Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at |http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen.
1
!
l^^l^- u
.^^
1
il^*p^^^^
i iKSfl^^^i^'^ >' HpIi
^9i\^^ii^^H^
aWffll^^ Jut^
1 '' loHiR
»^Im
Wy^^^
jPHf'^iHB
i
SL
%C^\'-
1
m
i
..Il.~ r.,i.ivlii'l linrylifse (I..iuvrc-Mus(
^um): Sricrtötendcr Mithra.
■
l
,>,„„™»,„..„.
DIE MYSTERIEN
DES MITHRA
EIN BEITRAG ZUR RELIGIONSGESCHICHTE
DER RÖMISCHEN KAISERZEIT VON
FRANZ CUMONT
PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT GENT
AUTORISIERTE DEUTSCHE AUSGABE VON
GEORG GEHRICH
Mir 9 ABBILDUNGEN IM TEXT UND AUF 2 TAFELN
SOWIE EINER KARTE
LEIPZIG
VERLAG VON B. G. TEUBNER
1903
AIXE RECHTE,
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZÜNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
VORREDE DES VERFASSERS ZUR ERSTEN
UND ZWEITEN FRANZÖSISCHEN AUSGABE.
Das vorliegende Buch erhebt keinen Anspruch darauf,
ein Bild von dem Untergange des Heidentums zu bieten.
Man wird in ihm auch keine allgemeinen Betrachtungen
über die eigentlichen Ursachen suchen dürfen, welche den
Erfolg der orientalischen Kulte in Italien erklären. Wir be-
absichtigen hier nicht zu /eigen, wie ihre Lehren — ein
weit wirksameres Ferment der Zersetzung als die Theorieen
der Philosophen — die nationalen Glaubens Vorstellungen
auflösten, auf denen der römische Staat und das gesamte
antike Leben beruhte; und wie dann die Zerstörung des
Gebäudes, dessen Mauern sie in ihren Fugen gelockert
hatten, durch das Christentum vollendet wurde. Ebensowenig
wollen wir hier die verschiedenen Phasen des Kampfes
zwischen der Idolatrie nnd der erstarkenden Kirche verfolgen.
Dieses umfassende Thema, welches wir später einmal be-
handeln zu können hoffen, bildet nicht den Gegenstand
dieser Monographie. Sie beschäftigt sich nur mit einer
Episode ans jener entscheidenden Revolution: sie versucht
nämlich mit möglichster Präzision zu zeigen, wie und warum
eine Abart des MazdaismuE unter den Cäsaren beinahe zur
vorherrschenden Religion des römischen Reiches ge-
worden ist.
Die hellenische Kultur kam nie dazu, bei den
Persern Wurzeln zu schlagen; und den Römern gelang es
ebenfalls nicht, sich die Farther zu unterwerfen. Die be-
deutsame Tatsache, welche die ganze vorderasiatische Ge-
!bte beherrscht, ist, dafs die iranische und die griecEI
lateinische Welt, ebensosehr durch instinktive Antipathie als
durch Erbfeindschaft voneinander geschieden, einer wechsel-
seitigen Assimilation stets abgeneigt blieben.
Dennoch hat die Rehgion der Magier, welche die
vollendetste Schöpfung des iranischen Genius darstellt, drei-
mal die abendländische Kultur beeinflufst. Zunächst übte
der Paraismus eine sehr merkhche Wirkung auf die Ent-
stehung des Judentums aus, und einige seiner Hauptlehreii
verbreiteten sich durch Vertnittelung der jüdischen Koionieen
im ganzen Mittelmeerbecken und wurden später von der
kathoUscIien Orthodoxie übernommen.
Unmittelbarer wirkte der Mazdaismas auf die europäische
Gedankenwelt, als Rom den Osten Kleinasiens erobert hatte.
Seit unvordenklicher Zeit lebten dort in stiller Verborgenheit
Kolonieen von Magiern, die aus Babylon ausgewandert
waren und in diesen barbarischen Gegenden, indem sie
ihre traditionellen Glaiibensvorstellungen mit hellenischen
Ideen verwoben, mit der Zeit einen trotz seiner komplexen
Beschafienheit originellen Kultus herausgebildet hatten. Am
Anfang unserer Zeitrechnung sah man ihn plötzlich aus dem
Dunkel auftauchen und gleichzeitig im Donau- wie im Rhein-
tal und bis in das Herz Italiens vordringen, Die Völker
des Abendlandes empfanden tief, daß der mazdäiache
Glaube ihren alten Nationalreligionen überlegen war, und
die Massen strömten zu den Altären des fremden Gottes.
Aber die Fortschritte des Eroberers stockten, sobald er mit
dem Christentum Fühlung bekam. Mit Erstamien gewahrten
die beiden Gegner,
waren, ohne sich i
Rechenschaft geben
den Geist der Lüge i
parodieren wollen.
: ähnhch sie sich in vieler Hinsicht
den Ursachen dieser Ähnlichkeit
können, Und darum klagten sie
, daS er ihre heiligen Bräuche habe
Der Konflikt zwischen beiden war
unvermeidlich und wurde au einem heißen, unversöhnlichen
Kampfe, denn sein Einsatz war die Weltherrschaft. Niemand
hat uns seine wechselnden Momente berichtet, imd unsere
Phantasie allein vergegeawärtigt sich die einzelnea Akte des
Dramas, welches sich in der Seele der Volksmassen abspielte,
als sie zwischen Onnuzd und der Trinität hin- und her-
schwankten. Wir kennen nur das Ergebnis des Kampfes:
der Mithriadsmus wurde besiegt, und zweifellos miiBte er
es werden. Jedoch ist seine Niederlage niciit ausschließlich
der Überlegenheit der evai^elischen Moral oder der
apostolischen Predigt gegenüber der Lehre der Mysterien
zuzuschreiben; er ist nicht lediglich deshalb zu Grunde ge-
gangen, weil er von der ererbten Last einer überlebten
Vergangenheit zu Boden gedrückt wurde, sondern auch,
weil seine Liturgie und seine Theologie zu asiatisch geblieben
war, als daß der römische Geist sie ohne Widerstreben
hätte acceptieren können. Umgekehrt blieb ebenderselbe
Kampf, der zu gleicher Zeit in Iran zwischen den beiden
Rivalen entbrannt war, für die Christen ohne Erfolg, wonicht
ohne Ehre, und in den Staaten der Sassaniden Heß sich der
Zoröastrisraijs niemals ernstlich antasten.
Aber die Niederlage Mithras bedeutete nicht das Ende
seiner Macht, Er hatte die Geister für die Aufnahme eines
neuen Glaubens vorbereitet, der — wie er selbst — von
den Ufern des Euphrat kam und mit veränderter Taktik
die Feindseligkeiten wieder eröffnete. Der Manlchäismus
erschien als sein Erbe und setzte sein Werk fort. Es war
der letzte Ansturm, den Peraien auf den Occident unternahm,
und er war blutiger als die anderen — aber auch er sollte
schließlich an der Widerstandsfähigkeit des christhchen Reiches
scheitern.
Diese flüchtige Skizze wird, wie ich hoffe, die Wichtigkeit
der Geschichte des Mithriacismus erkennen lassen. Ein
Seitenscbößling des alten mazdaischen Stammes, hat er in
vieler Beziehung die Eigentümlichkeiten der alten Natur-
leligion der iranischen Stämme bewahrt und läßt uns ver-
gleichsweise die so umstrittene Tragweite der avestischen
Reformation besser verstehen. Anderseits hat er gewisse
Lehren der Kirche wenn nicht inspiriert, so doch wenigstens
Q geholfen, wie die VorateUungen von den höllischen
Mächten, und vom Ende der Welt, So trägt sein Äuf-
kommea wie sein Untergang dazu bei, die Entstehungs-
geschichte zweier großer Religionen aufzubellen. In der
Zeit seiner Vollkraft übte er einen nicht minder bemerkens-
werten Einfluß auf die römische Geseilachafl und die
römische Regierung aus. Vielleicht war Europa niemals,
selbst nicht in der Epoche der mohammedanischen Invasionen,
näher daran asiatisch zu werden als im 3. Jahrhundert
unserer Ära; und es gab eine Zeit, in welcher der Cäaariamus
anscheinend im Begriffe stand, sich in ein Khalifat zu ver-
wandeln. Man hat oft auf die Ähnlichkeit hingewiesen,
welche zwischen dem Hofe Diokletians und dem der Chosroes
besteht. Der Sonnenkult und namentlich die mazdäischen
Theorieen machten die Ideen populär, auf welche die ver-
götterten Herrscher ihren monarchischen Absolutismus zu
gründen suchten. Die rapide Aiisbreitung der persischen
Mysterien in allen Klassen der Bevölkerung diente in be-
wunderungswürdiger Weise dem politischen Ehrgeiz der
Kaiser, Eine Sturmflut von iranischen und senütischen
Gedanken brach herein, welche fast alles verschlang, was
der griechische oder römische Geist in mühevoller Arbeit
aufgebaut hatte; und als sich die Überschwemmung endlich
verhef, da ließ sie im Volksbewußtsein einen starken Nieder-
schlag von orientalischen Vorstellungen zurück, der niemala
wieder völlig verschwand.
Ich glaube damit zur Genüge gezeigt za haben, inwiefern
der Gegenstand, den ich zu behandeln versuchte, eme ein-
gehendere Untersuchung verdiente. Obwohl mich das Studium
desselben in jeder Beziehung viel weiter geführt hat, ala
ich anfangs vorauszusehen vermochte, so sind mir die
Arbeits- und Reisejahre doch nicht leid, welche ich ilira
widmen mußte. Daß die Aufgabe , welche ich zu lösen
hatte, eine schwierige war, stellte sich bald genug heraus.
Einerseits wissen wir nicht, in welchem Grade das Aveata
und die anderen heiligen Bücher der Paisen den Vor- J
I
Stellungen der abendländischen Mazdäer entsprechen; ander-
seits steht uns fast nur dieser Kommentar zur Verfügung,
wenn es sich darum handelt, die im Laufe der Zeit in
erheblicher Anzahl gesamraellen figürlichen Denkmäler zu
erklären. Nur die InschiiRen sind ein stets zuverlässiger
Fülirer, aber iiir Inhalt ist, alles in allem, dürftig genug.
Wir befinden uns ungefähr in derselben Lage, als werm wir
die Geschichte der mittelalterlichen Kirche schreiben sollten,
ohne irgend eine andere Quelle zu besitzen als die hebräische
Bibel und plastische Trümmer von romanischen und gotischen
Portalen. Infolgedessen kann die Erklärung der mithrischen
DarsteUungeD häufig nur einen mehr oder weniger hohen
Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen. Ich bilde mir nicht
ein, es immer nu einer im strengen Sinne des Wortes
exakten Entzifferung dieser Hieroglyphen gebracht zn haben,
und will meinen Ansichten lediglich den Wert der Argumente
beilegen, auf die sie sich stützen. Indessen hoffe ich die
allgemeine Bedeutung der heiligea Bilder, welche die
mithrischen Krypten schmückten, bestimmt fixiert zu haben.
Die Einzelheiten ihrer gesuchten Symbolik sind allerdings
schwer zu deuten, und oft muB man da die ars ntsciendi
üben.
Das vorliegende kleine Buch gibt die „Conclusions"
wieder, welche den ersten Band meiner Textes et monumtnts
figur/s relaliß aux viy stires de Mi Ihr a beschließen. Er-
leichtert um die Anmerkungen und Hinweise, welche ihnen
zur Rechtfertigung dienen, beschränken sich diese Seiten
auf eine resümierende Zusammenstellung dessen, was wir
über den Ursprung und die Beschaffenheit der mitiirischen
Religion wissen. Sie werden für den Leser genügen, welcher
sich über die Sache zu orientieren wünscht, Die Unklarheiten
und Lücken der Überlieferung machten es unmöglich, allen
Partieen dieser Rekonstruktion die gleiche Solidität zu geben.
Wer die Stabilität der Grundlagen zu prüfen wünscht, auf
denen sie beruht, wird zu den kritischen Auseinander-
setzungen meiner „Introduction" greifen müssen, welche
VIU —
den Zweck haben, den Sinn und den Wert der Bchriftlichen
Urkunden und namentlich der figurlichen Denkmäler zu be-
stimmen, welche in meiner Sammlung vereint sind.
Während der langen Vorbereitung dieses Werkes habe
ich oft jene Solidarität in Anspruch nehmen müssen, weiche
in aller Welt die Männer der Wissenschaft verbindet, und
selten habe ich mich vergeblich auf sie berufen. Das Ent-
gegenkommen treuer Freunde, von denen mehrere nicht
mehr am Leben sind, ist oft dem Ausdruck meines Wunsches
vorangeeilt und hat mir von selbst dargeboten, was ich
vielleicht nicht zu erbitten gewagt hätte. Im Text des
Hauptwerkes habe ich jedem das Seine wiederzugeben versucht.
Ich will hier keine Aufzählung meiner Mitarbeiter vornehmen
und diese nicht scheinbar für ihre Gefälligkeit belohnen,
indem ich ihnen banale Komplimente widme. Aber mit
dem Gefühle tiefer Dankbarkeit erinnere ich mich der
Dienste, welche sie mir seit mehr als zehn Jahren erwiesen
haben, und am Ende meiner Arbeit angekommen gedenke
ich aller, welche mir geholfen haben sie zu vollenden.
1. Dezember iSoo.
Die vorliegende 2. Auflage, welche der ersten nach
kurzer Zeit folgt, hat wenig Änderungen erfahren. Abgesehen
von zwei oder drei Stellen igt der Text kaum modifiziert.
Dagegen habe ich einige Anmerkungen hinzugefügt, welche
auf neu erschienene Arbeiten verweisen, und eine Auswahl
von Illustrationen beigegeben, die manche Ausführungen am
besten erläutern. Die belangreichste Zugabe ist der Anhang
über die mithrische Kunst; ich glaubte, daß diese archäo-
logische Studie in einer Zeit, wo man sich viel mit den
orientatischen Ursprüngen der römischen Kunst beschäftigt,
wohl auf einiges Interesse rechnen durfte.
Als Pflicht empfinde ich es, hier den Kritikern zu
danken, welche meine Untersuchungen über die Mysterien
des Mithra so wohlwollend beurteilt und freundlich anerkannt
IX
haboi, daß diese Rekonstniktion emer unterg^^^angeo^»!
Re]|gkm auf objekthi» und voUstand^er Inteipretatkm der
QoeUen beruht Bei d^ Dunkelheit der behandelten
Materie waren Meinmigsv^schiedaih^ten freilich nicht tu
vameiden, und meine bisweflen kühnen Schlußfolgerungen
konnten mandien in mehr als einem Punkte irrig erscheinen.
Ich habe diesen Zweifeln bei der Durchsicht meiner Arbeit
Redmung getragen; und wenn ich auch nicht immer glaubte
meine Meinung ändern zu müssen, so habe ich doch die
meintf G^^ner stets zuvor sorgsam erwogen. In diesem
Bändchen aber, wo jede Diskussion ausgeschlossen war,
konnte ich meinen Standpunkt nicht verteidigen. Ich gebe
zu, daß es heikel ist, einen Text ohne die Anmerkungen
zu verö£fentlichen, welche dazu bestimmt sind, jenen xu
stutzen, zu erklären und zu beschranken, aber ich hoffe,
daß der Leser diesen unvermeidlichen Mangel nicht alltu«
sehr fühlen wird.
I. Mai 1902.
Franz Cumont
Professor an der UniversU&t CVetiU
VORREDE DES HERAUSGEBERS.
Professor F. CumoBts große Monographie über die
Mysterien des Mithra (2'c'xles et monumenis figuris relatifs aux
myslh-es de Mithra puiUh avec une inlroduclion critique.
Tome I: Introduction. Tome II: Textes et monuments,
BruxeUes, H. Lamertin, 1899 und 1896. XXVIII, 377;
Vni, 554 S. 4° mit 507 Textabbildungen, 9 Lichtdruck-
tafeln und 1 Karte) bedarf in Deutschland keiner Empfehlung
mehr, seit u. a. so namhafte Gelehrte wie G. Wissowa
(Deutsche Litteraturzeitung 1900, Sp. 1762—1764) und
E. Schürer (Theologische Literaturzeitung iqoo,
Sp. 396 — 397) ihr die höchste Anerkennung gezollt und
dabei auf die Wichtigkeit ihres Gegenstandes für Historiker
und Theologen hingewiesen haben. Ein so umfangreiches
und kostspieliges Werk kann jedoch naturgemäß immer nur
auf einen beschränkten Leserkreis rechnen, zumal im Auslande.
Ans diesem Grunde hatte der Herr Verf. selbst die „Con-
clusions", welche den 2. Teil des zuletzt erschienenen I.Bandes
(p. 223 — 350) bilden und die Resultate seiner Forschungen
zusammenfassen, ohne den wissenschaftlichen Beweisapparat
in einer Sonderausgabe veröffentUcht (F. Cumont, Les
TTtystires de Mithra. Bruxelles, H. Lamertin igoo, VIII,
84 S. 4* mit I Karte). Auf mein Ansuchen, eine deutsche
Übersetzung dieser Sonderausgabe veranstalten zu dürfen,
gingen der Herr Verf. und sein Verleger bereitivilligat ein,
wobei mir jener zugleich in freundlichster Weise seine Hilfe
anbot. Ehe noch der Druck meiner Arbeit begonnen hatte,
erschien bereits die Z. französische Ausgabe jenes Auszugs,
und zwar in etwas verändertet Gestalt (vgl. die Vorrede
des Verf., S. VIII). Alles, was diese an Text und Anmerkungen
mehr bot als die i., ist auch in die deutsche Bearbeitung
aofgenommen . wobei zugleich einige Druckfebler und Ver-
sehen des Originals verbessert werden konnten, Die gering-
fügigen Zusätze des Herausgebers beruhen fast ausnahmslos
auf besonderer Vereinbarung mit dem Herrn Verf. and
sind daher nicht als solche gekennzeichnet; nur den Verweis
auf Baethgens Beiträge zur semitischen Religions-
geschichte (S. 71 Anm. i) für solche, die sich näiier
über die dort genannte Gottheit zu infonnieren wünschen,
habe ich allein zu verantivorten. Die beigegebenen Ab-
bildungen, welche sich in der Rege! auf das Wichtigste
besciiränken, von diesem aber, wie ich hoffe, nichts ver-
missen lassen, sind mit wenigen Ausnahmen dem reichen
Bilderschatze des Hauptwerkes entnommen und finden sich
großenteils auch in der 2. französischen Ausgabe der
Mystires de Miihra, die daneben noch andere Ulustrationen
bringt, Die Karte, welche vorzugsweise zum Gebrauch bei
der Lektüre des 2. Kapitels bestimmt ist, habe ich mit
Hilfe des Herrn Verf. an einigen Stellen verbessert; außerdem
sind die nötigen sprachlichen Änderungen auf ihr vor-
genommen, und endlich in ihrem Gradnetz der Pariser
Null-Meridian durch den allgemeiner gebräuchlichen von
Greenwich ersettt. Wie sich Eigenart und Schicksal des
Mithriacismus schon in dieser Karte abspiegelt, hat neuer-
dings A. Hamack gezeigt (Die Mission und Ausbreitung
des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten.
LeipEig 1902, S, 534ff.).
Sollte meine bescheidene Arbeit etwas dazu beitragen,
die bedeutsamen Forschungen des verdienstvollen belgischen
Gelehrten ihren wesentlichen Ergebnissen nach bei uns in
weiteren Kreisen bekannt zu machen, so würde die von mir
aufgewandte Mühe nicht vergeblich gewesen sein. Hat doch
der Mithriacismus gerade in Deutschland besonders zahl-
reiche und interessante Spuren hinterlassen: hier hat man
(
die meisten mithrischen Krypten und die größten Basreliefs
za Tage gefördert (vgl. S. 30 f,). Da das vorliegende Buch
in der Hauptsache für jeden Gebildeten verständlich ist,
so wendet es sich auch an solche Leser, die nicht Fach-
gelehrte sind, und wer z. B. durch H. St. Chamberlains
geistreiches und scharf pointiertes Werk über Die Grund-
lagen des ig. Jahrhunderts Interesse an dem „Völker-
chaos" gewonnen hat, welches der eherne Ring der römischen
Legionen umschloß, der findet hier ein anschauliches Bei-
spie! von den religiösen Vorstellungen und Motiven, welche
damals Hirn und Herz der Massen erfüllten und beherrschten.
Dem historisch und religio na philosophisch geschulten Leser
aber wird nicht entgehen, daß auch diese Einzelachilderung
wieder an mehr als einer Stelle absichtslos den Beweis
dafür liefert , daß man die Kenntnis der sogenannten
primitiven Religionen gerade dann nicht entbehren kann,
wenn man vor die Aufgabe gestellt wird, die religiösen
Vorstellungen und Bräuche hüherer Kulturstufen richtig zu
deuten — eine Tatsache, die von manchen Seiten immer
noch nicht genügend anerkannt und ebensowenig praktisch
tierücksichtigt wird. Daß der Anhang über die mithrische
Kunst für Archäologie und Kunstgeschichte nicht ohne Belang
sein dürfte, hat der Herr Verf. schon in seiner Vorrede
bemerkt; ich möchte noch hinzufügen, daß m. E, von dem
3. Kapitel bezüglich des romischen Staatsrechts dasselbe gilt.
Schließlich habe ich die angenehme Pflicht zu erfüllen,
dem Herrn Verf. auch an dieser Stelle für das lebhafte
Interesse und die ausgiebige Unterstützung zu danken, welche
er meiner Arbeit gewidmet hat, und ebenso dem Herrn
Verleger B, G. Teubner für die Bereitwilligkeit, mit welcher
er meinen Wünschen bezüglich der Ausstattung des Buches
Stellichte {Regbez. Lüneburg), 11. Febr. 1903.
Georg Gehrich
INHALT.
Erstes Kapitel. seite
Die An&ige i — 23
Mithra ist ein indo-iranischer Gott i. — Die Hypothese
einer Entlehnung aus Babel 2. — Der avestische Mithra 2. —
Der Mithra der Achämeniden 7. — Die Verbreitung seines
Kultus im persischen Reiche 9. — Mithra und die Dia-
dochen 10. — Der Synkretismus der alexandiinischen
Epoche 13. — Der Mazdaismus in Armenien 14 — in
Kleinasien 14. — Kombinierung mit den griechischen
Grottem 16. — Einfluß der griechischen Kunst und der
stoischen Philosophie 17. — Festigkeit der Liturgie 18. —
Der Mazdaismus nimmt die Form der Mysterien an 20. —
Ankunft Mithras in Cilicien 23.
Zweites Kapitel.
Die Ausbreitung im römischen Reiche . . . 24 — 62
Mithra dringt nicht in die griechische Welt ein 24. —
Seine Verbreitung im Abendlande 25. — Datum seiner
Ankunft in Italien 27. — Sein Kultus wird durch die
orientalischen Soldaten an den Grenzen verbreitet 29. —
Seine Ausbreitung in Mösien 32 — in Dacien und Pan-
nonien 33 — in Camuntum 36 — in Rhatien 38 — in
Germanien 38 — in Belgien 40 — in Britannien 41 — in
Afrika und Spanien 42. — Einfluß der Veteranen 43. —
Andere Faktoren: die syrische Diaspora 45. — Die orien-
talischen Sklaven 47. — Verbreitung des Mithriacismus in
den Mittelmeerhäfen 47 — im Rh6netal 49. — Die
Sklaven führen ihn in Italien ein 51 — ebenso in Noricum
— XIV —
Seite
und Pannonien 53. — Die Beamten sklavischer Her-
kunft 54. — Verschiedene Ursachen der Ausbreitung des
Kultus 56. — Die Provinzen, von denen er ausgeschlossen
blieb 58. — Sein Erfolg in Rom 58. — Er gewinnt die
oberen Stände der Gresellschaft für sich 60. — Die
Schnelligkeit seiner Verbreitung 61.
Drittes Kapitel.
Mithra und die kaiserliche Gewalt 63 — 79
Der Mithriacismus ist nicht verfolgt 63. — Die recht-
liche Stellung der Kollegien seiner Bekenner 64. — Die
Gunst der Kaiser 65. — Ihre Ursachen: Theorieen über
die Grottheit der Herrscher 66 — in Ägypten, bei den
Persem und unter den Diadochen 68. — Das Hvarend
wird zur TOxil ßaciX^iwc 71 — und zur Fortuna Augtisii'j2,
— Die Beinamen pius, felix^ imnctus und aetemus 73. —
Das Feuer der Cäsaren und die Strahlenkrone 75. — Die
Sonne und der Kaiser sind wesensgleich 76. — Deus et
dominus natus ']'], — Resultat 78.
Viertes Kapitel.
Die Lehre der Mysterien 80 — iio
Die Unmöglichkeit, die Entwicklung der mithrischen
Theologie zu verfolgen 80. — Der höchste Gott ist die
Unendliche Zeit 81. — Theogonie: die ursprüngliche
Trias Himmel, Erde und Ozean oder Jupiter, Juno,
Neptun 83. — Die anderen Grötter Kinder des Jupiter
und der Juno 84. — Ahriman und die Dämonen 85. —
Die mithrische Kosmologie: der Kult der vier Ele-
mente 86. — Die Allegorie der Quadriga 87. — Sonne
und Mond 88. — Chaldäische Einflüsse 89. — Die
Planeten und die Zeichen des Tierkreises 90. — Die
himmlischen Hemisphären oder die Dioskuren und
Atlas 92. — Die Lehre vom Schicksal: Astrologie und
Superstition 92. — Die wohltätigen Götter 93. — Mithra,
der Genius des Lichtes und |üi€c{Tr)C, wird in Babylon
mit der Sonne identifiziert 95. — Die Trias Mithra,
XV
Seite
Cautes und Cautopates 96. — Die mazdäische Legende:
Gebnrt Mithras 97. — Legende von Mithra und der
Sonne 98. — Legende von Mithra und dem Stier 98.
— Die Schöpfung der Pflanzen und Tiere 99. — Das
Menschengeschlecht von einer Dürre, einer Überschwem-
mung und einem Brande bedroht 100. — Festmahl und
Himmelfahrt des Sol und des Mithra lOl. — Die Be-
ziehungen zwischen Mithra und dem Menschen loi. —
Die Moral des Mithriacismus 102. — Mithra ist der
Schutzpatron seiner Glaubigen 103. — Schicksal der
Seele nach dem Tode 104. — Auferstehung des Fleisches
und Weltbrand 106. — Ergebnisse 107.
Fünftes Kapitel.
Die Liturgie, der Klerus und die Gläubigen iii — 131
Verlust der heiligen Bücher des Mithriacismus lil.
— Festhalten am persischen Ritual 112. — Die sieben
Weihegrade 112. — Ursprung der Verkleidungen in
Tiere 113. — Die Diener und die Teilnehmer 115. —
Die Väter 115. — Einweihungszeremonien, die Sakra-
mente: mithrische Taufe, Firmelung und Kommunion 116.
— Die Prüfungen I19. — Der Eindruck dieser Zere-
monien 121. — Der Klerus 122. — Die tägliche Li-
turgie und die Feste 124. — Die mithrischen soda-
licia 125. — Ihre Beamten und ihre Finanzen 126. —
Die beschränkte Anzahl ihrer Mitglieder 128. — Aus-
schluß der Frauen 130.
Sechstes Kapitel.
Mithra und die Religionen des Kaiserreiches 132 — 159
Toleranz des Mithriacismus 132. — Seine Be-
ziehungen zu den orientalischen Kulten: Isis, Jupiter
Dolichenus 134. — Sein Bündnis mit der Mater
Magna 135. — Das Taurobolium 136. — Die Theologie
mündet in den solaren Synkretismus aus 138. — Sie
entspricht damit der Philosophie und den politischen
Tendenzen des Reiches 139. — Letzter Anlauf des Pa-
XVI
Seite
ganismiis zum Monotheismus 140. — Der Kampf der
Mithramysterien und des Christentums 142. — Ähnlich-
keiten und Unterschiede in ihrer Ausbreitung 142. —
Die Verwandtschaft ihrer Lehren 144. — Der Cregensatz
ihrer Tendenzen 149. — Der Mithriacismus wird von
den Kaisem unterstützt 151. — Die Bekehrung Con-
stantins 152. — Die Restauration Julians 153. — Eine
heftige Verfolgung folgt ihr 154. — Die römische
Aristokratie bleibt Mithra treu 156. — Verschwinden
seines Kultus 157. — Die Ideen, welche er hinterlassen
hat; der Manichaismus ist sein Erbe 157.
Anhang.
Die mithrische Kunst 160—176
Die Bedeutung der mithrischen Bildwerke für die
römische Kunstgeschichte 160. — Die Darstellung
Mithras 161 — der Dadophoren 162. — Sorgfeit der
Ausfuhrung einzelner Monumente 162. — Die trostlose
Mittelmäßigkeit der meisten 164 — wird durch ihre Be-
stimmung entschuldigt 164. — Fabrikation und Vertrieb
der mithrischen Ex-voto 165. — Die großen Basreliefs
als Proben der provinzialen Kunstübung in der Kaiser-
zeit 168. — Polychromie 168. — Die nordgallische
Bildhauerschule und das Basrelief von Osterburken 169.
— Die Herkunft der dargestellten Typen 171. — Der
löwenköpfige Kronos 171. — Zweck der mithrischen
Bildwerke 174. — Die Nachwirkungen der mithrischen
Kunst und ihre Bedeutung für die altchristliche 175.
Berichtigung.
S. 10, Z. 15 utid 22 statt Kappodocien lies Kappadocien.
DIE ANFANGE.
Schon in der unbekannten Epoche, als die Vor-
fahren der Perser noch mit denen der Hindus vereint
waren, beteten sie den Mithra an. Die Hymnen der
Veden feiern seinen Namen wie die des Avesta, und
trotz der Verschiedenheit der beiden theologischen
Systeme, welche diesen Büchern zu Grunde liegen,
haben der vedische Mitra und der iranische Mithra
so viele ähnliche Züge behalten, daß man an der
Gememsamkeit ihres Ursprungs nicht zu zweifeln
vermag. Beide Rehgionen erblicken in ihm eine
Lichtgottheit, welche zugleich mit dem Himmel an-
gerufen wird, der dort Vanina, hier Ahura heißt; in
moralischer Beziehung erkennen sie ihn als Schirm-
herm der Wahrheit an, als Gegner der Lüge und
des Lrtums. Aber die heilige Poesie Indiens hat
von ihm nur eine halberloschene Erinnerung bewahrt.
Nur ein einziges ziemlich farbloses Stück ist ihm
besonders gewidmet. Er erscheint vor allem ge-
legentlich in Vergleichen, welche von seiner ver-
gangenen Größe zeugen. Aber wenn auch seine
Physiognomie in der Sanskritliteratur nicht ebenso
deutlich hervortritt wie in den Zendschriften, so reicht
doch diese Unbestimmtheit der Umrisse nicht dazu
aus, um die ursprüngliche Identität seines Charakters
zu verschleiern.
Nach einer neueren Theorie gehörte dieser Gott,
den die europäischen Völker nicht kennen, auch nicht
zu dem alten Pantheon der Aryas. Das Paar Mitra-
Varuna und die fünf anderen von den Veden be-
sungenen Adityas, ebenso wie Mithra-Ahura und die
Amshaspands, welche den Schöpfer nach der aves-
tischen Vorstellung umgeben, wären nichts anderes
als die Sonne, der Mond imd die Planeten, deren
Kultus von den Indo-Iraniern einem benachbarten
Volke entlehnt worden wäre, „welches ihnen in der
Kenntnis des gestirnten Himmels überlegen war", d. h,
aller Wahrscheinlichkeit nach den akkadischen oder
semitischen Einwohnern Babyloniens. ') Aber diese
vorausgesetzte Übernahme muß sich, falls sie tat-
sächlich stattgefunden hat, in prähistorischer Zeit
vollzogen haben, und da wir es nicht versuchen wollen,
das über jener Vergangenheit ruhende Dunkel zu
lichten, so wird für uns die Feststellung genügen,
dafs die Stämme Irans vom Anfange ihrer Herrschaft
bis zu ihrer Bekehrung zum Islam niemals aufgehört
haben, Mithra einen Kultus zu widmen.
Im Avesta ist Mithra der Genius des himmlischen
Lichtes, Er erscheint vor Sonnenaufgang auf den
felsigen Gipfeln der Berge; während des Tages
durcheilt er auf seinem von vier weißen Rossen ge-
zogenen Wagen die Räume des Firmaments, und wenn
die Nacht hernieder sinkt, so erleuchtet er noch mit
einem Ungewissen Schimmer die Oberfläche der Erde,
„immer umsichtig, immer wachsam". Er ist weder
die Sonne, noch der Mond, noch das Stemenheer,
sondern mit Hülfe dieser „tausend Ohren und dieser
l) Oldenberg, Die Religion des Veäa, 1894, p. I85.
zefantaiisend Augfen" überwacht er die Welt, Mithra
hört alles, sieht alles, er ist allwissend, niemand
vermag ihn zu täuschen. Durch eine naheliegende
Übertragung' ist er in moralischer Beziehung der Gott
der Wahrheit und der Rechtschaffenheit geworden,
den man beim Schwur anruft, der die Verträge schützt
und die Meineidigen straft.
Indem das Licht die Dunkelheit zerstreut, führt
es die Freude und das Leben auf die Erde zurück;
die Wärme, welche es begleitet, befruchtet die Natur.
Mithra ist „der Herr der weiten Fluren", der sie
fruchtbar macht. „Er gibt das Gedeihen, er gibt den
Überfluß, er gibt die Herden, er gibt den Nachwuchs
imd das Leben." Er gießt die Wasser aus und läßt
die Pflanzen sprießen; er verleiht dem, welcher ihn
ehrt, die Gesundheit des Leibes, die Fülle des Reich-
tums und eine glücklich veranlagte Nachkommen-
schaft. Denn er ist nicht nur der Spender materieller
Vorteile, sondern auch der der Eigenschaften der
Seele. Er ist der freundliche Wohltäter, der zu-
gleich mit dem Glücke den Frieden des Gewissens,
Weisheit und Ruhm schenkt und Eintracht unter
seinen Gläubigen herrschen läßt. Die daevas, welche
die Finsternis bevölkern, verbreiten auf Erden mit
Unfruchtbarkeit und Leiden alle Laster und alle Un-
reinheit, Mithra, „wachend ohne Schlaf, schützt die
Schöpfung Mazdas" gegen ihre Anschläge. Er be-
kämpft unermüdlich die Geister des Bösen, und die
Frevler, welche diesen dienen, empfinden mit ihnen
die furchtbaren Wirkungen seines Zorns, Von der
Höhe seiner himmlischen Wohnung herab erspäht er
seine Widersacher; bis an die Zähne bewafEhet stürzt
er sich auf sie, zerstreut sie und schlachtet sie hin.
Er verwüstet und entvölkert die Häuser der Gott-
losen, er vernichtet die Stämme und Nationen, welche
ihm feindlich sind. Anderseits ist er der mächtige
Verbündete seiner Gläubigen auf ihren Kriegs zügen.
Die Streiche ihrer Feinde „verfehlen ihr Ziel, weil
der erzürnte Mithra kommt, um sie aufzufangen", und
er sichert denen den Sieg, welche „fromm vom Guten
unterwiesen, ihm pietätvoll huldigen und ihm die
I-ibationen zum Opfer bringen".'}
Dieser Charakter eines Gottes der Heere, welcher
bei Mithra seit der Zeit der Achämeniden vorwaltet,
hat sich ohne Zweifel schärfer ausgeprägt während
der verworrenen Zeit, als die iranischen Stämme sich
noch gegenseitig befehdeten; aber er ist im Grunde
genommen nur ein Entwicldungsprodukt der uralten
Vorstellung von einem Kampfe zwischen Tag und
Nacht. Im allgemeinen ähnelt, wie bereits gesagt
wurde, das Bild, welches uns das Avesta von der
alten arischen Gottheit bietet, dem, welches die Veden
in minder bestimmten Zügen von ihr entwerfen, und
daraus folgt, daß der Mazdaismus ihre ursprüngliche
Natur nicht wesentlich verändert hat.
Wenn aber die Zendhymnen die charakteristische
Physiognomie des alten Lichtgottes noch durch-
schimmem lassen, so hat das zoroastrische System,
indem es seinen Kult übernahm, seine Bedeutung in
einzigartiger Weise reduziert. Um in den avestischen
Himmel einzugehen, hatte er sich seinen Gesetzen
beugen müssen. Die Theologie hatte Ahura-Mazda
an die Spitze der himmlischen Hierarchie gestellt,
und seitdem konnte sie jenen nicht mehr als eben-
I) Zend-Avesta, Ya^bt X, passu
bürtig anerkennen. Mithra wurde nicht einnial unter
die sechs Amshaspands eingereiht, welche dem
höchsten Gott die Welt regieren helfen. Man hat
ihn mit der Mehrzahl der alten Naturg-otlheiten in
die Schar der niederen Genien, der von Mazda ge-
schaffenen Yazatas, verwiesen mid ihn in Beziehung
zu einigen der deifizierten Abstraktionen gebracht,
welchen die Perser einen Kultus zu widmen gelernt
hatten. Als Schirmherr der Krieger hat er zum
Begleiter Verethraghna, den Sieg, erhalten; als Ver-
teidiger der Wahrheit ist er verbunden mit dem
frommen Sraosha, dem Gehorsam gegen das göttliche
Gesetz, mit Rashnu, der Gerechtigkeit, Arshtät, der
Redlichkeit, als Spender des Glücks wird er an-
gerufen mit Ashi-Vanuhi, dem Reichtum, und mit
Pärendt, der Fülle. In Begleitung von Sraosha und
Rashnu schützt er die Seele des Gerechten gegen
die Dämonen, welche sie in die Hölle zu stürzen
suchen, und unter ihrem Schutze erhebt sie sich bis
in das Paradies. Aus dieser iranischen Glaubens-
vorstellung ist die Lehre von der Erlösung durch
Mithra hervorgegangen, welche wir in entwickelter
Gestalt im Occident wieder antreffen werden.
In derselben Zeit wird sein Kultus einem strengen
Ceremoniell unterworfen, wie es der mazdäischen
Liturgie entspricht. Man soll ihm zum Opfer bringen
„Kleinvieh und Grofsvieh und fliegende Vögel". Diese
Opfer sollen eingeleitet oder begleitet werden von
den gewöhnlichen Libationen von Haoma-Saft und
der Recitation der vorgeschriebenen Gebete, mit dem
Zweigbündel [baresman) in der Hand. Aber bevor er
sich dem Altar nähern kann, muß der Gläubige sich
durch wiederholte Waschungen und Geißelungen
reinigen. Diese rigorosen Vorschriften erinnern an
die Taufe und die körperlichen Proben, welche den
romischen Mysten vor der WeUie auferlegt wurden.
So hatte man Mithra in das theologische System
des Zoroastrismus aufgenommen, man hatte ihm einen
passenden Platz in der Götterhierarchie angewiesen,
man hatte ihm Begleiter von vollkommener Ortho-
doxie zugesellt, man brachte ihm einen Kult dar
analog dem der anderen Genien. Aber seine starke
Persönhchkeit hatte sich nur mit Mühe den strengen
Regeln gefügt, welche ihr auferlegt worden waren,
und in dem heiligen Texte findet man Spuren einer
älteren Vorstellung, nach welcher er im iranischen
Pantheon eine weit erhabenere Stellung einnahm.
Mehrfach wird er mit Ahura in derselben Anrufung
verbunden: die beiden Götter bilden ein Paar, denn
das himmlische Licht und der leuchtende Himmel sind
unzertrennlich in der Natur. Femer, wenn gesagt
wird, daß Ahura Mithra geschaffen habe wie alle
Dinge, so hat er ihn doch ebenso grofs gemacht, als
er selbst ist, Mithra ist zwar ein Yazata, aber er ist
der stärkste, der ruhmreichste der Yazatas. „Ahm-a-
Mazda hat ihn eingesetzt, die ganze bewegliche Welt
zu hüten und über sie zu wachen."^) Durch Ver-
mittlung dieses immer siegreichen Kriegers vertilgt
das höchste Wesen die Dämonen und läßt es den
Geist des Bösen, Ahriman, selbst erzittern.
Vergleichen wir diese Texte mit der berühmten
Stelle, wo Plutarch^ ims die dualistische Lehre der
Perser auseinandersetzt: Oromazdes tront in ewiger
1) Yasht X, 103.
2) Plut., ZJrf /liäe et Osirids, 46—47 {Textes et Monuments,
i-n, p. 33).
— 7 —
Klarheit „ebenso hoch über der Sonne, als die Sonne
von der Erde entfernt ist", Ahriman regiert in der
Nacht der Unterwelt, und Mithra nimmt eine mittlere
Stellung zwischen ihnen ein. Der Anfang des
Btindahish') verkündet eine ganz ähnliche Theorie,
nur daß an Stelle Mithras die Luft (Vayu) zwischen
Ormuzd und Ahriman gesetzt wird. Der Unterschied,
um den es sich hier handelt, ist jedoch nur ein
formaler, denn nach iranischer Auffassung ist die
Luft unauflöslich verbunden mit dem Licht, als dessen
Tr%erin sie gilt. Also ein höchster Gott, über den
Gestirnen im Empyreum thronend, wo beständige
Heiterkeit herrscht: unter ihm ein tätiger Gott, sein
Botschafter, der Anführer der himmlischen Heere in
ihrem ununterbrochenen Kampfe gegen den Gott der
Finsternis, welcher aus der Tiefe der Hölle seine
Dafevas auf die Oberfläche der Erde sendet — das
ist die religiöse Vorstellung, welche, weit einfacher
als die des Zoroastrismus, von den Untertanen der
Achämeniden im Allgemeinen angenommen zu sein
scheint.
Die hervorragende Rolle, welche die Religion
der alten Perser Mithra zuerkannte, wird durch eine
Fülle von Beweisen bezeugt. Nur mit der Göttin
Anähita zusammen wird er in den Inschriften des
Artaxerxes neben Ahiu-a-Mazda angerufen. Die
Großkönige hegten sicherlich für ihn eine spezielle
Verehrung und betrachteten ihn als ihren besonderen
Protektor. Ihn nehmen sie zum Zeugen der Wahrheit
ihrer Worte, ihn rufen sie an, wenn es in die Schlacht
I) West, Pahlavi Tixti. I {= SaaeJ Boo.
1880, p. 3 SS.
geht. Ohne Zweifel sah man in ihm den, welcher
den Monarchen den Sieg verlieh; er ließ auf sie, so
dachte man, jenen geheimnisvollen Glanz herab-
kommen, welcher nach mazdäischem Glauben für die
Fürsten, deren Autorität er heiligt, ein Unterpfand
beständiger Erfolge ist.
Der Adel folgte dera Beispiel des Souverains.
Die große Anzahl theophorer, mit dem des Mithra
zusammengesetzter Namen, welche seit der ältesten
Zeit von seinen Mitgliedern getragen wurde, beweist,
daß die Verehrung für diesen Gott allgemein bei
ihm war.
Einen bevorzugten Platz nahm Mithra im offi-
ziellen Kultus ein. Im Kalender wurde ihm der
siebente Monat geheiligt, und ohne Zweifel auch der
sechzehnte Tag eines jeden Monats. Bei seinem Feste
hatte, wenn man Ktesias^) glauben darf, der König
das Privileg, ihm zu Ehren reiche Llbationen dar-
zubringen und die heiligen Tänze aufzuführen. Jeden-
falls bot dieses Fest die Gelegenheit zu einem
feierlichen Opfer und prunkvollen Ceremonien. Die
Mithrakana waren in ganz Vorderasien berühmt,
und zu Mihragän geworden sollten sie noch bis in
die Gegenwart hinein im muselmänischen Persien zu
Wintersanfang weiter gefeiert werden. Der Ruhm
des Mithra breitete sich aus bis zu den Ufern des
ägäischen Meeres: es ist der einzige iranische Gott,
dessen Name im alten Grriechenland populär gewesen
ist, und diese Tatsache würde für sich allein schon
beweisen, wie sehr er bei den Völkern des großen
Nachbarreiches verehrt wurde.
l) Ktesias ap. Athen. X, 45 {T. ft Man. t. II, p. 10).
Die Religion, zu welcher sich der Monarch und
die gesamte Aristokratie bekannte, die jenem half,
sein weites Gebiet zu beherrschen, konnte nicht auf
einige Provinzen seines Reichs beschränkt bleiben.
Wir wissen, daß Artaxerxes Ochus der Göttin Anähita
in seinen verschiedenen Hauptstädten hatte Statuen
errichten lassen, in Babylon, in Damaskus und
Sardes ebensowohl wie in Susa, Ekbatana und Perse-
polis. Babylon namentlich, die Winterresidenz des
Herrschers, war von einem zahlreichen offiziellen
Klerus von „Magiern" bevölkert, welche den Vorrang
vor den eingeborenen Priestern hatten. Die amtlich
gesicherten Vorrechte, welche sie besaßen, sollten
sie nicht dem Einfluß der mächtigen Priesterkaste
entziehen, welche sich neben ihnen erhielt. Die ge-
lehrte und spitzfindige Theologie der Chaldäer schlich
sich in den primitiven Mazdaismus ein, welcher mehr
eine Summe von Traditionen als ein organisches
System wohl definierter Lehren war. Die Legenden
der beiden Religionen wurden einander näher gerückt,
ihre Gottheiten identifiziert, und die semitische Astro-
latrie, das monströse Produkt langer wissenschaftlicher
Beobachtungen, begann sich über die naturalistischen
Mythen der Iranier zu breiten. Ahura-Mazda wurde
mit Bei verschmolzen, der über den Himmel herrscht,
Anähita der Ishtar assimiliert, welche den Planeten
Venus regiert, und Mithra wurde die Sonne, Shamash,
Dieser ist in Babylonien, wie Mithra in Persien, der
Gott der Gerechtigkeit, wie jener erscheint er im
Osten, auf dem Gipfel der Berge, und voUfiihrt seinen
täglichen Lauf auf einem glänzenden Wagen, wie er
endlich gibt er den Kriegern den Sieg und ist er der
Schirmherr der Könige. Die Umwandlung, welche
die persischen Glaubens Vorstellungen durch die semi-
tischen Anschauungen erfuhren, war eine so durch-
greifende, daß man viele Jahrhunderte später in Rom
das wahre Vaterland des Mithra bisweilen an die
Ufer des Euphrat verlegte. Nach Ptolemäus^) wurde
dieser mächtige Sonnengott in allen Ländern verehrt,
die sich von Indien bis nach Assyrien erstrecken.
Babylon war nur eine Etappe auf dem Sieges-
zuge des Mazdaismus. In sehr früher Zeit schon
kamen die Magier quer durch Mesopotamien bis in
das Herz Kleinasiens. Bereits unter den ersten
Achämeniden siedelten sie sich, wie es scheint,
massenhaft in Armenien an, wo die einheimische
Religion allmählig vor der verschwand, welche sie
mitbrachten, ebenso in Kappodocien, wo ihre Feuer-
altäre noch zur Zeit Strabos in großer Anzahl
brannten. In einer sehr weit zurückliegenden Epoche
drangen sie in Pontus, Galatien und Phrygien ein.
Selbst in Lydien sangen ihre Nachkommen unter
den Anton inen noch barbarische Hymnen in einem
Heiligtum, dessen Gründung dem Cyrus zugeschrieben
wiu^de. Diese Gemeinden sollten, in Kappodocien
wenigstens, sogar den Sieg des Christentums über-
leben und sich bis in das 5. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung erhalten, ihre Sitten, ihre Bräuche und
ihren Kultus von einer Generation auf die andere
getreulich vererbend.
Es scheint, als hätte der Untergang des Reiches
des Darius für diese weithin verstreuten und seither
von ihrem Mutterlande getrennten Kolonien ver-
hängnisvoll werden müssen. Tatsächlich jedoch war
I) Flol., Tttrabibl. II, ;
das Gegenteil der Fall, und die Magier fanden bei
den Diadochen eine mindestens ebenso aufmerksame
Fürsoi^e, als der Großkönig und seine Satrapen sie
ihnen hatten angedeihen lassen. Nach der Zer-
stückelung des Alexanderreiches sah man in Pontus,
in Kappadocien, in Armenien, in Kommagene Dyna-
stien entstehen, welche selbstgefällige Genealogieen
mit den Achämeniden zu verknüpfen trachteten.
Mögen diese Häuser nun iranischer Abstammung ge-
wesen sein oder nicht, ihre angenommene Herkunft
machte es ihnen jedenfalls zur Pflicht, die Götter ihrer
angeblichen Ahnen anzubeten. Im Gegensatz zu den
griechischen Königen von Pergamon oder Antiochien
repräsentierten sie die alten Überlieferungen in der
Religion wie in der Politik. Diese Fürsten und die
Magnaten, welche sie umgaben, setzten eine Art von
Adelsstolz darein, die ehemaligen Herren Asiens in
jeder Beziehung nachzuahmen. Ohne sich den
übrigen Kulten ihres Landes irgendwie feindselig zu
zeigen, wenden sie doch ihre besondere Gxmst den
Tempeln der mazdäischen Gottheiten zu, Oromazdes
(Ahura-Mazda), Omanos (Vohumano), Artagnes (Vere-
thraghna), AnaVtis (Anähita) und noch andere em-
pfingen ihre Huldigungen. Mithra namentlich war
der Gegenstand ihrer Vorliebe; die Monarchen hatten
für ihn eine in gewissem Maße persönliche Devotion,
was der in allen diesen Familien häu6ge Name
Mithradates beweist. Offenbar war Mithra für sie
geblieben, was er für die Artaxerxes und die Darius
war: der Gott, welcher dem Herrscher den Sieg schenkt,
Manifestation und Garantie der legitimen Autorität.
Diese Ehrfurcht vor dem von sagenhaften Vor-
fahren ererbten Kultus, diese Überzeugung, daß
Frönunigkeit die Schutzwehr des Thrones und die
VorbedingTing aller Erfolge ist, gelangt zu deutlichem
Ausdruck in der pomphaften Inschrift^) auf dem monu-
mentalen Grabe, welches Antiochus I. Epiphanes von
Kommagene (6g — -34 V. Chr.) sich auf einem Vorspnmge
des Taurus errichten ließ, von wo aus der Blick weit
hinausschweift ins Euphrattal. Nur vermengt der
König von Kommagene, der mütterlicherseits von
den syrischen Seleukiden abstammte und durch seinen
Vater ein Nachkomme des Darius, des Sohnes des
Hystaspes, zu sein behauptete, die Erinnerungen seines
doppelten Ursprungs miteinander und kombiniert
persische und hellenische Götter und Riten, ebenso
wie in seinem Hause der Name Antiochus mit dem
des Mithridates wechselt.
In ähnlicher Weise erfuhren in den benachbarten
Gegenden die iranischen Fürsten und Priester in
verschiedenem Grade den Einfluß der griechischen
CivÜisation, Unter den Achämeniden hatte jede
der zwischen dem Pontus Euxinus und dem Taurus
wohnenden Völkerschaften dank der Toleranz der
Centralgewalt ihre Lokalkulte wie ihre Sprache und
ihre besonderen Sitten beibehalten dürfen. Aber in
der großen Verwirrung, welche durch den Sturz des
persischen Reiches hervorgerufen wurde, waren alle
politischen und religiösen Schranken gefallen; ver-
schiedenartige Rassen waren plötzlich miteinander in
Berührung gekommen, und infolgedessen durchlebte
Vorderasien damals eine ähnliche Periode des Syn-
kretismus, wie wir sie besser unter der römischen
Kaiserherr Schaft beobachten können. Das Zusammen-
p. 89,
I) Michel, Rccucü i
. 735. cf. r. it M., t. n.
— 13 —
treffen aller Theolog^een des Orients und aller Philo-
sophieen Griechenlands erzeugte die überraschendsten
Kombinationen, tmd die Konkurrenz zwischen diesen
verschiedenen Anschauungen wurde äußerst lebhaft.
Von den Magiern, welche von Armenien bis nach
Phrygien und Lydien verstreut waren, traten ohne
Zweifel damals viele aus der Zurückgezogenheit
heraus, welche sie sich bisher auferlegt hatten, um
zu einer aktiven Propaganda überzugehen, und wie
zu gleicher Zeit den Juden gelang es ihnen, eine
Anzahl von Proselyten um sich zu sammeln. Später
von den christlichen Kaisem verfolgt, kehrten sie
allerdings wie die Lehrer des Talmud zu ihrer früheren
Exklusivität zurück und verschanzten sich hinter
einem mehr und mehr unzugänglichen Rigorismus.
Jedenfalls erhielt während der Periode der mora-
lischen und religiösen Gärung, welche eine Folge
der macedonischen Eroberung war, der Mithriacismus
seine nahezu endgültige Form. Als er sich im
römischen Reiche verbreitete, war er bereits kraft-
voll entwickelt. Sein dogmatisches System wie seine
liturgischen Traditionen müssen seit dem Anbeginn
seiner Ausbreitung fixiert gewesen sein. Leider
können wir weder genau feststellen, in welcher Gegend,
noch in welchem Zeitpunkt der Mazdaismus die
Merkmale annahm, welche ihn in Italien kennzeichnen.
Die Unkenntnis, in welcher wir uns bezüglich der
religiösen Bewegungen befinden, die den Orient in
der alexandrinischen Epoche heimsuchten, das fast
vollständige Fehlen von direkten Zeugnissen für die
Geschichte der iranischen Sekten während der ersten
drei Jahrhunderte vor dem Anfang unserer Zeit-
rechnung, bilden das Haupthindernis, welches einer
— 14 —
gesicherten Kenntnis der Entwicklung des Parsismus
im Wege steht Indessen sind wir wenigstens im
Stande, die wichtigsten Faktoren auszulösen, welche
dazu mitgewirkt haben, den Kult der kleinasiatischen
Magier umzugestalten, und dürfen den Versuch machen
zu zeigen, wie in den einzelnen Gegenden wechselnde
Einflüsse seine Eigenart in verschiedener Weise um-
gebildet haben.
In Armenien hatte sich der Mazdaismus mit den
nationalen Glaubens Vorstellungen des Landes und
einem aus Syrien importierten semitischen Element
verschmolzen. Mithra war eine der Hauptgottheiten
der synkretisti sehen Theologie geblieben, welche
unter diesem dreifachen Einflüsse erwachsen war.
Wie im Occident sahen die einen in ihm den Genius
des Feuers, andere identifizierten ihn mit der Sonne,
und fremdartige Legenden hatten sich an seinen
Namen gehängt. Man erzählte, daß er dem blut-
schänderischen Verkehr Ahura- Mazdas mit seiner
eigenen Mutter entsprossen sei, oder auch wohl, daß
eine einfache Sterbliche ihn in die Welt gesetzt
habe. Wir werden es uns erlassen, auf diese selt-
samen Mythen und andere ähnliche näher einzugehen.
Ihr Charakter ist grundverschieden von den Dogmen,
welche bei den occidentalischen Anhängern des
persischen Gottes in Geltung standen. Die e^en-
artige Mischung disparater Lehren, welche die Religion
der Armenier ausmacht, scheint keine andere Be-
ziehung zum Mithriacismus gehabt zu haben als eine
teilweise Gemeinsamkeit des Ursprungs.
Im übrigen Kleinasien war die Umgestaltung
des Mazdaismus bei weitem nicht so durchgreifend
als in Armenien. Der Gregensatz zwischen den alt-
— 15 —
einheiinischea Kulten und dem, dessen iranischer Her-
kimft seine Adepten mit Vorliebe sich erinnerten,
hörte niemals auf sich bemerkbar zu machen. Die
reine Lehre, deren Hüter die Feueranbeter waren,
ließ sich schwer mit den Orgien versöhnen, die man
zu Ehren des Liebhabers der Cybele feierte. Doch
mußten sich während der langen Jahrhunderte, in
denen die ausgewanderten Magier friedlich unter den
eingeborenen Stämmen lebten, gewisse Annäherungen
zwischen den religiösen Vorstellungen der beiden
Rassen mit Notwendigkeit vollziehen. In Pontus
bildet man Mithra ru Pferde ab wie Men, den auf
der ganzen Halbinsel verehrten MondgotL Anderswo
bekleidet man ihn mit den bauschigen Anaxyriden,
welche an die Verstumm elimg des Attis erinnern.
In Lydien ist das Paar Mithra-Anähita zu Sabazius-
Anaitis geworden. Andere Lokalgottheiten konnten
mit dem mächtigen Yazata identifiziert werden. An-
scheinend haben die Priester dieser unkultivierten
Lander sich bemüht, ihre poptdaren Götter zu
Äquivalenten der von den Fürsten und dem Adel
ai^ebeteten zu machen; aber wir kennen die Religionen
dieser Länder zu schlecht, um sagen zu können, was
sie dem Parsismus gegeben, und was sie von ihm
empfangen haben, und konstatieren eine wechsel-
seitige Beeinflussimg, ohne ihren Umfang ermessen
zu können. Diese Beeinflussimg, so oberflächlich sie
auch gewesen sein mag"^), hat jedenfalls die intime
1 ) Jean Riville (£luäis de theologie et tthist. ftibl. en hommagt
ä la facultf de Monlauban, Paris 1901, p. 336) ist geneigt, den Uein-
asiatisclien Religionen bei der Bildung des Mithriaciamns eine ziemlich
bedeutende Rolle zninweisen; aber bei dem gegenwärtigen Stande
onsereT Kenntnisse ist es unmöglich, diese naber zu bestimmen.
Vereinigung- zwischen den Mysterien des Mithra und
denen der Großen Mutter angebahnt, welche im
Abendlande zum Abschlixß gelangen sollte.
Als sich infolge des Alexanderzuges die griechische
Kultur über ganz Vorderasien verbreitete, drängte
sie sich auch dem Mazdaismus auf, bis tief nach
Baktriana hinein. Aber der Iranismus — wenn man
sich dieses Ausdrucks bedienen darf — dankte nie-
mals zu Gunsten des Hellenismus ab. Das eigentliche
Iran erhielt bald seine moralische Autonomie wie
seine politische Unabhängigkeit zurück, und die
Widerstandskraft der persischen Überlieferungen
gegenüber einer unter anderen Verhältnissen leicht
vollzogenen Assimilation gehört überhaupt zu den
charakteristischen Zügen der Geschichte der Be-
ziehungen zwischen Griechenland und dem Orient.
Doch wurden die Magier Kleinasiens, welche den
großen Herden der abendländischen Kultur näher
waren, auch intensiver von ihren Strahlen getroffen.
Ohne sich von der Religion der fremden Eroberer
absorbieren zu lassen, verbanden sich ihre Kulte mit
jener. Um die barbarischen Vorstellungen mit den
hellenischen zu vereinen, griff man zu dem alten
Verfahren der Identifikation. Man ließ es sich an-
gelegen sein zu zeigen, daß der mazdäische Himmel
mit denselben Bewohnern bevölkert war wie der
Olymp: Ahura-Mazda wurde als höchstes Wesen mit
Zeus verschmolzen; Verethraghna, der siegreiche Held,
mit Herakles; Anähita, welcher der Stier geheiligt war,
wurde zur Artemis Taiiropolos, und man ging selbst
so weit, daß man die Orestessage in ihre Tempel
verlegte. Mithra, schon in Babel dem Shamash
gleichgestellt, wurde natürlich mit Helios verbunden;
I
er er ivurde ihm keineswegs subordiniert, und sein
persischer Name in der Liturgie niemals durch eine
Übersetzung verdrängt wie der der übrigen in den
Mysterien verehrten Gottheiten.
Die Synonymie, welche man zwischen Bezeich-
nungen herzustellen suchte, welche in Wirklichkeit
nichts miteinander zu thun hatten, blieb nicht ein
bloßes Spiel der Mythologen, Sie hatte die wichtige
Folge, daß die vagen Personifikationen der orien-
talischen Phantasie die bestimmten Formen annahmen,
in welche die griechischen Künstler die olympischen
Götter gekleidet hatten. Vielleicht waren sie vorher
niemals in menschlicher Gestalt dargestellt worden,
oder wenn es Bilder von ihnen gab, Nachahmungen
assyrischer Idole, so waren sie bizarr und plump.
Indem man den raazdäischen Heroen den ganzen
Zauber des hellenischen Ideals lieh, änderte man
notgedrungen die Auffassung ihres Charakters, und
indem man ihren ausländischen Typus abschwächte,
machte man sie leichter annehmbar für die Occi-
dentalen. Eine der unerläßlichsten Bedingungen für
den Erfolg der fremden Religionen in der römischen
Welt wurde erfüllt, als gegen das i. Jahrhundert
V. Chr. ein Bildhauer aus der Schule von Pergamon
die ergreifende Gruppe des stiertötenden Mithra
schuf, der ein allgemeines Herkommen seitdem den
Ehrenplatz in der Apsis der spclam vorbehielt.')
Nicht allein die Kunst ließ es sich angelegen
sein zu mildem, was diese rohen Mysterien für
Geister, die in der Schule Griechenlands gebildet
waren. Abstoßendes haben mochten. Die Philosophie
1) Vgl. das letzte Kapitel.
suchte ihre Lehren mit ihren eigenen Ergebnissen
zu vermittehi, oder vielmehr die asiatischen Priester
strebten darnach, in ihren heiligen Traditionen die
Theorien der philosophischen Schulen wiederzufinden.
Keine dieser Schulen eignete sich besser für ein
Bündnis mit der populären Frömmigkeit als die
Stoa, und ihr Einfluß auf die Bildung des Mithria-
cismus war bedeutend. Eine alte von den Magiern
gesungene Mythe wird von Dio Chrysostomus ') über-
liefert, weil man in ihr eine Allegorie der stoischen
Kosmologie erblickte, und sehr viele andere persische
Ideen sind so durch die panthe istischen Anschauungen
der Schüler Zenos modifiziert worden. Die Denker
gewöhnten sich mehr und mehr daran, in den Dogmen
und rituellen Bräuchen der Orientalen die dunkele«
Reflexe einer uralten Weisheit zu suchen, und diese
Tendenz entsprach zu sehr den Ansprüchen und
dem Interesse des raazdäischen Klerus, als daä er
sie nicht nach bestem Vermögen hätte begünstigen
sollen.
Obschon die philosophische Spekulation, indem
sie den Glaubens Vorstellungen der Magier eine Be-
deutung beilegte, welche sie keineswegs besaßen,
ihren Charakter veränderte, so wirkte sie doch im
ganzen weit mehr konservativ als Neues produzierend.
Gerade dadurch, daß sie den oft kindischen Legenden
eine symbolische Bedeutung lieh, daß sie scheinbar
absurden Bräuchen rationelle Erklärungen unterschob,
trug sie dazu bei, ihr Fortbestehen zu sichern. War
auch, die theologische Grundlage der Religion merk-
1) Dio Chrys., Or., XXXVI, ä 39 ss. {T. et M., t. 11, p. 60,
DO. 461).
— 19 —
i modifiziert, ihr liturgfischer Rahmen blieb remtiv
fest, und die Umwandlung des Dogmas ging Hand
in Hand mit dem Respekt vor dem Ritus. Der
abergläubische Formalismus, von dem die minutiösen
Vorschriften des Vendidäd zeugen, ist jedenfalls weit
älter als die Epoche der Sassaniden. Die Opfer,
welche die in Kappadocien angesiedelten Magier zur
Zeit Strabos darbrachten, erinnern in allen Einzel-
heiten an die avestische Liturgie. Da fanden sich
dieselben Gebete, welche man vor dem Feueraltar
psalmodierte, mit dem heiligen Bündel {paresman) in
der Hand, dieselben Oblationen von Milch, Öl und
Honig, dieselben Vorsichtsmaßregeln, damit der Atem
des Offizianten die göttliche Flamme nicht ver-
imreinige. Die Inschrift des Antiochus von Komma-
gene zeigt in dem Reglement, welches sie vorschreibt,
ein gleich treues Festhalten an den alten iranischen
Gebräuchen. Der König rechnet es sich zum Ruhme
an, daß er die Götter seiner Ahnen stets nach der
alten Üb erlief enmg der Perser und der Grriechen
geehrt habe, er will, daß die an dem neuen Tempel
angestellten Priester die Priesterkleidung derselben
Perser tragen, und daß sie dem alten heiligen Her-
kommen gemäß ihres Amtes warten sollen. Der
i6. Tag jedes Monats, der besonders gefeiert werden
soll, ist nicht nur der Geburtstag des Königs, sondern
auch der, welcher von jeher speziell dem Mithra ge-
heiligt war. Viel später noch verspottet ein anderer
Kommagener, Lucian von Samosata, an einer Stelle,
wo er sich offenbar auf Gebräuche bezieht, die er in
seinem Vaterlande halte beobachten können, die
wiederholten Reinigungen, die endlosen Gesänge
und den langen medischen Rock der Anhänger des
Zarathustra, ') Bei einer anderen Gelegenheit tadelt
er an ihnen, daß sie nicht einmal griechisch ver-
stünden und ein unverständliches Kauderwelsch
redeten.*)
Der konservative Geist der kappadoci sehen
Magier, der sie an ihre uralten, von einer Generation
auf die andere überlieferten Bräuche band, verleugnete
sich auch nicht nach dem Siege des Christenturas,
und St. Basilius ^) bezeugt sein Fortbestehen noch am
Ende des vierten Jahrhunderts, Selbst in Italien be-
hielten die Mysterien sicherlich immer einen großen
Teil der rituellen Formen, welche der Mazdaismus
in Kleinasien seit unvordenklicher Zeit angenommen
hatte.*) Die Hauptneuerung bestand darin, daß man
das Persische als liturgische Sprache durch das
Griechische und später vielleicht durch das Lateinische
ersetzte. Diese Reform setzt die Existenz von heiligen
Büchern voraus; und wahrscheinlich hatte man seit
der alexandrinischen Epoche die ursprünglich münd-
lich überlieferten Gebete und Gesänge schriftlich
fixiert, aus Besorgnis, die Erinnerung an sie möchte
verloren gehen. Aber diese notwendige Anpassung
an neue Verhältnisse wird den Mithriacismus nicht
daran gehindert haben, bis zum Schluß ein wesent-
lich persisches Ceremoniell festzuhalten.
Der griechische Narae „Mysterien", welchen die
Schriftsteller dieser Religion beilegen, darf keine
Täuschung hervorrufen. Nicht nach dem Vorbilde
1) Lnc, Mtniff., c. 6 ss. (T, et M., t. H, p. 22).
2) Luc, Deor. conc, c. 9, Jap. Trag., c. 8, c. 13 {T. etM., ibid.).
3) Basil., Epüt. 338 ad Epiph. (T. et M., t I, p. 10, no. 3),
Cf. Priscns &. 31 (I, 3+J Hut. min. Dind.),
4) Cf. unten Kap. V.
der hellenischen Kulte gründeten ihre Adepten ihre
geheimen Gesellschaften, deren esoterische Lehre
nur in einer Reihenfolge von abgestuften Weihen
enthüllt wurde. In Persien selbst bildeten die Magier
eine abgeschlossene Kaste, die in mehrere Unter-
abteilungen geschieden gewesen zu sein scheint. Die-
jenigen, welche sich inmitten fremder Rassen mit
anderer Sprache und anderen Sitten niederließen,
verheimlichten der profanen Menge noch eifersüchtiger
ihren ererbten Glauben. Die Kenntnis dieser Ge-
heimnisse gab ihnen selbst das Bewußtsein mora-
lischer Überlegenheit und sicherte ihnen den Respekt
der unwissenden Völkerschaften, die sie umgaben.
Wahrscheinlich war das mazdäische Priestertum
anfangs in Kleinasien wie in Persien das Erbteil
eines Stammes, in welchem es vom Vater auf
den Sohn überging, dann verstand man sich dazu,
die geheimgehaltenen Dogmen Fremden nach einer
Einweihungsceremonie mitzuteilen, und diese Prose-
lyten wurden nach und nach zu den verschiedenen
Ceremonien des Kultus zugelassen. Die iranische
Diaspora ist in dieser Hinsicht wie in mancher
anderen mit der jüdischen zu vergleichen. Die Sitte
unterschied bald verschiedene Kategorien von Neo-
ph3^en, welche schließlich eine bestimmte Hierarchie
bildeten. Aber die vollständige Kenntnis der Glaubens-
lehren und der heiligen Gebräuche blieb stets ein
seltenes Privilegium, und die mystische Wissenschaft
erschien um so kostbarer, je verborgener sie war.
Alle originellen Riten, welche den mithrischen
Kultus unter den Römern auszeichnen, gehen sicher-
lich bis auf seine asiatischen Anfänge zurück; die bei
gewissen Ceremonien üblichen Verkleidungen in Tiere
sind ein Überlebsel eines ehemals weit verbreiteten
und noch heutigen Tages nicht verschwundenen prä-
historischen Brauches; die Gewohnheit, dem Gotte
die Höhlen der Berge zu weihen, ist ohne Zweifel
eine Erbschaft aus der Zeit, als man noch keine
Tempel baute; die grausamen Proben, welche den
Geweihten auferlegt wurden, erinnern an die blutigen
Verstümmelungen, welche die Diener der Mä und
der Cybele verübten. Ebenso können die Legenden,
deren Held Mithra ist, nur in einer Zeit des Hirten-
lebens erdichtet worden sein. Diese uralten Über-
lieferungen einer noch primitiven tmd rohen Kultur-
stufe bestanden in den Mysterien neben einer
subtilen Theologie und einer sehr erhabenen Moral.
Die Analyse der konstitutiven Elemente des
Mithriacisnius zeigt uns, wie der geologische Durch-
schnitt eines Terrains, die durch successive Ab-
lagerung entstandene Schichtenbildtmg der Gesamt-
masse. Die Grundlage dieser Religion, ihre unterste
und wichtigste Schicht ist der Glaube des alten Iran,
aus dem sie ihren Ursprung herleitet. Über dieses
mazdäische Substrat hat sich in Babylonien ein
starkes Sediment von semitischen Lehren gelagert,
dann haben in Kleinasien die Lokalreligionen einige
Anschwemmungen hinzugefügt. Endlich ist eine
dichte Vegetation von hellenischen Ideen auf diesem
fruchtbaren Boden erwachsen, welche unserem for-
schenden Auge seine wahre Natur zum Teil verbii^.
Dieser zusammengesetzte Kult, in welchem sich
so viele heterogene Elemente amalgamiert hatten, ist
der adaequate Ausdruck der komplexen Zivilisation,
welche in der alexandrinischen Zeit in Armenien,
Kappadocien und Pontus blühte. Wenn Mithridates
23 —
Eupator seine ehrgeizigen Träume hätte verwirklichen
können, so würde dieser hellenisierte Parsismus
zweifellos die Staatsreligion eines gewaltigen asia-
tischen Reiches geworden sein. Der Lauf seiner
Geschicke änderte sich durch
den Sturz des großen Gegners
Roms. Die Trümmer der pon-
tischen Heere und Flotten, die
durch den Krieg versprengten
und aus dem ganzen Orient
herbeigeeiltenFlüchtlingever-
breiteten die iranischen My-
sterien bei jenem Piratenvolk,
welches im Schutz der ciUci-
schen Berge kraftvoll heran-
wuchs. Mithra faßte festen Fuß
in dieser Gegend, wo Tarsus
ihn noch beim Untergang des
Reiches verehrte (Fig. i). Auf
seine kriegerische Religion
gestützt, versuchte dieserStaat
von Abenteurern dem römi-
schen Koloß die Herrschaft
Hg... stJortiHMd« MiLhn.. 2ber die Meere streitig zu
machen. Ohne Zweifel be-
trachtete er sich als die Nation, welche dazu berufen
sei, dem Kult des unbesiegbaren Gottes zum Siege zu
verhelfen. Auf seinen Beistand vertrauend, plünderten
die kühnen Seeleute furchtlos die angesehensten
Heiligtümer Griechenlands und Italiens, und die latei-
nische Welt hörte damals zum ersten Male den Namen
des barbarischen Gottes, der bald ihre Anbetung
fordern sollte.
ZWEITES KAPITEL.
DIE AUSBREITUNG IM RÖMISCHEN
REICHE.
Im allgemeinen kann man sagen, daß Mithra
von der hellenischen Welt immer ausgeschlossen blieb.
Die alten griechischen Schriftsteller reden von ihm
nur als von einem fremden, von den Perserkönigen
verehrten Gott. Selbst während der alexandrinischen
Periode stieg er nicht von der kleinasiatischen Hoch-
ebene an die Küsten loniens herab. In allen, Ländern,
welche das ägaische Meer bespült, erinnert uns
lediglich eine späte Weihinschrift des Piräus an seine
Existenz, und vergeblich würde man seinen Namen
unter den zahlreichen ausländischen Gottheiten suchen,
welche im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in
Delos verehrt wurden. Unter dem Kaiserreich findet
man allerdings Mithraeen in gewissen Häfen an der
phÖnizischen und ägyptischen Küste, bei Aradus, in
Sidon, in AlexSndrien; aber diese isolierten Denk-
mäler lassen die Abwesenheit jeglicher Spur der
Mysterien im Innern des Landes um so mehr hervor-
treten. Die neuerdings erfolgte Entdeckung eines
Mithratempels in Memphis scheint die Ausnahme zu
bUden, welche die Regel bestätigt, denn der maz-
däische Genius hat in dieser alten Stadt vermutlich
nur bei den Römern Eingang gefunden. Er wird
— '5 —
bisher ia keiner einzigen Inschrift Ägyptens oder
Syriens erwähnt, und es liegt noch nicht einmal ein
Beweis dafür vor, daß man ihm in der Hauptstadt
der Seleuciden Altäre errichtet hat. In diesen halb-
orientalischen Reichen scheint die mächtige Organi-
sation des einheimischen Klerus und die glühende
Verehrung des Volkes für seine nationalen Götter
das Vorrücken des Eindringlings gehindert und seinen
Einfluß paralysiert zu haben,
Eine charakteristische Tatsache beweist, daß der
iranische Yazata niemals zahlreiche Anhänger in
hellenischen oder hellenisierten Ländern gewonnen
hat. Die griechische Onomatologie, welche uns eine
Reihe von theophoren Namen liefert, die an die Be-
liebtheit erinnern, deren sich die phrygischen und
ägyptischen Gottheiten erfreuten, hat Menophilos und
Metrodotos, Isidoros und Serapion keinen Mithrion,
Mithriocles, Mithrodoros oder Mithrophilos
gegenüberzustellen. Alle Derivate von Mithra sind
barbarischer Bildung. Während die thracische Bendis,
die asianische Cybele, der Serapis der Alexandriner,
selbst die syrischen Baale in den Städten Griechen-
lands allmählich eine günstige Aufnahme fanden,
erwies sich dieses niemals gastfreundlich gegenüber
dem Schutzgott seiner alten Feinde.
Sein Fembleiben von den großen Centren der
antiken Kultur erklärt die späte Ankunft des Mithra
im Occident. In Rom erwies man der Magna Mater
von Pessinus offizielle Verehrung seit dem Jahre
204 V. Chr.; Isis und Serapis erschienen dort im
ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, und
lange vorher zählten sie eine Menge von Anbetern
in Italien. Die karthagische Astarte hatte in der
Hauptstadt einen Tempel seit dem Ende der PimiscTien
Krieg-e; die kappadocische Bellona seit der Zeit
Sullas; die Dea Syria von Hierapolis seit dem Be-
ginn der Kaiserzeit, während die persischen Mysterien
dort noch vollständig unbekannt waren. Und doch
waren diese Gottheiten nur die eines Volkes oder
einer Stadt, wohingegen die Herrschaft des Mithra
sich vom Indus bis zum Pontus Euxinus erstreckte.
Aber dies Gebiet lag noch zur Zeit des Augustus
fast gänzlich außerhalb der Grenzen des römischen
Reiches. Die zentrale Hochebene Kleinasiens, welche
sich lange Zeit der hellenischen Zivilisation widei^
setzte, blieb der römischen Kultur noch mehr ver-
schlossen. Dieses mit Steppen, Wäldern und Weiden
bedeckte, von schroffen Abhängen umgebene Hoch-
land, dessen Klima noch rauher als das Germaniens
war, hatte für den Bewohner der Mittelmeerküsten
wenig Anziehendes; und die einbeimischen Dynastieen,
welche dort noch unter den ersten Cäsaren be-
standen, schützten es, obgleich sie zu Vasallen der
letzteren geworden waren, in seiner jahrhunderte-
langen Isolierung, Freilich war Ci Heien seit dem
Jahre 102 v. Chr. zur römischen Provinz erklärt, aber
man besetzte damals nur einige Küste n punkt e , und
die Eroberung des Landes wurde erst beinahe zwei
Jahrhunderte später vollendet. Kappadocien wurde
erst unter Tiberius einverleibt, der Westen von Pontus
unter Nero, Kommagene imd Kleinarmenien end-
gültig unter Vespasian, In dieser Zeit erst knüpften
sich zusammenhängende und unmittelbare Beziehungen
zwischen jenen entlegenen Gegenden und dem Occi-
dent an. Die Bedürfnisse der Verwaltung und die
Or;ganisation der Verteidigung, die Versetzungen der
— 27 —
Gouverneure und Offiziere, der Wechsel der Pro-
kuratoren und der fiskalischen Beamten, die Aus-
hebur^en der Infanterie- und Kavallerietnippen , die
Besetzung der Kuphratgrenze mit drei Legionen be-
dingten einen unaufhörlichen Austausch von Menschen,
Produkten und Ideen zwischen diesen bisher unzu-
gänglichen Bergen und den europäischen Provinzen.
Dann kamen die großen Feldzüge des Trajan, des
Lucius Verus und des Septimius Severus, die Unter-
werfung Mesopotamiens und die Gründung zahlreicher
Kolonien in Osrhoene und bis nach Ninive hin, welche
gleichsam die Ringe einer Kette bilden, die Iran mit
dem Mittelmeer verband. Diese aufeinanderfolgenden
Annexionen der Cäsaren waren die erste Ursache
der Verbreitung der mithrischen Religion in der
lateinischen Welt. Unter den Flaviem beginnt sie
sich in ihr auszudehnen und unter den Antoninen
und den Severem entwickelt sie sich auf dem neu-
gewonnenen Boden weiter, gerade wie ein anderer
Kult, der neben ihr in Kommagene gepflegt wurde:
der des Jupiter Dolichenus, welcher gleichzeitig mit
ihr die Reise in das römische Reich antrat.
Nach Plutarch^) würde Mithra allerdings viel
früher in Italien eingedrungen sein. Die Römer
wären in seine Mysterien durch die von Pompejus
besiegten cilicischen Seeräuber eingeweiht. Dieser
Bericht hat nichts Unwahrscheinliches. Wir wissen,
daß sich die erste jüdische Gemeinde, welche sich
tratis Tiherini- ansiedelte, großenteils aus den Nach-
kommen der Gefangenen zusammensetzte, welche
derselbe Pompejus nach der Eroberung Jerusalems
I) Plut., Vit. Pomp., 24 (T. et M.. I. H, p, 35d).
— 28 —
(63 n. Chr.) mitgebracht hatte. Dieser besondere
Umstand laßt es daher als möglich erscheinen, dafe
der persische Gott schon seit dem Ende der Republik
einige Gläubige in der gemischten Bevölkerung der
Hauptstadt gefunden hat. Aber in der Menge der
Bruderschaften verschwindend, welche fremde Riten
ausübten, fand die kleine Gruppe seiner Verehrer
keine Beachtung. Der Yazata teilte die Gering-
schätzung, mit welcher man den ihn anbetenden
Asiaten begegnete. Die Einwirkung seiner Anhänger
auf die Masse der Bevölkerung war fast ebenso be-
langlos als die der buddhistischen Gemeinschaften
im modernen Europa.
Erst am Ende des ersten Jahrhunderts beginnt
Mithra in Rom von sich reden zu machen. Als
Statius den ersten Gesang der Thebais schrieb, um
das Jahr 80 n. Chr., hatte er bereits die typischen
Darstellungen des stiertötenden Heros gesehen^), und
aus dem Zeugnis Plutarchs geht hervor, daß zu seiner
Zeit {46— iz5n.Chr.) die mazdäische Sekte im Abend-
lande schon einigermaßen bekannt war. ^ Dieser
Schluß wird durch die epigraphischen Urkunden be-
stätigt. Die älteste Weihinschrift an Mithras, welche
wir besitzen, ist eine zweisprachige Inschrift von
einem Freigelassenen der Flavier (69 — 96 n. Chr.). Bald
darauf wird ihm eine Marmorgruppe gewidmet von
einem Sklaven des T, Claudius Livianus, der Präfekt
des Prätoriums unter Trajan war, im Jahre 102. Fast
um dieselbe Zeit muß der unbesiegbare Gott in Mittel-
italien eingedrungen sein. In Nersae, im Äquerlande hat
I) Stat., Thib., 1,717: Permi sub rupAus
terquentcm cornua Mitkram.
7) Plut., /. c.
■i Indignala sequi
— 29 —
man einen Text aus dem Jahre 172 zu Tage gefordert,
welcher bereits von einem „infolge seines Alters
eingestürzten" Mithraeimi spricht. Das Erscheinen
des Fremdlings im Norden des Reichs ist ebenfalls
beinahe in dieselbe Zeit zu verlegen. Es ist kaum
zu bezweifeln, daß die XV. Legion die Mysterien
seit dem Anfang der Regierung Vespasians in Car-
nuntum an der Donau eingeführt hat; und wir stellen
fest, daß sie um das Jahr 148 bei den Truppen
Germaniens gefeiert wurden. Unter den Antoninen,
namentlich seit der Regierung des Commodus, mehren
sich die Spuren ihres Vorhandenseins in allen Ländern.
Am Ende des 2, Jahrhunderts feierte man sie in
Ostia in wenigstens vier Tempeln.
Wir können weder daran denken, alle Städte
aufzuzählen, in denen der asiatische Kultus Wurzeln
schlug, noch untersuchen, welche Gründe in jedem
einzelnen Falle seine Einführung erklären. Trotz
ihrer Fülle unterrichten uns die epigraphischen Texte
und die figürlichen Denkmäler nur sehr unvoll-
kommen über die Lokalgeschichte des Mithriacismus.
Es ist uns nicht möglich, die Fortschritte seiner
Ausbreitung zu verfolgen, die konkurrierenden Ein-
flüsse der verschiedenen Bekenntnisse zu unter-
scheiden und zu beobachten, wie das Werk der Be-
kehrung sich fortsetzte von Stadt zu Stadt, von
Provinz zu Pro\'inz. Alles, was wir tun können, be-
schränkt sich darauf, in großen Zügen anzugeben, in
welchen Gegenden der neue Glaube sich verbreitet
hat, und welches im allgemeinen die Apostel ge-
wesen sind, die ihn dort verkündigt haben.
Der Hauptfaktor seiner Ausbreitung ist jeden-
falls das Heer. Die mithrische Rehgion ist vor allem
— 30 —
die der Soldaten, und nicht ohne Grund hat man den
Eingeweihten eines gewissen Grades den Namen
müites gegeben. Dieser Einfluß des Heeres könnte
schwer verständlich erscheinen, wenn man daran
denkt, daß die Legionen unter den Cäsaren in festen
Lagern untergebracht waren, und daß wenigstens
seit Hadrian sich jede aus der Provinz rekrutierte,
in welcher ihre Garnison lag. Aber diese allgemeine
Regel erlitt zahlreiche Ausnahmen. So haben die
Asiaten lange Zeit hindurch in ausgiebigem Maße
dazu beigetragen, die Effektivbestände der Truppen
in Dalmatien oder Mösien und, während einer be-
stimmten Periode, auch derer in Afrika herzustellen,
Femer wurde der Soldat, welcher nach einigen
Dienstjahren in seinem Geburtslande zum Centurio
befordert war, gewöhnlich in eine fremde (üamison
versetzt, imd oft wies man ihm jedesmal, wenn er
einen neuen von den verschiedenen Graden dieser
Charge erhielt, auch ein neues Standquartier an, so
daß die Gesamtheit der Centurionen einer Legion
„gleichsam einen Mikrokosmos des Reiches" bildete.^)
So wurden sie für die Ausbreitung des Mithriacismus
von wesentlicher Bedeutung, denn schon ihre Stellung
allein sicherte diesen Subaltemoffizieren einen be-
trächtUchen moralischen Einfluß auf die Rekruten,
mit deren Ausbildung sie betraut waren. Abgesehen
von dieser individuellen Propaganda, die uns fast
vollständig verborgen bleibt, haben die provisorischen
oder definitiven Verlegungen einzelner Abteilungen
oder selbst ganzer Regimenter in oft weit entfernte
Festungen oder Lager Menschen jeder Rasse und
J) Jung, Fa,x
. p. XIV.
jedes Glaubens miteinander zusammengeführt und
vermischt. Endlich fand man überall neben den
Legionsso! d aten , römischen Bürgern, eine gleiche,
wenn nicht größere Zahl von fremden auxilia, welche
nicht, wie die erstgenannten, das Vorrecht besaßen,
in ihrem Vaterlande zu dienen. Im Gegenteil suchte
man diese Ausländer aus ihrem Stammlande zu ent-
fernen, um Erhebungen vorzubeugen. So bildeten
unter den Flaviem die einheimischen alac oder Ko-
horten nur einen sehr geringen Bruchteil der Hülfs-
tnippen, welche die Rhein- und die Donaugrenze be-
wachten.
Unter den Leuten, die man von auswärts berief,
um die in die Feme gesandten Landeskinder zu er-
setzen, befanden sich eine Masse von Asiaten, und
vielleicht bat kein anderes Land des Orients im
Vergleich zu seiner territorialen Ausdehnung Rom
mehr Rekruten geliefert als Kommagene, wo der
Mithriacismus tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Außer
Reitern und Legionssoldaten hob man in dieser
Landschaft, wahrscheinlich seit der Zeit ihrer Ver-
einigung mit dem Kaiserreiche, wenigstens sechs
Kohorten Bundesgenossen aus. Zahlreich waren auch
die Soldaten, aus Kappadocien, Pontus und Cilicien,
um nicht zu reden von den Syrern jeder Abkunft,
und die Kaiser trugen kein Bedenken, selbst jene
leichtbeweglichen Schwadronen parthi sc her Kavallerie
einzureihen, deren kriegerische Fähigkeiten sie zu
ihrem Nachteil kennen gelernt hatten.
Der römische Soldat war im allgemeinen fromm
und selbst abergläubisch. Die Gefahren, denen sein
Beruf ihn aussetzte, ließen ihn beständig den Schutz
des Himmels suchen, und eine unberechenbare An-
— 32 —
zahl von Weihinschriften zeugt zugleich von der
Lebendig-keit seines Glaubens und der Mannig-
faltigkeit seiner reUgiösen Vorstellungen. Namentlich
die Orientalen, für zwanzig Jahre und länger in ein
Land versetzt, wo alles ihnen fremd war, hielten
pietätvoll die Erinnerung an ihre nationalen Götter
fest. Sobald sie Mittel und Wege dazu fanden,
schlössen sie sich zusammen, um ihnen einen Kultus
zu widmen. Sie empfanden das Bedürfiiis, sich jenen
„Herrn" (Ba'al) zu versöhnen, dessen Zorn sie als
Kinder fürchten gelernt hatten. Auch gab dies ihnen
eine willkommene Gelegenheit, sich regelmäßig zu
versammeln und imter dem trüben Himmel des
Nordens ihrer fernen, sonnigen Heimat zu gedenken.
Aber ihre Bruderschaften waren nicht exMusiv; gern
gewährten sie Waffengenossen jeder Abstammung
Zutritt, denen die offizielle Religion des Heeres nicht
genügte, und die von dem fremden Gotte wirksamere
Hülfe in der Schlacht, oder, wenn sie fielen, ein
seligeres Los in jenem Leben zu erlangen hofften.
Wenn dann diese Neophyten den Anforderungen des
Dienstes oder den Notwendigkeiten des Krieges
gemäß in andere Garnisonen versetzt wurden, so
wandelten sie sich dort aus Bekehrten in Missionare
und umgaben sich mit einer neuen Schar von
Proselyten. So haben sich die Mysterien des Mithra,
nachdem sie von halb barbarischen Rekruten aus
Kappadocien oder Kommagene nach Europa gebracht
waren, mit reißender Schnelligkeit bis an die Enden
der antiken Welt verbreitet.
Von den Ufern des Pontus Euxinus bis zu den
Bergen Schottlands und dem Rande der Sahara, die
ganze ehemalige römische Grenze entlang, finden
— 33 —
sich mithrische Monumente in Fülle. Nieder-Mösien,
welches erst seit einigen Jahren durchforscht wird,
hat deren schon eine ziemliche Menge geliefert, was
nichts Erstaunliches hat, wenn man weiß, daß dort
orientalische Kontingente die ungenügende Zahl der
Rekruten ergänzten, welche die Provinz stellte. Um
von dem Hafen Torai zu schweigen, pflegten die
Legionare den persischen Kultus in Troesmis, in
Durostonim und in Oescus an den Ufern der Donau,
ebenso in Tropaeum Traiani, welches die Entdeckung
des Monuments von Adam-KIissi neuerdings berühmt
gemacht hat Im Innern des Landes hatte er sich
in Montana und in Nikopolis angesiedelt, und ohne
Zweifel war er von diesen Städten aus südwärts
über den Balkan vorgedrungen, um sich in Nord-
Thracien auszubreiten, namentlich in der Gegend von
Serdica (Sofia) und bis zur Umgebung von Philippopolis
im Hebrustal. Nach der entgegengesetzten Seite, dem
Lauf der Donau stromaufwärts folgend, faßte er Fuß
in Viminacium, der Hauptstadt von Ober-Mosien, aber
wir vermögen nicht zu beurteilen, welche Ausdehnung
er in dieser noch mangelhaft bekannten Gegend er-
reichte. Das Kriegsgeschwader, welches auf dem
großen Strome kreuzte, wurde mit Ausländem be-
mannt und sogar von solchen befehligt, und dieses
hat zweifellos die asiatische Religion nach allen seinen
Anlegeplätzen verpflanzt.
Besser sind wir über die Umstände ihrer Ein-
führung in Dacien imterrichtet Als Trajan im
Jahre 107 n. Chr. dieses barbarische Königreich dem
römischen Reiche einverleibte, war das Land, durch
sechs Jahre hartnäckiger Kämpfe erschöpft, kaum
mehr als eine Wüste. Um es wieder zu bevölkern,
— 34 —
brachte der Kaiser, wie uns Eutropius^) erzählt,
massenhaft Kolonisten „ex toto orbe Romano" dorthin.
Die Bevölkerung dieser Landschaft war im zweiten
Jahrhundert noch gemischter als heute , wo alle
Rassen Europas sich dort stoßen und zanken. Ab-
gesehen von den Resten der alten Dacier fand man
dort nebeneinander ülyrier und Pannonier, Galater,
Karier und Asiaten, Leute aus Edessa und Palmyra
und noch andere, welche sämtlich in der neuen
Heimat die Kulte ihres Vaterlandes auszuüben fort-
fuhren. Aber keiner dieser Kulte gedieh dort so
gut als die Mysterien des Mithra, und man erstaunt
über den wunderbaren Aufschwung, den diese hier
während der hundertundfünfzig Jahre nahmen, welche
die römische Herrschaft in dieser Gegend währte.
Sie blühten nicht nur in der Hauptstadt der Provinz,
Sarmizegetusa, imd in den Städten, welche in der
Nähe der Lager erwuchsen, wie Potaissa und
namentlich Apulum, sondern in dem ganzen Bereiche
des occupierten Landes. Während man in Dacien
meines Wissens nicht die geringste Spur einer
christlichen Gemeinde nachweisen kann, hat man von
der Festung Szamos-Ujvar an der Nordgrenze bis
nach Romula in der Walachei eine Menge von In-
schriften, Skulpturen und Altären entdeckt, welche
die Zerstörung der Mithraeen überdauert haben.
Diese Überreste sind namentlich häufig im Zentrum
des Landes, der großen Straße entlang, welche dem
Tale des Maros folgt, der Hauptader, durch welche
die römische Zivilisation sich in die umliegenden
Berge verbreitet hat. Die Kolonie Apulum allein
J) Euttop. vm, 6.
zäMte sicher vier Tempel des persischen Gottes,
und das kürzlich ausgegrabene ^pelacum von Sarmi-
zegetusa enthielt noch die Fragmente von etwa
fünfzig Basreliefs oder anderen Exvotos, welche die
Frömmigkeit der Gläubigen dort gestiftet hatte.
In ähnlicher Weise siedelte sich in Pannonien
die iranische Religion in den festen Städten an,
welche staffeiförmig längs der Donau lagen, in
Cusum, Intercisa, Aquincum, Brigetio, Camuntum,
Vindobona und selbst in den Marktflecken des Inneren.
Sie war namentlich mächtig in den Hauptstädten
dieser Doppelprovinz, in Aquincum und in Camuntum,
und bei dem einen wie dem anderen Orte lassen
sich die Gründe für ihre bevorzugte Stellung ziemlich
leicht wiedererkennen. Der erstgenannte, wo man im
dritten Jahrhundert die Mysterien in mindestens fünf
über sein ganzes Gebiet hin verteilten Tempeln
feierte, war das Hauptquartier der legio II adiutrix,
welche im Jahre 70 von Vespasian zur Unterstützung
der Seeleute der Flotte von Ravenna gebildet worden
war. Unter diesen in die Cadres der Armee ein-
gereihten Freigelassenen befand sich ein erheblicher
Bruchteil von Asiaten, und vermutlich hat der
Mithriacismus von Anfang an in dieser irregulären
Legion Anhänger gehabt. Als sie um das Jahr
120 n. Chr. von Hadrian nach Nieder-Pannonien ver-
legt wurde, brachte sie ohne Zweifel diesen orien-
talischen Kult dorthin, dem sie bis zu Ende treu ge-
blieben zu sein scheint. Die kgio I adiutrix, welche
auf ähnliche Weise entstanden war, hat wahrscheinlich
ebenso den fruchtbaren Samen in Brigetio aus-
gestreut, als ihr Lager unter Trajan dorthin versetzt
wurde.
- 36 -
Mit noch größerer Genauigkeit können wir an-
geben, wie der persische Gott nach Camuntum kam.
Im Jahre 71 oder 7z n. Chr, ließ Vespasian diese
wichtige strategische Position durch die legio XV
Apollmaris wieder besetzen, welche seit acht oder
neun Jahren im Orient kämpfte. Im Jahre 63 an
den Euphrat gesandt, um das Heer zu verstärken,
welches Corbulo gegen die Parther führte, hatte sie
von 67 bis 70 an der Unterdrückung der jüdischen
Erhebung teilgenommen und dann Titus nach
Alexandrien begleitet. Während dieser blutigen
Kriege waren die Lücken ihres EfFektivbe Standes
unzweifelhaft durch in Asien vorgenommene Aus-
hebungen ergänzt. Diese Rekruten, welche wahr-
scheinlich großenteils aus Kappadocien stammten,
opferten, als sie mit den alten Mannschaften zusammen
an die Donau versetzt waren, dort zuerst dem
iranischen Gotte, der bislang nördlich der Alpen un-
bekannt war. Man hat in Camuntum eine Weih-
inschrift an Mithra gefunden, welche von einem
Soldaten der Apoll inarischen Legion herrührt, der
den charakteristischen Namen Barbaras trägt. Die
ersten Anbeter des Sol invicius widmeten ihm am
Ufer des Flusses eine halbkreisförmige Grotte, welche
im dritten Jahrhundert durch die Munificenz eines
römischen Ritters aus ihren Trümmern wiedererstehen
sollte, und deren hohes Alter sich in ihrer ganz
eigenartigen Anlage bekundet Als Trajan etwa
vierzig Jahre nach ihrer Heimkehr in das Abendland
die fünfzehnte Legion von neuem an den Euphrat
schickte, hatte der persische Kultus in der Hauptstadt
Ober-Pannoniens schon tiefe Wurzeln geschlagen.
Nicht nur die vierzehnte Legion gemtna Marita,
— 37 —
weldie die nach Asien zurückgekehrte dauernd er-
setzte, sondern auch die zehnte und die dreizehnte
gemina, von denen anscheinend gewisse Abteilungen
der erstgenannten beigegeben waren, empfanden die
Anziehungskraft der Mysterien und zählten Ein-
geweihte in ihren Reihen. Bald genügte der erste
Tempel nicht mehr, und man baute einen zweiten,
welcher — eine bedeutsame Tatsache — an den des
Jupiter Dolichenus von Kommagene stieß. Als sich
neben dem Lager in derselben Zeit, als die Be-
kehrungen sich häuften, eine Municipalstadt ent-
wickelte, wurde ein drittes Mithraeum erbaut —
wahrscheinlich im Anfange des a. Jahrhunderts — ,
dessen Dimensionen die aller bisher entdeckten
ähnlichen Gebäude übertreffen. Allerdings wurde es
von Diocletian und den Fürsten, welche er sich in
der Regierung zugesellt hatte, vergrößert, als sie 307
eine Konferenz in Camuntuni abhielten. Sie wollten
auf diese Weise ein öffentliches Zeugnis ihrer Ver-
ehrung für Mithra in dieser heiligen Stadt ablegen,
die wahrscheinlich unter allen des Nordens die ältesten
Heiligtümer der mazdäischen Sekte rmischloß.
Dieser befestigte Platz, der wichtigste der
ganzen Gegend, scheint auch das religiöse Zentrum
gewesen zu sein, von dem aus der fremde Kult sich
in die lunliegenden Ortschaften verbreitete. Stix-
Neusiedl, wo er sicher seit der Mitte des 2. Jahr-
hunderts gepflegt wurde, war nur ein zu der mächtigen
Stadt gehöriger Marktflecken. Aber der Tempel
von Scarbantia, weiter südlich, wurde wenigstens
ausgeschmückt von einem decurio colomae Carnunti.
Im Osten hat das Gebiet von Aequinoctium eine
Weihinsclirift Peirae genetrici geliefert, und in Vindo-
— 38 —
bona (Wien) hatten die Soldaten der zehnten Legfion,
jedenfalls von denen des benachbarten Lagers, die
Mysterien feiern gelernt. Bis nach Afrika hin findet
man die Spuren des Einflusses wieder, welchen die
große pannonische Stadt auf die Entwicklung des
Mithriacistnus ausgeübt hat.
Einige Stunden von Wien entfernt, nachdem wir
die Grenze von Noricum überschritten haben, finden
wir den Flecken Commagenae, der seinen Naraen
wahrscheinlich dem Umstände verdankt, daß eine ala
Commageiwrum dort ihre Quartiere hatte. Es ist
daher nicht zu verwundem, daß man dort ein Bas-
relief des stiertötenden Gottes zu Tage gefördert hat
Doch scheint in dieser Provinz, und ebenso in Rhätien,
das Heer keine aktive Rolle bei der Ausbreitung
der asiatischen Religion gespielt zu haben, wie dies
in Pantionien der Fall war. Eine späte Inschrift
eines speculator legionis I Noricorum ist die einzige
aus diesen Ländern, welche einen Soldaten erwähnt,
und inl allgemeinen sind die Denkmäler der Mysterien
im Tale der oberen Donau, wo die Truppen kon-
zentriert waren, sehr spärlich gesät, Sie mehren
sich erst auf dem anderen Abhänge der Alpen, und
die Inschriften der letztgenannten Gegend gestatten
es nicht, ihnen einen militärischen Ursprung zuzu-
schreiben.
Dagegen ist in den beiden Germanien die er-
staunliche Verbreitung, welche der Mithriacismus ge-
wann, jedenfalls auf Rechnimg der mächtigen He eres-
kÖrper zu setzen, welche ein stets bedrohtes Gebiet
verteidigten. Man hat hier die Weihinschrift eines
Centurio gefunden, welche Soli invicto Mitkrae um
das Jahr 148 n. Chr. gewidmet ist, und es ist wahr-
— 39 —
scheinlich, daß dieser Gott um die Mitte des zweiten
Jahrhunderts bereits eine Anzahl Bekehrungen in den
römischen Garnisonen bewirkt hatte. Alle Regi-
menter scheinen von der Ansteckung berührt zu sein :
die legio VIII Äugusta, XXH Primtgenia und
XXX Ulpia, die Kohorten und Schwadronen der
Hülfstruppen wie die Elitetruppen aus freiwilligen
Bürgern. Bei einer so allgemeinen Verbreitung läßt
sich kaum ausmachen, von welcher Seite her der
Fremdkult sich in das Land eingeschlichen hat. In-
dessen kann man annehmen, ohne eine Täuschung
befürchten zu müssen, daß er — abgesehen vielleicht
von bestimmten Punkten — nicht unmittelbar aus
dem Orient übertragen, sondern durch die Ver-
mittelung der Donaugamis onen eingeführt worden
ist, und wenn man seinen Ausgangspunkt absolut
näher bestimmen wollte, so könnte man nicht ohne
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die achte Legion,
welche im Jahre 70 n. Chr. aus Mösien nach Ober-
germanien verlegt wurde, hier zuerst eine Religion
ausgeübt hat, welche in ihrer neuen Heimat schnell
vorherrschend werden sollte.
Deutschland ist in der Tat dasjenige Land, in
welchem man die größte Zahl von Mithraeen zu Tage
gefördert hat: es hat uns die hinsichtlich ihrer
Dimensionen gewaltigsten und hinsichtlich ihrer Dar-
stellungen vollständigsten BasreUefs geliefert, und
jedenfalls hat keine andere heidnische Gottheit hier
zahlreichere imd eifrigere Anbeter gefunden als
Mitlira. Die Agri Decumates, die Militärgrenze des
Reiches, und namentlich die vorgeschobenen Posten
zwischen dem Maintal und dem Bollwerk des litnes
sind außerordentlich fruchtbar an Entdeckungen von
— 40 —
höchstem Interesse gewesen. Im Norden von Frank-
furt, bei dem Dorfe Heddemheim, der alten civitas
Taunensium, hat man nacheinander drei wichtige
Tempel ausgegraben, drei andere fanden sich in
Friedberg in Hessen und zwei weitere noch wurden
in der umliegenden Gegend freigelegt. Anderseits
begegnet man längs des Rheines, von Angst (Raurica)
bei Basel bis nach Xanten (Vetera), in Straßbui^,
Mainz, Neuwied, Bonn, Köln und Dormagen, einer
Reihe von Monumenten, welche beweisen, wie der
neue Glaube, gleich einer Epidemie nach und nach
weiter um sich greifend, sich bis in die Mitte der
barbarischen Stämme der Ubier und der Bataver
verbreitet hat.
Der Einfluß des Mithriacismus auf die an der
Rheingrenze aufgehäuften Truppen ist auch an seinem
Vordringen in das Innere von Gallien zu ermessen.
Ein Soldat der achten Legion weiht deo Invicfo einen
Altar zu Genf, welches an der Militärstraße lag, die
von Germanien zum Mittehneer führte, und andere
Spuren des orientalischen Kultes hat man in der
heutigen Schweiz und dem französischen Jura gefunden.
In Saarburg {Pcms Saravi), am Ausgange des Vogesen-
passes, durch welchen Straßbiu-g mit den Becken der
Mosel und der Seine in Verbindung stand und noch
heutigen Tages steht, hat man kürzlich ein spelacu.in
aus dem dritten Jahrhundert ausgegraben. Ein
anderes, dessen Hauptbasrelief, in den lebendigen Fels
gehauen, sich noch bis in unsere Tage erhalten hat,
befand sich in Schwarzerden zwischen Metz und Mainz.
Man könnte sich darüber wundern, daß die große
Stadt Trier, die gewöhnliche Residenz der militärischen
Befehlshaber, nur einige Reste von Inschriften und
I
Statuen geliefert hat, wenn die bedeutende Rolle
dieser Stadt unter den Nachfolgern Constantins nicht
das nahezu vollständige Verschwinden der heidnischen
Denkmäler zur Genüge erklärte. Endlich sind im
Maastale, unfern der Straße, welche Köln mit Bavay
{Bagacum) verband, merkwürdige Spuren der Mysterien
wiedererkannt worden.
Von Bavay führte diese Straße westlich nach
Boulogne {Gesoriacum), dem Anlegehafen der dassis
Britannica. Die beiden jedenfalls an Ort und Stelle
ausgeführten Dadophorenstatuen, welche dort ge-
funden sind, waren dem Gotte ohne Zweifel von irgend
einem fremden Seemann oder Offizier der Flotte
dargebracht. Dieser wichtige HafenplatK mußte in
täglichem Verkehr mit der gegenüberliegenden großen
Insel und namentlich mit London stehen, welches
seit dieser Zeit von zahlreichen Schiffen ang-elaiifen
wurde. Die Existenz eines Mithraeums in der wich-
tigsten kommerziellen und militärischen Niederlassung
Britanniens kann für uns nichts Überraschendes haben.
Im allgemeinen blieb der iranische Kult in keinem
anderen Lande so entschieden auf die festen Plätze
beschränkt als in diesem. Abgesehen von York
{Eburacuni), wo sich das Hauptquartier der Provinzial-
truppen befand, hat er sich nur im Westen des
Landes ausgebreitet, in Caerleon {Iscä) und in Chester
{Deva), wo Lager errichtet waren, um die gallischen
Völkerschaften der Silures und der Ordovices im
Zaum zu halten, sodann in seinem äußersten Norden,
längs des -valhim Iladriani, der das Gebiet des
Kaiserreiches gegen die Einfalle der Pikten und der
Kaledonier schützte. Alle „Stationen" dieses Grenz-
walles scheinen ihren mithri sehen Tempel gehabt
laben, in welchem der Kommandant des Platzes
{prae/eclus) seinen Untergebenen das Beispiel der
Devotion gab. Es ist somit evident, daß der asiatische
Gott im Gefolge der Heere bis in diese nördlichen
Gegenden gelangt ist, aber man kann weder fest-
stellen, in welchem Moment, noch mit welchen Truppen
er hier ankam. Man hat jedoch Anlai3 zu glauben,
daß er seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts hier
verehrt wurde, und daß Germanien als Brücke ge-
dient hat zwischen dem fernen Orient
£/ penitus toto divisos orbe Britannos.
Am anderen Ende der römischen Welt wurden
die Mysterien in gleicher Weise von den Soldaten
gefeiert. Sie hatten Anhänger in der III. Legion,
welche in Lambaesis lag, und in den Posten, welche
die Engpässe des Aurasius bewachten oder den Rand
der Sahara bezeichneten. Doch scheinen sie im
Süden des Mittehneeres nicht so populär gewesen
zu sein als in den Ländern des Nordens, und ihre
Verbreitung zeigt dort einen besonderen Charakter.
Ihre Denkmäler, fast sämtlich aus später Zeit, stammen
weit öfter von Offizieren oder wenigstens von Centu-
rionen, unter denen viele fremder Herkunft waren, als
von den einfachen Soldaten, welche nahezu aus-
schließlich in demselben Lande ausgehoben wurden,
welches sie zu verteidigen hatten. Die Legionare
Numidiens sind ihren einheimischen, punischen oder
berberischen, Gottheiten treu geblieben und haben
nur selten den Glauben der Kameraden angenommen,
mit denen das Waffenhandwerk sie zusammenführte.
Die persische Religion ist daher in Afrika, wie es
scheint, vorzugsweise von denen ausgeübt worden,
welche der Militärdienst aus dem Auslande dorthin
gerufen hatte, und die Kollegien der Gläubigen
setzten sich in der Hauptsache wenn nicht aus Asiaten,
so doch wenigstens aus Rekruten zusammen, welche
aus den Donauprovinzen dorthin gebracht waren.
In Spanien endlich, dem Lande des Occidents,
welches am ärmsten an mithrischen Monumenten ist,
zeigt sich der Zusammenhang zwischen ihrem Auf-
treten und der Lage der Garnisonen nicht minder
deutlich. Auf der ganzen Fläche dieser mächtigen
Halbinsel, auf der sich so viele volkreiche Städte
zusammendrängten, fehlen sie fast gänzlich, selbst in
den namhaftesten städtischen Zentren. Erst seit
kurzem kann man in der Hauptstadt Lusitaniens und
in der von Tarraconensis, in Emerita und Tarra^ona,
ein Stückchen Inschrift nachweisen. Aber in den
wilden Tälern Asturiens und Galiciens hatte der
iranische Gott einen organisierten Kultus. Man wird
diese Tatsache sofort mit dem längeren Aufenthalt
einer Legion in dieser lange Zeit unbotmäßigen
Gegend in Verbindung bringen. Vielleicht imifaßten
die Konventikel der Eingeweihten auch Veteranen
der spanischen Kohorten, welche als Anhänger des
mazdäischen Glaubens in ihre Heimat zurückgekehrt
waren, nachdem sie bei den Hülfstruppen am Rhein
und an der Donau gedient hatten.
Aber die Armee hat nicht nur insofern dazu bei-
getragen, die orientalischen Kulte zu verbreiten, als
sie Leute aus allen Weltgegenden , Bürger wie
Fremde, in Reihe und Glied zusammenführte, als sie
die Offiziere, die Centurionen oder selbst ganze
Truppenteile unaufhörlich aus einer Provinz iu die
andere versetzte, wie es die wechselnden Bedürfiiisse
des Augenblicks erforderten, und so zwischen allen
— 44 —
Grenzen ein Netz von dauernden Verkehrsbeziehungen
spann. Wenn die Soldaten ihren Abschied erhalten
hatten, so fuhren sie im Ruhestand fort die Gebräuche
zu beobachten, an welche sie sich unter der Fahne
gewöhnt hatten, und fanden bald Nacheiferer in ihrer
Umgebting. Oft ließen sie sich in der Nähe ihrer
letzten Garnison nieder, in Jenen Munizipien, welche
allmählich die Buden der Marketender neben den
Lagern ersetzt hatten. Bisweilen verlegten sie ihren
Wohnsitz auch in irgend eine große Stadt der Gegend,
in welcher sie gedient hatten, um dort mit alten
Waffenbrüdern den Rest ihrer Tage zu verbringen:
Lyon beherbergte in seinen Mauern immer eine statt-
liche Anzahl solcher alter Legionare aus Germanien,
imd die einzige mithrische Inschrift, welche London
uns geliefert hat, nennt als ihren Autor einen emeritus
der britannischen Truppen. Auch kam es vor, daß
der Kaiser diese entlassenen Soldaten in ein Terri-
torium sandte, welches er ihnen anwies, um dort eine
Kolonie zu gründen, Elusa in Aquitanien hat die
asiatische Religion vielleicht durch die Veteranen
vom Rhein kennen gelernt, welche Septimius Severus
dort ansiedelte. Oft bewahrten die Rekruten, welche
die Militärbehörde an die äußersten Enden des Reiches
versetzte, im Herzen die Liebe zu ihrem Geburts-
lande, zu welchem sie stets Beziehungen unterhalten
hatten; aber wenn sie, nach zwanzig oder fünfund-
zwanzig Jahren voller Wachtdienst und Kämpfe frei-
gelassen, in ihr Vaterland zurückkehrten, dann zogen
sie den Göttern ihrer Heimat oder ihres Stammes
den fremden Schirmherm vor, welchen sie ein Zelt-
genosse in der Feme nach geheimnisvollen Riten
anzubeten gelehrt hatte.
— 45 —
Doch ist die Verbreitung des Mithriacismus in
den Städten und Gauen der provinciae i'nermes
in der Hauptsache anderen Faktoren zuzuschreiben
als dem Heere. Durch seine fortschreitenden Er-
oberungen in Asien hatte Rom zahlreiche semitische
Völkerschaften seiner Herrschaft unterworfen. Seit
die Begründung des Kaiserreiches den Weltfrieden
gesichert und den ungestörten Betrieb des Handels
garantiert hatte, sah man, wie diese Neulinge ver-
möge der besonderen Eigenschaften ihrer Rasse
allmählich den Handel der Levante in ihren Händen
konzentrierten. Wie ehedem die Phönizier und
Karthager, bevölkerten nun die Syrer mit ihren
Kolonien sämtliche Häfen des Mittelmeeres. In der
hellenischen Zeit hatten sie sich in großer Zahl in
den Handelszentren Griechenlands , namentlich auf
Del OS festgesetzt Eine Anzahl dieser Kaufleute
siedelte jetzt in die Nachbarschaft Roms, nach Puteoli
und nach Ostia über. Sie scheinen in allen See-
städten des Occidents Geschäfte gemacht zu haben.
Man findet sie in Italien in Ravenna, in Aquileia,
in Tergeste; in Salonae in Dalmatien und bis nach
Malaga in Spanien. Ihre kaufmännische Tätigkeit
lockte sie selbst weit in das Innere der Länder hinein,
sobald sich ihnen nur irgendwo die Aussicht bot,
einen Profit zu machen. Im Donautal drangen sie
bis nach Sarmizegetusa und Apulum in Dacien, bis
nach Sir m iura in Pannonien vor. In Gallien war
diese orientalische Bevölkerung besonders dicht; sie
kamen auf der Gäronde nach Bordeaux und gingen
die Rhone bis nach Lyon hinauf. Als sie die Ufer
dieses Flusses besetzt hatten, ergossen sie sich über
die ganze Mitte der Provinz, und Trier, die große
— 46 -
Hauptstadt des Nordens, zog sie massenhaft an, Sie
erfüllten wirklich, wie es der heilige Hieronymus
schildert, die ganze römische Welt. Die Einfälle
der Barbaren waren nicht dazu imstande, ihren
Unternehmungsgeist zu dämpfen. Unter den Mero-
wingem sprachen sie noch ihr semitisches Idiom in
Orleans. Um ihre Auswanderung zu hemmen, mußten
erst die Sarazenen die Schiffahrt auf dem Mittelmeer
vernichtet haben.
Die Syrer zeichneten sich zu allen Zeiten durch
ihren glühenden Eifer aus. Kein Volk, selbst das
ägyptische nicht, verteidigte mit solcher Hartnäckig-
keit seine Idole gegen die Christen. So war denn
auch ihre erste Sorge, wenn sie eine Kolonie gründeten,
ihre nationalen Kulte zu organisieren, und das Mutter-
land bewilligte ihnen bisweilen Subventionen, um
sie in der Erfüllung dieser frommen Pflicht zu unter-
stützen. Auf diese Weise sind die Gottheiten von
Heliopolis, von Damaskus und selbst von Palmyra
zuerst in Italien eingedrungen.
Das Wort Syrus hatte im gewöhnlichen Sprach-
gebrauch einen sehr unbestimmten Sinn. Dieses
Wort, eine Abkürzung von Assyrus, wurde oft mit
dem letzteren verwechselt und diente zur allgemeinen
Bezeichnung sämtlicher semitischen Völkerschaften,
welche vormals den Königen von Ninive gehorchten,
bis zum Euphrat und selbst darüber hinaus. Es um-
faßte somit auch die Anhänger des Mithra, welche
in dem Tale dieses Stromes wohnten, und je weiter
Rom seine Erobenmgen nach dieser Seite hin aus-
dehnte, um so zahlreicher mußten sie unter den
„Syrern" werden, die sich in den lateinischen Städten
niederließen.
Indessen waren die Kaufleute. welche Comptoire
im Abendlande gründeten, der Mehrzahl nach Ver-
ehrer der semitischen Baale. und die, welche Mithra
anriefen, im allgemeinen Asiaten von geringerem
Stande. Die ersten Tempel, welche der Gott im
Westen des Reiches besaß, wurden jedenfals haupt-
sächlich von Sklaven besucht In den Provinzen
des Orients vorzüglich versahen sich die mattgonfs
mit ihrer Menschenware. Aus dem Inneren Klein-
asiens brachten sie Herden von Leibeigenen nach
Rom, welche sie von den ^oßen Gnindeigentüroem
in Kappadocien und Pontus gekauft halten, und diese
importierte Bevölkerung bildete schließlich, um mit
einem Alten zu reden, gleichsam besondere Städte
in der Hauptstadt, Aber der Sklavenhandel genügte
nicht für den wachsenden Verbrauch des entvölkerten
Italiens. Neben ihm war der Krieg der große
Menschenlieferaat Wenn man sieht, daß Titus in
dem einen jüdischen Feldzuge 97000 Juden zu Sklaven
macht, so erschrickt man bei der Vorstellung, welche
Massen von Gefangenen die unaufhörlichen Kämpfe
mit den Parthem und besonders die Eroberungen
Trajans auf die Märkte des Occidents werfen mußten.
Haufenweis nach dem Siege verteilt oder einzelo
von den Händlern erworben, waren diese Sklaven
vor allem in den Seestädten zahlreich vorhanden, bis
zu denen ihr Transport wenig Kosten verursachte
Hier haben sie, mit den syrischen Kaufleuten wett-
eifernd, die orientalischen Kulte und besonders den
des Mithra eingeführt. Wir finden um daher in einer
ganzen Reihe von Mittelmeerhäfen angesiedelt. Oben')
I Vgl. S. 24.
haben wir bereits seine Anwesenheit im phönizischen
Sidon und im ägyptischen Alexandrien erwähnt.
Wenn in Italien Puteoli und seine Umgebung, mit
Einschluß Neapels, verhältnismäßig wenig Denkmäler
der Mysterien geliefert haben, so ist dies dadurch
zu erklären, daß jene Stadt seit dem zweiten Jahr-
himdert nicht mehr der große Stapelplatz war, auf
dem sich Rom mit den Erzeugnissen der Levante
versorgte. Die tyrische Kolonie von Puteoli, ehe-
mals reich und mächtig, beklagt im Jahre 17z, daß
sie auf eine kleine Anzahl von Mitgliedern zusanunen-
geschmolzen sei. Seit Claudius und Trajan gewaltige
Arbeiten in Ostia ausgeführt hatten, erbte diese Stadt
den Wohlstand ihrer kampanischen Nebenbuhlerin.
Auch alle asiatischen Religionen hatten dort bald
ihre Kapellen imd ihre Bruderschaften von Gläubigen,
aber keine von ihnen erfreute sich einer so auf-
fallenden Beliebtheit wie die des iranischen Gottes.
Seit dem zweiten Jahrhundert wurden ihm wenigstens
vier oder fünf spclaea geweiht; eins von ihnen,
spätestens im Jahre 162 erbaut und mit den Thermen
des Antoninus in Verbindung stehend, lag an dem
Orte selbst, wo die überseeischen Schiffe landeten,
und ein anderes stieß an das Metroon, das Heilig-
tum, in welchem der offizielle Kult der Magna Mater
zelebriert wurde. Im Süden war der kleine Markt-
flecken Antium (Porto d'Anzio) dem Beispiel seiner
mächtigen Nachbarin gefolgt, und in Etrurien hatten
Rusellae (Grosseto) und Pisae ebenfalls der mazdäischen
Gottheit eine freundliche Aufnahme bereitet
Im Osten Italiens ragt Aquileia durch die Zahl
seiner mithrischen Inschriften hervor. War es doch,
wie heute Triest, der Markt, auf dem die Donau-
I
— 49 —
vinzen ihre Erzeugnisse gegen die des Südens
austauschten, Pola, an der Südspitze Istriens, die
Insehi Arba und Brattia und die Stapelplätze der
dalmatischen Küste, Senia, lader, Salonae, Narooa,
Epidaurum bis nach Dyrrhachium in Macedonien,
haben mehr oder weniger zahlreiche und bestimmte
Spuren des Einflusses des unbesiegbaren Gottes be-
wahrt und bezeichnen gleichsam den Weg, welchen
dieser eingeschlagen hat, um nach der Handels-
metropole des adriatischen Meeres zu gelangen.
Auch im westlichen Mittelme erb ecken lassen sich
seine Fortschritte verfolgen. In SicUien sind Syrakus
und Palermo, längs der afrikanischen Küste Karthago,
Rusicade.Icosium, Caesarea, an der gegenüberliegenden
Küste Spaniens Malaga und Tarragona abwechselnd
Zeugen davon gewesen, wie sich in der gemischten
Bevölkerung', welche das Meer dorthin gefuhrt hatte,
Genossenschaften von Mithriasten bildeten, und weiter
nördlich, am Golf du Lion, hatte die stolze römische
Kolonie Narbonne sich nicht exklusiver gezeigt.
In Gallien namentlich ist die von uns konstatierte
Beziehung zwischen der Ausdehnung der Mysterien
und der des orientalischen Handels auffällig. Beide
konzentrieren sich hauptsächlich zwischen den Alpen
und den Cevennen oder, um einen noch präziseren
Ausdruck zu wählen, im Becken der Rhone, deren
Lauf einen Eingangsweg von hervorragender Be-
deutung repräsentierte. Sextantio, in der Nähe von
Montpellier, und Aix in der Provence haben uns
das Epitaph eines patcr sacroruni und eine — vielleicht
mithrische — Darstellung der Sonne auf ihrer
Quadriga geliefert. Femer finden wir, den Fluß auf-
wärts verfolgend, in Arles eine Statue des in den
CHnuBt, Mithrasmysloiiau. ^
Mysterien verehrten löwenköpfigen Kronos, in Bourg-
Saint-And^ol bei Montelimar eine Darstellung des
stiertötenden Gottes, welche in der Nähe einer Quelle
in den lebendigen Fels gehauen ist; in Vaiaon, nicht
weit von Orange, eine Weihinschrift, die bei Ge-
legenheit einer Initiation verfaßt ist; in Vienne ein
spelaeuni, aus welchem neben anderen Monumenten
ein bis jetzt in seiner Art einziges Basrelief stammt.
In Lyon endlich, dessen Beziehungen zu Kleinasien
durch die Geschichte des Christentums hinlänglich
bekannt sind, war der Erfolg des persischen Kultes
sicherlich bedeutend. Im Oberiande ist seine An-
wesenheit einerseits in Genf, anderseits in Besangon
und Mandeure am Doubs zu konstatieren. Eine un-
unterbrochene Reihe von Heiligtümern, welche
zweifellos in beständigem Verkehr miteinander
standen, verband so die Ufer des Binnenmeeres mit
den Gefilden Germaniens,
Von den blühenden Städten des Rhönetals aus-
gehend, schlich sich der fremde Kult sogar bis tief in
die Berge der Dauphin^, Savoyens und Bugeys
hinein. Labätie bei Gap, Lucey unweit von Belley
und Vieu-en-Val-Romey haben uns Inschriften, Tempel
und Statuen aufbewahrt, die von seinen Anhängern
geweiht wurden. Wie gesagt, beschränkten sich die
orientalischen Kaufleute nicht darauf, Faktoreien in
den See- oder Flußhäfen zu begründen. Die Hoffnung
auf ein lukrativeres Geschäft zerstreute sie in die
Städte des Inneren, wo die Konkurrenz weniger stark
war. Die Verbreitung der asiatischen Sklaven war
noch ausgedehnter: kaum ausgeschifft, wurden sie
durch den Zufall der Auktion in alle möglichen
Richtungen versprengt, und wir finden sie in den
verschiedensten Gegenden und bei den verschiedensten
Beschäftigungen wieder.
In Italien, dem Lande des Großgrundbesitzes,
dem I^nde, das mit alten Städten übersäet war,
dienten sie bald dazu, die Sklavenheere zu vergrößern,
welche die Domänen der römischen Aristokratie be-
bauten, und dann wurden sie bisweilen als Verwalter
(aclor, vüliciis) die Herren derjenigen, deren elendes
Los sie anfangs geteilt hatten; bald wurden sie von
irgend einem Munizipium angekauft und führten als
servi publici die Befehle der Magistrate aus oder
traten in die Bureaux der Verwaltung ein. Man
stellt sich schwer vor, mit welcher reißenden Schnellig-
keit die orientahschen Religionen auf diese Weise
in Gegenden vorzudringen vermochten, welche sie dem
Anschein nach niemals hätten erreichen sollen. Eine
Doppelinschrift von Nersae, im Herzen der Apenninen,
berichtet uns, daß im Jahre 172 unserer Zeitrechnung
ein Sklave, der Rentmeister der Stadt, dort ein
verfallenes Mithraeum restaiu-iert hat. In Venusia
wird eine griechische Weihinschrift 'HXiuj MiOpa von
. dem Sachwalter irgend eines reichen Bürgers ge-
widmet, imd sein Name, Sagaris, verrät zugleich seine
Stellung als Sklave und seine asiatische Herkunft.
Man konnte diese Beispiele vervielfachen. Es leidet
keinen Zweifel, daß diese obskuren Diener des fremden
Gottes den wirksamsten Beitrag zur Verbreitung der
Mysterien nicht nur innerhalb der Bannmeile Roms
oder in den großen Städten allein, sondern in ganz
Italien von Kalabrien bis zu den Alpen geliefert
haben. Man findet den iranischen Kult gleichzeitig
gepflegt in Grumentum, im Innern Lukaniens; dann,
wie bereits gesagt, in Venusia in Apulien und in
Nersae im Äquerlande, wie in Aveia in dem der
Vestiner; femer in Umbrien längs der Via Flaminia,
in Interamna in Spoleto, wo man ein mit Gemälden
geschmücktes spelaeuni besuchen kann, und in
Sentinum, wo man ein Verzeichnis der Patrone eines
Kollegiums von Mithriasten zu Tage gefördert hat;
ebenso folgte er in Etrurien der Via Cassia und ließ
sich in Sutrium, in Volsinii (Bolsena) nieder, viel-
leicht auch in Arretium und in Florenz. Minder
deutlich und nicht so bezeichnend sind seine Spuren
im Norden der Apenninen, Sie treten sowohl in der
Emilia nur sporadisch auf, wo lediglich die Territorien
von Bologna und Modena einige interessante Reste
aufbewahrt haben, wie in dem fruchtbaren Tale des
Po, Hier scheint Mailand, dessen schnelles Aufblühen
in der Kaiserzeit bekannt ist, der einzige Ort ge-
wesen zu sein, wo sich die ausländische Religion
großer Gunst und offizieller Protektion erfreute.
Einige Bruchstücke von Inschriften, welche man in
Tortona, Industria und Novaria ausgegraben hat, liefern
keinen ausreichenden Beweis dafür, daß sie in dem
übrigen Teile des Landes weit verbreitet gewesen
wäre.
Es ist gewiß bemerkenswert, daß wir in den
wilden Schluchten der Alpen eine reichere Ausbeute
zu verzeichnen haben als in den üppigen Gefilden
Oberitaliens. In Introbbio im Val Sassina, im Osten
des Comersees, im Val Camonica, welches der Oglio
durchfließt, sind dem unbesiegbaren Gotte Altäre
geweiht. Aber die ihm geheiligten Monumente sind
zahlreich vor allem längs der Etsch und ihrer Zu-
flüsse, in der Nähe des großen Communicationsweges,
der im Altertum wie in unserer Zeit über den Brenner-
— 53 —
paQ oder durch das Pustertal lief und den gegen-
überliegenden Abhang hinab nach Rätien oder
Noricum führte: in Trient, ein bei einem Wasserfall
errichtetes Mithraeum; in der Nähe von San-Zeno,
Basreliefs, die in einer felsigen Schlucht gefunden
wurden ; in Castello di Tuenno, Fragmente von Exvotos,
die auf beiden Seiten bearbeitet sind; an den Ufern
der Eisack, eine Weihinschrift an Mithra und die
Sonne, und endlich in Mauls, die berühmte skulpierte
Platte, welche im 16. Jahrhundert entdeckt wurde
und sich jetzt im Wiener Museum befindet.
Die Fortschritte des Mithriacismus machten in
dieser Gebirgsgegend an den Grenzen Italiens nicht
Halt. Wenn wir, unsem Weg durch das Tal der
Drau weiter verfolgend, die Spuren aufsuchen, welche
er dort hinterlassen hat, so finden wir sie sofort in
Teumia und namentlich in Vininum wieder, der be-
deutendsten Stadt Noricums, in welcher im 3. Jahr-
hundert mindestens zwei Tempel den Geweihten ihre
Pforten öffneten. Ein dritter war nicht weit von
dort in einer Grotte mitten im Walde hergerichtet
worden.
Die religiöse Metropole dieser römischen Kolonie
war zweifellos Aquileia»), dessen bedeutende Gemeinde
jene ganze Gegend beeinflußte. Die Städte, welche
sich längs der Routen entwickelten, die von diesem
Hafen quer durch Pannonien nach den Donaufestuiigen
führten, waren fast ausnahmslos dem fremden Gotte
gastfreundlich: Emona, Latobici, Naeviodunum und
hauptsächlich Siscia an der Sau; weiter nach Norden
empfingen ihn Atrans, Celeia, Poetovio mit gleicher
1) Vgl. oben S. 48 f.
— 54 —
Gunst So wurden seine Anhänger, welche sich von
den Ufem des adriatischen Meeres einerseits nach
MÖsien oder andererseits nach Camuntum begaben,
in allen ihren Reise quartieren von Glaubensgenossen
bewiUkommnet.
Wenn in diesen Gegenden, ebenso wie südlich
der Alpen, die orientalischen Sklaven dem Mithra
als Missionare gedient haben, so waren doch die
Verhältnisse, unter denen sich ihre Propaganda voll-
zog, einigermaßen andere. Sie haben sich in dieser
Gegend kaum, wie auf den latifundia und in den
Städten Italiens, als ländliche Arbeiter oder Verwalter
reicher Grrundbesitzer oder als Munizipalbe am te ver-
breitet. Die Entvölkerung war hier nicht so weit
vorgeschritten, wie in den alten Kulturländern, und
um die Felder zu bebauen oder die Polizei in den
Städten auszuüben brauchte man nicht auf fremde
Arbeitskräfte zu greifen. Nicht die Privatleute oder
die Kommunen, sondern der Staat ist hier der große
Menschenimporteur gewesen. Die Prokuratoren,
fiskalische Beamte, Verwalter der kaiserlichen
Domänen oder, wie in Noricum, wirkliche Gouver-
neure, hatten unter sich eine Menge von Steuer-
erhebem, Rentmeistem, Angestellten aller Art, welche
über ihren Bezirk verstreut waren, und diese Sub-
altembeamten waren im allgemeinen nicht von freier
Geburt. Ebenso verwandten die großen Unternehmer,
welche den Ertrag der Bergwerke und Steinbrüche
oder die Zolleinnahmen pachteten, in ihren Betrieben
ein zahlreiches Persona! unfreien Standes oder un-
freier Geburt, welches sie von auswärts einführten,
Leute dieser Art, Beauftragte des Kaisers oder der
Publicani, welche er sich substituierte, sind es, deren
— 55 —
Titel uns am häufigsten in den mithrischen Inschriften
des südlichen Pannoniens und Noricums begegnen.
In allen Provinzen haben die untergeordneten
Beamten der kaiserlichen Verwaltung bei der Aus-
breitung der Fremdkulte eine bedeutende Rolle ge-
spielt. Ebenso wie diese im Solde der Zentralgewalt
stehenden Männer die Repräsentanten der politischen
Einheit des Reiches waren im Gegensatz zum provin-
zialen Partikularismus, so waren sie auch die Apostel
der Universalreligionen gegenüber den Lokalkulten.
Sie bildeten gleichsam eine zweite, dem Befehl des
Herrschers unterstehende Armee, und ihr Einfluß auf
die Entwicklung des Paganismus ist dem der ersten
analog gewesen. Wie die Soldaten rekrutierten sie
sich zum größten Teil aus den asiatischen Landern;
■wie jene wechselten sie beständig ihren Aufenthalts-
ort nach Maßgabe ihres Aufrücken s in höhere
Chargen, und die Bestände ihrer Bureaux enthielten,
wie die der Legionen, Individuen jeder Nationalität,
So hat die Verwaltung mit ihren Schreibern
und ihren Rechnungsführern die Kenntnis der
Mysterien von einem Bezirk zum andern weiterge-
tragen. Eine charakteristische Tatsache: im kappa-
docischen Caesarea bringt ein vermutlich eingeborener
Sklave, arcarius dispensatoris Augu^ti, in sehr gutem
Latein dem Mithra ein Bild der Sonne dar. Im
Inneren Dalmatiens, wo die Denkmäler des persischen
Gottes ziemlich spärlich sind, weil diese Provinz
frühzeitig von Legionen entblößt wurde, haben
dennoch fiskalische, Post- und Zollbeamte ihre Namen
auf einigen Weihinschriften hinterlassen. In den
Grenzprovinzen vor allem mußten die Finanzbeamten
der Cäsaren zahlreich sein, nicht nur um die Ein-
- 56 -
fuhrzölle auf die verschiedenen Waren einzuziehen,
sondern weil die drückendste Ausgabe der kaiser-
lichen Kassen in den Unterhaltungskosten der Truppen
bestand. Es ist daher natürlich, daß man disfensa-
fores, exactores, prociiratorcs imd andere entsprechende
Titel in den mithrischen Texten Daciens und Afrikas
erwähnt findet.
Hier haben wir also einen zweiten Weg, auf
welchem der iranische Gott in die Ortschaften bei
den Lagern einzudringen vermochte, wo er, wie wir
sahen, von den orientalischen Soldaten verehrt wurde.
Im allgemeinen erforderte die Organisation der Ver-
waltung und die Bedienung der Offiziere die Ver-
schickung von öffentlichen und Privatsklaven nach
allen Garnisonen, während gleichzeitig die sich stets
erneuernden Bedürfnisse dieser zusammengehäuften
Massen die Geschäftsleute von allen Seiten her dort-
hin zogen. Anderseits siedelten sich, wie bereits
gesagt, die Veteranen häufig in den Häfen imd in
den Großstädten an, wo mit ihnen wieder die Sklaven
und die Kaufleute zusammentrafen. Wenn man nun
behauptet, daß Mitfu"a auf die eine oder die andere
Weise in diese oder jene Gegend gekommen sei, so
kann diese Verallgemeinerung offenbar keinen An-
spruch auf absolute Genauigkeit erheben. Die kon-
kiurierenden Ursachen der Ausbreitung dieser Myste-
rien mischen sich und fließen zusammen, und es
würde vergebliche Mühe sein, wollte man ihr wirres
Geflecht in seine einzelnen Fäden aufzulösen ver-
suchen. Einzig und allein — wie es nur zu oft der
Fall ist — auf Inschriften unbestimmten Datums an-
gewiesen, in denen neben dem Namen des Gottes
lediglich der eines Mysten oder eines Priesters figu-
— 57 —
nett, sind wir nicht in der Lage, in jedem einzelnen
Falle die Umstände angeben zu können, welche der
neuen Religion förderlich gewesen sind. Die vor-
übergehenden Einflüsse entziehen sich unserer Be-
obachtung beinahe ganz. Hat bei dem Regierungs-
antritt Vespasians der längere Aufenthalt syrischer
Truppen in Italien, die eifrige Verehrer der Sonne
waren, irgendeine dauernde Wirkung ausgeübt? Hat
die von Alexander Severus nach Germanien geführte
Armee, die nach Lampridius^) potentisstma per Arme-
nios et Osrho'enos et Parthos war, der mithrischen
Propaganda an den Ufern des Rheins einen neuen
Aufschwung gegeben? Hat keiner jener hohen
Beamten, welche Rom Jahr für Jahr an die Euphrat-
grenze sandte, den Glauben seiner Untergebenen an-
genommen? Schifften sich nicht kappadocische und
pontische Priester, z. B. die der syrischen Göttin,
nach dem Occident ein, in der Hoffnung dort von
der Leichtgläubigkeit der Menge zu leben? Schon
unter der Republik trieben sich die chaldäischen
Astrologen auf den Hauptstraßen Italiens umher,
und zur Zeit Juvenals verkauften die Wahrsager aus
Kommagene und Armenien in Rom ihre Orakel-
spruche, Diese nebensächlichen HüUsmittel wie alle,
welche der Verbreitung der orientalischen Religionen
im allgemeinen forderlich gewesen sind, können auch
dem Mithrakult zu gute gekommen sein. Aber die
wirksamsten Faktoren seiner Verbreitung sind un-
streitig die Soldaten, die Sklaven und die Kaufleute
gewesen. Abgesehen von den detaillierten Belegen,
weiche wir beigebracht haben, würde das Auftreten
l) Lamprid., Alex. Sev. c. 6l; cf, Capitol., Maximin. i
— 58 —
seiner Denkmäler in den militärischen und Handels-
plätzen, in den Gegenden, wohin sich der breite
Strom der asiatischen Auswanderung ei^oß, genügen
um dies zu beweisen.
Ihr Fehlen an anderen Orten zeigt es ebenso
deutlich. Warum findet man in Asien, in BithjTiien.
in Galatien, in den Nachbarprovinzen solcher, wo
sie seit Jahrhunderten gefeiert wurden, keine Spur
der persischen Mysterien? Weil die Produktion
dieser Länder ihren Verbrauch überstieg, weil der
Außenhandel dort in den Händen der griecliischen
Rheder war, weU sie Menschen exportierten, statt
sie von auswärts einzuführen, und weil seit Vespasian
wenigstens keine Legion mehr damit betraut war,
sie zu verteidigen oder im Zaume zu halten. Griechen-
land war gegen die Livasion der fremden Gottheiten
gefeit durch seinen nationalen Stolz, jenen Kultus
seiner ruhmreichen Vergangenheit, der in ihm unter
dem Kaiserreich den bezeichnendsten Grundzug des
Öffentlichen Lebens bildet. Überdies nahm ihm die
Abwesenheit von Soldaten oder ausländischen Sklaven
sogar die Gelegenheit, sich selbst imtreu zu werden.
Endlich fehlen die mithrischen Monumente fast ganz
im Zentrum und dem Westen Galliens, auf der
spanischen Halbinsel, im Süden Brittanniens; und
selten sind sie sogar im Inneren Dalmatiens. Hier
forderte bisher weder eine ständige Besatzung die
Überführung von Asiaten, noch vermochte irgend ein
internationaler Handelsplatz solche anzuziehen.
Mehr als irgend eine Provinz ist dagegen die
Stadt Rom reich an Entdeckungen aller Art gewesen.
In der Tat fand Mithra nirgfends sonst in demselben
Maße alle Bedingungen vereint, welche seinen Erfolg-
— 59 —
begünst^en: Rom besaß eine bedeutende C
aus Soldaten gebildet, welche man aus allen Teilen
des Reiches zusammengezogen hatte, und wenn sie
die honesta missia erhalten hatten, so siedelten sich
die Veteranen hier in großer Zahl an. Eine üppige
Aristokratie residierte hier, und ihre Paläste, wie
die des Kaisers, bevölkerten Tausende von orienta-
lischen Sklaven. Hier war der Sitz der Zentral-
verwaltung, und Sklaven derselben Art füllten ihre
Bureaux. Endlich stömten alle diejenigen, welche
die Lust an Abenteuern oder das Elend dazu trieb,
ihr Glück in der Feme zu suchen, in dieser „Welt-
herberge" zusammen und führten hier ihre Sitten
und Kulte ein. Gelegentlich mag auch die An-
wesenheit asiatischer Duodezfürsten, welche als
Geiseln oder Flüchtlinge mit ihrer Familie und ihrem
Gefolge in Rom lebten, der mazdäischen Propaganda
forderlich gewesen sein.
Wie die meisten fremden Götter hatte Mithra
seine ersten Tempel ohne Zweifel außerhalb des
fomoerimn. Viele seiner Denkmäler sind jenseits
dieser Grenzlinie gefunden worden, namentlich in der
Nähe des Campus Praetorianus; aber noch vor dem
Jahre i8i n. Chr. hatte er die heilige Schranke durch-
brochen und sich im Herzen der Stadt festgesetzt.
Leider ist es nicht möglich, ihm auf seinem Wege
durch die riesenhafte Metropole Schritt für Schritt
zu folgen. Die datierten und ihrer Herkunft nach
unzweifelhaft bekannten Beweisstücke sind zu selten,
als daß man den Versuch wagen dürfte, die Lokal-
geschichte der persischen Religion in der Hauptstadt
zu rekonstruieren. Wir können lediglich im all-
gemeinen feststellen, daß sie hier zu hohem Glänze
— 6o —
emporge stiegen ist. Ihre angesehene SteÜung vtn
bezeugt durch etwa hundert Inschriften, mehr als
fiinfundsiebenzig plastische Bruchstücke und eine
Reihe von Tempeln und Kapellen, die über alle
Quartiere und das Weichbild der Stadt zerstreut
sind. Das berühmteste dieser spelaea ist mit Recht
dasjenige, welches noch in der Renaissancezeit in
einer Grotte des Kapitols existierte, und aus dem
das gegenwärtig in Louvre befindliche große Bas-
relief Borghese stammt. Es scheint bis auf das
Eude des 2. Jahrhunderts zurückzugehen.
In dieser Zeit ist Mithra aus dem Halbdunkel
hervorgetreten, in dem er bislang gelebt hatte, um
einer der beliebtesten Götter der Aristokratie und
des Hofes zu werden. Wir haben gesehen, wie er
aus dem Orient kam als die verächtliche Gottheit
von Asiaten, welche nach Europa ausgewandert oder
— noch öfter — transportiert waren. Es ist un-
zweifelhaft, daß er seine ersten Eroberungen in den
unteren Schichten der Bevölkerung gemacht hat,
und — eine wichtige Tatsache — der Mithriacismus
ist lange Zeit hindurch die Religion der niederen
Stände geblieben. Die ältesten Inschriften bezeugen
es in beredter Weise, denn sie rühren ohne Ausnahme
von Sklaven oder ehemaligen Sklaven, von Soldaten
oder ehemaligen Soldaten her. Aber es ist bekannt,
welche hohen Stellungen die Freigelassenen zur
Kaiserzeit erstreben konnten , und die Söhne der
Veteranen oder der Centurionen wurden oft wohl-
habende Bürger. So mußte die Religion, nachdem
sie einmal auf lateinischen Boden verpflanzt war,
vermöge einer ganz natürlichen Entwicklung wachsen
an Reichtum und an Macht, und bald zählte sie zu
— 6t —
ihren Anhängern in Rom einflußreiche Beamte, in
den Municipien Augustalen und Decurionen. Unter
den Antoninen begannen die Literaten und die
Philosophen sich für die Dogmen und Riten dieses
originellen Kultes zu interessieren. Lucian parodiert
geistreich seine Bräuche^), und im Jahre 177 stellt
Celsus ohne Zweifel in seinem Wahren Wort seine
Lehren denen des Christentums gegenüber.*) Um die-
selbe Zeit widmete ein gewisser Pallas ihm ein be-
sonderes Werk, und Porphyrius zitiert einen Eubulus,
welcher „Mithrische Unter suchung-en" in mehreren
Büchern {rriv irepi toO Mi9pa laiopiav dv iroXXoic ßißXioic)
veröffentlicht hatte. ^ Wenn diese Schriften nicht un-
wiederbringlich verloren gegangen wären, so würden
sie uns jedenfalls immer wieder von Truppen er-
zählen, die — Offiziere wie Soldaten — zu dem
Glauben der Erbfeinde des Reiches übergingen, imd
von vornehmen Herren, welche durch die Diener
ihres Hauses bekehrt wurden. Die Denkmäler er-
wähnen oft die Namen von Sklaven neben denen von
Freien; und bisweilen sind es jene, welche den höch-
sten Grad unter den Eingeweihten bekleiden. In
diesen Bruderschaften wurden die Letzten oft die
Ersten und die Ersten die Letzten, wenigstens dem
Anschein nach.
Ein bedeutsames Resultat ergibt sich aus allen
unseren Einzeluntersuchungen; daß die Ausbreitung
der persischen Mysterien sich mit einer ganz außer-
1) Lnc. Menipp., c. 6 BS. Cf. Dmr. cincil., c. 9; Jup. Trag.
c. a, 13 (T.etM. t. n, p. 22).
2) Origen., Canlr. Cell. I, 9 {T. et M., t. n, p. 30).
3) Porphyr., Dt AnCr. Nyfn.fih., c. J; De AbsUn. II, 56; IV, 16
(cf. T. et M. t. n, p, 39 SS. und I, p. 26 39.).
— 62 —
ordentlichen SchneUigkeit voUzogen haben muß.
Sie treten fast gleichzeitig in den entferntesten
Gegenden auf: in Rom, in Camuntum an der Donau,
in den Agri Decuraates. Man könnte von einem
Pulvers treifen sprechen, der plötzlich aufflammt.
Dieser reformierte Mazdaismus hat offenbar eine ge-
waltige Anziehung auf die Gesellschaft des zweiten
Jahrhunderts ausgeübt, deren Ursachen wir heute
nur noch unvollkommen zu erkennen vermögen.
Aber zu diesem eigenen Zauber, welcher die
Massen vor dem stiertötenden Gott niederknieen ließ,
gesellte sich noch ein äußerst wirksames Moment
äußerlicher Art: die kaiserliche Huld. Lampridius")
berichtet uns, daß Commodus sich einweihen ließ und
an den blutigen Zeremonien der Liturgie teilnahm;
und die Inschriften beweisen, daß die Sympathie des
Monarchen für die Priester des Mithra eine ungeheure
Wirkung hatte. Von diesem Zeitpunkt an sieht man
die höchsten Würdenträger des Reiches dem Bei-
spiel des Souveräns folgen und eifrige Anhänger
des iranischen Kultes werden. Tribunen, Präfekten,
Legaten, später per/ectissimi und clartssimt werden
häufig als Urheber der Dedikationen genannt, und
bis zum völligen Ende des Heidentums blieb die
Aristokratie der Sonnengottheit treu, welche lange
Zeit die Gunst der Fürsten genossen hatte. Um aber
die Politik der letzteren und die Motive ihres Wohl-
wollens verständlich zu machen, müssen wir die
mithrischen Lehren von der obersten Gewalt und ihre
Beziehungen zu den theo kr ati sehen Ansprüchen der
Cäsaren darstellen.
l) Lampr., Commod , c. 9 (7'. et M. t. Ü, p. 21). Cf. unten
Kap. m, S. 65.
DRITTES KAPITEL.
MITHRA LIND DIE KAISERLICHE GEWALT.
Dank der relativ späten Zeit ihrer Ausbreitung
entgingen die Mysterien des Mithra den Verfolgungen,
welche die bereits früher in Rom eingedrungenen
orientalischen Kulte und namentlich der Isiskult zu
erleiden hatten. Vielleicht beriefen sich einige von
den Astrologen oder „Chaldäem", welche unter den
ersten Kaisem zu verschiedenen Malen aus Italien
vertrieben wurden, auf den persischen Gott, aber diese
vagabundierenden Wahrsager, die trotz ebenso ohn-
mächtiger als strenger Senatsbeschlüsse immer wieder
in der Hauptstadt erschienen, bildeten weder einen
Klerus, noch verkündigten sie eine Religion. Als
sich gegen das Ende des ersten Jahrhtmderts der
Mithriacismus im Abendlande ausbreitete, begann die
mißtrauische Zurückhaltung oder selbst offene Feind-
schaft, welche lange Zeit hindurch für die römische
Politik gegen die ausländischen Priester bezeichnend
gewesen war, einer wohlwollenden Toleranz, wenn
nicht einer erklärten Gunst zu weichen. Schon Nero
hatte die Absicht gehegt, sich von den Magiern,
welche der König Tiridates von Armenien ihm zu-
geführt hatte, in die Ceremonien des Mazdaismus ein-
weihen zu lassen, und dieser hatte in seiner Person
eine Emanation des Mithra angebetet.
— 64 -
Leider haben wir keine direkten Berichte über
die rechtliche Stellung der Associationen der cultores
Solls imiicti Mithrae. Kein Text meldet xins, ob die
Existenz dieser Bruderschaften ganz zuerst einfach
geduldet wurde, oder ob sie infolge staatlicher An-
erkennung von Anfang an das Recht des Besitzes
und der Selbstverwaltung erhalten hatten. Jedenfalls
ist nicht anzunehmen, daß eine Religion, welche
stets zahlreiche Anhänger in der Verwaltung und
der Armee besaß, von dem Herrscher lange in un-
geordneten Verhältnissen belassen worden ist Viel-
leicht konstituierten sich diese Associationen, um auf
gesetzlichem Boden zu bleiben, als Begräbnisgenossen-
schaften {collegia funer aticid) und partizipierten so an
den solchen Korporationen bewilligten Privilegien.
Wie es scheint, haben sie jedoch zu einem noch
wirksameren Mittel gegriffen. Sobald wir das Vor-
handensein des persischen Kultes in Italien feststellen
können, finden wir ihn eng verbunden mit dem der
Großen Mutter von Pessinus, welcher von dem
römischen Volke drei Jahrhunderte früher feierlich
angenommen war. Obendrein wurde der blutige
Brauch das Tauroboliums , der unter dem Einflüsse
niazdäischer Glaubens Vorstellungen in die Liturgie
der phrygischen Göttin eingedrungen war, vermutlich
seit der Zeit Marc Aureis durch die Bewilligung
bürgerlicher Freiheiten befördert,') Doch wissen wir
nicht mehr, ob diese Union der beiden Gottheiten
durch eine Entscheidung des Senats oder des
Herrschers sanktioniert worden war. In diesem Falle
würde der fremde Gott sofort das Bürgerrecht iu
i)Cf: u
Italien erlangt haben und in demselben Sinne römisch
geworden sein wie Cybele oder die Bellona von
Comana, Aber selbst wenn eine förmliche Ent-
scheidung der ÖffentUchen Gewalten nicht ergangen
sein sollte, so ist doch die Annahme durchaus be-
rechtigt, daß Mithra wie Attis, der -ihm assimiliert
worden war, der Magna maier zugesellt wurde und
in irgend einer Weise aus der offiziellen Protektion
Vorteil zog, deren sich diese erfreute. Indessen
scheint sein Klerus keine regelmäßige Dotation aus
Öffentlichen Mitteln erhalten zu haben, wennschon
der Fiskus oder die Munizipalkassen ihm ausnahms-
weise gewisse Unters tützung^en gewährt haben mögen.
Am Ende des zweiten Jahrhunderts verwandelte
sich die mehr oder weniger zurückhaltende Freund-
lichkeit, welche die Cäsaren den iranischen Mysterien
gegenüber gezeigt hatteii, mit einem Schlage in
eine nachdrückliche Unterstützung. Commodus ließ
sich in die Schar ihrer Adepten aufnehmen und
nahm an ihren geheimen Zeremonien teil, und die
Auffindung zahlreicher Weihinschriften, welche dem
Heil dieses Fürsten gewidmet sind oder aus seiner
Regierungszeit stammen, läßt uns ahnen, welchen
Aufschwung diese kaiserliche Bekehrung der mithri-
schen Propaganda gegeben hat. Nachdem der letzte
der Antonine in dieser Weise mit den alten Vor-
urteilen gebrochen hatte, scheint die Gunst seiner
Nachfolger der neuen Religion endgültig sicher
gewesen zu sein. Seit den ersten Jahren des 3. Jahr-
hunderts hatte sie einen Kaplan im Palast der
Auguste, und man sah ihre Gläubigen Votivgaben
und Opfer darbringen zu Gunsten der Severer und
später des Philippus. Aurelian, welcher den offiziellen
— 66 —
Kultus des Sol tnvülus einführte, konnte emer Lrott-
heit, die als identisch mit der betrachtet wurde,
welche er durch seine Pontifices verehren ließ, nur
Sympathie entgegenbringen. Im Jahre 30; weihten
Diokletian, Galerius und Licinius gelegentlich ihrer
Begegnung in Carnuntum aufgrund gemeinsamen
Übereinkommens dem Mithra fautoH imperii sui
einen Tempel, und der letzte Heide, der auf dem
Throne der Cäsaren gesessen hat, Julian Apostata, war
ein glühender Verehrer dieses göttlichen Schirmherm,
den er in Konstantin opel schleunigst anbeten ließ.
Eine solche sich stets gleichbleibende Begünsti-
gimg durch Monarchen, welche in ihrer Gesinnung
und ihren Tendenzen so verschieden waren, kann
nicht aus vorübergehenden Anwandlungen oder in-
dividuellem Geschmack erklärt werden, Sie muß
tiefere Gründe gehabt haben. Wenn die Herren
des Reiches zwei Jahrhunderte hindurch eine solche
Vorliebe für diese fremde Religion zeigten, obwohl
sie unter Feinden geboren war, welche die Römer
fortgesetzt bekämpften, so ließen sie sich dabei
offenbar von irgend einer Staatsräson leiten. Und
in der Tat fanden sie in ihren Lehren eine Stütze
für ihre persönliche Politik und einen Anhalt ftir die
autokratischen Ansprüche, deren Geltendmachung sie
sich angelegen sein ließen.
Man kennt die langsame Entwicklung, welche
im Laufe der Zeit den Prinzipat, wie ihn Augustus
begründet hatte, in eine Monarchie von Gottes Gnaden
umwandelte. Der Kaiser, dessen Autorität in der
Theorie dem Volke entstammte, war anfänglich nur
der erste Magistrat Roms. In dieser Eigenschaft allein,
als Erbe der Tribunen und des obersten Pontifex,
I
- 67 —
war er unverletzlich und mit dem Charakter der
Heiligkeit bekleidet. Aber gerade wie seine Macht,
die anfangs gesetzlich beschränkt war, in Folge
wiederholter Übergriffe schließlich in den Absolutismus
ausmündete, ebenso wurde der Herrscher vermöge
paralleler Entwicklung aus dem Beauftragten des
Volkes ein Repräsentant Gottes auf Erden, selbst
Gott [domimis et deui). Bald nach der Schlacht
bei Actium machte sich eine Bewegung bemerkbar,
welche in absolutem Gegensatze zu der demo-
kratischen Fiktion des Cäsarismus stand: die asia-
tischen Städte beeilten sich Augustus Tempel zu
errichten und ihm einen Kult zu widmen. Bei diesen
Völkerschaften waren die monarchischen Erinnerungen
lebendig geblieben. Sie verstanden nichts von den
subtilen Distinktionen, mit denen man sich in Italien
ZU täuschen versuchte. Für sie war der Herrscher
inuner ein König (ßaciXeuc) und ein Gott (Öeöc).
Die Metamorphose der kaiserlichen Gewalt bedeutet
den Triumph des orientalischen Geistes über den
römischen Genius und den der religiösen Idee über
den juristischen Begriff.
Mehrere Historiker haben die Organisation dieses
Kaiserkultes im einzelnen untersucht und seine
politische Bedeutung dargelegt. Aber vielleicht
hat man nicht ebenso klar gesehen bezüglich der
theologischen Grundlage, auf welcher er beruht. Es
genügt nicht, einfach zu konstatieren, daß die Fürsten
in einer gewissen Zeit nicht nur nach ihrem Tode gött-
liche Ehren empfingen, sondern sich diese auch schon
während ihrer Regierung zuerkennen ließen. Viel-
mehr ist zu erklären, wie sich diese Vergötterung einer
lebenden Persönlichkeit, eine neue Art der Apotheose,
— 68 —
welche ebensosehr der gesunden Vernunft wie der
römischen Überlieferung widerspricht, doch schließlich
fast allgemein durchgesetzt hat. Der beharrliche
Widerstand der öffentlichen Meinung wurde über-
wunden, als die Religionen Asiens die Massen er-
obert hatten. Sie verbreiteten unter ihnen Lehren,
welche darauf abzielten, den Monarchen über die
gewöhnliche Menschheit zu erheben; und wenn sie
sich die Gunst der Cäsaren und besonders derjenigen
von ihnen erwarben, welche nach absoluter Macht-
vollkommenheit strebten, so war dies eine Folge
davon, daß sie eine dogmatische Rechtfertigung für
ihren Despotismus erbrachten. An die Stelle des
alten Prinzips der Volkssouveränität trat ein theologi-
sierender Glaube an übernatürliche Einflüsse, Wir
werden zu zeigen versuchen, welche Rolle der
Mithriacismus bei dieser fundamentalen Umwälzung
gespielt hat, über welche uns die geschichtlichen
Quellen, die uns zu Gebote stehen, nur unvollkommen
unterrichten.
Manche Erscheinungen könnten zu der irrtümlichen
Annahme verleiten, daß die Römer alle diese Ideen
aus Ägypten entlehnt hätten. Dieses Land, dessen
Institutionen in so vielfacher Hinsicht fiir die
administrativen Reformen des Kaiserreichs von Be-
deutung gewesen sind, konnte ihm auch das vollendete
Vorbild einer theokratischen Regierung üefem. Nach
den alten Glaubens Vorstellungen Ägyptens stammte
nicht nur das Königsgeschlecht von dem Sonnen-Rä
ab, sondern war auch die Seele jedes Herrschers
eine abgestoßene Verdoppelung des Sonnen-Homs,
Alle Pharaonen waren daher aufeinanderfolgende
Inkarnationen des Tagesgestims. Sie waren nicht
- 6, -
bloß Reprusentanten der Gottheit, sondern lebendige
Götter, verehrt gleich dem, der die Himmel durch-
eilt, und ihre Insigiiien waren den seinigen ähnlich.
Als die Achämeniden und spater die Ptolemaer
die Herren des Niltales geworden waren, erbten sie
die Huldigungen, welche man den alten Königen
zugebilligt hatte, und es ist unzweifelhaft, daß Augustus
und seine Nachfolger, welche alle religiösen Bräuche
des Landes wie seine politische Verfassung mit
peinlicher Sorgfalt respektierten, sich dort von ihren
Untertanen den Charakter beilegen ließen, welche
eine mehr als drei tausend] ährige Überlieferung den
Potentaten Ägyptens zuerkannte.
Von Alexandrien aus, wo sogar die Griechen
ihn annahmen, verbreitete sich dieser theokratische
Glaube weit über das Reich. Die Priester der Isis
waren in Italien seine erfolgreichen Missionare, Die
Proselyten, welche sie in den höchsten Klassen der
Gesellschaft machten, mußten von ihm durchdrungen
werden. Die Kaiser, deren geheimem oder ein-
gestandenem Ehrgeiz diese Predigt schmeichelte, er-
mutigten sie bald offen. Wenn aber auch ihre Politik
aus der Verbreitung der ägyptischen Lehren Nutzen
ziehen konnte, so brachten sie es doch nicht fertig,
diesen in Bausch und Bogen Geltung zu verschaffen.
Seit dem ersten Jahrhundert ließen sie sich von ihrer
Dienerschaft und ihrer Kanzlei, die zur Hälfte aus
Orientalen bestanden, deiis noster nennen; aber sie
wagten damals nicht, diesen Namen in ihre offizielle
Titulatur aufzunehmen. Von dieser Zeit an konnten
gewisse Cäsaren, ein Caligula, ein Nero, davon
träumen, daß sie auf der Bühne der Welt dieselbe
Rolle spielten wie die Ptolemaer in ihrem König-
— 7° —
reich; sie konnten sich einbilden, daß aie ver-
schiedensten Götter in ihren Personen wiederauf-
lebten, aber alle aufgeklärten Römer waren über
solche Extravaganzen entrüstet. Der lateinische
Geist empörte sich gegen die von der orientalischen
Phantasie geschaffene ungeheuerliche Fiktion. Die
Apotheose eines regierenden Fürsten stieß selbst
noch viel später unter den letzten Heiden auf ent-
schiedene Gegner. Um sie allgemein annehmbar
zu machen, bedurfte es einer minder plumpen Theorie
als der der alexandrinischen Epiphanie. Die mithrische
Religion war es, welche sie darbot.
Die Perser warfen sich gleich den Ägyptern
vor ihren Herrschern zur Erde nieder, aber sie be-
trachteten sie dennoch nicht als Götter, Wenn man
dem „Dämon" des Königs einen Kult widmete, wie
in Rom dem gemus Caesaris, so verehrte man auf
diese Weise nur das göttliche Element, welches
in jedem Menschen vorhanden ist und einen Teil
seiner Seele bildet. Die Majestät der Monarchen
war lediglich deshalb eine geheiligte, weil sie ihnen
von Ahura-Mazda verliehen wurde, dessen Wille sie
auf den Thron berufen hatte. Sie regierten durch
die Gnade des Schöpfers Himmels und der Erde.
Die Iranier stellten sich diese Gnade vor wie eine
Art übernatürlichen Feuers, leuchtender Aureole,
„Glorie", welche vor allem den Göttern eigen war,
aber auch die Fürsten umglänzte und ihre Macht
heiligte. Das HvarenÖ, wie sein Name im Avesta
lautet, erleuchtet die legitimen Herrscher und weicht
von Usurpatoren als Gottlosen, die bald mit seinem
Besitz Krone imd Leben verlieren. Denjenigen da-
gegen, welche es zu empfangen und zu behalten
verdienen, sind immerwährendes Glück, unermeßlicher
Ruhm und der Sieg über alle ihre Feinde beschieden.
Diese den Persem durchaus eigentümliche Vor-
stellung hatte kein Äquivalent in den übrigen Mytho-
logieen, und die fremden Völker stellten die mazdäische
Glorie in wenig zutreffender Weise dem Glücke
gleich: die Semiten identifizierten sie mit ihrem Gad%
die Grriechen übersetzten ihren Namen mit Tiixi- Die
Yerschiedenen Dynastieen, welche nach dem Sturze
der Achämeniden ihren Stammbaum bis auf ein
Glied des alten Regentenhauses zurückzuführen
suchten, weihten natürlich dieser besonderen Tyche.
deren Protektion sowohl die Konsequenz als der
Beweis ihrer Legitimität war, einen Kult Man sah,
wie das HvarenO zugleich und aus denselben Gründen
von den Königen von Kappadocien und Pontus wie
von denen von Baktriana verehrt wurde, und die
Seleuciden, welche lange Iran beherrschten, wurden
ebenfalls als die Schützlinge der von dem höchsten
Gott gesandten Fortmia betrachtet. In seiner Grab-
schrift scheint sich Antiochus von Kammagene selbst
mit der Göttin zu identifizieren. Die mazdäischen
Ideen über die monarchische Gewalt verbreiteten
sich so im westlichen Asien zu derselben Zeit wie
der Mithriacismus. Aber gleich diesem hatten sie
sich mit semitischen Lehren verflochten. Der Glaube,
daß das Schicksal die Krone gibt und nimmt, zeigte
sich schon bei den Achämeniden. Nun wird aber
nach den Chaldäem das Geschick notwendig be-
stimmt durch die Revolution der Sternhimmel, und
t) Vgl. ober diesen GoR Buethgcn, Beit
gtsehichtt L, S, 76—80.
der strahlende Himmelskörper, welcher seine Begleiter
zu regieren scheint, wurde als königliches Gestirn
par exellence aufgefaßt. So wurde die unbesiegbare
Sonne ("HXioc äviKriTOc), mit Mithra identifiziert, während
der alexandrinischen Periode allgemein als Spenderin
des H-vareno betrachtet, welches den Sieg verleiht.
Der Monarch, auf welchen diese göttliche Gnade
sich niederließ, war damit über die Sterblichen
erhoben und wurde von seinen Untertanen als Genosse
der Unsterblichen verehrt.
Nach dem Verschwinden der asiatischen Reiche
übertrug sich die Verehrung, deren Gegenstand ihre
Dynastieen gewesen waren, auf die römischen Kaiser.
Die Orientalen begrüßten in ihnen ohne weiteres
die Auserwählten der Gottheit, denen die Fortuna
der Könige die Allgewalt verliehen hatte. Je mehr
sich die syrischen Religionen und namentlich die
Mithrasmysterien in Rom verbreiteten, um so zahl-
reichere Verteidiger fand die mehr oder weniger
semitisch gefärbte alte mazdäische Theorie in der
offiziellen Welt. Anfangs wagte sie sich nur schüchtern
hervor, dami dokumentierte sie sich immer deutlicher
in den heiligen Institutionen und der kaiserlichen
Titulatur, deren Bedeutung nur mit ihrer Hülfe zu
verstehen ist.
Seit der Zeit der Republik verehrte man zu
Rom unter verschiedenen Namen die „Fortuna des
römischen Volkes". Dieser alte nationale Kult ver-
band sich frühzeitig mit den Glaubensvorstellungen
des Orients, in dem nicht nur jedes Land, sondern
jede Stadt ihr deifiziertes Schicksal anbetete. Wenn
Plutarch uns berichtet, daß Tyche die Assyrer und
die Perser verlassen habe, um Ägypten und Syrien
I
— 73 —
zu durchwandern und sich auf dem Palatin nieder-
zulassen, so ist diese Metapher noch in einem anderen
Sinne wahr als in dem, welchen man darin gefunden
hat. Auch den Kaisem gelang es leicht, nach dem
Vorbilde ihrer asiatischen Vorgänger neben der
Anbetung jener Göttin des Staates auch die Ver-
ehrung derjenigen einzufuhren, welche über ihre
eigene Person wachte. Die Fortuna Aiigusii er-
scheint seit Vespasian auf den Münzen, und ebenso
wie früher die Untertanen der Diadochen schwören
mm die der Cäsaren bei der Fortuna des Fürsten.
Die abergläubische Devotion der letzteren für ihre
Schutzherrin war so groß, daß sie wenigstens im
zweiten Jahrhundert beständig, selbst während des
Schlafes und auf Reisen, eine goldene Statuette der
Gröttin bei sich führten, welche sie sterbend ihrem
Nachfolger übergaben und unter dem Namen Fortuna
regia, einer Übersetzung von TOxi ßaciX^yJC, anriefen.
In der Tat sind sie, sobald diese Schützerin sie verläßt,
dem Tode oder Unglücksfällen und Schicksalsschlägen
preisgegeben; solange sie jene behalten, kennen sie
nur Glück und Erfolg.
Seit der Regierung des Commodus, von welcher
an der Triumph der orientalischen Kulte und be-
sonders der Mithrasmysterien datiert, führen die
Kaiser offiziell die Titel pius, felix, invictus, die seit
dem 3. Jahrhundert einen regelmäßigen Bestandteil
der amtlichen Titulatur bilden. Diese Epitheta sind
bedingt durch den eigenartigen Fatalismus, welchen
Rom dem Orient entliehen hatte. Der Monarch ist
„fromm", denn seine Frömmigkeit allein kann ihm
die besondere Gunst erhalten, welche der Himmel
ihm zu teil werden läßt; er ist „glücklich" in dem.
— 74 —
was er beginnt (eüxuxiic), eben weil er von der
göttlichen Gnade erleuchtet wird; endlich ist er „un-
besiegbar", denn die Niederlage der Feinde des
Reiches ist der glänzendste Beweis dafür, daß diese
schirmende Gnade nicht aufhört ihn zu begleiten.
Die legitime Autorität wird nicht durch Erbfolge
oder durch ein Votum des Senates verliehen, sondern
durch die Götter, und sie offenbart sich durch den Sieg,
Alles dies ist den alten raazdäi sehen An-
schauungen konform, und der Gebrauch des letzten
Adjektivs verrät außerdem die Einwirkung der astro-
logischen Theorieen, welche sich mit dem Parsismus
verschmolzen hatten. Invictus, öviKrixoc ist, wie wir
gesehen haben, der gewöhnliche Beiname der aus
dem Orient eingeführten Gestimgötter und vor allem
der Sonne. Die Kaiser haben diese Bezeichnung
offenbar gewählt, um sich mit der himmlischen Gott-
heit in Verbindtmg zu bringen, deren Vorstellung
jene sofort hervorrief. Die Lehre, daß das Los der
Staaten wie das der Individuen an den Lauf der
Gestirne geknüpft sei, hatte als Korollarium die
andere nach sich gezogen, daß der Beherrscher der
Planeten auch über die Fortuna der Könige gebiete.
Er war es, der diese auf den Thron erhob oder von
ihm herabstürzte, der ihnen ihre Siege verbürgte
oder sie mit Schicks alsschlägen heimsuchte. Sol
wird als der Begleiter [comes) des Kaisers und als
sein persönlicher Beschützer (cofiservaior) betrachtet.
Wir haben gesehen, daß Diokletian in Mithra den
fautor imperii sui verehrte.
Indem sich die Cäsaren den Beinamen „der
Unbesiegbare" gaben, bekundeten sie sonach den
innigen Bund, welchen sie mit der Sonne geschlossen.
N
— 75 —
I strebten darnach, sieb ihr zvt assimilieren.
Aas demselben Grunde haben sie das noch über-
schwänglichere Epitheton „der Ewige" angenommen,
welches, schon seit längerer Zeit im gewöhnlichen
Verkehr gang und gäbe, im 3. Jahrhundert auch ein
Bestandteil des offiziellen Formulars «Tu^e. Dieser
Beiname wird, wie der erste, namentlich von den
Sonnengottheiten des Orients geführt, deren Kultus
sich im Anfange unserer Zeitrechnui^ nach Italien
verbreitete. Auf die Herrscher angewandt, verrät
er noch deuthcher als der vorhergehende die Über-
zeugung, daß sie aufgrund ihrer engen Gremeinschaft
mit Sol durch eine Art Wesensidentität mit ihm
verbunden seien.
Diese Cberzeugimg offenbarte sich auch in den
Sitten des Hofes. Das himmlische Feuer, welches
ewig in den Gestirnen leuchtet, die immer wieder
über die Finsternis triumphieren, wurde symbolisch
dargestellt durch das nie erlöschende Feuer, welches
im Palast der Cäsaren brannte und bei den offiziellen
Zeremonien vor ihnen hergetragen wurde. Dieser
beständig flammende Herd war schon für die Perser-
könige das Sinnbild der Ewigkeit ihrer Herrscher-
gewalt und ging samt den mystischen Ideen, welche
er zum Ausdruck brachte, auf die Diadochen, dann
auf die Römer über. Ebenso ist die Strahlenkrone,
welche die Kaiser seit Nero nach dem Vorbilde
der Seleuciden und der Ptolemäer zum Zeichen ihrer
Souveränität erwählten '), ein Beweis fiir diese politisch-
religiösen Tendenzen. Ein Symbol des Glanzes der
Sonne und der Strahlen, weiche sie aussendet, schien
1) VgU oben S. 23, Fig. 1
- 76 -
sie den Monarchen dem Grotte gleichzustellen, dessen
Licht unsere Augen blendet.
In welche heilige Beziehung setzte man die
strahlende Scheibe, welche den Himmel erleuchtet,
zu dem menschlichen Bildnis, welches sie auf Erden
repräsentiert? Der loyale Eifer der Orientalen kannte
kein Maß in seinen Apotheosen. Die Sassaniden-
könige nannten sich, wie ehemals die Pharaonen,
„Brüder der Sonne und des Mondes", und die Cäsaren
TiVurden beinahe in derselben "Weise in Asien als
successive Verkörperungen des Helios betrachtet
Manche Selbstherrscher billigten die Gleichstellung
ihrer Person mit dieser Gottheit und ließen sich
Statuen errichten, welche sie mit ihren Attributen
geschmückt darstellten. Sie ließen sich sogar als
Emanationen des Mithra anbeten. Aber diese un-
öinnig-en Ansprüche wurden von dem niichtemen
Verstände der lateinischen Völker zurückgewiesen.
Wie wir bereits angedeutet haben, vermeidet man
im Abendlande derartige absolute Behauptungen,
Man gelallt sich in Metaphern; man liebt es, den
Herrscher, der die bewohnte Welt regiert, und dem
nichts entgehen kann, was sich ereignet, mit der
himmlischen Leuchte zu vergleichen, welche das
Universum erhellt und seine Geschicke bestimmt.
Man gebraucht vorzugsweise vage Ausdrücke, welche
alle möglichen Auslegungen zulassen. Man erkennt
an, daß der Fürst mit den Unsterblichen durch irgend
ein verwandtschaftliches Verhältnis verknüpft ist,
ohne jedoch den Charakter des letzteren näher zu
bezeichnen. Nichtsdestoweniger führte die Vor-
stellung, daß der Sonnengott den Kaiser in seiner
Obhut hätte, und daß übernatürliche Wirkungen
— 77 —
von dem einen auf den anderen ausgingen, allmählich
zu der ihrer KonsubstantialitäL
Nun lieferte die von den Mysterien gelehrte
Psychologie fiir diese Konsubstantialität eine rationelle
Erklärung und gab ihr beinahe eine wissenschaftliche
Grundlage. Ihren Annahmen zufolge präexistieren
die Seelen im Empyreum, und wenn sie auf die Erde
niedersteigen , um den Körper aufzusuchen, in den
sie eingehen wollen, so durchreisen sie dabei die
Sphären der Planeten und empfangen von jedem der-
selben irgendwelche Eigenschaften. Für alle Astro-
logen ist die Sonne, woran wir bereits erinnert haben,
das königliche Gestirn, und infolgedessen ist sie es,
welche ihren Auserwählten die Tugenden des Herr-
schers verleiht und sie zur Regierung beruft.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, wie sehr diese
Theorieen die Frätensionen der Cäsaren beg:ünstigten.
Sie sind in Wahrheit die Herren nach dem Recht
der Geburt (deiis et dominus nattis), denn seit ihrer
Ankunft in der Welt haben die Sterne sie für den
Thron bestimmt; sie sind göttlich, denn sie tragen
gewisse Elemente der Sonnengottheit in sich, deren
vorübergehende Inkarnation sie in gewissem Sinne
darstellen. Vom gestirnten Himmel herabgestiegen,
werden sie nach ihrem Tode dorthin zurückkehren,
um bei den Göttern als ihresgleichen ewig zu leben.
Der gemeine Mann bildete sich sogar ein, daß der
verstorbene Kaiser, ganz wie Mithra am Schlüsse
seiner Laufbahn, von Helios auf seiner glänzenden
Quadriga entrückt würde.
So kombinierte die Dogmatik der persischen
Mysterien zwei Theorieen verschiedenen Ursprungs,
welche beide darauf ausgingen, die Fürsten über die
- 78 -
gewöhnliche Menschheit zu erheben. Einerseits wurde
die alte mazdäische Vorstellung des Hvarenß zur
„Fortuna des Königs", welche ihn mit himmlischer
Gnade erleuchtet und ihm den Sieg verleiht. Ander-
seits ermöglichte die Idee, daß die Seele des Monarchen
in dem Augenblicke, wo das Schicksal sie hienieden
ankommen ließ, ihre Herrschergewalt von der Sonne
empfinge, die Behauptung, daß sie an der Gottheit
dieses Planeten teilnehme und sein Repräsentant auf
Erden sei.
Diese religiösen Vorstellungen können uns heute
absurd und beinahe monströs erscheinen. Nichts-
destoweniger sind sie jahrhundertelang von Millionen
sehr verschieden gearteter Menschen geteilt und haben
diese in einund derselben monarchischen Überzeugung
vereint. Mochten auch die gebildeten Stände , in
denen die literarische Überlieferung immer einige
Spuren des alten republikanischen Geistes erhielt,
demgegenüber bis zu einem gewissen Grade skeptisch
gestimmt bleiben, das Volksbewußtsein nahm diese
theokratischen Hirngespinste mit Wohlgefallen in sich
auf und ließ sich von ihnen bestimmen, solange das
Heidentum dauerte. Man kann sogar sagen, daß sie
den Sturz der Idole überlebten, und daß die Ver-
ehrung der Menge wie das Zeremoniell des Hofes
fortfuhren die Person des Souveräns als ein über-
natürliches Wesen zu betrachten. Aurelian hatte
versucht eine offizielle Religion einzuführen, welche
umfassend genug sein sollte, um sämtliche Kulte
seiner Staaten in sich aufzunehmen, und die, wie bei
den Persem, zur Rechtfertigung und Stütze des
kaiserlichen Absolutismus gedient haben würde.
Dieser Versuch scheiterte vor allem an der unver-
— 79 —
sohnlichen Opposition der Christen. Aber der Bund
von Thron und Altar, von welchem die Cäsaren des
3. Jahrhunderts geträumt hatten, verwirklichte sich
imter anderer Gestalt, und eine seltsame Wendung
der Dinge fugte es, daß die Kirche dazu berufen
wurde, das Gebäude zu stützen, dessen Grundfesten
sie erschüttert hatte. Das Werk, welches die Priester
des Serapis, des Baal und des Mithra vorbereitet
hatten, wurde ohne sie und im Gegensatz zu ihnen
vollendet; aber sie hatten nichtsdestoweniger zuerst
im Abendlande das göttliche Recht der Könige ge-
predigt und so den Anstoß zu einer Bewegung ge-
geben, deren Schwingungen sich bis in das Unendliche
fortsetzen sollten«
VIERTES KAPITEL.
DIE LEHRE DER MYSTERIEN.
Mehr als drei Jahrhunderte lang wurde der
Mithriacismus in den entferntesten römischen Provinzen
und unter den verschiedensten Verhältnissen praktisch
ausgeübt. Es ist nicht anzunehmen, daß seine heiligen
Überlieferungen während dieser langen Zeit keine
Veränderung erlitten haben, und daß die philo-
sophischen Anschauungen, welche nacheinander die
Geister beherrschten, geschweige denn die politische
und soziale Lage des Reiches ohne Einfluß auf sie
geblieben sind. Aber wenn auch die persischen
Mysterien im Occident gewiß modifiziert worden sind,
so erlaubt uns doch die Lückenhaftigkeit der Denk-
mäler, über welche wir verfügen, weder die Phasen
ihrer Entwicklung zu verfolgen noch die lokalen
Unterschiede, welche sie möglicherweise aufgewiesen
haben, klar herauszustellen. Alles, was wir erreichen
können, beschränkt sich darauf, die Lehren, welche
in ihnen verkündigt wurden, in großen Zügen zu
skizzieren und stellenweise die Zusätze oder die
Retouchierongen anzudeuten, welche sie erfahren zu
haben scheinen. Übrigens waren die Veränderungen,
welche mit ihnen vorgingen, im großen und ganzen
oberflächlicher Art, Die Identität der Bilder und der
hieratischen Formeln bei aller Verschiedenheit der
Zeit und des Ortes liefert den Beweis dafür,
dieser reformierte Mazdaismus seine Theologie bereits
vor der Epoche seiner Einbürgferung' in den lateinischen
Ländern im wesentlichen abgeschlossen hatte. Im
Gegensatz zu dem alten griechisch-römischen Paga-
nisimus, einem Sammelsurium von Zeremonien und
Glaubens Vorstellungen ohne logischen Zusammenhang,
hatte der Mithriacismus in der Tat eine wirkliche
Theologie, ein dogmatisches System, welches seine
fundamentalen Prinzipien der Wissenschaft entlehnte.
Anscheinend glaubt man im allgemeinen, daß
Mithra der einzige iranische Gott sei, welcher in den
Occident eingeführt worden ist, imd daß alles in
seinem Kulte, was sich nicht unmittelbar auf ihn
bezieht, späterer Zusatz und jungen Datums sei. Dies
ist jedoch eine willkürliche und irrige Voraussetzimg:
Mithra wurde auf seinen Wanderungen von einem
großen Teile des mazdäischen Pantheons begleitet,
und wenn er auch in den Augen der Gläubigen der
vornehmste Heros der Religion ist, welcher er
seinen Namen gegeben hat, so ist er doch nicht ihr
höchster Gott.
An die Spitze der göttlichen Hierarchie und an
den Anfang der Dinge stellte die mithrische Theo-
logie als Erbin der zrvanistischen Magier die Un-
endliche Zeit Man nannte sie bisweilen AiÜJV oder
Saeculum, Kpövo? oder Saiurnus, aber diese Be-
zeichnungen waren konventionell und zufallig, denn
sie wurde als unaussprechlich betrachtet, wie ohne
Namen so auch ohne Geschlecht und ohne Leiden-
schaften. In Nachahmung eines orientalischen Proto-
typs stellte man sie dar als ein Ungeheuer in
Menschengestalt mit einem Löwenkopfe, den Leib
Cnmonl. Milhrasmysterien. 6
^^^
^^^^B
^^^^Ä.
von einer Schlange umwund*^^
^^^\
(Fig. 2). Die Mannigfaltigkeit
^^^ofö
der Attribute, mit denen man
>^^^^^^SSj^
die Statuen dieses Gottes über-
^^V^^^rw^
häuft, entspricht der Unbe-
/ V FPjAM'i// \
stimmtheit seines Charakters.')
jlJ\ u-d-\u\ ]\
Er führt das Scepter und den
L^'M^f^fctj^j
Blitz als souveräne Gottheit
^^^( '^^^
und hält in jeder Hand einen
^T^V^^^^^r
Schlüssel als Herr des Himmels,
i^f^si^i^
dessen Pforten er öffnet. Seine
V^^^^^
Flügel versinnbildlichen die
^^^M
Schnelligkeit des Laufes, das
\^<^m^'^=^^
Reptil, dessen Windungen ihn
®ps
umschlingen, erinnert an die
gewundene Bahn der Sonne auf
^^W
der Ekliptik, die auf seinem
Körper angebrachten Zeichen
^_§^^^pi'"
des Tierkreises und die Em-
/^\_^#®^^
bleme der Jahreszeiten, welche
mf^MM^^^^
sie begleiten, weisen auf die
r ^^Aa^S^J
himmlischen und irdischen Er-
f 1
scheinungen hin, welche die
(«iüiriich« KroBt«) in der Vjü-
ewige Flucht der Jahre be-
zeichnen. Er schafft und zer-
kanlich™Kblk>thekKcliLaja..l,
I~trai~itim. t. LXX).
stört alle Dinge, er ist der
Herr und der Führer der vier
Elemente , aus denen
das Weltall besteht, und er
vereinigt virtuell in sich die Macht aller Götter, die ^H
1) Vgl. die Abbildimg.
— Ein wichtiges italienisches Basrelief, ^^H
welches den mithrischen Kii
moE umgeben von den Zeichen des Tier- ^^M
kreises darst^t, wurde von;
1 Verf. liürzlich publiziert Sniue archioL ^H
1902, p. I BE.
J
- 83
Hein erzeugt hat. Bisweilen identifizierte man
ihn mit dem vorherbestimmten Schicksal, in anderen
Fällen sah man in ihm ein Urlichl oder ein Urfeuer,
und die eine wie die andere Vorstellung ermöglichte
es, ihn der letzten Ursache der Stoiker anzunähern,
der überall verbreiteten Wärme, die alles gebildet
hat, und die, aus einem anderen Gesichtspunkte be-
trachtet, das Verhängnis (Ci^iapiJ^vii) war.
Die Priester des Mithra suchten das große
Problem des Ursprunges der Welt durch die Amaahme
einer Reihe von successiven Zeugungen zu lösen.
Das oberste Prinzip brachte nach einer alten Vor-
stellung, die sich auch in Indien und Griechenland
wiederfindet, ein Urpaar hervor, den Himmel und die
Erde, und diese gebar, von ihrem Bruder befruchtet,
den gewaltigen Ozean, der seinen Eltern an Macht
gleichsteht und mit ihnen die höchste Trias des
mithrischen Pantheons gebildet zu haben scheint.
Das Verhältnis dieser Trias zu Kronos oder der Zeit,
aus der sie hervorgegangen war, wurde nicht klar
definiert, und der gestirnte Himmel, dessen Umwälzung,
so glaubte man, den Verlauf aller Ereignisse bestimmte,
schien bisweilen mit dem ewigen Schicksal zusammen-
zufließen.
Diese drei kosmischen Gottheiten wurden unter
anderen, weniger durchsichtigen Namen personifiziert.
Der Himmel war kein anderer als Oromazdes oder
Jupiter, die Erde w^- identisch mit Spenta-Armaiti
Loder Juno, und der Ozean hieß noch Apäm-Napät oder
Neptun. Ebenso wie die griechischen Theogonieen
berichteten die mithrischen Überlieferungen, daß Zeus
dem Kronos, dem Könige der ersten Zeiten, in der
Regierung der Welt gefolgt sei. Die Basreliefe
I
I
ze^en uns diesen mazdäischen Saturn, wie er seinem
Sohne den Blitz, das Zeichen seiner Heirschermacht
übergibt. Seitdem regiert Jupiter mit seiner Ge-
mahlin Juno über die anderen Götter, welche samt-
lieh ihnen ihre Existenz verdanken.
In der Tat sind die olympischen Gottheiten
der Ehe des himmlischen Jupiter und der irdischen
Juno entsprossen. Ihre erstgeborene Tochter ist
Fortuna {Fortuna primigenia), welche ihren Anbetern
alle Güter des Leibes und namentlich der Seele ver-
leiht. Ihre hilfreiche Güte stellt sie der Anagke gegen-
über, welche das strenge und imerbittUche Verhängnis
repräsentiert. Themis oder das Gesetz, die Moiren
oder die Faln waren andere Personifikationen des
Schicksals, welches in mannigfaltigen Formen seine
einer unendlichen Entwicklung fähige Natur ofi"enbart.
Das oberste Paar hat nicht nur dem Neptun das
Leben gegeben, der sein ebenbürtiger Genosse
geworden ist, sondern noch einer ganzen Reihe
anderer Unsterblicher: Artagnes oder Herkules,
dessen Heldenarbeiten die heiligen Hymnen besangen;
Sharevar oder Mars, der die Metalle regierte und
dem frommen Krieger in der Schlacht beistand;
Vulkan oder Atar, dem Genius des Feuers; Merkur,
dem Boten des Zeus; Bacchus oder Haoma, der
Personifikation der Pflanze, welche den heiligen
Trank lieferte; Silvanus oder Drväspa, dem Schützer
der Rosse und des Ackerbaues; sodann AnaTtis,
der Göttin der befruchtenden Wasser, welche in
dieser Eigenschaft mit Venus und Cybele verglichen
und als Herrin des Krieges auch unter dem Namen
der Minerva angerufen wurde; Diana oder Luna,
welche den Honig hervorbrachte, der bei den
Rein^TOijren verwandt wurde; Vanainti oder Nike,
"welche den Königen den Sieg verlieh; Asha oder
Arete, der voUkonunepen Tugend, nnd noch anderen.
Diese imzählbare Menge von Gottheiten thronte mit
Jopiter und Juno auf den schimmernden Gipfeln des
Olymp nnd bildete ihren himmlischen Hofetaat,
Diesem licht^i Aufenüialt, wo mit strahlendem
Glänze umkleidet die oberen Gotter wohnen, steht
ein finsteres Reich geg^enüber, das in den Tiefen
der Erde belegen ist. Ahriman oder Pluto, gleich
Jupiter von der Unendlichen Zeit erzeugt, regiert
dort mit Hekate über die verderblichen Ungeheuer,
welche ihren unreinen Umarmungen entsprossen sind.
Die Dämonen, die Untertanen des Königs der
Unterwelt , haben den Himmel gestürmt und den
Nachfolger des Kronos zu entthronen versucht. Aber
die aufrührerischen Ungetüme, niedei^eschniettert \-on
dem Herrn der Gotter wie die griechischen G^anten.
änd wieder in den Abgrund gestürzt, aus dem sie
emporgestiegen waren. Doch können sie ihn auch
jetzt noch verlassen und dann schweifen sie auf der
Oberfläche der Erde umher, um hier allerhand Plagen
zn verbreiten und die Menschen zu verderben. Diese
müssen, um die Übel abzuwenden, welche ihnen
drohen, die bösen Geister durch die Uarbringung
von Sühnopfem beschwichtigen. Der Eingeweihte
versteht auch, sie durch eTitsprechende Riten und ver-
mittelst der Kraft der Inkantationen seinen Zwecken
dienstbar zu machen und sie gegen die Feinde los-
zulassen, auf deren Verderben er sinnt.
Die Götter beschränken sich ebenfalls nicht auf
die ätherischen Sphären, welche ihnen als Aufenthalt
zugewiesen sind. Wenn die Theogonie sie darstellt,
— So-
wie sie sich im Olymp um ihre Eltern und Herren
scharen, so zeigt die Kosmologie sie unter einem
anderen Gesichtswinkel. Ihre Energie erfüllt die
Welt; und sie sind die wirksamen Prinzipien ihrer
Wandlungen. Das Feuer, personifiziert unter dem
Namen Vulkan, ist die erhabenste dieser Naturkräfte
und wird in allen seinen Manifestationen angebetet,
wie es in den Gestirnen oder im Blitze leuchtet, wie
es die Lebewesen durchhaucht, das Wachstum der
Pflanzen hervorruft, oder sich im Schöße der Erde
verbirgt. Im Hintergrunde der unterirdischen Krypten
loderte es beständig auf den Altären , und die
Gläubigen fürchteten seine Reinheit durch sakri-
legische Berührungen zu beflecken.
In ihrer Naivetät meinten sie, daß Feuer und
Wasser Bruder und Schwester seien, und brachten
diesem denselben abergläubischen Respekt entgegen
wie jenem. In gleicher Weise verehrten sie die
salzige Flut, welche die Abgründe des Meeres erfüllt
und von ihnen unterschiedslos Neptun oder Oceanus
benannt wurde, die Quellen, welche den Tiefen der
Erde entspringen, die Flüsse, welche an ihrer Ober-
fläche dahingleiten, und die Seen, welche sie als
klare Spiegel schmücken. Eine nie versiegende
Quelle floß in der Nähe der Tempel und empfing
die Huldigungen und die Opfer der Besucher. Diese
fons perennis war zugleich das Bild der materiellen
und moralischen Gaben, welche die unerschöpfliche
Güte der Unendlichen Zeit über das Universum aus-
gießt, wie das der geistigen Erquickung, welche der
dürstenden Seelen in der seligen Ewigkeit harrt.
Die gebärende und nährende Erde, die von den
Wassern des Himmels befruchtete Terra maier nahm
- 8; -
eiaen ebenso wichtigen Platz wenn auch nicht im~"
Ritual, so doch in der Lehre ein, und die vier Haupt-
winde, welche man in Beziehung zu den deifizierten
Jahreszeiten setzte, wurden als bald wohltätige, bald
furchtbare Genien angerufen. Man fürchtete sie
nicht nur als launische Herren des Wetters, welche
Kälte oder Hitze, Stille oder Sturm bringen, die
Atmosphäre abwechselnd befeuchten oder austrocknen,
die Vegetation des Frühlings entstehen und das Laub
des Herbstes verwelken lassen, sondern man verehrte
sie auch als verschiedene Manifestationen der Luft
selbst, des Prinzips alles Lebens.
Hymnen, von einem seltsamen Symbolismus er-
füllt, besangen die Wandlungen, welche der Gegensatz
dieser vier Prinzipien in der Welt hervorbringt')
Der höchste Gott lenkt einen Wagen, der mit vier
Rennern bespannt ist, welche sich unaufhörlich in
einem bestimmten Kreise herumbewegen. Der erste,
welcher auf seinem glänzenden Haarkleide die Zeichen
der Planeten und der Sternbilder trägt, ist kräftig
und behend und durchmißt mit äußerster Schnelligkeit
die Peripherie der vorgeschriebenen j^ufbahn. Der
zweite, weniger stark und weniger schnell, hat ein
dunkles Fell, dessen eine Seite nur von den Strahlen
der Sonne beleuchtet wird; der dritte trabt noch
langsamer und der vierte dreht sich um sich selbst,
auf seine stählerne Stange beißend, während seine
Gefährten ihn wie einen Eckstein umkreisen. Lange
dreht sich das Viergespann ohne Unfall, seinen nie
unterbrochenen Lauf vollendend. Aber in einem be-
stimmten Augenblicke trifft der brennende Atem des
I) Dio Chrysosl., Or.. XXXVI, § 3953. (T. fl M. t. n, p.6oss.).
ersten Blosses das vierte und setzt seine stolze J
in Brand, sodann überflutet sein Nachbar, dessen
Kräfte erschöpft sind, es mit strömendem Schweiß,
Endlich vollzieht sich ein noch wunderbarerer Vor-
gang: das Aussehen des Gespannes verwandelt sich,
die Rosse vertauschen untereinander ihr Wesen der-
gestalt, daß die Substanz aller auf das stärkste und
feurigste von ihnen übergeht, als wenn ein Bildhauer,
der kleine Wachsfiguren modelliert hat, von der
einen etwas entliehe, um die anderen zu vervoll-
ständigen, und schließlich sie alle zu einer einzigen
verknetete. Nun wurde der Renner, der in diesem
göttlichen Kampfe siegreich geblieben und durch
seinen Triumph allmächtig geworden war, identisch
mit dem Wagenlenker selbst. Das erste Roß ist
die Verkörperung des Feuers oder des Äthers, das
zweite die der Luft, das dritte die des Wassers und
das vierte die der Erde; die Unfälle, welche dieses
treffen, bedeuten die Brände und die Oberschwera-
mungen, welche unsere Welt verheert haben und
verheeren werden, und der Sieg des ersten versinn-
bildlicht den schließlichen Weltbrand, der die be-
stehende Ordnung der Dinge vernichten wird.
Die kosmische Quadriga, welche die übersinn-
liche Ursache lenkt, ist von der heüigen Ikonographie
nicht dargestellt worden. Diese reserviert das
symbolische Gespann für einen sichtbaren Gott, Die
Anhänger des Mithra beteten, wie die alten Perser,
die Sonne an, welche jeden Tag auf einem Wagen
die Räimie des Firmaments durcheilte, um mit dem
Sinken der Dämmerung ihre Feuei^luten in den Ozean
zu tauchen. Sobald sie über dem Horizonte erschien,
verscheuchte ihr srahlendes Licht die Geister der
"Finsternis, und sie reinigte die Schöpfimg-, in die
ihr Glanz das Leben zurückbrachte. Ebenso weihte
man der Luna einen Kult, welche in den oberen
Sphären auf einer von weißen Stieren gezogenen
Biga fuhr. Das für Ackerbau und Viehzucht be-
deutsame Tier war der Göttin beigegeben worden,
welche dem Wachs tiun der Pflanzen und der Er-
zeugung der lebenden Wesen vorstand.
Die Elemente waren mithin nicht die einzigen
Naturkörper, welche in den Mysterien deifi ziert
wurden. Die beiden Lichter, welche die Natur be-
fruchten, wurden in ihnen ebenso verehrt wie im
ursprünglichen Mazdaismus, aber die Vorstellung,
welche sich die Aryas von ihnen machten, war unter
dem Einfluß der chaldäischen Theorieen durchaus
Tunge wandelt worden.
Wie wir bereits erwähnten (vgl. S. gf.), hatten
die alten Glaubens vor Stellungen der Perser in Babylon
notwendigerweise die Einwirkung einer scheinbar
wissenschaftlichen Theologie erfahren, und die meisten
Götter Irans waren den im Euphrattal angebeteten
Gestirnen assimiliert worden. Sie erhielten so einen
neuen Charakter, der von ihrem früheren gänzlich
verschieden war, und derselbe göttliche Name erapfing-
damals eine doppelte Bedeutung und behielt sie im
Occident. Es gelang den Magiern nicht, diese neuen
Lehren mit ihrer alten Religion in Übereinstimmung
zu bringen, denn die semitische Astrologie war ebenso
unvereinbar mit dem iranischen Naturalismus wie
mit dem griechischen Paganismus. Indem aber der
Klerus diese Widersprüche als einfache Gradunter-
schiede in der Erkenntnis einer einzigen Wahrheit
betrachtete, reservierte er die Mitteilung der maz-
— go —
däischen Lehre über Anfang und Ende des Meosedien
und der Welt für eine Anzahl von Auserwählten,
während die Menge sich mit einem blendenden und
oberflächlichen Symbolismus begnügen mußte, wie
er durch die Spekulationen der Chaldäer begünstigt
wurde. Die astronomischen AUegorieen verbargen
der Neugier der Uneingeweihten die wahre Bedeutung-
der hieratischen Darstellungen, und das Versprechen
einer vollständigen, wenn auch weit hinausgeschobenen
Aufklärung nährte die Glut des Glaubens durch die
faszinierende Anziehungskraft des Mysteriums,
Die mächtigsten dieser Gestimgottheiten, welche
man vorzugsweise anrief und denen man die misten
Opfer zuwendete, waren die Planeten. Den astro-
logischen Theorieen gemäß schrieb man ihnen Kräfte
und Beziehungen zu, deren Gründe für uns oft nicht
ZU erkennen sind. Jeder von ihnen beherrschte einen
Tag der Woche, jedem war ein Metall geheiligt,
jeder wurde mit einer Stufe der Initiation verbunden,
und ihrer Anzahl verdankte die Zahl 7 eine ganz
besondere religiöse Kraft Bei ihrer Herabkunft
aus dem Empyreum auf die Erde empfingen die
Seelen, so glaubte man, von ihnen nach und nach
ihre Leidenschaften imd ihre Eigenheiten. Häufig
werden sie auf den Denkmälern dargestellt, bald
durch Symbole, welche entweder an die Elemente
erinnern, aus denen sie gebildet sind, oder an die
Opfei-, welche man ihnen darbrachte, bald in der
Gestalt der Unsterblichen, welche im griechischen
Olymp thronen, Helios, Selene, Ares, Hermes, Zeus,
Aphrodite, Kronos. Nur haben diese Bilder hier
eine ganz andere Bedeutung als dann, wenn sie
Ahura Mazda, Zrvan oder die übrigen Götter des
— 91 —
. darstellen. Man erblickt in ihnen nicht
mehr die Personifikationen des Himmels oder der
Unendlichen Zeit, sondern lediglich die leuchtenden
Gestirne, deren irrenden Lauf wir inmitten der Stern-
bilder verfolgen können. Dieses doppelte System
der Erklärung w\irde besonders auf die Sonne an-
gewendet, welche man bald als identisch mit Mithra
und bald als von ihm verschieden betrachtete. In
Wirldichkeit gibt es in den Mysterien zwei Sonnen-
gottheiten, eine iranische, welche die Erbin des
persischen Hvare, und eine semitische, welche ein
Substitut des mit Mithra identifizierten babylonischen
Shamash ist
Neben den Planetengöttem , welche noch einen
doppelten Charakter besitzen, erhielten auch reine
Gestimgottheiten ihren Tribut an Huldigungen. Die
zwölf Zeichen des Tierkreises, welche bei ihrer
täglichen Revolution die Wesen ihren entgegen-
gesetzten Einflüssen unterstellen, wurden in allen
Mithraeen in ihrer traditionellen Gestalt abgebildet.
Jedes von ihnen war ohne Zweifel während des
Monats, den es regierte, der Gegenstand einer be-
sonderen Verehrung, und man liebte es, sie zu drei
imd drei zu gruppieren nach den Jahreszeiten, denen
sie entsprachen und deren Kultus mit dem ihrigen
verbunden war.
Die Zeichen des Zodiakus waren nicht die einzigen
Stembüder, welche die Priester in ihre Theologie
aufgenommen hatten. Nachdem die astronomische
Interpretationsmethode in den Mysterien einmal
zugelassen war, wurde sie ohne Vorbehalt auf alle
möglichen Dinge ausgedehnt. Es gab keinen Gegen-
stand und kein Tier, welches nicht irgendwie als
- 92 —
das Bild einer Stemgruppe betrachtet werden konnte.
So wurden der Rabe, der Krater, der Hund, der
Löwe, welche gewöhnlich den stiertötenden Mithra
umgeben, leicht mit den gleichnamigen Sternbildern
identifiziert. Die beiden Hemisphären des Himmels,
welche sich abwechselnd über die Erde hin und unter
ihr her bewegen, wurden selbst personifiziert und den
Dioskuren assimiliert, welche nach dem hellenischen
Mythus abwechselnd leben und sterben. Die Mytho-
logie vermischte sich überall mit der Gelehrsamkeit:
die Hymnen beschrieben einen Helden, dem griechi-
schen Atlas ähnlich, der auf seinen nie ermüdenden
Schultern die Kugel des Firmamentes trug und als
der Erfinder der Astronomie galt. Aber diese Halb-
götter wurden in den Hintergrund verwiesen: die
Planeten und die Zeichen des Tierkreises behielten
immer einen unbestreitbaren Vorrang, weü sie vor
allem nach der Meinung der Astrologen das Dasein
der Menschen und den Lauf der Dinge regierten.
Die wichtige Lehre, welche Babel in den Maz-
daismus eingeführt hat, ist der Glaube an das Ver-
hängnis, die Idee eines unvermeidlichen Schicksals,
welches die Ereignisse dieser Welt lenkt und an
die Revolution des gestirnten Himmels geknüpft ist.
Dieses mit Zrvan identifizierte Schicksal wird das
höchste Wesen, welches alles geschaffen hat und
das Universum regiert. Die Entwicklung desselben
ist unabänderlichen Gesetzen unterworfen, und seine
verschiedenen Teile sind durch innige Solidarität
miteinander verbunden. Die Stellung der Planeten,
ihre gegenseitigen Beziehungen und ihre in jedem
Augenblick wechselnden Wirkungen erzeugen die
Reihenfolge der irdischen Erscheinungen. Die Astro-
— 93 —
deren Dogmen diese Postulate ausmacheO,^
verdankt jedenfalls einen Teil ihres Erfolges der
mithrischen Propaganda, und diese ist daher auch
mit verantwortlich für den Sieg jener Psendowissen-
schaft im Abendlande mit seinem Gefolge von Irr-
tümern und Schrecken.
Die strenge Logik seiner Schlußfolgerungen
sicherte diesem ungeheuren Wahngebilde eine voll-
ständigere Herrschaft über die denkenden Geister als
der Glaube an höllische Mächte und an Beschwörungen,
aber der letztere wirkte stärker auf die Leicht-
gläubigkeit des Volkes. Die unabhängige Gewalt,
welche der Mazdaismus dem Prinzip des Bösen zu-
schrieb, erlaubte es, alle occultisti sehen Bräuche zu
rechtfertigen. Die Nekromantie und die Oniromantie,
der Glaube an den bösen Blick und an Talismane,
an Hexerei und Beschwörungen — alle die kindischen
oder unheilvollen Verirrungen des antiken Heidentums
wurden legitimiert durch die Rolle, welche man den
Dämonen zuwies, die sich unaufhörlich in die mensch-
lisch en Angelegenheiten einmischten. Man kann
den persischen Mysterien den schweren Vorwurf
machen, daß sie alle diese abergläubischen Praktiken
entschuldigt, vielleicht sogar gepredigt haben. Und
nicht ohne Grund machte der Volksmtmd aus dem
Namen Magier ein Synonym von Schwarzkünstler.
Weder die Vorstellung' einer unerbittlichen Not-
wendigkeit, welche das menschliche Geschlecht mit-
leidslos einem unbekannten Ziele entgegentreibt,
noch auch die Furcht vor den bösen Geistern, die
auf sein Verderben sinnen, haben die Massen an die
Altäre der mithrischen Götter zu locken vermocht.
Die Strenge dieser düsteren Lehren wurde gemildert
— 94 —
durch den Glauben an h.ülfreiche Mächte, welche
ein mitfühlendes Herz für die Leiden der Sterblidien
besitzen. Selbst die Planeten waren keineswegs, wie
in den didaktischen Büchern der astrologischen
Theoretiker, kosmische Mächte, deren günstige oder
verhängnisvolle Einwirkung je nach der Richtung-
eines von aller Ewigkeit her bestimmten Laufe wuchs
oder abnahm. Sie waren — ■ ähnlich wie in der alten
chaldäischen Religion — Gottheiten, welche sahen
und hörten, sich freuten oder betrübten, deren Grimm
man versöhnen und deren Gunst man gewinnen
konnte durch Gebete imd Opfer. Der Gläubige setzte
sein Vertrauen auf den Beistand der wohltätigen
Beschützer, welche die Mächte des Bösen rastlos
bekämpften.
Die Hymnen, welche die Taten der Götter
feierten, sind leider fast sämtlich verloren g^egängea,
und wir kennen jene epischen Überlieferungen bei-
nahe nur aus den Monumenten, welche sie illustrierten.
Doch läßt sich der Charakter dieser heUigen Poesie
noch aus den Bruchstücken erkennen, welche von
ihr auf uns gelangt sind. So wurden die Arbeiten
des Verethraghna, des mazdäischen Herkules, in
Armenien besungen, man erzählte dort, wie er die
Drachen erwürgt und Jupiter geholfen habe, die un-
geheuerlichen Giganten zu besiegen, und ebenso
wie die Anhänger des Avesta verglichen Um die
römischen Adepten des Mazdaismus mit einem wehr-
haften und verwüstenden Eber.
Aber der Held, welcher in diesen kriegerischen
Erzählungen die vornehmste Rolle spielte, war Mithra.
Grroßtaten, welche in den Büchern des Zoroastrismus
von anderen Gottheiten berichtet werden, wurden
auf seine Person übertragen. Er »ar der Mittelpunkt
eines Kreises von Legenden geword«i, welche allein
den bevorzugten PlaU erklären, welchen man ihm
im Kultus einräumte- Vermöge der von ihm voll-
brachten glänzenden Taten hat dieser Gott, der
in der olj-mpiscbeo Hierarchie keineswegs den
obersten Rang einnimmt, den im Abendland ver-
breiteten persischen Mysterien seinen Namen gegeben.
Mithra war, wie wir gesehen haben, für die alten
Magier der Gott des Lichts, und da das Licht von
der Luft getragen wird, so nahm man an, daß er
die Mittelzone zwischen dem Himmel und der Unter-
welt bewohne, und gab ihm aus diesem Grunde den
Namen Metiiiic. Öm diese Eigenschaft im Ritual zu
bezeichnen, heiligte man ihm den i6. Tag eines
jeden Monats, d. h. seine Mitte. Als er mit Shamash
identifiziert wurde'), erinnerte man sich, wenn man
ihm diesen Namen „Mittler" beilegte, ohne Zweifel
daran, daß nach chaldäischer Lehre die Sonne den
Mittelplatz im Chor der Planeten einnahm. Aber
diese Mittelstellung ist nicht rein lokal; man verband
nüt ihr vor allem eine moralische Bedeutung, Mithra
ist der „Mittler" zwischen dem unzugänglichen <md
unerkennbaren Gott, welcher in den ätherischen
Sphären herrscht, und dem Menschengeschlecht,
welches sich hienieden regt und leidet Shamash
hatte schon in Babylon ähnliche Funktionen, und
auch die griechischen Philosophen betrachteten die
schimmernde Kugel, welche ihr Licht über uns aus-
gießt, als das stets gegenwärtige Bild des unsichtbaren
Wesens, dessen Dasein nur unsere Vemimft erfaßt.
') ct. oben S. t-
— qu-
in dieser sekundären Eigenschaft als Soonen-
genius vor allem ist Mithra im Occident bekannt
geworden, und die figürlichen Darstellungen erinnern
oft an diesen erborgten Charakter. Man pflegte ihn
zwischen zwei Kindern abzubilden, von denen das
eine eine erhobene, das andere eine gesenkte Fackel
trägt, und denen man die rätselhaften Epitheta
Cautes und Cautopates gab, die aber nur eine doppelte
Inkarnation seiner eigenen Persönlichkeit sind. Diese
beiden Dadophoren und der stiertotende Heros bildeten
eine Trias, und man sah in diesem „dreifachen Mithra"
entweder das Tagesgestim , dessen Aufgang am
Moi^en der Hahn verkündet, das mittags trium-
phierend den Zenith überschreitet und abends müde
an den Horizont herabsinkt, oder die Sonne, die an
Kraft wachsend in das Sternbild des Stieres eintritt
und den Frühlingsanfang bezeichnet, deren siegreiche
Gluten die Natur im Mittsommer befruchten, und die,
schon schwächer geworden, das Zeichen des Skorpions
passiert und die Wiederkehr des Winters ankündigt.
Von einem anderen Gesichtspunkte aus betrachtete
man den einen der beiden Fackelträger als das
Emblem der Wärme und des Lebens, den andern
als das der Kälte und des Todes. Ebenso war die
Gruppe des stiertötenden Gottes mit Hilfe eines
mehr geistreichen als vernünftigen astronomischen
Symbolismus auf verschiedene Weise erklärt worden;
aber diese siderischen Erklärungen waren nur
Spielereien, mit welchen man die Neophyten ergötzte,
bevor ihnen die esoterischen Lehren enthüllt wurden,
die sich wieder auf die alte iranische Mithralegende
bezogen. Ihre Erzählung ist verloren gegangen, aber
die Basreliefs berichten uns gewisse Episoden aus
— 97 —
ihr, und ihr Inhalt scheint ungefähr der folgende
gewesen zu sein.
Das Licht, welches dem als ein festes Gewölbe
aufgefaßten Himmel entspringt, war in der Mytho-
logie der Magier Mithra geworden, der aus einem
Felsen geboren wird. Die Tradition erzählte, daß der
„gebärende Stein" (Petra gcnetrix), dessen Abbild
man in den Tempeln verehrte, ihm das Leben ge-
geben habe an den Ufern eines Flusses, im Schatten
eines heiligenBaumes, und
nur Hirten hätten, im be-
nachbarten Gebirge ver-
steckt, das Wunder seiner
Ankunft in der Welt be-
obachtet Sie hatten ge-
sehen, wie er sich der Fels-
masse entrang, das Haupt
mit einer phrygischen
Mütze bedeckt, schon mit
einem Messer bewaffnet
und eine Fackel tragend,
welche die Finsternis er-
hellt hatte (Fig. 3), Dann
waren die Hirten gekommen, um das göttliche Kind
anzubeten und ihm die Erstlinge ihrer Herden und
ihrer Emtefrüchte darzubringen. Aber der junge
Heros war nackt und dem Winde ausgesetzt, der mit
Heftigkeit wehte; er hatte sich daher aufgemacht, um
sich in den Ästen eines Feigenbaumes zu verstecken,
dann mit Hilfe seines Messers die Früchte des Baumes
abgeschnitten, um sich davon zu nähren, und ihn
schließlich seiner Blätter beraubt, um sich Kleider
daraus zu fertigen. So für den Kampf gerüstet,
Ciimont. Mllliiuinyjlaiien. 7
konnte er sich nun mit den anderen Mächten raessSi
welche die wunderbare Welt bevölkerten, in die er
eingetreten war. Denn obwohl bereits Hirten ihre
Herden weideten, ereignete sich doch dies alles, bevor
es Menschen auf der Erde gab,
Der Gott, gegen den Mithra zuerst seine Kräfte
erprobte, war der Sonnengott, Dieser mußte sich
vor der Überlegenheit seines Rivalen beugen und von
ihm die Investitur empfangen. Sein Besieger setzte
ihm die Strahlenkrone auf das Haupt, welche er seit
dieser Zeit während seines täglichen Laufes trug.
Dann ließ er ihn sich wieder erheben und schloß mit
ihm, indem er ihm seine rechte Hand reichte, einen
feierlichen Freimdschaftsvertrag (Fig. 4, s. Tafel H).
Seitdem unterstützten sich die beiden verbündeten
Helden getreulich bei allen ihren Unternehmungen.
Das erstaunlichste dieser epischen Abenteuer war
der Kampf zwischen Mithra und dem Stier, dem
ersten lebenden Wesen, das von Jupiter- Oromazdes
geschaifen war. Diese naive Fabel führt uns in die
Anfänge der Kultur selbst zurück. Sie hat nur bei
einem Volke von Hirten und Jägern entstehen können,
bei dem das Vieh als die Quelle alles Reichtums ein
Gegenstand religiöser Verehrung geworden war, und
dem der Fang eines wilden Stieres als eine so ehren-
volle Tat galt, daß selbst ein Gott sich nicht zu er-
niedrigen schien, wenn er zum Büffeljäger wurde.
Der ungebändigte Stier weidete auf irgend einer
Prärie in den Bergen; der Heros packte ihn mit
listig-kühnem Griff bei den Hörnern und brachte es
fertig, sich auf seinen Rücken zu schwingen. Der
wütende Vierfüßler setzte sich in Galopp und trug
seinen Reiter in rasendem Laufe dahin, aber dieser
— 99 —
ließ ihn nicht los, wenn er auch abgeworfen wurde;
er ließ sich an den HÖmem des Tieres hängend
schleifen, das bald erschöpft seinen Widerstand auf-
geben mußte. Sein Besieger faßte es dann bei den
Hinterbeinen und zog es rückwärts in die Höhle, die
ihm als Wohnung diente, und zwar auf einem mit
Hindernissen übersäeten Wege. Dieser mühselige
„Übergang" { Transüus) des Mithra war zu einer
Allegorie der menschlichen Prüfungen geworden.
Aber es gelang dem Stiere ohne Zweifel seiner Haft
zu entwischen, um auf das Feld zu laufen. Da
sandte der Sonnengott den Raben, seinen Boten, um
seinem Bundesgenossen den Befehl zu überbringen,
den Flüchtling zu töten. Mithra erfüllte mit wider-
strebendem Herzen diesen grausamen Auftrag, aber
dem ausdrücklichen Geheiß des Himmels sich fügend
verfolgte er mit seinem flinken Hunde das umher-
schweifende Tier, und es gelang ihm, es in dem
Augenblicke zu erreichen, wo es sich in die Höhle
flüchtete, die es verlassen hatte. Mit der einen Hand
es bei den Nüstern fassend, stieß er ihm mit der
andern sein Jagdmesser in die Flanke.
Da begab sich ein außerordentliches Wunder:
aus dem Körper des sterbenden Tieres entstanden
alle heilsamen Kräuter und Pflanzen, welche die Erde
mit ihrem Grün bedeckten. Aus seinem Rücken-
mark sproßte das Getreide hervor, welches das Brot,
und aus seinem Blute der Weinstock, der den
heiligen Trank der Mysterien liefert. Mochte auch
der böse Geist auf das zuckende Tier seine unreinen
Kreaturen loslassen, um in ihm die Quelle des Lebens
zu vergiften: der Skorpion, die Ameise und die
Schlange versuchten vergeblich die Genitalien des
fruchtbaren Vierfußlers zu verzehren und sein Blut
zu trinken; sie vermochten den Vollzug des Wunders
nicht zu hindern. Der von dem Monde (Luna) ge-
sammelte tmd gereinigte Same des Stieres erzeugte
alle Arten nützlicher Tiere, und seine Seele, von dem
Hunde, dem treuen Begleiter Mithras beschützt, erhob
sich bis in die himmlischen Sphären, wo sie, zum
Gott geworden, unter dem Namen Silvanus die
Herden in ihre Obhut nimmt. So war der sti er-
tötende Heros durch das Opfer, zu dem er sich ent-
schlossen hatte, der Schöpfer aller heilbringenden
Wesen geworden, und aus dem Tode, den er herbei-
geführt hatte, war ein neues, reicheres und frucht-
bareres Leben geboren (F^. 5, s. Tafel II),
Inzwischen war das erste Menschenpaar ins
Dasein gerufen, und Mithra wurde damit beauftragt,
dieses bevorzugte Geschlecht zu bewachen. Ver-
geblich erweckte der Geist der Finsternis allerhand
Plagen, um es zu vernichten; der Gott wußte seine
verderblichen Pläne immer zu vereiteln. Zuerst ver-
wüstete Ahriman die Felder, indem er ihnen eine
anhaltende Dürre sandte, und ihre Bewohner riefen,
von Durst gequält, seinen stets siegreichen Gegner
um HUfe an. Der götthche Bogenschütze schnellte
seine Pfeile gegen einen schroffen Felsen; da entsprang
ihm eine Quelle lebendigen Wassers, und die Flehenden
kamen, um an ihr den lechzenden Gaumen zu er-
frischen.^) Dann hatte, so erzählte man, eine noch
furchtbarere Überschwemmung die ganze Natur be-
droht Eine allgemeine Sintflut, herbeigeführt durch
I) Vgl. Fig. 5 (in den Ecken über den Zeichen des Tierkre
und Fig, 4 (unten).
die Wogen des Meeres und der ausgetretenen Flüsse,
hatte die Erde entvölkert. Aber ein Mensch, von
den Göttern gewarnt, hatte sich ein Schiff erbaut und
sich mit seinem Vieh in die Arche gerettet, die auf
der Wasserwüste schwamm. Endlich hatte das Feuer
die Welt verheert, die Ställe verzehrt und die
Wohnungen in Asche verwandelt; aber die Kreaturen
des Oromazdes waren auch dieser neuen Gefahr
dank dem Schutze des Himmels entgangen, und
seitdem hatte das Menschengeschlecht im Frieden
wachsen und sich vermehren können.
Die heroische Periode der Geschichte war zu
Ende und die irdische Mission des Mithra erfüllt.
In einem letzten Mahle, dessen die Eingeweihten
durch mystische Agapen gedachten, feierte er mit
Helios und den übrigen Genossen seiner Mühsale das
Ende ihrer gemeinsamen Kämpfe. Dann kehrten die
Götter in den Himmel zurück: von der Sonne auf
ihrer strahlenden Quadriga entführt, überschritt Mithra
den Ozean, dem es nicht gelang, ihn zu verschlingen,
um fortan bei den andern Unsterblichen zu wohnen,
aber von der Höhe des Himmels herab beschirmte
er auch fernerhin die Gläubigen, welche ihm in
Frömmigkeit dienten.
Diese mithrische Erzählung von dem Anfange
der Welt läßt uns die Wichtigkeit, welche der stier-
tötende Gott für den Kultus besaß, besser verstehen
und ebenso besser begreifen, was die heidnischen
Theologen mit dem Titel „Mittler" ausdrücken wollten.
Mithra ist der Schöpfer, dem Jupiter- Oromazdes die
Fürsorge für die Herstellung und Aufrechterhaltung
der Ordnung in der Natur anvertraut hat. Er ist,
um in der philosophischen Sprache jener Zeit zu reden.
der aus Gott emanierte Logos, welcher an seiner
Allmacht teilnimmt und, nachdem er als Demiurg
die Welt gestaltet hat, weiter über sie wacht Die
anfängliche Niederlage Ahrimans hat diesen nicht
zur Ohnmacht verurteilt. Der Kampf zwischen Gut
und Böse setzt sich auf Erden fort zwischen den
Sendboten des olympischen Herrschers und denen des
Fürsten der Dämonen; er offenbart sich in den himm-
lischen Sphären in dem Gegensatze der günstigen
und der ungünstigen Sterne und spiegelt sich im
Herzen des Menschen, des Mikrokosmos,
Das Leben ist eine Prüfung, und um siegreich
aus dieser hervorzugehen, muß man das Gesetz halten,
welches die Gottheit selbst den alten Magiern gegeben
hat. Welche Verpflichtungen legte der Mithriacismus
seinen Anhängern auf, wie lauteten diese „Gebote",
denen sich jene unterwerfen mußten, um in der
anderen Welt belohnt zu werden? Unsere Unwissenheit
ist in dieser Beziehung besonders groß, denn wir
haben durchaus nicht das Recht, die in den Mysterien
mitgeteilten Vorschriften mit denen zu identifizieren,
welche das Avesta formuliert. Doch erscheint es als
gewiß, daß die Moral der occidentalischen Magier
der Zügellosigkeit der babylonischen Kulte keinerlei
Zugeständnisse gemacht, sondern die Erhabenheit des
altpersischen bewahrt hatte. Die vollkommene Rein-
heit war für sie das Endziel geblieben, nach welchem
das Dasein des Gläubigen zu streben hat. Ihr Ritual
enthielt wiederholte Lustrationen und Waschungen,
welche die Befleckungen der Seele tilgen sollten.
Diese Kathartik entsprach sowohl den mazdäischen
Traditionen als den allgemeinen Tendenzen der Zeit
In der Verfolgung dieser Tendenzen trieben die
&Gthriasten ihre Prinzipiell so^ar auf die Spitze, und
ihr Vollkommenheitsideal neigte zum Asketismus.
Sie sahen die Enthaltung von gewissen Nahrungs-
mitteln und absolute Keuschheit als lobenswert an.
Der Widerstand gegen die Sinnlichkeit war
einer der Gesichtspunkte, unter denen der Kampf
g^en das Prinzip des BÖsen zu führen war. Diesen
Kampf gegen alle Untertanen Ahrimans, die unter
mannigfachen Gestalten den Göttern die Weltherr-
schaft streitig machten, mußten die Diener Mithras
ohne Unterlaß ausfechten. Ihr dualistisches Sy-stem
war besonders dazu geeignet, die Anstrengimg des
Individuums zu begünstigen und die menschliche
Energie zu entwickeln. Sie verloren sich keineswegs,
wie andere Sekten, in einem beschaulichen Mj-sti-
zismus. Das Gute lag für sie in der Tat. Sie zogen
das Starke dem Milden vor und stellten den Mut
höher als die Sanftmut Infolge ihrer langen Be-
rührung mit barbarischen Kulten war \'ielleicht in
ihrer Moral sogar ein Bodensatz von Gruusanikeit
geblieben. Eine Religion von Soldaten, fei(>rtc der
Mithriacismus vor allem die militärischen Tugenden.
In dem Kriege, welchen der aufrichtig Frummo
imaufhörlich gegen die Bosheit der Dämonen führt,
wird er von Mithra unterstützt. Mithra ist die hilf-
reiche Gottheit, welche man niemals vergeblich an-
ruft, der sichere Hafen, der Anker de» tloils für
die Sterblichen in ihren Drangsiilen, der »larko Ge-
fährte, welcher ihrer Schwachheit in denVursuchungon
aufhilft. Er ist immer, wie bei den Perseni, der
Verteidiger von Wahrheit und Gerechtigkeit, der Be-
schirmer der Heiligkeit und der furchtbarste Wider-
sacher der höllischen Mächte. Ewig jung und stark
— 104 —
verfolgt er sie ohne Gnade; „immer wach, immer
auf der Hut", kann man ihn nicht überraschen, und
aus all' diesen unablässigen Kämpfen geht er be-
ständig als Sieger hervor. Diese Idee kehrt unauf-
hörlich in den Inschriften wieder und gelangt zum
Ausdruck in dem persischen Beinamen Nabars.es, wie
den griechischen und lateinischen Epitheta ävlKriToc,
tnvictus, insiiperabilis. Als Gott der Heere ließ
Mithra seine Schützlinge über ihre barbarischen
Gegner triumphieren; ebenso gab er ihnen auf
moralischem Gebiete den Sieg über die verkehrten
Triebe, welche vom Geiste der Lüge eingegeben sind,
und verbürgte ihnen ihr Heil in dieser wie in jener
Welt.
Wie alle orientalischen Sekten mischten auch die
persischen Mysterien in ihre kosmogonischen Mythen
und ihre theologischen Spekulationen Ideen von Er-
lösung und Versöhnung. Sie glaubten an das bewußte
Fortleben der in uns wohnenden göttlichen Substanz,
an Lohn und Strafe jenseits des Grabes. Die Seelen,
welche in unendlicher Menge die Wohnungen des
Höchsten bevölkerten, stiegen auf die Erde hinab,
um einen Menschenleib anzunehmen, sei es, daß eine
bittere Notwendigkeit sie dazu verpflichtete, in diese
materielle und verderbte Welt einzugehen, oder daß
sie es aus eigenem Antriebe taten, um in ihr gegen
die Dämonen zu streiten. Wenn nach dem Tode
der Geist des Verderbens sich des Leichnams be-
mächtigte, und die Seele ihr irdisches Gefängnis ver-
ließ, so kämpften die finsteren Daevas und die Boten
des Himmels um ihren Besitz. Ein Gericht entschied
darüber, ob sie würdig war, in das Paradies zurück-
zukehren. Wenn sie durch ein unreines Leben be-
— I05 —
fleckt war, so entführten die Gesandten Ahrimans sie
in die Abgründe der Hölle, wo sie ihr tausend Qualen
zufügten, oder vielleicht wurde sie zur Strafe für ihre
Entartung bisweilen dazu verurteilt, die Leiber un-
reiner Tiere zu bewohnen. Wenn dagegen ihre Ver-
dienste ihre Fehler aufwogen, so erhob sie sich zu den
oberen Regionen. DerHimme! gliederte sich in sieben
Sphären, von denen jede einem Planeten zugeteilt
war. Eine Art Leiter, aus acht über einander ge-
stellten Toren zusammengesetzt, von denen die sieben
ersten aus sieben verschiedenen Metallen bestanden,
diente in den Tempeln als symbolische Erinnerung
an den Weg, den es zurückzulegen galt, um bis in
die oberste Region der Fixsterne zu gelangen. In
der Tat mußte man, um von einem Stockwerke in
das nächstfolgende zu kommen, jedesmal eine Pforte
passieren, welche von einem Eng'el des Oromazdes
bewacht wurde. Nur die Mysten, denen man die für
diesen besonderen Zweck bestimmten Formeln gelelirt
hatte, wußten diese unerbittlichen Wächter zu be-
sänftigen. Je weiter die Seele durch jene ver-
schiedenen Zonen vordrang, um so mehr legte sie,
wie Kleider, die Leidenschaften und Fähigkeiten ab,
die sie empfangen hatte, als sie auf die Erde hemieder-
schwebte: sie ließ dem Monde ihre Lebens- und
Eraährungskraft, dem Merkur ihre habsüchtigen
Neigungen, der Venus ihre erotischen Gelüste, der
Sonne ihre intellektuellen Fähigkeiten, dem Mars
ihren kriegerischen Mut, dem Jupiter ihre ehrgeizigen
Wünsche, dem Saturn ihren Hang zur Trägheit.
Sie war nackt, befreit von allen Mängeln und aller
Sensibilität, wenn sie in den achten Himmel gelangte,
um dort als erhabenes Wesen im ewigen Licht, wo
— io6 —
die Götter wohnten, eine endlose Seligkeit zu ge-
nießen. ')
Mithra war es, der als Schirmherr der Wahrheit
den Vorsitz führte bei dem Gericht, welches die
Seele nach dem Tode erwartete: er war es, der als
Mittler seine Gläubigen geleitete bei ihrem furchl>
baren Aufstieg zum Empyreum; er war auch der
himmlische Vater, der sie in seiner leuchtenden
Wohnung bewillkommete wie Kinder, die von einer
weiten Reise heimgekehrt sind.
Die Glückseligkeit, welche sublimierte Monaden
in einer geistigen Welt genießen sollten, war nicht
leicht zu begreifen und besaß vielleicht für den
Verstand des gemeinen Mannes nur wenig Anziehungs-
kraft Eine andere Glaubens Vorstellung, welche sich
jener ersten infolge einer Art Überschwängerung
zugesellte, bot ihm die Aussicht auf materiellere
Freuden. Die Lehre von der Unsterblichkeit der
Seele wurde ergänzt durch die von der Auferstehung
des Fleisches.
Der Kampf zwischen den Prinzipien des Guten
und des Bösen soll sich nicht bis ins Unendliche
fortsetzen; wenn die für 'seine Dauer bestimmten
Jahrhunderte verstrichen sind, werden von Ahriman
gesandte Plagen das Ende der Welt ankündigen.
Ein wunderbarer Stier, der dem Urstier entspricht,
wird dann wiederum auf Erden erscheinen, und Mithra
wird wieder herabkommen und die Menschen auf-
erwecken. Die ganze Menschheit wird sich zu einer
l) Diese mithrisclie Lehre ist neuerdings mit anderen analogen
GlanbeBSTorstelluDgen verglichen nnd eingehend bebandelt von Boasset,
Die Himmelireise der Stele (Archiv für Religionswissenschaft, Bd. IV)
1901, S. 160 ff.
— 107 —
riesenhaften Versammlung- vereinen, und der Gott
der Wahrheit wird die Guten von den Bösen scheiden.
Dann wird er als letztes Opfer den göttlichen Stier
schlachten, sein Fett mit geweihtem Wein mischen
und den Gerechten diesen wunderbaren Trank dar-
bieten, der ihnen die Unsterblichkeit verleihen wird.
Darauf wird Jupiter-Oromazdes , den Bitten der
Seligen i,villfahrend, ein verzehrendes Feuer vom
Himmel fallen lassen, welches alle Bösen vernichten
wird. Die Niederlage des Geistes der Finsternis
wird endgültig besiegelt werden: in dem Weltbrande
werden Ahriman und seine unreinen Dämonen zu
gründe gehen, und das erneuerte Weltall wird sich
in Ewigkeit eines vollkommenen Glückes erfreuen.
Wir, die wir nicht von der Gnade berührt worden
sind, könnten verwirrt werden durch die Inkohärenz
und die Absurdität dieses Corpus doctrinae, wie wir es
soeben rekonstruiert haben. Eine zugleich naive und
gekünstelte Theologie kombinierte in ihm primitive
Mythen, deren naturalistische Bedeutung noch durch-
scheint, mit einem astrologischen System, dessen
logischer Zusammenhang nur seine totale Verkehrtheit
dartun kann. Alle Unmöglichkeiten der alten poly-
theistischen Fabeln standen in ihm neben philoso-
phischen Spekulationen über die Entwicklung des
Weltalls und das Schicksal des Menschen. Der
Widerspruch zwischen Tradition und Reflexion tritt
bei ihm offen zu Tage und wird noch verstärkt durch
die Antinomie zwischen der Lehre des Fatalismus
und der von der Wirksamkeit des Gebets und der
Notwendigkeit des Kultus. Aber diese Religion
darf ebensowenig als irgend eine andere nach ihrer
metaphysischen Wahrheit betirteilt werden. Man
würde ihr unrecht tun, wollte man heute ihreil'e!
kälteten Leichnam zergliedern, um die inneren Fehler
ihrer Organisation zu konstatieren. Vielmehr kommt
es darauf an, zu verstehen, wie der Mithriacismus
gelebt hat und groß geworden Ist, und warum er
zur Weltherrschaft gelangen mußte.
Seine Erfolge verdankt er jedenfalls zu einem
großen Teile dem Werte seiner Moral, die in hervor-
ragendem Maße zum Handeln erzog. In einer Epoche
der Erschlaffung und der Konfusion haben die Mysten
in ihren Vorschriften einen Antrieb und eine Stütze
gefunden. Die Überzeugung, daß der Gläubige einer
heiligen Heerschar angehörte, welche damit beauf-
tragt war, im Bunde mit dem Prinzip des Guten den
Kampf gegen die Macht des Bösen auszufechten, war
in besonderem Maße dazu angetan, seine Frömmig-
keit in Aktivität umzusetzen und ihn mit einem
glühenden Eifer zu beseelen.
Die Mysterien übten femer eine mächtige
Wirkung auf das Gefühl aus, indem sie einigen der
erhabensten Aspirationen des Menschen Nahrung
boten: der Sehnsucht nach Unsterblichkeit und der
Zuversicht auf den schließlichen Sieg der Gerechtig-
keit. Die ZukunftshofFnungen, welche diese Religion
ihren Anhängern einpflanzte, bildeten eines der Ge-
heimnisse ihrer Macht in jenen aufgeregten Zeiten,
wo die Sorge um das Jenseits alle Gemüter be-
unruhigte.
Aber verschiedene Sekten eröffneten ihren
Adepten ebenso tröstliche Perspektiven auf das
zukünftige Leben, Die besondere Anziehungskrait
des Mithriacismus gründete sich noch auf andere
Eigenschaften seines Lehrsystems. Er befiiedigte
— log —
zugleich den Verstand der Gebildeten und das Herz
der Einfaltigen. Die Apotheose der Zeit als erster
Ursache und die der Sonne als ihrer sichtbaren
Manifestation, welche die Wärme und das Leben
auf der Erde erhält, waren hochphilosophische Kon-
zeptionen. Der Kultus, den man den Planeten und
den Sternbildern erwies, deren Lauf die irdischen
Ereignisse bestimmte, wie den vier Elementen, deren
unendliche Kombinationen alle Naturerscheinungen
hervorbrachten, kam schließlich auf die Anbetung
der Prinzipien oder wirkenden Kräfte hinaus, welche
die antike Wissenschaft anerkannt hatte, und die
Theologie der Mysterien war in dieser Beziehung
lediglich die religiöse Verklärung der römischen
Physik und Astronomie.
Diese theoretische Übereinstimmung der offen-
barten Dogmen mit den allgemein angenommenen
Ideen der Gelehrten konnte die gebildeten Geister
bestricken, aber sie hatte wohl kaum Einfluß auf die
Ignoranz des gewöhnlichen Volkes. Dagegen mußte
dieses einen starken Eindruck von einer Lehre
empfangen, welche die gesamte sichtbare und fühl-
bare Wirklichkeit vergöttlichte. Die Götter waren
überall und mischten sich in alle Vorgänge des
täglichen Lebens. Das Feuer, welches die Nahrungs-
mittel der Gläubigen zubereitete und sie wärmte,
das Wasser, welches ihren Durst löschte und sie
reinigte, die Luft sogar, die sie atmeten, wie der
Tag, der ihnen leuchtete, waren der Gegenstand
ihrer Huldigungen. Vielleicht hat keine Religion in
dem Maße, wie der Mithriacismus , ihren Anhängern
Gelegenheit zum Gebet und Motive der Andacht
gegeben. Wenn der Eingeweihte sich abends nach
HO
der heiligen Grotte begab, die in der Einsamkeit
des Waldes verborgen war, so riefen bei jedem
Schritt neue Eindrücke in seinem Herzen eine
mystische Erregimg hervor. Die Sterne, welche am
Himmel glänzten, der Wind, der das Laub bewegte,
die Quelle oder der Bach, die murmelnd zu Tal
eilten, selbst die Erde, auf welche sein Fuß trat —
alles war gottlich in seinen Augen, imd die ganze
Natur, die ihn umgab, erweckte in ihm die ehr-
fürchtige Scheu vor unendlichen Gewalten, welche
im Weltall wirkten.
FÜNFTES KAPITEL.
DIE LITURGIE, DER KLERUS UND DIE
GLÄUBIGEN.
Bei allen Religionen des klassischen Altertums
gibt es eine Seite, die, obwohl ehedem ganz offen
hervortretend, ja vielleicht sogar die all erwichtigste
für die große Masse der Gläubigen, sich dennoch
heute unserer Aufmerksamkeit beinahe vollständig
entzieht. Es ist die Liturgie. Die Mysterien des
Mithra bilden keine Ausnahme von dieser beklagens-
werten RegeL Die heiligen Bücher, welche die
Gebete, die während der Gottesdienste rezitiert oder
gesungen wiarden, das Ritual der Weihen und das
Zeremoniell der Feste enthielten, sind fast spurlos
verschwunden. Ein Vers, der einem unbekannten
Hymnus entstammt, ist fast alles, was sich von ehemals
sehr umfangreichen Sammlungen erhalten hat. Die
alten zu Ehren der mazdäischen Götter verfaßten
Gäthas waren in der alexandrinischen Zeit ins
Griechische übersetzt worden, und das Griechische
blieb lange Zeit hindurch die Sprache des mithrischen
Kultus, selbst im Abendlande. Barbarische, den Nicht-
eingeweihten unverständliche Worte mischten sich in
den heiligen Text und erhöhten die Verehrung für
das alte Formular wie das Vertrauen auf seine
Wirksamkeit. So das Mithra gegebene Beiwort
Nabarze „siegreich" oder die dunkelen Anrufungen
Nama, Nama Sebesto, die auf unsere Basreliefs graviert
und noch nicht erklärt sind. Ein ausgesprochener
Respekt vor den überlieferten Bräuchen ihrer Sekte
war für die Magier Kleinasiens charakteristisch und
erhielt sich ungeschwächt bei ihren lateinischen
Nachfolgern, Noch beim Untergänge des Heidentums
suchten diese ihren Ruhm darin, die Götter nach den
alten persischen Riten zu ehren, welche Zoroaster
eingeführt haben sollte. Diese Riten unterschieden
ihren Kultus scharf von allen, welche gleichzeitig
mit ihm in Rom ausgeübt wurden, und verhinderten,
daß man jemals seinen iranischen Ursprung vergaß.
Wenn ein glücklicher Zufall uns eines Tages
irgend ein mithrisches Missale in die Hände spielte,
so würden wir mit seiner Hilfe diese alten Bräuche
studieren und im Geist der Feier des Gottesdienstes
beiwohnen können. Da uns jedoch ein derartiger
imentbehrlicher Führer nicht zu Gebote steht, so
bleiben wir vom Heiligtum ausgeschlossen und kennen
die innere Disziplin der Mysterien nur aus einigen
Indiskretionen. Ein Text von St. Hleronymus '),
der din-ch eine Reihe von Inschriften bestätigt wird,
lehrt uns, daß es sieben Weihegrade gab, und daß
der Myste (fiüdTii^, sacralus) nacheinander die Namen
Rabe [corax). Verborgener (Kpucpios, cryphius), Soldat
{mües), Löwe {leo), Perser {Perses), Sonnenläufer
('HXiobpöfio?, heliodromus) und Vater {paier) annahm.
Diese seltsamen Bezeichnungen waren keineswegs
bloße Epitheta ohne praktische Bedeutung. Bei ge-
wissen Gelegenheiten legten die Offizianten Ver-
I) Ef. 107 ad La,
— 113 —
kl^diingen an, welche den ihnen gewährten Titeln
entsprachen. Auf einem Basrelief sehen wir sie
nachgeahmte Köpfe von Tieren, Soldaten und Persem
tragen.^) „Die einen schlagen mit den Flügeln wie die
Vögel und ahmen die Stimme des Raben nach,
die andern brüllen wie Löwen", sagt ein Christ des
4. Jahrhunderts*); „da sieht man, wie die, welche sich
weise nennen, schimpflich zu Narren geworden sind".
Diese heiligen Maskeraden, deren lächerliche
Seite der kirchliche Schriftsteller hervorkehrt, wurden
von den heidnischen Theologen als eine Anspielung
auf die Zeichen des Tierkreises oder auch wohl auf
die Metempsychose erklärt. Solche Verschiedenheiten
der Interpretation beweisen lediglich, daß der wahre
Sinn dieser Verkleidungen nicht mehr verstanden wurde.
In Wirklichkeit handelt es sich hier um ein Über-
lebsel [survii'al) primitiver Gebräuche, deren Spuren
in vielen Kulten zu finden sind. Die Titel Bär,
Ochse, Füllen begegnen uns bei den Eingeweihten
verschiedener Mysterien in Grriechenland und Klein-
asien. Sie gehen bis auf jene Periode der Geschichte
oder der Vorgeschichte zurück, in der man sich die
Gottheiten selbst in tierischer Gestalt vorstellte und
der Gläubige, indem er den Namen und das Aus-
sehen seines Gottes annahm, sich mit ihm zu identi-
fizieren glaubte. Der zu einer Verkörperung der
Zeit gewordene löwenköpfige lironos trat an die
Stelle der Löwen, welche die Vorfahren der Mithriasten
verehrten, und ebenso sind die Masken aus Leinwand
oder Pappe, mit welchen die römischen Mysten sich
Vgl. Tafel n, Fig. 6 (Basrelief von Konjica).
l) Pa. Aueusrin, Ouaest.vst. etnov. Test. WKiT.etM.,
7.) Pa. Augusrin, Qiu
Tea. \\»,{T,etM., L 11, p. 8
— 114 —
[iesicTit bedeckten, Surrogate für die Tierfelle, in
welche sich ihre barbarischen Almen während der
Urzeit hüllten, sei es nun, daß sie glaubten, auf diese
Weise mit den monströsen Idolen in Gemeinschaft
zu treten, denen sie dienten, oder daß sie sich die
abgezogenen Bälge der Opfertiere überwarfen, weil
sie dieser blutigen Bekleidung eine reinigende Kraft
zuschrieben.
Den ursprünglichen Namen Rabe, Löwe hatte
man in der Folge andere beigesellt, um die heilige
Siebenzahl zu erreichen. Die sieben Stufen der
Initiation, welche der Myste durchlaufen mußte, um
die vollkommene Weisheit imd Reinheit zu erlangen,
entsprachen den sieben Planetensphären , welche die
Seele durchreisen mußte, um an den Aufenthaltsort
der Seligen zu kommen.') Nachdem man Rabe ge-
wesen war, wurde man zu dem Range eines Geheimen
oder Verborgenen (Kpücpioq) befördert Die Mitglieder
dieser Klasse WEiren mit irgend einer Hülle bedeckt
und blieben vermutlich für die übrigen Anwesenden
unsichtbar: sie zu zeigen (osiendere) bildete einen
feierlichen Akt. Der Soldat (mt'les) gehörte zu dem
heiligen Heere des unbesiegbaren Gottes und be-
kämpfte unter seinem Befehl die Mächte des Bösen.
Die Würde des Persers erinnerte an den ersten
Ursprung der mazdäischen Religion; imd der, welcher
sie empfangen hatte, legte bei den heiligen Zeremonien
orientalische Kleidung an und bedeckte sich mit der
phrygischen Mütze, welche man auch Mithra zu geben
pflegte. WeU dieser mit der Sonne identifiziert
wurde, werden seine Diener sich mit dem Beinamen
I) Vgl. oben S. 104 ff.
Läufer der Sonne ('HXioÖpöiiOi) geschmückt haben.
Die „Väter" endlich sind den griechischen eiaöoi
entlehnt, in denen diese ehrenvolle Benennung häufig
gebraucht wird, um die Leiter der Gemeinschaft zu
bezeichnen.
In dieser siebenfachen Gliederung der Gläubigen
gab es außerdem noch gewisse Unterschiede. Aus
einer Stelle bei Porphyrius (De abstin. 4, 16) ist zu
schließen, daß die Verleihung der drei ersten Grade
noch nicht zur Teilnahme an den Mysterien berechtigte.
Diese Eingeweihten, welche man mit den christ-
lichen Katechumenen vergleichen kann, waren die
Diener (üirTipeToGvie?). Um diesen Rang zu erhalten,
genügte es, unter die Raben aufgenommen zu sein,
die ohne Zweifel deshalb so genannt wurden, weil
die Mythologie den Raben zum Diener der Sonne
macht. Nur die Mysten, welche die Leontica
empfangen hatten, wurden Teilnehmer (peT^xovteq),
und aus diesem Grunde wird der Grad des leo
in den Inschriften häufiger erwähnt als jeder andere.
An der Spitze der Hierarchie endlich standen
die „Väter", welche den heiligen Zeremonien vor-
gestanden {paler sacroruni) und die übrigen Kate-
goiieen der Gläubigen geleitet zu haben scheinen.
Das Oberhaupt der Väter selbst führte den Namen
Pater Patrum, den man bisweilen in den andern Pater
palratus verwandelte, um einen offiziellen Priestertitel
in eine naturalisierte römische Sekte einzubürgern.
Diese Großmeister der Adepten behielten bis an ihren
Tod die allgemeine Leitung des Kultus. Der Respekt
und die Liebe, welche man diesen ehrwürdigen
Würden trägem entgegenzubringen verpflichtet war,
wird durch ihren Titel „Vater" angedeutet, und die
— ii6 —
ihrer Autorität unterstellten Mysten nannten sicli
untereinander „Brüder", weil sich die Weihgenossen
[consacranei) in gegenseitiger Liebe zugetan sein
sollten, ^)
Die Zulassung {acceptio) zu den niederen Weihen
konnte sogar Kindern gewährt werden. Wir wissen
nicht, ob man gehalten war, jedem dieser Grade eine
bestimmte Zeit lang anzugehören. Die Vater ent-
schieden wahrscheinlich, wann der Novize genügend
vorbereitet war, um die höhere Weihe zu empfangen,
welche sie persönlich erteilten {/rädere).
Diese Initiationszeremonie scheint den Namen
„Sakrament" [sacramcntuvi) getragen zu haben, ohne
Zweifel infolge des Eides, welchen man dem Neophyten
auferlegte, und der demjenigen ähnelte, welchen der
Rekrut zu leisten hatte, wenn er in das Heer ein-
gereiht wurde. Der Kandidat verpflichtete sich vor
allen Dingen, die Lehren und Riten geheim zu halten,
welche ihm mitgeteilt werden sollten, aber man
forderte von ihm auch noch andere speziellere Ge-
lübde, So sah der Myste, welcher sich um den Titel
des miles bewarb, wie man ihm einen Kranz auf einem
Schwerte reichte. Er wies ihn mit der Hand zurück
und ließ ihn auf seine Schulter herabgleiten, indem
er sagte, daß Mithra sein einziger Kranz sei. Von
nun an trug er niemals einen solchen wieder, weder
bei festlichen Gelegenheiten, noch wenn er ihm als
militärische Belohnung zuerkannt wurde, sondern
antwortete demjenigen, welcher ihm den Kranz dar-
bot: „Er gebührt meinem Gotte", d. h. dem unbesieg-
baren Gotte.
I) Vg!.
a S. 144 Aiini.
Wir kennen die Liturgfie der sieben mithrischen
Sakramente ebenso ungenügend wie die dogmatischen
Unterweisungen, von denen ein jedes derselben be-
gleitet wurde. Doch wissen wir, daß man den Neo-
phyten den alten iranischen Riten gemäß vielfache
Waschungen vorschrieb, eine Art Taufe, welche dazu
bestimmt war, die sittlichen Befleckungen zu tilgen.
Gerade so wie bei gewissen Gnostikem hatte die
Lustration zweifellos bei den einzelnen Weihegraden
verschiedene Wirkungen und konnte, je nach der
Veranlassung, in einer einfachen Besprengung mit
Weihwasser oder in einem wirklichen Bade bestehen,
wie im Isiskult.
Tertullian vergleicht auch die confirtnatio seiner
Glaubensgenossen mit der Zeremonie, bei welcher
man „den Soldaten an der Stirn zeichnete". In-
dessen scheint das Zeichen oder Siegel, das man
ihm gab, nicht eine Salbung, wie in der christlichen
Liturgie, sondern ein mit einem glühenden Eisen
aufgebranntes Mal gewesen zu sein, ähnlich dem-
jenigen, welches man in der Armee den Rekruten
vor ihrer Zulassung zum Eide aufzudrücken pflegte.
Diese unauslöschhche Marke erinnerte den Professen
stets an das feierliche Gelübde, durch welches er
sich zum Dienst in dem Ritterorden verpflichtet hatte,
welchen der Mithriacismus gleichsam darstellte. Die
Aufnahme unter die „Löwen" war von neuen
Reinigungen begleitet; da aber dieses Tier das
Symbol des feurigen Prinzips war, so verzichtete man
darauf, sich des Wassers zu bedienen, weil dieses
Element dem Feuer feindlich ist. Statt dessen goß
man dem Geweihten Honig auf die Hände und
bestrich damit seine Zunge, um ihn vor jeder Be-
r Und jeder Sünde zu bewahren. Honig wurd!
wegen seiner schützenden Kraft auch dem „Perser"
dargeboten, erzählt uns Porphyrius '), und man scheint
dieser Substanz in der Tat wunderbare Wirkung-en
beigelegt zu haben, weil man sie unter dem Einfluß
des Mondes entstanden glaubte. Nach antiker Vor-
stellung bildete sie die Nahrung der Seligen, und ihr
Genuß durch den Neophyten machte diesen der Gott-
heit gleich.')
Bei der mazdäischen Messe weihte der Zelebrant
Brote und Wasser, das er mit dem von ihm zubereiteten
berauschenden Haoraa-Safte mischte, und verzehrte
diese Nahrungsmittel im Verlaufe seiner gottes-
dienstlichen Funktion. Diese alten Bräuche hatten
sich in den mithrischen Initiationen erhalten, nur
hatte man den Haoma, eine im Occident unbekannte
Pflanze, durch den Saft der Rebe ersetzt Man stellte
vor den Mysten ein Brot und einen mit Wasser ge-
füllten Becher, über den der Priester die heiligen
Formeln sprach. Diese Oblation von Brot und Wasser,
welchem man dann später zweifellos Wein beimischte,
wird von den Apologeten mit der christlichen Kom-
munion verglichen. Wie diese wurde sie erst nach einem
langen Noviziat gewährt Wahrscheinlich wurden nur
die Eingeweihten, welche den Grad der „Löwen" er-
reicht hatten, bei ihr zugelassen, und vermutlich er-
hielten sie aus diesem Grunde den Namen „Teil-
nehmer". F;in kürzlich publiziertes merkwürdiges
Basrelief führt uns dieses heilige Mahl vor (Fig. 6,
s. Tafel II): Vor zwei Personen, die sich auf einem
t) Porphyr., De antra Nymph. c, 1$ {T. et ü/./t II, p. 40).
2) Der liturgische Gebrauch des Honigs ist ncuerdiDgs erörtert
von Usencr, Mück und Hanig (Hermes LVH) 1902 S. 177 f.
— 119 —
mit Polstern versehenen Ruhelager ausgestreckt
haben, steht ein Dreifuß, welcher vier kleine Brote
trägt, von denen jedes mit einem Kreuz bezeichnet
ist. Um sie herum gruppieren sich die Mysten der
verschiedenen Grade, und einer von ihnen, der Perser,
reicht ihnen ein Trinkhom, während ein zweites
Rhyton von einem der Tischgenossen in der Hand
gehalten wird. Diese Agapen sind offenbar die ri-
tuelle Gedächtnisfeier des Mahles, welches Mithra
mit Sol gehalten hatte vor seiner Himmelfahrt.^) Man
erwartete von dieser mystischen Mahlzeit, namentlich
von dem Genuß des geheiligten Weines, übernatür-
liche Wirkungen: der berauschende Trank verlieh
nicht nur Körperkraft und materielle Wohlfahrt,
sondern auch Weisheit des Geistes; er stärkte den
Neophyten für seinen Kampf gegen die bösen Geister;
ja noch mehr, er schenkte ihm, wie seinem Gotte,
eine glorreiche Unsterblichkeit.
Die Spendung der Sakramente wurde begleitet
oder vielmehr eingeleitet von anderen Riten ver-
schiedener Art, nämlich wirklichen Prüfungen, die
man dem Bewerber auferlegte. Um die heiligen
Waschxmgen und die geweihten Nahrungsmittel zu
empfangen, mußte dieser sich nicht nur durch längere
Enthaltsamkeit und zahlreiche Kasteiungen darauf vor-
bereiten, sondern er spielte auch eine passive Rolle
bei gewissen dramatischen Sühnehandlungen von
seltsamem Charakter, die wir weder ihrer Zahl noch
ihrer Reihenfolge nach kennen. Darf man in diesem
Punkte einem Kirchenschriftsteller des 4. Jahrhunderts *)
I) VgL oben S. I0[.
1) Vgl. oben S. 1 13 Anm. :
Glauben schenken, so verband man dem Neophyten
die Augen, fesselte ihm die Hände mit Hühner-
därmen und ließ ihn dann über eine mit Wasser
gefüllte Grube springen. Darauf nahte ein „Befreier"
mit einem Messer und zerschnitt jene ekelhaften
Fesseln. Unter anderen Umständen wohnte der er-
schrockene Myste, wenn nicht als aktiver Teilnehmer,
dann jedenfalls als Zuschauer, einem fingierten Morde
bei, der ursprünglich ohne Zweifel ein wirklicher
gewesen war. Schließlich begnügte man sich damit,
ein Schwert vorzuzeigen, welches mit dem Blute
eines Menschen gefärbt war, der einen gewaltsamen
Tod erlitten hatte. Die Grausamkeit dieser Zere-
monien, welche bei den kriegerischen Stämmen des
Taurus wilde Orgien gewesen sein müssen, hatte sich
durch die Berührung mit der abendländischen Zivili-
sation gemildert, Sie waren jedenfalls mehr furcht-
erregend als furchtbar geworden, und man prüfte
bei ihnen weit mehr den moraUschen Mut des Ein-
geweihten als seine physische Ausdauer. Das Ideal,
welches er erreichen sollte, war die stoische „Apathie",
die Befreiung von jeder gefühlsmäßigen Erregung.
Die grausamen Martern, die undurchführbaren Kastei-
ungen, zu welchen allzu erfinderische oder allzu
leichtgläubige Autoren die Adepten der Mysterien
verurteilen, müssen in das Reich der Fabel ver-
wiesen werden, ebenso die angeblichen Menschen-
opfer, welche im Dunkel der heiligen Krypten dar-
gebracht sein sollen.
Dennoch würde die Annahme unrichtig sein,
daß der Mithriacismus nur die harmlose Phantaa-
magorie einer Art antiker Freimaurerei in Szene
gesetzt habe. In seinen liturgischen Dramen fanden
121
sich immer noch Sptiren ihrer ursprünglichen Barbarei,
Erinnerungen an jene Zeit, als in den Wäldern, in
der Tiefe einer finstem Höhle, in Tierfelle gehüllte
Korybanten die Altäre mit ihrem Blut bespritzten.
In den römischen Städten wurden die ehemaligen Berg-
höhlen als Kullstätten durch unterirdische Gewölbe
(spclaea) ersetzt, die einen viel weniger erhabenen
Anblick gewährten (Fig. 7, s. Tafel II). Aber selbst in
diesen künstlichen Grotten mtißten die Initiations-
akte auf den Neophyten einen tiefen Eindruck machen.
Wenn er den Pronaos des Tempels durchschritten
hatte und die Stufen der Krypta herabgestiegen
war, so erblickte er vor sich in dem glänzend ge-
schmückten und beleuchteten Heiligtum das in der
Apsis angebrachte geweihte Bild des stiertötenden
Gottes, dann die mit Atributen überladenen monströsen
Statuen des löwenköpfigen Kronos und andere mysti-
sche Symbole, deren Verständnis ihm noch ver-
schlossen war. Im Halbdunkel knieten zu beiden
Seiten die Anwesenden auf Steinbänken im Gebet
oder zu stiller Sammlung ihrer Gedanken. Rings um
den Chor angeordnete Lampen warfen ein helleres
Licht auf die Bilder der Götter und auf die Offizianten,
welche in seltsame Kostüme gekleidet den Neu-
bekehrten empfingen. Unerwartete und mit Geschick
verwandte Lichteffekte blendeten seine Augen und
seinen Geist. Die religiöse Erregung, welche sich
seiner bemächtigte, lieh in Wirklichkeit kindischen
Götzenbildern ein furchtbares Aussehen; die leeren
Gaukelspiele, welche man ihm vorführte, erschienen
ihm als ernstliche Gefahren, welche sein Mut über-
wand. Der berauschende Trank, den er genoß, über-
reizte seine Sinne und verwirrte seinen Verstand;
er murmelte die zaub er kräftigen Formeln, und sie
täuschten seiner irregeleiteten Phantasie göttliche
Erscheinungen vor. In seiner Ekstase glaubte er
den Grenzen der Welt entrückt zu sein; und wenn
er aus dieser Verzückung wieder erwachte, so sagte
er mit dem Mysten des Apuleius'): „Ich habe die
Pforten des Todes durchschritten, ich habe die
Schwelle der Proserpina betreten, und nachdem ich
durch alle Elemente gefahren, bin ich auf die Erde
zurückgekehrt; mitten in der Nacht habe ich die
Sonne in hellem Glänze strahlen gesehen; ich habe
mich den unteren und den oberen Göttern genaht und
habe sie angebetet von Angesicht zu Angesicht."
Die Überlieferung dieses ganzen geheimen
Zeremoniells wurde sorgfaltig gehütet von einem in
der göttlichen Wissenschaft unterwiesenen und von
allen Kategorieen der Eingeweihten unterschiedenen
Klerus. Seine ersten Begründer waren jedenfalls orien-
talische Magier gewesen, aber wir wissen fast nichts
davon, wie er sich später ergänzte und organisierte.
War er erblich, wurde er auf Lebenszeit ernannt
oder für einen gewissen Zeitabschnitt gewählt? Und
im letzten Falle: wer hatte das Recht ihn zu wählen,
und welche Bedingungen hatten die Kandidaten zu
erfüllen? Keiner dieser Punkte ist genügend aufge-
klärt. Wir stellen lediglich fest, daß der Priester,
der dem Anschein nach unterschiedslos den Titel
sacerdos oder anihtcs führt, oft, aber nicht immer,
zu den „Vätern" gehört. In jedem Tempel fand man
einen Kleriker, bisweilen auch mehrere. Alles spricht
I
I
) ApuL, Meiam. XI, 23110. -
i haiidetl: sich biei
— 123 —
Annahme, daß sich diese „Priestersch^""zii
zu einer Art Hierarchie ausg^ebildet hatte. Tertullian ')
berichtet uns, daß der sriDirnus ponlt'/ex sich nur ein
einziges Mal verheiraten durfte. Er bezeichnet mit
diesem römischen Namen ohne Zweifel den „Vater
der Väter", welcher die Oberaufsicht über alle Ein-
geweihten einer Stadt geführt zu haben scheint.*)
Das ist die einzige Angabe, welche wir über eine
Oi^anisation besitzen, welche vielleicht ebenso fest
begründet war wie die der Magier im Königreich
der Sassaniden oder die der Manichäer im römischen
Reiche. Derselbe Apologet fügt hinzu, daß die An-
hänger des persischen Gottes, wie die Christen, ihre
„Jungfrauen" l^virgines) und ihre Asketen {continentes)
hatten. Das Vorhandensein dieser Art mithrischen
Mönchtums erscheint um so bemerkenswerter, als
es dem Geiste des Zoroastrismus widerspricht, dem
Zölibat irgendwelches Verdienst beizumessen.
Die Rolle des Klerus war im Mithriacismus
jedenfalls bedeutender als in den griechischen und
römischen Kulten. Der Priester war der berufs-
mäßige Mittler zwischen den Menschen und der
Gottheit. Seine Funktionen bestanden offenbar vor
allem in der Verwaltung der Sakramente und der
Zelebrierung der Gottesdienste. Die Inschriften
lehren uns außerdem, daß er die solennen Dedikationen
leitete oder sogar dabei den Gläubigen mit den
Vätern zusammen vertrat; aber das war doch nur
der geringste Teil des Amtes, welches er zu ver-
walten hatte. Der religiöse Dienst, der ihm oblag,
1) TertuU.. De praescr. hatret. 40 {T. tt M., t. n, p. 51).
3} Vgl. oben S. 115, Ich folge hier einer Anregung von Wissowa,
RtligioK der RSmir, 1902, S. 309.
— 124 —
scbemt ' sehr anstrengend gewesen zu sein. Er mul
ohne Zweifel darüber wachen, daß ein nie ver-
löschendes Feuer auf den Altären brannte. Dreimal
am Tage, Morgens, Mittags und in der Abend-
dämmerung richtete er ein Gebet an die Sonne, bei
dem er sich Morgens nach Osten, Mittags nach Süden
und Abends nach Westen wandte. Die tägliche
Liturgie wurde häufig durch besondere Opfer er-
weitert Der Zelebrant, in priesterliche Gewänder
gekleidet, welche denen der Magier nachgebildet
waren, schlachtete den oberen und unteren GÖttem
verschiedene Opfer, deren Blut in einer Grube ge-
sammelt wurde, oder brachte ihnen auch wohl
Libationen dar, wobei er das heilige Bündel in der
Hand hielt, welches wir aus dem Avesta kennen.
Lange Psalmodieen, von Musik begleitete Gesänge,
ertönten bei den rituellen Handlungen. Ein besonders
feierlicher Moment des Gottesdienstes, der zweifellos
durch ein Geläut von Glöckchen bezeichnet wurde,
war der, in welchem man den Eingeweihten das bis
dahin bedeckte Bild des stiertötenden Mithra ent-
hüllte. In manchen Tempeln drehte sich die skulpierte
Platte um sich selbst, wie unsere Tabernakel, und
ermöglichte so, die Darstellungen, welche ihre beiden
Flächen schmückten, abwechselnd zu verbergen und
zur Schau zu stellen.
An jedem Wochentage wurde der Planet, dem
er geheiligt war, an einer bestimmten Stelle der
Krypta angerufen, imd der Sonntag, welchem die
Sonne vorstand, wurde besonders gefeiert. Ferner
verherrlichte der Uturgische Kalender gewisse Daten
durch Feste, über welche wir leider sehr schlecht
unterrichtet sind. Vielleicht hatte der i6. Tag als
Mitte des Monats auch weiterhin, wie in Persien,
Mithra als Patron. Dagegen hört man im Abend-
lande niemals von der Feier der Mithrakana reden,
die doch in Asien so populär waren.') Sie waren
jedenfalls auf den 25. Dezember verlegt, denn ein
sehr allgemeines Herkommen forderte, die Wieder-
geburt der Sonne {Natalis invicti), welche vom
Winters olstitium an wieder zu wachsen begann,
durch heilige Freudenfeste auszuzeichnen. Auch
haben wir gewisse Gründe für die Annahme, daß
die Äquinoktien ebenfalls Feiertage waren, an denen
man mit irgend einer Begrüßung die Wiederkehr
der deifizierten Jahreszeiten weihte. Die Initiationen
fanden vorzugsweise gegen Frühlingsanfang statt,
im März oder im April, ungefähr um die Osterzeit,
wo die Christen gleichfalls ihre Katechumenen zur
Taufe zuließen. Aber von den Riten aller dieser
Feiern, wie überhaupt von allem, was sich auf die
Heortologie der Mysterien bezieht, wissen wir fast
nichts.
Die mithrischen Gemeinden waren nicht nur
durch ein geistiges Band geeinte Bruderschaften,
sondern auch Assoziationen, welche eine juristische
Existenz besaßen und das Eigentumsrecht genossen.
Für die Verwaltung ihrer Geschäfte und die Wahr-
nehmung ihrer irdischen Interessen wählten sie
Beamte, welche man weder mit den Eingeweihten
noch mit den Priestern verwechseln darf. Die Titel,
welche die Mitglieder dieser Kirche ngemeinderäte
in den Inschriften führen, beweisen uns, daß die
Organisation der Kollegien der Anbeter Mithras sich
I) Vgl, oben S. 8
nicht von derjenigen der anderen religiösen sodalicia
unterschied, sondern wie diese der Verfassung- der
Munizipien oder der Marktflecken nachgebildet ■war.
Diese Korporationen führten eine offizielle Liste
ihrer Mitglieder, ein albinii sacratorum, in welchem
die letzteren nach der Ordnung ihres Ranges und
ihrer Würden aufgezeichnet wurden. An ihrer Spitze
stand ein Rat von Dekurionen, ein leitender Aus-
schuß, der ohne Zweifel in einer Generalversammlung
ernannt wurde, eine Art Senat en miniature, dessen
zehn erste MitgUedar {decein primi), wie in den
Städten, besondere Vorrechte besaßen, Sie hatten
ihre Obmänner {magistrt) oder jährlich gewählten
Vorsitzenden, ihre Kuratoren {ciiraiores), denen
finanzielle Befugnisse zustanden, ihre Anwälte (defen-
sores), welche die Interessen der Kidtvereine vor
Gericht oder bei den Verwaltungsbehörden zu ver-
treten hatten, endlich Patrone [pafro/it), angesehene
Personen, von denen sie nicht nur wirksame Protektion,
sondern auch pekuniäre Unterstützungen erwarteten,
die ihnen ermöghchten, ihr Budget zu balancieren.
Da der Staat ihnen keinerlei Dotation gewährte,
so hing ihr Wohlstand ausschließlich von der Frei-
gebigkeit Privater ab. Die freiwilligen Beiträg-e,
welche die regelmäßigen Einnahmen des Kollegiums
bildeten, deckten kaum die Kosten des Kultus, und
die geringste außerordentliche Ausgabe war für die
gemeinsame Kasse eine schwere Last, Diese aus
kleinen Leuten bestehenden Kultgenossenschaften
konnten nicht daran denken, mit ihren bescheidenen
Mitteln prächtige Tempel zu errichten. Gewöhnlich
erhielten sie von irgend einem freundlich gesinnten
Besitzer ein Grundstück, auf dem sie ihre Kapelle
rarichten oder vielmehr ausschachten konnten,
ein anderer Wohltäter bestritt die Kosten des Baues.
Bisweilen stellte ein reicher Bürger den Mysten einen
Keller zur Verfügung, in dem sie sich einrichteten,
so gnt es gehen wollte. Wenn die ersten Schenk-
geber nicht im stände waren , die innere Aus-
schmückung der Krypta und die Herstellung der
heiligen Bilder zu bezahlen, so schössen andere
Brüder die erforderliche Summe zusammen, und eine
ehrende Inschrift erhielt die Erinnerung an ihre
Opferwilligkeit Drei Weihinschriften zu Rom führen
uns die Begründung einer solchen Kongregation
von Mithriasten vor Augen ^); Ein Freigelassener
und ein Freigeborener haben sich zusammen getan,
um einen marmornen Alt:ir zu schenken; zwei andere
Eingeweihte haben einen zweiten gestiftet, und ein
Sklave hat ebenfalls seine bescheidene Gabe bei-
gesteuert. Zum Lohn für ihre Freigebigkeit erhalten
die hochherzigen Spender die höchsten Würden in
der kleinen Gemeinde. Infolge jener Liberalität
richtet diese sich allmählich ein und kann sich
schließlich sogar einen gewissen Luxus erlauben.
Der Marmor folgt dem gewöhnlichen Stein, die
Skulptur ersetzt den Stuck, und die Mosaik tritt au
die Stelle der Malerei. Wenn endlich der erste
Tempel vor Alter einstürzt, ist die reich gewordene
Gemeinschaft häufig in der Lage, ihn in neuer Pracht
wiedererstehen zu lassen.
Die Menge der Gaben, deren die epigraphischen
Texte gedenken, bezeugt die Anhänglichkeit der
I) CIL. VI, 5S6. 717. 734
47 — 48 bis).
= 3082: (T. tt M. t. II, p.
rläubigen an die Bruderschaften, in welche t
genommen worden waren. Dank der unentwegrten
Hingabe Tausender von eifrigen Anhängern konnten
diese Gemeinden, die organischen Zellen des großen
religiösen Korpers, leben und sich entwickeln. Der
Orden gliederte sich in eine Masse kleiner eng-
verbundener Vereine, welche dieselben Riten in den-
selben Heiligtümern vollzogen. Die geringe Glröfle
der Tempel, in denen sie sich versammelten, zeigt,
daß die Anzahl ihrer Mitglieder immer sehr beschränkt
gewesen ist. Selbst wenn man annimmt, daß allein
die „Teilnehmer" in der unterirdischen Kr)^te zu-
gelassen wurden, während die Eingeweihten niederer
Grade nur Zutritt zum Pronaos hatten, können diese
Assoziationen kaum mehr als etwa hundert Seelen
gezählt haben. Sobald die Zahl der Mitglieder über-
mäßig wuchs, baute man eine neue Kapelle, und der
Kultverein teilte sich. In diesen festgeschlossenen
Gemeinden, in welchen alle sich gegenseitig kannten
und unterstützten, herrschte die Intimität einer großen
Famihe, Die von einer aristokratischen Gesellschaft
gezogenen Grenzlinien verwischten sich hier, wo die
Annahme desselben Glaubens den Sklaven neben,
bisweilen selbst über den Dekurionen und den
clarissinms stellte. Alle unterwarfen sich denselben
Vorschriften, alle wurden zu denselben Festen ge-
laden, alle ruhten nach ihrem Tode ohne Zweifel in
einem gemeinsamen Begräbnis. Obwohl man bisher
noch kein mithrisches Coemeterium gefunden hat,
machen es die besonderen Glaubensvorstellungen der
Sekte über das zukünftige Leben und ihre so eigen-
artigen Riten doch sehr .wahrscheinlich, daß ihre
Kollegien, wie die rash&t&VL sodalicia, nicht nur religiöse,
I
I
sondern auch fimeräre Zwecke verfolgten, Ste übte
jedenfalls die Beerdigung, und der lebhafteste Wunsch
ihrer Anhänger war gewiß, ein zugleich ehrenvolles
und fi-orames Begräbnis zu erhalten, ein „ewiges
Haus", wo sie in Frieden den Tag der Auferstehung
erwarten konnten. Wenn der Brudemame, den sich
die Eingeweihten gaben, kein leeres Wort war, so
mußten sie sich gegenseitig wenigstens diese letzte
Wohltat erweisen.
Das sehr unvollkommene Bild, welches wir uns
von dem inneren Leben der mithrischen Konventikel
zu entwerfen vermögen, hilft ims doch, die Gründe
ihrer raschen Vermehrung besser zu erkennen. Die
armseligen Plebejer, welche zuerst massenhaft in sie
eintraten, fanden in dem Brudersinn dieser Kongre-
gationen eine Hülfe und eine Stärkung. Indem sie
sich ihnen anschlössen, traten sie aus ihrer Isolierung
und ihrer Verlassenheit heraus, um Glieder einer
mächtigen, streng hierarchisch organisierten Gemein-
schaft zu werden, deren Verzweigungen einem über
die ganze Fläche des Reiches ausgespannten Netze
glichen. Überdies befriedigten die Titel, welche ihnen
hier verliehen wurden, den für jeden Menschen
natürlichen Wimsch, eine gewisse Rolle in der Welt
zu spielen und von seinesgleichen irgendwie geachtet
zu werden.
Zu diesen rein weltlichen Beweggründen gesellten
sich die mächtigeren Motive des Glaubens. Die
Glieder dieser kleinen Verbände bildeten sich ein,
die bevorzugten Besitzer einer uralten, aus dem
fernen Orient stammenden Weisheit zu sein. Das
Dunkel, von welchem diese unergründlichen Ge-
heimnisse umgeben waren, erhöhte die Verehrung,
welche sie einflößten: Omne ignotufn pro magnifi
est. Die stufenweise aufeinander folgenden Weihen
ließen den Neophyten immer erhabenere Wahrheiten
erhoffen, und die seltsamen Bräuche, mit welchen sie
verbunden waren, machten auf seine naive Seele
einen unauslöschlichen Eindruck, Man glaubte in
diesen mystischen Zeremonien eine Aufmunterung
und einen Trost zu finden und fand beides auch
wirklich darin, indem die Suggestion zur Realität
wurde; man fühlte sich von seinen Sünden gereinigt
durch die rituellen Waschungen, und diese Taufe
befreite das Gewissen von der Last schwerer Ver-
antwortung; man kehrte gestärkt von diesen heiligen
Mahlen heim, welche die Verheißung eines besseren
Lebens in sich trugen, in dem die Leiden dieser
Welt ihren Ausgleich finden würden. Die erstaunliche
Expansion des Mithriacismus ist großenteils diesen
grenzenlosen Illusionen zuzuschreiben, die lächerlich
sein würden, wenn sie nicht so durchaus menschlich
Aber in dem Wettbewerb der rivalisierenden
religiösen Gemeinschaften, welche sich unter den
Cäsaren um die Herrschaft über die Seelen stritten,
machte ein Nachteil den Kampf für die persische
Sekte ungleich. Während die meisten orientalischen
Kulte den Frauen eine bedeutende, bisweilen
sogar ausschlaggebende Rolle zugestanden und
dafür in ihnen glühende Anhängerinnen fanden,
verbot ihnen Mithra die Teilnahme an seinen Mysterien
und beraubte sich so einer wertvollen Unterstützung
seiner Propaganda. Die rauhe Disziplin des Ordens
gestattete ihnen nicht, Grade in den geheiligten
Kohorten zu erwerben, und sie erhielten, wie bei den
— 131 —
Mazdäem des Orients, nur einen untergeordneten
Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen. Unter
den Hunderten von Inschriften, welche auf uns ge-
kommen sind, erwähnt nicht eine einzige eine
Priesterin, eine Eingeweihte oder auch nur eine Schenk-
geberin. Doch eine Religion, welche nach der Welt-
herrschaft strebte, konnte nicht die Erkenntnis der
göttlichen Dinge der Hälfte der Menschheit vor-
enthalten, und daher schloß sie, imi auch der weib-
lichen Frönmiigkeit Nahrung zu bieten, in Rom
einen Bund, der sicherlich zu ihrem Erfolge beitrug.
Die Geschichte des Mithriacismus im Abendlande
würde unverständlich bleiben, wollte man von seiner
Politik bezüglich des übrigen Heidentums absehen.
SECHSTES KAPITEL.
MITHRA UND DIE RELIGIONEN DES ^
KAISERREICHES.
Die Akten der orientalischen Märtyrer zeug-en
in beredter Weise von der Unduldsamkeit des
nationalen Klerus im sassanidischen Persien, und
schon die Magier des alten Reiches, waren sie auch
keine Verfolger, bildeten mindestens eine exklusive
Kaste, vielleicht sogar einen privilegierten Stamm.
Die Priester Mithras gaben niemals einen Beweis
von ähnlichem RadLkalisraus. Wie das alexandrinische
Judentum, so war auch der Mazdaismus in Klein-
asien durch den Einfluß der hellenischen Kultur
humanisiert In eine fremde Welt versetzt, mußte
er sich den Sitten und Ideen anpassen, welche in
ihr herrschten, und das Wohlwollen, mit welchem
er aufgenommen wurde, ermunterte ihn dazu, bei
seiner versöhnlichen Politik zu beharren. Die
iranischen Götter, welche Mithra auf seinen Wande-
rungen begleiteten, wurden im Occident unter
griechischen und lateinischen Namen verehrt, die
av estischen Yazatas nahmen die Gestalt der Un-
sterblichen an, die im Olymp thronen, und diese
Tatsachen beweisen zur Genüge, daß die asiatische
Religion, weit entfernt davon, den alten griechisch-
römischen Glaubens vor Stellungen feindlich gegen-
— 133 ~
überzutreten, sich ihnen anzuschmiegen suchte,
wenigstens dem Anschein nacK Ein frommer Myste
konnte, ohne seinen Glauben zu verleugnen, der
kapitolinischen Trias, Jupiter, Juno und Minerva,
ein Weihgeschenk widmen; er faßte diese Götter-
namen nur in einem von ihrem gewöhnlichen Ver-
ständnis abweichenden Sinne auf. Wenn das an-
geblich den Eingeweihten auferlegte Verbot, an
anderen Mysterien teilzunehmen, jemals beachtet
wurde, so konnte es doch den synkretistischen Ten-
denzen des kaiserlichen Paganismus nicht lange
widerstehen: im 4. Jahrhundert findet man „Väter
der Väter", welche das höchste Priesteramt in den
verschiedensten Tempeln ausüben,
Oberall wußte sich die Sekte mit Geschick der
Umgebung anzupassen, in der sie zu leben hatte.
Im Donautale übte sie auf den eiiiheiiniachen Kultus
eine Wirkung aus, welche eine längere Berührung
zwischen ihnen voraussetzt. In der Rheingegend
wurden keltische Gottheiten in den I^rypten des
persischen Gottes oder jedenfalls in ihrer unmittel-
baren Nachbarschaft verehrt. Je nach der Gegend
nahm so die roazdäische Theologie verschiedene
Färbungen an, deren Abstufung tmser Auge nur un-
vollkommen zu erkennen vermag, aber diese dogma-
tischen Nuancen gestalteten nur die nebensächlichen
Details der Religion verschieden, ohne ihre funda-
mentale Einheit irgendwie in Frage zu stellen.
Nichts spricht dafür, daß jene Modifikationen einer
biegsamen Lehre Häresieen hervorgerufen haben.
Ihre Konzessionen waren rein fonneller Natur. In
Wirklichkeit assimUierte sich der im Abendlande zu
seiner vollen Reife erwachsene oder bereits von
— 134 —
ergriffene Mithriacismus die Elemente
nicht mehr, welche er dem ihn uingfebeaden Leben
entlieh. Die einzigen Einflüsse, welche seinen
Charakter von Grund aus umgestalteten, waren die,
welche er in seiner Jugend inmitten der Völker-
schaften Asiens erfuhr.
Die engen Beziehungen, welche Mithra mit
gewissen Gottheiten dieses Erdteils verbanden,
gründeten sich nicht nur auf die natürliche Verwandt-
schaft, welche alle diese orientalischen Emigranten im
Gegensatz zum griechisch-römischen Heidentum einte.
Die alte religiöse Feindschaft der Ägypter und der
Perser erhielt sich sogar noch im kaiserlichen Rom,
und die iranischen Mysterien scheinen von denen
der Isis durch eine geheime Rivalität, wenn nicht
gar durch einen offenen Gegensatz geschieden gewesen
zu sein, Sie verbündeten sich dagegen ohne Um-
stände mit den syrischen Kulten, welche mit ihnen
aus Asien nach Europa gekommen waren. Ihre ganz
mit chaldäischen Theorien durchsetzte Predigt mußte
eine große Ähnlichkeit mit derjenigen der semitischen
Religionen aufweisen. Der schon in seinem Vater-
land Koramagene gleichzeitig mit Mithra verehrte
Jupiter Dolichenus, der immer, wie jener, eine vor-
zugsweise militärische Gottheit blieb, findet sich
neben ihm in allen Ländern des Occidents. Zu
Camimtum in Pannonien grenzten ein Mithraeum
und ein Dolichenum sogar unmittelbar aneinander.
Der Baal, der Herr des Himmels, hatte sich
leicht mit dem zu Jupiter -Caelus gewordenen
Oromazdes verschmolzen, und Mithra konnte ohne
allzugroße Mühe dem Sonnengott der Syrer assi-
miliert werden. Selbst die Riten der beiden Litur-
gien scheineQ gewisse Ähnlichkeiten dargeboten zu
haben.
Ebenso wie in Kommagene hatte sich der
Mazdaismus auch in Phrygien mit der Religion des
Landes zu verständigen gesucht. Man hatte in der
Vereinigimg von Mithra und Anähita das Äquivalent
des Verhältnisses gefunden, welches zwischen den
großen einheimischen Gottheiten Attis und Cybele
bestand, und das Einvernehmen zwischen den beiden
heiligen Paaren setzte sich in Italien fort. Das
älteste bekannte Mithraeum stieß an das Metroon in
Ostia, und man hat allen Grrund zu glauben, daß der
Kultus des iranischen Gottes und der der phrygischen
Göttin über die ganze Ausdehnung des römischen
Reiches hin in enger Gemeinschaft mit einander
lebten. Trotz der tiefgehenden Unterschiede ihres
Charakters führten politische Motive sie zusammen.
Indem die Anhänger Mithras sich die Freundschaft
der Priester der Mater Älagna sicherten, gewannen
sie die Unterstützung eines mächtigen, offiziell an-
erkannten Klerus und nahmen in gewissem Maße
an dem Schutze teil, den der Staat ihm gewährte.
Da femer nur Männer den geheimen Zeremonien
der persischen Liturgie beiwohnen durften, mußten
andere Mysterien, zu welchen die Frauen zugelassen
wurden, irgendwie mit den ersteren verbunden
werden, um sie zu ergänzen. So folgte die Große
Mutter der Anähita nach; sie hatte ihre Matres, wie
Mithra seine „Väter", und ihre Eingeweihten gaben
sich gegenseitig den Namen „Schwestern", wie die
Gläubigen ihres Genossen den Brudemamen führten.
Dieses folgenreiche Bündnis war namentlich
vorteilhaft für den alten in Rom naturalisierten Kultus
von Pessinus. Das rauschende Gepränge seiner Feste
verhehlte nur schlecht die Dürftigkeit seiner Lehre,
welche die Herzenswünsche der Frommen nicht zu
befriedigen vermochte. Seine ziemlich rohe Theologie
erhielt einen neuen Aufschwung, als sie gewisse maz<
däische Glauhensvorslellungen adoptiert hatte. Ks ist
kaum zu bezweifeln, daß die Sitte des Tauroboliuras
samt den auf sie bezüglichen Ideen von Reinheit und
Unsterblichkeit unter den Antoninen aus den Tempeln
der Anähita in die der Mater Magna gewandert ist.
Der barbarische Brauch, auf einen in einer Grube
verborgenen Mysten das Blut eines Opfertieres herab-
rinnen zu lassen, welches auf dem jene Grube be-
deckenden durchlöcherten Bretterboden geschlachtet
wurde, war vermutlich in Asien seit uralter Zeit ein-
heimisch. Nach einer bei primitiven Völkern weit ver-
breiteten Vorstellung ist das Blut der Sitz der Lebens-
kraft, und der Patient, welcher damit seinen Körper
übergoß und seine Zunge benetzte, glaubte auf diese
Weise den Mut und die Stärke des geschlachteten
Tieres auf seine eigene Person übergehen lassen zu
können. Dieses heilige Gießbad scheint in Kappa-
docien in einer großen Anzahl von Heiligtümern
üblich gewesen zu sein, besonders in denen der Mä,
der großen einheimischen Göttin, und in denen der
Anähita. Diese Göttinnen, denen der Stier heilig
war, wurden von den Griechen allgemein ihrer Artemis
Tauropolis gleichgesetzt, und die in ihrem Kult ge-
übte rituelle Übergießung erhielt daher den Namen
tatiropoUum (laupoTiöXiov), der durch Volksetymologie
in taurobolium (laupoßöXiov) verwandelt wurde. Aber
unter dem Einfluß der mazdäischen Glaubens-
vorstellungen über das zukünftige Leben legte man
— '37 —
der Bluttaufe eine tiefere Bedeutung bei. Man
dachte nicht mehr daran, indem man sich ihr unter-
zog, die Kraft des Stieres zu erlangen; nicht mehr
die Wie der auf frischung- der physischen Kräfte sollte
der „besondere Saft", welcher das Leben erhält, ver-
mitteln, sondern eine entweder zeitweilige oder sogar
dauernde Erneuerung der Seele. ^)
Als das Tanrobolium imter den Kaisem in Italien
eingeführt wurde, wußte man zuerst nicht, welchen
lateinischen Namen man der Göttin geben sollte, der
zu Ehren es gefeiert wurde. Die einen sahen in ihr
eine Venus caelestis; andere verglichen sie mit
Minerva wegen ihres kriegerischen Charakters. Aber
bald nahmen die Priester der Cybele diese seltsame
Zeremonie in ihre Liturgie auf, offenbar im Ein-
verständnis mit den offiziellen Autoritäten, weil in
diesem anerkannten Kultus nichts ohne die Ge-
nehmigung der Quindecimvirn geändert werden konnte.
Wir sehen sogar, daß die Kaiser denjenigen, welche
dieses scheußliche Opfer für ihr Heil darbrachten,
Privilegien bewilligten, ohne daß wir die Beweg-
gründe für diese besondere Begünstigung klar er-
kennen können. Die Wirkung, welche man dieser
blutigen Reinigung zuschrieb, die ewige Wieder-
geburt, welche man von ihr erwartete, war den Hoff-
nungen ähnlich, welche die Mysten des Mithra an die
Opferung des mythischen Stieres knüpften.^ Die
Ähnlichkeit dieser Lehren erklärt sich ganz natürlich
durch die Identität ihres Ursprungs, Das Taurobolium
t) Die TOTsteliciidei] Zeilen enthalten die Ergebnisse cicer Stndie
über Le iauroboU et ia culte de Belione, veröffentlicht in der Rrtmt
d'histoire tt de litUralure religUuses t. VI, 19OI, p. 97 ss.
2) Vgl, oben S. 107.
- 138 —
ist, wie viele Riten der orientalischen Kulte, ein
Überlebsei aus wilder Vergangenheit, das eine
Spiritualistische Theologie ihren moralischen Zwecken
angepaßt hatte. Als charakteristische Tatsache ist
zu verzeichnen, daß die ersten Opfer dieser Art,
welche wir von dem Klerus der phrygischen Göttin
vollziehen sehen, in Ostia stattfanden, wo das Metroon,
wie wir bereits erwähnt haben*}, an eine mithrische
Krypta grenzte.
Der Symbolismus der Mysterien sah jedenfalls
in der Mater Magna die nährende Erde, welche der
Himmel alljährlich befruchtet. Ebenso hatten die
anderen griechisch-römischen Gottheiten, welche sie
sich angeeignet hatten, ihren Charakter ändern müssen,
um in ihr dogmatisches System zu passen. Bald
hatte man sie mit mazdaischen Heroen identifiziert,
und barbarische Legenden feierten dann die neuen
Heldentaten, welche sie vollbracht hatten. Bald
betrachtete man sie als die wirkenden Kräfte, welche
alle Wandlungen des Universums hervorbrachten.
Dann stellte man in die Mitte dieses wieder natura-
listisch g-ewordenen und dadurch seinem ursprünglichen
Charakter angenäherten Pantheons die Sonne, denn
sie war die höchste Macht, welche den Lauf aller
Planeten und sogar die Revolution des Himmels
regelte, die mit ihrem Licht und ihrer Wärme alles
Leben auf Erden schuf. Diese ursprünglich astro-
logische Vorstellung wurde immer mehr vorherrschend,
in je engere Beziehungen Mithra zum griechischen
Denken trat, und ein je treuerer Untertan des
römischen Staates er wurde.
gl. oben S. 135,
— »39 —
Die Verehrung der Sonne, geboren aus*
Gefühl der Dankbarkeit für ihre täghchen Wohltaten,
gewachsen durch die Beobachtung ihrer unendlich
wichtigen Rolle im kosmischen System, war das
logische Endziel des Paganismus. Sobald die gelehrte
Reflexion sich daran machte, die heiligen Über-
lieferungen zu erklären, und in den Göttern des
Volkes Kräfte oder Elemente der Natur erkannte,
mußte sie notwendig dem Gestirn einen hervorragen-
den Platz einräumen, von dem die Existenz unserer
Erde selbst abhängig ist „Ehe die Religion dazu
gelangt war, es auszusprechen, daß Gott im Idealen
und Absoluten, d, h. außerhalb der Weit, zu suchen
sei, war nur ein einziger Kultus vernünftig imd
wissenschaftlich, nämlich der Kultus der Sonne."*)
Seit Plato und Aristoteles betrachtete die griechische
Philosophie die Himmelskörper als beseelte und
göttliche Wesen; der Stoizismus brachte neue Argu-
mente zu gunsten dieser Ansicht bei; der Neupytha-
goräismus und der Neuplatonismus betonen überdies
noch den heiligen Charakter des Lichtes, welches
das stets gegenwärtige Bild des übersinnlichen Gottes
sei Diese von den Denkern gebilligten Glaubens-
vorstellimgen wurden durch die Litteratur weit ver-
breitet und besonders durch solche Werke, in denen
romantische Fiktionen zur Maskierung eines rein
theologischen Inhalts dienten.
Stimmte die Heliolatrie mit den philosophischen
Lehren der Zeit überein, so war sie nicht minder
l| Renan, l^tre ä Bertkelol (Dialognes et fragmentR pMo-
sopliiqueB) p. 168: „Avant que U religion füt anivfe i proclamer qae
Keu doit fitre mit daas I'nbiolu el l'idinl, t'est-l-dire hors dn inonde,
DU scdI cultc fnt raiioniuiblc et scientiGquc, ce fnt le culte Au SoleiL"
— 140 —
ihren politischen Tendenzen konform. Wir haben 2
zeigen versucht, welcher Zusammenhang zwischen
der Anbetung der Kaiser und der des So/ inviclus
bestand. Als die Cäsaren des 3. Jahrhunderts sich
für vom Himmel auf die Erde herabgestiegene Götter
ausgaben, hatte die Inanspruchnahme ihrer ver-
meintlichen Rechte die Einrichtung eines öffentlichen
Kultes für die Gottheit, als deren Emanation sie sich
ansahen, zur logischen Folge. Heliogabal hatte für
seinen Baal von Emesa die Suprematie über das
ganze heidnische Pantheon beansprucht. Die Ex-
centrizitäten und Gewalttätigkeiten dieses haltlosen
Menschen ließen seinen Versuch kläglich scheitern,
aber er war zeitgemäß und wurde bald mit besserem
Erfolge wiederholt. Aurelian weihte in der Nähe
der Via Flaminia, im Osten des Marsfeldes, ein
Icolossales Gebäude dem schützenden Gotte, der ihm
in Syrien den Sieg geschenkt hatte. Die Staats-
religion, welche er einführte, ist mit dem Mithria-
cismus nicht zu verwechseln; ihr grandioser Tempel,
ihre prunkvollen Zeremonien, ihre vierjährigen Spiele,
ihr Klerus von Pontifices erinnern an die großen
Heiligtümer des Orients und nicht an die dunkelen
Grotten, in denen die Mysterien gefeiert wurden.
Dessenungeachtet konnte der Sol invtctus, welchen
der Kaiser mit einem bislang unerhörten Pomp hatte
ehren wollen, von den Gläubigen des Mithra als ihr
Gott in Anspruch genommen werden.
Die kaiserUche Politik gab in der offiziellen
Religion den ersten Platz der Sonne, deren Emanation
der Souverän war, ebenso wie in den durch die
Mithriasten verbreiteten chaldäischen Spekulationen
der königliche Planet die übrigen Gestirne beherrschte.
I
Auf beiden Seiten neigte man sogar dazu, in dem
strahlenden Himmelskörper, der das Weltall erleuchtet,
den einzigen Gott oder doch das sinnliche Bild des
einzigen Gottes zu erblicken, und nach dem Vorbilde
der Monarchie, die auf Erden regierte, den Mono-
theismus im Himmel zu inthronisieren. Macrobius
setzt in seinen Satumalien gelehrt auseinander, daß
alle Gottheiten auf ein einziges, unter verschiedenen
Gesichtswinkeln angeschautes Wesen zurückzuführen,
und daß die mannigfaltigen Namen, unter denen man
es anbete, dem des Helios äquivalent seien. Der
Theologe, welcher diese radikale Synkrasie ver-
teidigt, Vettius Agorius Praetextatus , war nicht nur
einer der höchsten Würdenträger des Reiches,
sondern auch einer der letzten Häupter der persischen
Mysterien.
Der Mithriacismus, wenigstens der des 4. Jahr-
hunderts, verfolgte mithin das Ziel, durch die Ver-
einigung aller Götter und Mythen in einer ungeheuren
Synthese eine neue Religion zu gründen, welche im
Einklang stehen sollte mit der damals herrschenden
Philosophie wie mit der Verfassung des Reiches.
Diese Religion würde ebenso weit von dem alten
iranischen Mazdaisraus entfernt gewesen sein als von
dem griechisch-römischen Heidentum, welches den
siderischen Mächten nur einen ganz unbedeutenden
Katz gönnte. Sie würde die Idolatrie gewissermaßen
zu ihrem Ursprung zurückgeführt und in den Mythen,
welche ihre Bedeutung verschleiert hatten, die ver-
götterte Natur wieder entdeckt haben. Mit dem
römischen Prinzip der Nationalität der Kulte brechend,
würde sie die Weltherrschaft des mit der unbesieg-
baren Sonne identifizierten Mithra aufgerichtet haben.
" 142 —
Ihre Anhänger hofften, indem sie alle Frömmigkeit
auf ein einziges Objekt konzentrierten, den zersetzten
Glaubensvorstellungen neue Festigkeit zu geben.
Der solare Pantheismus war die letzte Zuflucht der
Konncrvativen, die sich durch eine revolutionäre
Propagandit bedroht sahen, welche die gesamte alte
Ordnung der Dinge zu vernichten strebte.
Zu der Zeit, als dieser heidnische Monotheismus
In Koni rliiH Scepter ergriff, hatte der Kampf zwischen
dc-n mithrischen Mysterien und dem Christentum
Hclion längst begonnen. Beide Religionen waren
füllt glwlchzcitig auf die Bühne der Welt getreten,
und ihre Ausbreitung hatte sich unter analogen Be-
dingungen vollzogen. Beide aus dem Orient ge-
kommen, verdankten sie ihre äußeren Erfolge den-
«»flben allgemeinen Ursachen, der politischen Einheit
und der moralischen Anarchie des Kaiserreiches.
Die Verbreitung der einen wir die der andern vollzog
sich mit ähnlicher Schnelligkeit, und an der Neige
des 2. Jahrhunderts besaßen sie beide Anhänger in
den entlegensten Gegenden der römischen Welt.
Die Jünger des Mitlira hatten sich mit vollem Recht
den hyperbolischen Ausspruch Tertullians aneignen
dürfen: Ilesterni sumus et vestra omnia imflevimus. ...
Wenn man die Anzahl der Denkmäler in Betracht
zieht, welche der persische Kult ims hinterlassen hat,
so kann man sich sogar fragen, ob zur Zeit der
Severer seine Adepten nicht zahlreicher gewesen
sind als die Gläubigen des Christus, Eine andere
Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionsgemein-
schaften besteht darin, daß sie beide anfanglich ihre
Proselyten vor allem in den unteren Klassen der
Gesellschaft fanden. Ihre Propaganda war ursprünglich
— 143 —
im i?eseiiÖichen populär; im Geg^eosatz zu
philosophischen Schulen wandte sie sich weniger an
die Gelehrten als an die Menge und appellierte in-
folgedessen mehr an das Gefühl als an den Verstand,
Neben diesen Ähnlichkeiten bemerkt man in-
dessen in den Mitteln und Wegen der beiden Gegner
bedeutsame Unterschiede. Die ersten Eroberungen
des Christentums wurden durch die jüdische Diaspora
begünstigt, und es hat sich zuerst in den Gegenden
verbreitet, welche mit israelitischen Kolonieen be-
völkert waren. Seine Gemeinden entwickeln sich
daher namentlich in den Randländem des Mittel-
meeres; sie beschränken ihren Wirkungskreis auf die
Städte, und ihre Vermehrung ist großenteils eine
Folge von Missionsreisen, welche mit der ausge-
sprochenen Absicht unternommen wurden, „die Völker
zu lehren". Die Ausbreitung des Mithriacismus da-
gegen ist vor allem das natürliche Produkt sozialer
und politischer Faktoren: der Einfuhr von Sklaven,
der Translokationen von Truppen, der Versetzungen
öffentlicher Beamter. In der Verwaltung und in der
Armee zählt er die meisten Anhänger, also gerade
da, wo die Christen infolge ihrer Abneigung gegen
das offizielle Heidentum sehr dünn gesäet bleiben.
Außerhalb Italiens verbreitet er sich hauptsächlich
an den Grenzen entlang und faßt er zu gleicher Zeit
in den Städten und auf dem Lande Fuß; seine
festesten Stützpunkte findet er in den Donauprovinzen
und in Germanien, wahrend die Kirche die schnellsten
Fortschritte in Kleinasien und Syrien macht Die
Herrschaftsgebiete der beiden rehgiösen Mächte
fallen mithin nicht zusammen, und beide konnten sich
lange genug ausdehnen, ohne miteinander in Konflikt
— 144 —
xa. geraten. Nur im Rhönetal, in Afrika ui
allem in der Stadt Rom, wo alle beide tiefe Wurzeln
geschlag-en hatten, mußte im 3. Jahrhundert der
Wettstreit zwischen den Kollegien der Mithraanbeter
und der Gemeinschaft der Christusgläubigen besonders
lebhaft entbrennen.
Der Kampf zwischen den beiden rivalisierenden
Religionen wurde um so hartnackiger gefuhrt, je
ähnlicher sie ihrem Charakter nach waren. Ihre
Adepten bildeten in gleicher Weise geheime, fest-
geschlossene Konventikel, deren Mitglieder sich den
Namen „Brüder" gaben. ^) Die Riten, welche sie aus-
übten, boten zahlreiche Analogien: wie die Christen
reinigten sich auch die Anhänger des persischen
Gottes durch eine Taufe, empfingen durch eine Art
Firmelung die Kraft, die bÖsen Geister zu bekämpfen,
und erwarteten von einer Kommunion das Heil der
Seele und des Leibes. Wie jene heiligten sie den
Sonntag, und am 25, Dezember feierten sie die Geburt
der Sonne, also an demselben Tage, an dem —
wenigstens seit dem 4. Jahrhundert — das Weihnachts-
fest stattfand. Ebenso predigten sie eine imperative
Moral, hielten die Askese für verdienstlich und
rechneten zu den wichtigsten Tugenden Enthalt>
samkeit und Keuschheit, Entsagung und Selbstbe-
herrschung. Ihre Vorstellungen von der Welt und
dem Schicksal der Menschen waren ähnlicher Natur:
sie glaubten beide an die Existenz eines Himmels
der Seligen in überirdischen Regionen und einer
[) Ich mächte dazu bemerken, daJl selbst der Ausdrock „teuerste"
oder „liebste Brüder" schon bei den Anhängern des Jupiter Dolichenus
üblich war (CIL. VI, 406 = 30 758: fratres carissimos et conligai
Aar^eslissimos\) Dnd valiracheinlich aucli in dcD mitlirischeii Vereinen.
— 145 —
von Dämonen bevölkerten Hölle in den Tiefen der
Erde; sie setzten an den Anfang der Geschichte
eine Sintflut, sie führten ihre Überlieferungen auf
eine ursprüngliche Offenbarung zurück; sie glaubten
endlich an die Unsterblichkeit der Seele, an ein
jüngstes Gericht und an die Auferstehung der
Toten im Zusammenhang mit dem schließlichen
Weltbrande.
Wir haben gesehen, daß die Theologie der
Mysterien aus Mithra als „Mittler" das Äquivalent
des alexandrinischen Logos machte. Gleich ihm war
Christus der neciTTic der Mittler zwischen seinem
himmlischen Vater und den Menschen, und gleich
ihm bildete er das Glied einer Trinität Diese Ver-
gleichspunkte waren jedenfalls nicht die einzigen,
welche die heidnische Exegese zwischen beiden
statuierte, und das Bild des stiertötenden Gottes,
der sich schweren Herzens dazu entschließt sein
Opfer zu schlachten, um zu schaffen und die Mensch-
heit zu erlösen, wurde gewiß mit dem des Heilandes
verglichen, der sich selbst für das Heil der Welt
zum Opfer bringt.
Anderseits stellen die kirchlichen Autoren, eine
Metapher des Propheten Maleachi wiederaufnehmend,
der „unbesiegbaren Sonne" die „Sonne der Ge-
rechtigkeit" gegenüber und erblicken sämtlich in
der glänzenden Kugel, welche den Menschen leuchtet,
ein Symbol des Christus, des „Lichtes der Welt",
Darf man sich darüber wundem, daß die Masse der
Frommen die subtilen Unterschiede der Gelehrten
nicht immer respektiert, und daß sie, einer heidnischen
Sitte folgend, dem strahlenden Giestirn Huldigungen
dargebracht hat, welche die Orthodoxie Gott selbst
Cufuotit, Mkhiasmysteriflii. lO
- 146 -
vorbehielt? Im 5, Jahrhundert neigten sich nicht nur
Häretiker, sondern auch wahrhaft Gläubige noch vor
der flammenden Scheibe, wenn sie sich über den
Horizont erhob, imd murmelten dabei die Bitte:
„Erbarme dich unser."
Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionen
war so groß, daß sie im Altertum selbst allgemein
auffiel. Seit dem 2, Jahrhundert zogen die griechi-
schen Philosophen zwischen den persischen Mysterien
und dem Christentum eine Parallele, die natürlich
zum Vorteil der ersteren ausfiel. Die Apologeten
betonen ihrerseits ebenfalls die Analogieen zwischen
den beiden rivalisierenden Religionen und erklären
sie durch satanische Nachäffung der heiligsten Riten
ihres Glaubens. Wären uns die polemischen Schriften
der Mithriasten erhalten geblieben, so würden wir
ohne Zweifel gewahren, daß sie denselben Vorwurf
gegen ihre Gegner schleuderten.
Wir dürfen heute nicht mehr daran denken, eine
Frage zu entscheiden, deren Beantwortung schon die
Zeitgenossen in zwei feindliche Lager trennte, und
die zweifellos niemals gelöst werden wird. Wir
kennen die Dogmen und die Liturgie des römischen
Mazdaismus und ebenso die Geschichte des Ur-
christentums zu ungenügend, um beurteilen zu können,
unter welchen wechselseitigen Einflüssen ihre gleich-
zeitige Entwicklung sich vollzogen hat. Überdies
setzt Ähnlichkeit nicht unbedingt Nachahmung voraus.
Viele Übereinstimmungen zwischen der mithrischen
Lehre und dem katholischen Glauben erklären sich
aus ihrem gemeinsamen orientalischen Urspnmge.
Gewisse Ideen, gewisse Zeremonien müssen trotzdem
aus dem einen Kultus in den andern verpflanzt sein,
— 147 —
aber meist mutmaßen wir diese Anleihen mehr, als
daß wir sie deutlich bemerken.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man aus der
Legende des iranischen Heros ein Seitenstück zum
Leben Jesu zu machen strebte, und daß die Schüler
der Magier eine Anbetung der Hirten, ein Abendmahl
und eine Himmelfahrt mithrischen Charakters den
entsprechenden Erzählungen der Evangelien gegen-
überzustehen suchten. Man verglich selbst den
gebärenden Fels, der den Genius des Lichtes zur
Welt gebracht hatte, mit dem unerschütterlichen
Eckstein, dem Sinnbilde des Christus, auf dem die
christliche Kirche erbaut war, und sogar die Grotte,
in welcher der Stier unterlegen war, mit der, in welcher
Jesus zu Bethlehem geboren wurde.') Aber diese
erzwungenen Vergleiche konnten nur zu einem Zerr-
bilde führen. Es war ein außerordentlicher Nachteil
für den Mazdaismus, daß er nur an einen mythischen
Erlöser glaubte. Die unerschöpfliche Quelle religiöser
Erbauung, welche aus der Predigt und der Passion
des am Kreuze geopferten Gottes entsprang, floß
niemals für die Gläubigen Mithras.
1} Jean R^ville (&tudes fubli^fs en hammagc ä. la faculU üe
Iheologie de Moniauban, igoi, p. 339 s,) Termutet, daS die ciriBtliche
Erzählung von der Gebnrt Jesn und der Anbctnng der Magier von
der mithrisclien Legende aogeregt sei, erkennt jedoch an, daß wir
keinen Beweis fnr diese Anleihe besitzen. Ebenso hält A. Dieterich
in einem kürzlich erschienenen Artikel {Zi^itschr. /. neutest. Wissensch,
1902, S. 190), in dem er die Entstehung der Legende von den drei
Magiern scharfsinnig in erklären sucht, für möglich, daß die Anbetung der
lliiten aus dem Mithriacismus in die christliche Tradition übergegangen
•iei. Ich möchte indessen darauf hinweisen, daß die maidälschen
GlanbcnsvotstelluDgeo über die Ankunft Mithras in der Welt auQer-
ordentlich wechselnd gewesen sind (cf. T. tt M., t. I, p. 160 s,].
a konnten die orthodoxen oder häretischen
Liturgieen, welche sich im Laufe der ersten Jahr-
hunderte unserer Zeitrechnung allmähUch fixiert haben,
durch diese Mysterien mehr als eine Anregung-
empfangen, da sie unter allen heidnischen die meiste
Verwandtschaft mit den Institutionen des Christentums
zeigten. Wir wissen nicht, ob das Ritual der Sakra-
mente und die Hoffnungen, welche man an sie
knüpfte, irgendwie den Einfluß der mazdäischen
Bräuche und Dogmen erfahren haben können. Viel-
leicht hat die Sitte, täglich dreimal — frühmorgens,
Mittags und in der Abenddämmerung — die Sonne
anzurufen, ihr Abbild in den täglichen Gebeten der
Kirche gefunden, und jedenfalls scheint die Feier der
Geburt des Weltheilandes auf den 25. Dezember
gelegt Zu sein, weil man zur Zeit des Wintersolstitiums
den Natalis Invicii, die Wiedergebiirt des unbesiegf-
baren Gottes feierte.') Indem die kirchliche Autorität
dieses Datum adoptierte, welches allgemein durch
heilige Freudenfeste ausgezeichnet wurde, reinigte
sie gewissermaßen profane Bräuche, welche sie nicht
auszurotten vermochte.
Das einzige Gebiet, auf dem wir den Umfang
der geraachten Anleihen im einzelnen feststellen
können, ist das der Kunst. Die weit früher ent-
wickelte mithrische Skulptur lieferte den christlichen
Steinmetzen eine Fülle von Vorlagen, welche sie
einfach übernahmen oder ihren eigenen Zwecken
anpaßten. So schwebte ihnen der Typus der Mithra
vor, der dtirch Pfeilschüsse einen Quell lebendigen
Wassers hervorlockt^, als sie den des Moses schufen,
— 149 —
welcher mit seinem Stab an den Felsen des Horeb
schlägt. Einer althei^e brachten Überlieferung' treu
reproduzierten sie sogar die Gestalten der kosmischen
Gottheiten, ^-ie die des Himmels oder der Winde,
deren Anbetung der neue Glaube verboten hatte,
und man findet an den Sarkophagen, in den Miniaturen
und selbst an den Portalen der romanischen Kirchen
Spuren von dem Einflüsse wieder, den die großen
Darstellungen ausübten, welche die mithrischen
Krypten schmückten,')
Indessen darf man die Bedeutung dieser An-
näherungen nicht überschätzen. Wiesen das Christen-
tum und der Mithriacismus einerseits tiefgehende
Ähnlichkeiten auf, zu denen in erster Linie der
Glaube an die Reinigung der Seelen und die Hoffnung
auf eine selige Auferstehung gehörten, so wurden
sie anderseits durch nicht minder wesentliche Diffe-
renzen geschieden. Die wichtigste von diesen war
ihr entgegengesetztes Verhalten gegenüber dem
römischen Heidentum, Die mazdaischen Mysterien
suchten es durch eine Reihe von Anpassungen und
Kompromissen zu gewinnen; sie versuchten den Mono-
theismus zu begründen, indem sie gleichzeitig den
Polytheismus unangetastet ließen, während die Kirche
im Prinzip, wenn auch nicht immer in praxi, die un-
versöhnliche Feindin aller Idolatrie war. Die erst-
genannte Haltung war scheinbar die vorteilhafteste:
sie gab der persischen Religion eine größere Elasti-
zität und ein besseres Anpassungsvermögen und
nahm alle diejenigen für den stiertötenden Gott ein,
welche einen schmerzlichen Bruch mit dem alten
1) Vgl. den Anhang über die roithrisclie Kui
— 150 —
Herkommen und der Gesellschaft ihrer Zeit scheuten.
Viele mußten sich von Lehren besonders angezogen
fühlen, welche ihre Sehnsucht nach vollkommenerer
Reinheit und einer besseren Welt erfüllten, ohne von
ihnen zu fordern, den Glauben ihrer Vater zu ver-
fluchen, wie den Staat, dessen Bürger sie waren.
Während die Kirche inmitten von Verfolgungen
erwuchs , sicherte diese versöhnliche Politik dem
Mithriacismus zuerst eine weitgehende Duldung und
später die Gunst der öffentlichen Autoritäten. Aber
sie hinderte ihn auch, sich von plumpen und lächer-
lichen Superstitionen zu befreien, welche sein Ritual
und seine Theologie entstellten; sie veranlaßte ihn,
trotz seiner Sittenstrenge, zu einem zweideutigen
Bunde mit dem orgiastischen Kulte der Geliebten
des Attis und verpflichtete ihn, die ganze Last einer
chimärischen oder hassenswerten Vergangenheit mit-
zuschleppen. Wenn dieser romanisierte Mazdaismus
gesiegt hätte, so würde er nicht mu" alle Verimingen
des heidnischen Mystizismus konserviert haben,
sondern auch die einer verkehrten Physik, auf der
seine Dogmatik beruhte. Die christliche Lehre,
welche mit der Verehrung der Natur gebrochen hatte,
wußte sich von solchen unreinen Beimischungen frei-
zuhalten; und ihre Ablehnung jedes kompromit-
tierenden Verhältnisses sicherte ihr eine ungeheure
Überlegenheit. Ihre negative Kraft, ihr Kampf gegen
Jahrhunderte alte Vorurteile haben ihr ebensosehr
die Herzen erobert als die positiven Hoffnungen,
welche sie zu gewähren vermochte. Während sie
das Wunder vollbrachte, den Gesetzen und der
kaiserlichen Polizei zum Trotz die alte Welt zu be-
siegen, verschwanden die mithrischen Mysterien sofort,
als die Protektion des Staates sich in Feindschaft
verkehrte.
Auf der Höhe ihrer Macht standen sie um die
Mitte des 3. Jahrhunderts, und einen Augenblick
lang schien es, als sollte die Welt dem Mithra ge-
hören. Aber die ersten Einfälle der Barbaren und
namentlich der endgültige Verlust Daciens {2 7 5 n, Chr.),
dem bald der der Agri Decumates folgte, bedeuteten
einen furchtbaren Schlag für die mazdäische Sekte,
die namentlich an der Peripherie des orbis Romanus
herrschte. In ganz Pannonien und bis Virunum an
der italischen Grenze ^vurden ihre Tempel geplündert.
Dafür hielten die offiziellen Gewalten, die sich durch
die reißenden Fortschritte des Christentums bedroht
sahen, mit wachsender Energie den gefahrlichsten
Gegner nieder, den sie ihr hätten entgegenstellen
können. Bei dem allgemeinen Zusammenbruch war
die Armee die einzige Institution, welche sich auf-
recht erhielt, und die von den Legionen erwählten
Cäsaren mußten sich notgedrungen auf eine Religion
stützen, welche namentlich von den Soldaten aus-
geübt wurde. Im Jahre 273 gründete Aurelian neben
den Mysterien des stiertötenden Gottes einen reich
dotierten öffentlichen Kult zu Ehren des Sol invictus.
Diokletian, dessen Hof mit seiner komplizierten Hier-
archie, seinen Niederwerfungen vor dem Herrscher
und seiner Eunuchenschar nach Aussage der Zeit-
genossen eine Nachahmung des sassanidischen dar-
stellte, war natürlich dazu geneigt, Lehren persischen
Ursprungs zu adoptieren, welche seinen despotischen
Instinkten schmeichelten. Als der Kaiser und die
Regenten, welche er sich beigesellt hatte, im Jahre 307
in Camuntum zusammentrafen, restaurierten sie dort
— 152 —
einen Tempel des himmlischen Protektors ihre"
wiederhergestellten Reiches.') Die Christen gingen
sogar so weit, daß sie den mithrischen Klerus — und
dem Anschein nach nicht ohne Grund — als den
Anstifter der großen Verfolgung unter Galerius be-
trachteten. Eine verschwommen monotheistische
Heliolatrie schien im römischen Reiche, wie in Iran,
die einzige und keine andere neben sich duldende
Religion des Staates werden zu sollen. Da machte die
Bekehrung Konstantins die Hoffnungen zu Schanden,
welche die Politik seiner Vorgänger den Anbetern
der Sonne eingeflößt hatte. Obgleich er niemals
einen Glauben verfolgt hat, den er selbst einst teilte"),
so hörte dieser doch auf, ein anerkannter Kult zu
sein, um nunmehr ein geduldeter zu werden. Seine
Nachfolger waren ihm entschieden feindlich gesinnt.
Dem geheimen Mißtrauen folgte die offene Verfolgung-,
Die christUche Polemik beschränkte sich nicht mehr
darauf, die Legenden und die Bräuche der mazdäischen
Mysterien lächerlich zu machen oder selbst ihnen
vorzuwerfen, daß sie von den unversöhnlichen Gegnern
Roms gestiftet seien: sie fordert mit lautem Geschrei
die totale Vernichtung des Götzendienstes, und ihren
Ermahnungen folgt die Tat auf dem Fuße nach.
Wenn ein Rhetor uns erzählt^), daß unter Konstantin
niemand mehr wagte, den Aufgang und den Unter-
gang der Sonne zu betrachten, daß sogar die Bauern
und die Seeleute es vermieden, die Gestirne zu be-
obachten und zitternd ihre Augen auf den Boden
1) Vgl. oben S. 66.
7) Vgl. Preger, Kanstantinos - Hilios (Hermes XXXVI) 1901,
S. 457-
3) Mamert., Grat. acl. in Julian., c. 23.
— 153 —
geheftet hielten, so sind diese emphatischen Dekla-
mationen nur ein verstärktes Echo der Besorgnisse,
welche damals alle Heiden erfüllten.
Die Proklamation Julians führte mit einem
Schlage eine unerwartete Wendung herbei. Der
von der gallischen Armee auf den Thron erhobene
Philosoph hegte seit seiner Kindheit eine geheime
Verehrung für Helios. Seiner Überzeugung nach
hatte dieser Gott ihn den Gefahren entgehen
lassen, welche seine Jugend bedrohten; er glaubte
von ihm eine heilige Mission empfangen zu haben
und betrachtete sich als seinen Diener oder vielmehr
als seinen geistigen Sohn, Er hat diesem himmlischen
„König" eine Abhandlung gewidmet, welche die Glut
seines Glaubens stellenweise aus einer frostigen
theologischen Dissertation in einen flammenden
Dithyrambus verwandelt, Die Inbrunst seiner frommen
Verehrung für das Gestirn, welches er anbetete,
verleugnete sich nicht bis zur Stunde seines Todes.
Infolge seines abergläubischen Hanges zum
Übernatürlichen mußte sich der junge Fürst besonders
von den Mysterien angezogen fühlen. Vor seinem
Regienmgsantritt, vielleicht schon im Jünglingsalter,
wurde er von dem Philosophen Maximus von Ephesus
heimlich in ein mithrisches Konventikel eingeführt.
Die Einweihuiigszeremonien machten einen tiefen
Eindruck auf ihn. Er glaubte sich seitdem unter
Mithras Schutz gestellt, in diesem wie in jenem Leben.
Sobald er die Maske abgeworfen und sich offen für
einen Heiden erklärt hatte, berief er Maximus zu
sich und nahm damals ohne Zweifel seine Zuflucht
zu außerordentlichen Waschungen und Reinigungen,
um die Befleckung zu beseitigen, welche er sich
hatte, indem er die Taufe und
Kommunion der Christen empfing. Kaum hatte er
den Thron bestiegen, als er sich beeilte den persischen
Kult in Konstantinopel einzuführen, und fast gleich-
zeitig wurden die ersten Taurobolien in Athen voll-
zogen.
Überall erhoben die Anhänger der Magier wieder
ihr Haupt. Als der Patriarch Georgios in Alexandrien
auf den Trümmern eines Mithraeums eine Kirche
erbauen woUte, rief er einen blutigen Aufstand hervor.
Von der Obrigkeit in Haft genommen, wurde er
vom Pöbel aus seinem Gefängnis geschleppt und
grausam ermordet am 24. Dezember 361, dem Vor-
abend des Natalis Jtimcti. Der Kaiser begnügte
sich damit, der Stadt des Serapis väterliche Vor-
stellungen zu machen.
Aber bald kam der Apostat um, und zwar auf
seinem Feldzuge gegen die Perser, zu dem ihti
vielleicht der geheime Wunsch verführt hatte, das
Land zu erobern, welches ihm seinen Glauben
geschenkt hatte, und die Zuversicht, daß sein Schutz-
patron, wenn er in die Lage versetzt würde, zwischen
seinen Huldigungen imd denen seiner Feinde wählen
zu müssen, die seinigen vorziehen würde. Damit
scheiterte dieser kurzlebige Reaktions versuch, und
das Christentum, welches nun endgültig den Sieg
errungen hatte, beeilte sich einen Irrtum auszurotten,
der ihm so heiße Kämpfe gebracht hatte. Noch
ehe die Herrscher die Ausübung des Götzendienstes
verboten hatten, ermöglichten es ihre Edikte gegen
Astrologie und Magie, den Klerus und die Gläubigen
des Mithra indirekt zu fassen. Im Jahre 37 1 wurden
viele Anhänger der Geheimkulte in ein angebliches
«
— '55 —
Komplott verwickelt und hingerichtet. Der Mystagog
Maximus fiel selbst einer derartigen Anklage zum
Opfer.
Eine Reihe von kaiserlichen Verfugungen traf
bald darauf die verfehmte Sekte auch immittelbar.
In den Provinzen kamen oft Volkserhebungen dem
Einschreiten 'der Magistrate zuvor. Die Menge
plünderte die Tempel und überlieferte sie im Ein-
verständnis mit den Behörden den Flammen. Die
Ruinen der Mithraeen bezeugen die Heftigkeit dieser
Zerstörungswut. In Rom selbst suchte im Jahre 377
der Präfekt Gracchus, der die Taufe zu empfangen
wünschte, dadiu-ch die Aufrichtigkeit seiner Be-
kehrung zu beweisen, daß er eine Krypta mit all den
Statuen, welche sie enthielt, „umwühlte, zerbrach,
vernichtete".^) Oft vermauerten die Priester, um
ihre unversehrt gebliebenen Grotten der Plünderung
zu entziehen, deren Eingang, oder brachten auch
wohl ihre heihgen Bilder in sicheren Verstecken
unter in der Überzeugung, daß der Sturm, der über
sie dahinbranste, vorübergehen und nach den Tagen
der Prüfung ihr Gott ihnen endlich den Sieg be-
sehe er en würde. Die Christen dagegen, von der
Absicht geleitet, eine solche Stätte durch die An-
wesenheit eines Leichnams zu verunreinigen und so
fortan für den persischen Kultus unbrauchbar zu
machen, richteten bisweilen den den Gesetzen \m-
gehorsamen Priester hin und verscharrten ihn unter
den Trümmern des für immer entweihten Heilig-
tums (Fig. 8).
1) Hieron., Sfi. roy ad Lailam (7*. t
Afilkrje . , . iobiiertU frtgU exausit.
;. II, p. I
: Sftatm
- .56 -
Die Hoffnung airf eine Restauration erhielt sich
oaroentlich in Rom lebendig, das die Hauptstadt des
Heidentums geblieben war. Die Aristokratie, treu
an den Überlieferungen ihrer Vorfahren hängfeod,
unterstützte es durch ihre Reichtümer und ihren
Einfluß. Sie liebte es, sich mit den Titeln „Vater
und Herold des unbesiegbaren Mithra"' zu schmücken
. Gefeselts Skelell, geCiuideii
und steigerte ihre Opferspenden und ihre Stiftungen.
Doppelt freigebig zeigte sie sich ihm gegenüber, als
Gratian die Tempel ihrer Güter beraubt hatte
(382 n. Chr.), Ein Grandseigneur erzählt uns in
schlechten Versen, wie er eine von seinem Großvater
in der Xähe der Via Flaminia erbaute glänzende
Krypta wiederhergestellt und dabei auf jede öffent-
liche Unterstützung verzichtet habe,') Die Usurpation
1) CIi.. VI, 774 {T. .
i- n, p. 94 t
■ >3)-
I
I
— 157 —
des Eugenius schien anfanglich die erhoffte Wieder-
erhebung herbeifuhren zu sollen. Der Präfekt des
Prätoriums Nicomachus Ftavianus vollzog feierliche
Taurobolien und erneuerte in einer geweihten Girotte
die Mysterien des dem Prätendenten „verbündeten
Gottes" {detim conntem). Aber der Sieg des Theo-
dosius {394) brachte die Hoffnungen der zurück-
gebliebenen Anhänger des alten Glaubens endgültig
zum Scheitern.
Ein paar geheime Konventikel mochten sich
immerhin noch in den Kellergewölben der Paläste
versammeln; und in gewissen abgelegenen Gegenden
der Alpen oder der Vogesen mag der Kultus des
persischen Gottes bis in das 5. Jahrhundert fort-
bestanden haben. So erhielt sich die Anhänglichkeit
an die mithrischen Riten noch lange bei dem Stamme
der Anaimi, der ein blühendes und nur durch einen
schmalen Engpaß zugängliches Tal beherrschte. Aber
allmählich wandten sich in den lateinischen Ländern
auch die letzten Gläubigen von einer Religion ab,
die ebensosehr moralisch als politisch diskreditiert
war. Mit größerer Zähigkeit behauptete sie sich im
Orient, ihrer eigentlichen Heimat. Aus den übrigen
Teilen des Reiches verwiesen, fand sie eine Zuflucht
in den Gegenden, wo sie geboren war, um hier
schließlich langsam zu verlöschen.
Nur die Vorstellungen, welche der Mithriacisrous
mehr als drei Jahrhunderte lang im Reiche verbreitet
hatte, sollten nicht mit ihm untergehen. Einige von
ihnen, sogar die eigenartigsten, wie die, welche sich
auf die Hölle, die Wirksamkeit der Sakramente und
die Auferstehung des Fleisches beziehen, wurden
auch von seinen Gegnern angenommen, und dadurch.
daß er sie verbreitete, hat er die Weltherrschaft
der letzteren nur gefordert. Manche seiner heilig-en
Zeremonien gingen auch in das Ritual der christ-
lichen Feste oder tn den Volksbrauch über. Seine
Fundament aisätze waren jedoch mit der Orthodoxie
unvereinbar und konnten sich daher nur außerhalb
ihres Herrschaftsgebietes erhalten. Seine Theorie
über die Einwirkungen der Gestirne, bald verurteilt
und bald geduldet, wurde durch die Astrologie
bis an die Schwelle der Neuzeit getragen. Einer
Religion von größerer Macht, als diese falsche
Wissenschaft sie besaß, sollten die persischen
Mysterien mit ihrem Haß gegen die Kirche auch
ihre Hauptideen und ihren Einfluß auf die Massen
vererben.
Obwohl der Manichäismus das Werk eines
Mannes und nicht das Produkt einer langen Ent-
wicklung war, zeigte er doch in vielfacher Hinsicht
Ähnlichkeit mit den Mysterien, Die Überlieferung,
nach der seine ersten Gründer in Persien mit den
Priestern des Mithra verkehrt haben sollen, mi^
formell ungenau sein: sie enthält dennoch einen
Kern von Wahrheit Beide Kulte waren im Orient
aus der Verraischimg der altbabylonischen Mythologie
mit dem persischen Dualismus entstanden und hatten
sich in der Folge mit hellenischen Elementen be-
reichert. Die Sekte des Manes verbreitete sich im
Reiche während des 4. Jahrhunderts, als der Mithria-
cismus im Sterben lag, und wurde so da^u berufen,
seine Erbschaft anzutreten. Alle Mysten, welche
die Polemik der Kirche gegen den Paganisraus
wankend gemacht hatte ohne sie zu bekehren, wurden
mit leichter Mühe für einen vermittelnden Glauben
— 159 —
gewonnen, der ihnen gestattete, Zoroaster und Christus
mit derselben Verehrung zu umfassen. Die weite
Verbreitung, welche die vom Chaldäismus beein-
flußten mazdäischen Glaubensvorstellungen gefunden
hatten, hatte die Geister für die Häresie empfanglich
gemacht; diese fand somit die Wege geebnet, und
darauf beruht das Geheimnis ihrer ungewöhnlich
schnellen Expansion. Die so verjüngten mithrischen
Lehren sollten noch Jahrhunderte hindurch allen
Verfolgungen Trotz bieten, imd sogar noch um die
Mitte des Mittelalters in einer neuen Gestalt wieder-
auflebend, von neuem die alte römische Welt in
Aufregung versetzen.
ANHANG/)
DIE MITHRISCHE KUNST.
Die mithrischen Monumente, die in beträchtlicher
Anzahl in den Provinzen des Abendlandes und selbst
hn Orient gefunden worden sind, bilden eme homo-
gene Gruppe, deren Bedeutung für die Geschichte
der römischen Kunst im folgenden kurz charakte-
risiert werden soll. Allerdings ist ihr künstlerisches
Verdienst weit geringer als ihr urkundliches Inter-
esse, und ihr Hauptwert ist nicht ästhetischer,
sondern religiöser Art. Die späte Zeit, in welcher
diese Werke entstanden sind, ninrnit uns von vom-
herein die Hoffnung, in ihnen der Äußerung einer
wahrhaft schöpferischen Kraft zu begegnen und an
ihnen die Fortschritte einer originellen Entwicklung
verfolgen zu können. Dennoch würde es imbillig
sein, sie von dem Standpunkte eines engherzigen
Atticismus aus sämtlich mit der gleichen Gering-
schätzung zu behandeln. Fehlt ihnen auch die
Inspiration des Genius, so können doch die Gewandt-
heit in der Verwertung älterer Motive, die Geschick-
lichkeit der Ausführung, all die Vorzüge der Technik,
i) Dieser Anhang ist eine Neubearbeitung der Seiten 213 — 220
des I. Bandes des Hauptwerkes, die aucb in der Revue archiologique
(1899, II» P" 193 — 202) erschienen sind.
— i6i —
welche sie bisweilen erkennen lassen, diese Bild-
werke unserer Beachtung hinlänglich empfehlen.
Einige unserer Rundskulpturen und unserer Bas-
reliefs — denn die Gemälde und die Mosaiken sind
so wenig zahlreich, daß man von ihrer Besprechung
absehen kann — nehmen einen sehr ehrenvollea Platz
unter der Fülle von Bildwerken ein, welche die Kaiser-
zeit uns hinterlassen hat, und verdienen, daß wir einen
Augenblick bei ihnen verweilen.
Man kann beweisen^), ditß alle unsere Dar-
stellungen des stiertötenden Mithra, dessen hieratisches
Bild schon vor der Verbreitung der Mysterien im
Abendlande iixiert war, mehr oder weniger treue
Repliken eines Typus sind, den ein Bildhauer der
pergamenischen Schule nach dem Modell der opfern-
den Siegesgöttin schuf, welche die Balustrade des
Tempels der Athena Nike auf der Akropolis schmückte.
Gewisse Marmorbildwerke, welche in Rom und
Ostia^ gefunden wurden und zweifellos bis auf den
Anfang des 2. Jahrhunderts zurückgehen, spiegeln
noch den Glanz jener machtvollen Komposition der
hellenistischen Epoche wieder. Nach heißer Ver-
folgung hat der Gott soeben den niederstürzenden
Stier erreicht. Ein Knie auf die Kruppe, einen Fuß
auf einen seiner Hufe stemmend, wirft er sich auf ihn,
um ihn niederzuhalten, lond ihn mit der einen Hand
bei den Nüstern packend, bohrt er ihm mit der andern
ein Messer in die Flanke. Der Schwung dieser be-
wegten Szene bringt die Gewandtheit und die Kraft
des unbesiegbaren Helden zur Geltung. Anderseits
1) CL T. ri M., t. U, p. 180 s.
2) Vgl. oben S. l8 und 60 (dazu das Titelbild, Tafel I).
u QODt. MithiiumriteiieD. 1 1
— l62 —
lassen der Schmerz des Opfers, welches sterbend röchelt
und dessen Glieder ein letzter Krampf zusammenzieht,
wie die einzigartige Mischung von Exaltation und
Bedauern, welche sich in den Zügen seines Mörders
ausprägt, die pathetische Seite dieses heiligen Dramas
hervortreten und teilen dem Beschauer eine Bewegung-
mit, welche die Gläubigen lebhaft empfunden haben
Der traditionelle Typus der Fackelträger oder
Dadophoren') eignete sich nicht zum Ausdruck so
intensiver Gemütsbewegungen. Dochkannman, wenigf-
stens an den besseren Exemplaren, sich davon über-
zeugen, welchen Vorteil der Künstler aus der Weite
der phrygischen Gewandung zu ziehen verstand, und
die verschiedenartigen Gefühle, Hoffnung und Trauer,
erkennen, welche sieb in den Gesichtern der beiden
einander gegenüberstehenden jungen Leute malen.
Eine bemerkenswerte Reproduktion dieses göttlichen
Paares besitzen wir in den beiden nahe am Tiber ge-
fundenen Statuen, welche Zoega der Zeit Hadrians
zuwies, und die vielleicht aus dem Orient nach Italien
gebracht sind.*) Es verdient Beachtung, wie ihr Ur-
heber den Mangel an Symmetrie zu vermeiden gewußt
hat, der dadurch entsteht, daß diese beiden zu
Pendants bestimmten Figuren den Mantel auf der-
selben linken Schulter befestigt trugen, während
sie ihn auf der rechten Seite beide herabfallen ließen.
Die Sorgfalt im Detail, welche für die Werke
aus der Zeit der Antonine charakteristisch ist,
offenbart sich mit mehr oder weniger Glück auch
1) Vgl. oben S. 96.
2) T. it M., mon. 27, pl. Xl.
- i63 -
in den etwas jüngeren Monumenten. Betrachten wir
die Gruppe von Ostia, die aus der Reg-ierungszeit
des Comraodus stammt, oder das Basrelief der Villa
Albani, welches derselben Zeit anzugehören scheint.')
Der Künstler hat sich darin gefallen, die Falten
der Gewänder zu vervielfachen, die Haarlocken zu
verwirren, um seine Geschicklichkeit in der Über-
windung von Schwierigkeiten zu zeigen, die er sich
selbst bereitet hatte; aber diese merkwürdige
Maniriertheit entschädigt nicht für die Frostigkeit des
Gesamteindrucks. Von besserem Erfolge ist dieses
minutiöse Verfahren bei den Stücken begleitet, die ge-
ringere Dimensionen aufweisen. Ein kleiner kürzlich
in Aquiieia gefundener Marmor zeichnet sich in dieser
Beziehung „durch ein verblüffendes technisches Ge-
schick aus".*) Die vorzüglich herausgearbeiteten Fi-
guren lösen sich fast ganz von dem massiven Block,
mit welchem sie nur noch durch unbedeutende Stützen
zusammenhängen. Es ist ein Bravourstück, an
welchem der Bildhauer seine Virtuosität veranschau-
licht, einem spröden Material dieselbe Wirkung ab-
zuzwingen, welche der Ciseleur infolge der Ge-
I) T. et M., mon. 79, fig. 67 et mon. 38, fig. 45.
3) C. R. von Schneider, Auserlesene Gegenstände der aatiken
Samml. in Wien, 1895, S. 9 (vgl. T. et M., t, n, p. 488). Er Ter-
gleicht mit diesem Werke die Reliefs von der Basis der AntoninuE-
sätüe {Brunn, Zlenktnä/er griech. and rom. Skulptur. Ta£ 21ob), ein
Basrelief vom Campo Snjito in Pisa (Dütschkei Bildteerkt in Ober'
italien I, Nr. äO) und die Büste des Commodus im Konservatoren-
palsst (Helhig, Führer, 2. Auf!., Nr. 524). Dieselbe Anwendung der
Metnlltechnik auf Marmor leigen zwei wundervoll erhaltene Büsten,
die in Smyma entdeckt worden nnd sich jetzt im Museum zu Brüssel
befinden (Catal. des antiquilis acquises par les -musies rej'aux deputs
le i" Janvier jgoo, Bruiellcs 1901, no. Iio — lll).
- 164 -
schmeidigkeit des Metalls hervorzubringen ver-
mag.
Aber Werke von solcher relativen Vollkommen-
heit sind in Italien und namentlich in den Provinzen
selten; und man muß zugeben, daß die große Masse
der mithri sehen Monumente von trostloser Mittel-
mäßigkeit ist. Die Handwerker oder Steinmetzen —
sie verdienen keinen anderen Namen — von denen
diese Arbeiten herrühren, begnügten sich oft damit,
mit einigen Meißelschlägen die Szene anzudeuten,
welche sie darstellen wollten. Ein grober Farben-
anstrich bezeichnete dann gewisse Details. Die
Modellierung ist oft so roh, daß nur die Umrisse
ordentlich angegeben sind, wie bei den Hieroglyphen, |
und das Ganze ebensoviel Zeichnung als Bildhauer-
arbeit aufweist Allerdings konnten solche unvoll-
kommenen Darstellungen genügen, weil alle Gläubig-en
ihren Sinn kannten und sich ihre Lücken durch die
Phantasie ergänzten, während unsere Unwissenheit
die Mängel ihrer ungeschickten und undeutlichen
Ausfühnmg starker empfindet. Nichts de stowenig-er
sind gewisse kleine Basreliefs niemals etwas anderes
gewesen als wahre Karikaturen, deren Gestalten
sich dem Grotesken nähern und durch ihre Un-
fSrmlichkeit an die Pfefferkuchenmänner erinnern,
welche man auf unsem Jahrmärkten feilbietet
Die Nachlässigkeit, mit welcher diese Täfelchen
hergestellt sind, wird durch ihre Bestimmung ent-
schuldigt. Die Mysten des Mithra pflegten sie
nicht nur als Weihge schenke in die Tempel zu.
bringen, sondern mit ihnen auch ihre bescheidenen
Wohnungen zu schmücken. Diese häusliche Ver-
wendimg erklärt die enorme Menge der in Rede
I
I
- .65 -
Stehenden Denkmäler, welche sich überall gefunden
haben, wo jener Kult heimisch geworden war. Um
der unaufhörlichen Nachfrage der Gläubigen ent-
sprechen zu können, mußten die BUdhauerwerk-
stätten sie rasch imd in großen Mengen herstellen.
Die Urheber dieser Schleuderware bezweckten nur,
die Bedürfnisse ihrer frommen Kundschaft, deren
künstlerische Ansprüche gering waren, zu mäßigen
Preisen zu befriedigen. Die antiken Fabrikanten
verfertigten Hunderte von solchen stiertötenden
Mithras^), wie unsere Industriellen denselben Kru-
zifix oder dieselbe Jungfrau Maria in Massen her-
stellen. So brachte es die religiöse Bilderfabrika-
tion jener Zeit mit sich, die ebensowenig von
ästhetischen Gesichtspunkten beherrscht wurde wie
die heutige.
Die erwähnten Manufakturen beschränkten sich
jedoch nicht darauf, beständig Repliken von demselben
traditionellen Typus anzufertigen, sondern sie ver-
standen auch Abwechslung in ihr Sortiment zu bringen,
um für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel etwas
Passendes bieten zu können. Mustern wir die Reihe
von Ex-voto, die im Mithraeum von Sarmizegetusa
(Vdrhely) in Dacien gesammelt worden sind.*) Wir
finden hier Proben von allen Modellen, welche die
Werkstätten der Umgegend zu reproduzieren pflegten.
Man vermeidet die Rundarbeit als zu mühsam und
1) Das FeUen von MaschmetL scUoS natürlich absolute Gleicb-
fönnigkeit ans, aber manche unserer Basreliefs sind jeden&iUs von
derselben Hand ongefertigt oder stammen wenigstens aus derselben
Werkstatt. Cf. T. ft M., t. II, roon. 45 et 46; 93, fig. 85 et 95,
f'S- 87; 193 et 192^'= (modern?); 194 et 195.
2) T. et M., t. U, nos. 138—183.
— r66 —
zu kostspielig. Höchstens durchbricht man den
Marmor an einzelnen Stellen, um die Gruppe des
stiertötenden Gottes hervortreten zu lassen. Aber
welche Mannig^faltigkeit in diesen kleinen Basreliefe,
welche man an den Seiten wänden des Heiligtums
befestigte! Für einen sehr geringen Preis erhielt
man ein viereckiges Täfelchen, das nur die Opferung
des Stieres darstellte. Bisweilen erhöht sich ihr
Wert durch die Hinzufugung einer Art Predelle.
die in drei oder vier kleine Felder geteilt ist. In
anderen Fallen wird wieder die Komposition mit
einem oberen Register versehen, das mit Nebendar-
stellungen geschmückt ist. Letztere laufen endlich
auch an den Seitenrändem des Monumentes herab
und umrahmen so auf allen vier Seiten die Haupt-
darstellung Dann läßt der Bildhauer seiner Phantasie
freien Lauf und kommt auf die Idee, den stier-
tötenden Gott mit einem Kreise, der mit den Zeichen
des Zodiakus geschmückt ist, oder mit einem Laub-
kranz zu umgeben. Er fügt Einfassungen hinzu oder
läßt sie fort; er verfällt auf den Gedanken, seiner
behauenen Platte neue Formen zu geben: er gestaltet
sie quadratisch, oblong, rundbogig, trapezförmig;'
oder selbst rund. Es giebt auch nicht zwei unter
diesen Stücken, die ein vollkommen gleiches Aus-
sehen hätten.
Wenn diese auf dem Wege der Lohnarbeit
entstandenen Handelsprodukte mit der Kunst auch
nur in sehr entfernteiti Zusammenhange stehen, so
liefern sie doch nützliche Fingerzeige für die Kennt-
nis der antiken Steinindustrie. Wir haben zahl-
reiche Beweise dafür, daß ein guter Teil der für die
Provinz! als tädte bestimmten Skulptm-en in der Kaiser-
_ 16? -
zeit in Rom ausgeführt wurde. ^) Dies trifft wahr-
scheinlich zu für einige unserer Denkmäler, die in
Gallien gefunden wurden, und sogar für die, welche
ein Mithraeum in London schmückten.^ Dagegen
können gewisse Statuen, die in der Hauptstadt ent-
deckt wurden, aus Kleinasien dorthin gebracht sein,')
Die schönen Basreliefs von Virunum sind ebenfalls
von auswärts eingeführt, ohne Zweifel auf dem Wege
über Äquileia, Aus der Leidensgeschichte der Vier
Gekrönten kennt man die Bedeutung der panno-
nischen Steinbrüche*) im 3. Jahrhundert, in denen man
den Marmor nicht nur zu Tage förderte, sondern auch
bearbeitete. Diese Werkplätze scheinen ein wich-
tiges Zentrum für die Fabrikation mithrischer Ex-
voto gewesen zu sein. Wenigstens stammen mehrere
von diesen, obwohl sie in den Tempeln Germaniens
ausgegraben wurden, sicherlich von den Ufern der
Donau. Diese Feststellimgen werfen ein merk-
würdiges Licht auf den Handel mit Kirchenschmuck
zur Zeit des Heidentums.
Dessenungeachtet sind unsere Monumente der
Mehrzahl nach ohne irgendwelchen Zweifel an Ort
und Stelle ausgefiihrt. Das ist ohne weiteres klar
bezüglich derjenigen, welche in die Wand geebneter
Felsen gehauen wurden — unglücklicherweise sind
1) Fricdländer, Sittmgfschichte Roms, Bd. in", S. 280—281.
2) T. et M., t. n, mon. 267 et la note p. 390.
3) T. it M., t. n, man. 235 et !a note p. 338.
4} Wattenbach, Fassio sancl. IV coronat., mit Bemerkungen von
Benndorf und Mas Büdinger, 1870: vgl. Friedländer 0. u. O. S. 282 f.
Ein nener Teitt wurde von Wattenbach publiziert in den SB. Akad.
d. Wisssnsch. Berlin XLVn, I8g6, S. I181 ff. Es gibt eine noch
nicht edierte griechische Übersetzung davon, cf. AnalfCta BoUandiaiia
XVI, 1897, p. 337.
alle stark beschädigt — ; aber die Gewißheit ein-
heimischer Herstellung ergibt sich auch noch für
viele andere aus der Beschaffenheit des verwendeten
Materials. Übrigens zeigt die Technik dieser Stücke
deutlich genug, daß sie nicht von den auswärtigen
Meistern eines großen künstlerischen Zentrums her-
rühren, auch nicht einmal von jenen wandernden
Bildhauern, welche auf der Suche nach einträglichen
oder ruhmvollen Aufträgen das Land durchschweiften,
sondern von den bescheidenen Steinmetzen irgend
einer benachbarten Stadt.
Die bedeutendsten Monumente sind zugleich
diejenigen, deren lokaler Ursprung am besten bezeugt
ist, denn ihr Transport würde nicht nur mit vielfachen
Gefaliren, sondern auch mit übermäßigen Kosten
verbunden gewesen sein. Die Gesamtheit der großen
mithrischen Basreliefs bildet daher eine der inter-
essantesten Serien für des Studium der provinzialen
Kunst in der Kaiserzeit. Zweifellos sind diese
Skulpturen, welche dazu bestimmt waren, in der
Äpsis der Tempel der Anbetung der Gläubigen dar-
geboten zu werden, ebensowenig Meisterwerke wie
die Masse der Votivtaf eichen, aber man hat sie doch
nicht mit derselben Sorglosigkeit behandelt wie
diese, und mau spürt, daß ihre Urheber bemüht waren,
ihr Bestes zu leisten. Können sie auch nicht ihre
Originalität in der Erfindung der Sujets dartun, so
zeugen sie doch von ihrem Geschick in der Gruppierungf
der Figiu-en und ihrer Gewandtheit in der materiellen
Ausführung. Außerdem darf man bei der Beiu^eilung
dieser Stücke nicht vergessen, daß der Maler dem
Bildhauer zu Hülfe kam, und daß der Pinsel voll-
enden konnte, was der Meißel nur angedeutet hatte.
— 169 —
Auf dem bloßen Mannor oder dem mit Stuck über-
zogenen Stein brachte man leuchtende Farbentöne
an: grün, blau, gelb, schwarz und alle Abstufungen
von rot wurden ohne Diskretion nebeneinander ver-
wendet. Der Unterschied der Farben markierte die
großen Umrisse und ließ die untergeordneten Partieen
hervortreten, Einzelheiten wurden oft sogar nur mit
dem Pinsel angedeutet. Durch Vergoldung wurden
endlich gewisse Nebendinge hervorgehoben. Im
Halbdunkel der unterirdischen Krypten würde das
Relief der Skulptur ohne diese glänzende Polychromie
fast gar nicht zu erkennen gewesen sein. Letztere
gehörte überdies zu den Traditionen der orientalischen
Kirnst, und schon Lucian stellt die einfachen und an-
mutigen Formen der hellenischen Gottheiten dem
prunkenden Reichtum der aus Asien eingeführten
gegenüber/)
Die namhaftesten dieser Werke sind in Nord-
gallien oder, besser gesagt, an der Rheingrenze zu
Tage gefördert. Anscheinend ist diese ganze Gruppe
von Monumenten der interessanten Bildhauer schule
zuzuweisen, welche während des 2. und 3, Jahr-
hunderts in Belgien blühte, und deren Schöpfungen
sich vorteilhaft von denen der südlichen Werkstätten
unterscheiden.^ Man kann das Basrelief von Oster-
burken^, das vollständigste der Serie, nicht betrachten,
ohne von dem Reichtum und der durchgängigen
Harmonie dieser riesenhaften Komposition über-
1) Luc, Jup. trag. % S.
2) Friedländer, SittenffesckichU Rotiu, Bd. HI", S. 376 f. -
NamenÜicli bestcbl eine offenkundige Verwandtschaft iwisehen nnaert
Basreliers nnd dem Denlfmal za Igel.
31 T. el M., t, n. no. 246 et pl. VI.
rascht zu werden. Der verwirrende Eindruck, welchen
die Anhäufung der Personen und (jiruppen macht —
ein Fehler, welchen die mithrischen Denkmäler mit
vielen anderen ihrer Zeit und namentlich mit den im
großen und ganzen ziemlich überladenen Sarkophag-
darstellungen gemein haben — wird hier durch die
kluge Verwendung von Randleisten und Einfassungen
gemildert. Wenn man die Details aller dieser Ar-
beiten kritisieren wollte, so würde es leicht sein,
an ihnen das Mißverhältnis mancher Figuren, die
Ungeschicklichkeit gewisser Bewegungen und bis-
weilen auch die Steifheit der Haltung und der Ge-
wandung zu tadeln; aber über diesen Schwächen
darf man weder die Feinheit der Arbeit trotz des
brüchigen Materials , noch vor allem den lobens- ]
werten Erfolg vergessen, mit welchem eine wahrhaft
großartige Konzeption zur Ausführung gelangt ist.
Auf dem Stein nicht nur die Gottheiten, sondern
auch die Kosmogonie der Mysterien und die Episoden
der Mithralegende bis zur letzten Opferung des
Stieres darstellen zu wollen, war ein gefährliches
Unternehmen, dessen selbst unvollkommenes Gelingen
schon verdienstlich ist. Schon früher findet man, be-
sonders auf den Sarkophagen, das Verfahren an-
gewandt, welches darin besteht, die aufeinanderfolgen-
den Momente einer Handlung in übereinandergestellten
Bildern oder aul parallel laufenden Feldern dar-
zustellen; aber dennoch würden wir nicht ein einziges
Monimient des römischen Paganismus anzuführen
vermögen, welches in dieser Hinsicht mit unseren
großen Basreliefs verglichen werden konnte, xmd um
einen ähnlichen Versuch wiederzufinden, muß man bis
zu den langen Kompositionen herabgehen, mit denen
— 171 -
die christlichen Mosaikkünstler die Wände der Kirchen
dekorierten.
Wir brauchen hier nicht mehr zu untersuchen,
woher die verschiedenen Darstellungen stammen,
welche auf unseren Monumenten erscheinen. Wir
haben uns dieser Aufgabe bereits früher unterzogen
und sie so gut als möglich zu lösen versucht, indem
wir jede derselben besonders behandelten,') Doch
wollen wir nicht unbemerkt lassen, daß man sie trotz
ihrer Mannigfaltigkeit in zwei oder, wenn man will,
drei deutlich unterschiedene Klassen teilen kann.
Eine gewisse Anzahl von Figuren sind ohne weiteres
den traditionellen Typen der griechisch-römischen
Kunst entlehnt. Ahura-Mazda, der die sich gegen
ihn erhebenden Ungeheuer vernichtet, ist ein helle-
nischer Zeus, der die Giganten niederschmettert; Vere-
thraghna ist in einen Herkules verwandelt; Helios
ist der auf seiner gewohnten Quadriga stehende
langgelockte Ephebe; Neptun, Venus, Diana, Merkur,
Mars, Pluto, Saturn treten uns in ihrer gewöhnlichen
Gestalt entgegen, in der Kleidung und mit den Attri-
buten, die wir seit langem an ihnen kennen. Ebenso
waren die Jahreszeiten, die Winde, die Planeten
schon vor der Ausbreitung des Mithriacismus personi-
fiziert, und dieser hat in seinen Tempeln nur die
längst allgemein bekannten Modelle reproduziert.
Dagegen ist eine Gestalt wenigstens die Um-
bildung eines asiatischen Archetypus: nämlich der
löwenköpfige Kronos.*) Wie die meisten seines-
gleichen ist dies Ungeheuer mit Tierkopf eine
1) VgL Bd. n des Hauptwerkes,
2) Vgl. ohen S. 82, Fig. 3.
— 172 -
Schöpfung der orientalischen Einbildungskraft. Sein
Stammbaum reicht zweifellos bis in die assyrische
Skulptur hinauf. Nur haben die Künstler des Occi-
dents, da sie einen dem griechischen Pantheon fremden
Gott darzustellen hatten und durch keinerlei Tradition
gehemmt wurden, ihrer Phantasie freien Lauf g-e-
lassen. Die verschiedenen Umwandlungen, welche sie
mit dieser Figur vorgenommen haben, sind einerseits
durch religiöse Erwägungen veranlaßt — nämlich durch
die Tendenz, den Symbolismus dieser deifizierten
Abstraktion mehr und mehr durch die Häufung- ihrer
Attribute zu steigern — , anderseits durch ein ästhe-
tisches Interesse — den Wunsch, die Monstrosität
dieses exotischen Ungetüms nach Möglichkeit zu ver-
ringern und es nach und nach zu humanisieren. Sie
unterdrückten schließlich seinen Löwenkopf und be-
schränkten sich darauf, dieses Tier zu seinen Füßen
darzustellen oder die Maske der räuberischen Katze
auf seiner Brust anzubringen.
Der löwenköpfige Gott der Ewigkeit ist die ori-
ginellste Schöpfung der mithrischen Kunst, und wenn
sie auch den Zauber der Anmut durchaus entbehrt, so
erregt doch die Seltsamkeit ihres Aussehens, die sug-
gestive Häufung ihrer Attribute die Aufmerksamkeit
und fordert das Nachdenken heraus. Abgesehen von
dieser Gottheit der Zeit kann man nur bei gewissen
Emblemen ihren orientalischen Ursprung nachweisen,
so bei der auf einen Stab gehängten phrygischen
Mütze oder bei der Kugel, über welcher ein Adler
schwebt und die den Himmel bedeutet. Ebenso wie
die Opferung des Stieres durch Mithra sind die
übrigen Szenen, in welchen der Heros handelnd auf-
tritt, ohne Zweifel der Mehrzahl nach nur Trans-
— 173 —
^po^Tfionen populärer Motive der hellenistischen Zeit,
obwohl wir nicht immer das Original wieder auffinden
können, welchem der römische Bildhauer gefolgt ist,
oder die Elemente, welche er in seiner Darstellung
kombiniert hat. Übrigens ist der künstlerische
Wert dieser Nachbildungen im allgemeinen äußerst
gering. Wenn man die unlebendige Darstellung
Mithras, wie er aus seinem Felsen hervorkommt,
mit der seelenvollen Schilderung der Geburt des
Erichthonios vergleicht, wie sie uns die Vasenbilder
vor Augen stellen, so erkennt man, wie viel mehr
die alten griechischen Keramiker aus einem ähn-
lichen Vorwurf zu machen verstanden. Die
Dürftigkeit der Neuerungen, welche die raithrische
Ikonographie aufzuweisen hat, steht in einem pein-
lichen Kontrast zu der Bedeutung der religiösen
Bewegung, aus der sie entsprungen sind. Wir über-
zeugen uns wieder einmal davon, wie sehr der
Skulptur in der Zeit, als die persischen Mysterien
sich im Reiche verbreiteten, die Fähigkeit mangelte,
einen neuen Aufschwimg zu nehmen. Während man
in der hellenistischen Periode fiir die ägyptischen
Gottheiten neue Formen zu schaffen vermochte,
welche in glücklicher Weise ihrem Charakter an-
gepaßt waren, mußten in der Kaiserzeit die meisten
mazdäischen Götter trotz ihrer ganz eigenartigen
Natur wohl oder übel die Gestalt und das Kostüm
der Bewohner des Olymps annehmen, und wenn man
sich dazu verstand, für einige ungewöhnliche Sujets
neue Typen zu erfinden, so sind diese von trauriger
Banalität, Der von den voraufgegangenen Genera-
tionen ererbte überschw angliche Reichtum hatte die
schöpferische Kraft der Kunst erstickt; gewohnt von
— 174 ~
Anleihen zu leben, war sie zu jeder individuellen
Produktion unfahiier g'eworden.
Aber wir wurden den Anhängern des Mithri^
cismus unrecht tun, wollten wir von ihnen verlangen,
was sie uns durchaus nicht zu bieten beabsichtigften.
Der Kultus, dem sie huldigten, war nicht der der
Schönheit, und die Liebe zur plastischen Form würde
ihnen ohne Zweifel eitel, wenn nicht gar verwerflich
erschienen sein. Ihnen kam es allein auf die religiöse
Stimmung an, und um diese zu erzeugen, wandten
sie sich vor allem an den Verstand. Trotz der zahl*
reichen Anleihen, welche sie bei dem Schatze der
von der griechischen Skulptur geschaffenen Typen
machte, bleibt die mithrische Kunst ihrem Wesen
nach asiatisch wie die Mysterien, aus denen sie er-
wuchs. Ihre vorherrschende Absicht ist keineswegs,
einen ästhetischen Eindruck hervorzurufen; sie will
nicht entzücken, sondern erzählen und belehren, auch
hierin den Überlieferungen des alten Orients treu.
Der Wirrwarr der Personen und Gruppen, welche
sich auf gewissen Basreliefs drängen, die Fülle der
Attribute, mit welcher man den mithrischen Kronos
belastet — das alles zeigt uns, daß mit einer neuen
Form der Religion ein neues Ideal geboren ist Die
häßlichen oder gleichgültigen religiösen Symbole,
deren vielfache Verwendung unsere Monumente be-
zeugen, fesselten den Beschauer nicht durch ihre
Anmut oder ihren Adel: sie wirkten fascinierend
auf seinen Geist durch die verwirrende Anziehungs-
kraft des Unbekannten und riefen in seiner Seele
die Ehrfurcht vor eiaem erhabenen Mysterium
hervor.
So erklärt es sich hauptsächlich, daß diese über-
— '75 —
aus raffinierte Kunst trotz ihrer Unvollkommenheiten
dennoch von bleibendem Einfluß gewesen ist. Sie
war mit der christlichen Kirnst durch natürliche Ver-
wandtschaft verbunden, und der Symbolismus, den
sie im Abendlande popidär gemacht hatte, verschwand
nicht mit ihr. Selbst die allegorischen Figuren des
kosmischen Zyklus, welche die Anhänger des persi-
schen Gottes im Überfluß reproduziert hatten, weil
die ganze Natur für sie göttlich war, wurden vom
Christentum übernommen, obwohl sie in "Wirklichkeit
seinem Geiste widersprachen. So die Bilder des
Himmels, der Erde und des Meeres, der Sonne, des
Mondes, der Planeten und der Zeichen des Tierkreises,
der Winde, der Jahreszeiten und der Elemente, die
auf den Sarkophagen wie in den Mosaiken und den
Miniaturen so häufig vorkommen.
Sogar die mittelmäßigen Kompositionen, welche
die Kunstler für die Episoden der Mithralegende er-
funden hatten, erschienen den christlichen Jahrhunder-
ten, welche sich noch weniger als die vorhergehenden
von der Überlieferung der Vergangenheit loszusagen
vermochten, ebenfalls der Nachahmung würdig.
Als die Bildhauer sich nach dem Siege der Kirche
vor bisher noch nicht in Angriff genommene Auf-
gaben gestellt sahen und sich in der schwierigen
Lage befanden, Personen oder Erzählungen der Bibel
in Stein ausführen zu müssen, da waren sie froh, daß
sie sich an die Darstellungen anlehnen konnten,
welche die persischen Mysterien verbreitet hatten.
Einige Änderungen des Kostüms und der Haltung
verwandelten die heidnische Szene in ein christliches
Bild: Mithra, der mit dem Bogen gegen den Felsen
schießt, wird zum Moses, der das Wasser aus dem
— 176 —
Berge Horeb hervorquellen läßt; Sol, der seinen
Bundesgenossen über den Ozean entrückt, dient als
Vorlage für die Himmelfahrt des Elias auf einem
feurigen Wagen, und bis tief ins Mittelalter hinein
erhielt sich der T3rpus des stiertötenden Gottes in
den Bildern Simsons, der den Löwen zerreißt.
• • •
\
\
JC\
/
1
DATE DUE
STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES
STANFORD, CALIFORNIA 94305-6004