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Full text of "Die Mysterien des Mithra: Ein Beitrag zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit"

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DIE MYSTERIEN 
DES MITHRA 

EIN BEITRAG ZUR RELIGIONSGESCHICHTE 
DER RÖMISCHEN KAISERZEIT VON 



FRANZ CUMONT 

PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT GENT 



AUTORISIERTE DEUTSCHE AUSGABE VON 

GEORG GEHRICH 



Mir 9 ABBILDUNGEN IM TEXT UND AUF 2 TAFELN 

SOWIE EINER KARTE 




LEIPZIG 
VERLAG VON B. G. TEUBNER 

1903 



AIXE RECHTE, 
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZÜNGSRECHTS, VORBEHALTEN. 




VORREDE DES VERFASSERS ZUR ERSTEN 
UND ZWEITEN FRANZÖSISCHEN AUSGABE. 



Das vorliegende Buch erhebt keinen Anspruch darauf, 
ein Bild von dem Untergange des Heidentums zu bieten. 
Man wird in ihm auch keine allgemeinen Betrachtungen 
über die eigentlichen Ursachen suchen dürfen, welche den 
Erfolg der orientalischen Kulte in Italien erklären. Wir be- 
absichtigen hier nicht zu /eigen, wie ihre Lehren — ein 
weit wirksameres Ferment der Zersetzung als die Theorieen 
der Philosophen — die nationalen Glaubens Vorstellungen 
auflösten, auf denen der römische Staat und das gesamte 
antike Leben beruhte; und wie dann die Zerstörung des 
Gebäudes, dessen Mauern sie in ihren Fugen gelockert 
hatten, durch das Christentum vollendet wurde. Ebensowenig 
wollen wir hier die verschiedenen Phasen des Kampfes 
zwischen der Idolatrie nnd der erstarkenden Kirche verfolgen. 
Dieses umfassende Thema, welches wir später einmal be- 
handeln zu können hoffen, bildet nicht den Gegenstand 
dieser Monographie. Sie beschäftigt sich nur mit einer 
Episode ans jener entscheidenden Revolution: sie versucht 
nämlich mit möglichster Präzision zu zeigen, wie und warum 
eine Abart des MazdaismuE unter den Cäsaren beinahe zur 
vorherrschenden Religion des römischen Reiches ge- 
worden ist. 

Die hellenische Kultur kam nie dazu, bei den 
Persern Wurzeln zu schlagen; und den Römern gelang es 
ebenfalls nicht, sich die Farther zu unterwerfen. Die be- 
deutsame Tatsache, welche die ganze vorderasiatische Ge- 



!bte beherrscht, ist, dafs die iranische und die griecEI 

lateinische Welt, ebensosehr durch instinktive Antipathie als 
durch Erbfeindschaft voneinander geschieden, einer wechsel- 
seitigen Assimilation stets abgeneigt blieben. 

Dennoch hat die Rehgion der Magier, welche die 
vollendetste Schöpfung des iranischen Genius darstellt, drei- 
mal die abendländische Kultur beeinflufst. Zunächst übte 
der Paraismus eine sehr merkhche Wirkung auf die Ent- 
stehung des Judentums aus, und einige seiner Hauptlehreii 
verbreiteten sich durch Vertnittelung der jüdischen Koionieen 
im ganzen Mittelmeerbecken und wurden später von der 
kathoUscIien Orthodoxie übernommen. 

Unmittelbarer wirkte der Mazdaismas auf die europäische 
Gedankenwelt, als Rom den Osten Kleinasiens erobert hatte. 
Seit unvordenklicher Zeit lebten dort in stiller Verborgenheit 
Kolonieen von Magiern, die aus Babylon ausgewandert 
waren und in diesen barbarischen Gegenden, indem sie 
ihre traditionellen Glaiibensvorstellungen mit hellenischen 
Ideen verwoben, mit der Zeit einen trotz seiner komplexen 
Beschafienheit originellen Kultus herausgebildet hatten. Am 
Anfang unserer Zeitrechnung sah man ihn plötzlich aus dem 
Dunkel auftauchen und gleichzeitig im Donau- wie im Rhein- 
tal und bis in das Herz Italiens vordringen, Die Völker 
des Abendlandes empfanden tief, daß der mazdäiache 
Glaube ihren alten Nationalreligionen überlegen war, und 
die Massen strömten zu den Altären des fremden Gottes. 
Aber die Fortschritte des Eroberers stockten, sobald er mit 
dem Christentum Fühlung bekam. Mit Erstamien gewahrten 



die beiden Gegner, 
waren, ohne sich i 
Rechenschaft geben 
den Geist der Lüge i 
parodieren wollen. 



: ähnhch sie sich in vieler Hinsicht 
den Ursachen dieser Ähnlichkeit 
können, Und darum klagten sie 
, daS er ihre heiligen Bräuche habe 
Der Konflikt zwischen beiden war 
unvermeidlich und wurde au einem heißen, unversöhnlichen 
Kampfe, denn sein Einsatz war die Weltherrschaft. Niemand 
hat uns seine wechselnden Momente berichtet, imd unsere 



Phantasie allein vergegeawärtigt sich die einzelnea Akte des 
Dramas, welches sich in der Seele der Volksmassen abspielte, 
als sie zwischen Onnuzd und der Trinität hin- und her- 
schwankten. Wir kennen nur das Ergebnis des Kampfes: 
der Mithriadsmus wurde besiegt, und zweifellos miiBte er 
es werden. Jedoch ist seine Niederlage niciit ausschließlich 
der Überlegenheit der evai^elischen Moral oder der 
apostolischen Predigt gegenüber der Lehre der Mysterien 
zuzuschreiben; er ist nicht lediglich deshalb zu Grunde ge- 
gangen, weil er von der ererbten Last einer überlebten 
Vergangenheit zu Boden gedrückt wurde, sondern auch, 
weil seine Liturgie und seine Theologie zu asiatisch geblieben 
war, als daß der römische Geist sie ohne Widerstreben 
hätte acceptieren können. Umgekehrt blieb ebenderselbe 
Kampf, der zu gleicher Zeit in Iran zwischen den beiden 
Rivalen entbrannt war, für die Christen ohne Erfolg, wonicht 
ohne Ehre, und in den Staaten der Sassaniden Heß sich der 
Zoröastrisraijs niemals ernstlich antasten. 

Aber die Niederlage Mithras bedeutete nicht das Ende 
seiner Macht, Er hatte die Geister für die Aufnahme eines 
neuen Glaubens vorbereitet, der — wie er selbst — von 
den Ufern des Euphrat kam und mit veränderter Taktik 
die Feindseligkeiten wieder eröffnete. Der Manlchäismus 
erschien als sein Erbe und setzte sein Werk fort. Es war 
der letzte Ansturm, den Peraien auf den Occident unternahm, 
und er war blutiger als die anderen — aber auch er sollte 
schließlich an der Widerstandsfähigkeit des christhchen Reiches 
scheitern. 

Diese flüchtige Skizze wird, wie ich hoffe, die Wichtigkeit 
der Geschichte des Mithriacismus erkennen lassen. Ein 
Seitenscbößling des alten mazdaischen Stammes, hat er in 
vieler Beziehung die Eigentümlichkeiten der alten Natur- 
leligion der iranischen Stämme bewahrt und läßt uns ver- 
gleichsweise die so umstrittene Tragweite der avestischen 
Reformation besser verstehen. Anderseits hat er gewisse 
Lehren der Kirche wenn nicht inspiriert, so doch wenigstens 



Q geholfen, wie die VorateUungen von den höllischen 
Mächten, und vom Ende der Welt, So trägt sein Äuf- 
kommea wie sein Untergang dazu bei, die Entstehungs- 
geschichte zweier großer Religionen aufzubellen. In der 
Zeit seiner Vollkraft übte er einen nicht minder bemerkens- 
werten Einfluß auf die römische Geseilachafl und die 
römische Regierung aus. Vielleicht war Europa niemals, 
selbst nicht in der Epoche der mohammedanischen Invasionen, 
näher daran asiatisch zu werden als im 3. Jahrhundert 
unserer Ära; und es gab eine Zeit, in welcher der Cäaariamus 
anscheinend im Begriffe stand, sich in ein Khalifat zu ver- 
wandeln. Man hat oft auf die Ähnlichkeit hingewiesen, 
welche zwischen dem Hofe Diokletians und dem der Chosroes 
besteht. Der Sonnenkult und namentlich die mazdäischen 
Theorieen machten die Ideen populär, auf welche die ver- 
götterten Herrscher ihren monarchischen Absolutismus zu 
gründen suchten. Die rapide Aiisbreitung der persischen 
Mysterien in allen Klassen der Bevölkerung diente in be- 
wunderungswürdiger Weise dem politischen Ehrgeiz der 
Kaiser, Eine Sturmflut von iranischen und senütischen 
Gedanken brach herein, welche fast alles verschlang, was 
der griechische oder römische Geist in mühevoller Arbeit 
aufgebaut hatte; und als sich die Überschwemmung endlich 
verhef, da ließ sie im Volksbewußtsein einen starken Nieder- 
schlag von orientalischen Vorstellungen zurück, der niemala 
wieder völlig verschwand. 

Ich glaube damit zur Genüge gezeigt za haben, inwiefern 
der Gegenstand, den ich zu behandeln versuchte, eme ein- 
gehendere Untersuchung verdiente. Obwohl mich das Studium 
desselben in jeder Beziehung viel weiter geführt hat, ala 
ich anfangs vorauszusehen vermochte, so sind mir die 
Arbeits- und Reisejahre doch nicht leid, welche ich ilira 
widmen mußte. Daß die Aufgabe , welche ich zu lösen 
hatte, eine schwierige war, stellte sich bald genug heraus. 
Einerseits wissen wir nicht, in welchem Grade das Aveata 
und die anderen heiligen Bücher der Paisen den Vor- J 



I 



Stellungen der abendländischen Mazdäer entsprechen; ander- 
seits steht uns fast nur dieser Kommentar zur Verfügung, 
wenn es sich darum handelt, die im Laufe der Zeit in 
erheblicher Anzahl gesamraellen figürlichen Denkmäler zu 
erklären. Nur die InschiiRen sind ein stets zuverlässiger 
Fülirer, aber iiir Inhalt ist, alles in allem, dürftig genug. 
Wir befinden uns ungefähr in derselben Lage, als werm wir 
die Geschichte der mittelalterlichen Kirche schreiben sollten, 
ohne irgend eine andere Quelle zu besitzen als die hebräische 
Bibel und plastische Trümmer von romanischen und gotischen 
Portalen. Infolgedessen kann die Erklärung der mithrischen 
DarsteUungeD häufig nur einen mehr oder weniger hohen 
Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen. Ich bilde mir nicht 
ein, es immer nu einer im strengen Sinne des Wortes 
exakten Entzifferung dieser Hieroglyphen gebracht zn haben, 
und will meinen Ansichten lediglich den Wert der Argumente 
beilegen, auf die sie sich stützen. Indessen hoffe ich die 
allgemeine Bedeutung der heiligea Bilder, welche die 
mithrischen Krypten schmückten, bestimmt fixiert zu haben. 
Die Einzelheiten ihrer gesuchten Symbolik sind allerdings 
schwer zu deuten, und oft muB man da die ars ntsciendi 
üben. 

Das vorliegende kleine Buch gibt die „Conclusions" 
wieder, welche den ersten Band meiner Textes et monumtnts 
figur/s relaliß aux viy stires de Mi Ihr a beschließen. Er- 
leichtert um die Anmerkungen und Hinweise, welche ihnen 
zur Rechtfertigung dienen, beschränken sich diese Seiten 
auf eine resümierende Zusammenstellung dessen, was wir 
über den Ursprung und die Beschaffenheit der mitiirischen 
Religion wissen. Sie werden für den Leser genügen, welcher 
sich über die Sache zu orientieren wünscht, Die Unklarheiten 
und Lücken der Überlieferung machten es unmöglich, allen 
Partieen dieser Rekonstruktion die gleiche Solidität zu geben. 
Wer die Stabilität der Grundlagen zu prüfen wünscht, auf 
denen sie beruht, wird zu den kritischen Auseinander- 
setzungen meiner „Introduction" greifen müssen, welche 



VIU — 

den Zweck haben, den Sinn und den Wert der Bchriftlichen 
Urkunden und namentlich der figurlichen Denkmäler zu be- 
stimmen, welche in meiner Sammlung vereint sind. 

Während der langen Vorbereitung dieses Werkes habe 
ich oft jene Solidarität in Anspruch nehmen müssen, weiche 
in aller Welt die Männer der Wissenschaft verbindet, und 
selten habe ich mich vergeblich auf sie berufen. Das Ent- 
gegenkommen treuer Freunde, von denen mehrere nicht 
mehr am Leben sind, ist oft dem Ausdruck meines Wunsches 
vorangeeilt und hat mir von selbst dargeboten, was ich 
vielleicht nicht zu erbitten gewagt hätte. Im Text des 
Hauptwerkes habe ich jedem das Seine wiederzugeben versucht. 
Ich will hier keine Aufzählung meiner Mitarbeiter vornehmen 
und diese nicht scheinbar für ihre Gefälligkeit belohnen, 
indem ich ihnen banale Komplimente widme. Aber mit 
dem Gefühle tiefer Dankbarkeit erinnere ich mich der 
Dienste, welche sie mir seit mehr als zehn Jahren erwiesen 
haben, und am Ende meiner Arbeit angekommen gedenke 
ich aller, welche mir geholfen haben sie zu vollenden. 

1. Dezember iSoo. 



Die vorliegende 2. Auflage, welche der ersten nach 
kurzer Zeit folgt, hat wenig Änderungen erfahren. Abgesehen 
von zwei oder drei Stellen igt der Text kaum modifiziert. 
Dagegen habe ich einige Anmerkungen hinzugefügt, welche 
auf neu erschienene Arbeiten verweisen, und eine Auswahl 
von Illustrationen beigegeben, die manche Ausführungen am 
besten erläutern. Die belangreichste Zugabe ist der Anhang 
über die mithrische Kunst; ich glaubte, daß diese archäo- 
logische Studie in einer Zeit, wo man sich viel mit den 
orientatischen Ursprüngen der römischen Kunst beschäftigt, 
wohl auf einiges Interesse rechnen durfte. 

Als Pflicht empfinde ich es, hier den Kritikern zu 
danken, welche meine Untersuchungen über die Mysterien 
des Mithra so wohlwollend beurteilt und freundlich anerkannt 



IX 

haboi, daß diese Rekonstniktion emer unterg^^^angeo^»! 
Re]|gkm auf objekthi» und voUstand^er Inteipretatkm der 
QoeUen beruht Bei d^ Dunkelheit der behandelten 
Materie waren Meinmigsv^schiedaih^ten freilich nicht tu 
vameiden, und meine bisweflen kühnen Schlußfolgerungen 
konnten mandien in mehr als einem Punkte irrig erscheinen. 
Ich habe diesen Zweifeln bei der Durchsicht meiner Arbeit 
Redmung getragen; und wenn ich auch nicht immer glaubte 
meine Meinung ändern zu müssen, so habe ich doch die 
meintf G^^ner stets zuvor sorgsam erwogen. In diesem 
Bändchen aber, wo jede Diskussion ausgeschlossen war, 
konnte ich meinen Standpunkt nicht verteidigen. Ich gebe 
zu, daß es heikel ist, einen Text ohne die Anmerkungen 
zu verö£fentlichen, welche dazu bestimmt sind, jenen xu 
stutzen, zu erklären und zu beschranken, aber ich hoffe, 
daß der Leser diesen unvermeidlichen Mangel nicht alltu« 
sehr fühlen wird. 

I. Mai 1902. 

Franz Cumont 

Professor an der UniversU&t CVetiU 



VORREDE DES HERAUSGEBERS. 



Professor F. CumoBts große Monographie über die 
Mysterien des Mithra (2'c'xles et monumenis figuris relatifs aux 
myslh-es de Mithra puiUh avec une inlroduclion critique. 
Tome I: Introduction. Tome II: Textes et monuments, 
BruxeUes, H. Lamertin, 1899 und 1896. XXVIII, 377; 
Vni, 554 S. 4° mit 507 Textabbildungen, 9 Lichtdruck- 
tafeln und 1 Karte) bedarf in Deutschland keiner Empfehlung 
mehr, seit u. a. so namhafte Gelehrte wie G. Wissowa 
(Deutsche Litteraturzeitung 1900, Sp. 1762—1764) und 
E. Schürer (Theologische Literaturzeitung iqoo, 
Sp. 396 — 397) ihr die höchste Anerkennung gezollt und 
dabei auf die Wichtigkeit ihres Gegenstandes für Historiker 
und Theologen hingewiesen haben. Ein so umfangreiches 
und kostspieliges Werk kann jedoch naturgemäß immer nur 
auf einen beschränkten Leserkreis rechnen, zumal im Auslande. 
Ans diesem Grunde hatte der Herr Verf. selbst die „Con- 
clusions", welche den 2. Teil des zuletzt erschienenen I.Bandes 
(p. 223 — 350) bilden und die Resultate seiner Forschungen 
zusammenfassen, ohne den wissenschaftlichen Beweisapparat 
in einer Sonderausgabe veröffentUcht (F. Cumont, Les 
TTtystires de Mithra. Bruxelles, H. Lamertin igoo, VIII, 
84 S. 4* mit I Karte). Auf mein Ansuchen, eine deutsche 
Übersetzung dieser Sonderausgabe veranstalten zu dürfen, 
gingen der Herr Verf. und sein Verleger bereitivilligat ein, 
wobei mir jener zugleich in freundlichster Weise seine Hilfe 
anbot. Ehe noch der Druck meiner Arbeit begonnen hatte, 
erschien bereits die Z. französische Ausgabe jenes Auszugs, 



und zwar in etwas verändertet Gestalt (vgl. die Vorrede 
des Verf., S. VIII). Alles, was diese an Text und Anmerkungen 
mehr bot als die i., ist auch in die deutsche Bearbeitung 
aofgenommen . wobei zugleich einige Druckfebler und Ver- 
sehen des Originals verbessert werden konnten, Die gering- 
fügigen Zusätze des Herausgebers beruhen fast ausnahmslos 
auf besonderer Vereinbarung mit dem Herrn Verf. and 
sind daher nicht als solche gekennzeichnet; nur den Verweis 
auf Baethgens Beiträge zur semitischen Religions- 
geschichte (S. 71 Anm. i) für solche, die sich näiier 
über die dort genannte Gottheit zu infonnieren wünschen, 
habe ich allein zu verantivorten. Die beigegebenen Ab- 
bildungen, welche sich in der Rege! auf das Wichtigste 
besciiränken, von diesem aber, wie ich hoffe, nichts ver- 
missen lassen, sind mit wenigen Ausnahmen dem reichen 
Bilderschatze des Hauptwerkes entnommen und finden sich 
großenteils auch in der 2. französischen Ausgabe der 
Mystires de Miihra, die daneben noch andere Ulustrationen 
bringt, Die Karte, welche vorzugsweise zum Gebrauch bei 
der Lektüre des 2. Kapitels bestimmt ist, habe ich mit 
Hilfe des Herrn Verf. an einigen Stellen verbessert; außerdem 
sind die nötigen sprachlichen Änderungen auf ihr vor- 
genommen, und endlich in ihrem Gradnetz der Pariser 
Null-Meridian durch den allgemeiner gebräuchlichen von 
Greenwich ersettt. Wie sich Eigenart und Schicksal des 
Mithriacismus schon in dieser Karte abspiegelt, hat neuer- 
dings A. Hamack gezeigt (Die Mission und Ausbreitung 
des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. 
LeipEig 1902, S, 534ff.). 

Sollte meine bescheidene Arbeit etwas dazu beitragen, 
die bedeutsamen Forschungen des verdienstvollen belgischen 
Gelehrten ihren wesentlichen Ergebnissen nach bei uns in 
weiteren Kreisen bekannt zu machen, so würde die von mir 
aufgewandte Mühe nicht vergeblich gewesen sein. Hat doch 
der Mithriacismus gerade in Deutschland besonders zahl- 
reiche und interessante Spuren hinterlassen: hier hat man 



( 



die meisten mithrischen Krypten und die größten Basreliefs 
za Tage gefördert (vgl. S. 30 f,). Da das vorliegende Buch 
in der Hauptsache für jeden Gebildeten verständlich ist, 
so wendet es sich auch an solche Leser, die nicht Fach- 
gelehrte sind, und wer z. B. durch H. St. Chamberlains 
geistreiches und scharf pointiertes Werk über Die Grund- 
lagen des ig. Jahrhunderts Interesse an dem „Völker- 
chaos" gewonnen hat, welches der eherne Ring der römischen 
Legionen umschloß, der findet hier ein anschauliches Bei- 
spie! von den religiösen Vorstellungen und Motiven, welche 
damals Hirn und Herz der Massen erfüllten und beherrschten. 
Dem historisch und religio na philosophisch geschulten Leser 
aber wird nicht entgehen, daß auch diese Einzelachilderung 
wieder an mehr als einer Stelle absichtslos den Beweis 
dafür liefert , daß man die Kenntnis der sogenannten 
primitiven Religionen gerade dann nicht entbehren kann, 
wenn man vor die Aufgabe gestellt wird, die religiösen 
Vorstellungen und Bräuche hüherer Kulturstufen richtig zu 
deuten — eine Tatsache, die von manchen Seiten immer 
noch nicht genügend anerkannt und ebensowenig praktisch 
tierücksichtigt wird. Daß der Anhang über die mithrische 
Kunst für Archäologie und Kunstgeschichte nicht ohne Belang 
sein dürfte, hat der Herr Verf. schon in seiner Vorrede 
bemerkt; ich möchte noch hinzufügen, daß m. E, von dem 
3. Kapitel bezüglich des romischen Staatsrechts dasselbe gilt. 
Schließlich habe ich die angenehme Pflicht zu erfüllen, 
dem Herrn Verf. auch an dieser Stelle für das lebhafte 
Interesse und die ausgiebige Unterstützung zu danken, welche 
er meiner Arbeit gewidmet hat, und ebenso dem Herrn 
Verleger B, G. Teubner für die Bereitwilligkeit, mit welcher 
er meinen Wünschen bezüglich der Ausstattung des Buches 



Stellichte {Regbez. Lüneburg), 11. Febr. 1903. 

Georg Gehrich 



INHALT. 



Erstes Kapitel. seite 

Die An&ige i — 23 

Mithra ist ein indo-iranischer Gott i. — Die Hypothese 
einer Entlehnung aus Babel 2. — Der avestische Mithra 2. — 
Der Mithra der Achämeniden 7. — Die Verbreitung seines 
Kultus im persischen Reiche 9. — Mithra und die Dia- 
dochen 10. — Der Synkretismus der alexandiinischen 
Epoche 13. — Der Mazdaismus in Armenien 14 — in 
Kleinasien 14. — Kombinierung mit den griechischen 
Grottem 16. — Einfluß der griechischen Kunst und der 
stoischen Philosophie 17. — Festigkeit der Liturgie 18. — 
Der Mazdaismus nimmt die Form der Mysterien an 20. — 
Ankunft Mithras in Cilicien 23. 

Zweites Kapitel. 
Die Ausbreitung im römischen Reiche . . . 24 — 62 

Mithra dringt nicht in die griechische Welt ein 24. — 
Seine Verbreitung im Abendlande 25. — Datum seiner 
Ankunft in Italien 27. — Sein Kultus wird durch die 
orientalischen Soldaten an den Grenzen verbreitet 29. — 
Seine Ausbreitung in Mösien 32 — in Dacien und Pan- 
nonien 33 — in Camuntum 36 — in Rhatien 38 — in 
Germanien 38 — in Belgien 40 — in Britannien 41 — in 
Afrika und Spanien 42. — Einfluß der Veteranen 43. — 
Andere Faktoren: die syrische Diaspora 45. — Die orien- 
talischen Sklaven 47. — Verbreitung des Mithriacismus in 
den Mittelmeerhäfen 47 — im Rh6netal 49. — Die 
Sklaven führen ihn in Italien ein 51 — ebenso in Noricum 



— XIV — 

Seite 
und Pannonien 53. — Die Beamten sklavischer Her- 
kunft 54. — Verschiedene Ursachen der Ausbreitung des 
Kultus 56. — Die Provinzen, von denen er ausgeschlossen 
blieb 58. — Sein Erfolg in Rom 58. — Er gewinnt die 
oberen Stände der Gresellschaft für sich 60. — Die 
Schnelligkeit seiner Verbreitung 61. 

Drittes Kapitel. 
Mithra und die kaiserliche Gewalt 63 — 79 

Der Mithriacismus ist nicht verfolgt 63. — Die recht- 
liche Stellung der Kollegien seiner Bekenner 64. — Die 
Gunst der Kaiser 65. — Ihre Ursachen: Theorieen über 
die Grottheit der Herrscher 66 — in Ägypten, bei den 
Persem und unter den Diadochen 68. — Das Hvarend 
wird zur TOxil ßaciX^iwc 71 — und zur Fortuna Augtisii'j2, 
— Die Beinamen pius, felix^ imnctus und aetemus 73. — 
Das Feuer der Cäsaren und die Strahlenkrone 75. — Die 
Sonne und der Kaiser sind wesensgleich 76. — Deus et 
dominus natus ']'], — Resultat 78. 

Viertes Kapitel. 
Die Lehre der Mysterien 80 — iio 

Die Unmöglichkeit, die Entwicklung der mithrischen 
Theologie zu verfolgen 80. — Der höchste Gott ist die 
Unendliche Zeit 81. — Theogonie: die ursprüngliche 
Trias Himmel, Erde und Ozean oder Jupiter, Juno, 
Neptun 83. — Die anderen Grötter Kinder des Jupiter 
und der Juno 84. — Ahriman und die Dämonen 85. — 
Die mithrische Kosmologie: der Kult der vier Ele- 
mente 86. — Die Allegorie der Quadriga 87. — Sonne 
und Mond 88. — Chaldäische Einflüsse 89. — Die 
Planeten und die Zeichen des Tierkreises 90. — Die 
himmlischen Hemisphären oder die Dioskuren und 
Atlas 92. — Die Lehre vom Schicksal: Astrologie und 
Superstition 92. — Die wohltätigen Götter 93. — Mithra, 
der Genius des Lichtes und |üi€c{Tr)C, wird in Babylon 
mit der Sonne identifiziert 95. — Die Trias Mithra, 



XV 

Seite 
Cautes und Cautopates 96. — Die mazdäische Legende: 

Gebnrt Mithras 97. — Legende von Mithra und der 

Sonne 98. — Legende von Mithra und dem Stier 98. 

— Die Schöpfung der Pflanzen und Tiere 99. — Das 
Menschengeschlecht von einer Dürre, einer Überschwem- 
mung und einem Brande bedroht 100. — Festmahl und 
Himmelfahrt des Sol und des Mithra lOl. — Die Be- 
ziehungen zwischen Mithra und dem Menschen loi. — 
Die Moral des Mithriacismus 102. — Mithra ist der 
Schutzpatron seiner Glaubigen 103. — Schicksal der 
Seele nach dem Tode 104. — Auferstehung des Fleisches 
und Weltbrand 106. — Ergebnisse 107. 

Fünftes Kapitel. 
Die Liturgie, der Klerus und die Gläubigen iii — 131 

Verlust der heiligen Bücher des Mithriacismus lil. 

— Festhalten am persischen Ritual 112. — Die sieben 
Weihegrade 112. — Ursprung der Verkleidungen in 
Tiere 113. — Die Diener und die Teilnehmer 115. — 
Die Väter 115. — Einweihungszeremonien, die Sakra- 
mente: mithrische Taufe, Firmelung und Kommunion 116. 

— Die Prüfungen I19. — Der Eindruck dieser Zere- 
monien 121. — Der Klerus 122. — Die tägliche Li- 
turgie und die Feste 124. — Die mithrischen soda- 
licia 125. — Ihre Beamten und ihre Finanzen 126. — 
Die beschränkte Anzahl ihrer Mitglieder 128. — Aus- 
schluß der Frauen 130. 

Sechstes Kapitel. 
Mithra und die Religionen des Kaiserreiches 132 — 159 

Toleranz des Mithriacismus 132. — Seine Be- 
ziehungen zu den orientalischen Kulten: Isis, Jupiter 
Dolichenus 134. — Sein Bündnis mit der Mater 
Magna 135. — Das Taurobolium 136. — Die Theologie 
mündet in den solaren Synkretismus aus 138. — Sie 
entspricht damit der Philosophie und den politischen 
Tendenzen des Reiches 139. — Letzter Anlauf des Pa- 



XVI 

Seite 
ganismiis zum Monotheismus 140. — Der Kampf der 

Mithramysterien und des Christentums 142. — Ähnlich- 
keiten und Unterschiede in ihrer Ausbreitung 142. — 
Die Verwandtschaft ihrer Lehren 144. — Der Cregensatz 
ihrer Tendenzen 149. — Der Mithriacismus wird von 
den Kaisem unterstützt 151. — Die Bekehrung Con- 
stantins 152. — Die Restauration Julians 153. — Eine 
heftige Verfolgung folgt ihr 154. — Die römische 
Aristokratie bleibt Mithra treu 156. — Verschwinden 
seines Kultus 157. — Die Ideen, welche er hinterlassen 
hat; der Manichaismus ist sein Erbe 157. 

Anhang. 
Die mithrische Kunst 160—176 

Die Bedeutung der mithrischen Bildwerke für die 
römische Kunstgeschichte 160. — Die Darstellung 
Mithras 161 — der Dadophoren 162. — Sorgfeit der 
Ausfuhrung einzelner Monumente 162. — Die trostlose 
Mittelmäßigkeit der meisten 164 — wird durch ihre Be- 
stimmung entschuldigt 164. — Fabrikation und Vertrieb 
der mithrischen Ex-voto 165. — Die großen Basreliefs 
als Proben der provinzialen Kunstübung in der Kaiser- 
zeit 168. — Polychromie 168. — Die nordgallische 
Bildhauerschule und das Basrelief von Osterburken 169. 
— Die Herkunft der dargestellten Typen 171. — Der 
löwenköpfige Kronos 171. — Zweck der mithrischen 
Bildwerke 174. — Die Nachwirkungen der mithrischen 
Kunst und ihre Bedeutung für die altchristliche 175. 



Berichtigung. 
S. 10, Z. 15 utid 22 statt Kappodocien lies Kappadocien. 




DIE ANFANGE. 

Schon in der unbekannten Epoche, als die Vor- 
fahren der Perser noch mit denen der Hindus vereint 
waren, beteten sie den Mithra an. Die Hymnen der 
Veden feiern seinen Namen wie die des Avesta, und 
trotz der Verschiedenheit der beiden theologischen 
Systeme, welche diesen Büchern zu Grunde liegen, 
haben der vedische Mitra und der iranische Mithra 
so viele ähnliche Züge behalten, daß man an der 
Gememsamkeit ihres Ursprungs nicht zu zweifeln 
vermag. Beide Rehgionen erblicken in ihm eine 
Lichtgottheit, welche zugleich mit dem Himmel an- 
gerufen wird, der dort Vanina, hier Ahura heißt; in 
moralischer Beziehung erkennen sie ihn als Schirm- 
herm der Wahrheit an, als Gegner der Lüge und 
des Lrtums. Aber die heilige Poesie Indiens hat 
von ihm nur eine halberloschene Erinnerung bewahrt. 
Nur ein einziges ziemlich farbloses Stück ist ihm 
besonders gewidmet. Er erscheint vor allem ge- 
legentlich in Vergleichen, welche von seiner ver- 
gangenen Größe zeugen. Aber wenn auch seine 
Physiognomie in der Sanskritliteratur nicht ebenso 
deutlich hervortritt wie in den Zendschriften, so reicht 
doch diese Unbestimmtheit der Umrisse nicht dazu 
aus, um die ursprüngliche Identität seines Charakters 
zu verschleiern. 



Nach einer neueren Theorie gehörte dieser Gott, 
den die europäischen Völker nicht kennen, auch nicht 
zu dem alten Pantheon der Aryas. Das Paar Mitra- 
Varuna und die fünf anderen von den Veden be- 
sungenen Adityas, ebenso wie Mithra-Ahura und die 
Amshaspands, welche den Schöpfer nach der aves- 
tischen Vorstellung umgeben, wären nichts anderes 
als die Sonne, der Mond imd die Planeten, deren 
Kultus von den Indo-Iraniern einem benachbarten 
Volke entlehnt worden wäre, „welches ihnen in der 
Kenntnis des gestirnten Himmels überlegen war", d. h, 
aller Wahrscheinlichkeit nach den akkadischen oder 
semitischen Einwohnern Babyloniens. ') Aber diese 
vorausgesetzte Übernahme muß sich, falls sie tat- 
sächlich stattgefunden hat, in prähistorischer Zeit 
vollzogen haben, und da wir es nicht versuchen wollen, 
das über jener Vergangenheit ruhende Dunkel zu 
lichten, so wird für uns die Feststellung genügen, 
dafs die Stämme Irans vom Anfange ihrer Herrschaft 
bis zu ihrer Bekehrung zum Islam niemals aufgehört 
haben, Mithra einen Kultus zu widmen. 

Im Avesta ist Mithra der Genius des himmlischen 
Lichtes, Er erscheint vor Sonnenaufgang auf den 
felsigen Gipfeln der Berge; während des Tages 
durcheilt er auf seinem von vier weißen Rossen ge- 
zogenen Wagen die Räume des Firmaments, und wenn 
die Nacht hernieder sinkt, so erleuchtet er noch mit 
einem Ungewissen Schimmer die Oberfläche der Erde, 
„immer umsichtig, immer wachsam". Er ist weder 
die Sonne, noch der Mond, noch das Stemenheer, 
sondern mit Hülfe dieser „tausend Ohren und dieser 



l) Oldenberg, Die Religion des Veäa, 1894, p. I85. 



zefantaiisend Augfen" überwacht er die Welt, Mithra 
hört alles, sieht alles, er ist allwissend, niemand 
vermag ihn zu täuschen. Durch eine naheliegende 
Übertragung' ist er in moralischer Beziehung der Gott 
der Wahrheit und der Rechtschaffenheit geworden, 
den man beim Schwur anruft, der die Verträge schützt 
und die Meineidigen straft. 

Indem das Licht die Dunkelheit zerstreut, führt 
es die Freude und das Leben auf die Erde zurück; 
die Wärme, welche es begleitet, befruchtet die Natur. 
Mithra ist „der Herr der weiten Fluren", der sie 
fruchtbar macht. „Er gibt das Gedeihen, er gibt den 
Überfluß, er gibt die Herden, er gibt den Nachwuchs 
imd das Leben." Er gießt die Wasser aus und läßt 
die Pflanzen sprießen; er verleiht dem, welcher ihn 
ehrt, die Gesundheit des Leibes, die Fülle des Reich- 
tums und eine glücklich veranlagte Nachkommen- 
schaft. Denn er ist nicht nur der Spender materieller 
Vorteile, sondern auch der der Eigenschaften der 
Seele. Er ist der freundliche Wohltäter, der zu- 
gleich mit dem Glücke den Frieden des Gewissens, 
Weisheit und Ruhm schenkt und Eintracht unter 
seinen Gläubigen herrschen läßt. Die daevas, welche 
die Finsternis bevölkern, verbreiten auf Erden mit 
Unfruchtbarkeit und Leiden alle Laster und alle Un- 
reinheit, Mithra, „wachend ohne Schlaf, schützt die 
Schöpfung Mazdas" gegen ihre Anschläge. Er be- 
kämpft unermüdlich die Geister des Bösen, und die 
Frevler, welche diesen dienen, empfinden mit ihnen 
die furchtbaren Wirkungen seines Zorns, Von der 
Höhe seiner himmlischen Wohnung herab erspäht er 
seine Widersacher; bis an die Zähne bewafEhet stürzt 
er sich auf sie, zerstreut sie und schlachtet sie hin. 



Er verwüstet und entvölkert die Häuser der Gott- 
losen, er vernichtet die Stämme und Nationen, welche 
ihm feindlich sind. Anderseits ist er der mächtige 
Verbündete seiner Gläubigen auf ihren Kriegs zügen. 
Die Streiche ihrer Feinde „verfehlen ihr Ziel, weil 
der erzürnte Mithra kommt, um sie aufzufangen", und 
er sichert denen den Sieg, welche „fromm vom Guten 
unterwiesen, ihm pietätvoll huldigen und ihm die 
I-ibationen zum Opfer bringen".'} 

Dieser Charakter eines Gottes der Heere, welcher 
bei Mithra seit der Zeit der Achämeniden vorwaltet, 
hat sich ohne Zweifel schärfer ausgeprägt während 
der verworrenen Zeit, als die iranischen Stämme sich 
noch gegenseitig befehdeten; aber er ist im Grunde 
genommen nur ein Entwicldungsprodukt der uralten 
Vorstellung von einem Kampfe zwischen Tag und 
Nacht. Im allgemeinen ähnelt, wie bereits gesagt 
wurde, das Bild, welches uns das Avesta von der 
alten arischen Gottheit bietet, dem, welches die Veden 
in minder bestimmten Zügen von ihr entwerfen, und 
daraus folgt, daß der Mazdaismus ihre ursprüngliche 
Natur nicht wesentlich verändert hat. 

Wenn aber die Zendhymnen die charakteristische 
Physiognomie des alten Lichtgottes noch durch- 
schimmem lassen, so hat das zoroastrische System, 
indem es seinen Kult übernahm, seine Bedeutung in 
einzigartiger Weise reduziert. Um in den avestischen 
Himmel einzugehen, hatte er sich seinen Gesetzen 
beugen müssen. Die Theologie hatte Ahura-Mazda 
an die Spitze der himmlischen Hierarchie gestellt, 
und seitdem konnte sie jenen nicht mehr als eben- 



I) Zend-Avesta, Ya^bt X, passu 



bürtig anerkennen. Mithra wurde nicht einnial unter 
die sechs Amshaspands eingereiht, welche dem 
höchsten Gott die Welt regieren helfen. Man hat 
ihn mit der Mehrzahl der alten Naturg-otlheiten in 
die Schar der niederen Genien, der von Mazda ge- 
schaffenen Yazatas, verwiesen mid ihn in Beziehung 
zu einigen der deifizierten Abstraktionen gebracht, 
welchen die Perser einen Kultus zu widmen gelernt 
hatten. Als Schirmherr der Krieger hat er zum 
Begleiter Verethraghna, den Sieg, erhalten; als Ver- 
teidiger der Wahrheit ist er verbunden mit dem 
frommen Sraosha, dem Gehorsam gegen das göttliche 
Gesetz, mit Rashnu, der Gerechtigkeit, Arshtät, der 
Redlichkeit, als Spender des Glücks wird er an- 
gerufen mit Ashi-Vanuhi, dem Reichtum, und mit 
Pärendt, der Fülle. In Begleitung von Sraosha und 
Rashnu schützt er die Seele des Gerechten gegen 
die Dämonen, welche sie in die Hölle zu stürzen 
suchen, und unter ihrem Schutze erhebt sie sich bis 
in das Paradies. Aus dieser iranischen Glaubens- 
vorstellung ist die Lehre von der Erlösung durch 
Mithra hervorgegangen, welche wir in entwickelter 
Gestalt im Occident wieder antreffen werden. 

In derselben Zeit wird sein Kultus einem strengen 
Ceremoniell unterworfen, wie es der mazdäischen 
Liturgie entspricht. Man soll ihm zum Opfer bringen 
„Kleinvieh und Grofsvieh und fliegende Vögel". Diese 
Opfer sollen eingeleitet oder begleitet werden von 
den gewöhnlichen Libationen von Haoma-Saft und 
der Recitation der vorgeschriebenen Gebete, mit dem 
Zweigbündel [baresman) in der Hand. Aber bevor er 
sich dem Altar nähern kann, muß der Gläubige sich 
durch wiederholte Waschungen und Geißelungen 



reinigen. Diese rigorosen Vorschriften erinnern an 
die Taufe und die körperlichen Proben, welche den 
romischen Mysten vor der WeUie auferlegt wurden. 

So hatte man Mithra in das theologische System 
des Zoroastrismus aufgenommen, man hatte ihm einen 
passenden Platz in der Götterhierarchie angewiesen, 
man hatte ihm Begleiter von vollkommener Ortho- 
doxie zugesellt, man brachte ihm einen Kult dar 
analog dem der anderen Genien. Aber seine starke 
Persönhchkeit hatte sich nur mit Mühe den strengen 
Regeln gefügt, welche ihr auferlegt worden waren, 
und in dem heiligen Texte findet man Spuren einer 
älteren Vorstellung, nach welcher er im iranischen 
Pantheon eine weit erhabenere Stellung einnahm. 
Mehrfach wird er mit Ahura in derselben Anrufung 
verbunden: die beiden Götter bilden ein Paar, denn 
das himmlische Licht und der leuchtende Himmel sind 
unzertrennlich in der Natur. Femer, wenn gesagt 
wird, daß Ahura Mithra geschaffen habe wie alle 
Dinge, so hat er ihn doch ebenso grofs gemacht, als 
er selbst ist, Mithra ist zwar ein Yazata, aber er ist 
der stärkste, der ruhmreichste der Yazatas. „Ahm-a- 
Mazda hat ihn eingesetzt, die ganze bewegliche Welt 
zu hüten und über sie zu wachen."^) Durch Ver- 
mittlung dieses immer siegreichen Kriegers vertilgt 
das höchste Wesen die Dämonen und läßt es den 
Geist des Bösen, Ahriman, selbst erzittern. 

Vergleichen wir diese Texte mit der berühmten 
Stelle, wo Plutarch^ ims die dualistische Lehre der 
Perser auseinandersetzt: Oromazdes tront in ewiger 

1) Yasht X, 103. 

2) Plut., ZJrf /liäe et Osirids, 46—47 {Textes et Monuments, 

i-n, p. 33). 



— 7 — 
Klarheit „ebenso hoch über der Sonne, als die Sonne 
von der Erde entfernt ist", Ahriman regiert in der 
Nacht der Unterwelt, und Mithra nimmt eine mittlere 
Stellung zwischen ihnen ein. Der Anfang des 
Btindahish') verkündet eine ganz ähnliche Theorie, 
nur daß an Stelle Mithras die Luft (Vayu) zwischen 
Ormuzd und Ahriman gesetzt wird. Der Unterschied, 
um den es sich hier handelt, ist jedoch nur ein 
formaler, denn nach iranischer Auffassung ist die 
Luft unauflöslich verbunden mit dem Licht, als dessen 
Tr%erin sie gilt. Also ein höchster Gott, über den 
Gestirnen im Empyreum thronend, wo beständige 
Heiterkeit herrscht: unter ihm ein tätiger Gott, sein 
Botschafter, der Anführer der himmlischen Heere in 
ihrem ununterbrochenen Kampfe gegen den Gott der 
Finsternis, welcher aus der Tiefe der Hölle seine 
Dafevas auf die Oberfläche der Erde sendet — das 
ist die religiöse Vorstellung, welche, weit einfacher 
als die des Zoroastrismus, von den Untertanen der 
Achämeniden im Allgemeinen angenommen zu sein 
scheint. 

Die hervorragende Rolle, welche die Religion 
der alten Perser Mithra zuerkannte, wird durch eine 
Fülle von Beweisen bezeugt. Nur mit der Göttin 
Anähita zusammen wird er in den Inschriften des 
Artaxerxes neben Ahiu-a-Mazda angerufen. Die 
Großkönige hegten sicherlich für ihn eine spezielle 
Verehrung und betrachteten ihn als ihren besonderen 
Protektor. Ihn nehmen sie zum Zeugen der Wahrheit 
ihrer Worte, ihn rufen sie an, wenn es in die Schlacht 



I) West, Pahlavi Tixti. I {= SaaeJ Boo. 
1880, p. 3 SS. 



geht. Ohne Zweifel sah man in ihm den, welcher 
den Monarchen den Sieg verlieh; er ließ auf sie, so 
dachte man, jenen geheimnisvollen Glanz herab- 
kommen, welcher nach mazdäischem Glauben für die 
Fürsten, deren Autorität er heiligt, ein Unterpfand 
beständiger Erfolge ist. 

Der Adel folgte dera Beispiel des Souverains. 
Die große Anzahl theophorer, mit dem des Mithra 
zusammengesetzter Namen, welche seit der ältesten 
Zeit von seinen Mitgliedern getragen wurde, beweist, 
daß die Verehrung für diesen Gott allgemein bei 
ihm war. 

Einen bevorzugten Platz nahm Mithra im offi- 
ziellen Kultus ein. Im Kalender wurde ihm der 
siebente Monat geheiligt, und ohne Zweifel auch der 
sechzehnte Tag eines jeden Monats. Bei seinem Feste 
hatte, wenn man Ktesias^) glauben darf, der König 
das Privileg, ihm zu Ehren reiche Llbationen dar- 
zubringen und die heiligen Tänze aufzuführen. Jeden- 
falls bot dieses Fest die Gelegenheit zu einem 
feierlichen Opfer und prunkvollen Ceremonien. Die 
Mithrakana waren in ganz Vorderasien berühmt, 
und zu Mihragän geworden sollten sie noch bis in 
die Gegenwart hinein im muselmänischen Persien zu 
Wintersanfang weiter gefeiert werden. Der Ruhm 
des Mithra breitete sich aus bis zu den Ufern des 
ägäischen Meeres: es ist der einzige iranische Gott, 
dessen Name im alten Grriechenland populär gewesen 
ist, und diese Tatsache würde für sich allein schon 
beweisen, wie sehr er bei den Völkern des großen 
Nachbarreiches verehrt wurde. 



l) Ktesias ap. Athen. X, 45 {T. ft Man. t. II, p. 10). 



Die Religion, zu welcher sich der Monarch und 
die gesamte Aristokratie bekannte, die jenem half, 
sein weites Gebiet zu beherrschen, konnte nicht auf 
einige Provinzen seines Reichs beschränkt bleiben. 
Wir wissen, daß Artaxerxes Ochus der Göttin Anähita 
in seinen verschiedenen Hauptstädten hatte Statuen 
errichten lassen, in Babylon, in Damaskus und 
Sardes ebensowohl wie in Susa, Ekbatana und Perse- 
polis. Babylon namentlich, die Winterresidenz des 
Herrschers, war von einem zahlreichen offiziellen 
Klerus von „Magiern" bevölkert, welche den Vorrang 
vor den eingeborenen Priestern hatten. Die amtlich 
gesicherten Vorrechte, welche sie besaßen, sollten 
sie nicht dem Einfluß der mächtigen Priesterkaste 
entziehen, welche sich neben ihnen erhielt. Die ge- 
lehrte und spitzfindige Theologie der Chaldäer schlich 
sich in den primitiven Mazdaismus ein, welcher mehr 
eine Summe von Traditionen als ein organisches 
System wohl definierter Lehren war. Die Legenden 
der beiden Religionen wurden einander näher gerückt, 
ihre Gottheiten identifiziert, und die semitische Astro- 
latrie, das monströse Produkt langer wissenschaftlicher 
Beobachtungen, begann sich über die naturalistischen 
Mythen der Iranier zu breiten. Ahura-Mazda wurde 
mit Bei verschmolzen, der über den Himmel herrscht, 
Anähita der Ishtar assimiliert, welche den Planeten 
Venus regiert, und Mithra wurde die Sonne, Shamash, 
Dieser ist in Babylonien, wie Mithra in Persien, der 
Gott der Gerechtigkeit, wie jener erscheint er im 
Osten, auf dem Gipfel der Berge, und voUfiihrt seinen 
täglichen Lauf auf einem glänzenden Wagen, wie er 
endlich gibt er den Kriegern den Sieg und ist er der 
Schirmherr der Könige. Die Umwandlung, welche 



die persischen Glaubens Vorstellungen durch die semi- 
tischen Anschauungen erfuhren, war eine so durch- 
greifende, daß man viele Jahrhunderte später in Rom 
das wahre Vaterland des Mithra bisweilen an die 
Ufer des Euphrat verlegte. Nach Ptolemäus^) wurde 
dieser mächtige Sonnengott in allen Ländern verehrt, 
die sich von Indien bis nach Assyrien erstrecken. 

Babylon war nur eine Etappe auf dem Sieges- 
zuge des Mazdaismus. In sehr früher Zeit schon 
kamen die Magier quer durch Mesopotamien bis in 
das Herz Kleinasiens. Bereits unter den ersten 
Achämeniden siedelten sie sich, wie es scheint, 
massenhaft in Armenien an, wo die einheimische 
Religion allmählig vor der verschwand, welche sie 
mitbrachten, ebenso in Kappodocien, wo ihre Feuer- 
altäre noch zur Zeit Strabos in großer Anzahl 
brannten. In einer sehr weit zurückliegenden Epoche 
drangen sie in Pontus, Galatien und Phrygien ein. 
Selbst in Lydien sangen ihre Nachkommen unter 
den Anton inen noch barbarische Hymnen in einem 
Heiligtum, dessen Gründung dem Cyrus zugeschrieben 
wiu^de. Diese Gemeinden sollten, in Kappodocien 
wenigstens, sogar den Sieg des Christentums über- 
leben und sich bis in das 5. Jahrhundert unserer 
Zeitrechnung erhalten, ihre Sitten, ihre Bräuche und 
ihren Kultus von einer Generation auf die andere 
getreulich vererbend. 

Es scheint, als hätte der Untergang des Reiches 
des Darius für diese weithin verstreuten und seither 
von ihrem Mutterlande getrennten Kolonien ver- 
hängnisvoll werden müssen. Tatsächlich jedoch war 



I) Flol., Tttrabibl. II, ; 



das Gegenteil der Fall, und die Magier fanden bei 
den Diadochen eine mindestens ebenso aufmerksame 
Fürsoi^e, als der Großkönig und seine Satrapen sie 
ihnen hatten angedeihen lassen. Nach der Zer- 
stückelung des Alexanderreiches sah man in Pontus, 
in Kappadocien, in Armenien, in Kommagene Dyna- 
stien entstehen, welche selbstgefällige Genealogieen 
mit den Achämeniden zu verknüpfen trachteten. 
Mögen diese Häuser nun iranischer Abstammung ge- 
wesen sein oder nicht, ihre angenommene Herkunft 
machte es ihnen jedenfalls zur Pflicht, die Götter ihrer 
angeblichen Ahnen anzubeten. Im Gegensatz zu den 
griechischen Königen von Pergamon oder Antiochien 
repräsentierten sie die alten Überlieferungen in der 
Religion wie in der Politik. Diese Fürsten und die 
Magnaten, welche sie umgaben, setzten eine Art von 
Adelsstolz darein, die ehemaligen Herren Asiens in 
jeder Beziehung nachzuahmen. Ohne sich den 
übrigen Kulten ihres Landes irgendwie feindselig zu 
zeigen, wenden sie doch ihre besondere Gxmst den 
Tempeln der mazdäischen Gottheiten zu, Oromazdes 
(Ahura-Mazda), Omanos (Vohumano), Artagnes (Vere- 
thraghna), AnaVtis (Anähita) und noch andere em- 
pfingen ihre Huldigungen. Mithra namentlich war 
der Gegenstand ihrer Vorliebe; die Monarchen hatten 
für ihn eine in gewissem Maße persönliche Devotion, 
was der in allen diesen Familien häu6ge Name 
Mithradates beweist. Offenbar war Mithra für sie 
geblieben, was er für die Artaxerxes und die Darius 
war: der Gott, welcher dem Herrscher den Sieg schenkt, 
Manifestation und Garantie der legitimen Autorität. 
Diese Ehrfurcht vor dem von sagenhaften Vor- 
fahren ererbten Kultus, diese Überzeugung, daß 



Frönunigkeit die Schutzwehr des Thrones und die 
VorbedingTing aller Erfolge ist, gelangt zu deutlichem 
Ausdruck in der pomphaften Inschrift^) auf dem monu- 
mentalen Grabe, welches Antiochus I. Epiphanes von 
Kommagene (6g — -34 V. Chr.) sich auf einem Vorspnmge 
des Taurus errichten ließ, von wo aus der Blick weit 
hinausschweift ins Euphrattal. Nur vermengt der 
König von Kommagene, der mütterlicherseits von 
den syrischen Seleukiden abstammte und durch seinen 
Vater ein Nachkomme des Darius, des Sohnes des 
Hystaspes, zu sein behauptete, die Erinnerungen seines 
doppelten Ursprungs miteinander und kombiniert 
persische und hellenische Götter und Riten, ebenso 
wie in seinem Hause der Name Antiochus mit dem 
des Mithridates wechselt. 

In ähnlicher Weise erfuhren in den benachbarten 
Gegenden die iranischen Fürsten und Priester in 
verschiedenem Grade den Einfluß der griechischen 
CivÜisation, Unter den Achämeniden hatte jede 
der zwischen dem Pontus Euxinus und dem Taurus 
wohnenden Völkerschaften dank der Toleranz der 
Centralgewalt ihre Lokalkulte wie ihre Sprache und 
ihre besonderen Sitten beibehalten dürfen. Aber in 
der großen Verwirrung, welche durch den Sturz des 
persischen Reiches hervorgerufen wurde, waren alle 
politischen und religiösen Schranken gefallen; ver- 
schiedenartige Rassen waren plötzlich miteinander in 
Berührung gekommen, und infolgedessen durchlebte 
Vorderasien damals eine ähnliche Periode des Syn- 
kretismus, wie wir sie besser unter der römischen 
Kaiserherr Schaft beobachten können. Das Zusammen- 



p. 89, 



I) Michel, Rccucü i 



. 735. cf. r. it M., t. n. 



— 13 — 

treffen aller Theolog^een des Orients und aller Philo- 
sophieen Griechenlands erzeugte die überraschendsten 
Kombinationen, tmd die Konkurrenz zwischen diesen 
verschiedenen Anschauungen wurde äußerst lebhaft. 
Von den Magiern, welche von Armenien bis nach 
Phrygien und Lydien verstreut waren, traten ohne 
Zweifel damals viele aus der Zurückgezogenheit 
heraus, welche sie sich bisher auferlegt hatten, um 
zu einer aktiven Propaganda überzugehen, und wie 
zu gleicher Zeit den Juden gelang es ihnen, eine 
Anzahl von Proselyten um sich zu sammeln. Später 
von den christlichen Kaisem verfolgt, kehrten sie 
allerdings wie die Lehrer des Talmud zu ihrer früheren 
Exklusivität zurück und verschanzten sich hinter 
einem mehr und mehr unzugänglichen Rigorismus. 
Jedenfalls erhielt während der Periode der mora- 
lischen und religiösen Gärung, welche eine Folge 
der macedonischen Eroberung war, der Mithriacismus 
seine nahezu endgültige Form. Als er sich im 
römischen Reiche verbreitete, war er bereits kraft- 
voll entwickelt. Sein dogmatisches System wie seine 
liturgischen Traditionen müssen seit dem Anbeginn 
seiner Ausbreitung fixiert gewesen sein. Leider 
können wir weder genau feststellen, in welcher Gegend, 
noch in welchem Zeitpunkt der Mazdaismus die 
Merkmale annahm, welche ihn in Italien kennzeichnen. 
Die Unkenntnis, in welcher wir uns bezüglich der 
religiösen Bewegungen befinden, die den Orient in 
der alexandrinischen Epoche heimsuchten, das fast 
vollständige Fehlen von direkten Zeugnissen für die 
Geschichte der iranischen Sekten während der ersten 
drei Jahrhunderte vor dem Anfang unserer Zeit- 
rechnung, bilden das Haupthindernis, welches einer 



— 14 — 

gesicherten Kenntnis der Entwicklung des Parsismus 

im Wege steht Indessen sind wir wenigstens im 
Stande, die wichtigsten Faktoren auszulösen, welche 
dazu mitgewirkt haben, den Kult der kleinasiatischen 
Magier umzugestalten, und dürfen den Versuch machen 
zu zeigen, wie in den einzelnen Gegenden wechselnde 
Einflüsse seine Eigenart in verschiedener Weise um- 
gebildet haben. 

In Armenien hatte sich der Mazdaismus mit den 
nationalen Glaubens Vorstellungen des Landes und 
einem aus Syrien importierten semitischen Element 
verschmolzen. Mithra war eine der Hauptgottheiten 
der synkretisti sehen Theologie geblieben, welche 
unter diesem dreifachen Einflüsse erwachsen war. 
Wie im Occident sahen die einen in ihm den Genius 
des Feuers, andere identifizierten ihn mit der Sonne, 
und fremdartige Legenden hatten sich an seinen 
Namen gehängt. Man erzählte, daß er dem blut- 
schänderischen Verkehr Ahura- Mazdas mit seiner 
eigenen Mutter entsprossen sei, oder auch wohl, daß 
eine einfache Sterbliche ihn in die Welt gesetzt 
habe. Wir werden es uns erlassen, auf diese selt- 
samen Mythen und andere ähnliche näher einzugehen. 
Ihr Charakter ist grundverschieden von den Dogmen, 
welche bei den occidentalischen Anhängern des 
persischen Gottes in Geltung standen. Die e^en- 
artige Mischung disparater Lehren, welche die Religion 
der Armenier ausmacht, scheint keine andere Be- 
ziehung zum Mithriacismus gehabt zu haben als eine 
teilweise Gemeinsamkeit des Ursprungs. 

Im übrigen Kleinasien war die Umgestaltung 
des Mazdaismus bei weitem nicht so durchgreifend 
als in Armenien. Der Gregensatz zwischen den alt- 



— 15 — 

einheiinischea Kulten und dem, dessen iranischer Her- 
kimft seine Adepten mit Vorliebe sich erinnerten, 
hörte niemals auf sich bemerkbar zu machen. Die 
reine Lehre, deren Hüter die Feueranbeter waren, 
ließ sich schwer mit den Orgien versöhnen, die man 
zu Ehren des Liebhabers der Cybele feierte. Doch 
mußten sich während der langen Jahrhunderte, in 
denen die ausgewanderten Magier friedlich unter den 
eingeborenen Stämmen lebten, gewisse Annäherungen 
zwischen den religiösen Vorstellungen der beiden 
Rassen mit Notwendigkeit vollziehen. In Pontus 
bildet man Mithra ru Pferde ab wie Men, den auf 
der ganzen Halbinsel verehrten MondgotL Anderswo 
bekleidet man ihn mit den bauschigen Anaxyriden, 
welche an die Verstumm elimg des Attis erinnern. 
In Lydien ist das Paar Mithra-Anähita zu Sabazius- 
Anaitis geworden. Andere Lokalgottheiten konnten 
mit dem mächtigen Yazata identifiziert werden. An- 
scheinend haben die Priester dieser unkultivierten 
Lander sich bemüht, ihre poptdaren Götter zu 
Äquivalenten der von den Fürsten und dem Adel 
ai^ebeteten zu machen; aber wir kennen die Religionen 
dieser Länder zu schlecht, um sagen zu können, was 
sie dem Parsismus gegeben, und was sie von ihm 
empfangen haben, und konstatieren eine wechsel- 
seitige Beeinflussimg, ohne ihren Umfang ermessen 
zu können. Diese Beeinflussimg, so oberflächlich sie 
auch gewesen sein mag"^), hat jedenfalls die intime 

1 ) Jean Riville (£luäis de theologie et tthist. ftibl. en hommagt 
ä la facultf de Monlauban, Paris 1901, p. 336) ist geneigt, den Uein- 
asiatisclien Religionen bei der Bildung des Mithriaciamns eine ziemlich 
bedeutende Rolle zninweisen; aber bei dem gegenwärtigen Stande 
onsereT Kenntnisse ist es unmöglich, diese naber zu bestimmen. 



Vereinigung- zwischen den Mysterien des Mithra und 
denen der Großen Mutter angebahnt, welche im 
Abendlande zum Abschlixß gelangen sollte. 

Als sich infolge des Alexanderzuges die griechische 
Kultur über ganz Vorderasien verbreitete, drängte 
sie sich auch dem Mazdaismus auf, bis tief nach 
Baktriana hinein. Aber der Iranismus — wenn man 
sich dieses Ausdrucks bedienen darf — dankte nie- 
mals zu Gunsten des Hellenismus ab. Das eigentliche 
Iran erhielt bald seine moralische Autonomie wie 
seine politische Unabhängigkeit zurück, und die 
Widerstandskraft der persischen Überlieferungen 
gegenüber einer unter anderen Verhältnissen leicht 
vollzogenen Assimilation gehört überhaupt zu den 
charakteristischen Zügen der Geschichte der Be- 
ziehungen zwischen Griechenland und dem Orient. 
Doch wurden die Magier Kleinasiens, welche den 
großen Herden der abendländischen Kultur näher 
waren, auch intensiver von ihren Strahlen getroffen. 
Ohne sich von der Religion der fremden Eroberer 
absorbieren zu lassen, verbanden sich ihre Kulte mit 
jener. Um die barbarischen Vorstellungen mit den 
hellenischen zu vereinen, griff man zu dem alten 
Verfahren der Identifikation. Man ließ es sich an- 
gelegen sein zu zeigen, daß der mazdäische Himmel 
mit denselben Bewohnern bevölkert war wie der 
Olymp: Ahura-Mazda wurde als höchstes Wesen mit 
Zeus verschmolzen; Verethraghna, der siegreiche Held, 
mit Herakles; Anähita, welcher der Stier geheiligt war, 
wurde zur Artemis Taiiropolos, und man ging selbst 
so weit, daß man die Orestessage in ihre Tempel 
verlegte. Mithra, schon in Babel dem Shamash 
gleichgestellt, wurde natürlich mit Helios verbunden; 



I 



er er ivurde ihm keineswegs subordiniert, und sein 
persischer Name in der Liturgie niemals durch eine 
Übersetzung verdrängt wie der der übrigen in den 
Mysterien verehrten Gottheiten. 

Die Synonymie, welche man zwischen Bezeich- 
nungen herzustellen suchte, welche in Wirklichkeit 
nichts miteinander zu thun hatten, blieb nicht ein 
bloßes Spiel der Mythologen, Sie hatte die wichtige 
Folge, daß die vagen Personifikationen der orien- 
talischen Phantasie die bestimmten Formen annahmen, 
in welche die griechischen Künstler die olympischen 
Götter gekleidet hatten. Vielleicht waren sie vorher 
niemals in menschlicher Gestalt dargestellt worden, 
oder wenn es Bilder von ihnen gab, Nachahmungen 
assyrischer Idole, so waren sie bizarr und plump. 
Indem man den raazdäischen Heroen den ganzen 
Zauber des hellenischen Ideals lieh, änderte man 
notgedrungen die Auffassung ihres Charakters, und 
indem man ihren ausländischen Typus abschwächte, 
machte man sie leichter annehmbar für die Occi- 
dentalen. Eine der unerläßlichsten Bedingungen für 
den Erfolg der fremden Religionen in der römischen 
Welt wurde erfüllt, als gegen das i. Jahrhundert 
V. Chr. ein Bildhauer aus der Schule von Pergamon 
die ergreifende Gruppe des stiertötenden Mithra 
schuf, der ein allgemeines Herkommen seitdem den 
Ehrenplatz in der Apsis der spclam vorbehielt.') 

Nicht allein die Kunst ließ es sich angelegen 
sein zu mildem, was diese rohen Mysterien für 
Geister, die in der Schule Griechenlands gebildet 
waren. Abstoßendes haben mochten. Die Philosophie 



1) Vgl. das letzte Kapitel. 



suchte ihre Lehren mit ihren eigenen Ergebnissen 
zu vermittehi, oder vielmehr die asiatischen Priester 
strebten darnach, in ihren heiligen Traditionen die 
Theorien der philosophischen Schulen wiederzufinden. 
Keine dieser Schulen eignete sich besser für ein 
Bündnis mit der populären Frömmigkeit als die 
Stoa, und ihr Einfluß auf die Bildung des Mithria- 
cismus war bedeutend. Eine alte von den Magiern 
gesungene Mythe wird von Dio Chrysostomus ') über- 
liefert, weil man in ihr eine Allegorie der stoischen 
Kosmologie erblickte, und sehr viele andere persische 
Ideen sind so durch die panthe istischen Anschauungen 
der Schüler Zenos modifiziert worden. Die Denker 
gewöhnten sich mehr und mehr daran, in den Dogmen 
und rituellen Bräuchen der Orientalen die dunkele« 
Reflexe einer uralten Weisheit zu suchen, und diese 
Tendenz entsprach zu sehr den Ansprüchen und 
dem Interesse des raazdäischen Klerus, als daä er 
sie nicht nach bestem Vermögen hätte begünstigen 
sollen. 

Obschon die philosophische Spekulation, indem 
sie den Glaubens Vorstellungen der Magier eine Be- 
deutung beilegte, welche sie keineswegs besaßen, 
ihren Charakter veränderte, so wirkte sie doch im 
ganzen weit mehr konservativ als Neues produzierend. 
Gerade dadurch, daß sie den oft kindischen Legenden 
eine symbolische Bedeutung lieh, daß sie scheinbar 
absurden Bräuchen rationelle Erklärungen unterschob, 
trug sie dazu bei, ihr Fortbestehen zu sichern. War 
auch, die theologische Grundlage der Religion merk- 



1) Dio Chrys., Or., XXXVI, ä 39 ss. {T. et M., t. 11, p. 60, 
DO. 461). 



— 19 — 

i modifiziert, ihr liturgfischer Rahmen blieb remtiv 
fest, und die Umwandlung des Dogmas ging Hand 
in Hand mit dem Respekt vor dem Ritus. Der 
abergläubische Formalismus, von dem die minutiösen 
Vorschriften des Vendidäd zeugen, ist jedenfalls weit 
älter als die Epoche der Sassaniden. Die Opfer, 
welche die in Kappadocien angesiedelten Magier zur 
Zeit Strabos darbrachten, erinnern in allen Einzel- 
heiten an die avestische Liturgie. Da fanden sich 
dieselben Gebete, welche man vor dem Feueraltar 
psalmodierte, mit dem heiligen Bündel {paresman) in 
der Hand, dieselben Oblationen von Milch, Öl und 
Honig, dieselben Vorsichtsmaßregeln, damit der Atem 
des Offizianten die göttliche Flamme nicht ver- 
imreinige. Die Inschrift des Antiochus von Komma- 
gene zeigt in dem Reglement, welches sie vorschreibt, 
ein gleich treues Festhalten an den alten iranischen 
Gebräuchen. Der König rechnet es sich zum Ruhme 
an, daß er die Götter seiner Ahnen stets nach der 
alten Üb erlief enmg der Perser und der Grriechen 
geehrt habe, er will, daß die an dem neuen Tempel 
angestellten Priester die Priesterkleidung derselben 
Perser tragen, und daß sie dem alten heiligen Her- 
kommen gemäß ihres Amtes warten sollen. Der 
i6. Tag jedes Monats, der besonders gefeiert werden 
soll, ist nicht nur der Geburtstag des Königs, sondern 
auch der, welcher von jeher speziell dem Mithra ge- 
heiligt war. Viel später noch verspottet ein anderer 
Kommagener, Lucian von Samosata, an einer Stelle, 
wo er sich offenbar auf Gebräuche bezieht, die er in 
seinem Vaterlande halte beobachten können, die 
wiederholten Reinigungen, die endlosen Gesänge 
und den langen medischen Rock der Anhänger des 



Zarathustra, ') Bei einer anderen Gelegenheit tadelt 
er an ihnen, daß sie nicht einmal griechisch ver- 
stünden und ein unverständliches Kauderwelsch 
redeten.*) 

Der konservative Geist der kappadoci sehen 
Magier, der sie an ihre uralten, von einer Generation 
auf die andere überlieferten Bräuche band, verleugnete 
sich auch nicht nach dem Siege des Christenturas, 
und St. Basilius ^) bezeugt sein Fortbestehen noch am 
Ende des vierten Jahrhunderts, Selbst in Italien be- 
hielten die Mysterien sicherlich immer einen großen 
Teil der rituellen Formen, welche der Mazdaismus 
in Kleinasien seit unvordenklicher Zeit angenommen 
hatte.*) Die Hauptneuerung bestand darin, daß man 
das Persische als liturgische Sprache durch das 
Griechische und später vielleicht durch das Lateinische 
ersetzte. Diese Reform setzt die Existenz von heiligen 
Büchern voraus; und wahrscheinlich hatte man seit 
der alexandrinischen Epoche die ursprünglich münd- 
lich überlieferten Gebete und Gesänge schriftlich 
fixiert, aus Besorgnis, die Erinnerung an sie möchte 
verloren gehen. Aber diese notwendige Anpassung 
an neue Verhältnisse wird den Mithriacismus nicht 
daran gehindert haben, bis zum Schluß ein wesent- 
lich persisches Ceremoniell festzuhalten. 

Der griechische Narae „Mysterien", welchen die 
Schriftsteller dieser Religion beilegen, darf keine 
Täuschung hervorrufen. Nicht nach dem Vorbilde 

1) Lnc, Mtniff., c. 6 ss. (T, et M., t. H, p. 22). 

2) Luc, Deor. conc, c. 9, Jap. Trag., c. 8, c. 13 {T. etM., ibid.). 

3) Basil., Epüt. 338 ad Epiph. (T. et M., t I, p. 10, no. 3), 
Cf. Priscns &. 31 (I, 3+J Hut. min. Dind.), 

4) Cf. unten Kap. V. 



der hellenischen Kulte gründeten ihre Adepten ihre 
geheimen Gesellschaften, deren esoterische Lehre 
nur in einer Reihenfolge von abgestuften Weihen 
enthüllt wurde. In Persien selbst bildeten die Magier 
eine abgeschlossene Kaste, die in mehrere Unter- 
abteilungen geschieden gewesen zu sein scheint. Die- 
jenigen, welche sich inmitten fremder Rassen mit 
anderer Sprache und anderen Sitten niederließen, 
verheimlichten der profanen Menge noch eifersüchtiger 
ihren ererbten Glauben. Die Kenntnis dieser Ge- 
heimnisse gab ihnen selbst das Bewußtsein mora- 
lischer Überlegenheit und sicherte ihnen den Respekt 
der unwissenden Völkerschaften, die sie umgaben. 
Wahrscheinlich war das mazdäische Priestertum 
anfangs in Kleinasien wie in Persien das Erbteil 
eines Stammes, in welchem es vom Vater auf 
den Sohn überging, dann verstand man sich dazu, 
die geheimgehaltenen Dogmen Fremden nach einer 
Einweihungsceremonie mitzuteilen, und diese Prose- 
lyten wurden nach und nach zu den verschiedenen 
Ceremonien des Kultus zugelassen. Die iranische 
Diaspora ist in dieser Hinsicht wie in mancher 
anderen mit der jüdischen zu vergleichen. Die Sitte 
unterschied bald verschiedene Kategorien von Neo- 
ph3^en, welche schließlich eine bestimmte Hierarchie 
bildeten. Aber die vollständige Kenntnis der Glaubens- 
lehren und der heiligen Gebräuche blieb stets ein 
seltenes Privilegium, und die mystische Wissenschaft 
erschien um so kostbarer, je verborgener sie war. 

Alle originellen Riten, welche den mithrischen 
Kultus unter den Römern auszeichnen, gehen sicher- 
lich bis auf seine asiatischen Anfänge zurück; die bei 
gewissen Ceremonien üblichen Verkleidungen in Tiere 



sind ein Überlebsel eines ehemals weit verbreiteten 
und noch heutigen Tages nicht verschwundenen prä- 
historischen Brauches; die Gewohnheit, dem Gotte 
die Höhlen der Berge zu weihen, ist ohne Zweifel 
eine Erbschaft aus der Zeit, als man noch keine 
Tempel baute; die grausamen Proben, welche den 
Geweihten auferlegt wurden, erinnern an die blutigen 
Verstümmelungen, welche die Diener der Mä und 
der Cybele verübten. Ebenso können die Legenden, 
deren Held Mithra ist, nur in einer Zeit des Hirten- 
lebens erdichtet worden sein. Diese uralten Über- 
lieferungen einer noch primitiven tmd rohen Kultur- 
stufe bestanden in den Mysterien neben einer 
subtilen Theologie und einer sehr erhabenen Moral. 

Die Analyse der konstitutiven Elemente des 
Mithriacisnius zeigt uns, wie der geologische Durch- 
schnitt eines Terrains, die durch successive Ab- 
lagerung entstandene Schichtenbildtmg der Gesamt- 
masse. Die Grundlage dieser Religion, ihre unterste 
und wichtigste Schicht ist der Glaube des alten Iran, 
aus dem sie ihren Ursprung herleitet. Über dieses 
mazdäische Substrat hat sich in Babylonien ein 
starkes Sediment von semitischen Lehren gelagert, 
dann haben in Kleinasien die Lokalreligionen einige 
Anschwemmungen hinzugefügt. Endlich ist eine 
dichte Vegetation von hellenischen Ideen auf diesem 
fruchtbaren Boden erwachsen, welche unserem for- 
schenden Auge seine wahre Natur zum Teil verbii^. 

Dieser zusammengesetzte Kult, in welchem sich 
so viele heterogene Elemente amalgamiert hatten, ist 
der adaequate Ausdruck der komplexen Zivilisation, 
welche in der alexandrinischen Zeit in Armenien, 
Kappadocien und Pontus blühte. Wenn Mithridates 



23 — 

Eupator seine ehrgeizigen Träume hätte verwirklichen 
können, so würde dieser hellenisierte Parsismus 
zweifellos die Staatsreligion eines gewaltigen asia- 
tischen Reiches geworden sein. Der Lauf seiner 
Geschicke änderte sich durch 
den Sturz des großen Gegners 
Roms. Die Trümmer der pon- 
tischen Heere und Flotten, die 
durch den Krieg versprengten 
und aus dem ganzen Orient 
herbeigeeiltenFlüchtlingever- 
breiteten die iranischen My- 
sterien bei jenem Piratenvolk, 
welches im Schutz der ciUci- 
schen Berge kraftvoll heran- 
wuchs. Mithra faßte festen Fuß 
in dieser Gegend, wo Tarsus 
ihn noch beim Untergang des 
Reiches verehrte (Fig. i). Auf 
seine kriegerische Religion 
gestützt, versuchte dieserStaat 
von Abenteurern dem römi- 
schen Koloß die Herrschaft 
Hg... stJortiHMd« MiLhn.. 2ber die Meere streitig zu 
machen. Ohne Zweifel be- 
trachtete er sich als die Nation, welche dazu berufen 
sei, dem Kult des unbesiegbaren Gottes zum Siege zu 
verhelfen. Auf seinen Beistand vertrauend, plünderten 
die kühnen Seeleute furchtlos die angesehensten 
Heiligtümer Griechenlands und Italiens, und die latei- 
nische Welt hörte damals zum ersten Male den Namen 
des barbarischen Gottes, der bald ihre Anbetung 
fordern sollte. 




ZWEITES KAPITEL. 

DIE AUSBREITUNG IM RÖMISCHEN 
REICHE. 

Im allgemeinen kann man sagen, daß Mithra 
von der hellenischen Welt immer ausgeschlossen blieb. 
Die alten griechischen Schriftsteller reden von ihm 
nur als von einem fremden, von den Perserkönigen 
verehrten Gott. Selbst während der alexandrinischen 
Periode stieg er nicht von der kleinasiatischen Hoch- 
ebene an die Küsten loniens herab. In allen, Ländern, 
welche das ägaische Meer bespült, erinnert uns 
lediglich eine späte Weihinschrift des Piräus an seine 
Existenz, und vergeblich würde man seinen Namen 
unter den zahlreichen ausländischen Gottheiten suchen, 
welche im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in 
Delos verehrt wurden. Unter dem Kaiserreich findet 
man allerdings Mithraeen in gewissen Häfen an der 
phÖnizischen und ägyptischen Küste, bei Aradus, in 
Sidon, in AlexSndrien; aber diese isolierten Denk- 
mäler lassen die Abwesenheit jeglicher Spur der 
Mysterien im Innern des Landes um so mehr hervor- 
treten. Die neuerdings erfolgte Entdeckung eines 
Mithratempels in Memphis scheint die Ausnahme zu 
bUden, welche die Regel bestätigt, denn der maz- 
däische Genius hat in dieser alten Stadt vermutlich 
nur bei den Römern Eingang gefunden. Er wird 



— '5 — 
bisher ia keiner einzigen Inschrift Ägyptens oder 
Syriens erwähnt, und es liegt noch nicht einmal ein 
Beweis dafür vor, daß man ihm in der Hauptstadt 
der Seleuciden Altäre errichtet hat. In diesen halb- 
orientalischen Reichen scheint die mächtige Organi- 
sation des einheimischen Klerus und die glühende 
Verehrung des Volkes für seine nationalen Götter 
das Vorrücken des Eindringlings gehindert und seinen 
Einfluß paralysiert zu haben, 

Eine charakteristische Tatsache beweist, daß der 
iranische Yazata niemals zahlreiche Anhänger in 
hellenischen oder hellenisierten Ländern gewonnen 
hat. Die griechische Onomatologie, welche uns eine 
Reihe von theophoren Namen liefert, die an die Be- 
liebtheit erinnern, deren sich die phrygischen und 
ägyptischen Gottheiten erfreuten, hat Menophilos und 
Metrodotos, Isidoros und Serapion keinen Mithrion, 
Mithriocles, Mithrodoros oder Mithrophilos 
gegenüberzustellen. Alle Derivate von Mithra sind 
barbarischer Bildung. Während die thracische Bendis, 
die asianische Cybele, der Serapis der Alexandriner, 
selbst die syrischen Baale in den Städten Griechen- 
lands allmählich eine günstige Aufnahme fanden, 
erwies sich dieses niemals gastfreundlich gegenüber 
dem Schutzgott seiner alten Feinde. 

Sein Fembleiben von den großen Centren der 
antiken Kultur erklärt die späte Ankunft des Mithra 
im Occident. In Rom erwies man der Magna Mater 
von Pessinus offizielle Verehrung seit dem Jahre 
204 V. Chr.; Isis und Serapis erschienen dort im 
ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, und 
lange vorher zählten sie eine Menge von Anbetern 
in Italien. Die karthagische Astarte hatte in der 



Hauptstadt einen Tempel seit dem Ende der PimiscTien 
Krieg-e; die kappadocische Bellona seit der Zeit 
Sullas; die Dea Syria von Hierapolis seit dem Be- 
ginn der Kaiserzeit, während die persischen Mysterien 
dort noch vollständig unbekannt waren. Und doch 
waren diese Gottheiten nur die eines Volkes oder 
einer Stadt, wohingegen die Herrschaft des Mithra 
sich vom Indus bis zum Pontus Euxinus erstreckte. 
Aber dies Gebiet lag noch zur Zeit des Augustus 
fast gänzlich außerhalb der Grenzen des römischen 
Reiches. Die zentrale Hochebene Kleinasiens, welche 
sich lange Zeit der hellenischen Zivilisation widei^ 
setzte, blieb der römischen Kultur noch mehr ver- 
schlossen. Dieses mit Steppen, Wäldern und Weiden 
bedeckte, von schroffen Abhängen umgebene Hoch- 
land, dessen Klima noch rauher als das Germaniens 
war, hatte für den Bewohner der Mittelmeerküsten 
wenig Anziehendes; und die einbeimischen Dynastieen, 
welche dort noch unter den ersten Cäsaren be- 
standen, schützten es, obgleich sie zu Vasallen der 
letzteren geworden waren, in seiner jahrhunderte- 
langen Isolierung, Freilich war Ci Heien seit dem 
Jahre 102 v. Chr. zur römischen Provinz erklärt, aber 
man besetzte damals nur einige Küste n punkt e , und 
die Eroberung des Landes wurde erst beinahe zwei 
Jahrhunderte später vollendet. Kappadocien wurde 
erst unter Tiberius einverleibt, der Westen von Pontus 
unter Nero, Kommagene imd Kleinarmenien end- 
gültig unter Vespasian, In dieser Zeit erst knüpften 
sich zusammenhängende und unmittelbare Beziehungen 
zwischen jenen entlegenen Gegenden und dem Occi- 
dent an. Die Bedürfnisse der Verwaltung und die 
Or;ganisation der Verteidigung, die Versetzungen der 



— 27 — 

Gouverneure und Offiziere, der Wechsel der Pro- 

kuratoren und der fiskalischen Beamten, die Aus- 
hebur^en der Infanterie- und Kavallerietnippen , die 
Besetzung der Kuphratgrenze mit drei Legionen be- 
dingten einen unaufhörlichen Austausch von Menschen, 
Produkten und Ideen zwischen diesen bisher unzu- 
gänglichen Bergen und den europäischen Provinzen. 
Dann kamen die großen Feldzüge des Trajan, des 
Lucius Verus und des Septimius Severus, die Unter- 
werfung Mesopotamiens und die Gründung zahlreicher 
Kolonien in Osrhoene und bis nach Ninive hin, welche 
gleichsam die Ringe einer Kette bilden, die Iran mit 
dem Mittelmeer verband. Diese aufeinanderfolgenden 
Annexionen der Cäsaren waren die erste Ursache 
der Verbreitung der mithrischen Religion in der 
lateinischen Welt. Unter den Flaviem beginnt sie 
sich in ihr auszudehnen und unter den Antoninen 
und den Severem entwickelt sie sich auf dem neu- 
gewonnenen Boden weiter, gerade wie ein anderer 
Kult, der neben ihr in Kommagene gepflegt wurde: 
der des Jupiter Dolichenus, welcher gleichzeitig mit 
ihr die Reise in das römische Reich antrat. 

Nach Plutarch^) würde Mithra allerdings viel 
früher in Italien eingedrungen sein. Die Römer 
wären in seine Mysterien durch die von Pompejus 
besiegten cilicischen Seeräuber eingeweiht. Dieser 
Bericht hat nichts Unwahrscheinliches. Wir wissen, 
daß sich die erste jüdische Gemeinde, welche sich 
tratis Tiherini- ansiedelte, großenteils aus den Nach- 
kommen der Gefangenen zusammensetzte, welche 
derselbe Pompejus nach der Eroberung Jerusalems 



I) Plut., Vit. Pomp., 24 (T. et M.. I. H, p, 35d). 



— 28 — 

(63 n. Chr.) mitgebracht hatte. Dieser besondere 

Umstand laßt es daher als möglich erscheinen, dafe 
der persische Gott schon seit dem Ende der Republik 
einige Gläubige in der gemischten Bevölkerung der 
Hauptstadt gefunden hat. Aber in der Menge der 
Bruderschaften verschwindend, welche fremde Riten 
ausübten, fand die kleine Gruppe seiner Verehrer 
keine Beachtung. Der Yazata teilte die Gering- 
schätzung, mit welcher man den ihn anbetenden 
Asiaten begegnete. Die Einwirkung seiner Anhänger 
auf die Masse der Bevölkerung war fast ebenso be- 
langlos als die der buddhistischen Gemeinschaften 
im modernen Europa. 

Erst am Ende des ersten Jahrhunderts beginnt 
Mithra in Rom von sich reden zu machen. Als 
Statius den ersten Gesang der Thebais schrieb, um 
das Jahr 80 n. Chr., hatte er bereits die typischen 
Darstellungen des stiertötenden Heros gesehen^), und 
aus dem Zeugnis Plutarchs geht hervor, daß zu seiner 
Zeit {46— iz5n.Chr.) die mazdäische Sekte im Abend- 
lande schon einigermaßen bekannt war. ^ Dieser 
Schluß wird durch die epigraphischen Urkunden be- 
stätigt. Die älteste Weihinschrift an Mithras, welche 
wir besitzen, ist eine zweisprachige Inschrift von 
einem Freigelassenen der Flavier (69 — 96 n. Chr.). Bald 
darauf wird ihm eine Marmorgruppe gewidmet von 
einem Sklaven des T, Claudius Livianus, der Präfekt 
des Prätoriums unter Trajan war, im Jahre 102. Fast 
um dieselbe Zeit muß der unbesiegbare Gott in Mittel- 
italien eingedrungen sein. In Nersae, im Äquerlande hat 



I) Stat., Thib., 1,717: Permi sub rupAus 
terquentcm cornua Mitkram. 
7) Plut., /. c. 



■i Indignala sequi 



— 29 — 

man einen Text aus dem Jahre 172 zu Tage gefordert, 
welcher bereits von einem „infolge seines Alters 
eingestürzten" Mithraeimi spricht. Das Erscheinen 

des Fremdlings im Norden des Reichs ist ebenfalls 
beinahe in dieselbe Zeit zu verlegen. Es ist kaum 
zu bezweifeln, daß die XV. Legion die Mysterien 
seit dem Anfang der Regierung Vespasians in Car- 
nuntum an der Donau eingeführt hat; und wir stellen 
fest, daß sie um das Jahr 148 bei den Truppen 
Germaniens gefeiert wurden. Unter den Antoninen, 
namentlich seit der Regierung des Commodus, mehren 
sich die Spuren ihres Vorhandenseins in allen Ländern. 
Am Ende des 2, Jahrhunderts feierte man sie in 
Ostia in wenigstens vier Tempeln. 

Wir können weder daran denken, alle Städte 
aufzuzählen, in denen der asiatische Kultus Wurzeln 
schlug, noch untersuchen, welche Gründe in jedem 
einzelnen Falle seine Einführung erklären. Trotz 
ihrer Fülle unterrichten uns die epigraphischen Texte 
und die figürlichen Denkmäler nur sehr unvoll- 
kommen über die Lokalgeschichte des Mithriacismus. 
Es ist uns nicht möglich, die Fortschritte seiner 
Ausbreitung zu verfolgen, die konkurrierenden Ein- 
flüsse der verschiedenen Bekenntnisse zu unter- 
scheiden und zu beobachten, wie das Werk der Be- 
kehrung sich fortsetzte von Stadt zu Stadt, von 
Provinz zu Pro\'inz. Alles, was wir tun können, be- 
schränkt sich darauf, in großen Zügen anzugeben, in 
welchen Gegenden der neue Glaube sich verbreitet 
hat, und welches im allgemeinen die Apostel ge- 
wesen sind, die ihn dort verkündigt haben. 

Der Hauptfaktor seiner Ausbreitung ist jeden- 
falls das Heer. Die mithrische Rehgion ist vor allem 



— 30 — 
die der Soldaten, und nicht ohne Grund hat man den 
Eingeweihten eines gewissen Grades den Namen 
müites gegeben. Dieser Einfluß des Heeres könnte 
schwer verständlich erscheinen, wenn man daran 
denkt, daß die Legionen unter den Cäsaren in festen 
Lagern untergebracht waren, und daß wenigstens 
seit Hadrian sich jede aus der Provinz rekrutierte, 
in welcher ihre Garnison lag. Aber diese allgemeine 
Regel erlitt zahlreiche Ausnahmen. So haben die 
Asiaten lange Zeit hindurch in ausgiebigem Maße 
dazu beigetragen, die Effektivbestände der Truppen 
in Dalmatien oder Mösien und, während einer be- 
stimmten Periode, auch derer in Afrika herzustellen, 
Femer wurde der Soldat, welcher nach einigen 
Dienstjahren in seinem Geburtslande zum Centurio 
befordert war, gewöhnlich in eine fremde (üamison 
versetzt, imd oft wies man ihm jedesmal, wenn er 
einen neuen von den verschiedenen Graden dieser 
Charge erhielt, auch ein neues Standquartier an, so 
daß die Gesamtheit der Centurionen einer Legion 
„gleichsam einen Mikrokosmos des Reiches" bildete.^) 
So wurden sie für die Ausbreitung des Mithriacismus 
von wesentlicher Bedeutung, denn schon ihre Stellung 
allein sicherte diesen Subaltemoffizieren einen be- 
trächtUchen moralischen Einfluß auf die Rekruten, 
mit deren Ausbildung sie betraut waren. Abgesehen 
von dieser individuellen Propaganda, die uns fast 
vollständig verborgen bleibt, haben die provisorischen 
oder definitiven Verlegungen einzelner Abteilungen 
oder selbst ganzer Regimenter in oft weit entfernte 
Festungen oder Lager Menschen jeder Rasse und 



J) Jung, Fa,x 



. p. XIV. 



jedes Glaubens miteinander zusammengeführt und 
vermischt. Endlich fand man überall neben den 
Legionsso! d aten , römischen Bürgern, eine gleiche, 
wenn nicht größere Zahl von fremden auxilia, welche 
nicht, wie die erstgenannten, das Vorrecht besaßen, 
in ihrem Vaterlande zu dienen. Im Gegenteil suchte 
man diese Ausländer aus ihrem Stammlande zu ent- 
fernen, um Erhebungen vorzubeugen. So bildeten 
unter den Flaviem die einheimischen alac oder Ko- 
horten nur einen sehr geringen Bruchteil der Hülfs- 
tnippen, welche die Rhein- und die Donaugrenze be- 
wachten. 

Unter den Leuten, die man von auswärts berief, 
um die in die Feme gesandten Landeskinder zu er- 
setzen, befanden sich eine Masse von Asiaten, und 
vielleicht bat kein anderes Land des Orients im 
Vergleich zu seiner territorialen Ausdehnung Rom 
mehr Rekruten geliefert als Kommagene, wo der 
Mithriacismus tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Außer 
Reitern und Legionssoldaten hob man in dieser 
Landschaft, wahrscheinlich seit der Zeit ihrer Ver- 
einigung mit dem Kaiserreiche, wenigstens sechs 
Kohorten Bundesgenossen aus. Zahlreich waren auch 
die Soldaten, aus Kappadocien, Pontus und Cilicien, 
um nicht zu reden von den Syrern jeder Abkunft, 
und die Kaiser trugen kein Bedenken, selbst jene 
leichtbeweglichen Schwadronen parthi sc her Kavallerie 
einzureihen, deren kriegerische Fähigkeiten sie zu 
ihrem Nachteil kennen gelernt hatten. 

Der römische Soldat war im allgemeinen fromm 
und selbst abergläubisch. Die Gefahren, denen sein 
Beruf ihn aussetzte, ließen ihn beständig den Schutz 
des Himmels suchen, und eine unberechenbare An- 



— 32 — 
zahl von Weihinschriften zeugt zugleich von der 
Lebendig-keit seines Glaubens und der Mannig- 
faltigkeit seiner reUgiösen Vorstellungen. Namentlich 
die Orientalen, für zwanzig Jahre und länger in ein 
Land versetzt, wo alles ihnen fremd war, hielten 
pietätvoll die Erinnerung an ihre nationalen Götter 
fest. Sobald sie Mittel und Wege dazu fanden, 
schlössen sie sich zusammen, um ihnen einen Kultus 
zu widmen. Sie empfanden das Bedürfiiis, sich jenen 
„Herrn" (Ba'al) zu versöhnen, dessen Zorn sie als 
Kinder fürchten gelernt hatten. Auch gab dies ihnen 
eine willkommene Gelegenheit, sich regelmäßig zu 
versammeln und imter dem trüben Himmel des 
Nordens ihrer fernen, sonnigen Heimat zu gedenken. 
Aber ihre Bruderschaften waren nicht exMusiv; gern 
gewährten sie Waffengenossen jeder Abstammung 
Zutritt, denen die offizielle Religion des Heeres nicht 
genügte, und die von dem fremden Gotte wirksamere 
Hülfe in der Schlacht, oder, wenn sie fielen, ein 
seligeres Los in jenem Leben zu erlangen hofften. 
Wenn dann diese Neophyten den Anforderungen des 
Dienstes oder den Notwendigkeiten des Krieges 
gemäß in andere Garnisonen versetzt wurden, so 
wandelten sie sich dort aus Bekehrten in Missionare 
und umgaben sich mit einer neuen Schar von 
Proselyten. So haben sich die Mysterien des Mithra, 
nachdem sie von halb barbarischen Rekruten aus 
Kappadocien oder Kommagene nach Europa gebracht 
waren, mit reißender Schnelligkeit bis an die Enden 
der antiken Welt verbreitet. 

Von den Ufern des Pontus Euxinus bis zu den 
Bergen Schottlands und dem Rande der Sahara, die 
ganze ehemalige römische Grenze entlang, finden 



— 33 — 
sich mithrische Monumente in Fülle. Nieder-Mösien, 
welches erst seit einigen Jahren durchforscht wird, 
hat deren schon eine ziemliche Menge geliefert, was 
nichts Erstaunliches hat, wenn man weiß, daß dort 
orientalische Kontingente die ungenügende Zahl der 
Rekruten ergänzten, welche die Provinz stellte. Um 
von dem Hafen Torai zu schweigen, pflegten die 
Legionare den persischen Kultus in Troesmis, in 
Durostonim und in Oescus an den Ufern der Donau, 
ebenso in Tropaeum Traiani, welches die Entdeckung 
des Monuments von Adam-KIissi neuerdings berühmt 
gemacht hat Im Innern des Landes hatte er sich 
in Montana und in Nikopolis angesiedelt, und ohne 
Zweifel war er von diesen Städten aus südwärts 
über den Balkan vorgedrungen, um sich in Nord- 
Thracien auszubreiten, namentlich in der Gegend von 
Serdica (Sofia) und bis zur Umgebung von Philippopolis 
im Hebrustal. Nach der entgegengesetzten Seite, dem 
Lauf der Donau stromaufwärts folgend, faßte er Fuß 
in Viminacium, der Hauptstadt von Ober-Mosien, aber 
wir vermögen nicht zu beurteilen, welche Ausdehnung 
er in dieser noch mangelhaft bekannten Gegend er- 
reichte. Das Kriegsgeschwader, welches auf dem 
großen Strome kreuzte, wurde mit Ausländem be- 
mannt und sogar von solchen befehligt, und dieses 
hat zweifellos die asiatische Religion nach allen seinen 
Anlegeplätzen verpflanzt. 

Besser sind wir über die Umstände ihrer Ein- 
führung in Dacien imterrichtet Als Trajan im 
Jahre 107 n. Chr. dieses barbarische Königreich dem 
römischen Reiche einverleibte, war das Land, durch 
sechs Jahre hartnäckiger Kämpfe erschöpft, kaum 
mehr als eine Wüste. Um es wieder zu bevölkern, 



— 34 — 
brachte der Kaiser, wie uns Eutropius^) erzählt, 
massenhaft Kolonisten „ex toto orbe Romano" dorthin. 
Die Bevölkerung dieser Landschaft war im zweiten 
Jahrhundert noch gemischter als heute , wo alle 
Rassen Europas sich dort stoßen und zanken. Ab- 
gesehen von den Resten der alten Dacier fand man 
dort nebeneinander ülyrier und Pannonier, Galater, 
Karier und Asiaten, Leute aus Edessa und Palmyra 
und noch andere, welche sämtlich in der neuen 
Heimat die Kulte ihres Vaterlandes auszuüben fort- 
fuhren. Aber keiner dieser Kulte gedieh dort so 
gut als die Mysterien des Mithra, und man erstaunt 
über den wunderbaren Aufschwung, den diese hier 
während der hundertundfünfzig Jahre nahmen, welche 
die römische Herrschaft in dieser Gegend währte. 
Sie blühten nicht nur in der Hauptstadt der Provinz, 
Sarmizegetusa, imd in den Städten, welche in der 
Nähe der Lager erwuchsen, wie Potaissa und 
namentlich Apulum, sondern in dem ganzen Bereiche 
des occupierten Landes. Während man in Dacien 
meines Wissens nicht die geringste Spur einer 
christlichen Gemeinde nachweisen kann, hat man von 
der Festung Szamos-Ujvar an der Nordgrenze bis 
nach Romula in der Walachei eine Menge von In- 
schriften, Skulpturen und Altären entdeckt, welche 
die Zerstörung der Mithraeen überdauert haben. 
Diese Überreste sind namentlich häufig im Zentrum 
des Landes, der großen Straße entlang, welche dem 
Tale des Maros folgt, der Hauptader, durch welche 
die römische Zivilisation sich in die umliegenden 
Berge verbreitet hat. Die Kolonie Apulum allein 



J) Euttop. vm, 6. 



zäMte sicher vier Tempel des persischen Gottes, 
und das kürzlich ausgegrabene ^pelacum von Sarmi- 
zegetusa enthielt noch die Fragmente von etwa 
fünfzig Basreliefs oder anderen Exvotos, welche die 
Frömmigkeit der Gläubigen dort gestiftet hatte. 

In ähnlicher Weise siedelte sich in Pannonien 
die iranische Religion in den festen Städten an, 
welche staffeiförmig längs der Donau lagen, in 
Cusum, Intercisa, Aquincum, Brigetio, Camuntum, 
Vindobona und selbst in den Marktflecken des Inneren. 
Sie war namentlich mächtig in den Hauptstädten 
dieser Doppelprovinz, in Aquincum und in Camuntum, 
und bei dem einen wie dem anderen Orte lassen 
sich die Gründe für ihre bevorzugte Stellung ziemlich 
leicht wiedererkennen. Der erstgenannte, wo man im 
dritten Jahrhundert die Mysterien in mindestens fünf 
über sein ganzes Gebiet hin verteilten Tempeln 
feierte, war das Hauptquartier der legio II adiutrix, 
welche im Jahre 70 von Vespasian zur Unterstützung 
der Seeleute der Flotte von Ravenna gebildet worden 
war. Unter diesen in die Cadres der Armee ein- 
gereihten Freigelassenen befand sich ein erheblicher 
Bruchteil von Asiaten, und vermutlich hat der 
Mithriacismus von Anfang an in dieser irregulären 
Legion Anhänger gehabt. Als sie um das Jahr 
120 n. Chr. von Hadrian nach Nieder-Pannonien ver- 
legt wurde, brachte sie ohne Zweifel diesen orien- 
talischen Kult dorthin, dem sie bis zu Ende treu ge- 
blieben zu sein scheint. Die kgio I adiutrix, welche 
auf ähnliche Weise entstanden war, hat wahrscheinlich 
ebenso den fruchtbaren Samen in Brigetio aus- 
gestreut, als ihr Lager unter Trajan dorthin versetzt 
wurde. 



- 36 - 

Mit noch größerer Genauigkeit können wir an- 
geben, wie der persische Gott nach Camuntum kam. 
Im Jahre 71 oder 7z n. Chr, ließ Vespasian diese 
wichtige strategische Position durch die legio XV 
Apollmaris wieder besetzen, welche seit acht oder 
neun Jahren im Orient kämpfte. Im Jahre 63 an 
den Euphrat gesandt, um das Heer zu verstärken, 
welches Corbulo gegen die Parther führte, hatte sie 
von 67 bis 70 an der Unterdrückung der jüdischen 
Erhebung teilgenommen und dann Titus nach 
Alexandrien begleitet. Während dieser blutigen 
Kriege waren die Lücken ihres EfFektivbe Standes 
unzweifelhaft durch in Asien vorgenommene Aus- 
hebungen ergänzt. Diese Rekruten, welche wahr- 
scheinlich großenteils aus Kappadocien stammten, 
opferten, als sie mit den alten Mannschaften zusammen 
an die Donau versetzt waren, dort zuerst dem 
iranischen Gotte, der bislang nördlich der Alpen un- 
bekannt war. Man hat in Camuntum eine Weih- 
inschrift an Mithra gefunden, welche von einem 
Soldaten der Apoll inarischen Legion herrührt, der 
den charakteristischen Namen Barbaras trägt. Die 
ersten Anbeter des Sol invicius widmeten ihm am 
Ufer des Flusses eine halbkreisförmige Grotte, welche 
im dritten Jahrhundert durch die Munificenz eines 
römischen Ritters aus ihren Trümmern wiedererstehen 
sollte, und deren hohes Alter sich in ihrer ganz 
eigenartigen Anlage bekundet Als Trajan etwa 
vierzig Jahre nach ihrer Heimkehr in das Abendland 
die fünfzehnte Legion von neuem an den Euphrat 
schickte, hatte der persische Kultus in der Hauptstadt 
Ober-Pannoniens schon tiefe Wurzeln geschlagen. 
Nicht nur die vierzehnte Legion gemtna Marita, 



— 37 — 

weldie die nach Asien zurückgekehrte dauernd er- 
setzte, sondern auch die zehnte und die dreizehnte 
gemina, von denen anscheinend gewisse Abteilungen 
der erstgenannten beigegeben waren, empfanden die 
Anziehungskraft der Mysterien und zählten Ein- 
geweihte in ihren Reihen. Bald genügte der erste 
Tempel nicht mehr, und man baute einen zweiten, 
welcher — eine bedeutsame Tatsache — an den des 
Jupiter Dolichenus von Kommagene stieß. Als sich 
neben dem Lager in derselben Zeit, als die Be- 
kehrungen sich häuften, eine Municipalstadt ent- 
wickelte, wurde ein drittes Mithraeum erbaut — 
wahrscheinlich im Anfange des a. Jahrhunderts — , 
dessen Dimensionen die aller bisher entdeckten 
ähnlichen Gebäude übertreffen. Allerdings wurde es 
von Diocletian und den Fürsten, welche er sich in 
der Regierung zugesellt hatte, vergrößert, als sie 307 
eine Konferenz in Camuntuni abhielten. Sie wollten 
auf diese Weise ein öffentliches Zeugnis ihrer Ver- 
ehrung für Mithra in dieser heiligen Stadt ablegen, 
die wahrscheinlich unter allen des Nordens die ältesten 
Heiligtümer der mazdäischen Sekte rmischloß. 

Dieser befestigte Platz, der wichtigste der 
ganzen Gegend, scheint auch das religiöse Zentrum 
gewesen zu sein, von dem aus der fremde Kult sich 
in die lunliegenden Ortschaften verbreitete. Stix- 
Neusiedl, wo er sicher seit der Mitte des 2. Jahr- 
hunderts gepflegt wurde, war nur ein zu der mächtigen 
Stadt gehöriger Marktflecken. Aber der Tempel 
von Scarbantia, weiter südlich, wurde wenigstens 
ausgeschmückt von einem decurio colomae Carnunti. 
Im Osten hat das Gebiet von Aequinoctium eine 
Weihinsclirift Peirae genetrici geliefert, und in Vindo- 



— 38 — 

bona (Wien) hatten die Soldaten der zehnten Legfion, 
jedenfalls von denen des benachbarten Lagers, die 
Mysterien feiern gelernt. Bis nach Afrika hin findet 
man die Spuren des Einflusses wieder, welchen die 
große pannonische Stadt auf die Entwicklung des 
Mithriacistnus ausgeübt hat. 

Einige Stunden von Wien entfernt, nachdem wir 
die Grenze von Noricum überschritten haben, finden 
wir den Flecken Commagenae, der seinen Naraen 
wahrscheinlich dem Umstände verdankt, daß eine ala 
Commageiwrum dort ihre Quartiere hatte. Es ist 
daher nicht zu verwundem, daß man dort ein Bas- 
relief des stiertötenden Gottes zu Tage gefördert hat 
Doch scheint in dieser Provinz, und ebenso in Rhätien, 
das Heer keine aktive Rolle bei der Ausbreitung 
der asiatischen Religion gespielt zu haben, wie dies 
in Pantionien der Fall war. Eine späte Inschrift 
eines speculator legionis I Noricorum ist die einzige 
aus diesen Ländern, welche einen Soldaten erwähnt, 
und inl allgemeinen sind die Denkmäler der Mysterien 
im Tale der oberen Donau, wo die Truppen kon- 
zentriert waren, sehr spärlich gesät, Sie mehren 
sich erst auf dem anderen Abhänge der Alpen, und 
die Inschriften der letztgenannten Gegend gestatten 
es nicht, ihnen einen militärischen Ursprung zuzu- 
schreiben. 

Dagegen ist in den beiden Germanien die er- 
staunliche Verbreitung, welche der Mithriacismus ge- 
wann, jedenfalls auf Rechnimg der mächtigen He eres- 
kÖrper zu setzen, welche ein stets bedrohtes Gebiet 
verteidigten. Man hat hier die Weihinschrift eines 
Centurio gefunden, welche Soli invicto Mitkrae um 
das Jahr 148 n. Chr. gewidmet ist, und es ist wahr- 



— 39 — 

scheinlich, daß dieser Gott um die Mitte des zweiten 
Jahrhunderts bereits eine Anzahl Bekehrungen in den 
römischen Garnisonen bewirkt hatte. Alle Regi- 
menter scheinen von der Ansteckung berührt zu sein : 
die legio VIII Äugusta, XXH Primtgenia und 
XXX Ulpia, die Kohorten und Schwadronen der 
Hülfstruppen wie die Elitetruppen aus freiwilligen 
Bürgern. Bei einer so allgemeinen Verbreitung läßt 
sich kaum ausmachen, von welcher Seite her der 
Fremdkult sich in das Land eingeschlichen hat. In- 
dessen kann man annehmen, ohne eine Täuschung 
befürchten zu müssen, daß er — abgesehen vielleicht 
von bestimmten Punkten — nicht unmittelbar aus 
dem Orient übertragen, sondern durch die Ver- 
mittelung der Donaugamis onen eingeführt worden 
ist, und wenn man seinen Ausgangspunkt absolut 
näher bestimmen wollte, so könnte man nicht ohne 
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die achte Legion, 
welche im Jahre 70 n. Chr. aus Mösien nach Ober- 
germanien verlegt wurde, hier zuerst eine Religion 
ausgeübt hat, welche in ihrer neuen Heimat schnell 
vorherrschend werden sollte. 

Deutschland ist in der Tat dasjenige Land, in 
welchem man die größte Zahl von Mithraeen zu Tage 
gefördert hat: es hat uns die hinsichtlich ihrer 
Dimensionen gewaltigsten und hinsichtlich ihrer Dar- 
stellungen vollständigsten BasreUefs geliefert, und 
jedenfalls hat keine andere heidnische Gottheit hier 
zahlreichere imd eifrigere Anbeter gefunden als 
Mitlira. Die Agri Decumates, die Militärgrenze des 
Reiches, und namentlich die vorgeschobenen Posten 
zwischen dem Maintal und dem Bollwerk des litnes 
sind außerordentlich fruchtbar an Entdeckungen von 



— 40 — 
höchstem Interesse gewesen. Im Norden von Frank- 
furt, bei dem Dorfe Heddemheim, der alten civitas 
Taunensium, hat man nacheinander drei wichtige 
Tempel ausgegraben, drei andere fanden sich in 
Friedberg in Hessen und zwei weitere noch wurden 
in der umliegenden Gegend freigelegt. Anderseits 
begegnet man längs des Rheines, von Angst (Raurica) 
bei Basel bis nach Xanten (Vetera), in Straßbui^, 
Mainz, Neuwied, Bonn, Köln und Dormagen, einer 
Reihe von Monumenten, welche beweisen, wie der 
neue Glaube, gleich einer Epidemie nach und nach 
weiter um sich greifend, sich bis in die Mitte der 
barbarischen Stämme der Ubier und der Bataver 
verbreitet hat. 

Der Einfluß des Mithriacismus auf die an der 
Rheingrenze aufgehäuften Truppen ist auch an seinem 
Vordringen in das Innere von Gallien zu ermessen. 
Ein Soldat der achten Legion weiht deo Invicfo einen 
Altar zu Genf, welches an der Militärstraße lag, die 
von Germanien zum Mittehneer führte, und andere 
Spuren des orientalischen Kultes hat man in der 
heutigen Schweiz und dem französischen Jura gefunden. 
In Saarburg {Pcms Saravi), am Ausgange des Vogesen- 
passes, durch welchen Straßbiu-g mit den Becken der 
Mosel und der Seine in Verbindung stand und noch 
heutigen Tages steht, hat man kürzlich ein spelacu.in 
aus dem dritten Jahrhundert ausgegraben. Ein 
anderes, dessen Hauptbasrelief, in den lebendigen Fels 
gehauen, sich noch bis in unsere Tage erhalten hat, 
befand sich in Schwarzerden zwischen Metz und Mainz. 
Man könnte sich darüber wundern, daß die große 
Stadt Trier, die gewöhnliche Residenz der militärischen 
Befehlshaber, nur einige Reste von Inschriften und 



I 



Statuen geliefert hat, wenn die bedeutende Rolle 
dieser Stadt unter den Nachfolgern Constantins nicht 
das nahezu vollständige Verschwinden der heidnischen 
Denkmäler zur Genüge erklärte. Endlich sind im 
Maastale, unfern der Straße, welche Köln mit Bavay 
{Bagacum) verband, merkwürdige Spuren der Mysterien 
wiedererkannt worden. 

Von Bavay führte diese Straße westlich nach 
Boulogne {Gesoriacum), dem Anlegehafen der dassis 
Britannica. Die beiden jedenfalls an Ort und Stelle 
ausgeführten Dadophorenstatuen, welche dort ge- 
funden sind, waren dem Gotte ohne Zweifel von irgend 
einem fremden Seemann oder Offizier der Flotte 
dargebracht. Dieser wichtige HafenplatK mußte in 
täglichem Verkehr mit der gegenüberliegenden großen 
Insel und namentlich mit London stehen, welches 
seit dieser Zeit von zahlreichen Schiffen ang-elaiifen 
wurde. Die Existenz eines Mithraeums in der wich- 
tigsten kommerziellen und militärischen Niederlassung 
Britanniens kann für uns nichts Überraschendes haben. 
Im allgemeinen blieb der iranische Kult in keinem 
anderen Lande so entschieden auf die festen Plätze 
beschränkt als in diesem. Abgesehen von York 
{Eburacuni), wo sich das Hauptquartier der Provinzial- 
truppen befand, hat er sich nur im Westen des 
Landes ausgebreitet, in Caerleon {Iscä) und in Chester 
{Deva), wo Lager errichtet waren, um die gallischen 
Völkerschaften der Silures und der Ordovices im 
Zaum zu halten, sodann in seinem äußersten Norden, 
längs des -valhim Iladriani, der das Gebiet des 
Kaiserreiches gegen die Einfalle der Pikten und der 
Kaledonier schützte. Alle „Stationen" dieses Grenz- 
walles scheinen ihren mithri sehen Tempel gehabt 



laben, in welchem der Kommandant des Platzes 
{prae/eclus) seinen Untergebenen das Beispiel der 
Devotion gab. Es ist somit evident, daß der asiatische 
Gott im Gefolge der Heere bis in diese nördlichen 
Gegenden gelangt ist, aber man kann weder fest- 
stellen, in welchem Moment, noch mit welchen Truppen 
er hier ankam. Man hat jedoch Anlai3 zu glauben, 
daß er seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts hier 
verehrt wurde, und daß Germanien als Brücke ge- 
dient hat zwischen dem fernen Orient 

£/ penitus toto divisos orbe Britannos. 

Am anderen Ende der römischen Welt wurden 
die Mysterien in gleicher Weise von den Soldaten 
gefeiert. Sie hatten Anhänger in der III. Legion, 
welche in Lambaesis lag, und in den Posten, welche 
die Engpässe des Aurasius bewachten oder den Rand 
der Sahara bezeichneten. Doch scheinen sie im 
Süden des Mittehneeres nicht so populär gewesen 
zu sein als in den Ländern des Nordens, und ihre 
Verbreitung zeigt dort einen besonderen Charakter. 
Ihre Denkmäler, fast sämtlich aus später Zeit, stammen 
weit öfter von Offizieren oder wenigstens von Centu- 
rionen, unter denen viele fremder Herkunft waren, als 
von den einfachen Soldaten, welche nahezu aus- 
schließlich in demselben Lande ausgehoben wurden, 
welches sie zu verteidigen hatten. Die Legionare 
Numidiens sind ihren einheimischen, punischen oder 
berberischen, Gottheiten treu geblieben und haben 
nur selten den Glauben der Kameraden angenommen, 
mit denen das Waffenhandwerk sie zusammenführte. 
Die persische Religion ist daher in Afrika, wie es 
scheint, vorzugsweise von denen ausgeübt worden, 
welche der Militärdienst aus dem Auslande dorthin 



gerufen hatte, und die Kollegien der Gläubigen 
setzten sich in der Hauptsache wenn nicht aus Asiaten, 
so doch wenigstens aus Rekruten zusammen, welche 
aus den Donauprovinzen dorthin gebracht waren. 

In Spanien endlich, dem Lande des Occidents, 
welches am ärmsten an mithrischen Monumenten ist, 
zeigt sich der Zusammenhang zwischen ihrem Auf- 
treten und der Lage der Garnisonen nicht minder 
deutlich. Auf der ganzen Fläche dieser mächtigen 
Halbinsel, auf der sich so viele volkreiche Städte 
zusammendrängten, fehlen sie fast gänzlich, selbst in 
den namhaftesten städtischen Zentren. Erst seit 
kurzem kann man in der Hauptstadt Lusitaniens und 
in der von Tarraconensis, in Emerita und Tarra^ona, 
ein Stückchen Inschrift nachweisen. Aber in den 
wilden Tälern Asturiens und Galiciens hatte der 
iranische Gott einen organisierten Kultus. Man wird 
diese Tatsache sofort mit dem längeren Aufenthalt 
einer Legion in dieser lange Zeit unbotmäßigen 
Gegend in Verbindung bringen. Vielleicht imifaßten 
die Konventikel der Eingeweihten auch Veteranen 
der spanischen Kohorten, welche als Anhänger des 
mazdäischen Glaubens in ihre Heimat zurückgekehrt 
waren, nachdem sie bei den Hülfstruppen am Rhein 
und an der Donau gedient hatten. 

Aber die Armee hat nicht nur insofern dazu bei- 
getragen, die orientalischen Kulte zu verbreiten, als 
sie Leute aus allen Weltgegenden , Bürger wie 
Fremde, in Reihe und Glied zusammenführte, als sie 
die Offiziere, die Centurionen oder selbst ganze 
Truppenteile unaufhörlich aus einer Provinz iu die 
andere versetzte, wie es die wechselnden Bedürfiiisse 
des Augenblicks erforderten, und so zwischen allen 



— 44 — 

Grenzen ein Netz von dauernden Verkehrsbeziehungen 
spann. Wenn die Soldaten ihren Abschied erhalten 
hatten, so fuhren sie im Ruhestand fort die Gebräuche 
zu beobachten, an welche sie sich unter der Fahne 
gewöhnt hatten, und fanden bald Nacheiferer in ihrer 
Umgebting. Oft ließen sie sich in der Nähe ihrer 
letzten Garnison nieder, in Jenen Munizipien, welche 
allmählich die Buden der Marketender neben den 
Lagern ersetzt hatten. Bisweilen verlegten sie ihren 
Wohnsitz auch in irgend eine große Stadt der Gegend, 
in welcher sie gedient hatten, um dort mit alten 
Waffenbrüdern den Rest ihrer Tage zu verbringen: 
Lyon beherbergte in seinen Mauern immer eine statt- 
liche Anzahl solcher alter Legionare aus Germanien, 
imd die einzige mithrische Inschrift, welche London 
uns geliefert hat, nennt als ihren Autor einen emeritus 
der britannischen Truppen. Auch kam es vor, daß 
der Kaiser diese entlassenen Soldaten in ein Terri- 
torium sandte, welches er ihnen anwies, um dort eine 
Kolonie zu gründen, Elusa in Aquitanien hat die 
asiatische Religion vielleicht durch die Veteranen 
vom Rhein kennen gelernt, welche Septimius Severus 
dort ansiedelte. Oft bewahrten die Rekruten, welche 
die Militärbehörde an die äußersten Enden des Reiches 
versetzte, im Herzen die Liebe zu ihrem Geburts- 
lande, zu welchem sie stets Beziehungen unterhalten 
hatten; aber wenn sie, nach zwanzig oder fünfund- 
zwanzig Jahren voller Wachtdienst und Kämpfe frei- 
gelassen, in ihr Vaterland zurückkehrten, dann zogen 
sie den Göttern ihrer Heimat oder ihres Stammes 
den fremden Schirmherm vor, welchen sie ein Zelt- 
genosse in der Feme nach geheimnisvollen Riten 
anzubeten gelehrt hatte. 



— 45 — 
Doch ist die Verbreitung des Mithriacismus in 
den Städten und Gauen der provinciae i'nermes 
in der Hauptsache anderen Faktoren zuzuschreiben 
als dem Heere. Durch seine fortschreitenden Er- 
oberungen in Asien hatte Rom zahlreiche semitische 
Völkerschaften seiner Herrschaft unterworfen. Seit 
die Begründung des Kaiserreiches den Weltfrieden 
gesichert und den ungestörten Betrieb des Handels 
garantiert hatte, sah man, wie diese Neulinge ver- 
möge der besonderen Eigenschaften ihrer Rasse 
allmählich den Handel der Levante in ihren Händen 
konzentrierten. Wie ehedem die Phönizier und 
Karthager, bevölkerten nun die Syrer mit ihren 
Kolonien sämtliche Häfen des Mittelmeeres. In der 
hellenischen Zeit hatten sie sich in großer Zahl in 
den Handelszentren Griechenlands , namentlich auf 
Del OS festgesetzt Eine Anzahl dieser Kaufleute 
siedelte jetzt in die Nachbarschaft Roms, nach Puteoli 
und nach Ostia über. Sie scheinen in allen See- 
städten des Occidents Geschäfte gemacht zu haben. 
Man findet sie in Italien in Ravenna, in Aquileia, 
in Tergeste; in Salonae in Dalmatien und bis nach 
Malaga in Spanien. Ihre kaufmännische Tätigkeit 
lockte sie selbst weit in das Innere der Länder hinein, 
sobald sich ihnen nur irgendwo die Aussicht bot, 
einen Profit zu machen. Im Donautal drangen sie 
bis nach Sarmizegetusa und Apulum in Dacien, bis 
nach Sir m iura in Pannonien vor. In Gallien war 
diese orientalische Bevölkerung besonders dicht; sie 
kamen auf der Gäronde nach Bordeaux und gingen 
die Rhone bis nach Lyon hinauf. Als sie die Ufer 
dieses Flusses besetzt hatten, ergossen sie sich über 
die ganze Mitte der Provinz, und Trier, die große 



— 46 - 
Hauptstadt des Nordens, zog sie massenhaft an, Sie 
erfüllten wirklich, wie es der heilige Hieronymus 
schildert, die ganze römische Welt. Die Einfälle 
der Barbaren waren nicht dazu imstande, ihren 
Unternehmungsgeist zu dämpfen. Unter den Mero- 
wingem sprachen sie noch ihr semitisches Idiom in 
Orleans. Um ihre Auswanderung zu hemmen, mußten 
erst die Sarazenen die Schiffahrt auf dem Mittelmeer 
vernichtet haben. 

Die Syrer zeichneten sich zu allen Zeiten durch 
ihren glühenden Eifer aus. Kein Volk, selbst das 
ägyptische nicht, verteidigte mit solcher Hartnäckig- 
keit seine Idole gegen die Christen. So war denn 
auch ihre erste Sorge, wenn sie eine Kolonie gründeten, 
ihre nationalen Kulte zu organisieren, und das Mutter- 
land bewilligte ihnen bisweilen Subventionen, um 
sie in der Erfüllung dieser frommen Pflicht zu unter- 
stützen. Auf diese Weise sind die Gottheiten von 
Heliopolis, von Damaskus und selbst von Palmyra 
zuerst in Italien eingedrungen. 

Das Wort Syrus hatte im gewöhnlichen Sprach- 
gebrauch einen sehr unbestimmten Sinn. Dieses 
Wort, eine Abkürzung von Assyrus, wurde oft mit 
dem letzteren verwechselt und diente zur allgemeinen 
Bezeichnung sämtlicher semitischen Völkerschaften, 
welche vormals den Königen von Ninive gehorchten, 
bis zum Euphrat und selbst darüber hinaus. Es um- 
faßte somit auch die Anhänger des Mithra, welche 
in dem Tale dieses Stromes wohnten, und je weiter 
Rom seine Erobenmgen nach dieser Seite hin aus- 
dehnte, um so zahlreicher mußten sie unter den 
„Syrern" werden, die sich in den lateinischen Städten 
niederließen. 



Indessen waren die Kaufleute. welche Comptoire 
im Abendlande gründeten, der Mehrzahl nach Ver- 
ehrer der semitischen Baale. und die, welche Mithra 
anriefen, im allgemeinen Asiaten von geringerem 
Stande. Die ersten Tempel, welche der Gott im 
Westen des Reiches besaß, wurden jedenfals haupt- 
sächlich von Sklaven besucht In den Provinzen 
des Orients vorzüglich versahen sich die mattgonfs 
mit ihrer Menschenware. Aus dem Inneren Klein- 
asiens brachten sie Herden von Leibeigenen nach 
Rom, welche sie von den ^oßen Gnindeigentüroem 
in Kappadocien und Pontus gekauft halten, und diese 
importierte Bevölkerung bildete schließlich, um mit 
einem Alten zu reden, gleichsam besondere Städte 
in der Hauptstadt, Aber der Sklavenhandel genügte 
nicht für den wachsenden Verbrauch des entvölkerten 
Italiens. Neben ihm war der Krieg der große 
Menschenlieferaat Wenn man sieht, daß Titus in 
dem einen jüdischen Feldzuge 97000 Juden zu Sklaven 
macht, so erschrickt man bei der Vorstellung, welche 
Massen von Gefangenen die unaufhörlichen Kämpfe 
mit den Parthem und besonders die Eroberungen 
Trajans auf die Märkte des Occidents werfen mußten. 

Haufenweis nach dem Siege verteilt oder einzelo 
von den Händlern erworben, waren diese Sklaven 
vor allem in den Seestädten zahlreich vorhanden, bis 
zu denen ihr Transport wenig Kosten verursachte 
Hier haben sie, mit den syrischen Kaufleuten wett- 
eifernd, die orientalischen Kulte und besonders den 
des Mithra eingeführt. Wir finden um daher in einer 
ganzen Reihe von Mittelmeerhäfen angesiedelt. Oben') 



I Vgl. S. 24. 



haben wir bereits seine Anwesenheit im phönizischen 
Sidon und im ägyptischen Alexandrien erwähnt. 
Wenn in Italien Puteoli und seine Umgebung, mit 
Einschluß Neapels, verhältnismäßig wenig Denkmäler 
der Mysterien geliefert haben, so ist dies dadurch 
zu erklären, daß jene Stadt seit dem zweiten Jahr- 
himdert nicht mehr der große Stapelplatz war, auf 
dem sich Rom mit den Erzeugnissen der Levante 
versorgte. Die tyrische Kolonie von Puteoli, ehe- 
mals reich und mächtig, beklagt im Jahre 17z, daß 
sie auf eine kleine Anzahl von Mitgliedern zusanunen- 
geschmolzen sei. Seit Claudius und Trajan gewaltige 
Arbeiten in Ostia ausgeführt hatten, erbte diese Stadt 
den Wohlstand ihrer kampanischen Nebenbuhlerin. 
Auch alle asiatischen Religionen hatten dort bald 
ihre Kapellen imd ihre Bruderschaften von Gläubigen, 
aber keine von ihnen erfreute sich einer so auf- 
fallenden Beliebtheit wie die des iranischen Gottes. 
Seit dem zweiten Jahrhundert wurden ihm wenigstens 
vier oder fünf spclaea geweiht; eins von ihnen, 
spätestens im Jahre 162 erbaut und mit den Thermen 
des Antoninus in Verbindung stehend, lag an dem 
Orte selbst, wo die überseeischen Schiffe landeten, 
und ein anderes stieß an das Metroon, das Heilig- 
tum, in welchem der offizielle Kult der Magna Mater 
zelebriert wurde. Im Süden war der kleine Markt- 
flecken Antium (Porto d'Anzio) dem Beispiel seiner 
mächtigen Nachbarin gefolgt, und in Etrurien hatten 
Rusellae (Grosseto) und Pisae ebenfalls der mazdäischen 
Gottheit eine freundliche Aufnahme bereitet 

Im Osten Italiens ragt Aquileia durch die Zahl 
seiner mithrischen Inschriften hervor. War es doch, 
wie heute Triest, der Markt, auf dem die Donau- 



I 



— 49 — 
vinzen ihre Erzeugnisse gegen die des Südens 
austauschten, Pola, an der Südspitze Istriens, die 
Insehi Arba und Brattia und die Stapelplätze der 
dalmatischen Küste, Senia, lader, Salonae, Narooa, 
Epidaurum bis nach Dyrrhachium in Macedonien, 
haben mehr oder weniger zahlreiche und bestimmte 
Spuren des Einflusses des unbesiegbaren Gottes be- 
wahrt und bezeichnen gleichsam den Weg, welchen 
dieser eingeschlagen hat, um nach der Handels- 
metropole des adriatischen Meeres zu gelangen. 

Auch im westlichen Mittelme erb ecken lassen sich 
seine Fortschritte verfolgen. In SicUien sind Syrakus 
und Palermo, längs der afrikanischen Küste Karthago, 
Rusicade.Icosium, Caesarea, an der gegenüberliegenden 
Küste Spaniens Malaga und Tarragona abwechselnd 
Zeugen davon gewesen, wie sich in der gemischten 
Bevölkerung', welche das Meer dorthin gefuhrt hatte, 
Genossenschaften von Mithriasten bildeten, und weiter 
nördlich, am Golf du Lion, hatte die stolze römische 
Kolonie Narbonne sich nicht exklusiver gezeigt. 

In Gallien namentlich ist die von uns konstatierte 
Beziehung zwischen der Ausdehnung der Mysterien 
und der des orientalischen Handels auffällig. Beide 
konzentrieren sich hauptsächlich zwischen den Alpen 
und den Cevennen oder, um einen noch präziseren 
Ausdruck zu wählen, im Becken der Rhone, deren 
Lauf einen Eingangsweg von hervorragender Be- 
deutung repräsentierte. Sextantio, in der Nähe von 
Montpellier, und Aix in der Provence haben uns 
das Epitaph eines patcr sacroruni und eine — vielleicht 
mithrische — Darstellung der Sonne auf ihrer 
Quadriga geliefert. Femer finden wir, den Fluß auf- 
wärts verfolgend, in Arles eine Statue des in den 

CHnuBt, Mithrasmysloiiau. ^ 



Mysterien verehrten löwenköpfigen Kronos, in Bourg- 
Saint-And^ol bei Montelimar eine Darstellung des 
stiertötenden Gottes, welche in der Nähe einer Quelle 
in den lebendigen Fels gehauen ist; in Vaiaon, nicht 
weit von Orange, eine Weihinschrift, die bei Ge- 
legenheit einer Initiation verfaßt ist; in Vienne ein 
spelaeuni, aus welchem neben anderen Monumenten 
ein bis jetzt in seiner Art einziges Basrelief stammt. 
In Lyon endlich, dessen Beziehungen zu Kleinasien 
durch die Geschichte des Christentums hinlänglich 
bekannt sind, war der Erfolg des persischen Kultes 
sicherlich bedeutend. Im Oberiande ist seine An- 
wesenheit einerseits in Genf, anderseits in Besangon 
und Mandeure am Doubs zu konstatieren. Eine un- 
unterbrochene Reihe von Heiligtümern, welche 
zweifellos in beständigem Verkehr miteinander 
standen, verband so die Ufer des Binnenmeeres mit 
den Gefilden Germaniens, 

Von den blühenden Städten des Rhönetals aus- 
gehend, schlich sich der fremde Kult sogar bis tief in 
die Berge der Dauphin^, Savoyens und Bugeys 
hinein. Labätie bei Gap, Lucey unweit von Belley 
und Vieu-en-Val-Romey haben uns Inschriften, Tempel 
und Statuen aufbewahrt, die von seinen Anhängern 
geweiht wurden. Wie gesagt, beschränkten sich die 
orientalischen Kaufleute nicht darauf, Faktoreien in 
den See- oder Flußhäfen zu begründen. Die Hoffnung 
auf ein lukrativeres Geschäft zerstreute sie in die 
Städte des Inneren, wo die Konkurrenz weniger stark 
war. Die Verbreitung der asiatischen Sklaven war 
noch ausgedehnter: kaum ausgeschifft, wurden sie 
durch den Zufall der Auktion in alle möglichen 
Richtungen versprengt, und wir finden sie in den 



verschiedensten Gegenden und bei den verschiedensten 
Beschäftigungen wieder. 

In Italien, dem Lande des Großgrundbesitzes, 
dem I^nde, das mit alten Städten übersäet war, 
dienten sie bald dazu, die Sklavenheere zu vergrößern, 
welche die Domänen der römischen Aristokratie be- 
bauten, und dann wurden sie bisweilen als Verwalter 
(aclor, vüliciis) die Herren derjenigen, deren elendes 
Los sie anfangs geteilt hatten; bald wurden sie von 
irgend einem Munizipium angekauft und führten als 
servi publici die Befehle der Magistrate aus oder 
traten in die Bureaux der Verwaltung ein. Man 
stellt sich schwer vor, mit welcher reißenden Schnellig- 
keit die orientahschen Religionen auf diese Weise 
in Gegenden vorzudringen vermochten, welche sie dem 
Anschein nach niemals hätten erreichen sollen. Eine 
Doppelinschrift von Nersae, im Herzen der Apenninen, 
berichtet uns, daß im Jahre 172 unserer Zeitrechnung 
ein Sklave, der Rentmeister der Stadt, dort ein 
verfallenes Mithraeum restaiu-iert hat. In Venusia 
wird eine griechische Weihinschrift 'HXiuj MiOpa von 
. dem Sachwalter irgend eines reichen Bürgers ge- 
widmet, imd sein Name, Sagaris, verrät zugleich seine 
Stellung als Sklave und seine asiatische Herkunft. 
Man konnte diese Beispiele vervielfachen. Es leidet 
keinen Zweifel, daß diese obskuren Diener des fremden 
Gottes den wirksamsten Beitrag zur Verbreitung der 
Mysterien nicht nur innerhalb der Bannmeile Roms 
oder in den großen Städten allein, sondern in ganz 
Italien von Kalabrien bis zu den Alpen geliefert 
haben. Man findet den iranischen Kult gleichzeitig 
gepflegt in Grumentum, im Innern Lukaniens; dann, 
wie bereits gesagt, in Venusia in Apulien und in 



Nersae im Äquerlande, wie in Aveia in dem der 
Vestiner; femer in Umbrien längs der Via Flaminia, 
in Interamna in Spoleto, wo man ein mit Gemälden 
geschmücktes spelaeuni besuchen kann, und in 
Sentinum, wo man ein Verzeichnis der Patrone eines 
Kollegiums von Mithriasten zu Tage gefördert hat; 
ebenso folgte er in Etrurien der Via Cassia und ließ 
sich in Sutrium, in Volsinii (Bolsena) nieder, viel- 
leicht auch in Arretium und in Florenz. Minder 
deutlich und nicht so bezeichnend sind seine Spuren 
im Norden der Apenninen, Sie treten sowohl in der 
Emilia nur sporadisch auf, wo lediglich die Territorien 
von Bologna und Modena einige interessante Reste 
aufbewahrt haben, wie in dem fruchtbaren Tale des 
Po, Hier scheint Mailand, dessen schnelles Aufblühen 
in der Kaiserzeit bekannt ist, der einzige Ort ge- 
wesen zu sein, wo sich die ausländische Religion 
großer Gunst und offizieller Protektion erfreute. 
Einige Bruchstücke von Inschriften, welche man in 
Tortona, Industria und Novaria ausgegraben hat, liefern 
keinen ausreichenden Beweis dafür, daß sie in dem 
übrigen Teile des Landes weit verbreitet gewesen 
wäre. 

Es ist gewiß bemerkenswert, daß wir in den 
wilden Schluchten der Alpen eine reichere Ausbeute 
zu verzeichnen haben als in den üppigen Gefilden 
Oberitaliens. In Introbbio im Val Sassina, im Osten 
des Comersees, im Val Camonica, welches der Oglio 
durchfließt, sind dem unbesiegbaren Gotte Altäre 
geweiht. Aber die ihm geheiligten Monumente sind 
zahlreich vor allem längs der Etsch und ihrer Zu- 
flüsse, in der Nähe des großen Communicationsweges, 
der im Altertum wie in unserer Zeit über den Brenner- 



— 53 — 

paQ oder durch das Pustertal lief und den gegen- 
überliegenden Abhang hinab nach Rätien oder 
Noricum führte: in Trient, ein bei einem Wasserfall 
errichtetes Mithraeum; in der Nähe von San-Zeno, 
Basreliefs, die in einer felsigen Schlucht gefunden 
wurden ; in Castello di Tuenno, Fragmente von Exvotos, 
die auf beiden Seiten bearbeitet sind; an den Ufern 
der Eisack, eine Weihinschrift an Mithra und die 
Sonne, und endlich in Mauls, die berühmte skulpierte 
Platte, welche im 16. Jahrhundert entdeckt wurde 
und sich jetzt im Wiener Museum befindet. 

Die Fortschritte des Mithriacismus machten in 
dieser Gebirgsgegend an den Grenzen Italiens nicht 
Halt. Wenn wir, unsem Weg durch das Tal der 
Drau weiter verfolgend, die Spuren aufsuchen, welche 
er dort hinterlassen hat, so finden wir sie sofort in 
Teumia und namentlich in Vininum wieder, der be- 
deutendsten Stadt Noricums, in welcher im 3. Jahr- 
hundert mindestens zwei Tempel den Geweihten ihre 
Pforten öffneten. Ein dritter war nicht weit von 
dort in einer Grotte mitten im Walde hergerichtet 
worden. 

Die religiöse Metropole dieser römischen Kolonie 
war zweifellos Aquileia»), dessen bedeutende Gemeinde 
jene ganze Gegend beeinflußte. Die Städte, welche 
sich längs der Routen entwickelten, die von diesem 
Hafen quer durch Pannonien nach den Donaufestuiigen 
führten, waren fast ausnahmslos dem fremden Gotte 
gastfreundlich: Emona, Latobici, Naeviodunum und 
hauptsächlich Siscia an der Sau; weiter nach Norden 
empfingen ihn Atrans, Celeia, Poetovio mit gleicher 



1) Vgl. oben S. 48 f. 



— 54 — 
Gunst So wurden seine Anhänger, welche sich von 

den Ufem des adriatischen Meeres einerseits nach 
MÖsien oder andererseits nach Camuntum begaben, 
in allen ihren Reise quartieren von Glaubensgenossen 
bewiUkommnet. 

Wenn in diesen Gegenden, ebenso wie südlich 
der Alpen, die orientalischen Sklaven dem Mithra 
als Missionare gedient haben, so waren doch die 
Verhältnisse, unter denen sich ihre Propaganda voll- 
zog, einigermaßen andere. Sie haben sich in dieser 
Gegend kaum, wie auf den latifundia und in den 
Städten Italiens, als ländliche Arbeiter oder Verwalter 
reicher Grrundbesitzer oder als Munizipalbe am te ver- 
breitet. Die Entvölkerung war hier nicht so weit 
vorgeschritten, wie in den alten Kulturländern, und 
um die Felder zu bebauen oder die Polizei in den 
Städten auszuüben brauchte man nicht auf fremde 
Arbeitskräfte zu greifen. Nicht die Privatleute oder 
die Kommunen, sondern der Staat ist hier der große 
Menschenimporteur gewesen. Die Prokuratoren, 
fiskalische Beamte, Verwalter der kaiserlichen 
Domänen oder, wie in Noricum, wirkliche Gouver- 
neure, hatten unter sich eine Menge von Steuer- 
erhebem, Rentmeistem, Angestellten aller Art, welche 
über ihren Bezirk verstreut waren, und diese Sub- 
altembeamten waren im allgemeinen nicht von freier 
Geburt. Ebenso verwandten die großen Unternehmer, 
welche den Ertrag der Bergwerke und Steinbrüche 
oder die Zolleinnahmen pachteten, in ihren Betrieben 
ein zahlreiches Persona! unfreien Standes oder un- 
freier Geburt, welches sie von auswärts einführten, 
Leute dieser Art, Beauftragte des Kaisers oder der 
Publicani, welche er sich substituierte, sind es, deren 



— 55 — 
Titel uns am häufigsten in den mithrischen Inschriften 
des südlichen Pannoniens und Noricums begegnen. 

In allen Provinzen haben die untergeordneten 
Beamten der kaiserlichen Verwaltung bei der Aus- 
breitung der Fremdkulte eine bedeutende Rolle ge- 
spielt. Ebenso wie diese im Solde der Zentralgewalt 
stehenden Männer die Repräsentanten der politischen 
Einheit des Reiches waren im Gegensatz zum provin- 
zialen Partikularismus, so waren sie auch die Apostel 
der Universalreligionen gegenüber den Lokalkulten. 
Sie bildeten gleichsam eine zweite, dem Befehl des 
Herrschers unterstehende Armee, und ihr Einfluß auf 
die Entwicklung des Paganismus ist dem der ersten 
analog gewesen. Wie die Soldaten rekrutierten sie 
sich zum größten Teil aus den asiatischen Landern; 
■wie jene wechselten sie beständig ihren Aufenthalts- 
ort nach Maßgabe ihres Aufrücken s in höhere 
Chargen, und die Bestände ihrer Bureaux enthielten, 
wie die der Legionen, Individuen jeder Nationalität, 

So hat die Verwaltung mit ihren Schreibern 
und ihren Rechnungsführern die Kenntnis der 
Mysterien von einem Bezirk zum andern weiterge- 
tragen. Eine charakteristische Tatsache: im kappa- 
docischen Caesarea bringt ein vermutlich eingeborener 
Sklave, arcarius dispensatoris Augu^ti, in sehr gutem 
Latein dem Mithra ein Bild der Sonne dar. Im 
Inneren Dalmatiens, wo die Denkmäler des persischen 
Gottes ziemlich spärlich sind, weil diese Provinz 
frühzeitig von Legionen entblößt wurde, haben 
dennoch fiskalische, Post- und Zollbeamte ihre Namen 
auf einigen Weihinschriften hinterlassen. In den 
Grenzprovinzen vor allem mußten die Finanzbeamten 
der Cäsaren zahlreich sein, nicht nur um die Ein- 



- 56 - 
fuhrzölle auf die verschiedenen Waren einzuziehen, 
sondern weil die drückendste Ausgabe der kaiser- 
lichen Kassen in den Unterhaltungskosten der Truppen 
bestand. Es ist daher natürlich, daß man disfensa- 
fores, exactores, prociiratorcs imd andere entsprechende 
Titel in den mithrischen Texten Daciens und Afrikas 
erwähnt findet. 

Hier haben wir also einen zweiten Weg, auf 
welchem der iranische Gott in die Ortschaften bei 
den Lagern einzudringen vermochte, wo er, wie wir 
sahen, von den orientalischen Soldaten verehrt wurde. 
Im allgemeinen erforderte die Organisation der Ver- 
waltung und die Bedienung der Offiziere die Ver- 
schickung von öffentlichen und Privatsklaven nach 
allen Garnisonen, während gleichzeitig die sich stets 
erneuernden Bedürfnisse dieser zusammengehäuften 
Massen die Geschäftsleute von allen Seiten her dort- 
hin zogen. Anderseits siedelten sich, wie bereits 
gesagt, die Veteranen häufig in den Häfen imd in 
den Großstädten an, wo mit ihnen wieder die Sklaven 
und die Kaufleute zusammentrafen. Wenn man nun 
behauptet, daß Mitfu"a auf die eine oder die andere 
Weise in diese oder jene Gegend gekommen sei, so 
kann diese Verallgemeinerung offenbar keinen An- 
spruch auf absolute Genauigkeit erheben. Die kon- 
kiurierenden Ursachen der Ausbreitung dieser Myste- 
rien mischen sich und fließen zusammen, und es 
würde vergebliche Mühe sein, wollte man ihr wirres 
Geflecht in seine einzelnen Fäden aufzulösen ver- 
suchen. Einzig und allein — wie es nur zu oft der 
Fall ist — auf Inschriften unbestimmten Datums an- 
gewiesen, in denen neben dem Namen des Gottes 
lediglich der eines Mysten oder eines Priesters figu- 



— 57 — 

nett, sind wir nicht in der Lage, in jedem einzelnen 
Falle die Umstände angeben zu können, welche der 
neuen Religion förderlich gewesen sind. Die vor- 
übergehenden Einflüsse entziehen sich unserer Be- 
obachtung beinahe ganz. Hat bei dem Regierungs- 
antritt Vespasians der längere Aufenthalt syrischer 
Truppen in Italien, die eifrige Verehrer der Sonne 
waren, irgendeine dauernde Wirkung ausgeübt? Hat 
die von Alexander Severus nach Germanien geführte 
Armee, die nach Lampridius^) potentisstma per Arme- 
nios et Osrho'enos et Parthos war, der mithrischen 
Propaganda an den Ufern des Rheins einen neuen 
Aufschwung gegeben? Hat keiner jener hohen 
Beamten, welche Rom Jahr für Jahr an die Euphrat- 
grenze sandte, den Glauben seiner Untergebenen an- 
genommen? Schifften sich nicht kappadocische und 
pontische Priester, z. B. die der syrischen Göttin, 
nach dem Occident ein, in der Hoffnung dort von 
der Leichtgläubigkeit der Menge zu leben? Schon 
unter der Republik trieben sich die chaldäischen 
Astrologen auf den Hauptstraßen Italiens umher, 
und zur Zeit Juvenals verkauften die Wahrsager aus 
Kommagene und Armenien in Rom ihre Orakel- 
spruche, Diese nebensächlichen HüUsmittel wie alle, 
welche der Verbreitung der orientalischen Religionen 
im allgemeinen forderlich gewesen sind, können auch 
dem Mithrakult zu gute gekommen sein. Aber die 
wirksamsten Faktoren seiner Verbreitung sind un- 
streitig die Soldaten, die Sklaven und die Kaufleute 
gewesen. Abgesehen von den detaillierten Belegen, 
weiche wir beigebracht haben, würde das Auftreten 



l) Lamprid., Alex. Sev. c. 6l; cf, Capitol., Maximin. i 



— 58 — 

seiner Denkmäler in den militärischen und Handels- 
plätzen, in den Gegenden, wohin sich der breite 
Strom der asiatischen Auswanderung ei^oß, genügen 
um dies zu beweisen. 

Ihr Fehlen an anderen Orten zeigt es ebenso 
deutlich. Warum findet man in Asien, in BithjTiien. 
in Galatien, in den Nachbarprovinzen solcher, wo 
sie seit Jahrhunderten gefeiert wurden, keine Spur 
der persischen Mysterien? Weil die Produktion 
dieser Länder ihren Verbrauch überstieg, weil der 
Außenhandel dort in den Händen der griecliischen 
Rheder war, weU sie Menschen exportierten, statt 
sie von auswärts einzuführen, und weil seit Vespasian 
wenigstens keine Legion mehr damit betraut war, 
sie zu verteidigen oder im Zaume zu halten. Griechen- 
land war gegen die Livasion der fremden Gottheiten 
gefeit durch seinen nationalen Stolz, jenen Kultus 
seiner ruhmreichen Vergangenheit, der in ihm unter 
dem Kaiserreich den bezeichnendsten Grundzug des 
Öffentlichen Lebens bildet. Überdies nahm ihm die 
Abwesenheit von Soldaten oder ausländischen Sklaven 
sogar die Gelegenheit, sich selbst imtreu zu werden. 
Endlich fehlen die mithrischen Monumente fast ganz 
im Zentrum und dem Westen Galliens, auf der 
spanischen Halbinsel, im Süden Brittanniens; und 
selten sind sie sogar im Inneren Dalmatiens. Hier 
forderte bisher weder eine ständige Besatzung die 
Überführung von Asiaten, noch vermochte irgend ein 
internationaler Handelsplatz solche anzuziehen. 

Mehr als irgend eine Provinz ist dagegen die 
Stadt Rom reich an Entdeckungen aller Art gewesen. 
In der Tat fand Mithra nirgfends sonst in demselben 
Maße alle Bedingungen vereint, welche seinen Erfolg- 



— 59 — 
begünst^en: Rom besaß eine bedeutende C 
aus Soldaten gebildet, welche man aus allen Teilen 
des Reiches zusammengezogen hatte, und wenn sie 
die honesta missia erhalten hatten, so siedelten sich 
die Veteranen hier in großer Zahl an. Eine üppige 
Aristokratie residierte hier, und ihre Paläste, wie 
die des Kaisers, bevölkerten Tausende von orienta- 
lischen Sklaven. Hier war der Sitz der Zentral- 
verwaltung, und Sklaven derselben Art füllten ihre 
Bureaux. Endlich stömten alle diejenigen, welche 
die Lust an Abenteuern oder das Elend dazu trieb, 
ihr Glück in der Feme zu suchen, in dieser „Welt- 
herberge" zusammen und führten hier ihre Sitten 
und Kulte ein. Gelegentlich mag auch die An- 
wesenheit asiatischer Duodezfürsten, welche als 
Geiseln oder Flüchtlinge mit ihrer Familie und ihrem 
Gefolge in Rom lebten, der mazdäischen Propaganda 
forderlich gewesen sein. 

Wie die meisten fremden Götter hatte Mithra 
seine ersten Tempel ohne Zweifel außerhalb des 
fomoerimn. Viele seiner Denkmäler sind jenseits 
dieser Grenzlinie gefunden worden, namentlich in der 
Nähe des Campus Praetorianus; aber noch vor dem 
Jahre i8i n. Chr. hatte er die heilige Schranke durch- 
brochen und sich im Herzen der Stadt festgesetzt. 
Leider ist es nicht möglich, ihm auf seinem Wege 
durch die riesenhafte Metropole Schritt für Schritt 
zu folgen. Die datierten und ihrer Herkunft nach 
unzweifelhaft bekannten Beweisstücke sind zu selten, 
als daß man den Versuch wagen dürfte, die Lokal- 
geschichte der persischen Religion in der Hauptstadt 
zu rekonstruieren. Wir können lediglich im all- 
gemeinen feststellen, daß sie hier zu hohem Glänze 



— 6o — 

emporge stiegen ist. Ihre angesehene SteÜung vtn 
bezeugt durch etwa hundert Inschriften, mehr als 
fiinfundsiebenzig plastische Bruchstücke und eine 
Reihe von Tempeln und Kapellen, die über alle 
Quartiere und das Weichbild der Stadt zerstreut 
sind. Das berühmteste dieser spelaea ist mit Recht 
dasjenige, welches noch in der Renaissancezeit in 
einer Grotte des Kapitols existierte, und aus dem 
das gegenwärtig in Louvre befindliche große Bas- 
relief Borghese stammt. Es scheint bis auf das 
Eude des 2. Jahrhunderts zurückzugehen. 

In dieser Zeit ist Mithra aus dem Halbdunkel 
hervorgetreten, in dem er bislang gelebt hatte, um 
einer der beliebtesten Götter der Aristokratie und 
des Hofes zu werden. Wir haben gesehen, wie er 
aus dem Orient kam als die verächtliche Gottheit 
von Asiaten, welche nach Europa ausgewandert oder 
— noch öfter — transportiert waren. Es ist un- 
zweifelhaft, daß er seine ersten Eroberungen in den 
unteren Schichten der Bevölkerung gemacht hat, 
und — eine wichtige Tatsache — der Mithriacismus 
ist lange Zeit hindurch die Religion der niederen 
Stände geblieben. Die ältesten Inschriften bezeugen 
es in beredter Weise, denn sie rühren ohne Ausnahme 
von Sklaven oder ehemaligen Sklaven, von Soldaten 
oder ehemaligen Soldaten her. Aber es ist bekannt, 
welche hohen Stellungen die Freigelassenen zur 
Kaiserzeit erstreben konnten , und die Söhne der 
Veteranen oder der Centurionen wurden oft wohl- 
habende Bürger. So mußte die Religion, nachdem 
sie einmal auf lateinischen Boden verpflanzt war, 
vermöge einer ganz natürlichen Entwicklung wachsen 
an Reichtum und an Macht, und bald zählte sie zu 



— 6t — 

ihren Anhängern in Rom einflußreiche Beamte, in 
den Municipien Augustalen und Decurionen. Unter 
den Antoninen begannen die Literaten und die 
Philosophen sich für die Dogmen und Riten dieses 
originellen Kultes zu interessieren. Lucian parodiert 
geistreich seine Bräuche^), und im Jahre 177 stellt 
Celsus ohne Zweifel in seinem Wahren Wort seine 
Lehren denen des Christentums gegenüber.*) Um die- 
selbe Zeit widmete ein gewisser Pallas ihm ein be- 
sonderes Werk, und Porphyrius zitiert einen Eubulus, 
welcher „Mithrische Unter suchung-en" in mehreren 
Büchern {rriv irepi toO Mi9pa laiopiav dv iroXXoic ßißXioic) 
veröffentlicht hatte. ^ Wenn diese Schriften nicht un- 
wiederbringlich verloren gegangen wären, so würden 
sie uns jedenfalls immer wieder von Truppen er- 
zählen, die — Offiziere wie Soldaten — zu dem 
Glauben der Erbfeinde des Reiches übergingen, imd 
von vornehmen Herren, welche durch die Diener 
ihres Hauses bekehrt wurden. Die Denkmäler er- 
wähnen oft die Namen von Sklaven neben denen von 
Freien; und bisweilen sind es jene, welche den höch- 
sten Grad unter den Eingeweihten bekleiden. In 
diesen Bruderschaften wurden die Letzten oft die 
Ersten und die Ersten die Letzten, wenigstens dem 
Anschein nach. 

Ein bedeutsames Resultat ergibt sich aus allen 
unseren Einzeluntersuchungen; daß die Ausbreitung 
der persischen Mysterien sich mit einer ganz außer- 

1) Lnc. Menipp., c. 6 BS. Cf. Dmr. cincil., c. 9; Jup. Trag. 
c. a, 13 (T.etM. t. n, p. 22). 

2) Origen., Canlr. Cell. I, 9 {T. et M., t. n, p. 30). 

3) Porphyr., Dt AnCr. Nyfn.fih., c. J; De AbsUn. II, 56; IV, 16 
(cf. T. et M. t. n, p, 39 SS. und I, p. 26 39.). 



— 62 — 

ordentlichen SchneUigkeit voUzogen haben muß. 
Sie treten fast gleichzeitig in den entferntesten 
Gegenden auf: in Rom, in Camuntum an der Donau, 
in den Agri Decuraates. Man könnte von einem 
Pulvers treifen sprechen, der plötzlich aufflammt. 
Dieser reformierte Mazdaismus hat offenbar eine ge- 
waltige Anziehung auf die Gesellschaft des zweiten 
Jahrhunderts ausgeübt, deren Ursachen wir heute 
nur noch unvollkommen zu erkennen vermögen. 

Aber zu diesem eigenen Zauber, welcher die 
Massen vor dem stiertötenden Gott niederknieen ließ, 
gesellte sich noch ein äußerst wirksames Moment 
äußerlicher Art: die kaiserliche Huld. Lampridius") 
berichtet uns, daß Commodus sich einweihen ließ und 
an den blutigen Zeremonien der Liturgie teilnahm; 
und die Inschriften beweisen, daß die Sympathie des 
Monarchen für die Priester des Mithra eine ungeheure 
Wirkung hatte. Von diesem Zeitpunkt an sieht man 
die höchsten Würdenträger des Reiches dem Bei- 
spiel des Souveräns folgen und eifrige Anhänger 
des iranischen Kultes werden. Tribunen, Präfekten, 
Legaten, später per/ectissimi und clartssimt werden 
häufig als Urheber der Dedikationen genannt, und 
bis zum völligen Ende des Heidentums blieb die 
Aristokratie der Sonnengottheit treu, welche lange 
Zeit die Gunst der Fürsten genossen hatte. Um aber 
die Politik der letzteren und die Motive ihres Wohl- 
wollens verständlich zu machen, müssen wir die 
mithrischen Lehren von der obersten Gewalt und ihre 
Beziehungen zu den theo kr ati sehen Ansprüchen der 
Cäsaren darstellen. 

l) Lampr., Commod , c. 9 (7'. et M. t. Ü, p. 21). Cf. unten 
Kap. m, S. 65. 



DRITTES KAPITEL. 

MITHRA LIND DIE KAISERLICHE GEWALT. 

Dank der relativ späten Zeit ihrer Ausbreitung 
entgingen die Mysterien des Mithra den Verfolgungen, 
welche die bereits früher in Rom eingedrungenen 
orientalischen Kulte und namentlich der Isiskult zu 
erleiden hatten. Vielleicht beriefen sich einige von 
den Astrologen oder „Chaldäem", welche unter den 
ersten Kaisem zu verschiedenen Malen aus Italien 
vertrieben wurden, auf den persischen Gott, aber diese 
vagabundierenden Wahrsager, die trotz ebenso ohn- 
mächtiger als strenger Senatsbeschlüsse immer wieder 
in der Hauptstadt erschienen, bildeten weder einen 
Klerus, noch verkündigten sie eine Religion. Als 
sich gegen das Ende des ersten Jahrhtmderts der 
Mithriacismus im Abendlande ausbreitete, begann die 
mißtrauische Zurückhaltung oder selbst offene Feind- 
schaft, welche lange Zeit hindurch für die römische 
Politik gegen die ausländischen Priester bezeichnend 
gewesen war, einer wohlwollenden Toleranz, wenn 
nicht einer erklärten Gunst zu weichen. Schon Nero 
hatte die Absicht gehegt, sich von den Magiern, 
welche der König Tiridates von Armenien ihm zu- 
geführt hatte, in die Ceremonien des Mazdaismus ein- 
weihen zu lassen, und dieser hatte in seiner Person 
eine Emanation des Mithra angebetet. 



— 64 - 
Leider haben wir keine direkten Berichte über 
die rechtliche Stellung der Associationen der cultores 
Solls imiicti Mithrae. Kein Text meldet xins, ob die 
Existenz dieser Bruderschaften ganz zuerst einfach 
geduldet wurde, oder ob sie infolge staatlicher An- 
erkennung von Anfang an das Recht des Besitzes 
und der Selbstverwaltung erhalten hatten. Jedenfalls 
ist nicht anzunehmen, daß eine Religion, welche 
stets zahlreiche Anhänger in der Verwaltung und 
der Armee besaß, von dem Herrscher lange in un- 
geordneten Verhältnissen belassen worden ist Viel- 
leicht konstituierten sich diese Associationen, um auf 
gesetzlichem Boden zu bleiben, als Begräbnisgenossen- 
schaften {collegia funer aticid) und partizipierten so an 
den solchen Korporationen bewilligten Privilegien. 
Wie es scheint, haben sie jedoch zu einem noch 
wirksameren Mittel gegriffen. Sobald wir das Vor- 
handensein des persischen Kultes in Italien feststellen 
können, finden wir ihn eng verbunden mit dem der 
Großen Mutter von Pessinus, welcher von dem 
römischen Volke drei Jahrhunderte früher feierlich 
angenommen war. Obendrein wurde der blutige 
Brauch das Tauroboliums , der unter dem Einflüsse 
niazdäischer Glaubens Vorstellungen in die Liturgie 
der phrygischen Göttin eingedrungen war, vermutlich 
seit der Zeit Marc Aureis durch die Bewilligung 
bürgerlicher Freiheiten befördert,') Doch wissen wir 
nicht mehr, ob diese Union der beiden Gottheiten 
durch eine Entscheidung des Senats oder des 
Herrschers sanktioniert worden war. In diesem Falle 
würde der fremde Gott sofort das Bürgerrecht iu 



i)Cf: u 



Italien erlangt haben und in demselben Sinne römisch 
geworden sein wie Cybele oder die Bellona von 
Comana, Aber selbst wenn eine förmliche Ent- 
scheidung der ÖffentUchen Gewalten nicht ergangen 
sein sollte, so ist doch die Annahme durchaus be- 
rechtigt, daß Mithra wie Attis, der -ihm assimiliert 
worden war, der Magna maier zugesellt wurde und 
in irgend einer Weise aus der offiziellen Protektion 
Vorteil zog, deren sich diese erfreute. Indessen 
scheint sein Klerus keine regelmäßige Dotation aus 
Öffentlichen Mitteln erhalten zu haben, wennschon 
der Fiskus oder die Munizipalkassen ihm ausnahms- 
weise gewisse Unters tützung^en gewährt haben mögen. 
Am Ende des zweiten Jahrhunderts verwandelte 
sich die mehr oder weniger zurückhaltende Freund- 
lichkeit, welche die Cäsaren den iranischen Mysterien 
gegenüber gezeigt hatteii, mit einem Schlage in 
eine nachdrückliche Unterstützung. Commodus ließ 
sich in die Schar ihrer Adepten aufnehmen und 
nahm an ihren geheimen Zeremonien teil, und die 
Auffindung zahlreicher Weihinschriften, welche dem 
Heil dieses Fürsten gewidmet sind oder aus seiner 
Regierungszeit stammen, läßt uns ahnen, welchen 
Aufschwung diese kaiserliche Bekehrung der mithri- 
schen Propaganda gegeben hat. Nachdem der letzte 
der Antonine in dieser Weise mit den alten Vor- 
urteilen gebrochen hatte, scheint die Gunst seiner 
Nachfolger der neuen Religion endgültig sicher 
gewesen zu sein. Seit den ersten Jahren des 3. Jahr- 
hunderts hatte sie einen Kaplan im Palast der 
Auguste, und man sah ihre Gläubigen Votivgaben 
und Opfer darbringen zu Gunsten der Severer und 
später des Philippus. Aurelian, welcher den offiziellen 



— 66 — 

Kultus des Sol tnvülus einführte, konnte emer Lrott- 
heit, die als identisch mit der betrachtet wurde, 
welche er durch seine Pontifices verehren ließ, nur 
Sympathie entgegenbringen. Im Jahre 30; weihten 
Diokletian, Galerius und Licinius gelegentlich ihrer 
Begegnung in Carnuntum aufgrund gemeinsamen 
Übereinkommens dem Mithra fautoH imperii sui 
einen Tempel, und der letzte Heide, der auf dem 
Throne der Cäsaren gesessen hat, Julian Apostata, war 
ein glühender Verehrer dieses göttlichen Schirmherm, 
den er in Konstantin opel schleunigst anbeten ließ. 

Eine solche sich stets gleichbleibende Begünsti- 
gimg durch Monarchen, welche in ihrer Gesinnung 
und ihren Tendenzen so verschieden waren, kann 
nicht aus vorübergehenden Anwandlungen oder in- 
dividuellem Geschmack erklärt werden, Sie muß 
tiefere Gründe gehabt haben. Wenn die Herren 
des Reiches zwei Jahrhunderte hindurch eine solche 
Vorliebe für diese fremde Religion zeigten, obwohl 
sie unter Feinden geboren war, welche die Römer 
fortgesetzt bekämpften, so ließen sie sich dabei 
offenbar von irgend einer Staatsräson leiten. Und 
in der Tat fanden sie in ihren Lehren eine Stütze 
für ihre persönliche Politik und einen Anhalt ftir die 
autokratischen Ansprüche, deren Geltendmachung sie 
sich angelegen sein ließen. 

Man kennt die langsame Entwicklung, welche 
im Laufe der Zeit den Prinzipat, wie ihn Augustus 
begründet hatte, in eine Monarchie von Gottes Gnaden 
umwandelte. Der Kaiser, dessen Autorität in der 
Theorie dem Volke entstammte, war anfänglich nur 
der erste Magistrat Roms. In dieser Eigenschaft allein, 
als Erbe der Tribunen und des obersten Pontifex, 



I 



- 67 — 

war er unverletzlich und mit dem Charakter der 
Heiligkeit bekleidet. Aber gerade wie seine Macht, 
die anfangs gesetzlich beschränkt war, in Folge 
wiederholter Übergriffe schließlich in den Absolutismus 
ausmündete, ebenso wurde der Herrscher vermöge 
paralleler Entwicklung aus dem Beauftragten des 
Volkes ein Repräsentant Gottes auf Erden, selbst 
Gott [domimis et deui). Bald nach der Schlacht 
bei Actium machte sich eine Bewegung bemerkbar, 
welche in absolutem Gegensatze zu der demo- 
kratischen Fiktion des Cäsarismus stand: die asia- 
tischen Städte beeilten sich Augustus Tempel zu 
errichten und ihm einen Kult zu widmen. Bei diesen 
Völkerschaften waren die monarchischen Erinnerungen 
lebendig geblieben. Sie verstanden nichts von den 
subtilen Distinktionen, mit denen man sich in Italien 
ZU täuschen versuchte. Für sie war der Herrscher 
inuner ein König (ßaciXeuc) und ein Gott (Öeöc). 
Die Metamorphose der kaiserlichen Gewalt bedeutet 
den Triumph des orientalischen Geistes über den 
römischen Genius und den der religiösen Idee über 
den juristischen Begriff. 

Mehrere Historiker haben die Organisation dieses 
Kaiserkultes im einzelnen untersucht und seine 
politische Bedeutung dargelegt. Aber vielleicht 
hat man nicht ebenso klar gesehen bezüglich der 
theologischen Grundlage, auf welcher er beruht. Es 
genügt nicht, einfach zu konstatieren, daß die Fürsten 
in einer gewissen Zeit nicht nur nach ihrem Tode gött- 
liche Ehren empfingen, sondern sich diese auch schon 
während ihrer Regierung zuerkennen ließen. Viel- 
mehr ist zu erklären, wie sich diese Vergötterung einer 
lebenden Persönlichkeit, eine neue Art der Apotheose, 



— 68 — 

welche ebensosehr der gesunden Vernunft wie der 
römischen Überlieferung widerspricht, doch schließlich 
fast allgemein durchgesetzt hat. Der beharrliche 
Widerstand der öffentlichen Meinung wurde über- 
wunden, als die Religionen Asiens die Massen er- 
obert hatten. Sie verbreiteten unter ihnen Lehren, 
welche darauf abzielten, den Monarchen über die 
gewöhnliche Menschheit zu erheben; und wenn sie 
sich die Gunst der Cäsaren und besonders derjenigen 
von ihnen erwarben, welche nach absoluter Macht- 
vollkommenheit strebten, so war dies eine Folge 
davon, daß sie eine dogmatische Rechtfertigung für 
ihren Despotismus erbrachten. An die Stelle des 
alten Prinzips der Volkssouveränität trat ein theologi- 
sierender Glaube an übernatürliche Einflüsse, Wir 
werden zu zeigen versuchen, welche Rolle der 
Mithriacismus bei dieser fundamentalen Umwälzung 
gespielt hat, über welche uns die geschichtlichen 
Quellen, die uns zu Gebote stehen, nur unvollkommen 
unterrichten. 

Manche Erscheinungen könnten zu der irrtümlichen 
Annahme verleiten, daß die Römer alle diese Ideen 
aus Ägypten entlehnt hätten. Dieses Land, dessen 
Institutionen in so vielfacher Hinsicht fiir die 
administrativen Reformen des Kaiserreichs von Be- 
deutung gewesen sind, konnte ihm auch das vollendete 
Vorbild einer theokratischen Regierung üefem. Nach 
den alten Glaubens Vorstellungen Ägyptens stammte 
nicht nur das Königsgeschlecht von dem Sonnen-Rä 
ab, sondern war auch die Seele jedes Herrschers 
eine abgestoßene Verdoppelung des Sonnen-Homs, 
Alle Pharaonen waren daher aufeinanderfolgende 
Inkarnationen des Tagesgestims. Sie waren nicht 



- 6, - 

bloß Reprusentanten der Gottheit, sondern lebendige 
Götter, verehrt gleich dem, der die Himmel durch- 
eilt, und ihre Insigiiien waren den seinigen ähnlich. 

Als die Achämeniden und spater die Ptolemaer 
die Herren des Niltales geworden waren, erbten sie 
die Huldigungen, welche man den alten Königen 
zugebilligt hatte, und es ist unzweifelhaft, daß Augustus 
und seine Nachfolger, welche alle religiösen Bräuche 
des Landes wie seine politische Verfassung mit 
peinlicher Sorgfalt respektierten, sich dort von ihren 
Untertanen den Charakter beilegen ließen, welche 
eine mehr als drei tausend] ährige Überlieferung den 
Potentaten Ägyptens zuerkannte. 

Von Alexandrien aus, wo sogar die Griechen 
ihn annahmen, verbreitete sich dieser theokratische 
Glaube weit über das Reich. Die Priester der Isis 
waren in Italien seine erfolgreichen Missionare, Die 
Proselyten, welche sie in den höchsten Klassen der 
Gesellschaft machten, mußten von ihm durchdrungen 
werden. Die Kaiser, deren geheimem oder ein- 
gestandenem Ehrgeiz diese Predigt schmeichelte, er- 
mutigten sie bald offen. Wenn aber auch ihre Politik 
aus der Verbreitung der ägyptischen Lehren Nutzen 
ziehen konnte, so brachten sie es doch nicht fertig, 
diesen in Bausch und Bogen Geltung zu verschaffen. 
Seit dem ersten Jahrhundert ließen sie sich von ihrer 
Dienerschaft und ihrer Kanzlei, die zur Hälfte aus 
Orientalen bestanden, deiis noster nennen; aber sie 
wagten damals nicht, diesen Namen in ihre offizielle 
Titulatur aufzunehmen. Von dieser Zeit an konnten 
gewisse Cäsaren, ein Caligula, ein Nero, davon 
träumen, daß sie auf der Bühne der Welt dieselbe 
Rolle spielten wie die Ptolemaer in ihrem König- 



— 7° — 
reich; sie konnten sich einbilden, daß aie ver- 
schiedensten Götter in ihren Personen wiederauf- 
lebten, aber alle aufgeklärten Römer waren über 
solche Extravaganzen entrüstet. Der lateinische 
Geist empörte sich gegen die von der orientalischen 
Phantasie geschaffene ungeheuerliche Fiktion. Die 
Apotheose eines regierenden Fürsten stieß selbst 
noch viel später unter den letzten Heiden auf ent- 
schiedene Gegner. Um sie allgemein annehmbar 
zu machen, bedurfte es einer minder plumpen Theorie 
als der der alexandrinischen Epiphanie. Die mithrische 
Religion war es, welche sie darbot. 

Die Perser warfen sich gleich den Ägyptern 
vor ihren Herrschern zur Erde nieder, aber sie be- 
trachteten sie dennoch nicht als Götter, Wenn man 
dem „Dämon" des Königs einen Kult widmete, wie 
in Rom dem gemus Caesaris, so verehrte man auf 
diese Weise nur das göttliche Element, welches 
in jedem Menschen vorhanden ist und einen Teil 
seiner Seele bildet. Die Majestät der Monarchen 
war lediglich deshalb eine geheiligte, weil sie ihnen 
von Ahura-Mazda verliehen wurde, dessen Wille sie 
auf den Thron berufen hatte. Sie regierten durch 
die Gnade des Schöpfers Himmels und der Erde. 
Die Iranier stellten sich diese Gnade vor wie eine 
Art übernatürlichen Feuers, leuchtender Aureole, 
„Glorie", welche vor allem den Göttern eigen war, 
aber auch die Fürsten umglänzte und ihre Macht 
heiligte. Das HvarenÖ, wie sein Name im Avesta 
lautet, erleuchtet die legitimen Herrscher und weicht 
von Usurpatoren als Gottlosen, die bald mit seinem 
Besitz Krone imd Leben verlieren. Denjenigen da- 
gegen, welche es zu empfangen und zu behalten 



verdienen, sind immerwährendes Glück, unermeßlicher 
Ruhm und der Sieg über alle ihre Feinde beschieden. 
Diese den Persem durchaus eigentümliche Vor- 
stellung hatte kein Äquivalent in den übrigen Mytho- 
logieen, und die fremden Völker stellten die mazdäische 
Glorie in wenig zutreffender Weise dem Glücke 
gleich: die Semiten identifizierten sie mit ihrem Gad% 
die Grriechen übersetzten ihren Namen mit Tiixi- Die 
Yerschiedenen Dynastieen, welche nach dem Sturze 
der Achämeniden ihren Stammbaum bis auf ein 
Glied des alten Regentenhauses zurückzuführen 
suchten, weihten natürlich dieser besonderen Tyche. 
deren Protektion sowohl die Konsequenz als der 
Beweis ihrer Legitimität war, einen Kult Man sah, 
wie das HvarenO zugleich und aus denselben Gründen 
von den Königen von Kappadocien und Pontus wie 
von denen von Baktriana verehrt wurde, und die 
Seleuciden, welche lange Iran beherrschten, wurden 
ebenfalls als die Schützlinge der von dem höchsten 
Gott gesandten Fortmia betrachtet. In seiner Grab- 
schrift scheint sich Antiochus von Kammagene selbst 
mit der Göttin zu identifizieren. Die mazdäischen 
Ideen über die monarchische Gewalt verbreiteten 
sich so im westlichen Asien zu derselben Zeit wie 
der Mithriacismus. Aber gleich diesem hatten sie 
sich mit semitischen Lehren verflochten. Der Glaube, 
daß das Schicksal die Krone gibt und nimmt, zeigte 
sich schon bei den Achämeniden. Nun wird aber 
nach den Chaldäem das Geschick notwendig be- 
stimmt durch die Revolution der Sternhimmel, und 



t) Vgl. ober diesen GoR Buethgcn, Beit 
gtsehichtt L, S, 76—80. 



der strahlende Himmelskörper, welcher seine Begleiter 
zu regieren scheint, wurde als königliches Gestirn 
par exellence aufgefaßt. So wurde die unbesiegbare 
Sonne ("HXioc äviKriTOc), mit Mithra identifiziert, während 
der alexandrinischen Periode allgemein als Spenderin 
des H-vareno betrachtet, welches den Sieg verleiht. 
Der Monarch, auf welchen diese göttliche Gnade 
sich niederließ, war damit über die Sterblichen 
erhoben und wurde von seinen Untertanen als Genosse 
der Unsterblichen verehrt. 

Nach dem Verschwinden der asiatischen Reiche 
übertrug sich die Verehrung, deren Gegenstand ihre 
Dynastieen gewesen waren, auf die römischen Kaiser. 
Die Orientalen begrüßten in ihnen ohne weiteres 
die Auserwählten der Gottheit, denen die Fortuna 
der Könige die Allgewalt verliehen hatte. Je mehr 
sich die syrischen Religionen und namentlich die 
Mithrasmysterien in Rom verbreiteten, um so zahl- 
reichere Verteidiger fand die mehr oder weniger 
semitisch gefärbte alte mazdäische Theorie in der 
offiziellen Welt. Anfangs wagte sie sich nur schüchtern 
hervor, dami dokumentierte sie sich immer deutlicher 
in den heiligen Institutionen und der kaiserlichen 
Titulatur, deren Bedeutung nur mit ihrer Hülfe zu 
verstehen ist. 

Seit der Zeit der Republik verehrte man zu 
Rom unter verschiedenen Namen die „Fortuna des 
römischen Volkes". Dieser alte nationale Kult ver- 
band sich frühzeitig mit den Glaubensvorstellungen 
des Orients, in dem nicht nur jedes Land, sondern 
jede Stadt ihr deifiziertes Schicksal anbetete. Wenn 
Plutarch uns berichtet, daß Tyche die Assyrer und 
die Perser verlassen habe, um Ägypten und Syrien 



I 



— 73 — 
zu durchwandern und sich auf dem Palatin nieder- 
zulassen, so ist diese Metapher noch in einem anderen 
Sinne wahr als in dem, welchen man darin gefunden 
hat. Auch den Kaisem gelang es leicht, nach dem 
Vorbilde ihrer asiatischen Vorgänger neben der 
Anbetung jener Göttin des Staates auch die Ver- 
ehrung derjenigen einzufuhren, welche über ihre 
eigene Person wachte. Die Fortuna Aiigusii er- 
scheint seit Vespasian auf den Münzen, und ebenso 
wie früher die Untertanen der Diadochen schwören 
mm die der Cäsaren bei der Fortuna des Fürsten. 
Die abergläubische Devotion der letzteren für ihre 
Schutzherrin war so groß, daß sie wenigstens im 
zweiten Jahrhundert beständig, selbst während des 
Schlafes und auf Reisen, eine goldene Statuette der 
Gröttin bei sich führten, welche sie sterbend ihrem 
Nachfolger übergaben und unter dem Namen Fortuna 
regia, einer Übersetzung von TOxi ßaciX^yJC, anriefen. 
In der Tat sind sie, sobald diese Schützerin sie verläßt, 
dem Tode oder Unglücksfällen und Schicksalsschlägen 
preisgegeben; solange sie jene behalten, kennen sie 
nur Glück und Erfolg. 

Seit der Regierung des Commodus, von welcher 
an der Triumph der orientalischen Kulte und be- 
sonders der Mithrasmysterien datiert, führen die 
Kaiser offiziell die Titel pius, felix, invictus, die seit 
dem 3. Jahrhundert einen regelmäßigen Bestandteil 
der amtlichen Titulatur bilden. Diese Epitheta sind 
bedingt durch den eigenartigen Fatalismus, welchen 
Rom dem Orient entliehen hatte. Der Monarch ist 
„fromm", denn seine Frömmigkeit allein kann ihm 
die besondere Gunst erhalten, welche der Himmel 
ihm zu teil werden läßt; er ist „glücklich" in dem. 



— 74 — 
was er beginnt (eüxuxiic), eben weil er von der 
göttlichen Gnade erleuchtet wird; endlich ist er „un- 
besiegbar", denn die Niederlage der Feinde des 
Reiches ist der glänzendste Beweis dafür, daß diese 
schirmende Gnade nicht aufhört ihn zu begleiten. 
Die legitime Autorität wird nicht durch Erbfolge 
oder durch ein Votum des Senates verliehen, sondern 
durch die Götter, und sie offenbart sich durch den Sieg, 

Alles dies ist den alten raazdäi sehen An- 
schauungen konform, und der Gebrauch des letzten 
Adjektivs verrät außerdem die Einwirkung der astro- 
logischen Theorieen, welche sich mit dem Parsismus 
verschmolzen hatten. Invictus, öviKrixoc ist, wie wir 
gesehen haben, der gewöhnliche Beiname der aus 
dem Orient eingeführten Gestimgötter und vor allem 
der Sonne. Die Kaiser haben diese Bezeichnung 
offenbar gewählt, um sich mit der himmlischen Gott- 
heit in Verbindtmg zu bringen, deren Vorstellung 
jene sofort hervorrief. Die Lehre, daß das Los der 
Staaten wie das der Individuen an den Lauf der 
Gestirne geknüpft sei, hatte als Korollarium die 
andere nach sich gezogen, daß der Beherrscher der 
Planeten auch über die Fortuna der Könige gebiete. 
Er war es, der diese auf den Thron erhob oder von 
ihm herabstürzte, der ihnen ihre Siege verbürgte 
oder sie mit Schicks alsschlägen heimsuchte. Sol 
wird als der Begleiter [comes) des Kaisers und als 
sein persönlicher Beschützer (cofiservaior) betrachtet. 
Wir haben gesehen, daß Diokletian in Mithra den 
fautor imperii sui verehrte. 

Indem sich die Cäsaren den Beinamen „der 
Unbesiegbare" gaben, bekundeten sie sonach den 
innigen Bund, welchen sie mit der Sonne geschlossen. 



N 



— 75 — 
I strebten darnach, sieb ihr zvt assimilieren. 
Aas demselben Grunde haben sie das noch über- 
schwänglichere Epitheton „der Ewige" angenommen, 
welches, schon seit längerer Zeit im gewöhnlichen 
Verkehr gang und gäbe, im 3. Jahrhundert auch ein 
Bestandteil des offiziellen Formulars «Tu^e. Dieser 
Beiname wird, wie der erste, namentlich von den 
Sonnengottheiten des Orients geführt, deren Kultus 
sich im Anfange unserer Zeitrechnui^ nach Italien 
verbreitete. Auf die Herrscher angewandt, verrät 
er noch deuthcher als der vorhergehende die Über- 
zeugung, daß sie aufgrund ihrer engen Gremeinschaft 
mit Sol durch eine Art Wesensidentität mit ihm 
verbunden seien. 

Diese Cberzeugimg offenbarte sich auch in den 
Sitten des Hofes. Das himmlische Feuer, welches 
ewig in den Gestirnen leuchtet, die immer wieder 
über die Finsternis triumphieren, wurde symbolisch 
dargestellt durch das nie erlöschende Feuer, welches 
im Palast der Cäsaren brannte und bei den offiziellen 
Zeremonien vor ihnen hergetragen wurde. Dieser 
beständig flammende Herd war schon für die Perser- 
könige das Sinnbild der Ewigkeit ihrer Herrscher- 
gewalt und ging samt den mystischen Ideen, welche 
er zum Ausdruck brachte, auf die Diadochen, dann 
auf die Römer über. Ebenso ist die Strahlenkrone, 
welche die Kaiser seit Nero nach dem Vorbilde 
der Seleuciden und der Ptolemäer zum Zeichen ihrer 
Souveränität erwählten '), ein Beweis fiir diese politisch- 
religiösen Tendenzen. Ein Symbol des Glanzes der 
Sonne und der Strahlen, weiche sie aussendet, schien 



1) VgU oben S. 23, Fig. 1 



- 76 - 

sie den Monarchen dem Grotte gleichzustellen, dessen 

Licht unsere Augen blendet. 

In welche heilige Beziehung setzte man die 
strahlende Scheibe, welche den Himmel erleuchtet, 
zu dem menschlichen Bildnis, welches sie auf Erden 
repräsentiert? Der loyale Eifer der Orientalen kannte 
kein Maß in seinen Apotheosen. Die Sassaniden- 
könige nannten sich, wie ehemals die Pharaonen, 
„Brüder der Sonne und des Mondes", und die Cäsaren 
TiVurden beinahe in derselben "Weise in Asien als 
successive Verkörperungen des Helios betrachtet 
Manche Selbstherrscher billigten die Gleichstellung 
ihrer Person mit dieser Gottheit und ließen sich 
Statuen errichten, welche sie mit ihren Attributen 
geschmückt darstellten. Sie ließen sich sogar als 
Emanationen des Mithra anbeten. Aber diese un- 
öinnig-en Ansprüche wurden von dem niichtemen 
Verstände der lateinischen Völker zurückgewiesen. 
Wie wir bereits angedeutet haben, vermeidet man 
im Abendlande derartige absolute Behauptungen, 
Man gelallt sich in Metaphern; man liebt es, den 
Herrscher, der die bewohnte Welt regiert, und dem 
nichts entgehen kann, was sich ereignet, mit der 
himmlischen Leuchte zu vergleichen, welche das 
Universum erhellt und seine Geschicke bestimmt. 
Man gebraucht vorzugsweise vage Ausdrücke, welche 
alle möglichen Auslegungen zulassen. Man erkennt 
an, daß der Fürst mit den Unsterblichen durch irgend 
ein verwandtschaftliches Verhältnis verknüpft ist, 
ohne jedoch den Charakter des letzteren näher zu 
bezeichnen. Nichtsdestoweniger führte die Vor- 
stellung, daß der Sonnengott den Kaiser in seiner 
Obhut hätte, und daß übernatürliche Wirkungen 



— 77 — 

von dem einen auf den anderen ausgingen, allmählich 
zu der ihrer KonsubstantialitäL 

Nun lieferte die von den Mysterien gelehrte 
Psychologie fiir diese Konsubstantialität eine rationelle 
Erklärung und gab ihr beinahe eine wissenschaftliche 
Grundlage. Ihren Annahmen zufolge präexistieren 
die Seelen im Empyreum, und wenn sie auf die Erde 
niedersteigen , um den Körper aufzusuchen, in den 
sie eingehen wollen, so durchreisen sie dabei die 
Sphären der Planeten und empfangen von jedem der- 
selben irgendwelche Eigenschaften. Für alle Astro- 
logen ist die Sonne, woran wir bereits erinnert haben, 
das königliche Gestirn, und infolgedessen ist sie es, 
welche ihren Auserwählten die Tugenden des Herr- 
schers verleiht und sie zur Regierung beruft. 

Es ist ohne weiteres ersichtlich, wie sehr diese 
Theorieen die Frätensionen der Cäsaren beg:ünstigten. 
Sie sind in Wahrheit die Herren nach dem Recht 
der Geburt (deiis et dominus nattis), denn seit ihrer 
Ankunft in der Welt haben die Sterne sie für den 
Thron bestimmt; sie sind göttlich, denn sie tragen 
gewisse Elemente der Sonnengottheit in sich, deren 
vorübergehende Inkarnation sie in gewissem Sinne 
darstellen. Vom gestirnten Himmel herabgestiegen, 
werden sie nach ihrem Tode dorthin zurückkehren, 
um bei den Göttern als ihresgleichen ewig zu leben. 
Der gemeine Mann bildete sich sogar ein, daß der 
verstorbene Kaiser, ganz wie Mithra am Schlüsse 
seiner Laufbahn, von Helios auf seiner glänzenden 
Quadriga entrückt würde. 

So kombinierte die Dogmatik der persischen 
Mysterien zwei Theorieen verschiedenen Ursprungs, 
welche beide darauf ausgingen, die Fürsten über die 



- 78 - 
gewöhnliche Menschheit zu erheben. Einerseits wurde 
die alte mazdäische Vorstellung des Hvarenß zur 
„Fortuna des Königs", welche ihn mit himmlischer 
Gnade erleuchtet und ihm den Sieg verleiht. Ander- 
seits ermöglichte die Idee, daß die Seele des Monarchen 
in dem Augenblicke, wo das Schicksal sie hienieden 
ankommen ließ, ihre Herrschergewalt von der Sonne 
empfinge, die Behauptung, daß sie an der Gottheit 
dieses Planeten teilnehme und sein Repräsentant auf 
Erden sei. 

Diese religiösen Vorstellungen können uns heute 
absurd und beinahe monströs erscheinen. Nichts- 
destoweniger sind sie jahrhundertelang von Millionen 
sehr verschieden gearteter Menschen geteilt und haben 
diese in einund derselben monarchischen Überzeugung 
vereint. Mochten auch die gebildeten Stände , in 
denen die literarische Überlieferung immer einige 
Spuren des alten republikanischen Geistes erhielt, 
demgegenüber bis zu einem gewissen Grade skeptisch 
gestimmt bleiben, das Volksbewußtsein nahm diese 
theokratischen Hirngespinste mit Wohlgefallen in sich 
auf und ließ sich von ihnen bestimmen, solange das 
Heidentum dauerte. Man kann sogar sagen, daß sie 
den Sturz der Idole überlebten, und daß die Ver- 
ehrung der Menge wie das Zeremoniell des Hofes 
fortfuhren die Person des Souveräns als ein über- 
natürliches Wesen zu betrachten. Aurelian hatte 
versucht eine offizielle Religion einzuführen, welche 
umfassend genug sein sollte, um sämtliche Kulte 
seiner Staaten in sich aufzunehmen, und die, wie bei 
den Persem, zur Rechtfertigung und Stütze des 
kaiserlichen Absolutismus gedient haben würde. 
Dieser Versuch scheiterte vor allem an der unver- 



— 79 — 

sohnlichen Opposition der Christen. Aber der Bund 
von Thron und Altar, von welchem die Cäsaren des 
3. Jahrhunderts geträumt hatten, verwirklichte sich 
imter anderer Gestalt, und eine seltsame Wendung 
der Dinge fugte es, daß die Kirche dazu berufen 
wurde, das Gebäude zu stützen, dessen Grundfesten 
sie erschüttert hatte. Das Werk, welches die Priester 
des Serapis, des Baal und des Mithra vorbereitet 
hatten, wurde ohne sie und im Gegensatz zu ihnen 
vollendet; aber sie hatten nichtsdestoweniger zuerst 
im Abendlande das göttliche Recht der Könige ge- 
predigt und so den Anstoß zu einer Bewegung ge- 
geben, deren Schwingungen sich bis in das Unendliche 
fortsetzen sollten« 



VIERTES KAPITEL. 

DIE LEHRE DER MYSTERIEN. 

Mehr als drei Jahrhunderte lang wurde der 
Mithriacismus in den entferntesten römischen Provinzen 
und unter den verschiedensten Verhältnissen praktisch 
ausgeübt. Es ist nicht anzunehmen, daß seine heiligen 
Überlieferungen während dieser langen Zeit keine 
Veränderung erlitten haben, und daß die philo- 
sophischen Anschauungen, welche nacheinander die 
Geister beherrschten, geschweige denn die politische 
und soziale Lage des Reiches ohne Einfluß auf sie 
geblieben sind. Aber wenn auch die persischen 
Mysterien im Occident gewiß modifiziert worden sind, 
so erlaubt uns doch die Lückenhaftigkeit der Denk- 
mäler, über welche wir verfügen, weder die Phasen 
ihrer Entwicklung zu verfolgen noch die lokalen 
Unterschiede, welche sie möglicherweise aufgewiesen 
haben, klar herauszustellen. Alles, was wir erreichen 
können, beschränkt sich darauf, die Lehren, welche 
in ihnen verkündigt wurden, in großen Zügen zu 
skizzieren und stellenweise die Zusätze oder die 
Retouchierongen anzudeuten, welche sie erfahren zu 
haben scheinen. Übrigens waren die Veränderungen, 
welche mit ihnen vorgingen, im großen und ganzen 
oberflächlicher Art, Die Identität der Bilder und der 
hieratischen Formeln bei aller Verschiedenheit der 



Zeit und des Ortes liefert den Beweis dafür, 
dieser reformierte Mazdaismus seine Theologie bereits 
vor der Epoche seiner Einbürgferung' in den lateinischen 
Ländern im wesentlichen abgeschlossen hatte. Im 
Gegensatz zu dem alten griechisch-römischen Paga- 
nisimus, einem Sammelsurium von Zeremonien und 
Glaubens Vorstellungen ohne logischen Zusammenhang, 
hatte der Mithriacismus in der Tat eine wirkliche 
Theologie, ein dogmatisches System, welches seine 
fundamentalen Prinzipien der Wissenschaft entlehnte. 

Anscheinend glaubt man im allgemeinen, daß 
Mithra der einzige iranische Gott sei, welcher in den 
Occident eingeführt worden ist, imd daß alles in 
seinem Kulte, was sich nicht unmittelbar auf ihn 
bezieht, späterer Zusatz und jungen Datums sei. Dies 
ist jedoch eine willkürliche und irrige Voraussetzimg: 
Mithra wurde auf seinen Wanderungen von einem 
großen Teile des mazdäischen Pantheons begleitet, 
und wenn er auch in den Augen der Gläubigen der 
vornehmste Heros der Religion ist, welcher er 
seinen Namen gegeben hat, so ist er doch nicht ihr 
höchster Gott. 

An die Spitze der göttlichen Hierarchie und an 
den Anfang der Dinge stellte die mithrische Theo- 
logie als Erbin der zrvanistischen Magier die Un- 
endliche Zeit Man nannte sie bisweilen AiÜJV oder 
Saeculum, Kpövo? oder Saiurnus, aber diese Be- 
zeichnungen waren konventionell und zufallig, denn 
sie wurde als unaussprechlich betrachtet, wie ohne 
Namen so auch ohne Geschlecht und ohne Leiden- 
schaften. In Nachahmung eines orientalischen Proto- 
typs stellte man sie dar als ein Ungeheuer in 
Menschengestalt mit einem Löwenkopfe, den Leib 

Cnmonl. Milhrasmysterien. 6 



^^^ 


^^^^B 


^^^^Ä. 


von einer Schlange umwund*^^ 


^^^\ 


(Fig. 2). Die Mannigfaltigkeit 


^^^ofö 


der Attribute, mit denen man 


>^^^^^^SSj^ 


die Statuen dieses Gottes über- 


^^V^^^rw^ 


häuft, entspricht der Unbe- 


/ V FPjAM'i// \ 


stimmtheit seines Charakters.') 


jlJ\ u-d-\u\ ]\ 


Er führt das Scepter und den 


L^'M^f^fctj^j 


Blitz als souveräne Gottheit 


^^^( '^^^ 


und hält in jeder Hand einen 


^T^V^^^^^r 


Schlüssel als Herr des Himmels, 


i^f^si^i^ 


dessen Pforten er öffnet. Seine 


V^^^^^ 


Flügel versinnbildlichen die 


^^^M 


Schnelligkeit des Laufes, das 


\^<^m^'^=^^ 


Reptil, dessen Windungen ihn 


®ps 


umschlingen, erinnert an die 


gewundene Bahn der Sonne auf 


^^W 


der Ekliptik, die auf seinem 
Körper angebrachten Zeichen 


^_§^^^pi'" 


des Tierkreises und die Em- 


/^\_^#®^^ 


bleme der Jahreszeiten, welche 


mf^MM^^^^ 


sie begleiten, weisen auf die 


r ^^Aa^S^J 


himmlischen und irdischen Er- 


f 1 


scheinungen hin, welche die 


(«iüiriich« KroBt«) in der Vjü- 


ewige Flucht der Jahre be- 
zeichnen. Er schafft und zer- 


kanlich™Kblk>thekKcliLaja..l, 
I~trai~itim. t. LXX). 


stört alle Dinge, er ist der 




Herr und der Führer der vier 


Elemente , aus denen 


das Weltall besteht, und er 


vereinigt virtuell in sich die Macht aller Götter, die ^H 


1) Vgl. die Abbildimg. 


— Ein wichtiges italienisches Basrelief, ^^H 


welches den mithrischen Kii 


moE umgeben von den Zeichen des Tier- ^^M 


kreises darst^t, wurde von; 


1 Verf. liürzlich publiziert Sniue archioL ^H 


1902, p. I BE. 


J 



- 83 

Hein erzeugt hat. Bisweilen identifizierte man 
ihn mit dem vorherbestimmten Schicksal, in anderen 
Fällen sah man in ihm ein Urlichl oder ein Urfeuer, 
und die eine wie die andere Vorstellung ermöglichte 
es, ihn der letzten Ursache der Stoiker anzunähern, 
der überall verbreiteten Wärme, die alles gebildet 
hat, und die, aus einem anderen Gesichtspunkte be- 
trachtet, das Verhängnis (Ci^iapiJ^vii) war. 

Die Priester des Mithra suchten das große 
Problem des Ursprunges der Welt durch die Amaahme 
einer Reihe von successiven Zeugungen zu lösen. 
Das oberste Prinzip brachte nach einer alten Vor- 
stellung, die sich auch in Indien und Griechenland 
wiederfindet, ein Urpaar hervor, den Himmel und die 
Erde, und diese gebar, von ihrem Bruder befruchtet, 
den gewaltigen Ozean, der seinen Eltern an Macht 
gleichsteht und mit ihnen die höchste Trias des 
mithrischen Pantheons gebildet zu haben scheint. 
Das Verhältnis dieser Trias zu Kronos oder der Zeit, 
aus der sie hervorgegangen war, wurde nicht klar 
definiert, und der gestirnte Himmel, dessen Umwälzung, 
so glaubte man, den Verlauf aller Ereignisse bestimmte, 
schien bisweilen mit dem ewigen Schicksal zusammen- 
zufließen. 

Diese drei kosmischen Gottheiten wurden unter 
anderen, weniger durchsichtigen Namen personifiziert. 
Der Himmel war kein anderer als Oromazdes oder 
Jupiter, die Erde w^- identisch mit Spenta-Armaiti 

Loder Juno, und der Ozean hieß noch Apäm-Napät oder 
Neptun. Ebenso wie die griechischen Theogonieen 
berichteten die mithrischen Überlieferungen, daß Zeus 
dem Kronos, dem Könige der ersten Zeiten, in der 
Regierung der Welt gefolgt sei. Die Basreliefe 



I 
I 



ze^en uns diesen mazdäischen Saturn, wie er seinem 
Sohne den Blitz, das Zeichen seiner Heirschermacht 
übergibt. Seitdem regiert Jupiter mit seiner Ge- 
mahlin Juno über die anderen Götter, welche samt- 
lieh ihnen ihre Existenz verdanken. 

In der Tat sind die olympischen Gottheiten 
der Ehe des himmlischen Jupiter und der irdischen 
Juno entsprossen. Ihre erstgeborene Tochter ist 
Fortuna {Fortuna primigenia), welche ihren Anbetern 
alle Güter des Leibes und namentlich der Seele ver- 
leiht. Ihre hilfreiche Güte stellt sie der Anagke gegen- 
über, welche das strenge und imerbittUche Verhängnis 
repräsentiert. Themis oder das Gesetz, die Moiren 
oder die Faln waren andere Personifikationen des 
Schicksals, welches in mannigfaltigen Formen seine 
einer unendlichen Entwicklung fähige Natur ofi"enbart. 
Das oberste Paar hat nicht nur dem Neptun das 
Leben gegeben, der sein ebenbürtiger Genosse 
geworden ist, sondern noch einer ganzen Reihe 
anderer Unsterblicher: Artagnes oder Herkules, 
dessen Heldenarbeiten die heiligen Hymnen besangen; 
Sharevar oder Mars, der die Metalle regierte und 
dem frommen Krieger in der Schlacht beistand; 
Vulkan oder Atar, dem Genius des Feuers; Merkur, 
dem Boten des Zeus; Bacchus oder Haoma, der 
Personifikation der Pflanze, welche den heiligen 
Trank lieferte; Silvanus oder Drväspa, dem Schützer 
der Rosse und des Ackerbaues; sodann AnaTtis, 
der Göttin der befruchtenden Wasser, welche in 
dieser Eigenschaft mit Venus und Cybele verglichen 
und als Herrin des Krieges auch unter dem Namen 
der Minerva angerufen wurde; Diana oder Luna, 
welche den Honig hervorbrachte, der bei den 






Rein^TOijren verwandt wurde; Vanainti oder Nike, 
"welche den Königen den Sieg verlieh; Asha oder 
Arete, der voUkonunepen Tugend, nnd noch anderen. 
Diese imzählbare Menge von Gottheiten thronte mit 
Jopiter und Juno auf den schimmernden Gipfeln des 
Olymp nnd bildete ihren himmlischen Hofetaat, 

Diesem licht^i Aufenüialt, wo mit strahlendem 
Glänze umkleidet die oberen Gotter wohnen, steht 
ein finsteres Reich geg^enüber, das in den Tiefen 
der Erde belegen ist. Ahriman oder Pluto, gleich 
Jupiter von der Unendlichen Zeit erzeugt, regiert 
dort mit Hekate über die verderblichen Ungeheuer, 
welche ihren unreinen Umarmungen entsprossen sind. 

Die Dämonen, die Untertanen des Königs der 
Unterwelt , haben den Himmel gestürmt und den 
Nachfolger des Kronos zu entthronen versucht. Aber 
die aufrührerischen Ungetüme, niedei^eschniettert \-on 
dem Herrn der Gotter wie die griechischen G^anten. 
änd wieder in den Abgrund gestürzt, aus dem sie 
emporgestiegen waren. Doch können sie ihn auch 
jetzt noch verlassen und dann schweifen sie auf der 
Oberfläche der Erde umher, um hier allerhand Plagen 
zn verbreiten und die Menschen zu verderben. Diese 
müssen, um die Übel abzuwenden, welche ihnen 
drohen, die bösen Geister durch die Uarbringung 
von Sühnopfem beschwichtigen. Der Eingeweihte 
versteht auch, sie durch eTitsprechende Riten und ver- 
mittelst der Kraft der Inkantationen seinen Zwecken 
dienstbar zu machen und sie gegen die Feinde los- 
zulassen, auf deren Verderben er sinnt. 

Die Götter beschränken sich ebenfalls nicht auf 
die ätherischen Sphären, welche ihnen als Aufenthalt 
zugewiesen sind. Wenn die Theogonie sie darstellt, 



— So- 
wie sie sich im Olymp um ihre Eltern und Herren 

scharen, so zeigt die Kosmologie sie unter einem 
anderen Gesichtswinkel. Ihre Energie erfüllt die 
Welt; und sie sind die wirksamen Prinzipien ihrer 
Wandlungen. Das Feuer, personifiziert unter dem 
Namen Vulkan, ist die erhabenste dieser Naturkräfte 
und wird in allen seinen Manifestationen angebetet, 
wie es in den Gestirnen oder im Blitze leuchtet, wie 
es die Lebewesen durchhaucht, das Wachstum der 
Pflanzen hervorruft, oder sich im Schöße der Erde 
verbirgt. Im Hintergrunde der unterirdischen Krypten 
loderte es beständig auf den Altären , und die 
Gläubigen fürchteten seine Reinheit durch sakri- 
legische Berührungen zu beflecken. 

In ihrer Naivetät meinten sie, daß Feuer und 
Wasser Bruder und Schwester seien, und brachten 
diesem denselben abergläubischen Respekt entgegen 
wie jenem. In gleicher Weise verehrten sie die 
salzige Flut, welche die Abgründe des Meeres erfüllt 
und von ihnen unterschiedslos Neptun oder Oceanus 
benannt wurde, die Quellen, welche den Tiefen der 
Erde entspringen, die Flüsse, welche an ihrer Ober- 
fläche dahingleiten, und die Seen, welche sie als 
klare Spiegel schmücken. Eine nie versiegende 
Quelle floß in der Nähe der Tempel und empfing 
die Huldigungen und die Opfer der Besucher. Diese 
fons perennis war zugleich das Bild der materiellen 
und moralischen Gaben, welche die unerschöpfliche 
Güte der Unendlichen Zeit über das Universum aus- 
gießt, wie das der geistigen Erquickung, welche der 
dürstenden Seelen in der seligen Ewigkeit harrt. 

Die gebärende und nährende Erde, die von den 
Wassern des Himmels befruchtete Terra maier nahm 



- 8; - 

eiaen ebenso wichtigen Platz wenn auch nicht im~" 
Ritual, so doch in der Lehre ein, und die vier Haupt- 
winde, welche man in Beziehung zu den deifizierten 
Jahreszeiten setzte, wurden als bald wohltätige, bald 
furchtbare Genien angerufen. Man fürchtete sie 
nicht nur als launische Herren des Wetters, welche 
Kälte oder Hitze, Stille oder Sturm bringen, die 
Atmosphäre abwechselnd befeuchten oder austrocknen, 
die Vegetation des Frühlings entstehen und das Laub 
des Herbstes verwelken lassen, sondern man verehrte 
sie auch als verschiedene Manifestationen der Luft 
selbst, des Prinzips alles Lebens. 

Hymnen, von einem seltsamen Symbolismus er- 
füllt, besangen die Wandlungen, welche der Gegensatz 
dieser vier Prinzipien in der Welt hervorbringt') 
Der höchste Gott lenkt einen Wagen, der mit vier 
Rennern bespannt ist, welche sich unaufhörlich in 
einem bestimmten Kreise herumbewegen. Der erste, 
welcher auf seinem glänzenden Haarkleide die Zeichen 
der Planeten und der Sternbilder trägt, ist kräftig 
und behend und durchmißt mit äußerster Schnelligkeit 
die Peripherie der vorgeschriebenen j^ufbahn. Der 
zweite, weniger stark und weniger schnell, hat ein 
dunkles Fell, dessen eine Seite nur von den Strahlen 
der Sonne beleuchtet wird; der dritte trabt noch 
langsamer und der vierte dreht sich um sich selbst, 
auf seine stählerne Stange beißend, während seine 
Gefährten ihn wie einen Eckstein umkreisen. Lange 
dreht sich das Viergespann ohne Unfall, seinen nie 
unterbrochenen Lauf vollendend. Aber in einem be- 
stimmten Augenblicke trifft der brennende Atem des 



I) Dio Chrysosl., Or.. XXXVI, § 3953. (T. fl M. t. n, p.6oss.). 



ersten Blosses das vierte und setzt seine stolze J 

in Brand, sodann überflutet sein Nachbar, dessen 
Kräfte erschöpft sind, es mit strömendem Schweiß, 
Endlich vollzieht sich ein noch wunderbarerer Vor- 
gang: das Aussehen des Gespannes verwandelt sich, 
die Rosse vertauschen untereinander ihr Wesen der- 
gestalt, daß die Substanz aller auf das stärkste und 
feurigste von ihnen übergeht, als wenn ein Bildhauer, 
der kleine Wachsfiguren modelliert hat, von der 
einen etwas entliehe, um die anderen zu vervoll- 
ständigen, und schließlich sie alle zu einer einzigen 
verknetete. Nun wurde der Renner, der in diesem 
göttlichen Kampfe siegreich geblieben und durch 
seinen Triumph allmächtig geworden war, identisch 
mit dem Wagenlenker selbst. Das erste Roß ist 
die Verkörperung des Feuers oder des Äthers, das 
zweite die der Luft, das dritte die des Wassers und 
das vierte die der Erde; die Unfälle, welche dieses 
treffen, bedeuten die Brände und die Oberschwera- 
mungen, welche unsere Welt verheert haben und 
verheeren werden, und der Sieg des ersten versinn- 
bildlicht den schließlichen Weltbrand, der die be- 
stehende Ordnung der Dinge vernichten wird. 

Die kosmische Quadriga, welche die übersinn- 
liche Ursache lenkt, ist von der heüigen Ikonographie 
nicht dargestellt worden. Diese reserviert das 
symbolische Gespann für einen sichtbaren Gott, Die 
Anhänger des Mithra beteten, wie die alten Perser, 
die Sonne an, welche jeden Tag auf einem Wagen 
die Räimie des Firmaments durcheilte, um mit dem 
Sinken der Dämmerung ihre Feuei^luten in den Ozean 
zu tauchen. Sobald sie über dem Horizonte erschien, 
verscheuchte ihr srahlendes Licht die Geister der 



"Finsternis, und sie reinigte die Schöpfimg-, in die 
ihr Glanz das Leben zurückbrachte. Ebenso weihte 
man der Luna einen Kult, welche in den oberen 
Sphären auf einer von weißen Stieren gezogenen 
Biga fuhr. Das für Ackerbau und Viehzucht be- 
deutsame Tier war der Göttin beigegeben worden, 
welche dem Wachs tiun der Pflanzen und der Er- 
zeugung der lebenden Wesen vorstand. 

Die Elemente waren mithin nicht die einzigen 
Naturkörper, welche in den Mysterien deifi ziert 
wurden. Die beiden Lichter, welche die Natur be- 
fruchten, wurden in ihnen ebenso verehrt wie im 
ursprünglichen Mazdaismus, aber die Vorstellung, 
welche sich die Aryas von ihnen machten, war unter 
dem Einfluß der chaldäischen Theorieen durchaus 
Tunge wandelt worden. 

Wie wir bereits erwähnten (vgl. S. gf.), hatten 
die alten Glaubens vor Stellungen der Perser in Babylon 
notwendigerweise die Einwirkung einer scheinbar 
wissenschaftlichen Theologie erfahren, und die meisten 
Götter Irans waren den im Euphrattal angebeteten 
Gestirnen assimiliert worden. Sie erhielten so einen 
neuen Charakter, der von ihrem früheren gänzlich 
verschieden war, und derselbe göttliche Name erapfing- 
damals eine doppelte Bedeutung und behielt sie im 
Occident. Es gelang den Magiern nicht, diese neuen 
Lehren mit ihrer alten Religion in Übereinstimmung 
zu bringen, denn die semitische Astrologie war ebenso 
unvereinbar mit dem iranischen Naturalismus wie 
mit dem griechischen Paganismus. Indem aber der 
Klerus diese Widersprüche als einfache Gradunter- 
schiede in der Erkenntnis einer einzigen Wahrheit 
betrachtete, reservierte er die Mitteilung der maz- 



— go — 

däischen Lehre über Anfang und Ende des Meosedien 
und der Welt für eine Anzahl von Auserwählten, 
während die Menge sich mit einem blendenden und 
oberflächlichen Symbolismus begnügen mußte, wie 
er durch die Spekulationen der Chaldäer begünstigt 
wurde. Die astronomischen AUegorieen verbargen 
der Neugier der Uneingeweihten die wahre Bedeutung- 
der hieratischen Darstellungen, und das Versprechen 
einer vollständigen, wenn auch weit hinausgeschobenen 
Aufklärung nährte die Glut des Glaubens durch die 
faszinierende Anziehungskraft des Mysteriums, 

Die mächtigsten dieser Gestimgottheiten, welche 
man vorzugsweise anrief und denen man die misten 
Opfer zuwendete, waren die Planeten. Den astro- 
logischen Theorieen gemäß schrieb man ihnen Kräfte 
und Beziehungen zu, deren Gründe für uns oft nicht 
ZU erkennen sind. Jeder von ihnen beherrschte einen 
Tag der Woche, jedem war ein Metall geheiligt, 
jeder wurde mit einer Stufe der Initiation verbunden, 
und ihrer Anzahl verdankte die Zahl 7 eine ganz 
besondere religiöse Kraft Bei ihrer Herabkunft 
aus dem Empyreum auf die Erde empfingen die 
Seelen, so glaubte man, von ihnen nach und nach 
ihre Leidenschaften imd ihre Eigenheiten. Häufig 
werden sie auf den Denkmälern dargestellt, bald 
durch Symbole, welche entweder an die Elemente 
erinnern, aus denen sie gebildet sind, oder an die 
Opfei-, welche man ihnen darbrachte, bald in der 
Gestalt der Unsterblichen, welche im griechischen 
Olymp thronen, Helios, Selene, Ares, Hermes, Zeus, 
Aphrodite, Kronos. Nur haben diese Bilder hier 
eine ganz andere Bedeutung als dann, wenn sie 
Ahura Mazda, Zrvan oder die übrigen Götter des 



— 91 — 
. darstellen. Man erblickt in ihnen nicht 
mehr die Personifikationen des Himmels oder der 
Unendlichen Zeit, sondern lediglich die leuchtenden 
Gestirne, deren irrenden Lauf wir inmitten der Stern- 
bilder verfolgen können. Dieses doppelte System 
der Erklärung w\irde besonders auf die Sonne an- 
gewendet, welche man bald als identisch mit Mithra 
und bald als von ihm verschieden betrachtete. In 
Wirldichkeit gibt es in den Mysterien zwei Sonnen- 
gottheiten, eine iranische, welche die Erbin des 
persischen Hvare, und eine semitische, welche ein 
Substitut des mit Mithra identifizierten babylonischen 
Shamash ist 

Neben den Planetengöttem , welche noch einen 
doppelten Charakter besitzen, erhielten auch reine 
Gestimgottheiten ihren Tribut an Huldigungen. Die 
zwölf Zeichen des Tierkreises, welche bei ihrer 
täglichen Revolution die Wesen ihren entgegen- 
gesetzten Einflüssen unterstellen, wurden in allen 
Mithraeen in ihrer traditionellen Gestalt abgebildet. 
Jedes von ihnen war ohne Zweifel während des 
Monats, den es regierte, der Gegenstand einer be- 
sonderen Verehrung, und man liebte es, sie zu drei 
imd drei zu gruppieren nach den Jahreszeiten, denen 
sie entsprachen und deren Kultus mit dem ihrigen 
verbunden war. 

Die Zeichen des Zodiakus waren nicht die einzigen 
Stembüder, welche die Priester in ihre Theologie 
aufgenommen hatten. Nachdem die astronomische 
Interpretationsmethode in den Mysterien einmal 
zugelassen war, wurde sie ohne Vorbehalt auf alle 
möglichen Dinge ausgedehnt. Es gab keinen Gegen- 
stand und kein Tier, welches nicht irgendwie als 



- 92 — 

das Bild einer Stemgruppe betrachtet werden konnte. 
So wurden der Rabe, der Krater, der Hund, der 
Löwe, welche gewöhnlich den stiertötenden Mithra 
umgeben, leicht mit den gleichnamigen Sternbildern 
identifiziert. Die beiden Hemisphären des Himmels, 
welche sich abwechselnd über die Erde hin und unter 
ihr her bewegen, wurden selbst personifiziert und den 
Dioskuren assimiliert, welche nach dem hellenischen 
Mythus abwechselnd leben und sterben. Die Mytho- 
logie vermischte sich überall mit der Gelehrsamkeit: 
die Hymnen beschrieben einen Helden, dem griechi- 
schen Atlas ähnlich, der auf seinen nie ermüdenden 
Schultern die Kugel des Firmamentes trug und als 
der Erfinder der Astronomie galt. Aber diese Halb- 
götter wurden in den Hintergrund verwiesen: die 
Planeten und die Zeichen des Tierkreises behielten 
immer einen unbestreitbaren Vorrang, weü sie vor 
allem nach der Meinung der Astrologen das Dasein 
der Menschen und den Lauf der Dinge regierten. 

Die wichtige Lehre, welche Babel in den Maz- 
daismus eingeführt hat, ist der Glaube an das Ver- 
hängnis, die Idee eines unvermeidlichen Schicksals, 
welches die Ereignisse dieser Welt lenkt und an 
die Revolution des gestirnten Himmels geknüpft ist. 
Dieses mit Zrvan identifizierte Schicksal wird das 
höchste Wesen, welches alles geschaffen hat und 
das Universum regiert. Die Entwicklung desselben 
ist unabänderlichen Gesetzen unterworfen, und seine 
verschiedenen Teile sind durch innige Solidarität 
miteinander verbunden. Die Stellung der Planeten, 
ihre gegenseitigen Beziehungen und ihre in jedem 
Augenblick wechselnden Wirkungen erzeugen die 
Reihenfolge der irdischen Erscheinungen. Die Astro- 



— 93 — 
deren Dogmen diese Postulate ausmacheO,^ 
verdankt jedenfalls einen Teil ihres Erfolges der 
mithrischen Propaganda, und diese ist daher auch 
mit verantwortlich für den Sieg jener Psendowissen- 
schaft im Abendlande mit seinem Gefolge von Irr- 
tümern und Schrecken. 

Die strenge Logik seiner Schlußfolgerungen 
sicherte diesem ungeheuren Wahngebilde eine voll- 
ständigere Herrschaft über die denkenden Geister als 
der Glaube an höllische Mächte und an Beschwörungen, 
aber der letztere wirkte stärker auf die Leicht- 
gläubigkeit des Volkes. Die unabhängige Gewalt, 
welche der Mazdaismus dem Prinzip des Bösen zu- 
schrieb, erlaubte es, alle occultisti sehen Bräuche zu 
rechtfertigen. Die Nekromantie und die Oniromantie, 
der Glaube an den bösen Blick und an Talismane, 
an Hexerei und Beschwörungen — alle die kindischen 
oder unheilvollen Verirrungen des antiken Heidentums 
wurden legitimiert durch die Rolle, welche man den 
Dämonen zuwies, die sich unaufhörlich in die mensch- 
lisch en Angelegenheiten einmischten. Man kann 
den persischen Mysterien den schweren Vorwurf 
machen, daß sie alle diese abergläubischen Praktiken 
entschuldigt, vielleicht sogar gepredigt haben. Und 
nicht ohne Grund machte der Volksmtmd aus dem 
Namen Magier ein Synonym von Schwarzkünstler. 

Weder die Vorstellung' einer unerbittlichen Not- 
wendigkeit, welche das menschliche Geschlecht mit- 
leidslos einem unbekannten Ziele entgegentreibt, 
noch auch die Furcht vor den bösen Geistern, die 
auf sein Verderben sinnen, haben die Massen an die 
Altäre der mithrischen Götter zu locken vermocht. 
Die Strenge dieser düsteren Lehren wurde gemildert 



— 94 — 

durch den Glauben an h.ülfreiche Mächte, welche 
ein mitfühlendes Herz für die Leiden der Sterblidien 
besitzen. Selbst die Planeten waren keineswegs, wie 
in den didaktischen Büchern der astrologischen 
Theoretiker, kosmische Mächte, deren günstige oder 
verhängnisvolle Einwirkung je nach der Richtung- 
eines von aller Ewigkeit her bestimmten Laufe wuchs 
oder abnahm. Sie waren — ■ ähnlich wie in der alten 
chaldäischen Religion — Gottheiten, welche sahen 
und hörten, sich freuten oder betrübten, deren Grimm 
man versöhnen und deren Gunst man gewinnen 
konnte durch Gebete imd Opfer. Der Gläubige setzte 
sein Vertrauen auf den Beistand der wohltätigen 
Beschützer, welche die Mächte des Bösen rastlos 
bekämpften. 

Die Hymnen, welche die Taten der Götter 
feierten, sind leider fast sämtlich verloren g^egängea, 
und wir kennen jene epischen Überlieferungen bei- 
nahe nur aus den Monumenten, welche sie illustrierten. 
Doch läßt sich der Charakter dieser heUigen Poesie 
noch aus den Bruchstücken erkennen, welche von 
ihr auf uns gelangt sind. So wurden die Arbeiten 
des Verethraghna, des mazdäischen Herkules, in 
Armenien besungen, man erzählte dort, wie er die 
Drachen erwürgt und Jupiter geholfen habe, die un- 
geheuerlichen Giganten zu besiegen, und ebenso 
wie die Anhänger des Avesta verglichen Um die 
römischen Adepten des Mazdaismus mit einem wehr- 
haften und verwüstenden Eber. 

Aber der Held, welcher in diesen kriegerischen 
Erzählungen die vornehmste Rolle spielte, war Mithra. 
Grroßtaten, welche in den Büchern des Zoroastrismus 
von anderen Gottheiten berichtet werden, wurden 



auf seine Person übertragen. Er »ar der Mittelpunkt 
eines Kreises von Legenden geword«i, welche allein 
den bevorzugten PlaU erklären, welchen man ihm 
im Kultus einräumte- Vermöge der von ihm voll- 
brachten glänzenden Taten hat dieser Gott, der 
in der olj-mpiscbeo Hierarchie keineswegs den 
obersten Rang einnimmt, den im Abendland ver- 
breiteten persischen Mysterien seinen Namen gegeben. 
Mithra war, wie wir gesehen haben, für die alten 
Magier der Gott des Lichts, und da das Licht von 
der Luft getragen wird, so nahm man an, daß er 
die Mittelzone zwischen dem Himmel und der Unter- 
welt bewohne, und gab ihm aus diesem Grunde den 
Namen Metiiiic. Öm diese Eigenschaft im Ritual zu 
bezeichnen, heiligte man ihm den i6. Tag eines 
jeden Monats, d. h. seine Mitte. Als er mit Shamash 
identifiziert wurde'), erinnerte man sich, wenn man 
ihm diesen Namen „Mittler" beilegte, ohne Zweifel 
daran, daß nach chaldäischer Lehre die Sonne den 
Mittelplatz im Chor der Planeten einnahm. Aber 
diese Mittelstellung ist nicht rein lokal; man verband 
nüt ihr vor allem eine moralische Bedeutung, Mithra 
ist der „Mittler" zwischen dem unzugänglichen <md 
unerkennbaren Gott, welcher in den ätherischen 
Sphären herrscht, und dem Menschengeschlecht, 
welches sich hienieden regt und leidet Shamash 
hatte schon in Babylon ähnliche Funktionen, und 
auch die griechischen Philosophen betrachteten die 
schimmernde Kugel, welche ihr Licht über uns aus- 
gießt, als das stets gegenwärtige Bild des unsichtbaren 
Wesens, dessen Dasein nur unsere Vemimft erfaßt. 

') ct. oben S. t- 



— qu- 
in dieser sekundären Eigenschaft als Soonen- 
genius vor allem ist Mithra im Occident bekannt 
geworden, und die figürlichen Darstellungen erinnern 
oft an diesen erborgten Charakter. Man pflegte ihn 
zwischen zwei Kindern abzubilden, von denen das 
eine eine erhobene, das andere eine gesenkte Fackel 
trägt, und denen man die rätselhaften Epitheta 
Cautes und Cautopates gab, die aber nur eine doppelte 
Inkarnation seiner eigenen Persönlichkeit sind. Diese 
beiden Dadophoren und der stiertotende Heros bildeten 
eine Trias, und man sah in diesem „dreifachen Mithra" 
entweder das Tagesgestim , dessen Aufgang am 
Moi^en der Hahn verkündet, das mittags trium- 
phierend den Zenith überschreitet und abends müde 
an den Horizont herabsinkt, oder die Sonne, die an 
Kraft wachsend in das Sternbild des Stieres eintritt 
und den Frühlingsanfang bezeichnet, deren siegreiche 
Gluten die Natur im Mittsommer befruchten, und die, 
schon schwächer geworden, das Zeichen des Skorpions 
passiert und die Wiederkehr des Winters ankündigt. 
Von einem anderen Gesichtspunkte aus betrachtete 
man den einen der beiden Fackelträger als das 
Emblem der Wärme und des Lebens, den andern 
als das der Kälte und des Todes. Ebenso war die 
Gruppe des stiertötenden Gottes mit Hilfe eines 
mehr geistreichen als vernünftigen astronomischen 
Symbolismus auf verschiedene Weise erklärt worden; 
aber diese siderischen Erklärungen waren nur 
Spielereien, mit welchen man die Neophyten ergötzte, 
bevor ihnen die esoterischen Lehren enthüllt wurden, 
die sich wieder auf die alte iranische Mithralegende 
bezogen. Ihre Erzählung ist verloren gegangen, aber 
die Basreliefs berichten uns gewisse Episoden aus 



— 97 — 
ihr, und ihr Inhalt scheint ungefähr der folgende 
gewesen zu sein. 

Das Licht, welches dem als ein festes Gewölbe 
aufgefaßten Himmel entspringt, war in der Mytho- 
logie der Magier Mithra geworden, der aus einem 
Felsen geboren wird. Die Tradition erzählte, daß der 
„gebärende Stein" (Petra gcnetrix), dessen Abbild 
man in den Tempeln verehrte, ihm das Leben ge- 
geben habe an den Ufern eines Flusses, im Schatten 
eines heiligenBaumes, und 
nur Hirten hätten, im be- 
nachbarten Gebirge ver- 
steckt, das Wunder seiner 
Ankunft in der Welt be- 
obachtet Sie hatten ge- 
sehen, wie er sich der Fels- 
masse entrang, das Haupt 
mit einer phrygischen 
Mütze bedeckt, schon mit 
einem Messer bewaffnet 
und eine Fackel tragend, 
welche die Finsternis er- 
hellt hatte (Fig. 3), Dann 

waren die Hirten gekommen, um das göttliche Kind 
anzubeten und ihm die Erstlinge ihrer Herden und 
ihrer Emtefrüchte darzubringen. Aber der junge 
Heros war nackt und dem Winde ausgesetzt, der mit 
Heftigkeit wehte; er hatte sich daher aufgemacht, um 
sich in den Ästen eines Feigenbaumes zu verstecken, 
dann mit Hilfe seines Messers die Früchte des Baumes 
abgeschnitten, um sich davon zu nähren, und ihn 
schließlich seiner Blätter beraubt, um sich Kleider 
daraus zu fertigen. So für den Kampf gerüstet, 

Ciimont. Mllliiuinyjlaiien. 7 




konnte er sich nun mit den anderen Mächten raessSi 
welche die wunderbare Welt bevölkerten, in die er 
eingetreten war. Denn obwohl bereits Hirten ihre 
Herden weideten, ereignete sich doch dies alles, bevor 
es Menschen auf der Erde gab, 

Der Gott, gegen den Mithra zuerst seine Kräfte 
erprobte, war der Sonnengott, Dieser mußte sich 
vor der Überlegenheit seines Rivalen beugen und von 
ihm die Investitur empfangen. Sein Besieger setzte 
ihm die Strahlenkrone auf das Haupt, welche er seit 
dieser Zeit während seines täglichen Laufes trug. 
Dann ließ er ihn sich wieder erheben und schloß mit 
ihm, indem er ihm seine rechte Hand reichte, einen 
feierlichen Freimdschaftsvertrag (Fig. 4, s. Tafel H). 
Seitdem unterstützten sich die beiden verbündeten 
Helden getreulich bei allen ihren Unternehmungen. 

Das erstaunlichste dieser epischen Abenteuer war 
der Kampf zwischen Mithra und dem Stier, dem 
ersten lebenden Wesen, das von Jupiter- Oromazdes 
geschaifen war. Diese naive Fabel führt uns in die 
Anfänge der Kultur selbst zurück. Sie hat nur bei 
einem Volke von Hirten und Jägern entstehen können, 
bei dem das Vieh als die Quelle alles Reichtums ein 
Gegenstand religiöser Verehrung geworden war, und 
dem der Fang eines wilden Stieres als eine so ehren- 
volle Tat galt, daß selbst ein Gott sich nicht zu er- 
niedrigen schien, wenn er zum Büffeljäger wurde. 
Der ungebändigte Stier weidete auf irgend einer 
Prärie in den Bergen; der Heros packte ihn mit 
listig-kühnem Griff bei den Hörnern und brachte es 
fertig, sich auf seinen Rücken zu schwingen. Der 
wütende Vierfüßler setzte sich in Galopp und trug 
seinen Reiter in rasendem Laufe dahin, aber dieser 



— 99 — 

ließ ihn nicht los, wenn er auch abgeworfen wurde; 
er ließ sich an den HÖmem des Tieres hängend 
schleifen, das bald erschöpft seinen Widerstand auf- 
geben mußte. Sein Besieger faßte es dann bei den 
Hinterbeinen und zog es rückwärts in die Höhle, die 
ihm als Wohnung diente, und zwar auf einem mit 
Hindernissen übersäeten Wege. Dieser mühselige 
„Übergang" { Transüus) des Mithra war zu einer 
Allegorie der menschlichen Prüfungen geworden. 
Aber es gelang dem Stiere ohne Zweifel seiner Haft 
zu entwischen, um auf das Feld zu laufen. Da 
sandte der Sonnengott den Raben, seinen Boten, um 
seinem Bundesgenossen den Befehl zu überbringen, 
den Flüchtling zu töten. Mithra erfüllte mit wider- 
strebendem Herzen diesen grausamen Auftrag, aber 
dem ausdrücklichen Geheiß des Himmels sich fügend 
verfolgte er mit seinem flinken Hunde das umher- 
schweifende Tier, und es gelang ihm, es in dem 
Augenblicke zu erreichen, wo es sich in die Höhle 
flüchtete, die es verlassen hatte. Mit der einen Hand 
es bei den Nüstern fassend, stieß er ihm mit der 
andern sein Jagdmesser in die Flanke. 

Da begab sich ein außerordentliches Wunder: 
aus dem Körper des sterbenden Tieres entstanden 
alle heilsamen Kräuter und Pflanzen, welche die Erde 
mit ihrem Grün bedeckten. Aus seinem Rücken- 
mark sproßte das Getreide hervor, welches das Brot, 
und aus seinem Blute der Weinstock, der den 
heiligen Trank der Mysterien liefert. Mochte auch 
der böse Geist auf das zuckende Tier seine unreinen 
Kreaturen loslassen, um in ihm die Quelle des Lebens 
zu vergiften: der Skorpion, die Ameise und die 
Schlange versuchten vergeblich die Genitalien des 



fruchtbaren Vierfußlers zu verzehren und sein Blut 
zu trinken; sie vermochten den Vollzug des Wunders 
nicht zu hindern. Der von dem Monde (Luna) ge- 
sammelte tmd gereinigte Same des Stieres erzeugte 
alle Arten nützlicher Tiere, und seine Seele, von dem 
Hunde, dem treuen Begleiter Mithras beschützt, erhob 
sich bis in die himmlischen Sphären, wo sie, zum 
Gott geworden, unter dem Namen Silvanus die 
Herden in ihre Obhut nimmt. So war der sti er- 
tötende Heros durch das Opfer, zu dem er sich ent- 
schlossen hatte, der Schöpfer aller heilbringenden 
Wesen geworden, und aus dem Tode, den er herbei- 
geführt hatte, war ein neues, reicheres und frucht- 
bareres Leben geboren (F^. 5, s. Tafel II), 

Inzwischen war das erste Menschenpaar ins 
Dasein gerufen, und Mithra wurde damit beauftragt, 
dieses bevorzugte Geschlecht zu bewachen. Ver- 
geblich erweckte der Geist der Finsternis allerhand 
Plagen, um es zu vernichten; der Gott wußte seine 
verderblichen Pläne immer zu vereiteln. Zuerst ver- 
wüstete Ahriman die Felder, indem er ihnen eine 
anhaltende Dürre sandte, und ihre Bewohner riefen, 
von Durst gequält, seinen stets siegreichen Gegner 
um HUfe an. Der götthche Bogenschütze schnellte 
seine Pfeile gegen einen schroffen Felsen; da entsprang 
ihm eine Quelle lebendigen Wassers, und die Flehenden 
kamen, um an ihr den lechzenden Gaumen zu er- 
frischen.^) Dann hatte, so erzählte man, eine noch 
furchtbarere Überschwemmung die ganze Natur be- 
droht Eine allgemeine Sintflut, herbeigeführt durch 



I) Vgl. Fig. 5 (in den Ecken über den Zeichen des Tierkre 
und Fig, 4 (unten). 



die Wogen des Meeres und der ausgetretenen Flüsse, 
hatte die Erde entvölkert. Aber ein Mensch, von 
den Göttern gewarnt, hatte sich ein Schiff erbaut und 
sich mit seinem Vieh in die Arche gerettet, die auf 
der Wasserwüste schwamm. Endlich hatte das Feuer 
die Welt verheert, die Ställe verzehrt und die 
Wohnungen in Asche verwandelt; aber die Kreaturen 
des Oromazdes waren auch dieser neuen Gefahr 
dank dem Schutze des Himmels entgangen, und 
seitdem hatte das Menschengeschlecht im Frieden 
wachsen und sich vermehren können. 

Die heroische Periode der Geschichte war zu 
Ende und die irdische Mission des Mithra erfüllt. 
In einem letzten Mahle, dessen die Eingeweihten 
durch mystische Agapen gedachten, feierte er mit 
Helios und den übrigen Genossen seiner Mühsale das 
Ende ihrer gemeinsamen Kämpfe. Dann kehrten die 
Götter in den Himmel zurück: von der Sonne auf 
ihrer strahlenden Quadriga entführt, überschritt Mithra 
den Ozean, dem es nicht gelang, ihn zu verschlingen, 
um fortan bei den andern Unsterblichen zu wohnen, 
aber von der Höhe des Himmels herab beschirmte 
er auch fernerhin die Gläubigen, welche ihm in 
Frömmigkeit dienten. 

Diese mithrische Erzählung von dem Anfange 
der Welt läßt uns die Wichtigkeit, welche der stier- 
tötende Gott für den Kultus besaß, besser verstehen 
und ebenso besser begreifen, was die heidnischen 
Theologen mit dem Titel „Mittler" ausdrücken wollten. 
Mithra ist der Schöpfer, dem Jupiter- Oromazdes die 
Fürsorge für die Herstellung und Aufrechterhaltung 
der Ordnung in der Natur anvertraut hat. Er ist, 
um in der philosophischen Sprache jener Zeit zu reden. 



der aus Gott emanierte Logos, welcher an seiner 
Allmacht teilnimmt und, nachdem er als Demiurg 
die Welt gestaltet hat, weiter über sie wacht Die 
anfängliche Niederlage Ahrimans hat diesen nicht 
zur Ohnmacht verurteilt. Der Kampf zwischen Gut 
und Böse setzt sich auf Erden fort zwischen den 
Sendboten des olympischen Herrschers und denen des 
Fürsten der Dämonen; er offenbart sich in den himm- 
lischen Sphären in dem Gegensatze der günstigen 
und der ungünstigen Sterne und spiegelt sich im 
Herzen des Menschen, des Mikrokosmos, 

Das Leben ist eine Prüfung, und um siegreich 
aus dieser hervorzugehen, muß man das Gesetz halten, 
welches die Gottheit selbst den alten Magiern gegeben 
hat. Welche Verpflichtungen legte der Mithriacismus 
seinen Anhängern auf, wie lauteten diese „Gebote", 
denen sich jene unterwerfen mußten, um in der 
anderen Welt belohnt zu werden? Unsere Unwissenheit 
ist in dieser Beziehung besonders groß, denn wir 
haben durchaus nicht das Recht, die in den Mysterien 
mitgeteilten Vorschriften mit denen zu identifizieren, 
welche das Avesta formuliert. Doch erscheint es als 
gewiß, daß die Moral der occidentalischen Magier 
der Zügellosigkeit der babylonischen Kulte keinerlei 
Zugeständnisse gemacht, sondern die Erhabenheit des 
altpersischen bewahrt hatte. Die vollkommene Rein- 
heit war für sie das Endziel geblieben, nach welchem 
das Dasein des Gläubigen zu streben hat. Ihr Ritual 
enthielt wiederholte Lustrationen und Waschungen, 
welche die Befleckungen der Seele tilgen sollten. 
Diese Kathartik entsprach sowohl den mazdäischen 
Traditionen als den allgemeinen Tendenzen der Zeit 
In der Verfolgung dieser Tendenzen trieben die 



&Gthriasten ihre Prinzipiell so^ar auf die Spitze, und 
ihr Vollkommenheitsideal neigte zum Asketismus. 
Sie sahen die Enthaltung von gewissen Nahrungs- 
mitteln und absolute Keuschheit als lobenswert an. 

Der Widerstand gegen die Sinnlichkeit war 
einer der Gesichtspunkte, unter denen der Kampf 
g^en das Prinzip des BÖsen zu führen war. Diesen 
Kampf gegen alle Untertanen Ahrimans, die unter 
mannigfachen Gestalten den Göttern die Weltherr- 
schaft streitig machten, mußten die Diener Mithras 
ohne Unterlaß ausfechten. Ihr dualistisches Sy-stem 
war besonders dazu geeignet, die Anstrengimg des 
Individuums zu begünstigen und die menschliche 
Energie zu entwickeln. Sie verloren sich keineswegs, 
wie andere Sekten, in einem beschaulichen Mj-sti- 
zismus. Das Gute lag für sie in der Tat. Sie zogen 
das Starke dem Milden vor und stellten den Mut 
höher als die Sanftmut Infolge ihrer langen Be- 
rührung mit barbarischen Kulten war \'ielleicht in 
ihrer Moral sogar ein Bodensatz von Gruusanikeit 
geblieben. Eine Religion von Soldaten, fei(>rtc der 
Mithriacismus vor allem die militärischen Tugenden. 

In dem Kriege, welchen der aufrichtig Frummo 
imaufhörlich gegen die Bosheit der Dämonen führt, 
wird er von Mithra unterstützt. Mithra ist die hilf- 
reiche Gottheit, welche man niemals vergeblich an- 
ruft, der sichere Hafen, der Anker de» tloils für 
die Sterblichen in ihren Drangsiilen, der »larko Ge- 
fährte, welcher ihrer Schwachheit in denVursuchungon 
aufhilft. Er ist immer, wie bei den Perseni, der 
Verteidiger von Wahrheit und Gerechtigkeit, der Be- 
schirmer der Heiligkeit und der furchtbarste Wider- 
sacher der höllischen Mächte. Ewig jung und stark 



— 104 — 

verfolgt er sie ohne Gnade; „immer wach, immer 
auf der Hut", kann man ihn nicht überraschen, und 
aus all' diesen unablässigen Kämpfen geht er be- 
ständig als Sieger hervor. Diese Idee kehrt unauf- 
hörlich in den Inschriften wieder und gelangt zum 
Ausdruck in dem persischen Beinamen Nabars.es, wie 
den griechischen und lateinischen Epitheta ävlKriToc, 
tnvictus, insiiperabilis. Als Gott der Heere ließ 
Mithra seine Schützlinge über ihre barbarischen 
Gegner triumphieren; ebenso gab er ihnen auf 
moralischem Gebiete den Sieg über die verkehrten 
Triebe, welche vom Geiste der Lüge eingegeben sind, 
und verbürgte ihnen ihr Heil in dieser wie in jener 
Welt. 

Wie alle orientalischen Sekten mischten auch die 
persischen Mysterien in ihre kosmogonischen Mythen 
und ihre theologischen Spekulationen Ideen von Er- 
lösung und Versöhnung. Sie glaubten an das bewußte 
Fortleben der in uns wohnenden göttlichen Substanz, 
an Lohn und Strafe jenseits des Grabes. Die Seelen, 
welche in unendlicher Menge die Wohnungen des 
Höchsten bevölkerten, stiegen auf die Erde hinab, 
um einen Menschenleib anzunehmen, sei es, daß eine 
bittere Notwendigkeit sie dazu verpflichtete, in diese 
materielle und verderbte Welt einzugehen, oder daß 
sie es aus eigenem Antriebe taten, um in ihr gegen 
die Dämonen zu streiten. Wenn nach dem Tode 
der Geist des Verderbens sich des Leichnams be- 
mächtigte, und die Seele ihr irdisches Gefängnis ver- 
ließ, so kämpften die finsteren Daevas und die Boten 
des Himmels um ihren Besitz. Ein Gericht entschied 
darüber, ob sie würdig war, in das Paradies zurück- 
zukehren. Wenn sie durch ein unreines Leben be- 



— I05 — 

fleckt war, so entführten die Gesandten Ahrimans sie 
in die Abgründe der Hölle, wo sie ihr tausend Qualen 
zufügten, oder vielleicht wurde sie zur Strafe für ihre 
Entartung bisweilen dazu verurteilt, die Leiber un- 
reiner Tiere zu bewohnen. Wenn dagegen ihre Ver- 
dienste ihre Fehler aufwogen, so erhob sie sich zu den 
oberen Regionen. DerHimme! gliederte sich in sieben 
Sphären, von denen jede einem Planeten zugeteilt 
war. Eine Art Leiter, aus acht über einander ge- 
stellten Toren zusammengesetzt, von denen die sieben 
ersten aus sieben verschiedenen Metallen bestanden, 
diente in den Tempeln als symbolische Erinnerung 
an den Weg, den es zurückzulegen galt, um bis in 
die oberste Region der Fixsterne zu gelangen. In 
der Tat mußte man, um von einem Stockwerke in 
das nächstfolgende zu kommen, jedesmal eine Pforte 
passieren, welche von einem Eng'el des Oromazdes 
bewacht wurde. Nur die Mysten, denen man die für 
diesen besonderen Zweck bestimmten Formeln gelelirt 
hatte, wußten diese unerbittlichen Wächter zu be- 
sänftigen. Je weiter die Seele durch jene ver- 
schiedenen Zonen vordrang, um so mehr legte sie, 
wie Kleider, die Leidenschaften und Fähigkeiten ab, 
die sie empfangen hatte, als sie auf die Erde hemieder- 
schwebte: sie ließ dem Monde ihre Lebens- und 
Eraährungskraft, dem Merkur ihre habsüchtigen 
Neigungen, der Venus ihre erotischen Gelüste, der 
Sonne ihre intellektuellen Fähigkeiten, dem Mars 
ihren kriegerischen Mut, dem Jupiter ihre ehrgeizigen 
Wünsche, dem Saturn ihren Hang zur Trägheit. 
Sie war nackt, befreit von allen Mängeln und aller 
Sensibilität, wenn sie in den achten Himmel gelangte, 
um dort als erhabenes Wesen im ewigen Licht, wo 



— io6 — 

die Götter wohnten, eine endlose Seligkeit zu ge- 
nießen. ') 

Mithra war es, der als Schirmherr der Wahrheit 
den Vorsitz führte bei dem Gericht, welches die 
Seele nach dem Tode erwartete: er war es, der als 
Mittler seine Gläubigen geleitete bei ihrem furchl> 
baren Aufstieg zum Empyreum; er war auch der 
himmlische Vater, der sie in seiner leuchtenden 
Wohnung bewillkommete wie Kinder, die von einer 
weiten Reise heimgekehrt sind. 

Die Glückseligkeit, welche sublimierte Monaden 
in einer geistigen Welt genießen sollten, war nicht 
leicht zu begreifen und besaß vielleicht für den 
Verstand des gemeinen Mannes nur wenig Anziehungs- 
kraft Eine andere Glaubens Vorstellung, welche sich 
jener ersten infolge einer Art Überschwängerung 
zugesellte, bot ihm die Aussicht auf materiellere 
Freuden. Die Lehre von der Unsterblichkeit der 
Seele wurde ergänzt durch die von der Auferstehung 
des Fleisches. 

Der Kampf zwischen den Prinzipien des Guten 
und des Bösen soll sich nicht bis ins Unendliche 
fortsetzen; wenn die für 'seine Dauer bestimmten 
Jahrhunderte verstrichen sind, werden von Ahriman 
gesandte Plagen das Ende der Welt ankündigen. 
Ein wunderbarer Stier, der dem Urstier entspricht, 
wird dann wiederum auf Erden erscheinen, und Mithra 
wird wieder herabkommen und die Menschen auf- 
erwecken. Die ganze Menschheit wird sich zu einer 

l) Diese mithrisclie Lehre ist neuerdings mit anderen analogen 
GlanbeBSTorstelluDgen verglichen nnd eingehend bebandelt von Boasset, 
Die Himmelireise der Stele (Archiv für Religionswissenschaft, Bd. IV) 
1901, S. 160 ff. 



— 107 — 

riesenhaften Versammlung- vereinen, und der Gott 
der Wahrheit wird die Guten von den Bösen scheiden. 
Dann wird er als letztes Opfer den göttlichen Stier 
schlachten, sein Fett mit geweihtem Wein mischen 
und den Gerechten diesen wunderbaren Trank dar- 
bieten, der ihnen die Unsterblichkeit verleihen wird. 
Darauf wird Jupiter-Oromazdes , den Bitten der 
Seligen i,villfahrend, ein verzehrendes Feuer vom 
Himmel fallen lassen, welches alle Bösen vernichten 
wird. Die Niederlage des Geistes der Finsternis 
wird endgültig besiegelt werden: in dem Weltbrande 
werden Ahriman und seine unreinen Dämonen zu 
gründe gehen, und das erneuerte Weltall wird sich 
in Ewigkeit eines vollkommenen Glückes erfreuen. 
Wir, die wir nicht von der Gnade berührt worden 
sind, könnten verwirrt werden durch die Inkohärenz 
und die Absurdität dieses Corpus doctrinae, wie wir es 
soeben rekonstruiert haben. Eine zugleich naive und 
gekünstelte Theologie kombinierte in ihm primitive 
Mythen, deren naturalistische Bedeutung noch durch- 
scheint, mit einem astrologischen System, dessen 
logischer Zusammenhang nur seine totale Verkehrtheit 
dartun kann. Alle Unmöglichkeiten der alten poly- 
theistischen Fabeln standen in ihm neben philoso- 
phischen Spekulationen über die Entwicklung des 
Weltalls und das Schicksal des Menschen. Der 
Widerspruch zwischen Tradition und Reflexion tritt 
bei ihm offen zu Tage und wird noch verstärkt durch 
die Antinomie zwischen der Lehre des Fatalismus 
und der von der Wirksamkeit des Gebets und der 
Notwendigkeit des Kultus. Aber diese Religion 
darf ebensowenig als irgend eine andere nach ihrer 
metaphysischen Wahrheit betirteilt werden. Man 



würde ihr unrecht tun, wollte man heute ihreil'e! 
kälteten Leichnam zergliedern, um die inneren Fehler 
ihrer Organisation zu konstatieren. Vielmehr kommt 
es darauf an, zu verstehen, wie der Mithriacismus 
gelebt hat und groß geworden Ist, und warum er 
zur Weltherrschaft gelangen mußte. 

Seine Erfolge verdankt er jedenfalls zu einem 
großen Teile dem Werte seiner Moral, die in hervor- 
ragendem Maße zum Handeln erzog. In einer Epoche 
der Erschlaffung und der Konfusion haben die Mysten 
in ihren Vorschriften einen Antrieb und eine Stütze 
gefunden. Die Überzeugung, daß der Gläubige einer 
heiligen Heerschar angehörte, welche damit beauf- 
tragt war, im Bunde mit dem Prinzip des Guten den 
Kampf gegen die Macht des Bösen auszufechten, war 
in besonderem Maße dazu angetan, seine Frömmig- 
keit in Aktivität umzusetzen und ihn mit einem 
glühenden Eifer zu beseelen. 

Die Mysterien übten femer eine mächtige 
Wirkung auf das Gefühl aus, indem sie einigen der 
erhabensten Aspirationen des Menschen Nahrung 
boten: der Sehnsucht nach Unsterblichkeit und der 
Zuversicht auf den schließlichen Sieg der Gerechtig- 
keit. Die ZukunftshofFnungen, welche diese Religion 
ihren Anhängern einpflanzte, bildeten eines der Ge- 
heimnisse ihrer Macht in jenen aufgeregten Zeiten, 
wo die Sorge um das Jenseits alle Gemüter be- 
unruhigte. 

Aber verschiedene Sekten eröffneten ihren 
Adepten ebenso tröstliche Perspektiven auf das 
zukünftige Leben, Die besondere Anziehungskrait 
des Mithriacismus gründete sich noch auf andere 
Eigenschaften seines Lehrsystems. Er befiiedigte 



— log — 

zugleich den Verstand der Gebildeten und das Herz 
der Einfaltigen. Die Apotheose der Zeit als erster 
Ursache und die der Sonne als ihrer sichtbaren 
Manifestation, welche die Wärme und das Leben 
auf der Erde erhält, waren hochphilosophische Kon- 
zeptionen. Der Kultus, den man den Planeten und 
den Sternbildern erwies, deren Lauf die irdischen 
Ereignisse bestimmte, wie den vier Elementen, deren 
unendliche Kombinationen alle Naturerscheinungen 
hervorbrachten, kam schließlich auf die Anbetung 
der Prinzipien oder wirkenden Kräfte hinaus, welche 
die antike Wissenschaft anerkannt hatte, und die 
Theologie der Mysterien war in dieser Beziehung 
lediglich die religiöse Verklärung der römischen 
Physik und Astronomie. 

Diese theoretische Übereinstimmung der offen- 
barten Dogmen mit den allgemein angenommenen 
Ideen der Gelehrten konnte die gebildeten Geister 
bestricken, aber sie hatte wohl kaum Einfluß auf die 
Ignoranz des gewöhnlichen Volkes. Dagegen mußte 
dieses einen starken Eindruck von einer Lehre 
empfangen, welche die gesamte sichtbare und fühl- 
bare Wirklichkeit vergöttlichte. Die Götter waren 
überall und mischten sich in alle Vorgänge des 
täglichen Lebens. Das Feuer, welches die Nahrungs- 
mittel der Gläubigen zubereitete und sie wärmte, 
das Wasser, welches ihren Durst löschte und sie 
reinigte, die Luft sogar, die sie atmeten, wie der 
Tag, der ihnen leuchtete, waren der Gegenstand 
ihrer Huldigungen. Vielleicht hat keine Religion in 
dem Maße, wie der Mithriacismus , ihren Anhängern 
Gelegenheit zum Gebet und Motive der Andacht 
gegeben. Wenn der Eingeweihte sich abends nach 



HO 

der heiligen Grotte begab, die in der Einsamkeit 
des Waldes verborgen war, so riefen bei jedem 
Schritt neue Eindrücke in seinem Herzen eine 
mystische Erregimg hervor. Die Sterne, welche am 
Himmel glänzten, der Wind, der das Laub bewegte, 
die Quelle oder der Bach, die murmelnd zu Tal 
eilten, selbst die Erde, auf welche sein Fuß trat — 
alles war gottlich in seinen Augen, imd die ganze 
Natur, die ihn umgab, erweckte in ihm die ehr- 
fürchtige Scheu vor unendlichen Gewalten, welche 
im Weltall wirkten. 




FÜNFTES KAPITEL. 



DIE LITURGIE, DER KLERUS UND DIE 
GLÄUBIGEN. 

Bei allen Religionen des klassischen Altertums 

gibt es eine Seite, die, obwohl ehedem ganz offen 
hervortretend, ja vielleicht sogar die all erwichtigste 
für die große Masse der Gläubigen, sich dennoch 
heute unserer Aufmerksamkeit beinahe vollständig 
entzieht. Es ist die Liturgie. Die Mysterien des 
Mithra bilden keine Ausnahme von dieser beklagens- 
werten RegeL Die heiligen Bücher, welche die 
Gebete, die während der Gottesdienste rezitiert oder 
gesungen wiarden, das Ritual der Weihen und das 
Zeremoniell der Feste enthielten, sind fast spurlos 
verschwunden. Ein Vers, der einem unbekannten 
Hymnus entstammt, ist fast alles, was sich von ehemals 
sehr umfangreichen Sammlungen erhalten hat. Die 
alten zu Ehren der mazdäischen Götter verfaßten 
Gäthas waren in der alexandrinischen Zeit ins 
Griechische übersetzt worden, und das Griechische 
blieb lange Zeit hindurch die Sprache des mithrischen 
Kultus, selbst im Abendlande. Barbarische, den Nicht- 
eingeweihten unverständliche Worte mischten sich in 
den heiligen Text und erhöhten die Verehrung für 
das alte Formular wie das Vertrauen auf seine 
Wirksamkeit. So das Mithra gegebene Beiwort 



Nabarze „siegreich" oder die dunkelen Anrufungen 

Nama, Nama Sebesto, die auf unsere Basreliefs graviert 
und noch nicht erklärt sind. Ein ausgesprochener 
Respekt vor den überlieferten Bräuchen ihrer Sekte 
war für die Magier Kleinasiens charakteristisch und 
erhielt sich ungeschwächt bei ihren lateinischen 
Nachfolgern, Noch beim Untergänge des Heidentums 
suchten diese ihren Ruhm darin, die Götter nach den 
alten persischen Riten zu ehren, welche Zoroaster 
eingeführt haben sollte. Diese Riten unterschieden 
ihren Kultus scharf von allen, welche gleichzeitig 
mit ihm in Rom ausgeübt wurden, und verhinderten, 
daß man jemals seinen iranischen Ursprung vergaß. 
Wenn ein glücklicher Zufall uns eines Tages 
irgend ein mithrisches Missale in die Hände spielte, 
so würden wir mit seiner Hilfe diese alten Bräuche 
studieren und im Geist der Feier des Gottesdienstes 
beiwohnen können. Da uns jedoch ein derartiger 
imentbehrlicher Führer nicht zu Gebote steht, so 
bleiben wir vom Heiligtum ausgeschlossen und kennen 
die innere Disziplin der Mysterien nur aus einigen 
Indiskretionen. Ein Text von St. Hleronymus '), 
der din-ch eine Reihe von Inschriften bestätigt wird, 
lehrt uns, daß es sieben Weihegrade gab, und daß 
der Myste (fiüdTii^, sacralus) nacheinander die Namen 
Rabe [corax). Verborgener (Kpucpios, cryphius), Soldat 
{mües), Löwe {leo), Perser {Perses), Sonnenläufer 
('HXiobpöfio?, heliodromus) und Vater {paier) annahm. 
Diese seltsamen Bezeichnungen waren keineswegs 
bloße Epitheta ohne praktische Bedeutung. Bei ge- 
wissen Gelegenheiten legten die Offizianten Ver- 



I) Ef. 107 ad La, 



— 113 — 

kl^diingen an, welche den ihnen gewährten Titeln 
entsprachen. Auf einem Basrelief sehen wir sie 
nachgeahmte Köpfe von Tieren, Soldaten und Persem 
tragen.^) „Die einen schlagen mit den Flügeln wie die 
Vögel und ahmen die Stimme des Raben nach, 
die andern brüllen wie Löwen", sagt ein Christ des 
4. Jahrhunderts*); „da sieht man, wie die, welche sich 
weise nennen, schimpflich zu Narren geworden sind". 
Diese heiligen Maskeraden, deren lächerliche 
Seite der kirchliche Schriftsteller hervorkehrt, wurden 
von den heidnischen Theologen als eine Anspielung 
auf die Zeichen des Tierkreises oder auch wohl auf 
die Metempsychose erklärt. Solche Verschiedenheiten 
der Interpretation beweisen lediglich, daß der wahre 
Sinn dieser Verkleidungen nicht mehr verstanden wurde. 
In Wirklichkeit handelt es sich hier um ein Über- 
lebsel [survii'al) primitiver Gebräuche, deren Spuren 
in vielen Kulten zu finden sind. Die Titel Bär, 
Ochse, Füllen begegnen uns bei den Eingeweihten 
verschiedener Mysterien in Grriechenland und Klein- 
asien. Sie gehen bis auf jene Periode der Geschichte 
oder der Vorgeschichte zurück, in der man sich die 
Gottheiten selbst in tierischer Gestalt vorstellte und 
der Gläubige, indem er den Namen und das Aus- 
sehen seines Gottes annahm, sich mit ihm zu identi- 
fizieren glaubte. Der zu einer Verkörperung der 
Zeit gewordene löwenköpfige lironos trat an die 
Stelle der Löwen, welche die Vorfahren der Mithriasten 
verehrten, und ebenso sind die Masken aus Leinwand 
oder Pappe, mit welchen die römischen Mysten sich 



Vgl. Tafel n, Fig. 6 (Basrelief von Konjica). 

l) Pa. Aueusrin, Ouaest.vst. etnov. Test. WKiT.etM., 



7.) Pa. Augusrin, Qiu 



Tea. \\»,{T,etM., L 11, p. 8 



— 114 — 

[iesicTit bedeckten, Surrogate für die Tierfelle, in 

welche sich ihre barbarischen Almen während der 
Urzeit hüllten, sei es nun, daß sie glaubten, auf diese 
Weise mit den monströsen Idolen in Gemeinschaft 
zu treten, denen sie dienten, oder daß sie sich die 
abgezogenen Bälge der Opfertiere überwarfen, weil 
sie dieser blutigen Bekleidung eine reinigende Kraft 
zuschrieben. 

Den ursprünglichen Namen Rabe, Löwe hatte 
man in der Folge andere beigesellt, um die heilige 
Siebenzahl zu erreichen. Die sieben Stufen der 
Initiation, welche der Myste durchlaufen mußte, um 
die vollkommene Weisheit imd Reinheit zu erlangen, 
entsprachen den sieben Planetensphären , welche die 
Seele durchreisen mußte, um an den Aufenthaltsort 
der Seligen zu kommen.') Nachdem man Rabe ge- 
wesen war, wurde man zu dem Range eines Geheimen 
oder Verborgenen (Kpücpioq) befördert Die Mitglieder 
dieser Klasse WEiren mit irgend einer Hülle bedeckt 
und blieben vermutlich für die übrigen Anwesenden 
unsichtbar: sie zu zeigen (osiendere) bildete einen 
feierlichen Akt. Der Soldat (mt'les) gehörte zu dem 
heiligen Heere des unbesiegbaren Gottes und be- 
kämpfte unter seinem Befehl die Mächte des Bösen. 
Die Würde des Persers erinnerte an den ersten 
Ursprung der mazdäischen Religion; imd der, welcher 
sie empfangen hatte, legte bei den heiligen Zeremonien 
orientalische Kleidung an und bedeckte sich mit der 
phrygischen Mütze, welche man auch Mithra zu geben 
pflegte. WeU dieser mit der Sonne identifiziert 
wurde, werden seine Diener sich mit dem Beinamen 



I) Vgl. oben S. 104 ff. 



Läufer der Sonne ('HXioÖpöiiOi) geschmückt haben. 
Die „Väter" endlich sind den griechischen eiaöoi 
entlehnt, in denen diese ehrenvolle Benennung häufig 
gebraucht wird, um die Leiter der Gemeinschaft zu 
bezeichnen. 

In dieser siebenfachen Gliederung der Gläubigen 
gab es außerdem noch gewisse Unterschiede. Aus 
einer Stelle bei Porphyrius (De abstin. 4, 16) ist zu 
schließen, daß die Verleihung der drei ersten Grade 
noch nicht zur Teilnahme an den Mysterien berechtigte. 
Diese Eingeweihten, welche man mit den christ- 
lichen Katechumenen vergleichen kann, waren die 
Diener (üirTipeToGvie?). Um diesen Rang zu erhalten, 
genügte es, unter die Raben aufgenommen zu sein, 
die ohne Zweifel deshalb so genannt wurden, weil 
die Mythologie den Raben zum Diener der Sonne 
macht. Nur die Mysten, welche die Leontica 
empfangen hatten, wurden Teilnehmer (peT^xovteq), 
und aus diesem Grunde wird der Grad des leo 
in den Inschriften häufiger erwähnt als jeder andere. 
An der Spitze der Hierarchie endlich standen 
die „Väter", welche den heiligen Zeremonien vor- 
gestanden {paler sacroruni) und die übrigen Kate- 
goiieen der Gläubigen geleitet zu haben scheinen. 
Das Oberhaupt der Väter selbst führte den Namen 
Pater Patrum, den man bisweilen in den andern Pater 
palratus verwandelte, um einen offiziellen Priestertitel 
in eine naturalisierte römische Sekte einzubürgern. 
Diese Großmeister der Adepten behielten bis an ihren 
Tod die allgemeine Leitung des Kultus. Der Respekt 
und die Liebe, welche man diesen ehrwürdigen 
Würden trägem entgegenzubringen verpflichtet war, 
wird durch ihren Titel „Vater" angedeutet, und die 



— ii6 — 

ihrer Autorität unterstellten Mysten nannten sicli 
untereinander „Brüder", weil sich die Weihgenossen 
[consacranei) in gegenseitiger Liebe zugetan sein 
sollten, ^) 

Die Zulassung {acceptio) zu den niederen Weihen 
konnte sogar Kindern gewährt werden. Wir wissen 
nicht, ob man gehalten war, jedem dieser Grade eine 
bestimmte Zeit lang anzugehören. Die Vater ent- 
schieden wahrscheinlich, wann der Novize genügend 
vorbereitet war, um die höhere Weihe zu empfangen, 
welche sie persönlich erteilten {/rädere). 

Diese Initiationszeremonie scheint den Namen 
„Sakrament" [sacramcntuvi) getragen zu haben, ohne 
Zweifel infolge des Eides, welchen man dem Neophyten 
auferlegte, und der demjenigen ähnelte, welchen der 
Rekrut zu leisten hatte, wenn er in das Heer ein- 
gereiht wurde. Der Kandidat verpflichtete sich vor 
allen Dingen, die Lehren und Riten geheim zu halten, 
welche ihm mitgeteilt werden sollten, aber man 
forderte von ihm auch noch andere speziellere Ge- 
lübde, So sah der Myste, welcher sich um den Titel 
des miles bewarb, wie man ihm einen Kranz auf einem 
Schwerte reichte. Er wies ihn mit der Hand zurück 
und ließ ihn auf seine Schulter herabgleiten, indem 
er sagte, daß Mithra sein einziger Kranz sei. Von 
nun an trug er niemals einen solchen wieder, weder 
bei festlichen Gelegenheiten, noch wenn er ihm als 
militärische Belohnung zuerkannt wurde, sondern 
antwortete demjenigen, welcher ihm den Kranz dar- 
bot: „Er gebührt meinem Gotte", d. h. dem unbesieg- 
baren Gotte. 



I) Vg!. 



a S. 144 Aiini. 



Wir kennen die Liturgfie der sieben mithrischen 
Sakramente ebenso ungenügend wie die dogmatischen 
Unterweisungen, von denen ein jedes derselben be- 
gleitet wurde. Doch wissen wir, daß man den Neo- 
phyten den alten iranischen Riten gemäß vielfache 
Waschungen vorschrieb, eine Art Taufe, welche dazu 
bestimmt war, die sittlichen Befleckungen zu tilgen. 
Gerade so wie bei gewissen Gnostikem hatte die 
Lustration zweifellos bei den einzelnen Weihegraden 
verschiedene Wirkungen und konnte, je nach der 
Veranlassung, in einer einfachen Besprengung mit 
Weihwasser oder in einem wirklichen Bade bestehen, 
wie im Isiskult. 

Tertullian vergleicht auch die confirtnatio seiner 
Glaubensgenossen mit der Zeremonie, bei welcher 
man „den Soldaten an der Stirn zeichnete". In- 
dessen scheint das Zeichen oder Siegel, das man 
ihm gab, nicht eine Salbung, wie in der christlichen 
Liturgie, sondern ein mit einem glühenden Eisen 
aufgebranntes Mal gewesen zu sein, ähnlich dem- 
jenigen, welches man in der Armee den Rekruten 
vor ihrer Zulassung zum Eide aufzudrücken pflegte. 
Diese unauslöschhche Marke erinnerte den Professen 
stets an das feierliche Gelübde, durch welches er 
sich zum Dienst in dem Ritterorden verpflichtet hatte, 
welchen der Mithriacismus gleichsam darstellte. Die 
Aufnahme unter die „Löwen" war von neuen 
Reinigungen begleitet; da aber dieses Tier das 
Symbol des feurigen Prinzips war, so verzichtete man 
darauf, sich des Wassers zu bedienen, weil dieses 
Element dem Feuer feindlich ist. Statt dessen goß 
man dem Geweihten Honig auf die Hände und 
bestrich damit seine Zunge, um ihn vor jeder Be- 



r Und jeder Sünde zu bewahren. Honig wurd! 
wegen seiner schützenden Kraft auch dem „Perser" 
dargeboten, erzählt uns Porphyrius '), und man scheint 
dieser Substanz in der Tat wunderbare Wirkung-en 
beigelegt zu haben, weil man sie unter dem Einfluß 
des Mondes entstanden glaubte. Nach antiker Vor- 
stellung bildete sie die Nahrung der Seligen, und ihr 
Genuß durch den Neophyten machte diesen der Gott- 
heit gleich.') 

Bei der mazdäischen Messe weihte der Zelebrant 
Brote und Wasser, das er mit dem von ihm zubereiteten 
berauschenden Haoraa-Safte mischte, und verzehrte 
diese Nahrungsmittel im Verlaufe seiner gottes- 
dienstlichen Funktion. Diese alten Bräuche hatten 
sich in den mithrischen Initiationen erhalten, nur 
hatte man den Haoma, eine im Occident unbekannte 
Pflanze, durch den Saft der Rebe ersetzt Man stellte 
vor den Mysten ein Brot und einen mit Wasser ge- 
füllten Becher, über den der Priester die heiligen 
Formeln sprach. Diese Oblation von Brot und Wasser, 
welchem man dann später zweifellos Wein beimischte, 
wird von den Apologeten mit der christlichen Kom- 
munion verglichen. Wie diese wurde sie erst nach einem 
langen Noviziat gewährt Wahrscheinlich wurden nur 
die Eingeweihten, welche den Grad der „Löwen" er- 
reicht hatten, bei ihr zugelassen, und vermutlich er- 
hielten sie aus diesem Grunde den Namen „Teil- 
nehmer". F;in kürzlich publiziertes merkwürdiges 
Basrelief führt uns dieses heilige Mahl vor (Fig. 6, 
s. Tafel II): Vor zwei Personen, die sich auf einem 

t) Porphyr., De antra Nymph. c, 1$ {T. et ü/./t II, p. 40). 
2) Der liturgische Gebrauch des Honigs ist ncuerdiDgs erörtert 
von Usencr, Mück und Hanig (Hermes LVH) 1902 S. 177 f. 



— 119 — 

mit Polstern versehenen Ruhelager ausgestreckt 
haben, steht ein Dreifuß, welcher vier kleine Brote 
trägt, von denen jedes mit einem Kreuz bezeichnet 
ist. Um sie herum gruppieren sich die Mysten der 
verschiedenen Grade, und einer von ihnen, der Perser, 
reicht ihnen ein Trinkhom, während ein zweites 
Rhyton von einem der Tischgenossen in der Hand 
gehalten wird. Diese Agapen sind offenbar die ri- 
tuelle Gedächtnisfeier des Mahles, welches Mithra 
mit Sol gehalten hatte vor seiner Himmelfahrt.^) Man 
erwartete von dieser mystischen Mahlzeit, namentlich 
von dem Genuß des geheiligten Weines, übernatür- 
liche Wirkungen: der berauschende Trank verlieh 
nicht nur Körperkraft und materielle Wohlfahrt, 
sondern auch Weisheit des Geistes; er stärkte den 
Neophyten für seinen Kampf gegen die bösen Geister; 
ja noch mehr, er schenkte ihm, wie seinem Gotte, 
eine glorreiche Unsterblichkeit. 

Die Spendung der Sakramente wurde begleitet 
oder vielmehr eingeleitet von anderen Riten ver- 
schiedener Art, nämlich wirklichen Prüfungen, die 
man dem Bewerber auferlegte. Um die heiligen 
Waschxmgen und die geweihten Nahrungsmittel zu 
empfangen, mußte dieser sich nicht nur durch längere 
Enthaltsamkeit und zahlreiche Kasteiungen darauf vor- 
bereiten, sondern er spielte auch eine passive Rolle 
bei gewissen dramatischen Sühnehandlungen von 
seltsamem Charakter, die wir weder ihrer Zahl noch 
ihrer Reihenfolge nach kennen. Darf man in diesem 
Punkte einem Kirchenschriftsteller des 4. Jahrhunderts *) 



I) VgL oben S. I0[. 

1) Vgl. oben S. 1 13 Anm. : 



Glauben schenken, so verband man dem Neophyten 
die Augen, fesselte ihm die Hände mit Hühner- 
därmen und ließ ihn dann über eine mit Wasser 
gefüllte Grube springen. Darauf nahte ein „Befreier" 
mit einem Messer und zerschnitt jene ekelhaften 
Fesseln. Unter anderen Umständen wohnte der er- 
schrockene Myste, wenn nicht als aktiver Teilnehmer, 
dann jedenfalls als Zuschauer, einem fingierten Morde 
bei, der ursprünglich ohne Zweifel ein wirklicher 
gewesen war. Schließlich begnügte man sich damit, 
ein Schwert vorzuzeigen, welches mit dem Blute 
eines Menschen gefärbt war, der einen gewaltsamen 
Tod erlitten hatte. Die Grausamkeit dieser Zere- 
monien, welche bei den kriegerischen Stämmen des 
Taurus wilde Orgien gewesen sein müssen, hatte sich 
durch die Berührung mit der abendländischen Zivili- 
sation gemildert, Sie waren jedenfalls mehr furcht- 
erregend als furchtbar geworden, und man prüfte 
bei ihnen weit mehr den moraUschen Mut des Ein- 
geweihten als seine physische Ausdauer. Das Ideal, 
welches er erreichen sollte, war die stoische „Apathie", 
die Befreiung von jeder gefühlsmäßigen Erregung. 
Die grausamen Martern, die undurchführbaren Kastei- 
ungen, zu welchen allzu erfinderische oder allzu 
leichtgläubige Autoren die Adepten der Mysterien 
verurteilen, müssen in das Reich der Fabel ver- 
wiesen werden, ebenso die angeblichen Menschen- 
opfer, welche im Dunkel der heiligen Krypten dar- 
gebracht sein sollen. 

Dennoch würde die Annahme unrichtig sein, 
daß der Mithriacismus nur die harmlose Phantaa- 
magorie einer Art antiker Freimaurerei in Szene 
gesetzt habe. In seinen liturgischen Dramen fanden 



121 

sich immer noch Sptiren ihrer ursprünglichen Barbarei, 
Erinnerungen an jene Zeit, als in den Wäldern, in 
der Tiefe einer finstem Höhle, in Tierfelle gehüllte 
Korybanten die Altäre mit ihrem Blut bespritzten. 
In den römischen Städten wurden die ehemaligen Berg- 
höhlen als Kullstätten durch unterirdische Gewölbe 
(spclaea) ersetzt, die einen viel weniger erhabenen 
Anblick gewährten (Fig. 7, s. Tafel II). Aber selbst in 
diesen künstlichen Grotten mtißten die Initiations- 
akte auf den Neophyten einen tiefen Eindruck machen. 
Wenn er den Pronaos des Tempels durchschritten 
hatte und die Stufen der Krypta herabgestiegen 
war, so erblickte er vor sich in dem glänzend ge- 
schmückten und beleuchteten Heiligtum das in der 
Apsis angebrachte geweihte Bild des stiertötenden 
Gottes, dann die mit Atributen überladenen monströsen 
Statuen des löwenköpfigen Kronos und andere mysti- 
sche Symbole, deren Verständnis ihm noch ver- 
schlossen war. Im Halbdunkel knieten zu beiden 
Seiten die Anwesenden auf Steinbänken im Gebet 
oder zu stiller Sammlung ihrer Gedanken. Rings um 
den Chor angeordnete Lampen warfen ein helleres 
Licht auf die Bilder der Götter und auf die Offizianten, 
welche in seltsame Kostüme gekleidet den Neu- 
bekehrten empfingen. Unerwartete und mit Geschick 
verwandte Lichteffekte blendeten seine Augen und 
seinen Geist. Die religiöse Erregung, welche sich 
seiner bemächtigte, lieh in Wirklichkeit kindischen 
Götzenbildern ein furchtbares Aussehen; die leeren 
Gaukelspiele, welche man ihm vorführte, erschienen 
ihm als ernstliche Gefahren, welche sein Mut über- 
wand. Der berauschende Trank, den er genoß, über- 
reizte seine Sinne und verwirrte seinen Verstand; 



er murmelte die zaub er kräftigen Formeln, und sie 
täuschten seiner irregeleiteten Phantasie göttliche 
Erscheinungen vor. In seiner Ekstase glaubte er 
den Grenzen der Welt entrückt zu sein; und wenn 
er aus dieser Verzückung wieder erwachte, so sagte 
er mit dem Mysten des Apuleius'): „Ich habe die 
Pforten des Todes durchschritten, ich habe die 
Schwelle der Proserpina betreten, und nachdem ich 
durch alle Elemente gefahren, bin ich auf die Erde 
zurückgekehrt; mitten in der Nacht habe ich die 
Sonne in hellem Glänze strahlen gesehen; ich habe 
mich den unteren und den oberen Göttern genaht und 
habe sie angebetet von Angesicht zu Angesicht." 

Die Überlieferung dieses ganzen geheimen 
Zeremoniells wurde sorgfaltig gehütet von einem in 
der göttlichen Wissenschaft unterwiesenen und von 
allen Kategorieen der Eingeweihten unterschiedenen 
Klerus. Seine ersten Begründer waren jedenfalls orien- 
talische Magier gewesen, aber wir wissen fast nichts 
davon, wie er sich später ergänzte und organisierte. 
War er erblich, wurde er auf Lebenszeit ernannt 
oder für einen gewissen Zeitabschnitt gewählt? Und 
im letzten Falle: wer hatte das Recht ihn zu wählen, 
und welche Bedingungen hatten die Kandidaten zu 
erfüllen? Keiner dieser Punkte ist genügend aufge- 
klärt. Wir stellen lediglich fest, daß der Priester, 
der dem Anschein nach unterschiedslos den Titel 
sacerdos oder anihtcs führt, oft, aber nicht immer, 
zu den „Vätern" gehört. In jedem Tempel fand man 
einen Kleriker, bisweilen auch mehrere. Alles spricht 



I 
I 



) ApuL, Meiam. XI, 23110. - 



i haiidetl: sich biei 



— 123 — 

Annahme, daß sich diese „Priestersch^""zii 

zu einer Art Hierarchie ausg^ebildet hatte. Tertullian ') 
berichtet uns, daß der sriDirnus ponlt'/ex sich nur ein 
einziges Mal verheiraten durfte. Er bezeichnet mit 
diesem römischen Namen ohne Zweifel den „Vater 
der Väter", welcher die Oberaufsicht über alle Ein- 
geweihten einer Stadt geführt zu haben scheint.*) 
Das ist die einzige Angabe, welche wir über eine 
Oi^anisation besitzen, welche vielleicht ebenso fest 
begründet war wie die der Magier im Königreich 
der Sassaniden oder die der Manichäer im römischen 
Reiche. Derselbe Apologet fügt hinzu, daß die An- 
hänger des persischen Gottes, wie die Christen, ihre 
„Jungfrauen" l^virgines) und ihre Asketen {continentes) 
hatten. Das Vorhandensein dieser Art mithrischen 
Mönchtums erscheint um so bemerkenswerter, als 
es dem Geiste des Zoroastrismus widerspricht, dem 
Zölibat irgendwelches Verdienst beizumessen. 

Die Rolle des Klerus war im Mithriacismus 
jedenfalls bedeutender als in den griechischen und 
römischen Kulten. Der Priester war der berufs- 
mäßige Mittler zwischen den Menschen und der 
Gottheit. Seine Funktionen bestanden offenbar vor 
allem in der Verwaltung der Sakramente und der 
Zelebrierung der Gottesdienste. Die Inschriften 
lehren uns außerdem, daß er die solennen Dedikationen 
leitete oder sogar dabei den Gläubigen mit den 
Vätern zusammen vertrat; aber das war doch nur 
der geringste Teil des Amtes, welches er zu ver- 
walten hatte. Der religiöse Dienst, der ihm oblag, 

1) TertuU.. De praescr. hatret. 40 {T. tt M., t. n, p. 51). 
3} Vgl. oben S. 115, Ich folge hier einer Anregung von Wissowa, 
RtligioK der RSmir, 1902, S. 309. 




— 124 — 

scbemt ' sehr anstrengend gewesen zu sein. Er mul 
ohne Zweifel darüber wachen, daß ein nie ver- 
löschendes Feuer auf den Altären brannte. Dreimal 
am Tage, Morgens, Mittags und in der Abend- 
dämmerung richtete er ein Gebet an die Sonne, bei 
dem er sich Morgens nach Osten, Mittags nach Süden 
und Abends nach Westen wandte. Die tägliche 
Liturgie wurde häufig durch besondere Opfer er- 
weitert Der Zelebrant, in priesterliche Gewänder 
gekleidet, welche denen der Magier nachgebildet 
waren, schlachtete den oberen und unteren GÖttem 
verschiedene Opfer, deren Blut in einer Grube ge- 
sammelt wurde, oder brachte ihnen auch wohl 
Libationen dar, wobei er das heilige Bündel in der 
Hand hielt, welches wir aus dem Avesta kennen. 
Lange Psalmodieen, von Musik begleitete Gesänge, 
ertönten bei den rituellen Handlungen. Ein besonders 
feierlicher Moment des Gottesdienstes, der zweifellos 
durch ein Geläut von Glöckchen bezeichnet wurde, 
war der, in welchem man den Eingeweihten das bis 
dahin bedeckte Bild des stiertötenden Mithra ent- 
hüllte. In manchen Tempeln drehte sich die skulpierte 
Platte um sich selbst, wie unsere Tabernakel, und 
ermöglichte so, die Darstellungen, welche ihre beiden 
Flächen schmückten, abwechselnd zu verbergen und 
zur Schau zu stellen. 

An jedem Wochentage wurde der Planet, dem 
er geheiligt war, an einer bestimmten Stelle der 
Krypta angerufen, imd der Sonntag, welchem die 
Sonne vorstand, wurde besonders gefeiert. Ferner 
verherrlichte der Uturgische Kalender gewisse Daten 
durch Feste, über welche wir leider sehr schlecht 
unterrichtet sind. Vielleicht hatte der i6. Tag als 



Mitte des Monats auch weiterhin, wie in Persien, 
Mithra als Patron. Dagegen hört man im Abend- 
lande niemals von der Feier der Mithrakana reden, 
die doch in Asien so populär waren.') Sie waren 
jedenfalls auf den 25. Dezember verlegt, denn ein 
sehr allgemeines Herkommen forderte, die Wieder- 
geburt der Sonne {Natalis invicti), welche vom 
Winters olstitium an wieder zu wachsen begann, 
durch heilige Freudenfeste auszuzeichnen. Auch 
haben wir gewisse Gründe für die Annahme, daß 
die Äquinoktien ebenfalls Feiertage waren, an denen 
man mit irgend einer Begrüßung die Wiederkehr 
der deifizierten Jahreszeiten weihte. Die Initiationen 
fanden vorzugsweise gegen Frühlingsanfang statt, 
im März oder im April, ungefähr um die Osterzeit, 
wo die Christen gleichfalls ihre Katechumenen zur 
Taufe zuließen. Aber von den Riten aller dieser 
Feiern, wie überhaupt von allem, was sich auf die 
Heortologie der Mysterien bezieht, wissen wir fast 
nichts. 

Die mithrischen Gemeinden waren nicht nur 
durch ein geistiges Band geeinte Bruderschaften, 
sondern auch Assoziationen, welche eine juristische 
Existenz besaßen und das Eigentumsrecht genossen. 
Für die Verwaltung ihrer Geschäfte und die Wahr- 
nehmung ihrer irdischen Interessen wählten sie 
Beamte, welche man weder mit den Eingeweihten 
noch mit den Priestern verwechseln darf. Die Titel, 
welche die Mitglieder dieser Kirche ngemeinderäte 
in den Inschriften führen, beweisen uns, daß die 
Organisation der Kollegien der Anbeter Mithras sich 



I) Vgl, oben S. 8 



nicht von derjenigen der anderen religiösen sodalicia 

unterschied, sondern wie diese der Verfassung- der 
Munizipien oder der Marktflecken nachgebildet ■war. 
Diese Korporationen führten eine offizielle Liste 
ihrer Mitglieder, ein albinii sacratorum, in welchem 
die letzteren nach der Ordnung ihres Ranges und 
ihrer Würden aufgezeichnet wurden. An ihrer Spitze 
stand ein Rat von Dekurionen, ein leitender Aus- 
schuß, der ohne Zweifel in einer Generalversammlung 
ernannt wurde, eine Art Senat en miniature, dessen 
zehn erste MitgUedar {decein primi), wie in den 
Städten, besondere Vorrechte besaßen, Sie hatten 
ihre Obmänner {magistrt) oder jährlich gewählten 
Vorsitzenden, ihre Kuratoren {ciiraiores), denen 
finanzielle Befugnisse zustanden, ihre Anwälte (defen- 
sores), welche die Interessen der Kidtvereine vor 
Gericht oder bei den Verwaltungsbehörden zu ver- 
treten hatten, endlich Patrone [pafro/it), angesehene 
Personen, von denen sie nicht nur wirksame Protektion, 
sondern auch pekuniäre Unterstützungen erwarteten, 
die ihnen ermöghchten, ihr Budget zu balancieren. 

Da der Staat ihnen keinerlei Dotation gewährte, 
so hing ihr Wohlstand ausschließlich von der Frei- 
gebigkeit Privater ab. Die freiwilligen Beiträg-e, 
welche die regelmäßigen Einnahmen des Kollegiums 
bildeten, deckten kaum die Kosten des Kultus, und 
die geringste außerordentliche Ausgabe war für die 
gemeinsame Kasse eine schwere Last, Diese aus 
kleinen Leuten bestehenden Kultgenossenschaften 
konnten nicht daran denken, mit ihren bescheidenen 
Mitteln prächtige Tempel zu errichten. Gewöhnlich 
erhielten sie von irgend einem freundlich gesinnten 
Besitzer ein Grundstück, auf dem sie ihre Kapelle 



rarichten oder vielmehr ausschachten konnten, 

ein anderer Wohltäter bestritt die Kosten des Baues. 
Bisweilen stellte ein reicher Bürger den Mysten einen 
Keller zur Verfügung, in dem sie sich einrichteten, 
so gnt es gehen wollte. Wenn die ersten Schenk- 
geber nicht im stände waren , die innere Aus- 
schmückung der Krypta und die Herstellung der 
heiligen Bilder zu bezahlen, so schössen andere 
Brüder die erforderliche Summe zusammen, und eine 
ehrende Inschrift erhielt die Erinnerung an ihre 
Opferwilligkeit Drei Weihinschriften zu Rom führen 
uns die Begründung einer solchen Kongregation 
von Mithriasten vor Augen ^); Ein Freigelassener 
und ein Freigeborener haben sich zusammen getan, 
um einen marmornen Alt:ir zu schenken; zwei andere 
Eingeweihte haben einen zweiten gestiftet, und ein 
Sklave hat ebenfalls seine bescheidene Gabe bei- 
gesteuert. Zum Lohn für ihre Freigebigkeit erhalten 
die hochherzigen Spender die höchsten Würden in 
der kleinen Gemeinde. Infolge jener Liberalität 
richtet diese sich allmählich ein und kann sich 
schließlich sogar einen gewissen Luxus erlauben. 
Der Marmor folgt dem gewöhnlichen Stein, die 
Skulptur ersetzt den Stuck, und die Mosaik tritt au 
die Stelle der Malerei. Wenn endlich der erste 
Tempel vor Alter einstürzt, ist die reich gewordene 
Gemeinschaft häufig in der Lage, ihn in neuer Pracht 
wiedererstehen zu lassen. 

Die Menge der Gaben, deren die epigraphischen 
Texte gedenken, bezeugt die Anhänglichkeit der 



I) CIL. VI, 5S6. 717. 734 
47 — 48 bis). 



= 3082: (T. tt M. t. II, p. 



rläubigen an die Bruderschaften, in welche t 
genommen worden waren. Dank der unentwegrten 
Hingabe Tausender von eifrigen Anhängern konnten 
diese Gemeinden, die organischen Zellen des großen 
religiösen Korpers, leben und sich entwickeln. Der 
Orden gliederte sich in eine Masse kleiner eng- 
verbundener Vereine, welche dieselben Riten in den- 
selben Heiligtümern vollzogen. Die geringe Glröfle 
der Tempel, in denen sie sich versammelten, zeigt, 
daß die Anzahl ihrer Mitglieder immer sehr beschränkt 
gewesen ist. Selbst wenn man annimmt, daß allein 
die „Teilnehmer" in der unterirdischen Kr)^te zu- 
gelassen wurden, während die Eingeweihten niederer 
Grade nur Zutritt zum Pronaos hatten, können diese 
Assoziationen kaum mehr als etwa hundert Seelen 
gezählt haben. Sobald die Zahl der Mitglieder über- 
mäßig wuchs, baute man eine neue Kapelle, und der 
Kultverein teilte sich. In diesen festgeschlossenen 
Gemeinden, in welchen alle sich gegenseitig kannten 
und unterstützten, herrschte die Intimität einer großen 
Famihe, Die von einer aristokratischen Gesellschaft 
gezogenen Grenzlinien verwischten sich hier, wo die 
Annahme desselben Glaubens den Sklaven neben, 
bisweilen selbst über den Dekurionen und den 
clarissinms stellte. Alle unterwarfen sich denselben 
Vorschriften, alle wurden zu denselben Festen ge- 
laden, alle ruhten nach ihrem Tode ohne Zweifel in 
einem gemeinsamen Begräbnis. Obwohl man bisher 
noch kein mithrisches Coemeterium gefunden hat, 
machen es die besonderen Glaubensvorstellungen der 
Sekte über das zukünftige Leben und ihre so eigen- 
artigen Riten doch sehr .wahrscheinlich, daß ihre 
Kollegien, wie die rash&t&VL sodalicia, nicht nur religiöse, 



I 

I 



sondern auch fimeräre Zwecke verfolgten, Ste übte 
jedenfalls die Beerdigung, und der lebhafteste Wunsch 
ihrer Anhänger war gewiß, ein zugleich ehrenvolles 
und fi-orames Begräbnis zu erhalten, ein „ewiges 
Haus", wo sie in Frieden den Tag der Auferstehung 
erwarten konnten. Wenn der Brudemame, den sich 
die Eingeweihten gaben, kein leeres Wort war, so 
mußten sie sich gegenseitig wenigstens diese letzte 
Wohltat erweisen. 

Das sehr unvollkommene Bild, welches wir uns 
von dem inneren Leben der mithrischen Konventikel 
zu entwerfen vermögen, hilft ims doch, die Gründe 
ihrer raschen Vermehrung besser zu erkennen. Die 
armseligen Plebejer, welche zuerst massenhaft in sie 
eintraten, fanden in dem Brudersinn dieser Kongre- 
gationen eine Hülfe und eine Stärkung. Indem sie 
sich ihnen anschlössen, traten sie aus ihrer Isolierung 
und ihrer Verlassenheit heraus, um Glieder einer 
mächtigen, streng hierarchisch organisierten Gemein- 
schaft zu werden, deren Verzweigungen einem über 
die ganze Fläche des Reiches ausgespannten Netze 
glichen. Überdies befriedigten die Titel, welche ihnen 
hier verliehen wurden, den für jeden Menschen 
natürlichen Wimsch, eine gewisse Rolle in der Welt 
zu spielen und von seinesgleichen irgendwie geachtet 
zu werden. 

Zu diesen rein weltlichen Beweggründen gesellten 
sich die mächtigeren Motive des Glaubens. Die 
Glieder dieser kleinen Verbände bildeten sich ein, 
die bevorzugten Besitzer einer uralten, aus dem 
fernen Orient stammenden Weisheit zu sein. Das 
Dunkel, von welchem diese unergründlichen Ge- 
heimnisse umgeben waren, erhöhte die Verehrung, 



welche sie einflößten: Omne ignotufn pro magnifi 

est. Die stufenweise aufeinander folgenden Weihen 
ließen den Neophyten immer erhabenere Wahrheiten 
erhoffen, und die seltsamen Bräuche, mit welchen sie 
verbunden waren, machten auf seine naive Seele 
einen unauslöschlichen Eindruck, Man glaubte in 
diesen mystischen Zeremonien eine Aufmunterung 
und einen Trost zu finden und fand beides auch 
wirklich darin, indem die Suggestion zur Realität 
wurde; man fühlte sich von seinen Sünden gereinigt 
durch die rituellen Waschungen, und diese Taufe 
befreite das Gewissen von der Last schwerer Ver- 
antwortung; man kehrte gestärkt von diesen heiligen 
Mahlen heim, welche die Verheißung eines besseren 
Lebens in sich trugen, in dem die Leiden dieser 
Welt ihren Ausgleich finden würden. Die erstaunliche 
Expansion des Mithriacismus ist großenteils diesen 
grenzenlosen Illusionen zuzuschreiben, die lächerlich 
sein würden, wenn sie nicht so durchaus menschlich 



Aber in dem Wettbewerb der rivalisierenden 
religiösen Gemeinschaften, welche sich unter den 
Cäsaren um die Herrschaft über die Seelen stritten, 
machte ein Nachteil den Kampf für die persische 
Sekte ungleich. Während die meisten orientalischen 
Kulte den Frauen eine bedeutende, bisweilen 
sogar ausschlaggebende Rolle zugestanden und 
dafür in ihnen glühende Anhängerinnen fanden, 
verbot ihnen Mithra die Teilnahme an seinen Mysterien 
und beraubte sich so einer wertvollen Unterstützung 
seiner Propaganda. Die rauhe Disziplin des Ordens 
gestattete ihnen nicht, Grade in den geheiligten 
Kohorten zu erwerben, und sie erhielten, wie bei den 



— 131 — 

Mazdäem des Orients, nur einen untergeordneten 
Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen. Unter 
den Hunderten von Inschriften, welche auf uns ge- 
kommen sind, erwähnt nicht eine einzige eine 
Priesterin, eine Eingeweihte oder auch nur eine Schenk- 
geberin. Doch eine Religion, welche nach der Welt- 
herrschaft strebte, konnte nicht die Erkenntnis der 
göttlichen Dinge der Hälfte der Menschheit vor- 
enthalten, und daher schloß sie, imi auch der weib- 
lichen Frönmiigkeit Nahrung zu bieten, in Rom 
einen Bund, der sicherlich zu ihrem Erfolge beitrug. 
Die Geschichte des Mithriacismus im Abendlande 
würde unverständlich bleiben, wollte man von seiner 
Politik bezüglich des übrigen Heidentums absehen. 



SECHSTES KAPITEL. 

MITHRA UND DIE RELIGIONEN DES ^ 

KAISERREICHES. 

Die Akten der orientalischen Märtyrer zeug-en 
in beredter Weise von der Unduldsamkeit des 
nationalen Klerus im sassanidischen Persien, und 
schon die Magier des alten Reiches, waren sie auch 
keine Verfolger, bildeten mindestens eine exklusive 
Kaste, vielleicht sogar einen privilegierten Stamm. 
Die Priester Mithras gaben niemals einen Beweis 
von ähnlichem RadLkalisraus. Wie das alexandrinische 
Judentum, so war auch der Mazdaismus in Klein- 
asien durch den Einfluß der hellenischen Kultur 
humanisiert In eine fremde Welt versetzt, mußte 
er sich den Sitten und Ideen anpassen, welche in 
ihr herrschten, und das Wohlwollen, mit welchem 
er aufgenommen wurde, ermunterte ihn dazu, bei 
seiner versöhnlichen Politik zu beharren. Die 
iranischen Götter, welche Mithra auf seinen Wande- 
rungen begleiteten, wurden im Occident unter 
griechischen und lateinischen Namen verehrt, die 
av estischen Yazatas nahmen die Gestalt der Un- 
sterblichen an, die im Olymp thronen, und diese 
Tatsachen beweisen zur Genüge, daß die asiatische 
Religion, weit entfernt davon, den alten griechisch- 
römischen Glaubens vor Stellungen feindlich gegen- 



— 133 ~ 

überzutreten, sich ihnen anzuschmiegen suchte, 
wenigstens dem Anschein nacK Ein frommer Myste 
konnte, ohne seinen Glauben zu verleugnen, der 
kapitolinischen Trias, Jupiter, Juno und Minerva, 
ein Weihgeschenk widmen; er faßte diese Götter- 
namen nur in einem von ihrem gewöhnlichen Ver- 
ständnis abweichenden Sinne auf. Wenn das an- 
geblich den Eingeweihten auferlegte Verbot, an 
anderen Mysterien teilzunehmen, jemals beachtet 
wurde, so konnte es doch den synkretistischen Ten- 
denzen des kaiserlichen Paganismus nicht lange 
widerstehen: im 4. Jahrhundert findet man „Väter 
der Väter", welche das höchste Priesteramt in den 
verschiedensten Tempeln ausüben, 

Oberall wußte sich die Sekte mit Geschick der 
Umgebung anzupassen, in der sie zu leben hatte. 
Im Donautale übte sie auf den eiiiheiiniachen Kultus 
eine Wirkung aus, welche eine längere Berührung 
zwischen ihnen voraussetzt. In der Rheingegend 
wurden keltische Gottheiten in den I^rypten des 
persischen Gottes oder jedenfalls in ihrer unmittel- 
baren Nachbarschaft verehrt. Je nach der Gegend 
nahm so die roazdäische Theologie verschiedene 
Färbungen an, deren Abstufung tmser Auge nur un- 
vollkommen zu erkennen vermag, aber diese dogma- 
tischen Nuancen gestalteten nur die nebensächlichen 
Details der Religion verschieden, ohne ihre funda- 
mentale Einheit irgendwie in Frage zu stellen. 
Nichts spricht dafür, daß jene Modifikationen einer 
biegsamen Lehre Häresieen hervorgerufen haben. 
Ihre Konzessionen waren rein fonneller Natur. In 
Wirklichkeit assimUierte sich der im Abendlande zu 
seiner vollen Reife erwachsene oder bereits von 



— 134 — 
ergriffene Mithriacismus die Elemente 
nicht mehr, welche er dem ihn uingfebeaden Leben 
entlieh. Die einzigen Einflüsse, welche seinen 
Charakter von Grund aus umgestalteten, waren die, 
welche er in seiner Jugend inmitten der Völker- 
schaften Asiens erfuhr. 

Die engen Beziehungen, welche Mithra mit 
gewissen Gottheiten dieses Erdteils verbanden, 
gründeten sich nicht nur auf die natürliche Verwandt- 
schaft, welche alle diese orientalischen Emigranten im 
Gegensatz zum griechisch-römischen Heidentum einte. 
Die alte religiöse Feindschaft der Ägypter und der 
Perser erhielt sich sogar noch im kaiserlichen Rom, 
und die iranischen Mysterien scheinen von denen 
der Isis durch eine geheime Rivalität, wenn nicht 
gar durch einen offenen Gegensatz geschieden gewesen 
zu sein, Sie verbündeten sich dagegen ohne Um- 
stände mit den syrischen Kulten, welche mit ihnen 
aus Asien nach Europa gekommen waren. Ihre ganz 
mit chaldäischen Theorien durchsetzte Predigt mußte 
eine große Ähnlichkeit mit derjenigen der semitischen 
Religionen aufweisen. Der schon in seinem Vater- 
land Koramagene gleichzeitig mit Mithra verehrte 
Jupiter Dolichenus, der immer, wie jener, eine vor- 
zugsweise militärische Gottheit blieb, findet sich 
neben ihm in allen Ländern des Occidents. Zu 
Camimtum in Pannonien grenzten ein Mithraeum 
und ein Dolichenum sogar unmittelbar aneinander. 
Der Baal, der Herr des Himmels, hatte sich 
leicht mit dem zu Jupiter -Caelus gewordenen 
Oromazdes verschmolzen, und Mithra konnte ohne 
allzugroße Mühe dem Sonnengott der Syrer assi- 
miliert werden. Selbst die Riten der beiden Litur- 



gien scheineQ gewisse Ähnlichkeiten dargeboten zu 
haben. 

Ebenso wie in Kommagene hatte sich der 
Mazdaismus auch in Phrygien mit der Religion des 
Landes zu verständigen gesucht. Man hatte in der 
Vereinigimg von Mithra und Anähita das Äquivalent 
des Verhältnisses gefunden, welches zwischen den 
großen einheimischen Gottheiten Attis und Cybele 
bestand, und das Einvernehmen zwischen den beiden 
heiligen Paaren setzte sich in Italien fort. Das 
älteste bekannte Mithraeum stieß an das Metroon in 
Ostia, und man hat allen Grrund zu glauben, daß der 
Kultus des iranischen Gottes und der der phrygischen 
Göttin über die ganze Ausdehnung des römischen 
Reiches hin in enger Gemeinschaft mit einander 
lebten. Trotz der tiefgehenden Unterschiede ihres 
Charakters führten politische Motive sie zusammen. 
Indem die Anhänger Mithras sich die Freundschaft 
der Priester der Mater Älagna sicherten, gewannen 
sie die Unterstützung eines mächtigen, offiziell an- 
erkannten Klerus und nahmen in gewissem Maße 
an dem Schutze teil, den der Staat ihm gewährte. 
Da femer nur Männer den geheimen Zeremonien 
der persischen Liturgie beiwohnen durften, mußten 
andere Mysterien, zu welchen die Frauen zugelassen 
wurden, irgendwie mit den ersteren verbunden 
werden, um sie zu ergänzen. So folgte die Große 
Mutter der Anähita nach; sie hatte ihre Matres, wie 
Mithra seine „Väter", und ihre Eingeweihten gaben 
sich gegenseitig den Namen „Schwestern", wie die 
Gläubigen ihres Genossen den Brudemamen führten. 

Dieses folgenreiche Bündnis war namentlich 
vorteilhaft für den alten in Rom naturalisierten Kultus 



von Pessinus. Das rauschende Gepränge seiner Feste 
verhehlte nur schlecht die Dürftigkeit seiner Lehre, 
welche die Herzenswünsche der Frommen nicht zu 
befriedigen vermochte. Seine ziemlich rohe Theologie 
erhielt einen neuen Aufschwung, als sie gewisse maz< 
däische Glauhensvorslellungen adoptiert hatte. Ks ist 
kaum zu bezweifeln, daß die Sitte des Tauroboliuras 
samt den auf sie bezüglichen Ideen von Reinheit und 
Unsterblichkeit unter den Antoninen aus den Tempeln 
der Anähita in die der Mater Magna gewandert ist. 
Der barbarische Brauch, auf einen in einer Grube 
verborgenen Mysten das Blut eines Opfertieres herab- 
rinnen zu lassen, welches auf dem jene Grube be- 
deckenden durchlöcherten Bretterboden geschlachtet 
wurde, war vermutlich in Asien seit uralter Zeit ein- 
heimisch. Nach einer bei primitiven Völkern weit ver- 
breiteten Vorstellung ist das Blut der Sitz der Lebens- 
kraft, und der Patient, welcher damit seinen Körper 
übergoß und seine Zunge benetzte, glaubte auf diese 
Weise den Mut und die Stärke des geschlachteten 
Tieres auf seine eigene Person übergehen lassen zu 
können. Dieses heilige Gießbad scheint in Kappa- 
docien in einer großen Anzahl von Heiligtümern 
üblich gewesen zu sein, besonders in denen der Mä, 
der großen einheimischen Göttin, und in denen der 
Anähita. Diese Göttinnen, denen der Stier heilig 
war, wurden von den Griechen allgemein ihrer Artemis 
Tauropolis gleichgesetzt, und die in ihrem Kult ge- 
übte rituelle Übergießung erhielt daher den Namen 
tatiropoUum (laupoTiöXiov), der durch Volksetymologie 
in taurobolium (laupoßöXiov) verwandelt wurde. Aber 
unter dem Einfluß der mazdäischen Glaubens- 
vorstellungen über das zukünftige Leben legte man 



— '37 — 
der Bluttaufe eine tiefere Bedeutung bei. Man 
dachte nicht mehr daran, indem man sich ihr unter- 
zog, die Kraft des Stieres zu erlangen; nicht mehr 
die Wie der auf frischung- der physischen Kräfte sollte 
der „besondere Saft", welcher das Leben erhält, ver- 
mitteln, sondern eine entweder zeitweilige oder sogar 
dauernde Erneuerung der Seele. ^) 

Als das Tanrobolium imter den Kaisem in Italien 
eingeführt wurde, wußte man zuerst nicht, welchen 
lateinischen Namen man der Göttin geben sollte, der 
zu Ehren es gefeiert wurde. Die einen sahen in ihr 
eine Venus caelestis; andere verglichen sie mit 
Minerva wegen ihres kriegerischen Charakters. Aber 
bald nahmen die Priester der Cybele diese seltsame 
Zeremonie in ihre Liturgie auf, offenbar im Ein- 
verständnis mit den offiziellen Autoritäten, weil in 
diesem anerkannten Kultus nichts ohne die Ge- 
nehmigung der Quindecimvirn geändert werden konnte. 
Wir sehen sogar, daß die Kaiser denjenigen, welche 
dieses scheußliche Opfer für ihr Heil darbrachten, 
Privilegien bewilligten, ohne daß wir die Beweg- 
gründe für diese besondere Begünstigung klar er- 
kennen können. Die Wirkung, welche man dieser 
blutigen Reinigung zuschrieb, die ewige Wieder- 
geburt, welche man von ihr erwartete, war den Hoff- 
nungen ähnlich, welche die Mysten des Mithra an die 
Opferung des mythischen Stieres knüpften.^ Die 
Ähnlichkeit dieser Lehren erklärt sich ganz natürlich 
durch die Identität ihres Ursprungs, Das Taurobolium 

t) Die TOTsteliciidei] Zeilen enthalten die Ergebnisse cicer Stndie 
über Le iauroboU et ia culte de Belione, veröffentlicht in der Rrtmt 
d'histoire tt de litUralure religUuses t. VI, 19OI, p. 97 ss. 

2) Vgl, oben S. 107. 



- 138 — 

ist, wie viele Riten der orientalischen Kulte, ein 
Überlebsei aus wilder Vergangenheit, das eine 
Spiritualistische Theologie ihren moralischen Zwecken 
angepaßt hatte. Als charakteristische Tatsache ist 
zu verzeichnen, daß die ersten Opfer dieser Art, 
welche wir von dem Klerus der phrygischen Göttin 
vollziehen sehen, in Ostia stattfanden, wo das Metroon, 
wie wir bereits erwähnt haben*}, an eine mithrische 
Krypta grenzte. 

Der Symbolismus der Mysterien sah jedenfalls 
in der Mater Magna die nährende Erde, welche der 
Himmel alljährlich befruchtet. Ebenso hatten die 
anderen griechisch-römischen Gottheiten, welche sie 
sich angeeignet hatten, ihren Charakter ändern müssen, 
um in ihr dogmatisches System zu passen. Bald 
hatte man sie mit mazdaischen Heroen identifiziert, 
und barbarische Legenden feierten dann die neuen 
Heldentaten, welche sie vollbracht hatten. Bald 
betrachtete man sie als die wirkenden Kräfte, welche 
alle Wandlungen des Universums hervorbrachten. 
Dann stellte man in die Mitte dieses wieder natura- 
listisch g-ewordenen und dadurch seinem ursprünglichen 
Charakter angenäherten Pantheons die Sonne, denn 
sie war die höchste Macht, welche den Lauf aller 
Planeten und sogar die Revolution des Himmels 
regelte, die mit ihrem Licht und ihrer Wärme alles 
Leben auf Erden schuf. Diese ursprünglich astro- 
logische Vorstellung wurde immer mehr vorherrschend, 
in je engere Beziehungen Mithra zum griechischen 
Denken trat, und ein je treuerer Untertan des 
römischen Staates er wurde. 



gl. oben S. 135, 



— »39 — 

Die Verehrung der Sonne, geboren aus* 
Gefühl der Dankbarkeit für ihre täghchen Wohltaten, 
gewachsen durch die Beobachtung ihrer unendlich 
wichtigen Rolle im kosmischen System, war das 
logische Endziel des Paganismus. Sobald die gelehrte 
Reflexion sich daran machte, die heiligen Über- 
lieferungen zu erklären, und in den Göttern des 
Volkes Kräfte oder Elemente der Natur erkannte, 
mußte sie notwendig dem Gestirn einen hervorragen- 
den Platz einräumen, von dem die Existenz unserer 
Erde selbst abhängig ist „Ehe die Religion dazu 
gelangt war, es auszusprechen, daß Gott im Idealen 
und Absoluten, d, h. außerhalb der Weit, zu suchen 
sei, war nur ein einziger Kultus vernünftig imd 
wissenschaftlich, nämlich der Kultus der Sonne."*) 
Seit Plato und Aristoteles betrachtete die griechische 
Philosophie die Himmelskörper als beseelte und 
göttliche Wesen; der Stoizismus brachte neue Argu- 
mente zu gunsten dieser Ansicht bei; der Neupytha- 
goräismus und der Neuplatonismus betonen überdies 
noch den heiligen Charakter des Lichtes, welches 
das stets gegenwärtige Bild des übersinnlichen Gottes 
sei Diese von den Denkern gebilligten Glaubens- 
vorstellimgen wurden durch die Litteratur weit ver- 
breitet und besonders durch solche Werke, in denen 
romantische Fiktionen zur Maskierung eines rein 
theologischen Inhalts dienten. 

Stimmte die Heliolatrie mit den philosophischen 
Lehren der Zeit überein, so war sie nicht minder 

l| Renan, l^tre ä Bertkelol (Dialognes et fragmentR pMo- 
sopliiqueB) p. 168: „Avant que U religion füt anivfe i proclamer qae 
Keu doit fitre mit daas I'nbiolu el l'idinl, t'est-l-dire hors dn inonde, 
DU scdI cultc fnt raiioniuiblc et scientiGquc, ce fnt le culte Au SoleiL" 



— 140 — 

ihren politischen Tendenzen konform. Wir haben 2 
zeigen versucht, welcher Zusammenhang zwischen 
der Anbetung der Kaiser und der des So/ inviclus 
bestand. Als die Cäsaren des 3. Jahrhunderts sich 
für vom Himmel auf die Erde herabgestiegene Götter 
ausgaben, hatte die Inanspruchnahme ihrer ver- 
meintlichen Rechte die Einrichtung eines öffentlichen 
Kultes für die Gottheit, als deren Emanation sie sich 
ansahen, zur logischen Folge. Heliogabal hatte für 
seinen Baal von Emesa die Suprematie über das 
ganze heidnische Pantheon beansprucht. Die Ex- 
centrizitäten und Gewalttätigkeiten dieses haltlosen 
Menschen ließen seinen Versuch kläglich scheitern, 
aber er war zeitgemäß und wurde bald mit besserem 
Erfolge wiederholt. Aurelian weihte in der Nähe 
der Via Flaminia, im Osten des Marsfeldes, ein 
Icolossales Gebäude dem schützenden Gotte, der ihm 
in Syrien den Sieg geschenkt hatte. Die Staats- 
religion, welche er einführte, ist mit dem Mithria- 
cismus nicht zu verwechseln; ihr grandioser Tempel, 
ihre prunkvollen Zeremonien, ihre vierjährigen Spiele, 
ihr Klerus von Pontifices erinnern an die großen 
Heiligtümer des Orients und nicht an die dunkelen 
Grotten, in denen die Mysterien gefeiert wurden. 
Dessenungeachtet konnte der Sol invtctus, welchen 
der Kaiser mit einem bislang unerhörten Pomp hatte 
ehren wollen, von den Gläubigen des Mithra als ihr 
Gott in Anspruch genommen werden. 

Die kaiserUche Politik gab in der offiziellen 
Religion den ersten Platz der Sonne, deren Emanation 
der Souverän war, ebenso wie in den durch die 
Mithriasten verbreiteten chaldäischen Spekulationen 
der königliche Planet die übrigen Gestirne beherrschte. 



I 



Auf beiden Seiten neigte man sogar dazu, in dem 
strahlenden Himmelskörper, der das Weltall erleuchtet, 
den einzigen Gott oder doch das sinnliche Bild des 
einzigen Gottes zu erblicken, und nach dem Vorbilde 
der Monarchie, die auf Erden regierte, den Mono- 
theismus im Himmel zu inthronisieren. Macrobius 
setzt in seinen Satumalien gelehrt auseinander, daß 
alle Gottheiten auf ein einziges, unter verschiedenen 
Gesichtswinkeln angeschautes Wesen zurückzuführen, 
und daß die mannigfaltigen Namen, unter denen man 
es anbete, dem des Helios äquivalent seien. Der 
Theologe, welcher diese radikale Synkrasie ver- 
teidigt, Vettius Agorius Praetextatus , war nicht nur 
einer der höchsten Würdenträger des Reiches, 
sondern auch einer der letzten Häupter der persischen 
Mysterien. 

Der Mithriacismus, wenigstens der des 4. Jahr- 
hunderts, verfolgte mithin das Ziel, durch die Ver- 
einigung aller Götter und Mythen in einer ungeheuren 
Synthese eine neue Religion zu gründen, welche im 
Einklang stehen sollte mit der damals herrschenden 
Philosophie wie mit der Verfassung des Reiches. 
Diese Religion würde ebenso weit von dem alten 
iranischen Mazdaisraus entfernt gewesen sein als von 
dem griechisch-römischen Heidentum, welches den 
siderischen Mächten nur einen ganz unbedeutenden 
Katz gönnte. Sie würde die Idolatrie gewissermaßen 
zu ihrem Ursprung zurückgeführt und in den Mythen, 
welche ihre Bedeutung verschleiert hatten, die ver- 
götterte Natur wieder entdeckt haben. Mit dem 
römischen Prinzip der Nationalität der Kulte brechend, 
würde sie die Weltherrschaft des mit der unbesieg- 
baren Sonne identifizierten Mithra aufgerichtet haben. 



" 142 — 

Ihre Anhänger hofften, indem sie alle Frömmigkeit 
auf ein einziges Objekt konzentrierten, den zersetzten 

Glaubensvorstellungen neue Festigkeit zu geben. 
Der solare Pantheismus war die letzte Zuflucht der 
Konncrvativen, die sich durch eine revolutionäre 
Propagandit bedroht sahen, welche die gesamte alte 
Ordnung der Dinge zu vernichten strebte. 

Zu der Zeit, als dieser heidnische Monotheismus 
In Koni rliiH Scepter ergriff, hatte der Kampf zwischen 
dc-n mithrischen Mysterien und dem Christentum 
Hclion längst begonnen. Beide Religionen waren 
füllt glwlchzcitig auf die Bühne der Welt getreten, 
und ihre Ausbreitung hatte sich unter analogen Be- 
dingungen vollzogen. Beide aus dem Orient ge- 
kommen, verdankten sie ihre äußeren Erfolge den- 
«»flben allgemeinen Ursachen, der politischen Einheit 
und der moralischen Anarchie des Kaiserreiches. 
Die Verbreitung der einen wir die der andern vollzog 
sich mit ähnlicher Schnelligkeit, und an der Neige 
des 2. Jahrhunderts besaßen sie beide Anhänger in 
den entlegensten Gegenden der römischen Welt. 
Die Jünger des Mitlira hatten sich mit vollem Recht 
den hyperbolischen Ausspruch Tertullians aneignen 
dürfen: Ilesterni sumus et vestra omnia imflevimus. ... 
Wenn man die Anzahl der Denkmäler in Betracht 
zieht, welche der persische Kult ims hinterlassen hat, 
so kann man sich sogar fragen, ob zur Zeit der 
Severer seine Adepten nicht zahlreicher gewesen 
sind als die Gläubigen des Christus, Eine andere 
Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionsgemein- 
schaften besteht darin, daß sie beide anfanglich ihre 
Proselyten vor allem in den unteren Klassen der 
Gesellschaft fanden. Ihre Propaganda war ursprünglich 



— 143 — 
im i?eseiiÖichen populär; im Geg^eosatz zu 
philosophischen Schulen wandte sie sich weniger an 
die Gelehrten als an die Menge und appellierte in- 
folgedessen mehr an das Gefühl als an den Verstand, 
Neben diesen Ähnlichkeiten bemerkt man in- 
dessen in den Mitteln und Wegen der beiden Gegner 
bedeutsame Unterschiede. Die ersten Eroberungen 
des Christentums wurden durch die jüdische Diaspora 
begünstigt, und es hat sich zuerst in den Gegenden 
verbreitet, welche mit israelitischen Kolonieen be- 
völkert waren. Seine Gemeinden entwickeln sich 
daher namentlich in den Randländem des Mittel- 
meeres; sie beschränken ihren Wirkungskreis auf die 
Städte, und ihre Vermehrung ist großenteils eine 
Folge von Missionsreisen, welche mit der ausge- 
sprochenen Absicht unternommen wurden, „die Völker 
zu lehren". Die Ausbreitung des Mithriacismus da- 
gegen ist vor allem das natürliche Produkt sozialer 
und politischer Faktoren: der Einfuhr von Sklaven, 
der Translokationen von Truppen, der Versetzungen 
öffentlicher Beamter. In der Verwaltung und in der 
Armee zählt er die meisten Anhänger, also gerade 
da, wo die Christen infolge ihrer Abneigung gegen 
das offizielle Heidentum sehr dünn gesäet bleiben. 
Außerhalb Italiens verbreitet er sich hauptsächlich 
an den Grenzen entlang und faßt er zu gleicher Zeit 
in den Städten und auf dem Lande Fuß; seine 
festesten Stützpunkte findet er in den Donauprovinzen 
und in Germanien, wahrend die Kirche die schnellsten 
Fortschritte in Kleinasien und Syrien macht Die 
Herrschaftsgebiete der beiden rehgiösen Mächte 
fallen mithin nicht zusammen, und beide konnten sich 
lange genug ausdehnen, ohne miteinander in Konflikt 



— 144 — 
xa. geraten. Nur im Rhönetal, in Afrika ui 
allem in der Stadt Rom, wo alle beide tiefe Wurzeln 
geschlag-en hatten, mußte im 3. Jahrhundert der 
Wettstreit zwischen den Kollegien der Mithraanbeter 
und der Gemeinschaft der Christusgläubigen besonders 
lebhaft entbrennen. 

Der Kampf zwischen den beiden rivalisierenden 
Religionen wurde um so hartnackiger gefuhrt, je 
ähnlicher sie ihrem Charakter nach waren. Ihre 
Adepten bildeten in gleicher Weise geheime, fest- 
geschlossene Konventikel, deren Mitglieder sich den 
Namen „Brüder" gaben. ^) Die Riten, welche sie aus- 
übten, boten zahlreiche Analogien: wie die Christen 
reinigten sich auch die Anhänger des persischen 
Gottes durch eine Taufe, empfingen durch eine Art 
Firmelung die Kraft, die bÖsen Geister zu bekämpfen, 
und erwarteten von einer Kommunion das Heil der 
Seele und des Leibes. Wie jene heiligten sie den 
Sonntag, und am 25, Dezember feierten sie die Geburt 
der Sonne, also an demselben Tage, an dem — 
wenigstens seit dem 4. Jahrhundert — das Weihnachts- 
fest stattfand. Ebenso predigten sie eine imperative 
Moral, hielten die Askese für verdienstlich und 
rechneten zu den wichtigsten Tugenden Enthalt> 
samkeit und Keuschheit, Entsagung und Selbstbe- 
herrschung. Ihre Vorstellungen von der Welt und 
dem Schicksal der Menschen waren ähnlicher Natur: 
sie glaubten beide an die Existenz eines Himmels 
der Seligen in überirdischen Regionen und einer 

[) Ich mächte dazu bemerken, daJl selbst der Ausdrock „teuerste" 
oder „liebste Brüder" schon bei den Anhängern des Jupiter Dolichenus 
üblich war (CIL. VI, 406 = 30 758: fratres carissimos et conligai 
Aar^eslissimos\) Dnd valiracheinlich aucli in dcD mitlirischeii Vereinen. 



— 145 — 
von Dämonen bevölkerten Hölle in den Tiefen der 
Erde; sie setzten an den Anfang der Geschichte 
eine Sintflut, sie führten ihre Überlieferungen auf 
eine ursprüngliche Offenbarung zurück; sie glaubten 
endlich an die Unsterblichkeit der Seele, an ein 
jüngstes Gericht und an die Auferstehung der 
Toten im Zusammenhang mit dem schließlichen 
Weltbrande. 

Wir haben gesehen, daß die Theologie der 
Mysterien aus Mithra als „Mittler" das Äquivalent 
des alexandrinischen Logos machte. Gleich ihm war 
Christus der neciTTic der Mittler zwischen seinem 
himmlischen Vater und den Menschen, und gleich 
ihm bildete er das Glied einer Trinität Diese Ver- 
gleichspunkte waren jedenfalls nicht die einzigen, 
welche die heidnische Exegese zwischen beiden 
statuierte, und das Bild des stiertötenden Gottes, 
der sich schweren Herzens dazu entschließt sein 
Opfer zu schlachten, um zu schaffen und die Mensch- 
heit zu erlösen, wurde gewiß mit dem des Heilandes 
verglichen, der sich selbst für das Heil der Welt 
zum Opfer bringt. 

Anderseits stellen die kirchlichen Autoren, eine 
Metapher des Propheten Maleachi wiederaufnehmend, 
der „unbesiegbaren Sonne" die „Sonne der Ge- 
rechtigkeit" gegenüber und erblicken sämtlich in 
der glänzenden Kugel, welche den Menschen leuchtet, 
ein Symbol des Christus, des „Lichtes der Welt", 
Darf man sich darüber wundem, daß die Masse der 
Frommen die subtilen Unterschiede der Gelehrten 
nicht immer respektiert, und daß sie, einer heidnischen 
Sitte folgend, dem strahlenden Giestirn Huldigungen 
dargebracht hat, welche die Orthodoxie Gott selbst 

Cufuotit, Mkhiasmysteriflii. lO 



- 146 - 

vorbehielt? Im 5, Jahrhundert neigten sich nicht nur 
Häretiker, sondern auch wahrhaft Gläubige noch vor 
der flammenden Scheibe, wenn sie sich über den 
Horizont erhob, imd murmelten dabei die Bitte: 
„Erbarme dich unser." 

Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionen 
war so groß, daß sie im Altertum selbst allgemein 
auffiel. Seit dem 2, Jahrhundert zogen die griechi- 
schen Philosophen zwischen den persischen Mysterien 
und dem Christentum eine Parallele, die natürlich 
zum Vorteil der ersteren ausfiel. Die Apologeten 
betonen ihrerseits ebenfalls die Analogieen zwischen 
den beiden rivalisierenden Religionen und erklären 
sie durch satanische Nachäffung der heiligsten Riten 
ihres Glaubens. Wären uns die polemischen Schriften 
der Mithriasten erhalten geblieben, so würden wir 
ohne Zweifel gewahren, daß sie denselben Vorwurf 
gegen ihre Gegner schleuderten. 

Wir dürfen heute nicht mehr daran denken, eine 
Frage zu entscheiden, deren Beantwortung schon die 
Zeitgenossen in zwei feindliche Lager trennte, und 
die zweifellos niemals gelöst werden wird. Wir 
kennen die Dogmen und die Liturgie des römischen 
Mazdaismus und ebenso die Geschichte des Ur- 
christentums zu ungenügend, um beurteilen zu können, 
unter welchen wechselseitigen Einflüssen ihre gleich- 
zeitige Entwicklung sich vollzogen hat. Überdies 
setzt Ähnlichkeit nicht unbedingt Nachahmung voraus. 
Viele Übereinstimmungen zwischen der mithrischen 
Lehre und dem katholischen Glauben erklären sich 
aus ihrem gemeinsamen orientalischen Urspnmge. 
Gewisse Ideen, gewisse Zeremonien müssen trotzdem 
aus dem einen Kultus in den andern verpflanzt sein, 



— 147 — 
aber meist mutmaßen wir diese Anleihen mehr, als 
daß wir sie deutlich bemerken. 

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man aus der 
Legende des iranischen Heros ein Seitenstück zum 
Leben Jesu zu machen strebte, und daß die Schüler 
der Magier eine Anbetung der Hirten, ein Abendmahl 
und eine Himmelfahrt mithrischen Charakters den 
entsprechenden Erzählungen der Evangelien gegen- 
überzustehen suchten. Man verglich selbst den 
gebärenden Fels, der den Genius des Lichtes zur 
Welt gebracht hatte, mit dem unerschütterlichen 
Eckstein, dem Sinnbilde des Christus, auf dem die 
christliche Kirche erbaut war, und sogar die Grotte, 
in welcher der Stier unterlegen war, mit der, in welcher 
Jesus zu Bethlehem geboren wurde.') Aber diese 
erzwungenen Vergleiche konnten nur zu einem Zerr- 
bilde führen. Es war ein außerordentlicher Nachteil 
für den Mazdaismus, daß er nur an einen mythischen 
Erlöser glaubte. Die unerschöpfliche Quelle religiöser 
Erbauung, welche aus der Predigt und der Passion 
des am Kreuze geopferten Gottes entsprang, floß 
niemals für die Gläubigen Mithras. 



1} Jean R^ville (&tudes fubli^fs en hammagc ä. la faculU üe 
Iheologie de Moniauban, igoi, p. 339 s,) Termutet, daS die ciriBtliche 
Erzählung von der Gebnrt Jesn und der Anbctnng der Magier von 
der mithrisclien Legende aogeregt sei, erkennt jedoch an, daß wir 
keinen Beweis fnr diese Anleihe besitzen. Ebenso hält A. Dieterich 
in einem kürzlich erschienenen Artikel {Zi^itschr. /. neutest. Wissensch, 
1902, S. 190), in dem er die Entstehung der Legende von den drei 
Magiern scharfsinnig in erklären sucht, für möglich, daß die Anbetung der 
lliiten aus dem Mithriacismus in die christliche Tradition übergegangen 
•iei. Ich möchte indessen darauf hinweisen, daß die maidälschen 
GlanbcnsvotstelluDgeo über die Ankunft Mithras in der Welt auQer- 
ordentlich wechselnd gewesen sind (cf. T. tt M., t. I, p. 160 s,]. 



a konnten die orthodoxen oder häretischen 
Liturgieen, welche sich im Laufe der ersten Jahr- 
hunderte unserer Zeitrechnung allmähUch fixiert haben, 
durch diese Mysterien mehr als eine Anregung- 
empfangen, da sie unter allen heidnischen die meiste 
Verwandtschaft mit den Institutionen des Christentums 
zeigten. Wir wissen nicht, ob das Ritual der Sakra- 
mente und die Hoffnungen, welche man an sie 
knüpfte, irgendwie den Einfluß der mazdäischen 
Bräuche und Dogmen erfahren haben können. Viel- 
leicht hat die Sitte, täglich dreimal — frühmorgens, 
Mittags und in der Abenddämmerung — die Sonne 
anzurufen, ihr Abbild in den täglichen Gebeten der 
Kirche gefunden, und jedenfalls scheint die Feier der 
Geburt des Weltheilandes auf den 25. Dezember 
gelegt Zu sein, weil man zur Zeit des Wintersolstitiums 
den Natalis Invicii, die Wiedergebiirt des unbesiegf- 
baren Gottes feierte.') Indem die kirchliche Autorität 
dieses Datum adoptierte, welches allgemein durch 
heilige Freudenfeste ausgezeichnet wurde, reinigte 
sie gewissermaßen profane Bräuche, welche sie nicht 
auszurotten vermochte. 

Das einzige Gebiet, auf dem wir den Umfang 
der geraachten Anleihen im einzelnen feststellen 
können, ist das der Kunst. Die weit früher ent- 
wickelte mithrische Skulptur lieferte den christlichen 
Steinmetzen eine Fülle von Vorlagen, welche sie 
einfach übernahmen oder ihren eigenen Zwecken 
anpaßten. So schwebte ihnen der Typus der Mithra 
vor, der dtirch Pfeilschüsse einen Quell lebendigen 
Wassers hervorlockt^, als sie den des Moses schufen, 



— 149 — 
welcher mit seinem Stab an den Felsen des Horeb 
schlägt. Einer althei^e brachten Überlieferung' treu 
reproduzierten sie sogar die Gestalten der kosmischen 
Gottheiten, ^-ie die des Himmels oder der Winde, 
deren Anbetung der neue Glaube verboten hatte, 
und man findet an den Sarkophagen, in den Miniaturen 
und selbst an den Portalen der romanischen Kirchen 
Spuren von dem Einflüsse wieder, den die großen 
Darstellungen ausübten, welche die mithrischen 
Krypten schmückten,') 

Indessen darf man die Bedeutung dieser An- 
näherungen nicht überschätzen. Wiesen das Christen- 
tum und der Mithriacismus einerseits tiefgehende 
Ähnlichkeiten auf, zu denen in erster Linie der 
Glaube an die Reinigung der Seelen und die Hoffnung 
auf eine selige Auferstehung gehörten, so wurden 
sie anderseits durch nicht minder wesentliche Diffe- 
renzen geschieden. Die wichtigste von diesen war 
ihr entgegengesetztes Verhalten gegenüber dem 
römischen Heidentum, Die mazdaischen Mysterien 
suchten es durch eine Reihe von Anpassungen und 
Kompromissen zu gewinnen; sie versuchten den Mono- 
theismus zu begründen, indem sie gleichzeitig den 
Polytheismus unangetastet ließen, während die Kirche 
im Prinzip, wenn auch nicht immer in praxi, die un- 
versöhnliche Feindin aller Idolatrie war. Die erst- 
genannte Haltung war scheinbar die vorteilhafteste: 
sie gab der persischen Religion eine größere Elasti- 
zität und ein besseres Anpassungsvermögen und 
nahm alle diejenigen für den stiertötenden Gott ein, 
welche einen schmerzlichen Bruch mit dem alten 



1) Vgl. den Anhang über die roithrisclie Kui 



— 150 — 

Herkommen und der Gesellschaft ihrer Zeit scheuten. 
Viele mußten sich von Lehren besonders angezogen 
fühlen, welche ihre Sehnsucht nach vollkommenerer 
Reinheit und einer besseren Welt erfüllten, ohne von 
ihnen zu fordern, den Glauben ihrer Vater zu ver- 
fluchen, wie den Staat, dessen Bürger sie waren. 
Während die Kirche inmitten von Verfolgungen 
erwuchs , sicherte diese versöhnliche Politik dem 
Mithriacismus zuerst eine weitgehende Duldung und 
später die Gunst der öffentlichen Autoritäten. Aber 
sie hinderte ihn auch, sich von plumpen und lächer- 
lichen Superstitionen zu befreien, welche sein Ritual 
und seine Theologie entstellten; sie veranlaßte ihn, 
trotz seiner Sittenstrenge, zu einem zweideutigen 
Bunde mit dem orgiastischen Kulte der Geliebten 
des Attis und verpflichtete ihn, die ganze Last einer 
chimärischen oder hassenswerten Vergangenheit mit- 
zuschleppen. Wenn dieser romanisierte Mazdaismus 
gesiegt hätte, so würde er nicht mu" alle Verimingen 
des heidnischen Mystizismus konserviert haben, 
sondern auch die einer verkehrten Physik, auf der 
seine Dogmatik beruhte. Die christliche Lehre, 
welche mit der Verehrung der Natur gebrochen hatte, 
wußte sich von solchen unreinen Beimischungen frei- 
zuhalten; und ihre Ablehnung jedes kompromit- 
tierenden Verhältnisses sicherte ihr eine ungeheure 
Überlegenheit. Ihre negative Kraft, ihr Kampf gegen 
Jahrhunderte alte Vorurteile haben ihr ebensosehr 
die Herzen erobert als die positiven Hoffnungen, 
welche sie zu gewähren vermochte. Während sie 
das Wunder vollbrachte, den Gesetzen und der 
kaiserlichen Polizei zum Trotz die alte Welt zu be- 
siegen, verschwanden die mithrischen Mysterien sofort, 



als die Protektion des Staates sich in Feindschaft 
verkehrte. 

Auf der Höhe ihrer Macht standen sie um die 
Mitte des 3. Jahrhunderts, und einen Augenblick 
lang schien es, als sollte die Welt dem Mithra ge- 
hören. Aber die ersten Einfälle der Barbaren und 
namentlich der endgültige Verlust Daciens {2 7 5 n, Chr.), 
dem bald der der Agri Decumates folgte, bedeuteten 
einen furchtbaren Schlag für die mazdäische Sekte, 
die namentlich an der Peripherie des orbis Romanus 
herrschte. In ganz Pannonien und bis Virunum an 
der italischen Grenze ^vurden ihre Tempel geplündert. 
Dafür hielten die offiziellen Gewalten, die sich durch 
die reißenden Fortschritte des Christentums bedroht 
sahen, mit wachsender Energie den gefahrlichsten 
Gegner nieder, den sie ihr hätten entgegenstellen 
können. Bei dem allgemeinen Zusammenbruch war 
die Armee die einzige Institution, welche sich auf- 
recht erhielt, und die von den Legionen erwählten 
Cäsaren mußten sich notgedrungen auf eine Religion 
stützen, welche namentlich von den Soldaten aus- 
geübt wurde. Im Jahre 273 gründete Aurelian neben 
den Mysterien des stiertötenden Gottes einen reich 
dotierten öffentlichen Kult zu Ehren des Sol invictus. 
Diokletian, dessen Hof mit seiner komplizierten Hier- 
archie, seinen Niederwerfungen vor dem Herrscher 
und seiner Eunuchenschar nach Aussage der Zeit- 
genossen eine Nachahmung des sassanidischen dar- 
stellte, war natürlich dazu geneigt, Lehren persischen 
Ursprungs zu adoptieren, welche seinen despotischen 
Instinkten schmeichelten. Als der Kaiser und die 
Regenten, welche er sich beigesellt hatte, im Jahre 307 
in Camuntum zusammentrafen, restaurierten sie dort 



— 152 — 

einen Tempel des himmlischen Protektors ihre" 
wiederhergestellten Reiches.') Die Christen gingen 
sogar so weit, daß sie den mithrischen Klerus — und 
dem Anschein nach nicht ohne Grund — als den 
Anstifter der großen Verfolgung unter Galerius be- 
trachteten. Eine verschwommen monotheistische 
Heliolatrie schien im römischen Reiche, wie in Iran, 
die einzige und keine andere neben sich duldende 
Religion des Staates werden zu sollen. Da machte die 
Bekehrung Konstantins die Hoffnungen zu Schanden, 
welche die Politik seiner Vorgänger den Anbetern 
der Sonne eingeflößt hatte. Obgleich er niemals 
einen Glauben verfolgt hat, den er selbst einst teilte"), 
so hörte dieser doch auf, ein anerkannter Kult zu 
sein, um nunmehr ein geduldeter zu werden. Seine 
Nachfolger waren ihm entschieden feindlich gesinnt. 
Dem geheimen Mißtrauen folgte die offene Verfolgung-, 
Die christUche Polemik beschränkte sich nicht mehr 
darauf, die Legenden und die Bräuche der mazdäischen 
Mysterien lächerlich zu machen oder selbst ihnen 
vorzuwerfen, daß sie von den unversöhnlichen Gegnern 
Roms gestiftet seien: sie fordert mit lautem Geschrei 
die totale Vernichtung des Götzendienstes, und ihren 
Ermahnungen folgt die Tat auf dem Fuße nach. 
Wenn ein Rhetor uns erzählt^), daß unter Konstantin 
niemand mehr wagte, den Aufgang und den Unter- 
gang der Sonne zu betrachten, daß sogar die Bauern 
und die Seeleute es vermieden, die Gestirne zu be- 
obachten und zitternd ihre Augen auf den Boden 

1) Vgl. oben S. 66. 

7) Vgl. Preger, Kanstantinos - Hilios (Hermes XXXVI) 1901, 
S. 457- 

3) Mamert., Grat. acl. in Julian., c. 23. 



— 153 — 
geheftet hielten, so sind diese emphatischen Dekla- 
mationen nur ein verstärktes Echo der Besorgnisse, 
welche damals alle Heiden erfüllten. 

Die Proklamation Julians führte mit einem 
Schlage eine unerwartete Wendung herbei. Der 
von der gallischen Armee auf den Thron erhobene 
Philosoph hegte seit seiner Kindheit eine geheime 
Verehrung für Helios. Seiner Überzeugung nach 
hatte dieser Gott ihn den Gefahren entgehen 
lassen, welche seine Jugend bedrohten; er glaubte 
von ihm eine heilige Mission empfangen zu haben 
und betrachtete sich als seinen Diener oder vielmehr 
als seinen geistigen Sohn, Er hat diesem himmlischen 
„König" eine Abhandlung gewidmet, welche die Glut 
seines Glaubens stellenweise aus einer frostigen 
theologischen Dissertation in einen flammenden 
Dithyrambus verwandelt, Die Inbrunst seiner frommen 
Verehrung für das Gestirn, welches er anbetete, 
verleugnete sich nicht bis zur Stunde seines Todes. 

Infolge seines abergläubischen Hanges zum 
Übernatürlichen mußte sich der junge Fürst besonders 
von den Mysterien angezogen fühlen. Vor seinem 
Regienmgsantritt, vielleicht schon im Jünglingsalter, 
wurde er von dem Philosophen Maximus von Ephesus 
heimlich in ein mithrisches Konventikel eingeführt. 
Die Einweihuiigszeremonien machten einen tiefen 
Eindruck auf ihn. Er glaubte sich seitdem unter 
Mithras Schutz gestellt, in diesem wie in jenem Leben. 
Sobald er die Maske abgeworfen und sich offen für 
einen Heiden erklärt hatte, berief er Maximus zu 
sich und nahm damals ohne Zweifel seine Zuflucht 
zu außerordentlichen Waschungen und Reinigungen, 
um die Befleckung zu beseitigen, welche er sich 



hatte, indem er die Taufe und 
Kommunion der Christen empfing. Kaum hatte er 
den Thron bestiegen, als er sich beeilte den persischen 
Kult in Konstantinopel einzuführen, und fast gleich- 
zeitig wurden die ersten Taurobolien in Athen voll- 
zogen. 

Überall erhoben die Anhänger der Magier wieder 
ihr Haupt. Als der Patriarch Georgios in Alexandrien 
auf den Trümmern eines Mithraeums eine Kirche 
erbauen woUte, rief er einen blutigen Aufstand hervor. 
Von der Obrigkeit in Haft genommen, wurde er 
vom Pöbel aus seinem Gefängnis geschleppt und 
grausam ermordet am 24. Dezember 361, dem Vor- 
abend des Natalis Jtimcti. Der Kaiser begnügte 
sich damit, der Stadt des Serapis väterliche Vor- 
stellungen zu machen. 

Aber bald kam der Apostat um, und zwar auf 
seinem Feldzuge gegen die Perser, zu dem ihti 
vielleicht der geheime Wunsch verführt hatte, das 
Land zu erobern, welches ihm seinen Glauben 
geschenkt hatte, und die Zuversicht, daß sein Schutz- 
patron, wenn er in die Lage versetzt würde, zwischen 
seinen Huldigungen imd denen seiner Feinde wählen 
zu müssen, die seinigen vorziehen würde. Damit 
scheiterte dieser kurzlebige Reaktions versuch, und 
das Christentum, welches nun endgültig den Sieg 
errungen hatte, beeilte sich einen Irrtum auszurotten, 
der ihm so heiße Kämpfe gebracht hatte. Noch 
ehe die Herrscher die Ausübung des Götzendienstes 
verboten hatten, ermöglichten es ihre Edikte gegen 
Astrologie und Magie, den Klerus und die Gläubigen 
des Mithra indirekt zu fassen. Im Jahre 37 1 wurden 
viele Anhänger der Geheimkulte in ein angebliches 



« 



— '55 — 
Komplott verwickelt und hingerichtet. Der Mystagog 
Maximus fiel selbst einer derartigen Anklage zum 
Opfer. 

Eine Reihe von kaiserlichen Verfugungen traf 
bald darauf die verfehmte Sekte auch immittelbar. 
In den Provinzen kamen oft Volkserhebungen dem 
Einschreiten 'der Magistrate zuvor. Die Menge 
plünderte die Tempel und überlieferte sie im Ein- 
verständnis mit den Behörden den Flammen. Die 
Ruinen der Mithraeen bezeugen die Heftigkeit dieser 
Zerstörungswut. In Rom selbst suchte im Jahre 377 
der Präfekt Gracchus, der die Taufe zu empfangen 
wünschte, dadiu-ch die Aufrichtigkeit seiner Be- 
kehrung zu beweisen, daß er eine Krypta mit all den 
Statuen, welche sie enthielt, „umwühlte, zerbrach, 
vernichtete".^) Oft vermauerten die Priester, um 
ihre unversehrt gebliebenen Grotten der Plünderung 
zu entziehen, deren Eingang, oder brachten auch 
wohl ihre heihgen Bilder in sicheren Verstecken 
unter in der Überzeugung, daß der Sturm, der über 
sie dahinbranste, vorübergehen und nach den Tagen 
der Prüfung ihr Gott ihnen endlich den Sieg be- 
sehe er en würde. Die Christen dagegen, von der 
Absicht geleitet, eine solche Stätte durch die An- 
wesenheit eines Leichnams zu verunreinigen und so 
fortan für den persischen Kultus unbrauchbar zu 
machen, richteten bisweilen den den Gesetzen \m- 
gehorsamen Priester hin und verscharrten ihn unter 
den Trümmern des für immer entweihten Heilig- 
tums (Fig. 8). 



1) Hieron., Sfi. roy ad Lailam (7*. t 
Afilkrje . , . iobiiertU frtgU exausit. 



;. II, p. I 



: Sftatm 



- .56 - 
Die Hoffnung airf eine Restauration erhielt sich 
oaroentlich in Rom lebendig, das die Hauptstadt des 
Heidentums geblieben war. Die Aristokratie, treu 
an den Überlieferungen ihrer Vorfahren hängfeod, 
unterstützte es durch ihre Reichtümer und ihren 
Einfluß. Sie liebte es, sich mit den Titeln „Vater 
und Herold des unbesiegbaren Mithra"' zu schmücken 




. Gefeselts Skelell, geCiuideii 



und steigerte ihre Opferspenden und ihre Stiftungen. 
Doppelt freigebig zeigte sie sich ihm gegenüber, als 
Gratian die Tempel ihrer Güter beraubt hatte 
(382 n. Chr.), Ein Grandseigneur erzählt uns in 
schlechten Versen, wie er eine von seinem Großvater 
in der Xähe der Via Flaminia erbaute glänzende 
Krypta wiederhergestellt und dabei auf jede öffent- 
liche Unterstützung verzichtet habe,') Die Usurpation 



1) CIi.. VI, 774 {T. . 



i- n, p. 94 t 



■ >3)- 



I 
I 



— 157 — 
des Eugenius schien anfanglich die erhoffte Wieder- 
erhebung herbeifuhren zu sollen. Der Präfekt des 
Prätoriums Nicomachus Ftavianus vollzog feierliche 
Taurobolien und erneuerte in einer geweihten Girotte 
die Mysterien des dem Prätendenten „verbündeten 
Gottes" {detim conntem). Aber der Sieg des Theo- 
dosius {394) brachte die Hoffnungen der zurück- 
gebliebenen Anhänger des alten Glaubens endgültig 
zum Scheitern. 

Ein paar geheime Konventikel mochten sich 
immerhin noch in den Kellergewölben der Paläste 
versammeln; und in gewissen abgelegenen Gegenden 
der Alpen oder der Vogesen mag der Kultus des 
persischen Gottes bis in das 5. Jahrhundert fort- 
bestanden haben. So erhielt sich die Anhänglichkeit 
an die mithrischen Riten noch lange bei dem Stamme 
der Anaimi, der ein blühendes und nur durch einen 
schmalen Engpaß zugängliches Tal beherrschte. Aber 
allmählich wandten sich in den lateinischen Ländern 
auch die letzten Gläubigen von einer Religion ab, 
die ebensosehr moralisch als politisch diskreditiert 
war. Mit größerer Zähigkeit behauptete sie sich im 
Orient, ihrer eigentlichen Heimat. Aus den übrigen 
Teilen des Reiches verwiesen, fand sie eine Zuflucht 
in den Gegenden, wo sie geboren war, um hier 
schließlich langsam zu verlöschen. 

Nur die Vorstellungen, welche der Mithriacisrous 
mehr als drei Jahrhunderte lang im Reiche verbreitet 
hatte, sollten nicht mit ihm untergehen. Einige von 
ihnen, sogar die eigenartigsten, wie die, welche sich 
auf die Hölle, die Wirksamkeit der Sakramente und 
die Auferstehung des Fleisches beziehen, wurden 
auch von seinen Gegnern angenommen, und dadurch. 



daß er sie verbreitete, hat er die Weltherrschaft 
der letzteren nur gefordert. Manche seiner heilig-en 
Zeremonien gingen auch in das Ritual der christ- 
lichen Feste oder tn den Volksbrauch über. Seine 
Fundament aisätze waren jedoch mit der Orthodoxie 
unvereinbar und konnten sich daher nur außerhalb 
ihres Herrschaftsgebietes erhalten. Seine Theorie 
über die Einwirkungen der Gestirne, bald verurteilt 
und bald geduldet, wurde durch die Astrologie 
bis an die Schwelle der Neuzeit getragen. Einer 
Religion von größerer Macht, als diese falsche 
Wissenschaft sie besaß, sollten die persischen 
Mysterien mit ihrem Haß gegen die Kirche auch 
ihre Hauptideen und ihren Einfluß auf die Massen 
vererben. 

Obwohl der Manichäismus das Werk eines 
Mannes und nicht das Produkt einer langen Ent- 
wicklung war, zeigte er doch in vielfacher Hinsicht 
Ähnlichkeit mit den Mysterien, Die Überlieferung, 
nach der seine ersten Gründer in Persien mit den 
Priestern des Mithra verkehrt haben sollen, mi^ 
formell ungenau sein: sie enthält dennoch einen 
Kern von Wahrheit Beide Kulte waren im Orient 
aus der Verraischimg der altbabylonischen Mythologie 
mit dem persischen Dualismus entstanden und hatten 
sich in der Folge mit hellenischen Elementen be- 
reichert. Die Sekte des Manes verbreitete sich im 
Reiche während des 4. Jahrhunderts, als der Mithria- 
cismus im Sterben lag, und wurde so da^u berufen, 
seine Erbschaft anzutreten. Alle Mysten, welche 
die Polemik der Kirche gegen den Paganisraus 
wankend gemacht hatte ohne sie zu bekehren, wurden 
mit leichter Mühe für einen vermittelnden Glauben 



— 159 — 

gewonnen, der ihnen gestattete, Zoroaster und Christus 
mit derselben Verehrung zu umfassen. Die weite 
Verbreitung, welche die vom Chaldäismus beein- 
flußten mazdäischen Glaubensvorstellungen gefunden 
hatten, hatte die Geister für die Häresie empfanglich 
gemacht; diese fand somit die Wege geebnet, und 
darauf beruht das Geheimnis ihrer ungewöhnlich 
schnellen Expansion. Die so verjüngten mithrischen 
Lehren sollten noch Jahrhunderte hindurch allen 
Verfolgungen Trotz bieten, imd sogar noch um die 
Mitte des Mittelalters in einer neuen Gestalt wieder- 
auflebend, von neuem die alte römische Welt in 
Aufregung versetzen. 



ANHANG/) 



DIE MITHRISCHE KUNST. 

Die mithrischen Monumente, die in beträchtlicher 
Anzahl in den Provinzen des Abendlandes und selbst 
hn Orient gefunden worden sind, bilden eme homo- 
gene Gruppe, deren Bedeutung für die Geschichte 
der römischen Kunst im folgenden kurz charakte- 
risiert werden soll. Allerdings ist ihr künstlerisches 
Verdienst weit geringer als ihr urkundliches Inter- 
esse, und ihr Hauptwert ist nicht ästhetischer, 
sondern religiöser Art. Die späte Zeit, in welcher 
diese Werke entstanden sind, ninrnit uns von vom- 
herein die Hoffnung, in ihnen der Äußerung einer 
wahrhaft schöpferischen Kraft zu begegnen und an 
ihnen die Fortschritte einer originellen Entwicklung 
verfolgen zu können. Dennoch würde es imbillig 
sein, sie von dem Standpunkte eines engherzigen 
Atticismus aus sämtlich mit der gleichen Gering- 
schätzung zu behandeln. Fehlt ihnen auch die 
Inspiration des Genius, so können doch die Gewandt- 
heit in der Verwertung älterer Motive, die Geschick- 
lichkeit der Ausführung, all die Vorzüge der Technik, 

i) Dieser Anhang ist eine Neubearbeitung der Seiten 213 — 220 
des I. Bandes des Hauptwerkes, die aucb in der Revue archiologique 
(1899, II» P" 193 — 202) erschienen sind. 



— i6i — 

welche sie bisweilen erkennen lassen, diese Bild- 
werke unserer Beachtung hinlänglich empfehlen. 
Einige unserer Rundskulpturen und unserer Bas- 
reliefs — denn die Gemälde und die Mosaiken sind 
so wenig zahlreich, daß man von ihrer Besprechung 
absehen kann — nehmen einen sehr ehrenvollea Platz 
unter der Fülle von Bildwerken ein, welche die Kaiser- 
zeit uns hinterlassen hat, und verdienen, daß wir einen 
Augenblick bei ihnen verweilen. 

Man kann beweisen^), ditß alle unsere Dar- 
stellungen des stiertötenden Mithra, dessen hieratisches 
Bild schon vor der Verbreitung der Mysterien im 
Abendlande iixiert war, mehr oder weniger treue 
Repliken eines Typus sind, den ein Bildhauer der 
pergamenischen Schule nach dem Modell der opfern- 
den Siegesgöttin schuf, welche die Balustrade des 
Tempels der Athena Nike auf der Akropolis schmückte. 
Gewisse Marmorbildwerke, welche in Rom und 
Ostia^ gefunden wurden und zweifellos bis auf den 
Anfang des 2. Jahrhunderts zurückgehen, spiegeln 
noch den Glanz jener machtvollen Komposition der 
hellenistischen Epoche wieder. Nach heißer Ver- 
folgung hat der Gott soeben den niederstürzenden 
Stier erreicht. Ein Knie auf die Kruppe, einen Fuß 
auf einen seiner Hufe stemmend, wirft er sich auf ihn, 
um ihn niederzuhalten, lond ihn mit der einen Hand 
bei den Nüstern packend, bohrt er ihm mit der andern 
ein Messer in die Flanke. Der Schwung dieser be- 
wegten Szene bringt die Gewandtheit und die Kraft 
des unbesiegbaren Helden zur Geltung. Anderseits 



1) CL T. ri M., t. U, p. 180 s. 

2) Vgl. oben S. l8 und 60 (dazu das Titelbild, Tafel I). 
u QODt. MithiiumriteiieD. 1 1 



— l62 — 

lassen der Schmerz des Opfers, welches sterbend röchelt 
und dessen Glieder ein letzter Krampf zusammenzieht, 
wie die einzigartige Mischung von Exaltation und 
Bedauern, welche sich in den Zügen seines Mörders 
ausprägt, die pathetische Seite dieses heiligen Dramas 
hervortreten und teilen dem Beschauer eine Bewegung- 
mit, welche die Gläubigen lebhaft empfunden haben 



Der traditionelle Typus der Fackelträger oder 
Dadophoren') eignete sich nicht zum Ausdruck so 
intensiver Gemütsbewegungen. Dochkannman, wenigf- 
stens an den besseren Exemplaren, sich davon über- 
zeugen, welchen Vorteil der Künstler aus der Weite 
der phrygischen Gewandung zu ziehen verstand, und 
die verschiedenartigen Gefühle, Hoffnung und Trauer, 
erkennen, welche sieb in den Gesichtern der beiden 
einander gegenüberstehenden jungen Leute malen. 
Eine bemerkenswerte Reproduktion dieses göttlichen 
Paares besitzen wir in den beiden nahe am Tiber ge- 
fundenen Statuen, welche Zoega der Zeit Hadrians 
zuwies, und die vielleicht aus dem Orient nach Italien 
gebracht sind.*) Es verdient Beachtung, wie ihr Ur- 
heber den Mangel an Symmetrie zu vermeiden gewußt 
hat, der dadurch entsteht, daß diese beiden zu 
Pendants bestimmten Figuren den Mantel auf der- 
selben linken Schulter befestigt trugen, während 
sie ihn auf der rechten Seite beide herabfallen ließen. 

Die Sorgfalt im Detail, welche für die Werke 
aus der Zeit der Antonine charakteristisch ist, 
offenbart sich mit mehr oder weniger Glück auch 



1) Vgl. oben S. 96. 

2) T. it M., mon. 27, pl. Xl. 



- i63 - 

in den etwas jüngeren Monumenten. Betrachten wir 
die Gruppe von Ostia, die aus der Reg-ierungszeit 
des Comraodus stammt, oder das Basrelief der Villa 
Albani, welches derselben Zeit anzugehören scheint.') 
Der Künstler hat sich darin gefallen, die Falten 
der Gewänder zu vervielfachen, die Haarlocken zu 
verwirren, um seine Geschicklichkeit in der Über- 
windung von Schwierigkeiten zu zeigen, die er sich 
selbst bereitet hatte; aber diese merkwürdige 
Maniriertheit entschädigt nicht für die Frostigkeit des 
Gesamteindrucks. Von besserem Erfolge ist dieses 
minutiöse Verfahren bei den Stücken begleitet, die ge- 
ringere Dimensionen aufweisen. Ein kleiner kürzlich 
in Aquiieia gefundener Marmor zeichnet sich in dieser 
Beziehung „durch ein verblüffendes technisches Ge- 
schick aus".*) Die vorzüglich herausgearbeiteten Fi- 
guren lösen sich fast ganz von dem massiven Block, 
mit welchem sie nur noch durch unbedeutende Stützen 
zusammenhängen. Es ist ein Bravourstück, an 
welchem der Bildhauer seine Virtuosität veranschau- 
licht, einem spröden Material dieselbe Wirkung ab- 
zuzwingen, welche der Ciseleur infolge der Ge- 



I) T. et M., mon. 79, fig. 67 et mon. 38, fig. 45. 

3) C. R. von Schneider, Auserlesene Gegenstände der aatiken 
Samml. in Wien, 1895, S. 9 (vgl. T. et M., t, n, p. 488). Er Ter- 
gleicht mit diesem Werke die Reliefs von der Basis der AntoninuE- 
sätüe {Brunn, Zlenktnä/er griech. and rom. Skulptur. Ta£ 21ob), ein 
Basrelief vom Campo Snjito in Pisa (Dütschkei Bildteerkt in Ober' 
italien I, Nr. äO) und die Büste des Commodus im Konservatoren- 
palsst (Helhig, Führer, 2. Auf!., Nr. 524). Dieselbe Anwendung der 
Metnlltechnik auf Marmor leigen zwei wundervoll erhaltene Büsten, 
die in Smyma entdeckt worden nnd sich jetzt im Museum zu Brüssel 
befinden (Catal. des antiquilis acquises par les -musies rej'aux deputs 
le i" Janvier jgoo, Bruiellcs 1901, no. Iio — lll). 



- 164 - 

schmeidigkeit des Metalls hervorzubringen ver- 
mag. 

Aber Werke von solcher relativen Vollkommen- 
heit sind in Italien und namentlich in den Provinzen 
selten; und man muß zugeben, daß die große Masse 
der mithri sehen Monumente von trostloser Mittel- 
mäßigkeit ist. Die Handwerker oder Steinmetzen — 
sie verdienen keinen anderen Namen — von denen 
diese Arbeiten herrühren, begnügten sich oft damit, 
mit einigen Meißelschlägen die Szene anzudeuten, 
welche sie darstellen wollten. Ein grober Farben- 
anstrich bezeichnete dann gewisse Details. Die 
Modellierung ist oft so roh, daß nur die Umrisse 
ordentlich angegeben sind, wie bei den Hieroglyphen, | 
und das Ganze ebensoviel Zeichnung als Bildhauer- 
arbeit aufweist Allerdings konnten solche unvoll- 
kommenen Darstellungen genügen, weil alle Gläubig-en 
ihren Sinn kannten und sich ihre Lücken durch die 
Phantasie ergänzten, während unsere Unwissenheit 
die Mängel ihrer ungeschickten und undeutlichen 
Ausfühnmg starker empfindet. Nichts de stowenig-er 
sind gewisse kleine Basreliefs niemals etwas anderes 
gewesen als wahre Karikaturen, deren Gestalten 
sich dem Grotesken nähern und durch ihre Un- 
fSrmlichkeit an die Pfefferkuchenmänner erinnern, 
welche man auf unsem Jahrmärkten feilbietet 

Die Nachlässigkeit, mit welcher diese Täfelchen 
hergestellt sind, wird durch ihre Bestimmung ent- 
schuldigt. Die Mysten des Mithra pflegten sie 
nicht nur als Weihge schenke in die Tempel zu. 
bringen, sondern mit ihnen auch ihre bescheidenen 
Wohnungen zu schmücken. Diese häusliche Ver- 
wendimg erklärt die enorme Menge der in Rede 



I 

I 



- .65 - 
Stehenden Denkmäler, welche sich überall gefunden 
haben, wo jener Kult heimisch geworden war. Um 
der unaufhörlichen Nachfrage der Gläubigen ent- 
sprechen zu können, mußten die BUdhauerwerk- 
stätten sie rasch imd in großen Mengen herstellen. 
Die Urheber dieser Schleuderware bezweckten nur, 
die Bedürfnisse ihrer frommen Kundschaft, deren 
künstlerische Ansprüche gering waren, zu mäßigen 
Preisen zu befriedigen. Die antiken Fabrikanten 
verfertigten Hunderte von solchen stiertötenden 
Mithras^), wie unsere Industriellen denselben Kru- 
zifix oder dieselbe Jungfrau Maria in Massen her- 
stellen. So brachte es die religiöse Bilderfabrika- 
tion jener Zeit mit sich, die ebensowenig von 
ästhetischen Gesichtspunkten beherrscht wurde wie 
die heutige. 

Die erwähnten Manufakturen beschränkten sich 
jedoch nicht darauf, beständig Repliken von demselben 
traditionellen Typus anzufertigen, sondern sie ver- 
standen auch Abwechslung in ihr Sortiment zu bringen, 
um für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel etwas 
Passendes bieten zu können. Mustern wir die Reihe 
von Ex-voto, die im Mithraeum von Sarmizegetusa 
(Vdrhely) in Dacien gesammelt worden sind.*) Wir 
finden hier Proben von allen Modellen, welche die 
Werkstätten der Umgegend zu reproduzieren pflegten. 
Man vermeidet die Rundarbeit als zu mühsam und 

1) Das FeUen von MaschmetL scUoS natürlich absolute Gleicb- 
fönnigkeit ans, aber manche unserer Basreliefs sind jeden&iUs von 
derselben Hand ongefertigt oder stammen wenigstens aus derselben 
Werkstatt. Cf. T. ft M., t. II, roon. 45 et 46; 93, fig. 85 et 95, 
f'S- 87; 193 et 192^'= (modern?); 194 et 195. 

2) T. et M., t. U, nos. 138—183. 



— r66 — 

zu kostspielig. Höchstens durchbricht man den 
Marmor an einzelnen Stellen, um die Gruppe des 
stiertötenden Gottes hervortreten zu lassen. Aber 
welche Mannig^faltigkeit in diesen kleinen Basreliefe, 
welche man an den Seiten wänden des Heiligtums 
befestigte! Für einen sehr geringen Preis erhielt 
man ein viereckiges Täfelchen, das nur die Opferung 
des Stieres darstellte. Bisweilen erhöht sich ihr 
Wert durch die Hinzufugung einer Art Predelle. 
die in drei oder vier kleine Felder geteilt ist. In 
anderen Fallen wird wieder die Komposition mit 
einem oberen Register versehen, das mit Nebendar- 
stellungen geschmückt ist. Letztere laufen endlich 
auch an den Seitenrändem des Monumentes herab 
und umrahmen so auf allen vier Seiten die Haupt- 
darstellung Dann läßt der Bildhauer seiner Phantasie 
freien Lauf und kommt auf die Idee, den stier- 
tötenden Gott mit einem Kreise, der mit den Zeichen 
des Zodiakus geschmückt ist, oder mit einem Laub- 
kranz zu umgeben. Er fügt Einfassungen hinzu oder 
läßt sie fort; er verfällt auf den Gedanken, seiner 
behauenen Platte neue Formen zu geben: er gestaltet 
sie quadratisch, oblong, rundbogig, trapezförmig;' 
oder selbst rund. Es giebt auch nicht zwei unter 
diesen Stücken, die ein vollkommen gleiches Aus- 
sehen hätten. 

Wenn diese auf dem Wege der Lohnarbeit 
entstandenen Handelsprodukte mit der Kunst auch 
nur in sehr entfernteiti Zusammenhange stehen, so 
liefern sie doch nützliche Fingerzeige für die Kennt- 
nis der antiken Steinindustrie. Wir haben zahl- 
reiche Beweise dafür, daß ein guter Teil der für die 
Provinz! als tädte bestimmten Skulptm-en in der Kaiser- 



_ 16? - 

zeit in Rom ausgeführt wurde. ^) Dies trifft wahr- 
scheinlich zu für einige unserer Denkmäler, die in 
Gallien gefunden wurden, und sogar für die, welche 
ein Mithraeum in London schmückten.^ Dagegen 
können gewisse Statuen, die in der Hauptstadt ent- 
deckt wurden, aus Kleinasien dorthin gebracht sein,') 
Die schönen Basreliefs von Virunum sind ebenfalls 
von auswärts eingeführt, ohne Zweifel auf dem Wege 
über Äquileia, Aus der Leidensgeschichte der Vier 
Gekrönten kennt man die Bedeutung der panno- 
nischen Steinbrüche*) im 3. Jahrhundert, in denen man 
den Marmor nicht nur zu Tage förderte, sondern auch 
bearbeitete. Diese Werkplätze scheinen ein wich- 
tiges Zentrum für die Fabrikation mithrischer Ex- 
voto gewesen zu sein. Wenigstens stammen mehrere 
von diesen, obwohl sie in den Tempeln Germaniens 
ausgegraben wurden, sicherlich von den Ufern der 
Donau. Diese Feststellimgen werfen ein merk- 
würdiges Licht auf den Handel mit Kirchenschmuck 
zur Zeit des Heidentums. 

Dessenungeachtet sind unsere Monumente der 
Mehrzahl nach ohne irgendwelchen Zweifel an Ort 
und Stelle ausgefiihrt. Das ist ohne weiteres klar 
bezüglich derjenigen, welche in die Wand geebneter 
Felsen gehauen wurden — unglücklicherweise sind 

1) Fricdländer, Sittmgfschichte Roms, Bd. in", S. 280—281. 

2) T. et M., t. n, mon. 267 et la note p. 390. 

3) T. it M., t. n, man. 235 et !a note p. 338. 

4} Wattenbach, Fassio sancl. IV coronat., mit Bemerkungen von 
Benndorf und Mas Büdinger, 1870: vgl. Friedländer 0. u. O. S. 282 f. 
Ein nener Teitt wurde von Wattenbach publiziert in den SB. Akad. 
d. Wisssnsch. Berlin XLVn, I8g6, S. I181 ff. Es gibt eine noch 
nicht edierte griechische Übersetzung davon, cf. AnalfCta BoUandiaiia 
XVI, 1897, p. 337. 



alle stark beschädigt — ; aber die Gewißheit ein- 
heimischer Herstellung ergibt sich auch noch für 
viele andere aus der Beschaffenheit des verwendeten 
Materials. Übrigens zeigt die Technik dieser Stücke 
deutlich genug, daß sie nicht von den auswärtigen 
Meistern eines großen künstlerischen Zentrums her- 
rühren, auch nicht einmal von jenen wandernden 
Bildhauern, welche auf der Suche nach einträglichen 
oder ruhmvollen Aufträgen das Land durchschweiften, 
sondern von den bescheidenen Steinmetzen irgend 
einer benachbarten Stadt. 

Die bedeutendsten Monumente sind zugleich 
diejenigen, deren lokaler Ursprung am besten bezeugt 
ist, denn ihr Transport würde nicht nur mit vielfachen 
Gefaliren, sondern auch mit übermäßigen Kosten 
verbunden gewesen sein. Die Gesamtheit der großen 
mithrischen Basreliefs bildet daher eine der inter- 
essantesten Serien für des Studium der provinzialen 
Kunst in der Kaiserzeit. Zweifellos sind diese 
Skulpturen, welche dazu bestimmt waren, in der 
Äpsis der Tempel der Anbetung der Gläubigen dar- 
geboten zu werden, ebensowenig Meisterwerke wie 
die Masse der Votivtaf eichen, aber man hat sie doch 
nicht mit derselben Sorglosigkeit behandelt wie 
diese, und mau spürt, daß ihre Urheber bemüht waren, 
ihr Bestes zu leisten. Können sie auch nicht ihre 
Originalität in der Erfindung der Sujets dartun, so 
zeugen sie doch von ihrem Geschick in der Gruppierungf 
der Figiu-en und ihrer Gewandtheit in der materiellen 
Ausführung. Außerdem darf man bei der Beiu^eilung 
dieser Stücke nicht vergessen, daß der Maler dem 
Bildhauer zu Hülfe kam, und daß der Pinsel voll- 
enden konnte, was der Meißel nur angedeutet hatte. 



— 169 — 

Auf dem bloßen Mannor oder dem mit Stuck über- 
zogenen Stein brachte man leuchtende Farbentöne 
an: grün, blau, gelb, schwarz und alle Abstufungen 
von rot wurden ohne Diskretion nebeneinander ver- 
wendet. Der Unterschied der Farben markierte die 
großen Umrisse und ließ die untergeordneten Partieen 
hervortreten, Einzelheiten wurden oft sogar nur mit 
dem Pinsel angedeutet. Durch Vergoldung wurden 
endlich gewisse Nebendinge hervorgehoben. Im 
Halbdunkel der unterirdischen Krypten würde das 
Relief der Skulptur ohne diese glänzende Polychromie 
fast gar nicht zu erkennen gewesen sein. Letztere 
gehörte überdies zu den Traditionen der orientalischen 
Kirnst, und schon Lucian stellt die einfachen und an- 
mutigen Formen der hellenischen Gottheiten dem 
prunkenden Reichtum der aus Asien eingeführten 
gegenüber/) 

Die namhaftesten dieser Werke sind in Nord- 
gallien oder, besser gesagt, an der Rheingrenze zu 
Tage gefördert. Anscheinend ist diese ganze Gruppe 
von Monumenten der interessanten Bildhauer schule 
zuzuweisen, welche während des 2. und 3, Jahr- 
hunderts in Belgien blühte, und deren Schöpfungen 
sich vorteilhaft von denen der südlichen Werkstätten 
unterscheiden.^ Man kann das Basrelief von Oster- 
burken^, das vollständigste der Serie, nicht betrachten, 
ohne von dem Reichtum und der durchgängigen 
Harmonie dieser riesenhaften Komposition über- 



1) Luc, Jup. trag. % S. 

2) Friedländer, SittenffesckichU Rotiu, Bd. HI", S. 376 f. - 
NamenÜicli bestcbl eine offenkundige Verwandtschaft iwisehen nnaert 
Basreliers nnd dem Denlfmal za Igel. 

31 T. el M., t, n. no. 246 et pl. VI. 



rascht zu werden. Der verwirrende Eindruck, welchen 
die Anhäufung der Personen und (jiruppen macht — 
ein Fehler, welchen die mithrischen Denkmäler mit 
vielen anderen ihrer Zeit und namentlich mit den im 
großen und ganzen ziemlich überladenen Sarkophag- 
darstellungen gemein haben — wird hier durch die 
kluge Verwendung von Randleisten und Einfassungen 
gemildert. Wenn man die Details aller dieser Ar- 
beiten kritisieren wollte, so würde es leicht sein, 
an ihnen das Mißverhältnis mancher Figuren, die 
Ungeschicklichkeit gewisser Bewegungen und bis- 
weilen auch die Steifheit der Haltung und der Ge- 
wandung zu tadeln; aber über diesen Schwächen 
darf man weder die Feinheit der Arbeit trotz des 
brüchigen Materials , noch vor allem den lobens- ] 
werten Erfolg vergessen, mit welchem eine wahrhaft 
großartige Konzeption zur Ausführung gelangt ist. 
Auf dem Stein nicht nur die Gottheiten, sondern 
auch die Kosmogonie der Mysterien und die Episoden 
der Mithralegende bis zur letzten Opferung des 
Stieres darstellen zu wollen, war ein gefährliches 
Unternehmen, dessen selbst unvollkommenes Gelingen 
schon verdienstlich ist. Schon früher findet man, be- 
sonders auf den Sarkophagen, das Verfahren an- 
gewandt, welches darin besteht, die aufeinanderfolgen- 
den Momente einer Handlung in übereinandergestellten 
Bildern oder aul parallel laufenden Feldern dar- 
zustellen; aber dennoch würden wir nicht ein einziges 
Monimient des römischen Paganismus anzuführen 
vermögen, welches in dieser Hinsicht mit unseren 
großen Basreliefs verglichen werden konnte, xmd um 
einen ähnlichen Versuch wiederzufinden, muß man bis 
zu den langen Kompositionen herabgehen, mit denen 



— 171 - 

die christlichen Mosaikkünstler die Wände der Kirchen 
dekorierten. 

Wir brauchen hier nicht mehr zu untersuchen, 
woher die verschiedenen Darstellungen stammen, 
welche auf unseren Monumenten erscheinen. Wir 
haben uns dieser Aufgabe bereits früher unterzogen 
und sie so gut als möglich zu lösen versucht, indem 
wir jede derselben besonders behandelten,') Doch 
wollen wir nicht unbemerkt lassen, daß man sie trotz 
ihrer Mannigfaltigkeit in zwei oder, wenn man will, 
drei deutlich unterschiedene Klassen teilen kann. 
Eine gewisse Anzahl von Figuren sind ohne weiteres 
den traditionellen Typen der griechisch-römischen 
Kunst entlehnt. Ahura-Mazda, der die sich gegen 
ihn erhebenden Ungeheuer vernichtet, ist ein helle- 
nischer Zeus, der die Giganten niederschmettert; Vere- 
thraghna ist in einen Herkules verwandelt; Helios 
ist der auf seiner gewohnten Quadriga stehende 
langgelockte Ephebe; Neptun, Venus, Diana, Merkur, 
Mars, Pluto, Saturn treten uns in ihrer gewöhnlichen 
Gestalt entgegen, in der Kleidung und mit den Attri- 
buten, die wir seit langem an ihnen kennen. Ebenso 
waren die Jahreszeiten, die Winde, die Planeten 
schon vor der Ausbreitung des Mithriacismus personi- 
fiziert, und dieser hat in seinen Tempeln nur die 
längst allgemein bekannten Modelle reproduziert. 

Dagegen ist eine Gestalt wenigstens die Um- 
bildung eines asiatischen Archetypus: nämlich der 
löwenköpfige Kronos.*) Wie die meisten seines- 
gleichen ist dies Ungeheuer mit Tierkopf eine 



1) VgL Bd. n des Hauptwerkes, 

2) Vgl. ohen S. 82, Fig. 3. 



— 172 - 

Schöpfung der orientalischen Einbildungskraft. Sein 
Stammbaum reicht zweifellos bis in die assyrische 
Skulptur hinauf. Nur haben die Künstler des Occi- 
dents, da sie einen dem griechischen Pantheon fremden 
Gott darzustellen hatten und durch keinerlei Tradition 
gehemmt wurden, ihrer Phantasie freien Lauf g-e- 
lassen. Die verschiedenen Umwandlungen, welche sie 
mit dieser Figur vorgenommen haben, sind einerseits 
durch religiöse Erwägungen veranlaßt — nämlich durch 
die Tendenz, den Symbolismus dieser deifizierten 
Abstraktion mehr und mehr durch die Häufung- ihrer 
Attribute zu steigern — , anderseits durch ein ästhe- 
tisches Interesse — den Wunsch, die Monstrosität 
dieses exotischen Ungetüms nach Möglichkeit zu ver- 
ringern und es nach und nach zu humanisieren. Sie 
unterdrückten schließlich seinen Löwenkopf und be- 
schränkten sich darauf, dieses Tier zu seinen Füßen 
darzustellen oder die Maske der räuberischen Katze 
auf seiner Brust anzubringen. 

Der löwenköpfige Gott der Ewigkeit ist die ori- 
ginellste Schöpfung der mithrischen Kunst, und wenn 
sie auch den Zauber der Anmut durchaus entbehrt, so 
erregt doch die Seltsamkeit ihres Aussehens, die sug- 
gestive Häufung ihrer Attribute die Aufmerksamkeit 
und fordert das Nachdenken heraus. Abgesehen von 
dieser Gottheit der Zeit kann man nur bei gewissen 
Emblemen ihren orientalischen Ursprung nachweisen, 
so bei der auf einen Stab gehängten phrygischen 
Mütze oder bei der Kugel, über welcher ein Adler 
schwebt und die den Himmel bedeutet. Ebenso wie 
die Opferung des Stieres durch Mithra sind die 
übrigen Szenen, in welchen der Heros handelnd auf- 
tritt, ohne Zweifel der Mehrzahl nach nur Trans- 



— 173 — 

^po^Tfionen populärer Motive der hellenistischen Zeit, 
obwohl wir nicht immer das Original wieder auffinden 
können, welchem der römische Bildhauer gefolgt ist, 
oder die Elemente, welche er in seiner Darstellung 
kombiniert hat. Übrigens ist der künstlerische 
Wert dieser Nachbildungen im allgemeinen äußerst 
gering. Wenn man die unlebendige Darstellung 
Mithras, wie er aus seinem Felsen hervorkommt, 
mit der seelenvollen Schilderung der Geburt des 
Erichthonios vergleicht, wie sie uns die Vasenbilder 
vor Augen stellen, so erkennt man, wie viel mehr 
die alten griechischen Keramiker aus einem ähn- 
lichen Vorwurf zu machen verstanden. Die 
Dürftigkeit der Neuerungen, welche die raithrische 
Ikonographie aufzuweisen hat, steht in einem pein- 
lichen Kontrast zu der Bedeutung der religiösen 
Bewegung, aus der sie entsprungen sind. Wir über- 
zeugen uns wieder einmal davon, wie sehr der 
Skulptur in der Zeit, als die persischen Mysterien 
sich im Reiche verbreiteten, die Fähigkeit mangelte, 
einen neuen Aufschwimg zu nehmen. Während man 
in der hellenistischen Periode fiir die ägyptischen 
Gottheiten neue Formen zu schaffen vermochte, 
welche in glücklicher Weise ihrem Charakter an- 
gepaßt waren, mußten in der Kaiserzeit die meisten 
mazdäischen Götter trotz ihrer ganz eigenartigen 
Natur wohl oder übel die Gestalt und das Kostüm 
der Bewohner des Olymps annehmen, und wenn man 
sich dazu verstand, für einige ungewöhnliche Sujets 
neue Typen zu erfinden, so sind diese von trauriger 
Banalität, Der von den voraufgegangenen Genera- 
tionen ererbte überschw angliche Reichtum hatte die 
schöpferische Kraft der Kunst erstickt; gewohnt von 



— 174 ~ 

Anleihen zu leben, war sie zu jeder individuellen 
Produktion unfahiier g'eworden. 

Aber wir wurden den Anhängern des Mithri^ 
cismus unrecht tun, wollten wir von ihnen verlangen, 
was sie uns durchaus nicht zu bieten beabsichtigften. 
Der Kultus, dem sie huldigten, war nicht der der 
Schönheit, und die Liebe zur plastischen Form würde 
ihnen ohne Zweifel eitel, wenn nicht gar verwerflich 
erschienen sein. Ihnen kam es allein auf die religiöse 
Stimmung an, und um diese zu erzeugen, wandten 
sie sich vor allem an den Verstand. Trotz der zahl* 
reichen Anleihen, welche sie bei dem Schatze der 
von der griechischen Skulptur geschaffenen Typen 
machte, bleibt die mithrische Kunst ihrem Wesen 
nach asiatisch wie die Mysterien, aus denen sie er- 
wuchs. Ihre vorherrschende Absicht ist keineswegs, 
einen ästhetischen Eindruck hervorzurufen; sie will 
nicht entzücken, sondern erzählen und belehren, auch 
hierin den Überlieferungen des alten Orients treu. 
Der Wirrwarr der Personen und Gruppen, welche 
sich auf gewissen Basreliefs drängen, die Fülle der 
Attribute, mit welcher man den mithrischen Kronos 
belastet — das alles zeigt uns, daß mit einer neuen 
Form der Religion ein neues Ideal geboren ist Die 
häßlichen oder gleichgültigen religiösen Symbole, 
deren vielfache Verwendung unsere Monumente be- 
zeugen, fesselten den Beschauer nicht durch ihre 
Anmut oder ihren Adel: sie wirkten fascinierend 
auf seinen Geist durch die verwirrende Anziehungs- 
kraft des Unbekannten und riefen in seiner Seele 
die Ehrfurcht vor eiaem erhabenen Mysterium 
hervor. 

So erklärt es sich hauptsächlich, daß diese über- 



— '75 — 

aus raffinierte Kunst trotz ihrer Unvollkommenheiten 
dennoch von bleibendem Einfluß gewesen ist. Sie 
war mit der christlichen Kirnst durch natürliche Ver- 
wandtschaft verbunden, und der Symbolismus, den 
sie im Abendlande popidär gemacht hatte, verschwand 
nicht mit ihr. Selbst die allegorischen Figuren des 
kosmischen Zyklus, welche die Anhänger des persi- 
schen Gottes im Überfluß reproduziert hatten, weil 
die ganze Natur für sie göttlich war, wurden vom 
Christentum übernommen, obwohl sie in "Wirklichkeit 
seinem Geiste widersprachen. So die Bilder des 
Himmels, der Erde und des Meeres, der Sonne, des 
Mondes, der Planeten und der Zeichen des Tierkreises, 
der Winde, der Jahreszeiten und der Elemente, die 
auf den Sarkophagen wie in den Mosaiken und den 
Miniaturen so häufig vorkommen. 

Sogar die mittelmäßigen Kompositionen, welche 
die Kunstler für die Episoden der Mithralegende er- 
funden hatten, erschienen den christlichen Jahrhunder- 
ten, welche sich noch weniger als die vorhergehenden 
von der Überlieferung der Vergangenheit loszusagen 
vermochten, ebenfalls der Nachahmung würdig. 
Als die Bildhauer sich nach dem Siege der Kirche 
vor bisher noch nicht in Angriff genommene Auf- 
gaben gestellt sahen und sich in der schwierigen 
Lage befanden, Personen oder Erzählungen der Bibel 
in Stein ausführen zu müssen, da waren sie froh, daß 
sie sich an die Darstellungen anlehnen konnten, 
welche die persischen Mysterien verbreitet hatten. 
Einige Änderungen des Kostüms und der Haltung 
verwandelten die heidnische Szene in ein christliches 
Bild: Mithra, der mit dem Bogen gegen den Felsen 
schießt, wird zum Moses, der das Wasser aus dem 



— 176 — 

Berge Horeb hervorquellen läßt; Sol, der seinen 
Bundesgenossen über den Ozean entrückt, dient als 
Vorlage für die Himmelfahrt des Elias auf einem 
feurigen Wagen, und bis tief ins Mittelalter hinein 
erhielt sich der T3rpus des stiertötenden Gottes in 
den Bildern Simsons, der den Löwen zerreißt. 



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