprache und in
den letzten Sätzen größere Vornehmheit
des Gedankenmateriales vermissen ließ. — Die
Böhmen, die nach Absolvterung ihrer hiesigen
fünf Streichquartett- Abende noch ein Extrakonzen
gaben, in dem auch die ausdrucksgewalcige
Liedersängerin Ottilie Metzger mitwirkte,
enthusiasmierten diesmal mit den Quartetten
in D-dur (aus op. 76) von Haydn, in d-moll von
Dvoi^äk und in C-dur von Beethoven. — Das
von Hans Winderatein dirigierte zehnte Phil-
harmonische Konzert begann mit der Erst-
aufführung von Emanuel Moors lediglich unter-
haltsamen «Improvisationen übet ein eigenes
Thema für Orchester* und führte zwischen Violin-
solis des voller Reife nahegekommenen Franz
vonVecsey zu einer ziemlich wohlgelingenden
Reprise der Tschaikowsky'schen f-moll Sym-
phonie, während im 11., das unter Leitung von
Carl Schroeder stattAind, eine minderwertige
Wiedergabe der Brahmsschen F-dur Symphonie
und eine gute Ausführung der ,,Euryanihe*-
Ouvertüre Vorträge des sich an Beethovens
Es-dur Konzert und Brahmsschen Rhapsodieen
mehr als Starkspieler denn als Schönspieler
bewährenden Pianisten Artur Schnabel um-
rahmten. — Gewissermaßen herzerfreuend be-
rührte das von Hans Winderstein arrangierte
und teilweise auch geleitete vierte Orchester-
Kammer-Konzert mit der Bekanntgabe einer
sehr anmutigen «Sinfonietta für Flöte, zwei
Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte und zwei
Homer* von Charles Gounod und den nach-
folgenden schätzbaren Reproduktionen von
Mozarts Es-dur Konzert für Violine und Viola,
Beethovens Septett und Haydns Abschieds-
Symphonie. — Eine am Bußtag in der Thomas-
kirche stattgehabte Riedel- Vereins- Auf-
führung des Händeischen i^Messias*, bei der die
Sopran- und Tenorsoli von Elisabeth Blodgett
und Emil Pinks nicht ganz so befriedigend
schön wirkten, wie die Alt- und Baßsoli von
Adriennev. Kraus-Otborne und Dr. Felix von
Kraus» Heß an der trefflichen Wiedergabe der
meltten Chorsätze and an dem geschlosseneren
Zusammenwirken der Singenden und der
Instrumentalisten erkennen, daß der junge
Vereinsdirigent Josef Fem bau r ]r. bereits mehr
in Fühlung mit seinen neuen Aufgaben und mit
dem Ensemble der Mitwirkenden gekommen
war. — Im Früh Jahrskonzerte des von Moritz
Geidel geleiteten tüchtigen Männergetan g*
Vereins Concordia, in dem n. a. alt wirksame
Novitäten ein doppelchörlges «Benedictut* von
R. Succo, «Jugend* von ThuillOy ,,Tanzlied"
von Morley- Reger und «Frühlingsnetz* von
Gold mark erklungen sind, hat Arthur Fried-
heim mit dem faszinierenden Vortrage
Chopinscher und Lisztscher Kompositionen
stürmischen Beifall hervorrufen können. —
Als vielgefeierte Liedersängerinnen folgten
einander mit Volks-, Tanz- und Klnderllede^
Abenden die feinsinnige Susanne Destoir und
die anmutige Helene Staegemann, während
Philippine Landshoff, die zu Ludwig Lands-
hof fs trefflicher Begleitung auf einem alten
Streicherschen Wiener Klaviere an zwei
Abenden «Gedichte Goethes in der Musik seiner
Zeit* und «Geistliche und weltliche Lieder aus
dem 18. Jahrhundert* zum Vortrage brachte,
eigentlich doch nur durch die Seltenheit Ihrer
Gaben, nicht aber auch mit Ihrem stimniich
unvollkommenen Singen zu befriedl^n ver>
mochte. Manche von den durch das Kfloitlerpaar
Landshoff neu bekanntgegebenen Kompo^tlonen
— so insonderheit einzelne Lieder von Ph. H.
Erlebach, Joh. Adam Peter Schulz, G. Ph. Tele-
mann, G. Benda, Fr. W. Rust, W. J. Tomatebek
und Joh. Fr. Reichardt — verdienten wahrlkli,
zu neuem Leben erweckt zu werden. — Guz
unbefriedigt ließ das Singen von Marie Hanke»
und ihrer Konzertpartnerin, der jungen Gelgeria
Adele Stöcker, sowie auch dem mltbeteillmn,
ulentbegabten jungen Komponisten Friti
Brun, der eine selbstgemachte d-moU-Smiate
für Klavier und Violine vorführte, hat man zu*
nächst die Erlangung größerer Reife zu wQoscbea.
— • Die junge Meistergeigerin Kathleen Parlow
begegnete jubelnder Aufnahme auch hei ihren
dritten Konzert, in dem die mit Talent und
Temperament ausgerüstete, aber nodi nicht
ganz dispositionslihige Pianistin Maria ÄTani-
Carreras mitwirkte, und groß war die Freude,
mit der man neuerdings dem adligen Violln-
spiel Willy Burmesters lauschte, in dessen
populärem Konzerte sich der tiegieiteDde
Emeric Stefaniai mit Solostücken von Uszt
und Chopin als interessierender Pianist erweiien
konnte. — Der warmtonige Geiger Alessandro
CertanI und der noch allzu äußerlich -▼irtaot
spielende Pianist Alfred Calzin fesselten sa
ihrem gemeinsam veranstalteten KaufliaasidieBde
vornehmlich mit der Vorführung einiger al^
italienischer Sonatenkompositionen von Veradnl
(darunter eine Manuskriptsonate in E^dnr. be-
arbeitet von Respighi) und von dessen berfthm*
terem Zeitgenossen Porpora. — Brutal und sSftlich
zugleich gab sich der künstlerisch-unkuldvlc^
Klavierspieler Waldemar von Grigorowitsch-
Barsky, — vertrauenerweckend mntetsdieder
Meisterschaft zustrebende Klavierspieletin Dslla
Thal an, — starke Wirkungen ersielte disa^
etwas zügellos in die Tasten stfimende Ttfeslts
Carrefio-Blols, der großen Carrefio tntait»
und temperamentgesegnete Tochter, nnd Drttiad-
125
KRITIK: KONZERT
M
lieh sprach das wohlgehildete, für die Ecksätze
des Tschaikowskyschen b-moll Konzertes aller-
dings nicht genfigend schwungkrifiige Spiel
Marie Kaufmanns an, der als Leiter des
begleitenden Winderstein-Orcbesters und als
sehr gewandter Orchesterinterpret einer hüb-
schen ,, Russischen Lustspiel-Ouvertüre* von
Ivan Knorr und der Brahmsschen »Variationen
fiber ein Thema von Haydn* ihr vortrefflicher
Lehrmeister Carl Priedberg zur Seite stand. —
Fredertc Lamond überzeugte mit edlen Dar-
bietungen dreier Klavierkonzerte von Brahms,
Beethoven und Liszt neuerdings von seiner
schönen Meisterschaft und seinem hohen Kunst-
ernste und begegnete auch mit der Vorführung
seiner liebenswOrdigön Ouvertüre »Aus den
schottischen Hochlanden* einigem Interesse.
— Mit der an Eugen d'Alberts pianistiscbe
BlQtezeit gemahnenden Vollkommenheit und
Schönheit seines Spieles begeisterte Wilhelm
Backhaus, der in einem ersten eigenen Abende
die Klavierkonzerte in a-moll von Schumann,
in f-moU von Chopin und in fls-moll von
Reinecke zu herrlichstem Erklingen brachte. —
Schließlich ist auch der funfundzwanzigjlhrigen
Jubelfeier zu gedenken, die hier das am 18. März
1883 von Kantor Bruno Roth ig gegründete
»Soloquartett für Kirchengesang" (Clara
Röthig, Else Schneemann, Bruno Röthig
und Eugen Tannewitz) feiern konnte, nachdem
es mit ca. 1200 geistlichen Musiksufführungen
das deutsch-evangelische Lied durch vier Erd-
teile getragen und damit bereits eine Viertel-
million Mark für Zwecke der christlichen Liebes-
titigkeit ersungen hat. — Eine von dem Verleger
Daniel Rahter vor eingeladenem Publikum
veranstaltete »42. Musikalische Ausstellung*
vermittelte den Zuhörenden die Bekanntschaft
mit einigen wertvollen Gesängen von Walter
Rabl (»Passion* und »Schlafe, ach schlafe*),
Willf von Moellendoiff (»So einer war auch er,*
»Steigende Nebel* und »Die schwarze Laute*)
und Constanz Bemeker (»Vom kühnen Mtnstrel*).
Arthur Smolian
MADRID: In der nun zur Neige gehenden
Konzertsaison hat zweifelsohne der deutsche
Künstler Emil Sauer den Vogel abgeschossen.
Hat er es doch fertig gebracht, in drei Konzerten,
in denen nur Klaviervorträge zu Gehör gebracht
wurden, das Teatro de la Comedia jedesmal bis
auf den letzten Platz zu füllen. Emil Sauer
fühlt sich nicht nur als Virtuose, sondern auch
als Apostel, der den Geist unserer großsn
deutschen Meister ins Ausland tragen will.
Und wenn er bei diesem löblichen Werk auch
nicht stets vollem Verständnis begegnet, so
möge er bedenken, daß auch Rom nicht an
einem Tage erbaut worden ist, und daß das,
was er hier und anderwärts ausgesäet, doch mit
der Zeit Prüshte tragen wird. Von den zahl-
reichen Darbietungen sagte mir persönlich der
stimmungsvolle Voürag der Schumannschen
Phantasie (Op. 17) am meisten zu. — Das
Prances'sche Quartett hat auch in diesem
Jahre vier Kammermusik-Abende veranstaltet,
die sich dadurch auszeichneten, daß auch Werke
moderner spanischer Komponisten darin erst-
malig zur AufTührung gelangten. Erwähnt seien
die »Caprichos romanticos* von Conrsdo
del Campo. Das Temperament dieses
intelligenten und strebsamen Künstlers, der im
Quartett selbst die Viola spielt und sich schon
mehrfach in Werken dieser Art versucht hat,
ist echt spanisch, d. h. durch und durch
romantisch. Das Weh, für das es keinen Trost
gibt, und der Pessimismus, der im Leben nur
Schmerz und bittere, verzweifelte Tränen kennt,
finden in ihm einen beredten Interpreten. Denn
seine Seele empfindet nun einmal so und ergeht
sich am liebsten in den Formen schwermuts-
voller Poesie. Kein Wunder, daß er sich von
der Lyrik Becquer's mächtig angezogen fühlt.
Von ihr hat er sich denn auch bei diesen
Caprichos inspirieren lassen, von denen vor
allem der etwas phantastisch angehauchte zweite
Satz den größten Beifall erntete. Bei einigen
Kürzungen — um das richtige Gleichgewicht ber-
zustellen — ließe sich das Werk sehr wohl auch mal
in Deutschland, gewissermaßen als Probe dessen,
was man zur Zeit in Spanien auf diesem Gebiet
leistet, aufführen. — Der Erfolg dieser Quartett-
geselischaft hat einige eifrige Kunstjünger, erste
Preise des Konservatoriums, veraniaßr, sich zu
einem neuen Quartett unter der Leitung des
Violinisten Vela zusammenzutun. Frische,
Kraft und Natürlichkeit des Ausdrucks, treff-
liches Zusammenspiel und trotz der Jugend der
Mitwirkenden eine echt künstlerische Auffassung
erwecken die Hoffnung, daß von dieser Ver-
einigung für das musikalische Leben Madrids
noch hervorragendes zu erwarten ist, denn
nichts ist bekanntlich mehr geeignet, den
Geschmack des Publikums zu heben, als die
Kammermusikwerke der großen Meister. — In
diesem Monat stehen uns sechs Symphonie-
konzerte unter Leitung von Arbös bevor, der
u. a. als Neuheit einige spanische Kompositionen
von Villar, Arragui und Lavifka, sowie »Tod
und Verklärung* von Strauß bringen wird.
F. Matthes
MÖNCHEN: Man möchte so gern, um jede
denkbare Ungerechtigkeit zu vermeiden,
alle berücksichtigen, die unsere Konzertsäle mit
Musik, aber nicht mit Publikum füllen. Unmög-
lich. Ein Klaviertalent allerersten Ranges lernte
man in Wilhelm Backhaus kennen;die Leichtig-
keit seiner Hände ist fabelhaft; Brahms' Paganini-
Variationen und Chopin gelangen wundervoll;
seine Beethoven* Interpretation ließ kalt. Eine
sehr hoffnungsvolle Begabung zeigte sich auch
in einem der Kaimschen Volks-Symphonie-
Konzerte in Emmy Braun; ihre Technik ist
für ihre Jugend schon ganz ausgezeichnet ent-
wickelt. An Klavierabenden war auch sonst kein
Mangel. Paul Goldschmidt, Rösler, Boris
Kamtschatoff,J. C. Mynotti, E. Bach,Mabel
Martin, Ernst Riemann, vor allem aber der
feinsinnige Gabrilowitsch, der immer inter-
essante Lamond, und Dohnänyi, der Besten
einer, blieben mir in meist angenehmer Erinne-
rung. Die Schwestern Adamian (Baku) musi-
zieren auf zwei Flügeln recht nett und sauber,
ohne aber tiefere Anteilnahme zu erregen. —
Stürmischen Erfolg hatte wieder Felix v. Kraus
mit altitalienischen Gesängen und Schumann-
liedem, von Felix Mottl meisterlich begleitet.
Sehr freundliche Eindrücke vermittelte endlich
auch Hella Rentsch -Sauer (Sopran), nicht min-
der an zwei Abenden Karl Götz, der seinen
wohlgebildeten, klangvollen Bariton in den Diens
126
DIB MUSIK VII. 14.
anregender Programme stellte; neben seltener
geborten Franzseben Liedern brachte er u. a.
teilweise sebr anmutende Proben aus den Volks-
tonbefren der ,,Wocbe". Dr. Eduard Wabl
PARIS: Im zweiten Konzert Lamoureux, das
Fritz Steinbacb zu leiten hatte, war er
noch mehr Babobrecber, als im ersten, denn
er vermittelte die erste Bekanntschaft des
Pariser Publikums mit Max Reger, dessen
Variationen und Fuge Ober ein Thema Job. Adam
Htllers er mit Kraft und Feuer zur Ausführung
brachte. Dem Komponisten ging der Ruf voraus,
daß er zwar in Deutschland bereits eine hohe
Bedeutung erlangt habe, daß er aber auch als
grund«>ätzlicber Gegner Wagners und Richard
Sirauß' angesehen werde. - Das genügte, um In
Paris, wo Strauß als der einzige große Komponist
Deutschlands seit Wagner gilt, Mißtrauen zu
sien. Das Konzert war denn auch Verhältnis-
mißig schlecht besucht, und das neue Werk
wurde nur wenig beklatscht. Pfiffe mischten
sich ein. Die Beifallsspender suchten dagegen
zu reagieren, aber schließlich blieb doch den
Pfeifecn das letzte Wort — oder vielmehr der
letzte Ton. Die Kritik fand diesen Mißerfolg
verdient, weil Reger aus einem sehr unbe-
deutenden Thema zu schwere und vor allem
viel zu lange Folgen gezogen habe. Dem Vor-
wurf der Länge war Gbrigens Steinbach schon
zum voraus durch die Auslassung zweier
Vanationen begegnet, so daß diese Klage wenig
begründet war. Die Wahrheit ist die, daß die
Franzosen immer große MOhe haben, sich in
Musik zu finden, die nur Musik sein will.
Rogers erstaunlich polyphonisches und auch in
der Instrumentation abwechslungsreiches und
interessantes Werk bitte ihnen als Programm-
musik, etwa unter dem nicht unpassenden Titel
»Der überwundene Biedermeier* vorgesetzt
werden müssen, dann wire der Erfolg sicher
viel besser gewesen. Als eigene bescheidene
Gabe ließ Steinbacb außerdem sechs von ihm
selbst neuinstrumentieneTinze Mozarts hören.
Im letzten hat er die Scblittenglocken durch
wirkliebe Glockenbinder ausführen lassen. Das
fanden nun wieder Publikum und Kritik als frivol
in einem ernsten Konzert. Den Schluß bildete
die in Paris wegen ihrer Länge selten gegebene
C-dur Symphonie Schuberts, der Steinbach
durch einige nicht vorgeschriebene, aber gut
angebrachte Beschleunigungen einen neuen
Reiz verlieh. Eine Probe mehr hätte freilich
auch nichts geschadet. — Um hinter Chevillard-
Lamoureux und Sechiari nicht zurückzubleiben,
die im Saale Gaveau über eine vorzügliche
Orgel verfugen, die freilich bis jetzt am meisten
der Bachgesellschaft zugute gekommen ist, bat
sich nun auch Colonne im Chätelet eine
große Orgel zugelegt. Da aber die Feerie immer
noch dieses Haus allabendlich beherrscht und
das Konzert hier nur geduldet ist, so mußte sich
Colon ne mit einer beweglichen Orgel begnügen.
Cavaill6-Coll haben es übrigens fertiggebracht,
diesem Instrument musikalisch alles zu geben,
was man von einer großen Orgel verlangen kann.
Nur die übliche Omamentierung fehlt. Eingeweiht
wurde das neue Instrument mit der bekannten
c-moll Symphonie von Saint-SaCns, in der im
Andante die Orgel und im Finale ein mit vier
Hinden bearbeitetes Klavier eingreift, ohne den
Wert der übrigens achtungswerten Kompositloa
sonderlich zu erhöhen. Noch mehr zeigt» es
sich freilich in einer Phantasie für Orsel, Klarier
und Orchester von P6rilbou, daß sich die
Orgel eben doch viel weniger, alt das Klavier,
zu einer innigen Verbindung mit dem Orchester
eignet, weil sie zu sehr ein Orchester für sidh
ist. Händel, dessen Werke für Orgel und
Orchester populär geblieben sind, bat sich meist
mit einem abwechselnden Nacheinander be-
gnügt. — Im Konzert Lamoureaz ließ sich
Chevillard am 9. Februar durch den neuen
Direktor der Großen Oper^ Andr6 Messager,
vertreten. Soll man daraus schließen, daß dieser
die wahre Arbeit seines neuen Amtss gsni
seinem Kollegen Broussan überliflt? JedenfUls
zeigte er in der d-moll Symphonie Franck's,
daß er das Werk und die Proben ernst fenag
genommen hatte. Eine der Entstehung nach
schon ziemlich alte Neuheit dieses Konserts
war das kurz gehaltene cis-moll Klavlerkonsert
von Rimsky-Korssakow,dessen Stirke jeden-
falls nicht auf dem Gebiete der absoluten
Musik zu suchen ist. Das henrorrsgende Spiel
von Ricardo Vines konnte darüber nicht hte-
wegtäuschen. — Großen Zulauf und Erfolg hatte
der Geiger Enesco, der im Saale Gsveau mit
dem verkleinerten Colonne-Orchester bloß diel
Konzerte von Bach, Mozart (das neu entdeckte)
und Beethoven spielte. Obschon Enesco sucli
als Komponist sehr tätig Ist, hat er doch, wie
namentlich die zugegebenen Kadenzen bewiesen,
seine Technik noch mehr vervollkommnet und
sich namentlich einen reizenden Triller ange-
wöhnt.— Das Liederkonzert) für das bis jetzt Paris
ein sehr schlechtes Feld war, scheint sich nun
ebenftills hier einzubürgern. Der Saal der
Agriculteurs war bis auf den letzten Plats ge-
füllt, um Joanne Raunay-Beaunier zu hören,
die unter Begleitung des Meisters Faurd lier-
undzwanzig Lieder dieses feinfühligen Ton-
setzers mit dem zutreffendsten Ausdruck Ter-
trug. Da Verlaine dem Komponisten die meisten
und zusagendsten Texte geliefert hat, so wurde
der Gesang durch einen Vortrag des Kritikers
Beaunier, des Gatten der Sängerin, fil>er den
unglücklichen Dichter angemessen unterbrochen.
Beaunier fand sich veranlaßt, dabei des be-
rühmte Gedicht „Clair de Lune* herzusagen,
und, obschon er durchaus kein Deklamator vom
Fach ist, verstand man die Worte doch tIoI
besser, als im vorausgegangenen Gesang. Die
ungenügende Textaussprache Ist eben immer
noch ein Hauptfehler der fhinzösischen Singer
und noch mehr der Siiigerlnnen. — Die nnsge-
zeichnete, stets auf neue Taten bedachte Pianistin
Blanche Selva machte in ihrem letzten Konzert
bei Pleyel ihre zahlreichen und dankbaren Zu-
hörer mit einem neuen Werke Vincent d'lndy's,
einer ihr gewidmeten Klaviersonate in E-dur, be-
kannt, die sich an die klassische Einteilung hilt,
aber im einzelnen sehr frei bewegt. — Allen
Brahma Verächtern zum Trotz bat Armand
Parentauf das Programm seiner Kammermusik«
konzerte sämtliche Werke dieser Gattung g^
setzt, die Brahma je geschrieben, ohne eine
Abonnentenflucht zu erzeugen. Ganz im Gegen-
teil. Ein anderes Beispiel von systematischer
Beharrlichkeit hat die Pianistin Frau Riss-
Arbo au gegeben, indem sie In sechsi Kon-
127
KRITIK: KONZERT
zerteil den ganzen Chopin abwickelte. Auch
•ie fiand ein gleich beharrlichea Publikum. —
Einen ungewöhnlich günstigen Empfang bereitete
das Publikum des Konzerts Colonne einer
neaen Symphonie in F*dur des bis jetzt nur
als Organist der Madeleine bekannten Henri
Dalli er. Seine Symphonie entspricht ungefihr
der neoklassischen Norm von C6sar Franck, hat
aber von Saint-Saöns die Verbindung von je zwei
Sitzen entlehnt. Geschickte Abwechslung von
WSrde und Heiterkeit ist der Grundzug. Dallier
weiß genau, welche einfachen Tongruppen als
Motive des symphonischen Gewebes am zweck-
miiUgsten sind, und handhabt namentlich die
Blasinstrumente vorzQglich. Er begnügt sich
mit dem klassischen Orchester ohne Harfe,
Orgel, Klarier oder sonstige moderne Zutaten.
Er bat jedenfalls seinen Erfolg mit den recht-
schaffensten Mitteln errungen. Im gleichen
Konzert erschien als relativ neu das Konzert
von Brahma für Geige und Cello, vonThibaud
and Ca s als vorgetragen. Casals fand sich
überraschend gut in den polternden, echt ger-
manischen Humor, den Brahma hier dem Cello
zttwetot, und Thibaud lieferte einen möglichst
sfißeo Kontrast dazu. Das Publikum war ent-
zfickr. Ungnidig war ea bloß gegen die Sängerin
Georgette Leblanc, die in der berühmten Arie
»Trittes appröft* ans Rameau's ,,Castor und
Pollnx* and in einigen m3rstisch angehauchten,
zn aofflUIig orchestrierten Liedern von Gabriel
Fahre ein achadhaftes Organ durch Theater-
manieren za verdecken auchte. Am 23. Februar
brachte Colonne wieder zwei bedeutende Neuig-
keiten. Arthur Coquard, dessen volkstümlich
sentimentale »Troupe Jolicoeur" in der Komischen
Oper vor drei Jahren einigen Erfolg fand, ließ
in diesem Konzert den Schlußakt einer ganz
andera gearteten Oper »Omca* ausführen, in dem
AnuD, ein armenischer Volksbegiücker alter Zeit,
wie ein Prometheus bestraft und auf seinem
Felsen von der an ihn glaubenden Jungfrau
Omca getröstet wird. Coquard hat nicht nur
den Plan seiner Apotheose Wagner entlehnt,
sondern anch sein Leiimotivsystem. Der »Peuer-
zattl>er* hat auch ziemlich direkt auf ihn ein-
gewirkt. Das hindert aber nicht, daß die Arbeit
wirklich Beachtung verdient und das Anhören
dieses einen Aktes den Wunsch, das Ganze
anf der Bühne zu sehen, rege macht. Frau
Grandjean und der Tenorist Muratore von
der Großen Oper erwarben sich ebenso großes
Verdienst am den Vortrag, wie Colonne und
sein Orchester. Die andere Neuheit war ein
Noctame für Orchester und Klavier von Jean
Hnrö. Das von der Harfe und dem Celesta-
Harmonium onteratütste Klavier bildet da den
»idealistiachen Gegensatz* zu dem i^qualvoll
suchenden* Orchester, aber dieses im Programm
angegebene Thema kommt bei der Ausführung
nicht genug zur Geltung. Daa Ganze bleibt
konfha, obschon Hnr6, der nebenbei ein starker
Theoretiker ist, im Programm mitteilt, daß von
2X Takten 83 in e-moll und 55 in dem eng
verwandten G-dur stehen. Glücklicher Mann!
Er kann sich trotz aller Chromatik darüber
Rechenschaft geben, ob er in Dur oder in Moll
schreibt! Der Russe Kussewitzki erfreute und
überraschte noch mehr im gleichen Konzert
durch den Vortrag eines Fagottkonzertes von
Mozart auf dem Kontrabaß, der freilich nur in
einigen wenigen Baßnoten eine gewtße Ober-
legenheit gegenüber dem Cello dartun konnte.
— Im Konzert Sechiari wirkte am 19. Februar
Ferruccio Busoni mit, well man ihm ver-
sprochen hatte, eine große Komposition von ihm
für Klavier, Orchester und Chor zur Aufführung
zu bringen, aber die Proben mit dem Chor
fielen so schlecht aus, daß im letzten Moment
Busoni das d-moll Klavierkonzert von Mozart
an die Stelle setzte, daa leider unter diesen
Umständen sehr improvisiert zu Gehör kam.
Der Chor wurde immerhin für den erstmaligen
Vortrag von Brahms* Rhapsodie für Altsolo und
Chor sehr glücklich verwendet, und Busoni hielt
sich an Liszt schadlos. — Der russische Pianist
Marcian Thal borg spielte in einem eigenen
Konzert die selten gehörte und nur stellenweise
interessante Dantephantasie von Liszt mit gutem
Erfolg. Daneben stellte er als scharfen Kontrast
die sieben ersten Bagatellen Beethovens, die
übrigens trotz aller Einfachheit die Öffentlichkeit
sehr gut vertragen. — Der Lütticher Gelger
Joseph Debroux, der von allen Meistern dieaes
Instruments wohl daa auagedehnteate Reper-
torium besitzt, enthüllte auch dieamal wieder in
zwei interessanten Konzerten mehrere Werke
der altfranzöaischen Geigenschule, ohne die
Modernen deswegen zu vernachlissigen. Der
von Barth bearbeitete sechste slavische Tanz von
Dvorak gelang ihm besonders gut. — Madeleine
Trelli, zugleich Pianistin und Sängerin, spielte
mit dem Geiger Capet zusammen eine neue
Sonate dieaea Künstlers, deren gesangvolles
Adagio sehr ansprach. Pikant waren die vier
Meisterporträts für Klavier, in denen Pierre
de Br6ville mit schuldigem Respekt Faur6,
d'Iody, Cbausson und Franck imitiert hat.
Felix Vogt
WEIMAR: Der Liederabend von Isabel
Stuckey unter pianiatischer Mitwirkung
von Maria Pembaur befriedigte in keiner
Weise. Solche unfertige Darbietungen gehören
nicht in den anspruchsvollen Rahmen des
Konzertsaals. Ebensowenig die ja an sich ganz
reizenden, zum Teil einzigartigen Vorträge Laura
von Wolzogena, die in rafflnierteater Weise
entzückende Proben ihrer Kabarettkunst ablegte.
Nur die monotone Lautenbegleitung wiikte er-
müdend.— Den übrigen Veranstaltungen: dritter
Kammermusikabend dea Kraaselt-Quartetts
(Schuberts C-dur Quintett), einem Liederabend
von Agnea Stavenhagen unter Mitwirkung
dea Pianisten Riemann aowie dem zweiten
Abonnementskonzert der Hofka pelle unter
Raab es Leitung (Beethoven: c-moll Symphonie,
Weingartner: Serenade für Streichorcbeater,
Brahms: Rhapsodie für Altsolo, Männerchor und
Orchester) konnte ich leider krankheitshalber
nicht beiwohnen. Carl Rorich
1H*\
Tir beginnen mit einem Blatt, das des gewählten Vorwurfe wegen des Interesses
unserer Leser sicher sein dürfte: der Ansicht des Geburtshauses Palestrins's, des
größten Meisters der katholischen Kirche, in Palestrina (dem alten Prineste), nach einer
Zeichnung von Julie v. d. Lage, Berlin W. 50, Tauen tzienstraße 9. Frau v, d. Lage, die
uns mitzuteilen bittet, daß bei ihr Originaldrucke der Abbildung kiufllch zu erwerben
sind, verdanken wir folgende Erläuterungen zu der Zeichnung: Nel fabbricato intemo
di questa casa Nacque ed abitö Giovanni Pierluigi, Principe della musica. (In dem Inneren
Gebäude dieses Hauses wurde geboren und lebte Giovanni Pierluigi, der Fürst der Musik.)
So lautet die Inschrift an dem äußeren Torbogen, der den Eingang lu diesen halb ver-
fallenen Baulichkeiten bildet. Der stattliche Rundbogen über den steinernen Pfeilern
hat wohl bessere Tage gekannt und war schwerlich immer dazu bestimmt, Kühe und
Schafe hier ein- und ausgehen zu sehen. Ob niemals mehr als ein Fenster neben der
Doppeltür am Ausgange der Treppe war, entzieht sich unserer Vahmehmuag, doch Ist
jetzt das obere Stockwerk, sowie der Bodenraum nach vom vollkommen offen. Der
Raum vor dieser Wohnung Palestrins's, wie Pierluigi später genannt wurde, ist so eng, daß
keinephoiographischen Aufnahmen gemacht werden kSnnen, und ich mußte so dicht vordem
Bogen sitzen, daß die inneren Baikenlagen des Daches und der Decke des ersten Stockes
in fast unwahrscheinlicher Verkürzung sich zeigten. Eine Menge Kinder hatten sich
selbstverständlich um mich geschaart und belästigten mich sehr, aber ein halbwüchsiger
Junge warf sich zu meinem Beschützer auf. „Ich bin der Herr des Hauses", sagte er
stolz, „und Ihr dürft die signora auf meinem Grund und Boden nicht stören.' So war
es möglich, die Zeichnung zu vollenden.
Das Bild von Pauline Lucca gehört zum Gedenkartikel von Max Kadisch. Es
statnmt aus dem Anfang der 60er Jahre, also aus der Zeit, als die gefeierte Künstlerin
Mitglied der Berliner Hofoper war.
Es folgt eine Abbildung des unlängst ein Raub der Flammen gewordenen
Meining'-r Hoftheaters, von dem aus die „Meininger" seineneit ihren Siegesiug durch
so viele Länder angetreten haben Das kleine, freundlich snbelmelnde Haus mh der
geräumigen, für große Massenvorstellungen geeigneten Bühne, wurde am 17. Dezemberl831
eröffnet und bot 750 Personen Platz.
Dem Essay Paul Marsops im vorliegenden Heft fügen wir ein Portrilt Arlnro
Toscanini's bei.
Der Ausschuß für das in Wien zu errichtende Denkmal für Johann Strauß
hat sich für den von Prof Edmund Hettmer hergestellten Entwurf entschieden, den
wir heute im Bilde vorführen. Im Mittelpunkt steht die Figur des volkstümlichen
Meisters in jüngeren Jahren, umgehen von einem ungrmein wirkungsvollen Reigen, der
Strautl' Musik symbolisiert. Vorn lauschen das „Don au weih eben" und der HR>l>ni«nn'
den wundersamen Klängen. Das Denkmal ist für den Viener Stadtpark bestimmt. £s
wird 7,50 m hoch und 10 m breit und wird aus Siebenbürger Msrmor hergestellt Die
HauptHgur wird in Bronze gegossen und matt vergoldet. Vien wird also in absehbarer
Zeit eines der schönsten und eigenartigsten Denkmäler der Neuzeit haben.
Den Beschluß bildet das Porträt des berühmten Bühnensängers Anton Mltter-
wurzer (geboren 12. April ISIS zu Sterling in Tirol). Der besonders in den Opern
Marschners und Vagners hervorragende Bariton war von 1839—1870 Mitglied der Dres-
dener Hofoper. In der soeben bei Schuster & Loelfler erschienenen Briefpuhllkation
„Richard Wagner an Minna Wagner" schreibt der Bsyreuther Meister (Bd. 11, S. 130)
über den Sänger: „Wahrhaft erquickt hat mich, was Du über Mitterwuner schreibst
denn Ich halte diesen nun einmal für den eigentlich talentvollsten und mir am nächsten
stehenden unter allen mir bekannten Sängern".
Diesem Hefte liegt ferner bei das Exlibris zum 27. Quarulsband der .Musik'.
Nicbdruck our mir ■uidrückllchcr Erliabnli d« VerJa(ci feititicl
Alle Rechte, [n*beM>nden du der ObcrienunE, vorbchiliea
VenBiwonllchcr Schritilttrer: Kipcllmeluer Bcnibird Schuirer, Berlin V. 5T, BBIowtlr. 1071.
DAS GEBURTSHAUS PALESTRINA'S
nach einer Zeichnung von Julie v. d. Lage
PAULENE LUCCA
t 28. Februar 1908
^L^^IHK
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DAS ABGEBRANNTE MEININGER HOFTHEATER
ARTURO TOSCANINl
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ANTON MITTEBWURZEB
« 12. Aprir 1818
EXLIBRIS
für den 3. QuirulBband des VII. Jahrgangs
Bsnd 27 der MUSIK
DIE MUSIK -
MODERNE TONSETZER
HEFTS
Das Wahre und Echte scheint, ftls wenn
es so sein müßte und nicht anders sein
könnte. Sncht nach Originalität ist ge-
lehrter, grober Egoismus.
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 15
Erstes Maiheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W. 57, Bülowstrasse »07
CARL GOLDMARK
EINE SKIZZE
voa Richard v. Perger-Viea
I. Allgemeines
"^ebt euch keine Mfihe, ihr seriösen deulscben Opernkomponisten
^ der Gegenwirt, und, wenn schon geschrieben werden muS,
I bleibt doch mit euren Partituren hübsch zu Hause. Tagner
I erdrückt euch alle, und was ihr uns kredenzen wollt, sind
entweder zweite und dritte Abgüsse von seinem Zauberkraut oder klassiscb-
romantisches Zuckerwasser. Spart also Papier und Tinte und verleitet
nicht Direktoren, Singer und Kapellmeister zum zwecklosen Experimentieren I*
Diesen Mahnruf bekam man vor nicht zu langer Zeit mehr als nur
einmal zu hören, und es war auch ein Körnchen Wahrheit darin. Das
strahlende Licht von Bayreuth lockte ungeziblte Schmetterlinge an,
die sich daran die Flügel versengten und nach kurzem Dasein in den
Abgrund der Vergessenheit stürzten; ja, selbst in unseren Tagen gibt es
Immer noch derartige Unßlle zu verzeichnen. Das Paradies, das sich
Tagner durch die Verwirklichung seines Kunstideals geschaffen, hat
nJbnlich auch seine Erbsünde: die Unterjochung der Singstimme unter
das alleinherrschende Orchester und die damit verbundene Vertreibung
des Kunstgesangs von der Bühne. Aber ebenso, wie nach dem kirchlichen
Dogma der Stammvater des Menschengeschlechts schlie&lich zur Verherr-
lichung gelangt ist, müssen wir auch Tagner, als dem Adam der modernen
Mn^kdramatlker, eine solche rückhaltlos zuteil werden lassen; was sich aber
sein Genie erlauben durfte, ist für geringere Geister verderblich, und in ihren
HXnden wird der Apfel vom Baume seiner Erkenntnis mehr oder minder
nngenleSbar. Man darf aber nicht vergessen, daO neben dem oben-
erwlhnlen kleinen FlügelvSIkcben auch einmal ein Adler auftauchen kann,
dessen starkes Auge von den weithin leuchtenden heißen Strahlen nicht
geblendet wird, und der mutig die Schwingen ausbreitet, um in sein
eigenes luftiges Reich emporzusteigen. Carl Goldmark ist ein solcher
Adler. Er flog an der Bayreuther Leuchte nicht ZngstUch vorbei, ja, ab
nad zu leckte sogar die wabernde Lohe an seinem Gefieder, aber sie ver-
132
DIE MUSIK VII. 15.
sehrte es nicht und lenkte den starken Vogel niemals aus seiner eigenen
Flugbahn. Goldmark hat bewiesen, daß jener ängstliche Mahnruf auch
widerlegt werden kann, daß ein selbständiger modemer Stil bei der Oper
ernsten Genres noch möglich ist, und daß ein Bühnenkomponist der
Gegenwart nicht gezwungen ist, «Unsiegfriede* oder «Talmi-Rheingolde* zu
schreiben, um der Mitwelt dauerndes Interesse einflößen zu können.
Auch der Werdegang Goldmarks unterscheidet sich wesentlich von
dem aller dramatischen Tonsetzer der Jetztzeit und der Vergangenheit
Schon in den Instrumentalwerken, die er schuf, bevor er sich der Bühne
zuwandte, gelangte er verhältnismäßig rasch zu einer völlig selbständigen
Ausdrucksweise; er hat aber auch keine Jugendopem geschrieben, die man,
nach Webers drastischem Vergleich, wie Erstlingshündchen ersäufen muß.
Goldmark war ein zwar noch junger, aber doch völlig ausgereifter Mann,
als er den Plan zu einer Oper entwarf, die ihm später nicht nur allgemeine
Anerkennung erwerben, sondern die auch sein durch ihn selbst kaum
mehr übertroifenes Meisterstück werden sollte. In dem kleinen One
Keszthely am Ufer des Plattensees als zweiter Sohn unbemittelter Eltern
1830 geboren^), folgte er früh dem unwiderstehlichen Drange, Musiker zu
werden, und begab sich unter großen Schwierigkeiten nach Wien, wo er
von Jansa auf der Violine und von Gottfried Preyer in den Elementen
der Theorie als Schüler des Konservatoriums Anleitung fand. Als das
Sturm jähr 1848 die Pforten dieser Anstalt vorübergehend schloß, ließ sich
der von kräftigem Streben erfüllte Jüngling nicht vom Wege ablocken und
überließ sich eifrigem Selbststudium. Daß ihn des Lebens Notwendigkeiten
veranlaßten, in das Orchester eines Wiener Operettentheaters einzutreten
und gegen sehr mäßige Entlohnung musikalische Frohndienste zu leisten,
erscheint uns heute beklagenswert. Aber «es ward ihm zum Heil, es riß
ihn nach oben". Inmitten eines zwar nicht vorzüglichen, aber doch gat
geschulten Orchesters tätig, sammelte der junge Goldmark unbewußt
praktische Erfahrungen aller Art; bald waren ihm die instrumentalen Einzel-
wirkungen, die Mischung der Klanggruppen und deren dynamische Ver-
wendung kein Geheimnis mehr. Auch die Bühnenaifekte lernte er zur
Genüge kennen, obgleich die an dem «k. k. privilegierten Karltheater"
gegebenen Stücke keineswegs der ernsten Kunstrichtung angehörten. Schon
in diese Zeit fallen Goldmarks erste Kompositionsversuche. Mendelssohns
edle und gewinnende Tonsprache übte damals starken Einfluß auf die gßnm
Musikwelt aus, und es ist daher begreiflich, daß der heranreifende Ton-
') la zahlreichen Facbscbriften ist 1832 als Geburtsjahr angegeben. Goldmark
selbst, der seit Kinderzeiien nicht mehr im Besitz eines Geburuscheines war, stellte
erst vor kurzem aus ihm zugekommenen Familieopapieren die richtige Jahreszahl fest
133
VON PERGER: CARL GOLDMARK
Setzer, dem bis dahin noch Bach und Beethoven Bücher mit sieben
Siegeln blieben, ebenfalls diesem Zauber unterworfen war. Seine Jugend-
verke hat Goldmark wohlweislich in das Pult verschlossen, und auch schon
reifere Arbeiten, die als op. 1 und 2 hätten in die Welt treten sollen»
blieben ungedruckt. Erst mit einer Reihe von Klavierstücken, die den
Titel «Sturm und Drang" trugen, kam er vor die Öffentlichkeit. Ihnen
folgte ein Trio für Klavier, Violine und Violoncell in B-dur, dann
ein Streichquartett, das zuerst Hellmesberger, bald darauf auch die damals
in höchster Blüte stehende Florentiner Quartettvereinigung zum erstenmal
aufführten. Indessen hatte Goldmark durch ein von ihm selbst veranstaltetes
«Kompositionskonzert'' die Aufmerksamkeit neuerdings auf sich gelenkt.
Im Jahre 1862 erschien ein in großen Zügen entworfenes Streichquintett
mit zwei Violoncellen, und als 1864 die erste Suite für Klavier
und Violine bei einer Kammermusikproduktion Hellmesbergers zur Auf-
führung gelangt war, zweifelte niemand mehr daran, daß man es hier mit einem
ebenso kräftigen als auch eigenartigen schöpferischen Talente zu tun habe.
Nun erst (1865) betrat Goldmark sein ureigenstes Gebiet: das Reich des
farbenprächtigen Orchesterklanges. Ein effektvolles Scherzo (No. 1, e-moll>
noch weit mehr aber die von orientalischer Sonnenglut und üppigem
Blütenduft durchströmte Ouvertüre zu «Sakuntala", die 1865 zum ersten
Male im Programm der Wiener Philharmoniker Aufnahme gefunden hatte,
brachten dem Tonsetzer rauschende Erfolge; er selbst aber gelangte jetz|
zur Oberzeugung, daß er auf richtigem Wege und imstande sei, auch
größere und größte Kunstformen siegreich zu bewältigen.
So reifte in ihm der Entschluß, an die Abfassung einer Oper zu gehen, die
ihm zur Entfaltung seiner Gaben die günstigste Gelegenheit geben konnte. Die
morgenländische Sakuntala wies ihm den Weg; die berückende Gestalt
der Königin vonSaba trat auch ihm verführerisch vor das geistige Auge,
und die mit ihr verknüpfte Sage zog ihn mächtig an. Der Dichter
S. H. Mosenthal, dem es schon früher gelungen war, durch geschickte,
bühnengerechte Abfassung von Opembüchem die Bestrebungen dramatischer
Komponisten erfolgreich zu unterstützen^), kam den Wünschen Goldmarks
freundlich entgegen, der nun mit Feuereifer an die Arbeit ging. Aber
mehr als sechs Jahre verstrichen, bis das umfangreiche Werk vollendet
war, denn vieles mußte schon im Text eine Änderung erfahren, und der
Komponist selbst unterzog das von ihm Geschaffene einer unbarmherzigen
Selbstkritik. «Wenn ich aber" — ^ so äußerte sich Goldmark dem Ver-
fasser gegenüber — «über die mir zu Gebote stehende Kraft jemals im
Zweifel gewesen wäre, so gelangte ich damals zum vollen Bewußtsein, daß
^) u. a. Nicolai, ^^Die Lustigen Weiber von Windsor*.
134
DIE MUSIK VlI. 15.
i>iSB
ich mein künstlerisches Wollen zu verwirklichen vermochte. Noch niemals
hatte ich mich bis dahin im vielstimmigen Chorsatze oder gar im Aufbau
eines sich steigernden Ensemblesatzes versucht, aber dies alles wuchs und
gelang fast unbewußt unter meiner Hand." Die erste Aufführung der
»Königin von Saba" fand 1875 am Wiener Hofopemtheater statt. Eine
auserlesene Zahl der begabtesten Solisten: die Damen Materna und Wilt,
die Herren Walter, Beck und Rokitansky hatten die Hauptpartieen in
Händen und trugen zu dem ganz außerordentlichen Erfolg, der dem Werk
zuteil wurde, wesentlich bei. Diese Uraufführung nahm vier volle Stunden
in Anspruch; man schritt also zu (damals als notwendig erscheinenden)
Kürzungen. Die Stellen, die zu jener Zeit dem Rotstift zum Opfer gefallen
waren, werden jedoch unserem heutigen, an Dauerproduktionen jeder Art
gewöhnten Publikum längst nicht mehr vorenthalten.
Nach der Vollendung der «Saba* — wie der Komponist selbst sein
dramatisches Meisterwerk kurz benennt — fühlte er sich zu einer längeren
erholungbringenden Wanderung auf dem Gebiete der Lyrik veranlaßt.
So entstand (1878) die umfangreiche Symphonie «Ländliche Hoch-
zeit" und so manches Tonstück kurzer Form, wie das »Regenlied* für
gemischten Chor, die Männerchöre »Frühlingsnetz" und »Ein armer
Mann, ein braver Mann". Drollig erscheint es, daß das letztgenannte
Opus unseren, allen politischen Dingen völlig femstehenden Tonsetzer in
den Ruf eines Sozialdemokraten brachte, und daß ihm infolgedessen von
äer betreifenden »Partei" ein ganzer Stoß tendenziöser Texte eingeschickt
wurde, die aber, wie selbstverständlich, in den Papierkorb des Meisters
wanderten. — Nun folgten die »Frühlingshymne" für Singstimmen und
Orchester, die »Fuscher Gesänge" und eine Reihe von Liedern, unter
denen die vielgesungene »Quelle" zunächst genannt werden muß. — Auch
dem Instrumente, auf dem Goldmark seine erste musikalische Erziehung
genossen, und das ihn lange Zeit hindurch ernährt hatte, der Violine
nämlich, wandte er sich wieder liebreich zu; allerdings nicht um mit
Hand und Bogen, sondern um mit seiner Phantasie darauf zu spielen.
Damit entstand die schöne Piano-Violinsonate und das bald nachher
erschienene Violinkonzert in a-moll, das gegenwärtig im Repertoire eines
ernsthaften Virtuosen wohl kaum mehr fehlen dürfte. In bunter Reihe
ließ nun der Meister zahlreiche kürzere Werke verschiedenster Gattung
aus seiner Feder fließen. Den ihm befreundeten Gesangskfinstlem, unter
denen in erster Reihe die in der Öffentlichkeit noch nicht vergessene und
eigentlich auch bisher noch unersetzte Kammersängerin C. Gomperz-
Bettelheim steht, schenkte er eine ansehnliche Zahl von Liedern, die
teils bei Schott in Mainz, teils bei Senif in Leipzig erschienen sind, und
aus denen wir den Zyklus »Der wilde Jäger" besonders hervorhebea.
135
VON PERGER: CARL GOLDMARK
Aber auch die Pianisten gingen nicht leer aus; Goldmark widmete ihnen
die neuen «Novelletten", eine Sonate für Klavier und Violoncell
and das ebenso groß entworfene als wirkungsvolle Quintett in B-dur für
Klavier und Streichinstrumente. — Daß er auch gern seine Kraft dem
Orchester zuwendete, ist begreiflich; eine zweite Symphonie (in Es-dur)
reifte heran, und die Konzertouvertüren zu «Penthesilea", zum
«Gefesselten Prometheus'' und «Im Frühling" kamen in rascher
Folge ans Licht.
Nach elfjähriger Pause erst wurde das Verlangen gestillt, mit dem
die kunstliebende Welt einer zweiten Oper Goldmarks entgegenharrte.
Am 19. November 1886 hielt «Merlin" auf der Bühne der Wiener Hof-
oper seinen festlichen Einzug. Von den Gesangssternen, die einst der
«Königin von Saba" den Eintritt in die Welt bestrahlt hatten, war seither
so mancher erloschen; nur Frau Mater na glänzte noch als Vertreterin
der weiblichen Hauptpartie. Neben ihr stand Winkelmann als Merlin
heldenhaft da; Sommer, Schrödter, Mayerhofer und Reichenberg
fugten sich glücklich in das Ensemble ein. Ob nun die Erwartungen der
Wiener vielleicht allzu hoch gespannt waren, oder ob ihnen der Stil des
neuen Werkes, der sich von dem der «Saba" wesentlich unterschied,
Befremden einflößte — genug, «Merlin" fand bei den Opemfreunden nicht
einen so lebhaften und dauernden Anklang wie seine berückende Vor-
gängerin. Trotzdem hat auch die zweite Oper Goldmarks, ebenso wie die
erste, ihre Runde durch alle größeren deutschen Städte gemacht. Nach
einer Reihe von Jahren sah sich der Meister veranlaßt, seinem «Merlin"
teilweise eine neue Gestalt zu geben, in der das Werk 1904 zu Frank-
furt a. M. neuerlich und mit starker Wirkung in Szene ging.
Zwischen dem ersten Erscheinen des «Merlin" und der Vollendung
der dritten Oper Goldmarks steht abermals ein Dezennium. Ungeahnter
Weise hatte Goldmark das Reich der Sage verlassen und den Boden behag-
lichen Kleinbürgertums betreten; Dickens* gemütreiche Erzählung «Das
Heimchen am Herd" lieferte den Stoif, der sich in den Händen A. M.
Willners zu einem wirksamen Opembuch gestaltete. Goldmark hatte für
dieses musikalische Genrebild ganz andere, zartere Tonfarben auf der Palette,
die an und für sich alle äußerlich packenden Massenwirkungen, alle starken
dynamischen Opemeffekte ausschlössen. Aber unser Meister lieferte hier
den Beweis, daß er auch leisere Schwingungen der Menschenseele zum
Ausdruck zu bringen vermochte, und errang mit dem «Heimchen", das
4896 ebenfalls an der Wiener Hofoper mit den Solistinnen Renard und
Abendroth und den Herren Ritter, Schrödter und Reichenberg zum
erstenmal gegeben wurde, einen zwar nicht zündenden, dafür aber tie^
gehenden, nachhaltigen Erfolg.
136
DIE MUSIK VIL 15.
IM
Inzwischen hatte er auch auf dem Gebiete der selbständigen In-
strumentalmusik wieder neue Früchte gepflückt: die symphonische Dichtung
ySappho^, ein zweites Scherzo in A-dur für Orchester, eine zweite
Suite für Klavier und Violine, das Klaviertrio in e-moll und Tinze
für das Pianoforte zu vier Händen. Nach der Vollendung des «Heimchen*
entstanden ebenfalls wieder einige kürzere Werke, wie die Ouvertüre »In
Italien**, das bisher noch ungedruckte Orchesterstück «Zrinyi", ein Psalm
für Chor mit Instrumentalbegleitung, auch Lieder und Chöre, darunter
der wirksame a cappella-Gesang »Wer sich die Musik erkiest".
Die Entwickelungsgeschichte des musikalischen Dramas liefert mehr
als nur einen Beweis, welchen Einfluß die einer Oper zugrunde liegende
Dichtung auf deren Lebensfähigkeit nimmt. Auch dann, wenn wir die Werke
der bedeutendsten älteren dramatischen Tonsetzer betrachten, fallen uns merk-
würdige und oft warnende Beispiele ins Auge. Selbst Mozarts Genius konnte
den Dämon der Langeweile aus dem Libretto von «Cosi fan tutte" nicht ver-
treiben, und Webers prachtvolle Musik ging mit dem abgeschmackten Text-
buch der «Euryanthe** eine künstlerische Mesalliance ein, an der wir eigent^
lieh doch mit bestem Willen keine Freude haben können. Auch Goldmark
hat in dieser Beziehung einmal einen Fehlgriff getan, obgleich daran
nicht das Buch an sich, sondern der darin behandelte Stoff im allgemeinen
Schuld trug. Mit seiner vierten Oper »Die Kriegsgefangene* führte
er uns in die grauen Zeiten Homers zurück; sie behandelt eine, allerdings
wirksame Episode aus dem Trojanischen Kriege. Auch dieses Werk ist
reich an musikalischer Charakteristik, an gewaltigen Momenten; aber die
auftretenden Personen erregen unser Interesse nicht mehr in genügendem
Maße. So kommt es, daß diese, 1900 erschienene Oper bei ihrer hauptsäch-
lich von Frl. Renard und den Herren Reichenberg und Hesch getragenen
ersten Wiener Aufführung zwar einen ehrenden Beifall, aber trotzdem
in der Bühnenwelt keinen festen Boden fand.
Die Schaffenslust unseres Tondichters erlitt dadurch keine Einbufie»
Die plastischen, sympathischen Gestalten aus Goethes „Götz von Ber-
lichingen** beschäftigten jetzt seine Phantasie; er wußte die geeignetsten
Szenen des Dramas mit kluger Hand auszuwählen und zu einem bühnen-
gerechten Ganzen zusammenzufügen. Das Werk — das fünfte dieser
Art, das uns Goldmark geschenkt hat — erzielte überall, wo es über die
Bretter ging, einen starken, durchgreifenden Erfolg. Um so mehr muBte
es befremden, daß sich die Wiener Hofoper bis jetzt nicht damit beEafite
und den ausländischen Bühnen diese Triumphe teilnahmslos fiberlieB.
Die Magyaren, die den zwar innerhalb ihrer Landesgrenzen geborenen,
aber in Wort- und Tonsprache kerndeutschen Tondichter mit Stolz zu
den Ihrigen zählen, nahmen die Szenen aus «Götz* mit offenen Armen
137
VON PERGER: CARL GOLDMARK
aof und brachten eine glänzende Erstaufführung des Werkes — selbst-
verständlich in ungarischer Obersetzung — 1903 in der Königlichen Oper
in Budapest zustande. Frankfurt a. Main folgte bald mit der ersten deutschen
Anfffihrung nach, und andere größere Bühnen schlössen sich an, so daß der
Meister die passive Haltung, die das erste Institut der österreichischen
Monarchie dem neuen Werke gegenüber einnahm, leicht verschmerzen
konnte.
Goldmarks jüngste Oper hingegen, das «Wintermärchen", erlebte
im vergangenen Winter ihre erste Aufführung auf der Wiener Hofbühne.
Das Werk fand eine begeisterte Aufnahme, und alles staunte über die
Frische und Kraft, die sich in der Tonsprache des nun Achtundsiebzig-
jährigen geltend macht. Daß der Erfolg kein vorübergehender war, wird
durch die Tatsache bekräftigt, daß sich die Oper nun schon seit Monaten
im Repertoire erhält und andauernde Zugkraft ausübt. Nicht genug: man
erzählt sich, Goldmark hätte, durch die Aufnahme seines » Wintermärchen"
angeregt, bereits die Skizzen zu einem neuen dramatischen Werke fertig
im Pulte liegen.
Seit seinem schon in der Jugend erfolgten Eintritt in das Privatleben
ist das Dasein unseres Meisters in jener Gleichmäßigkeit verflossen, die
der schöpferischen Tätigkeit jedes Künstlers am förderlichsten ist. Gold-
mark genießt im Hause seiner Tochter die Behaglichkeit des Familien-
lebens. Er bringt nur die strengen Wintermonate in Wien zu; den größeren
Teil des Jahres verlebt er in Gmunden, an dem Ufer des malerischen
Traunsees, wo er seit siebenunddreißig Jahren dieselben zwei Zimmer eines
einfachen Landhauses bewohnt. Der sogenannten großen Welt und den
Salons, die man nur gar zu gern mit seiner Persönlichkeit verzieren
möchte, bleibt der Meister wohlweislich fern; dafür bringt er gern so
manchen Abend im engeren Kreise von treu ergebenen Freunden oder
Berufsgenossen zu. An äußeren Ehrungen fehlt es ihm natürlicherweise
nicht: der österreichische Kaiser hat ihm den Leopoldsorden, eine der
höchsten Auszeichnungen für Personen des Zivilstandes, verliehen. Unser
Tondichter ist gar selten mit diesem vielbegehrten Kreuzchen im Knopf-
loch zu sehen. Er trägt aber, wie Julius von Braunschweig in Grill-
parzers „Bruderzwist", unterhalb des Kleides, «dort, wo der Herzschlag
wärmt", jenen geheimnisvollen Orden, den nur der König aller Könige
verleiht.
II. Goldmark in seinen Werken
Schon in früheren Jahren ist die Sage von der Königin Saba's wieder-
holt zu Opemdichtungen benutzt worden. Der französische Tonsetzer
138
DIE MUSIK VII. 15.
Elwart hat ein solches Libretto in den vierziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts komponiert, und Gounod hat eine «Reine de Saba", zu der
ihm Barbier und Carr6 das Buch lieferten, in Paris zur Aufführung ge-
bracht. Beide Werke sind vergessen; erst Goldmark scheint, von Mosen-
thal unterstützt, dem an und für sich rein epischen Stoffe dramatisches
Leben eingeflößt zu haben. Wenn seine «Saba* eine mehr als dreiBig-
jährige Prüfungszeit sieghaft überdauert hat und auch gegenwärtig zum
ständigen Spielplan jedes größeren Opeminstituts gehört, so liegt die
Ursache davon nicht nur in deip glücklich erdachten Aufbau des Werkes,
sondern noch weit mehr in der charakteristischen und fesselnden Ton-
sprache, deren sich hier Goldmark bedient hat. Sowohl die Singstimme
als auch das reichbedachte Orchester machen von den Wirkungen modemer
Melodik und Harmonik ausgiebigsten Gebrauch; dennoch führt uns die
Musik in die orientalische Märchenwelt, zugleich aber in die Blütezeit des
israelitischen Reiches zurück, und insbesondere sind es die in richtiger
Art verwendeten rituellen Massengesänge, die der Oper ein nationales
Gepräge und damit auch besondere Eigenart verleihen. Die Singstimme
bewegt sich überall dort, wo sie nicht durch das rasche Fortschreiten der
Handlung zu rezitierender Deklamation gezwungen ist, in breiten melodie-
reichen Linien; sie verschmäht es nicht, an geeigneter Stelle auch dem
bei canto und sogar der geschmackvollen Verzierung Rechte einzuräumen.
Im Gegensatze zu den Bayreuther Dogmen läßt Goldmark auch hie und
da zwei oder mehr Solostimmen vereint erklingen oder stellt in Ensemble-
sätzen die Einzelstimmen dem Chor wirkungsvoll gegenüber. Von be-
sonderer Bedeutung sind die zahlreichen in sich abgeschlossenen Ton-
stücke; wir nennen gleich den ersten Wechselgesang Sulamith's mit dem
Frauenchor und die fesselnde Erzählung Assad's, femer den durch rhyth-
mische Gegensätze und charakteristische Motive ausgezeichneten Einzugs-
marsch der Königin und die sich anschließenden Ensemblesätze des ersten
Aktes. Am Beginn des zweiten Aktes, in der nächtlichen Stille des
Zypressenhains, bringt die Königin ihre leidenschaftlichen Empfindungen
in einem breit ausgeführten musikalischen Monologe zu beredtem
Ausdmck; die Dienerin Astaroth läßt einen melodisch seltsamen,
die Stimmung höchst anspannenden Lockruf a cappella erklingen, und, diesem
folgend, tritt der träumerische Assad mit der herrlichen C-dur Kantilene
9 Magische Töne, berauschender Duft" aus dem Gesträuch hervor. Beinahe
unmittelbar schließt sich der von Verlangen glühende Gesang der Königin
an, und die Szene steigert sich zu einem, größtenteils im unisono tönenden,
kurzen, dadurch aber um so effektvolleren Duett. In der darauffolgenden
Tempelszene behält naturgemäß der Chor die Oberhand; nur Salomon spricht
in einer freundlichen Kantilene ermutigend zu dem unglücklichen' Assad^
139
VON PERGER: CARL GOLDMARK
Einen gewaltigen Moment bringt uns die Enthüllung des Allerheiligsten;
in ein langes, auf H dahinschvirrendes Fortissimo der Geigen tönt aus dem
Hintergründe, wie in ringender Qual, das B der Posaunen; das im hellen
E-dur aufjauchzende Alleluja des Chors bringt jubelnde Erlösung. Das
darauffolgende Finale, die Verfluchung Assads, ist in bezug auf dramatische
und dynamische Wirkung der Höhepunkt der Oper. Am Beginn des
dritten Aktes entwickelt das Orchester in einer formvollendeten Balletmusik
seine ganze Farbenpracht; ein üppiges Bacchanale des Chors schließt die
Szene ab. Mit dem ihr folgenden Zwiegesang der Königin und Salomons
kommen die Solostimmen zu neuer Geltung, und die Fürbitte der
schvergekränkten Sulamith greift uns tief ins Herz. Noch einmal, im
letzten Aufzuge, äußert der Tonsetzer seine melodische Vollkraft; die
Abschiedsszene zwischen der Königin und Assad gehört zu den wertvollsten,
für die Sänger lohnendsten Partieen des Werkes. Nun stellt uns noch
das Orchester die Schrecknisse des Samums in packender Weise dar; der
Sturm legt sich; aus dem nahen Asyl der heiligen Jungfrauen schaUt tröstlich
ein Chor herüber, während Sulamith in einem kurzen, ergreifenden Wechsel-
Gesang den sterbenden Assad noch einmal an das treue Herz drückt.
Als die ,Saba^ ihren Triumphzug über die Opembühnen gemacht
hatte, sandte Felix Dahn eine Textdichtung «Der Fremdling'' an unseren
Komponisten. Dieser fühlte sich anfangs von dem Buche mächtig angezogen,
kam aber nach Vollendung des ersten Aktes zur Überzeugung, daß es damit
«doch nicht weiter ginge"*, und überließ die Dichtung dem Sänger Heinrich
Vogl, der sie auch zu Ende vertont und in München zur Aufführung ge-
bracht hat.
Den der Artussage entnommenen Stoff zu «Merlin'' sollte ursprünglich
ebenfalls Mosenthal einer textlichen Bearbeitung unterziehen. Goldmark
vermochte sich aber den von diesem gemachten Vorschlägen nicht
anzuschließen und wandte sich daher an den Schriftsteller Siegfried Lipiner,
dem es gelang, den Wünschen des Tonsetzers in besserer Form gerecht
zu werden. Unter allen Bühnenwerken Goldmarks steht «Merlin" noch am
meisten unter dem Einflüsse Wagners. Schon das Vorspiel läßt Nibelungen-
töne erklingen, und die breit ausgeführten deklamatorischen Stellen der Oper
haben mitunter ein stark Wagnersches Gepräge. Hingegen ist Goldmark
überall dort, wo der eigentliche Gesang in seine Rechte tritt, seiner eigenen
Ausdrucksweise völlig treu geblieben. Denken wir zunächst an den Lob-
gesang Merlins, an Vivianes leidenschaftliche Kantilene im ersten Aufzuge;
dann an die schöne Stelle «Mein Heiligtum, o Stätte sel'ger Ruh'" und an
die inbrünstige Liebesszene Merlins und Vivianes im zweiten Akte. Ganz
besonders reich ist der Chor bedacht; mit ihm erzielt der Tondichter ebenso
neue wie mächtige Wirkungen, und auch dem Orchester ist Gelegenheit
140
DIE MUSIK VII. 15.
geboten, ein eigenes Wort zu sprechen, wie u. a. im Tanz der Irrlichter«
bei der Erscheinung der Fee Morgana, bei dem Aufmarsch der Krieger
und vor allem in dem zauberisch klingenden Geisterreigen. Von
erschütternder Innigkeit ist die Schlußszene der Oper, der Tod der Liebenden
und die damit erreichte Erlösung Merlins.
Wie schon oben erwähnt, führt uns das »Heimchen am Herd* in eine
ganz andere Empfindungswelt und damit auch in ein völlig anderes Reich
der Töne. Das gewichtige, durch schwere Orchestermassen illustrierte
Rezitativ macht einem leichtflüssigen Parlando Platz, das stellenweise der
instrumentalen Unterstützung ganz entbehren kann. Die Solostimmen be-
wegen sich in feineren melodischen Konturen; nur dort, wo ein bestimmter
Anlaß vorhanden ist, wie z. B. bei der gemütvollen Erzählung Edward's
«Die Ferne winkt", geht der Komponist ins Breite. Selten, aber um so
willkommener, vereinigen sich die Solisten zum Ensemble; da ist wohl das
freundliche Quintett „Mein Herz erbebt' zunächst zu nennen. Goldmark
hat im „Heimchen'' auch drastische und humoristische Töne anzuschlagen
gewußt und mit dem protzigen Tackleton eine originelle Charakterfigur
hingestellt. Das Orchester übt mit dem in sich abgeschlossenen prSchtigea
Vorspiel zum dritten Akte unfehlbaren Effekt aus.
Auch in der „Kriegsgefangenen" finden wir ein Instrumentalstfick
von besonderer Bedeutung: die Einleitung zum zweiten Akte. Die Massen
des Chores kommen bei dieser Oper, deren Inhalt gemäß, zu weitgehender
Verwendung, wovon schon die zu Anfang stehende Bestattungsfeier Zeugnis
gibt. Im übrigen konzentriert sich das Interesse des Zuhörers auf die
beiden Hauptfiguren: auf den in ganzer Heldengröße erscheinenden Achilles
und die gefangene Briseis. Die letzte Szene, in der die Liebesflammen beider
gewaltig emporschlagen, und die sich zu einem Zwiegesang hehrster Art
steigert, bringt die Oper in glücklichster Weise zum Abschluß.
Die Szenen aus „Götz von Berlichingen'' sind das einzige Bühnen-
werk Goldmarks, das eine selbständige, äußerst frisch erfundene Onvertfire
hat. Leider kommt es in der Oper selbst nur selten zu einer breiteren
Entwickelung der Formen; man beobachtet, wie der Tonsetzer durch die
schon an und für sich reiche, hier aber noch in engeren Rahmen gepreßte
Handlung unaufhaltsam vorwärts getrieben wird. Darum eilt auch gleich
der erste Akt, auf Götzens Burg spielend, in rezitierender Rede und
Gegenrede hin und findet erst in dem schönklingenden Oktett „Dein Herz
ist rein** einen Ruhepunkt. Nicht viel anders ist dies in der szenisch
sehr lebendigen Rathaus-Szene und in den sich anschließenden Auftritten
am Hofe zu Bamberg. Erst im dritten Akte, in dem die dämonische Gestalt
der Adelheid in den Vordergrund tritt, und stärkere Akzente der Leiden«
Schaft zur Anwendung kommen — wie z. B. in der großen Szene mit
141
VON PERGER: CARL GOLDMARK
dem zu Buhlschaft und Verbrechen verleiteten Franz — gewinnen die
Solopartieen an Bedeutung. Im vierten Akte, der uns mitten in den Tumult
des Bauernkrieges stellt, herrscht, wie begreiflich, der Männerchor. Der
Tonsetzer hat hier die Zersplitterung der Singstimmen wohlweislich ver-
mieden und hält sie straff im Quartettsatze fest, mit dem er die stärksten
Effekte erzielt. Die Szenen steigern sich lebhaft und schließen mit einer
tollen Orgie ab. Höchst stimmungsvoll wird der letzte Akt durch das
nächtliche Walten des heimlichen Gerichts eingeleitet; ein Zwischenvor-
hang fällt, das in grellsten Tonfarben aufleuchtende Orchester bereitet die
letzte Szene vor: die Ermordung Adelheids durch den Femrichter. Hier
luOert sich noch einmal Goldmarks Vollkraft und widmet der dramatischen
Sängerin ein wahres Pracht- und Paradestück. Bedenklich ist es nur, daß
damit das Interesse des Zuhörers erschöpft wird, und daß die Hauptfigur
Götzens nur noch in einem lebenden Bilde erscheint, während das Orchester
mit einem kurzen Nachspiel die Oper abschließt.
Dem «Wintermärchen" liegt ein Textbuch zugrunde, das Willner
mit viel Geschicklichkeit nach Shakespeare*s Drama verfaßt hat. Goldmark
hat es mit einer ebenso wertvollen als leicht eingänglichen Musik ausge-
stattet; die Singstimmen sind in ihre vollen musikalischen Rechte eingesetzt
und bewegen sich häufig in prächtigen Kantilenen, ohne dabei den drama-
tischen Stil irgendwie außer acht zu lassen ; eine bedeutsame Rolle spielt
auch der Chor, der überall belebend eingreift. Im ersten Akte kommt die
auflodernde Eifersucht des Königs zu mächtigem Ausdruck; nicht minder
ergreift uns die Darstellung von Hermiones inniger Mutterliebe. Der zweite
Akt wird mit einem brillanten Vorspiel eingeleitet; dann senkt sich ein
Wolkenvorhang herab; die Zeit erscheint als allegorische Figur und läßt
in einem Melodram sechzehn Jahre an uns vorübergleiten. Die folgenden
Akte spielen sich verhältnismäßig rasch ab. Der Schluß, Leontes' Wiederver-
einigung mit der schwer gekränkten Hermione,ist von erschütternder Wirkung,
und die Musik schwingt sich dabei noch einmal zu voller Höhe empor.
Wir wollen nun der selbständigen Tonsprache des Meisters, wie sie ins-
besondere in seinen Instrumental werken zur Geltung gelangt, noch einige
Worte widmen. Sie ist selten eine rein subjektive und erweist sich überall
dort am wirksamsten, wo sie äußere Stimmungen und Empfindungen zur
Darstellung bringt. Goldmark erscheint daher auch in seiner absoluten
Musik weit mehr als Epiker denn als Lyriker, und diese Charakteristik
äußert sich auch in seiner ganzen Ausdrucksweise. Wir begegnen überall
einer eigenartigen, kräftigen Harmonik von oft weitgehender Kühnheit.
<Man denke an die beiden an einander prallenden Nebenseptimenakkorde am
142
DIE MUSIK VII. 15.
Anfang der «Penthesilea^-Ouvertürel). Obwohl der Meister auch von den
Reizen der Modulation ausgiebig Gebrauch macht, hält er doch an dem
Prinzip der Toneinheit fest und verfällt niemals in jenes unlogische Hin-
und Herschvanken, das uns in der modernen Sezessionsmusik nur allzuoft
begegnet, und das in uns ein an die Seekrankheit mahnendes Wehgefühl
hervorruft. Ganz eigentümlich ist bei Goldmark die Behandlung des
freieren Stimmenvesens. Bei seinem Kontrapunkt mögen sich Theoretiker
strengen Stils erschreckt bekreuzigen, aber er hat Pulsschlag und Kraft; von
einer mühsam ausgeklügelten Stimmenverwebung, die sich auf dem Papiere
imponierend ausnimmt, bei lebendiger Vertonung aber entweder unverständ-
lich oder kakophonisch wird, finden vir in Goldmarks Partituren nichts.
In formeller Hinsicht stellt er sich fest auf den Boden der Klassiker und
Romantiker; vir finden überall abgerundete AUegrosätze und in den lang-
sameren Stücken herrscht die leichtfaOliche Liedform. In seinen Ouvertüren
bewegt er sich freier, geht aber doch nie ins Schrankenlose. Goldmarks
bedeutendstes Orchesterverk ist, neben der schon früher besprochenen
,pSakuntala***Ouvertüre, zweifellos die Symphonie «Ländliche Hochzeit*.
Brahms äußerte sich über das Werk: »es väre direkt aus dem Haupte der
Minerva entsprungen". Schon der erste, in freier Variationenform ge-
schriebene Festmarsch ist reich an interessanten Gegensätzen; das schöne
»Brautlied" und die entzückende »Serenade" fesseln uns nicht minder, und
der übermütige »Tanz" erhält die Spannung des Hörers ungeschwächt bis
zum Schlüsse. Am mächtigsten wirkt aber die poetische Szene »Im
Garten" durch ihre bezaubernde Melodik und den die stärksten Akzente
der Leidenschaft schildernden Mittelsatz. Neben der »Ländlichen Hoch-
zeit" nimmt sich die zweite Es-dur Symphonie nur bescheiden aus, und
wir sehen an diesem Beispiel recht deutlich, wie weit Goldmarks schildernde
Kraft seine rein lyrische übertrifft. Wenn wir die Instrumentalwerke
mit Orchester ins Auge fassen, dürfen wir das erste Violinkonzert
(a-moll) nicht übergehen; es strotzt von edelster thematischer und
melodischer Erfindung, gibt zwar dem Solisten manch harte Nuß zu
knacken, sichert ihm aber bei entsprechender Ausführung rauschende Er-
folge. Die beiden Scherzi für Orchester gehen wohl allzusehr auf äußeren
Effekt los, aber sie verfehlen ihn auch nicht und werden deshalb in den
Konzertprogrammen stets als willkommene Intermezzi erscheinen.
Unter den Kammermusikwerken Goldmarks stehen die erste Suite
für Klavier und Violine und das höchst gelungene Klavierqnintett in
B-dur obenan. In beiden Werken ist der Stil völlig selbständig und nnbeei»-
fiußt; die Suite führt uns ganz den jungen, temperamentvollen Meister ent-
gegen, dem schon die schmerzerfüllte Sulamith und die sinnlich heiße Königin
unbewußt im Kopfe spuken. Das Quintett bietet einem Pianisten Ge-
VON PERGER: CARL GOLDMARK
legenheit, alle Vorzüge in helles Ltcbt zu stellen und, Wenn sieb aucb
dieses Terk vom Aafang bis zum Schlüsse ganz auf der Höhe erhält und
wenn auch der brillante erste Satz am meisten zündet, so geben wir dock
dem Adagio den Prei^; es ist wohl das empflndungsvollste und reichst-
klingende Tonstück, das Goldmark auf dem Gebiete der Kammermusik
geschaffen hat.
Mit Anton Rubinstein
ch lernte ihn früh kennen und traf mit ihm zusammen, so oft
er nach Wien kam, was ja häufig der Fall war.
Im Sommer 1860 mietete er in der Nflhe Wiens, in Neu-
valdegg, eine Villa und arbeitete fleißig an seiner Oper: ,pKinder
der Heide".
Eines Tages fuhr ich mit zwei Freunden — Geige und Violoncell — ,
mein neues B-dur Trio im Gewände, zu ihm hinaus. Rubinstein spielte
es mit den beiden, und sein einziges Urteil war: „Spielen Sie fleifiig
Mozart I"
Nach dem Mittagessen (es war bescheiden, die Gärtnerin besorgte
es) nahmen wir den Kaffee im Garten. Wir sprachen unter anderm von
den Beethovenschen Symphonieen, von dem ungewöhnlichen, in neueren
Symphonieen so seltenen Humor der „Achten". Da erklang plötzlich im
Nachbargarten ein Leierkasten, der gerade das Motiv des letzten Satzes
dieser Symphonie, aber im ^/^-Takt, als Walzer, spielte. Der Zufall war
belustigend, und wir lachten.
Es wurde Abend, und wir kehrten ins Klavierzimmer zurück.
Rubinstein setzte sich ans Klavier und phantasierte eine Weile plan-
los. Da nimmt er mit einem Male das ebengehörte Walzennotiv des
Leierkastens, der achten Symphonie auf und variiert es in mannigfacher
Weise, kontrapunktiert es im Basse, bringt es als Kanon, als vierstimmige
Fuge in einfacher Durchführung, dann wieder in zarte Liedform aufgelöst,
einmal in Beethovenscher Urform, dann als flotten Wiener Walzer mit
eigenartigen Harmonieen, um dann endlich ganze Kaskaden glänzender
Passagen, wahre Sturmfluten über das immer festgehaltene Thema hin-
stürzen zu lassen. Es war herrlich I Ich hatte eine solche Improvisation
nie gehört, eine Kunst, die ja leider gänzlich verloren gegangen ist.
Und wie spielte erl Wer nicht die d-moll Sonate oder die er-
schütternde Orpheusklage (zweiten Satz) des G-dur Konzertes Beethovens
145
GOLDMARK: ERINNERUNGEN UND BEGEGNUNGEN
von ihm gehört hat — hat nie Klavierspielen gehört. Noch lebt die
Erinnerung in tausend Herzen. Und, ach, wie lange wird es dauern —
und auch diese ist erloschen.
Es ist eine eigen tum liehe Erscheinung, daß einige unserer großen
Musiker den grand Seigneur so im Leibe hatten, daß er sich in ihrer
ganzen Lebensführung bemerkbar machte. Hierzu gehörten Richard Wagner,
Liszt und Anton Rubinstein. Brahms (der ja ein hübsches Vermögen
hinterließ) hatte gleich Beethoven die denkbar einfachste Lebensweise.
Wagners Bedürfnis nach vornehmer, behaglicher Umgebung ist bekannt.
In diesem Punkte ist für Liszt folgende kleine heitere Episode oder
Anekdote charakteristisch.
Auf einer Konzerttournee spielte er auch in einer kleinen Stadt, der
Saal war kaum ein Drittel gefüllt. Die Leute sind dort oft weniger neu-
gierig. Liszt, in bester Laune, spielt wie ein Gott; das anwesende Drittel
applaudiert wie rasend. Am Schlüsse tritt Liszt vor und sagt zu dem an-
wesenden Segment: «Darf ich mir erlauben, das verehrte Publikum zum
Souper einzuladen?*
Auch Rubinstein hatte wie gesagt diesen Teufel im -^Leibe. Während
seiner Anwesenheit in Wien als Direktor der Gesellschaftskonzerte hatte*
er jede Woche einmal ein Rout mit glänzendem Büfett bei sich. (Wie
ich hörte, zahlte er hierfür am Schlüsse der Saison 4000 fl. an die erste
Delikatessenhandlung Wiens — mehr als sein Gehalt.) An einem solchen
Abend spielte er seine Variationen für zwei Klaviere mit Liszt. Es war
ein eigentümlich schöner Anblick, die beiden größten Pianisten des Jahr-
hunderts am Klavier beisammenzusehen und zu hören; das dürfte sich
kaum oft wiederholt haben. — Liszt vergötterte er.
Leider umdüsterte sich sein sonst so neidloses Gemüt in seinen letzten
Lebensjahren mehr und mehr; ja, er wurde außerordentlich verbittert gegen
die Zeit und alle Welt. Er fühlte sich als Komponist vernachlässigt. Ab-
gesehen von Richard Wagner, dessen Kunstrichtung seinem Wesen fremd
gegenüberstand, hatte er auch einen verbissenen Groll gegen das glänzend
aufsteigende Gestirn Brahms. — Zur Gründung des jetzigen Tonkünstler-
vereins in Wien war eine stattliche Zahl hervorragender Musiker in den
Restaurationssaal des Musikvereins geladen. Liszt, Rubinstein, Brahms
waren anwesend und saßen beim Souper nahe beisammen. Da ließ einer
das Wort fallen: »Das Triumvirat*. Rubinstein sagte, auf Liszt deutend:
«Cisar*, auf sich zeigend: »Brutus*, und dann auf Brahms weisend:
«Lepidtts*.
Später trafen wir uns eines Abends bei Professor Julius Epstein^
VH. 15. 10
i4e
DIE MUSIK VII. 15.
Nach dem Souper gingen wir rauchend ins Klavierzimmer. Auf dem Plana
lagen unter anderen Werke von Richard Wagner und Brahma. Beim Anblick
dieser Werke erwachte sein Unmut, und er ließ sich in der heftigsten
Weise gegen beide aus — gegen Wagner sowohl wie gegen Brahms.
Ich erwiderte ihm: »Sie sind ungerecht, Sie kennen beide nicht Es ist
die Eigenart stark ausgeprägter Naturen, daß sie die anderen nicht erkennen,
wie mit Scheuleder vor den Augen nur ihren eigenen Weg gehen, nur
ihr eigenes Ideal sehen, aber nicht, was um sie vorgeht.* «Ach was,*
sagte er zornig, »Sie sind auch so einer; ich weiß, Sie sind als Komponist
viel berühmter als ich (,Saba^ und ,Ländliche Hochzeit^ machten gerade die
Runde), aber bis Sie ein Werk schreiben, schreib' ich hundert.* Wir
lachten alle über dies naive Geständnis, an das er selber — und mit Recht
— nicht glaubte. Ich umarmte ihn und sagte: »Rubinstein, Sie sind ein
großes Kind* — aber er war in Wahrheit ein großer, edler Mensch.
Mit Peter Cornelius
Im Jahre 1861 (oder 1862) gab ich In Wien ein Konzert mit eigenen
Kompositionen. Das war um diese Zeit der einzige Weg — wenigstens
für Unbekannte — wollte man in die Öffentlichkeit. Heute hat der nur
einigermaßen begabte Jünger keine Sorge, auch gehört zu werden. J%
selbst die sonst so schwerhörigen Theaterleiter nehmen jede nur halbw^g^
mögliche Oper (oder auch unmögliche), wenn sie nur die «UrauffQhrttng*
haben können. Das war dazumal anders. Das Publikum war skeptisch,
es wollte mühelos genießen und keine Rätsel auflösen; allem Neuen kam
man mit Mißtrauen entgegen, und neue Werke, kam doch eins, hatten
immer einen schweren Stand.
Brahms erzählte mir einmal, daß nach einer seiner Serenaden, die In
Leipzig durchfiel, die Mozartsche g-moll Symphonie mit Jubel aufgenommen
wurde.
Bald darauf kommt Rubinstein mit seiner «Ozean-Symphonie*, die
ebenfalls durchfiel, worauf abermals die Mozartsche g-moll Symphonie be«
jubelt wurde. Da fragt Rubinstein den Konzertmeister David: »Ist das-
hier in Leipzig schon statutarisch, daß nach einem mutmaßlichen DarchMl
immer Mozarts g-moll Symphonie gespielt wird?*
Ein klassisches Beispiel für die Schwierigkeit der Aufführung too
Novitäten um diese Zeit ist folgendes. Die Gesellschaft der Mnsikfreiinde-
in Wien schrieb einen Preis aus für die beste Symphonie. Der Prda^
hierfür war — die Aufführung in einem ihrer Konzerte, VolUL
tout. Den Preis erhielt Joachim Raff — er wurde aufgeführt.
147
GOLDMARK: ERINNERUNGEN UND BEGEGNUNGEN
Ich gab also mein Konzert, ffihrte unter anderem auch ein Streich-
quartett auf, und dieses sollte mir nicht bloß den Erfolg im Publikum,
sondern auch die Freundschaft von Peter Cornelius bringen.
Einen Tag nach diesem Konzert fand ich die Visitenkarten von Peter
Cornelius, Karl Taussig und vom Grafen Laurencin, dem Musikreferenten der
«N. Zeitschrift für Musik* (Brendel), auf meinem Tische liegen. Cornelius
hatte sich bekanntlich nach seinem Mißgeschick in Weimar nach Wien
geflüchtet. Am folgenden Tage suchte ich ihn auf. Er bewohnte ein be-
scheidenes Zimmer mit ebenso bescheidenem alten Klavier in der Vor-
stadt: «Unter den Weißgärbem*.
Er empfing mich mit den Worten: »Ihr Quartett, das ich vorgestern
hörte, hat mir den Wunsch, Sie kennen zu lernen, nahegelegt.* Und wer
konnte Peter Cornelius nahekommen, ohne ihn sogleich zu lieben I Sein
kindlich naives und doch so tiefes Gemüt, sein treues, warmherziges, offenes
WeseU) sein hochgebildeter, gekürter Geist mußten jeden sofort gefangen-
nehmen. Er erkannte in mir einen Jünger der neuen Zeit, wir waren
hierin gleicher Gesinnung und schlössen uns enger zusammen — er trug
mir später das «Du* an.
Cornelius schrieb damals schon an seinem «Cid*. Ich kam oft zu
ihm, wir tranken schwarzen Kaffee, und bei der Zigarre plauderten wir
gemütlich über Musik und musikalische Entwickelung und natürlich viel
über Richard Wagner; stand er doch schon im Mittelpunkte alles musika-
lischen Interesses.
Eines Tages lud mich Cornelius schriftlich zu einem wichtigen Er-
eignis ein. Richard Wagner hatte ihm die Aushingebogen des «Tristan*-
Klavierauszuges geschickt. Wir sollen ihn mit Taussig gemeinsam durch-
nehmen. Der Eindruck dieser «Tristan'-Aufführung wird mir unvergeßlich
bleiben. Karl Taussig, der später so Abgeklärte, Herrliche, war damals in
seiner Jugendlichkeit noch ein wilder Tastenstürmer, der noch fast Alles
mit stets offenem Pedale spielte.
Cornelius sang, aber nicht den Ton richtig, den er singen sollte,
sondern deklamierte nur so nebenbei und zog die Phrase von einem falschen
Ton zum andern hinauf — hinunter.
Nun denke man den »Tristan* im Jahre 1861! — In der langen
Zeit bis heute (1008) haben unsere Ohren vieles an Dissonanzen ertragen
gelernt, und »Tristan* erscheint wohl schon so manchem unserer Jüngeren
als überwunden. Aber damals war Mendelssohn noch der Moderne,
der Herrschende.
Nun, Taussig an dem alten, verstimmten Clavicembalo mit offenem
Pedale vom Blatt spielend, ebenso das immerwährende Miauen von
Cornelius — Gesang konnte man*s nicht nennen — und ^Tristan*, mit
10*
148
DIE MUSIK VII. tS.
seiner reichen, gSnzllch neuen und külinen Harmonlkl — ei war xnm
Steinerweichen. Nacb dem ersten Akt stand ich anf und aagte; ,H8rt
einmal, alle beilige Weihen, Tristan und Richard Vagner in Ehren —
aber das halte ich einfach nicht aus, mein Kopf ist voll zum Platzen.*
Die anderen mochten stillschweigend gleicher Meinung sein — das Klavier
wurde geschlossen. SpSter erzählte mir Cornelius, er habe Wagner auch
sein Bedenken geSuBert, ob er (Wagner) nicht doch in diesem Werke za
weit gegangen sei; worauf Ihm Wagner antwortete: ,Dn bist ein Esel.*
^^3—
Bald nach meinem Konzerte hatte Cornelius mich gebeten, ihm das
obenerwähnte Quartett zur Durchsicht zu leihen. Nach Wochen butterte
ich, als er auf Augenblicke das Zimmer verließ, in seinem dicken
Manuskriplbuch, das auf dem Klavier lag. Und was erblickte ich? —
Den ersten Satz eben dieses Quartettes, von seiner Hand eingeschrieben.
Ich war gerührt und erfreut von dieser seltenen künstlerischen Zustimmung
und stillen Anerkennung.
Als Ich das Stück von ihm zurückverlangte, sagte er mir, er habe es dem
Grafen Laurenzia gegeben, der darüber schreiben wolle, was auch geschah.
Als Ich es auch von diesem zurückverlangte, fand sich das Stück nichta
trotz allen Suchens, trotz meiner wiederholten Bitten — das Stück fand
sich nicht.
Da ging Ich selber einmal zu ihm and bat, doch einmal gründlich
nachzusehen; ich hatte keine Abschrift — er hatte es niemandem geliehen,
es müsse sich finden. Während nun Laurenzin in seinen Noten kramte,
die Kasten ausleerte, nahm ich aus Langewelle ein Notenheft vom Klavier-
stuhl — es war mein Quartett — er benutzte es als Unterlage und sali die
ganze Zeit darauf, ohne es zu wissen.
Cornelius verlieü bald darauf Wien — Ich sollte Ihn nie wiedersehen.
GUSTAV MAHLER
von Richard Specht-Wien
.Ich weiß für mich, daß fcb, solange Ich melD
Erlebnfa In Torten iDaammenhaaen kann, ge-
wiß keine Mailk hierflber machen wfirde. Mein
Bedürfnli, mich mualkallach (lymphonlacb) ant-
zaaprecben, beginnt erat da, wo die dunkeln
Empfindungen walten; alao, aozasagen an der
Pfonc, die in die .andere Teil' blnelnfOhrt,
die Telt, In der die Dinge nicht mehr durch
Zelt und Ort anseinanderhllen . . .'
Guatav Mahier
Direktionswechsel in der Wiener Hofoper. Veingartner ist gekommen,
Mntaler gegaagen. Mehr sls zehn Jahre Inog bat er ausgehslten und zu zeigen
versucht, wie dem unküostlerischen Gmndwesen des allabendlich spielenden
Theaters Icünstlerisch beizukommen sei und wie dem Opemalltig hohe Kanst-
hste abgerungen zu werden vermögen. Aber vielleicht hätte die doppelte
Zeit den VIenem nicht genügt. Ihn auszuhallen, dessen gaaze Art allen
wienerischen GrundinstlDkten fremd und feindlich ist. In anderen Fftllen
liebt man es hier, über solch unbequeme Menschen einfach nach kürzester
Frist zur Tagesordnung überzugeben: durch Totschweigen oder Totwitzeln,
Aber Mahler war auf solche Weise nicht zu .erledigen". Er hat Freunden
und Gegnern nie Zeit gelassen, sich über Ihn zu beruhigen, weil er selbst
sich niemals beschwichtigen lieD. Selbst beim scheinbar Vollkommenen
nicht: man denke an die MozartauFTührungen aus seiner ersten Wiener Zelt
und an die des Vorjahres; was damals in seiner ageistreichen Heiterkeil*
das Entzücken der Kenner war, hat sich in den letzten zyklischen Mozart-
darbietungen in einer Weise entmaterialisiert, vergeistigt und zu sublimer
Frendenkuast gehoben, dafi man vor einem bisher Unbegreiflichen stand.
Um ihn ist eine Atmosphire von stSrkslem geistigen SauerstofTgehalt.
Alles voll herrlicher Unrast, voll ImmerwXhrender Produktivität auch im
Kleinsten. Höchster künstlerischer Manomelerstand. Ein fortwährendes
Selbstverbrennen, ohne sich zu verbrauchen, — Im Gegenteil: ein Naturell,
dem die tchOpfarische Anspannung aller KrXfie nicht nur lebenspendend,
150
DIE MUSIK VIL 15.
sondern lebenerneuernd ist, das nur in Explosionen von Kampf and Arbdt
atmen kann, das sein Gestern ruhig auf dem Altar eines besseren Hente
opfert und fBr das Morgen immer ein gleiches zu tun bereit ist. Ein
ewiges »Problem*, das ein gemächliches «mit ihm fertig werden* in
herrischer und heiterer Unbekümmertheit verwehrt. Vielleicht ist das die
Ursache des ungeheuren Hasses gegen ihn: der Zwang immerwihrenden
Umlemenmüssens, die Unmöglichkeit eines sich AbflndenkSnnens, die freie
und große Art eines unerbittlichen Musikers, der in seiner KunsterfBllnng
nur die Gesetze seiner Kunst und niemals solche menschlicher «Beziehungen*
kennt.
Zehn Jahre lang ist diese ungeberdig fesselnde, aufreizend leucht«
kräftige Persönlichkeit der Mittelpunkt des Wiener kfinstlerischen Lebens
gewesen und hat ihm seinen Stempel aufgebrannt. Und jetzt, im Augenblick
des Scheidens, ist Mahlers Wirkung auf die Menschen noch immer die
gleiche, aufrührerische und unwiderstehliche und durchaus extreme. Alles,
was von ihm kommt, wirkt wie ein Ereignis. Die meisten wehren sich.
Wollen seiner Kraft nicht unterliegen. Meinen ängstlich, ihr schwichllches
Naturell müsse seiner furchtbaren Energie rettungslos verfallen und schlagen
blind um sich, ohne je sein Wesentliches zu treffen. Andere — and es bat
sich gelegentlich seiner Demission gezeigt, daß es die besten Geister dieser
Stadt sind — haben sich ihm völlig gefangen gegeben. Ihnen ist sein Werk
und seine Individualität so sehr zum Erlebnis geworden, daß sie die bloß
vernünftigen Einwände der — nicht immer durchaus mittelmäßigen —
Gegner gar nicht begreifen.
Für solches Erlebnis durch Darstellung zu danken, ist das söhönste
Recht nachschaffender Kritik. Man mag ihr immerhin Subjektivität vor-
werfen, aber ich bekenne, daß ich schon lange die sogenannte »Objektivität*
der Kritik für Talentlosigkeit oder Heuchelei halte. Man muß deshalb
nicht in jedes Thema, in jede Klangwirkung »seines* Tondichters Verliebt
sein und mag ruhig preisgeben, was nicht neu, vielleicht auch manches,
was nicht ganz persönlich ist. Nur daß es nie auf jene Dinge ankommt,
was andere Musiker schon gesagt haben, sondern auf das, was außer »ihm*
noch keiner gesagt hat. Was immer nur auf dem Wege subjektiver
Empfängnis an der Fülle und Stärke des seelischen Miterlebens erkannt
werden kann, niemals durch »objektive* Maßstäbe. Denn es bleibt dabei,
Kritik ist: ein Kunstwerk, gesehen durch ein Temperament.
Auf solche Weise möchte ich hier das Kunstwerk Gustav Mablers
»sehen*. Es geschieht nicht zum erstenmal, aber sein Wesen ist so reich,
daß dem Chronisten jedesmal, wenn er vor dem »Fall Mahler* steht, das
Glück veränderter Perspektiven zu teil wird. Ein Fall, der auch heute
wieder eintritt, wenn ich von der Warte der letzten Mahlerschen Werke
151
SPECHT: GUSTAV MAHLER
aus — der siebenten und der achten Symphonie — auf seine bisherigen
ScbSpfiingen zurfickblicke. Wenn sich auch deren Wesen und Wert an
sich nicht verwandelt hat — vom veränderten Standpunkt aus wird manches
zum Priludium, was einst schon ErffiUung schien und manches als un-
wesentlicher betrachtetes zum wichtigen Baustein in dem Gebäude, das
von flfichtigem Stift hier skizziert werden soll. Auf die Gefahr hin, ja in
der Hoffnung, ein nächstesmal den Grundriß aufs neue umzeichnen zu müssen.
Nirgends ist Biographisches so wenig angebracht, als beim schöpfe-
rischen Musiker. Biographisches in jenem Sinn wenigstens — und ein
anderer sollte fiberhaupt niemals in Betracht kommen — , daß durch die
Ereignisse seines künstlerischen Daseins sein Werk erst erklärt wird; daß
durch die Beziehung zwischen dem realen Erlebnis und der aus ihm
herausgereiften Kunstschöpfung erst das Weltbild durchsichtig wird, das
sich dem schaffenden Künstler geoffenbart hat. Aber während jedes Er-
lebnis des Dichters oder des Bildners sich wieder in reale Zeichen um-
setzt, — seien es nun solche des Worts oder der Farbe — beginnt das
Reich des Musikers, nach dem schönen, diesen Blättern vorangestellten
Wort Mahlers, erst dort, wo das Unaussprechliche zum Ausdruck kommt,
wo vdie dunklen Empfindungen walten*, und es wird ihm also auch nur
das in Worten nicht wiederzugebende Erlebnis zum Ton werden. Mehr
als jede andere Kunst ist die Musik Symbol. So wie der Gehalt des
Bildes armselig wäre, der mit dem bloß malerischen erschöpft werden
könnte,rund wie beispielsweise Böcklins »Schweigen im Walde* nur dann
ganz erfaßt werden kann, wenn hinter den Farben und Linien auch die
symbolische Stimmung des Werks empfunden wird, so wird auch kaum
ein wertvolles Werk der »absoluten Musik* bloß in seiner melodischen
Linienführung und seiner harmonischen Farbe ganz zu begreifen sein.
Auch das Werk des Musikers ist — wie jedes echte Kunstwerk — ein
Abbild der eigenen Persönlichkeit und als solches ein Stück Autobiographie;
aber es ist eine Biographie, die hinter den Ereignissen des Alltagslebens
verborgen liegt und die jede Entschleierung verwehrt.
Das gilt für Mahler in stärkstem Maß. Sein Werk ist durchaus
Selbstporträt, in jedem Takt und jedem Ton mit dem subjektiven Erleben
seines Schöpfers untrennbar verbunden. Aber nicht mit den äußerlichen
Daten, die hier als Notizen von bloß lexikalischem Wert in Schlagworten
wiedergegeben werden.
Geburtsjahr: 1860. Geburtsort: das deutscbböhmische Dorf Kalischt
bei Iglan. Wozu gleich zu bemerken ist: Mahler ist frühzeitig nach Wien
gekommen, hat hier seine humanistischen und musikalischen Studien vol-
lendet und hat dann, bei seinen Wanderfahrten als Kapellmeister — die
ihn von der Kurmusik in Hall angefangen über Kassel, wo er Gesangs-
t52
DIE MUSIK VII. 15.
possen zu dirigieren hatte, und über die Operntheater von Prag, Leipzig,
Pest, Hamburg bis ins Wiener Hofopemhaus fährten — kaum mehr die
Heimat gesehen. Trotzdem wurzelt seine Musik ganz in ihr. Ich sage
absichtlich »wurzelt*", denn die weit hinaus gestreckten Zweige ihres Baumes
sind mit allen Geistigkeiten und Kulturen unserer Zeit beladen. Dabei
aber ist sie durchaus österreichisch, ja oft spezifisch böhmisch. Das selt-
same Wesen der Mahlerschen Erfindung, der eine volksliedhafte Eingebung
nach der andern entströmt und eine solcher Art, daß man diese traurig-
schlichten, einfältig-innigen Weisen aus vergessenen Zeiten vertraut zu
kennen glaubt und dabei sicher ist, sie nie zuvor gehört zu haben —
dieses Wesen hat sicherlich seine Nahrung aus der Musik der böhmischen
Landstraße erhalten — die von Mahler wieder eingeführte Es-Klarinette
ist auch ein solcher «Landstraßen^ -Fund — und aus den Liedern der
Mägde und Soldaten, die der vierjährige Knabe zu hunderten zu singen
wußte. Ein Einfluß, fiber den ich an anderer Stelle ausfuhrlicher zu
sprechen Gelegenheit hatte. ^)
Weiter im »Biographischen^. Studiengang: Gymnasium, dann gleich-
zeitig Musik im Wiener Konservatorium und Philosophie an der Universität.
Bei aller Abneigung gegen anekdotische Ausschmfickung drängt es mich
zur Wiedergabe einer fiberlieferten Geschichte aus jener Zeit des Musik-
studiums bei Epstein und Krenn, des Verkehrs mit Brückner, und des in
heiterster Bescheidung, wenn auch ohne Entbehrungen, den gegebenen^ etwws
kargen Verhältnissen abgerungenen, fröhlich genießenden Kunstjfii%ertunis,
— weil mir die Geschichte symptomatisch scheint für Mahlers ungeheure
Spannkraft und Energie, für die unerhörte Art seiner Begabung und auch
für den schon damals erwachten Neid, den Haß und das Widerstreben
der engeren Kollegen, gegen die als unbequem und aufstörend empfundene
Eigenart des jungen Kunstlers. Es handelte sich um eine vom Konser-
vatorium ausgeschriebene Kompositionskonkurrenz, an der sich Mahler
mit einer Symphonie beteiligte, weil er durch den zu erringenden Preis
seinen Eltern den Beweis seiner berufenen Kühstierschaft geben wollte.
Einen Tag vor Ablauf des Einreichungstermins wird die Symphonie
vom Schulerorchester vor der Jury durchgespielt: ein heillos kakophonisches
Chaos, eine unkenntliche Mißklangsorgie kommt zutage. Es stellt sich
heraus, daß freundliche Mitschüler heimlich in Partitur und Stimmen be-
liebige entstellende Noten eingefügt hatten, um das Werk des Kollegen
zu disqualifizieren. Mahler ist verzweifelt; unmöglich, bis zum nächsten
Tag die Partitur wieder herzustellen und neue Stimmen kopieren zu lassen
^) Vgl. «Gustav Mahler' von Riebard Specht. No. 53 der von Dr. Hans Lands-
berg herausgegebenen »Modernen Essays^ Berlin, Verlag Gose & Tetzlaff.
153
SPECHT: GUSTAV MAHLER
— man kann die Stimmung des um seinen Wunsch durch albernste Ge-
hässigkeit betrogenen Jfinglings begreifen. Aber diese Stimmung ist nicht
von Dauer: er fiberlegt, daß bis zum Ablauf des Termins doch noch mehr
als zwölf Stunden übrig sind, rafft sich zusammen und konzipiert aus
schon gehegten Themen einen Streichquintettsatz — Freunde erzählen
sogar von einem ganzen Quintett — , den er über Nacht niederschreibt.
Und erringt damit den Preis.
Mahler selbst liebt solche Reminiszenzen nicht, und in Wahrheit
haben sie auch mit seiner Kunst nichts zu tun. Wohl aber mit seinem
Bilde, das aus solchen Zügen einer durch nichts zu brechenden, beinahe
ans Fanatische grenzenden Willenskraft deutlicher wird. Es hat sich im
Laufe der Jahre wohl noch verschärft; aber schon beim Jüngling über-
rascht dieses zähe Festhalten an dem einmal gesteckten Ziel und die
wunderbare Eigenschaft eines inneren Gleichgewichts, das weder durch
Hohn noch durch Gleichgültigkeit, weder durch Triumphe noch durch
völliges Einsamgelassenwerden zu erschüttern war: das stärkste Kriterium
wirklichen Berufenseins und in seiner Mimicry nur bei flachen Graphomanen
wiederzufinden, deren lächelnde Eitelkeit durch nichts angefochten werden
kann. Ein Mittelding gibts nicht. Und selbst wer nie einen Ton
Mahlerscher Musik gehört und bloß ihn selber einmal am Dirigentenpult
gesehen hat, wird unweigerlich wissen, zu welcher Art er zu zählen ist
und daß ein Zweifel hier nicht möglich sein kann. Daß zu solchem Aus-
harren ein unbedingter Glaube an die eigene Sendung nötig sein muß, ist
sicher; aber auch der stärkste Glaube hätte vor dem Sturm an Böswillig-
keit, Unverstehen, Schmähung und Spott irre werden können, den Mahler
erfahren bat.
Zum mindesten der Komponist Mahler. Denn der Dirigent hat sein
Auditorium immer augenblicklich in Fesseln geschlagen. Schon bei An-
gelo Neumanns «Nibelungen'-Aufführungen, dann in Pest, wo Mahler aus
einem zerrütteten Opemtheater in kürzester Zeit ein Künstlerinstitut von
weithin reichendem Ruf zu schaffen vermocht hat, in Hamburg und
besonders in den letzten zehn Wiener Jahren (1807 — 1007), die überdies
seine einstige überredende Gebärdendetaillistik und ihre faszinierende
Unrast zu wahrhaft imponierender Ruhe gebändigt haben, hat er unzählige
Male gezeigt, daß heute kein Orchesterleiter außer ihm die gleiche Gabe
des restlosen Ausschöpfens eines Tonwerks hat; die gleiche ungeheure
Intensität der Empfindung, mit der jeder Takt gleich einem wundervollen
Fluidum geladen ist; die magische Einheitlichkeit des ganzen musikalischen
Organismus, bei dem doch jede Einzelheit, jede unscheinbare motivische
Wendung derart lebt, daß man bei jeder Mahlerschen Interpretation wieder
aufs neue den Eindruck hat, die gerade von ihm dirigierte Schöpfung jetzt
^ . ^
154
DIE MUSIK VII. 15.
erst ganz zu kennen und sie zum erstenmal in vollem Erhsten ihres
Melos gehört zn haben. ^Deutlichkeit ist alles in der Musik*, hat er ein«
mal gesagt. Was man erst ganz versteht, wenn man ihn am Werk gesehen
hat und spQrt, daß es sich nicht nur um die »gemeine Deutlichkeit der
Dinge* handelt, sondern um das Transparentmachen der sublimsten Geistig*
keit jedes Werks. Hier hat seine tyrannische Kfinstlerschaft, die keine
Ermfidung und keine Bequemlichkeit kennt, seine beunruhigende Macht des
Persdnlichkeitswillens, die vielleicht manchmal sogar zu tief bohrende
Eindringlichkeit plastischer Musikgestaltungskraft und seine ungehenre,
ekstatische Suggestionsfähigkeit Eindrücke ausgelöst, die jedem als einzig-^
artig und unauslöschlich in dankbarem Gedächtnis bleiben. Eindrficke, wie
sie übrigens dem Komponisten allmählich auch gewährt zu werden scheinen.
Wer Mahlers Schaffen mit Liebe verstehen lernen will, wird zuerst
nach seinen Liedern greifen müssen. Nicht bloß deshalb, weil eine große
Zahl seiner symphonischen Sätze aus seinen lyrischen Gebilden herans
entstanden ist und also auch aus ihnen heraus erst ganz zu begreifen sein wird,
sondern vor allem darum, weil diese intimeren Schöpfungen der eigentliche
Schlüssel zu der Vielfalt dieser künstlerischen Psyche sind und weil sie
über das dichterische Element und die seltsam reizvolle Kontrastierung
höchster musikalischer Kultur/ subtilster Stimmungsfcondcy^ation und hold-
ursprünglicher, naiver Volksliedhaftigkeit der Erfindung in dieser Knnst
den dentlich^ttn Aufschluß geben.
Sie sind in zwei Gruppen zu teilen: in die kleine der Klavierlieder
und in die große der Gesänge mit Orchesterbegleitung, die ihrerseits wieder
in drei durch Stil und Stimmung durchaus gesonderte Liederkompleze zer-
fallen: die »Lieder eines fahrenden Gesellen* nach eigenen Dichtungen,
die Lieder nach »Des Knaben Wunderhom* und die nach Rückertschen
Gedichten.^)
Die Lieder mit Klavierbegleitung — sie sind in drei Heften bei
B. Schott's Söhne in Mainz erschienen — sind gleichsam das Vorspiel zu
allem folgenden. Mit ungemeiner Bestimmtheit ist schon in ihnen der
Ton angeschlagen, den man in den späteren Schöpfungen als spezifisch
Mahlerisch empfindet; jene ungesuchte und fast unbegreifliche Selbst-
verständlichkeit, die den Eindruck erweckt: wenn jedes dieser Gedichte
uns als altes Volkslied überliefert wäre, so müßte eben dies die Melodie
^) Die »Lieder eines fahrenden Gesellen* und die nach »Des Knaben Wunder-
hörn* sind bei Josef Weinberger, Wien, erschienen; eine zweite Serie »Wnnderhoni*-
gesinge und die RQckertlieder, sowie die 6. Symphonie bei C. F. Kahnt NadiMgsr,
Leipzia; die 1.— 4. Symphonie in der »Universal-Edition*, die 5. bei Peters in Leipsig.
-»;!*'
155
SPECHT: GUSTAV MAHLER
81
mdBO
8ein, za der es gesungen worden ist. Ein Ton, dessen .Bezeichnendes in
zwei Arten von Liedern zutage tritt: in den grausig gespenstigen, balladen-
haften Nachtstücken und in jenen, in denen ein lieber, kindlicher und
ursprünglicher Humor sein Wesen treibt — oft ganz holzschnittmißig derb,
oft wieder von einem krauset^ Übermut, wie ihn Gottfried Keller manch-
mal liebt. Ffir jene ist vielleicht das schaurig ergreifende «Zu Straßburg
auf der Schanz'* das charakteristischeste; ein Präludium zu der späteren
grandiosen »Reveille* — die ihrerseits in ihrer geisterhaften Phantastik
und ihrem unheimlichen schwarz-in-schwarz stimmungsverwandt mit der
prachtvollen ersten Nachtmusik der siebenten Symphonie ist — und
vielleicht noch mehr zu dem erschfittemden «Tambourg'sell*; für. die
heiteren das allerliebste «Ich weiß nicht wie mir ist*, «Hans und Grete*,
oder das köstliche «Kuckuck hat sich zu Tode gefallen*, das in dem graziSs
bizarren, von heimlichen Waldstimmen durchflfisterten Scherzo der dritten
Symphonie seine orchestrale Auferstehung gefeiert hat. Merkwürdig und
wesentlich übrigens, daß diese ganz eigenartige Färbung sich sofort
abschwächt, wenn es sich um moderne Gedichte handelt (Richard Leander u. a«),
und daß sie sich am singulärsten schon hier in den Strophen aus »Des
Knaben Wunderhom* meldet.
Das «Wunderhorn*, diese unerschöpfliche Fundgrube primitiver
Poesie und ein unvergleichlicher Hort dichterischer Naturlaute der Volksseele,
ist in Mahlers Schaffen zu höchster Bedeutung gelangt. In der musikalischen
Wiedergeburt dieser Naturlaute hat er den eigentümlichsten Laut der eigenen
Seele entdeckt und den entscheidenden Ausdruck seines Wesens gefunden.
Nicht daß es des glücklichen Zufalls unbedingt bedurft hätte, der dem
Musiker das Volksbuch als Träger seiner Töne entgegenbrachte: ich habe
schon früher einmal darauf hinweisen dürfen, daß Mahlef in den «Liedern
eines fahrenden Gesellen*, die schon lange entstanden waren, ehe er
«Des Knaben Wunderhom* kennen lernte, i^knz unbewußt den gleichen
dichterischen Ton entdeckt hat, und daß jedes dieser «Gesellen*-Lieder
in der Amimschen Sammlung stehen könnte, ohne daß eines von ihnen
dem Kenner als unecht auffallen müßte. Daß er im Volksbuch dann
vorgebildet fand, was er früher instinktiv aus sich heraus dichterisch ge-
staltet hatte, war ein Glücksfall; aber die Dichtungen zum «Klagenden
Lied* — dieser in der Sicherheit des Wurfs erstaunlichen und in Einzelnem
von schmerzlich-süsser Sagenstimmung erfüllten Ballade (für Chor, Soli
und Orchester) des Achtzehnjährigen — und ebenso die zum «Fahrenden
Gesellen* beweisen unwiderleglich, daß das Ausbleiben solchen Glücksfalls
höchstens ein Retardieren, sicher aber keine Änderung in der Entwicklung
des Künstlers bedeutet hätte.
Es ist schwer, keine Polemik zu schreiben, wenn man des äußeren
156
DIE MUSIK VII. 15.
Schicksals des Mahlerischen Werkes gedenkt ; aber schon das ethische und
ästhetische Reinlichkeitsgefuhl im Verein mit der Empfindung deprimierender
Aussichtslosigkeit jeglichen polemischen Beginnens hält mich davon ab,
diesen Blättern, gleichsam als Randzeichnungen, den skurrilen Reigen
kleinlicher Gegner und ihrer armseligen Manipulationen beizufügen. Davon
also nichts. Aber es stimmt bitter, wenn man — um nur ein Beispiel
anzuführen — in den erlesenen Schätzen dieser Wunderbomlieder
blättert, wenn man sich an dem ahnungsvoll traumentrückten «Der Schild-
wache Nachtlied*, dem trotzig stolzen »Lied des Gefangenen im Turm*,
dem lieblich lockenden «Rheinlegendchen*, der — später zum Scherzo der
zweiten Symphonie gewordenen — überlegen ironischen »Fischpredigt des
heiligen Antonius*, dem im reinsten melodischen Quell strömenden sehn-
suchtschweren »Wo die schönen Trompeten blasen*, oder dem herir
zerreißenden »Irdischen Leben* begeistert und daran denkt, daß all diese
in ihrer Erfindung berückenden und mit souveräner Meisterschaft orchestral
charakterisierten lyrischen Kunstwerke jahrelang unbeachtet blieben. Mehr:
daß von diesem ersten Versuch der Schöpfung des Liedes mit Orchester-
begleitung an und seit diesem Erschließen der Köstlichkeiten aus »Des
Knaben Wunderhom* die besten Musiker unserer Tage — Strauß, Pfitzner,
Hausegger — das orchestrale Mittel intensiverer und eindringlicher leuchten-
den Stimmungsmalerei ergriffen, daß von da ab nicht nur Tondichter wie
Reger und Streicher, sondern eine Schar berechnender, das Ihnen ver-
drießlich Neue durch Kompromisse abschwächender Liederkomponiston
das »Wunderhom* ausbeuteten und mit der Form des Orchesterliedes nnd
dem poetischen Inhalt des »Wunderhom* Erfolge über Erfolge einheimsten,
die dem Schöpfer der Gattung versagt waren. Und noch mehr: daß dieser
Schöpfer, als sein Werk breitere Schichten eroberte, als der Nachahmer
jener galt, die seinen Gedanken in gangbarere Scheidemünze umgesetzt
hatten. Tragikomödie des Schicksals. Wenn auch zum Glück eine, die
ephemer bleiben muß und keine Bedeutung für einen hat, dessen Wesen
und Werk schwer genug wiegt, um nicht auf die Dauer beiseite geschoben
werden zu können. Er kann warten . . .
Genug davon und zurück zu den Werken selbst, in deren tönendem
Widerhall das Leben ihres Schöpfers zu spüren ist. Sein naiv kindlicher
Frohsinn, die freie und reine Männlichkeit seiner bildhaft in Tönen gestalten-
den Kraft, seine Sehnsucht und Angst vor den Rätseldingen des Daseins
in den » Wunderhom *-Liedern; sein subjektiveres Bekennen, seine gerelfte
Weltabkehr, die stille Freudigkeit des mit Willen einsam Gewordenen, sein
in vertrauender Liebe errungenes Meistern eigenen Lebens in den Rückert-
gesängen. Dort alla prima-Malerei mit kühnem Pinsel und leuchtstarken
Farben hingeworfen ; hier verhauchende und verschwimmende Stimmungen,
157
SPECHT: GUSTAV MAHLER
versonnenes und verhaltenes Hintriumen in innerlicb erobertem. Ober
Welt und Tag hinlächelndem Frieden — sublimste lyrische Extrakte,
leine, zerbrechliche Dinge, mit behutsamer Zartheit durchgebildet und voll
zum Überfließen von tiefer Innigkeit. Diese Lieder »Ich bin der Welt ab-
handen gekommen*, »Ich atmet einen linden Duft*, »Blicke mir nicht in
die Lieder*, die sich in »Um Mittemacht* zu großartiger Inbrunst hin-
gebender Gläubigkeit steigern, sind gleichzeitig von einer Fülle und einer
Delikatesse ohnegleichen, gesättigt von drängendem Gefühl und dabei durch-
sichtig und rein in ihrer fleckenlosen Verklärung. Ein bewunderndes Wort
Grillparzers bietet sich hier an: »Wie ist das filtriert! . • .*
Dazu die »Kindertotenlieder*. Wieder anders in ihrem ganzen Ge-
halt, herber, kraftvoller, spontaner, wenn auch von gleicher Intensität der
Empfindung; aufwühlend in ihrem Weh, herzzermalmend in ihrer gebändigten
Verzweiflung; ein Höchstmaß schmerzvoll unerträglichen Leides zusammen-
gepreßt in karge Laute, in denen jeder Ton zu schluchzen scheint, —
expansivstes Gefühl fassungslosen Duldens in engsten Ausdruck gedrängt
und gerade dadurch, ebenso wie durch die erschütternde Schönheit dieser
gleich Blutstropfen hervorquellenden Melodik, von unsagbarem, bang drücken-«
dem und bei dem unirdisch tröstenden Wiegenlied-Schluß in Tränen be-'
freitem Eindruck. Die Instrumentation eine fast unbegreifliche Meister-
leistung überlegener Orchesterkunst von spinnwebduftigster Subtilität, von
einer Klangzartheit und einem Reichtum an verschleierten Farbenübergängen,
die raffiniert zu nennen wären, wenn nicht aus jedem Takt das »so muß
es sein* der unmittelbaren, zwingenden Eingebung fühlbar wäre.
Alle Schwächen, die man dem Menschen Mahler vorwirft, sind auch
in seinen Werken, und in ihnen ist nichts, was nicht auch vom Menschen
gilt. Es fällt mir nicht bei, die Einwände der Gegner zu widerlegen, ihnen
beweisen zu wollen, daß sie irren, wenn sie diese oder jene Stelle trivial,
manche Harmonie grell und herb, manchen symphonischen Satz hyper-
trophisch finden und von mancher Härte, von vielem, was sie als über-
hitzte Unrast, fiackemde Nervosität und wahllos zufahrende Willkür seiner
Erfindung und seines Wesens empfinden, befremdet sind. Ich will das schon des-
halb nicht, weil ein solches Zugeständnis sich immer sehr gut ausnimmt und
die »Gerechtigkeit* des Beurteilers in ein wunderschönes Licht setzt; aber
auch darum nicht, weil ich es gamicht weiß, ob sie nicht Recht haben.
Mag sein: aber selbst dann möchte ich keine dieser »Schwächen*^ missen
— ganz abgesehen davon, daß es ja keine sind, die man beliebig abändern
kann ; sie gehören so ganz zu seiner Physiognomie, daß es ein Verfiachen
und — man verzeihe das Wort — ein Entwesentlichen bedeuten würde,
wenn er »in sich ginge und sich besserte*.
In den Liedern kann von alledem keine Rede sein: all die Bedenken,
158
DIE MUSIK VII. 15.
die Mthlers gewaltige symphonische Kolosse erweckt haben, versagen vor
der Geschlossenheit und der inneren Notwendigkeit seiner Lyrik, nnd selbst
der zunächst stutzig machende Einwand, daß hier ein Raffinierter mit dea
Gebärden der Kindlichkeit zu wirken suche, wird jedem schwinden, der
diese Lieder sich mit ernstlichem Willen näher bringt. Er wird aus ihnen
empfinden mfissen, was jeder weiß, der dem Menschen Mahler nahe ge-
kommen ist: daß hier wirklich ein großer Künstler ein Kind geblieben
und mit der lebendigen Natur unmittelbar verknfipft ist und dabei vom
ganzen geistigen Inhalt seiner Zeit getragen wird und ihm künstlerischen
Ausdruck gibt. Gerade dieser Kontrast in seinem Naturell ist der höchste
Reiz seiner Kunst und ihr eigentümlichstes Wesen. Er gibt ihr jene erd-
frische Unmittelbarkeit und — bei souveräner Beherrschung aller Mittel
— jene reine, herbe, ganz unerotische und unfeminine Männlichkeit, die
seine Musik so deutlich kennzeichnet. Das Wort Wagners, der den Geist
der Musik nur in der Liebe begreifen kann, gilt für Mahler in höchstem
Maße. Nur daß die Liebe, die durch sein ganzes Werk weht, nicht die
schwüle, sinnliche, gebundene des Sexuellen ist — die ancb so oft znm
höchsten Kunstwerk geworden ist — sondern eine pantheistiscbe, behreitö,
allumfassende. Keine verlogene Keuschheit einer Pfaffen- oder Ennnchen-
natur; aber die alle Fesseln lösende, gar nicht asketische, gesunde eines
überlegen Maskulinen, der sich und sein Dasein als erfüllendes nnd vor«
bereitendes Glied in der Rätselkette des Lebens fühlt und der im Glaabeo
an die Wiedergeburt der Persönlichkeit seine Mission als ethisches Boden-
bereiten für solche Wiederkunft empfindet.
Ich habe der »Lieder eines fahrenden Gesellen* mit Absicht
früher nicht gedacht, um sie dann hier in einen anderen Zusammenhang zu
bringen. In ihrem melancholischen Reiz und ihrer schwermütigen Schlichtheit
üben sie eine eindringliche Wirkung; wäre nicht alles »Einreiben* so töricht,
so müßte man ihnen — meiner subjektiven Wertung nach — den Platz auf
der Stufenleiter zwischen den Klavierliedem und den Wunderhomgesingen
anweisen. Ich muß aber bekennen, daß mich die musikalische. Kraft dieser
Lieder nicht in gleichem Maße fesselt wie die anderen nnd daß ich —
von Einzelheiten abgesehen — ihren Reichtum nnd ihre überredende
Wärme nicht so ungemein empfinde als bei anderen Schöpfungen Mahlers.
Ihr Wert liegt anderswo: sie sind der Keim seines symphonischen Schaffens;
aus ihnen hat sich die erste Symphonie entfaltet, — nicht nur ans ihrer
Thematik, sondern aus ihrer dichterischen Stimmung, die einfach die Stim«
mung der Jugend selbst ist: das Bewußtwerden der eigenen Welt, das
Entzücken am Weben der Natur, die jeder für sich selbst erst entdeckt
150
SPECHT: GUSTAV MAHLER
mSBB
und für sich erobert, das lachende Sich -ins -Leben -stürzen und die grim-
mige Verzweiflung und Emfichterung bei der ersten Enttäuschung vor der
Grausamkeit dieses Lebens, die den einen bricht, den andern stiblt und
zum Sieger macht.
Mahlers «Fahrender Gesell* wird gebrochen und geht zugrunde; der
Held der ersten Symphonie bleibt im Untergang Sieger. Wobei »Held*
natürlicherweise nicht anders zu verstehen ist, als wenn man vom Helden
der «Eroica* spricht, und wobei von einer programmatischen Ausdeutung
keine Rede sein kann. Vielleicht, daß man, ähnlich wie Beethoven, auf
die Frage des »Inhalts* der »Appassionata* mit dem Wort »Lesen Sie
Shakespeares Sturm* geantwortet bat, auf eine ähnliche Frage erwidern
darf: »Lesen Sie Jean Pauls ,Titan^*. Aber es wäre ein bedenkliches Miß-
verstehen, wenn man von der Voraussetzung ausginge,' in dem Dichterwerk
eine Aufklärung des symphonischen Gehaltes der »Ersten* oder gar in
dieser ein musikalisches Illustrieren jener poetischen Vorgänge zu suchen.
Nichts von alledem soll in solchem Hinweis liegen. Nur ein Stimmungs-
wegweiser — ein Hindeuten auf individuelle Zustände ähnlicher Art, die
dort Dichtung und hier Musik geworden sind.
In der ersten Symphonie — sie steht in D-dur — ist Mahlers
ganzer Dämon entfesselt — alles Heftige und BrQske, alles Aufreizende
und jäh Befehlshaberische, alles Helle und Übermütige seiner bis zum
Fanatischen wahrhaften Natur ist hier in harten Kontrasten nebeneinander-
gesetzt. Die beiden Anfangssätze scheinen in leuchtender Sonne zu liegen.
Nach dem Beginn, in dem eine seltsam verschleierte, dunstige Morgen-
stimmung zum Naturlaut wird, der sich — es ist das höchste und das
tiefste A — aus dem Weben und Brauen löst, von fem her zum Erwachen
mahnendem Trompetenruf und leisem Kuckuckslaut unterbrochen, wird die
Dämmerung lichter und lichter, und aus dem Kuckucksruf d — a wird das
in köstlichem Kanon von Holzbläsern und Streichern mutwillig durchgefOhrte,
von unbefangenster Freudigkeit erfüllte Hauptthema gebildet, das — wie
usw.
fast alle Mahlerschen Symphoniethemen in seiner breiten Ausdehnung kaum
sofort zu fibersehen und zu perzipieren — sich zu einem Sonnenattfgangsjubel
ohnegleichen steigert, zu einem jauchzenden Übermut, einem frenetischen
160
DIE MUSIK VII. 15.
Frühlingstaumel, der sich aller Instrumente bemächtigt und sich in schallend
hinreißendem, seligem Gelächter befreit. Ebenso der zweite Satz in seiner
vehementen, derben Lebensfreudigkeit, in den spezifisch österreichischen
Rhythmen seines strotzend körperhaften Ländlerstils und dem zärtlichen Trio:
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Lauter Musik der Lebensbejahung, der unverstörten fröhlichen Jugend,
die sich dem Daseinsreigen hingibt, ohne ihn zu meistern. (Das Scherzo
der fünften Symphonie bringt — meiner Empfindung nach — solchen
«gemeisterten" Reigen.) Um so furchtbarer, grimmig verzweifelter wirkt der
dritte Satz: vielleicht das kühnste tönende Abbild der Seelenstimmung
eines Vernichteten, das je in der Musik gemalt worden ist. Das nicht
abzuschüttelnde Leierkasteneinerlei des Kanons »Bruder Jakob, schläfst du
noch", das sich unerträglich quälend ins Ohr genistet hat, dazu das schrill
höhnische Auflachen der Oboe, das selbstmartemde Parodieren der eigenen
Trostlosigkeit durch das Vorsichhinpfeifen eines groben Gassenhauers —
all diese bis zum Schmerzhaften wühlende Selbstironie, die sich dann in
dem aus dem letzten Lied des »fahrenden Gesellen" gewonnenen Mittelsatz
und seiner mild beruhigenden Wiegenweise gleichsam in den letzten Schlaf
weint — all das ist mit einer hellseherischen Genialität ohnegleichen hin-
geworfen; ebenso das kolossale Kampfspiel des letzten Satzes mit seinem
gleich schimmernden Lanzen aufgepflanzten Trompetenthema, das immer
wieder von dem zornigen Entgegenwerfen stürmischer Holzbläser- und
Streicherfiguren weggefegt wird, um immer siegreicher neu aufzutauchen
und zu dem sich tröstend, verheißend und in edler Hoffhung eine Melodie
von 45 Takte langem Atem niedersenkt, die zu Mahlers herrlichsten Ein-
gebungen gehört:
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161
SPECHT: GUSTAV MAHLER
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usw.
Es sind nicht viele Sätze der Mahlerschen Symphonieen in gleicher
Weise wutenden Angriffen ausgesetzt gewesen wie diese beiden» die gerade
in ihrem »Schmiß", ihrer intuitiven Kfihnheit des Wurfs und der schnei*
denden Schärfe einer vor * keiner Konsequenz zurückscheuenden Wahr-
haftigkeit des Ausdrucks seine persönlichste Signatur tragen. Wehleidigen
Ohren waren die störrischen Harmonieen mancher Teile und die Härte
entsetzlich, mit der schon hier die kaum jemals als Füllstimmen behandelten,
sondern fast durchweg thematisch gegeneinander prasselnden, begleitenden
Instrumente geführt werden — ein Merkzeichen Mahlerscher Symphonik
überhaupt — , und andere wieder verwerfen die Trivialität des im Andante
benutzten Kanons ebenso, wie manche ihnen nicht »gewählt* genug scheinende
Wendung der Erfindung. Beides hat an Robert Schumann einen gewichtigen
Verteidiger gefunden, der darüber sagt: »Man probiere nur, irgend etwas zu
ändern und zu verbessern, wie es einem irgend geübten Harmoniker Kinder-
spiel ist, und sehe zu, wie matt sich alles dagegen ausnimmt I Den ersten
Ausbrüchen eines starken Jugendgemütes wohnt nämlich eine ganz eigen-
tümliche unverwüstliche Kraft inne; spreche sie sich noch so roh aus,
sie wirkt um so mächtiger, je weniger man sie durch Kritik in das Kunstfach
hinüberzuziehen versucht. Man wird sich vergebens bemühen, sie durch
Kunst verfeinem oder durch Zwang in Schranken halten zu wollen, sobald
sie nicht selbst mit ihren Mitteln besonnener umzugehen und auf eigenem
Wege Ziel und Richtschnur zu finden gelernt hat." Was um so mehr gilt,
als Mahler diesen »eigenen Weg* gefunden hat, der ihn zu der technischen
Meisterschaft und Souveränität seiner letzten symphonischen Werke zu
führen vermochte. Und über den zweiten Punkt: »Man bedenke, daß er
ja gar keinen großen Gedanken hinstellen wollte, sondern nur eine fest-
hängende quälende Idee in der Art, wie man sie oft tagelang nicht aus
den Kopfe bringt; das Eintönige, Irrsinnige kann aber gar nicht besser
getroffen werden.* Es tut nichts zur Sache, daß diese Worte über die
Symphonie Fantastique von Berlioz gesagt worden sind; die Geltung, die
ihnen innewohnt, wird man ihnen auch in ihrer Anwendung auf das jüngere
Werk nicht versagen dürfen.
Über den Begriff des Banalen und der Reminiszenz herrschen über-
haupt im allgemeinen beschränkte Ideen. Gar nicht zu reden davon, daß es
weniger auf ein Thema selbst ankommt, als auf seine determinierende Kraft,
die den aus ihm gewonnenen organischen symphonischen Aufbau erst be-
stimmt, — und man wird zugeben müssen, daß dies bei Mahler in ganz
VII. 15. 11
162
DIE MUSIK VII. 15.
p^yw.
besonderem Maße der Fall ist und daß jeder seiner Sitze durch das Thema
absolut bedingt und in ihm latent vorgebildet ist. Aber die Empfindung
der »Trivialität" verschiebt sich im Laufe der Zeit; insbesondere dann»
wenn es sich um ein Motiv handelt, das eben zurzeit seiner symphonischen
Verwendung volkstümlich ist und von den Zeitgenossen als gewöhnlich
empfunden wird, während es für die Kommenden eine veredelnde Patina
gewonnen hat, die sein einst Alltägliches vollständig verdeckt. Sonst wäre
es nicht möglich, daß so viele Beethovensche Themen von den gleich-
zeitigen Musikern als »billig" und »allzupopulär" gescholten worden sind,
während sie für uns in dem Glanz der Psyche strahlen, durch die sie
hindurchgegangen sind. Wer heute die symphonische Ausweitung und
Stilisierung eines Walzers als »eines ernsten Werks unwürdig" empfindet,
wird bedenken müssen, daß das Menuett zur Haydn-Mozartzeit um keine
Spur vornehmer war als der Walzer für uns, und daß unsere Nachfahren
jenes ebensosehr als symphonisch idealisierten Tanz betrachten werden,
wie wir es diesen gravitätisch-anmutigen Rhythmen unserer klassischen
Rokoko-Tondichter gegenüber tun. Ganz abgesehen davon, daß der BegrilT
des Trivalen, ja des Gassenhauers zumeist ein rein lokaler ist und daG
beispielsweise in Norddeutschland eine Melodie als national-bodenständig
und dadurch reiz- und wertvoll angesehen werden mag, die in Österreich
als »Volkssängerbanalität" verächtlich abgetan wird. Schließlich kommt es
nur auf zweierlei an: auf den Lebendigkeitswert eines Themas und dessen,
was aus ihm organisch herausgeholt wird, und auf den, der es tut. Kein
dichterischer Gedanke, kein Motiv der Musik oder Malerei an sich hat
Bedeutung; erst wenn der Künstler kommt, der es fruchtbar macht, der ihm
seinen höchsten und endgültigen Ausdruck gibt und Kraft genug hat, die
andern zum Aufhorchen und Empfangen zu zwingen, ist jene Bedeutung
vorbanden. Weshalb jegliche Reminiszenzen- und Plagiatsucherei so un-
säglich unkünstlerisch ist. Wenn irgendwo, so gilt in der Kunst das Recht
des Stärkeren.
Vor kurzer Zeit habe ich wieder — nach langen Jahren — Mahlers
c-moll Symphonie — die »Zweite" — erlebt. Ein anderes Wort
trifft hier nicht. Das ungeheure Werk wirkt auf mich — und auf unzählige
andere, wie es sich jetzt erfreuKich gezeigt hat — mit der packenden,
hinreißenden Kraft eines besitzergreifenden Erlebnisses, zu dessen Sub-
jektivem aber das Befreiende der künstlerischen Gestaltung tritt. Wenn
es überhaupt ein Werk unserer Zeit gibt, das zu späteren Geschlechtern
sprechen, das ihnen die Tonkunsthöhe unserer Epoche melden und ihnen
von unserer Art, unserer Not und Sehnsucht, unserer Angst und Liebe in
163
SPECHT: GUSTAV MAHLER
Tönen berichten soll, die «den Worten nahekommen, aber doch unendlich
▼iel 'mehr kundgeben, als diese vermögen" — ein Mahlersches Wort —
so muß es dieses Werk sein, das freilich noch von viel mehr erzählt als
von uns, unserer Zeit und ihrem rasenden Pulsschlag: nämlich von seinem
Schöpfer und der Größe, mit der er sich über das Zeitliche erhebt. Das
mag übertrieben scheinen, und vielleicht ist es auch irrig, obwohl ich solch
iberstarkem, durch und durch aufwühlendem Eindruck, der redlich
Lauschende zum höchsten Bewußtsein ihres besten Empfindens und ihrer
reinsten Menschlichkeit bringt, weit eher traue als aller Tabulatur der
Vernunft. Mag sein, daß mir und ähnlich Fühlenden heute die rechte
Distanz zu Mahlers übrigem Werk fehlt. Das Gegenteil wäre unnatürlich:
man kann nicht gleichzeitig lebendig und historisch genießen. Bei der «Zweiten"
aber spricht ein unerschütterliches Bewußtsein, daß hier nicht nur höchste
Empfindungen in Tönen zum Ausdruck kommen, sondern daß hier ein
Inhalt ist, der abgelöst von allem bloß mit seiner Epoche Zusammen-
hängenden den Wert des Beständigen in sich trägt und für den es eine
Nachwelt geben muß.
Es ist nicht meine Absicht, in diesen Blättern Einzelanalysen der
Mahlerschen Symphonieen zu geben. Man weiß, daß jeglicher Musik gegen-
über das schildernde Wort machtlos ist: es können bestenfalls subjektive
Eindrücke wiedergegeben, niemals aber das Wesentliche und Fesselnde
eines Musikwerks in Worten ausgedrückt werden. Ausführliche thematische
Studien müßten den hier zu Gebote stehenden Raum weit überschreiten;
abgesehen davon, daß sie entweder die Wiederholung eines schon Gesagten
oder ein Vorwegnehmen in Aussicht genommener Arbeiten wären. ^) Hier
kann es sich nur um allgemeine Charakteristik handeln, nicht um
detaillierendes Zerlegen. Trotzdem kann ich es mir nicht versagen,
wenigstens die Hauptthemen der «Zweiten" anzuführen, zuerst das trotzig
grollende:
^) Vgl. die schon angeführte Broschüre; dann die thematische Analyse «Gustav
Mahlers sechste Symphonie* (Verlag C. F. Kabnts Nachfolger) und die demnächst
in den «Musikfübrem* der Schlesingerscben Musikhandlung, Berlin, erscheinenden
analytischen Studien (zunächst über die vierte und fünfte Symphonie). Vgl. femer
die in der «Musik* erschienenen Analysen E. O. Nodnagels (zweite Symphonie: Jahr-
Sang II, 17; fünfte Symphonie: Jahrgang IV, 4 und 5; sechste Symphonie: Jahr-
gang V, 16),
164
DIE MUSIK VII. IS.
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mit dem die feierlich ernste Totenfeier des ersten Satzes anhebt und das
nach einer herben Steigerung zu dem unsiglich weh vollen Gesang fOhrt:
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der gleichsam als zweiter Teil des durchaus organischen, aber in Gruppen
zu gliedernden, in mächtigem Bogen gespannten Hauptthemas aufznfasaeo
ist. (Zweierlei in Parenthese: zunächst ein Hinweis auf die Eigenart des
Mahlerschen Themenbaues, der das eigentliche Hauptthema zumeist nach
einer, die kommende Durchfuhrung in ihren einzelnen Keimen schon in
sich tragenden Motivgruppe auftreten läßt, worüber sich aufschlußreiche,
hier aber viel zu weit führende Untersuchungen führen ließen; dann die
endgültige, durch die Werke selbst bewiesene und nicht erst durch Gründe
zu belegende Feststellung, daß sämtliche Symphonieen Mahlers vollkommen
in der — im einzelnen erweiterten und streckenweise freier und phantastischer
behandelten — streng symphonischen Form der nachbeethovenschen Zeit
aufgetürmt sind, und daß jeder, der an solchem Schematisieren Spaß findet,
beim Aufstellen eines Schemas sogar bei den weitest ausgesponnenen Sitzen
dieser Werke auf seine Rechnung kommen wird. Was die Annahme Ton
a Programmusik* — soweit nicht jede gefühlte und erlebte Musik ihr
«Programm" hat — von vornherein ausschließt und was ebensowenig wie die
165
SPECHT: GUSTAV MAHLER
Tatsache zu diskutieren ist, daß hier auch in den ausdruckbeladendsten
Momenten die Mittel des rein Musikalischen nie fiberschritten werden.)
Nach der tränenvoll heftigen, alle Tiefen des Schmerzes ausmessenden
Tragik des ersten Satzes die innige Heiterkeit des lieblichen Andante, das
gleich dem Gedenken an ein mild glückliches Dasein vorüberzieht:
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flSTtjh-^^-^jpJ^ES^
usw.
und dessen seliges Hinschweben dann von den Celli und spiter von den
Geigen mit einem innig eindringlichen Gesang voll bewegter Wirme begleitet
wird, dann das aus der schon erwähnten »Fischpredigt des Heiligen Antonius*
gestaltete Scherzo, dessen von einem in zartem Glanz strahlenden getragenen
Trompetensatz unterbrochener, unheimlich schattenhafter Fluß sich zu einem
gellenden Aufschrei einer von sinnloser Angst gepeinigten Seele steigert,
and deren irre Qual durch das wundervoll beruhigende Altsolo vom «Ur*
licht« eebändigt wird:
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^n-mM
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X
'f-f=t^^i^^lifj' >^ f ^
Ich bin-^ von Gott und will wie »der zu Gott, der lie • be Gott, der
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lie - be Gott wird
mir ein Licht*lein
ge*ben,wirdleach - ten mir
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wlg se - lig Le - ben.
Und darauf die schaurig wütende Phantasie des Schlußsatzes, in dem das
jfingste Gericht anhebt, ein Sturm über die Griber fegt, »der Rufer in der
Wüste« zum großen Appell rufr^ die Toten auferstehn und Könige und
166
DIE MUSIK VII. 15.
Kärrner, die einen in Furcht und Bangen, die andern in gefaßter Zuversicht,
dem Richter entgegenziehen: aber statt des zermalmenden Donners ertönt
eine duftige leise Vogelstimme zu den fernen, zur wahren Heimkehr
mahnenden Trompeten — eine geniale Stilisierung des Zapfenstreichs —
und überwältigend milde und trostvoll setzt der fiberirdische Chor ein, der
die Schrecken bannt und den Sinn des Lebens — die Worte sind von
Mahler selbst — verkündet:
Wieder aufzublfihn, wirst du gesit!
Der Herr der Ernte geht
Und sammelt Garben
Uns ein, die starben.
O glaube, mein Herz:
Es geht dir nichts verloren I
Dein ist, was du gesehnt,
Was du geliebt, was du gestritten!
O glaube: du wardst nicht umsonst geboren!
Hast nicht umsonst gelebt, gelitten!
Was entstanden ist, das muß vergehn!
Was vergangen, auferstehn!
Hör auf zu beben!
Bereite dich! Bereite dich zu leben!
O Schmerz, du Alldurcbdringer!
Dir bin ich entrungen! '
O Tod, du Allbezwinger!
Nun bist du bezwungen!
Mit Flfigeln, die ich mir errungen
In heißem Liebesstreben,
Werd' ich entschweben
Zum Liebt, zu dem kein Aug* gedrungen!
Sterben werd' ich, um zu leben!
Auferstehn, ja auferstehn wirst du.
Mein Herz, in einem Nu!
Was du geschlagen.
Zu Gott wird es dich tragen!
Ein Aufschwung von hinreißender musikalischer Erhabenheit, von
einer Höhe tondichterischer Inspiration, der kein Wort nahezukommen ver-
mag; von solch leuchtender Größe, solcher inneren Sammlung, Kraft und
Gläubigkeit, daß jeder Einzelheiten treffende ,»Kenner"-Einwand einem so
unmittelbar erlebnisstarkem Eindruck gegenüber als klägliche Nörgelei wirkt.
An solchem Eindruck zweifeln und glauben zu sollen, daß er trfigen könne,
hieße alles verleugnen, was dem Empfangenden als dauerndes geistiges
Besitztum gereift ist.
Ganz andere Welten erschließen die „Dritte" und «Vierte*. Sie er«
ganzen sich gegenseitig; die ruhevolle Weltflucht, die vom Leben unbefleckte
Heiterkeit, die in der «Vierten'' zur Musik wird, hat ihr riesenhaftes Vorspiel
in der dritten Symphonie in d-moll, in der die reine Natur mit allen
Stimmen der Liebe in Tönen redet. Der erste Satz — es sei mir erlaubt,
schon früher Gesagtes wieder anzuführen: «ein Tagebuch in Tönen: die
klanggewordene Darstellung eines typischen Künstlerdaseins, des Kfinstlers
Bacchuszug durchs Leben, in all seiner dionysischen stolzen Zuversicht
und schenkenden Freude, mit all seinen Dämonen, seiner Gier, seines
Enttäuschungen und allem Niedrigen, Banalen und Pöbelhaften, das der
Alltag bringt, und dessen er in der sieghaften Verachtung und der Ent*
167
SPECHT: GUSTAV MAHLER
rücktheit des Schaffens Herr wird, weil er selbst von der Warte heiterer
Resignation und in gelassenem Überderolebenstehen herunterblickt." Dies
alles ausgedrückt in einem orgiastisch lebenskräftigen Marschsatz, dessen
melodische Symbole bis zu tragischer Hohe ebenso wie bis zu ordi-
närer Schwankderbheit reichen. Nichts für Verzärtelte. Um so lieblicher
und einschmeichelnder die fünf Sätze der zweiten Abteilung: das gleichsam
von glitzerndem Tau fiberhauchte Menuett, die anmutvolle Hast der Scherzo-
groteske, das aus gefestigter Inbrunst geborene Mittemachtslied des Zara-
thustra, der schelmisch-kindliche, weltfremd-freudige Engelschor und das
wieder rein instrumentale Adagio des Schlusses in seinem breit hinströ-
menden, von kostlichster Liebesfülle getragenen und in seinem melodischen
Atem gar nicht enden wollenden Gesang haben dem Tondichter Mahler
eigentlich erst die Bahn geöffnet, an deren Ziel er heute als der neben
Strauß meist aufgeführte und wachsendes Verstehen empfangende Sym-
phoniker unserer Tage steht.
Die vierte — G-dur — Symphonie, weit knapper in ihren Dimen-
sionen und ihren Mitteln, ist in ihrer unbefangenen Einfalt und ihrem
gleichsam grundlosen Frohsinn viel mißverstanden worden und wird es
weiter von all jenen werden, denen das reizvoll Kindliche in Mahlers ganzem
Wesen fremd ist. Der erste Satz in seiner fast Mozartschen Freudigkeit
und seinem frisch naiven, von allem Grübeln und aller Verständigkeit
fernen Geplauder, das Scherzo, in dem Freund Hein lockend beunruhigend
die Fiedel streicht, das aus wunderbarer Einsamkeit eines innerlich Befreiten
und nur mehr in sich Hineinhorchenden gesungene Adagio geben das
tönende Bild einer Welt, über deren Sinn eine Kinderstimme Aufschluß
gibt: 80 ist »das himmlische Leben''. Der mit diesem Wort überschrie*
bene Schlußsatz — ein Sopransolo nach dem allerliebst ein Kinderhimmel-
reich schildernden Gedicht aus «Des Knaben Wunderhom* — drängt
in seiner an Schubert mahnenden Anmut eine Überfülle prachtvollen
Humors in den engsten Rahmen: das Abbild eines Kosmos in einem
magischen Edelstein. Wer Mahler und sein Wesen, besonders aber das
durchaus Neue der Art seines musikalischen Humors ganz erfassen will,
wird sich dieses Werk und seinen «Abgesang'' insbesondere zu eigen
machen müssen. Er wird dann nicht wieder davon lassen wollen.
Die »Fünfte* setzt, ähnlich wie die »Zweite", mit einem Trauerkon-
dukt ein; aber statt zu Tod und Jenseits führt diese festlich siegreiche
Musik mitten ins jauchzende Leben hinein. Was besonders aus dem ge-
waltigen, freudekräftigen Scherzo, dieser freien und übermütigen Tanz-
idealisierung voll brausenden Machtgefühls, und aus dem kolossalen Rondo-
Finale spricht, einem in der Verwegenheit der Kontrapunktik, der meistere
liehen Bändigung der überreichen Untermotive und in der Straffheit der
168
DIE MUSIK VII. 15.
mSBo
Beherrschung weitestgespannter Form ebenso wie in seinem genialen
Wurf fiberwältigenden Stücke. Hier und ebenso in der »tragischen*
sechsten Symphonie spurt man die Reife des Meisters, der sich auch in
Details nicht mehr der eigenen Erfindung und ihren Ausdrucksmitteln ge-
fangen gibt, und dessen Überlegenheit in jedem Takt fflhlbar wird. Alles
»sitzt"; die ausschweifendsten Orchestermittel — zu den ungewöhnlichen
Streich- und Bläsermassen treten in einzelnen Werken Es-Klarinette, Tenor-
hörn, Mandoline, Celesta, Orgel, ganze Schlagwerkgruppen, wie: Rute, ge-
stimmte Glocken, Stahlstäbe, Hammer, Herdenglocken und vor allem, wo-
rüber noch zu sprechen sein wird, die Menschenstimmen — sind mit einer
Sicherheit und einer erfinderischen Hellhörigkeit ohnegleichen behandelt,
jeder Klang aufs subtilste differenziert und selbst dort, wo — wie im Finale
der »Sechsten* — aufreizende Schmerzhaftigkeiten der Bläser und des
Schlagwerks zuerst befremden, wird bei näherer Betrachtung die künstle-
rische, niemals auf bloßen Klangeffekt zielende Absicht deutlich. Aber
auch die unerhörten Maße der Form sind in bewundernswerter und mühe-
losester Weise' bewältigt; nirgends ein Verlieren der Zügel, überall In
diesem unfehlbaren Spiel mit den größten Dimensionen des symphonischen
Satzes ein deutliches Erkennenlassen des Ziels, nirgends bloße Willkür,
irgendwelches Sichtreibenlassen, irgendwelches Zerreißen des organischen
Zusammenhanges. Wobei zu bemerken ist, daß die Konzentration der
Form in Mablers letzten Werken noch deutlicher wird als in den frfihereQ,
die gleichsam das Vorspiel zu der siebenten und achten Symphonie — *-
insbesondere zu der Tat der letztgenannten — bedeuten.
Die »Siebente" und »Achte* sind noch nicht gedruckt und noch
nicht aufgeführt Es ist mir also verwehrt, eingehend von diesen höchsten Br^
füUungen des Mahlerschen Wesens zu sprechen — schon deshalb, veil
jede Gegenkontrolle fehlt und das Gesagte nicht yon anderen nachgeprOlk
zu werden vermag. Aber über beide Werke und über die achte Symphonie
speziell ist so viel Halbwahres, Entstellendes und hämisch Mißdeutendes in
die Öffentlichkeit gebracht worden, daß es am Platze sein mag, wenigstens
einige Bemerkungen über den Geist und die Form dieser Werke zur Richtig-
stellung vorgefaßter Meinungen vorzubringen.
Beide Symphonieen sind Freudenspender erlesenster Art, kostbare
Gefäße lauterer Eingebungen von edelster innerer Sammlung und von
einer Transparenz des Gefüges sondergleichen. Die »Siebente", in ihren
prchestralen Mitteln sparsamer als irgend ein anderes Mahlersches Weri^
ist rein instrumental; die menschliche Stimme, in einzelnen Sitten der
169
SPECHT: GUSTAV MAHLER
mSSO
firttheren Symphonieen entweder bloß zur Färbung des Klanges oder als
Deuter der durch das Wort präzisierten und konzentrierten und ohne das
Wort einen viel zu weitschweifigen Musikausdruck fordernden Stimmung
verwendet, schweigt hier ganz. Die riesigen Eckpfeiler der »Siebenten'',
ihr erster und ihr letzter Satz, sind auch die Träger ihres wesentlichen
Gehalts; der erste, monumental aufgetürmte Satz mit dem vom Tenorhom
angestimmten, machtvoll düsteren und in seiner entschlossenen, trotzigen
Prägnanz sofort unvergeßlichen Thema der Einleitung und seinem von
schwungvollem Gesang abgelösten, mutig stolzen Motivenkampfspiel, — der
letzte, ein Rondo von weitestem Wurf und froh erregender, bewegter
Spannung, gehören in ihrer innerlichen Gebundenheit, im straff Geschlossenen
ihrer organischen Struktur und in der Kühnheit der Konzeption zu den
überragendsten Stücken des jedesmal durch neue Töne und neuen Stil
überraschenden Tondichters. Aber vielleicht gerade deshalb wird es länger
währen, bis sie sich williges Verstehen errungen haben. Während die drei
zwischenspielartigen Sätze — zwei Nachtmusiken, durch ein Scherzo
getrennt — unmittelbaren Zündens sicher sind : die erste Nachtmusik, ein
in dem unheimlich phantastischen, an Holbeinsche und Retheische Toten-
tänze mahnenden Stil der «Reveille* gehaltener gespenstischer Aufmarsch
einer geisterhaften Scharwache, in deren mittemächtige, spukhafte Runde
sehnsuchtvoll klagende Volksliedstimmen hallen, die zweite, mit ihrer von
Mandolinenklängen getragenen, wunderbar zärtlichen und anmutvollen
Ständchenmelodie, von rauschenden Brunnen, flüsternden Linden und spinn-
webzarten Traumlauten umtönt, dazu der graziöse Übermut des eilig hin-
fliegenden, in kosendem Tanzrhythmus sich wiegenden, lachend aufjubelnden
und dann wieder duftig verhuschenden Scherzos: drei Intermezzi von
eindruckvollstem sublimen Zauber und von einer musikalisch-plastischen
Kraft, die augenblicklich bezwingt und erobert.
Ich gehe mit Scheu daran, von der »Achten* zu sprechen und das
rechte Wort für ein Werk zu finden, dessen äußere Gestalt allein zu
Jenen scheinbar so naheliegenden, befreienden und doch noch von Keinem
je zuvor empfangenen Eingebungen gehört, deren Einfachheit sich nur dem
Genie erschließt. («Einfach* und »genial" sind meist Synonyma, hat
Richard Strauß vor kurzem gesagt.) Man denke sich eine Symphonie in
ihrer fiberlieferten Form, — nicht etwa eine Kantate mit Arien oder ein
Oratorium mit Soli und Chören — in der die Gesangsstimme sowohl als
Klang- wie als Wortträger zum integrierenden, ja dominierenden Teil wird;
einen ersten Satz mit Haupt- und Seitenthema und genauer Reprise nach
einer gewaltigen, über die stolze Brücke einer kolossalen Doppelfngt
schreitenden Durchführting, — einen zweiten Teil, der die Elemente des
Adagio, , Scherzo und Finale zu einem Riesenbau vereinigt — und das
MpB^ DIE MUSIK VII. 15. SS
Ganze nicht nur orchestral behandelt, sondern von Anfang bis zum Ende
von Chor und Soli durchgesungen. Die Symphonie an sich; die völlige
Eroberung ihrer Form und ihrer Mittel: ein Gedanke von einer Größe,
die nur in der seiner Ausführung ihresgleichen hat.
Als Text zum ersten Satz hat Mahler eine mittelalterliche lateinische
Hymne gewählt: Veni creator Spiritus, — eine brünstige Anrufung des
schöpferischen Geistes, deren Erfüllung und Gewährung der zweite Teil
bedeutet, in dem die Schlußszene des »Faust* mit dem Chorus mysticus
als krönender Abschluß zur Symphonie geworden ist. Ich habe schon
vorhin erwähnt, daß es mir jetzt noch nicht vergönnt ist, in Einzelheiten
einzugehen oder gar Proben aus dieser ungeheuren Partitur mitzuteilen;
es bleibe einem — wahrscheinlich nicht fernen — Zeitpunkt aufbewahrt.
Sicher aber ist, daß, wenn nach der atemberaubenden Wucht des ersten
Themas und der erfinderischen und kontrapunktischen, die schwierigsten
Probleme mit spielender Leichtigkeit lösenden Meisterschaft des ersten
Satzes, nach der weihevollen Glut der Anachoretenchöre und den unbe-
schreiblich strahlenden, in verklärte Höhen entrückenden Klängen beim
Nahen der Mater gloriosa, nach der geheimnisvollen Majestät des SchluB-
chors sich noch Gegner und Zweifel melden, dies nur solche sind, die
alles Große gefunden hat, solange sein Schöpfer lebendig war. Ver
dieses Werk geschaffen hat, wird sie ertragen können. Er kann warten . . .
Der Musiker, dem man all diese Werke dankt, ist als Dirigent und
Opemleiter zehn Jahre lang bei uns gewesen. Man hat ihn bekrittelt, statt
von ihm zu lernen. Hat ihn als Umstürzler gescholten, statt von ihm za
erfahren, was wahre Pietät ist: jedes Werk in seiner vollkommenen Gestalt
vorzuführen, wie es — der redlichen und unerschütterlichen Überzeugung
des Interpreten gemäß — sein Schöpfer im Geiste geträumt hat, wenn auch
seine Hilfsmittel zu seiner Zeit vielleicht nicht zur völligen Erfüllung
seines Traumes ausreichten. Mahler hat — von seiner, ganz Wagnerschem
Geist entsprungenen äußerlichen Erziehung des Publikums zu ehrfürchtig
störungslosem Erfassen eines musikdramatisch einheitlichen Organismus
gar nicht zu reden — in zahllosen Vorstellungen gezeigt, wie die Anwendung
des Wagnerschen Stils auf opemmäßige Werke durch ein Ineinandergreifen
von Musik, Wort, Aktion und Bild zu bisher ungeahnten dramatischen
Wirkungen zu führen vermag; er hat — ich nenne nur Lortzing, «Die
lustigen Weiber**, Glucks «Iphigenie", „Der Widerspenstigen Zähmung*
neben den zum erstenmal unentstellt und ungestrichen in höchster Intensität
und klarster Eindringlichkeit unwiderstehlich dargestellten Wagnerschen
17t
SPECHT] GUSTAV MAHLER
ond Mozartschan Verken — Aufführunsen geschaffen, die es wert wiren,
■Is jlbrlich wiederkehrende Kuastfeste überliefert zu werden, und bat im
Konzertsul Gleiches geleistet. Wer sein Stilgefühl kennen lernen will,
braucht nur seine Bearbeitung der Weberschen .Qrei Pintos" zu prüfen,
die er in Selbstzurücksetzung nie aufgeführt bat. Sein Lohn für all sein
Streben war Ekel. Das Verbalten der Kritik gegen ihn und die Gründe
dieses Verhaltens mögen lieber unberührt bleiben; es ist eines der traurigsten
Viener Kapitel. Aber auch das Publikum, in seinem altgewohnten Kultus
der iuQeren Persönlichkeit, hat sich mehr an die Herbheiten seines
slSrriscben, reizbaren und jähen Wesens gehalten als an dessen groBertigeo
künstlerischen Ausdruck. Mag sein, daß er oft Launen nachgegeben hat,
zu schroff zugefahren ist, verletzt bat und manchmal fallen liefi, was tags
zuvor in erster Reihe stand; aber er hat alles in den Dienst seiner Kunst
gestellt, niemals die Person über die Sache erhoben und von sieb immer
dreimal soviel gefordert wie von allen andern. Wenn er — wie es in
seinem schönen Abscbiedsbrief an die Opemmitglieder heifit — nur Stück-
werk hinterlassen hat, so liegt die Schuld nicht an ihm, sondern im Wesen
des Theaters und in der gehässigen Kleinlichkeit seiner Umgebung. Jeut
geht er, um sich eine Unabhängigkeit zu schaffen, die ihm gegönnt werden
mag. Wo immer der fahrige Mann mit dem blassen Asketengesiebt, der
hohen, herrischen Stirn, dem Jlben, hanen Kinn, den hinter Gllsem
blitzenden, geistvollen Augen und dem kindlich gütigen Mund seinen Platz
einnehmen wird — er wird fiberall ein künstlerisches Willenszentrum sein.
Er wird als der wiederkommen, der er war. Hoffentlich findet er {ene
anders wieder, die bisher sein Werk und sein Wesen nicht mit der Liebe
verstanden haben, die er in der Gemeinde der ihm Dankbaren erweckt bat
Aber selbst wenn das so rasch nicht kommen sollte — am Ibn und sein
Schaffen braucht keinem bange zu sein. Er kann warten . . .
s Pensionierung des Düsseldorrer stldtischen Muiiicdlrektan hat unter
I so eigenartigen Umstanden stattgefunden, daß die Angelegenheit zun
I Gegenstande der Behandlung des gröQten Teiles der deutschen Presse
[ wurde. Diese Behandlung ist meist so leidenschaftlich, daß man unsch ver
' erliennen Icann: die Afdre Buths ist lingst keine lokale mehr, londerh
erheischt weit und breit in allen Fachkreisen die schirfste Beachtung. D«r Vorsinc
ist folgender: Professor Julius Buths wurde im Jahre 1800 als städtischer Muslim
direkter berufen. Als solcher Ist er den Statuten des sogenannten Stidtischen Musik-
vereins gemiß gleichzeitig Dirigent dieses Chorgesangvereins. Die Stadt zahlt den
größten Teil des Gehaltes. Außerdem ist der stidtische Musikdirektor Leiter des alle
drei Jahre in Düsseldorf stattHndenden Niederrheinischen Muslkfestea, dessen OberscbuB
oder Fehlbetrag Sladi und Musikverein gleichmäßig teilen. Den ersten Fehlbetnc
dieser Vertnttsltungen seit Buths' Leitung brachte das Jahr I90&, während bis dabia
stets ein Oberschufl (1890 sogir ein solcher von 14000 Mk.) entelr wurde.
, Buths fsnd Im Jahre 1890 ziemlich trostlose Cborverbiltniise vor, versiaM
aber durch seinen rastlosen Plelß und begeisternde Hingabe auf Grund einer oß^
gewStanllch musikalischen Persönlichkeit dss Musikleben Düsseldorh auf eine Stufb zfi
beben, die sllseitig hSchste Anerkennung hnd. Seit Brahma und Bcrlloz Ist da kdk
Kompottiat, fßr den er nicht eintrat und die Bahn freimachen half, wovon noch M
}Qngster Zelt Reger, Dellus und Elgar (dessen Chorwerke er zum Teil erat Ober-
Setzen mußteli Zeugnis ablegen kSnnen. Znvergesaen ist nebenbei nicht, daßButb«*
Arbeit in einer Industriestadt vor sich ging, was ein erfOltrelcbcs TIrken uniemoiiB
erschwert, noch dazu angeaichls seiner ' verblüffenden Ehrlichkeit, der jede Diplomatie
zuwider Ist. Wer zielbewußt seinen Veg geht, schafft sich Gegner. Und so eTg:lBC
es auch Professor Buths. Stark wurde aber die Gegnerschaft ent, ala sich zu Ihr
der Vertreter einer Tsgeszeltung gesellte und mit seinen Angriffen dem stidtlschea
Musikdirektor seine Arbeit arg verbitterte, sodsß der Musikverein sich unklugerweise
veranlaßt sah, Stellung dazu zu nehmen. Der dadurch bervor^rufbne unmBglicfae
Zustand wurde iußerllch durch Vermittelung des OberbiirgenneiBters'sehllefillch bd- .
gelegt, sber manch Stachel blieb doch zurück. Dss Jahr 1006 und aeln Nieder*
rheinisches Musikfest brsehte nun zum ersten Male einen Fehlbetrag, und zwar In
HShe von ca. 10000 Mk. Ein Deßzit bei einem Musikfest ist Ja etwas so Selb•^
verstand lieb es, dsß man eigentlich keine Tone weiter darfiber zu verlieren braucht
1005 lagen aber die Verhilmisse besonders unglücklich, da drei Hollindlache Muslk-
fesie und das Bonner Beethovenfest auf dieselbe Zeit fielen, und sonst besonders
Holland ein starkes Kontingent von Besuchern stellte, das diesmal ausblieb.
Die Stadt konnte wohl den auf sie entfsllenden Teil des Fehlbetrages nicfct
verwinden ; Jedenfslls schien ihr vor dem Jshre 1908 und seinem Nieden-belnischea
173
hAhn: Düsseldorf und sein Musikdirektor
M
Mnsikfest xu grauen , und der Verlauf der Dinge zeigt eine so ungeschickte und
nervöse Behandlung der Angelegenheit seitens der Stadt, daß man zwischen Mitleid
und Zorn schwanken kann. Da aber der Musikerstand auf das empfindlichste dabei
geschädigt wurde, so haben wir das Mitleid anderen zu überlassen. Der ente Schritt
der Stadt war die Einholung von Gutachten iiber den Mißerfolg des letzten Musik-
fiestes. Nach Lage der Verhiltnisse war von vornherein anzunehmen, daß sich diese
Gutachten gegen Buths richten mußten. Man hatte nämlich mit deren Abfassung
zwei Juristen betraut: der eine ein durch seine Sammlung Brahmstexte weiteren
Kreisen bekannter musikalischer Dilettant mit ungemein liebenswQrdiger Beanlagung,
der andere erat so kurze Zeit in Düsseldorf ansissig, daß sein Gutachten sich wohl
iberhaupt nicht auf peraönlichen Einblick stutzen konnte, beide aber keineswegs in
der Lage, in einer derartig komplizierten Angelegenheit ein maßgebendes Votum ab-
zugeben, zu dem von Amts wegen der städtische Musikdirektor der einzig Berech-
tigte war. Wollte man neben seinem Gutachten noch andere haben, so saßen
genug Autorititen in Rheinland und Westfalen, um der Stadt den Vorwurf der
Parteilichkeit zu eraparen. Aber ein Gutachten über ein Musikfest, das die Stadt
mit Beiseiteschieben des städtischen Dezernenten für Musik von einem Laien einzieht,
kann sich nur gegen den bvtrefPenden Musikdirektor selbst richten. Buths wurde
denn auch die Schuld für den Fehlbetrag in erater Linie aufgebürdet, weil er, wie
das eine Gutachten sich ausdrückt, kein virtuoser Dirigent sei. Das ist eine recht
inifiglückte Bezeichnung, die kein Dirigent als Lob empfinden wird, des Wesens Kern
aber auch nicht trifft Was würde überhaupt ein Jurist sagen, wenn ein Musiker zu
einem Gutachten über eine Amtshandlung dieses oder jenes Richtere aufgefordert
würde! Den Aufruhr unter den gesamten Juristen möchte ich sehen! Und warum?!
Du lieber Gott, ein bißchen mehr oder weniger muß beute ein jeder juristischer
Dilettant sein! — Aber die Stadt wollte gegen Buths vorgehen, andera lassen sich
die nachfolgenden Schritte nicht veratehen. Diese Gutachten wurden auch nicht
einmal geheimgehalten (hatte die Stadt eine Absicht dabei?), was ein einfacher Takt
und die Rücksichtnahme auf die Verfasser unbedingt geboten hätte. Die Stadt wählte
nun unter völliger Umgehung ihres musikalischen Beraten eine Kommission, die die
Vorverhandlungen für das kommende Musikfest erledigen sollte. Professor Buths
reichte als Antwort seine Entlassung ein, die er aber auf Bitten des Musikvereins-
voratandes wieder zurückzog, ehe sie den offiziellen Weg genommen hatte. Anstatt
nun die Sache auf sich beruhen zu lassen, drängte die Stadt zu einer anderen Ent-
scheidung. Die Kommission beschloß, der städtische Musikdirektor habe an den
Beratungen über Programme und Solisten nicht teilzunehmen! Das bedeutet eine
Nichtachtung des fachmännischen Wissens, eine Arroganz des Laientums gegenüber
der Kunst und eine Kränkung gegenüber einem anerkannt fähigen Mann, wie es
gottlob! sich kaum wiederholen kann. Buths mußte jetzt natürlich definitiv seine
Entlassung einreichen, die ihm mit der üblichen Pension bewilligt wurde. Die
«Düsseldorfer Zeitung* schreibt sehr treffend: ». . ., hat sich — man höre — jenes
Konventikel, das im Rathause schon so viel gut und auch schon so viel schlecht
gemacht hat, die Finanzkommission (!!) mit dieser delikaten künstlerischen Frage beftßt,
und es wurde schließlich ein Plänchen ausgeheckt, das nur mit einem Unglück enden
konnte. Man hat sich, und das ist durch keine Kasuistik aus der Welt zu schaffen,
an Herrn Buths veraündigt. Man hat ein Konventikel geschaffen, das nicht offien
und ehrlich mit Herrn Buths gearbeitet, sondern das mit ihm Veratecken gespielt
hat Wenn Herr Dr. Thelemann sagte, man habe Herrn Buths von den vorbereitenden
grundlegenden Beratungen aus Schonung für ihn femgehalten, so gehört das zu dem,
174
DIE MUSIK VII. IS.
wu ich oben von der Kuulstik gesagt habe. Als notgedniD|ene EntschDldlfun^
nachdem die Sache so gründlich schief gegangen, kann msn die Ausrede {elten lauen;
aber ea fehlt Ihr die überzeugende Kraft. Was man Herrn Bnths lu sscen halte,
mußte man ihm offten und ehrlich ins Gesicht sagen, denn er Ist der Tenintwortlictae
sUdtische Beamte; daß die übrigen Personenfragen aber in seiner Gegenwart ver-
handelt wurden, das zu fordern, war nicht etwa sein Recht, sondern sogar aeine direkte
Amtspflicht Was Ist das für eine Art, die Geschifte zu führen, wenn man zu den
grundlegenden Beratungen über Solisten und Dirigenten eines Muiikfestes Laien und
unverantwortliche Dilettanten, die Steckenpferde reiten, mit entscheidendem Stlram-
recbl luzlebt und den verantwortlichen Berufelcün stier, der d» Pest vorbereiten und
zum größeren Teil durchführen muß. ausschließt?" Der Musikvere Ins vorstand hat rick
bei der AiTIre nicht rühmlich gezeigt, sonst bitte bei einem einigermaßen charakter-
vollen Vorgehen desselben das Äußerste vermieden werden müssen. Der Musikverein
selbst seilte sich allerdings in den schrofTsten Gegensatz zu seinem Vorstand und
beschloß in einer zahlreich besuchten Versammlung, an dem Musikfest sich nicht
lu beteiligen. So traurig es ist, daß in die BS Jahre lange Reibe der NIederrbelnIscheB
iHusikfeste eine Lücke kommt, so sehr ist zu begrüDen, daß der Paktor, an den Buths
die höchsten Anfoiderungen stellte, der Chor selbst, geschlossen für Ihn eintrat und
Ihm damit die Gewiiheit gab, daß seine Hingabe und Aufopferung und die dadurch
erreichten Leistungen nicht umsonst gewesen seien.
Professor Julius Buths hat gezeigt, daß man um des lieben Friedens und der
liebgewordenen Arbeitsstätte willen nachgeben kann, hat aber auch gezeigt, daß es
eine Grenze gibt, die ein Halt gebietet und zu den Konsequenzen zwingt. Ich welfi^
daß er deshalb von gar manchem für töricht gescholten wird; die Mualker in Ihrer
Allgemeinbelt aber werJen holTenllich Buths' Sache zu der ihrigen machen und ein-
mütig gegen eine derartige Mißachtung ihres Standes Protest erhebeiL
BÜCHER
130. HogoSlemanQ: HandbDcb dBrMualkceachlchte. 2. Band, 1. Tetl. (3.H«lb-
band des Garnen): Das Zellaller der Renalasance (bis 1600). Verlag:
Brefrkopf & Hine), Ulpilg 1007.
Vean nnlinist eine Muslkteliung bemerkte, Rlenann ala Historiker erailcke in
Ge) ehrsam kclr, lo mScbte Ick In b«u| auf diesen Halbband, ebenso wie bei ^em Tor-
berigen, lebr oft gerade daa Gegenlell bebauplen: leb sebe ibn bocberbobenen HaaptM
die enorme PGUe seines positiven Vlsseni fiberacbauen. Die geniale KraR and Klarbelt
«eines Blickes erbebt den Leser wie beim vorigen Band. Telcbe Ströme varmblfitlgen
Kansiempflndens mfissen alcb bei diesem Manne tu robiger bistoriscb-lstbetiacher B*'
irachinng abgeklin haben, bia er Imaiaode war, den StoiT Hlr jede kunstbisiorische Frage
deren zu siebten, Vermutungen fiber noch fehlendes Material und Urteile über das vor-
baodene gegen die Referate der Zeiigenoaten aus den Terschledenaten Epochen abiu-
wigeo, seine auf Grund des momentanen Forschungastandes gewonnenen ElndrAcke mit
den Vati rscbclol ich keilen weiterer Erkenntnisse und Resultate zu vergleichen! Auch
dieser Halbband wird wieder die Ursache sein, daQ in den Neuauflagen kleinerer Musik-
gescbicbien manctaes dem 15. und 16. Jsbrbnnden AngebSrtge modlflilcrt werden mufi,
da« sich bisher recht faGbscb klipp und klar immer von neuem wiederholen llcB. So
die Auafiibrung mehrstimmiger Musik durch iauier instrumeole einer ^Familie", deren
vervcbledene Tonlage nach Analogie der vier Menschen aiimmen abgeatufi war, die vor*
wiegende Lage der Melodie Im Tenor der Vokslsltie, daa Beginnen und flberwiegende
Befassen der Nlederllnder mit kontrapuoktlscber Kfinstelel, die rein vokale Natur elnea
gioBen Tellea der mehratlmmigen Komposition Im 14. und IS. Jahrhundert, die enge
Begrenzung des Begriffes Madrigalstil, dl3 abscbnlitbcBilmmende Bedeutung des Palestrlna-
Biils. Dafl nun die Erwartungen für den folgenden Halbband, apeilell die BIGtezeit der
italienischen Schulen, zumal fGr den nlhcr Intereaslerten auQerordentllcb hohe sein
mDssen, Ist klar. Gewifi wird er auch Aber einzelne Punkte, dis Dlaposldon des Stoffes
im ganzen beireifend, volle Klarheit bringen. Das Terk, das RIemann hier vollbringt,
ist «OD ao gans ungewSbnlicbem gelangen Umfang, ds& maochea In der Darstellung
wnbl erst endgültig gegllitet und gegeneinander abgewogen werden kann, wenn slmt-
llcbe Halbblnde voiliegen, und damit die Vorbereitungen zur zweiten Auflage beginnen.
Dr. Max Sieinitzer
131. Ernst Hölzer: Scbobart als Musiker. Zweiter Band der .Darstellungen aua
der württembergischen Gcachichte, herausgegeben von der würtf. Kommission
für La ndetgescb lebte'. Verlag: W. Kohlbammer, Stuttgart 1905.
Die vorliegende Schrift Ernst Holzers, des bekaonteo Verfatsers der ,Scbubart-
Mndien*, stellt die erste lussmmeohiogende Arbelt Qber den Musiker Sebubart dar. Ein
um so verdlensilicberes Unternehmen, sIs damit such einem gtSßeren Leserkreise Ge>
legenheit geboten wird, an der Hand eines lacbkundlgen Führen sich in bequemer Telse
fiber die muslkgescblcbtllcbe Bedeutung eines Mannes zu unterrichten, dessen eigen-
176
DIE MUSIK VII. 15.
mm
artige Persönlichkeit und wechtelvollen Schiclcsale von jeher ttarlce biographlscbe Teil-
nahme wachgerufen haben, dessen tonsetzeriichem Schaffen aber erst die neueste Zeil
wieder allgemeineres Interesse zuzuwenden begonnen bat. Venu nun auch der Zweck
der Holzerscben Studie hauptsichlich biographischer Natur ist, so gewinnt der Leser in-
folge der sorgfiltigen Sichtung und zusammenfassenden Darstellung des gesamten bio-
graphischen und bibliographischen Stoffes, in den eine Menge bisher unbekannten JMaterials
verarbeitet ist, im Verein mit dem berücksichtigten Stand der neuesten Forschungeergeb-
nisse fiber die einschligige Musikepoche doch ein ziemlich abgeschlossenes Btld vom
Musiker Schubart, wie es in dieser Vollstindigkeit und Obersichtlichkeit jedenfUls noch
nicht vorhanden war. Holzer gliedert seinen Stoff in drei Teile. Der erste bietet die
um manche neue Einzelheiten bereicherte, sorgfiltig ausgefOhrte »Lebensskizze*, die uns
den unsteten Entwickelungsgang des schwibiscben Dichtermusikers, dieser wahrhaft
problematischen Natur, aufs lebendigste veranschaulicht. »Was für ein zerfahrenes Leben i
Theolog, Schulmeister in einem elenden Nest, Dichter, Organist an einem Weltort
[Ludwigsburg], Abenteurer und ,Scbmarotzer*, «Konvertit*, Journalist, zehn Jahre Kerker
[Hohenasperg], Hofiheater- und Prologdtchterl Mögen andere dabei selbstgewifl aus-
rechnen, wieviel ,Schuld* ihn selbst trifft — es ist wahrhaftig kein Wunder, dafl nicht
mehr aus ihm geworden!* Daran schließt sich der ffir uns hier hauptsichlich In Betracht
kommende Abschnitt »Der Musiker und Musikschriftstelier*. In ihm werden sunlcbet
die Leistungen Schuberts im Orgel- und Klavierspiel, besonders auf Grund zeitgenössischer
Zeugnisse, beurteilt. »Offenbar lag seine Hauptstirke im Ausdruck, im Feuer und Clans
des Vortrags und im leichtquellenden Reichtum seiner Phantasie, wenn er Improvisierte.*
In dieser Stirke des Phantasierens, fuhrt Holzer feinsinnig weiter aus, lag anderseita
Schuberts Seh wiche als Komponist; »er verlernte es, f&r die erstmals auftauchenden
Ideen die knappe, konzise, notwendige, letzte Form zu suchen, und hier wahrlich muH
man suchen, um zu finden.** Schubart war in erster Linie Vortragskfinstler, »eine Ein-
heit von Dichter, Komponist, Singer und Spieler, die man nur mit dem griechischen
Wort ,Rhapsode* zusammenfassen kann". Holzer wGrdigt sodann der Reihe nach die
Kompositionen Schuberts, unter ihnen natfiriich besonders ausf&hrüch die Gattung, in
der er sein Höchstes geleistet: die volkstümlichen Lieder, von denen sich einzelne, wie
das berühmte »Kaplied", ja bis zum heutigen Tage im Volk lebendig erhalten baliett.
in dem Abschnitt über den Musikschriftsteller empfiehlt Holzer, den reinen Musik*
isthetiker Schubart allmihlich aus der Geschichte der Theorieen auszumerzen, h|lt aller
anderseits die die Zeitgenossen behandelnden Stellen seiner »Ideen zu einer Ästhetik der
Tonkunst", zusammen mit der Autobiographie und den MusikauMtzen der »Deutechen
Chronik*, wo sich Schubart überall als gediegener, selbsiindiger Musikkritiker erweist^
einer Neuausgabe für durchaus würdig. Bemerkenswert sind u. a. Schuberts begeisterte
Verehrung für Job. Seb. Bach und seine felsenfeste Überzeugung von dem endlichen
Sieg der deutschen Tonkunst über die welsche Musik. »Und was gehörte dazu, um in
jener Zeit an die deutsche Zukunft zu glauben!" Man kann Holzer nur beistimmen, wenn er
für seinen Helden, dem er übrigens neben der Liebe des Biographen durchaus kritische
Sachlichkeit entgegenbringt, Anspruch darauf erhebt, es möge ihm in der Musikgeschichte
seiner engeren Heimat der ihm gebührende Platz eingeriumi werden, denn »hier hat er mit
seinem Spiel, mit seinen Liedern, mit seinen Schrifcen, seiner Kritik auf mehrere Generationen
gewirkt. Auch in der Musik war er. ein ganzer, resoluter Kerl, und sein einziges Ungifick war,
daß zwei halbe Genies — der Mathemathik und Logik zum Trotz — kein ganzes machen.*
Den Inhalt des vieles Neue und Interessante bietenden, wichtigen zweiten Teils, »Ver-
öffentlichtes und Unveröffentlichtes^ Bibliographisches", deutet der Titel klar an. Er serflUlC
in die Abschnitte »Musikalisches in der Chronik 1774—1777", »Hohenasperg 1777—1787*,
/'>.
177
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
«Stattgart 1787— 1791**, »Verzeichnis simtlicber Kompositionen Scbubarts*. Mit großem
Fleiß ist hier altes und neues Material zusammengetragen und wird mit philologischer
Akribie und in klarer, lichtvoller Darstellung verarbeitet. Besonders erwihnt sei die
genaue Beschreibung der wichtigen Stuttgarter Handschrift. Die überwiegende Masse
des in diesem Teil behandelten Materials stammt übrigens vom Hohenasperg, und Holzer
weist mit Recht darauf hin, daß es sehr fraglich sei, i^ob Scbubart je dazu gekommen
wäre, außer einigen Liedern etwas Musikalisches niederzuschreiben, wenn er sein
Publizistenleben fortgeführt bitte . . . Die Wirkungen der Musik in tiefem Leide hat er
an sich selbst erleben können, wie kaum ein anderer.* Den dritten Teil bilden feinsinnig
ausgewihlte Notenbeilagen, darunter die Klaviersonate Nr. 1. Die wertvolle Publikation
Holzers sei jedem, der sich für das Leben und Schaffen des merkwürdigen schwibischen
Kunstlers interessiert, hiermit nachdrucklich empfohlen. Willy Renz
MUSIKALIEN
132. Gustav Mahler: Lieder für eine Singstimme mit Klavier oder
Orchester. Verlag: C. F. Kahnt Nachfolger, Leipzig.
Das erste der sieben Gesangsstücke, die der ehemalige Wiener Hofoperndirektor
in dieser Sammlung darbietet, ist »Revelge* betitelt und stammt in seiner Dichtung aus
H»De8 Knaben Wunderhorn*. Der Komponist hat den Ton des eigenartigen, von derber
Realistik zu gespenstischer Phantastik sich steigernden Gedichts vortrefflich getroffen
und ein Vortragsstfick geschaffen, das sicherlich eine große Wirkung tun wird. Noch
•weit mehr ist dies aber der Fall bei der aus demselben Gedichtbuch entnommenen
Ballade »Der Tambourg'sell*. Diese Komposition, die von einer verbluffenden Einfach-
heit und Volksmftßigkeit ist, halte ich für die weitaus beste der ganzen Sammlung. Die
musikalische Schilderung des Abschieds, den der zum Tode verurteilte junge Tambour
vom Leben nimmt, ist ergreifend und mit den einfachsten musikalischen Mitteln
erzielt. Daß Mahler wirklich ein bedeutender Tonsetzer ist, beweist diese Ballade aufs
Iclarste. Die Geschlossenheit der Konzeption, die man hier findet, ist in den weiteren
Heften der Sammlung leider oft einer bedauerlichen Zerfahrenheit gewichen, die sich
vielleicht aus dem Streben nach Herausarbeitung aller Details der Texte erkürt. Wie
2. B. in den beiden Liedern »Um Mitternacht* und »Liebst du um Schönheit* unauf-
hörlich die Taktart wechselt, das ist schon beinahe maniriert. Dagegen ist »Ich bin der
Welt abhanden gekommen* von einer glücklich erfaßten und festgehaltenen Ruhestimmung
erfüllt, die auch durch die zunichst auffallenden hiuflgen Triolen der linken Hand
nicht gestört wird, wenn der Spieler diese nur recht zart, gleichsam als auftauchende
Erinnerungen an die nun überwundene Unruhe der Welt erklingen Iftßt. In den beiden
Liedern »Ich atmet' einen linden Duft* und »Blicke mir nicht in die Lieder* fällt eine
fast ununterbrochen durchlaufende Bewegungsstimme auf, die vom Begleiter mit
besonderer Diskretion zu behandeln ist. Melodisch ist das erstgenannte Stück überaus
anmutig, während das andere von Leidenschaft und einer gewissen ängstlichen Hast
erfüllt ist. Was die Lieder besonders anziehend macht, ist der Ausdruck inneren
.Erlebens, der aus allen deutlich erkennbar herausspricht. F. A. Geiß 1er
13d. Eduard Wachmann: Rumänische Chorgesänge. Verlag: C. Gebauer ftjean
Feder, Bukarest.
Die Sammlung besteht aus Chorliedern für Männerstimmen, gemischten Chören
für den Schulgebrauch, Studenten-, Soldaten- und vaterländischen Liedern sowie Kirchen-
gesängen und Llturgieen, ebenfalls für gemischten Chor. Was aus dieser reichhaltigen
.Sammlung besonders Interesse für uns hat, sind die Männerchöre, denen außer dem
VIL 15. 12
178
DIE MUSIK VII. 15.
rumänischen noch ein deutscher Text beigeffigt worden ist. Das sind köstliche Nova
für unsere Mftnnergesangvereine und solche Liedertafeln, die sich aparte Ziele gesteckt
haben. Die Stimmen sind gut gesetzt und gesanglich, die Harmonieen wohlklingend. Zu
diesen eigentlich selbstverstindlichen Bedingungen tritt aber noch der melancholische
Schmelz des Orients, der wie ein feines Gewebe durch die Gesinge zieht und uns Tcr-
rit, daß ihr Verfasser wohl ein Leben lang unter den sensitiven Völkern des Balkans,
dieser Brücke von Europa nach Asien, geweilt hat. Der Rumine, dessen Sprache gleich-
viel slawische wie römische Elemente enthält, nennt sich bekanntlich gern den womöglieb
»direkten** Nachkommen des stolzen Römers. Leider kann in der Anthropologie der
Sprache eines Volkes nur ein geringer Wert beigemessen werden, und gar kein Wert seiner
Literatur und Musik, sonst könnten die Liturgieen und kirchlichen Gesinge Wachmanos
einen schlagenden Beweis von dem vorherrschenden Slawentum der Ruminen abgeben..
Die ganze Melancholie und das besondere religiöse Empfinden der Slawenwelt kommt
hier zum Ausdruck, obschon die strenge Einfachheit, die die griechisch-orthodoxe Kirche
vorschreibt, gewahrt werden mußte. Entfernt erinnern sie an die russischen rellglöseo
Gesinge, die zu hören man in Deutschland letzthin öfters Gelegenheit gehabt hat. Die
Stimmführung in den Kirchenliedern ist übrigens gar nicht so einfach. Obermißige und
andere unbequeme Intervalle, die unsern Durchschnittssingern technisch einen gelinden
Schrecken einjagen würden, zeugen hier von einer Sonderart der Tonkunst. Wenn Ich
nicht so oft in den Balkanlindern und in Rußland gehört bitte, mit welcher Leichtigkeit
solche Aufgaben von den einheimischen feinhörigen Singern gelöst werden, ich würde
an dem guten Ausgang eines solchen Chorgesangs zweifeln. Zu bedauern Ist, daß Wach-
manns religiöse Lieder insgesamt nur ruminischen Text enthalten.
Albert Friedenthal
134. Othniar Schoeck: Serenade für kleines Orchester, op. 1. Verlag:
Gebrüder Hug & Co., Leipzig und Zürich.
Dieses Friedrich Hegar gewidmete Werkchen bekundet eine für ein Opus 1 be-
merkenswerte, wenn auch noch nicht freie und reife Beherrschung der Mittel. Sie sind
auf ein Minimum reduziert: nur je ein Holzblasinstrument und Hom außer dem Streich*
Quintett; öfters finden sich neben klaren Stellen noch ungeschickte Reibungen« die auf noch
ungenügende Kenntnis der Klangwerte hindeuten. Ein besonderes Geprige erhilt das
Stückchen durch seine ganze Art und Form. Es ist nicht die landesübliche mehrsitzige
Serenade, sondern eine innere programmatische, meines Erachtens glückliche Idee scheint
das einsitzige Stück in seiner ganzen Anlage zu beherrschen: der Akt einer Serensdea-
darbringung mit zorniger Unterbrechung (des Gefeierten?) und humorvoller, warmer».
darum um so bestimmter erklingender Huldigung. Also Ausdrucksmusik. Sehr plastisch
sind die Themen noch nicht, aber im ganzen ist das Stücklein doch eine entschiedene
Talentprobe mit sogar stellenweise aparten harmonischen Gedanken.
135. August Rosenkranz: Konzertouvertüre, op. 15. Für Hausorcbester be-
arbeitet von Gustav Zanger. Verlag: Chr. Fr.Vieweg, Berlin-Großlichterfelde.
Wird man einmal von ungefihr in ein Cafdhaus verschlagen, und spielt da die
heutzutage übliche Hauskapelle dieses ganz geschickt arrangierte Stück, so mag man
Siebs wohl gefallen lassen. Aber schon für ernste Dilettantenvereinigungen würde das-
Opus nach meinem Empfinden eine zu magere Kost bedeuten. Es Ist platte Mualk TOn
sehr indifferentem Ausdruck und Gehalt — Noten und wieder Noten Ton der bekannten
Sorte mit der Marke »Allzuviel'*, an denen kein Mensch etwas verliert, oder gewinnt.
Alfred Schattmann
136. Halfdan Cleve: Fünf Stimmungen für Pianoforte. op. 20. Verlag: Brelt«^
köpf & Hirtel, Leipzig.
M
179
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
Harmoniscb sehr kompliziert, ofc herb und reich an Dissonanzen, mitunter mehr
orchestral wie klaviermißig im Satze, schreibt Halfdan Cleve. Ausdruckskraft und
Oberscbwinglichkeit, Neigung zu scharfen dynamischen Gegensitzen bilden das Charak-
teristikum der ffinf Stimmungsbilder. Relativ klar erscheint Nr. I, Andante tranquillo,
im Inhalt wie in der Form gehalten. Das knapp gefaßte Adagio fundbre (II) wirkt ganz
ausgezeichnet. In den folgenden SiQcken (III und IV) erscheint manches zu gesucht,
um als Ausfluß einer regen Phantasietitigkeit fiberzeugen zu können; im letzten Poco
Tivo (V) bestechen die Klangffille und technische Bravour. An die Wiedergabe der
Stimmungen durften sich jedoch nur mit Energie ausgerüstete, leistungsfihige Spieler
heranwagen. Artur Eccarius-Sieber
137. Friedrich £• Koch: Deutsche Rhapsodie. Konzert ffir Violine und
Orchester, op. 31. Ausgabe ffir Violine und Klavier. Verlag: C. P. Kahnt
Nach f., Leipzig.
Auch wer, wie Referent das wohl von sich behaupten darf, stets bemfiht ist, die
guten Seiten einer Komposition in den Vordergrund zu stellen, muß fast verzweifeln,
solche in diesem Werk zu finden: es ist Musik, die nur grübelnder Reflexion ihre Ent-
stehung zu verdanken scheint, an der Herz und Gemüt unbeteiligt ist. Möglich, daß
beim Zusammenwirken eines Geigers ersten Ranges mit einem vorzfiglichen Orchester
das Werk sich als bedeutend erweist, aber in weitere Kreise wird es nie dringen. Die
Solostimme enthftlt manche interessanten Stellen, doch werden diese meist durch den
Hinzutritt der Begleitung abgeschwächt; nur ja nicht naturlich, nur höchst kompliziert
scheint mir diese vom Komponisten absichtlich geschrieben zu sein. Am erfreulichsten
shid noch die Variationen, die in der Mitte des Werks stehen, aber akademisch-trocken
sind auch sie.
13S. C68ar Cui: 2me Quatuor pour 2 Violons, Alto et Violoncelle. op. flS.
Verlag: P. Jurgenson, Moskau und Leipzig.
Ein höchst empfehlenswertes Quartett. Der erste Satz ist geradezu ein Muster
klarster Durcharbeitung reizvoller, sich sofort dem Ohre einschmeichelnder Themen.
Sehr wirkungsvoll ist das feurige Scherzo mit seinem gesangsreichen Mittelsatz. Nicht
ganz einfach für das Verstindnis und den Vortrag ist der langsame Satz. Im Pinale sind
ganz oflTenbar der russischen Volksmusik entnommene Themen in Rondoform verarbeitet.
130. Ignatz Waghalter: Sonate für Violine und Pianoforte. op. 5. Verlag
D. Rahter, Leipzig.
Diese nicht gerade leichte Sonate zeugt von sicherer Beherrschung des Satzes und
geläutertem Geschmack in der Themenbildung; in der Rhythmik bemüht sich der junge
Komponist, möglichst eigenartiges zu bieten. Auch vermeidet er jede Weitschweiflgkeit.
Als Zwischensatz des liedförmigen Andante bringt er recht geschickt ein flottes Scherzo.
140. Max Lewandowsky: Sonate für Pianoforte und Violine, op. 8. Verlag:
C. P. Peters, Leipzig.
Der junge Komponist weilt nicht mehr unter den Lebenden. Aber soll man wirk-
lich »De mortuis nil nisi bene" nun sagen? Wiren alle Themen so energisch und grofl-
zugig, fut symphonisch wie das erste, mit dem die dreisitzige Sonate beginnt, so wäre
sie höchst beachtenswert. Leider sind aber die Gesangsthemen durchweg zu süßlich-
weichlich; dazu befleißigt sich der Komponist bei der Verarbeitung seiner Gedanken einer
ermüdenden Weitschweiflgkeit; er musiziert drauf los, als ob er nur goldene Worte zu
sagen hätte; fiberall flnden sich interessante Anliufe, infolge mangelnder Kritik verflacht
aber fast alles nur gar zu bald. Am schwächsten ist der langsame Satz.
Wilhelm Altmann
12*
NEUE MUSIK-ZEITUNG (Stuttgart) 1908, No. 5— 10. - Aus Rudolf Louis' neuem
Buche „Die deutsche Musik der Gegenwart** wird unter der Oberschrift „Fortschritt
oder Verfall?« ein Abschnitt abgedruckt, in dem der Verfasser die Frage, ob die
moderne Musik dem Verfall entgegengehe, verneint.— „Aus der Selbstbiographie
Karl Friedrich Zelters% die sein Enkel Wilhelm Rintel 1861 in Berlin herausgab
und jetzt vergriffen ist, teilt Joseph Lewinski manche interessante Ereignisse aus
Zelters Leben mit. Er schließt seinen Aufsatz mit den Worten: „Der Leser
erkennt schon aus diesem dürren Skelett des Tatsächlichen die Gediegenheit des
vortrefflichen Mannes, die ihn der innigen Freundschaft eines Goethe würdig
machte.** — Unter dem Titel „Der verwünschte Ruhm. Erinnerungen an das
Konservatorium** wird eine Erzählung von Potapjenko veröffentlicht (No.SundQ,
die, wie die Redaktion in einer Fußnotiz bemerkt, „als Beitrag zur Frage der
«Wunderkinder* heutzutage besonders interessieren** wird. — Der Aufsatz „Anton
Brückner. Neunte Symphonie (in d-moll, dreisätzig)** von Theodor Helm iun.
(No. 6, 8, 11 und 12) enthält eine sehr ausführliche Erläuterung der Symphonie mit
zahlreichen Notenbeispielen. — Walter Nie mann wendet sich in dem Aufeatz
„Eugen d'Alberfs Bach-Ausgaben** (No. 6) hauptsächlich gegen d'Alberfs Vorwort
zu seiner Ausgabe des „Wohltemperierten Klavier**, insbesondere gegen die Sitze:
„Bach empfand .... durchaus verschieden von uns Modernen: kerniger, wohl
auch gesünder — indessen waren ihm jedenfalls eine große Reihe von seelischen
Empfindungen und deren Ausdrucksweise durch die Musik völlig fremd und die Ton-
farben in unserm heutigen Sinne gänzlich unbekannt^, „auch drückt er alles, was
er empfand, massiger — vielleicht oft großzügiger — aber jedenfalls eintöniger aus,
als wir es heute wollen**. — E. H. veröffentlicht einen kurzen Aufeatz über Caruso
(„Enrico Caruso**), O. K. einen über SchiHings („Max Schillings — Stuttgarter
Hofkapellmeister**). — Ober einige Pensionskassen, Unterstützungs vereine u. der^l.
berichtet L. F. in dem Aufsatz: „Welche Aussichten hat eine Musiklebrerin für ihr
Alter?* (No. 6). — Alexander Eisenmann untersucht in dem Aufsatz „Mozarts
Vll. Violinkonzert** (No. 7) eingehend die Frage, ob das vor einigen Monaten von
Albert Kopfermann herausgegebene Violinkonzert wirklich von Mozart komponiert
wurde oder nicht. Er hält es für „schwer, im vorliegenden Falle zu einem posi-
tiven Resultat zu kommen**. Auch viele von anderen Musikschriftstellem und
Musikern geäußerte Ansichten über das neue Konzert werden in diesem Aufeatz
mitgeteilt. — F. A. Geißler beklagt in dem interessanten Aufeatz: „Die Sehn-
sucht nach den Vierteltönen**, daß wir infolge der Gewöhnung an die Enharmonik
des Klaviers nicht mehr in dem Maße, wie z. B. die alten Griechen, Rhig sind,
Intervalle, die kleiner sind als Halbtöne, wahrzunehmen. Beethoven habe «In
seinen Quartetten durch eine aufs höchste gesteigerte Polyphonie und eine bisher
ungeahnte Feinheit der rhythmischen Kleinarbeit die Grenzen der Intervalle der-
maßen verengt, daß der Halbton oft nicht mehr als kleinste Stufe erscheint, daß
wir vielmehr in vielen Fällen meinen, ein noch kleineres Intervall zu hören*.
Das bringt Geißler mit der Taubheit Beethovens in Zusammenhang. Dadurch, ds8
REVUE DER REVUEEN ^^»
sein »äußeres Ohr^ nicht mehr den „übeilauten, vordrängenden Klang des enharmo-
nischen Klaviers** vernommen habe, sei er von »dem Zwange der »temperierten'
Stimmung** frei geworden und habe »die reinen, feinen Klänge so klar** vernommen,
daß er versuchen konnte, »sie mit den unzulänglichen Mitteln unserer Notenschrift
festzuhalten**. Richard Strauß zeige, besonders in seiner »Salome**, dadurch, daß er
»auf Tonalität so gut wie ganz verzichtet, vielmehr die verschiedensten Tonarten
nebeneinander stellt oder, besser gesagt, ineinander schiebt**, sein Streben nach
»Neugewinnung der Vierteltöne für das menschliche Ohr**, die »eine ungeheure
Bereicherung, ja sogar vollständige Umgestaltung der gesamten Tonkunst** bedeuten
wurde. Max Reger komme »durch die sinngemäße und konsequente Ausbildung
der Polyphonie, des Rhythmus und einer nur aus der freiesten Stimmführung
sich ergebenden Harmonik ebenfalls zu jenem harten Anprallen des Sekunden-
intervalls, zu jenem bohrenden Suchen nach den Vierteltönen**. Am Schluß spricht
Geißler die Meinung aus, daß »vielleicht in einem halben Jahrhundert** unser
Ohr »sogar auf Vierteltöne eingestimmt sein** werde. — Toni Konrath beschreibt
in dem Aufsatz »Pfitzner als Dirigent der Pastorale von Beethoven (aus dem
Tagebuche eines Orchestermusikers)**, wie Hans Pfitzner die Symphonie in Wien
dirigierte. Der Aufsatz enthält zahlreiche Notenbeispiele mit genauer Angabe,
wie Pfitzner die angeführten Stellen spielen ließ. — Der Aufsatz »Das Jubiläum
des Philharmonischen Chores zu Berlin** von Paul Ertel enthält eine Geschichte
das genannten Chores und eine Lebensbeschreibung seines Gründers und Leiters :
Siegfried Ochs. — Paul Bekker veröffentlicht einen kurzen Aufsatz über Max
Bruch (»Max Bruch**), Ernst Segnitz einen über La Mara (»La Mara [Marie
Lipsius]**). — Der Aufsatz »Etwas von Paganini** enthält Mitteilungen über die
Kindheit Paganini's, seine Geige und ein in dieser Nummer veröffentlichtes
Bild. Am Schluß wird ein Brief von Rudolf Freiherrn Proschäzka abgedruckt,
der gegen die weitverbreitete Geringschätzung der von Schumann
und Liszt hochgeschätzten Begabung Paganini's als Komponisten protestiert.
(Auf ein günstiges Urteil Joachims über Kompositionen P.'s haben wir in dem
Bericht über den »Mercure musical** in unserer vorigen »Revue** hingewiesen.) —
Hans F. Seh a üb berichtet in dem Aufsatz »Die Lage der Orchestermusiker in
Deutschland** (No. 8), hauptsächlich auf Grund der Waltzschen Schrift, über die
elende Lage des Musikerberufes. — Hermann Gramer setzt die von uns schon
früher angezeigte Besprechung von Werken für Violoncello fort (»Führer durch
die Literatur des Violoncellos**). — Am6d6e Boutarel bespricht in dem Aufsatz
»Historische Porträts** die, auch in der »Musik** (VII, 8) veröffentlichten, aus der
Collection Marmontel in Paris stammenden Bildnisse Glucks, Marmontel's, Chopin's
und Stephen Hellers. — O. K. drückt in dem Aufsatze »Disharmonisches aus der
Musikstadt München**, in dem er das Verhalten des Kaimorchesters gegen Rudolf
Louis bespricht, seine Verwunderung darüber aus, »daß noch nirgends auf die
juristische Seite des Falles hingewiesen worden ist**. Er wünscht, daß Besucher
des durch den Krawall gestörten Konzertes die Direktion der Volkssymphonie-
konzerte verklagen, weil sie »um den künstlerischen Genuß gekommen** seien, den
sie nach der Bezahlung des Billets beanspruchen konnten. K. meint sogar, daß
im »allgemeinen öffentlichen Interesse** »vielleicht der Staatsanwalt wegen öffentlicher
Beleidigung oder wegen groben Unfugs einschreiten sollte**. Die Hauptschuld daran,
»daß das Kaimorchester nicht in steter, ununterbrochener Entwicklung fortschreiten
konnte**, tragen nach K.s. Meinung die Stadt München, die das Unternehmen nicht
durch Geldzuwendungen gefördert habe, und die Musikfreunde Münchens, die es
182
DIE MUSIK VII. 15.
^nur zur Zeit Weingartners" durch genugenden Besuch der Konzerte unterstfitzt
hätten. — Der Aufsatz „Die Anstalt für musikalisches AufrOhrungsrecbt, der ^Bider-
verband' und eine Pflichtversäumnis" (No. 9) von Paul Marsop verteidigt die ge-
nannte Anstalt gegen die Vorwürfe, die der ,» Allgemeine Deutsche Biderverband*
in seiner letzten Generalversammlung gegen sie erhoben bat. Marsop empfiehlt
dem BSderverband, auf die Tagesordnung seiner nächsten Generalversammlunc
„die Verbesserung der sozialen Lage und die Reform der Programme der deutschen
Badeorchester** zu setzen. — Gustav Neu haus beschreibt in dem Aufeatz «Das
naturliche Notensystem* seine neue Notenschrift. Eingehender hat N. diese in einer
Broschüre dargestellt, die vom Verleger, H. Neuhaus in Bochum, unentgeltlich und
portofrei zu beziehen ist (und die auch in der „Musik* besprochen werden wird). —
Max Röttgers bespricht ausführlich den ersten Teil des zweiten Bandes der
Kalbeckschen Biographie Johannes Brahms' („Max Kalbeck: Johannes Brahma*). —
Hans F. Schau b berichtet über „Die Eröffnung des neuen Hoftheaters in Weimar*. —
Eugen Honold sagt in dem Aufsatz „August Wilhelm] f*: „Wenn er als Kfinstler
wohl nicht ganz auf derselben Höhe stand wie als Virtuose, so darf er doch ala
einer der bedeutendsten Sterne der deutschen Geigerwelt bezeichnet werden.* —
Das 9. Kapitel der „Übungen in der Betrachtung musikalischer Kunstwerke* Ton
G. Münzer behandelt die Sonate (No. 1), das 10. die Symphonie (No. 9). — Rudolf
Louis begründet in dem interessanten Aufsatz „Zum 13. Februar 1908. Erinnerung
und Ausblick* (No. 10) die Ansicht, daß die Gefahr des „Wagnerianertuma* Tor-
nehmlich darin liege, daß Wagner ein „universaler* und doch so „subjektiTer*
Geist war, „daß, wann und wo immer er es unternahm, eine fremde Erscheinung
zu deuten oder zu erklären, ganz unwillkürlich eine oratio pro domo daraus wurde*.
Dadurch komme der Verehrer Wagners leicht dazu, „die ganze Welt des deutschen
Geistes* so zu sehen, „wie sie der Bayreuther Meister sich konstruiert hatte*; und
es koste ihn dann „eine schwere Anstrengung, von all dem, was diese Konstruktion
Unhaltbares und Irreleitendes enthält, ganz wieder loszukommen*. Wenn wir uns
aber „von der Alleinherrschaft Richard Wagners über unsem Geist* bef^it hätten
und dann zurückblickten auf das, was wir ihm verdankten, und was uns kein
anderer hätte geben können, so könne „kein anderes Gefühl zurückbleiben, ala
heißer Dank und innigste Liebe*". Bald werde es „keine als solche sich bemerkbar
machenden Wagnerianer mehr geben, weil es schließlich niemand mehr gibt^ der
in einem gewissen höchsten und besten Sinne nicht Wagnerianer wäre*. — Knud
Härder bespricht in dem Aufsatz „Richard Wagner und Dänemark* die Pflege
der Wagnerschen Kunst in Dänemark und die Urteile der Dänen über einzelne
Gestalten der Wagnerschen Dramen, über Wagnersche Musik, über Wagners
Charakter usw. — Heinrich Seh wart z beginnt eine längere pädagogische Ab-
handlung unter dem Titel „Czernys Schule der Geläufigkeit und anderes*. —
Gelegentlich der erfolgreichen Aufführung der „Istrianischen Hochzeit* in Wien
veröffentlicht Max Dietz den Aufsatz „Anton Smareglia und seine Oper ,Istrianiache
Hochzeit^*, der eine Lebensbeschreibung des Komponisten und eine Besprechung
seiner Werke enthält (No. 10 und 11). Dietz meint, die Aufführung der Hauptwerke
Smareglia's sei „eine Ehrenpflicht, der sich keine Bühne, die sich selbst achtet
und sich höheren Idealen als der Befriedigung des Tagesgeschmacks weiht^ ent-
ziehen* könne.
Magnus Schwantje
KRITIK
OPER
ANTWERPEN: Im Flimischen Opernhaus
brachten es »Fidelio% «Tannhiuser" und die
»Fledermaus* zu mehrfachen Wiederholungen;
namentlich letztere geflel in der in Deutschland
Jetzt beliebten Besetzung mit Opern kräfien ganz
besonders. Wagners «Siegfried* und Zöllners
»Faust*» die beide in Vorbereitung waren, er-
halten wir In dieser Saison nicht. Des Genter
Kapellmeisters Roels »Pinksternacht*, ein
gediegenes, reich intrumentiertes kurzes Werk
erzielte als Novitit unter Leitung des Kompo-
nisten einen großen, wohlverdienten Erfolg; der
Einakter »Gioia* von Godelsky eine direkte
Ablehnung. A. Honigsheim
BERLIN: Königliches Opernhaus. Mit
der Neueinstudierung der »H u g e n o 1 1 e n*, die
Ende Mirz, musikalisch revidiert und aufs
prichtigste ausgestattet, in Szene gingen, war
einem persönlichen Wunsche des Kaisers Folge
geleistet. Die Musiker von heute verhalten
sich Meyerbeer gegenüber mehr oder minder
abiebnend und wollen nicht viel mehr als seine
kompositionstechnische Virtuositit gelten lassen ;
das Publikum wiederum, ohne gerade nach einer
Bevorzugung dieser Oper Verlangen zu tragen,
goutiert doch immer noch gar vieles darin,
zumal wenn es von geeigneten Kräften geboten
wird. Die beginnen nun freilich immer empfind-
licher zu fehlen. Wir haben — in Deutschland
wenigstens — keine Meyerbeer-Singer und keinen
Meyerbeer-Stil mehr, was ffir die Beurteilung
der Wirkung nicht außer acht zu lassen ist.
FrL Destinn (Valentine), Fr].Hempel(KöDigin),
Frl. Kau ff mann (Page), die Herren Jörn
(Raonl), Knüpf er (Marcel), Griswold (St. Bris)
and Berger (Nevers), sie alle konnten nur im
Einzelnen, nach Maßgabe ihres Talentes und
Bildungsganges, den Rollen Charakteristisches
abgewinnen, und der dirigierende Kapellmeister
Leo Blech verfuhr, aus Scheu vor ordinären
Effekten und Gewohnheitssünden, mit einer
Snbtilitilt und Vornehmheit, die seiner Gewissen-
haftigkeit und seinem Geschmack ein gutes
Zeugnis ausstellten, dem musikalischen Stil
des Werkes aber ein gut Teil von seiner Eigenart
nehmen mußte. Der Schwerpunkt dieser »Huge-
notten*-Aufführung lag also im Szenischen.
Was Echtheit und Pracht der Kostüme, was
malerische, im besonderen koloristische Schön-
heit der Dekorationen anbelangt, wurde in der
Tat ganz Außerordeptliches vor Augen geführt.
Die Burghalle im ersten, der Schloßgarten im
zweiten Akt waren Bilder von seltenen Reizen;
nicht minder wirksam waren das Straßenbild und
das Interieur im vierten Akt gestaltet; selbst die
kurze Schlußszene erhob sich in ihrer bildlichen
Wirkung weit über das Gewohnte. In diesem
vornehm-künstlerischen Rahmen nun spielte
sich die Handlung überraschend natürlich ab.
Intendant v. Hülsen, der diesmal die Regie
selber führte, hat in der Art, wie er mit über-
lebten Traditionen aufgeräumt und aus freier
Anschauung Neues und Verständiges geschaffen
bat, Geschmack und technisches Geschick
bewiesen. Hebt man noch hervor, daß durch
Aufmachen verschiedener Striche das Verständnis
gefördert ist und manche Obergänge motivierter
geworden, so hat man allerdings erschöpft, was
es über die neueste Darstellung der »Hugenotten*
an Gutem zu berichten gibt. — Eine «ATda*-
Vorstellung sollte einer jungen Dame Gelegen-
heit bieten, an so hervorragender Stätte die
Aufmerksamkeit auf ihre Begabung zu lenken.
Das Ergebnis war aber nicht günstig genug, um
den Versuch gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
Signorina S a 1 v a t i n i , die die Titelrolle italienisch
sang, besitzt zweifellos gesangliche Beanlagung
und stimmliche Mittel von ungewöhnlichen
Qualitäten. Aber sie ist noch völlig unfertig in
ibrer Ausbildung. Die hohen Töne nimmt sie
gewaltsam und singt dann empfindlich unrein;
vor allem aber ist das Organ noch nicht der
Träger überzeugenden dramatischen Ausdrucks,
auch blieb das Technische der Partie zum großen
Teil unbewältigt. Ober das Unzulängliche der
Darstellung hätte man sonst bei einer Debü-
tantin allenfalls hinwegsehen können. Der
Abend war trotzdem insofern kein verlorener,
als er uns mit recht tüchtigen Leistungen ein-
heimischer Künstler bekannt machte. Frl. Ober
trat als Amneris weit vorteilhafter als bisher
hervor; sie entwickelte sogar etwas wie Schöpfer-
kraft in dieser Rolle und ließ ihre schöne
Altstimme sich so prächtig entwickeln, daß man
in Zukunft Gutes von ihr erwarten kann. Herr
Krasa gab zum erstenmal mit gutem Gelingen
den König, diese kleine, aber nicht unwichtige
Partie. Herr Maclennan hat den Radames
bereits nach Caruso hier gesungen. Er bekundete
aber in dieser Rolle so auffällige Fortschritte
im Gesang, in der Beherrschung des Deutschen
und im Erfassen dramatischer Aufgaben, daß es
nur gerecht ist, ihm in diesem Streben
Anerkennung und Aufmunterung zuteil werden
zu lassen.
Komische Oper. Direktor Gregor hat
neuerdings Verdi's »Maskenball* dem Spiel-
plan seines Theaters einverleibt, hat aber damit
abermals eine wenig glückliebe Wahl getroflTen.
Die italienische Oper, vornehmlich die ältere,
wurzelt nun einmal zu stark im Nationalen, um
ohne Beeinträchtigung der Wirkung auf anderen
Boden verpflanzt werden zu können. Es gibt
Verdi-Opern, die bis zu gewissem Grade Aus-
nahmen bilden. »Rigoletto*, auch »Traviata*
können durch Betonen des Dramatisch- Charak-
teristischen allenfalls genießbar gemacht werden.
Der „Maskenball* jedoch kann den italienischen
Gesangsstil, italienische Verve und italienisches
Theaterblut nicht entbehren. Die Komische Oper
nennt zwar zwei Landsleute Verdi's ihr eigen, aber
Maestro Tango ist zu einseitig Taktschläger,
besitzt wohl auch nicht die nötige Autorität, um
ein deutsches Ensemble seinem Temperamente
gefügig zu machen, und Maria Labia versagt
leider gesanglich vollkommen, sobald sie sich
der deutschen Sprache als Ausdrucksmittels be-
dienen muß. Noch ungenügender als ihre
Am61ia waren die Ulrike und der Page durch
die Damen Krüger und Pickert vertreten.
Wie kann man nur den »Maskenball* ohne
Altistin und ohne Koloratursängerin geben wollen!
Die schönen Ensemblesätze fielen solchergestalt
gänzlich ins Wasser. Eindruck machte einzig
der Graf Na V als, der in der Liebesszene über-
zeugende Akzente fand, und der Renato Ege-
nieffs, der eine sympathische, echt männliche
Figur schuf und namentlich in seiner großen
184
DIE MUSIK VII. 15.
m
F-dur-Arie gesanglich das weitaus Beste des
Abends bot. Die Vorstellung fand den üblichen
Premiereabeifall. Dr. Leopold Schmidt
COLMAR: ,»Sonnenwendglut^y dramatische
Ballade in drei Aufeugen. Dichtung von Felix
Baumbach. Musik von Hans Schilling-
Ziemssen. UrauffQhrung. Hans Schiliing-
Ziemssen, aus der Mfinchener Schule hervor-
gegangen (Thuille), hat sich bereits in der
Musikwelt einen geachteten Namen gemacht —
verschiedene seiner Kompositionen sind bei den
Versammlungen des Allgemeinen Deutschen
Musikvereins schon aufgeführt worden. In der
ySonnenwendglut* tritt er zum ersten Male
als Opernkomponist hervor, und zwar, wie vor-
ausgeschickt sei, als Musikdramatiker in den
Bahnen Wagners wandelnd. Anstoß hierzu gab
das dem Wagnerschen Stoffkreise entlehnte
Libretto, das in die isländische Vorzeit versetzt.
Helga, Sieglinden gleich an einen ungeliebten,
alternden Gatten vermihlt, su6bt Erlösung in
den Armen Bragars, eines normannischen
Recken, der am Sonnenwendtag sie Obers Meer
entfuhren will, obwohl Thordis, ein Mittelwesen
zwischen Kassandra und einer Norne, ihr
warnend dazwischen tritt. Statt des Geliebten
aber, dessen Boot sie auf der Klippe erwartet,
erscheint plötzlich ihr Mann, und entsetzt stürzt
die Getäuschte ins Meer. Der zweite Akt spielt
20Jahre später — was hier jedoch durch die Gleich-
heit der Hauptpersonen dramatisch erträglich ge-
macht wird, zumal da J ung-Helga, der Verstorbenen
Tochter, von der gleichen Sängerin dargestellt
wird. Oluf, eine dem Erik aus dem «Holländer**
gleichende Figur, liebt die Jungfrau und ge-
steht ihr das gleichzeitig, als ihr Vater Modur
von Thordis über den wahren Grund des Todes
seiner Gattin aufgeklärt wird. Und im gleichen
Moment erscheint abermals Bragar, als schiff-
brüchiger siecher Mann, und erkennt in Jung-
Helga den Traum seiner Jugend wieder. Mit
der Pflege des Helden erwacht in dieser die
Liebe zu dem stattlichen Helden; trotzdem sie
alles erfährt, siegt diese Liebe: »die Mutter
segnet ihren Bund**. Nicht so aber der gebrochene
Modur, der den Räuber seines einstigen
Glückes töten will; da ist es wiederum Thordis, die
ihn der Rache entsagen und die hellif^e Gewalt
der Liebe ehren lehrt — versöhnt läßt er, aber-
mals zur »Sonnenwende**, die Liebenden übers
Meer ziehen! — Die Handlung ist von Felix
Baumbach, einem Karlsruher Schauspieler,
nicht ohne Geschick, doch auch nicht frei einer-
seits von Wagnerismen, andererseits von Bana-
litäten (namentlich in den Chören) dramatisch
verarbeitet und bietet dem Tonsetzer dankbares
Material. Daß die Tonwelt des überragenden
Bayreuther Meisters ihn in ihren Bann geschlagen
— wer wollte ibm das verargen? Ist es doch
auch mehr der Stil und die Analogie gewisser
Situationen, hauptsächlich mit solchen des »Hol-
länder**, die da hervortritt, und keineswegs be-
deutet die Musik ein Plagiatwerk. Denn Schilling
besitzt genug Eigenes in Erfindung und Gestaltung,
um das Recht, gehört zu werden, beanspruchen
zu können. Am wenigsten behagte mir der
stark zerrissene, nicht selten etwas lärmende
erste Akt, in dem namentlich die Cborstellen me-
lodisch außerordentlich unglücklich gefaßt sind;
doch wird der Autor da wahrscheinlich zu Ver-
besserungen bereit sein. Von der betten Seite
zeigt sich sein lyrisches Können im iweiten Akt,
der viele Schönheiten enthält; besondefs ein En-
semblesatz — wenn doch unsere modernen Ton-
setzer sich nicht durch eine gani Tericehrte,
öde Prinzipienreiterei davon abhalten lieflen,
dieses, gerade der Musik ureigene» so ungemein
wirkungsvolle Ausdrucksmittel des stimmlichen
Zusammenwirkens auch auszunutzen (s.
das Meistersingerquintettl) — darf als Höhepnnict
bezeichnet werden trotz starker harmonischer An-
klänge an die Brangänenstelle im zweiten Tristan-
akt ! Auch der dritte Akt bietet, wiederum von den
verunglückten Chorstellen abgesehen^rnnsiksiisch
recht Schönes, was allerdings in der Anfffibiung
zumeist verloren ging. Im ganzen ist die
Schillingsche Tonsprache edel und aosdmcksvoll,
vielfach von einnehmender Melodik, die Mittel
des modernen Orchesters ohne Oberlsdnng und
Effekthascherei mit Geschick verwendend. So
glaube ich, daß mit einiger Ausreifung, namentlich
auch mit besserer Gestaltung des Schiasses, der
unbedingt an Stelle des unmotiviert tonlosen
Herumstebens aller Beteiligten ein znssmmen-
fassendes Vokalensemble erforderte (s. ebenftüls
die »Meistersinger*!), das Werk es verdient, daß
auch größere Bühnen sich seiner annehmen,
auch schon um seinen wahren Gehalt wirklich
ins Leben zu erwecken. Denn dies war in
Cd mar, bei der relativen Unzulänglichkeit der
Mittel, besonders des (Militär-)Orchesters, die
wohl der Spieloper, nicht aber den Schwierig-
keiten des modernen Musikdramas gewachsen
sind, nur zum Teil der Fall; namentlich der
dritte Akt flel völlig auseinander. Dazn kam, daß
die Vertreterin der Hauptrolle stimmlich ziemlich
unmöglich war, während die sonstigen Sole-
kräfce, abgesehen von einigen provinzislen Ober-
treibungen, recht Achtbares boten. Möge dem
strebsamen und begabten Komponisten neben
dem Colmarer Lokalerfolg vor allem es beschieden
sein, sein Werk auf einer großen Bfihne einmal
erstehen zu sehen. Bei dem Mangel an besseren
Musikdramen wäre ein solcher Versnch, snch
den Lebenden zum Recht des GehSrtwerdens
zu verhelfen, wohl angebracht.
Dr. Gustav Altmann
ESSEN: Unter den Gaben des Stadttheaters ist
besonders die Aufführung von Wagners pSieg-
fried** zu nennen; Paul Strnenaee bot eine
außerordentlich vielveraprechende Interpretation
des Titelhelden. Max Hehemann
GENF: Als Neuheiten sind zn nennen:
»Yvonne**, lyrisches Drama In einem Akt
von G. de Seigneux, »Le Chemineeu*, ly-
risches Drama in vier Akten von X. LerouZi
»La Damnation de Fauat* von BerlioZi
»Th^rdse*, Musikdrama in zwei Akten von
Massenet. Dan k einer guten Wiedergabe worden
alle diese Werke beifällig aufgenommen.
Prof. H. Kling
HAAG : Die Wiederkehr von Wagners Sterbe-
tag feierte der O p e r n - V e re i n mit einer Vor-
stellung der »Meistersinger* unter Leitnng
von Peter Raabe. Im großen und gansen eine
befriedigende Aufführung, wiewohl hie und da
nicht ganz einwandfrei. Am besten seig^o eieta
Fri. Seebe als des Meisters Pogner reizendes
Töchterlein Evchen, Erwin als Beckmesser md
Georg Bischof als Hana Sache. UngenfltMid
185
KRITIK: OPER
war Oskar Bolz als Walter; Regie und Insze-
nierang waren sogar schlecht. Imposant klang
der Chor im letzten Akt. Die Vorstellung
fiuid freudige Aufnahme. — Die Französische
Oper brachte die Ersuufr&hrung in Holland von
»Le Chemineau" (Der Landstreicher) von
J. Ri Chopin und Xavier Leroux und erzielte
schon bei der ersten Vorstellung einen glinzenden
Erfolg. Das Textbuch enthilt viele schwache
Stellen, gibt aber auch mehrere packende und
reizende Szenen. In der Musik finden sich
manche gutgelungene Einzelheiten von tief-
gefQhlter Ljrrik und origineller Ausdrucks-
weise. Schade, daß Leroux nicht immer
ursprünglich ist: Charpentier, Massenet und
d'Indy haben sein Schaffen stark beeinflußt.
Bei sehr guter Besetzung und trefflicher Insze-
nierung machte die Erstaufführung großen Ein-
druck. Das Werk ist jetzt schon öfters wieder-
holt worden. Kapellmeister Bastide leitet
das Ganze mit Sicherheit und feinem Ge-
schmack. Herman Rutters
I EMBERG: Die heurige Saison hat uns nur
'^ eine Neuauffuhrung von Wert gebracht:
»Rheingold'I Eine wahre Musterauffuhrung,
die wir unserem ersten Kapellmeister Antonio
Ribera und dem energischen Vorkämpfer
f&r Wagner Alexander von Bandrowski zu
verdanken haben. Drei Monate lang arbeitete
Ribera an der Einstudierung, die bei dem meisten-
teils nngenOgenden Singermaterial und der Ver-
stindnislosigkeit der Theaterleitung und Regie,
die mehr schadeten als nfitzten, besondere
Schwierigkeiten bot. Trotzdem war die Aufführung
in jeder Hinsicht vollkommen und ausge-
zeichnet. — Die heurigen Gastspiele brachten
wenig Erfreuliches. FrauOrbeliini erfüllte die
in sie gesetzten Hoffnungen gar nicht, und nur
die Bassistei^ Battistini und Adam Didur
errangen einen wohlverdienten großen Erfolg.
Alfred Plohn
1 UZERN: Das von Direktor Hanns Eich 1er
'^ geleitete, subventionierte Stadttheater
brachte wibrend der abgelaufenen sechseinhalb-
monatlichen Spielzeit in meist guter Inszenierung
zur Aufführung: die Operettenschlager »Früh-
lingslufk*, «Walzertraum* und „Lustige Witwe**
und die Opern: «Undine*, „Wildschutz*, „WafPen-
8cbmied*,«GoldenesKreuz*,,Regiment8tochter",
pPostillon*, „Glöckchen des Eremiten", •Frei-
schütz*, .Fidelio*, «Faust*, »Carmen« und
»Fliegender Hollinder*. In die musikalische
Leitung teilten sich die Kapellmeister Dr. Ludwig
Nenbeck und Carl Ehrenberg. Zur Saison
1006/9 wird die Subvention erhöht und das
städtische Theaterorchester auf komplette Be-
setzung gebracht werden. A. Scbmid
DARIS: Die Wiederaufnahme des Balletes
^ vNamouna* von £douard Lalo war schon
lange eine Ehrenpflicht der Großen Oper,
denn der herbe Mißerfolg des Jahres 1882 ist
ein Ihnlicher Irrtum gewesen, wie zuvor die
Niederlage des „Tannhiuser* oder wie der
Halberfolg der »Carmen* in der Komischen
Oper. Im Konzertsaal haben sich sehr bald
zwei Orchestersuiten aus »Namouna* einge-
bürgert, und der von Anfang an durchschlagende
und danemde Erfolg der 1888 in der Komischen
Oper zuerst gegebenen Oper »Le Roi d'Ys* hat
überdies bewiesen, daß Lalo, den man zur Zeit
der »Namouna* als »Symphoniker* verschrie,
auch der Theatermusik mehr als gewachsen
ist. Es ist unbegreiflich, daß die verflossene
Direktion Gailhard, die so viel totgeborene
Ballete herausbrachte, die „Namouna* immer
wieder verschob, so daß das Verdienst und
auch der Vorteil nun den Herren Messager,
Broussan und Lagarde zufallen. Das Werk
krsnkt ja freilich an seiner Zwaogsgeburt.
Direktor Vaucorbeil, ein Komponist dritten
Ranges, der den «König von Ys* bewundert hatte,
bevor er die Direktion der Großen Oper über-
nahm, ließ ihn schnöde fahren, als er in Amt
und Würde war, und entschädigte seinen Freund
Lalo mit der Bestellung eines Ballets, für das
der Archivar der Oper Nuitter in aller
Schnelligkeit ein Libretto fbbrizieren mußte,
das Lalo, um überhaupt in der Oper an die
Reihe zu kommen, unbesehen annahm und mif
Hast zu komponieren begann. Er wurde darüber
krank, und Gounod vollendete die Orchestrierung.
Das aus einem Prolog und zwei Akten be-
stehende Libretto enthilt zu viel Handlung, die
durch die Pantomime allein nicht verstindlich
gemacht werden kann, und die Tänze erscheinen
bloß als äußerliche Zutat. Namouna, die im
Spiel gewonnene und vom Gewinner frei-
gegebene griechische Sklavin, rettet ihrem Be-
freier dreimal das Leben, bis ihr rachedurstiger
früherer Herr von ihrem ergebenen kleinen
Diener ermordet wird. Originell, aber wenig
wahrscheinlich ist, daß sie sich als Blumen-
hindlerin zwischen die Kimpfenden stürzt und
beide Degen an den Spitzen festhält, bis das
Volk herbeieilt. Die Musik enthält dagegen
trotz der überstürzten Arbeit sehr viel reizende
Einzelheiten, die sich weit über die hergebrachte
Balletmusik erheben und die, durch das
szenische Bild unterstützt, noch stärker wirken»
als im Konzert. Im Jahre 1882 tadelte man
namentlich den ^^bar barischen Lärm* der
Jahrmarktsszene, wo ein Blechorchester auf der
Bühne mitwirkt. Heute finAt man die Sache
beinahe zu zahm, aber es muß auch gesagt
werden, daß damals in den wenigen Vorstellungen
der „Namouna* die beiden Orchester immer
disharmonierten, während diesmal Kapellmeister
Vi dal schon in der Generalprobe das genaueste
Zusammenspiel zustande brachte. Die Haupt-
rolle der Namouna wird heute auch unstreitig
besser getanzt und besonders gemimt, als vor
26 Jahren. Die Sangalli von damals besaß nie
den schalkhaften Reiz der Zambelli von heute.
Was die Ausstattung betrilft, so hat die neue
Direktion den Jahrmarkt des 17. Jahrhunderts
auf Korfu viel pittoresker gestaltet, aber die
Insel der Sklavinnen durch einen enormen
knorrigen Baum abgeschlossen, der die Wirkung
des weiten blauen Meeres beeinträchtigt. Das
allerliebste Flötensolo mußte wiederholt werden,
aber das war trotz der Niederlage des Ganzen
schon 1882 vorgekommen. Der Unterschied in
der Aufnahme bestand namentlich darin, daß
das Vorspiel des ersten Aktes, das damals nur
der Konversation diente, aufmerksam angehört
und sehr beklascht wurde, und daß nach dem
einst verworfenen Jahrmarktslärm dreifacher
Hervorruf erfolgte. — Es ist nun ausgemacht,
daß nicht nur Richard Strauß' «Salome* in
der Großen Oper französisch zur Aufführung.
180
DIE MUSIK Vll. 15.
m^Ss
kommen wird, sondern auch seine «Elektra*
im nächsten Winter. Felix Vogt
PRAG: Es gehört jetzt zur Mode, gering-
schitzig von Siegfried Wagners Schaffen
zu reden, und einen unmittelbaren Erfolg beim
Publikum hat auch sein ^^Stern engebot* bei
uns nicht gehabt. Das liegt vor allem am Buche.
Der Autor will zuviel und erreicht darum
nichts. In dieser Menge einander durch-
kreuzender dichterischer Motive, von denen
keines sich zu voller Deutlichkeit auslebt, jedes
nur angedeutet wird, kennt sich Niemand aus,
auch mit dem gedruckten Text in der Hand.
Ein guter Opemstoif soll so beschaffen sein,
daß er auch als Pantomime zur Not verständlich
wird. Aber als Komponist ist Siegfried Wagner
entschieden gewachsen. Er gibt nicht immer
originelle, aber wahr empfundene, klanglich vor-
nehme, gesunde, oft tjberraschend temperament-
volle und stets echt dramatische Musik, wiesle
heute nur wenige schreiben können. Eine sehr
gute Auffuhrung unter Ottenheimer, in der
namentlich Boruttau als Helferich eine Pracht-
leistung bot, brachte die Vorzuge des Werkes
zur Geltung. — Bald darauf gab es im selben
Neuen Deutschen Theater eine Uraufführung:
yCarmencita", eine burleske Fortsetzung der
»Carmen*, Musik unter Benutzung Bizet's von
Paul Zschorlich. Ein dilettantisches Mach-
werk, das kläglich durchfiel. Auch der Kritiker
Zschorlich ist mit durchgefallen. Wer eine so
krasse Unkenntnis der primitivsten Gesetze der
Bfihne und ihrer Wirkungen bekundet, sollte
nicht über Meisterwerken zu Gericht sitzen. —
Nächste Novität ist die deutsche Uraufführung
von »Der Ahne* von Saint-SaSns.
Dr. Richard Batka
SCHWERIN: Lortzings buhnensicheres Talent,
die in der Hauptsache parodistische Natur
seines Humors und die frisch-fröhliche Musik
erfreuten uns aufs neue in seinem »Wildschütz*.
Der »Wi]dschütz*^at sein Glück gemacht und
es sich erhalten ; nicht so beständig ist die Liebe
des Publikums für Neßlers »Trompeter* ge-
blieben, dessen allegorischem Mai festballet fremde
Gäste aus Terpsichorens Reich mit buntfarbigem
Formenspiel neue Reize geben mußten. In
glanzvoller Ausstattung wurde Verdi's »ATda*
herausgebracht. Als Neuheit fand d' Albert 's
musikalisches Lustspiel »Flaute solo* nur einen
Achtungserfolg, dagegen errang G orters »Das
süße Gift* eine sehr beifällige Aufnahme.
Gewiß ließ die treffliche Wiedergabe das Stück
unmittelbar wirken, aber es geht doch auch nach
einigen etwas langwierig vorbereitenden Prälimi-
narien tatsächlich in eine hochmuntere Burleske
über. Eine Wiederholung des »Ring* gliedert
sich noch dem Abschluß der Spielzeit ein.
Fr. Sothmann
CTR ASSBURG: »Der Paria* von Albert
*^ Gorter. Uraufführung. Albert Gorter ist
durch seine mit ziemlichem Erfolg aufgenommene
komische Oper »Das süße Gift* den deutschen
Bühnen kein Unbekannter mehr. Er kommt dies-
mal auf dem tragischen Kothurn, allerdings nur mit
einem Einakter, und führt uns in die entlegenen
Gefilde des Orients, nach Indien. Den Text bat
er, nicht ohne Geschick, nach einem Drama von
Michael Beer, einem Bruder Meyerbeers, selbst
t>earbeitet. Gadhi, der Paria, hat Maja, eine
Fürstentochter, die den ioditcben Witweotod
sterben sollte, davor errettet und lebt mit der
Entführten in einem stillen Tal in seligem Uebes-
glück, dem auch ein Kind entsprossen ist. Da
nahen Fremdlinge, sein Glück zu stören; lum
Fliehen ist's zu spät Schon betritt Benasiar,
ein Radschah, von giftigem Schlangenbiß getroffen,
hilfesuchend, wenn auch widerwillig, die Hütte
des Verworfenen. Der Edle, eben noch mit dem
Tode bedroht, spendet dem Feinde diese Hilfe:
durch sein Weib läßt er von heilendem Balsam die
Wunde kühlen. Benasiar verlangt und erzwingt
es, die Verschleierte zu sehen; von ihrer Schön-
heit entflammt, will er sie als Sklavin weg-
schleppen lassen. Da — in höchster Not, offen-
bart Gadhi das Geheimnis ihrer Geburt und Ihres
Schicksals, und noch mehr: der ob dieses Frevels
an der heiligen Sitte empörte Gebieter wird als
der Bruder der Unglücklichen erkannt! Doch
seine Rache wird dadurch nicht besänftigt: der
Paria soll dem Brahmanen als Opfer feilen,
Maja in ewiger Klosterhaft hülfen; nur das Kind
findet Gnade vor ihm. Während er et birgt,
reicht Maja dem Geliebten einen verborgenen
Gifttrank, der beide vereint dem Ann des nahen-
den Richters entzieht. Erschüttert weist Benasiar
diesem das Opfer: »Nimm zwei für eins — frag
deinen Brahma, ob sie ihm gefeilen!* Damit
schließt das recht bühnenwirksam angelegte
Stück, das Gorter nun in eine stark eklektfecbe,
aber im ganzen melodische und gefillige, wenn
auch von Anklängen nicht ganz freie Musik ge-
faßt hat, die zwischen Mnsikdramatik und Opem-
stil einigermaßen die Mitte hält. Auffiallender-
weise verzichtet er so gut wie gans auf das
orientalische Lokalkolorit, wie ea z. B. In «Lakme*,
»Feramors* usw. mit so viel Effekt verwandt ist.
Seine Tonsprache ist eine gans allgemein mensch-
liche, die auch zu andersartigem Stoff gepeilt
hätte; ja, sie enthält sich auch der eigentlich
opernhaften Einkleidung mit Enaemblealtien,
Chören usw., zu denen der Stoff hinlängliche Ge-
legenheit geboten hätte, und die sich s. B. ein
Meyerbeer nicht hätte entgehen laaaen, obwohl
sie auf der andern Seite keineswegs rein leit-
motivisch angelegt ist, und den lyrischen Aus-
bau einiger Stellen auch keineawega verschmibt
Ja, diese lyrischen Episoden, wie daa recht
hübsche Schlummerlied der ersten Szene, ver-
schiedene Duettansätze, die große Erzählnng des
Paares und seine Todesszene, sind sogar musi-
kalisch als die gelungensten zu beieichnen,
während die rein dramatiachen Akzente, die An-
läufe zu Leitmotiven meinem Empfinden nach
nicht immer sonderlich glücklich gietroffen sind.
Orchestral ist das Werk im ganzen mit liem-
licher Einfachheit angelegt, vielfech homophon
und in Soli einzelner Instrumente sich ergebend;
nur an einigen Höhepunkten rafft der Komponist
die Gesamtmittel des modernen Orcbesters
zusammen, zwar nicht mit der Farbenpracbt und
Glut eines Strauß, aber jedenfells mit Sinn f&r
Wohlklang und frei von Exzentrizitäten. Im
ganzen nähert sich sein Stil aber in seinem
Eklektizismus dem d'Albert'schen, den ancb
«Das süße Gift* befruchtet hat. Bedeutet das
Werk somit auch keinen Markatein In der Ge-
schichte der deutschen Oper, so darf es doch
als die gefällige Gabe eines gebildeten nnd ge-
diegenen Musikers Anspruch auf Beachtung
w.
187
KRITIK: KONZERT
erheben. Die Auffübrung wer eine recht gute;
Frau Laoer-Kottlert quellend-schöoer Sopran
und der vornehme Bariton des Herrn v. Manoff
(Benatiar) wußten ihren Partieen aufs voll-
kommenste gerecht zu werden, und auch Herr
Vilke als Paria bot Befriedigendes. Daß der
örtliche Erfolg — mit Hervorrufen, Lorbeer-
krinzen und Hymnen der Kritik — ein erheblicher
war, versteht sich ja von selbst; immerbin
«1000 ich, daß die Oper vermöge ihrer ge-
ligen und viel Sinn für Bfibnenwirksamkeit
verratenden Eigenschaften auch anderwirts einen
fireundlichen Empfang finden wird.
Dr. Gustav Altmann
KONZERT
DERLIN: Das Konzert der Philharmoniker
^^ zum Besten ihres Pensionsfonds wurde dies-
mal von Richard Strauß dirigiert. Das Pro-
gramm enthielt nur Beetboven'scbe Musik: die
dritte Leonoren-Ouvertiire, das Klavierkonzert
Es-dnr mit Artur Schnabel als Solisten i|nd
die G-moU Symphonie. Die beste Leistung war
die Vorführung der Leonoren-Ouverture; bei
der Symphonie erfreute zwar auch das unge-
etfime Feuer, mit dem der Dirigent die leiden-
schaftliche Kraft Beethovens großzügig zur
Geltung brachte. Nur schien hier aber mehr-
fach das richtige Maß in der Dynamik zu fehlen,
die Schönheitslinie wurde öfters fiberschritten,
auch das 2^itmaß zu heftig getrieben. Etwas
Ton dem Feuer, von der Vorliebe für starke
Gegensitze im Ausdruck, womit Richard Strauß
seine Hörer fortzureißen weiß, wire dem Pia-
nisten zu wünschen gewesen. Artur Schnabel
spielte fein, tadellos sauber, elegant, bisweilen
wie z. B. bei dem ersten Einsatz des Solo im
H-dnr- Adagio wunderbar weich, aber es fehlte
die Größe der Auffassung; bei den Staccato-
Triolen der linken Hand im ersten Allegro, wie
bei dem Hauptmotiv des Finale klang es gar zu
zierlich, zu winzig. Das Orchester hatte Festtags-
Stimmnng, jedes einzelne Mitglied gab sein
Bestes, und zum Schluß wurden dem Dirigenten
wie dem Orchester nicht endenwollende Ova-
tiMien gebracht. — In der Singakademie
bringt Georg Schumann, seitdem er den
fitesten Gesangverein Berlins dirigiert, in der
stillen Woche stets außer der Mattbiuspassion
noch die nach dem Johannisevangelium zur
AnffBhning, eine willkommene Gabe für die
von Jahr zu Jahr anwachsende Bachgemeinde.
Der Chor und das Orchester leisteten wieder
Vorzügliches. Unter den Solisten war die Ver-
treterin des Soprans Eva Leßmann im Bach-
schen Stil musikalisch sicher; auch Herr Jung-
blttt erfreute, trotzdem sein Tenor etwas dünn
klingt, durch angemessenen Ausdruck; das Ehe-
paar Felix von Kraus und Adrienne von Kraus-
Osborne aber faßten ihre Partieen gar zu
theatralisch im Ausdruck an; die Worte des
Heilandes können doch nicht einfach, nicht
schlicht genug gesungen werden. Die kleineren
Partieen des Pilatus und Petrus waren durch
Herrn Lederer-Prina vertreten.
E. E. Taubert
Die zu Beginn der Saison gegründete Ge-
sellschaft der Musikfreunde hat mit einem
großen Orchesterkonzert ihre das Berliner Musik-
leben wesentlich befruchtende Titigkeit vorläufig
abgeschlossen. Das verstirkte Philharmonische
Orchester spielte unter Oskar Frieds Leitung
geradezu vollendet. Borodins zweite, hier so
gut wie unbekannte Symphonie, deren letzter
Satz ein Stück echt russischen Dorflebens malt,
Busoni's eigenartige, in den humoristisch-gro-
tesken Teilen ganz besonders gelungene »Tu-
randot*-Suite und Richard Strauß' farbenprächtiger
»Don Juan* bildeten mitdem c-moU Klavierkonzert
von Frederik Delius das vielleicht zu reich-
haltige Programm. Dieses Konzert, dessen un-
gemeine Schwierigkeiten Theodor Szanto glanz-
voll bewältigte, ist im Grunde eine symphonische
Dichtung mit obligatem Klavier, deren eigen-
artige Melodieen von einem großen Reichtum
der Erfindung und einer geradezu einzigartigen
Begabung des Komponisten für feinsinnige
Stimmungsmalerei zeugen. Es verdient größte
Beachtung und wird dem Tondichter sicherlich
die Wege überall ebnen. — Der von den Herren
Eisenberger, Schnirlin, Fritz Becker ver-
anstaltete moderne Trio-Abend brachte merk-
würdigerweise Smetanas recht bekanntes Trio,
freilich ein prachtvolles Werk, und als Novität
ein einsätziges, durch gesuchte Harmonik den
Mangel an Erfindung verdeckendes Trio von
V. Novak; dazwischen sang Lolo Barnay mit
feinem künstlerischen Empfinden Lieder von
Schillings, E. J. Wolff, Weingartner und S. Lte.
— Unter Mitwirkung des Philharmonischen
Orchesters konzertierten die Geiger Marc
Gordon und Emil Floris, sowie die Geigerin
Betty Tennenbaum; ihnen allen fehlte die
Berechtigung zum öffentlichen Auftreten in so
anspruchsvollem Rahmen; dies gilt auch von
der Geigerin Ernestine Boucher, die sich mit
Klavierbegleitung begnügte. — Der noch sehr
junge Pianist Hermann Schwarz spielte ganz
verständnisvoll. Wilhelm Altmann
Der Pianist Herbert Lilienthal hat sich
wohl eine hübsche, glatte Technik und einen
ganz angenehmen Anschlag angeeignet, ließ
aber sonstige musikalische Begabung nicht
zum Durchschein kommen. Seine Neigung zu
übermäßigem Verschleppen der Tempi müßte
er vor allem energisch bekämpfen. — Wenn
fleißiges Arbeiten zur Erreichung von Kunst-
darbietungen genügte, wäre wohl den Werken
von August Oeser ein besseres Zeugnis aus-
zustellen. Was davon für Gesang, für Klavier
und für Cello zur Aufführung gelangte, enthielt
jedoch keine erwähnenswerten Anzeichen er-
finderischen Talentes oder künstlerischen Em-
pfindens. — Auch die Leistungen des Pianisten
j. B. Zerlett konnten keinen Genuß bereiten.
Sie imponieren weder durch technische noch
musikalische Eigenschaften. Besonders der
Vortrag der Chopin'schen Polonäse war voll-
kommen unzureichend, wie auch die Gesangs-
begleitungen, z. B. zum „Erlkönig*, eher ein
Hindernis fiir die ausgezeichnete Altistin Frau
Zerlett-Olfenius waren. Die mächtige, üppig
quellende und wohllautende Stimme steht unter
strenger Kontrolle, der Vortrag ist überlegt und
stilvoll, könnte allerdings zuweilen noch ein-
dringlicher sein. Leider ist die Reinheit nicht
immer tadellos. Die treffliche Künstlerin sollte
sich davor hüten, nach oben zu entgleisen. —
Viel Lob läßt sich dem Madrigalchor des
188
DIE MUSIK VII. 15.
Kop.enhagener Cäcilia-Vereins spenden.
Der gemiscbte Cbor besteht nur aus 36 Stimmen«
die aber durch die Frische des Materials und
die tüchtige Schulung einen vollen Klang ent-
wickeln. In der Nuancierung geht der Dirigent
Frederilc Rung wohl zu weit; die Kompositionen
von Palestrina z. B. büßen dadurch viel Cbaralc-
teristisches ein, auch werden ihre technischen
Schwierigkeiten, die hiuflg auf dem gleich-
mäßigen Aushalten langer Noten beruhen, da-
durch unnütz auf die Spitze getrieben. Deshalb
konnten die Sänger mit ihren ersten Nummern
keinen ungetrübten Eindruck erzielen. Anders
verhielt es sich mit modernen Werken. Hier
kamen die Vorzuge der dänischen Sänger vor-
zQglich zur Geltung, so die Fähigkeit im richtigen
Erfassen der Intervalle in Grieg's letztem Werk,
den Psalmen für gemischten Chor und Bariton-
Solo, op. 74. Die harmonischen Eigentümlich-
keiten dieser Gesänge, denen kaum etwas Gleich-
artiges an die Seite zu stellen ist, überwand die
Vereinigung tatsächlich glänzend. Für jeder-
manns Geschmack ist Grieg's sonderbares Werk
allerdings nicht. Das Bariton-Solo wurde von
Ernst Schönberg wirkungsvoll vorgetragen,
während die ungenannte Sopranistin ihre schöne
Stimme durch unerträgliches Tremolo entstellte.
Arthur Laser
An Marie Schade's Klavierabend kann ich
nicht mit ungemischter Freude denken. Zu
Schumanns op. 17 und gar erst Beethovens op.
109 gehört so viel Können, wie es nur wenige
haben. Die Werke kamen daher auch diesmal
ungleich heraus, doch zeigte die Künstlerin teil-
weise erfreuliche Feinheit der Auffassung; auf
Strecken jedoch wurde das metrische Netz ganz
zerrissen, so daß kein Faden mehr zu finden
war. Ich glaube, hier fehlt vorerst noch Routine.
Bei Beethoven gab es ein plötzliches Versagen
des Gedächtnisses. Der Ehrgeiz, ohne Noten i
spielen zu wollen, raubt allen nicht ganz abge-
härteten Spielern den besten Teil ihrer Per-
sönlichkeit. — Die Pianistin Byrd Jourdan-
Gutsinger leidet an einem unüberwindlichen
Hange zu unrhytbmischem Vortrage. Selbst das
Philharmonische Orchester unter Xaver Schar-
w e n k a war dieser Eigenwilligkeit gegenüber nicht
gewachsen. Im übrigen spielt die Dame recht
virtuos, und so wie es aufs Publikum wirkt,
das Mangel an Rhythmus und Wärme kaum
jemals übel vermerkt. — Joseph Wieniawski
führte mit dem Mozart-Orchester seine D-dur
Symphonie auf. Das Werk steht der heute
herrschenden Kompositionsrichtung ganz fern.
Es ist eins der vielen solide gearbeiteten, ge-
schmackvoll und maßvoll instrumentierten und
gesund empfundenen Werke des vorigen Jahr-
hunderts, die auf einen immer angenehm aber
nicht tiefer errregend wirken. Ähnlich ist es
mit dem g-moll Konzert für Klavier. Der greise
Meister bewies als Dirigent und Pianist noch
erstaunliche Spannkraft und wurde mit reichem
Beifall bedacht. Erna Georgi und Ellen Da-
1 ossy sangen drei Duette seiner Komposition. —
In der Marienkirche führte Bernhard Irrgang
die umgebaute Orgel vor. Zu diesem Zwecke
hatte er drei Novitäten Berliner Komponisten
gewählt: eine Passacaglia über B-A-C-H von
Georg Schumann, eine Phantasie von Hugo
Kaun und eine Passacaglia von Paul Ertel.
Die Werke boten dem Organltten reichlich Ge-
legenheit, die zahlreichen Register der Orcel
zu ziehen, und subtilste Klangeffelcte heiror-
zurufen, wie auch Technik und Vortragaknnst lo
zeigen. Das Kaun'tche Werk zeigte stimmiiiigt-
volle Partieen. Die Konzertvereinigung des Dom-
Chors steuerte einige alte und neue Werke beL
Hermann Wetsei
Ein Konzert des Tenoristen Rudolf Sehe fffler
hätte um der reizlosen Stimme, nangelbaftea
Gesangstechnik und musikalitcben Nficbtemheit
des Veranstalters willen lieber nicht Sffnitlldi
stattfinden sollen. Cellovorträge Heinrich G r fi a«
felds brachten wenigstens etwas Humor nnd
Parfüm in die Öde des Abends.
Alfred Schattmsnn
Leo Zelenka-Lerando führte die Harfe als
Begleitungs- und als Soloinstrument Tor. Seine
Begleitungen sind hervorragend schön ond helfen
die Harfe hoffentlich bald heimisch im Konzert-
saal machen, die allerdings als Soloinstrament
manchen Wunsch unerfüllt läßt. Otto Nilcitlts
ist dem Konzertgeber kein ebenbürtiger Partner.
Frida Koch ist zweifellos eine ganze Persön-
lichkeit, die den Hörer gefangennimmt nnd Ihn
die starken Mängel ihrer Tonbildung Terfessen
läßt. Es wäre schade für die Kunst, wenn sie
einem unausbleiblichen Ruin der Stimme nieht
zuvorkäme und sich die nötige Technilc nieht
holte. Sind Paris und Fran Marchesi so weit? —
Erna Bauer hat hübsche, angenehme Stimm-
mittel, die aber meist im Halse stecicen bleilien
und besonders der Höbe enge Grenzen setzen.
Ihr Vortrag zeugt von musikalischer Intelligens.
Richard Hihn
Emil Liepe produzierte sich als Singer,
Komponist und Rezitator. Von den sum ersten
Male gesungenen Vertonungen der drei Preis-
balladen der »Woche* ist «Robespierre* von
Hans Hermann die gelungenste. Von den drei
Kompositionen des Konzertgebers liflt sich beim
besten Willen keine als die schönste bezeiefanen,
weil sie alle gleich herzlich schlecht sind. Der
Geiger Nicolas L a m b i n o n , der mitwirkte, nimmt
ein durch einen süßen, weichen Ton und durch
ein elegantes, sauberes Spiel. — Gustav Kirch-
berg ist ein lyrischer Bariton von guter stimm-
licher Qualität. Die Schulung zeigt vorlinflg
noch manche Mingel, so in der Behandlung der
Endkonsonanten und in dem Gebrauch der Ttae
beim Obergang von der tiefen zur hohen Lage.
Die Auffassung ist ungesucht-natürlich (manch-
mal wie in »Süßes Begräbnis" sogar guO> eher
für Gesänge größeren Stils, namentlich ffir die
Balladen Loewes, noch gänzlich unzureichend.
Arno Nadel
BREMEN: Von besonders Bemeriwnewerten
bescherten die letzten Wochen in erster
Linie einen Reger- Abend, an dem der moderne
Meister strengen Stils unter kläglicher Teil-
nahme und begeistertem Beifeli mit Gertrud
F i s c h e r - M a r e t z k i eine Liederreihe, mit unserm
Kolkmeyer die .Suite im alten Stil* und mit
Frau Schelle in musterhaftem Zusammenspiel
das Variationenwerk über ein Beethovensches
Thema zum Vortrag brachte. Femer den fein-
sinnigen Hexenmeister Joan Man6n, der mit
gleicher Meisterschaft Mozarts D-dur Konzert
und Palloffens vornehm gepfefferte Tartini-
Vatiationen spielte. Endlich die vier neu auf-
II
189
KRITIK: KONZERT
getanctaten Ouvertüren des juogen Wagner, die
freilich nicht jeder zwanzigjihrige Ktpellmeister
hltte schreiben kennen, die eher nech dieser
Peststellung gewiß ihren Bibliothekenschlummer
IBr lingere 2^it ungestört fortsetzen werden.
Alles dies unter der Aegide der Philharmonie.
Gustav Kissling
DRESLAU: Im Orchesterverein gab es
^ zwei interessante Aufführungen: den
«Manfred** von Byron-Schumann und den
«Barbier von Bagdad** von Cornelius. Beide
Auff&brungen, die mit Hilfe der Singakademie
▼OB statten gingen, waren bedeutsame Leistungen,
die enthusiastischen Beifall hervorriefen und
die Stellung des Dirigenten, Dr. Dohrn, trotz
«11er finanziellen Fährnisse des Orchestervereins
f8r immer befestigt haben. Im »Manfred"
sprach Ludwig Wullner die Titelrolle mit der
ihm eigenen Mischung von Intelligenz und
Temperament. Anna Wällner deklamierte die
Pranenrollen und Albert Möller aus Breslau
den Sprecher und die Nebenrollen. Ein Gesangs-
qnartett (die Damen Spörel und Foerster, die
Herren Rumann und Wald mann) erledigte
die wenigen Soli. Die Vereinigung so vieler
Rollen auf wenige Personen war der einzige
dunkle Punkt der Aufführung. Im »Barbier**
waren die Hauptrollen durch Jacques Urlus
<Nareddin) und Johannes Messchaert (Abul
Hassan) zweckmäßig besetzt. Die übrigen
Partieen sangen Emma Bellwidt (Margiana),
Else Bengell (Bostana), Franz Schwarz (Kalif)
and Richard Fischer (Kadi). Das über Er-
warten hervorragende Gelingen der konzert-
mifligen Aufführung des »Barbier** ist hier um
so höher anzuschlagen, als ihr im Stadttheater
eine ausgezeichnete Bühnenauffuhrung der Oper
▼orangegangen war. Das »Heldenleben* von
Richard Strauß wurde bei Publikum und Kritik
wieder mit Zustimmung und Protest auf-
genommen. — Von Pianisten ließen sich im
Februar hören Sliwinski, der mit großer
Bravour, aber nicht eben so großer Poesie spielte,
Lamond, der seinen stärksten Erfolg mit der
Appassionata hatte, und Bruno Hinze-Rein-
hold, ein Kunstler von solidem Können. Von
Oeigem kamen zu uns Karl Halir, der nur
mit dem zweiten Satz des Beethovenschen
Violinkonzerts op. 61 zu interessieren vermochte,
und der ausgezeichnete Alfred Wittenberg.
Susanne Dessoir machte diesmal einen Aus-
fing in das Gebiet der »hohen** Kunst der
Schubert, Liszt, Gornelius, Strauß und Wolf.
Es ist ihr aber dringend geraten worden,
ocbletinigst wieder zum volkstümlichen Genre
xarfickzukehren, wo sie die goldenen Früchte
des Erfolges mühelos pflückt. Als vielver-
sprechende Gesangstalente zeigten sich Margarete
Loewe und Hendrik van Oort. — Dauernder
Ganst beim Publikum erfreuen sich die volks-
tfimlichen Mittwochkonzerte unter Hermann
Sehr, die Donnerstag- und die Freitagkonzerte
aoter GlasneclL — Viel bemerkt wurde ein
Konzert des Plüddemannnschen Chors,
das stt den feinsten musikalischen Darbietungen
der Säiaon gehört, ein Konzert des Spitze r-
schen Männergesangvereins unter Hugo
Fiebig und ein historisches Konzert des
Bohnschen Gesangvereins unter Leitung
des geistvollen Professors Emil Bohn, der in
einem vorzüglichen Vortrage und darauf
folgenden Chorgesängen, Liedern und Klavier-
stücken ein Bild von altenglischer Musik zu
geben suchte. J. Schink
r\0SSELDORF: Im Konzertsaale herrscht nach
*^ wie vor eine betrübende Ebbe. Der Musik-
verein gab einen eindruckslos verlaufenen
Richard Strauß- Abend mit der Vorführung
des Vorspiels zu »Guntram*, des »Don Quixote*,
des sechszehnstimmigen a cappella-Chores »Der
Abend*, des »Heldenleben* und mit Hugo
Becker als Solisten. Das folgende Konzert
des Vereins galt der konzertmäßigen Wieder-
gabe der Oper »Gunlöd** von Cornelius - in
Waldemar von Baußnerns vorzüglicher Vollen-
dung und Instrumentierung, mit Hans Vater-
haus (Suttung), William Miller (Odin), Mathilde
Dennery (Gunlöd), MetaFriedmann (Heia) als
Solisten. Das Werk war vorzüglich vorbereitet
und trug allen Mitwirkenden viel Beifall ein.
Besonders wurde Prof. Buths anläßlich seines
bevorstehenden Rücktrittes als Vereinsdirigent
und städtischer Musikdirektor mit Ehrungen be-
dacht. — Der Gesangverein bot eine aner-
kennenswerte Aufführung des »Judas Maccabäus*
von Händel. — Anna Haasters-Zinkeisen
beschloß ihre dieswinterlichen Abonnements-
konzerte in würdigster Weise mit feinsinnigen
Klaviervorträgen, zu denen Alexander Heine-
mann Balladen und Lieder in eindrucksvoller
Auffassung beisteuerte. A. Eccarius-Sieber
HALLE a. S.: Im fünften Symphoniekonzert
der durch unsre wackeren »36*'er verstärk-
ten Theaterkapelle erhielt Berlioz das Wort mit
seiner »Symphonie phantastique*, die Eduard
Mörike vortrefflich interpretierte. Als Solistin
erschien Maria E kehl ad von der Berliner Hof-
oper und wurde nach der Elisabetharie lebhaft
gefeiert. Das sechste Konzert war der Siede-
punkt in der Saison: Niki seh war der Dirigent
von Beethovens c-moll Symphonie, der großen
Leonoren-Ouvertüre und von Wagners Tristan-
Vorspiel, Waldweben und der Tannhäuser-Ouver-
türe. Stürmische Begeisterung. Hans Winder-
stein brachte Robert Volkmanns d-moll
Symphonie, Liszts »Orpheus** (ohne zweite Harfel)
und Bernhard Sekles' Serenade wirkungsvoll zur
Aufführung. Als Solisten wirkten in den beiden
Konzerten Paula Ucko (Weimar) mit der
»Fidelio**-Arie, Alessandro Certani mit einem
Violinkonzert von Nardini und Emil Sauer mit
seinem e-moll Konzert und einigen Solostücken
mit. — Lula Mysz-G meiner entzückte in
einem Liederabend durch ihre seltene Vortrags-
kunst. Ebenso erwies sich Dr. Ludwig Wüllner
als der bekannte Rattenfänger. — Ferner ist
von der Robert Franz-Singakademie eine
zweimalige Aufführung des »Totentanz* von
Woyrsch und von der Neuen Singakademie
eine Händel - Zachow- und Buxtehude - Auf-
führung (»Alt-Halle**) zu verzeichnen. — Die
Qua^ettgenossenschaft Arno Hilf- Alfred Wille-
Bernhard Unkenstein-Georg Wille erquickte
die Kammermusikfreunde zur Feier des fünf-
undzwanzigjährigen Bestehens ihrer Konzerte
mit je einem Beethoven-, Schubert-, Schumann-
und Brahma- Abend, an denen noch die Pianiaten
Josef Pembaur, Fritz von Böse und Rudolf
Zwintscher erfolgreich mitwirkten.
Martin Frey
190
DIE MUSIK VII. 15.
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HANNOVER: Im sechsten Abonnements-
konzert der König!. Kapelle sang bier
zum erstenmal Val borg Svirdström, mit ihrer
geschmeidigen, trefflich geschulten Sopran-
stimme, sowie mit ihrem ausdrucksvollen Vor-
trage reichen Beifall findend. An Orchester-
werken gab es unter Brucks Leitung neben
Beethovens ^Achter*' einige wohlklingende und
interessante kleinere Kompositionen von Hugo
Kaun, vom Orchester mit großer Delikatesse
und viel Klangschönheit vorgetragen. — Aus
Anlaß des am 8. Januar gewesenen 70. Geburts-
tages von Max Bruch führte die Musik-
akademie (Dirigent: J. Frischen) dessen
»Glocke'' auf. Der durch den «Minnergesang-
verein*" auf 400 Mitwirkende verstärkte Akademie-
Chor bildete mit dem Königl. Orchester ein
imposantes, wobldiszipliniertes Ensemble. Die
Soli wurden gesungen von Frau Cahnbley-
Hinken, Ella Gmeiner, Tenorist Lippmann
und Baritonist Strathmann. Den Beschluß
des wohlgelungenen Konzertes machte Frischens
MFruhlingsreigen* für Chor und Orchester.
L. Wuthmann
KARLSRUHE: Der junge, unter der künst-
lerischen Leitung des Hofkirchenmusik-
direktors Max Brauer stehende ^Bach verein**
erwirbt sich durch die Aufführung wenig be-
kannter klassischer Chorwerke ein großes Ver-
dienst. Im siebenten Konzert brachte er die
wunderbar innige Sterbekantate » Weinen, Klagen**,
den gewaltigen Actus tragicus von J. S. Bach,
sowie die sehr wohlklingende Kantate «Alles
was ihr tut** des großen Orgelmeisters Buxte-
hude. Auf dem Programm des achten Konzerts
stand eine Anzahl Mozartscher Kirchenmusik-
werke, die einen überraschenden Blick in des
Meisters Kunstschaffen während seiner Tätigkeit
als fürstbischöflicher Kapellmeister zu Salzburg
gewährten. Das im neunten Konzert zur Wieder-
gabe gebrachte, selten gehörte Händeische
Oratorium ^Athalia*, das mit seinen wirksamen
Chorsätzen, der Gegensätzlichkeit der Stimmun-
gen und der Art der musikalischen Einkleidung
als sehr wirksam sich erwies, reihte sich den
im Vorjahre gebrachten, ebenso unbekannten
Oratorien ^Theodors* und „Semele* würdig an.
Max Brauers Feingefühl und seine hervor-
ragende Vertrautheit mit der klassischen Musik
bürgen stets für stilechte Aufführungen.
Franz Zureich
KOPENHAGEN: So hoch gehen jetzt wieder
die Konzertwogen, daß einige darin ertrinken
müssen. Wir sind allmählich ungefähr auf der-
selben Höhe, was die Zahl der Konzerte betrifft,
wie etwa Dresden, Leipzig und ähnliche Städte;
aber unser Publikum hat leider weder das Inter-
esse noch die Leistungsflhigkeit wie in den ge-
«annten Städten. Unglücklicherweise bekommen
unsere fremden Gäste solches zu fühlen; traurig
war es z. B., daß die vortreffliche Sängerin Elena
Gerhardt, die uns in blühendster Fülle ihrer
Stimme und Persönlichkeit besuchte, vergebens
mit den Verhältnissen kämpfte. Selbst der Kopen-
hagener Liebling, Ernst v. Dohnänyi, der
schöner wie je spielte, litt unter ihnen.
William Behrend
MAGDEBURG: Einen bedeutenden künst-
lerischen Erfolg hatten das städtische
Orchester, der Krug-Waldsee-Chor und
verbfindete Gesangvereine mit einer Auf-
führung der Neunten Symphonie BeethoTens^
der Schumanns letztes Drittel der «Faust*-
szenen voranging. Das Konzert war auf die Basis
billiger Eintrittspreise gestellt, der große Ssal des
Fürstenhofes mit einer andächtigen Menge fiber-
füllt, der Beifall allgemein. — Im letzten Stsdt-
theater- Symphonie konzert sang Ellen
Gulbranson, im Kaufmännischen Verein
das Terzett der Geschwister Koch. Der
Tonkünstlerverein schwang sich mit einem
Brahmsabend: Quintett No. 2, op« 111, Sonate
für zwei Klaviere (in f-moll, OriginalCusang)
auf eine weithin sichtbare Höhe; die Herren
Fritz Kau ff mann und Fritz Wilke, das Quartett
des Vereins und Otto Sfiße- Berlin erwarben
sich um den Abend Verdienste. Von den
übrigen musikalischen Darbietungen seien ein
Max Gießwe in- Liederabend und der Volks-
liederabend Sven Scholanders erwähnt.
Max Hasse
li^AILAND: Der blinde Gennaro Faboszi
*^^ spielte in zwei Klavierabenden glinsend
zwei Polonaisen und einige feurige Etfiden Ten
Chopin; für Beethoven fehlt ihm die Ruhe der
Auffassung. — Der kleine Miecio HorzowslEi
brachte Mozart, Chopin und Liszt in anständiger
Ausführung. Man sagt, er sei ein Wunderkind
— heutzutage ist es kein Wunder mehr, wenn
12— 13jährige Knaben gut Klavier oder Geige
spielen. -— Ein hervorragendes Geigenttlent ist
Giovanni Ghithi; er ist noch kein fertiger
Meister, wird es aber bald sein. — JQngst gab
der Pariser Direktor Gabriel Paur6 ein Konzert
mit eigenen Werken. Das Programm umffilke
das Klavier-Quartett op. 30, die Violinsonate in
A-dur und 13 Lieder. Er ist keine Persdnlichkelt;
seine Musik bewegt sich zwischen Mendelssohn
und Schumann, aber sie ist flott, elegant und
temperamentvoll. Das Scherzo der Sonate Ist
rhythmisch ein prächtiges Stückchen. Die
Lieder atmen fast immer eine still-romantische
Stimmung. Die AusfOhning durch Fanr<
(Klavier), das Quartett Capet und Frey
Debogis-Bohy (Sopran) war ausgezeichnet.
Johann Binenbann
li^AINZ: Mit einer gut vorbereiteten, in allen
^^^ Teilen wohlgelungenen Aufführung der
Jahreszeiten* führte sich Otto Naumann ans
Dresden, der neue Dirigent der Liedertafel, salb
vorteilhafteste ein. Herr Naumann erwies si^
als ein tüchtiger, erfahrener Dirigent, der wannet
Empfinden mit bemerkenswerter musikalischer
Intelligenz verbindet und namentlich den Or^
chesterpart zu hervorragender Bedeutung su er-
heben wußte. Die Solopartieen hatten durch
Eva Leßmann (Berlin), sowie die Hoföpera-
sänger Wolf und Stephany aus Darmstadt
beste Vertretung gefunden. — Die Symphonie-
kon zerte des städtischen Orchesters unter
Hofrat Steinbach brachten als Novitäten die
Reger sehen » Variationen*, deren Vorffibmng
allseitigem, lebhaftem Interease begegnete, Sgam-
bati's D-dur Symphonie und die merkWfirdiger-
weise hier bisher unbekannte HaTdn-SfOi-
phonie „Le midi*. An Gästen begrüßten vir
Henri Marteau, der mit dem Beethovenkonsert
einen außergewöhnlich starken Brfolg enlelte,
Hermine Bosetti aus München, sovie Wilhelni
Backhaus und Fritz Hirt. Der junge Violinist
191
KRITIK: KONZERT
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L. Lossy, der letzte und jGngste Schüler
A. Wiltaolmjs, der sich im Philharmonischen Ver-
ein mit dem Mendelssohnlconzert reichen Bei-
fsll erwarb, blieb mit seiner Leistung erheblich
hinter den gehegten Erwartungen zurfick.
Fritz Keiser
PRAG: Die Flut der Konzerte plätschert in
Wellen, aber mit ermfidender Eintöf^igkeit.
Man hört viel, auch Gutes, aber immer dasselbe.
Das Hauptereignis waren Regers Hillervariatio-
nen in trefflicher Wiedergabe durch die tschechi-
sche Philharmonie (Dirigent: Dr. Zemanek).
Sie mußten in einem nächsten Konzert wieder-
holt werden. Desselben Komponisten .Serenade*
mntete im deutschen Philharmonischen Konzert
(unter Bodanzky) etwas trocken an. Immer-
bin hat sich Reger nun auch bei uns durch-
gesetzt. Solisten kamen und gingen: Elena
Gerhardt enttäuschte als Wolfsängerin nach
der Seite des geistigen Ausdrucks; Frau Kwast-
Hodapp, Bricht-Pyllemann, Huberman,
Sarasate, Ondricek usw. spielten bzw. sangen
auch bei uns ihr Repertoire, ohne uns irgend-
wie neue, bedeutende Eindrücke zu vermitteln.
Ein Schut>ertabend (Dirigent Dr. Keußler) des
Singvereins zog wenig Bekanntes ans Licht,
doch soll der Auswahl die glfickliche Hand ge-
fehlt haben. Dr. Richard Batka
PRETORIA: Die anmutige Hauptstadt Trans-
vaals bietet zwar nicht so viel Musik wie
ihre bedeutend größere und lebhaftere Schwester-
stadt Johannesburg, aber bessere. Großes Ver-
dienst ist dem hier ansässigen holländischen
Geiger Henri ten Brink zuzuschreiben, der
alljährlich eine Serie von Kammermusik-
Abenden veranstaltet, in denen nur die alten
Meister oder die allerbesten der modernen zu
Worte kommen. M. von Trötzschler
ST. PETERSBURG: Ein nicht unwichtiges
musikalisches Ereignis war die ErdCPnung der
in ihr zwanzigstes Jahr gehenden Beljajew-
Konzerte. Diese sogenannten «Russischen
Symphoniekonzerte% die schon so manches
große Tonwerk der jungrussischen Komponisten
aus der Taufe gehoben haben, bildeten in
früheren Jahren eine ganz einzige Konzert-
erscheinung, indem sie beständig durch Ab-
wesenheit des Publikums glänzten. In dieser
Saison scheint das Publikum endlich anzufangen,
großes Interesse für diese Konzerte zu zeigen;
das bewies der stark besetzte große Konserva-
toriomssaal an den beiden ersten Abenden, an
denen wir folgende Novitäten zu hören bekamen :
eine Suite für Gesang (Frl. Fe t renke) und
Orchester von Strawinski, .Faun und Hirtin*
benannt (nach Puschkin), eine symphonische
Dichtung .Mzyri'lnach Lermont ow) von S e n i 1 o w ,
eine Festouvertfire von Maliscbewski und
Introdoktion und Hochzeitsmarscb aus einer
neuen Oper von Rimsky-Korssakow. Felix
Blomenfeld, der geistvolle Leiter dieser
Konzerte, t>ereicherte noch die Orchester-
programme mit Borodin's Es-dur Symphonie,
Glazounow's i»Das Meer* (dem Andenken
R. Wagnera gewidmet) und der im Jahre 1886
komponierten zweiten Symphonie op. 16, einem
durch bedeutenden Gedankeninhalt wie durch
thematische Kunst fesselnden Werk. Gleich-
zeltig machte Leonid Kreutzer sein erstes
hiesiges Debfit nach Absolvierung unseres
Konservatoriums und dokumentierte sich in
seinen Vorträgen: cis-moU Konzert von Rimsky-
Korssakow und b-moll Sonate von Glazounow,
als technisch hervorragenden, temperamftntvoUeo
Pianisten. Warum der junge Künstler einen
tonlosen amerikanischen Flügel spielte, statt
sich eines klangschönen von Schröder zu be-
dienen, ist unverständlich. — Gottfried Galston ,
der sich an zwei Klavierabenden hören liei^
gehört ohne Frage zu den interessanten
pianistischen Neubekanntschaften; er ist ein
ernster, eigenartiger Pianist, der insbesondere
im Vortrage Bachscher und Brahmsscher
Kompositionen Großes leistet
Bernhard Wendel
WIESBADEN: Der Cäcilien-Verein unter
Kogel hatte mit Piern6's «Kinder-Kreuz-
zug* einen guten Zug getan. Das eCPektvollc
Werk und — die Mitwirkung von ganz «Jung-
Wiesbaden* hatten das Interesse mächtig ange-
regt. Noch zwei andere französische iVleister
kamen in den Kurhaus-Konzerten zu Ehren:
Chabrier mit seinem stimmungsvollen «Gwendo-
line'-Vorspiel und Saint-Saöos mit der selten
gehörten, Lisztschen Sternen nachstrebenden
c-moll Symphonie. ~ Zwei hierorts neue Er-
scheinungen ragten aus der Pianistenarmee her-
vor, die uns im Lauf der Saison bestürmte:
Celeste Chop-Groenevelt — ihr edelreifes
Spiel erschien tongewordene Poesie — und
Elisabeth Bokemeyer, die im Gefühl ge-
sicherter Virtuosität voll jugendlichen Wagemutes
nach den höchsten Zielen greifen darf.
Prof. Otto Dorn
7ITTAU i. S.: Leider konzentriert sich das
^ musikalische Leben unserer Stadt nur auf
den Konzertsaal, obwohl bei einer wohlhabenden
Stadt von rund 55000 Einwohnern eine ständige
gute Operntruppe durchaus kein unbescheidener
Wunsch wäre. Die Künstlerkonzerte von
Graun entschädigten diesmal einigermaßen für
dieses Manko. So hörten wir von dem Görlitzer
Eibenschütz-Orchester vereint mit dem
Stadtorchester Strauß' .Tod und Verklärung*,
aus »Tristan*: Vorspiel und Liebestod, sowie die
«Pathetische Symphonie* von Tschaikowsky.
Dr. Wüllner rief in einem Liederabend helle
Begeisterung hervor. Ebenso das Brüsseler-
Streichquartett (Glazounow, Beethoven,
Schubert). — Der Konzertverein brachte das
vortreffliche Holländische Trio und führte
erstmalig Wagnera i»Polonia*-Ouvertüre auf. Mit
prächtigen Stimmitteln gefiel Eva Knoch vom
Braunschweiger Hoftheater. Im übrigen hatte der
Verein wenig Glück. — Einige sehr genußreiche
Kammermusik-Abende veranstaltete wieder Karl
Thiessen (Klavier). Besonders hervorgehoben
seien der Geiger Issay Barmas und Mets
Mehrtens (Dresden), die insbesondere als
Griegsängerin sehr gefiel. — In den Konzerten
der beiden hiesigen Kapellen ernteten reichen
Beifall Henri Petri (Dresden) mit Mozarts
7. Violinkonzert und — ein gern gesehener Gast
— Msgdalene Seebe von der Dresdner Hofoper,
Aufgeführt wurden u. a L. Thuilles prächtige
.Romantische Ouvertüre*, Dvoraks Symphonie
»Aus der neuen Welt*, Raffs i» Waldsymphonie*.
— Leider eine viel zu hohe Aufgabe hatte sich der
Gesangverein i»Orpheus* mit der Aufführung
einzelner Teile des »Parsifai* gestellt. -u-
Von den beiden Porträts Carl Goldmarkssiellid» eine den Meister im Alter von
30 Jebren dar, das andere Ist nach einer pbotographiscben Aufnahme aus der allerlebten
Zeit gefertigt. Als Probe seiner Noienschrirt bieten wir in Faksimile die erste Seile
seines Liedes ,Der Knecht", das dem vorliegenden Heft als Musikbeilage beigegeben ist.
Die Reihe der von uns bereits verOtTenilichten Uldlicben DsrttellUDgen Gustav
Mahlers (es sei bier nur an die wundervolle Radierung von Emil Orllk erinnert, Jahr-
gang IV, Heft 4) vervollsdndigen wir heute durch zwei weitere Bilder: durch ein «u&er-
ordentlich charakteristisches, sprechend ähnliches Portrlt, ein wahres Meisterwerk der
photographischen Kunst, und durch einen Schattenriß, den Künstler als Dirigenten
darstellend, von dem unsern Lesern wohlbelcannten VieoerSilhouettenscbnelder Dr. Otto
Bahler.
Die beiden folgenden Blatter bringen die Portrits zweier jQngai aus dem Leben
geschiedenen, um die Bayreuth er Sache hochverdienten Minner: von Emil Heckel und
von Josef Sucher. (Vgl. über diesen die „Totenschau" des letzten Heftes.) Mit dem
am 30. März in Mannheim verstorbenen Begründer des ersten Tagner- Vereins, Emil
Heckel, Ist ein agitatorisches Talent ohnegleichen dahingegangen. Unerm&dlich war er in
dem Bestreben tatig, immer neue finanzielle Krane für die Verwirklichung des Bayreuiher
Gedankens, für den Bau des Festspielhauses zu gewinnen. Die Briefe Tagners an Heckel
<sie finden sich vollzählig in den bei Schuster & LoefTler erschienenen .Bayreuther Briefen")
gewahren einen tiefen Einblick in das innige Verhiltois, das Heckel mit dem Hause
Wahnfried verband.
Die Notenbeilage dieses Heftes bildet die erste VerötRsnilicbung des Liedes .Der
Knecht", nach dem Gedicht von J. J. David, für eine Singstimme und Klavier vi»
Carl Goldmark.
D bell legi, bberaimmi die Redakti
Verantwortlicher Sctariftleiter: Kapellmeister Bemhird Schuster
Berlin V 57, Bülowstrosse 107 ■•
CARL GOLDMARK
Rodoir Job!) & Co., Wien, phor.
CARL GOLDMARK
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VII. 15
ERSTE SEITE DES ORIGINALMANUSKRIPTES DES
LIEDES .DER KNECHT« VON CARL GOLDMARK
GUSTAV MAHLER
nach einem ScbanenriS von Dr. Otto BShIer
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GUSTAV MAHLER
I efDem Schittenriß von Dr. Otto BObter
Hubert Lill, Mtnolirini, phgi.
EMIL HECKEL
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Allegro moderato.
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Stii'h u. Druck: Berliner Maidkalieii Dmckttrei 0.iii.b.H.
DIE MUSIK
ist das Kirchenlied recht das Votks-
im bestea und tiefsten Sinne des
Wortes.
H. A. KSattln
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 16
Zweites Maiheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & LoefFler
Berlin W. 57, Büjowstrasse 107
1er Leser wolle zuerst die Melodieensimmlung (MS) zu dieser Arbeil
aurmerksam durchsehen. Dem Musiker sagt sie vielleicht schon
allein alles, was ich zu sagen habe. Es ist eine Auswahl aus
135 Chorälen, die ich auf ihre metrische Gestalt geprüft habe.
Ich versuchte dies bald nach meinem 1886 errolgten Amtsantritt als Organist
an der Kirche zu St. Petri und Pauli in Dinzig und wlhlte lediglich nach
dem Wert der ChorSle, am zu sehen, wie der Choral sich unter der
Rieraannscben Taktlehre ausnehme, soweit sie damals schon vorlag. Jegliche
vorgefaDte Absiebt auf ein System war mir^fremd, obwohl' die Sammlung
sich nschtrlglich ganz so ausnimmt. Es ist auch nicht ein Choral auf-
genommen, um etwa eine meiner Ansicht günstige Zahl zu erzielen. Ich
glaube deshalb auch nicht, daß die doppelte Zahl andere Resultate ergeben
würde. Das Pbinomen der taktfreien Einsätze, ohne das der richtige Takt-
strich nicht durchführbar ist, erkannte ich damals noch nicht, kam also
nicht durch und lieO die Arbeit liegen.
Die Riemannschen Rangzahlen der Periode sind im Text $ 8 kurz
erklärt; der Raum verbot jedoch jegliches Eingeben auf die sehr inter-
essanten Erweiterungen und Kürzungen der Periode, die um so wunder-
barer sind, als sie ohne eine Lehre von der musikalischen Metrik den
Autoren der Choriile nicht bewußt sein konnten, abgesehen noch davon,
daß die Notenschrift bis zur allgemeinen Einführung des Taktstriches nicht
einmal metrischen Sinn haben konnte.
Vorhanden sind jene Abwandlungen der einfachen Periode dennoch
unleugbar. Das Studium daraufhin muß ich dem Leser überlassen, ebenso -
die Erwignng der außerordentlich charakteristischen Frequenzzahlen der
Typen (I 38, II 45, III 16, IV 1, V 34 Chorlle im O, darunter 24 mit takt-
fteien Einsitzen, Zahlen, aus denen deutlich das Verhalten des Chorals
in bezug auf Ruhe oder Beweglichkeit, Strenge oder Freiheit, Einheit und
ilAannighltigkeit hervorgeht. Es ist das Verhalten eines klassischen Künst-
lers. Jede Überschrift In S 2 der vorliegenden Arbeit entspricht einer in
13*
196
DIB MUSIK VlI. 16.
der von mir vorbereiteten vollstindigen Sammlung mehrfach vertretenen
Spezies, von Unika abgesehen. Endlich ist die Betrachtung der ScblaB-
formen und die der wirklichen sehr bescheidenen Rhythmik der Chorile
nur in den Überschriften gegeben.
Über den Begriff des taktfreien Einsatzes siehe $ 11, über die damit
zusammenhingende Irrationalität der Fermate $ 12.
Durch die Anwendung der Riemannschen Metrik entschleiert der
Choral völlig zwanglos seine wahre Physiognomie. Jede andere Klassi-
fikation, z. B. nach Strophenanzahl, ist dagegen nichtssagend, die nach an-
geblich trochiischen und jambischen Chorälen u. dgl. von vornherein falsch.
Eine Gründung der Metrik des ^Chorals auf sprachliche Metrik hitte
nur dann einen Sinn, wenn die Texte nach antiker Metrik mit zeitlich
gemessenen Kürzen und Längen versifiziert wären. Das ist aber nach
Martin Opitz (1624) ebensowenig der Fall wie vor ihm.
Der richtige Taktstrich ruft schon im selben Choral ebensoviel
Deklamationsfehler im modernen Sinne hervor, wie der falsche. Im Massen-
gesang kommt es darauf eben nicht an, wenn man auch Extreme wie
»Vatdr uns6r im Himmelreich' deshalb nicht ,»mit verhärtetem Gemfite*
schön zu finden braucht. Verschiedenheit der Verslängen beeinflußt den
Verlauf der Melodie, z. B. indem die längeren Verse Takttriolen hervor^
rufen, und der Gedankengang des Verses gibt hier und da einen Finger-
zeig, wie der Periodenbau gemeint sei, z. B. in dem Choral »Fahre fort*.
Das sind aber keine metrischen Eigenschaften der Texte.
S 2.
Folgendes sind die metrischen Typen, die der durchgeführt richtige
Taktstrich wie gesagt völlig zwanglos und ohne Auswahl ad hoc erkenn-
bar macht. Die Zahlen 2, 4; 6:8 sind (im Sinne dieser Interpunktion)
im Text kurz erläutert.
ACB bedeutet das Königlich Preußische Armee-Choralbuch, OWC das
neueste Ost- und Westpreußische Choralbuch.
Typus I.
ChorAle mit durchgefflhrt dreifachem Auftakt.
A. Mit gleichen Schlfissen und gleichen Werten:
Allein Gott in der Höh. Nie. Decius. 1520.
Rfickbezfiglicher Schluß die Form abrundend.
197
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
B. Mit gleichen teils gedehnten Schlüssen und ungleichen Werten:
Ach Gott und Herr.
ffT^=m=.
^3
Joh. Henn. Schein. 1529.
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2.
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und zur Erzielung eines
zur Verhfitung von
Takt- Paares.
C. Mit gleichen schlichten Schlüssen und ungleichen Werten:
£raehienen ist der herrlich Tag. 1525.
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D. Mit gleichen teils gedehnten Schlüssen und mehrfach ungleichen
Werten:
O Lamra Gottes unschuldig«
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• «♦ 8 8a
5.
Typus II.
ChorAIe mit durchgeführt zweifachem Auftakt.
1. Mit gleichen Werten.
A. Mit gleichen Werten und gleichen Schlüssen:
Nicht so traurig.
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1649.
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4:8
198
DIE MUSIK VIL 16.
B. Mit teils gedehnten Schlfissen nnd sonst gleichen Weiten:
Gottes Sohn ist kommen her. 1031.
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C. Mit gleichen Werten und Reimschlfissen:
Alles ist an Gottes Segen.
1738.
jjjijjjjh^jjij jjj
4a
8
Reimform b b a, b b a. Andere Formen: b a b a und b a a
a männlicher, b weiblicher Schluß.
D. Mit gleichen Werten und frei ungleichen Schlfissen:
Jesus meine Zuversicht.
i|i j ji'T f "nn rN j^^
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8.
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1^ J »I I J, J^^z^l^d
1
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r r I r r ^
22:
I
Durch Teilwiederholung entsteht der Reim b a b a.
2. Mit ungleichen Werten.
A. Mit ungleichen Werten und gleichen Schlüssen:
Mache dich mein Geist bereit.
1600.
^^
py-j- J I Jip I r ' J Jl^illr^
4:8.
\^\>\j f jTg=^^
8
rll r rirj JT71
8a
Festigung durch rückbezüglichen Schluß (8 a zum Teilschluß) nicht selten.
B. Mit ungleichen Werten und] Reimschlüssen:
Sieh liier bin ich Ehrenkönig.
1608.
10.
[J^H-i\n ^ ^Ai^i i\f i i i\j\\ ijjii^i j]
100
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
Reim b a b a b a
C. Mit ungleichen Werten und ungleichen schlichten Schlfissen:
Jesu meines Lebens Leben. Wolf^. Schweitzer. 1661.
4:8
t
tJLf]Z-t
Reim babajbbaa.
Der Strich bedeutet Entstehung des Reims durch Teilwiederholung.
D. Mit ungleichen Werten und ungleichen teils gedehnten Schlfissen:
Warum sollt' ich mich denn grämen.
Joh. Crfiger. 1662.
'TS . . 'TS
ULfJ-T-T
nb. 4 6 8
Reim b a a -f <^9 Ausfall der 2 bei b vgl. Joh. Crfiger Beispiel 20.
Fahre fort» fahre fort.
'H^)jjrjM ^7T^
^ ^ r r\f f ^ i\j i i]^
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JTTJ ^ J ,J
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8
Unikum des Beginns gar mit der 8 ( — 8a) und echter Folge von vier
Achteln. Die ausfallende 6 nach der 4 wird hinter 8 nachgeholt. Stimmt
so mit dem Gedankengang des Textes.
200
DIB MUSIK Vll. 16.
Typus III.
ChorAle mit durchgefCÜirt einfRchem Auftakt»
A. Mit gleichen Werten und Reimscblfissen:
Ich siege hier mit Herz und Mund.
'^
175a
iN-r^ Ir J i fir'r J^lr
v=t
m
^
Ür J J
^
£
I 1
Reim b a b a. — b in dieser Form * * f selten. Gebraucht alle drei
möglichen SchluOformen.
B. Mit gleichen Werten und veränderter SchluOform:
So führst du doch recht selig Herr die Deinen. Dannstadt 160B.
15.
2 ♦ 4:8
-^Vj J ^ r"T J ^ ^' J ij ^j I j j j j I j j j ijfii^h^
6 ^ 8
Der Hendekasyllabus (wechselnd mit ffinffüßigen Jamben) fShrt wie des
öfteren dreiteilige Bildung herbei, hier die durchgeführte Takttriole als
Unikum. Belebtes Tempo notwendig.
Die 6 ist der 4 gleichlautend! (Unikum, doch kein Vorzug.)
C. Mit ungleichen Werten und Reimscblfissen:
Herzlich tut mich vorlangen. H. L. Htssler, um 1600.
4:8
Reim baba|baba
D. Mit ungleichen Werten und frei ungleichen Schlüssen:
201
Aus meines Herzens Grunde.
1506.
4:8
4 8
Durch Teilwiederholung entsteht allerdings ein Reimpaar b a, und im
zweiten Teil ist a b b a, wenn man will, ein Chiasmus. Paare von gleichen
Schlfissen sind in Typus III nicht selten, doch ist das keine das Ganze
des Chorals beherrschende oder formende Reimbildung. Vgl. »Gar lustig
jubilieren*, »Herr Jesu Gnadensonne*.
Typus IV.
ChorAle mit durchgeffthrt volltaktigem Stropheneinsatz.
Schöner HimmelssaaL
18.
^
t i i i\i
t
t
■SL
3z:
it
J r- J L II
3z:
6
8a
Gebraucht alle drei im Typus möglichen Schlußformen.
Von Chorälen in echtem ^I^-Takt gehört «Lobe den Herrn" hierher.
Diese Taktart gibt natfirlich mehr Bewegung.
Typus V.
Choräle mit wechselnder Einsatzform der Strophen«
A. Mit periodischem Wechsel der Auftaktform:
Nun sich der Tag geendet hat.
ijjjjijjj jij jj jijjjji
m
i
±
J-tij— tf^
Bei gleichen Schlfissen Reim durch Auftakt 3, 1, 3, 1.
B. Mit Umsetzen aus und in Volltakt:
Jesu meine Freude.
^
^]77^^r^^
Job. Crüger. 1653.
f-C r r I f- j a
8
20.
4
6
t=:3
202
DIE MUSIK VII. 16.
mä
\U\i J J JIJCi^r- Jlf rV^I; J J jlj Tu
Bedeutungsvolle Plastik durch symmetrischen Ausfall der 2, der die Schwere
der 4 rallent verstärkt
C. Mit symmetrischer Rfickkehr zum Volltakt:
SeelenbrAutigam.
1606.
4 6
Anfang mit dem 6 »ex abrupto *"• Rfickbezfigliches SchluOpaar.
D. Mit einmaliger Abänderung der Auftaktform:
Es kostet viel» ein Christ zu sein. Um 1704.
22.| (^(^' j r JTTT^
1 ma 2 da ^
4:8 6 8
Symmetrie durch Altemieren vom Taktpaar und Takttriole. Taktftreier
Schluß mit Ausfall der 7. (Als Merkmal hier nebensächlich.)
E. Mit Abweichung einer Strophe von der sonst durchgeführten
Auftaktform:
Gelobet sei'st du, Jesu Christ.
1524.
^ 4-
^se
ly r J J j
j .M j f f j I j j j j I r II
^r5
8 8a
Schlichte Periode mit (nebensächlich!) taktfreiem Anhang ohne 7.
F. Mit mehrfachem Wechsel der Einsatzformen:
Ein' Feste.Burg ist unser Gott. M. Luther. 1529.
1 ma 2da
4:8
203
i
JuJ|JjJjCrr^--'J;ji"ii
^
3
t
8 8a
Ziemlich regellos. Zusammenhalt mehr nur durch den rfickbezüglichen Schluß.
G. Mit durchgeführtem Wechsel der Auftaktformen:
Mit Fried und Freud fahr ich dahin.
Gleichsam phantasierend. Der Text hat fast gänzlich Prosa-Form.
Gruppe Vi.
ChorAle mit taktfreien Einsätzen.
A. Mit einem taktfreien Einsatz:
a) in Typus I.
Dir, dir Jehova will ich singen«
Um 1704.
^^
^ -h
26.
^
■^-1^
W^
\
4:8
^ \\T fTJ
6
8
Am Schluß der Repetition kann man für 2^^ ein J setzen, um das Taktbild
des C zu hüten. Es liegt indessen hier schon auf der Hand, daß die
Stropheneinsätze eigentlich alle taktfrei erfolgen.
b) in Typus V.
O wie seelig seid ihr doch, ihr Frommen. Böhmisch 1566.
"•r|i!^i< r j r f I r f r \\^'k
8 8a
Ausfall der 6 zweimall Sehr selten. Einer der schönsten Choräle!
B. Mit zwei taktfreien Einsätzen:
a) in Typus I.
204
DIE MUSIK VIL 16.
Mein Jesu dem die Seraphinen.
Um 17M.
^ -1-
ni p j f * I j j j
^^
j J I r J r r\^ ^ ^
6
Bei einfacher öestalt wenig symmetrisch.
b) in Typus IL
Freu dich sehr o meine Seele.
f=*1=f
1551.
dreiteilig b. a. a. a. b. b.
c) in Typus V.
Es ist genug.
um 1000.
6 6a 8
2a selten, in rep. 6a, Reim bildend. Auch das dritte leichte Taktpaar
repetiert. Der Rhythmus doch etwas stockend und unproportioniert.
Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi« (alt.)
m
J=I=S
■i f J I ■' ; jjJ-J^^
31.
Litanei. Einziges Beispiel von Prosatext. Unikum durch Anbmg mit 6
und Fortsetzung mit 6a, 6b: es ist, entsprechend den drei Subfekten zum
Verbum, ein dreimaliger Ansatz zur SchluOkadenz («sei mit uns alleo.
Amen*). Zuletzt, Unikum, einfacher Auftakt taktfrei, was im eigoitliehen
Choral nicht vorkommt.
205
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
m
C. Mit drei taktfreien Einsätzen:
a) in freier Folge.
Wachet auf ruft uns die Stimme.
1505.
1 ma 2 da
rall.
^^m
^m
^^^
3t=5!=
8
^
m
gtT"' rnr^
I
*
2
t
6 6a 8
Ausfall der 6 im ersten Teil, im zweiten der höchst seltene Ausfall der
3 zwar erst vor 4a (Unikum?). LInge von 16 Takten, dreiteilig. Zweimal
schlicht 8 Takte wfirden «zu lang*", ohne länger zu sein, als dieses
sehr frische Gebilde.
b) alternierend auf- und voUtaktig.
Jesu deine Passion. _.
f-f-^4^
t
33.
nu-^
X
t
Im Text alternierende Verslänge von 7 und 6 Silben. Der Ermüdung durch
zwei schlicht achttaktige Perioden beugt die Altemation vor.
D. Mit durchweg taktfreien Einsätzen:
a) in Typus I.
Dein König kommt in niederen Hfillen. .^ bekannt 1710.
I ¥'^ j j
4
Strenge der Form, gesteigert durch den Reim der Schlfisse b. b. a, bis.
206
DIE MUSIK VIL 16.
b) in Typus IL
Schmflcke dieh Hebe Seele.
1640.
35. 1 ^ j J J [ j r r ^
4:8
^■«r'j\? f r r I r r ,- tJ i r f r n r r j jh
Eintritt mit der 6 wie präludierend. Echo (in der zweiten Vier) zuweilen
vorkommend. Zusammenfassung durch rfickbezfiglichen Schluß.
c) in Typus V.
Auftakt und Schlfisse alternierend.
Schaut ihr Sünder. Bei J. S. Bach.
a6.
F^ü^hV j r f fiJj .; fir f f rrirrr ff
•^ 4 8
^ -[-
\Uf J f f f|J^ r rK r f f Jjf ^ ^ II
4 8
Meisterstück der Plastik in aller Freiheit I Zwei schlichte achttaktige
Perioden. Vgl. No. 33 die hiergegen eckige, obwohl auch* schon kunstvolle
Altemation. Im freiesten Typus die strengste Form. Alle diese Er-
scheinungen treten durch den richtigen Taktstrich erst vor Augen, und
zwar immer so ungesucht wie untrüglich.
S 3.
„Um die Taktstriche handelt es sich'S hat in dem Streit um
die metrisch richtige Notierung von Chorälen G. Weimar in einer Schrift
über Choralrhythmüs ausgerufen, und Professor Köstlin fügt folgoidet hin«
zu: ^Wenn es gelänge, bei allen diesen Melodieen eine rationelle Taktiemng
zu Gesicht zu bringen, die sich nicht nur als die relativ beste Form her*
ausstellte, sondern als die adäquate Wiedergabe des ursprünglichen
Bewegungsbildes der Melodie sich erwiese und damit der Diskussion
ein Ende machte, dann stünde der Einführung dieser Form auch in ofB-
ziellen Büchern wahrlich nicht das Geringste mehr im Wege.*
Nun, die Forderung ist hier vortrefflich ausgedrückt, und ebendlete
hat mir von Anfang an vorgeschwebt. Die Gründe aber, nach denen hier
Xw FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS «M!
die Taktstriche gesetzt sind, sind absolut-musikalischer Natur und ganz
dieselben, die angeführt werden mfiOten, um die Stelle des Taktstriches
als richtig zu erweisen, wenn man diese in bezug auf die etwa 12 v. H.
Chorile bestreiten wollte, die wirklich einfach auftaktig durchgefuhn sind
und sogar im AGB und OWC noch richtig stehen, sie allein. (Man
könnte ja etwa versuchen, sie als dreifach auftaktig hinzustellen, um-
gekehrt wie die wirklich dreifach auftaktigen bis jetzt filschlich, zirka
27 V. H. den einfach auftaktigen zugezählt werden.) Für ein musi-
kalisches Taktgebilde aber,* wie es der Choral ist, haben solche Gründe
nicht relative, sondern absolute Bedeutung. Ich wiederhole hier, daO die
Durchführung des richtigen Taktstriches «bei allen diesen Melodieen*,
allerdings erst durch die Entdeckung der taktfreien Einsitze (s. S 10), möglich
wurde und gänzlich versagt, wenn man in den Chorälen unserer
Gruppe VI mechanisch alle vier Viertel weit den Taktstrich setzen wollte.
Nur durch absolut musikalisches Verfahren kann ein adäquates Notenbild der
ursprfinglichen, d. h. der einer Melodie an- und eingeborenen (»immanenten*),
Bewegung zu Gesichte kommen. Der Ursprung einer Melodie ist ihre
inspirierte Erfindung, eigentlich nur Entstehung durch den begabten Autor;
ihr ältestes Notenbild, auch wenn es[als frei von Schreiberfehlem verbürgt,
als vom Autor «ursprünglich* so herrührend gelten kann, ist aber in der
mittelalterlichen Schreibung ohne Taktstrich gar nicht das adäquate Bild
ihrer metrischen Bewegung, denn die Mensuralnote hat nur dem Anschein
nach metrische Bedeutung in unserm Sinne, wie ich am Schlüsse dieser
Arbeit ($ 1 2) darzulegen versuchen werde. Und als'man anfing, den Takt-
strich zu gebrauchen, geschah es unsicher, und im Choral, abzüglich nur jener
12 V. H., unrichtig. Der Dilettant sagt noch mit einer gewissen Emphase:
.um den Taktstrich handelt es sich*. Ja freilich geht es ohne ihn nicht,
ohne ihn fängt «das alte Chaos wieder an*; es ist aber heute für den
Musiker eine elementare Sache, ihn richtig zu setzen; er befragt dieser-
halb, wie ich hier vorausnehme, nicht das Pergament, sondern die
Melodie, und siehe da, sie muß es ihm verraten. Bei der vorherrschenden
Entfremdung der evangelischen Geistlichkeit von der altera theologia
ihres großen Meisters D. Martin Luther scheint mir das Eintreffen von
Kost lins Weissagungen nicht so sicher, wie daß der Streit gar nicht ent-
standen wäre, wenn die Herausgeber und Komponisten des Chorals, die
im 18. Jahrhundert die Isometrie und Oligorhythmik, d. h. die wenige, ge-
ringe, bescheidene, dem Massengesang angemessene Rhythmik des Chorals
in seine Schreibung einführten, nur den richtigen Taktstrich gehabt
hätten. Aber dieser gleicht noch heute einem Schneeglöckchen, das
erst sein Köpfchen aus dem Winterschnee von Jahrhunderten zum Lichte
hebt.
208
Wenn die Tonsetzer von Brahms bis hinauf zu J. S. Bach und
hinab zum Heut unsicher im Gebrauch des Taktstriches sind, wenn gleich-
sam vorgestern erst eingesehen ward, daO sie ihn im C und '/g- oder 'Z^-
Takt recht oft fälschlich vor die Taktmitte statt vor den Takt setzen» und
es bei ihnen auch an anderen, noch gröberen Versehen nicht fehlt —
dfirfen wir uns dann wundem, daß geistliche und zuletzt milltirische
Dilettanten, ein Divisionspfarrer und ein »auch musikalischer* Feldprobst,
uns in das Handwerk pfuschen und meinen, sie können es auch so gut
wie wir? Und sie haben es auch noch schlimmer gekonnt. Es sind solche
Erscheinungen möglich geworden, wie das in bezug auf den Takt und
Taktstrich chaotisch fehlerhafte neueste Ost- und WestpreuOische Chond-
buch, mit dem allerdings alle: Organisten, Lehrer, und Geistliche schlieBlich
unzufrieden sind. Dies veranlaOte mich zur Wiederaufnahme meiner frfiheten
Versuche — später erst entdeckte ich, daß das Ost- und WestpreuBlsche
Choralbuch (OWC) matre non palchra fllia non pulchrior der Abkömmling
des Königl. Preußischen Armeechoralbuches (AGB) ist, das bis zum
Unfug von denselben Fehlem starrt und die Gefahr mit sich brinst,
daß von ihm aus noch andere Provinzen mit solchen Choralbfichem ge-
segnet werden.
Nun, da wir durch Riemanns Reform der musikalischen Metrik endlich
auf festem Grand und Boden stehen, ist es hohe Zeit zu reden, um so
mehr, als die Macht zu handeln, zu verffigen, nicht bei uns ist Selbst
unsere Consistorien und Synoden getrauen sich noch nicht einmal, einer
Gemeinde eine nichtssagende Parallelmelodie zu einem unsterblichen Choral
aus dem Munde zu nehmen, wenn sie «einmal daran gewöhnt* ist.
S 4.
Wohin der Taktstrich gehöre, haben J. Riepel im ITten, Joh. Chr.
Koch, der Lessing der Musikwissenschaft, im ISten, H. Riemann im 19ten
Jahrhundert übereinstimmend gelehrt. Die ersten beiden Male wurde es
vergessen, dies letzte Mal ist es noch nicht gelernt, d. h. es beginnt erst,
als etwas demnächst Selbstverständliches in das GemeinbewuBtsein der
Musiker fiberzugehen.
Aber das hätte man doch auch ohne Riemann gewußt, daß es wider-
sinnig ist, wie es das OWC in einigen dreißig Chorälen zum ersten and
hoffentlich letzten Male tut, in dieselbe Strophenfolge bei nnmittelbsrer
Wiederholung das zweitemal andere Taktstriche zu setzen! Das AGB
enthält zwar weniger Choräle, aber mit sämtlichen Fehlem des OWC
Man betrachte feraer Verrenkungen wie die folgende, von denen ACE und
OWC wimmeln: (A, statt der so nahe liegenden Fassung B.)
209
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
Ach Gott erhör mein Seufeen.
Um 1658.
^ ->-
^Q=Ff?^^[r3"^^^^^T^
Ebenso wird jeder verständige Musikfreund Beispiele wie dieses .rhythmische'
ohne Taktstrich
1^' . j j|r j r rl'^ J J r ^1^
als gänzlich unrhythmischen Unfug erkennen, weil es in der Musik Rhythmus
ohne Takt nicht gibt. Namentlich ffir einen militärischen Dirigenten ist
dergleichen völlig lächerlich, wenn er es ungefragt auch nicht sagen darf.
Man wird sich dabei sagen, daß eine Methode, mittelalterliche Choral-
schreibungen zu lesen, die dazu ffihrt, sie so wiederzugeben, damit schon
widerlegt ist. Dieselbe Ursache (das Bestreben, solche Lesungen mit dem
Taktstrich auszugleichen!) fuhrt dort zu Phänomenen mit zwei, auch drei
Taktarten für 14 Takte; alle drei werden dann vorn zugleich, zum Gebrauch
je nachdem, vorgezeichnet. (I)
Freu* dicht o meine Seele.
a b c a !b ^
^' r TT "
Freu dich sehr o mei-ne See - le
!c
g
TT^^-f
J7 ^ J 1 .uuTa^-JH
6»-
Die Beziehungsbuchstaben a, b, c habe ich notiert. Wiederum ent-
steht ein greuliches Durcheinander von hinkender «Rhythmik*. Kein Musiker
VII. 1& 14
210
DIB MUSIK VII. 16.
erkühnt sich solchen Irrsinns, denn auf den Musiker kann dies nicht anders
wirken. Noch Beethoven kennt Taktwechsel während eines ganzen Sym-
phoniesatzes nicht!
Jenes kurzatmige Wechselfieber des Taktes hat indessen doch seines-
gleichen in der »Salome** von Richard Strauß gefunden. Die Wirkung ist
der Rückfall ins Elementare, überhaupt Ungeordnete, die Vorschriften sind
nur Notbehelf für den gequälten Dirigenten.
Den oben ersichtlichen häßlichen Doppelsparren bietet man uns statt
unserer schönen Fermate an. Über ihn hinweg soll es eigentlich genau
im Takte weiter gehen. Nur soll man wieder die Genauigkeit nicht über-
treiben. Aber was genau ist, ist nicht übertrieben, und was übertrieben
ist, ist nicht genau. Der Rat ist also ohne Sinn. — Zur Verdeutlichung
der Phrasengrenze wird das wirklich schon eingerissene Absetzen mit
Hand und Fuß von der Orgel empfohlen, diese abscheuliche Zerreißung
des Orgelklanges, der statt des Chorals seine disjecta membra darbietet.
Dazu noch das Leipziger Reitermarsch-Tempo, und die Barbarei ist voll-
kommen.
Ob es »Seelen* gibt, die das »freuf? Einschließlich der trivialen
dreitaktigen Schlußerweiterung (statt B). (Vgl. S. 209 unten). Der Chorml
ist offenbar isometrisch und durchgeführt zweifach-auftaktig geboren (A),
wie und von wem immer er auch um 1 550 zuerst geschrieben oder gedmckt
wurde. Vollends dieser Taumel-. Rhythmus*, den man wie anderes der-
gleichen dem Evangelischen Verein für Kirchengesang verdankt:
^^r^r^^qn^j j J p -^^-^Hji-pr-7-f^
hier, wo es Musiker lesen, muß man sich doch wirklich beinahe schimen,
solchen damit auch nur unter die Augen zu treten I Abgesehen noch von
der ganz üblen, fraglos nicht »ursprünglichen* SchluBerweiterung. Und
der Taktstrich wieder zum Trennungszeichen degradiert I Ich gestehe, daß
ich dieses törichte Experimentieren mit dem Choral, diese Taumel- und
Schaukelrhythmen, geradezu als ein sacrilegium empfinde, und bin fiber-
zeugt, daß selbst der ungläubigste Organist, der nur noch ein wenig
Pietät für den Choral übrig hat, es mit derselben Mischung von Lachreiz
und Unwillen empfinden wird.
S 5.
Kein Musiker seit einem Menschenalter huldigt mehr dem GroBviter-
wahn, der Auftakt sei von Rechts wegen etwas Einmaliges, bestehe aus einer
211
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
Taktzeit und sei eigentlich ein unvollständiger Takt, und der SchluOtakt
eines noch so langen Stückes müsse so viel kfirzer notiert werden, daO er
den Auftakt zu einem ehrlichen Takte ergänzt. Selbst in diesem Wahn
aber, hätte (statt wie bei C) im folgenden Notenbeispiel kein Musiker doch
dieses possierliche Kuriosum (B) geschrieben, das (n dem von Natur iso-
metrischen einfach-auftaktigen Choral «Nun lob' mein' Seel' den Herren*
im Walzertakt ( A) das OWC ziert :
A D B C
Bei D ist diesem Scheintakt (B) zuliebe die Lesart willkürlich variiert.
Es wird nun gebeten, die ^ (bei B) ja nicht schon auf der ersten jt aus-
zuführen! Wo waren denn die Musiker in der Kommission für das OWC,
als diese Lächerlichkeit notiert wurde?
Das verstand sich auch ohne Riemann für uns schon von selbst, daß
Stücke, die in C gehen, ebensowohl drei oder zwei Taktzeiten wie eine oder
keine zum Auftakt haben können. Auch daß der Auftakt eine durchgängige
Erscheinung ist, ward, wenn auch viel später erst gehört, doch schon am
Anfang des 19., nicht erst des 20. Jahrhunderts, an die Adresse des Con-
servatoire national in Paris klar ausgesprochen. (^La phrase musicale
fChevattche* sur les barres de mesarel")^) Der Choral ist ein kirchlich
vereinfachtes Volkslied und somit das einfachste aller Musikstücke. Da-
bei muß es als natürlich erscheinen, daß er in der Mehrzahl der
Fälle ein und dieselbe Auftaktform durchführt. In der Tat wechselt
er die Auftaktform nur in 34 von 135, also in etwa 25 v. H.
Chorälen, sei es einmal oder öfter, oder auch zu jeder Strophe,
gleichsam fantasierend. So verstehen sich also, wenn man nur so
viel weiß, daß der Taktstrich vor die Schwerpunktnote gehört, die fünf
Typen des Chorals, die meine Melodieensammlung (MS) aufweist,
gleichsam a priori von selbst und sind brevi manu an den Fingern ab-
^) J6röme Joseph de Momigny definierte bereits 1806 in einem «Cours complet
d' harmonie et de eomposition d' apr&s une tb^orie neuve* völlig richtig die Begrilfe
mesure, motlt^ p6riode, phrase, rhythme usw., so daß er« bis zu seiner Wleder-
entdeckung durch Riemann unverstanden geblieben und vergessen, doch als der
erste Begründer der wahren Lehre von Takt und Rhythmus zu gelten hat, der
seinem Zeitalter um ein Jahrhundert voraus war. Von Ihm stammt jenes Wort »die
Phrase reitet auf dem Taktstrich*. 1004 entdeckte Riemann Momigay's Schriften und
berichtete darüber hier in der «Musik*, Jahrg. III, Heft 15. Die Wahrheit Ist, daß nie
eine glinxendere und vollständigere Obereinstimmuog In grundlegenden Ideen zwischen
zwei großen Forschem erlebt worden ist, deren zweiter die Arbeiten des ersten nicht
kannte.
t 14^
212
DIE MUSIK VII. 16.
zuzählen, nämlich (wobei ich dann gleich die Frequenz eines jeden Typus
hinzunotiere)
Typus I mit dreifachem Auftakt ] 32 -|- 7 = 39 Chorile
Typus II mit zweifachem Auftakt durch- 43 + 2 = 45 ,
Typus III mit einfachem Auftakt | geffihrt le 16
Typus IV ohne Auftakt j in C 1 Choral
Typus V mit wechselndem Auftakt 20 + 1 4 = 34 Choräle
Sa. 135 Choräle
Die zweiten Zahlen beziehen sich auf die aus der Gruppe VI mit
taktfreien Einsätzen hinzukommenden Choräle (siehe $ 10).
S 6.
Gerade da, von wo man gelegentlich geglaubt hat ffir eine endgfiltige
Reform der Choralschreibung ausgehen zu müssen, im Verhältnis der
Melodie zum Text, liegt die Fehlerquelle. Möglicherweise ist der falsche
Taktstrich sogar von dort in die instrumentale Musiknotierung übergegangen.
Die mit Hauptworten, wie Herr, Gott, Christus, beginnenden Choräle wurden
unwillkürlich als mit dem Schwerpunkt beginnend, die mit Interjektionen
oder sonst leicht auftaktigen Wörtern (O, Ach, Mein usw.) mit folgendem
Hauptwort beginnenden wurden ebenso erklärlich einfach-auftaktig schon
vom Komponisten selbst falsch notiert, auch wenn die Melodie, zwar nicht
invita Minerva, aber inscio autore den musikalischen Schwerpunkt, der
dafür allein entscheidend ist, erst auf dem vierten bzw. dritten Ton hatte.
(Es ist mir 1903 bei der Komposition von Gemeindeliedern noch ebenso
gegangen, nur daß ich sie nicht so drucken ließ.)^)
Ein metrisch maßgebliches Verhältnis hat der Gesangbuchvers znr
Melodie überhaupt nicht, schon weil er eben selbst nicht sensu proprio
metrisch ist. (Wie dürfte er auch sonst zur selben Melodie wechseln?)
Eine Melodie darf nur nach metrischen, Musik nur nach musikalischen
Gesichtspunkten beurteilt werden. Der Text ist im Massengesang nicht
die phrasierende Kraft, Inkongruenz von Motivgrenze und Sinnteil, auch
mit Wortschluß, belanglos. Was bei dem Versuch der Übertragung antiker
Metrik auf den Choral an wiederum ebenso unwürdigem wie unwahrem
Schaukel- und Tanzrhythmus herausgekommen ist, deren natürliches
Tempo gar nicht das Choraltempo wäre, spottet gleichfalls der Beschreibung.
Auch der wirkliche Versbau des Gesangbuches nach Hebungen (von
ungleicher Höhe und ungleichen Abständen) steht im Inlaut der Strophe
') .Andachtslieder ffir Tempel und Haus*, ffir die Synsgoge geschrieben, an der
ich 1887—1907 Organist war. Kommissionsverlag von M. Brucksteln in Danzig.
213
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
nicht in organischer Beziehung zum Takt der Melodie. Hier kann ich
dies nicht näher darlegen.
Mit Ausnahme des genial komponierten «Lobe den Herrn* sind die
Choräle, die wie dieser im echten ^I^-Tskt gehen, allermeist wertlos. Der
echte wird daran erkannt, daß er bis auf wenige Takte isometrisch ist,
und acht Takte eine Periode wirklich ausfüllen.
Solche Beispiele — OWC und AGB enthalten ihrer genug — wie
das «Wiegenlied*
Vom Himmel hoch.
^^TT]r-^
t
f^
T
t
e
f9-
H 1-
t
-KT
(8!)
^^
m
m
t
^
t
^
V=t
sind metrische Lfigen. Dieser Choral gehört zum Typus I. (s. bei B.), und
es ist noch der bessere Fall, daß die Choralbficher ihn nur wie bei C auf
den Kopf stellen. Öfters gibt das OWC und ACB auf diese Art Choräle in
zwei falschen Formen. «Das Volk liebt diesen Schaukeltakt.* Es soll
ihn nicht lieben! Er lügt! Außerdem sind diese Jamben päpstlichen
Ursprungs, Nachklang des einstmals von einem Papst, der Mystiker und
Dilettant in einer Person war, erlassenen Verbotes der geraden Taktarten,
weil nur der dreiteilige Takt würdig sei, den dreieinigen Gott zu besingen.
(Vgl. S 12.) Ich habe mit jener oben erwähnten Ausnahme die wenigen
Choräle auch des echten ^-Taktes weggelassen. Freilich nahm man auch am
echten '/^-Takt geistlicher Lieder im Mittelalter keinen Anstoß, und sogar die
konträr wirkende Zusammenziehung der leichten Taktteile darin
• «9
war
nicht selten. Aber der Rhythmus ^ j ^ j 9 der den Schwerpunkt eines
eigentlich zweiteiligen Taktes verdoppelt, indem er dessen zunächst un-
bestimmte Verlängerung behufs größerer Verständlichkeit zu einem me-
trischen Wert umbildet, entspricht damit, als (nach Riemann) die «ur-
sprünglichste* Takterscheinung, einem noch ganz rohen, bäurisch-böotischen
Verständnisvermögen. Das rhythmische Empfinden der Völker
ist aber wie nach Ländern so auch nach Zeiten verschieden.
Für uns bedeutet der Rhythmus J J , nachdem wir ihn, in echten Dreitakt
J ^ • aufgelöst, weiter rhythmisiert haben ^ j g"^ J J oder J /j J
und diese Rhythmen dann wieder mit ^ J J usw. mischen, seit
214
DIE MUSIK VII. 16.
etwa 150 Jahren den Walzertakt, und alle Gesellschaftsschichten sind
mit diesem so vertraut, daß er für uns ein spezifisch weltlicher, in der
Kirche an den Tanzsaal erinnernder geworden ist, sehr verschieden von
der Empfindung jenes Papstes im 12. Jahrhundert, der diesen Takt wegen
seiner Einheit von drei heilig sprach. Vollends der Rhythmus j J J
wirkt auf den Menschen der letzten Jahrhunderte als drastischer Aos-
druck von Laune, Trotz, Übermut; er kommt uns beinahe «spanisch* vor.
Die Isometristen oder Joh. Schop selbst schon (1641) wußten sehr wohl,
was sie taten, als sie das originelle, wie gesagt, fast spanisch rhythmisierte
Tanzlied
des '/^-Taktes und aller Tanzrbythmik entkleideten und für den schönen
Choral «Sollt' ich meinem Gott nicht singen* nur die edle melodische Linie
beibehielten. (Er gehört zu Typus II.) Im Massengesang ist der kontrire
Rhythmus (s. o.) ohnehin nicht zu erreichen.') Das Volk singt nur noch
Gassenhauer statt des Volksliedes; solche Rhythmen sind ihm darum fremd
und kunstlich, während der Gebildete sie zugleich als stark weltlich empfindet.
Und wenn es gelungen ist, sfiddeutsche Gemeinden ffir den Walzerrhjrthmns
in der Kirche zu gewinnen, so ist damit nichts Kirchliches gewonnen, noch
abgesehen davon, daß die heut mit einer gewissen Genugtuung »rhjrthmisch*
genannten Formen von Chorälen durchaus nur unrhythmisch sind. Ober
ihr Prädikat «ursprunglich* s. $ 12. Die Gewöhnung an jene Tanz- nnd
Schaukelrhythmen in der Kirche aber hat eine bedenkliche Ähnlichkeit
mit dem Grundsatz der Heilsarmee, die Leute mit dem Gottesdienst zu
amüsieren.
Die natürliche Taktart des Chorals ist. (mit jener einen glänzenden
Ausnahme) der C, mag er in scheinbarem alla breve-Takt
^ ö
i I
oder mit nur orthographischem Unterschiede statt
j*-J
fsf K> ¥Sf e^
in Halben
notiert sein. Auch ob er ursprünglich mit oder ohne Takt-
strich notiert ist, ist dafür gleichgültig. Wie gesagt: wir fragen nicht das
^) Jahre nacheinander machte ich die Erfahrung, daß Konfirmanden, die zn-
sammen das Lied ^^So nimm denn meine Hände* singen sollten, die konträre Zo^
sammenziehung im vorletzten Takt dieses Liedes durchaus nicht begriffen. Es wurde
immer eine breite Triole daraus. Der Geschmack an jenem Rhythmus ist erloschen,
and er wirkt nicht mehr kirchlich.
Pergament, sondern die Melodie selbst nsch ihrem Takt, den sie im Choral
leicht verrttt. Eine Toafolge wirklich ohne Takt wlre überhaupt keine
Matik. Bei der Notierung im natürlichen Takt stellen sich denn auch die
bescheidenen Mischungen der j mit ^ oder J heraus, die der Musiker,
falls die ilteste Notierung nicht schon den Anhalt dazu gibt, einzufügen
befugt ist. Die J kommt übrigens im Inlaut der Choralstrophe nie echt,
sondern nur als Dehnung der Penultima vor, die dazu dient, den SchluQ-
ton, der sonst auf das vierte Viertel kime, in den folgenden Schwerpunkt
zu schieben und dadurch zugleich zwei Takte zu erhalten. (Vgl. $ 9 Bei-
spiele.) Im zweiten Takt aber endigt die Choralstrophe, richtig notiert, nie-
mals auf vierter angeschlagener Zflblzeit. Man sehe die Klassen .mit ge-
dehnten Scblfissen* an. Im weiblichen SchluD J J gehört die J zum
Aaslaat.
Schlafi tolgt
V.fe?,•^^.^:^'^;.^•'?fi^n<x?^•St;r<?.^^
'\ r?i5j«rtP«i!yti«A^^^
\s ist länger als ein Jahrzehnt her, daß G. Wustmann^) und
E. Vogel*) ihre ausfuhrlichen Abhandlungen fiber Bachportrits
veröffentlicht haben. In der seitdem verflossenen Zeit sind
mehrere bis dahin unbekannte Bachdarstellungen aufgetaucht,
die Veranlassung bieten, das bis jetzt bekannte Bildnismaterial im Zusammen-
hang zu betrachten. In dieser Betrachtung soll insbesondere die Farbe des
Teints, des Haares und der Augen J. S. Bachs beleuchtet werden, Kenn-
zeichen, die für die Beurteilung der Echtheit der einzelnen Bildnisse im
Sinne der Frage: »Nach dem Leben gemalt oder nicht?*" in erster Linie
ausschlaggebend sind. Eine solche Untersuchung kann sich naturgemifi
nur an die farbigen Porträts knfipfen; dies sind: die beiden Ölgemälde von
E. G. HauOmann, das Ölgemälde von J. J. Ihle, femer das Ölgemälde un-
bekannter Autorschaft im Besitz des Herrn Prof. Dr. Volbach-Tfibingen
und die aquarellierte Bleistiftzeichnung im Besitz des Herrn E. Bormann-
Leipzig. Es sei gleich vorausgeschickt, daß diese Bildnisse eine voll-
kommene Obereinstimmung der genannten Merkmale aufweisen. Im Znsam-
menhang der Betrachtungen wird auch der übrigen bekannten Porträts Joh. Seb.
Bachs gedacht werden, um ihnen, soweit dies durch Wustmann und Vogel
noch nicht geschehen ist, die ihnen gebührende Stellung anzuweisen.
Die Entstehungsgeschichte aller nach dem Leben gemalten Bachbild-
nisse ist in Dunkel gehüllt, ebenso fehlen verbürgte Angaben fiber das
Entstehungsdatum der Bilder. Die verläOUchste Zeitangabe besteht ffir das
zweite von E. G. HauOmann gemalte, im Besitz der Thomasschule befind-
liche Porträt, das nach der Feststellung Wustmanns im Jahre 1735
entstanden sein muß. Die Entstehungszeit der übrigen Gemälde können
wir nur aus dem Aussehen Bachs selbst mutmaßen, wobei für das von
Haußmann zuerst gemalte Porträt und die aquarellierte Bleistiftzeichnung
wohl der weiteste Spielraum gelassen werden muß. Ihrem absoluten Alter
nach folgen die angeführten Porträts einander mit zuverlässiger Sicherheit,
wie nachstehend aufgeführt:
') Aus Leipzigs Vergangenheit. Gesammelte AuMtze von Gustav Wustmaan.
Neue Folge. Leipzig, Verlag von Fr. Wilh. Grunow 1808.
>) Jahrbuch der Musikbibliothek Peters für 1886.
217
LANDMANN: BACHPORTRÄTS
1. Das im Bachmuseum zu Eisenach befindliche Ölgemälde von
J. J. Ihle, etwa um 1720.
2. Die im Besitz des Herrn Edwin Bormann-Leipzig befindliche aqua-
rellierte Bleistiftzeichnung unbekannten Autors, etwa 1725—1730.
3. Das in der Musikbibliothek Peters-Leipzig befindliche Ölgemälde
von Elias Gottlieb HauOmann, etwa um 1730.
4. Das in der Thomasschule zu Leipzig befindliche Ölgemälde desselben
Autors, 1735.
5. Das im Besitz des Herrn Prof. Dr. Fritz Volbach-TQbingen befind-
liche Ölgemälde unbekannter Autorschaft, etwa 1748.
Ober No. 3 und 4 berichten Wustmann und Vogel des Näheren.
Das Bildnis No.3^) stammt aus dem Nachlaß C. Ph. Emanuels. Dessen
Tochter Anna Carolina Philippina verkaufte es um 1828 an den Leipziger
Flötenvirtuosen Carl Grenser; von dessen Sohn Alfred erwarb es im Jahre
1886 die Firma Peters. —
Bezüglich der Herkunft des Bildnisses No. 4^ gehen bei Wustmann
und Vogel die Ansichten auseinander. Dieser neigt mehr zu der An-
nahme, das Bild rühre aus dem Besitz Johann Friedrich Reichardts her,
während nach Wustmann Reichardt ein anderes Bild, wahrscheinlich aus
dem Nachlaß von Bachs Schüler Kirnberger stammend, besessen hat. Die
Ansicht Wustmanns ist höchstwahrscheinlich die richtigere. Das Kim-
bergersche Bildnis war, wie man annehmen muß, eine dem Bildnis No. 4
ähnliche Bachdarstellung. Eine direkte Kopie des letzteren ist es aber
wohl nicht gewesen. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht einerseits
der Umstand, daß in der von Wustmann erwähnten, in einem Briefe Zelters
an Goethe mitgeteilten Episode der Leipziger Leinwandhändler beim An-
schauen des Kimbergerschen Bildnisses den prächtigen Sammetrock hervor-
hebt, in dem sich »der eitle Narr" habe malen lassen. Hierzu hätte keine
Veranlassung vorgelegen, wäre Bach auf dem Bildnis der Thomasschule,
das der Leipziger offenbar gekannt hat, auch in einem solchen präch-
tigen Sammetrock dargestellt gewesen, was nicht der Fall ist. Bach er-
scheint auf diesem Bilde in einem einfachen blauen Rock. Andrerseits
kann das verschollene Kimbergerscbe Bild schwerlich ein Originalgemälde
nach dem Leben gewesen sein, wenn es — wie Wustmann mit Recht als
leicht möglich bezeichnet — dem Maler Lisiewsky als Vorlage gedient
hat. Dieser malte bekanntlich im Auftrage der Prinzessin Amalie von
Preußen 1772, also 22 Jahre nach Bachs Tode, dessen Porträt^ (sowie
vier Jahre später im gleichen Auftrage dasjenige Kimbergers), die beide
1) Siehe die Kunstbeiltgen Portrit No. 3. *) Siehe die Kunstbeilagen Portrit
No. 4. >) Vgl. Beilage zu Heft 17, Jahrgang 6 der »Musik«.
218
DIE MUSIK VII. 16.
in der Bibliothek des Joachiinsthalschen Gymnasiums zu Berlin aufbewahrt
werden. Auf diesem Bilde hat nämlich Bach schwarzbraune Augen und
fast schwarze Augenbrauen. Bach war aber, wie die Bildnisse No. 1^5
übereinstimmend zeigen, blond und blauäugig. So sicher also die Lisiewsky-
sche Komposition für die Beurteilung des physischen Typus J. S. Bachs
wertlos ist, so wahrscheinlich ist es, daß das ehemals in Kimbergers Besitz
gewesene Bild in dieser Hinsicht um nichts besser gewesen ist.
Das Bildnis No. 4 wurde 1735 nach dem Leben gemalt. Vielleicht
hat Bach dieses Bild für sich selber malen lassen und es erst vergeben,
als er der »Societät der musikalischen Wissenschaften in Deutschland*
als Mitglied beitrat. Als solches war er statutengemäß zur Einlieferung
eines guten, auf Leinwand gemalten Porträts verpflichtet. Die betreffende
Bestimmung lautete: »Auch soll ein jedes Mitglied sein Bildnis, gut auf
Leinwand gemalet, nach seiner Bequemlichkeit zur Bibliothek einschicken • • .*
Warum sollte Bach der ihm hiermit auferlegten Verpflichtung nicht nach-
gekommen sein? Der Inhalt dieser Bestimmung kann doch wohl nicht gut
so ausgedeutet werden, als wenn es ganz im Belieben der Mitglieder gelegen
hätte, ob sie ihr genfigen wollten oder nicht. Eine solche Auffissai^
scheint Wustmann zuzulassen. Meines Erachtens spricht der Wortlaut der
Bestimmung nicht unbedingt für eine solche Auffassung. »Nach seiner Ete-
quemlichkeit" kann auch so aufgefaßt werden, daß jedes Mitglied mit seinem
Bilde hinsichtlich Größe, Pose und der Ausstattung volle Bequemlichkeit,
d. h. Freiheit, haben solle. Hat Bach statutengemäß sein Porträt eingeschickt,
so kann aber hierffir kaum ein anderes in Frage gekommen sein, als das
Bildnis No. 4. Denn, falls er überhaupt mehr als ein Porträt zu gleicher
Zeit besessen hat, wird Bach sicherlich dasjenige gewählt haben, das
zugleich das beste und in Hinsicht auf den Zeitpunkt seines Eintritts das
neueste war. Das Bildnis No. 5 aber war zur Zeit seines Eintritts (1747)
höchstwahrscheinlich noch nicht gemalt.
Die Tradition, daß die »Societät der musikalischen Wissenschaften
in Deutschland" das Bildnis No. 4 besessen hat, erscheint somit sehr glaub-
würdig. Auch, daß dieses Bildnis nach der Auflösung der Gesellschaft
in Friedemanns Besitz gewesen ist, muß ffir wahrscheinlich gelten. Friede-
mann hatte so gut wie Philipp Emanuel Anspruch auf ein Bildnis seines
Vaters, dem er sowohl als Kunstler wie als Mensch näher gestanden
hat, als sein jfingerer Bruder. Friedemann könnte sich bei der Auflösung
der »Societät* im Jahre 1755 das Bildnis seines Vaters ausgebeten haben.
Es kann gleichgültig bleiben, ob er sich den Besitz des Bildes aus Pietät
oder Spekulationssucht gesichert hat. Wahrscheinlicher aber, als daß das
Bildnis erst nach seinem Tode von seiner Familie verkauft wurde, ist
jedenfalls, daß er es selber noch zu Geld gemacht hat, wie es daa Schicksal
220
DIE MUSIK VII. 16.
Efilingen aurgehalten hat und zu seiner Zelt ein Porträtmaler von Ruf ge-
wesen ist. Sein Sohn Johann Eberhard Ihle, geb. 1727 in EBliogeo, gest.
1811, war gleichhlls Maler, jedoch von geringerer Bedeutung.
Johann Jakob Ible war also ein Zeitgenosse Bachs, vielleicht etwas
jünger als dieser. Aus der ungeShren Gleicbalterigkelt ist mit SIcheriieh
zu entnehmen, daß das Porlrit nach dem Leben gemalt ist. Man darf
dies um so unbedenklicher behaupten, als um die Entstebungazelt des
Gemüldes bildliche Darstellungen Bachs noch nicht existiert haben dfirften,
da sein Ruhm noch keine allgemeine Verbreitung gefunden hatte, pie
Entstehung des Ihleschen Gemäldes könnte frühestens in das Ende der
zweiten Weimarer Periode fallen; wahrscheinlicher Ist es aber, dafi sie in
die Köttaener Periode Titllt. Um jene Zeit regierte in Bayreuth der pracht-
liebende und kunstsinnige Markgraf Georg Friedrich Carl ans der frln-
kischen Linie der Markgrafen von Brandenburg. Unter diesem FQnten
nahm Bayreuth einen gewaltigen Aufschwung und erlebte seinen höchsten
Glanz. Das Hofleben unter Georg Friedrich Carl war geistig nicht minder
bedeutend, als es sich durch äuSeren Prunk auszeichnete. Der Maitgrar
hat sieb, wie aus dem Nachlaß zu scblieDen, eine bedeutende Gemilde-
galerie geschaffen, in der er auch die PortrXts der führenden Geister
seiner Zeit in Kunst und Wissenschaft vereint halten dürfte. Speziell den
Maler Ihle scheint er bei Durchführung dieser Aufgabe viel beschäftigt
zu haben, da sich in dem Nachlaß eine ganze Reihe von Ihle gemalter
Porträts befunden haben soll.
Es entsteht nun die Frage: Wie kam Markgraf Friedrich zur Be-
kanntschaft mit Sebastian Bach, und wo mag das Porträt entstanden sein?
Um diese Frage zu beantworten, kann man sich nur in Vermutungen er-
gehen. Die nächstliegende Annahme wäre, daß die Bekanntschaft in
Karlsbad vermittelt wurde, und dafi auch dort oder später in Köthen das
Gemälde entstanden ist. Durch seinen Herrn und Freund, den Fürsten
Leopold, lernte Bach bekanntlich im Sommer 1720 in Karlsbad den Mark-
grafen Christian Ludwig von Brandenburg kennen, denselben, dem er
später seine brandenburgiscben Konzerte widmete. Möglich, dsQ hier eis
gleichzeitiges ZusammenlreeTen mit dem verwandten brandenbuigischea
Markgrafen Georg Friedrich Carl von Bayreuth stattgefunden hat. Karlsbad
war ja von jeher ein von Fürstlichkeiten sehr frequentierter Karort, der
auch von den besseren Malem zur Saison gern besucht worden sein wird;
hatten diese doch hier die meiste Aussicht, neue Auftraggeber und AnF-
träge zu gewinnen. Dies vorausgesetzt, ist aber ohne weiteres anzunetamea,
dafi Georg Friedrich Carl auf Bach besonders aufmerksam geworden Ist und
einen tiefen Eindruck seiner Bedeutung gewonnen hat. Dieser Elndrack
kann ihn bestimmt haben, Bach für seine Galerie alsbald malen t
219
LANDMANN: BACHPORTRÄTS
mmmmmmmmmmamm0mmmmmmm
alier Sachen gewesen ist, die er von seinem Vater ererbt hatte. Man muß
daher mehr geneigt sein, zn vermuten, daß Friedemann das Bildnis der
Thomasschule direkt verkaufte, als daß es ' — wie die Tradition be-
richtet — August Eberhard Mfiller, der von 1800—1800 Kantor an der
Thomasschule war, von den Erben Friedemanns kaufte und bei seiner
Übersiedelung nach Weimar im Jahre 1800 der Thomasschule schenkte.
Denn dieses Bild muß — wie Wustmann bemerkt — schon vor 1783
in der Thomasschule gehangen haben, da die oben erwähnte Episode
zwischen Kimberger und dem Leinwandhändler im genannten Jahre be-
richtet wird. An der Wahrheitsliebe eines Mannes wie Zelter ist aber
wohl kaum zu zweifeln. —
Das im Bachmuseum zu Eisenach befindliche Porträt No. P) stammt
wahrscheinlich aus dem markgräflichen Schloß zu Bayreuth. Es wurde der
Neuen Bachgesellschaft gelegentlich der Einweihung des Museums (1007)
von Herrn Geheimrat Dr. O. von Hase-Leipzig geschenkt. Dieser erwarb
es kurz vorher vom Konservator der Bamberger städtischen Gemälde-
galerie, Herrn Max Hartmann, auf dessen Angaben sich die nachfolgenden
Mitteilungen bezöglich der Herkunft des Gemäldes stfitzen.
Das Ihlesche Porträt hat zusammen mit mehreren anderen Ölbildern
lange Jahre im Hause eines Bayreuther Bäckermeisters gehangen, der mit
seiner Gattin bereits vor Jahren kinderlos verstorben ist. Dieser hatte die
Gemälde von seinem Großvater geerbt, der als Gärtner oder Arbeiter im
alten markgräflichen Schloß zu Bayreuth beschäftigt gewesen sein soll. Als das
markgräfliche Schloß nach der Vereinigung Bayreuths mit Bayern Anfangs
des neunzehnten Jahrhunderts zu Regierungszwecken eingerichtet wurde,
sollen die Bilder zusammen mit vielen andern in den nicht benutzten Ge-
mächern als .wertlos" herumgestanden haben und von da nach und nach
verschwunden sein. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts erhielt
Herr Hartmann gelegentlich eines Aufenthalts in Bayreuth Kunde vom Vor-
handensein der Bilder, die er sogleich aufkaufte. Die Bilder waren größten-
teils in trauriger Verfassung; zu den besterhaltenen gehörten das Bachbild,
ein Jugendbildnis Friedrichs des Großen und ein Porträt G. E. Lessings.
Das Bachbild war als solches in keiner Weise näher bezeichnet,
sondern wurde rein äußerlich als solches erkannt, ebenso wie die Bilder
Friedrichs des Großen und Lessings.
Zunächst der Maler. Sein Name: J[ohann] J[akob] Ihle stand
auf den am Rande zerfetzten Teilen der Leinwand und ist, da das Bild
neu aufgezogen werden mußte, jetzt nicht mehr sichtbar. Von Johann
Jakob Ihles Leben ist weiter nichts bekannt, als daß er sich um 1725 in
>) Siehe die Kunttbcilagen Portrit No. 1.
222
DIE MUSIK VII. 16.
«Pitt
jetzigen Besitzer anbot und verkaufte. Die Spuren der Herkunft des
Bildes wiesen anfangs nach Norddeutschland; zurzeit ist die Herkunft
des Bildes aus Thüringen festgestellt, und es ist nach Angabe des Besitzers
mit Sicherheit zu erwarten, daß der Nachweis noch erbracht werden kann,
daß dieses Bildnis das aus Kittls Besitz stammende, ffir verschollen gehaltene
»Erfurter* ist. •
Alle Umstände sprechen für die Identität mit Kittls Bild. Nach den
Mitteilungen Hilgenfelds soll das »Erfurter' Bild um die Mitte der vierziger
Jahre des achtzehnten Jahrhunderts gemalt worden sein. Um diese Zeit
erreichte Bach die Sechzig. Das Bild No. 5 zeigt zweifellos einen Mann in
den sechziger Jahren. Alle Charakteristika stimmen: die kräftige Nase mit
hängender Spitze, die geschweiften Augenbrauen, das vorspringende faltige
Kinn, die blauen Augen mit den blonden Brauen, das fleischige Gesicht
mit dem derbgesunden, etwas rosigen Teint. Dem höheren Alter ent-
sprechend treten alle diese Eigentümlichkeiten, besonders die mancherlei
Falten des fleischigen Gesichts, drastischer hervor, als auf den früheren
Bildern. Ein besonderer Vorzug des Porträts ist der stark hervortretende
Ausdruck des Geistigen im Blick der Augen. Man gewinnt beim An-
schauen des Bildes unwillkürlich den Eindruck, daß es sich bei dieser
Darstellung um einen bedeutenden Menschen handelt. «Bleibt mir vom
Leibe* scheinen diese Mienen auszudrücken.
Das Imponierende des Antlitzes wird durch die große weiße Perficke
verstärkt. Es ist offenbar eine Allongeperücke, die der Träger, obwohl in
seinen Jahren schon aus der Mode, aus Sparsamkeit oder vielleicht auch
um der äußeren Wirkung willen beibehalten haben mag. Um die rechte
Schulter ist ein dunkelgrüner, drapierter Mantel gelegt, wohl eine Mode-
beigabe des Malers. Es scheint, daß dieser sehr dekorativ wirkende Mantel
die Veranlassung für Hilgenfeld gewesen ist (die Identität des Bildes vor-
ausgesetzt), mitzuteilen, Bach sei auf dem Kittischen Bild «im Staatskleid*
dargestellt. Die eigentliche Kleidung ist jedoch nur ein rehbrauner Rock
mit Weste von einfachem Schnitt. Irgend eine besondere Bedeutung,
etwa, als wenn es sich um Bachs Amtstracht, den Kantorenmantel, handelte,
ist dieser faltigen Umhüllung jedoch nicht beizulegen; dafür macht sie zu
sehr den Eindruck einer vom Maler frei hinzugefügten Draperie«
Der Autor muß ein reifer Künstler gewesen sein, denn das Bild ist
mit großem technischen Können und mit offensichtlicher Liebe gemalt.
Die feinen Farbenabtönungen und zarten Obergänge zwischen den vielen
Falten und Fältchen des Gesichtes sind bewundernswert. Das Bild zeigt
keinerlei Obermalung und ist fraglos ein Original, in den letzten Lebens-
jahren des Meisters gemalt. Daß es eine Kopie des «Erfurter* Bildes
sein könnte, ist nicht anzunehmen; dagegen würde die meisterhafte Ur-
221
LANDMANN: BACHPORTRÄTS
Dies sind indessen, wie gesagt, nur Vermutungen fiber einen mög-
lieben Zusammenhang, der weiter nichts als eine gewisse Wahrscheinlich-
keit rSr sich hat.
Das Porträt selbst ist, wie die beigegebene Abbildung zeigt, ein
prachtvolles Stück. Das Bild ist in ein Oval gemalt, von dem durch die
Restaurierung vier Segmente abgefallen sind. Die jetzige Größe des Bildes
beträgt 63 X 78 cm ; die vorigen Maße waren mindestens 67 X 85 cm.
Das Gesicht war vollständig erhalten und hat nur auf der Stirn eine
geringffigige Ausbesserung erfahren. Auf dem Rock mußten einige Stellen
nachgebessert werden. Die Physiognomie ist ganz Bachisch: Zfige voll
männlicher Kraft und Energie, die nicht einer gesunden, etwas derben
Sinnlichkeit entbehren. Die lebhaft blickenden, klaren blauen Augen sind
von den, in der ganzen Bachschen Familie nachweisbar nur Johann
Sebastian eigentfimlichen, ypsilonartig geschwungenen blonden Brauen Ober-
schattet. Die kräftige Nase hat eine verdickte, etwas hängende Spitze.
Die charakteristische scharfe Einschnfirung der Nasenwurzel, die zusammen
mit den inneren Ausläufern der Augenbrauenbogen einen starken Wulst
bildet, ist unverkennbar. Der Mund ist leicht geschlossen und schön ge-
formt, das Kinn springt energisch vor, wie^ es durch die markante, nach
den Wangen zu verlaufende Kinnfalte (bei Bach wohl eine Begleiterscheinung
des etwas kurzen Halses) deutlich wird. Die Stirn scheint, wenn man
den Konturen der Perficke folgt, nach oben hin stark zurückzuweichen.
(Daß dieses Charakteristikum des Bachschen Schädels sogar in der
en face-Ansicht deutlich hervortritt, stellt dem technischen Können des
Malers das beste Zeugnis aus.) Die Gesichtsfarbe ist derb -gesund, die
Wangen schwach gerötet. Der Oberkörper gibt sich in ungezwungener,
vornehmer Haltung. Der nach der rechten Schulter gewendete Kopf ist
leicht zurfickgeneigt, wodurch der energische Blick aus den schönen Augen
etwas von oben herab zu kommen scheint. Die Physiognomie ist jugendlich
und sympathischer als bei den Bildnissen No. 3 — 5, weil der auf diesen
besonders hervortretende, halb sarkastische, halb reservierte Zug noch fehlt.
Der Kopf ist mit der kleinen, grauen gepuderten Perficke bedeckt
der faltenreiche Rock ist von sattgrfiner Farbe, das Rockfutter und die
Einfassung der Kante von kräftigem Hellrot. —
Das im Besitz des Herrn Prof. Dr. Volbach-Tübingen befindliche
Bachbild No. 5') ist als solches nur durch die mufldliche Oberlieferung
beglaubigt. Es hat sich viele Jahrzehnte lang in einer alten Mainzer
Musikantenfamilie vererbt und ist vor etwa 5 Jahren durch Vermächtnis
in den Besitz eines Mainzer Antiquitätenhändlers gekommen, der es dem
^) Siehe die Kuostbeilagen Porträt No. 5.
224
DIE MUSIK VII. 16,
an der Gnadenkirche, den Kantor und Musikdirektor Tobias Volkmar
(f 1756), einen Vorfahren des jetzigen Besitzers, ist das Bachbild In
dessen Familie gekommen. Es liegt nahe, zu vermuten, daß Reimann
das Bildnis von Leipzig mitgebracht hat. Vielleicht erhielt er es von
Bach geschenkt, vielleicht hat er es für sich oder seinen Kollegen Volkmar
oder seinen Vorgesetzten, Pastor Primarius Johann Neunherz (1652— 1737),
anfertigen lassen. Wem von diesen dreien das Bildchen zuerst gehört hat,
ist nicht mehr festzustellen. Gewiß ist nur, daß Volkmar, der die beiden
anderen überlebte, es weiter vererbt hat.
Das Bildchen zeigt Bach Ende der dreißiger oder anfangs der vierziger
Lebensjahre. Sollte es nicht nach dem Leben gemalt worden sein, so ist
es doch nach einer vollgültigen Vorlage angefertigt worden; dafür sind die
deutlich blauen Augen eine sichere Gewähr. Die Farbenabtönung des
Bildchens ist im übrigen so zart, daß die Farbe der Augenbrauen von der
des hellen Teints nicht mehr zu unterscheiden ist. Die Augenbrauen und
ihre charakteristische Linienführung sind allein durch die feinen Striche
des Zeichenstiftes wiedergegeben, würden aber, wenn sie von dunkler
Färbung gewesen wären, sicher durch entsprechende Aquarellierung noch
besonders hervorgehoben worden sein. Die bei den Ölgemälden bereits
hervorgehobenen Eigentümlichkeiten der Bachschen Gesichtsbildung finden
sich auch in dieser Zeichnung wieder. Der Gesamteindruck wird leider
durch die unschön hervortretenden wulstigen Lippen und die matt blickenden
Augen so beeinträchtigt, daß der geistige Gehalt der Physiognomie voll-
ständig hinter den behäbig-phlegmatischen, derb-sinnlichen zurücktritt. In
Perücke und Kleidung ähnelt das Bildchen den Ölgemälden. Der Name
des Autors ist unbekannt. Die rein technischen Qualitäten der Zeichnung
und Farbenabtönung sind hervorragend. —
Es ist bereits bei jedem der näher beschriebenen fünf Bildnisse er-
wähnt, daß Bach mit blauen Augen, blonden Brauen und hellem Teint
dargestellt erscheint. Im Vergleich miteinander zeigen die Farbennusncen
kleine Unterschiede. Reines Blau der Augen, blonde Brauen und hellen
Teint weisen die von jeder Obermalung freien Porträts No. 1, 2 und 5 auf.
Besonders sorgfältig hat Ihle das Auge behandelt. Der äußere Irisring
ist von reinem Blau. Von der inneren Peripherie des Ringes nach der
Pupille zu verlaufen radiale lichtgelbe Strahlen. Diese feinen lichtgelben
Partieen finden sich auch auf dem Bildnis No. 5. Bei dem Aquarell sind
Farbenunterschiede innerhalb des Auges nicht zu erkennen, in Hinsicht
auf den kleinen Maßstab des Bildchens aber auch nicht mehr darstellbnr.
Auf den Bildern No. 3 und 4 ist dem Blau der Augen etwas Gran bei-
gemischt, so daß hier die Augen als blaugrau bis graublau anzusprechen
sind. Das Blond der Brauen ist bei No. 3 etwas heller als bei No. 4, wo-
225
LANDMANN: BACHPORTRÄTS
M
gegen die Farbe des Teints auf dem Bildnis No. 4 dunkler ist, als auf
sämtlichen übrigen Bildnissen. Die Ursache dieser Verschiedenheiten kann
nur in den mehrmaligen Übermalungen der Bildnisse No. 3 und 4 gesucht
und gefunden werden. Die Folge davon ist für No. 4 leider noch ein
geradezu schwammiges Aussehen des Gesichts gewesen. —
Wir dürfen somit nach obigen Feststellungen den physischen Typus
Johann Sebastian Bachs als den eines Germanen, und den Meister als
einen klassischen Repräsentanten für die hervorragend geniale Begabung
dieser nordischei^ Rasse ansehen. Stimmt doch auch sein körperlicher
Habitus vollkommen zu den Untersuchungen der neueren Anthropologie
über den physischen Typus der Genies, wonach sich mit diesem in auf-
fallender Weise ein etwas untersetzter, stämmiger und kräftiger Körperbau
verbindet. Von besonderem anthropologischen Interesse ist, daß sich die
geniale Begabung in Verbindung mit den genannten Rassemerkmalen in der
Bachschen Familie durch vier Generationen hindurch feststellen läßt. So
hatte Sebastians Vater Ambrosius nach dem einzigen von ihm erhaltenen
ölbilde in der Königl. Bibliothek zu Berlin^) reinblaue Augen, hellblonde
Augenbrauen und Schnurrbart, brünettes üppiges Haupthaar und rosigen
Teint. Blaue Augen, helles Haar und rosigen Teint hatten aber auch
Sebastians ältester Sohn Friedemann und sein Enkel und letzter männ-
licher Nachkomme Friedrich Wilhelm Ernst, der Sohn Joh. Christoph
Friedrichs, des »Bückeburger* Bach. Hierüber geben das in der Gemälde-
Sammlung der Stadt Halle befindliche herrliche Porträt Friedemann s^
unbekannter Autorschaft und das der Singakademie zu Berlin gehörende,
angeblich von Eduard Magnus gemalte Porträt Fried r. Wilh. Ernst s')
deutlichen Aufschluß.
Dieses kraftvolle Sichdurchsetzen der germanischen Rasseneigentüm-
lichkeiten im Bachschen Geschlecht läßt aber mit Sicherheit darauf
schließen, daß der Stammvater Veit Bach, bis auf den der Stammbaum
zurückgeht, obwohl er von Ungarn in Deutschland eingewandert ist, nicht
ein Ungar war, wie vielfach behauptet wird, sondern vielmehr schon ein
Kind der nordischen Erde gewesen ist. Möglich ist allerdings, daß Veit
Bach in Ungarn ein Mädchen fremder Nationalität, vielleicht eine Ungarin,
zur Frau genommen hat Die der Familie eigentümliche, durch viele
Generationen vorhaltende geniale Begabung, die in Seitenlinien bekanntlich
auch eine große Anzahl bedeutender Maler hervorgebracht hat, würde
dadurch wenigstens teilweise als eine Wirkung der Nationenmischung erklärt.
1) Vgl. die Wiedergabe in Heft 2, Jahrgang 5 der »Musik«.
*) *) Diese Portrits werden einem der nichsten Hefte der »Musik« beigegeben
rerden. Red.
VU. 16. 15
M
226
DIE MUSIK Vll. 16.
die von modernen Anthropologen als ein die geniale Beanlagung bildendes
und förderndes Moment angesehen wird. —
Von Bildnissen der Söhne Joh. Seb. Bachs sind uns ferner noch er^
halten je eines Philipp Emanuels und Joh. Christians. Das Bildnis Emanaels
ist ein von seinem Verwandten Gottlieb Friedrich Bach nach dem Leben
gemaltes Pastellporträt ^)y das Philipp Emanuel selber als gut getroffen
bezeichnet. Nach diesem Gemälde hat er hellen Teint, braune Augen
und dunkle Haare gehabt, deren Farbe aus dem Pastell leider nicht zu be*
stimmen ist. Ganz »aus der Art geschlagen" scheint Joh. Christian zu
sein. Von ihm besitzt die Königliche Bibliothek in Berlin ein im Jahre
1774 (im 30. Lebensjahre Christians) von Matthieu gemaltes Ölbild*), das
aus Forkels Sammlung stammt. Von Christians Gesicht erscheint nur die
untere Partie, Mund und Kinn, noch Bachisch. Die Augen sind dunkel»
braun, die Brauen schwarz, der Teint fast braun. Übrigens ist dieses
Porträt nur eine schwache künstlerische Leistung. —
Mit den angeführten Porträts ist die Zahl der farbigen DarstelUingen
Joh. Seb. Bachs nicht erschöpft. Es gibt deren noch eine Anzahl, die aber
so minderwertig sind, daß es nicht angebracht ist, ernsthaft davon Notiz
zu nehmen. Erwähnt mag noch eine auf Kupfer gemalte Miniatur sein»
die im Wege des Erbganges auf Frau Julie Hörn zu Meiningen, eine ent-
fernte Verwandte des auf Sebastians Onkel Johann Christoph zurückgehenden
Zweiges der Bachschen Familie, gekommen ist Ein Blick auf das Bild
zeigt, daß es keinen Bach darstellt. Vielmehr handelt es sich wahr*
scheinlich um ein Bildnis von Bachs Patron, Herzog Wilhelm Ernst von
Weimar^), ein Umstand, der deutlich zeigt, ein wie geringes Gewicht
gelegentlich auf Familientradition zu legen ist.
Wohin sich aber die Ähnlichkeit selbst unter Benutzung einer authen*
tischen Vorlage verirren kann, das mag aus der modernen Komposition von
Rümpft), die Bach im 30. Lebensjahr darstellen soll, entnommen werden.
Die Weichlichkeit dieser Darstellung wird jedoch fast noch über--
troffen durch das in der Erfurter städtischen Sammlung befindliche an-
gebliche Bachbild, das in Heft 6 des 7. Jahrganges der .Musik* ver-
öffentlicht worden ist. Trüge dieses Bildnis nicht auf seiner Rückseite
die mitgeteilte Aufschrift, so würde gewiß weder Kenner noch Laie tut
den Gedanken kommen, das Bildnis könne Seb. Bach vorstellen. Dies be-
stätigen wenigstens die von mir angestellten praktischen Versuche« Der
rückseitigen Aufschrift, selbst wenn sie alt zu sein scheint, kann m. E»
eine Beweiskraft nicht beigemessen werden. Einmal ist der Autor der
^) *) ') ^gi* das auf S. 225 Fußnote >) ') Gesagte. Red. *) Siehe die Kunst*
beilagen Porträt Nr. 6.
227
LANDMANN: BACHPORTRÄTS
Aufschrift unbekannt und deren Alter nicht festgestellt. Sodann ist es
etwas Ungewöhnliches, den Namen der dargestellten Person auf dem
Bilde selbst anzugeben. Sowohl der Maler, als auch der Besteller des
Bildes weiß, wen das Bildnis vorstellen soll, und für diese beiden wenig-
stens liegt keine Veranlassung vor, den Namen des Dargestellten besonders
auf dem Bilde zu vermerken. Hat aber ein Besitzwechsel stattgefunden,
und ist etwa bei einem solchen (man könnte an eine Nachlaßversteigerung
denken) die nähere Bezeichnung vorgenommen worden, so liegt die Gefahr
eines Irrtums in der Bildbezeichnung, wenn nicht einer Mystifikation, sehr
nahe. An einen Irrtum, wenn nicht an eine absichtliche Verwechslung,
möchte man aber glauben, wenn man jenes Porträt für eines Joh. Seb.
Bachs halten soll. Daß alle Charakteristika der Bachschen Gesichts-
bildung sowie deren physiognomische Eigentümlichkeiten in diesem Bildnis
fehlen, hat der geschätzte Herr Autor in den dem Bildnis beigegebenen
Erläuterungen schon bemerkt. Ich erwähne nebenbei, daß dieses Antlitz
kastanienbraune Augen und fast schwarze Augenbrauen aufweist. Da das
Porträt an und für sich von sympathischer Wirkung ist und, als Malerei
genommen, auf einen tüchtigen Autor schließen läßt, so ist um so weniger
anzunehmen, daß dieser — hätte er Bach malen wollen — sich von der
Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit verirrt hätte.
Wie sehr sich aber der Ausdruck eines ziemlich wohlerhaltenen Por-
träts verändern kann, wenn man es gänzlich neu aufmacht, dafür bilden
die beiden Erfurter Blätter ein warnendes Beispiel.
Die Bachforschung dürfte für dieses Bildnis als Bachbildnis beim
besten Willen keine günstigeren Feststellungen erzielen.
Dem verehrten Herrn Autor jener Veröffentlichung möge freundlichst
empfohlen sein, seinerseits einmal eine eingehende Untersuchung über den
Ursprung des in der Erfurter Galerie befindlichen Ölporträts des »Er-
furter KaufP- und Handelsherrn Krannich" anzustellen. Dieses Porträt
trägt auf seiner Rückseite eine Aufschrift, die in ihrer Art derjenigen auf
dem angeblichen Bachbild sehr ähnelt. Ist doch auch der diesem Porträt
als Draperie beigegebene Mantel mit Futter in Form und Farbe demjenigen
des angeblichen Bachbildes täuschend ähnlich, so daß man stark versucht sein
kann, anzunehmen, daß beide Bilder von demselben Künstler gemalt worden
sind. Die alten Erfurter Zivilstandsregister dürften über den Kaufherrn
Krannich genau Auskunft geben und dadurch vielleicht auch zu einer auf-
klärenden Feststellung hinsichtlich des angeblichen Bachbildnisses führen.
Den Schluß der Betrachtungen zu Joh. Seb. Bachs Porträts mögen
einige Bemerkungen über eine im vorigen Sommer aufgetauchte Gyps-
M a s k e ^) Seb. Bachs bilden.
1) Siehe die KunstbeiltgeQ Abbildungen Nr. 7 und 8.
228
DIE MUSIK VII. 16.
Die zufällige Bekanntschaft mit dieser Maske verdanke ich dem
Bibliothekar der Karl Alexander-Bibliothek zu Eisenach, Herrn Prof. Dr.
Oesterheld. Dieser, seit Anfang der siebenziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts am Eisenacher Gymnasium, hat die Maske auf einem Speicher-
raum desselben gefunden und vor dem Verkommen bewahrt In den
Jahren vor 1870 hat dieser Raum als Zeichensaal der groBherzogfUchen
Zeichenschule gedient. Man kann daher annehmen, daß die Maske einmal
ein Modell für die zeichnerischen Versuche der Schfiler gewesen ist
Über den Ursprung der Maske hat sich leider nichts mehr feststellen
lassen, da sie in den alten Inventarienverzeichnissen des Gymnasiums und
der groOherzoglichen Zeichenschule nicht geführt worden ist
Im Vergleich mit den Porträts dfirfte diese Maske Bach in den 5Öer
Lebensjahren, also in der Zeit zwischen den Bildnissen No. 4 und 5
darstellen. Ein Vergleich mit der ältesten bekannten Bachskalptur, der
Knauerschen Bfiste in dem von Felix Mendelssohn gestifteten alten Leip-
ziger Bachdenkmal, ergiebt^), daß beide Wiedergaben von einander tin-
abhängig sind, eine Feststellung, die in Hinsicht auf die größere Ähn-
lichkeit mit den Bildnissen No. 4 und 5 sehr zugunsten der Maske
spricht.
Die Maske ist in einer Vorder- und Seitenansicht hier beigegeben.
Aus ersterer ist das fleischige Gesicht, die engen Lidspalten der Aogen
und der charakteristische Verlauf der Augenbrauen besonders deutlich
zu erkennen. Die Profilansicht gibt die kräftige Nase, die zurfickweichende
Stirn und den leise vortretenden Unterkiefer mit der markanten Kinnfialte
treffend wieder.
Wir müssen diese Maske als eine selbständige, von bekannten Vor-
lagen unabhängige Arbeit ansehen, die geeignet ist, neuen Bachskulpturen
neben der vortrefflichen SefFnerschen Büste ^^ als eine solide Etasis zu
dienen. Das Original dieser Maske befindet sich in der Karl Alexander-
Bibliothek, ein Abguß im Bach-Museum zu Eisenach.
') >) Vgl. .Die Musik«, 5. Jahrgang, 1. Heft.
') Dank dem Entgegenkommen des Herrn Professors Karl Seffner sind wir
in der Lage, das am 17. Mai in Leipzig zu enthüllende Bach-Denkmal nnseni
Lesern gleichfalls im Bilde vorzufuhren. Das eine Blatt stellt den ersten, aas dem
Jahre 1896 stammenden, Entwurf zu einem Grabdenkmal für die JohannisUrehe dar.
Später kam man von der Errichtung eines Grabmonuments überhaupt ab tmd entscUoft
sich für ein freistehendes Denkmal an der Thomaskirche. Den letzten, endgültigen
Entwurf für die Südfront der Thomaskirche (Thomaskirchhof) zeigt das andere Blatt.
Wir möchten nicht verfehlen, Herrn Professor Seifner für die liebenswürdige Ober»
lassung der Vorlagen auch an dieser Stelle unsem yerbindllchaten Dank auaziispreehen»
Red.
rHR NUTZEN UND ZWECK
von Hermann Wetzel- Potsdam
lerlin b«t vier neue KoazertsUe bekommen. Es besitzt nnn
deren acbt bis zehn. Bald werden sie alle Abende besetzt sein.
I Wird das so weilergeben? Soll es so veiter|;ehen, und ist
I es überhaupt erfreulich, daß die Entwlckelung bis dabin ging,
wo sie heute steht?
Mir scheint, unser Koazertwesen erßhrl nicht die Beurteilung, zn
der es aus künstlerischen wie sozialen Gründen ernstlich Anlaß gibt. Es
wird zumeist nur in seinen Einzelerscheinungen besprochen. Dieses und
jenes Konzert wird gelobt oder geudelt, der Kritiker, den des 5de Einerlei
der ihm durch seinen Beruf aufgezwungenen Kunstgenüsse verdrießlich
macht, klagt wohl im allgemeinen über die geringe künstlerische Ausbeute,
die der Betrieb eines Konzertwinters bringt, aber eine Würdigung dieses
Unwesens, seine tiefen moralischen und kunstmonliscben Schäden ließ
man bis heute unaufgedeckt. Es ist aber endlich an der Zeit, auf sie
hinzuweisen. Ein erfreuliches Bestreben ist erwacht, sieb der Armen und
Elenden anter den Musikern anzunehmen, die in Vahrheit Kunstsklaven
zn nennen sind, Sklaven eines Kapitalismus, der die Kunst zum Speku*
lationsobjekte erbebt. Man zeigt die Kehrseite einer Medaille, die vielen
Unternehmungen umgebingt wird, die zuerst dem auf der Rückseite dar-
gestellten GStzen dienen. So haben wir erfahren, wie schlecht es den
Orchestermusikem und Choristen geht. Die geistige Misere der Konzert-
spieler besprach noch niemand.
leb will hier nun keine statistischen Nachweise darüber beibringen,
wie viele der jungen Damen und Herren infolge von Schulden beim
Agenten und bei der Schneiderin in arge Mifihelligkeiten gerieten. Das ist
nicht so wichtig. Die meisten von denen, die sich Konzertspleler nennen,
gehören den wohlhabenden Kreisen an und sind imstande, bei Skonomlscher
Sorgfalt ihrerseits ein sorgenfreies, wenn auch bescheidenes Dasein zu
führen. Wichtiger scheint mir die Tatsache, daß viele, ja die meisten
unserer Konzertleule mehr oder weniger schwer Schaden an ihrem künst-
lerischen Gewissen nehmen. Die verderbliche erzieherische Wirkung der
Laufbahn des Erwerbskonzertspielers milchte ich hier beleuchten. Vor allem
230
DIE MUSIK Vil. 16.
MS
den verderblichen Einfluß auf die Mehrzahl der Durchschnittstalente. Ich
betone besonders, daß ich meine Ausfuhrungen nur auf die Solistenkonzerte
und ihre Veranstalter, unsere Pianisten, Geiger und Sänger, männlichen und
weiblichen Geschlechts, beziehe. Auch den Wert nur dieser Konzerte stelle
ich in Frage. Anders steht es mit den Orchester- und Chordarbietnngen,
ohne die die größten Werke unserer Meister ffir uns alle tot blieben.
Der Wert eines jeden künstlerischen Unternehmens steht und fUlt
damit, ob es für die Erziehung zur Kunst von Bedeutung ist oder nicht.
Frage man sich, welchen Umständen es zu verdanken ist, daß die Werke
unserer besten Meister durchgedrungen sind. Wodurch sind sie in erster
Linie in jedes gut musikalische Haus gelangt, durch Konzertaufführongen
oder durch private intime Vermittelung von Freund zu Freund, von Lehrer
zu Schüler? Die Fülle der Arbeitskräfte allein, die hier am Werke sind,
erdrückt die Zahl der Konzertspieler. Und wie manche .erste Kraft* hat
jahrzehntelang segenbringend in der Stille gewirkt, ohne daß man in den
Zeitungen davon las.
Wohl vermag ein ernster und geistig bedeutender Spieler frachtbare
Anregungen zu geben, aber auch nicht mehr als solche. Wer den Anstoß,
den eins der ganz seltenen guten Konzerte bot, nicht in eigener ergänzender
Arbeit verstärkte, wird keinen bleibenden Gewinn davon haben. Der wich-
tigere Teil der Erziehung zur musikalischen Bildung wird außerhalb der
Konzertsäle vollzogen.
Konzerte sind wie Volksversammlungen, nicht nur allein ihrem äußeren
Verlaufe nach. Alles geht aufs Äußere. Es gilt, die Masse zu erwärmen
und zu erregen. Womit aber gewinnt man Menschenmassen? Das erreicht
man nur, wenn man in Gemeinplätzen redet, und diesen den Hauch des
Besonderen zu verleihen versteht. Mit Gedanken, die der Menge firemd
sind, bringt man sich um den Erfolg. Nur was schon Allgemeingut ist,
darf man bringen, und auch nur dann wirkt es, wenn es den notwendigen
Aufputz erhielt. Es ist gut, wenn man sich nüchterner Überlegungen ent«
schlägt, wenn man sich in eine Begeisterung hineinredet, in der man sich
von vomhinein des Erfolges sicher glaubt. Wann geht es in einer Volks-
versammlung tief zu? Die Tagesphrase ist stets das geeignetste Mittel,
Massenbegeisterung zu entfachen. Wann geht es in einem Konzerte tief
zu? Glückliche Gemüter, die «Stunden der Erbauung" in den kalten oder
protzenhaften, stuckbeladenen Wänden erlebten! Es müssen ähnliche Natnren
sein, denen eine Folge von aus der Kinderzeit wohlvertrauten Bibel-
sprüchen Ewigkeitsgefühle auslöst. Das Gefühl der meisten Menschen ist
leider eben dressiert, wie ihr Denken. Sie geraten, im Banne einer
Massensuggestion, vorschriftsmäßig beim patriotischen Hurra in Begeisterung.
Sie sind zufrieden mit den gebräuchlichen Ableitungen ihrer heiligsten
231
WETZEL: SOLISTEN KONZERTE
Guter und sprechen sie nach. Diese unsere Mitmenschen (es ist die
Mehrzahl) finden es auch entzfickend, wenn der berfihmte X ein noch
berfihmteres Werk herunterspielt, so daß die Anspruchsvollen sich fort-
wenden. Ich wollte sagen: nirgends ist die Massensuggestion stärker und
reiner zu beachten als in den öffentlichen politischen und Kunstversamm-
lungen. Also den kunsterzieherischen Wert unserer Solistenkonzerte kann
ich allgemein nur gering veranschlagen.
Höchstens leisten sie etwas ffir die elementarste Einführung, aus der
die Mehrzahl der Besucher noch nicht so viel mitnimmt, als man auf
einem ersten Gange durch eine Gemäldegallerie erwirbt. Denn Bilder
sind weit leichter zu genießen als Tonwerke. Hierin aber werden sich die
tiefer Blickenden einig sein: einer weihevollen Stunde im Konzertsaal
stehen viele daheim am Klavier oder fiber dem Notenbuche gegenfiber,
und. 80 schön, wie uns Beethoven in unserem Innern oft erklang, haben
wir ihn noch nie gehört. Also man fiberschätze die erzieherische Bedeutung
der Konzerte nicht. Man bedenke, daß selbst eine Leistung, die uns
erregte, noch nicht viel an bleibenden Werten gab, wenn nicht eine wahre
Erwerbstätigkeit vorging oder nachfolgt. Ernste kfinstlerische Probleme
werden im Konzertsaal nicht gelöst, so wenig, wie tiefe sittliche und soziale
Fragen in der Volksversammlung ihre Antwort finden können. Immerhin,
wenn einer der wirklich bedeutenden Interpreten zu uns spricht, so bietet
ein Konzert doch einen Genuß höherer Art, ja selbst wenn ein reiner
Virtuose, der nicht mehr hat als seine staunenswerte Technik und etwas
gesundes Musikantenblut, uns seine Kunststficke vormacht, so ist das noch
nicht die schlechteste Unterhaltung.
Aber was gibt uns das Heer der Spieler von gestern und heute,
deren Name uns so rasch entschwindet, wie das, was sie leisteten? Doch
wir wollen ja nicht fragen, was sie uns geben, denn darauf ist eben nicht
viel zu antworten. Fragen wir dagegen, was sie sich selber geben, welchen
Segen ihnen ein Streben bringt, das von einem Durchschnittstalente Taten
erzwingen will, wie sie nur dem von der Natur Bevorzugten anstehen?
Die Mehrzahl unserer jungen Musiker, Durchschnittstalente mit Gaben,
wie sie Hunderte in anderen Berufen tätige Musikfreunde ebenfalls haben,
gewinnen durch die Konzertdressur gar nichts, verlieren aber viel von dem,
was sie an natfirlichen Anlagen hatten. Die allgemeine Oberspannung der
Kräfte, die heute fast alle Jfinger unserer Kunst sich zumuten, zeitigte
verderbliche Folgen, die keinem aufmerksamen Kritiker unserer Dutzend-
konzerte entgehen können.
Das Hauptfibel, das weder Groß noch Klein verschont, ist: der
Konzertspieler von Beruf verliert die Unbefangenheit, die Naivität des
Schaffens. Er spielt nicht mehr ffir sich, sondern für andere. Er spielt
232
DIE MUSIK VII. 16.
nicht mehr so, wie es ihm geflUt, sondern wie es seiner Berechnung nach
Effekt machen muß. Er spielt beliebten und beklatschten GrBOen nach.
So wie der jene Stelle .genommen' hat, wird er sie das nichate Mal
auch bringen. Allgemeiner: wessen kfinstlerische Überzeugun^mifl fBr
einen engen Kreis gleich gestimmter Menschen gerade ausreichte, der soll jetzt
Hunderte fremder, gleichgültiger Menschen in den Bann schlagen. Da es ihm
hierzu an persönlicher Eigenart fehlt, so muß diese durch angelernte Allflren,
ausstudierte Posen ersetzt werden. Wie mancher bescheidenere Spieler
könnte bei gewissenhafter Pflege seiner Eigenart zu einem, wenn auch nicht
starken, so doch reizvollen spontanen Ausdrucksvermögen kommen, wenn
ihn nicht das Bewußtsein: damit ist in unseren Konzertsilen kein Ein-
druck zu machen, auf Abwege von seiner Natur weg zur Nachahmung
brächte.
Vor allem aber heißt es: Technik bis zum Selbstzweck. Kann .man
ein Rondo von Beethoven oder Schubert (Mozart und Haydn spielt man
schon kaum mehr) nicht in seiner Grazie, seinem entzfickenden rhjrthmischen
Kleinleben und seiner lebensfreudigen behaglichen Stimmung wiedererstehen
lassen, so hetzt man es eben in einem Tempo herunter, daß dem ZuhOrer der
Verstand stille stehen bleibt. Selbst dem genauen Kenner ist es, bei der
Art, in der unsere Virtuosen solche Stücke nehmen, unmöglich, von der
liebevollen Feinarbeit, die die Meister daran wandten, etwas zu vernehmen.
Selbst die schlichte Passage hat bei ihnen klare motivische Gliedernngi
die bei unseren Spielern völlig in einem stereotypen Glissandocharakter
untergeht.
Fast alle Schauspieler sprechen zu schnell oder zu langsam. Das
erste nennen sie leidenschaftlichen, das andere pathetischen Ausdruck;
ein unnatürlicher Stimmklang ist ihnen aber zur zweiten Natur geworden«
Den Schauspielern gleichen unsere Virtuosen sehr. Die Unfihigkeit, rich-
tige Tempi zu nehmen, ist offenkundig bei ihnen, und sie beruht weniger
auf einem absoluten Mangel an richtigem Empflnden, als auf einer Irri-
tierung desselben, auf dem Verluste der Unbefangenheit. Ihr Pathos ist
falsch und künstlich angefacht, vor allem fehlen ihnen natürliche Anmut
und feiner Humor. Die Wut über den verlorenen Groschen (eine geist-
reiche Caprice) toben sie aus wie eine Wut über eine verlorene Millionen-
erbschaft. Sie vergessen, daß es sich nur um einen Groschen handelt und
daß das Ganze nur ein Scherz ist. Wie lächerlich, wenn man die Herren
(hier muß ich unsere Besten mit einbeziehen) im Schweiße ihres Angesichts
dieses feine, humorvolle Rondo herunterhämmem hört, mit einem Kraft*
verbrauche, wie er für ein Lisztsches Konzert nicht größer nOtig wlre.
Dergleichen, jedes schlichte Gefühl verletzende Erscheinungen sind Polgen
der Vergröberungstendenz, wie sie untrennbar mit dem Beatrebon ver*
...i
233
WETZEL: SOLISTENKONZERTE
bunden ist, uraprfinglich auf feine Wirkungen hin gesetzte Werke (die
fiberwiegende Mehrzahl der klassischen Klavierwerke) zu Effektstucken fSr
Massenwirkung umzumodeln. ^
Ich sagte es bereits, am glücklichsten nehmen sich noch die rein
virtuosen Vertreter ihres Instrumentes aus. Ihre Technik ist wirklich
hSrenswert, und solange sich solche Spieler auf Werke beschränken, die
innerhalb ihres Anschauungskreises liegen, kann man ungetrübte Freude
haben. Aber der Anstand erfordert es, daß man auch Beethoven op. 10&
bis 111 und eine Bachsche Orgelfuge spielt, und dann fingt das Elend an.
Nur ganz wenige haben überhaupt das Zeug dazu, solche Werke zu
spielen. Gott sei Dank haben wir einige. Die aber müssen noch sehr viel
anderes spielen, und darunter manches, was sie lieber nicht spielten, und sie
müssen Reisen machen, ärger als der gehetzteste Geschäftsreisende, und
müssen ein Leben führen, das in einer ganz anderen Atmosphäre spielt, als in
der man erhabene Gefühle anzutreffen pflegt. Da geht die rechte Weihe nur
zu leicht verloren, und oft gerade dann, wenn sie dringend nötig wäre,,
um dem Meister nahezukommen.
Bekommt schon den Besten und Begabtesten die Luft im Konzert-
saale nicht, geht selbst diesen Bevorzugten ein Teil ihrer Ausdrucksfrische
verloren, so kann man sich die zahllosen farblosen, ja verzerrten Wieder-
gaben von Seiten derer, die weder Virtuosen noch Vortragstalente sind, er-
klären. Und es ist eben gerade das Gros unserer Spieler, bei dem sieb
die verderblichen Folgen der Konzertspielerei am krassesten zeigen.
Ich fragte mich lange, warum spielen diese Leute eigentlich? Geld
verdienen sie keins. Im Gegenteil, sie setzen Hunderte und Tausende zu.
Anerkennung finden sie auch nicht recht. Im Saale nur die konventionelle
Gewohnheitsklatscherei. In den Zeitungen günstigstenfalls Besprechungen,,
die nicht loben noch tadeln, die zumeist noch rein menschlichen Er-
wägungen ihre Fassung verdanken oder — persönlichen Beziehungen..
Wozu also alle diese Anstrengungen und Aufwendungen?
.Das geht eben heute nicht anders mehr. Wenn ich nicht mehrere
Jahre hindurch Konzerte gegeben habe und wenigstens ein paar brauchbare
Kritiken erwischt habe, aus denen sich ein Reklameheft machen läßt, sa
bin ich kein Künstler. Noch besser, wenn ich einige Opera, etwa eine sym-
phonische Dichtung für großes Orchester, aufgeführt, wenn's geht, auch ver-^
legt habe. Das sind die mindesten Kennzeichen für einen tüchtigen
Künstler heute. Dann bekomme ich auch Anstellungen und kann hoch-
bezahlte Stunden geben. Ich brauche mich also nur ein — zwei Stunden
am Tage dem leidigen Geldverdienste widmen. Was wichtiger ist, ich
komme in die feinen Kreise, wo ich hingehöre, ich spiele bei Geheim-^
und Kommerzienräten vor und begleite ihre Frauen und Töchter, leb
234
DIE MUSIK VII. 16.
PiSB
führe also ein angenehmes Leben unter hochästhetischen Menschen, die
meinen Wert gebührend zu schätzen wissen." So spricht der, der das Ziel
errejpht hat, und so denken sie alle, die es gern erreichen möchten.
Es hat sich für den Künstler unserer geschäftseifrigen Tage ein
eigenes System herausgebildet, nach dem er einzig Karriere machen kann,
wie es für den angehenden Beamten und auch Kaufmann schon lange be-
steht. Auch in dem Künstlerberufe ist jetzt die Trennung in höhere und
subalterne Vertreter perfekt geworden. Was für den Beamten die höhere
Verwaltungskarriere, das ist für den ausübenden Musiker die Konzert-
laufbahn. Für beide ist der Besitz eines Betriebskapitals erste Vorbedingung.
Nun ist es schon nicht schön, wenn einer Jurist wird, nur um eine an-
ständige Karriere zu machen, aber daran hat sich alle Welt gewöhnt. Der
Musiker hat sich zwar zu allen Zeiten mit seiner Kunst sein Brot ver-
dienen müssen, aber dieses Streben nach einer höheren, bequemen Karriere
ist erst in der neueren Zeit hervorgetreten. Es besteht, seit sich immer häu-
figer Menschen der Kunstbeschäftigung zuwenden, die aus besitzenden
Kreisen kommen und von vornherein von ihrer Musikbetätigung die ge-
sellschaftlichen und pekuniären Erfolge erwarten, die ihre Freunde, der Re-
ferendar und der Leutnant, erwarten. Der Gedanke, daß ihnen ihr Talent
vielleicht nicht mehr als eine bescheidene Lehr- und Organistentätigkeit
einbringen könnte, genügt, um lieber umzusatteln. Es ist das unsoziale
Streben nach exklusiver, bevorzugter Lebensführung, was diese Konzert-
spieler zu ihrer Tätigkeit antreibt, sie die Kunst als Mittel zu diesem
Endzweck brauchen lehrt, aus ihnen gespreizte Modekünstler an Stelle
schlichter, sich naiv gebender Musiker macht und nicht nur ihr Änlteres
so beeinflußt, daß sie mit dem feudalen Leutnant und hochkonser-
vativen Regierungsreferendar zusammengestellt werden müssen, sondern
auch ihr ursprünglich gesundes Empfinden und Denken ähnlich angreift.
Diese Herren und Damen erkennen wohl Haydn und Mozart hervor-
ragende Bedeutung für . . . den Elementarunterriclit zu, halten aber Bachs
Partiten für trockenes Zeug und spielen von Händel nur das Thema, das
Brahms variierte. Aber wenn man will, setzten sie einem alle 24 Etüden von
Chopin in einem Rutsch vor und die neuesten Russen und Franzosen.
Viele wollen es zweifellos anders, aber sie müssen mitmachen, wenn
sie erst einmal drin sind. Manch einer möchte wohl eine unbekanntere
Sonate von Schubert und ein paar feine Stephen Hellers spielen, aber er
riskiert's nicht, denn damit erreicht er nichts . . . Wenn irgendwo eine
zielbewußte, auf künstlerische Ziele gerichtete Organisation nottäte, so wäre
es hier. In dem Heere unserer Konzertspieler steckt manche tüchtige Kraft
verborgen, die verdirbt, weil sie sich in dem Gehaste nicht zur Geltung
bringen kann. Nicht jeder kann ein gutes Gemälde oder eine Statue
235
WETZEL: SOLISTENKONZERTE
schaffen, aber er ist ein feiner. Handwerkskfinstler. Nicht jeder ist zum
Konzertspieler großen Stils geboren, aber er taugt doch vollauf, eine gute
kfinstlerische Gebrauchsmusik zu liefern. In unseren Großstädten hungern
Tausende nach guter Musik, und Hunderte wissen nichts Rechtes mit ihrer
Kunst anzufangen; Beide Parteien sollte man zueinander führen, dann wäre
beiden geholfen. Jugend- und Volkskonzerte müßten noch viel mehr ge-
schaffen werden. Alle die Konzertspieler aber, die zu der Überzeugung
gekommen' sind, daß der heutige Betrieb nicht der rechte ist und ihre
Gaben verkümmern läßt oder sie auf Abwege führt, sollten sich zusammen-
schließen. An freiwilliger Führung seitens ernstdenkender, bewährter
Meister würde es ihnen nicht fehlen. Sie sollten als machtvolle Ver-
einigung dem Konzertunwesen den Krieg erklären und eine Musikpfiege
beginnen, zu der sie mit ihrem ungekünstelten Fühlen beitragen, wo sie
•die allzusehr vernachlässigten Werke unserer Größten, die im Konzertsaal
nicht mehr wirken, gerade zur Wirkung brächten. Sie hätten damit sich
geholfen und eine zeitgemäße rettende Tat vollbracht.
Ein Verein aller Konzertspieler hätte vor allem in diesen zwei
Richtungen zu arbeiten: Einmal soll er für die ökonomischen Interessen
seiner Mitglieder sorgen, also das tun, was man heut dem Agenten über-
trägt. Seine Hauptaufgabe, seine Kulturarbeit hätte er aber darin
zu suchen, die Fülle der künstlerischen Kräfte auszunutzen für ernsthaft
kunsterzieherische Zwecke. Gibt es jetzt schon Volkshochschulen auf
4illen Gebieten der Wissenschaft, zu denen Tausende ein dauerndes Be-
dürfnis treibt, so müßte eine Kunst-Volkshochschule, in deren Kursen
planmäßig, unter ausschließlich künstlerischen Gesichtspunkten Musik ge-
macht würde, nicht minderen Zuspruch finden. Da kann jeder, der sich
dazu als geeignet ausweist, einen Zyklus von Vortragsabenden über die
Kleinmeister des Klaviers im 19. Jahrhundert ankündigen. Ein paar
Kammermusiker vereinigen sich, um die Entwickelung der Triosonate im
17. und 18. Jahrhundert zu geben. Ein dritter zeigt, wie die Klaviersuite
bis Bach beschaffen war. Der Stoff wäre unendlich. Wäre es doch schon
eine Neuigkeit ersten Ranges, wenn jemand Ph. E. Bachs oder Friedemanns
Schaffen am Klavier vorführte, oder zwei Spieler Schuberts vierhändige
Werke brächten. Und da sollte es an Zuhörern fehlen, wenn ihnen solche
Genüsse zu einem Honorar geboten werden, das heute so viele gern für
wissenschaftliche Vorträge aufwenden? Also man schaffe eine Volkshoch-
:schule für praktische Vorführung aller Meisterwerke!
fät»\
bOcher
141. Theodor Patd: Sratemaiitcta« Sprach- und GaiBBgatoiiblldaBg. Entar
Teil. Verlag: Jullua Hanauer, Breslau.
Der bekaanle Brealauer Geiangapidagoge Theodor Paul lelgt licfa fn aetner kan-
lehDten Tonbildnngilehre ala ein iuflerat belaaenar Kflnitler, rai nmtucreleham,
aolldem Viaaen and großer Erhbning. Sein sHmmphyalologlachea and pldacogtoAea
KSnnen, aowie aeina nmalkallichen Kenntniiae hat er fn vorl legendem Bnelie an etawin
Syitem konsentrlert, daa namentlicb f&r muifkallacb Mfndertalentierte eis pldagsslechea
Lehrminel bietet, nach dem lu arbeiten — bla zu efnam gewiaaen Grade — erMg-
rerbKrgend sein dfirfte. Daa Werk, reiultlerend au* einer Sunmlnng reo Vortricaa,
die der Verfaaaer an der Brealauer GeHngaakademle gebalten bat, behandelt die Sprack-
und Geaangatonblldung, verquickt mit einer allgemeinen Mnaiklebre, Durcbaaa Bbat^
sichtlich angelegt, aowle die schwierige Miterle von einem mSgllcliat
begriBlichen Standpunkt aus behandelnd, eignet sich Pauls Tonbildnngslebre fa <
aats lu den meisten Geiaogscbulen FDr den Klasaen Unterricht. Der Verfhaaar Mflt
■ein Bucb In twei Teile: in die eigentliche Tonbildnng nnd die StimmUMang. la dem
ersten Teil behandelt er bauptalcbllcb die reaonaniiale Herstellung des abatraktan
Tonea und daa eigenllicbe Sdmmiostruraent, bespricht, sebr richtig und lo^acb von
den Atmnngawerkzengen anagetaend, die Entrlckelung der klingenden Luft, sovia die
Tltlgkelt des Anblase- und dea Anaatirobres. MerkrArdigerweise bringt der Ver&aaar
gegen den Schluß der ersten Abteilung seine Belehmngen fiber daa Anaatsrviir la
direkte Verbindung mit der Kenntnlsoshme der Sprscblante und Artiknlatloasorgane.
Dieser vielleicht lußerlicbe Fehler In der Anlage des Werkes kann osch meinem Danr>
halten leicht zu Miflveratlndnlisen Anlaß geben; dies um so mehr, als theoretiaeb
nicht stark genug darauf hlngeviesen werden kann, daß Bildung der Vokaltom and
abstrakter Ton ginilich lu trennende Vorginge sind. In dem Torilegenden Bache lag
diese scharfe Unteracheidung um so niher, ala der Verhsaer der Sprechtonbild ung täa»
beaondere AuFmerksamkeil widmet und die Sprachlsute In Ihrer arttkalaMriaehen Be-
handlung glelchaam als Oberleitung zu dem zweiten Teil ,Dle SÜrambUdnng' briagL
Abgeaeben reo dieser im Interesse einer nicht genug lu befSrworiendea KUihelt in
dieser schwersten alier Studienmaterien gemachten Ausstellung, bin ich mit der m^
stindigen Art seines Vortrags und den gesunden Ansichten Paula prinzipiell «iBTerMaadea»
wenn ich auch nicht verslumen mfichle, vor der kategorischen Beatimmnog dea gemels-
aamen Reglstertonea (fi) la warnen. Kein Studium lat von den aubjektiven E
des Menschen so abhingig wie gerade die Stimmbildung. Von diesem S
halte Ich die Festlegung eines gemeinsamen Reglalertones f&r eine Gelbhr. Sehr gut
sind die Hinwelse auf die dringende Notwendigkeit der ZwerchfbUatman^ t
bezüglich des welbllcben Geactalectats, femer auch diejenigen über dlo i
Führang der klingenden Luttslule. Die Ansicht des Verfasaera, die . Brweckang 4aB
ReaenanigefObla Im Kopfe durch die naaalen Kllnger m, n, ng » arralcfeea, halM M
237
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
penönlich nicht ffir (Ificklich. In meiner Praxis taibe ich mit der konzentrierten Betonung
der konsonantifchen Nasalitit keine nennenswerten Erfolge erzielt In den weiuut meisten
Pillen wnrde die Bewegung der klingenden Luftsäule eingeengt und Tereteift, infolgedessen
der Ton spröde und hart Theodor Ptul — davon bin ich fiberzeugt ~~ wfirde dieser seiner
Meinung nicht so starken Ausdruck gegeben haben, wenn er nicht ebenfUls seine Er-
ftüiningen hinter sich bitte. Den zweiten Teil seines Werkes, »Die Stimmbildung*,
teilt der Verfasser ein in: a) die Sprechtonbildung; b) die Gesangstonbildung. Wihrend
«r im ereten Abschnitt dieses Teils sich vernünftigerweise ftist durchweg an das
hilt, was Meister Julius Hey in dem sprachlichen Teil seines umfangreichen Werkes
»Deutscher Gesangsunterricht' in lapidaren Lehrsitzen niedergelegt hat, vereinigt er die
eigentliche Tonbildungslehre in glficklicher Weise mit einer allgemeinen Musiklehre
4ind teilt diesen Abschnitt wieder in drei Abteilungen: a) kurze, allgemeine Musiklehre;
b) die Bildung des musikalischen Resonanztones; c) die instrumentale Bildung der
Stimme. Der Verfasser behandelt naturgemiß das Kapitel der Musiklehre, in dem er
fiber die Noten, Schlfissel, Zeitdauer der Töne, Rhythmus, Tonarten, Intervalle, Akkord-
lehre, Tempo, Vortragsbezeichnungen spricht, ja sogar eine Anzahl musikgeschichtlicher
Daten bringt, mit denkbareter Kfirze. Das Obungsmaterial ffir die Entwickelung der
Resonanz ist reich und mannigfaltig. Im Abschnitt »Bildung der Geliufigkeit und Treff-
sicherheit* bringt er nichts.Neues, ja, er beschrinkt sich vielmehr nur auf Andeutungen,
4em Lehrer damit Gelegenheit gebend, aus eigener Erfahrung das Weitere zu ver-
anlassen« Das letzte Kapitel handelt von Auffassung und Vortrag. Der Autor stellt hier
eine Stirkegrad-Skala bzw. Vortragslinie als ein bisher fehlendes Notenzeichen auf. Das
Zeichen soll den Vortrag, die Auffassung des Stirkegrades Jedes Tones und das Ver-
hiltnis der Stirkegrade der Töne zueinander bezeichnen. Ich muß gestehen, daß mir
die Neuerflndung Pauls, als den Vortrag schematisierend, nicht sympathisch ist Auf-
fassung und Vortrag sind peraönlich, das pereönliche Empfinden hat sich in ihnen aus-
zuleben, wenn das betreffende Stfick einen Eindruck auf die Zuhörer machen seil.
Schreiben wir ein ffir allemal aber den Auadruck durch dieses neue Zeichen vor, so
wird der Vortrag unpereönlich, unnaturlich und unwirksam. — Theodor Pauls »Systematische
Sprech- und Gesangstonbildung" ist ein Werk, klein an Umfang, doch reich an Inhalt
Die einfliche, natfirliche Art seiner Diktion, seine pidagogisch gesunden Ansichten
stempeln es zu einer erfreulichen Eracheinung in der Stimmbildung-Spezialliteratur.
Adolf Göttmann
142. Ernst Etocnmann; Das Urheberrecht an Tonkunstwerken. Verlag:
Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1007.
Diese Schrift erbringt den Nachweis, daß das Wesen und die eigentliche Be-
stimmung der Wort- wie der Tonkunstwerke darin besteht, zu Gehör gebracht zu
werden. Es sei daher ein Abirren vom prinzipiell festzuhaltenden Wege, wenn sich die
Urheberrechtsgesetzgebungen an rein iußerliche technische Veranstaltungen angeschlossen
bitten. Druck, Notenstich usw. seien doch nur die technischen Mittel zum Zweck,
nimlich zur Ermöglichung einer erheblichen Verbreitung des Vortrages, der Aufffihrung usw.
Nur die Tatsache, daß hier die rein wirtschaftlichen Interessen stirker in die Eracheinung
getreten bzw. von den Interessenten betont worden seien, lasse es erklirlich erecheinen,
daß die Gesetzgebungen vom rechten Wege auf Holzwege geraten seien. Das Wesen
der Urheberrechtsverletzung bestehe im rechtswidrigen Vortrag des Wort- oder Ton-
kunstwerkes, wihrend die Herateilung des Druckes, Notenstichs, der Schallplatten,
Pianolarollen, Walzen usw. eigentlich nur sogenannte Vorbereitungshandlungen zum
eigentlichen Delikt darstellen. Indem die Gesetzgebung dies verlumnt habe, bitte sie
die Rollen veruuscht, zum Hauptdelikt gemacht, was eigentlich nur Vorbereitungsfaktor
238
DIE MUSIK VII. 16.
sei, digegen dis eigentliche Delikt in eine untergeordnete Stellung gedringt Die Schrift
zielt dimit, obwohl der Ptrigriph nirgends gentnnt wird, tuf $ 22 unseres Gesetses
vom 19. Juni 1901. Denn such hier wird zwischen zulässigen und unzulissigen Ver-
▼ielfiltigungen unterschieden, je nschdem ob sie nur der mechanischen oder der kfinst-
lerischen Wiedergtbe dienen; nicht die Wiedergabe, dss ZugehSrbringen, dieAuff&hmng
ist das unzulässige, sondern die Herstellung der Platten usw. Eisenmann bemfiht sich
nun weiter um die Fixierung der mechanischen Wiedergabe im Gegensatz zur kfinst-
lerischen; es kommt, sagt er am Schlüsse seiner Abhandlung, darauf an, ob ia die
Gesamtreihe an irgendeiner Stelle eine kfinstlerische Individualität eingreift: greift eine
solche nirgendwo ein, so ist die Vermittlung der AuffQhrung des Tonkunstwerkes eine
rein mechanische; greift hingegen eine kfinstlerische Individualität ein, sei es an welcher
Stelle zwischen Komposition und Aufführung immer, so handele es sich dem Wesen
nach um eine künstlerische Wiedergabe, gleichgültig, welchen kfinstlerischen Grades.
Aus diesem Gesichtspunkte heraus hält Eisenmann deshalb die Phonographenplatten,
die Phonolarollen u. dgl. im Gegensatz zu den gewöhnlichen Drehorgel-Orchestrion- iL dgL
Platten für unzulässige Vervielfältigungen. M. E. hätte Eisenmann konsequenterveise
betonen mfissen, daß es vom Gesetz schon falsch ist, zwischen kflnstleriseh und
mechanisch in der Wiedergabe zu entscheiden; denn die unerlaubte Wiedergabe sellMt ist
doch das eigentliche Delikt, und dieser Wiedergabe dienen ebensowohl mechanische wie
kombiniert mechanisch-künstlerische Einrichtungen. Js, mir scheint, die Kfinstler srtbst
werden sich die künstlerisch vollendeten Vorträge, z. B. der Phonola, Mignon nsw. liei>er
gefallen lassen, als die tot-mechanischen Wiedergaben nach Drehorgelmanier. Der ganze
$ 22 des Deutschen Gesetzes vom 19. Juni 1901 ist verfehlt und muß fallen, ehe es
spät ist! Dr. {ur. C. Spohr
MUSIKALIEN
143. Otto MalliDg: Konzert (c-moll) für Klavier mit Begleitung des
Orchesters, op. 43. Verlag: Wilhelm Hansen, Kopenhagen und Leipzig.
Der dänische Komponist Otto Mailing hat mit diesem Konzert ein beachtensweites
Werk geschaffen, in unserer heutigen Zeit doppelt beachtenswert wegen seiner Idaren
Struktur und wegen des Umstandes, daß sein Schöpfer nicht zu den enragierten Disso-
nanzenschweigern zu zählen scheint und uns so eine ungesuchte, naturliche Musik l>ietet,
deren thematischer Gehalt freilich ab und zu die rechte Bodenständigkeit der Erflndnng
vermissen läßt. Der Orchestersatz ist nicht überladen und weist einige glfickliche Epi-
soden auf. Dem Soloinstrument hätte der Komponist in Anbetracht der heute so gs-
waltig gesteigerten Technik aber wohl etwas mehr zutrauen können; der Solist wird liei
der Wiedergabe des Konzertes weniger durch immense Technik, als durch Alckoratesse
und Vortragsnuancen glänzen können. Der musikalisch wertvollste der drei Sätze ist
der erste. Er beginnt mit dem folgenden Thema fiber einem Tremolo c-g im Orchester:
Allegro con fuoco. .^^ "^"^
Viol. I.
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239
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
das sich ntch der Oberdomintnte wendet. Hier unterbricht dts Kitvier das Orchester
einige Male ucd nimmt dann das Hauptthema auf, nur wenig unterstQtzt durch das
Streichquintett. Auch das Seitenthema, das stimmungsvoll und nicht ohne melodischen
Reiz ist, wird vom Soloinstrument fast ganz allein vorgetragen. Die DurchfQhrung bringt
neben den Motiven des ersten Teils auch einige neue Gedanken, die nicht immer von
besonderer Originalitit zeugen; Klavier und Orchester finden hier .dankbare Aufgaben»
Die Reprise, vor deren Eintritt eine Kadenz vorgesehen ist, verliufr^ abgesehen von
einer KQrzung des Hauptsatzes, regulir, und nach einer Kadenz geht der Satz mit einer
schwungvollen Coda zu Ende. Der zweite Satz, ein Notturno, ist in seinem thematischen
Gehalt wenig bedeutend und will uns hier und da ganz leise an Mendelssohn erinnern.
Aber das Ganze ist doch nicht ohne Stimmung, namentlich da, wo das Klavier zu dem
ersten Thema eine wiegende Achtelflgur ausführt. Im Finale fuhrt ein Unisonolauf in
das lebhaft dahinfiiegende erste Thems, zu dem das in f-moll einen schönen Gegensatz
bildet Mailing macht dann im folgenden von diesem f-moll-Thema geschickten Gebrauch:
bald erklingt es getragen, bald abgestoßen, bald im Orchester, bald im Klavier. Im toW
genden erscheint das Einleitungsmotiv und f&hrt uns nach cis*moil, in welcher Tonart
das Hauptthema von Fagott und Violoncello intoniert wird; die Stelle klingt etwas Qber-
rsschend. Auch der Anfang des zweiten Themas zeigt sich vorfibergehend, bis endlich
c-moU wieder erreicht wird und damit die Reprise einsetzt, die regelmißig verliuft und
dss Ganze schnell zum Abschluß bringt Max Puttmann
144. Max Lcfvandowsky: Lieder und Gesinge; op. 9—16. Verlag: D. Rahter,^
Leipzig.
Wer auf einmal vierzig Lieder in die Welt schickt, muß etwas Gewichtiges zu
sagen haben oder liuft Gefahr, als Vielschreiber zu erscheinen. Ich weiß und kenne
von Max Lewandowsky bisher nichts, angesichts dieser Lieder stehe ich aber nicht an,,
ein ansprechendes Talent in ihm zu sehen und ihm großen Fleiß, sowie ein steigendes
technisches Können ohne weiteres zuzusprechen. Aber die Klippe des Vielschreiberodiums
ist freilich nicht durchaus glficklich umschifft Die meisten dieser Lieder gleichen einan*
der in ihrer Aufmachung fast aufs Haar. Ganz gewiß: fast durchgehends schreibt der Ton-
setzer eine warme, sang- und dankbare Melodie. Platitüden werden durchaus mit Ernst
vermieden. Aber die Begleitung ist zumeist alltiglich und besteht viel zu oft aus ge-
brochenen Akkorden. Ganze Reihen von Liedern bauen sich allein auf diesem Ge-
staltungsmittel auf! Dazu ist die Harmonik, wenn auch offenbar absichtlich maßvoll
und einfach gehalten, doch oft etwas gar zu dürftig. Tonika, Dominante — und viel zu
häufig der verminderte Septimenakkord — man braucht nicht gerade ein musikalischer
Augur zu sein, um hierbei zu denken: . . . Allerweltskochwässerlein ! Harmonische
Ausgriffe ins bewihrte Neuland — die immerhin von ungefihr (wenn auch selten) einmal
auftauchen — wirken da ordentlich wie ein kühnes Wagnis. Seltsam mutet es an,
daß ziemlich hiuflg die Diktion nicht einwandfrei ist Für mein Gefühl werden Lieder,
die- ser al - ten Te-ras-se
in denen es heißt:
»Hier liege ich auf dem
Frühlingshügel*, »Müskathyazinthen*, «ein schöner Stern geht auf in meiner Nacht*,
»tönet j6doch wieder . . ." (I) usw., als Kunstwerke einfach unmöglich. Dies sind nur
Stichproben, es findet sich manches mehr von dieser Art Bei dem sonst augen-
scheinlichen Ernst, der sich auch in der Wahl der Texte (Keller, Storm, Mörike, Hebbel,
C. F. Meyer u. a.) deutlich ausprigt, und bei dem im allgemeinen technisch zuverlissigen
Können — nur hin und wieder liuft eine Leere oder eine kleine Unebenheit mit unter
(so in op. 16 No. 7 bei »schwillt*, oder in op. 9 No. 2 bei »Leiden*) — muß eine solche
a&
240
DIE MUSIK VII. 16.
«chlechte Diktion einigermtßen befremden. Eine f tnze Anzahl von den Liedern echeidet
meinem Empfinden ntcta infolge dieser Mingel tut dem Kreite det BetchtentwertMi gjnilicli
«ut. Diejenigen, die, wenn tuch ohne gertde bedeutend zu tein, mir doch gelungen and mehr
oder minder gebrtuchtfihig zu tein tcheinen, teien dtgegen hier nun genannt Es sind diea
ntch meinem DtfQrhtlten: op. 0 No. 1 (»Sang dtt Mlgdlein*) und allenftdlt not dietem
Opus noch No. 4 («Böser Ztuber"); während No. 5 (»Des tiefe Kimmerlein') recht dfirr,
gequält und phtntttielos ist Dann: op. 10 No. 1, 2 und 4, op. 11 No. 2 (.Ein Stflndlein
wohl vor Tag"), 4 («Um Mittemacht* — einet der betten) und alienfallt Nr. 5 («Gesang
Weylat"), dtt freilich gegen Hugo Wolf tehr tbfillt Op. 12 No. 1 («Gebet*) and 3
(.Sommerbild*) zählen zu den betten Liedern Lewtndowtkyt. Op. 13 Nr. 2 and 3^ be-
tondert tber op. 14 No. 1 («Russisches Lied*), dann op. 15 No. 3 («Gatel*, wiederum
eine wohlgelungene Nummer), No. 4 und 5 (Druckfehler bei «Uebe*?)^ und acliUelUich
op. 16 No. 1 («Die frühen Griber* — dat weitaut bette unter allen), daneben die all-
täglicheren No. 2 und 3, No. 4 (obwohl ich auch hier die Diktion «haben ihn nie er>
tchuttert* nicht f&r gut halte), No. 6 («An die Entfernte*) und allenftült noch No. 8
(«Geh fort*). Diet ist die Ausbeute für eine hinsichtlich der Sicherheit, Reinheit vnd
Fehlerlosigkeit eines zu veröffentlichenden Liedes anspruchsvollere Beurteilung^ wie sie
eine Zeitschrift von den Tendenzen der vorliegenden mir zu erfordern scheint Immer»
hin noch eine reiche Ernte, wenn von vierzig Blumen eines Gartens beinahe dte Hälfte
zum PflQcken taugt! Wäre es auch eine starke Verkennung der Bedeutang des
Schaffens unserer hervorragenderen Liederkomponisten, der Strauß, Pfltzner, Schillinfs,
Streicher, Wolff usw., wollte man Lewandowsky auch nur in ihre Nähe rücken, oder filier-
haupt zu den Bedeutenderen zählen (wie dies bereits geschehen isti), so scheint mir doch
im Sinne und Umfange meiner vorstehenden Ausführungen dieser Tonsetser der Be-
achtung ernsterer, nicht z u anspruchsvoller Musikfreunde recht wohl würdig sa sein.
Aber freilich heißts gar sehr: mit Vorsicht und mit Auswahl ihn gebrauchen. Besser
für den Tonsetzer wäre es sicherlich, wenn die Verbreitung einer ganzen Anzahl dieser
Lieder unterbliebe, damit nur die gelungenen bekannt würden. Allzuviel ist ongesand —
in jedem Sinne des Wortes. Alfred Schattmann
145. Emesto Köhler: Concerto per Flaute con accomp. dl Piano, op. 87.
Verlag: Jul. Heinr. Zimmermann, Leipzig.
Wüßte ich nicht, daß der Komponist als erster Flötist an der Petersbarger Oper
wirkt und daß dieses Konzert erst kürzlich erschienen ist, so würde ich es für ein Bi^
Zeugnis des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts halten, so harmlos-altmodisch ist es; es
hat meines Erachtens nur Wert als Obungsmaterial für etwas vorgeschrittene Seh&leTi
die auch gelegentlich damit zeigen können, daß sie sich eine hübsche Technik selion
engeeignet haben.
146. J, W. Kersbergen: Quartett für Klavier, Violine, Viola und VioloncelL
op. 6. Verlag: Ries und Erler, Berlin.
Trotzdem ich die sorgfältige und kunstvolle Arbeit in diesem Quartett aufrichtig
bewundere, vermag ich mich doch nicht dafür zu begeistern: die Themen sind gar sa
blutlos, gar zu sehr der Reflexion entsprungen. Seibat das Scherzo hat wenig Ursprfin^
lichkeit. Gar zu mager ist die geistige Ausbeute, die man aus allen vier Sitsen gewlnat.
Wilhelm Altmann
147. Maximilian v. Ambros: Zwei Lieder, op.49. Musikverlag Dr. Heinrich Lewy,
München.
Zwei Salonlieder (das eine ist die Vertonung eines lehrhaften Gedichtes von BlfltlH
gen und das andere hat ein belangloses Produkt von einem unbekannten Autor lar Unter-
lage), von denen sich nur sagen läßt, daß sie nicht gut sind. Arno Nadel
Aus deutschen Musikzeitschriften.
SIGNALE FÜR DIE MUSIKALISCHE WELT (Leipzig) 1907, No. 54-58. -
Detlef Schultz stellt in dem Gedenkartikel ^»Edvard Grieg f« (No. 54) den Kom-
ponisten hauptsächlich als Volks- und Heimatskünstler dar. — Fritz Prelinger
bespricht unter dem Titel »Tschechische Musik'* (No. 55) Werke von J. B. Förster,
Karl Bendl, E. Kraus, Zdenko Fibich, Fr. Cerny, Alois Jiranek, F. OndHiek, Vit^zslav
Noväk und Oscar Nedbal. — Zu Weingartners Ernennung zum Wiener Hoföpem-
direktor werden die Aufsätze „Mahler — Weingartner^ von Ludwig Karpath und
»Berlins Verlust — Wiens Gewinn** veröffentlicht (No. 56). — In dem Aufeate
»Der Marktwert ausübender Tonkünstler** (No. 57) sagt August Spanuth: »Man
ist ungerecht, wenn man die Schuld an dem Kardinal-Übel unseres Konzertlebens
den Geschäftsleuten allein zuschreibt. Sie machen nur Heu, solange die Sonne
scheint, und der Grund des Übels sitzt tiefer, in dem allzu verbreiteten Wunsche,
durch öffentliches Auftreten indirekte Vorteile zu erlangen und der eigenen Eitel-
keit zu frönen . . . Wer also Sturm laufen möchte gegen die Konzert-Geschifts-
leute, sollte sich besinnen und erst einmal den zahllosen unreifen Konzert-
Aspiranten auf die Finger klopfen.** — August Spanuth bespricht ausführlich die
vor kurzer Zeit erschienenen »Familienbriefe von Richard Wagner^. — Ein kurzer
Nachruf auf Reisenauer wird unter der Überschrift: »Alfred Reisenauer f** von
A. Spanuth veröffentlicht. — Im ersten Kapitel der »Glossen zur musikalischen
Kultur" (No. 58) empfiehlt Wolfgang A. Thomas, »schlecht oder auch mäßig
begabte Kinder* nicht mit Klavier- und Geigenunterricht zu plagen, aber durch
die Schule und durch Privatlehrer zu Zuhörern erziehen zu lassen. Im zweiten
Kapitel (No. 50) sagt Thomas, daß von einer »Überschwemmung mit musikalischen
Genüssen** »tatsächlich nur in den großen Musikzentren, voran Berlin, ernstlich
die Rede sein** könne. »Wenn in kleineren Provinzstädten von einem die Nach-
frage weit übersteigenden Angebot gesprochen wird, so kommt das eben von
einem bedenklichen Mangel an wirklichen Freunden der Musik, die zuhören
können.** Thomas wünscht, daß die Kosten der Veranstaltung von Konzerten
durch Einschränkung der Reklame und durch unentgeltliche oder wohlfeile Über-
lassung von der Stadt gehörigen Sälen verringert werden möchten. Die Werke
der großen Genies sollten in den kleinen Städten öfter durch einheimische
Musiker und einheimische Musikvereine aufgeführt werden. Erfreulich sei, daß
sich jetzt zuweilen ein »Verlangen nach kürzer dauernden Konzerten" äußert.
Für wichtig hält der Verfasser es auch, Werke aus älteren Zeiten aufzuführen.
Absolute historische Treue sei aber im Konzertsaal ebensowenig wie im Theater
zu fordern; die Hauptsache sei, daß der »ewige Gehalt eines Kunstwerkes* von
dem Hörer erkannt werde. Das dritte und letzte Kapitel hat den Untertitel »Was
soll uns Kritik?* (No. 60) und weist auf die Bedeutung der Kritik hin, die der
großen Masse das Kunstwerk erklärt und dessen Stellung in der Kunstgeschichte
bestimmt. — August Spanuth gibt in dem Aufsatz »Wagner im Konzertsaal?*
(No. 58) einen großen Teil der Ausführungen wieder, mit denen Walter Damrosch
VII. 16. 16
ü
242
DIE MUSIK VII. 16.
einein Chicagoer Interviewer gegenüber die Auffuhrung von Wagnerschen Werken
im Konzertsaal rechtfertigen wollte. Spanuth spricht sich dann gegen die Ansicht
aus, „daß wegen der unüberwindlichen und oft licherlichen Unzulinglichkeit der
szenischen Darstellung nunmehr Konzertaufführungen vorzuziehen seien.*
VEREINIGTE MUSIKALISCHE WOCHENSCHRIFTEN (Leipzig) 1907, No.^
bis 42. — In seiner »biographischen Studie" »Fredericl^ Delius" <No. 35—37) sagt
Max Chop: ,,Frederick Delius ist ein Pfadfinder, er l^ann unter den Lebenden
als einer der wenigen Selbständigen gelten, denen es geglucl^t ist, die seit Wagner
und Liszt noch wesentlich vergrößerte musikalische Form mit wirklich neuem,
tönendem Gehalt gefüllt zu haben**. — In dem Aufsatz »Eine neue Notenschrift.
Für und Wider" (No. 37) kritisiert Franz Dubitzky das »natürliche Notensystem*
von Gustav Neuhaus. — Richard Sternfelds Aufsatz »Ehrt eure deutschen Meister*,
wendet sich gegen einen von angesehenen Tagesblittem zur Feier der 25. Wieder-
kehr des Tages der ersten Aufführung des »Parsifal" veröffentlichten Artikel, der
mehrere falsche Behauptungen enthilt. — Hugo Riemann beginnt unter der Ober-
schrift »Die Melodik und Rhythmik der Minnesinger* eine Besprechung der
Aubry'schen Ausgabe von Baude de la Quariöre's »Chanson de Bele A61is*
(No. 38; Fortsetzung folgt). — A. N. Harzen-Müller veröffentlicht den AuÜMtz
»Wilhelm Friedemann Bach nicht Komponist von ,Kein Hilmchen wichst auf
Erden'". Nach eingehender Begründung der Ansicht, daß W. Fr. Bach das Lied
weder gedichtet noch komponiert habe, schreibt der Verfasser: »Da das unter Wilh.
Friedemanns Namen gehende Lied sowohl textlich als auch musikalisch zu den
schönsten und wertvollsten gehört, welche wir überhaupt haben und kennen, so
daß es einen Ehrenplatz unter den deutschen Volksliedern gehört, so ist es wahrlich
mehr als bloße Neugierde, endlich einmal zu wissen, wer der Komponist des-
selben ist! Eine Antwort auf diese, von der ganzen deutschen Musikwelt berechtigter-
weise gestellte Frage erwarten wir nunmehr von dem Carl Rühleschen Mnsikverlsge
in Leipzig, welcher das Gedicht zuerst als von W. Wegener gedichtet und von
Wilh. Friedemann Bach komponiert herausgegeben hat! Er allein weiß js die
Quellen für jene falschen Angaben! Der genannte Verlag antwortete mir persönlich
s. Z. auf meine mehrfachen, im Interesse der Sache gestellten Anfragen folgendes:
,Zu wiederholten Malen traten Sie an uns bez. Auskunft über Friedemsnn Bach:
»Kein Hilmchen wichst auf Erden« heran. Ganz abgesehen davon, daß wir bis Jetzt
noch nicht orientiert sind, was für ein Interesse an der Sache vorliegt, geben wir
prinzipiell über unsere Verlagswerke an Femstehende keine Auskünfte, da wir der-
artige Angelegenheiten als Geschiftsgeheimnisse betrachten'**. Am Schluß macht
Müller-Harzen einige Einwendungen gegen dieses Schreiben. — In dem Aufsatz
»Schematismus in der zeitgenössischen Opernproduktion" (No. 39) sagt H. Graf»
daß auch heute noch die Opern, besonders die Texjbücher, vielfach nach Schablonen
gearbeitet werden und daß »die Inszenierung und die landesübliche Darstellungs-
weise** ebenfalls noch „in uralter Tradition verharren". — Richard Sternfeld
veröffentlicht einen warm anerkennenden Aufsatz ,»Zu C. Fr. Glasenapps 60. Geburts-
tag" (No. 40). — Otto Erich Deutsch druckt in dem Aufsatz .Schumanns erfolg*
lose Bewerbungen in Wien*' zwei sehr interessante Aktenstücke ab, die zuerst Kari
Glossy in der „Österreichischen Rundschau" veröffentlicht hat. Schumann bat sm
2. November 1838 in einem hier mitgeteilten Gesuch um die behördliche Erlaubnis»
seine 4\\t Jahre vorher in Leipzig begründete Zeitschrift in Wien zu verlegen.
Dann wird ein von den Behörden eingeholtes Gutachten abgedruckt, das der Zeit-
schrift Schumanns jeden Wert abspricht und Schumann als einen »vollstindig nn-
243
REVUE DER REVUEEN
bedeutenden'' Mann hinstellt, der al# Klavierspieler nicht mehr könne wie Hunderte
Dilettanten in Wien, als Kompositeur „nicht ein einziges beachtenswertes Stück
hervorzubringen gewußt** habe und nur durch die ihm von Mendelssohn ge-
schenkte Teilnahme zur Anerkennung gelangt sei. Mendelssohn habe „die Ge-
ringschätzung, die er für den Herrn Schumann hegen muß**, offenbar nur aus
»Gutmütigkeit** und „bloßer Menschenfreundlichkeit** „überwunden* und Schumann
nur gefördert, damit dieser eine Existenz finde, die ihm die Heirat Clara Wiecks
ermöglichen würde. Infolge dieses Gutachtens wurde Schumanns Gesuch ab-
gelehnt, und er kehrte im April 1839 nach Leipzig zurück. Am Schluß berichtet
Deutsch kurz über die späteren Beziehungen Schumanns zu Wien. — In dem
Autsatze „Zwischen ,Monismus* und ,Dualismus* ** bespricht Eugen Schmitz an
der Hand des Buches „Die Zukunft der Musiktheorie und ihre Einwirkung auf die
Praxis** von Georg Capellen den Streit zwischen den sog. „Dualisten", die „Dur
und Moll für ebenbürtig halten, also eine zweiheitliche Basis der Harmonik an-
nehmen** und den sog. „Monisten**, die „den Mollakkord für etwas Abgeleites erklären,
also den Durakkord als einheitliche Basis der Harmonik aufstellen**. Den „Grund-
gedanken* des Monismus hält Schmitz für richtig und für „praktisch ersprießlich".
Er glaubt aber, daß Capellens Versuche, ein „künstlerisch und wissenschaftlich
brauchbares Harmoniesystem aufzubauen** „noch nicht als gelungen bezeichnet
werden** können, und daß Capellen einige „bedeutende Errungenschaften Riemanns
wieder freigibt**. — Eugen Segnitz nennt in dem Nachruf „Alfred Reisenauer** (No.42)
den Verstorbenen „einen der größten Pianisten seiner Zeit und als Künstler wie als
Mensch gleicherweise achtens- und liebenswert**. Er findet Ähnlichkeit zwischen
Reisenauer und dem „Maler der Romantik** Philipp Otto Runge (1777—1810).
Ober den Komponisten Reisenauer sagt Segnitz: „Er war der geborene Lyriker
und wußte wie der Besten einer, den Gefühlsinhalt einer Dichtung von Grund aus
zu erschöpfen.** „Weit über hundert Lieder . . ., außerdem auch Variationen für
großes Orchester sind Manuskript geblieben**, weil Reisenauer infolge seiner großen
Gewissenhaftigkeit „von einem gewissen Mißtrauen gegen seine Werke erfüllt"
gewesen sei. — W. Freudenberg spricht in dem Aufsatz „Die Aufgabe des
Chorgesangs in der protestantischen Kirche** u. a. die Ansicht aus, daß „ein
Kirchengesang in protestantischem Geiste . . . vor allem auf das Festhalten einer
sinngemäßen Deklamation zu achten** habe. Auch müße „der musikalische Haupt-
gedanke ... sich periodisch und metrisch mit dem Hauptgedanken decken
und aus ihm gleichsam hervorzuquellen scheinen**. Freudenberg wünscht, daß,
wie in früheren Jahrhunderten, „an großen, tonangebenden Kirchen nur solche
Musiker zu Dirigenten berufen werden, die auch imstande sind, selbst etwas Gutes
zu schaffen**, damit begabte Musiker durch die Möglichkeit, ihre Werke sogleich
aufzuführen, angeregt würden, liturgische Musik zu komponieren. Die Mitwirkung
lebender Komponisten sei zur Hebung der Kirchenmusik dringend erforderlich;
denn „das Aufhören des Neuschaffens** führe „auf allen Gebieten zu Stillstand und
Rückgang**. Bach sei zwar „der größte protestantische Kirchen komponist**; aber
er habe „nur weniges geschrieben, was man in der jetzigen Liturgie brauchen kann*,
und die Aufführung seiner „bedeutenderen Motetten** sei für die Kirchenchöre
zu schwierig. Fr. empfiehlt auch die Schaffung einer von der obersten Kirchen-
behörde zu wählenden, aus Musikgelehrten und Musikern bestehenden „Kommission
zur Prüfung neu komponierter Gesänge**. Die von dieser Kommission ausgewählten
Werke müßten in periodischen Lieferungen herausgegeben werden. — J. Baunack
weist auf „Anklänge an des Euripides ,Iphigenie bei den Tauriern* im Text von
Beethovens ,Fidelio*'* hin. Magnus Schwantje
16*
KRITIK
OPER
BREMEN: Im Sttdttheater fand die Urauf-
führung des Goetheschen »Das Jabr-
marktsfest zu Plundersweilen** als musik-
dramatisctaes Genrebild in der Bearbeitung des
Textes von Emil Pobl statt, zu der Prof. Wilbelm
Freudenberg (Berlin) eine sebr feine, zumeist
auf lebendigem Tanzrhytbmus basierende und
volkstQmlicb cbarakterisierte Musik geschafTen
hat. Der Markttrubel dieser Szenen wird durch
das Goethescbe Lied an den Mond, in einem
einfachen und stimmungsvollen Terzett, unter-
brochen. Damit wird zwar der satirische Cha-
rakter des gegen die Empfindsamkeit der Werther-
Zeit gerichteten derben Fastoachtspiels im Cha-
rakter Hans Sachsens durchbrochen, aber diese
Satire ist doch, ebenso wie die vielen literar-
historischen Anspielungen überhaupt, unserem
heutigen Publikum fremd. Die Szenen wirken
durch ihren ausgelassenen, harmlosen Stimmungs-
reiz, und der wird durch das empfindsame Mond-
terzett wirksam kontrastiert. Sicher ist die mit
Geist und Humor instrumentierte Musik Freuden-
bergs künstlerisch durchaus von feinem Ge-
schmack und ein wohltuender Gegensatz zu der
groben Operettensucht unserer Zelt, die in
Walzertriumen und Opernbillen immer mehr
auch die ernsten Stadttneaterbühnen heimsucht.
Dr. Gerb. Hellmers
BRÜSSEL: .Lesjumeaux de Bergame''(Die
Zwillinge von Bergamo), komische Oper in
zwei Akten nach Florian von Maurice L6na,
Musik von Emile Jaques-Dalcroze, erlebte
ihre erste Aufführung am Monnaie-Theater.
Die überaus einfache Handlung eignet sich be-
sonders für ein Ballet und ist zu solchem bereits
früher verwendet worden. Dem Librettisten lag
es ob, Szenen zu schaffen, die dem Talente eines
Musikers wie Dalcroze zusagten. Dies gelang
ihm vortrefflich, denn die Hauptpersonen der
Handlung, der iltere Harlekin, der Rosttte liebt,
und der jüngere, den N6rine eifersüchtig liebt,
sehen sieb zum Verwechseln ihnlich und rufen
dadurch die komischsten Szenen hervor, ab-
wechselnd mit Liebesergüssen, Ausbrüchen von
Kummer, Zorn und Freude. Bewunderungs-
würdig ist, wie Dalcroze alle diese Empfindungen
schildert, und besonders, wie er die Mimik in
Tönen malt durch geschickte Klangkombinationen
und überaus interessante Rhythmen. Die zwei
Akte sind getrennt durch ein längeres sympho-
nisches Zwischenspiel, das, wahrscheinlich im
Hinblick auf Konzertaufführungen, ziemlich aus-
gedehnt ist und in brillanter Instrumentation die
Hauptmotive bebandelt. Nina Faliero-Dal-
croze, die bekannte Konzertsängerin, machte mit
der Rosette ihren ersten Bühnenversuch, der
vollauf glückte. Neben ihr sind als gleich vor-
trefflich zu nennen Mlle. Symiane (Ndrine)
und die Herren Decl6ry und Dua (die beiden
Harlekine). Felix Welcker
DRESDEN: Die dritte Gesamtaufführung von
Richard Wagners »Ring des Nibelungen*
wurde im Königlichen Opernhause in
gewohnter, würdiger Weise herausgebracht,
wobei die Herren Hagen und Mal ata sich
in die musikalische Leitung teilten, ob-
wohl meinem Empfinden nach ein solcher
Zyklus, der doch als ein Ganzes auch in der
Reproduktion erscbeinen soll, miter eines
einzigen Dirigenten Leitung stehen mfifite.
Fräulein Tervani, über deren erfolgreicbes
Debüt ich bereits berichtete, gastierte weiterbin
als Maddalena in Verdi's »Rigoletto* nnd wurde
für die Hofoper verpflichtet. Herr Sembsch
fügte den Herzog in »Rigoletto* nnd den Faust
in Gounod's »Margaretbe* seinem Repertstre neu
ein. — Im Zentraltheater tost Dresden seit
Beginn dieses Jahres dank den Bemflbuntsn
des Direktors Alexander Rotter eine Operette
ersten Ranges, die sich immer mehr die Gunst
des Publikums erobert. Nach dem flberraschenden
Erfolge von Leo Fslls ^Fidelem Bauer*, der
mehr als fünfzig Aufführungen zu Terseichnen
hatte, brachte die Direktion Frenz Lehärs
neue Operette »Der Msnn mit den drei
Freuen" heraus und erzielte damit zwmr keinen
sensationellen, aber doch einen fkeundUehen Er-
folg. Die Musik steht an aparter Melodik und guter
Faktur zweifellos weit über der «Luititea
Witwe*, und die Partitur beweist, dsß Lehdr hier
auf »Reißer* verzichten und dafür eine kfinst-
lerisch wertvolle Arbeit bieten wollte, stier dte
Schwächen des Textbuches sind so aufenSllii,
daß der Komponist und sein Werk dsmnter sehr sn
leiden heben* Die Aufführung war Ton Direktor
Rotter prächtig inszeniert und Ton Georg
Pitt rieh, dem bochbegsbten und eneigischeB
Kapellmeister des Zentraltheaters, musiktllsch
vortreflriich vorbereitet In den Hsuptr611en
ragten die Damen Merviola, Triebel-Hor*
sten und Gonia, sowie die Herren Loewe,
Aigner und Siegmund hervor.
F. A. Geifiler
FRANKFURT a. M.: Von zwei Gsstspidcn
^ auf Engagement hat vorzugsweise dasjenige
einer stimmlich sebr begsbten und sorgsam ge-
schulten Koloratursängerin, Frau Goette von
Berlin, als Verdische Trsvista BeifUl nnd gute
Erwartungen erweckt; scbsuspielerische Gsbea
der Künstlerin sind, ds sie bisher den Konsert-
gesang pflegte, noch unentwiekelf, aber doeh
schon wahrnehmbar. — Recbtsebsffen Im Sftel,
zureichend im Gesang, aber ohne Jede perste-
lich fesselnde Wirkung war es, was ans die
Operettensoubrette Wlni Grsbitz In zwei Gsst-
rollen bieten konnte, u. s. in der Titelrolle von
Audrans «Puppe*, die bei dieser Gelegenheit
in guter Neueinstudierung wieder Torgebrseht
wurde. Hsns Pfeilechmidt
HANNOVER: Ende März gsb es in der Ktair
liehen Oper eine schon ihres Alters und
ihres historischen Wertes wegen intereessate
Novität: W. A. Mozsrts »Girtnerln aas
Liebe" (La finta giardiniera) in der Kalbcekadien
Bearbeitung. Das Werk zeigt in dor Mehrsahl
der Solonummern allerdings völlig die alte Ita-
lienische Opemschablone, in einigen Nnmmera
jedoch, so u. a. in der Arie »Verlaasen nnd dar
sam" der Sandrina, sowie auch in den Basemble-
sätzen und namentlich in der Charakterlalemag
der Personen merkt man deutlich die Spuea
des späteren Mozart. In den Partleen der San-
drina, Serpetta und Arminda waren die Damea
Müller, von Abranyi und Burehardt, ia
denen des Podeste, des Beiflore nnd des Narde
die Herren Moest, Hummeleheim nndVegl
tätig. Alle trafen den Mozartschen GeaaagMli
sowie den flotten Darstellnngseharakter deropeia
245
KRITIK: OPER
bnfft wirklich henrorrtgsnd. Kipellmeister
Brnck dirigierte die ganz prichtig inszenierte
Oper. Der Moztrtschen Oper folgte neuein-
stndiert in vollendeter Wiedergabe Bizet'a ent-
zfickende Oper »DJami leb* mit Frl.Burcbardt
und den Herren Battiati und Vogl in den
Hauptrollen. L. Wuthmann
KÖLN: Im Opemhauae gab ea drei Neuein-
atudierungen ilterer Werke. Um »Die
beiden Scbfitzen" Lortzinga macbte aicb der boch-
begabte Junge Kapellmeister Walter Gaertner
sehr verdient, indem er ein prichtiges Ensemble
zuwege brachte. Nicht alle unsere Gesangskrifce
atehen kfinstlerisch auf der vollen Höhe von
Mozarts »Entführung", aber so recht im Sinne
JMpzarts waltete unser trefflicher Franz Weiß-
leder am Dirigentenpulte, und das half schon
viel. Desselben Kfinatlers feinfQhlige Behand-
lung von Kienzla »Evangelimann** — mit Fritz
R6mond ala dramatiach fesselndem Matthiaa —
aicherte der stimmungsvollen Eigenart des
aolistisch durchweg bestbesetzten Werks wieder-
um eiofen schönen Erfolg. Paul Hill er
f EIPZIG: Jene planvolle, vornehmlich auf
^ ainngemißere und reichere Inszenierung neuer
und Uterer Werke hinzielende RQhrigkeit der
hiesigen Opemleitung, die gegen Ende des
vorigen Jahres an der wirksamen Neu - Ein-
stndlerung von d'Alberts «Tiefland* und der
erfolgreichen EratauffQhrung von Puccini's
»Madame Butterfly* in fiberzeugender Weise zu
Tage getreten war, hat auch im neuen Jahre
angedauert und neben einer weniger glucklieben
Reprise von Mozarta »Entfuhrung aus dem
Serail* und einer im Ganzen wohlgelungenen
Wiederaufnahme von Charpentiera .Louise*
(Dirigent: Kapellmeister Porat; Louise, Julien,
Vater und Mutter: Frl. Marx, Herr Urlua,
Herr Soomer und Frl. Urbaczek) ziemlich
bedeutende, dekorativ neu und sinngemiß schön
ausgestattete Neuinszenierungen von Wagners
.Rbeingold* und »Die Walkfire* (Dirigent:
Kapellmeiater Hagel; Wotan, Fricka, Siegmund,
SIegiinde, Brunnbilde: Herr Soomer, Fri.
Urbaczek, Herr Urlua, Frau Osborn-
Hannab, Frau v.Florentin; Loge und Albericb:
HerrDr.Briesemeisterund Herr v. Bongard t
ala Gäate) zuatande gebracht. Einen wirklich
hervorragenden künstlerischen Charakter hatte
allen dieaen Vorstellungen die intelligente und
feinfühlige Regiekunat des Oberregisseurs von
Wym6tal eingeprigt, und so bedeutet denn
der leider bevorstehende Weggang des Herrn
von Wym6tal an die Wiener Hofoper für Leipzig
tatsichlich einen aebr achweren Verlust. Hoffent-
lich ist in dem ab August für hier verpflichteten
gegen wirtigen Opern- Regisseur des Stuttgarter
Hofiheatera, Dr. Hana Löwenfeld, der rechte
Eraatzmann gewonnen worden. Des Ferneren
ist von den letzten drei hiesigen Opernmooaten
noch eine Reihe bedeutsamer Gastspiele zu
verzeichnen. Ottilie Metzger- Froitzheim
erfreute ala Dalila und als Carmen vornehmlich
mit der temperamentvollen Schönheit ihres
Singena; Betty Schubert, die mit ihrem an-
gegiriffenen Organ als Fidelio entiiuschte, als
Isolde aber reapektablea musikdramaiisches Be-
anlagtsein offenbarte, wurde fQr die hiesige
Oper engagiert; Sigrid Arnoldaon entzfickte
aenerdinga mit Ihren anmutreich kunatfertigen
Verlebendigungen der MIgnon und der Margarethe;
mit der alten herzlichen Vorliebe wurde Marie
Gutheil-Scboder als Santuzza, Nedda und
Carmen willkommen geheißen; Alice Guazale-
wicz interessierte als vornehme, nur in der
Stimmtiefe etwas ohnmichtige Isolde. Gern
sah man den von hier an die Wieabadener Hof-
oper berufenen trefflichen Hans Seh fitz zu
einigen Aushilfsgastspielen wiederkehren, und
beifillig wurde Gottfried Krause aufgenommen,
der den Herodea noch realistischer spielte und
sprach ala Dr. Briesemeister.
Arthur Smolian
NEW YORK: »Geht die deutsche Oper unter?*,
so könnte man fragen, wenn man das Er-
gebnis der Saison IWJjS ansiebt: im Metropolitan
45 Aufffibrungen von Werken deutscher Kom-
ponisten gegen 74 italienischer und 11 franzö-
sischer; und im Manhattan (wenn man Meyerbeer
und OITenbach zu den deutschen ziblt) 15 Auf-
fuhrungen deutscher Opern gegen 61 italieniacher
und 48 französischer. Die Antwort lautet: dem
Amerikaner ist der Singer viel wichtiger als die
Oper. Früher, ala wir Lilli Lehmann und Jean
de Reazke hatten, war Wagner obenan; jetzt
haben wir Caruso und die Tetrazzini, und die
Italiener aiegen. Obrigens, trotzdem die Tetrazzini
ausschließlich Koloraturaingerin ist, sind es fast
nur die lebenden Italiener (Puccini, Leoncavallo,
Giordano, Boito), die beliebt aind; Rossini und
Donizetti waren mit nur einer Oper vertreten
und Bellini gar nicht. Und nochmals: trotz der
Tetrazzini waren die drei populirsten Opern im
Manhattan französisch (und deutsch): «Louise*,
«Carmen* und «Hoffmanns Erzählungen* wurden
je elfmal gegeben. In bezug auf Debussy irrte
ich, ala ich prophezeite, seine Oper wfirde hier
nicht gefallen, weil sie melodielos sei: «Pell6as
et M61isande* machte sieben volle Hiuser —
mehr als in Paris in der eraten Saison, worfiber
unter den Debussyanern große Freude herracht.
Auch Massenet hat mit «Thais* und «La Navar-
raise* viel GIfick gehabt, und im nichsten Winter
soll Mary Garden in desaelben Tonsetzers
«Sappho*, «Manon*, «Le Jongleur de Nötre-
Dame* und «Griselidis* erscheinen. — Im
Metropolitan hat Guatav Mab 1er keine so große
Rolle gespielt, ala man erwartet hatte; er diri-
gierte nur «Walküre*, «Siegfried*, «Don Giovanni*
und «Fidelio*, allerdings mit glänzendem Erfolg.
Er wird wiederkommen; auch iat Alfred Hertz
wieder engagiert. Man rfiatet sich zu ernstem
Kampf mit dem unternehmungslustigen Hammer-
stein. Da Gatti-Casazza und Toscanini viel fQr
deutsche Musik in Italien gewirkt haben, ist es
den hiesigen Wagnerianern nicht bange«
Henry T. Finck
WIEN: Juliua Bittnera «Rote Gred*,
schon unter Mahler von derHofoper an-
genommen und jetzt zum ersten Male hier
aufgeführt, ist erfreulich durch die Totalität der
Begabung, die darin lebendig ist und mehr durch
diese Totalität als durch deren Ausdruck im
Einzelnen. Sie ist blutvoll, bahnebfichen, hat
etwas bezwingend Animalisches, ohne doch
kultivierter Geistigkeit zu ermangeln. Daa
spricht sich freilich viel mehr in der Dichtung
ala in der Musik aus. Daa Bittneracbe Buch
ist szenisch und psychologisch eines der vor*
trefflichsten der letzten Zeit und bat einen ganz
MM
246
DIE MUSIK VII. 16.
eigenen Ton, der leider dann durch die Musik
ein wenig verwischt wird. Diese Musik, zu
einem Drama, das in seiner Darstellung des
typisch Weiblichen als zerstörenden Dämons der
Sexualität wirklich ins allgemein Menschliche
greift und bei aller Realistik doch immer im
Goetheschen Sinn symbolisch bleibt — diese
Musik ist seltsam, fast als wäre sie von zwei
Persönlichkeiten geschaffen: von einer stam-
melnden und tastenden, an Bekanntes hilflos
sich klammernden — und von einer gesund
bodenständigen, die besonders fiir das Volks-
treiben knappe und scharfe Tonbildei trifft, einer
warmen und dabei sehr unsentimentalen dazu,
der so schöne Dinge gelingen wie das in breiter
Linie geschwungene Vorspiel, die reizende Fis-
dur Stelle im ersten Liebesduett und der prächtig
charakterisierende Schluß. Man wird sich lieber
an diese Seite der Bittnerschen Psyche halten
und manches Unbeholfene und GestQckelte
seines Werks nicht als kfinstlerisches Versagen,
sondern als den Fehlgriff eines ehrlich Suchenden
empfinden und lieber sehen als geschmeidig
routinierte Fertigkeit, die UngefGhltes geschickt
jonglierend unredlich zu verdecken weiiL Und
man wird, auf geschlossenere Erfindung und orga-
nischeres Durchbilden der Einfälle seiner
reifenden Kraft hoffend, »die rote Gred* —
über deren Einzelnheiten in diesen Blättern ja
schon aus Frankfurt und Darmstadt berichtet
worden ist — als eines der besten Versprechen
betrachten, die in den jüngsten Jahren gegeben
worden sind. Dieses Gefühl hat offenbar bei dem
starken Erfolg mitgewirkt, der dem Werk und
seiner glanzvollen Aufführung zuteil wurde.
Bruno Walter, der jetzt die letzten Stufen zur
absoluten Dirigentenmeisterschaft zu erklimmen
scheint, hat sie mit unvergleichlichem Feuer
genial nachschaffend geleitet. Dazu eine un-
vergeßliche Leistung der Gutheil-Schoder:
ihre Gred wirkt elementar, triebhaft, gleich
einem prachtvollen Tier, verheerend, grausam
und lockend. Neben ihr May r als Turm Wächter,
breit, behaglich, herzlich; Weidemann als
Stadthauptmann in eherner Kraft und gefestigter
Männlicbkeit; viel schwächer und allzu unfrei
Schröders Hans. Eine Reihe vorzüglicher
Episoden, von Frau Hilgermann, Frau
Pohlner und den Herren Moser, Breuer
und Stoll in bester Haltung verkörpert. Das
Beste am Ganzen: die frohe Erwartung, die das
so gar nicht „/.ünftige** Werk erweckt. Auch
wenn Bittners nächste Schöpfung sie noch nicht
gaiiz erfüllen sollte — man wird ihm auch ein
nächstes Mal gern mehr als «sieben Fehler ver-
geben". Wenn nur schließlich ein Meister-
gesang herauskommt. — In der Volksoper:
die deutsche Uraufführung von Bukas'
«Ariane und Blaubart' nach Maeterlinck's
Dichtung. Ein seltsames Werk. Äußerste Kon-
sequenz des «Debussysme": Verbannung von
Melodie und rhythmischen Kontrasten. Nichts
als Harmonie — aber darin von einer Kunst,
einer Konzentration, einem Reichtum an Farben,
die gleichzeitig ermüdend und aufreizend,
lähmend und berauschend, faszinierend und
beunruhigend wirken. Ein starker Eindruck ist
nicht wegzuleugnen; ein Eindruck angstvoller
Spannung und magischer Betörung durch
Stimmungsextrakte von unsäglicher Kraft der
mm
Kondensierung und von höchster Sul>tilltit des
klanglichen Raffinements. Nur daß es sweifel*
haft ist, ob es ein Eindruck der Musik — falls
man die Dukas'schen Klänge noch so neanen
kann — oder einer der Dichtung isi| deren
Wortsymbole sich mit den Tonsymliolen sa
einem fremdartig schönen und doch abstoßenden,
gleich schweren Düften lastenden» fesselnden
und zugleich ennervierenden Gsnsen mischen.
Zweifellos: das ernste Werk eines ernsten
Künstlers. Nur daß ich nicht glaube, daß Jene
recht haben, die hier den Weg su musiiuüischem
Neuland sehen, — im Gegenteil: er scheint mir
in die »unseligen Urständ' prlmitiTSter Musik
zurückzuführen. Die Vorstellung von »Ariane
und Blaubart* bedeutete übrigens eine Kraft-
probe für die Volksoper, sus der sie mit Ehren
hervorgegangen ist, wenn auch das Werk
szenisch, gesanglich und orchestral eine Bi»ch
viel differenzienere Ausführung fordert. Jeden«
falls aber hat das Orchester unter Zemlinsky
seine bisher höchste Leistung vollbracht» Frau
Stagl hat die Ariane mit bildhaft schöner Ei^
scheinung und sicherer Beherrschnng der nn-
ermeßllch schwierigen Partie gesungen, nnd das
Bühnenbild vermochte die Illnssion zn wahren —
bis auf Einzelnheiten, in denen die Wfinsche
des Dichters nicht beschtet worden sind. Vor
allem aber: es war ein Verdienst^ ein neöes
und so stark anregendes Werk su bringen. Ein
doppeltes, weil es unsägliche Arbeit kcMeie.
Ein dreifaches, weil ein Kassenerfolg ?oa Tom-
herein ausgeschlossen war.
Richard Specht
KONZERT
ANTWERPEN: Seit meinem letzten EÜerlcht
waren es ausschließlich die Konzerte der
Gesellschaft »Nouveaux concerts', dte sn
interessieren vermochten. Man merkt deotUch
die musikalisch erzieherische Krafl^ die diese
Gesellschaft auf unser im allgemeinm nicht
gerade sehr konzertreifes Publikum ansBbi^
sonst wire es nicht zu verstehen^ dafi die
Kammermusik-Abende sich einer soichen
Gunst erfreuten. Der dritte Abend, der ans
Trios von HaydUy Schumann und Francle darch
die ganz ausgezeichnete Vereinignng Cortot.
Thibaud und Casals bot« war ein Geneft
allerersten Ranges, wihrend im Tierten des
Berliner Vokalquartett der Damen Grnm*
bacber-de Jong, Aschsffenhurg (in Ver^
tretung der verhinderten Frau Culp), der Herren
Reimers und van Eweyk in Schnmaina
«Spanischem Liederspiel* und Brahma' Li^es«
liederwalzern den ihm vorau^henden Rnf nieht
in allen Teilen rechtfertigte. — Mit der Auf-
führung von Wagners »Rheingold' in Koatfert-
form kann man sich nur teilweise befinrandett.
Ein wirkliches Interesse bietet sie nur dem«
ienigen, der dieses Vorspiel in szenischer
Darstellung vorher genossen. Die hiesige An^
führung unter Leitung Mortelmans mit dem
geradezu idealen Loge Tsn Dycket dem
Kölner Baritonisten Whitehlll ale Wotan and
einigen tüchtigen Kriftender hieeigenFIftniachen
Oper stand auf hoher künstlerischer Stofo.
A. Henigeheiai
247
KRITIK: KONZERT
|> ERLIN: Am Karfreitag hat die Sin gak ad emie
'^ onter Georg Schumanns Leitung wieder
Bachs Matthius-Passion aufgeführt. Wie in
der Johannis-Passion sang Dr. Felix von Kraus
die Partie des Heilandes durchaus nicht im Cha-
rakter der Persönlichkeit; von dem Heiligen-
schein, den das Streichorchester fiber dem Haupt
Christi schweben lißf, war bei dieser herben
Klangfarbe, bei dieser harten Vortdeklamation
wirklich nichts zu spüren. Besser als neulich
Itettaltete Frau von Kraus-Osborne die Alt-
partie; die große Arie »Erbarme dich" gab sie in
mbiger, natürlicher und doch warmer Empfindung.
Carl Die rieh gab den Evangelisten, Meta
Dierich-Geyerdie Sopransoli in angemessener
Weise; in die Baßpartieen teilten sich die Herren
Hermann Weißenborn und Schwendy. Das
Beste des Abends leisteten der Chor, der sich
sicher im geistigen Vollbesitz des Werkes fühlt,
und das Philharmonische Orchester; wer von
dessen Mitgliedern als Solist beschiftigt war,
erfreute durch musikalifche Sicherheit und
Klangschönheit. — Den zehnten und letzten
Symphonie-Abend der Königlichen Ka-
pelle im Opernhause dirigierte Robert Laugs.
Das Programm brachte Cherubini's »Anakreon*-
Ottvertfire, Mozarts Es-dur Symphonie und Beet-
hovens »Nennte" mit dem Königlichen Opern-
ctaor und dem Solequartett der Damen Hempel
und Goetze, der Herren Kirchhoff und
Hoff mann. Die Solostimmen klangen nicht
recht zusammen; Friulein Hempel führte auch
nicht sicher genug, sie muß sich mit dem Stil
Beethovens vertrauter machen. Der Dirigent
zeigte sichere Herrschaft über den komplizierten
Apparat des Werkes, er bot eine durchaus an-
erkennenswerte Leistung, die den Vergleich mit
früheren Aufführungen in diesen Konzerten
getrost aushalten kann. Auch das Publikum,
das zu Beginn des Abends sich dem jungen
Leiter gegenüber nur recht lau verhielt, er-
wirmte sich allmihlich für ihn und rief ihn
zum Schluß der Symphonie mehrmals heraus.
Das Interregnum in der Leitung dieser Konzerte
hat bekanntlich durch definitive Wahl des Dr.
Richard Strauß als Dirigenten vorliufig seinen
Abschluß gefunden. E. E. Taubert
OOSTON: Unter den vielen in den letzten
'^ Monaten hier gegebenen Konzerten müssen
drei besprochen werden, die mehr als eine lokale
Bedeutung hatten: Arnold Dolmetsch spielte
alte englische Musik auf den alten Instrumenten.
Es war entzückend, Purcells Musik in den süßen
hellen Tönen der Viola da Gamba und das feine
Stakkato des Harpsichords zu hören. Alle diese
alte Musik hat eine Ruhe und Klarheit, die in
diesen Tagen des Fortissimo sehr wohltuend be-
rührt. Es ist möglich, daß Arnold Dolmetsch ein
Wiederaufleben dieser ruhigen Musik zustande
bringen wird. — Frederic S. Converse, ein
Bostoner Komponist, hat ein episches Werk
»Hieb* geschrieben, das von der Caecilia-
Gesellschaft aufgeführt wurde. Converse hilt
sich in dem Textbuch nicht an die Bibel; er
schildert den Kampf des Menschen gegen das
Schicksal und die schließliche Unterwerfung
unter den Willen Gottes. Durch seine Bearbeitung
verliert der Text an dramatischem Interesse,
aber die Musik erhält dadurch mehr Spielraum.
Darcta seine Behandlung des Themas mit Chören,
Solisten und Orchester hat Converse etwas
Ähnliches geschaffen wie eine Kantate der alten
Schule. Die Formen der Fuge und des Kanons
sind ihm nicht besonders vertraut; aber im
Kontrapunkt zeigt er sich doch sehr gewandt,
und die alten gregorianischen Formen scheinen
ihm sehr ans Herz gewachsen zu sein. Es ist
ein Versuch, die Formen der alten Kirchenmusik
mit dem Glanz der modernen Orchestration zu
vereinen. Die Musik ist sehr verstindnisvoll
und wird nur da schwach, wo sie versucht, in
einem sehr langen Solo das Wesen der Gottheit
zu schildern. Das scheint außerhalb der Macht
der Musik zu liegen. Das Werk soll im November
in Hamburg aufgeführt werden, wo Ernestine
Schumann-Heink als Solistin mitwirken wird. —
Das dritte bemerkenswerte Ereignis war die Auf-
führung von Max Regers Variationen über ein
Thema von Hiller in einem der Symphonie-
Konzerte. Es war eine feine Aufführung, die
einen großen Eindruck machte. Dr. Muck diri-
gierte das Werk ausgezeichnet. Er wird uns in
den nichsten Wochen verlassen.
Louis C. Elsott
OROSSEL: Sylvain Dupuis brachte im dritten
^ Concert populaire die selten gehörte c-moll
Symphonie mit Orgel von Saint-Saöns zu Gehör.
Das wirklich bedeutende Werk machte bei guter
Ausführung (nur zu schwacher Orgel) einen
starken Eindruck. Eine Novitit, die symphonische
Dichtung »Romeo und Julie* von dem hier
lebenden Lunssens, ist ein verdienstvolles
Werk. Aber das ganze Drama in einer Skizze
bebandeln zu wollen, ist ein Ding der Unmöglich-
keit. Am besten gelungen ist die Liebesszene,
die zu einem hinreißenden Aufschwung führt«
Enormen Erfolg errang Mischa El man mit dem
Konzert von Brahms und dem «Rondo capriccioso*
von Saint-Sa6ns. — Das fünfte historische
Konzert Durant war Schubert (C>dur Sym-
phonie) und Schumann (B-dur Symphonie und
»Genoveva'-Ouvertüre) gewidmet. Aufführung,
besonders Schumann, sehr sorgnitig. Dazwischen
sang M"« Wybauw auf deutsch Lieder von
Schuhen und Schumann mit frischer Stimme und
gutem Verstindnis. Auch im sechsten Konzert
(Wagnerabend) sang sie drei Gedichte und die
SentaBallade. Das Orchester spielte unter Durant's
anfeuernder Leitung eine Reihe der schönsten
Werke sehr virtuos. — Im fünften Konzert
Ysaye schwang der Hollinder Henri Viotta
den Taktstock. Er ist ein gediegener Musiker
und sattelfester Dirigent, der die «Eroica", sowie
Vorspiel und Liebestod aus »Tristan*, Walküren-
ritt und »Parsifal*- Vorspiel zu schönster Geltung
brachte. Als Solist erntete Thibaud mit dem
Konzertstück von Saint-SaSns und der Spanischen
Symphonie von Lalo begeisterte Ovationen. —
Gevaert führte im dritten Konservatoriums-
konzert Beethovens »Neunte" mit hervorragenden
Solisten prachtvoll auf. — Ein sehr schönes
zweitigiges Bachfestival veranstaltete der
Cercle artistique unter Meister Steinbach aus
Köln und unter Mitwirkung des Vokalquartettt
Stronck-Kappel, Pbilippi, Walter, Zals-
man, des Pianisten Bosquet, des Trompeters
Werle aus Köln. Den gemischten Chor stellte
der Deutsche Gesangverein in BrüsseL Es
kamen zur Aufführung: sieben Kantaten, darunter
die »Kaffeekantate* und »Der zufriedengestellte
248
DIE MUSIK VII. 16.
Äolus", vier geistliche Lieder für Soloquartett,
zweites und fünftes Brandenbnrgisches Konzert,
Pastorale aus dem Weihnacbtsoratorium. Das
Festival yerlief in glinzender Weise, Steinbach
wurde sehr gefeiert. — Eine weitere Bach-
manifestation, das erste der drei angekündigten
Bachkonzerte, die der beliebte -Geiger Zim-
mer veranstaltet, hatte folgendes Programm:
Vortrag fiber Bach von Vincent d'Indy, erstes
und viertes Brandenburgiscbes Konzert mit dem
ausgezeichneten Geiger Job. Smit als Solisten,
der mit dem Pianisten Tb6o Ysaye auch noch
die A-dur Sonate spielte. Herr Zimmer, der sich
zum ersten Male als Orchesterdirigent vor-
stellte, hinterließ einen guten Eindruck. Seine
Gattin sang zwei geistliche Lieder und eine
Arie aus dem Weihnacbtsoratorium mit sym-
pathischer Altstimme. — Unter den zahlreichen,
aber selten gut besuchten Solistenkonzerten
seien erwihnt die von Meister Pugno mit seiner
SchfilerinGermaineSchnitzer,MischaElman,
Kathleen Parlow, Lula Mysz-Gmeiner, die
alle in hohem Maße entzückten.
Felix Welcker
BUDAPEST: Es geht zu Ende. Noch ein
musikböser Monat, und des Hörens süße
Qual ist überwunden. Unsere Kammermusiker
haben die Saison bereits geschlossen, und auch
die Philharmoniker stehen vor ihrem letzten
Konzert, das die »Neunte" bringen soll. In
ihren letzten Abenden hörten wir als Novitäten
Rimsky-Korssakow's koloristisch interessante
«Antar*-Symphonie, eine graziöse Balletsuite in
b-moll des alten Thomaskantors und eine „Un-
garische Suite" (eine Reihe liebenswürdiger Ton-
bilder aus dem Soldatenleben) von dem reich-
begabten jungen Desider Antalffy. Ossip
Gabrilowitsch, dessen lyrisch-edle Kunstler-
schaft wir zum erstenmal bewundern konnten,
führte sich bei uns mit einem Konzert
seines Landsmannes Rachmaninoflf glijcklich ein.
— Das dritte Konzert des „Akademie-Or-
chesters" brachte als Novitit Richard
Wagners durchsichtige, sich noch in ältester
Opemschablone bewegende Jugendouvertfire
„Cristoforo Colombo" und in der Interpretation
durch die geniale Geigerin Stefi Geyer Eugen
Hubay's neuestes (viertes) Violinkonzert all'
antica, im Reichtum der melodiösen Erfindung,
der Formschönheit und des Stimmungsgehaltes
entschieden eine der besten Arbeiten dieses
für sein Instrument fruchtbar tätigen Künstlers.
— Von solistischen Darbietungen verdienen ein
reizvoller Liederabend der musikalisch hoch-
intelligenten Konzertsängerin Josefa Röna-
Kcm6nyffy und ein glänzendes Konzert des
eminenten Pianisten Ignaz Friedman hervor-
gehoben zu werden. Dr. B61a Diösy
pvRESDEN: Im sechsten Hoftheaterkonzert
'^ der Serie A kam eine Neuheit von Mozart
zur ersten Auffuhrung unter Adolf Hagens
feinfühliger Leitung, nämlich die von Georg
Göhler sehr geschickt bearbeitete Suite aus dem
Ballet „Les petits riens". Die kurzen, melodisch
fiberquellenden und überaus graziösen Sätzchen
sind echt mozartisch und versetzten die Hörer
in das hellste Entzücken. Glänzend wirkte auch
die geistvolle, funkensprübende Ouvertüre
„Cameval" von Anton DvoHk. Die Brahms-
schen Orchestervariationen über den Antoni-
m
Choral sowie Beethovens achte Symphonie vei^
vollstindigten das Programm des Komertt, das
zwar ganz und gsr nicht sensationell aber
äußerst genußreich war. Das Palmsonntafs-
konzert im Königlichen Opemhause brachte --
wie schon seit Jahren — die Verwandlungs-
musik und den „Charfreitagszauber* ans
Wagners „Pareiftil* und Beethovens „Nennte*
unter Herrn Hagens kfinstlerischer Ffihmng.
So selbstveretändlich gerade diese Wiedergabe
der „Neunten" ist, so sehr müßte man wünsuen,
daß der erste Teil des Palmsonntagskonzerts
nicht immer dieselben Musilcstficke bieten
möchte. Ein so in allen seinen Teilen allilhi^
lieh beinahe steraotyp wiederkehrendes Programm
verliert mit der Zeit an Interesse. — Von
Solistenabenden sei vor allem der Ton JoUa
Culp genannt, die sich wiederum als eine be-
gnadete Gesangskünstlerin und Liederinterpreiin
erwies und Jeden Hörer in den Bann ihrer
großen, reinen Kunst schlug. Wilhelm Baek*
haus hat unser Publikum durah iwel weitere
Klavierabende, die bereits wochenlang ▼orber
ausverkauft waren, in einen wahren Tannel der
Begeisterung vereetzt, und das mit vollem Reek^
denn er ist in .der Tat ein meisterlieher Pianist,
der an Technik wie kfinstlerischer Vielseitigkeit
und Innerlichkeit des Empfindens nur wenige
seinesgleichen hat. Daß wir uns aber auch
unserer heimischen Meister zu Atmen allo U^
Sache haben» bewies Bertrand Roth mit einem
Beethovenabend, in dessen Verlauf er vier treff-
lich zu einander abgestimmte Klavienonaien
mit so tiefem Eindringen In die innersten Einsei-
beiten, so starker Gestaltungskraft and so
lebendigem Erfassen des geistigen nnd seellsehes
Gebaltes spielte, daß er damit eine wahrhaft er^
hebende künstlerische Tat vollbrachte tmd
stürmischen BeiMl erntete. — Im Tonkfinstler-
verein kamen eine Suite ffir Klavier und IHolin-
cell von Emil K renke (vom Komponisten nnd
Georg Wille vorgetragen) sowie ein Varlntlooes-
satz für vier Celli von Julius Klenfel mit
gutem Erfolge zur ersten Anfffihmng. In
Musikpädagogischen Verein eraielte ein Klavie^
trio von Hermann Scholz dank seiner treffllelieB
musikalischen Eigenschafken eine sehr na^
haltige Wirkung. F. A. GeiDIer
ELBERFELD: Am ffinften Sansct-Kfinst-
lerabend war Otto Brlesemeister bei
Liedern von Wolf und Wagner mit seiner ftinen
Charakterisierungskunst in seinem ElementSi
Daneben leisteten J. van Lier (Cello) und das
Ehepaar Hermaons-Stibbe (Klavier) HefTe^
ragendes« Der Elberfelder Lehrergesang-
verein bot in seinem Konzert von Hans Heyn
sorgfältig einstudierte Volkslieder, Agnes Leyd-
hecker ausdrucksvolle Gesangs- nnd der InngSi
talentvolle Schulze-Prisca beachtenswerte
Violinvorträge. Der Volkslicderabend des ven
Gerhard Peltzer geleiteten gemischten Chors
interessierte durch Darbietung deutscher Voik^
lieder aus fünf Jahrhunderten nnd Ueden
zur Laute (E. Pack), daa ffinfce volkstfia-
1 ich e Symphoniekonzert dea Stidtlscben
Orchesters durch ein musikalisch wertvolles^
dabei schwieriges Cellokonzert von Fritt
Kaufmann, das in Henry Son dnen treff-
lichen Interpreten ftind. Im fünften Abonne-
mentskonzert der Koniertgesellschsft
249
KRITIK: KONZERT
war Scbabertt «UnvoUeodete* eine vollendete
Leittuoc des Orcbesters unter Hans Haym.
Als ausgezeichneter Mozart- und Cbopinspieler
wußte Willy Rebberg zu fesseln, in der
»Gunlöl** Szene von Peter Cornelius Anna
Stronck-Kappel Ibre Kunst zu zeigen und
der Chor dem an schöner Tonmalerei reichen
Stimmungsbild »Wolken am Meer" von Ernst
Heuser freundliche Aufnahme zu yerscbalfen.
Der Solist der dritten Morgenaufffibrung
war Leopold Godowsky, dessen Domine nicht
Beethoven, sondern Liszt und Chopin, und der
ein phinomenaler Techniker auch der linken
Hand Ist. Ferdinand Schemensky
ESSEN: „Parsifkl^-Pragmente lockten zwei
bltsige Konzertiostituie, den Musikverein
und den Frauen chor. Sie brachten den Chor
der Blumenmidcben und die Szene der Kundry,
und lieferten damit, zumal durch die viel zu
starke Besetzung des Chores, aufs neue den
Beweis, daß man den „Parsifal" nicht von seiner
Stitte verpflanzen soll. Im Musikverein hörte
man außerdem unter Witte Liszts »Faust*-
Sympbonie, vom Frauenchor unter Oben er
weitere Bruchstücke aus Wagnerseben Werken.
Willy Backhaus gab in einem Klavierabend
Proben seiner virtuosen, aber leider innerlich
kfihlen Kunst Max Hehemann
FRANKFURT a. M.: Nur ein ptar Jahre bat
^ sich unser Rfiblscher Gesangsverein
der künstlerischen Oberleitung von Siegfried
Ochs erfreut; im letzten öffentlichen Vereins-
koozert dieser Saison nahm er schon wieder Ab-
schied, und mit seiner Auslegung von Bachs
h-moll Messe bat er dem Publikum seiner Vater-
stadt das Scheiden wahrlich nicht leicht gemacht.
Mao hatt darin sind wohl alle Urteilsfähigen
einig (und die Urteilsunfihigen, die der Msjoritit
nachlaufen, erst recht!), die ungeheure Ton-
schöpfnng hier seit langen Jahren nicht in so
vollkommener Wiedergabe gehört, namentlich
lange nicht eine derartige echt inspirierte Hal-
tung der Chorkrifte erlebt, wie diesmal. Im
Saal war kein Platz leer; der Dirigent in erster
Linie wurde mit Beifall überschüttet. — Um ein
Scheiden handelte es sich auch, als das Kammer-
musik-Quartett des Museums für gegenwärtige
Saison Schluß machte: der Primgeiger Felix
BerberundderCellist Alwin Seh roed er ziehen
zu anderen Wirkungsstätten. Wie ein Trost folgte
auf diesen Quartettabend ein zweiter, nicht minder
genoßreicher des Reh n er- Quartetts, dessen fein
ausgeglichenes Zusammenspiel sich an lauter
Werken von Brahma bewährte. Verbleiben uns
die Herren Ad. Rebner, W. Davisson, L. Natterer
und Job. Hegar, daneben noch etwa die Hocksche
Quartettvereinigung, so ist's mit der Kammer-
musikpfiege hier auch femer wohlbestellt. Für
dieamal flaut das Leben in den Konzertsälen
ziemlich rasch ab. Telemaque Lambrino gab
noch einen zweiten Klavierabend, auch in diesem
Falle auf die fragwürdige Gunst der Freibillett-
kunden tapfer Verzicht leistend. Doch schien
er in der Wahl seines Programms nicht ganz so
gut beraten gewesen zu sein, als vordem; an
Beethovens Waldsteinsonate reichte seine sehr
scbätztMre, ernste Kunst nicht vollkommen heran.
Hans Pfeilschmidt
GENF: Ein wahrer musikalischer Wolkenbruch
ging zu guter Letzt über unsere Konzertsäle
hernieder. Zu den hervorragendsten Veranstal-
tungen gehören die Abonnementskonzerte,
die im großen und ganzen stets prächtig ge-
lungene und höchst interessante Abende bildeten.
Im neunten begrüßte man mit Freude Henri
Marteau, der in einer idealen Wiedergabe des
Brahmsschen Violinkonzerts und mit seiner
riesigen und unfehlbaren Technik einen großen
Erfolg erzielte. An demselben Abend gab es an
Orchestermusik: »Tod und Verklärung" von
Strauß und die »Symphonie fantastique" von
Hector Berlioz. Das zehnte, ein Beetbovenabend,
brachte außer der Egmont-Ouvertüre die neunte
Symphonie des Meisters in höchst lobens-
werter, zum Teil vortrefflicher Ausführung. Der
Dirigent, Bernhard Stavenhagen, die Solisten,
Chöre und besonders das Orchester fanden sehr
verdienten Beifall für ihre Leistungen. — Ehren-
volle Erwähnung verdienen auch die Volks-
symphonie-Konzerte des Orchesters aus
Lausanne unter Leitung von Alex. Birnbaum.
— Von den anderen Konzertgebem sind mit
Auszeichnung noch folgende zu nennen: Louis
van Laar, unter Mitwirkung von Henri
Marteau, Carlo Bonfiglio, trefflicher Violon-
cellist unseres Tbeaterorchesters, und August
Göllner, Pianist. Außer der Sonate in D-dur
op. 4 für Violine und Piano von V. Andreäe und
dem Quartett op. 17 für Piano, Violine, Bratsche
und Violoncello von Vincent d*Indy enthielt das
Programm zwei Kompositionen von Marteau:
ein Trio für Violine, Bratsche und Cello (en
forme de Suite) op. 1 1, Nr. 2, sowie eine Chaconne
für Bratsche. In diesen Stücken entfalteten die
Spieler den ganzen Reiz ihrer Vortragskunst. —
Das Genfer Streichquartett (L. Reymond,
M. Darier, W. Pahnke und Ad. Rehberg) bot
in seinem vierten und letzten Kammermusik-
Abend: Quartett op. 18, Nr. 3 und Sonate op. 12
für Piano und Violine von Beethoven, femer das
Quintett op. 39 für Piano und Streichquartett von
Hugo Kann. Sämtliche Vorträge zeichneten sich
durch sorgfältige Vorbereitung und hervorragende
Klangschönheit aus. Am Klavier: Alexander
Mottu. — In den zwei abgehaltenen «S6ancea
d'adaptations muslcales" der Herren Brunet
und Fricker kamen zum Vortrag: »Enoch
Arden* von Tennyson, Musik von R. Strauß,
•Das Hexenlied* von Wildenbruch-Schillings,
»Lenore* von Bürger, Musik von F. Liszt. —
Schließlich bildete das Konzert der Damen
Joanne Perrottet (Piano) und Debogis-Bohy
(Gesang) einen genußreichen Abend. Als Be-
gleiter war Leopold Ketten tätig.
Prof. H. Kling
JOHANNESBURG: Das Jahr 1907 zeigte ein
für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich reich-
haltiges und zum Teil auch wertvolles Konzert-
leben. An der Spitze alles Interesses stand
der jugendliche belgische Violinist Louis Del-
venne, der uns leider wieder verlassen hat.
Seinem Beispiel ist der Cellist Arthur Baroen»
sowie der Pianist de Beer gefolgt, und bald
wird auch die treffliche Pianistin Dorothy Maggs
Abschiedskonzerte geben. Dank der Anwesen-
heit obengenannter Künstler wurden dem musik-
liebenden Publikum Johannesburgs und Pre-
toriss Leistungen auf dem Gebiet der Kammer-
musik geboten, wie sie auch nur annähernd
für das nächste Jahr kaum wieder zu erwarten
SM.
250
DIE MUSIK VII. 16.
m
sein durften. In streng klassischem Stile ge-
balten waren die »Balcony Cbamber Concerts*,
die — secbs an derZabl — stets vor ausverkaaftem
Hause stattfanden und dem genialen Delvenne
eine Reibe wohlverdienter Ehrungen einbrachten.
— Viel Anklang fanden auch die populären
Orchesterabende unter Mr. Hyde's Leitung,
die in der Winterszeit allsonntäglich ein zahl-
reiches Publikum aller Gesellscbafcsklassen an-
lockten. Dorothy Maggs' kraftvolle Wiedergabe
des Klavierkonzerts von Tschaikowsky behauptete
bei diesen Veranstaltungen stets die größte An-
ziehungskraft. Unter Mr. Hyde's Leitung wurde
auch das «Stabat mater* von Rossini ganz vor-
zfiglich aufgeführt; leider entsprach der finan-
zielle Erfolg nicht dem kiinstlerischen ; dessen-
ungeachtet ist jetzt der »Elias* in Vorbereitung.
— Die »Musical Society" hat eine entschie-
dene Hebung des Geschmackes in der Auswahl
der Programme zu verzeichnen; hauptsichlich
wurde Brahma kultiviert. Wir hörten neben
vielen Brabmsschen Liedern Vokalquartette, das
Homtrio, eine Violinsonate u. a. m. — Mark
Hambourg erfreute uns im vergangenen Jahre
wieder mit seinem Besuch. Trotzdem er sich
bei seiner ersten Tour große Sympathieen in
Transvaal erobert hatte, fand er bei seinem
Wiederkommen nur in fohannesburg volle
Häuser, was durchaus nicht etwa einem Mangel
an Interesse für den hier so beliebten Kunstler
zuzuschreiben ist, sondern einzig und allein der
tiefbedrängten Lage des unglQcklichen Landes.
— Auf den Minen wird auch ganz eifrig musi-
ziert, ebenso in den kleineren Vorstädten, doch
stehen die Programme dieser Art Konzerte so
unter dem Niveau aller künstlerischen An-
sprüche, daß sie nicht der Erwähnung wert sind
M. von Trutzschier
KÖLN: Zum Besten des Witwen- und Waisen-
fonds des städtischen Orchesters wurde am
31. März ein besonderes Konzert im GQrzenicb
veranstaltet, das nach Maßgabe der Praxis
unseres Publikums leider keinen so starken
Zuspruch aufwies, wie angesichts des Zweckes
zu wünschen gewesen wäre. Unter Fritz Stein -
bachs Leitung brachte der Abend zunächst die
Freischütz • Ouvertüre. Dann spielte Emile
Sauret das wenig ansprechende, aber als Auf
gäbe bedeutsame Dvoräk'sche Violinkonzert
a-moll mit allbekannter souveräner Technik,
absr nicht immer schönem Tone und für mein
Empfinden etwas indifferent. Später hörte man
unter günstigeren Eindrücken von dem Künstler
das Rondo capriccioso von Saint- Saens. Mit
Liedern von Brahma und Strauß, denen sie
viel Reiz der Stimmgebung und überaus feinen
Vortrag im ganzen angedeiben ließ, erzielte
Elena Gerhardt um so herzhafteren Erfolg,
als sie von Steinbach am klangesdufcigen Ibach
aufs verständnisinnigste begleitet wurde. Außer-
ordentlich hoch gingen dann die Wogen des
Beifalls, als Steinbach mit seinem schon bei
Webers Ouvertüre trefflich sich haltenden Or-
chester Beethovens »Schlacht bei Vittoria* aufs
glänzendste interpretierte. — In der Musi-
kalischen Gesellschaft interessierte die
Mannheimer Pianistin Hedwig Kirsch, nach-
dem sie für das B-dur Konzert von Goetz, ohne
sonderlichen Eindruck zu erreichen, ein schönes
Können aufgewendet hatte, sehr stark durch den
mMSSo
fein empfundenen und Im guten Sinoo Tlrtnos
ausgestalteten Vortrag kleinerer Stficko von
Schubert, Brahms und Moszkowtky. Eine nicht
alltägliche Darbietung fand viel Anklang, Indem
die Flötenspielerin Erika v. Klösterieln ein
Flötenkonzert von Toulon, eine Etüde von Till«
metz und Mozarts Andante mit weit vorge-
schrittener Technik und guter Stllanpawung
zum Vortrag brachte. Beim letzten Abend der
Geaell Schaft setzte sich der Pariser Geiger Joseph
Debroux, den Steinbach mit dem Orcbester
prächtig begleitete, durch die ansgezeicbnete
An, in der er Bach und Bruch spielte, in beben
Respekt. Nicht wenig trug taierxa Debrou*
ideale Gepfiogenheit bei, den Vertreter der
Komponisten, also den Musiker, Aber den Vir-
tuosen zu stellen. — Der Reigen berufener
Konzertveranstalter mit eigenen Abenden bat
anscheinend für den Rest der Saison ansgeeetzt
Mit mehr Selbstvertranen als Berecbtigniif ▼e^
suchte inzwischen im Hotel Discb eine taleiige
Sangesbefiissene, Emiiie Wocke-Dowerk, als
alleinige Auaübcnde auf Konzertdauer die an-
gesammelten Hörer mit ihrem Lledergetäog za
interessieren. Daa war keck, denn aaller riner
ziemlich kräftigen Stimme bracbte die DaoM
nur Dilettantiamua in dön Konzercsaal nlt
Pnnl HIHer
KOPENHAGEN: In den letzten Wochen baben
wieder einmal die Dänen sowohl qmntftariv
wie qualitativ aicb in unaeren KoBzensilea be-
hauptet. Von Fremden aind in ereter Linie zi
nennen Sandra Droucker und dann die
.Holländer«: daa Holländisch o Trio und
Tilly Koenen — das erste konsertlene nrit
schönem künstlerischen Erfolg (pekunllr webl
weniger), Frl. Koenen gefiel in drei Konzerten
sehr, obschon gewisse Grenzen ihres Teienls
Im Vortrag und in der Textbebandlnng nichi
unbemerkt geblieben aind. — Herr' Sebloler
und ein junger, neu auftauchender Dirigent
PederGram bewährten aicb als gute Orcbetle^
leiter. — Der »dänische Konzertrerein* (Dirigent
Victor B e n d i X) brachte wieder nur aOingeborene^
Werke, eine gehamiachte Ouvertfire von Lnd^
Nielsen, nette Lieder mit Orchester Von N 7 rep
(Erstlingswerke) und eine Symphonie (mehr
dem Namen nach) von Auguat Ennn. — Die
Joach im A n d e r 8 e n sehen „Palaiakonzerte* batian
wertvolle Programme : ein »ruaaiacbei't ^^ »m*^
disches*, ein drittes mit dem Namen Bembard
Seklea, zum erstenmal in Kopenhagen (Serenade
op. 14), und ein viertea mit Berlioi* .Harold-
Symphonie" (F. Henriquea als Sollst). Weiler
konzertierten erfolgreich der VIoliflTirtnose
Thornberg, Frl. Breuning-Storm mit Fran
Bendix zusammen u. a. m.
WilL Bebrend
LEIPZIG: Die Saison fiaut ab; atiller wird es
und immer stiller, und manebea von den^
was sich noch vernehmen läfit, wire beeeer wohl
auch still geblieben, so der Komponist Robert
Hermann, der mit dem Windemtein-Orcbeeter
eine ganz unleidliche, aclbstertiftelte b-owll
Symphonie vorführte» — ao die KltTlerepielerin
Anna von Gabain, die aicb vom BIntt weg In
recht unschöner, vielfiacb mifigrtiriielier Weise
an größeren Werken der Romandker Yemtad^ilSb
— so daa allcrdinga tadellos dnettterende sMr
fiügeligc Pärchen Hans Hermnnne nad Maile
i
251
KRITIK: KONZERT
Hermanns-Stibbe, das diesmal außer den
scbön vorgefubrten Andante und Variationen
Yon Scbumann und dem oberfiicblicber beban-
deltcn C-dur Konzert von Bach nur Kleinkunst
▼on Scbolf, Kronke und Schutt darzubieten
hatte, — so T6I6maque Lambrino, der sein
▼ollerer Ausreife bedürftiges schönes Talent
achon an zwei voran fgegangenen Klavierabenden
▼ordemonstriert hatte, — so der dilettantisch
singende Baritonist Sidney Williamson, und
so schließlich wohl auch das nicht wesentlich Gber
den Hausbedarf hinausreichende Sängerinnen-
paar Magda L. Lumnitzer, Marie Fuchs und
die beiden mehr auf Schreien als auf Singen
trainierten Konzertantinnen Ella Thies-Lach-
mann und Toni Heinemann. Als tfichtigen, mit
einiger Steifigkeit des rechten Handgelenkes,
aber reicbentwickelter Technik der linken Hand
schon ziemlich schwunghaft spielenden Geiger
leroie man in dem Hermanns h*moll Symphonie
umrahmenden Extra-Symphonie-Konzerte den
jungen Siegmund Schwarzensteio kennen.
Beglfickende Vollkommenheit und entzückende
Schönheit spendete Wilhelm Backhaus an
seinem von Richard Stratiß geleiteten zweiten
Koozertabende mit dem Vortrage von Bach-
Bttsonis d-moll Konzerr, Beethovens G-dur
Konzert, mehreren Solostfickeo von Chopin
und der Burleske von Strauß, und lebhafterem
Intercsae begegnete rechtens auch Alice Ripper,
die diesmal nicht nur mir kraft* und temperament-
vollen Virtuosititsleistungen, sondern auch mit
einer gut großkunstlerischen Wiedergabe der
Beethovenschen Waldstein-Sonate hervortrsr.
Felix von Kraus und Adrienne von Kraos-
Osboroe, die vor ihrer Übersiedelung nach
Mfinchen hier noch einen Abschiedsliederabend
veranatalreten und dabei neben öfters schon
vorgefiihrten Gesingen von Schubert und Brahma
alle aecha geistlichen Lieder von Beethoven,
mehrere durch Haydn mit Begleitung von
Bratache, Violoncello und Klavier ausgestattete
schottische Volkslieder und einige von Hugo
Wolfs «Goethe-Liedern sus dem Buch ,Suleika'
dea weatöstlichen Divans* zum Vortrag brachten,
hatten sich eines gsnz vollen Saales und einer
sehr stimmungsvollen Aufnahme zu erfreuen.
— Die zyklischen Orchesterkonzerte der Saison
Amden ihren Abschluß mit dem zwölften
Philharmonischen Konzert, in dem Hans
Winderatein seinem stetig angewachsenen
Publikum mit sehr wohlvorbereiteten Reproduk-
tionen von Beethovens siebenter Symphonie,
Liszts »Tasso, lamento e trionfo" und Wagners
Tannhiuser-Ouvertfire aufwartete, und Jacques
Urlus, an Stelle der erkrankten Marie Brema
soliaiisch mitwirkend, die Zubörerschsft mit dem
Vortrage von Wagner- Fragmenten und Liedern
(besonders schön Jensens »Murmelndes Luft-
chen*) erfreute. — Ein »literarisch-musika-
liacher Autorenabend zum Besten der
Richard Wagner-Stipendienstiftung zu Bayreuth*,
an dem Franz Adam Beyerlein eine neuere
Problem-Novelle vorlas, Max Reger unter treff-
licher Assistenz des Konzertmeisters Edgar
Wollgandt und dea jungen Pianisten Paul
Ar OD aeine »Suite im alten Styl" op. 03 und
seine zweildavierigen »Variationen und Fuge
ftber ein Thema van Beethoven" op. 86 zum
Vortrag brachte, und Gustav Herrmann
mß
stimmungsreich-sprachschöne Gedichte rezitierte,
hat für die sich in dankenswerter Weise um
die Mehrung des Bayreuther Fonds mfihenden
Autorei) einen sehr ehrenvollen, für dss in
GleichgQltfgkeit ferngebliebene größere Publikum
aber einen recht unehrenvollenVerlauf genommen.
Lebhafteres Interesse bezeugte die Leipziger Ge-
sellschaft wenige Tage spiter gegenfiber einer
Matinee, in der etwa fünfzehn von Elisabeth
Duncan geleitete jugendliche Schülerinnen der
Isadora Duncan -Tanzschule in Berlin-
Grunewald allerhand sinnig-anmutvolle Reigen
und Tanzszenen vorführten und dabei mit der
bereits ksum mehr einstudiert, sondern gleichsam
ganz natürlich wirkenden vollkommenen Schön-
heit allerSchritte und Körperbewegungen wunder-
bare Entwickelungamöglichkeiten für die Ballet-
kunst erahnen machten. Arthur Smolian
LONDON: Die Konzertflut hat eingesetzt,
nsmentlich in den kleineren fashionablen
Sälen, in denen es von Debütanten und Debü-
tantinnen wimmelt. Etwas Hervorrsgendes hat
aber die Hochflut bisher nicht mit sich ge-
bracht, und der Erwähnung wert ist nur die
Queens Hall, wo das Queens Hall-Orcheater,
von der Leeda Choral Union unterstützt,
unter anderem auch Bachs »Magniflcat* unter
Leitung Dr. Co ward's und Beethovens »Neunte*
zur Aufführung brachte. Von Interesse ist es
aber, daß die für den 19. Mirz in Auasicht ge-
nommene Aufführung der Musik zu »Salome*
abgesagt werden mußte. Die Genoaaenschsft
deutscher Tonsetzer hat nämlich etwaa spät am
Tage ausgefunden, dsßdaa Queens Hall-Orchester
und auch andere Orchester Kompositionen zur
Aufführung bringen, ohne die Einwilligung der
Genossenschsft eingeholt zu hsben, und ohne
Tantiemen zu zahlen. Es sind infolgedessen
bis auf weiterea Koni Positionen von Strauß,
Tschaikowsky, Smeiana usw. vom Progrsmm
abgesetzt worden. Dss Queens Hsll- Orchester
behauptet allerdings, das Aufführungsrecht, von
»Salome* abgesehen, von der Londoner Firma
Schott erworben zu haben. Die Sache Ist aber
strittig, und vorläuflg bleibt die ganze Sache in
der Schwebe. a. r.
LUZERN: DiO' unter Leitung des städtischen
Musikdirektors Peter Faßbaender stehen-
den Gesangvereine »Liedertafel*, »Männer-
chor* und »Konsertverein* brachten in ihren
Winter konzerten u. a. zur Aufführung: Fritz
Volbachs Stimmungsbild für Männerchor und
Orchester »Am Siegfriedsbrunnen*, des jungen
Zürcher Komponisten Gustav Niedermann
Kantate für Männerchor und Orchester »Stürm*,
Hegers »Rudolf von Werdenberg*, in Urauf-
führung Faßbaenders »Alpenfernblick*, des
Gen fers Barblan »Schnitterlied*, Hugo Jüngsts
»Auf zum Fandango*; ferner Hegara Cborballade
»Die beiden Särge*, Julius Oertlings »Lenz-
erwschen*, Faßbaenders Stropbenchor »Früh-
ling*, Richard Wiesners Ode für Männerchor
und Orchester »An dss Vaterland*, Gustav
Haugs »Winzerlied*; des weitern drei Gesänge
für Frauenchor mit Begleitung von zwei Hörnern
und Klavier von Brahma, Max Bruche Szene
für Bariton, Frauenchor und Orcbeater »Frithjof
an seines Vaters Grabhügel*. — Eigene Kon-
zerte veransulteten der polnische Pianiat Raoul
V. Koczalaki und die ungariache Geigerin Stefl
\\y
252
DIE MUSIK VII. 16.
Geyer. — In den vier von Faßbaender ge-
leiteten Aboonemcntskonzerten wurden von
grdßsm Orchesterwerken aargefGbrt: Brahms'
e-nooll Symphonie, Beethovens Vierte and
Haydns G-dar op. 13, die symphonische Sxene
»PhaSton* von Saint-SaSns, „ Rhapsodie Javanaise**
von Dirk Schifer, „Valse Triste" von Jean Si-
beüus und Smetanas »Verkaufte Braut^-Ouver-
ture. Als Solisten traten In diesen Konzerten
auf: Kammersänger Ludwig Heß, Pianist Emil
Frey aus Paris, Konzerts&nger Dr. Alfred
Haßler und die Violinistin Elsie Playfair
aus Paris. — Zu Anfang der Wintersaison ver-
anstaltete der ausgezeichnete Pianist Faß-
baender 6 historische Klavierabende
und gemeinsam mit dem temperamentvollen
Genfer Geiger Robert Pollak zwei Geige-
Klavier-Sonatenabende. — Der Luzerner Kur-
saal, geöffnet vom 21. April bis zum 1. Oktober,
erhöht zur Saison 1008 die Besetzung seines
Orchesters auf 60 Musiker, Mitglieder des Or-
chesters des Scala-Theaters in Mailand. Als
erster Dirigent ist wiederum MaSstro Fumagalli
von der Mailänder Scala engagiert.
A. Schmid
]\il ANCHESTER: Die Hall^-Konzerte brach-
^^^ ten an symphonischen Werken unter an-
derem Schubert: Unvollendete, Tschaikowsky :
Patb^tique, Beethoven : Siebente und Achte,
Schumann: Rheinische, Liszt: Tasso, Strauß:
Don Juan und Zarathustra. Als Solisten wirkten
mit Irene Scharrer (Saint-Saöns g-moll), Willy
Heß (Joachim d-moll), Busoni (Beethoven
c-moll), W. Clark (Abschied und Feuerzauber)
und das Wunderkind Ernst Lengyel von Bo-
gota (Liszt e-moll). Das weltliche Oratorium
»Omar Khayyam* von Bantock, dessen Auf-
fuhrung der Komponist selbst leitete, wurde mit
Beifall aufgenommen.— Aus den Veranstaltungen
des Brodsky-Quartetts möchte ich neben
Beethoven op. 127 eine vollendete Wiedergabe
der e-moll Sonate von Bach (Brodsky und Siloti)
hervorheben. — In den Vorführungen Beethoven-
scher Klaviersonaten an vier Abenden bezeugte
Egon Petri sein phänomenales technisches
Können. — Aus den Darbietungen der Gentle-
mens Concerts erwähne ich die Vorträge der
Blackpool Glee and Madrigal Society,
die mit solchen des Pianisten Gregory alter-
nierten; ferner DvoHks »Aus der Neuen Welt**
unter Bantock und Moszkowskis E-dur Kon-
zert, das Dora Bright unter des Komponisten
Leitung spielte. — Henry Fevrier wirkte im
zweiten French Concert mit. — Ein Ereignis
bedeutet Nikischs erstes Auftreten in Man-
chester auf seiner Tournee mit dem London
Symphony Orchestra (Harrison Concerts).
Er dirigierte u. a. Leonore No. 3 und Tschai-
kowsky'« Path^tique und wurde begeistert auf-
genommen. £douard Risler erntete im gleichen
Konzert reichen Beifall mit Beethovens G-dur
Konzert. K. U. Seige
liilANNHEIM: Die beiden letzten Aka-
'^^ d e m i e e n des Hoftheaterorchesters brachten
die D-dur Symphonie von Brahms, Fragmente
aus »Romeo und Julia" von Berlioz, eine Sym-
phonie für Orgel und Orchester von Guilmant,
der selbst den Orgelpart darin, dazu auch das
Bachsche Es-dur Präludium mit Fuge als wirk-
licher Meister spielte; zum Gedächtnisse an
Wagners Todestag wurden ferner d«t aPartlhl*-
Vorspiel, die fünf Wesendonk'acheii Gedidile
und Beethovens »Nennte* mit Schlußchor auf-
geführt. Frau Preuse-Matzenaoer brachte die
Gesänge zu tiefgehender Wirkung den Chor
stellte erfolgreich der Muslkverein» Mltflleder
der Buhne vervollständigten das Soloqnartett,
und H. Kutzschbach führte aeino Trappen
zum Siege auf der ganzen Linie. — Sehr gnie
Kammermusik bot das Sevcik-Qaartett alt
Beethoven und Gricg, auch der neue Direktor
der Hochschule für Musik, Karl Zusehneldt
der mit vier der besten Bläser des Hofkheater-
orchesters }c ein Quintett für Klavier nnd Blas-
instrumente von Mozart and Beethoven vo^
trefPlich spielte. Hofopcmtinger Kromer saag
dazwischen 14 ausgewählte Lieder aua Sclinbens
«Winterreise*. K. Etctamann
MOSKAU: Ein genußreicher Abend war du
fünfte Konzert der Philharmoniker:
Sergei Rachmaninow trat als DIrisenC aelner
e-moll Symphonie und Sollst scinea iweltca
Klavierkonzerts auf, und Fran Ncaehdanowa
erfreute mit ihrer Gesangskanst. In viertea
war A. Brandukowals Dirigent anbefriedigend;
Pablo Casals spendete herrliche Cellovorträfe
(Konzert von E. Moor und Elegie von Fanrl)
Koreschtschenko spielte Taehalkowskfs
zweites Klavierkonzert sehr gediegen. — Vo^
fGhrungen der Kai serlich RuasIschenMnsik-
gesellschaft. Am 8. Februar hatte eine glaas-
volle Jubiläumsfeier der f&nfundzwanzigjlhrigen
schöpferischen Tätigkeit von Ippolltow-lwanow
stattgefunden, der nur Werke von aich vorf&hrte.
Franz Kayadesus leitete das siebente Konierl^
in dem er sehr lärmende Tondichtungen der ff^aaid-
sischen Schule zur Auff&hmng brachte. Oskar
Nedbal erwies sich als anfeuernder, eneiilscher
Orchesterinterpret Im neunten Konzert^ in dem
die erste Symphonie op. 13 von dem |ongen
Tondichter Wladimir Metzl ihre UraaflQiinia|
erlebte. Als Solist spielte an diesen Abend
Leopold Godowsky, der noch awei Klavier-
abende veranstaltete, die große Zofknift aas-
Gbten. — Die historischen Symphonie-
konzerte brachten Im fQnfken Berlloi, Wagner
und Liszt, Im sechsten Glinka. Bofodia,
Moussorgsky, Kalinnikow und gewinnen an Be-
deutung durch die Tatkraft S. Engeln ala Vo^
tragskfinstlers nnd infolge der Gesehiddieb-
keit Sachnowsky's und Wassllenko's als
Orchesterleitcr. — Die Kammermnaik biibt
auf in unserer Stadt. Die Künstlervereinignng der
Herren Golden welser;Kreln, Ehr lieb beten
eine zweite Serie von Vorffibrangcn ; die Kaiaerlieb
Russische Musikgesellschafk eine nene Qnaneil-
vereinigung von jungen Künstlern: G. Dalew»
J. Paulsen, W. Bakalelnlkow» D. SIease^
mann, die schon zu kQnstlerlscbem Zaaanmen-
"spielen gelangt sind. Das Quartett der Pbil-
harmoniker fuhrt sein Programm so Ende.
— Sehr erfreulich waren die Sonatenabende
(Klavier, Violine) von M. Meltsehik nnd
B. Sibor und M. Pauer und L. Aner. —
G. Swirsky, Pianist, Schüler von Didmer» gab
zwei Klavierabende. — S. Taneiew fStarta den
Klavierpart in seinem neueratandenen Trio ana^daa
seine Erstaufführung im Kontert dea beflUibm
Geigers K. Saradsetaew erftahfi — Dfil
Symphonieen erlebten in der kanen
j
m
253
KRITIK: KONZERT
Zeit Yon drei Wochen ibre Erstaufführung
io Mosksa: die Symphonie in e-nooll op. 46 von
M. M» Ippolitow-Iwanow, die er in seinem
Jubiliumskonzerte selbst leitete; von nationalem
Kolorit mit lyrischen Episoden und schimmern-
den Farben im Scherzo, ein Werk von an-
mutiger Wirkung. Dann die Symphonie in e-moll
op. 27 von Sergei Rachmaninow, ein selten
schönes Werk voll Groft&gigkeit und außer-
ordentlichem musikalischen Wert. Drittens die
Symphonie in cis-moll op. 13 von Wladimir
Metzl. Das Werk ist in modernem Stil ge-
schrieben; zwei Hauptthemen ziehen sich durch
die drei Sitze, in denen dramatisches Leben
waltet. Der junge Tondichter verfQgt in reichem
Maße über Ausdrucksmittel in der StimmfQhrung,
Harmonik und Orchestration und schafft neue
Farben und Klangwiikungen.
E. von Tideböhl
Ail ONCHEN: Der Pendel schwingt langsam
^^^ aus, die ewig sich drehende Konzertuhr
steht sllmihlich still. Einer musikalischen Tat
ist vor allem aus letzter Zeit zu gedeuken: der
AuffQhning von Beethovens »Missa solemnis*
durch den überaus starken Chor des Lehrer-
f esangverelns (vereinigt mit dem Lehrerin-
neo-Singchor) und die Musikalische Aka-
demie, unter Leitung von Fritz Cortolezis.
Herr Cortolezis brachte, unterstützt durch vor-
zügliche Chor- und Solistenleistungen (Solisten
die Damen Bosetti und Preuse-Matzenauer,
die Herren Loritz und Bender) eine Auf-
führung von ganz hervorragender Vollendung
zustande, die all den überwiltigenden Schön-
heiten der Partitur vollauf gerecht wurde. —
Großen und berechtigten Erfolg ersang sich
wieder Ludwig Heß (Tenor), dessen feinsinnige
und durchgeistigte Vortragskunst einen Goethe-
Schubert- Abend ungemein genußreich gestaltete.
Sehr interessant war auch ein Abend von
Antoo Schlosser, der eine Reihe jüngerer
Liederkomponisten zu Wort kommen ließ; unter
ilüien ragte am meisten Otto Vrieslander mit
originellen und frischen Stücken hervor; nicht
ohne ausgesprochene Physiognomie sind die
Lieder von H. Kaspar Schmid. — Der letzten
Konzerte der Münchener und der Böhmen
sei gebührend Erwihnung getan mit dem auf-
richtigen Bedauern, daß es eben die letzten
waren; die Frankfurter Rebner-Vereinigung
prisentierte sich bei ihrem zweiten Kommen
weit besser wie das erstemal und exzellierte
vor allem in Debnssy's eigenartigem g-moll
Quartett. Dr. Eduard Wahl
PHILADELPHIA: Unser durch den Heimgang
des unvergeßlichen Fritz Scheel verwaistes
Symphonieorchester hat in Carl Pohlig aus
Stuttgart einen neuen Dirigenten erhalten. Seine
Angabe ist natürlich eine andere, als die seines
Vorgiogers gewesen war. Fritz Scheel mußte hier
erst ans einem Nichts ein Orchester schaffen, er
mußte erst das hiesige Publikum zur klassischen
Musik heranziehen. Es hat fürwahr viele Mühe
gekoatet. Pohlig trat an ein fertiges Instrument
heran, an ein Orchester, das zwar noch manche
Mingel aufweist, immerhin jedoch zu den besten
io den Vereinigten Staaten gezählt werden muß.
Der neue Dirigent hat auch ein Publikum für
diese klassischen Konzerte vorgefunden. Bei
der Gründung des Orchesters fiel es schwer,
zwölf Konzerte einigermaßen zu füllen. Jetzt
werden 44 in der Saison veranstaltet, und der
große Saal der Academy, unser Opernsaal, der
3000 Menschen faßt, ist immer voll, häufig aus-
verkauft. Man muß es Pohlig hoch anrechnen,
daß es ihm durch seine geschmeidige Haltung
und seine weltmännischen Manieren gelungen
ist, das Interesse jener Kreise, die den finanziellen
Bestand des Orchesters verbürgen, an dieses
und an seine Person zu fesseln und anderseits
durch musilcaliscb interessante Vorführungen
das Stammpublikum den Konzerten zu erhalten
und zu vergrößern. Pohlig ist zweifelsohne
ein tüchtiger Dirigent. Er ist allerdings kein
»schöner* Dirigent. Er ist viel zu lebhaft, in
seinen Hände und Arme, Kopf und Oberkörper
in Tätigkeit setzenden Bewegungen. Die Ge-
messenheit Weingartners besitzt er nicht, die
olympische Ruhe Mahlers fehlt ihm. Allein er
besitzt ein starkes rhythmisches Gefühl, eine
unleugbare Gewalt über das Orchester und ver-
liert nur selten über den Einzelheiten das
Ganze aus den Augen Pohlig erwies sich als
durchaus gebildeter Musiker, der seine Pro-
gramme zusammenzustellen versteht und nicht
bloß dem Siile seiner Zeit, sondern auch dem
vergangener Zeiten gerecht zu werden weiß.
Die ursprüngliche Befürchtung, daß er ala
Lisztschüler hier den Werken Liszts einen un-
gebührlichen Anteil in den Konzertprogrammen
einräumen werde, hat sich glücklicherweise nicht
erfüllt. Liszts Musik ist, was immer man auch
über sie denken mag, für ein musikalisch noch
unentwickeltes Volk eine gefährliche Gabe Man
denke nur an die Jungrussen. Immerhin er-
scheint uns Pohlig als Interpret moderner Musik
bedeutender, denn als Interpret der Klassiker,
wie auch seine all zu große Vorliebe für das
Herausbringen des Gegensätzlichen ihn manch-
mal auf schlimme Abwege führt. In den bis-
herigen Konzerten wurden von Symphonieen
aufgeführt: die dritte, fünfte und siebente von
Beethoven, die in g-moll von Mozart, eine in
G-dur von Haydn, die erste und vierte von
Schumann, die unvollendete von Schubert, die
pathetische von Tschalkowsky, die in D von
C6sar Franck, die phantastische von Berlioz,
die erste von Brahma und die »neue Welt* von
Dvorak. Neu waren hier eine Symphonie von
Balakirew, ein blut- und gedankenarmes Werk,
der »Don Juan* von Richard Strauß, der aus-
nehmend gefiel, und Regers Variationen und
Fuge über ein heiterea' Thema von Hiller. Das
letztere Werk vermochte hier nicht durchzu-
dringen. Es ist geistreiche Musik und zeugt
von großem Können. Allein die Variationen
sind gruppenweise im Stimmungsgehalt zu ähn-
lich und entfernen sich oft zu weit vom Thema,
um einen restlos erfreulichen Eindruck zu
hinterlassen. Daß auch die fünfte Symphonie
von Brückner, die Pohlig hier zum ersten
Male herausbrachte, äußerst kühl aufgenommen
wurde, darf nicht wundernehmen. Wir sind
hier eben um gute 20 Jahre hinter Europa zu-
rück. Leider hat sich Pohlig auch veranlaßt
gesehen, sein eigenes symphonisches Poem
unter dem hochtrabenden Titel „Per aspera ad
astra* hier aufzuführen. Es ist ja begreiflich,
daß die Herren Dirigenten von Beruf für ihre
Kompositionen eine gewisse Vorliebe emplfden.
.^y
252
DIE MUSIK VII. 16.
Geyer. — In den vier von Faßbaender ge-
leiteten Abonnementskonzerten wurden von
großem Orchesterwerlcen aufgeführt: Brahnos'
e-moll Symphonie, Beethovens Vierte und
Haydns G-dur op. 13, die symphonische Szene
»PhaSton* von Saint-SaSns, „Rhapsodie Javanaise**
von Dirk Schäfer, „Valse Triste* von Jean Si-
beüus und Smetanas »Verkaufte Braut*-Ouver-
ture. Als Solisten traten in diesen Konzerten
auf: Kammersinger Ludwig Heß, Pianist Emil
Frey aus Paris, Konzertsänger Dr. Alfred
Haßler und die Violinistin Elsie Playfair
aus Paris. — Zu Anfang der Wintersaison ver-
anstaltete der ausgezeichnete Pianist Faß-
baender 6 historische Klavierabende
und gemeinsam mit dem temperamentvollen
Genfer Geiger Robert PoIIak zwei Geige-
Klavier-Sonatenabende. — Der Luzerner Kur-
saal, geöffuet vom 21. April bis zum 1. Oktober,
erhöht zur Saison 1008 die Besetzung seines
Orchesters auf 60 Musiker, Mitglieder des Or-
chesters des Scala-Theaters in Mailand. Als
erster Dirigent ist wiederum MaSstro Fumagalli
von der Mailänder Scala engagiert.
A. Schmid
]\/IANCHESTER:DieHall6-Konzertebrach-
^^^ ten an symphonischen Werken unter an-
derem Schubert: Unvollendete, Tschaikowsky:
Patb^tique, Beethoven : Siebente und Achte,
Schumann: Rheinische, Liszt: Tasso, Strauß:
Don Juan und Zarathustra. Als Solisten wirkten
mit Irene Scharrer (Saint-SaSns g-moll), Willy
Heß (Joachim d-moll), Busoni (Beethoven
c-moll), W. Clark (Abschied und Feuerzauber)
und das Wunderkind Ernst Lengyel von Bo-
gota (Liszt e-moll). Das weltliche Oratorium
„Omar Khayyam* von Bantock, dessen Auf-
führung der Komponist selbst leitete, wurde mit
Beifall aufgenommen. — Aus den Veranstaltungen
des Brodsky-Quartetts möchte ich neben
Beethoven op. 127 eine vollendete Wiedergabe
der e-moll Sonate von Bach (Brodsky und Siloti)
hervorheben. — In den Vorführungen Beethoven-
scher Klaviersonaten an vier Abenden bezeugte
Egon Petri sein phänomenales technisches
Können. — Aus den Darbietungen der Gentle-
mens Concerts erwähne ich die Vorträge der
Blackpool Glee and Madrigal Society,
die mit solchen des Pianisten Gregory alter-
nierten; femer Dvoräks „Aus der Neuen Welt**
unter Bantock und Moszkowskis E-dur Kon-
zert, das Dora Bright unter des Komponisten
Leitung spielte. — Henry Fevrier wirkte im
zweiten French Concert mit. — Ein Ereignis
bedeutet Nikischs erstes Auftreten in Man-
chester auf seiner Tournee mit dem London
Symphony Orchestra (Harrison Concerts).
Er dirigierte u. a. Leonore No. 3 und Tschai-
kowsky's Path^tique und wurde begeistert auf-
genommen. £douard Rlsler erntete im gleichen
Konzert reichen Beifall mit Beethovens G-dur
Konzert. K. U. Seige
MANNHEIM: Die beiden letzten Aka-
demie e n des Hoftheaterorchesters brachten
die D-dur Symphonie von Brahms, Fragmente
aus «Romeo und Julia* von Berlioz, eine Sym-
phonie für Orgel und Orchester vonGuilmant,
der selbst den Orgelpart darin, dazu auch das
Bachsche Es-dur Präludium mit Fuge als wirk-
licher Meister spielte; zum Gedächtnisse an
Wagners Todestag wurden ferner das aPanlfal*-
Vorspicl, die fünf Wescndonk'schen Gedidite
und Beethovens i^Neunte* mit SctaluDchor anf-
geführt. Frau Preuse-Matzentner brachte die
Gesänge zu tiefgehender Wirkung, den Chor
stellte erfolgreich der Musikverein, Mitglieder
der Bühne vervollständigten das Soloqaartelt,
und H. Kutzschbach rabrte aeine Tmppen
zum Siege auf der ganzen Linie. — Sehr pito
Kammermusik bot das Sevcik-Qnartott mit
Beethoven und Grieg, auch der neue Direktor
der Hochschule für Musik, Karl Zu schneid,
der mit vier der besten Bläser des Hofkheater-
Orchesters }e ein Quintett ffir Klavier and Blas-
instrumente von Mozart and Beethoven vor-
trefflich spielte. Hofopemsänger Kromer aang
dazwischen 14 ausgewählte Lieder aua SchalMrts
«Winterreise*. K. Esehmann
MOSKAU: Ein genußreicher Abend war das
fünfte Konzert der Philharmoniker:
Sergei Rachmaninow trat als Dirigent aeiner
e-moll Symphonie und Solist seinen zweiten
Klavierkonzerts auf, und Frau Nescbdanowa
erfreute mit ihrer Gessngskunst. Im vierten
war A. Brandukowals Dirigent unbefriedigend;
Pablo Casals spendete herrliche Cellovorträge
(Konzert von E. Moor und Elegie von Paur&)
Koreschtschenko spielte Tscbaikowaky's
zweites Klavierkonzert sehr gediegen. — Vor-
führungen der Kai sc rl ich Ru ssiseben Masik-
gesellschaft. Am 8. Februar hatte eine glans-
volle Jubiläumsfeier der funfundzwanzig}lbrigett
schöpferischen Tätigkeltvonippolitow-Iwanow
stattgefunden, der nur Werke von sieb vorfSbrte.
Franz Kayadesus leitete das siebente Konzei^
in dem er sehr lärmende Tondichtungen derfranid-
sischen Schule zur Aufführung brachte. Oskar
Nedbal erwies sich als anfeuernder» eneiilscber
Orchesterinterpret im nennten Konzert^ in dem
die erste Symphonie op. 13 von dem JlUgvi
Tondichter Wladimir Metzl ihre UraafflQbmng
erlebte. Als Solist spielte an diesem Abend
Leopold Godowsky, der noch zwei Klavier-
abende veranstaltete, die große Znglcmfl ans-
übten. — Die historischen Sympfaonle-
konzerte brachten im fünften Berlioi, Wagner
und Liszt, im sechsten Glinka. Borodia«
Moussorgsky, Kalinnikow und gewinnen an B^
deutung durch die Tatkraft S. Engeln ala Vor-
tragskünstlers und infolge der Gescbid^lich«
keit Sachnowsky's und Waasilenko's als
Orchesterleiter. — Die Kammermnaik Uibt
auf in unserer Stadt. Die Künstlervereinigang der
Herren Goldenweiser;K rein, EbrIicbbolcn
eine zweite Serie von Vorführungen ; die Kaiaeriieh
Russische Musikgesellscbaft eine neue Qaartef^
Vereinigung von jungen Künstlern: G. Dnlow»
J. Paulsen, W. Bakaleinikow, D. Siesser-
mann, die schon zu künstlerischem Zaaanaen«
"spielen gelangt sind. Das Quartett der Pbll-
harmoniker führt sein Programm in Ende.
— Sehr erfreulich waren die Sonatenabende
(Klavier, Violine) von M. Meitscblk and
B. Sibor und M. Pauer und L. Aner. —
G. Swirsky, Pianist, Schüler von DIdroer» gsb
zwei Klavierabende. — - S. Tanelew ffibrts den
Klavierpart in seinem neueratandenen Trio aUydaa
seine Erstaufführung im Konzert dea beUbm
Geigera K. Saradscbew erftifar. — Diil
Symphonieen erlebten in der knnen
1
m
253
KRITIK: KONZERT
JM
Zeit von drei Wochen ihre Erstaufführung
in MosImu: die Symphonie in e-moU op. 46 von
M. M* Ippolitow-lwanow, die er in seinem
Jübiliamskonzerte selbst leitete; von nationalem
Kolorit mit lyrischen Episoden und schimmern-
den Farben im Scherzo, ein Werk von an-
matiger Wirkung. Dann die Symphonie in e-moll
op. 27 von Sergei Rachmaninow, ein selten
schönes Werk voll GroftQgigkeit und außer-
ordentlichem musikalischen Wert. Drittens die
Symphonie in cis-moll op. 13 von Wladimir
Metz]. Das Werk ist in modernem Stil ge-
schrieben; zwei Hauptthemen ziehen sich durch
die drei Sitze, in denen dramatisches Leben
waltet. Der junge Tondichter verfQgt in reichem
Maße über Ausdrucksmittel in der StimmfQhrung,
Harmonik und Orchestration und scbalfi neue
Farben und Klangwiikungen.
E. von Tideböhl
Ail ONCHEN: Der Pendel schwingt langsam
^^^ aus, die ewig sich drehende Konzertuhr
steht allmihlich still. Einer musikalischen Tat
Ist vor allem aus letzter Zeit zu gedeuken: der
AufyQbmng von Beethovens ,Missa solemnis*
dttrcb den Qberaus starken Chor des Lehrer-
f esangvereins (vereinigt mit dem Lehrerin-
nen-Singchor) und die Musikalische Aka-
demie, unter Leitung von Fritz Corte lezis.
Herr Cortolezis brachte, unterstützt durch vor-
z&gliche Chor- und Solistenleistungen (Solisten
die Damen Bosetti und Preuse-Matzenauer,
die Herren Loritz und Bender) eine Auf-
f&hrung von ganz hervorragender Vollendung
zustande, die all den Qberwiltigenden Schön-
heiten der Panitur vollauf gerecht wurde. —
Großen und berechtigten Erfolg ersang sich
wieder Ludwig Heß (Tenor), dessen feinsinnige
und durchgeistigte Vortragskunst einen Goethe-
Sctaabert- Abend ungemein genußreich gestaltete.
Sehr interessant war auch ein Abend von
Anton Schlosser^ der eine Reihe jüngerer
Liederkomponisten zu Wort kommen ließ; unter
ihnen ragte am meisten Otto Vrieslander mit
originellen und frischen Stücken hervor; nicht
ohne ausgesprochene Physiognomie sind die
Lieder von H. Kaspar Schmid. — Der letzten
Konzerte der Münchener und der Böhmen
sei gebührend Erwihnung getan mit dem auf-
richtigen Bedauern, daß es eben die letzten
waren; die Frankfurter Rebner-Vereinigung
prisenticrte sich bei ihrem zweiten Kommen
weit besser wie das erstemal und exzellierte
vor allem in Debussy's eigenartigem g-moll
Quartett. Dr. Eduard Wahl
PHILADELPHIA: Unser durch den Heimgang
des unvergeßlichen Fritz Scheel verwaistes
Symphonieorcbester hat in Carl Pohlig aus
Stattgart einen neuen Dirigenten erhalten. Seine
Aufgabe ist natürlich eine andere, als die seines
Vorgiogers gewesen war. Fritz Scheel mußte hier
erst aas einem Nichts ein Orchester schaffen, er
mußte erst das hiesige Publikum zur klassischen
Musik heranziehen. Es hat fürwahr viele Mühe
gekostet. Pohlig trat an ein fertiges Instrument
heran, an ein Orchester, das zwar noch manche
Mingel aufweist, immerhin jedoch zu den besten
in den Vereinigten Staaten gezihit werden muß.
Der neue Dirigent hat aoch ein Publikum für
diese klassischen Konzerte vorgefunden. Bei
der Gründung des Orchesters fiel es schwer.
zwölf Konzerte einigermaßen zu füllen. Jetzt
werden 44 in der Saison veranstaltet, und der
große Saal der Academy, unser Opernsaal, der
3000 Menschen faßt, ist immer voll, häufig aus-
verkauft. Man muß es Poblig hoch anrechnen,
daß es ihm durch seine geschmeidige Haltung
und seine weltmännischen Manieren gelungen
ist, das Interesse jener Kreise, die den finanziellen
Bestand des Orchesters verbürgen, an dieses
und an seine Person zu fesseln und anderseits
durch musikalisch interessante Vorführungen
das Stammpublikum den Konzerten zu erhalten
und zu vergrößern. Pohlig ist zweifelsohne
ein tüchtiger Dirigent. Er ist allerdings kein
»schöner* Dirigent. Er ist viel zu lebhaft, in
seinen Hände und Arme, Kopf und Oberkörper
in Tätigkeit setzenden Bewegungen. Die Ge-
messenheit Weingartners besitzt er nicht, die
olympische Ruhe Mablers fehlt ihm. Allel n er
besitzt ein starkes rhythmisches Gefühl, eine
unleugbare Gewalt über das Orchester und ver-
liert nur selten über den Einzelheiten das
Ganze aus den Augen Pohltg erwies sich als
durchaus gebildeter Musiker, der seine Pro-
gramme zusammenzustellen versteht und nicht
bloß dem Siile seiner Zeit, sondern auch dem
vergangener Zeiten gerecht zu werden weiß.
Die ursprüngliche Befürchtung, daß er als
Lisztschüler hier den Werken Liszts einen un-
gebührlichen Anteil in den Konzertprogrammen
einräumen werde, bat sich glücklicherweise nicht
erfüllt. Liszts Musik ist, was immer man auch
über sie denken mag, für ein musikalisch noch
unentwickeltes Volk eine gefährliche Gabe Man
denke nur an die Jungrussen. Immerhin er-
scheint uns Pohlig als Interpret moderner Musik
bedeutender, denn als Interpret der Klassiker,
wie auch seine all zu große Vorliebe für das
Herausbringen des Gegensätzlichen ihn manch-
mal auf schlimme Abwege führt. In den bis-
herigen Konzerten wurden von Symphonleen
aufgeführt: die dritte, fünfte und siebente von
Beethoven, die in g-moll von Mozart, eine in
G-dur von Haydn, die erste und vierte von
Schumann, die unvollendete von Schubert, die
pathetische von TschaikowslEy, die in D von
C6sar Franck, die phantastische von Berlioz,
die erste von Brahma und die «neue Welt* von
Dvorak. Neu waren hier eine Symphonie von
Balakirew, ein blut- und gedankenarmes Werk,
der »Don Juan" von Richard Strauß, der aus-
nehmend gefiel, und Regers Variationen und
Fuge über ein heiteres* Thema von Hiller. Das
letztere Werk vermochte hier nicht durchzu-
dringen. Es ist geistreiche Musik und zeugt
von großem Können. Allein die Variationen
sind gruppenweise im Stimmungsgehalt zu ähn-
lich und entfernen sich oft zu weit vom Thema,
um einen restlos erfreulichen Eindruck zu
hinterlassen. Daß auch die fünfte Symphonie
von Brückner, die Pohlig hier zum ersten
Male herausbrachte, äußerst kühl aufgenommen
wurde, darf nicht wundernehmen. Wir sind
hier eben um gute 20 Jahre hinter Europa zu-
rück. Leider hat sich Pohlig auch veranlaßt
gesehen, sein eigenes symphonisches Poem
unter dem hochtrabenden Titel »Per aspera ad
aatra" hier aufzuführen. Es ist ja begreiflich,
daß die Herren Dirigenten von Beruf für ihre
Kompositionen eine gewisse Vorliebe emplfden.
254 ■
DIE MUSIK VII. 16.
Glaubte doch sogar Felix Weingartoer uns in
dem einzigen Konxerte, das er hier dirigierte,
seine zweite Symphonie vorführen zu müssen.
Allein wie irmlich auch dieses Werk ist, es
steht turmhoch Qber dem Poem Pohligs, das
an Erfindung und Durchfuhrung jeder ernsten
Kritik spottet. Trotzdem fand es hier, wie in
Baltimore und Washington, wohin es Pohlig
mitnahm, Beifall. Pohlig weiß eben dem ameri-
kanischen Publikum gewaltig zu imponieren.
Die Reclame, die mit ihm hier noch vor seiner
Ankunft gemacht wurde, war selbst für ameri-
kanische Verhiltnisse stupend. Die ersten ffinf
Konzerte dirigierte er ohne Partitur, womit er
hier natürlich furchtbare Sensation erregte.
Kunststücke versteht der Amerikaner immer
mehr zu schätzen, als Kunst. In der Aus-
stellung der hiesigen Academy war sein über-
lebensgroßes Porträt zu bewundern, ein Werk
eines amerikanischen Malers. Kurz, Pohlig ist
jetzt in der Gesellschaft persona grata. Es liegt
jetzt nur an ihm, zu beweisen, daß er nicht nur
mit dem Orchester, sondern auch aus dem
Orchester etwas machen kann. Mit den Solisten
hatte das Orchester in dieser Saison nicht viel
Glück. Mit Ausnahme von Fritz Kreisler,
der das Brahmskonzert musterhaft spielte, und
Frau Gadski, die als Konzertsängerin kein
rechtes Repertoire hat, gab es lauter Klavier-
spieler, von denen noch Josef Hofmann am
besten abschnitt. Katharine Goodson führte
sich hier mit einem jammervollen Klivierkonzert
ihres Gatten, des englischen Komponisten Arthur
Hinton, sehr ungünstig ein. Ethel Altemus
spielt noch schülerhaft, Mark Hambourg wird
immer manierierter, und Wladimir de Fach-
mann anzuhören, ist auch ein mäßiger Genuß.
Die heimischen Klavierbearbeiter sind geradezu
fürchterlich. — Das Bostoner Orchester
veranstaltete hier, wie immer, eine Anzahl von
Konzerten unter Leitung von Carl Muck und
brachte als Neuheiten außer den bereits er-
wähnten Variationen von Reger noch die E-dur-
Symphonie von Hermann Bisch off, die leider
infolge ihrer Länge nicht die Aufnahme fand,
die sie wohl verdient hätte. Ober unsere
Solistenkonzerte und die Vorführungen unserer
Chorvereine schreibe ich das nächste Mal.
Dr. Martin Darkow
DRAG: Paul Ottenheimer brachte im Phil-
^ harmonischen Konzert — mit Kiefer als
Solisten am Cellopult ^ Strauß' ^^Don
Quixote* als verspätete Novität. Schade!
Strauß muß, wie alle Sensationen, frisch genossen
werden. — In Dr. Zemanek's populären Kon-
zerten (Tschechische Philharmonie) sind Regers
Hiller-Variationen ein Zugstück geworden, das
schon mehrere Wiederholungen erlebte. Hier er-
fuhr auch Brückners Sechste ihre Prager Erst-
aufführung. — Der Musikerverband gab sein
Monstrekonzert mit 200 Pulten und brachte als
Novität die Humoreske von Strauß. Herr Pick-
Mangiagalli aus Mailand spielte sie. Er hat
eine gute Technik, aber keine Individualität. —
Das Konservatoriumsorchester schwang sich zu
C6sar Franc k 's d-moU Symphonie auf. Am
Kapellmeisterpult wurde Direktor Kaan von
seinen Schülern dirigiert. — Nedbal führte das
Wiener Tonkünstler- Orchester mit Mahl er s
erster Symphonie zum Siege. Der Mut, jetzt
den als Exdirektor unzeitgemiß gewordmra
Mahler zu spielen, verdient anbedtoitie An-
erkennung. ~ Ansorge als Dichter am Klavier
hat wieder sein treues Publikam versammelt
und erhoben. — Im Dfirerbund sanf Senlns
Brahma und Wolf, daß man den Gefensati der
beiden Liedmeister vergessen konnte« — Der
junge Rudolf Wein mann erwies sieh in zwei
Sonaten von Mozart upd Tartini als ein vielver-
sprechender, echt musikalischer Geiger. Raritii!
Dr. Richard Batka
ST. PETERSBURG: Hans Hermann Wetslar
stellt jedenfalls was den Konzertsaal an-
betrifft, in der Kunst des Dirlgierena seinen
Mann. Was wir unter seiner Leitung im
siebenten Sc hroe der- Konzert zu hören be-
kamen: Mozarts Es-dur Symphonie, Liszts
«Mazeppa* und Strauß' Uebesszene ans der
«Feuersnot", sichenen ihm einen flinzenden
und einhelligen Erfolg. Leopold Godowaky
spielte hervorragend schön Beethovens viertes
Klavierkonzert und die geistreichen «Symphoni-
scben Variationen* von C. Franck. Borodin'a zweite
Symphonie, Teile aus BerlioA'^Paust'-Muaiknnd
Wagners «Faust-Ouvenfire* bildeten daa orch-
estrale Fundament des achten Schroeder-Konserts,
in dem Oskar Fried und der Geiger Joan Man da
enthusisstisch gefeiert wurden. Mit diesem
Konzert ist der Zyklus der Schroeder-Koniene
geschlossen worden. Auch In dieser Saison UtB
uns die berühmte Klavierflrma die Beksnntachafr
mehrerer Dirigenten und Solisten mschen, die
bisher nicht nach Petersburg gedrungen warei.
~ Aus dem siebenten Siloti-Konzen hob »leb
als beste orchestrale Leistung die zu Anllsng ge-
spielte. Aniar*-Symphonie von Rimsky-Koraaako«
ab. Neben Francks »Le chasaeur mandit" «od
der Ouvenüre zur Oper ^Ucr Barblor von
Bsgdad* von Cornelius (instrumentiert von LiasQ
bot das Programm noch Cellovortrige von Pabie
Casals. Das letzte Siloti- Konzert batto Raeb-
maninow zum Mitwirkenden, desaen iwohe
Symphonie in e-moll op. 27 in ihrer wirkaamen
Fassung sehr interessierte und lebhaften Boihll
erweckte. Als Solist erntete Alexander Siloti
mit dem Griegschen a-moll Konzert relcbe Ans-
zeichnungen. — Das zweite Sympbonlekoniett
des Hofopernorchesters wurde von Gustav
Kogel aus Frankfurt a. M. geleitet. Ea Torllel^
was die Ausführung der sechsten Symphonie
Tscbsikowsky*s anbetriflfry gerade nicht beaonders
anregend für die Hörer. Stflrmiacbe An-
erkennung errang an demselben Abend der ans-
gezeichnete Tenorist der Moskauer Kaiaerlichen
Oper D. S m i r n 0 w. — Unter den vielen SoHaten-
konzerten hoben sich als genußreich ab: ela
Klavierabend Josef SlivinsklU, gemelnaebaft-
licbe Konzerte Leopold Auera und Msx
Pauers,von Huberman und Richard Singer,
ein Konzert des phinomenalen Siogera Sirota,
Klavierabende von Sandra Droucker, Wanda
Landowsks, Georg Swirski, die Kammer-
musikabende des Petersburger- Streleb-
quartetts und A. Siloti' s, die Noviiltenabende
des Hoforchesters unter Wahrlichs Leltnnfi die
Symphoniekonzerte des Grafen Soheremei)ew
u. V. s. Bernhard Wendel
SCHWERIN i. M.: Hermann Mon Ich-Schwerin
ofPenbarte in einem eigenen Klavlemband
wiederum einen hohen Grad kilnatlerlacher Eni-
J
255
KRITIK: KONZERT
wlckelaog. Eine erstaunliche Seite seiner
Virtuositit bildet der nosterielle Kraftaufwand,
den er zu cntwiclceln vermag; aber das Ungestüm
wird sich kliren und dann etwas mehr Raum
schaffen für Herzenswärme. — Das fünfte Kon*
zert der Hofkapelle brachte Wagners »Faust*-
OuYertQre unter Hofkapellmeister Kaehlers
Leitung. Der Einfluß Wagners zeigte sich als-
dann bei Anton Brückners Siebenter Sym-
phonie »in breitesten Spuren*'. Es fehlte der
Qualität der Ausführung nicht an Kraft und
Energie und an jener Feinheit der Nuancierung,
wie sie durch ein detailliertes Studium ge-
wonnen werden. Jedenfalls litt niobt durch
Ihre Nachbarschaft Beethovens Es-dur Klavier-
konzert, das August Schmid-Lindner aus
MQnchen mit echter Bravour und Ausdauer
vortrug. Oberschauende Ruhe und Klarheit,
verbunden mit einem geläuterten Kunstge-
scbmack und mit Empflndung, verhalfen seinem
Spiel zu außerordentlichem Erfolg.
Fr. Sothmann
STOCKHOLM: Das dritte Symphoniekon-
zert im Königlichen Theater (Dirigent Armas
Järnefelt) bot zur Abwechslung auch einmal
ein altbekanntes deutsches Programm: Haydn,
Mozart, Schubert, Weber. — Das Orchester
Anlin's spielte uns Brückners Symphonie E-dur
vor; Solist war an diesem Abend Henri Marteau
im Beethovenkonzert. Einige Tage später sind
wir auch mit dem Komponisten Marteau be-
kannt geworden, der in einem Klarinettenquin-
tett und einem Gesangszyklus (von Eva Leß
mann interpretiert) durch technisches Können
und aristokratisches Feingefühl weit mehr im-
ponierte als durch melodische Etflndung. — Dit
Aulinsche Quartettgenossenschaft gab einen
Brahma« und einen Schumann -Abend; die
Brüsseler veranstalteten drei Beethovenlcon-
zerte. — Die zwei hiesigen Chorvereinigungen
brachten zwei größere Werke zur Aufführung:
»Fauat* von Berlioz (die Philharmonie unter
Leitung Järnefelt's) und die «Missa solemnis*
In D von Cherubini (Franz Neruda und Musik-
föreningen). — Außer Marteau gastierten die
Violiniaten Schkolnick und die kleine Vivien
Chartres, die Pianisten Dohnänyi und
Stenhammar. Ans^ar Roth
STRASSBURG: Das vierte Abonnements-
konzert war ausschließlich Liszt geweiht, der
aber mit »Hamlet*, den «Idealen* und einigen
abgequälten Liedern einen ganzen Abend über
nicht zu fesseln vermochte. Das Beste daran
war Dohnanyis Vortrag des Es-dur Konzerts.
Das fOnfke, et>enfalls unter G o rt e r (in Vertretung),
bot nebst Berlioz' steifer «Cellini^-Ouverture und
der etwas hart angefaßten .Jupitersymphonie*
den Genuß des Brahmsschen B-dur Konzerts
von Lamond's kraftvoller Hand. Im sechsten
trug Petschnikoff, weich und rhythmisch
recht locker, Tschaikowsky's mit Ausnahme des
Finales recht gehaltvolles Violinkonzert vor, dazu
einige pikante Orientszenen von H. Zilcher,
und R. Heger, der jüngste unserer Kapell-
meiater, dirigierte seine Programmsymphonie
„Hero und Leander*, geschickt gemacht, nach
Straußschem Muster mit Riesenorchester, doch
pbysiognomielos, wie fast alle Programmusik. Im
siebenten schwang Pfitzner wiederum den Stab
zu einer glänzenden Aufführung von Brahma'
Zweiter und einigen merkwürdigen Tonmalereien
von Sibclius — muaikaliaches Sauriertum.
Als Solist stellte sich Senius vor, der nur zu
sehr mit einem tonlosen Piano kokeniert, daa
er gar nicht nötig hat. — Im übrigen hörte man
Burmesters klassisches Geigenspiel (von
Schmidt-Badekow begleitet), im Tonkünsiler-
verein das gediegene Dresdener (Petri-) Quartett
mit Cherubini und Brahma, in der Kammermusik
einen gefälligen Napravnik, neben H. Wolfs
«Italienischer Serenade* und Beethovens cis-moll,
einen Karomerabend unserer trefflichen Solo-
Mäser mit Pfitzner ~ Beethoven-Quintett und
ein melodisches dito von Verbey (einem Hol-
länder) — , sodann N e i t z e 1 als Conferencier, über
den «Humor in der Musik* recht wenig er-
schöpfend plaudernd. Der Konservatoriumschor
bewies seinen gegenwärtigen Stand durch Handele
«Alexanderfeat*. Frau Rückbeil-Hiller
vermag auch nur noch mit den beaux restes
ihrer einstigen Höhe aufzuwarten. Frl. Schön-
holtz von hier ist eine vielversprechende Altistin,
nur noch ohne Gefühl, Herr Gastone ein stimm-
kräfiiger Bassist, des Schleifsteins noch be-
dürftig. Frau Mahlendorff und H. Corvinus
Dewiesen wieder einmal, daß Opern- und Konzert-
gesang zweierlei sind. — Der Orchesterverein
gab eine Haydn -Symphonie zum besten, der
Männergesangverein, der unter Prodi aua-
aezeichnete Fortschritte macht, führte Zöllners
nicht übel geratenen «Kolumbus* auf. Dabei
legte sich Frau Lauer- Kotilar mit ihrer Pracht-
stimme umsonst für zwei Mißgeburten von Or-
chesterliedern Weingartnera ms Zeug. — Ende
gut, alles gut: Brahma' «Deutsches Requiem*
fand unter Münch eine großzügige Wiedergabe,
mit Haaa ala ausdrucksvollem Bariton, Frau
Klupp- Fischer (ebenfalls Karlsruhe) ala
nicht hinlänglich weichem Sopran, und Fried
et freute im vierten Volkakonzert mit ein paar
echten Musikern, Mendelssohn und Weber,
unter solistischer Mitwirkung von Frau Alt-
mann-Kuntz. Dr. G. Altmann
STUTTGART: Aufs neunte Abonnements-
konzert lenkte O brist die allgemeine Auf-
merksamkeit durch die Erstaufführung der Hiller-
Variationen op. 1(X) von Reger. Wie anders
klingt jetzt sein Orchester ala ehedem! Regera
mehr bewegliche als erfinderische Einbildungs-
kraft erreicht in der geistreichen Verarbeitung
gegebenen Gutes offenbar ihr Höchstes. Unter
der Vorsussetzung, daß man Reger nicht gleich
zu einem Großmeister hinaufschraube, ist uns
seine Musik jederzeit willkommen, zumal wenn
sie so ins Klare und Reife strebt wie in diesem
anmutigen Werk. Die Wiedergabe war eine
xlänzende Leistung unserer Hofkapelie. Auf
Reger Heß Obrist Mozarts «Jupitersymphonie"
folgen, womit er sich in würdigster Weise für
die Symphonie-Abende verabachiedete. — Rück-
beil in Kannatatt brachte zu Wagners Gedächt-
nis die vier Jugendouvertüren hersus, die Mottl
veröfPentlicht hat; mag man vieles gegen sie
ssgen: musikalisches Feuer und hinreißenden
Schwung hat Wagner schon in der Jugend ge-
habt. — Im vierten Kammermusik-Abend spielte
Waghalters Vereinigung u. a. das C-dur Quin-
tett von Schubert. — Der Verein für klassische
fJrchenmusik unter S.de Lange führte kleinere
tücke auf; zuletzt Arnold Mendelssohns
256
DIE MUSIK VII. U6.
neue Abendkantate, die mich nach dem, was
ich auf den Komponisten halte, arg entiiuscht
hat. — Im Orchesterverein spielte der Pianist
Benzinger das 24. Klavieikonzert Mozarts;
außerdem wählte Rfickbeil einige Nummern
aus Beethovens Festspiel «Die Ruinen von
Athen**. — Es besuchten uns die Solisten: La-
mond, Frau Mysz-Gmeiner; die Schwestern
Adamian gaben einen Klavierabend an zwei
Instrumenten und spielten u. a. das C-dur Kon-
zert von Bach und Variationen op. 61 von W.
Berger. Dr. Karl Grunsky
WARSCHAU: Eugöne Ysaye, ein Konzert
dirigiert durch Richard Strauß (»Don
Juan*, „Tod und Verklärung*, Liebesszene aus
„Feuersnot*) und Willy Burmester waren die
Glanzpunkte der letzten Wochen in der Phil-
harmonie. Einen außergewöhnlichen Eindruck
hinterließ der kleine Pepito Ariola als ein
Wunderkind hors concours. Von Neuheiten
hörten wir eine symphonische Dichtung:
„Salome* von Hadley (unter persönlicher
Leitung des Komponisten), ein äußerlich wohl-
klingendes, aber nicht sehr tiefes OrchesterstGck
und Paul Ertels: »Nächtliche Heerschau* (mit
der zu schfilerhaft gemachten Fuge über die
Marseillaise). — Auch der »ber&hmte* Maestro
Toseil i ist vor dem Publikum erschienen, trotz
der öffentlichen Streitigkeiten (ein Brief in den
lömischen Zeitungen) mit dem hiesigen Im-
presario Rajchman, der die Bedingung gestellt
hatte, daß Herr Toselli in jedem Falle mit seiner
Frau nach Warschau komme.
H. V. Opieuski
WriEN.'SvenScholander, der Volkslieder und
^ Balladen aller Art zur Laute singt, ist ein
Kfinstler von höchster bildhafter Krafr. Er weiß
mit den kleinsten Mitteln, durch leise mimische
Andeutung, durch eine unmerkliche Bewegung
seines Instruments, durch Tonfall und Geste
jedes Lied mit unglaublicher Greifbarkeit hin-
zustellen. Könige und Bettler, schöne Marquisen
und Heilige, Köhler und Muller ziehen vorüber,
— mit ein paar ganz einfachen Strichen von
fabelhaft »sitzender* Charakteristik gezeichnet.
Ihm ist ein außerordentliches Miterleben seiner
Gesänge eigen, dazu eine unbändige Vitalität,
die jede seiner Äußerungen mit strotzender Da-
seinsfulle beladet. Er wirkt dadurch erfrischend
wie ein Naturereignis, und neben ihm scheinen
all die Sänger des Kunstliedes blaß und abstrakt.
Wobei nicht zu verhehlen ist, daß seine Kunst
gewiß nur als Intermezzo solche Wirkung hat,
und sich bei oftmaliger Wiederholungabschwächen
mußte. — Drei Liederabende beliebter Opern- 1
Sänger: Elsa Bland hat sich in einem leider |
wenig gelungenen Konzert, in dem die Pracht;
und der Glanz ihrer Stimme ebenso zu Bewußt- 1
sein kamen wie die unkultivierte Derbheit und
innere Fuhllosigkeit ihres lyrischen Vortrags, j
von einem nicht sehr teilnehmenden Publikum !
verabschiedet. Leo Siez ak hat mit seinem be-
zwingenden, in lauterstem Wohlklang über-
strömenden Organ und durch sein nur naa^mal
zu reichlich unmännlich berfihmdcs, aber
herzlich und warn hiogcbendes WMta vteder
unendlichen Jubel erweckt^ nad Frma Cthitr
hat sich sowohl in der Melttwang ihrar tief-
tonigen, umfangreichen und netalliitheB Sttaoie
als durch die ungemeine Vornetanbeil Ijrtacher
Gestaltung in die erste Reihe lebender' Lieder-
sängerinnen gestellt. Fran Drlll-Orridge,
eine unserer erlesenaten und ernetesim'Kfattle-
rinnen and der leider blofl enf TennrvirknnitB
ausgebende Adolf Lußmann heben akh
zum Vertrag einer Lledeireihe w^ Fnes
Seh reker vereinigt: dnrchene hlbad em-
pfundene, in einzelnen fesselnde, vem ench
niemals die traumhaft sichere Intiuiioa dee Ge-
nies verratende Gesinge einen wiridiehen Mosl-
kers. ~ Mit einer hinreißenden AnllUraM
Mahlers erster Symphonie tael Nedbel den
diesjährigen Zyklus der AnffllhraacM des
Wiener Tonkfinstler-Orchnntern be-
sch lessen : eine Interpretation, die den Tendkhien
Absichten mit feuriger Uebe reetloe ent-
schöpfte und die dem Tielnnetritienon Weifc
zum erstenmal volles Veittehen und eianililisa
Enthusiasmus brachte. — Morits Rnnonthal
hat, mit dem eben genannten Orchneier ud
mit dem in diesem Jahre auf gern bonnadeier
Höhe stehenden Koniertverein drei KleHB^
konzerte gespielt: Tachalkowaky, Ctaopta (ohsmOi
und Schumann. In allen dreien fimnlerend,
musiksprQbend in Jedem Talu, und dmnk niie
zu voller Künstlerscbaft nmjeeetite Brntonr ia
Taumel versetzend. Am hocheten mit TbAii-
kowsky: eine reproduktive Leiatung aBVorfeft-
licher Arr, von blitzendem Geiat^ anbtileler An-
schlagskunst und fiberwütigendem Sdiwng.—
Hermann Bischoffs e-moll Symphnäiiy fea
Richard Strau ß mit den PhllhannonllwrB pncht-
voll gespielt, hat in den eraten iwel Slmn aebr
interessiert, und Wolf-Perrari*a »IHtn nnofa*,
von der Wiener Singakademie aar Mer
ihres 50jährigen Bestehene unter ümna neaea
tüchtigen Leiter Richard Wlckenbluaner aaf-
gefOhrr, hat durohihre edle Siimmvng nnd die
Klangreize des mit obligatem Klavinry airtan
Pauken, Orgel und gestimmten S^ahlatlben er-
gänzten Orcheatera, dem wirklich elgananlgr
und iiberraschende Mischungen abtevannea
werden — einen nicht sehr tielkebendea, aber
herzlichen Anteil erweckt. Schliefiiich aind an er-
wähnen: die stimmbegabte nnd ▼ortreMeh g«-
schulte. Koloratursängerin Jenny Fiacber, daa
herb-trotzige Talent der energiach ria|Mdcn
Geigerin Hilde Stromenger» und — dee Kon-
trastes halber — die unfreiwillig Heiierlteh er-
weckende Pianistin Cicilie Schwara, die aa
jenen gehört, von denen BeethoTen einmal aegie:
«Sie werden noch sehr viel spielen mfiaaen, nn
einsehen zu lernen, daß Sie nichta können*. Nor
daß diese Einsicht leider nie kommen dfirfke.
Richard Specht
Nachdruck nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages sestatlet
Alle Rechte, Insbesondere das der Obersetzuns, vorbehalten
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster, Berlin W. 57, BGIovsir. 1071.
JOHANN SEBASTIAN BACH
gemalt von Johann Jakob Ihle
Original im Bachmuseum zu Eisenach
JOHANN SEBASTIAN BACH
Aquarellier re Bleiaiifueichnung
unbekannten Autors im Besili
des Herrn E. Bonnann in Leipzig
JOHANN SEBASTIAN BACH
gemalt von E. G. Haußmann
Original In der Musikbibliothek Peters in Leipzig
JOHANN SEBASTIAN BACH
gemalt von E. G. HauQmana
Original in der Thomasscbule zu Leipzig
JOHANN SEBASTIAN BACH
Maler unbekannt
Original im Besitz des Herrn Prof. Dr. Fritz Volbach in Tübingen
JOHANN SEBASTIAN BACH
moderne Darstellung von Rumpf
< = i
EIS
DAS LEIPZIGER BACH-DENKMAL
von Karl SelTner
Erster Eatwurf vom Jabre 1896
DAS LEIPZIGER BACH-DENKMAL
von Karl SelTner
DIE MUSIK
=i==:a
TONKÜNSTLER-HEFT
Jeder Künstler, jeder Schöpfer ist ein
Geheimnis.
Publikum beklatscht ein Feuerwerk,
aber keinen SonnenauTgang.
Frledricb Hebbel
VII. JAHR 1907/1908 HEFT 17
Erstes Junifaeft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W. 57, Bülowstrasse 107
ÄA(-,üE.T^,
■enn man von München als Kunststadt redet, so denkt man
I gewöhnlich an die hohe Bedeutung, die der bayerischen Haupt«
Stadt durch das weitschauende AUzenatentum Ludwigs I. fQr
1 die Pflege der bildenden Kunst gewonnen wurde. Man ver-
steht Kunst in jenem engeren Sinne, der bis vor liurzer Zeit im allgemeinen
deutschen Spracb^brancb noch vorherrschte und der mit der Bezeichnung
.Kunst' immer nur die drei Raumkünste: Architektur, Plastik nnd Malerei
meinte. Was der erste Ludwig für diese Künste geun, hat München den
Rahm einer besonderen Kunststadt verschafft, einen Ruhm, über dessen
Wahrung und Mehrung man gewifi sehr verschiedener Meinung sein kann,
der aber viele Jahrzehnte hindurch als etwas Unanzweifelbares überall
anerkannt ,wurde,',bis in. jüngster Vergangenheit die mehr oder minder
schadenfrohen Klagen über den .Niedergang' Münchens als Kunststadt
immer hiufiger gehört und auch geglaubt wurden.
Vle hoch oder niedrig man den gegenwXrtIgen Stand der Münchner
Kunst nun einschätzen möge, eins bleibt unbestreitbar: München ist eine
Stadt der bildenden Künstler, vor allem der Maler, und zwar ist sie es
schon deshalb, weit die Vertreter dieser Künste — von der Qualitit einmal
ganz abgesehen — rein numerisch hier einen so starken Prozentsatz der
Gesamtbevölkerung ausmachen, daS sie auf den Charakter der ganzen Stadt
notwendigerweise einen wesentlichen Einfluß ausüben müssen. Würden
die Maler fehlen, so wSre München ganz gewifl nicht mehr das, was es
ist, und die Münchner Kunst, gut oder schlecht, wie sie nun einmal ist,
kann nicht aus der Stadt weggedacht werden, ohne daß sich deren Gesamt-
bild in allem und jedem durchaus verSnderte.
Die Nachfolger Ludwigs I., die Könige Maximilian II. und Ludwig 11.,
traten insofern in die Fußstapfen ihres Vorgingers, als auch sie sich In
hohem MaSe als Gönner und Förderer künstlerischer Bestrebungen er-
wiesen. Indem sie dabei aber einerseits der Richtung der Zeit, ander-
seits ihren besonderen Liebhabereien folgten, traf es sich, daß ihr Virken
das des ersten Ludwig in der Weise ergänzte, daß das Mäzenatentum seines
Sohnes vorzugsweise der Literatur, das seines Enkels in erster Linie
260
DIE MUSIK VII. 17.
der Musik, vor allem der Oper, zugute kam. Wenn man in der Folg^
von der Kunststadt München auch in jenem weiteren Sinne des Wortes
Kunst hat sprechen können, in dem es die gesamte Welt des Ästhetischen
umfaßt, wenn es eine «Mfinchner Dichterschule* und späterhin dann auch
eine spezifisch «Münchner Musik** gegeben hat oder noch gibt, so ruht
das alles auf dem Grund der Verdienste, die diese beiden Könige sich um
die Kunstpflege erworben haben. Immerhin wurde es nicht erreicht, daß
Dichtung, Theater und Musik für die künstlerische Gesamtknltur der Stadt
je auch nur annähernd die gleiche Bedeutung gewannen wie die bildenden
Künste. Der zeitliche Vorsprung, den diese vor den eigentlichen
musischen Künsten voraus hatten, blieb ihnen und ihrer Pflege auf immer
auch als ein tatsächlicher Vorrang gewahrt.
Daß München in einem Maße wie keine andere Stadt des deutschen
Vaterlandes Kunststadt ist, kann nicht bestritten werden, wenn man dabei
ausschließlich oder in erster Linie nur an das künstlerische Bauen, Bilden
und Malen denkt. Ob dieser alt- und wohlbegrfindete Ruf auch ohne weiteres
auf das Gebiet der musischen Künste übertragen werden darf, mag zweifelhaft
erscheinen; und wenn ich hier — als ein nicht unschickliches Thema bei
Gelegenheit der Münchner Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deut-
schen Musik Vereins — die Frage auf werfe: ob und in welchem Sinne München
eine Musikstadt heißen darf, d. h. eine Stadt, in der die Musik und ihre
Pflege eine größere Rolle spielt und vor allem auch eine eigentümlichere
Ausbildung erfahren hat als anderswo, so mag der Versuch ihrer Beant-
wortung eingeleitet werden mit der Feststellung der Tatsache, daß unsere
Stadt Musikstadt jedenfalls nicht in demselben Sinne und in demselben
Maße ist, wie sie mit vollem Rechte eine Malerstadt -heißen darf, - ja daß
es sich möglicherweise bei dem Lobe, das München auch als Musikstadt
schon vielfach gespendet wurde, um die mehr oder minder unberechtigte
Übertragung von Verdiensten handelt, die auf einem ganz anderen
Gebiete erworben wurden und die nur darum der Münchner Musik
zugute kommen konnten, weil eben auch die Tonkunst eine Kunst ist und
mit den bildenden Künsten zusammen unter den gleichen Gesamtbegriff
fällt. Weil dem aber so ist, weil der Ruhm der Kunststadt München im
Reiche der bildenden Künste erworben wurde und erst von da aus unter
anderem auch auf die Musik überging — sei es, daß tatsächlich außer-
gewöhnliche musikalische Leistungen denen auf bildnerischem Gebiete dann
nachfolgten, sei es, daß die öffentliche Meinung bloß einem Trugschlüsse,
einer ganz einfachen quatemio terminorum zum Opfer fiel (der Begriff
«Kunst** nämlich einmal im engeren, dann im weiteren Sinne des Wortes ge-
nommen!) — so wird es jedenfalls nützlich sein, wenn man bei der Betrmchtong
des musikalischen München das bildnerische München stets im Angebe-
261
LOUIS: MÜNCHEN
hilt, sich immer an die analogen Verhiltnisse auf dem Gebiete der
bildenden Kfinste erinnert und sie durchweg zum Vergleich heran-
zieht. Manches wird sich dadurch besser und vor allem auch rascher
klar machen lassen als es ohne solche Gegenüberstellung der Fall
sein könnte.
Zunächst hat die Musik in München das mit den bildenden Künsten
gemeinsam, daß auch ihre höhere Pflege anfänglich nur dem Mäzenatensinn
der bayerischen Fürsten zu danken war. Diese Abhängigkeit der Kunst*
pflege vom Hofe gilt bis zu einem gewissen Grade ja von jeder Residenz-
stadt, aber doch von München in viel höherem Maße als von irgend einer
anderen großen Stadt. Vor allem ist diese Abhängigkeit im Sinne einer
nahezu ausschließlich höfischen Organisation des Musiklebens bei uns viel
länger erhalten geblieben als anderwärts, und da endlich die Zeit heran-
kam, wo es in keiner Weise mehr anging, alles und jedes einzig und
allein von der Fürsorge des Hofes zu erwarten, als neue Bildungen her-
vortreten mußten, da versagten die hierfür in erster Linie in Betracht
kommenden Faktoren — privates Unternehmertum, kommunale Kunst-
politik und opferwilliger Bürgersinn — so gut wie gänzlich. Gerade der
notwendig gewordene Übergang von der ausschließlich höfisch zur groß-
städtisch organisierten Kunstpfiege hat ja die schwere Krise über das
Münchner Musikleben heraufbeschworen, in der wir gegenwärtig mitten
inne stehen, und von der es im Augenblick zweifelhafter denn je ist, ob
sie in absehbarer Zeit die von den zugleich aufrichtigen und einsichtigen
Freunden der Kunst ersehnte Lösung überhaupt noch finden werde.
Daß das aber so kommen konnte, hängt wieder auf^ engste damit
zusammen, daß — wie überhaupt die ganze geistige Kultur der Stadt —
so vor allem auch die Münchner Musik gewissermaßen * »in der Luft
hängt.* Ich meine, daß sie etwas ist, was so gut wie gar keine Wurzeln
im Boden der eigentlich autochthonen Bevölkerung hat, etwas, das nur
der oberen Schicht einer intellektuellen Eliteklasse angehört, die sich nahe-
zu ausschließlich aus Nicht-Münchnern, zum größten Teil auch aus Nicht-
Bayern zusammensetzt, und woran die Einheimischen in einem ganz auf-
fallend geringem Maße mitbeteiligt sind. Nicht nur, daß die Münchner
Kunst (wie schließlich jede Hofkunst) ursprünglich eine von auswärts impor-
tierte fremde Blüte gewesen ist, ein künstlich dem heimischen Stamme
aufgepfropftes Reis, sie ist das in gewissem Sinne auch immer geblieben.
Sie hat sich gewiß akklimatisiert: aber nicht in der Weise, daß sie ihre
Wurzeln in den Grund des heimischen Bodens einsenkte und dadurch mit
ihm zusammenwuchs, sondern daß sie sich mit allem Drum und Dran auf
diesen Boden sozusagen nur auflagerte als eine deutlich gesonderte, für
sich bestehende und jederzeit abhebbare Oberschicht. Und zwar gilt das.
262
DIE MUSIK VII. 17.
wie schon angedeutet, von der Mfinchner Musik noch viel mehr als etwa
von der Münchner Malerei.
Zwar ist auch unter den bildenden Künstlern Münchens der geborene
Münchner immer nur spärlich vertreten gewesen, und schon die An*
Ziehungskraft, die der Ruf der Kunststadt München ausübte, mußte ja anf
eine in hohem Maße internationale Zusammensetzung der Münchner
Künstlerschaft hinwirken. Aber zwei Dinge haben doch zur Folge gehabt,
daß uns die bildende Kunst Münchens in ganz anderer Weise den Ein-
druck des Bodenständigen macht als die Münchner Musik. Einmal
— und das gilt vor allem für die Münchner Architektur — gibt es in
der bildenden Kunst eine feste, oft zwar unterbrochene, aber immer wieder
aufgenommene und neugeknüpfte Tradition. Der Umstand, daß die
bildnerischen, speziell die baulichen Werke der Vergangenheit den späteren
Geschlechtem jederzeit vor Augen stehen, erlaubt etwas, was in der Musik
eigentlich schon der flüchtige Momentancharakter des musikalischen Kunst-
werks, die Tatsache, daß es, um lebendig zu bleiben, immer wieder neu
geboren werden muß, von vornherein verhindert oder doch sehr erschwert:
die Möglichkeit, daß der Kunst einer Stadt dadurch ein ausgesprochener
Charakter örtlicher Eigentümlichkeit aufgeprägt und gewahrt werde, daß
die späteren Künstler sich mehr oder minder bewußt immer wieder an
das anlehnen, was ihre Vorgänger an gleicher Stätte geschaffen haben.
Dazu kommt dann ein anderes, vielleicht noch wichtigeres Moment Man
kann gewiß nicht sagen, daß der eingeborene Münchner sich durch einen
besonders ausgebildeten Sinn für bildende Kunst auszeichne. Aber in der
eingeborenen Bevölkerung des Landes, speziell Oberbayerns, fließt der
Mfinchner Kunst ein, wie es scheint, unversieglicher Quell ewiger Ver-
jüngung und Erneuerung. Ob die Ursache in angeborenen Rasse-
qualitäten oder ausschließlich bei den im Verlaufe der Jahrhunderte
immer wieder zu höchst bedeutsamer Wirkung gelangten italienischen
Einflüssen zu suchen sei, eine besondere Affinität des bayerischen Stammes
zur bildenden Kunst, die ganz auffallende Häufigkeit bildnerischer, speziell
malerischer Begabung in diesem Volke, ist jedenfalls eine unumstößliche
Tatsache.
Dieses ganz unschätzbaren Vorzuges entbehrt die Mfinchner Musik
vollständig. Denn die Bayern sind kein musikalisches Volk. Weit
entfernt, wie etwa die Thüringer und Sachsen durch eine hervorragende
Musikalität sich auszuzeichnen, bleiben sie in der Tonkunst, wie ich
glaube, sogar unter dem allgemeinen Stand der deutschen Durchschnitts-
begabung. Wenn man von der dem Musikantenlande Böhmen benachbarten
Oberpfalz absieht, hat kein Teil des heutigen Bayern und am aller-
wenigsten das Stammland des Königreichs jemals eine irgendwie nenneos-
263
LOUIS: MÜNCHEN
werte Zahl bedeutender Musiker hervorgebracht. Daß gerade in der Gegen-
wart zwei der allerbedeutendsten und meistgenannten deutschen Komponisten,
der Mfinchner Richard Strauß und der Oberpfälzer Max Reger, geborene
Bayern sind, ist eine Ausnahme, die auch in diesem Fall die Regel be-
stätigt. Im übrigen möge man sich — als wirklich etwas beweisend — nur
einmal die »Denkmäler der Tonkunst in Bayern* auf die Herkunft der
dort vertretenen Komponisten anschauen: man wird nur ganz vereinzelt
aus Bayern gebürtige Meister finden. Aber auch der höherer Ausbildung
fähige Sinn für das verstehende Genießen anspruchsvoller Kunst-
musik ist in Bayern nicht gerade häufig, ja sogar die wildgewachsene Volks-
musik hat sich hier weit weniger reich und kräftig entwickelt, als bei so
manchen anderen deutschen Stämmen. Um des innezuwerden, braucht
man nur etwa das bayrische Volkslied mit dem schwäbischen, oder bayrische
Jodler mit steirischen und kämtnerischen zu vergleichen.
Diese Tatsache, daß der Bayer durchschnittlich weder besonders musi-
kalisch begabt ist, noch auch als gewöhnlicher Musikliebhaber eine sonderlich
hochstehende musikalische Kultur repräsentiert, verschuldet es nun, daß
sehr vielfach der Münchner Musik die Resonanz in den weiteren Kreisen
des allgemeinen Publikums gefehlt hat, der Widerhall, der um so schwerer
zu vermissen war, je dringlicher die Forderung einer allmählichen Eman-
zipierung der Münchner Musik vom Hofe wurde. Daß wir ein sehr zahl-
reiches und auch (was Empfänglichkeit und Verständnis anbelangt) sehr
gutes musikalisches Publikum haben, das kommt daher, daß die Künstler
und Literaten, die Studierenden der verschiedenen Hochschulen und vor
allem auch die in jeder Beziehung hochstehende Lehrerschaft Münchens
ein so starkes Kontingent zu diesem Publikum stellen. Aber der eigent-
liche einheimische Mittelstand und — was, kunstpolitisch angesehen, noch
viel bedauerlicher ist — auch die finanziell leistungsfähigen Vertreter des
Großkapitals (die hier allerdings nicht so zahlreich sind wie in vielen
anderen Orten), die Leute, die man so nötig hätte, wo es der Durchführung
großer und weitausschauender künstlerischer Gedanken gilt, sie stehen so
ganz abseits vom musikalischen Leben, daß sie eben deshalb — aus Un-
kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse und Erfordernisse — selbst in den
seltenen Fällen, wo sie sich einmal zu einer außergewöhnlichen Leistung
entschließen, ganz sicherlich gerade immer das Verkehrte und Uner-
wünschte tun.
Das Fehlen einer wirklich fördernden Teilnahme an musikalischen
Dingen gerade in den Kreisen, die man aus materiellen Gründen nun ein-
mal nicht entbehren kann, hat dann die weitere Folge gehabt, daß die-
jenigen, die sich berufsmäßig oder aus Liebhaberei die Förderung musi-
kalischer Bestrebungen angelegen sein ließen, genötigt waren, immer den
264
DIE MUSIK VII. 17.
Mund etwas voll zu nehmen, wenn sie überhaupt Beachtung fQr die
ihnen am Herzen liegenden Interessen finden wollten, daß sich namentlich
in der Münchner Presse eine Taktik der wohlwollenden Unterstützung
musikalischer Unternehmungen herausbildete, die so weit ging, daß schließ-
lich auf eine irgendwie ernst und schirfer sichtende Kritik zugunsten' der
«Förderung* ä tout prix nahezu völlig verzichtet wurde. Daß die musi-
kalische Kritik in München «zahmer* ist als an irgendeinem anderen mir
bekannten Orte, hat sicherlich auch noch andere Ursachen. Die ganze
etwas indolent phlegmatische «Gemütlichkeit* des Münchner Temperaments
(die letzten Endes vielleicht zusammenhingt mit dem unbestreitbar als
Sedativum wirkenden Biergenuß) ist dabei gewiß auch mit im Spiele. Aber
daß diese glac6behandschuhte Überzartheit sich zu einem ganzen System
hat ausbilden können, das kommt doch daher, daß man das Gefühl dafür
hat, wie sehr eine rücksichtslos sachliche Kritik als Verschirfung des
Kampfes ums Dasein für die Künstler und ihre Veranstaltungen wirkt, und
wie wenig eine solche Verschärfung da am Platze ist, wo alle diese Ver^
anstaltungen ohnedies schon schwer genug um ihre Existenz zu ringen
haben.
Aber wie bei jedem auf Unwahrhaftigkeit basierten System konnten
auch hier die üblen Wirkungen nicht ausbleiben. Einerseits wurde bei den
Künstlern selbst eine Überschätzung ihrer eigenen Leistungen und im Zu-
sammenhang damit eine maßlose Empfindlichkeit gegenüber kritischen Aus-
stellungen förmlich gezüchtet, anderseits aber auch in den weiteren Kreisen
der dem Kunstleben selbst fernstehenden eingeborenen Bevölkerung der
Glaube geweckt und immer weiter genährt, daß die künstlerischen Ver-
hältnisse ihrer Vaterstadt so glänzend seien wie nirgendwo anders auf
Erden, ein Aberglaube, der um so lächerlicher wirkt, als er am festesten
wurzelt bei Leuten, die kaum jemals Gelegenheit gehabt haben, ander-
wärtige Verhältnisse mit denen Münchens zu vergleichen, und die selbst
dann, wenn sie fremde Verhältnisse beobachtet hätten, einen solchen Vergleich
niemals hätten anstellen können, weil sie eben, wie gesagt, auch in ihrer
Heimat dem Kunstleben viel zu fem stehen, um den künstlerischen
Ruhm und das künstlerische Verdienst Münchens irgendwie anders als
vom bloßen Hörensagen zu kennen. Dieser übertriebene Lokalpatriotismus,
der mehr für ein kleines Provinznest als für eine Stadt von über- einer
halben Million Einwohnern paßt, diese Selbstzufriedenheit, die sich nur all-
zugern bereitfinden läßt, auf alten Lorbeeren auszuruhen, statt neue zu
gewinnen, die allzuoft vergißt, daß selbst das größte Kapital an Ruf und
Ansehen im Nu verzehrt ist, wenn man sich erst einmal damit abgefhmden
hat, es nicht mehr zu vergrößern, — diese üblen Erscheinungen gelten
in gleicher Weise für die bildende Kunst in München wie für die Musik.
265
LOUIS: MÜNCHEN
Nnr will es mir scheinen, daß sie für die Münchner Musik eine viel
größere Gefahr bedeuten als für die bildenden Künste, und zwar schon
deshalb, weil das von der Vergangenheit angesammelte Münchner Ruhmes-
kapital bei der bildenden Kunst ganz unvergleichlich viel größer ist als bei
der Münchner Tonkunst, die ihr Ansehen eigentlich doch erst den Tagen
verdankt, da Ludwig IL die Hauptstadt seines Königreiches zum Vorort der
deutschen Wagnerbewegung machte und damit ein Fundament legte, auf
dem sich späterhin dann alles aufbaute, was wir an wirklich zukunft-
verheiOenden eigenartigen Dingen in unserm Musikleben besitzen.
Es ist gut, wenn man den kindischen Eigendünkel als den gefähr*
liebsten Feind einer fortschreitenden Höherentwicklung der musikalischen
Verhältnisse Münchens erkennt und als solchen brandmarkt. Aber man
muß auch dabei sich hüten zu weit zu gehen: man darf nicht meinen, daß
der Münchner Lokalstolz in künstlerischen Dingen nun etwa ganz und gar
unbegründet sei. Das ist keineswegs der Fall, auch auf musikalischem
Gebiete nicht. Nur daß man vielleicht sagen kann: es sind weniger die
ständigen musikalischen Verhältnisse, auf die wir stolz sein dürften, als
vielmehr die Tatsache, daß gewisse Vorbedingungen für die Ermöglichung
außerordentlicher künstlerischer Taten und Leistungen hier ia einer Weise
gegeben sind wie kaum an einem zweiten Ort Deutschlands. Es ist der
in vieler Hinsicht für eine künstlerische Aussaat so ganz unvergleichlich
günstige Münchner Boden, der immer wieder von neuem Hoffnungen
erweckt; und wenn auch manche dieser Hotfaungen nur halb oder gar
nicht erfüllt wird, — schon daß sie überhaupt gehegt und gepflegt werden
konnte, war etwas wert, und von Zeit zu Zeit erblüht dann doch einmal
das Wunder einer Erfüllung, die Ermöglichung eines ganz Einzigartigen,
wie es eben nur hier und nirgendwo anders denkbar ist.
Selbst das, woran gerade die musikalischen Verhältnisse in München
so schwer zu leiden haben, die Tatsache, daß die künstlerischen und künst-
lerisch interessierten Kreise der Stadt mehr oder minder eine abgesonderte
Schicht für sich bilden, die von den Einheimischen kaum eine tatkräftige
Förderung oder auch nur irgendwelche wärmere Teilnahme bei ihren Be-
strebungen zu gewärtigen hat, selbst das ist nicht ausschließlich von
Nachteil gewesen. Denn das Freie und Ungezwungene, im besten Sinne
Antiphiliströse, durch das sich das Kunstleben Münchens von jeher aus-
gezeichnet hat, ist sicherlich nicht unabhängig davon, daß der Künstler^ in
dieser Stadt deshalb viel weniger in Versuchung gerät, zum Philister zu
werden, weil er eben von den Bevölkerungsschichten, aus denen vor allem
das Philisterium sich rekrutiert, geistig und gesellschaftlich durchaus ge-
trennt lebt. München ist eine Fremdenstadt. Und ein «Fremder* bleibt
auch der Künstler in ihr, selbst wenn er sich seßhaft macht. Er kann die
266
DIE MUSIK VII. 17.
Stadt, in der er lebt und wirkt, er kann selbst ihre Bewohner ^tar lieb
gewinnen. Aber immer wird diese seine Empfindungen das GefQhl be-
gleiten, daß er doch eigentlich nicht mit dazu gehöre, ja diesea GefOhl
wird jene sympathischen Empfindungen in vielen Fillen allererst ermög-
lichen. Das herrliche Bewußtsein der sozialen Ungebundenhelt, der un-
eingeschränkten individuellen Freiheit, das der gewöhnliche Mensch in der
Regel nur während seiner Studentenjahre zu kosten bekommt, dieses Be*
wußtsein kann sich der Münchner Künstler (innerhalb gewisser Schranken
natürlich !) sein ganzes Leben hindurch bewahren. Dem Münchner Philister
fällt es nicht ein, künstlerische Unternehmungen zu unterstützen. Aber
mit dieser Teilnahmslosigkeit hat er sich auch das anderwärts so ausgiebig
benutzte Recht verwirkt, in künstlerische Dinge dreinzureden. Und der
Künstler ist es gern zufrieden, tröstet sich über das mangelnde Interesse mit
der Genugtuung über das Fehlen jeglicher philiströser Bevormundnng^er-
suche, und kommt selbst darüber hinweg, daß die seltenen Fälle, wo er einmal
mit dem Münchner »Urelement* in Berührung kommt, in der Regel die
schmutzige Form irgend einer skandalösen Verleumdungsaffäre annehmen.
Ohne Zweifel ist es dieser durch und durch antiphiliströse Zng des
Münchner geistigen Lebens, der Umstand, daß der Künstler hier in weit
höherem Maße als anderswo auch als Mensch zeitlebens «Musensohn* sein
und bleiben darf, was der Stadt auch für Musiker ihre große Anziebiings-
kraft gegeben und selbst dann noch bewahrt hat, als die musikali^Clltii
Verhältnisse selbst sich in den letzten Jahren* immer weniger verlockend
gestalteten. Dieser Zug ist es, der den Künstler, den Musiker wie den
Maler, an München fesselt und ihn so manches andere mfndfr Erfreuliche
tragen und vergessen läßt. Doch er nicht allein; es gesellt sich zu ihm
noch ein anderes, fast möchte ich sagen: mystisches Element. Ein
Element, das sich dem, der es nicht selbst erlebt und empfunden bat,
nur schwer verdeutlichen läßt. Josef Ruederer, einer der wenigen
Münchner, die ihre Vaterstadt so aufrichtig lieben, daß sie sich ihr gegen-
über sogar zu absoluter Wahrhaftigkeit verpfiichtet fühlen, er nennt es
den Münchner Zauber. Dieser Zauber ist wie alle ganz schönen
Dinge auf Erden im Grunde etwas Undefinierbares. Man kann nicht
sagen, worauf er eigentlich beruht. Er liegt in allem und jedem, im
Himmel und im Klima (dem vielgeschmähten I), also recht eigentlich .in
der Luft*, dann vor allem auch im landschaftlichen und architektonischen
Bilde der Stadt samt ihrer Umgebung und selbst im Leben und Treiben
der Bevölkerung, die auch in ihren Untugenden nicht nur erträglich, sondern
geradezu prächtig wird, wenn man sie so ansieht, wie sie eigentlich vom
Münchner Intellektuellen immer angesehen worden ist: als 'Staffage
innerhalb • eines entzückend malerischen Stadtbildes.
267
LOUIS: MÜNCHEN
Wer diesen Münchner Zauber jemals ganz erfahren hat, der ist ihm
auf immer verfallen. Denn München ist eine Stadt, in die sich der fQr
Reize ihrer Art überhaupt Empfängliche mit einer gewissen Notwendigkeit
verlieben muß. Aber eben deshalb — so könnte ein in amourösen
Dingen Kundiger einwenden — ist es wohl nicht anzuraten, sich mit ihr zu
verheiraten. Und in der Tat : dieser Münchner Zauber wird am stärksten
empfunden, wenn man ihn zum ersten Male verspürt; der Fremde kennt
ihn besser als der Eingeborene, der — trotz allem Lokalpatriotismus —
nur ganz selten ein Organ dafür besitzt, und beim Zugewanderten pflegt
er in der Regel um so mehr zu verblassen, je fester er mit den örtlichen
Verhältnissen verwächst. Und trotzdem : dieser Zauber, er ist etwas ganz
unsagbar Schönes, und weitaus das Schönste, was München überhaupt zu
bieten hat. Wenn es sich fügen sollte, daß auch nur ein ganz schwacher
Abglanz von ihm auf die Veranstaltungen des Münchner Tonkünstler-
festes fiele, so wäre zu hoffen, daß die Festtage allen Teilnehmern, die
aufnahmefähigen Herzens und Sinnes sind, wirklich etwas Eigen- und
Einzigartiges bieten könnten. Daß dem aber so sei, in diesem aufrichtigen
Wunsche gipfelt der herzliche Gruß, mit dem wir Münchner unsere aus-
wärtigen Vereinsgenossen willkommen heißen!
Vom AlüDCbner Knnstgeist
lan stelle sieb vor, die Kapitale des Königreiches Bayern vire
1 mit allem, was sie birgt, und was in ibr sich regt, über Nacbt
I vom Erdboden verscbwunden. Was bitte dann Deutschland am
I meisten zu beklagen, was würde es vornehmlich ve/misseo?
Etwa die Kunstschätze der Glyptothek, der alten Pinakothek, der Resideoz?
Die Bauten Kdnig Ludwig des Ersten, die Scbitze der Staatsbibliothek?
Nicht das eine, nicht das andere, so boben Knlturwert es nur immer lo
sich tragen mdge. Nicht die Sammlungen Münchens machen sein Bettes
aus. Nicht der Köntgsplatz mit seiner wundervoll geschlossenen Raum-
wirkung, mit seinen gräzisierenden Bauwerken, die Dreiviertel des Jahres
resigniert in rauher Luft frösteln, ist sein herrlichster Eigenbesitz. Sondern
der rastlos tStige, stets auf Neues sinnende, das gesamte Vaterland unauf-
hörlich befruchtende Münchner Kunstgeist. Der Geist, ohne den es
kein WiederauFblühen bodenständiger Architektur zwischen Rhein und
Oder, keine Berliner und Wiener Sezession, kein Nenerstarken ein-
heimischen Kunstgewerbes in Preußen und Sachsen, Baden und Hessen,
kein tatkräftiges Weiterführen Wagnerischer Fortschrittsarbeit, keine Bühnen-
und Konzertreform ^be.
Von wem wird dieser Geist hauptsächlich destilliert?
Von Erbeingesessenen und von Zugewanderten. Diese sind weitaus
in der Mehrzahl. Nicht als ob nicht auch im Urmünchner Grund eloe
recht erhebliche künstlerische Zeugungskraft steckte. Insondertieit erlebten
Architektur, dekorative Feintecbnik und Musik an der Isar bereits nicht
wenige vollertragreiche Blüteperioden, ehe die beiden groOen, von Enthn-
siasmus überströmenden königlichen Mäzene des neunzehnten Jahrhunderts
den Thron der Wittelsbacber bestiegen. Bis in unsere Tage hinein sind
im engeren Bannkreis der Frauentürme viel eigenkräftige indlvldualltiten,
stark ausladende geistige Potenzen zur Welt gekommen: so Richard StninD,
der unweit der Sendlinger- oder Feuersnotgasse das Licht der Welt ei^
blickte, so die Gabriel und Emanuel Seidl, die Meistersrchltekten der
260
AN DER ISAR
graziösen Linie, so ein Karl Spitzweg, ein Lenbach, so namhafte Ver*
treter des modernen Kunstgewerbes. Doch nicht sowohl diese ^ wurzel-
festen Autochthonen als vielmehr die Zugereisten, erst Eingebürgerten
haben Neu-Mfinchen in der Hauptsache sein »Gesicht* gegeben, haben in
den Burgfrieden der Stadt Gedanken hineingetragen und zur Herrschaft
gebracht, die sich für die fortschrittliche Kunstentwicklung unserer Tage
als maßgebend erwiesen. Nur ein Beispiel: wir sind eben jetzt daran, das
im Bezirk der »Ausstellung München 1008* errichtete »Künstlertheater*
mit einer Wiedergabe von Goethes »Faust* zu eröffinen. Max Littmann,
der Architekt, der den Plan des Ganzen ersann, ist ein Thüringer; der
Organisator und artistische Leiter des Gesamtuntemehmens, der Haupt-
regisseur, der Maler, der mit einfachen Mitteln die Bühne wahrhaft genial
zurüstete, der den Lesern der »Musik* hinlänglich bekannte Queiltopf, in
dem zuerst der Gedanke aufkeimte, ein ausschließlich der stilisierten Szene
gewidmetes Haus aufzuführen: sie können sämtlich ihre norddeutsche Her-
kunft nicht verleugnen; Max Schillings, der Komponist der das Schauspiel
einrahmenden und ergänzenden Musik, stammt vom Niederrhein; die Wiege
des Dramaturgen stand in Darmstadt. Das jedoch, was im redlichen, eifrigen
Zusammenwirken all dieser Kräfte zustande kam, ist münchnerisches Eigen-
gut, durchtränkt von dem »ganz besonderen Saft* phantasiestrotzender Pro-
duktion, wie er einzig im herrlichsten, das Herbfrische mit dem Traut-
Anmutvollen wundersam vereinigenden Alpenvorland quillt, überstrahlt vom
warmeh Licht, das aus dem gelobten sonnen- und farbenfrohen Schönheits-
reich Italia just noch bis zu uns herüberflutet.
Es ist nun ein weitverbreiteter Irrtum, daß der Prozeß des Sich-
Einmünchnerns neuer schöpferischer oder organisatorischer Gedanken
sich mühe- und kampflos in einer Sphäre breiter, auf Leben und Leben-
lassen gestimmter Behaglichkeit abspiele. Im Gegenteil: nirgendwo ringt
man mit heißerem Atem fernen Kulturzielen entgegen, als in der Stadt,
die Richard Wagner schier mit Steinen zum Tor hinaustrieb, ehe sie zu
einer Hochburg seines Lebenswerkes wurde. Der genius loci ist der des
»Haufens*. Ficht mit mir — dann sei mein Freund, sagt der Münchner.
Er verteidigt das von den Altvordern Überlieferte pietätvoll, öfters auch
mit einem gewissen zähen Eigensinn; er begehrt anfangs leicht auf, wenn
einer und noch einer »daherkommt*, die ihn nötigen, wieder einmal um-
zulernen. Und dieses Mißtrauen, das ein grundehrlicher, nichts weniger
als seichter, aber vorsichtig und gemächlich abwägender Volkscharakter
dem Ungewohnten entgegenbringt: es wird von allerhand lichtscheuen
Elementen genährt und vernutzt — Elementen, wie sie sich in jeder
großen Stadt finden — , die in München davon leben, gegen die Neu-
bildner und Neutöner zu hetzen, um während des dadurch hervorgerufenen
270
DIE MUSIK VII. 17.
Wirrwars im Trüben zu fischen. Deshalb muß sich jeder hart taemm-
schlagen» der an der Isar etwas vorwärtsbringt Was aber aus diesem
Dauerkrieg an Ergebnissen hervorgeht, das ist feuerbeständig, das bat die
Kraft in sich, die Welt zu erobern.
Man kann sich eh und je fiber München ärgern, man kann es
gelegentlich verwünschen, aber man muß es lieben I Für den künstlerisch
Empfindenden ist es doch die Stadt der Städte. Weil wir in ihm die Sudt
der Jugend sehen. Die Jugend braucht eine Natur, die ihr goldene Träume
schenkt. Sie braucht Vorbilder, die sie dazu anspornen, im Erstreiten eines
idealen Besitzes Blut und Leben hinzugeben. Sie braucht den Philister,
der sich mit des schweren Leibes Wucht ihr entgegenstemrat, und den sie
schließlich von oben bis unten mit Pfeilen spickt. Bleibt München die
Stadt der Jungen und sich jung Erhaltenden, der Wagenden, derer, die mit
jedem lebfrischen Heute gegen jedes kopfhängerische Gestern revo-
lutionieren, dann wird ihm die Zukunft gehören.
Paul Marsop
II
Glossen zur Münchner Oper
Das heurige Tonkünstlerfest bringt seinen Besuchern drei VorttelliMicen
im Festspielbaue.. des Münchner Prinzregenten-Theaters. «Die Trojaner*
von Berlioz — diese als Einheit an einem Tage, mit einer anaglebifen
Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Teile, aufgeführt — die
dramatische Symphonie «Ilsebill'' von Friedrich Klose, die musikalische
Tragödie «Moloch* von Max Schillings sind der Gegenstand der Fest-
vorstellungen. Mancher wird über diese Nachricht hinweglesen, ohne ihre
Bedeutung recht zu erkennen, wird es um so mehr tun, als weder die
«Trojaner*, noch «Ilsebill*, noch «Moloch* neue, nngehörte Werke sind.
Und doch steckt im ganzen Plane, wie in seinen Einzelheiten ein Problem,
das kurz zu betrachten zugleich Gelegenheit gibt, Münchens Opemverhiltnisse
zu streifen.
Zwar nicht von den bösen Gewohnheiten allzu urlaubeifriger TenSre,
Primadonnen, Altistinnen und Baritone, noch der Absagesucht der Vertreter
aller Stimmgattungen an der Münchner Hofoper soll hier so sehr die
Rede sein. Auch die sonderbare Gepfiogenheit üppiger hochmög^nder
Künstler, die zum Studium übertragenen neuen Rollen der Opemleitung
mit kalter Arroganz zurückzugeben, möge hier nur eben erwähnt werden.
Dieser in früheren Jahren zärtlich großgehätschelte Disziplinmangel, dessen
271
AN DER ISAR
H
fiblen Erscheinungen so unheilvoll die Bildung des Spielplanes beeinflussen,
so hiufig den Willen der leitenden Stelle, ihre Pflichten gegenüber bedeutenden
alten und neuen Werken zu erfflllen, schmählich vereiteln, ist der Gegenstand
der Schmerzen der Opemleitung wie der Öffentlichkeit, — ihn allmählich
in den der sorgfältigen Kunstpflege einzig möglichen Zustand unein-
geschränkter Zuverlässigkeit und kunstfreudiger Unterordnung der Sänger
unter den richtunggebenden Willen einer künstlerisch fiberragenden Autorität
umzuwandeln, das Ziel eines Mannes wie Felix Mottl. Und wer gerecht
und einsichtig Früher und Jetzt gegeneinander abwägt, muß zugestehen,
daß Mottl diesem Ziele schon etliche Schritte näher gekommen ist. Nur
muß man auch bedenken, daß eine rücksichtslose Schneidigkeit an der
Münchner Buhnenkfinstlerschaft noch schneller schartig werden wurde,
als an einer andern, von Natur mehr mit Arbeitseifer begabten. Künstler
sind nun einmal keine Ackergäul^, sondern verlangen eine zwar feste,
aber leichte Hand, die sie zfigelt. Die aufgezählten Schwierigkelten, wozu
noch eine unselige Sparpolitik der Ziviliistenverwaltung kommt, um alle
Hände zu binden, können jedoch zeigen, mit was für Hindernissen die
Opernleitung zu ringen hat, und mögen das Schöne, das dennoch hier
geleistet wird, um so heller erstrahlen lassen.
Hat Münchens Oper überhaupt einen Anspruch auf eine besondere
Schätzung als eines Kunstinstitutes von eigentümlichem, nur ihm eigenem
Charakter? Ganz gewiß I Sie ist nie eine Bühne gewesen, die nach neuen
Werken sonderlich lüstern wäre. Bedachtsam, wie es dem ^lE^en der an
der Isar wohnenden Bevölkerung entspricht, hat sie immer erst andere die
Wirksamkeit neuer Werke ausprobieren lassen, ehe sie selbst danach griff.
Selbst die kassen füllende Eigenschaft der Sensation bringt sie nicht aus
ihrer kühlen Zurückhaltung heraus, hat es nicht mal unter Ernst von
Possarts Regiment getan. Richard Strauß führt seine dramatischen Erzeug-
nisse nicht in seiner Vaterstadt zuerst auf, sondern auswärts, und er wäre
doch, auch ohne seine Eignung zum goethischen «Kerle*, ein funkelndes
Licht, das die Theatemachtfalter anzulocken vermöchte. Die Schöpfungen
andrer Autoren müssen eine lange Reihe großer und kleiner Bühnen über-
laufen haben, bevor sie in München gnädigst eingelassen werden. Daß
man hier und da ortsangesessenen Komponisten, denen die gute Fee nicht
just ein ersch röckliches Genie wie Richard dem Bösen in die Wiege gelegt
bat, die Ehre einer Uraufführung und etlicher Wiederholungen gewährt,
widerspricht nicht der Regel, sondern bestätigt sie nur. Immerhin hat
München einige Premieren aufzuweisen, die viel, viel aufwiegen. Wer die
Geschichte Wagners kennt, weiß, was ich meine. Aber freilich kann
sich nicht der Münchner selbst so sehr dieser glanzvollen Tatsache seiner
Hofoper rühmen; männiglich weiß, daß der Anfang des Kapitels «Wagner*
272
DIE MUSIK VIL 17.
in der Chronik des Münchner Hoftheaters von wfistem BieriMUikfehenl
erzählt. Eines Königs Wille, ein Wille, wie er heutzutage leider nicht
mehr der Mfinchher Buhnenkunst Maß und Ziel gibt, hat damals das
Unerhörte möglich gemacht.
Ludwigs II. wagender Mut errang der Münchner Hofoper das, was
ihr Jahrzehnte hindurch den Stempel des Einzigartigen aufgedrfickt
und sie in die erste Reihe der deutschen Hofbfihnen gerfickt hat. Stand
sie in frischem Zugreifen nach neuen Werken hinter ihren andren snb-
ventionierten Schwestern zurfick, so ist sie ihnen in der Pflege des
wagnerischen und ludovicischen Erbes stets vorangewesen. Und auch
die Münchner, die anno 1865 gegen König und Genie losgewettert hatten,
sind zum Wagner-Glauben so gründlich bekehrt worden, daß ihnen (von
der «Lustigen Witwe' natürlich abgesehen) nichts so viel Freude bereitet,
wie die Vorstellungen wagnerischer Dramen, die, vornehmlich wenn Felix
Mottl das Zepter führt, die unglaublichsten Kassenbelagerungen veranlassen.
Das ältere Geschlecht rühmt sich gern seiner Wagner-B^eistemng, doch
unsre Jungen geben ihm nichts nach und stellen sich von Nachmittag bis
Morgen auf, ertragen Winterkälte und Nachtwache, um von des Hanses
höchsten Rängen dem Mysterium lauschen zu ^können. Ob fibrigois^die
gewiß schmachvollen Geschehnisse der sechsziger Jahre nicht aus einer
im Grunde guten Eigenschaft der Münchner erklärt werden können? Ihr
stark demokratischer Instinkt lehnt sich rasch gegen alles auf, was vom
Willen eines Einzelnen oder Einzelner durchgesetzt wird. Sie wittern
gleich Cliquenwirtschaft und glauben in flackernder Errögung, der vermeint-
lichen Clique den Volkswillen entgegenstemmen zu müssen, wobei sie dann
nur nicht bedenken, daß sie selbst auf dem Wege sind, die allerschlimmste
Cliquenwirtschaft einzurichten. Mit dem ursprünglichen Feiier, das ibaen
unter aller Gemütlichkeit von alters her in den Knochen sitzt^- scbfatgen
sie auf den Gegner los, unbekümmert wohin sie treffen. Ist ihr Zorn
verraucht, so sind sie wieder die besten Freunde von der Welt und wurden
dann jeden einen Hundsfott heißen, der es wagen wollte, anzugreifen, was
sie soeben selbst verfolgt hatten. . . . Steht nicht das Prinzregenten-
Theater, das im Anfange arg befehdete, jetzt als Stolz Münchens, als
Sühne für 1865, als Vorbild für das übrige säumige Deutschland hoch in
der Liebe des Münchners?
Außer Wagner ist es Mozart, der in München eine Heimstitte ge-
funden hat. Im Anfange der neunziger Jahre entsann sich der Intendant
Possart des Residenztheaters, dessen wundervoller, von allen guten
Geistern einer holden Vergangenheit bewohnter Bau von Cuvillite, • dem
echten Baumeister seiner leichtbeschwingten Zeit, herrührt, als des ge-
gebenen Rahmens für Mozarts Opern. Im Laufe der folgenden Jahre
273
AN DER ISAR
_MK
fBhrte er dann unter der wichtigen Mitarbeit des damaligen Generalmusik- .
direktors Hermann Levi die Säuberung der Meisterwerke Mozarts von
allen musikalischen, textlichen und dramaturgischen Anhängseln durch, die
sich allmählich das Gewohnheitsrecht der Tradition erworben gehabt hatten.
Die yZauberfldte' ausgenommen, die noch heutigen Tages im weiten Hause
des Hof- und Nationaltheaters das Scheinleben einer großen Prunkoper,
die sie gar nicht ist, führen muß, wurden Mozarts unsterbliche Opern in
den traulich engen, höfisch glänzenden Raum des Residenztheaters hinuber-
geleitet. Hier ward die Intrige Figaros und der beiden listigen Frauen
gegen den galanten Grafen Almaviva zu süßbetörendem Leben erweckv
hier sang nun Cherubin sein «Non so piü cosa son' cosa faccio', hier er-
schien die das Rokoko zertretende Wucht des »Don Giovanni' grade in
der Umwelt des dramma giocoso überlebensgroß, gewann die heikle Treu-
probe des skeptischen Don Alfonso mit den lieblichen Schwestern Fiordi-
ligi und Dorabella den vollen zarten sinnlichen Reiz, hier entfaltete der
Geistesreichtum der jungfrischen Partitur der «Entführung', die wir erst
kürzlich in einer wundervoll lebensprühenden neuen Einstudierung unter
Mottl wieder bekommen haben, seine ganze funkelnde Pracht Die Erlösung
Mozarts aus dem Getriebe der großen Oper wird immer die bedeutendste
Tat bleiben, die Possart als Intendant der Münchner Bühne vollbracht hat
Ebenso wichtig war seine Inszenierungsarbeit als Regisseur und Dramaturg
dabei; er ersah den dramatischen, so überaus lebendigen Kern dieser Werke,
führte sie aus dem Bereiche musikalischer Konzertaufführungen mit
Kostüm ins wirksame Bühnendasein. Zwar hätte Possart nicht er selbst
sein müssen, hätte er nicht das Dramatische nun auch wieder zum Teil
sehr ins Theatralische verkehrt. Auch er war von der Berufskrankheit
der Regisseure, der Nuancensucht, heimgesucht, von der Lust, in Spiel
und Dekorationen Realismen einzuschmuggeln, die, so klein sie oftmals
ausschauen, doch den Stil des aufgeführten Stückes schlimm verzerren
können. Diese bösen Kleinigkeiten fahren uns auch noch jetzt oft zur
Unzeit in die Vorstellungen selbst der Wagnerischen Dramen hinein, wie
wir denn überhaupt in den Fragen stilgerechter Inszenierung,
d. h. einer Inszenierung, die dem Stil jedes Werkes gerecht würde, vom
Ziel sehr weit entfernt sind.
Nun ist allerdings diese Frage überall noch nicht künstlerisch be-
friedigend entschieden. Wie es in Gasthäusern eine en tout cas- Sauce
^bt, die zum Fisch wie zum Fleisch, zu jedem Braten, sei er vom
Rinde, vom Hammel, vom Kalbe, passen muß, so gibt es auch eine Aller-
welts-Opemregie, die alle Werke über einen Kamm schert, die ihre An-
regungen für Dekoration und Spiel nicht etwa aus dem Werke selbst schöpft,
sondern ihre Phantasiereste an dem vorhandenen Dekorationsfonds berauscht
VII. 17. 18
274
DIE MUSIK VIL 17.
und ffir Spielregeln in den Regienotizen Wagners ihre Weishok sacht
Nie kommt es einem Regisseur dieses Schlages in den Sinn, daß man für
Pfitzner, Schillings, Klose, Strauß, Berlioz einen andern Stil anwenden
müsse, als für Wagner. Man glaubt Wunder was getan zu haben, wenn
man die historische Treue in Kostüm und Dekoration wahrt, ohne bei diesem
Wühlen in kunst- und kulturhistorischen Folianten vom Zweifel überfallen
zu werden, ob es nicht just dem Wesen des Werkes besser entsprechen
möchte, wiche man von der beglaubigten Überlieferung künstlerisch nen-
schaffend ab. Man huldigt einem Romantizismus, der seine Naturanschan-
ungen bei Schwind holt und vorm Impressionismus drei Kreuze schiigt
Als Gesetz der Ausstattung gilt der Satz: soviel als möglich auf die
Bühne stellen, mag es nun dem Charakter des Werkes dienen oder ihn
vergewaltigen. Das Zuviel ist überhaupt der Dämon des Allerwelts-
regisseurs. Und leider muß ich bekennen, daß wir auch in München noch
recht viel von fossiler Regie in der Oper haben. Ein Mottl der Regie
tut uns not, der in Spiel und Bild böte, was Mottl in der Mnsik gibt:
nämlich den Geist des Geistes, die Quintessenz des Werkes, der nicht
auf den Buchstaben schwüre (und wohl gar noch falsch schwüre), son-
dern dessen Sinn in die schöne Wirklichkeit übersetzte. Einen selbst-
schöpferisch künstlerisch empfindenden Regisseur, dem jedes neue Werk
neue Bühnenbilder aus der Phantasie entlockte. Einen Mann, der schlaf-
lose Nächte darüber verbringen könnte, wie er die grölten Linien der
«Trojaner* in die Anschauung überführen müßte, bis in der Szene der»
selbe gebundene Stil herrschte, wie in der Handlung nnd der Mnsik.
Einen Künstler, der das Oratorisch • Symphonische der »IlsebilP und des
«Moloch' im Bilde wiederzugeben vermöchte. Einen Regisseur, der das
Auge des Malers, das Ohr des Musikers, das Herz des Dramatikers nnd
den Verstand des Theaterpraktikers (dieser ist am wenigsten nötig) zu-
sammen besäße. Keine andere Stadt hätte einen solchen idealen Regis-
seur mehr zu beanspruchen, als München, das in der bildenden Kunst
die Königin unter den deutschen Städten ist.
Zufällig sind mir eben die Namen der drei Werke in die Feder g^
flössen, die das Festprogramm des Hoftheaters bilden. Und damit bin ich
wieder beim Anfange angelangt Wie der Versuch, sie ins Prinzregenten-
theater zu verpflanzen, nun gelingen wird, wer will es voraussagen? Aber
begrüßen wird den Vorsatz jeder, der in der Entwicklung, im Fortschritte
das Heil der Kunst erblickt Es fehlen nicht die Stimmen, die meinen,
es wäre eine Entheiligung Wagners, das Festspielhaus auch andern als
dem Meister zu bieten. Ich denke genau das Gegenteil, sehe im Plane
eine der bedeutsamsten Ideen unsrer Zeit, weil er die Unnatur des welschen
Rangtheaters wieder einmal überwindet, und weil er Werken, die, wie »Hse*
ms.
275
AN DER ISAR
bill' und «Moloch", auf Wagnerischen Anschauungen und Mitteln ruhen,
aus ihnen gleichsam geboren sind, unter dieselben Bedingungen stellt,
die ihre Überlegenheit bei Wagners eigenen Schöpfungen klar erwiesen
haben. Lange hat's gedauert, ehe man sich hat entschließen können,
die Tore des Münchner Festspielhauses, die] — was auch ein be-
zeichnend Merkmal unsrer Gemächlichkeit ist! — elf Monate im Jahre
geschlossen sind, außerwagnerischen Werken zu öffnen. Doch ist
es nun geschehen. Und sollte Mönchen nicht stolz darauf sein, sollte es
sich nicht ein eigen Verdienst um die Sache des künstlerisch notwendigen,
nicht eines windigen, Fortschrittes zuschreiben? Sollte es sich dabei nicht
auch des neidenswerten Besitzes des Mannes rühmen, der seit wenigen
Jahren an der Spitze der Oper steht, des Meisters Felix Mottl? Er|[ist
das Zeichen, darin München noch mehr Siege erfechten, der die Oper an
der Isar zu neuen Taten führen wird. Schon hat er zu Wagner und Mozart
einen hellklingenden neuen Meistemamen gefügt, den des französischen
Romantikers mit der germanischen Liebe, des Erschaffers der »Trojaner',
des «Benvenuto Cellini" und des holdseligen Lustspieles «Beatrice^ und
Benedikt". Hector Berlioz ist dieser Name. Hoffen wir, daß die «Tro-
janer* recht viele Herzen bekehren und dem großen Gallier den Weg in
die deutschen Theater bahnen! Wahrlich, er hat als Toter schon das
kanonische Alter erreicht, und auch die, denen der Totenschein das wich-
tigste Ruhmesdokument ist, dürfen ihn unbeschadet ihres Rufes jetzt preisen
und für ihn werben. | _
Aber die Hauptsache bleibt doch die Eroberung des deutschen Amphi-
theaters für die außerwagnerische, aber ihr wesensverwandte Kunst. Viel-
leicht zieht sie auch einen neuen Geist der künstlerischen Szene an. Kein
Zufall ist es, daß draußen im Schutze der Bavaria ein Theater erbaut
worden ist, das das, was wir bisher bei allem hingebenden Eifer der Bühnen-
lenker zu vermissen glaubten : den künstlerischen Stil, zum obersten Gesetz
erhoben hat, das an die Stelle des Zuviel die weise Beschränkung und
die kräftige Anregung der Phantasie setzt, anstatt den unmöglichen Kampf
mit dem Objekt ins Unendliche fortzuführen. Vom Geiste des Münchner
Künstlertheaters wird gar mancher Künstler und gar manches Werk
Nutzen ziehen dürfen, falls seine Lehre nur richtig verstanden wird. Selbst
Wagner könnte meiner festen Meinung nach auf der Phantasiebühne noch
ungeahnte Auferstehungen feiern. Mit welcher Glosse, deren .künstlerische
Erfüllung hoCTentlich auch wieder München spendet, ich mich jedoch em-
pfehlen will, ehe ich von den ganz Wagnerfesten gesteinigt werde.
Paul Ehlers
18<
276
DIE MUSIK VII. 17.
III
Vom Münchner Konzertleben
Zum Geist gehört noch immer die Materie. Und nachdem vom
Münchner Kunstgeist die Rede war, sei es verstattet, kurz davon zu
sprechen, wie er sich bis heute, und zwar speziell im Konzertleben, ge-
äußert hat. Eine besondere, festumrissene Physiognomie festzustellen ist
da beinahe unmöglich. Einmal bleibt kein noch so starker Eindruck wie
bei den anderen Künsten, gebannt in Stein oder auf Leinwand, dauernd
und unverwischbar; er ist flüchtig wie die Stunde, die ihn gebiert und
stirbt mit ihr. Und außerdem ist dann auch gerade in den wirklich großen
Musikstädten die interurbane und internationale Flutwelle der Konzerte zu
stark. Was man heute in Berlin hört, kann man morgen in Köln, über-
morgen in Leipzig oder Dresden, überübermorgen in München hören usw.
Der Kunstsinn und das Kunstverständnis der Einwohner gewinnen vielleicht
dadurch; der Kunstcharakter der Stadt leidet. Nicht ohne einen wesent-
lichen, eben schon berührten Vorteil. Daß leidenschaftliche und weit-
greifende Parteikämpfe nicht mehr den Boden finden wie noch zu Wagners
Zeit, liegt nicht so sehr in einer Abschwächung der Gegensätze innerhalb
der Betätigungsgrenzen unserer Kunst. Das Publikum läßt sich einfiKh
nicht mehr so leicht kritiklos zu einem heftigen Für oder Gegen mitreißen,
eben weil durch das reiche Maß der im Laufe auch nur eines Konzert-
winters gebotenen verschiedenartigsten Genüsse Ohr und Blick geschärft
worden sind für das Gute, das in jedem bedeutenden Werk, welcher
Richtung immer es angehört, zu finden ist; das verbissene Anathema slt
und das genau so verbissene Hosianna finden ihren Ausgleich auf der
Grundlage eines immer mehr wachsenden wirklichen Verständnisses.
Gerade darin übrigens möchte ich doch ein Charakteristikum, ein
Hauptcharakteristtkum des heutigen musikalischen München finden, das es
scharf von früheren Zeiten unterscheidet: in einem schier grenzenlosen
guten Willen dem Neuen in rebus musicis gegenüber, mag sich dieses
Neue selbst hie und da noch so revolutionär, ja abstrus gebärden. Dabei
läuft manche Kritiklosigkeit mit unter; allein ich glaube doch der wirklich
erfreulichen Tatsache sicher zu sein, daß in den letzten Jahren kein lisend
hervorragender Komponist eine Ablehnung erfahren hätte, ^iwil er die
gewohnten Mittel verschmähte und eigene Wege ging.
In den Tagen, als Wagner und Bülow hier weilten, und noch anf lance
hinaus war das ja anders; denen, die vor ihnen die Herrschaft führten» war
es aber noch leichter gewesen, dem Musikleben der Stadt ihren Cliarakter
aufzuprägen. Wer damals die Konzerte der Musikalischen Akademie
Hl
277
AN DER ISAR
dirigierte^ der konnte eine fast unumschräakte Herrschaft auf den Geschmack
der Musikliebenden ausüben. Vor Bülow war es Lachner, der da den
Dirigentenstab fährte. Als Bülow gewählt worden war, soll er die nette
kulinarische Äußerung getan haben: «Ich begreife das nicht; der andere
ist doch Honig, und ich bin Senf!** Nach ihm kamen Wüllner, Levi,
Erdmannsdörfer, Richard Strauß, Zumpe, Fischer, Stavenhagen,
fast jeder eine abgeschlossene Persönlichkeit, zu deren Würdigung es hier
keiner weiteren Ausführungen bedarf. Aus alten Blättern und Programmen,
wie sie der Zufall in die Hand spielt, kann man im Laufe der Jahre bei den
Darbietungen der Musikalischen Akademie ein hübsches Stück Geschichte
studieren. So wenn sich z. B. am 12. April 1880 findet: Zum ersten Male:
Nirwana, symphonisches Stimmungsbild, op. 20 von H. v. Bülow. (Unter
Direktion des Komponisten.) Es war auch das letzte Mal. Oder weiter
zwei Konzerte «unter gütiger Mitwirkung des Herrn Johannes Brahms aus
Wien*, 1874 und 1876, bei denen Brahms die c-moll-Symphonie (Manu-
skript) leitete und selbst sein Klavierkonzert op. 15 spielte. Oder, am
10. März 1885 unter Levi: Siebente Sinfonie, E-dur (Manuskript), von
Anton Brückner. Den Teilnehmern jener Aufführung, so ziemlich der
ersten in Deutschland, ist die rührende Freude, mit der Brückner für den
Beifall dankte, unvergeßlich geblieben.
Einer der bodenständigen Faktoren, die weiter bestimmend auf das
Münchner Musikleben einwirkten, war das Walt er- Quartett, gegründet
von Josef Walter, ruhmreich von seinem jüngeren Bruder Benno Walter weiter-
geführt. Ihm folgte das Miroslav Weber- und neuestens das Ahner-Quar-
tett. Weber wie^ Ahner nahmen, bzw. nehmen gleich Walter die Stelle des
ersten Konzertmeisters im Hoforchester ein. Ältere Münchner Musikfreunde
werden sich der Trio- Abende von Prof. Bußmeyer erinnern; einige Jahre
spielte auch die Kaimsche Kammermusikvereinigung eine erhebliche
Rolle; nicht vergessen sei das Hösl-Quartett. Weitverbreiteten Ruf als
eine der besten Kammermusikvereinigungen Deutschlands genießen jetzt
«Die Münchener* mit Theodor Kili an an der Spitze. Sehr früh trat die
Bläservereinigung von Mitgliedern des Hoforchesters auf den
Plan, gegründet von Strauß' Vater; ihre Konzerte bilden noch heute Er-
eignisse der Saison.
Dem Hoforchester erwuchs ernsthafte Konkurrenz, als im Jahre 1891
Dr. Kaim nach München kam, zunächst eigentlich nur als Propagator für
die Kaimsche Klavierfabrik. Bald aber ging sein Ehrgeiz weiter; er bildete
sich ein eigenes Orchester und ließ sich dann durch Martin Dülfer dazu
das eigene Haus, den Kaim-Saal, erbauen. Erster Dirigent war Hans
Winderstein; ihm folgten bei der Einweihung des Kaim-Saales durch ein
Musikfest Herman Zumpe, dann Ferdinand Löwe, der so überaus glück-
88
278
DIE MUSIK VII. 17.
lieh für Brückner eintrat, Weing«rtner und Schn6evoigt. Neben den
Abonnements- und populären Konzerten erschien bald noch die schöne
Einrichtung der Volks-Symphonie-Konzerte zu billigen Preisen, die
Langenhahn, Hausegger, Dr. Dohrn, Stavenhagen, Peter Raabe u.a.,
zuletzt Boehe und Courvoisier zu Leitern hatten. Seine Glanzzeit er-
lebte das Kaimsche Unternehmen unter Weingartner. Kaim und sein
Orchester wirkten zu jener Zeit durch ihre Pflege neuerer Kunst überaus
segensreich; ihr Vorgehen zwang die stark in klassizistischen Traditionen
befangene Akademie, modernere Werke in größerem Umfang in ihr Pro-
gramm aufzunehmen und so auch ihr Publikum zu größerer Unbehngen-
heit und Duldsamkeit zu erziehen. Wie sehr Mfinchen die Stadt ist, in
der kühnes Vorwärtsstreben Aussicht auf Erfolg hat, beweist die Geschichte
des Kaimschen Institutes, beweist der stille aber zähe Kampf, den es mit
der Akademie führte, und beweist der Sieg, den es unbezweifelbar eine
Zeitlang über seine ältere Rivalin errang. Mit Weingartners Weggang be-
gann der Stern zu erbleichen; es kamen die oft erörterten finanziellen
Schwierigkeiten dazu, das Orchester konnte nicht mehr auf der alten Höhe
erhalten werden; 1908 trat dann die Katastrophe ein, die das verdienst-
volle Unternehmen mindestens für länger lahmlegen wird. Es darf aber
nie vergessen werden, daß München seine Entwicklung zur modernen
Musikstadt nicht zum kleinsten Teil der Initiative und dem Opfermut von
Hofrat Kaim verdankt. Weingartner insonderheit angerechnet sei noch
seine gerechte Berücksichtigung der jungfranzösichen Schule. Daß der
Fall Kaims leider auch den ungemein anregenden Konzerten unter Hans
Pfitzner ein vorzeitiges Ende bereitete, muß als eine seiner bedauer-
lichsten Folgen bezeichnet werden.
Spricht man von der Umwandlung unserer Stadt zu ihrer heutigen
Empfänglichkeit für alle Neuerscheinungen, so muß auch def Name Heinrich
Porges' genannt werden. Als Kritiker hat er ebensosehr wie als Dirigent
nach dieser Richtung Gutes gewirkt. Mit großen persönlichen Opfern an
Kraft und Energie hielt er den von ihm gegründeten Chorverein immer
wieder, als beste Waffe in seinem mutigen Kampfe vor allem für die An-
erkennung Liszts und Berlioz'. Ja, man kann sagen, er ist in diesem
Kampf und an diesem Kampf, in dem er seine ideale Lebensaufgabe sah,
gestorben. Seine letzte Tat war eine glänzende Aufführung von Liszts
»Christus"; ihre Wiederholung ging über seine Kräfte und kostete ihn das
Leben. Von Vorgängern und gleichzeitig existierenden Vereinigungen sind
neben dem Porgesschen Chorverein zu nennen der Chorverein, den
Lachner und Wüllner dirigierten, der Oratorienverein, von Baron
Perfall gegründet, vor seiner Auflösung von Schwartz nnd Glath ge*
leitet, femer der Lehrergesangverein und, etwas jüngeren Datums, der
279
AN DER ISAR
Ji
Chorschulverein unter Domkapellmeister Wdhrle. Der letztgenannte
Chor hat das große Verdienst, alte Musik zu pflegen; er hat damit der
Renaissancebewegung in der Musik eminente Dienste geleistet. Völlig der
Wiedergabe alter Kammermusikwerke im Stil ihrer Zeit gewidmet hat sich
fibrigens die allbekannte und nicht hoch genug zu schätzende »Deutsche
Vereinigung für alte Musik", eine Gründung Dr. Bodensteins.
Vor einigen Jahren nun schien es fast — und manchen Musikfreund
mag dieses Anscheinen mit Sorge erfüllt haben — als wollte Münchens
Konzertleben in dem Sturm von Solisten- und sonstigen Abenden, der
allwinterlich durch Deutschland fegt, ganz seine Eigenart einbüßen. Hatten
früher auch gewisse Virtuosen, die in die Stadt kamen, Begeisterung und
Sensation erregt, so des öfteren Sarasate, einmal auch Sauer, dann der
kleine Koczalsky und andere, so blieb derartiges doch vereinzelt, und die
eigenwertigen Leistungen auf Instrumental- und Chorgebiet bildeten den
stets dominierenden Grundakkord. Zu der immer wachsenden Über-
schwemmung von außen, die auch viel Mittelgut hereintrug, trat jedoch
vor, wie gesagt, wenigen Jahren unglücklicherweise der Umstand, daß
die Akademie etwas von ihrem früheren Ruf einbüßte und die alten
Chorvereinigungen sich zu lockern, ja sich ganz aufzulösen begannen.
Allein, plötzlich kam ein neuer und starker Aufschwung. Felix
Mottl übernahm die Direktion der Musikalischen Akademie und führte sie
binnen kurzem wieder zu glänzender Höhe. Neben aller Pflege klassischer
Musik gab er in den Programmen dem modernen Schaffen breiten Raum;
seiner begeisternden Führung folgt sein ausgezeichnetes Orchester ebenso
willig wie das Publikum. Und wenn es gerade um die Chorverhältnisse
sehr trübe bestellt war, so haben darin die letzten Jahre ebenfalls gründ-
lichen Wandel geschaCTen. Der Porges-Chor und der Chor des Orchester-
vereins haben sich zur Konzertgesellschaft für Chorgesang unter
Kammersänger Heß zusammengeschlossen, und der Lehrergesangverein
hat sich mit dem Lehrerinnen-Singchor unter Kapellmeister Fritz
Cortolezis vereinigt. Beide großen Chöre leisten ganz Vorzügliches;
sie sind ebenso wie das Hoforchester berufen, beim Tonkünstlerfest mit-
zuwirken.
Ja selbst die Affäre Kaim (die übrigens einer neueren Gründung,
dem Philharmonischen Orchester unter Jan Ingenhoven, zu freierer
Entfaltung verholfen hat) mag als ein endgültiges Gesundungszeichen zu be-
trachten sein ; durch einen gewaltsamen Prozeß wurde Krankes abgestoßen ;
und gleichviel nun, ob durch eine endlich durchgreifende Sanierung das
Kaimsche Unternehmen selbst wieder lebensfähig gemacht wird, oder ob
sich anderweitig ein neues Orchester auf gesicherter Grundlage bildet,
jedenfalls bekommt München im nächsten Winter ein zweites erstklassiges
280
DIE MUSIK VII. 17.
Koozertorchester, dessen es neben dem Hoforchester bei der Fülle der zn
erledigenden Aufgaben dringend bedarf.
So ist heute die Gefahr vollkommen überwunden, der unser Musik-
leben kurze Zelt verfallen schien: wild nach allen Seiten zu wucbera,
obne noch - allzuviel stammeigene Früchte zu tragen. Nun sind alle Krifte
wieder konzentriert, ein starkes Gegengewicht gegen die Unzahl dessen,
was von aufien eindringt, ist geschaffen. Welche hervorragenden Früchte
diese Konzentration schon getragen bat, lehrt leicht ein Blick Inf die
Ergebnisse der letzten Winter. Und gerade sein freies und frohes
Erfassen, sein liebevolles VerstSndnis für alles Neue, das Erbhrungen,
wie sie Schillings vor nicht zu langer Zeit in Berlin einmal mit seinem
.Seemorgen* machte, ausschlieüt and das den bahnbrechenden Kon-
zerten der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Musikvereins schon so
starken Erfolg verschaffte, gerade dieses bereitwillige, jugendfrische Ent-
gegenkommen für alles Moderne im guten Sinn gibt München wieder eine
eigenartige Physiognomie als Konzertstadt und läßt es zum Festort für die
Versammlung des Allgemeinen Deutsches Musikvereins ganz besonders
geeignet erscheinen. Das Tonkünstlerfest soll auch den Musikern und
Musikfreunden ganz Deutschlands zeigen, was München als Musikstadt zu
geben vermag; möchten seine Gaben freundliche Aufnahme Bndenl
Dr. Eduard Walil
ZUM 44. TONKÜNSTLER-FEST
DES ALLGEMEINEN DEUTSCHEN
MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
Das diesjährige Tonkünstlerfest (die 44. Jahresversammlung) des
Allgemeinen Deutschen Musikvereins findet in München in den
Tagen vom 1. bis S.Juni statt. Außerdem sind die Mitglieder bereits am
30. Mai zu einer Opernvorstellung im Künstlertheater der Ausstellung
eingeladen.
Das Programm lautet, mit Vorbehalt etwa noch nötig werdender
Änderungen :
Samstag, den 30. Mai, nachmittags:
Vorstellung im Künstlertheater der Ausstellung.
Chr. W. Gluck: «Die Maienkönigin'.
Hermann Bischoff: «Tanzlegendchen* (nach Gottfried Keller).
Sonntag, den 31. Mai:
sollen Führungen durch die Pinakothek, das Nationalmuseum und durch
die Ausstellung veranstaltet werden; bei genügender Beteiligung könnte
nachmittags auch ein Ausflug in das Isartal oder an den Starnberger See
veranstaltet werden.
Montag, den 1. Juni, nachmittags 5 Uhr:
Festaufführung im Prinz-Regenten-Theater.
Friedrich Klose: .Ilsebill«*.
Im Anschluß hieran, abends 8^2 Uhr, offizielle Begrüßung der
Festteilnehmer durch die Stadt München im alten Rathaussaal.
Dienstag, den 2. Juni, vormittags 10 Uhr:
Öffentliche Hauptprobe zum ersten Orchesterkonzert.
Abends 7V, Uhr:
Erstes Orchesterkonzert (Stuttgarter Hofkapelle) im Odeon.
Paul V. Klenau: Symphonie f-moll für großes Orchester.
Ernest Schelling: Suite fantastique für Klavier und Orchester.
Jan van Gilse: »Erhebung*, Symphonie No. 3 für eine hohe Sopran-
stimme und großes Orchester.
Max Schillings: »Glockenlieder*, vier Gesänge mit Orchester, op. 23.
11
282
DIE MUSIK VII. 17.
Mittwoch, den 3. Juni, vormittags 1 1 Uhr:
Erstes Kammermusikkonzert im Saale des Hotels ^Zu den vier
Jahreszeiten'.
Karl Pottgießer: Quartett für zwei Violinen, Bratsche und Violoncell.
Georg Vollerthun: Lieder.
Walter Braunfels: Fünf Bagatellen aus op. 5 und drei Stadien ans
op. 9 für Klavier.
Georg Vollerthun: Lieder.
Kurt Schindler: Lieder.
Henri Marteau: Kammersymphonie (Octette symphonique) für Flöte,
Klarinette, Hörn und Streichquintett.
Nachmittags 5 Uhr:
Festaufführung im Prinz-Regenten-Theaten
Max Schillings: «Moloch".
Donnerstag, den 4. Juni, vormittags 10 Uhr:
Öffentliche Hauptprobe zum zweiten Orchesterkonzert.
Nachmittags 3 Uhr:
Hauptversammlung im Saale des Museums, Promenadestraße 12.
Abends 7*/« Uhr:
Zweites Orchesterkonzert (Münchner Hofkapelle) im Odeon.
Frederick Delius: «Eine Messe des Lebens"* (Zweiter Teil) für Soli,
Chor und Orchester.
Josef Krug-Waldsee: „Der goldene Topf*, symphonische Dichtung
für großes Orchester, op. 51 (nach E. T. A. Hoffmanns phantastisch-
humoristischem Märchen).
Wilhelm Berger: Zwei Gesänge mit Orchester (noch fraglich).
Karl Bleyle: «Flagellantenzug", Tondichtung für großes Orchester, op. 9.
Siegmund V. Hausegger: »Sonnenaufgang", ein Freiheitssang nach Gott-
fried Keller für gemischten Chor und großes Orchester.
Freitag, den 5. Juni, vormittags 11 Uhr:
Zweites Kammermusikkonzert im Saale des Hotels «Zu den vier
Jahreszeiten".
Richard Lederer: Quartett in A für zwei Violinen, Viola und VioloncelL
Karl Kämpf: Lieder.
Carl Ehrenberg: Sonate in Es-dur für Violine und Pianoforte, op. 14.
Roderich v. Mojsisovics: Lieder.
Kurt Schindler: Lieder.
Paul Juon: Trio-Caprice (nach Selma LagerlöPs «Gösta Beding*) für
Klavier, Violine und Violoncell, op. 39.
Nachmittags: Festaufführung im Prinz- Regenten-Theater.
Hector Berlioz: .Die Trojaner« (L Teil 4—6 Uhr, IL Teil V»8— II Uhr).
283
44. tonkOnstler-fest
_:.v^.
Festdirigenten sind die Herren Generalmusikdirektor Felix Mottl,
Hofkapellmeister Dr. Aloys Obrist und Ludwig Heß, Dirigent der
Konzertgesellschaft für Chorgesang.
Außerdem haben folgende Künstler und Künstlervereinigungen ihre
Mitwirkung in den Konzerten zugesagt:
Die Königlichen Hoforchester von München und Stuttgart; die
Konzertgesellschaft für Chorgesang; Fräulein Mientje van Lammen
(Sopran); Fräulein Else Schünemann und Fräulein Olga von Weiden
(Alt); die Herren Kammersänger Rudolf Gmür (Baß), Benno Haberl
und Ludwig Heß (Tenor), Kammersänger Josef Loritz (Bariton); das
Ahner-Quartett (Konzertmeister Bruno Ahner, Kammermusiker Emil
Wagner und August Haindl, Kammervirtuos Karl Ebner); das
Münchener Streichquartett (Professor Theodor Kilian, Georg
Knauer, Professor und Konzertmeister Ludwig Vollnhals, Konzert-
meister Heinrich Kiefer); das Russische Trio (V6ra Maurina,
Michael Preß und Josef Preß); Professor Schmid-Lindner
(Klavier); Kammermusiker J. Horbelt (Kontrabaß); Professor B. Hoyer
(Hom); Kammermusiker H. Scherrer (Flöte); Kammervirtuos Karl
Wagner (Klarinette).
ILSEBILL
von Friedrich Klose')
... In einem ganz eigenartigen Verhältnis zur Symphonieform steht auch
Kloses Opemwerk: «Ilsebill. Das Mirlein von dem Fischer und seiner
Frau**» das der Komponist selbst eine «dramatische Symphonie' nennt. Ich
finde diese Benennung nicht sehr glucklich, insofern sie von anderen (wie z. B. von
Berlioz bei seiner «Romeo und Julia'-Symphonie) schon für eine ganz andere Art
von musikalischen Kunstwerken Verwendung gefunden hat Aber sie ist in höchstem
Maße bezeichnend für das kfinstlerische Ideal, das Klose vorschwebte, und das er in
formal-stilistischer Hinsicht mit nahezu restlosem Gelingen verwirklicht hat. Er
wollte eine Symphonie schreiben, d. h. also ein Werk der Tonkunst, das durch
parallel verlaufende szenische Vorginge gleichsam als eine Art von theatralisch dar-
gestelltem «Programm** erginzt und erliutert wird. Wie alle nennenswerten Opern-
komponisten unserer Zeit ist auch Klose von Richard Wagner ausgegangen und in
seiner musikilischen Ausdruckssprache verrit er vielfach noch sehr deutlich die
Herkunft von der Kunst des Bayreuthers, stellenweise nicht weniger als sein Text-
dichter Hugo Hoffmann in den Stabreimen des Librettos. Aber trotzdem ist das,
worauf er eigentlich hinaus will, etwas ganz anderes als das «musikalische Drama"
im Sinne Wagners, das «Gesamtkunstwerk", zu dessen Verwirklichung sich Poesie
und Musik — die also beide hier nur «Mittel zum Zweck" sind — als gleichberech-
^) Nachstehende Erläuterung des Kloseschen Werkes ^entnehmen wir dem
Aufsatz «Friedrich Klose" von Rudolf Louis im 7. Heft des VIL Jahrgangs der
«Musik" (Moderne Tonsetzer, Heft 3), S. 28ff.
284
DIE MUSIK VII. 17.
Ji
tigte, einander erginzende Faktoren sich verbinden. Vielmehr handelt et sich in
«Ilsebill* um einen durchgeführten musikalisch-poetischen ParallellsmoSy um ein
kfinstlerisches Ideal, das von dem von Richard Wagner in »Oper und Drama* theo-
retisch aufgestellten wesentlich abweicht^ dessen Verfechter sich aber darauf berufen
kann, daß auch der Bayreuther Meister in seinen spiteren kunstphilosophischen Aus-
lassungen (im »Beethoven*, in dem Aufsatx »Ober die Benennung Muaikdnma*) sich
ihm ganz unverkennbar angenihert hat. Die Tendenz, ohne "Verleugnung der großen
Errungenschaften der Wagnerschen Kunst in der Art eine Modifikation und Korrektur
an dem Bayreuther Kunstideale vorzunehmen, daß man das Drama als solches
wieder mehr in den Hintergrund treten lißt und im Zusammenhang damit die fein
und absolut musikalischen Absichten wieder stirker hervorkehrt, diese Tendenz
gibt dem Spiele »Von dem Fischer und seiner Frau*, wie mir scheinen will, eine
ganz eminente entwickelungsgeschichtliche Bedeutung. Es ist nicht nur seines
starken künstlerischen Gebaltes, sondern vor allem seiner Form wegen von Wichtig-
keit, als ein stilistischer Fingerzeig und Wegweiser in die Zukunft der Oper.
Den Stoff zu »Ilsebill* ^) hat das bekannte plattdeutsche Mirchen »Von dem
Fischer un syner Fru* geliefert, das die Brfider Grimm in ihrer unschitxbaren
Sammlung deutscher »Kinder- und Hausmirchen* (1. Band, No. 19) uns erzählt haben.
In der Form, wie das Mirchen die Geschichte behandelt, ist sie die phantastisch-
humoristische lUustrierung der ethischen Wahrheit, daß es im Wesen des mensch-
lichen Höherstrebens selber liegt, an der Maßlosigkeit des eigenen WoUens und
Wunschens zu scheitern, das Endziel der Befriedigung zu verf^hlen^ nicht weil es
auf falschem Wege gesucht, sondern weil auf dem rechten Wege nicht zur rechten
Zeit haltgemacht wird. Es ist die Warnung vor der Verderblichkeit jener Hybris, von
der schon die alten Griechendichter so vieles zu singen und zu sagen wuBten, —
die als »Fabula docet* den moralischen Kern des Mirchens bildet. In isthetiecher
Hinsicht gibt ihm der wirkungsvolle Kontrast zwischen grotesker Phantastik und
derbem Realismus, der Gegensatz von grob schematisierender Stilisierung und liebe-
voller Detailausmalung, in der sprachlichen Einkleidung die breite Behaglichkeit des
pommerschen Platt sein eigenartig-reizvolles Geprige.
Es ist klar, daß Friedrich Klose, als er es unternahm, der Anregung und einem
um das Jahr 1860 entworfenen Plane seines Vaters folgend, das Grimmsehe Mirchen
zu einem Opemwerke zu benutzen, nicht die Absicht haben konnte, die Erzihlnng
»Von dem Fischer und syner Fru* so, wie sie in der Mirchensammlung vorliegt^ zu
dramatisieren. Vielmehr konnte es sich nur darum handeln, daß das Mirchen
ihm mit seinem Grundgedanken und einigen EinzelzQgen den Keim liefimey aas
dem eine eigene und selbstindige Dichtung zu entwickeln war. Diese Selb-
stindigkeit der vom Schwager des Komponisten, Hugo Hoffmann, verfaßten Opern-
dichtung nachdrücklich zu betonen, ist deshalb wichtig, weil derjenige sich von vera-
herein in eine ganz verkehrte Stellung zu der Hoffmannschen Arbeit bringen wfifde,
der mit der Erwartung an sie herantrite, das Mirchen selbst, d. h. dieselben isthetischen
Reize und Qualititen, die uns an jenem entzücken, nur in anderer, nimlieh in dnae-
tischer,Form und Einkleidung wiederzufinden. Ein solcher müßte notwendigerwdseflefea
die Verdienste des Textdichters ihnlich ungerecht werden, wie es seinerzeit so manche
Beurteiler der Wagnerschen »Nibelungenring*-Dichtung gegenüber dem Bayrendier
^) Vgl. »Ilsebill. Das Mirlein von dem Fischer und seiner Frau. Eine di«-
matische Symphonie von Friedrich Klose. Gedicht von Hugo Hoifknann. Erliatenni|ao
zur Dichtung und zur Musik von Rudolf Louis.* Karlsruhe i* B. 1007.
285
44. tonkOnstler-fest
Meister feworden sind, wenn sie dessen Werk sm Nibeluncenliede msiton oder mit
ihm in eine gänzlich unsngebrschte PsrsUele setzten. Vielmehr ist streng dsrsn
festzuhalten, daß das Mirchen fQr die Opemdichtung nur den oben umschriebenen
Grundgedsnlcen, den iußeren Rahmen der Handlung und eine oder die andere stoff-
liche Anregung geliefert hat. Vor allem war die Handlung selbst in ihrer fort-
schreitenden EntWickelung durchaus frei zu motivieren. Was die Charakterisierung
der handelnden Personen anbelangt, so war eigentlich nur der eine Zug, daß das
Weib den ins Maßlose strebenden Ehrgeiz reprisentiert, im Mirchen deutlich vor-
gebildet. Für den iußeren Verlauf der Handlung waren dann vornehmlich zwei Dinge
wichtig, die schon dem Mirchen eigen sind. Einmal der Umstand, daß die Auf-
einanderfolge der Wünsche wie der Geschehnisse den Charakter einer unaufhaltsam
wachsenden Steigerung an sich trigt, und dann der Anteil, den die Natur an den
Ereignissen nimmt, indem die anfangs friedlichen Elemente in dem Maße, als Ilsebill
immer höher hinaufwill, immer mehr in ihren Äußerungen den Charakter des
Drohenden und Warnenden annehmen.
Insoweit der Textdichter von der Mirchenvorlage abwich, mußte er einerseits
vereinfachen und zusammenziehen — indem er die sechs Verwandlungen der Original-
erzihlung auf vier reduzierte — anderseits vervollstindigen und erweitem, indem er
den halbschematischen Rahmen einer Handlung, den das Mirchen eigentlich
nur gab, mit dramatischem Leben und Inhalt zu erfüllen und durch psychologische
Motivierung dieser Handlung die Konsequenz eines dramatischen Geschehens
aufzuprigen hatte. In der Oper verlaufen die Ereignisse nun folgendermaßen: Der
arme Fischer, der zusammen mit seiner Frau Ilsebill in einem kümmerlich zu einer
Wohnung hergerichteten hohlen Baum haust — und zwar nicht wie in dem platt-
deutschen Mirchen an der See, d. h. am Meere, sondern entsprechend der Ober-
tragung der Dichtung ins Hochdeutsche: im Binnenlande an einem Gebirgs-
see ^, er fingt eines Tages einen riesengroßen Wels (Waller, Silurus glanis L.),
der ihn zu seinem höchsten Erstaunen in menschlicher Sprache um Schonung anfleht
Freigelassen, gelobt der Fisch dem Fischer Dankbarkeit und Freundschaft In dem
Augenblick, da der Mann der ungliubigen Frau sein Abenteuer erzihlt, hört man ein
lustiges Lied ertönen: Bauern sind es, die auf der nahen Bergeshöhe sich ihres
Lebens freuen. Ilsebill wird aufmerksam, und blitzschnell erwacht in ihr der Ge-
danke: so gut wie diese Bauern möchte sie es auch haben. Der Fischer muß zum
Ufer hinab, den Wels herbeirufSen und einen Bauernhof von ihm begehren. Der Wunsch
geht sofort in Erfüllung, und alles ist zunichst eitel Glück und Zufriedenheit Da
nihert sich dem Bauernhaus eine herrschaftliche Jagdgesellschaft: ein Ritterfriulein
hoch zu Roß mit glinzendem Gefolge. Und dieser Anblick, diese Erfahrung, daß es
noch Höherstehende und Michtigere gibt, weckt von neuem Ilsebills Begehrlichkeit
Der Wels soll sie in den Ritterstand erheben, und er tut es. Doch auch die Freude
üt>er diese Erhöhung ist nur von kurzer Dauer. Auf dem Schlosse, wo die früheren
Fischersleute herrschen, erscheint ein Mönch, der den Kreuzzug predigt, und Ilsebill
muß einsehen, daß die weltliche Macht vor der geistlichen zu weichen hat Niemand
von den sonst treu ergebenen Rittern und Knappen hört mehr auf ihre Befehle, alles
folgt dem Ruf der Kirche. Diese schmerzliche Erkenntnis hat wieder den Erfolg,
ihren Ehrgeiz noch höher hinauf zu steigern: auch diese letzte Süffel höchster, an-
scheinend unbeschrinkter Macht muß sie erklimmen. Aber selbst jetzt, nachdem die
Zaubermacht des Fisches sie zum Bischof gemacht, muß sie noch eine Enttiuschung
erleben. Ein Gewitter, das wihrend des Vorhergehenden allmiblicb aufgezogen ist,
entlidt sich mit furchtbarer Gewalt. Entseulich ist dss Toben der entfesselten
286
DIE MUSIK Vll. 17.
Elemente, und an ihrem Wfiten scheitert auch die Macht der Kirche. Asftt und
Schrecken ergreift die Menschenmassen, die von fiberallher zosammengettrOmt sind,
um unter dem Banner der Kirche in den heiligen Kampf zu ziehen. Kein Wort der
Drohung und Beschwörung, kein Bannfluch kann die allgemeine Flucht aufhalten, die
nun anhebt. Und noch einmal muß Ilsebill sich ihre Ohnmacht eingestehen. Nur
wer auch fiber die Natur zu gebieten vermag, herrscht wirklich schrankenlos, und
das kann — Gott allein. Halb wahnsinnig in maßloser Oberhebung scheut das un-
selige Weib auch vor dem letzten Frevel nicht zurück: so will sie sein, wie Gott^
und was ihr zuletzt zuteil wird, das ist die schmihliche Rückkehr zu ihrem ersten
kummerlichen Fischerdasein.
Eine kolossale Steigerung ist, wie man sieht, die künstlerische Form des
Ganzen. An dieser Steigerung nimmt nun die Musik in doppelter Welse teil. Einmal
mehr innerlich, indem die musikalische Ausdruckssprache im Verlaufe der Hand-
lung immer schwerer, gehaltvoller und komplizierter wird. Dann aber noch rein
iußerlich dynamisch, indem die Instrumentation so angelegt wurde, daß nach
der kurzen Einleitung, in der vom vollen Orchester in beschränktem Maße Gebrauch
gemacht ist, weiterhin verwendet werden: im ersten Bild nur Saiteninstrumente,
nimlich Streicher, Harfe, Klavier und als Vogelstimme eine Flöte auf der Bühne;
im zweiten Bild Saiteninstrumente und Holzbliser, dazu in derjagdszeno vier
Hörner auf der Bühne; im dritten Bild volles Orchester (durch Hinzutreten der
Blech- und Schlaginstrumente), — ein Wichterhorn auf der Bühne; im
vierten Bild volles Orchester, außerdem Orgel und sechs Posannen anf der Bühne,
Donner-, Sturm- und Regenmaschinen; im fünften Bild ganzes Orchester (In be-
schritt kter Verwendung wie bei der Einleitung), — als Vogelstimme eine Flöte auf
der Bühne.
In Einzelheiten, wie schon gesagt, den Einfluß Richard Wagners noch vielfech
verratend, ist Kloses „Ilsebill'-Musik in der Ganzheit von einer Eigenart, einer Macht
und Kraft der unmittelbaren Wirkung, die selbst den, der von Klose das Höchste er-
wartete, auf das Höchste überraschen mußte, als er sie zuerst kennen lernte. In
dieser Oper ist der deutschen Bühne wieder einmal ein Werk gewonnen, das zwar
ganz und gar nicht dazu geeignet ist, ^Sensation*, wie etwa Richard Strauß' i,Salome*,
zu machen, das aber die beiden so selten vereinigten Vorzüge in gleicher Weise be-
sitzt: den anspruchsvollen Kenner und ernsten Musikfreund nicht minder zu fesseln
und zu befriedigen, wie es eines starken Theatererfolges beim großen Publikum stets
gewiß sein kann.
Rudolf Louis
SYMPHONIE F-MOLL
von Paul v. Klenau
(Adagio; Allegro maestoso — Adagio espressivo — Allegro scherzando;
Allegro molto)
Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, Englisch Hom, 2 Klarinetten, 2 Fagotts, Kontra-
Fagott, 8 Homer, 4 Tuben, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Baßtuba, Schlagzeug, Of|el,
2 Harfen, Streichquintett.
Die Form meiner Symphonie ist rein musikalisch-architektoniach gedacht^ und
es liegt dem Werk keinerlei Programm zu Grunde. Der Inhalt ist somit ein reiner
Empflndungsinhalt, und steht weder zu Vorstellungsbildem noch zu Irgend welchea
psychologischen Vorgingen in Beziehung.
287
44. TONKONSTLER-FEST
M
ThemenniAteriAl:
Einleitung
Adagio
Fl.
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Erster Satz
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288
DIE MUSIK VII. 17.
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Zweiter Satz
Adagio espressivo FI.
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44. TONKONSTLER-FEST
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VII. 17
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290
DIE MUSIK VII. 17.
Schlußsatz
Allegro scher zando
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usw.
Trio
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Allegro molto
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291
44. TONKONSTLER-FEST
Adagio (Choral)
U8W»
Org. Bl.
Paul V. Klenau
PHANTASTISCHE SUITE
für Klavier und großes Orchester
von Ernest Schelling
(Besetzung: 3 Flöten, 2 Oboen, Englisch-Horn, 2 Klarinetten, Baßklarinette, 2 Fagotts,
Kontrafagott, 4 Homer, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Baßtuba, 2 Harfen, Tamburin,
Pauken, Klavier und Streicher [meistens geteilt])
I. AUegro marziale fls-moU 'U-
Nach kurzen Orchester- und Klavierkadenzen bringt das Klavier das erste Thema mit
begleitenden Streichern (Pizz.):
1. Klav.
risoluto
1/ u u u
Das Orchester intoniert dann das Thema, vom Klavier begleitet. Nach dem Abschluß
bringt die Klarinette ein Nebenthema (später verwendet):
2.
0
J=t
^ß
^
t
espress.
EntWickelung; kleine Soli anderer Instrumente. Klavierpassagenwerk hinQberleitend
zum zweiten Thema (D-dur Dominante):
3. Cantabile
zusammen mit Violoncelli soll:
3 a.
mf
espress
lÖ*
202
DIE MUSIK VII. 17.
Verarbeitung mit Holzbläsern, Streichern und Hörnern, immer in der Domiaante bis
zur Durchfuhrung. No. 1,2, 3 werden tolittitch im Orchester und kontrapunktiscta ver-
arbeitet. Das Klavier hat Passagenwerk. Die Violinen vergrößern No. 2 und leiten
eine große Steigerung ein. Die Trompeten bringen den Anfing von No. 1 in £^
innerung. Langer Klaviertriller. Meno mosso tranquiüo setzt das Englitch-Hom mit
No. 1 ein. Die Holzbläser nehmen den Triller auf. Das Klavier bringt Thema No. 1.
No. 3und 3 a erscheinen hierauf in der Dominante in Ges-dur, verschieden verartieiteL
Die Holzbläser bringen fortissimo No. 1, schneller Abschluß mit Coda in Fis-dur.
II. Scherzando e molto leggiero H'dur */8, sehr leicht und phantastisch. Die
Holzbläser bringen eine rhythmische Figur, die durch das ganze Scherzo geht:
Fl. staccatissimo
mit der das Klavier das Hauptthema bringt:
4a)
^
n - • • •
^
• • •
e
_t t_
^
Dieses wird nun umgekehrt. Die Oboe bringt ein neues Thema, das im Trio ver^
wendet wird. Die Geigen bringen folgende Figur:
Holzbl.
-ä-i — ' — ' — M — • — d — i — • — i-
Trio in V« mit Englisch-Horn Solo:
5a.
^
t
t=si
■«•-
t
5=23
r==|:
** fi*'-
t—er'
¥
■&-
t
1— «>» i I e>r
t=t
'JZcL
i» — 1
^1-
dann Duo für Englisch-Horn und Klavier und Scherzo da capo.
III. Intermezzo Adagio Des-dur ^/i.
Das Thema wird angedeutet durch die Solo-Oboe:
Klarinette (Echo).
espress.
Das Klavier bringt dann daa lange stimmungsvolle Thema, worauf die KUriuettJ
variiert:
293
44. TONKONSTLER-FEST
Hörn. ^
gestopft
Kla?ier-Kadenzen. Celli soli:
espress»
Klavier-Kadenz. Dann wieder 6a etwas verändert. Baßklarinetfe, Harfe, Engliscb-
Horn haben Soli. Abschluß ppp.
IV. Virginia Reel (ein nationaler amerikanischer Tanz, eine Art Gigue endia-
bl6c), Motto Vivace, Ges-dur %,
Das erste Thema ist aufgebaut auf «Dixie*, einem nationalen amerikanischen Lied,
das von den Sudstaaten im Burgerkriege als Kriegtmarsch benutzt wurde:
Klav.
Trp. gest.
Jr-
Holzbl.
8 höher.
^
ä
Horn gest
. ^ I
Das Orchester variiert und phantasiert Qber obiges bis zum zweiten Thema, zwei-
gliedrig:
9.
Cl.
i^^iSJL^i^
Ob.
Klav.
8R
204
DIB MUSIK VII. 17.
Nach EntWickelung und Steigerung bringt die Trompete:
10.
H
^^ES
(Scberzo)
Fermate in Des-dur. Darauf kommt ein altes Sklayenlied: »Vay down the Swanee
River*, von den vierfach geteilten Geigen usw. in Flageoletts gespielt zusammen mit
»Dixie« (Klavier):
ppp
Klav.
Etwas Kontrapunkt, Umkehrung von 11, Wiederholung von 8, darauf nach 0 in Gcs diir
letzte Abteilung mit dem Thema:
Viol. I und II
12. ^_^
sul G largamente
Große Steigerung zum fffy wo 8, 9 und 11 zusammen kommen. Coda: ein wilder
Reigen fanatisch gesteigert. Man hört den Rhythmus des i^Dixie" bis zu Ende.
Ernest Schelling
.ERHEBUNG« SYMPHONIE NO. 3
für eine hohe Sopranstimme und großes Orchester
von Jan van Gilse
(Orchesterbesetzung: 3 Flöten [2 kleine Flöten], 2 Oboen, Englisch-Hom [auch
3. Oboe], Es-Klarinette, 2 B-Klarinetten, Bsßklarinette, 2 Fagotte und Kontrafigott,
6 Homer, 4 Trompeten, 3 Posaunen und Tuba, 2 Paar Pauken, Becken, großs Trommel,
Triangel und Glockenspiel, Streichorchester. Im dritten und fQnften Satz eine hohe
Sopranstimme.)
Als ich vor einigen Jahren bei Gelegenheit der Erstaufführung meiner zweiten
Symphonie in Amsterdam um eine Analyse gebeten wurde, schrieb Ich folgende
Zeilen In das Programmbuch: »Man sollte doch, wo es sich nm ein tymphonlicbes,
nicht programmatisches Werk handelt, vermelden, dem Hörer eine poetische Er^
kläning, wenn diese überhaupt in einer abstrakten Form gegeben werden kann, snf»
zuzwingen. Selbst da, wo der Autor imstande wäre, ein »Programm' zn geben, ver-
meide man es: ich glaube nicht, daß es zum Genießen eines Werkes beltrigc, nnd
es nimmt dem Hörer die Unbefangenheit, mit der er der Komposition gegenfibenria.*
Und jetzt, wo die Bitte zu mir kommt, meine dritte Symphonie dnreh eine
Analyse zu erläutern, da empfinde ich wiederum die Wahrheit dessen, was Ich da-
mals schrieb.
295
44. TONKÜNSTLER-FEST
Ich möcbte meiner dritten Symphonie nur ihr Motto als Leitwort auf den Weg
mitgeben« Denn auch hier handelt et sich nicht um Programmutik. Und wenn ich
hoffe, daß das musikalische Verständnis auch ohne thematische Analyse gewonnen
werden kann, so möchte ich auch wGnschen, daß der Stimmungsgehalt und die
Stimmungsverbältnisse keiner näheren Andeutung tiedürfen, als der Text des Gesanges
dem Hörer geben wird. Denn »Erhebung* will als Symphonie wirken und seinen
Inhalt im symphonischen Stil und in symphonischen Formen zur Dsrstellung bringen.
Und welchem Antriebe das Werk sein Entstehen verdankt, das sagt das Sopransolo
zum dritten Satz, das sagen die Strophen aus dem Hohenliede. Zum Schluß und am
klarsten sagt es das Motto, das ich jetzt der Auffuhrung vorausschicke:
Gebückt in mich und lebensmud' ging ich auf dunklen Wegen,«
Wo Todesstimmen riefen ... Da kamst du mir entgegen,
O Liebe! Fubrtest mich auf himmelklaren Höh'n.
Nun weiß icb: »Nur aus Liebe ist alles gut und schön!*
Jan van Gilse
QUARTETT
für zwei Violinen, Bratsche und Violoncell
von Karl Pottgießer
Erster Satz. Einer Einleitung, die mit kräftigen Akkorden:
Ruhig
^^.
t
I
*f ! »/
:l=q=^i=»bi
w^m
»f
«*
und einer rezitativisch melodischen Andeutung der späteren Themen beginnt, folgt
der thematische Aufbau:
Belebt
*2^3
Oberleitung zu II.
Ruhig
IjJ.. loco
fegs
pp
- 'Jl
p
J=lp
yixüji!^
t
V" r-'T-^E
fe
poco rit.
aBat,
296
DIE MUSIK VII. 17.
IL Sehr mäßig bewegt
Zweiter Satz.
I. Nicht zu langsam
Cello
^sanTT^fgTsJ I jy^L '
Viol. I.
II. Etwas bewegter
^^m
I. r r I f fij:
£fe
usw.
Die Themen finden in Doppelvariationen weitere Verwertung.
Dritter Satz. (Scherzo mit zwei Trios).
1. Lebhaft
fP
poco sost
IL Ruhig
ntwi
lll. Fröhlich bewegt
^^^^
usw.
297
44. TONKONSTLER-FEST
Vierter Satz. Zwischen Scherzo und Schlußsatz wird noch ein kurzer lang"
sanier Satz eingeschoben mit folgenden thematischen Mitteln:
Nach einer Einleitung
I. Ruhig
' i i ^ } - — ^
Baß: G •
— usw.
II. Bewegt
Fünfter Satz. (Rondoform)
Einleitung:
Etwas gehalten w fr
USW.
I. Bewegt
ffg^ij^^^S^tf^il
USW.
IL MSßig bewegt
VioK I
Viol. II
Viol. I
usw.
III. (Fuge — vgl. Einleitung)
Kraft?oll bewegt
Viol. II tr
mf '^t V!^,
cresc. - • •
VioI.I
usw.
208
DIE MUSIK VII. 17.
IV. Sehr mißig bewegt
Cello
fep-f .T rf^
•JBB
jTiCj'ir^^-^'^
usw.
Karl PottgieOer
OCTETTE SYMPHONIQUE
Kammersinfonie für Flöte, Klarinette, Hörn und Streichquintett, op.
von Henri Marteau
15
Komponiert 1907—1908 (der erste Satz Februar-März 1908, der zweite, dritte und
vierte August-September 1907)
Dem Andenken Riebard MGblfelds gewidmet
Dieses Werk, obwohl keineswegs Programmusik, ist inspiriert von den ver-
schiedenen Episoden aus dem Leben eines Kunstlers.
Erster Satz. Die Einleitung (in f-moll) ist sozusagen die VorfQhmng der
schmerzlichen Begebenheit, die uns so unerwartet dieses großen KGnatlera beraubte;
sie ersetzt auch in meiner Idee den wohlbekannten Satz aus dem Mirchen: »es war
einmal . . .* Das erste Thema (in F-dur), aus verschiedenen Motiven zusammen-
gesetzt, will die Freuden der Kindheit malen, Heiterkeit und Auagelatsentaelt, aber
das zweite Thema (in d-moll) zeigt alsbald, daß Kummer ihr nicht Immer erspart
bleibt. Die Durchführung, ganz aus einem ^fugato" zusammengestellt (MotiT ge-
nommen vom ersten Thema in F-dur), zeigt das Kind arbeitend i^wle Im Spiel* und
so zur Reife des Geistes gelangend. Nach der Wiederkehr der Hauptthemen
beschreibt die Coda den jungen Künstler als Jüngling — von Idealen und Hoffnungen
erfüllt . . .
Zweiter Satz. In diesem Adagio (in Es-dur) habe ich die beiden großen
Momente aus dem innerlichen Leben des Menschen und Künstlers zu malen ver-
sucht: die Religion (Glaube an ein höheres Wesen, Hoffhung auf die erlösende Mission
der Kunst), und die Liebe . . . Wenn ich in es-moll schließe, so ist es, weil niemand
dem allgemeinen Gesetz entgeht: welcher Gläubige hat nicht seine Stunden des
Zweifels? Die Liebe blüht, wie der Frühling — aber der Winter ist nahe . . •
Dritter Satz. Jetzt kommt die Auflehnung gegen die niedrigen Satzungen
der Menschen, der Sarkasmus gegen die Philister der Kunst, aber auch der Trost,
durch die Natur gespendet (ländliches Thema: Flöte, Klarinette und Hom); zum
Schluß der endgültige Sieg der Intelligenz und des Talentes . . . (Coda in C-dur) . • .
Vierter Satz. Ciaconna. — Hier ist der Künstler zu reifSem Aller gelangt;
er strebt immer höher, er sucht die Vollkommenheit, kämpft gegon seinen eigenen
unvollkommenen Organismus und will die Gottheit erlangen «^
Der Tod wacht und verschont niemand . . .
Die letzten fünf Tskte in F-dur sagen: i,So war das Leben einea edlen Kfinatlen.*
HenrUMarteau
209
44. TONKONSTLER-FEST
MOLOCH
von Max Schillings^)
... Daß Emil Gerbäutert Dicbtung an den großartigen Torso von Friedrich
Hebbel anknüpft und naturlich auch die von Emil Kuh überlieferten Äußerungen
und Mitteilungen des Dichters über Idee und Plan der unvollendeten Tragödie sich
zunutze gemacht hat, darf ich als bekannt voraussetzen. Die dichterische Gestaltung
mußte sich indes in hohem Maße von Hebbels Fragment emanzipieren, da dieses viel zu
breit und weitläufig für die Zwecke und Bedürfnisse des Tondramas disponiert war
und in seinen beiden vollendeten Akten nur sehr schleppend über die Exposition
hinausgeht. Für die Jyriscbe* Bühne ist größte Knappheit und Präzision der Ge-
staltung bei vollster Deutlichkeit der Vorgänge die unerläßliche Lebensbedingung
eines Drsmas, und diese schwierige Aufgabe hat Emil Gerhäuser glänzend gelöst.
Trotzdem an einigen entscheidenden Stellen Hebbels Wortlaut, zum Teil mit leichten
Retuschen, beibehalten ist, erstreckt sich die Gestaltungtätigkeit des Dichters nicht
allein auf untergeordnete Motive, die er frei umbildete, sondern bis zu einem ge-
wissen Grad auch auf die Grundidee. Diese läßt Gerhäuser nämlich ganz im Hinter-
grund und betont dafür die psychologische Entwickelung einer bei Hebbel erst in
zweiter Reihe stehenden Person.
Der Träger der Hebbelschen Idee ist der karthagische Moloch priester Hieram,
der, selbst ungläubig, den Molochkultus nach der Zerstörung Karthago's nach dem
fernen Tbule verpfianzt, um sich durch die kulturzeugende Kraft des Gottesgedankens
ein Volk von Rächern heranzuerziehen, das den Besiegem Karthago's, dem stolzen
Rom, den Untergang bringen soll. Die Idee selbst ist, zu zeigen, wie die Macht des
religiösen Gedankens schließlich sogar den überwältigt, der ihn erdacht. Hieram
wird als Betrüger erkannt und bekennt sich zu seinem grandiosen Betrug, der ihm
notwendiges Mittel zur Erfüllung seiner Kulturmission gewesen sei. Doch, die er
rief, die Geister, haben bereits den Fanatismus des ganzen Volkes entfacht, das jetzt
nicht mehr glauben will, daß der Gott nur Geschöpf des Priesters ist und sich im
Glaubenseifer gegen den Gottesleugner wendet. In einem starken Symbol wollte
slso Hebbel hier die ganze Religiongeschichte konzentrieren. Diese Idee ließen
Gerhäuser und Schillings, die an der Gestaltung des Stoffes gemeinsam schufen,
fallen und stellten Hebbels Helden, dem Oberpriester, den Königssohn Teut als
zweiten Helden, genau betrachtet sogar als den eigentlichen Helden, gegenüber.
Wie bei Hebbel, so findet auch bei ihnen der starke Willensmensch Hiram (so
schreiben sie den Namen, vom Original abweichend) im Gemütszustand des Teut
einen fruchtbaren Boden für seine Lehren. Teut ist der Träger der dunklen, sagen-
haften Oberlieferungen von wirren Gottesvorstellungeo, die sich im Volk Thule's von
Geschlecht zu Geschlecht förtpfianzten, und an die Hiram's großartiger Racheplan
anknüpft. Der phantastische Träumer versenkt sich mit Inbrunst in den neuen Kultus,
in dem er die Erfüllung dunklen Ahnens zu erkennen meint. Er verläßt Vater und
Mutter, wendet sich von dem geliebten Mädchen ab, weil sie alle seinem Empfinden
fremd gegenüberstehen. Aber seinem Beispiel folgt fast das ganze Volk, da Hiram
die Schätze karthagisch-phönizischer Kultur als Beweis- und Lockmittel verwenden
^) Nachstehende Erläuterung des Schiliingsschen Werkes entnehmen wir dem
Aufsatz i»Max Schillings* von Ernst Otto Nodnagel im 6. Heft des VL Jahrgangs
der »Musik«, S. 331 ff.
300
DIE MUSIK VII. 17.
kann, und so nehmen sie mit dem neuen Kultus auch die Kultursegannfeiiy Ina«
besondere Ackerbau und Schiffahrt, willig an. Teut ist es, der endlich den »irommen
Betrug* Hieram's durchschaut und diesen in den Tod treibt Aber Teut selbst^ der
mit der Erkenntnis, daß Moloch nur ein Götze sei, nicht auch seinen Gottgisaben
verloren, sondern verinnerlicht hat, wird bei seinem Versuch, das Volk dsrftber aitf«
zuklären, Opfer des Fanatismus. Wie die Ausgestaltung des Teutcharakters, so sind
auch andere Motive der Dichtung neu, Eigentum der beiden Schöpfer des Tondramas;
namentlich die Gestalt der Königin Velleda hat mit der gleichnamigen Figor Hebbels
nichts als den Namen gemeinsam, erinnert dagegen an die Seherin Velleda, Ton der
Tacitus berichtet.
Die Partitur ist großartig in ihrem architektonischen Aufbau, ihrer kfinsüerlschen
Organisation. Jeder Akt ist ein einheitlicher, in sich geschlossener Ofgaaismus,
dessen gerundete, ebenfalls in sich geschlossene Einheiten die einzelnen Szenen
bilden. Nicht nur durch die konsequente Durchführung und wohlberechneto Steige-
rung der einzelnen leitenden Themen, sondern auch durch die Einheit und Klarheit
der Tonalität innerhalb der einzelnen Akte ist die plastische Energie der musika-
lischen Form bedingt. Dabei ist auch das künstlerische Prinzip des Kontrastes
mit weiser Hand angewandt. Die zarten lyrischen Szenen zwischen Theoda
und Teut haben neben ihrer dramatischen auch formtechnische Bedeutung, ebenso
die beiden monumentalen Monologe des Hiram im ersten und im zweiten Aubug.
Große Pracht und vornehme Kunst entfaltet Schillings in den feierlichen Chören
des Moloch-Kultus. Zu dem düsteren Ernst der Moloch-Idee und der Hiram-Partie,
sowie der Glaubenskämpfe in Teuts Brust bildet einen wundervollen Gegensatz der
kraftvolle, kernige Jubel und die dithyrambische Ausgelassenheit des Erntefestes,
dessen musikalische Darstellung mir den Höhepunkt im bisherigen Schaffen des
Tondicbter3 zu bilden scheint.
Die musikalische Erfindung Ist im »Moloch* von vielleicht noch gröfierer
Prägnanz, als in den beiden früheren Bühnenwerken von Schillings, dabei meist von
großer Schönheit und erstaunlicher Wandlungsfähigkeit. Die rhythmische Energie
der Erfindung überträgt sich natürlich auch auf die reiche Polyphonie des Stils, die
durch die klare durchsichtige Orchesterbehandlung in überaus tiestlmmter nnd
plastischer Weise zutage tritt. Wie im »Pfeifertag*, so war Schillings sncfa Im
«Moloch* darauf bedacht, die Orchesterpalette zu bereichem. Die von Mustel in
Paris konstruierte Celesta, ein Stahl plattenklavier, hat ja vor ihm schon Mahler in
seiner »Sechsten Symphonie* in Anwendung gebracht. Dafür ist aber SchilUngs der
Erste, der sich zur künstlerischen Einführung der Heckeischen Baßoboe entschlossen
bat; dieses interessante, nach dem Erfinder, dem Biebricher Instmmentenbaaer
Heckel auch Heckelphon genannte Instrument ist bestimmt, neben der Altoboe (dem
Englischen Hörn) den Baß der Oboengruppe zu bilden.
In seiner .Moloch*-Partitur, wie auch in dem noch jüngeren Chorwerke »Dem
Verklärten* op. 21 hat Schillings übrigens eine Neuerung versucht^ deren Vorteile
meiner Meinung nach von den Nachteilen überwogen werden. Ich meiiie die
Notierung der »transponierenden* Instrumente dem Klange nach, also, als ob sie io
C-Stimmung ständen. Schillings dehnt dies Experiment — natfirilch nur io der
Partitur, in den Orcherstimmen vermeidet er mit Recht die Verwirmng, die eine
solche Revolution zur Folge haben würde — auf alle transponierenden iBStrament»
aus: Englisch Hörn, die Klarinettengruppe, Trompeten und Hörner siad dsTOB
betroffen. Mir scheint diese Schreibweise zwar nicht ganz so bedenklich, wie die
überflüssigen radikalen Versuche, unsere Partiturschrift über den Hauffen sv
301
44. TONKÜNSTLER-FEST
Aber auch sie gibt eine der wesentlichsten prsktischen Eigenschsften der heutigen
Psrtiturordnung unnötig auf. Gerade die trsnsponierende Schreibweise macht das
Partiturbild übersichtliche r, weil sie dem Dirigenten, — der doch natürlich nicht
jede einzelne Note zu lesen hat, sondern gerade auf die Bild Wirkung der ganzen Seite
angewiesen ist, — im Schriftbild eine graphische Darstellung des Klang-
▼ erhlltnisses gibt. Die Einheitschlüssel dagegen und die Fiktion der Einheit-
stimmung lassen nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, welche Stimmen das
Wort haben. Bei Partituren für großes Orchester müßte der Dirigent fortwährend
von Seite zu Seite nach der Systembezeichnung sehen, was eine ganz unnötige zeit-
raubende Erschwerung mindestens seiner Vorbereitung bedeutet. Wie unbequem das
Partiturlesen schon durch die Schillingssche »Erleichterung* wird, habe ich am
Schreibtisch (auch am K1a?iert) schmerzlich empfunden, als ich den i,Moloch* zum
Zweck der Analyse studierte. Es ist darum zu bedauern, daß ein Meister von der
Bedeutung Schillings' an diese unklaren Reformbestrebungen Konzessionen macht.
Ernst Otto Nodnagel
DER GOLDENE TOPF
Symphonische Dichtung für großes Orchester (nach E. T. A. HofFmanns
phantastisch-huraoristischem Märchen gleichen Namens), op. 51
von Josef Krug-Waldsee
Ein Märchen von E. T. A. Hoffmann erzählt von dem träumerisch-phantastisch
angelegten Studenten Anseimus, der im Banne eines seltsamen Zaubers steht. Eines
schönen Frühlingsabends unter einem Holunderbaume ruhend, belauschte er in
dessen Asten und Zweigen drei grüngoldglänzende, zarte Schlänglein. Durch ihr
wundersames Rascheln, Rieseln und Geschlängel, das zuweilen wie Akkorde von
Kristallglocken zusammenklang und sich zu seltsamen Harmonieen vereinigte, wurden
seine Sinne gar bald gefangen genommen. In einem der Schlänglein erschaut er
Serpentina, die jüngste Tochter eines alten Zauberers, der aber im profanen Leben
sich als Archiyarius Lindhorst präsentiert. Ganz unter dem Banne des Erlebten
begibt sich Anseimus in die Dienste des Archivarius, macht hierdurch Bekanntschaft
mit den wundersamsten Geschehnissen — und nach abenteuerlichen Kämpfen mit
fabelhaften Ungeheuern und Unholden gelingt es ihm, die Zauber — wenn auch mit
Oberwindung vieler Gefahren, so doch nicht ohne Humor — zu lösen. Er wird mit
der entzauberten Serpentina vereint, und im Besitze des »goldenen Topfes*, der die
wunderbarsten Schätze und Reichtümer birgt, ziehen die beiden Glücklichen in das
Märchenland Atlantis, wo jede Sehnsucht gestillt, jeder Wunsch erfüllt wird.
Dieser in kurzen Umrissen wiedergegebene lohalt des Märchens von
E. T. A. Hoffmann ist der Orchesterpartitur der symphonischen Dichtung vorangestellt.
Er soll für die Konzertaufführung der Tondichtung kein direkter Führer sein,
sondern dem mit dem Märchen nicht Bekannten eine kleine Handhabe bieten.
Nichts will die musikalische Komposition weniger, als die einzelnen Szenen des
Märchens in nur realistischer Tonmalerei widerspiegeln! Das Ganze soll vielmehr
ein musikalischer Niederschlag, ein musikalisches Nachtönen der Stimmungen des
schon dichterisch mit so viel Singen und Klingen umwobenen Märchens sein. Der
302
DIE MUSIK VII. 17.
mSSBS
eminent musikalische Gebtlt, vermischt mit jener Hoffmtnn eigenen ptatnttstisctaen
Romantik, der auch zuweilen das humoristische Moment nicht mangelt, Terlockte zu
orchestralen Klangbildern, deren inneren Zusammenhang mit der Dichtung zu ent-
rätseln dem Zuhörer überlassen bleiben todge.
Die langsame Einleitung (Andante) beginnt mit der zweimal. In gesittigten
Klangfarben auftretenden Akkordfolge (1) :
die im Verlauf des ganzes Werkes öfters wiederkehrt und ihm gewissermaßen den
Grundton verleiht.
Violoncelle und Kontrabässe intonieren hierauf eine acht Takte amspannendc,
träumerisch sinnende Kantilene, die als Thema (2) bezeichnet werden möge:
*^\M^i^fSi^^^'^^^t^\^
(Violoncelle und Kontrabässe)
Die Oboen antworten alsdann mit der, von gedämpften Hörnern amtchlelerten
neuen Phrase, die als Thema (3) gelten kann:
Oboen
Nun erklingt wieder jene Grundakkordfolge (1), aber dieses Mal eine Quinte
höher. Alles bisher Gehörte zieht in der höheren Transposition nochmals am Ohr
vorüber. Bald vollzieht sich eine Annäherung der Themen 2 und 3 — Thema 2 In
den Violoncellen und Kontrabässen, Thema 3 in Oboen und Klarinetten — wogegen
die Violinen in chromatischen Windungen anstürmen. Mittels eines großen ^Cres-
cendo* wird ein erster dynamischer Aufschwung herbeigeführt, der Thema 2 acfaon
auf der Höhe seines Glückes zeigt. Aber alles das war nur gleichsam eine Vieler,
ein Traum, den ein jäher Schlag zerstört, und ein einsam klagendes englisches Hom —
Thema 2 — leitet zum Allegro, ma non troppo über. Dieses entrollt ein Tonblld, das
mit der i,Holunderbaumszene" des Märchens nicht schwer In Zusammenhang so
bringen ist. — In zarte Tonschleier der Violinen gehüllt, steigen vermittelte etaro*
malischer Gänge drei Flöten in behendem Geschlängel empor. Die Violinen bfinftn
das Hauptmotiv (4) dieses Allegrosatzes:
(Violinen)
(Violinen)
M
303
44. TONKONSTLER-FEST
mß
/
r (Flöten)
Im Verlauf des feingeäderten Satzes merke man sieb noch als weiteres Element
dieses Tonbildes die Akkordfolge der zwei Takte (5):
^m
i
A
n
bfef
1/
i I ni>*ji
r^^'Tf
PfflP*-
Die Tonsprache erreicht ihren Höhepunkt bei jenem Ausbruch der Verzückung
und Wonnetrunkenheit, der das ganze Orchester in hoch anstürmenden Tonwogen sich
erbeben läßt:
^
6 (Viol.)
I
♦
*
5
I
^^^^^^Ä
fl »T^ H:^- «C^
(Viol.)
^1 J>.^j^^
W =: '»ig
i
i
f *
Das Bild wird sodann erginzt durch folgendes Seitenthema (7), das in seiner
wohligen, beruhigenden Haltung weitere Kreise zieht. Es erklang schon in der
Andante-Einleitung als Thema (3), lautet aber hier:
^ 4
£
m r r|t±hfi:ir ni±f
«
h^tJSM^
ö
fe
mf
i^Mi-g i'^ *r i'fTrj I r1
5=
304
DIE MUSIK VII. 17.
Die Gestngsmelodie liegt in den tiefen Holzblasinstrttmenten; die Violinen
lassen hierzu in kontinuierlicher Weise die drei Töne von Thema (1) erklingen:
fc=l^
(Violinen)
Nach einer Repetition der 16 Takte ausfüllenden Melodie xitieren die Trompeten
unter energischen Akkordschligen der Posaunen das wie eine Warnung ertönende
Motiv des «bösen feindlichen Prinzips" (8):
8 (Tromp.)
Nach einer kurzen Verschmelzung von Thema 4 und 6 und nachdem du
Ganze in fippigen Farben erglühte, wird in einer Art Ruckgang oder Abstieg dieser
Teil abgeschlossen und zu einem ruhigeren Mittelsatz übergeführt Dieser kehrt
wieder zum beschaulichen, träumerischen Inhalt der Einleitung (Andante) zurück.
Die Instrumentation ist hier jedoch von noch zarterer Klanggebung als frfiher. —
Ein kurzes, nur vom Streichquartett getragenes Sitzchen (Des-dur), von einer Solo-
violine leicht umspielt, beschließt diesen mehr in zarte Lyrik getauchten Teil. — Die
nun folgende, breiter ausgeführte Fuge gemahnt in ihren Klangfarben and ihrer
Charakteristik an ein wildes Kämpfen von Unholden und Ungetümen. Die drei
Hauptthemata 8, 2, 7 kommen, indem sie die wunderlichsten Metamorphosen durch-
zumachen haben, zu dramatischer Durchführung. Aus dieser »Hexenküche* werden
wir erst wieder erlöst, nachdem Thema 8 im verzweiflungavollen Kampfe seinen
Untergang gefunden und sein böses Dasein röchelnd ausgehaucht hat (Soll von
Kontrafagott und Baßklarinette.) — Ein kleines i, Requiem* führt xur Schluß-
apotheose des symphonischen Lustspiels. Diese knüpft wieder an die matlkalisch»
Einleitungsprophezeiung an und bringt eine Vereinigung der beiden Hauptthemen 2
und 3:
^m
>_4>LbJJI[Lj
-#5»-
(Thema 2)
r
Das Ganze kommt mit den dem musikalischen Mirchen zugrunde gelegten,
breitgezogenen drei Lichtakkorden:
zu sonnigem Ausklang.
Josef Krug-Waldsee
305
44. TONKONSTLER-FEST
mSSBS
FLAGELLANTENZUG
Tondichtung für großes Orchester^ op. 9
von Karl Bleyle^
Zu den merkwürdigsten Erscheinungen des Mittelalters gehören die Geißler-
oder Flagellantenzüge, denen sich während ihrer weitausgedehnten Wanderungen oft-
mals viele Tausende von Büßern anschlössen. Ihre schwermütigen Gesinge, die sie
wibrend einer martervollen Selbstgeißelung ertönen ließen, übten auf die Menschen
einen niederschmetternden Eindruck aus, so daß alle Lust und Fröhlichkeit ver-
stummten. Diese Stimmungsgegeosätze mit ihrem bedeutsamen seelischen Untergrund
waren die Veranlassung zur musikalischen Gestaltung des Stoffes.
Die Schilderung einer Volksbelustigung vor den Toren der Stadt eröffnet das
Werk. Nach einer kurzen Einleitung, die auf dem übermäßigen Dreiklang einsetzt,
geht das Orchester zu einem wiegenden Tanzrhythmus über:
Celesta, Flöten
Viola
^Ml=
i I ^ »
^ TT.* »TL- f ■'■^
f#El^=g^^^
i ^
1) Karl Bleyle, geb. 7. Mai 1880 zu Feldkircb in Voralberg, absolvierte das
Kgl. Konservatorium für Musik in Stuttgart und vollendete seine Kompositionsatudien
bei Ludwig Thuille in München, wo er gegenwärtig lebt. Von seinen gedruckten
Werken sind zu nennen: »An den Mistral*, ein Tanzlied von Fr. Nieuscbe, für
Minnerchor und großes Orchester, op. 2; 5 a cappella Minnercböre nach Worten
von Fr. Nietische op. 4 und 7 ; eine Symphonie in einem Satze op. 6; »Lernt lachen*
aus ^K\%Q sprach Zarathustra* von Fr. Nietzsche frei zusammengestellt und für Alt-
und Baritonsolo, gemischten Cbor und großes Orchester komponiert, op. 8. Im
Lrscbeinen begriffen ist ein Violinkonzert mit Oicbesterbegleitung op. 10
Vll. 17 20
306
DIE MUSIK VII. 17.
mJ^O
Auf der Dominante von E erreicht der Jubel seinen Höhepunkt. Jlh bricht
das Orchester auf dem unerwartet eintretenden {-moll Akicord ab. Dumpl^ atis weiter
Ferne, ertönt in den StreicherbSssen das Flagellantenthema:
Bässe
7^
_^ — ^ HiJ; — ' — ^ — i*^ — ' — «^
"" "^ "* ^r
Flagellantenthema
Der Kampf dieser beiden Stimmungswelten fQIlt den nun folgenden Teil des
Werkes aus. Die immer mächtiger herandrängenden Wogen des Büßliedes brechen
endlich den hartnäckigen Widerstand der fröhlichen Weisen.
Beim Einzug in den Dom der Stadt (volles Orchester, Orgel, Glocken) m&adet
das siegreiche Flagellantenthema in einen breitangelegten Choral aus. Ntch beendeter
Feier ziehen die BGßer weiter, in der Feme verklingt ihr Gesang. — Der sich nun
anschließende Epilog drückt zuerst die Erschfitterung fiber das Unerhörte aus. Aber
die Erkenntnis, daß das Streben nach Wahrheit auch im Irren noch erhaben ist,
gibt der Seele bald wieder die Fassung zurück. Das Bußlied wird nun zum Lied der
Sehnsucht und der Erlösung umgedeutet Immer höher und höher strebend* schließt
es das Werk verklärend ab. Karl Bleyle
SONNENAUFGANG
Ein Freiheitssang nach Gottfried Keller für gemischten Chor und großes
Orchester
von Siegmund von Hausegger
Dem Chore liegt eine für Gottfried Keller charakteristische Dichtung zugrunde.
Naturempflnden und Drang nach Geistesklarheit, nach Beftviung von der Herrschaft
des Niedrigen verbinden sich zu einer Art Sonnengebet Der erwachende Morgen
ist dem Dichter das Symbol innerer Beft^iung von Nachtgedanken. Noch aber ueigi
die Sonne zum Abend. Noch träumt der ersehnte Jesus, der einst mit gewaltiger
Faust die Sonnenpferde zum Stillstand zwingen wird, auf daß der Menschheit ein
ewiger Tag der Wahrheit anbreche.
Die beiden musikalischen Hauptgedanken sind:
No. 1. Langsam und feierlich
-•*
•D3t
^EK
rz=t?:
.Ärf»._i
S^
W-
c=ß--
5:
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X
t
4 H5rner
rit.
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^^•— tw
507
44.-TON KU N STLER-FEST
No. 2.
i
ff
'-^ES^
±
*-^=^^^^^
t=t
5^
-a
^|E
t
■S:zi^,
Fah'-re her
auf, du krys-tal-le-ner
Wa
Sen,
beide miteinander in der rhythmischen Gestaltung des ersten Taktes verwandt. Aus
diesem ersten Takt entsteht eine Art von Seitenthema:
No. 3.
Klar.
->5.
Ä^-
V
?-f -i f- ^^-^
-«»-
USW.
dem folgende Umgestaltung:
No. 4.
Tenöre
i==i
ä:
X
±
Doch die ver - gol - de - ten Kreu - ze he - spie • - • geln
sich auf den Do-men mit glei-ßen-dem Spott
entgegengesetzt wird.
Am Schluß erscheint das Thema 1 in triumphaler Vergrößerung.
Dem Chore stehen als Motto die Verse aus Goethes »Faust* voran:
Worte die wahren
Äther im Xlaren
Ewigen Scharen
Oberall Tag.
Siegmund von Hausegger
STREfCHQUARTETT (IN A)
von Richard Lederer
Eine Analyse meines Quartetts, gleichsam eine Art Vivisektion, wolle mao
mir erlassen. Es genüge ein knapper Hinweis auf die Hauptmomente des Werkes.
Eine fugierte Einleitung:
As^ai sostenuto V. 2.
g^CEE^
:i
:r=l
i£g^==?^
I
-f
t
t
X
Vc.
■P^
:«*:
^^'
20*
308
DIB MUSIK VII. 17.
mundet in den ersten Satz (Allegro non troppo ma con brio).
^l^
::ÄC=rr^8:
dessen Seitenthema sich im ersten Teil nach C-dur:
^^^^m
^^-zrzrzr-4!-L ' 1^=^
Vc. T =
nach der Durchführaag nach A>dur wendet
Das Scherzo (Vivace):
*
^^^^^Ü
-* z-AT ^- 1 '— ?^** r- 7^ h-
-I h-it^— J—^tM- • ' SP ^...l — »-
3E
wird durch einen Zwischensatz im ^/«-Takt unterbrochen.
An das Adagio in Sonatenform:
V. 1.
moZ/0 espr.
(Seitenthema in As) knüpft unmittelbar das Finale in Rondoform (AUegro con spirUo)
^;^j^^=t^T-^—^^-^^
i 1 1 — K# — F 1 1 « # • — F-t— T-H» ■
:in, in das gegen den Schluß hin das Einleitungstheraa hereioklingt.
Richard Lederer
tSSKt0mm
309
44. TONKÜNSTLER-FEST
m
SONATE FÜR VIOLINE UND KLAVIER (ES-DUR)
von Carl Ehrenberg
Wenn dieser Sonate auch keineswegs ein Programm zugrunde liegt, so ent-
stand sie doch aus dem Bedfirfnis, ein Stuck Leben musikalisch zu verdichten: ein
leidenschaftliches Wollen und Wünschen am eigenen Ungestüm scheiternd, in weh«
mutigem Träumen und befreienden Trinen ruhend und schließlich mit Humor und
Energie aufis neue sich aufraffend und sich behauptend.
Erster Satz: Sehr leidenschaftlich bewegt (Allegro appassionato)
Dem ersten Thema:
No. 1. Viol. a.
E^'J^k^
^^t
— <v
b.
1 r-
-rjf
iti:
t=X
:üzztz
3^
:^
i
c.
-An? '
-m — <»-
r=E
T^
cresc.
1 — r— 1
No. 2. Klavier
m^M
n
X
±
t
r
^P=f^]^» — w^^-]'^—--^ '"T"^ '?
espress.
stehen nur zwei hauptsächliche thematische Gebilde:
/^
No. 3. Klavier
-fv«
rS^g::
4V
1
,,i^-3gf5^P=#°=fÜ-^
!^^ I
i
i
tz
rsäfi:
I
t I
No. 4.
a. Viol.
:5eE
rr
fe
•*r-
b.
^ TT-
t^
^?^M4
(dteitaktia)
(zweiuktif)
310
DIE MUSIK VII. 17.
c.
^=
M
i
r^r'~~^-'=f-
^^^.
l=f
8.
bassa loco
i
\f±
->0NSr
^J^^I^
^ i^-
gegenüber, deren zweites erst durch Verbindung mit anderen meloditchen Elementes
<4b und c) seine Bedeutung ertailt Henuswactasend aus den Themen 1» 2; 3 osd
0n einem dreistimmigen Kanon) sicta zu herber HefHgkeit ateigemd, klingt alabald
die DurchfQhrung in einem ruhigen Zwiegesang:
No. 5. Viel.
' u. i
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izifef^^
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3[
^^^^^^"--
I • I
%f-^
aus, der unaufnUig das erste Thema einführt. Nach heftigen ErregangMi bricht der
Satz unvermittelt erschöpft und mutlos ab.
Zweiter Satz: Ruhig, triumerisch (Andante tranquiUo), Ein thmiatiacher
Oberleitungssatz:
N»- 7 X 1' ^ j ^
^^ ^^ ""• 0. ^^
O^^'^'^^ ^^^^s^.
Wä
311
44. TONkONSTLER-FEST
verbindet den ersten ruhigen Gesang:
dolce.
mit dem etwas belebenden zweiten Ttaema:
No. 8
fei
liJC^fi
s^ö
-1?* ♦• — ~
s^
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espressivo
^
^"iJjt^ä^ Ä'
5rf:ä;^
.«• .
and besctaliefit Terklingend die Triumerei«
Dritter Satz: Setar lebhaft und energisch mit Humor (Motto vivace).
Nach wiederholten Ansitzen und Anliufen:
No. 9a
Sehr lebhaft
Vlol.^
tfesi^
Kf^^-fi
I
wlkrend demi sieb Klavier und Violine sosusagen fiber die Tonart nocb nickt
recbt einif sind, entsteben die karten tbemadsehen Hanptphrasen (9 b und c):
9b
^zfe^
P-nM?^
^^^
9c 8
^eeI^^^^^
Aus einer Kombination dreier melodischer Gedanken (lOa, b, c):
No. 10 a
^^ti^i^m
^
tr-f — I — r — tr
i=^
*^^
(a b und c gleichzeitig)
' f
312
DIE MUSIK VII. 17.
JBBo
entwickelt sich die Oberleitung zu dem zweiten Htnptthema:
No. 11
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I^E
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JPl
^s
^ —
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«^
einer breiten Ktntilene. In der DurcbfQbning ericlingt In der Violine noch einmal
das Hauptthema des zweiten Satzes (No. 6), umrankt von Themen des drltton (No. lOa,
No. 11), welch letztere in verschiedenen Kombinationen die gewonnene freie, heitere
Stimmung bis zum Schluß festhalten und steigern. Carl Ehrenberg
TRIO-CAPRICE OP. 39
von Paul Juon
Dieses Werk ist durch Selma LagerlOfs «Gdsta Berling* angeregt worden, doch
soll es keine Programmusik im üblichen Sinne sein, denn es will weder lieetimmte
Vorgänge oder Situationen noch gewisse Personen musikalisch charakterlsierea. Viel»
mehr hat der eigenartige Stil des LagerlOfechen Buches — das launenhafte, kaprizltac^
das rhapsodische und episodische desselben, also gewissermaß» die Stlmmang des
Buches im ganzen — die Komposition der Trio-Caprice beeinflußt
Hier in Kürze das hauptsichlichste thematische Material:
Satz I. Moderato non troppo
313
44. tonkOnstler-fest
^-'^z:^—i^
^ — I
Zum Schluß des Satzes erscheint No. 1 in folgender Umbildung:
NO. 3 m^mmm ^^ ^ — ^ U )ih^' -^
^^e^^^gj^ggfrfj^rg
Satz II. Andante vivace
Violine und Cello fangen aliein an:
VI. u. VcL
No. 4 '>^ ^ 1^^^ I r g^' 1^ ,s ^^ 11 in
cresc.
5*^
m3
Auf dem Hintergrunde dieser Harmonieen singt spiter die Geige:
VI.
No. 5
.> N
^— r — F^p — 1^?-^ — I 9-ir-\ — V — Ff-?-^
K..
Dieser langsame Teil mfindet direkt in das Scherzo (Vivace):
s
No. 6
Kl.
1
w
^
V.. r t
Vcl.
^^JL^iüzMCM^Stf^.
1/
3=fc£i:
I 1/
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No. 7 ^"cT" ^ C '
n I ff I . ^ # • '
USW.
Zum Schluß taucht eine flüchtige Erinnerung an No. 4 auf.
314
DIE MUSIK VII. 17.
Satz III. Risoluto
No. 8
I I
Str. ^ ü A
I I
4. jL
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Kl.
No. 9
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1^
^^P
^
JS
I
Aucb No. 2 erscheint noch einmal, hier in einem aiegbetlen B-Dur.
No. 10
PanI Jaon
DIE TROJANER
von Hector Berlioz^)
... Et bleiben uns nunmehr noch die .Trojaner' Gbrig, Berliot' theatn-
lischet Meisterwerk, das er nachtriglich seiner großen Linge wegen in swti Teile
gespalten hat, in welcher Form es 1890 in Karlsruhe seine überhaupt erste Geaaatmf*
fiihrung, unter Felix Mofti, erlebte, dessen kühnem Beispiel bisher nur gims wenige
B&bnen zu folgen den Mut und das Verstindnis hatten. Der erste Teil bebandelt
und heißt «Die Einnahme von Troja", der zweite «Die Trojaner in Karthago*.
>) Nachstehende Erliuterung des Berlioz'schen Werkes entnehmen wir den AbUmC:
«Berlioz als Dramatiker' von Kurt Mey in Berlioi-Hefl der .Masik" (Jahrgang III,
Heft 5, S. 338 ff.).
31^
44. TONKONSTLER-FEST
Die Dichtung (denn eine solche und kein gewöhnliches Libretto ist dts Buch!) ist
von Berlioz selbst, aber nicht nach Homer, sondern nach Virgil bearbeitet Bei der
geringen Verbreitung des Meisterwerkes dfirfte sich eine Skizziemng des Inhaltes
empfehlen.
Der erste Abend besteht aus drei Akten. Im ersten Aufzug kommen die
Trojaner in das von den listigen Feinden verlassene griechische Lager und staunen
das kolossale hölzerne Pferd an, das jene zurfickgelassen haben. Die Seherin Kassan-
dra, im Traum von Hektor's- Geist gewarnt, ermahnt die Obermfitlgen und Sorglosen
vergebens und weissagt mit Prophetenstimme Troja's nahen Untergang. Fruchtlos
versucht ihr Verlobter Chordbus sie zu trösten: Kassandra verkfindet ihm und sieh
den Tod f&r den kommenden Tag. Im zweiten Ak't feiern die leichtfertigen Trojaner
bereits unter- Spiel und Tanz ein Friedenstest Äneas eilt herbei und erzihlt, daß
zwei große Schlangen sich vom Meere aus auf den Priester Laokoon gestfirzt und
diesen verschlungen hitten, weil er gewagt habe, mit seinem Schwert an den
Bauch des Pferdes zu klopfen. Um die erzfimte Göttin Pallas zu versöhnen, beschließt
man, eine Bresche in die Sudtmauer zu legen und das hölzerne Pferd unter feier-
lichem Jubel nach Troja hineinzuziehen. Trotz Kassandra's Verzweiflung geschieht
dies, und selbst Waffengeklirr im Innern des Kolosses vermag die rasenden Trojaner
nicht zur Vorsicht zu veranlassen. Im dritten Akt sind die Griechen bereits nachts
in die Sudt eingedrungen, Mord und Brand verbreitend. Der schlafende Aneas wird
von Hektor's Geist zur Flucht ermahnt; denn schon brennt der Königspalast Die
Szene verwandelt sich und stellt die trojanischen Frauen vor Cybele's Tempel dar.
Kassandra kommt zu ihnen: Äneas hat den StaatMchatz gerettet und wird die fiber-
lebenden Trojaner nach Italien ffihren; aber Choröbus Ist gefallen. Kassandra ermahnt
die Frauen, trotz der Hoffhungslosigkeit ihrer Lage keine Sklaverei zu dulden, sondern
sich im Augenblicke höchster Gefehr selbst zu töten. Mit Ausnahme einiger Felgen
stimmen alle Frauen dem heroischen Entschluß bei. Schon ersteigen die Griechen
die Tempelumwallung. Kassandra ersticht sich zuerst, nachdem sie den Feinden ver-
kfindet hat, daß die Nachkommen der Trojaner in Italien einst michtiger sein wfirden
als die Griechen. Die Frauen folgen Kassandra's Beispiel und stfirzen sich mit dem
Rufe «Italia* in den Abgrund hinab. (Diese wahrhaft tragische Schlußszene Ist Berllez'
freie Erfindung, wihrend er sonst getreulich seinem geliebten Vorbilde VIrgll
gefolgt ist)
Der zweite Abend besteht aus ffinf Akten. Der erste Akt spielt bereits in
Karthago. Vorher ertönt ein großartiges Instrumental-Lamento, und ein Rhapsode
singt bei verschlossener Szene von der trojanischen Katastrophe. Dann sieht man
Dido's Palast, wo ein Friedensfest die Königin mit Ihren Untertanen vereint Mit ihrer
Schwester Anna allein, gesteht Dido, daß sie sich doch nicht glficklich fühle; sie
schwört zwar, Witwe bleiben zu wollen, verschweigt sich selbst aber Ihr erneutes
LiebesbedQrfiiis nicht Der Hofdichter Jopss meldet, daß Abgesandte einer ft^mden,
vom Sturme nach Karthago verschlagenen Flotte vorgelassen zu werden wfinscheiK
Unbestimmte Ahnungen erfessen Dido; doch lißt sie die Fremden vor: den Priester
Pantheus, Äneas' Sohn Askanius und Äneas selbst, als Matrose verkleidet Der
junge Askanius bittet um Asyl und bringt als Geschenke Helena's Sehleier und Heknba's
Krone. Die Fremden werden gastlich aufgenommen. Dido's Minister Narbal meldet
das Nahen eines feindlichen numidischen Heeres. Äneas gibt sich zu erkennen und
bietet seine Hilfe an, bricht auch sofort zum Kampfe auf. Der zweite Akt entbilt
die berühmt gewordene Jagdsymphonie. Dido und Äneas werden attf-4er Jagd vom
Gewitter überrascht und fiüchten in eine Grotte, we sie sich In Liebe zueinander
8k
316
DIE MUSIK VII. 17.
finden. Geheimnisvolle Stimmen rufen: «Italial*, um Äneat an seine Pflicht xn er-
innern. Sonst stockt die Handlung, die im ganzen zweiten Teil überhaupt nur lang-
sam vorschreitet: die Szene ist einzig von Naturfrieden und Menscheni^fick erfüllt
Der dritte Aufzug bringt abermals ein antikes Fest, diesmal eine Siegesfeier, bei
der Jopas die Segnungen der Ceres und des Friedens besingt Auch diesmal bleiben
Anna und Dido schließlich allein zurück und vereinigen sich zu einem herrlichen Duett
Nachdem sie auch die Buhne verlassen haben, kommt Merkur, berührt die an einer
Säule hängenden Waffen des Äneas und ruft: »Italia«! Der vierte Akt führt den
Hafen mit den Schiffen und Zelten der Trojaner vor. Sehnsüchtig singt ein Matrose
im Mastkorb von der Heimat Unbekannte Stimmen erschrecken die Trojaner durch
abermalige Rufe: »Italia!« Sie fordern Äneas zur jähen Abreise auf. Aneas allein
beklagt sein Geschick, der Liebe zu Dido entsagen und die Anker nsch Italien lichten
zu müssen. Ein edler Heldentod sei ihm zwar beschieden, doch fürchte er den Ab-
schied von Dido. Die Schatten des Priamus, Clioröbus' und Hektor'a erscheinen und
ermahnen ihn, seine Schwäche zu überwinden; Kassandra's Schatten gesellt sich hinzu:
Äneas soll abfahren, siegen und gründen. Vor seinem Geiste steigt Roma künftige
Größe auf und begeistert ihn zum Entschlüsse sofortiger Abfahrt nach der Cutter
Befehl. Heimlich, ohne Abschied will er Dido verlassen. Er ruft: »Italia!*, und die
Trojaner, die sich zur schnellen Abreise rüsten, antworten ihm mit dem gleichen Rnfe.
Da kommt — es ist Morgengrauen — Dido hinzu und überschaut sofort die Vo^
bereitungen der Trojaner. Vergebens fleht sie und schilt den Geliebten; die «Italla*«
Rufe fibertönen ihre Rufe, und beim ersten Schein der Morgenröte sind die Trojaner
bereit, die Taue zu kappen. Auch Dido's Geständnis, daß sie fin Uebeapfaad von
Äneas berge, vermag diesen nicht mehr umzustimmen. Er versichert ihr seine un-
vergängliche Liebe, doch sei die Trennung göttlicher Befehl. Im fünften Akt klagt
Dido auf ihrem Lager im Palaste vor Anna und Narbal ihr Los; Verzweiflung wechselt
noch immer mit Hoffnung: Äneas könne noch nicht fort sein, Narbal solle llin «m
einige Tage weiteren Verweilens anflehen, Liebe müsse selbst jMpiter'a Willen trotsen.
Anna macht sich Vorwürfe, den Liebesbund zwischen Dido un^ ÄneM begünstigt sii
haben. Da meldet Jopas die bereits erfolgte Abfahrt der Trojaner. Dido ruft di9
Tyrier zu den Waffen und zur Verfolgung der Entflohenen auf, widerruft aber diesen
Befehl sofort wieder. In einem Auftritt von echt antiker Größe beklagt ale Ihr un-
glückseliges Los und verflucht die Trojaner, die das Meer zerschellen, und deren Schlflb
das Feuer zerstören möge. Gräßliches Unheil wünscht sie Äneas und bittet die
Götter, sie einen furchtbaren Haß gegen den Geliebten zu lehren. Sie will Pluto ein
Opfer weihen; man solle einen Holzstoß errichten, auf dem sie des GelletiteB Ger
schenke verbrennen wolle. Dann sagt sie Lebewohl dem Lande, der Stadt, ihrem
Volke, ihrer Liebe. — Die Szene wechselt In Dido's Garten am Meer ist der Scheiter^
häufen aufgeschichtet, wie Dido es befohlen. Pluto's Priester verrichten In düsterer
Größe die Trauerzeremonien. Anna und Narbal bitten um einen niedrigen Tod für
Äneas; wilde Tiere sollen seinen unbestatteten Leib verzehren. Dido erhebt sich am
Scheiterhaufen. Prophetisch verkündet sie ihrem Volke zukünftige Heldengröfte; in
Hannibal werde aus ihm ein Rächer an den treulosen Trojanern erstehen. Sie aller
wolle stolz in die Unterwelt hinabsteigen, worauf sie sich mit Äneas* Schwort ersticht
Schreckvoll schreit die Menge auf; Anna stürzt sich auf die Sterbende. Diese erhebt
sich in visionärem Zustande und weissagt Karthago's einstigen Untergimg durch Feiades-
wüten. Rom aber werde unsterblich sein und ewig herrschen. Dido stirbt Am Himmel
erglüht das Kapitel, und die Siegeshymne der Ewigen Stadt erklingt und übertSot den
furchtbaren Rache- und Hasscsschwur des tyrischen Volkes in siegenden Kliagea.
317
44. TONKONSTLER-PEST
In der Musik zu den »Trojanern* wendet Berlioz seine ganze und höchste
Meisterschaft an. Dennoch bleibt er zu sehr Musiker, um mit den herkömmlichen
Opemformen und Einzelnummern zu brechen. Daher scheint manchmal die alte
Opemmanier stark durch, zum Schaden der dramatischen Situation, der er auch
sonst meist nur iußerlich — im theatralischen Effekte — gerecht wird. Es gibt aller-
dings auch echt dramatische Stellen, ja Szenen in dem Riesenwerke; besonders die
Rollen der Kassandra und Dido sind dadurch ausgezeichnet. Wie die i,Trojaner in
Karthago* durch die »Einnahme von Troja* infolge der in letzterer vorherrschenden,
knappen Dramatik und rüstig vorwirtsdrängenden Handlung ziemlich weit fiberragt
werden, so ist auch Kassandra's Gestalt bedeutender als Dido's. Wohl zeigt auch
Dido erschütternde und wahrhaft antike Größe; wohl singt sie in Rezitativen von
Gluckscher Erhabenheit: aber Kassandra reicht an die allerersten tragischen Gestalten
heran ; in ihr scheinen sich Shakespeare's und Sophokles' Schöpferkraft zu vereinigen,
und ihre Gesinge ertönen mit Wagnerscher Wucht. Berlioz scheint die Notwendigkeit
einer einheitlichen Musik für das musikalische Drama ziemlich deutlich geahnt zu
haben; zwar findet sich bei ihm kein Motivgewebe wie bei Richard Wagner, wohl
aber einige Motive. So zieht sich ein trojanischer Triumphmarsch durch beide Teile
des Werkes. Er erklingt, als die betörten Trojaner das hölzerne Pferd festlich in die
Stadt geleiten: wir hören ihn im Lamento um Troja's Fall am Beginn des zweiten Teiles
in gedimpften und getrübten Klingen; er begleitet die Ankttnft'und Vorstellung der
Trojaner in Karthago; er kehrt ganz oder in einzelnen Teilen wieder und erstrahlt endlich
zu der Schlußapotheose als römischer Triumphgesang. Von einzelnen Nummern wiren
zahlreiche ihrer musikalischen Schönheiten und Feinheiten halber besonders hervor-
zuheben, wihrend bisweilen allerdings auch Berlioz' musikalische Kraft und dich-
terische Begeisterung zu erlahmen scheinen. Ganz besonders schön sind das Duett
zwischen Dido und Anna, ferner Kassandra's und Dido's, zum Teil auch Äneas' Einzel-
gesinge (teils Rezitative, teils Arien), das Lied des Matrosen Hylas, sowie vor allem
die Jagdsympbonie und die darauf folgende Liebesszene zwischen Dido und Äneas.
Mit den »Trojanern* hatte Berlioz ihnliche Nöte "wie Richard Wagner mit dem
»Ring des Nibelungen*. Aber wihrend der deutsche Meister sich nicht mit einer
mangelhaften Auffuhrung von Bruchteilen seines Werkes (»Rheingold* und »Walkfire*
in München, 1869) begnügte, sondern siegreich in Bayreuth durchdrang, verzagte und
versagte Berlioz und mußte sich mit der unvollkommen einstudierten und jimmer-
lich zerstrichenen Auffuhrung der »Trojaner in Karthago* im Th6itre Lyrique zu
Paris zeitlebens begnfigen; er hörte nie die »Einnahme von Troja*, so daß sich seine
Befürchtung erfQUte: »Oh ma noble Cassandre, mon h^roique vierge, je ne t'entendrai
jamais*.
Der Umstand, daß Berlioz die »Trojaner* für sein hervorragendstes Werk hielt,
der »Ring des Nibelungen* andrerseits aber doch Richard Wagners hauptsichliches
Meisterwerk ist, um das sich die anderen gleichsam gruppieren, dringt zu allerhand
Vergleichen, die zum Schluß hier noch kurz berührt werden sollen. Virgil hat in
seinem Epos mehr die Römer verherrlichen wollen als ihre sagenhaften Urahnen, die
Trojaner. Berlioz tat dies vielleicht in noch höherem Grade; wenn er sich in seinen
Schriften nicht darüber ausspricht, so redet er doch in der »Trojaner*-Dichtung um
so deutlicher davon. Er feiert darin nicht nur das antike und kaum das katholische
Rom, wohl aber das romanische Rom (sit venia verbot), die Stammutter aller romanischen
Völker, als deren größtes natfirlich die Franzosen angesehen werden sollen. Berlioz'
»Trojaner* sind also auch ihrer innerlichen Entstehung nach .ein französisch-nationales
Kunstwerk. Die französischen Ideale sind l'amour und la gloire; nnd Liebe und Ruhm
318
DIE MUSIK VII. 17.
mSBo
sind denn auch das Höchste in den »Trojanern*. Dadurch, daß die Liebe dem Rubm
geopfert wird, entscheiden sich hier Völkorschicksale: die Lösung des Konfliktes dar
Handlung ist somit eine nationale^ Auch Wagners Kunstwerk entspringt aus den
tiefsten und kräftigsten Wurzeln der deutschen Nation. Jedoch strebt der deutscbe
Künstler Ober sein Volk hinaus und wird fibernational. Dido stirbt freiwillig Tor
dem Scheiterhaufen und verkündet die zukfitiftige Größe und ewige Macht Romsi;
Brunnhilde stfirzt sich in die Flammen des Holzstoßes und erlöst durch ihren Tod
Götter und Welt vom Fluche der Lieblosigkeit Berlioz bleibt tfer nationale Kfinatlar;
Wagner umfaßt mit seiner Kunst zugleich die höchste Philosophie; sein Werk wird
weltbedeutend, fibernationaL
Kurt Mey
Der gesamte Bildeneil des vorlie{enden Heftes ist dem 44. Tonkünstlerfest
des Allgemeinen Deuiscben Musikvereins in Mfiacben gewidmet. Tlr
bringen, wie in den früheren Jibren, die Portriis der Festdirigenten, der achsffenden
Künstler, die mit Terken bei der Münchner Tmgung vertreten sind, sowie Gruppenbilder
der mitwirkenden Kammermusikvereinigungen.
Wir beginnen mit einem aus jüngster Zeit stammenden Portrii von Generalmusik-
direktor Felix Mottl, dem wir die Bilder des Stuttgarter Horkapellmelsters Dr. Aloys
Obrist und des- Dirigenten der Konzertgesellscbaft für Cborgesang, Kammeralngers
Ludwig He&, folgen lassen.
Daran scbllellen slcta vier Blatt mit Portrlts nactastebender Tonsetzer: Karl Pott-
gießer, Richard Lederer, Josef Krug-Taldsee, Jan van Gilie, Frederick
Delius, Ernest Scbelllng, Paul Juon, Karl Klmpf; Paul v. Klenau, Karl
Bleyle, Henri Martetu, Georg Vollerihus; Talter Braunfela, HermiDU
Biscboff, Roderich von Mojsisovics, Carl Ebrenberg.
Von KammermusikvereJaigungen führen wir im Bilde vor: daa Münchner
Streichquartett (Theodor Kilian, Georg Knauer, Ludwig VoUnbals. Heinrieb Kiefer),
das Abner-Quarteit (Bruno Abner, Emil Tagner, August Halndl, Karl Ebner) und
das Russische Trio (Michael PreD, Vera Maurina-Preß, Josef Prefl).
Die Portrits der übrigen bei den Münchner Tonkünstlerfest zu Tort kommenden
zeitgenössischen scbaBfenden Künstler haben wir bereit« Mher In der .Musik" ver-
aircntlicht, so von: Friedrich Klose (IL 17; 111. 16; VII. 7), Max ScbllliD|a (L 17;
VL 6), Tilbelm Berger (IIL 16), Siegmund v. Hauseggcr (LS; lU. IB; IV. 17;
VIL 11). Bildliche Darstellungen von Chr. 7. Gluck finden sich in 1. 23, IL 23 und
VII. 8, solche von Hector Berlioz In L 15/16, VII. 6 und in reicher Fülle im Berlioi-
Heft der .Musik" (111. 5).
Ansichten vom Münchner Künstlertbeater konnten wir uns der Kürze der
Zeit wegen leider nicht mehr verschaffton. Tir werden diese Abbildungen einem der
nichsten Hefte beifügen.
Alle Rtchlc, latbetsnilcn di* dtr Obttwlmai, vorbebxlwB
FAr die ZurGckiciidiiiii Hiivrrliiisttr oder alcbr ■Diemildeier Muaikripte, hllt IbM* alcl» sei
Pnno bcllk|i, bbcrnlnnii die Sedektlon keine Gerutle. Scbvcr leMrllebe Mtauektlple titriea nutepi
turfickieeudl.
Venniwortlicber Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin W 57, BSiowstrasse 107 ■•
FELIX MOTTL
ZUM 44. TONKÜNSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
ALOYS 0 BRIST
ZUM 44. TONKOHSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
LUDWIG HESS
ZUM 44. TONKÜNSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
KARL POTTGIESSER
r Elvin, München, phoi.
RICKARD LEDERER
'. MBIIer, MicdcburE, phol.
JOSEF KRUC-WALDSEE
JAN VAN CILSE
ZUM 44. TONKONSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MONCHEN
FREDERICK DELIUS
ERNEST SCHELLING
Alben Mcrcr, Berlin, pKot.
KARL KÄMPF
ZUM 44. TONKÜNSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
ftiippi DrexIeD, phol
PAUL V. KLENAU
KARL BLEYLE
limnqrial, Slockholm, phoi.
HENRI MARTEAU
GEORG VOLLERTHUN
ZUM *4. TONKOnSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
WALTER BRAUNFELS
HERMANN BISCHOFF
RODERICH VON MOJSISOVICS
München, phot.
CARL EHRENBERG
ZUM 44. TONKÜNSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
LUDWIG VOLLNHALS THEODOR KlLfAN CEORG KNAUER HEINRICH KFEFER
DAS MÜNCHENER STREICH-QUARTETT
EMIL WAGNER AUGUST HAINDL BRUNO AHNER KARL EBNER
DAS AHN ER-QUARTETT (MÜNCHEN)
ZUM 44. TONKONSTLERFEST DES ALLGEMEINEN
DEUTSCHEN MUSIKVEREINS IN MÜNCHEN
■^ u
Si
Der Künstler mufi die Natur zwingen,
durch seinen KopF und durch sein Herz
zu gehen.
Euc^ae Delacref z
VII. JAHR 1907/1908 HEFT18
Zweites Juniheft
Herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin W. 57. Bülowstrasse 107
S 7.
hiter der Herrschaft des Vihnes von einzeitigem und eia-
I maligem Auftakt wurden und werden bis heute die Chorile
j des Typus 1 statt dreifach, einfach auftaktig, die des Typus 11
1 volltaktig notiert, von 135 Chorälen ihrer 46 statt eines (I),
der aber dennoch einen Typus für sich ausmacht. Die des Typus V
mußten vollends miDraten, und richtig notiert blieben, wie schon ge-
sagt, nur die 16 des Typus III und der eine des Typus IV, zusammen
17 von 135, zirka 12 v. H. Wird man glauben wollen, dafi dies nicht
eine Verwüstung des Chorals zur Folge haben mufite? Ver die Lage
des Schwerpunktes verkennt, der muü eine Melodie demnächst auch falsch
harmonisieren, es sei denn, daS ein sehr starkes Gefühl ihn wie einen
Job. Seh. Bach vor der Verleitung dazu, die in dem falschen Taktstrich
liegt, bewahrt. Auch richtig harmonisiert, werden metrisch husch notierte
Chorile kaum jemals anders als falsch vorgetragen. Den Cborilen der
lebhaften Auftakte, also denen der Typen I, II, bzw. V, 118 von 135, wird
ihre natürliche Bewegung benommen, werden die Glieder dadurch geknickt;
der Vortrag wird unversiSndlich, also langweilig, und da es wirklich gleich-
gültig ist, wieviel und welche Choräle man langweilig spielt, so sind zirka
70-90 V. H. der Chorile des OWC, die schon nur ■/« des deutschen
Schatzes an Chorälen ausmachen, lingst schon stumme IHumlen geworden.
Mehr als 25 Choräle davon, gelegentlich einige Passlonschorile ausge-
nommen, werden das Jahr über in Danzig in den Kirchen nicht gespielt —
ffir meinen Fall kann ich esi aus 22 Jahren dokumentarisch nachweisen,
und es wird anderwärts schwerlich anders sein. Der Choral braucht gar
nicht erst zu sterben, zu mindestens 7io ist er schon sogar äußerlich tot.
Die Ursache ist nicht die Isometrie, sondern die Pseudometrie.
Heutzutage wire jeder einigermaßen geschulte Musiker von vorn-
herein bei niherer Befassnng mit dem Choral gewahr geworden, daß der
>) Die erste Hilft« dieser Arbeit erschien Im 2. Mai-Heft. Red.
324
DIE MUSIK VII. 18.
Choral von der Variabilität des Auftaktes, vom Wesen des Taktes nirgends
eine wirkliche Ausnahme macht, in seinem Verlauf nach Strophen so wenig
wie in seinem Beginn. Bisher hat freilich jeder Herausgeber die tradi-
tionelle falsche Notierung vom Vorgänger übernommen oder sie noch
falscher geändert.
Auf sicheren Grund und Boden und zur Durchführbarkeit des rich-
tigen Taktstriches, zur Möglichkeit der Einordnung der Choräle in jene
Typen gelangen wir freilich erst mit der deutlichen Erkenntnis und Regel
von der Stellung des Taktstriches.
S 8.
Ich fasse die Regel so:
Taktschwerpunkt ist der Ton, mit dem in der Melodie ein
Richtungs- oder Lagenwechsel oder Kreislauf der Töne, in den
latenten oder angeschlagenen Harmonieen ein Modnlations-
schritt, sich vollendet oder entscheidet. Ein vorläufiger Harmonie-
Schi ußschritt erfolgt im leichten ersten, ein abschließender im schweren
zweiten Takt. Dieses Verhältnis wiederholt sich aber in höherer Ordnung
im Vergleich vom schwereren zweiten zum ersten leichteren Taktpaar (in
Takt 4) und im Verhältnis vom ersten viertaktigen Halbsatz zum schliefienden
zweiten, in dem der achte Takt schwerer ist als der vierte im ersten. Im
zweiten Halbsatz verhält sich das erste zum zweiten Taktpaare, also im
ganzen das dritte mit dem sechsten Takt als schwerem, so, wie im Vorder^
halbsatz das erste zum zweiten Taktpaar. Takt 2 ist leichter als Takt 4,
Takt 8 schwerer als Takt 4, Takt 6, nur auf Takt 8 bezüglich, leichter
als Takt 8.
Wir nennen die Paare kurz die Zwei, die Vier, die Sechs, die Acht
und setzen die Zahlen 2,4,6,8 unter die Taktstriche, hinter denen der
Schwerpunkt des schweren Taktes steht. Durch die Fermate am
Strophenschluß, deren Gewicht übrigens für das Gefühl damit auch
variiert, ist der Choral, mag er auch vom Volkslied abstammen, eine Er-
scheinung ganz 5a/ generis. Erweiterungen und Ausfälle, Anfinge
ex abrupto usw. sind gleichfalls in $ 2 MS zu ersehen. Ich müßte sie,
ihren nicht arithmetischen Sinn und ihren Wert eigentlich als aus Riemanns
Ausgaben bekannt voraussetzen dürfen. Für den, der sie kennt, sind sie
sprechende Vortragszeichen für die Agogik des Vortrages, d. h. für die Tempo-
behandlung, und das gerade Gegenteil von Kälteerzeugem und Rechen-
werten. 4 mal 2 ist im Sinne der Periode eben nicht 8. An richtig
harmonisierten Chorälen, die man am sichersten in Typus III bzw. IV
findet, oder an schlicht achttaktigen Perioden in Kompositionen mag man
sich den Sinn dieser Rangzahlen zunächst klar machen, der etwa den
325
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
Interpunktionen 2, 4; 6: 8. entspricht. Vorläufig handelt es sich aber hier
nur um die einzelnen Schwerpunkte der leichten Takte mit ihren Auf-
takten, indem dieser selbstverständlich der Taktart gemäß die Stelle des
Taktstriches vor dem schweren Takt mit sich bringt.
Mehr als mit der oben gegebenen Regel über die Stellung des Takt-
striches lässt sich in Worten nicht sagen; das Weitere müssen Anschauung,
Erfahrung, Übung tun. Werden doch auch Regeln der Grammatik erst durch
die Beispiele verständlich, aus denen sie selbst entnommen sind. Auch
der geübte Musiker aber möge, wenn ihm ein oder das andere Beispiel
drei- oder zweitaktigen Auftaktes zunächst gleichsam wider den Strich geht,
beachten, daß auch die Empfindung durch langen Irrtum und durch Gewohn-
heit gefälscht werden kann. Schon der große Seelenkenner Dr. Martin Luther
spricht einmal von Irrtümern, ^welche die ganze Welt mit ihrem Exempel
bestätigt und durch langwierige Gewohnheit gleich als in die
Natur verwandelt sind — * und beruft sich dafür auf St. Augustinum,
als der es ebenso wußte und aussprach. Freilich ist eben die Fälschung
der wortlosen Empfindung hier wie überall das größte Unglück.
In der Praxis andererseits, so oft ich auch jemandem Beispiele jener
Art metrisch falsch und dann berichtigt vorgespielt habe, ist mein
typisches Erlebnis, selbst bei ganz in der alten Gewohnheit erwachsenen
Personen, die Rede: »Ja natürlich! Eigentlich habe ich mir das auch immer
so gedacht*. Man vergleiche nur die Leichenbittergestalt des Chorals
^esus meine Zuversicht* (volltaktig und gar in '|,-Takt) mit der richtigen
( j B 78) in Typus II vorgetragenen Fassung.
S Ö.
Nun wollen wir aber die Regel an einem Alphabet von Beispielen
erläutern. Die Gründe, aus denen die mit Buchstaben, bzw. mit -h bezeich-
neten Töne Schwerpunkte, bzw. weibliche Motivgrenzen sind, brauchen wir
nur kurz zu bezeichnen.^
Ich lasse natürlich nur um logisch nicht vorzugreifen, den Takt-
strich hier weg. Nachdem die Schwerpunkt-Note ermittelt ist, tritt der
Taktstrich vor sie:
a) b) c) fd) ,
i
^_^i , f-^ J f r rnr^
e) f) g) h)
Ezrr i f r^ > f f ^ i ^^^
326
DIE MUSIK Vll. 18.
Motiv a) Entscheidung der Richtung abwftrts. b) Kreist um die
Tonika W. d) halbe Skala, häufiges Motiv, Iftßt von der Strophe das
Motiv c) fibrig, das aber ohnehin in sich geschlossen ist, gleichsam im
Halbkreis um d' und auf der Quinttonart endigt, beantwortet von der Tonika
in d). e) Heraustreten der Melodie aus mehrfacher Tonrepetition. f) Hinab-
gehen auf denselben Schlußton, die Quinttonart bestitigend. g) halbe
Skala (wie oben) Schluß auf Quinttonart, h) Antwort, Kadenz zur Tonika.
n)
o)
y J J— il-^F=p=3=^
f=f==t
i
i) stellt e-moll auf, mit e schließend, k) Antwort mit der Paralleltonart
G-dur, auf deren Grundton g schließend, in) mit k) identisch, so daß
das dritte Motiv, seinerseits aus Tonrepetition heraustretend, fibrigbleibt
n) das Heraustreten aus der Tonrepetition beweist, daß der Motivschlnfi
sich auf f entscheidet; er vollendet sich aber erst weiblich auf dem
Grundton der Strophe in d-moll. Der Satzteil .Herzliebster Jesu" fördert
hier seinerseits das d' als Motivschluß im Sinne des Komponisten. Rein
musikalisch könnte d' ebensogut Motivanfang sein, wie es hinter dem f bei
r) unten Motivanfang ist, wo der Text »was ist die Schuld?* dem f End-
bedeutung gibt. Der Text beweist indeß nie mehr, als durch Strophenende
Phrasenschluß. Inkongruenz kleinerer Sinnteile des Textes mit den Motiven
wird im Massengesang nicht empfunden. Es ist richtiger, die wechselnde
Distanz der Schwerpunkte in diesem Choral als Wechsel vom schlichten
^I^-Takt mit Takttriolen zu erklären, als wenn man '{,-Takt statuieren wollte.
Die Triole gibt die wünschenswerte Treibung des Tempos (entsprechend
den ängstlichen Fragen im Text). ^,,-Takt würde die langen Phrasen
schwerfällig machen. Die Einsätze haben dann als durchweg taktfrei zu
gelten. (S. $ 10.) So folgt bei p) halbe Skala mit d auf der Dur-
Paralleltonart als Schwerpunkt, q) n! ist schwerer Wechselton zu b',
auf f 7. r) halbe Skala, s) Den Schwerpunkt auf es (mit c-moll als
schwere Durchgangsharmonie) beweist die Analogie ebenso wie a'' als
Schwerpunkt vor t) wo der Schluß das g dehnt. Schlußbildung wie bei s).
P)
q)
r)
s)
1-^
t)
1- ^
^^Eg^r?^nn^%j^hhH3 j r ^^
327
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
wJBd
u) y) w) X)
j,j j j j f-xx^r r r ^ II
u) Schritt zum Grundton d' in der Molltonart des Chorals, y) halbe Skala,
w) desgleichen, x) Rest latent auf Tonika im Baß oder zur Moll-Parallele
fahrend.
y) fi) «) «)
j J JT r J n j jiir f J j ^m
Be-sitz ich nur ein ni-hi-ges Ge»wis-sen
y) Tonika als Baß der latenten Harmonie, ü) Ausweichung zur Subdominante
auf deren Grundton sich vollendend, z) Rückgang zur Tonika. Die Schluß-
bildung wie bei zz), die sonst melodisch natürlich wftre, wird verhütet
durch Dehnung der Penultima (event mit zwei Harmonieen), so daß die
Tonika die Melodie mftnnlich schließt und statt eines Taktes ein Taktpaar
gewonnen wird. Diese Art Verhütung des Schlusses auf angeschlagener
vierter Taktzeit ist häufig. Es entsteht eine Takttriole durch die Länge
des Verses »Besitz' ich nur ein ruhiges Gewissen*. Textbetonung
gleichgültig.
Der Hendekasyllabus des Verses, eine naiv silbenzählende Nach-
ahmung des sapphischen Versmasses, hat hier wie in , Herzliebster Jesu*
die Takttriole herbeigeführt. Da auf die elf Noten im ^/«-Takt doch
3X4=12 Zeiten kommen mußten, so wurde die Dehnung der Penultima
ohnehin notwendig. Doch sind die Choräle, in denen durch unechte
J- Noten gedehnte Strophenschlüsse vorkommen, wie gesagt, zahlreich und
bilden eine Unterart für sich. Jenes Versmaß ist in diesem Liede nicht
durchgeführt, wie in »Herzliebster Jesu*. (Siehe die MS).
S 10.
Da nun jeder Choral im g in einen der fünf Typen fallen muß, so
scheint mit der Aufstellung — eigentlich nur Feststellung — der fünf
Typen alle Schwierigkeit gehoben. Es gibt aber eine Wirkung, bzw. eine
Nachwirkung der ehemaligen Schreibung ohne Taktstrich für das 18. Jahr-
hundert und bisher. Ohne Taktstrich blieb das Taktbewußtsein freier, als das
unserigeist, ohne darumweniger sicher zu sein,wie die völlig korrekt und
dabei oft interessant, manchmal metrisch kühn gebildeten Choräle beweisen,
von denen einige selbst vor der Mensuralschrift erfunden wurden. Unser
Taktgefühl ist streng, aber bisher nicht sicher, wie die herrschenden
Irrtümer in Theorie und Praxis beweisen. Immer den richtig eingetragenen
328
DIE MUSIK Vll. 18.
Taktstrich vorausgesetzt, auf den es immer wieder ankommt, ereignen sidh
in 20 von 135 Chorälen StrophenschlQsse, deren Taktzeiten an Zahl mit denen
des folgenden Auftaktes unweigerlich mehr als vier ausroadien» also in
das Taktbild des g nicht eingehen. Wollte man hinter der Fermate die Zeiten
bis vier abzählen und dann mechanisch den Taktstrich setzen, so entstfinden
sofort grobe metrische Fehler, und wo er zwischen die Noten zweifadien
Auftaktes geriete, völliger Unsinn. Ich habe diese Choräle in der MS zn
einer besonderen Gruppe vereinigt, in der jeder zu einem der Typen II,
III, V gehört. In Typ I kommt es, obwohl mit ^ f ^ ^ statt J J J | J,
wo ersteres geschrieben werden müßte oder sollte, möglich, im eigentlichen
Choral nicht vor. Typ IV schließt den Fall logisch aus. Die meisten jener
20 von 135 Chorälen gehören dem Typ V als dem der ohnehin ffreiesten
Bewegung an, und der die Oberzahl verursachende Auftakt ist auch llnt
ausschließlich der bewegteste, der dreifache. Es kämen dabei zwischen
einem Taktschwerpunkt und dem nächsten 5, 6, ja wo es wünschenswert
oder notwendig ist, a J d 0 s J zu schreiben, 7 Taktzeiten zn stehen.
Ich habe, wie man sieht, in diesen Fällen es gewagt, 5, 6, 7 Taktzeiten in
der Tat zwischen je zwei Taktstriche zu setzen. Richtigkeit des Takt-
striches ist eben anders nicht durchfuhrbar. Zugleich ist dies die einzige
berechtigte Konsequenz aus der alten Schreibung ohne Taktstrich. Ich
habe selbst, als ich in die Lage kam, die erwähnten Gemeindelieder für
die Synagoge zu schreiben, diese Freiheit mehrfach angewandt, sie werden
von Chor und Gemeinde dort auch ohne Schwierigkeit gesungen. Es entsteht
nämlich dabei gar kein anderer als B-Takt für das Ohr. Bis an den
Strophenschluß läuft er ohnehin. Dann sistiert oder quiesciert die Fermate
als irrationale (rhythmische, nicht metrische) Zeit den Takt, und er hebt
nachher wieder frisch an, daher denn auch der Auftakt der meisten Energie,
der dreizeitige, in solchem Falle fast ausschließlich erscheint^) Der ^Z^-,
*/^-, 74~Takt erscheint dabei schlechterdings nur für das Ange, auf dem
Papier. Was notwendig in die Brüche geht, wenn man das Ei so auf den
Tisch stellt, ist wieder einmal durchaus nur Schale. Prof. Dr. Riemann
erklärte sich mit dieser Schreibung als der in solchem Falle einzig roSg-
lichen auch sofort einverstanden.
Ich nenne den Einsatz mit überzähligen Taktzeiten den taktfreien
Einsatz und vereinige die Choräle, in denen er vorkommt, zn eioer
besonderen Gruppe. Ebenso wie die Typen selbst, ist sie nicht erftanden,
sondern nur gefunden. Die Unentbehrlichkeit der taktfreien Schrdbnng in
^) Ich wiederhole, daß alle diese Ergebnisse durchaus spontaner Natar sind,
wie es denn ja auch h9t unmöglich wäre, Choräle ad hoc aassosnchen.
320
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
diesen Fällen einerseits und die der Dehnung des geschriebenen Schluß-
wertes um ein noch so geringes zur Verhütung metrischer Anomalie
andererseits beweist allein schon die Irrationalität der Fermate. (Wegfall
der Dehnung wurde Taktwechsel bzw. ^/^-, ''U-Tskt herbeiführen.) Übrigens
sind eigentlich alle Stropheneinsätze im Choral taktfrei. Im
Typ 1 ist das zur Beibehaltung des JB-Taktbildes geschriebene J sub ferm.
ein offenbar insuffizienter Grundwert der Schlußdehnung, da im Begriff des
Grundwertes ein Zeitzusatz von einem Bruchteil davon liegt. Jeder denkt
unwillkürlich J dort als Grundwert, also mit dem folgenden dreifachen
Auftakt geschriebene fünf Zeiten zwischen den Schwerpunktnoten. Das
Verhältnis zwischen Schluß und Auftakt kann aber im Choral nicht nach
Typen artverschieden sein. Es ist sich ja ihrer auch bisher niemand klar
bewußt gewesen, sonst hätte man sie geschrieben, immerhin wirkt die
Taktfreiheit im Typus V stärker, indem er die überhaupt mehr phantasieren-
den Choräle enthält. Es sind die älteren Choräle, die jüngsten daraus sind
drei von 1704, 1710, 1738. Um 1740 versiegt unter dem Einfluß Voltaire's
der Quell der Erfindungskraft auf diesem Gebiet. Die doch recht fragwürdige
Idee vom gleichen Wert der Religionen, ausgeprägt in Lessings schlechter
Fabel von den drei Ringen und dem Worte Friedrichs des Großen von
den Konfessionen als bloßer fagonsy waren das Lied vom Ende, wenn
nicht das Ende vom Lied. Mit seltenen Ausnahmen, wie Ph. Em. Bachs
schönem Choral .Auferstehn, ja auferstehn wirst du*, werden die Choräle
nun länglich und weichlich. Das schlimmste Zeichen sind Sextenschritte
der Melodie aufwärts. Die kleine Septime im Choral .Ich lobe dich mit
Herz und Mund*", ein Unikum, ist falsche Lesart. Übrigens ist strengste
Symmetrie mit taktfreien Einsätzen vereinbar, vgl. das schöne letzte Bei-
spiel der MS.
S 11.
Soll der Beweis der Irrationalität der Fermate aus ihrer Un-
entbehrlichkeit als ein Beweis per idem oder vom alterum per alterum gelten
(obwohl dies ein Mißverständnis wäre), so beachte man folgendes: Wenn
die folgende Strophe metrisch an die vorige angeschlossen würde, wie ACB
(aus militärischen Gründen) und OWC verlangen und mit fortwährenden
Fehlem bewirken, so müßte die Dauer des Schlußtones, für den J und
mindestens, wenn genau genommen, auch noch > zu kurz sind, von der Größe
sein, daß nach ihm die Taktzeit des folgenden Einsatzes rede an der Reihe
wäre. Die Typen I~IV bringen folgende Fälle hervor, denen Typus V
keinen hinzufügen kann:
330
DIE MUSIK VII. 18.
^^
IV a)
IV b)
6
y r JXx
5
ä
J J tJ I
-SL
SL
Ich nenne den oben beschriebenen, in den Beispielen mit
be-
zeichneten Raum den metrischen Zwischenraum. Erbetrigt, je nachdem
4, 5, 6, 7 Zeiten. Nur im Falle IVa deckt er sich mit dem geschriebenen
Notenwert. Man probiere es an der Orgel (wie ich es mit der Sekundennhr
beobachtet habe, die ein anderer gebrauchte, während ich nach GefQhl
spielte), und man wird finden, so unwahrscheinlich es t>eim Lesen dfinken
mag, daß kein Organist von einigermaßen rythmischem Empfinden diese
vier Viertel wirklich, metrisch bis zur nächsten Eins gezählt, .aushält", was in
langsamen Chorälen ja auch beinahe vier Sekunden dauern, also komisch wirken
würde. Vollends 5, 6, 7 Zeiten würden bis zum Unsinn zu lang. Für das
Ohr, das nur vom Eintritt der Schlußnote etwas weiß, gilt bezfiglicb der
Dauer der Fermate in allen diesen (weitaus den meisten) Fällen der Satz:
Die Fermate ist nicht die Verlängerung eines zu kurzen, sondern
die Verkürzung eines zu langen Wertes, der unbewußt empfanden
wird. (In Riemanns Musiklexikon ist diese Natur der Fermate auch be-
reits angedeutet.) Die Ausführung ist ein Kompromiß zwischen dem ge-
schriebenen Schlußwert und dem metrischen Zwischenraum, der keineswegs
etwas überhaupt Illusorisches ist. Daß dies ein irrationaler Vorgimg ist,
versteht sich von selbst, und es ereignet sich im Falle der vier Zeiten
dabei sogar die Verkürzung des geschriebenen Wertes.
Taktfreie Einsätze bringen metrische Zwischenräume von vier, aber
auch drei Zeiten in synkopischer Gestalt hinzu. Genaue vier Zeiten bringen
auch dort eine Stockung hervor, werden also instinktiv gekürzt. (Es handelt
sich natürlich immer um unscbreibbare Minima von »Zeit*;. Einzig in
dem Falle von drei Zeiten wird sogar der metrische Zwischenraum selber
gedehnt, weil sonst der absolut unchoralmäßige synkopische Ruck entstflnde.
Natürlich erreicht die Dehnung nicht schreibbar vier Zeiten. Beispiele:
331
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
M
(und andere in NNo. 31—36 der MS).
Durch die taktfreien Einsätze werden eben auch die Notsynkopen im
Choral vermieden, die jeder doch nur mit schlechtem Gewissen schreibt.
Die Synkope ist im Choral ebenso unstatthaft, wie wenigstens für den
Gemeindegesang jegliche Pause. Die verkehrtesten sind die Pausen im
Taktschwerpunkt, indem die wirkliche Negation des Taktschwerpnnktes
durch Pause ein negativer Akzent, d. h. ein modernes stark rhetorisches
Kunst mittel ist. Komisch ist die Schreibung von Pausen im Anfang (im OWC
mehrfach), wie man sich leicht ausmalen kann.
Ober die reale Dauer der Fermate, die nach der Stellung in der
Periode verschieden sein wird, wage ich nichts zu bestimmen. Regeln
darüber, was mit ihr geschehen solle, wollte ich überhaupt nicht geben,
sondern nur Beobachtungen dessen, was bei empfundenem Vortrage mit
ihr geschieht. Jedenfalls aber ist die Befürchtung, von der das ACB
und AWC offenbar ausgehen, als läge in der Natur der Fermate die Ge-
fahr einer Stockung oder Taktstörung, gänzlich unbegründet. Die Suspension
des Taktes durch sie ist keine Stockung. Selbst im Gehen nach Chorälen
bewirkt sie nur etwa einen Schritt mehr, das übrige ist, da nach Chorälen
doch nicht im Tritt gegangen wird, gänzlich quantiii nigligeable.
S 12.
Ich kehre nun zu der Frage nach der metrischen Bedeutung der
Mensuralnoten und der Verbindlichkeit ihrer ohne Taktstrich geschriebenen
Werte zurück. An der musikalisch-elementaren Natur der Ermittelung der
richtigen Stellen für die Taktstriche wird es deutlich, daß wir vor den
mittelalterlichen Notierungen ohne Taktstrich keinen heiligen Respekt zu
haben brauchen, als stünden wir da entweder einem Geheimnis oder gar
einer Offenbarung gegenüber, wo doch nur ein Mangel, eine Unbeholfen-
heit im Ausdruck vorliegt. Ich möchte davon wenigstens ein Beispiel
geben. Die natürliche Gestalt des Chorals ,0 Haupt voll Blut und Wunden*
ist die ebendarum dem Gemeinbewußtsein gegenwärtig geläufige: durch-
geführt einfacher Auftakt in C mit Reimschlüssen:
usw.
M
332
DIE MUSIK VII. 18.
von wem und wie lange auch immer er anders geschrieben wurde. Die
9 ursprüngliche*, soll heißen die älteste bekannte Notierung der Anhngii-
strophe in dieser Gestalt
widerspricht jener natürlichen Gestalt, in der die Melodie als Taktgebilde
von ihrem Autor innerlich konzipiert sein, wie sie ihm vor der Nieder-
schrift .vorgeschwebt* haben muß; sie widerspricht also dem inneren
Ursprünge der Melodie, und zwar auf jedem Schritt. Es wäre also ein
Fehler, ihre Schreibung, auch wenn sie nachweislich vom Autor herrührt,
metrisch für bare Münze zu nehmen. Über das Metrum dieser Melodie
ist man ja auch einig, desto erheblicher ist dessen Verhältnis zu jener
Schreibung. Hat Hans Leo Hassler im Traum so geschrieben? Waren
die Isometristen trockene Pedanten? Hat J. S. Bach auch nichts gemerkt?
Daß Takt von je im Vortrage dieser Melodie, wie in ihrer Ent-
stehung war, ist freilich ebenso unzweifelhaft, aber die Notiening ist
darum, daß sie in Mensuralnoten steht, doch noch keine metrische. Es
ist völlig naiv, sie in diese Gestalt zu übersetzen:
^ G
f9 e>
^ ^ oder ^
1 I i I
I I
Doch hat der tiefe Ernst des Textes diese Melodie vor dem Schaukeltakte
noch bewahrt, den man Dutzenden anderer Melodieen im gleichen Irrtnm
aufgebürdet hat.
Daß hinter der alten Notierung etwas anderes steckt, als sie
dem Auge — jedoch eigentlich nur unserem Auge! — sagt, ist freilich
ein psychologisches Phänomen. Aber musica est supra aatorem (sui insciam).
Wir dürfen und müssen dem Liede also in der Notierung seine eigent-
liche und innerlich »ursprüngliche* Gestalt zurückgeben. Dazu bedfirfen
wir keiner tiefen Gelehrsamkeit, sondern nur der Prüfung seiner Tonfolge anf
solche Gründe, wie sie S 0 in einem ganzen Alphabet von Beispielen angeführt
werden. Hier handelt es sich darum, die von der echten Gestalt IBr ans
ganz abweichende Gestalt der ältesten Notierung zu erklären.
Die erste Longa auf den Ton e ist die Präcentorlänge, entstanden im
Massengesang ohne Orgel — der Vorsänger wartete, bis die dritte Bank usf.
in der Kirche eingesetzt hatte. Der Organist später mußte die entsprechende
Vorgabe des Tones in weiter Kirchenhalle zweckmäßig finden, auch lag sie
für ihn in der Überlieferung.
Das ist für die Melodie selbst, oder vielmehr gegen sie, eine Zn-
fälligkeit. Es ist ganz unmöglich, daß die zwingende anf taktige BeiidiiiBg
des e auf den nachfolgenden (eigentlichen) Grundton der Tonart dm
Chorals nicht empfunden, nicht vom Autor mitgedacht, daB die titwfi^
333
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
JS
Strophe in vier (I) Takten, statt als Taktpaar» gedacht und aufgefaßt worden
wäre, gerade so unmöglich wie es ist, jene Beziehung in der Ausführung
der geschriebenen Longa als metrisch zum Ausdruck zu bringen:
0 ^
o ^
a o
Die hausknechtmäßige Schwerfälligkeit dieser vier Takte wird wohl
niemand verfechten wollen. Drei Takte werden es, sobald man die
Schreibung der letzten Note als bloß graphischen Ausdruck des Schluß-
dehnung zugibt, wie die Präcentorlänge zweifellos der graphische Ausdruck
der gewohnten, aber absolut nicht metrischen Dehnung im Auftakt ist
— nobis:
O 0
Die alte <9« Präcentorlänge im Auftakt beweist aber schlagend, daß es
möglich und erlaubt war, Stellung und Wert eines Tones als metrisches
Ingrediens (in der Schreibung als Longa) zu ignorieren. Man schrieb
jene Längen, weil man sie hörte, was sich bei der letzten Longa schon
ans einem höheren Grunde, nämlich dem der Deutlichkeit des Strophen-
schlnsses, erklärt. Die Anfangsdehnung wird man außerhalb der Kirche,
frei von dem Zufall des Raumes usw. auch schwerlich ausgeführt haben.
Die Schlußlänge sistiert oder suspendiert aber wirklich den Takt, so
daß hier der Widerspruch gegen den metrischen Sinn der Note er-
klärlicher, unverfänglicher, gleichsam entschuldbarer ist, während wir, mit
Taktstrichen in an sich metronomischen Werten schreibend, ihr ihre
metrische Gestalt zurückgeben und die Suspension des Taktes durch das
Fermatenzeichen ausdrücken müssen:
I
oder per hypothesin vorläufig
J
^ ä
fi 0
1 T
^ 0
T
et 0
At>er die Noten auf a g f e
^
für unsere isometrischen j ^ J J repräsentierten auch schon sao tempore
nicht Werte, die wir, um das Taktpaar statt der falschen Dreitaktigkeit
herzustellen, als ^j^-Ukt zu schreiben hätten.
J
J J
J
sondern die Longa cum brevi galt nach alter Regel als hemiolisch, d. h
334
DIE MUSIK VII. 18.
anderthalbig, sie machten zusammen nur zwei Zeiten, nicht drei, also in
unserem Sinne je eine Triole aus
^5
W J J
J J
(die letzten zwei nicht, als zwei Longae entsprechend). Wenigstens lag
diese Hemiolie dem 16. Jahrhundert noch von frfiheren Jahrhunderten
her im Ohr. Mit ihr wehrte man sich gegen den vom Papst um
die Wende des 13. Jahrhunderts als der Dreieinigkeit Gottes allein
würdig befohlenen dreiteiligen Takt, den man ein Jahrhundert lang
ausschließlich hatte anhören müssen. So gewann man zunächst irgoid-
wie den zweiteiligen Takt zurück. Die metronomische Gleichheit dieser
vier Zeiten, die wir isometrisch zwischen Taktstrichen J J J j schreiben
müssen, mildern wir durch den Vortrag, indem wir, wie Beethoven
schon bemerkt hat, den Schwerpunktton um ein Unschreibbares ver-
längern; ja der Taktstrich, den wir davor setzen, ist dadurch schon
ein Vortragszeichen. Die Alten, ohne Taktstrich, und ohne alle Vor-
tragszeichen sonst, griffen zu dem Mittel, den Ausdruck, der diese
lüngung forderte, und der im Choral, vor allem in diesem Choral,
sicher besonders intensiv war, die Längung also desto fOhlbarer machte,
wiederum graphisch anzugeben oder vielmehr, unbeholfen zwar, anzu-
deuten. Hier war der Grund, die Longa nur bildlich zu meinen, ein noch
höherer als im zweiten der beiden vorigen Fälle ; metrisch (oder metronomisch)
zu lang wurde diese Länge, die Longa, ohne den Taktstrich nicht;
und das einigermaßen Schwankende der Hemiolie entsprach der einiger-
maßen unbeholfenen Herzlichkeit des Mittelalters im Ausdruck. Hatte
man die Vortragslänge des Taktschwerpunktes aber graphisch gleichaam
.materialisiert*, so mußte man es wohl oder übel mit dem Halbtakt-
schwerpunkt auch tun, weil M^^^=:J j j J*/*- oder
^^^i^si = J^JJ S^r 7«' '^^^^ ^^^^ empfinden lassen. Einiger-
maßen nimmt der Halbtakt ja auch an der Längung des Taktschwer-
punktes teil. Es bleibt zu beachten, daß jene zwei Hemlolien, fQr uns
Triolen, zusammen nur vier Zeiten ausdrückten. Man hat die hemioliscfae
Schreibung gewiß ebensowenig metrisch genau ausgeführt, wie wir bei
gutem Vortrage unsere gleichen vier J - Noten eines Taktes metronomisch
ausführen, d. h. so gleich wie sie aussehen. Der Vortrag längt das
hinter dem Taktstrich stehende und, wenn auch weniger, auch das dritte
Viertel um soviel, daß, als man anfing, den Choral zwischen Taktstrichen
isometrisch zu schreiben, er sich von dem Vortrage nach der biaherigen
Schreibung nicht merklich unterschieden haben wird. Hätte die nene
Schreibung einen Bruch mit dem alten Vortrage bedeutet, so wäre sie
ad5
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
nicht aufgekommen.^) Die ersten Isometristen waren also nicht Pedanten,
die den Choral nur in eine mechanische Bewegungsart hätten einschnfiren
wollen. Unter der falschen Vorstellung vom Takte mußte der Vor-
trag allerdings seither allmählig zum Metronomischen erstarren. Aber
empfundenen, herzlichen Vortrag vorausgesetzt, tun wir nur das Um-
gekehrte von der Praxis des Mittelalters, im Prinzip dasselbe, d. h. man
half sich beide Mal, wie man konnte. Wir verwandeln graphische exakte
Werte bei der Ausführung in Schätzungs-, in Ausdruckswerte für das Ohr;
die Alten gaben Ausdrucks-, also Schätzungswerte beim Schreiben als
graphische Schein- und Schätzungswerte für das Auge wieder. Wir
adressieren die Notierung an den Verstand und überlassen die Ausführung
dem belebenden Gefühl, die Alten überließen sich bei der Notierung dem
Gefühl, und wandten sich für die Ausführung an den Verstand, das natürliche
Taktgefühl, und an das Gedächtnis, an die Tradition.
In bezug auf die beiden Faktoren der Ausführung: Verstand und
Phantasie, sind beide Notierungen einseitig. An sich entsprechen unsere
Notenwerte einer metronomischen Ausführung, die sogar ebenso uner-
träglich wäre, wie die Schwankungen, die eine metrische Lesung der
alten Schrift hervorbrächte. (S. oben die einleuchtenden und heimleuchten-
den Beispiele .Wie schön leucht' uns der Morgenstern* und «Freu dich sehr
o meine Seele*.) Ohne crescendo und decrescendo können wir nicht
vortragen, also auch nicht ohne Agogik, da crescendo beschleunigt, decres-
cendo verlangsamt, wenn auch nicht bis zur bewußten Bemerkbarkeit.
Auf der Orgel muß die Dynamik innerhalb der Phrase (vom Schwellwerk
abgesehen) sogar durch die Agogik ersetzt werden.
Auch kürzere Notenwerte schrieb man, wo wir, in gleichen Werten
regelrecht fortfahrend, etwa piä animato oder Tempo primo hinzuschreiben,
nämlich in der Regel am Beginn des zweiten Teiles eines Liedes nach
dem natürlichen Rallentando des vorangegangenen Periodenschlusses,
den man bei der Vorliebe des Mittelalters für das Gravitätische vermutlich
mit recht nachdrücklicher Schwere vorgetragen hatte. Wie ist es weiter
mit unserer Melodie? Schließlich entspricht einzig die Longa auf dem d
einer realen metrischen Länge (J). Folglich hat die Gestalt der Longa
in dieser einen Strophe schon fünferlei Sinn: Auf e ist sie Präcentorlänge,
die, wie gesagt, allein schon durchaus hinreichen würde, zu beweisen, daß
gewohnheitsmäßig die Notengestalt in anderem als metrischem Sinne ge-
^) Das Wort Vortrig gebrauche ich hier überall alt AbkGrzoog für den Im-
teelten Autdruck, der agogitcbe und dynamische Scbaniemngen bervorbringt. Die
Gemeinde trägt natürlich nicht vor, aber was ist Orgelspiel ebne Beseelung? Et
gleicht dem Leierkasten. Daß ich andererseits kein subjekiivet Schwanken, nichtt
individuell-Sentimentalet empfehle, wird man mir glaulien.
336
DIE MUSIK VII. la
braucht wurde, wo es zweckmäßig schien. Auf a ist sie Aasdrucksllnge,
es kommt in ihr der Vortrag zur Erscheinung, der sie linger macht als
die folgende brevis, während rede beides Zählzeiten sind. Anf f ist
sie nahezu nur Verlegenheitslänge oder entspricht dem Geschmack
einer Zeit, der der päpstliche Oreitakt noch in den Ohren lag. Anf d be-
deutet sie reale Länge, auf e Schlußdehnung im Strophenende« Das
rechtfertigt in bezug auf die mittelalterliche Notenschreibung ohne Takt-
strich den Satz:
Die Mensuralnote hatte in metrischer Beziehung, also in bezog
auf die den Noten dem Takte nach wirklich zukommende Zeitdauer, den
neumatischen Charakter, mehr nur Anhalt für das Gedichtnis der
schon und besser Wissenden zu sein, noch nicht völlig abgestreift.
Die Ausführung und das Nachschreiben dieser Notenschrift im Sinne der
unserigen, als bedeute sie statt eines Versuches dazu die wirklichen Zeit-
maße der Töne, führt zu etwas Unerträglichem, nämlich maßloser Regel-
losigkeit.
Nun bedenke man aber, daß dies nur zum Teil an der Unbeholfen-
heit des Versuches liegt, den Notenwert zugleich mensnral und im Aas»
druckssinn zu schreiben, sondern daß dieser Versuch etwas überhaupt Unmög-
liches will, das auch uns nicht gelingen kann. Die alte Notenschrift führt in
unserem Sinne, genau befolgt, zu etwas Unerträglichem an Willkür; die
unsere, genau ausgeführt, führt aber, wie gesagt, auch zu etwas Uner-
träglichem, nur im entgegengesetzten Sinne, nämlich in dem einer
mechanischen Regelmäßigkeit. Wir schreiben metronomiscta, metrisdi,
nämlich in bezug auf die Zähleinheit in der Voraussetzung »Jede GröBe
ist sich selber gleich*, und in bezug auf die anderen Werte nehmen wir
an, daß sie richtige Bruchteile oder Mehrfache der Einheiten sind. Man
denke sich nun eine Seite Text von Beethoven, Weber, Chopin, and man
wird sofort wissen, daß auch wir keine Note ihrem optischen Zeitwerte nach
spielen: im Crescendo werden die Einheiten nacheinander kleiner, im
Decrescendo werden sie (zwar in abnehmendem Maße, wie RIemann lehrt)
gedehnt, und entsprechend geschieht es mit Unterteilungen and Zosammen-
ziehungen. Natürlich ist das im Choral nicht anders, etwa seiner »Einfech-
heit* wegen, d. h. den Zeitwert, den die Töne in der Ausführang erbalten,
graphisch zu fixieren, ist zu aller Zeit unmöglich.
Sofern die Tradition zuweilen als Richtschnur für den Vortrag eines
Stückes angesehen wird, überlassen wir ihn in gewissem Maße gleichfells
dem Gedächtnis, vollends wenn der Schüler nachspielen soll, wie der Lehrer
vorspielte. Die Tradition ist freilich meistens nur eine schlechte Matter
ihrer Kinder, und wie bei uns den Vortrag, so beeinfinßte das irrende
Gedächtnis im Mittelalter vielfach schon die Notiernng.
337
FUCHS: AUFERSTEHUNG DES CHORALS
Nun soll aber für die Illusion, dem schönen Scheine nach, der Takt
die Stetigkeit und Verläßlichkeit des Naturgesetzes auch im schönen, t>e-
lebten Vortrage behalten; darum ist unsere Notenschrift besser, denn sie
erinnert den Leser mit ihrem metronomischen Charakter durchweg an
das Naturgesetz. Zum Ausdruck anzuleiten, benutzen wir vemfinftigerweise
andere Mittel, als die Mehrdeutigkeit der gleichen Notengestalt, nämlich
außer dem Taktstrich hinzugeschriebene Zeichen (bzw. Zahlen) und Worte.
Dagegen gibt die alte Notenschrift anscheinend die Willkür frei, und das
ist ihr Fehler, dessen Papageien zu sein wir nicht nötig haben.
Und das wußten die Isometristen des 18. Jahrhunderts, als sie den
Taktstrich in die Choralschreibung einführten! Sie geben meinem anscheinend
nur psychologischen Beweise recht. Das Fortschreiten der Choralmelodieen
in überwiegend gleichen Werten haben auch sie nicht erfunden, sondern
nur gefunden, denn es muß sich einstellen, sobald man die Melodie selbst
um ihr Metrum befragt, d. h. sobald man den Tönen graphisch die aus
Gründen der Melodik und Harmonik sich ergebende natürliche Stellung
und ihren eigentlichen metrischen Wert anweist Was in gläubigen Zeiten
fene Männer in herzlichem Choralgesang hörten, kann im Verhältnis zn den
Noten nichts wesentlich anderes gewesen sein, als was sie, den ebenso
herzlichen Vortrag voraussetzend und gewohnt, schreibend im Sinn hatten.
Darum meine ich, daß, wenn sie nur zugleich die richtige Stelle des Takt-
striches nicht bloß in den zwölf v. H. Chorälen gefunden hätten, auf die
die Idee vom einzeitigen Auftakt zutraf, gar kein Streit und demgemäß gßr
kein Verlangen entstanden wäre, ihre Schreibung wieder zn »rhythmisieren*.
Jedenfalls ist, wie gesagt, diese Annahme sicherer, als daß mit der endlich
berichtigten Schreibung des Chorals, den Takt betreffend,- der Streit nun, wie
Köstlin meint, zu Ende und alles eitel Wohlgefallen und Bereitschaft zum
Bessern sein werde. Wurde mir doch von kompetenter Stelle in bezug
auf das OWC peremptorisch zugerufen: .Änderung in den nächsten zwanzig
Jahren ausgeschlossen!*
Nur Einer im Deutschen Reiche kann die Gefahr abwenden, die uns
von dem Preußischen Armeechoralbuch droht, denn nur Einer, der oberste
Kriegsherr, kann, zugleich als Summus Episcopus der Landeskirche, es
kassieren, damit die Folgen, die es für Ost- und Westpreußen gehabt
hat, nicht noch auf andere Provinzen übergreifen.
Als der Papst vor einigen Jahren in der katholischen Kirche die
Rückkehr zu gregorianischer Einfachheit gebot, hieß es einfach: Roma locuta
est Manches Schöne wurde dadurch mitgetrofPen. In der evangelischen
Kirche würde nur Häßliches verschwinden und alle Schönheit des Chorals
in Fülle wieder auferstehen, wenn bei uns, wo die Kirchenbehörden allein
dazu zu schwach sind, es eines Tages hieße: Imperator imperaviti
VII. 18. 22
■äbrend in den Konzensilen aller Welttdie heute dae gevltM
I Einheit der Programme herrscht und man in Paris nnd Berlin,
London und New York, Madrid und Buenos Ayres so ilemlich
I die gleichen Werke aurführt, herrscht ein viel größerer Untei^
scniea in dem Opemrepertoire der verschiedenen Nationen. Obtchon man
teilweise aus derselben Quelle, der Italienischen, schSpft, bedingen hier
doch die kulturellen und sprachlichen Unterschiede weit atiitera Ab-
weichungen. Es scheint uns darum interessant, zwischen den BOboea
zweier Nachbarländer, Deutschland und Frankreich, einen Vergleich anzu-
stellen, da beide die Oper in hervorragender Veise durch stlndlge Trappen
pflegen und in ihrer Produktion von einander abhXngen, ohne danun die
surke nationale Verschiedenheit ihres Repertoires anhngebeo. Telli nach
eigenen Erfahrungen, teils nach Mitteilungen, die mir ein Redabeur d^
.Mfinestrel*, Herr A. Boutarel, in ebenso liebenswQrdiger als vollstiodlger
Weise zur Verfügung gestellt bat, gedenken wir, diese Parallele zu zi^en.
Dabei scheint es geraten, sich über das franzSaische Repertoire mit grBBerer
Ausführlichkeit zu verbreiten, als über das deuuche, das unseren Leaem
in der Hauptsache bekannt ist.
Beginnen wir mit der alten italienischen Oper und dem Ffinf-
gestim Rossini, Donizetti, Bellini, Chernbini, Spontinl, so kommea
vom ersten für Deutschland nur noch der aBarbier' und .Teil", vom zweiten
die .Regimentstochter", gelegentlich auch noch ,Lucia' oder .Doa Pasquale*
und noch seltener ,Die Favoritin* in Betracht. UngeOhr geradeso atebt
es in Frankreich. In der Regel helfen nur Gäste oder sonst Siemn erster
Größe den alten Italienern auf die Beine. Dem .Teil' kommt gelegentUtA
eine politische Krisis zustatten, und seine AunShiung erscheint dann ala
Protest gegen irgendeine Reaktion. .Barbier' und aRepmentstochter"
erscheinen immerhin seltener als in Deutschland. Spontlni Ist in befdea
Ländern mausetot, nachdem man es 1894 noch achtmal In Paris mit der
.Vestalin' und zweimal im Amphitheater von B6ziers versucht hatte.
Cherubini erscheint nur in Deutschland noch mit seinem schönen .Waaaer>
träger" (Les deux Journ^es), ebenso wie Bellini mit seiner .Necma",
PaSr, der erste Bearbeiter des Fideiiostoffes, hat sich mit seinem .Maltra
339
PLATZHOFF-LEJEUNE: OPERN REPERTOIRE
\\\'
de Chapelle* (1824) in Frankreich behauptet. Recht gut steht es in
Frankreich verhältnismäßig noch mit der Pflege Glucks, der unvermeidlich
überall Glfick geschrieben und regelmäßig mit dem Trema versehen wird.
.Orpheus* brachte es in den letzten Jahren zu 11, .Armida* zu 28,
»Iphigenie auf Tauris* zu 5 jährlichen Vorstellungen; dessen werden
nicht viele deutsche Theater sich rühmen können. Händel ist kaum dem
Namen nach und höchstens als Komponist des .Messias* bekannt.
Völlig darnieder liegt Mozart. Die für ihn in Deutschland so
außerordentlich ungünstigen Zeiten erscheinen noch glänzend gegenüber
dem völligen Bankrott, den er in Frankreich erlitten. Für den Tiefstand
unserer zeitgenössischen musikalischen Kultur gibt es kein besseres Baro-
meter, als diese betrübende Erscheinung. Einige vereinzelte Pariser Auf-
führungen des .Don Juan* und der .Entführung'', das ist alles; von der
.Zaut>erBöte* und von .Figaros Hochzeit* keine Spur. Jene mag ihr Text
umgebracht haben, dieser hat wohl die häufige Aufführung des Beaumar-
chais'schen Lustspiels geschadet; und Musik allein mag man im Theater
doch nicht genießen I .Fidelio* ist in Paris nahezu unbekannt, und ver*
einzelte Versuche damit schlagen stets fehl. Vielleicht könnte man mit
einem Ballet der Gefangenen eines hohen Publikums Gunst erringen?
Anders steht es um die Romantik. Meyerbeer ist leider nicht um*
zubringen. Der .Prophet* und die .Hugenotten* verzeichnen mit nur
siet>en und acht jährlichen Vorstellungep doch verhältnismäßig hohe Ein*
nahmen; selten begegnet man noch seinem .Robert der Teufel* und der
.Afrikanerin*. Ähnlich steht es ja auch in Deutschland. Bei Verdi stehen
sonderbarerweise .Traviata* und .Rigoletto* mit fünf Aufführungen 1906
oben an, während .Troubadour* und .Aida* nur je eine erlebten, also bei«
nahe das umgekehrte Verhältnis als in Deutschland, das den .Troubadour*
als Prüfstein für Engagements und als Ersatzoper in Krankheitsfällen
sehr hoch schätzt, während es .ATda* nur deshalb immer wieder ansetzt,
um den für den zweiten Akt angeschafften Hokuspokus verwenden zu
können und im vierten den kunstvollen Aufbau einer zweistöckigen Bühne
zu zeigen.
Von den älteren Franzosen erscheint Auber mit der »Stummen*
und dem .Schwarzen Domino* noch auf dem Plan. .Les Dragons de
Villars* (Glöckchen des Eremiten) von Mai Hart kommen bei schwachen
Einnahmen 1006 noch viermal vor, während Auber's .Maurer und Schlosser*
und .Fra Diavolo* und .Die weiße Dame* von Boieldieu an die deutschen
Bühnen leichten Herzens abgetreten wurden. Im komischen Genre wünscht
man in Paris viel Abwechselung; es fehlt an der Pietät, die man in
deutschen Landen für die alte komische Oper hat, wenn sie nur musi-
kalisch etwas taugt. Daß Kreutzer, Lortzing, Marschner und Nicolai
22*
340
DIE MUSIK Vll. 18.
jenseits des Rheins nicht einmal dem Namen nach bekannt aind, versteht
sich leider von selbst Ist das fflr die «Undine' als halbfranzfisischen Stoff
schon bedauerlich, so ist es vollends schade um die «Lustigen Weiber*, die
eine solche Beiseiteschiebung gewiß nicht verdienen. Sehr fest bilt sich
dagegen .Le Freyschfitz* (die Bezeichnungen .Robin des Bois* and
.Franc Archer* sind wieder verschwunden) in PariSi was man bei seiner
grunddeutschen Art auffallend finden muß. Das Jahr 1906 verzeichnet elf
Vorstellungen mit 158 000 Frs. Einnahme — ein glänzendes Resultat, am
so verwunderlicher, als die Aufffihrungen sehr schlecht sein sollen. Das
Orchester sei unfähig, die Ouvertüre anständig zu spielen. Die »Auf-
forderung zum Tanz" in der Berlioz'schen Orchestrierung wird als Ballet
eingefügt. Berlioz hat auch die Rezitative besorgt, wie es scheint in ängst-
licher Sorge darüber, daß ein anderer, der nicht wie er für Weber schwärmte,
die Sache verpfuschen könnte.
Von Hal6vy erscheint natürlich .Die Jüdin" als gute Repertoireoper,
wahrscheinlich mehr um der Ausstattung, als um der heute noch genafi-
reichen Musik willen. Auch seine .Königin von Cypem* hat eine Auf-
erstehung erlebt. Ambroise Thomas erfreut sich immerhin einer geringeren
Beliebtheit als in Deutschland. .Mignon" figuriert 1906 in der Komischen
Oper mit 13 Vorstellungen; auch mit .Francesca von Riminl" and dem
.Hamlet* hat man es letzthin wieder versucht. Gounod dachen ist
immer noch ein großer Mann. .Sapho", .Polyeucte", .Der Tribat von
Zamora", .Mireille'' und .Romeo und Julie" erscheinen je und dann wieder
auf den Spielplänen. Der .Faust* aber ist und bleibt die klassische Oper
Frankreichs von unwiderstehlicher Zugkraft und mit glänzenden Einnahmen,
die man sich denn auch nicht entgehen läßt. So verzeichnet die Saison
1905 ganze 26 Vorstellungen mit nahezu einer halben Million Einnahmen.
M6hul ist in Paris wie in Deutschland nicht ganz verteosen. Sein
.Joseph* erfreut sich gelegentlich einer Neueinstudierung mit stets be-
scheidenem Erfolge. Berlioz bleibt auch in Frankreich Kaviar fBrs Volkf
mit der .Eroberung Trojas* hat man es 1899, gelegentlich seines dreißigsten
Todestages, zuletzt versucht; von .Benvenuto Cellini', von .Beatrioe and
Benedikt* hört man nichts. Auch im Konzertsaal erscheint Berlioz in
Deutschland häufiger als in Frankreich. Der Mann des Tages, das alle
Lichter zweiter Ordnung überragende Gestirn aber ist Massenet »Le Roi
de Labore", .Le Cid", .Le Mage", .Thais", .Manon Lescant", •Wertherfi
.Marie Madeleine", .Le Jongleur de Notre-Dame" erscheinen immer
wieder auf dem Spielplan als ein Wahrzeichen des Tiefstandes mosikalischer
Kultur. Selbst Saint-Sa^ns mit seinem .Samson", den .Barbaren*,
.Ascanio", .Henri VIII" und .Fredegonde" kann dagegen nicht aufkommen,
wenn auch .Samson" ein gutes Zug- und Kassenstfick geblietMn ift.
341
PLATZHOFF-LmEUNE: OPERNREPERTOIRE
Wacker hielt sich auch Delibes' „Laknid' mit 21 Vorstellungen 1906»
während seine Ballets „Sylvia*, «Coppelia", «La Source" natürlich stets
beliebt sind.
Die jung französische Schule ist außerordentlich stark vertreten,
und es werden in zahlreichen Wiederholungen Werke aufgeführt, von denen
man außerhalb der blanweißroten Grenzpfähle so gut wie keine Ahnung
hat. Ich nenne nur «Daria« (Marty), »Le Fils de r£toile", «Aphrodite*
(Erlanger), «Circ6* (P. und L. Hillemacher), ,L'£tranger" (V. d'Indy),
»Jeanne d'Arc* (Mermet), »Lancelot" und «La Reine Berthe* (Joncidres),
«Tabarin* (Pessard), «Patrie* (Paladilhe), «La Dame de Monsoreatt""
(Salvayre), «Zaire* (de la Nux), «Thamara* (Bourgault-Ducoudray)»
«Stratonice* (Fournier), «D6idamie* (Mar6chal), «Djelma* (Lefdbre),
«La Montagne noire* (Mme. Holmds), «Hell6* (Duvernoy), «La Cloche
du Rhin* (S. Rousseau), «La Burgonde* (Vidal), «Astarte* (Lerouz),
«Le Roi de Paris* (G. Hue), «Orsola* (Gebrüder Hillemacher).
Besser Bescheid wissen wir schon mit folgenden Namen und Titeln,
die uns teils auf deutschen Bühnen, teils in Konzertsälen schon begegneten:
«Messidor* von Bruneau, «Salammbö*, «La Statue* und «Sigurd* von
Reyer, «Louise* von Charpentier, «Gwendoline* und «Briseis* von
Chabrier, «Pell6as et Melisande* von Debussy, «Ariane et Barbe bleue*
(die beiden letzteren Texte nach Maeterlinck) von P. Dukas, dem Ver-
fasser des «Zauberlehrling*, «Fortunio* von Messager usw.
Interessant ist es auch, die französische Balletmusik der letzten
Jahre zu kennen, die mit dem deutschen Repertoire nur «Sylvia* und
«Coppelia* gemeinsam hat: «La Ronde des Saisons* (Busse r), «Bacchus*
(Duvernoy), «L'£toile (Wormser), «La MaladetU* (Vidal), «Le R6ve''
(Gastlnel), «Les deux Pigeons* (Messager), «Les Jumeaux de Bergamo*
(deLajarte), «La Farandole* (Dubois), «Namouna* (Lalo), «La Korrigane*
(Widor), «Jedda* (Metra), «Fandango* (Salvayre). Aus älterer Zeit blieb
nur «La Temp6te* von A. Thomas übrig.
Wenden* wir uns nun zur Betrachtung des modernen Auslandes anf
den französischen Bühnen, so steht natürlich Richard Wagner obenan.
Er hat Meyerbeer ziemlich verdrängt, womit freilich «das Judentum in
der Musik* noch nicht umgebracht ist. Der Riesenerfolg Wagners in Frank-
reich ist bekanntlich erst neueren Datums, und er hat ihn selbst nicht
mehr erlebt. Nach den drei verunglückten «Tannhäuser* -Vorstellungen
von 1861 versuchte es Pasdeloup 1860 mit «Rienzi*. Dann gebot der Kri^
auf zwei Jahrzehnte Einhalt. Anfangs der neunziger Jahre erschienen
«Lohengrin* (1801) und «Tannhäuser* (1805). Langsam folgten die «Wal-
küre* (1803), die «Meistersinger* (1807), der «Fliegende Holländer*, «Sieg-
fried* (1802) und «Tristan* (1004). «Götterdämmerung* ist für 1908 an-
342
DIE MUSIK VII. 18.
gesetzt. »Rheingold'', das noch nie gegeben wurde, dfirfte dann in. ab«
sehbarer Zeit den „Ring" vervollständigen und eine zyklische Voiatellung
ermöglichen.
Unter den größten Zugstücken wären »Carmen* mit 38, »Manon*
mit 20, .Armida« mit 28, .Werther* mit 27, .Faust*, .Madame Butterfly*
(Puccini) und .Vie de Bohöme* mit 26, .Aphrodite* mit 25, «Tristan* mit
22, .Lakmd** mit 21, .Ariane et Barbe Bleue* mit 20 VorstelInngen in einem
Jahre (1905 oder 1906) zu nennen. Ganz anders aber wird die Reiben-
folge, wenn man von der Zahl der Vorstellungen absiebt nnd nar die
Tageseinnahmen ins Auge faßt. Wagner erscheint dann viel mehr be-
gehrt, und in Tausenden von Francs ausgedruckt, wire die Reihenfolge
diese: .Ariane* 20, .Meistersinger* 17, .I^hengrin*, «Tannbluser*, »Wal-
küre* und .Tristan* 16, .Faust* 19, .Salammbo* 18, .Armida* und «Samson*
17, .Aida*, .Hugenotten*, .Wilhelm Teil*, .Cid*, .Coppelia* 16, .Prophet*,
.Romeo und Julia*, .Ronde des Saisons*, .FreischGtz*, .Troubadoar*,
.Thais* 15, .Bajazzo*, .Sigurd*, .Fils de r£toile* 14, .L'^tranger*,
.Rigoletto*", .Daria* 12 usw.
Daraus wäre nun nicht auf eine besonders würdige AaffBbrung der
Wagnerschen Werke zu schließen. Wird auf den Glanz der Ausstattnng
sehr viel verwandt, so ist doch von historischer Treue und stilgerechter
Darstellung keine Rede. .Tristan* soll am meisten mißhandelt werden,
und das aufmiige Interesse durchreisender Deutscher an den Pariaer
Wagneraufführungen ist doch nur ein Kuriositätsinteresse ohne kfintde-
rische Befriedigung. Wie sollte das auch möglich sein? Gibt es doch
keine germanischere Kunst als die Wagners! Seine Gedankenwelt ent-
spricht französischem Wesen in keiner Weise, ja, sie ist ihm volIatlBdig
verschlossen. Die gegenwärtige Wagnerbegeisterung in Frankreich ist zu-
nächst eine Modesache, ein Genuß exotischer Kunst und vielleicht anch
eine innerliche Befriedigung an der sinnlich-erotischen Seite der Wagnerschen
Musik. Haben französische Komponisten dem Meister das abgdemt, was
dem Franzosen an ihm gefällt, so wird man den Rest gern preisgeben
Bezeichnend für die französische Aufführung ist schon die Tatsache, daB
man Operntextbibliotheken wie die Reclamsche, mit Erllntemngen, Eia*
leitungen usw., nicht kennt und den Text studierende Zuscfaaaer nicht
findet^). Unter solchen Umständen ist ein geistiges Erfassen des Wngnerachen
Musikdramas von vornherein ausgeschlossen, und von welcher Daner die
Begeisterung für eine Musik ist, die sich nur auf eine gewisse BeMedignng
an der Harmonie und auf einzelne frappierende Episoden gründet, kann
man leicht im voraus ermessen.
') Einzelne Texte sind zu 1 Fr. zu haben.
343
PLATZHOFF-LmEUNE: OPERNREPERTOIRE
Im allgemeinen ist der Franzose iußerist langsam in der Assimilation
anslindischer Kunst. Die großen internationalen Buhnenerfolge erreichen
Paris sehr spät, und der Erfolg ist in der Regel nicht groß. So hatte
.Cavalleria rusticana* einen zwar ziemlich großen, aber nur sehr kurzen
Beifall. Interesse für andere Stücke der gleichen Autoren wollte sich nicht
einstellen. Von neueren deutschen Werken hat nur «Hinsei und Gretel* gefallen,
ohne sich annähernd so lange auf dem Repertoire zu halten wie in Deutsch-
land. Im allgemeinen ist es die Regel, daß ein Werk, das Erfolg hat, in
einer größeren Anzahl von Aufführungen hintereinander abgespielt, dann
aber gänzlich beiseite gelegt wird, um nie wieder zu erscheinen. So er-
^ng es z. B. der »Salome* von Richard Strauß^).
Die ausländische Operette, der man bei der Freude des Franzosen
an leichter Musik einen gewissen Erfolg hätte prophezeien können, hat
auch kein Glück gehabt, was teilweise an der groben Komik liegt, die
man der germanischen Kunst im allgemeinen, nicht immer mit Unrecht, in
Paris zum Vorwurf macht. «Mikado* und «Geisha* wurden versucht und
beiseite gelegt. Selbst der «Lustigen Witwe*, wenn sie glücklich in Paris
anlangt, dürfte es nicht besser ergehen. Die «Fledermaus*, trotz einer
unmöglichen Übersetzung, kam einmal als «La Tsigane*, dann mit revidiertem
Text als «La Chauve-souris* auf die Bühne und erwies sich etwas zäh-
lebiger als die anderen Importationen. Die Möglichkeit einer Renaissance
des längst vergessenen Offenbach scheint seiner ernsten musikalischen
Qualitäten wegen nicht ausgeschlossen. Im Prinzip gibt der Franzose
einheimischen Neuheiten den Vorzug und beurteilt sie mit ungleich
größerer Nachsicht als die ausländischen Werke. Dieser immerhin klein-
liche Optimismus hat auch sein Gutes und durfte in dem, allen exotischen
Produkten nur zu offenen Deutschland schon seine Nachahmung finden.
Man läßt sich von den eigenen Landeskindem auch schwere und unver-
ständliche Musik schon einmal gefallen. Man achtet Leute wie Vincent
d'Indy, Dukas und Debussy, die doch wahrhaftig dem populären Geschmack
nicht die geringsten Konzessionen machen. Selbst die einheimischen
Musikkritiker waren über den dauernden Erfolg und die von vornherein
freundliche Aufnahme von Werken erstaunt, die nur einer feingebildeten
Elite zugänglich schienen. Das Publikum, das sonst nur auf grobe Effekte
reagiert, glaubt seinen besten musikalischen Kräften dieses achtungsvolle
Interesse auch dann schuldig zu sein, wenn ihm das volle Verständnis
ihres Talents fehlt.
^) Hier ist der geschätzte Herr Autor wohl nicht ganz richtig informiert worden.
Dean den neueren Nachrichten zufolge hat die Direktion der Großen Oper In Paris
beschlossen, »Salomt* in Ihr Repertoire aufiunehmtn. Anm. der Red.
344
DIE MUSIK VII. 18.
Mit dieser erfreulichen Note sei das wenig erfreuliche Bild des
französischen Opemlebens geschlossen. Beim besten Willen und io vollster
Unparteilichkeit wird man nicht behaupten können, daß von ibm fQr die
deutschen Bahnen viel zu lernen wire, es sei denn von den musteriiaCl
stilgerechten Aufführungen der Opera Comique. Hier wie dort ist die Losnog
des Tages multa, non mulium: viele Komponisten, wenig Talente, kein Genie;
viele Uraufführungen, wenig Werke, die sich dauernd behaupten. Und
solche, die großen Erfolg haben, sind leider nicht eben die besten. Immerliin
wird man gut tun, dem französischen Musikleben in Bühne und Koniert«
saal nach wie vor große Aufmerksamkeit zu schenken, denn es fehlt ihn
nicht an schöpferischen Kräften, die es verdienen, über ihre Lande^freaiea
hinaus bekannt und geschätzt zu werden.
j4'.
flnter diesem Titel ist vor einiger Zelt eine Reihe von Binden er-
I schienen*), in denen der bekannte Genfer Musiker in syste-
matischer Form die Regeln einer rhythmischen Gymnastik
I entwickelt, wie er sie, soweit mir bekannt, in langjährigen Ver-
soeben auf seinem Institute allmihlich ausgebaut hat. Jaques-Dalcroze hat
sich in der Musikwelt bereits einen sehr angesehenen Namen gemacht; ich
erinnere nur an sein fein empfundenes und geistvoll instrumentiertes Violin-
konzert, um dessen Verbreitung sich besonders sein Landsmann Henri
Marteau verdient gemacht hat, an seine Oper .Sancho*, deren deutsche
Uraufführung zu^StraDburg ich seinerzeit in diesen Bllttem besprochen habe,
an eine Reihe überaus anmutiger Klavierstücke, Lieder und Reigen usw.
Gerade diese letztere Kunstgattung, die Verbindung von Musik und
rhythmischen Bewegungen des Körpers, wird es vermutlich gewesen sein,
die den Künstler zur Ausbildung seines Systems geführt hat, das die
harmonische, auf musikalischer Grundlage beruhende Entwickelung körper-
licher Bewegungen bezweckt. Man könnte dabei einen Vergleich mit den
Bestrebungen der Isadora Duncan ziehen, wenn nicht bei dieser doch das
Hineinziehen der Tanzkunst in Musikstücke, die zu diesem Zwecke Jeden-
falls nicht angelegt waren, einen mehr SuDerlichen, willkürlichen und ge-
zwungenen Eindruck machte, als das auf durchaus festem musikalischen
Boden füllende Vorgehen von Dalcroze. Er geht von den Leitsitzen aus,
daß der Rhythmus im wesentlichen eine körperliche Funktion ist,
und daß die Ausbildung derMuskulaturzu bewußten rhythmischen
Bewegungen ein wichtiges Element des mnsikalischen Taktgefühls einer-
seits, der harmonisch-graziösen und auch hygienisch fördernden Körper-
entwicklung andererseits ist. \Cie hoch er diesen letzteren Gesichtspunkt,
den körperlichen Einfluß einer geregelten Atmung und MuskeltStigkeit
einschätzt, geht aus der Sorgfalt hervor, die er den anatomischen VerhUt-
nissen der von ihm erstrebten gymnastischen Übungen wldmeL In einem
') Verlaf von Saodoi, Jobin ft Co., Paris, NencliaMl, Leiptlg, BbarsMit voa
Paul Upple.
346
DIE MUSIK VII. 18.
besonderen Bande, mit Tafeln von E. Cacheuz, schildert er geoan die
Vorgänge der Atmungsphasen und das Bild der Extremititeomuskulatar in
verschiedenen Bewegungszuständen.
Der Hauptband der Methode enthält nun, aufs minntiSseste ans-
gearbeitet, alle die Übungen, die der Autor zur Beförderung der Atemtätigkeit,
zur Kräftigung der verschiedenen Muskelgruppen, die das Gleichgewicht der
Bewegungen zu erhalten bestimmt sind, zur Beförderung der Kraft und Ge-
schmeidigkeit dieser Muskeln, zur Unabhängigmachung der Gliedmaßen von-
einander, und damit für die bewußte Regelung einer sonst instinktiven
Willenstätigkeit für zweckmäßig hält. Diese sind somit zum Teil Atem-
übungen, in denen eine Ausgleichung der Unterleibs- und Rippenatmnng
erzielt werden soll, unter Ausschluß der unrichtigen Hilfsbewegnogen des
Schultergürtels und Schlüsselbeins; sie sind weiterhin Marschübungen, bei
denen der Hauptwert auf das energische Hervorheben des guten Takt-
teils gelegt wird, und die sodann mit Taktschlagen der Hinde oder
sonstigen Armbewegungen (Rotieren usw.) in der verschiedenartigsten Weise
verbunden werden. Die Übungen, deren Grundelemente zunächst fQr Kinder
gedacht sind und diese allmählich zu rhythmisch empfindenden nnd har-
monisch sich bewegenden Individuen erziehen wollen, bauen sich nun von
den einfachsten Formen und Rhythmen stufenweise zu immer komplizierteren
auf, in denen schließlich gleichzeitig den Händen, den Ffißen und dem
Kopf verschiedene, von einander unabhängige Bewegungen zugemutet werden,
deren Ausführung sicherlich eine ganz besondere Disziplin aller Mnskel-
gruppen zu erzeugen imstande ist. Die Mühe und Sorgfalt, mit der Jaqnes-
Dalcroze alle solche Bewegungskombinationen im einzelnen ausgedacht nnd
zu einem zusammenhängenden System gebracht hat, ist geradezu bewnnder*
ungswert und von einer deutsch-professoralen Gründlichkeit. Daß er durch
diesen Kult an seiner Schule auf dem Gebiete rhythmischer Gymnastik
ganz besondere Erfolge erzielt haben wird, erscheint wohl zweifellos, nnd
wenn ich nicht irre, hat er vor einiger Zeit auch in Berlin die Frflchte
seiner Erziehung in Gestalt seiner lieblichen Kinderreigen nnter großem
Beifall vorgeführt. Aber doch scheint es mir, daß es ihm geht, wie so oft
denjenigen, die eine an sich ganz gesunde und zweckmäßige Idee knltlvieren:
sie spezialisieren sie zu einseitig und überschätzen ihre Bedentung,
manchmal vielleicht so stark, daß andere, nicht minder berechtigto An*
forderungen dagegen vernachlässigt werden. Ich kann mich des Eindrucks
nicht erwehren, daß eine Schule, die tatsächlich die auf sage und schreibe
290 Seiten aufgeführten zahllosen Einzelübungen des Autors gewlssräbaft
ausführen läßt, für nichts, aber auch für gar nichts anderes mehr Zelt finden
wird, wenn sie nicht die Kinder, die doch außer der Musik noch Sonstiges
zu lernen haben, ganz fibermäßig belasten will. Und dann: bat die Vor-
347
ALTMANN: DIE METHODE JAQUES-DALCROZE
9iK
einigttQg von Musik und Körperbewegung wirklich diesen außerordentlich
hohen Wert, daß sie so komplizierte und anspruchsvolle Methoden recht«-
fertigt? Die hohe Bedeutung des Rhythmus für die Musik steht ja außer
aller Frage, und manchem unserer modernen Musiker, die nur noch in
Synkopen und aufgelösten Rhythmen empfinden, wäre eine .Rückkehr zur
Natur* darum recht sehr anzuraten ; aber haben wir denn nicht alle unser
rhythmisches Gefühl, das.imstande ist, mit zwei Händen drei bis vier Rhythmen
gleichzeitig hervorzubringen, ohne solche verzwickte Obungstechnik er-
worben? Man darf doch die geistige, intellektuelle Natur dieses rhythmi«
sehen Gefühls nicht unterschätzen und darf — das ist meine Ansicht als
Mediziner — die Bestrebungen, die unwillkürlichen, reflektorischen Be-
wegungen (das , Unbewußte*), mit deren Fähigkeit die Natur unsem Körper
so herrlich und bewunderungswert ausgerüstet hat, in willkürlich geregelte
zu verwandeln, durchaus nicht unterstützen. Gewiß ist es wissenschaftlich
wertvoll, den Mechanismus der Atmung genau zu kennen; den Gesangs-
schüler aber .wissenschaftlich* atmen zu lassen, anstatt sich damit zu be-
gnügen, die natürlichen Instinkte auf die richtige Bahn zu lenken, halte
ich für eine Verkehrtheit, die leider in den Köpfen so vieler Gesangslehrer
herumspukt, und durch Zerstörung der natürlich-instinktiven Harmonie und
Ungezwungenheit oft die nachteiligsten Folgen hervorruft. Sodann spielen
die körperlichen Bewegungen doch nur auf ganz eng begrenzten Gebieten
der Musik eine Rolle: dem der Tänze und Märsche (eine Sammlung
solcher .rhythmischer Märsche*, die teils in einfachen, teils in
zusammengesetzten Taktformen gehalten und, wie bei Dalcroze anzunehmen,
zumeist von sehr hübscher Wirkung sind, bildet ebenfalls einen Abschnitt
seines vierbändigen Werkes). Das ganze übrige und eigentliche Haupt-
gebiet der Musik kennt diese Kombination nicht, und daher erscheint es
doch etwas übertrieben, um jenes kleinen Seitengebiets willen die Ausbildung
der Zöglinge zu sehr zu komplizieren und von den ästhetischen Bahnen
der höheren Kunst abzulenken.
Auch die Kapitel, die vom «Studium des Notenplanes* handeln,
leiden meiner Ansicht nach unter einer unnötigen Komplizierung des an
sich doch wahrhaftig nicht so schwierigen Stoffes. Wozu denn sich mit
ein-, zwei- und dreilinigen Notensystemen abplagen, anstatt gleich das
normale Notensystem vorzunehmen, wozu den alten Zopf mit den ver-
schiedenen Schlüsseln weiter pflegen, ein künstliches Hilfsliniensystem aus-
arbeiten usw. ?
Von weit größerem Interesse sind die Kapitel über »Phrasierung
und Nuancierung*, in denen Dalcroze in origineller Weise von dem
Studium der Tonleiter ausgeht. Wenn er dabei ausfuhrt, daß jeder
Schüler nach einiger Zeit befähigt sei, das absolute Gehör zu erhalten.
348
DIE MUSIK VII. 18.
z. B. den Ton c als solchen zo erkennen, so vage ich dis doch zn bezvdMn,
und verniig ferner nicht recht einzasehen, velchen so groOen Nutzen d(eB^
lieh dieses bei vielen der grÖDten Musiker nicht vorfauideneibsolnteGebSr
besitzen soll ? Ich hibe Im Gegenteil gefunden, dafl die damit «Behafteten*
beim Transponieren usw., vie es z. B. im Gesang so oft erforderlich ist, die
erheblichsten Schwierigkeiten haben. Und ob der KanstgenuB wirklich
dadurch erhöht oder die musikalischen Fähigkeiten eines Indlvidnnms dadnrdi
gesteigert werden, daß es die Tonart eines Stücke« sofort heransznhSrcn
imstande ist, das möchte ich ebenfalls dahingestellt sein lassen. Mir
scheint das Wesen musikalischer Empfindung doch mehr anf anderen
Gebieten zu liegen, als auf dem dieser verhiltnismiSigen Äu&erlictakeltenl
In viel höherem Grade kann man sich mit den sonstigen Nuanclemngs-
und Phrasierungsangaben einverstanden erküren, die, von xablreicben
Beispielen begleitet, den lohalt dieses Beihefts bilden.
Ich glaube mit diesen Zeilen, soweit es sich ohne weiteres ^ngebeo auf
Einzelheiten ermöglichen ließ, eine kurze Obersicht des Inhalts und Wesens
der Datcroze'schen Methode gegeben zu haben, wobei ich natürlich nicht
verkenne, dafi andere Beurteiler vielleicht zu anderen ResulUten gelangen
können. Jeder Musikpädagoge wird gewllt mit Interesse und vielhcb auch
mit Vorteil für seinen Unterricht die Ausführungen des geistvollen, kenntnis-
reichen und strebsamen Genfer Professors in die Hand nehmen; ob aber
viele sich werden entschließen können, die Methode in der vorliegenden
Form sich zu eigen zu machen, vermöchte ich nicht zu sagen, fBrcbte
aber, daß es schon aus Zeitmangel kaum der Fall sein wird. Eine weitere
Verbreitung seiner in vieler Hinsicht sieber sehr ersprießlichen nnd ^
in jeder Bedeutung des Wortes — gesunden Bestrebungen würde meinet
Erachtens der Autor nur erreichen können, wenn er sich entschlSsae, die
Hauptpunkte seiner Methode in einer wesentlich kürzeren, kompendlBtcran
Form herauszugeben.
I der Mittigsslunde des Kantate-Sonniigs 1008 stebl in Leipzig in der
I SüdseKe der Thomas iure he, dort, wo noch bis vor wenigen Jahren die
ehemalige Ttaomasschule den alten Kirchhofs platz recbtwialilig lum
J Gotteshause abgrenzte, In erzener Leibbaftigiceit der große Thomasicantor
'Johann Sebastian Bach, wie ihn uns Meister Carl Seffner gefonnt.
Vor einer Orgel postiert, der er den Rficlien zukehrt, nach deren Manual aber die
linke Hand noch zurüc legreift, blickt der in der Tracht seiner Zeit, In Perücke,
langem Rock, ScboDweste, Kniehosen und Scbnallensctauhen, dargestellte All-
meisier mit ausdrucksvoll erregtem Antlitz In die Feme hinaus, als leitete er mit
dem Blick einen tausendflltigen Chorus beim Singen eines Lob- und Dankliedes,
dessen Partitur er mit der energisch eingezogenen rechten Hand umklammert hllt.
Ein starker Stiramungszug von GrSße und Wahrhaftigkeit gebt von dem 3,50 Meter
über einem 3 Meter hohen Muschelkalksteinsockel aufragenden, kfinstlich patioierten
Bronze stand bilde') aus, und des Bildners Kunst bewundernd, mAchte man beink
Anblick des Denkmales gapz unwillkürlich susrufeRi^ Wahrlich, dieser ist Jobann
Sebastian Bach gewesen, so muü er ausgesehen haben, der gewaltige, unermüdliche
Evangellenverkündiger und Beherrscher der Orgel. Mit Schauem der Ehrfurcht
treten Unzihlige vor das Erzbildnis des grollen Tondichtera hin, der In Wahrheit
hat sterben müssen, um in seinen Werken unsiertlich aufzuerstehen. Ist es doch
ein wunderbar Gewaltiges und Erhabenes um die hohe Kunst Johann Sebastian
Bachs, aus der sich in Tönen glelchssm der Geist einer bOberen Weltordnung otfen-
hart, und die zugleich mit der ergreifendsten Ausdeutung des Erlös ungsgedankens
allen Empfindungssegen demütiger Ergebenbelt, tröatllcber Holfnung und Zuversicht-
liebsten Vertrsuens über die Menscbenherzen ausströmt. Wie der Anblick gotiscber
Dome vergessen mschi, daß es Menschengeist und Menschenhlnde waren, die also
gewaltige steinerne Bekenntnisse zum Himmel binauflürmten, so entschwindet auch
beim Anhören Bachseber Schöpfungen die Vorstellung von Menschenwerk; vor dem
geistigen Ohre erbaut sich da In Klingen ein Unzerstörbar-Festes, Wunderbar- Voll
kemmenes, über dem gleich den Wolkenschatten und Sonnenstrahlen des Himmels
das leidestraurige und freudejauchzende tiefste Empflnden einer edlen, grollen und
starken Seele ausgebreitet liegt, und wir spüren in Ewigkeiten binauswscfasen, was in
Ewigkeiten wurzelte. Eine schier unermeßliche Fülle von tönenden Schöpfungv
wundem und von hymnischen Ausdeutungen siler erhabensten Gemüts- und Geistes«
feste ist es, was Jobann Sebastian Bach, der begeistertste und ausdmcksge waltigste
Gotiesslnger aller Zelten, der Menschheit zu eigen gab, und so hatte man denn die
■f Eine Abbildung des Denkmals brachten die Kunstbeiiigen des zweiten
Maifaeties. Red.
350
DIE MUSIK VIL 18.
Ehrung seines Andenkens rechtens in die zwischen dem Osterfeste mit seinen tie^
ernsten Passionsgedsnken und seiner Auferstehungshoffnung und dem Pfingstfette
mit seiner in allen Zungen reden machenden Ausgießung Heiligen Geistes liegende
Maienzeit verlegt, wo Schöpfungswunder über Schöpfungswunder uns allenthalten
umschwellen und umbluhen, und in den Lüften aus tausend und ater tausend Vottl-
kehlen die alte Maienmotette «Singet dem Herrn ein neues Lied* erschallt 0er
jauchzende Maienjubel in der Natur und rechte maienfröhliche Dank- und Lobseligkeit
der Menschenherzen vereinigten sich zu festlichen Doppelchören, da nun in Leipiig
unter entsprechenden musikalischen und kirchlichen Feierlichkeiten dem ehemaligen
Thomaskantor ein der Bedeutung Bachs für die Welt und der Bedeutang Leipzig»
für das Auferleben der Bachschen Kunst wahrhaft entsprechendes Denkmal errichtet
wurde. Wohl besaß Leipzig schon seit 1843 ein kleines bildstöckelartiges Bach-
denkmal, das Felix Mendelssohn-Bartholdy voller Freude an den nach Bendemanns
Entwurf angebrachten «vielen Säulen, Siulchen, Schnörkeln und zierlichen Verziemngen^
die ihn wirklich an den alten Sebastian erinnerten", der Stadt gestiftet hatte, nnd das-
ehedem, da man in Leipzig eben erst zu begreifen begann, daß der Mann, den man
hier nach siebenundzwanzigjihriger verdrußreicher Amtsfh>ne 1750 pmnklos auf dem
alten Johanntsfriedhof beigesetzt hatte, ein unsterblicher Genius gewesen war, als
eine zureichende Huldigung empfunden werden konnte. Für das heutige Leipzig ater^
das insonderheit durch die 1850 hier vollzogene Gründung der Bachgesellschafl^
durch die von dieser und der Firma Breitkopf & Hirtel besorgte Gesamtnusgate
der Werke Bachs, durch treue Pflege der Bachschen Kunst vonseiten des Thomaner*
Chores, des Riedelvereines und des Bachvereines, durch nahezu alljährliche bedeu^
same Aufführungen der „Matthiuspassion" und als Sitz der 1900 gegründeten und bis-
her bereits um die Veranstaltung dreier deutscher Bachfeste, um die Herauagabe
wertvoller Bach-Jahrbücher' und sonstiger- einschligiger 'Publikationen und um die
Einrichtung des von ihr erworbenen Eisenacher Geburtshauses zum Bachmuseum
hochverdienten Neuen Bschgesellschsft recht eigentlich zum Hauptorte einer sieb
mächtig durchsetzenden Bschrensissance geworden ist, mußte auch die Gestalt
des Meisters in monumentaler Größe suferleben, wie das nun endlich zu allgemeiner
Freude geschehen ist.
Der Denkmslsenthüllungsfeier sm Ksntste-Sonntage, die in Anwesenheit vieler
städtischen Würdenträger, des Denkmslsbildners und unzähliger Bachverehrer« darunter
auch des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, eines Sohnes des verstorbenen
Regenten von Braunschweig, des Erbprinzen Reuß }. L., und Heinrichs XXIV. Pfirtten
Reuß, mit Weihegesängen der Thomsner, einer zündenden Ansprache des Vorsitzenden
vom Denkmalkomitee, Geh.-Rat Prof. Dr. Adolf Wach, einer Dankesrede des
Oberbürgermeisters Dr. Tröndlin und der Niederlegung von Kränzen durch
Delegierte verschiedener Leipziger und Berliner musikslischer Korporationett und
durch den Bürgermeister von Eisenach feierlich-schön verlief, wsr ein Im Geiste der
Bschschen Zeit reich mit Musik (Choralvorspielen, Chorälen, der Motette »Sei Lob
und Preis mit Ehren**, der Ksntste „Es ist euch gut, dsß ich hingehe" und der F-dur-
Toccats von Bsch) durchsetzter Festgottesdienst in der altehrwurdlgen Thomas-
kirche vorausgegangen, bei dem Superintendent Nelle aus Hamm eine Fest-
predigt über Markus 16, 15: „Gehet hin in slle Welt und predigt das Evangelium aller
Kreatur^ gehalten und in ihr Bachs treubegeisterte Erfüllung dieses Gebotes, seltt
festes Wurzeln im Glauben, in der Gemeinde und in der Fsmilie, und die Baclipche
Kunst als einen die Völker segnenden und die Nstionen verbindenden heiligen Strom
gerühmt hatte.
351
SMOLIAN: LEIPZIGER BACHFEST
X
Um den Kernpunkt des diesmaligen Bachfestes waren fünf Konzerte
gruppiert^ die mit der vorzuglich schönen Auswahl aller Progg^mwerke und deren
insgesamt vortrefflicher Ausführung eine beglückende Fülle Bachschen Geistes über
die Festgemeinde ausgeströmt und die Sinn und Seele bezwingende lebendige Kraft
der Bachseben Kunst in überzeugendster Weise dargetan haben. Schon am Freitag-
Abend hatten in der Thomaskircbe der vortreffliche Baseler Münsterorganist Adolf
Hamm und die wahrhaft begnadete Baseler Altistin Maria Philippi mit meisterlichen
Orgel vortragen (Es-dur Präludium und Tripelfuge aus der «Klavierübung% a-moll
Konzert nach Vtvaldi, G-dur-Priludium und Fuge und Choralphantasieen Jesus
Christus, unser Heiland" und „O Lamm Gottes*) und edlen Gesangsgaben (geistliche
Lieder «Kommt, Seelen, dieser Tag", i,Brich entzwei, mein armes Herze*, «Komm, süßer
Tod*, «Jesus, unser Trost und Leben*, „So gibst du nun, mein Jesu, gute Nacht*
und «Ich halte treulich still*) auf herzerhebende Weise zum Feste präludiert. Am
Sonnabend aber erklangen in der Thomaskircbe nachmittags, eingeleitet mit einer
ungewöhnlich elegisch-weichen Reproduktion von Präludium und Fuge in g->moU
durch den Hamburger Christuskirchenorganisten Gustav Knak, die von den
Thomanern unter Prof. Gustav Schreck ganz herrlich ausg^eführte doppelchörige
Motette «Singet dem Herrn ein neues Lied* und abends bei wiederum vorausi
gehendem Orgelvortrage des Herrn Knak, der diesmal an der c-moll Passacaglia
hervorragende Meisterschaft offenbarte, die wunderbaren Kantaten «Wie schön leuchtet
der Morgenstern* und «Mein liebster Jesu ist verloren* und das erhabene «Magniflcat*,
in hoher Vollkommenheit vorgeführt durch den kundigen und begeisterten Bach*
Interpreten Karl Straube, den durch die Thomaner und Mitglieder des Lehrer-
gesangvereins verstärkten Bachverein, ein, abgesehen vom Indisponiertsein des
Tenores, ganz auf der Höhe seiner Aufgaben ^siebendes Solistenquintett (Jeannette
Grumbacher-de Jong, Enna Reichel, Maria Philippi, Ludwig Heß und Arthur
van Eweyk) und das Gewandhausorchester, dem sich Prof. Dr. Max Seiffert
am Flügel und der Organist M. G. Fest an der Orgel zugesellt hatten.
Am Abende des Enthüllungstages zauberte eine gar köstliche Kammermusik
im großen Gewandhaussaale der Festgemeinde den ganz intimen Bach vor, und wie
Maria Philippi hier mit den drei Gesängen «Bist du bei mir*, «Warum betrübst du
dich* und «Gib dich zufrieden* aus dem «Klavierbüchlein der Anna Magdalena Bach*
alle Herzen ergriff, und die junge Pariser Sopranistin Enna Reichel mit dem von
Karl Straube und einer Gruppe trefflichster Gewandhausmusiker begleiteten, sehr
anmutigen Vortrage der überaus liebenswürdigen, fröhlichen Hochzeitskantate «Weichet
nur, betrübte Schatten* erfreute, so riefen mit prächtigen Reproduktionen der h-moll
Sonate für Klavier und Flöte, der f-moll Sonate für Klavier und Violine, der g-moll
Sonate für Klavier und Violoncello und der d-moll Partita für Solovioline Universitäts-
musikdirektor Max Reger, der alle Klavierpartieen mit großer Klangschönheit und
in reichster, vermutlich wohl nicht immer ganz originalgetreuer Polyphonie ausführte,
der vorzügliche Gewandhausflötist Maximilian Schwedler, der unübertreffliche
Meistergeiger Prof. Henri Mar teau und der anfangs allerdings nicht zum besten aufgelegte
Prof. Julius Kien gel bewunderungs volle Begeisterung wach. Sämtliche Mitwirkenden,
vornehmlich aber Henri Marteau, Maria Philippi und Karl Straube, dem man im
Gewandhaussaale für sein schönes Vollbringen in den Kirchenkonzerten danken
wollte, wurden mit vielem Beifall und Hervorruf geehrt.
Den Schluß des schönen Festes bildete am Montag in der Thomaskirche die
«Passionsmusik nach dem Evangelisten Matthäus*, die bei diesem besonderen
Anlaß versuchsweise fast völlig strichfrei (es blieben nur zwei kleine, ganz un-
352
DIB MUSIK VII. 18.
wetentllcbe Rezftativstellea fort) und darum In durch eine lange Pauae unterbrochener fp-
■onderter Vledergab^ ihrer beiden Teile (drei bf> fünf Utar und balb acht bia drei-
vienel zehn Uhr) vorfefühn wurde. Auch diese Pasaionaaufrühnini, die «icdemm rofl
Karl Straube feleitet wurde und fQr die zu dem bereits bei der Beaprecbung des
Kantaten konzertes erwlhnten und gerühmten Ensemble noch Emii PInka als guter
Interpret der bisher gestrichen gewesenen Tenorarie .Geduld, Geduld', die Herren
von Hergel, Rosenthal, Stichllng und Schneider ala tüchtige Vertreter der
kleinen Solopartieen und Hans Vsterhsus sls allzu aaturalistisch singender Vor-
tragender der eralmsllg mit aufgenommenen BsQarlen «Gerne will ich mich bequemen',
.Gebt mir meinen Jesum wieder", «Komm', sQUes Kreuz' und .Mache dich, mein
Hene, rein' talnzugekommen waren, nahm bei allerdings noch nicht rSIIlg bevirfeier
Einheitlichkeit der Auffassung und einigen etwaa launenhaften Oberbaatungea oder
Verbreiterungen von Zeitmaßen insgesamt einen so ungemein k&nsllerlacb anregenden
Verlauf, daß man ihr nur mit dem lebhaftesten Interesse und an den Tielen H5he-
punkten mit freudiger Begeisterung folgen und aobUeülicta wohl In den von rer-
scbiedenen Seiten geiu&enen Tunsch mit einstimmen konnte, da& Leipzig mh der
Zell zu einem Bayreuth der Bachschen Kunst, zur Slltte regelmiOlg wiederkehrender
Bacbfeste mit stilgerecht groß angelegten Aufführungen Bachaetaer ScbSpftaaJteB
werden mSge. Für solche Feste dürfte dann wohl auch die atrlcliltala Wiedergabe
der MatttaluspRSslon beizubehslten sein, wihread für Aufführungen unter normalen
Verhiltnissen das Aufrechterhalten der im Grunde doch recbt wohl angebrachten und
durchaus zweckgemillen Kürzungen zu empfebren Ist.
Die Thomaner, Karl Straube, dem zu aelnem intimen BacliTeratiiidnIa and
seiner leidenschaftlichen Bachbegeisterung bsid eine noch grOltere AuftkaauBgahsiig-
keit und entschlossenere Herrschsft über sein eigenes Temperament und Ober die
zuweilen zu stilwidrigen Vortrsgsmodlßkatlonen neigenden Geaangaaollaten beacliMeB
sein mJIgen, und der Bachverein, das sind die drei Faktoren, die Leipalg zur Fe•^
stltte des Bachkultes pridesliniert erscheinen lassen.
Zu erwihnen habe ich schließlich noch, daß Dr. Alfred Heult auch Kr das
zu diesem Bscbfteste ausgegebene Pest- und Programmbuch sehr eindringt lebe, dauernd
wertvolle historiscb-isthetische Erliuteningen aller zur Aufführung gelangten Werke
und darunter insonderheit eine ganz ungemein erkenntnis- und gedankenroiebe Hb.'
führung in die Mattbluspassion verfsßt halte, und daß Frl. HIa, die Tochter dea um
die Rekognoszierung des Bachseben Sctaldels hochverdienten Anatomen Prof. HIa,
wibrend des Bacbfestes im Stidtischen Museum eine sehr Interessante AuaatelliiBg
von vielen auf die Aufflndung und Überarbeitung des Bachschldels bezflglichen Auf-
zeichnungen und Abbildungen und von allen hier erreichbaren Bacbportrtte und
Bacbbüsten veranstaltet hatte, deren Anblick die Besucher in der ObeneugBig
bestirken mußte, daß Bsch in Wirklichkeit so ausgesehen habe, wie Ihn Prof. Seffner
nach langjlbrigem gewissenhaftesten Poracben und Formen in seinem ectaBiwii
Denkmale dargestellt hat.
im Grünen, in weißem MRrmor prangend, erhebt sich jetit das
I Monument des Melatera, der das Deutsche Requiem und das Scbickaals-
lied gesuDgen hat In blühenden BQschen ringsum rauscht der Frühling;
nur ein Stückchen der graugelben, ernsthaften Fassade der Technischen
' Hochschule und der lustig roten der Evangelischen Schule ragt hinter
dem dichten Cezwetge des Resselparks empor; drüben dringt die Menge, und ab*
gedlmpR klingt der unaufhdrllcbe Tumult des von den Biumen verborgenen Nasch-
markts herüber, dessen HSkerinnen in Schelten und Keifen eine mehr als bloD lokale
Berühmtheit erlangt haben. Hieristjohannes Brahms alltlglich in seiner darin sehr
an Beethoven mahnenden Art vorbeigegangen: immer entblöBcen Haupts, mit kurzen,
harten Schritten der gedrungenen Gestalt, mit wehendem welQen Bart und Haar, die
Hinde mit dem Hat auf den Rücken gelegt und mit versonnenen Tilumen in den
wundervollen blauen Augen. Und hier haben sie das Denkmal des herb verschlossenen
Mannes aufgestellt, der auch im Lirm still und auch in der Menge einsam war.
Er sitzt, gleichsam behaglich rastend, auf einer Bank; das massige Haupt in
freundlichem Sinnen geneigt, mit jenem gemichlichen Ausdruck, den er oft in einem
heiter pokuüerenden Kreise von Menschen hatte, die er leiden mochte. Der Kopf
auf Ilse Conrats Grabdenkmal ist, trotz der geringeren Dimensionen, viel mona-
mentaler und hat mehr GrÖBe; der Weyr'sche ist Intimer und vertrauter. Tie über-
haupt das ganze Denkmal In seiner lissigen Ungezwungen hell und der sebr charak-
teristischen Detaillistik, die das Problem der kleinen und untersetzten Gestalt des
Meisters zu lebendiger und dabei plastisch vortrelflicfaer Lösung bringt, etwas an-
genehm .unofflzieiles" hat. Oder vielmehr bitte, wenn da unten, lu Füllen der
grau schimmernden Sockelstutbn, die in eintacher Schrift bloß den Namen Mjot»nnes
Brahms* tragen, nicht eine aufreizend überflüssige allegorische Figur hingestreckt
wire, die grimmigen Gesichts In die Saiten einer Leier greift. Die alnapintjon", —
oder sonst Irgend eine der aufdringlichen Atrributtrigerinnen, die dem Beschauer den
.Berur* des Dargestellten entgegenschreien. Tire sie zu entfernen — und es ist
nicht ausgeschlossen, daß das ohne un künstlerischen Zwang möglich wire — so bitte
man wirklich ein vornehmes, einfaches, ganz dem Tesen des Meistera entsprechendes
Denkmal >|.
Man hat viel darüber gesprochen, ob es jetzt schon an der Zeit war, dieses
Standbild für Brahms zu setzen. Es Ist vielleicht wirklich noch nicht die rechte Distanz
zum Brahms'scben Terke da, um ermessen zu kOnnen, ob die SchSpfung des Künstlers
das Gewicht de« großen Wortes .Unsterblichkeit* zu tragen vermag und ob sein Lied
so lange lebendig bleibt, als der Denkstein, der es verkündet. Und sicher ist, daß es
■) Eine Ansicht 4e8 von Professor Rudolf Weyr geschaffenen Denkmals Rndet
der Leser unter den Kunstbeilagen dieses Heftes. Red.
VII. la 23
SPS DIE MUSIK VII. 18. ^BK
Phantasieen eines Betrunkenen" vor etwa zwanzig Jahren die schleunigste Flucht aus
Wien antreten mußte, werden da die Bannfifiche Qber alle »spekulativen, sensations-
süchtigen Musiker nach Brahms* gestottert Es bleibt aber nicht bei dem stotternden
Privatissimum dieses Helden: in der Hartungschen Zeitung (nach deren Lektüre
sich Unbefangene im Reiche nicht etwa ein Bild vom Stand unserer Musikkritik
zeichnen sollen, der schließlich such Minner wie Nodnagel und Paul Ehlers Ihren
Isngjihrigen Beistand leisteten) geifert er gegen die ganze Moderne nicht blofl,
sondern mit unerhörter Dreistheit such sn dem Werk Richsrd Wagners herum. Da
konnte man heuer, im Jahre des Heils 1908, von einem »sensationellen Gestalten der
Isolde**, Pöbeleien gegen Hugo Wolf lesen; der Fsustsymphonie wurde doch wenigstens
ihr Gretchensatz als halbwegs snstindige Musik gelsssen. . . . Die Tatsache, daft
solche Dinge hier überhaupt noch möglich, enthebt mich weiterer unerquicklicher Fest-
stellungen in dieser Richtung. Die sehr gehsmischten offSenen Angriffe Nodnsgels, die
zwischen den Zeilen eingeflochtene edle Abwehr Ehlers', endlich die seit zwei Jahren
in gleicher Richtung sich bewegenden Bestrebungen des Verfkssers dieser Zeilen — sie
hsben noch immer keine Abhilfe schaffen können. Abgesehen von diesem tragikomischen
Kapitel des hiesigen Fortschrittes, wäre es also zu seiner Besserung ebenso, wie für einen
höheren Quslttitsgrad der Aufführungsverhältnisse dringend zu wünschen: man gründe
ein neues, eigenes Konzertorchester, richte damit auch volkstümliche Symphonieabende
ein. Auf Königsberg und Danzig alternierend verteilt, könnte eine solche Institution
beiden Städten nur zum Heil werden. So such nur könnte msn Wendel, von dem
unten noch die Rede ist, die seinen Fähigkeiten gebührende Stellung, seiner eminenten
Künstlerschsft Gelegenheit geben, dem musikslischen Gemeinwesen von weittragen«
dem Nutzen zu sein. Mit der in zwei Jahren zu gewärtigenden Einweihung der neuen
Stadthalle zussmmengehend, würde diese Orchestergründung dem ostpreußischen
Musikleben einen großen Aufschwung zuführen.
Inzwischen ksm nun da — ganz wie im Märchen — ein Prinz ins Land, der
Frau Musika liebt und verehrt. Friedrich Wilhelm von Preußen, des Braun-
schweiger Regenten Sohn, nahm sich der Idee eines dreitägigen Musikfestes
begeistert sn. In edelster Absicht, jedoch offenbar in Unkenntnis dsrüber, wie gerade
hier (aus den oben geklärten Gründen) dieser seltene Anlsß eines einmütigen Fest-
musizierens sller vorhandenen Kräfte zu einer Erklärung gegen slle stillschwelgend
oder laut bestehenden Vorurteile hätte benutzt werden, ein Programm von klassischer
Grundlage aus bis in das Mark unserer heutigen Tonkunst als gesunder Vorstoß
hätte dringen müssen, wurden nur Werke von Bach bis Brahms suflgeführt: eine ge-
wiß unbeabsichtigte, sber in der Tat doch vorhandene Sanktion jenes schon grotesk
gewordenen Kränzchen-Standpunktes. Alle Versuche, die der Schreiber dieser Zellen
ungeachtet der verschiedensten unfairen Gegenkundgebungen anwandte, dem Programm
einen Ausblick ins Land der neueren Tonkunst zu schaffen, blieben nutzlos . . .
Und das Fest selbst — ein Ketzer müßte es leugnen! — war über alle Mafien
schön. 143 Orchestermusiker, unter denen freilich etwa 25 Mitglieder der Berliner
Hofkapelle saßen, und ein 500 stimmiger Chor sind aufgeboten worden. Am ersten
Tage führte Brode nach dem als Portal gedachten Chor «Erschallet ihr Lieder*
(sus der Bachschen Pfingstkantate No. 172), Brahms' Schicksslslied und die un-
vollendete Schubertsymphonie auf; mit dem vorhandenen Prachtmaterial gelang
ihm eine wirklich außerordentlich schöne Darstellung namentlich der Schuber^
Symphonie. Huberman spielte darauf das Brahmskonzert und zeigte durch den Vortrag
von neuem seine geistige Vertiefung und musikalische Reifwerdung. Unser verdienter
Chormeister Schwalm, der besten einer in deutschen Gsuen, hstte die einzige Novität
359
KASTNER: OSTPREUSSISCHES MUSIKPEST
des Festes: Bachs befreiend humorvolles Dramma per musica, den^Streit zwischen
Phöbus und Fan**, übernommen und fand genügend Anlaß dabei, seine Stilbeherr-
schung an dieser freilich für eine camera-Wirkung eingestellten Satire zu erweisen:
trotz des Umstandes, daß der Continuo ohne Cembali, die in diesem Riesenraum
nutzlos verpufft wären, sondern in der Mottischen Einziehung gespielt wurde. Die
Damen Grumbacher-de Jong und Schnabel, die Herren van Eweyk, Senius,
Jungblut und der stimmherrliche Griswold teilten sich in die Soli.
Der zweite Tag brachte ein monumentales Beethoven-Frogramm: Coriolan-
und Leonoren-Ouvertüre, G-dur Konzert mit Schnabel, die „Neunte**. Es war der Tag
von Königsberg, da Ernst Wendel, eine scharf ausgeprägte Dirigentennatur, zum Wort
kam und bewies, daß wir hier, wenn diesem genial beanlagten Musiker eine gebührende
Stellung eingeräumt würde, eine große Konzertzukunft erwarten könnten. Fortreißendes
Temperament, suggestives Vermögen, rhythmische Energie auf die Ausführenden zu
übertragen, ein reiches Gefühl für Dynamik, ein großzügiges Empfinden für Melos und
Linienführung der symphonischen Gedankenwelt vereinigt dieser Künstler mit größter
Besonnenheit und Bestimmtheit der Dirigiertechnik: kein Wunder, daß eine wahrhaft
festliche und vom Feuergeist des beethovenschen Funkens beschwingte Aufführung
der Neunten wie der beiden Ouvertüren zustande kam. Sie versetzte nicht allein die
viertausend Zuhörer, sondern auch die ausgezeichneten Solisten der Berliner Hofkapelle
(Prill, Flemming, Conrad, Meffert, Salzwedel usw.) in Erstaunen, so daß Wendel schon
jetzt einen ehrenvollen Antrag zur Vertretung Richard Strauß' für einige Symphonie-
abende im Berliner Opernhaus erhielt.
Solist an diesem und am dritten Tag war Artur Schnabel. Nach seinem tief-
ergreifenden Vortrag der Konzerte in G-dur von Beethoven und d-moU von Mozart
(K. 466) drängte sich dem Hörer das Bewußtsein auf, daß wir da für den dahin-
gegangenen Reisenauer und den komponierenden d' Albert den vollgültigsten Ersatz
gefunden haben. Die Anschlagskunst, wie überhaupt alles Technische ist jetzt bei
Schnabel zur denkbarsten Idealität gediehen, seine musikalische und seelische Dar-
stellung über alle Beschreibung schön. Den Rezitativsatz bei Beethoven, die für Mozart
auffallend ausführliche und von jenem seltsam unstät irrenden Kreuzhandsatz unter-
brochene Romanze hat man kaum je schöner, abgeklärter gehört. So konnten sicher
Frida Hempel und Felix Senius mit ihrer ganz erlesenen Gesangskunst, den
Reizen ihrer außergewöhnlichen Stimmmittel faszinieren, aber in die Herzen aller
Festteilnehmer ist unausrottbar der Eindruck von Schnabels edelster Kunst ein-
gepflanzt.
Leo Blech hatte hier, wie kaum noch in Berlin, schönsten Anlaß, seine gewaltigen
Fähigkeiten als Konzertdirigent zu erweisen: wie in Schnabel steht auch hier ein
einfacher, schlichter Musikersmann vor uns, der Mozart und Schubert mit größter
Anspruchslosigkeit deutet, der ein souveräner Orchestermeister ist, dem es mit wenigen
äußeren Gesten gelingt, seinen meist unantastbaren Intentionen Geltung zu verschaffen.
Das blühende Leben der Schubertschen D-dur Symphonie sprießte und keimte unter
seiner Leitung neu auf — das gewagte kühne Tempo des Finale ging keineswegs auf
Kosten der Konturenschärfe. Man feierte Blech mit freudigem Enthusiasmus.
Das Fest selbst also hat erwiesen, daß Königsberg unter sicherer Hand und im
Zeichen des schönen Grundsatzes viribus unitis sehr wohl Hochachtbares leisten kann.
Möge dem Reis, das ein kunstsinniger Prinz damit gepflanzt, bald reife Frucht im
Sinne unsrer obigen, nur auf eine Besserung der Zustände selbst hinwirkenden Aus-
führungen entsprießen!
BÜCHER
148. Max Knlbeck; Johannes Brahmi. Zweiter Band, erster Halbbud. Verlag:
Deutscbe Brabnit-Geiellschart, Berlin 1008.
Dem In Band 12, S. 458 ff. der .Muilk" von mir {ewflrdicten ersten Bande seiner
groß angeleiien Brabms-Blograpble bat Kalbeck nun nacb Tlerjabren die SctalldentD( der
Jahre 1882-68 In Btahmi' Leben folgen lassen. Vleder bat er die reichen Ihm vor-
liegenden Materialien, hauplslchlich Briefe, in ganz auagezel ebnetet Teise Tenrbsltei
und ein Buch geachaffen, das man, aeweit die wirklich kfinatleriacb* Darstellung in
Betracht kommt, mit hohem Isttietischen Genuß lesen wird; leider aber bat n wieder
ganz unnAtlge Angriffe auf Tagner und andere Ibm unsympathische Minner seinem Buche
einverleibt und seine eigene werte Person bei leder nur möglichen Gelegenheit la dn
Vordergrund gestellt. Ob wohl Btahms wiiklich Jene berBchtigie , Tristan"' Reienaim
Kalbecks, auf die dieser sich noch besonders viel zugute tut, gebilligt hat? MIQbllllgnng
verdient auch, diQ Kalbeck den Kritiker der „Tiener Zeltung", Rudolf HIracb, alaen Affen
Speidels nennt. Vermißt habe Ich Qbrigena die Heraatlehung der Briefe BBIowt fBr die
geschilderte Epoche. Ob eine so eingehende Rettung Hanaücks, wie ale Kalbeck In den
vorliegenden Bande versucht hat, wohl notwendig war? Doch wir wallen vargeuBa, daB
Kalbeck, der auch immer mehr Dichter als Historiker Ist, gar nicht anders kann, ala
Partei ergreifen, und wollen uns an dem wirklich SchSnen, daa aein Buch In reicher
FGIIe enibllt, erfreuen. Da Ist glelcb die Schilderung Tiena, wie dleae Sudi anf BrahBS
1862 gewirkt hat, geradezu ein Meisterstück, ebenso die Schilderung Badea-Badens
(Licfatentbals). Die liebevolle Türdigung des G-dur Sextetts and des Horntrioa, la des
Brahma seine Empfindungen beim Tode seiner Matter aledergelegt hat, kann auch nicht
genug gerObmt werden, ferner die freilich reichlich auaführllchen CharakterlsleraagBi
Allgeyers, Nottebohms und BillToths. Vor allem berCbn mich Immer sehr sympathisch,
wie una Kalbeck Brahma als Menschen nlberzubrlngen sacht; nicht ohne RBhreng
liest msn von seinem Verhalten gegen aelnen Vater, aelne Mutter und auch gegen sbIbc
Stiefmutter. Sehr wichtig iat der Nachwela, daß die .Rio aide' -Kantate, trau Ihrer Ver-
Sffentlicbung unter einer splteren Opuszabl, vor dem gDeutscben Requiem" In der HaupN
Sache emstsnden ist. Dessen Entstehungsgeschichte wird eingehend UargelagL Et Ist
nicht auf den Tod der Mutter, wie man lange angenommen hat, komponiert, sandera auf
de^ Schumanns. In dessen Projektenbuch fand Brahma die Eintragung .ein dcniBGiMa
Requiem*. Sie blieb ibm im Gedlchinla haften und trieb ihn an, den von Schumaaa
unterlassenen Versuch zu wagen. Der Scherzo>Sarabanden-Sati der tragischen Sympbanle
in d-nioll blieb, als diene 1857 in daa Klavlerkoniert verwandelt wurde, weg and fhad
Verwendung als Toienmaisch im zweiten Teil der 1S5S projektierten sToteakaatate". Der
Tdd der Mutter (1865) war freilich Veranlassung, diese Kantate wieder voraunehmca;
1866 war das .Deutscbe Requiem* vollendet bis auf das 188S nach komponierte Soprsnaolo.
— Ungemein reichhaltig sind auch die Mitteilungen Ksibecks Bber die mancherlei Opern-
pline von Brahms, die immer an den Texten scheiterten; beaondara Im Jahre I8BI
dachte er sehr ernstlich daran, sus Gozil's .KBnlg Hlrach" sich «Ina Oper machen n
361
BESPRECHUNGEN (BÜCHER)
X
lasten; später erschien ihm Calderon's «Lautes Geheimnis* in Gozzi's Bearbeitung gf
eignet. Schon im ersten Bande hatte Kalbeclc darauf hingewiesen, daß das Klavierquintett
in f-moll die dritte Fassung eines Streicbquintetts sei. Jetzt erfahren wir ausführlich,
daft dieses Streichquintett vernichtet worden ist, nscbdem es in die Sonate fQr zwei
Klaviere verwandelt worden war, und daß dann aus dieser das Klsvierquintett gemacht
worden ist, in dem die Streicher immer noch einen recht schweren Stand gegen das
Klavier haben. Ob sich Brahms wobl Gber die poetische Deutung, die Kslbeclt trotz
seiner Feindschaft gegen die Programmusilc (vgl. übrigens seine sehr gewundene Recht-
fertigung seiner yPoetisierung* S. 58, A. 1) gefreut haben würde? Ich glaube es nicht;
jedenfslls hst Brahms anfinglich gegen den Musikschriftsteller Kslbeck eine gewisse
Antipathie gehabt, worüber ja ein authentisches Zeugnis in seinem Briefe sn Bernhard
Scholz vom Mirz 1880 (Briefwechsel III, S. 222» vorliegt Bekanntlich hat Brahms auch
immer sehr sbgewinkt, wenn ihn jemsnd suf Ähnlichkeiten in seinen Werken mit Stelleo
von Beethoven u. s. sufmerkssm mschte. Kslbeck sucht derartige Ähnlichkeiten mit Fleiß
zussmmen. Merkwürdigerweise hst er dabei übersehen, dsß der Anfsng der »Msi-
nacht* (op. 43 No. 2) dem Fis-dur Impromptu op. 36 von Chopin, das Fugenthema der
Violoncellsonste op. 38 der 13. Fuga inverss (bzw. der ersten Fuge für zwei Klsviere) aus
Bachs »Musikslischem Opfer" entnommen ist, letzteres vielleicht mit Absicht. Was
würde auch Brahms zu Kslbecks Entdeckung einer Tripelf uge in dieser Violoncell-
sonate gessgt haben? Den reichen Inhalt dieses Bandes hier zu erschöpfen, ist unmöglich.
Auf die Fortsetzung kann man in hohem Grade gespsnnt sein. S. 115 letzte Zeile miiß
das Dstum übrigens nstürlich 2. Februar heißen. Wilh. Alt mann
149. Alfr. Chr. Kalischer: Beethovens Simtliche Briefe. Kritische Ausgabe
mit Erläuterungen. IV. Band. Verlag: Schuster & Loeifler, Berlin und
Uipzig ig08.
Der vorliegende Band umfaßt die Briefe Beethovens aus den Jshren 1819—1823.
Das erste Jshr dieser Epoche gestsltete sich trübselig für Beethoven. Der Prozeß um
die Vormundscbsft für seinen NeflPen Ksrl, in den der Meister damsls mit seiner leicht-
sinnigen Schwägerin, der Mutter des Knsben, verwickelt war, brachte ihm Arger und
Demütigungen, raubte ihm kostbsre Arbeitsstunden und verscheuchte oft den inspi-
rierenden Genius von seiner Seite. Der Gang jenes Rechtsstreites läßt sich auf Grand
der Eingaben Beethovens sn die Behörden und Gerichte, sowie der Briefe an seinen
Rechtsbeistsnd Dr. Bach aufs gensueste verfolgen. AU diese, zum Teil sehr umfang-
reichen Dokumente werden vom Hersusgeber beigebracht und vortrefflich erläutert
Mit Recht bat Kalischer such die Gesuche sufgenommen, die von Beethoven gemeinssm
mit seinem Advoksten sbgefsßt, von Kopisten geschrieben und von Beethoven nur unter-
zeichnet sind. Sie dürfen nicht fehlen, weil such bei ihnen sus gewissen Psrtieen Beet-
hovens ureigene Spreche bervortönt und such sie Zeugnis sblegen von Beethovens
hoher morslischer Auffsssung seines Vormundamtes wie von seiner rührenden Fürsorge
und bewundernswerten Opferfreudigkeit für das Wohl seines geliebten Neffen. — Eine
zweite große Gruppe von Briefen konzentriert sich um die Herausgal>e von Beethovens
(»Misss solemnis." Mit einer ganzen Reihe von Verlegern tritt der Tondichter wegen der
Veröffentlichung des eben vollendeten Riesenwerkes in Unterhsndlung, um dsnn für die
nächste Zeit ganz von dessen Drucklegung sbzuseben. Er fsßt den Entschluß, das Werk
nur sn kunstsinnige Höfe und große Konzertinstitute sbzugeben, — und nun beginnt das
briefliche Quartiermachen für die Messe von neuem. Fürsten und einflußreiche Per-
sonen werden gebeten, die Subskription suf die Messe zu befürworten, — höflich,
dringend schreibt Beethoven, sber immer in einer Weise, die des erbsbenen Meisters
würdig bleibt So gelingt es ihm endlich nach vieler Mühe, sich einen pekuniären Er-
^^^f 362 IMMfl
jUSb die MUSIK VII. 18. SB
trag des Werkes ztt sichern, der, wenn er anch in keinem Verhiltnis zu der epoctae*
machenden Bedeutung der Tondichtung steht, wenigstens einen nicht allzu dürftigen
Lohn fQr die mehrjihrige darauf verwendete Arbeit bildet. — In diese beicftn dornt*
nierenden Briefgruppen sind Schreiben an alte und neue Freunde Beetbofens ver>
streut. Der hohe ScbQler des Meisters, Erzherzog Rudolf^ das edle Haus Brentano in
Frankfurt, der nach England verscblsgene Ferdinand Ries, der treue, immer bilCibereite
Amanuensis Anton Schindler, — sie alle eracheinen in lebhaftem Verkehr mit Beet-
hoven. Auch der Bruder Johann wird wiederholt mit Briefen bedacht. Diese bekunden
durchweg des Tondichters liebevolle, brüderliche Gesinnung und zeigen die Langmut
und Versöhnlichkeit des i»Hirnbesitzers* sogsr in FUlen, wo sie der »Gutsbesitzof*
wohl ksum verdient hatte. Auch eine Anzahl bisher ungedruckter Schreibon Boot-
hovens werden beigebrscht, die sls neue Belege für bekannte Beziehungen des Meisters
ihren Wert besitzen. Reichlich sind in dem Bande musikalische Scherze und Gedenk-
blitter Beethovens vertreten, die zum Teil in Kanonform abgefkßt sind. Soweit die
Kanons vom Herausgeber in offener Form geboten werden, nehmen sie betrichtlichen
Raum ein, so besonders der zuerst 1903 in der .Musik* von Kalischer TerAfüentUchte
«FalstafTerel'-Kanon auf Beethovens beleibten Freund Scbuppsnzigh (No. 006), wie aoch
der Kanon «Edel sei der Mensch, hfilfreich und gut* (No. 004). Dieser Kanon wurde
von Beethoven Louis Schlösser, dem nachmaligen Darmstidter Hofkapellmeistor, dedi-
ziert. Dessen Sohn, der in London snsissige Professor Adolph Schlösser, sendet mir eine
diesen Kanon betreflPende Notiz, und zwar mit Bezugnahme auf meinen Artikel »Beet-
hoven als Epigrsmmatiker" im 5. Beethoven-Heft der »Musik*, in dem ebenfUls Jenes
Kanons gedacht wird. Er weist dsrsuf hin, daß die erste Fassung des Kanons in
No. 22/23 des 12. Jahrganges der »Allgemeinen Musikseitung* (Msi 1885) in FakaimUe
wiedergegeben ist. Ein Vergleich dieser ursprünglichen Fassung des Kanons mit der
von Beethoven in Druck gegebenen bestitigt die Mitteilung Nohls, nach welcher der
Kanon anfangs in Es-dur stand und erst für die Veröffentlichung vom Meister aach
E-dur transponiert wurde. Auch ergibt sich, daß Beethoven bei der zweiten Passung
einige kleine Änderungen im Setz sngebrscht hst. Dr. Hana Volkmann
150. Werdegang und firlebnisse eines Orchestermunikorn. Von ihm aelbat
erzihlt. Verlag: C. F. Kahnt Nachfolger, Leipzig 1006.
Man wird an Tillier's unsterblichen «Onkel Benjsmin* erinnert beim Lesen dieses
mit köstlicher Frische geschriebenen Büchleins. Wenn es nur mehr zfinftige Sebrifl-
steller halbwegs so verständen, mit wenigen Strichen die Dinge und besonders die
einzelnen Menschen so wirklichkeitsecht zu zeichnen! Denn so wirken in der Tat diese
Momentbilder, von dem der zwei ersten deutschen Kaiser bis zu dem eines Ludwig
Brenner, des gewiß jedem älteren Berliner Musikfreund bekannten Originale, der aeiner
Unterschrift die Bezeichnungen: .Großkreuz, Kommsndeur, Offizier und Ritter* l>eifllgls
(und zwar alle vier mit Recht, wie er brieflich dartat). Auch Mannsfeldt, Karl MoTder,
Kommissionsrst Engel werden in chsrskteristischen Ziigen vorgeführt, ebenso mit eigffcs-
lichster Ausführlichkeit ein in Issr-Athen einst sehr gefürchteter Musikhäuptling, dessen
dem Lokslvertrsuten leicht zu errstenden Nsmen der Verfasser uktvoll Torschweigt
Er beweist mit dieser kleinen Schrift schlagend, daß der gute Orchestermusiker sich
mühevoll und langsam entwickelt, der fesselnde Autobiograph aber geboren wird.
Dr. Max Steinitzer
MUSIKALIEN
151. Hans F&hrmann: Sechs Chsrskterstücke für OrgeL op. 40. Verlag:
O. Junne, Leipzig.
363
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
Diese empfehlenewerten, in der Haupteache triomißig gehaltenen, anaprechenden
Stficlce von romantisch-lyrischem Charalcter zeigen eine gewisse Verwandtschaft mit der
Schreibweise Rheinbergers hinsichtlich Melodiebildung und der zuweilen etwas herben
Kontrapunktik. Von der Chromatik macht Fihrmann zwar reichlicheren Gebrauch als
jener, doch ist diese Chromatik im wesentlichen melodischer Natur, und die einmal
gewählte Tonart wird meist erkennbar festgehalten.
152. Richard Flicke: Fünfzig Choralvorspiele für Orgel. Verlag: Bratfisch,
Prankfurt a. O.
An Cboralvorspielen ist wahrlich kein Mangel, es erscheint eine Sammlung nach
der anderen. Immerhin ist die Zahl der im praktischen Gottesdienst wirklich brauch-
baren, schlicht und kurz gehaltenen, dabei doch musikalisch gehaltvollen Vorspiele nicht
allzu groß. Die 50 kontrapunktischen Bearbeitungen Prickes machen einen äußerst
soliden Eindruck. Sie sind dem Verständnis des naiven Kirchenbesuchers angepaßt,
lassen den Cantus flrmus (in der Regel im Sopran oder Tenor) klar hervortreten, haben
einen sauber gearbeiteten Satz und sind leicht ausführbar, alles Vorzüge, die ihnen nur
zur wärmsten Empfehlung für die Kirche und den Unterricht im Seminar dienen können.
Es ist kaum eins darunter, das man langweilig oder trocken nennen könnte; die meisten
sind fließend geschrieben, frei von chromatischen Grübeleien.
Dr. Ernst Schnorr v. Carolsfeld
153. Kurt Schindler: Drei Lieder nach Texten zeitgenössischer Dichter
für eine Singstimme und Klavier, op. S. — >- Fünf Lieder aus
«Alte ▼eisen* von Gottfried Keller für eine Singstimme mit
Klavier, op. 9. — «Prom a city window*, song for a medium voice
with piano accompaniment op. 10. Verlag: G. Schirmer, New York.
Kurt Schindler ist in seinem Wollen und Ringen bewußt deutsch. Entsprechen
die vorliegenden Leistungen vorerst noch nicht den leicht erkennbaren Zielen, und ist
auch die «Technik* manchmal unzureichend, so ist doch die ganze Art seines Schaffens,
aus einer künstlerischen Gediegenheit zu erklären, von der, wenn sie sich stetig ver-
vollkommnet, noch vieles Schöne und Originelle erwartet werden darf. Hier Einiges zu
seiner Charakterisierung: ein leiser Symbolismus (so in op. 8 No. 3: «und wieder und
wieder*), eine starke Intuition (z. B. in der glücklichen ▼iedergabe der Worte »es
schwammen ihre Glieder in der taghellen Nacht* op. 9 No. 1) und eine Deklamation,
die der Kunst zuliebe hie und da barock ist («ihr Hemdlein* im Liede »Das verschlos-
sene Gärtlein*). Die Begleitung erinnert an den «harmonischen* Klavierstil von Brahms.
Alles in allem: ein interessanter werdender Mann. Der Druck der Lieder ist vor-
trefflich.
154. Kor Kuller: «Een Winterdag*, Kindercantate. Woorden van Katb.
Leopold (deutsche Obersetzung von Henriette Dietz). op. 30. Vertag:
A. A. Noske, Middelburg.
Es ist kein übles Zeichen der Zeit, daß solche Kinderkanuten geschrieben werden.
Das Werkchen (71 Seiten) ist musikalisch Udellos, in der Melodie köstlich-natürlich und
überall modern. Doch ist es für »Knaben und Mädchen* viel zu schwer, wenn sich
auch nicht leugnen läßt, daß es in Musikerfamilien, wenn liebevolle Mühe darauf ver-
wendet wird, sich aufführen läßt. Vieles erinnert in seiner Trefflichkeit an »Hansel und
Gretel*, und so dürfte sich eine Aufführung mit guten {ugendlichen Kräften gelegentlich
einer größeren Festlichkeit als sehr lobnenswert erweisen. Hervorgehoben seien: »Eine
Krähe*, »Die Glitschbahn*, »Schneebälle*, »Schlittschuhlaufen* und die hübsche Ballade
vom Holzbacker, »Erzählen* betitelt, die auch für sich ein gutes Vortragsstück ab-
gitit. Das hausbackene »Daheim' (Mutters Lieblingslied) and das lyrisch-moralische
WL
364
DIE MUSIK VII. 18.
«▼ioterlied* bitten besser fortbleiben tollen. Ein holllodiecher Beaiteiler wird allein
dingt darüber ändert denken.
155. Emll Renner: Zwei Lieder. Mutikverltg Dr. Heinrich Lewy, Mfinchen.
Mfibe zur Charakterisierung itt nicht zu verkennen und emates Streben iat da«
Komponitten nicht abzusprechen. Aber unterttreichen heißt noch nicht wahrhall darstellea,
und in Ekttase falsch betonen ist ein schlechtes Mittel, die LeidenachafI zu kennxeiciiiitn»
Arno Nadel
156. Max Wiese: Gesinge und Balladen ffir eine Singatimme mit KlaTier.
op. 26. Musikverlag Dr. Heinrich Lewy, Mfinchen.
In seiner Ballade »Die Tinzerin* offenbart Wiese eine warmblfitlfe Phantasie and
lebendiges Tonempflnden. Den dramatisch belebten Erzihlerton trifft das interesaaaie
▼erk vortrefflich, und die reich gefirbte Klavieratimme Illustriert die leidenscfaafttiehe
Stimmung der Wortdichtung fiberaus anschaulich. Einen wirksamen Gegensatz zn der
erregten Tonsprache der Ballade »Die Tinzerin* bildet No. 3 aus op. 28: »Drei Raben'
(Gedicht von Stangen). Es steckt in der klangvollen, schönen Komposition witi heim*
liehe Mirchenstimmung. In seinem »Harfenmidchen* achligt Wiese einen melan-
cholischen, aber in Verzweiflung ausklingenden Ton an, der die Stimmung des Teztss
klar veranschaulicht. Die Begleitung mit ihren arpeggierten HarfSenakkorden bietet eine
passende Unterlage zu der Dichtung und Melodie und ist bei aller Einftichheic nngemeia
wirkungsvoll. Der letzte der vier Gesinge, »Elisabeth* (von Th. Storm), ist ein groB-
zfigig entworfenes, tief empfundenes Stimmungsbild; edel in Melodie, aaadmekSTOll in
Harmonie und Rhythmus, konzis gefaßt, reiht es sich Wieses vorgenannten Werken
würdig an. Artur Eccariua-Sieber
157. Ludwig Hess: Fünf Lieder ffir eine Singstimme und Klavierbefleitung.
op. 21. Musikverlag Dr. Heinrich Lewy, Mfinchen.
Vorliegende Gesinge geben wieder einen starken Beweia von Lndwif Hell' ton-
dichterischer Begabung. Wenn es ihm auch noch nicht immer gelingt, ffir die vei^
schiedenen seelischen Regungen fiberzeugenden musikalischen Ausdruck zu finden, ss
weiß er doch andererseits auch wieder Stimmungen voller Tiefe der Empfindung nnd
charakteristischer Ausdeutung der Dichtung zu entfalten. Sehr glficklich gdnngni slad
»An die Nacht*, sowie »Am Turm*. Namentlich dfirfte letzteres den mit ansgiebiiSB
Stimmitteln begabten Sopransingerinnen als ein voll lebhaften Schwunges dsbio-
rauschendes Vortragsstfick zu empfehlen sein. Auch das Rokoko-Liedlein sei als sin
interessantes Stfick besonders vermerkt, trotzdem es die zierliche Grazie der Goethesebes
Dichtung nicht vollkommen auslöst. In »Schließe mir die Augen beide* von Theeder
Storm hat der Komponist es nicht verstanden, den Zauber der Melodik so zu entlUle%
wie ihn diese an und ffir sich schon wie Musik klingenden Verse bedingen,
stehen 'sich in dem »Verlorene Mfih'* Dichtung und Musik allzu gegensitslieh
über. Die Schwierigkeiten der Rhythmik und der Harmonik lassen den Volkslied-
charakter viel zu sehr vermissen. Adolf Göttmann
158. Max Reger: Schlichte Weisen. Band 3. Verlag: Lauterbach ft Kuba, Leipzig
Was Reger, der kontrapunktgewaltige Polyphoniker, in diesem Heflehen Metn^ ist
sicherlich ffir seine Verhiltnisse einfach und harmlos. Aber »schlichte Weisen* sind SS|
wenigstens nach landliuflger Auffassung, doch nicht. Im Gegenteil ersdieinen disss
Melodieen dadurch, daß sie fast durchaus chromatisch gebildet sind, als slemlicli g^
kfinstelt, denn es gilt doch wohl auch heute noch als ausgemacht, daß eine schlidts
Weise auf diatonischer Grundlage beruhen muß. Die Chromatik hat stets etwas Bohrendes^
Grfiblerisches an sich, das im Gegensatze zum Volksmißig-Einlkchen steht Wenn trotz
dieses Mangels die in dem vorliegenden Hefte vereinigten sechs Liedchen ieielit
365
BESPRECHUNGEN (MUSIKALIEN)
reizvoll wirken, 80 liegt die» an der frischen Rhythmik und dem Verzicht auf schwierige
Schreibart fQr die Begleitung. Harmonisch bieten sie auch so manches, was man so
ohne weiteres nicht als schlicht bezeichnen kann. Es steckt aber in diesen Liedern
eine natGrliche Anmut und eine gewisse burschikose Keckheit, die bei ungeziertem
Vortrage ihrer Wirkung sicher sind, zumal da KQrze hier jedes Gesanges Wfirze ist.
Ffir die besten StGcke des Heftes halte ich das neckisch-pathetische »Von der Liebe*
und das liebenswQrdige «Schelmenliedchen*.
159. Otto Vrieslander: Vier Gedichte von Theodor Storm. — Vier Gedichte
im Volkston. — Sieben Gedichte von Gottfried Keller. Verlag:
D. Rahter, Leipzig.
Venn man diese Kompositionen zum ersten Male anschaut, kommen sie einem
ganz sonderbar vor. Bei näherer Betrachtung ahnt man aber mindestens die Absicht
des Tonsetzers, dem offenbar die Schaffung eines ganz neuartigen Liederstils im Sinne
liegt. Wie seinerzeit die Dichter Holz und Schlaf auf die festgefügten Rhythmen und
Verse verzichten und nur den sogenannten natürlichen Rhythmus der Worte gelten
lassen wollten, so scheint Vrieslander an Stelle der in sich geschlossenen Liedweise eine
in der Tonalitit schwebende Melodie setzen zu wollen. Denn die absonderlichen Sprünge
in der Singstimme, sowie der fortwährende Wechsel der Tonarten sind doch offenbar
absichtlich und stellen die Ergebnisse eines Systems dar, über dessen Berechtigung man
fireilich sehr verschiedener Meinung sein kann. Keinesfalls wird man Vrieslanders
Schreibweise als volksmißig gelten lassen, denn das Wesen einer Volksmelodie t>esteht
gerade darin, dafi sie sich innerhalb der Grenzen einer Tonart mit wenigen und ganz
unauffilligen Ausweichungen bewegt. Die Gesangsstimme ist bei Vrieslanders Liedern
ohne Begleitung überhaupt recht belanglos und erhilt erst durch die oft überraschenden
Harmonieen einen musikalischen Sinn. Aber für die einfachen Texte scheint mir das
ganze Kompositionsverfahren Vrieslanders viel zu sehr ausgeklügelt. Man hat meist
den Eindruck, als suche er mit Absicht gerade das, was man nicht erwartet, als scheue
er sich, zu singen, wie ihm der Schnabel gewachsen. Daß er musikalisch empfindet,
beweisen aber seine Vor-, Nach- und Zwischenspiele, die durch ihre aparte Stimmungs*
maierei aufftülen. Die Lieder sind übrigens für die Singstimme ziemlich schwierig.
160. Felix Lederer-Prina: Lieder. Verlag: W. Vobach & Co., Berlin, Leipzig und
Wien.
Sechs dieser Lieder, op. 12, bilden eine Reihe, die der Komponist, wie die Notizen
am Schlüsse beweisen, in kurzer Zeit zu Gedichten von Bierbaum, Grosse und G. Falke
geschriet>en hat. So ist denn eine Pamilienihnlichkeit der Lieder leicht erklärlich. Sie
t>ewegen sich in den Grenzen der landliuflgen Liederschreibweise, bieten wenig Auf-
fallendes in Ausdruck und Form, nehmen aber durch Knappheit der Konzeption und
schlichte Ehrlichkeit für sich ein. Das beste Stück ist meiner Meinung nach das trutzig*
kraftvolle «Verlassen hab' ich nun Haus und Herd*, in dem die häufige Verwendung der
harten Triole in Singstimme und Klavier eine sehr charakteristische Wirkung tut. Auch
«Unschuld* ist ein hübsches Lied, dessen Wert in der Einfachheit und reinen melodischen
Linie liegt. — Der Tonsetzer veröffentlicht im selben Verlag als op. 13 «Das Lied des
Todes* für eine Singstimme mit Begleitung einer Geige und des Pianoforte. Das be-
deutende Gedicht von Franz Evers ist in seiner Gesamtstimmung sehr glücklich erfkBt
und in seinen Einzelheiten mit modemer Kraft ausgestaltet, so dafi der Eindruck stark
and nachhaltig sein dürfte, wenn Singstimme und Geige sich in künstlerisch vollendeter
Weise ergänzen. Die Einführung der Geigenstimme, die ich übrigens bisweilen etwas
zu sehr bewegt finde (S. 5, ohne Dämpfer), ist hier nicht Willkür des Komponisten, son-
dern entspricht dem Wortlaut des Gedichts. F. A. Geißler
Aus deutschen Musikzeitschriften
SIGNALE FÜR DIE MUSIKALISCHE WELT (Leipzig) 1907, No. 50--a8. -
In dem Aufsatz .Joseph Joachim ein Phänomen* sagt August Spanath (No. 5Q:
»Die Nachwelt wird das eigentlich Phänomenale seiner Erscheinung in der Trotz*
Stellung erblicken, die Joachim fünfzig Jahre lang der modernen Masik gegenfiber
eingenommen hat*, und in der „Tatsache, daß die musikalische Welt nicht auf-
hörte, in ihm einen großen Vortragskfinstler zu verehren, trotzdem seine meisten
Zuhörer längst in einer ganz andern musikalischen Richtung trieben, als er
selbst!* Spanuth wirft die Frage auf: «Wie war es möglich, daß Liszt and
Wagner aus den Werken Beethovens Impulse für ihr eigenes Schaffen erhielten,.
und daß Joachim aus denselben Werken solche Impulse ganz und gar nicht
heraushörte?* Er weist darauf hin, daß „neun Zehntel der musikalischen Welt*
auf der Seite Wagners und Liszts ständen und daß die schon seit langer Zeit
kleine Schar der Gegner der modernen Musik nach Joachims Tode noch mehr
zusammenschmelzen werde. Selbst wenn aber die Minorität in diesem Falle das
bessere Musikverständnis hätte, so wäre es doch ausgeschlossen, daß der Einfluß
Wagners und Liszts auf die Entwicklung der Musik verwischt werden könnte. —
Ferdinand Ffohl berichtet in dem Aufsatz „Hamburger Oper* fiber die Ver>
hältnisse an dieser BQhne; Richard Batka berichtet Ober „Das Deittache Theater
in Prag* (No. 61). — In dem Aufeatz „Germania non cantat?* (No. 0Q wendet
sich August Spanuth gegen einige in der New Yorker »New Music-Review* von
W. J. Henderson ausgesprochene, stark Obertreibende Urteile Ober Mängel der
besonders seit Wagner in Deutschland üblichen Art zu singen. ^ Max Bruch
veröffentlicht seine Rede auf Joachims Tod unter der Oberschrift „Gedenkworte bei
der Gedächtnisfeier der Königl. Akademischen Hochschule für Musik in Berlin
für Joseph Joachim*. — In dem Aufsatz „Wer komponierte ,Mozarts 7. Violin-
konzert'?* werden Briefe von Gustav Holländer und Carl Halir abgedmckt, die
die Echtheit des Konzertes bezweifeln. Femer wird mitgeteilt, daß Henri Marteau
es abgelehnt habe, das Konzert zu spielen, um nicht etwa den Anschein m
erzeugen, daß er das Werk als eine Schöpfung Mozarts anerkenne. Auch andere
Geiger sind nicht von der Echtheit überzeugt. — Der Aufsatz „Komponisten und Gast-
wirte* von August Spanuth (No.63) handelt von dem Konflikt der „Genoasenschaft
deutscher Tonsetzer* mit den Gastwirten und Etablissementsbesitzem. — Ferdinand
Pfohl beurteilt in dem Aufsatz „Zumpes ,Sawitri' im Schweriner Hoftheatei' das
Textbuch und die Musik dieses Werkes sehr ungünstig, lobt aber die Schweriner
Aufführung. — August Spanuth bestreitet in dem Aufsatz „Der kritisierte Kritiker'
(No. 64), daß der Kritiker immer wenig gewissenhaft handle, wenn er ein Konxert
bespricht, von dem er nur einen Teil gehört hat. Femer tritt Spanuth der An-
sicht entgegen, daß jeder Konzertgeber ein Recht auf öffentliche Besprechang seines
Konzertes habe. „Anstatt auf diejenigen zu hören, die nach noch mehr Kri-
tikern und Kritiken schreien, sollten die Kritiker gehalten werden, auch solche
Konzerte, die sie besucht haben, einfach totzuschweigen, wenn die Darbietungen
m
367
REVUE DER REVUEEN
->:_'4 »
unter einem gewissen künstlerischen Niveau blieben. Das wäre eine Kaltwasser-
kur für die prätentiösen Unreifen, die in jedem Winter auf das Publikum los-
gelassen werden, und das wäre außerdem die beste Methode, dem Kritiker das
nötige Ansehen zu verschaffen. Die Konzertgeber würden sich hüten, den
Kritiker so flott zu verleumden, wenn sie wüßten, daß er es ablehnen kann,
ihre Leistungen zu kritisieren*. — Wolfgang A. Thomas' Aufsatz »Glossen
zur musikalischen Kultur. IV: Neue Bahnen* bandelt von Programmusik, sowie
von Klangfarbe und Rhythmus in der modernen Musik. (Kapitel I—III der
»Glossen* sind in der letzten »Revue* ^angezeigt worden.) — August Spanuth
spricht in dem Aufsatz »Nochmals Mozarts VII. Violinkonzert* (No. 65) die
Ansicht aus, daß Mozart wahrscheinlich nur Skizzen zu diesem Werke kom-
poniert habe, und daß diese von einem Violinvirtuosen bearbeitet und ergänzt
worden seien. Dieser Ansicht neigen auch Max Kalbeck und Xaver Scharwenka
zu, aus deren Aufsätzen Spanuth hier große Auszüge abdruckt. — Walter Nie-
mann bespricht in dem Aufsatz: »Der erste Großmeister deutscher Klaviermusik:
Jobann Jakob Froberger (ca. 1600—1667)* (No. 65—66) eingehend Frobergers Klavier-
werke. Eine kurze Lebensbeschreibung und eine kurze Besprechung der Orgel-
kompositionen Frobergers stehen am Anfang des Aufsatzes. Niemann meint, daß
wir »die innere Fühlung mit dem Inhalt* der meisten Orgelkompositionen
Frobergers »vollkommen verloren* haben, daß aber »der Klavierkomponist Fro-
berger noch heute eindringlich zu unserm Herzen spricht* Er schließt den
interessanten Aufsatz mit den Worten: »Möchten sie [die neuen Ausgaben Fro-
bergerscher Werke] ihm wieder Hausrecbt im deutschen Hause schaffen helfen!*
— August Spanuth erzählt in dem Aufsatz »Ein Chorjubiläum* (No. 66) die
Geschichte des Philharmonischen Chors in Berlin. — In dem Aufsatz »Das
Übel der zu hohen Sängergagen* (No. 67) beklagt August Spanuth, daß Amerika
durch hohe Gagen die besten Sänger an sich lockt und dadurch die Gefahr herbei-
führt, daß auch in Europa die Sängergagen und damit auch die Eintrittspreise für
Opemvorstellungen erhöht werden. Zur Beseitigung dieser Gefahr empfiehlt
Spanuth »eine Art passiver Resistenz*: Wem es schwer fällt, die teueren Preise
für Opern zu bezahlen, der solle sich damit begnügen, Konzertsänger zu hören.
Es sei zwar hart, auf den Besuch mancher guten Opemvorstellung verzichten zu
müssen; aber man könne sich »damit trösten, daß das Beste, mit dem die Musik
uns beglücken kann, deshalb noch lange nicht verloren ist* »Wir sind ja glück-
licherweise noch nicht von einer musikalischen Hungersnot bedroht, auch wenn
uns die Oper ein wenig verkümmert.* — Detlef Schultz zeigt in dem Aufsatz
»Repertoire und Gesangsstil der gegenwärtigen deutschen Opembühne* an einer Sta-
tistik der Aufführungen Wagnerscher Werke, daß Wagners romantische Opern das
Publikum noch immer mehr fesseln als die eigentlichen Musikdramen und daß
die meisten Theaterbesucher »sich um die artistischen Tbeorieen und Prinzipien
Wagners herzlich wenig kümmern. Um so intensiver aber haben Wagners Kunst-
und Stilprinzipien auf die deutschen Sänger, Dirigenten, Regisseure und Musiker
gewirkt* »Wagners belebende dramatische Impulse sind indirekt auch der Inter-
pretation Mozarts, Beethovens, Webers, Marschners, ja Bizet's und des späteren
Verdi zugute gekommen. . . Mit dem Zeitpunkt aber, wo die Wagnerschen Werke
aus einer Nebenstellung in die erste Reihe einrücken, um schließlich den Spiel-
plan zu beherrschen, fängt man, die Prinzipien Wagners einseitig übertreibend
und verzerrend, an, vom gesprochenen Wort auszugehen, den Gesangston zu ent-
werten und dies erste Gebot aller Gesangskultur: den gesponnenen, modulations-
Aus deutschen Musikzeitschriften
SIGNALE FÜR DIE MUSIKALISCHE WELT (Leipzig) 1907, No. 50-«. -
In dem Aufsatz «Joseph Joachim ein Phänomen* sagt Auguet Spanuth (No. 50):
»Die Nachwelt wird das eigentlich Phinomenale seiner Erscheinung in der Trutz-
stellung erblicken, die Joachim fünfzig Jahre lang der modernen Musik gegenüber
eingenommen hat*, und in der ^Tatsache, daß die musikalische Welt nicht auf-
hörte, in ihm einen großen Vortragskfinstler zu verehren, trotzdem seine meisten
Zuhörer längst in einer ganz andern musikalischen Richtung trieben, als er
selbst!* Spanuth wirft die Frage auf: «Wie war es möglich, daß Lisit und
Wagner aus den Werken Beethovens Impulse für ihr eigenes Schaffen erhielten^
und daß Joachim aus denselben Werken solche Impulse ganz und gar nicht
heraushörte?* Er weist darauf hin, daß „neun Zehntel der musikalischen Welt*
auf der Seite Wagners und Liszts ständen und daß die schon seit langer Zeit
kleine Schar der Gegner der modernen Musik nach Joachims Tode noch mehr
zusammenschmelzen werde. Selbst wenn at>er die Minorität in diesem Falle das
bessere Musikverständnis hätte, so wäre es doch ausgeschlosaen, daß der Einflull
Wagners und Liszts auf die Entwicklung der Musik verwischt werden könnte. ^
Ferdinand Ffohl berichtet in dem Aufsatz „Hamburger Oper* fiber die Ver-
hältnisse an dieser Buhne; Richard Batka berichtet Ober „Das Deutache Theater
in Prag* (No. 61). ~ In dem Aufeatz „Germania non cantat?* (No. 0Q wendet
sich August Spanuth gegen einige in der New Yorker „New Musie-Reviev* von
W. J. Henderson ausgesprochene, stark fibertreibende Urteile fiber Mingel der
besonders seit Wagner in Deutschland üblichen Art zu singen. — Max Bruch
veröffentlicht seine Rede auf Joachims Tod unter der Oberschrift „Gedenkworte bei
der Gedächtnisfeier der Königl. Akademischen Hochschule für Musik in Berlin
für Joseph Joachim*. — In dem Aufsatz „Wer komponierte ,Mozarta 7. Violin-
konzert'?* werden Briefe von Gustav Holländer und Carl Halir abgedruckt, die
die Echtheit des Konzertes bezweifeln. Femer wird mitgeteilt, daß Henri Marteau
es abgelehnt habe, das Konzert zu spielen, um nicht etwa den Anschein zu
erzeugen, daß er das Werk als eine Schöpfung Mozarts anerkenne. Auch andere
Geiger sind nicht von der Echtheit überzeugt. — Der Aufsatz „Komponisten und Gast-
wirte* von August Spanuth (No.63) handelt von dem Konflikt der „GenoasenachafI
deutscher Tonsetzer* mit den Gastwirten und Etablissementsbesitzem. — Ferdinand
Pfohl beurteilt in dem Aufsatz „Zumpes ,Sawitri' im Schweriner Hoftheater' daa
Textbuch und die Musik dieses Werkes sehr ungfinstig, lobt at>er die Schweriner
Auffuhrung. — August Spanuth bestreitet in dem Aufsatz „Der kritisierte Kritiker'
(No. 64), daß der Kritiker immer wenig gewissenhaft handle, wenn er ein Konzert
bespricht, von dem er nur einen Teil gehört hat. Femer tritt Spanuth der An-
sicht entgegen, daß jeder Konzertgeber ein Recht auf öffentliche Besprechung seines
Konzertes habe. „Anstatt auf diejenigen zu hören, die nach noch mehr Kri-
tikern und Kritiken schreien, sollten die Kritiker gehalten werden, auch aolcbe
Konzerte, die sie besucht haben, einfach totzuschweigen, wenn die Darbietungen
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REVUE DER REVUEEN
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unter einem gewissen künstlerischen Niveau blieben. Das wäre eine Kaltwasser-
kur für die prätentiösen Unreifen, die in jedem Winter auf das Publikum los-
gelassen werden, und das wäre außerdem die beste Methode, dem Kritiker das
nötige Ansehen zu verschaffen. Die Konzertgeber würden sich hüten, den
Kritiker so flott zu verleumden, wenn sie wüßten, daß er es ablehnen kann,
ihre Leistungen zu kritisieren*'. — Wolfgang A. Thomas' Aufsatz ^Glossen
zur musikalischen Kultur. IV: Neue Bahnen* handelt von Programmusik, sowie
von Klangfarbe und Rhythmus in der modernen Musik. (Kapitel I— III der
»Glossen** sind in der letzten »Revue**^ angezeigt worden.) — August Spanuth
spricht in dem Aufsatz »Nochmals Mozarts VII. Violinkonzert* (No. 65) die
Ansicht aus, daß Mozart wahrscheinlich nur Skizzen zu diesem Werke kom-
poniert habe, und daß diese von einem Violinvirtuosen bearbeitet und ergänzt
worden seien. Dieser Ansicht neigen auch Max Kalbeck und Xaver Scharwenka
zu, aus deren Aufsätzen Spanuth hier große Auszüge abdruckt. — Walter Nie-
mann bespricht in dem Aufsatz: „Der erste Großmeister deutscher Klaviermusik:
Johann Jakob Froberger (ca. 1600—1667)* (No. 65—66) eingehend Frobergers Klavier-
werke. Eine kurze Lebensbeschreibung und eine kurze Besprechung der Orgel-
kompositionen Frobergers stehen am Anfang des Aufsatzes. Niemann meint, daß
wir „die innere Fühlung mit dem Inhalt* der meisten Orgelkompositionen
Frobergers „vollkommen verloren* haben, daß aber „der Klavierkomponist Fro-
berger noch heute eindringlich zu unserm Herzen spricht.* Er schließt den
interessanten Aufsatz mit den Worten: „Möchten sie [die neuen Ausgaben Fro-
bergerscher Werke] ihm wieder Hausrecht im deutschen Hause schaffen helfen!*
— August Spanuth erzählt in dem Aufsatz „Ein Chorjubiläum* (No. 66) die
Geschichte des Philharmonischen Chors in Berlin. — In dem Aufsatz „Das
Übel der zu hoben Sängergagen* (No. 67) beklagt August Spanuth, daß Amerika
durch hohe Gagen die besten Sänger an sich lockt und dadurch die Gefahr herbei-
führt, daß auch in Europa die Sängergagen und damit auch die Eintrittspreise für
Opemvorstellungen erhöht werden. Zur Beseitigung dieser Gefahr empfiehlt
Spanuth „eine Art passiver Resistenz*: Wem es schwer fällt, die teueren Preise
für Opern zu bezahlen, der solle sich damit begnügen, Konzertsänger zu hören.
Es sei zwar hart, auf den Besuch mancher guten Opemvorstellung verzichten zu
müssen; aber man könne sich „damit trösten, daß das Beste, mit dem die Musik
uns beglücken kann, deshalb noch lange nicht verloren ist.* „Wir sind ja glück-
licherweise noch nicht von einer musikalischen Hungersnot bedroht, auch wenn
uns die Oper ein wenig verkümmert.* — Detlef Schultz zeigt in dem Aufsatz
„Repertoire und Gesangsstil der gegenwärtigen deutschen Opembühne* an einer Sta-
tistik der Aufführungen Wagnerscher Werke, daß Wagners romantische Opern das
Publikum noch immer mehr fesseln als die eigentlichen Musikdramen und daß
die meisten Theaterbesucher „sich um die artistischen Theorieen und Prinzipien
Wagners herzlich wenig kümmern. Um so intensiver aber haben Wagners Kunst-
und Stilprinzipien auf die deutschen Sänger, Dirigenten, Regisseure und Musiker
gewirkt.* „Wagners belebende dramatische Impulse sind indirekt auch der Inter-
pretation Mozarts, Beethovens, Webers, Marschners, ja Bizet's und des späteren
Verdi zugute gekommen. . . Mit dem Zeitpunkt aber, wo die Wagnerschen Werke
aus einer Nebenstellung in die erste Reihe einrücken, um schließlich den Spiel-
plan zu beherrschen, fängt man, die Prinzipien Wagners einseitig übertreibend
und verzerrend, an, vom gesprochenen Wort auszugehen, den Gesangston zu ent-
werten und dies erste Gebot aller Gesangskultur: den gesponnenen, modulationa-
368
DIE MUSIK VII. 18.
und farbungsffthigen Ton zu vernacbl&88igen. E8 zeigt sieb, daß die Diktatur des
heutigen Wagnergesanges zu ebenso schlimmer Einseitigkeit führt wie firüher die
einseitige Herrschaft der Schönsftnger und Kehlvirtuosen. . . Dem deutschen Vagner»
theater der Gegenwart fehlt es nicht an geistvollen Darstellern, hervorragenden
Kapellmeistern, Regisseuren und Musikern, aber an guten Singem. Die Gesanp-
pftdagogik und Gesangskritik, der das Wesen des echten Gesangstones in seiner
unersetzlichen, grundlegenden Bedeutung für die Oper auf|gegangen ist, hat hier
noch eine Mission zu erfüllen.*' — August Spanuth wirft in dem Aufisatz
„Zukunftsmusik?* einen Ruckblick auf das Jahr 1907, in dem viel gegen die
moderne Musik protestiert wurde, die »große Menge der Musikgenießenden* aber
ein immer „stärkeres Hinneigen zu der Art der Modernen*, andererseits aber
auch einen „starken ungeheuchelten Appetit auf alte Musik* zeigte. Dann bespricht
Spanuth Busoni's „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst*.
NEUE MUSIKZEITUNG (Stuttgart) 1908, No. 11—13. — In dem Aufsatz »Degene-
ration und Regeneration* (No. 11), einer Antwort auf den in der »Revue* des
Heftes 14 unserer Zeitschrift angezeigten Aufsatz von Max Reger, bedauert
Ferdinand Scherber die zuweit gehende „Konfratemitit der Musikschriflsteller
und der ,modernen' Komponisten*. „Es fehlt heutzutage vor allem an einer
lebensfähigen, kräftigen Opposition, die Auswüchse, künstlerische Obergriffe,
artistische Despotieen zu paralysieren vermöchte.* Als das „schwerwiegendste
Übel* betrachtet es Scherber, daß die modernen Musiker „das Gelübde der Ent-
haltsamkeit von allem Leichtverständlichen, der Armut aller sangbaren Melodie
und des strengsten Gehorsams gegen den modernen musikalischen Zopf ablegten*
und infolgedessen dem Volke ganz fremd blieben. „Die Musik ist auf dem besten,
oder vielmehr schlechtesten Wege, ihre allgemeine kulturelle Mission, die sie mit
jahrhundertelanger Zähigkeit erobert, in wenig Jahren zu verlieren. Sie macht
sich zu einem geistreichen Spiel für die Fachgenossen, zur Freude für wenige.
Sie hat das Volk in die Variet6s getrieben, sie bat das musikalische Singapiel*
hallen-Kartell schaffen helfen, sie läßt dem Volke, das heute im aufreibenden
Kampfe ums Dasein mehr als je nach dem musikalischen Wunderqoell dürstet,
der über die Not des Tages so süß, so herrlich hinweghilft, der den Jammer stiUt,
die Verzweiflung lindert, — sie läßt dem Volke landläufigen Operettenmlschmasch,
mit allen Bakterien der künstlerischen Gemeinheit versetzte Gassenhaaerkost
verabreichen . . . Und wenn die moderne Musik mit ihrer bewandemswfirdigen
Technik alle Schulden, die sie angehäuft, wird tilgen können, diese RlesenschuM
der Verachtung des Volkes wird sie damit niemals zahlen können und daran wird
sie eines Tages bankerott werden. Der an den Größenwahn des Sonnenkönigs
erinnernde Wahlspruch: ,L'art pour l'arf wird den Weg des ,L'tot c'est moi*
nehmen. Das technische Prachtschloß der Tonkunst muß erstürmt werden, die
Musik muß heraus auf jenen Platz, der ihr gebührt, und alle, die reinen Henens
sind, erfreuen . . . Mit Richard Wagner scheint der letzte volkstümliche Komponist
gestorben. Wie Bernhard Shaw richtig bemerkt, ist Wagner AbacbiuB einer
Periode der Entwicklung, die ungefähr von Weber beginnt, und nicht etwa der
Anfang einer neuen.* Max Reger habe vergessen, in seinem Aufsati zu erwihnea,
daß neben Strauß, Mahler und Reger, deren Werke jetzt auch in den »reaktloninten
Städten* oft aufgeführt werden, es viele bedeutende moderne Komponisten glbi^
die sich vergebens bemühen, ihre Werke zur Aufführung zu bringen. »An diesem
Jammer* habe „die ,Modeme' nichts geändert, nichts get>essert*. Beachtenswert
ist Scherbers Hinweis darauf, daß nicht nur die Musikschriftsteller, sondern auch
369
REVUE DER REVUEEN
kSB
die schaffenden Musiker oft die neuen Werke eines ihnen noch nicht vertrauten
Komponisten sehr verständnislos beurteilt haben. Scherber widerspricht auch der
Behauptung, daß die großen musikalischen Genies viel unter der Verstindnis-
losigkeit der Musikkritiker gelitten hätten, und meint, daß auch i^beim großen
Publikum fast alle großen Geister der Musik in ihrer Bedeutung erkannt oder
zumindest gefühlt wurden, nicht immer von ihren Fachgenossen*. — Paul Ertel
veröffentlicht eine kurze Biographie Busoni's («Femiccio Busoni*). — Bruno
W e i g 1 s Aufsatz ,,Eine Studie zur Geschichte der finnischen Musik* (No. 13)
bespricht kurz die Werke von Frederik Pacius, Richard Faltin, Martin Wegelius,
Robert Kajanus, Armas Järnefelt, Ernst Mielck, Jean Sibelius, Erkki Melartin,
Oskar Merikanto, Karl Flodin und einigen anderen Musikern. Am ausführlichsten
handelt der Aufsatz von Pacius (1809—91) und Jean Sibelius (geb. 1865). — Alfred
S c h ü z begründet in dem Aufsatz „Das Tempo* eingehend die Ansicht, daß
die Komponisten „das von ihnen gewünschte Tempo genau angeben* sollten,
und bespricht dann einige Metronome. — Zum 100. Geburtstage Maria
Malibran-Garcia's beschreibt Adolph K o h u t das Leben der Sängerin („Maria
Felicita Malibran*). — L. A n d r o veröffentlicht den kurzen Aufsatz „Pauline
Lucca f*. — Vincenz Reifner erläutert eingehend „Max Regers Opus 100*
(No. 13 und 14). — A. Eccarius-Sieber bespricht in dem Aufsatz „Alte, köst-
liche Quartette für die Pflege der Kunst in Haus und Salon* (No. 13) kurz einige
Quartette von Dittersdorf, Mozart und Boccherini. — O. K. rezensiert sehr aus-
führlich und sehr lobend „Die erste deutsche Grieg-Biographie: Edvard Grieg
von Henry T. Finck. Deutsch von Arthur Laser*. — „Im Namen der Kunst!*
protestiert O. K. gegen die vom Allgemeinen Deutschen Musikverein durch sein
Verhalten gegenüber dem Münchener Ausstellungs-Komitee ausgedrückten Ansichten
vom Verhältnis der Orchestermusiker zum Dirigenten. K. erkennt die Notwendig-
keit einer Besserung der sozialen Lage der Musiker und die Berechtigung der
„organisierten Selbsthilfe der Musiker* an. Aber er meint: „Die Frage in rein
sozialem Sinne zu lösen, ist in diesem (nämlich dem Münchener) Falle unmöglich.
. . . Gesetzt den Fall, das Tonkünstler-Orchester hätte erklärt, für das bisherige
Honorar könne es den, sicher anstrengenden und verantwortungsvollen Dienst in
der Ausstellung nicht übernehmen, so wäre ohne Zweifel eine Einigung zustande
gekommen. Denn selbst wenn die Leitung nicht hätte nachgeben wollen, hätte
sie in diesem Falle müssen. Aber wenn das Orchester kommt und sagt, die
und die Bläser dürfen nicht entlassen werden, trotzdem die Dirigenten erklärt
haben, sie nicht brauchen zu können, überhaupt darf nur unser Orchester, und
zwar in der und der Stärke, engagiert werden, sonst verhängen wir die Sperre, so
ist das keine künstlerische Angelegenheit mehr. Und dann lieber gar nicht! Es
ist eben ein tatsächlicher Unterschied zwischen künstlerischen und bürgerlichen
Berufen vorhanden.* — In dem Aufsatz „Vom Singen. Aus der Schule geplaudert*
von Josef Lewinsky werden närrische Obungen verspottet, die einige Gesangs-
lehrer ihre Schüler machen lassen.
ALLGEMEINE MUSIKZEITUNG (Berlin) 1908, No. 14-18. - Richard Batka
bespricht unter der Oberschrift „Richard Wagner und Minna* (No. 14) die soeben
herausgegebenen Briefe Wagners an seine erste Frau. — Felix Wilfferodt be-
trachtet „Schatten- und Lichtseiten unseres Konzertlebens*. Zu den Schatten-
seiten zählt er besonders die „Oberproduktion auf dem Gebiete der ausübenden
Musik*, die dazu geführt habe, daß manche begabte Musiker, die nicht kräftig die
Reklametrommel rühren, unbeachtet bleiben. Die Oberproduktion habe aber nicht
VII. 18. 24
370
DIE MUSIK VII. 18.
zur Verfltchung der Musikpflege geführt. Im Gegenteil, da8 .heißere Ringen um
Anerkennung* sei «dem künstlerischen Ernst förderlich gewesen*. Dts «bloBe
Virtuosentum* der Solisten herrscht in den Konzerten heute nicht mehr in dem
Mtße vor wie früher. Dem sogenannten „Pultvirtuosentum* sei es zu Terdmnken,
daß wir heute »die erhabensten Werke* der Tonkunst öfter als früher zu hören
bekommen. Schwer aufführbare Werke, ältere wie moderne, würden in unserer
Zeit öfter zu Gehör gebracht. — Richard Hahn beleuchtet mueh in dieser Zei^
Schrift das Verhalten der Stadt Düsseldorf gegen ihren Musikdirektor Buths («Der
Fall Buths*; vergleiche Hahns Aufsatz in unserer Zeitschrift, Heft 15). — Kari
Vogt bespricht in dem Aufsatz «Neue Bühnenkunst* (No. 15) musfQhrlich Adolphe
Appia's Werk «Die Musik und die Inszenierung*, das er «grundlegend fQr jede
Theaterreform* nennt. — C. Voelcker berichtet in dem Aufsatz «Das Theodor
Thomas-Orchester in Chicago* sehr lobend über die Leistungen Thomas'. — Paul
Schwers veröffentlicht einen kurzen Nachruf auf Sucher («Josef Sucherf*). —
Rudolf Fiege stellt Joh. Stamitz und Georg Matthias Monn als «Vorliufer der
Wiener Klassiker* (No. 16) dar. Der Verfasser bestreitet, daß man Stmmitz den
«Vater der klassischen Symphonie* nennen dürfe; er nennt Monn «den bedeutendsten
unter den Vorklassikern*. — Im dritten Kapitel seiner «Kleinen Studien mr
Operndarstellung* spricht L. Andro über «Das ,junge Mädchen' auf der Bühne*.
Er meint, daß heute nicht «die großen dramatischen Rollen • . . die schlechtesie
Darstellung erfahren*; viel schlechter würden die Rollen der jungen Mldchen ge-
spielt. Den heutigen Sängerinnen falle nicht ein, «daß man auch eine einÜKhe
Natur sehr stark, sehr wahr, sehr unmittelbar gestalten kann*. Meist würden die
jungen Mädchen ganz «schablonenmäßig*, ohne «persönliche Züge* dargestellt
MUSIKALISCHES WOCHENBLATT (Leipzig) 1908, No. 14-1& - Siegmund Toa
Hausegger ermahnt in dem Aufsatz «Der Allgemeine Deutsche Musikervertiand
auf Irrwegen* (No. 14) den genannten Verband, nicht dadurch, daß er jedem seiner
Mitglieder, unbekümmert um seine Tüchtigkeit, das gleiche Recht auf Anstellung
einräumt, die Kunst zu schädigen und nicht zwischen Orchestermnsiker nnd
Dirigenten einen Keil zu treiben. «Unter allen Umständen ist zu lördeni, dal
vor der Kunst mit Demonstrationen sozialer Art Halt gemacht werde.* — Richard
Batka veröffentlicht auch hier eine Reihe von Aufsätzen unter der Gesamifiber-
Schrift «Wagner in Prag*. — Erich Kloß bespricht sehr ausführlich i^RIcbsrd
Wagners Briefe an seine erste Gattin*. — Unter der Oberschrifl «KaimorchesteTv
Ausstellung München 1908 und Allg. Deutsch. Musikerverband* (No, 15) wird ein
Brief abgedruckt, in dem das Präsidium des genannten Verbandet und die
Redaktion der Deutschen Musiker-Zeitung bestreiten, daß sie bei ihrem Eintreten
für das ehemalige Kaimorchester «irgendwelche sozialistische Gesichtmpunkte In Be-
tracht gezogen* hätten. S. von Hausegger bemerkt in einer Nachschrift, daß die
vom Verband in diesem Fall betätigten Anschauungen tatsächlich «die allereng^
Verwandtschaft mit den sozialdemokratischen" zeigten. — «Zu Ferdinand Thierlois
70. Geburtstag" veröffentlicht Emil Krause eine kurze Beschreibung den Lebens
und Schaffens des Jubilars. — Roderich von Mojsisovics veröffentlicht den
kurzen Aufsatz «Erich Wolf Degner. Zu seinem 50. Geburtstage*. — Fritz Erck-
mann berichtet in dem Aufsatz «Frühlingslieder und Tänze* (No« 15—18) fiber
alte Volkslieder und Frühlingsbräuche. — Rodericb von Mojsisovics bespricht In
dem Aufsatz «Ein Autographenschatz** (No. 16) den neuen Autographen-KatalQg der
Firma C. G. Boerner in Leipzig. Magnus Schwantje
KRITIK
OPER
AUGSBURG: Einige Neueinstudierungen be-
lebten vorübergehend das Repertoire der Oper
in der zweiten Hüfte der Saison. Bei Webers
«Oberen* war diese Liebesmfih' ziemlich Ter-
geblich» hingegen fiel sie bei Wagners trotz
mancher ül>erkommenen Banalitäten noch immer
dramatisch wirksamer Oper «Rienzi* auf frucht-
baren Boden. Des Meisters 25. Todestag wurde
übrigens in dankenswerter Weise durch eine im
ganzen wohlgelungene Aufführung von i^Tristan
und Isolde* ernst und würdig gefeiert. Frau
Burk-Berger gastierte dabei mit vielem Erfolg
als imponierende Isolde, die sehr begabte Lisbeth
Ulbrig als Brangine. Diesen Müncheoer Gästen
stand EmstBrandenberger als Tristan intensiv
wirkend zur Seite. Des glänzenden Erfolges der
genialen Frau Preuse-Matzenauer als Brünn-
hildein der »Walküre* sei hier eben falls gedacht. —
D'Alberfs »Tiefland* erzielte bei ungeschwächter
Anziehungskraft zwölf Aufführungen. Anfangs
Februar dirigierte der Komponist sein Werk selbst
und wurde bei dieser Gelegenheit gebührend
gefeiert. Physiognomische Beobachtungen ließen
erkennen, daß der Gefeierte mit der Aufführung
und dem Publikum zufrieden war. — Der Schluß
der Saison stand unter dem Zeichen der hier
noch üblichen Beneflzvorstellungen, die in den
meisten Fällen gleichzeitig Verabschiedungen
der ersten Kräfte der Oper bedeuteten und zu
herzlichen Sympathiekundgebungen Anlaß gaben.
Die talentvollen Damen Elisabeth Fabry, Helene
Zeiller, Martha B o m m e r und der Heldentenor
Brandenberger können eines guteu Andenkens
sicher sein. Zu des letzteren Benefiz kam neu-
einstudiert noch M6hurs »Joseph* heraus, der
trotz seines ehrwürdigen Alters von 101 Jahren
durch ernste Haltung fesselte und als Schluß-
vorstellung der regulären Saison wiederholt
werden konnte. — Welchen Ersatz wir in nächster
Saison für die heuer abgehenden Kräfte erhalten,
das wissen die Götter; einstweilen ist die Zukunft
noch sehr verschleiert, und die Aussichten sind
nach den bisherigen Engagementsgastspielen
wenig hoffnungsvoll. Dankenswerter Weise hat
die Stadtverwaltung eine Verstärkung des Or-
chesters genehmigt; damit wäre die Möglichkeit
angebahnt, es in Zukunft auch in ausgiebiger
Weise zu Orchesterkonzerten heranzuziehen.
Otto Hollenberg
BERLIN: Königliches Opernhaus. Als
letzte Novität des Winters ging E. N. von
Reznicek's komische Oper »Donna Diana*
in Szene. Weshalb an leitender Stelle so wenig
Wert auf sie gelegt wurde, daß man sie an das
Ende der Saison verschob, ist eigentlich nicht
recht ersichtlich; denn anderwärts hatte »Donna
Diana* durchaus gefallen. War es doch gerade
dieses Werk gewesen, das Reznicek's Namen
weiteren Kreisen bekannt gemacht hatte. Freilich
ist das zehn Jahre und länger her, und der Ge-
schmack ändert sich. Aber wenn jetzt die Oper
in Berlin nur einen Achtungserfolg erlebte, so
beweist das wiederum nichts gegen ihre künst-
lerischen Qualitäten, weil die Auffübruog nicht
den Anforderungen entsprach, die der Komponist
für eine gerechte Würdigung seines Werkes
hätte stellen dürfen. Reznicek bat es für Berlin
einer Umarbeitung unterzogen. Er mag da (ich
kenne die erste Fassung nicht) manches ver-
bessert hsben; eine einwandsfk'eie dramatische
Schöpfung konnte er nicht daraus machen. Der
älteren Generation ist das Lustspiel des Moreto,
das der Oper zugrunde liegt, noch gut bekannt.
Im Mittelpunkt der Handlung ein Frauen-
charakter, ähnlich dem widerspenstigen Käthchen
Shakespeare's. Hochmütig, kaltsinnig, der Liebe
und ihrem Werben verschlossen, und doch im
Innersten eine impulsive Natur. Der Besonnenheit
ihres Freiers und den Ränken des lebensklugen
Perin gelingt es, das stolze Herz zu überlisten
und e« schließlich doch in den Netzen der Liebe
zu fangen. Nirgends sonderlich spannende oder
auch nur szenisch wirksame Situationen; nirgends
starke seelische Akzente, überall nur ein geist-
reiches Spiel mit Empfindungen wie mit Worten.
Was den Wert und Reiz der Dichtung ausmacht,
entzog sich so ziemlich der musikalischen Dar-
stellung. Mit diesen dialektischen Künsten,
dieser psychologischen Analyse in Worten konnte
der Komponist nicht viel anfangen. Reznicek
half sich in naiver, in diesem Falle gificklicher
Weise, indem er frisch daran flos komponierte,
sich bald an das allgemein Lustspielmäßige der
Handlung hielt, bald an das nationale Kolorit
ihres Milieus, zu dessen Schilderung ihm
spanische Originalthemen und Rhythmen dienten,
bald an opemhifte Zutaten, wie Chöre, Ballete
und das etwas allzu effektsüchtige instrumentale
Zwischeiupiel. So konnte zwar kein dramatisches
Ganzes entstehen, immerhin aber eine Partitur,
die in der prickelnden Ouvertüre, den sich
natürlich gebenden liedartigen Gebilden, vor
allem aber in den lebendig fließenden, lustigen
und farbigen Ensemblesätzen, mit das Frischeste
und Beste enthält, was wir von Reznicek t>e-
sitzen. Aufgabe der Sänger wäre es gewesen,
an die dichterische Vorlage anzuknüpfen und
durch ihre Darstellung zu geben, was die Musik
in dramatischer Hinsicht schuldig blieb. Nur
Herr Hoff mann, der einen munteren Perin
auf die Bühne stellte, hatte die Aufgabe erkannt.
Leider war es gerade die Darstellerin der Haupt-
rolle, Frances Rose, die das wenigste Verständnis
dafür zeigte. Sie war weder gesanglich noch
schauspielerisch eine Donna Diana, und in ihrem
Munde ging das Wort, das hier so wichtig
ist, rettungslos verloren. Gegenüber solchen
Leistungen muß es auch den Vorurteilslosen
bedenklich machen, wenn eine deutsche Hofoper
nicht weniger als fünf Amerikaner in erste»
Rollen beschäftigt. Die Wirkungsfähigkeit des
Sängers hängt doch zu eng mit seiner Herrschalt
über die Sprache zusammen, und so manches
Mal ist die Langweiligkeit unserer Opern-
aufführungen auf das fk'emdsprachliche Element
zurückzuführen. Die übrigen Mitwirkenden,
unter denen Herr Kirch hoff (Don Cesar) und
Frl. Easton (Floretts) als die besten zu nennen,
taten ihre Schuldigkeit, ohne den Eindruck der
Vorstellung wesentlich zu steigern. Dazu kam,
daß die Inszenierung nicht gerade auf den in-
timen Ton der Dichtung abgestimmt war, was
sich schon in den mehr bunten als geschmack-
vollen Dekorationen aussprach. Das vom Kom-
ponisten ohnehin nicht immer diskret behandelte
Orchester lärmte mehr, als den Stimmen und
dem Verständnis des Textes zuträglich war.
Sonst zeugte die musikalische Wiedergabe unter
24*
372
DIE MUSIK VII. 18.
Edmund v. Strauß von sorgfSltiger Vorbereitung
und war in den Ensembles von einer tempera-
mentvoll anfeuernden Auffassung getragen.
Inder Komischen Oper bat RuthSt.D6nis
ein erneutes, auf den Monat Mai berechnetes
Gastspiel begonnen. Sie fQbrt ihre Tinze, zu
denen sie diesmal acht singende und auf natio-
nalen Instrumenten begleitende Indier mitge-
bracht hat, nach Schluß der Opemvorstellungen
vor, wodurch die Ausdehnung des in einem
immerhin etwas monotonen Genre Gebotenen
als reichlich lang empfunden wird. Am ersten
Abend ging Smetana's «Verkaufte Braut*
voraus, die neben der zierlichen Marie der
Artöt und dem prächtigen Kezol Mantlers
jetzt in Herrn Pfann einen seinem Vorginger
Naval zwar nicht ebenbürtigen, aber stimmlich
wie darstellerisch recht frischen und liebens-
würdigen Hans erhalten hat. Die indische
Tänzerin brachte einiges Neue. So die Szene
einer Büßerin im Tempelhaine, in der ihre
eminente Ausdrucksfähigkeit geradezu ergreifend
wirkte. Die Schönheit und Geschmeidigkeit
ihres ebenmäßigen Körpers, die vollendete
Sicherheit und Anmut ihrer Technik verfehlten,
im Verein mit dem Exotischen in Kleidung und
Charakter der Darbietungen, auch diesmal nicht,
ihren Reiz auf die für solche durchaus eigen-
artige Tonkunst empfänglichen Zuschauer auszu-
üben. — Als letzte Neuheit der laufenden Spielzeit
brachte die Bühne des Herrn Gregor Emilio P i z z i's
lyrisches Drama «Rosalba** mit freundlichem Er-
folge zur Aufführung. Der gespendete Beifall galt
indessen wohl mehr den guten Leistungen der
Ausführenden als dem Werke selbst, das sich
als ein ziemlich schwacher Abkömmling des
neuitalienischen Musikdramas herausstellte. Mög-
lich, daß andere Arbeiten Pizzi's mehr Indivi-
dualität und Erfindung aufweisen. Luigi Illica,
der Textdichter, hatte dem Komponisten in
seinem (von Ludwig Hartmann verdeutschten)
Buche einen nicht einmal undankbaren Stoff
geboten. Zwei italienische Dichter-Musiker sind
da gegenübergestellt: der preisgekrönte Vene-
zianer Firmiani in seinem Ruhmes- und Liebes-
glück und der heruntergekommene Römer
Colonna, den die Reize des Weibes um An-
sehen, Gesundheit und Selbstbewußtsein ge-
bracht haben. Die Muse des einen und der
Dämon des anderen sind beide dasselbe Weib:
die schöne Sängerin Rosalba. Der Zufall führt
den zum Trunkenbold herabgesunkenen Poeten
«n das Haus des glücklichen Rivalen, vor dem
üun Rosalba entlarvt wird, gerade als sie hoffen
darf, sich durch die reine und ehrliche Liebe
zu einem Manne rehabilitieren zu können. Diese
Handlung ist nicht ohne lyrische Stimmungen
und dramatische Effekte und so knapp gefaßt,
wie sie der Musiker brauchen kann, wenn auch
die Mache etwas sorglos, die Charaktere etwas
^roblinig gezeichnet, der Dialog mitunter gar zu
naiv erscheinen. Das Ärgerliche ist der sentimen-
tal-verlogene Schluß, an dem wir Firmiani, der an
Rosalba's Unschuld glaubte, in betäubendem
Blumenduft sterben sehen, worauf Rosalba, ganz
Im Stile der italienischen Veristenopem, zum
Dolche greift. Diese Vorgänge und Personen
zu charakterisieren, fehlte es Pizzi an bildne-
rischer Kraft; auch rein musikalisch weiß er
«ins weder durch seine Technik, noch durch
seine Erfindung zu interessieren. Er hat eine
mehr lyrische als drammtlsche, fnz wohl-
klingende Musik geschrieben, die sich nnf Schritt
und Tritt in den Gleisen der iangitallcaBiKfaen
Meister bewegt and mit den nun Mdian ▼•^
brauchten Mitteln (die anieidiiche Verdoppcinag
der Singstimme im Orchester ist Mi snm Ober-
druß verwendet) Ihre Zeit Torpaßt liat. Ffir dli
Wiedergabe setzten alle an der Anfffiiimng Be-
teiligten ihre besten Kräfte ein. Nndolowltnch
entfaltete als Firmiani seinen Tenor (er soOle
nur nicht durch zu offenes Singen sein Plaao
beeinträchtigen) mit besserem Gelinfen als Je
und ließ fast über das Unzureichende seiser
schauspielerischen Begabung» das ihn sa Obw-
treibungen verleitet, hinwegsehen. Egenieff
wußte als Sänger und Danteller seinen ColoaBa
nachdrücklich zur Geltung zu bringen; vor sUsb
aber wirkte Lola Artöt de Psdilla ho der Titel-
rolle mit dem Liebreiz ihrer Stimme und Fersös-
lichkeit. Mit der, auch dekorativ sehr hfibsches
Inszenierung hatte sich Herr Morris, mit der
musikalischen Einstudierung und Leitung KspeU-
meister Rumpel am die Dsrstellnnf des Werkes
verdient gemacht. Am Schluß konnte der
Komponist mehrmals dankend auf der Bühne
erscheinen. Dr. Leopold Schmidt
D RAUNSCHWEIG: Das Hofthester belnd
^^ sich in einer wenig beneidenswerten Lage:
der lyrische und der Heldentenor waren wibraed
des ganzen März und die beiden Bsrilonisten
zeitweise krank; Opemvorstellnngen ksmen also
nur unter den größten Schwierigkeiten mit Hillb
auswärtiger Kräfte zustande, von diesen ver-
dienen Frida Hempel- Berlin als TitelheldlB
von «Lucia von Lammermoor* und BTrsvtets',
sowie Frau Preose-Mstzensuor-Mfincbes
als Brünnhilde (»Walküre*) und Cscven be-
sondere Erwähnung. Als Retter in der Nee er-
schienen zwei {unge lyrische Tenöre, gsbeme
Braunschweiger: die Herrn Bfiltemsnn-Plsaen
und H ochheim-Barmen, ferner die Bsfitenlsisn
Bise hoff- Hannover und Fränkel-Msfdebvg.
Neuheiten oder neueinstudierte Werke wsres
unter diesen Verhältnissen susgeschiosssn.
Ernst Stier
DUDAPEST: Die kfinstlenschen Krifte nneersr
^^ Oper sind derzeit zum Teil gebunden. Es
gilt, Goldmarks »Wintermirchen* mit
größter Vollendung herausznbringen, and die
Anwesenheit des greisen Meisters TefsnlsBt sUs
Mitwirkenden zur äußersten Anspsanong ?ee
Talent und Ambition. Iniwisdien sorgt die
Direktion durch Heranziehung interesssntsr
Gäste ffir die Belebung des Repertoires. Mss
begrüßte sbermals die gsnisle Vsliioff Svlrd-
ström als Gretchen und Mignon, erflmite rieh
an den prächtigen Gestsltungen Orellos is
den Titelpartieen von »Hamlet* nnd «Rlgolells*
und bewunderte mit enthnsiastischer Degslsl^
rung Fritz Feinhals, der an sieben Abeniss
den Hans Sachs, Hollinder nnd Don Jias
in italienischer Sprache ssng» Intorsssant ist
der Umstand, daß sich aus Anlsft des GesispWa
Feinhals' ein chauvinistisches nngsrisehes Btav
zu dem Wunsche verstieg, daß die en^eiiigs
Bestimmung, wonach an unserem OpemthesiBr
in jeder europäischen Sprache, nur niebt In dar
deutschen, gesungen werden darf, bei Gsstsnlsisn
allererster deutscher Kflostler docb nnUDsfabes
s>
373
KRITIK: OPER
werden möchte. Direktor Möszäros, der emsig
bemüht iet, zwischen der ungarischen Hofbuhne
und den großen deutschen Opembühnen künst-
lerisch engere Beziehungen herzustellen, steht
dieser Eventualiiftc sympathisch gegenüber. Man
kann also ein rotweißgrüner Politiker und doch
ein Europier sein. Dr. B61a Diösy
DRESDEN: Trotz der vorgerückten Jahreszeit
brachte die Hofoper noch zwei Neuheiten
heraus, von denen der Einakter »Frühlings-
nacht* von dem in Dresden lebenden nor-
wegischen Komponisten Gerhard Schjelderup
seine Uraufführung erlebte. Die Handlung
schildert den Liebestod eines jungen Paares in
der Lenznacht, die der erzwungenen Hochzeit
der Heldin Linda vorausgeht. Der Komponist
nennt sein Werk, dessen sprachlich nicht
einwandfreien Text er selbst geschaffen bar,
,plyrisches Drama**, eine Bezeichnung, die ihre
Berechtigung hat. Denn trotz des tragischen
Ausgangs kommt es dem Komponisten weit
weniger auf dramatische Wirkungen als auf die
Erzielung und Vertiefung jener Stimmung an,
in der wir das Ganze wie eine Erzählung von
Liebe und Liebesleid an uns vorüberziehen
lassen. Demgemiß sind die Gesangsstimmen
derart deklamatorisch behandelt, daß man bei-
nahe von einem fortgesetzten Parlando sprechen
kann. Der Schwerpunkt liegt durchaus im
Orchester, das der Komponist mit Virtuosität
handhabt, ohne in laute Ausbrüche oder land-
läufige Instrumentationskunststücke zu verfallen.
Es ist mehr als bloße Stimmung, es sind starke
Gefühlawerte, die uns aus Scbjelderup's feiner,
aparter, individueller Musik entgegenklingen, so
daß man sich trotz fühlbarer Längen und starker
Un Wahrscheinlichkeiten der Handlung (die Heldin
lebt mit dem tödlichen Gift im Leibe noch so
lange, bis sie eine umfangreiche Liebesszene
glucklich beendet hat, und ihr Geliebter steht,
nachdem er sich den tödlichen Dolchstoß ver-
setzt hat, noch einige Minuten aufrecht!) doch
gern dem eigenartigen Zauber des traumschönen
Werkes überläßt. Da Schuch die musikalische
Leitung selbstübemommen hatte, die Inszenierung
sehr stimmungsvoll war und vor allem Frau
Nast als Linda alle ihre gesanglichen und dar-
stellerischen Vorzüge für die Aufgabe einsetzte,
so kam mit den Damen Bender-Schäfer,
Eibenschütz und Keldorfer, sowie den
Herren Sembach und Rains eine Aufführung
zustande, die der Neuheit zu einem sehr freund-
lichen Erfolge verhalf. Der Komponist wurde
mehrfach gerufen. — Ganz dem leichten Genre
gehört der sodann gegebene Einakter «Zier-
puppen* von Anselm Götzl an, dessen Text
von Richard Batka geschickt nach Moliftre's
t>ekanntem Lustspiel «Les pr^cieuses ridicules*
bearbeitet ist. Durch die Umänderung des
Schlusses ist allerdings aus der im innersten
Grunde recht ernsthaften Sittenkomödie des
französischen Dichters eine derbe Operette ge-
worden, zumal da Arien, Duette usw. ganz nach
alter Manier miteinander abwechseln. Auch die
Musik ist so weit von alledem entfernt, was
modern ist, daß man dem Stücke die Bezeichnung
«musikalisches LostspieP keineswegs zuerkennen
kann. Aber die Handlung ist am&ant, und die
Musik trots Ihrer oft geradezu auffUlenden Ein-
ÜMhhtit In Harmonik, Rhythmik und Chsrakteri*
sierung doch unterhaltend und liebenswürdig,
so daß bei vorzüglicher Aufführung, die aller-
dings das Grotesk-Operettenhafte noch unter-
strich, unter Herrn Hagen s Leitung ein sehr
starker Erfolg zustande kam, an dem die Damen
Wedekind und v. d. Osten, sowie die Herren
Rüdiger, Nebuschka, Grosch, Plaschke
und Puttlitz volle Anteile hatten. Auch nach
dieser Neuheit konnte der Komponist zahlreichen
Hervorrufen Folge leisten. F. A. Geißler
rvOSSELDORF: Viel Interesse brachte man
^-^ dem Gastspiele der lyrisch-dramatischen
Tänzerin Rita Sacchetto entgegen, die die
Fenelia in Auber's «Die Stumme von Portici*
ebenso temperamentvoll wie eindringlich ver-
körperte. Dann hielt sich Eugen d'Albert's
«Tiefland* nach der glänzend inszenierten,
bestgelungenen Premiere in der Gunst der
Theaterfreunde. Auch erzielte Heinrich Zöllners
«Die versunkene Glocke** in ebenfalls guter
Besetzung einige volle Häuser. Neu ein-
studiert wurde ferner «Tristan und Isolde*.
Dabei führte Dr. Otto Neitzel gastspielsweise
die Regie und verstand es, auf die plastische
Gestaltung der Handlung, die sachgemäße Be-
handlung des Sprechgesanges, auf den innigeren
Kontakt zwischen Geste und Pose mit Wort und
Ton günstig einzuwirken; auch der stimmung-
stützenden Beleuchtung wendete er viel Sorgfalt
zu. Die Besetzung mit Neubauer (Tristan),
Joseflne von Hübbenet (Isolde), Anna Kettner
(Brangräne), Wasch ow (Kurwenal) bot manches
Gute. A. Eccarius-Sieber
ELBERFELD: Der gelungene Verlauf des
Wagnerzyklus, insbesondere des «Ring*,
ehrte die Direktion Otto um so mehr, als in ihm,
ausgenommen «Rheingold** und «Walküre* mit
Else Breuer (München) als Freie und Sieglinde
und Clarence Whitehill (Köln) als Wotan,
mit dem eigenen Künstlermaterial unserer Bühne
operiert wurde. Die verdiente Leiterin der
de Sauset-Künstlerabende, die jetzt unter dem
Namen Marie D6joie zur Bühne fibergegangen
ist, gab als Senta und Santuzza Proben ihrer
Kunst, die von außerordentlichem Fleiß und un-
verkennbarem Talent zeugten. Eva von der
Osten (Dresden) gab eine ebenso überzeugende
wie feingehaltene Carmen. Als ein zu den
besten Hoffnungen berechtigender Novize sang
Gotthold Roth er den Lyonel auf Engagement.
Im übrigen brachte der Spielplan noch «Hoff-
manns Erzählungen* in der Originaleinrichtung,
«Figaros Hochzeit* mit einer relativ guten
Susanne (Else Thornsvard), aber einem
weniger mozartichen gräflichen Ehepaar (Maud
Roosevelt und Julius Kiefer) und die beiden
älteren beliebten Operetten «Bettelstudent* und
«Boccaccio*. In Strauß* «Salome* verabschiedeteD
sich am Schluß der Spielzeit Margarete Kahler
und Kapellmeister Albert Coätes, die nacb
Bremen, bzw. Dresden gehen; msn sah die treff-
lichen Künstler ungern von hier scheiden.
Ferdinand Schemensky
FRANKFURT a. M.: Außer mehreren durch
Unpäßlichkelten des hiesigen Personals be-
dingten Ersatzgastspielen, von denen vielleicht
demjenigen von Frau Burk-Berger aus Mün-
chen (als «Götterdämmerungs*-Brünnhllde) be-
sondere Notiznahme zukommt, wäre etwa noch
des Versuches su gedenken, Anna Schlroky»
374
DIE MUSIK VII. 18.
die früber unserer Opernbüboe angebörte, neaer-
dings zttzuf&bren, indem min sie als Lucia auf-
treten ließ. Die Dame bat inzwiscben an der
Vervollkommnung ibrer Kunst gearbeitet, was
sieb wobl aucb merken ließ, docb reicben die
Resultate nocb immer nicbt für erste Koloratur-
partieen zu. An dieser Erkenntnis konnten sieb
kritiscber beanlagte Hörer aucb nicbt durcb die
sebr warme Wiederbegrüßung beirren lassen, die
das Publikum dem Gaste darbrachte.
Hans Pfeilscbmidt
GRAZ: Das Stadttbeater bat den fruchtbaren
Gedanken durcbgefübrt, die Opern des
Spielplanes zyklisch zu geben. So kam es bis
jetzt zu einem Weber-, einem Lortzing-,
einem Mozart- und einem Wagner- Zyklus,
dem noch ein Verdi -Zyklus folgt. Da überdies
bei Spottpreisen gespielt wird, so sind selbst
die gefürcbteten klassischen Vorstellungen,
z. B. die «Euryanthe*, ganz ausverkauft: im
Zyklus genießt der Deutsche alles, und alles
festlich. Für den Kritiker wirken die Zyklen
als altes Spiel, um nicbt zu sagen langweilig;
den breiteren Kreisen gewähren sie kulturelle,
der Direktion finanzielle Freuden, was im Zeit-
alter der Bübnendemokratisierung jedenfalls auf
eine gescbiftskluge und stilvolle Weise erreicht
wurde. Dr. E. Decsey
HALLE a. S.: Unsere Theaterdirektion bat
ihre Ehrenschuld dem Tonsetzer Eugen
d 'Albert gegenüber endlich eingelöst. Außer
der »Abreise*^ brachte man im Mirz und April,
wirkungsvoll inszeniert und in trefTlicher Be-
setzung, «Flauto solo* und »Tiefland* heraus.
Um die woblgelungenen Aufführungen machten
sich im ersten Falle besonders verdient Frau
Gruselli-Boer als Peppina, Herr Frank als
Pepuscb, Herr Au mann als Maestro Emanuele
und Herr Birkholz als Fürst Eberhard. Eine
überaus packende Darstellung erfuhr auch
«Tiefland*, in dem vor allem Herr Gogl als
Pedro, Herr Frank als Sebastiane und Olga
Agloda als Marta durchaus Rühmenswertes
leisteten. Das gleiche Maß an Lob trifft auch
auf die Kapelle unter ihrem oft bewährten
Führer Eduard Mörike zu, der beide Opern
durchaus stilvoll interpretierte. — An Gästen
erschienen im Laufe der Saison Erika Wede-
kind (»Regimentstochter*), Ottilie Metzger-
Froitzheim (»Mignon*), Leonore Sengern
(»Salome*), Erna Fiebiger (»Migaon* und
„Salome*) und unser früherer Heldenbariton
Walter Soomer als Wotan in der „Walküre*
und als „Holländer*. Martin Frey
I^ARLSRUHE: Außer einer von A. Lorentz
'^ geleiteten Aufführung der reizenden, pikant
instrumentierten und dankbare Gesangspartieen
aufweisenden Oper „Lakme* von Deltbes, in
der Henny Li nkenbach- Mannheim als Titel-
beldin einen durcb Erscheinung, Darstellung
und süßen Gesang gleicherweise gerechtfertigten
Erfolg hatte, und Hermann Jadlowker sich
durch seinen wundervoll klingenden und meister-
lich bebandelten Tenor als trefTlicher Partner
erwies, brachte die Hofbühne als Novität
d'Albert's „Tiefland*. Das Werk, das Text-
dichter und Komponisten häufig auf den Pfaden
der Neu-Italtener zeigt, fand aucb hier dank
der realistischen, aufregenden, wenn auch
manchmal anfechtbaren Haiidlung und dei; aus-
dmcksfähigen, woblkliDgenden and chankteriati-
schen, aber zwischen den verschledeiieii Stil-
gattungen hin und her achwankenden Mulk
starken Erfolg. An dem guten Gelinim der
von Dr. Göhler einatadierten Aafffihmflg
hatten der darstellerlach and getmngllch gleich
treffliche Pedro Hans Tänslers, die toi
Frau Henael-Schweltzer-Fraokfdrt Is Ver-
tretung gesungene leideoscbaftllche Martha
und Max Büttners vonügllch goraieaer
Sebastiano den HauptantelL
Frans Zarelch
KÖLN: Zum dritten Male wihrend dteser
Spielzeit ging Wagnen Nlbelunfen-Tetra-
logie in Szene, und mehr noch ala suTor hat
sich hierbei daa Ensemble der Oper anf ganz
bedeutender Höhe künatleriacher LeistangalUig«
keit im allgemeinen und hlnalcbtllch des hier ta
Frage kommenden Gesangstlla Im besenders
bewährt In „Walküre*, „Siegfried' und «GStlsr-
dämmerung* ragte die Brfinnhilde von Allee
Guszalewicz durch atrahlende ToaMdbnnf^ die
keine Ermüdung kennt» durch edle Plastik des
Spiels und dramatische BlndrIngiichlEeit der ge-
samten vokalen und mimischen Gestsltosg
mächtig hervor. Otto Lohae begdsterte wieder
Sänger und Pablikam durch seine Wsgner*
interpretierung. Unter Ihm gab ea |etsl sich
einmal eine «Meistersinger*-Aaff&hninf sn vdlln-
tümlichen Eintrittspreisen mit Hsns Meh Winkel
als bekannt trefflichem Sachs. Psnl Hiiler
l/'ÖNIGSBERG i. Pr: Otto Dorne «DieschAne
'^ Müllerin*, ein hsrmloses, fefllliges Werk-
eben, das mehr Geschick Im Gesangliehen, ala
in Instrumentation and orchestraler Mslerei
zeigt, ging am hiesigen Stsdtthester Ter Albert
Gorters »Das süße Gifk* in Siene. An Eis-
fällen nicht sonderlich reich, Tennag Geners
musikalisches Lustspiel über msnche tegHichc
Schwächen vermöge der lyrischen Gestsltongi-
kraft des feinsinnigen Muaikers, der des Orchssisr
zu üppig blühendem Erklingen xwingti sn trAstsn.
Diese beiden bescheidenen Werkchea (dssjenige
Gorters hoffentlich nur ein Versprechen fftr Be-
deutenderes) stellen neben Schols' Tsninglflekter
«Mirandolina* die ganze Königaberger Novilltsn-
ausbeute dieses Jahres der.
Radeir Kastner
MAGDEBURG: Die Opemssisen, vor deren
Abschluß wir stehen, flammte am Osler-
sonnabend noch einmal auf, in fenriger Weisse
die einen glänzenden Schimmer fiber ihr Ende
warf. Die Erben dea weiland Direktors nnd
Hofrats A. Cabialaa hatten sn einer Jtteieter-
singer'-Auffübrung mit auserlesenen KriUlsa
eingeladen. Den Stelling gab Knete, den Sechs
Feinbals, als Beckmeaaer aah man den Usr
noch unbekannten, aber nun aehr sehneil gi*
würdigten Gustav Landauer, als P^gner Meest
Für die Partie Evchena war FrL Nast, Ar die
der Amme Frau Schäfer-Bender ^ngsgjff;
den Lehrbuben gab Dr. Kahn. Ein Ensemhis^
das zuaammen mit dem gans
Orchester unter J. GöUrich nnd
stärkten Ghor alle Schönheiten dee
ana Licht zog. Ein völlig aasverkaaftes Hsns
bereitete der Auff&hrdng stfirmlsche
»Tristan und Isolde*, ebenfalls In
gezeichneter GsstbesctsaM, sehleB
30. April das Theater seine Pforlen,
WL
375
KRITIK: OPER
tm 1. September unter der Direktion Coßm an n
•08 Hamburg mit einem neu inszenierten
«Lohenfrin* zu eröffden. Erwähnenswert aus
dem Spielplan der letzten Wochen waren mehrere
auagezelchnete AuffOhrungen vom «Othello*
Verdi's. Max Hasse
MAILAND: Scala. Claude Debussy's
Musik zu ,Pell6as und Melisande*
ist wie aus der Seele eines schwindsüchtigen,
sterbenden Midchens geboren: einschlifernd,
blutlos, kurzatmig, ohne Kraft, ohne Ent-
schlossenheit, ohne Glut. Sie ist ein ewiges
AofHackem und Verlöschen einer zarten Sehn-
sucht und verschmilzt weder mit den Vorgängen
noch mit den Personen, sondern schwimmt auf
der Oberfläche des Dramas wie leichtgefärbte
▼olken. Motive und Melodieen sind da, mQssen
aber mit dem Vergrößerungsglas gesucht werden.
So fein, so weich-verschleiert wurde noch nie
ein Bühnenwerk instrumentiert. Das Ganze
klingt wie ein Märchenschlummerlied und be-
zwingt durch die hartnäckige Aushaltung der
Manier; .wer am längsten Widerstand leistet,
ist der Einflußreichste*, sagt Nietzsche. Arturo
Toscanini dirigierte auswendig, unübertreff-
lich. — Zuletzt hatten wir den berühmten
«Mephisto* des Schaliapin mit der trockenen
Musik von Boito. Johann Binenbaum
MAINZ: An Novitäten hat uns das letzte
Drittel der diesiährigen Spielzeit eigentlich
nichts geboten, dafür aber eine Reihe höchst
interessanter Gastspiele und, mit diesen ver-
bunden, eine ganze Serie trefflicher Wagner-
aufführungen, die jedenfalls künstlerisch weit
höher zu bewerten sind, als die immerhin sehr
fhigwürdige Uraufführung von Davidoff's »Ver-
sunkener Glocke*, mit der Direktor Bohrend
aus gänzlich unbekannten Gründen das Publikum
ursprünglich zu beglücken gedachte. — Als
Tannhäuser und Siegfried hatte Wilhelm
Grüning von der Berliner Hofoper starken
und berechtigten Erfolg. Namentlich war es der
Jung • Siegfried^ der besonders durchschlug.
Ihm sowie unserer vortrefflichen einheimischen
Künstlerin Frau Materna (Brünnhilde) wurden
die ehrendsten Ovationen dargebracht —
Nicht minder bedeutend gestaltete sich das
Gastspiel Forchhammers aus Frankfurt,
dessen Tristan als eine gesanglich wie dar-
stellerisch gleich hervorragende und vornehme
Leistung zu bezeichnen war. — Auch Eugen
d'AIbert war als Gast bei uns erschienen, um
seinem früher gegebenen Versprechen gemäß
eine Aufführung seines «TragaMabas* zu diri-
gieren. — - Von sonstigen musikalischen Ereig-
nissen unserer Oper, die wie gewöhnlich am
Schluß der Saison fast ganz im Zeichen der
Abschiedsvorstellungen und Benefize stand, ist
nur noch die Neueinstudierung des »Rheingold*
besonders zu erwähnen, an die sich eine zyklische
Aufführung der »Nibelungen* - Tetralogie an-
schlolL Trotz verschiedener, durch Krankheit
hervorgerufener Störungen nahm der Zyklus
einen hoch befriedigenden, teilweise sogar ganz
glänzenden Verlauf; ein Verdienst, das neben
Hofirat Steinbach und seinem trefflichen Or-
chester hauptsächlich den Damen Materna
«od Uofmann, sowie den Herren Barron-
Bertald, Bfirstinghaus und Bonin zuzu-
•chreibeii ist. F. Keiser
«p
liil ANNHEIM: Der Spielplan unserer Oper ist
i*ä in den letzten Wochen interessanter ge-
worden. Neueinstudiert erschienen »Die ver-
kaufte Braut*, »Carmen* und »Hans Helling*.
Intendant Hagemann verlieh der »Carmen*
eine prächtige Neuinszenierung nach den Prin-
zipien seiner Idealbühne, die sich in »Hamlet*
und »Tasso* bewährte und vielleicht in nicht
allzu ferner Zeit die Leinwanddekoration völlig
verdrängt. Als Carmen stand Muriel Terry,
eine Indierin, die in München leider nicht ein-
wandfrei singen lernte, erstmals auf der Bühne.
Die Stimme ist ein Mezzosopran von bescheidener
Größe, aber sympathisch. Weder die stimmlichen
Vorzüge noch das gesangliche Können errangen
den Erfolg, vielmehr das sprühende Temperament
und ausgesprochene Darstellungatalent. Als
ersten Bühnenversuch muß man diese Carmen-
darstellung hoch einschätzen. Sehr gut waren
Bahling, der sein Engagement jetzt schon an-
getreten hat, als Escamillo und Fenten als
Zuniga, den glänzendsten Erfolg jedoch errang
Fritz Vogelstrom als Don Jo86. Leopold Reich-
wein hatte die Aufführung sehr gründlich, aber
in sehr breiten Zeitmaßen vorbereitet; sie erzielt
bei jeder Wiederholung ein ausverkauftes Haus.
K. Eschmann
PARIS: Als Rudolf Berger wurde der ge-
feierte Tanzkomponist vor 44 Jahren im
österreichischen Fiume geboren, aber seit er
eine Pariser Persönlichkeit geworden, heißt er
nur noch Rodolphe Berscheeh. Nach verschie-
denen kleinen Operetten -Versuchen wollte
Berger endlich auch in der großen Bühnen-
welt zur Geltung kommen, und darum schrieb
er eine als komische Oper angekündigte Aus-
stattungsoperette in vier Akten »Le Chevalier
d'£on*. Ein bisher unbekannter Direktor
namens Brouette (Schubkarren) mietete eigens
für diese musikalische Tat die große Bühne der
Porte Saint-Martin, verpflichtete hervor-
ragende Schauspieler für unbedeutende komische
Rollen und bewährte Sängerinnen der Komischen
Oper für die Hauptpartieen und gab Unsummen
für Dekorationen, Kostüme und Ballete und für
eine ruhmredige Vorausreklame aus. Das Er-
gebnis hat diesen Anstrengungen durchaus nicht
entsprochen. Das mit Unrecht gewählte Text-
buch stammt aus dem Nachlasse des 1901 ver-
storbenen, berüchtigten Vielschreibers Armand
Silvestre; Henri Cain hat es nur notdürftig
zugestutzt. Aus der bekannten Geschichte des
Chevalier d'£oo, der sich unter Ludwig XV.
dreißig Jahre lang als Frau ausgab, um den
Folgen einer Veruntreuung bei der französischen
Botschaft in London zu entgehen, ist ein recht
gewöhnliches Abenteuer geworden, denn die
Verkleidung dient hier dem Helden nur noch
dazu, bei der Dubarry, der allmächtigen Ge-
liebten des Königs, einzudringen. Was die
Komposition betrifft, so hat Berger noch einmal
bewiesen, daß der langsame Schmachtwalzer,
die Polka und die Mazurka kein Geheimnis für
ihn haben, daß er aber sehr gewöhnlich und
ziemlich langweilig wird, wenn er sentimentale
oder komische Couplets oder große Ensembles
vertont. »Le Chevalier d'£on* hat nur so lange
das Publikum angezogen, als der Glans der
Aussuttung neu und fesselnd blieb, aber das
genügte nicht, um den kühnen Herrn Brouette
374
DIE MUSIK VII. 18.
die früher unserer Opembubne aogebörte, neuer-
dings zuzufübren, indem man sie als Lucia auf-
treten ließ. Die Dame bat inzwiscben an der
Vervollkommnung ibrer Kunst gearbeitet, was
sieb wobl aucb merken ließ, docb reicben die
Resultate nocb immer nicbt für erste Koloratur-
partieen zu. An dieser Erkenntnis konnten sieb
kritiscber beanlagte Hörer aucb nicbt durcb die
sebr warme WiederbegrüQung beirren lassen» die
das Publikum dem Gaste darbracbte.
Hans Pfeilscbmidt
GRAZ: Das Stadttbeater bat den frucbtbaren
Gedanken durcbgefübrt, die Opern des
Spielplanes zykliscb zu geben. So kam es bis
jetzt zu einem Weber-, einem Lortzing-,
einem Mozart- und einem Wagner- Zyklus,
dem nocb ein Verdi-Zyklus folgt. Da überdies
bei Spottpreisen gespielt wird, so sind selbst
die gefürcbteten klassiscben Vorstellungen,
z. B. die «Euryantbe*, ganz ausverkauft: im
Zyklus genießt der Deutscbe alles, und alles
festlich. Für den Kritiker wirken die Zyklen
als altes Spiel, um nicbt zu sagen langweilig;
den breiteren Kreisen gewibren sie kulturelle,
der Direktion finanzielle Freuden, was im Zeit-
alter der Bübnendemokratisiening jedenfalls auf
eine gescbiftskluge und stilvolle Weise erreicht
wurde. Dr. E. Decsey
HALLE a. S.: Unsere Tbeaterdirektion bat
ihre Ehrenschuld dem Tonsetzer Eugen
d 'Albert gegenüber endlich eingelöst. Außer
der «Abreise* brachte man im Mirz und April,
wirkungsvoll inszeniert und in trefTlicher Be-
setzung, »Flaute solo* und «Tiefland'* heraus.
Um die wohlgelungenen Aufführungen machten
sich im ersten Falle besonders verdient Frau
Gruselli-Boer als Peppina, Herr Frank als
Pepusch, Herr Au mann als Maestro Emanuele
und Herr Birkbolz als Fürst Eberhard. Eine
überaus packende Darstellung erführ aucb
«Tiefland*, in dem vor allem Herr Gogl als
Pedro, Herr Frank als Sebastiano und Olga
Agloda als Marta durchaus Rühmenswertes
leisteten. Das gleiche Maß an Lob trifft auch
auf die Kapelle unter ihrem oft bewährten
Führer Eduard Mörike zu, der beide Opern
durchaus stilvoll interpretierte. — An Gisten
erschienen im Laufe der Saison Erika Wede-
kind («Regimentstocbter*), Ottilie Metzger-
Fr oitz heim («Mignon'*), Leonore Sengern
(«Salome*), Erna Fiebiger («Mignon* und
«Salome*) und unser früherer Heldenbariton
Walter Soomer als Wotan in der «Walküre*
und als «Hollinder*. Martin Frey
I^ARLSRUHE: Außer einer von A. Lorentz
'^ geleiteten Aufführung der reizenden, pikant
instrumentierten und dankbare Gesangspartieen
aufweisenden Oper «Lakme** von Delibes, in
der Henny Linkenbach- Mannheim als Titel-
beldin einen durcb Erscheinung, Darstellung
und süßen Gesang gleicherweise gerechtfertigten
Erfolg hatte, und Hermann Jadlowker sich
durch seinen wundervoll klingenden und meister-
lich behandelten Tenor als trefflicher Partner
erwies, brachte die Hofbühne als Novitit
d' Albert 's «Tiefland*. Das Werk, das Text-
dichter und Komponisten hiufig auf den Pfaden
der Neu-ltaliener zeigt, fand aucb hier dank
der realistischen, aufregenden, wenn auch
manchmal anfechtbaren Handlung und .der aus-
dmcksflbigen, woblklingmiden and chmklerisii-
schen, aber zwischen den TerMUedeaca Stfl-
gattungen hin nnd her tchwankeoden Muik
starken Erfolg. An dem guten GeUniea der
von Dr. Göhler einstadleiieo Anff&hrug
hatten der darstelleriach and cesnntUch gleich
treffliche Pedro Hans Tinilers, die von
Frsu Hensel-Scbweitzer-FraokfiBrt ia Ver-
tretung gesungene IddeniduifUiche Martha
und Max Büttners vonfigU^ gfinntr
Sebastiano den Hanptaateil.
Franx Zarelch
KÖLN: Zum dritten Male wihrend dieaer
Spielzeit ging Wagners NlbelmiffeB-Telm-
logie in Szene, und mehr noch als xnvor hat
sich hierbei das Ensemble der Oper aof ganz
bedeutender Höhe künsüefiicher Letetnagiitthig-
keit im allgemeinen and hintichtllcli den bier in
Frage kommenden GesangttUa im beiendem
bewihrt In «Walküre*, »SIegfiried« nnd »G8otr-
dimmerung* ragte die Bronnhüde vea AUee
Guazalewicz durch strahlende ToafrtNni^ die
keine Ermüdung kennt, dnich edle Plastüc des
Spiels nnd dramatlache Eindringlichkeit der ge-
samten vokalen und mimischen Gestsltoag
mächtig hervor. Otto Loh so begeisterte wieder
Singer nnd Pabliknm dnreh seine Wagser-
interpretiernng. Unter Ihn gab ee fetit aach
einmal eine «Meistersinger^-Anfr&hnuig sn vdlfe^
tümlicben Eintrittspreisen mit Hsns Mohwiskel
als bekannt trefflichem Sachs. PanI Hiller
V'ÖNIGSBERGI.Pr.:OttoDorn8 JMeschiBe
'^ Müllerin*, ein harmloses, gefOUces Werk-
chen, das mehr Geschick Im Gessngjmea, sie
in Instrumentation nnd orchestraler Msieiei
zeigt, ging am hiesigen Stsdttheater vor Albsn
Gorters «Das siOe Gifk* in Sxene. An Eia-
flUen nicht sonderlich reich, vennsc Gertns
musikalisches Lustspiel übsr manche tcüliehe
Schwichen vermöge der lyrischen
kraft des feinsinnigen Mnsllwrs,der
zu üppig blühendem Erldlngen swingt, xn
Diese beiden bescheidenen Werkchen (das|snlgr
Gorters hoffentlich nar ein Versprechen Ar Be-
deutenderes) stellen neben Schols* Tonui^lclacr
«Mirandolina* die ganze Könifpbeffer NovMtsa-
ausbeute dieses Jahres dar.
Rndoir Kaatner
MAGDEBURG: Die Opernsaiaon, vor dsrca
Abscblnß wir stehen. Hemmte am Osiw>
Sonnabend noch einmal anl^ in Itaricer Weisse
die einen glinxenden Schimmer fiber Ihr Bade
warf. Die Erben des weilend Direkiefs nnd
Hofrats A. Cabislns hatten xn einer JBeieter-
singer*-Aaffiibrnng mit aaserlesenen Kiltea
eingeladen. Den Stolsing gab Knete, den
Feinhals, als Beckmesser sah man am
nocb unbekannten, aber nnn sehr sAneil ge-
würdigten Gustav Landsner, eis Psg^nr Messt
Für die Partie Evchens wsr FrL Hast, Ar üt
der Amme Frau Schifer-Bender
den Lehrbuben gab Dr. Kahn. Ein
das zusammen mit dem gsnx
Orchester unter J. GöUrlch nnd
sUrkten Chor alle Schönheltnn dee
ans Licht zog. Ein völlig
bereitete der AalfBtarnng stfimün^e
«Tristan und Isolde', ehenJalla in
gezeichneter Gastbesetsnni, eehtoft
30. April das Theater seine Pfeitsn, nm^pe
375
KRITIK: OPER
M
am I.September unter der Direktion Goß mann
ana Hamburg mit einem neu inszenierten
»Lohengrin* zu eröffnen. Erwihnenswert aus
dem Spielplan der letzten Wochen waren mehrere
ausgezeichnete Auffuhrungen vom i^Ot hello*
Verdi^s. Max Hasse
MAILAND: Scala. Claude Debussy's
Musik zu .Pell^as und Melisande*
Ist wie aus der Seele eines schwindsüchtigen,
sterbenden Midchens geboren: einschlifernd,
blutlos, kurzatmig, ohne Krafr, ohne Ent-
schlossenheit, ohne Glut. Sie ist ein ewiges
Aufflackern und Verlöschen einer zarten Sehn-
sucht und verschmilzt weder mit den Vorgingen
noch mit den Personen, sondern schwimmt auf
der Ober fliehe des Dramas wie leichtgefirbte
Wolken. Motive und Melodieen sind da, müssen
aber mit dem Vergrößerungsglas gesucht werden.
So fein, so weich-verschleiert wurde noch nie
ein Buhnenwerk instrumentiert. Das Ganze
klingt wie ein Mirchenschlummerlied und be-
zwingt durch die hartnickige Aushaltung der
Manier; »wer am lingsten Widerstand leistet,
ist der Einflußreichste*, sagt Nietzsche. Arturo
Toscanini dirigierte auswendig, unübertreff-
lich. — Zuletzt hatten wir den berühmten
aMephisto* des Schaliapin mit der trockenen
Musik von Boito. Johann Binenbaum
MAINZ: An Novititen hat uns das letzte
Drittel der diesjihrigen Spielzeit eigentlich
nichts geboten, dafür aber eine Reihe höchst
Interessanter Gastspiele und, mit diesen ver-
bunden, eine ganze Serie trefTlicher Wagner-
aufführungen, die jedenfalls künstlerisch weit
höher zu bewerten sind, als die immerhin sehr
fragwürdige Uraufführung von Davidoff's »Ver-
sunkener Glocke*, mit der Direktor Bohrend
aus gSnzlich unbekannten Gründen das Publikum
ursprünglich zu beglücken gedachte. — Als
Tannhiuser und Siegfried hatte Wilhelm
Grün in g von der Berliner Hofoper starken
nnd berechtigten Erfolg. Namentlich war es der
Jung • Siegfried, der besonders durchschlug.
Ihm sowie unserer vortrefflichen einheimischen
Künstlerin Frau Matern a (Brünnhilde) wurden
die ehrendsten Ovationen dargebracht —
Nicht minder bedeutend gestaltete sich das
Gastspiel Forchhammers aus Frankfurt,
dessen Tristan als eine gesanglich wie dar-
stellerisch gleich hervorragende und vornehme
Leistung zu bezeichnen war. — Auch Eugen
d'Albert war als Gast bei uns erschienen, um
seinem früher gegebenen Versprechen gemiß
eine Aufführung seines »TragaUabas* zu diri-
gieren. — Von sonstigen musikalischen Ereig-
nissen unserer Oper, die wie gewöhnlich am
Schluß der Saison ftist ganz im Zeichen der
Abschiedsvorstellungen und Beneflze stand, ist
nur noch die Neueinstudierung des »Rheingold*
besonders zu erwihnen, an die sich eine zyklische
Aufführung der »Nibelungen* - Tetralogie an-
schloß. Trotz verschiedener, durch Krankheit
hervorgerufener Störungen nahm der Zyklus
einen hoch befHedigenden, teilweise sogar ganz
glinzenden Verlauf; ein Verdienst, das neben
Hofirat Steinbach und seinem trefflichen Or-
chester hauptsichlich den Damen Materna
nnd Hofmann, sowie den Herren Barron-
Bertald, Bflrstinghaus und Bonin zuzu-
sdireibM ist. F. Keiser
liil ANNHEIM: Der Spielplan unserer Oper ist
ivi in den letzten Wochen interessanter ge-
worden. Neueinstudiert erschienen »Die ver-
kaufte Braut*, »Carmen* und »Hans Helling*.
Intendant Hagemann verlieh der »Carmen*
eine prichtige Neuinszenierung nach den Prin-
zipien seiner Idealbühne, die sich in »Hamlet*
und »Tasso* bewihrte und vielleicht in nicht
allzu femer Zeit die Leinwanddekoration völlig
verdringt. Als Carmen stand Muriel Terry,
eine Indierin, die In München leider nicht ein-
wandfrei singen lernte, erstmals auf der Bühne.
Die Stimme ist ein Mezzosopran von bescheidener
Größe, aber sympathisch. Weder die stimmlichen
Vorzüge noch das gesangliche Können errangen
den Erfolg, vielmehr das sprühende Temperament
und ausgesprochene Darstellungstalent. Als
ersten Bübnenversuch muß man diese Carmen-
darstellung hoch einschitzen. Sehr gut waren
Bahling, der sein Engagement jetzt schon an-
getreten hat, als Escamillo und Fenten als
Zuniga, den glinzendsten Erfolg jedoch errang
Fritz Voge 1 Strom als Don Jos6. Leopold Reich-
wein hatte die Aufführung sehr gründlich, aber
in sehr breiten Zeitmaßen vorbereitet; sie erzielt
bei jeder Wiederholung ein ausverkauftes Haus.
K. Eschmann
PARIS: Als Rudolf Berger wurde der ge«
feierte Tanzkomponist vor 44 Jahren im
österreichischen Fiume geboren, aber seit er
eine Pariser Persönlichkeit geworden, heißt er
nur noch Rodolphe Berscheeh. Nach verschie-
denen kleinen Operetten -Versuchen wollte
Berger endlich auch in der großen Bühnen-
welt zur Geltung kommen, und darum schrieb
er eine als komische Oper angekündigte Aus-
stattungsoperette in vier Akten »Le Chevalier
d'£on*. Ein bisher unbekannter Direktor
namens Brouette (Schubkarren) mietete eigens
für diese musikalische Tat die große Bühne der
Porte Saint-Martin, verpflichtete hervor-
ragende Schauspieler für unbedeutende komische
Rollen und bewihrte Singerinnen der Komischen
Oper für die Hauptpartieen und gab Unsummen
für Dekorationen, Kostüme und Ballete und für
eine ruhmredige Vorausreklame aus. Das Er-
gebnis hat diesen Anstrengungen durchaus nicht
entsprochen. Das mit Unrecht gewihlte Text-
buch stammt aus dem Nachlasse des 1901 ver-
storbenen, berüchtigten Vielschreibers Armand
Silvestre; Henri Cain hat es nur notdürftig
zugestutzt. Aus der bekannten Geschichte des
Chevalier d'£on, der sich unter Ludwig XV.
dreißig Jahre lang als Frau ausgab, um den
Folgen einer Veruntreuung bei der französischen
Botschaft in London zu entgehen, ist ein recht
gewöhnliches Abenteuer geworden, denn die
Verkleidung dient hier dem Helden nur noch
dazu, bei der Dubarry, der allmichtigen Ge-
liebten des Königs, einzudringen. Was die
Komposition betrifft, so hat Berger noch einmal
bewiesen, daß der langsame Schmachtwalzer,
die Polka und die Mazurka kein Geheimnis für
ihn haben, daß er aber sehr gewöhnlich und
ziemlich langweilig wird, wenn er sentimentale
oder komische Couplets oder große Ensembles
vertont. »Le Chevalier d'£on* hat nur so lange
das Publikum angezogen, als der Glanz der
Ausstattung neu nnd fesselnd blieb, aber das
genügte nicht, um den kühnen Herrn Brouette
376
DIE MUSIK VII. 18.
auf die Kosten kommen zu lassen. Er hatte
alle Verpflichtungen für hundert Vorstellungen
abgeschlossen, aber schon nach siebzehn sah
er sich genötigt, die Bude zuzumachen. — In
der Vollcsoper der »Galt^* hat nun auch das
Personal der Großen Oper nach dem der Ko-
mischen sein Teil beigesteuert, und zwar für die
«Lucia* Donizetti's, in der sich Alice Verl et
als fertige Koloratursingerin auszeichnete.
Felix Vogt
ST. PETERSBURG: Während der großen
Fasten konzentrierte sich das musikalische
Element größtenteils in der Kaiserlichen
Oper, wo wieder Wagners »Nibelungenring*
unter allgemeiner Hingebung der Hauptdarsteller
zur Aufführung kam. — Auch in der italie-
nischen Oper herrschte große Tätigkeit. Mit
einem Repertoire wie: »Rigoletto", »Romeo und
Julian »Carmen'', »Faust*, »Tosca*, »Bajazzo*,
»Mignon*, »Eugen Onegin*, »Werther*, «Tra-
▼lata*, und einigen weniger abgespielten Opern
wie: »Die Favoritin*, »Ernani*, »Don Pasquale",
«Linda di Chamonix", »Maria di Rohan*. Die
Hauptrollen waren vertreten durch Gesangs-
steme wie Battistini, Anselmi, Brombaro,
Navarini, Nani, Sigrid Arnoldson, Emilia
Corsi, Olympia Boronat, Rosina Storchio.
So konnte es nicht wundernehmen, daß das
Theater allabendlich ausverkauft war.
Bernhard Wendel
STUTTGART: Von selten gehörten Werken
erschienen in der Berichtszeit »Rigoletto*,
das bewundernswerte Meisterstück Verdi's, in
guter Aufführung unter Band, mit Neu-
dörfferals Rigoletto, AugusteBopp- Glaser als
Gilda. Ebenso dankenswert waren Nicolais
»Lustige Weiber* (Pitteroff). Der Palmsonntag
brachte, wie alljährlich, »Die Legende der Hei-
ligen Elisabeth*, unter Leitung Dr. Obrists,
mit Elisa W i b o r g als Elisabeth. Etwas Seltsames
ist die neuerdings hartnäckig durchgeführte,
gegen die Stimmen der Presse festgehaltene
Erhellung des Hauses während der Ouvertüre.
Der neue Oberregisseur Gerhäuser, der im
Herbst Löwenfeld ersetzt, wird viel zu tun und
zu ändern haben, ebenso Schillings selber als
musikalischer Beirat. Die Klagen über Dürftig-
keit des Spielplans sind zwar hinfällig, sofern
sie bloßen Wechsel verlangen, ohne an den
Wert der Aufführungen zu denken. Gerade
das ist zu bedauern, daß in letzter Zeit so viel
Schönes in Angriff genommen, aber nicht durch-
gesetzt worden ist: »Iphigenie in Tauris*, »Hans
Helling*, »Der Widerspenstigen Zähmung*, »Der
Barbier von Bagdad*, »Ingwelde*, »Heirat wider
Willen*, »Cosi fan tutte*,das blitzte alles nur, aber
erleuchtete nicht. — Die (einzige dieswinterliche)
vMei8tersinger*-Aufführung hat nicht, wie der
Zettel besagte, und wie ich aus unterbliebener
Mitteilung schließen mußte, Hofkapellmeister
Band, sondern Dr. Ohr ist dirigiert. Außerdem
leitete er eine schöne Aufführung von »Tristan
und Isolde* (mit Urlus aus Leipzig und Frau
Senger-Bettaque in den Titelrollen). Kürz-
lich hatten wir auch unter Obrist eine stilvolle
Aufführung der selten gehörten »Iphigenie in
Aulis* von Gluck. Hermann W e i I als Agamemnon
trat vor allen hervor; prächtig waren auch die
Leistungen von Kath. Senger-Bettaqne, Elisa
Wiborg, Emil Holm. Diese reine, keusche
W
Musik bat etwas nngeneln Bemhifeiides; Ihr
lebendiger Ausdruck tat sich vollende anl^ wen
man versucht, Mozart, Beethoren, Wagner weg»
zudenken und sich nur etwa der Opern vnd
Motetten Rameau's erinnert. Unmittelbar bevor
steht die zweite »Ring*-Auff&hmng dieses
Winters; über die erste ist Im Dezember be-
richtet worden. Dr. Karl Grnnaky
lEN: Die tapfere Leitung der Volkaoper
hat den beiden gar nicht auf »GeseUUt-
liches* abzielenden und sehen deshalb sehr
künstlerischen Taten der Auff&tamngen des
»Stemengebot* und der »Arlane et Barbe-bleae*
eine dritte folgen lassen: die Einffihnmc eines
jungen Österreichers, dem die Bflhne liisher
verschlossen war. »Frau Hol da* von Maz
Eggers ist, gleich seinem Erstling »Triglav*,
nach einem Baumbachschen StolT vom Ton-
dichter selbst bearbeitet worden. Die Wahl
stimmt bedenklich; es Ist nicht unwesentlich, von
welchem Dichter und welchem Work ein Jnnges
Talent sich anregen läßt, und Napoleons Wort,
daß es gleichgültig sei, wofür die Jofond sidi
begeistere, wenn sie sich nur begeistere, trift
hier noch weniger zu als anderwirta. Weil an-
bedingt eine VerwandtachafI iwiechen der Psyche
des Musikers und der Dichtung iMetehen nnfi.
die seine Töne tragen aoll. Kein Zweifiel, dafl
diese Verwanduchafk bei »Fran Holda" tu e^
kennen Ist; das weichliche, amaranthene, ns-
plastische und wenig minnliche der Banm-
bachschen Salonepik iat auch In Egfora* Mnsik
zu spüren, die nicht die Kraft hat, Ciuraktere
zu profilieren und Seelisches sn entadieidendem
tönenden Ausdruck zu bringen. yVefflfimein-
nicht in Milch gekocht*; alles nnperstallch,
lauter Gefühlchen und Schmerschea ta GoU-
schnitt, keine Menschen, nur Schemen lichier
Engel und bösartiger Teufel und deshalb mtk
in der Musik ohne rechten Akiente, mit eiser
künstlichen Wärme, die zn einer TeUnahae
zwingen möchte, die der Gehalt des Weiks doch
nicht zu erwecken vermag. Trots sUcHlem die
Schöpfung eines Talenu. Eines Talents IMlich,
das der Festigung bedarf, das noch sn weh-
leidig ist und zu leicht von flremden BindfAckes
gefangen genommen wird — Richsrd Wsgeer
herrscht allmächtig über dieae Töne — ^ aber
doch eines, dessen Zeichen in manch schtaer
Kantilene, in gewissen schwermütig veikstEn-
liehen Wendungen und nicht snm ralndestte
in seinem Sinn für Wohllaut und dem redlichaa
Ernst der ganzen Arl)elt dentlich werden. Die
Aufführung, In ihrem orchestrslen Teil dneh
Kapellmeister Großkopfs Schuld fiberlant fft-
halten und die Deutlichkeit des Worts dnrä-
aus erstickend, war azeniach und
auf bester Stufe; die angenehme
und die hübsche Stimme der Fwmm Heritsa
kommen der braven Hilde, Herrn Reinbsrdts
vornehmer Gessng dem braven Koond, die
gute Haltung und die schönen Bisse der Hi
Ludikar und Zog dem braven
und dem braven Vater xngitte, osd der
Junker und der böae Gerichtsvefl flndsn is
den Herren Melms i»d Lerdmsnn flbs^
zeugende Interpreten. Der Erfsig:
freundlich nnd offenbar von der
Stimmung beeinflnilLeino ne«e
grüßen zu dürfen« Wss slidn
377
KRITIK: KONZERT
fäbninc der .Frau Holda* zu einem mutfgea i
Akt des Direktors Simons mscbt. Sie wire
noch erfreulicher, wenn sie sli Symbol suf-
lohssen wire: als das dea Einiugs der öiier-
relchisctaen Tondlchteriugend in die VoJksoper.
Richard Specht
wriESBADEN: .Lohengrin' unieriog dte
** Intendanz einer retnainnigen Neuinszenle-
rnng. Eine Reibe acbönbeltavollster Bütanen-
bilderl Der erste Akt halte ganz die grandiosen
Züge, die aeinem dramatiach-sfmpbon lieben AuT-
bauentaprecben. Im zweiten Akt war der Zwinger
der Burg mit Söller, Lauben, Treppen und Portalen
genau nach Vagnerschen Vorschrirteo aurgebaut,
und die bocb zeitlichen Aufzüge entwickclien sich
in Toller Pracht und Breite. Das Brauigemach i
im dritten Akt mit reichen byzantinischen uod
romanischen Motiven und kostbarem Gerit wirkte
sehr stimmungsvoll; der zweite Teil — Aufzug I
des Heerbanns — war voll Leben und Bewegung.
Vortrefflich Chor und Orcbester; unter den
Solisten rsgle der Lohengrin des stilistisch fein
geitsltenden K al i sc h (oder des jugendlich
feurigen Hensei) bedeutsamer hervor. — Mit
der Novität «Madame Butterfly' dürfte nur
eine vorübergebende Sensation erzleli sein. Der
erste Akt feaselte intensiver. Die feine Harmonie
zwischen Puccini's musikalischer Stlmmungs-
knnst und den szenisch-dekorativen Stimmungs-
künsten unserer HoFhübne erregte zwar auch
weiterhin manche Bewunderung, und Frau Hans -
ZSprrel (ButterHy) darf geradezu als das Urbild
der sGßen kleinen Opern Japanerin gelten, aber
Qber die Langstiligkelt gewiaser Teile des Verkea
vermochte das alles nur schwer hinwegzuhelfen.
Otto Dorn
7ORICH: Die Spielzeit gehl in diesen Tsgen
'^ mit einem vollstindlgen Tagnerzyklus in
geschichtlicher Reihenfolge — vom «Rienzi'
bis zur .GStterdlmmerung* — zu Ende. Venn
es iifendeine Theaterstadt von mittlerer GrS&e
gibt, in der Tagner ao gut wie Alleinherrscher
bleibt, so ist es Zürich. Es gibt noch immer
nichts, dss eine derartige Anziehungskraft aul
du Theaierpublikum unserer Stadt ausübt wie
die Tagnerschen Mualkdramen. Mit dieser Tst-
aache mu& die Tbeaterleitung recbneo, und die
Mitglieder der Oper müssen nach ihrer Leistungs-
nhifkelt In dieser Richtung gesucht werden. —
Trotz der Pflege des Tagnerschen Dramas ist
die Fibigkeit zur Tiedergabe italienischer Opern
nicht zerhilen. Ich verzeichne eine tüchtige
sRigoIctto'- Aufführung mit dem Karlsruher
Bsriiosisten Jan van Gorkom, der hier drei
Gastspiele gab und sich mit aeinem großem
gesangllcheD KSnnen viel verdiente Anerkennung
holte. Ala gleichwertig nebendemGaatbeatanddie
ausgeaeichnete Koloraturslngerln K i m la (Gilda).
— Margarete Sylva sang Jüngst hier die Carmen
and das Gounod-Gretchen. — Als atllistlacb
glücklicher Versuch verdient eine Aufführung
der «Stummen von Porticl*, hei der msn die
Stumme von der talentrollen Schauspielerin
Johanna Terwin agieren ließ, hervorgehoben
zn werden. Teniger Interesse erregte eine Neu-
elBStndlemng der «Beiden Schützen*, und nichl
soaderllcb erbsnt war maa van Gesang und
Spiel von Gisela Flacher <vam Mfincheser
^raerplntitbeatef) In elnltea Operetten. Oskar
zweierlei Meinung über den Tert des Terkcbens
auf dem Spielplan zu behaupten. HOchit an-
genehm berühren — man muß ea am Schluß
der Siagiooe mit Hochgefühl feststellen —
das zunehmende Theaterin leresse und der
wachsende Besuch. Die nnermüdllche Theater-
lellung (Direktor Alfred Reucker) hat das mit
großer Zlhigkeit und rühmenswerter Unem-
pnndlicbkeit gegen langjihrlge Laubelt endlich
fertiggebracht. Neuerdings siebt man einen
allgemeinen Autschwung des Theaters voraua,
von dem sich bei glücklicher Engagemenlahand
auch fQr die Oper manches Erfreuliche hoffen
IBßt. Dr. Hermann Kesser
KONZERT
r\RESDEN: Das Palmsonn tagakonzert brachte
'-' im Kgl. HoFopernbauie, wie seit vielen
Jshren, Beethovens Neunte Symphonie und
Bruchstücke aus Tagnera «Paraifsl* unter Adolf
Hagena Leitung. So sehr man damit einver-
standen sein kann, alljlhriich einmal an dieser
Stltie die «Neunte' zu hören, wobei es übrigens
interessant wire, sie auch einmal in Schuchs
oder eines berühmten Gastdirigenten Aufhissung
kennen zu lernen, so notwendig erscheint es
für die Zukunft, den ersten Teil des Abends
von den alereoiypen «Parsifal' Szenen in be-
freien, die meiner Empfindung nach in einer
aalchen Konzertwiedergabe gerade das Gegenteil
der von Tagner gewotlien Tirkung tun. Zur
«Neunten* gehört als Partnerin eine der groß-
artigen Kantaten Bachs oder eine Reihe von
Beethovenichen Komposllionen, die sich bis
zu aeinem letzten, gewaltigsten symphonischen
Terke steigern müssen. ~ Am Ksrbeitag hatten
wir in der Kreozkirche unter Otto Richters
überaus verstlndnisvoller und stllaicherer Leitung
eine Aufführung der Matthlua-Paasion, wobei
der Dirigent den Singer des Evangelisten (Herrn
GroBch, der die schwierige Partie übrigens
mit MeiaterachaF[ ausführte und als einer
ibrer allerbesten Vertreter gelten kenn) ein
Stockwerk über Chor und Orchester placiert
hatte, wodurch aein erzihlender Gesang gleich-
sam ans der Ferne her klang und eine weit
eindringlichere Tirkung erzielte als sonst.
Die Damen Doris Tslde (Soprsn), Bender-
Scbifer (Alt) und die Herren Plaachke
(Chriaiua) und Mann (kleine Tenorpartie) boten
Vorzügliches; der Baasisl Herr Schwerts be-
elniricbtlgte die Tirkung seiner krattrollen
Stimme durch eine nnfreie Toablldnng. — Das
letzte Sym p hon iekonzert im KgUOpemhanse
(Serie B) vermittelte uns die Bekanntaehaft des
Pianisten August Pierret, der leider weder
durch Technik, noch durch Anschlag, Tonbildong
oder Vortragaknnat ernsthaften AnaprOehen zu ge-
nügen vermochte. In einer Stadt, in der Vilhelm
Backhaus sn vier Abenden die begeistertste
I TGrdIgnng seiner großen, echten und fenrlgen
I Kunst hnd und das Pnbliknm In einen wahren
Rausch versetzte, war eine MittelmlBigkelt wie
. Herr Pierret Hehl an Ort. — Ober eine Auf-
I fühnng V0B Baehs Heber Messe In h-moll
kann ich sn meinem Bedenem nicht beliebten,
I de Herr RSmblld ea In dieser gauea Selten
378
DIE MUSIK VII. 18.
anscheinend absichtlich unterlassen hat, mir zu
seinen Kirchenaufführungen Karten zu senden.
F. A. Geißler
FRANKFURT a. M.: FGr die diesmalige Revue
kommen nur noch die beiden großen Auf-
fQhrungen in Frage, die an den Freitagen vor
und nach Ostern stattfanden. Jene brachte
die um diese Zeit schon oft wiedergeicehrte
Matthluspassion von Bach, die derCIcilien-
verein, noch einmal von Prof. August Grfiters
gefuhrt, solid wenn auch nicht allenthalben mit
dem erwünschten Schwung und Temperament
hören ließ. Als Solisten bewährten sich nament-
lich Richard Fischer (Evangelist), Louis de la
Cruz-Fröhlich und die Altistin Agnes Leyd-
hecker. Dem bald vom Amte scheidenden
Dirigenten ward besonders lebhaft Beifall gezollt.
Das andere Konzert leitete Mengelberg; auf
dem letzten Freitagsprogramm des Museums
stand Beethovens erste und — letzte Symphonie.
Es hätte dieses enormen Kontrastes nicht be-
durft, um die majestätische Höhe fühlen zu
lassen, zu der sich der Genius Beethovens auf-
schwang. Die „Neunte* ragt auch ohne jedweden
Vergleich riesenhaft gen Himmel. Die Wieder-
gabe war prachtvoll, scharf modelliert; ein
großer, leidenschaftlicher Zug band die vier
Sätze aneinander. Das Soloquartett (die Damen
Noordewier-Reddingius und de Haan-
Manifarges, die Herren F. Senius und de
la Cruz-Fröhlich) stimmte vortrefTlich zu-
sammen; die Chorsoprane hielten den bekannten
großen Schwierigkeiten tapfer stand ; das Orchester
zeigte sich begeistert. Dementsprechend klang
auch der Beifall. Das letzte Sonntagskonzert
des Museums bot Gelegenheit, die „Neunte* so
noch einmal aus dem Grunde zu genießen.
Hans Pfeilschmidt
UAAG: Im sechsten Diligentia- Konzert be-
^^ reitete uns die junge Geigerin Stefl Geyer
eine Enttäuschung mit ihrer Wiedergabe des
Mendelssohnschen Konzerts. Zwar übten ihre
saubere Technik, ihre warme, klare Tongebung
und ihr ernsthafter Vortrag eine entzuckende
Wirkung aus, aber die vielen Freiheiten in
Phrasierung und Tempo entsprachen nicht dem
Charakter des Werkes. — Das folgende Konzert
brachte ein Doppelkonzert für zwei Violoncello
von Emanuel Moor, vom Ehepaar Pablo Casals
und Guilhermina Casals-Suggia vorzuglich
interpretiert. Möor's Werk enthält viele inter-
essante Einzelheiten, ist farbig instrumentiert,
aber einen tieferen Gedankenreichtum vermochten
wir nicht zu entdecken. Beide Künstler ernteten
vielen Beifall, und Pablo Casals spielte noch
Carl Smulder's „Rosch Haschana* mit meister-
haftem Vortrag. — Einen unvergeßlichen Ein-
druck bot das achte Konzert mit Meister Raoul
Pugno als Solisten. Kapellmeister Schn6e-
Voigt stand an der Spitze unseres Orchesters
und führte es freudig zum Siege. Selten haben
Tschaikowsky's „Path^tique* und „Les Pr61udes*
von Liszt uns so ergriffen. Es waren wunder-
volle Leistungen; zum Schluß erhob sich ein
wahrer Beifallssturm. Auch Raoul Pugno er-
zielte mit dem Konzert No. 2 von Rachmani-
noff begeisterten Erfolg. — Der 15jährige Geiger
Franz von Vecsey bleibt immer eine wunder-
bare Erscheinung. Mehr als seine ^voll-
kommene technische Ausbildung — wenn auch
an und für sich erstinnllcli — ercreifen uns seine
reife Auffassung nnd seine Tertiefte seittlg0IBte^
pretation. Das ist nichts AaMlerntaa* altot lebt
und sprüht von innigem Gerahl. Seine Wiede^
gäbe von Beethovens Violinkonzert war einlich
meisterhaft — Im letzten Koniert gib nns der
Tenor Otto Marak einen stimmlich sehr
schönen Vortrag der Bildnisarie ans der aZaobep
flöte* und Lieder von Giordano aad LcoaeaTalle.
Emil Sauer bereitete nns einen Hocbfeanfl mit
einer glänzenden Wiedergabe von Scbamanns
Klavierkonzert a-moU nnd Stücken von Mendels-
sohn-Bartholdy, Grieg nnd Liszt. Das Residenz»
Orchester brachte außer Werken von Beet-
hoven, Mendelssohn, Schumann, Wagner, Stranfi
u. a. Goldmarks «Ländliche Hochzeit* ud
Kompositionen von dem hollindischen Toneener
Emil von Brucken-Fock: iwei Fragmente ans
dem Musikdrama aSeleneia" and »Tntwmg
und Leichenfahrt* ans «Eialnens Tod*. Am
besten zeigte sich der Komponist in der »Maaen-
schijn*-Melodie (Mondscbeinmelodie) ans «Sde-
neia*; hier gibt er etwas Persönlicbet: ori^aellc
Musik, melodisch und harmonisch von ssabe-
rischer Stimmung, fein und dnichaididf iasm-
montiert. Die zwei anderen Fragmenta Migsn
viele Fertigkeit znm Schreiben und Instramea-
tieren, aber man merkt eine starke Boeinflnssaag
durch Wagners Harmonik und Thematik. Die
Ausführung nnter Leitung des Komponlstsa
war vorzfiglich. — Das sielienta Konsart des
Amsterdamer Concertgebonw-Orcheaters
war dem Andenken Richard Wagnere gowidmet
Herr B r 0 n s g e e s t ans Hamburg sang mit schdaer
Stimme und ausgezeichnetem Vortrag WeAhmms
Ansprache und Wotans Abschied. Das Of^ssier
feierte das Andenken des Bayranthor Moistan
mit einer prachtvollen Wiedergsbo der vEiates*,
Siegfrieds Tranenng nnd der nachkomponiaftsa
Musik f&r das Ballet des Pariser »TaaahlBSSi*.
— Das folgende Konzert bet ans etwaa Sahaaes:
ein Concerto grosso von ConUl mit Engtae
Ysaye am Dirigenten palt Der grofta Geigsr
leistete selbstveratändlich im CoreililEoaBart^sovie
im Bachkonzert f&r swei Violinen nnd Stnieh-
orchester — mit dem Konzertmeistor Tommasr
— viel Vorzfigliches, am meisten aber varmoehte
er zu entzficken mit der heiTiichaa Interpffs-
ution von Saint-Saöns' drittem VloIinkoaaarLvsil
er zu modern beanlagt ist, um Bach smrsll
wiederzugeben. ~ An Stelle der Slagoria Maiy
Mönchhoff hörten wir im nennten Koassrt
Susanne Dessoir, denn stimmlich schdaer
und geistvoller Vortrag von Schnhartschea
Liedern die HörarachaR Bbarans anttÄckls.
Berlioz' i»Fantastique* nnd Elgar'e Ordiaslsr-
variationen machten tiefen Eindrnck. — Von
den Solistenkonzerten sind sn erahnen die
zwei Konzerte von ICathleen Pariow. Diese
phänomenale, geradezu ritselhafta Erschslaasg
hat auch hier das Pnbliknm mit ihrer wvsder-
vollen technischen Ausbildaag nnd ilirom fluii-
nierenden Vortrag zur iofientan BogsJslaiaag
hingerissen. Erataunlich ist der kraftvaüa Tea,
den das junge Mädchen so aatwickain
-- Carl Flesch nnd Jolins Rdntjaa
viel Erfolg mit ihrem herrlichen
— Die Liederabeade von Dr« LndwigWAIInaT
und Coenraad V. Boa liaben naA immer sla
zahlreiches, begeistertes Phhiiinim. — Adia
379
KRITIK: KONZERT
M
von Aranyi, die Großnichte Joachims, erwies
sich als ein tüchtiges, musikalisch und technisch
ansgebildetes Violintalent; sie wurde von dem
jungen Pianisten Georges Endul 6 begleitet, der
sich seiner Aufgabe gewachsen zeigte, als Solist
aber noch viel zu lernen hat. — Ein interessantes
Konzert gabenHerrund Frau Hermanns-Stibbe,
in dem das Ehepaar mit schönem Vortrag Werke
für zwei Klaviere vorführte. — Ein Talent von
ungewöhnlicher Begabung zeigte uns der junge
Pianist J. C. Heyning; seine Technik ist nicht
einwandfrei, aber die Auffassung von Beet-
hovenschen und Chopinschen Werken interessiert
ungemein, wiewohl er die Phrasierung oft über-
treibt. — Feine, geschmackvolle Kunst brachten
uns Herr und Frau Rud. Loman- von
Elischer mit ihren Lieder- und Klavier-
vortrigen. — Drei junge Damen: die Klavier-
spielerin Marie Hartog, die Sängerin Marie
Haagmans und die Violinistin Eugenie Bueß,
legten Zeugnis ab von frischem, vielverheißen-
dem Talent. — Unsere Liedersingerin Johanna
van Linden van der Heuvell wagte es, beim
Liedervortrsg sich selbst am Klavier zu begleiten.
Sie ist eine vorzQgliche Singerin, eine gute
Pianistin, aber weder im Gesänge noch in der
Begleitung vermochte sie sich ganz zu geben,
und so kam nicht viel Ausgezeichnetes heraus. —
Die hiesige Gesangsabteilung von „Toonkunst*
brachte in ihrer zweiten Auffährung unter vor-
zOglicher Leitung des Direktors Anton Verhey
eine eindrucksvolle Wiedergabe von drei Teilen
aus der »Missa solemnis" (Kyrie, Sanctus und
Agnus Dei) und eine hinreißende Interpretation
der Neunten Symphonie. Der Chor erfüllte seine
schwere Aufgabe überaus glänzend; die Solisten
FraoNoordewier-Reddingius, FraudeHaan-
Manifarges und die Herren Tagosen und
van Oort bildeten ein einheitliches, stimmlich
prachtvolles Quartett, und auch das Residenz-
orchester bot wundervolle Leistungen. — Im
letzten Konzert des Wagner- Vereins hörten
wir den zweiten Akt des »Lohengrin* und den
dritten Aufzug der „Götterdimmerung''. Henri
Viotta hat sich als ausgezeichneter Wagner-
interpret wiederum bewährt; Chor und Orchester
boten viel Schönes, und zumal Margarete Kahler
aus Elberfeld als Ortrud und Brünnhilde, Ejaar
Forchhammer als Lohengrin und Siegfried
und Emil Holm als König und Hagen traten
besonders hervor. Jan van Gorkom sang die
Partieen des Telramund und Günther, Bram
van der Plöß die Partie des Heerrufers. — Man
hat in der letzten Zeit viel geklagt über die
geringe Sympathie, die man der Kunst von Bach
entgegenbringt. Daher hat der neulich begründete
Rotterdamer Bachverein bei Bachfreunden
viel Interesse erweckt. Der Chor des Vereins ver-
anstaltet unter Leitung des Organisten B e r p 1 o o n
Aufführungen von Bachseben Chorälen. Der
begabte Dirigent hat in kurzer Zeit ein
Vokalensemble von vorzüglicher Qualität ge-
schaffen: die Damen und Herren singen mit
tadelloser, reiner Intonation, deutlicher Aus-
sprache und feiner Durchführung der dyna-
mischen und agogischen Nuancierung. Das
Bachkonzert in der Klosterkirche war ein Hoch-
genuiL Herman Rutters
UANNOVER: Im letzten Abonnemenukonzert
*^ der Königlichen Kapelle nahm Kapell-
meister Doebber, der acht Jahre an unserer
Oper tätig war, gleichsam Abschied. Beethovens
Septett mit orchestraler Besetzung der vier
Streichinstrumente und die »Neunte* erstanden
unter Doebbers diesmal besonders intuitiver
und liebevoller Leitung zu wahrhaft blühendem
Leben. — Das zweite Abonnementskonzert der
Berliner Philharmoniker fand am 4. April
unter Leitung von Fritz Steinbach statt. Beet-
hovens »Coriolan^-Ouvertüre, Strauß' »Don Juan*,
Dvoraks lediglich äußerlich wirkende Ouvertüre
»In der Natur" und zumal Brahma' c-moll Sym-
phonie gaben dem Dirigenten wie dem Orchester
Gelegenheit, höchstes musikalisches Empfinden
mit vollendeter technischer Potenz zu vereinen.
— Die in dieser Saison hier veranstalteten
Abende: »Moderne Kunst" (unter der künst-
lerischen Direktion E. Buchners) fanden mit
einem Max Reger- Abend ihren glänzenden
Abschluß. Außer dem Komponisten wirkten mit
die Pianistin Schelle aus Köln und Kammer-
musiker Steinmeyer (Violine). — In dem
letzten Konzert unseres Männergesang-
vereins (Frischen) ersang sich die vorzügliche
Sängerin Maria Seret einen glänzenden Erfolg.
L. Wuthmann
KÖLN: InderMusi kaiischen Gesellschaft
lernte man in Fritz Hirt aus Luzem, der das
Brahmssche Violinkonzert, die H. Huberschen
Phantasiestücke und als Zugabe einen Sonaten-
satz von Bach spielte, einen gutgebildeten Geiger
von soliden, wenn auch nicht sonderlich inter-
essierenden allgemein musikalischen Gaben und
etwas beengter Gestaltungsart hinsichtlich der
Auffassung kennen, dessen gewinnendste Eigen-
schaft jedenfalls eine schöne, sichere Technik
ist. Mit der Mozartarie »Et incarnatus est* und
Schubertliedem stellte sich Doris Walde aus
Dresden vor. Das beste an der Sache war
Waldemar von Baußnerns poesievolle Be-
gleitung am Ibachfiügel, denn der Dame Können
ist noch fem von Konzertreife. Die an gleicher
Stelle gehörte Sängerin Lilly Hafgren aus Stock-
holm, deren ansprechende Stimme nicht bei-
klangfrei ist, aber mit vieler Gewandtheit in den
Dienst der jeweiligen Aufgabe gestellt wird, stand
dem gedanklichen Gehalt der Arie derGoetzschen
Katharina noch ziemlich fremd gegenüber, leistete
aber Besseres, da sie mit Liedern von Hafgren
und Ekenberg sowie einem schwedischen Tanz-
lied in heimisches Fahrwasser kam. Der Ber-
liner Geiger Arthur Hartmann bewährte zu-
mal mit Tschaikowsky's Violinkonzert, Werk as,
seine glänzenden virtuosen Eigenschaften voll-
auf, ließ aber in bezug auf seelisches Eleniem
manches zu wünschen übrig. An der Spitze des
Orchesters stand diesmal belebend und hebend
Fritz Steinbach. — Nur nach dem Berichte
meines Gewährsmannes kann ich einen Kammer-
musik-Abend erwähnen, den Waldemar von
Baußnern mit Schülern des Konservatoriums
veranstaltete, und bei dem Baußnerns prächtige
Serenade für Klavier, Violine und Klarinette,
sowie sein Quintett für Klavier, Violine, Klari-
nette, Hörn und Violoncell mit dem Komponisten
als Klavierspieler schöne Eindrücke erzielten.
Mit besonderem Interesse und klanglichem Be-
hagen nahm das Auditorium Banfinems so-
genannte »Kammergesänge* auf, In denen alt-
italienische und -französiche Melodleen für eine
M
380
DIE MUSIK VII. 1&
Singstimme mit Streicbquirtett, Flöte und Kliri-
nette eine höchst stimmungsvolle Bearbeitung er-
fahren haben. — Die Saison der großsn Konzerte
ist zum Abschlüsse gediehen, und es bleiben
an dieser Stelle noch die beiden Gürzenich-
Abende der Osterwoche zu erwähnen. Am
Palmsonntag brachte Fritz Steinbacb im
elften Konzert Bachs h-moll Messe zu höchst
eindrucksvoller Auffuhrung. Seine Art, Bach
zu interpretieren, hat etwas ungemein fesselndes
und wQrde, wo etwa, wie das ja vorkommt,
im Publikum die Wärme des Empfindens für
des Großmeisters Johann Sebastian Werke fehlen
sollte, ihm immer neue Freunde anzuwerben
so recht geeignet sein. Das Orchester hielt
sich vorzuglich, und die Chöre taten, wenn sie
schon nicht fiberall des Dirigenten Intentionen
einwandfrei erfüllten, da ihr bestes, wo abseits
der ganz feinen Schattierungen Kraft und Aus-
drucksfähigkeit des Stimmenmaterials in erster
Linie in Betracht kamen. Als Vertreter der
Tenor- und Baßpartieen wirkten Max Pauli, der
vom kommenden Herbst an erster lyrischer
Tenorist unserer Oper sein wird, und Paul
Knupfer, dem nur im bewegten Gesänge da
und dort die letzte konzertakademische Kunst
Abging, im ganzen ausgezeichnet, während Anna
Kämpfert aus Frankfurt als Sopranistin sehr
verdienstliches bot und die für eine andere
Sängerin eingetretene Louise Geller-Wolter
zwar den ungern vermißten Einschlag an Poesie
in der Altpartie schuldig blieb, aber volle
Oratorien mäßige Stilsicherheit bewährte. — Das
zwölfte Gurzenich-Konzert am Karfreitag
brachte, wie fast alljährlich, Bachs Matthäus-
Passion, und auch hierin schuf Steinbachs
vielseitige Dirigentenberedsamkeit und aller
Schwierigkeiten spottende, bei der Massenleitung
allseitig belebende Initiative, gestfitzt auf ruhm-
liche Orchester- und Chorleistungen, viel
Schönes. Durch Absagen von zwei hervor-
ragenden Solisten waren eine Rollenverschiebung
und eine Neubesetzung notwendig geworden.
So kam es, daß der ursprunglich für die kleinen
Baßpartieen engagierte Hans Vaterhaus den
Christus übernahm und in sehr schätzenswerter
Weise durchführte, Louis Bauer von der hie-
sigen Oper seinen schönen Baß erfolgreich in
den Dienst von Petrus, Judas, Pilatus usw.
stellte, und als Inhaberin der Sopransoli Hilde-
gard Börner aus Leipzig Wohllaut und ziel-
sichere Vortragskunst entfaltete. Nicht in allen
Eigenarten der Auffassung, aber nach jeder
sonstigen Richtung befriedigte als Evangelist
George A. Walter durchaus, während der fiber-
aus glänzende Stil, in dem Frau Preuse-
Matzenauer vom MQnchener Hoftheater mit
ihrer herrlichen Stimme die Altpartie sang, uns
von der Mitwirkung der Künstlerin bei den
diessommerlichen Opernfestspielen Glänzendes
zu versprechen schien. Paul Hill er
T EIPZIG: Mit der Einstudierung und sehr
^ tfichtigen Vorführung von anderthalb Dutzend
den Verlagsgeschäften von C. F. W. Siegel und
D. Rahter entnommenen Novitäten der Männer-
chor-Quartettliteratur haben der Leipziger
Minnerchor, dessen trefflicher Chormeister
Gustav Wohlgemutb und das dem Vereine
verscbwesterte Mendelssohn-Quartett (die
Herren Hennicker, P. Friese, R. Friese
und Schiebold) im FrübJmhnkoBMrte des
Leipziger Männerctaors den zahlreicben Zahörem
ernstliche Hochachtung und Yielen BeiCall ab-
gewinnen und für Tiele Ton den vorfeAhrten
Kompositionen — so speziell für A.v.Othegravtns
.Schwertertanz*, .Totenklage* and »Scblacht-
gesang" aus einem Drama aWidnUnd", ffir
P. Faßbaenders «Hymnus an die Sonne*, R. Frickes
.Die Vätergruft*, A. Kayls »Lied von einem
Landsknecht*, H. Kauns «Wir windeln dle^,
Th. Hagedorns .Es singen die Vöglein Im Waldt*,
F. Meyer-Helmunds «Serenade*, K. Zusctaneids
.Landsknechilied* und W« Rabls «Nene Liebe* —
lebhafteres Interesse wachrufen können. — Aneh
in der stillen Woche gab es noch mancherlei sa
hören. Da kam zunächst in Stärke von 22 Dtmea
und 12 Herren der von Frederik Rung bestens
geschulte und geleitete Madrigalebor des
Kopenhagener Cäcilia-Verelna und en«
thusiasmierte nach respektabler Wlederfidie
einiger geistlicher Gesänge von Cnrissimi, Mes-
trina und Edvard Grieg (Drei Paelmen nach
älteren norwegischen Kirchenmelodleen für
a cappella-Cbor und Baritonsolo, op. 74) die
Zuhörenden mit dam feinabgetönten Vortrage
neuerer weltlicher Chöre von Gade, Bratams,
Julius Wachsmann und den akandlnnvisctaen Ton-
setzern Georg Reiß, Frederik Rnng nnd P. E. Ltfige-
Mfiller und mit der gans vorzfigllchen AnsRhrug
altenglischer und altitalienischer Madrlpde von
John Dowland^ Thomas Bateaon, Leon LeonI,
Gastoldi und Girolamo ConvertL Die Deilkaietaev
mit der alle diese Gesinge und ganz beaonders
die reizvollen Refrainachene einiger JMedrIgale
und die Brahmssche Frauenchor- Bemrole
.0 Fischer auf den Fluten» Fldelln* TorgeCriflen
wurden, verschönte das an alch nicht geradeanfler-
ordentliche Stimmenmaterial dea dinlachen En-
sembles. — Der Karfreitag brachte diellnttbisa-
Passion. Diese wie alljährlich in der nonas-
kirche und zum Beaten der Witwen nnd Wallendes
Stadtorchesters veranataltete AuffBbmng unter-
schied sich ganz weaentlich Yon den PeeaMnaanl*
führungen der voraufgegangenen Jahre. An die
Stelle Arthur Nikischa» der Bachs Pataionamnslk
stets mit einer sich sentimental gebenden gleich-
gültigen Höflichkeit gegenfibergeetanden hattei
war als Leiter der AuffQhronmi der Bach-
kundige und Bach-begelaterte ThonMaUrehen-
Organist und Bachvereina-Dirigent Karl Stranbe
getreten, und seinem redlichen Benafihen um
eine stilgerechte Rekonstmiernng der biealgen
Passionsauffuhrungen hatte nuui schon gMäch
bei diesem seinem ersten Angreifen eine weaent
lieh klarere und wlrkaamer nflanderte DarMel-
lung der Vokal- und Inatmmen^poiyphoniei
die Wiedereinffihning dea FIfigeia IQr die wieder
gäbe des bezifferten Continnopartee, die nahnn
durchgehends gleichmäßige AnalÄhrnng aller
Vorhaltsnoten und Veraiemngen, eine tan Teapo
belebtere, nicht andauernd dural Veratemaian
zerstückelte Vortragawdae der ChorUe, nnd
schließlich die Aufmachung maneher bialapg
üblich geweaenen Striche (der Arie JiA «fli
dir mein Herze achenken", der Chortle »War
hat dich ao geachlagen*. »Bin Idi tfeieh von
dir gewichen* und ^Befiehl dn debw WifsP.
und aller OrcheaterzwiachenaitieinSdhlnlcMei
zu danken« Einige Choraltie vwrdea
reita mit voller dranatiadier
381
KRITIK: KONZERT
m
wm^BB
ScfQtarty leider tLbtr noch nicht alle, und ebenso
darften sich die Singer der Cbriitne- und der
Ernngelistenpartie biuflg noch in der fiblen,
aktuell gemeinte Kundgebungen und Berichte
luBibelxitatenzurückbildendenVortragsverbreite-
mng gebllen, so daß denn die Rekonstruierung
des gewaltigen Werkes diesmal noch nicht als
vollendet gelten konnte. Treffliebes leisteten
der durch Mitglieder des Lehrergesang-
Tereins Terstirkte Bachverein und der durch
Schfiler höherer Lehranstalten verstirkte Tho-
manerchor in der Wiedergabe der Chöre, gut
spielte das von den Herren Prof. Dr. Max
Seif fort am Flügel und Organist Max Fest an
der Orgel assistierte Gewandhausorchester,
und Gutes ist auch von der gesanglichen Aus-
fOhrung der Solopartieen durch Tiliy Cahnbley-
Hinken, Pauline de Haan-Manifarges,
Jacques Urlus, den eingesprungenen etwas
stimm kloQigen, aber sympathisch wirkenden
Christussinger Paul Bender und die Herren
Eugen Stichling, Dr. Leo von Herget und
Wolfgang Rosenthai zu berichten.
Arthur Smolian
]ki|ADRID: Die Madrider Konzertsaison schloß
^*^ mit einem Ereignis, das einen ganz her-
vorragenden Erfolg der deutschen Kunst be-
deutet: dem dreimaligen Auftreten der Berliner
Philharmoniker unter Leitung von Richard
Strauß im Teatro Real, unserem Opernhaus,
das jedesmal bis auf den letzten PUtz besetzt
war. Auf die Spielweise unserer deutschen
Musiker hier näher einzugehen, erfibrigt sich,
da sie den meisten Lesern ja bekannt ist. Es
sei nur festgestellt, daß die spanische Kritik der
musikalisch-technischen Leistung das denkbar
höchste Lob spendet und ihr eine unvergleich-
liche Präzision, ein wunderbares Zusammenspiel,
Ffllle, Schwung und männliche Kraft, aber wenn
nötig — wie am Schluß des Bacchanals aus
»Tannhäuser* — auch ein bis zum zartesten Hauch
herabsinkendes Piano, sowie herrlichen Wohl-
laut und großen Akzentenreicbtum nachrühmt.
Der spontane und lebhafte, nach jedem Vortrag
einsetzende Beifsll steigerte sich — und das
ehrt meiner Ansicht nach ebensosehr das Pu-
blikum wie das Orchester — zu stürmischen
Kundgebungen im ersten und dritten Konzert
l>ei der achten und fünften Beetbovenschen
Symphonie, die in der Tat in selten großartiger
Weise zu Gehör kamen. Ganz ausgezeichnet
wurden — um nur noch etwas hervorzuheben —
auch die i»Oberon*-Ouvertüre und eine der Un-
garischen Rhapsodieen von Liszt gespielt. Strauß
selbst war mit seinem „Don Juan'', „Till Eulen-
spiegel* und „Tod und Verklärung* vertreten,
von denen letzteres den größten Eindruck machte.
Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß
bei der Wiedergabe dieser Werke seines Diri-
genten das Orchester sein Bestes tat. Den Fort-
schritt, den wir hier in den letzten Jahren ge-
macht haben, zeigt wohl am besten der Um-
stand, daß diese Kompositionen nicht nur kein
Befremden mehr erregten, sondern sogar mit
Verständnis und Beifall aufgenommen wurden.
Ebenso wie uns die seinerzeit Aufsehen er-
regenden Neuerungen eines Berlioz heute neben
den schillernden Farben, die die zeitgenössischen
Tondichter verwenden, beinahe schon wie mit
klassischer Patina überzogen erscheinen, ebenso
verlieren die Straußschen Werke in dem Mal^
wie wir durch häufigeres Hören damit vertraut
werden, das Verblüffende des ersten Eindrucks.
— Der Erfolg unserer Kfinstlerschar war um so
erfreulicher und bezeichnender, als unmittelbar
vorher sechs nach hiesigen Begriffen sehr
glänzendeKonzerte des Madrider Symphonie-
Orchesters unter Leitung von Femandez
Arbos vorausgegangen waren, so daß die Be-
fürchtung nahe lag, daß der Lekalpatriotismus
sich gegen die bedingungslose Anerkennung der
Oberlegenheit der fremden Gäste sträuben könnte.
Als bemerkenswerte Neuheit sei aus diesen Kon-
zerten der „Prolog zur Göttlichen Komödie* von
Conrado del Campo hervorgehoben, der sich
auf die berühmten Verse stützt, die die Angst
des Dichters beim Anblick der „selva selvaggia
aspera e forte* und seine Begegnung mit Virgil
schildern. Dementsprechend entwickeln sich
auch die musikalischen Tonbilder, die im übrigen
in eine reiche, moderne Form gegossen sind.
Das Werk eignet sich dazu, auch einmal von
einem größeren ausländischen Orchester aufge-
führt zu werden. Hier hat es jedenfalls sehr
gefallen, da aus ihm ein Künstler spricht, der
es ernst mit seinem Schaffen meint, dessen Be-
geisterung dafür echt ist. F. Matthes
MÜNCHEN: Im Großen und Ganzen günstigen
Eindruck machte Emil Pinks (Tenor), der
Schuberts Müllerlieder mit viel Intelligenz und
Gewandtheit sang, wenn er auch nicht immer
und überall den rechten Ton fand. Großen
Erfolg errang Elena Gerhardt, mehr durch
ihre überaus feinsinnige Vortragskunst als durch
glänzende Stimmittel; als ganz hervorragender
Begleiter fungierte Arthur Niki seh. Wieder
im Vollbesitz ihrer herrlichen Stimme zeigte sich
Tilly Koenen in einem Brahma- Wolf- Abend;
die Zusammenstellung dieser beiden Antipoden
aber wollte nicht recht glücklich anmuten. Der
jugendliche Geiger Florizel von Reuter gab
einen eigenen Abend mit Bach, Beethoven und
Saint-Saöns, von denen er diesem weitaus am
besten gerecht wurde. Bach und Beethoven
ließen in seiner Ausführung viel zu wünschen
übrig. Manches Erf^uliche bot auch das Konzert
der Pianistin Minnie Kühne-Hellmessen und
des Geigers Gregor von Akimoff, wenig Be-
friedigendes das von Erika Rauscher (Geige)
und Luise Ger lach (Klavier). Walter Porges
(Violine) und Karl Hasse (Klavier) seien wegen
ihres sehr interessanten Programmes (italienische
und deutsche Meister des 17. und 18. Jahr-
hunderts) besonders erwähnt Als Meister ihrer
Instrumente erwiesen sich wieder der Geiger
Felix Berber und die Pianistin Anna Langen-
han-Hirzel. Nicht so reinen und befHedigenden
Eindruck wie von seinem ersten Konzert hatte
ich bei seinem zweiten Auftreten von Dr. Wolf-
gang Bülau, einem Schüler Henri Marteans.
Mit gemischten Gefühlen wohnte man auch
den letzten Abonnementskonzerten des
neuen Kaim-Orcheetersbei. Seit seiner Zu«
sammenstellung hat es gewiß große Fortschritte
gemacht, und die beiden Gastdirigenten, Peter
Raabe und vor allem Ferdinand Löwe, holten
alles aus ihm heraus, was nur herauszuholen
war, ja hoben es manchmal weit über sein wirk-
liches Können durch ihre glänzende Suggestions-
kraft hinaus. Doch das konnte nicht darüber
382
DIE MUSIK VIL 18.
hiowegtluscheo, daß noch nnendlich viel zu
tun bleibt, soll das neue Kaim-Orchester je hier
wieder die Stellunf einnehmen» die das alte
etwa unter Weingartner gehabt hat. Zur finan-
ziellen Sanierung des Kaimschen Institutes
werden ja, wie man hört, zurzeit alle An-
strengungen gemacht. Dr. Eduard Wahl
NEW YORK: Da das Boston er Orchester
jede Saison in New York zehn Konzerte gibt,
so bedauert man auch hier sehr, daß Dr. Muck
nach Berlin zurückkehrt. Er hat es verstanden,
dessen technische Fertigkeit, die es unter Gericke
erwarb, zu erhalten und mit einer größeren
Ausdrucksfihigkeit zu verbinden. Sein letztes
hiesiges Konzert war ganz Werken amerikanischer
Komponisten gewidmet; fit>erhaupt hat er sich
mehr als irgend ein anderer europiischer Dirigent
fär sie interessiert, und man hofft, daß er sie
auch in seiner Heimat nicht vergessen wird.
— Mahler ist leider im Konzertsaale nicht er-
schienen, man hofft aber, daß er in der nächsten
Saison wenigstens einige seiner Symphonieen
dirigieren wird. — Die Philharmoniker haben
einen sehr tQchtigen Dirigenten, den feurigen
Safonoff, der dafür sorgt, daß die neuere
russische Musik nicht vernachlässigt wird; er
hat aber nichts besonders Wertvolles entdeckt,
und überhaupt sind die Philharmonischen Pro-
gramme diesmal Fangweilig gewesen. — Walter
Uamrosch ist zwar kein so guter Dirigent wie
Safonoff, macht aber bessere Programme. Er.
hat besonders guten Erfolg gehabt mit einem
Beethoven- Zyklus, dem die letzten sechs Kon-
zerte seines Symphonieorchesters gewidmet
wurden. Er hat auch außerhalb New Yorks
etwa 70 Konzerte gegeben. — Frank Dam-
rosch beschließt die Saison der Oratorio-Society
mit der Bachschen h-moll Messe, die hier sehr
selten gehört wird. — Ein neuer Bach-Verein
zur Auffuhrung der Kantaten ist von Sam
Franko gegründet worden, der auch wieder zwei
«Concerts of old music* (des 17. und 18. Jahr-
hunderts) dirigierte. — Die Solisten des letzten
Monats sind dieselben, die wir im Herbst hörten;
sie haben inzwischen das ganze Land bereist.
Zum Schluß werden wir noch zwei Doppel-
Solistenkonzerte haben: Marcella Sembrich mit
Paderewski, und Fritz Kreisler mit Josef Hofmann.
Henry T. Finck
PARIS: Richard Strauß hat es nun einmal
den Parisern angetan. Am 22. März stellte
er das Publikum des Konzerts Colonne auf
• eine ziemlich harte Probe und brauchte es nicht
zu bereuen. Er führte ibnen nämlich nur eigene
Werke vor, was er bisher noch nicht gewagt
hatte. Das »Guntram'-Vorspiel, das für Paris
neu war, begann das Konzert und wurde allein
etwas frostig aufgenommen. Die Kritik sieht
den Grund dafür in den starken Anlehnungen
an »Lohengrin* und „Parsifal". Die Russin
Wieniawski sang hierauf mit wenig Stimme,
aber gutem Ausdruck „Heimliche Aufforderung*
und „Ständchen*, das letztere auf allgemeines
Verlangen zweimal. «Tod und Verklärung*" fand
hierauf den üblichen anhaltenden Beifall, und
gleich darauf folgte die »Sinfonia Domestica%
die noch nie einen solchen BeifiUsturm ent-
fesselt hatte. Drei weitere Lieder und der Tanz
der Salome machten den Schluß. — Der Geiger
Jacques Thibaud ist auch in seinem Vaterlinde
Prophet gebliehen. Er ffillte den Saal Gaveaa
mit Leichtigkeit zum zweiten Male, ebachon er
mit dem verkleinerten Orcheater Colonne nichts
anderes bot als ein Geigenkoniert von Bach,
die beiden Romanzen Beechovena, dat Konler^
stück von Saint-Saöns und die mit beaonderem
Glänze gespielte «Symphonie Eapagnole' vea
Lalo. Noch mehr Bewnndemng verdientn fMlicfe
die Ansffihrnng der F-dnir Romanse, votegea
Bach unter einigen Verstößen den Orcheetcn
und sogar des Solisten in leiden hatte. — !■
Konzert Lamonrenx, das an zwei Sonntage
von dem Komponisten Henri Raband ceMm
wurde, fand endlich auch eine CfoHe Tat atait.
Zweimal wnrde ein neues Oratorlnm vea
Reynaldo Hahn .Prom6th6e trlomphant*
gegeben, das nicht nnr einen groften Chor,
sondern auch nicht weniger als acht Geaangs-
solisten erfordert. PanI Rebonx« ein Iftttferar
Dichter, hatte den Text geliefieil^ in dem die
hehren Götter des Olympe von dem Oolieaaeltea
noch mehr hemntergehudelt werden, ala in allea
früheren Prometheusdichtanm. Der Titane
erscheint da als ein Vater Combea, der dem
Zeus, wie einem gewissen Herrn Sano, gründlich
seine Meinung sagt. Hahns Bestreben gtag dahiBt
einfach und großartig zu sein, al>er nnr eehca
ist ihm da« gelungen. Die Kraft wird durch
hohles Pathos und die Einfischbeit durch Vil-
garität ersetzt. Die zart gestimmten KlacM der
drei entthronten Göttinnen spreeben nebr an, als
die des gefesselten Helden. Der ana Tbeala^
Choristen gebildete, der Zahl nach zu a^vaehe
Chor und die Hälfte der Solisten aangen ftbe^
dies sehr schlecht, und die Akustik den Saales
Gaveau erwies sich wieder einnud ala viel sa
nachhallend für große Orcheatermaaaen. Bne
matt gespielte und noch matter auljienommene
Symphonie von Mozart (38 D-dnr) und einKonmt
von Bach für Geige, Flöte, Oboe und Trompete,
das Mottl sehr glücklich den bentigen TfompeMa
bläsern mundgerecht gemscht bat und daa aehr
gefiel, vervollstindigten daa Progrann. — lai
Konzert Colonne kam ea wieder einmal za
einer heftigen Aoseinanderaetsung zviacben der
neuen und der nenesten Richtung. Den Anlaft
bot eine viersätieige »Rhapsodie Eapaguele*
von Maurice RaveL Ravel ist bei der Jugead
populär, weil Ihm die alten Herren der Kunst-
akademie den Rompreis versagten, ala er actaea
in den Pariser Konzertsälen dnreb einige Klavier-
stücke ziemlich bekanntgeworden war. Brbataber
auch bei den Neuerern seine Gegner, die in Ihm
nur einen platten Nachahmer von Claude Debnasy
sehen wollen. Sie bildeten die Oppoaltien, dis
übrigens siegreich zurfickgesehlagen wurde, denn
die «Malagena* mußte wiederholt weiden. Die
Verwertung spanischer Tanzrhytbmen hatte zar
Folge, daß Ravel trotz aller RalBnlenlielt dar
Harmonie und Inetmmentiemng hier wenignr
als ie den Vorwurf des «Debnaajanua" ver-
diente. — Bei Lamoureuz dirigierte noch einaul
der Direktor der Großen Oper Meeeager. Cr
machte aus Rimsky-Korssakow*a Sympbeaie
« Antar* ein Glanzstuck und bewiea einige Clekh
gultigkeitfürdie.Fidello'-Ouvenflre. EHeeinstlgs
Darmstädter Primadonna Felicia Kaaebowaka
sang zum erstenmal in ftvnzdalacber Spraebe
die Schlußszene der «Götterdlmmerung" und Und
den gleichen Erfolg wie früher mit den dentalen
383
KRITIK: KONZERT
Vortrag. — In der SocUt^ Bach hat sich nun
das System ganx eingebfirgert, die Cbdre fran-
zösisch nod die Soli deutsch singen zu lassen.
In der Trauerode, in der der originelle Text des
alten Gottsched nach schlechtem Brauche durch
die nichtssagende Umdichtung Rusts ersetzt
wurde, war der Chor am Schlüsse besser, als
am Anfang. Die Solisten waren simtlich Aus-
linder. Der mäßige Sopran von Frl. von Glebn
kam aus London, der großartige Alt von Maria
Philippi aus Basel, der befriedigende Tenor
des Herrn Kohmann aus Frankfurt und der
sanfle Baß des Herrn Zalsman aus Amsterdam.
Die Orgel bearbeitete mit Verständnis und
Diskretion Albert Schweitzer von Straßburg.
— Die Soir6es d'Art, ein Kammermusik-
untemehmen, das der Posaunist des Orchesters
LAmoureuz, Barr au, gegründet hat und das der
Soci6t6 Philharmonique eine fühlbare Konkurrenz
macht, beantworteten das Wiener Quartett Ros^
daa dort sehr gefallen hatte, mit dem neu organi-
sierten, bereits ein homogenes Ganzes bildenden
Frankfurter Quartett Rebner-Davisson-
Natterer-Hegar. Es trat mit einem sehr
ernsten Programm auf. Eröffnet wurde der
Abend mit einem hier noch unbekannten Quartett
Weiogartners in d-moll und geschlossen mit
Beethovens bedeutsamstem und schwierigstem
Werk dieser Gattung, dem cis-moll Quartett.
Weingartner wurde in Paris als Orchester-
dirigent sehr hoch geschätzt, aber drei seiner
eigenen Werke, die erste Symphonie, die
Ouvertüre zum ^Lear* und die „Gefilde der
Seligen* hinterließen keinen nachhaltigen Ein-
druck. Die Ankündigung seines Quartetts
wirkte daher nicht als Kassenmagnet, und, was
Beethoven betriifr, so ist er in Paris von dem
vorzüglichen Quartett Capet förmlich mono-
polisiert und fast zu sehr ausgebeutet worden.
Trotzdem errargen die Gäste einen unbezweifel-
baren Erfolg. Die drei ersten Sätze Weingartners
ließen noch etwas kalt, aber das Thema mit
Variationen und die sehr belebte Schlußfuge
des Quartetts machten großen Eindruck und
führten einen dreifachen Hervorruf herbei. Das
Beethovenquartett wurde nach der strengsten
Regel ohne Unterbrechung gespielt, nachdem
vier von Frau Mellot-Joubert tadellos ge-
sungene Lieder von Lazzari und drei etwas
harte Chopin vortrage von Schidenhelm vor-
ausgegangen waren. Das Presto pflegt vom
Quartett Capet noch feiner und präziser gespielt
zu werden, aber in den übrigen Sätzen würde
der Vergleich eher zugunsten der Frankfurter
ausfallen. Die übliche Hast des Aufbruchs
verhinderte nicht, daß das Publikum auch am
Ende die Künstler dreimal hervorrief. — In
einem der vom Blatte „Musica* organisierten
Concerts d'Avant-Garde spielten die Frank-
furter zwei Tage später ein achtungswertes
Quintett von Leo Sachs und das bekannte
Streichquartett Debussy's zur vollen Zufrieden-
heit der Zuhörer. — Unglücklicher Einfluß der Poli-
tik auf die Musik, oder wenigstens auf die Musik-
kritiker! Humperdincks „Maurische Rhap-
sodie* hätte nicht zu weniger gelegener Zeit
nach Paris kommen können. Die höchst kon-
servative Soci6t6 des Concerts, die im
Saale des Konservatoriums beinahe unter Aus-
schluß der Öffentlichkeit nur für ihre Stamm-
abonnenten konzertiert, hatte am 5. April aus-
nahmsweise einige Kritiker zugelassen, um
Humperdincks Werk zur Geltung bringen zu
lassen. Nun lasen aber diese, daß der deutsche
Tonsetzer, dessen „Häusel und Gretel*^ in der
Komischen Oper seinerzeit sehr gut aufge-
nommen worden war, Marokko zum Gegenstand
seiner musikalischen Schilderungskunst gemacht
und seine drei Sätze „Tarifa*, „Tanger* und
„Tetuan* betitelt hatte. Welche unerhörte Frech-
heit, diese musikalische Annexion eines Landes,
wo sich Frankreichs Waffen gegenwärtig so viel
Lorbeeren holen! „Das ist vielleicht ein von
Deutschen kolonisiertes Marokko,* ironisiert
Grosse im „Journal*, „denn von einem Rimsky-
Korssakow behandelt, wäre die orientalische Farbe
wohl suggestiver herausgekommen*. In „Co-
moedia* bemerkt Gauthier-Villars, Laparra
und Ravel seien bessere spanische Landschafter,
und setzt hinzu: „Wie kann man sich für diese
drei endlosen ,Reisekontrapunkte^ interessieren,
die wie Mietskasernen konstruiert und ohne
Feinheit orchestriert sind? Warum nach Tarifa,
Tanger und Tetuan reisen, um Ansichtskarten
made in Ger m an y zurückzubringen ?*Souday
erklärt im „£clair*: „Dieser Jahrmarktsorientalis-
mus läßt das Verschwinden von F^licien David
bedauern, der Jn seiner. Einfachheit mehr Un-
mittelbarkeit besaß.* So geht es weiter. Nur
Coquard rühmt im „ficho de Paris* die solide
Arbeit und die pittoreske Orchestrierung. Wenn
die marokkanische Krise gelöst sein wird, so
wird man Humperdincks Werk wieder aufnehmen
und entdecken, daß es des Schöpfers von
„Hansel und Gretel* durchaus nicht unwürdig
ist. ~ Die Matthäuspassion ist für Paris
schon längst keine Neuheit mehr. Sie war
eine der ersten Großtaten Lamoureux' im Jahre
1874, aber sie wirkte doch am 14. April im Tro-
cadero durchaus als solche, denn noch nie war
sie von einer solchen Chormasse so vollendet
vorgetragen worden. Der Chor war denn auch
kein Pariser Chor, sondern war mit dem Or-
chester von Amsterdam hergekommen. Der
vortreffliche Mengelberg, der schon mehrmals
mit Auszeichnung in Paris dirigiert hat, erschien
an der Spitze von 400 Sängerinnen, Sängern
und Musikern, um den Parisern endlich einen
richtigen Begriff des großen Tonwerkes — und
zwar in der Originalsprache — zu geben. Auch
die fünf Gesangssolisten kamen aus Holland.
Ganz hervorragend war der Christus von
Messchaert und sehr befHedigend der Evangelist
von Urlus. Die Pariser Bach-Gesellschaft,
die zu Beginn des Winters mit kleinem Chor und
dürftigem Orchester ziemlich gute Aufführungen
Bachscher Werke zustande gebracht hatte, ergriff
selbst die Initiative, für die Matthäuspassion die
Holländer nach Paris kommen zu lassen. Die
„Schönheit der Geste*, wie man in Paris zu
sagen pflegt, verdient alle Anerkennung. — Am
9. Mai 1887 war das erste Konzert des Ber-
liner Philharmonischen Orchesters im
Winterzirkus unter Niki seh ein großes Ereignis.
Schon nach dem ersten Stück, der Leonoren-
Ouvertnre,wollteder Beifall kein Ende nehmen. Die
Eroica steigerte noch die Begeisterung. Am 20. April
1908 sind die Philharmoniker unter Richard
Strauß zurückgekehrt, aber man nimmt die
Sache viel ruhiger. Der Saal des Chatelet war
384
DIE MUSIK VII. 18.
zwar bei hoch gesteigerten Preiseo aniverkauft,
aber weder die wenig glficklich gewibite Lear-
Oavertfire» eine JugendsQnde von Berlioz, noch
Beetho?en8 Siebente entfesselten Stfirme des
Beifells. Das kam Tor allem daber, daß nur
eine Elite des Berliner Orchesters von nngeflhr
secbzig Mann vorbanden war, so daß die Klang-
fülle in der Symphonie weit hinter der des
Orchesters Colonne zurückblieb, das man an
dieser Stelle zu hören gewohnt ist. Strauß ver-
schleppte auch das Allegretto und das Trio des
Scherzo auffallend. Viel besseren Eindruck
machten Strauß' eigener «Till Eulenspiegel" und
die üblichen Wagnerfragmente; Vorspiel und
Schlußszene des »Tristan* und der Karfreitags-
zauber wurden wahrhaft hinreißend gegeben. Den
Schluß bildete die mit sechsfachem Hervorruf
belohnte „Oberon*-OuvertGre. Da Strauß fiber ein
wenig zahlreiches, aber iußerst feinfühliges
Orchester verfugte, so arbeitete er mit gutem
Bedacht die zarten Effekte am meisten heraus,
und das Publikum zeigte dafQr das nötige Ver-
ständnis. Vor elf Jahren gab Nikisch ffinf Kon-
zerte, heute haben Strauß und der verdienstliche
Konzertagent Astruc die Zahl auf zwei be-
schilnkt und damit das Richtige getroffen, denn
in diesen elf Jahren haben alle Pariser Orchester
von den damals von Nikisch und den Philhar-
monikern gegebenen Lehren Nutzen gezogen,
und daher braucht der Kursus diesmal nicht so
voUstindig zu sein. — Sollten die schönen Tage
von Araojuez, wo sich Tschechen und Franzosen
bei jeder Gelegenheit, durch gemeinsamen
Deutschenbaß geeinigt, in den Armen lagen,
schon vorüber sein? Fast möchte man es
meinen, denn der große Trocaderosaal war noch
selten so öde und leer, wie am Abend des
25. April, da der ausgezeichnet eingeschulte
Prager Lehrergesangverela, den Ferdinand
Vach bis lor VIrfnositit getrieben, zehn seiner
besten and knnstreidisten Lieder sang. Vielleicht
waren aber blofi das Lokal nad die Zeit schlecht
gewihltf oder vermißte das Pnblilnim auf dem
Programm jede inatrumentale oder aolistischs
Abwechslnng. Die wenigen ZnbSrer, die er-
schienen waren, und unter denen die Pariser
Musikkritik meist dnreh ihre Abwesenheit gWnzie,
ließen sich übrigens trotz der fhmtigen Tempe-
ratur dea ungeheizten Saales bald dnreh die Kunst
des Vortrsge erwirmen and forderten daa reisende
«Sperlingabankett* von Dverak snr Wiederbelnng.
In einem langen «Stnrtnlied* von Von dl er
wurde ein aymbolischer Kampf der Falken, d. h.
der Tschechen, gegen die Geier, d. h. die Deut-
schen, mit solchem Feuer besungen, dsfi die
fünfzig Singer iweihnndert Kehlen m haben
schienen. Schade daß das Programn dem tnxL-
zösischen Publikum diesen zarten Symbolismus
nicht hlnlingllch erklirtel In einer Pause erhob
sich ein ilterer Pariser Lehrer von seinem Sitz
und hielt eine unvorhergesehene, aber am so
willkommnere Ansprache an-die Finger Kollegen,
in der er veraicherte, daß lach die frnnaltoiadie
Lehrerschaft große Anstrengengen mache, um
unter sich den Chorgesang so pflegen. Diessm
Abendkonzert folgten noch- swei Naehmitlsgy-
konzerte der tschechischen Singer im Chatelet
und im Theater Sarah Bemhardi^ aber der Zu-
spruch war auch hier geringi — Der Klavier-
spieler Gottfried Galston fend wieder dea
gleichen Zulauf für zwei Konzerte, in denen er
namentlich durch Brahma' Pagaaini-Variationen
hinriß, dagegen der g-moll-Smiate Sehamanns
nicht ganz gerecht wurde. Felix Vogt
ANMERKUNGEN ZU UNSEREN BEILAGEN
Als Nachtrag zu dem Bilderteil des zweiten Mai-Heftes, der bekanntlich im Anschluß an dea
Artikel „Bach- Porträts** von O. Landmann ausschließlich bildlichen Darstellungen Johann Sebastian
Bachs gewidmet war, bringen wir im vorliegenden Heft, unserem damaligen Versprechen gemifl,
noch fünf weitere zu dem Artikel gehörende Blätter, deren nähere Beschreibung der Leser in
der interessanten Studie von Landmann findet. Es sind dies die Porträts von: Wilhelm
Friedemann Bach (a. a. O. S. 225), Wilhelm Friedrich Ernst Bach (S. 225), Carl
Philipp Emanuel Bach <S. 226), Johann Christian Bach (S. 226), aowie ein angeb-
liches Bach-Bild (S. 226), das sich im Besitz der Frau Julie Hom in Meiningen befindet
und wahrscheinlich Sebastian Bachs Patron, den Herzog Wilhelm Emat von Weimar, darstellt
Dem Aufsatz von Richard Specht geben wir eine Ansicht des am 7. Mal enthfillten
Brahms-Denkmalsin Wien bei. Das von Profeasor Rudolf Weyr geachalfSene Monument
hat eine Höhe von 'etwa fünf Metern und ist aus drei Marmorarten zusammengestellt. Während
der Sockel aus lichtgrauem Karst-Marmor gearbeitet ist, lieferte für die beiden Figuren weifler
Laaser-Marmor (Brahms) und Carrara-Marmor (Muse) den Werkstoff.
Nichdruck nur mit lusdr&cklicher Erliubnls des Verlacss (ettattet
Alle Rechte, insbesondere dis der Oberseizung, vorbehalten
Für die ZurQcksendung unverlangter oder nicht ingemeldeter Manuskripte, Ctlls Ihnen nicht geaftgead
Porto beiliegt, übernimmt die Rediktion keine Girintie. Schwer leserliche AUnuskripte vtrden nnCBprflfl
zurückgesindt.
Verantwortlicher Schriftleiter: Kapellmeister Bernhard Schuster
Berlin W 57, Bülowstrasse 107 <•
WILHELM FRIEDEMANN BACH
Miler unbekannc
Original in der Stldtischen Sammlung zu Halle
WILHELM FRIEDRICH ERNST BACH
■ngebllcb von Eduard Magnus gern all
Original Im Besitz der Singakademie lu Berlin
CARL PHILIPP EMANUEL BACH
Pasiellportril von Cotilleb Friedrich Bach
Original im Besiii des Herrn Paul Bach zu Themar
JOHANN CHRISTIAN BACH
gemall von Maihleu
Original in der KAnigl. Bibliothek Berlin
ANGEBLICHES BACH-BILD
(Herzog Wilhelm Ernst von Weimar?)
Original im Besitz der Frau Julie Kom in Meiningen
4
J
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wßrdtköpf^^ärt^I
Philipp Scharwenka
Symphonia brevis Op.115
=== für Orchester. ===
Stiae ToiuprMbe lM«4el, [csunil ui:,.
(ttraerra; i<e t'tin nMU tOUtIkli ii:
Bli't' .'.laa alk« In Jem Vn'-
fi-j-'-i . •■ratricktHdnm Bda:. J'- i
aud il .. I ■ ■.- crüUec f-u'^rnrcr'^ .< r
du tMucnr crfvntcii. . .
du Id <Mn KtUlMUta Nr,'
T.lne iD- Ela »ebitermi
Horm ftht. D«» fm.-
StfiiRimiij; Klbrr du Mi'rr ' i- -
•nll dcia hlnrtdjen^kn ^'orirwc: 'Hr :''nfuEiD nok- Jtf (.h-.(,-(ii«i=
LcItuBE wiRiB Knbtin elnv fiUcr Mri Liife «tuliciie teil, lu 14
^ Dh VHllg«f akterfcrtllM dli ftrtlVu tut WtMcft zur (hnxh»l«M.
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LEONE SINIGAGLIA
LeBarufreChiozzotte
EineOuverfäre zu dem Goldonischen Lustspiele fürOrcheMer
I Partitur 9 M.
2* Ürclic-Bttfi-flliromcn je 60 Pf.
„Lc Baruffe Chlozzotte" vou Goldonl Ist clncü der populümen Lu5i-
ni[tte ItaliL'fis, <Ja^ ctn^t iiucti du» I1uere5.sc Goedic^ bei seinem Besuche
VencttiijK fflnd. ÜJ* regt Lehen und Treiben der FUcficr von Chioggln,
linem MüJictien uiif dit\ LuEuiitfii uiiwefi Vcoedl);. wird irefllich gMchildcrt-
Bei (tcr Siickarberr ptaudcrnde und sich neckende Frauen und MUdcheo
g:rn(on v.i:i;cii nunclicf Msfiigen Bemerkung in Sireii, der iiBch AnkunJi der
.Münn-.r In eint ncrauachvullc .HarufFii" (Rsufcrd) nusarlci. Scihsl die LicK'V
pijri;, unttr ihnen Lucictm und l'ira fVane (die wci Hauptpersonen des
SiilckcM (jcraicn aneinander, und cra den Bemühungen de«. KUtmCitltten
Mk((I^irit^ l».tdoro gelinge c\ die uuFgcregccn GemQier zu heruni|{en und
unier dem leichrhcwcglichcn Völ>:chcn witdcr Frieden zu stlftCO. Ein
luett^cs VolkJifoic bochllcÜ! die allßcmcinc Versöhnung.
Sinr^ugtia-'i Uuvgnüre t^i keine Programmtislk la Goldonis LosUpiot,
«undern nur vom Inhati .-ingeregt. Das hcwcgie I.chen des Volkes in ChlogglA,
die auflalk■nd^tt■fl Gcsfulicn, die Sirciiercicn der steh wcBcn ihrer .Amanii*
neckenden Mlidizheo, die Idylle von Ludcita und Tiw Nane, dk- .Karutt'a-
um tbrirni IrOhlichen Ausgunjt, alles dies im In schlichter Weise vom
KonipmiiHicn Verarbeite) worden, cn»pr«cbeDd der Daiflrllcheo Grazie, der
l'jolKuiiitrii. der |{esundcn Lcbcnsrreudlji;kell und feinen EntpAndung, die
dgii V(':;fken tjtddonis eigen sind.
Sllll|[ii|{IUft LbsispicI-Ouveriarc ist mit Ihren cluraktcrblischen
iMottwn. den Ichharten, (rischen Rhythmen und in der cffckOiollcn
c=> Inalrußiciilation ein 'Qndenilc«. wirks^mcf OrcheslertlUck. <=3
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Olrlgentvni FcMtrunil LWc — OuttftV M*liler - Hau« l'fltiaet — iMu
SchllliOK* -- Gcnnt Sdinferulp. - Berrilnirrf «mv-nlne-Ti.
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Ducti •Varcinleungt K. Gloemn-Hulireldt iSoiv-) u. MacehilJ RatoiuaKQ «Aitr
Vortrag*! Ouirn Rmruiim - M»i Hnfpanef - H-iU Ritd«.
Arraf)|)emitnl vun Kooxert -Tourneen und einzfllnon Koiu«iiftn
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Durch iedc Buch- und Musikaliealinaüluu^,-
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Ans den hunderten der bis heute ycrfiffentllchien
Besprechangen der unvergJeichUchen Briefe von
Richard Wagner
an
Minna Wagner
IV. Auflage 2 ^nd& mli 2 Portrats
Gehaftet M. 8. , in Leinen M. 10.--, In Halbfranz M. 12 -
^eben wir tiiec cififtcc h»TRe Stellen wieder:
tlailCUK»:! BlnHEr
niiH Mrlali »na Um WImMn* fW Om •mIw m «uUIw WMtnMiit lllt nik J>
MaUiM«t'K»liiin|.
Brtncr tlitii4.
(tu h<»N AM Mll-.l
,.::..:::r:!i:;".:;u:v
ifn *MbI|> «wfUtkM Mr«M'
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NEUE OPERN
a d'Albort: „Izeyl" ist vod der Gener
Inteadantur lur UraufTübning «n der Berlin
MoFoper angenommen worden.
L«0 Blech: „Versiegelt", komitcbe Oper
einem Akt, nacii Raupich, wird am Berliner
KSniglichen Opernhaus zu Beginn der nlcbsten
Spielzeit in Szene gehen.
Giuseppe Galli: .Marie Aniolnette'
. Irriaches Drama von Pasquale de L u ci ,
eriebte am Teitro Vittorlo Emanuele in Turin
•eine UraufFührung.
KirtMrt Payr; .Irrlicht', Oper In einem Akt,
Text von H. Schwerdiner, ging «m Stadt-
. (heater in Riga zum ersten Mal in Scene.
Editar Vogel: ^Johannisnachi", romantische
Volkaoper in vier Akten, Text von G. Nicolai,
betitelt sich ein Bühnenwerk, das der Ton-
aetzer soeben vollendet bat.
OPERN REPERTOIRE
Dessau: Herzogliches Hoftbeaier. Der
langst erschienenen amtlichen SiatlstikHOber-
aicht über die Spielzeit 1007,08" ent-
nehmen wir, daß 71 Opern Vorstellungen statt-
fanden. Altem Brauche getreu wurde die
Spielzeit mit einer Vagner-Aufrühning be-
gonnen und beschlossen. Aber auch sonst
beherrschte der Name Wagner den Plan inso-
' fem, als er mit 9 Werken in 18 Aufführungen
die weitaus höchste Spielziffer von allen er-
reichte. Wohl zum ersten Male geschah es
diesmal, dafi der „Nibelungen''-Ring als
zyklisches Ganzes in einer Spielzeit von nur
7 Monaten zweimal vollsilndig zur Darstellung
gelangen konnte, ohne daß darüber die anderen
Musikdramen des Meisters — mit einziger Aus-
nahme des «Rienzi" ~ vernachlässigt wurden,
die außerdem noch je ein bis drei Abende
erzielten. Die Neuheiten waren: Liszts
.Legende von der heiligen Elisabeth" (in sze-
nischer Darstellung), Mozarts „Don Giovanni"(in
der Possartschen Inszenierung, nach Grandaur-
Levl) und Sullivans .Mikado*. Im übrigen
waren vertreten: Adam (3). Beethoven (I),
Bizet (2), Goldmark (3), Gounod (7), Leon-
cavallo (2), Lortzing (4), Mozart („Figaros Hoch-
zeit" mit den Original- Reziutiven — 2), Nicolai
(4), Rossini (3), Saint-Safins (1), Smeiana <5),
Thomas (4) und Verdi (Imal).
Genua: Das Carlo-Felice-Theater kündigt
folgende Neuheiten an: Wagner (Walküre;
Siegfried), Beltini (Nonna), Boiio (Meflslo-
fele), AIhno (Der Fürst Zilah).
Karlsbad: Die Direktion des Stadttheaters
(Walter Borchen) wird in der ersten HSIfte
des Monats Juli Mozart-Festspiele veran-
stalten, bei denen u. a, .Don Juan", .Figaros
Hochzeit*, .Die Entführung aus dem Serail",
und .Die ZauberfIfite" zur Aufführung gelangen.
MewYork: Das Manhattan Opera House
stellt an Neuheiten In Aussicht: Massenel
. iDer Glöckner von Notre Dame; Griseldls;
Cendrillon), Ffvrier (Monna Vanna), Blockx
fHerbergaprinzeQ).
Turin: Das Teatro Reale verbelUl an
Neubeiten: Wagner (Walküre), Goldmark
<Das WlntermSrchen), Mascagni (Iris), Bellini
(Nomui), Montemezzi (Hellera).
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Fragen u. Antworten
zum Selbstunterricht.
Zweite verbesserte Auflage.
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In die Sprache der berühmten Verfasserin,
welche sich als Grossfaerzogl. Mecklenburgische
Professorin der Gesangskunst vorstellt, muss
man sich erst hineinarbeiten, ebe sich das volle
Verstindnlt ibrer Ausfühningen - eracbliesst.
Letztere sind aber so ausgezeichnet, so unmittel-
bar aus der Natur der menschlichen Sprech-
werkzeuge abgeleitet, so — selbitverttindllcb,
wenn man einmal ernstlich darüber nachdenkt,
dass wir daa Büchlein (8°, 32 Seiten) allen
Gesanglehrem und Cea angleb rerinnen gar nicht
warm genug empfehlen können. Es kann und
wird recht viel Gutes stiften. Josaf Auar.
Durch alle Musikallen- und
Buchhandlungen zu beziehen.
Mq n JDlIiB Hidninier li Inda.
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. SDdioierll», Cirlo
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Eriltlutlgi MeJtttrgBlgBii, BritssliBii ond GbII)
Die unerhörte Agitation gegen unsere
Gesellschaft und deren Erzeugnisse seitens
einer neidischen Konkurrenz, welche es
nicht verschmäht, die unglaublichsten
Gerüchte in die Welt zu setzen, veranlasst
uns, in encrgiscbsier Weise dagegen
Stellung zu nehmen.
Nachdem die Konkurrenz sich durch
Umfragen von der Echtheit unserer
Atteste überzeugt hat, versucht sie nun-
mehr den Wert derselben dadurch abzu-
schwächen, dass sie die unwahre Be-
hauptung aufstellt, die Atiestgeber hätten
ihre Atteste nur «us GefSIligkeic abgegeben
oder seien bestochen.
Wir forderten nunmehr von den ersten
Künstlern wiederum Atteste ein, und zwar
auf Grund der Vorführung von Instru-
menten neuesten Datums. Als erstes
lassen wir nachfolgendes von Herrn
Jacques Thibaud folgen:
An die
Neu-Crentona Gesellschaft, Berlin.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass
gewisse Geigenmacher behauptet haben,
ich hätte gegen meine Meinunggeschrieben.
Es macht mir ein Vergnügen, dieses Ge-
rücht zu dementieren, denn ich bin immer
noch derselben Ansicht und die neuen
Geigen, welche ich soeben wiederum
probiert habe, bestätigen meine Be-
wunderung. Ihre Violinen sind verblüifend
und leisten den jungen Künstlern un-
geahnte Dienste.
Berlin, den 3. März 1903.
Jacques ThIbaud.
.[. 2. Vepbts«
Spttlcfl wlrkl
:rG«lK?
.che SchrlfT vo
Zu beziehen durch:
Neu-CremonaG.m.b.H., Berlin W8,
Taubenslrasse 26.
KONZERTE
Berlin: Für die Niklach-Konxerte im kom-
menden Vlnter haben bla )etst folceade Sa-
listen Ibre Mitwirkung zufcaact: Ernettiae
SchuRiann-Helnk, Julia Culp, Tema Carrcio,
GuUbertnlna Caaala-Suifla, Eduard Rialer,
Artur Schnabel, Henri Maiteau, Frilz Kreisler,
Pablo Caaala.
Oresden: BachpfleKe Im Gottesdlcnai.
An der von der .neuen BacbceaellicliBfr
wiederholt einpitotalenen Pllece Bacbicber
Musik Im Gottesdlenat hat neuerdlnga auch
der Dresdner Kreuzchor lebhaften Antcfl.
Er brachte, wie wir aus aeinen Pn^rammen
entnehmen, In JGngster Zeit unter Leitnoc de«
deneiilgfcn Kreuikantora, Mualkdlreknr Otto
Richter, folgende Terke Seb. Bacha In der
Dreadner KreuiUrcbe zur Aulffibninc: die
Matthiuspaaslon (zweimal), aowte im Rabmea
gottesdlenatllcher Feiern 18 Klrcheftkantatea,
von denen die melaten erstmalig dartebotes
wurden. Außerdem reneichncn die Pre(ramme
des Dreadner Chores eine Anzahl a cappella-
Motetten und Lieder sowie eine lange Reihe
von Solo-Arien Bachs mit obligaten Inatra-
menten. Die Soll wurden, altem Heriwmmen
Simia, grSBtenteila von Mitgliedera der
resdner Hofoper und der Hofkapelle ana-
geführt. Der seit der ersten Hiltle des
13. Jahrhunderts bestehende Krcuachor, be-
kanntlich neben dem Leipziger Tfaemaaer-
Chor der einzige Gymnaatal-AlumKencbor,
zihlt ee Singer (Knaben und Jflngllnge), die
als Zöglinge der Dresdner Kreuzachule beson-
dere Vergünstigungen geoleßea. Zu selneB
früheren Alumnen getaBrten u. a. Johann
Kubnau (der Vorgtnger Bacba im Leipziger
Thomas kantorate), C. H. Graun (der Kompoobt
des «Tod Jeau', Kapellmelater Frlcdrieba des
Großen), Job. Adam Hiller (Thomaakantor,
Grflnder der Leipziger Gewand bauakonzeite^
Geheimrat Hermann Kretzscbmar (OrdlnariBS
der Musikwissenschaft In Berlin), Gebeimrst
Wustmann (Direktor des stidt. Archive so
Leipzig), Prof. Dr. Roh. Papperitz (der hühete
Organist der Leipziger Nikolaikirche) u. a. Von
den früheren Krenzkantoren aelen besonders
genannt: G. A. Homlliua (ScbQler Bachs), Th.
Welnlig (Lehrer Richard Wagners), Jutlna Otto
und der unlingst veratorbene HoRrai Prof.
O. Vermann.
Lisaabon: Unsere im 2. Mai-Heftc gebrachte
Notiz ist dahin richtig zu stellen, das die er-
wihnten vier Orgelkonzerte Iiq Hanse das
Herrn Castro Culraaraea atattftwdcn md «m
Desir« Pique. Organiaten am Kgl. Konser-
vatorium, ausgeführt wurden.
Salzburg: Die Internationale Stiltuog .Mozar-
teum" und die mit ihr vereinigte Mezari-
gemeinde haben bescbloaaen, das (Ullhrifs
Regierungsjublllum des Kaiaers Franz Josef
am 17. und 18. August durch eine Feairetsa-
staltung zu teiem. Es sind ein Festkonzett
im Stadtlheater und eine AuftBhrwig von
Mozarts KrSnungamease in der Donkirche
vorgesehen.
Zerbat: Der Oratorien -Verein (Leimnc:
Franz Preitz) veranstaltete am 3. Februar «a
Konzert, das ausschließlich Max Bruch gs-
II
widmet war, und am Karfreitag eine Auf-
führung dea Oratoriums aCetbaemane und
Colgatba" von Friedrich Schneider.
TAGESCHRONIK
Aus M&ncben wJrd die Grandung eines
Koniertvereins gemeldet, der sich zur Auf-
gabe gesetzt bat, die empHndllclie Lücke- wieder
austufüllen, die durch die bekannten Vorfille
im Kaimschen Konzertun temehmen entstanden
waren. Der neue Verein gibt u. a. beicannt: Am
1. Mai 1908 hat aicb bier unter dem Namen
.Koniertverein München" ein Verein ge-
bildet, der sieb die Erhaltung, Fortführung und
Icfiastierische Ausgestaltung des Im Jahre 1893
von Herrn Hofrat Dr. K a 1 m ins Leben ge-
rufenen Konzertinstituies zur Aufgabe macht.
Das Kaimorchester soll neu organi-
siert und damit der Stadt München als ein
hervorragender Faktor in seinem musikalischen
Leb«n erhalten bleiben. Der Verein ist am
14. Mal IQOS in das Vereinsregister eingetragen.
Die Vorstandscbaft besteht aus Major
Frbr. V. Crailsheim (Vorsitzender), Rechtsanwalt
Robert Maurmeier (Schriftführer und Scbatz-
meister, zugleich stellvertretender Vorsitzender),
Frau Marie Barlow und Geh. Kommerzienrat
Gabriel Sedimayr (Beisitzer). Dank dem be-
sonderen Entgegenkommen der Leitung des
Tiener Konzertverelns ist es gelungen, Direktor
Ferdinand Löwe aus Wien, den ersten Dirigenten
dieses Unternehmens, in gleicher Eigenscbafi
für den Koozertvereln München zu gewinnen.
Direktor LOwe wird vom Herbst dieses Jahres
an beide Stellungen in sich vereinigen. Als
Leiter des gesamten Unternehmens sind für den
künstlerischen Teil Hofrat Dr. Kaim, für den
administrativen Teil Direktor Karl Koch bestellt.
Die zum Vollzug der künstlerischen und
wirtschaftlichen Verwaltung erforder-
lichen Maßnahmen erfolgen durch einen
Auaschuß, dem die Vorstandscbaft, Di
rektor Löwe, der künstlerische und dei
administrative Leiter angeboren. Der
Verein hat durch hochherzige Gönner bedeutende
Hoanzlelle Zuwendungen erhalten. Die Gründung
einer Unterstützungs- und Ruhegehaltskasse für
dieOrchestermiigliederist in Aussiebt genommen.
Der Konzertverein beabsichiigt im Laufe des
Vinters 12 große Abonnemenlskonzerte, femer
die bisherige Anzahl von Volkssymphonie- und
populSren Konzerten abzuhalten. Die Proben
unter Oberleitung des Direktors LOwe sollen
alsbald beginnen. Diesem obliegt auch im Zu-
samroenwirken mit dem Ausschuß die weitere
Ausgestaltung des Orchesters, die ledigllcli
nach künstleriscben Gesichtspunkten
erfolgen soll. Der Konzertverein hat den Kaim'
Saal (Tonhalle) von Herrn Hotnt Dr. Kaim
durch Pachtvertrag auf 20 Jahre über-
nommen.ebenso wieder Verein in die bestehen-
den Vertrlge mit den leitenden und ausübenden
Künstlern einzutreten beabsichtigt. Die Fort-
führung und Erhaltung dea Konzertvereins er-
fordert in erster Reihe die Unterstützung der
matlgebenden Behörden und Kunstfreunde, sowie
eine ausgiebige Beteiligung von Abonnenten an
den Konzerten des Vereins. Die uneigennützigen
Opfer der finanziell beteiligten Persönlichkeiten
pdcktif
ftnslltiiiftd
SU
,»8crHnVi.9
Eliiatr. Firwu u T«L VI, 14734.
iir. Leitiif: KIrIiI. Lajrf|«rieMsrat a.D.
Dr. iur. Freiherr von Kirchbach.
DirakUeR; 0«« WoHfl.
Obcmahme von
Vertrauensangelegenhetteii
II. Ermittelungen Jeder Art
Prozessnnterial
In allen elnschligloen Sadmi.
Oberwachungen,
Privat - (Heirat«-) AuskOnne
Mcr R«r, Cfcirakter, Vliwlin MW.
Veni|I.VeffelitfiRfm.S«ildeH«Mr«r«.
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Z«<trlwtt|lnit atfttrtritti!
]iiispn(kulm IdalglldKr |«IMm.
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Musik zur Pandora
von J. W. V. Goethe
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Zeichnungen von E.WincklervonRoeder,
mögen in dieser Richtung als ein leuchtendes
Beispiel gelten.
Der Prozeß der Erben Donizetti's
gegen die Gesellschaft dramatischer
Autoren und Komponisten in Paris. Der
«Neuen Freien Presse* wird aus Paris ge-
schrieben: GaSuno Donizetti starb im Jabre 1848.
Der ungeheure Triumphzug seiner Meisterwerlce:
«Regimentstochter", »Favoritin*, »Don Pftsqnale*,
«Lucia von Lammermoor" um die Veit begann
erst nach seinem Tode. Die Tantiemen, die sich
auf Millionen beziffern, wurden für Rechnung
der Erben von der Gesellschaft dramatischer
Autoren und Komponisten in Paris, dessen Mit-
glied Donizetti war, einkassiert Bis zum Jabre
1S65 führte die Gesellschaft — nach Abzug ihrer
Gebuhren — die Tantidmen an Donizetti's Erben
ab. Dann stellte sie aus unbekannten Gründen
die Abrechnung ein, führ aber fort, die Tan-
tidmen einzukassieren. Dieser Zustand dauerte
rund 40 Jahre, bis endlich etwa im Jahre 1906
zwei Neffen GaSuno Donizetti's — Giuseppe und
ein jüngerer GaStano, Söhne des in tfirkischen
Diensten verstorbenen Militärkapellmeisters Carlo
Donizetti — aus Konstantinopel auftauchten und
die Gesellschaft dramatischer Autoren um Legung
einer Rechnung und Herauszahlung der erhobenen
Tantiemen ersuchten. Die Gesellschaft weigerte
sich. Sie bestritt zunichst die Qualität der
Konstantinopeler Herren als Erben DonizettPs,
sodann, als sie in diesem Punkte nach lingeRMD
Prozessieren nachgeben mußte, die Berechtigung
der Forderung. Sie wies auf ihre Vertrige bin,
kraft deren sie berechtigt ist, von allen Pro-
duktionen dramatischer Autoren, seltist von
solchen, die längst verstorben sind, ja aucb von
solchen, die notorisch niemals der ehrenwerten
Gesellschaft angehört haben, wie zum Beis|Mel
Sophokles, Shakespeare, Racine, Moli^re, Pro-
zente von den Einnahmen zu eriielwn. Die
Gesellschaft, die in Virklichkeit der michtigste
Autorentnist ist, der je existiert hat, hat nimlich
vermöge ihrer Monopolstellung den Theater-
direktoren diese ans Unwahrscheinliche grenzende
Vertragsklausel auferlegt Aber Donizetti's Ertien
ließen sich durch nichts abschrecken. Sie ver-
klagten die Gesellschaft vor dem Pariser Handels-
gericht auf Rechnungslegung seit 1805 und auf
Herausgabe der einkassierten Tantiemen. Die
Gesellschaft erhob den Einwand der Unzu-
ständigkeit des Handelsgerichtes, und als dieser
verworfen wurde, verweigerte sie die Ein-
lassung zur Hauptsache. Ein Schiedsrichter
wurde vom Handelsgericht beauftragt, die Sache
zu prüfen. Seine Feststellungen fielen zu
Gunsten von Donizetti's Erben aus, und die
Gesellschaft, die auf dem Standpunkt steht, nach
wie vor jede Erklärung in der Hauptsache zu
verweigern, sieht sich nunmehr nach den
Anträgen der Kläger verurteilt zunächst zur
Rechnungslegung und zur voriäullg vollstreck-
baren Zahlung eines Teill>etrages von lOOOOFrancs.
Da Gaötano und Giuseppe Donizetti ihren An*
Spruch auf mindestens 800000 Francs t^ezifibm,
so wollen diese 10000 Francs, die wohl zum
größten Teil auf Anwaltsvorschfisse und Gerichtt-
kosten draufgehen, nicht viel besagen. JUier die
Erben haben nun einen Hauptschlag gegen die
Gesellschaft ausgeführt Sie stellten nimlich allen
Pariser Theatern einen PfändungslieKehl zu, durch
IV
den .die vertragsinlQigen Ansprüche der Gesell-
scbaftsufErhebungeines Prozentes vonder Brutto-
eianabme' mit Beschlag belegt werden. Die
Gesellschaft aber weist tlchelnd darauf hin, daß
ihr ein solches Recht gar nicht zustehe. Sie
hat nimllch für ihre eigene Rechnung nur ein
Proieni von der Tantieme des Autors zu ver-
langen — und das ist ein gewaltiger Unterschied.
So dürfte denn der Hauptschlag vorläufig ein
Schlag ins Vasser sein. Die GesellschaFt hat
gegen das Urteil, durch das das Handelsgericht
sich Rir zustindig erklärt, Berufung vor dem
Pariser Appellhot eingelegt Dort wird die
Frage nichstens zur Entscheidung kommen.
Donizetti's Erben aber, die diesen Kampf seit
1905 rühren, werden wohl inzwischen zur Er-
kenntnis kommen, daQ die Justiz in Frankreich
eine ebenso langsam wandelnde Dame ist — wie
in der Türkei.
Die Stadt Tien hat, nach der .Neuen
Freien Presse", das Gebu-rtshaus Franz
Schuberts um 105000 Kr. angekauft. Das
einstScklge, architektonisch nicht bedeutsame
Maus hatte zu Schuberts Zeilen die Bezeichnung
.zum roten Krebsen", spiier war es das Haus
Nr. 72 des Himmelpfortgrundes, derzeit ist es
Nr. 54 der NuQdorferstraQe. Besitzer waren im
Jahre 1797 Matthias Schmidthuber, 1858 Barbara
Lcilhner, seit 1868 die Familie Vittmann. Die
Nummemtafel aus rotem Mannor, die
Schuberts Lebzeiten über dem kleinen Haustor
angebracht war, wurde im Jahre 18^ als die
jetzt dort beflndlicbe Votiviafel zur Verwendung
kam, entfernt. Sie gehSrt als Geschenk des Herrn
Rudolf Vittmann der Stadt Vien, die bekanntlich
•ehr reich an Schubert-Erinnerungen und -Reli-
quien ist und nunmehr auch das Haus in Obhut
?:nomtnen bat, in dem die Schlosserstochter aus
uckmantel, Frau Elisabeth (geborene Vitz),
ihrem Gatten, dem trefflichen Schullehrer und
k. k.Armenrai Franz Schubert, am 31. Januar 1797
den Franzi schenkte. Wlhrend das AuOere
des Hauses recht unscheinbar und alltiglich
ist, sind der Hof und das Glrtchen auf dem
steilen Hügel über dem Liecbtental poetisch,
wenn man will, auch musikalisch gestimmt.
Auf der Wiener Sc hüben- Ausstellung waren Hof
und Glrtchen in hübschen Aquarellen von
Reintaold und Kopallik zu sehen.
Am 1. Oktober wird in Kiel ein alle Lehr-
flcher der Musik (incl. Opemschule) umfassendes
Konservatorium der Musik erSfTnet. Die
Gründung geschieht mit Hilfe eines grSQere
Kapitals, das von einem Konsonium von Kieler
Musikfreunden zur VerfBgung gestellt ist. Die
Organisation und Leitung ist dem Privatdozenten
der Musikwissenschaft an der Kieler Universitlt
und Dirigenten des Kieler Gesangvereins, Dr.
Albert Mayer-Reinach, übertragen worden.
Der bekannte Theoretiker und Komponist
Joseph Pembaur, Direktor am Innsbrucker
Musikverein, feierte am 23. Mai seinen 60. Ge-
burtstag.
Herr Georg VoUerthun in Berlin binet uns
mitzuteilen, daQ er ab September d. J. von dem
Gesangslehrer Frank King Clark als Speziallehrer
für deutsche Oper und deutsches Lied nach Paris
engagiert worden ist.
Die Wiener Philharmoniker wlhllen in
ibrer Generalversammlung einstimmig Felix
Cefes ebition
Defrauer
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Crfle bis (leticnte fage umf. hompL no. 3.-
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Diollnp3bagogen. lo i-d ua to La ua
f}einz Sdjmibt-Reinecfeeop.ii
so SpezIal'Stublen für ben [agtnwtit){t\ auf
6er e-Salle no. 1.20
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nach unbekannTen Urkunden und den ncucalen
Forschungen nebal einer Bibliogriphie seiner
musfkilischcn und literarischen Vcrke, einer
Ikonographie und einer Genealogie der Familie
Hektor Berlioz seit dem 16. Jahrhundert von
J. G. Prod'homme.
Vorrede von Alfred Bruneau.
Autoriaierte Übertragung aus demFranzOs lachen,
ausfOhrliches Personen-, Sach- und Ortsreglster
aowle Nachwort von Ludwig Franlienrteifl.
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Telngartaer zum I
aicbsttn Saissn.
Alexander Z. Birnbaum, aeitber Dlriient
der Syraphoniclcttazerte in Lausanne, Ist tsb
Direktor Gregor vom September 10OB ab Kr die
Komische Oper la Beriin verpflichtet wmden.
Dem Direktor der Dresdener Musikschule,
R, L. Schneider, lat vom KSnIg von Sschaen
der Titel Professor der Musik verliehen worden.
Aus Anlaß des 25 jihrlcea Jubiliums seJner
ZugehBrlfkeit zum Berliner KSniClIchcn Opetn-
hiuse ist Julius Lieban zum KSai(liehen
Kammersincer ernannt weiden.
Dem Leipziger KIavlcnlda(osen Robert
TeichmQller wurde vom KBsig von Sachsen
Titel und Rang eines KSnigllchen Professora der
IWuBlk verliehen.
Die Gesanglehrerin am Kg], Konservatorium
der Musik in Dresden. Frl. AgUJa v. CSrjer
St. JBrgen genannt Orgeal, wunle sor m-
flessoTin der Musik emaonL Frl. Orgeni war
1865 bia 66 an der Berliner Hotbpcr engagiert;
gastierte dann an vielen Bühnen und wirtt seit
1880 ala Lehrerin dea Geaangea am Dresdener
Konserraiorlnm. Sie ist der erste weiblicfac
Pnihasar in Sachsen.
Herr Praffcssor Dr. Carl Fucbs fn Daaxig
bittet una. Iblgende Berichtigung bzw. nacbtrlg-
Ifche Verinderung einer Stelle In der eisten
Hllfle seiner Arbeit über den Choral In der
evangelischen Kirche (2. Mal-Hell) bekannt zu
geben: S. 200 unter Brisp. 35 ist der erste
Satz lu streichen. Ebenfalla unter Brisp. 30
das Vort: ^schlichte". Das Wort „acbttaktiie'
irilre in Antührungsieichen susetzeiL OerVer-
haser wünscht tainiuiurOgen: Beispiel 38 ist
ein Unikum mit dnretagefObrtem Aaafkll der
leichten Takte. Diesen lUt das Original von
Apellea v. LAwenaMtn durch Halbtahtpansea
empOnden. Ea ist 1044 fGr Solt^eanng ge-
schrieben und notiert die relsUv IdchterenTakta
2 und 6 in Vierteln hinter einem Trennunfsttich.
TOTENSCHAU
Im Alter von 84 Jahren -f am 10. Mal In
Berlin Musikdirektor SallrPhIlipp,M(tbepfladar
des Verein Berliner Musiker.
Am ig. Mai -t in Ludwipburc Im Aller
von 04 Jahren Kommerzienrat Kar) Tnlcker,
Teilhaber der Firma E. F. Valcker ft Co^ König-
lich wGrttembergiache Hoforgelbanmelsür.
Im Alter von 88 Jabren f am la Mai in
Berlin die ausgezeichnete Cesanglehrerin Lalss
ReO. Zu ihren ScbOlem getaBrten u. a. Heluldi
Gudehus, Heinrich Ernst, Ida Hlcdler, Helene
Stsegemann. *
Am 25. Mai T 70 Jahre alt, Professor Gnstsv
Adolf Pspendick, einer der auagehelchneiee
Klavierpidagogen Berlins. Sehr bekannt and
viel besucht waren seine Kammermntikabend^
die er in den 80er und ODer Jahren meist im
Hotel de Rome veranstaltete.
Am 31. Mal f in Teimar, 81 Jshre alt, miheln
Gottschaig, einst ein berühmter Otielspleier,
der zu dem Freundeskreise Uazts und Tagners
zihlte.
KONZERTE
Dts Stern'scbe KonserTitorJum In
Berlin bnctate im Neuen KSnigl. Operntheiter
drei dramitlscbe Aurfübmngen seiner Opero-
■cbule. Die muiikUUcbe Leitung batte der
Direktor der Anstalt, Professor Gustav
Hollaender, in bewifarter Veise Über-
nommen, die Regle, Nicolaus Rothmü
Das reicbbaltige Programm (besondera hervor-
tubeben die iwelten Akte von .Der Vlder-
aplnstigen Zabmung" und »Carmen* und
,Margaretbe'',lIl.Akt) gab verschiedenen Cesangs-
noviien des In- und Auslandes Gelegenheit, sich
•chSne Erfolge zu boten. Die Inszenierung war
eine würdige, die Kostüme <Vercb & Flothow)
taistoriscb und stimmungsvoll. Dberden Gesamt-
erfolg konnten Prof. Hollaender und Nicolius
Rothmühl wiederbolt dankend quittieren.
Die Gesang- und Theateracbule der Frau
Professor Kflthe Fessler veranstaltete im Neuen
ScbkuspJelhaus In Berlin unter der Leitung von
Kapellmeister Felix Pinnereine Opemaufführung,
UDd zwar Akte aus „Die lustigen Veiber", „Tsffen-
»chmied" und Szenen aus .Cavallerla rusticana",
^Preiscbütz*' und „Figaros Hocbzeii*. Heinrich
Sctaeden, Opern- und Konzertsinger, hatte sich
um die Regie verdient gemacht und der Gesamt-
ejndruck war ein durchaus beledigender, ge-
sanglich wie darstellerisch.
Das Konservstorium von 0 1 1 i I i e von
Hanuscfaewski, Berlin V, Stein metzstr. 42,
gab in Form eines Konzertes mit gutem Gelingen
eine Übersiebt seiner gewissenhatten Ausbildung
in allen Fiebern der Musik, von kleinen Anfingen
■o bis zur Beherrschung anspruchsvoller Technik,
Sicherheit und richtig empfundener Auffassungs-
gabe. Die überaus reicbbaltige Vortragsfolge,
veratindig zusammengestellt und wirksam ge-
steigert, brachte der Leiterin des Instituts und
ibrfcn strebsamen ZSgllngen reichen Beifall ein.
AUS DEM VERLAG
Leone Sinigsglias Lustspiel Ouvertüre ,Le
Baruffe Chiozotte" (nach dem Goldonischen Lust-
spiele) wird in der Konzertzeit 1908/09 u. a. In
Antwerpen, Dresden, GSrlitz, Karlsbad, Teplltz,
Ostende, Vasa, Wien, Mailand und Utrecht zur
AufTübrung kommen. In den beiden letztge-
nannten Stidten fanden letzt schon erfolgreicbe
AuRübningen des Werkes unter Leitung der
Kapellmeister Toscsnini und Wouter Hutachea-
ruyter statt.
„Das begrabene Lied" für gemischten Chor
mit Tenorsolo und Orchester von Jos. Krug-
Taldsee, dessen symphonische Tondichtung, Der
goldene Topr* aufdem Ton künstlerfest In Müncben
lu GchSr kam, wird in der nichsien Konzertzeit
u. ■. in Hohensaiza und in Scbweinttirt zur Auf-
führung gelangen.
Joseph Suks Symphonie .Asrael", die von
der Böhmischen Akademie für Kunst und
Wissenschaft mit dem höchsten Preise von
2000 Kronen ausgezeichnet wurde, wird in der
nichsten Konzertzeit in Hamburg unter Leitung
von Professor Francesco Paolo Neglla und in
der Tarschauer Philharmonie unter S. von Nos-
kowski zur Aufführung kommen.
w =iii!riiiii!r= V
Berlin - Charlotlenburg.
Cbarlottenburg
VallstraHe 22. Femsprecher: Cb. 2078.
Notenstioh. o o Notendmok.
Lithographie, o Antographie.
KanstlerlBohe Titelbutter.
hlUtidiii IntHlni .. Hutlkilla.
A*tn«UaBcni«)lalll«4. laalktukaaMlaUaaKltO«.
Noten-Schreibpapier
. In allen Liaiataren.
ler «k
j2
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Der Irilte lendriek
vIehtIger BeeUoTen-Utentgr:
Das geniale Beeihovenwerk
von
Wilh. von Lenz
mit Erlluteningen voa
Dr. Alfr. Chr. Kalischer
i5t soeben erscbienenl
Geb. Mk. 4.—, ' geb. Mk. 5
SckasttrilocSItr, )(rlittW.
'MiDil[llii!iiti!i]ieDi[iJ[lit!liiine^!!^
Baiino dar Kursa un 1. Oktobar. □ Anmeldungen nehmen die
MusikiilenhiDdiungen von J«h. Ang. EMhme, Alterwall 44,
Alton i. Benjamin, Alterwtlt 66/68 und Max Lelchaaanrini,
NeDerwall 1 in Hamburg eniBeeen. Max Iioetvengard. I
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Dürerverlag, Prag 1908.
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Veriag: C. A. Andr6, Frankfurt a. M. 190S.
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Musikbucb In Österreich. Ein Jahrbuch der Musikpflege in Osterrelcb und den bedeutendsten
Mnsikstidten des Auslands. Redigiert von Dr. Hugo Botstiber. Fünfter
Jahrgang 1908. Verlag: Cari Fromme, Wien und Leipzig 1908.
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Richard Kruse. (Opernbücher, 62. Band. Mk. 0.20). Verlag: Philipp Reclam jun.,
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(Mk. 4.-.) VerUg: Schuster & LoefTler, Beriin und Leipzig 1908.
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PreMtliHBW Aber die ente Bcf-
liner AiiRlbning de« Wtxkta:
BcrllMr TagBfclBH: .Die CdUan
Verden fOr dleaea Werk, den Kos-
ponlMen dankbaradn. Vaa
daran hervnrtriit, Itt die ricBCf
male Anlage. In dnem Saae
ec dahin. In drei docb dcMlli
schieden« Teile aeriülleBd.
dritte bringt die T
1d verktlrzter E
digt In einer Durteda, i
ein kaniablM Largbetto, ist dnca der
acbSMten Stiekc, die in neucKr
Zdt rar Cello gescbrfebea sind.
Der Solopai^ der tedmlsA ^chi
leicht, aber dankbar geachtlebaB lai
und 1d aeiner Verwebnng tft daB
Orchester alle KlangmSclklikefHa
des Instrumeniea geacfatefct venrcne^
verlangt dnen vlrtnoaen Spieler mit
vollem Tone. Herr Aarix Loesun
sahn verbdr der NovItU n gllBUB
dm ErTflIiA.*'
tTnrlianrltlralairiigir alnMo-
lartsaal gab ea feaiem eine saima
E^remlftre: Prof. Gemahn In dirigier»
■n der Spltxe dea Moeanoccbiitats
sein neue* VloloncdllioHet^ nnd
der auageteiebnete Cdllat Marls
Loevensohn apielle ea mit schanca
Ton und gllaiendcr YlilwiMlili
'Das Wak bat liiaiimniii Tiiisigs,
die den VlolnaceUlatea fdUaa
intlaMD. Ea lat troti dnar deotlM
wahrnehmbaren drdsltdgeB Glte-
deruDg durchsus knapp gehahiB
und bietet dem Spieler dne Ungcn
dankbare KantHeM Im laagiaaaa
TelL AuQerdcm wird der SelepaR
DadaaKonienai
kdoe RKse) snlgib^ so wird es aiek
bald elabOrgen.*
Stern'sches Konservatorium
zugleioh Theatersohute fOr Oper und Sohauapiel.
Direktor: Professor Gustav Hollaender.
Berlin SW. GcKrüRdet isso. Beraburgeretr. 22 a.
Zweiganstalti Chaplottenbupg, Kantstr. 8—9. Leiter: Erich Hollaender.
Fr«]uciii In ScbuEJahf IMSflBOT: 1177 SchDlcr, lOS Lebnr.
uon
l'Reclamallniwr-l
^al-BiblioH]ek
EIN JUBILÄUM
das der regen Anteilnahme jedes Gebildeten und
, Bild ungs beflissenen sictier sein darf, feiert Reclams
weltberühmte Universal - Bibliothek durch Ausgabe
ihrer 5000. Nummer. Die Erreichung dieses Zieles
ist ein literarisches und buchhundleriscties Ereignis.
das zugleich als glänzender Beweis für den ernsten
Wissensdrang und den hohen Kullurstand des deut-
schen Volkes gelten darf. Kein anderes Volk der
Welt besitzt eine gleichwertige Büchersammlung, die
so reichhaltig und so populär ist wie die Universal-
Bibliothek, deren rotgelbe 20- Pfennig-Bände ebenso-
wohl im Fürstenschloß wie in der Bauernhütle, im
Studierzimmer des Gelehrten wie im bescheidenen
Heim des Fabrikarbeiters, im engeren Valerlande wie
im fernsten Ausland zu finden sind.
Der große ethische Werl, den die Universal- Biblio-
thek in sich schließt, liegt nicht nur in dem Umstand,
daß sie das Volk zur Freude an guter Lektüre er-
zieht, sondern auch, daß sie jedermann die Möglichkeit
bietet, sich für wenig Geld eine eigene Bibliothek
mit den besten Werken der Weltliteratur anzuschaffen,
in der ihm liebgewordene Bücher stets, in frohen und
ernsten Stunden, als treue Freunde zur Hand sind. Des-
halb verdient auch die Universal -Bibliothek die tat-
kräftige Unterstützung jedes wahren Menschenfreundes.
Die Verlagsbuchhandlung Philipp Reclam jun. in
Leipzig versendet die neuesten Kataloge der Univ.-Bibl.
an jederr.iann kostenfreit
Riclioril
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Soeben erschien in zweiter stark vermehrter Auflage
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Musikalische Strafpredigten p
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Aus den Stimmen der Presse Gber die erste Auflage
«Die Musik**, Berlin.
Mit köstlich-frischem, urwüchsigem Humor, dabei aber auf Grund einer ganz
soliden Bildung und auch mit dem redlichen Bestreben, zu bessern und zu belehren,
werden eine Reihe von Auswüchsen, Obelständen, Modetorheiten usw. unter die
kritische Lupe genommen. Somit ist das Motto:
Nicht für den lieben Nächsten bloß,
's ist manches auch für dich,
O Mensch, bewein' dein' Sünde groß!
Wen's juckt, der kratze sich,
zweifellos vollauf berechtigt. Wie der Verfasser mit wahrhaft blutigem Hohn unsere
Neuesten, für welche die Melodie eine abgetane, zum alten Eisen zu werfende Sache
(„es ist herzlich gemein, Familie zu haben*, sprach das Maultier!) bei den Ohren
nimmt, das ist von wahrhaft herzerfreuender Frische.
„Neue Zeitschrift für Musik", Leipzig.
Er (Siccus) besitzt Geist, Witz, Belesenbeit und Blick für das praktische Leben,
vermag also ungesunde Auswüchse leicht auszubrennen. Sein eigentliches Gebiet
ist die Stimmbildung, auf diesem offenbart sich in jedem Satz der Fachmann.
„Signale f. d. musikalische Welt**, Leipzig.
. . . Selten habe ich das „Lachend die Wahrheit sagen* so betitigt gefunden, wie
in diesen „Strafpredigten*, wo sich hinter der oft hanebüchensten Grobheit das
wärmste und intensivste Interesse an der geliebten Kunst verbirgt und dabei eine
ebenso erfreuliche Sachkenntnis wie Vornehmheit und Gediegenheit der Kunst-
anschauung zu Tage tritt. Man lese insbesondere, was der Verhsser fiber die
Antimelodiker, was er über preußische Militärmusik schreibt, und man wird ihn bei
aller Schärfe des Urteils doch der Übertreibung nicht zeihen können. Es ist traurig,
daß er Recht hat; aber — er hat recht!
„Rheinische Musik- und Theaterzeitung*.
Die „Musikalischen Strafpredigten* geben in diesem Zusammenhang ein doppelt
ergötzliches Bild der mit ebenso gründlichster Sachkenntnis als beißender Schiffe
beobachteten Dinge im musikalischen Leben. Vieles darin ist einfach «zum Schreien*...
„Chemnitzer Tageblatt*.
. . . mit rücksichtsloser Schärfe und beißender Ironie gegen so manchen Krebs-
schaden in unserer heutigen Musikpflege loszieht; das geschieht aber alles mit to
köstlichem Humor, daß es eine Lust ist, diesen kritischen Fechtübungen zuzuschnnen.
Überall sind tatsächliche Mißstände in so urkomischer Form und mit so drastischen
Bildern und Vergleichen gegeißelt, daß man dem Verfasser oft zujubeln möchte. . . .
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und von
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