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li
FKOM -TH £- LSBRAP^Y • OF
• KONRAD - BURBACH -
Tafel I.
Großes Basrelief Borghese (Louvre-Museum) : Stiertötender Mitlira.
C u m o n t , Mithrasmysterien.
DIE MYSTERIEN
DES MITHRA
EIN BEITRAG ZUR RELIGIONSGESCHICHTE
DER RÖMISCHEN KAISERZEIT VON
FRANZ CUMONT
PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT GENT
AUTORISIERTE DEUTSCHE AUSGABE VON
GEORG GEHRICH
MIT 9 ABBILDUNGEN IM TEXT UND AUF 2 TAFELN
SOWIE EINER KARTE
LEIPZIG
VERLAG VON B. G. TEUBNER
1903
Cgl2
ALLE RECHTE»
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZÜNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
VORREDE DES VERFASSERS ZUR ERSTEN
UND ZWEITEN FRANZÖSISCHEN AUSGABE.
Das vorliegende Buch erhebt keinen Anspruch darauf,
ein Bild von dem Untergange des Heidentums zu bieten.
Man wird in ihm auch keine allg^neinen Betrachtungen
üb«: die e^entlichen Ursachen suchen dürfen, welche den
Erfolg der orientalischen Kulte in Italien erklären. Wir be-
absichtigen hier nicht zu zeigen, wie ihre Lehren — ein
weit wirksameres Ferment der Zersetzung als die Theorieen
der Philosophen — die nationalen Glaubensvorstellungen
auflösten, auf denen der römische Staat und das gesamte
antike Leben beruhte; und wie dann die Zerstörung des
Gebäudes, dessen Mauern sie in ihren Fugen gelockert
hatten, durch das Christentum vollendet wurde. Ebensowenig
wollen wir hier die verschiedenen Phasen des Kampfes
zwischen der Idolatrie und der erstarkenden Kirche verfolgen.
Dieses umfassende Thema, welches wir später einmal be-
handeln zu können hoffen, bildet nicht den Gegenstand
dieser Monographie. Sie beschäftigt sich nur mit einer
Episode aus jener entscheidenden Revolution: sie versucht
nämlich mit möglichster Präzision zu zeigen, wie und warum
eine Abart des Mazdaismus unter den Cäsaren beinahe zur
vorherrschenden Religion des römischen Reiches ge-
worden ist.
Die hellenische Kultur kam nie dazu, bei den
Persem Wurzeln zu schlagen; und den Römern gelang es
ebenfalls nicht, sich die Parther zu unterwerfen. Die be-
deutsame Tatsache, welche die ganze vorderasiatische Ge-
iviii6836
IV
schichte beherrscht, ist, dafs die iranische und die griechisch-
lateinische Welt, ebensosehr durch instinktive Antipathie als
durch Erbfeindschaft voneinander geschieden, einer wechsel-
seitigen Assimilation stets abgeneigt blieben.
Dennoch hat die Religion der Magier, welche die
vollendetste Schöpfung des iranischen Genius darstellt, drei-
mal die abendländische Kultur beeinflufst. Zunächst übte
der Parsismus eine sehr merkliche Wirkung auf die Ent-
stehung des Judentums aus, und einige seiner Hauptlehren
verbreiteten sich durch Vermittelung der jüdischen Kolonieen
im ganzen Mittelmeerbecken und wurden später von der
katholischen Orthodoxie übernommen.
Unmittelbarer wirkte der Mazdaismus auf die europäische
Gedankenwelt, als Rom den Osten Kleinasiens erobert hatte.
Seit unvordenklicher Zeit lebten dort in stiller Verborgenheit
Kolonieen von Magiern, die aus Babylon ausgewandert
waren und in diesen barbarischen Gegenden, indem sie
ihre traditionellen Glaubensvorstellungen mit hellenischen
Ideen verwoben, mit der Zeit einen trotz seiner komplexen
Beschafifenheit originellen Kultus herausgebildet hatten. Am
Anfang unserer Zeitrechnung sah man ihn plötzlich aus dem
Dunkel auftauchen und gleichzeitig im Donau- wie im Rhein-
tal und bis in das Herz Italiens vordringen. Die Völker
des Abendlandes empfanden tief, daß der mazdäische
Glaube ihren alten Nationalreligionen überlegen war, und
die Massen strömten zu den Altären des fremden Gottes.
Aber die Fortschritte des Eroberers stockten, sobald er mit
dem Christentum Fühlung bekam. Mit Erstaunen gewahrten
die beiden pegner, wie ähnlich sie sich in vieler Hinsicht
waren, ohne sich von den Ursachen dieser Ähnlichkeit
Rechenschaft geben zu können. Und darum klagten sie
den Geist der Lüge an, daß er ihre heiligen Bräuche habe
parodieren wollen. Der Konflikt zwischen beiden war
unvermeidlich und wurde zu einem heißen, unversöhnlichen
Kampfe, denn sein Einsatz war die Weltherrschaft. Niemand
hat uns seine wechselnden Momente berichtet, und unsere
V —
Phantasie allein vergegenwärtigt sich die einzelnen Akte des
Dramas, welches sich in der Seele der Volksmassen abspielte,
als sie zwischen Ormuzd und der Trinität hin- mid her-
schwankten. Wir kennen nur das Ergebnis des Kampfes:
der Mithriadsmus wurde besiegt, und zweifellos mußte er
es werden. Jedoch ist seine Niederlage nicht ausschließlich
der Überl^enheit der evangelischen Moral oder der
apostolischen Predigt gegenüber der Lehre der Mysterien
zuzuschreiben; er ist nicht lediglich deshalb zu Grunde ge-
gangen, weil er von der ererbten Last einer überlebten
Vergangenheit zu Boden gedrückt wurde, sondern auch,
weil seine Liturgie und seine Theologie zu asiatisch geblieben
war, als daß der römische Geist sie ohne Widerstreben
hätte acceptieren können. Umgekehrt blieb ebenderselbe
Kampf, der zu gleicher Zeit in Iran zwischen den beiden
Rivalen entbrannt war, für die Christen ohne Erfolg, wonicht
ohne Ehre, und in den Staaten der Sassaniden ließ sich der
Zoroastrismus niemals ernstlich antasten.
Aber die Niederlage Mithras bedeutete nicht das Ende
seiner Macht. Er hatte die Geister für die Aufoahme eines
neuen Glaubens vorbereitet, der — wie er selbst — von
den Ufern des Euphrat kam und mit veränderter Taktik
die Feindseligkeiten wieder eröfihete. Der Manichäismus
erschien als sein Erbe und setzte sein Werk fort. Es war
der letzte Ansturm, den Persien auf den Occident unternahm,
und er war blutiger als die anderen — aber auch er sollte
schließlich an der Widerstandsfähigkeit des christlichen Reiches
scheitern.
Diese flüchtige Skizze wird, wie ich hoffe, die Wichtigkeit
der Geschichte des Mithriacismus erkennen lassen. Ein
Seitenschößling des alten mazdäischen Stammes, hat er in
vieler Beziehung die Eigentümlichkeiten der alten Natur-
religion der iranischen Stämme bewahrt und läßt uns ver-
gleichsweise die so umstrittene Tragweite der avestischen
Reformation besser verstehen. Anderseits hat er gewisse
Lehren der Kirche wenn nicht inspiriert, so doch wenigstens
VI
präzisieren geholfen, wie die Vorstelltingen von den höllischen
Machten und vom Ende der Welt. So trägt sein Auf-
kommen wie sein Untergang dazu bei, die Entstehungs-
geschichte zweier großer Religionen aufzuhellen. In der
Zeit seiner Vollkraft übte & einen nicht minder bemerkens-
werten Einfluß auf die römische Gesellschaft und die
römische Regierung aus. VieDeicht war Europa niemals,
selbst nicht in der Epoche der mohammedanischen Invasionen,
näher daran asiatisch zu werden als im 3. Jahrhundert
unserer Ära; und es gab eine Zeit, in welcher der Cäsarismus
anscheinend im Begriffe stand, sich in ein Khalifat zu ver-
wandeln. Man hat oft auf die Ähnlichkeit hingewiesen,
welche zwischen dem Hofe Diokletians und dem der Chosroes
besteht. Der Sonnenkult und namentlich die mazdäisdien
Theorieen machten die Ideen populär, auf welche die ver-
götterten Herrscher ihren monarchischen Absolutismus zu
gründen suchten. Die rapide Ausbreitung der persischen
Mysterien in allen Klassen der Bevölkerung diente in be-
wunderungswürdiger Weise dem politischen Ehrgeiz der
Kaiser. Eine Sturmflut von iranischen und semitischen
Gedanken brach herein, welche fast alles verschlang, was
der griechische oder römische Geist in mühevoller Arbeit
aufgebaut hatte; und als sich die Überschwemmung endlich
verlief, da ließ sie im Volksbewußtsein einen starken Nieder-
schlag von orientalischen Vorstellungen zurück, der niemals
wieder völlig verschwand.
Ich glaube damit zur Genüge gezeigt zu haben, inwiefern
der Gegenstand, den ich zu behandeln versuchte, eine ein-
gehendere Untersuchung verdiente. Obwohl mich das Studium
desselben in jeder Beziehung viel Leiter geführt hat, als
ich anfangs vorauszusehen vermochte, so sind mir die
Arbeits- und Reisejahre doch nicht leid, welche ich ihm
widmen mußte. Daß die Aufgabe, welche ich zu lösen
hatte, eine schwierige war, stellte sich bald genug heraus.
Einerseits wissen wir nicht, in welchem Grade das Avesta
und die anderen heiligen Bücher der Parsen den Vor-
VII —
stellangen der abendländischen Mazdäer entsprechen; ander-
seits steht uns fast nur dieser Kommentar znr Verfugung,
wenn es sich darum handelt, die im Laufe der Zeit in
erheblicher Anzahl gesammelten figürlichen Denkmäler zu
erklären. Nur die Inschriften sind ein stets zuverlässiger
Führer, aber ihr Inhalt ist, alles in allem, dürftig genug.
Wir befinden uns ungefähr in derselben Lage, als wenn wir
die Geschichte der mittelalterlichen Kirche schreiben sollten,
ohne irgend eine andere Quelle zu besitzen als die hebräische
Bibel und plastische Trümmer von romanischen und gotischen
Portalen. Infolgedessen kann die Erklärung der mithrisdien
Darstellungen häufig nur einen m^ir oder weniger hohen
Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen. Ich bilde mir nicht
ein, es immer zu einer im strengen Sinne des Wortes
exakt^Q Entzifferung dieser Hieroglyphen gebracht zu haben,
und will meinen Ansichten lediglich den Wert der Argumente
beilegen, auf die sie sich stützen. Indessen hoffe ich die
allgemeine Bedeutung der heiligen Bilder, welche die
mithrtschen Krypten schmückten, bestimmt fixiert zu haben.
Die Einzelheiten ihrer gesuchten Symbolik sind allerdings
schwer zu deuten, und oft muß man da die ars nesciendi
üben.
Das vorliegende kleine Buch gibt die „Conclusions''
wieder, welche den ersten Band meiner Textes et manuments
figuris relatiß aux mystires de Mitkra beschließen. Er-
leichtert um die Anmerkungen und Hinweise, welche ihnen
zur Rechtfertigung dienen, beschränken sich diese Seiten
auf eine resümierende Zusammenstellung dessen, was wir
über den Ursprung und die Beschaffenheit der mithrischen
Religion wissen. Sie werden für den Leser genügen, welcher
sich über die Sache zu orientieren wünscht. Die Unklarheiten
und Lücken der Oberlieferung machten es unmöglich, allen
Partieen dieser Rekonstruktion die gleiche Solidität zu geben.
Wer die Stabilität der Grundlagen zu prüfen wünscht, auf
dea^i sie beruht, wird zu den kritischen Auseinander-
setzungen meiner „Introduction'' greifen müssen, welche
— vm —
den Zweck haben, den Sinn und den Wert der schriftlichen
Urkunden und namentlich der figürlichen Denkmäler zu be-
stimmen, welche in meiner Sammlung vereint sind.
Während der langen Vorbereitung dieses Werkes habe
ich oft jene Solidarität in Anspruch nehmen müssen, welche
in aller Welt die Männer der Wissenschaft verbindet, und
selten habe ich mich vergeblich auf sie berufen. Das Ent-
gegenkommen treuer Freunde, von denen mehrere nicht
mehr am Leben sind, ist oft dem Ausdruck meines Wunsches
vorangeeilt und hat mir von selbst dargeboten, was ich
vielleicht nicht zu erbitten gewagt hätte. Im Text des
Hauptwerkes habe ich jedem das Seine wiederzugeben versucht
Ich will hier keine Aufzählung meiner Mitarbeiter vornehmen
und diese nicht scheinbar für ihre Gefälligkeit belohnen,
indem ich ihnen banale Komplimente widme. Aber mit
dem Gefahle tiefer Dankbarkeit erinnere ich mich der
Dienste, welche sie mir seit mehr als zehn Jahren erwiesen
haben, und am Ende meiner Arbeit angekommen gedenke
ich aller, welche mir geholfen haben sie zu vollenden.
I. Dezember 1899.
Die vorliegende 2. Auflage, welche der ersten nach
kurzer Zeit folgt, hat wenig Änderungen erfahren. Abgesehen
von zwei oder drei Stellen ist der Text kaum modifiziert.
Dagegen habe ich einige Anmerkungen hinzugefügt, welche
auf neuerschienene Arbeiten verweisen, und eine Auswahl
von Illustrationen beigegeben, die manche Ausführungen am
besten erläutern. Die belangreichste Zugabe ist der Anhang
über die mithrische Kunst; ich glaubte, daß diese archäo*
logische Studie in einer Zeit, wo man sich viel mit den
orientalischen Ursprüngen der römischen Kunst beschäftigt,
wohl auf einiges Interesse rechnen dürfte.
Als Pflicht empfinde ich es, hier den Kritikern zu
danken, welche meine Untersuchungen über die Mysterien
des Mithra so wohlwollend beurteilt und freundlich anerkannt
IX
haben, daß diese Rekonstruktion einer untergegangenen
Religion auf objektiver und vollständiger Interpretation der
Quellen beruht. Bei der Dunkelheit der behandelten
Materie waren Meinungsverschiedenheiten freilich nicht zu
vermeiden, und meine bisweilen kühnen Schlußfolgerungen
konnten manchen in mehr als einem Punkte irrig erscheinen.
Ich habe diesen Zweifeln bei der Durchsicht meiner Arbeit
Rechnung getragen; und wenn ich auch nicht immer glaubte
meine Meinung ändern zu müssen, so habe ich doch die
meiner Gegner stets zuvor sorgsam erwogen. In diesem
Bändchen aber, wo jede Diskussion ausgeschlossen war,
konnte ich meinen Standpunkt nicht verteidigen. Ich gebe
zu, daß es heikel ist, einen Text ohne die Anmerkungen
zu veröflfentlichen, welche dazu bestimmt sind, jenen zu
stützen, zu erklären und zu beschränken, aber ich hoffe,
daß der Leser diesen unvermeidlichen Mangel nicht allzu-
sehr fühlen wird.
I. Mai 1902.
Franz Cumont
Professor an der Universität Gent.
VORREDE DES HERAUSGEBERS.
Professor F. Cumonts große Monographie über die
M3rsterien des Mithra {Textes et monuments figuris relatifs <mx
mystlres de Mithra publiis (xoec vne introduciion crtttqtu^
Tome I: Introduction. Tome 11 : Textes et monuments.
Bruxelles, H. Lamertin, 1899 und 1896. XXVHI, 377;
Vin, 554 S. 4® mit 507 Textabbildungen, 9 Lichtdruck-
tafeln und I Karte) bedarf in Deutschland keiner Empfehlung
mehr, seit u. a. so namhafte Gelehrte wie G. Wissowa
(Deutsche Litteraturzeitung 1900, Sp. 1762 — 1764) und
£. Schürer (Theologische Literaturzeitung 1900,
Sp. 396 — 397) ihr die höchste Anerkennung gezollt und
dabei auf die Wichtigkeit ihres Gegenstandes für Historiker
und Theologen hingewiesen haben. Ein so umfangreiches
und kostspieliges Werk kann jedoch natuigemäß immer nur
auf einen beschrankten Leserkreis rechnen, zumal im Auslande.
Aus diesem Grunde hatte der Herr Verf. selbst die „Con-
clusions", welche den 2. Teil des zuletzt erschienenen I.Bandes
(p. 223 — 350) bilden und die Resultate seiner Forschungen
zusammenfassen, ohne den wissenschaftlichen Beweisapparat
in einer Sonderausgabe veröffentlicht (F. Cumont, Les
my stires de Mithra. Bruxelles, H. Lamertin 1900. VIII,
84 S. 4^ mit I Karte). Auf mein Ansuchen, eine deutsche
Übersetzung dieser Sonderausgabe veranstalten zu dürfen,
gingen der Herr Verf. und sein Verleger bereitwilligst ein,
wobei mir jener zugleich in freundlichster Weise seine Hilfe
anbot. Ehe noch der Druck meiner Arbeit begonnen hatte,
erschien bereits die 2. französische Ausgabe jenes Auszugs,
XI
und zwar in etwas veränderter Gestalt (vgl. die Vorrede
des Verf., S. VIII). Alles, was diese an Text und Anmerkungen
mehr bot als die i., ist auch in die deutsche Bearbeitung
aufgenommen, wobei zugleich einige Druckfehler und Ver-
sehen des Originals verbessert werden konnten. Die gering-
fugigen Zusätze des Herausgebers beruhen fast ausnahmslos
auf besonderer Vereinbarung mit dem Herrn Verf. und
sind daher nicht als solche gekennzeichnet; nur den Verweis
auf Baethgens Beiträge zur semitischen Religions-
geschichte (S. 71 Anm. i) für solche, die sich näher
über die dort genannte Gottheit zu informieren wünschen,
habe ich allein zu verantworten. Die beigegebenen Ab-
bildungen, welche sich in der Regel auf das Wichtigste
beschranken, von diesem aber, wie ich hoffe, nichts ver-
missen lassen, sind mit wenigen Ausnahmen dem reichen
Bilderschatze des Hauptwerkes entnommen und finden sich
großenteils auch in der 2. französischen Ausgabe der
Mystkres de Mithra^ die daneben noch andere Illustrationen
bringt. Die Karte, welche vorzugsweise zum Gebrauch bei
der Lektüre des 2. Kapitels bestimmt ist, habe ich mit
Hilfe des Herrn Verf. an einigen Stellen verbessert; außerdem
sind die nötigen sprachlichen Änderungen auf ihr vor-
genommen, imd endlich in ihrem Gradnetz der Pariser
Null-Meridian durch den allgemeiner gebräuchlichen von
Greenwich ersetzt. Wie sich Eigenart und Schicksal des
Mithriacismus schon in dieser Karte abspiegelt, hat neuer-
dings A. Hamack gezeigt (Die Mission und Ausbreitung
des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten.
Leipzig 1902, S. 534 ff-)-
Sollte meine bescheidene Arbeit etwas dazu beitragen,
die bedeutsamen Forschungen des verdienstvollen belgischen
Gelehrten ihren wesentlichen Ergebnissen nach bei tms in
weiteren Kreisen bekannt zu machen, so würde die von mir
aufgewandte Mühe nicht vergeblich gewesen sein. Hat doch
der Mithriacismus gerade in Deutschland besonders zahl-
reiche und interessante Spuren hinterlassen: hier hat man
— xn —
die meisten mithnschen Krypten und die größten Basreliefs
zu Tage gefordert (vgl. S. 30 f.). Da das vorliegende Buch
in der Hauptsache för jeden Gebildeten verständlich ist,
so wendet es sich auch an solche Leser, die nicht Fach-
gelehrte sind, und wer z. B. durch H. St Chamberlains
geistreiches und scharf pointiertes Werk über Die Grund-
lagen des 19. Jahrhunderts Interesse an dem „Völker-
chaos" gewonnen hat, welches der eherne Ring der römischen
Legionen umschloß, der findet hier ein anschauliches Bei-
spiel von den religiösen Vorstellungen und Motiven, welche
damals Hirn und Herz der Massen erfüllten und beherrschten.
Dem historisch und religionsphilosophisch geschulten Leser
aber wird nicht entgehen, daß auch diese Einzelschilderung
wieder an mehr als einer Stelle absichtslos den Beweis
dafür liefert, daß man die Kenntnis der sogenannten
primitiven Religionen gerade dann nicht entbehren kann,
wenn man vor die Aufgabe gestellt wird, die religiösen
Vorstellungen und Bräuche höherer Kulturstufen richtig zu
deuten — eine Tatsache, die von manchen Seiten immer
noch nicht genügend anerkannt und ebensowenig praktisch
berücksichtigt wird. Daß der Anhang über die mithrische
Kunst für Archäologie und Kunstgeschichte nicht ohne Belang
sein dürfte, hat der Herr Verf. schon in seiner Vorrede
bemerkt; ich möchte noch hinzufugen, daß m. £. von dem
3. Kapitel bezüglich des römischen Staatsrechts dasselbe gilt.
Schließlich habe ich die angenehme Pflicht zu erfüllen,
dem Herrn Verf. auch an dieser Stelle für das lebhafte
Interesse und die ausgiebige Unterstützung zu danken, welche
er meiner Arbeit gewidmet hat, und ebenso dem Herrn
Verleger B. G. Teubner für die Bereitwilligkeit, mit welcher
er meinen Wünschen bezüglich der Ausstattung des Buches
entgegengekommen ist.
Stellichte (Regbez. Lüneburg), 11. Febr. 1903.
Georg Gehrich
Fastor.
INHALT.
Erstes Kapitel. Seite
Die Anfänge i — 2^
Mithra ist ein indo-iranischer Gott i. — Die Hypothese
einer Entlehnung aus Babel 2. — Der avestische Mithra 2. —
Der Mithra der Achämeniden 7. — Die Verbreitung seines
Kultus im persischen Reiche 9. — Mithra und die Dia-
docheli 10. — Der Synkretismus der alexandiinischen
Kpoche 13. — Der Mazdaismus in Armenien 14 — in
Kleinasien 14. — Kombinierung mit den griechischen
Göttern 16. — Einfluß der griechischen Kunst und der
stoischen Philosophie 17. — Festigkeit der Liturgie 18. —
Der Mazdaismus nimmt die Form der Mysterien an 20. —
Ankunft Mithras in Cilicien 23.
Zweites Kapitel.
Die Ausbreitung im römischen Reiche . . . 24 — 62
Mithra dringt nicht in die griechische Welt ein 24. —
Seine Verbreitung im Abendlande 25. — Datum seiner
Ankunft in Italien 27. — Sein Kultus wird durch die
orientalischen Soldaten an den Grenzen verbreitet 29. —
Seine Ausbreitung in Mösien 32 — in Dacien und Pan-
nonien 33 — in Camuntum 36 — in Rhätien 38 — in
Germanien 38 — in Belgien 40 — in Britannien 41 — in
Afrika und Spanien 42. — Einfluß der Veteranen 43. —
Ajidere Faktoren: die syrische Diaspora 45. — Die orien-
talischen Sklaven 47. — Verbreitung des Mithriacismus in
den Mittelmeerhäfen 47 — im Rhönetal 49. — Die
Sklaven führen ihn in Italien ein 51 — ebenso in Noricum
— XIV —
Seite
und Pannonien 53. — Die Beamten sklavischer Her-
kunft 54. — Verschiedene Ursachen der Ausbreitung des
Kultus 56. — Die Provinzen, von denen er ausgeschlossen
blieb 58. — Sein Erfolg in Rom 58. — Er gewinnt die
oberen Stände der Gresellschaft für sich 60. — Die
Schnelligkeit seiner Verbreitung 61.
Drittes Kapitel.
Mitfara und die kaiserliche Gewalt 63 — 79
Der Mithriacismus ist nicht verfolgt 63. — Die recht-
liche Stellung der Kollegien seiner Bekenner 64. — Die
Gunst der Kaiser 65. — Ihre Ursachen: Theorieen über
die Gottheit der Herrscher 66 — in Ägypten, bei den
Persem und unter den Diadochen 68. — Das Svarend
wird zur TOxH ßaciX^ttic 71 — und zur Fortuna Augusii^T.,
— Die Beinamen pius, felixy iwvictus imd aetemus 73. —
Das Feuer der Cäsaren und die Strahlenkrone 75. — Die
Sonne und der Kaiser sind wesensgleich 76. — Dens et
dominus natus 77. — Resultat 78.
Viertes Kapitel.
Die Lehre der Mysterien 80 — iio
Die Unmöglichkeit, die Entwicklung der mithrischen
Theologie zu verfolgen 80. — Der höchste Gott ist die
Unendliche Zeit 81. — Theogonie: die ursprüngliche
Trias Himmel, Erde und Ozean oder Jupiter, Juno,
Neptun 83. — Die anderen Götter Kinder des Jupiter
und der Juno 84. — Ahriman und die Dämonen 85. —
Die mithrische Kosmologie: der Kult der vier Ele-
mente 86. — Die Allegorie der Quadriga ^. — Sonne
und Mond 88. — Chaldäische Einflüsse 89. — Die
Planeten und die Zeichen des Tierkreises 90. — Die
himmlischen Hemisphären oder die Dioskuren und
Atlas 92. — Die Lehre vom Schicksal: Astrologie und
Superstition 92. — Die wohltätigen Götter 93. — Mithra,
der Genius des Lichtes und jacdnic, wird in Babylon
mit der Sonne identifiziert 95. — Die Trias Mithra,
XV
Seite
Cantes und Caatopates 96. — Die mazdäische Legende:
Geburt Mithras 97. — Legende von Mithra und der
Sonne 98. — Legende von Mithra und dem Stier 98.
— Die Schöpfung der Pflanzen und Tiere 99. — Das
Menschengeschlecht von einer Dürre, einer Überschwem-
mung und einem Brande bedroht loo. — Festmahl und
Himmel£ihrt des Sol und des Mithra lOi. — Die Be-
ziehungen zwischen Mithra und dem Menschen 10 1. —
Die Moral des Mithriacismus 102. — Mithra ist der
Schutzpatron seiner Gläubigen 103. — Schickssd der
Seele nach dem Tode 104. — Auferstehung des Fleisches
und Weltbrand 106. — Ergebnisse 107.
Fünftes Kapitel.
Die Litui^e, der IQerus und die Gläubigen iii — 131
Verlust der heiligen Bücher des Mithriacismus iii.
— Festhalten am persischen Ritual 112. — Die sieben
Weihegrade 112. — Ursprung der Verkleidungen in
Tiere II 3. — Die Diener und die Teilnehmer 115. —
Die Väter 115. — Einweihungszeremonien, die Sakra-
mente: mithrische Taufe, Firmelung und Kommunion 116.
— Die Prüfungen 119. — Der Eindruck dieser Zere-
monien 121. — Der Klerus 122. — Die tägliche Li-
turgie und die Feste 124. — Die mithrischen soda-
ücia 125. — Ihre Beamten und ihre Finanzen 126. —
Die beschränkte Anzahl ihrer Mitglieder 128. — Aus-
schluß der Frauen 130.
Sechstes Kapitel.
Mithra und die Religionen des Kaiserreiches 132 — 159
Toleranz des Mithriacismus 132. — Seine Be-
ziehungen zu den orientalischen Kulten: Isis, Jupiter
Dolichenus 134. — Sein Bündnis mit der Mater
McLgna 135. — Das Taurobolium 136. — Die Theologie
mündet in den solaren Synkretismus aus 138. — Sie
entspricht damit der Philosophie und den politischen
Tendenzen des Reiches 139. — Letzter Anlauf des Pa-
I
i
XVI
Seite
ganismus zum Monotheismus 140. — Der Kampf der
Mithramysterien und des Christentums 142. — Ähnlich-
keiten und Unterschiede in ihrer Ausbreitung 142. —
Die Verwandtschaft ihrer Lehren 144. — Der Gegensatz
ihrer Tendenzen 149. — Der Mithriacismus wird von
den Kaisem unterstützt 151. — Die Bekehrung Con-
stantins 152. — Die Restauration Julians 153. — Eine
heftige Verfolgung folgt ihr 154. — Die römische
Aristokratie bleibt Mithra treu 156. — Verschwinden
seines Kultus 157. — Die Ideen, welche er hinterlassen
hat; der Manichäismus ist sein Erbe 157.
Anhang.
Die mithrische Kunst 160 — 176
Die Bedeutung der mithrischen Bildwerke für die
römische Kunstgeschichte 160. — Die Darstellung
Mithras 161 — der Dadophoren 162. — Sorgfeit der
Ausfährung einzelner Monumente 162. — Die trostlose
Mittelmäßigkeit der meisten 164 — wird durch ihre Be-
stimmung entschuldigt 164. — Fabrikation und Vertrieb
der mithrischen Ex-voto 165. — Die großen Basreliefe
als Proben der provinzialen Kunstübung in der Kaiser-
zeit 168. — Polychromie 168. — Die nordgallische
Bildhauerschule und das Basrelief von Osterburken 169.
— Die Herkunft der dargestellten T)rpen 171. — Der
löwenköpfige Kronos 171. — Zweck der mithrischen
Bildwerke 174. — Die Nachwirkungen der mithrischen
Kunst und ihre Bedeutung für die altchristliche 175.
Berichtigung.
S. 10, Z. 15 und 22 statt Kappodocien lies Kappadocien.
ERSTES KAPITEL.
DIE ANFÄNGE.
Schon in der unbekannten Epoche, als die Vor-
fahren der Perser noch mit denen der Hindus vereint
waren, beteten sie den Mithra an. Die Hymnen der
Veden feiern seinen Namen wie die des Avesta, imd
trotz der Verschiedenheit der beiden theologischen
Systeme, welche diesen Büchern zu Grunde liegen,
haben der vedische Mitra und der iranische Mithra
so viele ähnliche Züge behalten, daß man an der
Gemeinsamkeit ihres Ursprungs nicht zu zweifeln
vermag. Beide Religionen erblicken in ihm eine
Lichtgottheit, welche zugleich mit dem Himmel an-
gerufen wird, der dort Vßxima, hier Ahura heißt; in
moralischer Beziehimg erkennen sie ihn als Schirm-
herm der Wahrheit an, als Gegner der Lüge imd
des Irrtums. Aber die heilige Poesie Indiens hat
von ihm nur eine halberloschene Erinnenmg bewahrt
Nur ein einziges ziemlich farbloses Stück ist ihm
besonders gewidmet Er erscheint vor allem ge-
legentlich in Vergleichen, welche von seiner ver-
gangenen Größe zeugen. Aber wenn auch seine
Physiognomie in der Sanskritliteratur nicht ebenso
deutlich hervortritt wie in den Zendschriften, so reicht
doch diese Unbestimmtheit der Umrisse nicht dazu
aus, um die tirsprüngliche Identität seines Charakters
zu verschleiern.
Cnmont, Mithrasmysterien. I
2
Nach einer neueren Theorie gehörte dieser Gott,
den die europäischen Völker nicht kennen, auch nicht
zu dem alten Pantheon der Aryas. Das Paar Mitra-
Varuna und die fünf anderen von den Veden be-
sungenen Adityas, ebenso wie Mithra-Ahura und die
Amshaspands, welche den Schöpfer nach der aves-
tischen Vorstellung umgeben, wären nichts anderes
als die Sonne, der Mond und die Planeten, deren
Kultus von den Indo-Iraniem einem benachb2Lrten
Volke entlehnt worden wäre, „welches ihnen in der
Kenntnis des gestirnten Himmels überlegen war", d. h.
aller Wahrscheinlichkeit nach den akkadischen oder
semitischen Einwohnern Babyloniens.^) Aber diese
vorausgesetzte Übernahme muß sich, falls sie tat-
sächlich stattgefunden hat, in prähistorischer Zeit
vollzogen haben, und da wir es nicht versuchen wollen,
dcLS über jener Vergangenheit ruhende Dunkel zu
lichten, so wird für ims die Feststellung genügen,
dafs die Stämme Irans vom Anfange ihrer Herrschaft
bis zu ihrer Bekehrung zum Islam niemals aufgehört
haben, Mithra einen Kultus zu widmen.
Im Avesta ist Mithra der Genius des himmlischen
Lichtes. Er erscheint vor Sonnenaufgang auf den
felsigen Gipfeln der Berge; während des Tages
durcheilt er auf seinem von vier weißen Rossen ge-
zogenen Wagen die Räume des Firmaments, und wenn
die Nacht hemiedersinkt, so erleuchtet er noch mit
einem ungewissen Schimmer die Oberfläche der Erde,
„immer umsichtig, immer wachsam". Er ist weder
die Sonne, noch der Mond, noch das Stemenheer,
sondern mit Hülfe dieser „tausend Ohren und dieser
I) Oldenberg, Die Religion des Veda, 1894, p. 185.
zehntausend Augen" überwacht er die Welt. Mithra
hört alles, sieht alles, er ist allwissend, niemand
vermag ihn zu täuschen. Durch eine naheliegende
Übertragimg ist er in moralischer Beziehung der Gott
der Wahrheit und der Rechtschaffenheit geworden,
den man beim Schwur anruft, der die Verträge schützt
und die Meineidigen straft.
Indem das Licht die Dunkelheit zerstreut, führt
es die Freude und das Leben auf die Erde zurück;
die Wärme, welche es begleitet, befruchtet die Natur.
Mithra ist „der Herr der weiten Fluren", der sie
fruchtbar macht. „Er gibt das Gedeihen, er gibt den
Überfluß, er gibt die Herden, er gibt den Nachwuchs
imd das Leben." Er gießt die Wasser aus und läßt
die Pflanzen sprießen; er verleiht dem, welcher ihn
ehrt, die Gesundheit des Leibes, die Fülle des Reich-
tums und eine glücklich veranlagte Nachkommen-
schaft. Denn er ist nicht nur der Spender materieller
Vorteile, sondern auch der der Eigenschaften der
Seele. Er ist der freimdliche Wohltäter, der zu-
gleich mit dem Glücke den Frieden des Gewissens,
Weisheit und Ruhm schenkt und Eintracht unter
seinen Gläubigen herrschen läßt. Die daövas, welche
die Finsternis bevölkern, verbreiten auf Erden mit
Unfruchtbarkeit imd Leiden alle Laster und alle Un-
reinheit, Mithra, „wachend ohne Schlaf, schützt die
Schöpfung Mazdas" gegen ihre Anschläge. Er be-
kämpft unermüdlich die Geister des Bösen, und die
Frevler, welche diesen dienen, empfinden mit ihnen
die furchtbaren Wirkungen seines Zorns. Von der
Höhe seiner himmlischen Wohnung herab erspäht er
seine Widersacher; bis an die Zähne bewaffnet stürzt
er sich auf sie, zerstreut sie und schlachtet sie hin.
— 4 —
Er verwüstet irnd entvölkert die Häuser der Gott-
losen, er vernichtet die Stämme imd Nationen, welche
ihm feindlich sind. Anderseits ist er der mächtige
Verbündete seiner Gläubigen auf ihren Kriegszügen.
Die Streiche ihrer Feinde „verfehlen ihr Ziel, weil
der erzürnte Mithra kommt, um sie aufzufangen«, imd
er sichert denen den Sieg, welche „fromm vom Guten
unterwiesen, ihm pietätvoll huldigen imd ihm die
Libationen zum Opfer bringen".^)
Dieser Charakter eines Gottes der Heere, welcher
bei Mithra seit der Zeit der Achämeniden vorwaltet,
hat sich ohne Zweifel schärfer ausgeprägt während
der verworrenen Zeit, als die iranischen Stämme sich
noch gegenseitig befehdeten; aber er ist im Grunde
genommen nur ein Entwicklungsprodukt der uralten
Vorstellung von einem Kampfe zwischen Tag imd
Nacht Im allgemeinen ähnelt, wie bereits gesagt
wurde, das Bild, welches uns das Avesta von der
alten arischen Gottheit bietet, dem, welches die Veden
in minder bestimmten Zügen von ihr entwerfen, und
daraus folgt, daß der Mazdaismus ihre ursprüngliche
Natur nicht wesentlich verändert hat.
Wenn aber die Zendhymnen die charakteristische
Physiognomie des alten Lichtgottes noch durch-
schimmern lassen, so hat das zoroastrische System,
indem es seinen Kult übernahm, seine Bedeutimg in
einzigartiger Weise reduziert Um in den avestischen
Himmel einzugehen, hatte er sich seinen Gesetzen
beugen müssen. Die Theologie hatte Ahura^Mazda
an die Spitze der himmlischen Hierarchie gestellt,
und seitdem konnte s\e jenen nicht mehr als eben-
l) Zend- Avesta, Yasht X, passim.
— 5 —
bürtig anerkennen. Mithra wurde nicht einmal unter
die sechs Amshaspands eingereiht, welche dem
höchsten Gott die Welt regieren helfen. Man hat
ihn mit der Mehrzahl der alten Naturgottheiten in
die Schar der niederen Genien, der von Mazda ge-
schaffenen Yazatas, verwiesen imd ihn in Beziehung
zu einigen der deifizierten Abstraktionen gebracht,
welchen die Perser einen Kultus zu widmen gelernt
hatten. Als Schirmherr der Krieger hat er zum
Begleiter Verethraghna, den Sieg, erhalten; als Ver-
teidiger der Wahrheit ist er verbunden mit dem
frommen Sraosha, dem Gehorsam gegen das göttliche
Gesetz, mit Rcishnu, der Gerechtigkeit, Arshtät, der
Redlichkeit, als Spender des Glücks wird er an-
gerufen mit Ashi-Vaiiuhi, dem Reichtum, und mit
Pärendt, der Fülle. , In Begleitimg von Sraosha und
Rashnu schützt er die Seele des Gerechten gegen
die Dämonen, welche sie in die Hölle zu stürzen
suchen, und unter ihrem Schutze erhebt sie sich bis
in das Paradies. Aus dieser iranischen Glaubens-
vorstellung ist die Lehre von der Erlösung durch
Mithra hervorgegangen, welche wir in entwickelter
Gestalt im Occident wieder antreffen werden.
In derselben Zeit wird sein Kultus einem strengen
Ceremoniell unterworfen, wie es der mazdäischen
Liturgie entspricht. Man soll ihm zum Opfer bringen
„Kleinvieh und Grofsvieh und fliegende Vögel". Diese
Opfer sollen eingeleitet oder begleitet werden von
den gewöhnlichen Libationen von Haoma-Saft und
der Recitation der vorgeschriebenen Gebete, mit dem
Zweigbündel {paresman) in der Hand. Aber bevor er
sich dem Altar nähern kann, muß der Gläubige sich
durch wiederholte Waschungen und Geißelungen
— 6 —
reinigen. Diese rigorosen Vorschriften erinnern an
die Taufe und die körperlichen Proben, welche den
römischen Mysten vor der Weihe auferlegt wurden.
So hatte man Mithra in das theologische System
des Zoroastrismus aufgenommen, noian hatte ihm einen
passenden Platz in der Götterhierarchie angewiesen,
man hatte ihm Begleiter von vollkommener Ortho-
doxie zugesellt, man brachte ihm einen Kult dar
analog dem der anderen Genien. Aber seine starke
Persönlichkeit hatte sich nur mit Mühe den strengen
Regeln gefugt, welche ihr auferlegt worden waren,
und in dem heiligen Texte findet man Spuren einer
älteren Vorstellung, nach welcher er im iranischen
Pantheon eine weit erhabenere Stellung einnahm.
Mehrfach wird er mit Ahura in derselben Anrufung
verbimden: die beiden Götter bilden ein Paar, denn
das himmlische Licht und der leuchtende Himmel sind
unzertrennlich in der Natur. Femer, wenn gesagt
wird, daß Ahura Mithra geschaffen habe wie alle
Dinge, so hat er ihn doch ebenso grofs gemacht, als
er selbst ist Mithra ist zwar ein Yazata, aber er ist
der stärkste, der ruhmreichste der Yazatas. „Ahura-
Mazda hat ihn eingesetzt, die ganze bewegliche Welt
zu hüten und über sie zu wachen."^) Durch Ver-
mittlimg dieses immer siegreichen Klriegers vertilgt
das höchste Wesen die Dämonen imd läßt es den
Geist des Bösen, Ahriman, selbst erzittern.
Vergleichen wir diese Texte mit der berühmten
Stelle, wo Plutarch^ ims die dualistische Lehre der
Perser auseinandersetzt: Oromazdes tront in ewiger
1) Yasht X, 103.
2) Plut., De Iside et Osiride, 46 — 47 {Textes et Monuments y
t. n, p. 33).
— 7 —
Klarheit „ebenso hoch über der Sonne, als die Sonne
von der Erde entfernt ist", Ahriman regiert in der
Nacht der Unterwelt, und Mithra nimmt eine mittlere
Stellimg zwischen ihnen ein. Der Anfang des
Bimdahish^) verkündet eine ganz ähnliche Theorie,
nur daß an Stelle Mithras die Luft (Vayu) zwischen
Ormuzd imd Ahriman gesetzt wird. Der Unterschied,
um den es sich hier handelt, ist jedoch nur ein
formaler, denn nach iranischer Auffassung ist die
Luft unauflöslich verbunden mit dem Licht, als dessen
Trägerin sie gilt. Also ein höchster Gott, über den
Gestirnen im Empyreum thronend, wo beständige
Heiterkeit herrscht; unter ihm ein tätiger Gott, sein
Botschafter, der Anführer der himmlischen Heere in
ihrem imimterbrochenen Kampfe gegen den Gott der
Finsternis, welcher aus der Tiefe der Hölle seine
DafevcLS auf die Oberfläche der Erde sendet — das
ist die religiöse Vorstellung, welche, weit einfacher
als die des Zoroastrismus, von den Untertanen der
Achämeniden im Allgemeinen angenommen zu sein
scheint.
Die hervorragende Rolle, welche die Religion
der alten Perser Mithra zuerkannte, wird durch eine
Fülle von Beweisen bezeugt. Nur mit der Göttin
Anähita zusammen wird er in den Inschriften des
Artaxerxes neben Ahura-Mazda angerufen. Die
Großkönige hegten sicherlich für ihn eine spezielle
Verehrung und betrachteten ihn als ihren besonderen
Protektor. Ihn nehmen sie zum Zeugen der Wahrheit
ihrer Worte, ihn rufen sie an, wenn es in die Schlacht
I) West, Pahlavi Texts, I (= Sacred Books of the East, V)
i83o, p. 3 SS.
— 8 —
geht Ohne Zweifel sah man in ihm den, welcher
den Monarchen den Sieg verlieh; er ließ auf sie,. so
dachte man, jenen geheimnisvollen Glanz herab-
kommen, welcher nach mazdäischem Glauben für die
Fürsten, deren Autorität er heiligt, ein Unterpfand
beständiger Erfolge ist.
Der Adel folgfte dem Beispiel des Souverains.
Die große Anzahl theophorer, mit dem des Mithra
zusammengesetzter Namen, welche seit der ältesten
Zeit von seinen Mitgliedern getragen wurde, beweist,
daß die Verehrung für diesen Gott allgemein bei
ihm war.
Einen bevorzugften Platz nahm Mithra im offi-
ziellen Kultus ein. Im Kalender wurde ihm der
siebente Monat geheiligt, und ohne Zweifel auch der
sechzehnte Tag eines jeden Monats. Bei seinem Feste
hatte, wenn man Ktesias*) glauben darf, der König
das Privileg, ihm zu Ehren reiche Libationen dar-
zubringen imd die heiligen Tänze aufzuführen. Jeden-
falls bot dieses Fest die Gelegenheit zu einem
feierlichen Opfer und pnmkvoUen Ceremonien. Die
Mithrakana waren in ganz Vorderasien berühmt,
und zu Mihragän geworden sollten sie noch bis in
die Gegenwart hinein im muselmänischen Persien zu
Wintersanfang weiter gefeiert werden. Der Ruhm
des Mithra breitete sich aus bis zu den Ufern des
ägäischen Meeres: es ist der einzige iranische Gx)tt,
dessen Name im alten Griechenland populär gewesen
ist, und diese Tatsache würde für sich allein schon
beweisen, wie sehr er bei den Völkern des großen
Nachbarreiches verehrt wurde.
i) Ktesias ap. Athen. X, 45 (T, et Mon, t. II, p. 10).
Die Religion, zu welcher sich der Monarch und
die gesamte Aristokratie bekannte, die jenem half,
sein weites Gebiet zu beherrschen, konnte nicht auf
einige Provinzen seines Reichs beschränkt bleiben.
Wir wissen, daß Artaxerxes Ochus der Göttin Anähita
in seinen verschiedenen Hauptstädten hatte Statuen
errichten lassen, in Babylon, in Damaskus und
Sardes ebensowohl wie in Susa, Ekbatana und Perse-
polis. Babylon namentlich, die Winterresidenz des
Herrschers j war von einem zahlreichen offiziellen
Klerus von „Magiern" bevölkert, welche den Vorrang
vor den eingeborenen Priestern hatten. Die amtlich
gesicherten Vorrechte, welche sie besaßen, sollten
sie nicht dem Einfluß der mächtigen Priesterkaste
entziehen, welche sich neben ihnen erhielt. Die ge-
lehrte und spitzfindige Theologie der Chaldäer schlich
sich in den primitiven Mazdaismus ein, welcher mehr
eine Summe von Traditionen als ein organisches
System wohldefinierter Lehren war. Die Legenden
der beiden Religionen wurden einander näher gerückt,
ihre Gottheiten identifiziert, und die semitische Astro-
latrie, das monströse Produkt langer wissenschaftlicher
Beobachtungen, begann sich über die naturalistischen
Mythen der Tränier zu breiten. Ahura-Mazda wurde
mit Bei verschmolzen, der über den Himmel herrscht,
Anähita der Ishtar assimiliert, welche den Planeten
Venus regiert, und Mithra wurde die Sonne, Shamash,
Dieser ist in Babylonien, wie Mithra in Persien, der
Gott der Gerechtigkeit, wie jener erscheint er im
Osten, auf dem Gipfel der Berge, und vollführt seinen
täglichen Lauf auf einem glänzenden Wagen, wie er
endlich gibt er den Kriegern den Sieg und ist er der
Schirmherr der Könige, Die Umwandlung, welche
lO —
die persischen Glaubensvorstellungen durch die semi-
tischen Anschauungen erfuhren, war eine so durch-
greifende, daß man viele Jahrhunderte spater in Rom
das wahre Vaterland des Mithra bisweilen an die
Ufer des Euphrat verlegte. Nach Ptolemaus^) wurde
dieser machtige Sonnengott in allen Landern verehrt,
die sich von Indien bis nach Assyrien erstrecken.
Babylon war nur eine Etappe auf dem Sieges-
zuge des Mazdaismus. In sehr früher Zeit schon
kamen die Magier quer durch Mesopotamien bis in
das Herz Kleinasiens. Bereits unter den ersten
Achämeniden siedelten sie sich, wie es scheint,
massenhaft in Armenien an, wo die einheimische
Religion allmählig vor der verschwand, welche sie
mitbrachten, ebenso in Kappodocien, wo ihre Feuer-
altare noch zur Zeit Strabos in großer Anzahl
brannten. In einer sehr weit zurückliegenden Epoche
drangen sie in Pontus, Galatien und Phrygien ein.
Selbst in Lydien sangen ihre Nachkommen unter
den Antoninen noch barbarische Hymnen in einem
Heiligtum, dessen Grründimg dem Cjrrus zugeschrieben
wurde. Diese Gemeinden sollten, in Kappodocien
wenigstens, sogar den Sieg des Christentums über-
leben und sich bis in das 5. Jahrhxmdert unserer
Zeitrechnimg erhalten, ihre Sitten, ihre Bräuche und
ihren Kultus von einer Generation auf die andere
getreulich vererbend.
Es scheint, als hätte der Untergang des Reiches
des Darius für diese weithin verstreuten und seither
von ihrem Mutterlande getrennten Kolonien ver-
hängnisvoll werden müssen. Tatsächlich jedoch war
I) PtoL, TetrabtbL H, 2.
— II —
das Gegenteil der Fall, und die Magier fanden bei
den Diadochen eine mindestens ebenso aufmerksame
Fürsorge, als der Großkönig und seine Satrapen sie
ihnen hatten angedeihen lassen. Nach der Zer-
stückelung des Alexanderreiches sah man in Pontus,
in Kappadocien, in Armenien, in Kommagene Dyna-
stien entstehen, welche selbstgefällige Genealogieen
mit den Achämeniden zu verknüpfen trachteten.
Mögen diese Häuser nun iranischer Abstammung ge-
wesen sein oder nicht, ihre angenommene Herkimft
machte es ihnen jedenfalls zur Pflicht, die Götter ihrer
angeblichen Ahnen anzubeten. Im Gegensatz zu den
griechischen Königen von Pergamon oder Antiochien
repräsentierten sie die alten Überlieferungen in der
Religion wie in der Politik, Diese Fürsten und die
Magnaten, welche sie umgaben, setzten eine Art von
Adelsstolz darein, die ehemaligen Herren Asiens in
jeder Beziehung nachzuahmen. Ohne sich den
übrigen Kulten ihres Landes irgendwie feindselig zu
zeigen, wenden sie doch ihre besondere Gunst den
Tempeln der mazdäischen Gottheiten zu. Oromazdes
(Ahura-Mazda), Omanos (Vohumano), Artagnes (Vere-
thraghna), Anaitis (Anähita) und noch andere em-
pfingen ihre Huldigungen. Mithra namentlich war
der Gegenstand ihrer Vorliebe; die Monarchen hatten
für ihn eine in gewissem Maße persönliche Devotion,
w^as der in allen diesen Familien häufige Name
Mithradates beweist. Offenbar war Mithra für sie
g-eblieben, was er für die Artaxerxes und die Darius
-war: der Gott, welcher dem Herrscher den Sieg schenkt,
Manifestation und Garantie der legitimen Autorität.
Diese Ehrfurcht vor dem von sagenhaften Vor-
fahren ererbten Kultus, diese Überzeugfung, daß
12
Frömmigkeit die Schutzwehr des Thrones und die
Vorbedingrmg aller Erfolge ist, gelangt zu deutlichem
Ausdruck in der pomphaften Inschrift^) auf dem monu-
mentalen Grrabe, welches Antiochus L Epiphanes von
Kommagene (69 — 34 v. Chr.) sich auf einem Vorsprunge
des Taurus errichten ließ, von wo aus der Blick weit
hinausschweift ins EuphrattaL Nur vermengt der
Konig von Kommagene, der mütterlicherseits von
den syrischen Seleukiden abstammte und durch seinen
Vater ein Nachkomme des Darius, des Sohnes des
Hystaspes, zu sein behauptete, die Erinnerungen seines
doppelten Ursprungs miteinander und kombiniert
persische und hellenische Grotter und Riten, ebenso
wie in seinem Hause der Name Antiochus mit dem
des Mithridates wechselt.
In ähnlicher Weise erfuhren in den benachbarten
Gegenden die iranischen Fürsten und Priester in
verschiedenem Grade den Einfluß der griechischen
Civilisation. Unter den Achameniden hatte jede
der zwischen dem Pontus Euxinus und dem Taurus
wohnenden Völkerschaften dank der Toleranz der
Centralgewalt ihre Lokalkulte wie ihre Sprache und
ihre besonderen Sitten beibehalten dürfen. Aber in
der großen Verwirrung, welche durch den Sturz des
persischen Reiches hervorgerufen wurde, waren alle
politischen und religiösen Schranken gefallen; ver-
schiedenartige Rassen waren plötzlich miteinander in
Berührung gekommen, und infolgedessen durchlebte
Vorderasien damals eine ähnliche Periode des S)m-
kretismus, wie wir sie besser imter der römischen
Kaiserherrschaft beobachten können. Das Zusammen-
I) Michel, Reeueü inscr, gr,, no. 735. Cf. T, et M,, tu,
p. 89, no. I.
— 13 —
treffen aller Theologieen des Orients und aller Philo-
sophieen Griechenlands erzeugte die überraschendsten
Kombinationen, und die Konkurrenz zwischen diesen
verschiedenen Anschauungen wurde äußerst lebhaft.
Von den Magiern, welche von Armenien bis nach
Phrygien und Lydien verstreut waren, traten ohne
Zweifel damals viele aus der Zurückgezogenheit
heraus, welche sie sich bisher auferlegt hatten, um
zu einer aktiven Propaganda überzugehen, und wie
zu gleicher Zeit den Juden gelang es ihnen, eine
Anzahl von Proselyten um sich zu S2immeln. Später
von den christlichen Kaisem verfolgt, kehrten sie
allerdings wie die Lehrer des Talmud zu ihrer früheren
Exklusivität zurück und verschanzten sich hinter
eiaem mehr und mehr unzugänglichen Rigorismus.
Jedenfalls erhielt während der Periode der mora-
lischen imd religiösen Gänmg, welche eine Folge
der macedonischen Eroberung war, der Mithriacismus
seine nahezu endgültige Form. Als er sich im
römischen Reiche verbreitete, war er bereits kraft-
voll entwickelt. Sein dogmatisches System wie seine
liturgischen Traditionen müssen seit dem Anbeginn
seiner Ausbreitung fixiert gewesen sein. Leider
können wir weder genau feststellen, in welcher Gegend,
noch in welchem Zeitpunkt der Mazdaismus die
Merkmale annahm, welche ihn in Italien kennzeichnen.
Die Unkenntnis, in welcher wir uns bezüglich der
religiösen Bewegxmgen befinden, die den Orient in
der alexandrinischen Epoche heimsuchten, das fast
vollständige Fehlen von direkten Zeugnissen für die
Greschichte der iranischen Sekten während der ersten
drei Jahrhunderte vor dem Anfang imserer Zeit-
rechnung, bilden das Haupthindernis, welches einer
— 14 —
gesicherten Kenntnis der Entwicklung des Parsismus
im Wege steht. Indessen sind wir wenigstens im
Stande, die wichtigsten Faktoren auszulösen, welche
dazu mitgewirkt haben, den Kult der kleinasiatischen
Magier umzugestalten, und dürfen den Versuch machen
zu zeigen, wie in den einzelnen Gegenden wechselnde
Einflüsse seine Eigenart in verschiedener Weise um-
gebildet haben.
In Armenien hatte sich der Mazdaismus mit den
nationalen Glaubensvorstellungen des Landes imd
einem aus Syrien importierten semitischen Element
verschmolzen. Mithra war eine der Hauptgottheiten
der synkretistischen Theologie geblieben, welche
unter diesem dreifachen Einflüsse erwachsen war.
Wie im Occident sahen die einen in ihm den Genius
des Feuers, andere identifizierten ihn mit der Sonne,
und fremdartige Legenden hatten sich an seinen
Namen gehängt. Man erzählte, daß er dem blut-
schänderischen Verkehr Ahura-Mazdas mit seiner
eigenen Mutter entsprossen sei, oder auch wohl, daß
eine einfache Sterbliche ihn in die Welt gesetzt
habe» Wir werden es uns erlassen, auf diese selt-
samen Mythen und andere ähnliche näher einzugehen.
Ihr Charakter ist gnmdverschieden von den Dogmen,
welche bei den occidentalischen Anhängern des
persischen Gottes in Geltung standen. Die eigen-
artige Mischung disparater Lehren, welche die Religion
der Armenier ausmacht, scheint keine andere Be-
ziehung zum Mithriacismus gehabt zu haben als eine
teilweise Gemeinsamkeit des Ursprungs.
Im übrigen Kleinasien war die Umgestaltung
des Mazdaismus bei weitem nicht so durchgreifend
als in Armenien. Der Gegensatz zwischen den alt-
— 15 —
einheimischen Kulten und dem, dessen iranischer Her-
kunft seine Adepten mit Vorliebe sich erinnerten,
hörte niemals auf sich bemerkbar zu machen. Die
reine Lehre, deren Hüter die Feueranbeter waren,
ließ sich schwer mit den Orgien versöhnen, die mein
zu Ehren des Liebhabers der Cybele feierte. Doch
mußten sich während der langen Jahrhunderte, in
denen die ausgewanderten Magier friedlich unter den
eingeborenen Stämmen lebten, gewisse Annäherungen
zwischen den religiösen Vorstellungen der beiden
Rassen mit Notwendigkeit vollziehen. In Pontus
büdet man Mithra zu Pferde ab wie Men, den auf
der ganzen Halbinsel verehrten Mondgott. Anderswo
bekleidet man ihn mit den bauschigen Anax3nriden,
welche an die Verstümmelung des Attis erinnern.
In Lydien ist das Paar Mithra-Anähita zu Sabazius-
Anaitis geworden. Andere Lokalgottheiten konnten
mit dem mächtigen Yazata identifiziert werden. An-
scheinend haben die Priester dieser unkultivierten
Länder sich bemüht, ihre populären Götter zu
Äquivalenten der von den Fürsten imd dem Adel
angebeteten zu machen; aber wir kennen die Religionen
dieser Länder zu schlecht, um sagen zu können, was
sie dem Parsismus gegeben, imd was sie von ihm
empfangen haben, imd konstatieren eine wechsel-
seitige Beeinflussung, ohne ihren Umfang ermessen
zu können. Diese Beeinflussung, so oberflächlich sie
auch gewesen sein mag^), hat jedenfalls die intime
i) Jean R^ville (itudes de theologie et d^hist, pubU en hommage
ä la faculti de Montauban, Paris 1901, p. 336) ist geneigt, den klein-
asiatischen Religionen bei der Bildung des Mithriacismus eine ziemlich
bedeutende Rolle zuzuweisen; aber bei dem gegenwärtigen Stande
unserer Kenntnisse ist es unmöglich, diese näher zu bestimmen.
— i6 —
Vereinigxing zwischen den Mysterien des Mithra und
denen der Großen Mutter angebahnt, welche im
Abendlande zum Abschluß gelangen sollte.
Als sich infolge des Alexanderzuges die griechische
Kultur über ganz Vorderasien verbreitete, drängte
sie sich auch dem Mazdaismus auf, bis tief nach
Baktriana hinein. Aber der Iranismus — wenn man
sich dieses Ausdrucks bedienen darf — dankte nie-
mals zu Gunsten des Hellenismus ab. Das eigentliche
Iran erhielt bald seine moralische Autonomie wie
seine politische Unabhängigkeit zurück, und die
Widerstandskraft der persischen Überlieferungen
gegenüber einer imter anderen Verhältnissen leicht
vollzogenen Assimilation gehört überhaupt zu den
charakteristischen Zügen der Geschichte der Be-
ziehungen zwischen Griechenland und dem Orient.
Doch wurden die Magier Kleinasiens, welche den
großen Herden der abendländischen Kidtur näher
waren, auch intensiver von ihren Strahlen getroffen.
Ohne sich von der Religion der fremden Eroberer
absorbieren zu lassen, verbanden sich ihre Kidte mit
jener. Um die barbarischen Vorstellungen mit den
hellenischen zu vereinen, griff man zu dem alten
Verfahren der Identifikation. Man ließ es sich an-
gelegen sein zu zeigen, daß der mazdäische Himmel
mit denselben Bewohnern bevölkert war wie der
Olymp: Ahura-Mazda wurde als höchstes Wesen mit
Zeus ver^hmolzen; Verethraghna, der siegreiche Held,
mit Herakles; Anähita, welcher der Stier geheiligt war,
wurde zur Artemis Tauropolos, und man ging selbst
so weit, daß man die Orestessage in ihre Tempel
verlegte. Mithra, schon in Babel dem Shamash
gleichgestellt, wurde natürlich mit Helios verbunden;
— 17 —
aber er wurde ihm keineswegs subordiniert, und sein
persischer Name in der Liturgie niemals durch eine
Übersetzimg verdrängt wie der der übrigen in den
Mysterien verehrten Gottheiten.
Die Synonymie, welche man zwischen Bezeich-
nimgen herzustellen suchte, welche in Wirklichkeit
nichts miteinander zu thun hatten, blieb nicht ein
bloßes Spiel der Mythologen. Sie hatte die wichtige
Folge, daß die vagen Personifikationen der orien-
talischen Phantasie die bestimmten Formen annahmen,
in welche die griechischen Künstler die olympischen
Götter gekleidet hatten. Vielleicht waren sie vorher
niemals in menschlicher Gestalt dargestellt worden,
oder wenn es Bilder von ihnen gab, Nachahmungen
assyrischer Idole, so waren sie bizarr imd plump.
Indem man den mazdäischen Heroen den ganzen
2^uber des hellenischen Ideals lieh, änderte man
notgedrungen die Auffassimg ihres Charakters, imd
indem man ihren ausländischen Typus abschwächte,
machte man sie leichter annehmbar für die Occi-
dentalen. Eine der imerläßlichsten Bedingxmgen für
den Erfolg der fremden Religionen in der römischen
Welt wurde erfüllt, als gegen das 2. Jahrhundert
V. Chr. ein Bildhauer aus der Schule von Pergamon
die ergreifende Gruppe des stiertötenden Mithra
schuf, der ein allgemeines Herkommen seitdem den
Ehrenplatz in der Apsis der spelaea vorbehielt.^)
Nicht allein die Kunst ließ es sich angelegen
sein zu mildem, was diese rohen Mysterien für
Geister, die in der Schule Griechenlands gebildet
-waren. Abstoßendes haben mochten. Die Philosophie
I) Vgl. das letzte Kapitel.
Cumont, Mithrasmysterien.
— i8 —
suchte ihre Lehren mit ihren eigenen Ergebnissen
zu vermitteln, oder vielmehr die asiatischen Priester
strebten darnach, in ihren heiligen Traditionen die
Theorien der philosophischen Schulen wiederzufinden.
Keine dieser Schulen eignete sich besser für ein
Bündnis mit der populären Frömmigkeit als die
Stoa, und ihr Einfluß auf die Bildimg des Mithria-
cismus war bedeutend. Eine alte von den Magiern
gesungene Mythe wird von Dio Chrysostomus^) über-
liefert, weil man in ihr eine Allegorie der stoischen
Kosmologie erblickte, imd sehr viele andere persische
Ideen sind so durch die pantheistischen Anschauungen
der Schüler Zenos modifiziert worden. Die Denker
gewöhnten sich mehr imd mehr daran, in den Dogmen
und rituellen Bräuchen der Orientalen die dunkelen
Reflexe einer uralten Weisheit zu suchen, und diese
Tendenz entsprach zu sehr den Ansprüchen imd
dem Interesse des mazdäischen Klerus, als daß er
sie nicht nach bestem Vermögen hätte begünstigen
sollen.
Obschon die philosophische Spekulation, indem
sie den Glaubensvorstellimgen der Magier eine Be-
deutung beilegte, welche sie keineswegs besaßen,
ihren Charakter veränderte, so wirkte sie doch im
ganzen weit mehr konservativ als Neues produzierend.
Gerade dadurch, daß sie den oft kindischen Legenden
eine symbolische Bedeutung lieh, daß sie scheinbar
absurden Bräuchen rationelle Erklärungen imterschob,
trug sie dazu bei, ihr Fortbestehen zu sichern. War
auch die theologische Grundlage der Religion merk-
I) Dio Chrys., Or,, XXXVI, § 39 ss. (r. et M,, t. n, p. 60,
no. 461).
— 19 —
lieh modifiziert, ihr liturgischer Rahmen blieb relativ
fest, und die Umwandltmg des Dogmas ging Hand
in Hand mit dem Respekt vor dem Ritus. Der
abergläubische Formalismus, von dem die minutiösen
Vorschriften des Vendidäd zeugen, ist jedenfalls weit
älter als die Epoche der Sassaniden. Die Opfer,
welche die in Kappadocien angesiedelten Magier zur
Zeit Strabos darbrachten, erinnern in allen Einzel-
heiten an die avestische Liturgie. Da fanden sich
dieselben Gebete, welche man vor dem Feueraltar
psalmodierte, mit dem heiligen Bündel {baresman) in
der Hand, dieselben Oblationen von Milch, Öl imd
Honig, dieselben Vorsichtsmaßregeln, damit der Atem
des Offizianten die göttliche Flamme nicht ver-
unreinige. Die Inschrift des Antiochus von Komma-
gene zeigt in dem Reglement, welches sie vorschreibt,
ein gleich treues Festhalten an den alten iranischen
Gebräuchen, Der König rechnet es sich zum Ruhme
an, daß er die Götter seiner Ahnen stets nach der
alten Überlieferung der Perser und der Grriechen
geehrt habe, er will, daß die an dem neuen Tempel
angestellten Priester die Priesterkleidung derselben
Perser tragen, und daß sie dem alten heiligen Her-
kommen gemäß ihres Amtes warten sollen. Der
i6. Tag jedes Monats, der besonders gefeiert werden
soll, ist nicht nur der Geburtstag des Königs, sondern
auch der, welcher von jeher speziell dem Mithra ge-
heiligt war. Viel später noch verspottet ein anderer
Kommagener, Lucian von Samosata, an einer Stelle,
wo er sich offenbar auf Gebräuche bezieht, die er in
seinem Vaterlande hatte beobachten können, die
wiederholten Reinigungen, die endlosen Gesänge
und den langen medischen Rock der Anhänger des
20
Zarathustra.^) Bei einer anderen Gelegenheit tadelt
er an ihnen, daß sie nicht einmal griechisch ver-
stünden und ein unverstandliches Kauderwelsch
redeten.*)
Der konservative Geist der kappadocischen
Magier, der sie an ihre uralten, von einer Generation
auf die andere überlieferten Bräuche band, verleugnete
sich auch nicht nach dem Siege des Christentums,
und St. Basilius^ bezeugt sein Fortbestehen noch am
Ende des vierten Jahrhimderts. Selbst in Italien be-
hielten die Mysterien sicherlich immer einen großen
Teil der rituellen Formen, welche der Mazdaismus
in Kleinasien seit imvordenklicher Zeit angenommen
hatte. ^) Die Hauptneuerung bestand darin, daß man
das Persische als liturgische Sprache durch das
Griechische imd später vielleicht durch das Lateinische
ersetzte. Diese Reform setzt die Existenz von heiligen
Büchern voraus; und wahrscheinlich hatte man seit
der alexandrinischen Epoche die ursprünglich münd-
lich überlieferten Gebete imd Gesänge schriftlich
fixiert, aus Besorgnis, die Erinnerung an sie möchte
verloren gehen. Aber diese notwendige Anpassimg
an neue Verhältnisse wird den Mithriacismus nicht
daran gehindert haben, bis zum Schluß ein wesent-
lich persisches Ceremoniell festzuhalten.
Der griechische Name „Mysterien", welchen die
Schriftsteller dieser Religion beilegen, darf keine
Täuschung hervorrufen. Nicht nach dem Vorbilde
1) Luc, Menipp,, c. 6 ss. (T, et M,, tu, p. 22).
2) Luc, Deor, conc, c 9, Jup, Trag., c 8, c 13 {T, etM,, ibid.).
3) Basil., EpisU 238 ad Epiph, (T, et M,, t. I, p. 10, no. 3).
Cf. Priscus fr. 31 (I, 342 Hist, min. Dind.).
4) et unten Kap. V.
21
der hellenischen Kulte gründeten ihre Adepten ihre
g-eheimen Gesellschaften, deren esoterische Lehre
nur in einer Reihenfolge von abgestuften Weihen
enthüllt wurde. In Persien selbst bildeten die Magier
eine abgeschlossene Kaste, die in mehrere Unter-
abteilungen geschieden gewesen zu sein scheint. Die-
jenigen, welche sich inmitten fremder Rassen mit
anderer Sprache imd anderen Sitten niederließen,
verheimlichten der profanen Menge noch eifersüchtiger
ihren ererbten Glauben. Die Kenntnis dieser Ge-
heimnisse gab ihnen selbst das Bewußtsein mora-
lischer Überlegenheit und sicherte ihnen den Respekt
der unwissenden Völkerschaften, die sie umgaben.
Wahrscheinlich war das mazdäische Priestertum
anfangTs in Kleinasien wie in Persien das Erbteil
eines Stammes, in welchem es vom Vater auf
den Sohn überging, dann verstand man sich dazu,
die geheimgehaltenen Dogmen Fremden nach einer
Einweihungsceremonie mitzuteilen, und diese Prose-
lyten wurden nach imd nach zu den verschiedenen
Ceremonien des Kultus zugelassen. Die iranische
Diaspora ist in dieser Hinsicht wie in mancher
anderen mit der jüdischen zu vergleichen. Die Sitte
unterschied bald verschiedene Kategorien von Neo-
phylen, welche schließlich eine bestimmte Hierarchie
bildeten. Aber die vollständige Kenntnis der Glaubens-
lehren und der heiligen Gebräuche blieb stets ein
seltenes Privilegium, und die mystische Wissenschaft
erschien um so kostbarer, je verborgener sie war.
Alle originellen Riten, welche den mithrischen
Kultus unter den Römern auszeichnen, gehen sicher-
lich bis auf seine asiatischen Anfange zurück: die bei
g-ewissen Ceremonien üblichen Verkleidungen in Tiere
22
sind ein Überlebsei eines ehemals weit verbreiteten
und noch heutigen Tages nicht verschwundenen prä-
historischen Brauches; die Gewohnheit, denoi Gotte
die Höhlen der Berge zu weihen, ist ohne Zweifel
eine Erbschaft aus der Zeit, als man noch keine
Tempel baute; die grausamen Proben, welche den
Geweihten auferlegt wurden, erinnem an die blutigen
Verstümmelungen, welche die Diener der Mä und
der Cybele verübten. Ebenso können die Legenden,
deren Held Mithra ist, nur in einer Zeit des Hirten-
lebens erdichtet worden sein. Diese uralten Über-
lieferungen einer noch primitiven und rohen Kultur-
stufe bestanden in den Mysterien neben einer
subtilen Theologie und einer sehr erhabenen Moral.
Die Analyse der konstitutiven Elemente des
Mithriacismus zeigt uns, wie der geologische Durch-
schnitt eines Terrains, die durch successive Ab-
lagerung entstandene Schichtenbildung der Gesamt-
masse. Die Grundlage dieser Religion, ihre imterste
und wichtigste Schicht ist der Glaube des alten Iran,
aus dem sie ihren Ursprung herleitet. Über dieses
mazdäische Substrat hat sich in Babylonien ein
starkes Sediment von semitischen Lehren gelagert,
dann haben in Klleinasien die Lokalreligionen einige
Anschwemmungen hinzugefügt. Endlich ist eine
dichte Vegetation von hellenischen Ideen auf diesem
fruchtbaren Boden erwachsen, welche imserem for-
schenden Auge seine wahre Natur zum Teil verbirgt.
Dieser zusammengesetzte Kult, in welchem sich
so viele heterogene Elemente amalgamiert hatten, ist
der adaequate Ausdruck der komplexen Zivilisation,
welche in der alexandrinischen Zeit in Armenien,
Kappadocien und Pontus blühte. Wenn Mithridates
— 23
Eupator seine ehrgeizigen Träume hätte verwirklichen
können, so würde dieser hellenisierte Parsismus
zweifellos die Staatsreligion eines gewaltigen asia-
tischen Reiches geworden sein. Der Lauf seiner
Geschicke änderte sich durch
den Sturz des großen Gegners
Roms. Die Trümmer der pon-
tischen Heere und Flotten, die
durch den Krieg versprengten
und aus dem ganzen Orient
herbeigeeiltenFlüchtlinge ver-
breiteten die iranischen My-
sterien bei jenem Piratenvolk,
welches im Schutz der cilici-
schen Berge kraftvoll heran-
wuchs. Mithra faßte festen Fuß
in dieser Gegend, wo Tarsus
ihn noch beim Untergang des
Reiches verehrte (Fig. i). Auf
seine kriegerische Religion
gestützt, versuchte dieser Staat
von Abenteurern dem römi-
schen Koloß die Herrschaft
über die Meere streitig zu
machen. Ohne Zweifel be-
trachtete er sich als die Nation, welche dazu berufen
sei, dem Kult des unbesiegbaren Gottes zum Siege zu
verhelfen. Auf seinen Beistand vertrauend, plünderten
die kühnen Seeleute furchtlos die angesehensten
Heiligtümer Griechenlands und Italiens, und die latei-
nische Welt hörte damals zum ersten Male den Namen
des barbarischen Gottes, der bald ihre Anbetung
fordern sollte.
Flg. I. StiertStender Mithra.
Medaille von Tarsus.
ZWEITES KAPITEL.
DIE AUSBREITUNG IM RÖMISCHEN
REICHE.
Im allgemeinen kann man sagen, daß Mithra
von der hellenischen Welt immer ausgeschlossen blieb.
Die alten griechischen Schriftsteller reden von ihm
nur als von einem fremden, von den Perserkönigen
verehrten Gott. Selbst während der alexandrinischen
Periode stieg er nicht von der kleinasiatischen Hoch-
ebene an die Küsten loniens herab. In allen Ländern,
welche das ägäische Meer bespült, erinnert uns
lediglich eine späte Weihinschrift des Piräus an seine
Existenz, und vergeblich würde man seinen Namen
imter den zahlreichen ausländischen Gottheiten suchen,
welche im 2. Jahrhundert vor imserer Zeitrechnung in
Delos verehrt wurden. Unter dem Kaiserreich findet
man allerdings Mithraeen in gewissen Häfen an der
phönizischen und ägyptischen Küste, bei Aradus, in
Sidon, in Alexandrien; aber diese isolierten Denk-
mäler lassen die Abwesenheit jeglicher Spur der
Mysterien im Innern des Landes um so mehr hervor-
treten. Die neuerdings erfolgte Entdeckung eines
Mithratempels in Memphis scheint die Ausnahme zu
bilden, welche die Regel bestätigt, denn der maz-
däische Geniiis hat in dieser alten Stadt vermutlich
nur bei den Römern Eingang gefunden. Er wird
— 25 —
bisher in keiner einzigen Inschrift Ägyptens oder
Syriens erwähnt, und es liegt noch nicht einmal ein
Beweis dafür vor, daß man ihm in der Hauptstadt
der Seleuciden Altäre errichtet hat. In diesen halb-
orientalischen Reichen scheint die mächtige Organi-
sation des einheimischen Klerus imd die glühende
Verehrung des Volkes für seine nationalen Gotter
das Vorrücken des Eindringlings gehindert und seinen
Einfluß paralysiert zu haben.
Eine charakteristische Tatsache beweist, daß der
iranische Yazata niemals zahlreiche Anhänger in
hellenischen oder hellenisierten Ländern gewonnen
hat Die gfriechische Onomatologie, welche uns eine
Reihe von theophoren Namen liefert, die an die Be-
liebtheit erinnern, deren sich die phrygischen und
äg3rptischen Grottheiten erfreuten, hat Menophilos und
Metrodotos, Isidoros imd Serapion keinen Mithrion,
Mithriocles, Mithrodoros oder Mithrophilos
gegenüberzustellen. Alle Derivate von Mithra sind
barbarischer Bildung, Während die thracische Bendis,
die asianische Cybele, der Serapis der Alexandriner,
selbst die syrischen Baale in den Städten Grriechen-
lands allmählich eine giinstige Aufnahme fanden,
erwies sich dieses niemals gastfreundlich gegenüber
dem Schutzgott seiner alten Feinde.
Sein Fembleiben von den großen Centren der
antiken Kultur erklärt die späte Ankunft des Mithra
im Occident In Rom erwies man der Magna Mater
von Pessinus offizielle Verehrung seit dem Jahre
204 V. Chr.; Isis und Serapis erschienen dort im
ersten Jahrhimdert vor imserer Zeitrechnung, und
lange vorher zählten sie eine Menge von Anbetern
in Italien. Die karthagische Astarte hatte in der
— 26 —
Hauptstadt einen Tempel seit dem Ende der Pmiischen
Kriege; die kappadocische Bellona seit der Zeit
Sullas; die Dea Syria von Hierapolis seit dem Be-
ginn der Kaiserzeit, während die persischen Mysterien
dort noch vollständig unbekannt waren. Und doch
waren diese Gottheiten nur die eines Volkes oder
einer Stadt, wohingegen die Herrschaft des Mithra
sich vom Indus bis zum Pontus Euxinus erstreckte.
Aber dies Gebiet lag noch zur Zeit des Augiistus
fast gänzlich außerhalb der Grenzen des römischen
Reiches. Die zentrale Hochebene Kleinasiens, welche
sich lange Zeit der hellenischen Zivilisation wider-
setzte, blieb der römischen Kultur noch mehr ver-
schlossen. Dieses mit Steppen, Wäldern und Weiden
bedeckte, von schroffen Abhängen imigebene Hoch-
land, dessen Klima noch rauher als das Germaniens
war, hatte für den Bewohner der Mittelmeerküsten
wenig Anziehendes; imd die einheimischen Dynastieen,
welche dort noch unter den ersten Cäsaren be-
standen, schützten es, obgleich sie zu Vcisallen der
letzteren geworden waren, in seiner jahrhimderte-
langen Isolienmg. Freilich war Cilicien seit dem
Jahre 102 v. Chr. zur römischen Pro\'inz erklärt, aber
man besetzte damals nur einige Küstenpunkte, und
die Eroberung des Landes wurde erst beinahe zwei
Jahrhunderte später vollendet. Kappadocien wurde
erst unter Tiberius einverleibt, der Westen von Pontus
unter Nero, Kommagene und Kleinarmenien end-
gültig unter Vespasian. In dieser Zeit erst knüpften
sich zusammenhängende und unmittelbare Beziehungen
zwischen jenen entlegenen Gegenden und dem Occi-
dent an. Die Bedürfnisse der Verwaltimg und die
Organisation der Verteidigung, die Versetzungen der
— 27 —
Gouverneure und Offiziere, der Wechsel der Pro-
kuratoren und der fiskalischen Beamten, die Aus-
hebungen der Infanterie- und Kavallerietruppen, die
Besetzung der Euphratgrenze mit drei Legionen be-
dingten einen imaufhörlichen Austausch von Menschen,
Produkten imd Ideen zwischen diesen bisher unzu-
gänglichen Bergen und den europäischen Provinzen.
Dann kamen die großen Feldzüge des Trajan, des
Lucius Verus imd des Septimius Severus, die Unter-
werfung Mesopotamiens imd die Gründung zahlreicher
Kolonien in Osrhoene imd bis nach Ninive hin, welche
gleichsam die Ringe einer Kette bilden, die Iran mit
dem Mittelmeer verband. Diese aufeinanderfolgenden
Annexionen der Cäsaren waren die erste Ursache
der Verbreitung der mithrischen Religion in der
lateinischen Welt. Unter den Flaviem beginnt sie
sich in ihr auszudehnen und unter den Antoninen
und den Severem entwickelt sie sich auf dem neu-
gewonnenen Boden weiter, gerade wie ein anderer
Kult, der neben ihr in Kommagene gepflegt wurde:
der des Jupiter Dolichenus, welcher gleichzeitig mit
ihr die Reise in das römische Reich antrat.
Nach Plutarch^) würde Mithra allerdings viel
früher in Italien eingedrungen sein. Die Römer
wären in seine Mysterien durch die von Pompejus
besiegten cilicischen Seeräuber eingeweiht. Dieser
Bericht hat nichts Unwahrscheinliches. Wir wissen,
daß sich die erste jüdische Gemeinde, welche sich
trans Tiberim ansiedelte, großenteils aus den Nach-
kommen der Gefangenen zusammensetzte, welche
derselbe Pompejus nach der Eroberung Jerusalems
I) Plut., Vü, Pomp.y 24 (T. et M.y t. II, p. 35 d).
— 28 —
(63 n. Chr.) mitgebracht hatte. Dieser besondere
Umstand läßt es daher als möglich erscheinen, dafs
der persische Gott schon seit dem Ende der Republik
einige Gläubige in der gemischten Bevölkerung der
Hauptstadt gefunden hat Aber in der Menge der
Bruderschaften verschwindend, welche fremde Riten
ausübten, fand die kleine Gruppe seiner Verehrer
keine Beachtimg. Der Yazata teilte die Gering--
schätzimg, mit welcher man den ihn anbetenden
Asiaten begegnete. Die Einwirkung seiner Anhänger
auf die Masse der Bevölkerung war fast ebenso be-
langlos 2ils die der buddhistischen Gemeinschaften
im modernen Europeu
Erst am Ende des ersten Jahrhimderts beginnt
Mithra in Rom von sich reden zu machen. Als
Statins den ersten Gesang der Thebais schrieb, um
das Jahr 80 n. Chr., hatte er bereits die typischen
Darstellimgen des stiertötenden Heros gesehen^), und
aus dem Zeugnis Plutarchs geht hervor, daß zu seiner
Zeit (46 — 125 n.Chr.) die mazdäische Sekte im Abend-
lande schon einigermaßen bekannt war.^ Dieser
Schluß wird durch die epigraphischen Urkunden be-
stätigt Die älteste Weihinschrift an Mithras, welche
wir besitzen, ist eine zweisprachige Inschrift von
einem Freigelassenen der Flavier (69 — 96 n. Chr.). Bald
darauf wird ihm eine Marmorgruppe getv^idmet von
einem Sklaven des T. Claudius Livianus, der Präfekt
des Prätoriums unter Trajan war, im Jahre 102. Fast
um dieselbe Zeit muß der unbesiegbare Gott in Mittel-
italien eingedrungen sein. In Nersae, im Äquerlande hat
1) StaX,, Theb.f 1,717: Per sei sub rupibus antri Indignata sequi
torquentem cornua Mithram,
2) Plut., /. c.
— 29 —
man einen Text aus dem Jahre 172 zu Tage gefordert,
welcher bereits von einem „infolge seines Alters
eingestürzten" Mithraeum spricht. Das Erscheinen
des Fremdlings im Norden des Reichs ist ebenfalls
beinahe in dieselbe Zeit zu verlegen. Es ist kaimi
zu bezweifeln, daß die XV. Legion die Mysterien
seit dem Anfang der Regierung Vespasians in Car-
nuntum an der Donau eingeführt hat; und wir stellen
fest, daß sie um das Jahr 148 bei den Truppen
Germaniens gefeiert wiirden. Unter den Antoninen,
namentlich seit der Regierung des Conunodus, mehren
sich die Spuren ihres Vorhandenseins in allen Ländern.
Am Ende des 2. Jahrhunderts feierte man sie in
Ostia in wenigstens vier Tempeln.
Wir können weder daran denken, alle Städte
aufzuzählen, in denen der asiatische Kultus Wurzeln
schlug, noch untersuchen, welche Gründe in jedem
einzelnen Falle seine Einführung erklären. Trotz
ihrer Fülle unterrichten uns die epigraphischen Texte
und die figürlichen Denkmäler nur sehr unvoll-
kommen über die Lokalgeschichte des Mithriacismus.
Es ist uns nicht möglich, die Fortschritte seiner
Ausbreitung zu verfolgen, die konkurrierenden Ein-
flüsse der verschiedenen Bekenntnisse zu imter-
scheiden und zu beobachten, wie das Werk der Be-
kehrung sich fortsetzte von Stadt zu Stadt, von
Provinz zu Provinz. Alles, was wir tun können, be-
schränkt sich darauf, in großen Zügen anzugeben, in
welchen Gegenden der neue Glaube sich verbreitet
hat, imd welches im allgemeinen die Apostel ge*-
Wesen sind, die ihn dort verkündigt haben.
Der Hauptfaktor seiner Ausbreitung ist jeden-
falls das Heer, Die mithrische Religion ist vor allem
— 30 —
die der Soldaten, und nicht ohne Grund hat man den
Eingeweihten eines gewissen Grades den Namen
müites gegeben. Dieser Einfluß des Heeres konnte
schwer verstandlich erscheinen, wenn man daran
denkt, daß die Legionen imter den Cäsaren in festen
Lagern untergebracht waren, imd daß wenigstens
seit Hadrian sich jede aus der Provinz rekrutierte,
in welcher ihre Garnison lag. Aber diese allgemeine
Regel erlitt zahlreiche Ausnahmen. So haben die
Asiaten lange Zeit hindurch in ausgiebigem Maße
dazu beigetragen, die Effektivbestande der Truppen
in Dalmatien oder Mösien imd, während einer be-
stimmten Periode, auch derer in Afrika herzustellen.
Femer wurde der Soldat, welcher nach einigen
Dienstjahren in seinem Geburtslande zum Centurio
befordert war, gewöhnlich in eine fremde Garnison
versetzt, und oft wies man ihm jedesmal, wenn er
einen neuen von den verschiedenen Graden dieser
Charge erhielt, auch ein neues Standquartier an, so
daß die Gesamtheit der Centurionen einer Legion
„gleichsam einen Mikrokosmos des Reiches" bildete.^)
So wurden sie für die Ausbreitung des Mithriacismus
von wesentlicher Bedeutung, denn schon ihre Stellung
allein sicherte diesen Subaltemoffizieren einen be-
trächtlichen moralischen Einfluß auf die Rekruten,
mit deren Ausbildimg sie betraut waren. Abgesehen
von dieser individuellen Propaganda, die ims fast
vollständig verborgen bleibt, haben die provisorischen
oder definitiven Verlegimgen einzelner Abteilimgen
oder selbst ganzer Regimenter in oft weit entfernte
Festungen oder Lager Menschen jeder Rasse und
l) Jung, Fasten der Provinz Dacien, 1894, p. XIV.
— 31 —
jedes Glaubens miteinander zusammengeführt und
vermischt Endlich fand man überall neben den
Legionssoldaten, römischen Bürgern, eine gleiche,
wenn nicht größere Zahl von fremden auxüia, welche
nicht, wie die erstgenannten, das Vorrecht besaßen,
in ihrem Vaterlande zu dienen. Im Gegenteil suchte
man diese Ausländer aus ihrem Stammlande zu ent-
fernen, imi Erhebimgen vorzubeugen. So bildeten
unter den Flaviem die einheimischen alae oder Ko-
horten nur einen sehr geringen Bruchteil der Hülfs-
truppen, welche die Rhein- und die Donaugrenze be-
wachten.
Unter den Leuten, die man von auswärts berief,
um die in die Feme gesandten Landeskinder zu er-
setzen, befanden sich eine Mcisse von Asiaten, und
vielleicht hat kein anderes Land des Orients im
Vergleich zu seiner territorialen Ausdehnung Rom
mehr Rekruten geliefert als Kommagene, wo der
Mithriacismus tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Außer
Reitern und Legionssoldaten hob man in dieser
Landschaft, wahrscheinlich seit der Zeit ihrer Ver-
einigxmg mit dem Kaiserreiche, wenigstens sechs
Kohorten Bundesgenosse^ aus. Zahlreich waren auch
die Soldaten, aus Kappadocien, Pontus imd Cilicien,
um nicht zu reden von den Syrern jeder Abkimft,
und die Kaiser trugen kein Bedenken, selbst jene
leichtbeweglichen Schwadronen parthischer Kavallerie
einzureihen, deren kriegerische Fähigkeiten sie zu
ihrem Nachteil kennen gelernt hatten.
Der römische Soldat war im allgemeinen fromm
und selbst abergläubisch. Die Gefahren, denen sein
Beruf ihn aussetzte, ließen ihn beständig den Schutz
des Himmels suchen, und eine imberechenbare An-
— 32 —
zahl von Weihinschriften zeugt zugleich von der
Lebendigkeit seines Glaubens und der Mannig-
faltigkeit seiner religiösen Vorstellungen. Namentlich
die Orientalen, für zwanzig Jahre und länger in ein
Land versetzt, wo alles ihnen fremd war, hielten
pietätvoll die Erinnerung an ihre nationalen Götter
fest Sobald sie Mittel und Wege dazu fanden,
schlössen sie sich zusammen, imi ihnen einen Kultus
zu widmen. Sie empfanden das Bedürfnis, sich jenen
„Herrn" (Ba'al) zu versöhnen, dessen Zorn sie als
Kinder fürchten gelernt hatten. Auch gab dies ihnen
eine willkommene Gelegenheit, sich regelmäßig zu
versammeln und imter dem trüben Himmel des
Nordens ihrer fernen, sonnigen Heimat zu gedenken.
Aber ihre Bruderschaften waren nicht exklusiv; gern
gewährten sie Waffengenossen jeder Abstammung
Zutritt, denen die offizielle Religion des Heeres nicht
genügte, imd die von dem fremden Gotte wirksamere
Hülfe in der Schlacht, oder, wenn sie fielen, ein
seligeres Los in jenem Leben zu erlangen hofften.
Wenn dann diese Neophyten den Anforderungen des
Dienstes oder den Notwendigkeiten des Krieges
gemäß in andere Garnisonen versetzt wiirden, so
wandelten sie sich dort aus Bekehrten in Missionare
und imigaben sich mit einer neuen Schar von
Proselyten. So haben sich die Mysterien des Mithra,
nachdem sie von halbbarbarischen Rekruten aus
Kappadocien oder Kommagene nach Europa gebracht
waren, mit reißender Schnelligkeit bis an die Enden
der antiken Welt verbreitet
Von den Ufern des Pontus Euxinus bis zu den
Bergen Schottlands imd dem Rande der Sahara, die
ganze ehemalige römische Grenze entlang, finden
— 33 —
sich mithrische Monumente in Fülle. Nieder-Mösien,
welches erst seit einigen Jahren durchforscht wird,
hat deren schon eine ziemliche Menge geliefert, was
nichts Erstaunliches hat, wenn man weiß, deiß dort
orientalische Kontingente die imgenügende Zahl der
Rekruten ergänzten, welche die Provinz stellte. Um
von dem Hafen Tomi zu schweigen, pflegten die
Legionare den persischen Kultus in Troesmis, in
Durostorum imd in Oescus an den Ufern der Donau,
ebenso in Tropaeum Traiani, welches die Entdeckung
des Monuments von Adam-Kllissi neuerdings berühmt
gemacht hat Im Innern des Landes hatte er sich
in Montana und in Nikopolis angesiedelt, und ohne
Zweifel war er von diesen Städten aus südwärts
über den Balkan vorgedrungen, um sich in Nord-
Thracien auszubreiten, namentlich in der Gegend von
Serdica (Sofia) imd bis zur Umgebung von Philippopolis
im Hebrustal. Nach der entgegengesetzten Seite, dem
Lauf der Donau stromaufwärts folgend, faßte er Fuß
in Viminacium, der Hauptstadt von Ober-Mösien, aber
wir vermögen nicht zu beurteilen, welche Ausdehnimg
er in dieser noch mangelhaft bekannten Gegend er-
reichte. Das Kriegsgeschwader, welches auf dem
großen Strome kreuzte, wurde mit Ausländem be-
mannt und sogar von solchen befehligt, imd dieses
hat zweifellos die asiatische Religion nach allen seinen
Anlegeplätzen verpflanzt.
Besser sind wir über die Umstände ihrer Ein-
fuhrung in Dacien unterrichtet Als Trajan im
Jahre 107 n. Chr. dieses barbarische Königreich dem
romischen Reiche einverleibte, war das Land, durch
sechs Jahre hartnäckiger Kämpfe erschöpft, kaum
mehr als eine Wüste. Um es wieder zu bevölkern^
Cnmont, Mithrasmysterien. 3
— 34 —
btachte der Kaiser, wie uns Eutropius*) erzählt,
massetüiaft Kolonisten ,,ex toto orbe Romano'' dorthin.
Die Bevölkerm^ dieser Landschaft war im zweiten
Jahrhundert noch gemischter als heute, wo alle
Rassen Europas sich dort stoßen imd zanken. Ab-
gesehen von den Resten der alten Dacier fand man
dort nebeneinander Illyrier und Pannonier, Galater,
Karier imd Asiaten, Leute aus Edessa und Palmyra
imd noch andere, welche sämtlich in der neuen
Heimat die Kulte ihres Vaterlandes auszuüben fort-
fuhren. Aber keiner dieser Kulte gedieh dort so
gut als die Mysterien des Mithra, und man erstaunt
über den wimderbaren Aufschwung, den diese hier
während der himdertundfunfzig Jahre nahmen, welche
die römische Herrschaft in dieser Gegend währte.
Sie blühten nicht nur in der Hauptstadt der Provinz,
Sarmizegetusa, und in den Städten, welche in der
Nähe der Lager erwuchsen, wie Potaissa und
namentlich Apulum, sondern in dem ganzen Bereiche
des occupierten Landes. Während man in Dacien
meines Wissens nicht die geringste Spur einer
christlichen Gemeinde nachweisen kann, hat man von
der Festung Szamos-Ujvar an der Nordgrenze bis
nach Romula in der Walachei eine Menge von In-
schriften, Skulpturen und Altären entdeckt, welche
die Zerstörung der Mithraeen überdauert haben.
Diese Überreste sind namentlich häufig im Zentrum
des Landes, der großen Straße entlang, welche dem
Tale des Maros folgt, der Hauptader, durch welche
die römische Zivilisation sich in die umliegenden
Berge verbreitet hat. Die Kolonie Apulum allein
I) Eutrop. Vm, 6.
— 35 —
zählte sicher vier Tempel des persischen Gottes,
und das kürzlich ausgegrabene spelaeum von Sarmi-
zegetusa enthielt noch die Fragmente von etwa
fünfzig Basreliefs oder anderen Exvotos, welche die
Frömmigkeit der Gläubigen dort gestiftet hatte.
In ähnlicher Weise siedelte sich in Pannonien
die iranische Religion in den festen Städten an,
welche staffeUormig längs der Donau lagen, in
Cusum, Intercisa, Aquincum, Brigetio, Camuntum,
Vindobona und selbst in den Marktflecken des Inneren.
Sie war namentlich mächtig in den Hauptstädten
dieser Doppelprovinz, in Aquincum und in Camimtum,
und bei dem einen wie dem anderen Orte lassen
sich die Gründe für ihre bevorzugte Stellung ziemlich
leicht wiedererkennen. Der erstgenannte, wo man im
dritten Jahrhundert die Mysterien in mindestens fünf
über sein ganzes Gebiet hin verteilten Tempeln
feierte, war dcis Hauptquartier der legio II adiutrtx,
welche im Jahre 70 von Vespasian zur Unterstützung
der Seeleute der Flotte von Ravenna gebildet worden
war. Unter diesen in die Cadres der Armee ein-
gereihten Freigelassenen befand sich ein erheblicher
Bruchteil von Asiaten, und vermutlich hat der
Mithriacismus von Anfang an in dieser irregulären
Legion Anhänger gehabt. Als sie um das Jahr
120 it. Chr. von Hadrian nach Nieder-Pannonien ver-
legt wurde, brachte sie ohne Zweifel diesen orien-
talischen Kult dorthin, dem sie bis zu Ende treu ge-
blieben zu sein scheint. Die legio I adiutrix^ welche
auf ähnliche Weise entstanden war, hat wahrscheinlich
ebenso den fruchtbaren Samen in Brigetio aus-
gestreut, als ihr Lager unter Trajan dorthin versetzt
wurde.
3*
- 36 -
Mit noch größerer Genauigkeit können wir an-
geben, wie der persische Gott nach Camuntum kam.
Im Jahre 71 oder 72 n. Chr. ließ Vespasian diese
wichtige strategische Position durch die legio XV
Apollinaris wieder besetzen, welche seit acht oder
neun Jahren im Orient kämpfte. Im Jahre 63 an
den Euphrat gesandt, um das Heer zu verstärken,
welches Corbulo gegen die Parther führte, hatte sie
von 67 bis 70 an der Unterdrückimg der jüdischen
Erhebung teilgenommen und dann Titus nach
Alexandrien begleitet. Während dieser blutigen
Klriege waren die Lücken ihres Effektivbestandes
imzweifelhaft durch in Asien vorgenonunene Aus-
hebungen ergänzt. Diese Rekruten, welche wahr-
scheinlich großenteils aus Kappadocien stammten,
opferten, als sie mit den alten Mannschaften zusammen
an die Donau versetzt waren, dort zuerst dem
iranischen Gotte, der bislang nördlich der Alpen un-
bekannt war. Man hat in Carmmtiun eine Weih-
inschrift an Mithra geftmden, welche von einem
Soldaten der ApoUinarischen Legion herrührt, der
den charakteristischen Namen Barbarus trägt. Die
ersten Anbeter des Sol invictus widmeten ihm am
Ufer des Flusses eine halbkreisförmige Grotte, welche
im dritten Jahrhimdert durch die Munificenz eines
römischen Ritters aus ihren Trümmern wiedererstehen
sollte, imd deren hohes Alter sich in ihrer ganz
eigenartigen Anlage bekundet Als Trajan etwa
vierzig Jahre nach ihrer Heimkehr in das Abendland
die fiinfzehnte Legion von neuem an den Euphrat
schickte, hatte der persische Kultus in der Hauptstadt
Ober-Pannoniens schon tiefe Wurzeln geschlagen.
Nicht nur die vierzehnte Legion gemina Marttat
— 37 —
welche die nach Asien zurückgekehrte dauernd er-
setzte, sondern auch die zehnte und die dreizehnte
gemtnüy von denen anscheinend gewisse Abteilungen
der erstgenannten beigegeben waren, empfanden die
Anziehungskraft der Mysterien und zählten Ein-
geweihte in ihren Reihen. Bald genügte der erste
Tempel nicht mehr, imd man baute einen zweiten,
welcher — eine bedeutsame Tatsache — an den des
Jupiter Dolichenus von Kommagene stieß. Als sich
neben dem Lager in derselben Zeit, als die Be-
kehrungen sich häuften, eine Municipalstadt ent-
wickelte, wurde ein drittes Mithraeum erbaut —
wahrscheinlich im Anfange des 2. Jahrhimderts — ,
dessen Dimensionen die aller bisher entdeckten
ähnlichen Gebäude übertreffen. Allerdings wurde es
von Diocletian und den Fürsten, welche er sich in
der Regierung zugesellt hatte, vergrößert, als sie 307
eine Konferenz in Camuntum abhielten. Sie wollten
auf diese Weise ein öffentliches Zeugnis ihrer Ver-
ehrung für Mithra in dieser heiligen Stadt ablegen,
die wahrscheinlich unter allen des Nordens die ältesten
Heiligtümer der mazdäischen Sekte imischloß.
Dieser befestigte Platz, der wichtigste der
ganzen Gegend, scheint auch das religiöse Zentrum
gewesen zu sein, von dem aus der fi^emde Kult sich
in die lunliegenden Ortschaften verbreitete. Stix-
Neusiedl, wo er sicher seit der Mitte des 2. Jahr-
hunderts gepflegt wurde, war nur ein zu der mächtigen
Stadt gehöriger Marktflecken. Aber der Tempel
von Scarbantia, weiter südlich, wurde wenigstens
ausgeschmückt von einem decurio coloniae Carnuntu
Im Osten hat das Gebiet von Aequinoctiimi eine
Weihinschrift Petrae genetrici geliefert, und in Vindo-
- 38 -
bona (Wien) hatten die Soldaten der zehnten Legion,
jedenfalls von denen des benachbarten Lagers, die
Mysterien feiern gelernt. Bis nach Afrika hin findet
man die Spuren des Einflusses wieder, welchen die
große pannonische Stadt auf die Entwicklung des
Mithriacismus ausgeübt hat
Einige Stunden von Wien entfernt, nachdem wir
die Grenze von Noricum überschritten haben, finden
wir den Flecken Commagenae, der seinen Namen
wahrscheinlich dem Umstände verdankt, daß eine ala
Commagenorum dort ihre Quartiere hatte. Es ist
daher nicht zu verwundem, daß man dort ein Bas-
relief des stiertötenden Gottes zu Tage gefördert hat
Doch scheint in dieser Provinz, und ebenso in Rhätien,
das Heer keine aktive Rolle bei der Ausbreitung
der asiatischen Religion gespielt zu haben, wie dies
in Pannonien der Fall war. Eine späte Inschrift
eines speculator legionis I Noricorum ist die einzige
aus diesen Ländern, welche einen Soldaten erwähnt,
und im allgemeinen sind die Denkmäler der Mysterien
im Tale der oberen Donau, wo die Truppen kon-
zentriert waren, sehr spärlich gesät Sie mehren
sich erst auf dem anderen Abhänge der Alpen, und
die Inschriften der letztgenannten Gegend gestatten
es nicht, ihnen einen militärischen Urspnmg zuzu-
schreiben.
Dagegen ist in den beiden Germanien die er-
staunliche Verbreitung, welche der Mithriacismus ge-
wann, jedenfalls auf Rechnung der mächtigen Heeres-
körper zu setzen, welche ein stets bedrohtes Gebiet
verteidigten. Man hat hier die Weihinschrift eines
Centurio geftmden, welche Soli invicto Mitkrae ima
das Jahr 148 n. Chr. gewidmet ist, imd es ist wahr-
— 39 —
scheinlich, daß dieser Gott um die Mitte des zweiten
Jahrhunderts bereits eine Anzahl Bekehrungen in den
römischen Garnisonen bewirkt hatte. Alle Regi-
menter scheinen von der Ansteckung berührt zusein:
die legio VIII August a, XXII Primigenia und
XXX Ulpia, die Kohorten xmd Schwadronen der
Hülfstruppen wie die Elitetruppen aus fireiwiHig^
Bürgern. Bei einer so allgemeinen Verbreitung läßt:
sich kaum ausmachen, von welcher Seite her der
Fremdkult sich in das Land eingeschlichen hat In-
dessen kann man annehmen, ohne eine Täuschimg
befürchten zu müssen, daß er — abgesehen vielleicht
von bestimmten Pimkten — nicht immittelbar aus
dem Orient übertragen, sondern durch die Ver-*
mittelimg der Donaugamisonen eingeführt worden
ist, und wenn man seinen Ausgangspunkt absolut
näher bestimmen wollte, so könnte man nicht ohne
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die achte Legion,
welche im Jahre 70 n. Chr. aus Mösien nach Ober-
germanien verlegt wurde, hier zuerst eine Religion
ausgeübt hat, welche in ihrer neuen Heimat schnell
vorherrschend werden sollte.
Deutschland ist in der Tat dasjenige Land, in
welchem man die größte Zahl von Mithraeen zu Tage»
gefordert hat: es hat uns die hinsichtlich ihrer
Dimensionen gewaltigsten xmd hinsichtlich ihr^" Dar-
stellungen vollständigsten Basreliefs geliefert, und
jedenfalls hat keine andere heidnische Gottheit hier
zahlreichere imd eifrigere Anbeter gefunden als
Mithra. Die Agri Decmnates, die Militärgr^nze des
Reiches, imd namentlich die vorgeschobenen Posten
zwischen dem Maintal xmd dem Bollwerk des limes
smd axißerordentlich fruchtbar an Entdeckungen vou
— 40 —
höchstem Interesse gewesen. Im Norden von Frank-
furt, bei dem Dorfe Heddemheun, der alten civitas
Taunensium, hat man nachemander drei wichtige
Tempel ausgegfraben, drei andere fanden sich in
Friedberg in Hessen und zwei weitere noch wurden
in der umliegenden Gegend freigelegt. Anderseits
begegnet man längs des Rheines, von Äugst (Raurica)
bei Basel bis nach Xanten (Vetera), in Straßburg,
Mainz, Neuwied, Bonn, Köhi und Dormagen, einer
Reihe von Monumenten, welche beweisen, wie der
neue Glaube, gleich einer Epidemie nach und nach
weiter um sich gfreifend, sich bis in die Mitte der
barbarischen Stämme der Ubier xmd der Bataver
verbreitet hat.
Der Einfluß des Mithriacismus auf die an der
Rheingfrenze aufgehäuften Truppen ist auch an seinem
Vordringen in das Innere von Gallien zu ermessen.
Ein Soldat der achten Legion weiht deo Invicto einen
Altar zu Genf, welches an der Militärstraße lag, die
von Germanien zum Mittelmeer führte, imd andere
Spuren des orientalischen Kultes hat man in der
heutigen Schweiz und dem französischen Jura gefunden.
In Saarburg {Pons Saravt), am Ausgange des Vogesen-
passes, durch welchen Straßburg mit den Becken der
Mosel und der Seine in Verbindimg stand und noch
heutigen Tages steht, hat man kürzlich ein spelaeum
aus dem dritten Jahrhundert ausgegfraben. Ein
anderes, dessen Hauptbasrelief, in den lebendigen Fels
gehauen, sich noch bis in unsere Tage erhalten hat,
befand sich in Schwarzerden zwischen Metz und Mainz.
Man könnte sich darüber wundem, daß die große
Stadt Trier, die gewöhnliche Residenz der militärischen
Befehlshaber, nur einige Reste von Inschriften imd
— 41 —
Statuen geliefert hat, wenn die bedeutende Rolle
dieser Stadt unter den Nachfolgern Constantins nicht
das nahezu vollständige Verschwinden der heidnischen
Denkmäler zur Genüge erklärte. Endlich sind im
Maastale, unfern der Straße, welche Köln mit Bavay
{Bagacum) verband, merkwürdige Spuren der Mysterien
wiedererkannt worden.
Von Bavay führte diese Straße westlich nach
Boulogne {Gesortacum)^ dem Anlegehafen der classis
Britannica. Die beiden jedenfalls an Ort imd Stelle
ausgeführten Dadophorenstatuen, welche dort ge-
funden sind, waren dem Gotte ohne Zweifel von irgend
einem fremden Seemann oder Offizier der Flotte
dargebracht Dieser wichtige Hafenplatz mußte in
täglichem Verkehr mit der gegenüberliegenden großen
Insel und namentlich mit London stehen, welches
seit dieser Zeit von zahlreichen Schiffen angelaufen
wurde. Die Existenz eines Mithraeums in der wich-
tigsten kommerziellen xmd militärischen Niederlassung
Britanniens kann für uns nichts Überraschendes haben.
Im allgemeinen blieb der iranische Kult in keinem
anderen Lande so entschieden auf die festen Plätze
beschränkt als in diesem. Abgesehen von York
[Eburacum\ wo sich das Hauptquartier der Provinzial-
truppen befand, hat er sich nur im Westen des
Landes ausgebreitet, in Caerleon {Isca) imd in Chester
{Devä), wo Lager errichtet waren, um die gallischen
Völkerschaften der Silures und der Ordovices im
Zaum zu halten, sodann in seinem äußersten Norden,
längs des vallum Hadriani, der das Gebiet des
Kaiserreiches gegen die Einfälle der Pikten imd der
Kaledonier schützte. Alle „Stationen" dieses Grenz-
walles scheinen ihren mithrischen Tempel gehabt
— 42 —
zu haben, in welchem der Kommandant des Platzes
{prae/ectus) seinen Untergebenen das Beispiel der
Devotion gab. Es ist somit evident, daß der asiatische
Gott im Gefolge der Heere bis in diese nördlichen
Gegenden gelangt ist, aber man kann weder fest-/
stellen, in welchem Moment, noch mit welchen Truppen
er hier ankam. Man hat jedoch Anlaß zu glauben,
daß er seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts hier
verehrt wurde, und daß Germanien als Brücke ge-
dient hat zwischen dem fernen Orient
Et penitus toto divisos orbe Britannos.
Am anderen Ende der römischen Welt wurden
die Mysterien in gleicher Weise von den Soldaten
gefeiert. Sie hatten Anhänger in der IQ. Legion,
welche in Lambaesis lag, imd in den Posten, welche
die Engpässe des Aurasius bewachten oder den Rand
der Sahara bezeichneten. Doch scheinen sie im
Süden des Mittelmeeres nicht so populär gewesen
zu sein als in den Ländern des Nordens, imd ihre
Verbreitung zeigt dort einen besonderen Charakter.
Ihre Denkmäler, fast sämtUch aus später Zeit, stammen
weit öfter von Offizieren oder wenigstens von Centu-
rionen, unter denen viele fremder Herkunft waren, als
von den einfachen Soldaten, welche nahezu aus-
schließlich in demselben Lande ausgehoben wurden,
welches sie zu verteidigen hatten. Die Legionare
Numidiens sind ihren einheimischen, punischen oder
berberischen, Gottheiten treu geblieben xmd haben
nur selten den Glauben der Kameraden angenommen,
mit denen das Waffenhandwerk sie zusammenführte.
Die persische Religion ist daher in Afrika, wie es
scheint, vorzugsweise von denen ausgeübt worden,
welche der Militärdienst aus dem Auslande dorthin
— 43 —
gerufen hatte, iind die Kollegien der Gläubigen
setzten sich in der Hauptsache wenn nicht aus Asiaten,
so doch wenigstens aus Rekruten zusammen, welche
aus den Donauprovinzen dorthin gebracht waren.
In Spanien endlich, dem Lande des Occidents,
welches am ärmsten an mithrischen Monumenten ist,
zeigt sich der Zusammenhang zwischen ihrem Auf-
treten imd der Lage der Garnisonen nicht minder
deutlich. Auf der ganzen Fläche dieser mächtigen
Halbinsel, auf der sich so viele volkreiche Städte
zusammendrängten, fehlen sie fast gänzlich, selbst in
den namhaftesten städtischen Zentren. Erst seit
kurzem kann man in der Hauptstadt Lusitaniens und
in der von Tarraconensis, in Emerita und Tarragona,
ein Stückchen Inschrift nachweisen. Aber in den
wilden Tälern Asturiens imd Galiciens hatte der
iranische Gott einen organisierten Kultus. Man wird
diese Tatsache sofort mit dem längeren Aufenthalt
einer Legion in dieser lange Zeit unbotmäßigen
Gegend in Verbindimg bringen. Vielleicht umfaßten
die Konventikel der Eingeweihten auch Veteranen
der spanischen Kohorten, welche als Anhänger des
mazdäischen Glaubens in ihre Heimat zurückgekehrt
waren, nachdem sie bei den Hülfstruppen am Rhein
und an der Donau gedient hatten.
Aber die Armee hat nicht nur insofern dazu bei-
getragen, die orientalischen Kulte zu verbreiten, als
sie Leute aus allen Weltgegenden, Bürger wie
Fremde, in Reihe und Glied zusammenführte, als sie
die Offiziere, die Centurionen oder selbst ganze
Truppenteile imaufhörlich aus einer Provinz in die
andere versetzte, wie es die wechselnden Bedürfhisse
des Augenblicks erforderten, imd so zwischen allen
— 44 —
Grenzen ein Netz von dauernden Verkehrsbeziehung-en
spann. Wenn die Soldaten ihren Abschied erhalten
hatten, so fuhren sie im Ruhestand fort die Gebräuche
zu beobachten, an welche sie sich unter der Fahne
gewöhnt hatten, und fanden bald Nacheiferer in ihrer
Umgebung. Oft ließen sie sich in der Nähe ihrer
letzten Garnison nieder, in jenen Munizipien, welche
allmählich die Buden der Marketender neben den
Lagern ersetzt hatten. Bisweilen verlegten sie ihren
Wohnsitz auch in irgend eine große Stadt der Gegend,
in welcher sie gedient hatten, lun dort mit alten
Wafifenbrüdem den Rest ihrer Tage zu verbringen:
Lyon beherbergte in seinen Mauern immer eine statt-
liche Anzahl solcher alter Legionare aus Germanien,
und die einzige mithrische Inschrift, welche London
uns geliefert hat, nennt als ihren Autor einen emeritus
der britannischen Truppen. Auch kam es vor, daß
der Kaiser diese entlassenen Soldaten in ein Terri-
torium sandte, welches er ihnen anwies, um dort eine
Kolonie zu gründen. Elusa in Aquitanien hat die
asiatische Religion vielleicht durch die Veteranen
vom Rhein kennen gelernt, welche Septimius Severus
dort ansiedelte. Oft bewahrten die Rekruten, welche
die Militärbehörde an die äußersten Enden des Reiches
versetzte, im Herzen die Liebe zu ihrem Geburts-
lande, zu welchem sie stets Beziehungen unterhalten
hatten; aber wenn sie, nach zwanzig oder fünfund-
zwanzig Jahren voller Wachtdienst imd Kämpfe frei-
gelassen, in ihr Vaterland zurückkehrten, dann zog-en
sie den Göttern ihrer Heimat oder ihres Stammes
den fremden Schirmherm vor, welchen sie ein Zelt-
genosse in der Feme nach geheimnisvollen Riten
anzubeten gelehrt hatte.
— 45 —
Doch ist die Verbreitung des Mithriacismus in
den Städten xind Gauen der frovinciae inermes
in der Hauptsache anderen Faktoren zuzuschreiben
als dem Heere. Durch seine fortschreitenden Er-
oberungen in Asien hatte Rom zahlreiche semitische
Völkerschaften seiner Herrschaft unterworfen. Seit
die Begründung des Kaiserreiches den Weltfrieden
gesichert und den xmgestörten Betrieb des Handels
garantiert hatte, sah man, wie diese Neulinge ver-
möge der besonderen Eigenschaften ihrer Rasse
allmählich den Handel der Levante in ihren Händen
konzentrierten. Wie ehedem die Phönizier und
Karthager, bevölkerten nun die S3nrer mit ihren
Kolonien sämtliche Häfen des Mittelmeeres. In der
hellenischen Zeit hatten sie sich in großer Zahl in
den Handelszentren Griechenlands, namentlich auf
Delos festgesetzt. Eine Anzahl dieser Kaufleute
siedelte jetzt in die Nachbarschaft Roms, nach Puteoli
und nach Ostia über. Sie scheinen in allen See-
städten des Occidents Geschäfte gemacht zu haben.
Man findet sie in Italien in Ravenna, in Aquileia,
in Tergeste; in Salonae in Dalmatien und bis nach
Malaga in Spanien. Ihre kaufmännische Tätigkeit
lockte sie selbst weit in das Innere der Länder hinein,
sobald sich ihnen nur irgendwo die Aussicht bot,
einen Profit zu machen. Im Donautal drangen sie
bis nach Sarmizegetusa und Apuliun in Dacien, bis
nach Sirmium in Pannonien vor. In Gallien war
diese orientalische Bevölkerung besonders dicht; sie
kamen auf der Gironde nach Bordeaux und gingen
die Rhone bis nach Lyon hinauf. Als sie die Ufer
dieses Flusses besetzt hatten, ergossen sie sich über
die ganze Mitte der Provinz, und Trier, die große
— 46 -
Hauptstadt des Nordens, zog sie massenhaft an. Sie
erfüllten wirklich, wie es der heilige Hieronymus
schildert, die ganze römische Welt Die Einfalle
der Barbaren waren nicht dazu imstande, ihren
Unternehmungsgeist zu dämpfen. Unter den Mero-
wingem sprachen sie noch ihr semitisches Idiom in
Orleans. Um ihre Auswanderung zu hemmen, mußten
erst die Sarazenen die Schiffahrt auf dem Mittelmeer
vernichtet haben.
Die Syrer zeichneten sich zu allen Zeiten durch
ihren glühenden Eifer aus. Kein Volk, selbst das
ägyptische nicht, verteidigte mit solcher Hartnäckig-
keit seine Idole gegen die Christen. So war denn
auch ihre erste Sorge, wenn sie eine Kolonie gründeten,
ihre nationalen Kulte zu organisieren, und das Mutter-
land bewilligte ihnen bisweilen Subventionen, um
sie in der Erfüllung dieser frommen Pflicht zu unter-
stützen. Auf diese Weise sind die Gottheiten von
Heliopolis, von Damaskus und selbst von Palmyra
zuerst in Italien eingedrungen.
Das Wort Syrus hatte im gewöhnlichen Sprach-
gebrauch einen sehr unbestinunten Sinn. Dieses
Wort, eine Abkürzung von Assyrus, wurde oft mit
dem letzteren verwechselt imd diente zur allgemeinen
Bezeichnung sämtlicher semitischen Völkerschaften,
welche vormals den Königen von Ninive gehorchten,
bis zum Euphrat und selbst darüber hinaus. Es um-
faßte somit auch die Anhänger des Mithra, welche
in dem Tale dieses Stromes wohnten, und je weiter
Rom seine Eroberungen nach dieser Seite hin aus-
dehnte, um so zahlreicher mußten sie unter den
„Syrern" werden, die sich in den lateinischen Städten
niederließen.
— 47 —
Indessen waren die Kaufleute, welche Comptoire
im Abendlande gründeten, der Mehrzahl nach Ver-
ehrer der semitischen Baale, und die, welche Mithra
anriefen, im allgemeinen Asiaten von geringerem
Stande. Die ersten Tempel, welche der Gott im
Westen des Reiches besaß, wurden jedenfals haupt-
sächlich von Sklaven besucht. In den Provinzen
des Orients vorzüglich versahen sich die mangones
mit ihrer Menschenware. Aus dem Inneren Klein-
asiens brachten sie Herden von Leibeigenen nach
Rom, welche sie von den großen Grundeigentümern
in Kappadocien und Pontus gekauft hatten, und diese
importierte Bevölkerung bildete schließlich, um mit
einem Alten zu reden, gleichsam besondere Städte
in der Hauptstadt. Aber der Sklavenhandel genügte
nicht für den wachsenden Verbrauch des entvölkerten
Italiens. Neben ihm war der Krieg der große
Menschenlieferant. Wenn man sieht, daß Titus in
dem einen jüdischen Feldzuge 97000 Juden zu Sklaven
macht, so erschrickt man bei der Vorstellung, welche
Massen von Gefangenen die unaufhörlichen Kämpfe
mit den Parthem xmd besonders die Eroberungen
Trajans auf die Märkte des Occidents werfen mußten.
Haufenweis nach dem Siege verteilt oder einzeln
von den Händlern erworben, waren diese Sklaven
vor allem in den Seestädten zahlreich vorhanden, bis
zu denen ihr Transport wenig Kosten verursachte.
Hier haben sie, mit den S3rrischen Kaufleuten wett-
eifernd, die orientalischen Kulte xmd besonders den
des Mithra eingeführt. Wir finden ihn daher in einer
ganzen Reihe von Mittelmeerhäfen angesiedelt. Oben^)
I) Vgl. s. 24.
- 48 -
haben wir bereits seine Anwesenheit im phönizischen
Sidon und im ägyptischen Alexandrien erwähnt
Wenn in Italien Puteoli und seine Umgebung, mit
Einschluß Neapels, verhältnismäßig wenig Denkmäler
der Mysterien geliefert haben, so ist dies dadurch
zu erklären, daß jene Stadt seit dem zweiten Jahr-
hundert nicht mehr der große Stapelplatz war, auf
dem sich Rom mit den Erzeugnissen der Levante
versorgte. Die tyrische Kolonie von Puteoli, ehe-
mals reich und mächtig, beklagt im Jahre 172, daß
sie auf eine kleine Anzahl von Mitgliedern zusammen-
geschmolzen sei. Seit Claudius und Trajan gewaltige
Arbeiten in Ostia ausgeführt hatten, erbte diese Stadt
den Wohlstand ihrer kampanischen Nebenbuhlerin.
Auch alle asiatischen Religionen hatten dort bald
ihre Kapellen xmd ihre Bruderschaften von Gläubigen,
aber keine von ihnen erfreute sich einer so auf-
fallenden Beliebtheit wie die des iranischen Gottes.
Seit dem zweiten Jahrhimdert wurden ihm wenigstens
vier oder fünf spelaea geweiht; eins von ihnen,
spätestens im Jahre 162 erbaut xmd mit den Thermen
des Antoninus in Verbindung stehend, lag an dem
Orte selbst, wo die überseeischen Schiffe landeten,
und ein anderes stieß an das Metroon, das Heiüg-
tum, in welchem der offizielle Kult der Magna Mater
zelebriert wurde. Im Süden war der kleine Markt-
flecken Antium (Porto d'Anzio) dem Beispiel seiner
mächtigen Nachbarin gefolgt, und in Etrurien hatten
Rusellae (Grosseto) und Pisae ebenfalls der mazdäischen
Gottheit eine freundliche Aufaahme bereitet
Im Osten Italiens ragt Aquileia durch die Zahl
seiner mithrischen Inschriften hervor. War es doch,
wie heute Triest, der Markt, auf dem die Donau-
— 49 —
Provinzen ihre Erzeugnisse gegen die des Südens
austauschten. Pola, an der Südspitze Istriens, die
Inseln Arba und Brattia und die Stapelplätze der
dalmatischen Küste, Senia, lader, Salonae, Narona,
Epidaurum bis nach Dyrrhachium in Macedonien,
haben mehr oder weniger zahlreiche und bestimmte
Spuren des Einflusses des unbesiegbaren Gottes be-
wahrt und bezeichnen gleichsam den Weg, welchen
dieser eingeschlagen hat, um nach der Handels-
metropole des adriatischen Meeres zu gelangen.
Auch im westlichen Mittelmeerbecken lassen sich
seine Fortschritte verfolgen. In Sicilien sind Syrakus
und Palermo, längs der afrikanischen Küste Karthago,
Rusicade,Icosium, Caesarea, an der gegenüberliegenden
Küste Spaniens Malaga und Tarragona abwechselnd
Zeugen davon gewesen, wie sich in der gemischten
Bevölkenmg, welche das Meer dorthin geführt hatte,
Genossenschaften von Mithriasten bildeten, und weiter
nördlich, am Golf du Lion, hatte die stolze römische
Kolonie Narbonne sich nicht exklusiver gezeigt.
In Gallien namentlich ist die von uns konstatierte
Beziehung zwischen der Ausdehnung der Mysterien
und der des orientalischen Handels auffallig. Beide
konzentrieren sich hauptsächlich zwischen den Alpen
und den Cevennen oder, um einen noch präziseren
Ausdruck zu wählen, im Becken der Rhone, deren
Lauf einen Eingangsweg von hervorragender Be-
deutung repräsentierte. Sextantio, in der Nähe von
Montpellier, und Aix in der Provence haben uns
das Epitaph eines pater sacrorum und eine — vielleicht
mithrische — Darstellung der Sonne auf ihrer
Quadriga geliefert. Femer finden wir, den Fluß auf-
wärts verfolgend, in Arles eine Statue des in den
Camont, Mithrasmysterieo. 4
— 50 —
Mysterien verehrten löwenköpfigen Kronos, in Bourg*
Saint-And6ol bei Mont^limar eine Darstellung des
stiertötenden Gottes, welche in der Nähe einer Quelle
in den lebendigen Fels gehauen ist; in Vaison, nicht
weit von Orange, eine Weihinschrift, die bei Gre-
legenheit einer Initiation verfaßt ist; in Vienne ein
spelaeum, aus welchem neben anderen Monumenten
ein bis jetzt in seiner Art einziges Basrelief stammt.
In Lyon endlich, dessen Beziehimgen zu Kleinasien
durch die Greschichte des Christentums hinlänglich
bekannt sind, war der Erfolg des persischen Kultes
sicherlich bedeutend. Im Oberlande ist seine An-
wesenheit einerseits in Genf, anderseits in Besan9on
und Mandeure am Doubs zu konstatieren. Eine un-
unterbrochene Reihe von Heiligtümern, welche
zweifellos in bestandigem Verkehr miteinander
standen, verband so die Ufer des Binnenmeeres mit
den Gefilden Germaniens.
Von den blühenden Städten des Rhönetals aus-
gehend, schlich sich der fremde Kult sogar bis tief in
die Berge der Dauphin^, Savoyens und Bugeys
hinein. Labätie bei Gap, Lucey unweit von Belley
und Vieu-en-Val-Romey haben uns Inschriften, Tempel
imd Statuen aufbewahrt, die von seinen Anhängern
geweiht wurden. Wie gesagt, beschränkten sich die
orientalischen Kaufleute nicht darauf, Faktoreien in
den See- oder Flußhäfen zu begründen. Die Hoffnung
auf ein lukrativeres Geschäft zerstreute sie in die
Städte des Inneren, wo die Konkurrenz weniger stark
war. Die Verbreitung der asiatischen Sklaven war
noch ausgedehnter: kaum ausgeschifft, wurden sie
durch den Zufall der Auktion in alle möglichen
Richtungen versprengt, und wir finden sie in den
— 51 —
verschiedensten Gegenden und bei den verschiedensten
Beschäftigungen wieder.
In Italien, dem Lande des Großgrundbesitzes,
dem Lande, das mit alten Städten übersäet war,
dienten sie bald dazu, die Sklavenheere zu vergrößern,
welche die Domänen der römischen Aristokratie be-
bauten, und dann wurden sie bisweilen als Verwalter
{actor, vtllicus) die Herren derjenigen, deren elendes
Los sie anfangs geteilt hatten; bald wurden sie von
irgend einem Munizipium angekauft und führten als
servt publtci die Befehle der Magistrate aus oder
traten in die Bureaux der Verwaltung eim Man
stellt sich schwer vor, mit welcher reißenden Schnellig-
keit die orientalischen Religionen auf diese Weise
m Gegenden vorzudringen vermochten, welche sie dem
Anschein nach niemals hätten erreichen sollen. Eine
Doppelinschrift von Nersae, im Herzen der Apenninen,
berichtet uns, daß im Jahre 172 unserer Zeitrechnimg
ein Sklave, der Rentmeister der Stadt, dort ein
verfallenes Mithraeum restauriert hat. In Venusia
wird eine griechische Weihinschrift 'HXitu Mi0p()t von
dem Sachwalter irgend eines reichen Bürgers ge-
widmet, und sein Name, Sagaris, verrät zugleich seine
Stellung als Sklave und seine asiatische Herkunft.
Man könnte diese Beispiele vervielfachen. Es leidet
keinen Zweifel, daß diese obskuren Diener des fremden
Grottes den wirksamsten Beitrag zur Verbreitung der
Mysterien nicht nur innerhalb der Bannmeile Roms
oder in den großen Städten allein, sondern in ganz
Italien von Kalabrien bis zu den Alpen geliefert
haben. Man findet den iranischen Kult gleichzeitig
gepflegt in Grumentum, im Innern Lukaniens; dann,
wie bereits gesagt, in Venusia in Apulien und in
4*
— 52 —
Nersae im Äquerlande, wie in Aveia in dem der
Vestiner; femer in Umbrien längs der Via Flaminia,
in Interamna^ in Spoleto, wo man ein mit Gemälden
geschmücktes spelaeum besuchen kann, und in
Sentinimi, wo man ein Verzeichnis der Patrone eines
Kollegiums von Mithriasten zu Tage gefordert hat;
ebenso folgte er in Etrurien der Via Cassia imd ließ
sich in Sutrium, in Volsinii (Bolsena) nieder, viel-
leicht auch in Arretium und in Florenz. Minder
deutlich imd nicht so bezeichnend sind seine Spuren
im Norden der Apenninen. Sie treten sowohl in der
Emilia nur sporadisch auf, wo lediglich die Territorien
von Bologna imd Modena einige interessante Reste
aufbewahrt haben, wie in dem fruchtbaren Tale des
Po. Hier scheint Mailand, dessen schnelles Aufblühen
in der Kaiserzeit bekannt ist, der einzige Ort ge-
wesen zu sein, wo sich die ausländische Religion
großer Gunst und offizieller Protektion erfreute.
Einige Bruchstücke von Inschriften, welche man in
Tortona, Industria imd Novaria ausgegraben hat, liefern
keinen ausreichenden Beweis dafür, daß sie in dem
übrigen Teile des Landes weit verbreitet gewesen
wäre.
Es ist gewiß bemerkenswert, daß wir in den
wilden Schluchten der Alpen eine reichere Ausbeute
zu verzeichnen haben als in den üppigen Gefilden
Oberitaliens. In Introbbio im Val Sassina, im Osten
des Comersees, im Val Camonica, welches der Oglio
durchfließt, sind dem unbesiegbaren Gotte Altäre
geweiht. Aber die ihm geheiligten Monumente sind
zahlreich vor allem längs der Etsch und ihrer Zu-
flüsse, in der Nähe des großen Commimicationsweges,
der im Altertum wie in unserer Zeit über den Brenner-
— 53 —
paß oder durch das Pustertal lief und den gegen-
überliegenden Abhang hinab nach Rätien oder
Noricum führte: in Trient, ein bei einem Wasserfall
errichtetes Mithraeum; in der Nähe von San-Zeno,
Basreliefs, die in einer felsigen Schlucht gefunden
wurden; inCastello diTuenno, Fragmente vonExvotos,
die auf beiden Seiten bearbeitet sind; an den Ufern
der Eisack, eine Weihinschrift an Mithra und die
Sonne, und endlich in Mauls, die berühmte skulpierte
Platte, welche im i6. Jahrhxmdert entdeckt wurde
und sich jetzt im Wiener Museum befindet.
Die Fortschritte des Mithriacismus machten in
dieser Gebirgsgegend an den Grenzen Italiens nicht
Halt Wenn wir, unsem Weg durch das Tal der
Drau weiter verfolgend, die Spuren aufsuchen, welche
er dort hinterlassen hat, so finden wir sie sofort in
Teumia und namentlich in Virunum wieder, der be-
deutendsten Stadt Noricums, in welcher im 3. Jahr-
hundert mindestens zwei Tempel den Geweihten ihre
Pforten öffneten. Ein dritter war nicht weit von
dort in einer Grotte mitten im Walde hergerichtet
worden.
Die religiöse Metropole dieser römischen Kolonie
war zweifellos Aquileia*), dessen bedeutende Gemeinde
jene ganze Gegend beeinflußte. Die Städte, welche
sich längs der Routen entwickelten, die von diesem
Hafen quer durch Pannonien nach den Donaufestungen
führten, waren fast ausnahmslos dem fremden Gotte
gastfreimdlich: Emona, Latobici, Naeviodimum und
hauptsächlich Siscia an der Sau; weiter nach Norden
empfingen ihn Atrans, Celeia, Poetovio mit gleicher
I) Vgl. oben S. 48 f.
— 54 —
Gtmst So wurden seine Anhänger, welche sich von
den Ufern des adriatischen Meeres einerseits nach
Mösien oder andererseits nach Camuntum begaben,
in allen ihren Reisequartieren von Glaubensgenossen
bewillkommnet
Wenn in diesen Gegenden, ebenso wie südlich
der Alpen, die orientalischen Sklaven dem Mithra
als Missionare gedient haben, so waren doch die
Verhältnisse, unter denen sich ihre Propaganda voll-
zog, einigermaßen andere. Sie haben sich in dieser
Gegend kaimi, wie auf den latifundia und in den
Städten Italiens, als ländliche Arbeiter oder Verwalter
reicher Grundbesitzer oder als Munizipalbeamte ver-
breitet. Die Entvölkerung war hier nicht so weit
vorgeschritten, wie in den alten Kulturländern, und
um die Felder zu bebauen oder die Polizei in den
Städten auszuüben brauchte man nicht auf fremde
Arbeitskräfte zu greifen. Nicht die Privatleute oder
die Kommunen, sondern der Staat ist hier der große
Menschenimporteur gewesen. Die Prokuratoren,
fiskalische Beamte, Verwalter der kaiserlichen
Domänen oder, wie in Noricimi, wirkliche Gouver-
neure, hatten unter sich eine Menge von Steuer-
erhebem, Rentmeistem, Angestellten aller Art, welche
über ihren Bezirk verstreut waren, und diese Sub-
altembeamten waren im allgemeinen nicht von freier
Geburt. Ebenso verwandten die großen Unternehmer,*
welche den Ertrag der Bergwerke und Steinbrüche
oder die Zolleinnahmen pachteten, in ihren Betrieben
ein zahlreiches Personal imfreien Standes oder un-
freier Geburt, welches sie von auswärts einführten.
Leute dieser Art, Beauftragte des Kaisers oder der
Publicani, welche er sich substituierte, sind es, deren
— 55 —
Titel uns am häufigsten in den mithrischen Inschriften
des südlichen Pannoniens und Noricums begegnen.
In allen Provinzen haben die untergeordneten
Beamten der kaiserlichen Verwaltung bei der Aus-
breitung der Fremdkulte eine bedeutende Rolle ge-
spielt Ebenso wie diese im Solde der Zentralgewalt
stehenden Männer die Repräsentanten der politischen
Einheit des Reiches waren im Gegensatz zum provin-
zialen Partikularismus, so waren sie auch die Apostel
der Universalreligionen gegenüber den Lokalkulten.
Sie bildeten gleichsam eine zweite, dem Befehl des
Herrschers imterstehende Armee, und ihr Einfluß auf
die Entwicklung des Paganismus ist dem der ersten
analog gewesen. Wie die Soldaten rekrutierten sie
sich zum größten Teil aus den asiatischen Ländern;
wie jene wechselten sie beständig ihren Aufenthalts-
ort nach Maßgabe ihres Aufrückens in höhere
Chargen, und die Bestände ihrer Bureaux enthielten,
wie die der Legionen, Individuen jeder Nationalität
So hat die Verwaltung mit ihren Schreibern
und ihren Rechnungsführern die Kenntnis der
Mysterien von einem Bezirk zimi andern weiterge-
tragen. Eine charakteristische Tatsache: im kappa-
docischen Caesarea bringt ein vermutlich eingeborener
Sklave, arcarius dispensatoris Augu^ti, .in sehr gutem
Latein dem Mithra ein Bild der Sonne dar. Im
Inneren Dalmatiens, wo die Denkmäler des persischen
Gottes ziemlich spärlich sind, weil diese Provinz
frühzeitig von Legionen entblößt wurde, haben
dennoch fiskalische, Post- und Zollbeamte ihre Namen
auf einigen Weihinschriften hinterlassen. In den
Grenzprovinzen vor allem mußten die Finanzbeamten
der Cäsaren zahlreich sein, nicht nur um die Ein-
- 56 -
fuhrzölle auf die verschiedenen Waren einzuziehen,
sondern weil die drückendste Ausgabe der kaiser-
lichen Kassen in den Unterhaltungskosten der Truppen
bestand. Es ist daher natürlich, daß man dispensa-
toresy exactoreSi procuratores und andere entsprechende
Titel in den mithrischen Texten Daciens und Afrikas
erwähnt findet.
Hier haben wir also einen zweiten Weg, auf
welchem der iranische Gott in die Ortschaften bei
den Lagern einzudringen vermochte, wo er, wie wir
sahen, von den orientalischen Soldaten verehrt wurde.
Im allgemeinen erforderte die Organisation der Ver-
waltung imd die Bedienimg der Offiziere die Ver-
schickung von öffentlichen und Privatsklaven nach
allen Garnisonen, während gleichzeitig die sich stets
erneuernden Bedürfnisse dieser zusammengehäuften
Massen die Geschäftsleute von allen Seiten her dort-
hin zogen. Anderseits siedelten sich, wie bereits
gesagt, die Veteranen häufig in den Häfen und in
den Großstädten an, wo mit ihnen wieder die Sklaven
und die Kaufleute zusammentrafen. Wenn man nun
behauptet, daß Mithra auf die eine oder die andere
Weise in diese oder jene Gegend gekommen sei, so
kann diese Verallgemeinerung offenbar keinen An-
spruch auf absolute Genauigkeit erheben. Die kon-
kurrierenden Ursachen der Ausbreitung dieser Myste-
rien mischen sich und fließen zusammen, imd es
würde vergebliche Mühe sein, wollte man ihr wirres
Geflecht in seine einzelnen Fäden aufzulösen ver-
suchen. Einzig und allein — wie es nur zu oft der
Fall ist — auf Inschriften unbestimmten Datums an-
gewiesen, in denen neben dem Namen des Gottes
lediglich der eines Mysten oder eines Priesters fig^-
— 57 —
riert, sind wir nicht in der Lage, in jedem einzelnen
Falle die Umstände angeben zu können, welche der
neuen Religion forderlich gewesen sind. Die vor-
übergehenden Einflüsse entziehen sich imserer Be-
obachtung beinahe ganz. Hat bei dem Regierungs-
antritt Vespasians der läng-ere Aufenthalt syrischer
Truppen in Italien, die eifrige Verehrer der Sonne
waren, irgendeine dauernde Wirkung ausgeübt? Hat
die von Alexander Severus nach Germanien geführte
Armee, die nach Lampridius^) potentissima per Arme-
mos et Osrhoenos et Parthos war, der mithrischen
Propaganda an den Ufern des Rheins einen neuen
Aufschwimg gegeben? Hat keiner jener hohen
Beamten, welche Rom Jahr für Jahr an die Euphrat-
grenze sandte, den Glauben seiner Untergebenen an-
genommen? Schifften sich nicht kappadocische und
pontische Priester, z. B. die der syrischen Göttin,
nach dem Occident ein, in der Hoffnung dort von
der Leichtgläubigkeit der Menge zu leben? Schon
unter der Republik trieben sich die chaldäischen
Astrologen auf den Hauptstraßen Italiens umher,
und zur Zeit Juvencds verkauften die Wahrsager aus
Konmiagene und Armenien in Rom ihre Orakel-
sprüche. Diese nebensächlichen Hülfsmittel wie alle,
welche der Verbreitung der orientalischen Religionen
im allgemeinen forderlich gewesen sind, können auch
dem Mithrakult zu gute gekommen sein. Aber die
wirksamsten Faktoren seiner Verbreitung sind un-
streitig die Soldaten, die Sklaven imd die Kaufleute
gewesen. Abgesehen von den detaillierten Belegen,
welche wir beigebracht haben, würde das Auftreten
l) Lamprid., Alex, Sev, c. 6l; cf. Capitol., Maximin, c. II.
- 58 -
seiner Denkmäler in den militärischen und Handels-
plätzen, in den Gegenden, wohin sich der breite
Strom der asiatischen Auswanderung ergoß, genügen
imi dies zu beweisen.
Ihr Fehlen an anderen Orten zeigt es ebenso
deutlich. Warum findet man in Asien, in Bithynien,
in Galatien, in den Nachbarprovinzen solcher, wo
sie seit Jahrhunderten gefeiert wurden, keine Spur
der persischen Mysterien? Weil die Produktion
dieser Länder ihren Verbrauch überstieg, weil der
Außenhandel dort in den Händen der griechischen
Rheder war, weil sie Menschen exportierten, statt
sie von auswärts einzuführen, und weil seit Vespasian
wenigstens keine Legion mehr damit betraut war,
sie zu verteidigen oder im Zaume zu halten. Grriechen-
land war gegen die Invasion der fremden Grottheiten
gefeit durch seinen nationalen Stolz, jenen Kultus
seiner ruhmreichen Vergangenheit, der in ihm imter
dem Kaiserreich den bezeichnendsten Grundzug des
öffentlichen Lebens bildet. Überdies nahm ihm die
Abwesenheit von Soldaten oder ausländischen Sklaven
sogar die Gelegenheit, sich selbst untreu zu werden.
Endlich fehlen die mithrischen Monumente fast ganz
im Zentrum imd dem Westen Galliens, auf der
spanischen Halbinsel, im Süden Brittanniens; und
selten sind sie sogar im Inneren Dalmatiens. Hier
forderte bisher weder eine ständige Besatzung die
Überführung von Asiaten, noch vermochte irgend ein
internationaler Handelsplatz solche anzuziehen.
Mehr als irgend eine Provinz ist dagegen die
Stadt Rom reich an Entdeckungen aller Art gewesen.
In der Tat fand Mithra nirgends sonst in demselben
Maße alle Bedingimgen vereint, welche seinen Erfolg
— 59 —
beg^ünstigten: Rom besaß eine bedeutende Garnison
aus Soldaten gebildet, welche man aus allen Teilei
des Reiches zusammengezogen hatte, imd wenn si<
die honesta missio erhalten hatten, so siedelten siel
die Veteranen hier in großer Zahl an. Eine üppig«
Aristokratie residierte hier, und ihre Paläste, wi<
die des Kaisers, bevölkerten Tausende von orienta
lischen Sklaven. Hier war der Sitz der Zentral
Verwaltung, und Sklaven derselben Art füllten ihr<
Bureaux. Endlich stömten alle diejenigen, welch<
die Lust an Abenteuern oder das Elend dazu trieb
ihr Glück in der Feme zu suchen, in dieser „Welt
herberge" zusammen und führten hier ihre Sittei
imd Kulte ein. Gelegentlich mag auch die An
Wesenheit asiatischer Duodezfürsten, welche al;
Geiseln oder Flüchtlinge mit ihrer Familie und ihren
Gefolge in Rom lebten, der mazdäischen Propagand<
forderlich gewesen sein.
Wie die meisten fremden Götter hatte Mithri
seine ersten Tempel ohne Zweifel außerhalb de;
fomoerium. Viele seiner Denkmäler sind jenseit
dieser Grenzlinie gefunden worden, namentlich in de
Nähe des Campus Praetorianus; aber noch vor den
Jahre i8i n. Chr. hatte er die heilige Schranke durch
brochen und sich im Herzen der Stadt festgesetzt
Leider ist es nicht möglich, ihm auf seinem Weg<
durch die riesenhafte Metropole Schritt für Schrit
zu folgen. Die datierten imd ihrer Herkunft nacl
unzweifelhaft bekannten Beweisstücke sind zu selten
als daß man den Versuch wagen dürfte, die Lokal
geschichte der persischen Religion in der Hauptstad
zu rekonstruieren. Wir können lediglich im all
gemeinen feststellen, daß sie hier zu hohem Glanz<
— 6o —
emporgestiegen ist. Ihre angesehene Stellung wird
bezeugt durch etwa hundert Inschriften, mehr als
funfundsiebenzig plastische Bruchstücke und eine
Reihe von Tempeln imd Kapellen, die über alle
Quartiere und das Weichbild der Stadt zerstreut
sind. Das berühmteste dieser spelaea ist mit Recht
dasjenige, welches noch in der Renaissancezeit in
einer Grrotte des Kapitols existierte, und aus dem
das gegenwärtig in Louvre befindliche große Bas-
relief Borghese stammt. Es scheint bis auf das
Ende des 2. Jahrhunderts zurückzugehen.
In dieser Zeit ist Mithra aus dem Halbdimkel
hervorgetreten, in dem er bislang gelebt hatte, um
einer der beliebtesten Götter der Aristokratie und
des Hofes zu werden. Wir haben gesehen, wie er
aus dem Orient kam als die verächtliche Gottheit
von Asiaten, welche nach Europa ausgewandert oder
— noch öfter — transportiert waren. Es ist un-
zweifelhaft, daß er seine ersten Eroberungen in den
unteren Schichten der Bevölkerung gemacht hat,
imd — eine wichtige Tatsache — der Mithriacismus
ist lange Zeit hindurch die Religion der niederen
Stände geblieben. Die ältesten Inschriften bezeugen
es in beredter Weise, denn sie rühren ohne Ausnahme
von Sklaven oder ehemaligen Sklaven, von Soldaten
oder ehemaligen Soldaten her. Aber es ist bekaimt,
welche hohen Stellimgen die Freigelassenen zur
Kaiserzeit erstreben konnten, und die Söhne der
Veteranen oder der Centurionen wurden oft wohl-
habende Bürger. So mußte die Religion, nachdem
sie einmal auf lateinischen Boden verpflanzt war,
vermöge einer ganz natürlichen Entwicklung wachsen
an Reichtum und an Macht, und bald zählte sie zu
— 6i —
ihren Anhängern in Rom einflußreiche Beamte, in
den Municipien Augiistcden imd Decurionen. Unter
den Antoninen begannen die Literaten imd die
Philosophen sich für die Dogmen imd Riten dieses
originellen Kultes zu interessieren. Lucian parodiert
geistreich seine Bräuche^), und im Jahre 177 stellt
Celsus ohne Zweifel in seinem Wahren Wort seine
Lehren denen des Christentimis gegenüber.^ Um die-
selbe Zeit widmete ein gewisser Pallas ihm ein be-
sonderes Werk, und Porphyrius zitiert einen Eubulus,
welcher „Mithrische Untersuchungen" in mehreren
Büchern (ifiv irepi toO Mi0pa icTiopiav iv ttoXXoTc ßißXioic)
veröffentlicht hatte. ^ Wenn diese Schriften nicht un-
wiederbringlich verloren gegangen wären, so würden
sie ims jedenfalls immer wieder von Truppen er-
zählen, die — Offiziere wie Soldaten — zu dem
Glauben der Erbfeinde des Reiches übergingen, und
von vornehmen Herren, welche durch die Diener
ihres Hauses bekehrt wurden. Die Denkmäler er-
wähnen oft die Namen von Sklaven neben denen von
Freien; und bisweilen sind es jene, welche den höch-
sten Grad unter den Eingeweihten bekleiden. In
diesen Bruderschaften wurden die Letzten oft die
Ersten und die Ersten die Letzten, wenigstens dem
Anschein nach.
Ein bedeutsames Resultat ergibt sich aus allen
unseren Einzelimtersuchungen; daß die Ausbreitung
der persischen Mysterien sich mit einer ganz außer-
1) Luc. Mentpp,, c. 6 ss. Cf. £>eor, concil.y c. 9; Jup. Trag,
c. 8, 13 (T, et M. t. n, p. 22).
2) Origen., Contr, Cels, I, 9 (T. et M,, t. II, p. 30).
3) Porphyr., De Antr, Nymph., c. $; De Abstm. U, 56; IV, 16
(cf. T. et M, t. n, p. 39 SS. und I, p. 26 ss.).
— 62 —
ordentlichen Schnelligkeit vollzogen haben muß.
Sie treten fast gleichzeitig in den entferntesten
Gegenden auf: in Rom, in Camimtimi an der Donau,
in den Ag^ Decumates. Man könnte von einem
Pulverstreifen sprechen, der plötzlich aufBammt
Dieser reformierte Mazdaismus hat offenbar eine ge-
waltige Anziehung auf die Gesellschaft des zweiten
Jahrhunderts ausgeübt, deren Ursachen wir heute
nur noch imvoUkommen zu erkennen vermögen.
Aber zu diesem eigenen Zauber, welcher die
Massen vor dem stiertötenden Gott niederknieen ließ,
gesellte sich noch ein äußerst wirksames Moment
äußerlicher Art: die kaiserliche Huld. Lampridius^)
berichtet uns, daß Commodus sich einweihen ließ und
an den blutigen Zeremonien der Liturgie teilnahm;
und die Inschriften beweisen, daß die Sympathie des
Monarchen für die Priester des Mithra eine imgeheure
Wirkung hatte. Von diesem Zeitpimkt an sieht man
die höchsten Würdenträger des Reiches dem Bei-
spiel des Souveräns folgen und eifrige Anhänger
des iranischen Kultes werden. Tribunen, Präfekten,
Legaten, später perfectissimi und clarissimt werden
häufig als Urheber der Dedikationen genannt, und
bis zum völligen Ende des Heidentums blieb die
Aristokratie der Sonnengottheit treu, welche lange
Zeit die Gunst der Fürsten genossen hatte. Um aber
die Politik der letzteren und die Motiye ihres Wohl-
wollens verständlich zu machen, müssen wir die
mithrischen Lehren von der obersten Gewalt imd ihre
Beziehungen zu den theokratischen Ansprüchen der
Cäsaren darstellen.
i) Lampr., Commod., c. 9 (T. et M, t. II, p. 21). Cf. unten
Kap. m, S. 65.
DRITTES KAPITEL.
MITHRA UND DIE KAISERLICHE GEWALT,
Dank der relativ späten Zeit ihrer Ausbreitung
entgingen die Mysterien des Mithra den Verfolgungen,
welche die bereits früher in Rom eingedrungenen
orientalischen Kulte und namentlich der Isiskult zu
erleiden hatten. Vielleicht beriefen sich einige von
den Astrologen oder „Chaldäem", welche imter den
ersten Kaisem zu verschiedenen Malen aus Italien
vertrieben wurden, auf den persischen Gott, aber diese
vagabundierenden Wahrsager, die trotz ebenso ohn«
mächtiger als strenger Senatsbeschlüsse immer wieder
in der Hauptstadt erschienen, bildeten weder einen
Klerus, noch verkündigten sie eine Religion. Als
sich gegen das Ende des ersten Jahrhimderts der
Mithriacismus im Abendlande ausbreitete, begann die
mißtrauische Zurückhaltung oder selbst offene Feind-
schaft, welche lange Zeit hindurch für die römische
Politik gegen die ausländischen Priester bezeichnend
gewesen war, einer wohlwollenden Toleranz, wenn
nicht einer erklärten Gimst zu weichen. Schon Nero
hatte die Absicht gehegt, sich von den Magiern,
welche der König Tiridates von Armenien ihm zu«
geführt hatte, in die Ceremonien des Mazdaismus ein«
weihen zu lassen, und dieser hatte in seiner Person
eine Emanation des Mithra angebetet
- 64 -
Leider haben wir keine direkten Berichte über
die rechtliche Stellung der Associationen der cultores
Solls invicti Mithrae. Kein Text meldet uns, ob die
Existenz dieser Bruderschaften ganz zuerst einfach
geduldet wurde, oder ob sie infolge staatlicher An-
erkennung von Anfang an das Recht des Besitzes
und der Selbstverwaltung erhalten hatten. Jedenfalls
ist nicht anzunehmen, daß eine Religion, welche
stets zahlreiche Anhänger in der Verwaltung und
der Armee besaß, von dem Herrscher lange in un-
geordneten Verhältnissen belassen worden ist Viel-
leicht konstituierten sich diese Associationen, um auf
gesetzlichem Boden zu bleiben, als Begräbnisgenossen-
schaften (collegta funer attcid) und partizipierten so an
den solchen Korporationen bewilligten Privilegien.
Wie es scheint, haben sie jedoch zu einem noch
wirksameren Mittel gegriffen. Sobald wir das Vor-
handensein des persischen Kultes in Itcdien feststellen
können, finden wir ihn eng verbunden mit dem der
Großen Mutter von Pessinus, welcher von dem
römischen Volke drei Jahrhimderte früher feierlich
angenommen war. Obendrein wurde der blutige
Brauch das Tauroboliiuns, der imter dem Einflüsse
mazdäischer Glaubensvorstellungen in die Liturgie
der phrygischen Göttin eingedrungen war, vermutlich
seit der Zeit Marc Aureis durch die Bewillignng
bürgerlicher Freiheiten befördert^) Doch wissen wir
nicht mehr, ob diese Union der beiden Gottheiten
durch eine Entscheidung des Senats oder des
Herrschers sanktioniert worden war. In diesem Falle
würde der fremde Gott sofort das Bürgerrecht in
I) et unten Kap. VT.
- 65 -
Italien erlangt haben und in demselben Sinne römisch
geworden sein wie Cybele oder die Bellona von
Comana. Aber selbst wenn eine förmliche Ent-
scheidimg der öffentlichen Gewalten nicht ergangen
sein sollte, so ist doch die Annahme durchaus be-
rechtigt, daß Mithra wie Attis, der ihm assimiliert
worden war, der Magna mater zugesellt wurde und
in irgend einer Weise aus der offiziellen Protektion
Vorteil zog, deren sich diese erfreute. Indessen
scheint sein Klerus keine regelmäßige Dotation aus
oJBFentlichen Mitteln erhalten zu haben, wennschon
der Fiskus oder die Mimizipalkassen ihm ausnahms-
weise gewisse Unterstützungen gewährt haben mögen.
Am Ende des zweiten Jahrhimderts verwandelte
sich die mehr oder weniger zurückhaltende Freund-
lichkeit, welche die Cäsaren den iranischen Mysterien
gegenüber gezeigt hatten, mit einem Schlage in
eine nachdrückliche Unterstützung. Commodus ließ
sich in die Schar ihrer Adepten aufnehmen und
nahm an ihren geheimen Zeremonien teil, und die
Auffindung zahlreicher Weihinschriften, welche dem
Heil dieses Fürsten gewidmet sind oder aus seiner
Regierungszeit stammen, läßt uns ahnen, welchen
Aufschwung diese kaiserliche Bekehrung der mithri-
schen Propaganda gegeben hat. Nachdem der letzte
der Antonine in dieser Weise mit den cdten Vor-
urteilen gebrochen hatte, scheint die Gunst seiner
Nachfolger der neuen Religion endgültig sicher
gewesen zu sein. Seit den ersten Jcihren des 3. Jahr-
hunderts hatte sie einen Kaplan im Palast der
Auguste, und man sah ihre Gläubigen Votivgaben
und Opfer darbringen zu Gunsten der Severer imd
später des Philippus. Aurelian, welcher den offiziellen
Cumont, Mithrasmysterien. 5
— 66 —
Kultus des Sol inmctus einführte, konnte einer Gott-
heit, die als identisch mit der betrachtet wurde,
welche er durch seine Pontifices verehren ließ, nur
Sympathie entgegenbringen. Im Jahre 307 weihten
Diokletian, Galerius und Licinius gelegentlich ihrer
Begegnung in Camuntum aufgnmd gemeinsamen
Übereinkommens dem Mithra fautori imperii sui
einen Tempel, und der letzte Heide, der auf dem
Throne der Cäsaren gesessen hat, Julian Apostata, war
ein glühender Verehrer dieses göttlichen Schirmherm,
den er in Konstantinopel schleunigst anbeten ließ.
Eine solche sich stets gleichbleibende Begünsti-
gung durch Monarchen, welche in ihrer Gesinmmg
und ihren Tendenzen so verschieden waren, kann
nicht aus vorübergehenden Anwandlungen oder in-
dividuellem Geschmack erklärt werden. Sie muß
tiefere Gründe gehabt haben. Wenn die Herren
des Reiches zwei Jahrhunderte hindurch eine solche
Vorliebe für diese fremde Religion zeigten, obwohl
sie unter Feinden geboren war, welche die Römer
fortgesetzt bekämpften, so ließen sie sich dabei
offenbar von irgend einer Staatsräson leiten. Und
in der Tat fanden sie in ihren Lehren eine Stütze
für ihre persönliche Politik und einen Anhalt für die
autokratischen Ansprüche, deren Geltendmachung sie
sich angelegen sein ließen.
Man kennt die langsame Entwicklimg, welche
im Laufe der Zeit den Prinzipat, wie ihn Augustus
begründet hatte, in eine Monarchie von Gottes Gnaden
umwandelte. Der Kaiser, dessen Autorität in der
Theorie dem Volke entstammte, war anfänglich nur
der erste Magistrat Roms. In dieser Eigenschaft allein,
als Erbe der Tribunen und des obersten Pontifex,
- 67 -
war er unverletzlich und mit dem Charakter der
Heiligkeit bekleidet. Aber gerade wie seine Macht,
die anfangs gesetzlich beschränkt war, in Folge
wiederholter Übergriffe schließlich in den Absolutismus
ausmündete, ebenso wurde der Herrscher vermöge
paralleler Entwicklung aus dem Beauftragten des
Volkes ein Repräsentant Gottes auf Erden, selbst
Grott {dominus et deus). Bald nach der Schlacht
bei Actiimi machte sich eine Bewegimg bemerkbar,
welche in absolutem Gegensatze zu der demo-
kratischen Fiktion des Cäsarismus stand: die asia-
tischen Städte beeilten sich Augnstus Tempel zu
errichten und ihm einen Kult zu widmen. Bei diesen
Völkerschaften waren die monarchischen Erinnerungen
lebendig geblieben. Sie verstanden nichts von den
subtilen Distinktionen, mit denen man sich in Italien
zu täuschen versuchte. Für sie war der Herrscher
immer ein König (ßaciXeuc) und ein Gott (Oeöc).
Die Metamorphose der kaiserlichen Gewalt bedeutet
den Triimiph des orientalischen Geistes über den
romischen Genius und den der religiösen Idee über
den juristischen Begriff.
Mehrere Historiker haben die Organisation dieses
Kaiserkultes im einzelnen untersucht imd seine
politische Bedeutung dargelegt. Aber vielleicht
hat man nicht ebenso klar gesehen bezüglich der
theologischen Grundlage, auf welcher er beruht Es
genügt nicht, einfach zu konstatieren, daß die Fürsten
in einer gewissen Zeit nicht nur nach ihrem Tode gött-
liche Ehren empfingen, sondern sich diese auch schon
während ihrer Regierung zuerkennen ließen. Viel-
mehr ist zu erklären, wie sich diese Vergötterung einer
lebenden Persönlichkeit, eine neue Art der Apotheose,
5*
— 68 —
welche ebensosehr der gesunden Vernunft wie der
römischen Überlieferung widerspricht, doch schließlich
fast allgemein durchgesetzt hat. Der beharrliche
Widerstand der öffentlichen Meinung wurde über-
wunden, als die Religionen Asiens die Massen er-
obert hatten. Sie verbreiteten unter ihnen Lehren,
welche darauf abzielten, den Monarchen über die
gewöhnliche Menschheit zu erheben; und wenn sie
sich die Gunst der Cäsaren und besonders derjenigen
von ihnen erwarben, welche nach absoluter Macht-
vollkommenheit strebten, so war dies eine Folge
davon, daß sie eine dogmatische Rechtfertigung für
ihren Despotismus erbrachten. An die Stelle des
alten Prinzips der Volkssouveränität trat ein theologi-
sierender Glaube an übernatürliche Einflüsse. Wir
werden zu zeigen versuchen, welche Rolle der
Mithriacismus bei dieser fundamentalen Umwälzung
gespielt hat, über welche uns die geschichtlichen
Quellen, die uns zu Gebote stehen, nur imvollkommen
unterrichten.
Manche Erscheinungen könnten zu der irrtümlichen
Annahme verleiten, daß die Römer alle diese Ideen
aus Ägypten entlehnt hätten. Dieses Land, dessen
Institutionen in so vielfacher Hinsicht für die
administrativen Reformen des Kaiserreichs von Be-
deutung gewesen sind, konnte ihm auch das vollendete
Vorbild einer theokratischen Regierung liefern. Nach
den alten Glaubensvorstellungen Ägyptens stammte
nicht nur das Königsgeschlecht von dem Sonnen-Rä.
ab, sondern war auch die Seele jedes Herrschers
eine abgestoßene Verdoppelung des Sormen-Horus.
Alle Pharaonen waren daher aufeinanderfolgende
Inkarnationen des Tagesgestims. Sie waren nicht
- 69 -
bloß Repräsentanten der Gottheit, sondern lebendige
Götter, verehrt gleich dem, der die Himmel durch-
eilt, und ihre Insignien waren den seinigen ähnlich.
Als die Achämeniden imd später die Ptolemäer
die Herren des Niltales geworden waren, erbten sie
die Huldigungen, welche man den alten Königen
zugebilligt hatte, imd es ist imzweifelhaft, daß Augustus
und seine Nachfolger, welche alle religiösen Bräuche
des Landes wie seine politische Verfassimg mit
peinlicher Sorgfalt respektierten, sich dort von ihren
Untertanen den Charakter beilegen ließen, welche
eine mehr als dreitausendjährige Überlieferung den
Potentaten Ägyptens zuerkannte.
Von Alexandrien aus, wo sogar die Griechen
ihn annahmen, verbreitete sich dieser theokratische
Glaube weit über das Reich. Die Priester der Isis
waren in Italien seine erfolgreichen Missionare. Die
Proselyten, welche sie in den höchsten IClassen der
Gesellschaft machten, mußten von ihm durchdrungen
werden. Die Kaiser, deren geheimem oder ein-
gestandenem Ehrgeiz diese Predigt schmeichelte, er-
mutigten sie bald offen. Wenn aber auch ihre Politik
aus der Verbreitung der ägyptischen Lehren Nutzen
ziehen konnte, so brachten sie es doch nicht fertig,
diesen in Bausch imd Bogen Geltung zu verschaffen.
Seit dem ersten Jahrhimdert ließen sie sich von ihrer
Dienerschaft und ihrer Kanzlei, die zur Hälfte aus
Orientalen bestanden, deus noster nennen; aber sie
wagten damals nicht, diesen Namen in ihre offizielle
Titulatur aufzimehmen. Von dieser Zeit an konnten
gewisse Cäsaren, ein Caligula, ein Nero, davon
träumen, daß sie auf der Bühne der Welt dieselbe
Rolle spielten wie die Ptolemäer in ihrem König-
— 70 —
reich; sie konnten sich einbilden, daß die ver-
schiedensten Götter in ihren Personen wiederauf-
lebten, aber alle aufgeklärten Römer waren über
solche Extravaganzen entrüstet Der lateinische
Geist empörte sich gegen die von der orientalischen
Phantasie geschaffene imgeheuerliche Fiktion. Die
Apotheose eines regierenden Fürsten stieß selbst
noch viel später unter den letzten Heiden auf ent-
schiedene Gegner. Um sie allgemein annehmbar
zu machen, bedurfte es einer minder plumpen Theorie
als der der alexandrinischen Epiphanie. Die mithrische
Religion war es, welche sie darbot.
Die Perser warfen sich gleich den Ägyptern
vor ihren Herrschern zur Erde nieder, aber sie be-
trachteten sie dennoch nicht als Götter. Wenn man
dem „Dämon" des Königs einen Kult widmete, wie
in Rom dem gentus Caesaris, so verehrte man auf
diese Weise nur das göttliche Element, welches
in jedem Menschen vorhanden ist imd einen Teil
seiner Seele bildet. Die Majestät der Monarchen
war lediglich deshalb eine geheiligte, weil sie ihnen
von Ahura-Mazda verliehen wurde, dessen Wille sie
auf den Thron berufen hatte. Sie regierten durch
die Gnade des Schöpfers Himmels und der Erde.
Die Iranier stellten sich diese Gnade vor wie eine
Art übernatürlichen Feuers, leuchtender Aureole,
„Glorie", welche vor allem den Göttern eigen war,
aber auch die Fürsten umglänzte und ihre Macht
heiligte. Das Hvarend, wie sein Name im Avesta
lautet, erleuchtet die legitimen Herrscher und weicht
von Usurpatoren als Gottlosen, die bald mit seinem
Besitz Klrone und Leben verlieren. Denjenigen da-
gegen, welche es zu empfangen und zu behalten
— 71 —
verdienen, sind immerwährendes Glück, imermeßlicher
Ruhm imd der Sieg über alle ihre Feinde beschieden.
Diese den Persem durchaus eigentümliche Vor-
stellung hatte kein Äquivalent in den übrigen Mytho-
logieen, und die fremdenVölker stellten die mazdäische
Glorie in wenig zutreffender Weise dem Glücke
gleich: die Semiten identifizierten sie mit ihrem Gad%
die Griechen übersetzten ihren Namen mit Tuxri. Die
verschiedenen Dynastieen, welche nach dem Sturze
der Achämeniden ihren Stammbaum bis auf ein
Glied des alten Regentenhauses zurückzuführen
suchten, weihten natürlich dieser besonderen Tyche,
deren Protektion sowohl die Konsequenz als der
Beweis ihrer Legitimität war, einen Kult Man sah,
wie das Hvarenö zugleich und aus denselben Gründen
von den Königen von Kappadocien imd Pontus wie
von denen von Baktriana verehrt wurde, und die
Seleuciden, welche lange Iran beherrschten, wurden
ebenfalls als die Schützlinge der von dem höchsten
Gott gesandten Fortuna betrachtet In seiner Grab-
schrift scheint sich Antiochus von Kommagene selbst
mit der Göttin zu identifizieren. Die mazdäischen
Ideen über die monarchische Gewalt verbreiteten
sich so im westlichen Asien zu derselben Zeit wie
der Mithriacismus. Aber gleich diesem hatten sie
sich mit semitischen Lehren verflochten. Der Glaube,
daß das Schicksal die Krone gibt und nimmt, zeigte
sich schon bei den Achämeniden. Nim wird aber
nach den Chaldäem das Geschick notwendig be-
stimmt durch die Revolution der Sternhimmel, imd
I) Vgl. über diesen Gott Baethgen, Beiträge zur sem. Reügions-
geschickte I., S. 76— 8o.
— 72 —
der strahlende Himmelskörper, welcher seme Begleiter
zu regieren scheint, wurde als königliches Gestirn
par exellence aufgefaßt So wurde die imbesiegbare
Sonne f HXioc dviKiiTOc), mitMithra identifiziert, während
der alexandrinischen Periode allgemein als Spenderin
des Hvarend betrachtet, welches den Sieg verleiht.
Der Monarch, auf welchen diese göttliche Gnade
sich niederließ, war damit über die Sterblichen
erhoben und wurde von seinen Untertanen als Genosse
der Unsterblichen verehrt
Nach dem Verschwinden der asiatischen Reiche
übertrug sich die Verehrung, deren Gegenstand ihre
Dynastieen gewesen waren, auf die römischen Kaiser.
Die Orientalen begrüßten in ihnen ohne weiteres
die Auserwählten der Gottheit, denen die Fortuna
der Könige die Allgewalt verliehen hatte. Je mehr
sich die syrischen Religionen imd namentlich die
Mithrasmysterien in Rom verbreiteten, um so zahl-
reichere Verteidiger fand die mehr oder weniger
semitisch gefärbte alte mazdäische Theorie in der
offiziellen Welt Anfangs wagte sie sich nur schüchtern
hervor, dann dokumentierte sie sich immer deutlicher
in den heiligen Institutionen imd der kaiserlichen
Titulatur, deren Bedeutung nur mit ihrer Hülfe zu
verstehen ist
Seit der Zeit der Republik verehrte man zu
Rom unter verschiedenen Namen die „Fortima des
römischen Volkes". Dieser alte nationale Kult ver-
band sich frühzeitig mit den Glaubensvorstellungen
des Orients, in dem nicht nur jedes Land, sondern
jede Stadt ihr deifiziertes Schicksal anbetete. Wenn
Plutarch uns berichtet, daß Tyche die Assyrer und
die Perser verlassen habe, um Ägypten und Syrien
— 73 —
zu durchwandern und sich auf dem Palatin nieder-
zulassen, so ist diese Metapher noch in einem anderen
Sinne wahr als in dem, welchen man darin gefunden
hat Auch den Kaisem gelang es leicht, nach dem
Vorbilde ihrer asiatischen Vorgänger neben der
Anbetung jener Göttin des Staates auch die Ver-
ehnmg derjenigen einzuführen, welche über ihre
eigene Person wachte. Die Fortuna Augusti er-
scheint seit Vespasian auf den Münzen, imd ebenso
wie früher die Untertanen der Diadochen schwören
nun die der Cäsaren bei der Fortuna des Fürsten.
Die abergläubische Devotion der letzteren für ihre
Schutzherrin war so gfoß, daß sie wenigstens im
zweiten Jahrhundert beständig, selbst während des
Schlafes und auf Reisen, eine goldene Statuette der
Gottin bei sich führten, welche sie sterbend ihrem
Nachfolger übergaben imd unter dem Namen Fortuna
regtat einer Übersetzimg von Tuxri ßaciXeiüC, anriefen.
In der Tat sind sie, sobald diese Schützerin sie verläßt,
dem Tode oder Unglücksfällen imd Schicksalsschlägen
preisgegeben; solange sie jene behalten, kennen sie
nur Glück und Erfolg.
Seit der Regierung des Commodus, von welcher
an der Triumph der orientalischen Kulte und be-
sonders der Mithrasmysterien datiert, führen die
Kaiser offiziell die Titel pius, felix^ tnvictust die seit
dem 3. Jahrhimdert einen regelmäßigen Bestandteil
der amtlichen Titulatur bilden. Diese Epitheta sind
bedingt durch den eigenartigen Fatalismus, welchen
Rom dem Orient entliehen hatte. Der Monarch ist
„fromm", denn seine Frömmigkeit allein kann ihm
die besondere Gunst erhalten, welche der Himmel
ihm zu teil werden läßt; er ist „glücklich" in dem.
— 74 —
was er beginnt (euxuxric). eben weil er von der
göttlichen Gnade erleuchtet wird; endlich ist er „un-
besiegb2ir", denn die Niederlage der Feinde des
Reiches ist der glänzendste Beweis dafür, daß diese
schirmende Gnade nicht aufhört ihn zu begleiten.
Die legitime Autorität wird nicht durch Erbfolge
oder durch ein Votum des Senates verliehen, sondern
durch die Götter, imd sie offenbart sich durch den Sieg.
Alles dies ist den alten mazdäischen An-
schauungen konform, imd der Gebrauch des letzten
Adjektivs verrät außerdem die Einwirkimg der astro-
logischen Theorieen, welche sich mit dem Parsismus
verschmolzen hatten. Invtctus, dviKTixoc ist, wie wir
gesehen haben, der gewöhnliche Beiname der aus
dem Orient eingeführten Gestimgötter und vor aUem
der Sonne. Die Kaiser haben diese Bezeichnung
offenbar gewählt, um sich mit der himmlischen Gott-
heit in Verbindung zu bringen, deren Vorstellung
jene sofort hervorrief. Die Lehre, daß das Los der
Staaten wie das der Individuen an den Lauf der
Gestirne geknüpft sei, hatte als Korollarium die
andere nach sich gezogen, daß der Beherrscher der
Planeten auch über die Fortuna der Könige gebiete.
Er war es, der diese auf den Thron erhob oder von
ihm herabstürzte, der ihnen ihre Siege verbürgte
oder sie mit Schicksalsschlägen heimsuchte. Sol
wird als der Begleiter (comes) . des Kaisers imd als
sein persönlicher Beschützer (conservator) betrachtet
Wir haben gesehen, daß Diokletian in Mithra den
fautor imperii sui verehrte.
Indem sich die Cäsaren den Beinamen „der
Unbesiegbare** gaben, bekundeten sie sonach den
innigen Bund, welchen sie mit der Sonne geschlossen
— 75 —
hatten, und strebten darnach, sich ihr zu assimilieren.
Aus demselben Gnmde haben sie das noch über-
schwänglichere Epitheton „der Ewige" angenommen,
welches, schon seit längerer Zeit im gewöhnlichen
Verkehr gang und gäbe, im 3. Jahrhimdert auch ein
Bestandteil des offiziellen Formulars wurde. Dieser
Beiname wird, wie der erste, namentlich von den
Sonnengottheiten des Orients gefuhrt, deren Kultus
sich im Anfange unserer Zeitrechnimg nach Italien
verbreitete. Auf die Herrscher angewandt, verrät
er noch deutlicher als der vorhergehende die Über-
zeugxmg, daß sie aufgrund ihrer engen Gemeinschaft
mit Sol durch eine Art Wesensidentität mit ihm
verbunden seien.
Diese Überzeugimg offenbarte sich auch in den
Sitten des Hofes. Das himmlische Feuer, welches
ewig in den Gestirnen leuchtet, die immer wieder
über die Finsternis triumphieren, wurde symbolisch
dargestellt durch das nie erlöschende Feuer, welches
im Palast der Cäsaren brannte und bei den offiziellen
Zeremonien vor ihnen hergetragen wurde. Dieser
beständig flammende Herd war schon für die Perser-
konige das Sinnbild der Ewigkeit ihrer Herrscher-
gewalt und ging samt den mystischen Ideen, welche
er zum Ausdruck brachte, auf die Diadochen, dann
auf die Römer über. Ebenso ist die Strahlenkrone,
welche die Kaiser seit Nero nach dem Vorbilde
der Seleuciden imd der Ptolemäer zum Zeichen ihrer
Souveränität erwählten*), ein Beweis für diese politisch-
religiösen Tendenzen. Ein Symbol des Glanzes der
Sonne und der Strahlen, welche sie aussendet, schien
I) Vgl. oben S. 23, Fig. i.
- 76 -
sie den Monarchen dem Gotte gleichzustellen, dessen
Licht unsere Augen blendet.
In welche heilige Beziehung setzte man die
str2ihlende Scheibe, welche den Himmel erleuchtet,
zu dem menschlichen Bildnis, welches sie auf Erden
repräsentiert? Der loyale Eifer der Orientalen kannte
kein Maß in seinen Apotheosen. Die Sassaniden-
könige nannten sich, wie ehemals die Pharaonen,
„Brüder der Sonne imd des Mondes", imd die Cäsaren
wurden beinahe in derselben Weise in Asien als
successive Verkörperungen des Helios betrachtet
Manche Selbstherrscher billigten die Gleichstellung
ihrer Person mit dieser Gottheit und ließen sich
Statuen errichten, welche sie mit ihren Attributen
geschmückt darstellten. Sie ließen sich sogar als
Emanationen des Mithra anbeten. Aber diese un-
sinnigen Ansprüche wurden von dem nüchternen
Verstände der lateinischen Völker zurückgewiesen.
Wie wir bereits angedeutet haben, vermeidet man
im Abendlande derartige absolute Behauptungen.
Man gefallt sich in Metaphern; man liebt es, den
Herrscher, der die bewohnte Welt regiert, und dem
nichts entgehen kann, was sich ereignet, mit der
himmlischen Leuchte zu vergleichen, welche das
Universum erhellt und seine Geschicke bestimmt.
Man gebraucht vorzugsweise vage Ausdrücke, welche
alle möglichen Auslegungen zulassen. Man erkennt
an, daß der Fürst mit den Unsterblichen durch irgend
ein verwandtschaftliches Verhältnis verknüpft ist,
ohne jedoch den Charakter des letzteren näher zu
bezeichnen. Nichtsdestoweniger führte die Vor-
stellung, daß der Sonnengott den Kaiser in seiner
Obhut hätte, imd daß übernatürliche Wirkungen
— 77 —
von dem einen auf den anderen ausgingen, allmählich
zu der ihrer Konsubstantialität.
Nun lieferte die von den Mysterien gelehrte
Psychologie für diese Konsubstantialität eine rationelle
Erklärung" und gab ihr beinahe eine wissenschaftliche
Grundlage. Ihren Annahmen zufolge präexistieren
die Seelen im Empyreum, und wenn sie auf die Erde
niedersteigen, um den Körper aufzusuchen, in den
sie eingehen wollen, so durchreisen sie dabei die
Sphären der Planeten imd empfangen von jedem der-
selben irgendwelche Eigenschaften. Für alle Astro-
logen ist die Sonne, woran wir bereits erinnert haben,
das königliche Gestirn, und infolgedessen ist sie es,
welche ihren Auserwählten die Tugenden des Herr-
schers verleiht und sie zur Regierung beruft.
Es ist ohne weiteres ersichtlich, wie sehr diese
Theorieen die Prätensionen der Cäsaren begünstigten.
Sie sind in Wahrheit die Herren nach dem Recht
der Greburt {deus et dominus natus), denn seit ihrer
Ankunft in der Welt haben die Sterne sie für den
Thron bestinunt; sie sind göttlich, denn sie tragen
gewisse Elemente der Sonnengottheit in sich, deren
vorübergehende Inkarnation sie in gewissem Sinne
darstellen. Vom gestirnten Himmel herabgestiegen,
werden sie nach ihrem Tode dorthin zurückkehren,
um bei den Göttern als ihresgleichen ewig zu leben.
Der gemeine Mann bildete sich sogar ein, daß der
verstorbene Kaiser, ganz wie Mithra am Schlüsse
seiner Laufbahn, von Helios auf seiner glänzenden
Quadriga entrückt würde.
So kombinierte die Dogmatik der persischen
Mysterien zwei Theorieen verschiedenen Ursprungs,
welche beide darauf ausgingen, die Fürsten über die
- 78 -
gewöhnliche Menschheit zu erheben. Einerseits wurde
die alte mazdäische Vorstellung des Hvarend zur
„Fortuna des Königs", welche ihn mit himmlischer
Gnade erleuchtet und ihm den Sieg verleiht Ander-
seits ermöglichte die Idee, daß die Seele des Monarchen
in dem Augenblicke, wo das Schicksal sie hienieden
ankommen ließ, ihre Herrschergewalt von der Sonne
empfinge, die Behauptung, daß sie an der Gottheit
dieses Planeten teilnehme und sein Repräsentant auf
Erden sei.
Diese religiösen Vorstellungen können uns heute
absurd und beinahe monströs erscheinen. Nichts-
destoweniger sind sie jahrhundertelang von Millionen
sehr verschieden gearteter Menschen geteilt imd haben
diese in einundderselben monarchischen Überzeugung
vereint Mochten auch die gebildeten Stände, in
denen die literarische Überlieferung immer einige
Spuren des alten republikanischen Geistes erhielt,
demgegenüber bis zu einem gewissen Grade skeptisch
gestimmt bleiben, das Volksbewußtsein nahm diese
theokratischen Hirngespinste mit Wohlgefallen in sich
auf und ließ sich von ihnen bestimmen, solange das
Heidentum dauerte. Man kann sogar sagen, daß sie
den Sturz der Idole überlebten, und daß die Ver-
ehrung der Menge wie das Zeremoniell des Hofes
fortfuhren die Person des Souveräns als ein über-
natürliches Wesen zu betrachten. Aurelian hatte
versucht eine offizielle Religion einzuführen, welche
umfassend genug sein sollte, um sämtliche Kulte
seiner Staaten in sich aufzunehmen, und die, wie bei
den Persem, zur Rechtfertigrmg und Stütze des
kaiserlichen Absolutismus gedient haben würde.
Dieser Versuch scheiterte vor allem an der unver-
— 79 —
söhnlichen Opposition der Christen. Aber der Bund
von Thron und Altar, von welchem die Cäsaren des
3. Jahrhunderts geträumt hatten, verwirklichte sich
unter anderer Gestalt, imd eine seltsame Wendung*
der Dinge fugte es, daß die Kirche dazu berufen
wurde, das Gebäude zu stützen, dessen Grundfesten
sie erschüttert hatte. Das Werk, welches die Priester
des Serapis, des Baal und des Mithra vorbereitet
hatten, wurde ohne sie und im Gegensatz zu ihnen
vollendet; aber sie hatten nichtsdestoweniger zuerst
im Abendlande das göttliche Recht der Könige ge-
predigt imd so den Anstoß zu einer Bewegung ge-
geben, deren Schwingrmgen sich bis in das Unendliche
fortsetzen sollten.
VIERTES KAPITEL.
DIE LEHRE DER MYSTERIEN.
Mehr als drei Jahrhunderte lang wurde der
Mithriacismus in den entferntesten römischen Provinzen
und unter den verschiedensten Verhältnissen praktisch
ausgeübt. Es ist nicht anzunehmen, daß seine heiligen
Überlieferungen während dieser langen Zeit keine
Veränderung erlitten haben, und daß die philo-
sophischen Anschauimgen, welche nacheinander die
Geister beherrschten, geschweige denn die politische
imd soziale Lage des Reiches ohne Einfluß auf sie
geblieben sind. Aber wenn auch die persischen
Mysterien im Occident gewiß modifiziert worden sind,
so erlaubt ims doch die Lückenhaftigkeit der Denk-
mäler, über welche wir verfügen, weder die Phasen
ihrer Entwicklung zu verfolgen noch die lokalen
Unterschiede, welche sie möglicherweise aufgewiesen
haben, klar herauszustellen. Alles, was wir erreichen
können, beschränkt sich darauf, die Lehren, welche
in ihnen verkündigt wurden, in großen Zügen zu
skizzieren und stellenweise die Zusätze oder die
Retouchierungen anzudeuten, welche sie erfahren zu
haben scheinen. Übrigens waren die Veränderungen,
welche mit ihnen vorgingen, im großen imd ganzen
oberflächlicher Art. Die Identität der Bilder und der
hieratischen Formeln bei aller Verschiedenheit der
— 8i —
Zeit und des Ortes liefert den Beweis dafür, daß
•dieser reformierte Mazdaismus seine Theologie bereits
vor der Epoche seiner Einbürgerung in den lateinischen
Ländern im wesentlichen abgeschlossen hatte. Im
Gegensatz zu dem alten griechisch-römischen Paga-
nisimiis, einem Sammelsurium von Zeremonien imd
GlaubensvcMTStelhmgen ohne logischen Zusammenhang,
hatte der Aßthriacismus in der Tat eine wirkliche
Theologie, ein dogmatisches System, welches seine
ftndamentalen Prinzipien der Wissenschaft entlehnte.
Anscheinend glaubt man im allgemeinen, daß
Mithra der einzige iranische Gott sei, welcher in den
Occident eingefiihrt worden ist, und daß alles in
«einem Ktdte, was sich nicht unmittelbar auf ihn
bezieht, späterer Zusatz und jungen Datums sei. Dies
ist jedoch eine wiHfcürliche und irrige Voraussetzung:
Mithra wurde auf seinen Wanderungen von einem
großen Teile des mazdäischen Pantheons begleitet,
und wenn er auch in den Augen der Gläubigen der
vornehmste Heros der Religion ist, welcher er
seinen Namen gegeben hat, so ist er doch nicht ihr
höchster Gott.
An die Spitze dBr gottlichen Hierarchie imd an
den Anfang der Dinge steUte die mithrische Theo-
logie als Erbin der zrvanistischen Magier die Un-
endliche Zeit Man nannte sie bisweilen Aiiwv oder
Saeculum, Kpövo^ oder Saturnusy aber diese Be-
zeichnungen waren konventionell imd zufallig, denn
sie wurde als imaussprechlich betrachtet, wie ohne
Namen so auch ohne Geschlecht und ohne Leiden-
schaften. In Nachahmimg eines orientalischen Proto-
typs stellte man sie dar als ein Ungeheuer in
Menschengestalt mit einem Löwenkopfe, den Leib
Camont, Mithrasmysterien. 6
— 82 —
von einer Schlange umwunden
(Fig. 2). Die Mannigfaltigkeit
der Attribute, mit denen man
die Statuen dieses Gottes über-
häuft, entspricht der Unbe-
stimmtheit seines Charakters.^)
Er fuhrt das Scepter imd den
Blitz als souveräne Gottheit
und hält in jeder Hand einen
Schlüssel als Herr des Himmels,,
dessen Pforten er öffnet. Seine
Flügel versinnbildlichen die
Schnelligkeit des Laufes, das
Reptil, dessen Windungen ihn
umschlingen, erinnert an die
gewrmdene Bahn der Sonne auf
der Ekliptik, die auf seinem
Körper angebrachten Zeichen
des Tierkreises und die Em-
bleme der Jahreszeiten, welche
sie begleiten, weisen auf die
himmlischen und irdischen Er-
scheimmgen hin, welche die
ewige Flucht der Jahre be-
zeichnen. Er schaflFt imd zer-
stört alle Dinge, er ist der
Herr und der Führer der vier
Elemente, aus denen das Weltall besteht, imd er
vereinigt virtuell in sich die Macht aller Götter, die
Fig. 2. Löwenköpfiger Gott
(mitlirischer Kronos) in der Vati-
kanischen Bibliothek (nachLajard,
JniroducHoH , t. LXX).
i) Vgl. die Abbildimg. — Ein wichtiges italienisches Basrelief
welches den mithrischen Kronos nmgeben von den Zeichen des Tier-
kreises darstellt, wurde vom Verf. kürzlich publiziert Revue archioU
1902, p. I SS.
- 83 -
er allein erzeuget hat Bisweilen identifizierte man
ihn mit dem vorherbestimmten Schicksal, in anderen
Fällen sah man in ihm ein Urlicht oder ein Urfeuer,
und die eine wie die andere Vorstellimg ermöglichte
es, ihn der letzten Ursache der Stoiker anzmiähem,
der überall verbreiteten Wärme, die alles gebildet
hat, und die, aus einem anderen Gesichtspimkte be-
trachtet, das Verhängnis (Q^apjievii) war.
Die Priester des Mithra suchten das große
Problem des Ursprunges der Welt durch die Annahme
einer Reihe von successiven Zeugimgen zu lösen.
Das oberste Prinzip brachte nach einer alten Vor-
stellung, die sich auch in Indien und Griechenland
wiederfindet, ein Urpaar hervor, den Himmel imd die
Erde, imd diese gebar, von ihrem Bruder befinichtet,
den gewaltigen Ozean, der seinen Eltern an Macht
gleichsteht und mit ihnen die höchste Trias des
mithrischen Pantheons gebildet zu haben scheint.
Das Verhältnis dieser Trias zu Klronos oder der Zeit,
aus der sie hervorgegangen war, wurde nicht klar
definiert, imd der gestirnte Himmel, dessen Umwälzung,
so glaubte man, den Verlauf aller Ereignisse bestimmte,
schien bisweilen mit dem ewigen Schicksal zusammen-
zufließen.
Diese drei kosmischen Gottheiten wurden unter
anderen, weniger durchsichtigen Namen personifiziert.
Der Himmel war kein anderer als Oromazdes oder
Jupiter, die Erde war identisch mit Spenta-Armaiti
oder Jimo, und der Ozean hieß noch Apäm-Napät oder
Neptun. Ebenso wie die griechischen Theogonieen
berichteten die mithrischen Überlieferungen, daß Zeus
dem Kronos, dem Könige der ersten Zeiten, in der
Regrierung der Welt gefolgt sei. Die Basreliefs
- 84 -
zeigen uns diesen mazdäischen Saturn, wie er seinem
Sohne den Blitz, das Zdüchen seiner Herrschermacfat
übergibt. Seitdem regiert Jtapiter mit seiner Gre-
mahlin J«no über die anderen Götter, welche sämt-
lich ihnen ihre Existenz verdanken.
In der Tat sind die olympischen Gottheiten
der Ehe des himmlischen Jupiter und der irdischen
Jimo entsprossen. Ihre erstgeborene Tochter ist
Fortuna {Fortuna prttnigenid), welche ihren Anbetern
alle Güter des Leibes und namentlich der Seele ver-
leiht. Ihre hilfreiche Güte stellt sie der Anagke gegen-
über, welche das strenge und imerbittliche Verhängnis
repräs^itiert Themis oder das Gesetz, die Moiren
oder <iie Fata waren andere Personifikationen des
Schicksals, welches in mannigfaltigen Formen seine
einer unendlichen Entwicklung fähige Natur offenbart
Das oberste Paar hat nicht nur dem Neptun das
Leben gegeben, der sein ebenbürtiger Genosse
geworden ist, sondern noch einer ganzen Reihe
anderer Unsterblicher: Artagnes oder Herkul^,
dessen Heldenarbeiten die heüigen Hymnen besauten;
Sharevar oder Mars, der die Metalle regierte und
dem frommen Krieger in der Schlacht beistand;
Vulkan oder Atar, dem Genius des Feuers; Meikur,
dem Boten des Zeus; Bacchus oder Haoma, der
Personifikation der Pflanze, welche den heüigen
Trank lieferte; Silvanus oder Drväspa, dem Schützer
der Rosse und des Ackerbaues; sodann Anaitis,
der Göttin der befruchtenden Wasser, welche in
dieser Eigienschaft mit Venus und Cybele verglichen
und als Herrki des Krieges auch unter dem Namen
der Minerva angerufen wurde; Diana oder Luna,
welche den Honig hervorbrachte, der bei den
_ 85 -
Reinignngen verwandt wurde; Vanainti oder Nike,
wekhe den Kömgen dien Sieg verlieh; Asha oder
Arete, der vollkommenen Tugend, xmd noch anderen.
Diese unzählbare Menge von Gottheiten thronte mit
Jupiter imd Juno auf den schimmernden Gii^In des
(Mymp imd bildete ihren himmlischen Hofstaat
Diesem Uchten Aufenthalt, wo mit strahlendem
Glänze umkleidet die oberen Götter wohnen, steht
ein finsteres Reich gegenüber, das in d«n Tiefen
der Erde belegen ist. Ahriman oder Pluto, gleich
Jupiter von der UnendEchen Zeit erzeugt, regiert
dort mit Hekate über die verderblichen Ungeheuer,
welche ihren imreinen Umarmimgen entsprossen sind.
Die Dämonen, die Untertanen des Königs der
Unterwelt, haben den Himmel gestürmt und den
Nachfolger des Kronos zu entthronen versucht. Aber
die aufrührerischen Ungetüme,, niedergeschmettert von
dem Herrn der Götter wie die griechischen Giganten,
sind wieder in den Abgrund gestürzt, aus dem sie
emporgestiegen waren. Doch können sie um auch
jetzt noch verlassen imd dann schweifen sie auf der
Oberfläche der Erde umher, um hier allerhand Plagen
zu verbreiten und die Menschen zu verderben. Diese
müssen, um die Übel abzuwenden, welche ihnen
drohen, die bösen Geister durch die Darbringung
von Sühnopfem beschwichtigen. Der Eingeweihte
versteht auch, sie durch entsprechende Riten xmd ver-
öüttelst der Kraft der Inkantationen seinen Zwecken
dienstbar zu machen imd sie gegen die Feinde Ibs-
ztüassen, auf deren Verderben er siimt.
Die Götter beschränken sich ebenfalls nicht auf
die ätherischen Sphären, welche ihnen als Aufenthalt
zugewiesen sind. Wenn die Theogonie sie darstellt,
— So-
wie sie sich im Olymp um ihre Eltern und Herren
scharen, so zeigt die Kosmologie sie unter einem
anderen Gesichtswinkel. Ihre Energie erfüllt die
Welt; \md sie sind die wirksamen Prinzipien ihrer
Wandlimgen. Das Feuer, personifiziert unter dem
Namen Vulkan, ist die erhabenste dieser Naturkräfte
und wird in allen seinen Manifestationen angebetet,
wie es in den Gestirnen oder im Blitze leuchtet, wie
es die Lebewesen durchhaucht, das Wachstum der
Pflanzen hervorruft, oder sich im Schöße der Erde
verbirgt. Im Hintergründe der imterirdischen Krypten
loderte es beständig auf den Altären, imd die
Gläubigen fürchteten seine Reinheit durch sakri-
legische Berührungen zu beflecken.
In ihrer Naivetät meinten sie, daß Feuer und
Wasser Bruder imd Schwester seien, und brachten
diesem denselben abergläubischen Respekt entgegen
wie jenem. In gleicher Weise verehrten sie die
salzige Flut, welche die Abgründe des Meeres erfüllt
und von ihnen unterschiedslos Neptun oder Oceanus
benannt wurde, die Quellen, welche den Tiefen der
Erde entspringen, die Flüsse, welche an ihrer Ober-
fläche dahingleiten, und die Seen, welche sie als
klare Spiegel schmücken. Eine nie versiegende
Quelle floß in der Nähe der Tempel imd empfing
die Huldigungen und die Opfer der Besucher. Diese
fons perennts war zugleich das Bild der materiellen
imd moralischen Gaben, welche die unerschöpfliche
Giite der Unendlichen Zeit über das Universum aus-
gießt, wie das der geistigen Erquickung, welche der
dürstenden Seelen in der seligen Ewigkeit harrt
Die gebärende und nährende Erde, die von den
Wassern des Himmels befruchtete Terra mater nahm
- 87 -
einen ebenso wichtigen Platz wenn auch nicht im
Ritual, so doch in der Lehre ein, und die vier Haupt-
winde, welche man in Beziehimg zu den deifizierten
Jahreszeiten setzte, wurden als bald wohltätige, bald
furchtbare Genien angerufen. Man fürchtete sie
nicht nur als laimische Herren des Wetters, welche
Kälte oder Hitze, Stille oder Sturm bringen, die
Atmosphäre abwechselnd befeuchten oder austrocknen,
die Vegetation des Frühlings entstehen und das Laub
des Herbstes verwelken lassen, sondern man verehrte
sie auch als verschiedene Manifestationen der Luft
selbst, des Prinzips alles Lebens.
Hymnen, von einem seltsamen Symbolismus er-
füllt, besangen die Wandlimgen, welche der Gegensatz
dieser vier Prinzipien in der Welt hervorbringt.^)
Der höchste Gott lenkt einen Wagen, der mit vier
Rennern bespannt ist, welche sich unaufhörlich in
einem bestinunten Kjreise herumbewegen. Der erste,
welcher auf seinem glänzenden Haarkleide die Zeichen
der Planeten imd der Sternbilder trägt, ist kräftig
und behend und durchmißt mit äußerster Schnelligkeit
die Peripherie der vorgeschriebenen Laufbahn. Der
zweite, weniger stark und weniger schnell, hat ein
dimkles Fell, dessen eine Seite nur von den Strahlen
der Sonne beleuchtet wird; der dritte trabt noch
langsamer und der vierte dreht sich um sich selbst,
auf seine stählerne Stange beißend, während seine
Gefährten ihn wie einen Eckstein lunkreisen. Lange
dreht sich das Viergespann ohne Unfall, seinen nie
unterbrochenen Lauf vollendend. Aber in einem be-
stimmten Augenblicke trifft der brennende Atem des
I) Bio Chrysost., O., XXXVI, § 39 ss. {T, et M, t H, p.6oss.).
— 88 —
ersten Rosses das vierte und setzt seine stolze Mähne
in Brand, sodann überflutet sein Nachbar, dessen
Kräfte erschöpft sind, es mit strömendem Schweiß,
Endlich vollzieht sich ein noch wunderbarerer Vor-
gang: das Aussehen des Grespannes verwandelt sich,
die Rosse vertauschen imtereinander ihr Wesen der-
gestalt, daß die Substanz aller auf das stärkste und
feurigste von ihnen übergeht, als wenn ein Bildhauer,
der kleine Wachsfiguren modelliert hai:, von der
einen etwas entliehe, um die anderen zu vervoll-
ständigen, und schließlich sie alle zu einer einzigen
verknetete. Nun wurde der Renner, der in diesem
göttUehen Kampfe siegreich geblieben imd durch
seinen Triumph allmächtig geworden war, identisch
mit dem Wagenlenker selbst Das erste Roß ist
die Verkörperung des Feuers oder des Äthers, das
zweite die der Luft, das dritte die des Wassers und
das vierte die der Erde; die Unfälle, welche dieses
treffen, bedeuten die Brände imd die Überschwem-
mungen, welche unsere Welt verheert haben und
verheeren werden, und der Sieg des ersten versinn-
bildlicht den schließlichen Weltbrand, der die be-
stehende Ordnung der Dinge vernichten wird.
Die kosmische Quadriga, welche die übersinn-
liche Ursache lenkt, ist von der heilen Ikonographie
nicht dargestellt worden. Diese reserviert das
symbolische Gespann für einen sichtbaren Gott Die
Anhänger des Mithra beteten, wie die alten Perser,
die Sonne an, welche jeden Tag auf einem Wagen
die Räimie des Firmaments durcheilte, um mit dem
Sinken der Dämmerung ihre Feuergluten in den Ozean
zu tauchen. Sobald sie über dem Horizonte erschien,
verscheuchte ihr srahlendes Licht die Geister der
- 89 -
Fiastemis, und sie reinigte die Schöpfung, in die
ihr Glanz das Leben zurückbrachte. Ebenso weihte
man der Luna einen Kult, welche in den oberen
Sphären auf einer von weißen Stieren gezogenen
Biga fuhr. Das für Ackerbau und Viehzucht be-
deutsame Tier war der Göttin beigegeben worden,,
welche dem Wachstum der Pflanzen imd der Er-
zeugung der lebenden Wesen vorstand.
Die Elemente waren mithin nicht die einzigen
Naturkörper, welche in den Mjrsterien deifiziert
wurden. Die beiden Lichter, welche die Natur be-
fruchten, wurden in ihnen ebenso verehrt wie im
ursprünglichen Mazdaismus, aber die Vorstellung,^
welche sich die Aryas von ihnen machten, war imter
dem Einfluß der chaldäischen Theorieen durchaus
umgewandelt worden.
Wie wir bereits erwähnten (vgl. S. gt)^ hatten
die alten Glaubensvorstellungen der Perser in Babylon
notwendigerweise die Einwirkung einer scheinbar
wissenschaftlichen Theologie erfahren, und die meisten
Götter täns waren den im Euphrattal angebeteten
Gestirnen assimiliert worden. Sie erhielten so einen
neuen Charakter, der von ihrem früheren gänzlich
verschieden war, imd derselbe göttliche Name empfing-
damals eine doppelte Bedeutung und behielt sie im
Occident. Es gelang den Magiern nicht, diese neuen
Lehren mit ihrer alten Religion in Übereinstinimung
ZU bringen, denn die semitische Astrologie war ebenso
unvereinbar mit dem iranischen Naturalismus wie
mit dem griechischen Paganismus. Indem aber der
Klerus diese Widersprüche als einfache Gradunter-
schiede in der Erkenntnis einer einzigen Wahrheit
betrachtete, reservierte er die Mitteilimg der maz*
— 90 —
•däischen Lehre über Anfang und Ende des Menschen
und der Welt für eine Anzahl von Auserwählten,
während die Menge sich mit einem blendenden und
oberflächlichen Symbolismus begnügen mußte, wie
er durch die Spekulationen der Chaldäer begünstigt
wurde. Die astronomischen Allegorieen verbargen
der Neugier der Uneingeweihten die wahre Bedeutung
der hieratischen Darstellungen, und das Versprechen
-einer vollständigen, wenn auch weit hinausgeschobenen
Aufklärung nährte die Glut des Glaubens durch die
faszinierende Anziehungskraft des Mysteriums.
Die mächtigsten dieser Gestimgottheiten, welche
man vorzugsweise anrief und denen man die meisten
Opfer zuwendete, waren die Planeten. Den astro-
logischen Theorieen gemäß schrieb man ihnen Kräfte
und Beziehimgen zu, deren Gründe für ims oft nicht
zu erkennen sind. Jeder von ihnen beherrschte einen
Tag der Woche, jedem war ein Metall geheiligt,
jeder wurde mit einer Stufe der Initiation verbunden,
und ihrer Anzahl verdankte die Zahl 7 eine ganz
besondere religiöse Kraft. Bei ihrer Herabkunft
aus dem Empyreum auf die Erde empfingen die
Seelen, so glaubte man, von ihnen nach imd nach
ihre Leidenschaften imd ihre Eigenheiten. Häufig
werden sie auf den Denkmälern dargestellt, bald
durch Symbole, welche entweder an die Elemente
erinnern, aus denen sie gebildet sind, oder an die
Opfer, welche man ihnen darbrachte, bald in der
Gestalt der Unsterblichen, welche im griechischen
Olymp thronen, Helios, Selene, Ares, Hermes, Zeus,
Aphrodite, Kronos. Nur haben diese Bilder hier
eine ganz andere Bedeutimg als dann, wenn sie
Ahura Mazda, Zrvan oder die übrigen Gotter des
— 91 —
Mazdaismus darstellen. Man erblickt in ihnen nicht
mehr die Personifikationen des Himmels oder der
Unendlichen Zeit, sondern lediglich die leuchtenden
Gestirne, deren irrenden Lauf wir inmitten der Stern-
bilder verfolgen können. Dieses doppelte System
der Erklärung wurde besonders auf die Sonne an-
gewendet, welche man bald als identisch mit Mithra
und bald als von ihm verschieden betrachtete. In
Wirklichkeit gibt es in den Mysterien zwei Sonnen-
gottheiten, eine iranische, welche die Erbin des
persischen Hvare, und eine semitische, welche ein
Substitut des mit Mithra identifizierten babylonischen
Shamash ist
Neben den Planetengöttem, welche noch einen
doppelten Charakter besitzen, erhielten auch reine
Gestimgottheiten ihren Tribut an Huldigungen. Die
zwölf Zeichen des Tierkreises, welche bei ihrer
taglichen Revolution die Wesen ihren entgegen-
gesetzten Einflüssen unterstellen, wurden in allen
Mithraeen in ihrer traditionellen Gestalt abgebildet
Jedes von ihnen war ohne Zweifel während des
Monats, den es regierte, der Gegenstand einer be-
sonderen Verehrung, und man liebte es, sie zu drei
und drei zu gruppieren nach den Jahreszeiten, denen
sie entsprachen und deren Kultus mit dem ihrigen
verbunden war.
Die Zeichen des Zodiakus waren nicht die einzigen
Sternbilder, welche die Priester in ihre Theologie
aufgenommen hatten. Nachdem die astronomische
Interpretationsmethode in den Mysterien einmal
zugelassen war, wurde sie ohne Vorbehalt auf alle
möglichen Dinge ausgedehnt Es gab keinen Gegen-
stand imd kein Tier, welches nicht irgendwie als
- 92 —
das Bild einer Stemgruppe betrachtet werden konnte.
So wurden der Rabe, der Krater, der Hund, der
Löwe, welche gewöhnlich den stiertötenden Mithra
umgeben, leicht mit den gleichnamigen Sternbildern
identifiziert Die beiden Hemisphären des Himmels,
welche sich abwechselnd über die Erde hin imd unter
ihr her bewegen, wurden selbst personifiziert und den
Dioskuren assimiliert, welche nach dem hellenischen
Mythus abwechselnd leben imd sterben. Die Mytho-
logie vermischte sich überall mit der Gelehrsamkeit:
die Hymnen beschrieben einen Helden, dem griechi-
schen Atlas ähnlich, der auf seinen nie ermüdenden
Schultern die Kugel des Firmamentes trug imd als
der Erfinder der Astronomie galt. Aber diese Halb-
götter wurden in den Hintergrund verwiesen: die
Planeten und die Zeichen des Tierkreises behielten
immer einen imbestreitbaren Vorrang, weil sie vor
allem nach der Meinung der Astrologien das Dasein
der Menschen imd den Lauf der Dinge regierten.
Die wichtige Lehre, welche Babel in den Maz-
daismus eingeführt hat, ist der Glaube an das Ver-
hängnis, die Idee eines unvermeidlichen Schicksals,
welches die Ereignisse dieser Welt lenkt und an
die Revolution des gestirnten Himmels geknüpft ist
Dieses mit Zrvan identifizierte Schicksal wird das
höchste Wesen, welches alles geschaffen hat und
das Universum regiert Die Entwicklung desselben
ist imabänderlichen Gesetzen unterworfen, und seine
verschiedenen Teile sind durch innige Solidarität
miteinander verbunden. Die Stellung der Haneten,
ihre gegenseitigen Beziehungen und ihre in jedem
Augenblick wechselnden Wirkungen erzeugen die
Reihenfolge der irdischen Erscheinungen. Die Astro-
— 93 —
Ic^e, deren Dogmen diese Postulate ausmachen,
verdankt jedenfalls einen Teil ihres Erfolges der
mithrisohen Propaganda, und diese ist daher auch
mit verantwortlich fiir den Sieg jener Pseudowissen-
schaft im Abendlande mit seinem Gefolge von Irr-
tümern TMid Schrecken.
Die strenge Logik semer Schlußfolgerungen
sicherte diesem ungeheuren Wahngebilde eine voll-
standigere Herrscluift über die denkenden Geister als
der Glaube an höllische Mächte imd an Beschwörungen,
aber der letztere wirkte starker auf die Leicht-
gläubigkeit des Volkes. Die unabhängige Gewalt,
weldie der Mazdaismus dem Prinzip des Bösen zu-
schrieb, erlaubte es, alle occultistischen Bräuche zu
rechtfertigen. Die Nekromantie imd die Oniromantie,
der Glaube an den bösen Blick und an Talismane,
an Hexerei imd Beschwörungen — alle die kindischen
oder unheilvollen Verirrungen des antiken Heidentums
wurden legitimiert durch die Rolle, welche man den
Dämonen zuwies, die sich unaufhörlich in die mensch-
lischen Angelegenheiten einmischten. Man kann
den persischen Mysterien den schweren Vorwurf
machen, daß sie alle diese abergläubischen Praktiken
entschuldigt, vielleicht sogar gepredigt haben. Und
nicht ohne Gnmd machte der Volksmund aus dem
Namen Magier ein Synonym von Schwarzkünstler.
Weder die Vorstellung einer unerbittlichen Not-
wendigkeit, welche das menschliche Geschlecht mit-
leidslos einem unbekannten Ziele entgegentreibt,
nodi auch die Furcht vor den bösen Geistern, die
auf sein Verderben sinnen, haben die Massen an die
Altare der mithrischen Gatter zu locken vermocht
Die Strenge dieser düsteren Lehren wurde gemildert
— 94 —
durch den Glauben an hülfreiche Mächte, welche
em mitfühlendes Herz für die Leiden der Sterblichen
besitzen. Selbst die Planeten waren keineswegs, wie
in den didaktischen Büchern der astrologischen
Theoretiker, kosmische Mächte, deren günstige oder
verhängnisvolle Einwirkung je nach der Richtung
eines von aller Ewigkeit her bestimmten Laufs wuchs
oder abnahm. Sie waren — ähnlich wie in der alten
chaldäischen Religion — Gottheiten, welche sahen
\md hörten, sich freuten oder betrübten, deren Grrimm
man versöhnen und deren Gunst man gewinnen
konnte durch Gebete und Opfer. Der Gläubige setzte
sein Vertrauen auf den Beistand der wohltätigen
Beschützer, welche die Mächte des Bösen rastlos
bekämpften.
Die Hymnen, welche die Taten der Götter
feierten, sind leider fast sämtlich verloren gegangen,
und wir kennen jene epischen Überliefenmgen bei-
nahe nur aus den Monimienten, welche sie illustrierten.
Doch läßt sich der Charakter dieser heiligen Poesie
noch aus den Bruchstücken erkennen, welche von
ihr auf ims gelangt sind. So wurden die Arbeiten
des Verethraghna, des mazdäischen Herkules, in
Armenien besimgen, man erzählte dort, wie er die
Drachen erwürgt imd Jupiter geholfen habe, die un-
geheuerlichen Giganten zu besiegen, und ebenso
wie die Anhänger des Avesta verglichen ihn die
römischen Adepten des Mazdaismus mit einem wehr-
haften und verwüstenden Eber.
Aber der Held, welcher in diesen kriegerischen
Erzählungen die vornehmste Rolle spielte, war Mithra.
Großtaten, welche in den Büchern des Zoroastrismus
von anderen Gottheiten berichtet werden, wurden
— 95 —
auf seine Person übertragen. Er war der Mittelpunkt
eines Klreises von Legenden geworden, welche allein,
den bevorzugten Platz erklären, welchen man ihm
im Kultus einräimite. Vermöge der von ihm voll-
brachten glänzenden Taten hat dieser Gott, der
in der olympischen Hierarchie keineswegs dea
obersten Rang einnimmt, den im Abendland ver-
breiteten persischen Mysterien seinen Namen gegeben.
Mithra war, wie wir gesehen haben, für die alten
Magier der Gott des Lichts, imd da das Licht von
der Luft getragen wird, so nahm man an, daß er
die Mittelzone zwischen dem Hinunel und der Unter-
welt bewohne, und gab ihm aus diesem Grunde den
Namen juecixiic. Um diese Eigenschaft im Ritual zu
bezeichnen, heiligte man ihm den i6. Tag eines
jeden Monats, d. h. seine Mitte. Als er mit Shamash
identifiziert wurde ^), erinnerte man sich, wenn man
ihm diesen Namen „Mittler" beilegte, ohne Zweifel
daran, daß nach chaldäischer Lehre die Sonne den
Mittelplatz im Chor der Planeten einnahm. Aber
diese Mittelstellung ist nicht rein lokal; man verband
mit ihr vor allem eine moralische Bedeutung. Mithra
ist der „Mittler" zwischen dem unzugänglichen und
unerkennbaren Gott, welcher in den ätherischen
Sphären herrscht, imd dem Menschengeschlecht,^
welches sich hienieden regt imd leidet. Shamash
hatte schon in Babylon ähnliche Fimktionen, und
auch die griechischen Philosophen betrachteten die
schinmiemde Kugel, welche ihr Licht über uns aus-
gießt, als das stets gegenwärtige Bild des imsichtbaren
Wesens, dessen Dasein nur imsere Vermmft erfaßt.
I) Cf. oben S. 9.
- 96 -
In dieser sekundären Eigenschaft als Sonnen-
genius vor allem ist Mithra im Occident bekannt
^•eworden, imd die figürlichen DarsteUung^n erinn^n
oft an diesen erborgten Charakter. Man pflegte ihn
zwischen zwei Klindem abzubilden, von denen das
-eine eine erhobene, das andere eine gesenkte Fackel
trägt, imd denen man die rätselhaften EprAeta
CatUes und Cautopates gab, die aber nur eine doppelte
Inkarnation seiner eig^ot^i Persönlichkeit sind. Diese
l>eiden DadojAoren imd der stiertötende Heros bildeten
eine Trias, und man sah in diesem „dreifachen Mithra"
entweder das Tagesge&tim, dessen Au%ang am
Morgen der Hahn verkündet, das mittags triimi-
phierend den Zenith überschreitet und abends müde
an den Horizont herabsinkt, oder die Sonne, die an
Kraft wachsend in das Sternbild des Stieres eintritt
und den Frühlingsanfang bezeichnet, deren sieg^iche
Gluten die Natur im Mittsommer befruchten, und die,
schon schwächer geworden, das Zeichen des Skorpions
passiert und die Wiederkehr des Winters ankündigt
Von einem anderen Gresichtspunkte aus betrachtete
man den einen der beiden Fackelträger als das
Emblem der Wärme und des Lebens, den andern
als das der Kälte imd des Todes. Ebenso war die
Gruppe des stiertötenden Gottes mit Hilfe eines
mehr geistreichen als vernünftigen astronomischen
Symbolismus auf verschiedene Weise erklärt worden;
aber diese siderischen Erklärungen waren mar
Spielereien, mit welchen man die Neophyten ergötzte,
bevor ihnen die esoterischen Lehren enthüllt wurden,
die sich wieder auf die alte iranische Mithralegende
bezogen. Ihre Erzählimg ist verloren gegangen, aber
die Basreliefs berichten uns gewisse Episoden aus
— 97 —
ihr, und ihr Inhalt scheint ungefähr der folgende
gewesen zu sein.
Das Licht, welches dem als ein festes Gewölbe
aufgefaßten Himmel entspringt, war in der Mytho-
logie der Magier Mithra geworden, der aus einem
Felsen geboren wird. Die Tradition erzählte, daß der
„gebärende Stein" (Petra genelrtx), dessen Abbild
man in den Tempeln verehrte, ihm das Leben ge-
geben habe an den Ufern eines Flusses, im Schatten
eines heiligen Baumes, und
nur Hirten hätten, im be-
nachbarten Gebirge ver-
steckt, das Wunder seiner
Ankunft in der Welt be-
obachtet Sie hatten ge-
sehen, wie er sich der Fels-
masse entrang, das Haupt
mit einer phrygischen
Mütze bedeckt, schon mit
einem Messer bewaffnet
und eine Fackel tragend,
welche die Finsternis er-
hellt hatte (Fig. 3). Dann
waren die Hirten gekommen, um das göttliche Kind
anzubeten imd ihm die Erstlinge ihrer Herden und
ihrer Emtefrüchte darzubringen. Aber der junge
Heros war nackt und dem Winde ausgesetzt, der mit
Heftigkeit wehte; er hatte sich daher aufgemacht, um
sich in den Ästen eines Feigenbaumes zu verstecken,
dann mit Hilfe seines Messers die Früchte des Baimies
abgeschnitten, um sich davon zu nähren, und ihn
schließlich seiner Blätter beraubt, um sich Kleider
daraus zu fertigen. So für den Kampf gerüstet,
Cumont, Mithrasmysterien. 7
Fig. 3. Mithras Felsengeburt.
Relief vom Esquilin (nach Bull, arch,
mumcip. 1874, t. XXI, 2).
- 98 -
konnte er sich nun mit den anderen Mächten messen,
welche die wimderbare Welt bevölkerten, in (Ke er
eingetreten war. Denn obwohl bereits Hirten ihre
Herden weideten, ereignete sich doch dies alles, bevor
es Menschen auf der Erde gab.
Der Gott, gegen den Mithra zuerst seine Kräfte
erprobte, war der Sonnengott. Dieser mußte sich
vor der Überlegenheit seines Rivalen beugen und von
ihm die Investitur empfangen. Sein Besieger setzte
ihm die Strahlenkrone auf das Haupt, welche er seit
dieser Zeit während seines täglichen Laufes trug.
Dann ließ er ihn sich wieder erheben imd schloß mit
ihm, indem er ihm seine rechte Hand reichte, einen
feierlichen Freimdschafts vertrag (Fig. 4, s. Tafel II).
Seitdem unterstützten sich die beiden verbündeten
Helden getreulich bei allen ihren Untemehmimgen.
Das erstaunlichste dieser epischen Abenteuer war
der Kampf zwischen Mithra und dem Stier, dem
ersten lebenden Wesen, das von Jupiter- Oromazdes
geschaffen war. Diese naive Fabel führt uns in die
Anfange der Kultur selbst zurück. Sie hat nur bei
einem Volke von Hirten imd Jägern entstehen können,
bei dem das Vieh als die Quelle alles Reichtums ein
Gegenstand religiöser Verehrung geworden war, und
dem der Fang eines wilden Stieres als eine so ehren-
volle Tat galt, daß selbst ein Gott sich nicht zu er-
niedrigen schien, wenn er zum Büffeljäger wurde.
Der ungebändigte Stier weidete auf irgend einer
Prärie in den Bergen; der Heros packte ihn mit
listig-kühnem Griff bei den Hörnern und brachte es
fertig, sich auf seinen Rücken zu schwingen. Der
wütende Vierfüßler setzte sich in Galopp imd trug
seinen Reiter in rasendem Laufe dahin, aber dieser
— 99 —
ließ ihn nicht los, wenn er auch abgeworfen wurde;
er ließ sich an den Hörnern des Tieres hängend
schleifen, das bald erschöpft seinen Widerstand auf-
geben mußte. Sein Besieger faßte es dann bei den
Hinterbeinen und zog es rückwärts in die Höhle, die
ihm als Wohnimg diente, imd zwar auf einem nut
Hindernissen übersäeten Wege. Dieser mühselige
„Übergang" (Transüus) des Mithra war zu einer
Allegorie der menschlichen Prüfungen geworden.
Aber es gelang dem Stiere ohne Zweifel seiner Haft
zu entwischen, um auf das Feld zu laufen. Da
sandte der Sonnengott den Raben, seinen Boten, um
seinem Bundesgenossen den Befehl zu überbringen,
den Flüchtling zu töten. Mithra erfüllte mit wider-
strebendem Herzen diesen grausamen Auftrag, aber
dem ausdrücklichen Geheiß des Himmels sich fügend
verfolgte er mit seinem flinken Hunde das umher-
schweifende Tier, und es gelang ihm, es in dem
Augenblicke zu erreichen, wo es sich in die Höhle
flüchtete, die es verlassen hatte. Mit der einen Hand
es bei den Nüstern fassend, stieß er ihm mit der
andern seia Jagdmesser in die Flanke.
Da begab sich ein außerordentliches Wimder:
aus dem Körper des sterbenden Tieres entstanden
alle heilsamen Kräuter imd Pflanzen, welche die Erde
mit ihrem Grün bedeckten. Aus seinem Rücken-
mark sproßte das Getreide hervor, welches das Brot,
und aus seinem Blüte der Weinstock, der den
heiligen Trank der Mysterien liefert. Mochte auch
der böse Geist auf das zuckende Tier seine unreinen
Kj-eaturen loslassen, um in ihm die Quelle des Lebens
zu vergiften: der Skorpion, die Ameise imd die
Schlange versuchten vergeblich die Genitalien des
7*
— lOO —
firuchtbaren Vierfiißlers zu verzehren und sein Blut
zu trinken; sie vermochten den Vollzug des Wunders
nicht zu hindern. Der von dem Monde (Lima) ge-
sammelte und gereinigte Same des Stieres erzeugte
alle Arten nützlicher Tiere, und seine Seele, von dem
Himde, dem treuen Begleiter Mithras beschützt, erhob
sich bis in die himmlischen Sphären, wo sie, zum
Gott geworden, unter dem Namen Silvanus die
Herden in ihre Obhut nimmt. So war der stier-
tötende Heros durch das Opfer, zu dem er sich ent^
schlössen hatte, der Schöpfer aller heilbringenden
Wesen geworden, und aus dem Tode, den er herbei-
geführt hatte, war ein neues, reicheres und fruchte
bareres Leben geboren (Fig. 5, s. Tafel H).
Inzwischen war das erste Menschenpaar ins
Dasein gerufen, imd Mithra wurde damit beauftragt,
dieses bevorzugte Geschlecht zu bewachen. Ver-
geblich erweckte der Geist der Finsternis allerhand
Plagen, um es zu vernichten; der Gott wußte seine
verderblichen Pläne immer zu vereiteln. Zuerst ver-
wüstete Ahriman die Felder, indem er ihnen eine
anhaltende Dürre sandte, imd ihre Bewohner riefen,
von Durst gequält, seinen stets siegreichen Gegner
um Hilfe an. Der göttliche Bogenschütze schnellte
seine Pfeile gegen einen schroffen Felsen; da entsprang
ihm eine Quelle lebendigen Wassers, und die Flehenden
kamen,/ um an ihr den lechzenden Gaumen zu er-
frischen.*) Dann hatte, so eriählte man, eine noch
furchtba;t;^e Überschwemmung die ganze Natur be-
droht. /Eine allgemeine Sintflut, herbeigeführt durch
I) Vgl. Fig. 5 (in den Ecken über den Zeichen des Tierkreises)
und Fig. 4 (unten).
— lOI —
die Wogen des Meeres und der ausgetretenen Flüsse,
hatte die Erde entvölkert. Aber ein Mensch, von
den Göttern gewarnt, hatte sich ein Schiff erbaut und
sich mit seinem Vieh in die Arche gerettet, die auf
der Wasserwüste schwamm. Endlich hatte das Feuer
die Welt verheert, die Ställe verzehrt und die
Wohnungen in Asche verwandelt; aber die Kreaturen
des Oromazdes waren auch dieser neuen Gefahr
dank dem Schutze des Himmels entgangen, und
seitdem hatte das Menschengeschlecht im Frieden
wachsen und sich vermehren können.
Die heroische Periode der Geschichte war zu
Ende und die irdische Mission des Mithra erfüllt.
In einem letzten Mahle, dessen die Eingeweihten
durch mystische Agapen gedachten, feierte er mit
Helios imd den übrigen Genossen seiner Mühsale das
Ende ihrer gemeinsamen Kämpfe. Dann kehrten die
Götter in den Himmel zurück: von der Sonne auf
ihrer strahlenden Quadriga entführt, überschritt Mithra
den Ozean, dem es nicht gelang, ihn zu verschlingen,
um fortan bei den andern Unsterblichen zu wohnen,
aber von der Höhe des Himmels herab beschirmte
er auch fernerhin die Gläubigen, welche ihm in
Frömmigkeit dienten.
Diese mithrische Erzählimg von dem Anfange
der Welt läßt uns die Wichtigkeit, welche der stier-
tötende Gott für den Kultus besaß, besser verstehen
imd ebenso besser begreifen, was die heidnischen
Theologen mit dem Titel „Mittler" ausdrücken wollten.
Mithra ist der Schöpfer, dem Jupiter- Oromazdes die
Fürsorge für die Herstellimg und Aufrechterhaltimg
der Ordnung in der Natur anvertraut hat. Er ist,
lun in der philosophischen Sprache jener Zeit zu reden,
— I02 —
der aus Gott emanierte Logos, welcher an seiner
Allmsicht teilnimmt imd, nachdem er als Demiurg-
die Welt gestaltet hat, weiter über sie wacht. Die
anfangliche Niederlage Ahrimans hat diesen nicht
zur Ohnmacht verurteilt. Der Kamjrf zwischen Gmt
imd Böse setzt sich auf Erden fort zwischen den
Sendboten des olympischen Herrschers und denen des
Fürsten der Dämonen; er offenbart sich in den himm-
lischen Sphären in dem Gegensatze der giinstig-en
und der ungünstigen Sterne und spiegelt sich im
Herzen des Menschen, des Mikrokosmos.
Das Leben ist eine Prüfung, und um siegreich
aus dieser hervorzugehen, muß man das Gesetz halten,
welches die Gottheit selbst den alten Magiern gegeben
hat Welche Verpflichtungen legte der Mithriacismus
seinen Anhängern auf, wie lauteten diese „Gebote",
denen sich jene unterwerfen mußten, um in der
anderen Welt belohnt zu werden? Unsere Unwissenheit
ist in dieser Beziehung besonders groß, denn -wir
haben durchaus nicht das Recht, die in den Mysterien
mitgeteilten Vorschriften mit denen zu identifizieren,
welche das Avesta formuliert Doch erscheint es als
gewiß, daß die Moral der occidentalischen Magier
der Zügellosigkeit der babylonischen Kulte keinerlei
Zugeständnisse gemacht, sondern die Erhabenheit des
altpersischen bewahrt hatte. Die vollkommene Rein-
heit war fiir sie das Endziel geblieben, nach welchem
das Dasein des Gläubigen zu streben hat Ihr Ritual
enthielt wiederholte Lustrationen und Waschungen,
welche die Befleckimgen der Seele tilgen sollten.
Diese Kathartik entsprach sowohl den mazdäischen
Traditionen als den allgemeinen Tendenzen der Zeit
In der Verfolgimg dieser Tendenzen trieben die
— I03 —
Mithriasten ihre Prinzipien sog*ar auf die Spitze, und
ihr Vollkommeliheitsideal neigte zum Asketismüs.
Sie sahen die Enthaltung von gewissen Nahtnngs-
nüttehi und absolute Keuschheit als lobenswert an.
Der Widerstand geg^n die Sinnlichkeit war
einer der Gresichtspunkte, unter denen der Kampf
gegen das Prinzip des Bösen zu fuhren war. Diesen
Kampf gegen alle Untertanen Ahrimans, die imter
mannigfachen Gestalten den Göttern die Weltherr-
schaft streitig machten, müßten die Diener Mithras
ohne Unterlaß ausfechten. Ihr dualistisches System
war besonders dazu geeignet, die Anstrengung des
Individuums zu begünstigen und die menschliche
Energie zu entwickeln. Sie verloren sich keineswegs,
wie andere Sekten, in einem beschaulichen Mysti-
zismus. Das Gute lag fiir sie in der Tat Sie zogen
das Starke dem Milden vof imd stellten den Mut
hoher als die Sanftmut. Infolge ihrer langen Be-
rührung mit barbarischen Kulten war vielleicht in
ihrer Moral sogar ein Bodensatz von Grrausamkeit
geblieben. Eine Religion von Soldaten, feierte der
Mithriacismus vor allem die militärischen Tugenden.
In dem Kriege, welchen der aufrichtig Fromme
unaufhörlich gegen die Bosheit der Dämonen führt,
wird er von Mithra unterstützt. Mithra ist die hilf-
reiche Gottheit, welche man niemals vergeblich an-
ruft, der sichere Hafen, der Anker des Heils fiir
die Sterblichen in ihren Drangsalen, der starke Ge-
fährte, welcher ihrer Schwachheit in den Versuchungen
aufhilft. Er ist immer, wie bei den Persem, der
Verteidiger von Wahrheit und Gerechtigkeit, der Be-
schumer der Heiligkeit und der fiirchtbarste Wider-
sacher der höllischen Mächte. Ewig jutig und stark
— I04 —
verfolgt er sie ohne Gnade; „immer wach, immer
auf der Hut", kann man ihn nicht überraschen, und
aus all' diesen unablässigen Kämpfen geht er be-
ständig als Sieger hervor. Diese Idee kehrt unauf-
hörlich in den Inschriften wieder und gelangt zum
Ausdruck in dem persischen Beinamen Nabarzesy "wie
den griechischen und lateinischen Epitheta dviKT]TOCr
invictus, insuperabilis. Als Gott der Heere ließ
Mithra seine Schützlinge über ihre barbarischen
Gegner triumphieren; ebenso gab er ihnen auf
moralischem Gebiete den Sieg über die verkehrten
Triebe, welche vom Geiste der Lüge eingegeben sind,
und verbürgte ihnen ihr Heil in dieser wie in jener
Welt.
Wie alle orientalischen Sekten mischten auch die
persischen Mysterien in ihre kosmogonischen Mythen
und ihre theologischen Spekulationen Ideen von Er-
lösung und Versöhnung. Sie glaubten an das bewußte
Fortleben der in ims wohnenden göttlichen Substanz,
an Lohn imd Strafe jenseits des Grabes. Die Seelen,
welche in unendlicher Menge die Wohnungen des
Höchsten bevölkerten, stiegen auf die Erde hinab,
um einen Menschenleib anzimehmen, sei es, daß eine
bittere Notwendigkeit sie dazu verpflichtete, in diese
materielle und verderbte Welt einzugehen, oder daß
sie es aus eigenem Antriebe taten, um in ihr gegen
die Dämonen zu streiten. Wenn nach dem Tode
der Geist des Verderbens sich des Leichnams be-
mächtigte, und die Seele ihr irdisches Gefängnis ver-
ließ, so kämpften die finsteren Dafevas und die Boten
des Himmels um ihren Besitz. Ein Gericht entschied
darüber, ob sie würdig war, in das Paradies zurück-
zukehren. Wenn sie durch ein imreines Leben be-
— I05 —
fleckt war, so entführten die Gesandten Ahrimans sie
in die Abgründe der Hölle, wo sie ihr tausend Qualen
zufugften, oder vielleicht wurde sie zur Strafe für ihre
Entartung bisweilen dazu verurteilt, die Leiber un-
reiner Tiere zu bewohnen. Wenn dagegen ihre Ver-
dienste ihre Fehler aufwogen, so erhob sie sich zu den
oberen Regionen. Der Himmel gliederte sich in sieben
Sphären, von denen jede einem Planeten zugeteilt
war. Eine Art Leiter, aus acht über einander ge-
stellten Toren zusammengesetzt, von denen die sieben
ersten aus sieben verschiedenen Metallen bestanden,
diente in den Tempeln als symbolische Erinnerung
an den Weg, den es zurückzulegen galt, um bis in
die oberste Region der Fixsterne zu gelangen. In
der Tat mußte man, imi von einem Stockwerke in
das nächstfolgende zu kommen, jedesmal eine Pforte
passieren, welche von einem Engel des Oromazdes
bewacht wurde. Nur die Mysten, denen man die für
diesen besonderen Zweck bestimmten Formeln gelehrt
hatte, wußten diese unerbittlichen Wächter zu be-
sänftigen. Je weiter die Seele durch jene ver-
schiedenen Zonen vordrang, um so mehr legte sie,
wie Kleider, die Leidenschaften imd Fähigkeiten ab,
die sie empfangen hatte, als sie auf die Erde hemieder-
schwebte: sie ließ dem Monde ihre Lebens- und
Emährungskraft, dem Merkur ihre habsüchtigen
Neigungen, der Venus ihre erotischen Gelüste, der
Sonne ihre intellektuellen Fähigkeiten, dem Mars
ihren kriegerischen Mut, dem Jupiter ihre ehrgeizigen
Wünsche, dem Saturn ihren Hang zur Trägheit.
Sie war nackt, befreit von allen Mängeln und aller
Sensibilität, wenn sie in den achten Himmel gelangte,
um dort als erhabenes Wesen im ewigen Licht, wo
— io6 —
die Götter wohnten, eine endlose Seligkeit zu ge-
nießen,*)
Mithra war es, der als Schirmherr der Wahrheit
den Vorsitz führte bei dem Gericht, welches die
Seele nach dem Tode erwartete: er war es, der als
Mittler seine Gläubigen geleitete bei ihrem furcht-
baren Aufstieg zimi Empyreum; er war auch der
himmlische Vater, der sie in seiner leuchtenden
Wohnung bewillkommete wie Kinder, die von einer
weiten Reise heimgekehrt sind.
Die Glückseligkeit, welche sublimierte Monaden
in einer geistigen Welt genießen sollten, war nicht
leicht zu begreifen und besaß vielleicht für den
Verstand des gemeinen Mannes nur wenig Anziehungs-
kraft Eine andere Glaubensvorstellimg, welche sich
jener ersten infolge einer Art Überschwängerung
zugesellte, bot ihm die Aussicht auf materiellere
Freuden. Die Lehre von der Unsterblichkeit der
Seele wurde ergänzt durch die von der Auferstehimg
des Fleisches.
Der Kampf zwischen den Prinzipien des Gruten
und des Bösen soll sich nicht bis ins Unendliche
fortsetzen; wenn die für seine Dauer bestimmten
Jahrhunderte verstrichen sind, werden von Ahriman
gesandte Plagen dcis Ende der Welt ankündigen.
Ein wimderbarer Stier, der dem Urstier entspricht,
wird dann wiederum auf Erden erscheinen, und Mithra
wird wieder herabkommen und die Menschen auf-
erwecken. Die ganze Menschheit wird sich zu einer
i) Diese mithrische Lehre ist neuerdings mit anderen analogen
Glaubensvorstellungen verglichen und eingehend behandelt von Bousset,
Die Himmelsreise der Seele (Archiv für Religionswissenschaft, Bd. IV)
1901, s. 160 fr.
— I07 —
riesenhaften Versammlung vereinen, und der Gott
der Wahrheit wird die Guten von den Bösen scheiden.
Dann wird er als letztes Opfer den gottlichen Stier
schlachten, sein Fett mit geweihtem Wein mischen
und den Gerechten diesen wunderbaren Trank dar-
bieten, der ihnen die Unsterblichkeit verleihen wird.
Darauf wird Jupiter-Oromazdes, den Bitten der
Seligen willfahrend, ein verzehrendes Feuer vom
Himmel fallen lassen, welches alle Bösen vernichten
wird. Die Niederlage des Geistes der Finsternis
wird endgültig besiegelt werden: in dem Weltbrande
werden Ahriman imd seine imreinen Dämonen zu
gründe gehen, und das erneuerte Weltall wird sich
in Ewigkeit eines vollkommenen Glückes erfreuen.
Wir, die wir nicht von der Gnade berührt worden
sind, könnten verwirrt werden durch die Inkohärenz
und die Absurdität dieses Corpus doctrinae, wie wir es
soeben rekonstruiert haben. Eine zugleich naive und
gekünstelte Theologie kombinierte in ihm primitive
M3rthen, deren naturalistische Bedeutung noch durch-
scheint, mit einem astrologischen System, dessen
logischer Zusammenhang nur seine totale Verkehrtheit
dartun kann. Alle Unmöglichkeiten der alten poly-
theistischen Fabeln standen in ihm neben philoso-
phischen Spektdationen über die Entwicklung des
Weltalls und das Schicksal des Menschen. Der
Widerspruch zwischen Tradition imd Reflexion tritt
bei ihm offen zu Tage und wird noch verstärkt durch
die Antinomie zwischen der Lehre des Fatalismus
und der von der Wirksamkeit des Gebets und der
Notwendigkeit des Kultus. Aber diese Religion
darf ebensowenig als irgend eine andere nach ihrer
metaphysischen Wahrheit beurteilt werden. Man
— io8 —
würde ihr unrecht tun, wollte man heute ihren er-
kalteten Leichnam zergliedern, um die inneren Fehler
ihrer Organisation zu konstatieren. Vielmehr kommt
es darauf an, zu verstehen, wie der Mithriacismus
gelebt hat und groß geworden ist, und warum er
zur Weltherrschaft gelangen mußte.
Seine Erfolge verdankt er jedenfalls zu einem
großen Teile dem Werte seiner Moral, die in hervor-
ragendem Maße zum Handeln erzog. In einer Epoche
der Erschlaffung und der Konfusion haben die Mysten
in ihren Vorschriften einen Antrieb und eine Stütze
gefunden. Die Überzeugung, daß der Gläubige einer
heiligen Heerschar angehörte, welche damit beauf-
tragt war, im Bimde mit dem Prinzip des Guten den
Kampf gegen die Macht des Bösen auszufechten, war
in besonderem Maße dazu angetan, seine Frömmig-
keit in Aktivität umzusetzen imd ihn mit einem
glühenden Eifer zu beseelen.
Die Mysterien übten femer eine mächtige
Wirkung auf das Gefühl aus, indem sie einigen der
erhabensten Aspirationen des Menschen Nahrung
boten: der Sehnsucht nach Unsterblichkeit und der
Zuversicht auf den schließlichen Sieg der Gerechtig-
keit. Die Zukunftshoffhungen, welche diese Religion
ihren Anhängern einpflanzte, bildeten eines der Ge-
heimnisse ihrer Macht in jenen aufgeregten Zeiten,
wo die Sorge imi das Jenseits alle Gemüter be-
imruhigte.
Aber verschiedene Sekten eröffneten ihren
Adepten ebenso tröstliche Perspektiven auf das
zukünftige Leben. Die besondere Anziehimgskraft
des Mithriacismus gründete sich noch auf andere
Eigenschaften seines Lehrsystems. Er befriedigte
— I09 —
zugleich den Verstand der Gebildeten und das Herz
der Einfaltigen. Die Apotheose der Zeit als erster
Ursache und die der Sonne als ihrer sichtbaren
Manifestation, welche die Wärme und das Leben
auf der Erde erhält, waren hochphilosophische Kon-
zeptionen. Der Kultus, den man den Planeten und
den Sternbildern erwies, deren Lauf die irdischen
Ereignisse bestimmte, wie den vier Elementen, deren
unendliche Kombinationen alle Naturerscheinungen
hervorbrachten, kam schließlich auf die Anbetung
der Prinzipien oder wirkenden Kräfte hinaus, welche
die antike Wissenschaft anerkannt hatte, und die
Theologie der Mysterien war in dieser Beziehimg
lediglich die religiöse Verklärung der römischen
Physik imd Astronomie.
Diese theoretische Übereinstimmung der offen-
barten Dogmen mit den allgemein angenommenen
Ideen der Gelehrten konnte die gebildeten Geister
bestricken, aber sie hatte wohl kaum Einfluß auf die
^oranz des gewöhnlichen Volkes. Dagegen mußte
dieses einen starken Eindruck von eine^ Lehre
empfangen, welche die gesamte sichtbare und fühl-
bare Wirklichkeit vergöttlichte. Die Götter waren
überall und mischten sich in alle Vorgänge des
taglichen Lebens. Das Feuer, welches die Nahrungs-
mittel der Gläubigen zubereitete und sie wärmte,
das Wasser, welches ihren Durst löschte und sie
reinigfte, die Luft sogar, die sie atmeten, wie der
Tag, der ihnen leuchtete, waren der Gegenstand
ihrer Huldigungen. Vielleicht hat keine Religion in
dem Maße, wie der Mithriacismus, ihren Anhängern
Gelegenheit zum Gebet und Motive der Andacht
gegeben. Wenn der Eingeweihte sich abends nach
— HO —
der heUigen Grrotte begab, die in der Einsamkeit
des Waldes verborgen war, so riefen bei jedem
Schritt neue Eindrücke in seinem Herzen eine
mystische Erregimg hervon Die Sterne, welche am
Himmel glänzten, der Wind, der das Laub bewegfte,
die Quelle oder der Bach, die murmelnd zu Tal
eilten, selbst die Erde, auf welche sein Fuß trat —
alles war göttlich in seinen Augen,, und die ganze
Natur, die ihn imigab, erweckte in ihm die ehr-
fürchtige Scheu vor unendlichen Gewalten, welche
im Weltall wirkten.
FÜNFTES KAPITEL.
DIE LITURGIE, DER KLERUS UND DIE
GLÄUBIGEN.
Bei allen Religionen des klassischen Altertums
gibt es eine Seite, die, obwohl ehedem ganz offen
hervortretend, ja vielleicht sogar die allerwichtigste
für die große Masse der Gläubigen, sich dennoch
heute imserer Aufmerksamkeit beinahe vollständig
entzieht Es ist die Liturgie. Die Mysterien des
Mithra bilden keine Ausnahme von dieser beklagens-
werten Regel. Die heiligen Bücher, welche die
Gebete, die während der Gottesdienste rezitiert oder
gesungen wurden, das Ritual der Weihen und das
Zeremoniell der Feste enthielten, sind fast spurlos
verschwimden. Ein Vers, der einem imbekannten
Hymnus entstammt, ist fast alles, was sich von ehemals
sehr umfangreichen Sammlungen erhalten hat. Die
alten zu Ehren der mazdäischen Grötter verfaßten
Gäthas waren in der alexandrinischen Zeit ins
Griechische übersetzt worden, und das Griechische
blieb lange Zeit hindurch die Sprache des mithrischen
Kultus, selbst im Abendlande. Barbarische, den Nicht-
emgeweihten unverständliche Worte mischten sich in
den heiligen Text und erhöhten die Verehrung für
das alte Formular wie das Vertrauen auf seine
Wirksamkeit. So das Mithra gegebene Beiwort
112
Nabarze »^siegreich" oder die dunkelen Anrufungen
NamUf Nama Sebesto, die auf unsere Basreliefs graviert
und noch nicht erklärt sind. Ein ausgesprochener
Respekt vor den überlieferten Bräuchen ihrer Sekte
war für die Magier Kleinasiens charakteristisch und
erhielt sich ungeschwächt bei ihren lateinischen
Nachfolgern. Noch beim Untergange des Heidentums
suchten diese ihren Ruhm darin, die Götter nach den
alten persischen Riten zu ehren, welche 2^roaster
eingeführt haben sollte. Diese Riten unterschieden
ihren Kultus scharf von allen, welche gleichzeitig
mit ihm in Rom ausgeübt wurden, und verhinderten,
daß man jemals seinen iranischen Ursprung vergaß.
Wenn ein glücklicher Zufall uns eines Teiges
irgend ein mithrisches Missale in die Hände spielte,
so würden wir mit seiner Hilfe diese alten Bräuche
studieren und im Geist der Feier des Gottesdienstes
beiwohnen können. Da ims jedoch ein derartiger
imentbehrlicher Führer nicht zu Gebote steht, so
bleiben wir vom Heiligtum ausgeschlossen und kennen
die innere Disziplin der Mysterien nur aus einigen
Indiskretionen. Ein Text von St. Hieronymus^),
der durch eine Reihe von Inschriften bestätigt wird,
lehrt uns, daß es sieben Weihegrade gab, und daß
der Myste {luijcyTTi^, sacratus) nacheinander die Namen
Rabe {corax\ Verborgener (Kp\jq)io^, cryphius), Soldat
{miles)y Löwe {leo), Perser {Perses)^ Sonnenläufer
{'HXiobpöjLio^, heliodromus) und Vater {pater) annahm.
Diese seltsamen Bezeichmmgen waren keineswegs
bloße Epitheta ohne praktische Bedeutung. Bei ge-
wissen Gelegenheiten legten die Offizianten Ver-
l) Ep, loy ad Laetam,
— 113 —
Ideidungen an, welche den ihnen gewährten Titeln
entsprachen. Auf einem Basrelief sehen wir sie
nachgeahmte Kopfe von Tieren, Soldaten imd Persem
tragen.^) „Die einen schlagen mit den Flügeln wie die
Vögel imd ahmen die Stimme des Raben nach,
die andern brüllen wie Löwen", sagt ein Christ des
4. Jahrhimderts*); „da sieht man,, wie die, welche sich
weise nennen, schimpflich zu Nsirren geworden sind".
Diese heiligen Maskeraden, deren lächerliche
Seite der kirchliche Schriftsteller hervorkehrt, wurden
von den heidnischen Theologen als eine Anspielimg
auf die Zeichen des Tierkreises oder auch wohl auf
die Metempsychose erklärt. Solche Verschiedenheiten
der Interpretation beweisen lediglich, daß der wahre
Sinn dieser Verkleidimgen nichtmehr verstanden wurde.
In Wirklichkeit handelt es sich hier um ein Über-
lebsel (survivaJ) primitiver Gebräuche, deren Spuren
in vielen Kulten zu finden sind. Die Titel Bär,
Ochse, Füllen begegnen ims bei den Eingeweihten
verschiedener Mysterien in Grriechenland imd Klein-
asien. Sie gehen bis auf jene Periode der Geschichte
oder der Vorgeschichte zurück, in der man sich die
Gottheiten selbst in tierischer Gestalt vorstellte imd
der Gläubige, indem er den Namen und das Aus-
sehen seines Gottes annahm, sich mit ihm zu identi-
fizieren glaubte. Der zu einer Verkörperung der
Zeit gewordene löwenköpfige Kronos trat an die
Stelle der Löwen, welche die Vorfahren derMithriasten
verehrten, und ebenso sind die Masken aus Leinwand
oder Pappe, mit welchen die römischen Mysten sich
1) Vgl. Tafel n, Fig. 6 (Basrelief von Konjica).
2) Ps. Augustin, QuaesU veU et nov. Test, 1 14 (T. et M,, t. II, p. 8).
Camont, Mithrasmysterien. 8
— 114 —
das Gesicht bedeckten, Surrogate für die Tierfelle, in
welche sich ihre barbarischen Ahnen während der
Urzeit hüllten, sei es nun, daß sie glaubten, auf diese
Weise mit den monströsen Idolen in Gemeinschaft
zu treten, denen sie dienten, oder daß sie sich die
abgezogenen Bälge der Opfertiere überwarfen, weil
sie dieser blutigen Bekleidung eine reinigende Kraft
zuschrieben.
Den ursprünglichen Namen Rabe, Löwe hatte
man in der Folge andere beigesellt, um die heilige
Siebenzahl zu erreichen. Die sieben Stufen der
Initiation, welche der Myste durchlaufen mußte, um
die vollkommene Weisheit und Reinheit zu erlangen,
entsprachen den sieben Planetensphären, welche die
Seele durchreisen mußte, um an den Aufenthaltsort
der Seligen zu kommen.^) Nachdem man Rabe ge-
wesen war, wurde man zu dem Range eines Geheimen
oder Verborgenen (Kpuq)ioq) befördert Die Mitglieder
dieser Klasse waren mit irgend einer Hülle bedeckt
und blieben vermutlich für die übrigen Anwesenden
unsichtbar: sie zu zeigen {pstendere) bildete einen
feierlichen Akt. Der Soldat (jnües) gehörte zu dem
heiligen Heere des unbesiegbaren Gottes imd be-
kämpfte \mter seinem Befehl die Mächte des Bösen.
Die Würde des . Persers erinnerte an den ersten
Ursprung der mazdäischen Religion; und der, welcher
sie empfangen hatte, legte bei den heiligen Zeremonien
orientalische Kleidung an \md bedeckte sich mit der
phrygischen Mütze, welche man auch Mithra zu geben
pflegte. Weil dieser mit der Sonne identifiziert
wurde, werden seine Diener sich mit dem Beinamen
I) Vgl. oben S. 104 ff.
— 115 —
Laufer der Sonne ('HXiobpö|iOi) geschmückt haben.
Die „Väter** endlich sind den griechischen eiacToi
entlehnt, in denen diese ehrenvolle Benenniing häufig
gebraucht wird, um die Leiter der Gemeinschaft zu
bezeichnen.
In dieser siebenfachen Gliederung der Gläubigen
gab es außerdem noch gewisse Unterschiede. Aus
einer Stelle bei Porphyrius (De abstin. 4, 16) ist zu
schließen, daß die Verleihung der drei ersten Grade
noch nicht zur Teilnahme an den Mysterien berechtigte.
Diese Eingeweihten, welche man mit den christ-
lichen Katechumenen vergleichen kann, waren die
Diener (uTHipeTOuvreg). Um diesen Rang zu erhalten,
genügte es, \mter die Raben aufgenommen zu sein,
die ohne Zweifel deshalb so genannt wurden, weil
die Mythologie den Raben zum Diener der Sonne
macht Nur die Mysten, welche die Leontica
empfangen hatten, wurden Teilnehmer (|i€T^.xovT€q),
imd aus diesem Grunde wird der Grad des leo
in den Inschriften häufiger erwähnt als jeder andere.
An der Spitze der Hierarchie endlich standen
die „Väter**, welche den heiligen Zeremonien vor-
gestanden {pater sacrorum) und die übrigen Kate-
gorieen der Gläubigen geleitet zu haben scheinen.
Das Oberhaupt der Väter selbst führte den Namen
Pater Patrum, den man bisweilen in den andern Pater
patratus verwandelte, um einen offiziellen Priestertitel
in eine naturalisierte römische Sekte einzubürgern.
Diese Großmeister der Adepten behielten bis an ihren
Tod die allgemeine Leitung des Kultus. Der Respekt
mid die Liebe, welche man diesen ehrwürdigen
Würdenträgem entgegenzubringen verpflichtet war,
wird durch ihren Titel „Vater** angedeutet, und die
— ii6 -
ihrer Autorität unterstellten Mysten nannten sich
imtereinander „Brüder", weil sich die Weihgenossen
{consacranet) in gegenseitiger Liebe zugetan sein
sollten.^)
Die Zulassung {accepHo) zu den niederen Weihen
konnte sogar Kindern gewährt werden. Wir wissen
nicht, ob man gehalten war, jedem dieser Grade eine
bestimmte Zeit lang anzugehören. Die Väter ent-
schieden wahrscheinlich, wann der Novize genügend
vorbereitet war, um die höhere Weihe zu empfangen,
welche sie persönlich erteilten {tradere).
Diese Initiationszeremonie scheint den Namen
„Sakrament" (sacramentum) getragen zu haben, ohne
Zweifel infolge des Eides, welchen man dem Neophyten
auferlegte, \md der demjenigen ähnelte, welchen der
Rekrut zu leisten hatte, wenn er m das Heer ein-
gereiht wurde. Der Kandidat verpflichtete sich vor
allen Dingen, die Lehren und Riten geheim zu halten,
welche ihm mitgeteilt werden sollten, aber man
forderte von ihm auch noch andere speziellere Ge-
lübde. So sah der Myste, welcher sich wm den Titel
des mtles bewarb, wie man ihm einen Kranz auf einem
Schwerte reichte. Er wies ihn mit der Hand zurück
imd ließ ihn auf seine Schulter herabgleiten, indem
er sagte, daß Mithra sein einziger Kjranz sei. Von
nun an trug er niemals einen solchen wieder, weder
bei festlichen Gelegenheiten, noch wenn er ihm als
militärische Belohnung zuerkannt wurde, sondern
antwortete demjenigen, welcher ihm den Kjranz dar-
bot: „Er gebührt meinem Gotte", d. h. dem unbesieg-
baren Gotte.
J) Vgl. unten S. 144 Anm. I.
— 117 —
Wir kennen die Liturgie der sieben mithrischen
Sakramente ebenso ungenügend wie die dogmatischen
Unterweisungen, von denen ein jedes derselben be-
gleitet wurde. Doch wissen wir, daß man den Neo-
phjrten den alten iranischen Riten gemäß vielfache
Waschungen vorschrieb, eine Art Taufe, welche dazu
bestimmt war, die sittlichen Befleckungen zu tilgen.
Gerade so wie bei gewissen Gnostikem hatte die
Lustration zweifellos bei den einzelnen Weihegraden
verschiedene Wirkungen und konnte, je nach der
Veranlassimg, in einer einfachen Besprengung mit
Weihwasser oder in einem wirklichen Bade bestehen,
wie im Isiskult
Tertullian vergleicht auch die confirmatio seiner
Glaubensgenossen mit der Zeremonie, bei welcher
man „den Soldaten an der Stirn zeichnete". Li-
dessen scheint das Zeichen oder Siegel, das man
ihm gab, nicht eine Salbung, wie in der christlichen
Liturgie, sondern ein mit einem glühenden Eisen
aufgebranntes Mal gewesen zu sein, ähnlich dem-
jenigen, welches mein in der Armee den Rekruten
vor ihrer Zulassung zum Eide aufzudrücken pflegte*
Diese unauslöschliche Marke erinnerte den Professen
stets an das feierliche Gelübde, durch welches er
sich zum Dienst in dem Ritterorden verpflichtet hatte,
welchen der Mithriacismus gleichsam darstellte. Die
Aufnahme imter die ,Xowen" war von neuen
Reinigungen begleitet; da aber dieses Tier das
Sjrmbol des feurigen Prinzips war, so verzichtete man
darauf, sich des Wassers zu bedienen, weil dieses
Element dem Feuer feindlich ist Statt dessen goß
man dem Geweihten Honig auf die Hände und
bestrich damit seine Zunge, tun ihn vor jeder Be-
— ii8 —
fleckung und jeder Sünde zu bewahrenjy Honig wurde
wegen seiner schützenden KraH auch dem .J^erser"
dargeboten, erzählt uns Porphyrius *), und man scheint
dieser Substanz in der Tat wunderbare Wirkungen
beigelegt zu haben, weil man sie unter dem Einfluß
des Mondes entstanden glaubte. Nach antiker Vor-
stellung bildete sie die Nahrung der Seligen, und ihr
Genuß durch den Neophyten machte diesen der Gott-
heit gleich. 2)
Bei der mazdäischen Messe weihte der Zelebrant
Brote imd Wasser, das er mit dem von ihm zubereiteten
berauschenden Haoma- Safte mischte, und verzehrte
diese Nahrungsmittel im Verlaufe seiner gottes-
dienstlichen Funktion. Diese alten Bräuche hatten
sich in den mithrischen Initiationen erhalten, nur
hatte man den Haoma, eine im Occident unbekannte
Pflanze, durch den Saft der Rebe ersetzt Man stellte
vor den Mysten ein Brot und einen mit Wasser ge-
füllten Becher, über den der Priester die heiligen
Formeln sprach. Diese Oblation von Brot und Wasser,
welchem man dann später zweifellos Wein beimischte,
wird von den Apologeten mit der christlichen Kom-
munionverglichen. Wie diese wurde sie erst nach einem
langen Noviziat gewährt Wahrscheinlich wurden nur
die Eingeweihten, welche den Grad der ,JLowen" er-
reicht hatten, bei ihr zugelassen, und vermutlich er-
hielten sie aus diesem Grunde den Namen „Teil-
nehmer**. Ein kürzlich publiziertes merkwürdiges
Basrelief fuhrt uns dieses heilige Mahl vor (Fig. 6,
s. Tafel II): Vor zwei Personen, die sich auf einem
1) Porphyr., De antro Nymph. c. 15 (T. et M, t. 11, p. 40).
2) Der liturgische Gebrauch des Honigs ist neuerdings erörtert
von Usener, Milch und Honig (Hermes LVH) 1902 S. 177 t
— 119 —
mit Polstern versehenen Ruhelager ausgestreckt
haben, steht ein Dreifuß, welcher vier kleine Brote
trägt, von denen jedes mit einem Kreuz bezeichnet
ist. Um sie herum gruppieren sich die Mysten der
verschiedenen Grade, und einer von ihnen, der Perser,
reicht ihnen ein Trinkhom, während ein zweites
Rhyton von einem der Tischgenossen in der Hand
gehalten wird. Diese Agapen sind offenbar die ri-
tuelle Gedächtnisfeier des Mahles, welches Mithra
mit Sol gehalten hatte vor seiner Himmelfahrt^) Man
erwartete von dieser mystischen Mahlzeit, namentlich
von dem Genuß des geheiligten Weines, übernatür-
liche Wirkimgen: der berauschende Trank verlieh
nicht nur Körperkraft und materielle Wohlfahrt,
sondern auch Weisheit des Geistes; er stärkte den
Neophyten für seinen Kampf gegen die bösen Geister;
ja noch mehr, er schenkte ihm, wie seinem Gotte,
eine glorreiche Unsterblichkeit
Die Spendung der Sakramente wurde begleitet
oder vielmehr eingeleitet von anderen Riten ver-
schiedener Art, nämlich wirklichen Prüfungen, die
man dem Bewerber auferlegte. Um die heiligen
Waschungen und die geweihten Nahrungsmittel zu
empfangen, mußte dieser sich nicht nur durch längere
Enthaltsamkeit imd zahlreiche Kasteiungen darauf vor-
bereiten, sondern er spielte auch eine passive Rolle
bei gewissen dramatischen Sühnehandlungen von
seltsamem Charakter, die wir weder ihrer Zahl noch
ihrer Reihenfolge nach kennen. Darf man in diesem
Punkte einem Kirchenschriftsteller des 4. Jahrhunderts ^
I) VgL oben S. loi.
3) Vgl« oben S. 113 Anm. 2.
I20 —
Glauben schenken, so verband man dem Neophyten
die Augen, fesselte ihm die Hände mit Hühner*
därmen und ließ ihn dann über eine mit Wasser
gefüllte Grube springen. Darauf nahte ein „Befreier**
mit einem Messer und zerschnitt jene ekelhaften
Fesseln. Unter anderen Umstanden wohnte der er-
schrockene Myste, wenn nicht als aktiver Teilnehmer,
dann jedenfalls als Zuschauer, einem fingierten Morde
bei, der ursprünglich ohne Zweifel ein wirklicher
gewesen war. Schließlich begnügte man sich damit^
ein Schwert vorzuzeigen, welches mit dem Blute
eines Menschen gefärbt war, der einen gewaltsamen
Tod erlitten hatte. Die Grausamkeit dieser Zere-
monien, welche bei den kriegerischen Stämmen des
Taurus wilde Orgien gewesen sein müssen, hatte sich
durch die Berührung mit der abendländischen Zivili-
sation gemildert Sie waren jedenfalls mehr furcht-
erregend als furchtbar geworden, und man prüfte
bei ihnen weit mehr den moralischen Mut des Ein-
geweihten als seine physische Ausdauer. Das Ideal,
welches er erreichen sollte, war die stoische „Apathie",
die Befreiimg von jeder gefühlsmäßigen Erregung.
Die grausamen Meirtem, die undurchführbaren Kastei-
imgen, zu welchen allzu erfinderische oder allzu
leichtgläubige Autoren die Adepten der Mysterien
verurteilen, müssen in das Reich der Fabel ver-
wiesen werden, ebenso die angeblichen Menschen-
opfer, welche im Dunkel der heiligen Kjypten dar-
gebracht sein sollen.
Dennoch würde die Annahme unrichtig sein,
daß der Mithriacismus nur die harmlose Phantas-
magorie einer Art «mtiker Freimaurerei in Szene
gesetzt habe. In seinen liturgischen Dramen fanden
121
sich immer noch Spuren ihrer ursprünglichen Barbarei,
Erinnerungen an jene Zeit, als in den Wäldern, in
der Tiefe einer finstem Höhle, in Tierfelle gehüllte
Korybanten die Altäre mit ihrem Blut bespritzten.
In den römischen Städten wurden die ehemaligen Berg-
höhlen als Kultstätten durch unterirdische Gewölbe
(spelaea) ersetzt, die einen viel weniger erhabenen
Anblick gewährten (Fig. 7, s. Tafel 11). Aber selbst in
diesen künstlichen Grotten mußten die Initiations-
akte auf den Neophyten einen tiefen Eindruck machen.
Wenn er den Pronaos des Tempels durchschritten
hatte und die Stufen der Kjypta herabgestiegen
war, so erblickte er vor sich in dem glänzend ge-
schmückten imd beleuchteten Heiligtum das in der
Apsis angebrachte geweihte Bild des stiertötenden
Gottes, daim die mit Atributen überladenen monströsen
Statuen des löwenköpfigen Kronos und andere mysti-
sche Symbole, deren Verständnis ihm noch ver-
schlossen war. Im Halbdimkel knieten zu beiden
Seiten die Anwesenden auf Steinbänken im Gebet
oder zu stiller Sammlung ihrer Gedanken. Rings um
den Chor angeordnete Lampen warfen ein helleres
Licht auf die Bilder der Götter und auf die Offizianten,
welche in seltsame Kostüme gekleidet den Neu-
bekehrten empfingen. Unerweirtete und mit Geschick
verwandte LichteflFekte blendeten seine Augen und
seinen Geist. Die religiöse Erregung, welche sich
seiner bemächtigte, lieh in Wirklichkeit kindischen
Götzenbildern ein furchtbares Aussehen; die leeren
Gaukelspiele, welche man ihm vorführte, erschienen
ihm als ernstliche Gefahren, welche sein Mut über-
wand. Der berauschende Trank, den er genoß, über-
reizte seine Sinne und verwirrte seinen Verstand;
— 122 —
er murmelte die zauberkräftigen Formeln, und sie
tauschten seiner irregeleiteten Phantasie gottliche
Erscheinungen vor. In seiner Ekstase glaubte er
den Grenzen der Welt entrückt zu sein; und wenn
er aus dieser Verzückung wieder erwachte, so sagte
er mit dem Mysten des Apuleius*): „Ich habe die
Pforten des Todes durchschritten, ich habe die
Schwelle der Proserpina betreten, und nachdem ich
durch alle Elemente gefahren, bin ich auf die Erde
zurückgekehrt; mitten in der Nacht habe ich die
Sonne in hellem Glänze strahlen gesehen; ich habe
mich den unteren und den oberen Göttern genaht und
habe sie angebetet von Angesicht zu Angesicht."
Die Überlieferung dieses ganzen geheimen
Zeremoniells wurde sorgfaltig gehütet von einem in
der göttlichen Wissenschaft unterwiesenen und von
allen Kategorieen der Eingeweihten \mterschiedenen
Klerus. Seine ersten Begründer waren jedenfalls orien-
talische Magier gewesen, aber wir wissen fast nichts
davon, wie er sich später ergänzte und organisierte.
War er erblich, wurde er auf Lebenszeit ernannt
oder für einen gewissen Zeitabschnitt gewählt? Und
im letzten Falle: wer hatte das Recht ihn zu wählen,
und welche Bedingungen hatten die Kandidaten zu
erfüllen? Keiner dieser Punkte ist genügend aufge-
klärt Wir stellen lediglich fest, daß der Priester,
der dem Anschein nach unterschiedslos den Titel
sacerdos oder antistes führt, oft, aber nicht immer,
zu den „Vätern" gehört. In jedem Tempel fand man
einen Klleriker, bisweilen auch mehrere. Alles spricht
I) Apul., Metam. XI, 23611. ^- es handelt sich hier um die
Isismysterien.
— 123 —
für die Annahme, daß sich diese „Priesterschaft" zu
zu einer Art Hierarchie ausgebildet hatte. Tertullian^)
berichtet uns, daß der summus pontifex sich nur ein
einziges Mal verheiraten durfte. Er bezeichnet mit
diesem römischen Namen ohne Zweifel den „Vater
der Väter", welcher die Oberaufsicht über alle Ein-
geweihten einer Stadt geführt zu haben scheint.^
Dcis ist die einzige Angabe, welche wir über eine
Organisation besitzen, welche vielleicht ebenso fest
begründet war wie die der Magier im Königreich
der Sassaniden oder die der Manichäer im römischen
Reiche. Derselbe Apologet fügt hinzu, daß die An-
hänger des persischen Gottes, wie die Christen, ihre
„Jungfrauen" {vtrgines) und ihre Asketen (continentes)
hatten. Das Vorhandensein dieser Art mithrischen
Möftchtums erscheint um so bemerkenswerter, als
es dem Geiste des Zoroastrismus widerspricht, dem
Zölibat irgendwelches Verdienst beizumessen.
Die Rolle des Kllerus war im Mithriacismus
jedenfalls bedeutender als in den griechischen und
römischen Kulten. Der Priester war der berufs-
mäßige Mittler zwischen den Menschen und der
Gottheit Seine Funktionen bestanden offenbar vor
allem in der Verwaltung der Sakramente und der
Zelebrierung der Gottesdienste. Die Inschriften
lehren uns außerdem, daß er die solennen Dedikationen
leitete oder sogar dabei den Gläubigen mit den
Vätern zusammen vertrat; aber das war doch nur
der geringste Teil des Amtes, welches er zu ver-
walten hatte. Der religiöse Dienst, der ihm oblag,
1) TertuU., De praescr. haereU 40 (T, et M», t IE, p. 51).
2) Vgl. obenS. 115. Ich folge hi^ einer Anregung von Wissowa,
Religion der Römer ^ 1902, S. 309.
— 124 —
scheint sehr anstrengend gewesen zu sem* Er mußte
ohne Zweifel darüber wachen, daß ein nie ver-
löschendes Feuer auf den Altaren brannte. Dreimal
am Tage, Morgens, Mittags und in der Abend-
dämmerung richtete er ein Gebet an die Sonne, bei
dem er sich Morgens nach Osten, Mittags nach Süden
und Abends nach Westen wandte. Die tagliche
Liturgie wurde häufig durch besondere Opfer er-
weitert Der Zelebrant, in priesterliche Gewänder
gekleidet, welche denen der Magier nachgebildet
waren, schlachtete den oberen imd unteren Göttern
verschiedene Opfer, deren Blut in einer Grube ge-
sammelt wurde, oder brachte ihnen auch wohl
Libationen dar, wobei er das heilige Bündel in der
Hand hielt, welches wir aus dem Avesta kennen.
Lange Psalmodieen, von Musik begleitete Gesänge,
ertönten bei den rituellen Handlungen. Ein besonders
feierlicher Moment des Gottesdienstes, der zweifellos
durch ein Geläut von Glöckchen bezeichnet wurde,
war der, in welchem man den Eingeweihten das bis
dahin bedeckte Bild des stiertötenden Mithra ent-
hüllte. In manchen Tempeln drehte sich die skulpierte
Platte um sich selbst, wie imsere Tabernakel, und
ermöglichte so, die Darstellungen, welche ihre beiden
Flächen schmückten, abwechselnd zu verbergen und
zur Schau zu stellen.
An jedem Wochentage wurde der Planet, dem
er geheiligt war, an einer bestimmten Stelle der
Krypta angerufen, und der Sonntag, welchem die
Sonne vorstand, wurde besonders gefeiert Femer
verherrlichte der liturgische Kalender gewisse Daten
durch Feste, über welche wir leider sehr schlecht
unterrichtet sind. Vielleicht hatte der i6. Tag als
— 125 —
Mitte des Monats auch weiterhin, wie in Persien,
Mithra als Patron. Dagegen hört mein im Abend-
lande niemals von der Feier der Mithrakana reden,
die doch in Asien so populär waren.*) Sie waren
jedenfalls auf den 25. Dezember verlegt, denn ein
sehr allgemeines Herkommen forderte, die Wieder-
geburt der Sonne (Natalis invicti)^ welche vom
Wintersolstitium an wieder zu wachsen begann,
durch heilige Freudenfeste auszuzeichnen. Auch
haben wir gewisse Gründe für die Annahme, daß
die Äquinoktien ebenfalls Feiertage waren, an denen
man mit irgend einer Begrüßung die Wiederkehr
der deifizierten Jahreszeiten weihte. Die Initiationen
fanden vorzugsweise gegen Frühlingsanfang statt,
im März oder im April, ungefähr um die Osterzeit,
wo die Christen gleichfalls ihre Katechumenen zur
Taufe zuließen. Aber von den Riten aller dieser
Feiern, wie überhaupt von allem, was sich auf die
Heortologie der Mysterien bezieht, wissen wir fast
nichts.
Die mithrischen Gemeinden waren nicht nur
durch ein geistiges Band geeinte Bruderschaften,
sondern auch Assoziationen, welche eine juristische
Existenz besaßen und das Eigentumsrecht genossen.
Für die Verwaltung ihrer Geschäfte und die Wahr-
nehmung ihrer irdischen Interessen wählten sie
Beamte, welche man weder mit den Eingeweihten
noch mit den Priestern verwechseln darf. Die Titel,
welche die Mitglieder dieser Kirchengemeinderäte
in den Inschriften führen, beweisen uns, daß die
Organisation der Kollegien der Anbeter Mithras sich
I) Vgl. oben S. 8.
126
nicht von derjenigen der anderen religiösen sodalicia
unterschied, sondern wie diese der Verfassung der
Munizipien oder der Marktflecken nachgebildet war.
Diese Korporationen führten eine offizielle Liste
ihrer Mitglieder, ein album sacratorum, in welchem
die letzteren nach der Ordnung ihres Ranges und
ihrer Würden aufgezeichnet wurden. An ihrer Spitze
stand ein Rat von Dekurionen, ein leitender Aus-
schuß, der ohne Zweifel in einer Generalversammlung
ernannt wurde, eine Art Senat en miniature, dessen
zehn erste Mitgliedar (decem prtmt)^ wie in den
Städten, besondere Vorrechte besaßen. Sie hatten
ihre Obmänner [magtstrt) oder jährlich gewählten
Vorsitzenden, ihre Kuratoren {curatores)^ denen
finanzielle Befugnisse zustanden, ihre Anwälte {defen-
sores), welche die Interessen der Kultvereine vor
Gericht oder bei den Verwaltungsbehörden zu ver-
treten hatten, endlich Patrone {pa front), angesehene
Personen, von denen sie nicht nur wirksame Protektion,
sondern auch pekimiäre Unterstützungen erwarteten,
die ihnen ermöglichten, ihr Budget zu balancieren.
Da der Staat ihnen keinerlei Dotation gewährte,
so hing ihr Wohlstand ausschließlich von der Frei-
gebigkeit Privater ab. Die freiwilligen Beiträge,
welche die regelmäßigen Einnahmen des Kollegiums
bildeten, deckten kaum die Kosten des Kultus, imd
die geringste außerordentliche Ausgabe war für die
gemeinsame Kasse eine schwere Last. Diese aus
kleinen Leuten bestehenden Kultgenossenschaften
konnten nicht daran denken, mit ihren bescheidenen
Mitteln prächtige Tempel zu errichten. Gewöhnlich
erhielten sie von irgend einem freimdlich gesinnten
Besitzer ein Gnmdstück, auf dem sie ihre Kapelle
127 —
errichten oder vielmehr ausschachten konnten, und
ein anderer Wohltäter bestritt die Kosten des Baues.
Bisweilen stellte ein reicher Bürger den Mysten einen
Keller zur Verfugung, in dem sie sich einrichteten,
so gut es gehen wollte. Wenn die ersten Schenk-
geber nicht im stände waren, die innere Aus-
schmückung der Krypta und die Herstellimg der
heiligen Bilder zu bezahlen, so schössen andere
Brüder die erforderliche Summe zusammen, und eine
ehrende Inschrift erhielt die Erinnerung an ihre
Opferwilligkeit. Drei Weihinschriften zu Rom führen
uns die Begründung einer solchen Kongregation
von Mithriasten vor Augen ^): Ein Freigelassener
und ein Freigeborener haben sich zusammengetan,
um einen marmornen Altar zu schenken; zwei andere
Eingeweihte haben einen zweiten gestiftet, und ein
Sklave hat ebenfalls seine bescheidene Gabe bei-
gesteuert. Zum Lohn für ihre Freigebigkeit erhalten
die hochherzigen Spender die höchsten Würden in
der kleinen Gemeinde. Infolge jener Liberalität
richtet diese sich allmählich ein und kann sich
schHeßlich sogar einen gewissen Luxus erlauben.
Der Marmor folgt dem gewöhnlichen Stein, die
Skulptur ersetzt den Stuck, \md die Mosaik tritt an
die Stelle der Malerei. Wenn endlich der erste
Tempel vor Alter einstürzt, ist die reich gewordene
Gemeinschaft häufig in der Lage, ihn in neuer Pracht
wiedererstehen zu lassen.
Die Menge der Gaben, deren die epigraphischen
Texte gedenken, bezeugt die Anhänglichkeit der
I) CIL. VI, 556, 717, 734 = 30822 (r. et M. t. n, p. lOi,.
nos. 47—48 bis).
— 128 —
Gläubigen an die Bruderschaften, in welche sie auf-
genommen worden waren. Dank der imentwegten
Hingabe Tausender von eifrigen Anhängern konnten
diese Gemeinden, die organischen Zellen des großen
religiösen Körpers, leben imd sich entwickeln. Der
Orden gliederte sich in eine Masse kleiner eng-
verbundener Vereine, welche dieselben Riten in den-
selben Heiligtümern vollzogen. Die geringe Größe
der Tempel, in denen sie sich versammelten, zeigt,
daß die Anzahl ihrer Mitglieder immer sehr beschränkt
gewesen ist. Selbst wenn man annimmt, daß allein
die „Teilnehmer** in der imterirdischen Kiypte zu-
gelassen wurden, während die Eingeweihten niederer
Grade nur Zutritt zum Pronaos hatten, können diese
Assoziationen kaum mehr als etwa hundert Seelen
gezählt haben. Sobald die Zahl der Mitglieder über-
mäßig wuchs, baute man eine neue Kapelle, imd der
Kultverein teilte sich. In diesen festgeschlossenen
Gemeinden, in welchen alle sich gegenseitig kannten
und imterstützten, herrschte die Intimität einer großen
Familie. Die von einer aristokratischen Gesellschaft
gezogenen Grenzlinien verwischten sich hier, wo die
Annahme desselben Glaubens den Sklaven neben,
bisweilen selbst über den Dekurionen imd den
clartsstmus stellte. Alle unterwarfen sich denselben
Vorschriften, alle wurden zu denselben Festen ge-
laden, alle ruhten nach ihrem Tode ohne Zweifel in
einem gemeinsamen Begräbnis. Obwohl man bisher
noch kein mithrisches Coemeterium gefunden hat,
machen es die besonderen Glaubensvorstellungen der
Sekte über das zukünftige Leben und ihre so eigen-
artigen Riten doch sehr .^wahrscheinlich, daß ihre
Kollegien, wie die vueisten sodaltctat nicht nur religiöse.
129 —
sondern auch fiineräre Zwecke verfolgten. Sie übte
Jedenfalls die Beerdigimg, und der lebhafteste Wunsch
ihrer Anhänger war gewiß, ein zugleich ehrenvolles
und frommes Begräbnis zu erhalten, ein „ewiges
Haus", wo sie in Frieden den Tag der Auferstehung
erwarten konnten. Wenn der Brudemame, den sich
die Eingeweihten gaben, kein leeres Wort war, so
mußten sie sich gegenseitig wenigstens diese letzte
Wohltat erweisen.
Das sehr imvollkonmiene Bild, welches wir uns
von dem inneren Leben der mithrischen Konventikel
zu entwerfen vermögen, hilft ims doch, die Grründe
ihrer raschen Vermehrung besser zu erkennen. Die
armseligen Plebejer, welche zuerst massenhaft in sie
eintraten, fanden in dem Brudersinn dieser Kongre-
gationen eine Hülfe und eine Stärkimg. Indem sie
sich ihnen anschlössen, traten sie aus ihrer Isolierung
und ihrer Verlassenheit heraus, um Glieder einer
mächtigen, streng hierarchisch organisierten Gemein-
schaft zu werden, deren Verzweigungen einem über
die ganze Fläche des Reiches ausgespannten Netze
glichen. Überdies befriedigten die Titel, welche ihnen
hier verliehen wurden, den für jeden Menschen
natürlichen Wimsch, eine gewisse Rolle in der Welt
zu spielen imd von seinesgleichen irgendwie geachtet
zu werden.
Zu diesen rein weltlichen Beweggründen gesellten
sich die mächtigeren Motive des Glaubens. Die
Glieder dieser kleinen Verbände bildeten sich ein,
die bevorzugten Besitzer einer uralten, aus dem
fernen Orient stammenden Weisheit zu sein. Das
Dunkel, von welchem diese unergründlichen Ge-
heimnisse umgeben waren, erhöhte die Verehrung,
Cumont, Mithrasmysterien. 9
— I30 —
welche sie einflößten: Omne ignotum pro magnifica
est. Die stufenweise aufeinander folgenden Weihen
ließen den Neophyten immer erhabenere Wahrheiten
erhoffen, und die seltsamen Bräuche, mit welchen sie
verbimden waren, machten auf seine naive Seele
einen unauslöschlichen Eindruck. Man glaubte in
diesen mystischen Zeremonien eine Aufmunterung-
und einen Trost zu finden und fand beides auch
wirklich darin, indem die Suggestion zur Realität
wurde; man fühlte sich von seinen Sünden gereinigt
durch die rituellen Waschimgen, imd diese Taufe
befreite das Gewissen von der Last schwerer Ver-
antwortimg; man kehrte gestärkt von diesen heiligen
Mahlen heim, welche die Verheißung eines besseren
Lebens in sich trugen, in dem die Leiden dieser
Welt ihren Ausgleich finden würden. Die erstaimliche
Expansion des Mithriacismus ist großenteils diesen
gprenzenlosen Illusionen zuzuschreiben, die lächerlich
sein würden, wenn sie nicht so durchaus menschlich
wären.
Aber in dem Wettbewerb der rivalisierenden
religiösen Gemeinschaften, welche sich imter den
Cäsaren um die Herrschaft über die Seelen stritten^
machte ein Nachteil den Kampf für die persische
Sekte ungleich. Während die meisten orientalischen
Kulte den Frauen eine bedeutende, bisweilen
sogar ausschlaggebende Rolle zugestanden und
dafür in ihnen glühende Anhängerinnen fanden,
verbot ihnen Mithra die Teilnahme an seinen Mysterien
imd beraubte sich so einer wertvollen Unterstützung
seiner Propaganda. Die rauhe Disziplin des Ordens
gestattete ihnen nicht, Grrade in den geheiligten
Kohorten zu erwerben, und sie erhielten, wie bei den
— 131 —
Mazdäem des Orients, nur einen untergeordneten
Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen. Unter
den Hunderten von Inschriften, welche auf uns ge-
kommen sind, erwähnt nicht eine einzige eine
Priesterin, eine Eingeweihte oder auch nur eine Schenk-
geberin. Doch eine Religion, welche nach der Welt-
herrschaft strebte, konnte nicht die Erkenntnis der
gottlichen Dinge der Hälfte der Menschheit vor-
enthalten, \md daher schloß sie, um auch der weib-
lichen Frömmigkeit Nahrung zu bieten, in Rom
einen Bund, der sicherlich zu ihrem Erfolge beitrug.
Die Geschichte des Mithriacismus im Abendlande
wurde imverständlich bleiben, wollte man von seiner
Politik bezüglich des übrigen Heidentums absehen.
SECHSTES KAPITEL.
MITHRA UND DIE RELIGIONEN DES
KAISERREICHES.
Die Akten der orientalischen Märtyrer zeugen
in beredter Weise von der Unduldsamkeit des
nationalen Klerus im sassanidischen Persien, und
schon die Magier des alten Reiches, waren sie auch
keine Verfolger, bildeten mindestens eine exklusive
Kaste, vielleicht sogar einen privilegierten Stamm.
Die Priester Mithras gaben niemals einen Beweis
von ähnlichem Radikalismus. Wie das alexandrinische
Judentum, so war auch der Mazdaismus in Klein-
asien durch den Einfluß der hellenischen Kultur
humanisiert In eine fremde Welt versetzt, mußte
er sich den Sitten imd Ideen anpassen, welche in
ihr herrschten, und das Wohlwollen, mit welchem
er aufgenommen wurde, ermimterte ihn dazu, bei
seiner versöhnlichen Politik zu beharren. Die
iranischen Götter, welche Mithra auf seinen Wande-
rungen begleiteten, wurden im Occident imter
griechischen und lateinischen Namen verehrt, die
avestischen Yazatas nahmen die Gestalt der Un-
sterblichen an, die im Olymp thronen, und diese
Tatsachen beweisen zur Genüge, daß die asiatische
Religion, weit entfernt davon, den alten griechisch-
römischen Glaubensvorstellungen feindlich gegen-
— 133 —
überzutreten, sich ihnen anzuschmiegen suchte,
wenigstens dem Anschein nach. Ein frommer Myste
konnte, ohne seinen Glauben zu verleugnen, der
kapitolinischen Trias, Jupiter, Jimo und Minerva,
ein Weihgeschenk widmen; er faßte diese Götter-
namen nur in einem von ihrem gewöhnlichen Ver-
ständnis abweichenden Sinne auf. Wenn das an-
geblich den Eingeweihten auferlegte Verbot, an
anderen Mysterien teilzimehmen, jemals beachtet
wurde, so konnte es doch den syukretistischen Ten-
denzen des kaiserlichen Paganismus nicht lange
widerstehen: im 4. Jahrhimdert findet man „Väter
der Väter", welche das höchste Priesteramt in den
verschiedensten Tempeln ausüben.
Überall wußte sich die Sekte mit Geschick der
Umgebimg anzupassen, in der sie zu leben hatte.
Im Donautale übte sie auf den einheimischen Kultus
eine Wirkimg aus, welche eine längere Berührung
zwischen ihnen voraussetzt. In der Rheingegend
wurden keltische Gottheiten in den Krypten des
persischen Gottes oder jedenfalls in ihrer immittel-
baren Nachbarschaft verehrt. Je nach der Gegend
nahm so die mazdäische Theologie verschiedene
Färbungen an, deren Abstufung unser Auge nur un-
vollkommen zu erkennen vermag, aber diese dogma-
tischen Nuancen gestalteten nur die nebensächlichen
Details der Religion verschieden, ohne ihre funda^
mentale Einheit irgendwie in Frage zu stellen.
Nichts spricht dafür, daß jene Modifikationen einer
biegsamen Lehre Häresieen hervorgerufen haben.
Ihre Konzessionen waren rein formeller Natur. In
Wirklichkeit assimilierte sich der im Abendlande zu
seiner vollen Reife erwachsene oder bereits von
— 134 —
Altersschwäche ergrififene Mithriacismus die Elemente
nicht mehr, welche er dem ihn umgebenden Leben
entlieh. Die einzigen Einflüsse, welche seinen
Charakter von Grund aus umgestalteten, waren die,
welche er in seiner Jugend inmitten der Völker-
schaften Asiens erfuhr.
Die engen Beziehimgen, welche Mithra mit
gewissen Gottheiten dieses Erdteils verbanden,
gründeten sich nicht nur auf die natürliche Verwandt-
schaft, welche alle diese orientalischen Emigranten im
Gegensatz zum griechisch-römischen Heidentum einte.
Die alte religiöse Feindschaft der Ägypter und der
Perser erhielt sich sogar noch im kaiserlichen Rom,
und die iranischen Mysterien scheinen von denen
der Isis durch eine geheime Rivalität, wenn nicht
gar durch einen offenen Gegensatz geschieden gewesen
zu sein. Sie verbündeten sich dagegen ohne Um-
stände mit den syrischen Kulten, welche mit ihnen
aus Asien nach Europa gekommen Wciren. Ihre ganz
mit chaldäischen Theorien durchsetzte Predigt mußte
eine große Ähnlichkeit mit derjenigen der semitischen
Religionen aufweisen. Der schon in seinem Vater-
land Kommagene gleichzeitig mit Mithra verehrte
Jupiter Dolichenus, der immer, wie jener, eine vor-
zugsweise militärische Gottheit blieb, findet sich
neben ihm in allen Ländern des Occidents. Zu
Camuntum in Pannonien grenzten ein Mithraeum
und ein Dolichenum sogar unmittelbar aneinander.
Der Baal, der Herr des Himmels, hatte sich
leicht mit dem zu Jupiter -Caelus gewordenen
Oromazdes verschmolzen, imd Mithra konnte ohne
allzugroße Mühe dem Sonnengott der Syrer assi-
miliert werden. Selbst die Riten der beiden Litur-
— 135 —
gien scheinen gewisse Ähnlichkeiten dargeboten zu
haben.
Ebenso wie in Kommagene hatte sich der
Mazdaismus auch in Phrygien mit der Religion des
Landes zu verständigen gesucht. Man hatte in der
Vereinigimg von Mithra und Anähita das Äquivalent
des Verhältnisses gefunden, welches zwischen den
großen einheimischen Gottheiten Attis imd Cybele
bestand, und das Einvernehmen zwischen den beiden
heiligen Paaren setzte sich in Italien fort Das
älteste bekannte Mithraeum stieß an das Metroon in
Ostia, und man hat allen Grund zu glauben, daß der
Kultus des iranischen Gottes imd der der phrygischen
Göttin über die ganze Ausdehnung des römischen
Reiches hin in enger Gemeinschaft mit einander
lebten. Trotz der tiefgehenden Unterschiede ihres
Oiarakters führten politische Motive sie zusammen.
Indem die Anhänger Mithras sich die Freundschaft
der Priester der Mater Magna sicherten, gewcinnen
sie die Unterstützung eines mächtigen, offiziell an-
erkannten Klerus imd nahmen in gewissem Maße
an dem Schutze teil, den der Staat ihm gewährte.
Da femer nur Männer den geheimen Zeremonien
der persischen Liturgie beiwohnen durften, mußten
andere Mysterien, zu welchen die Frauen zugelassen
wurden, irgendwie mit den ersteren verbimden
werden, um sie zu ergänzen. So folgte die Große
Mutter der Anähita nach; sie hatte ihre Matres^ wie
Mithra seine „Väter", imd ihre Eingeweihten gaben
sich gegenseitig den Namen „Schwestern", wie die
Gläubigen ihres Genossen den Brudemamen führten.
Dieses folgenreiche Bündnis war namentlich
vorteilhaft für den alten in Rom naturalisierten Kultus
- 136 -
von Pessinus. Das rauschende Gepränge seiner Feste
verhehlte nur schlecht die Dürftigkeit seiner Lehre,
welche die Herzenswünsche der Frommen nicht zu
befriedigen vermochte. Seine ziemlich rohe Theologie
erhielt einen neuen Aufschwung, als sie gewisse maz-
däische Glaubensvorstellungen adoptiert hatte. Es ist
kaum zu bezweifeln, daß die Sitte des Tauroboliums
samt den auf sie bezüglichen Ideen von Reinheit und
Unsterblichkeit imter den Antoninen aus den Tempeln
der Anähita in die der Mater Magna gewandert ist
Der barbarische Brauch, auf einen in einer Grrube
verborgenen Mysten das Blut eines Opfertieres herab-
rinnen zu lassen, welches auf dem jene Grrube be-
deckenden durchlöcherten Bretterboden geschlachtet
wurde, war vermutlich in Asien seit uralter Zeit ein-
heimisch. Nach einer bei primitiven Völkern weit ver-
breiteten Vorstellimg ist das Blut der Sitz der Lebens-
kraft, und der Patient, welcher damit seinen Körper
übergoß \md seine Zimge benetzte, glaubte auf diese
Weise den Mut und die Stärke des geschlachteten
Tieres auf seine eigene Person übergehen lassen zu
können. Dieses heilige Gießbad scheint in Kappa^
docien in einer großen Anzahl von Heiligtümern
üblich gewesen zu sein, besonders in denen der Mä,
der großen einheimischen Göttin, imd in denen der
Anähita. Diese Göttinnen, denen der Stier heilig
war, wurden von den Griechen allgemein ihrer Artemis
Tauropolis gleichgesetzt, imd die in ihrem Kult ge-
übte rituelle Übergießung erhielt daher den Namen
tauropvlium (TaupoTTÖXiov), der durch Volksetymologie
in taurobolium (TaupoßöXiov) verwandelt wurde. Aber
unter dem Einfluß der mazdäischen Glaubens-
yorstellimgen über das zukünftige Leben legte man
— 137 —
der Bluttaufe eine tiefere Bedeutung bei. Man
dachte nicht mehr daran, indem man sich ihr imter-
zog, die Kraft des Stieres zu erlangen; nicht mehr
die WiederaufiErischimg der physischen Kräfte sollte
der „besondere Saft", welcher das Leben erhält, ver-
mitteln, sondern eine entweder zeitweilige oder sogar
dauernde Erneuerung der Seele.*)
Als das Taurobolium unter den Kaisem in Italien
eingeführt wurde, wußte man zuerst nicht, welchen
lateinischen Namen man der Göttin geben sollte, der
zu Ehren es gefeiert wurde. Die einen sahen in ihr
eine Venus caelestis; andere verglichen sie mit
Minerva wegen ihres kriegerischen Charakters. Aber
bald nahmen die Priester der Cybele diese seltsame
Zeremonie in ihre Liturgie auf, offenbar im Ein-
verständnis mit den offiziellen Autoritäten, weil in
diesem anerkannten Kultus nichts ohne die Ge-
nehmigimg der Quindecimvim geändert werden konnte.
Wir sehen sogar, daß die Kaiser denjenigen, welche
dieses scheußliche Opfer für ihr Heil darbrachten,
Privilegien bewilligten, ohne daß wir die Beweg-
gründe für diese besondere Begiinstigung klar er-
kennen können. Die Wirkimg, welche man dieser
blutigen Reinigimg zuschrieb, die ewige Wieder-
geburt, welche man von ihr erwartete, war den Hoff-
nungen ähnlich, welche die Mysten des Mithra an die
Opferung des mythischen Stieres knüpften.^) Die
Ähnlichkeit dieser Lehren erklärt sich ganz natürlich
durch die Identität ihres Ursprungs. Das Taurobolium
1) Die vorstehenden Zeilen enthalten die Ergebnisse einer Studie
Sber Le taurohole et la ctUte de Belloney veröffentlicht in der Revue
^histoire et de litterature religienses t. VI, 1901, p. 97 ss.
2) Vgl. oben S. 107.
- 138 -
ist, wie viele Riten der orientalischen Kulte, ein
Überiebsel ans wilder Vergangenheit, das eine
spiritualistische Theologie ihren moralischen Zwecken
angepaßt hatte. Als charakteristische Tatsache ist
zu verzeichnen, daß die ersten Opfer dieser Art,
welche wir von dem Klerus der phrygischen Gottin
vollziehen sehen, in Ostia stattfanden, wo das Metroon,
wie wir bereits erwähnt haben*), an eine mithrische
Krypta grenzte.
Der Symbolismus der Mysterien sah jedenfalls
in der Mater Magna die nährende Erde, welche der
Himmel alljährlich befruchtet. Ebenso hatten die
anderen griechisch-römischen Gottheiten, welche sie
sich angeeignet hatten, ihren Charakter ändern müssen,
um in ihr dogmatisches System zu passen. Bald
hatte man sie mit mazdäischen Heroen identifiziert,
und barbeirische Legenden feierten daim die neuen
Heldentaten, welche sie vollbracht hatten. Bald
betrachtete man sie als die wirkenden Kräfte, welche
alle Wandlungen des Universums hervorbrachten.
Dann stellte man in die Mitte dieses wieder natura-
listisch gewordenen und dadurch seinem ursprünglichen
Charakter angenäherten Pantheons die Sonne, denn
sie W£ir die höchste Macht, welche den Lauf aller
Planeten und sogcir die Revolution des Himmels
regelte, die mit ihrem Licht und ihrer Wärme alles
Leben auf Erden schuf. Diese ursprünglich astro-
logische Vorstellung wurde immer mehr vorherrschend,
in je engere Beziehungen Mithra zum gpriechischen
Denken trat, und ein je treuerer Untertan des
römischen Staates er wurde.
I) Vgl. oben S. 135.
— 139 —
Die Verehrung der Sonne, geboren aus einem
Gefühl der Dankbarkeit für ihre täglichen Wohltaten,
gewachsen durch die Beobachtung ihrer unendlich
wichtigen Rolle im kosmischen System, war das
logische Endziel des Paganismus. Sobald die gelehrte
Reflexion sich daran machte, die heiligen Über-
liefenmgen zu erklären, imd in den Göttern des
Volkes Kräfte oder Elemente der Natur erkannte,
mußte sie notwendig dem Gestirn einen hervorragen-
den Platz einräumen, von dem die Existenz unserer
Erde selbst abhängig ist „Ehe die Religion dazu
gelangt war, es auszusprechen, daß Gott im Idealen
und Absoluten, d. h. außerhalb der Welt, zu suchen
sei, war nur ein einziger Kultus vernünftig imd
wissenschaftlich, nämlich der Kultus der Sonne."*)
Seit Plato und Aristoteles betrachtete die griechische
Philosophie die Himmelskörper als beseelte imd
gottliche Wesen; der Stoizismus brachte neue Argu-
mente zu gunsten dieser Ansicht bei; der Neupytha^
goräismus imd der Neuplatonismus betonen überdies
noch den heiligen Charakter des Lichtes, welches
das stets gegenwärtige Bild des übersinnlichen Gottes
sei Diese von den Denkern gebilligten Glaubens-
vorstellimgen wurden durch die Litteratur weit ver-
breitet und besonders durch solche Werke, in denen
romantische Fiktionen zur Maskierung eines rein
theologischen Inhalts dienten.
Stimmte die Heliolatrie mit den philosophischen
Lehren der Zeit überein, so war sie nicht minder
l) Renan, Lettre ä Berthelot (Dialogues et fragments philo-
sophiques) p. l68: „Avant que la reKgion füt arriv6e ä proclamer que
Dieu doit 6tre mis dans l'absolu et Tid^al, c*est-ä-dire hors du monde,
un seul culte fiit raisonnable et scientifique, ce fut le culte du Soleil.**
— I40 —
ihren politischen Tendenzen konform. Wir haben zu
zeigen versucht, welcher Zusammenhang zwischen
der Anbetimg der Kaiser imd der des Sol invictus
bestand. Als die Cäsaren des 3. Jahrhunderts sich
für vom Himmel auf die Erde herabgestiegene Götter
ausgaben, hatte die Inanspruchnahme ihrer ver-
meintlichen Rechte die Einrichtimg eines öffentlichen
Kultes für die Gottheit, als deren Emanation sie sich
ansahen, zur logischen Folge. Heliogabal hatte für
seinen Baal von Emesa die Suprematie über das
ganze heidnische Pantheon beansprucht Die Ex-
centrizitäten und Gewalttätigkeiten dieses haltlosen
Menschen ließen seinen Versuch kläglich scheitern,
aber er war zeitgemäß und wurde bald mit besserem
Erfolge wiederholt. Aurelian weihte in der Nähe
der Via Flaminia, im Osten des Marsfeldes, ein
kolossales Gebäude dem schützenden Gotte, der ihm
in S3nrien den Sieg geschenkt hatte. Die Staats-
religion, welche er einführte, ist mit dem Mithria-
cismus nicht zu verwechseln; ihr grandioser Tempel,
ihre prunkvollen Zeremonien, ihre vierjährigen Spiele,
ihr Klerus von Pontifices erinnern an die großen
Heiligtümer des Orients und nicht an die dimkelen
Grotten, in denen die Mysterien gefeiert wurden.
Dessenungeachtet konnte der Sol invictus, welchen
der Kaiser mit einem bislang imerhörten Pomp hatte
ehren wollen, von den Gläubigen des Mithra als ihr
Gott in Anspruch genommen werden.
Die kaiserliche Politik gab in der offiziellen
Religion den ersten Platz der Sonne^ deren Emanation
der Souverän war, ebenso wie in den durch die
Mithriasten verbreiteten chaldäischen Spekulationen
der königliche Planet die übrigen Gestirne beherrschte.
— 141 —
Auf beiden Seiten neigte man sogar dazu, in dem
strahlenden Himmelskörper, der das Weltall erleuchtet,
den einzigen Gott oder doch das sinnliche Bild des
einzigen Gottes zu erblicken, imd nach dem Vorbilde
der Monarchie, die auf Erden regierte, den Mono-
theismus im Himmel zu inthronisieren. Macrobius
setzt in seinen Satumalien gelehrt ai^seinander, daß
alle Gottheiten auf ein einziges, unter verschiedenen
Gesichtswinkeln angeschautes Wesen zurückzuführen,
und daß die mannigfaltigen Namen, unter denen man
es anbete, dem des Helios äquivalent seien. Der
Theologe, welcher diese radikale Synkrasie ver-
teidigt, Vettius Agorius Praetextatus, W£ir nicht nur
einer der höchsten Würdenträger des Reiches,
sondern auch einer der letzten Häupter der persischen
Mysterien.
Der Mithriacismus, wenigstens der des 4. Jahr-
hunderts, verfolgte mithin das Ziel, durch die Ver-
einigung aller Götter und Mythen in einer ungeheuren
Synthese eine neue Religion zu gründen, welche im
Einklang stehen sollte mit der damals herrschenden
Philosophie wie mit der Verfassung des Reiches.
Diese Religion würde ebenso weit von dem alten
iranischen Mazdaismus entfernt gewesen sein als von
dem griechisch-römischen Heidentimi, welches den
siderischen Mächten nur einen ganz unbedeutenden
Platz gönnte. Sie würde die Idolatrie gewissermaßen
zu ihrem Ursprung zurückgeführt und in den Mythen,
welche ihre Bedeutimg verschleiert hatten, die ver-
götterte Natur wieder entdeckt haben. Mit dem
römischen Prinzip der Nationalität der Kulte brechend,
würde sie die Weltherrschaft des mit der unbesieg-
baren Sonne identifizierten Mithra aufgerichtet haben.
142
Ihre Anhänger hofften, indem sie alle Frömmigkeit
auf ein einziges Objekt konzentrierten, den zersetzten
Glaubensvorstellimgen neue Festigkeit zu geben.
Der solare Pantheismus war die letzte Zuflucht der
Konservativen, die sich durch eine revolutionäre
Propaganda bedroht sahen, welche die gesamte alte
Ordnimg der Dinge zu vernichten strebte.
Zu der Zeit, als dieser heidnische Monotheismus
in Rom das Scepter ergriff, hatte der Kampf zwischen
den mithrischen Mysterien imd dem Christentum
schon längst begonnen. Beide Religionen waren
fast gleichzeitig auf die Bühne der Welt getreten,
imd ihre Ausbreitung hatte sich imter analogen Be-
dingimgen vollzogen. Beide aus dem Orient ge-
kommen, verdankten sie ihre äußeren Erfolge den-
selben allgemeinen Ursachen, der politischen Einheit
imd der moralischen Ancirchie des Kaiserreiches.
Die Verbreitung der einen wir die der andern vollzog
sich mit ähnlicher Schnelligkeit, und an der Neige
des 2. Jahrhimderts besaßen sie beide Anhänger in
den entlegensten Gegenden der römischen Welt
Die Jünger des Mithra hätten sich mit vollem Recht
den hyperbolischen Ausspruch Tertullians aneignen
dürfen: Hesterni sumus et vestra omnia implevimus. ...
Wenn man die Anzahl der Denkmäler in Betracht
zieht, welche der persische Kult ims hinterlassen hat,
so kann man sich sogar fragen, ob zur Zeit der
Severer seine Adepten nicht zahlreicher gewesen
sind als die Gläubigen des Christus. Eine andere
Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionsgemein-
schaften besteht darin, daß sie beide anfänglich ihre
Proselyten vor allem in den unteren Klassen der
Gesellschaft fanden. Ihre Propaganda war ursprünglich
— 143 —
im wesentlichen populär; im Gegensatz zu den
philosophischen Schulen wandte sie sich weniger an
die Gelehrten als an die Menge imd appellierte in-
folgedessen mehr an das Gefühl als an den Verstand.
Neben diesen Ähnlichkeiten bemerkt man in-
dessen in den Mitteln und Wegen der beiden Gegner
bedeutsame Unterschiede. Die ersten Eroberungen
des Christentums wurden durch die jüdische Diaspora
begfünstigt, imd es hat sich zuerst in den Gegenden
verbreitet, welche mit israelitischen Kolonieen be-
völkert waren. Seine Gemeinden entwickeln sich
daher namentlich in den Randländem des Mittel-
meeres; sie beschränken ihren Wirkimgskreis auf die
Städte, und ihre Vermehrung ist großenteils eine
Folge von Missionsreisen, welche mit der ausge-
sprochenen Absicht unternommen wurden, „die Völker
zu lehren". Die Ausbreitimg des Mithriacismus da^
g^gen ist vor allem das natürliche Produkt sozialer
imd politischer Faktoren: der Einfuhr von Sklaven^
der Translokationen von Truppen, der Versetzungen
öffentlicher Beamter. In der Verwaltung und in der
Armee zählt er die meisten Anhänger, also gerade
da, wo die Christen infolge ihrer Abneigimg gegen
das offizielle Heidentum sehr dünn gesäet bleiben*
Außerhalb Italiens verbreitet er sich hauptsächlich
an den Grenzen entlang imd faßt er zu gleicher Zeit
in den Städten und auf dem Lande Fuß; seine
festesten Stützpunkte findet er in den Donauprovinzen
und in Germanien, während die Kirche die schnellsten
Fortschritte in Kleinasien imd Syrien macht Die
Herrschaftsgebiete der beiden religiösen Mächte
fallen mithin nicht zusammen, und beide konnten sich
lange genug ausdehnen, ohne miteinander in Konflikt
— 144 —
zu geraten. Nur im Rhönetal, in Afrika und vor
allem in der Stadt Rom, wo alle beide tiefe Wurzeln
geschlagen hatten, mußte im 3. Jahrhimdert der
Wettstreit zwischen den Kollegien der Mithraanbeter
und der Gemeinschaft der Christusgläubigen besonders
lebhaft entbrennen.
Der Kampf zwischen den beiden rivalisierenden
Religionen wurde imi so hartnäckiger geführt, je
ähnlicher sie ihrem Charakter nach waren. Ihre
Adepten bildeten in gleicher Weise geheime, fest^
geschlossene Konventikel, deren Mitglieder sich den
Namen „Brüder" gaben. ^) Die Riten, welche sie aus-
übten, boten zahlreiche Analogien: wie die Christen
reinigten sich auch die Anhänger des persischen
Gottes durch eine Taufe, empfingen durch eine Art
Firmelung die Klraft, die bösen Geister zu bekämpfen,
und erwarteten von einer Kommunion das Heil der
Seele und des Leibes. Wie jene heiligten sie den
Sonntag, und am 25. Dezember feierten sie die Geburt
der Sonne, also an demselben Tage, an dem —
wenigstens seit dem 4. Jahrhundert — das Weihnachts-
fest stattfand. Ebenso predigten sie eine imperative
Moral, hielten die Askese für verdienstlich imd
rechneten zu den wichtigsten Tugenden Enthalt-
samkeit und Keuschheit, Entsagung und Selbstbe-
herrschung. Ihre Vorstellungen von der Welt imd
dem Schicksal der Menschen waren ähnlicher Natur:
sie glaubten beide an die Existenz eines Himmels
der Seligen in überirdischen Regionen \md einer
i) Icli möchte dazu bemerken, daß selbst der Ausdruck „teuerste"
oder „liebste Brüder** schon bei den Anhängern des Jupiter Dolichenus
üblich war (CIL. VI, 406 = 30758: fratres carissimos et corUegas
honlestissimos]) und wahrscheinlich auch in den mithrischen Vereinen.
— 145 —
von Dämonen bevölkerten Hölle in den Tiefen der
Erde; sie setzten an den Anfang der Geschichte
eine Sintflut, sie führten ihre Überlieferungen auf
eine ursprüngliche Offenbarung zurück; sie glaubten
endlich an die Unsterblichkeit der Seele, an ein
jüngstes Gericht und an die Auferstehung der
Toten im Zusammenhang mit dem schließlichen
Weltbrande.
Wir haben gesehen, daß die Theologie der
Mysterien aus Mithra als „Mittler*' das Äquivalent
des alexandrinischen Logos machte. Gleich ihm war
Christus der )li€cittic, der Mittler zwischen seinem
hinmüischen Vater imd den Menschen, \md gleich
ihm bildete er das Glied einer Trinität. Diese Ver-
gleichspunkte waren jedenfalls nicht die einzigen,
welche die heidnische Exegese zwischen beiden
statuierte, und das Bild des stiertötenden Gottes,
der sich schweren Herzens dazu entschließt sein
Opfer zu schlachten, um zu schaffen und die Mensch-
heit zu erlösen, wurde gewiß mit dem des Heilandes
verglichen, der sich selbst für das Heil der Welt
zum Opfer bringt.
Anderseits stellen die kirchlichen Autoren, eine
Metapher des Propheten Maleachi wiederaufnehmend,
der „imbesiegbaren Sonne** die „Sonne der Ge-
rechtigkeit" gegenüber imd erblicken sämtlich in
der glänzenden Kugel, welche den Menschen leuchtet,
ein Symbol des Christus, des „Lichtes der Welt".
Darf man sich darüber wimdem, daß die Masse der
Frommen die subtilen Unterschiede der Gelehrten
nicht immer respektiert, und daß sie, einer heidnischen
Sitte folgend, dem strahlenden Gestirn Huldigungen
dargebracht hat, welche die Orthodoxie Gott selbst
Cumont, Mithrasmysterien. 10
— 146 —
vorbehielt? Im 5. Jahrhundert neigten sich nicht nur
Häretiker, sondern auch wahrhaft Gläubige noch vor
der flammenden Scheibe, wenn sie sich über den
Horizont erhob, und murmelten dabei die Bitte:
„Erbarme dich imser."
Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionen
war so groß, daß sie im Altertum selbst allgemein
auffiel. Seit dem 2. Jahrhundert zogen die griechi-
schen Philosophen zwischen den persischen Mysterien
und dem Christentum eine Parallele, die natürlich
zimi Vorteil der ersteren ausfiel. Die Apologeten
betonen ihrerseits ebenfalls die Analogieen zwischen
den beiden rivalisierenden Religionen imd erklären
sie durch satanische Nachäffung der heiligsten Riten
ihres Glaubens. Wären ims die polemischen Schriften
der Mithriasten erhalten geblieben, so würden wir
ohne Zweifel gewahren, daß sie denselben Vorwurf
gegen ihre Gegner schleuderten.
Wir dürfen heute nicht mehr daran denken, eine
Frage zu entscheiden, deren Beantwortung schon die
Zeitgenossen in zwei feindliche Lager trennte, und
die zweifellos niemals gelöst werden wird. Wir
kennen die Dogmen und die Liturgie des römischen
Mazdaismus und ebenso die Geschichte des Ur-
christentimis zu ungenügend, um beurteilen zu können,
\mter welchen wechselseitigen Einflüssen ihre gleich-
zeitige Entwicklung sich vollzogen hat Überdies
setzt Ähnlichkeit nicht imbedingt Nachahmung voraus.
Viele Übereinstimmungen zwischen der mithrischen
Lehre und dem katholischen Glauben erklären sich
aus ihrem gemeinsamen orientalischen Ursprünge.
Gewisse Ideen, gewisse Zeremonien müssen trotzdem
aus dem einen Kidtus in den andern verpflanzt sein.
— 147 —
aber meist mutmaßen wir diese Anleihen mehr, als
daß wir sie deutlich bemerken.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man aus der
Legende des iranischen Heros ein Seitenstück zum
Leben Jesu zu machen strebte, und daß die Schüler
der Magier eine Anbetung der Hirten, ein Abendmahl
und eine Himmelfahrt mithrischen Charakters den
entsprechenden Erzählimgen der Evangelien gegen-
überzustellen suchten. Man verglich selbst den
gebärenden Fels, der den Genius des Lichtes zur
Welt gebracht hatte, mit dem unerschütterlichen
Eckstein, dem Sinnbilde des Christus, auf dem die
christliche Kirche erbaut war, und sogar die Grotte,
in welcher der Stier unterlegen war, mit der, in welcher
Jesus zu Bethlehem geboren wurde. ^) Aber diese
erzwungenen Vergleiche konnten nur zu einem Zerr-
bilde führen. Es war ein außerordentlicher Nachteil
für den Mazdaismus, daß er nur an einen mythischen
Erlöser glaubte. Die unerschöpfliche Quelle religiöser
Erbauung, welche aus der Predigt und der P2ission
des am Kreuze geopferten Gottes entsprang, floß
niemals für die Gläubigen Mithras.
l) Jean R^ville {&tudes publikes en hommage ä la factdti de
theologie d^ Montaubafiy 1901, p. 339 s.) vermutet, daß die christliche
lErzählung von der Geburt Jesu und der Anbetung der Magier von
der mithrischen Legende angeregt sei, erkennt jedoch an, daß wir
keinen Beweis für diese Anleihe besitzen. Ebenso hält A. Dieterich
in einem kürzlich erschienenen Artikel (Zeitschr, /. neutest, Wissensck,
1902, S. 190), in dem er die Entstehung der Legende von den drei
Magiern scharfsinnig zu erklären sucht, für möglich, daß die Anbetung der
Hirten aus dem Mithriacismus in die christliche Tradition übergegangen
sei. Ich möchte indessen darauf hinweisen, daß die mazdäischen
Grlaubensvorstellungen über die Ankunft Mithras in der Welt außer-
ordentlich wechselnd gewesen sind (cf. T, et M,, t. I, p. 160 s.).
10*
— 148 —
Dagegen konnten die orthodoxen oder häretischen
Liturgieen, welche sich im Laufe der ersten Jahr-
hunderte iinserer Zeitrechnung aUmählich fixiert haben,
durch diese Mysterien mehr als eine Anregung
empfangen, da sie imter allen heidnischen die meiste
Verwandtschaft mit den Institutionen des Christentums
zeigten. Wir wissen nicht, ob das Ritual der Sakra-
mente imd die Hoffnungen, welche man an sie
knüpfte, irgendwie den Einfluß der mazdäischen
Bräuche und Dogmen erfahren haben können. Viel-
leicht hat die Sitte, täglich dreimal — frühmorgens,
Mittags und in der Abenddämmenmg — die Sonne
anzurufen, ihr Abbild in den täglichen Gebeten der
Kirche gefunden, und jedenfalls scheint die Feier der
Geburt des Weltheilandes auf den 25. Dezember
gelegt zu sein, weil man zur Zeit des Wintersolstitiums
den Natalis Invicth die Wiedergeburt des imbesieg-
baren Gottes feierte.^) Indem die kirchliche Autorität
dieses Datimi adoptierte, welches allgemein durch
heilige Freudenfeste ausgezeichnet wurde, reinigte
sie gewissermaßen profane Bräuche, welche sie nicht
auszurotten vermochte.
D21S einzige Gebiet, auf dem wir den Umfang
der gemachten Anleihen im einzelnen feststellen
können, ist das der Kunst. Die weit früher ent-
wickelte mithrische Skulptur lieferte den christlichen
Steinmetzen eine Fülle von Vorlagen, welche sie
einfach übernahmen oder ihren eigenen Zwecken
anpaßten. So schwebte ihnen der Typus der Mithra
vor, der durch Pfeilschüsse einen Quell lebendigen
Wassers hervorlockt ^), als sie den des Moses schufen,
1) Cf. oben S. 125.
2) Cf. oben S. 100.
— 149 —
^welcher mit seinem Stab an den Felsen des Horeb
schlägt. Einer althergebrachten Überlieferung treu
reproduzierten sie sogar die Gestalten der kosmischen
Gottheiten, wie die des Himmels oder der Winde,
deren Anbetung der neue Glaube verboten hatte,
und man findet an den Sarkophagen, in den Miniaturen
und selbst an den Portalen der romanischen Kirchen
Spuren von dem Einflüsse wieder, den die großen
Darstellungen ausübten, welche die mithrischen
Kjypten schmückten.^)
Indessen darf man die Bedeutung dieser An-
näherungen nicht überschätzen. Wiesen das Christen-
tum und der Mithriacismus einerseits tiefgehende
Ähnlichkeiten auf, zu denen in erster Linie der
Glaube an die Reinigung der Seelen und die Hoffnung
auf eine selige Auferstehung gehörten, so wurden
sie anderseits durch nicht minder wesentliche Diffe-
renzen geschieden. Die wichtigste von diesen war
ihr entgegengesetztes Verhalten gegenüber dem
römischen Heidentum. Die mazdäischen Mysterien
suchten es durch eine Reihe von Anpassungen und
Kompromissen zu gewinnen; sie versuchten den Mono-
theismus zu begründen, indem sie gleichzeitig den
Polytheismus imangetastet ließen, während die Kirche
im Prinzip, wenn auch nicht immer in praxi, die un-
versöhnliche Feindin aller Idolatrie war. Die erst-
genannte Haltung war scheinbar die vorteilhafteste:
sie gab der persischen Religion eine größere Elasti-
zität und ein besseres Anpassungsvermögen und
nahm alle diejenigen für den stiertötenden Gott ein,
welche einen schmerzlichen Bruch mit dem alten
I) Vgl. den Anhang über die mithrische Kunst.
— ISO -
Herkommen imd der Gesellschaft ihrer Zeit scheuten.
Viele mußten sich von Lehren besonders angezogen
fühlen, welche ihre Sehnsucht nach vollkommenerer
Reinheit imd einer besseren Welt erfüllten, ohne von
ihnen zu fordern, den Glauben ihrer Väter zu ver-
fluchen, wie den Staat, dessen Bürger sie waren.
Während die Kirche inmitten von Verfolgungen
erwuchs, sicherte diese versöhnliche Politik dem
Mithriacismus zuerst eine weitgehende Duldimg und
später die Gunst der öffentlichen Autoritäten. Aber
sie hinderte ihn auch, sich von plmnpen und lächer-
lichen Superstitionen zu befreien, welche sein Ritual
und seine Theologie entstellten; sie veranlaßte ihn,
trotz seiner Sittenstrenge, zu einem zweideutigen
Bunde mit dem orgiastischen Kidte der Geliebten
des Attis imd verpflichtete ihn, die ganze hast einer
chimärischen oder hassenswerten Vergangenheit mit-
zuschleppen. Wenn dieser romanisierte Mazdaismus
gesiegt hätte, so würde er nicht nur alle Verirrungen
des heidnischen Mystizismus konserviert haben,
sondern auch die einer verkehrten Physik, auf der
seine Dogmatik beruhte. Die christliche Lehre,
welche mit der Verehrung der Natur gebrochen hatte,
wußte sich von solchen unreinen Beimischimgen frei-
zuhalten; und ihre Ablehnimg jedes kompromit-
tierenden Verhältnisses sicherte ihr eine imgeheure
Überlegenheit. Ihre negative Kraft, ihr Kampf gegen
Jahrhunderte alte Vorurteile haben ihr ebensosehr
die Herzen erobert als die positiven Hoffnungen,
welche sie zu gewähren vermochte. Während sie
das Wunder vollbrachte, den Gesetzen imd der
kaiserlichen Polizei zum Trotz die alte Welt zu be-
siegen, verschwanden die mithrischen Mysterien sofort.
— 151 —
als die Protektion des Staates sich in Feindschaft
verkehrte.
Auf der Höhe ihrer Macht standen sie um die
Mitte des 3. Jahrhunderts, und einen Augenblick
lang schien es, als sollte die Welt dem Mithra ge-
hören. Aber die ersten Einfalle der Barbaren und
namentlich der endgültige Verlust Daciens (275 n. Chr.),
dem bald der der Agri Decumates folgte, bedeuteten
einen furchtbaren Schlag für die mazdäische Sekte,
die namentlich an der Peripherie des orbis Romanus
herrschte. In ganz Pannonien imd bis Virunum an
der italischen Grenze wurden ihre Tempel geplündert.
Dafür hielten die offiziellen Gewalten, die sich durch
die reißenden Fortschritte des Christentums bedroht
sahen, mit wachsender Energie den gefahrlichsten
Gegner nieder, den sie ihr hätten entgegenstellen
können. Bei dem allgemeinen Zusammenbruch war
die Armee die einzige Institution, welche sich auf-
recht erhielt, und die von den Legionen erwählten
Cäsaren mußten sich notgedrungen auf eine Religion
stützen, welche namentlich von den Soldaten aus-
geübt wurde. Im Jahre 273 gründete Aurelian neben
den Mysterien des stiertötenden Gottes einen reich
dotierten öffentlichen Kult zu Ehren des Sol invictus,
Diokletian, dessen Hof mit seiner komplizierten Hier-
archie, seinen Niederwerfungen vor dem Herrscher
imd seiner Eimuchenschar nach Aussage der Zeit-
genossen eine Nachahmimg des sassanidischen dar-
stellte, war natürlich dazu geneigt, Lehren persischen
Ursprungs zu adoptieren, welche seinen despotischen
Instinkten schmeichelten. Als der Kaiser imd die
Regenten, welche er sich beigesellt hatte, im Jahre 307
in Camuntum zusammentrafen, restaurierten sie dort
— 152 —
einen Tempel des himmlischen Protektors ihres
wiederhergestellten Reiches.^) Die Christen gingen
sogar so weit, daß sie den mithrischen Klerus — und
dem Anschein nach nicht ohne Grund — als den
Anstifter der großen Verfolgung unter Galerius be-
trachteten. Eine verschwommen monotheistische
Heliolatrie schien im römischen Reiche, wie in Iran,
"die einzige und keine andere neben sich duldende
Religion des Staates werden zu sollen. Da machte die
Bekehrung Konstantins die Hoffnungen zu Schanden,
welche die Politik seiner Vorgänger den Anbetern
der Sonne eingeflößt hatte. Obgleich er niemals
einen Glauben verfolgt hat, den er selbst einst teilte^),
so hörte dieser doch auf, ein anerkannter Kult zu
sein, um nunmehr ein geduldeter zu werden. Seine
Nachfolger waren ihm entschieden feindlich gesinnt.
Dem geheimen Mißtrauen folgte die offene Verfolgrmg.
Die christliche Polemik beschränkte sich nicht mehr
darauf, die Legenden und die Bräuche der mazdäischen
Mysterien lächerlich zu machen oder selbst ihnen
vorzuwerfen, daß sie von den unversöhnlichen Gegnern
Roms gestiftet seien: sie fordert mit lautem Geschrei
die totale Vernichtung des Götzendienstes, imd ihren
Ermahnungen folgt die Tat auf dem Fuße nach.
Wenn ein Rhetor ims erzählt^), daß unter Konstantin
niemand mehr wagte, den Aufgang und den Unter-
gang der Sonne zu betrachten, daß sogar die Bauern
und die Seeleute es vermieden, die Gestirne zu be-
obachten und zitternd ihre Augen auf den Boden
1) Vgl. oben S. 66.
2) Vgl. Preger, Konstantinos -Helios (Hermes XXXVI) 1901»
S. 457-
3) Mamert., Grat, act, in Jülian.y c. 23.
— 153 —
g-eheftet hielten, so sind diese emphatischen Dekla-
mationen nur ein verstärktes Echo der Besorgnisse,
welche damals alle Heiden erfüllten.
Die Proklamation Julians führte mit einem
Schlage eine imerwartete Wendimg herbei. Der
von der gallischen Armee auf den Thron erhobene
Philosoph hegte seit seiner Kindheit eine geheime
Verehrung für Helios. Seiner Überzeugung nach
hatte dieser Gott ihn den Gefahren entgehen
lassen, welche seine Jugend bedrohten; er glaubte
von ihm eine heilige Mission empfangen zu haben
und betrachtete sich als seinen Diener oder vielmehr
als seinen geistigen Sohn. Er hat diesem himmlischen
„König" eine Abhandlimg gewidmet, welche die Glut
seines Glaubens stellenweise aus einer frostigen
theologischen Dissertation in einen flammenden
Dithyrambus verwandelt Die Inbnmst seiner frommen
Verehnmg für das Gestirn, welches er anbetete,
verleugnete sich nicht bis zur Stunde seines Todes.
Infolge seines abergläubischen Hanges zum
Übernatürlichen mußte sich der jimge Fürst besonders
von den Mysterien angezogen fühlen. Vor seinem
Reg^enrngsantritt, vielleicht schon im Jünglingsalter,
wurde er von dem Philosophen Maximus von Ephesus
heimlich in ein mithrisches Konventikel eingeführt.
Die Einweihungszeremonien machten einen tiefen
Eindruck auf ihn. Er glaubte sich seitdem unter
Mithr2is Schutz gestellt, in diesem wie in jenem Leben.
Sobald er die Maske abgeworfen und sich offen für
einen Heiden erklärt hatte, berief er Maximus zu
sich \md nahm damals ohne Zweifel seine Zuflucht
zu außerordentlichen Wsischungen und Reinigungen,
um die Befleckung zu beseitigen, welche er sich
— 154 —
zugezogen hatte, indem er die Taufe und die
Kommunion der Christen empfing. Kaum hatte er
den Thron bestiegen, als er sich beeilte den persischen
Kidt in Konstantinopel einzufuhren, imd fast gleich-
zeitig wurden die ersten Taurobolien in Athen voll-
zogen.
Überall erhoben die Anhänger der Magier wieder
ihr Haupt Als der Patriarch Georgios in Alexandrien
auf den Trümmern eines Mithraemns eine Kirche
erbauen wollte, rief er einen blutigen Aufstand hervor.
Von der Obrigkeit in Haft genommen, wurde er
vom Pöbel aus seinem Gefängnis geschleppt und
grausam ermordet am 24. Dezember 361, dem Vor-
abend des Natalis Invictü Der Klaiser begnügte
sich damit, der Stadt des Serapis väterliche Vor-
stellungen zu machen.
Aber bald kam der Apostat imi, imd zwar auf
seinem Feldzuge gegen die Perser, zu dem ihn
vielleicht der geheime Wunsch verführt hatte, das
Land zu erobern, welches ihm seinen Glauben
geschenkt hatte, imd die Zuversicht, daß sein Schutz-
patron, wenn er in die Lage versetzt würde, zwischen
seinen Hiddigungen imd denen seiner Feinde wählen
zu müssen, die seinigen vorziehen würde. Damit
scheiterte dieser kurzlebige Reaktionsversuch, und
das Christentum, welches nun endgültig den Sieg
errungen hatte, beeilte sich einen Lrtum auszurotten,
der ihm so heiße Kämpfe gebracht hatte. Noch
ehe die Herrscher die Ausübimg des Götzendienstes
verboten hatten, ermöglichten es ihre Edikte gegen
Astrologie und Magie, den Klerus und die Gläubigen
des Mithra indirekt zu fassen. Im Jahre 371 wurden
viele Anhänger der Geheimkulte in ein angebHches
— 155 —
Klomplott verwickelt und hingerichtet Der Mystagog
Maximus fiel selbst einer derartigen Anklage zum
Opfer.
Eine Reihe von kaiserlichen Verfugungen traf
bald darauf die verfehmte Sekte auch unmittelbar.
In den Provinzen kamen oft Volkserhebimgen dem
Einschreiten der Magistrate zuvor. Die Menge
plünderte die Tempel \md überlieferte sie im Ein-
verständnis mit den Behörden den Flammen. Die
Ruinen der Mithraeen bezeugen die Heftigkeit dieser
Zerstönmgswut. In Rom selbst suchte im Jahre 377
der Präfekt Gracchus, der die Taufe zu empfangen
-wünschte, dadurch die Aufrichtigkeit seiner Be-
kehrung zu beweisen, daß er eine Krypta mit all den
Statuen, welche sie enthielt, „umwühlte, zerbrach,
vernichtete".^) Oft vermauerten die Priester, um
ihre unversehrt gebliebenen Grotten der Plünderung
zu entziehen, deren Eingang, oder brachten auch
wohl ihre heiligen Bilder in sicheren Verstecken
unter in der Überzeugung, daß der Sturm, der über
sie dahinbrauste, vorübergehen imd nach den Tagen
der Prüfung ihr Gott ihnen endlich den Sieg be-
scheeren würde. Die Christen dagegen, von der
Absicht geleitet, eine solche Stätte durch die An-
wesenheit eines Leichnams zu verunreinigen und so
fortan für den persischen Kidtus unbrauchbar zu
machen, richteten bisweilen den den Gesetzen im-
g-ehorsamen Priester hin und verscharrten ihn unter
den Trümmern des für immer entweihten Heilig-
tums (Fig. 8).
i) Hieron., Ep. 107 ad Laetam (T. et M., t. II, p. l8): Specum
Mithrae , . . subvertit fregit excussit.
- 156 -
Die HoflFnimg auf eine Restauration erhielt sich
namentlich in Rom lebendig, das die Hauptstadt des
Heidentums geblieben war. Die Aristokratie, treu
an den Überlieferungen ihrer Vorfahren hängend,
unterstützte es durch ihre Reichtümer imd ihren
Einfluß. Sie liebte es, sich mit den Titeln „Vater
und Herold des unbesiegbaren Mithra" zu schmücken
Fig. 8. Gefesseltes Skelett, gefunden in den Trümmern des Tempels za Saarburg.
und steigerte ihre Opferspenden imd ihre Stifhmgen.
Doppelt freigebig zeigte sie sich ihm gegenüber, als
Grratian die Tempel ihrer Güter beraubt hatte
(382 n. Chr.). Ein Grandseigneur erzählt uns in
schlechten Versen, wie er eine von seinem Großvater
in der Nähe der Via Flaminia erbaute glänzende
Krypta wiederhergestellt imd dabei auf jede öffent-
liche Unterstützung verzichtet habe.^) Die Usurpation
I) CIL. VI, 774 (T. et M, t. n, p. 94 no. 13).
— 157 —
des Eugenius schien anfanglich die erhoffte Wieder-
erhebnng herbeiführen zu sollen. Der Präfekt des
Prätoriums Nicomachus Flavianus vollzog feierliche
Taurobolien und erneuerte in einer geweihten Grotte
die Mysterien des dem Prätendenten „verbündeten
Gottes" {deum comüeni). Aber der Sieg des Theo-
dosius (394) brachte die Hoffnungen der zurück-
g-ebliebenen Anhänger des alten Glaubens endgültig
zum Scheitern.
Ein paar geheime Konventikel mochten sich
immerhin noch in den Kellergewölben der Pcdäste
versammeln; imd in gewissen abgelegenen Gegenden
der Alpen oder der Vogesen mag der Kidtus des
persischen Gottes bis in das 5. Jahrhundert fort-
bestanden haben. So erhielt sich die Anhänglichkeit
an die mithrischen Riten noch lange bei dem Stamme
der Anaimi, der ein blühendes und nur durch einen
schmalen Engpaß zugängliches Tal beherrschte. Aber
allmählich wandten sich in den lateinischen Ländern
auch die letzten Gläubigen von einer Religion ab,
die ebensosehr moralisch als politisch diskreditiert
war. Mit größerer Zähigkeit behauptete sie sich im
Orient, ihrer eigentlichen Heimat. Aus den übrigen
Teilen des Reiches verwiesen, fand sie eine Zuflucht
in den Gegenden, wo sie geboren war, \xm hier
schließlich langsam zu verlöschen.
Nur die Vorstellungen, welche der Mithriacismus
mehr als drei Jahrhunderte lang im Reiche verbreitet
hatte, sollten nicht mit ihm untergehen. Einige von
ihnen, sogar die eigenartigsten, wie die, welche sich
auf die Hölle, die Wirksamkeit der Sakramente und
die Auferstehung des Fleisches beziehen, wurden
auch von seinen Gegnern angenommen, und dadurch,
- 158 -
daß er sie verbreitete, hat er die Weltherrschaft
der letzteren nur gefordert Manche seiner heiligen
Zeremonien gingen auch in das Ritual der christ-
lichen Feste oder in den Volksbrauch über. Seine
Fundamentalsätze waren jedoch mit der Orthodoxie
unvereinbar und konnten sich daher nur außerhalb
ihres Herrschaftsgebietes erhalten. Seine Theorie
über die Einwirkungen der Gestirne, bald verurteilt
und bald gediddet, wurde durch die Astrologie
bis an die Schwelle der Neuzeit getragen. Einer
Religion von größerer Macht, als diese falsche
Wissenschaft sie besaß, sollten die persischen
Mysterien mit ihrem Haß gegen die Kirche auch
ihre Hauptideen und ihren Einfluß auf die Massen
vererben.
Obwohl der Manichäismus das Werk eines
Mannes und nicht das Produkt einer langen Ent-
wicklung war, zeigte er doch in vielfacher Hinsicht
Ähnlichkeit mit den Mysterien. Die Überlieferung,
nach der seine ersten Gründer in Persien mit den
Priestern des Mithra verkehrt haben sollen, mag
formell imgenau sein: sie enthält dennoch einen
Kern von Wahrheit Beide Kulte waren im Orient
aus der Vermischimg der altbabylonischen Mythologie
mit dem persischen Dualismus entstanden und hatten
sich in der Folge mit hellenischen Elementen be-
reichert. Die Sekte des Manes verbreitete sich im
Reiche während des 4. Jahrhimderts, als der Mithria-
cismus im Sterben lag, und wurde so dazu berufen,
seine Erbschaft anzutreten. Alle Mysten, welche
die Polemik der Kirche gegen den Paganismus
wankend gemacht hatte ohne sie zu bekehren, wurden
mit leichter Mühe für einen vermittelnden Glauben
— 159 —
gewonnen, der ihnen gestattete, Zoroaster und Christus
mit derselben Verehrung zu umfassen. Die weite
Verbreitung, welche die vom Chaldäismus beein-
flußten mazdäischen Glaubensvorstellimgen gefunden
hatten, hatte die Geister für die Häresie empfanglich
gemacht; diese fand somit die Wege geebnet, und
darauf beruht das Geheimnis ihrer ungewöhnlich
schnellen Expansion. Die so verjüngten mithrischen
Lehren sollten noch Jahrhimderte hindurch allen
Verfolgungen Trotz bieten, imd sogar noch um die
Mitte des Mittelalters in einer neuen Gestalt wieder-
auflebend, von neuem die alte römische Welt in
Aufregimg versetzen.
ANHANG.^)
DIE MITHRISCHE KUNST.
Die mithrischen Monumente, die in beträchtlicher
Anzahl in den Provinzen des Abendlandes und selbst
im Orient gefunden worden sind, bilden eine homo-
gene Grruppe, deren Bedeutimg für die Geschichte
der römischen Kunst im folgenden kurz charakte-
risiert werden soll. Allerdings ist ihr künstlerisches
Verdienst weit geringer als ihr urkimdliches Inter-
esse, und ihr Hauptwert ist nicht ästhetischer,
sondern religiöser Art. Die späte Zeit, in welcher
diese Werke entstanden sind, ninrnit uns von vorn-
herein die Hoffnung, in ihnen der Äußenmg einer
wahrhaft schöpferischen Klraft zu begegnen und an
ihnen die Fortschritte einer originellen Entwicklung
verfolgen zu können. Dennoch würde es unbillig
sein, sie von dem Standpunkte eines engherzigen
Atticismus aus sämtlich mit der gleichen Gering-
schätzimg zu behandeln. Fehlt ihnen auch die
Inspiration des Genius, so können doch die Gewandt-
heit in der Verwertung älterer Motive, die Geschick-
lichkeit der Ausführung, all die Vorzüge der Technik,
i) Dieser Anhang ist eine Neubearbeitung der Seiten 213 — 220
des I. Bandes des Hauptwerkes, die auch in der Revue archdolo^qtie
(1899, n, p. 193 — 202) erschienen sind.
— i6i —
welche sie bisweilen erkennen lassen, diese Bild-
werke unserer Beachtung hinlänglich empfehlen.
Einige unserer Rundskulpturen und unserer Bas-
reliefs — denn die Gemälde und die Mosaiken sind
so wenig zahlreich, daß man von ihrer Besprechung
absehen kann — nehmen einen sehr ehrenvollen Platz
unter der Fülle von Bildwerken ein, welche die Kaiser-
zeit uns hinterlassen hat, und verdienen, daß wir einen
Augenblick bei ihnen verweilen.
Man kann beweisen^), daß alle unsere Dar-
stellungen des stiertötenden Mithra, dessen hieratisches
Bild schon vor der Verbreitung der Mysterien im
Abendlande fixiert war, mehr oder weniger treue
Repliken eines Typus sind, den ein Bildhauer der
pergamenischen Schule nach dem Modell der opfern-
den Siegesgöttin schuf, welche die Bahistrade des
Tempels der Athena Nike auf der Akropolis schmückte.
Gewisse Marmorbildwerke, welche in Rom und
Ostia ^ gefunden wurden und zweifellos bis auf den
Anfang des 2. Jahrhimderts zurückgehen, spiegeln
noch den Glanz jener machtvollen Komposition der
hellenistischen Epoche wieder. Nach heißer Ver-
folgimg hat der Gott soeben den niederstürzenden
Stier erreicht. Ein Knie auf die Kruppe, einen Fuß
auf einen seiner Hufe stemmend, wirft er sich auf ihn,
um ihn niederzuhalten, imd ihn mit der einen Hand
bei den Nüstern packend, bohrt er ihm mit der andern
ein Messer in die Flanke. Der Schwung dieser be-
wegten Szene bringt die Gewandtheit und die Klraft
des imbesiegbaren Helden zur Geltung. Anderseits
i) Cf. T. et M,, t. n, p. 180 s.
2) Vgl. oben S. 28 und 60 (dazu das Titelbild, Tafel I).
Cumont, Mithrasmysterien. II
102
lassen der Schmerz des Opfers, welches sterbend röchelt
und dessen Glieder ein letzter Krampf zusammenzieht,
wie die einzigartige Mischung von Exaltation imd
Bedauern, welche sich in den Zügen seines Mörders
ausprägt, die pathetische Seite dieses heiligen Dramas
hervortreten imd teilen dem Beschauer eine Bewegung
mit, welche die Gläubigen lebhaft empfunden haben
müssen.
Der traditionelle Typus der Fackelträger oder
Dadophoren*) eigfnete sich nicht zum Ausdruck so
intensiver Gemütsbewegungen. Doch kann man, wenig-
stens an den besseren Exemplaren, sich davon über-
zeugen, welchen Vorteil der Künstler aus der Weite
der phrygischen Gewandimg zu ziehen verstand, imd
die verschiedenartigen Gefühle, HoflEnimg und Trauer,
erkennen, welche sich in den Gesichtern der beiden
einander gegenüberstehenden jungen Leute malen.
Eine bemerkenswerte Reproduktion dieses göttlichen
Paares besitzen wir in den beiden nahe am Tiber ge-
fundenen Statuen, welche Zoega der Zeit Hadrians
zuwies, imd die vielleicht aus dem Orient nach Italien
gebracht sind.^ Es verdient Beachtung, wie ihr Ur-
heber den Mangel an Symmetrie zu vermeiden gewußt
hat, der dadurch entsteht, daß diese beiden zu
Pendants bestimmten Figuren den Mantel auf der-
selben linken Schulter befestigt trugen, während
sie ihn auf der rechten Seite beide herabfallen ließen.
Die Sorgfalt im Detail, welche für die Werke
aus der Zeit der Antonine charakteristisch ist,
offenbart sich mit mehr oder weniger Glück auch
i) Vgl. oben S. 96.
2) T, et M., mon. 27, pl. II.
— 103 —
in den etwas jüngeren Monumenten. Betrachten wir
die Gruppe von Ostia, die aus der Regierungszeit
des Commodus stammt, oder das Basrelief der Villa
Albani, welches derselben Zeit anzugehören scheint.*)
Der Künstler hat sich darin gefallen, die Falten
der Gewänder zu vervielfachen, die Haarlocken zu
verwirren, um seine Geschicklichkeit in der Über-
windung von Schwierigkeiten zu zeigen, die er sich
selbst bereitet hatte; aber diese merkwürdige
Maniriertheit entschädigt nicht für die Frostigkeit des
Gesamteindrucks. Von besserem Erfolge ist dieses
minutiöse Verfahren bei den Stücken begleitet, die ge-
ringere Dimensionen aufweisen. Ein kleiner kürzlich
in Aquileia gefundener Marmor zeichnet sich in dieser
Beziehung „durch ein verblüffendes technisches Ge-
schick aus".^ Die vorzüglich herausgearbeiteten Fi-
guren lösen sich fast ganz von dem massiven Block>
mit welchem sie nur noch durch unbedeutende Stützen
zusammenhängen. Es ist ein Bravourstück, an
welchem der Bildhauer seine Virtuosität veranschau-
licht, einem spröden Material dieselbe Wirkimg ab-
zuzwingen, welche der Ciseleur infolge der Ge-
1) T. et M,y mon. 79, fig. 67 et mon. 38, fig. 45.
2) C. R. von Schneider, Auserlesene Gegenstände der antiken
Samml, in Wien, 1895, S. 9 (vgl. T, et M,, t. 11, p. 488). Er ver-
gleicht mit diesem Werke die Reliefs von der Basis der Antoninus-
sänle (Brunn, Denkmäler griech. und röm, Skulptur ^ Taf. 2l0b), ein
Basrelief vom Campo Santo in Pisa (Dütschke, Bildwerke in Oher^
italien I, Nr. 60) und die Büste des Commodus im Konservatoren-
palast (Heibig, Führer^ 2. Aufl., Nr. 524). Dieselbe Anwendung der
Metalltechnik auf Marmor zeigen zwei wundervoll erhaltene Büsten,
die in Smyma entdeckt wurden und sich jetzt im Museum zu Brüssel
befinden (CatcU, des antiquitis acquises par les musies royaux depuis
le i^ janvier igoo, Bruxelles 1901, no. HO — in).
II*
— 164 —
schmeidigkeit des Metalls hervorzubringen ver-
mag.
Aber Werke von solcher relativen Vollkommen-
heit sind in Italien und namentlich in den Provinzen
selten; imd man muß zugeben, daß die große Masse
4er mithrischen Monumente von trostloser Mittel-
mäßigkeit ist Die Handwerker oder Steinmetzen —
sie verdienen keinen anderen Namen — von denen
diese Arbeiten herrühren, begnügten sich oft damit,
mit einigen Meißelschlägen die Szene anzudeuten,
welche sie darstellen wollten. Ein grober Farben-
anstrich bezeichnete dann gewisse Details. Die
Modellierung ist oft so roh, daß nur die Umrisse
ordentlich angegeben sind, wie bei den Hieroglyphen,
und das Ganze ebensoviel Zeichnimg als Bildhauer-
arbeit aufweist Allerdings konnten solche unvoll-
kommenen Darstellungen genügen, weil alle Gläubigen
ihren Sinn kannten und sich ihre Lücken durch die
Phantasie ergänzten, während imsere Unwissenheit
die Mängel ihrer ungeschickten und imdeutlichen
Ausfuhnmg stärker empfindet. Nichtsdestoweniger
sind gewisse kleine Basreliefs niemals etwas anderes
gewesen als wahre Karikaturen, deren Gestalten
sich dem Grotesken nähern und durch ihre Un-
formlichkeit an die Pfeflferkuchenmänner erinnern,
welche man auf imsem Jahrmärkten feilbietet
Die Nachlässigkeit, mit welcher diese Täfelchen
hergestellt sind, wird durch ihre Bestimmung ent-
schuldig^. Die Mysten des Mithra pflegten sie
nicht nur als Weihgeschenke in die Tempel zu
bringen, sondern mit ihnen auch ihre bescheidenen
Wohnungen zu schmücken. Diese häusliche Ver-
wendung erklärt die enorme Menge der in Rede
— lös —
stehenden Denkmäler, welche sich überall gefunden
liaben, wo jener Kult heimisch geworden war. Um
der imaufhörlichen Nachfrage der Gläubigen ent-
sprechen zu können, mußten die Bildhauerwerk-
stätten sie rasch und in großen Mengen herstellen^
Die Urheber dieser Schleuderware bezweckten nur,
die Bedürfnisse ihrer frommen Kundschaft, deren
künstlerische Ansprüche gering waren, zu mäßigen
Preisen zu befriedigen. Die antiken Fabrikanten
verfertigten Himderte von solchen stiertötenden
Mithras^), wie unsere Industriellen denselben Kru-
zifix oder dieselbe Jimgfrau Maria in Massen her-
stellen^ So brachte es die religiöse Bilderfabrika-
tion jener Zeit mit sich, die ebensowenig von
ästhetischen Gesichtspunkten beherrscht wurde wie
die heutige.
Die erwähnten Manufakturen beschränkten sich
jedoch nicht darauf, beständig Repliken von demselben
traditionellen Typus anzufertigen, sondern sie ver-
standen auch Abwechslimg in ihr Sortiment zu bringen,
um für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel etwas
Passendes bieten zu können. Mustern wir die Reihe
von Ex-voto, die im Mithraeum von Sarmizegetusa
(Värhely) in Dacien gesanamelt worden sind.^ Wir
finden hier Proben von allen Modellen, welche die
Werkstätten der Umgegend zu reproduzieren pflegten.
Man vermeidet die Rundarbeit als zu mühsam und
i) Das Fehlen von Maschinen schloß natürlich absolute Gleich-
förmigkeit aus, aber manche unserer Basreliefs sind jedenfialls von
derselben Hand angefertigt oder stammen wenigstens aus derselben
Werkstatt. Cf. T, et M,, t. H, mon. 45 et 46; 93, fig. 85 et 95,
fig« 87; 192 et 192WS (modern?); 194 et 195.
2) T, et M,y t. n, nos. 138—183.
— i66 —
zu kostspielig. Höchstens durchbricht man den
Marmor an einzehien Stellen, um die Gruppe des
stiertötenden Gottes hervortreten zu lassen. Aber
welche Mannigfaltigkeit in diesen kleinen Basreliefs,
welche man an den Seitenwänden des Heiligtums
befestigte! Für einen sehr geringen Preis erhielt
man ein viereckiges Täfelchen, das nur die Opferung
des Stieres darstellte. Bisweilen erhöht sich ihr
Wert durch die Hinzufiigung einer Art Predelle,
die in drei oder vier kleine Felder geteilt ist In
anderen Fällen wird wieder die Komposition mit
einem oberen Register versehen, das mit Nebendar-
stellungen geschmückt ist. Letztere laufen endlich
auch an den Seitenrändem des Monimientes herab
und umrahmen so auf allen vier Seiten die Haupt-
darstellung Dann läßt der Bildhauer seiner Phantasie
freien Lauf imd kommt auf die Idee, den stier-
tötenden Gott mit einem Kreise, der mit den Zeichen
des Zodiakus geschmückt ist, oder mit einem Laub-
kranz zu umgeben. Er fügt Einfassungen hinzu oder
läßt sie fort; er verfallt auf den Gedanken, seiner
behauenen Platte neue Formen zu geben: er gestaltet
sie quadratisch, oblong, rundbogig, trapezförmig
oder selbst rund. Es giebt auch nicht zwei unter
diesen Stücken, die ein vollkommen gleiches Aus-
sehen hätten.
Wenn diese auf dem Wege der Lohnarbeit
entstandenen Handelsprodukte mit der Kirnst auch
nur in sehr entferntem Zusammenhange stehen, so
liefern sie doch nützliche Fingerzeige für die Kennt-
nis der antiken Steinindustrie. Wir haben zahl-
reiche Beweise dafür, daß ein guter Teil der für die
Provinzialstädte bestimmten Skulpturen in der Kaiser-
— 167 —
zeit in Rom ausgeführt wurde. ^) Dies trifft wahr-
scheinlich zu für einige unserer Denkmäler, die in
Gallien gefunden wurden, imd sogar für die, welche
ein Mithraeum in London schmückten.^ Dagegen
können gewisse Statuen, die in der Hauptstadt ent-
deckt wurden, aus KUeinasien dorthin gebracht sein.^
Die schönen Basreliefs von Virunum sind ebenfalls
von auswärts eingeführt, ohne Zweifel auf dem Wege
über Aquileia. Aus der Leidensgeschichte der Vier
Gekrönten kennt man die Bedeutung der panno-
nischen Steinbrüche*) im 3. Jahrhimdert, in denen man
den Marmor nicht nur zu Tage forderte, sondern auch
bearbeitete. Diese Werkplätze scheinen ein wich-
tiges Zentrum für die Fabrikation mithrischer Ex-
voto gewesen zu sein. Wenigstens stanmien mehrere
von diesen, obwohl sie in den Tempeln Germaniens
ausgegraben wurden, sicherlich von den Ufern der
Donau. Diese Feststellungen werfen ein merk-
würdiges Licht auf den Handel mit Kirchenschmuck
zur Zeit des Heidentums,
Dessenungeachtet sind unsere Monumente der
Mehrzahl nach ohne irgendwelchen Zweifel an Ort
und Stelle ausgeführt. Das ist ohne weiteres klar
bezüglich derjenigen, welche in die Wand geebneter
Felsen gehauen wurden — unglücklicherweise sind
1) Friedländer, Sittengeschichte Roms, Bd. III^ S. 280 — 281.
2) T, et M.y t. II, mon. 267 et la note p. 390.
3) T, et M,, t. n, mon. 235 et la note p. 338.
4) Wattenbach, Passio sanct. IV coronat., mit Bemerkungen von
Benndorf und Max Büdinger, 1870; vgl. Friedländer a. a, O. S. 282 f.
Ein neuer Text wurde von Wattenbach publiziert in den SB, Akad,
d. Wtssensch. Berlin XLVII, 1896, S. 1281 ff. Es gibt eine noch
nicht edierte griechische Übersetzung davon, cf. AncUecta Bollandiana
XVI, 1897, p. 337.
— i68 —
alle stark beschädigt — ; aber die Gewißheit ein-
heimischer Herstellung ergibt sich auch noch für
viele andere aus der Beschaffenheit des verwendeten
Materials. Übrigens zeigt die Technik dieser Stücke
deutlich genug, daß sie nicht von den auswärtigen
Meistern eines großen künstlerischen Zentrums her-
rühren, auch nicht einmal von jenen wandernden
Bildhauern, welche auf der Suche nach einträglichen
oder ruhmvollen Aufträgen das Land durchschweiften,
sondern von den bescheidenen Steinmetzen irgend
einer benachbarten Stadt.
Die bedeutendsten Monimiente sind zugleich
diejenigen, deren lokaler Ursprung am besten bezeugt
ist, denn ihr Transport würde nicht nur mit vielfachen
Gefahren, sondern auch mit übermäßigen Kosten
verbunden gewesen sein. Die Gesamtheit der großen
mithrischen Basreliefs bildet daher eine der inter-
essantesten Serien für des Studium der provinzialen
Kunst in der Kaiserzeit. Zweifellos sind diese
Skulpturen, welche dazu bestinmit waren, in der
Apsis der Tempel der Anbetung der Gläubigen dar-
geboten zu werden, ebensowenig Meisterwerke wie
die Masse der Votivtäfelchen, aber man hat sie doch
nicht mit derselben Sorglosigkeit behandelt wie
diese, und man spürt, daß ihre Urheber bemüht waren,
ihr Bestes zu leisten. Können sie auch nicht ihre
Originalität in der Erfindung der Sujets darum, so
zeugen sie doch von ihrem Geschick in der Gruppierung
der Figuren und ihrer Gewandtheit in der materiellen
Ausfiihnmg. Außerdem darf man bei der Beurteilimg
dieser Stücke nicht vergessen, daß der Maler dem
Bildhauer zu Hülfe kam, und daß der Pinsel voll-
enden konnte, was der Meißel nur angedeutet hatte.
— 169 —
Auf dem bloßen Marmor oder dem mit Stuck über-
zogenen Stein brachte man leuchtende Farbentöne
an: grün, blau, gelb, schwarz und alle Abstufungen
von rot wurden ohne Diskretion nebene^ander ver-
wendet Der Unterschied der Farben markierte die
gfroßen Umrisse und ließ die untergeordneten Partieen
hervorlxeten. Einzelheiten wurden oft sogar nur mit
dem Pinsel angedeutet Durch Vergoldung wurden
endlich gewisse Nebendinge hervorgehoben. Im
Halbdimkel der imterirdischen Krypten würde das
Relief der Skulptur ohne diese glänzende Polychromie
fast gar nicht zu erkennen gewesen sein. Letztere
gehörte überdies zu den Traditionen der orientalischen
Xunst, und schon Lucian stellt die einfachen und an-
mutigen Formen der hellenischen Gottheiten dem
prunkenden Reichtimi der aus Asien eingeführten
gegenüber. 1)
Die namhaftesten dieser Werke sind in Nord-
gallien oder, besser gesagt, an der Rheingrenze zu
Tage gefördert. Anscheinend ist diese ganze Gruppe
von Monumenten der interessanten Bildhauerschule
zuzuweisen, welche während des 2. und 3. Jahr-
himderts in Belgien blühte, imd deren Schöpfungen
sich vorteilhaft von denen der südlichen Werkstätten
unterscheiden.^ Man kann das Basrelief von Oster-
burken^, das vollständigste der Serie, nicht betrachten,
ohne von dem Reichtum und der durchgängigen
Harmonie dieser riesenhaften Komposition über-
1) Luc, Jup, trag. § 8.
2) Friedländer, Sittengeschichte Roms, Bd. in*, S. 376 f. —
Namentlicli besteht eine offenkundige Verwandtschaft zwischen unseren
Basreliefs und dem Denkmal zu Igel.
3) r. et M., t. n, no. 246 et pl. VI.
— I70 —
rascht zu werden. Der verwirrende Eindruck, welchen
die Anhäufung der Personen und Gruppen macht —
ein Fehler, welchen die mithrischen Denkmäler mit
vielen anderen ihrer Zeit imd namentlich mit den im
großen und ganzen ziemlich überladenen Sarkophag-
darstellimgen gemein haben — wird hier durch die
kluge Verwendung von Randleisten und Einfassimgen
gemildert Wenn man die Details aller dieser Ar-
beiten kritisieren wollte, so würde es leicht sein,
an ihnen das Mißverhältnis mancher Figuren, die
Ungeschicklichkeit gewisser Bewegimgen imd bis-
weilen auch die Steifheit der Haltung und der Ge-
wandung zu tadeln; aber über diesen Schwächen
darf man weder die Feinheit der Arbeit trotz des
brüchigen Materials, noch vor allem den lobens-
werten Erfolg vergessen, mit welchem eine wahrhaft
großartige Konzeption zur Ausführung gelangt ist
Auf dem Stein nicht nur die Gottheiten, sondern
auch die Kosmogonie der Mysterien und die Episoden
der Mithralegende bis zur letzten Opferung des
Stieres darstellen zu wollen, war ein gefahrliches
Unternehmen, dessen selbst unvollkommenes Gelingen
schon verdienstlich ist. Schon früher findet man, be-
sonders auf den Sarkophagen, das Verfahren an-
gewandt, welches darin besteht, die aufeinanderfolgen-
den Momente einer Handlimg in übereinanderg^stellten
Bildern oder aut parallel laufenden Feldern dsur-
zustellen; aber dennoch würden wir nicht ein einziges
Monimient des römischen Paganismus anzuführen
vermögen, welches in dieser Hinsicht mit unseren
großen Basreliefs verglichen werden könnte, und um
einen ähnlichen Versuch wiederzufinden, muß man bis
zu den langen Kompositionen herabgehen, mit denen
— 171 ~
die christlichen Mosaikkünstler die Wände der Kirchen
dekorierten.
Wir brauchen hier nicht mehr zu untersuchen,
woher die verschiedenen Darstellungen stammen,
welche auf unseren Monumenten erscheinen. Wir
haben uns dieser Aufgabe bereits früher unterzogen
imd sie so gut als möglich zu lösen versucht, indem
wir jede derselben besonders behandelten.^) Doch
wollen wir nicht unbemerkt lassen, daß man sie trotz
ihrer Mannigfaltigkeit in zwei oder, wenn man will,
drei deutlich unterschiedene KUassen teilen kann.
Eine gewisse Anzahl von Figuren sind ohne weiteres
den traditionellen Typen der griechisch-römischen
Kirnst entlehnt. Ahura-Mazda, der die sich gegen
ihn erhebenden Ungeheuer vernichtet, ist ein helle-
nischer Zeus, der die Giganten niederschmettert; Vere-
thraghna ist in einen Herkules verwandelt; Helios
ist der auf seiner gewohnten Quadriga stehende
langgelockte Ephebe; Neptun, Venus, Diana, Merkur,
Mars, Pluto, Saturn treten uns in ihrer gewöhnlichen
Gestalt entgegen, in der Kleidung imd mit den Attri-
buten, die wir seit langem an ihnen kennen. Ebenso
waren die Jahreszeiten, die Winde, die Planeten
schon vor der Ausbreitung des Mithriacismus personi-
fiziert, und dieser hat in seinen Tempeln nur die
längst allgemein bekannten Modelle reproduziert
Dagegen ist eine Gestalt wenigstens die Um-
bildung eines asiatischen Archetypus: nämlich der
löwenköpfige Kronos.^ Wie die meisten seines-
gleichen ist dies Ungeheuer mit Tierkopf eine
1) Vgl. Bd. n des Hauptwerkes.
2) Vgl. oben S. 82, Fig. 2.
— 172 —
Schöpfung- der orientalischen Einbildungskraft. Sein
Stammbaum reicht zweifellos bis in die assyrische
Skulptur hinauf. Nur haben die Künstler des Occi-
dents, da sie einen dem griechischen Pantheon fremden
Gott darzustellen hatten imd durch keinerlei Tradition
gehemmt wurden, ihrer Phantasie freien Lauf ge-
lassen. Die verschiedenen Umwandlungen, welche sie
mit dieser Figur vorgenonunen haben, sind einerseits
durch religiöse Erwägungen veranlaßt — nämlich durch
die Tendenz, den Symbolismus dieser deifizierten
Abstraktion mehr und mehr durch die Häuftmg ihrer
Attribute zu steigern — , anderseits durch ein ästhe-
tisches Interesse — den Wunsch, die Monstrosität
dieses exotischen Ungetüms nach Möglichkeit zu ver-
ringern und es nach und nach zu humanisieren. Sie
imterdrückten schließlich seinen Löwenkopf imd be-
schränkten sich darauf, dieses Tier zu seinen Füßen
darzustellen oder die M2iske der räuberischen Katze
auf seiner Brust anzubringen.
Der löwenköpfige Gott der Ewigkeit ist die ori-
ginellste Schöpfung der mithrischen Kirnst, imd wenn
sie auch den Zauber der Anmut durchaus entbehrt, so
erregt doch die Seltsamkeit ihres Aussehens, die sug-
gestive Häufung ihrer Attribute die Aufmerksamkeit
und fordert das Nachdenken heraus. Abgesehen von
dieser Gottheit der Zeit kann man nur bei gewissen
Emblemen ihren orientalischen Ursprung nachweisen,
so bei der auf einen Stab gehängten phrygischen
Mütze oder bei der Kugel, über welcher ein Adler
schwebt und die den Himmel bedeutet. Ebenso wie
die Opferung des Stieres durch Mithra sind die
übrigen Szenen, in welchen der Heros handelnd auf-
tritt, ohne Zweifel der Mehrzahl nach nur Trans-
— 173 —
Positionen populärer Motive der hellenistischen Zeit,
obwohl wir nicht immer das Original wieder auffinden
können, welchem der römische Bildhauer gefolgt ist,
oder die Elemente, welche er in seiner Darstellimg
kombiniert hat Übrigens ist der künstlerische
Wert dieser Nachbildungen im allgemeinen äußerst
gering. Wenn man die unlebendige Darstellung
Mithras, wie er aus seinem Felsen hervorkommt,
mit der seelenvollen Schilderung der Geburt des
Erichthonios vergleicht, wie sie uns die Vasenbilder
vor Augen stellen, so erkennt man, wie viel mehr
die alten griechischen Keramiker aus einem ähn-
lichen Vorwurf zu machen verstanden. Die
Dürftigkeit der Neuerungen, welche die mithrische
Ikonographie aufzuweisen hat, steht in einem pein-
lichen Kontrast zu der Bedeutung der religiösen
Bewegung, aus der sie entsprungen sind. Wir über-
zeugen uns wieder einmal davon, wie sehr der
Skulptur in der Zeit, als die persischen Mysterien
sich im Reiche verbreiteten, die Fähigkeit mangelte,
einen neuen Aufschwimg zu nehmen. Während man
in der hellenistischen Periode für die äg3rptischen
Gottheiten neue Formen zu schaffen vermochte,
welche in glücklicher Weise ihrem Charakter an-
gepaßt waren, mußten in der Kaiserzeit die meisten
mazdäischen Götter trotz ihrer ganz eigenartigen
Natur wohl oder übel die Gestalt und das Kostüm
der Bewohner des Olymps annehmen, und wenn man
sich dazu verstand, für einige imge wohnliche Sujets
neue Typen zu erfinden, so sind diese von trauriger
Banalität. Der von den voraufgegangenen Genera-
tionen ererbte überschwängliche Reichtum hatte die
schöpferische Kraft der Kunst erstickt; gewohnt von
— 174 —
Anleihen zu leben, war sie zu jeder individuellen
Produktion unfähig geworden.
Aber wir würden den Anhängern des Mithria-
cismus Tinrecht tun, wollten wir von ihnen verlangen,
was sie uns durchaus nicht zu bieten beabsichtigten.
Der Kultus, dem sie huldigten, war nicht der der
Schönheit, und die Liebe zur plastischen Form würde
ihnen ohne Zweifel eitel', wenn nicht gar verwerflich
erschienen sein. Ihnen kam es allein auf die religiöse
Stimmung an, und um diese zu erzeugen, wandten
sie sich vor allem an den Verstand. Trotz der zahl-
reichen Anleihen, welche sie bei dem Schatze der
von der griechischen Skulptur geschaffenen Typen
machte, bleibt die mithrische Kunst ihrem Wesen
nach asiatisch wie die Mysterien, aus den^ sie er-
wuchs. Ihre vorherrschende Absicht ist keineswegs,
einen ästhetischen Eindruck hervorzurufen; sie wffl,
nicht entzücken, sondern erzählen und belehren, auch
hierin den Überlieferungen des alten Orients treu.
Der Wirrwarr der Personen imd Gruppen, welche
sich auf gewissen Basreliefs drängen, die Fülle der
Attribute, mit welcher man den mithrischen Kronos
belastet — das alles zeigt uns, daß mit einer neuen
Form der Religion ein neues Ideal geboren ist Die
häßlichen oder gleichgültigen religiösen Symbole,
deren vielfache Verwendung unsere Monumente be-
zeugen, fesselten den Beschauer nicht durch ihre
Anmut oder ihren Adel: sie wirkten fascinierend
auf seinen Geist durch die verwirrende Anziehungs-
kraft des Unbekannten und riefen in seiner Seele
die Ehrfurcht vor einem erhabenen Mysterium
hervor.
So erklärt es sich hauptsächlich, daß diese über-
— 175 —
ans raffinierte Kirnst trotz ihrer Unvollkommenheiten
dennoch von bleibendem Einfluß gewesen ist. Sie
war mit der christlichen Kirnst durch natürliche Ver-
wandtschaft verbimden, und der Symbolismus, den
sie im Abendlande populär gemacht hatte, verschwand
nicht mit ihr. Selbst die allegorischen Figuren des
kosmischen Zyklus, welche die Anhänger des persi-
schen Gottes im Überfluß reproduziert hatten, weil
die ganze Natur für sie göttlich war, wurden vom
Christentum übernommen, obwohl sie in Wirklichkeit
seinem Geiste widersprachen. So die Bilder des
Himmels, der Erde und des Meeres, der Sonne, des
Mondes, der Planeten imd der Zeichen des Tierkreises,
der Winde, der Jahreszeiten imd der Elemente, die
auf den Sarkophagen wie in den Mosaiken und den
Miniaturen so häufig vorkommen.
Sogar die mittelmäßigen Kompositionen, welche
die Künstler für die Episoden der Mithralegende er-
funden hatten, erschienen den christlichen Jahrhimder-
ten, welche sich noch weniger als die vorhergehenden
von der Überlieferung der Vergangenheit loszusagen
vermochten, ebenfalls der Nachahmung würdig.
Als die Bildhauer sich nach dem Siege der Kirche
vor bisher noch nicht in Angriff genommene Auf-
gaben gestellt sahen imd sich in der schwierigen
Lage befanden, Personen oder Erzählungen der Bibel
in Stein ausfuhren zu müssen, da waren sie froh, daß
sie sich an die Darstellungen anlehnen konnten^
welche die persischen Mysterien verbreitet hatten.
Einige Änderungen des Kostüms imd der Haltung
verwandelten die heidnische Szene in ein christliches
Bild: Mithra, der mit dem Bogen gegen den Felsen
schießt, wird zum Moses, der das Wasser aus dem
— 176 —
Berge Horeb hervorquellen läßt; Sol, der seinen
Bundesgenossen über den Ozean entrückt, dient als
Vorlage für die Himmelfahrt des Blias auf einenr
feurigen Wagen, und bis tief ins Mittelalter hinein
erhielt sich der T}rpus des stiertötenden Gottes in
den Bildern Simsons, der den Löwen zerreißt.
Fig. 4.
lung,
Amphitd
und Sol,
Bogensc
Brucbsti^
eines I
reliefs
Klagen-
furt.
i
H^
■■r ^-^*r
Cumont,
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